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Der Thron Mittgarts: Band 1: Aus den Nebeln Mittgarts
Der Thron Mittgarts: Band 1: Aus den Nebeln Mittgarts
Der Thron Mittgarts: Band 1: Aus den Nebeln Mittgarts
eBook548 Seiten7 Stunden

Der Thron Mittgarts: Band 1: Aus den Nebeln Mittgarts

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Über dieses E-Book

Drittes Jahrhundert nach Christus: Der Verbannte Sigi findet seinen Weg zum Stamm der Brukterer. Tatendurstig wirft er sich in die Ereignisse der Zeit und wird zu einem gefährlichen Feind des schwächer werdenden Römischen Imperiums. Der Götterspross formt den Stamm der Franken und gründet eine Linie, die bis zum Drachentöter Siegfried und mitten in die Wirren der Völkerwanderung führen wird. Er erlebt große Abenteuer, gewaltige Siege und vernichtende Niederlagen. Er sieht Kaiser kommen und gehen und muss sich dauerhaft mit der verfeindeten Sippe der Meroinger einen Kampf um die Vorherrschaft im Stamm der Franken liefern.
SpracheDeutsch
HerausgeberNoe Verlag
Erscheinungsdatum3. Juli 2023
ISBN9783968280080
Der Thron Mittgarts: Band 1: Aus den Nebeln Mittgarts
Autor

Thomas Fernandez

Thomas Fernandez ist beruflich mit Natur und Wäldern verbandelt. Seine Interessensgebiete sind die germanische Geschichte und die Schriftstellerei. Mit dem Thron Mittgarts, seinem zweiten Roman, lädt der Autor den Leser auf eine spannende Reise durch die Geschichte Mitteleuropas ein.

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    Buchvorschau

    Der Thron Mittgarts - Thomas Fernandez

    Francus ego cives

    Thomas Fernandez

    Der Thron Mittgarts

    Aus den Nebeln Mittgarts

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    dnb.dnb.de abrufbar.

    © Thomas Fernandez

    © Noe Verlag

    Herausgeber:

    Holger Noe

    Noe Media Solutions

    Kruppstr. 1-3 · 51381 Leverkusen

    Satz und Druck:

    Noe Media Solutions

    Gedruckt in Deutschland

    ISBN: 978-3-96828-006-6

    www.noe-verlag.de

    Thomas Fernandez

    Der Thron Mittgarts

    Aus den Nebeln Mittgarts

    I.  Einführung

    Ein Nibelungenroman, in dem Römer vorkommen? Der erste Teil einer Nibelungenreihe und man liest nichts von Siegfried und seinem Drachen? Was soll das?

    Lange trug ich diese zwei Herzen in meiner Brust: Meine Leidenschaft für die Völkerwanderung und meine Liebe für den gesamten Nibelungenkosmos. Lange habe ich überlegt, welchen Stoff ich, nach meinem vor vielen Jahren geschriebenen Alamannenroman, angehen sollte. Soll ich in die Völkerwanderung tauchen? Soll ich über die Wälsungen, Siegfried und das Ende der Nibelungen schreiben? Was ist der Ursprung dieses Mythos – immerhin unser Nationalepos? Doch während die Griechen sich auf einen Schreiber – Homer (auch wenn man heute von mehreren Schreibern ausgeht) – ihres Nationalepos stützen, so haben wir (und die Schweden, Isländer, Norweger, Niederländer und Dänen) vielfältige Quellen des Stoffes. Wann spielt es? Wo? Was ist echt? Was Mythos? Eines ist auf jeden Fall klar: Der Stoff ist weder eine Rittergeschichte noch eine nordische Wikingergeschichte. Als ich überlegte, wo denn der Stoff wirklich greifbar wird, blieb nur eines übrig: Die Vernichtung des Burgunderreiches durch die Hunnen im Jahr 436. Und da hatte ich es! Ich brauchte nur alles in der Geschichte zurückrechnen. Und schon sind wir mitten in der Völkerwanderung! Dabei geht es mir sicher nicht um die Dekonstruktion unseres Nationalepos.

    Ich wollte die Geschichte wieder dahin zurückverlegen, wo sie hingehört. Dabei soll mir bitte niemand unterstellen, ich behaupte: SO WAR‘S!

    So war es eben nicht! Würde ich ein Nibelungenepos schreiben wollen, der den wahren historischen Hintergrund beleuchtet, so müsste diese Geschichte bald 800 Jahre lang sein. Sie würde sich von der Clades Varianna (Schlacht im Teutoburger Wald) bis in die Karolingerzeit ziehen. Die beteiligten Personen wären sich nie über den Weg gelaufen und somit wäre die Handlung Makulatur.

    Ich verlegte die Geschichte in die Völkerwanderung, da die meisten Heldenepen der germanischen Welt vom „Heldenzeitalter" (bis ins frühe 6. Jahrhundert) stammen.

    Die Geschichte, die ich erzähle, soll über mehrere Bände gehen. Das erste Buch – dieses – beleuchtet die Geschichte der frühen Vorfahren Siegfrieds. In den verschiedenen Nibelungenliedfassungen völlig ignoriert, in der Wälsungasaga immerhin ein Kapitel, in den eddischen Liedern keine Erwähnung, in Tolkiens Bearbeitung des Stoffes einen Satz wert, wollte ich diese Charaktere, die den Ruhm der Wälsungen errungen haben, durchleuchten. Wenn ich die Fakten der Wälsungasaga mit dem Jahr des Unterganges des Burgunderreiches verbinde, so befinden wir uns im 3. Jahrhundert. Und die meisten Germanisten, die den Stoff kennen, und genug Hinweise in den eddischen Liedern zeigen, dass wir es mit einem fränkischen Stoff zu tun haben! Das passt! Denn die früheste Geschichte des Frankenstammes ist abenteuerlich genug um darüber ein Buch zu schreiben! So führte ich diese mit unserem Nationalepos zusammen. Die Ereignisse in diesem Buch, die römische Geschichte tangieren – auch die abenteuerlichsten! – sind so von römischen Chronisten überliefert.

