Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 509

Einleitung

Einleitung

berblick ber das Studienfach Betriebswirtschaftslehre

Deutschsprachige Lehrbuchautoren differenzieren das Fach Betriebswirtschaftslehre in Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und spezielle Betriebswirtschaftslehren. Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre beschftigt sich mit wirtschaftlichen Sachverhalten, die in allen Betrieben1 relevant sind. Sie stellt ein Rahmenwerk zur Verfgung, das eine Einordnung der speziellen Betriebswirtschaftslehren in einen Gesamtzusammenhang gestattet, und liefert die gemeinsamen Grundlagen fr Betriebswirtschaftslehren, von denen aus Spezialisierungen ermglicht werden. Anders als die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre gehen die speziellen Betriebswirtschaftslehren auf die Besonderheiten bestimmter Betriebstypen ein und/oder widmen sich einzelnen Funktionsbereichen der Betriebe. So beschftigt sich beispielsweise die Mittelstandskonomie mit den konomischen Zusammenhngen in mittelstndischen Unternehmen.2 Die ffentliche Betriebswirtschaftslehre befasst sich mit Betrieben der ffentlichen Hand (Verkehrs-, Entsorgungs-, Kulturbetriebe, Krankenhuser usw.) und der ffentlichen Verwaltung (Bundes-, Landes-, Kommunalverwaltungen; Parafisci wie z.B. Sozialversicherungen, Kammern).3 Die Industriebetriebslehre, die Bankbetriebslehre, die Versicherungsbetriebslehre u.. stellen auf Wirtschaftszweige bezogene Betriebswirtschaftslehren dar. Als Beispiel fr eine Betriebswirtschaftslehre, die sich auf eine spezielle Rechtsform bezieht, sei die Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften genannt. Weitere spezielle Betriebswirtschaftslehren konzentrieren sich auf unterschiedliche betriebliche Funktionsbereiche. So kann zwischen der Lehre der Beschaffungs-, der Produktions-, der Absatz-, der Investitions- und Finanzwirtschaft, des Marketings, des Rechnungswesens und der Lehre von der Unternehmensfhrung unterschieden werden. Das Verhltnis von Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre und speziellen Betriebswirtschaftslehren wird unterschiedlich beurteilt. Fr einige Lehrbuchautoren sind die Lehren von den betrieblichen Funktionsbereichen (inklusive der Lehre von der Unter1

2 3

Die Begriffe Betrieb und Unternehmen werden an spterer Stelle definiert und bis dahin zunchst im alltagssprachlichen Verstndnis benutzt. Gleiches gilt fr den Begriff des Wirtschaftens. Zur Mittelstandskonomie vgl. Mugler (2008). Zur ffentlichen Betriebswirtschaftslehre vgl. Brede (2005).

1
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_1, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Einleitung

nehmensfhrung) Bestandteile der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre.4 Dieser Ansicht folgt das vorliegende Lehrbuch nicht. Zwar muss die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, nach der hier vertretenen Auffassung, grundlegende Aussagen zu den Funktionen, die ein Betrieb zu erfllen hat, beinhalten und auch das Zusammenwirken betrieblicher Funktionen verdeutlichen, fr spezielle Funktionslehren bietet die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre allerdings keinen Platz. Es wird auch der Vorstellung widersprochen, die Betriebswirtschaftslehre setze sich aus verschiedenen Teilfunktionslehren zusammen5, denn die Betriebswirtschaftslehre umfasst in mehrfacher Hinsicht mehr als nur die Funktionslehren. Zum einen gehren neben den auf Funktionen bezogenen speziellen Betriebswirtschaftslehren die Lehren, die sich auf bestimmte Betriebstypen6 konzentrieren, mit zur Betriebswirtschaftslehre. Darber hinaus potenziert eine Kombination von Funktionen und Betriebstypen (Institutionen) die Mglichkeit der Spezialisierung innerhalb der Betriebswirtschaftslehre. Aber auch smtliche spezielle Betriebswirtschaftslehren zusammengenommen fllen nicht den Raum aus, den die Betriebswirtschaftslehre fr sich beanspruchen kann, denn neben den speziellen Betriebswirtschaftslehren gibt es noch die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Eine weitere Position, der sich der Autor dieses Lehrbuchs ebenfalls nicht anschliet, greift eine bestimmte Teilfunktionslehre heraus und setzt sie mit Betriebswirtschaftslehre gleich. Zumeist ist es die Lehre von der Unternehmensfhrung, von der behauptet wird, sie umfasse die gesamte Betriebswirtschaftslehre,7 also auch die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Es ist dann nicht mehr der Aspekt des Wirtschaftens, sondern der des Fhrens, der die Auswahl der Probleme, mit denen sich Betriebswirtschaftslehre beschftigt, steuert.8 Betriebswirtschaftslehre wird so zu einer Verwandten der angelschsischen Business Administration. Das vorliegende Lehrbuch geht davon aus, dass die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre eigenstndige Fragenkomplexe zu bearbeiten hat, die sich von den Problemstellungen der speziellen Betriebswirtschaftslehren unterscheiden. Sie hat sich mit Fundamenten und tragenden Teilen des Lehr- und Forschungsgebudes Betriebswirtschaftslehre zu befassen. Dazu gehren auch geschichtliche Aspekte einzelwirtschaftlichen Denkens, die verdeutlichen, wie die Betriebswirtschaftslehre zu einer wissen-schaftlichen Disziplin wurde. Weitere Schwerpunkte bilden die Erforschung des Gegenstandes der Betriebswirtschaftslehre und Theoriekonzepte, mit denen unterschiedliche Betriebswirtschaftslehren ihren Untersuchungsgegenstand analysieren.

4 5 6 7 8

Vgl. Bea/Friedl/Schweitzer (2009) oder Thommen/Achleitner (2009). Vgl. Schreygg/Koch (2007) S. 9. Mit dem Begriff Betriebstyp soll in Abgrenzung zur funktionalen Betrachtung der institutionelle Aspekt von Betrieben hervorgehoben werden. Vgl. Ulrich, H. (1970) S. 319, und weiter Kirsch/Seidel/Aaken (2009) S. 4. Protagonisten des Marketings meinen, Betriebswirtschaftslehre mit Marketing gleichsetzen zu knnen. Vgl. Ulrich, H. (1981) S. 3.

Einleitung

Die wissenschaftliche Beschftigung mit diesen drei Themenkomplexen bildet die Basis fr die Entwicklung spezieller Betriebswirtschaftslehren. Neben der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre und den speziellen Betriebswirtschaftslehren betrachtet die einschlgige Literatur Betriebstechniken als Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre. Hierunter werden Fachgebiete zusammengefasst, die Hilfsfunktionen fr die Betriebswirtschaftslehre leisten. Zu nennen sind einerseits Verfahrenstechniken wie Buchhaltung und Bilanzierung und andererseits Ausschnitte aus anderen Wissenschaften. Hierzu zhlen insbesondere Mathematik, Statistik, Informatik usw.

Abbildung 1:

Bereiche der Betriebswirtschaftslehre

Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre Konzepte der Betriebswirtschaftslehre

Spezielle Betriebswirtschaftslehren
Lehre von den Funktionsbereichen Lehre von der Unternehmensfhrung Betriebswirtschaftslehren gegliedert nach:  Betriebsgren  Wirtschaftszweigen  Rechtsformen  etc.

Betriebstechniken

Verfahrenstechniken Hilfswissenschaften

Inhalte des Lehrbuchs

Aus vorstehender Abbildung ergibt sich der grundlegende Aufbau dieses Lehrbuchs. Es ist in vier Teile gegliedert. Die ersten drei Teile sind geschichtlichen Aspekten einzelwirtschaftlichen Denkens, berlegungen zum Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre und theoretischen Konzepten zur Erfassung des Gegenstandes gewidmet. In einem vierten Schlussteil werden Unternehmen als produktive und soziale Systeme betrachtet. In Teil 1 wird verdeutlicht, dass die Betriebswirtschaftslehre eine wissenschaftliche Disziplin darstellt und wie sie sich dazu entwickelte. Dabei werden die historischen Wurzeln unterschiedlicher Richtungen der heutigen Betriebswirtschaftslehre offen gelegt und

Einleitung

die Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft qualifiziert. Hierzu wird auf unterschiedliche Bedeutungen des Wissenschaftsbegriffs zurckgegriffen und es werden kontroverse Auffassungen von Fachvertretern ber Methoden, Aufgaben und Problemstellungen einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre vorgestellt. Sie verdeutlichen, dass die methodologische Diskussion bis heute nicht abgeschlossen ist und von einem einheitlichen Wissenschafts- und Lehrgebude Betriebswirtschaftslehre keine Rede sein kann. An die Ausfhrungen ber die Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als eigenstndige Wissenschaft schlieen sich ihre Einordnung in das Wissenschaftssystem und die Darstellung ihres Verhltnisses zu Nachbarwissenschaften an. Insbesondere werden die Hauptgebiete der Volkswirtschaftslehre: Wirtschaftstheorie, Theorie der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik daraufhin befragt, ob die auf sie bezogenen Forschungsergebnisse einen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkundung von Betriebswirtschaften leisten und Anregungen fr die Entwicklung von Unternehmenstheorien, Theorien der Unternehmenspolitik und Unternehmensethiken liefern. Die Frage, ob die Betriebswirtschaftslehre als Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre angesehen werden kann, wird mit guten Argumenten verneint. Der erste Teil des vorliegenden Buches schliet ab mit der Darstellung unterschiedlicher Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre. Die Unterschiedlichkeit der Wissenschaftskonzepte wird mit der Verschiedenheit von grundlegenden Weltanschauungen begrndet. Abhngig von dem zum Einsatz gebrachten Wissenschaftskonzept variieren geforderte Methoden zur Erkenntnisgewinnung und -berprfung. Um das betriebswirtschaftliche Denken in Modellen zu veranschaulichen, wird die grundlegende Architektur wirtschaftswissenschaftlicher Modellbildung herausgearbeitet. Teil 2 beschftigt sich mit dem Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre. Die Bestandteile Betrieb und Wirtschaft des Wortes Betriebswirtschaft werden als empirische Phnomene, als Erfahrungsgegenstnde, der Betriebswirtschaftslehre identifiziert. Einige Aspekte dieser realen Erscheinungen werden hervorgehoben und tiefergehend theoretisch durchdrungen, um so den Erkenntnisgegenstand der Betriebswirtschaftslehre zu bestimmen. Zunchst wird das Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft in den Blick genommen und vor dem Hintergrund gngiger Definitionsangebote ein eigenes Verstndnis des Wirtschaftsbegriffs entwickelt. Hierzu werden Planung, Leitung und Organisation als alternative Entscheidungsmethoden herausgearbeitet und das konomische Prinzip sowie der Rationalittsbegriff diskutiert. Ein Ergebnis dieser berlegungen ist, dass isolierte Einzelwirtschaften Entscheidungslogik anwenden, um Probleme zu lsen und dabei im Fall unsicherer Entscheidungssituationen neben zweckrationaler Planung weitere Entscheidungsmethoden einzusetzen, um auch bei unerwarteten Strungen weiter wirtschaftlich handeln zu knnen.

Einleitung

Im Anschluss an diese berlegungen wird Wirtschaften als soziale Veranstaltung qualifiziert, an der mehrere Wirtschaftssubjekte beteiligt sind. Damit wird die Kernfrage der Betriebswirtschaftslehre, wie jeder Sozialwissenschaft, aufgeworfen, nmlich die Frage, wie ist soziale Ordnung mglich? bzw. wie sind Sozial-, Wirtschaftsordnung und Unternehmen mglich? Nachdem verdeutlicht worden ist, dass diese Zentralfragen dem Gefangenendilemma entsprechen, werden die Antworten der Wirtschaftswissenschaft und alternative Lsungen des Ordnungsproblems sowie die grundstzliche Problematik der angebotenen Antworten dargestellt und erklrt, dass Wirtschaften nur ber den Umweg des Verstndnisses der Wirtschaftsordnung verstanden werden kann und reales Wirtschaften nur in einer, wie auch immer zustande gekommenen, Wirtschaftsordnung mglich ist. Die konkrete Ausprgung der Wirtschaftsordnungselemente stellt den Bedingungskomplex dar, in dessen Grenzen das konomische Prinzip angewandt werden kann. In Marktmodellen realisiert es sich, wenn Haushalte und Einzelpersonen ihr Einkommen maximieren und Unternehmen ihre Gewinne. Einkommens- und Gewinnmaximierung setzt voraus, dass geklrt ist, was unter Einkommen und Gewinn zu verstehen ist und wie sich diese Gren ermitteln lassen. Bei der Darstellung der Verfahren der Gewinnermittlung werden die Grundzge des betrieblichen Rechnungswesens vermittelt, die Zusammenhnge zwischen den einzelnen in Unternehmen eingesetzten Rechnungssystemen verdeutlicht und die Bedeutung zentraler Begriffe des Rechnungswesens erklrt. Es zeigt sich, dass es keine einheitliche Verwendung des Gewinnbegriffs und seiner Definitionsbestandteile gibt. Abhngig von der jeweiligen Gewinnvorstellung, die Eingang in die Zielsetzung von Unternehmen findet, ist unterschiedliches wirtschaftliches Handeln zu erwarten. Im Anschluss an die Diskussion unterschiedlicher Gewinnkategorien wird verdeutlicht, dass unternehmenspolitische Entscheidungen ganz wesentlich durch die Wirtschaftsordnung, in die Unternehmen eingebettet sind, bestimmt werden. Um dies zu veranschaulichen, werden Ausprgungen eines Wirtschaftsordnungselementes, nmlich die Marktformen Polypol, Monopol und Dyopol, betrachtet und es wird anhand von Marktmodellen verdeutlicht, wie Unternehmen in unterschiedlichen Marktformen auf vollkommenen und unvollkommenen Mrkten das konomische Prinzip konkretisieren. Die Konfrontation der Modellergebnisse und der Voraussetzungen, unter denen sie abgeleitet wurden, mit der Unternehmenswirklichkeit leiten ber zu einer Kritik an den Modellannahmen bezglich des Informationsstandes und des Rationalverhaltens, auf denen die Hypothese der Gewinnmaximierung beruht. Anschlieend werden die den absatzpolitischen Entscheidungen vorgelagerten berlegungen zur (Kosten-) Wirtschaftlichkeit und Produktivitt skizziert und erlutert, warum das Ziel der Liquidittssicherung in der Unternehmenspraxis eine hervorragende Stellung einnimmt. Der Inhalt des folgenden Abschnitts befasst sich mit der Tatsache, dass alle Versuche, Einkommen bzw. Gewinn zu erzielen, mit dem Phnomen der Unsicherheit, insbesondere auch ber das Verhalten der anderen Akteure, und der ungleichen Verteilung
5

Einleitung

des Wissens und Knnens unter den Wirtschaftssubjekten konfrontiert sind. Zeit und Unsicherheit werden als konstitutive Elemente des Wirtschaftens herausgestellt. Diese Erkenntnis besttigt sich bei der Behandlung der Bedrfnis- und Gterkategorie. Nach einer Begriffsklrung und der Prsentation von Klassifikationsmglichkeiten dieser Gren wird verdeutlicht, dass es beim Wirtschaften um zuknftige Bedrfnisse an Gtern geht, deren Befriedigung gegenwrtig zu sichern ist, obwohl Unsicherheit darber besteht, wie denn der zuknftige Gterbedarf im Einzelnen aussehen wird. Diese Zukunftsvorsorge macht alle Gter knapp. Die damit verbundene Unsicherheit hinterlsst Probleme in der Sozialdimension. Immer wenn eigenntzig und rational Handelnde in einem Unternehmen zusammenarbeiten, ist bei der Gterproduktion mit Drckebergern, Trittbrettfahrern, Auenseitern und Saboteuren zu rechnen. Um ihr berleben zu sichern, mssen Unternehmen Manahmen ergreifen, um individuelle Rationalitt der Unternehmensmitglieder mit Systemrationalitt auf Unternehmensebene zu koppeln. Zum Abschluss des zweiten Teils werden die Begriffe Wirtschaftseinheit, Haushalt, Betrieb und Unternehmen definiert. Die Konzentration auf den Betriebsbegriff und dessen Abgrenzung zum Unternehmensbegriff veranschaulichen ihre uneinheitliche Verwendung. Teil 3 liefert dem Leser einen berblick und eine Bewertung der wichtigsten theoretischen Konzepte, mit denen die Betriebswirtschaftslehre ihren Gegenstand, das Wirtschaften in Betrieben bzw. Unternehmen, bearbeitet oder bearbeiten knnte. Es werden die neoklassische Unternehmenstheorie, das faktortheoretische Konzept Gutenbergs, entscheidungstheoretische Konzepte, Konzepte der Neuen Institutionenkonomik sowie systemtheoretische Konzepte vorgestellt. Bei der Behandlung der genannten Theorien werden ihre differenten Blickwinkel und Abstraktionsgrade sichtbar und deutlich, dass konzeptabhngig, und damit unterschiedlich, die Frage beantwortet wird, was in Unternehmen unter dem Aspekt des Wirtschaftens geschieht, und wie dieses Geschehen geordnet ist. Obwohl die neoklassische Unternehmenstheorie auf hochabstrakten Annahmen beruht und daher ihre Erkenntnisse fr Betriebswirtschaftslehren, die eine realittsnahe Unternehmenstheorie anstreben, nicht ausreichen, wird nachgewiesen, dass die neoklassische Unternehmenstheorie trotzdem fr betriebswirtschaftliche Theoriebildung und auch fr die Unternehmenspraxis eine gewisse Relevanz besitzt. Genau wie die neoklassische Unternehmenstheorie basiert der faktortheoretische Ansatz Gutenbergs auf der Denkfigur des homo oeconomicus. Gutenbergs Unternehmenstheorie konzentriert sich zunchst auf die Planung der Funktionsbereiche eines Unternehmens. Insbesondere ist sein theoretisches Interesse auf die Kombination der produktiven Faktoren durch den dispositiven Faktor gerichtet. Die Darstellung der von Gutenberg fr Industriebetriebe entwickelten Produktionsfunktion, mit der er seine Kostentheorie produktionstheoretisch fundiert, leitet ber zur Prsentation seiner berlegungen zu den Funktionen Absatz und Finanzierung. Damit wird verdeut6

Einleitung

licht, dass die Gutenbergsche Unternehmenstheorie Unternehmen als von allen Irrationalitten befreite produktive Systeme begreift, die sich aus Variablen, die mit mathematischen Funktionen beschrieben werden, zusammensetzen. Im Anschluss an die Darstellung der neoklassischen und Gutenbergschen Unternehmenstheorie und hierauf aufbauend behandelt das Buch entscheidungstheoretische Konzepte in ihrer formalen und verhaltenswissenschaftlichen Ausprgung. Bevor auf Unterschiede der beiden Richtungen der Entscheidungstheorie eingegangen wird, werden das Grundmodell der Entscheidungstheorie und die Klassifikation von Entscheidungssituationen als Gemeinsamkeiten herausgestellt. Sodann zeigt sich, dass die grundlegende Modellarchitektur und die Annahmen, auf denen formalwissenschaftliche Anstze der Entscheidungstheorie ihre Gedankengebude errichten, sich nicht von denen unterscheiden, auf denen die neoklassische und Gutenbergsche Unternehmenstheorie basieren. Die Darstellung von Entscheidungsregeln fr Entscheidungen unter Sicherheit, Risiko und Ungewissheit verdeutlicht diese Einschtzung. Die Kritik an den Entscheidungsregeln bildet die berleitung zu verhaltenswissenschaftlichen Anstzen der Entscheidungstheorie. Die verhaltenswissenschaftliche Richtung der Entscheidungstheorie propagiert eine Anreicherung der Betriebswirtschaftslehre mit verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen, die insbesondere von den Disziplinen Psychologie und Soziologie erwartet werden. Es wird eine Integration psychologischer Modelle zur Erklrung individuellen menschlichen Verhaltens in die Betriebswirtschaftslehre angestrebt. Daher werden Instinkttheorien, Triebtheorien, Motivationstheorien (in ihrer Ausprgung als Inhalts-, Prozess-, Erwartungs-, Gleichgewichts- und Attributionstheorien), Persnlichkeitstheorien und Theorien ber Menschenbilder behandelt, mit denen das individuelle menschliche Arbeitsverhalten in Unternehmen erklrt werden soll. Einen Schwerpunkt bei der Behandlung der psychologischen Teilaspekte menschlichen Verhaltens bildet die prospect theory die sich als Alternative zur Erwartungsnutzentheorie versteht. Sie relativiert die gngigen Annahmen der konomischen Theorie ber Egoismus, Rationalitt und Prferenzen, indem sie sie durch realittsnhere ersetzt sowie mit Wahrnehmungsverzerrungen begrndet und damit verdeutlicht, dass emotionale Vorurteile das Entscheidungsverhalten in Unternehmen beeinflussen. Zum Abschluss der berlegungen zu den psychologischen Aspekten menschlichen Verhaltens wird begrndet, wieso eine gemeinsame Theorie des menschlichen Verhaltens der Disziplinen Psychologie und Betriebswirtschaftslehre nicht zu erwarten ist, und festgestellt, dass Psychologie nicht die Basis einer sozalwissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre bilden kann. Anschlieend wird das nicht unproblematische Verhltnis von Soziologie und Wirtschaftswissenschaft thematisiert und das Modell des homo organisans vorgestellt, das als Gegenentwurf zum homo oeconomicus konzipiert wurde. Die Diskussion der Ergebnisse der Hawthorne-Experimente, die Betrachtung von Unternehmen als Handlungsbzw. Entscheidungssysteme, die es ermglichen, Unternehmen als Koalitionen zu

Einleitung

qualifizieren, sowie die Beschftigung mit Unternehmenszielen klren, dass Unternehmen als soziale Systeme beobachtet werden knnen. Das Kapitel, das der Neuen Institutionenkonomik gewidmet ist, beginnt mit der Darstellung des Alten Institutionalismus. Die Grundzge der lteren und jngeren Deutschen historischen Schule und des amerikanischen Institutionalismus werden nachgezeichnet und die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Institution wird problematisiert. Indem nachgewiesen wird, dass die Neue Institutionenkonomik grundlegende Annahmen der neoklassischen konomik, wie den methodologischen Individualismus, die Eigennutzthese und die These begrenzter Rationalitt, auf Institutionen anwendet, wird gleichzeitig eine Abgrenzung zum Alten Institutionalismus erreicht. Nachdem externe Effekte, Transaktionskosten, Vertrge, Verfgungs- und Handlungsrechte sowie Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer thematisiert worden sind, werden die Grundzge des Transanktionskosten-, property-rights- und des principal-agent-Ansatzes dargestellt und auf Mglichkeiten hingewiesen, die Existenz und die innere Struktur von Unternehmen unter Rckgriff auf diese Konzepte zu begrnden. Die anschlieenden Abschnitte des Buches beschftigen sich mit systemtheoretischen Konzepten. Zunchst werden die Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze erarbeitet, indem der klassische Systembegriff vorgestellt wird und die Grundzge von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtstheorien, von Theorien geschlossener und offener Systeme, von Input-Output- und kybernetischen Modellen skizziert werden. Sodann werden auf die Gesamtwirtschaft und auf Betriebswirtschaften bezogene Systemkonzepte prsentiert, die veranschaulichen, dass der Systemgedanke seit langem Bestand betriebswirtschaftlicher Theoriebildung ist. Anschlieend geht es um die Darstellung neuerer Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie. Hier wird der Leser mit einer gewhnungsbedrftigen Begrifflichkeit konfrontiert, da auf den eigenartigen Begriffsapparat, den Niklas Luhmann entwickelt hat, zurckgegriffen wird, um Systeme zu beschreiben. Der differenztheoretische Blick auf Systeme, die Konzepte der operativen Geschlossenheit, der Autopoiese, der Beobachtung, der Systemgrenzen und Systembeziehungen sowie der Komplexitt werden, da sie Betriebswirten kaum bekannt sind, ausfhrlich dargestellt. Hierauf aufbauend wird die Anwendung des Luhmannschen Begriffsapparats auf soziale Systeme vorgefhrt, die Verortung des Menschen in die Umwelt sozialer Systeme begrndet, die Luhmannschen Vorstellungen von Sinn, Handlung und Kommunikation erlutert, da sie gngigem betriebswirtschaftlichem Gedankengut diametral zuwiderlaufen. In den hierauf folgenden Abschnitten werden das Gesellschaftssystem, das Wirtschaftssystem als eines seiner Subsysteme, Interaktionen, Organisationen und Unternehmen mit den Luhmannschen Begriffen beschrieben. In Teil 4 werden Unternehmen, abhngig von der Betrachtungsperspektive, als offene produktive und als operativ geschlossene soziale Systeme beobachtet. Beide Ansichten haben ihre Berechtigung. Auf der produktiven Ebene, auf der Gter bewegt werden,

Einleitung

und auf der Ebene der monetren Bewertung der Gterbewegungen sind Unternehmen offene Systeme, die durch Gter- und Geldstrme mit ihrer Umwelt verbunden sind. Auf ihrer sozialen Ebene lassen sich Unternehmen, einer Anregung der neueren Systemtheorie folgend, als operativ geschlossene Systeme begreifen. Dabei spielt es zunchst keine Rolle, ob man sich Unternehmen aus Handlungen, Entscheidungen oder Kommunikationen zusammengesetzt denkt. Indem eine der aufgefhrten Kategorien herausgegriffen wird und entweder alle Handlungen oder alle Entscheidungen oder alle Kommunikationen, die sich auf hnliche Sachverhalte beziehen, zusammengefasst werden, knnen zunchst drei Unternehmenssphren unterschieden werden: die Realgter-, die Nominalgter- sowie die Steuer- und Regelsphre. Die nochmalige Anwendung des Differenzierungskriteriums auf die Unternehmenssphren liefert Funktionsbereiche des Unternehmens.9 Nachdem ein berblick ber die Funktionsbereiche eines Unternehmens und ihrem Zusammenspiel verschafft worden ist, bilden die Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre, nmlich die primre und sekundre Steuerung und Regelung, einen Schwerpunkt der weiteren Betrachtungen. Zunchst werden die Begriffe Planung, Leitung, Organisation und Kontrolle inhaltlich als alternative Entscheidungsmethoden und Subsysteme der Unternehmensfhrung bestimmt. Daran schliet sich eine Einordnung der genannten Entscheidungsmethoden in einen Regelkreis der Unternehmensfhrung an, womit eine Beschreibung der primren Steuerung und Regelung gelingt. In mehreren Richtungen werden die bis dahin entwickelten Vorstellungen ber den Funktionsbereich Unternehmensfhrung erweitert. Einerseits wird die Einbindung des Regelkreises der Unternehmensfhrung in weitere Regelkreise veranschaulicht. In diesem Zusammenhang wird ein Regelkreis, der in das Gesellschaftssystem eingebunden ist, von einem zweiten unterschieden, der sich auf individuelle Motive bezieht. Damit wird bereits auf Umweltelemente des Unternehmens hingewiesen. Andererseits wird das Verhltnis von primrer und sekundrer Steuerung klargestellt. Whrend die Fhrungssubsysteme Planung, Leitung, Organisation und Kontrolle auf der Ebene der primren Steuerung und Regelung dazu eingesetzt werden, um zu beobachten, was im Unternehmen und seiner Umwelt geschieht, geht es im Bereich der sekundren Steuerung und Regelung darum zu beobachten, wie Beobachter das Unternehmensgeschehen beobachten und in diesem Zusammenhang um die Steuerung und Regelung der im Rahmen der primren Steuerung eingesetzten Fhrungssubsysteme. Zur Beschreibung dieser Sachverhalte wird ein ControllingKonzept entwickelt, das sich von Controlling-Konzepten, die in der Literatur zur Unternehmensfhrung zu finden sind, unterscheidet, und dies ermglicht, Controlling als eigenstndiges Fhrungssubsystem zu begreifen, das Beobachtungen mindestens zweiter Ordnung ermglicht.
9

Nicht smtliche denkbaren Funktionsbereiche des Unternehmens werden in diesem Lehrbuch angesprochen. So werden der Funktionsbereich Forschung und Entwicklung und auch Fragen der Wirtschaftsprfung nicht behandelt. Ebenso sind Betrachtungen ber die Funktionsbereiche hinweg wie z.B. Projektplanungen nicht Thema dieses Lehrbuches.

Einleitung

Im Anschluss an die Beschreibung der Funktionsbereiche der Unternehmensfhrung werden die wichtigsten Umweltelemente eines Unternehmens vorgestellt und verdeutlicht, dass die Real- und Nominalgtersphre eines Unternehmens durch Gterund Geldstrme vermittelte Kontakte zu ihrer Umwelt unterhlt. Whrend Unternehmen auf dieser Realittsebene Umweltkontakt haben, besitzen sie als soziale Systeme keinen unmittelbaren Umweltkontakt. Diese Einschtzung wird ausfhrlich begrndet. Zum Abschluss des Buches werden Kriterien zur Gliederung bzw. zur Systematik realer Unternehmen vorgestellt und Kooperationsformen von Unternehmen prsentiert. Diese Themen verweisen auf spezielle Betriebswirtschaftslehren, deren Lehr- und Forschungsbasis Allgemeine Betriebswirtschaftslehren bilden.

10

Einleitung

Teil 1 Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

11

Einleitung

Die Betriebswirtschaftslehre konzentriert sich auf Einzelwirtschaften. Diese sind von der Gesamtwirtschaft, z.B. der Weltwirtschaft, einer Volkswirtschaft oder einer Stadtwirtschaft, zu unterscheiden. Die Gesamtwirtschaft besteht aus einzelnen wirtschaftenden Einheiten und den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Einzelwirtschaften. Da, historisch gesehen, die Anfnge wirtschaftlicher Bettigung von Menschen in Einzelwirtschaften stattfanden, die keine oder lediglich rudimentre Beziehungen zu anderen Einzelwirtschaften aufwiesen, konzentrierte sich das Interesse des Menschen zunchst auf die Einzelwirtschaft.10 Sie wird beschrieben, analysiert, und es werden Vorschlge zu ihrer Gestaltung entwickelt. Damit ist eine Quelle spterer betriebswirtschaftlicher Theoriebildung benannt, nmlich das im jeweiligen historischen Kontext eingebettete und niedergeschriebene Wissen bezglich einzelwirtschaftlicher Problemstellungen. Neben Aussagen, die sich direkt auf Einzelwirtschaften beziehen, findet man in der Geschichte berlegungen, die in der Auseinandersetzung mit Fragestellungen entwickelt wurden, die in anderen Lebensbereichen auftraten. So sind Ergebnisse moralischer, religiser, juristischer und auch mathematischer Diskussionen, um nur einige zu nennen, im Nachhinein als Antworten auf einzelwirtschaftliche Fragen interpretiert worden.

10

So etwas wie Volkswirtschaften oder gar eine Weltwirtschaft gab es zunchst nicht. Es ging um die Selbstversorgung der in einer Einzelwirtschaft lebenden Menschen. Einzelwirtschaftliche Betrachtungen liegen daher, historisch gesehen, auch vor einer gedanklichen Reflexion ber Gesamtwirtschaften und bilden somit die Grundlage spter angestellter volkswirtschaftlicher Betrachtungen.

12

2Inhalte des Lehrb

1 Vorwissenschaftliche Strnge der


Betriebswirtschaftslehre

Es lassen sich somit zwei vorwissenschaftliche Erkenntnisquellen der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre unterscheiden. Die eine Erkenntnisquelle sind Aussagen, die sich direkt auf den einzelwirtschaftlichen Lebensbereich beziehen. Die zweite Erkenntnisquelle sind Aussagen, die sich zunchst als Antworten auf Fragen in unterschiedlichsten Lebensbereichen verstehen und nachtrglich als Lsungen fr wirtschaftliche Probleme entdeckt wurden. Nach heutigem Wissenschaftsverstndnis sind die direkt und indirekt gewonnenen, auf Einzelwirtschaften bezogenen Aussagen bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als unwissenschaftlich (vorwissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich) zu qualifizieren. Fr die wissenschaftliche Bearbeitung des Lebensbereichs Einzelwirtschaft hatte sich noch keine scientific community herausgebildet.11 Leitgedanken und Problemlsungswerkzeuge in Form einer Methodologie fr betriebswirtschaftliche Forschungsprogramme12 fehlten der Betriebswirtschaftslehre, so dass die isoliert vorhandenen Aussagen ber Einzelwirtschaften nicht in ein den Gegenstandsbereich Einzelwirtschaft umfassendes Aussagensystem eingeordnet werden konnten.13 Wenn trotzdem auf eine Darstellung der vorwissenschaftlichen Strnge der Betriebswirtschaftslehre nicht verzichtet wurde, so hat das mehrere Grnde: Einerseits wird deutlich, dass es eine Entwicklung hin zur wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre gab, Betriebswirtschaftslehre also keine geschichtslose Wissenschaft ist, andererseits wird sich zeigen, dass heutige betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, die Wissenschaftlichkeit beanspruchen, in Arbeiten mit vorwissenschaftlichem Charakter teilweise enthalten sind. Ein weiterer Grund dafr, warum in diesem Lehrbuch die Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen zumindest fragmentarisch und exemplarisch referiert werden, ist in der vorherrschenden Abstinenz weiter Teile der betriebswirtschaftlichen Literatur zu sehen, wenn es um die historische Entwicklung der Betriebs-

11 12 13

Vgl. Kuhn (1962). Vgl. Lakatos (1970). Vgl. Kant (1986) Kap.: Transzendentale Analytik, 2. Aufl. 1787, S. 89 ff.

13
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_2, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

wirtschaftslehre geht.14 Diese Position ungerechtfertigter Bescheidenheit ist abzulehnen. Daher werden in den folgenden Abschnitten die vorwissenschaftlichen Strnge der Betriebswirtschaftslehre skizziert.

1.1

Nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogene Untersuchungen

Die gesammelten Wissensbestnde des Menschen ber die Welt, seine Mitmenschen und sich selbst15 wurden von den philosophischen Denkern der Antike systematisch betrachtet und geordnet. Es wurde damit erstmals ein zusammenhngender berblick ber das verfgbare Wissen gegeben. Auch ber Themen, die zum Bereich des Wirtschaftens gehren, wurde nachgedacht. Den berlegungen lag allerdings zunchst kein konomisches Kalkl zugrunde. Vielmehr betrachtete man das Wirtschaften aus moralischen, theologischen, juristischen, politischen und anderen Perspektiven. In den Dialogen Platons und den Schriften des Aristoteles (insbesondere seiner Politik, die ein Kapitel ber die Lehre von der Hausverwaltung und Hausgemeinschaft (Oikonomia) enthlt) finden sich zahlreiche Ausfhrungen zum Wirtschaften.16 Einige einzelwirtschaftliche Fragestellungen, zu denen darber hinaus Theologen, Vertreter des Rechts und Mathematiker Stellung bezogen haben, sollen in lockerer Folge vorgestellt werden.

Dieter Schneider bildet eine rhmliche Ausnahme, vgl. Schneider (1981) S. 117-139, Schneider (1987) S. 81-186, sowie Schneider (1997) S. 490-500 und weiter Schneider (1999a) und Schneider (2000) S. 419-439 sowie Schneider (2001). Die obigen Ausfhrungen zu den vorwissenschaftlichen Strngen der Betriebswirtschaftslehre basieren auf den von Dieter Schneider vorgeschlagenen Unterscheidungen. Neben seinen Schriften kann die Lektre von: Hundt (1977) und Brockhoff (2002) sowie Brockhoff (2009) empfohlen werden. Es ist insbesondere Dieter Schneider, der die Geschichtslosigkeit der Betriebswirtschaftslehre beklagt und auf Managementfehler hinweist, die hierauf zurckzufhren sind, vgl. Schneider (1984). Dieter Schneider lehrte und forschte nach seiner Habilitation im Jahr 1965 als Professor fr Betriebswirtschaftslehre an der Westflischen-Wilhelms-Universitt Mnster. 1970 bis 1973 war er als Professor fr Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt ttig und ab 1973 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2000 hatte er einen Lehrstuhl fr Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Ruhr Universitt Bochum inne. 15 Diese finden sich z.B. in den Texten des Alten Testaments sowie in den Werken von Homer (8. Jahrhundert vor Chr.) und Hesiod (8./7. Jahrhundert vor Chr.). 16 Zu den alten Quellen vgl. z.B. Schoppe (1989) S. 157-174.

14

14

Nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogene Untersuchungen

1.1

1.1.1

Preis, Marktordnung und Eigentum aus moralischer und theologischer Sicht

Wert und Preis werden frhzeitig als zentrale Elementarkategorien des Wirtschaftens begriffen. Es wurden Wert- und Preislehren entwickelt, bei denen zunchst nicht wirtschaftliche, sondern Aspekte der Moral und der Gerechtigkeit im Vordergrund standen. Werte und Preise wurden daraufhin befragt, ob sie gut oder schlecht bzw. gerecht oder ungerecht sind. So sind auch die Aussagen bezglich Wert und Preis des griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 vor Chr.)17 und seiner Nachfolger (sog. Aristoteliker) zu verstehen. Sie beschreiben Verfahren, mit denen der gerechte Preis (lat. justum pretium) ermittelt werden kann. Ihre Vorschlge bilden die Grundlage von Diskussionen in der Scholastik des Mittelalters. Gerechtigkeit ist wiederum das Leitmotiv der Disputationen. Es wird nach schlssigen Antworten gesucht, wie in konkreten Fllen gerechte Preise und gerechte Lhne zu bilden sind und ob in jeder Situation der Preis fr die Vergabe eines Darlehens als ungerechter Zins zu betrachten sei. Thomas von Aquin (1225-1274) und Albertus Magnus (um 1200-1280) behaupten, dass zwei Gter den gleichen Wert besitzen, wenn sie jeweils die gleiche Menge an Arbeit und die gleiche Ausgabenhhe fr Vorleistungen enthalten. Der Austausch derart wertgleicher Gter erscheint dann als gerecht. Die Preisbestimmung der Gter hat sich entsprechend dieser Vorstellung an den Produktionskosten zu orientieren.18 In der iberischen Scholastik des 16. Jahrhunderts befassten sich an den Universitten von Salamanca (Spanien) und Coimbra (Portugal) viele Gelehrte mit konomischen Fragestellungen aus moralisch-juristischer und theologischer Sicht. Ihre Denkrichtung ist spter als Schule von Salamanca bezeichnet worden.19 Auch und gerade zur Wert- und Preisbestimmung hat die Schule von Salamanca wichtige Beitrge geleistet. Um die Frage nach dem gerechten Preis zu beantworten, greift sie zunchst auf die Vorstellung zurck, nach der Produzenten einen Angebotspreis derart festlegen sollen, dass die Produktionskosten gedeckt werden. Diese mssen auf der Grundlage des standesgemen Unterhalts der Produzenten kalkuliert sein. Die Vertreter der Schule von Salamanca konzentrieren sich aber nicht nur auf die Preiskalkulation der Produzenten, das heit auf die Seite der Anbieter, sondern sie erkennen auch, dass der konomische Wert eines Gutes und sein Preis von weiteren Faktoren abhngig ist: von dem Nutzen, den das Gut demjenigen stiftet, der es verwendet (utilitas), von der

Vgl. insbesondere Aristoteles (1981). Vgl. Thomas von Aquin (1485) und (1991), Albertus Magnus (1507) sowie dazu Ramp (1949) und Le Goff (2008). 19 Zu ihren Vertretern gehren die Theologen und Ordensmnner Francisco de Vitoria (14921546), Luis de Molina (1535-1600), Martn de Azpilcueta (1493-1586), Diego de Covarrubias y Leiva (1512-1577), Domingo de Soto (1494-1560), Francisco Surez (1548-1617) und andere.

17 18

15

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Knappheit (raritas) des Gutes und von der gesellschaftlichen Wertschtzung, die dem Gut entgegengebracht wird (communis aestimatio).20 Aus der subjektiven Einschtzung der Anbieter und Nachfrager bezglich Ntzlichkeit und Knappheit pendelt sich, durch gesellschaftliche Wertschtzung mit bedingt, ein Marktpreis ein, der dem gerechten Preis entspricht. Diese Vorstellung bringt Luis de Molina zum Ausdruck, indem er schreibt: In the first place, it should be observed that a price is considered just or unjust not because of the nature of the things themselves this would lead us to value according to their nobility or perfection but due to their ability to serve human utility. Because this is the way in which they are appreciated by men, they therefore command a price in the market and in exchanges. Moreover, this is the end for which God gave things to man, and with that same end, men divided among them the domain of all things, even though they belonged to everybody at the moment of their creation. What we have just described explains why rats, which, according to their nature, are nobler than wheat, are not esteemed or appreciated by men. The reason is that they are of no utility whatsoever. This also explains why a house can be justly sold at a higher price than a horse and even a slave, even though the horse and the slave are, by nature, much nobler than the house.21 Der Markt liefert nur dann gerechte Preise22, wenn der Staat sich mit Eingriffen in das Marktgeschehen zurckhlt und der freie Handel nicht durch Monopole und Korruption behindert wird. Nur wenn all dies sichergestellt ist, wird ein friedliches Zusammenleben der Menschen mglich. Neben der Problematik gerechter Gterpreise thematisierte die Schule von Salamanca auch den Preis fr Arbeit. Der gerechte Lohn bildete einen Diskussionsschwer-

20 21 22

Vgl. zu der ganzen Problematik Weber, W. (1962). So zitiert in: Chafuen (2003) S. 84. Von dem gerechten Preis der Scholastiker ist der natrliche Preis (prix naturel) der Physiokraten, Francois Quesnay (1694-1774) und Anne Robert Jacques Turgot (1727-1781), und der natrliche Preis von Adam Smith (1723-1790), David Ricardo (1772-1823) und Karl Marx (1818-1883) zu unterscheiden. Den hier zitierten Autoren ging es um die Entwicklung einer konomisch begrndeten Wert- und Preistheorie und nicht wie den Vertretern der Schule von Salamanca um eine Anleitung zum guten Handeln. Der natrliche Preis ist kein Einzelpreis. Vielmehr stellt er eine Art Schwankungszentrum (Gravitationszentrum, Oszillationszentrum, Bestimmungskern, Gleichgewichtszentrum) dar, um den die Einzelpreise (Marktpreise) eines Gutes oszillieren. Die genannten Autoren betrachten den natrlichen Preis als eine Durchschnittsgre des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwands. Er ist gleichzusetzen mit den Produktionskosten (Lhne, Vorleistungen, Kapitalverzinsung), die unter Normalbedingungen durchschnittlich aufzuwenden sind, vgl. Smith (1978) S. 51, Ricardo (2006) und Marx (1977b) S. 187 ff. Zu einer mglichen Interpretation der Marxschen Wertlehre, vgl. Bardmann (1986) S. 11-23.

16

Nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogene Untersuchungen

1.1

punkt.23 Dabei wurde verdeutlicht, dass die Gerechtigkeit eines Lohnes (wie jedes gerechten Preises) nicht an seiner Hhe abzulesen ist, sondern an dem Verfahren, mit dem die Lohnhhe bestimmt wird.24 Die jeweiligen Vertragspartner sollten sich ber die Lohnhhe einigen. Ungleiche Macht- oder Informationsverteilung unter den Vertragspartnern behindert Vertragsgerechtigkeit und somit gerechte Lhne. Mit staatlichen Eingriffen in das Lohnfindungsgeschehen ist es nicht mglich, Lohngerechtigkeit zu erreichen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lehnt die Schule von Salamanca berhaupt direkte staatliche Interventionen in den Wirtschaftsprozess ab. Mit Verweis auf das so genannte Naturrecht25 postulieren ihre Vertreter die von Natur aus gegebene Freiheit der Zirkulation von Menschen, Gtern und Ideen und erkennen, wie es der spanische Jesuit Luis Molina ausdrckt, wie sich die Dinge selbst regeln.26 Mit dieser Einsicht nimmt Molina theologisierend vorweg, was Adam Smith spter als unsichtbare Hand bezeichnet, nmlich die Vorstellung einer Koordination menschlicher Handlungen durch den Markt.27 Die Vertreter der Schule von Salamanca beobachteten darber hinaus, dass Privateigentum an Gtern den pfleglichen Umgang mit ihnen zur Folge hat, whrend Gemeineigentum eine bernutzung der Gter hervorruft. Sie folgern, dass Privateigentum Aktivitten begnstigt, die zum wirtschaftlichen Wohlstand beitragen. Aus der Tatsache, dass die Schule von Salamanca bei der Diskussion um den gerechten Preis subjektive Nutzenvorstellungen von Anbieter und Nachfrager in ihre berlegungen mit einbezogen hat, ist geschlossen worden, dass sie eine frhe Form einer Markttheorie vorgelegt hat. Diese Auffassung kann nachtrglich in die Diskussion um den gerechten Preis hineingelesen werden.28 In dem damaligen moral-theologischen

23

24 25 26 27 28

Der deutsche Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler Johann Heinrich von Thnen (17831850) glaubte, eine Formel fr den gerechten Lohn gefunden zu haben, und lie sie sogar auf seinem Grabstein einmeieln. Dort ist zu lesen, dass der naturgeme (gerechte) Arbeitslohn gleich der Wurzel aus a mal b ist, wobei a dem Gterbedarf einer vierkpfigen Familie entspricht und mit b das Durchschnittsprodukt gemeint ist, also das, was ein Lohnarbeiter durchschnittlich herstellt. Vgl. zur Lohnformel Thnen (1826-1863) Teil II. Die Frage der Vertragsgerechtigkeit ist seit der Antike ein Dauerthema. Bei den Rmern war das do ut des ich gebe, damit du gibst geradezu sprichwrtlich. Entsprechend naturrechtlicher Vorstellungen ist jeder Mensch mit unveruerlichen Rechten, wie das Recht auf Leben, krperliche Unversehrtheit und Freiheit, ausgestattet. Vgl. Molina (1593-1609). Weitere Ausfhrungen zur Schule von Salamanca finden sich in Grice-Hutchinson (1952) und (1993). Vgl. de Roover (1955) S. 161-190. Dies leistet Schumpeter. Mit seinem posthum verffentlichten Werk Geschichte der konomischen Analyse (2009) macht er auf die Schule von Salamanca aufmerksam und stellt hnlichkeiten mit der sterreichischen Grenznutzenlehre fest. Dieser Einschtzung wird hier nicht gefolgt. Vielmehr ist der Ansicht Luhmanns zuzustimmen, dass unter der Bezeichnung Schule von Salamanca moralisch-juristische Diskussionen erfolgten und nicht primr konomische Bezge im Vordergrund standen, vgl. Luhmann (1994a) S. 76 f. Damit ist natrlich nicht gesagt, dass eine sptere bertragung der moralisch-juristischen Empfehlungen auf wirtschaftliches Handeln nicht stattgefunden htte.

17

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Disput ging es den Teilnehmern allerdings nicht um die Entwicklung einer konomischen Theorie, sondern vielmehr um die Ableitung moralischer und theologisch fundierter Normen fr richtiges und gottgeflliges Handeln. Dazu gehrte ein Kriterienkatalog fr die Preisbildung und fr die Kontrolle von Kaufleuten. Seine Anwendung sollte Gerechtigkeit und das Glck der Menschen frdern. Die Unterscheidungen von gut und bse, gerecht und ungerecht kommen heute in den Wirtschaftswissenschaften, wenn es um Preistheorie geht, nicht mehr zum Einsatz. Vielmehr sind Marktmodelle die Standardmodelle zur Erklrung der Preisbildung. Auf den Markt bezogen machen Fragen der Gerechtigkeit keinen Sinn. Darauf hat bereits von Hayek hingewiesen.29 Der Markt kennt kein gemeinsames Ziel der Marktteilnehmer. Auf dem Markt knnen unterschiedlichste Ziele verfolgt werden. Dadurch unterscheidet er sich von Organisationen, die immer auf einen Zweck gerichtet sind. Nur im Fall von zweckgerichteten Organisationen machen Gerechtigkeitsfragen Sinn. Wenn heute allerdings ber gerechte Milchpreise, Mindestlhne und ber Bezge von Spitzenmanagern diskutiert wird, dann geschieht dies nicht nur unter konomischen Aspekten, sondern Fragen der Gerechtigkeit spielen hierbei eine herausragende Rolle. In den Verffentlichungen zu diesen Themen prallen konomische und moralische Ansichten aufeinander. Denjenigen, die Gerechtigkeit auf ihre Fahnen schreiben, kann nur geraten werden, sich mit den Beitrgen zu beschftigen, die die Schule von Salamanca im 16. Jahrhundert hierzu verfasste. Sie sind durch ein tiefgehendes Verstndnis ber die Funktionsweise der Wirtschaft ausgezeichnet.30 Eine derart hochwertige gedankliche Durchdringung der Preis- und Lohnproblematik kann weiten Teilen der heutigen Literatur nicht bescheinigt werden.

1.1.2

Theologische und juristische Betrachtungen zum Zinsverbot

Es war in der Menschheitsgeschichte schon immer umstritten, ob fr ausgeliehenes Kapital Zinsen verlangt werden drfen. Bereits die Perser kannten vor 2.500 Jahren ein Zinsverbot. Auch das Alte Testament und der Koran enthalten mehrere Stellen, die das Zinsnehmen verbieten. Die katholische Kirche hat unter Papst Innozenz III im Jahr 1215 das Zinsverbot fr Christen erlassen und in das kanonische Recht aufgenommen. Wirklich durchgesetzt wurde es jedoch selten.31 Vertreter der Schule von Salamanca erarbeiteten Grnde, welche die Erhebung von Zinsen auf gewhrte Darlehen rechtfertigen. Ein Aufpreis (Zins) auf die Darlehens29 30

Vgl. Von Hayek (1994) S. 118. Schumpeter drckt diesen Sachverhalt in der Einleitung zu dem Buch von Dempsey wie folgt aus: [I]f those Schoolmen rose from the dead today, they would readily understand our world and be quite prepared to take part in the discussions of its problems. Schumpeter (1948) S. VIII. 31 Vgl. Schoppe (1989) S. 157-174.

18

Nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogene Untersuchungen

1.1

summe ist gerechtfertigt, wenn es sich hierbei um die Entschdigung fr einen entgangenen Gewinn, einen erlittenen Schaden oder um einen auszugleichenden Kaufkraftverlust handelt. Der Zins wird als eine Prmie betrachtet, die den Verleiher des Geldes fr derartige Risiken, insbesondere fr die Gefahr, das entliehene Geld nicht oder nicht in vollem Umfang wieder zurckzubekommen, entschdigt.32 Der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) legte 1682 ein erstes Konzept zur Investitionsrechnung vor. Es war das Nebenprodukt einer juristischen Betrachtung.33 In seiner Abhandlung lieferte Leibniz Argumente gegen die Norm des Zinsverbots. Aus drei selbstverstndlichen Rechtsstzen fr die vorzeitige Tilgung einer Schuld leitet Leibniz die Rechtmigkeit der Kapitalwertrechnung ab und rechtfertigt damit die Abzinsung vorzeitig zurckgezahlter Darlehen mit Zinseszinsen. Die Rechnung mit Zinseszinsen wird damit begrndet, dass freigesetzte Gelder aus Investitionen wieder angelegt werden knnen.34 In den von Leibniz zwischen 1680 und 1683 angefertigten Manuskripten De interusurio (ber den zwischenzeitlichen Zins, Version I) kommt Leibniz noch zu dem Schluss, dass eine Berechnung nach dem Zinseszins nicht gebilligt werden kann.35 In seinen juristisch-mathematischen Betrachtungen, die er zeitgleich anstellt, rechtfertigt er die Zinseszinsrechnung. Er schreibt: Sei also z die Anzahl der Jahre, a der Geldbetrag, welcher nach diesen Jahren geschuldet wird, und die Hhe des Zinses durch den Buchstaben v ausgedrckt, dergestalt, dass, gesetzt, die erlaubten Zinsen betrgen ein zwanzigstel Mnze oder fnf auf hundert, der Buchstabe v dann 20 bedeutet. Dies vorausgesetzt wird nach Abzug der Krzung vom Geldbetrag a wegen des um z Jahre vorgezogenen Erhalts der Summe, die dem vorzeitig Empfangenden geschuldet wird, brig bleiben.36 Damit war die Barwertformel gefunden. Diese schreibt Leibniz ohne nhere Begrndung auf. Fr diejenigen, fr die die Formel nicht unmittelbar verstndlich ist, sei der Gedankengang, der sich hinter der Formel verbirgt, kurz nachvollzogen.

Wert von mit , so erhlt man statt der von Leibniz notierten Formel:

Ersetzt man a durch , krzt den Bruch mit v und bezeichnet den heutigen

Dabei symbolisiert

den Zinssatz, der mit dem Buchstaben i bezeichnet sei. In obige

Formel eingesetzt, erhlt man:


32 33 34

Vgl. z.B. Azpilcueta (1556). Vgl. Leibniz (2000b) S. 106-113. Vor etwa 60 Jahren hat der konom und Finanztheoretiker Silvio Gesell (1862-1930) die Bedeutung der Zinsfrage im Rahmen seiner Freiwirtschaftslehre erneut aufgeworfen, vgl. Gesell (1949) S. 309-360. 35 Leibniz (2000a) S. 60-71, Zitat S. 69. 36 Leibniz (2000b) S. 112 f.

19

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Eine Mglichkeit der Ableitung der Barwertformel leisten die folgenden berlegungen: Wenn eine Geldsumme in Hhe von zu einem Zinssatz von i ein Jahr angelegt wird, errechnet sich nach Ablauf des ersten Jahres eine Geldsumme von: . Wird die Geldsumme in Hhe von ein weiteres Jahr zum gleichen Zinssatz angelegt, erhlt man: . Wird ein weiteres Jahr zum gleichen Zinssatz angelegt, errechnet sich . Nach Ablauf von z Jahren ist die ursprnglich angelegte Geldsumme in Hhe von angewachsen auf eine Hhe von . Um zu berechnen, wie viel die Geldsumme, die in z Jahren gezahlt wird, heute wert ist (Barwert oder Gegenwartswert = ), sind beide Seiten der obigen Gleichung durch zu dividieren. Das Ergebnis entspricht der von Leibniz notierten Formel:

Bemerkenswert ist, dass in der Wirtschaftspraxis und in betriebswirtschaftlichen Lehrbchern bis in die 1960er Jahre hinein zur Bewertung von Investitionen statische Verfahren wie Kostenvergleiche und Rckflussdauerberechnungen vorgeschlagen werden, obwohl seit ber 180 Jahren die Mglichkeit bestand, Investitionsrechnungen mit den Erkenntnissen von Leibniz zu fundieren.

1.1.3

Mathematische Bestimmung von Gewinnaussichten

Die Mathematiker Jakob Bernoulli (1654-1705)37 und Johann Bernoulli (1667-1748)38, zwei Brder, leisteten wertvolle Arbeiten zur Wahrscheinlichkeits- und Infinitesimalrechnung. Heute gehrt die Wahrscheinlichkeits- und Infinitesimalrechnung zu den Standardmethoden der Betriebswirtschaftslehre.

37 38

Vgl. Bernoulli, Jakob (1713). Johann Bernoulli bernahm nach dem Tode seines Bruders Jakob im Jahr 1705 seine Mathematikprofessur in Basel. Jakob und Johann Bernoulli haben sich gemeinsam mit den Grundlagen der Infinitesimalrechnung auseinandergesetzt, wie Leibniz sie 1684 vorgelegt hatte.

