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Metal, Bier und Wurstsalat
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eBook323 Seiten4 Stunden

Metal, Bier und Wurstsalat

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Über dieses E-Book

Metal, Bier und Wurstsalat' beschreibt in fiktiver Romanform humorvoll und ungeniert die üblichen Erfahrungen und Erlebnisse, die fast alle jungen Bands durchleben: Träume, Konzerte, Parties, Festivals, das Haifischbecken der Musikindustrie und natürlich Sex, Drugs and Rock 'n Roll.'Und? Was wollt Ihr später mal werden, Kinder?' 'Polizist' 'Lehrer' 'Anwalt' 'Tischler' 'SLAYER'!!!
Das war vor 3 Jahren. Jetzt ist Simon 19, und hat es endlich geschafft, die erste (und einzige) 'Thrash Metal'-Band seines Heimatdorfes Apen zu gründen. Das nächste Ziel war klar: die Weltherrschaft . . . oder zumindest einmal auf der heiligen Bühne stehen; der Bühne des 'Wacken Festivals'. Naja, vielleicht wären ein paar erste Songs auch schon mal ein Anfang, der Rest würde sich noch von selbst ergeben.

Simon spürte einfach, dass diese Band einmal ganz groß rauskommen könnte. Heute stand die allererste Probe an. Vorsichtshalber hatte er sich schon mal ein Sixpack Bier besorgt . . .
SpracheDeutsch
Herausgeberzsr Verlag
Erscheinungsdatum16. Mai 2012
ISBN9783942295048
Metal, Bier und Wurstsalat

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    Buchvorschau

    Metal, Bier und Wurstsalat - Andre Schönfelder

    #2

    Katerstimmung

    Was ist wohl das Schlimmste an einem Alptraum? Die scheinbar ausweglose Situation, in die man sich hineingeträumt hat? Nein! Ist es vielleicht das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, oder der schieren Panik, das uns jedes Mal begleitet, wenn wir schlecht träumen? Nein! Es ist das Aufwachen. Vor allem, wenn man am Abend vor dem Zubettgehen ungefähr sechs Bier und eine halbe Flasche Jim Beam zu viel und dafür ungefähr fünf Stunden Schlaf zu wenig hatte. Der langsam entschwindende Traum hinterlässt ein wirklich beschissenes Gefühl, das sich auch sogleich mit den körperlich spürbaren Auswirkungen des Saufgelages am Vorabend verbindet. Eine üble Mischung, sogar von der übelsten Sorte. Eben diese Mischung malträtierte jetzt meinen Körper und meinen Geist, na ja, mehr meinen Körper. Mein Geist stand mit einem Bein im Traumland und musste sich wohl entscheiden, wo er denn nun eigentlich hinwollte. Er entschied sich für die harte Realität, denn das Scheppern, das meinen Alptraum quasi musikalisch begleitet hatte, veränderte sich.

    Mir wurde langsam, aber sicher bewusst, dass ich jetzt wach war, und dieser fiese Ton in meinen Ohren erreichte eine ungeahnte Intensität. Ein stechender, pulsierender Kopfschmerz stellte sich ein. Der penetrante Ton veränderte sich langsam zu einem nervigen, mein Gehör vergewaltigenden Klingeln. Gleichzeitig empfingen meine Augen langsam wieder brauchbare optische Signale. Und zwar in Form meiner Zimmerdecke. Nun wurde mir schlagartig bewusst, dass ich aufgewacht war. Aus der Traum. Recht schnell bekam ich die Auswirkungen des gestrigen Saufgelages mit unserem Ex-Gitarristen Leon auf meinen Körper zu spüren. Leon hatte vor ein paar Wochen bekanntgegeben, dass er für einen Job nach Süddeutschland ziehen würde. Und gestern gab er seine Abschiedsparty. Der Abend war auf jeden Fall ein gelungener Abgang für Leon. Oh, Scheiße, hatte ich einen Kater. Mein Schädel schien mit einem Presslufthammer bearbeitet worden zu sein und mein Magen sendete meinem Hirn eine Vielzahl von Hiobsbotschaften. Der Inhalt:

    «Bereite nun Altlastabfuhr vor. Bitte umgehend Druckventile öffnen!»

