Colines Welt hat neue Rätsel: Alltagsgeschichten und praktische Hinweise für junge Erwachsene mit Asperger-Syndrom
Von Nicole Schuster und Daphne Großmann
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Über dieses E-Book
Colines Erlebnisse in Form von Tagebucheinträgen dienen in diesem Buch dazu, beispielhaft typische Schwierigkeiten junger Erwachsener mit Asperger-Autismus aufzuzeigen. Im Anschluss daran erklärt die Autorin, wie Betroffene mit den dargestellten Herausforderungen umgehen können und welche Hilfsmöglichkeiten es gibt. Angehörige erhalten Tipps, wie sie dabei unterstützen können. Der Ratgeber begleitet Betroffene und Angehörige auf ihrem Weg und ist zugleich ein unterhaltsames Lesebuch.
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Buchvorschau
Colines Welt hat neue Rätsel - Nicole Schuster
Inhalt
Cover
Titelei
Vorwort
1 Coline macht den Führerschein
Führerschein trotz Autismus?
Hilfreiche Links im Internet
2 Coline und die Abiturprüfung
Achtung, Ausnahmezustand: Prüfungen stehen an
Checkliste: Fit für Prüfungen und Co.
Hilfreiche Links im Internet
3 Das Experiment: Coline zieht aus
Auf in ein eigenes Leben: Asperger-autistische Menschen ziehen aus
Alleine-Wohnen
Betreutes Wohnen
Hilfreiche Links im Internet: Wohnprojekte für und von autistischen Menschen
4 Der erste Tag an der Uni
Noch wichtiger als Lernen? Der soziale Aspekt beim Studium
Hilfreiche Links im Internet: Was das Leben einem Studenten zu bieten hat
5 Coline beim Einwohnermeldeamt
Umzug & Co.: Die Sache mit den Ämtern
Checkliste: Meldepflicht
6 Soll ich einen Schwerbehindertenausweis beantragen?
Das bedeutet »behindert«?
Bin ich autistisch und/oder behindert?
Hilfreiche Links im Internet
7 Coline lernt putzen
Der Dreck muss weg: Wie putzt man seine Wohnung?
Hilfreiche Links im Internet
8 Hilfe! Coline bekommt Besuch
Gute Gäste, schlechte Gäste
Checkliste: So wird der Besuch zum Erfolg
Tipps für Gäste von Autisten
9 Wie erkläre ich den Kommilitonen Asperger? Die Autisten-Ausweis-Karte
Outing – ja oder nein? Und wenn ja, wie, wann und vor wem?
Wie führe ich ein »Outing-Gespäch«?
Checkliste: Tipps für ein gutes Gespräch mit der Familie
Wie können andere reagieren?
10 Die leeren Kaufhaus-Regale
Was ist an »Hamstern« schlecht?
Muss man immer schon im Vorhinein eine Lösung wissen?
Hilfreiche Links im Internet: Vorratshaltung
11 Lauter Pärchen! Coline gerät ins Grübeln
Endlich verliebt: Der Druck, einen Partner zu haben
Warum sich Menschen einen Partner suchen
Wie findet man einen passenden Partner?
Checkliste: Möglichkeiten, einen Partner zu finden
12 Colines Freundin Maja
Autisten – treue Freunde oder erbitterte Feinde?
Autismus – was tun? Für und Wider Behindertenwerkstatt
Hilfreiche Links im Internet
13 Coline und der Nebenjob: Erfahrungen beim Kellnern
Leben kostet – wenn ein Job her muss
Checkliste: Tipps für die Suche nach einem Nebenjob
14 Coline und die dünnen Tussis
Autismus und Essen – eine Hassliebe
Das ABC der Essstörungen
Was tun, wenn das Essen die Kontrolle übernimmt?