20

Nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogene Untersuchungen

1.1

Auch Daniel Bernoulli (1700-1782)39, Sohn von Johann Bernoulli und damit ein weiterer Spross dieser berhmten Gelehrtenfamilie40, widmete sein wissenschaftliches Interesse der Mathematik. In einer seiner Schriften geht es um die Berechnung des Wertes von Gewinnaussichten der Teilnehmer an Glcksspielen.41 Mit der von Daniel Bernoulli vorgelegten Lsung dieser mathematischen Fragestellung werden die grundlegenden Aussagen der Grenznutzentheorie vorweggenommen. Dabei hatte Bernoulli keinesfalls im Sinn, die klassische konomische Wertlehre zu widerlegen oder gar eine neue Wirtschaftstheorie zu begrnden. Es ging ihm, wie gesagt, um die Lsung mathematischer Fragen. Er stellt bezglich des Wertes einer Sache fest, dass er nicht aus ihrem bloen Preise (Geld- oder Tauschwert) zu bestimmen [ist M.B.], sondern aus dem Vorteil, den jeder einzelne daraus zieht. Der Preis (Geld- oder Tauschwert) bestimmt sich aus der Sache selbst und ist fr alle gleich; der Vorteil aber hngt von den Verhltnissen des Einzelnen ab. So mu es zweifellos fr einen Armen mehr wert sein, tausend Dukaten zu gewinnen, als fr einen Reichen, obschon der Geldwert fr beide der gleiche ist.42 Bernoulli unterscheidet in seinem Aufsatz zwischen dem objektiven Wert des Geldes und dem subjektiven Vorteil (Nutzen), den der Einzelne erwartet. Bernoulli, dies sei angemerkt, betrachtet nicht konkrete Gter, sondern Geldgren und die subjektiven Bewertungen dieser, auf einzelne Gter bzw. Vermgensbestnde bezogenen Geldgren.43 Wenn man die Aussagen Bernoullis ber Geld allgemeiner fasst, indem auch konkrete Gter und nicht nur ihr Geldwert in die Betrachtung einbezogen werden, kann in die Ausfhrungen Bernoullis hineingelesen werden, dass der Wert eines Gutes (sein Nutzen) nichts Objektives ist, nichts, was dem Gut innewohnt, keine Eigenschaft des Gutes ist, wie es die klassische konomische Wertlehre (objektive Wertlehre) behauptet, sondern dass der Wert eines Gutes (sein Nutzen) etwas Subjektives ist, etwas, das dem Gut von einem Wirtschaftssubjekt zugeschrieben wird (subjektive Wertlehre). Der Wert eines Gutes ist hiernach ein Verhltnis zwischen Wirtschaftssubjekt und Gut und nicht eine Eigenschaft des Gutes. So ist fr Bernoulli auch der Wert einer Gewinnaussicht bei einem Glcksspiel nicht fr alle Mitspieler der gleiche. Anders ausgedrckt bedeutet dies, dass ein in bestimmter Hhe in Aussicht gestellter Vermgenszuwachs (dargestellt mit einer bestimmten Geldsumme) von den Teilnehmern eines Spiels unterschiedlich bewertet wird. Der Wert, den ein Spieler einer zustzlich in seinen Besitz gelangten Geldeinheit zumisst, ist nach Bernoulli abhngig von den Vermgensverhltnissen des betreffenden Spie39

40

41 42 43

Daniel Bernoulli erhielt 1725 eine Professur in St. Petersburg und 1733 wurde er in Basel zunchst zum Professor der Anatomie und Botanik berufen und spter zum Professor fr Physik. Zu dem wissenschaftlichen Werk und dem Schriftwechsel der Mitglieder der Familie Bernoulli mit berhmten Wissenschaftlern der damaligen Zeit, vgl. Naturforschende Gesellschaft in Basel (1988-2006). Vgl. Bernoulli, D. (1967) S. 21-60. Bernoulli, D. (1967) S. 26. Es ist Hermann Heinrich Gossen (18101858), der 1848 die nach ihm benannten Gesetze auf verschiedene konkrete Gter bezieht, vgl. die Ausfhrungen zu den Gossenschen Gesetzen in Abschnitt 3.2.1.

21

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

lers. Je hher das Anfangsvermgen eines Spielers, umso geringer wird er den Wert eines in Aussicht gestellten Vermgenszuwachses einschtzen.44 Dies bedeutet auch, dass der Wert eines in Aussicht gestellten Vermgenszuwachses von einem Spieler geringer eingeschtzt wird als der Wert der letzten, schon im Besitz des Spielers sich befindenden Vermgenseinheit. Somit ist der Zusammenhang zwischen absolut erhoffter Gewinnhhe und subjektiver Wertschtzung der objektiven Gewinnaussicht nicht mit einer Geraden darstellbar. Die Grafik dieses Zusammenhangs liefert vielmehr eine gekrmmte, konkave Linie45, die durch abnehmende Steigung ausgezeichnet ist.46 Zur Analyse dieses funktionalen Zusammenhangs setzt Bernoulli die Differenzialrechnung ein.47 Die bereinstimmung der Ergebnisse der Untersuchungen Bernoullis zur Wertbestimmung von Glcksfllen mit den Kernaussagen der Grenznutzentheorie 48 veranschaulicht das Selbstverstndnis der Grenznutzenlehre. Sie definiert Grenznutzen als den Nutzen eines Wirtschaftssubjekts, der dadurch entsteht, dass es die (infinitesimal kleine) letzte, einem Gtervorrat hinzugefgte Gtereinheit nutzt oder die nchst mgliche, infinitesimal kleine Gtereinheit, die einem bereits bestehenden Gtervorrat hinzugefgt werden knnte. Jevons bezeichnet diese Nutzenkategorie als final degree of utility und bestimmt sie mathematisch als Differenzialquotienten

, der die

infinitesimal kleine Nutzenvernderung symbolisiert, die durch eine infinitesimal kleine Vernderung der Gtermenge hervorgerufen wird. Dabei ist der Nutzen u eine Funktion der Gtermenge x und

wiederum eine Funktion der Gtermenge x.49 Der zeichnet sich durch Konkavitt und unterpropor-

Verlauf der Grenznutzenfunktion

tionale positive Steigung aus. Diese mathematische Formulierung ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass fr ein Wirtschaftssubjekt eine stetige Erhhung seines Gterbestandes mit abnehmenden Nutzenzuwchsen (Grenznutzen) einhergeht. Wie leicht erkannt werden kann, hatte Bernoulli genau diese Einsichten gehabt. Und genau wie Vertreter der Grenznutzenschule hatte auch Bernoulli die Differenzialrechnung zur Analyse von Nutzenfunktionen angewandt.
44

45

46 47 48

49

Bernoulli geht ber die im obigen Text wiedergegebene Behauptung hinaus, indem er feststellt, dass der Wert eines infinitesimal kleinen Vermgenszuwachses umgekehrt proportional zum vorhandenen Vermgen ist, vgl. Bernoulli, D. (1967) S. 29. Eine Funktion wird als konkav (nach unten offen) bezeichnet, wenn jede Verbindungsstrecke zwischen zwei Punkten des Graphen von der Funktion an keiner Stelle oberhalb dieses Graphen liegt. Vgl. Bernoulli, D. (1967) S. 32. Bernoulli, D. (1967) S. 34 ff. Sie ist allerdings allgemeiner formuliert, da sie sich nicht nur auf Geld, sondern auf konkrete Gter bezieht. Es sind drei konomen, die ungefhr gleichzeitig die Grenznutzentheorie begrnden: der Brite William Stanley Jevons (1835-1882), der sterreicher Carl Menger (18401921) sowie der Franzose Lon Walras (1834-1910), vgl. ihre Werke: Jevons (1888), Menger (1968) und Walras (1972). Jevons (1888) S. 53 f.

22

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

Entsprechend der Grenznutzentheorie bemisst sich nicht nur der Wert der letzten Gtereinheit einer bestimmten Gterart nach dem Grenznutzen, sondern der Wert smtlicher Gtereinheiten des Gtervorrats dieser Gterart, da die einzelnen Gtereinheiten homogen und somit gegeneinander austauschbar sind. Die vorgetragenen Grenznutzenberlegungen bilden die Basis heutiger volks- und betriebswirtschaftlicher Preistheorien. Zusammenfassend kann festhalten werden, dass die Hauptstze der Grenznutzenlehre, bereits mehr als ein Jahrhundert, bevor sie von konomen formuliert wurden, bei dem Versuch, mathematische Probleme zu lsen, von Bernoulli aufgestellt worden sind. Er hatte erkannt, dass die Ausgangssituation eines Spielers (sein Anfangsvermgen) fr die Bewertung mglicher Spielgewinne eine entscheidende Rolle spielt.50 Mit den Gedanken von Bernoulli kann verdeutlicht werden, dass der Unterschied zwischen 50 Euro und 100 Euro nicht der gleiche ist wie zwischen 10.050 Euro und 10.100 Euro, obwohl die Differenz jedes Mal 50 Euro betrgt. Die 50 Euro stiften eben nicht in beiden Fllen den gleich groen subjektiven Nutzen. Ein Euro ist dann auch nicht doppelt so viel Wert wie zwei Euro, denn der zweite Euro stiftet weniger Nutzen als der erste. So ist davon auszugehen, dass eine Verdopplung des materiellen Vermgens nicht doppelt so glcklich macht. Die mittlerweile populr gewordene Glcksforschung kann aus der Bernoulli-Abhandlung Anregungen fr die Entwicklung einer Theorie des Glcks entnehmen. Die drei ausgewhlten Beispiele nicht eigentlich auf (Einzel-)Wirtschaften bezogenen Untersuchungen (Salamanca, Leibniz, Bernoulli) zeigen, dass aus alten Schriften, deren Untersuchungsgebiet zunchst jedenfalls nicht der Lebensbereich Wirtschaft war, viel Ntzliches fr Wirtschaftsfragen gelernt werden kann.

1.2

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

Ziel dieses Abschnitts ist es, einen berblick ber die Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen zu vermitteln. Es werden Aussagen referiert, die sich direkt auf den Lebensbereich der Einzelwirtschaft beziehen. Dabei ist keine chronologische Darstellung angestrebt. Vielmehr werden thematisch gegliedert, einzelwirtschaftliche Betrachtungen von der Antike bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts fragmenthaft zusammengestellt. Die in den Text aufgenommenen Aussagen sind als vorwissenschaftlich zu qualifizieren. Sie erfllen nicht die heute an wissenschaftliche Aussagen gestellten Ansprche. Die vier Themenkomplexe: konomik, Buchhaltung und Rechnungswesen, Kameralwissenschaft und die landwirtschaftliche Betriebslehre sowie die Vorlufer der Industriebetriebslehre, die abgehandelt werden, liefern aller50

Vgl. van der Waerden (1982), insbesondere S. 197-200.

23

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

dings wichtige Einsichten in das einzelwirtschaftliche Geschehen und nehmen viele Erkenntnisse der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre vorweg.

1.2.1

konomik

Der Begriff konomik wird in den folgenden Abschnitten als Oberbegriff eingesetzt, der die Hausherrenlehre, die Organisation und Planung in der antiken Landwirtschaft sowie die Handlungswissenschaft beinhaltet. Damit bernehmen die folgenden Ausfhrungen Begriffsverwendungen und Unterscheidungen, wie sie Dieter Schneider benutzt.51

1.2.1.1

Hausherrenlehre

Aufzeichnungen aus dem Altertum geben dem Hausherrn Empfehlungen, wie er sein Haus in vernnftiger Weise zu fhren hat. Sie beziehen sich auf die Vieh- und Sklavenhaltung, die Auswahl der richtigen Ehefrau und die Heranbildung des Sohnes zum Hausherrn. Haushalt und Betrieb sind noch keine getrennten Einheiten, sondern bilden einen oikos.52 Im griechischen oikos ist das Vermgen des freien Brgers zusammengefasst. Es besteht nicht nur aus Sachwerten, sondern auch Sklaven, Ehefrau und Kinder werden als Vermgensgegenstnde betrachtet, denn ber sie besitzt der Haushaltsvorstand fast unbeschrnkte Befehlsgewalt. Smtliche Angelegenheiten des oikos, insbesondere die Menschenfhrung, sind nach ethisch normativen Gesichtspunkten zu regeln. Es werden Handlungsempfehlungen fr das Fhren und Organisieren von Haushalt und Betrieb aufgestellt. Aristoteles hebt hervor, dass die Gewinnerzielung durch den Handel mit Gtern (Chrematistik) abzulehnen sei. Handelsgewinn ist fr ihn Raub. Die Vermehrung des Wohlstandes darf nur ber die zustzliche Produktion von Gtern im Haus erzielt werden. Darauf sollte der Hausherr seine Entscheidungen ausrichten. Entscheidungen

Vgl. Schneider (1994) S. 81-93. Viele Lehrtexte unterscheiden die Begriffe konomik und konomie und machen auf zwei verschiedene Betrachtungsebenen des Wirtschaftens aufmerksam. Der Begriff konomie bezieht sich auf die reale Wirtschaft und die Lehren von der Wirtschaft. konomie ist hiernach der Gegenstandsbereich, mit dem sich die Wirtschaftswissenschaft befasst und ber den sie lehrt. Demgegenber wird der Begriff konomik als Wirtschaftstheorie verstanden, die insbesondere die Methoden umfasst, die zur Theoriebildung eingesetzt werden. Nach dem hier vorgestellten Verstndnis ist konomik die Theorie der konomie. Soweit in diesem Abschnitt von konomik die Rede ist, sind Theorien ber die damalige konomie gemeint. Sie besteht aus Hauswirtschaften, landwirtschaftlichen Einzelwirtschaften und dem Handel auf Mrkten. Dabei ist zu beachten, dass die damalige Theoriebildung nach heutigem Verstndnis keinen wissenschaftlichen Charakter hat. 52 Die Begriffe konomie und konomik haben hier ihren Ursprung. Das griechische Wort oikos kann mit Haus und nomos mit Gesetz bersetzt werden. Oikonomia bezeichnet die Hausordnung, Hausverwaltung und das Wissen des Hausherrn, wie ein Haushalt zu fhren ist.

51

24

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

zu treffen und diese durchzusetzen, das ist die eigentliche Aufgabe des Hausherrn, nicht die krperliche Arbeit. Krperliche Arbeit ist Sache der Sklaven und Frauen. Der italienische Humanist Leon Battista Alberti (1404-1472) fasst in seinem Werk Bcher ber die Familie, das um 1450 erscheint, das Wissen ber die Hausherrenlehre zusammen.53 Es geht um die Vorbereitung der Shne auf die Herrschaft ber das Haus. Merkstze wie: Miggang ist aller Laster Anfang, Ausgaben drfen nicht grer als die Einnahmen sein, heilig ist das Streben nach Wirtschaftlichkeit, werden von Alberti aufgestellt. Einerseits stellt die Hausherrenlehre den sittlichen Aspekt wirtschaftlicher Handlungen der Hausherren in den Vordergrund man knnte in heutiger Begrifflichkeit auch sagen, Fragen der Unternehmensethik stehen im Mittelpunkt des Interesses andererseits findet man auch Aussagen zu einer vernnftigen Vorausschau des Haushaltsgeschehens. Heute wrde man von Unternehmensplanung sprechen. In diesem Zusammenhang werden entscheidungslogische Einsichten vermittelt. Entscheidungslogik und Aussagen ber das Verhalten des Einzelnen und seine sozialen Zusammenhnge werden miteinander verbunden. Darber hinaus wird erkannt, dass geplante Aktivitten veranlasst und deren Ausfhrung kontrolliert werden mssen und bei auftretenden Strungen Entscheidungen des Hausherren notwendig werden, die verhindern, dass der Haushalt in seinem Bestand gefhrdet wird.

1.2.1.2

Planung und Organisation in der antiken Landwirtschaft

Das Leitbild vom vernnftigen, sittlich fundierten Gestalten des oikos ist ebenfalls bei Autoren zu finden, die sich mit der antiken Landwirtschaft beschftigen. Untersuchungen ber die Planung und Organisation der Landwirtschaft in der Antike bilden einen Schwerpunkt einzelwirtschaftlicher Betrachtungen. Xenophon (ca. 430-354 vor Chr.) hat eine landwirtschaftliche Betriebslehre Oikonomikos geschrieben, in der er Ratschlge fr eine mglichst rationelle Hauswirtschaftsfhrung gibt.54 Der konservative rmische Staatsmann Cato der ltere (234-149 vor Chr.) empfiehlt, Sklaven mit unnachgiebiger Hrte zu fhren.55 Das sieht Marcus Terentius Varro (11627 vor Chr.) ganz anders. Er will die Motivation der Sklaven durch ein Prmiensystem frdern und merkt an, dass Sklaven als Vermgensgegenstnde zu betrachten sind und von daher mit ihnen schonend umzugehen ist. In fiebrigen Smpfen soll man besser freie Arbeiter einsetzen und nicht die eigenen Sklaven. Varro scheint darber hinaus der Erste zu sein, der eine Unterscheidung trifft zwischen Kosten, die von der Ausbringungsmenge unabhngig sind (fixe Kosten), und Kosten, die sich in Abhngigkeit von der Ausbringungsmenge verndern (variable Kosten). Das Problem der Proportionalisierung von Fixkosten (der Verteilung fixer Kosten auf die hergestellten

53 54 55

Vgl. Alberti (1962). Vgl. Xenophon (1992). Vgl.Cato (1982), Kaltenstadler (1978).

25

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Produkte) wird angesprochen. Darber hinaus kann der von Varro aufgestellte Arbeitskalender fr den Ackerbau als Vorlufer einer betrieblichen Produktionsplanung interpretiert werden.56 Im ersten Jahrhundert entwirft der rmische Ackerbauschriftsteller Lucius Iunius Moderatus Columella (4 bis um 70 nach Chr.) ein umfassendes Bild des gesamten damaligen Wissens vom Landbau.57 Er legt damit das klassische Werk der landwirtschaftlichen Fachschriftstellerei vor. Columella diskutiert auch das Problem der optimalen Leitungsspanne,58 stellt also die Frage, wie viele Personen sinnvollerweise von einem Vorgesetzten berwacht werden knnen. Er liefert ebenfalls berlegungen zu Investitions- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen bei der Entscheidung ber die Auswahl herzustellender Produkte wie Wein, Heu oder Gemse. Auch der Marketinggedanke fehlt bei ihm nicht. So empfiehlt er, Fische vor dem Verkauf zu fttern, um ihr Gewicht zu erhhen und damit einen hheren Erls sicherzustellen.

1.2.1.3

Handlungswissenschaft

Die Handlungswissenschaft59 richtet sich speziell an Kaufleute. In handlungswissenschaftlichen Abhandlungen steht der Tausch von Gtern zwischen Wirtschaftseinheiten im Mittelpunkt des Interesses. Das erste Handbuch der Handelskunde wurde im Orient verfasst. Man streitet darber, ob es im 9. oder 12. Jahrhundert entstanden ist. Benedetto Cotrugli (1416-1469) schreibt 1458 eine kaufmnnische Erziehungslehre.60 Im 14. Jahrhundert gilt das von dem Florentiner Handlungsreisenden Francesco Balducci Pegolotti (1310-1347) vorgelegte Nachschlagewerk ber Handelsstdte, Mae und Mnzen als ein Leitfaden fr Handeltreibende.61 Seine Schriften sind wichtig fr Kaufleute, die Handel mit China treiben, denn sie beschreiben u.a. die alten Handelswege nach China. Jacques Savary (1622-1690) verfasst im Jahr 1675 als Mitarbeiter von Jean Baptiste Colbert, dem damaligen franzsischen Finanzminister, sein Werk Le parfait ngociant. Ein Jahr nach seinem Erscheinen in Frankreich wird es ins Deutsche bersetzt und erhlt den Titel: Der vollkommene Kauff- und Handelsmann.62 Dieses Buch befasst sich mit der Warenkunde, dem Wirtschaftsrechnen, dem Wechsel- und Scheckrecht, dem
56 57 58 59

60 61 62

Vgl. Varro (1472). Vgl. Columella (1472), vgl. auch die Schrift von Vergil (70-19 vor Chr.), Vergil (1995) ber das Landleben. Die Leitungsspanne wird auch als Kontroll-, berwachungsspanne, span of control oder span of management bezeichnet. Wenn hier von Wissenschaft die Rede ist, ist damit nicht gleichzeitig unterstellt, dass die Autoren der Handlungswissenschaft Aussagensysteme entwickeln, die wissenschaftlichen Ansprchen gengen. Der Begriff Handlungswissenschaft wird hier verwandt, weil er sich in der Literatur durchgesetzt hat. Vgl. Cotrugli (1990). Vgl. Pegolotti (1936). Vgl. Savary (1993).

26

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

Einzel- und Grohandel sowie dem Export und Import von Waren und vielem mehr. Savary ist der Erste, der Bilanzzwecke formuliert und den Grundsatz des Verlustvortrags bei der Gewinnermittlung fordert. Zwischen 1752 und 1756 verffentlicht Carl Gnther Ludovici (1707-1778)63 ein fnfbndiges Kaufmannslexikon Erffnete Akademie der Kaufleute oder vollstndiges Kaufmannslexikon, 5 Theile.64 Als Band 5 hat Ludovici im Jahr 1756 den Grundriss eines vollstndigen Kaufmanns-Systems verffentlicht.65 Er teilt dieses Lehrbuch in zwei Teile. Im ersten Teil handelt er die kaufmnnische Hauptwissenschaft ab. Er beschftigt sich mit der Warenkunde, der Handlungswissenschaft und der Buchfhrung. Der zweite Teil setzt sich mit den kaufmnnischen Nebenwissenschaften auseinander. Hier geht es um kaufmnnisches Rechnen, Ma- und Mnzwesen, Gewichtskunde, Geografie, Recht, Korrespondenzlehre, Handelspolitik des Staates, Mechanik usw. Im Jahr 1804 erscheint das Werk System des Handels von Johann Michael Leuchs66 (1763-1836), das die Wissensbestnde der Handlungswissenschaft zusammenfasst. Es besteht aus drei Teilen: brgerliche Handlungswissenschaft, Staatshandelswissenschaft (Themen der Volkswirtschaftslehre), Handelskunde (Warenkunde, Geografie usw.).

Die brgerliche Handlungswissenschaft Leuchs befasst sich mit folgenden einzelwirtschaftlichen Fragen: Tauschmittellehre (Ware-Geld-Beziehungen), Wertbestimmungslehre (Fragen der Kalkulation), Handelslehre (Ein- und Verkauf), Wahrscheinlichkeitslehre, Kontorwissenschaft.

Das Buch von Leuchs bildet den Hhepunkt und Abschluss der Handlungswissenschaft. Bis auf die von Savary formulierten Bilanzzwecke und den Grundsatz der Verlustvorwegnahme bei der Gewinnermittlung, trgt die Handlungswissenschaft nichts zum heutigen betriebswirtschaftlichen Denken bei. Die Handlungswissenschaft kann sich nicht als eigenstndige Betriebswirtschaftslehre durchsetzen. Sie versumt es, wichtige Anstze zur Nutzen-, Preis- und Produktionstheorie aufzugreifen und auf einzelwirtschaftliche Fragestellungen anzuwenden. Die Nationalkonomie der damaligen Zeit ist demgegenber in der Lage, die genannten
Carl Gnther Ludovici bekommt 1733 einen Ruf nach Leipzig. Er wird ordentlicher Professor der Weltweisheit. 1761 wird er zum ordentlichen Professor der Vernunftlehre berufen. 64 Vgl. Ludovici (1752-1756). 65 Vgl. Ludovici (1756). 66 Vgl. Leuchs (1933).
63

27

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Theorien in ihr Lehrgebude zu integrieren. Sie verselbststndigt sich zur Volkswirtschaftslehre. Eine wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre ist im 19. Jahrhundert noch nicht etabliert. In einzelwirtschaftlichen Untersuchungen werden whrend der Anfnge der Industrialisierung mehr technische als eigentlich betriebswirtschaftliche Fragen abgehandelt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die konomik (Hausherrenlehre, Planung und Organisation in der antiken Landwirtschaft, Handlungswissenschaft) ethisch normative Vorschlge fr praktisches wirtschaftliches Handeln entwickelt. Sie stellt eine Sammlung von Handlungsmaximen bereit, ohne in der Lage zu sein, sie in eine einzelwirtschaftliche Gesamttheorie einzubinden.

1.2.2

Buchhaltung und Rechnungswesen

Schon 3500 vor Chr. finden sich kleine Tontafeln der Sumerer, auf denen wirtschaftliche Daten eingraviert sind. Die alten Hochkulturen der Babylonier, der gypter und der Inkas kennen ebenfalls schon Aufzeichnungen zur Rechnungslegung. Aufgabe dieser Dokumente ist es, einerseits die Ausfhrung eines Auftrags zu dokumentieren und andererseits bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vor Gericht als Beweismittel zu dienen. Zunchst ist das Rechnungswesen also nicht zur Fundierung von Entscheidungen ausgelegt. Diese Funktion erhlt es erst viel spter. Wissenschaftlichen Charakter, so wird behauptet, bekommt das Rechnungswesen mit der Einfhrung der Doppelten Buchfhrung, die Goethe spter in seinem Wilhelm Meister eine der schnsten Erfindungen des menschlichen Geistes nennen wird. Die lteste auf die doppelte Buchfhrung bezogene, gedruckte Verffentlichung stammt aus dem Jahr 1494. Sie ist als mathematisches Lehrbuch konzipiert und von dem Franziskanermnch und Mathematikprofessor Luca Pacioli (um 1445-1514 oder 1517) verfasst. Unter dem Titel Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalita werden Arithmetik und Algebra auf die Praxis der Kaufleute der damaligen Zeit angewandt.67 Mit der doppelten Buchfhrung sollte die Rechenfhigkeit der Buchhalter kontrolliert werden, denn damals wurden grundlegende Rechenoperationen nur unzureichend beherrscht. Es ist der sterreicher Johann Matthias Puechberg, der im Rahmen seiner Beschftigung mit dem Staatsrechnungswesen die Steuerungsfunktion des Rechnungswesens hervorhebt. In seinem Buch Grundstze der Rechnungs=Wissenschaft, das 1774 erscheint,68 fordert er: die Richtigkeit der getroffenen Wirthschafts=Spekulation zu erhellen. Fr ihn hat das Rechnungswesen nicht nur Geschftsvorflle zu dokumen-

67 68

Vgl. Pacioli (1494). Vgl. Puechberg (1774).

28

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

tieren, sondern auch die Aufgabe, das Geschftsgeschehen zu kontrollieren und Entscheidungen zu fundieren. Puechberg spricht auch bereits Probleme der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung an und fordert Soll-Ist-Vergleiche.

1.2.3

Kameralwissenschaft

Der Begriff Kameralwissenschaft69 beinhaltet das Wort Kamer. Kamer ist eine Behrde, die fr den frstlichen Haushalt zustndig ist. Im Vordergrund kameralistischer berlegungen steht die Frage, wie die Einknfte des Landesherrn vermehrt werden knnen. Daher konzentrieren sich kameralistische Untersuchungen auf staatliche Betriebe, Steuerwesen und Auenhandel. Die Kameralwissenschaft begreift sich als praktisch-gestaltende Disziplin und befasst sich mit: Fiscal- und Polizeysachen. Polizeysachen werden dabei als Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung verstanden. Unter dem Begriff der Fiscalsachen werden wirtschaftspolitische Fragen abgehandelt. Cameralia. Cameralia sind landesherrliche Einnahmen und Ausgaben. Die Sparten Fiscal-, Polizeysachen und Cameralia entwickeln sich spter zur klassischen Nationalkonomie. Oeconomiesachen. Unter diesem Namen werden einzelwirtschaftliche Fragen untersucht. Hier geht es um Wirtschaftskunde und die Weitergabe ethischnormativer Vorstellungen, nicht um die Vermittlung wirtschaftswissenschaftlichen Wissens.

Friedrich Wilhelm I. von Preuen richtet 1727 die ersten zwei Lehrsthle fr Wirtschaftswissenschaften in Deutschland ein. Simon Peter Gasser (1676-1745) wird erster Lehrstuhlinhaber in Halle. Christoph Dithmar (1677-1737) wird auf den Lehrstuhl in Frankfurt/Oder berufen.70 Damit ist die Mglichkeit geschaffen, Inhalte der Kameralwissenschaft an Hochschulen zu verbreiten.

Auch die Kameralwissenschaft entwickelt keine Aussagen, die dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit gengen. Der Kameralismus stellt eine deutsche Sonderform des Merkantilismus dar. Die Wirtschaft der damaligen Zeit besteht aus kleinen Wirtschaftseinheiten und geht in eine frhkapitalistische Wirtschaftsordnung ber. Sie ist absolutistisch und damit zentralistisch organisiert. 70 Es werden ebenfalls Kameralhochschulen gegrndet. Teilweise ist den Kameralhochschulen nur eine kurze Lebensdauer beschert. So besteht die Kameralhochschule in Kaiserslautern von 1774-1784 also gerade 10 Jahre, bis sie in der Universitt Heidelberg aufgeht.

69

29

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

ber 100 Jahre nach der Besetzung der ersten wirtschaftswissenschaftlichen Lehrsthle fhrt der in Heidelberg lehrende Kameralwissenschaftler Eduard Baumstark (18071889) im Jahr 1835 den Namen Betriebswirthschaft ein. 71

1.2.4

Landwirtschaftliche Betriebslehre und Vorlufer einer Industriebetriebslehre

Die landwirtschaftliche Betriebslehre liefert Grundlagen fr eine praktisch gestaltende Betriebswirtschaftslehre. Sie ist mit den Namen Albrecht Daniel Thaer (1752-1828) und Friedrich Aereboe (1865-1942) verbunden. Thaer schreibt: Die vollkommenste Landwirthschaft ist also die, welche den mglichst hchsten, nachhaltigsten Gewinn, nach Verhltnis des Vermgens der Krfte und der Umstnde, aus dem Betriebe zieht. Sie kann erlernt werden durch: handwerksmige, kunstmige und wissenschaftliche Lehre.72 Aereboe beschftigt sich bereits 1917 mit dem System produktiver Faktoren und der Kombination der Produktionsfaktoren durch die Betriebsleitung.73 Karl Bernhard Arwed Emminghaus (1831-1916) ist kein Vertreter der landwirtschaftlichen Betriebslehre. Er ist als Vorlufer der heutigen Industriebetriebslehre anzusehen. Emminghaus trennt Volkswirtschaftslehre und Privatwirtschaftslehre. Er schreibt 1868 eine Allgemeine Gewerkslehre.74 Sie stellt eine Industriebetriebslehre dar. Emminghaus begreift Sozialpolitik als Mittel zur Steigerung der Effizienz. Er fordert den 8-StundenArbeitstag. Als er diese Forderung aufstellte, wurde noch 12 Stunden pro Tag gearbeitet. Er pldiert fr Unfall-, Alters- und andere Sozialversicherungen und postuliert die Koalitionsfreiheit der Arbeiter und Arbeitgeber. Die vorwissenschaftlichen Strnge der Betriebswirtschaftslehre sind in der folgenden Abbildung 2 zusammenfassend wiedergegeben:

Eduard Baumstark war Professor in Heidelberg und hat spter einen Ruf nach Greifswald angenommen, um dort Nationalkonomie zu lehren. Den Begriff Betriebswirthschaft verwendet er erstmalig in der von ihm verfassten Kameralistischen Enzyklopdie (1835) S. 155. 72 Thaer (1809-1812), (1815). 73 Vgl. Aereboe (1917) und (1953). 74 Vgl. Emminghaus (1868).

71

30

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

Abbildung 2:

Vorwissenschaftliche Strnge der Betriebswirtschaftslehre

Zunchst eigentlich nicht auf (Einzel-) Wirtschaften bezogene Untersuchungen  Preis, Markt- und Eigentumsordnung aus moralischer und theologischer Sicht  Juristische Betrachtungen zum Zinsverbot  Mathematische Bestimmung von Gewinnaussichten

konomik (ethischnormativ)  Hausherren- und Haushaltslehre  Organisation und Planung in der antiken Landwirtschaft  Handlungswissenschaft

Kameralwissenschaft (praktisch-gestaltend) Erste Lehrsthle 1727 in Halle und Frankfurt/Oder Fiscal-, Polizeysachen und Cameralia entwickeln sich spter zur

Buchhaltung und Rechnungswesen  Dokumentation (Beweise vor Gericht)  Doppelte Buchfhrung (Rechenkontrolle)  Lehre vom Staatsrechnungswesen (Steuerungsfunktion)

klassischen Nationalkonomie

Oeconomiesachen (hier konzentrieren sich einzelwirtschaftliche Fragen)

Landwirtschaftliche Betriebslehre und Anfnge der Industriebetriebslehre (Betriebswirtschaftslehre ist noch nicht als Wissenschaft etabliert)

31

Anfnge einzelwirtschaftlicher Betrachtungen

1.2

2 Betriebswirtschaftslehre als
Einzelwissenschaft

Es ist blich, die Welt in unterschiedliche Lebensbereiche aufzuteilen und ausdifferenzierte Wissenschaftsdisziplinen zu fordern, die sich auf die Bearbeitung spezifischer Lebensbereiche spezialisieren. Diese Sichtweise unterstellt, dass es mglich ist, die wirkliche Welt in Teilprobleme aufzuspalten, und dass sich um diese Einzelfragen Einzelwissenschaften gruppieren. Versuche, die Realitt ganzheitlich zu erklren, also ohne sie in disziplinspezifische Problemstellungen aufzuspalten, haben sich nicht durchgesetzt. Die Einrichtung einer Einheitswissenschaft bleibt eine Illusion.75 Von der Vorstellung, die Welt als Ganzes zu erfassen, ist die Forderung der interdisziplinren Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaften geblieben. Die Betriebswirtschaftslehre begreift sich selbst als Einzelwissenschaft. Als solche beschftigt sie sich mit einem ausgewhlten Lebensbereich. Sie konzentriert sich auf einen Untersuchungsgegenstand, der sich von anderen Untersuchungsgegenstnden unterscheidet. So gewinnt sie ihre Identitt und unterscheidet sich von anderen Wissenschaften. Es gibt Wirtschaftswissenschaftler, die die Eigenstndigkeit der Betriebswirtschaftslehre anders begrnden. Nach ihrer Vorstellung gewinnt die Wirtschaftswissenschaft ihre Eigenstndigkeit und Unterscheidbarkeit von anderen Wissenschaften dadurch, dass sie einen eigenstndigen Ansatz, den konomischen Ansatz, zur Erklrung wirtschaftlicher Sachverhalte bereithlt. Der konomische Ansatz unterstellt (begrenzt-)rational und eigenntzig handelnde Akteure und beruft sich auf den methodologischen Individualismus. 76 Um der Betriebswirtschaftslehre den Status einer Wissenschaft zu verleihen, ist nach diesen berlegungen zu verdeutlichen, inwieweit sie einen eigenen Fragenkreis bearbeitet, der von den Fragestellungen der brigen Wissenschaften abgrenzbar ist und/oder ob die Betriebswirtschaftslehre fr sich in Anspruch nehmen kann, mit einem eigenstndigen konomischen Ansatz zu arbeiten.

Die Neurobiologie scheint einen erneuten Anlauf zu nehmen, eine Einheitswissenschaft zu etablieren, indem sie Neuronen und Synapsen als Schlssel zur Erklrung sowohl der Naturals auch der Kulturerscheinungen heranzieht, vgl. Singer (2003) S. 14. 76 Zum methodologischen Individualismus vgl. Abschnitt 3.1.

75

33
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_3, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

2.1

Bedeutungen von Wissenschaft

Wenn man die Frage beantworten will, ob die Betriebswirtschaftslehre eine Wissenschaft ist, dann reicht eine Bestimmung ihres Gegenstandsbereiches nicht aus. Zunchst muss geklrt werden, was denn berhaupt eine Wissenschaft ausmacht. Und wer sich mit Wissenschaft auseinandersetzen will, muss wissen, was unter Wissen zu verstehen ist. Wissen unterscheidet sich von anderen Arten des Weltzugangs wie zum Beispiel Glauben, Hoffen, Meinen, Vermuten, Annehmen, Ahnen, Mutmaen, Wnschen etc. Der Unterschied dieser Konstrukte zu Wissen besteht darin, dass Wissen zu begrnden ist. Diese Auffassung vertritt schon Platon. Fr ihn ist Wissen eine wahre und begrndete Meinung. Aber nicht alles Wissen, alles Wahre, mit Begrndungen versehene Meinen, ist schon Wissenschaft. Mit Wissenschaft bezeichnet man Verschiedenes. Zum einen wird damit der Prozess beschrieben, mit dem Wissen durch Forschung gewonnen und durch Lehre weitergegeben wird. Wissenschaft beginnt mit dem Sammeln, Ordnen und Beschreiben des Materials bezglich ausgewhlter Fragestellungen. Nach der Beschreibung (Deskription) geht es um die Bildung von Hypothesen und Theorien, mit denen dann Erklrungen (Explikationen) geliefert werden. Die wissenschaftlich gewonnenen Hypothesen und Theorien mssen mit der Realitt konfrontiert und an ihr berprft werden. Eine andere Vorstellung von Wissenschaft stellt auf das Ergebnis der wissenschaftlichen Ttigkeit ab. Wissenschaft erscheint dann als Aussagensystem, als sprachliches und schriftliches Gebilde von Stzen. Wissenschaft besteht allerdings nicht aus irgendwie gearteten Stzen. Wissenschaftliche Aussagen mssen bestimmte Anforderungen erfllen. Stark vereinfacht ausgedrckt, mssen sie: verallgemeinert werden knnen, d.h., sie drfen nicht bei der Beschreibung singulrer Sachverhalte stehen bleiben, intersubjektiv nachvollziehbar und berprfbar sein, in ein wissenschaftliches System eingeordnet werden knnen und unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden gewonnen werden.

So ist z.B. die Beschreibung des Produktes, das in einer Tischlerei in der vergangenen Woche hergestellt wurde, keine wissenschaftliche Aussage. Diese Aussage bezieht sich auf einen einmaligen Sachverhalt und kann nicht verallgemeinert werden. Auch der Kommentar zu einem Fuballspiel ist keine wissenschaftliche Aussage, denn der Kommentator beurteilt das Fuballspiel nach subjektiven, fr viele Zuschauer oder beteiligte Spieler nicht nachvollziehbaren Vorstellungen. Eine isoliert dastehende Erkenntnis kann, solange sie nicht in einen Begrndungszusammenhang mit weiteren Erkenntnissen gebracht wird, nicht fr sich beanspruchen, wissenschaftlich zu sein.

34

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

Neben den mehr inhaltlichen Bestimmungen von Wissenschaft wird Wissenschaft als Institution begriffen. Hiernach steht das Wissenschaftssystem in Form von Hochschulen, ihren Fakultten und Forschungsinstitutionen im Mittelpunkt des Interesses. Diese drei dargestellten Bedeutungen von Wissenschaft knnen genutzt werden, um die Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftliche Veranstaltung zu qualifizieren. Die folgenden Fragen sind dann zu beantworten: Bearbeitet die Betriebswirtschaftslehre einen eigenen Fragenkreis, der sich von den brigen Wissenschaften unterscheidet?77 Macht sie dies, indem sie ihren Gegenstand wissenschaftlich beschreibt und ber Theoriebildung Erklrungen liefert? Erfllen die Aussagen der Betriebswirtschaftslehre ber ihren Gegenstandsbereich die Anforderungen, die an wissenschaftliche Aussagen gestellt werden? Seit wann gibt es Lehrsthle der Betriebswirtschaft an Hochschulen bzw. ist die Betriebswirtschaftslehre an wissenschaftlichen Hochschulen etabliert?

2.2

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

Mit der Namensgebung Betriebswirthschaft im Jahr 1835 durch Eduard Baumstark ist nicht gleichzeitig die Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft verbunden. Baumstark ist noch ganz im kameralistischen Denken verwurzelt. Darauf, dass die Kameralwissenschaft nach heutigem Verstndnis als vorwissenschaftlich zu qualifizieren ist, wurde bereits hingewiesen.

2.2.1

Einrichtung von Handelshochschulen und Verffentlichung von Lehrbchern

Hufig wird die Geburtsstunde der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft mit der Einrichtung von Handelshochschulen gleichgesetzt und damit auf die weiter oben referierte dritte Auffassung von Wissenschaft zurckgegriffen. Die ersten Handelshochschulen wurden gegen massiven Widerstand der Universitten 1898 in den Orten Leipzig, St. Gallen, Aachen und Wien erffnet. Im Jahr 1901 folgten Kln und Frankfurt am Main, 1906 Berlin, 1907 Mannheim, 1910 Mnchen, 1915 Knigsberg und 1919 Nrnberg. Man kann darber streiten, ob die Betriebswirtschaftslehre mit der Grndung der Handelshochschulen zur Wissenschaft avancierte. Unstrittig ist, dass mit der Vermittlung betriebswirtschaftlichen Wissens an Handelshochschulen ein wichtiger Schritt in Richtung Wissenschaftlichkeit der Betriebswirtschaftslehre getan wurde. Das Fach Betriebswirtschaftslehre wurde an den Handelshochschulen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unter den Namen Handelstechnik, Handelsbetriebsleh77

Die Antwort auf diese Frage wird im zweiten Teil des Buches gegeben, der sich mit dem Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre befasst.

35

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

re, Privatwirtschaftslehre und Einzelwirtschaftslehre gelehrt.78 Die Betriebswirtschaftslehre hat als Wissenschaft erst richtig Fu gefasst, als Lehrbcher verffentlicht wurden, die eine Grundlage fr die weitere wissenschaftliche Entwicklung einzelwirtschaftlicher berlegungen schufen. Es sind zwei Lehrbcher, die die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft mitbegrndeten.79 Zum einen ist es das 1911 erschienene Werk Allgemeine Handelsbetriebslehre von Johann Friedrich Schr (1846-1924).80 Er beschftigt sich in diesem Buch u.a. mit dem toten Punkt. Gemeint ist damit die Ausbringungsmenge, bei der die Umstze die Kosten decken. Die Analyse dieses Sachverhalts wird heute unter der Begrifflichkeit break even point Analyse abgehandelt. In noch strkerem Mae als das Lehrbuch von Schr bildet das 1912 von Heinrich Karl Nicklisch (1876-1946, Berliner Schule)81 verffentlichte Werk Allgemeine kaufmnnische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels und der Industrie, das ab 1932 unter dem Titel Die Betriebswirtschaft bekannt wurde, die Grundlage fr die Lehre der Betriebswirtschaft an den Hochschulen.82 Nicklisch betrachtet Betriebe als Sozialgebilde und beabsichtigt, die Betriebswirtschaftslehre als sozialwissenschaftliche Disziplin zu etablieren. In seinem Buch Die Betriebswirtschaft entwickelt er eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre.83 Fr ihn ist es eine Lehre der Wertentstehung. Trger des wirtschaftlichen Werts sind die Wirtschaftsgter, die durch den Betriebsprozess hervorgebracht werden. Die Hhe des Wertes ist davon abhngig, in welchem Ausma die produzierten Gter geeignet sind, menschliche Bedrfnisse zu befriedigen. Betriebe sind nach der Vorstellung von Nicklisch Sozialgebilde, die in einen betrieblichen Wertkreislauf eingebunden sind. Dieser Kreislauf wird zweifach differenziert betrachtet. Nicklisch unterscheidet einen Wertumlauf von einem Finanzumlauf und einen inneren von einem ueren Umlauf. Er kombiniert diese zweifache Differenzierung in einer Kreuztabelle und erhlt derart einen ueren

Vgl. Schmalenbach (1911/12) S. 309. Vgl. Schneider (1987) S. 129 ff. Vgl. Schr (1911). Friedrich Schr war ab 1903 Lehrstuhlinhaber fr Handelswissenschaft an der Universitt Zrich. Von 1906 bis 1919 lehrte und forschte er als Professor an der Handelshochschule Berlin. Schr betont die nahe Verwandtschaft von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. 81 Zur Berliner Schule zhlte auch Friedrich Leitner (1874-1945). Leitner war Professor fr Industriebetriebslehre und Rechnungswesen an der Handelshochschule Berlin. Er betrachtete das Rechnungswesen als Grundlage einer erfolgreichen Unternehmensfhrung, vgl. Leitner (1905) und (1919). Nicklisch wurde 1903 in Tbingen promoviert, nahm einen Ruf an die Handelshochschule in Berlin an und wurde 1910 als Ordinarius fr Einzelwirtschaftslehre an die Handelshochschule Mannheim berufen. 1921 erhielt er einen Lehrstuhl fr Betriebswirtschaftslehre in Berlin. Von 1926 bis 1928 war Nicklisch Herausgeber des Handwrterbuchs der Betriebswirtschaft, HWB, vgl. Nicklisch (1926-1928). 82 Vgl. Nicklisch (1912). 83 Nicht nur Unternehmen, sondern auch Haushalte gehren fr Nicklisch zum Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre.

78 79 80

36

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

Wertumlauf und einen ueren Finanzumlauf, die jeweils von einem inneren Wertumlauf und einem inneren Finanzumlauf zu unterscheiden sind. uerer Wertumlauf: Gter (Stoff- und Leistungswerte: Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe, Arbeitswerte, Dienstleistungen, Kapital) flieen von anderen Betrieben (Haushalte und Unternehmen) in den einzelnen Betrieb hinein und flieen als eigene Erzeugnisse an andere Betriebe aus dem Betrieb hinaus. Entgegen gerichtet sind jeweils Geldstrme in gleicher Werthhe. uerer Finanzumlauf: Er verbindet das Unternehmen mit dem Kapitalmarkt. Einer Wertbewegung in den Betrieb hinein (Darlehen, Beteiligungskapital) steht eine Wertbewegung in gleicher Hhe aus dem Betrieb hinaus gegenber. Allerdings sind die Wertbewegungen des ueren Finanzumlaufs zeitlich versetzt. So sind vom Betrieb neben der Rckzahlung des zur Verfgung gestellten Beteiligungs- bzw. Leihkapitals in nomineller Hhe, begrndet durch Zeitdifferenzen, Anteile am Ertrag bzw. Zinsen an die Glubiger zu zahlen. Innerer Wertumlauf: Der innere Wertumlauf schliet an den ueren an. Er ist mit dem Produktionsprozess gleichzusetzen. Produktionsfaktoren werden in neue Werte transformiert. Innerer Finanzumlauf: Der innere Finanzumlauf sorgt dafr, dass Liquiditt vorhanden ist, um die Produktion durchzufhren. Innerer und uerer Finanzumlauf sowie innerer und uerer Wertumlauf bilden jeweils eine Einheit und bedingen sich wechselseitig. Eine weitere wichtige Unterscheidung, die Nicklisch in seinem Werk Die Betriebswirtschaft vornimmt, ist die Unterscheidung von Ertragserzielungs- und Ertragsverteilungsprozess. Der Ertragserzielungsprozess entspricht dem Produktionsprozess. Es geht um die Kombination der Betriebselemente Arbeit, Vermgen und Kapital, die Nicklisch tiefgehend untersucht. Insbesondere konzentriert er sich auf das Element Arbeit, denn Arbeit ist fr Nicklisch der eigentlich schpferische Produktionsfaktor. Er fordert Pflichtgefhl, Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn von denjenigen, die im Betrieb ttig sind, und verantwortliches Handeln der Betriebsleitung. Der innere Wertumlauf (der Produktionsprozess) ist von allen in der Betriebsgemeinschaft Ttigen gemeinschaftlich zu organisieren. Mit der Unterstellung, dass alle Betriebsmitglieder eine gemeinsame Zielsetzung verfolgen, erscheint das ethisch-normative Verstndnis, auf dessen Grundlage Nicklisch seine Betriebswirtschaftslehre aufbaut. Interessant sind die von Nicklisch entwickelten Vorstellungen bezglich der gerechten Verteilung des Ertrages auf die Betriebsmitglieder im Rahmen des Ertragsverteilungsprozesses. Zunchst ist vom erzielten Gewinn ein Sicherungs- und Wachstumsanteil abzuziehen. Entsprechend der Leistungsanteile der Leistungstrger (leitende Arbeit, ausfhrende Arbeit, Kapitalgeber) ist dann die verbleibende Gewinngre auf die Leistungstrger zu verteilen. Die Bestimmung der Lohnhhe ist ein Ertragsverteilungsproblem. Lhne werden also nicht als Kosten betrachtet, sondern als vorausbe37

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

zahlter Gewinn. Und weil sie keinen Kostencharakter haben, sind sie auch nicht wie andere Kosten zu minimieren. Neben der Ermittlung eines gerechten Lohns fordert Nicklisch gerechte Preise. Betriebe sollen nicht maximal mgliche Preise auf ihren Mrkten realisieren, sondern der gesamtwirtschaftlichen Situation entsprechend sinnvolle Preise kalkulieren. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip fr die Gesamtwirtschaft zu realisieren, ist das primre Ziel. Diesem Ziel hat sich das einzelwirtschaftliche Streben nach Gewinn unterzuordnen. Betriebe haben sich in den sozialen Gesamtkrper einzuordnen. Der wirtschaftliche Egoismus ist zurckzudrngen. Nicklisch fordert, dass ethische Normen fr wirtschaftliches Handeln aus allgemeingltigen ethischen Werten abgeleitet werden sollen, damit die Wirtschaft zu diesen Sollzustnden hingefhrt werden kann". Damit glaubt er, die Kernaufgabe der Betriebswirtschaftslehre benannt zu haben. Diese Sichtweise ist hochproblematisch, nicht nur aus wissenschaftstheoretischer Perspektive. Nicklisch hat dies selbst vorgefhrt, indem er zumindest zeitweise nationalsozialistische Werte als allgemeingltige ethische Werte ansah, aus denen er versuchte, ethische Normen fr wirtschaftliches Handeln abzuleiten. Er forderte in einem Aufruf an Betriebswirtschaftler, dem Fhrer des neuen Deutschland all ihre Krfte zur Verfgung zu stellen, die Ziele ihrer Forschung nach den Bedrfnissen der politischen Gestaltung zu setzen und in erster Linie die fr diese magebenden Zusammenhnge klren zu helfen.84 Gerade in der Betriebswirtschaftslehre, glaubt Nicklisch, sei sehr frh die gleiche Richtung feststellbar wie in der nationalsozialistischen Bewegung.85 Seine damalige Terminologie ist geprgt von Ausdrcken wie Ganzheit und Gliedschaft und Betriebsgemeinschaft. Konflikte in Betrieben sind fr ihn Krankheiten wirtschaftlichen organischen Seins.86 Die Forderungen von Nicklisch verdeutlichen die ethisch normative, sozialwissenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Ausrichtung der von ihm vorgelegten Betriebswirtschaftslehre. Eugen Schmalenbach (1873-1955, Klner Schule) hat wie kaum ein anderer die Themen und Methoden der Betriebswirtschaftslehre beeinflusst.87 Er betrachtet die Betriebswirtschaftslehre nicht als reine Wissenschaft, sondern als wissenschaftliche Kunstlehre.88 Andererseits erkennt Schmalenbach auch die Vorteile, die eine als reine Wissenschaft konzipierte Betriebswirtschaftslehre, die er als Stubenwissenschaft be-

Nicklisch (1933) S. 305. Zum Verhltnis von Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus vgl. Grieger (1999) sowie die umfangreiche institutionen- und personengeschichtliche Studie Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus von Mantel (2009). 86 Bei Nicklisch (1933) S. 305-307 sind einige seiner Auffassungen nachzulesen. 87 Die Auswchse der nationalsozialistischen Ideologie machten auch vor Eugen Schmalenbach nicht halt. Seine Frau war Jdin. Seiner Bitte um Emeritierung wurde entsprochen, und er ging Ende September 1933 vorzeitig in den Ruhestand. 88 Zum Folgenden, vgl. Schmalenbach (1911/12) S. 304-316.

84 85

38

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

zeichnet, gegenber einer Kunstlehre bietet. Das Beste, was eine Stubenwissenschaft gegenber einer Kunstlehre zu bieten vermag, ist die Aussicht, [] privatwirtschaftliche Wege in das Unbekannte zu erschlieen und so Dinge zu offenbaren, die auerhalb des Ahnungsvermgens liegen. Daher erscheint es ihm notwendig, die Betriebswirtschaftslehre auch als reine Wissenschaft zu pflegen. Es ist gut, dass man sie pflege, wie es berhaupt fr jeden Wissenszweig gut ist, ihn von mehreren Seiten unter forschende Beleuchtung zu setzen. Allerdings misstraut Schmalenbach den sogenannten Wissenschaften, denn sie verlassen sich auf die Vollkommenheit des menschlichen Geistes, und es ist nicht weit her mit diesem Geiste. Wo man eine Kunstlehre neben der Wissenschaft hat, da ist die Kunstlehre sicherer und vertrauenserweckender. Die Kunstlehre stellt eine Sammlung, auf wissenschaftlicher Basis gewonnener, praktischer Ratschlge und Handlungsanleitungen bereit. Nach Schmalenbach soll betriebswirtschaftliche Forschung derart betrieben werden, dass ihre Ergebnisse in der Unternehmenspraxis angewandt werden knnen. Insofern ist Kunstlehre eine technologisch gerichtete Wissenschaft, die wirtschaftliche Verfahrensregeln entwickelt, Rezepte liefert, die sie durch Einsicht in das Wesen der Sache gewinnt und zu dem Zwecke des Gebrauchs bereitstellt. Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftliche Kunstlehre hat sich daher nicht nur mit dem Sein der Einzelwirtschaft auseinanderzusetzen, sondern insbesondere mit der Zweckmigkeit des wirtschaftlichen Verfahrens, d.h. mit der Gestaltung von Einzelwirtschaften. Und [w]er sich Verfahrensregeln zum Problem setzt, der arbeitet auer fr das brige sozusagen auf Bestellung, auf jeden Fall fr den Markt. Darin liegt ein wichtiges Antriebsmittel. Wer solche Antriebe nicht hat, pflegt mit mehr Ruhe und Beschaulichkeit zu arbeiten, als fr die Sache unbedingt ntig ist; es fehlt ihm auch das stimulierende Bewutsein der wirtschaftlichen Ntzlichkeit. Alle Momente, die die Zweckmigkeit des wirtschaftlichen Verfahrens berhren, sind von der Betriebswirtschaftslehre zu bercksichtigen, und diese Momente liegen nicht in den inneren Verhltnissen der Privatwirtschaft allein. Insofern ist Betriebswirtschaftslehre mit Erkenntnissen der Mathematik, der Nationalkonomie, des Rechts und der Technologie anzureichern. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit haben sich der Belehrung durch das Experiment zu stellen. Hierdurch soll die Richtigkeit ihrer [der betriebswirtschaftlichen M.B.] Lehrstze geprft werden. Schmalenbach erkennt, dass eine als Kunstlehre konzipierte Betriebswirtschaftslehre sich dem Vorwurf aussetzt, allen mglichen mchtigen Krften zu Diensten zu sein. Allerdings wird derjenige, dem es als Wissenschaftler lediglich um die Beschreibung und Erklrung des Seins der Einzelwirtschaft geht und der sich durchaus fernhlt von allem Kunstlehrenhaften, durch diese Abstinenz auch nicht daran gehindert

39

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

werden, wenn er sonst die Neigung dazu hat, mit irgendeiner Wurst nach irgendeiner Speckseite zu werfen.89 Als Ausgangspunkt der Betriebswirtschaftslehre whlt Schmalenbach das unser ganzes wirtschaftliche Leben bestimmende privatwirtschaftliche Gewinnstreben. Dieses soll allerdings nicht ungezgelt sich selbst berlassen werden. Es ist der Forderung nach Wirtschaftlichkeit der Gesamtwirtschaft unterzuordnen. In seiner Habilitationsschrift entwickelte Schmalenbach die Lehre von den innerbetrieblichen Verrechnungspreisen.90 Sein wissenschaftliches Interesse galt ebenfalls der Kontrolle der Betriebsgebarung, die er durch den Ausbau der Selbstkostenrechnung voranbrachte. In diesem Zusammenhang identifizierte und quantifizierte er Kosteneinflussgren. Schmalenbach kritisierte eine Preisbestimmung auf der Grundlage Selbstkosten plus Nettogewinn und regte an, die proportionalen Kosten plus Bruttogewinn91 als Kalkulationsbasis zu verwenden. Damit bleiben zunchst die beschftigungsunabhngigen, fixen Kosten bei der Preisbestimmung auer Ansatz.92 Weiterhin hat Schmalenbach sich mit der Bilanztheorie auseinandergesetzt. Er ist ein Vertreter der dynamischen Bilanztheorie. Die Gewinn- und Verlustrechnung steht bei ihm im Vordergrund. Die Bilanz wird als zweitrangig betrachtet. Der Totalgewinn ist entscheidend. Dieser ergibt sich als positive Differenz von Einnahmen und Ausgaben ber alle Perioden der Betriebsexistenz.93 Es ist aber Fritz Schmidt94 (1882-1950, Frankfurter Schule), der 1921 mit seinem Buch Die organische Bilanz im Rahmen der Wirtschaft ein Meisterwerk betriebswirtschaftlichen Denkens verfasste.95 In diesem Buch handelt er Fragen der Bilanzierung unter den Bedingungen der Geldentwertung ab. Die Hyperinflation stellte in der Weimarer Re-

89

90 91

92 93 94

95

Schmalenbach (1911/12) S. 308. Mit dieser Auffassung wendet sich Schmalenbach gegen die von Weyermann und Schnitz vertretene Sicht, die Privatwirtschaftslehre als reine Wissenschaft zu konzipieren. Zu der von Weyermann und Schnitz postulierten wissenschaftlichen Privatwirtschaftslehre, vgl. Weyermann/Schnitz (1912). Schmalenbach hat seine Habilitationsschrift unter dem Titel ber die Verrechnungspreise in: ZfhF (1908/09), S 165-185, in gekrzter Form verffentlicht. Die von Schmalenbach als Bruttogewinn und heute als Deckungsbeitrag bezeichnete Gewinngre errechnet sich als Differenz zwischen Umsatz und variablen Kosten. Die variablen Kosten nennt Schmalenbach proportionale Kosten, da sie sich proportional mit der Beschftigung (= Ausbringungsmenge) verndern. Vgl. Schmalenbach (1919) S. 257-299 und S. 321-356. Die Kosten, die heute als Fixkosten bezeichnet werden, nannte Schmalenbach derzeit konstante Unkosten. Vgl. Schmalenbach (1962). Fritz Schmidt wurde 1914 als Professor an die Universitt Frankfurt berufen. Er ist der Begrnder der Zeitschrift fr Betriebswirtschaftslehre und Lehrer von Edmund Heinen. Fritz Schmidt hat zahlreiche Verffentlichungen ber die Bankbetriebslehre angefertigt und ihre Entwicklung stark beeinflusst. Vgl. Schmidt, F. (1921).