    Geneigter Leser: Wenn Sie auf unseren strahlenden Held warten, so müssen Sie sich ein paar Bücher gedulden! So lange tauchen Sie in die Welt von Mythos und Geschichte ein. Eine Welt von großen Abenteuern, einem taumelnden Imperium und von der Ethnogenese des heutigen Deutschlands und Europas! Eine Welt ohne Gut und Böse – jeder kämpfte für seine Sache. So wie es sich in allen Kriegen und historischen Umwälzungen der Weltgeschichte zugetragen hat!

    Die Sprache der Germanen: die verschiedenen Stämme konnten im 3. Jahrhundert mehr oder weniger miteinander kommunizieren. Vergleichbar ist es mit heutigem Deutsch-Holländisch. Die Vertiefung der Unterschiede erfolgte wohl erst im Zuge der Völkerwanderung. Es gab (hypothetisch) wohl schon klar hörbare Unterschiede. Doch in einem Roman dieser Tatsache Rechnung zu tragen, ist illusorisch. Alle Germanen reden Neuhochdeutsch mit verschiedenen althochdeutschen oder gotischen Einsprengseln. Damit wollte ich die Geschichte authentischer, die Sprache lebendiger wirken lassen. Die Beinamen der Männer sind immer auf Althochdeutsch. Die Übersetzung ist im Glossar angehängt. So kann der Leser nachvollziehen, was Worte wie „Skafta, „Maw oder „Buari" bedeuten.

    Die lateinische Sprache bzw. der gallo-romanische Dialekt: In direkter Verbindung mit den Germanen, bzw. bei Sätzen, die für den Erzählfluss nicht essentiell bzw. eindeutig sind, bin ich beim Lateinischen geblieben. Natürlich kultiviertes Hochlatein. In der römischen Wirklichkeit hätten wir es mit Vulgärlatein, lateinischen Dialekten und verschiedenen Kauderwelschen zu tun. Doch genau wie bei den germanischen Sprachen wollte ich den Erzählfluss nicht bremsen. So erscheint die direkte lateinische Rede – wenn sie ins Deutsche übersetzt ist – in Kursivschrift. Das bedeutet: Hier wird Latein gesprochen, aber für Sie – werter Leser – übersetzt.

    Zu den mythologischen Aspekten: Der Glaube der Germanen im 3. und 4. Jahrhundert war weder der Glaube der Nordmänner im 10. Jahrhundert noch die Religion, die Tacitus beschrieb. Auch gab es regionale und stammesbedingte Unterschiede, ein großes Maß an niederer Mythologie, die verloren gegangen ist, und Götterbenennungen, die wir nicht mehr kennen. Wie groß der Pantheon war, wer beim nordischen Pantheon genuin nordisch oder „allgermanisch" ist, können wir nur bei den Hauptgöttern rekonstruieren. Klar ist: Die Edda ist sehr christlich beeinflusst. Genauso wie die Religion der Germanen im Zuge der Völkerwanderung durch die klassische, antike Welt Einflüssen ausgesetzt war. Wie viel Jupiter, Mithras und Mercurius in Wotan stecken, können wir nur erahnen. Wann Donar als Kriegsgott von Wotan abgelöst wurde auch (wohl im späten Frühmittelalter). Doch um die Mythologie als realen Bestandteil der Welt darzustellen, musste ich eine religiöse Systematik erbauen. Dabei müssen die ewigen Götter (oder nicht ewig?) über dem Wandel stehen. Götter, die mit der Zeit gehen und plötzlich fremdländische Attribute annehmen, wären nicht glaubhaft. So habe ich versucht mit Hilfe von allen Quellen eine glaubhafte Götterwelt für die Völkerwanderung zu zeichnen.

    Am Ende des Buches gibt es für alle Neueinsteiger ein Wörterglossar. Trotzdem habe ich versucht im Fluss des Buches alle Wörter zu erklären, oder dem Leser die Möglichkeit zu geben sich die Bedeutung zu erarbeiten. Für alle römischen und germanischen Bezeichnungen, die im Laufe des Buches benützt werden, gibt es trotzdem eine konzentrierte Erklärung am Ende. Auch eine – z.T. fiktive – Zeittabelle. Zum Teil fiktiv heißt: Der Bezug auf die agierenden Figuren ist fiktiv. Viele – oder fast alle – historischen Ereignisse, auf römischer und auf germanisch/fränkischer Seite sind durch Quellen belegt.

    Kurzum: Ich hoffe, mein Versuch Mythos und Historie zu vermählen, quittiert der Leser mit Wohlwollen. Falls ich in der Beschreibung der brukterischen Heimat an Rhein und Ruhr gefehlt habe und mir dort heimische Geschichts- und Heimatkenner Fehler vorwerfen, so seid gnädig mit mir: Ich bin ein Schwarzwälder und schreibe aus der Ferne. Gerne können Sie mich anschreiben und mir meine Fehler aufzählen. Diese versuche ich in den nächsten Büchern – solange es keinen Bruch zum ersten bedeutet – gerade zu biegen. Genauso verhält es sich mit den römischen Angelegenheiten: Mein Metier ist die Kultur und Geschichte der Germanen. Sollte ich gefehlt haben, melden Sie sich bitte!

    Nun wünsche ich viel Freude beim Eintauchen in die Welt von Göttern, Stämmen, Imperien, Helden, Kaiser und dem großen Umbruch Europas!

    II.  Über Germanen

    Die Germanen bewohnten ursprünglich die Länder zwischen Rhein und Weichsel, Donau und den nördlichen Ländern, die man „Skandia" nannte. Germanen nannten sie nur die Römer. Sie selber sahen sich als Angehörige der verschiedenen Stämme. Im Laufe des 3. Jahrhunderts nach Christus begannen sich kleinere Stämme langsam zu großen Stämmen oder Stammesbünden zu vereinen, zu wandern und auszubreiten. So wurden beispielsweise aus Semnonen und Sueben die Alamannen. Es gab noch die Stämme der Goten, Vandalen, Burgunder, Friesen, Brukterer, Chatten, Chauken, Chamaven, Markomannen und Quaden. Sie einte eine ähnliche Sprache, ähnliche Sitten und der gleiche Glaube.

