Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Schatten über Salzburg: Roman nach einer wahren Begebenheit
Schatten über Salzburg: Roman nach einer wahren Begebenheit
Schatten über Salzburg: Roman nach einer wahren Begebenheit
eBook295 Seiten8 Stunden

Schatten über Salzburg: Roman nach einer wahren Begebenheit

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Salzburg, 1993. Neonazis besetzen einen leerstehenden Gutshof. Harald Schauer, Lehrer an einem Gymnasium, lebt mit seiner Familie in der Nähe. Er ist beunruhigt und versucht vehement, diesem rechtsradikalen Treiben in seiner Nachbarschaft entgegenzuwirken. Dabei wird er immer weiter in den Strudel dubioser Machenschaften gezogen und verfängt sich im verhängnisvollen Netz eines gefährlichen Spiels. Die Verstrickungen reichen vom Krieg in Jugoslawien über die deutsche Neonazi-Szene bis in einflussreiche Kreise von Politik und Gesellschaft.
SpracheDeutsch
HerausgeberGmeiner-Verlag
Erscheinungsdatum10. Juli 2024
ISBN9783734930508
Schatten über Salzburg: Roman nach einer wahren Begebenheit
Autor

Peter Blaikner

Peter Blaikner wurde 1954 in Zell am See geboren. Er studierte Germanistik sowie Romanistik und war Lehrer an einem Gymnasium. Heute lebt er als Musiker, Kabarettist und Autor von Geschichten, Romanen, Musicals und Theaterstücken in Salzburg. Seine Kindermusicals wie „Ritter Kamenbert“ oder „Das Hausgeisterhaus“ erreichten bisher über eine Million Besucher im deutschsprachigen Raum. Erfolgreich sind auch seine Komödien, zuletzt „Mitterbachkirchen“ am Kleinen Theater in Salzburg. Für einen Roman über den ersten Bauernaufstand im Land Salzburg wurde er mit dem Rauriser Förderungspreis für Literatur ausgezeichnet. Im Gmeiner-Verlag erschien kürzlich sein Roman „Virginia Hill“, die faszinierende Geschichte einer Gangsterbraut. www.blaikner.at

Ähnlich wie Schatten über Salzburg

Ähnliche E-Books

Politische Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Schatten über Salzburg

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Schatten über Salzburg - Peter Blaikner

    Zum Buch

    Sicher nicht! Harald Schauer, Lehrer an einem Gymnasium in Salzburg, lebt mit seiner Familie in der Nähe eines alten, baufälligen Gutshofs. Eines Tages stellt er fest, dass Neonazis das leerstehende Gebäude besetzt haben und mit ihrer nationalsozialistischen Gesinnung prahlen. Unter diesen jugendlichen Skinheads ist auch einer seiner Schüler. Schauer ist beunruhigt und versucht vehement, diesem rechtsradikalen Treiben in seiner Nachbarschaft und der davon ausgehenden Gefahr entgegenzuwirken. Doch bekommt er nur wenig Unterstützung. „Mischen Sie sich da nicht ein!", sagt man ihm wiederholt. Er will nicht aufgeben, kämpft allein weiter, wird immer mehr in den Strudel dubioser Machenschaften gezogen und verfängt sich im Netz eines gefährlichen Spiels. Die Verstrickungen reichen vom Krieg in Jugoslawien über die deutsche Neonazi-Szene bis in einflussreiche Kreise von Politik und Gesellschaft.

    Peter Blaikner wurde 1954 in Zell am See geboren. Er studierte Germanistik sowie Romanistik und war Lehrer an einem Gymnasium. Heute lebt er als Musiker, Kabarettist und Autor von Geschichten, Romanen, Musicals und Theaterstücken in Salzburg. Seine Kindermusicals wie „Ritter Kamenbert oder „Das Hausgeisterhaus erreichten bisher über eine Million Besucher im deutschsprachigen Raum. Erfolgreich sind auch seine Komödien, zuletzt „Mitterbachkirchen am Kleinen Theater in Salzburg. Für einen Roman über den ersten Bauernaufstand im Land Salzburg wurde er mit dem Rauriser Förderungspreis für Literatur ausgezeichnet. Im Gmeiner-Verlag erschien kürzlich sein Roman „Virginia Hill, die faszinierende Geschichte einer Gangsterbraut. www.blaikner.at