40

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

publik ein schwerwiegendes Problem dar.96 Das betriebliche Rechnungswesen als Instrument der Unternehmenskontrolle und Unternehmensfhrung versagte. Dies war der Anlass fr die Forschungen von Fritz Schmidt, die sich auf die Entfernung von Geldwertschwankungen aus dem betrieblichen Rechnungswesen (Bilanz und Kostenrechnung) und der Preisgestaltung konzentrierten. Er forderte, dass man Scheingewinne, die durch einen berhhten Wertansatz hervorgerufen wurden, durch eine offen auszuweisende Zwangsrcklage aus der Bilanz eliminieren solle. Ziel war, die Substanz des Unternehmens zu erhalten. Dieses Ziel hat Schmidt auch im Blick, wenn er als Wertansatz fr die zu beschaffenden Gter Wiederbeschaffungspreise am Umsatztag fordert. Er argumentiert, dass der Ansatz nominaler Werte, unter der Voraussetzung, dass die Produktion der Gter Zeit beansprucht (er nimmt eine Produktionsausreifungszeit von einem halben Konjunkturzyklus an), in der Hausse Preise zur Folge hat, die zu niedrig und in der Baisse zu hoch sind und damit die Konjunkturbewegungen verstrkt wrden.97 Da sich heute unsere Wirtschaft durch relativ niedrige Inflationsraten auszeichnet, hat die organische Bilanzauffassung von Fritz Schmidt an Relevanz verloren. Nimmt man noch Wilhelm Rieger (1878-1971)98, der 1928 sein Buch Einfhrung in die Privatwirtschaftslehre verffentlichte99, zu den genannten Namen hinzu, dann hat man die Personen benannt, die die Entwicklung der deutschen Betriebswirtschaftslehre besonders geprgt haben. Rieger ist der berzeugung, dass es eine einheitliche Betriebswirtschaftslehre nicht gibt und nicht geben kann. Betriebe sind fr ihn berhaupt keine wirtschaftenden Gren. Sie sind rein technische Institutionen und bedrfen erst einer bergeordneten Instanz, einer wirtschaftlichen Idee, der sie eingegliedert werden mssen, damit man sie als Wirtschaftseinheiten ansprechen kann. Anders als Schmalenbach kann Rieger nicht erkennen, da alle Betriebe vor die gleiche wirtschaftliche Aufgabe gestellt wren, nmlich Gter und Leistungen zu produzieren und dabei wirtschaftlich zu verfahren. [D]ie wirtschaftliche (gleich technischrationale) Ausfhrung irgendeiner Produktion ist zunchst ein technisches Problem, aber noch keineswegs eine Aufgabe im Sinne des Wirtschaftens, der Wirtschaft. Die zweckbewute Ausrichtung der Produktion, die Eingliederung in einen Gesamtorganismus erst stempelt eine Produktion zum Wirtschaften. ffentliche Betriebe, deren Zweck es ist, das Gemeinwohl zu frdern, oder Betriebe, die politische, knstlerische, weltanschauliche, religise, kulturelle oder allgemein ideelle Zwecke verfolgen, mssen ihre Mastbe aus den Bezirken holen, in denen sie beheimatet sind. Die Heimat dieser Betriebe ist nicht die Wirtschaft, sondern sie bewegen sich in anderen Lebensbereichen. Da es keine einheitliche Zielsetzung und damit die Stellung aller
Immerhin erhhte die Reichsbank den Diskontsatz Mitte September 1923 auf 90% p.a. Die monatliche Inflationsrate belief sich auf mehr als 2.400% p. Monat, vgl. Schmidt, F. (1924). 97 Vgl. Schmidt, F. (1927). 98 Rieger wurde 1918 an der Universitt Straburg promoviert. Er erhielt zunchst einen Ruf an die Handelshochschule Nrnberg und war ab 1928 Ordinarius fr Privatwirtschaftslehre an der Universitt Tbingen. In Nrnberg zhlte Ludwig Erhard zu seinen Schlern. 99 Vgl. Rieger (1964). Zum Folgenden, vgl. Rieger (1964) S. 33 ff.
96

41

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Betriebe innerhalb der Gesamtwirtschaft nicht dieselbe ist, kann es fr Rieger eine, alle Betriebe als Betrachtungsgegenstand umfassende, Betriebswirtschaftslehre nicht geben. Das wissenschaftliche Interesse Riegers konzentriert sich auf private Einzelwirtschaften, soweit sie Erwerbswirtschaften sind. Diese bezeichnet er als Unternehmungen. Ausschlielich Unternehmen bilden den Gegenstand der von Rieger konzipierten Privatwirtschaftslehre.100 Ein Unternehmen ist fr Rieger eine geschlossene wirtschaftliche Einheit, die Kapital bentigt, um ihren Zweck zu erfllen. Der Zweck von Unternehmen besteht darin, Geldeinkommen (Gewinn) zu erzielen, indem sie sich am Wirtschaftsleben beteiligen.101 Das Wirtschaftsleben, an dem sich Unternehmen beteiligen, in das sie eingebettet sind, ist bestimmt durch Geldwirtschaft und Kapitalismus. Unternehmen sind als Trger und Exponenten der Geldwirtschaft und des Kapitalismus entstanden102 Rieger nimmt auch insofern eine Gegenposition zu Schmalenbach ein, als er Betriebswirtschaftslehre nicht als wissenschaftliche Kunstlehre verstanden wissen will, sondern als reine Wissenschaft. Er will sie als Theorie etablieren, deren Aufgabe ausschlielich in der Beschreibung und Erklrung des wirtschaftlichen Seins besteht. [w]ir haben zu sagen, wie es ist, nicht wie wir mchten, da es wre.103 Damit wendet sich Rieger gegen eine ethisch-normativ ausgerichtete Betriebswirtschaftslehre, wie Nicklisch sie vertrat. berhaupt hat die Privatwirtschaftslehre sich mit Gestaltungsvorschlgen der Unternehmenswirklichkeit zurckzuhalten. Anders als Schmalenbachs Betriebswirtschaftslehre will Riegers Privatwirtschaftslehre nicht Anleitung und Rezepte zum praktischen Handeln geben; sie will auch nicht Wirtschaftsfhrer oder Unternehmer ausbilden, berlt es vielmehr ganz dem Studierenden, was er mit der gewonnenen Einsicht in das Wirtschaftsleben anfangen will.104 Fr Rieger sind Unternehmen Geldfabriken. Sie haben, bezogen auf das eingesetzte Kapital, nach Gewinn zu streben. Einzelwirtschaftliche Rentabilitt ist sein Untersuchungsgegenstand. Neben den bisher referierten Problemlagen ist noch ein weiterer Fragenkomplex zu nennen, durch dessen Bearbeitung die Betriebswirtschaftslehre nach dem Ersten Weltkrieg den Status einer eigenstndigen Wissenschaft erlangt hat. Gemeint ist das Bemhen betriebswirtschaftlicher Forschung, das Unberechenbare der wirt-

100 Vgl. Rieger (1964) S. 14 f. Als Privatwirtschaftslehre wurde damals eine Richtung betriebs101 Vgl. Rieger (1964) S. 15, S. 18 und S. 44. Verbrauchswirtschaften (Haushalte) sind ebenfalls

wirtschaftlichen Denkens bezeichnet, die auch Rieger vertrat.

private Einzelwirtschaften und bilden einen Gegenstand der Privatwirtschaftslehre. Ihre Aufgabe besteht in der sachgemen Verwaltung und zweckmigen Verwendung eines ihr zuflieenden Einkommens. Rieger (1964) S. 14. Verbrauchswirtschaften werden von Rieger nicht weiter behandelt. 102 Rieger (1964) S. 15. 103 Rieger (1964) S. 44. 104 Rieger (1964) S. 73.

42

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

schaftlichen Vorgnge so weit wie mglich berechenbar zu machen.105 Es wurden Marktforschungsmethoden entwickelt, um Transparenz in das undurchsichtige Marktgeschehen zu bringen. Derart sollten Unternehmen ihre Risiken und Chancen auf den Mrkten frhzeitig erkennen. Damit wird die mehr in das Innere von Unternehmen gerichtete Sicht (Behandlung der Kostenfrage, Eliminierung von Geldwertschwankungen, Rentabilittsbetrachtungen) um eine, nach auen, auf die relevanten Mrkte des Unternehmens ausgerichtete Perspektive erweitert und als wissenschaftlich zu bearbeitender Bereich in die Betriebswirtschaftslehre einbezogen.

2.2.2

Werturteilsstreit und Methodenstreit

Die oben genannten Verffentlichungen, die der Betriebswirtschaftslehre den Status einer eigenstndigen Wissenschaft verliehen haben, und die Einrichtung von Handelshochschulen fallen in die Zeit des so genannten Werturteilsstreites. Der Werturteilsstreit beginnt 1909 in den Sozialwissenschaften Soziologie und Volkswirtschaftslehre. Es wird heftig ber die Legitimitt des Einsatzes unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden gestritten. Dies geschieht zunchst intensiv innerhalb der Volkswirtschaftslehre. Zentrale Streitfrage ist, ob sittliche Werturteile aus einer Sammlung von Kausalaussagen gewonnen werden knnen. Anders ausgedrckt, es wird diskutiert, ob es mglich ist, nachdem eine hinreichend groe Menge von UrsacheWirkungs-Beziehungen zwischen konomischen Gren untersucht worden ist, aus diesen Erkenntnissen Handlungsempfehlungen abzuleiten. Der Werturteilsstreit luft u.a. auf die Przisierung der Zielsetzung der Sozialwissenschaften (Soziologie, Volksund Betriebswirtschaftslehre) hinaus. Abhngig davon, wie die zentrale Streitfrage beantwortet wird, werden den Sozialwissenschaften und damit auch der Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Aufgaben zugeordnet. Der deutsche Jurist, Soziologe, Nationalkonom, Philosoph und Politiker Max Weber (1864-1920) initiiert die Diskussion. Er behauptet, dass auch die stndige Ausweitung des Wissens ber Ursache-Wirkungs-Zusammenhnge eine Ableitung von Handlungsempfehlungen nicht zulsst. In diesem Sinne fordert Max Weber eine wertfreie Wissenschaft.106 Ein Kontrahent Max Webers ist Gustav von Schmoller (1838-1917).107 Als Hauptvertreter der Deutschen Historischen Schule der Volkswirtschaftslehre
105 Vgl. Gutenberg (1957). 106 Vgl. Weber, M. (1917). Einstein hat diesen Schritt vom Wissen zu Zielsetzungen mit den

Worten erfasst: Von der Erkenntnis von dem, was ist, fhrt kein Weg zu dem, was sein soll. Der Schluss vom Sein aufs Sollen wird als Naturalistischer Fehlschluss bezeichnet. 107 Schmoller ist Mitbegrnder des Vereins fr Socialpolitik. Der Verein fr Socialpolitik wurde im Jahr 1873 gegrndet und ist heute die grte Vereinigung von Wirtschaftswissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. Von 1890 bis 1917 war Schmoller Vorsitzender des Vereins. Die Grndungsmitglieder, fr die die Bezeichnung Kathedersozialisten blich wurde, wollten mit den Worten von Schmoller: auf der Grundlage der bestehenden Ordnung die unteren Klassen soweit heben, bilden und vershnen, dass sie in Harmonie und Frieden sich in den Organismus einfgen.

43

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

mchte Schmoller die Volkswirtschaftslehre als groe moralisch-politische Wissenschaft verstanden wissen. Schmoller behauptet, dass Normen des Handelns aus zustzlichen Einsichten in Kausalzusammenhnge sehr wohl abzuleiten sind, und propagiert eine ethisch-normative konomie, die ihre Erkenntnisse durch den Einsatz der induktiven Methode gewinnen solle. Fr Schmoller bedeutet Verzicht auf Werturteile Verzicht auf eine Theorie der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Carl Menger schaltet sich in die Diskussion ein und widerspricht den Ansichten Schmollers. Menger strebt eine theoretische, analytische Wirtschaftswissenschaft an und lehnt eine ethisch-normative konomie ab. Nach seiner Auffassung hat die Wirtschaftswissenschaft unter Einsatz der deduktiven Methode Erklrungen fr konomische Phnomene zu liefern.108 Ab 1912 greift der Werturteilsstreit auf die Betriebswirtschaftslehre ber. Vertreter, die eine strker theoretisch orientierte Betriebswirtschaftslehre fordern, sind Schmalenbach (mit Einschrnkungen, da stark empirisch-realistisch orientiert), Rieger und Schmidt. Ganz besonders Rieger klagt den Einsatz der analytisch-deduktiven Methode109 zur Ableitung betriebswirtschaftlicher Aussagen ein. Innerhalb dieser theoretischen Richtung wird dafr pldiert, dass die Betriebswirtschaftslehre sich darauf zu beschrnken habe, Aussagen ber das einzelwirtschaftliche Sein anzufertigen. Es sei nicht Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre, Aussagen darber zu machen, wie die Einzelwirtschaft sein soll. Mit derartigen Aussagen hat sich die Betriebswirtschaftslehre zurckzuhalten. Diese skizzierte Richtung der Betriebswirtschaftslehre wird zur damaligen Zeit Privatwirtschaftslehre (oder Profitlehre) genannt. Der Privatwirtschaftslehre steht die Gemeinwirtschaftslehre gegenber. Sie versucht, wohlfahrtskonomische Vorstellungen, Gemeinwirtschaftlichkeit und wirtschaftspolitische Zielsetzungen bei einzelwirtschaftlichen Untersuchungen zu bercksichtigen. Als ein Vertreter der Gemeinwirtschaftslehre gilt Nicklisch. Die Aussagen der Gemeinwirtschaftslehre sind ethisch-normativ ausgerichtet. Nach Meinung der Vertreter dieser Richtung knnen wissenschaftliche Aussagen durch den Einsatz der induktiven Methode110 gewonnen werden. Eine Aufgabe der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre sei es, so ihre Behauptung, Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung des wirtschaftlichen Seins wissenschaftlich herzuleiten und zur Ausfhrung der Praxis vorzuschlagen. Ab 1926 erscheinen Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre.111 Damit hat sie sich endgltig als eigenstndige Wissenschaft etabliert. Die Betriebswirtschaftslehre ist also eine sehr junge Wissenschaft. Sie ist kaum ber 80 Jahre alt. Noch Ende der 1950er Jahre, als die deutschen Universitten sich im Aufbau befanden, stritt man darber, ob

108 Vgl. zu den unterschiedlichen Positionen die Texte in den folgenden Werken der Gegenspie109 Siehe hierzu die Ausfhrungen in Abschnitt 3.2. 110 Siehe hierzu die Ausfhrungen in Abschnitt 3.2. 111 Vgl. z.B. die erste Auflage des Handwrterbuch der Betriebswirtschaft, HWB, vgl. Nicklisch

ler: Schmoller (1923) S. 100 ff., Schmoller (1901) S. 548, und Menger (1883) S. 33 ff.

(1926-1928).

44

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

die Betriebswirtschaftslehre berhaupt als Wissenschaft zu qualifizieren sei und damit Lehrinhalt an Universitten sein knne.112 Der Streit ist inzwischen entschieden. Die Betriebswirtschaftslehre ist heute als wissenschaftliche Disziplin anerkannt. Abbildung 3: Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

Einrichtung von Handelshochschulen ab 1898

Methodenstreit in der Betriebswirtschaftslehre ab 1912 Gemeinwirtschaftslehre Privatwirtschaftslehre

Verffentlichungen:  E. Schmalenbach (1908/09): ber die Verrechnungspreise  J. F. Schr (1911): Allgemeine Handelsbetriebslehre  H. Nicklisch (1912): Allgemeine kaufmnnische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels und der Industrie ab 1932 erschienen unter dem Titel: Die Betriebswirtschaft  F. Schmidt (1921): Die organische Bilanz im Rahmen der Wirtschaft  W. Rieger (1928): Einfhrung in die Privatwirtschaftslehre  Ab 1926 erscheinen Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre

Themen nach dem Ersten Weltkrieg, durch deren Bearbeitung die BWL den Status einer Wissenschaft erlangte:  Eliminierung von Geldwertschwankungen aus Bilanz und Kostenrechnung  Kontrolle der Betriebsgebarung  Selbstkostenrechnung und innerbetriebliche Verrechnungspreise  Rentabilittsanalysen  Analyse des toten Punktes  Marktanalyse

Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

Der Werturteilsstreit ist auch fr die heutige Betriebswirtschaftslehre noch von Bedeutung, da er den Ausgangspunkt fr zwei unterschiedliche Richtungen der Betriebswirtschaftslehre bildet. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden diese Richtungen personifiziert durch Erich Gutenberg (1897-1984) auf der einen und Konrad Mellerowicz (1891-1984) auf der anderen Seite.

112 Der Streit um die Wissenschaftlichkeit der Betriebswirtschaftslehre fand u.a. im Jahr 1957

unter den Mitgliedern des Wissenschaftsrates statt. Es gab Stimmen, die forderten, die Betriebswirtschaftslehre solle nicht an Universitten, sondern an Handelshochschulen Platz nehmen. Der Wissenschaftsrat ist eine Institution auf Bundesebene. Er hat die Aufgabe, Empfehlungen zur inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und Forschung zu erarbeiten. Der Wissenschaftsrat wurde 1957 durch ein Abkommen der Bundesregierung und der Regierungen der Bundeslnder gegrndet.

45

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

2.2.3

Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg

Die unterschiedlichen Auffassungen der beiden Kontrahenten Gutenberg und Mellerowicz darber, wie eine wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre zu entwickeln sei, sollen im Folgenden dargestellt werden. Dazu werden die jeweiligen Leitgedanken, die ihren Anstzen zugrunde liegen, skizziert. Gutenberg ging es bei seinen Forschungen primr um das Modell eines Unternehmens, [] in dem die Folgen von Datennderungen [] untersucht werden sollten.113 Sein Untersuchungsgegenstand ist das Unternehmen als ein System von Abhngigkeiten zwischen Variablen des Unternehmenssystems.114 Gutenberg hatte nicht die Absicht, das Unternehmen als soziale Erscheinung zu analysieren. Er meinte immer, dass ein Unternehmen mehr ist als ein soziales System.115 Nach Gutenberg etabliert sich die Betriebswirtschaftslehre durch die Bearbeitung dieses mehr als eigenstndige Wissenschaft. Was ber die soziale Dimension des Unternehmens hinausgeht, sind Probleme der Ausgestaltung der Unternehmensvariablen und ihres Zusammenspiels unter Beachtung konomischer Rationalitt. Unternehmensvariablen wie Mengen und Preise der zu beschaffenden Produktionsfaktoren, der herzustellenden und abzusetzenden Gter und Dienstleistungen, Investitions- und Finanzierungsvariablen usw. und die Zusammenhnge zwischen diesen Variablen hat Gutenberg mit mathematischen Funktionen darzustellen versucht. Dabei griff er auf die Mikrokonomie zurck116 und integrierte sie in die Betriebswirtschaftslehre. So werden Produktions-, Absatz-, Investitions- und Finanzierungsfunktionen auch in dynamisierter Form entworfen, mit deren Hilfe die betrieblichen Funktionen Beschaffung, Leistungserstellung, Leistungsverwertung sowie Investition und Finanzierung beschrieben werden. Wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre hat diese Funktionen zu erforschen. Die Erforschung der betrieblichen Funktionen qualifiziert Betriebswirtschaften als produktive Systeme. Die Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs interessiert sich fr das mit konomischer Rationalitt konstruierte produktive und nicht fr das soziale System Betrieb. Mit jeder der aufgefhrten betrieblichen Funktionen sind planerische, organisatorische berwachungs-, Innovations- und Optimierungsprobleme verbunden. Insofern hat die Betriebswirtschaftslehre sich mit dem Steuerungssystem von Unternehmen zu befassen, das die in den Funktionsbereichen enthaltenen Variablen an die jeweilige Datenlage anzupassen in der Lage ist. Alle Strungen und Unwgbarkeiten, die von dem psycho-physischen Subjekt, so bezeichnet Gutenberg das Fhrungspersonal eines
113 Gutenberg (1989) S. 43. 114 Gutenberg (1989) S. 42. Bei der Darstellung von Unternehmen als ein System von Variablen

lehnt Gutenberg sich an die Untersuchungen Schmalenbachs ber das Abhngigkeitsverhltnis zwischen Produktionskosten und Produktionsvolumen an, vgl. Gutenberg (1989) S. 51. 115 Gutenberg (1989) S. 49. Zum Folgenden, vgl. Gutenberg (1989) S. 40 ff. 116 Zur Mikrokonomie, die einen Bereich der Volkswirtschaftslehre darstellt, vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 2.6.1.

46

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

Unternehmens, und der Organisation des Unternehmens ausgehen, werden zunchst von Gutenberg aus seiner Theoriekonzeption ausgeklammert. Ihm geht es nicht um die Darstellung der Unternehmung in ihrer vollen tatschlichen Wirklichkeit, sondern um die Eliminierung von Irrationalitten einer auf Richtigkeit hin gedachten theoretischen Unternehmung. Fr Gutenberg ist das Unternehmen ein abstraktanalytisches System, das mit der deduktiven Methode zu analysieren ist. Unternehmen sind fr Gutenberg Gedankengebilde eines externen Beobachters, inspiriert von realen Phnomenen. Die Unternehmenstheorie behlt einen Rest von Irrationalitt insofern, als die vom Unternehmen selbstgesetzten Unternehmensziele nicht aus bergeordneten Zielsystemen abgeleitet sind, sondern vom Unternehmen beliebig gesetzt werden knnen. Davon abgesehen ist das produktive System Unternehmen als eine rein rationale Veranstaltung konzipiert. Der rationale Vollzug im Unternehmen ist ber Planung und Organisation (im Sinne formaler Organisation) abzusichern, wobei Organisation als Mittel zur Durchfhrung der Plne begriffen wird. Damit sind die Problembestnde benannt, die eine eigenstndige Betriebswirtschaftslehre zu bearbeiten hat. Gutenberg meinte, dass diese Art von Problembestnden mit sozialen Tatbestnden in eine systematische Verknpfung zu bringen die Gefahr in sich berge, im sozialen Bereich stecken zu bleiben.117 Eine theoretische Integration der sozialen mit der sachlichen (gterwirtschaftlichen) und zeitlichen (finanzwirtschaftlichen) Dimension des Unternehmens hat Gutenberg daher selbst nicht versucht. Mellerowicz sieht das alles ganz anders. Er hlt die Mathematisierung der Betriebswirtschaftslehre und ihre mikrokonomische Fundierung fr einen Irrweg und sieht die Gefahr, dass die Betriebswirtschaftslehre mit der Mikrokonomie verschmilzt, womit der Verlust ihrer Eigenstndigkeit einhergeht. Anders als Gutenberg akzeptiert Mellerowicz die Induktion als wissenschaftliche Methode der Betriebswirtschaftslehre und betrachtet im Gefolge von Nicklisch die soziale Erscheinung Unternehmen als Untersuchungsgegenstand der Betriebswirtschaftslehre. Mellerowicz behauptet: Ursprung und Zweck der Betriebswirtschaftslehre ist die einzelbetriebliche Praxis.118 Er strebt eine anwendungsbezogene Fhrungslehre an, die in eine ganzheitliche Organisationswissenschaft einzuordnen ist. Unberechtigterweise und mit schwachen Argumenten wirft er dem Gutenberg-Ansatz Empiriefeindlichkeit vor. Diesen wie auch die anderen Vorwrfe von Mellerowicz hat Gutenberg wortgewaltig entkrften knnen. Gerade Gutenberg hat immer Wert darauf gelegt, seine betriebswirtschaftliche Theorie mit der betrieblichen Realitt zu konfrontieren und auf sie anzuwenden. Die von Gutenberg eingeschlagene Richtung wird heute u.a. durch betriebswirtschaftliche Anstze, die eine Integration der Neuen Institutionenkonomik anstreben,

117 Vgl. Gutenberg (1989) S. 49. Fr Gutenberg ist das Problem der Betriebswirtschaftslehre 118 Mellerowicz (1952) S. 145-161, hier S. 146, vgl. auch Mellerowicz (1964-1968).

individualpsychologisch oder soziologisch nicht zu bestimmen.

47

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

weitergefhrt.119 Diese Anstze streben an, die Betriebswirtschaftslehre als reine konomie zu entwickeln. Sie lehnen daher eine Integration der Verhaltenswissenschaften in die Betriebswirtschaftslehre ab. Aufgrund ihres konomischen Fundaments hat man diese Richtung von Betriebswirtschaftslehren schlagwortartig als auf dem konomischen Basiskonzept beruhende Betriebswirtschaftslehren bezeichnet. Der von Nicklisch und Mellerowicz vorgezeichnete Strang der Betriebswirtschaftslehre konkretisiert sich heute in verhaltenswissenschaftlichen Anstzen der betriebswirtschaftlichen Entscheidungs- und Systemtheorie.120 Unternehmen erhalten in diesen Theoriekonzepten den Status von sozialen Systemen. Daher wird gefordert, Unternehmen mit Untersttzung der Nachbardisziplinen der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere der anderen Sozialwissenschaften zu untersuchen.121 Mit einem Schlagwort bezeichnet man diese Richtung der Betriebswirtschaftslehre als Betriebswirtschaftslehre, die auf dem sozialwissenschaftlichen Basiskonzept beruht.122

119 Den Konzepten der Neue Institutionenkonomik ist das Kapitel 9 dieses Buches gewidmet. 120 Entscheidungs- und Systemtheoretische Konzepte werden in den Kapiteln 8 und 10 dieses 121 Vgl. Heinen (1976a) S. 395 f. 122 Zur Unterscheidung von konomischem und sozialwissenschaftlichem Basiskonzept, vgl.

Buches behandelt.

Raffe (1974) S. 79 ff.

48

Etablierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft

2.2

Abbildung 4:

Positionen im Werturteilsstreit und heutige Richtungen der Betriebswirtschaftslehre


(Beginn des Werturteilsstreits im Jahr 1909, zunchst insbesondere innerhalb der Volkswirtschaftslehre gefhrt)

Zentrale Streitfrage: Knnen sittliche Werturteile, die als Handlungsempfehlungen aufzufassen sind, aus zustzlichen Erkenntnissen ber Kausalzusammenhnge abgeleitet werden?

Historische Schule
(G. von Schmoller bejaht die Streitfrage)

Theoretische Schule Methodenstreit in der BWL


Beginn 1912 und seine Konkretisierung in der heutigen BWL (M. Weber, C. Menger verneinen die Streitfrage. Sie postulieren eine wertfreie Wissenschaft)

Gemeinwirtschaftslehre (Heinrich Nicklisch) ethisch-normativ orientiert Induktion als wissenschaftliche Methode Ganzheitliche Organisationswissenschaft (Konrad Mellerowicz) Verhaltenswissenschaftliche Anstze der Entscheidungs- und Systemtheorie werden zur Erklrung wirtschaftlicher Phnomene in den Unternehmensbereichen Marketing, Organisation, Personalwesen und Unternehmensfhrung herangezogen. Sozialwissenschaftliches Basiskonzept (Edmund Heinen, Hans Ulrich)

Privatwirtschaftslehre (E. Schmalenbach, F. Schmidt, W. Rieger) abstrakt-analytisch orientiert Deduktion als wissenschaftliche Methode Integration der neoklassischen Mikrokonomie und der Theorie der unvollkommenen Konkurrenz in die BWL (Erich Gutenberg) Neue Institutionenkonomik, Theorie des Marktversagens und andere Theoriekonzepte werden auf Funktionsbereiche wie Investition, Finanzierung, Rechnungswesen und Organisationsfragen angewandt. konomisches Basiskonzept (Dieter Schneider)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland ein zweigeteiltes Land, in dem sich unterschiedliche Wirtschaftssysteme etablierten. Die soziale Marktwirtschaft war das Leitbild fr das westdeutsche Wirtschaftssystem, in Ostdeutschland sollte ein sozialistisches Wirtschaftssystem eingerichtet werden. Die Wirtschaftswissenschaft reflektierte diese Entwicklung mit Wirtschaftssystemtheorien. Beispielhaft sei hier die Ordnungstheorie von Walter Eucken genannt, die eine Wirtschaftssystemtheorie enthlt.123 Sie wurde von Karl Paul Hensel mit seiner Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft weiterentwickelt. Die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft bietet die Mglichkeit der Analyse sozialistischer Wirtschaftssysteme124 und veranschaulicht, dass in einer total zentral geplanten Wirtschaft einzelwirtschaftliche Problemstellungen eine untergeordnete Rolle spielen. Damit wird auch verstndlich, dass es in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eine Zeit gab, in der die Betriebswirtschaftslehre als berflssige Einrichtung betrachtet wurde. Die zentrale staatliche Planung regelte das Wirtschaftsgeschehen, dezentrale Planung wurde als nebenschlich betrachtet. So lste die Regierung der DDR im Jahr 1951 folgerichtig die be123 Vgl. Eucken (1950). 124 Vgl. Hensel (1979).

49

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

triebswirtschaftlichen Lehrsthle, die es bis dahin noch gegeben hatte, auf. An die Stelle der Betriebswirtschaftslehre trat im Jahre 1956 die Leitungswissenschaft.125 Sie wurde an der Hochschule fr konomie gelehrt. Im Jahr 1965 richtete man das Zentralinstitut fr sozialistische Wirtschaftsfhrung beim ZK (Zentralkomitee) der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) ein. Hier wurden die Fhrungskrfte der Kombinate (in ihnen waren volkseigene Betriebe, VEBs, zusammengefasst) und VEBs geschult. Im Rahmen der Marxistisch-Leninistischen Organisationswissenschaft (MLO) wurden auch einzelwirtschaftliche Fragen abgehandelt. Ab 1973 gab es wieder Lehrsthle fr Betriebswirtschaft an den Hochschulen der DDR. Das Lehrbuch eines Autorenkollektivs Sozialistische Betriebswirtschaft, das sich mit einzelwirtschaftlichen Fragen unter sozialistischen Bedingungen beschftigt, erschien im gleichen Jahr.126 Die Verffentlichungen von Wirtschaftswissenschaftlern der DDR zu einzelwirtschaftlichen Fragen haben die deutsche Betriebswirtschaftslehre nicht beeinflusst.

2.3

Aufgaben einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

Im Werturteilsstreit wurde u.a. ber unterschiedliche Ziele gestritten, welche die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft zu verfolgen hat. Heute ist allgemein anerkannt, dass wissenschaftliche Aussagensysteme zweierlei sicherstellen sollen. Sie sollen erstens dem Erkenntnisfortschritt dienen. Damit ist das kognitive Wissenschaftsziel benannt. Zweitens wird ein Beitrag zur Lsung praktischer Problemlagen verlangt. Diese Aufgabe bezeichnet man auch als praktisches Wissenschaftsziel. Soll sowohl das kognitive als auch das praktische Wissenschaftsziel gefrdert werden, dann drfen die Aussagen der Betriebswirtschaftslehre nicht zu abstrakt gehalten sein, denn Modelle, die von jeder Wirklichkeit abgehoben sind, knnen das Dasein und Werden des Wirtschaftslebens weder erfassen, noch Anregungen zu seiner weiteren Entwicklung und Ausgestaltung geben. Die berwiegende Mehrzahl der betriebswirtschaftlichen Fachvertreter ist dieser Auffassung und begreift die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Wissenschaft, die einen Bezug zur Realitt aufweisen soll. Um die allgemeinen Wissenschaftsziele zu erreichen, nmlich das Wissen ber den Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre zu vermehren und Anregungen zur Daseinsbewltigung zu liefern, sind folgende Aufgaben zu erfllen:

125 Zu den Themen, mit denen sich die DDR Leitungswissenschaft beschftigte, vgl. Bardmann 126 Vgl. Autorenkollektiv (1973).

(1988) S. 153 ff.

50

Aufgaben einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

2.3

Die vorgefundene wirtschaftliche Wirklichkeit muss beobachtet und beschrieben werden. Um Beschreibungen zu liefern, mssen Begriffe przisiert werden. Die deskriptive Betriebswirtschaftslehre soll das leisten. Beschreibungen allein reichen nicht aus. Es mssen Wirkungszusammenhnge der beschriebenen wirtschaftlichen Sachverhalte erklrt werden. Einen Sachverhalt zu erklren bedeutet, ihn aus Hypothesen ber Gesetzmigkeiten und gewissen Randbedingungen logisch abzuleiten. Das leistet die explikative Betriebswirtschaftslehre. Einige Vertreter der theoretischen Betriebswirtschaftslehre sehen in der Beobachtung, Beschreibung und Erklrung der betrieblichen Wirklichkeit die einzigen Aufgaben, die eine wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre zu erfllen hat. Alles, was darber hinaus in Richtung Entwicklung von Handlungsempfehlungen geht, lehnen sie ab. Weite Teile der betriebswirtschaftlichen Literatur vertreten die Auffassung, dass, unter Rckgriff auf Beschreibung und Erklrung, Prognosen angefertigt und auf ihrer Basis Anregungen zur Gestaltung der betrieblichen Wirklichkeit gegeben werden sollten. Der Begriff der prskriptiven Betriebswirtschaftslehre beschreibt die Richtung, die einen derartigen Gestaltungsanspruch erhebt. Beschreibung, Erklrung und Entwicklung von Gestaltungsvorschlgen werden heute von der berwiegenden Mehrzahl der Fachvertreter als die Kernaufgaben der Betriebswirtschaftslehre identifiziert. Dabei wird das Aufzeigen von Gestaltungsvorschlgen nicht so verstanden, dass Vorschlge entwickelt werden sollen, die angeben, wie aus der Perspektive eines bestimmten, bergeordneten Normensystems gehandelt werden sollte. Es werden vielmehr empirisch vorgefundene Unternehmensziele erforscht, um im Anschluss Instrumente zu identifizieren, deren Einsatz die Zielerreichung ermglicht. Eine Bewertung der empirisch ermittelten Ziele und der gedanklich eruierten Mittel, vom Standpunkt eines bergeordneten Normensystems aus, findet dabei nicht statt. Diese Art der Betriebswirtschaftslehre wird auch als praktisch-normative Betriebswirtschafslehre bezeichnet und grenzt sich von einer ethisch-normativen Betriebswirtschaftslehre ab, die ein bestimmtes Sollen verabsolutiert und das wirtschaftliche Sein mit dem Sein-Sollen in bereinstimmung zu bringen sucht. Die praktisch-normative Betriebswirtschaftslehre kann der theoretischen Betriebswirtschaftslehre zugerechnet werden. Um die Gestaltungsfunktion zu frdern, reicht es nicht aus, die bestehenden betrieblichen Strukturen und Prozesse zu beschreiben und zu erklren, sondern diese sind stndig infrage zu stellen. Dies gilt sowohl bezglich ihrer Notwendigkeit als auch bezglich ihrer Ausgestaltung. Die Betriebswirtschaftslehre bernimmt damit die Aufgabe, die betriebliche Wirklichkeit im Lichte ihrer Theorien kritisch zu hinterfragen. Aufbauend auf der Kritik des faktischen Betriebsgeschehens kann die Betriebswirtschaftslehre Utopien entwickeln. Der Utopiebegriff wird in diesem Zusammenhang nicht im eigentlichen Wortsinn von u-tobisch, ortlos, sondern im Sinne von heute noch nicht realisierbaren (aber realistischen) betriebswirtschaftlichen Konzepten benutzt.

51

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Abbildung 5:

Aufgaben einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre


Beobachtung der betrieblichen Wirklichkeit, sammeln und ordnen von Material bezglich ausgewhlter Fragestellungen Beschreibung der betrieblichen Realitt mit przisierten Begriffen Erklrung von Wirkungszusammenhngen des Betriebsgeschehen

Deskriptive Betriebswirtschaftslehre Explikative Betriebswirtschaftslehre

Gestaltung der betrieblichen Realitt Prskriptive BWL

Betriebswirtschaftliche Strukturen und Prozesse kritisch hinterfragen

Utopien noch nicht realisierte betriebswirtschaftliche Konzepte

Bei der Erfllung der Aufgaben mssen rational kritisierbare und intersubjektiv nachprfbare Aussagensysteme formuliert werden.

2.4

Einordnung der Betriebswirtschaftslehre in das Wissenschaftssystem

Eine hufig vorgenommene Einteilung der Wissenschaften trennt Ideal- von Realwissenschaften. Unter dem Etikett der Idealwissenschaften subsumiert man jene Wissenschaften, deren Untersuchungsgegenstnde keine empirische Basis bentigen. Als Beispiele fr Idealwissenschaften werden Mathematik, Logik, Erkenntnistheorie usw. genannt. Demgegenber wird behauptet, dass Realwissenschaften sich auf empirisch vorfindbare Untersuchungsobjekte konzentrieren. Die Realwissenschaften werden in Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften eingeteilt. Letztere werden hufig auch als Geistes- oder Kulturwissenschaften bezeichnet. Gegenstand der Naturwissenschaften sind die Naturerscheinungen. Naturwissenschaftler erforschen physische Gegenstnde. Gegenstand der Sozialwissenschaften sind die durch Menschen bewusst oder unbewusst geschaffene soziale Ordnung (Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Recht, Erziehung usw.) und die in diesen Lebensbereichen ablaufenden Prozesse sowie die Deutungen
52

Ausgewhlte Nachbarwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre

2.5

der Lebensbereiche durch Sprache, Mythos, Kunst, Religion, Wissenschaft usw. Zu den Sozialwissenschaften werden die Wirtschafts-, Rechts-, Geschichts-, Politik- und Verhaltenswissenschaften gezhlt. Vorstehende Einteilung und eine weitere Differenzierung der Sozialwissenschaften sind aus der folgenden Abbildung 6 zu entnehmen.

Abbildung 6:

Einordnung der Betriebswirtschaftslehre in das Wissenschaftssystem


Wissenschaften Idealwissenschaften
(Mathematik, Logik, Erkenntnistheorie)

Realwissenschaften

Sozialwissenschaften (Geistes- oder Kulturwissenschaften)


Untersuchungsgegenstand: Ordnung der unterschiedlichen Lebensbereiche und die in der Ordnung ablaufenden Prozesse sowie die Deutungen der Lebensbereiche

Naturwissenschaften
Untersuchungsgegenstand: physische Objekte (Physik, Geologie, Mineralogie, Biologie, Zoologie, Botanik, Chemie etc.)

Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehre

Rechtswissenschaften

Geschichtswissenschaften

Politikwissenschaften

Verhaltenswissenschaften Psychologie, Soziologie, Sozialpsychologie, Ethnologie, Anthropologie etc.

2.5

Ausgewhlte Nachbarwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre

Fachvertreter, die sich auf das sozialwissenschaftliche Basiskonzept bei der Entwicklung ihrer Betriebswirtschaftslehren berufen, greifen auf Erkenntnisse der Sozialwissenschaften zurck, um das Phnomen des Wirtschaftens in Betrieben zu beschreiben und zu erklren. Ein derartiges Herangehen zum Aufbau einer eigenstndigen Betriebswirtschaftslehre bleibt nicht ohne Widerspruch. Die kritische Position Erich Gutenbergs, die bereits zitiert wurde, ist ein Beleg hierfr. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Versuche, sozialwissenschaftliche Einsichten in die Betriebswirtschaftslehre zu integrieren, die Gefahr des Dilettantismus in sich bergen. Diese These vertritt Dieter Schneider. Er behauptet, dass der Versuch, in der betriebswirtschaftlichen For53

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

schung verschiedene Aspekte menschlichen Handelns zu verknpfen, nur zu Dilettantismus in der Theoriebildung fhren kann.127 Dies gilt insbesondere dann, wenn Einsichten aus anderen Disziplinen unreflektiert bernommen werden. Andererseits kann ein Blick ber den Tellerrand der eigenen Wissenschaft durchaus anregend sein. Er liefert Beobachtungsmglichkeiten, die eine einseitige Blickrichtung relativieren. Eventuell erscheinen neue Metaphern, die in der Lage sind, das Phnomen Wirtschaft komprimiert darzustellen. Identittsverlust der Betriebswirtschaftslehre droht nicht nur durch Versuche der Integration der Sozialwissenschaften in das Gedankengebude der Betriebswirtschaftslehre, sondern auch aus anderen Grnden. Fachvertreter, die das konomische Basiskonzept ihrer Theoriebildung zugrunde legen, werden von ihren Kontrahenten darauf hingewiesen, dass, wenn Betriebswirtschaftslehre als reine konomie konzipiert wird, indem Mikrokonomie, Mathematik und Entscheidungslogik zur Beschreibung und Erklrung einzelwirtschaftlicher Phnomene eingesetzt werden, die Gefahr besteht, dass die Betriebswirtschaftslehre mit der Mikrokonomie verschmilzt und damit ihre Eigenstndigkeit verliert und zu einem Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre degradiert wird.128 Die referierten Befrchtungen, dass die Betriebswirtschaftslehre ihre Eigenstndigkeit verlieren knnte, wenn Erkenntnisse ihrer Nachbarwissenschaften in betriebswirtschaftliche Forschung und Lehre Aufnahme finden, sind ernst zu nehmen. Dies gilt sowohl bezglich der Integration von Teilgebieten der Volkswirtschaftslehre, der Mathematik und Entscheidungslogik als auch was die Aufnahme von Soziologie, Psychologie und weiterer Verhaltenswissenschaften in die Betriebswirtschaftslehre betrifft. Andererseits spricht, nach der hier vertretenen Auffassung, nichts dagegen, dass betriebswirtschaftliche Theoriebildung sich von Erkenntnissen der Nachbarwissenschaften inspirieren lsst. Eine weitere Quelle der Inspiration knnen die praktischen Erfahrungen sein, die Unternehmensfhrer niedergeschrieben haben,129 und Verffentlichungen, die aus Praktikersicht Kritik an der Fhrungspraxis der Helden der Unternehmensfhrung ben.130 Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften, praktische Erfahrungen und ihre kritische Analyse knnen von der Betriebswirtschaftslehre genutzt werden, um das Realphnomen Unternehmen auszuleuchten.

127 Vgl. Schneider (1993) S. 140. 128 Vgl. hierzu statt anderer Schreygg (2007) S. 1-25. Schreygg sieht neben der Gefahr einer

Verschmelzung von Mikrokonomie und Betriebswirtschaftslehre auch die Gefahr, dass sich die Betriebswirtschaftslehre derart in Spezialgebiete zersplittert, dass der Verlust des systembildenden Problems der Betriebswirtschaftslehre zu befrchten ist. 129 Vgl. hierzu die (Auto-)Biografien von Henry Ford (1863-1947), Ford (1922); Alfred P. Sloan (1875-1966), Sloan (1963); Lee Iacocca (1984), Pehr G. Gyllenhammar (1977) oder das Buch von Wendelin Wiedeking (2008). 130 Vgl. Ogger (1992), Gerken (1992).

54

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

Die folgende Abbildung 7 gibt fragmentarisch Beitrge von ausgewhlten Nachbarwissenschaften und Praktikern wieder, die zur Beschreibung und Erklrung des Phnomens Unternehmen von der Betriebswirtschaftslehre herangezogen werden bzw. herangezogen werden knnten. Auf Einzelheiten soll an dieser Stelle nicht nher eingegangen werden. Die Abbildung versteht sich einerseits als Anregung zur selbststndigen Erforschung der Quellen, die die wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre nutzt, andererseits wird das eine oder andere aufgelistete Thema im weiteren Verlauf dieses Lehrbuchs angesprochen werden. Insofern ist die Abbildung auch als Hilfestellung zur thematischen Einordnung der einzelnen Beitrge zu verstehen. Abbildung 7: Beitrge von Nachbarwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre zur Beschreibung und Erklrung des Realphnomens Unternehmen
Volkswirtschaftslehre Mikrokonomie, Theorie der: Wirtschafssysteme, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsrechnung etc. Informatik Kommunikations- und Informationstheorie Entscheidungstheorie Theorie der: Unsicherheit, Mehrpersonenentscheidung etc.

Praktische Erfahrungen von Unternehmensfhrern

Rechtswissenschaft Mitbestimmungsgesetze, Rechtsformen von Unternehmen, Arbeitsrecht, Sozialrecht etc. Militrwissenschaften Strategie und Taktik, Operation Research etc. Philosophie, Ethik, Mathematik, Verwaltungslehre, Politologie, Wirtschaftsgeschichte etc. Sozialpsychologie Interaktionstheorie, Theorie der Fremdfhrung etc.

Gehirnforschung Neuronale Netze, Kreativittsforschung, Autopoiese etc.

Realphnomen Unternehmen

Soziologie Theorie sozialer Systeme, Kommunikationstheorie, Werte und Wertewandel, Organisationssoziologie etc. Allgemeine Systemtheorie Theorie offener und geschlossener Systeme, Regelkreistheorie etc. Evolutionstheorie Theorie der Selbstorganisation etc.

Individualpsychologie Motivationstheorie, Theorie der Selbstfhrung, Menschenbilder, Persnlichkeitstheorien etc.

2.6

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

Zwischen Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre besteht eine enge Verwandtschaft. Daher sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Wirtschaftswissenschaften dargestellt werden. Um dies zu leisten, kann daran erinnert
55

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

werden, dass Sozialwissenschaften sich mit sozialen Ordnungen, den in den sozialen Ordnungen ablaufenden Prozessen und den wissenschaftlichen Deutungen dieser Phnomene beschftigen. Wenn man sich der Auffassung anschliet, dass Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissenschaft zu qualifizieren ist, und wenn man weiter der vorgeschlagenen Gegenstandsbestimmung der Sozialwissenschaft zustimmt und sie auf die Wirtschaftswissenschaft anwendet, dann hat die Wirtschaftswissenschaft die Ordnung der Wirtschaft, die in der Wirtschaftsordnung ablaufenden Wirtschaftsprozesse und die Deutungen der wirtschaftlichen Phnomene mittels Theoriebildung zu erforschen. Die Wissenschaftsdisziplinen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre teilen sich diese Aufgaben. Sie betrachten dabei Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsprozess als Bestandteile des Wirtschaftssystems, verstehen unter Wirtschaftsprozess eine Verbindung mehrerer wirtschaftlicher Handlungen und fassen alle Formen, in denen das Wirtschaften abluft, unter den Begriff der Wirtschaftsordnung zusammen.131 Mit den wissenschaftlichen Vorstellungen ber das Wirtschaften ist die Theorieebene angesprochen. Auf dieser Ebene ist die Wirtschaftswissenschaft (konomik) ttig. Sowohl Betriebswirtschaftslehre wie Volkswirtschaftslehre befassen sich mit dem realen Wirtschaftssystem, also mit faktisch zur Geltung kommenden Formen des Wirtschaftens und realen Handlungen der Wirtschaftssubjekte (konomie), indem sie Theorien ber reales Wirtschaften anfertigen. Soweit es um Erklrungen des Wirtschaftens geht, versucht die Wirtschaftstheorie, aus (Gesetzes-)Hypothesen und bestimmten Annahmen einen wirtschaftlichen Sachverhalt zu erklren.132 Mit dem Gestaltungsaspekt des Wirtschaftens befasst sich die Theorie der Wirtschaftspolitik. Sie konzentriert sich auf Ziel-, Instrumenten- und Wirkungsanalysen. Es werden u.a. die folgenden Fragen zu beantworten versucht: Welche empirisch nachweisbaren wirtschaftlichen Ziele werden verfolgt? Sind diese Ziele miteinander vereinbar? Mit welchen Instrumenten knnen gesetzte Ziele erreicht werden? Wie beeinflussen sich die einzelnen Instrumente bei ihrem Einsatz? Wie knnen die Einzelinstrumente zu Programmen zusammengefasst werden? Die Wirtschaftswissenschaft beschftigt sich auer mit der Erklrung wirtschaftlicher Sachverhalte und Fragen ihrer Gestaltung auch mit der Beurteilung wirtschaftlicher Phnomene aus der Perspektive bergeordneter, z.B. religiser oder moralischer, Normensysteme. Hierfr ist die Theorie der Wirtschaftsmoral, die Wirtschaftsethik, zustndig. Die Volkswirtschaftslehre betrachtet die Forschungsgebiete Wirtschaftstheorie, Theorie der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, die Betriebswirtschaftslehre aus einzelwirtschaftlicher Sicht. Die Betriebswirtschaftslehre benennt ihre Forschungsgebiete mit den Begriffen Theorie des Unternehmens, Theorie der Unternehmenspolitik und Unternehmensethik. Mit den vorgenommenen Unter131 Zu Einzelheiten einer derartigen Begriffsbestimmung, vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt

4.2. Zu unterschiedlichen Definitionen des Wirtschaftsordnungs- und Wirtschaftssystembegriffs, vgl. Bardmann (1988) S. 34 ff. 132 Vgl. hierzu ausfhrlicher die Ausfhrungen zu Methoden und Modellen der Betriebswirtschaftslehre unter Abschnitt 3.2 und Abschnitt 3.3.

56

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

scheidungen sind die Hauptgebiete von Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre identifiziert. Auf ihre inhaltliche Bestimmung stellen die folgenden zwei Abschnitte ab.

2.6.1

Hauptgebiete der Volkswirtschaftslehre

Im Bereich Wirtschaftstheorie unterscheidet die Volkswirtschaftslehre zwei auf die Gesamtwirtschaft bezogene Theoriekomplexe: Mikrokonomie und Makrokonomie. Zunchst sei der Gegenstand mikrokonomischer Betrachtungen skizziert. Die grundlegenden Institutionen, mit denen sich die Mikrokonomie auseinandersetzt, sind Wirtschaftseinheiten und Markt. Wirtschaftseinheiten bilden die Grundelemente einer Volkswirtschaft. Sie knnen private Haushalte, Unternehmen und der Staat sein. Entsprechend dieser Unterscheidung besteht die Mikrokonomie aus der Theorie des Haushalts, der Unternehmenstheorie und der Markttheorie. Zentrales Thema der Mikrokonomie sind die Entscheidungen der Wirtschaftseinheiten und deren Koordination. Da die Entscheidungen der Wirtschaftseinheiten und die Ergebnisse der Koordination dieser Entscheidungen abhngig sind von den Entscheidungsspielrumen der Wirtschaftseinheiten und diese wiederum abhngig sind von der realisierten Wirtschaftsordnung, bildet die Wirtschaftsordnung ebenfalls einen Gegenstand mikrokonomischer Betrachtungen. Dieser Gegenstand wird mit Wirtschaftssystemtheorien zu erfassen versucht. Im Extremfall der Ordnung einer totalen Zentralverwaltungswirtschaft ist den privaten Wirtschaftseinheiten jede Entscheidungskompetenz genommen. Der einzige Entscheidungstrger ist eine Zentralinstanz. In der Ordnung einer Marktwirtschaft haben die privaten Wirtschaftseinheiten grundstzlich Entscheidungsfreiheit. Sie sind allerdings eingeschrnkt durch die Normen des Rechts, der Moral und auch der Tradition. Die Volkswirtschaftslehre unterscheidet drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden und Kapital. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung entscheiden private Haushalte ber die Bereitstellung ihrer Arbeitskraft, und soweit sie ber Eigentum an Boden und Kapital verfgen, auch ber die Bereitstellung dieser Produktionsfaktoren. Wenn private Haushalte den Unternehmen Arbeitskraft zur Verfgung stellen, erhalten sie einen Lohn fr ihre Ttigkeiten. Dieses Einkommen kann fr Konsumzwecke, fr Produktionszwecke oder Sparzwecke verwendet werden. Damit sind schon smtliche Verwendungsmglichkeiten, die Gter besitzen, benannt, wenn man einmal von ihrer Vernichtung absieht. Die Aktivitten der privaten Haushalte werden von der konomischen Theorie auf die Mglichkeiten des Konsums und des Sparens reduziert. Soweit Haushalte produzieren, geschieht dies aus theoretischer Sicht fr den eigenen Bedarf, nicht fr einen fremden Bedarf.

