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Ernährung und Fasten als Therapie
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eBook930 Seiten8 Stunden

Ernährung und Fasten als Therapie

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Über dieses E-Book

Die 2. Auflage dieses Buch, inkl. ebook, aus der Naturheilkunde wurde von den renommierten Herausgebern und Autoren komplett aktualisiert, beschreibt den aktuellen Stand moderner Ernährungsformen und Fastenmethoden und wie diese gezielt präventiv und therapeutisch einsetzbar sind. Neue Themen wurden aufgenommen wie folgt: „Ernährungssituation in Deutschland“, „Neueste Ergebnisse zu Fasten“, „Krebs“ und „Nährstoffsupplemente“.

In diesem Buch finden Ärzte, Ernährungswissenschaftler, Diätassistenten und Heilpraktiker bewährte Ernährungskonzepte, die Indikation bei bestimmten Erkrankungen und die aktuelle Studienlage dazu.

Der Inhalt

  • Grundlagen zu Ernährung und Fasten
  • Ausgewählte Nahrungsinhaltsstoffe
  • Grundlegende Formen der Ernährungstherapie
  • Fasten als Erlebnis, Prävention und Therapie
  • Plus: Empfehlenswerte Ernährung bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten und bestimmten Krankheitsbildern 

Aktuelle Forschungsmethoden und Trends rund um die Ernährung: Mit diesem Nachschlagewerk können Sie Ihre Patienten optimal beraten und behandeln.



SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum5. Okt. 2017
ISBN9783662544754
Ernährung und Fasten als Therapie

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    Buchvorschau

    Ernährung und Fasten als Therapie - Rainer Stange

    IGrundlagen

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018

    Rainer Stange und Claus Leitzmann (Hrsg.)Ernährung und Fasten als Therapiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-54475-4_1

    1. Die Geschichte naturheilkundlicher Ernährungskonzepte

    Claus Leitzmann¹  und Rainer Stange²

    (1)

    Dörrenbergweg 29, D-35321 Laubach, Deutschland

    (2)

    Abteilung für Naturheilkunde, Immanuel Krankenhaus Berlin, Standort Berlin-Wannsee, Königstraße 63, D-14109 Berlin, Deutschland

    1.1 Antike

    1.2 Mittelalter

    1.3 Neuzeit

    1.3.1 Anfänge des Vegetarismus

    1.3.2 Ernährung als Wissenschaft

    1.3.3 Medizinische Ernährungstherapien

    1.3.4 Universitäre Forschung

    1.4 Zusammenfassung

    Literatur

    Einführung

    Die Geschichte der naturheilkundlichen Ernährungstherapie wird in Lehrbüchern der Ernährungswissenschaft, Ernährungsmedizin und Naturheilkunde selten ausführlich behandelt. Sie erscheint entweder nur stichwortartig, oft mystisch verklärt oder als natürlich gegeben und daher nicht weiter erwähnenswert. Dabei ist die Geschichte der Ernährungstherapie nicht nur interessant, sondern auch aufschlussreich, da sie ihre Besonderheiten erklärt und zu verstehen hilft.

    In diesem Beitrag lesen Sie über:

    die Wurzeln der Ernährungstherapie in der griechischen Antike,

    die Tradierung der antiken Lehren im Mittelalter,

    die Begründung der naturwissenschaftlich fundierten Medizin in der frühen Neuzeit,

    den Einfluss des Naturismus Jean-Jacques Rousseaus auf Medizin und Diätetik,

    den Beginn der naturheilkundlichen und später der universitären Ernährungslehre in Mitteleuropa,

    die Bedeutung des Vegetarismus für die Entwicklung neuer Ernährungskonzepte,

    die Entwicklung einer Ernährungswissenschaft als naturwissenschaftlich fundierter Forschungs- und Therapierichtung,

    aktuelle Tendenzen der Ernährungstherapie und der ernährungsmedizinischen Forschung.

    1.1 Antike

    Sowohl die Ernährungstherapie an sich als auch ihre naturheilkundliche Anwendung haben Wurzeln in der griechischen Antike (um 700 v. Chr. – 470 n. Chr.). Besonders Hippokrates von Kos (Arzt, Griechenland, um 460–370 v. Chr.) wird in diesem Zusammenhang häufig genannt, dessen Lebensordnung diaita heute oft als Synonym für Ernährungslehre angesehen wird. Dabei ist die antike Diätetik nicht auf Ernährung begrenzt, wie es bereits die Bedeutung des griechischen Wortes diaita impliziert. Diaita bedeutet gleichermaßen Haushalt, Lebensweise, Lebensunterhalt, Diät und Aufenthaltsort.

    Es war auch nicht Hippokrates, der die Diätetik einführte, denn auf der Grundlage der in der Antike aufkommenden Denkrichtung der Naturphilosophie entwickelten bereits Pythagoras von Samos (Philosoph, Griechenland, um 570–500 v. Chr.; Abb. 1.1) und seine Schüler die Diätetik als eine umfassende Lebensweise, mit der der Mensch seine Gesundheit beeinflussen kann. Ausgehend von der Erkenntnis der Eigenverantwortung des Menschen für die Entstehung seiner Krankheiten umfasste das Regelwerk der pythagoreischen Diätetik körperliche und geistige Aktivität, moralische Aspekte und die Ernährung (Riedweg 2001; Melzer 2003, S. 19ff.).

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    Abb. 1.1

    Pythagoras von Samos (um 570–500 v. Chr). © INTERFOTO/ASIA

    Die Lehren von Pythagoras beruhten auf einer bereits im 6. Jh. v. Chr. bekannten Form der fleischlosen Ernährung, dem Vegetarismus aus religiösen bzw. philosophisch-ethischen Überlegungen. Diese Art der Ernährung wurde bald durch gesundheitliche und später durch soziale, ökonomische und ökologische Motive ergänzt. Auffallend ist, dass ab etwa dieser Zeit verschiedene Mystiker, Propheten, Philosophen und Religionsgründer zeitgleich vegetarische Ideen und Ideale formulierten. Neben Pythagoras waren dies Zarathustra in Persien, Daniel in Babylon, Mahavira sowie Siddharta Gautama in Indien (Leitzmann u. Keller 2013).

    Pythagoras gilt als Begründer des ethischen Vegetarismus mit deutlich religiöser Prägung. Die Quellenlage ist jedoch nicht eindeutig und teilweise widersprüchlich. Zudem liegt nichts Schriftliches von Pythagoras selbst vor, wobei unklar ist, ob er – wie Laotse, Sokrates und Jesus – gar nichts geschrieben hat oder ob seine Schriften verloren gegangen sind (Dierauer 2001, S. 13).

    Der allumfassende Ansatz der Diätetik wurde von Hippokrates und seinen Mitstreitern aufgegriffen und weiterentwickelt. Die hippokratischen Ärzte entwickelten die Theorie der „vier Säfte " (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle). Ihrer Ansicht nach war deren Mischung für die Entstehung von Krankheiten oder für die Erhaltung der Gesundheit verantwortlich. Sie postulierten einen direkten Einfluss verschiedener Nahrungsmittel auf die Mischung der Körpersäfte und damit auf die Gesundheit (Nutton 2001).

