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Intelligent Retail: Die Zukunft des stationären Einzelhandels
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Intelligent Retail: Die Zukunft des stationären Einzelhandels
eBook810 Seiten8 Stunden

Intelligent Retail: Die Zukunft des stationären Einzelhandels

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Über dieses E-Book

Dieses Buch zeigt dem stationären Einzelhandel einen Weg auf, wie er sich nach Corona neu erfinden kann, um gegen die starke Konkurrenz des Online-Handels bestehen zu können. Im Zentrum stehen die zentralen Themen, die den Handel der Zukunft prägen. So muss vor allem der stationäre Einzelhandel heute mit intelligenten Systemen datenbasiert arbeiten und Methoden übernehmen oder sogar übertreffen, die die großen Online-Marktplätze schon sehr lange und erfolgreich einsetzen. Diesbezüglich spielt auch künstliche Intelligenz im Einzelhandel eine große Rolle. Dabei geht es nicht bloß um Automatisierung und um die Übernahme von Tätigkeiten durch Roboter, sondern in eigentlich allen Handelsfunktionen auch darum, dass Instrumente und Maschinen in der Lage sind, selbst zu lernen und Schlüsse zu ziehen. Dieses wird immer schwieriger, denn unser Einkaufs- und Suchverhalten ändert sich fortwährend. Ein Kunde sollte deswegen im Geschäft intelligente Empfehlungen erhalten, die auch auf seinen bereits bekannten Interessen und Verhaltensmustern beruhen.   Gerrit Heinemann zeigt, wie intelligentes Handeln den stationären Einzelhandel in den Innenstädten und in Shopping-Centern retten kann.    Der Inhalt • Vom stationären Einzelhandel zum Intelligent Retail • Bedrohungen des stationären Einzelhandels • Basisvoraussetzungen und Erscheinungsformen des Intelligent Retail • Beispiele für intelligenten Einzelhandel der Zukunft • Risiken für Intelligent Retail

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum2. Aug. 2021
ISBN9783658343392
Intelligent Retail: Die Zukunft des stationären Einzelhandels

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    Buchvorschau

    Intelligent Retail - Gerrit Heinemann

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    G. HeinemannIntelligent Retailhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-34339-2_1

    1. Vom stationären Einzelhandel zum Intelligent Retail

    Gerrit Heinemann¹  

    (1)

    eWeb Research Center, Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, Deutschland

    Gerrit Heinemann

    Email: [email protected]

    Zusammenfassung

    Seit COVID-19 sind alle Zukunftsaussagen für den stationären Einzelhandel hinfällig geworden. Sämtliche Prognosen über die Strukturveränderungen des Handels werden schneller Wirklichkeit, als Experten das bislang vorherzusagen vermochten. Wie ein Brandbeschleuniger macht das Virus deutlich, dass nicht Subventionen den Einzelhandel retten können, sondern intelligentes Handeln. Ob der stationäre Handel überhaupt noch Chancen hat, beschäftigt derzeit die Gemüter. In jedem Fall verkörpern stationäre Betriebsformen die älteren Formate im Wheel of Retailing. Demgegenüber gelten E-Commerce und Online-Handel eher als Innovatoren.

    Seit COVID-19 sind alle Zukunftsaussagen für den stationären Einzelhandel hinfällig geworden. Sämtliche Prognosen über die Strukturveränderungen des Handels werden schneller Wirklichkeit, als Experten das bislang vorherzusagen vermochten. Wie ein Brandbeschleuniger macht das Virus deutlich, dass nicht Subventionen den Einzelhandel retten können, sondern intelligentes Handeln. Ob der stationäre Handel überhaupt noch Chancen hat, beschäftigt derzeit die Gemüter. In jedem Fall verkörpern stationäre Betriebsformen die älteren Formate im Wheel of Retailing. Demgegenüber gelten E-Commerce und Online-Handel eher als Innovatoren.

    1.1 Stand des stationären Einzelhandels im Wheel of Retailing

    Der Einzelhandel nimmt in Deutschland eine bedeutende Stellung ein und stellt mit rund 543 Mrd. EUR Nettoumsatz und 3,1 Mio. Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche dar. Unter Hinzurechnung der Mehrwertsteuer, die Endkunden im Einzelhandel zu entrichten haben, entfällt auf diesen mehr als ein Drittel des privaten Konsums in Deutschland (Statista EH, 2020; HDE Fakten, 2020) (vgl. Abb. 1.1). Der Einzelhandel stellt die Nahtstelle zwischen Produzent und Verbrauchern dar und unterlag schon immer stetigen Veränderungen. Den Wandel der Betriebsformen des Handels im Zeitablauf erklärt vor allem das Wheel of Retailing von Malcolm McNair aus dem Jahre 1931 als wissenschaftliches Konstrukt (McNair, 1931; Zentes et al., 2017). Demnach durchläuft jedes Format im Einzelhandel einen Lebenszyklus nach drei Phasen, nämlich Entstehung und Aufschwung, Trading-Up sowie Verfall und Rückzug. Dabei ändern sich die Preispolitik und sonstige Instrumente im Zeitablauf. Die Entstehungs- und Aufschwungphase zeichnet sich tendenziell durch eine aggressive Preispolitik aus, während in der Annäherungsphase andere Instrumente im Vordergrund stehen und ein sogenanntes Trading-Up erfolgt (Ahlert et al., 2009). Dahinter steht eine hochwertigere Positionierung mit vergrößertem Leistungsangebot. In der Verfalls- und Rückzugsphase dagegen drängen innovative und disruptive Betriebsformen mit aggressiver Preispolitik auf den Markt, die alte Betriebsformen verdrängen (Wirtschaftslexikon24.com Wheel, 2020). Im Wheel of Retailing sollte grundsätzlich der stationäre sowie der nichtstationäre Einzelhandel unterschieden werden. Betriebsformenübergreifend ist in den letzten Jahren festzustellen, dass der stationäre Handel bis auf wenige Ausnahmen seinen Zenit überschritten hat, während der nichtstationäre Handel nach wie vor stark wächst (Heinemann, 2021). Demnach prägen überwiegend Online-Formate die Entry-Phase, während sich Offline-Formate fast ausschließlich in der Trading-Up oder Vulnerability-Phase befinden (vgl. Abb. 1.2).

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    Abb. 1.1

    Einzelhandel in Deutschland 2019.

    (Quelle: eigene Darstellung auf Basis HDE Fakten, 2020; Statista EH, 2020)

    ../images/515529_1_De_1_Chapter/515529_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Wheel of Retailing.

    (Quelle: McNair, 1931; Zentes et al., 2017)