57

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Die Unternehmen entscheiden ber die Beschaffung der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital, die Kombination der Produktionsfaktoren im Produktionsprozess und ber die Bereitstellung der Gter. Der Staat entscheidet ber das Angebot von Gtern, die Unternehmen nicht anbieten sollen oder nicht anbieten knnen, und trgt mit seinen wirtschaftspolitischen Entscheidungen mit zur Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung bei. Die Koordinationsinstanz Markt oder ein zentraler Plan legt fest, welche Gter in welchen Mengen mit welchen Produktionsfaktoren und -verfahren hergestellt werden und wie die hergestellten Produkte auf die Wirtschaftseinheiten zu verteilen sind. Die Erklrung der dezentral bzw. zentral geplanten Koordination der Einzelentscheidungen ist das Hauptanliegen der mikrokonomischen Theorie. Soweit eine ausschlieliche Konzentration auf Marktkoordination stattfindet, reflektiert die Mikrokonomie die Mglichkeit, dass die Koordinationsergebnisse in mehrfacher Hinsicht mit Mngeln behaftet sein knnen. Es besteht die Mglichkeit, dass von manchen Gtern, z.B. umweltschdigenden Gtern, zu viel, von anderen Gtern zu wenig produziert wird, dass Produktionsfaktoren unterbeschftigt sind (z.B. unfreiwillige Arbeitslosigkeit) oder die Einkommensverteilung (Lohn- und Zinszahlungen sowie Bodenrenten) als ungerecht empfunden wird, da manche Wirtschaftseinheiten sich nur wenige der produzierten Gter kaufen knnen. Auch eine als mangelhaft angesehene Koordination der Einzelentscheidungen untersucht die mikrokonomische Theorie. Darber hinaus beschftigt sie sich mit der Frage, wie sich durch Vernderung der einzelwirtschaftlichen Entscheidungsspielrume innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung die Ergebnisse der Koordination ndern knnen, vor allem, wie sich durch staatliche nderung rechtlicher Normen der Wirtschaftsordnung, also durch Ordnungspolitik, Mngel beseitigen oder reduzieren lassen. Im Gegensatz zur Mikrokonomie beschftigt sich die Makrokonomie nicht mit der Vielzahl der Entscheidungen einzelner Wirtschaftseinheiten. Vielmehr fasst sie die Wirtschaftseinheiten zu Sektoren zusammen und betrachtet Gesamtentscheidungen der Wirtschaftssektoren. Diese Sektoren sind: private Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland. Der Sektor Haushalt entscheidet ber die gesamten Konsumausgaben der Volkswirtschaft, der Sektor Unternehmen ber die gesamte Produktion und die gesamten Investitionen der Volkswirtschaft. Diese Gesamtentscheidungen, ihr Zusammenwirken und ihre Koordination untersucht die Makrokonomie. Sie erklrt die Entstehung und Verwendung des produzierten Sozialprodukts einer Volkswirtschaft, die Entwicklung von Beschftigung und Inflation. Sie befasst sich weiter mit der Theorie des Wirtschaftskreislaufs, der Geldtheorie, der Konjunktur- und Wachstumstheorie und der Auenwirtschaftstheorie. Sind die Ergebnisse der makrokonomisch untersuchten Koordination mit Mngeln behaftet, so kann durch staatliche Prozesspolitik versucht werden, die Koordination zu verbessern. Dies geschieht z.B. durch zustzli-

58

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

che Staatsausgaben, deren Ziel es ist, das Sozialprodukt und die Beschftigung zu steigern. Auch dieses Phnomen wird von der Makrokonomie thematisiert. Der Unterschied zwischen Mikro- und Makrokonomik ist methodischer Art: Ausgangspunkt der Mikrokonomie sind mikrokonomische Wirtschaftseinheiten. Die Makrokonomie startet mit der Bildung makrokonomischer Sektoren. Die Mikrokonomie macht Aussagen ber die wirtschaftspolitische Gestaltung der Wirtschaftsordnung, die die Entscheidungsrume der Einzelwirtschaften bestimmt. Sie liefert somit die Grundlagen fr ordnungspolitische Entscheidungen. Die Makrokonomie macht Aussagen ber wirtschaftspolitische Eingriffe in den Wirtschaftsablauf, der die Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Gren beeinflusst. Sie liefert somit die Grundlagen fr prozesspolitische Entscheidungen. Die Theorie der Wirschftspolitik bernimmt die vorgenommene Unterscheidung von Ordnungs- und Prozesspolitik. Dieser Unterscheidung ist die Unterscheidung von wirtschaftspolitischen Zielen und wirtschaftspolitischen Mitteln (Instrumenten) bergeordnet. Die Theorie der Wirtschaftspolitik erklrt mithilfe von Modellen, wie quantifizierte Zielvorgaben durch den Einsatz staatlicher Instrumente erreicht werden knnen. Fr Marktwirtschaften werden als Zielvorgaben Preisniveaustabilitt, Vollbeschftigung, angemessenes Wirtschaftswachstum, Zahlungsbilanzgleichgewicht, kologische, einkommens- und sozialpolitische Ziele genannt. Als staatliche Instrumente werden Variablen untersucht, die der Staat kontrollieren kann und die Einfluss auf die Zielgren haben. Das knnen direkte Kontrollvariablen sein wie Mengenbeschrnkungen und Preisfestlegungen oder indirekte Kontrollvariablen wie z.B. Geldmenge oder Staatsausgaben. In einem konomischen Modell spezifiziert die Theorie der Wirtschaftspolitik die Beziehungen zwischen wirtschaftspolitischen Ziel- und Instrumentvariablen und kann so z.B. zu Aussagen darber gelangen, wie das Ziel einer bestimmten Beschftigungshhe durch eine bestimmte Hhe der Staatsausgaben erreicht werden kann. In Marktwirtschaften ist die Wirtschaftspolitik aufgerufen einzugreifen, wenn Marktversagen133 vorliegt. Die Theorie der Wirtschaftspolitik erforscht Mngel der Marktkoordination in den Bereichen: Allokation (Verteilung knapper Gter auf alternative Verwendungsrichtungen), Distribution (Verteilung der Ergebnisse des Wirtschaftens auf die Wirtschaftseinheiten, z.B. Einkommensverteilung), Stabilisierung, Konjunktur und Wachstum. Die Entwicklung einer Theorie des Marktversagens reicht allerdings nicht aus. Darber hinaus hat sich die Theorie der Wirtschaftspolitik mit Staatsversagen zu beschftigen. Auf der Basis einer Theorie des Markt- und Staatsversagens sind dann im Rahmen einer Theorie der Wirtschaftspolitik Vorschlge fr die Ausgestaltung der Geld-, Finanz-, Einkommens-, Verteilungs-, Konjunktur-, Wachstums-, Beschftigungspolitik etc. zu entwickeln.

133 Von der Wohlfahrtstheorie wird Marktversagen mit externen Effekten, von der Neuen

Institutionenkonomik mit der Existenz kollektiver Gter und von der Spieltheorie mit dem Gefangenendilemma begrndet.

59

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Der Entwicklung einer Wirtschaftstheorie und Theorie der Wirtschaftspolitik historisch vorgelagert ist die Beschftigung mit Fragen der Wirtschaftsethik. Sie wurden frhzeitig thematisiert, wie schon bei der Behandlung der vorwissenschaftlichen Strnge der Betriebswirtschaftslehre verdeutlicht wurde. Wirtschaften wurde zunchst unter den Aspekten von Gerechtigkeit, Moral und Theologie, also dem richtigen, guten und gottgeflligen Handeln betrachtet. Eine Theorie des wirtschaftlichen Handelns und eine Theorie der Wirtschaftspolitik hatten sich noch nicht herausgebildet. Ethik134, als Wissenschaft vom richtigen und guten menschlichen Handeln, von der richtigen und guten Praxis,135 eine Grunddisziplin der Philosophie, beschftigte sich auch mit der wirtschaftlichen Praxis. Ethik erscheint, abhngig davon, welche Bestimmungsgrnde menschlichen Handelns in den Vordergrund gestellt werden, u.a. als Vernunft-, Tugend-, Gesinnungs-, Verantwortungs- und Rahmenethik. Die unterschiedlichen Ethikkonzepte, auf die noch nher eingegangen wird, konkretisieren sich in lebensbereichsspezifische Ethiken (angewandte Ethiken). So bezieht sich die Wirtschaftsethik auf den Lebensbereich Wirtschaft. Wirtschaftsethik befasst sich mit Fragen der Moral, mit moralischen Normen und Werten im Bereich des praktischen Wirtschaftens. An Moral orientiertes wirtschaftliches Handeln benutzt die Unterscheidung, gut/schlecht bzw. gut/bse. Moral bringt menschliche Achtung oder Missachtung zum Ausdruck. Die theoretische Reflexion moralischen Handelns leistet die Ethik. Ethik kann als eine Reflexionstheorie der Moral aufgefasst werden.136 Nach diesem Verstndnis ist Wirtschaftsethik eine Theorie der wirtschaftlichen Moral. Wirtschaftsethische Fragen werden auf drei Ebenen des Wirtschaftens diskutiert. Man unterscheidet eine Wirtschaftsethik der Mikro-Ebene, der Meso-Ebene und der MakroEbene.137 Wirtschaftsethik der Mikro-Ebene befasst sich mit dem ethisch zu luternden wirtschaftenden Einzelmenschen (Unternehmer, Manager, Arbeitnehmer und andere Personen, wie Konsumenten usw.). Sie ist als Individualethik konzipiert. Wirtschaftsethik der Meso-Ebene setzt sich mit der Ethik kollektiven wirtschaftlichen Handelns, z.B. von Unternehmen, auseinander und erscheint hier als Unternehmensethik. Wirtschaftsethik der Makro-Ebene nimmt die Ethik der Wirtschaftsordnung des Wirtschaftssystems in den Blick. Sie wird als Rahmenethik bezeichnet, da sie sich auf die Rahmenbedingungen des kollektiven wie des individuellen Wirtschaftens konzentriert. Whrend bis Anfang der 1970er Jahre in wirtschaftswissenschaftlichen Verffentlichungen eine gewisse Abstinenz bezglich wirtschaftsethischer Fragen zu beobachten
134 Vom griechischen Wort ethos leitet sich der Begriff Ethik ab. Ethos wird in der Bedeutung

gewohnter Ort des Wohnens oder auch im Sinne von Charakter, Sinnesart, Brauch, Sitte, Gewohnheit benutzt. 135 Das griechische Wort praxis ist gleichbedeutend mit menschlichem Handeln. 136 Vgl. zu dieser Begriffsverwendung, Luhmann (1993b) S. 358-447, insbesondere S. 359 und S. 361. 137 Diese Unterscheidung geht auf Georges Enderle zurck, vgl. Enderle (1988) 55 ff.; Enderle (1993) 17 ff.

60

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

war, die, soweit es die deutsche Betriebswirtschaftslehre betrifft, u.a. auf Erfahrungen zwischen 1933 und 1945 zurckgefhrt wurde,138 nderte sich dies Mitte der 1970er Jahre, und seit den 1990er Jahren ist ein regelrechter Wirtschaftsethik-Boom zu verzeichnen. Es geht um die theoretische Reflexion der Bewertung wirtschaftlicher Handlungen unter Rckgriff auf bergeordnete Werte. Dabei wird der Wirtschaftsethik eine hnliche Stellung eingerumt wie der Theorie des Rechts. Moralische und rechtliche Regeln werden als Instrumente betrachtet, die in der Lage sind, der Wirtschaft Zgel anzulegen, sie in Schranken zu weisen oder Lcken zu fllen, die eine Marktkoordination und -motivation wirtschaftlicher Handlungen hinterlsst. In den Verffentlichungen zur Wirtschaftsethik wird auf umfassende Vorstellungen ber Ethik verwiesen, wie sie in der katholischen und protestantischen Soziallehre139 oder in sozialistischen und kapitalistischen Ethiklehren zu finden sind. Versuche, Ethik und Wirtschaft miteinander zu verbinden, werden allerdings kontrovers diskutiert. Niklas Luhmann z.B. lehnt eine solche Verbindung schlichtweg ab. Es gibt Wirtschaft, es gibt Ethik aber es gibt keine Wirtschaftsethik, so Originalton Luhmann.140 Fr Luhmann existiert nicht nur keine Wirtschaftsethik, sondern nach seiner darber hinausgehenden Einschtzung gibt es keine wissenschaftliche Ethik.141 Nach Luhmann hat die funktionale Differenzierung der Gesellschaft eigenstndige Funktionssysteme hervorgebracht, die sich an je spezifischen Leitunterscheidungen orientieren. Fr die Wirtschaft ist dies die Unterscheidung Haben/Nichthaben bzw. Zahlen/Nichtzahlen. An diesen Gesichtspunkten und nicht an dem moralischen Schema von Gut und Bse orientiert sich wirtschaftliches Handeln in der modernen Gesellschaft. In einer Gesellschaft, die durch multifunktionale Einrichtungen (der oikos ist eine derartige Einheit) ausgezeichnet ist, die in lokalen Gemeinschaften (Dorf, Stadt, Kloster) eingebettet sind, hat der einzelne Mensch seinen festen Platz in der Gesellschaft. [D]ie Restregulierung der Inklusion [des Individuums in die Gemeinschaft kann M.B.] der Moral berlassen bleiben, die dann nur noch zu bestimmen hat, wem nach Magabe seiner Herkunft und seines Verhaltens Achtung geschuldet ist
138 Eine Wurzel fr die Distanz zur Ethik drfte in den Erfahrungen zwischen 1933 und 1945

liegen, als sich insbesondere Anhnger einer ethisch-normativen Betrachtungsweise wie Heinrich Nicklisch von der nationalsozialistischen Ideologie einnehmen lieen. Kpper/Schreck (2008) S. 73. 139 Zur katholischen Soziallehre vgl. Nell-Breuning (1985). Nell-Breuning (1890-1991) begrndet mit seiner christlichen Ethik drei Ordnungsprinzipien der Gesellschaft: Das Prinzip der Personalitt, wonach jedes Mitglied einer Gemeinschaft mit unaufhebbaren Rechten ausgestattet ist, das Prinzip der Solidaritt, wonach sich Einzel- und Gemeinwohl wechselseitig bedingen, und das Prinzip der Subsidiaritt, wonach die kleineren Sozialgebilde eigenstndig und eigenverantwortlich ihre Probleme lsen und erst wenn dies nicht gelingt, grere soziale Einheiten in Anspruch genommen werden. Zur evangelisch orientierten Soziallehre vgl., Rich (1984/1990). Zur Analyse der Wirtschaftsethik der Weltreligionen Max Webers und seiner Protestantismusthese, die den Zusammenhang zwischen protestantischer Ethik und der konomischen Rationalitt, dem Geist des Kapitalismus, veranschaulicht, Vgl. Weber, M. (1988) insbesondere S. 175 f. 140 Wirtschaftsethik muss geheim halten, da sie garnicht existiert. Luhmann (1993c) S. 134. 141 Vgl. Krll (1987) S. 7.

61

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

und welches Verhalten Miachtung auf sich zieht.142 In Gesellschaften, deren Subsysteme auf bestimmte Funktionen spezialisiert sind, deren Einheiten monofunktional ausgerichtet sind, ist das anders. Hier muss sichergestellt sein, dass die Individuen mglichst freien Zugang zu allen Funktionssystemen der Gesellschaft haben. Keines der Funktionssysteme darf ausfallen, denn [d]as Funktionieren der Funktionssysteme wird im weitlufigsten Sinne zur Lebensbedingung fr jeden und die Inklusionsfunktion der Moral luft gewissermaen leer.143 Luhmann konstatiert eine Entmoralisierung der wichtigsten Funktionssysteme der modernen Gesellschaft und damit auch der Wirtschaft als eines dieser Subsysteme.144 Er schickt darber hinaus eine Warnung an alle Ethik-Fans, denn ihre guten Absichten knnen schlimme Folgen haben, nmlich eine Ablenkung von allen ersthaften Versuchen, die moderne Gesellschaft und in ihr das Funktionssystem Wirtschaft zu begreifen.145 Andere Stimmen behaupten, Wirtschaftsethik sei mglich und unbedingt notwendig, um mit ihren Erkenntnissen moralisches Wirtschaften zu begrnden und Vorschlge zur Korrektur von Auswchsen des Wirtschaftens zu entwickeln. An Themen, die sich auf problematisches Wirtschaften beziehen, fehlt es nicht. Einige seien unsystematisch zusammengestellt: enorme Unterschiede zwischen Industrielndern und Entwicklungslndern, Migration und Integrationsprobleme der Migranten, Hunger und Tod von Hundertausenden, obwohl die Wirtschaft an anderen Orten berproduktion landwirtschaftlicher Produkte zulsst, zunehmende Diskrepanz zwischen Arm und Reich auch in den Industrielndern, Kinderarbeit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsbedingungen, die die Menschrechte missachten, Menschenhandel, Spekulationen der Finanzwirtschaft, die die Realwirtschaft gefhrden, die Unfhigkeit der Politik, dem Einhalt zu gebieten, beraus bedenkliche kologische Konsequenzen von moderner Technik und Wirtschaft bis hin zur Zerstrung der natrlichen Lebensgrundlagen des Menschen, Einsatz kologisch bedenklicher Produktionsverfahren und Produktion krankmachender Produkte, Unternehmens- und Managementskandale, Korruption, Diskriminierung, militrisch-industrielle Interessen, die zur Lieferung von Rstungsgtern in Krisengebiete fhren und die Kriegsgefahr frdern und moderne Kriegsfhrung ermglichen, Ausbeutung noch nicht geborener zuknftiger Menschengenerationen durch berschuldung der Staatshaushalte, weltweiter Terrorismus, global agierende organisierte Wirtschaftskriminalitt, Bilanzmanipulationen, Steuerbetrug, gesellschaftlich nicht gebilligte, hohe Vorstandsvergtungen auf der einen und niedrige Lhne auf der anderen Seite, von denen ihre Bezieher nicht leben knnen,

142 143 144 145

Luhmann (1993b) S. 378. Luhmann (1993b) S. 378. Vgl. Luhmann (2004) S. 92 f. Luhmann (1993c) S. 142.

62

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

Energieverschwendung usw. Die Liste ungelster Probleme liee sich beliebig erweitern. 146 Die aufgefhrten Krisenerscheinungen werden mit dem Wirtschaften in Zusammenhang gebracht. Die kritische ffentlichkeit prangert Wirtschaft und Politik an. Insbesondere die multinational agierenden Grounternehmen der Finanz- und Realwirtschaft mit ihrer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmenspolitik und der Profitgier ihres Managements werden aufs Korn genommen, genau wie die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die Machtlosigkeit der Politik gegenber wirtschaftlichen Interessen der Grokonzerne. All diese Hinterlassenschaften des Wirtschaftens werden fr die Missstnde in der Gesellschaft verantwortlich gemacht. Auf die moralischen Schuldzuweisungen reagieren die Unternehmen mit business ethics. Die Wirtschaftswissenschaft leistet ihren Beitrag, indem sie sich mit Wirtschafts- und Unternehmensethik befasst. Diejenigen Wirtschaftswissenschaftler, die das Wirtschaften mit Ethik bzw. Ethik mit Wirtschaft verbinden, unterscheiden sich insofern, als sie auf unterschiedliche Mglichkeiten hinweisen, Moral ins Wirtschaften zu integrieren. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre moralischen Reflexionen von einer modernen Gesellschaft ausgehen, die sich funktional in spezialisierte, relativ autonome Subsysteme differenziert hat, und dass dem institutionellen Rahmen, in dem gewirtschaftet wird, grundlegende Bedeutung fr die Wirtschaftsethik zugestanden wird. Die zuletzt genannte Gemeinsamkeit drckt sich in einer Rezeption von Grundgedanken der Neuen Institutionenkonomik147 aus. Bei der Entwicklung einer Wirtschaftsethik beziehen sich ihre Vertreter auf grundlegende Ethikentwrfe, von denen eine Auswahl kurz vorgestellt werden soll. Es gibt Wirtschaftsethiker, die Gesinnungsethik von Verantwortungsethik unterscheiden und damit auf eine von Max Weber eingefhrte Differenzierung der Ethik zurckgreifen.148 Entsprechend der Gesinnungsethik wird eine Handlung an und fr sich, unabhngig von den Folgen, die diese Handlung bewirkt, und unabhngig von den situativen Bedingungen, unter denen gehandelt wird, als gut oder schlecht eingestuft. Verantwortungsethik richtet dagegen den Blick auf voraussehbare Handlungsfolgen, die eine Handlung fr den Handelnden selbst und fr andere hat. Hiernach ist eine Handlung ethisch verantwortbar, wenn sie sich an den als gut oder schlecht bewerteten Handlungsfolgen ausrichtet.149 Die berwiegende Mehrzahl vorliegender Wirtschafts-

146 Luhmann provoziert, indem er fragt: Wo ist die Ethik, die darauf antworten knnte? Oder

wird etwa Ethik gerade deshalb als Medizin verschrieben, weil sie zwar nicht heilt, aber den Juckreiz der Probleme verringert? Luhmann (1993c) S. 139. 147 Zur Neuen Institutionenkonomik vgl. Kapitel 9. 148 Vgl. Weber, M. (1968) S. 174 f. 149 Max Weber selbst hat Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht als absolute Gegenstze gesehen, sondern als Ergnzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen". Weber, M. (1968) S. 184.

63

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

ethiken bezieht die Handlungsfolgen in ihre Betrachtungen mit ein und basiert insoweit auf verantwortungsethischen Vorstellungen. Eine Verwandtschaft zur Gesinnungsethik weist die deontologische Ethik (griech. to deon: das Erforderliche, das Sein-Sollende, die Pflicht) auf. Sie wird auch Pflichtenethik genannt. Genau wie die Gesinnungsethik qualifiziert die Pflichtenethik bestimmte Handlungsweisen unabhngig von den Handlungsfolgen als gut oder schlecht. Der von Kant postulierte kategorische Imperativ,150 prsentiert eine Pflichtenethik. Nur jene Handlungen sind hiernach gut, die aus einer verallgemeinerbaren Handlungsregel abgeleitet werden knnen, auch wenn die normierten Handlungen mit negativen Konsequenzen verbunden sind. Alle Handlungen, die nicht mit einer ethisch begrndbaren Handlungsnorm korrespondieren, sind schlecht, moralisch zu verurteilen. Vernunftethik verweist ebenfalls auf Kant. Sie bezieht sich ausschlielich auf die praktische Vernunft und lehnt eine auerhalb der Vernunft liegende Quelle als Ursprung sittlicher Gesetze ab. Mit vernnftigem Denken sind moralische Regeln wie der kategorische Imperativ zu begrnden, nicht mit Verweis z.B. auf auerweltliche Autoritten oder Traditionen. Alles, was vernnftig ist, ist entsprechend der Vernunftethik ethisch gerechtfertigt. Wirtschaftsethiken prsentieren sich in unterschiedlicher Ausprgung als Vernunftethiken. Tugendethiken heben die Relevanz menschlicher Tugenden fr ein gutes menschliches Handeln hervor. Die nikomachische Ethik des Aristoteles151 ist ein frhes Beispiel einer Tugendethik. Aristoteles betont, dass der tugendhaft Handelnde die jeweilige Lage, die ueren Umstnde, unter denen er handelt, zu bercksichtigen hat. Gut handelt, wer tugendhaft handelt. Aristoteles unterscheidet verstandesmige und ethische Tugenden. Tugenden entstehen im Menschen durch Erziehung (verstandesmig) oder Gewohnheit (ethisch), indem sie ausgebt werden. Zu den verstandesmigen Tugenden zhlt Aristoteles die Weisheit, Auffassungsgabe und Klugheit, zu den ethischen Tugenden Grozgigkeit und Besonnenheit. Tugenden werden durch den Sachverstand bestimmt, der sie als Mittelwert zwischen den Extremen berma und Mangel festlegt. Bei Furcht und Mut ist die Tapferkeit die Mitte. Bei Lust und Schmerz [] ist die Besonnenheit die Mitte. Bei Geben und Nehmen von Geld ist die Mitte die Grozgigkeit. Es gibt allerdings auch Handlungen und Leidenschaften, die keinen Raum fr eine Mitte lassen und per se als schlecht, nicht tugendhaft einzustufen sind. Aristoteles nennt als Beispiele Schadenfreude, Schamlosigkeit, Neid, Ungerechtigkeit, Feigheit und Zgellosigkeit, und bezogen auf Handlungen Ehebruch, Diebstahl und Mord. Derjenige, der tugendhaft handelt, erhlt als Lohn die Ehre. Denn die Ehre ist der Siegespreis der Tugend und

150 Kant formuliert: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, 151 Vgl. Aristoteles (2006). Die folgenden Ausfhrungen im Haupttext beziehen sich auf Aristote-

da sie ein allgemeines Gesetz werde! les (2006) S. 130-141.

64

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

wird nur den Guten zuerkannt.152 Das Endziel allen Handelns ist die Glckseligkeit. Sie erlangt, wer tugendgem handelt. Das in der Wirtschaft bekannte Leitbild des ehrbaren Kaufmanns beruht auf der Tugendethik. Auch die von Peter Koslowski vorgelegte Wirtschaftsethik153 beinhaltet eine Tugendlehre. Nach Auffassung Koslowskis hat Ethik dazu beizutragen, die ausdifferenzierten relativ autonomen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft, die zu Widersprchen fhren, zu reintegrieren.154 Diese Integration soll eine postmoderne Kulturgesellschaft leisten, die mit einer umfassenden sozialphilosophischen Theorie zu beschreiben ist. In einer so konzipierten Theorie der Gesellschaft sind die Theorie der Wirtschaft und der Politik sowie eine Theorie der sozialen Institutionen und eine Theorie der sozialen Genese und normativen Rechtfertigung der Prferenzbildung unter Rckgriff auf Erkenntnisse der Sozialpsychologie und Ethik einzubetten.155 Mit diesem Vorgehen glaubt Koslowski, die Basis fr eine postmoderne Ethische konomie zu schaffen, die die wechselseitige Durchdringung der Subsysteme der Gesellschaft bercksichtigt. Eine so verstandene Wirtschaftsethik steht nach Auffassung von Koslowski nicht im Gegensatz zur konomischen Theorie, sondern sie nimmt die konomische Theorie in sich auf und fragt, ob in der konomischen Theorie alle Aspekte der Wirklichkeit zu ihrem Recht kommen.156. Wirtschaftsethik bernimmt derart die Funktion, Wirtschaften zu begutachten, zu korrigieren und wenn ntig zu begrenzen. Darber hinaus begngt sie sich nicht damit, formale Prinzipien aufzustellen, sondern es geht ihr um die Rechtfertigung inhaltlich-materieller Prferenzen (Ziele). Wirtschaftsethik wird damit zur Wertethik. Als Letztbegrndung fr die postmoderne Gesellschaft und als oberste Integrationsinstanz, die die Einheit der Gesellschaft sicherstellt, whlt Koslowski die Religion. Wirtschaftsethik soll beim Auftreten von Markt- und Politikversagen korrigierend eingreifen. Und wenn Wirtschaftsethik versagt, greift die Ethische konomie auf die Religion zurck, die Ethikversagen heilen soll.157

152 Aristoteles (2006) S. 188. 153 Vgl. Koslowski (1986), Koslowski (1988), Koslowski (1994). 154 Vgl. Koslowski (1994) S. 132 ff. Ein grundlegender Widerspruch, der mit dem Prozess der

Ausdifferenzierung der Wirtschaft als autonomes Teilsystem der Gesellschaft, das nach eigenen Gesetzen funktioniert, verbunden ist, ist der Widerspruch zwischen Freiheit und Entfremdung, vgl. Koslowski (1986) S. 13. Koslowski verweist in diesem Zusammenhang auf die Analyse der modernen Gesellschaft von Karl Marx. Er hatte auf die enorme Wirtschaftskraft einer kapitalistischen Wirtschaftsform und die Zerstrung feudaler Verhltnisse hingewiesen und verdeutlicht, dass diese Phnomene Freiheit ermglichen. Zugleich sah Marx die andere Seite des Kapitalismus, nmlich die mit kapitalistischem Wirtschaften verbundene Entfremdung und Entmenschlichung. In einer kommunistischen Gesellschaft, so nahm Marx an, knne diese Ambivalenz berwunden werden, vgl. Marx (1977c) S. 464 f. 155 Koslowski (1986) S. 71. 156 Koslowski (1986) S. 15. 157 Vgl. Koslowski (1994) S. 132 ff.

65

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Die Argumentation von Koslowski greift auf Erkenntnisse der Transaktionskostentheorie zurck158 und ist wie folgt aufgebaut: Marktversagen begrndet Transaktionskosten (Such-, Verhandlungs-, Vertragsabschluss-, Vertragsdurchsetzungskosten usw.). Das Einhalten moralischer Regeln (z.B. Vertragstreue) fhrt zu einem Sinken der Transaktionskosten. Insofern sind Investitionen in regelkonformes Verhalten der Marktteilnehmer sinnvoll. Eine solche Investition ist die Entwicklung bestimmter Tugenden der Wirtschaftenden, die eine moralische individuelle Vorkoordination wirtschaftlicher Handlungen sicherstellen. Hierdurch soll die Einnahme einer Trittbrettfahrer-Position159 des Einzelnen unattraktiv gemacht werden und derart ein Beitrag zur Behebung des Versagens der gesellschaftlichen Funktionssysteme geleistet werden. Da dies in der wirklichen Welt wiederum nur unvollkommen gelingt, ist mit Ethikversagen zu rechnen. Die als empirisches Phnomen immer auftretende Unsicherheit darber, ob die Einzelnen sich ethisch verhalten, soll durch den Glauben an den Sinn von sittlichem Verhalten berwunden werden. Dies soll die Religion leisten. Von den bisher besprochenen Ethik-Vorstellungen ist eine teleologische Ethik (vom griech. telos, das Ziel der Zweck) zu unterscheiden. Hiernach sind Ziele und deren Realisierung bzw. Maximierung der Mastab der Beurteilung von Handlungen. Das knnen auch auersittliche Ziele sein, wie materielle, sthetische oder sonstige Ziele. Damit ist sowohl die Ebene der Handlungsmotive (Prferenzen) als auch die Ebene der Handlungsfolgen angesprochen. Adam Smith hatte mit seiner Theorie der ethischen Gefhle 1795 auf Sympathie gesetzt. Moralisch gut handelt hiernach der Mensch, wenn er sich in die Gefhlslagen seiner Mitmenschen versetzt, Mitgefhl mit anderen Menschen entwickelt und dieses Mitgefhl zum Motiv seiner Handlungen macht.160 Wenn es ums Wirtschaften geht, will sich Smith nachtrglich (1776) nicht mehr auf ethische Gefhle, Menschenliebe und Wohlwollen verlassen. In seinem Werk Wohlstand der Nationen analysiert er Arbeitsteilung, Spezialisierung und Mglichkeiten der Koordination und Motivation der spezialisierten, arbeitsteiligen Ttigkeiten. Wohlstand fr alle ist fr Adam Smith das moralisch anzustrebende Resultat des Wirtschaftens. Er ermglicht Glck und Wohlbefinden und verhindert Armut. Bei zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisierung ist das Gesamtergebnis des Wirtschaftens nicht mehr durch eine Zentralinstanz zu verordnen und zu kontrollieren, und kein einzelnes oder kollektives Wirtschaftssubjekt, z.B. ein Unternehmen, kann es alleine erwirtschaften. Es ist vielmehr das ungeplante Resultat der Aktivitten der Einzelwirtschaften, denn das Ergebnis ihres einzelwirtschaftlichen (geplanten) Handelns ist nicht allein von ihren eigenen Aktivitten, sondern auch von den Aktivitten der anderen Wirtschaftseinheiten abhngig. Mit voranschreitender Differenzierung der Wirtschaft reicht das moralische Wohlwollen oder die Liebe zu seinem Mit158 Vgl. statt anderer Textstellen Koslowski (1986) S. 54. Die Transaktionskostentheorie wird in 159 Vgl. zum Phnomen des Trittbrettfahrens die Ausfhrungen in Abschnitt 6.2.4. 160 Vgl. Smith (2004).

Abschnitt 9.5 behandelt.

66

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

menschen nicht mehr aus, um die Wirtschaft in Richtung Wohlstand zu steuern. Die Menschen, die ihre Arbeitsprodukte austauschen, kennen sich gar nicht mehr persnlich und knnen insofern derartige Gefhle gar nicht entwickeln. Daher kann der Austausch der Waren auch nicht mehr allein persnlichen Beziehungen berlassen werden. Eine derartige Koordination wirtschaftlicher Aktivitten wrde die Vorteile der Arbeitsteilung (Wohlstandsmehrung) zunichtemachen. Entsprechend dieser Erkenntnis errichtet Adam Smith seine Wirtschaftstheorie auf der Annahme, dass Menschen aus Eigenliebe ihre eigene Interessen verfolgen. Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwhnen nicht die eigenen Bedrfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.161 Zu der Hypothese einer eigeninteressierten Handlungsorientierung tritt bei Adam Smith die Annahme eines Regelwerks hinzu, das sicherstellt, dass sich jeder seine eigenen Ziele selber setzt und sie verfolgen kann.162 Ein solches Regelwerk stellen fr Smith der Markt und der Wettbewerb zur Verfgung. Sie erlauben es nicht nur, individuelle Ziele eigenntzig anzustreben, sondern regeln gleichzeitig den friedlichen Ausgleich der individuellen Interessen in Richtung Wohlstandsmehrung fr alle. Insofern erhlt das eigeninteressierte Handeln eine positive moralische Qualitt, weil durch eine eigeninteressierte Handlungsorientierung, unter der Bedingung einer funktionierenden Marktwirtschaft, das Gemeinwohl besser zu frdern ist, als durch moralische Appelle Menschenliebe zu leben oder sich gesellschaftlich ntzlich zu verhalten. Hiermit ist die Ethik des Utilitarismus (vom lat. utilitas, der Nutzen) angesprochen, die man auch als konsequentialistische Ethik bezeichnet.163 Wenn Handlungskonsequenzen ntzlich sind und durch sie der Wohlstand aller vermehrt wird, ist Handeln moralisch legitimiert. Diese Legitimation ist nicht mehr abhngig von den guten Handlungsmotiven der Handelnden, sondern sie ist ausschlielich mit den Handlungsfolgen im Sinne des Gesamtergebnisses aller Handlungen zu begrnden. Die Handlungsfolgen wiederum werden im Wesentlichen von der Wirtschaftsordnung bestimmt. Sie ist letztlich der theoretische Ort, an dem Wirtschaftsethik Moral zu verankern hat. Auf die von Adam Smith entwickelten Grundgedanken baut das WirtschaftsethikKonzept von Karl Homann auf.164 Seine Wirtschaftsethik wird auch als Ordnungsoder Rahmenethik bezeichnet. Homann wendet das konomische Kalkl nicht lediglich auf Gter an, sondern fordert, alle zentralen Gegenstnde der Ethik, wie Freundschaft und Liebe, Gerechtigkeit, Tugend, Glckseligkeit, Recht und Moral usw. der komischen Kalkulation zu unterziehen.165 Fr ihn gilt: konomik ist

161 Vgl. Smith (1978) S. 17. 162 Sich seine Ziele selber setzen zu knnen, das ist fr Kant Freiheit. 163 Auf die Problematik der Bezeichnung teleologische Ethik und den Begriff der konsequentia164 Homann/Blome-Drees (1992) S. 20 ff. 165 Vgl. Homann (2007) S. 7.

listischen Ethik sei an dieser Stelle lediglich hingewiesen.

67

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Ethik mit anderen Mitteln.166 Aus diesem Grund bezeichnet man Homanns Wirtschaftsethik auch als konomische Ethik. Hiernach setzen sich Moralvorstellungen nur durch, wenn sie konomisch produktiv sind oder produktiv gemacht werden knnen. Normative Ordnungen mssen im Wettbewerb den konomischen Anforderungen gengen. Sie haben nur dann Bestand, wenn sie nicht gegen die Funktionsgesetze der modernen Marktwirtschaft gerichtet sind. Moral wird nicht mehr als ein von auen gegebenes Datum behandelt, sondern in die konomie endogenisiert. Sie wird dem konomischen Kalkl unterworfen. Eine Moral, die systematisch nicht vorteilhaft ist, hat im Wettbewerb keine Chance, oder umgekehrt: Bei einer Moral, die Vorteile in diesem weiten Sinn bringt, steigen die Chancen der Implementierung.167 Homann will die Ethik zweistufig aufgebaut wissen, als Handlungsethik und, diese begrndend, als Ordnungsethik.168 Auf der Ebene der Wirtschaftsordnung (des Bedingungskomplexes fr wirtschaftliches Handeln) und nicht auf der Handlungs- und Motivebene ist nach Homann Moral zu platzieren. Moralische Probleme der Wirtschaft [sind in einer modernen Wettbewerbswirtschaft M.B.] systematisch kollektiver Natur und knnen demzufolge nicht vom Einzelnen, sondern nur kollektiv gelst werden. Aus dem Gefangenendilemma kann sich der Einzelne nicht allein befreien.169 Unter Rckgriff auf die Spielemetapher pldiert Homann: Die Effizienz in den Spielzgen, die Moral in den Spielregeln.170 Moralischen Missstnden kann daher nicht entgegengewirkt werden, indem man versucht, die Zielvorstellungen der Menschen auf moralisch einwandfreies Handeln zu orientieren, sondern ber eine Umgestaltung der Situation etwa durch Ordnungspolitik.171 Auf der von Habermas vorgeschlagenen Diskursethik basiert die unter dem Namen integrative Wirtschaftsethik bekannt gewordene Konzeption, die Peter Ulrich vorgelegt hat.172 Entsprechend der Diskursethik soll zwischen allen Betroffenen ein herrschaftsfreier Diskurs ber moralische Normen stattfinden, die Geltung beanspruchen bzw. bereits gltig sind. Unvoreingenommen und zwanglos tauschen die Kommunikationsteilnehmer ihre Sachargumente aus, betrachten Ergebnisse und Nebenfolgen, die sich voraussichtlich aus einer allgemeinen Befolgung [der Norm, M.B.] fr die Befriedigung der Interessen eines jeden ergeben, bis die Normen von allen zwanglos akzeptiert werden.173 Es wird so lange debattiert, bis eine zustimmungsfhige Antwort auf moralische Normfragen gefunden ist, bis Konsens ber die moralischen Normen, an denen sich auch wirtschaftliches Handeln zu orientieren hat, hergestellt
166 Homann (2007) S. 7. Ausfhrlich Homann (2002) S. 243-266. Homann (2006) S. 181-194. 167 Homann (2007) S. 8. 168 Homann (2007) S. 10. Grundlegend: Homann/Blome-Drees (1992). 169 Homann/Blome-Drees (1992) S. 35. Das Gefangenendilemma wird in Abschnitt 4.2.3 ausfhr170 171 172 173

Zu den im Haupttext wiedergegebenen Vorstellungen Homanns, vgl. Homann (2007) S. 5-11.

lich behandelt. Daher sei an dieser Stelle auf die dort angestellten berlegungen verwiesen. Homann/Blome-Drees (1992) S. 35. Homann (2007) S. 11. Ulrich, P. (1993), Ulrich, P. (1994) S. 75-107, Ulrich, P. (2001). Habermas (1991) S. 12.

68

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

ist. Da eine kommunikative Verstndigung unter vernnftigen Diskutanten angestrebt wird, stellt die Diskursethik eine Ausprgung der Vernunftethik dar. Wie dargestellt, baut die integrative Wirtschaftsethik Ulrichs auf der Diskursethik auf. Ulrich lehnt jeden konomismus, den er als wirkungsmchtigste Ideologie aller Zeiten bezeichnet, ab. Er fordert eine Wirtschaftsethik als Vernunftethik, die nach den normativen Bedingungen lebenspraktisch vernnftigen Wirtschaftens fragt174 und sich grundlagenkritisch mit den normativen Tiefenstrukturen des konomischen Denkens befasst.175 Die Zwei-Welten-Konzeption, die ethische Vernunft in der einen und konomische Rationalitt in der anderen Welt verortet, will Ulrich berwinden. Ethik soll die entfesselte und normativ enthemmte konomisierung aller Lebensbereiche, der ganzen Welt [] und sogar des Denkens176 zur Vernunft bringen. In dem Konflikt zwischen konomischer Rationalitt und normativer Logik der Zwischenmenschlichkeit177, durch den die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft ausgezeichnet ist, soll die Diskursethik eine Vermittlungsfunktion bernehmen. Dabei soll der Primat der Ethik vor der Logik des Marktes zur Geltung gebracht werden.178 Ulrich unterscheidet zwei Grundfragen lebensdienlichen Wirtschaftens die (teleologische) Sinnfrage und die (deontologische) Legitimationsfrage.179 Den elementaren Sinn des Wirtschaftens erkennt Ulrich zunchst in der Sicherung der menschlichen Lebensbedingungen und in einer entwickelten Gesellschaft in der Erweiterung der menschlichen Lebensflle. Lebensflle bedeutet nicht nur Gterflle. Die Legitimationsfrage ist eine Frage nach den Regeln gerechten Zusammenlebens der Menschen in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft, die immer durch soziale Konflikthaftigkeit ausgezeichnet ist. Es geht hier um die Frage, ob Marktfreiheit oder Brgerfreiheit die Idee der Freiheit aller besser realisiert. Ulrich argumentiert fr Brgerfreiheit. Nicht der freie Markt, sondern starke allgemeine Brgerrechte sind die Grundlage realer Freiheit fr alle, unabhngig von ihrer Kaufkraft und Wettbewerbsfhigkeit im Markt.180 Ulrich pldiert fr neue Wirtschaftsbrgerrechte. Sie sollen sicherstellen, dass alle Menschen durch eigene Leistung ihren Lebensunterhalt erwirtschaften knnen. Ulrich identifiziert drei systematische Orte, an denen die Moral des Wirtschaftens zu etablieren ist. Er nennt den einzelnen Wirtschaftsbrger, die staatliche Ordnungspoli174 175 176 177

Ulrich, P. (1994) S. 77 f. Ulrich, P. (2006) S. 297. Ulrich, P. (2006) S. 298. Ulrich, P. (2001) S. 23 ff. Bei der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit geht es nicht um eigeninteressiertes nutzenmaximierendes Handeln entsprechend der Marktlogik, sondern im Gegensatz hierzu um die Begrndung intersubjektiver Verbindlichkeiten unbedingter wechselseitigen Anerkennung der Personen als Wesen gleicher Wrde und entsprechend reziproker moralischer Rechte und Pflichten. Ulrich, P. (2006) S. 299. 178 Ulrich, P. (2006) S. 299. 179 Ulrich, P. (2006) S. 300 f., ausfhrlich Ulrich, P. (2001) S. 203 ff. 180 Ulrich, P. (2006) S. 300. Zum Folgenden, vgl. Ulrich, P. (2006) S. 301.

69

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

tik und die Unternehmen. Ulrich sieht zwar die Notwendigkeit, ber eine Institutionenethik den einzelnen Wirtschaftsbrger von Ansprchen an individuelles moralisches Verhalten zu entlasten. Anders als Homann aber, der die Moral einer modernen Wirtschaft (ausschlielich) in der Wirtschaftsordnung, in den Institutionen verankert wissen will, und auch anders als Koslowski, dessen Wirtschaftsethikkonzept letztlich in einer Tugendethik mndet, will Ulrich Individualethik und Institutionenethik wechselseitig miteinander verbinden. Wirtschaftsbrger (in ihren Rollen als Staatsbrger, Konsumenten, Kapitalgeber, Arbeitnehmer, Manager usw.) sollen nur solche Ziele verfolgen, die mit den Legitimittsbedingungen einer wohl geordneten Gesellschaft freier und gleicher Brger vereinbar sind. Dabei wird ihnen ein Stck Mitverantwortung fr die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung zugemutet. Gleiches gilt fr Unternehmen. Auf Letztere bezieht sich die Unternehmensethik, auf die im nchsten Abschnitt nher eingegangen wird.

2.6.2

Hauptgebiete der Betriebswirtschaftslehre

Die Untergliederung der Volkswirtschaftslehre in Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik ist auch fr die Betriebswirtschaftslehre wichtig. Hier erscheinen parallel die Begriffe Unternehmenstheorie, Theorie der Unternehmenspolitik (Theorie der Unternehmensfhrung) und Unternehmensethik. Da auf Kernelemente einer Theorie des Unternehmens und der Unternehmensfhrung in den folgenden Kapiteln dieses Buches noch ausfhrlich eingegangen wird, soll an dieser Stelle der Hinweis gengen, dass in der Betriebswirtschaftslehre, anders als in der Volkswirtschaftslehre, die Theorieebenen Unternehmenstheorie und Theorie der Unternehmenspolitik eng miteinander verwoben sind.181 Die folgenden Ausfhrungen konzentrieren sich auf den Theoriebereich Unternehmensethik. Wie bereits bezglich der Volkswirtschaftslehre angemerkt, werden auch in betriebswirtschaftlichen Verffentlichungen Fragen der Unternehmensethik in neuerer Zeit (ab den 1990er Jahren) vermehrt behandelt. Dabei wird die ethische Begrndung einer Wirtschaftsordnung, als der Unternehmensethik vorgelagerte Reflexionsstufe betrachtet. Der theorietische Ort der Unternehmensethik ist die Meso-Ebene des Wirtschaftssystems. Hier geht es zum einen um die ethische Fundierung von Handlungen innerhalb des Unternehmens, die unter dem Begriff Fhrungsethik abgehandelt wird. Andererseits wird das Verhltnis des Unternehmens zu seiner Umwelt, insbesondere seiner kologischen und gesellschaftlichen Umwelt, in den Blick genommen. Auf die zuletzt genannte Dimension von Unternehmensethik konzentrieren sich die folgenden Ausfhrungen.

181 Schmalenbach hat dieses Phnomen als wissenschaftliche Kunstlehre bezeichnet und damit

auf den Anspruch der Betriebswirtschaftslehre, eine anwendungsbezogene Wissenschaft zu sein, hingewiesen.

70

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

Der Hinweis auf die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist nicht neu. Heute wird sie innerhalb der Unternehmenspraxis unter dem Label Corporate Social Responsibility thematisiert. Aus Sicht der Befrworter des Corporate Social Responsibility-Konzepts sind die unterschiedlichen stakes (= Ansprche) der Stakeholder des Unternehmens weder ber den Markt-Preis-Mechanismus noch ber die staatliche Rechtssetzung allein friedlich zum Ausgleich zu bringen. Die Koordinations- und Motivationslcke, die Markt und Recht lassen, soll durch Moral gefllt werden. Daher werden moralische Selbstverpflichtungen des Managements vorgeschlagen, die in Moralkodizes fr Manager ihren Niederschlag finden. Ein solcher Moralkodex beinhaltet mindestens drei Hinweise. Erstens macht sich das Management selbst darauf aufmerksam, dass die divergierenden Interessen von Kunden, Mitarbeitern, Geldgebern usw. durch unternehmerische Entscheidungen zum Ausgleich zu bringen sind. Darber hinaus stellt ein Moralkodex des Managements zweitens ganz allgemein darauf ab, Unternehmensfhrung auf ihre Verantwortung gegenber Gesellschaft, zuknftigen Generationen und kologischer Umwelt hinzuweisen. Und drittens hebt er hervor, dass das Management den gesellschaftlichen und den kologischen Anforderungen sowie den divergierenden Interessen der Stakeholder nur gengen kann, wenn der Bestand des Unternehmens langfristig gesichert wird, indem Unternehmensgewinne realisiert werden. Das Davoser Manifest ist ein Beispiel fr einen Moralkodex, der die oben genannten Hinweise beinhaltet. Schreygg und Koch nennen eine derartige Orientierung Gewinnmaximierung unter Restriktionen.182 Von Praktikern der Unternehmensfhrung ist die Debatte um Business Ethics unter Inanspruchnahme des Begriffs Corporate Good Governance (Gute Unternehmensfhrung) im Sinne von moralisch einwandfreier Unternehmensfhrung weitergefhrt worden. Sie hat eine kaum zu berblickende Menge an Kodizes, Prinzipien und Leitlinien zur guten Unternehmensfhrung hervorgebracht.183 Gleiches gilt fr die Konzepte des Sustainability Management, die man mit nachhaltiger Unternehmensfhrung bersetzen kann. Smtlichen Unternehmensfunktionen ist mittlerweile die Eigenschaft ethical hinzugefgt worden. Man debattiert ber ethische Beschaffung, ethische Produktion, ethisches Marketing, ethische Lagerhaltung, ethisches Investment (ethische Geldanlage), ethische Finanzierung etc. und auch ber ethischen Konsum. Das Gemeinsame an den Vorschlgen aus der Unternehmenspraxis zur Bercksichtigung von ethischen Aspekten kann darin gesehen werden, dass den konomischen Unternehmenszielen (Gewinn, Rentabilitt, Liquiditt usw.) wohlttige, karitative, gemeinntzige, kologische und soziale Zielsetzungen hinzugefgt werden. Ein Beispiel, das auf soziale und kologische Probleme, die mit der Globalisierung der Wirtschaft verbunden sind, reagiert, ist der Global Compact der United Nations (Globaler Pakt der Vereinten Nationen), der zwischen Unternehmen, Wirtschafts-, Arbeit182 Schreygg/Koch (2007) S. 53. 183 Als Beispiel sei die Keidanren Charter for Good Corporate Behavior genannt, die im Inter-

net nachgelesen werden kann.

71

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

nehmerverbnden, wissenschaftlichen Einrichtungen, weiteren Institutionen der Zivilgesellschaft und Einrichtungen der UN abgeschlossen wird. Ziel ist es, zehn universell gltige Sozial- und Umweltprinzipien umzusetzen, um derart eine gerechtere Weltwirtschaft zu realisieren. Unternehmen, die dem Globalen Pakt beitreten, verpflichten sich, ber die Einhaltung dieser Prinzipien jhrlich Bericht zu erstatten. Die Leitlinien beziehen sich auf die Einhaltung der Menschenrechte und hiermit konformen Arbeitsnormen, den Umweltschutz und die Korruptionsbekmpfung. Aktuell wird die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen unter Rckgriff auf das Konzept des Corporate Citizenship diskutiert.184 Hiernach sollen Unternehmen wie gute (Unternehmens)brger sich fr soziale, kulturelle und kologische Belange nicht nur in ihrem unmittelbaren Umfeld aktiv einsetzen und derart u.a. Lcken staatlichen Handels ausfllen.185 So wird von international ttigen Unternehmen, die als global players agieren, erwartet, dass sie aufgrund einer nicht oder nur lckenhaft existierenden Weltwirtschaftsordnung sich ber eigene unternehmerische Ethikprogramme selbst zu moralischem Handeln gegenber allen weltweit verstreuten Anspruchsgruppen (ihren Stakeholdern) verpflichten. Auf Seminaren zur Unternehmensethik und in der Managementpraxis wird Unternehmensethik als Erfolgsfaktor propagiert. Gutes tun und davon profitieren, heit die Devise. Man hat erkannt, dass soziales, kulturelles und kologisches Engagement das Prestige des Unternehmens strkt und, neben Preis und Qualitt der Ware, auch das gesellschaftliche Ansehen des Unternehmens die Kaufentscheidung der Kunden bestimmt. Mit einer solchen Sichtweise wird Unternehmensethik zum Erfolgsfaktor erklrt, der als Instrument zur Erzielung von Unternehmensgewinnen eingesetzt werden kann. Die Instrumentalisierung von Unternehmensethik in dem beschriebenen Sinne bleibt nicht ohne Widerspruch. Die deutsche Betriebswirtschaftslehre greift die Diskussion ber Business Ethics der amerikanischen Managementlehre und der Managementpraxis auf und entwickelt eine Vielzahl unterschiedlicher Unternehmensethik-Konzepte, die teilweise von ihren Vertretern in umfassende eigene Vorstellungen ber Wirtschaftsethik integriert sind. Die Anstze zur Unternehmensethik, die Peter Ulrich186 und Karl Homann187 vorgelegt haben, zeichnen sich durch die zuletzt genannte Qualitt aus. Die Grundgedanken ihrer Unternehmensethiken und einer weiteren Unternehmensethik, die von Horst Steinmann und Alfred Lhr188 entwickelt wurde und heute auch von Georg Schreygg und Jochen Koch189 vertreten wird, sollen im Folgenden skizziert werden, denn
184 Citizenship ist ein nicht-konomischer Begriff. Er definiert die Stellung des Menschen un-

185 186 187 188 189

abhngig von dem relativen Wert ihres Beitrags zum Wirtschaftsprozess. Dahrendorf (1995) S. 33. Vgl. Habisch/Schmidpeter/Neureite (2007). Vgl. Ulrich, P. (1994) S. 75-107; Ulrich, P. (1999) S. 27-52; Ulrich, P. (2001). Vgl. Homann/Blome-Drees (1992) S. 112 ff. Steinmann/Lhr (1991) S. 3-32.; Steinmann/Lhr (1994a) Steinmann/ Schreygg (2005) S. 112 ff.; Schreygg/Koch (2007) S. 53 ff.

72

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

alle drei Unternehmensethik-Konzepte sind innerhalb der Betriebswirtschaftslehre populr geworden. Nach der Unternehmensethik, wie Homann sie entwickelt hat, ist explizites moralisches Handeln von Unternehmen unntig, wenn die Wirtschaftsordnung vollkommen ist.190 D. h., unter der Voraussetzung, dass die politisch gesetzte Rahmenordnung unternehmerischer Aktivitten moralische Forderungen zufriedenstellend erfassen und integrieren konnte, bleibt fr Unternehmensethik kein Raum. Durch Wirtschaftsethik legitimierte Prinzipien einer funktionstchtigen Marktwirtschaft kanalisieren das systemkonforme Gewinnstreben der Unternehmen derart, dass es als moralisch legitim angesehen werden kann. Zu diesen ethisch begrndeten Prinzipien, die die Basis der Unternehmensethik bilden, gehrt u.a. die Wirtschaftsfreiheit (in Form der Konsumentenfreiheit, der Gewerbefreiheit und die Freiheit der Berufswahl), ein funktionsfhiger Wettbewerb und Subsidiaritt. Da mit einer vollkommenen Wirtschaftsordnung in der Realitt in keinem Fall zu rechnen ist, wird moralisches Handeln von Unternehmen mglich und ntig. Homann nennt eine Reihe von Grnden fr unvollkommene Wirtschaftsordnungen: Die ordnungspolitische Reaktion auf Vernderungen in Wirtschaft und Gesellschaft vollzieht sich zeitverzgert. Die Kontroll- und Sanktionssysteme der Gesellschaft knnen u.a. aus Kostengrnden nicht derart ausgelegt werden, dass gesetzeskonformes Verhalten fr alle denkbaren Flle vollstndig garantiert werden kann. Einzelne Elemente der Rechtsordnung werden aus ethischer Perspektive kritisch betrachtet, so dass nicht jedes rechtlich zulssige Handeln (legales Handeln) ein moralisch legitimiertes Handeln sein muss. Neben dem Problem einer reaktiven Wirtschaftsordnung, Sanktionsund Kontrollproblemen fhrt Homann als weiteren Grund fr eine lcken- und fehlerhafte Wirtschaftsordnung den Verfall ordnungspolitischer Kompetenz der Politik an. Nur im Fall einer, aus den genannten Grnden defizitren Wirtschaftsordnung besteht fr unternehmerisches Handeln ein Legitimationsbedarf, der ber die moralische Pflicht eines jeden Unternehmens, Gewinn zu erzielen, hinausgeht. Eine durch Unvollkommenheiten ausgezeichnete Wirtschaftsordnung bildet den Hintergrund fr die Unternehmensethik. Unternehmensethik wird von Homann nicht als Vernunftethik konzipiert. Auf der Ebene der Unternehmensethik kann es nach Homann nicht um die vernnftige Begrndung von moralischen Werten gehen, sondern um Probleme der Implementation von Moral durch Unternehmen unter den Bedingungen der Marktwirtschaft. Da mit Wirtschaftsethik die Bedingungen der Marktwirtschaft, ihre Institutionen, moralisch begrndet und legitimiert sind, muss eine Unternehmensethik dies nicht noch einmal leisten. Unternehmen handeln moralisch gut, wenn sie ihr unternehmerisches Handeln im Rahmen bestehender, durch Wirtschaftsethik legitimierten Gesetze und unter Beachtung der jeweiligen Marktsituationen auf Gewinnerzielung orientieren. Diesen

190 Zum Folgenden, vgl. Homann/Blome-Drees (1992) S. 114 ff.

73

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Sachverhalt hat jedes Nachdenken ber Ethik und Unternehmensfhrung zu bercksichtigen. Whrend die Konzeption der Wirtschafts- und Unternehmensethik von Homann grundstzlich eine Identitt von Moral und konomie konstatiert und soweit dies nicht der Fall ist, der konomie der Primat gegenber der Moral zugewiesen wird (konomische Ethik), geht die Unternehmensethik, die Peter Ulrich entwickelt hat, von der Annahme einer prinzipiellen Differenz von Moral und konomie aus und bestimmt die Moral als Primat gegenber der konomie (Ethische konomie). Fr Ulrich ist das Gewinnprinzip Ausdruck einer konomischen berhhung des Gewinnstrebens191, das mit Unternehmensethik zu hinterfragen und zu korrigieren ist. Auf einer spezifischen Deutung des Stakeholder-Value-Ansatzes und der Diskursethik baut die Unternehmensethik von Ulrich auf. In der umfassendsten Variante des Stakeholder-Begriffs, die Ulrich vertritt, sind Stakeholder [] nichts anderes als jene Teile der kritischen ffentlichkeit einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, die aktuell argumentative Ansprche an eine Unternehmung richten und mit der Unternehmensleitung in einen Brgerdialog treten mchten. Dieser Dialog ist, so Ulrich, nicht mit einer Vertragstheorie zu beschreiben, die von einem wechselseitigen Austausch von Vorteilen zwischen den Anspruchsgruppen als Vertragspartner ausgeht. Eine ethisch vernnftige Lsung von Interessenkonflikten zwischen den Stakeholdern kann mit einer derartigen Vertragsethik nicht erreicht werden. Denn hiernach wren die Anspruchsgruppen, abhngig von der Verteilung der Macht- und Ressourcenausstattungen, in der Lage, ihren eigenen Nutzen zu maximieren und so ihre Interessen durchzusetzen. Nach Einschtzung Ulrichs hat eine derartige vertragliche Lsung von Interessenkonflikten, bei der der Strkere (der Mchtige) recht bekommt, mit der ethischen Forderung nach Gerechtigkeit, nach der nicht die gegebenen Machtverhltnisse, sondern allein gute Grnde zhlen, nichts zu tun. Gute Grnde im vernunftethischen Sinn beruhen [nicht auf Macht, M.B.] vielmehr auf der unparteilichen Verallgemeinerbarkeit (Universalisierbarkeit) von Ansprchen im (gedanklichen) interpersonellen Rollentausch: Gut begrndet ist also ein Geltungsanspruch, wenn ihn jedermann, der in derselben Situation ist oder wre, mit gleichen Grnden erheben knnte, weil er einem allgemeinen moralischen Recht nicht einfach dem persnlichen Interesse! jeder Person entspricht. StakeholderInteressen sind somit nicht die Magabe, sondern der fragliche Gegenstand eines unternehmensethischen Diskurses. Ein solcher Diskurs hat der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit zu folgen. Dabei geht es um vorbehaltlose Verstndigungsorientierung und nicht um private Erfolgsorientierung. Mit diesen Gedanken ist die von Ulrich vollzogene diskursethische Reinterpretation des Stakeholder-Ansatzes beschrieben. Sie versteht sich als republikanische Unternehmensethik, mit der sich Unternehmen als ein Corporate Citizen, als ein guter krperschaftlicher Brger, der die gegebe191 Ulrich P. (1999) S. 35. Zum Folgenden, vgl. Ulrich P. (1999) S. 37-47.

