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Zwischen Stromausfall und Erleuchtung: Mein Freiwilligendienst in Thailand
Zwischen Stromausfall und Erleuchtung: Mein Freiwilligendienst in Thailand
Zwischen Stromausfall und Erleuchtung: Mein Freiwilligendienst in Thailand
eBook420 Seiten5 Stunden

Zwischen Stromausfall und Erleuchtung: Mein Freiwilligendienst in Thailand

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Über dieses E-Book

Die Welt ist groß, besonders für jemanden wie Carla Dörr, die gerade ihr Abitur absolviert hat und noch nicht weiß, wie es danach weitergehen soll. Sie macht sich auf den Weg nach Thailand, wo sie für ein Jahr in einer buddhistischen Selbstversorger-Community, einer Asoke, lebt.

Aus dem Inhalt:

In einer Asoke im Osten Thailands bezieht die Autorin eine einfache Hütte und startet voller Tatendrang in ihr neues Leben auf Zeit. Nach einer Eingewöhnungszeit und anfänglichen Befürchtungen, in Fettnäpfchen zu treten, verspürt sie Freude an der Arbeit …

Carla Dörr erzählt von den alten warmherzig lächelnden Frauen, die viele Stunden täglich beisammensitzen, Körbe flechten, weben, Reiskörner sortieren oder Papaya-Salat stampfen und dabei den Worten der Mönche lauschen. Die Autorin schätzt die vegane Küche der Asoke und lernt den einzigartigen Geruch von frischem Reis, Limettenblüten und verbranntem Kunststoff zu lieben. In ihren Ohren klingt das unheimliche Knarzen riesiger Bambusstangen im Wind genau so aufregend wie schrille Thaimusik. Die Rufe der Kinder, die in blauen Schuluniformen auf der Straße Fangen spielen, gehören zu ihrem Alltag.

Von der Zeit als Englischlehrerin, Gärtnerin, Küchen- und Putzhilfe und den vielen festlichen Anlässen in der Dorfgemeinschaft berichtet Carla genauso begeistert wie von ihren Reisen in die Nachbarländer Laos, Kambodscha und Malaysia.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Jan. 2018
ISBN9783942617413
Zwischen Stromausfall und Erleuchtung: Mein Freiwilligendienst in Thailand

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    Buchvorschau

    Zwischen Stromausfall und Erleuchtung - Carla Dörr

    Quellenangaben

    Fernweh: Plötzlich flügge ...

    3. August: Der Tag, den ich lang herbeigesehnt und ebenso sehr gefürchtet habe. Mein Kalender hört hier auf – so jedenfalls ist es schon seit Monaten geplant. Und nun liege ich schlecht gelaunt in meinem Bett. Ohne fremde Hilfe kann ich kaum mehr als ein paar Meter gehen. Dass draußen strahlendes Sommerwetter ist, kommt mir vor wie eine Strafe. Am letzten Tag meines Vorbereitungsseminars habe ich mir den Fuß gebrochen. Das ist zwei Wochen her.

    Meine Abreise verzögert sich dadurch um drei endlos lange Wochen, doch eigentlich bin ich kaum noch zu halten. Freunde und Verwandte reden auf mich ein, mich zu gedulden, bis mein Fuß wieder völlig genesen ist und erst dann abzureisen, doch mir ist jeder weitere Tag, den ich zu Hause verbringe, zu lang. Ich fühle mich wie ein Vogel, dem man die Flügel gestutzt hat.

    19. August: Es ist seltsam, die Tür zu unserer Wohnung zuzuziehen und zu wissen, dass ich erst in einem Jahr wieder hindurchgehen werde. Als meine Eltern die schweren Koffer zum Auto rollen und ich umständlich hinter ihnen herhinke, winken mir die Nachbarskinder, auf die ich oft abends aufgepasst habe, freundlich am Fenster zu. Wie sehr sie sich wohl in einem Jahr verändert haben werden?

    Ein wenig wehmütig wird mir zumute, als ich auf der Fahrt zum Flughafen aus dem Autofenster schaue, die Felder in der goldenen Hochsommersonne und die Schwarzwaldberge an mir lautlos vorüberziehen. Ich lehne meinen Kopf gegen die Schulter meiner Mutter, die neben mir auf der Rückbank sitzt. Doch eigentlich bin ich viel zu aufgeregt, um traurig zu sein.

    Wir sind viel zu früh am Flughafen und die Stunden des Abschieds ziehen sich zäh in die Länge, irgendwann wird es fast unerträglich. Als es endlich losgeht, bin ich erleichtert.