    Nach dem Übergang von der griechischen zur römischen Antike verlor die Diätetik an Bedeutung. Aulus Cornelius Celsus (Enzyklopädist, Rom, um 25 v. Chr. – 50 n. Chr.) erwähnt zwar die Diätetik in seinen Werken, vertritt sie jedoch nicht, denn vermutlich wurde das strenge Regelwerk der griechischen Diätetik von vielen Römern als zu asketisch angesehen. Demgegenüber sorgte Galen (Galenos von Pergamon, Arzt, Griechenland, um 129–199 n. Chr.) für eine Verbreitung diätetischer Konzepte in der römischen Antike. Er entwickelte die Vier-Säfte-Lehre weiter und erklärte neben somatischen Veränderungen auch Gemütszustände durch die Säftemischung und ihre Beeinflussung durch bestimmte Speisen. Zudem systematisierte er sechs diätetische Bereiche (Luft, Essen und Trinken, Bewegung und Ruhe, Schlaf und Wachen, Ausscheidungen und Sekrete, Gemütsbewegungen), die später unter der Bezeichnung „res non naturales" lange Zeit die Diätetik prägten (Melzer 2003, S. 37ff.). In der Antike existierte damit keine Trennung zwischen Medizin und Diätetik; Ernährungskonzepte waren selbstverständlicher Bestandteil der prophylaktischen und therapeutischen Heilkunde.

    1.2 Mittelalter

    Im Mittelalter wurden die Lehren der antiken Heilkunde ohne größere Neuerungen tradiert. Die Vier-Säfte-Lehre hatte als medizinische Leittheorie bis in die Neuzeit Bestand. Zudem vermischte sich die Heilkunde im Mittelalter mit christlich- und heidnisch-religiösen Elementen. Als Beispiel hierfür steht Hildegard von Bingen (1098–1179; Abb. 1.2), die zwar die antike Säftelehre nicht anzweifelte, aber auch Sünde und „Attacken des Teufels" als Ursache von Krankheiten ansah. In ihrer Heilkunde finden sich zahlreiche Empfehlungen zur Anwendung einheimischer Kräuter (Ackerknecht 1992, S. 56f.). In der Heilkunde des Mittelalters wurden Seele und Körper gleichermaßen berücksichtigt – sie trägt damit ganzheitliche Züge.

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    Abb. 1.2

    Hildegard von Bingen (1098–1179). © INTERFOTO/Sammlung Rauch

    1.3 Neuzeit

    Zu entscheidenden Veränderungen in der Heilkunde kam es erst in der Neuzeit. Beginnend mit Philippus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493–1541), der sich als erster bedeutender Arzt gegen die antike Säftelehre wandte, wurden ab dem 16. Jahrhundert die Grundlagen einer naturwissenschaftlich fundierten Medizin gelegt. So begründete René Descartes (1596–1650) in seinen physiologisch-naturwissenschaftlichen Schriften das mechanistische Menschenbild, das für die Entwicklung der heutigen Medizin erforderlich war. Der Siegeszug der naturwissenschaftlich fundierten Medizin ging mit einem gewaltigen Bedeutungsverlust der Diätetik einher. Denn mit der völligen Abwendung von der antiken Säftelehre verlor die Diätetik ihren angestammten Platz in der Heilkunde – eine wissenschaftliche Diätetik bzw. Ernährungswissenschaft existierte noch nicht (Jütte 1996, S. 144; Melzer 2003, S. 45f.).

    Als Gegenbewegung zur mechanistisch-technischen Ausrichtung der wissenschaftlichen Medizin begründete Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ein naturromantisches und zivilisationskritisches Weltbild, das in sich am besten in der Forderung „Zurück zur Natur" zusammenfassen lässt. Dieses Weltbild hatte auch Einfluss auf die Medizin und gab der Ernährung erneut einen höheren Stellenwert. Das beste Beispiel hierfür ist der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836; Abb. 1.3), der in seinen Werken die Ernährung ausführlich berücksichtigte und zahlreiche praktische Ernährungsempfehlungen gab (Melzer 2003, S. 45f.). In seinem Lehrbuch der allgemeinen Heilkunde schrieb er unter anderem: „Zu viel Essen und Trinken strengt die Kräfte der Restaurationsorgane zu sehr an (Hufeland 1796). Auch sah er, dass durch „Hinunterstopfen und Überfüttern das natürliche Sättigungsgefühl abhandenkommt, und in seinem berühmten Werk Makrobiotik heißt es: „Der größte Teil der Menschheit isst viel mehr, als er nötig hat. Wer alt werden will, esse langsam. Man esse nie so viel, dass man den Magen füllt" (Hufeland 1796).

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    Abb. 1.3

    Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836). © INTERFOTO/Bildarchiv Hansmann

    In der Tradition des Rosseauschen Naturismus entwickelte sich im 19. Jahrhundert die Naturheilkunde. An deren Anfängen stand die Wiederbelebung der alten Wasserheilkunde durch medizinische Laien wie Ferdinand C. Oertel (1765–1850) und Vincenz Prießnitz (1799–1851; Jütte 1996, S. 29). Sie berücksichtigten die Ernährung so gut wie nicht – womit dieser Bereich zu Beginn der Naturheilkunde kaum Beachtung fand (Jütte 1996, S. 115ff.).

    Die „Schroth-Kur " war eine der ersten naturheilkundlichen Therapien, die die Ernährung in den Mittelpunkt stellten. Der Fuhrmann Johann Schroth (1798–1856) entwickelte die sehr strenge, kohlenhydratreiche sowie protein- und salzarme Entschlackungskur aufgrund eigener Beobachtungen und Erfahrungen (Jütte 1996, S. 145ff.). Mit ihr sollten verschiedenste Erkrankungen geheilt werden können.

    Der Beginn einer naturheilkundlichen Ernährungslehre wird in Mitteleuropa üblicherweise mit der Kneippschen Ära gleichgesetzt (Sebastian Kneipp , 1821–1897, Kneipp 1890; Abb. 1.4). Die Ernährungstherapie stellt eine der – posthum so definierten – fünf Säulen des Kneippschen Konzeptes dar. Dabei stört meistens wenig, dass die Kneippschen Vorstellungen von einer gesund erhaltenden bzw. krankheitsgerechten Kost sehr stark an der Hausmannskost seiner ländlichen bayerischen Umgebung orientiert waren. Allerdings kommt Kneipp zweifelsfrei das Verdienst zu, mit dem berühmten Zitat „Was den Schmied nährt, zerreißt den Schneider" auch schon beim Gesunden konstitutionelle bzw. belastungsabhängige Grundlagen für ein optimales Ernährungskonzept zu postulieren.

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    Abb. 1.4

    Sebastian Kneipp (1821–1897). © INTERFOTO/Sammlung Rauch

    1.3.1 Anfänge des Vegetarismus

    Weitere wichtige Vertreter naturheilkundlicher Ernährungskonzepte waren unter anderem Theodor Hahn und Louis Kuhne . Theodor Hahn (1824–1883) sah eine vegetarische Ernährung mit Vollkornbrot als Schwerpunkt der Naturheilkunde und führte das von dem amerikanischen Physiologen Sylvester Graham erfundene Grahambrot in Deutschland ein (Melzer 2003, S. 83). Louis Kuhne (1835–1901) empfahl ebenfalls eine fleischlose „reizlose Ernährungsweise" (Melzer 2003, S. 97).