    Und sie wurden geöffnet.

    Ehe ich mich versah, fand ich mich über den Bettrand gebeugt wieder, das Stoßgebet eines jeden Alkoholliebhabers sprechend. Inhalt des Gebets: zwei Teller Ravioli und raue Mengen Johnnie Walkers, die den klingelnden Fussboden besudelten. Warum ich nicht auch bei Bier geblieben war! Und verflucht noch mal, warum schaffte ich es nie mir einen Eimer vor mein Bett zu stellen! Nach etlichen, endlos anmutenden Minuten beschloss mein zutiefst religiöser Magen seine Litaneien einzustellen. Nun hatte ich die Zeit, um durchzuatmen. Also sog ich die Luft tief in meine Lungen hinein, um sie sogleich in einem mörderischen Hustenanfall auszustoßen.

    Wenn man nie geraucht hat, sollte man auch nicht im Suff damit anfangen.

    Nachdem meine gemarterten Lungen sich ansatzweise beruhigt hatten, registrierte ich das immer noch existierende Klingeln. Noch recht orientierungslos begriff ich die Ursache dieser Penetranz. Es war mein eigener Wecker, den ich mir mit aller Voraussicht auf dreizehn Uhr gestellt hatte. Aber wo war er? Auf dem Nachttisch jedenfalls nicht. Sofa – nix, Stuhl – nix. Und auf der Fensterbank ebenfalls nix. Nach langem Taxieren meines Zimmers kam mir der Gedanke vor meinem Bett nachzuschauen. Und da war er auch – besudelt mit meinem eigenen Erbrochenem.

    «Fuck!» krächzte ich, und noch einmal «Fuck», als mir plötzlich bewusst wurde, dass ich um fünfzehn Uhr einen äußerst wichtigen Termin hatte.

    Und zwar mit einem Typen namens Hinnerk, der sich bei meinem Bandprojekt als neuer Gitarrist bewerben wollte. Mir und meinem Mitbewohner und Schlagzeuger Arne blieben also noch knapp zwei Stunden, um im Baguette-Team zu erscheinen. «Fuck», fluchte ich zum dritten Mal an diesem Tag. Aber es half nichts, ich musste jetzt aufstehen. Ich erhob mich noch ziemlich unbeholfen und streckte ein Bein aus dem Bett heraus. Um es in letzter Sekunde wieder zurück zu ziehen. Da wäre ich doch beinahe mit nacktem Fuß in meinem eigenen Erbrochenen gelandet. Noch mal Schwein gehabt. Also musste ich darüber hinwegsteigen, was in Anbetracht meines noch angeschlagenen Zustands gar nicht so einfach war. Ich legte mich bei dem Versuch auch prompt aufs Gesäß, als ich meinen unbeholfenen Körper zu einer Grätsche zwang, die er zu tun gar nicht fähig war. Rums, landete ich unsanft auf meinem Parkettboden.

    «Verdammte Scheiße mit der Scheiße!» ließ ich meinem Ärger freien Lauf und trommelte mit meinen Fäusten wie verrückt auf den Fussboden ein.

    Irgendwann des Trommelns überdrüssig, ließ ich das mit Erbrochenem besudelte Parkett und meinen darin ertrinkenden Wecker in Frieden und raffte mich auf, ins Badezimmer zu gehen. Dort angekommen, beide Hände auf den Waschbeckenrand gestützt, erwartete mich der zweite Schreck des Tages. Und zwar in Form meines eigenen Spiegelbildes, das ich im ersten Moment nicht wiedererkannte. Zwei rubinrote Cocktailkirschen mit jeweils einer Pupille starrten mich durch lange, schwarze Strähnen an. Waren das etwa meine Augen?, fragte ich mich ungläubig, während ich mein verhärmtes Äußeres weiter betrachtete. Mein Haar, mein ganzer Stolz, hing schlaff herab und umrahmte mein aufgequollenes Gesicht. Ein abgewrackter Jesus Christus inklusive Leidensmine, jedoch ohne Dornenkrone. Und der Grauton meiner Gesichtshaut machte das Ganze nicht gerade besser. Ein Neunzehnjähriger, der aussieht wie fünfzig. Ich hör’ auf mit der Scheiß-Sauferei! Das nahm ich mir so ziemlich jedes Wochenende vor. Ich wendete mich von meinem Spiegelbild und bekam sofort den dritten Schreck, als ich die Vogelscheuche auf der Türschwelle zum Badezimmer erblickte.