    Kaum hat das Flugzeug seine Flughöhe erreicht, setzt es auch schon wieder zur Landung an. Es ist ein regnerischer, trüber Tag, dennoch erhasche ich im Landeanflug einen kurzen Blick auf Amsterdams hübsche Grachten, deren Ufer von einer Reihe Hausboote gesäumt sind. Ein letztes Mal betrete ich in hier europäischen Boden, bis es weitergeht nach Bangkok. Inzwischen habe ich mich an die Krücken gewöhnt und kann mich halbwegs sicher damit bewegen. Es werden dennoch noch einige Wochen ins Land gehen, bis ich meinen Fuß wieder vollständig belasten kann.

    Im Flugzeug sitzen hauptsächlich gut gelaunte Touristen, junge abenteuerlustige Rucksackreisende, die sich gegenseitig von ihren Reiseplänen erzählen. Ich sehe kaum Asiaten. In Bangkok habe ich sechs Stunden Aufenthalt. Nachdenklich beobachte ich das rege Treiben, all die Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen in bunten Kleidern, die an mir vorüberlaufen. Die einen haben es sehr eilig, anderen scheint die Zeit nicht schnell genug zu vergehen. Mir kommt die Sage über einen Indianer in den Sinn, der mit der neuen Eisenbahn an die Ostküste der USA reist. Mitten auf der Strecke fordert er den Lokführer auf anzuhalten und steigt aus. Er setzt sich auf eine Bank und wartet. Als einige Passanten stehenbleiben und ihn verwundert fragen, was er da mache, antwortet der Indianer: „Mein Körper reist zu schnell. Ich werde am Straßenrand sitzen bleiben und warten, um meiner Seele genügend Zeit zu geben, nachzukommen."

    Auf dem kurzen Inlandflug nach Ubon sind dann nur noch Thais im Flugzeug, keine Touristen weit und breit. Britta und Paul, meine beiden Mitfreiwilligen, die ich schon vom Vorbereitungsseminar her kenne, holen mich vom Flughafen ab. Neben ihnen steht ein junger freundlicher Mann, kaum älter als wir, mit kurzen Haaren und blauer Kleidung. Er nimmt mir mein Gepäck ab und fährt uns in einem rostigen Pick-up in die Sisa Asoke.

    Die Sisa Asoke ist eine buddhistische Gemeinschaft, in der etwa einhundertfünfzig Männer, Frauen und Kinder zusammenleben. Die Gemeinde besitzt Felder und Plantagen in der Umgebung, die ökologisch bewirtschaftet werden. Neben dem Anbau von Getreide, Obst und Gemüse produziert die Gemeinschaft Tofu, Pilze, pflanzliche Medizin, Körbe und ökologische Düngemittel.

    Die meisten Gemeindemitglieder leben in einfachen Holzhütten, es gibt eine Schule, der Unterricht findet in kleinen Freilicht-Klassenräumen statt, die über das ganze Dorf verteilt sind. Es gibt eine kleine Bibliothek mit Internetzugang, eine Großküche, wo die veganen Mahlzeiten zubereitet werden und die „Dhamma"-Halle, in der Versammlungen, Feiern und Andachten stattfinden und sich die Gemeinde jeden Morgen zum Frühstücken trifft. Was sie verbindet, ist die Praxis des Buddhismus und die Entscheidung für ein bescheidenes Leben nach strengen Regeln. Man versucht, so gut es geht im Einklang mit der Natur zu leben und die größtenteils arme Bevölkerung einzubeziehen. In einem kleinen Laden werden die Produkte zu erschwinglichen Preisen verkauft.

    In der Gemeinde leben auch sechs Mönche. Sie wohnen in noch kleineren Hütten, die um den Dorftempel herum liegen.

    Am liebsten würde ich Britta und Paul mit unzähligen Fragen löchern, doch ich bin so müde und erschöpft von der langen Reise, dass ich nicht mehr viel reden kann.

    Es ist mir ein Anliegen, den folgenden Aspekt vorab zu erwähnen: Wer sich mehr für die Santi-Asoke-Bewegung interessiert, wird bei der Recherche auf sehr kontroverse Meinungen stoßen, was u.a. daran liegt, dass sich die Santi-Asoke auch politisch engagiert und es immer wieder Konflikte mit anderen Parteien gibt. Uns Freiwilligen war es allerdings während unserer Dienstzeit nicht gestattet, uns politisch zu engagieren und ich werde mich auch im nachfolgenden mit meiner persönlichen politischen Meinung zurückhalten.