    Sowohl bei Hahn als auch bei Kuhne findet sich also ein Engagement für den Vegetarismus, der sich im späten 19. Jahrhundert in Deutschland verbreitete. Der Vegetarismus lieferte wesentliche Anstöße für die naturheilkundliche Diskussion um eine optimale Ernährung für Gesunde und für Kranke. Die Ursprünge des modernen Vegetarismus lagen in Großbritannien, wo der Begriff erstmals 1839 verwendet wurde und die Gründung der englischen Vegetarian Society im Jahr 1847 erfolgte. Diese fand eine breite Anhängerschaft, lange bevor Forschungen zu Bestandteilen pflanzlicher Kost, wie den Vitaminen, eine wissenschaftliche Begründung für gesundheitliche Vorteile pflanzlicher Lebensmittel liefern konnten (Kap.​ 10). Als Begründer der vegetarischen Bewegung in Deutschland gilt der Publizist Gustav Struve (1805–1870). Weitere Verbreitung fand der Vegetarismus unter anderem durch den sächsischen Handelslehrer und bekannten Vertreter des Vegetarismus Wilhelm Zimmermann und den Begründer des ersten deutschen Vegetarismusvereins Eduard Baltzer (1814–1887). Der Vegetarismus des 19. Jahrhunderts stellte nicht nur ein Ernährungskonzept dar, sondern intendierte eine umfassende Lebens- und Gesellschaftsreform. Vertreter des Vegetarismus waren teilweise der Ansicht, dieser Stelle ein Allheilmittel für sämtliche Lebens- und Gesundheitsprobleme dar (Jütte 1996, S. 155ff.).

    Als Begründung für eine vegetarische Ernährung wurden nicht primär gesundheitliche Motive angeführt, sondern zuerst ethisch-moralische Argumente. So postulierte Theodor Hahn, dass die Achtung vor dem Tier eine Voraussetzung für ein besseres Verhältnis der Menschen untereinander sei (Teuteberg 1994; Jütte 1996, S. 160). Daneben fanden sich aber auch gesundheitliche Argumente. Unter Berufung auf Erkenntnisse der Evolutionstheorie bezeichneten Vertreter des Vegetarismus diesen als Naturgesetz, dessen Übertretung die Natur durch Krankheiten bestrafe (Schlickeysen 1921). Diese Begründung ist vor dem Hintergrund einer drastischen Zunahme des Fleischverzehrs im Zuge der Industrialisierung zu sehen – die Kritik an diesem übermäßigen Fleischkonsum ging schnell in die Forderung nach einer vegetarischen Lebensweise über (Jütte 1996, S. 158). Die Vegetarier in Deutschland organisierten sich in einer Vielzahl von Vereinen, die sich 1892 im Vegetarier-Bund zusammenschlossen. Im Zusammenhang mit der Lebensreformbewegung wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch die vegetarische Obstbaukolonie „Eden" bei Oranienburg gegründet, die als Genossenschaft organisiert die Zivilisationskritik ihrer Anhänger praktisch umsetzen wollte (Baumgartner 1992).

    1.3.2 Ernährung als Wissenschaft

    Erst nachdem sich im Rahmen der Naturheilkundebewegung zahlreiche Ernährungstherapien und Konzepte verbreitet hatten, entwickelte sich die Ernährungswissenschaft als naturwissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit den Aspekten der Ernährung des Menschen (Jütte 1996, S. 144). Die relativ späte Entstehung der Ernährungswissenschaft lässt sich dadurch erklären, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Ernährung des Menschen erst möglich war, als die notwendigen Grundlagen aus Chemie, Physik und Biologie erforscht worden waren. Ein Wegbereiter der Ernährungswissenschaft war der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873; Abb. 1.5). Er entdeckte die Hauptnährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Proteine und führte Untersuchungen zum Proteinstoffwechsel durch. Neben der Erforschung der organischen Chemie erfand Liebig auch eine Krankenkost, das „Fleischinfusum, mit dessen Hilfe sich Personen mit schweren Magen- und Darmerkrankungen vor dem Tod retten ließen. Aus diesem wurde später „Liebigs Fleischextrakt entwickelt, der als Liebigsche Suppe für viele Jahrzehnte Bestandteil der klinischen Ernährungslehre war.

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    Abb. 1.5

    Justus von Liebig (1803–1873). © INTERFOTO/Sammlung Rauch

    Carl von Voit (1831–1908) und Max von Pettenkofer (1818–1901) sowie Max Rubner (1854–1932) erforschten den Energiestoffwechsel und den Grundumsatz und legten damit die Grundlagen der Ernährungsphysiologie (Ackerknecht 1992, S. 114f.). Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auch die Vitamine als essenzielle Nahrungsbestandteile entdeckt – der Biochemiker Casimir Funk (1884-1967) prägte 1912 den Begriff des „Vitamins". Doch auch danach war es noch ein langer Weg bis zur Identifizierung weiterer Vitamine und ihrer Zuordnung zu tierischen oder pflanzlichen Nahrungsmitteln.

    1.3.3 Medizinische Ernährungstherapien

    Bis zum 20. Jahrhundert waren vorwiegend ärztliche Laien in der Naturheilkunde tätig. Erst im Übergang zum 20. Jahrhundert waren es auch akademisch ausgebildete Mediziner, die auf diesem Gebiet Bedeutung erlangten. So erfuhr die naturheilkundliche, ärztlich verstandene und angeleitete Ernährungstherapie durch den Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867–1939) ihren entscheidenden Impuls. Sein für die weitere Entwicklung wichtiger Beitrag bestand in der Ausformulierung eines Ernährungskonzeptes und seiner klinischen Umsetzung in einem privaten Sanatorium in Zürich. Bircher-Benner erhielt seine Motivation für eine lebenslange Beschäftigung mit der Ernährungstherapie wie viele naturheilkundliche Ärzte durch die erfolgreiche Therapie eines vorher mit schulmedizinischen Maßnahmen erfolglos behandelten Patienten. Er vertrat eine lakto-vegetabile Ernährung, die im Vergleich zur damaligen Lehrmeinung protein- und energiearm war (Bircher-Benner 1921; Melzer 2003, S. 113ff.).

    Rohkost bzw. Frischkost hatte in der von Bircher-Benner verordneten Krankendiät einen wichtigen Stellenwert, da der Werterhalt der Nahrungsbestandteile seiner Vorstellung nach von zentraler Bedeutung war. Populär wurde insbesondere die von ihm erfundene Apfeldiätspeise aus rohem Apfel, Haferflocken, Nüssen und Kondensmilch, die unter der Bezeichnung Bircher-Müsli – allerdings oftmals drastisch abgewandelt – auch heute noch als „Markenzeichen" für gesunde Ernährung angesehen wird (Jütte 1996, S. 149f.).

    Die Erfolge seiner Ernährungstherapie erklärte Bircher-Benner mit einer größtenteils spekulativen Theorie vom „Sonnenlichtwert" der Nahrungsmittel. Er teilte die Nahrungsmittel in Sonnenlichtakkumulatoren erster, zweiter und dritter Ordnung ein (Melzer 2003, S. 121f.). Das wissenschaftliche Verständnis und die praktische Umsetzung wandte er insbesondere auf entzündliche Gelenkerkrankungen an, für die es zu seiner Zeit praktisch keine wirksame Behandlungsmethode gab. Einige seiner Therapieerfolge konnte er in Filmsequenzen festhalten, die lang anhaltende Bemühungen um ein wissenschaftliches Verständnis seiner Therapieerfolge zur Folge hatten.

    In Zusammenhang mit der „Ordnung in der Nahrung" (Bircher-Benner 1921, 1977) schuf Bircher-Benner als Rudiment bereits in den 1920er-Jahren den Begriff einer Ordnungstherapie , um ihn dann später in entwickelten Konzepten zu einem seiner zentralen Anliegen zu machen (Bircher-Benner 1937; vgl. Melzer 2003). Stimuliert durch diese Ordnungstherapie, leitete die Naturheilkunde eine weit umfassendere Vorstellung von wünschenswerter „Ordnung" im Leben des Patienten und den Möglichkeiten ihrer Implementierung durch die ärztliche Kunst ab. Im Zusammenhang mit seiner Ordnungstherapie wird allerdings auch die Nähe von Bircher-Benners Weltanschauung zur völkischen Ideologie deutlich (Jütte 1996, S. 154).

