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Lovely Planet: Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren
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eBook244 Seiten3 Stunden

Lovely Planet: Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren

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Über dieses E-Book

"Das Herz im Gepäck zu haben bedeutet, der Welt und den Menschen in den besuchten Ländern mit Würde zu begegnen und sich dabei selbst wieder näherzukommen. Und zwar ohne das Gefühl zu haben, verzichten zu müssen."
Wie Reisen heute aussieht: Konsum, Übertourismus, zugemüllte Strände, Vielfliegerei, Klischee-Erfüllung, Status. Beim Reisen werfen wir alle sozialen und ökologischen Überzeugungen über Bord. Als hätten unser Herz, unser Verstand, unsere Menschlichkeit und unser Umweltbewusstsein im Gepäck schlichtweg keinen Platz. Doch was erreichen wir mit unserer bisherigen Art zu reisen? Was zerstören wir damit? Erfüllt es uns tatsächlich? Und vor allem: Was wollen und können wir in Zukunft besser machen?
Maria Kapeller untersucht unseren Reisetrieb anhand der grundsätzlichen Fragen, wie, warum und mit welchen Folgen wir reisen, und spricht dabei u.a. mit Psycholog:innen, Nachhaltigkeitsforscher:innen und Philosoph:innen über Ressourcenverschwendung und soziale Ungleichheit, über inneres Wachstum und Zufriedenheit. Sie ruft dazu auf, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Mit dem Ziel, in die eigene Verantwortung hineinzureisen und uns dadurch selbst eine neue, verträglichere und wohltuendere Reise-Realität zu schaffen, von der wir alle profitieren.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. März 2022
ISBN9783218012416
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    Buchvorschau

    Lovely Planet - Maria Kapeller

    1

    WARUM REISEN WIR SO MASSLOS?

    „Die Kunst der Weisheit besteht darin, zu wissen,

    was man übersehen muss."

    William James

    Das denkmalgeschützte Haus mit der zartrosa Fassade muss unbedingt mit aufs Foto! Der farbenfroh leuchtende Blumenstock vor dem Fensterbankerl! Der urige Holzbalkon! Die anmutig über den See gleitenden Schwäne! Und jetzt schnell noch rauf aufs Boot und ein Selfie machen, mit dem kitschig-schönen Ortsbild im Hintergrund! Jubel, Trubel und Begeisterung. Ich war da! Ich war in Hallstatt! Schaut doch her, ich habe Urlaub in einer zur Realität gewordenen Traumkulisse gemacht!

    Die 800-Seelen-Gemeinde Hallstatt ist in Österreich zum Synonym für Übertourismus geworden. Vor der Corona-Pandemie erkundeten täglich bis zu 10.000 Besucherinnen und Besucher aus Fernost den in einen Berghang gebauten Ort am Hallstätter See, der zur UNESCO-Welterberegion Dachstein-Salzkammergut gehört. Schwer bepackt mit Kameras und Selfie-Sticks waren sie quasi schon Teil des Ortsbilds. Sie knipsten, was das Zeug hielt. Die Frauen lächelten lieblich in die Kameras. Die Freunde und Ehemänner hatten den Fotoapparat stets griffbereit, wenn die Liebste sich in eine neue Pose warf.

    Ganze Fernsehsendungen und unzählige Zeitungsartikel widmeten sich der Frage, wie die touristischen Auswüchse in den Griff zu bekommen seien, ohne auf zu viele Einnahmen zu verzichten. Von Österreicherinnen und Österreichern wurde der Wahn um Hallstatt meist belächelt. Viele mieden einen Ausflug dorthin – zu überlaufen, zu überteuert. Man mochte sich denken: Warum bloß klappern asiatische Touristinnen und Touristen das ab, was ohnehin tausendfach in Reiseführern gezeigt wird? Muss immer alles fotografisch festgehalten werden? Ist Sightseeing in Ländern wie China wirklich ein derart wichtiges Statussymbol? Und wo, bitte schön, bleibt die Individualität?