    «Mann Alter, du siehst ja noch beschissener aus, als ich mich fühle!», krächzte ich mein Gegenüber an.

    Und Arne sah wirklich zum Fürchten aus. Man stelle sich ein eins achtundneunzig großes, mit tätowierter Haut überzogenes, bleiches Skelett vor, mit Armen, die bis zum Boden zu reichen scheinen. Arnes halblanges, blondes Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab und unterstrich somit sein leicht psychopatisches Aussehen. Dunkle Augenringe bestimmten das Bild seiner oberen Gesichtshälfte, die untere war mit blonden Bartstoppeln überwuchert. Arnes Augen waren, ähnlich wie meine eigenen, knallrot und schielten mich missmutig an. Schwankend, schnaufend und seine unangenehm riechende Alkoholfahne verbreitend, brummte er irgendetwas wie:

    «Boa, hab ich ’n Kopp. Alder, lass mich mal durch, muss ma’ kaggn!»

    Die nun aufkommende Gewissheit, dass es ihm wenigstens genauso schlecht ging wie mir, bereitete mir ein gewisses Vergnügen. Ich konnte gar nicht anders, als blöde zu grinsen und Arne hämisch auszulachen.

    «Hehe, wenn du nix verträgst, solltest du die Finger vom Alk lassen, du Loser», pisakte ich ihn im Vorbeigehen.

    Darauf hatte Arne rein gar nichts zu erwidern, sondern zog lediglich ein Gesicht, bei dem ich nur noch lauthals losprustete. Doch von meinen Kopfschmerzen wieder auf den Boden der Tatsachen geholt, wurde ich wieder ernster.

    «Ey, Arnold! Denkste dran, dass wir um drei ’nen Termin beim Baguette-Team ham? Also sieh zu, muss auch noch duschen und so.»

    Zwischen gedämpften Furzgeräuschen war daraufhin ein genuscheltes

    «Jo, alles klar» zu vernehmen.

    Ungefähr anderthalb Stunden später, etwa gegen Viertel vor Drei, öffnete sich die Tür des Badezimmers wieder und heraus kam ein geschniegelter und gebügelter, taufrischer Arne. Schadenfroh grinsend eröffnete er mir:

    «So, Alter. Hast noch zwanzig Minuten. Dann mach man Lack!»

    Na, schönen Dank auch.

    Nachdem ich in Rekordzeit geduscht, die Zähne geputzt und mich rasiert hatte, fühlte ich mich wieder ansatzweise wie ein Mensch. Dann noch Klamotten und Boots an, Lederkutte gegriffen und es konnte losgehen.

    «Ey, Pussi! Komm inne Hufe!», tönte es auch schon aus Richtung Flur und ich rief zurück:

    «Ja, ja, Schlampe, deine Mudder!»

    Am anderen Ende hörte ich Arne kichern. Man soll nicht denken, dass wir uns nicht mögen würden, dies waren lediglich Koseworte, mit denen wir unsere gegenseitige Sympathie und Wertschätzung bekundeten.

    Arne stand bereits in der geöffneten Wohnungstür, eine Flasche Haake Beck in jeder Hand.

    «Lass mal jetz los, wir sind spät dran. Willste auch`n Haake?»

    Völlig sprachlos schaute ich ihn an:

    «Sag mal, bist du noch ganz bei Trost? Wir können doch nich schon wieder saufen.»

    Den Überraschten spielend, blaffte er zurück:

    «Sag mal, bist Du denn noch ganz bei Trost? Es is’ Wochenende, also, Haake oder Haake?»