    Ihre Götter waren die Ansen oder Asen. Diese Götter stellten sich die Germanen so vor, wie sie selber waren. Voller Leidenschaften, Schwächen und Stärken. Der höchste Gott war Tuisto, Tiwaz oder Ziu. Er war der himmlische Vater. Der Gott des Richtspruches und der Gerechtigkeit, die auf dem Thing – dem Gericht – gesprochen wurde. Ihm folgte der mächtige, kräftige, aber etwas einfältige Gott der Eichen, der Schlachtenreihen, des Blitzes und Donners: Donar. Auch ehrten die bäuerlichen Menschen die Göttin Frija und ihren Bruder Ingweo. Diese brachten Mensch und Vieh Heil und Fruchtbarkeit. Ganz anders verhielt es sich mit den Todesgottheiten. Der Herr der Toten war der Wind- und Sturmgott Wotan. Er ritt das achtbeinige Ross Sleipianeri. Doch oft war er als alter Wanderer verkleidet zu Fuß zwischen den neun Welten unterwegs. Wotan war der Gefolgsherr – der Truchtin – der Toten. Die Toten saßen in der Totenhalle, im Totenberg Halja. Die Herrin dieser Halle war Frau Halja. Ihr wurden die Toten, die im Bett gestorben waren, durch die IIdisen – dunkle Ahnengeister – und die Toten des Schlachtfeldes von reitenden Mädchen – den Walküren – gebracht. Schließlich gab es noch Loge. Der listige Feuergott war für alle Götter undurchschaubar. Mal war er Feind; mal war er der Retter in der Not. Doch traute keiner der Ansen – außer dem etwas einfältigen Donar – dem rotschöpfigen Antipoden.

    Doch allen Göttern war es gleich, dass auch sie dem Schicksal – den drei Nornen – unterworfen waren. Besonders Wotan und Loge versuchten immer wieder in die Speichen des Schicksals zu greifen und es zu verändern, indem sie in die Geschicke der Welten eingriffen. Besonders die mittlere Welt Mittgart wurde oft von ihnen heimgesucht.

    In Mittgart war die größte Macht das Römische Reich. Im 3. Jahrhundert wankte seine Macht und viele Stämme wurden keck und unternahmen immer mehr kriegerische Züge gegen die Kaiser. Trotzdem überstrahlten die Macht, das Heil und die Pracht des Imperiums alles!

    Im 3. Jahrhundert sollte eine Zeit der Helden beginnen, in der Männer gegen Männer, Schwerter gegen Schwerter, Reiche gegen Reiche um eines kämpften:

    den Thron Mittgarts

    III.  Der Wanderer

    Germanien, 209 n.Chr. Die acht Hufe seines Pferdes setzten bei der Heide auf. Der süße Duft von Besenheide drang ihm in die Nase und peitschte seine Sinne noch mehr auf. Er stieg vom Pferd ab. Er war alt, aber beweglich und flink wie ein junger Bursche. Sein Auge blickte zu den zwei Dünen. Da musste er durch. Hinter den Dünen war ein krüppeliger Eichenwald. Jahrelang hatten die Menschen des Dorfes hier Holz und Rinde gewonnen und ihre Schweine hinein getrieben.

    Hinter dem kleinen Wald kam der Wanderer an Viehweiden vorbei. Hirtenbuben ließen sich die Altweibersommersonne auf den Bauch scheinen, während ihre Schützlinge – das Vieh der Herrschaft und der Bauern – Gras, Blätter und Vogelbeeren vertilgten.

    Der Alte hörte schon das Dorf. Er roch es schon. Es roch nach Mist, glühendem Eisen und Ziegen. Er wusste, dass alle freien Männer nicht da waren. Der Truchtin – der Gefolgsherr – war mit ihnen auf Heerfahrt. Nun sah er die Ansammlung von Langhäusern. Sie waren strohgedeckt. Die Dachsparren ragten als Stütze bis in den Boden hinein. Vor den Häusern saßen Mägde und hechelten Lein. Der Schmied reparierte in seiner Schmiede einen Pflug. Alles ging sehr bedächtig. Selbst die Hunde lagen in der Sonne. Sie blickten den Fremden an und legten den Kopf wieder faul in den Sand. Die schaffenden Mägde wunderten sich: Sonst reagierten die Hunde auf Fremde sehr feindselig.

    Der Alte mit dem blauen Mantel, den er auch über den Kopf als Kapuze tief über das Gesicht legte, begrüßte die Frauen und fragte kurz angebunden:

    „He, ihr Weiber, wo ist die Frowe?"

    Die Angesprochenen zeigten schweigend mit dem Finger hinter dem Wanderer. Er drehte sich um und sah, dass ein Dutzend Frauen mit Körben in den Händen lachend auf das Dorf zu kamen. Sie hatten Heidelbeeren gesammelt. Die Münder waren blaurot. Die Hände völlig verschmiert. Doch ihre Laune war blendend! Lachend kamen sie auf den Fremden zu.

    „Alter Mann, was brauchst Du?", fragte die Frowe.

    „Hast Du Bettstatt und Bier für einen Wanderer?"

    „Durchaus. Wenn Du mir Deinen Namen nennst!"

    „Ganglari"

    „Ganglari, Du sollst wissen, dass unsere Männer auf Heerfahrt sind. Doch sind wir nicht wehrlos!"

    „Ich bitte nur um Bier und eine Bettstatt", antwortete der Alte. Und um deinen Leib, dachte er.

    „Gut! Gäste sind uns an diesen leisen Tagen sehr willkommen! Fehildis! Setz einen Kessel Wasser auf! Ich sollte unseren Gast sauber empfangen!"

    Der Fremde wurde in das Haupthaus – das war der größte aller Höfe – hinein gebeten. Die Häuser waren lange Häuser, die aus einer Halle bestanden. In den zwei hinteren Dritteln war das Vieh untergebracht. Die Wände waren aus Fachwerk, welches mit weiß gestrichenem Lehm verputzt war. Der Dachfirst wurde von mächtigen Holzsäulen getragen. Sie waren oft bunt angemalt und mit Tierdarstellungen geschmückt. Das Herz eines Langhauses bildete das Herdfeuer. Es stand in der Mitte des Hauses und war eine gemauerte, offene Feuerstelle. Sie wärmte, sie leuchtete und sie wurde zum Kochen genutzt. Große Hallen hatten große Feuer, genannt Langfeuer. Der Rauch zog in die strohgedeckten Dächer. Dort wurden Balken und Schinken haltbar gemacht. Der Rauch zog dann über zwei kleine Lichtlöcher an den Giebelseiten oder oberhalb von den seitlichen Walmen ab. Das waren die Windaugen. In diesen Hallenhäusern lebten alle unter einem Dach und in einem Raum. Das Langhaus war Schlafplatz, Speisesaal, Stall und Wohnraum zugleich.