Hilfreiche Links im Internet
15 Benny und die FC – Facilitated Communication
Colines Interview zur Facilitated Communication
Checkliste: Facts rund um die FC
Hilfreiche Links im Internet
16 Auf Wiederhören! Was hilft bei einer Telefon-Phobie?
Freund oder Feind? Das Telefon
Checkliste: Reden am Telefon
Tipps zum Telefonieren
Hilfreiche Links im Internet
17 Coline beim Friseur
Friseurbesuch: Wer schön sein will, muss leiden
Checkliste: Haarige Zeiten und ihre Lösungen
18 Coline und der Röckchen-Parkplatz: Unfall vorm Supermarkt
Unfall – was nun?
Hilfreiche Links im Internet
19 Advent, Advent: Coline bereitet sich auf Weihnachten vor
Weihnachten: Warum Traditionen so wichtig sind
Checkliste: Tipps für gute Geschenke
Hilfreiche Links im Internet: Traditionen und Bräuche rund um eine der schönsten Zeiten im Jahr
20 Coline ist krank
Bei Kranksein: Arzt
Was ist ein Rezept?
Hilfreiche Links im Internet: Behinderte und Gesundheitswesen
21 Coline kommt auf den Hund
Tiere und Autisten – ein gutes Team
Hilfreiche Links im Internet: tierische Therapeuten
22 Coline und die Internetsucht
Online ohne Ende – eine neue Abhängigkeitskrankheit?
Hilfreiche Links im Internet: Internetsucht
23 Neuer Stress mit neuen Medien
Was sind soziale Medien und was ist gefährlich daran?
Braucht man das neue Produkt XY, um erfolgreich/fit/schön/gesund zu sein?
Checkliste: Soziale Medien sinnvoll nutzen
24 Silvester: Coline zieht Resümee und fasst neue Vorsätze
Literatur
Hilfreiche Weblinks
emptyDie Autorin
Dr. Nicole Schuster, Medizinjournalistin und Apothekerin, möchte über Autismus-Spektrum-Störungen aufklären und setzt sich für ein vorurteilfreies Miteinander ein.
Nicole Schuster
Colines Welt hat neue Rätsel
Alltagsgeschichten und praktische Hinweise für junge Erwachsene mit Asperger-Syndrom
Mit Illustrationen von Daphne Großmann
2., erweiterte und überarbeitete Auflage
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlagabbildung und Illustrationen im Buch von Daphne Großmann
Print:
ISBN 978-3-17-041396-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-043826-2
epub: ISBN 978-3-17-043827-9
Vorwort
Erwachsen werden – das ist für jeden schwer. Für einen jungen Menschen mit Asperger-Autismus oft besonders. Durch ihre Behinderung weisen Asperger-Autisten Defizite vor allem im sozialen und kommunikativen Bereich auf. Ihr Denken und Handeln ist von einer anderen Logik geprägt und es fällt ihnen schwer, sich in das Denken, Fühlen und Handeln ihrer Mitmenschen hineinzuversetzen.
Beim Übergang vom Kind zum Erwachsenen spüren viele Asperger-Autisten ihre Behinderung so stark wie nie zuvor. Ihre mangelnde Selbstständigkeit, ihre Hilflosigkeit in vielen Alltagsituationen und das Angewiesensein auf fremde Hilfe fallen in einem Alter, in dem die meisten Gleichaltrigen immer selbstständiger werden, verstärkt auf. Einige junge Menschen mit Autismus merken jetzt, dass sie wahrscheinlich ihr Leben lang Unterstützung brauchen werden und sie manche Ziele nie erreichen können. Manche geben resigniert auf und fügen sich in ein Leben geprägt von Abhängigkeit, Arbeitslosigkeit oder -unfähigkeit und Selbstmitleid. Andere Autisten wollen das »dennoch« wagen und stürzen sich voller Elan in ein eigenes Leben. Das kann zum Scheitern führen, manchmal auch zum Erfolg. In jedem Fall ist es ein schwerer Weg, der viel Kraft erfordert und bei dem Rückschläge auf der Tagesordnung stehen.