    Ich griff mir ein Bier und wir machten uns auf den Weg.

    Gitarristencasting

    Zwanzig Minuten später erreichten wir die Baguetterie in der Hauptstraße. Dieser Laden war das zweite Zuhause von Kulle, unserem Bassisten. Hierher kam er regelmäßig, um ausgiebig zu schlemmen, bis der Arzt kommt. Heute hatte er seine einhundertunddreißig Kilogramm in die hinterste Ecke auf einen für ihn viel zu kleinen Stuhl gepflanzt und war gerade dabei, zwei Salamibaguettes zu verdrücken.

    «Moin, Leude!», begrüßte er uns.

    «Hinnerk kommt später, der hat grad angerufen. Und wo wart ihr so lange? Hatte schon gedacht, ich hab ’nen falschen Termin oder so. Na ja, is ja auch Ladde, oder? Dann können wir jedenfalls noch ’n bisschen was essen.»

    Arne fing sogleich an, unseren Bandmoppel auf die Schippe zu nehmen.

    «Jo, Kulle. Ess mal noch ’n bisschen. Nich’, dass du uns vom Fleisch fällst. Bist ja quasi nur noch ein Gerippe», warf er mir den Ball zu und ich machte auch prompt weiter:

    «Ja, genau, Kulle. Siehst echt ein bisschen schwächlich aus in der letzten Zeit.»

    Feixend sponn Arne dann den Faden weiter:

    «Find ich auch! Wir hätten dich ja beinahe nicht erkannt.»

    Langsam schien das Thema Kulle zu langweilen, denn er zeigte uns den Mittelfinger und biss herzhaft in sein zweites Baguette. Wir setzten uns schließlich zu ihm und bestellten jeder ein Haake Beck. Ich kicherte immer noch vor mich hin. Manchmal war Kulle einfach nicht zu fassen.

    «Ey, Kulle, ma’ im Ernst. Du bist doch grad am Spachteln.»

    Mit einer Baguettehälfte im Mund erklärte er mir:

    «Hab noch was bestellt, hatte halt Hunger.»

    Arne fing wieder an zu kichern und ich beließ es bei einem ungläubigen Kopfschütteln. Kulle, oder Marcel, wie er eigentlich heißt, ist neben Arne mein ältester und bester Freund. Und solange ich ihn kenne, frisst er für zwei Personen. Wahrscheinlich bekommt er mit vierzig einen Herzinfarkt und seine Familie hat dann das Nachsehen, einen Sarg in passender Größe zu finden. Jedenfalls saßen wir zu dritt am Tisch, tranken Bier und unterhielten uns über Gott und die Welt. Also über Musik und die Band, die uns immer und überall beschäftigte: Slayer. Wegen Slayer hatte ich die noch sehr junge und unbekannte Band Society of Skeletons Anfang des Jahres ins Leben gerufen. Der Name unserer Band war eine weitere Anspielung auf unsere bevorzugte Musik. Auf einem Album unserer Helden gibt es einen Song namens «Skeletons of Society». Wir fanden die Idee, die Wörter «Skeletons» und «Society» zu vertauschen und dadurch die Bedeutung zu verändern, alle originell. Irgendwann, nach dem dritten Bier öffnete sich die Tür der Baguetterie und ein kleines Männchen trat ein. Ich stieß Kulle an.

    «Sag nich’, das is’ er!», raunte ich.

    «Der sieht aus wie dreizehn und ’n Keks!»

    Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass dieser Typ Leon ersetzen könnte. Doch wie sich herausstellte, war der Knabe unser Mann. Als er uns bemerkte, kam er schnurschtracks auf uns zu.

    «Moin, ich bin Hinnerk. Na, wie geht’s?»

