Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Blutige Bucht: Thriller
Blutige Bucht: Thriller
Blutige Bucht: Thriller
eBook456 Seiten5 Stunden

Blutige Bucht: Thriller

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Niemand verlässt die Bucht lebend

Kenna ist schockiert als sie erfährt, dass ihre beste Freundin Mikki einen Mann heiraten will, den sie gerade erst kennengelernt hat. Kurzerhand macht sie sich auf den Weg nach Sydney, um die beiden zu überraschen. Doch sie wollen zum Surfen, also bleibt Kenna nichts anderes übrig, als sie zu begleiten. An der abgelegenen Ostküste Australiens trifft sie auf eine Gruppe ungleicher Menschen, die sich fernab der Zivilisation einen Rückzugsort geschaffen hat und alles tut, um ihn vor der Außenwelt zu bewahren. Hier zählen nur die Wellen, das Wetter und die Gezeiten. Doch das Küstenparadies birgt ein dunkles Geheimnis und schnell wird klar: niemand verlässt die Bucht lebend.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Juni 2023
ISBN9783749905850
Blutige Bucht: Thriller
Autor

Allie Reynolds

Allie Reynolds fuhr professionell Snowboard und rangierte unter den ersten zehn in der Rangliste. Sie verbrachte mehrere Winter in den Bergen von Frankreich, der Schweiz, Österreich und Kanada. Im Jahr 2003 tauschte sie das Snowboard gegen das Surfbrett und zog an die Goldküste in Australien, wo sie fünfzehn Jahre lang Englisch als Fremdsprache unterrichtete.

Ähnlich wie Blutige Bucht

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Blutige Bucht

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Blutige Bucht - Allie Reynolds

    Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel

    The Bay bei Headline Publishing Group Ltd., London.

    © 2022 by Allie Reynolds

    Deutsche Erstausgabe

    © 2023 für die deutschsprachige Ausgabe

    by HarperCollins in der

    Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

    Covergestaltung von wilhelm typo grafisch

    Coverabbildung von Stock High angle view, F Photography R / Shutterstock

    E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783749905850

    www.harpercollins.de

    PROLOG

    Die Flut kommt. Jede Welle kriecht ein bisschen höher den Strand hinauf. Stück für Stück löschen sie die Spuren meiner Tat aus.

    Es hat etwas Tröstliches, einen Fuß vor den anderen zu setzen, die Zehen in den Sand zu graben. Das Unwetter von gestern Nacht hat alles Mögliche angeschwemmt: Blätter, Samenkapseln, Frangipani-Blüten. Eine Orange, die ein schmatzendes Geräusch von sich gibt, als ich drauftrete, und die, wie sich herausstellt, fast nur noch mit Meerwasser gefüllt ist.

    Die anderen schlafen noch – wenigstens hoffe ich das. Weiter oben habe ich den Sand verwischt, aber wenn sie jetzt kämen, würden sie es trotzdem sehen. Vielleicht würden sie sich fragen, was ich so früh am Strand zu suchen habe, noch dazu ohne mein Brett. Nicht, dass man heute surfen könnte. Das Meer ist unruhig und trübe vom Sand, den der Sturm aufgewirbelt hat. Der Wind heult noch immer. Die Möwen stemmen sich mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen und aufgeplustertem Gefieder dagegen. Eine läuft direkt vor mir durch den Sand, die Schwanzfedern wie eine Federboa aufgestellt.

    Ich gehe am Wassersaum entlang, beobachte und warte.

    Noch haben die Haie die Leiche nicht gefunden. Aber das wird sich bald ändern.

    1

    KENNA

    »He, Sie!« Eine blonde Frau hält mir einen Zettel hin. »Bitte, nehmen Sie einen!«

    Ein leichter Akzent: Niederländisch oder Schwedisch vielleicht.

    Ich blinzle, geblendet von der Sonne nach dem Halbdunkel der Bahnhofshalle. Warum ist es so hell? Ich bin so müde, als wäre es mitten in der Nacht.

    »Bestes Thaifood!«, ruft ein junger Mann.

    »Suchst du ein Zimmer?«, fragt ein Mädchen mit Piercings im Gesicht.

    Die Promoter stehen da und halten dem Strom der Menschen stand, der sich aus dem Bahnhof ergießt – zumindest versuchen sie es. Sydney mag am anderen Ende der Welt liegen, doch bisher erkenne ich nur marginale Unterschiede zu London oder Paris.

    Wegen meines schweren Rucksacks bin ich etwas wacklig auf den Beinen. Der Typ vom Thai-Restaurant versucht, mir einen Flyer zu geben, aber ich habe die Fahrkarte in der einen und meinen kleinen Tagesrucksack in der anderen Hand, deshalb zucke ich lediglich entschuldigend mit den Achseln und mache einen Bogen um ihn.