Eine erste große Herausforderung steht an, wenn sich der junge Asperger-Autist in die Berufswelt eingliedern möchte oder ein Studium bzw. eine Ausbildung beginnt. In seinem neuen Umfeld tun sich für ihn viele Fragen auf: Soll/Muss ich den Kollegen vom Autismus erzählen? Und wenn ja, wie? Auch der erste eigene Haushalt bedeutet, neues zu erlernen und eigene Grenzen der Selbstorganisation kennen zu lernen. Die Ziele sollten dabei nie zu hoch gesteckt sein. Niemand ist vom ersten Tag an eine perfekte Hausfrau bzw. ein perfekter Hausmann. Es gilt, Geduld mit sich selbst zu haben und Rückschläge nicht als Niederlage zu sehen, sondern als Zwischenstopp auf dem Weg nach oben.
Die junge Asperger-Autistin Coline versucht dieses Lebensmotto umzusetzen. Sie ist nun erwachsen, hat ihr Abitur und ihren Führerschein erfolgreich gemacht und den Kopf voller Pläne für die Zukunft. Um ihr Ziel, eine erfolgreiche Forscherin zu werden, zu verwirklichen, muss Coline von zu Hause ausziehen und in einer fernen Stadt ihr Studium beginnen. Dort ist sie größtenteils auf sich allein gestellt. Zwar sind ihr Opa und ihre Mutter immer noch für die junge Frau da, aber die räumliche Distanz zwingt Coline an vielen Stellen zu mehr Selbstständigkeit. Vielleicht sogar zu mehr, als sie sich selbst zugetraut hätte. Unterstützend und beratend an ihre Seite tritt nun immer häufiger die Therapeutin Frau Hilfreich. Coline hört oft auf ihre Tipps und vertraut ihr Probleme, Ängste und Sorgen an.
Die erwachsene Coline geht mit Mut und Zuversicht ihr neues Leben an. Sie hat das feste Ziel vor Augen, Spuren zu hinterlassen. Das können viele andere Menschen mit Autismus auch. Sie müssen sich nur trauen und bereit sein, für Träume zu kämpfen.
Nicole Schuster
1 Coline macht den Führerschein
Liebes Tagebuch,
heute war ein besonderer Tag. Heute saß ich das erste Mal in einem richtigen Auto am Steuer. Natürlich nicht alleine aber auch nicht mit meinem Fahrlehrer. Nein, mit Opa. Und das war wirklich toll. Zumindest fand ich es super, Opa wohl eher weniger. Aber der Reihe nach. Ich bin schon seit Wochen regelmäßig zum theoretischen Fahrunterricht gegangen. Sehr spannend ist dieser Unterricht nicht. Da lernt man fast nur so Dinge wie Straßenregeln, zum Beispiel »rechts vor links«, die ich schon längst alle kenne. Wo aber das Gaspedal und wo die Bremse ist und wie so ein rätselhaftes Ding namens Kupplung zu bedienen ist, lernt man dort nicht.
Unser Fahrlehrer Olli meinte, es sei nun bald an der Zeit, dass ich das erste Mal mit ihm Autofahren übe. Die meisten Fahrschüler freuen sich darauf. Ich nicht. Ich war sicher, dass ich mich schrecklich blamieren würde, da ich überhaupt nichts darüber wusste, wie man ein Auto bedient.
Damit ich mich bei meiner ersten Fahrstunde mit Olli nicht zu dumm anstellen würde, schlug Opa vor, davor etwas zu üben.
»Wie soll denn das gehen?«, fragte ich. »Ich darf doch ohne Führerschein noch gar nicht fahren.«
»Auf der Straße natürlich nicht. Aber ich weiß, wo es trotzdem geht.« Opa zwinkerte mir zu. »Wir fahren zu einem Verkehrsübungsplatz.«
»Was ist denn das?«
Opa erklärte, dass das ein Gelände sei, auf dem man, wenn man sich zuvor angemeldet und Geld bezahlt habe, auch fahren dürfe, wenn man noch keinen Führerschein besäße.
Am nächsten Samstag fuhren Opa und ich zu einem solchen Verkehrsübungsplatz. Opa fiel das Autofahren zunehmend schwerer.
Er ist ja auch schon alt und kann nicht mehr so gut sehen und hören und seine Reaktionsfähigkeit hat auch nachgelassen. Trotzdem kriegte er es einigermaßen hin, uns heil zu unserem Ziel zu bringen. Ich musste ihn unterwegs nur zwei Mal an eine rote Ampel erinnern, die er sonst nicht beachtet hätte, und nur einmal warnen, als ein Kind genau vor uns über die Straße lief.