    Dann kam Corona. Die Grenzen waren plötzlich dicht, die internationalen Flüge wurden gestrichen. Hallstatt wurde wieder zu dem menschenleeren, idyllischen Ort, der vorher nur noch in alten Bildbänden zu finden gewesen war. Und dann? Dann kamen die Österreicherinnen und Österreicher selbst angereist. In Scharen. Sie erkundeten, sie posierten, sie knipsten und posteten; jahrhundertealte Hausfassaden, Blumenstöcke, Fensterbankerl, Holzbalkone, den See, die Schwäne. Sie mieteten sich Boote und schipperten raus, ein Selfie schießen, das ästhetische Ortsbild im Rücken. Jubel, Trubel und Begeisterung. Die Österreicherinnen und Österreicher spielten jetzt Touristinnen und Touristen im eigenen Land. Endlich hatten sie „ihr" Hallstatt zurück.

    An vielen Orten der Welt ging es vor Ausbruch der Corona-Pandemie ähnlich zu wie in Hallstatt: Menschenmassen und Selfiesticks schwingende Touristinnen und Touristen fand man in der Inka-Ruinenstadt Machu Picchu in Peru genauso wie am Times Square in New York oder rund um die Tempelanlagen von Angkor in Kambodscha. Und auch wenn die Corona-Krise das internationale Reisegeschehen vorübergehend auf ein Minimum reduziert hat: Das Werben um Besucherinnen und Besucher wird rasch wieder angekurbelt, Flugverbindungen werden aufgenommen und Grenzen geöffnet. Das Reiseleben mag vielleicht noch für längere Zeit auf den Kopf gestellt sein. Trotzdem steht fest: Millionen Menschen wollen und werden wieder reisen. Was wir dabei liebend gern vergessen: Nicht selten sind auch wir ein Teil dieser fast hysterisch wirkenden Touristenmassen, von denen wir uns so gerne abgrenzen. Das Beispiel Hallstatt aus dem eigenen Land zeigt: Wenn andere bei uns „einfallen und unsere Sehenswürdigkeiten stürmen, finden wir das im harmlosesten Fall lustig oder leicht befremdlich. Im schlimmsten Fall nehmen wir es sogar als derart nervig und schädigend wahr, dass wir gegensteuern – Stichwort: Übertourismus. Andersherum, wenn wir selbst die Reisenden sind, fällt uns vielleicht gar nicht auf, wie ähnlich wir uns verhalten. Wann immer uns die Reiselust ergreift, packen wir unsere Koffer, steigen ins Auto oder in ein Flugzeug – und tun es denen gleich, die wir zuvor schief angeschaut oder gar kritisiert haben. Wir erfüllen uns unsere Urlaubsträume, wir reisen eine, zwei oder drei Wochen durch ein fremdes Land, wir grasen ab, was uns die Tourismusindustrie vorgibt und wir knipsen, was das Zeug hält. Zurück in der Heimat schwärmen wir von den „netten Menschen, der „authentischen Küche und zeigen stolz und braun gebrannt her, was wir alles gesehen haben. Frei nach dem Motto „Ich reise, also bin ich jetten wir um die Welt und beamen uns von Wien nach Paris, von New York nach Tokio, als gäbe es kein Morgen. Erst wenn die Reisewelt virusbedingt nahezu auf unser kleines Land schrumpft, bemerken wir, dass auch die eigene Heimat das Potenzial für herzeigbare Bilder hat – und knipsen eben hierzulande drauflos.