74

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

nen ordnungspolitischen Bedingungen nicht einfach hinnimmt oder gar bedingungslos zum eigenen Vorteil ausntzt, sondern ordnungspolitische Mitverantwortung bernimmt fr die ethische Qualitt der Rahmenbedingungen, unter denen die anspruchsvolle Aufgabe guter Unternehmensfhrung zu erfllen ist. Die von Steinmann und Lhr vertretene Unternehmensethik unterscheidet sich insofern nicht von den Theoriebemhungen Ulrichs, da beide Entwrfe fr eine diskursive Unternehmensethik pldieren, die als Gegensatz zur konomischen Vertragsethik konzipiert ist, und eine republikanische Unternehmensethik vorschlagen.192 Die von Steinmann und Lhr formulierte Richtigkeitsvermutung, dass in einer modernen Geld- und Wettbewerbswirtschaft das unternehmerische Gewinnprinzip in der Regel unter ethischen Gesichtspunkten als legitimiert zu betrachten ist193, markiert einen Unterschied zu dem Ansatz von Ulrich und eine bereinstimmung mit der Unternehmensethik Homanns. Ulrich widerspricht letztlich dieser Richtigkeitsvermutung, indem er vorbehaltlos und in jedem Fall eine ethische berprfung des Gewinnprinzips fordert und damit die strukturelle Dimension einer Marktordnung infrage stellt. Demgegenber bezieht sich Unternehmensethik, wie Steinmann und Lhr sie verstehen, auf situationsspezifische Ad-hoc-Konflikte.194 Whrend Ulrich die konomische Rationalitt fr alle Flle durch ethische Vernunft domestizieren will, beabsichtigen Steinmann und Lhr dies fr Einzelflle. Sie erklren: Wenn systematische Defizite der [] Steuerungsmechanismen Markt und Recht offenbar werden, dann ist die Forderung nach einer Unternehmensethik [] immer notwendig in dem Sinne, da zustzliche Bemhungen um eine friedliche Koordination wirtschaftlicher Handlungen in Gang gebracht werden. Man mu dann prfen, ob und inwieweit die Unternehmung selbst ein Ort ethischer Reflektion werden sollte.195 Die Defizite des Steuerungsmechanismus Markt werden auf externe Effekte, Vermachtungsprozesse in der Wirtschaft und auf die Trennung von Eigentum und Verfgungsgewalt (Managerunternehmen) zurckgefhrt.196 Hierauf gibt es zwei Mglichkeiten zu reagieren: mit ergnzender und korrigierender rechtlicher Regelung197 und ethischen Orientierung unternehmerischen Handelns.198 Letztere betrifft
192 193 194 195 196 197

Vgl. Steinmann/Lhr (1994b) S. 145-180; Ulrich P. (1999) S. 47. Vgl. Steinmann/Lhr (1994b) S. 150 ff.; Steinmann/Lhr (1991) S. 8. Vgl. Steinmann/Lhr (1994b) S. 155 ff. Steinmann/Lhr (1991) S. 9. Vgl. Steinmann/Schreygg (2005) S. 96 ff.; Vgl. Schreygg/Koch (2007) S. 42 ff. Die als externe oder interne rechtliche Restriktion ausgestaltet sein kann. Whrend externe rechtliche Restriktionen auf die Gestaltung der ueren Rahmenbedingungen der Handlungsmglichkeiten von Unternehmen abzielen, ohne die unternehmensinternen Entscheidungsprozesse zu verndern, wird durch interne rechtliche Restriktionen der interne Entscheidungsprozess in Unternehmen gestaltet. Als Beispiele fr externe rechtliche Restriktionen werden Gesetze zum Schutz der Verbraucher, Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer, Publizittsgesetze und Umweltschutzgesetze genannt, als Beispiele fr interne rechtliche Restriktionen die Mitbestimmungsgesetze und das Betriebsverfassungsgesetz. Vgl. Steinmann/Schreygg (2005) S. 105 ff. 198 Vgl. Schreygg/Koch (2007) S. 42 ff.

75

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

die Unternehmensethik. Sie soll in Situationen, in denen Markt und Recht Interessenkonflikte nicht zum Ausgleich gebracht haben, eine friedliche Lsung herbeifhren helfen.199 Dazu wird die Diskursethik als Verfahrensweise der dialogischen Verstndigung vorgeschlagen. Hierin wird die dialogische Wendung einer Vorluferidee [gesehen, M.B.], die unter der Bezeichnung Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmensfhrung bereits implizit eine Verabschiedung vom rein erfolgsorientierten Handeln des Managements vollzogen hatte200, aber monologisch angelegt war, da eine Auseinandersetzung mit den Betroffenen ber einen Interessenausgleich nicht stattfand. Nur fr die Flle, in denen Rechtsnormen und die auf den individuellen Eigennutz gegrndeten Verhaltensnormen des Marktes einen Spielraum fr schdliches Handeln lassen, sind durch die diskursive Unternehmensethik Verhaltensnormen fr konkrete Entscheidungssituationen zu entwickeln. Diese ethischen Verhaltensnormen kommen aus der Einsicht in die Tragfhigkeit ihrer [vernnftigen, M.B.] Begrndung zustande und zur Geltung. Die diskursive Unternehmensethik versucht nicht, inhaltlich fr konkrete Situationen Anweisungen fr unternehmerisches Handeln zu geben. Ihr geht es u.a. um die Entwicklung von Verfahrensvorschriften zum Umgang mit Konflikten. Zu diesen Vorschriften gehrt, dass mglichst alle Betroffenen in die dialogische Verstndigung einbezogen werden, dass Unvoreingenommenheit, Zwanglosigkeit, Aufrichtigkeit und Sachverstndigkeit der Gesprchspartner hergestellt wird. Unter diesen Bedingungen soll in einer konkreten Entscheidungssituation eine Verstndigung ber ethische Normen stattfinden, mit denen dann eine konkrete inhaltliche Entscheidung zu begrnden ist. Eine Mglichkeit, die prozessualen Prinzipien in Unternehmen organisatorisch umzusetzen, wird in der Einrichtung von Ethikkommissionen gesehen. Der Anspruch, eine Teildisziplin Unternehmensethik im Rahmen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu erarbeiten und einzurichten, bleibt nicht unwidersprochen. Namhafte Fachvertreter weisen eine derartige Forderung energisch zurck.201 Widerspruch gegen Unternehmensethik regte sich bereits, als die Betriebswirtschaftslehre begann, sich als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. So betont Rieger 1928: Zweifellos gibt es Fragen der Ethik und Moral, die den Unternehmer wie jeden anderen Menschen stark beschftigen knnen, die auch sein Tun und Lassen mitbestimmen, aber diese Fragen knnen nicht Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft sein.202 Mit seiner Auffassung ist Rieger nicht alleine geblieben. Herbert Hax und Horst Albach erkennen, dass die Ordnungsethik von Karl Homann fr die betriebswirtschaftliche Theorie eine groe Bedeutung besitzt,203 da sie das unternehmerische Ge199 Vgl. Steinmann (1993) Sp. 4340. 200 Steinmann/Schreygg (2005) S. 112. Zu den weiteren Zitaten in diesem Abschnitt, vgl. Stein201 Vgl. Schneider (1990) S. 869-891, Hax (1993) S. 769-779, Albach (2005) S. 809-831. 202 Rieger (1964) S. 54. 203 Vgl. Hax (1993) S. 777, Albach (2007) S. 1.

mann/Schreygg (2005) S. 116 bis S. 119.

76

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

winnprinzip in einer funktionierenden Marktwirtschaft ethisch legitimiert. Die ethische berprfung der Funktionsweise der Wirtschaftsordnung und ihrer Ergebnisse ist keine Problemstellung der Unternehmensethik.204 Die Betriebswirtschaftslehre, so die beiden renommierten Betriebswirte Horst Albach und Herbert Hax, bentigt keine Unternehmensethik. Fr beide Forscher ist klar: Die Betriebswirtschaftslehre ist Unternehmensethik.205 Ihr Lehr- und Forschungsgebude ist auf ethischen Prinzipien errichtet.206 Whrend die Wirtschaftsethik von Homann positive Resonanz bei den genannten Betriebswirten und anderen findet, werden Unternehmensethiken, die auf der Diskursethik aufbauen, wie die Entwrfe von Steinmann und Ulrich, heftig kritisiert. Die Herstellung von Konsens ber wichtige ethische Grundprinzipien mag in einer idealen Dialogsituation, in der die Dialogpartner als interessenlose Akteure gedacht werden, die in der Lage sind, von ihrer gesellschaftlichen Rolle zu abstrahieren207, modellmig konstruiert werden. Mit realen Gesprchssituationen hat das nichts zu tun. Konkrete Entscheidungs- und Dialogsituationen in Unternehmen entsprechen nicht den Idealvorstellungen. Die Dialogpartner, die in Gremien zusammenkommen, werden taktisch argumentieren, Informationsasymmetrien nutzen und Koalitionen schlieen, um ihre eigenen Vorteile zu wahren.208 Darber hinaus sind die Folgen, die eine Realisation von Handlungsvorschlgen nach sich ziehen werden, von den Gremienmitgliedern schwer einzuschtzen und zu bewerten, da Unternehmen mit komplexen Wirkungszusammenhngen konfrontiert sind. Weiter ist es ganz ausgeschlossen, alle Betroffenen in einer Ethik-Kommission zu versammeln. Diese Erkenntnisse fhren zur skeptischen Beurteilung von Ethik-Kommissionen. Wo Marktpreise fehlen, die Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Ressourcen in effiziente Verwendungsrichtungen zu lenken, knnen sie nicht einfach durch den Appell an ethische Normen ersetzt werden. Wenn Preise fehlen, muss nach geeigneten Anreiz-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen Ausschau gehalten werden. Man kann Mngel des Koordinationsmechanismus nicht dadurch heilen, dass man die Bindung an ethische Normen postuliert. Dieser Fehler wurde im Sozialismus gemacht durch den Versuch, grundlegende Fehlanreize im System durch das Postulat einer

204 Hax (1993) S. 777. 205 Albach (2005) S. 809. 206 Den ethischen Gehalt der Theorie der Unternehmung weist Albach nach, indem er die ethi-

schen Wurzeln der Grundpfeiler der Betriebswirtschaftslehre, nmlich die von Gutenberg entwickelten systemindifferenten und systembezogenen Faktoren (vgl. hierzu die Ausfhrungen in Abschnitt 6.4) offenlegt und mit der Vernunftethik, der Handlungsethik, der Verantwortungsethik und der Zukunftsethik benennt, vgl. Albach (2005) S. 809-831. Er kommt zu dem Schluss: Wer die Theorie der Unternehmung einschlielich ihrer ethischen Wurzeln verstanden hat, braucht kein Geld fr Moralprediger jedweder Provenienz auszugeben. Albach (2005) S. 809. 207 Im Sinne des von Rawls (1979) S.159 ff. fr ideale Gesprchssituationen unterstellten Schleier des Nichtwissens. 208 Hax (1993) S. 771. Zum Folgenden, vgl. Hax (1993) S. 772.

77

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

sozialistischen Moral zu kompensieren. Ethik ist nicht als Lckenber zum Ausgleich von Lenkungsdefiziten geeignet.209 Wenn ethische Normen, wie auch immer zustande gekommen, befolgt werden, dann werden sie um ihrer selbst Willen befolgt, nicht weil man sich davon Vorteile verspricht oder von der Verletzung Nachteile zu befrchten sind. Soweit dies geschieht, sind Wohlfahrtseffekte fr alle zu erwarten, da die Befolgung von Regeln um ihrer selbst willen eine kostengnstige Handlungskoordination darstellt, denn sie kommt ohne die Einrichtung kostspieliger Anreiz-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen aus. Allerdings ist [d]ie Bereitschaft des einzelnen, unmittelbar persnliche Interessen hintanzustellen, nur begrenzt vorhanden und lt sich auch durch moralische Appelle nicht beliebig vermehren.210 Wenn man diese Sicht akzeptiert, dann steht man vor dem Problem, dass es fr jeden Akteur individuell vorteilhaft ist, sich in jedem Fall (unabhngig davon, ob die anderen sich regelkonform oder nicht regelkonform verhalten) regelwidrig zu verhalten. Diesem Gefangendilemma knnen eigenntzige Akteure ohne Zusatzeinrichtungen nicht entkommen. Dieser Sachverhalt wird in Abschnitt 4.2.3 ausfhrlich diskutiert. Dieter Schneider argumentiert hnlich wie Albach und Hax. Auch er pldiert fr einen vollstndigen Verzicht auf Unternehmensethik als eigenstndige Disziplin unter dem Dach einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre. Er macht darber hinaus auf Gefahren aufmerksam, die mit der Infizierung der Betriebswirtschaftslehre durch Ethik in Form der Unternehmensethik verbunden sind211 und veranschaulicht Fehlentwicklungen in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaft, die durch Ethik ausgelst wurden.212 Bevor der Ethikboom in der Betriebswirtschaftslehre einsetzte, wurde in den 1970er und 1980er Jahren wert- und normorientiertes unternehmerisches Handeln unter den Begriffen Unternehmensphilosophie, Unternehmensleitbild und Unternehmenskultur213 thematisiert. Normatives Management wurde propagiert.214 Mit einer exzellenten Unternehmenskultur wurden Spitzenleistungen angestrebt, mit denen steigende Unternehmensgewinne und Wettbewerbsvorteile erreicht werden sollten.215 Von der berwiegenden Zahl der Betriebswirte wurde Unternehmenskultur als Instrument zur Gewinnsteigerung betrachtet. Es ist bereits darber berichtet worden, dass die Managementpraxis teilweise Unternehmensethik ebenfalls instrumentell wendet. Soweit dies geschieht, liegt in den Augen von Steinmann und Lhr Etikettenschwindel vor, denn nach ihrem Verstndnis geht es Unternehmensethik nicht
209 210 211 212 213

Hax (1993) S. 776. Hax (1993) S. 773. Vgl. Schneider (1990) S. 872 ff. Schneider (1999b) S. 637-658. Zu grundlegenden Einsichten ber Organisations- und Unternehmenskultur, vgl. Schein (2004). 214 Vgl. Bleicher (2004) 157 ff. 215 Vgl. Peters/Waterman (1982).

78

Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre

2.6

darum, Normen erfolgsorientiert als Mittel einzusetzen, um eine Steigerung der Unternehmensgewinne zu erreichen.

2.6.3

Betriebswirtschaftslehre als Teilbereich der Volkswirtschaftslehre

Bei der Behandlung der Mikrokonomie wurde darauf hingewiesen, dass sie eine Theorie des Haushalts und eine Unternehmenstheorie enthlt. Beide Theorien beschftigen sich mit Einzelwirtschaften, wobei die Unternehmenstheorie den Kernbereich der Betriebswirtschaftslehre betrifft. Es stellt sich somit die Frage, ob die mikrokonomische Unternehmenstheorie die Betriebswirtschaftslehre berflssig macht bzw. die Betriebswirtschaftslehre als Teilgebiet in die Volkswirtschaftslehre integriert werden knnte. Diese Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten, da Mikrokonomie und Betriebswirtschaftslehre mit unterschiedlichen Zielrichtungen ihren Forschungsbemhungen folgen. Die Mikrokonomie nutzt die Ergebnisse der Haushalts- und Unternehmenstheorie als Vorstufe zur Erklrung der Handlungskoordination durch den Markt. Letztlich zielen die volkswirtschaftlichen Erklrungen auf die Umgebung aller Wirtschaftseinheiten. Der Mikrokonomik geht es um die analytische Erklrung und die ordnungspolitische Gestaltung der gesamten Volkswirtschaft. In der Betriebswirtschaftslehre ist dies anders. Ihr geht es um die analytische Durchdringung des Unternehmens und die Erklrung erfolgreicher Unternehmensfhrung. Der Untersuchungsgegenstand Unternehmen wird in der Betriebswirtschaftslehre breiter aufgefchert und tiefergehend analysiert als in der Volkswirtschaftslehre. Ein erfolgreiches Management muss zwar auf die wirtschaftliche Umgebung des Unternehmens, also auf Absatzmrkte fr produzierte Gter, auf Beschaffungsmrkte fr Produktionsfaktoren, auf Finanzierungsmglichkeiten ber den Kapitalmarkt, achten und konkurrierende Unternehmen in seine berlegungen mit einbeziehen, doch stellt dieses Umfeld nur einen vergleichsweise engen Ausschnitt der gesamten Volkswirtschaft dar. Die Betriebswirtschaftslehre gewinnt mit der Konzentration auf die Einzelwirtschaft und ihre nhere Umgebung ihre Eigenstndigkeit. Es kann festgehalten werden: Die Volkswirtschaftslehre konzentriert sich auf gesamtwirtschaftliche Gren (z.B. Volkseinkommen, Geldmenge usw.), das wirtschaftliche Geschehen, das zwischen den wirtschaftenden Einheiten abluft, und die Wirtschaftsordnung, die das wirtschaftliche Geschehen begrndet. Von der Betriebswirtschaftslehre wird erwartet, dass sie das wirtschaftliche Geschehen in den wirtschaftenden Institutionen und deren nherer Umgebung zum Hauptgegenstand ihres Interesses macht. Die Volkswirtschaftslehre befasst sich also mit Fragestellungen der Gesamtwirtschaft, die Betriebswirtschaftslehre mit Themen der Einzelwirtschaften. Unter dem

79

Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft

Dach der Wirtschaftswissenschaften sind Betriebs- und Volkswirtschaftslehre zusammengefasst.

80

Wissenschaftskonzepte

3.1

3 Wissenschaftskonzepte, Methoden
und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Es wurden drei Bedeutungen von Wissenschaft herausgestellt (vgl. Abschnitt 2.1). Eine Deutung lie sie als System von Institutionen erscheinen, in denen Wissenschaft betrieben wird. Eine andere Vorstellung bestimmt Wissenschaft als einen Prozess des Beobachtens, Beschreibens, Erklrens, Entwickelns von Gestaltungsvorschlgen und des berprfens von wissenschaftlichen Erkenntnissen durch deren Konfrontation mit der Realitt. Eine weitere Interpretation stellte auf das Ergebnis der wissenschaftlichen Ttigkeit, die Aussagen der Wissenschaft, ab. In diesem Zusammenhang wurde bereits darauf hingewiesen, dass von wissenschaftlichen Aussagen verlangt wird, dass sie bestimmten qualitativen Standards gengen. Eine Anforderung, die an wissenschaftliche Aussagen gestellt wird, ist, dass sie unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden gewonnen werden. Im Folgenden soll die Frage beantwortet werden, welche wissenschaftlichen Methoden die Betriebswirtschaftslehre zum Einsatz bringt, um ihr kognitives und praktisches Wissenschaftsziel zu frdern. Da wissenschaftliche Methoden in Wissenschaftskonzepte eingebettet sind und abhngig von dem jeweiligen Wissenschaftskonzept unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen, ist zunchst zu skizzieren, was unter einem Wissenschaftskonzept zu verstehen ist.

3.1

Wissenschaftskonzepte

Wissenschaftskonzepte legen grundlegende Annahmen, Begriffe und Methoden der Erkenntnisgewinnung und Erkenntnisberprfung fest. Die Vielgestaltigkeit der Wissenschaftskonzepte wiederum ist auf weltanschauliche Differenzen, man knnte auch sagen grundlegende philosophische Vorstellungen zurckzufhren. In den philosophischen Grunddisziplinen Ontologie (Lehre vom Sein; Grundfrage: Was ist die Welt?), philosophische Anthropologie (Lehre vom Menschen; Grundfrage: Was ist der Mensch?), Erkenntnistheorie (Grundfrage: Wie erkennt der Mensch die Welt?) und praktische Philosophie (Ethik) (Grundfrage: Wie handelt der Mensch in der Welt?) werden die grundlegenden Fragestellungen ber den Aufbau der Wirklichkeit, den Menschen, seine Erkenntnismglichkeiten und seine Handlungsoptionen behandelt. Die verschiedenen Antworten auf die Grundfragen werden zu fundamentalen Orientierungen, wie man der Welt berhaupt begegnet, gebndelt. Dabei kommt es zu so genannten Ismen-Bildungen. Ismen heben einen Aspekt der Lebenswirklichkeit be81
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_4, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

sonders hervor und setzen ihn absolut. Das absolut Gesetzte ist das, was vor dem Ismus steht. Alles andere wird als sekundr betrachtet. Gekennzeichnet wird es dann durch das Suffix -Ismus. Einige dieser grundstzlichen Anschauungen (Philosophien) sollen im Folgenden als Dichotomien prsentiert und fr eine grundlegende Charakterisierung von Wissenschaftskonzepten genutzt werden. Mit nur wenigen Stichworten soll ein Verstndnis der Dichotomien: Materialismus/Idealismus, Realismus/Konstruktivismus, Rationalismus/Empirismus, (methodologischer) Individualismus/(methodologischer) Kollektivismus vermittelt werden.

3.1.1

Grundlegende Philosophien

Grundlage der Wirklichkeit sind nach Auffassung des Materialismus die stofflichen, materiellen Gegenstnde. Die Natur, der Mensch, die Gesellschaft und auch Gedanken und Ideen sind hiernach Erscheinungsformen der Materie (lat. materia) oder knnen auf sie zurckgefhrt werden. Der Idealismus identifiziert im Gegensatz zum Materialismus geistige Gebilde (Ideen lat. idea) als Grundbausteine der Welt. Aus idealistischer Sicht ist die Welt etwas Gedachtes, etwas Geistiges. Fr den (naiven) Realismus bilden die tatschlich existierenden Gegenstnde oder Dinge (lat. res) die Elemente, aus denen die Welt besteht. Die Welt ist unabhngig von jeglichem Bewusstsein wirklich vorhanden. Sie ist als Auenwelt gegeben, die von einem Beobachter gefunden werden kann, indem er als Erkenntnissubjekt die Welt abbildet, wie sie wirklich ist. Nach den Vorstellungen des radikalen Konstruktivismus ist die Realitt immer eine von einem Beobachter erfundene Wirklichkeit.216 Mit der Aussage, dass Wirklichkeiten stets Konstrukte des menschlichen Geistes sind, wird nicht behauptet, dass es keine wirkliche Realitt hinter den Vorstellungen von Realitt gibt. Vielmehr stellen Konstruktivisten fest, dass die Realitt nur unter Rckgriff auf Konstruktionen erfahrbar ist. Da ein unmittelbarer Kontakt mit der Realitt nicht mglich ist, bleibt die wirkliche Wirklichkeit trotz allen Beobachtens, aller Beschreibung und Erklrung dem Menschen fr immer unbekannt. Die Unterscheidung von Rationalismus und Empirismus greift traditionellerweise auf zwei Erkenntnisvermgen des Menschen zurck: Denken und Sinnlichkeit. Zunchst setzt der Mensch bei seiner Begegnung mit der Welt seine fnf Sinne ein (Sehen, Hren, Riechen, Schmecken, Tasten). Die ber die Sinne wahrgenommenen Sachverhalte werden als grundlegende Informationen durch das Denkvermgen, das auch Verstand, Vernunft oder Kognition genannt wird, weiter be- und verarbeitet. Abhngig davon, auf welches Erkenntnisvermgen der Schwerpunkt gelegt wird, lassen sich
216 Vgl. Watzlawick/Krieg (1991).

82

Wissenschaftskonzepte

3.1

zwei Erkenntnistheorien unterscheiden. Die eine Erkenntnistheorie wird als Empirismus,217 die andere als Rationalismus218 bezeichnet. Whrend der Empirismus sinnliche Erfahrung (griech. empeiria) bevorzugt, legt der Rationalismus den Schwerpunkt auf das Denkvermgen, den Verstand und die Vernunft (lat. Ratio). Immanuel Kant (1724-1804) hat mit seiner so genannten Transzendentalphilosophie219 Rationalismus und Empirismus zur Vershnung gebracht.220 Die Transzendentalphilosophie Kants identifiziert Gesetzmigkeiten, die ein a priori jeder Erkenntnis darstellen. Zunchst werden Raum und Zeit als apriorische Formen der reinen Anschauung bestimmt. Kant spricht diesen empirische Realitt und transzendentale Idealitt zu. Hinzu treten die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien. Die Gesetze der Logik als synthetisch-apriorische Urteile sowie die Kausalitt sind derartige Kategorien, die angewandt auf die wirkliche Wirklichkeit diese erst durch das Denken zugnglich macht. Erst in der unauflsbaren Verbindung der beiden Erkenntnisarten Sinnlichkeit und Verstandesdenken konstituiert sich Realitt: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.221 Der Individualismus stellt das Individuum (das nicht weiter teilbare lat. individuum), den einzelnen Menschen, in den Mittelpunkt, whrend der Kollektivismus die Gemeinschaft, das Kollektiv, zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen macht. Der methodologische Individualismus geht davon aus, dass soziale Phnomene (soziale Ordnungen wie Gesellschaften, Organisationen, Unternehmen usw. sowie ihr institutionelles Handeln) durch die Beobachtung individuellen Verhaltens erklrt

217 Als Vertreter des Empirismus gelten Francis Bacon (1561-1626), John Lock (1632-1704), 218 Die Hauptvertreter des Rationalismus sind Ren Descartes (1596-1650), Baruch de Spinoza 219 Niedergeschrieben in der Kritik der reinen Vernunft 1781, 2. Aufl. 1787. Die Transzendentalphi-

George Berkeley (1685-1753) und David Hume (1711-1776). (1632-1677) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).

losophie Kants leitete einen Paradigmawechsel in der Philosophie ein, die Abwendung vom ontologischen und die Hinwendung zum erkenntnistheoretischen Paradigma, weg von der unmittelbaren Betrachtung der Gegenstnde (des Seins) und hin zur Betrachtung der Beziehung des erkennenden Subjekts zum Objekt seiner Erkenntnis. Das Transzendentale (das bergreifende) dieser Beziehung ist das Bewusstsein. Kant selbst hat die vernderte Methode seiner Denkart mit der von Kopernikus vorgenommenen Umdisposition verglichen, vgl. Kant (1986) S. 28 sowie S. 32. Kant hatte die Behauptung der Empiristen, dass Erkenntnis sich nach der Beschaffenheit der Gegenstnde richten msste, umgekehrt in die Behauptung, die Gegenstnde mssen sich nach unserer Erkenntnis richten. Mit dieser Umstellung ist es ebenso, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklrung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen mchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe liee. Kant (1986) S. 28. 220 Verstand und Sinnlichkeit knnen bei uns nur in Verbindung Gegenstnde bestimmen. Wenn wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anschauungen, in beiden Fllen aber Vorstellungen, die wir auf keinen bestimmten Gegenstand beziehen knnen. Kant (1986) S. 344. 221 Kant (1986):1. Aufl. 1781, S. 52, 2. Aufl. 1787, S. 75.

83

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

werden knnen,222 wobei das Individuum als (beschrnkt) rational handelnder Mensch, als Subjekt oder als psychisches System erscheint. Nach dieser Auffassung ist institutionelles Handeln mit den individuellen Handlungen der einzelnen handelnden Individuen zu erklren. Demgegenber behauptet der methodologische Kollektivismus, der auch als Holismus bezeichnet wird, dass soziale Erscheinungen Eigenschaften aufweisen, die nicht allein auf individuelles Handeln der Beteiligten zurckgefhrt werden knnen, sondern eine eigene Qualitt aufweisen. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Emergenz.223 Abbildung 8: Grundlegende Philosophien/Weltanschauungen

Materialismus Realismus Rationalismus Individualismus methodologischer Individualismus

Idealismus Konstruktivismus Empirismus Kollektivismus methodologischer Kollektivismus (Holismus)

3.1.2

Wissenschaftskonzept kapitalistischer Betriebswirtschaftslehren

Mit den gewonnenen Begriffen kann das Wissenschaftskonzept, das sich hinter Verffentlichungen zu Betriebswirtschaftslehren verbirgt, stark vereinfacht wie folgt charakterisiert werden. Die berwiegende Mehrzahl der Forscher/innen auf dem Gebiet der Betriebswirtschaft sind Materialisten und (naive) Realisten. Sie gehen davon aus, dass eine vom Beobachter unabhngige Wirklichkeit als Auenwelt existiert und diese wirkliche Wirklichkeit sich aus materiellen Dingen zusammensetzt. Sie sind darber hinaus Rationalisten, denn sie nehmen an, dass die Realitt ber Theoriebildung durch den Verstand beschreibbar und erklrbar ist. Nach dieser Auffassung reicht reine empirische Forschung nicht aus, um betriebswirtschaftliche Theorien zu begrnden.
222 Vgl. Schumpeter (1970) VI. Kapitel: Der methodologische Individualismus, S. 88. 223 Emergenz bedeutet ganz allgemein, dass Systeme Zustnde aufweisen, die nicht mit den

Eigenschaften ihrer Elemente erklrbar sind.

84

Wissenschaftskonzepte

3.1

Die Forderung, anwendungsorientiert zu forschen, erklrt das Bemhen der Betriebswirtschaftslehre, Rationalismus und Empirismus zu verbinden. Der Individualismus bildet das methodologische Fundament betriebswirtschaftlicher Theoriebildung. Sie unterstellt, dass soziale Phnomene auf individuelles Verhalten zurckgefhrt werden knnen, wobei das Individuum als (begrenzt) rational und eigenntzig handelnder Mensch gedacht wird. Mit der vorgefhrten, spezifischen Kombination der oben aufgelisteten Ismen ist lediglich ein Wissenschaftskonzept, allerdings das in der Betriebswirtschaftslehre prominenteste, beschrieben. Es bildet die Grundlage fr kapitalistische Betriebswirtschaftslehren.

3.1.3

Wissenschaftskonzept sozialistischer Betriebswirtschaftslehren

Mit anderen Ismen-Kombinationen lassen sich weitere Wissenschaftskonzepte identifizieren, beispielsweise das Wissenschaftskonzept sozialistischer Betriebswirtschaftslehren, das auf dem Marxismus beruht.224 Der Marxismus bildete die Grundlage einer Wirtschaftswissenschaft, wie sie in sozialistischen Lndern betrieben wurde. So baute auch die Wirtschaftswissenschaft in der DDR auf marxistischem Gedankengut auf. Eine philosophische Grundlage des Marxismus bilden Materialismus und Realismus. Insofern lehnt der Marxismus eine auerweltliche oder geistige Erklrung des Seins ab und begrndet es materialistisch. Das Sein (die materielle Realitt) bestimmt das Bewusstsein. Die Welt, so kann man sagen, besteht aus marxistischer Sicht unabhngig vom Bewusstsein des Menschen und ist grundstzlich vom menschlichen Verstand erkennbar. Insofern sind Marxisten Realisten und Rationalisten. Den Analysen der Marxisten liegt ein methodologischer Kollektivismus (Holismus) zugrunde. Marxisten vertreten die Auffassung, dass konomische Gesellschaftsformationen unabhngig vom menschlichen Einzelbewusstsein evoluieren. Ihre Entwicklung wird dabei als von objektiven Gesetzen gesteuert betrachtet. Die Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Institutionen kann nicht durch individuelles Verhalten erklrt werden. Vielmehr wird das individuelle Verhalten als gesellschaftlich determiniert betrachtet.

224 Mit Marxismus wird die Gesamtheit der Lehren von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich

Engels (1820-1895) bezeichnet.

85

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

3.1.4

Wissenschaftskonzept der neueren Systemtheorie als Basis der Betriebswirtschaftslehre

Ein weiteres Wissenschaftskonzept, das in der Betriebswirtschaftslehre einen gewissen Nachhall gefunden hat, ist das Konzept der neueren Systemtheorie. Sie ist insbesondere mit dem Namen Niklas Luhmann (1927-1998) verbunden.225 Die von Luhmann vorgelegte Theorie sozialer Systeme basiert auf einer spezifischen Interpretation der Systemtheorie. In Abgrenzung von Talcott Parsons (1902-1979)226 wird seine Version auch funktional-strukturelle Systemtheorie genannt.227 Um sich der eigenwilligen Luhmannschen Systemtheorie zu nhern, stehen mittlerweile viele Hilfsinstrumente zur Verfgung, z.B. ein Luhmann-Lexikon.228 Die neuere Systemtheorie beschftigt sich mit realen Systemen, die es in der wirklichen Welt gibt. Dazu gehren technische, organische, soziale und psychische Systeme. In Abbildung 9 sind in Anlehnung an das von Luhmann eingesetzte Begriffsschema drei Ebenen der Systembildung unterschieden. Den Ebenen sind unterscheidbare, induktiv gewonnene Systemarten zugeordnet.229 Entsprechend der Abstraktionsebene der Systemarten kommt auf der ersten Ebene die allgemeine Systemtheorie zum Einsatz. Sie liefert die begrifflichen Grundlagen zur Beschreibung der Systemarten, die auf der zweiten Analyseebene angesiedelt sind. Dazu gehren soziale Systeme, die den Schwerpunkt der von Luhmann vorgelegten Systemtheorie bilden. Auf der dritten Ebene werden drei Sonderflle von sozialen Systemen behandelt: Gesellschaftssysteme (mit ihren Subsystemen), Organisationen und Interaktionen. Fr alle Betrachtungsebenen will die neuere Systemtheorie einen Beitrag leisten. Insbesondere erhebt sie den Anspruch, smtliche sozialen Erscheinun-

225 Niklas Luhmann ist einer der bedeutendsten Gesellschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts.

226

227

228

229

Er hat in seiner 30-jhrigen Forschungsarbeit eine umfassende Theorie sozialer Systeme erarbeitet. Als die zwei Hauptwerke des Meisters der Systemtheorie gelten: Luhmann (1987) und Luhmann (1997). Das Wirtschaftssystem behandelt Luhmann u.a. in seiner Schrift: Luhmann (1994a). Mit dem Thema Organisation und Wirtschaftsorganisation (Unternehmen) befasst sich Luhmann in seinen Schriften: Luhmann (1999a), Luhmann (1999b) und Luhmann (2006a). Parsons gilt als Begrnder der soziologischen Systemtheorie. Seit den 1940er Jahren hat er seine Version einer soziologischen Systemtheorie entwickelt. Er bezeichnete sie als strukturfunktionale Systemtheorie oder auch Strukturfunktionalismus, vgl. u.a. Parsons (1951), (1964), (1968), (1977), (1978). Zu den basalen Konzepten Funktion, Funktionalismus, funktionale quivalenz etc., vgl. bes. die Beitrge in Luhmann (2005a-2005e) und Luhmann (2009). Zu der von Luhmann vorgenommenen Umstellung von strukturell-funktionaler zu funktional-struktureller Systemtheorie, vgl. Luhmann (2005a) besonders S. 144 ff. Vgl. Krause (2005); vgl. weiterhin Willke (1991), Bardmann/Lamprecht (1999), Kneer/Nassehi (2000), Reese-Schfer (2001), Berghaus (2004), Dieckmann (2004), Fuchs (2004), Mnch (2004), Horster (2005), Baecker (2005), Baraldi/Corsi/Esposito (1999), Simon, F. B. (2007a), Gensicke (2008), Luhmann (2005f), (2006b). Vgl. Luhmann (1987) S. 16.

86

Wissenschaftskonzepte

3.1

gen der Welt, also auch die Phnomene des Wirtschaftens, mit einem einheitlichen begrifflichen Instrumentarium zu beschreiben.230 Abbildung 9: Systemtypen

Systeme
Ebene 1

Ebene 2

technische Systeme

organische Systeme

soziale Systeme

psychische Systeme

Interaktionen

Organisationen

Subsysteme der Gesellschaft

Gesellschaft

Ebene 3
Wirtschaftsorganisationen (Unternehmen) Parteien, Universitten, ffentl. Verwaltung etc. Wirtschaftssystem Politiksystem Rechts-, Wissenschafts-, Religions-, Familiensystem etc.

Seine Theorie sozialer Systeme entwickelt Luhmann aus zwei Blickrichtungen, die sich wechselseitig ergnzen. Der eine Aspekt ist ein systemtheoretischer: die Anwendung der Systemtheorie auf soziale Erscheinungen. Der zweite Aspekt ist eine historische Perspektive, aus der das Soziale betrachtet wird: die Beschreibung und Erklrung der Evolution von komplexen sozialen Strukturen. Es geht der Systemtheorie Luhmanns um eine Analyse realer Systeme der wirklichen Welt. Dazu gehren Systemarten, die die Fhigkeit besitzen, Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt.231 Gemeint sind selbstreferenzielle Systeme, zu denen die sozialen und psychischen Systeme sowie Organismen zhlen. Hierfr ist eine konkrete Systemtheorie zu entwickeln, die davon ausgeht, dass es in der wirklichen Welt nicht nur

230 Vgl. Luhmann (1987) S. 12 ff. 231 Luhmann (1987) S. 30 f.

87

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Systeme gibt, sondern darber hinaus, dass sich in der Realitt selber Systeme bilden, die der Systemtheoretiker so, wie sie sind, beschreiben muss.232 Die neuere Systemtheorie leugnet zwar nicht, dass es eine Realitt gibt. Das Verstndnis, wie Erkenntnis der Realitt mglich ist, unterscheidet sich allerdings fundamental von dem der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre, denn es basiert auf einer bestimmten Ausprgung des Konstruktivismus.233 Anders als die klassische Systemtheorie, die sich Systeme als Ganzheiten vorstellte, die aus einer Menge von Elementen bestehen, betrachtet die neuere Systemtheorie Systeme nicht als Ganzheiten, sondern als Differenzen. System ist die Differenz zwischen System und Umwelt. 234 Da psychische und soziale Systeme als Unterschiede gedacht werden, haben sie keine Substanz, sie bestehen nicht aus materiellen Dingen. Die Komponenten, aus denen sich psychische und soziale Systeme zusammensetzen, sind Operationen, sind Ereignisse, die momenthaft aufscheinen und mit ihrem Auftritt auch schon wieder verschwunden sind.235 Der Materialismus kann also nicht als Basis der neueren Systemtheorie betrachtet werden. Die chilenischen Biologen Humberto Maturana (geb. 1928) und Francisco Varela (19462001) haben die Eigenschaft von Organismen (lebende Systeme: Zellen, Gehirne), sich selbst zu produzieren, mit dem von ihnen entwickelten Autopoiesekonzept beschrieben.236 Ein System wird autopoietisch genannt, wenn es sich selbst zusammenbaut, erzeugt und erfindet und hierzu ausschlielich auf eigene Komponenten zurckgreift. Autopoietische Systeme sind ihr eigenes Werk. Sie produzieren und beeinflussen sich selbst und unterscheiden sich insofern von technischen Systemen, die von auen gemacht sind. Das Konzept der Autopoiese wendet die neuere Systemtheorie auf psychische und soziale Systeme an.237 Um Bestand zu haben, mssen autopoietische Systeme Operationen an Operationen reihen. Das System und damit die Differenz zur Umwelt werden operativ erzeugt, indem Operationen, aus denen das System besteht, Operationen produzieren, aus denen das System besteht. Es kommt auf Anschlussfhigkeit und nicht z.B. auf Opti232 Luhmann (2006b) S. 60. Von einer konkreten Systemtheorie ist eine analytische zu unter-

233 234 235 236 237

scheiden. Letztere berlsst es dem Systemtheoretiker als einem externen Beobachter [] welche Aspekte der Realitt er zu einem System zusammenfasst und welche er ausschlieen will. Ebenda. Hinter der Differenzierung von konkreter und analytischer Systemtheorie verbirgt sich eine Theorie der Beobachtung, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Dabei ist zu beachten, dass alle Beobachtung die Phnomene verndert, die sie beobachtet, und der Beobachter selbst wiederum ein selbstreferenzielles System ist. Zur konstruktivistischen Erkenntnistheorie vgl. von Foerster (1985). Vgl. Luhmann (1987) S. 35. Ereignisse und Operationen sind verzeitlichte Systemelemente. Ereignisse haben weder Substanz noch sind sie Subjekte. Vgl. Maturana/Varela (1975a), Maturana/Varela (1975b), Maturana (1985) und Maturana/Varela (1987). Eine bertragung des Autopoiesekonzepts auf psychische und soziale Systeme hat Maturana selbst abgelehnt.

88

Wissenschaftskonzepte

3.1

malitt der Operationen an.238 Um anschlussfhig zu sein, mssen die Operationen vom gleichen Typ sein. Autopoietische Systeme sind operativ geschlossene Systeme, die alle Elemente (Operationen, Ereignisse), aus denen sie bestehen, selbst hervorbringen. So bestehen die drei Systemtypen (psychische, soziale und organische Systeme) aus unterscheidbaren einzigartigen Operationen. Whrend psychische Systeme durch die Operationsform Bewusstsein (Gedanken, Vorstellungen) gekennzeichnet sind, ist Kommunikation die Operationsform sozialer Systeme und Leben ist die Operationsform von organischen Systemen. Die Besonderheit von psychischen und sozialen Systemen gegenber lebenden Systemen (Zellen, Gehirne, Organismen) wird durch die Verwendung des Sinnbegriffs herausgestellt.239 Psychische und soziale Systemen sind sinnbegrndende Systeme; Organismen sind das nicht. Soll Anschlussfhigkeit der Operationen sichergestellt werden, muss das System sich selbst beobachten. Und um seine Operationen zu beobachten, muss das System operieren, denn die Beobachtung selbst ist eine Operation (Handhabung von Unterscheidungen240). Mit seinen Operationen muss das System sich selbst (und seine Operationen) erkennen und von allem anderen unterscheiden knnen. Dazu muss es die Unterscheidung von System und Umwelt in sich selbst, ins System, hineinkopieren. Hierdurch wird es in die Lage versetzt, intern zwischen System und Umwelt zu unterscheiden.241 Das System kann sich auf sein internes Selbst (Selbstreferenz) und auf seine interne Umwelt (Fremdreferenz) beziehen. Selbstreferenz und Fremdreferenz sind nur als Selbstreferenz mglich. Selbstbeobachtung bedeutet, dass der Beobachter im System ist, das er beobachtet. Von der Selbstbeobachtung ist die Fremdbeobachtung zu unterscheiden. Fremdbeobachtung bedeutet, dass ein System von der Umwelt aus beobachtet wird. Ein externer Beobachter beobachtet das System. Beobachter knnen Objekte oder Sachverhalte der Welt beobachten und mit der Beschreibung dessen, was sie sehen, die Welt so darstellen, als ob sie so wre, wie sie sie beschreiben. Mit diesem Sachverhalt ist eine Beobachtung erster Ordnung angesprochen. Sie beschreibt, was es in der Welt gibt. In der Welt gibt es auch Beobachter, die Objekt der Beobachtung sein knnen. Wenn Beobachter Beobachtungen beobachten, handelt es sich um Beobachtungen zweiter Ordnung. Dabei geht es nicht primr um die Beobachtung eines Sachverhalts (was beobachtet wird, Beobachtung erster Ordnung), sondern darum, wie beobachtet wird, also um die Frage, mit welchen Unterscheidungen beobachtete Beobachter beobachten.

238 Vgl. Luhmann (1987) S. 169. 239 Der Sinnbegriff der neueren Systemtheorie wird in Abschnitt 4.2.3.3 und weiter in Abschnitt 240 Luhmann (1987) S. 63. 241 Mit Spencer-Brown wird diese Notwendigkeit als der Wiedereintritt der Form in die Form

10.5.2 nher erklrt.

oder mit dem Begriff re-entry bezeichnet, vgl. Spencer-Brown (1999) S. 60 ff.

89

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung bleibt unbercksichtigt, dass die Umwelt nur ber intern anschlussfhige Fremdreferenz, die nur als Selbstreferenz mglich ist, beobachtet werden kann. Dies fhrt dazu, dass Systeme, solange sie nur beobachten, was sie beobachten, der Illusion unterliegen, Umweltkontakt zu haben. Die Welt wird nicht als Resultat der systemeigenen Operationen, sondern als extern vorgegeben erfahren. Es entsteht der Eindruck, dass die Welt nicht beliebig eingerichtet ist und dass Versuche, sie zu beeinflussen, mit Widerstand zu rechnen haben und man sich der Welt, wie sie ist, fgen muss. Erst wenn beobachtet wird, wie beobachtet wird, also der Beobachter zweiter Ordnung auftritt, kann die Illusion, Systeme stnden einer fest gefgten, realen Welt gegenber, durchschaut und aufgehoben werden. Mit der Einfhrung der Beobachtung zweiter Ordnung in die neuere Systemtheorie bringt sich eine konstruktivistische Perspektive ein, die smtliche Theoriebausteine der Systemtheorie durchdringt, denn sie nimmt ausschlielich Beobachter in den Blick und sieht, dass diese nach eigenen, unterscheidbaren, kontingenten (auch anders mglichen) Kriterien sich selbst und ihre Umwelt beobachten. Die Beobachtung zweiter Ordnung erkennt, was die beobachteten Beobachter sehen und wie sie sehen, was sie sehen. Im Gegensatz zum Wissenschaftskonzept der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre, die auf einem naiven Realismus basiert, bildet der operative Konstruktivismus die Grundlage der neueren Systemtheorie. Darber hinaus behauptet die neuere Systemtheorie, der methodologische Individualismus, den die Betriebswirtschaftslehre ihrer Theoriebildung zugrunde legt, sei falsch.242 Diese Einschtzung begrndet die neuere Systemtheorie nicht nur mit der Emergenz sozialer Systeme. Sie argumentiert weitergehend, dass es ihr zwar um die Beobachtung menschlichen Verhaltens gehe, aber gerade nicht um die Beobachtung individuellen menschlichen Verhaltens. Es sei prinzipiell falsch, davon auszugehen, dass man Individuen (verstanden als psychische Systeme) besser beobachten knne als soziale Systeme, denn soziale und psychische Systeme haben jeweils ihre eigene innere Unendlichkeit. Insofern ist es problematisch, psychische Systeme einfach als nicht weiter Teilbares (als Individuen) zu bestimmen. Ausgangspunkt einer sozialwissenschaftlichen Theorie mssen daher soziale Systeme sein, die Eigenschaften aufweisen, die nicht auf individuelles Verhalten reduziert werden knnen. Der Kollektivismus ist somit als das methodologische Fundament der neueren Systemtheorie zu betrachten. Der neueren Systemtheorie wird Empirie-Feindlichkeit vorgeworfen. Tatschlich lsst die konstruktivistische Perspektive der neueren Systemtheorie empirische Forschung in einem problematischeren Licht erscheinen, denn die neuere Systemtheorie erkennt, dass zu erforschende Sachverhalte durch den Forschungsprozess beeinflusst werden. Losgelst vom Beobachter gibt es Daten als solche gar nicht und daher ist der Beobachter fr die neuere Systemtheorie die zentrale Theoriefigur. Hieraus folgt auch die berzeugung, dass man eine Theorie sozialer Systeme nicht aus empirischen For242 Vgl. Luhmann (1987) S. 346 f.

90

Wissenschaftliche Methoden

3.2

schungen gewinnen kann,243 sondern zunchst eine Theorie sozialer Systeme zu entwickeln ist. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich ber empirische Sozialforschung gewonnene Sozialdaten sinnvoll interpretieren. Es muss betont werden, dass der pauschale Vorwurf der Empirie-Feindlichkeit unberechtigt ist, denn die neuere Systemtheorie beansprucht, ihre Aussagen mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, und lsst sich auf eine Bewhrung ihrer Aussagen an der Wirklichkeit ein.244 Der Rationalismus bildet zwar eine philosophische Basis der neueren Systemtheorie, die Relevanz empirischer Sachverhalte wird aber nicht geleugnet.

3.2

Wissenschaftliche Methoden

In den unterschiedlichen Wissenschaftskonzepten sind unterschiedliche wissenschaftliche Methoden eingebettet. Die neuere Systemtheorie propagiert die Methode des quivalenzfunktionalismus. Funktionale Analysen bilden die methodische Grundlage des wissenschaftlichen Bemhens der neueren Systemtheorie. Dabei geht es nicht um die Analyse der Beziehung von Ursache und Wirkung. Es werden vielmehr mehrere Ursachen und die Verhltnisse zwischen diesen Ursachen unter dem Gesichtspunkt einer problematischen Wirkung untersucht. So kann die funktionale quivalenz mehrerer mglicher Ursachen bezglich einer problematischen Wirkung identifiziert werden.245 Die Funktion ist keine zu bewirkende Wirkung, sondern ein regulatives Sinnschema, das einen Vergleichsbereich quivalenter Leistungen organisiert. Sie bezeichnet einen speziellen Standpunkt, von dem aus verschiedene Mglichkeiten in einem einheitlichen Aspekt erfasst werden knnen. In diesem Blickwinkel erscheinen die einzelnen Leistungen dann als gleichwertig, gegeneinander austauschbar, fungibel, whrend sie als konkrete Vorgnge unvergleichbar verschieden sind.246 Marxisten setzen die Methode der Dialektik (Dreisatz von These, Antithese und Synthese) ein, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Nach dem Selbstverstndnis der Dialektiker erfasst die dialektische Methode eine Dialektik der Wirklichkeit. Nur die Dialektik kann daher diese Wirklichkeit in ihrer Ganzheit angemessen beschreiben. Weil das Wahre das Ganze ist, muss jeder wahre Satz ein dialektischer sein und das heit ein widersprchlicher. Da das analytische Denken untrennbar mit der Logik verbunden ist, und von daher Widersprche kategorisch abzulehnen sind, muss dem analytischen Denken diese Wahrheit verborgen bleiben.

243 244 245 246

Vgl. Luhmann (1997) S. 41. Vgl. Luhmann (1987) S. 30. Vgl. Luhmann (2005a) S. 17. Luhmann (2005a) S. 17. Zu den einzelnen Elementen funktionaler Analysen, vgl. Luhmann (2000) S. 3, Funote 7.

91

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Dialektik und quivalenzfunktionalismus sind nicht die Methoden der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre. Die folgenden Ausfhrungen konzentrieren sich auf wissenschaftliche Methoden, die in dem Wissenschaftskonzept der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre zur Anwendung kommen. Dabei wird zwischen Methoden der Erkenntnisgewinnung und Methoden der Erkenntnisberprfung unterschieden.

3.2.1

Methoden der Erkenntnisgewinnung

Bei der Darstellung des Werturteilsstreits wurde bereits darauf hingewiesen, dass es in dieser Auseinandersetzung insbesondere auch um die Frage ging, welche Methode der Erkenntnisgewinnung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zum Einsatz kommen soll. Es wurden zwei Methoden diskutiert. Gestritten wurde darber, ob die Methode der Induktion oder die Methode der Deduktion Wissenschaftlichkeit garantiere. Entsprechend der Induktion wird eine endliche Anzahl von Beobachtungen einzelner Phnomene durchgefhrt. Dann werden Gemeinsamkeiten der Einzelphnomene identifiziert. Diese Gemeinsamkeiten werden im Rahmen einer Theorie verallgemeinert. Derart werden aus endlichen Beobachtungsreihen allgemeingltige Gesetze abgeleitet. Der induktive Erkenntnisweg fhrt vom Besonderen zum Allgemeinen. Deduktives Vorgehen bei der Erkenntnisgewinnung bedeutet demgegenber, dass zunchst allgemeingltige Gesetzesaussagen in Form von Theorien formuliert werden mssen. Sie stellen Hypothesen dar, aus denen deduktiv spezielle Beobachtungsstze, die sich auf Einzelphnomene beziehen, abzuleiten sind. Der Erkenntnisweg fhrt vom Allgemeinen zum Besonderen. Die deduktive Methode wird weiter differenziert in die axiomatische Deduktion, die realtheoretische Deduktion und die nomologische Deduktion.247 Die Methode der axiomatischen Deduktion versucht, aus hochabstrakten, empirisch nicht notwendigerweise gltigen Annahmen logisch korrekte Schlussfolgerungen zu ziehen. Demgegenber geht es bei der Methode der realtheoretischen Deduktion darum, auf der Grundlage empirisch gehaltvoller Annahmen Modelle zu bilden und diese Modelle auf die betriebliche Wirklichkeit anzuwenden. Die Methode der nomologischen Deduktion ist die Methode der Erkenntnisgewinnung des Kritischen Rationalismus. Sie wurde von Sir Karl Raimund Popper (19021994) zunchst fr die Naturwissenschaften beschrieben248 und anschlieend auch fr die Sozialwissenschaften vorgeschlagen.249 Die bertragung naturwissenschaftlicher Methodik auf die Sozialwissenschaften wird im so genannten Positivismusstreit heftig kritisiert. In diesem Streit wird die Position der Vertreter des Kritischen Rationalis247 Vgl. zu dieser Einteilung, Raffe (1993) S. 16 ff. 248 Vgl. Popper (1973). 249 Vgl. Popper (1971) S. 113-125..

92

Wissenschaftliche Methoden

3.2

mus von den Mitgliedern der Frankfurter Schule attackiert. Zu den Vertretern der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule zhlen vor allem Max Horkheimer (18951973), Theodor W. Adorno250 (1903-1969), Herbert Marcuse (1898-1979), Friedrich Pollock (1894-1970), Erich Fromm (1900-1980) und Jrgen Habermas (geb. 1929). Insbesondere die von Habermas entwickelte Theorie des kommunikativen Handelns251, die eine Diskursethik enthlt, hat die Entwicklung auf dem Gebiet der Wirtschaftsund Unternehmensethik beeinflusst.252 Insbesondere Hans Albert (geb. 1921) hat den kritischen Rationalismus und seine Methodik in Deutschland fr die Wirtschaftswissenschaften populr gemacht.253 Die meisten Betriebswirtschaftler/innen sind Anhnger des kritischen Rationalismus und bekennen sich zu seiner Methodik der nomologischen Deduktion. Entsprechend der Methode der nomologischen Deduktion ist ein zu erklrender Sachverhalt (Explanandum) aus einem erklrenden Aussagensystem (Explanans)254 logisch abzuleiten und derart zu erklren. Abbildung 10: Deduktiv-nomologische Methode der Erkenntnisgewinnung

1.

Nomologische Hypothesen (= Gesetzeshypothesen)

Explanans
2. Anfangs-, Randbedingungen (= Antecedensbedingungen) Aus 1. und 2. folgt der zu erklrende Sachverhalt

3.