    Ankommen

    Alles ist noch ganz neu und sehr fremd für mich. Aber ich spüre schon bei meiner Ankunft, dass dies hier ein freundlicher Ort ist. Als wir spät abends eintreffen, ist es schon dunkel und beim Anblick meiner Hütte, in der ich nun für die nächsten Monate wohnen werde, kommen mir zum ersten Mal Zweifel, ob es wirklich so eine gute Idee war, mit gebrochenem Fuß anzureisen: Vier kurze Treppen mit halsbrecherisch schmalen, glatten Holzstufen führen um die Ecke zu meinem Zimmerchen hinauf. „Wenn das mal gut geht …", denke ich und ziehe mich tapfer an meinen Krücken empor.

    Ich beginne damit, meine Hütte provisorisch von Spinnweben, Staub und Gecko-Kot zu befreien. Als ich gerade dabei bin, meine Schlafstätte herzurichten, höre ich, wie sich ein schepperndes, quietschendes Gefährt nähert. Jemand ruft meinen Namen. Als ich neugierig den Kopf aus meiner Hütte strecke, entdecke ich eine kleine ältere Dame mit braunem Kopftuch, in einem einfachen, mit bunten Flicken übersäten Leinengewand und Flipflops, die eifrig zwei Tassen dampfenden Kakao auf das Geländer meiner Terrasse abstellt. Als sie mich sieht, strahlt sie mich an: „Herzlich willkommen, ich freuen mich du schon kommen! Das muss „Oma sein. „Oma" lernt seit einem Jahr Deutsch und verbringt viel Zeit mit uns Freiwilligen. Während der ganzen Zeit, die ich in der Asoke verbringe, ist sie stets um unser Wohl bemüht, beschenkt uns mit Obst und allerlei Brauchbarem und bietet ihre Hilfe an.

    Meine Hütte ist sehr einfach eingerichtet, ich schlafe auf dem Boden mit einem großen Moskitonetz darüber, habe mein eigenes kleines separates Bad, bestehend aus einer freistehenden Toilette ohne Deckel, einem Wasserhahn in der Wand auf Hüfthöhe, und einer Duschbrause, aus der nur ein Rinnsal kommt. Ein Wassereimer neben der Toilette dient als Spülung. Der Boden ist übersät von den Hinterlassenschaften der Geckos, dicke Kalkablagerungen bedecken die Wände. Ich beschließe, dass bald dringend ein Großputz fällig ist. Als ich später die Bäder meiner Mitfreiwilligen zu Gesicht bekomme, stelle ich fest, dass ich mich mit meiner Nasszelle sehr glücklich schätzen kann, denn die anderen haben entweder keine Dusche oder nur ein Hockklo.

    Mein erster Tag in der Sisa Asoke. Ich bin voller Tatendrang, fest entschlossen, mich den neuen Herausforderungen zu stellen. Bin bereit, tagein, tagaus harte körperliche Arbeit zu leisten und der sengenden Hitze zu trotzen!

    In den ersten Tagen bin ich noch etwas unbeholfen im Umgang mit den Mitgliedern der Asoke, weiß noch nicht so genau, wann und wie ich die Mönche grüßen und mich vor ihnen verbeugen soll und beantworte alle neugierigen Fragen mit einem unsicheren Lächeln. „Oma zeigt mir aber, wie ich die Mönche begrüßen soll: die Schuhe ausziehen, kurz in die Hocke gehen, die Handflächen aneinanderlegen, den Kopf senken und freundlich „Namasakan kah sagen. Soweit die Theorie. Doch im Alltag bin ich sehr unsicher: Soll ich dieses Ritual wirklich jedes Mal wiederholen, wenn ich einem der Mönche über den Weg laufe? Soll ich den gleichen Mönch mehrmals täglich begrüßen? Wie kommen die Mönche überhaupt noch zu ihrer Arbeit, wenn sie sich ständig die Begrüßungen der Mitglieder anhören? Wie machen das die Leute, die mit dem Fahrrad unterwegs sind? Ich beschließe, fürs Erste, die anderen Asokemitglieder zu beobachten und Zusammenkünfte mit den Mönchen so gut es geht zu vermeiden, um nicht in ungeahnte Fettnäpfchen zu treten.

    Früh am Morgen holen mich die anderen beiden Freiwilligen an meiner Hütte ab und wir arbeiten gemeinsam in der Herbal Factory, wo wir Blätter von Zweigen rupfen und Papayas waschen und entkernen. Später begleite ich Britta in eine der Highschool-classes, der sie Englischunterricht erteilt. Ab nächster Woche soll ich auch mit dem Unterricht beginnen.