    VOM „GEREIST-WERDEN"

    Weil das Reisen heute so einfach geworden ist, schlichten wir die Destinationen wie Waren in den Urlaubs-Einkaufswagen, ohne die Produktbeschreibung zu lesen. Wenn es sein muss, machen wir uns mit Schutzmaske, Desinfektionsspray und Sicherheitsabstand auf, um in die verheißungsvolle Ferne zu schweifen. Oft wissen wir gar nicht, worauf wir uns da einlassen. Sich genauer zu informieren ist nicht nötig. Aber auch das stört nicht. Die Klischees, für deren Erfüllung wir bezahlen, kennen wir ohnehin schon aus der Werbung oder von Instagram. Wir surfen auf einer Welle von Oberflächlichkeiten; was darunter liegt, ist uns egal. Wir lassen uns den Urlaub auf einem Silbertablett servieren, alles ist vorgebucht, vorgeplant, vorbestellt. Dieses „Gereist-Werden beanstandete ein österreichischer Schriftsteller schon im Jahr 1926. Als der leidenschaftliche Zugfahrer Stefan Zweig in Paris auf Reisebusse („große Gesellschaftsautomobile) stieß, war ihm klar: Das Reisen würde sich verändern. Er beobachtete, was vor sich ging und beschrieb detailliert, wie das Reisen in der Masse damals ablief (und bis heute abläuft): Man braucht sich um nichts zu kümmern, sich nicht vorzubereiten, alles ist bis ins kleinste Detail vorberechnet, in der fremden Stadt steht das Mittagessen schon auf dem Tisch und die Museumstür ist bei Ankunft geöffnet. Jeder erlebe bei so einer organisierten Gruppenreise das Gleiche, in die Tiefe würden solche Reisen aber nicht gehen.⁷ Zweig formulierte das mit folgenden Worten: „Jene aber, die so gereist werden, fahren nur an vielem Neuen vorbei und nicht ins Neue hinein, alles Sonderbare und Persönliche eines Landes muß ihnen notwendig entgehen, solange sie geführt werden und nicht der wahre Gott der Wanderer, der Zufall, ihre Schritte lenkt. Schon damals bemerkte er, dass bei solchen Reisen eher Rekorde aufgestellt würden, als dass eine innere Bereicherung stattfände. Was Menschen von solchen Reisen heimbrächten, sei „nichts als der sachliche Stolz, diese Kirche, jenes Bild tatsächlich vor Augen gehabt zu haben.⁸

    SEHT NUR HER, WO ICH VERWEILE!

    Auch einst als alternativ angesehene Reiseformen wie der Backpacking-Trip nach Thailand oder der Nationalpark-Besuch in Kenia sind zu Konsumgütern verkommen. Denn im Endeffekt geben wir Geld aus und bekommen dafür eine Leistung. Egal, ob eine Woche Pauschalurlaub auf Mallorca oder eine Safari in Südafrika. Egal, ob wir nun fotowütige Asiatinnen und Asiaten sind oder um Anerkennung heischende Europäerinnen und Europäer: Wir wählen die Reisen wie Waren aus einem Regal, gehen damit zur Kassa und bezahlen. So einfach ist das. Wir kaufen uns Ansehen, Status und Prestige. Und auch wenn Reisen auf viele Arten bilden, Selbstfindung ermöglichen und den eigenen Horizont erweitern kann, ist der Ausbruch aus dem Alltag heute doch derart einfach geworden, dass keinerlei Hingabe, Neugierde oder Anstrengung mehr dafür nötig sind. Wer verreist, kann sagen: Ich war da. Und das schindet Eindruck (bei sich selbst und bei anderen). Natürlich würde wohl kaum jemand zugeben, dass er oder sie ausschließlich oder mitunter deshalb reist, um vor sich selbst und anderen gut dazustehen. Lieber behaupten wir, uns für andere Kulturen zu interessieren oder Zeit in der Natur verbringen zu wollen. Insgeheim geht es aber offensichtlich nicht wenigen Reisenden auch darum, möglichst viele Länder und Orte abzuhaken, um damit möglichst viel Eindruck zu schinden. Das lässt sich besonders gut an den Personenbeschreibungen von Accounts in den „sozialen Netzwerken erkennen. Die Gänsefüßchen deshalb, weil Instagram, Facebook und Co., was das Reisen betrifft, zu Augen und Verstand gleichermaßen blendenden Prahlinstrumenten geworden sind: Likes werden oft nur mit dem Hintergedanken vergeben, im Gegenzug selbst ein „Daumen hoch-Symbol für das eigene Urlaubsfoto zu erhalten. Unter Reisefreudigen haben „soziale Medien einen enorm hohen Stellenwert, frei nach dem Motto „Sehen und gesehen werden gibt es eine Flut von unzähligen, stets neuen Bildern und Videos. In Profilen von Vielreisenden ist häufig gleich auf den ersten Blick zu lesen, mit welchem Reisekaliber man es zu tun hat: „world traveller, „visited 101 countries oder „going to travel every country in the world" steht da zum Beispiel. Man bekommt den Eindruck: Die Anzahl der besuchten Länder ist wichtiger als das, was vor Ort erlebt wird. Anders gesagt: Wer viel reist, hält viel von sich (oder wünscht sich zumindest, dass andere viel von ihm oder ihr halten).