    Impressum

    Die Geschichte spielt vor einem realen historischen Hintergrund und folgt dem Ablauf wahrer Begebenheiten. Ähnlichkeiten mit lebenden

    oder toten Personen sind deshalb möglich. Einige Figuren des Romans und auch Teile der Handlung sind jedoch frei erfunden. Hier sind

    Ähnlichkeiten rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen

    insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining") zu gewinnen, ist untersagt.

    Immer informiert

    Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

    regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

    Gefällt mir!

    Facebook: @Gmeiner.Verlag

    Instagram: @gmeinerverlag

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2024 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    [email protected]

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Vladimir Vinogradov / istockphoto

    ISBN 978-3-7349-3050-8

    Zitat

    Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der guten Menschen.

    Jean Ziegler

    *

    Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert.

    Anton Tschechow

    ERSTER TEIL

    1

    Deutschaufsätze, Deutschaufsätze, immer wieder Deutschaufsätze! Hefte nach Hause tragen, Aufsätze verbessern und benoten, Hefte in die Schule zurücktragen und verteilen. Wie viele Aufsätze braucht es eigentlich, bis die endlich lernen, wie man halbwegs richtig schreibt? Wie oft muss ich das Geschriebene von denen eigentlich noch korrigieren, bis die keine Fehler mehr machen? Und wenn ich dann hoffe, dass sie es können, sind sie fertig mit der Schule, starten in ein anderes Leben, und der ganze Affenzirkus beginnt von vorn. Man ist nichts als ein kleines Rad in einem mühselig laufenden Getriebe, altert vor sich hin und macht einfach weiter.

    Harald Schauer gingen die Gedanken an die Schule nach Ende eines Schultages nicht gleich aus dem Kopf. Sie rieselten in ihm herum, planlos und lästig. Sein Weg von der Schule nach Hause, den er stets zu Fuß zurücklegte, bei jedem Wetter, das war alles nur eine Frage der richtigen Kleidung, wie er immer wieder betonte, war nicht sehr weit, er brauchte dafür höchstens eine halbe Stunde. Auf dem Heimweg versuchte er Schritt für Schritt, die Gedanken an die Schule loszuwerden, ihnen zu entkommen, sie durch andere zu ersetzen. So auch heute. Erfolglos. Deutsch und Geschichte waren seine Unterrichtsfächer. Deutsch, das war schon sehr bald klar für ihn, das wollte er studieren und dann unterrichten. Vielleicht hatte auch sein eigener Deutschlehrer dazu beigetragen, der ihn für dieses Fach begeistern konnte. Besonders die Literatur, die Bücher, die Literaturgeschichte, die Biografien und Eigenheiten vieler Dichter hatten es ihm angetan. Das liebte er. Diese Liebe wollte er als Lehrer weitergeben, ohne bedacht zu haben, dass er es nun weniger mit der Vermittlung von spannender Literatur zu tun haben würde, sondern mehr mit der lähmenden Durchsicht von Aufsätzen. Geschichte studierte er als zweites Fach eigentlich nur, weil man als Lehrer ein zweites Fach brauchte. Nun war er froh über seine damalige Wahl, denn in Geschichte musste er keine langen und uninteressanten Aufsätze lesen, verbessern und benoten. Ein paar Tests, sonst mündliche Prüfungen. In diesem Schuljahr hatte er vier Klassen in Deutsch und zwei in Geschichte. Also massenhaft Verbesserungen.