    Die Art, wie sich der gute Hinnerk auf unseren Tisch zubewegte, als er uns bemerkt hatte, war schon hart an der Grenze. Sein Aussehen sowieso. Als er jedoch den Mund öffnete und uns mit diesem piepsigen Stimmchen begrüßte, gab es für uns andere drei kein Halten mehr. Wir prusteten gleichzeitig los und steigerten uns regelrecht in ein fast schon hysterisches Lachen hinein. Ich hatte Tränen in den Augen, Kulle war puterrot angelaufen und Arne schlug sich wiehernd vor Lachen auf den Schenkel. Dieser Hinnerk war einfach zu abgefahren! Lange rostrote Haare umrahmten ein sehr schmales rosafarbenes Gesichtchen. Eine Brille mit anscheinend sehr starken Gläsern saß auf dem gigantischsten Zinken, den ich je gesehen habe. Und diese schmalen Schultern! Seine Gesamterscheinung erinnerte irgendwie an einen Nager. Seine flinken, klug dreinschauenden Äuglein huschten von einem zum anderen. Er schien gar nicht zu registrieren, dass wir ihn eben ausgelacht hatten. Und wenn doch, gab er sich keine Blöße.

    «Also, wie sieht´s aus, braucht ihr jetzt noch ’nen Gitarristen?» fragte sein Stimmchen und ich musste mich sehr beherrschen, um nicht wieder loszulachen.

    Arne und Kulle hatten da wohl auch ihre Schwierigkeiten.

    «Nun setz dich erstmal», gluckste Arne und bot Hinnerk den leeren Stuhl neben sich an.

    Nachdem er sich gesetzt hatte und wir ihm ein Haake Beck quasi aufzwingen mussten, fing ich auch gleich mit dem Hauptthema an:

    «Also, Hinnerk. Wir suchen einen Gitarristen, der Slayer spielen kann, weil wir nämlich so ähnliche Musik machen wollen.»

    Arne war mal wieder die Ungeduld in Person:

    «Na, kannst du denn Slayer spielen? So ‚Spirit in Black’ oder so?»

    Nun schauten wir alle drei Hinnerk erwartungsvoll an. Er setzte an:

    «Na ja, ich kann schon ein bisschen was, aber ich weiß nicht, ob das reicht.»

    Nun schaltete sich Kulle ein:

    «Is schon o. k. Kannst uns ja was vorspielen und dann gucken wir mal, oder Jungs?»

    Unsere Zustimmung hatte er. Also gingen wir, nachdem die Biere geleert und die Rechnung gezahlt war, zurück zu Arne und mir. Bei uns angekommen, bugsierte ich unsere Gäste erst einmal in Arnes Räumlichkeiten, mit der Begründung, mein Zimmer sei nicht aufgeräumt. Dann ging ich mein Erbrochenes wegwischen. Als ich damit fertig war, gesellte ich mich zu den anderen. Die drei waren in eine Diskussion darüber vertieft, wer denn nun der bessere Drummer für Slayer sei, Dave Lombardo oder Paul Bostaph. Ich persönlich tendiere zu Dave, aber die Meinungen schienen in diesem Gespräch sehr geteilt zu sein.

    «Alter, wenn Paul nich’ aus persönlichen Gründen weggegangen wäre, dann würde er immer noch spielen. Dann hätte Lombardo nie bei Slayer angefangen!», vertrat Kulle seine Ansicht.

    Arne musste natürlich dagegenhalten:

    «So´n Blödsinn, Lombardo is’ viel besser, hör ma’ genau hin, wenn der spielt. Hinnerk, was sagst du denn dazu?»

    Hinnerk, der anscheinend nicht damit rechnete, so einbezogen zu werden, blickte hilfesuchend zu mir. Und ich tat ihm den Gefallen, nett, wie ich nun mal bin. «Wegen meiner können wir ja jetz’ runter, in den Proberaum», schlug ich vor und rettete Hinnerk vor den beiden anderen.