    Eine weitere naturheilkundliche Ernährungstherapie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, ist die Waerland-Kost. Der Schwede Are Waerland (1876–1955) litt als Kind unter diversen Krankheitssymptomen wie Kopfschmerzen, schlechtem Gedächtnis, chronischen Magenproblemen und Verstopfung. In London studierte er Medizin, nicht zuletzt, um eine Therapie zur Heilung seiner Beschwerden zu finden. Neben Abhärtung durch kaltes Duschen und Schlafen bei offenem Fenster begann er, sich für vegetarische und speziell für unerhitzte Kost zu interessieren. Die Waerland-Kost hat vor allem in Skandinavien Spuren hinterlassen, wo sie bis in die jüngere Gegenwart zu einer intensiven Beschäftigung mit Entzündungshemmung durch Ernährung und Fasten geführt hat (Kjedsen-Kragh et al. 1991).

    Etwa zeitgleich erlebte das ärztlich geleitete Fasten insbesondere durch das Wirken des Fastenarztes Otto Buchinger (1878–1966) einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung (Teil IV). Wiederum scheint retrospektiv der Zufall eine nicht unwichtige Rolle gespielt zu haben: Buchinger führte wegen seines eigenen Gesundheitszustandes eher gegen seine innere Überzeugung seine erste Fastentherapie bei Gustav Riedlin in Freiburg durch. Dieser darüber hinaus wenig bekannt gewordene Fastenarzt soll durch die ausgesprochene Blüte der Fastentherapie in den USA des 19. Jahrhunderts inspiriert worden sein. Angespornt durch den ungewöhnlichen Fortschritt, den er im bis dahin sehr ungünstigen Verlauf seines Gelenkrheumatismus verspürte, verschrieb sich Buchinger fortan der Aufgabe, die Fastentherapie, sein „Heilfasten" (Buchinger 1935), als multimodales Konzept zu entwickeln und breiten Patienten- und Ärztekreisen verfügbar zu machen.

    Etwa zeitgleich, jedoch ohne gegenseitigen Austausch, gründete sein Pendant, der böhmisch-österreichische Arzt Franz Xaver Mayr (1875–1965) eine Schule, die die „Diagnostik und Therapie nach F. X. Mayr" zu einem weitgehend spekulativen System entwickelte. Dabei postulierte er, dass letztlich auch reflektorische Zusammenhänge zwischen Körperhaltung, Muskeltonus und Intestina bestünden, was nach seiner Sicht- und Behandlungsweise durchaus der völlig unabhängig entwickelten viszeralen Osteopathie nahekam. Mayr erfuhr seine erste Motivation aufgrund unbefriedigter ärztlicher Neugier, als sein geschätzter akademischer Lehrer die vom jungen Medizinalassistenten Mayr erhobene Frage unbeantwortet lassen musste, wie man durch Untersuchung mit Händen und Stethoskop den Normalbefund eines Darmes ähnlich dem des Thorax erheben und beschreiben könne.

    Mit dem Buch „Die Ordnung unserer Nahrung wurde der Arzt und Ernährungsforscher Werner Kollath (1892–1970) zum Begründer der Vollwerternährung. In Tierfütterungsversuchen machte er deutlich, dass nicht einzelne Vitamine, sondern die Zusammensetzung der gesamten Kost für die Vorbeugung von Mangelernährung verantwortlich ist. Zudem hob er mit seinen Experimenten die Bedeutung des Wertverlustes von Lebensmitteln durch Verarbeitung hervor. Aus diesen Forschungsergebnissen leitete er die Forderung ab, „die Nahrungsmittel so natürlich zu lassen wie nur möglich (Kollath 1937, S. 271). Vom „Vollwert der Nahrung spricht Kollath, wenn die Nahrung „neben ausreichender Nahrungsenergie sämtliche lebenswichtigen Mineralien und Spurenelemente, alle Vitamine, Auxone, Aromastoffe und Eigenfermente in dem natürlichen Verhältnis enthält (Kollath 2005, S. 60ff.).

    In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die wesentlichen naturheilkundlichen Konzepte der Ernährungstherapie ausformuliert und wurden auch praktiziert. Dagegen fand praktisch keine klinische Forschung zur Untersuchung ihrer Wirkungen und Wirksamkeit statt.

    Zur Verbreitung der Vollwerternährung trug der Arzt Max Otto Bruker (1909–2001) wesentlich bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Leiter einer Anstalt und mehrerer Kliniken. In den von ihm geleiteten Häusern führte er eine „vollwertige Kost" im Sinne von Kollath ein und sammelte in der jahrzehntelangen Anwendung derselben umfangreiche klinische Erfahrungen (Melzer 2003, S. 355 ff.). Später prägte er für die Vollwerternährung den Begriff der „vitalstoffreichen Vollwertkost" (Bruker 1966). Er setzte diese in der Therapie ernährungsbedingter Erkrankungen ein. Insbesondere in der Behandlung gastrointestinaler Erkrankungen war Bruker nach seinen Aussagen mit der Vollwertkost erfolgreich (Bruker 1958). Schwerpunktmäßig befasste sich Bruker mit der Verträglichkeit der Vollwertkost, die seiner Ansicht nach durch das konsequente Meiden von Zucker erreicht wurde. Durch eine laienverständliche Buchreihe, die Bruker ab 1970 verfasste, trug er wesentlich zur Popularisierung der Vollwerternährung bei. Darüber hinaus versuchte er, zu den Themen Ernährung und natürliche Lebensweise gesundheitspolitischen Einfluss auszuüben. Dabei blieben sichtbare Erfolge aus, weshalb sich Bruker der Laienausbildung auf dem Gebiet der Vollwerternährung zuwandte.

    1.3.4 Universitäre Forschung

    Eine wesentliche Weiterentwicklung erfuhr das Konzept der Vollwerternährung durch die Ernährungswissenschaftler Karl W. von Koerber und Thomas Männle sowie den Biochemiker Claus Leitzmann. Angeregt durch Brukers Vollwertkost, befassten sie sich im Rahmen der universitären Forschung mit der Vollwerternährung und veröffentlichten 1981 erstmals das Buch „Vollwert-Ernährung" (von Koerber et al. 2012). Die Autoren beziehen sich hier auf die historischen Wurzeln der Vollwerternährung, insbesondere auf die Vorstellungen Kollaths. Sie verbinden die inzwischen fortgeschrittenen Kenntnisse der Ernährungswissenschaft über essenzielle Nahrungsinhaltsstoffe mit der bereits von Kollath ausgesprochenen Forderung, die Nahrung so natürlich wie möglich zu belassen: „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Nahrung alle essenziellen Bestandteile enthält, ist umso größer, je weniger behandelt, also je naturbelassener die Lebensmittel sind" (von Koerber et al. 2012, S. 119). Eine so definierte vollwertige Kost sehen sie als Grundvoraussetzung an, um ernährungsabhängigen Krankheiten entgegenzuwirken. Sie blieben jedoch nicht bei gesundheitlichen Aspekten stehen, sondern erweiterten die Betrachtungsweise der Ernährung um ökologische und soziale Aspekte (Kap.​ 9).

    In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann auch erstmalig Ernährungsformen, die ihren Ursprung nicht in Mitteleuropa hatten, in die naturheilkundliche Ernährungstherapie integriert, z. B. die makrobiotische Ernährung . Zudem wurden längst bekannte Kostformen wie die Haysche Trennkost wiederentdeckt. Die internationale epidemiologische Forschung zu Ernährungseinflüssen hatte und hat weiterhin ihre größten Erfolge und Förderung mit der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität. Nach der berühmten 7-Länder-Studie konzentrierte sie sich zunächst auf das alimentäre Fettsäuremuster, lenkte später die Aufmerksamkeit auf die Ernährung im Mittelmeerraum als ein Konzept und legte die Grundlagen für die weitere klinische Erforschung und Akzeptanz der sogenannten mediterranen Kost (Kap.​ 13). Dadurch werden sehr allmählich auch die gesundheitsfördernden Möglichkeiten nicht-energieliefernder Ernährungsanteile sichtbar.