    »Happy Hour!«, ruft eine weitere Stimme. »Ein großes Bier für sechs Dollar!«

    Während ich mich frage, wie groß so ein großes Bier wohl sein mag, fasst mich jemand am Handgelenk. Die Niederländerin. Sie ist um die fünfzig mit dunkelblondem Haar und leuchtend blauen Augen. Sie ist hübsch – oder sie wäre es, wenn sie nicht so ernst und angespannt aussähe. Ich möchte mich losmachen und weitergehen, die Frau wie alle anderen ignorieren, doch die Verzweiflung in ihrer Miene lässt mich innehalten. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf ihren Zettel.

    Vermisst! Elke Hartmann, deutsche Staatsangehörige.

    Das Foto zeigt eine lachende Blondine mit einem Surfbrett unter dem Arm.

    »Meine Tochter.« Die Stimme der Frau klingt heiser.

    Also doch keine Niederländerin. Ich bin nicht besonders gut, was Akzente angeht. Der Strom der Menschen teilt sich und fließt um uns herum, während ich den Zettel überfliege.

    Elke ist neunundzwanzig – also ein Jahr jünger als ich – und seit sechs Monaten verschwunden. Ich schenke der Frau ein kleines mitfühlendes Lächeln. Hoffentlich ist es nicht allzu weit bis zur Bushaltestelle, mein Rucksack wiegt nämlich ungefähr eine Tonne.

    Ein Aktenkoffer trifft mich an der Wade. Ich werfe einen Blick auf die Uhr am Bahnhofsgebäude. Halb sechs, abendliche Stoßzeit. Mein Schädel pocht. Im Flugzeug kann ich nie schlafen. Ich bin seit nunmehr zwei Tagen ohne Pause wach.

    »Haben Sie schon mal einen geliebten Menschen verloren?«, fragt die Frau.

    Ich drehe mich wieder zu ihr um. Ja, das habe ich in der Tat.

    »Sie war hier auf Rucksacktour.« Die Frau deutet mit einem Nicken auf mein Gepäck. »So wie Sie.«

    Ich bin nicht auf Rucksacktour, will ich ihr sagen, doch sie gibt mir keine Gelegenheit dazu.

    »Sie sind in einem fremden Land unterwegs, in dem sie niemanden kennen. Wenn sie verschwinden, dauert es oft Tage, bis es jemandem auffällt. Sie sind leichte Ziele.«

    Beim letzten Wort bricht ihre Stimme. Sie lässt den Kopf hängen, und ihre Schultern beben. Etwas unbeholfen nehme ich sie in den Arm. Meine Handflächen sind schweißfeucht, und ich will ihre Bluse nicht ruinieren, außerdem muss ich weiter. Aber ich bringe es nicht übers Herz, sie in diesem Zustand allein zu lassen. Sollte ich mit ihr irgendwohin gehen? Sie auf einen Tee einladen? Aber ich will bei Mikki sein, ehe es dunkel wird. Ich beschließe, ihr eine Minute Zeit zu geben. Hoffentlich hat sie sich dann ausgeweint.

    Büroangestellte eilen vorbei. Die Frauen hier sehen gepflegter aus als in England: glänzendes Haar, gebräunte Beine in High Heels und kurzen Röcken. Die Männer haben die Ärmel ihrer Hemden aufgekrempelt und tragen die obersten zwei Knöpfe offen. Sakkos lässig über die Schulter geworfen, von Krawatten keine Spur.

    Schweiß sammelt sich in meinen Achselhöhlen. Diese feuchte Hitze. Mikki hat sich immer darüber beschwert. Fast so schlimm wie in Japan.

    Es ist März, australischer Herbst, und ich habe nicht damit gerechnet, dass es so heiß ist.

    Ich sehe den Promotern zu, wie sie versuchen, ihre Flyer an den Mann zu bringen. Der Typ vom Thai-Restaurant gibt jedem einen, der sich nicht wehrt, die anderen hingegen scheinen es gezielt auf Backpacker abgesehen zu haben. Mit ihren überdimensionierten Rucksäcken und wahlweise milchweißen oder sonnenverbrannten Gliedmaßen erkennt man sie schon auf eine Meile Entfernung. Leichte Ziele.

    Elkes Mutter zieht die Nase hoch. »Entschuldigung.« Sie kramt in ihrer Handtasche und holt Papiertaschentücher hervor.

    »Kein Problem«, sage ich. »Geht es wieder?«

    Verlegen betupft sie sich die Augen. »Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Aber passen Sie gut auf sich auf, ja?«

    »Natürlich. Machen Sie sich um mich keine Sorgen, ich bin keine Backpackerin. Ich besuche eine Freundin, die bald heiratet.«

    »Oh, dann entschuldigen Sie bitte. Sie wartet sicher schon auf Sie.«

    »Ja«, sage ich.

    Obwohl das nicht stimmt.

    2

    KENNA

    »Ich bringe dich um!«, sagt Mikki.

