Traue Deinem Leiden nicht: Wandle Stress in Gelassenheit
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Über dieses E-Book
Das hat mit einem Mechanismus in unserer Psyche zu tun. Sobald uns etwas belastet, entscheidet unser Autonomes Nervensystem, dass jetzt Erfahrungen aus der Kindheit als Vorlage für unser Handeln dienen sollen. Also genau der Ärger, das Verletztsein, Genervtsein und so weiter wird als beste Lösung gesehen. Weil das Bewusstsein gleichzeitig gebremst wird, können wir nicht klar denken und sind gefangen in unseren Gefühlen. Das Ergebnis: Leid und schwierige Situationen.
In diesem Buch erfahren Sie, wie Sie diese Irrtümer in Ihrem Alltag entdecken, wie Sie wieder herauskommen und wie Sie stattdessen zu innerer Ruhe und Gelassenheit finden. Dann steht Ihnen auch der klare Kopf, mit all seinen Möglichkeiten zur Problemlösung, wieder uneingeschränkt zur Verfügung. 40 Aufgaben begleiten den Text und unterstützen Sie dabei.
Reinhardt Krätzig
Der Autor, ein erfahrener Einzel- und Paartherapeut aus der Nähe Berlins, hat sich mit seinen praxisnahen Sachbüchern zu psychotherapeutischen Themen einen Namen gemacht. In "KI im Ohr" geht er neue Wege: Er stattet die KI mit umfangreichem therapeutischem Wissen aus. Auf unterhaltsame und oft humorvolle Weise zeigt er anhand der Erlebnisse seiner Romanfiguren, wie dieses Wissen im realen Leben erfolgreich angewendet werden kann.
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Buchvorschau
Traue Deinem Leiden nicht - Reinhardt Krätzig
nie.
1 Einleitung
Es geht um den Ärger zu Hause und auf der Arbeit, das kleine oder große gekränkt, genervt, verärgert, betroffen und verletzt Sein. Manchmal groß und deutlich, manchmal kaum bewusst.
Um welches Leiden geht es, welchem Leiden darf man trauen, welchem nicht? Ich denke, dass es sich lohnt, jeglichem Leiden zu misstrauen, aber im Fokus dieses Buches steht vor allem ganz alltägliches Leiden. Der Ärger zu Hause und auf der Arbeit, das kleine oder große Gekränkt, Genervt, Verärgert, Betroffen und Verletzt sein.
Manchmal ist es groß und deutlich, ergreift und schüttelt einen kräftig durch, und zu anderen Zeiten wird es kaum bewusst, färbt dennoch die Stimmung ein und hat zumindest eine Wirkung auf die Menschen in der Umgebung. Weil diese Art des Leidens so häufig ist, beinahe jeden trifft und bei vielen zum Alltag gehört, hat es sehr große Auswirkungen auf Lebensqualität, Gesundheit und Lebensgefühl.
Aber das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken, schlechte Stimmungen gehören doch offenbar dazu, wieso sollten diese unser Misstrauen hervorrufen?
Die Spitze des Eisberges
In unseren schlechten Gefühlen, äußert sich immer nur ein winziger Teil der eigenen Wahrheit. So klein, dass man kaum noch von Wahrheit reden kann, denn der Löwenanteil des eigenen Erlebens bleibt verborgen.
Stellen Sie sich einen Eisberg vor, ganz klassisch, oben schmal und unten breit. Der größte Teil davon ist unter der Wasseroberfläche verborgen. In Momenten, in denen man gefühlsmäßig belastet ist, zeigt diese Belastung uns nur die oberste Spitze dieses Eisberges. Der größte Teil unserer eigenen Wirklichkeit bleibt nicht nur für uns selbst unsichtbar.
Ich möchte dies am Beispiel von einem meiner Patienten verdeutlichen. Der Mann, nennen wir ihn Sven, ist mit seiner Partnerin Svenja für den Abend verabredet. Er weiß, dass sie vorher die Zeit mit Freunden verbringt und ist zunächst auch nicht beunruhigt, als sie nicht zur verabredeten Zeit erscheint. Irgendwann schlägt seine Stimmung um, und als sie schließlich kommt, zeigt Sven sich ziemlich sauer und vorwurfsvoll: „Wieso kommst du erst jetzt, ich habe die ganze Zeit auf Dich gewartet, wir waren doch verabredet, oder? Ich bin stinksauer!" Dann zieht er sich lautstark in sein Zimmer zurück. Der Abend ist gelaufen, nicht nur für ihn, sondern auch für sie. Schuldbewusst zieht sie sich ihrerseits schweigend in ihr Zimmer zurück. Erst zwei Tage später kehrt wieder Frieden ein.