    Für eine wissenschaftliche Erforschung weiterer naturheilkundlicher Ernährungskonzepte wäre die Durchführung großer Studien mit einigen Hundert, wenn nicht Tausenden Patienten und mit Beobachtungszeiträumen von mehreren Jahren erforderlich. Dies ist zwar heute grundsätzlich möglich, stellt aber für die Naturheilkunde ein grundsätzliches Hindernis dar, da diese im Unterschied zur wissenschaftlich fundierten Medizin eher durch die Überzeugungskraft großer ärztlicher Persönlichkeiten lebt, welche aber in Mitteleuropa lange Zeit nicht über einen Zugang zur akademischen Medizin verfügten. In einem ersten Ansatz öffentlicher Forschungsförderung des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie zwischen 1992 und 2003 in den beiden Projekten „Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung und „Unkonventionelle Medizinische Richtungen waren keine Ernährungsprojekte enthalten.

    In den letzten 20 Jahren scheint sich eine Tendenz zur Annäherung zwischen naturheilkundlicher und konventioneller Medizin abzuzeichnen. Die erste Lebenszeitprofessur („Lehrstuhl) für Naturheilkunde wurde in Deutschland 1989 an der Freien Universität Berlin eingerichtet, danach 1994 am Universitätsspital in Zürich. Inzwischen gibt es an den Universitäten Rostock, Duisburg-Essen und München (Technische Universität) ähnliche Einrichtungen als Stiftungsprofessuren. Bislang wurden einige Studien etwa zum therapeutischen Fasten und zum Stellenwert der mediterranen Ernährung bei Rheuma veröffentlicht. Ernährungstherapie einschließlich Fasten ist von Beginn an, seit 1975, obligatorischer Bestandteil der ärztlichen Weiterbildung „Naturheilverfahren mit einem konstanten Anteil von 10 % des von der Bundesärztekammer vorgeschlagenen Curriculums von 160 Kursstunden. Dies entspricht zunehmend weniger dem Stellenwert der Ernährungstherapie in der ärztlichen Praxis (Biesalski et al. 2010).

    Die großen meinungsbildenden Gesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM; ausschließlich für Ärzte) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE; für alle Berufsgruppen, insbesondere auch für Ökotrophologen und Diätassistenten) empfehlen eine „vollwertige Ernährung", die in ihrer theoretischen Begründung zwar vom Konzept der Vollwert-Ernährung abweicht, in der praktischen Umsetzung inzwischen der Vollwert-Ernährung der Gießener Schule nahe kommt (Kap.​ 2). Im Unterschied zur Definition der Vollwert-Ernährung nach von Koerber, Männle und Leitzmann berücksichtigt die DGE fast nur die ernährungsmedizinischen Aspekte. Erst kürzlich fand eine zaghafte Integration des ökologischen Aspektes statt. Darüber hinaus finden sich neben der Vollwerternährung in der Naturheilkunde weitere Konzepte für die Ernährungstherapie, insbesondere das präventive und therapeutische Fasten (Teil IV).

    Die Naturheilkunde hat durch die zunehmende Hinwendung zur traditionellen indischen und chinesischen Medizin auch deren ernährungstherapeutische Konzepte integriert (Kap.​ 12). Beiden ist insbesondere gemein, dass sie keine pauschalen, sondern deutlich an der individuellen Konstitution sowie der jeweiligen Krankheitslage orientierte Empfehlungen aussprechen. Die traditionelle chinesische Medizin berücksichtigt dabei insbesondere die Lehre der fünf Elemente und beabsichtigt eine Kompensation zu großer dauerhafter Ausschläge im lebenslangen und letztlich auch das Leben konstituierenden Kräftespiel des Yin und Yang. Die ayurvedische Ernährungsphilosophie für Gesunde wie für Kranke aus Indien orientiert sich in erster Linie an der aktuellen Balance der drei Doshas Pitta, Vata und Kapha, um dadurch gezielt einem Ungleichgewicht gegenzusteuern. Bei einem Überschuss an Pitta, synonym für hitzige Energie, verordnet sie beispielsweise kühlende Speisen wie Melonen. Diese Denkweise scheint auf viele Patienten – und auch auf viele Ärzte – eine Faszination auszuüben, kommt sie doch einer an Konstitution und aktueller Krankheitslage orientierten Individualmedizin ähnlich der Homöopathie nahe. Ob sich hierdurch Verbesserungen von Risikosituationen oder gar klinischen Verläufen erzielen lassen, wurde bislang allerdings nicht mit den Methoden heutiger klinischer Forschung untersucht.

    1.4 Zusammenfassung

    Sowohl die Ernährungstherapie an sich als auch ihre naturheilkundliche Anwendung haben ihre Wurzeln in der griechischen und römischen Antike. Wesentliche Elemente wurden durch das Mittelalter bis in die Neuzeit hin tradiert. Das 16. Jahrhundert legte die Grundlagen einer naturwissenschaftlich fundierten Medizin, was zunächst mit einem Bedeutungsverlust der Dietätik einherging. Erst durch den Einfluss Jean-Jacques Rousseaus erlangte auch die Ernährung wieder einen gewissen Stellenwert im medizinischen Bewusstsein. In dieser Tradition entwickelte sich im 19. Jahrhundert die Naturheilkunde. Besonders der Vegetarismus lieferte wesentliche Anstöße für die naturheilkundliche Diskussion um eine optimale Ernährung für Gesunde und Kranke. Mit dem Übergang zum 20. Jahrhundert begannen sich vermehrt auch akademisch ausgebildete Mediziner mit der Ernährungstherapie zu beschäftigten – Therapieformen wurden entwickelt, die bis heute Einfluss auf naturheilkundliche Konzepte haben. Auch wenn der Forschungsstand noch zu wünschen übrig lässt, so liegen doch bereits wesentliche Untersuchungen unter anderem zur Vollwert-Ernährung vor. Eine Tendenz zur Annäherung zwischen naturheilkundlicher und konventioneller Medizin scheint sich abzuzeichnen.

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    2. Ernährungsphysiologische Grundlagen und Prinzipien vollwertiger Ernährung

    Helmut Oberritter¹ 

    (1)

    Schweifelder Straße 30 A, D-53578 Windhagen, Deutschland

    2.1 Bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr

    2.2 Haupt- und Mikronährstoffe

    2.2.1 Kohlenhydrate

    2.2.2 Fett

    2.2.3 Eiweiß

    2.2.4 Wasser

    2.2.5 Mikronährstoffe

    2.3 Energiegehalt und Nährstoffdichte von Lebensmitteln

    2.3.1 Energie

    2.3.2 Energiedichte und Nährstoffdichte

    2.4 Präventive Aspekte der Ernährung

    2.4.1 Fett- und Kohlenhydratzufuhr

    2.4.2 Vermeidung von Übergewicht Adipositas

    2.4.3 Viel Obst und Gemüse

    2.4.4 Wenig Alkohol, Zucker und Salz

    2.5 Psychologische und soziologische Faktoren

    2.6 Lebensmittelbezogene Empfehlungen

    2.6.1 Die 10 Regeln der DGE

    2.6.2 Der Ernährungskreis – Hilfsmittel für die Praxis

    2.7 Alternative Kostformen

    2.8 Zusammenfassung

    Literatur

    Einführung

    Die Ernährung dient dem Aufbau und der Erhaltung des Organismus. Mit der Nahrung werden Nährstoffe (Hauptnährstoffe und Mikronährstoffe) aufgenommen. Das sind in Lebensmitteln enthaltene Stoffe, die dem Aufbau des Körpers, dem Ersatz verbrauchter Körpersubstanz, der Steuerung von Körperfunktionen und der Lieferung von Energie dienen. Bei der Empfehlung einer vollwertigen Ernährung müssen verschiedene Punkte beachtet werden, so der Energiegehalt sowie die Energie- und Nährstoffdichte der Lebensmittel, eine bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr gemäß den D-A-CH-Referenzwerten (Deutschland, Österreich, Schweiz) für die Nährstoffzufuhr, präventive Aspekte der Ernährung und Erkenntnisse der Ernährungspsychologie und -soziologie.