    Die Mägde brachten einen hölzernen Zuber. Bald wurde er mit warmem Wasser gefüllt. Sie spannten einen Wollmantel zwischen Zuber und Gast. Dahinter zog sich die Hausherrin aus. Sie wollte Schweiß, Heidelbeerflecken und Sandstaub von ihrem schönen Leib abwaschen.

    „Es heißt, die Römer hätten immer warmes Wasser. Überall. Und jeder. Selbst Unfreie. Stimmt das, Ganglari?"

    „Wieso sollte ich das wissen?", gab der Gefragte von sich.

    „Weil Du wie ein weitgereister Wanderer aussiehst. Fehildis! Seife!"

    „Ja. Sie haben große Hallen aus Stein. Dort haben sie warmes Wasser. Jeder kann dort ein Bad nehmen."

    „Ach, das müssen wirklich kalte Steinlanghäuser sein!"

    Die Frowe wollte klug wirken.

    „Nein. Sie haben manchmal sogar warme Böden", erwiderte der Alte.

    „Wirklich? Bei Donar! Das müssen aber gewaltige Langhäuser sein! Fehildis: Bereit‘ für heute Abend ein gutes Mahl vor. Bring unserem Gast vom frischeren Honigbier, Sahne und Schinken."

    Am Abend wurde ein einfaches, aber schmackhaftes Mahl geboten: Gekochter Schinken, Schmalzbrote, Bohnensuppe und Honigbier.

    Das Langfeuer brannte und färbte die Halle in ein warmes rotes Licht. Die Frauen des Dorfes waren gekommen und die Mägde liefen von Tisch zu Tisch um Bier einzuschenken. Es waren kleine, längliche Tische, an denen höchstens vier Frauen saßen.

    Ganglari saß bei der Hausherrin und Fürstin. Ihr schönes Gesicht leuchtete rot. Und je mehr Bier sie trank, desto mehr glühte sie den Fremden an. Etwas war wirr in ihrem Kopf. Hatte das Bier sie dumm gemacht? Hatte der Fremde sie verhext?

    Nach und nach gingen die freien Frauen zu ihren Höfen. Bald saßen nur noch der Alte und die Frowe da. Sie schickte alle Unfreien ins Bett. Sie waren alleine. Das Feuer war nur noch rote Glut und ihr Antlitz gab diese Glut wieder. Prächtig hatte sie sich gekleidet: Einen grünen Peplos – ein röhrenförmiges Kleid ohne Ärmel, einen prächtigen Gürtel und an den Schultern hielten zwei mächtige elchförmige Fibelbroschen das Kleid zusammen.

    Die Frowe glühte. Nun wirkte der Gast gar nicht mehr so alt. Zwei Wochen war ihr Gemahl fort. Immer war sie treu gewesen. Doch heute Abend war alles anders. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dieser Fremde blickte sie geheimnisvoll mit seinem Auge an.

    Sie öffnete die beiden Fibeln, sodass die obere Hälfte des Peplos auf ihren Schoß fiel. Nun lachten zwei wunderbare Brüste den Gast an. Rosenknospen richteten sich auf.

    Der Wanderer stand auf. Er nahm die Willenlose auf seine Arme und brachte sie ins Bett. Nun lag sie in ihrer weiblichen Pracht da. Der Sturmgott fand, dass sie für eine vielfache Mutter einen prächtigen Körper hatte. Schweißtropfen perlten über Brust und Bauch. Mit vielsagendem und verruchtem Blick schaute sie den Fremden an. Er selber legte seinen blauen Mantel und alles, was er sonst trug, daneben.

    Zwölf Kinder hatte ihr Schoß getragen, sechs auf die Welt gebracht. Nun wurde ein neues Kind gezeugt…

    Mitten in der Nacht, die Frowe schlief tief und fest, verließ der fremde Wanderer das Haus. Sein Weg führte ihn zurück zu seinem Pferd, welches ruhig in der Heide zurückgeblieben war und die Pfeifengrashalme zwischen dem Heidekraut vertilgte.

    „Das Schicksal wurde gesät…", murmelte er.

    Noch einmal wollte er das Haus sehen, in dem er ein Kind gezeugt hatte. Doch es war zu weit entfernt. Zwei Raben flogen über ihm. Mit Gedankenkraft schickte er sie zurück. Sie sahen alles: Das Dorf schlummerte friedlich in der Nacht. Rauch quoll aus den Windaugen heraus und das Vieh schlief genauso wie seine Herren.

    All das sah der Wanderer über die Augen der Raben.

    Er setzte sich auf sein Pferd.

    „Hü! Bring mich weg von hier!, murmelte er in seinen langen grauen Bart, „wollen wir den Anderen zeigen, wozu der Alte fähig ist!

    Sein Hengst setzte sich in Bewegung. Gen Himmel. Seine acht Beine galoppierten ruhig in die Nacht. Wotan führte sein Pferd über alle Hallen, alle Länder und alle Welten.

    Er ritt über Donars Langhaus im mächtigen Eichenwald. Er ritt bis zu Tuistos Himmel. Der himmlische Gott des Things sollte es sehen! Er flog an seinem eigenen Totenberg vorbei. Halja, die Wächterin seines Totenreiches, die Walküren und die Gefallenen – die Wal – sollten sehen, was ihr Gefolgsherr getan hatte! Er hatte ein Kind gezeugt! Er ritt durch den heiligen Lindenhain der Frija und ihres Bruders Ingwe. Ja, bis zur Sonne flog er, um Sunna zu berichten. Nerthus, fest an die Erde gebunden, erfuhr es auch. Balder freute sich mit ihm und Sinthgunt grüßte den Windgott. Nur einer fehlte. Loge. Wo war der Rotschopf? Wo war der listige Feuergott?