Was ist in dieser auf den Ärger beschränkten Kommunikation auf der Strecke geblieben? Die Botschaft, welche die vollständige Wirklichkeit von Sven enthält, ist etwas umfangreicher: Auf der obersten Ebene steht die Enttäuschung, der einzige Punkt, der sichtbar wurde und den er auch ausgedrückt hat:
„Ich bin enttäuscht, verletzt und sauer, weil ich mich so auf Dich und unseren gemeinsamen Abend gefreut habe." Darunter – verborgen geblieben – befinden sich seine
Sorge und seine Befürchtungen. Auf dieser Ebene ist er auch in Kontakt mit alten Wunden aus seiner Kindheit. Wenn er diese Ebene ausspricht, hört es sich so an:
„In mir ist die Sorge entstanden, dass du mich eigentlich nicht liebst und lieber bei anderen Leuten bist, als Deine Zeit mit mir zu verbringen ..., weil ich nicht gut genug bin. Ein Gefühl, dass ich auch schon als Kind im Umgang mit meiner Mutter immer wieder hatte."
Erst eine Ebene darunter stoßen wir auf Verständnis und Mitgefühl, finden also eine in positiver Weise bezogene Seite:
„Ich verstehe, dass es sein kann, dass du die Zeit aus dem Auge verlierst, wenn es Dir gerade gut geht und du Dich im Miteinander mit Deinen Freunden wohlfühlst."
Noch eine weitere Ebene darunter zeigen sich erst die Lösungen, die sich aus einem positiven Bezogensein meist von ganz allein ergeben:
„Ich will mit Dir zusammen sein, möchte gerne meine Zeit mit Dir verbringen, weil du die wichtigste Person in meinem Leben bist ... und selbstverständlich darfst du Zeit mit Deinen Freunden verbringen, sage mir das nächste Mal nur ein bisschen früher Bescheid, sodass ich nicht umsonst warte, sondern meinen Fokus auf etwas anderes richten kann."
Auf dieser Ebene könnte Sven auch darum bitten, mit solchen Verabredungen mit ihm achtsamer umzugehen. Weil er an dieser Stelle eben besonders verletzlich ist:
„Vielleicht ist es zukünftig besser, wenn Du nicht zwei für Dich so wichtige Verabredungen auf einen Abend legst."
Was ist der Unterschied zwischen dem Leiden, welches sich ausschließlich auf den obersten Ebenen abspielt und dem, was eine vollständige Kommunikation mit sich bringt? Nur auf den unteren Ebenen werden auch die eigene Verletzlichkeit und die eigenen Bedürfnisse sichtbar.
Schwäche wird nicht akzeptiert
Wir leben in einer Kultur, in der Schwäche, Bedürftigkeit und Verletzbarkeit als etwas Negatives und Einschränkendes gesehen und daher gerne verborgen werden. Es ist also eher legitim und üblich, den eigenen Ärger, den Unmut, die Empörung, den Zorn et cetera kundzutun und den Rest zu verschweigen.
Das hat fatale Folgen: Weil wir das immer tun, verschwelgen wir den Rest auch vor uns selber, was bedeutet, dass wir kaum noch etwas davon wissen. Deswegen halten wir unsere Empörung, unsere Vorwürfe und Anklagen meist auch für die einzig angemessene Reaktion auf ein Geschehen, welches uns nicht gefällt.
Uns fehlt somit der Zugang zu unseren eigenen verletzten, verletzbaren und bedürftigen Anteilen. Wir halten die Spitze des Erlebens-Eisberges für die gesamte Wirklichkeit und geraten genau deshalb rettungslos in die Leidens-Falle. Wir leiden unter dem, was uns unsere Mitwelt und Mitmenschen vermeintlich antut und regen uns scheinbar angemessen darüber auf.