    Er war gern Lehrer, spielte also mit in dem uralten Spiel, das ein seit Kurzem pensionierter Kollege so beschrieb: »Die Lehrer ärgern die Schüler und umgekehrt wieder zurück. Lehrer sind auch nur Menschen, im Sinne von: Ärgert mich nicht zu viel, sonst bin ich auch nur ein Mensch.« Schauer war davon überzeugt, dass ihn seine Schüler für seinen Humor und für seine lässige, fast schon kumpelhafte Art schätzten. Nicht alle, aber doch die meisten. Sie schätzten auch seinen unkomplizierten Umgang mit ihnen, seine Bodenständigkeit, sein umfangreiches allgemeines Wissen und seine Leichtigkeit, dieses Wissen zu vermitteln. Er sagte alles grad heraus, ohne Umschweife, ohne versteckte Finten. Von ihm war nichts Böswilliges zu erwarten, manche Schüler fühlten sich sogar von ihm beschützt. Das lag wohl auch an seinen breiten Schultern. Die waren naturgegeben, angeboren sozusagen. Er hatte die Gabe, ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Er galt als nicht übermäßig streng, als gerecht, aber nicht als streng. Er nahm seine Arbeit ernst, aber etwas Spaß an der Sache als kräftige Zutat durfte schon sein, musste sogar sein, meinte er. In einer Unterrichtsstunde sollte mindestens einmal herzlich gelacht werden, das war einer seiner Grundsätze. Das brachte Abwechslung, förderte die Aufmerksamkeit und ließ den Schulalltag leichter ertragen. Insbesondere für ihn selbst. Na ja, ganz so ernst nahm er seine Arbeit auch nicht immer, an manchen Tagen war er ziemlich nachlässig und absolvierte die Stunden, eine nach der anderen, mit der nötigen Routine und dem sturen Blick auf die Uhr, die ihm den Moment zeigen würde, das Gebäude endlich verlassen zu können. Das lief manchmal ab wie auf einer Bühne, wo ein Schauspieler tagtäglich dieselbe Rolle spielt und denselben Text wiederholt. Dieser Schauspieler war zwar nicht immer denselben Reaktionen des Publikums ausgesetzt, aber in seiner Rolle zwangsläufig berechenbar. Er musste einfach weitermachen. Auch eventuelle Überraschungen waren bereits einkalkuliert.

    Harald Schauer schüttelte seine Unterrichtsstunden quasi aus dem Ärmel und musste dafür keine besonderen Vorarbeiten leisten. Das hatte er mittlerweile im Griff. Man war ja nicht jeden Tag gut drauf, manchmal von Sorgen abgelenkt, dann wieder durch die Folgen einer feuchtfröhlichen Runde vom Vorabend gebeutelt. Tags darauf stand man einer rücksichtslosen Menge von jungen Menschen gegenüber, die eine zwischenzeitliche Schwäche gnadenlos ausnützten und einen zum Narren machen wollten. Aber nicht mit ihm. Er verstand es, sich zu wehren. Was die Vorbereitung seiner Unterrichtsstunden betraf, sah er sich gern als Anhänger der sogenannten Schwellenvorbereitung. Sobald er über die Schwelle zum Klassenzimmer trat, wusste er, was er zu tun hatte. Das musste in seinem Alter genügen. Er hatte jahrelange Berufserfahrung und ein gutes Gefühl für das Wesentliche. So kam er bisher ganz gut über die Runden, ohne sich übermäßig plagen zu müssen. Wenn nur dieses dauernde Verbessern von Aufsätzen, von Schularbeiten und Hausübungen nicht gewesen wäre. Das machte ihm den Arbeitsalltag zur Qual. Wie sollte man denn genügend Zeit finden, seinen Unterricht gewissenhaft vorzubereiten, wenn man schon wieder mit einem Stoß von Heften mit Deutschaufsätzen konfrontiert war, die auf eine schnelle Verbesserung warteten? Die Hefte in der aus Leinen gefertigten Tragetasche auf seiner Schulter nahmen an Gewicht zu, je weiter er sich vom Schulgebäude entfernte. Er spürte eine immer schwerer werdende Last. In der Hand trug er seine lederne Schultasche. Sie war leicht.