    Friesenland, 209 n.Chr. Der Mond schien auf das brandende Meer. Weit spritzte Ran – die Meergöttin – den weißen Schaum der Gischt an Land. Etwas regte sich im Wasser. Es waren nicht die Wellen. Es war kein Wal und keine Kegelrobbe. Etwas regte sich und näherte sich dem Strand. Es war schwarz. Schwärzer als die Nacht. Zwischen Wellen und Gischt sah man Hörner herausragen. Aus den Fluten schritt ein mächtiger Stier. Ein Urstier. Ein Auerochse. Geradewegs und willensstark trabte er ins Geestland. Friesenland. Doch die Wagenburg, die zwischen Marsch und Geest rastete, war keine friesische. Der Salier Inguomer, seine Frau Audgund und ihre mächtige Sippe rasteten. Sie hatten einen weiten Weg hinter sich und ihre alte Heimat verlassen müssen. Sie hatten bei den Friesen Vieh gekauft. Jetzt mussten sie ihren Reichtum gegen Banditen – meistens Chauken oder Brukterer – bewachen. Doch die Wachen waren eingeschlafen…

    Der Urstier trabte. Er trabte der Wagenburg entgegen. Eine Langhauslänge entfernt hielt er an. Die winzigen Kühe der Salier scherten ihn nicht. Er wartete und flehmte. Sein Atem dampfte in dieser kühlen Nacht. Immer wieder brummte er in die Nacht hinein. Und wieder setzte sein Milchmaul an zum Flehmen.

    Audgund wurde wach. Etwas hatte sie geweckt. Etwas rief sie. Etwas lockte sie. Nackt wie sie war, stieg sie aus dem Wagen. Die Nachtkälte ließ ihre Brüste hart werden. Sie sah den Stier. Sie sah seine mächtigen Hörner. Er blickte sie an.

    Die Frowe schritt auf ihn zu.. Sie roch das Meer. Sie war dem Stier gefügig. Ihr Schoß hatte sieben Kinder empfangen und zweien das Leben geschenkt – nun hatte sie von dem

    Meeresungeheuer ein Kind empfangen. Es roch nach Gischt und Salz…

    Das Tier trabte davon. Er suchte nicht das Meer auf. Das Meer war nicht sein Element. Loge konnte viele Gestalten annehmen. Er konnte im Wasser, im Himmel, unter der Erde verweilen. Doch Feuer war sein Element. Und Täuschung.

    „Sturmgott, wenn du glaubst, du kannst in Mittgart Kinder zeugen, dann weißt du nicht, was Loge alles kann!", sprach er zu sich.

    Germanien. „Sigi!", rief Inghild 17 Jahre später ihren Sohn, „Sigi! Kommst du sofort her! Wir haben Gäste und du treibst Dich im Schnee herum!"

    Der Sohn Inghilds, Spross des semnonischen Fürsten Segimer, übte zwischen Langhaus und Grubenhaus. Er übte mit Speer und Schild. Winter war eine grässliche Zeit. Keine Heerzüge, kaum eine Möglichkeit mit den Waffen zu üben und die ganze Zeit die stickige, rauchige Luft des Langhauses. Sigi war 16 Sommer alt. Er hatte sein Aussehen von der Mutter geerbt. Er war groß, seine blauen Augen strahlten neugierig und lebenshungrig in die Welt, sein blondes Haar hing in Wellen über seine Schulter. Sigi war kühn, mutig und gütig. Dafür liebte ihn die Gefolgschaft seines Vaters. Schon vor der Speerweihe hatte er als Schildbube seinen Vater auf dessen Heerfahrten begleitet. Seit seiner Speerweihe kämpfte er in den Reihen der Männer. Schon an zwei Kriegszügen hatte er teilgenommen. Stolz blickte sein Vater Segimer auf den Sohn, wenn er ganz vorne im Eberkopf – in der keilförmigen Angriffsstellung der Semnonen – bei seinem Fürsten und Vater die Feinde mit Speer und Schwert durchstach, zertrennte oder aufschlitzte. Der Junge hatte in all den Kämpfen kaum Wunden mit heimgebracht. Segimer meinte, der Schlachtenvater selber, Donar, würde den Jungen beschützen. Er bedauerte es nur, dass Sigi nicht sein ältester Sohn war. Dass Sigi nicht Fürst von den Semnonen an der Havel werden würde, fuchste den alten Kämpen sehr.

    Sigi kam mit Speer und Schild an die Tür des Langhauses. Seine Mutter blickte ihn kopfschüttelnd an.

    „Wie siehst du denn aus!? Die Waffen legst du aber weg. Wenn dich unsere Gäste so sehen, werden sie einen Hinterhalt wittern! Du weißt: Vater hat lange eine Fehde mit Gisilo gehabt! Bitte komme ihm nicht dazwischen!"

    Sigi blickte an sich herunter. Schnee klebte an der Hose, Schnee hing am Wollmantel und seine Tunika hatte ein Loch.

    „Ja Mutter. Ich werde tun, was du verlangst."

    Es war ein gemütlicher Abend in Segimers Haus. Draußen wütete ein Schneesturm. Im Haus tranken und aßen 37 Männer. Alles Semnonen. Es war die Sippe des Segimer und die Sippe des Gisilo. Sie hatten ihre Fehde beendet. Nun erhoben sie die schwarzen Tonbecher auf Frieden und Freundschaft. Im Hintergrund hörte man das Vieh in seinen Ställen. Frauen kreisten von Tisch zu Tisch. Es waren die kleinen länglichen Tische. An jedem Tisch saßen zwei, drei oder vier Mannen. Sie würfelten, tranken, sangen und lachten. Immer wieder erhob Gisilo oder Segimer den Friedensbecher. Sie tranken auch auf die Götter, die Frauen und gemeinsame Heerfahrten.

    „Gegen wen?", fragte Bredi. Er war ein Gefolgsmann von Gisilo. Er trug den typischen Haarknoten an der linken Schläfe.

    Segimer wischte sich den Bierschaum vom Bart: „Gegen die Burgunder? Gegen die Hermunduren? Oder wir machen es wie Hrodo: Wir ziehen nach Süden und Westen und heeren im römischen Land!"

    „Kühn! Kühn mein Freund!, entgegnete Gisilo, „Hrodo hat viele Mann verloren! Und Hrodo ist ein wirklich mächtiger Semnonenfürst! Glaubst du wirklich, wir könnten Römerland heimsuchen? Es heißt, sie haben einen großen Wall mit Türmen und vielen Gefolgsmannen des römischen Kaisers dort. Mit unseren Hundertschaften können wir da nichts holen, meine ich.