    Unter der Last meines Rucksacks gebeugt, stehe ich auf ihrer Schwelle. »Ich wusste, dass du sauer sein würdest.«

    Mikkis Stirn und Wangen sind übersät mit Sommersprossen. Ihre langen Haare, früher glänzend und schwarz, wurden von der australischen Sonne zu einem stumpfen Braun verblichen. Der blühende Baum neben der Haustür erfüllt die Abendluft mit seinem exotischen Duft und unterstreicht die Tatsache, dass ich mich auf der anderen Seite des Erdballs befinde.

    Sie sieht mich an, als könne sie nur schwer entscheiden, ob sie sich freut, mich zu sehen, oder nicht. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?«

    Weil du gesagt hast, dass ich nicht kommen soll. Aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. »Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen.«

    »Ich sagte doch, dass es an dem Strand, zu dem wir oft fahren, kein Netz gibt.«

    Das weiße Top von Roxy bringt ihre straffen Oberarme und sonnengebräunte Haut besonders gut zur Geltung.

    So unauffällig wie möglich halte ich Ausschau nach blauen Flecken, kann jedoch keine entdecken. Ich erlaube mir, ein wenig aufzuatmen. Allem Anschein nach geht es ihr gut. Meiner besten Freundin.

    Jetzt grinst sie. »O mein Gott, Kenna! Du bist wirklich hier!«

    Auch ich muss grinsen. Sie sagt ständig O mein Gott! Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich den Ausruf schon aus ihrem Mund gehört habe – normalerweise nachdem ich mal wieder etwas Verrücktes gemacht habe.

    Sie nimmt mich in die Arme und drückt mich an sich.

    Siehst du? Alles ist gut. So ist das zwischen besten Freundinnen. Wenn man lautere Absichten hegt, darf man hin und wieder auch mal Grenzen überschreiten. Was ist eine Freundschaft anderes als die Summe der Erinnerungen an die gemeinsam verbrachte Zeit? Und je schöner die Erinnerungen, desto tiefer die Freundschaft. Meine Erinnerungen an Mikki: wie wir eines Abends in angetrunkenem Zustand nackt surfen waren; wie ich in einer schmalen Gasse in Cornwall ihren uralten VW Käfer anschieben musste, weil er nicht anspringen wollte; ein gemeinsamer Campingurlaub, bei dem sie vergessen hatte, das Zelt einzupacken, sodass wir die Camper nebenan bequatschen mussten, damit sie uns eins liehen.

    Wir haben so viele lustige Dinge zusammen erlebt. Und diese Aktion hier wird als eine davon in unsere gemeinsame Geschichte eingehen: als ich nach Australien flog, um Mikki einen Überraschungsbesuch abzustatten. Wenigstens versuche ich, mir das einzureden. Sie muss heute gesurft sein – ihre Haare sind klebrig vom Salz. Ich löse eine Strähne von meinen Lippen und befreie mich aus ihrer Umarmung, um sie eingehender zu betrachten.

    »Ich kann nicht glauben, dass du die weite Reise auf dich genommen hast«, sagt sie. »Was, wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre?«

    Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. »Dann hätte ich mir ein Hotel gesucht.«

    Zwischen uns hakt es ein wenig. Vielleicht liegt das daran, dass wir uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen haben, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckt.

    »Na, komm rein«, sagt sie.

    Vor Betreten des Hauses ziehe ich mir die Schuhe aus. Mikki ist mit sechs Jahren aus Japan weggezogen, hat aber viele japanische Sitten von ihren Eltern übernommen. Ich stelle mein Gepäck ab und schaue mich um. Holzdielen, Möbel aus dem Trödelladen. Ist ihr Verlobter da? Hoffentlich nicht.

    »Hast du Hunger?«, erkundigt sie sich.

    »Hm. Weiß nicht genau.«

    Sie lacht.

    »Meine innere Uhr ist völlig durcheinander. Wie spät ist es überhaupt?«

    Sie sieht nach. »Kurz vor sieben.«

    »Im Ernst?« Ich denke angestrengt nach. »In England ist es jetzt acht Uhr morgens.«

    »Ich mache gerade eine Riesenportion nikujaga

    Ich folge ihr in die Küche, wo mir der würzige Duft von Fleisch in die Nase steigt, und ich stelle fest, dass ich tatsächlich Hunger habe. Meine Haut ist glitschig vom Schweiß. Die Fenster sind geöffnet, die Tür zum Garten ebenso, aber die Brise, die durch den Fliegendraht hereinweht, ist genauso stickig wie die Luft im Raum, und der Deckenventilator rührt die Hitze lediglich um.

    Mikki fächelt sich Kühlung zu, während sie im Topf rührt.

    Nun, da sie den anfänglichen Schock überwunden hat, scheint sie sich wirklich über meinen Besuch zu freuen, allerdings weiß man bei Mikki nie so genau. Sie entstammt einer Kultur, in der Höflichkeit über allem steht. Ich hingegen habe eins dieser Gesichter, in denen sich jede Emotion spiegelt, deshalb achte ich darauf, nicht in ihre Richtung zu schauen.

