Weltfriedensdienst e.V.: Geschichte einer Idee
Von Ulrich Luig
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Über dieses E-Book
Mitgliederversammlung 2012
des Weltfriedensdiensts e.V.
Dieses Buch erzählt die Geschichte der hartnäckig verfolgten Idee, Frieden im Weltmaßstab zu denken, aber dafür von unten her zu arbeiten - gemeinsam mit benachteiligten Menschen in den Krisengebieten der Welt, aber auch bei uns in Deutschland.
Am Anfang des Weltfriedensdiensts stand die Idee, dass zu dem in beiden Deutschlands gerade (1956) erst wieder eingeführten Wehrdienst die Alternative eines Friedensdienstes geschaffen werden müsste: "Friedensdienst statt Kriegsdienst!" lautete dafür die Parole.
Was unter Frieden zu verstehen ist, auf welche Weise und in welcher Form der Frieden in der Welt mit den eigenen beschränkten Mitteln am besten befördert werden kann, war immer neu Gegenstand von Diskussionen aus unterschiedlichem Anlass. Für die Arbeitsweise des Weltfriedensdiensts bedeutete dies eine charakteristische Dialektik von praxisbezogener Konzeptionsentwicklung einerseits und konzeptionsorientierter Praxis andererseits.
Erzählt wird die Geschichte des Weltfriedensdiensts daher als Geschichte der leitenden Ideen einer bestimmten Projektpolitik in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext sowie der entsprechenden Projektaktivitäten und der Reflexion der gemachten Erfahrungen als Grundlage einer veränderten Projektpolitik im Sinne von "lessons learnt": Vision - Erfahrungen - Reflexion - veränderte Vision. Eine angefügte ausführliche Zeittafel erlaubt einen detaillierten Blick auf die tatsächliche Chronik der Ereignisse.
Ulrich Luig
Ulrich Luig, born 1945 in Berlin (Germany), studied Protestant theology at Berlin and received a Ph.D. in missiology and religious science from Humboldt University at Berlin. He worked in a rural development project with the Gossner Mission and as a UCZ pastor at the Gwembe Valley/Zambia from 1987 until 1990. After his return from Zambia he worked as a lecturer in missiology and religious science at Humboldt University and as a chaplain at Mainz University thereafter.
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Buchvorschau
Weltfriedensdienst e.V. - Ulrich Luig
Danksagung
Das Entstehen dieses Buches war ein Prozess, in dem ich von mehreren Seiten Unterstützung erfahren habe. Wichtige Informationen und Hinweise zur Geschichte des Weltfriedensdienstes verdanke ich insbesondere den früheren Geschäftsführern des Weltfriedensdiensts Wilfried Warneck(†), Peter Sohr, Eberhard Bauer und Walter Hättig sowie Folker Thamm, Ursula Reich, Hans-Martin Schwarz, Eckehard Fricke, Gerd Hönscheid-Gross, Bernd Leber, Erich Schlauch, Thomas Schwedersky, Karin Fiege, Volker Rhein, Theo Mutter, Klaus Ebeling, Anton Karch, Andreas Rosen, Carola Gast und Hans-Jörg Friedrich. Für die Hilfe bei der Archivarbeit danke ich Caro Ziegert, Katrin Steinitz und Jürgen Steuber.
Ulrich Luig
Ulrich Luig, geb. 1945 in Berlin. Studium der evangelischen Theologie und Promotion in Berlin. Seit 1968 ist er in verschiedenen Funktionen mit dem Weltfriedensdienst verbunden. Seit 2008 im Ruhestand, lebt in Berlin.
INHALT
Danksagung
Vorwort
Welt – Frieden – Dienst
Projektpolitik 1: Freiwillige für den Frieden
Projektpolitik 2: Soziale Aktivierung
Gemeinschaftsdienste und soziale Aktivierung
Zweiter Anlauf - erste Projekte
Elfenbeinküste
Palästina
Brasilien
Gambia
Grundsatzdiskussionen
Projektpolitik 3: Staatliche Partner
Fachdienst für Gemeinwesenarbeit
Senegal
Burkina Faso
Befreiungsbewegungen an der Macht
Kapverden – Insel der Hoffnung?