    Offline: stationärer Handel

    Stationärer Handel ist der Sammelbegriff für Betriebsformen des Einzelhandels, bei denen der Verkauf von Waren und Dienstleistungen in offenen Verkaufsstellen und an festen Standorten erfolgt. Dabei handelt es sich um Ladengeschäfte oder in sonstige standortspezifisch fixierte Einkaufsstätten (wie z. B. Kioske, Handel vom Lager, Automatenverkauf oder Tankstellenmärkt​e). Der stationäre Einzelhandel umfasst alle Handelsbetriebe, die an einem festen Standort über eingerichtete Verkaufsräume verfügen. Kunden suchen diese auf, um einzukaufen und damit an die Ware zu gelangen (Holprinzip) (vgl. Abb. 1.3). Es handelt sich um den Ladenverkauf an Endverbraucher auf einer dafür ausgewiesenen Verkaufsfläche, der vom stationären Vertrieb an Einzelhändler und sonstige gewerbliche Abnehmer (Großhandel) abzugrenzen ist (Wikipedia Verkaufsfläche, 2021). Die Verkaufsfläche ist nur der Teil der Verkaufsstätte, in dem regelmäßig der Verkauf stattfindet. Im engeren Sinne zählen zu ihr nur die Flächen, auf denen die Waren präsentiert werden und die Kunden direkten Zugriff auf die Waren haben (Standflächen für Warenträger, Konsumbereiche usw.). Hinzugerechnet wird die Kassenzone, wo im rechtlichen Sinne die Kaufhandlung stattfindet. Bereiche, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Anbahnung von Kaufverträgen stehen (Flächen für Einkaufswagen, Flächen jenseits der Kassenzonen wie Ein- und Ausgänge, Einpackzonen, Schaufenster usw.) werden gewöhnlich nicht zur Verkaufsfläche gezählt. Im weiteren Sinne – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Fragen der Auslegung öffentlichen Rechts vom 24. November 2005 – kann auch der einer Verkaufsstätte angehörende Bereich hinter den Kassen zur Verkaufsfläche gezählt werden, was weitreichende Konsequenzen für den stationären Einzelhandel hat, denn die Größe der Verkaufsfläche ist ein entscheidendes Kriterium für die Zulässigkeit und Ausgestaltung von Verkaufsstellen (Wikipedia Verkaufsfläche, 2021). Diese sind von Showrooms bzw. Ausstellungsräumen abzugrenzen, in denen gewöhnlich kein Verkauf und keine Mitnahme von Ware erfolgen (Wikipedia Ausstellungsraum, 2021). Inwieweit Showrooms dem stationären Handel zuzuordnen sind oder lediglich Touchpoints auch von nichtstationären Händlern darstellen, ist eine gemeinhin immer noch ungeklärte Frage, die auch im Rahmen des App-basierten Einkaufs zu klären ist (Heinemann App, 2018).

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    Abb. 1.3

    Hol- und Bringprinzipien im Einzelhandel.

    (Quelle: Steinmüller, 2021)

    Zweifelsohne gelten im stationären Handel die Warenhäuser mit ihrer über 150 Jahre alten Tradition als „Dinosaurier. Eigentlich ist schon lange klar, dass diese zum Sterben verurteilt sind. Bei allen sicherlich ernst gemeinten Bekundungen für eine strategische Neuausrichtung wird auch das letzte verbleibende Warenhausunternehmen Karstadt-Kaufhof letztendlich gegenüber den Online-Händlern und Category-Killern immer in der Defensive bleiben. Im Grunde wiederholen sich seit 30 Jahren mehr oder weniger die Konzeptansätze und eigentlich reagierten die Warenhausbetreiber immer nur mit neuen Kosteneinsparungen, wodurch bisher neben dem Zentraleinkauf auch die Controlling-Funktionen (Zentral-, Einkaufs-, Personal-, Filial-Controlling etc.) an Dominanz gewannen. Was blieb, war letztlich die eher passive Strategie des Kostenabbaus in den einzelnen Warenhäusern vor Ort, zu der das überdimensionierte Geschäftssystem in der Zentrale beitrug. Bis auf eine Karstadt-Neueröffnung 2018 in den Gropius-Passagen in Berlin, die aber wegen einer anderen Berliner Karstadt-Schließung eher als Relokation zu verstehen war, wurden seit Jahren keine neuen Warenhäuser mehr eröffnet. Jeder Handelsmanager weiß ganz genau, dass jedes Format, das nicht mehr multiplizierbar ist, am Ende des Lebenszyklus („Wheel of Retailing) angekommen ist.

    Wesentliches Merkmal des stationären Einzelhandels ist, dass dieser bisher unabhängig von Datenverarbeitungsanlagen und, allenfalls indirekt mit dieser gekoppelt, dezentral arbeiten konnte. In seiner klassischen Form ist er nicht an das Datennetz bzw. Internet angeschlossen. Deswegen wird der stationäre Handel in Abgrenzung zum Online-Handel auch zunehmend als Offline-Handel bezeichnet (Wikipedia Offline 2021). Das gehört aber der Vergangenheit an und ist wesentlicher Beweggrund für dieses Buch.

    Online: nicht-stationärer Handel

    Im Gegensatz zum Offline- oder stationären Handel bezeichnet Online immer auch, in direkter Verbindung mit der Datenverarbeitungsanlage zu arbeiten und mit dieser direkt gekoppelt zu sein (Wikipedia Online, 2021). Online-Handel ist damit stets ans Datennetz bzw. Internet angeschlossen und verbringt die Ware über Paket- oder Botendienste zum Kunden (Bringprinzip) (vgl. Abb. 1.3). Er macht heute den größten Teil des nicht-stationären Handels aus, der auch andere Offline-Betriebsformen umschreibt, die im Wesentlichen auf den Verkauf ohne Filialen mit festem Standort ausgerichtet sind (Enzyklo.de, 2021). Dazu zählen zum Beispiel der Haustürverkauf, das Teleshopping sowie der katalogbasierte Versandhandel. Da viele Handelsunternehmen sowohl im stationären als auch im nicht-stationären Geschäft tätig sind, spielt für ihre Zuordnung das Schwerpunktprinzip eine entscheidende Rolle. Demnach wird der stationäre Handel ausschließlich oder überwiegend von einem festen Platz aus organisiert (Handelswissen Stationärer Handel, 2016), während der Standort im Online-Handel allenfalls für das Zentrallager von Bedeutung ist (Heinemann, 2021). Dieser beinhaltet innerhalb des Bring-Prinzips mehrere Varianten – je nachdem, wie kurz oder lang die Distanzen bis zum Paket- oder Botendienst sind. So ermöglichen Zentralläger überwiegend eine Belieferung am nächsten Tag, während Vor-Ort-Läger bereits Sofortbelieferungen (Instant Delivery) oder Zustellungen am gleichen Tag (Same Day Delivery) ermöglichen. Gleiches gilt für den Fall, dass ein stationärer Händler im Multi-Channel-Ansatz auch online verkauft und seine Kunden vom Ladengeschäft aus beliefert (vgl. Abb. 1.3). Insgesamt gilt für den Online-Handel, dass die massenhafte Verlagerung sozialer Beziehungen ins Netz sowie die weiter stark zunehmende Nutzung des „World Wide Web" als Informationsmedium auch die Umsätze im E-Commerce weiterhin rasant ansteigen lassen. Bereits heute macht der Online-Handel in Deutschland 13,3 % aus und liegt weltweit bereits bei rund 17,5 %, bezogen auf Non-Food sogar bei über 30 % (eMarketer, 2020; bevh, 2021; HDE Prognose, 2020; ECC Club, 2021). Dieser Wert berücksichtigt nicht die hybriden Verkaufszahlen. Diese kommen in erster Linie durch die Vorbereitung stationärer Einkäufe im Internet zustande und erreichen mindestens ein Drittel der Einzelhandelsumsätze (Zukunftdeseinkaufens, 2018). Demnach werden auf kurz oder lang mehr als 50 % der Non-Food-Einzelhandelsumsätze webbasiert erfolgen, davon mindestens vier Fünftel als reine Online-Umsätze. Der Online-Handel wird damit dem klassischen Einzelhandel in den nächsten Jahren immer mehr und immer schneller Umsätze wegnehmen (HDE Online Monitor, 2020; t3n Online-Umsätze, 2019). Dabei übernimmt der Online-Handel auch immer mehr die Versorgungsfunktion in kleineren und mittelgroßen Städten oder auf dem Lande. Stationärer Handel wird damit in Zukunft voraussichtlich überwiegend an attraktiven Standorten in größeren Städten stattfinden. Den Rest übernimmt zunehmend der Online-Handel (IFH Köln NRW, 2019).

    1.2 Online versus Offline und Food versus Non-Food

    Auch weltweit entwickeln sich die Online-Handelsumsätze nach wie vor rasant und stiegen in 2020 gegenüber dem Vorjahr um 18,4 % auf 4,10 Trillionen US$ (eMarketer, 2019, 2020) (vgl. Abb. 1.4). Angesichts des derzeitigen digitalen Hypes und des hohen Wettbewerbsdrucks kommen immer wieder Fragen auf, wann das Ende des Online-Booms erreicht sei. Offensichtlich stehen wir aber erst am Anfang der digitalen Revolution, denn nur rund ein Drittel der Einzelhändler und nicht einmal 2 % der produzierenden Unternehmen bzw. Großhändler in Deutschland verkaufen auch direkt online. Vor allem die Corona-Krise gibt dem Online-Handel noch einmal erheblichen Schub. Insofern ist im Online-Handel das Ende des Online-Booms noch lange nicht in Sicht (Heinemann OH, 2021).