    Schauer bog in den Weg zu seiner Wohnsiedlung ein. Vor ungefähr einem Jahr war er mit seiner Frau und seiner Tochter eingezogen und empfand es als Glück, hier wohnen zu dürfen, eine schöne, große und leistbare Wohnung im Erdgeschoss gefunden zu haben.

    Frau Ferner, eine Nachbarin, kam ihm entgegen. »Grüß Gott, Frau Ferner!« Sie lächelte ihm kurz zu, war wohl in Gedanken versunken. Er hatte immer den Eindruck, als hätte sie nicht viel zu tun. Er musste an ihren Mann denken, den höheren Beamten, Hofrat in der Bauabteilung der Stadtverwaltung, der immer mit dem Fahrrad hier entlang zur Arbeit fuhr und aussah, als wäre ihm die Hose zu eng. Das drückte ihm den Oberkörper ins Gesicht und ließ ihn dort. Schauer lächelte. Er war zu Hause.

    2

    Sie trafen sich abends am Ufer der Salzach, nicht weit von der Staatsbrücke entfernt. Jochen und Gustl waren schon da und hockten gemütlich im Gras der Uferböschung. Bernie kam mit dem Fahrrad. »Na endlich!«

    »Aber in zwei Stunden muss ich zu Hause sein. Sonst schimpft mein Vater.« Bernie stellte sein Fahrrad ab und versperrte das Hinterrad mit einer Kette. Er machte ein besorgtes Gesicht, in das sich Neugier, Aufregung und eine Lust auf Kommendes mischten.

    »Unser Milchbubi hat Schiss vor seinem Alten.« Jochen lachte zu Gustl hinüber, der nun langsam aufstand und Bernie mit einem Fingerzeig bedeutete, näher zu kommen.

    »Die Alten haben uns gar nichts anzuschaffen. Wir sagen, wo es langgeht. Verstanden?«

    Bernie schluckte. »Eigentlich schon.« Nun stand auch Jochen auf.

    »Weil, wir sind die Jugend. Da haben die Alten keinen Platz. Geht das in deinen frisch rasierten Schädel hinein?« Jochen klopfte Bernie mit dem Zeigefinger auf die Stirn. Bernie zuckte zurück.

    »Ich bin sicher, dein Alter wohnt in einer großen, sauteuren, gemütlichen Wohnung.«

    Als Bernie stolz ergänzte, dass seine Familie in einem Haus in einem Vorort wohne, platzte es aus Gustl heraus: »Ein ganzes Haus nur für Papa, Mama und den kleinen Bernie! Und was ist mit uns? Ha? Wir müssen in der Fußgängerunterführung schlafen. Findest du das gerecht?«

    Bernie sagte nichts.

    »Ob du das gerecht findest?«, fragte Gustl noch einmal, nun zorniger und eindringlicher als zuvor.

    »Eigentlich nicht«, antwortete Bernie schüchtern.

    »Schau dir diese ganzen Parasiten an! Mit ihrem Geld, mit ihren Häusern, mit ihren dicken Autos. Haben sich eingenistet wie die Maden im Speck.«

    Jochen legte seinem Freund beruhigend die Hand auf die Schulter und gab ihm zu verstehen, dass es sich bei Bernies Eltern wenigstens um aufrechte Österreicher handle, um »Unsrige«, wie er betonte. »Von mir aus! Und was ist mit diesen ganzen Kanaken und Türken?« Er wurde laut. »Dieses Geschmeiß überfällt uns wie eine Heuschreckenplage, vermehrt sich wie die Karnickel, wohnt in schönen Wohnungen und kriegt auch noch Sozialhilfe! Pfui Teufel! Aber zum Glück gibt es uns. Weil, wir räumen auf mit der ganzen Bagage!«

    »Weil es ja sonst keiner tut«, fügte Jochen hinzu.

    Sie setzten sich auf eine Bank neben der Uferpromenade und nahmen Bernie in die Mitte.

    »Du willst also zu uns gehören?«, fragte ihn Jochen.

    »Eigentlich schon«, antwortete Bernie.

    »Dann musst du uns aber auch zeigen, ob du unserer Sache überhaupt würdig bist.« Das Wort würdig betonte er ganz besonders, so als wäre er stolz darauf, so ein Wort zu kennen und zu verwenden.