Guinea-Bissau – Regionalentwicklung Boé
Fachkräfte für Mosambik
Projektpolitik 4: Zurück zur Basis
Arbeitsschwerpunkt südliches Afrika
Genossenschaften in Simbabwe
Das Weya Community Training Centre –WCTC
Cold Comfort Farm Trust (CCFT)
Grow More Trees Furniture Cooperative (GMT)
Chikukwa Ecological Land Use Trust
Nayahode Union Learning Centre (NULC)
Zivilgesellschaft in Südafrika
Projektpolitik 5: Globale Partnerschaft
Öffentlichkeitsarbeit als Süd-Nord-Arbeit
Rundreisen mit Projektpartner*innen
Das Antirassismusprojekt
Das Projekt Bäuerliche Landwirtschaft
Langfristige Kooperationen
Netzwerk- und Lobbyarbeit
Krisenjahre
Auslands- und Partnerschaftsprojekte
Ziviler Friedensdienst und Entwicklung
Partnerschaftsprojekte
Friedensarbeit lokal und global
Das Versöhnungsprojekt
Peace Communication
Peace Exchange
Global Generation
Öffentlichkeitsarbeit
Bildung und Fundraising: Work for Peace
Kampagnenarbeit: Stoppt den Wasserraub
Rückblick und Ausblick
Anhang
Friedenspolitisches Profil des Weltfriedensdiensts
Leitbild des Weltfriedensdienst e.V.
Zeittafel
Vorwort
Dieses Buch erzählt die Geschichte der hartnäckig verfolgten Idee, Frieden im Weltmaßstab zu denken, aber dafür von unten her zu arbeiten - gemeinsam mit benachteiligten Menschen vor allem in Krisengebieten der Welt, aber auch bei uns in Deutschland. Geschrieben wurde das Buch insbesondere für Menschen, die in der einen oder anderen Weise Teil dieser Geschichte waren oder die dem Weltfriedensdienst e.V. neu begegnet sind und sich darüber informieren wollen.
Am Anfang des Weltfriedensdiensts stand die Idee, dass zu dem in beiden Deutschlands gerade (1956) erst wieder eingeführten Wehrdienst die Alternative eines Friedensdienstes geschaffen werden müsste: Friedensdienst statt Kriegsdienst!
lautete dafür die Parole. Konkret wurde diese Idee durch die Mit- und Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Prägung und Form ihrer Beteiligung, die sich unter dem Dach des Vereins Weltfriedensdienst e.V. zusammenfanden und ihn zu dem machten, was er zu den je verschiedenen Zeiten war. Namen werden in diesem Buch nur selten genannt; dafür waren es zu viele, die auf ihre eigene Weise wichtig waren. Der Weltfriedensdienst
ist daher immer ein Kollektivbegriff, der sich aus vielen unterschiedlichen Namen zusammensetzt.
Typisch für den Weltfriedensdienst war von Anfang an eine ausgeprägte Diskussionskultur. Was unter Frieden zu verstehen ist, auf welche Weise und in welcher Form der Frieden in der Welt mit den eigenen beschränkten Mitteln am besten befördert werden kann, war immer neu Gegenstand von Diskussionen auf Mitgliederversammlungen, Strategieseminaren und Treffen aus unterschiedlichem Anlass. Den Rahmen dafür boten vor allem in den Anfangsjahren kommunikative und fast familiäre Formen des Miteinanders wie Feste und persönliche Einladungen. Daraus hat sich eine Gesprächskultur entwickelt, die stets offen war für unterschiedliche persönliche Überzeugungen und aktuelle Bezüge zu internationaler Politik und speziell der Entwicklungspolitik, die aber gleichzeitig auf Konsens in den Zielen und gemeinsames Handeln ausgerichtet war. Für die Arbeitsweise des Weltfriedensdiensts bedeutete dies eine charakteristische Dialektik von praxisbezogener Konzeptionsentwicklung einerseits und konzeptionsorientierter Praxis andererseits.
Der Aufbau dieses Buches folgt dieser Charakteristik. Der Darstellung der leitenden Ideen einer bestimmten Projektpolitik folgt eine kurze Beschreibung der Aktivitäten des Vereins, die sich daraus entwickelten. Deren Reflexion im Verein wurde wiederum zur Grundlage einer veränderten Projektpolitik wurde im Sinne von lessons learnt
: Vision – Erfahrungen – Reflexion – veränderte Vision. Dabei ergibt sich zwangsläufig, dass die Chronologie der tatsächlichen Ereignisse häufig nicht mit diesem Schema in Einklang zu bringen ist. Die Projekte einer projektpolitischen Generation
werden jeweils im Zusammenhang dargestellt und erst dann wird auf der Basis der gemachten Projekterfahrungen die Herausbildung von neuen projektpolitischen Leitvorstellungen beschrieben.