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    Abb. 1.4

    Global retail sales in trillions of USD.

    (Quelle: eMarketer, 2020)

    Die Entwicklung des Einzelhandels in Richtung „Online versus Offline" stellt sich je nach Warengruppe sehr unterschiedlich dar. Grundsätzlich hinkt der Lebensmitteleinzelhandel hinter der Online-Entwicklung hinterher, auch wenn die Corona-Krise dem Thema E-Food einen kräftigen Schub gegeben hat. Immer noch befürchtet seit Jahren der deutsche Lebensmittelhandel vergeblich, dass Amazon es nach seinen bisherigen Anläufen schaffen wird, auch den Handel mit Fleisch, Obst und Gemüse umzukrempeln. Der Internetriese konnte in der Lebensmittelbranche bisher kaum Fuß fassen. Nunmehr wurde Amazon Fresh im Rahmen neuer Logistikstrukturen mit dem übrigen Amazon-Geschäft stärker verzahnt, um damit einen erneuten Versuch zu starten. Obwohl allerdings das neue Amazon Fresh stärker integriert wurde und damit schneller werden soll, wird Amazon auch weiterhin an PrimeNow festhalten (Amazon Fresh Exciting, 2020). Ohne Zweifel geht es um einen riesigen Markt, denn mehr als 200 Mrd. EUR gaben die Bundesbürger 2020 ohne Mehrwertsteuer (netto) für Food aus, davon gut 180 Mrd. im institutionellen Lebensmitteleinzelhandel (vgl. Abb. 1.5). Doch während sich die Online-Händler bei Büchern oder bei Bekleidung längst ein großes Stück des Kuchens gesichert haben, spielt der E-Commerce im Lebensmitteleinzelhandel trotz Corona immer noch kaum eine systemrelevante Rolle. Nur rund 1,2 % der LEH-Umsätze entfallen auf das Internet. Ohne Zweifel ist der Online-Handel mit Lebensmitteln ein Wachstumsmarkt (bevh, 2020), aber die Möglichkeiten sind hier immer noch begrenzt. Zwar wurden in 2020 für 2,5 Mrd. EUR netto Lebensmittel per Mausklick gekauft und Corona war ohne Frage ein Katalysator für den Online-Handel mit Lebensmitteln. Allerdings bleibt Online – zumindest in Deutschland – auf absehbare Zeit überwiegend ein Non-Food-Thema (SZ Interview GH, 2020).

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    Abb. 1.5

    Warengruppenstruktur des deutschen Einzelhandels.

    (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an HDE Fakten, 2020; Factbook Einzelhandel, 2019)

    Der Lebensmittelversand wird die Supermärkte keinesfalls verdrängen, sondern vorerst eine Nische bleiben. Bei Frischeprodukten ist es einfach ein enormer logistischer Aufwand, die Kühlkette bis zur Haustüre aufrechtzuerhalten. Und der Kunde muss auch zu Hause sein, wenn die Ware eintrifft. Die Lieferdienste können den Käse im Sommer ja nicht ungekühlt vor die Türe stellen oder dem Nachbar geben, in dessen Kühlschrank womöglich auch kein Platz dafür ist. Berufstätige im Homeoffice könnten sicherlich potenzielle Kunden sein, aber nicht die breite Masse. Die meisten Unternehmen beliefern aufgrund dieser Herausforderungen ohnehin nur große Städte, um die Transportwege möglichst kurz zu halten. Insofern ist E-Food insgesamt ein sehr urbanes Angebot, das die Landbevölkerung klar benachteiligt (SZ Interview GH, 2020). Auch der Versand haltbarer Lebensmittel ist nur bedingt rentabel. Die Gewinnmargen in der Lebensmittelbranche sind schon ohne die Versandkosten relativ gering. Viele Kunden sind zudem nicht bereit, entsprechend höhere Preise zu bezahlen. Die Deutschen kaufen Lebensmittel extrem preisorientiert. Es ist kein Zufall, dass hierzulande mit ALDI und Lidl der Lebensmitteldiscount erfunden wurde. Es entstehen mittlerweile zwar auch hochwertigere Supermärkte von Edeka oder Rewe, aber das ist bislang nur eine Ergänzung. Der Großteil der Grundnahrungsmittel wird nach wie vor bei Discountern gekauft.

    Zweifelsohne sind Lieferdienste in anderen Ländern etablierter. Während den Zahlen nach im Jahr 2020 in Deutschland rund 1,2 % der Umsätze im Lebensmittelhandel online erzielt wurden, kamen demgegenüber Frankreich und Großbritannien auf mehr als 6 % (bevh, 2020). Andererseits hat kein anderes Land ein so dichtes Netz an Supermärkten wie Deutschland. Die Einkaufsmöglichkeiten sind flächendeckend verteilt, auch in ländlichen Regionen. Das ist zum Beispiel in Frankreich anders. Und in Großbritannien sind die Kunden seit jeher online-affiner als hierzulande. Daher wäre es überraschend, wenn sich das bei den Lebensmitteln schnell umdrehen würde. Dennoch wird der Online-Handel mit Food auch hierzulande weiter zunehmen, aber nicht dominieren. 10 % Marktanteil dürfte das Maximum in den kommenden zehn Jahren sein. Das wäre dann schon ein gigantisches Volumen von rund 20 Mrd. EUR. Dabei liegen zweifelsohne ein paar Lieferdienste gut im Rennen, aber es gibt hierzulande nicht so viele Verbraucher, die bereit sind, einen Aufpreis dafür zu bezahlen, dass Milch, Joghurt und Brot ins Haus gebracht werden. Das mag bei Non-Food funktionieren, aber nicht bei Lebensmitteln. Dort ist die Marge aufgrund des starken Preiswettbewerbs bereits so stark ausgereizt, dass eine Belieferung ohne Aufschlag in der Mehrzahl der Fälle nicht wirtschaftlich zu betreiben ist. Im LEH liegt der durchschnittliche Einkauf bei etwas über zwölf Euro. Einen hohen Mindestbestellwert würden nur wenige Kunden akzeptieren und diese Klientel nimmt zwar zu, aber auf relativ niedrigem Niveau (SZ Interview GH 2020). Wie aus Abb. 1.5 sowie Abb. 2.​13 hervorgeht, sind andere FMCG-Warengruppen weiter. So kommt die Warengruppe Drogerie, Kosmetik und Parfümerie auf fast 3 Mrd. EUR Online-Umsatz und damit 9,3 % Online-Anteil. Tierbedarf übertrifft sogar die 23 %-Marke und trägt mit dazu bei, dass FMCG insgesamt auf 6,7 Mrd. EUR Erlöse online kommt. Aber auch das sind „nur" 2,7 % Online-Anteil und verglichen mit Non-Food ein Bruchteil.