    Das folgende Kapitel behandelt diese Aspekte und stellt die in 10 Regeln zusammengefassten Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) für eine gesunde erhaltende, vollwertige Ernährung vor.

    In diesem Beitrag lesen Sie über:

    Haupt- und Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe),

    Energiegehalt, Energiedichte und Nährstoffdichte von Lebensmitteln,

    die optimale Nährstoffzufuhr und präventive Aspekte der Ernährung,

    die Berücksichtigung psychologischer und soziologischer Faktoren und von Ernährungsgewohnheiten bei Ernährungsempfehlungen,

    die von der DGE formulierten lebensmittelbezogenen Empfehlungen für eine gesund erhaltende, vollwertige Ernährung.

    2.1 Bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr

    Die optimale Versorgung mit Haupt- und Mikronährstoffen verhindert Nährstoffmangel und -unterversorgung mit den daraus resultierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen, ermöglicht ein optimales Stoffwechselgeschehen bzw. Funktionieren des Organismus und trägt zur Prävention ernährungsmitbedingter Erkrankungen bei.

    In den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr (DGE et al. 2015) sind für die einzelnen Nährstoffe Referenzwerte für die tägliche Nährstoffzufuhr für bestimmte Bevölkerungsgruppen dargestellt. Eine empfohlene Zufuhr (Empfehlung) wird ausgesprochen, wenn mit ausreichender Sicherheit die zuzuführende Nährstoffmenge bekannt ist. Bei einigen Nährstoffen kann der Bedarf noch nicht mit wünschenswerter Genauigkeit bestimmt werden. In diesen Fällen werden Schätzwerte angegeben, die zwar experimentell gestützt, aber noch nicht genügend abgesichert sind. Richtwerte im Sinne von Orientierungshilfen werden genannt, wenn aus gesundheitlichen Gründen eine Regelung der Zufuhr zwar nicht innerhalb scharfer Grenzwerte, aber doch in bestimmten Bereichen notwendig ist.

    Die D-A-CH-Referenzwerte sind für die Planung einer bedarfsdeckenden Ernährung und als Bezugswerte für die Beurteilung der Nährstoffversorgung in verschiedenen Bevölkerungsgruppen geeignet. Sie sind jedoch aufgrund starker individueller Unterschiede kein Kriterium zur Beurteilung des Versorgungszustandes von Einzelpersonen. Für eine vollwertige Ernährung (Abschn. 2.6) genügt es, wenn die durchschnittliche Nährstoffversorgung über den Zeitraum einer Woche der empfohlenen Zufuhr entspricht.

    2.2 Haupt- und Mikronährstoffe

    2.2.1 Kohlenhydrate

    Kohlenhydrate sind Nährstoffe, die von Pflanzen durch Photosynthese gebildet werden. In geringen Mengen kommen sie auch im tierischen Organismus vor. Kohlenhydrate sind die wichtigsten Energielieferanten mit einem Energiegehalt von 17 kJ (4,0 kcal) pro Gramm. Man unterscheidet :

    Monosaccharide wie Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker)

    Disaccharide wie Saccharose (Rohr- oder Rübenzucker [Haushaltszucker]), Maltose (Malzzucker) oder Laktose (Milchzucker) und

    Polysaccharide wie Stärke oder Zellulose.

    Stärkehaltige Lebensmittel wie Getreide, Getreideprodukte, Kartoffeln oder Hülsenfrüchte sind häufig auch reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen. Sie liefern zudem pflanzliches Eiweiß und Fett in geringen Mengen und sättigen anhaltend.

    2.2.2 Fett

    Nahrungsfette sind vor allem als Triglyzeride aufgebaut. Sie sind konzentrierte Energielieferanten mit einem Energiegehalt von 37 kJ (9,0 kcal) – dieser ist damit mehr als doppelt so hoch wie bei Kohlenhydraten und Eiweiß. Hoher Fettkonsum trägt wesentlich zur Entstehung von Übergewicht und ernährungsabhängigen Gesundheitsstörungen bei. Allerdings sind Fette auch Träger fettlöslicher Vitamine und liefern Fettsäuren , die zum Aufbau von Hormonen oder Zellmembranen benötigt werden.

    Fette werden durch die Verdauung in Glyzerin und Fettsäuren gespalten. Die Fettsäuren haben je nach Aufbau unterschiedliche Bedeutung. Man unterscheidet:

    gesättigte Fettsäuren, die überwiegend in tierischen Lebensmitteln vorkommen,

    einfach- und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die vor allem in Pflanzenölen und -fetten enthalten sind.

    Gesättigte und einfach ungesättigte Fettsäuren können vom Körper selbst aufgebaut werden. Die „essenziellen" mehrfach ungesättigten Fettsäuren können vom Körper nicht synthetisiert werden und müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Man unterscheidet hier die vor allem in Pflanzenölen vorkommenden ω-6-Fettsäuren wie Linolsäure oder Arachidonsäure und die ω-3-Fettsäuren wie die α-Linolensäure in pflanzlichen Ölen und vor allem die in Fettfischen enthaltenen Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure.

    2.2.3 Eiweiß

    Nahrungseiweiß (Protein ) versorgt den Organismus mit Aminosäuren, die zum Aufbau körpereigener Proteine und vieler Wirkstoffe benötigt werden. Proteine sind für den Aufbau, Umbau und Erhalt von Körpersubstanz, für die Steuerung verschiedenster Stoffwechselvorgänge, die Aufrechterhaltung von Stoffkonzentrationen und die Regulation des Wasserhaushalts mit verantwortlich. Proteine haben einen Energiegehalt von 17 kJ (4,0 kcal). Je geeigneter die Aminosäurezusammensetzung eines Proteins für die Ernährung des Menschen ist, desto höher ist seine biologische Wertigkeit. Die sogenannten essenziellen Aminosäuren können vom Organismus nicht synthetisiert werden und müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Tierische Proteine haben meist eine höhere biologische Wertigkeit als pflanzliche.

    2.2.4 Wasser

    Beim Erwachsenen besteht der Körper zu 50–60 %, beim Säugling zu 70 % aus Wasser. Der Organismus von Kindern und Erwachsenen benötigt täglich 1,5–2,5 l Wasser, Säuglinge brauchen 0,7–0,9 l (DGE et al. 2015). Bei hohen Temperaturen, anstrengender körperlicher Arbeit, Sport, aber auch bei Fieber, Durchfall oder Erbrechen ist der Wasserbedarf erhöht. Wassermangel führt rasch zu schwerwiegenden Schäden. Bereits nach 2–4 Tagen können harnpflichtige Substanzen nicht mehr ausgeschieden werden. Es kommt zu Bluteindickung und Kreislaufversagen.