Als wir endlich auf einen Platz einbogen, der mit »Verkehrsübungsplatz« überschrieben war, wischte Opa sich den Schweiß von der Stirn. Dann meldete er uns an, stöhnte dabei leise vor sich hin (das macht er immer, wenn er angestrengt ist) und endlich war es so weit: Opa und ich tauschten die Plätze. Und da saß ich nun. Drei komische Pedale an meinen Füßen, rechts neben mir dieses Rührteil, das man Schaltknüppel nennt und vor mir das Lenkrad mit jeweils einem Stab an jeder Seite. Die Stäbe haben irgendetwas mit Licht und Scheibenwischern zu tun.
»Das ist richtig«, sagte Opa und dann zeige er mir, wie man mit dem linken Hebel blinken kann. Blinken ist immer dann wichtig, wenn man abbiegen will. Das wusste ich aus der Fahrschule. Dann zu den Pedalen. Opa zeigte mir, welches das Gaspedal ist, wo die Bremse und wo die Kupplung ist.
»Erst auskuppeln, dann in einen anderen Gang schalten, dann wieder einkuppeln«, sagte Opa.
»Aus- um-, ein-, was bitte?«, ich verstand gar nichts mehr. In was für einer komischen Sprache redete Opa denn da plötzlich?
Opa wiederholte dieses Kauderwelsch und sagte noch einiges anderes, das ich nicht verstand. Dann meinte er:
»Am besten lernt man das sowieso beim Fahren. Also los, versuch es einfach mal.«
»Wirklich? Jetzt, gleich, sofort?« fragte ich.
»Kann doch nichts passieren«, sagte Opa. Es klang so zuversichtlich wie damals, als er sagte, dass Nairobi irgendwo in Asien liege. Dabei weiß doch jeder, dass das die Hauptstadt von Kenia ist, also in Afrika liegt.
Mit der rechten Hand krallte sich Opa am Griff an der Innenseite der Tür fest. Opa atmete tief durch, ich atmete tief durch. Wie war das noch mal? Kupplung ein-, um-, aus, ach, egal, jedenfalls drauftreten, dann starten, Gas geben? Oder umgekehrt? Ich sah zu Opa. Der aber starrte geradeaus, sein Unterkiefer vibrierte gegen seinen Oberkiefer.
Ich drehte jetzt einfach den Zündschlüssel rum, trat mit dem Fuß auf die Kupplung und das Gaspedal durch. Mit einem Satz rasten wir nach vorne, Opa schrie »Bremsen!«. Bremsen wollte ich ja gerne, doch wie? Wo, verflixt, war noch mal die Bremse? Rechts, links in der Mitte? In wilder Panik probierte ich alle Pedale durch. Es knarrte und peitschte, aber ich hatte anscheinend das richtige Pedal erwischt, jedenfalls standen wir.
»Wow«, sagte ich. Einfach nur toll hatte sich das angefühlt: Coline hatte ganz alleine ein Auto zum Fahren gebracht. Und wir waren sogar ein bisschen gehüpft! Das hatte Opa noch nie fertig gebracht.
Warum war es aber auf einmal so dunkel? Ich hob den Kopf von unter dem Lenkrad hervor, da ich auf die Pedale geschaut hatte, und sah jetzt durch die Frontscheibe raus. Und da sah ich nur Äste, Zweige und Blätter.
»Wo sind wir?« fragte ich Opa.
»In einem Holunderstrauch«, sagte Opa.
»Coline, warum hast du nicht gebremst? Habe ich dir nicht gesagt, dass du dich sofort an all meine Anweisungen halten musst?«
Ja, das hatte Opa gesagt. Er hatte aber nicht gesagt, wie schwer es ist, das richtige Pedal zu finden. Es steht schließlich nicht drauf geschrieben »hier Bremse«, »hier Gas«.