    »Gern«, sagte Bernie. Seine Augen leuchteten in der Dämmerung. Jochen meinte, dass es noch zu hell sei, um etwas zu unternehmen. Er holte drei Flaschen Bier aus einer Plastiktasche, für jeden eine, und machte sie auf. »Prost! Auf uns! Auf unsere Bewegung! Auf unsere Zukunft! Auf unsere Heimat!«

    Sie prosteten einander zu. Die Flaschen waren bald leer, drei neue machten die Runde. Immer wieder kamen Passanten vorbei, einzeln, in Paaren und in Gruppen. Ein Jugendlicher spazierte, eng an ein Mädchen geschmiegt, langsam dahin. Bernie sah den beiden wehmütig nach. Es wurde dunkel. Als ein ausländisch aussehender junger Mann rasch vorbeigehen wollte, sprang Jochen auf und versperrte ihm den Weg.

    »Na, wen haben wir denn da?«, fragte er schnippisch. »Balkan? Türkei? Oder gar von den Hottentotten?«

    »Lass mich in Ruh, Vollkoffer!«, gab der Passant zurück. Er hatte einen hörbar ausländischen Akzent.

    »Na, was hab ich gesagt. Klingt ja voll nach Kebab. So was rieche ich auf 100 Meter Entfernung.«

    »Was geht dich das an, Arschloch!« Er wollte weitergehen, wurde aber von Jochen an der Jacke festgehalten.

    »Was uns das angeht? Der Kaffer fragt, was uns das angeht?« Jochen lachte. »Viel geht uns das an. Und vor allem: Du gehst uns an.« Gustl kam hinzu, gemeinsam packten sie den jungen Mann und drückten ihm die Arme auf den Rücken. Er schrie. Gustl hielt ihm den Mund zu.

    Jochen sagte zu Bernie, der regungslos danebenstand: »So, jetzt zeig einmal, ob du zu uns gehörst. Verpass ihm die gerechte Strafe für sein loses Maul! Schlag zu!«

    Bernie ballte die Fäuste und versetzte dem jungen Mann ein paar leichte Schläge auf Brust und Bauch.

    »Fester, Bernie! Zeig ihm, wer hier das Sagen hat!«, rief ihm Jochen zu. Bernie schlug noch einmal, dann wieder und wieder, erst zaghaft, dann immer fester, immer wilder. Der Mann sank zu Boden, er röchelte. In der Zwischenzeit hatten sich in sicherer Entfernung einige Leute versammelt, die diesem Treiben angewidert zusahen. Sie gaben Kommentare der Ablehnung von sich. »Eine Schande! Furchtbar! Entsetzlich!« Einer rief ganz laut: »Aufhören! Sofort aufhören!« Aber niemand kam dem am Boden Liegenden zu Hilfe, niemand mischte sich ein, wohl auch aus Angst, selbst Schläge zu bekommen. Bernie war nicht mehr zu halten, es schien, als wäre etwas in ihm durchgebrochen, etwas, das sich eingenistet hatte und stetig wuchs. Er trat auf den Mann am Boden ein. Die Leute wandten sich entsetzt ab und gingen weiter. Eigentlich ging sie das alles ja gar nichts an.

    »Super, Bernie! Der hat wirklich genug!« Jochen wirkte vergnügt.

    »Das müssen wir feiern!«, sagte Gustl und legte seinen Arm um Bernies Schulter. Bernie war stolz und lächelte siegesgewiss. »Wird aber länger dauern. Da kann dein Alter schimpfen, wie er will.« Bernie hob den rechten Mittelfinger in die Höhe und sagte: »Der? Der kann mich mal!« Sie gingen weg. Ein älterer Herr blieb in sicherem Abstand stehen und beobachtete, wie sich der Niedergeschlagene mühsam aufrichtete und davonhumpelte. Wird wohl nicht so schlimm sein, dachte der ältere Herr beruhigt und setzte seinen Weg fort.