    In der Spüle stapelt sich das Geschirr, Ameisen krabbeln über die Arbeitsflächen. Komisch. Mikki legt sehr großen Wert auf Sauberkeit – jedenfalls hat sie das früher getan. Unsere letzte gemeinsame Wohnung in Cornwall sah immer aus wie geleckt.

    Sie bemerkt, wie ich mich umsehe, und zerdrückt einige Ameisen mit dem Finger.

    Mein Schädel pocht – eine Kombination aus Flüssigkeitsmangel, Müdigkeit und Jetlag. »Könnte ich vielleicht ein Wasser haben?«

    Sie füllt ein Glas aus dem Wasserspender am Kühlschrank. In meiner Hast schütte ich mir etwas von dem eisigen Nass über Finger und T-Shirt. Das Gefühl ist so herrlich erfrischend, dass ich am liebsten das gesamte Glas über mir ausgießen würde.

    Mikki wischt sich die Stirn. Sie sah noch nie so schlank und muskulös aus wie jetzt, nicht mal zu ihren Zeiten als Leistungssportlerin. Ihre Füße sind nackt, die Nägel glänzend schwarz lackiert.

    »Du siehst toll aus«, sage ich.

    »Danke. Du auch.«

    »Lüg nicht. Nach dem langen Flug wohl kaum. Kein Wunder, dass du nicht zurück nach England kommen möchtest. Wer würde freiwillig so eine weite Reise ein zweites Mal auf sich nehmen?« Ich bemühe mich um Leichtigkeit, doch es gelingt mir nicht, die Anspannung zu vertreiben.

    »Deine Haare.« Sie streckt die Hand aus und berührt sie. »Die sind so …«

    »Langweilig?« Seit wir uns in der Grundschule kennengelernt haben, hatten meine Haare so ziemlich jede Farbe des Regenbogens, nur nicht mein natürliches Mausbraun.

    Sie lacht. »Ich wollte ›normal‹ sagen.«

    Auch ich lache, obwohl ›normal‹ in Mikkis Augen vermutlich kein Kompliment ist. Und in meinen auch nicht.

    Sie schöpft Eintopf in zwei tiefe Teller. Als sie sie auf den Frühstückstresen stellt, sehe ich das Tattoo an der Innenseite ihres Handgelenks.

    »Was ist denn das?«

    Sie schaut nur flüchtig hin, als wäre es keine große Sache.

    Ich selbst habe einen fliegenden Vogel auf dem Schulterblatt, den Mikki eigens für mich entworfen hat. Ehe ich mir das Motiv stechen ließ, unterhielten wir uns über Tätowierungen, und ich schlug ihr vor, sich auch eine machen zu lassen.

    »Auf gar keinen Fall«, sagte sie damals. »Meine Eltern würden mich umbringen. Viele Japaner halten Tattoos für unanständig. Damit lassen sie einen nicht ins Fitnessstudio oder ins öffentliche Schwimmbad.«

    »Ist das immer noch so?«

    »Ja. Oder man muss sie bedecken. Viele Firmen geben einem keinen Job, wenn man tätowiert ist. Das ist nicht gut für ihr Image.«

    Deshalb falle ich fast aus allen Wolken, als ich jetzt das Tattoo an ihrem Handgelenk sehe. »Zeig mal.«

    Mikki streckt mir ihren Arm hin. Es ist ein Schmetterling in verschiedenen Schwarz- und Brauntönen mit einem dicken, gestreiften Leib und Fühlern mit kleinen Hörnern. Ich sollte etwas sagen – dass ich das Motiv schön finde. Aber das wäre gelogen. Es sieht schrecklich aus.

    Wir nehmen uns zwei Hocker. Es gibt so viel, was ich sie gerne fragen würde. Aber das muss warten. Ich will die Stimmung zwischen uns nicht vollends kaputtmachen.

    Es ist seltsam, in dieser winzigen stickigen Küche nikujaga zu essen. Wie oft haben wir es in unserer zugigen Küche in Cornwall gegessen, nachdem wir vor Kälte schlotternd vom Surfen wiederkamen?

    »Wie ist es so in London?«, fragt sie.

    Ich bin vor Kurzem dreißig geworden, und fast niemand hat von meinem Geburtstag Notiz genommen. Meine neuen Kollegen wussten nicht Bescheid, und ich habe es ihnen auch nicht gesagt. Mum hat eine Karte geschickt, und ein paar Freunde haben mir Nachrichten geschrieben oder angerufen, aber das war es auch schon. »Ich finde es toll. Ich habe schon ein paar echt nette Leute kennengelernt.«

    »Und die Arbeit?«

    »Auch gut. Viel zu tun. Meine Patienten holen sich regelmäßig irgendwelche Verletzungen.«

    Mikki sieht mich ungläubig an. »In London?«

    »Ja. Rugby, Yoga, so was eben.« Das immerhin entspricht der Wahrheit. Ich erzähle ihr von einigen Verletzungen, die ich behandelt habe, doch sie scheint nur mit halbem Ohr zuzuhören.