    Ich griff mir den Kellerschlüssel vom Schlüsselbrett aus der Küche und wir gingen hinunter. Hier im Keller hatten Arne, Kulle und ich tagelang geschuftet, um den gesamten dagelassenen Müll der Vormieter wegzuschaffen. Nun ja, die Aktion an sich war schon nötig, doch sollte sie nicht allzu lang Bestand haben. Bereits nach wenigen Proben in unserem Banddomizil stapelten sich diverse Bierkisten, lagen über den Boden verteilt einzelne Bier- und Weinflaschen und erschwerten das Vorankommen in dem Raum. Doch wir fühlten uns wohl. Und wir konnten Krach nach Lust und Laune machen, weil Arne und ich die einzigen Mieter in dem ehemaligen Geschäftshaus waren. Ich schloss den Proberaum auf und trat ein. Leider befand sich der Lichtschalter genau auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Warum, weiß niemand. Jedenfalls war es dunkel, sehr dunkel. Deshalb fielen die zahlreichen leeren Bier- und Weinflaschen der letzten Proben gar nicht auf. Noch bevor ich wirklich reagieren konnte, saß ich auf dem Boden und rieb mir den schmerzenden Ellenbogen. Das war heute schon das zweite Mal, dass ich auf dem Hosenboden saß. Außerdem musste ich das Gelächter der drei Komiker hinter mir über mich ergehen lassen.

    «Mann, Arschlöcher! Das is’ hier gar nich’ zum Lachen, das tut sauweh!», knurrte ich Arne und Kulle an, doch die ließen sich gar nicht stören.

    Ich raffte mich wieder auf, ging zur gegenüberliegenden Wand und ertastete mir den Lichtschalter. Ich schaltete ein, doch alles, was es zu sehen gab, war Dunkelheit.

    «So’n Mist. Glühbirne is’ durch», murmelte ich.

    «Arnold, weißt du, ob wir noch irgendwo ’ne Glühbirne ham?»

    Arne überlegte kurz und meinte:

    «Nee, keine Ahnung. Hab jetz’ aber auch keinen Bock, welche zu besorgen.»

    Den hatten wir glaube ich alle nicht besonders.

    «Tja», ließ Kulle verlauten, «dann muss Hinnerk eben nächstes Mal spielen.»

    Also ließen wir das Vorspielen für heute sein und begaben uns fürs Erste wieder in die Wohnung.

    «Ach ja, Merle hat mich heut Nachmittag angerufen. Bei ihr is’ Haus- und Gartenparty. Wir müssen nur Schluck mitbringen», erwähnte Kulle.

    Schon bei der Erwähnung meiner Herzensdame bekam ich Bauchkribbeln. Party bei Merle zu Hause. Vielleicht könnte ich ja ein bisschen Zeit allein mit ihr verbringen, arbeitete es hinter meiner Stirn. Doch ich wurde von meinen Gedanken wieder abgelenkt.

    «Wir können ja jetz’ zur Avia gehen und schon alles für heut Abend holen», schlug Arne vor.

    Doch Kulle hatte den besseren Vorschlag:

    «Nee, lass uns ma’ zu Netto gehn. Da ham die Wodka im Angebot. Dann könn’ wir ’ne Flasche mehr kaufen.»

    Diese Idee fand sofort Gehör. Nun machte Hinnerk wieder auf sich aufmerksam.

    «O. k., Leute, ich müsste dann mal wieder», piepste er.

    «Meine Eltern erwarten mich zum Abendessen. Wir können ja noch mal miteinander telefonieren, zwecks des Vorspielens. Also bis …»

    Und schon unterbrach ihn Arne:

    «Wie, Eltern, Abendessen? Willste denn nich’ mitkommen? Bist doch jetz’ quasi in der Band.»

    Wir schauten ihn alle verwundert an.

    «Hm, na ja, ich meine, du kannst Slayer spielen und ich hab keinen Bock mehr auf Weitersuchen», führte er weiter aus.

    Da wir wahrscheinlich alle so schnell wie möglich die Band wieder komplettieren wollten, gab es in Sekunden einen einstimmigen Beschluss, Hinnerk als Gitarrist aufzunehmen. Jetzt waren wir wieder eine vollständige Band. Zwar hatten wir erst zwei Songs vorzuweisen, aber scheiß drauf, wir waren eine Band. Jedenfalls bequatschten wir Hinnerk so lange, bis er sich uns anschloss, mit zu Merle zu kommen. Nun mussten wir uns noch um den Alkohol kümmern. Der Plan war, wie fast jedes Wochenende, denkbar einfach: Erst einmal ordentlich Schluck einkaufen und dann zu Kulle nach Hause. Dort trinken wir, als ob es keinen Morgen gäbe, labern Schrott oder hören dazu laut Musik. Metal, natürlich. In der Regel brechen wir recht angetrunken so gegen zehn Uhr abends zum Hauptbesäufnis auf, das in Ort und Ambiente variabel ist.