    Der junge Mann schleppte sich zur Polizeidienststelle im Rathaus und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Körperverletzung. Der wachhabende Polizist bedauerte den Vorfall sehr und sagte ihm, dass es schwierig sein werde, die Täter auszuforschen, da es ja keine Zeugen gebe. Auf den Hinweis des Mannes, dass wohl einige Leute zugesehen hatten, wie er verprügelt worden war, zuckte der Polizist nur mitleidig mit den Schultern. »Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen.« Er wusste, dass sich Zeugen solcher Vorfälle in der Regel nicht meldeten. Man mischte sich ungern ein.

    3

    »Papa, die Lehrerin sagt, dass ich zu viele Rechtschreibfehler mache.«

    Schon wieder Schule! Diese Schule, dachte Schauer, schleicht sich derart in die Familien, dass für nichts anderes mehr Platz ist. Ehen sollen daran zerbrochen sein, sagt man, weil die Eltern diese dauernde Präsenz der Schule in ihrem Familienalltag nicht mehr ausgehalten haben. So weit ist es also schon gekommen. Das Thema Schule sollte sich eigentlich am Ort Schule abspielen und nicht in den Kinderzimmern, an den Frühstückstischen der Familien und in den Stuben von Nachhilfelehrern. In Schauers Wohnung jedoch war Schule eine feste Größe. Nicht nur wegen ihm, nicht nur wegen seiner schulpflichtigen Tochter, sondern auch wegen seiner Frau. Sie war Lehrerin.

    Er hängte seine Jacke im Vorzimmer auf und zog die Schuhe aus. »Schreibt man Höhle wirklich mit einem stummen Ha?«, hörte er seine Tochter aus dem Wohnzimmer. Er blickte durch die Tür zu ihr hinein und sagte beruhigend: »Höhle schreibt man mit einem stummen Ha. Das ist richtig. Larissa, bitte, jetzt nicht. Ich denke nach.« Er hatte sich angewöhnt, seiner Tochter zu sagen, dass er nachdenke, wenn er seine Ruhe haben wollte, auch dann, wenn er nicht nachdachte. Das funktionierte fast immer, Larissa war an sich sehr folgsam. Er freute sich über ihre Nähe, auch wenn er gerade nach einem anstrengenden Schultag froh gewesen wäre, nicht gestört zu werden. Larissa besuchte die erste Klasse Gymnasium, nicht an seiner Schule, sondern an einer anderen in der Umgebung.

    »Der Teufel sitzt in der Höhle mit einem stummen Ha. Stimmt das?«

    Er ging zu seiner Tochter ins Wohnzimmer. Sie saß am Tisch und nuckelte am Kugelschreiber. Er fuhr mit der Hand über ihren Kopf. Das mochte sie. Kurz sah sie zu ihm hinauf und lächelte. Was für ein Lächeln! Er und seine Frau wollten noch mindestens ein weiteres Kind haben, doch dazu kam es nicht mehr, Larissa blieb ihr einziges. Sie blickte angestrengt auf das Heft vor ihr auf dem Tisch. Er sah schön geschriebene Zeilen. So schön hat meine Frau nie geschrieben, und ich schon gar nicht, dachte er. Und er wusste, wie seine Frau in diesem Alter geschrieben hatte, denn sie war mit ihm in derselben Klasse. Die beiden kannten sich schon seit ihrer Kindheit, seit der Volksschule, sie wuchsen in einer kleinen Gemeinde im oberösterreichischen Hausruckviertel auf. Heute gingen sie in dieselbe Wohnung, in dasselbe Bett und teilten sich denselben Alltag.

    »Nein, Larissa, der Teufel sitzt in der Hölle. Das schreibt man mit einem Doppel El und nicht mit einem stummen Ha. Schön kannst du schreiben. Weiter so!«

    Er ging in die Küche und machte den Kühlschrank auf. Das Gefrierfach war gut gefüllt. Pizza Diavolo! Her damit! »Ofenfrisch«, stand da drauf. Was bitte heißt ofenfrisch? Gefrierfachfrisch müsste das heißen.