    Instagram eignet sich wie kein anderes Medium dafür, Sehnsüchte zu schüren und einzigartige Reiseerlebnisse vorzutäuschen. Es wird geshootet und gepostet, was das Zeug hält. Um möglichst idyllische Fotos ohne andere Touristinnen und Touristen im Bild herzustellen, nehmen Instagrammerinnen, Instagrammer & Co. viel auf sich. Sie takten ihre Fotosessions akribisch durch oder schleppen in Modelmanier Kleidung zum Wechseln mit. Sie werfen sich in Yogaposen, blicken anmutig in die Ferne oder räkeln sich wie bei einem professionellen Fotoshooting. Ein typisches, aber weniger bekanntes Beispiel für diesen Hype ist Chefchaouen, die „blaue Stadt im marokkanischen Rif-Gebirge. Die Häuser sind blau angestrichen, um vor dem „bösen Blick zu schützen. Unter dem Hashtag #chefchaouen sind mehr als 800.000 Beiträge auf Instagram zu finden. Das ist zwar weniger als bei weltbekannten Hotspots wie Santorin mit sieben Millionen Beiträgen. Trotzdem zeigt es: Selbst in den Bergen Marokkos ist der „Online-Kampf ums beste Bild angekommen. Ein betagter Einheimischer, der Touristinnen und Touristen herumführt, erklärt mir vor Ort auf Englisch: „Für die chinesischen Instagrammer muss ich früh aufstehen. Sie wollen schon um sieben Uhr morgens hier an dieser blauen Treppe stehen, damit auf ihren Fotos keine anderen Menschen zu sehen sind. Weitere Auswüchse, die dem regelrechten Kult um Instagram zuzurechnen sind: Findige Touristikerinnen und Touristiker prüfen Orte heute auf ihre „Instagrammability und preisen sie dann als besonders fotogen an. Der Anbieter eines kleinen, weiß getünchten Ferienhauses mit blauen Türen und Fensterläden auf der griechischen Kykladeninsel Folegandros bewirbt seine Unterkunft auf einer Online-Buchungsplattform etwa mit den Worten „most instagrammable seaview hideaway. Wirtschaftlich gesehen sicher ein schlauer Schachzug: Mittlerweile gibt es tatsächlich gar nicht wenige Menschen, die ihre Urlaubswahl von der „Instagramfähigkeit der Destination abhängig machen. Eine im Jahr 2017 veröffentlichte Studie aus Großbritannien zeigt: Gerade für jüngere Menschen ist das sogar das Hauptkriterium. Eine Umfrage des Ferienhaus-Versicherers Schofields Insurance unter Reisenden im Alter von 18 bis 33 Jahren ergab, dass 40,1 Prozent die „Instagrammability als größten Motivator bei der Urlaubsplanung sehen.