    «Ey, wisst ihr was?», erkundigte sich Kulle.

    «Heut werd ich euch ma’ einladen, weil jetz’ sind wir ja wieder ’ne Band, richtig?»

    Sein Vorschlag wurde von uns anderen natürlich dankend angenommen, schließlich würde dieser Abend sehr günstig für uns werden.

    Der Nettomarkt war ungefähr fünfzehn Minuten Fußweg von Kulles Wohnung entfernt, also noch genug Zeit, ein weiteres Bierchen zu trinken. Und dafür, dass ich heute Mittag zum wiederholten Male dem Alkohol abgeschworen hatte, lag ich bereits jetzt wieder gut im Rennen. Was mir jedoch nicht das Geringste ausmachte. Ich war wieder die Party-Metalsau, vor der bescholtene Bürger dieser bescholtenen Stadt ihre Kinder immer warnen.

    Mittlerweile am Nettomarkt angekommen, stellten wir unsere leeren Bierflaschen an die Seite des Eingangs und begaben uns direkt zu den alkoholischen Getränken. Hier kannten wir uns durch etliche Besuche hervorragend aus und fanden ohne Probleme unseren Weggefährten. Wodka Jeggorov zum Spottpreis von drei Euro neunundneunzig. Jetzt noch Orangensaft, um unserem Getränk eine gesunde Farbe zu geben, und wir konnten uns zur Kasse begeben. Wie immer mussten wir uns an das Ende einer endlos langen Warteschlange stellen, da die Angestellten des Marktes es nicht für nötig hielten, eine oder zwei Kassen mehr zu öffnen. Das war mal wieder typisch für diesen Laden. Egal, wann man hier einkaufen wollte oder wie viele Kunden sich hier aufhielten, es hatte immer nur eine Kasse geöffnet. Alles in allem hatten wir drei Flaschen Wodka und vier Tetrapackungen Orangensaft, die bezahlt werden wollten. Nach gefühlten fünf Stunden stellten wir endlich unsere Ware auf das Band der Registrierkasse. Die Kassiererin zog die Ware durch und nannte uns den Gesamtpreis.

    «Vierzehn Euro und siebenundsechzig Cent, bitte», sagte sie mit teilnahmsloser Stimme.

    «Ja, ’nen kleinen Moment», erwiderte Kulle und kramte in seinem Rucksack.

    Nach einigen Sekunden, die der entnervt dreinschauenden Kassiererin aber anscheinend zu lange dauerten, hatte Kulle seine speckige Geldbörse gefunden. Er packte einen Zehneuroschein auf den Zahlteller und fing dann allen Ernstes an, sein kleinstes Kleingeld abzuzählen:

    «Fünfzig, einundfünfzig, dreiundfünfzig» und so weiter.

    Irgendwann bei dreizehn Euro und irgendwas reichte es der Kassiererin und sie begehrte auf.

    «Also, junger Mann, das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder? Können Sie nicht mit normalem Geld bezahlen, wie jeder andere auch? Es sind auch noch andere Kunden da.»

    Doch Kulle ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen.

    «Was meinen Sie mit normalem Geld? Sind ein oder zwei Cent kein normales Geld? Es ist doch nur noch ’n bisschen. Seh’n Sie, hier hab ich noch ’n Zweieurostück gefunden. So jetz’ passt´s.»

    Es war sehr amüsant den Machtkampf, der sich soeben zwischen Kassiererin und zahlendem Kunden abspielte, zu beobachten. Arne und Hinnerk sahen das Ganze wohl ebenso, wie ich an ihren blöde grinsenden Gesichtern erkannte. Hinter uns war die Warteschlange noch weiter angewachsen und einige Kunden machten ihrem Ärger darüber, dass es nicht vorwärts zu gehen schien, Luft. Die Kassiererin, die sichtlich überfordert war, klingelte nach einem Kollegen, um endlich eine zweite Kasse in Betrieb zu nehmen.