    »Was ist mit dir? Arbeitest du immer noch in diesem Club?«

    »Nein, da bin ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr.«

    Mikki muss ein kleines Vermögen geerbt haben, als ihr Großvater gestorben ist, denn sie hat erwähnt, dass sie hier ein Haus kaufen möchte.

    »Und was machst du stattdessen?«, frage ich.

    »Ach, so dies und das.« Sie nimmt einen Flyer vom Tisch.

    (McMorris Surfbretter: handgemacht für alle, die den Unterschied kennen) und fächelt sich damit Luft zu. »Scheiße, ist das schwül heute.«

    »Wann hast du das Fluchen gelernt?«

    Sie lächelt. »Daran sind die Aussies schuld.«

    Ich erwidere ihr Lächeln, während ich gleichzeitig ganz fest die Zähne zusammenbeiße, bis mir davon der Kiefer wehtut.

    All die Dinge, die ich ihr gerne sagen würde, steigen mir die Kehle hinauf und drohen aus mir herauszuplatzen.

    3

    KENNA

    Ist er gewalttätig, Mikki? Schlägt er dich?

    Ich hoffe inständig, dass ich mich irre, aber ich habe während unserer Telefonate so viele Warnsignale wahrgenommen. Wie bringe ich das Thema zur Sprache? Sage ich es einfach geradeheraus? Aber vielleicht geht sie dann in Abwehrhaltung und streitet alles ab. Stattdessen beschließe ich, auf eine günstige Gelegenheit zu warten, während wir uns über gemeinsame Bekannte, unsere Eltern und die Brasilianerin Maya Gabeira unterhalten, die den Weltrekord für die größte jemals von einer Frau gesurfte Welle hält.

    Ein Klimpern von Schlüsseln, dann betritt ein großer, blonder, muskulöser Mann das Haus.

    Sein Auftauchen scheint Mikki ein wenig aus dem Konzept zu bringen. »Äh, das ist Jack. Jack, das ist Kenna.«

    Ich bin sofort auf der Hut. Das ist er also. Ich habe ihn während unserer Face-Time-Gespräche hin und wieder kurz im Hintergrund gesehen, allerdings nie sein Gesicht. Er schüttelt mir mit einem selbstbewussten Lächeln die Hand. »Ich habe schon viel von dir gehört.«

    Er mustert mich dermaßen eindringlich, dass ich rot werde. Aber auch ich taxiere ihn und seine kräftige Statur. Niemand bedroht meine beste Freundin und kommt ungestraft davon. Mach mal halblang, Kenna. Du weißt doch überhaupt nicht, was los ist. Nun, ich habe definitiv die Absicht, es herauszufinden.

    Jack wirft Mikki einen belustigten Blick zu. »Wusstest du, dass sie kommt?«

    Mikkis Lächeln wirkt erzwungen. »Nein.«

    Er wendet sich wieder an mich. »Zum ersten Mal in Australien?«

    »Ja.« Ich will diesen Kerl auf gar keinen Fall heiß finden, aber er sieht wirklich unverschämt gut aus. An seiner Bräune und den stellenweise fast weiß gebleichten Haaren erkennt man, dass er viel Zeit im Freien verbringt. Er ist glatt rasiert mit einem markanten Kiefer, einem Kinngrübchen und breiten Schultern, die sein Quiksilver-T-Shirt optimal ausfüllen. Er könnte dem Set der Serie Home and Away entstiegen sein.

    »Ich war noch nie in England«, sagt er. »Zu kalt und so. Einer meiner Kumpels war mal für ein Jahr drüben und hat sich fast die Eier abgefroren. Wie soll man mit Handschuhen und Mütze surfen? Und das im Sommer?«

    »Wie war es auf der Arbeit?«, erkundigt sich Mikki.

    »Ganz okay.« Jack gibt sich Eintopf auf einen Teller. Er hat sie nicht zur Begrüßung geküsst oder auch nur umarmt – aber welches Recht habe ich, darüber zu urteilen, wie Partner sich begrüßen sollten?

    »Du hast früh Feierabend gemacht.« In Mikkis Stimme schwingt ein anklagender Unterton mit. Auch das wandert auf meine mentale Liste mit Fragezeichen.

    »Ja.« Jack zieht sich das T-Shirt aus und wirft es in eine Ecke, dann holt er sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Du auch eins, Kenna?«

    Ich gebe mir Mühe, ihm weiterhin ins Gesicht zu schauen und meine Blicke nicht in Richtung seiner Brust abdriften zu lassen. »Lieber nicht, sonst schlafe ich gleich ein.« Und ich muss alle Sinne beisammenhaben.

    Jack setzt sich neben mich und nimmt einen tiefen Schluck. Ich bin hin- und hergerissen, ob ich ihn hassen oder scharf auf ihn sein soll. Ich kann nicht abstreiten, dass die beiden rein optisch ein tolles Paar abgeben. Er blond und athletisch, sie zierlich und dunkel. Und sie haben ein gemeinsames Interesse: das Surfen. Trotzdem hat Mikki während unserer Telefonate kaum von ihm gesprochen. Wenn sie ihn wirklich lieben würde, könnte sie doch bestimmt gar nicht aufhören, von ihm zu erzählen, oder?