    BEEN THERE, DONE THAT

    Ein weiteres Phänomen: Die bucket list. Dabei handelt es sich um eine geschriebene oder imaginäre Liste jener Reiseziele und Erlebnisse, die man unbedingt einmal im Leben sehen oder machen will. Auf der Online-Plattform www.bucketlist.org kann jede ihre eigene Wunschliste hochladen und mit der Welt teilen. Oder man lässt sich von knapp acht Millionen Vorschlägen inspirieren. Darunter finden sich viele Klassiker des Massentourismus: Einmal in einer Gondel durch Venedig fahren, das Nordlicht sehen oder am Times Square in New York stehen. Das Motto der Plattform lautet: „Your dreams, made possible. Bei jedem Erlebnis sieht man die Anzahl an Personen, die das „To-do tatsächlich schon „erledigt haben.¹⁰ Auch in den „sozialen Medien gehört der Begriff bucket list zum bevorzugten Sprachgebrauch von Reisebegeisterten: Jemand erfüllt sich einen Wunsch und lässt die Online-Community dann gleich wissen, dass er ein weiteres Häkchen auf seine Liste setzen konnte: „Taj Mahal – gesehen und abgehakt. Touristinnen und Touristen, vor allem jene, die sich als wahre Reisende betrachten, streichen gerne ihre Individualität hervor. Letztendlich scheint es aber oft nur darum zu gehen, zu tun, was alle tun und in möglichst kurzer Zeit möglichst viel aufzunehmen. Auf die Spitze treibt das Länder-Sammeln der weltweite „Travelers’ Century Club (www.travelerscenturyclub.org). Jeder, der mehr als 100 Länder der Welt bereist hat, ist willkommen. Auf der Website findet man eine laufend erweiterte Liste mit aktuell 330 Ländern und Territorien, die man besuchen sollte. Neben den offiziellen 193 von den Vereinten Nationen anerkannten Staaten sind weitere Regionen dabei.¹¹ Im Jahr 2019 neu hinzugekommen sind zum Beispiel Südossetien, das völkerrechtlich zu Georgien gehört, oder die Austral-Inseln, eine südpazifische Inselgruppe in Französisch-Polynesien.¹² Knapp 30 der rund 1500 Mitglieder haben alle Ziele der zum jeweiligen Zeitpunkt existierenden Länderliste besucht. Die damals aktuelle Zahl von 329 Reisezielen hat nach schriftlicher Auskunft des Europa-Verantwortlichen vom Frühjahr 2020 noch niemand geschafft. Wie lange man vor Ort war, ist Nebensache. Schon eine Zwischenlandung reicht. Hauptsache, man hat einmal den Fuß auf den Boden des Landes gesetzt. Noch mehr Abenteuerlust verlangt die Website „Most traveled people (mtp. travel) ihren Besucherinnen und Besuchern ab. Der Club ist für Reisende, die „überall hinwollen. Um die Tausend Reiseziele – von Ländern über Inseln bis hin zu Top-Restaurants und Stränden – stehen bisher auf der To-do-Liste. Wer mehr als 500 Orte beziehungsweise Sehenswürdigkeiten abgegrast hat, kommt in die virtuelle „Hall of Fame".¹³