Explanandum

Diese Darstellungsform der deduktiv-nomologischen Methode wurde von Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim erfunden und wird daher als Hempel-Oppenheim-

250 Horkheimer/Adorno (2003). 251 Vgl. Habermas (1981). 252 Vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 2.6.1 und Abschnitt 2.6.2 zur Wirtschafts- und Unter-

nehmensethik. Neben den Einflssen und Anregungen der Frankfurter Schule bezglich dieser Themenkomplexe sind insbesondere die wirtschaftssystemtheoretischen Untersuchungen Pollocks fr die Wirtschaftswissenschaft wichtig, vgl. Pollock (1971). Pollock hat sich auch mit den konomischen und sozialen Folgen der bertragung menschlicher Arbeit auf Automaten auseinandergesetzt und damit ein wichtiges betriebswirtschaftliches Thema bearbeitet, vgl. Pollock (1964). 253 Vgl. Albert (1971). 254 Vgl. lat. explanare = erklren.

93

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Schema bezeichnet.255 Sie kann genutzt werden, um an Beispielen die deduktivnomologische Methode zu verdeutlichen. Ihre Anwendung auf konomische Fragestellungen setzt voraus, dass zunchst konomische Gesetze ausfindig gemacht werden. Die Frage, ob es derartige konomische Gesetze berhaupt gibt, wird in den Wirtschaftswissenschaften kontrovers diskutiert. Fr Thomas Robert Malthus (1766-1834)256 besitzen konomische Gesetze den Charakter von Naturgesetzen. In seinem Werk An essay on the principle of population, das er 1798 verffentlicht, entwickelt Malthus sein berhmtes Bevlkerungsgesetz, in dem er zwei Aspekte miteinander verbindet: die Entwicklung der menschlichen Population und die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsmglichkeiten. Nach Malthus steigt im Laufe der Zeit die Bevlkerung geometrisch progressiv an, whrend die landwirtschaftliche Produktion arithmetisch progressiv zunimmt. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass irgendwann die Lebensmittel nicht mehr ausreichen, um die Weltbevlkerung zu ernhren, sie verelendet.257 Auch David Ricardo (1772-1823)258 und seine Nachfolger sowie Karl Marx (1818-1838)259 heben die naturgesetzliche Zwangslufigkeit, mit der konomische Gesetze wirken, hervor. Fr Vertreter der Neoklassik gilt das Gleiche. In seinem Aufsatz: Macht oder konomisches Gesetz?, hat Eugen Bhm Ritter von Bawerk (1851-1914)260 im Jahr 1914 seine Auffassung dargelegt, dass es konomische Gesetze sind und nicht die Politik, die das Wirtschaftsgeschehen steuern, und so das Primat der Wirtschaft gegenber der Politik herausgestellt.261

Vgl. Hempel/Oppenheim (1948) S. 138. Malthus wurde 1805 auf den ersten Lehrstuhl fr politische konomie berufen. Vgl. Malthus (1977). Ricardo (2006). Karl Heinerich Marx ist bis heute einer der einflussreichsten Philosophen, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler. Mit seiner Kritik an der brgerlichen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise, die er 1841 formulierte, wurde Marx an der Universitt Jena zum Dr. phil. promoviert. 260 Sein voller Name wird in der Literatur gekrzt und mit Eugen Bhm-Bawerk wiedergegeben. Bhm-Bawerk war mehrfach Finanzminister in sterreich, danach ab 1904 Professor der Nationalkonomie an der Universitt Wien, wo er ab 1911 das Amt des Prsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften bernahm. Im Werturteilsstreit stand Bhm-Bawerk an der Seite von Carl Menger und argumentierte gegen die deutsche historische Schule der Volkswirtschaftslehre. Sein Hauptwerk Kapital und Kapitalzins wurde in zwei Bnden zwischen 1884 und 1889 verffentlicht, vgl. Bhm-Bawerk (1994), (1991). Jeder, der sich fr Finanzwirtschaft interessiert, sollte hierin gelesen haben. 261 Vgl. Bhm-Bawerk (1914). Hier argumentiert er gegen die von Mikhail I. Tugan-Baranovsky vertretene Auffassung, dass es die Machtverhltnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern seien, die die Lohnbildung bestimmen. Bhm-Bawerk vertritt die Auffassung, dass die konomischen Gesetze von Angebot und Nachfrage langfristig die Lohnhhe bestimmen. Sobald es den Gewerkschaften gelungen sei, einen Lohn zu erzwingen, der ber der Grenzproduktivitt der Arbeit liege, wrden Unternehmen langfristig Arbeit durch Kapital ersetzen, indem sie es aus den Wirtschaftssektoren abziehen, die mit einem ber der Grenzproduktivitt der Arbeit liegenden Lohn konfrontiert seien. Da die Nachfrage nach Arbeit in den betroffenen Wirtschaftssektoren sinke, wrde der Lohnsatz sich langfristig auf das Niveau eines Gleichgewichtslohns einpendeln.

255 256 257 258 259

94

Wissenschaftliche Methoden

3.2

Der Frage, ob konomische Gesetze nachgewiesen werden knnen, soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Die Position, die hier vertreten wird, geht davon aus, dass konomische Gesetze keine strengen Gesetze in dem Sinne sind, dass ihre Aussagen immer und berall gelten, sondern sie nur insoweit generalisierbar sind, als von ihnen behauptet werden kann, dass sie unter Normalbedingungen in der Regel, also meistens zutreffende Beschreibungen darstellen. Als Beispiele fr konomische Gesetze werden in der Literatur das erste und zweite Gossensche Gesetz zitiert. Benannt sind die Gesetze nach Hermann Heinrich Gossen, der sie 1848 formulierte. Das erste Gossensche Gesetz, das auch als Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen bezeichnet wird, besagt: Die Gre eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwhrend ab, bis zuletzt Sttigung eintritt.262 Das zweite Gossensche Gesetz ist als Gesetz vom Ausgleich der gewogenen Grenznutzen bekannt. Mit den Worten seines Entdeckers besagt es: Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehreren Genssen frei steht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten, mu, wie verschieden auch die absolute Gre der einzelnen Gensse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Grten zu bringen, bevor er auch nur den grten sich vollaus bereitet, sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhltni, da die Gre eines jeden Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt.263 Mit anderen Worten behauptet das zweite Gossensche Gesetz, dass Wirtschaftssubjekte die ihnen zur Verfgung stehenden Mittel derart auf die Beschaffung der verschiedenen Gter verteilen, dass fr smtliche Gter der Grenznutzen, den sie jeweils stiften, gleich gro wird. Auf die hnlichkeit mit den neoklassischen Ertragsgesetzen sei hingewiesen.264 Der bereits zitierte sterreichische Finanz- und Kapitaltheoretiker Bhm-Bawerk hat ein weiteres konomisches Gesetz formuliert: das Gesetz von der Mehrergiebigkeit grerer Produktionsumwege. Mehrergiebigkeit, das ist die Grenzproduktivitt des Kapitals, also die zustzliche Ausbringungsmenge an Gtern, die durch einen vermehrten Kapitaleinsatz ermglicht wird. Lngere Produktionsumwege bedeuten fr eine gewisse Zeit Konsumverzicht (Sparen). Angesparte Nahrungsmittel versetzen denjenigen, der sie angehuft hat, in die Lage, sich eine Zeit lang zu verpflegen, ohne dass er fr seine Verpflegung arbeiten muss. Die so gewonnene Arbeitszeit kann in die Herstellung von Kapitalgtern investiert werden, mit denen in krzerer Zeit mehr Konsumgter zu produzieren sind, als das vor dem Einsatz der Kapitalgter der Fall war. Der Umweg der Produktion von Konsumgtern ber den Einsatz von Kapitalgtern fhrt zu einem hheren Aussto an Konsumgtermengen. Wird der Produktionsumweg weiter vergrert, indem Kapitalgter mit Kapitalgtern produziert werden, knnen in immer krzerer Zeit immer mehr Konsumgter produziert werden.

262 Gossen (1848) S. 4 f. 263 Gossen (1848) und S. 12. 264 Vgl. Abschnitt 4.1.1.

95

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

Hiermit ist der Inhalt des Gesetzes von der Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege beschrieben. Das Nachfragegesetz, so wird behauptet, besitzt ebenfalls die Qualitt eines konomischen Gesetzes. Es besagt, dass unter Normalbedingungen das Ansteigen des Preises fr ein Gut, eine Reduktion der nachgefragten Menge dieses Gutes bewirkt. Wird fr ein bestimmtes Gut ein Nachfragerckgang beobachtet (Explanandum), kann dieses Phnomen mit dem Hinweis auf das Nachfragegesetz und dem gestiegenen Preis des Gutes erklrt werden. Mit dem Hempel-Oppenheim-Schema sei dieser Sachverhalt veranschaulicht.

Abbildung 11:

Beispiel zur deduktiv-nomologischen Methode

1. Nomologische Aussage (Gesetzesaussage = generelle Aussage = Aussage ohne Raum-Zeit-Bezug) Diese Aussage gilt immer und berall z.B.: Steigt der Preis eines Gutes, sinkt die nachgefragte Menge des Gutes (Nachfragegesetz). 2. Anfangsbedingung (singulre Aussage = Raum-Zeitbezogene Aussage = deskriptive Aussage) z.B.: Der Preis fr Bier ist heute in der Stadt X auf das Doppelte gestiegen.

Explanans

3. Aus 1. und 2. wird auf die zu erklrende Erscheinung geschlossen (singulre Aussage, Wirkung) z.B.: Die nachgefragte Biermenge ist heute in Stadt X gesunken.

Explanandum

Ein weiteres Beispiel zur wissenschaftlichen Erklrung eines Sachverhalts mithilfe der deduktiv-nomologischen Methode sei angefgt: Es soll erklrt werden, warum Mitarbeiter nicht zur Arbeit kommen, obwohl sie nicht krank sind (Explanandum). Um dieses Verhalten zu erklren, knnen Motivationstheorien265 (nomologische Aussagen) und die konkrete Arbeitssituation (Betriebsklima, Merkmale der Ttigkeit, Entlohnungssystem usw.), die Antecedensbedingungen, herangezogen werden. Es gibt Moti265 Motivationstheorien werden in Abschnitt 8.3.1.3 behandelt.

96

Wissenschaftliche Methoden

3.2

vationstheorien, die behaupten, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihren Fehlstunden korreliert. Sinkt (steigt) die Zufriedenheit, steigen (sinken) die Fehlstunden. Kann beobachtet werden, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter gesunken ist, gilt das vermehrte Fernbleiben der Mitarbeiter vom Arbeitsplatz als erklrt. Mithilfe des Hempel-Oppenheim-Schemas lassen sich auch die Begriffe Erklrung, Prognose und Manahmenbestimmung przisieren. Dazu ist die Frage zu beantworten, ob die Randbedingungen oder der zu erklrende Sachverhalt vorgegeben ist oder gesucht wird. Ist der zu erklrende Sachverhalt (das Explanandum) gegeben, da z.B. festgestellt wurde, dass die nachgefragte Biermenge zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Stadt X gesunken ist, stellt sich die Frage: Warum ist das so? Um diese Frage zu beantworten, ist nach einem konomischen Gesetz und den Randbedingungen (dem Explanans) zu suchen. In dem gewhlten Beispiel kann das Nachfragegesetz zur Anwendung kommen. Weiter sind die zunchst unbekannten Randbedingungen durch Beobachtung zu ermitteln. In dem Fallbeispiel konnte beobachtet werden, dass der Bierpreis zum Beobachtungszeitpunkt in der Stadt X um 100 Prozent gestiegen ist. Mit der Identifikation dieser Randbedingung und dem Nachfragegesetz gilt der empirische Sachverhalt des verminderten Bierkonsums als erklrt. Von einer Erklrung ist die Prognose zu unterscheiden. Von einer Prognose spricht man, wenn die Randbedingungen gegeben sind. In obigem Beispiel wre dies die beobachtete Bierpreissteigerung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Stadt X. Die Frage, die es zu beantworten gilt, wre: Was folgt aus dieser Tatsache? Soll eine Prognose abgegeben werden, ist nach einem auf diesen Fall anwendbaren konomischen Gesetz zu suchen, mit dem die Folgen aus den beobachteten Randbedingungen prognostiziert werden knnen. Wenn eine Manahme bestimmt werden soll, mit deren Einsatz ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, ist das Explanandum als Zielvorstellung gegeben. Auf den Beispielsfall bezogen knnte als Zielsetzung vorgegeben sein, den Bierkonsum in der Stadt X zu reduzieren. Die Frage wre zu beantworten, mit welchen Manahmen diese Vorgabe zu erreichen ist. Im Fall der Manahmenbestimmung ist also das Explanandum (konomisches Gesetz und die Randbedingungen) gesucht. Die Randbedingungen sind als gesuchte Manahmen zu interpretieren. Die deduktiv-nomologische Erklrungsmethode ist innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschungsgemeinschaft kritisiert worden. Es wurde argumentiert, dass im betriebswirtschaftlichen Bereich keine (Natur)-Gesetze wirken. Vielmehr sei ein Kennzeichen von Betriebswirtschaften, wie von allen sozialen Systemen, dass hier Menschen zielgerichtet handeln und dieses Handeln nicht naturgesetzlich (deduktiv-

97

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

nomologisch) zu erklren sei, sondern durch Deutungen zu erschlieen ist.266 Soweit die Deutungen sich so strukturieren lassen, dass sie in das Schema der deduktivnomologischen Methode passen, spricht man von deduktiven Deutungsanstzen. Dabei ist zu beachten, dass an die Stelle von Gesetzesaussagen allgemeine Aussagen ber Erklrungshintergrnde treten. Zu erklrende Sachverhalte werden beispielsweise als zweckrationale Handlungen, als Funktionsbedingungen eines Systems oder als Ergebnisse eines Evolutionsprozesses gedeutet. Entsprechend unterscheidet man zwischen rationalen, funktionalen und gesellschaftlich-historischen Deutungsanstzen.267 Als Grundlagenmethoden der Betriebswirtschaftslehre werden diese Deutungsanstze von den meisten Fachvertretern abgelehnt. Gleiches gilt fr die Hermeneutik,268 denn auch die hermeneutische Methode ist keine Erklrungsmethode. Sie ist eine Methode des nachfhlenden Verstehens.269 Im Rahmen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung kommt diese Methode zum Beispiel bei der Textauslegung zur Anwendung und hat auch ihre Berechtigung, wenn es darum geht, Sinnzusammenhnge zu erfassen.270 Anders als die Deutungsanstze und die Hermeneutik ist die Mustererkennung als wissenschaftliche Methode anerkannt. Friedrich August von Hayek (1899-1992) vermutet, dass das menschliche Gehirn ber einen Detektor zur Identifikation von Handlungs- und Bewegungsmustern verfgt. Die Komplexitt der Umwelt wird durch die Muster, die das Ergebnis einer abstrahierenden Wahrnehmungsleistung darstellen, reduziert. Es kann nach von Hayek zwar nicht vorhergesagt werden, wie sich einzelne Individuen verhalten werden, allerdings ist eine Mustervoraussage ber das Verhalten einer Menge von Individuen mglich.271

266 Vgl. Steinmann (1978) S. 78 f. Die betriebswirtschaftlichen Deutungsanstze berufen sich auf

267 268 269 270 271

den Konstruktivismus der so genannten Erlanger Schule. Hiernach sind wissenschaftliche Theorien realistische Rekonstruktionen vorgegebener Wirklichkeitsbereiche. Da es nicht mglich ist, Sprache und Wirklichkeit radikal zu unterscheiden, ist die Rekonstruktion der sprachlichen Mittel der Wissenschaften zugleich eine Konstruktion ihrer Gegenstnde. Deshalb wird dieser Ansatz konstruktivistisch genannt. Diese Ausprgung von Konstruktivismus unterscheidet sich vom operativen Konstruktivismus, der den Betrachtungen der neueren Systemtheorie zugrunde liegt. Kieser/Kubicek (1978) S. 43-59. Hans-Georg Gadamer (1900-2002) ist einer, der grundlegende Arbeiten zur Hermeneutik vorgelegt hat, vgl. Gadamer (1990). Stegmller (1969) S. 360. Vgl. Raffe (1993) S. 15. Vgl. von Hayek (1994) S. 37 und S. 39.

98

Wissenschaftliche Methoden

3.2

Abbildung 12:

Wissenschaftliche Methoden der Erkenntnisgewinnung

Hermeneutik

Deduktion axiomatische

Induktion

Deutungsansatz rationaler funktionaler

Mustererkennung

realtheoretische

nomologische

historischer

Nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis wurde durch den Einsatz wissenschaftlicher Methoden gewonnen. Vielmehr sind groe wissenschaftliche Leistungen durch Intuition und Analogiebildung und durch den Einsatz heuristischer Methoden vollbracht worden. Zu den bekanntesten und einfachsten Heuristiken der Problemlsung zhlen: trial and error (Versuch und Irrtum), Anwendung von thumb rules (Daumenregeln), muddling through (Durchwursteln).272 Aber auch die intuitiv und heuristisch gewonnenen Erkenntnisse mssen letztlich wissenschaftlichen Kriterien standhalten, um in den Kanon wissenschaftlicher Aussagen aufgenommen zu werden273.

3.2.2

Methoden der Erkenntnisberprfung

Die durch den Einsatz wissenschaftlicher Methoden gewonnenen Aussagen mssen einerseits einer logischen Prfung standhalten, das heit, sie mssen widerspruchsfrei formuliert sein, andererseits mssen sie mit der Realitt konfrontiert und auf Bewhrung hin berprft werden. Zwei Methoden zur berprfung wissenschaftlicher Aussagen werden unterschieden: Falsifikation (lat. falisificare = etwas als falsch erkennen) und Verifikation (lat. veritas = Wahrheit und facere = tun, machen). Die Methode der Verifikation bringt Schwierigkeiten mit sich, denn mit ihr wird versucht, die Wahrheit einer Aussage festzustellen.274 Da der Mensch (und auch die Menschheit) nicht in der Lage ist, den gesamten Raum und die gesamte Zeit zu ber272 Die Alternative zu heuristischen Verfahren ist die Brute-Force-Methode, bei der alle infrage 273 Vgl. Poppers Methode der khnen Vermutungen und strengen Prfung. 274 Wahrheit wird hier als bereinstimmung von Aussagen mit den Tatsachen verstanden. Vgl.

kommenden Mglichkeiten ausnahmslos durchgerechnet werden.

zu dieser Sichtweise die Korrespondenztheorie der Wahrheit von Alfred Tarski, vgl. Tarski (1936) S. 261-405.

99

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

blicken, ist es ihm (ihr) auch nicht mglich, die Wahrheit von Wenn, dann-Stzen nachzuweisen. Da nur eine endliche Anzahl von Realittsprfungen vorgenommen werden kann, ist der Beweis der Wahrheit eines Wenn, dann-Satzes, der fr alle mglichen Flle Gltigkeit beansprucht, nicht mglich. Eine unabhngig vom menschlichen Denken existierende Wirklichkeit ist bis zu einem gewissen Grade vom Menschen erkennbar. Die Wahrheit aber ist prinzipiell niemals vollstndig aufzudecken. Mit wissenschaftlichen Theorien kann man der Wahrheit bestenfalls nher kommen. Sie selbst wird immer im Dunkeln bleiben, da von der grundstzlichen Fehlbarkeit aller Erkenntnisversuche auszugehen ist (Fallibilismus). Auf dieser grundlegenden Einsicht beruht die von Popper vorgelegte Erkenntnistheorie des Kritischen Rationalismus. In diesem Zusammenhang zitiert Popper den Vorsokratiker Xenophanes (um 570 bis um 470 vor Chr.), der vor mehr als 2.500 Jahren formulierte: Nicht von Beginn an enthllten die Gtter den Sterblichen alles; Aber im Laufe der Zeit finden wir suchend das Bessre. Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen ber die Gtter und alle die Dinge, von denen ich spreche. Sollte einer auch einst die vollkommenste Wahrheit verknden, Wsste er selbst es doch nicht: es ist alles durchwebt von Vermutung. 275 Die Einsicht, dass die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen nicht endgltig bewiesen werden kann, hat zu der Forderung gefhrt, wissenschaftliche Aussagen so zu gestalten, dass sie an der Realitt scheitern knnen. Damit ist das so genannte PopperKriterium der Falsifizierbarkeit benannt. Vertreter des Kritischen Rationalismus setzen an die Stelle der Verifikation die Methode der Falsifikation. Im Zentrum aller Wissenschaftlichkeit steht somit die kritische Prfung von Aussagen, in dem Sinne, dass der Versuch unternommen werden muss, die Falschheit von wissenschaftlichen Aussagen nachzuweisen. Einerseits folgt daraus, dass man stndig nach Alternativen suchen muss, die mehr erklren und weniger Schwchen haben als andere Erklrungen, andererseits kann eine Theorie so lange als gltig betrachtet werden, wie sie nachhaltigen Falsifikationsbemhungen widersteht und es zu keinen widersprechenden Erfahrungen kommt. Ist das der Fall, gilt eine Theorie als vorlufig besttigt. Ihre Wahrheit ist zwar nicht nachgewiesen, sie hat sich aber fr eine gewisse Zeit bewhrt. Zur Wahrheit gelangt man mit wissenschaftlichen Aussagen niemals, maximal zu Wahrscheinlichkeiten. Alles Wissen ist und bleibt Vermutungswissen. Es gibt nur den unaufhrlichen Prozess der wissenschaftlichen Vermutungen und Widerlegungen.276 Eine Theorie ist empirisch umso gehaltvoller (aussagekrftiger), je mehr potenzielle Falsifikatoren sie enthlt, das heit je mehr potenzielle Beobachtungsergebnisse ihr widersprechen knnten. Daher sind wissenschaftliche Stze nicht als Wenn, dann275 Xenophanes zitiert in Popper (1973) S. XXVI. 276 Vgl. Popper (1994-1997).

100

Modelle

3.3

Stze, sondern als Es gibt-Stze zu formulieren, denn Letztere knnen als falsche Stze identifiziert werden. Dies kann an folgendem Satz verdeutlicht werden: Wenn Menschen Zyankali essen, dann sterben sie. Dieser Wenn dann Satz ist umzuformen in den Satz: Es gibt keinen Menschen, der Zyankali isst und nicht stirbt. Dieser Es gibt-Satz kann an der Realitt berprft werden, indem Menschen beobachtet werden, die Zyankali essen. Der Satz gilt so lange als besttigt, wie beobachtet werden kann, dass Menschen, die Zyankali essen, sterben. Die Beobachtungsergebnisse haben ihn aber nicht als wahr bewiesen. Falls jedoch ein Mensch beobachtet wird, der Zyankali gegessen hat und berlebt, ist der Satz endgltig falsch. Er ist falsifiziert.

3.3

Modelle

Auf den vorstehend beschriebenen Methoden baut die betriebswirtschaftliche Modellund Theoriebildung auf.277 Modelle reduzieren die zu untersuchende Wirklichkeit auf relevante Erklrungsgren. Hufig wird ein Modell mit einer Karte verglichen, die ein Territorium abbildet. Diesen Vergleich und die Behauptung, dass die Karte nicht das Territorium ist, greift Bateson auf.278 Er beantwortet die Frage, was vom Territorium in die Karte gelangt: Was also in die Karte gelangt, ist in der Tat ein Unterschied, sei es ein Unterschied der Hhe, der Vegetation, der Bevlkerungsstruktur, der Oberflche, oder was auch immer. Was in die Karte kommt, sind Unterschiede. Der Unterschied ist nicht in den Gegenstnden, die sich unterscheiden, zu finden. Er ist sicher nicht in dem Raum zwischen ihnen, und er ist gewiss auch nicht in der Zeit zwischen ihnen. Ein Unterschied ist also etwas Abstraktes.279 Ein Modell besteht aus einzelnen, aus der Wirklichkeit abstrahierten Unterschieden, pointiert hervorgehobenen Eigenschaften und deren Verknpfungen untereinander. Modelle sollen so angelegt sein, dass mit ihnen die Realitt beschrieben und mglichst erklrt werden kann. Entsprechend der weiter oben herausgestellten Aufgaben der Betriebswirtschaftslehre knnen Beschreibungs-, Erklrungs- und Gestaltungsmodelle (Letztere werden auch als Entscheidungsmodelle bezeichnet) unterschieden werden.

277 Die Worte Theorie und Modell werden in diesem Lehrbuch mit gleicher Bedeutung benutzt. 278 Vgl. Bateson (1981) S. 582, S. 577. 279 Bateson (1981) S. 580. Das Territorium ist Ding an sich, und man kann nichts damit anfan-

gen. Der Prozess der Abbildung wird es immer herausfiltern, so dass die geistige Welt nur aus Karten von Karten von Karten ad infinitum besteht. Alle Phnomene sind nur Erscheinungen. Bateson (1981) S. 584.

101

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

3.3.1

Beschreibungs-, Erklrungs- und Gestaltungsmodelle

Beschreibungsmodelle beschreiben empirische Sachverhalte. Das volkswirtschaftliche und betriebliche Rechnungswesen sind Beispiele fr Beschreibungsmodelle. Das betriebliche Rechnungswesen beschreibt mithilfe von Zahlen das wirtschaftliche Geschehen im Unternehmen und die wirtschaftlichen Beziehungen des Unternehmens zu seiner Umwelt. Es liefert keine Erklrungen im Verstndnis der deduktiv-nomologischen Methode. Zahlenmig lassen sich lediglich ausgewhlte Aspekte des unternehmerischen Geschehens darstellen. Insofern handelt es sich beim Rechnungswesen um ein Beschreibungsmodell, das hoch selektiv, zahlenmig quantifizierbares Geschehen unter Vernachlssigung vieler qualitativer Phnomene beschreibt. Sobald die im Rechnungswesen dokumentierten Daten aufbereitet und ausgewertet werden, um betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu fundieren, wird aus einem Beschreibungsmodell ein Gestaltungsmodell. Erklrungsmodelle sind Modelle, die aus nomologischen Hypothesen (Gesetzen) und Randbedingungen bestehen, aus denen Sachverhalte abgeleitet werden knnen. Stimmen die theoretischen Ergebnisse mit den empirisch vorgefundenen Sachverhalten berein, gilt der empirische Sachverhalt als erklrt. Erklrungsmodelle knnen als Entscheidungs- und Prognosemodelle eingesetzt werden.280 Erklrungsmodelle sind als Entscheidungsmodelle zu verwenden, wenn allgemeingltige Gesetze bekannt sind und der Entscheidungstrger wei, welches Ergebnis er erzeugen will. Das Modell gibt dann Auskunft darber, wie die Randbedingungen zu gestalten sind, damit das gewnschte Ergebnis eintritt. Gestaltungs- bzw. Entscheidungsmodelle gehren in den Bereich der Wirtschaftspolitik bzw. Unternehmenspolitik. Mit derartigen Modellen kann z.B. die Frage beantwortet werden, welche Stckzahlen ein Unternehmen von seinem Produktprogramm in welcher Reihenfolge produzieren und absetzen muss, damit die Maximierung des Unternehmensgewinns bzw. die Minimierung der Kosten (unter weiteren Nebenbedingungen) sichergestellt ist. Erklrungsmodelle sind auch als Prognosemodelle nutzbar. Voraussetzung ist, dass allgemeingltige Gesetze vorliegen und die Randbedingungen bekannt sind, denn dann lassen sich die zu erwartenden Ergebnisse prognostizieren.

3.3.2

Mathematische Modelle und ihre grafische Darstellung

Betriebswirtschaftliche Modelle werden hufig mathematisch formuliert. Sie beinhalten dann Parameter, Variablen und Gleichungen bzw. Ungleichungen. Parameter sind die Koeffizienten von Modellgleichungen. Beispiele sind: Investitions-, Spar-, Kon-

280 Vgl. die Definitionen von Erklrung, Prognose und Manahmenbestimmung.

102

Modelle

3.3

sumquoten, Elastizitten, Multiplikatoren, aber auch stochastische Gren wie Erwartungswerte, Varianzen, Kovarianzen usw. Die fr ein Modell relevanten Variablen werden in endogene und exogene Variablen eingeteilt. Endogene Variablen werden durch das Modell erklrt, sie sind abhngig vernderliche Gren. Exogene Variablen werden von auen festgelegt und insofern nicht durch das Modell erklrt. Sie sind modellunabhngig vernderbare Gren. Sie werden von auen festgelegt und beeinflussen die Modellvariablen.281 Modellgleichungen bzw. Ungleichungen beschreiben die Beziehungen zwischen den Variablen. Der Wert einer endogenen Variablen hngt von der jeweiligen Modellgleichung, den Modellparametern und den exogenen Variablen ab. Als Beispiel sei ein einfaches Produktionsmodell vorgefhrt, das durch die folgenden Modellgleichungen beschrieben werden kann: . Mit den Indizes k, k = (1,2) sind die produzierten Produkte 1 und 2 bezeichnet, mit die jeweiligen Ausbringungsmengen des Produktes k. Die stellen die endogenen (abhngigen) Variablen dar. Mit den Indizes i, i = (1,2) sind die Produktionsfaktoren 1 und 2 benannt, mit die Produktionsfaktormengen, die zum Einsatz kommen. Die stellen exogene (unabhngige) Variablen dar. Die Funktionsvorschriften und geben an, wie die Produktionsfaktoren zu verknpfen sind. Abhngig von dieser Vorschrift und der von auen festgesetzten Hhe der Produktionsfaktormengen knnen die entsprechenden Ausbringungsmengen (die endogenen Variablen) berechnet werden. Zur Veranschaulichung knnen Modelle zeichnerisch dargestellt werden. Dazu wird u.a. das kartesische Koordinatensystem (benannt nach seinem Erfinder Ren Descartes, 1596-1650) eingesetzt. Im Allgemeinen wird die abhngige Variable im Rahmen einer grafischen Darstellung auf der Ordinate (vertikale Achse) dargestellt und die unabhngige Variable wird auf der Abszisse (horizontale Achse) abgetragen. Wenn es sich um zwei unabhngige Variablen handelt, werden die Kombinationsmglichkeiten dieser Variablen in der Ebene abgetragen und die dazugehrige abhngige Variable auf der Applikate (Hhenachse im rumlichen kartesischen Koordinatensystem). Auf die Darstellung von Beispielen wird an dieser Stelle verzichtet.282

281 In der Literatur werden die Begriffe endogene und exogene Variable auch in einer anderen

als der hier vorgetragenen Bedeutung benutzt. Der Terminus endogene Variable bezeichnet dann rein wirtschaftliche, der Terminus exogene Variable alle auerwirtschaftlichen Einflsse. 282 Vgl. hierzu Abschnitt 4.1.2.

103

Wissenschaftskonzepte, Methoden und Modelle der Betriebswirtschaftslehre

3.3.3

Ceteris paribus-Bedingung

Die Modellergebnisse betriebswirtschaftlicher Untersuchungen werden hufig unter der Bedingung ceteris paribus283 (abgekrzt schreibt man c.p. oder cet. par.) abgeleitet. Unter ceteris paribus ist eine Klausel zu verstehen, die festlegt, dass bis auf eine (oder einige) Ursache(n) alle anderen Kausalfaktoren im Rahmen der Modellbetrachtung ausgeschaltet werden. Die ausgeklammerten Kausalfaktoren werden als Daten im Sinne unvernderter Gren festgesetzt. Die unter ceteris paribus abgeleiteten Aussagen knnen formal korrekte Aussagen sein. Empirischen Wert besitzen sie nur, wenn bis auf den betrachteten Umstand alle anderen Umstnde, die das Modellergebnis beeinflussen, unverndert bleiben. Davon ist im Allgemeinen nicht auszugehen. Das folgende Beispiel macht dies deutlich: Ein Unternehmen senkt den Preis eines seiner Produkte. C.p. hat die Preissenkung ein Ansteigen der Absatzmenge zur Folge. Die Absatzprognose gilt unter der Bedingung, dass alle anderen Umstnde, die die Absatzmenge beeinflussen knnten, gleich bleiben. Das heit u.a., die Konkurrenz msste ihren Preis unverndert beibehalten, die Einkommensverhltnisse der Kunden und ihr Konsumverhalten drften keine Vernderungen erfahren usw.

283 Vgl. lat. ceteris paribus = unter sonst gleichen Umstnden.

104

Teil 2 Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre

105

Mit der Charakterisierung der Betriebswirtschaftslehre als Einzelwissenschaft wurde der Hinweis verbunden, dass ein Gegenstandsbereich zu identifizieren ist, der sich von dem jeweiligen Gegenstand, mit dem sich andere Wissenschaften beschftigen, unterscheiden muss. Bei der Darstellung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft und ihren vorwissenschaftlichen Strngen wurden vielfltige Fragestellungen aufgefhrt, mit denen sich die Lehre von der Einzelwirtschaft auseinandersetzt. Eine Auflistung der genannten Probleme ergbe eine Art unsystematische Stoffsammlung, deren einzelne Punkte als Elemente des Gegenstandsbereichs der Betriebswirtschaftslehre interpretiert werden knnen. Damit ist aber weder eine systematische Ableitung noch eine genau Definition erreicht. Auch die bereits vorgenommene Verdeutlichung, dass die Betriebswirtschaftslehre sich mit Einzelwirtschaften befasst, indem sie sich mit ihren Ordnungen, also den Formen der Einzelwirtschaften und den Wirtschaftsprozessen, die in den Einzelwirtschaften ablaufen, beschftigt, indem sie Theorien ber diese Phnomene anfertigt, hat zwar einen ersten Einblick in die Forschungsgebiete der Betriebswirtschaftslehre erlaubt, nicht aber zu einer exakten Gegenstandsbestimmung gefhrt. Daher stellen die folgenden Ausfhrungen auf die Frage ab, wie der Lebensbereich, auf den sich die Betriebswirtschaftslehre konzentriert, zu bestimmen ist. Hierzu erscheint es zunchst sinnvoll, zwischen dem Erfahrungsobjekt und Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre zu unterscheiden. Das Erkenntnisobjekt, mit dem sich eine Wissenschaft auseinandersetzt, ist ein rein gedankliches Gebilde des menschlichen Bewusstseins. Es wird aus dem Erfahrungsobjekt gewonnen. Erfahrungsobjekte sind in der wirklichen Wirklichkeit existierende empirische Phnomene. Es ist nahe liegend, die beiden Bestandteile des Wortes Betriebswirtschaft, also Betrieb und Wirtschaften, als empirische Phnomene zu identifizieren. Damit wird behauptet, dass es in der Realitt Betriebe gibt und dass in realen Betrieben gewirtschaftet wird. Der Betrieb und das Wirtschaften als reale Erscheinungen sind die Erfahrungsobjekte der Betriebswirtschaftslehre.284 Mit dem Erfahrungsobjekt Betrieb beschftigt sich nicht nur die Betriebswirtschaftslehre. Auch die Ingenieurwissenschaften, die Soziologie, die Psychologie und andere Wissenschaften thematisieren Geschehnisse in den Betrieben. Der Betrieb wird von diesen Wissenschaftsdisziplinen allerdings unter anderen Gesichtspunkten betrachtet als von der Betriebswirtschaftslehre. Die Betriebswirtschaftslehre untersucht den Betrieb unter dem Aspekt des Wirtschaftens. Die Ingenieurwissenschaften interessieren sich fr die technische Seite des Betriebes. Maschinelle Ausstattung, Produktionsverfahren usw. stehen im Mittelpunkt ihrer Analysen und Verbesserungsvorschlge. Die Soziologie beschftigt sich z.B. als Organisationssoziologie mit dem Gruppenverhalten in Betrieben. Die Betriebspsychologie richtet ihr Augenmerk auf das individuelle Verhalten der einzelnen Mitarbeiter im Betrieb. Sie geht auf Fragen der Motivation, der Eignung von Personen fr bestimmte Aufgaben, der Arbeitsplatzgestaltung usw. ein.
284 Als Erfahrungsgegenstand der Betriebswirtschaftslehre identifiziert Werner Neus (zunchst)

nicht den Betrieb, sondern den einzelnen Menschen, vgl. Neus (1998) S. 1, dann das menschliche Handeln, aber nur insoweit als ihm Entscheidungen vorausgehen, ebenda S. 3.

106

Die Medizin stellt als Betriebsmedizin die Gesundheit der Mitarbeiter in den Vordergrund ihrer Betrachtungen. Der Teilbereich des Betriebes, der die wirtschaftliche Seite reprsentiert, ist von der Betriebswirtschaftslehre zu untersuchen. Dies gelingt, indem das Wirtschaften in realen Betrieben gedanklich abgebildet wird. Ein gedankliches Abbild des realen Betriebes ist durch Abstraktion285 zu gewinnen. Eine oder einige Eigenschaften des Wirtschaftens in den Betrieben werden tiefergehend wissenschaftlich untersucht, whrend andere vernachlssigt werden. So gelingt die Reduktion des komplexen Betriebsgeschehens auf ein fr den menschlichen Geist verarbeitbares Ma. Derart werden die Erkenntnisobjekte der Betriebswirtschaftslehre gefunden. Es ist die Frage zu beantworten, welcher oder welche Aspekte des realen Betriebes bzw. des realen Wirtschaftens herausgegriffen werden sollen, um durch die wissenschaftliche Analyse der hervorgehobenen Elemente den theoretischen Betrieb zu konstruieren. Ein Blick in die Literatur besttigt die Vermutung, dass die zentralen Begriffe Betrieb und Wirtschaften nicht einheitlich verwandt werden. Abhngig davon, welche Elemente zur Theoriebildung aus den empirischen Sachverhalten herausgegriffen werden, erscheint der Betrieb bzw. das Wirtschaften jeweils anders. Gleichzeitig sind mit den differenten Begriffsbestimmungen unterschiedlich umfangreiche Abgrenzungen des Erkenntnisobjekts der Betriebswirtschaftslehre verbunden. In Kapitel 4 und 5 wird zunchst der Wirtschaftsbegriff przisiert, indem ein in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur gngiges Verstndnis prsentiert und mit eigenen berlegungen angereichert wird. Dabei wird eine Theoriearchitektur, die sich hinter der betriebswirtschaftlichen Begrifflichkeit verbirgt, offengelegt und gleichzeitig verdeutlicht, in welchen Kategorien Wirtschaftswissenschaftler/innen denken. Nachdem dies geleistet ist, werden in Kapitel 6 u.a. die Begriffe Betrieb und Unternehmen definiert.

285 Abstraktion: vom lat. abstrahere = wegziehen, absehen von, und zwar vom Unwesentli-

chen.

107

Modelle

3.3

4 Wirtschaften einer isolierten

Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

In betriebswirtschaftlichen Lehrtexten kann nachgelesen werden, dass nur Wirtschaftseinheiten wirtschaften. Die Wirtschaftseinheit wird zunchst als einzelnes Wirtschaftssubjekt (Individuum, einzelner Mensch) verstanden. Viele Lehrbcher der Betriebswirtschaftslehre starten mit der Beschreibung des Wirtschaftens einer isolierten Wirtschaftseinheit, einer Wirtschaftseinheit, die keinerlei Kontakt zu anderen Wirtschaftseinheiten hat. Hierzu werden hochabstrakte Modelle gebildet. Mit diesen Modellen soll erklrt werden, wie ganz auf Eigenbedarfsdeckung abgestellte Wirt-schaftseinheiten wirtschaften. Derartige Modelle werden in betriebs- und volkswirtschaftlichen Lehrbcheren auch als Robinsonaden bezeichnet.286 Ihre Untersuchung wird als ein Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre betrachtet.287 Auch der einsame Robinson auf seiner Insel, so wird argumentiert, muss wirtschaften. Insbesondere muss er mit seiner Zeit wirtschaften. Er hat u.a. die Frage zu beantworten: Wie teile ich meine Arbeitszeit auf unterschiedliche Verwendungsrichtungen derart auf, so dass ich ein Gterbndel produziere, dessen Verbrauch mir eine (optimale) Bedrfnisbefriedigung sichert? Der Frage, ob es Sinn macht, von isolierten Wirtschaftssubjekten auszugehen und darauf eine Wirtschaftstheorie aufzubauen, soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Vielmehr soll, da ein derartiges Vorgehen in der Betriebswirtschaftslehre nicht unblich ist, die Theoriefigur einer Robinsonade in dem folgenden Abschnitt nachgezeichnet werden. Dies geschieht auch, um zu verdeutlichen, dass gngige Vorstellungen ber das Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft ergnzungsbedrftig sind. Nachdem diese Gesichtspunkte abgehandelt worden sind, stellen die daran anschlieenden Ausfhrungen unter Punkt 4.2 auf die Erklrung des Wirtschaftens als soziale Veranstaltung ab.

286 Die konomischen Beschreibungen greifen dabei auf den Roman Robinson Crusoe von 287 Vgl. statt anderer Neus (1998) S. 25 ff.

Daniel Defoe (1660 oder 1661-1731) zurck, vgl. Defoe (1719).

109
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_5, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.1

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

Um wirtschaftliche Handlungen zu bestimmen, wird der Mensch als die eine Seite des Problems identifiziert und als die zweite Seite wird die den Menschen umgebende Welt aufgerufen.288 Um ein Problem zu erhalten, sind nicht nur mindestens zwei Seiten ntig, sondern die Seiten mssen gegenstzlich konstruiert (gedacht) sein. Nur so entsteht ein Spannungsverhltnis zwischen den beiden Seiten. Nur so erhlt man ein Problem. Dieses Spannungsverhltnis aufgreifend, beschreiben gngige Definitionsversuche von wirtschaftlichem Handeln die Welt als aus Sachen bestehend, die nur in beschrnktem Umfang vorhanden sind. In der Betriebswirtschaftslehre wird die karge und de Welt mit Produktionsfunktionen und Produktionsmglichkeitenkurven dargestellt. Der kargen und den Welt wird ein unersttlicher, mit Wnschen bervoller Mensch gegenbergestellt. Die Wnsche des Menschen werden in der Betriebswirtschaftslehre als Bedrfnisse bezeichnet. Die Befriedigung von Bedrfnissen stiftet Nutzen. Nutzen versteht die Betriebswirtschaftslehre als Ma individueller, subjektiv empfundener Bedrfnisbefriedigung. Die Hhe des Nutzens ist abhngig von den Verbrauchsmengen an Gtern. Die Beziehung zwischen Nutzenhhe und Verbrauchsmengen an Gtern wird durch Nutzenfunktionen veranschaulicht. Mit Nutzenfunktionen beschreibt die Betriebswirtschaftslehre den unersttlichen Menschen.

288 Schumpeter formuliert wie folgt: Die gegebenen ueren Verhltnisse [] und die Bedrf-

nisse der Einzelwirtschaft stellen sich als die beiden fr den Wirtschaftsproze magebenden und zu dem Resultate desselben zusammenwirkenden Faktoren dar. Schumpeter (2006) S. 17.

110

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

Abbildung 13:

Zwei Seiten des Wirtschaftens aus Sicht betriebswirtschaftlicher Lehrtexte

unersttlicher Mensch

karge und de Welt

berflle an Wnschen (Bedrfnissen)

begrenzte Gtermengen

Nutzenfunktionen

Produktionsfunktionen

4.1.1

Darstellung begrenzter Gtermengen mit Produktionsfunktionen

Es sei zunchst auf das Instrument eingegangen, das von der Betriebswirtschaftslehre genutzt wird, um die begrenzte Ausstattung der Welt mit Gtern zu beschreiben, nmlich die Produktionsfunktionen. Sie zeigen an, wie Gter in andere Gter umgewandelt werden. Gter, die eingesetzt werden, um andere Gter zu produzieren, bezeichnet man als Faktorleistungen der Produktionsfaktoren. Beispiele fr Produktionsfaktoren sind Arbeit, Boden, Werkzeuge, Vor- und Zwischenprodukte usw. Beispiele fr produzierte Gter sind Weizen, Kartoffeln, Kraftfahrzeuge usw. Sie sind Ergebnis eines Produktionsprozesses, der auch Transformationsprozess genannt wird. Die Faktorleistungen der Produktionsfaktoren bezeichnet man auch als Inputgter. Das knnen Arbeitsstunden, qm Boden, Stckzahl Ngel usw. sein. Um ihre Endlichkeit und Unterschiedlichkeit zu dokumentieren, formuliert man allgemein: Es werden i Inputgter eingesetzt, mit i = (1n), i Die produzierten Gter werden auch Outputgter genannt. Um ihre Endlichkeit und Unterschiedlichkeit zu dokumentieren, formuliert man allgemein: Es werden k Outputgter produziert, mit k = (1m), k Die Anzahl der eingesetzten Faktoreinheiten sei durch den Buchstaben r angegeben.289 Die Notation symbolisiert dann die Faktoreinsatzmenge des Produktionsfaktors i.

289 Der Buchstabe r wurde gewhlt, weil er der Anfangsbuchstabe des Begriffs Ressource ist

und an alle Produktionsfaktormengen erinnern soll, die der Mensch zum Wirtschaften bentigt.

111

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Wenn mit i = 1 die Leistung des Produktionsfaktors Arbeit bezeichnet wird, dann knnte z.B. neun Arbeitsstunden bezeichnen. Wie die Produktionsfaktoren (Inputgter) zu kombinieren sind, gibt eine Transformationsvorschrift an, j = (1m), Mit m sind die unterschiedlichen Produktionsverfahren, die zum Einsatz kommen, benannt. In dem gewhlten Beispiel wird mit einem Produktionsverfahren jeweils ein Gut produziert (j = k). Die Zahl der erzeugten Gtereinheiten der unterschiedlichen Produkte k wird als Ausbringungs- oder Produktionsmenge bezeichnet und mit dem Symbol dargestellt. Es gilt:

.
Diese Funktion stellt die allgemeine Form einer Produktionsfunktion dar und verdeutlicht, dass Produktionsfunktionen reine Mengenrelationen sind. Sie geben modellhaft die Beziehung zwischen Inputmengen und Outputmengen zahlenmig wieder. Um die berlegungen zu vereinfachen, wird der gngigen Lehrbuchpraxis folgend unterstellt, dass in der Wirtschaft lediglich zwei Gter, k = (1,2), hergestellt werden. Weiter wird angenommen, dass die Gtermengen jeweils mit zwei variablen Faktoren i = (1,2) und den Faktoreinsatzmengen und produziert werden. Die Faktoreinsatzmengen und sind voraussetzungsgem lediglich in einem begrenzten Umfang verfgbar. Werden sie in vollem Umfang zur Produktion der Gtermengen eingesetzt, liegt Vollbeschftigung der Produktionsfaktoren vor. Die Faktoreinsatzmengen werden durch die Transformationsvorschriften auf die Ausbringungsmengen abgebildet. Zwischen Faktoreinsatzmengen und maximalen Ausbringungsmengen besteht folgende Beziehung: . sind die abhngigen (endogenen), sind die unabhngigen (exogenen) Variablen. Zur Veranschaulichung der Zusammenhnge sei eine grafische Darstellung im zweidimensionalen kartesischen Koordinatensystem gewhlt. Die alternativen Werte der Ausbringungsmengen bzw. sind auf der Ordinate (vertikale Achse) darzustellen, da ihre Ausprgung von den eingesetzten Produktionsfaktormengen abhngig ist. Demgegenber sind die unterschiedlichen Werte von bzw. auf der Abszisse zu notieren. Da eine zweidimensionale Darstellung gewhlt wurde, kann die Variation der Einsatzmenge lediglich eines Faktors (hier: ) vorgenommen werden. Die Faktormengen des zweiten Faktors werden auf einem fixierten Niveau konstant gehalten. Dieses Niveau sei durch symbolisiert. Damit wird hervorgehoben, dass der Produktionsfaktor 2 bentigt wird, um berhaupt ein Produktionsergebnis zu erzielen, und dass die Ertragshhe nicht nur von den Einsatzmengen des variablen

112

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

Faktor abhngig ist, sondern auch von der Hhe des jeweils konstant gehaltenen Niveaus des Produktionsfaktors 2. Darber hinaus beeinflusst das konstant gehaltene Niveau des Produktionsfaktors 2 die variablen Einsatzmengen des Faktors 1. Zur Herstellung des Gutes 1 bzw. des Gutes 2 sei der in Abbildung 14 grafisch dargestellte Verlauf der entsprechenden Produktionsfunktionen unterstellt. Gut 1 wird mit einer so genannten klassischen ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion hergestellt. Klassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktionen werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur auch Produktionsfunktionen vom Typ A genannt. Derartige Produktionsfunktionen zeichnen sich dadurch aus, dass die Ertrge ceteris paribus bei vermehrtem Einsatz eines Produktionsfaktors zunchst berproportional ansteigen, bis zu einem Wendepunkt. Wenn darber hinaus die Einsatzmenge des Produktionsfaktors weiter gesteigert wird, nehmen die Ertrge unterproportional bis zu einem Ertragsmaximum zu, um dann bei weiterem Mehreinsatz des Produktionsfaktors zu sinken. Nimmt man die Grenzertrge (Grenzprodukte, Ertragszuwchse) zur Hilfe, um den Verlauf der ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion zu beschreiben, dann wird deutlich, dass ceteris paribus bei einem Mehreinsatz eines Produktionsfaktors zunchst mit zunehmenden, dann mit abnehmenden und schlielich mit negativen Ertragszuwchsen zu rechnen ist.290 Im Unterschied zu Gut 1 wird Gut 2 mit einer Cobb Douglas-Produktionsfunktion, die man auch neoklassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktion nennt, produziert. Im Gegensatz zur klassischen ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion zeichnet sich die neoklassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktion durch stndig abnehmende Ertragszuwchse aus und wird daher mit dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag beschrieben.

290 Die klassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktion wurde von Anne Robert Jacques

Turgot und Johann Heinrich von Thnen beschrieben.

113

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Abbildung 14:

Darstellung begrenzter Gtermengen mit Produktionsfunktionen

X1
X1
max

x1 2

X 1 f1 (r1 , r2 )

x1 x1 1

r11 r1 r12

X2
X2
-x2
max

r1

max

r r2 1

x2 1 x2 2

X 2 f 2 (r1 , r2 )

r1
2*

-r1

r1

1*

r1

max

r r2 1

Aus der grafischen Darstellung sind die folgenden Sachverhalte zu entnehmen: Wenn zur Produktion des Produktes 1 eingevom Produktionsfaktor 1 die Faktormenge Produkteinheiten. setzt wird, erhlt man einen mengenmigen Ertrag in Hhe von Wird die Faktoreinsatzmenge des Produktionsfaktors 1 um auf erhht, steigt . Unterstellt wird, dass vom Produktionsfaktor die Ausbringungsmenge um auf 2 die Faktormenge konstant gehalten und in die Produktion des Produktes 1 eingebracht wird. Diese fr die Produktion des Outputgutes 1 angestellten berlegungen gelten analog fr die Produktion des Outputgutes 2. Eine Zusammenfassung aller Produktionsfunktionen veranschaulicht die Produktionsmglichkeitenkurve, die auch Transformationskurve genannt wird. Sie zeigt die maximal mglichen Ausbringungsmengen der Gter an und symbolisiert die begrenzte (Gter)-Welt. Es sei angenommen, dass aus den fr die Gterproduktion geltenden Produktionsfunktionen eine konkave Produktionsmglichkeitenkurve abgeleitet werden kann. Durch folgende berlegungen kann die Produktionsmglichkeitenkurve aus den obigen grafisch dargestellten Produktionsfunktionen entwickelt werden. Da in dem gewhlten Beispiel nur zwei Gter 1 und 2 hergestellt werden, kann zur Veranschaulichung der Produktionsmglichkeitenkurve auf eine grafische Darstellung im

114

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

zweidimensionalen kartesischen Koordinatensystem zurckgegriffen werden. Auf der Ordinate sind die alternativen Ausbringungsmengen abzutragen, auf der Abszisse die unterschiedlichen Ausbringungsmengen von .

Abbildung 15:

Produktionsmglichkeitenkurve (Transformationskurve)
X1

X1
max

( X1 , X 2 )

( X 1 ,0)
x12
u

2 2 ( X1 , X 2 )

x1

X1

( X1 , X 2 )

x1 1

1 1 ( X 1 ; X 2 )

(0, X 2 )
X2
0

max

X2

x2 2

1 x 2

X2

-x2

Die einzelnen Werte der Produktionsmglichkeitenkurve erhlt man wie folgt: Wenn in die Prodie gesamten vom Produktionsfaktor 1 vorhandenen Faktormengen duktion des Gutes 1 eingebracht werden, dann kann die Menge produziert werden. Gut 2 wird in diesem Fall gar nicht produziert, die Produktionsmenge ist gleich null, denn fr die Produktion der Gter sind jeweils beide Produktionsfaktoren ntig. Der Produktionsfaktor 1 wurde aber vollstndig fr die Produktion des Gutes 1 einge . setzt. Ein erster Punkt auf der Produktionsmglichkeitenkurve ist gefunden: bertrgt man die angestellten Betrachtungen auf die Produktion des Gutes 2, erhlt man einen zweiten Punkt der Transformationskurve, nmlich . Wird zur Produktion des Gutes 1 der Produktionsfaktor 1 im Umfang von genutzt, kann eine Ausbringungsmenge in Hhe von hergestellt werden. Es besteht darber hinaus die Mglichkeit, den Produktionsfaktor 1 auch zur Produktion des Gutes 2 einzuset geschehen (dargestellt durch die Strezen. Dies kann im Umfang von cke in Abbildung 14). Der Einsatz des Produktionsfaktors 1 im Umfang von bei der Produktion des Gutes 2 fhrt zu einer Produktionsmenge des Gutes 2 in Hhe von . Damit ist die Kombination und somit ein weiterer Punkt der Produktionsmglichkeitenkurve gefunden. Wird das Gut 1 mit dem Einsatz von zu erwarFaktormengeneinheiten hergestellt, ist eine maximale Herstellmenge von

115

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

ten. In den Produktionsprozess des Gutes 2 kann dann eine Menge von einge bracht werden. Damit ist es mglich, maximal Mengeneinheiten von Produkt 1 zu produzieren. Die Kombination der hergestellten Mengen von Gut 1 und Gut 2 in Hhe befindet sich ebenfalls auf der Transformationskurve. Mit dem beschrievon benen Verfahren kann jeder Punkt der Transformationskurve ermittelt werden.

Auf dem Rand der Produktionsmglichkeitenkurve sind die zur Produktion eingesetzten Faktoren vollbeschftigt. Alle Gterkombinationen , die oberhalb der Geraden liegen, sind mit den vorhandenen Produktionsfaktormengen nicht zu realisieren. Dies gilt beispielsweise fr die Gterkombination . Gterkombinationen unterhalb der Geraden nutzen bei der Produktion die vorhandenen Kapazitten der Produktionsfaktoren nicht voll aus. Die Gterkombination beschreibt einen solchen Fall. Es ist sinnvoll, eine Gterkombination zu whlen, die sich genau auf der Transformationskurve befindet, denn hier liegen smtliche mit der gegebenen Technologie realisierbaren Gterkombinationen, die sicherstellen, dass die eingesetzten Produktionsfaktoren vollbeschftigt sind.

4.1.2

Darstellung unbegrenzter Bedrfnisse mit Nutzenfunktionen

Um die Frage zu beantworten, welche konkrete Gterkombination aus der unendlichen Flle an Gterkombinationen, die sich auf der Produktionsmglichkeitenkurve befinden, auszuwhlen ist, bedarf es weiterer berlegungen. Sie mssen auch die Bedrfnisse des Menschen bercksichtigen. Anders als die Welt, die als uerst begrenzt gedacht wird, werden menschliche Bedrfnisse als unbegrenzt vorhanden vorgestellt. Es wird angenommen, dass der bervoll mit Bedrfnissen ausgestattete Mensch niemals satt wird. Gerade hat er eines seiner Bedrfnisse befriedet, begehrt schon das nchste Befriedigung.291 Mit dem Instrument der Nutzenfunktion beschreibt die konomie diesen Sachverhalt.292 Die Nutzenfunktion

291 Es scheint, als riefen Bedrfnisse Bedrfnisse hervor, die wiederum Bedrfnisse hervorrufen. 292 Es werden zwei Nutzentheorien unterschieden: die kardinale und die ordinale. Nach der

kardinalen Nutzentheorie kann die Differenz zwischen zwei Nutzenniveaus angegeben werden. Entsprechend der Theorie des ordinalen Nutzens knnen keine Differenzen im obigen Sinne bestimmt werden. Es ist aber mglich, Aussagen darber zu machen, ob oder oder ist. Die Nutzentheorie, unabhngig von ihrer Ausprgung, kennt nur intrapersonelle, keine interpersonellen Nutzenvergleiche.