Erzählt wird die Geschichte des Weltfriedensdiensts auf der Grundlage des – leider nur unvollständig vorhandenen und häufig nur zufällig zugänglichen – Archivmaterials des Vereins. Auf genaue Quellenangaben wird im Interesse der besseren Lesbarkeit verzichtet. Überprüft und ergänzt wurde diese Datengrundlage durch zeitgeschichtliches Sekundärmaterial und die Erinnerungen der Akteure in den unterschiedlichen Phasen der Arbeit des Vereins. Eine angefügte ausführliche Zeittafel erlaubt einen detaillierten Blick auf die tatsächliche Chronik der Ereignisse. Auf dieser Basis ergibt sich die Geschichte einer faszinierenden und nach wie vor relevanten Idee vom Dienst am Frieden in der Welt.
Es ist ein alter Streit, ob aus der Geschichte gelernt werden kann. Welche Einsichten aus der Geschichte für die Zukunft gewonnen werden können, hängt von der Fragestellung ab, unter der das Vergangene betrachtet wird. Manches aus der Geschichte des Weltfriedensdiensts liest sich erstaunlich aktuell, anderes lässt strukturelle Konstanten erkennen, wieder anderes kann für Irrwege sensibel machen. Stoff genug also für die Vorbereitung auf die Herausforderungen, die sich heute für den Welt-Friedens-Dienst von morgen abzeichnen.
Berlin, im November 2017
Ulrich Luig
Welt – Frieden – Dienst
Projektpolitik 1: Freiwillige für den Frieden
Welt – Friedens - Dienst
– unter diesem Thema lud die Evangelische Akademie Berlin vom 30. Juni bis 2. Juli 1959 zu einer Tagung ein. Insbesondere junge Menschen sollten für die Idee eines einjährigen Aufbaudienstes in einem der Länder Asiens oder Afrikas gewonnen werden als Beitrag zur friedlichen Entfaltung der menschlichen Zukunft
.
Das Thema war hoch aktuell. Der zweite Weltkrieg mit seiner immensen Zahl an Toten und der Zerstörung ganzer Städte war erst vierzehn Jahre zuvor zu Ende gegangen. Unmittelbar nach Kriegende hatte der Kalte Krieg zwischen Ost
und West
begonnen, der umzuschlagen drohte in einen dritten, mit Atomwaffen ausgetragenen Weltkrieg. Gleichzeitig ging das Zeitalter des Kolonialismus zu Ende. Mit der Bandung-Konferenz vom April 1955 hatten die Völker Afrikas und Asiens – weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – als Dritte Welt
die Bühne der Weltpolitik betreten. Sie forderten das Ende von Rassismus und kolonialer Herrschaft, Abrüstung einschließlich eines Kernwaffenverbots sowie verstärkte Entwicklungshilfe für die Länder des Südens. Der wind of change
fegte vor allem durch den europäischen Nachbarkontinent Afrika.