    PRAHLEND UM DIE WELT

    Es scheint, als wäre es heute die normalste Sache der Welt, mit seinen Reisen zu beeindrucken. Natürlich nicht vordergründig, aber ein gewisses Prahlen auf der einen und Staunen auf der anderen Seite schwingt häufig mit. Wer nirgendwo hinfliegt, vermittelt den Eindruck, er oder sie könne sich keinen Urlaub leisten. Mit simplen Reisen im eigenen Heimatland oder an die kroatische Adriaküste kann man längst nicht mehr angeben. Auch einst als exotisch geltende Reiseziele wie Thailand oder Sri Lanka sind Teil des weltweiten Reise-Büfetts geworden. Nur bei weit entfernten Sehnsuchtsorten wie der Karibik, der Südsee oder der Antarktis macht das Gegenüber vielleicht noch große Augen. In Pandemiezeiten wird zwar wieder mehr auf Heimaturlaub und Ferien in den Nachbarländern gesetzt. Aber vermutlich nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen. Die gute alte Sommerfrische an österreichischen Seen ist mehr eine Notlösung als ein Zeichen für echtes Umdenken. Sobald internationale Reisen wieder möglich sind, werden sie auch gemacht. Ein Anzeichen dafür ist die Reaktion von Medien, Vielreisenden und Reisebloggern auf die virusbedingte Isolation. Man tauscht sich in den „sozialen Medien aus: Wohin würdet ihr euch beamen, wenn ihr einen Reisewunsch frei hättet? Man schickt einander Bilder von tropischen Stränden, um die Sehnsucht ein kleines bisschen zu stillen. Man streamt „virtuelle Reisen ans Meer, um sich zumindest vom Sofa aus auf die Strandliege zu träumen. Und man erstellt Listen und Aufzählungen, welche Länder man schon bereist hat oder wo die „schönsten Orte der Welt liegen. Auch die klassische Weltreise ist heute schon fast zum Must-Have geworden. Spätestens nach dem Abitur, der Matura oder dem Studienabschluss brechen junge Menschen auf, um die Welt da draußen zu erkunden. Die Routen sind immer dieselben, zum Beispiel Europa–Singapur–Auckland–Rarotonga–Los Angeles–Europa. So ein Rundum-Ticket ist ab 1500 Euro zu haben. Länger in Asien zu bleiben ist besonders beliebt, weil es sich dort am günstigsten leben lässt und die Region vergleichsweise sicher ist. Wird uns beim Reisen nicht ohnehin schon alles abgenommen, so muss man heute nicht einmal mehr für die Durchführung einer Weltreise den kleinen Finger rühren. Manche Reisebüros haben sich auf Weltreisende spezialisiert und bieten den Trip des Lebens sozusagen im All-Inclusive-Paket an. „Eine Weltreise bedeutet die ultimative Freiheit. Ein Jahr lang reisen, für nur 15.000 Euro, heißt es zum Beispiel auf der Plattform www.weltreise.jetzt der Reiseagentur „Reiss aus".¹⁴ Dass der Aufbruch in die große, weite Welt in jungen Jahren als mutiges Verlassen der eigenen Komfortzone wahrgenommen wird, das zu Weitblick und innerem Wachstum führen mag, ist nur eine Seite der Medaille. Denn mit der Kreditkarte in der Geldtasche und der damit gegebenen Möglichkeit, sich jederzeit in die Sicherheit eines Hotelzimmers, einer Botschaft oder des nächsten Fliegers nach Hause begeben zu können, wird die Komfortzone doch nur so weit verlassen, wie es für ein bequemes und sicheres Reisevergnügen notwendig erscheint.

    VERFÜHRERISCHE WERBUNG

    Neben Hochglanzmagazinen, Reiseblogs sowie Influencerinnen und Influencern trägt nach wie vor auch die Tourismuswerbung dazu bei, wie wir das Unterwegssein heute wahrnehmen und was wir uns davon erträumen. Wer wünscht sich nicht an diesen verheißungsvollen Palmenstrand auf dem Plakat in der Auslage eines Reisebüros, während er oder sie bei Regenwetter frustriert von der Arbeit heimmarschiert? Solche Sehnsuchtsorte werden geschickt und lauthals angepriesen, gleichzeitig kauft man das Versprechen: Dort, an diesem wunderschönen, fernen Ort ist alles besser. Dir ist nicht mehr kalt, sondern warm. Du brauchst keinen Regenschirm, sondern genießt die Sonne auf deiner Haut. In

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