    «Das wurde aber auch Zeit», hörte man mehrere Leute hinter uns sagen.

    Im Eifer des Gefechts hatte die überforderte Kassiererin ohne ein weiteres Widerwort angefangen, die einzelnen Cents abzuzählen. Irgendwann war die gute Frau fertig und wir verließen gutgelaunt den Laden. Ja, der dämlichen Kassenfrau hatten wir es mal so richtig gezeigt. Jetzt war alles gut. Wir würden bei Kulle ein wenig vorglühen und später auf Merles Party die Sau rauslassen. Bei Kulle angekommen, schmissen wir uns auf sein altersschwaches Sofa, während er selbst vier Gläser besorgte und Musik einschaltete. Kulles Einzimmerapartment war von oben bis unten mit Postern bekannter Metal Bands plakatiert. Einen Großteil machten natürlich Slayerposter aus. Doch es gab auch welche von Pantera, Judas Priest und Metallica. In einer Ecke des Raumes stapelten sich diverse Pizzakartons und Bierflaschen. Das nenne ich eine ausgewogene Ernährung. Panteras ´far beyond driven´ fetzte uns um die Ohren und jeder moshte im Takt der Musik. Bei dem brachialen Sound und Phils schon unmenschlich kraftvollem Gesang kann man auch gar nicht stillsitzen.

    Nach einigen Liedern dieser äußerst gelungenen Scheibe wollte Arne jedoch andere Musik hören, natürlich Slayer. Mittlerweile stellte sich ein angenehmes Gefühl bei mir ein. Die offizielle Ankündigung des kommenden Alkoholrausches. Den anderen ging es wahrscheinlich ähnlich. Hinnerk schien im Umgang mit Alkohol noch nicht genug Erfahrung zu haben, denn er schüttete seinen Wodka-O runter, als ob er ein erfrischendes Glas Punica vor sich hätte. Seine kleinen Äuglein waren bereits glasig und seine riesige Nase war gerötet wie bei der Karikatur eines Betrunkenen. Aber offensichtlich hatte er Spaß. Arne und Kulle moshten bei der nun neu eingelegten Musik von Slayer um die Wette. Nur ab und zu brachen sie ihre Headbangerei ab, um schnell ein halbes bis ganzes Glas ihres Mischgetränks hinunterzustürzen. Ich beließ es dabei, mich langsam, aber stetig zu betrinken und den Klängen der Musik zu lauschen. Und allmählich zeigte der Alkohol bei uns allen Wirkung. Arne verleitete den schon stark angetrunkenen Hinnerk zu einem kleinen Trinkwettbewerb, was im Nachhinein nicht die beste Idee sein sollte. Doch wer kann schon in die Zukunft schauen? Im Moment war alles gut, Kulle trank und moshte, Hinnerk trank eifrig mit Arne um die Wette und ich feuerte lallend beide an. Anderthalb Flaschen Wodka und einige Biere hatten schon das Zeitliche gesegnet, als ein Handy klingelte.

    «Jo!» tönte Kulle in sein Mobiltelefon.

    «Nee, hab keine Zeit, heut is’ saufen bei Merle angesagt.»

    Nachdem er sein Telefonat beendet hatte, eröffnete uns Kulle:

    «Lass ma’ losgehn. Die Westersteder kommen auch zu Merle.»

    Gesagt, getan. Jeder griff sich seine Jacke und wir verließen Kulles kleines Refugium.

    Herzdame

    Die klare Abendluft belebte meine vom Alkohol betäubten Sinne, ich fing langsam an, mich auf den Abend zu freuen. Arne und Hinnerk hatten sich während ihres gemeinsamen Umtrunks recht gut angefreundet und grölten Seite an Seite torkelnd `Raining Blood`. Ansatzweise waren die beiden

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