    „Warte nur. Diese Frucht muss nur reif werden – dann fällt sie in unseren Schoß."

    Als das Feuer nur noch rot glühte, schliefen alle. Alle bis auf Sigi. Er hatte die Worte seines Vaters wohl vernommen. Rom … ein Gefolgsmann Segimers hatte dort als Legionär gedient. Er war mit guten Waffen, Goldfibeln, Kettenhemden und Goldmünzen wieder heimgekehrt. Dieses Rom musste der Vorhof zu Ansgart sein – zur Welt der Götter. Wenn sein Vater nach Süden ziehen würde, so käme er, Sigi, mit!

    Am nächsten Morgen wachten alle auf. Doch ein Mann fehlte. Ein Mann Gisilos.

    „Er hat gestern dort geschlafen!". Er zeigte auf einen verwaisten Mantel. Auch lagen dort Schwert und Speer des Mannes.

    Segimer öffnete die Tür. Schnee fiel herein. Der Schneesturm hatte das Land unter einer sehr dicken weißen Decke verborgen. Fern klagte ein Gimpel.

    „Spuren kann ich keine sehen. Männer, schaut, ob er im Stall ist!"

    Doch keiner fand ihn.

    Der zerbrechliche Friede zwischen den Fürsten wurde schon am ersten Tag auf die Probe gestellt. Alle zerbrachen sich den Kopf darüber, wo der Mann sein könnte.

    „Ich gehe ihn suchen, sagte Bredi. „Vielleicht ist er besoffen, außer Sinne hinaus getorkelt und im Schneesturm verschwunden.

    „Ja, Bredi, das ist wohl die einzige Möglichkeit", antwortete Gisilo und blickte dabei misstrauisch auf Segimer. Dieser bemerkte es.

    „Ich gebe Bredi meinen Sohn Sigi mit. Er kennt sich aus und zwei Mannen können mehr sehen als einer."

    Besänftigt nickte Gisilo.

    Mit Schneebrettern stapften die zwei Männer durch den Winter. Immer weiter vom Hof, vom Dorf. Schwer hing der Schnee in den Eichen, Kiefern und Aspen. Sie ließen das Weideland, den Schweinewald und die hohe Heide hinter sich. Nun waren sie im Markland – jenseits der Allmunt, in der weiten Wildnis.

    „Dein Vater nimmt sein Mund etwas voll, wenn er sagt, er will im Römerland heeren!", meinte Bredi. Seine Stimme hatte keine Schärfe. Er klang sachlich und klug.

    „Warum?", antwortete Sigi gereizt.

    „Weißt du, wie groß und mächtig das Römerland ist?"

    „Sie wurden schon einmal besiegt."

    „Ja. Vor vielen Menschenleben! Aber ein kleiner, oder zwei kleine Semnonenfürsten können es nicht mit den römischen Legionen aufnehmen! Ich habe sie gesehen! Als junger Kerl – etwas jünger als du, war ich am Rhein. Ihre Dörfer sind riesig, aus Stein und voller Menschen. Ihre Krieger leben unter sich in befestigten Höfen. Sie üben den ganzen Tag das Kämpfen! Und der Kaiser kann innerhalb weniger Tage hunderte von ihnen von hier nach dort schieben! Glaubst du etwa, dein Vater kann da einfach heeren?"

    „Rede kein dummes Zeug!, maulte Sigi. „Wir müssen euren Mann suchen.

    „Ja, du hast recht. Trotzdem ist das tölpelhaft."

    „Was?", bellte Sigi

    „So hochmütig zu denken", entgegnete Bredi kühl.

    „Du nennst meinen Vater einen Tölpel? Du nennst ihn hochmütig?"

    „Nein, ich sagte nur, dass es hochm…, er konnte den Satz nicht beenden.

    Sigi hatte ihm das Messer in den Bauch gerammt. Bredi verzog das Gesicht zu einer schmerzerfüllten Fratze.

    „Warum?", brach es aus ihm heraus.

    „Du hast meinen Vater lächerlich gemacht. Du hast meine Sippe verhöhnt. Ich fand es sowieso falsch mit euch den Frieden zu schließen!"

    Der Schwerverletzte wollte seinen Speer kurz fassen, um den Jungen aus nächster Nähe zu durchbohren. Doch Sigi war schneller. Er stieß das Messer in den Hals des Mannes. Blut spritzte in Sigis Gesicht. Er stach noch drei Mal zu. Bredi brach zusammen und lag zuckend im roten Schnee.

    Sigi putzte sich das Gesicht ab und deckte Leiche und Blut mit viel Schnee zu. Der Wind erledigte den Rest. Es blieb bald nur noch eine Schneewehe übrig.

    Alleine kehrte Sigi zu seines Vaters Hof.

    „Wo ist Bredi?", fragte dieser.

    „Wir haben uns verloren. Er verschwand im Wald. Ich rief und er hörte nicht! Er wird wohl bald kommen", log der Bursche.

    Doch Bredi kam nicht. Das Misstrauen zwischen den Sippen war wieder gesät.

    Der Winter verging. Der Schnee schmolz. Und Bredis Leiche wurde gefunden. Fünf Stiche.

    Gefolgsmannen des Gisilo ritten zu Segimers Hof. Sie waren komplett aufgerüstet. Große, runde Schilde, mit Rohhaut überzogen und bemalt, Speere in der Hand und über Schulter und Brust hing ein Gurt mit einem Schwert. Es waren 9 Reiter. Ein Knecht Segimers sah sie zuerst. Er rannte vom Pflug auf dem Acker in Windeseile zu seinem Herrn.

    „Truchtin! Truchtin! Gisilos Mannen kommen! In Waffen!"

    „Wie viele?", fragte der Fürst aufgeregt.

    Der Knecht zählte im Kopf nach.

    „Wie viele?", hakte der Mann ungeduldig nach.

    „Neun."

    „Neun? Er wird doch keine neun Mann schicken, um mit uns zu kämpfen?"