    Zwischendurch regnet es an diesem ersten Tag heftig, schließlich ist gerade Regenzeit. Dann werden alle Wege ganz schlammig, was die Fortbewegung ziemlich erschwert. Zum Glück hat ASu, unsere Chefin, eine grandiose Idee: Sie leiht uns für die erste Zeit ihr Elektrogefährt.

    Mein Zuhause für die nächsten zwölf Monate

    Klassenzimmer der ersten und zweiten Klasse

    In unserer ersten Konferenz bekommen wir von ihr etwas überreicht, das entfernt an einen Stundenplan erinnert. Wöchentlich fünf Stunden Unterricht in der Grundschule und zwei Stunden in der Mittelschule sieht das Papier, das vor mir auf dem Tisch liegt, für mich vor. Zusätzlich soll ich sonntagvormittags eine Gruppe von Erwachsenen unterrichten. Ein Wochenende in dem Sinne gibt es nicht, Mittwoch ist unser einziger freier Tag. Damit kann ich gut leben. Ich wundere mich etwas, denn ich hatte erwartet, dass man mehr von uns fordern würde. Also betrachte ich den lockeren Arbeitsplan als eine Art vorübergehende Schonzeit, weil wir uns ja noch eingewöhnen müssen und ich mit meiner Verletzung sowieso nur begrenzt belastbar bin. Bald erfahre ich jedoch, dass dienstags grundsätzlich kein Unterricht stattfindet, weil die Kinder den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten. Die Erwachsenen erklären mir schon in der ersten Stunde, dass sie eigentlich überhaupt keine Zeit für Unterricht hätten. Das gibt mir schon zu denken.

    Auch nach einigen Monaten bleibt es aber dabei: Das Arbeitspensum hat sich auf die wenigen Stunden Unterricht sowie die zwei morgendlichen Stunden Arbeit im BaanJaaDii, dem „Haus der guten Medizin", oder der Küche eingependelt. Anfangs habe ich in jeder Konferenz noch damit gerechnet, dass es nun endlich so richtig losgeht, doch bis zum Ende meiner Dienstzeit mussten wir nicht mehr arbeiten.

    Aahan chao – Frühstücksritual in der Sisa Asoke

    Täglich gegen neun Uhr treffen die meisten Bewohner der Asoke nach und nach in der großen Dhamma-Halle ein. Bei den meisten handelt es sich um ältere Frauen mit freundlichen Gesichtern und zierlicher Figur. Wenn sie lächeln, schmücken unzählige feine Falten ihre Wangen und Münder. Es fällt mir schwer, ihr Alter zu schätzen. Bevor sie die Halle betreten, schlüpfen sie aus ihren Schuhen und setzen sich im Fersensitz auf den Fliesenboden.

    An der einen Seite der Halle ist ein langes Podest aus schwerem, schlichtem Holz aufgebaut, auf dem die sechs Mönche der Asoke Platz nehmen. Später erfahre ich, dass das Podest dazu dient, dass wir uns nicht die ganze Zeit über bücken müssen, denn man sollte im Raum mit seinem Körper keine höhere Position als die der Mönche einnehmen. Wer die Halle betritt, verbeugt sich zunächst ehrfürchtig vor den Mönchen. Kniend werden die Handflächen vor der Stirn aneinandergelegt, zur Brust geführt und anschließend vor den Knien auf den Boden abgelegt. Der Kopf senkt sich für einen Moment auf die Hände, dann richtet sich der Körper wieder auf, die Bewegung wird dreimal wiederholt. Das Verneigen geschieht ganz langsam, bedächtig und ganz auf den gegenwärtigen Moment konzentriert. Ich beobachte die Frauen eine Weile, bis ich die Bewegung verstanden habe, und tue es ihnen dann zögerlich gleich. Erleichtert stelle ich fest, dass mich offenbar niemand beobachtet.

    Die Schüler ehren ihre Eltern und alle anderen älteren Personen anschließend ebenfalls mit einer Verneigung.

    Nun beginnt einer der Mönche zu sprechen. Damit wir ihn besser hören können, hat er ein Mikrofon. Seine Rede wird über Lautsprecher im ganzen Dorf übertragen. Die Reden der Mönche dauern unterschiedlich lang, an manchen Tagen nur zehn Minuten, manchmal auch eine ganze Stunde wie am „Buddha-Tag", der einmal wöchentlich stattfindet und dessen Funktion der unseres Sonntags entspricht – was nicht bedeutet, dass nicht gearbeitet wird.