116

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

bringt die Abhngigkeit der Nutzenhhe vom Verbrauch an Gtermengen zum Ausdruck. Im Zweigterfall mit den Gtern 1 und 2 zeigt die Verbrauchsmenge des Gutes 1 und die Verbrauchsmenge des Gutes 2 an. Dann symbolisiert


den Nutzen, der durch den Verbrauch der Gtermengen und entsteht. Indem der mengenmige Verbrauch eines Gutes konstant gehalten wird , whrend der Verbrauch des zweites Gutes kontinuierlich variiert wird, erhlt man eine Nutzenfunktion, die den Nutzen in Abhngigkeit von ausdrckt.


Diese Betrachtungsweise bezeichnet man als partielle Verbrauchsmengenvariation (Partialanalyse). Sie ermglicht eine zweidimensionale Darstellung der Nutzenfunktion. Da das grundstzliche Vorgehen der Partialanalyse bereits bei der Entwicklung der Produktionsmglichkeitenkurve vorgestellt wurde, soll nun eine weitere Analysemglichkeit gewhlt werden, indem unterstellt wird, dass nicht nur die Verbrauchsmenge eines Outputgutes, sondern die Verbrauchsmengen beider Outputgter und variiert werden. Man spricht von totaler Verbrauchsmengenvariation. Es sollen also fr smtliche unterschiedliche Kombinationsmglichkeiten von und entsprechende Nutzenhhen U ermittelt werden. Dieses Vorhaben lsst sich nicht mehr mit einer zweidimensionalen Grafik darstellen, denn es variieren gleichzeitig drei Gren, nmlich und U. Soll der Zusammenhang der Variation dieser Variablen grafisch veranschaulicht werden, ist eine dreidimensionale Darstellung im rumlichen kartesischen Koordinatensystem zu whlen. Da von zwei unabhngigen (exogenen) Variablen ausgegangen wird, lassen sich smtliche Kombinationsmglichkeiten dieser Variablen in der Ebene darstellen. Die zu jeder Kombination gehrige abhngige (endogene) Variable U wird auf der Applikate abgetragen. Als Ergebnis erhlt man ein Nutzengebirge.

117

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Abbildung 16:

Ermittlung des Nutzengebirges durch totale Verbrauchsmengenvariation

U
X23

U=g(X12, X2)

X X 22
U

U=g(X13, X2) U=g(X1, X23)

X22 U X21 X11 U X12 X13

U=g(X1, X22) Indifferenzkurve

X1

Hlt man den Verbrauch des Gutes 2 auf dem Niveau konstant und variiert die Verbrauchsmenge des Gutes 1 kontinuierlich, dann erhlt man die Nutzenfunktion

. fixiert und die VerWird vom Gut 1 ein konstanter Verbrauch in Hhe von brauchsmengen des Gutes 2 kontinuierlich verndert, kann dieser Sachverhalt mit der Nutzenfunktion

dargestellt werden. , so ist dieser mit unterschiedlichen MenUnterstellt man einen konstanten Nutzen genkombinationen von und realisierbar. Eine mgliche Mengenkombination, liefert, ist die Kombination die einen Nutzen in Hhe von , eine andere wre . Wird die Verbrauchsmenge des Gutes 1 reduziert, so die Kombination kann der dadurch hervorgerufene Nutzenverlust durch eine erhhte Verbrauchsmenge ausgeglichen werden. Fasst man alle Mengenkombinationen von und zusammen, die den gleich hohen Nutzen stiften, so erhlt man eine Kurve, die Indifferenzkurve genannt wird. Sie stellt eine Hhenlinie auf dem Nutzengebirge dar. Ohne weitere Erluterung ist leicht einzusehen, dass es auf dem Nutzengebirge unendlich viele Hhenlinien (Schnitte parallel zur Grundflche) gibt. Mit einer Projektion der Hhenlinien auf die -Ebene ist es mglich, die Nutzenfunktion durch eine Indifferenzkurvenschar wiederzugeben. Durch jeden Punkt des -

118

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

Diagramms verluft eine Indifferenzkurve. Beispielhaft sind drei Indifferenzkurven in der folgenden Abbildung 17 wiedergegeben.

Abbildung 17:

Indifferenzkurvenschar

X1

X1 2 U3 X1
1

U2 U1

X21

X22

X2

Indifferenzkurven symbolisieren Gterkombinationen, die den gleichen Nutzen stif ten. So stiftet der Gterverbrauch den gleichen Nutzen wie der Verbrauch der Gterzusammenstellung . Indifferenzkurven weisen eine negative Steigung auf und sind konvex zum Ursprung gekrmmt.293 Die negative Steigung drckt aus, dass der Nutzen aus dem Verbrauch der beiden Gter unverndert bleibt, wenn ein Verzicht auf den Konsum des einen Gutes durch einen Mehrverbrauch des anderen Gutes ausgeglichen wird. Konvexitt zeigt an, dass der zustzliche Minderverbrauch eines Gutes um eine Einheit nur dann den Nutzen nicht verndert, wenn stndig steigende Mehrverbrauchsmengen des anderen Gutes eingesetzt werden. Je weiter die Indifferenzkurven vom Ursprung entfernt positioniert sind, desto hher ist das durch sie angezeigte Nutzenniveau. So ist . Aufgrund dieser Transitivitt ist es nicht mglich, dass Indifferenzkurven sich schneiden. Sie verlaufen parallel zueinander.

293 Eine linksgekrmmte Funktion wird als konvex (oder nach oben offen) bezeichnet, wenn

jede Verbindungsstrecke zwischen zwei Punkten des Graphen der Funktion an keiner Stelle unterhalb dieses Graphen liegt.

119

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.1.3

Bestimmung optimaler Gtermengen

Die Produktionsmglichkeitenkurve und Indifferenzkurven lassen sich in einer Abbildung zusammenfassen. Derart gelingt es, die Vorstellungen der Betriebswirtschaftslehre ber den Menschen und die Welt sowie das Spannungsverhltnis zwischen diesen beiden Polen zu veranschaulichen.

Abbildung 18:

Abstimmung der Wnsche mit den Mglichkeiten: Der Weg zum Optimum

X1
X12 X1u1 X13 X*1 X11 X1u2 U1

U* U2

U4 U5

Transformationskurve Indifferenzkurve

(X*1,X*2)
X21 X22 X2u1 X*2

U5 U* U2 U4

U1 X2u2 X23

X2

Gewirtschaftet werden muss, weil die Bedrfnisse des Menschen die zur Bedrfnisbefriedigung zur Verfgung stehenden Gtermengen bersteigen, denn damit ist Gterknappheit begrndet. Sie gilt es durch das Wirtschaften zu verringern. Dies jedenfalls behauptet das immer noch meist gelesene Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre an deutschen Hochschulen. Gemeint ist die Einfhrung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre von Gnter Whe (1924-2007)294 unter Mitarbeit von Ulrich Dring. Die Autoren konzipieren Knappheit als Relation zwischen Mensch und Sachen. Wirtschaften soll sicherstellen, dass die Wnsche des Menschen mit den Mglichkeiten der Welt in bereinstimmung gebracht werden. Wenn man diese Vorstellung in eine ZweiGter-konomie bertrgt, bedeutet wirtschaftliches Handeln, jene Gterkombination zu realisieren, bei der Nutzenfunktion (symbolisiert durch eine Indifferenz294 Diese Ansicht verbirgt sich hinter der von Whe angebotenen Definition des Wirtschaftens,

vgl. Whe/Dring (2008) S. 2. Auf den Wirtschaftsbegriff von Whe wird im Folgenden noch nher eingegangen und er wird nicht nur in einer Hinsicht kritisiert werden. Von 1960-1992 war Whe ordentlicher Professor der Betriebswirtschaftslehre, insb. der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und des Revisions- und Treuhandwesen an der Universitt des Saarlandes.

120

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

kurvenschar) und Produktionsmglichkeiten (symbolisiert durch eine Transformati onskurve) bereinstimmen. Die Gterkombination erfllt diesen Anspruch. Sie liegt auf einer Indifferenzkurve mit dem Nutzenniveau . Dieses Nutzenniveau ist dadurch ausgezeichnet, dass es einen gemeinsamen Tangentialpunkt mit der Produktionsmglichkeitenkurve besitzt. Man gelangt durch folgende berlegungen zur optimalen Gterkombination: Ange nommen, ein Wirtschaftssubjekt wnscht die Gtermengenkombination zu verbrauchen, so wird es erkennen mssen, dass diese Mengenkombination der Gter nicht zu realisieren ist. Die Produktionsmglichkeiten geben Gtermengen in dieser Hhe nicht her. Beabsichtigt ein Wirtschaftssubjekt, das Nutzenniveau der Kombinati beizubehalten, muss es smtliche Gtermengenkombinationen , nmlich on , die auf liegen, daraufhin berprfen, ob eine der Kombinationen gleichzeitig ein Punkt der Produktionsmglichkeitenkurve ist.295 Da im Beispiel die keinen gemeinsamen Punkt mit der ProduktionsmglichIndifferenzkurve keitenkurve besitzt, werden die Wnsche reduziert, indem das nchst niedrige angestrebt wird. Bei der Untersuchung smtlicher GtermengenNutzenniveau sichern, stellt der Betrachter wiederum kombinationen , die die Nutzenhhe fest, dass die Produktionsmglichkeiten es nicht zulassen, einen Punkt der zu realisieren. Die Wnsche und damit das Nutzenniveau ist Indifferenzkurve weiter abzusenken. Angenommen, ein Wirtschaftssubjekt reduziert seine Wnsche drastisch und whlt die Gterkombination , so stiftet diese Kombination einen . Auch die Gtermengen sind nicht realisierbar. AllerNutzen in Hhe von dings ergibt eine Untersuchung der Gtermengenkombinationen , die auf der liegen, dass es zwei Gtermengenkombinationen gibt, die Indifferenzkurve gleichzeitig Punkte der Produktionsmglichkeitenkurve sind. Die Kombinationen und haben diese Eigenschaft. Immer wenn ein Wirtschaftssubjekt an zwei Stellen Gtermengenkombinationen aufdeckt, die sowohl auf einer Indifferenzkurve und gleichzeitig auf der Produktionsmglichkeitenkurve liegen, wei es aufgrund der Konkavitt der Produktionsmglichkeitenkurve und der Konvexitt der Indifferenzkurven, dass es ein hheres als das gewhlte Nutzenniveau realisieren knnte. Es erkennt weiter, dass alle realisierbaren Gtermengenkombinationen des gewhlten Nutzenniveaus unterhalb der Produktionsmglichkeitenkurve liegen. Dies kommt einer Unterbeschftigung der Produktionsfaktoren gleich. In einer solchen Situation ist es sinnvoll, eine Gtermengenkombination zu whlen, die sicherstellt, dass das nchst hhere Nutzenniveau erreicht wird. In dem Beispielfall wre eine Gtermengenkombination auszuwhlen, die auf der Indifferenzkurve liegt. Unabhngig davon, von welcher Gtermengenkombination auf die Analyse startet, der Indifferenzkurve mit der wird der gemeinsame Tangentialpunkt Produktionsmglichkeitenkurve gefunden. An dieser Stelle stimmen Wnsche und Mglichkeiten, sie zu realisieren, berein. Schliet man sich den vorstehenden
295 Dies kommt einem gedanklichen Herauf- und Herunterrutschen auf der Indifferenzkurve

gleich.

121

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

berlegungen an, handelt das Wirtschaftssubjekt unter den gemachten Bedingungen wirtschaftlich, wenn es die Gterkombination realisiert.296 Die vorstehenden berlegungen haben zwei zentral wichtige Instrumente mikrokonomischer und betriebswirtschaftlicher Betrachtungen herausgestellt: Produktionsfunktionen und Nutzenfunktionen. Mit diesen Instrumenten kann beschrieben werden, wie die Betriebswirtschaftslehre sich Wirtschaften eines Einmann (Einfrau)Systems vorstellt, das keine Beziehungen zu anderen Wirtschaftssubjekten unterhlt, mit Gterknappheit konfrontiert ist und eine optimale Bedrfnisbefriedigung zum Ziel hat. Auch fr Whe, von dem schon berichtet wurde, wirtschaftet Robinson, denn Whe definiert Wirtschaften als: Inbegriff aller planvollen menschlichen Ttigkeiten, die unter Beachtung des konomischen Prinzips (Rationalprinzips) mit dem Zweck erfolgen, die an den Bedrfnissen der Menschen gemessen bestehende Knappheit der Gter zu verringern. 297 (Hervorhebungen von M.B.) Vor dem Hintergrund der Bestandteile dieser Definition des Wirtschaftens wird im Folgenden ein eigener Begriff des Wirtschaftens herausgearbeitet.

4.1.4

Alternative Entscheidungsmethoden: Planung, Leitung und Organisation

Aus der von Whe angebotenen Vorstellung von Wirtschaften folgt, dass wirtschaftliche Handlungen, die im Affekt und ohne Einschaltung des menschlichen Bewusstseins geschehen, keine wirtschaftlichen Handlungen sind. Vielmehr finden, bevor wirtschaftliche Handlungen vollzogen werden, berlegungen und Abwgungen statt, die in einer Entscheidung mnden, dies zu tun und jenes zu lassen.298 Entscheidungen begrnden somit wirtschaftliches Handeln. ber diese Einsicht hinausgehend wird behauptet, dass alles Wirtschaften durch Planung (Planentscheidungen) bestimmt sei. Hiernach gibt es nur planmiges Wirtschaften.299 Eine andere Form des Wirtschaftens ist nicht mglich. Wirtschaften wird von den zitierten Autoren mit Planen gleichgesetzt. Ein Abgrenzungskriterium zu Handlungen, die keine wirtschaftlichen Handlungen darstellen, ist damit nicht gewonnen, denn planvoll gehandelt wird auch auerhalb des Wirtschaftslebens in ande296 Die Prozedur des Auffindens der optimalen Gterkombination kann mithilfe formaler Algo297 Whe/Dring (2008) S. 2. 298 Neuere Erkenntnisse der Gehirnforschung legen nahe, die Frage zu stellen, ob das Ich

rithmen beschrieben werden, vgl. hierzu Bardmann (1988) S. 81-115.

entscheidet oder ob nicht, bevor das Ich auftritt, die Biologie des Gehirns schon entschieden hat. 299 hnlich erklrt Eucken: Wirtschaftlich gehandelt werden kann nur aufgrund von Wirtschaftsplnen [...], um die vorhandene Knappheit der Gter zu berwinden. Eucken (1950) S. 230.

122

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

ren Lebensbereichen. So plant der Arzt eine Operation, der Schriftsteller die zeitliche Struktur der Erstellung der Kapitel seines Buches, der Reisende die Reiseroute usw. In der einschlgigen betriebswirtschaftlichen Literatur wird Planung als eine bestimmte Entscheidungsmethode beschrieben.300 Mittels Planung wird der Versuch unternommen, einen Zeitabschnitt auszugestalten. Dieser Zeitabschnitt ist ein zuknftiger Zeitabschnitt. Er wird als Planperiode bezeichnet. Datenkonstellationen der Planperiode, an die es sich anzupassen gilt, werden gedanklich in die Gegenwart transponiert. Bevor die Planperiode beginnt, sind smtliche Planentscheidungen, die sich auf die Datenkonstellationen der Planperiode beziehen, getroffen und aufeinander abgestimmt. Planung stellt derart eine koordinierte Menge von Planentscheidungen, einen Gesamtplan, bereit. Aus dem Gesamtplan knnen Kennziffern abgeleitet und zur Ausfhrung vorgegeben werden. Bevor die Planimplementation (Planausfhrung) beginnt, ist die Kennziffernplanung abgeschlossen. Wenn whrend der Plandurchfhrungsphase alles so eintritt, wie es vom Planer vorhergesehen wurde, sind keine weiteren Entscheidungen mehr notwendig, denn es liegen fr smtliche wirtschaftliche Handlungen der Zukunft Planentscheidungen vor. Ein ber die Planung hinausgehender Entscheidungsbedarf ist nicht gegeben. In einem solchen Fall wre das Wirtschaften vollstndig durch Planung determiniert. Plakativ kann man formulieren: Planung ist eine zeitabschnittsbezogene Antizipationsentscheidung, die ber die Vorgabe von Kennziffern zuknftiges wirtschaftliches Handeln festlegt. Die Annahme, man knne durch Planung zuknftiges wirtschaftliches Handeln vollstndig festlegen, bleibt eine Illusion.301 Der Mensch ist nicht in der Lage, die Zukunft vollstndig vorauszusehen. Daher kann er in einer Gegenwart nicht ber smtliche Datenkonstellationen der Zukunft entscheiden, da er sie gegenwrtig nicht alle kennt. Alles Planen ist durch Unsicherheit ber die Zukunft belastet. Schon whrend der Phase der Planaufstellung werden Planfreirume und Planlcken sichtbar, und es kommt vor, dass Zielverschiebungen auftreten. Allein aus Zeitgrnden ist es nicht mglich, mittels Planentscheidungen smtliche Planfreirume und -lcken zu schlieen und mgliche nderungen der Ziele zu bercksichtigen. Insofern sind Plne immer unvollstndige Plne. Sie enthalten weder fr alle mglichen zuknftigen Situationen Einzelentscheidungen, noch sind die in den Plnen enthaltenen Einzelentscheidungen in einer Gesamtentscheidung vollstndig aufeinander abgestimmt. Wenn dies so ist und Wirtschaften auf bewusstes Entscheiden grndet, dann mssen fr die angesprochenen Situationen Entscheidungen getroffen werden, damit weiter gewirtschaftet werden kann. Dies knnen aus den genannten Grnden allerdings keine Planentscheidungen sein. Schon whrend der Phase der Planaufstellung muss eine Entscheidungsmethode zum Einsatz kommen, die sich von Planung unterscheidet. Wir nennen diese Entscheidungsmethode Leitung.

300 Vgl. Koch (1977) S. 12 f. 301 Obwohl das so ist, fehlt es in der Betriebswirtschaftslehre nicht an Versuchen, Modelle totaler

zentraler Gesamtplanung zu entwerfen.

123

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Anders als die Planung, die einen zuknftigen Zeitabschnitt auszugestalten versucht, ist die Leitung eine zeitpunktbezogene Methode des Entscheidens. Charakteristisch fr Leitung ist, dass sie sich auf einzelne, bereits stattgefundene Ereignisse bezieht. Nachdem eine Strung302 eingetreten ist, versucht die Leitung, durch Ad-hocEntscheidungen situativ einzugreifen, um die Folgen der Strungen in den Griff zu bekommen. Leitung wird notwendig, weil Planentscheidungen fr diese Ereignisse fehlen. Anders als Planung generiert Leitung eine weitgehend unkoordinierte Menge von Einzelentscheidungen. Diese gibt sie nicht als Kennziffern zur Ausfhrung vor, sondern Leitungsanweisungen sind Anweisungen fr Einzelflle. Insbesondere whrend der Plandurchfhrungsphase ist die Leitung gefordert, denn es wird sichtbar, dass nichts so luft wie geplant. Damit weiter gewirtschaftet werden kann, sind Leitungsentscheidungen notwendig. Leitung kann plakativ als eine zeitpunktbezogene Reaktionsentscheidung gekennzeichnet werden, die mit Einzelanweisungen wirtschaftliches Geschehen auszugestalten versucht.303 Auch der vereinsamte Robinson muss planen und leiten. Daneben muss er auch noch seine Arbeitsprozesse organisieren. Organisation kann als eine dritte Methode des Entscheidens begriffen werden. Sie dekomponiert (differenziert) die Arbeitsprozesse in einzelne Arbeitsschritte und rekonstruiert (integriert) sie erneut auf eine bestimmte Art und Weise. Hierdurch versucht Organisation, Arbeitsprozesse fr eine lngere Dauer durch generelle Entscheidungen zu strukturieren. Auch Organisation kann nicht verhindern, dass von der Planung nicht vorhergesehene Ereignisse eintreten.304 Begreift man Planung und Leitung, wie hier angedeutet, ist nicht mehr nur Wirtschaften, mglich, das auf Planung beruht. Es gibt dann neben geplantem Wirtschaften auch geleitetes Wirtschaften. Der Rckgriff auf Planung zur Definition des Wirtschaftens ist damit einerseits zu weit ausgelegt, denn es wird auch auerhalb der Wirtschaft geplant, und andererseits zu eng gefasst, denn neben geplantem gibt es auch geleitetes Wirtschaften.

4.1.5

konomisches Prinzip, Rationalitt und Tradition

Wirtschaften wird nicht lediglich als eine geplante Ttigkeit verstanden, sondern als ein planmiges Handeln, das sich am konomischen Prinzip orientiert. Das konomische Prinzip stellt ein normatives Prinzip dar. Es wird auch als Wirtschaftlichkeits302 Es sei angemerkt, dass Strungen nicht nur als negative Erscheinungen aufzufassen sind. 303 Vgl. zu den Begriffen Leitung und Planung, Bardmann (1988) S. 81-189. Koch benutzt statt

des Leitungsbegriffs den Begriff der Improvisation und behandelt mit dieser Begrifflichkeit hnliche Phnomene, die wir mit dem Leitungsbegriff beschreiben. Vgl. Koch (1977) S. 12. 304 Genau wie die Psychologie Problemlsungsverfahren in einzelne Phasen differenziert, unterteilt die Betriebswirtschaftslehre den Entscheidungsprozess in Phasen. Es wird die Willensbildungs- von der Willensdurchsetzungsphase unterschieden. Die Willensbildungsphase wird hufig mit Planung gleichgesetzt, die Willensdurchsetzungsphase mit Organisation.

124

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft

4.1

prinzip bezeichnet und postuliert, dass es unter den Bedingungen der Gterknappheit und dem Wunsch nach Bedrfnisbefriedigung sinnvoll ist, stets so zu agieren, dass mit einem gegebenen Aufwand an Wirtschaftsgtern ein grtmglicher Ertrag (Nutzen) erzielt wird (Maximalprinzip). Allgemeiner ausgedrckt: Bei gegebenen Mitteln soll eine maximale Zielrealisierung erreicht werden; ein gegebener Ertrag (Nutzen) mit dem geringstmglichen Aufwand an Wirtschaftsgtern erzielt wird (Minimalprinzip). Allgemeiner ausgedrckt: Bei vorgegebenem Ziel soll ein minimaler Mitteleinsatz realisiert werden.

Damit wird Wirtschaften als zweckrationales Handeln im Sinne Max Webers bestimmt.305 Max Weber betrachtet Zweckrationalitt als formale Rationalitt, bei der es um die Auswahl von optimalen Mitteln (Ursachen) fr die Bewirkung beliebiger Ziele (Wirkungen) geht. Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen mglichen Zwecke gegeneinander abwgt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional), noch traditional handelt.306 Smtliche nicht an Zwecken und Mitteln orientierte Handlungen sind nach der Definition Whes keine wirtschaftlichen Handlungen. Wirtschaften und Planen werden insofern gleichgesetzt, als Zweckrationalitt fr beides als konstitutiv erklrt wird. Eine derartige Begriffsbildung schliet zunchst affektuelles, traditionales und ausschlielich an Werten orientiertes Handeln als wirtschaftliches Handeln aus. Handeln im Affekt, so ist weiter oben schon begrndet worden, kann niemals wirtschaftliches Handeln sein. Wenn allerdings Traditionen und Werte einen auf die Wirtschaft bezogenen Inhalt haben, wieso sollten nicht auch sie, neben den Zwecken, wirtschaftliches Handeln begrnden knnen? Jedenfalls ist Rationalitt nicht nur als Zweckrationalitt, sondern auch als Wertrationalitt denkbar. Wertrationalitt ist von Max Weber als materielle Rationalitt konzipiert. Der Handelnde glaubt, soweit er sein Handeln wertrational fundiert, an den Eigenwert des gewhlten und verfolgten Zwecks. Das knnen politische, religise, ethische, sthetische oder andere Zwecke sein. Es geht nicht wie bei der Zweckrationalitt um die Wahl der richtigen Mittel fr ein selbst gewhltes Ziel, sondern um den Glauben an den unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchem und unabhngig vom Erfolg.307 In diesem Fall werden alternative Mittel nicht im Hinblick auf die Mglichkeit, mit ihrem Einsatz unterschiedliche Ziele zu erreichen, miteinander verglichen, sondern im Hinblick auf die Realisierung von als unumstlich ange-

305 Max Weber unterscheidet zwischen zweckrationalem, wertrationalem, affektuellem und 306 Weber, M (1980) S. 13. 307 Weber, M. (1980) S. 12. Rein wertrational handelt, wer ohne Rcksicht auf die vorauszuse-

traditionalem Handeln, vgl. Weber, M. (1980) S. 12 f.

henden Folgen handelt im Dienst seiner berzeugung von dem, was Pflicht, Wrde, Schnheit, religise Weisung, Piett, oder die Wichtigkeit einer Sache gleichviel welcher Art ihm zu gebieten scheinen. Stets ist [] wertrationales Handeln ein Handeln nach Geboten oder gem Forderungen, die der Handelnde an sich gestellt glaubt. Ebenda.

125

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

sehenen Werten. Auf die Ausfhrungen zur Wirtschafts- und Unternehmensethik sei hingewiesen. Auch ein Handeln nach Traditionen, also nach Vorstellungen, die immer schon galten, kann als wirtschaftliches Handeln betrachtet werden.308 Ein rein an zweckrationale berlegungen gebundener Begriff des Wirtschaftens erscheint auch deshalb als zu eng, weil mit Schwierigkeiten zu rechnen ist, ihn realiter umzusetzen bzw. nachzuweisen. Die Realitt leistet Widerstand gegen die Anwendung des Rationalprinzips, insbesondere deshalb, weil sie sich durch unvollstndige Informationslagen der Entscheidungstrger auszeichnet. Darber hinaus muss wohl zugegeben werden, dass Menschen nicht generell zweckrational handeln, wenn sie wirtschaften.309 Mit diesen Einsichten verbindet die Betriebswirtschaftslehre allerdings nicht ein Abrcken von dem normativen konomischen Prinzip.

4.2

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Bisher wurde herausgestellt, wie ein einzelnes Wirtschaftssubjekt, das keinen Kontakt zu anderen Wirtschaftssubjekten hat, das Problem lst, fr sein Dasein zu sorgen, indem es durch seine Bedrfnisse geleitet Gter produziert und konsumiert, mit dem Ziel, ein mglichst hohes Niveau an Bedrfnisbefriedigung zu erlangen. Dabei trifft es Plan-, Leitungs- und Organisationsentscheidungen, die es unter Rationalittsgesichtspunkten am konomischen Prinzip, Traditionen oder Werten orientiert. Gterknappheit erscheint in der Ein-Mann-Wirtschaft als ein Verhltnis zwischen Wirtschaftssubjekt und (Gter-)Welt. Eine so verstandene Knappheit kann reduziert werden, indem das Wirtschaftssubjekt seine Bedrfnisse zurckschraubt und/oder indem die Menge an produzierten Gtern erhht wird. Auf dieser Betrachtungsebene ist Wirtschaften als ein rein entscheidungslogisches Problem zu qualifizieren. Wirtschaften als soziale Veranstaltung ist nicht mglich, denn es wurde von der Existenz eines zweiten und weiterer Wirtschaftssubjekte abgesehen. Wenn man noch einmal zur Verdeutlichung die Robinsonade bemht, dann wre das Wirtschaften von Robinson, solange er alleine seine Insel bewohnt, auf Entscheidungslogik reduziert. Sozialen Charakter erhalten die Handlungen von Robinson erst, als

308 Vgl. Schumpeter (2006), insbesondere das erste Kapitel: Der Kreislauf der Wirtschaft in 309 Vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 6.

seiner Bedingtheit durch gegebene Verhltnisse.

126

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

Freitag auftritt.310 Erst jetzt kann Wirtschaften als soziales Handeln stattfinden.311 Robinson wie auch Freitag knnen sich auf ihre speziellen Fhigkeiten besinnen und entsprechend ihrem Vermgen Gter produzieren. Gtermengen, die sie nicht selbst verbrauchen, knnen sie gegen Gter tauschen, von denen sie mehr bentigen, als sie in der Lage sind, durch Eigenproduktion herzustellen. Arbeitsteilung und Tausch sind, wenn man Wirtschaften als soziale Veranstaltung versteht, konstitutive Elemente des Wirtschaftens. In der von Whe angebotenen Definition von Wirtschaften kommt der soziale, an Arbeitsteilung und Tausch gebundene Charakter des Wirtschaftens nicht unmittelbar zum Ausdruck. Seine Definition stellt lediglich darauf ab, dass entsprechend dem konomischen Prinzip geplant wird, um Gterknappheiten zu berwinden, und dies ist auch in einer Ein-Mann-Wirtschaft mglich.

4.2.1

Wirtschafts- und Sozialordnung als Bedingung des Wirtschaftens

Sobald Freitag auf die Insel des Robinsons kommt, ist ein Handeln der beiden nach dem konomischen Prinzip allerdings zunchst nicht das Hauptproblem. Die zentrale Frage ist vielmehr, ob es zwischen den zwei Personen berhaupt zu einem Austausch von Gtern kommen kann. Denn das Abwickeln von Tauschgeschften setzt voraus, dass die Tauschpartner Regeln respektieren, die Formen des Wirtschaftens festlegen. Um Wirtschaften als soziales Handeln zu qualifizieren, ist die Existenz einer Wirtschaftsordnung notwendige Voraussetzung. Ohne Ordnung ist berhaupt ein Wirtschaften undurchfhrbar.312 Aber es ist nicht nur so, dass reales, praktisches Wirtschaften ohne Wirtschaftsordnung nicht mglich ist, sondern darber hinaus kann eine theoretische Betrachtung des Wirtschaftens nicht direkt, sondern nur ber den Umweg eines Verstndnisses der jeweiligen Wirtschaftsordnung gelingen,313 d.h., wirtschaftliches Handeln impliziert immer schon eine Wirtschaftsordnung, und um310 Diese Aussage stimmt natrlich nicht in vollem Umfang, denn Robinson kommt schon als

vergesellschaftetes Wesen auf die Insel. Er beschftigt sich mit dem Lesen der Bibel, der Erstellung eines Kalenders, setzt Werkzeuge ein, die er vor dem Sinken seines Schiffes an Land bringen konnte usw. Insofern ist Robinson mit Werten der Gesellschaft, aus der er kommt, ausgestattet und diese leiten sein Handeln. Daher wre das Verhalten eines einsam auf der Insel zurckgelassenen Kasper Hauser zu studieren, wenn wirtschaftliches Handeln als ein Handeln untersucht werden soll, das kein soziales Handeln ist. 311 Zur Veranschaulichung der sozialen Aspekte des Wirtschaftens greift die Wirtschaftswissenschaft gerne auf Zwei-Personen-Spiele zurck. Wenn die Anzahl der Personen erhht wird, ist natrlich die soziale Dimension des Wirtschaftens angemessener darzustellen, es entsteht jedoch ein gewisser Grad an Unbersichtlichkeit beim Herausarbeiten der Aspekte, die hier interessieren, wenn man viele Personen in die Analyse einbezieht. Daher wird in den folgenden Abschnitten die bliche Darstellungsform eines Zwei-Personen-Modells benutzt, um die grundlegenden Probleme des Wirtschaftens herauszustellen. 312 Eucken (1950) S. 50. 313 Wir knnen nichts Sinnvolles ber alles das, was sich da unten abspielt, aussagen, wenn uns die Ordnung unbekannt bleibt. Eucken (1950) S. 50.

127

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

gekehrt beeinflusst wirtschaftliches Handeln die Wirtschaftsordnung. Wirtschaften und Wirtschaftsordnung bedingen sich wechselseitig.314 Mit anderen Worten kann man auch schreiben, dass Wirtschaften den Bedingungskomplex (die Wirtschaftsordnung), der das Wirtschaften leitet, absichtlich oder unbeabsichtigt mit hervorbringt.315 Diese Vorstellung fhrt zu der Erkenntnis, dass wirtschaftliche Handlungen und wirtschaftliche Handlungsbedingungen sich wechselseitig begrnden. Wirtschaftlich gehandelt werden kann nur innerhalb eines Bedingungsrahmens, und dieser wiederum konnte ohne Handlungen nicht entstehen. Wirtschaftsordnung und wirtschaftliches Handeln zeichnen sich durch ein zirkulres Verhltnis aus.

4.2.2

Wirtschaftsordnungselemente

Dass es Wirtschaftsordnungen gibt, ist eine Tatsache. Es gibt realisierte Formen, in denen der konkrete Wirtschaftsprozess abluft. Konkrete Wirtschaftsordnungen setzen sich aus Ordnungselementen zusammen. Solche Ordnungselemente sind beispielsweise realisierte Wirtschaftsgebilde, wie z.B. der antike oikos, die mittelalterliche Klosterwirtschaft, frhkapitalistische Betriebe, volkseigene Betriebe, Kombinate; Verbnde (mittelalterliche Znfte, heutige Verbraucherverbnde, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern usw.); Unternehmensformen (insbesondere Rechtsformen der Unternehmen wie AG, GmbH, OHG, Genossenschaften); Formen der Handlungskoordination wie Marktformen (z.B. Polypol, Oligopol, Monopol)316, Vereinbarungen oder Formen der Hierarchie; zentrale und dezentrale Planungsformen; Eigentumsformen (z.B. Privat-, Gesellschafts-, Staatseigentum); Formen der Geld- und Finanzwirtschaft (Banken-, Whrungs-, Steuersystem); Formen der Verwaltung usw. Darber hinaus legen weitere generelle Regeln den Wirtschaftsablauf fest. Hierzu zhlen Sitten und Gebruche, die in Kultur, Religion und Moral grnden. Soweit diese Formen faktisch zur Geltung kommen und den Wirtschaftsablauf bestimmen, sind sie Bestandteile der Wirtschaftsordnung. Teilweise sind sie juristisch kodifiziert. Auch die Auslegungen von Rechtsnormen durch Gerichtsentscheidungen sind Bestandteil der Wirtschaftsordnung. Alle in Verfassungen, Gesetzen und Verordnungen enthaltenen wirtschaftlich relevanten Regelungen, also auch jene, die faktisch nicht zur Geltung kommen, sind in der Wirtschaftsverfassung zusammengefasst. Die Wirtschaftsverfassung gibt einen anzu-

314 Allgemeiner kann man mit Luhmann formulieren: Handlung ist nur als System mglich,

action is system. Luhmann (1993a) S. 260, siehe weiter Luhmann (2006b) S. 18 ff. Mit dem hier wiedergegebenen Zitat fasst Luhmann die Erkenntnis der Systemtheorie Parsons in einem Satz zusammen. 315 Vgl. hierzu von Hayek (1994) S. 207 f. 316 Zu Marktformen, vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 5.3.1.

128

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

strebenden Zustand an, whrend die Wirtschaftsordnung das faktisch realisierte Formgefge spiegelt.317 Die aufgelisteten Wirtschaftsordnungselemente stehen in einem interdependenten Zusammenhang. Sie beeinflussen sich wechselseitig. So schlieen sich bestimmte Kombinationen der Ordnungselemente gegenseitig aus. Ein und dieselbe Aufgabe kann z.B. nicht zentral und gleichzeitig dezentral geplant werden. Von dieser internen Interpendenz gilt es, eine Interpendenz der Ordnungen unterschiedlicher Lebensbereiche, eine uere Interpendenz, zu unterscheiden. Die bereits von Eucken vorgelegte Theorie der Interdependenz der Ordnungen318 beschftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen den Ordnungen unterschiedlicher Lebensbereiche. Ein Ergebnis dieser Theorie ist die Erkenntnis, dass nicht jede Wirtschaftsordnung mit jeder Ordnung anderer Lebensbereiche kompatibel ist. Nach der Lehre von den Ordnungsinterdependenzen hat das Politik- und Rechtssystem eine Wirtschaftsordnung zu kreieren, die ber Wirtschaftspolitik (insbesondere Wirtschaftsordnungspolitik) und Etablierung rechtlicher Regelungen (in Form der Wirtschaftsverfassung) zu implementieren ist. Aus der wechselseitigen Bedingtheit von politischer und wirtschaftlicher Ordnung hat Eucken seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen entwickelt. Wie die Wirtschaftspolitik eines aktionsfhigen Staates bedarf, so bedarf es einer gewissen Wirtschaftsordnungspolitik, um den Staat aktionsfhig zu machen.319 Damit werden neben der Wirtschaftsordnung weitere soziale Ordnungen und die Beziehung zwischen den Ordnungen in den Blick genommen. Weite Teile der betriebswirtschaftlichen Literatur betrachten das Gesellschaftssystem und seine Subsysteme und damit auch die Wirtschaftsordnung als Daten. Demgegenber vertritt Albach die Ansicht, dass Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft nur betrieben werden kann, wenn beschrieben und erklrt wird, wie das System Betrieb in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eingebettet ist.320
317 Zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung, vgl. Eucken (1950)

S. 52. Neben der beschriebenen Vorstellung von Wirtschaftsordnung als konkretes System gibt es die Vorstellung, die Wirtschaftsordnung als Ordo, als abstrakt normatives System, aufzufassen. Insofern wre die Wirtschaftsordnung dann ein Leitbild, an dem sich Wirtschaftspolitik zu orientieren htte. Eine dritte Mglichkeit, Wirtschaftsordnung zu bestimmen, besteht darin, idealtypische Wirtschaftsordnungen zu untersuchen. Dann geht es um abstrakt-analytische Systeme. Eine aus Formelementen zusammengesetzte Wirtschaftsordnung wird erdacht, wobei die Formelemente historisch und empirisch nie vorgelegen haben mgen, und die Frage wird gestellt, wie in einer solchen Wirtschaftsordnung der Wirtschaftsprozess ablaufen wird. Beispiele fr abstrakt-analytische Wirtschaftsordnungen sind das Modell der Zentralverwaltungswirtschaft und das Modell der vollkommenen Konkurrenz. 318 Vgl. Eucken (1952) S. 332 ff. 319 Eucken (1952) S. 334. Zu den von Eucken aufgefhrten, auf Marktwirtschaften bezogenen Grundstzen der Wirtschaftspolitik vgl. Eucken (1952) S. 291. Eucken selbst, seine Mitstreiter und Nachfolger begrnden die sog. Freiburger Schule. Ihre Vertreter haben spter die wirtschaftspolitischen Vorstellungen Euckens weiter ausgebaut. 320 Vgl. Albach (1994) S. 84.

129

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2.3

Gefangenendilemma als Zentralproblem

Wenn wirtschaftliches Handeln nur unter der Bedingung einer Wirtschaftsordnung mglich ist, dann stellt sich die Frage: Wie ist denn berhaupt Wirtschaftsordnung mglich? Allgemeiner formuliert, wrde die Frage lauten: Wie ist soziale Ordnung mglich? Diese Frage ist nicht neu. Bereits Thomas Hobbes hatte sie gestellt.321 Sie erscheint, leicht abgewandelt, auch als Frage: Wie sind soziale Institutionen mglich? Mit der Konzentration ihrer wissenschaftlichen Bemhungen auf dieses Forschungsgebiet versuchten soziologische Klassiker, die Eigenstndigkeit und Autonomie der Soziologie gegenber den anderen Sozialwissenschaften herauszustellen. So definiert Durkheim Soziologie als die Wissenschaft von den Institutionen. Institutionen sind fr Durkheim alle Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzten Verhaltensweisen.322 Er folgert: die Soziologie kann also definiert werden als die Wissenschaft von den Institutionen, deren Entstehung und Wirkungsart.323 Parsons hat diese Vorstellung bernommen.324 Er ist der berzeugung, dass eine so verstandene Soziologie es ermglicht, sich gegenber Psychologie und Wirtschaftswissenschaft als eigenstndige Wissenschaft zu behaupten.325 Das Problem, wie soziale Ordnung mglich ist, bildet nach Parsons die Basis soziologischer Theoriebildung.326 Auch fr Luhmann konstituiert die Behandlung der Ordnungsfrage die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin.327 Fr von Hayek ist das Ordnungsproblem berhaupt das Kernproblem der Sozialtheorie und Sozialpolitik328, und nach Weintraub kreist der wichtigste Forschungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaft um die Beantwortung der Frage, wie es kommt, dass eine Orientierung des Handelns an individuellen Interessen zu einer Gesellschaft fhrt, die nicht durch Chaos gekennzeichnet ist.329 Insbesondere die Neue Institutionenkonomik, die noch ausfhrlich besprochen wird (vgl. Kapitel 9), konzentriert ihr wissenschaftliches Interesse auf die Frage, wie es zu institutioneller Ordnung und ihren spezifischen Ausprgungen kommt und welchen Einfluss sie auf den Wirtschaftsprozess bzw. das Verhalten wirtschaftender Akteure ausbt. Soziale Ordnung und damit Wirtschaftsordnung und die hier eingebetteten Institutionen sind problematisch, weil Handlungen unterschiedlicher Akteure, die fr sich
321 Vgl. Hobbes (1996). Zur Geschichte der Theorien, die sich der Frage, wie soziale Ordnung 322 Vgl. Durkheim (1965) S. 100. Auf die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Institution

mglich ist, widmen, vgl. Luhmann (1993a) S. 195-265.

323 324 325 326 327 328 329

wird bei der Darstellung der Neuen Institutionenkonomik nher eingegangen. Vgl. Kapitel 9.2. Durkheim (1965) S. 100. Vgl. Parsons (1951). Vgl. Parsons (1964) S. 61 f. Vgl. Parsons (1968). Vgl. Luhmann (1993a) S. 285. Vgl. von Hayek (1994) S. 32. Vgl. Weintraub (1975) S. 555.

130

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

genommen jeweils auch anders mglich sind, aneinander orientiert werden sollen. Die soziologische Theorie fragt, wie soziale Ordnung unter der Bedingung doppelter Kontingenz mglich ist.330 Der Kontingenzbegriff kann mit den Worten Luhmanns beschrieben werden: Kontingent ist etwas, was weder notwendig noch unmglich ist; was also, so wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders mglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mgliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstnde im Horizont mglicher Abwandlungen. Er setzt die gegebene Welt voraus, bezeichnet also nicht das Mgliche berhaupt, sondern das, was von der Realitt aus gesehen anders mglich ist.331 Da in einer sozialen Beziehung die Beteiligten jeweils auch anders handeln knnen als erwartet, ist jede soziale Beziehung mit dem Problem der doppelten Kontingenz konfrontiert.332 Doppelte Kontingenz ist zirkulr: Wenn du das tust, was ich will, tue ich das, was du willst.333 Die Wirtschaftswissenschaft beschreibt dieses Problem mit dem wohl bekannten und berhmten prisoners dilemma. Um das Gefangendilemma zu beschreiben, wird blicherweise die Anekdote ber zwei Diebe erzhlt, die nach einem Einbruch von der Polizei in Haft genommen werden. Das anschlieende Verhr der beiden Kriminellen wird in getrennten Rumen durchgefhrt. Sie haben beide jeweils die Mglichkeit, zu gestehen und damit ihren Kumpanen zu verraten, oder die Aussage zu verweigern. Jeder der Inhaftierten muss seine Wahl treffen, ohne zu wissen, wie der andere entscheidet. Unabhngig davon, welche Wahl der jeweilig andere Einbrecher trifft, ist aus individueller Perspektive die Tat zu gestehen die bessere Alternative, da eine Kronzeugenregelung existiert. Das Dilemma besteht darin, dass beiderseitiges Gestehen ungnstiger ist als beiderseitiges Nichtgestehen. 334 Auf die analoge Problemstruktur des Gefangenendilemmas und des Problems, wie unter der Bedingung doppelter Kontingenz soziale Ordnung mglich ist, wurde mehrfach hingewiesen.335 Es geht in beiden Fllen um die Koordination und Motivation von Handlungen unterschiedlicher (eigeninteressierter) Akteure, sofern die Handelnden mehrere Handlungsmglichkeiten besitzen und die Handlungsselektion des einen abhngig ist von der Auswahlentscheidung des anderen et vice versa. Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur bietet zwei Antworten auf die Ordnungsfrage. Eine Antwort hatte Hobbes bereits gegeben. Sie wird als individualistischvertragstheoretische Variante bezeichnet (vgl. Abschnitt 4.2.3.1). Die zweite Antwort
330 Vgl. Parsons/Shils (1951) S. 16 sowie Parsons (1951) S. 10 ff. 331 Luhmann (1987) S. 152. Zu dem von Luhmann entwickelten Kontingenzbegriff und zum 332 Vgl. Parsons/Bales/Shils (1953) S. 35 und weiter Parsons (1968) S. 436 f. 333 Luhmann (2006b) S. 320. 334 M. Flood und M. Dresher haben 1950 das Gefangendilemma erstmals beschrieben und A. W.

Problem der doppelten Kontingenz vgl. Luhmann (1987) S. 148 ff.

Tucker hat es anschlieend in eine mathematische Form gebracht, vgl. Axelrod (2000) S. 22. Zu einer tiefgehenden Analyse des Gefangenendilemmas, vgl. Axelrod (2000) S. 7 ff. 335 Vgl. statt anderer Buchanan (1975) besonders S. 27 und S. 65.

131

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

aktiviert die schottische Moralphilosophie und in ihrem Gefolge die Hayekschen Ordnungsvorstellungen und firmiert in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur als individualistisch- evolutionstheoretische Lsung (vgl. Abschnitt 4.2.3.2).336 Beide Versuche, eine Antwort auf die Ordnungsfrage zu finden, basieren auf einem individualistisch-utilitaristischen Fundament. Damit ist gemeint, dass individuell rational und eigenntzig wirtschaftende, unersttliche Wirtschaftssubjekte den Ausgangspunkt wirtschaftstheoretischer Betrachtungen bilden. Weiter wird zunchst angenommen, dass die Auswahlentscheidungen der Wirtschaftssubjekte sich auf Individualgter richten. Individualgter sind dadurch ausgezeichnet, dass die potenziellen Nutzer um den Gterverbrauch oder -gebrauch rivalisieren. Das heit, zwei Wirtschaftssubjekte knnen nicht gleichzeitig ber dasselbe Individualgut verfgen, es herrscht Rivalitt. Darber hinaus schliet derjenige, der ein individuelles Gut nutzt, zunchst alle anderen von der Nutzung dieses Gutes aus, es gilt das Prinzip der physikalischen Exklusion.337 Auch wenn die zu betrachtenden Akteure ber Individualgter entscheiden, geht es letztlich darum, dass sie irgendwie zusammenkommen, also gemeinsam etwas machen, nmlich Individualgter tauschen. Der Austausch von Gtern ist als Kollektivgut in dem Sinne zu betrachten, als Tausch gemeinsam einzurichtende und zu nutzende Regeln voraussetzt. Ein Regelsystem knnte sein, dass man sich zum Austausch von Gtern auf einem freien berschaubaren Gelnde zu bestimmten Zeiten trifft, smtliche Waffen ablegt und das zu tauschende Gut, z.B. ein Brenfell auf der einen Seite und Scke voller Kartoffeln auf der anderen Seite, sichtbar vor sich hertrgt, die Tauschbereiten ihre Individualgter in die Mitte des Tauschplatzes (Markt) ablegen, sie eine Zeit lang begutachten usw. und schlielich, nachdem sie handelseinig wurden, rckwrts schreitend, so dass sie sich gegenseitig weiter sehen, den Marktplatz verlassen.

336 Vgl. Vanberg (1983) S. 57. 337 Auf die Mglichkeit, Gter mit den Kriterien Rivalitt und Exklusivitt und weiteren Kriteri-

en zu klassifizieren, wird in Abschnitt 6.2.3 nher eingegangen.

132

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

4.2.3.1

Individualistisch-vertragstheoretische Lsung

Geht man von einem Zustand aus, in dem noch keine soziale Ordnung besteht,338 es also keine Normen, Regeln und Organisationen usw. gibt, dann kann man mit Hobbes feststellen339, dass aus der Gleichheit der krperlichen und geistigen Fhigkeiten der Menschen die Gleichheit der Hoffnung, unsere Ziele zu erreichen, folgt. Und wenn daher zwei Menschen das Gleiche verlangen, in dessen Genuss sie dennoch nicht beide kommen knnen, werden sie Feinde; und auf dem Weg zu ihrem Ziel [] bemhen sie sich, einander zu vernichten oder zu unterwerfen. Da es kein Gesetz gibt, gehrt jedem, was er bekommen kann, und so lange er es halten kann. Das gilt auch fr den Krper eines anderen. Aus diesem blen Naturzustand fhrt zunchst kein vernnftiger Weg hinaus. Mit diesem Vorverstndnis wird im Rahmen der individualistisch-vertragstheoretischen Lsung des Ordnungsproblems argumentiert. Eine soziale Ordnung (insbesondere eine Rechtsordnung und in dem Zusammenhang eine Eigentumsordnung) wird sich im Zusammenleben eigeninteressierter und rationaler Individuen nur entwickeln, wenn nach Abwgung ihrer Vor- und Nachteile (Nutzen-Kosten) die individuellen Vorteile (Nutzen) berwiegen. Als Vorteil einer sozialen Ordnung gibt Hobbes die Reduktion von Unsicherheit an.340 Die Existenz einer sozialen Ordnung gibt nicht nur Auskunft ber die eigenen Handlungsmglichkeiten, indem sie sie einschrnkt, sondern sie ermglicht es, Erwartungen ber das wahrscheinliche Verhalten der anderen zu bilden und die eigenen Handlungen an diesen Erwartungen zu orientieren. Dies stabilisiert das eigene und das fremde Verhalten und stellt sicher, dass morgen nicht alles ganz anders verluft als heute. Hierauf aufbauend kann das eigene Handeln langfristig geplant werden. In diesem Zusammenhang weist Buchanan auf den Vorteil der Abrstung hin, der sich daraus ergibt, dass die Herausbildung einer sozialen Ordnung dazu fhrt, dass die Notwendigkeit sinkt, zum eigenen Schutz Ressourcen bereitzuhalten. Die freigesetzten Ressourcen knnen produktiven Zwecken zugefhrt werden.341

338 Wenn weiter oben behauptet wurde, dass Wirtschaften immer eine Wirtschaftsordnung

voraussetzt, dann ist die Annahme eines Naturzustandes, der sich durch Abwesenheit einer sozialen Ordnung auszeichnet, natrlich problematisch. Fr theoretische Analysen kann es aber durchaus sinnvoll sein, einen solchen Ausgangspunkt zu whlen, um bestimmte Betrachtungen anzustellen. Diese Auffassung teilt u.a. auch Etzioni, vgl. Etzioni (1975) S. 117 sowie Luhmann. Aufgrund seiner zirkulren Denkweise stellt Luhmann zwar nicht die Frage nach dem Ursprung sozialer Ordnung, er erkennt allerdings an, dass es trotzdem sinnvoll sein kann, eine sozial unbestimmte Situation, einen Reinzustand doppelter Kontingenz als Ausgangspunkt zu nehmen, um bestimmte Fragen zu beantworten. Vgl. Luhmann (1987) S. 168 und S. 186. 339 Vgl. zu den im Text wiedergegebenen Aussagen von Hobbes, Hobbes (1996) S. 103 ff. 340 Die Einrichtung und Geltung von Gesetzen reduziert bezglich der Gemtsbewegungen die Furcht vor dem Tod und steigert die Hoffnung, durch Flei Dinge zu erlangen, die fr ein angenehmes Leben notwendig sind. Hobbes (1996) S. 107. 341 Buchanan (1975) S. 25 f. sowie S. 58 ff.

133

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Diesen Vorteilen einer sozialen Ordnung stehen die Nachteile des Naturzustands gegenber. Im Naturzustand gibt es keinen Platz fr Flei, denn seine Frchte sind ungewiss, und folglich keine Kultivierung des Bodens, keine Schifffahrt oder Nutzung der Waren, die auf dem Seeweg importiert werden mgen, kein zweckdienliches Bauen, keine Werkzeuge zur Bewegung von Dingen, deren Transport viel Kraft erfordern, keine Kenntnis ber das Antlitz der Erde, keine Zeitrechnung, keine Knste, keine Bildung, keine Gesellschaft, und, was das allerschlimmste ist, es herrscht stndige Furcht und die Gefahr eines gewaltsamen Todes; und das Leben des Menschen ist einsam, armselig, widerwrtig, vertiert und kurz.342 Auch wenn es offensichtlich ist, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse an der Realisation der Vorteile einer sozialen Ordnung haben und die Nachteile eines Naturzustands vermeiden mchten, so schafft dieses gemeinsame Interesse bei den einzelnen Akteuren doch noch keineswegs auch ein unmittelbares individuelles (privates) Motiv, das eigene Verhalten Regeln zu unterwerfen.343 Im Gegenteil, aus der Sicht des Einzelnen fhrt Regelbefolgung unmittelbar zu einem Nachteil. Denn wenn er sich einer Normierung unterwirft, schrnkt er seinen Handlungsraum, bevor er handelt, ein. Er setzt sich damit der Gefahr aus, in einer konkreten Situation die fr ihn gnstigste Alternative nicht whlen zu knnen. Zum anderen setzt er sich dem Risiko aus, dass nur er die Regeln befolgt, die anderen aber nicht. In einem solchen Fall wrde er sich nur zur Beute anderer machen und seinen sicheren Ruin herbeifhren, entgegen der Grundlage aller Naturgesetze, die auf die Erhaltung der menschlichen Natur abzielen.344 Hieraus folgt, dass Regelverletzung fr den Einzelnen von Vorteil ist, wenn alle anderen sich den Regeln unterwerfen, und insbesondere, wenn die anderen die Regeln nicht befolgen. Regelverletzung ist also in jedem Fall gegenber Regelbefolgung individuell die vorteilhaftere Strategie. Diese Aussage sei an einem Beispiel verdeutlicht, das aus der Matrix der Abbildung 19 abzulesen ist. Robinson und Freitag sind die Akteure. Als Handlungsmglichkeiten stehen ihnen jeweils Regelbefolgung oder Regelverletzung zur Verfgung. Die in den Zellen der Matrix eingetragenen Zahlen geben die jeweilige Hhe des Nutzens wieder, den die Akteure bei einer bestimmten Kombination von Regelbefolgung und Regelverletzung erhalten.345

342 343 344 345

Hobbes (1996) S. 105. Vanberg (1982) S.126. Hobbes (1996) S. 132. Das Zahlenwerk stammt von Buchanan (1975) S. 27. Hufig wird eine Darstellung gewhlt, die eine Symmetrie der jeweiligen Nutzenwerte unterstellt, vgl. Axelrod (2000) S. 8. Dies ist bei der Buchanan-Matrix anders. Sie bercksichtigt, dass der Nutzenwert einer bestimmten Verhaltensweise fr unterschiedliche Akteure unterschiedlich sein kann. Mit Bernoulli kann auf den Sachverhalt hingewiesen werden, dass der Nutzen, der aus einem Gut gezogen werden kann, abhngig ist von der Menge an Gtern, die sich bereits im Besitz (Stammkapital) des Nutzers befinden, vgl. die Ausfhrungen zu Bernoulli in Abschnitt 1.1.3.