Entfremdetes Leben
Das ist ein reduziertes und fremdbestimmtes Leben. Unsere gute oder schlechte Laune hängt von den Menschen und den Geschehnissen um uns herum ab. Läuft alles richtig, geht es uns gut, läuft es falsch, geht es uns schlecht.
Betrachtet man das Ganze aber aus etwas Abstand (zum Beispiel aus der Sicht des Psychotherapeuten) zeigt sich, dass es tatsächlich meist von der eigenen Person abhängt, ob man sich wohl fühlt oder nicht. Wer diesen eigenen Anteil aber nicht einmal ahnt, kann ihm auch nicht gerecht werden und lebt an sich selbst vorbei.
Ohne etwas Hintergrundwissen geht es nicht
Wundern Sie sich bitte nicht über Kapitel, die sich mit dem Autonomen Nervensystem beschäftigen, mit Bewusstsein und mit Mechanismen unserer unbewussten Psyche. Diese sind verständlich gehalten und dienen vor allem dazu, Respekt vor den Vorgängen in unseren Köpfen zu bekommen. Denn nur wer ungefähr weiß, was sich da abspielt und eine Ahnung von der Rigidität der Prozesse hat, wird sich mit dem notwendigen Engagement ans Werk machen und auch nicht gleich nach dem ersten Misserfolg wieder alles hinwerfen.
Neugierig auf sich selbst schauen
Was ist also zu tun? Lassen Sie sich von dem Wissensstoff und den Beispielen anregen und werden Sie neugierig auf sich selber, entdecken Sie das, was sich unter der Spitze des Eisbergs an eigener, vielfältiger Wirklichkeit verbirgt. Gefordert ist hier eine liebevolle, zugewandte Neugier, eine, die nicht nach Fehlern und Versagen sucht und vermeintlich Falsches ausmerzen möchte. Gefragt ist vielmehr eine offene Haltung, die vor allem daran interessiert ist, Möglichkeiten der Selbstentfaltung zu finden.
Fangen Sie an, sich für sich selbst zu interessieren, investieren Sie Zeit für den Blick auf die eigene Person. Hören Sie sich zu und setzen sich mit dem auseinander, was Sie denken, fühlen, von sich geben und tun.
Das ist übrigens ein Akt der Selbstliebe, kann diese in ihr Leben bringen, trainieren und stärken. Ein Kind lernt eine gesunde Selbstliebe zu entwickeln, wenn es immer wieder von seiner Umwelt so genommen wird, wie es ist. Wenn sich die Menschen in seiner Umgebung an ihm interessiert zeigen, immer wieder Zeit mit ihm verbringen, ihm zuhören, sich mit dem, was es sagt, auseinandersetzen und so weiter. Wenn Sie genau dasselbe mit sich selbst machen, bringen Sie solche Erfahrungen in Ihr Leben. Menschen lernen durch Erfahrung.
Momente des Leidens als Zugang zu Heilung und Entfaltung
Ideale Ansatzpunkte für das neugierige Interesse an der eigenen Person sind die Momente, in denen Sie leiden. Weil in diesen Momenten vieles verborgen bleibt und Sie mit etwas Interesse schnell zu wichtigen Aspekten Ihrer Wirklichkeit vorstoßen können. Hinter dem Leiden - selbst bei dem kleinen Alltagsleid – verbergen sich immer eigene Bedürfnisse, eigenes Wollen und eigene Wünsche, manchmal auch alte Wunden, die dringend noch versorgt werden müssen.
Schon seit etlichen Jahren arbeite ich in meiner psychotherapeutischen Praxis damit, gemeinsam mit meinen Patienten, die hinter ihrem Leid versteckten Bedürfnisse aufzuspüren und dann Wege zu suchen, diese Bedürfnisse endlich positiv zu beantworten. Oft war das, was dabei erschlossen wird, den Betroffenen vorher gänzlich unbekannt, gleichzeitig hat dieses Tun eine große heilende Wirkung.
Diesen Ansatz vermittele ich hier in diesem Buch und deswegen führt der Weg unter der Überschrift »Traue Deinem Leiden nicht« nicht nur zu Augenblicken, in denen man weniger belastet ist, sondern mit selbstliebender Neugier zu innerem Wachstum, Selbstentfaltung und Heilung. Wenn man ihn in der entsprechenden Konsequenz beschreitet.