In dieser Situation warb der deutsch-amerikanische Rechtshistoriker und Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy für die Idee eines Weltfriedensdiensts
. Er hatte bereits als junger Professor im schlesischen Breslau in den Jahren 1928 bis 32 freiwillige soziale Arbeitslager konzipiert und geleitet, bei denen Bauern, Arbeiter und Studenten gemeinsam körperliche Arbeiten verrichteten sowie aktuelle gesellschaftspolitische Fragen diskutierten. Dabei sollten sie sich über soziale Schranken hinweg kennen und respektieren lernen. Rosenstock-Huessy war 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung in die USA emigriert, hielt aber Kontakt zu seinem Schüler und Freund Helmuth von Moltke und dem Kreisauer Kreis
, einer Widerstandsgruppe um Moltke während der Zeit des Nationalsozialismus. Der unmittelbar nach dem Kriegsende 1945 einsetzende Kalte
Krieg mit der drohenden Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen war für ihn ein Anlass, die Idee eines freiwilligen sozialen Dienstes über ideologische Grenzen hinweg neu ins Gespräch zu bringen – als Weltfriedensdienst. Für die Deutschen sah er in einer solchen Initiative die Chance, sich nach dem deutschen Eroberungskrieg und den dabei begangenen Verbrechen mit den europäischen Nachbarvölkern zu versöhnen. Angesichts der zunehmend konfliktreichen Dekolonisierungsprozesse in den europäischen Kolonien antizipierte er zugleich eine Eine Menschenwelt
, in der die Beziehungen zwischen Nationen und Völkern nicht mehr durch Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, sondern durch ein friedliches Miteinander bestimmt sein sollten. Mit griffigen Formulierungen warb er ab 1956 auf mehreren Vortragsreisen in Deutschland und den Niederlanden für diese Idee. Angesichts einer immer stärker zusammenwachsenden Gemeinschaft der Völker der Welt einerseits und der gewaltigen Zerstörungskraft der neu entwickelten Atombomben andererseits sah er im Weltfrieden die einzige Möglichkeit zum Überleben der Menschheit:
Die Menschenwelt ist eine geworden. Unser Planet ist erschlossen. Alle sind mit Allen verbunden. Kein Erdteil, kein Volk steht mehr außerhalb, lebt mehr für sich. … Der Krieg, in der bisherigen Geschichte wirksames Mittel der Politik, wesentlich gestaltendes Moment der Weltgeschichte, kann heute keine politischen Entscheidungen mehr erzwingen, sondern höchstens zum wechselseitigen Selbstmord der Völker führen. Wenn künftig menschliche Geschichte also nicht überhaupt enden soll, wird sie künftig nicht mehr Kriegsgeschichte sein. Es gilt nicht mehr, Feinde zu besiegen — denn es gibt keinen Sieg mehr mit Atomwaffen —, sondern es gilt, Freunde zu gewinnen.
(Fritz Vilmar, Ein Weltfriedensdienst, S. →)
Für Rosenstock-Huessy war das friedliche Miteinander der Völker und Gruppen eine Aufgabe, die ständig neuer Anstrengungen bedarf. Dabei verstand er weder Krieg noch Frieden als statische Größen, sondern als höchst dynamische Prozesse. Einprägsam formulierte er daher:
Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Friedensdienst.
Der junge Soziologe Fritz Vilmar griff diese Idee auf und entwickelte in einem 1958 veröffentlichten Aufsatz Ein Weltfriedensdienst – Politische Initiative am Ende der Kriegsgeschichte
ein Konzept für den Aufbau eines internationalen Freiwilligendienstes für den Frieden. Junge Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen sollten sich bei gemeinsamen Arbeitseinsätzen kennen lernen und mit Unterstützung von friedensorientierten Politikern den Weg zum Ende der Kriegsgeschichte in der Welt ebnen helfen. Vilmar kontaktierte dazu auch die Evangelischen Akademien als wichtige gesellschaftspolitische Gesprächsforen. Erich Müller-Gangloff, der Leiter der Evangelischen Akademie Berlin, war bereit, die Idee eines Weltfriedensdiensts zum Thema einer Tagung zu machen. Bei der Berliner Akademietagung zum Weltfriedensdienst
im Sommer 1959 erhielt Fritz Vilmar die Gelegenheit, als Hauptreferent seine Vorstellungen zu entfalten.
Die Tagung über den Welt-Friedens-Dienst
fügte sich gut ein in das Konzept der Berliner Evangelischen Akademie, die Lehren aus Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg mit den Herausforderungen der neu in den Blick gekommenen Einen Welt
zu verbinden und durch den praktischen Einsatz für den Frieden zu verarbeiten. In enger Zusammenarbeit von Akademieleiter Erich Müller-Gangloff, dem Präses der Kirchenprovinz Sachsen, Lothar Kreyßig, sowie dem späteren evangelischen Berliner Bischof Kurt Scharf waren im Juni 1957 die Aktionsgemeinschaft Für die Hungernden
(heute Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
, ASW) und im April 1958 die Aktion Sühnezeichen
(heute Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
, ASF) gegründet und durch Akademie-Tagungen begleitet worden.
Evangelische Akademie Berlin
Tagung
für die
junge Generation
über den
WELT-
FRIEDENS-
DIENST
vom 30. Juni bis 2. Juli 1959
Quelle: WFD-Archiv
Beide Initiativen hatten sowohl einen praktischen, auf Aktion gerichteten Charakter als auch einen auf die Welt als ganze ausgerichteten Bezug. Die Aktionsgemeinschaft Für die Hungernden
warb um Spendengelder für die Unterstützung von Armen im Süden der Welt und organisierte über lokale Partnerorganisationen deren Verteilung. Die "Aktion