»Darf ich noch mal? Wie funktioniert der Rückwärtsgang?«, fragte ich.
empty»Coline, für heute reicht es. Lass mich wieder ans Steuer.«
»Ach bitte, Opi. Es macht gerade so viel Spaß.«
»Es reicht. Ich kann nicht mehr.«
Opa war im Gesicht fast so beige-blass wie das Sitzpolster. Seine Haare standen wild in alle Richtungen. Opa versuchte auszusteigen, aber die Äste ließen ihm nicht genug Platz.
»Coline, klettre bitte nach hinten auf die Rückbank, damit ich mich auf den Fahrersitz setzen kann.«
Ich war mit zwei Sätzen hinten, Opa aber brauchte ewig, bis er über den Schaltknüppel in der Mitte geklettert war und sich auf den Fahrersitz fallen lassen konnte.
Opa fuhr uns aus dem Holunderstrauch raus. Draußen stand ein Kreis voller Leute, die sofort durch die Scheibe riefen, ob alles in Ordnung sei. Opa nickte.
»Alles klar. Nur ein kleines Missgeschick.«
Opa hielt erst wieder an, als wir ein Stück vom Übungsgelände entfernt waren. Dann humpelte er – richtig gehen kann Opi nicht mehr – um das Auto herum, wischte mit dem Finger hier und da über einen Kratzer von den Ästen und murmelte vor sich hin.
»Na, deine Mutter wird sich freuen«, sagte er, als er sich wieder neben mich ins Auto setzte.
»Ja? Worüber denn?«, fragte ich. »Dass ich so fein gehüpft bin mit dem Auto?«
»Das war ironisch gemeint«, fauchte Opa.
Ach so. Es bedeutete also, dass Mama alles andere als erfreut sein würde. Und wirklich. Mama war ziemlich wütend, als sie die Kratzer und Flecken von grünen Blättern und Ästen an ihrem Auto sah.
»Mit meinem Auto fährst du mir nicht mehr«, sagte sie. »Du hast dich ja angestellt wie der erste Mensch. Jeder Idiot fährt spielend seine erste Runden und du? Verwechselst die Pedale! Meine Güte, Coline!«
»Das kann doch jedem mal passieren!«
»Dir passiert so etwas aber ständig. Du musst dich mehr konzentrieren.«
Jetzt wurde mir alles zu viel. Mama war ja so ungerecht. Immer verglich sie mich mit anderen, mit gesunden, nicht-autistischen Menschen.
»Was kann ich denn dafür, wenn ich zu behindert bin, um Auto fahren zu können? Das hättet ihr vorher wissen müssen.«
Ich rannte in mein Zimmer. Ach, liebes Tagebuch, ich habe mir, seit ich denken kann, gewünscht, Auto fahren zu können. Nie mehr mit dem stinkenden Bus fahren, nie mehr eingepfercht zwischen ekligen Körpern Bahn fahren. Auto fahren ist Freiheit, Unabhängigkeit, ist Leben. Aber bin ich fürs Auto fahren gemacht? Oder bin ich zu ungeschickt dafür? Vielleicht auch zu blöd? Jeder kann die Pedale richtig bedienen. Sogar ein Idiot kann das besser als ich. Sagt Mama.
Ich war ganz verzweifelt.
Es war einige Tage später, draußen war es schon leicht dunkel und ich saß lustlos in meinem Zimmer herum. Seit dem missglückten ersten Fahrversuch war ich nur noch unglücklich. Da kam Mama zu mir.
»Coline, gehst du heute nicht zur Fahrschule? Der Kurs fängt gleich an.«
»Warum soll ich denn da noch hingehen? Hat doch eh keinen Zweck. Ich werde nie Auto fahren können.«
»Aber Coline, nun sag doch so was nicht! Jeder kann Auto fahren lernen. Bei manchen dauert es nur etwas länger.«
»Ich bin dann eben ein Sonderfall. Du hast selbst gesagt, dass jeder Idiot das besser kann als ich. Ich bin einfach zu blöd dazu. Jawohl.«
»Nichts jawohl! Ich hab einen Fehler gemacht. Ich hätte das nicht sagen dürfen. Das war fies von mir.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich habe total überreagiert. Hatte