    Nun wird begonnen, das Essen durchzureichen: Auf Rollbrettern wird es zunächst an den Mönchen auf dem Podest vorbeigeschoben, die sich davon in ihre großen runden „Opferschalen schöpfen (streng nach den Regeln der Dhamma darf ein Mönch außer dieser und seinen drei Gewändern nichts besitzen). Für sie und einzelne strenggläubige Mitglieder ist es die einzige Mahlzeit am Tag. Anschließend wird das Essen an den Bewohnern der Asoke vorbeigereicht, die sich in der Zwischenzeit einander gegenübergesetzt und so eine Straße gebildet haben. Auch hier gibt es feste Regeln: Ganz vorne sitzen die alten Menschen, ganz hinten die Schüler. „Oma achtet immer darauf, dass wir bei ihr und den anderen älteren Frauen sitzen, obwohl wir eigentlich viel zu jung dafür sind.

    Während das Essen durchgereicht wird, spricht und betet der Mönch immer weiter. Irgendwann wird das Gebet zu einem gemeinsamen Sprechgesang aller Anwesenden, die nun abermals ihre Handflächen vor der Brust zusammengelegt haben. Ich genieße es, die Augen zu schließen und dem fremden Gemurmel zu lauschen, von dem ich leider (noch) nichts außer ein paar wenigen Wortfetzen verstehe. „Oma" hat sich einmal von einem der Freiwilligen vor uns (wir sind übrigens die fünfte Generation an Freiwilligen) einen Ausschnitt des Gebets übersetzen lassen:

    Wenn wir essen, lasst uns jeden Bissen kauen.

    Wir gedenken, dass wir für die Gemeinde essen.

    Esst nicht mit Gier, denn der Bauer hat für euch Schweiß vergossen.

    Wir essen, um frei zu sein.

    Wir essen mit dem Herzen, um die Kraft des Essens zu erkennen.

    Danke Köchin, danke Koch, danke Landwirt.

    Das Ende des gemeinsamen Gebets ist gleichzeitig das Signal dafür, dass nun mit dem Essen begonnen werden darf.

    Gleich am Anfang kommen verschiedene Getränke: Maracujasaft, manchmal das begehrte frische Kokoswasser und der recht geschmacksneutrale Chlorophyllsaft. Es folgen große, runde Bottiche mit frischem Reis und Klebreis in kleineren Bastkörben. Eines der Rollbretter ist immer mit einem großen Berg frischer Kräuter, Blätter und Blumen gefüllt.

    Zubereitet wird das Essen in der Großküche. Neben den Klassikern der thailändischen Küche wie gebratenem Reis (KhaoPat), gebratenen Nudeln (Pat-Thai), Süßsauer-Gemüse (PatBriauWan), den scharf gewürzten Gemüsesuppen TomYam und TomKha sowie den unterschiedlichen Kokoscurries, sind es hauptsächlich die typischen Gerichte des Nordostens, des Isaan, die auf den Tisch kommen. Dazu zählt unter anderem Klebreis, Papayasalat und GängKiauWan, ein süßliches Curry mit Auberginen. Die Nähe zu den Nachbarländern Laos und Kambodscha spiegelt sich ebenfalls im Speiseplan wider: Oft gibt es Laab, ein scharfes Gericht, das traditionell aus Rind- oder Schweinefleisch, viel Frühlingszwiebeln und Pfefferminze besteht und in der Asoke mit Tofu zubereitet wird. Zu den großen Schüsseln aus der Großküche kommen lauter kleine Köstlichkeiten in Bechern, Körben und Schüsseln, die viele der Frauen selbst zu Hause kochen und mitbringen. Nach den warmen, herzhaften Speisen und den Schüsseln voller Obst folgt meist ein Rollbrett, das mit diversen süßen Speisen beladen ist. Je nach Saison und Verfügbarkeit variieren die Gerichte und verwendeten Gemüsesorten. In der Regenzeit gibt es viel frittierten Tofu, in der kalten Jahreszeit gibt es besonders viel Ingwer, der den Körper von innen wärmt und in der heißen Zeit vor allem Obst. Kokosnüsse gehören das ganze Jahr über zum Speiseplan.

    In den ersten Wochen meiner Dienstzeit probiere ich nahezu täglich neue Dinge aus, die ich noch nie zuvor gesehen habe oder von denen ich bisher noch nicht wusste, dass man sie essen kann, wie beispielsweise Hibiskusblüten und Lotussamen. Mich überrascht die Vielfalt an veganen Lebensmitteln! Bis auf wenige Ausnahmen wie Kekse und ab und zu einige Becher Joghurt, die seltsamerweise den Mönchen vorbehalten sind, enthalten die Speisen ausschließlich pflanzliche Zutaten.