    Wer Lebensmittel verkauft, hat häufig auch Non-Food-Artikel im Sortiment und setzt darauf, dass die Kunden – sind sie einmal auf der Internetseite – auch andere Waren kaufen. Bevor es allerdings an der Kundenfront in die Offensive geht, muss eine lebensmittelgerechte Logistik aufgebaut sein. Das kostet Milliarden und dauert Jahre, denn die Wege bis zu den Haustüren der Kunden sind lang. Spezialanbieter etwa für Wein oder ungekühlte Delikatessen setzen ihre Waren nach eigenem Bekunden sehr erfolgreich über das Internet ab. Sobald der Online-Händler frische, kühlbedürftige Ware verkauft, hat er als solcher ein logistisches Problem: Er muss sicherstellen, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird, und er muss dafür sorgen, dass er den Besteller antrifft. Denn kein Nachbar wird solch sensible Ware annehmen und in seinem Kühlschrank zwischenlagern. Bei Wein und ausgesuchten Delikatessen ist das anders. Hinzu kommt: Bei diesen Produkten sind die Bestellwerte sehr viel größer als bei Artikeln des täglichen Bedarfs. Die Grenze von 100 € wird hier schnell überschritten. Und die Besteller sind häufig nicht sonderlich preissensibel (SZ 21. Februar 2014; LZ Interview 28. Februar 2014; SZ Interview GH 2020). Dennoch trauen viele Branchenkenner Amazon auch nach drei Jahren „Trial und Error" immer noch zu, das zu ändern, und zwar zulasten der Platzhirsche Edeka, Rewe oder Aldi. Ein leichtes Spiel dürfte die Eroberung des Lebensmittelmarktes aber auch für Amazon nicht werden. So haben die Non-Food-Online-Händler anfangs den stationären Händlern die Kunden immer mithilfe niedrigerer Preise abspenstig gemacht. Im Lebensmittelhandel dürfte das so nicht funktionieren, da dort schon heute ein starker Preiswettbewerb herrscht. Wer das im Internet toppen wollte, wird damit höchstwahrscheinlich massenhaft Geld verbrennen (Die Welt, 2016; Heinemann OH, 2020). Vor allem die Preissensibilität der Kunden sowie die hohe Dichte an Supermärkten und Discountern machen den Online-Lebensmittelhändlern bisher in Deutschland das Leben schwer. Und mehr als drei Viertel der Verbraucher sind mit den Supermärkten in ihrer Nachbarschaft zufrieden und sehen deshalb bislang wenig Sinn darin, Lebensmittel online einzukaufen (ebd.). Die hohen Liefergebühren und Mindestbestellmengen der Lieferdienste stoßen bei ihnen auf wenig Verständnis. Demgegenüber müsste das schon ein 100 Euro-Mindestvolumen sein, um das Geschäft einigermaßen wirtschaftlich darzustellen. Branchenkenner trauen deswegen dem Newcomer Picnic mit seinem Milchmannprinzip am ehesten zu, einen Ausweg aus diesem doppelten Dilemma zu finden, und zwar wegen der gebührenfreien Zustellung sowie des geringen Mindestbestellwerts in Höhe von 35 €. Dennoch bleibt Rewe kontinuierlich dran, den Kölner Handelsriesen für die Stunde X vorzubereiten, und bietet mittlerweile in rund 75 Städten die Möglichkeit zum Online-Einkauf von Lebensmitteln. Damit sind die Kölner Vorreiter unter den etablierten Supermarktketten in Deutschland. Zweifelsohne wird der Online-Handel mit Lebensmitteln in Zukunft an Bedeutung gewinnen, allerdings dürfte er wohl nie die Bedeutung bekommen wie bei Elektronikartikeln oder Büchern. Dieses liegt auch in folgender Schizophrenie begründet: Dort, wo er den größten Mehrwert bieten würde – auf dem Land –, kann er nicht funktionieren, weil dort die Logistikkosten explodieren. In den Ballungsgebieten jedoch, wo er sich rechnen könnte, wie zum Beispiel in Berlin, gibt es an jeder Ecke einen Supermarkt.

    1.3 Stationärer Einzelhandel vor, während und nach Corona

    Hat der stationäre Handel in Deutschland angesichts der rasanten Entwicklung des Online-Handels überhaupt noch eine Zukunft? Diese Frage beschäftigt derzeit wie kaum eine andere die Handelsexperten und E-Commerce-Forscher. Zunächst aber dürfen wir nicht pauschal über den Handel sprechen. Sieger der Pandemie ist zweifelsohne der Online-Handel. Aber auch der Lebensmitteleinzelhandel inklusive Drogeriebedarf bewegte sich 2020 im deutlichen Plus. Die Baumärkte zählen ebenso zu den Gewinnern. Sie verzeichneten im ersten Corona-Jahr zweistellige Zuwachsraten und tragen mit dazu bei, dass der gesamte Einzelhandel in 2020 sogar zulegen konnte. Ein riesengroßes Problem hat dagegen der innerstädtische Non-Food-Handel, der für rund ein Fünftel des Einzelhandels steht, und dabei insbesondere Parfümerien, Lederwaren, Accessoires sowie vor allem Bekleidung. Hier hat schon der erste Shutdown von März bis Mai 2020 zu nicht aufholbaren Umsatzverlusten geführt (HDE Prognose, 2020). Hinzu kam die Lieferkettenproblematik in der Bekleidungsbranche: Die Lieferungen aus China blieben zum Saisonstart aus und seitdem ist die Warenwirtschaft für Bekleidung praktisch nicht mehr planbar. Viele Händler konnten die Orders für die nachfolgenden Saisons noch stornieren, dadurch fehlte vielfach dann aber neue Ware (TW, 2020). Entsprechend dem „Standortmonitor 2021" des HDE haben die stationären Non-Food-Händler im ersten Halbjahr 2020 insgesamt nominal deutlich verloren, während der Online-Handel im gleichen Zeitraum enorm zulegen konnte (HDE Standortmonitor, 2021). Vor allem die stark rückläufige Einkaufsfrequenz war dabei für den stationären Handel die größte Herausforderung; diese hat sich aber auch in den vergangenen sechs Jahren bereits stark zurück entwickelt (Handelsblatt Lockdown, 2020).

    Insbesondere im Vergleich zum Online-Handel ist nicht zu leugnen, dass die Zeiten für den stationären Handel schwierig oder zumindest schwieriger geworden sind: Stationäre Händler kämpfen immer häufiger mit einer rückläufigen Anzahl von Kunden und stagnierenden Umsätzen. Wie Abb. 1.6 zeigt, liegen die Online-Wachstumsraten seit Jahren deutlich über den nominalen Zuwachsraten des stationären Einzelhandels (bevh, 2021; HDE Fakten, 2020; HDE, 2021; ECC Club, 2021). Der Entwicklung des Einzelhandels in Richtung „Online versus Offline" steht allerdings eine Expansion der Verkaufsflächen gegenüber, die den stationären Handel physisch verkörpern. Trotz der enormen Marktanteilsgewinne des Online-Handels sind die Einzelhandelsflächen eher noch gewachsen (Statista EH-Fläche, 2021). So stieg die Gesamtfläche aller Verkaufsräume zwischen 1970 und 2019 von 39 auf 125,1 Mio. Quadratmeter an und wuchs selbst zwischen 2000 und 2010 in der ersten Online-Boom-Phase noch um 11,5 %. Die Flächenstatistik mit den jahresspezifischen Zahlen ist in Abb. 1.7 dargestellt.

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    Abb. 1.6

    Nettoumsätze des Einzelhandels in Deutschland.

    (Quelle: bevh, 2021; HDE Fakten, 2020; HDE, 2021; ECC Club, 2021)

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    Abb. 1.7

    Verkaufsflächenentwicklung des stationären Einzelhandels in Deutschland.

    (Quelle: Ahrens, 2020; Statista EH-Fläche, 2021)

    Hinter der Verkaufsflächenentwicklung verbergen sich allerdings erhebliche Strukturverschiebungen. Insbesondere die Tendenz zu größeren Filialen im Lebensmittelhandel führte bisher zu einer Flächenausweitung, wodurch zum Teil erhebliche Flächenrückgänge im Non-Food-Handel kompensiert wurden. Auch die anhaltende Neuentwicklung von Flächen in Einkaufs- und Fachmarktzentren, die ungebrochene Nachfrage von ausländischen Einzelhändlern, die Großflächenexpansion im Möbel- und Baumarktbereich, die weiterhin starke Expansion der Drogeriemärkte sowie die Entwicklung der Shoppingcenter befeuerten das Flächenwachstum. Allein die Flächen der Einkaufszentren sind hierzulande in den letzten zehn Jahren noch einmal um mindestens ein Fünftel gewachsen (GfK, 2015; Statista SC, 2019), stagnieren allerdings seit 2016.