    Das hörte seine Frau und sagte darauf:

    „Du hast auch nicht viel mehr Mannen hier. Deine Gefolgsmannen sind auf ihren Höfen und bestellen ihre Äcker!"

    Segimer wusste, dass sie recht hatte. Er rief seine Söhne zusammen. Gab den Knechten Knüppel und Schilde und ließ Sigi ins Horn blasen.

    Als die Reiter auf dem großen, schlammigen Platz in der Mitte des Dorfes angekommen waren, standen die Freien wie die Unfreien in Waffen zwischen Langhäusern, Speicherhäusern, Grubenhäusern und Handwerkerkaten.

    Vom Pferd aus rief der Degen, der Führer der Zehnerschaft:

    „Segimer, dein Sohn hat einen Mann Gisilos getötet. Wohl ermordet. Wir fordern seinen Tod. Oder wir zünden euch die Häuser an!"

    „Versucht es doch!", rief der Angesprochene zurück.

    „Das tut nichts zur Sache: Mein Truchtin klagt deinen Sohn des Mordes an!"

    „Ist das wahr?, fragte Segimer zu seinem Sohn gerichtet. Dieser nickte zerknirscht. „Habt ihr gekämpft? Oder hast du ihn rücklings erschlagen?

    „Er hat dich verächtlich gemacht! Er hatte einen Speer in der Hand!"

    „Du Tagdieb hast mich angelogen!", zischte er seinen Sohn an. Zu den Reitern gerichtet rief er über den Platz:

    „Wenn ihr unsere Häuser anzündet, so zünden wir eure an!"

    „Dann liefert uns Sigi aus!", forderte der Degen.

    „Nein!", bellte Segimer.

    „Dann musst du mit den Folgen leben. Mein Truchtin wird diese Sache vor das Thing bringen. Es sei, wir klären es unter uns!"

    „Es gibt nichts zu klären. Ich liefere euch meinen Sohn nicht aus. Und wenn ihr kämpfen wollt, so wird dieser Platz mit vielen tapferen, toten Männern gesäumt sein!"

    Der Degen schüttelte den Kopf, sagte etwas zu seinen Mannen und sie drehten um und ritten fort.

    „Wir sehen uns beim Thing!", rief er der Gruppe zu.

    Sigi hatte die ganze Zeit verkrampft den knöchernen Schwertstil gehalten. Es vergingen Augenblicke. Unendliche Augenblicke. Segimer schaute auf Hausrotschwänzchen, die auf dem Dach der Gerberei Hochzeitstanz hielten. Er blickte in den Himmel und sah Kraniche laut nach Norden ziehen.

    „Du blöder Kerl! Du Dummkopf und Klotz! Du hast unseren Frieden zerstört! Und dein Leben auch!", brüllte er seinen Sohn an. Ohne auf die Antwort zu warten, eilte er in sein Haus. Im Laufen rief er zu den Anderen:

    „Jeder an seine Arbeit!"

    Niemand bemerkte den Alten mit dem blauen Mantel. Er stand am Rand des Dorfes und hatte die gesamte Szene beobachtet. Zufrieden zog er den Mantel über das Gesicht und ging.

    „Vater! Vater!"

    Sigi rannte hinter seinem geliebten Vater her.

    „Vater! Bitte! Ich will es wieder gut machen!"

    „Nichts! Nichts kannst du gut machen! Lässt man euch Knaben einmal alleine, geht euer Blut mit euch durch!"

    „Aber er hat dich beleidigt!"

    „Mir schien dieser Bredi immer ein vernünftiger Mann zu sein! Was hat er denn gesagt?"

    „Ich weiß es nicht mehr…", Sigi wurde immer kleinlauter.

    „Das wird dir am Thing aber nicht helfen! Gisilo klagt dich an. Und ich muss dich verteidigen! Glaubst du, es ist die rechte Zeit, dass sich Semnonen gegenseitig abschlachten? Wir müssen zusammenhalten! Irgendetwas ist im Wandel. Überall sieht man Jungvolk in Waffen. Und du…!"

    Seine Wut war unermesslich.

    „Geh mir aus den Augen!"

    Inghild, seine Mutter, stand schweigend mit Tränen in den Augen dabei.

    „Was hat er…?"

    „Er hat Bredi erschlagen. Sie haben ihn im Wald gefunden."

    Inghild ging zu ihren Sohn: „Aber Kind! Was hast du getan?"

    „Mutter, ich konnte nicht anders!"

    „Hat er dir was tun wollen?", fragte sie wohlwollend.

    „Er hat Vater verächtlich gemacht!"

    Sie drehte sich zu Segimer: „Siehst du, Mann, er hat deine Ehre hochgehalten. Deswegen hat er diesen Bredi töten müssen!" Sie fuhr mit ihrer Hand über Sigis Kopf.

    „Rede kein dummes Zeug, wovon ihr Weiber kein Wissen habt! Hüte deine Zunge und hilf den Leuten auf den Feldern! Auf!"

    Unwillig ging sie aus dem Haus. In der Türschwelle drehte sie sich noch einmal um:

    „Was wird geschehen?"

    „Die Sache kommt vors Thing. Oder wir lösen es auf die gute alte Weise: mit Strömen von Blut!"

    Ohne zu antworten ging die Frowe raus.

    „Dich will ich heute nicht mehr sehen!", fauchte er seinen Sohn an.

    Sigi suchte einen der Gefolgsmänner seines Vaters auf: Haiduwalda. Sie hatten immer ein gutes Verhältnis. Und da Haiduwalda zu dem Zeitpunkt nur Töchter hatte, war Sigi sein Ersatzsohn. Haiduwalda hatte dem Jungen alle Tricks im Zweikampf beigebracht. Ebenso hatte er ihn den Umgang mit dem Schwert vom Boden aus gelehrt. Denn das Schwert nutzten die meisten nur vom Pferd aus.

    „Vergeudetes Eisen, meinte er immer, „diese Waffe kann mehr!

    Bei Haiduwalda kam Sigi unter. Bis zum Frühjahrsthing. Kurz vor dem Thing kehrte er zu seinem Vater zurück. Er wollte nicht zur Rats- und Gerichtsversammlung gehen und seinem Vater wie ein Fremder zur Seite treten.

    Brütend saß Segimer auf seinem Klotzthron. Ein Goldring wechselte von einer Hand in die andere.