    Viele packen sich nun ihre Mahlzeiten in Blechboxen. In selbstgeflochtenen Körben bringt jeder sein eigenes Geschirr mit – dieser Anblick erinnert mich immer an ein großes Picknick. Die Blechboxen werden zu einem Turm gestapelt und von einer Metallklammer zusammengehalten. Viele Gemeindemitglieder nehmen ihr Essen auf diese Weise mit auf die Felder oder zu anderen Arbeitsplätzen.

    Die ganze Zeit über sitzen alle im Schneidersitz, selbst die alten Frauen, die über siebzig Jahre alt sein müssen! Über deren Agilität bin ich immer wieder erstaunt. Es wird mit Löffeln gegessen, Stäbchen werden in Thailand kaum verwendet. Trotz der strengen Regeln geht es beim Essen sehr fröhlich zu, man unterhält sich und es wird gelacht.

    Die Reden des Mönchs sind übrigens keineswegs monotone Rezitationen, sondern er spricht sehr lebendig und sicherlich sehr weise Worte. Manchmal, denke ich, erzählt er einfach aus seinem Leben.

    Es gibt aber auch Tage, an denen sich die Reden der Mönche ewig in die Länge ziehen. Den kleinsten Kindern, die mit ihren Eltern in die Halle kommen, anstatt mit dem Kindergarten oder der Schule zuvor auf dem Fußboden der Küche zu frühstücken, fällt das Warten besonders schwer. Einmal beobachte ich Rak, der Brittas Grundschulklasse besucht, wie er mit seinem Ziehvater – Rak hat keine leiblichen Eltern mehr – Dame spielt. Auf dem blanken Boden ohne Spielbrett schieben sie Bierdeckel hin und her. Die beiden haben äußerst ernste Mienen aufgesetzt und sind ganz in ihr Spiel vertieft.

    Am Rande der Dhamma-Halle toben drei kleine Jungs übermütig auf dem Steinboden umher. Ich erkenne Nice, der schon in den Kindergarten geht, und seinen jüngerer Freund mit dem unschuldigsten Engelsgesicht, das man sich vorstellen kann. Die beiden sind ein unzertrennliches Zweiergespann und haben es faustdick hinter den Ohren. Der dritte im Bunde ist Lulus zweijähriger Sohn, dessen Namen ich wohl nie korrekt werde aussprechen können. Lulu ist Chinesin und lebt mit ihrem Sohn seit einigen Wochen in der Asoke. Die drei kuscheln, raufen und spielen wie drei Brüder. Das Spiel beansprucht nun auch meine ganze Aufmerksamkeit und die Zeit, bis endlich das Frühstück beginnt, kommt mir sehr kurzweilig vor.

    Manchmal fehlt uns auch die Geduld, den uns größtenteils unverständlichen Reden bis zum Ende zu lauschen. Niemand nimmt es uns dann übel, wenn wir Freiwilligen aufstehen und uns noch einmal für eine Weile in unsere Hütten zurückziehen. Sobald wir über die Lautsprecher mitbekommen, dass die Reden zu Ende sind, machen wir uns dann ein zweites Mal auf den Weg in die Halle.

    Kaum hat der Mönch seine Rede beendet, wird oft der Fernseher angestellt und gemeinsam verfolgen alle Anwesenden je nach Programm die Nachrichten, Reden des Oberhaupts der Asoke oder auch Dokumentationen zu den unterschiedlichsten Themen. Einmal lief sogar eine Dokumentation über Island und wir fanden es ziemlich komisch, Eisberge anzuschauen, während uns der Schweiß bei über 30 Grad nur so rann ... Manchmal kommentiert der Mönch die Sendung auch und oft scheint es lustig zu sein, was er sagt.

    Man kann sich natürlich fragen, ob das nicht ziemlich widersprüchlich ist: Wie soll man sich konzentriert und achtsam dem Essen zuwenden, während nebenbei unablässig der Fernseher plärrt und uns mit Werbung in grellen Tönen und Farben berieselt? Schließlich sind Essen und Trinken wie alle anderen Handlungen Gelegenheit zur Meditation und Achtsamkeitspraxis. Um sich daran immer wieder zu erinnern, werden Speisen und Getränke möglichst im Sitzen eingenommen. Manchmal sieht es etwas wunderlich aus, wenn man einen Menschen in Eile sieht, der plötzlich vor dem großen Trinkwassertank in die Hocke geht, sein Glas leert, aufspringt und weiter seiner Arbeit nachgeht. Außerdem bieten die Anregungen und Gedanken, die der Mönch uns mit auf den Weg gibt, sicherlich genug Stoff zum Nachdenken, aber andererseits (habe ich mir erklären lassen) bietet das Frühstück eine Gelegenheit dafür, sich mit dem Weltgeschehen und der Politik zu befassen, sich weiterzubilden. Viele Menschen arbeiten sehr hart und haben dafür im Verlauf des Tages keine Zeit.