    Sie ist bereits kurz nach dem Kennenlernen bei ihm eingezogen. Sie hat seine Miete gezahlt, als er keinen Job hatte, und dann auch noch diese Blitzverlobung – man müsste meinen, die zwei wären bis über beide Ohren verliebt. Doch in Wahrheit ist davon nichts zu merken. Mikki wirkt eher leicht genervt von seiner Gegenwart, während er die ihre gutmütig zu ertragen scheint. Mikki war immer schon ein sehr reservierter Mensch, der seine Gefühle nicht gern offen zeigt, außerdem sind sie seit fast einem Jahr zusammen, deshalb lodert das Feuer der Leidenschaft vielleicht nicht mehr ganz so heiß wie zu Beginn. Aber ihre ausweichende Art, wann immer es um Jack geht, deutet für mich darauf hin, dass irgendwas faul ist.

    Das wenige, was ich über ihn weiß, musste ich ihr förmlich aus der Nase ziehen. Er arbeitet nicht viel, weil er Rückenprobleme hat, deshalb »unterstützt« sie ihn finanziell, und sie hat ihre Pläne, durch Australien zu reisen, aufgegeben, weil er ihr »den besten Strand der Welt« gezeigt hat. Für meinen Geschmack klingt das so, als würde sie sich ihm viel zu stark unterordnen.

    Dass sie bald heiraten wollen, hat sie letzte Woche ganz nebenbei erwähnt, als wäre es ursprünglich gar nicht ihre Absicht gewesen, es mir zu sagen. Das war für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

    »Ich komme zu dir«, sagte ich sofort.

    »Nein, nein. Wir wollen es ganz unkompliziert halten. Im kleinen Kreis, nichts Aufwändiges.« Ihr Tonfall klang irgendwie müde und resigniert – beinahe traurig.

    »Bist du schwanger?«

    Ich hörte, wie sie sich verschluckte. »Nein!«

    Warum dann heiraten? Doch sie blieb mir eine Erklärung schuldig. Meine Sorge um sie war so groß, dass ich sofort im Anschluss an unser Telefonat einen Flug buchte. Ich musste mir einen Monat von der Arbeit freinehmen, was nicht gerade ideal war, aber ich bin selbstständig, deshalb kann ich prinzipiell verreisen, wann ich will, außerdem habe ich in den letzten anderthalb Jahren extrem viel gearbeitet. Ich war Mikki eine schlechte Freundin und viel zu sehr mit meinem eigenen Elend beschäftigt. Als ich sie vor zwei Jahren brauchte, war sie für mich da, deshalb bin ich es ihr schuldig, ihr jetzt beizustehen.

    Vor meinem Abflug habe ich ihre Eltern angerufen, um ihnen von meinen Plänen zu berichten und sie gleichzeitig ein bisschen auszuhorchen. Die Hochzeit erwähnte ich mit keinem Wort, und da sie ihrerseits auch nicht darauf zu sprechen kamen, gelangte ich zu dem Schluss, dass sie nichts davon wussten: ein weiteres Warnsignal.

    Ich habe Angst, Jack könnte sie zur Heirat drängen, weil er hinter ihrem Geld her ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand Mikki ausnutzt. Sie lässt sich von jeder rührseligen Geschichte einlullen. Sie wissen schon: Leute, die auf der Straße um Geld betteln, weil sie angeblich ihr Portemonnaie verloren haben und jetzt dringend zwei fünfzig für die Busfahrt nach Hause brauchen – und am nächsten Tag sieht man, wie sie genau dieselbe Masche wieder abziehen. Mikki ist jemand, der ihnen jedes Mal die zwei fünfzig gibt. Sie ist der netteste Mensch, den ich kenne, aber für die Welt der Erwachsenen scheint sie nicht adäquat gerüstet zu sein.

    Weiß Jack, dass ihre Familie eine Kette erfolgreicher Surfshops betreibt? Selbst wenn sie es ihm nicht gesagt hat, hätte er sie googeln können.

    Mit seiner großen Hand umfasst er Mikkis Unterarm. »Ist der Papierkram fertig?«

    Sofort versteife ich mich.

    »Ja«, sagt Mikki. Ihre Körpersprache lässt keine Hinweise auf Angst erkennen, aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie keine Angst hat.

    »Heute in zwei Wochen, richtig?«, sagt Jack.

    Ach du Scheiße. Bestimmt meinen sie die Hochzeit. Ich hatte keine Ahnung, dass sie es so eilig haben. Mir bleiben also nur vierzehn Tage, um sie umzustimmen. Ich schaue nach, ob sie einen Verlobungsring trägt, aber ihre Finger sind schmucklos. Das sollte mich wahrscheinlich nicht wundern, zumal Jack ja offenbar nicht viel Geld hat. Ich glaube auch nicht, dass es Mikki stört, dass sie keinen Ring trägt. Sie ist zwar wohlhabend, aber alles andere als materialistisch.