    „Vater?". Vorsichtig lief er auf seinen Vater zu.

    „Du bist es. Wo warst du?"

    Sorgen und Kummer lagen in der Stimme des Fürsten.

    „Bei Haiduwalda."

    „Hast du ordentlich zu essen bekommen?"

    „Du weißt, dass er mich verwöhnt."

    „Ja, zu sehr. Und er setzt dir auch solche Flöhe in den Kopf! Hast du das kämpfen geübt?"

    „Ja."

    „Gut. Wollen wir hoffen, dass Gisilos Mannen ihre Zeit auf dem Acker verbringen müssen! Denn es könnte zu einem Götterurteil kommen. Tuisto entscheidet dann durch einen Zweikampf, wer recht hatte."

    „Ich kann das!", versuchte Sigi seinen Vater aufzumuntern.

    „Du dämlicher Waldschrat! Ich könnte dir den Hals umdrehen! Wir werden es trotzdem schaffen. Dann geht die Freundschaft mit Gisilo zur Halja!"

    „Vater, wir brauchen ihn nicht. Haiduwalda hat Geschichten gehört, dass im Römerland die Legionäre abgezogen werden. Sie werden in einem anderen Krieg gebraucht. Viele Jungmannschaften machen sich auf den Weg!"

    „Haiduwalda ist ein Narr! So wie du! Glaubst du, dein Vater weiß es nicht schon längst?" Sigi strahlte seinen Vater mit hellen Augen an.

    „Gisilo schickt auch seine Zweitgeborenen dahin. Ich hörte, einige seiner Hunnos hätten viele Wägen geladen und ihre Waffen geschärft. Sage mir Sohn: Wie sollen wir mit unseren Feinden zusammen einen Heerzug bestehen? Feinde, die Freunde waren, aber dank dir wieder zu Feinden wurden!"

    Zorn brannte aus seinem Mund heraus.

    Das Thing war die Versammlung aller freien Männer. Es wurde beraten, beschlossen, Gericht gehalten, Ankündigungen gemacht und gehandelt. Die Jungmannschaften holten sich, vor ihrem Aufbruch in Richtung Südwesten, auf dem Thing den Segen der freien Männer. Es gab kleine Things für die Hundertschaften der Truchtins und es gab zweimal im Jahr große Things für alle Semnonen zwischen Havel, Elbe und Rhein.

    Das Hauptthing wurde immer beim heiligen Hain gehalten. Hinein durfte außer den Priestern kein Mensch. Im Hain lebte Nerthus – die Göttin der Erde. Ihr Antlitz wurde auf einem Schild durch die Menge der Männer getragen. Sie verschwand wieder im heiligen Hain. Dann beschworen die Priester den Himmelsgott Ziu.

    „Ziu! Himmelsvater und Herr des Ratschlusses, Vater der Säule, die Gestirn und Himmel hält: Lass weise die Mannen sprechen. Lass Frieden im Kreis des Things walten. Du Ahnherr, Vater des Mannus; Mannus, du Vater des Hermnas; Hermnas, du Ahnherr unseres Volkes. Ihr Ahnen steht uns bei, auf dass wir ein kluges, weises und gerechtes Thing haben. Jedes Wort ist ab sofort heilig. Jede Waffe mit Blut ist Frevel. Solange der Thingfriede herrscht, wird kein Urteil vollstreckt, es wird keine Lüge geduldet und Ziu wird immer Wahrheit walten lassen. Das Thing ist eröffnet!"

    Ein Thing dauerte mehrere Tage. Am ersten Tag wurden alle Themen und Anklagen gesammelt. Die Rechtsprecher verkündeten die ewigen Gesetze der Semnonen.

    Segimer hatte am ersten Abend keine Freude. Alle anderen tranken, sangen und freuten sich, alte Bekannte zu treffen. Es wurden Felle, Waffen, Fibeln, Wollstoffe, Glas und Holzkistchen verkauft und getauscht. Überall brannten Feuer. Überall war Leben. Nur Segimer saß in seinem Zelt auf seinem Bett und brütete. Die Verhandlung sollte am dritten Tag stattfinden.

    Am zweiten Tag traten viele junge Hunnos – Hundertschaftsführer – in die Mitte. Sie erbaten den Segen für ihre Unternehmung. Unternehmungen ins Römische Imperium. Die Semnonen hatten einen Kinderüberschuss, doch sie hatten mit ihrer Landwirtschaft den sandigen Boden ihrer Heimat so ausgelaugt, dass es überall Verwüstungen gab. Dünen versandeten die Äcker, Äcker verdorrten, Kinder verhungerten. So war es in Segimers Gauen, doch noch viel mehr in Gisilos Gauen. Gisilo hatte – entgegen seiner Rede an jenem Abend in Segimers Langhaus – seine Jungmannen aufgemuntert gen Rom zu ziehen. Sie sollten Ruhm, Sieg und Beute finden.

    Als Gisilos Mannen da standen und von allen bejubelt wurden, fühlte Segimer, wie sich sein Herz verkrampfte. Die Schicksalsfrauen waren grausam zu ihm!

    Wieder verging für Segimer ein Abend in Trübsal.

    Verhandlungstag. Gisilos Klage wurde gleich als erste behandelt. Er war ein Fürst und ein fürstlicher Antrustio – ein Gefolgsmann – wurde immerhin vom Sohn eines anderen Fürsten getötet! Da drängten sich die Schaulustigen auf dem Thingplatz.

    Der Rechtsprecher rief Gisilo auf.

    „Ich klage Sigi, Sohn des Segimer, des Mordes an meinem Gefolgsmann Bredi an! Er hat ihn letzten Winter in Allmuntland erschlagen. Die Leiche hat er mit Schnee bedeckt. Unter der Schneewehe haben wir Bredis Leiche erst im Frühling finden können. Er hatte fünf Messerstiche: Einen im Bauch, zwei im Hals und zwei in der Schulter."

    Der Rechtsprecher richtete sich an Segimer:

    „Willst du für deinen Sohn reden? Er hat aber die Speerweihe erhalten, er kann auch selber reden."

    „Ich werde für ihn reden."

    „Was entgegnest du Gisilo, Segimer?"

    „Dein Mann Bredi hatte einen Speer dabei, damit wollte er meinen

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