    Übrigens ist es auch keine Seltenheit, dass plötzlich mitten in der Rede das Handy eines Mönchs laut klingelt. Ich fand das anfangs ziemlich absurd, aber es scheint mir auch ein Zeichen dafür zu sein, dass die Mönche mit der Zeit gehen, anstatt in verkrusteten Strukturen zu verharren.

    Nach dem Essen verneige ich mich ein weiteres Mal vor den Mönchen und begebe mich mit meinem Geschirr in die Spülküche, die sich direkt neben der Küche befindet. Vorsichtig gehe ich barfuß über den Fliesenboden, den ein glitschiger Fettfilm bedeckt, immer darauf bedacht, nicht über den eigenen Wickelrock zu stolpern, der mir bis über die Knöchel reicht.

    Die Spülküche besteht aus fünf großen, ovalen Bottichen am Boden, die mit kaltem Wasser und etwas Spülmittel gefüllt sind. Nicht jeden Tag wird das Spülwasser gewechselt, manchmal werden auch einfach übriggebliebene Limetten in das Wasser vom Vortag gegeben, die den muffigen Geruch überlagern sollen. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass der Teller nach dem Spülen schmutziger ist als zuvor.

    Außer dem Frühstück und dem Abendessen in der Küche, das meist aus den Resten des Frühstücks besteht, dem Unterricht, den wir halten und der Arbeit in der Herbal Factory ist unser Alltag geprägt von den Thaistunden, die uns AGaar erteilt. Sie wohnt nicht in der Asoke, sondern betreibt in der Stadt einen großen Supermarkt. Um zu ihrem Haus und Garten zu gelangen, muss man zunächst den Supermarkt durchqueren.

    Nahezu jeden Tag fährt AGaar in die Sisa Asoke, um ihren Sohn Phet in die Schule zu bringen und selbst ehrenamtlich den Grundschülern und uns Thaiunterricht zu erteilen.

    Nachdem der Unterricht für die Kinder beendet ist, zwängen wir drei Freiwilligen uns in dem Klassenzimmer der ersten und zweiten Klasse auf die winzigen Holzstühlchen und versuchen eine Ordnung in den komplizierten Zeichen zu finden, mit denen AGaar die Kreidetafel füllt. In Zeitlupentempo übertrage ich die Buchstaben in die linierten Vokabelheftchen, die sie uns geschenkt hat. Während ich mühsam Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile immer und immer wieder dieselben Zeichen wiederhole und wir im Chor die Laute nachsprechen, die AGaar uns mit übertriebenen Lippenbewegungen vorspricht, fühle ich mich in meine eigene Grundschulzeit zurückversetzt. Ich erinnere mich daran, wie wir damals Buchstabe für Buchstabe schreiben gelernt haben. Doch im Gegensatz zum deutschen Alphabet hat die thailändische Schrift nicht 26, sondern 44 Buchstaben, hinzu kommen unzählige zungenbrecherische Vokalkombinationen. Was uns jedoch am meisten Kopfzerbrechen bereitet, sind die komplizierte Schnörkelschrift und die Tonhöhen, die es zu treffen gilt. Eine einzige Silbe kann bis zu fünf verschiedene Bedeutungen haben, je nachdem, wie sie betont wird! So sehr ich mich auch anstrenge – für mich klingen sie in diesen ersten Thaistunden alle identisch. Erst mit der Zeit gelingt es mir einigermaßen, ein Gespür für die Töne zu bekommen und sie auseinanderzuhalten. Zum Glück sind die meisten Thais sehr geduldig mit uns und verstehen viele Wörter aus dem Kontext, selbst wenn wir die Tonhöhen nicht richtig treffen.

    In der Großküche wird am offenem Feuer gekocht

    Missverständnisse sind natürlich vorprogrammiert. Einmal möchte ich ein kleines Mädchen fragen, ob sie gerne malt und sich über ein paar Buntstifte freuen würde. Doch sie schaut mich mit großen Augen an und schüttelt energisch den Kopf. „Quaad", das Wort für Malen, bedeutet anders ausgesprochnen auch Fegen – ich habe also wieder einmal den falschen Ton getroffen.