    2.2.5 Mikronährstoffe

    Neben den essenziellen Fettsäuren und den essenziellen Aminosäuren sind die Mikronährstoffe, d. h. Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, lebensnotwendig und müssen mit der Nahrung zugeführt werden.

    Vitamine

    Vitamine (Tab. 2.1) erfüllen als lebensnotwendige Nährstoffe vielfältige Funktionen im Organismus. Sie sind an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt und müssen mit der Nahrung zugeführt werden.

    Tab. 2.1

    Fett- und wasserlösliche Vitamine mit den wichtigsten Funktionen und Quellen und Referenzwerten (mod. nach Oberritter 2009)

    * Empfohlene Zufuhr (E), Schätzwert (S) pro Tag für Jugendliche und Erwachsene im Alter von 15 bis unter 65 Jahren

    Man unterscheidet die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K von den wasserlöslichen Vitaminen B1, B2, B6, B12, Folsäure, Niacin, Pantothensäure, Biotin und Vitamin C. In den Lebensmitteln kommen auch Vorstufen der Vitamine vor, wie β-Carotin als Vorstufe von Vitamin A. Bei Vitamin D trägt die Eigensynthese der Haut unter Exposition mit Ultraviolettstrahlung (UV-B) zur Bedarfsdeckung bei. Bei unzureichender Vitaminversorgung kann es zu Leistungsabfall und anderen Gesundheitsstörungen, im Extremfall zu krankhaften Mangelerscheinungen kommen.

    Mineralstoffe

    Mineralstoffe sind anorganische, lebensnotwendige Elemente, die vom Menschen für den reibungslosen Ablauf von Stoffwechselprozessen benötigt werden. Sie liefern keine Nahrungsenergie. Man unterscheidet Mengen- und Spurenelemente:

    Mengenelemente sind Kalium, Natrium, Chlorid, Kalzium, Magnesium und Phosphor. Sie sind unter anderem für die Funktionen von Muskeln und Nerven notwendig, aber auch als Bestandteile von Bau- und Gerüstsubstanzen.

    Spurenelemente sind ebenfalls essenzielle anorganische Elemente. Sie werden vom Organismus jedoch nur in kleinsten Mengen (Spuren) benötigt. Wichtige Spurenelemente sind Eisen, Jod, Kupfer, Chrom, Molybdän, Fluorid, Zink, Mangan, Kobalt und Selen.

    Mineralstoffe sind an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt und wichtig für die Regulation des Wasserhaushalts , zur Aufrechterhaltung notwendiger Stoffkonzentrationen im Körper und dienen als Baustoffe, z. B. des Knochens, der Muskeln oder des Hämoglobins (Tab. 2.2).

    Tab. 2.2

    Die wichtigsten Mineralstoffe mit den wichtigsten Funktionen und Quellen und Referenzwerten (mod. nach Oberritter 2009)

    * Empfohlene Zufuhr (E), Schätzwert (S) pro Tag für Jugendliche und Erwachsene im Alter von 15 bis unter 65 Jahren

    2.3 Energiegehalt und Nährstoffdichte von Lebensmitteln

    2.3.1 Energie

    Der Energiebedarf des Menschen wird im Wesentlichen durch den Grundumsatz , die körperlichen Aktivitäten in Beruf und Freizeit sowie andere physiologischen Leistungen (unter anderem Wachstum, Schwangerschaft, Stillzeit) sowie durch die Thermogenese nach Nahrungszufuhr und individuelle Adaptionsmechanismen (z. B. genetisch oder epigenetisch) bestimmt. Die Deckung des Energiebedarfs erfolgt in erster Linie durch Kohlenhydrate und Fett. Darüber hinaus trägt auch Protein zur Energiebedarfsdeckung bei. Auch Alkohol ist mit 29 kJ (7 kcal) pro Gramm ein beträchtlicher Energielieferant. Ein Teil der Ballaststoffe wird im Dickdarm von Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren abgebaut, die eine zusätzliche Energiequelle darstellen können. Deshalb liefern auch Ballaststoffe Energie, pro Gramm Ballaststoffe 8 kJ (2 kcal).

    2.3.2 Energiedichte und Nährstoffdichte

    Vor dem Hintergrund der hohen Prävalenz von Übergewicht in der Bevölkerung ist die Identifikation von Einflussfaktoren auf die Gewichtszunahme sowie auf eine erfolgreiche Gewichtsabnahme und -erhaltung von großem Interesse. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Energiedichte der Nahrung einer dieser Faktoren ist. Die DGE hält die Berücksichtigung der Energiedichte für ein nützliches Konzept, das bei gleichzeitigem Blick auf die Nährstoffdichte für die Bewertung von Lebensmitteln geeignet ist. Die aktuelle wissenschaftliche Beweislage spricht für eine positive Assoziation zwischen der Energiedichte der Nahrung und dem Körpergewicht. Ein Ernährungsmuster mit niedriger Energiedichte kann helfen, das Körpergewicht zu halten bzw. zu senken. Die DGE schlussfolgert, dass Maßnahmen zur Gewichtskontrolle die Energiedichte der Nahrung berücksichtigen sollten.

    Definitionen

    Die Energiedichte ist definiert als Energiegehalt (in kcal oder kJ) pro Gewichtseinheit (z. B. g, 100 g) Lebensmittel.

    Die Nährstoffdichte ist das Verhältnis von essenziellen Nährstoffen und Energie in der Nahrung. Sie ist definiert als Menge eines Nährstoffs (z. B. in mg) pro Energieeinheit (z. B. kJ oder MJ).

    Lebensmittel bzw. Speisen mit niedriger Energiedichte liefern weniger Energie pro Gewichtseinheit als solche mit hoher Energiedichte. Bei gleicher Menge an Energie kann eine Person von einem Lebensmittel bzw. einer Speise mit niedriger Energiedichte eine größere Portion konsumieren als von einem Lebensmittel bzw. einer Speise mit hoher Energiedichte.

    Die Energiedichte von Lebensmitteln und Speisen bzw. einer Kostform hängt maßgeblich von deren Wasser- und Fettgehalt ab. Lebensmittel, die reich an Wasser (energiefrei) und/oder Ballaststoffen sind, weisen grundsätzlich eine geringe Energiedichte auf wie Gemüse und Obst. Im Gegensatz dazu haben fettreiche Lebensmittel meist eine höhere Energiedichte, da Fett der Nährstoff mit dem höchsten Energiegehalt ist. Auch kohlenhydratreiche Lebensmittel können, vor allem wenn der Wassergehalt gering ist, eine hohe Energiedichte haben, z. B. Knäckebrot oder Brot aus Weißmehl. Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs haben überwiegend eine geringe Energiedichte und hohe Nährstoffdichte. Flüssige Speisen wie Suppen und Getränke haben aufgrund des höheren Wassergehalts meist eine niedrigere Energiedichte als Lebensmittel und Speisen mit einer festen Konsistenz (Bechthold 2014).

    Ernährungsphysiologische Aspekte der Protein-, Fett- und Kohlenhydratzufuhr

    Auf der Basis des experimentell ermittelten durchschnittlichen Bedarfs des Erwachsenen an Protein mit hoher Qualität ergibt sich unter Einbeziehung von individuellen Schwankungen und einer häufig verminderten Verdaulichkeit in einer gemischten Kost eine empfohlene Zufuhr von 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht. In einer ausgewogenen Mischkost entspricht dies einem Anteil des Nahrungsproteins von 9–11 % des Energierichtwertes (Energie%), unter Zugrundelegung eines PAL-Wertes (Physical Activity Level) von 1,42. Unter Berücksichtigung der Umsetzung in die Praxis wird eine Zufuhr von 15 Energie% als akzeptabel angesehen (DGE et al. 2015).