    »Larissa!« Mit seiner Stimme von durchschnittlicher Lautstärke kam er bei offenen Türen problemlos von der Küche durch das Vorzimmer bis ins Wohnzimmer. Er hatte eine laute, feste Stimme, eine gute Voraussetzung, um sich als Lehrer durchzusetzen.

    »Ja?«, hörte er Larissa leise.

    »Hast du schon gegessen?« Sie sagte etwas, was er nicht verstand.

    »Was?«

    Sie schrie: »Die Mama hat mir Fischstäbchen gemacht.«

    Er schob eine Pizza in das Backrohr und schaltete es ein. Er ging zu Larissa ins Wohnzimmer. Sie sah ihn mit großen Augen an. »Der Teufel sitzt in einer Hölle und schaut ängstlich heraus.«

    »Aber Larissa. Ein Teufel schaut erstens nicht aus einer Hölle heraus, sondern aus der Hölle. Denn es heißt die Hölle. Meines Wissens gibt es nämlich nur eine. Also kann er nicht aus einer Hölle herausschauen, sondern aus der. Wenn man nämlich aus einer sagt, dann bedeutet das, dass es auch noch eine zweite und vielleicht sogar eine dritte gibt. Verstehst du?« Sie nickte kurz und stumm. Das konnte bedeuten, dass sie verstanden hatte, aber auch, dass sie nicht verstanden hatte.

    »Und zweitens«, fuhr er mit der scheinbar unerschütterlichen Geduld des erfahrenen Pädagogen fort, »zweitens ist ein Teufel nicht ängstlich.«

    »Der Teufel in meiner Geschichte ist schon ängstlich«, meinte sie trotzig. »Den haben sie nämlich aus der Hölle hinausgeworfen. Und nun sitzt er in einer Höhle unter der Erde und wartet darauf, dass er wieder zurück darf.«

    Aha! So war das also. Er hatte zwar nicht ganz verstanden, was sie damit meinte, fragte aber nicht weiter nach. Es würde schon seine Richtigkeit haben.

    »Ist schon gut, Larissa.« Sie zog ihre rechte Hand unter dem Tisch hervor und legte sie neben das Heft, in das sie mit der anderen Hand über diesen Teufel in seiner höllischen Höhle schrieb. Sie war Linkshänderin. Schauer hörte ein metallisches Geräusch. Irgendetwas war auf den Boden gefallen. »Was war das?«, fragte er.

    »Nichts«, sagte Larissa und schrieb. Er bückte sich, sah nach, fand unter dem Tisch ein Ding aus kupferfarbenem Metall und hob es auf. Das sah aus wie eine Hülse, es war eine Hülse aus Metall, die Patronenhülse eines Geschosses von einem Gewehr. Etwas kleiner vielleicht, also nicht von einem Gewehr, sondern von einer Pistole. Wie kam so ein Ding in die Hände seiner Tochter? Er war beunruhigt.

    »Wo kommt das her?«, fragte er und war überrascht von seiner Stimme, die vorhin noch laut und fest geklungen hatte und nun fast belegt und schallgedämpft war.

    Larissa sagte, ohne von ihrem Schulheft aufzuschauen: »Das habe ich auf dem Heimweg gefunden.« Dann sah sie ihren Vater fragend an: »Gibt es eigentlich in der Hölle auch Höhlen?«

    »Lass mich jetzt mit deinen Höllenhöhlen in Ruhe! Wo auf dem Heimweg hast du das gefunden?«

    »Vor dem Petersbrunnhof. Vielleicht ist es das Horn von einem Teufel?«

    »Gut möglich«, sagte er und verstand nichts mehr. Seine Tochter fand auf ihrem Weg von der Schule nach Hause eine Patronenhülse. Das machte ihn nachdenklich. Aber warum sollte vor dem Petersbrunnhof eigentlich keine Patronenhülse liegen? Dort lag so viel Gerümpel herum, da konnte doch auch so etwas dabei sein, von einem Jäger verloren oder von irgendjemandem einfach weggeworfen. Und nun

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1