Nehmen Sie sich also wichtig, trauen Sie Ihrem Leiden nicht und erforschen mit kritischem Blick, was Sie dahinter über sich selbst erfahren können, um dadurch in ein deutlich besseres Leben einzutauchen. Wir sind nicht so konstruiert, dass wir auf Leid vollständig verzichten könnten. Das erlaubt unser Autonomes Nervensystem (ANS) einfach nicht. Aber unsere Konstruktion erlaubt, dass wir häufig und intensiv in entspannte, ruhige, friedliche und glückliche Momente wieder und wieder eintauchen.
Glücksmomente in Ihr Leben bringen
Und hier sind wir beim eigentlichen Ziel dieses Buches und des darin vermittelten Ansatzes. Mehr Ruhe, Frieden und Glücksmomente in Ihr Leben zu bringen, mit all den positiven Nebenprodukten, die damit einhergehen. Wir erleben dann nicht nur mehr Freude, Zufriedenheit, Liebe, Stolz und Ehrfurcht, sondern verbessern gleichzeitig auch andere Aspekte unseres Lebens: unser Energieniveau, unser Immunsystem, unser Engagement für die Arbeit und für andere Menschen und unsere körperliche und geistige Gesundheit. Wir stärken auch unser Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl.¹.
* * *
Lernen geschieht vor allem durch Erfahrungen
Dieses Buch ist eine Mischung aus Wissensvermittlung und Anregung zur Umsetzung vielfältiger Aufgaben, die Sie mit interessierter Neugier umsetzen sollen. Sie werden Stück für Stück mit sehr verschiedenen Aspekten Ihrer körperlichpsychischen Wirklichkeit und der eigenen Person in Berührung kommen und jeweils dazu angepasste Aufgabenstellungen vorfinden.
Wenn man etwas im eigenen Leben verändern will, reicht es nicht, sein Gehirn mit neuem Wissen zu füttern. Unser Bewusstsein ist zwar eine starke Instanz, aber immer dann, wenn man es für notwendige Veränderungen am meisten bräuchte, steht es nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung und dann können wir auf das vorhandene Wissen nicht zugreifen. Wirklich verändern kann man etwas nur, wenn man seinen unbewussten Systemen eine neue Orientierung gibt. Das geschieht durch neue Erfahrungen.
Man muss das Neue erleben und die Psyche muss mitbekommen, dass dieses Neue okay ist. Wiederholungen sind dabei ebenfalls wichtig. Die Psyche ist recht träge beim Aufnehmen neuer Impulse. Erst wenn das Neue häufiger wiederholt wird, erzeugt es eine Wirkung. Die im Buch verteilten Aufgaben dienen vor allem dazu, solche neuen Erfahrungen bereitzustellen.
Die Aufgaben als Chance begreifen
Natürlich ist es Ihnen überlassen, ob Sie die gestellten Aufgaben machen oder nicht. Ich befürchte aber, dass Sie nur wenig oder überhaupt nicht von dem Gelesenen profitieren, wenn Sie es nicht in spürbare eigene Erfahrungen umsetzen, also, wenn Sie die gestellten oder vergleichbare Aufgaben nicht durchführen.
Mit den Aufgaben möchte ich Sie außerdem dazu anregen, sich auch zwischendurch mal mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen auseinanderzusetzen. Vor allem möchte ich Ihre Neugierde für die Prozesse in Ihrem Kopf wecken. Neugierde lebt auch davon, dass es ein bisschen Spaß macht. Damit der nicht verlorengeht, empfehle ich, mit jeder Menge Gelassenheit an die Aufgaben heranzugehen.
Auch wenn Sie dabei mit Seiten Ihrer Person konfrontiert werden, die Sie nicht mögen, bitte ich zu bedenken, dass nichts daran falsch ist. Alles hatte irgendwann mal eine Bedeutung und ist deshalb in die eigene Person aufgenommen worden. Wenn heute manches nicht mehr passt, ist das kein Hinweis, dass in Ihnen etwas grundsätzlich Falsches vor sich geht. Wir suchen also keine Fehler, sondern wollen erfahren, was da vor sich geht, um die Prozesse im eigenen Sinne beeinflussen zu können. Bleiben Sie also liebevoll