    Mit rund 1,45 Quadratmetern Verkaufsfläche pro Kopf liegt Deutschland auf Platz sechs hinter Belgien mit 1,66, Österreich mit 1,62, den Niederlanden mit 1,6 Quadratmetern, der Schweiz mit 1,5 sowie Luxemburg mit 1,47 Quadratmetern (Statista EW, 2019). Dementsprechend prognostizieren Experten, dass in Europa im Jahr 2030 noch 510 bis 550 Mio. Quadratmeter Einzelhandelsflächen vorhanden sein werden, was einer Reduktion von rund 10 % entspricht. Dieser Rückgang dürfte bei der relativ hohen Verkaufsflächenpenetration in Deutschland noch höher ausfallen (Haufe, 2016). Von dieser Entwicklung dürften besonders Fachmarktzentren und Discounter an nicht integrierten Lagen betroffen sein. Lediglich Pop-up Stores und Lebensmittelvollsortimenter werden möglicherweise expandieren können. Vor allem ländliche Räume werden zunehmend unter Druck geraten, während Oberzentren stabil bleiben. Ihre Ausprägung wird sich jedoch weg vom innerstädtischen Marktplatz hin zum Kristallisationspunkt des urbanen Lebens verändern, wobei die Rolle des Einzelhandels für die Stadt eine völlig andere sein wird (Haufe Catella, 2016; RP Interview GH, 2020).

    Wie es jetzt allerdings mit und nach Corona weitergeht, lässt sich nur erahnen. Der stationäre Einzelhandel jedenfalls rechnet vor allem in den Innenstädten mit dramatischen Folgen. Das zeigen Umfragen unter der Händlern, die der HDE im Dezember 2020 und Anfang 2021 durchführte. Demnach lag das durchschnittliche Umsatzminus in den Innenstädten am dritten Adventswochenende bei fast 20 %, der Kundenfrequenzrückgang bei nahezu 30 %. Die Umsätze und Kundenzahl erreichten in 2020 bei weitem nicht das Niveau des Vorjahres, sodass das Weihnachtsgeschäft für die meisten Innenstadthändler verloren war. Rund 55 % der Innenstadthändler sahen per Mitte Dezember 2020 aktuell ihre Existenz bedroht, im Bekleidungshandel waren es sogar 65 %. Rund 80 % der Händler gehen davon aus, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen nicht zur Existenzsicherung reichen. Über 60 % der Einzelhandelsunternehmen in den Innenstädten stehen nach den Umfragen ohne weitere staatliche Hilfen vor dem Aus (Handelsblatt Lockdown 2020; SAZSport 2021). Dementsprechend zeigt der Standortmonitor 2021 des HDE eine deutliche Verschiebung im Handel auf. Bei stark rückläufiger Einkaufsfrequenz in stationären Geschäften wird deswegen vermehrt auf Multi-Channel-Lösungen gesetzt. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre von Offline hin zu Online beschleunigt fort und wird wohl auch nach der Corona-Krise anhalten (Handelsblatt Lockdown, 2020; HDE Standortmonitor, 2021).

    1.4 Strukturen und Größenklassen des stationären Einzelhandels

    Die Entwicklung des stationären Handels ist differenziert zu betrachten und unterscheidet sich deutlich nach Größe und Konzentrationsgrad. Tendenziell sind die Voraussetzungen größerer Handelsketten bzw. Filialisten besser zu betrachten als die kleiner und lokaler Händler. Insbesondere im lokalen Handel besteht enormer Nachholbedarf, da hier häufig schon die Basisanforderungen an einen professionellen Geschäftsbetrieb nicht erfüllt sind (DHL 250k NO, 2020). Diese sind in der Regel vollumfänglich bei allen großen, national tätigen Filialisten gegeben. Während 49 % aller Händler ausschließlich stationär verkaufen, rüsten in dem Zusammenhang zumindest die großen Filialisten in Deutschland digital weiter auf und bieten ihren Kunden auf den Websites mehr Komfort durch Anzeige der Warenverfügbarkeit im nächstgelegenem Geschäft (ibi Handelsstudie, 2020). Vor allem im Zuge des zweiten Shutdowns erlebte „Click and Collect einen regelrechten Boom, da der Online-Verkauf für Selbstabholer in den meisten Bundesländern erlaubt war. Die Parfümeriekette Douglas warb z. B. mit dem Slogan „Trotz Lockdown: Abholen in der Filiale auf ihrer Homepage. Auch Galeria Karstadt Kaufhof versprach „Weihnachtsgeschenke bis zum Schluss". Beide Händler boten ihren Kunden an, noch kurzfristig Ware online zu reservieren und dann kontaktlos an den Abholstationen in den Filialen entgegenzunehmen. Auch etliche Baumärkte nutzten dieses Konzept, um vor Weihnachten noch etwas Umsatz machen zu können (ZDF CC, 2020).

    Doch als Antwort auf Amazon & Co. dürfte das bei Weitem nicht ausreichen und auch einige der bereitgestellten Funktionen sind noch deutlich verbesserbar. Artikelverfügbarkeiten im Geschäft werden oft nur dann angezeigt, wenn vorher ein Standort ausgewählt wurde. Auch das Reserve & Collect wird von vielen Anbietern nicht in den Vordergrund gestellt. Die Funktionen sind daher oft schwer auffindbar. Insofern haben auch die großen Händler in Sachen Produktverfügbarkeit und beim Thema Click & Collect noch viel Luft nach oben. Kleine und mittelgroße Unternehmen sollten sich von den großen Filialisten im Einzelhandel nicht abschrecken lassen, sondern von ihnen lernen, um nicht den Anschluss verlieren. Sie müssen ihr Sortiment im Internet und vor allem auf Mobiles sichtbar machen. Dies erfordert nicht unbedingt einen eigenen Online-Shop. Das Anbieten und Darstellen der Produkte auf reichweitenstarken Plattformen wie Instagram z. B. kann wesentlich effizienter sein. Hier lassen sich digitale Warenwirtschaftssysteme und moderne Kassensysteme ohne großen Aufwand nutzen. Die Auffindbarkeit im Netz ist zweifelsohne überlebenswichtig, um für die Kunden sichtbar zu sein (RP Interview GH, 2020). Das geht beispielsweise über einen Instagram-Account, indem man seine Telefonnummer überall dort präsentiert, wo man sie zeigen kann, indem man Tag und Nacht erreichbar ist, alle sozialen Kanäle nutzt und selbst ausliefert. Im ersten Shutdown haben Händler es mit so einer Strategie geschafft, einen Großteil ihrer stationären Umsatzausfälle zu kompensieren. Und dabei ist wichtig zu sagen: Diese Umsätze hätten sie mit einem eigenen Online-Shop oder auf Marktplätzen wie Amazon und eBay so nicht erwirtschaftet. Dazu braucht es auch keine Initiative, die den Händlern stundenlang erklärt, wie das geht. Gefragt ist Eigeninitiative, wie es die „Händler machen mobil" vormachten (Rheinische Post HMM, 2020).