    Ich sehe Jack beim Essen zu. Ihrem Verlobten. Ich kann es immer noch nicht fassen. Seit ich sie kenne, hatte Mikki nie einen richtigen Freund. Auf der Schule ist sie ein paarmal mit Jungs ausgegangen, und auch danach hatte sie hin und wieder Beziehungen, aber die hielten nie lange. Eine Weile habe ich mich gefragt, ob sie vielleicht auf Frauen steht, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Vielleicht ist das Surfen ihre einzige wahre Leidenschaft, und sie braucht nicht mehr.

    Jack ist ganz anders als die Männer, mit denen sie früher ausgegangen ist – größtenteils bärtige Künstlertypen mit langen Haaren und Hippieklamotten. Jack ist eher der kernige, sportliche Typ Mann. Und deutlich attraktiver als ihre bisherigen Liebschaften.

    Kein sehr hilfreicher Gedanke, Kenna.

    Seine Tattoos sind das andere, was mir Rätsel aufgibt. Er ist quasi am ganzen Körper tätowiert, mit aufwändig gestalteten Meereswesen und mystischen Tieren. Eine Schlange windet sich wie ein Armband um sein Handgelenk. Hat Mikki ihren Eltern deshalb nichts von der bevorstehenden Hochzeit erzählt? Weil sie weiß, dass sie ihn nicht gutheißen würden?

    Jack sieht mich schon wieder an, und ich erschauere. Ich muss unbedingt mit Mikki unter vier Augen sprechen und mehr über ihn herausfinden. Er räumt die leeren Teller ab. Wenigstens hilft er im Haushalt.

    Während er abspült, öffne ich meinen Rucksack und hole Geschenke heraus: englische Schokolade – Minstrels und Revels –, weil Mikki gesagt hat, dass sie sie vermisst; Bücher und ein hübsches Paar Flipflops von Havaianas mit einem Manga-Mädchen darauf. Mikki schiebt ihre Füße hinein. »Oh, die sind total toll!«

    »Und …« Etwas scheu hole ich das Make-up hervor – all die Markenprodukte, die sie geliebt hat, als wir noch zusammen wohnten. »Ich wusste nicht, ob du die Sachen hier bekommen kannst. Und ob du dich überhaupt noch schminkst.«

    Sie schraubt den Deckel vom Lippenstift und tritt vor den Spiegel im Wohnzimmer, um ihn aufzulegen. »Man kriegt sie hier, aber trotzdem danke.«

    Mit rosa glänzenden Lippen schließt sie mich noch einmal in die Arme, ehe sie sich wieder hinsetzt. Da ist immer noch diese merkwürdige Spannung zwischen uns, aber wenigstens sieht sie jetzt ein bisschen mehr aus wie die alte Mikki.

    »Wie geht es Tim?«, fragt sie.

    Ich staune, dass sie sich den Namen gemerkt hat. »Wir sind nur ein paarmal miteinander ausgegangen. Ich habe schon vor Ewigkeiten mit ihm Schluss gemacht, habe ich dir das nicht erzählt?«

    »Gut so. Er schien ein totaler Langweiler zu sein.«

    Ich lache. Sie kennt mich zu gut. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«

    Auch sie muss lachen. »Die Verlockung war da.«

    Einen Moment lang ist es wie in alten Zeiten. Sie und ich, beste Freundinnen für immer. Ich habe keine Schwester, nur einen großen Bruder, dem ich nicht besonders nahestehe, aber Mikki ist mein Ersatz.

    »War er zu nett?«

    »Nicht direkt.« Insgeheim wundere ich mich über die Frage. Verrät sie etwas über ihre Beziehung mit Jack? »Es … Ich war einfach nicht mit dem Herzen dabei.«

    »Dann bist du zurzeit also Single?«, fragt sie.

    Jack wirft mir über die Schulter einen Blick zu.

    »Ja«, sage ich, unangenehm berührt.

    Er trocknet sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und tritt zu uns. »Ein Glück, dass du rechtzeitig gekommen bist, Kenna. Wir wollen nämlich morgen an die Küste fahren.«

    Ich sehe Mikki um Bestätigung heischend an. Ihre schuldbewusste Miene trifft mich tief. Ich bin den ganzen weiten Weg geflogen, und jetzt kann ich sie nur ein paar Stunden lang sehen?

    »Hast du schon Pläne für deinen Aufenthalt hier?«, erkundigt sich Jack.

    »Also …« Ich will Zeit mit meiner besten Freundin verbringen. Mehr über diesen zwielichtigen Australier erfahren, den sie zu heiraten gedenkt. Sie zur Vernunft bringen und zurück nach Hause holen. »Nein, eigentlich nicht.«

    »Dann komm doch mit«, schlägt Jack vor.