    Da für Fett und Kohlenhydrate kein durchschnittlicher Bedarf ermittelt werden kann, werden in den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr für Fett und Kohlenhydrate Richtwerte als Orientierungshilfen angegeben.

    Die Beschränkung der Fettzufuhr hat zum Ziel, dass mit dieser Kostform

    eine geringere Energiezufuhr und -dichte und dadurch eine Reduktion des Adipositasrisikos,

    eine Beschränkung der Zufuhr von gesättigten Fettsäuren,

    eine ausreichend hohe Zufuhr von pflanzlichen Lebensmitteln als Lieferanten von Ballaststoffen, sekundären Pflanzenstoffen etc.

    angestrebt und erreicht wird.

    Der Richtwert für den Energieanteil von Kohlenhydraten (>50 Energie%) ergibt sich aus der Differenz der Summe des Richtwertes für die Fettzufuhr (30 Energie%, bei körperlich aktiven Personen 35 Energie%) und der empfohlenen Proteinzufuhr zu 100 Energie%.

    Ziel der Umsetzung der Richtwerte in die Praxis ist eine Kostform, die mit

    einem hohen Anteil von Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs mit geringem Verarbeitungsgrad,

    einer hohen Ballaststoffzufuhr, besonders aus Getreide,

    einer hohen Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen,

    einer moderaten Fettzufuhr sowie

    einem größeren Nahrungsvolumen bzw. einer geringeren Energiedichte einhergeht.

    Voraussetzung ist, dass ballaststoffreiche Lebensmittel, vor allem Vollkornprodukte, den größten Anteil an den kohlenhydratliefernden Lebensmitteln haben.

    Derzeit kommt die Kohlenhydratzufuhr der Bevölkerung in Deutschland dem Referenzwert zwar relativ nahe, jedoch stammt ein wesentlicher Anteil der Kohlenhydratzufuhr aus dem Verzehr von Mono- und Disacchariden, die vor allem in Süßwaren und gesüßten Getränken vorhanden sind. Hier ist eine Verschiebung in Richtung des Konsums von Vollkornprodukten notwendig.

    Richtwerte für die Zufuhr von Fett, Kohlenhydraten und Proteinen

    Richtwert für die Zufuhr von Fett: <30 %

    Richtwerte für die Zufuhr von Fettsäuren (DGE et al. 2015):

    Gesättigte Fettsäuren: maximal 10 % der Nahrungsenergie

    Einfach ungesättigte Fettsäuren: mindestens 10 % der Nahrungsenergie

    Mehrfach ungesättigte Fettsäuren: etwa 7 % der Nahrungsenergie

    Die Zufuhr von ω-3-Fettsäuren sollte gesteigert werden. Aufgrund der positiven Eigenschaften der vor allem in Fischen (insbesondere Fettfische wie Makrele, Hering, Lachs) enthaltenen langkettigen ω-3-Fettsäuren sind 1–2 Seefischmahlzeiten pro Woche empfehlenswert. Ein günstiges Verhältnis von ω-3- zu ω-6-Fettsäuren ist bei der Auswahl pflanzlicher Öle zu berücksichtigen (Rapsöl, Walnussöl; DGE et al. 2015).

    Richtwerte für die Zufuhr von Kohlenhydrate: >50 % der zugeführten Energie

    Richtwerte für die Zufuhr von Ballaststoffen (DGE et al. 2015): Als Richtwert für die tägliche Zufuhr von Ballaststoffen nennt die DGE eine Menge von mindestens 30 g pro Tag für Erwachsene.

    Empfehlung für die Zufuhr von Protein: 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht (DGE et al. 2015). In einer ausgewogenen Mischkost entspricht dies einem Anteil des Nahrungsproteins von 9–11 Energie%, unter Zugrundelegung eines PAL-Wertes von 1,42. Unter Berücksichtigung der Umsetzung in die Praxis wird eine Zufuhr von 15 Energie% als akzeptabel angesehen.

    2.4 Präventive Aspekte der Ernährung

    Eine Lebensmittelauswahl gemäß DGE-Ernährungskreis ist eine verlässliche Grundlage für die Umsetzung der Referenzwerte in eine vollwertige Ernährung. Der Kreis zielt auf gesunde Erwachsene. Damit lässt sich die Zufuhr von Nährstoffen und Ballaststoffen gemäß den Referenzwerten sicherstellen. Gleichzeitig werden eine unerwünscht hohe Zufuhr einzelner Nährstoffe oder unerwünschter Nahrungsinhaltsstoffe (wie Fett oder Cholesterin) verhindert.

    2.4.1 Fett- und Kohlenhydratzufuhr

    Die evidenzbasierten „Leitlinien für die Zufuhr von Kohlenhydraten und Fett in der Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten" der DGE (DGE 2011b, 2015) zeigen, dass die verschiedenen Fettsäuren , Kohlenhydrate und Ballaststoffe ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Entstehung ernährungsmitbedingter Krankheiten wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipoproteinämie, Hypertonie, koronare Herzkrankheit und Krebskrankheiten haben.

    Von Bedeutung ist (DGE 2011a), dass

    ein erhöhter Verzehr von langkettigen mehrfach ungesättigten n-3-Fettsäuren mit einem risikosenkenden Potenzial hinsichtlich koronarer Herzkrankheit und eventuell weiteren Krankheiten verbunden ist,

    ein Ersatz von gesättigten Fettsäuren durch mehrfach ungesättigte n-6- und n-3-Fettsäuren das Risiko für koronare Herzkrankheit senkt,

    ein gesteigerter Konsum zuckergesüßter Getränke (= kohlensäurehaltige Getränke wie Cola-Getränke und Limonaden sowie solche ohne Kohlensäure wie Fruchtsaftgetränke, -nektare und Eistee) zu einer Risikoerhöhung für Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 führt,

    vor allem Vollkornprodukte ein primärpräventives Potenzial in Bezug auf ernährungsmitbedingte Krankheiten haben.

    Eine Ballaststoffzufuhr in Höhe des Referenzwertes ist bei einer Restriktion der Kohlenhydratzufuhr, speziell bei einer geringen Zufuhr von Getreideprodukten, nicht zu erreichen. In kohlenhydratarmen Ernährungsformen kann zwar eine adäquate Ballaststoffzufuhr durch Obst und Gemüse (inklusive Hülsenfrüchte) erreicht werden, jedoch stammen hierbei die Ballaststoffe nur zu einem geringen Teil aus Getreide- bzw. Vollkornprodukten, die einen hohen Kohlenhydratanteil aufweisen und wegen ihres gesundheitsfördernden Potenzials zu einem Großteil der Gesamtballaststoffzufuhr beitragen sollen.

    Die DGE hält ein Unterschreiten des Richtwertes für Kohlenhydrate von >50 Energie% für vertretbar, wenn bei einer entsprechenden Kostform

    eine ausreichende Versorgung mit allen unentbehrlichen Nährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, bestimmte mehrfach ungesättigten Fettsäuren) sichergestellt ist,

    die Getreideballaststoffe wesentlichen Anteil an der Gesamtballaststoffzufuhr haben, wobei hauptsächlich Vollkornprodukte verzehrt werden sollen,

    es nicht zu einer gesteigerten Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und trans-Fettsäuren kommt (weniger als 1 % der Nahrungsenergie; DGE et al. 2015),

    der zusätzliche Proteinkonsum aus pflanzlichen Lebensmitteln stammt und nicht aus einem erhöhten Fleischverzehr, besonders nicht aus rotem Fleisch.

    Unter 23.531 Probanden der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition-Potsdam-Studie (EPIC-Potsdam-Studie) wurde die Assoziation zwischen der Einhaltung

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