    Mit der digitalen Adoption und Transformation wird sich im stationären Handel höchstwahrscheinlich die Spreu vom Weizen trennen. Die Digitalisierung wird dementsprechend über die weitere Konzentration und Konsolidierung im Handel wesentlich mitentscheiden. Bereits heute ist die Konzentration im stationären Einzelhandel überdurchschnittlich hoch. Im Lebensmitteleinzelhandel kommen die fünf größten Anbieter bereits auf mehr als 75 % Marktanteil (Handelsblatt Real, 2020). In etlichen Non-Food-Branchen erreichen die stationären Marktführer alleine jeweils bereits deutlich mehr als 20 %, so wie MediaMarkt-Saturn bei Electronics oder Douglas bei Parfümerien. Die Konzentration wird zukünftig zunehmend von einer Konsolidierung begleitet, denn hoch entwickelte Einzelhandelsmärkte mit einer hohen Verkaufsflächenzahl pro Einwohner und zugleich einer relativ geringen Flächenproduktivität bergen ein hohes Risiko für Schrumpfungsprozesse. Bedroht sind dabei vor allem lokale Händler, die immer noch 94 % aller Handelsbetriebe ausmachen. Wie Abb. 1.8 zeigt, machen diese allerdings nur noch rund ein Fünftel der Einzelhandelsumsätze aus (ZDF, 2020). Die Branche liegt per Ende 2020 bereits völlig am Boden und muss sich komplett neu erfinden. Der Textil- und Bekleidungseinzelhandel hatte allerdings schon vor Corona immense Probleme. Selbst große Ketten mussten ins Schutzschirmverfahren gehen. Und durch den Shutdown im März sind von jetzt auf gleich viele klassische Multi-Label-Bekleidungshändler zum Sanierungsfall geworden. Die Unternehmensberatung Hachmeister und Partner prognostizierte schon im April 2020, dass die Branche im Best-Case-Szenario ein Umsatzminus von 28,5 % erziele. Es wurden in 2020 dann zwar „nur" Minus 24,6 %, allerdings im stationären Fashion-Handel rund 30 % Minus. Das große Problem der Branche sind die extremen Warenrisiken der Händler, die durch die Preorders verursacht werden. Saisonware muss sechs Monate im Voraus bestellt werden. Danach ist der Point of No Return erreicht, dann kommt die Ware, liegt auf dem Lager, muss finanziert werden. Wenn Händler dann nichts verkaufen können, müssen sie zusperren. Um ihre Liquidität zu schonen, haben die Händler während des ersten Shutdowns nicht nur ihre Mietzahlungen ausgesetzt – was übrigens Marktstudien zufolge 78 % der Händler gemacht haben – und ihre Mitarbeiter sofort auf Kurzarbeit gesetzt, sondern auch die Vorbestellungen für die Herbst-/Winter-Saison storniert. Dadurch kommen jetzt natürlich auch die Lieferanten in Schwierigkeiten, weil sie ihre Ware nicht loswerden und außerdem auch noch auf die Zahlungen ihrer Händler warten. Diese Spirale nach unten wird sich so durch das komplette Jahr 2021 ziehen und Auswirkungen auf die folgenden Jahre haben. Dadurch, dass die Regierung Maßnahmen fallzahlenbezogen trifft, ist das kommende Jahr kaum noch planbar. Viele Händler wissen nicht mehr, was und wie viel sie ordern sollen. Die einzige Lösungsmöglichkeit – und das ist auch ein Appell an die Branche – besteht darin, das System der Preorders abzuschaffen und die Branche nach Vorbild der vertikalen Handelskonzerne wie u. a. Inditex/Zara neu aufzustellen (Internetworld Interview GH, 2021).

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    Abb. 1.8

    Strukturen des stationären Einzelhandels.

    (Quelle: eigene Darstellung auf Basis ZDF, 2020; HDE, 2020)

    1.5 Standortentwicklung Innenstadt versus Shoppingcenter

    Bis heute stellt der stationäre Einzelhandel eine zentrale Funktion der Innenstadt dar, die sich allerdings immer mehr wandelt. Dementsprechend ändern sich sowohl die Stabilität als auch die Qualität der innerstädtischen Einzelhandelslagen zunehmend. Diese Entwicklung wird nicht nur durch den Online-Handel verursacht, sondern wurde bereits mit dem Niedergang der Warenhäuser, die lange Zeit als Magneten für die Innenstadt galten, maßgeblich eingeleitet (Heinemann, 2010). So hat sich die Zahl der Warenhausstandorte in den letzten 25 Jahren mehr als halbiert. Dementsprechend haben die Warenhäuser von 1999 bis 2019 rund 42,5 % ihres realen Umsatzes eingebüßt. Der stationäre Einzelhandel hingegen hat seine realen Umsätze um 11,2 % steigern können, während der Versand- und Online-Handel wiederum seine Umsätze mehr als verdoppelt hat (Statistisches Bundesamt WH, 2020).

    Auch der Umsatz der Flagshipstores („Weltstadthäuser) wie das KaDeWe, in dem sich die neuen Eigentümer gerne tummeln, dürfte heute deutlich unter den Zahlen vergangener Jahre liegen. Und auch die Versuche, einzelne Warenhausabteilungen als „Stand-alone-Fachgeschäfte zu multiplizieren, sind aufgrund der fehlenden Sortimentstiefe kläglich gescheitert. Eindeutige Gewinner unter den Betriebsformen des Handels sind neben den preisaggressiven Discountern der herstellereigene Einzelhandel – eigene Geschäfte von Adidas, Nike, Puma, Boss & Co. – sowie der Online-Handel. Und vor allem die schnellen Vertikalen, die auch in Zukunft weiter überproportional wachsen dürften: H&M und IKEA haben mit ihren vertikalen Strukturen und einer zunehmenden Nutzung von „Click & Mortar nicht nur in ihren spezifischen Warensegmenten, sondern – mit jeweils rund vier Milliarden Euro Umsatz – auch von ihrer Umsatzbedeutung her die beiden „Warenhausdinosaurier in Deutschland annähernd überholt. Inzwischen gibt es kaum noch ein Geschäftsfeld, das nicht von den „Category Killern besetzt wird. Derartige Filialisten wie u. a. Deichmann (Schuhe), MediaMarkt-Saturn (Elektronik), Peek & Cloppenburg (Mode), Douglas (Parfümerie), Thalia (Bücher) oder DM (Drogerieartikel) erreichen in ihren innerstädtischen Flagshipstores auch mit ihren hochspezialisierten Warengruppen bereits Hausgrößen, die früher ausschließlich den Warenhäusern vorenthalten waren. Dementsprechend konnten die Filialisten besonders den Warenhausunternehmen kontinuierlich Marktanteile abgewinnen und vor allem durch Formatmultiplikationen die Grundlage für weiteres Wachstum legen („viele Schnellboote statt ein großer Tanker). Weil die Expansion in Shoppingcentern schneller möglich war als in den Innenstädten, haben die großen Handelsketten einen weiteren Trend befeuert, nämlich den Siegeszug der Shoppingcenter. Diese haben ebenfalls die Warenhäuser abgelöst. Wesentlicher Erfolgsfaktor der Warenhäuser war zwar in früheren Zeiten die Idee des „One Stop Shopping". Diese können aber in der heutigen Zeit gigantische Einkaufszentren auf der grünen Wiese und vor allem die Online-Plattformen viel konsequenter umsetzen. Nicht ohne Grund sind die Verkaufsflächen in den Shoppingcentern überdurchschnittlich angewachsen und haben damit den Innenstädten zusätzlich zugesetzt. Diese werden insofern nicht nur vom Online-Handel bedroht, sondern von diesem zusammen mit den Einkaufszentren regelrecht in die Zange genommen.

    Im Grunde genommen können Shoppingcenter sogar als „die konsequente konsumorientierte Fortsetzung der Fußgängerzonen" angesehen werden (Stepper, 2015; Roth, 2018). Insofern treten Shoppingcenter nicht nur an die Stelle der Warenhäuser, sondern ersetzen die Innenstadt räumlich durch eine neue stationäre Einzelhandelslage, sofern sie auf der grünen Wiese oder in der Peripherie angesiedelt sind. Rund die Hälfte von ihnen liegt aber in Innenstädten (ECE, 2016, 2020), dabei allerdings überwiegend nicht zentral. Nach den Erhebungen des EHI werden per Ende 2019 in der Bundesrepublik 483 großflächige Shoppingcenter mit jeweils über 15.000 Quadratmetern Gesamtfläche betrieben (Erhardt, 2020) (vgl. Abb. 1.9). Von 2015 auf 2016 stieg die Gesamtfläche der Einkaufszentren um 2,3 % bzw. 340.000 Quadratmeter auf rund 15,2 Mio. Quadratmeter und pendelt sich seitdem auf diesem Niveau ein (Handelsdaten Shoppingcenter, 2016; Roth, 2018).