    Dass hier im Nordosten Thailands, dem Isaan, ein Dialekt mit vielen Lao- und Khmer-Einflüssen gesprochen wird, macht die Sache nicht gerade einfacher. AGaar weiß schon, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben, da sie auch schon die Freiwilligen vor uns unterrichtet hat. Sie wächst uns immer mehr ans Herz und wird im Laufe der Zeit zu unserer engsten Vertrauten.

    Wir werden viele Abende bei ihr verbringen, sie ist für uns gewissermaßen ein Bindeglied zur Außenwelt in der Stadt. Wenn wir bei ihr sind, führt sie uns in die thailändische Kochkunst ein und lässt uns in ihrer Küche unsere europäischen Leibgerichte kredenzen. Es ist nicht immer leicht, die nötigen Zutaten zu beschaffen, einmal sind wir einen halben Tag unterwegs, nur um ein Kilogramm Kartoffeln aufzutreiben. Pfannkuchen mit Apfelmus, Bratkartoffeln, Ciabatta, Nudeln: Auch wenn das, was am Ende dabei herauskommt, nur entfernt an das Original erinnert und für die asiatischen Gaumen ohnehin sehr fad wirken muss – alle tun zumindest so, als würde es vorzüglich schmecken.

    Welcome to our family

    Eine Woche nach meiner Ankunft erfahren wir beim Frühstück, dass abends eine „Party stattfinden soll, bei der einerseits vier Gaststudentinnen verabschiedet und gleichzeitig wir drei „Asasamak, Freiwillige, die nun endlich vollständig sind, offiziell in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Gegen 17 Uhr, was hier schon als Abend gilt, trudelt bis auf die Mönche, die sich von solchen weltlichen Veranstaltungen distanzieren, nahezu die gesamte Gemeinschaft in der Dhamma-Halle ein. Neben der Halle sind Essensstände mit allerlei Süßigkeiten aufgebaut sowie Gemüse, SomTam und natürlich Klebreis. SomTam ist ein Salat aus unreifen Papayas, die mit Sojasoße, viel Chili, Limettensaft und -stückchen sowie Tomaten, Salz und Zucker im Mörser zerstampft werden. Traditionell gehören noch winzige Shrimps dazu, auf die wird hier aber verzichtet. Er ist zusammen mit dem Klebreis ein typisches Gericht aus dem Isaan.

    Unsere Schüler führen unterschiedliche Shows auf. Es wird gesungen, getanzt, musiziert und Sketche werden aufgeführt. Der absolute Renner ist ein Spiel, bei dem sich die Schüler unter Mülltonnen verstecken und wir ihre Namen erraten sollen, woran wir natürlich kläglich scheitern, da wir die meisten noch nie gesehen haben und sie sich in unseren Augen mit dem einheitlichen Haarschnitt und der blauen Schuluniform zum Verwechseln ähnlich sehen. Zudem werden die typischen Tänze der unterschiedlichen Ethnien in der traditionellen Tracht aus bunt bestickten Seidengewändern und viel Blumenschmuck aufgeführt, deren Grundschritte auch wir eines Tages erlernen sollen.

    Willkommensfeier in der großen Dhamma-Halle

    Irgendwann bilden alle einen großen Kreis, die alten Frauen sitzen auf Stühlen und die Jüngeren auf dem Boden. Wir knien uns vor die alten Frauen, die unsere Arme nehmen und uns weiße Bändchen umbinden. Sie geben uns dabei viele gute Wünsche mit auf den Weg und versprechen, dass wir uns jederzeit an sie wenden können, wenn uns etwas auf dem Herzen liegt oder wir Hilfe benötigen. Zwar verstehe ich kaum etwas von dem, was sie sagen, denn die wenigsten sprechen Englisch. Doch um die Herzlichkeit, die sie ausstrahlen, mit der sie uns alle willkommen heißen und uns in ihre Gemeinschaft aufnehmen, zu spüren, braucht es keine Worte. Manchmal gibt es solche Augenblicke im Leben, von denen ich mir wünsche, sie würden nie zu Ende gehen.

    Später recherchiere ich, dass die Armbändchen „SaiSin" genannt und in Thailand typischerweise bei Willkommens- und Abschiedsmomenten verschenkt werden. Der Brauch ist in ganz Thailand sehr beliebt. Man darf sie nicht abschneiden, sie sollen Glück bringen und fallen irgendwann von selbst ab.

    Schließlich stehen alle auf, verschränken die Arme, halten sich an den Händen und singen ein trauriges, schönes Lied. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto ist die „Party" dann auch leider schon wieder zu Ende und wir gehen zurück in unsere Hütten.

    Bis

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