    Mikkis Augen weiten sich, was ihm allerdings nicht auffällt. Sie strahlt eine ganz merkwürdige Energie aus, bis sie bemerkt, dass ich sie beobachte, und sich am Riemen reißt. »Ja, auf jeden Fall.«

    »Ich möchte eure Zweisamkeit nicht stören«, sage ich.

    »Wir sind insgesamt zu sechst«, erwidert Jack.

    Ich versteife mich. Mikki hat nicht viel von der Gruppe erzählt, mit der sie surfen geht, aber das, was ich bislang gehört habe, gefällt mir gar nicht. Ich versuche, Zeit zu gewinnen. »Wo soll es denn hingehen?«

    »Einfach an einen Strand.« Jack grinst. Es ist ein Witz, den ich nicht verstehe.

    Ich wende mich an Mikki. »Ist das der Surfstrand, den du erwähnt hast? Der, den fast niemand kennt?«

    »Genau.« Mikki und Jack tauschen wortlos einen Blick. Sie errötet.

    »Wie lange wollt ihr denn dort bleiben?«

    »So lange wie möglich«, antwortet Jack. »Stimmt’s, Mikki?«

    Ich warte darauf, dass einer der beiden die Hochzeit anspricht, doch das passiert nicht. »Wollt ihr zelten?«

    »Ja«, sagt Jack. »Du surfst doch auch, oder?«

    »Früher schon. Inzwischen nicht mehr.«

    »Wie kommt’s?«

    Ich will das jetzt nicht erklären. »Ich habe eben aufgehört.«

    Jack runzelt die Stirn. »Wie kann man mit dem Surfen aufhören?«

    Weil ich den Anblick des Meers nicht länger ertragen konnte. Nicht nach dem, was geschehen ist. »Ich bin wegen der Arbeit weggezogen.«

    »Na ja, aber hier musst du nicht arbeiten, stimmt’s?«

    »Ich habe kein Board.«

    »Was surfst du denn, Shortboard oder Longboard?«

    So viele Fragen. »Äh. Shortboard.«

    »Warte kurz.« Jack verlässt das Zimmer.

    Ich wende mich an Mikki. »Wenn du nicht möchtest, dass ich mitkomme, sag es einfach.«

    »Natürlich möchte ich, dass du mitkommst.«

    Ich senke die Stimme. »Ist alles in Ordnung bei dir? Wenn er dir … wehtut, dann kann ich dir helfen.« So. jetzt ist es raus.

    Mikki zuckt zusammen. »Was? Nein!«

    Die schnelle Antwort macht mich misstrauisch. »Besonders glücklich wirkst du aber nicht.«

    »Damit hat es nichts zu tun. Wirklich nicht. Ich war bloß überrumpelt, als du auf einmal unangemeldet vor der Tür standest.«

    Sie wirft einen Blick zur Tür. »Und die Sippe ist seit einiger Zeit ein bisschen komisch.«

    »Die was?«

    »So nennen wir uns. Aber du solltest auf jeden Fall mitkommen. Das wäre total cool.«

    Jetzt trägt sie ein bisschen zu dick auf. Worauf hat sie sich da eingelassen? Panik steigt in mir hoch. »Das ist mir während unserer Gespräche schon aufgefallen, deshalb bin ich hergekommen. Ich möchte dich mit nach Hause nehmen.«

    »Nein, ich …«

    Jack kehrt zurück. Er hat ein Shortboard mitgebracht.

    Verdammt. Er stellt es neben mir ab. Die Oberfläche ist gewachst, doch seinem tadellosen Zustand nach ist es fast nie benutzt worden. Ich zucke zusammen, und Zorn flackert in mir auf, als er mich an der Schulter nimmt und näher an das Brett heranschiebt.

    Abwägend blickt er von meinem Kopf zur Spitze des Bretts. »Na, was denkst du? Es ist fünf Fuß elf.«

    Ich schüttle seine Hand ab und funkle ihn böse an.

    Er bemerkt nichts, sondern schaut zu seiner Freundin. »Ansonsten hat Mikki auch noch ein paar.«

    Mikki hatte immer alle Bretter, die sie sich nur wünschen konnte, weil ihre Eltern eine Surfshop-Kette besaßen. In der Woche vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag habe ich mein einziges Brett kaputtgemacht, und sie hat mir zum Geburtstag ein neues geschenkt. Es war wunderschön verpackt. Sie musste eine ganze Rolle Geschenkpapier dafür verbraucht haben. Sie hat mir immer teurere Geschenke gemacht, als ich ihr machen konnte – noch ein Grund, weshalb ich fest entschlossen bin, sie jetzt nicht im Stich zu lassen.

    Mikki nickt energisch. »Es gibt reichlich Auswahl.«

    »Vertrau mir«, sagt Jack. »Wenn du die Wellen siehst, wirst du sie surfen wollen. Wir haben ein zusätzliches Zelt. Wir haben alles, was du brauchst. Also. Kommst du mit?« Seine Begeisterung gleicht der eines kleinen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1