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    Abb. 1.9

    Entwicklung der Shoppingcenter in Deutschland.

    (Quelle: Statista 2020 auf Basis EHI, 2019; Erhardt, 2020)

    Bei rund 125,1 Mio. Quadratmetern Gesamtverkaufsfläche in Deutschland beträgt der Flächenanteil der Shoppingcenter damit gut 12 %. Aus Sicht der Filialisten gelten die Standorte in großen Shoppingcentern als die besseren 1 A-Lagen und werden deswegen forciert (ECE, 2016; 2020). Die Mehrheit (76,7 %) der Mieter in Einkaufszentren geht davon aus, dass die Bedeutung von Centern für ihren Erfolg steigen oder zumindest gleich bleiben wird (Wikipedia Einkaufscenter, 2020).

    Der Entwicklung der Shoppingcenter steht die Aufgabe vor allem kleinerer, regional agierender Möbelfachgeschäfte sowie Textilanbieter in ländlichen, wenig agglomerierten Gebieten gegenüber. Marktbereinigungen betrafen dabei auch Warenhausschließungen sowie die verbreiteten Filialverkleinerungen von Elektrofachmärkten und Buchhandelsfilialen (Busch und Heinemann, 2016; Onlinehändler News, 2019). Von Strukturverschiebungen zeugen außerdem die Entwicklungen der Verkaufsflächen nach Stadtgrößen, wo es zu einer regelrechten Polarisierung gekommen ist. So zählten vor der Corona-Krise die Verkaufsflächen in den zentralen städtischen Einkaufslagen zunehmend zu den Wachstumstreibern im stationären Einzelhandel, während Klein- und Mittelstädte deutlich verloren. Demnach stiegen die innerstädtischen Verkaufsflächen seit 2010 insbesondere in den Oberzentren mit über 100.000 Einwohnern oder gar Metropolstandorten deutlich an, was – bei einer relativ unveränderten Gesamtfläche – in den restlichen Städten und Gemeinden der Republik zu einer Flächenbereinigung von mindestens 10 % geführt haben könnte (Heinemann, 2017). Unter Berücksichtigung der Shoppingcenter-Flächenausweitung dürfte der Rückgang sogar eher bei 15 % gelegen haben. Insgesamt gesehen kompensieren bisher Flächenzuwächse durch Neuprojekte überwiegend die Flächenabgänge durch Ladenschließungen oder Insolvenzen.

    Wurden Einkaufszentren früher ausschließlich auf der grünen Wiese errichtet, werden diese seit den achtziger Jahren zunehmend in den Innenstädten geplant und errichtet. Seit einigen Jahren ist durch eine immer größer werdende Dichte von räumlich nahe beieinander gelegenen Einkaufszentren bei gleichzeitigem Kaufkraftverlust der Konsumenten ein Verdrängungswettbewerb zu beobachten, der insbesondere kleinflächige Center unter Druck gesetzt hat. Diese Entwicklung wird durch die Corona-Krise beschleunigt (WiWo Shopping Center, 2014; FAZ SC, 2020). Denn während die Zahl der Shoppingcenter vorerst bestehen bleibt, sind die Umsätze im stationären Non-Food-Einzelhandel rückläufig. Insofern bahnt sich ein harter Verdrängungswettbewerb an, denn vielerorts sind die alten Einkaufszentren nicht mehr die besten Standorte für Händler. Zunehmende Leerstände oder hinderliche Vermieterinteressen sind die Folge. Dennoch wird immer noch viel Geld in den Shoppingcentermarkt investiert, vor allem aber für Revitalisierungen. Fehlende Investitionen könnten sonst eine Negativspirale aus mangelnder Umsatzperformance, Auszug von Mietern, Leerständen, Mietausfällen und Wertverlust auslösen (ebd.).

    Die Erneuerungsmaßnahmen in Shoppingcentern sind in der Regel sehr aufwendig. Kleine Verschönerungen reichen nicht mehr aus, um Kunden zu locken. Stattdessen müssen häufig das gesamte Format geändert und die Mieter ausgetauscht werden. Deswegen stehen auch die Shoppingcenter vor der Herausforderung, sich neu zu erfinden (ebd.).

    1.6 Intelligent Retail statt Residenzprinzip

    Die Art und Weise, wie stationäre Einzelhandelsunternehmen und Kunden miteinander interagieren, kann heutzutage sehr differenziert erfolgen. Klassischerweise werden vier Prinzipien der Kontaktanbahnung unterschieden, und zwar das Residenz-, Domizil-, Treffpunkt- sowie Distanzprinzip (vgl. Abb. 1.10). Im Zuge der Internetnutzung ist allerdings vor allem das Hybridprinzip weit verbreitet, das an dieser Stelle erstmals aufgegriffen wird (Wegener, 2004; Heinemann OH, 2020):

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    Abb. 1.10

    Kontaktprinzipien im Handel.

    (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Wegener, 2004)

    Das Residenzprinzip kennzeichnet den klassischen stationären Handel in seiner reinen Form und bedeutet, dass Kunden mit dem Händler in dessen Verkaufsraum in Kontakt treten. Es handelt sich hier um den physischen Verkauf in stationären Verkaufsstellen (zum Beispiel Filialverkauf).

    Ein Domizilprinzip liegt vor, wenn der Anbieter mit den Kunden in oder an ihren Wohnungen in Kontakt tritt, was den ambulanten Einzelhandel kennzeichnet (zum Beispiel Haustürverkauf).

    Von Treffprinzip wird gesprochen, wenn der Verkauf an einem dritten Ort unabhängig von Domizil und Residenz erfolgt (zum Beispiel Wochenmärkte oder E-Marktplätze).

    Das Distanzprinzip steht für den interaktiven Handel, bei dem die Einzelhändler und Käufer physisch nicht in Kontakt treten. Die räumliche Trennung wird dabei durch Medien wie zum Beispiel einen Katalog oder das Internet überbrückt (zum Beispiel Katalogversand oder Online-Handel).

    Das Hybridprinzip stellt eine Mischform dar, die sich aus der Internetnutzung zur Vorbereitung oder Unterstützung des stationären Kaufs ergibt (zum Beispiel Multi-Channel-Handel oder No-Line-Experience).

    Wesentliches Kriterium des stationären Handels ist nach Residenzprinzip ein real existierendes Geschäft. In dieser „Residenz des Anbieters finden der Verkauf und die Bezahlung statt, wofür die Kunden die Filiale oder Niederlassung aufsuchen und die Ware gewöhnlich mitnehmen müssen. An einem festen Standort erfolgt somit ein physisches Angebot der Produkte und Services, sodass dieser als entscheidender Faktor für die Wahl des Geschäftes aus Konsumentensicht gilt (Heinemann, 2017). Die reale Präsenz der Waren, die der Kunde dann physisch begutachten und testen kann („Touch and Feel), ist somit erfolgskritisch für die Einkaufsstättenwahl. Dabei hängt vom Betriebstyp ab, inwieweit Bedienung und Service angeboten werden oder aber ob der Kunde sich selbst bedienen bzw. zumindest eine Vorauswahl treffen muss. Zudem findet im stationären Einzelhandel eine sofortige, unmittelbare Übergabe der gekauften Artikel statt. Einschränkend wirken diesbezüglich sicherlich die festen Ladenöffnungszeiten sowie der erhebliche Zeitverlust, der durch Anfahrt, Parkplatzsuche etc. entsteht.

    Ein nicht erfasstes Problem dieser Kontaktprinzipien ist, dass hybride Handelsumsätze, die zugleich online als auch offline zustande kommen, rasant wachsen. Sie werden auch als ROPO-Umsätze („research online und purchase offline") bezeichnet und resultieren aus der Möglichkeit, dass Kunden ihren stationären Einkauf im Internet vorbereiten oder die Waren nach ihrem Geschäftsbesuch dort kaufen. Stationäre Einzelhändler können dieser Entwicklung dadurch Rechnung tragen, dass sie ihren Kunden diese Art des Einkaufs durch einen Online-Shop oder durch Multi-Channel-Services ermöglichen (Heinemann, 2017; Heinemann et al., 2019).

    Nach Schätzungen von DHL sind immerhin 250.000 Händler immer noch nicht online und bringen mehrheitlich nicht einmal die notwendigen sowie hinreichenden Bedingungen dafür mit. Aber völlig abgeschrieben werden sollte der stationäre Einzelhandel keinesfalls. Er muss sich nur neu erfinden. Was er dafür tun kann, zeigte letztes Jahr z. B. der Microsoft CEO Satya Nadella mit dem Begriff „Intelligent Retail auf (NRF Satya Nadella, 2020). Dieser ist vor allem mit Künstlicher Intelligenz (KI) verbunden, geht jedoch weit darüber hinaus. Schon bei Künstlicher Intelligenz im Einzelhandel geht es nicht bloß um Automatisierung und um die Übernahme von Tätigkeiten durch Roboter, sondern darum, dass Instrumente und Maschinen in der Lage sind, selbst zu lernen und Schlüsse zu ziehen. Einem Kunden, der im Geschäft einkauft, sollen anhand dessen, was er sucht, intelligente Empfehlungen gemacht werden können. Dabei geht es um Produktempfehlungen, die auf den Interessen, vorherigen Einkäufen des Kunden, auf seinem Suchverhalten basieren. Daran arbeitet auch Google, und zwar lokal bezogen. So verändert sich unser Einkaufs- und Suchverhalten. Und wenn ein Händler das nicht macht, wird er Kunden verlieren. Mit diesen Methoden arbeiten die großen Online-Marktplätze eben schon sehr lange und erfolgreich. Der stationäre Einzelhandel kann das bisher nicht. Deswegen forscht das eWeb-Research-Center der Hochschule Niederrhein derzeit in einem Projekt mit mehreren beteiligten Institutionen wie u. a. dem FZ Jülich und Einzelhändlern an einer Strategie, die mittels Künstlicher Intelligenz eine Verschmelzung von Online- und Offline-Shopping zum Ziel hat. Es geht im Kern darum, den Einzelhandel in den Innenstädten zu retten. Das Forschungsprojekt hat den Namen „ON4OFF und wird vom NRW Wirtschaftsministerium und vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Erste Ergebnisse werden für 2021 erwartet (Heinemann FAZ, 2021).

    Auch wenn viele es kaum noch glauben: Der stationäre Einzelhandel hat durchaus eine Zukunftschance! Er muss sich nur neu erfinden und sich vom starren Residenzprinzip lösen sowie intelligente Systeme einsetzen. Aber für welche Händler sind solche Techniken eigentlich interessant? Solche Empfehlungen auf Basis von KI-Methoden funktionieren vor allem im beratungsintensiven Fachhandel. Und das ist praktisch der gesamte Non-Food-Bereich: Elektronik, Möbel, Kosmetik, auch der Buchverkauf – alles, was mit Beratung zu tun hat. Müssen also kleine, hochspezialisierte Ladeninhaber, die bisher die Wünsche der Kunden von den Augen abgelesen haben, künftig in der Lage sein zu wissen, was der Kunde will, bevor er den Laden betritt? Das wird kaum funktionieren. Inhabergeführte Geschäfte werden die Citys wohl nicht retten und können solche datenbasierten Empfehlungen auch in der Regel gar nicht geben, weil sie kaum Kundendaten erheben. Aber der filialisierte Einzelhandel, der auch schon online handelt und deshalb mit Kundendaten arbeitet, ist dazu in der Lage (ebd.).

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    G. HeinemannIntelligent Retailhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-34339-2_2

    2. Bedrohung des stationären Handels

    Gerrit Heinemann¹  

    (1)

    eWeb Research Center, Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, Deutschland

    Gerrit Heinemann

    Email: [email protected]

    Zusammenfassung

    Insbesondere im Vergleich zum Online-Handel ist nicht zu leugnen, dass die Zeiten für den stationären Handel schwieriger geworden sind: Stationäre Händler kämpfen immer häufiger mit rückläufigen Kundenfrequenzen und stagnierenden Umsätzen, während der Online-Handel enorm wachsen und sich zum Wachstumstreiber für die gesamte Einzelhandelsbranche entwickeln konnte. Die ungebremste Verschiebung von Offline- zu Online stellt eine zentrale Bedrohung für den stationären Handel dar. Diese resultiert aus der zunehmenden Digitalisierung, die bereits einen Großteil des alltäglichen Lebens und damit das Verbraucherverhalten sowie die Kundenerwartungen bestimmt. Sie verändert zudem die Ansprüche an Erlebnisorientierung und Service. Aber auch die Internationalisierung und „Plattformisierung des Einzelhandels setzt den Traditionshändlern erheblich zu, zumal viele von ihnen immer noch eine digitale Transformation verweigern. Erschwerend kommt hinzu, dass sich im Zuge zunehmender Leerstände sowie ändernder Mobilität auch die Rolle der Innenstädte verändert und damit unabhängiger vom Einzelhandel macht. Die neue Überlebensformel heißt „Kundenzentriertheit, die allerdings nur digitalbasiert funktioniert.

    Insbesondere im Vergleich zum Online-Handel ist nicht zu leugnen, dass die Zeiten für den stationären Handel schwieriger geworden sind: Stationäre Händler kämpfen immer häufiger mit rückläufigen Kundenfrequenzen und stagnierenden Umsätzen, während der Online-Handel enorm wachsen und sich zum Wachstumstreiber für die gesamte Einzelhandelsbranche entwickeln konnte. Die ungebremste Verschiebung von Offline- zu Online stellt eine zentrale Bedrohung für den stationären Handel dar. Diese resultiert aus der zunehmenden Digitalisierung, die bereits einen Großteil des alltäglichen Lebens und damit das Verbraucherverhalten sowie die Kundenerwartungen bestimmt. Sie verändert zudem die Ansprüche an Erlebnisorientierung und Service. Aber auch die Internationalisierung und „Plattformisierung des Einzelhandels setzt den Traditionshändlern erheblich zu, zumal viele von ihnen immer noch eine digitale Transformation verweigern. Erschwerend kommt hinzu, dass sich im Zuge zunehmender Leerstände sowie ändernder Mobilität auch die Rolle der Innenstädte verändert und damit unabhängiger vom Einzelhandel macht. Die neue Überlebensformel heißt „Kundenzentriertheit, die allerdings nur digitalbasiert funktioniert.

    2.1 Verschiebung von Offline zu Online

    Der Siegeszug des Online-Handels ist ungebrochen. Dieser bleibt vorerst immer noch ein Non-Food-Thema. Vor allem bei Spielwaren, Medien/Büchern, Unterhaltungselektronik und Bekleidung ist der stationäre Handel von der Entwicklung überproportional betroffen. In diesen Bereichen kam es bereits zu erheblichen Flächenreduzierungen, Formatverkleinerungen und Filialschließungen. Vor allem in Klein- und Mittelstädten steigen die Leerstandsquoten enorm. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren die Verkaufsflächen des stationären Handels insbesondere bei Non-Food deutlich zurückgehen werden.

    2.1.1 Systemrelevanz des Online-Handels

    Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich der Substitutionseffekt „Online versus Offline" in den nächsten Jahren kontinuierlich fortsetzen und dem stationären Handel auf Dauer zusetzen. Dies zeigt auch eine Prognose des IFH Köln auf (vgl. Abb. 2.1) (IFH Prognose, 2020; ECC Club, 2021). So stellt der IFH-Branchenreport drei Szenarien für die Entwicklung von 2020 bis 2024 auf, denen jeweils eine unterschiedliche Dynamik zugrunde gelegt wird. Nach 2020 lässt sich sagen, dass eine zunehmende Dynamik zu beobachten ist, sodass bis 2024

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