134

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

Robinson und Freitag ist die Ertragsmatrix bekannt. Sie und wir sehen auf einen Blick, dass es im gemeinsamen Interesse der Akteure liegt, Regeln zu respektieren, denn wenn beide sich so verhalten, wird ein Gesamtnutzen von 26 Nutzeneinheiten erzielt. Whrend in dem Fall, dass die Inselbewohner die Regeln nicht respektieren, lediglich ein Gesamtnutzen von 11 Nutzeneinheiten realisiert werden kann. Darber hinaus erhlt Robinson (Freitag), wenn er und Freitag (Robinson) die Regeln einhalten, 7 (19) Nutzeneinheiten gutgeschrieben, whrend Robinson (Freitag) sich lediglich mit 2 (9) Nutzeinheiten zufriedengeben muss, wenn er und Freitag (Robinson) auf Regelverletzung setzen. Wrden lediglich diese Handlungsoptionen (beide Insulaner respektieren gleichzeitig die Regeln nicht oder beide respektieren die Regeln) zur Wahl stehen, wrden die zwei Akteure jeweils fr Regelbefolgung votieren.

Abbildung 19:

Ertragsmatrix eines Gefangenendilemmas

Robinson
Regeln werden anerkannt Regeln werden nicht respektiert

Regeln werden anerkannt

7 19 3

11

Freitag
1
Regeln werden nicht respektiert

2 9

22

So einfach ist die Sache allerdings nicht. Sie wird dadurch kompliziert, dass Robinson wie Freitag, auch wenn sie dem jeweilig anderen ein bestimmtes Verhalten versprochen haben, sich kontingent, d.h. auch anders verhalten knnen und verhalten werden, wenn es fr sie ntzlich ist. Sie bleiben freinander undurchschaubare black boxes. Da sie, wie angenommen, individuell rational entscheiden und handeln, kalkuliert Robinson respektive Freitag wie folgt. Robinson (Freitag) betrachtet zunchst den Fall, dass Freitag (Robinson) die Regeln respektiert. Unter dieser Voraussetzung muss der individuell und eigenntzig kalkulierende Robinson (Freitag) die Regeln verletzen. Tut Robinson (Freitag) dies, kann er fr sich 11 (22) Nutzeneinheiten verbuchen. Htte Robinson (Freitag) die Regeln respektiert, wren ihm lediglich 7 (19) Nut-

135

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

zeneinheiten gutgeschrieben worden. Robinson (Freitag) analysiert nun den zweiten Fall, nmlich dass Freitag (Robinson) die Regeln nicht respektiert. Unter dieser Voraussetzung muss der individuell und eigenntzig kalkulierende Robinson (Freitag) die Regeln wiederum verletzen. Tut Robinson (Freitag) dies, kann er fr sich 2 (9) Nutzeneinheiten verbuchen. Htte Robinson (Freitag) die Regeln respektiert, wre ihm lediglich 1 (3) Nutzeneinheit(en) gutgeschrieben worden. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass Regelverletzung fr beide jeweils die individuell rationale Strategie darstellt. Mit ihrem individuell rationalen Verhalten verfehlen die Inselbewohner systematisch das fr sie beide bessere Ergebnis. Ihre individuelle Handlungsrationalitt lsst sie bei der schlechtesten aller Mglichkeiten landen. Und aus diesem miesen Zustand fhrt kein vernnftiger Weg heraus, wie schon Hobbes feststellte. Mit wachem Blick und wissend, was fr beide das Bessere wre, rennen die Insulaner vollkommen vernnftig in ihr Verderben. Keiner von beiden wollte es, und doch ist es ihnen passiert. Der einzige Ausweg fr Egoisten, die ein gemeinsames Interesse an den Vorteilen einer sozialen Ordnung haben, besteht darin, einen Mechanismus ausfindig zu machen, der sicherstellt, dass Regelbefolgung fr den Einzelnen zu individuellen Vorteilen fhrt. Anders formuliert, Regelverletzung muss derart sanktioniert werden, dass sie sich fr den Einzelnen nicht mehr lohnt. Als Lsung nennt Hobbes die natrliche Gewalt oder die freiwillige Vereinbarung der Menschen (den Gesellschaftsvertrag), sich einem Menschen oder einer Versammlung von Menschen zu unterwerfen.346 Das ist die Entstehung jenes groen Leviathan oder besser (um ehrerbietiger zu sprechen) jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und unsere Sicherheit verdanken.347 Die Einfhrung einer ordnungsstiftenden Instanz, legitimiert durch Gewalt oder Gesellschaftsvertrag, dies ist die Lsung des Ordnungsproblems, die Hobbes und der individualistisch-vertragstheoretische Ansatz anbieten. Zur Verdeutlichung kann das in Abbildung 19 dargestellte Beispiel herangezogen werden. Es ist insofern fortzuschreiben, als nunmehr der Sachverhalt bercksichtigt wird, dass Regelverletzungen negative Sanktionen nach sich ziehen. Jeder Regelverletzer hat mit einer Nutzeneinbue von 10 Nutzeneinheiten zu rechnen, so dass sich aus der Matrix der Abbildung 19 die untenstehende Ertragsmatrix errechnet. Es bedarf keiner weiteren Erklrung, dass mit der Einfhrung von Sanktionen fr Robinson und Freitag jeweils Regelbefolgung die nutzenmaximierende Strategie darstellt.

346 Vgl. Hobbes (1996) S. 145 f. 347 Hobbes (1996) S. 145.

136

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

Abbildung 20:

Gefangenendilemma mit negativen Sanktionen

Robinson
Regeln werden anerkannt Regeln werden nicht respektiert

Regeln werden anerkannt

7 19 3

11-10 = 1

Freitag
1
Regeln werden nicht respektiert

2-10 = -8

22-10 = 12

9-10 = -1

Die vertragsmige Lsung des Ordnungsproblems unterstellt einen bereinstimmenden Willen der Beteiligten, also Konsens, und die Mglichkeit der Einrichtung einer Zentralinstanz und damit Hierarchie. Soziale Ordnung wird als Resultat menschlicher Entscheidungen betrachtet. Die Regeln und Formen, nach denen gewirtschaftet wird, werden als entscheidungsrelevante und entscheidbare Tatbestnde behandelt, also als Gegenstand und Ausfluss menschlichen Reflexionsvermgens. Genauso sehen es betriebswirtschaftliche Theorien, die sich mit der formalen Organisation von Unternehmen befassen. Absichtsvolle Planung und der Machbarkeitsaspekt des Geplanten nehmen in diesen Theorien prominente Positionen ein. Die Antworten, die Hobbes und der individualistisch-vertragstheoretische Ansatz auf die Frage, wie soziale Ordnung mglich ist, geben, lsen das Ordnungsproblem letztlich nicht. Sie verlagern es lediglich auf eine andere Ebene, denn mit dem Hobbesschen durch Gesellschaftsvertrag oder Gewalt installierten Leviathan wird bereits das, was erklrt werden soll, nmlich soziale Ordnung, vorausgesetzt.

4.2.3.2

Individualistisch-evolutionstheoretische Lsung

Bei der Beantwortung der Frage, wie soziale Ordnung mglich ist, greift der individualistisch-evolutionstheoretische Ansatz, wie schon der Name sagt, auf Erkenntnisse der Evolutionstheorie zurck. Die Evolutionsmechanismen Variation, Selektion und Stabilisierung werden auf soziale Ordnungen (Systeme) angewandt. Evolution setzt keinen Schpfer (kein Subjekt, keinen Planer, keinen Leviathan) voraus, von dem

137

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

soziale Ordnung erschaffen und gesichert wird. Die Einrichtung einer Zentralinstanz ist nicht vonnten. Vielmehr ist es die Umwelt, die Anste (Irritationen) zur Etablierung und Entwicklung sozialer Ordnung in Gang setzt. Evolution kommt ohne einen ordnenden Verstand, ohne absichtsvolle Planung aus und kennt keinen feststehenden Endpunkt, kein Ziel, auf das der Evolutionsprozess notwendigerweise zusteuert.348 So kann auf den Gesellschaftsvertrag verzichtet werden, um zu erklren, wie soziale Ordnung mglich ist, und an die Stelle absichtsvoller Planung und formaler Organisation (Hierarchie) tritt der evolutorische Aspekt sozialer Ordnung: die Selbstorganisation. Hier liegt der Schwerpunkt des Interesses evolutionstheoretischer Anstze. Schon Vertreter der schottischen Moralphilosophie hatten darauf aufmerksam gemacht, dass soziale Ordnungen und speziell Wirtschaftsordnungen evolutorische Errungenschaften sind und kein beabsichtigtes Resultat menschlicher Entscheidungen.349 Adam Smith schreibt 1776: Der Einzelne wird von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu frdern, den zu erfllen er in keiner Weise beabsichtigt hat. Indem der Einzelne lediglich nach eigenem Gewinn strebt, frdert er in der Regel nicht bewusst das Allgemeinwohl und weiter: gerade dadurch, dass er das eigene Interesse verfolgt, frdert er hufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun.350 Diese Gedanken hat von Hayek weiter ausgebaut.351 Auf seine grundlegenden berlegungen greifen Sozialwissenschaftler, insbesondere Wirtschaftswissenschaftler zurck, wenn es um Fragen der Selbstorganisation geht. Von Hayek veranschaulicht, dass die Evolution Ordnungen (man knnte auch sagen soziale Systeme) spontan hervorbringt, die in ihrer Gesamtheit (Komplexitt) von keinem Einzelnen derjenigen, die sie durch ihr Verhalten begrnden, durchschaut werden knnen.352 Grundlegendes Erklrungselement ist die bilaterale Tauschbeziehung. Vertragstheoretisch ausgedrckt, geht es um bilaterale Vertrge ber den Austausch von Gtern und Leistungen und nicht um einen Gesellschaftsvertrag. Die eigenntzig handelnden Akteure tauschen ihre Gter nur, wenn sie durch den Austausch der Gter wechselseitig ihren

348 Der Zufall spielt bei evolutorischen Entwicklungen eine herausragende Rolle. Auch Marxis-

349 350 351

352

ten vertreten die Auffassung, dass konomische Gesellschaftsformationen unabhngig vom menschlichen Einzelbewusstsein evoluieren. Allerdings wird nach marxistischer Auffassung die gesellschaftliche Entwicklung dabei von objektiven Gesetzen und nicht vom Zufall gesteuert. Vgl. Mandeville (1968), Hume (1967), Ferguson (1986), Smith (1978). Smith (1978) S. 371. Vgl. statt anderer Texte von Hayek seine Aufstze Dr. Bernard Mandeville, S. 126-143, und Die Rechts- und Staatsphilosophie David Humes, S. 232-248, sowie Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs, S. 97-107, alle in: von Hayek (1994). Von Hayek weist darauf hin, dass die Idee der Evolution und der sich selbstregulierenden Systeme von den Sozialwissenschaften ausgeht und der Evolutionsgedanke erst spter von der Biologie bernommen wurde, vgl. von Hayek (1994) S. 209 Funote 5. Vgl. von Hayek (1994) S. 38.

138

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

Nutzen erhhen.353 Soziale Ordnung wird nach dem evolutionstheoretischen Ansatz durch bilaterale Tauschbeziehungen mglich. Der Tausch stellt sicher, dass die Akteure sich wechselseitig sanktionieren und das Nichteinhalten von Regeln mit Kosten belasten, so dass fr jeden individuell und im eigenen Interesse kalkulierenden Akteur die Einhaltung von Regeln als individuell vorteilhaft erscheint, unabhngig von den kollektiven Vorteilen einer sozialen Ordnung bzw. den Nachteilen eines Naturzustands. Die Verbindung der bilateralen Tauschbeziehungen zu einem Netzwerk bildet eine soziale Struktur. Damit ist eine Marktordnung angesprochen, die nicht durch Absicht und Konsens der Individuen zustande kommt, sondern unbeabsichtigtes Ergebnis von bilateralen Tauschbeziehungen zwischen dezentralen (auf gleicher Ebene agierenden) Individuen ist. Der Markt bernimmt die Handlungskoordination und Motivation der dezentralen Akteure. Eine mit Macht ausgestattete Zentralinstanz ist hierzu nicht ntig. Dieses Ergebnis kann nicht erzielt werden bei einem einmaligen Versuch der Beteiligten zusammenzukommen. Die Akteure sehen zwar, dass ein besseres Ergebnis erzielbar ist, wenn sie Regeln befolgen, trotzdem kommt eine soziale Ordnung nicht zustande. Auch bei abzhlbar vielen Versuchen kommt es nicht dazu, denn der letzte Versuch einer abzhlbar endlichen Reihe von Versuchen ist gleichbedeutend mit einem einmaligen Versuch und entspricht daher wiederum dem einmaligen Gefangenendilemma. Dieser Sachverhalt kann zurckgerechnet werden bis zum ersten Kooperationsversuch. Daraus folgt, dass rational und eigeninteressierte Akteure, solange sie wissen, wie viele Kooperationsversuche es geben wird, nicht zu einer sozialen Ordnung kommen werden. Damit ist auch klargestellt, dass die Einfhrung der Zeit, also die Wiederholbarkeit der Interaktionen, das Ordnungsproblem nicht notwendigerweise lst.354 Nur wenn der Schatten der Zukunft hinreichend gro ist, kann sich im wiederholten Gefangenendilemma auch unter Egoisten eine soziale Ordnung stabilisieren,355 denn dann ist davon auszugehen, dass eine hinreichend groe Chance besteht, dass die Tauschpartner sich wieder treffen und das Verhalten des anderen zuknftige Vergeltung provoziert. Als erfolgreiche Strategie im wiederholten Gefangenendilemma erwies sich die Strategie des tit for tat (wie du mir, so ich dir). Diese Strategie akzeptiert beim erstmaligen Versuch der Akteure zusammenzukommen die Regeln und whlt bei weiteren Begegnungen das, was der andere beim vorangegangenen Versuch gemacht hat.356 Dabei mssen, um die Zusammenarbeit in Gang zu bringen, lediglich schwache Annahmen ber die interagierenden Individuen und die soziale Situation unterstellt werden. So mssen die Akteure nicht unbedingt rational handeln.357 Sie sollten allerdings in der Lage sein, sich gegenseitig wiederzuerkennen
353 In der von beiden Tauschpartnern erwarteten Nutzenmehrung besteht eine erste gesell354 Vgl. Axelrod (2000) S. 9. 355 Vgl. Axelrod (2000) S. 112 ff. 356 Vgl. Axelrod (2000) S. 17 f. ber die Grnde des Erfolgs der tit for tat-Strategie vgl. Axelrod 357 Vgl. Axelrod (2000) S. 156.

schaftliche Aufgabe von Tauschgelegenheiten (Mrkten). Schneider (1993) S. 4.

(2000) S. 158 f.

139

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

und ein Gedchtnis ausbilden, das sich an die Geschichte ihrer frheren Interaktionen mit den entsprechenden Interaktionspartnern erinnern kann, so dass sie auf das frhere Verhalten ihres Gegenber reagieren knnen.358 Sie mssen keine Nachrichten oder verbindlichen Verpflichtungen austauschen: sie bentigen keine Worte, weil ihre Taten fr sie sprechen. Genauso wenig ist es erforderlich, Vertrauen unter den Spielern anzunehmen: Gegenseitigkeit kann ausreichen, um Defektion unproduktiv zu machen. Altruismus ist unntig []. Schlielich wird auch keine zentrale Herrschaftsinstanz bentigt: gegenseitige Kooperation kann sich selbst tragend berwachen.359 Durch wiederholtes Interagieren kann auch Vertrauen zwischen den Interaktionspartnern aufgebaut werden, mit der Folge, dass bei gegenseitigem Vertrauen eine Verhaltensabstimmung der Interaktionspartner erleichtert und kostengnstiger mglich wird, da Kosten der Verhaltensberwachung entfallen (vgl. die Ausfhrungen zur Wirtschaftsethik in Abschnitt 2.6.1). Ganz ohne Vertrauen wre der Mensch einer Situation ausgesetzt, in der alles mglich wre. Solch eine unvermittelte Konfrontation mit der uersten Komplexitt der Welt hlt kein Mensch aus.360

4.2.3.3

Alternativen zur individualistischen Lsung

Die Systemtheorie Parsons hlt eine andere Lsung des Ordnungsproblems als die konomie bereit.361 Dies liegt insbesondere daran, dass Parsons aus grundstzlichen Erwgungen eine Lsung des Ordnungsproblems unter Rckgriff auf individualistisch-utilitaristische Vorstellungen fr unmglich hlt. Seine Antwort auf die Ordnungsfrage, die sich an Durkheim anlehnt, lautet: Gemeinsame Norm- und Wertorientierung stellt sicher, dass trotz der Unberechenbarkeit des anderen Menschen soziale Ordnung mglich ist. Auch dies ist keine Lsung des Ordnungsproblems, denn der Vorschlag von Parsons setzt soziale Ordnung voraus, die ja eigentlich erklrt werden sollte. Das Herangehen der Systemtheorie Luhmanns an die Grundfrage, wie soziale Ordnung mglich ist, unterscheidet sich fundamental von Lsungsanstzen der Wirtschaftswissenschaft. Ausgangspunkt bildet nicht ein Naturzustand, in dem rational und eigeninteressiert handelnde Akteure das Gemeinwohl verfehlen, indem sie ihren individuellen Nutzen maximieren. Vielmehr stellt Luhmann eigenwillig fest, dass die Frage, wie soziale Ordnung mglich ist, nur beantwortet werden kann, wenn in der Realitt das Ordnungsproblem bereits gelst ist.362 Andererseits hebt Luhmann hervor, dass die Lsung des Problems das gleiche Problem hinterlsst, da die Problema-

358 Vgl. Axelrod (2000) S. 157. 359 Axelrod (2000) S. 157. Defektion ist gleichbedeutend mit einem Verhalten, das nicht koope360 Luhmann (2000) S. 1. 361 Vgl. Parsons/Shils (1951) S. 16 sowie Parsons (1951) S. 10 ff. und weiter Parsons (1968) S. 436 f. 362 Vgl. Luhmann (1993a) S. 196.

riert.

140

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

tik, die in der Frage steckt, auf alle mglichen Antworten bertragen wird.363 Nach Luhmanns berlegungen enthlt die Ordnungsfrage eine Paradoxie: ein lsbares und gleichzeitig unlsbares Problem. Theorien, die das Grundproblem ihres Faches lsen, lsen mithin ein unlsbares Problem.364 Die ideengeschichtlichen und wissenssoziologischen Untersuchungen haben nicht dazu verholfen, die richtige Theorie freizulegen. Sie haben die Frage Wie ist soziale Ordnung mglich? nicht beantwortet. Dieses offene Resultat entspricht unserer vorangestellten Vermutung: dass eine Fragestellung dieses Typs nur der Dauerselbstprovokation der Forschung dient.365 Dies gilt auch fr die Knappheitsproblematik und fr das Problem der Komplexitt. Alle Versuche, Komplexitt zu reduzieren, erhhen sie an anderer Stelle. Alle Versuche, Knappheit zu reduzieren, induzieren an anderer Stelle eine Steigerung von Knappheit. Weiter oben wurde bereits angemerkt, dass die neuere Systemtheorie Luhmanns zwischen psychischen und sozialen Systemen unterscheidet und beide Systemarten als autopoietische Systeme charakterisiert, die freinander jeweils Umwelt sind. Wenn man an dem Robinsonbeispiel weiter entlang denkt, dann stehen sich in der Begrifflichkeit Luhmanns mit Robinson und Freitag zwei psychische Systeme gegenber, die mit dem Problem der doppelten Kontingenz belastet sind. Das macht die Mglichkeit der Etablierung und Erhaltung sozialer Systeme zunchst unwahrscheinlich, da jedes psychische System kontingent, d.h. anders handeln kann. Die eigene Entscheidung ist somit von der Entscheidung des anderen psychischen Systems abhngig und umgekehrt. Das verdoppelt die Unwahrscheinlichkeit, dass sich eine soziale Ordnung herausbildet. Aber gerade diese doppelte Verhaltensunsicherheit erzwingt nach Einschtzung Luhmanns Ordnungsbildung. Wenn zustzlich zur eigenen Verhaltensunsicherheit auch die Verhaltenswahl eines anderen unsicher ist und vom eigenen Verhalten mit abhngt, entsteht die Mglichkeit, sich genau daran zu orientieren und im Hinblick darauf das eigene Verhalten zu bestimmen. Es ist mithin die Emergenz eines sozialen Systems, die ber Verdopplung der Unwahrscheinlichkeit ermglicht wird und dann die Bestimmung des je eigenen Verhaltens erleichtert.366 Im Fall der doppelten Verhaltensunsicherheit gewinnt jede Selbstfestlegung, ob durch Zufall oder bewusste Kalkulation zustande gekommen, Informations- und Anschlusswert fr weiteres Handeln. Das Grundproblem (doppelte Kontingenz) verbraucht sich nicht. Es fhrt zwangslufig zur Bildung sozialer Systeme und wirkt in diesem Sinne als Dauerproblem (nicht nur: als Ansto) autokatalytisch.367

363 Das Problem ist nicht nach Art einer Schachaufgabe endgltig zu lsen, vgl. Luhmann 364 365 366 367

(1993a) S. 203. Luhmann (1993a) S. 203. Luhmann (1993a) S. 273 f. Luhmann (1987) S. 166. Vgl. Luhmann (1987) S. 165, S. 172 und S. 177. Der Begriff Autokatalyse stammt aus der Chemie und bezeichnet eine besondere Form der chemischen Reaktion. Im Fall der Autokatalyse wirkt der Stoff, der durch die chemische Reaktion entsteht, zurck auf die Stoffumwandlung und beschleunigt sie.

141

Wirtschaften einer isolierten Einzelwirtschaft und Wirtschaften als soziale Veranstaltung

Dabei ist nicht vorausgesetzt, dass doppelt kontingente Systeme sich durchschauen oder ihr jeweiliges Verhalten und das des anderen vorhersagen knnen. Sie bleiben freinander undurchschaubare black boxes. Gerade die gegenseitige Unberechenbarkeit ist Bedingung fr die Bildung und Existenz sozialer Systeme. Es kommt nicht auf Berechnung, es kommt nicht auf Richtigkeit, es kommt auch nicht auf Rationalitt oder Optimalitt an. Es kommt auf Anschlussfhigkeit an.368 Es muss weitergehen. Eine Handlung muss an die vorhergehende anschlieen. Nur wenn das der Fall ist, hat man es nicht lediglich mit einer Episode zu tun, die mit ihrem Auftritt auch schon wieder verschwunden ist, sondern mit einem beobachtbaren sozialen System. Soziale Systeme etablieren und stabilisieren sich nicht auf der Ebene konkreter Handlungen, sondern auf der Ebene der Erwartungen ber Handlungen und Erwartungen. Die Stabilisierung von Erwartungen ermglicht, Unsicherheit zu absorbieren. Stabile Erwartungen ermglichen unter der Bedingung doppelter Kontingenz, Strukturen fr emergente Systeme aufzubauen, die weiteres Handeln ermglichen.369 Nachdem sich ein soziales System etabliert hat, wird das Verhltnis von psychischen Systemen zum sozialen System relevant. So wie jedes Bewusstseinssystem fr andere Bewusstseinssysteme undurchschaubar ist und mit eigenen Operationen (Gedanken) nicht in seine Umwelt hineindenken kann,370 so ist kein Bewusstsein in der Lage, ein soziales System zu durchschauen, und es kann auch seine Gedanken nicht unmittelbar in ein soziales System hineindenken. Umgekehrt gilt, dass ein soziales System nicht in ein Bewusstseinssystem hinein kommunizieren kann. Psychische und soziale Systeme haben trotzdem eines gemeinsam. Sie operieren im Medium Sinn, und ihre Grenzen zur Umwelt sind Sinngrenzen. Ihren Sinnbegriff bestimmt die neuere Systemtheorie in Anlehnung an Vorstellungen, die Husserl entwickelt hat.371 Insbesondere die von Husserl benutzte Metapher des Horizonts372 wird von der neueren Systemtheorie fr die Ausgestaltung des Sinnbegriffs genutzt. Am Horizont erscheinen alle Mglichkeiten, die die Welt aktuell bietet und potenziell zu bieten hat. Das aktuelle Handeln und Erleben verweist auf weitere Mglichkeiten, die aktuell nicht realisiert wurden. Die Verweisung bezieht sich auf das Realisierte und auf nicht realisierte Mglichkeiten und die Negation des Realisierten. Sinn erscheint in der Form eines berschusses von Verweisungen auf weitere Mglichkeiten des Erlebens und Handelns.373 Einerseits erzeugt der berschuss an Mglichkeiten Unsicherheit, denn es htte auch anders erlebt und gehandelt werden knnen, andererseits bernimmt der berschuss von Verweisungen auf weitere Mglichkeiten eine Sicherheitsfunktion. Denn auch wenn fehlerhaft gehandelt wur368 Luhmann (1987) S. 169. 369 Vgl. Luhmann (1987) S. 158. 370 Nur ein Bewusstsein kann denken (aber eben nicht: in ein anderes Bewusstsein hinber371 Vgl. Luhmann (1987) S. 93 ff. 372 Vgl. Husserl (1950) S. 57 ff., S. 100 ff. sowie Husserl (1948) S. 23 ff. 373 Luhmann (1987) S. 93.

denken). Luhmann (1997) S. 105.

142

Wirtschaften als soziale Veranstaltung

4.2

de, sind damit nicht alle weiteren Mglichkeiten vernichtet. Man kann den Fehler wiedergutmachen, indem beim anschlieenden Handeln andere als die vordem gewhlten Mglichkeiten aktualisiert werden. Alles Aktuelle hat nur im Horizont von Mglichkeitsanzeigen Sinn. Die Erfahrung von Sinn beruht auf einer Differenz: nmlich die Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Mglichem. 374 Psychische Systeme operieren mit ihren Gedanken im Medium Sinn. Soziale Systeme operieren mit Kommunikation im Medium Sinn. Sinn ermglicht eine Kopplung von psychischen Systemen untereinander und von psychischen Systemen und sozialem System, ohne dass diese Systeme sich ineinander verschachteln. Sie bleiben weiter freinander jeweils Umwelt. Darber hinaus wird die Mglichkeit sozialer Systeme damit begrndet, dass Zeit vergeht. Denn allein weil Zeit vergeht, muss gehandelt werden, und Handlung ist Vorgabe fr weiteres Handeln. Soziale Ordnung kommt zustande, wenn jemand eine Vorgabe macht, eine Aktivitt lanciert, einen Vorschlag macht oder sich reprsentiert und die anderen damit unter einen Reaktionszwang setzt.375 Immer dann, wenn auf das Problem der doppelten Kontingenz reagiert wird und ein soziales System von der physisch-chemisch-organischen Realitt abhebt und eigene Elemente und eigene Grenzen bildet, entsteht fr das System die Mglichkeit des Zufalls.376 Zeit und Zufall und damit Evolution ermglichen soziale Systeme. Nach der Luhmannschen Systemtheorie sind es also nicht gemeinsame Werte (der Wertkonsens Parsons) oder die von der konomie angebotenen Vertrge, in Form eines Gesellschaftsvertrags oder der bilateraler Tauschvertrge, die soziale Ordnung ermglichen. Es ist die doppelte Kontingenz selbst, es sind Zeit und Zufall (Evolution), es ist Sinn, wodurch soziale Systeme mglich werden.377 Wenn Ordnungen der Lebensbereiche und somit auch eine Wirtschaftsordnung, aus welchen Grnden auch immer, ob als gesetzte oder als spontan evoluierte Ordnungen, etabliert sind und somit das Chaos der unkontrollierbaren Welt mehrfach gefiltert, den Akteuren als eine vorstrukturierte Umwelt zur Verfgung steht, kann innerhalb des dann existierenden Bedingungsgefges unter Anwendung des konomischen Kalkls gewirtschaftet werden.

374 Luhmann (1987) S. 100. 375 Luhmann (2006b) S. 320. 376 Luhmann (1987) S. 170. Zufall wird bei der Emergenz von Systemen gleich mitproduziert, so

dass dem System fr seine eigene Reproduktion gengend Unordnung zur Verfgung steht. Zufall ist hier, wie immer, nicht als absolute Unbedingtheit und Ursachenlosigkeit gemeint, sondern nur als fehlende Koordination von Ereignissen mit den Strukturen eines Systems, [] die aber im System Wirkungen haben, Kausalprozesse auslsen kann. Ebenda. 377 Luhmann (1993a) S. 285.

143

Einkommen und seine Ermittlung

5.1

5 Konkretisierung des konomischen


Prinzips

Die folgenden Ausfhrungen unterstellen, dass sich aus einer reinen, auf Naturaltausch eingestellten Wirtschaft eine Geldwirtschaft entwickelt hat, in der die wirtschaftlichen Aktivitten dezentraler Handlungseinheiten ber den Markt motiviert und koordiniert werden. Weiter wird davon ausgegangen, dass es Unternehmen und Haushalte gibt. Wenn Wirtschaftseinheiten unter diesen Bedingungen wirtschaften, konkretisiert sich das konomische Prinzip in der Forderung, ein mglichst hohes Einkommen zu erwerben. Mit Einkommen wird es mglich, heute eine Versorgung mit Gtern sicherzustellen und fr die Befriedung eines zuknftigen Bedarfs an Gtern Vorsorge zu treffen. Einkommenserwerb ist somit zum berleben des Menschen notwendig.

5.1

Einkommen und seine Ermittlung

Einkommen kann entstehen, wenn man etwas geschenkt bekommt, erbt, raubt, stiehlt oder selbst etwas herstellt und/oder indem man Gter mit anderen tauscht. In jedem dieser Flle bekommt man Mittel zur geflligen Verwendung. Im Folgenden sollen lediglich die zwei zuletzt genannten Mglichkeiten der Einkommensentstehung betrachten werden. Damit werden all jene Flle aus der Betrachtung ausgeschlossen, in denen Menschen nicht auf eigenes Einkommen, sondern auf das Einkommen anderer Menschen zurckgreifen, um ihr eigenes Leben zu sichern. Wenn ein mglichst hohes Einkommen erzielt werden soll, muss zunchst Einkommen berhaupt berechnet werden, denn ohne Kenntnis der Einkommenshhe ist eine Aussage darber, ob ein niedriges oder hohes Einkommen erwirtschaftet wurde, nicht mglich. Die Berechnung des Einkommens kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Unabhngig von der Berechnungsart ist Einkommen als Differenz definiert und zwar als eine positive Differenz. Eine Mglichkeit der Einkommensermittlung ist die Feststellung einer positiven Differenz zwischen Reinvermgensbestnden (RV) an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten. Es wird der Reinvermgensbestand am Anfang der Betrachtungsperiode vom Reinvermgensbestand am Ende einer zu betrachtenden Periode subtrahiert. Da Geld als Recheneinheit zur Verfgung steht, ist ein Reinvermgensvergleich mglich, denn smtliche Vermgensgegenstnde knnen in Geld ausgedrckt und somit

145
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_6, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Konkretisierung des konomischen Prinzips

gleichnamig gemacht werden. Derart wird die Mglichkeit eines wertmigen Vergleichs der unterschiedlichsten Vermgensgegenstnde geschaffen. Reinvermgen wird verstanden als Gesamtvermgen abzglich Schulden. Das Gesamtvermgen (GV) besteht aus smtlichen Mitteln (Vermgensgegenstnden), die zum Einkommenserwerb eingesetzt werden knnen. Unter Schulden werden all jene Mittel subsumiert, die Fremde fr eine begrenzte Zeit zur Verfgung gestellt haben. Diese fremden Mittel, die Fremdkapital (FK) darstellen, mssen irgendwann zurckgegeben (zurckgezahlt) werden. Zieht man von smtlichen Mitteln die fremden Mittel ab, verbleiben die eigenen Mittel, die zum Wirtschaften eingesetzt werden knnen. Sie stellen Eigenkapital (EK) dar und entsprechen dem Reinvermgen. Kann bei einem Vergleich der Hhe des Reinvermgens zum Zeitpunkt mit der Hhe des Reinvermgens zum Zeitpunkt ein Reinvermgenszuwachs festgestellt werden, ist Einkommen (E) erzielt worden. Diese Sachverhalte kann man formal notieren: (1) (2) (3) , unter der Bedingung, dass E > 0 folgt: (4) und das ist gleichbedeutend mit (5) . Es werden bei dieser Form der Einkommensermittlung die in Geld bewerteten Vermgensbestnde zweier Zeitpunkte verglichen. Es gibt einen Anfangs- und einen Endpunkt der Betrachtung. Zwischen diesen Zeitpunkten vergeht die Zeit. Um zu berleben, ist der Mensch gezwungen, whrend dieser Zeit Gter zu konsumieren. Diese Tatsache ist bei der Einkommensermittlung zu bercksichtigen. Das, was zwischen Anfang und Ende der Periode konsumiert wurde, ist in Geld zu bewerten und als Konsum (C) zum Bestand des Reinvermgens am Ende der Periode hinzuzurechnen. Damit erhlt die Einkommensgleichung (3) die folgende Form: (6) Wenn , dann ist das gesamte Einkommen fr Konsumzwecke ausgegeben worden. Wenn , dann ist eine Einkommenshhe erwirtschaftet worden, mit der nicht nur der Konsum finanziert werden kann, sondern darber hinaus ist es mglich, Einkommen zu sparen bzw. zu investieren und damit das Reinvermgen zu erhhen. besagt, dass nicht nur kein Einkommen erworben wurde, sondern ein Verlust in Form einer Reinvermgensminderung entstanden ist. Der Einkommensbegriff wird benutzt, um einen Reinvermgenszuwachs zu bezeichnen. Er wird reserviert fr das Bemhen einzelner Wirtschaftssubjekte bzw. einzelner Haushalte, Einkommen zu erwerben. Wenn Unternehmen Reinvermgenszuwchse

146

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

erwirtschaften, erzielen sie Gewinn.378 Die im Unternehmen ttigen Menschen arbeiten zusammen, um Einkommen zu erwerben. Unternehmen werden aktiv, um Gewinne zu erwirtschaften.

5.2

Verfahren der Gewinnermittlung

Zur Ermittlung des Reinvermgens werden in Unternehmen unterschiedliche Verfahren eingesetzt. Das Rechnungswesen stellt derartige Verfahren bereit. Ihr Einsatz dient zur zahlenmigen Darstellung des Gewinns bzw. Verlustes der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die auf eine vergangene Periode bezogenen Rechnungen sind insbesondere Informationsrechnungen fr Auenstehende (z.B. Gerichte, Steuerbehrden, interessierte ffentlichkeit). Sie werden daher unter dem Begriff externes Rechnungswesens zusammengefasst. Hiermit tritt die Dokumentations- und Beweisaufgabe der Rechnungslegung in Erscheinung. Vom externen Rechnungswesen ist das interne Rechnungswesen zu unterscheiden. Seine Rechnungen beziehen sich auf die zahlenmige Abbildung von gegenwrtigen und zuknftig zu erwartenden Vorgngen im Unternehmen. Kontroll-, Planungs- und Kalkulationsaufgaben des Rechnungswesens stehen hierbei im Vordergrund. Planungs- und Kontrollrechnungen werden nicht fr Auenstehende, sondern fr die Unternehmensfhrung angefertigt und dienen zur Fundierung ihrer Entscheidungen. Das externe Rechnungswesen konkretisiert sich in der Finanzbuchhaltung, die auch als Geschftsbuchhaltung bezeichnet wird. Das interne Rechnungswesen wird im Rahmen einer Kosten- und Leistungsrechnung und als Investitions- und Finanzplanung durchgefhrt.379

5.2.1

Ermittlung des pagatorischen Gewinns

In der Finanzbuchhaltung ist die Aufstellung eines Inventars380 ein Verfahren, das der Gewinnermittlung dient. Das Inventar wird in Form einer Liste (Staffelform) zu einem bestimmten Stichtag angefertigt, in der smtliche Vermgensteile und smtliche Schuldenteile detailliert nach Art, Menge und Wert aufzufhren sind. In der Praxis wird das Inventar aus Grnden der bersichtlichkeit hufig in drei Teile gegliedert.
378 Vgl. Schneider (1993) S. 5. 379 Zu Einzelheiten bezglich Finanzbuchhaltung, vgl. Coenenberg (2009b), bezglich Kosten-

und Leistungsrechnung, vgl. Coenenberg (2009a), und bezglich Investitions- und Finanzplanung, vgl. Kruschwitz (2009). Bei der Darstellung der Rechnungssysteme im Haupttext geht es nicht um Details, sondern darum, die Rechnungen in groben Zgen nachzuzeichnen, die Zusammenhnge der Rechnungssysteme zu verdeutlichen und die jeweils spezifische Art der Gewinnermittlung unterschiedlicher Rechenverfahren herauszustellen. 380 Vgl. 240 Abs. 1 HGB.

147

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Der erste Teil enthlt die Auflistung smtlicher Vermgensgegenstnde. Sie werden wiederum in zwei groe Gruppen differenziert: Anlagevermgen und Umlaufvermgen. Das Anlagevermgen zeichnet sich dadurch aus, dass es vom Unternehmen langfristig, also dauerhaft eingesetzt wird. Zum Anlagevermgen gehren immaterielle Vermgensgegenstnde, das sind z.B. Patente und Lizenzen; Sachanlagen, z.B. Grundstcke, Gebude, Maschinen usw., und Finanzanlagen, z.B. Beteiligungen an anderen Unternehmen. Im Gegensatz zum Anlagevermgen zeichnen sich die Vermgensgegenstnde, die im Umlaufvermgen zusammengefasst werden, dadurch aus, dass sie verarbeitet und/oder weiterveruert werden, also nur kurzfristig und nicht dauerhaft im Unternehmen verbleiben. Vermgensgegenstnde des Umlaufvermgens sind: Vorrte an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen und auf Lager befindliche Endprodukte; Ansprche gegenber Dritten (Forderungen); kurzfristig gehaltene Wertpapiere und alle liquiden Mittel (Kasse, Bankguthaben). Im Inventar wird zuerst das Anlage-, dann das Umlaufvermgen aufgelistet. Begrndet ist diese Vorgehensweise mit der Tatsache, dass sich Gegenstnde des Anlagevermgens nicht so schnell wieder in Geld umwandeln lassen, als das bei Gegenstnden des Umlaufvermgens der Fall ist. Der Grad der Liquidierbarkeit des Umlaufvermgens ist hher als der des Anlagevermgens. Innerhalb des Anlagevermgens und Umlaufvermgens werden die Vermgensgegenstnde (tendenziell) ebenfalls nach der Mglichkeit, sie kurzfristig zu veruern und damit Liquiditt (Geldmittel) zu erhalten, aufgelistet. Die Vermgensteile, die am wenigsten liquide sind, stehen vor den weniger liquiden Vermgensteilen, und die unmittelbar liquiden Mittel sind am Ende des ersten Teils der Inventarliste aufgefhrt.381 Im zweiten Teil der Inventarliste werden die am Inventurstichtag bestehenden Schulden aufgefhrt und entsprechend ihrer Flligkeit geordnet, beginnend mit dem am langfristigsten zur Verfgung gestellten Fremdkapital und mit der kurzfristigsten Verbindlichkeit gegenber Dritten endend. Im dritten Teil der Inventarliste wird das Reinvermgen ermittelt, indem die Differenz zwischen den Werten der Vermgensteile und den Werten der Schuldenteile errechnet wird. Die weiter oben notierte Gleichung (1) bringt dies zum Ausdruck. Sie kann als Inventargleichung bezeichnet werden. Sie besagt inhaltlich, dass im Falle einer Veruerung smtlicher Vermgensgegenstnde zu Inventarwerten und dem Ausgleich der Schulden ein Betrag in Hhe des Reinvermgens (Eigenkapitals) brig bleiben wrde. ber einen Vergleich von zwei, an aufeinander folgenden Stichtagen angefertigten, Inventaren kann ber einen Reinvermgensvergleich Gewinn bzw. Verlust ermittelt werden.382
381 In der Praxis wird dieser Grundsatz durchbrochen, indem die Kassenbestnde vor den Kon382 In steuerrechtlicher Begrifflichkeit heit der Eigenkapital- bzw. Vermgensvergleich Betriebs-

tostnden der Bankguthaben aufgefhrt werden. vermgensvergleich.

148

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

(5) bedeutet Gewinn, Reduktion des Reinvermgens bedeutet Verlust (V). Wenn whrend der zwischen den Inventarstichtagen liegenden Periode (Geschftsperiode) von auen Vernderungen des Reinvermgens vorgenommen wurden, muss dies bei der Gewinnermittlung bercksichtigt werden, um den Gewinn ermitteln zu knnen, der durch die Ttigkeit des Unternehmens entstanden ist. Vernderungen des Reinvermgens whrend der Geschftsperiode treten ein, wenn Unternehmer (Gesellschafter) Eigenkapital entnehmen (Privatentnahmen, )383 oder wenn Unternehmer (Gesellschafter) aus ihrem Privatvermgen dem Unternehmen Eigenkapital zur Verfgung stellen (Privateinlagen, ). Um den whrend der Geschftsperiode unternehmensbedingten Gewinn zu ermitteln, sind die Privatentnahmen zum Reinvermgen, das sich am Ende der Geschftsperiode ergibt, hinzuzurechnen, whrend Privateinlagen hiervon abzuziehen sind. Die weiter oben unter (6) notierte Formel erscheint dann in folgender Form:

, wenn und , wenn .


Aufbauend auf dem Inventar mssen Unternehmen eine Bilanz erstellen.384 Genau wie das Inventar ist die Bilanz eine stichtagsbezogene Aufstellung von Vermgen und Schulden des Unternehmens. Der materielle Inhalt von Inventar und Bilanz ist der gleiche. Ihr Unterschied ist rein formaler Art. Gleichartige Inventarpositionen werden zu Bilanzpositionen zusammengefasst. Mengenangaben und detaillierte Beschreibungen des Inventars werden nicht in die Bilanz bernommen. Whrend das Inventar Vermgen und Schulden in Listenform darstellt, geschieht das in der Bilanz durch das Einrichten zweier Spalten. Die linke Spalte bezeichnet man als Aktivseite, die rechte als Passivseite. Die Aktivseite nimmt smtliche Vermgenspositionen, differenziert nach Anlage- und Umlaufvermgen auf, die als Aktiva bezeichnet werden. Sie zeigt die Mittelverwendung an. Auf der Passivseite werden sowohl das Reinvermgen als auch die Schuldenteile notiert. Im Rahmen bilanzieller Darstellungen spricht man von Eigenkapital und Fremdkapital. Die einzelnen Positionen der Passivseite bezeichnet man als Passiva. Sie zeigen die Mittelherkunft an. Wird eine Position auf der Aktivseite eingestellt, nennt man das Aktivierung, und die Einstellung einer Position auf der Passivseite bezeichnet man als Passivierung. Die Bilanz kann mit der Gleichung (2) wiedergegeben werden. Auf beiden Seiten der Gleichung muss ein Betrag in gleicher Hhe stehen, soll die Gleichung erfllt sein. Die Bilanz ist eine betragsmig ausgeglichene Gegenberstellung von Vermgenswerten und Kapitalbetrgen.
383 In Unternehmen erscheint das, was zwischen Anfang und Ende der Periode konsumiert 384 Vgl. 242 Abs. 1 HGB.

wurde, als Privatentnahme.

149

Konkretisierung des konomischen Prinzips

266 HGB schreibt eine detaillierte Gliederung der Bilanz vor. Bezglich der Vermgensteile wurden bei der Darstellung eines Inventars bereits Beispiele genannt. Bezglich des Eigenkapitals sei Folgendes angemerkt: Eigenkapital setzt sich aus finanziellen Mitteln (Kapitaleinlagen bzw. gezeichnetes Kapital) zusammen, die von Eigentmern (z.B. Gesellschafter, Aktionre) zur Verfgung gestellt werden. Unter der Bilanzposition Eigenkapital sind auch Arten der Gewinnverwendung wie z.B. Rcklagen aufgefhrt. Whrend Rcklagen Eigenkapitalcharakter haben, sind Rckstellungen Fremdkapital. Rckstellungen sind Schulden, die im Geschftsjahr verursacht wurden, deren exakte Hhe und Flligkeit allerdings nicht bekannt sind (z.B. Pensionsrckstellungen). Zum Fremdkapital zhlen weiter die Verbindlichkeiten des Unternehmens gegenber Dritten. Es wird zwischen langfristigen (Laufzeit > 5 Jahre), mittelfristigen (Laufzeit zwischen 1 bis 5 Jahre) und kurzfristigen (Laufzeit < 1 Jahr) Verbindlichkeiten unterschieden.385

Abbildung 21:

Bilanz

Bilanz
Aktiva (Mittelverwendung)
Vermgen (In welchen Gtern sind die Mittel angelegt?)

Passiva (Mittelherkunft)
Kapital (Woher stammen die Mittel? Womit wurden die Vermgenspositionen finanziert?) Eigenkapital (Verpflichtungen gegenber Eigentmern)

Anlagevermgen (Gter, die ber einen lngeren Zeitraum im Unternehmen bleiben) Umlaufvermgen (Gter, die nach kurzer Zeit das Unternehmen verlassen)

Fremdkapital (Verpflichtungen gegenber Glubigern)

GV

EK + FK

Der Vergleich des Eigenkapitals, das in zwei Bilanzen ausgewiesen wird, die an aufeinander folgenden Stichtagen angefertigt wurden, ermglicht es, den Gewinn bzw. Verlust, der whrend des Geschftsjahres entstanden ist, zu ermitteln. Wie der
385 Die in 266 HGB aufgefhrten Rechnungsabgrenzungsposten dienen der periodengerechten

Zuordnung von Vermgensgegenstnden, vgl. 250 HGB.

150

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

Reinvermgensvergleich wirft der bilanzielle Eigenkapitalvergleich die Hhe des erwirtschafteten Gewinns als undifferenzierte, globale, absolute Gre aus. Aus welchen Quellen der Gewinn sich speist, welche Transaktionen ihn verursacht haben, geht aus einer solchen Berechnung nicht hervor. Da lediglich an zwei Zeitpunkten die Hhe des Eigenkapitals berechnet wird, bleiben Vernderungen des Eigenkapitals, ausgelst durch die einzelnen Geschftsvorflle, die in dem Zeitraum zwischen den Zeitpunkten stattgefunden haben, ihrer Art und Hhe nach im Dunkeln. Die Kenntnis darber, welche Transaktion in welchem Umfang zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen hat, ist allerdings zentral wichtig, wenn es darum geht einzuschtzen, ob die Forderung, nach dem konomischen Prinzip zu handeln, eingelst wurde. Eine Mglichkeit der Darstellung von Vernderungen des Eigenkapitals, die durch einzelne Geschftsvorflle begrndet sind, besteht darin, die Prozedur der Inventarisierung und Bilanzierung nach jedem Geschftsvorfall durchzufhren und einen Reinvermgensvergleich bzw. Eigenkapitalvergleich vorzunehmen. Ein solches Vorgehen ist praktisch undurchfhrbar. Es scheitert, da die hierzu erforderliche Zeit und das Personal nicht zur Verfgung stehen. Jeder wei dies, der schon einmal an einer Inventur in einem Unternehmen mitgewirkt hat. Um die angesprochenen Schwierigkeiten zu umgehen und gleichzeitig sicherzustellen, alle erfolgsrelevanten Vorgnge einer Rechnungsperiode sichtbar zu machen, wird neben den Zeitpunktrechnungen in Form von Bilanz und Inventar eine Zeitraumrechnung in Form der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) eingefhrt. In der GuV werden alle Ertrge, die whrend des Betrachtungszeitraums erzielt wurden, und alle Aufwendungen386, die entstanden sind, einzeln aufgefhrt und zusammengefasst, um den Gewinn des Unternehmens durch Saldierung aller Ertrge und Aufwendungen zu ermitteln.387 Die GuV-Rechnung kann in Konten- oder Staffelform durchgefhrt werden.388 Vorgnge, die zu Eigenkapitalzunahmen fhren, sind Ertrge. Hierzu zhlen Umsatzerlse, die durch den Verkauf von Fertigprodukten erzielt wurden, Erlse aus Vermietungen usw. Vorgnge, die zu Eigenkapitalminderungen fhren, sind Aufwendungen. Die Zahlung der Miete fr die Geschftsrume, Einkauf von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen usw. sind Aufwendungen. Der in der GuV errechnete Gewinn sollte mit dem durch einen Eigenkapitalvergleich aus zwei Bilanzen errechneten Gewinn bzw. dem aus zwei Inventaren errechneten Reinvermgenszuwachs bereinstimmen. Der mithilfe der Bilanz, des Inventars und der GuV-Rechnung bestimmte Gewinn wird als pagatorischer (vgl. lat. pagare = zahlen) Periodengewinn bezeichnet. Pagatorische Rechnungen bauen auf Zahlungsvorgngen zwischen Unternehmen und ihrer Umwelt auf.
386 Die Begriffe Auszahlung, Ausgabe, Aufwand, Kosten auf der einen und die Begriffe Einzah-

lung, Einnahme, Ertrag, Leistung auf der anderen Seite werden an dieser Stelle nicht weiter definiert. Zu einer Klrung dieser Begriffe, vgl. Coenenberg (2009b) S. 12-16. 387 Allgemeine Grundstze der GuV knnen in 265 HGB nachgelesen werden. Die Gliederung der GuV ist in 275 Abs. 2 und 3 HGB verbindlich nach dem Gesamtkosten- bzw. Umsatzkostenverfahren dargestellt. Zu Einzelheiten vgl. Coenenberg (2009b) S. 443 388 Fr Kapitalgesellschaften gilt gem 275 HGB eine Gliederung der GuV in Staffelform.

151

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Inventar, Bilanz und GuV sind Bestandteile des Jahresabschlusses. Um einen Jahresabschluss aufzustellen, ist es notwendig, dass alle wirtschaftlich bedeutsamen Geschftsvorflle erfasst werden. Jeder Geschftsvorfall ist mit einem Beleg zu dokumentieren, chronologisch aufzuzeichnen und im System der doppelten Buchfhrung auf Bestands- und Erfolgskonten zu verbuchen. Die Bestandskonten sind ber die Bilanz, die Erfolgskonten ber die GuV-Rechnung abzuschlieen. Soweit in der Betrachtungsperiode Einnahmen und Ertrge und/oder Ausgaben und Aufwendungen nicht bereinstimmen, ist ein Unterschied von Bilanzgewinn und dem in der GuV errechneten Gewinn zu erwarten.

Abbildung 22:

Ermittlung des pagatorischen Periodengewinns

Inventar:

Vermgen Schulden = Reinvermgen

Positiver Unterschied der Reinvermgen von zwei aufeinander folgenden Inventare = Reinvermgenszuwachs

Bilanz:

Vermgen Fremdkapital = Eigenkapital

Positiver Unterschied des Eigenkapitals von zwei aufeinander folgenden Bilanzen = Eigenkapitalzuwachs = Reinvermgenszuwachs

Ertrag Aufwand Gewinnund = pagatorischer Periodengewinn Verlustrechnung = Eigenkapitalzuwachs = Reinvermgenszuwachs Externes Rechnungswesen vergangenheitsorientiert

5.2.2

Ermittlung des kalkulatorischen Gewinns

Vom pagatorischen Gewinn ist der kalkulatorische Periodengewinn zu unterscheiden. Diese Gewinngre wird in der Kosten- und Leistungsrechnung errechnet, indem der Unterschiedsbetrag zwischen Kosten- und Leistungshhe ermittelt wird. Der kalkulatorische Periodengewinn wird in der Literatur auch als Betriebsgewinn oder Betriebsergebnis bezeichnet. Kalkulatorische Rechnungen konzentrieren sich nicht auf Zahlungsbewegungen zwischen Unternehmen und ihrer Umwelt, sondern auf Gterbewegungen innerhalb des Unternehmens. In ihrer Ausprgung als Ist-Rechnung bezieht die Kosten- und Leistungsrechnung sich primr auf die Gegenwart. Als Planungsrechnung in Form der Planleistungs- und

152

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

Plankostenrechnung bezieht sie sich auf die Zukunft. Der Kosten- und Leistungsbegriff389 ist ausschlielich auf das eigentliche Sachziel, welches das Unternehmen verfolgt, bezogen. Das Ziel, ein konkretes Produktprogramm (-Angebot) zu realisieren, ist ein solches Sachziel. Nur der Verbrauch an Gtern, der mit der Realisierung des sachlichen Unternehmenszwecks verbunden ist, fhrt zu Kosten. Nur die sachzielbezogene Verwertung der produzierten Gter ist als Leistung zu betrachten. Kosten sind der in Geld bewertete, sachzielbezogene Gterverbrauch. Leistungen sind die in Geld bewerteten, sachzielbezogenen Gterverwertungen. Entsprechend dieser Definition unterscheiden sich Kosten von Aufwendungen, da es Aufwendungen gibt, die nicht durch die Erfllung des Unternehmenszwecks begrndet sind, so genannte neutrale Aufwendungen. Davon sind Aufwendungen zu unterscheiden, die durch den Versuch, den Unternehmenszweck zu erfllen, hervorgerufen werden. Sie bezeichnet man als Zweckaufwendungen. Zweckaufwendungen sind Kosten (Grundkosten). Aus dieser Perspektive ist der Aufwandsbegriff weiter gefasst als der Kostenbegriff, denn der Aufwandsbegriff beinhaltet nicht nur Zweckaufwendungen, sondern auch neutrale Aufwendungen. Andererseits ist der Kostenbegriff weiter gefasst als der Aufwandsbegriff, denn es gibt auch Kostenarten, denen kein Aufwand und keine Ausgaben gegenberstehen. Die Konstruktion der Wertkomponente des Kostenbegriffs begrndet diesen Sachverhalt. Kosten werden als Nutzen begriffen, der den Handelnden entgeht, weil Gter bei der Erstellung einer Leistung verbraucht werden und deshalb nicht mehr anderweitig verwendet werden knnen. Wenn z.B. Zigarren produziert werden, kann der hierzu verwendete Tabak nicht mehr fr die Zigarettenproduktion eingesetzt werden. Der entgangene Nutzen aus der Zigarettenproduktion stellt dann die Kosten der Zigarrenproduktion dar. Bei mehreren alternativen Verwendungsrichtungen wird die Kostenhhe durch die entgangene Nutzenhhe der besten, gerade nicht mehr realisierten Verwendungsrichtung eines Gutes bestimmt. Dieses Konzept zur Bestimmung der Wertkomponente der Kosten wird als Opportunittskostenkonzept bezeichnet. Es greift auf die Grenznutzenlehre zurck und propagiert einen wertmigen Kostenbegriff. Schmalenbach ist derjenige, der den wertmigen Kostenbegriff fr Kostenrechnungszwecke fordert.390 Entsprechend dieser Sichtweise sind Kosten abhngig von den verfolgten Unternehmenszielen. Damit ist die Geldkomponente der Kosten nicht eindeutig bestimmt. Die fehlende Eindeutigkeit wird kritisiert391, und dem wertmigen Kostenbegriff wird der pagatorische Kostenbegriff gegenbergestellt. Der Begriff pagatorische Kosten wurde von Koch eingefhrt.392 Pagatorische Kosten sind nicht kompensierte Aus389 Da der Leistungsbegriff in der betriebswirtschaftlichen Theorie in unterschiedlichen Zusam-

menhngen benutzt wird, hat sich eingebrgert, statt von Leistungen von Erlsen zu sprechen, wenn es um die Beschreibung der positiven Komponente des Betriebserfolgs geht. 390 Vgl. Schmalenbach (1919) S. 276 ff. 391 Vgl. Koch (1959) S. 10 f. 392 Vgl. Koch (1959) S. 8-17 und weiter Koch (1966) S. 48 ff.

153

Konkretisierung des konomischen Prinzips

gaben fr verzehrte Produktionsmittel im betrieblichen Bereich. Es zhlen also nicht alle Zahlungsmittelabgnge zu den so verstandenen Kosten. Ausgaben an den Kapitaleigener selbst (so genannte Entnahmen) und Ausgaben, die stets durch Einnahmen gleicher Hhe ausgeglichen werden (so genannte kompensierte Ausgaben, z.B. Tilgung eines aufgenommenen Kredits) stellen, ebenso wie nicht betriebsbedingte Zahlungsmittelausgnge, keine Kosten dar. Mithilfe von zweckbedingten und prmissenbedingten Hypothesen wird der pagatorische Kostenbegriff auf die jeweils konkreten Bedingungen der Kostenrechnung zugeschnitten. Geht es z.B. um die Ermittlung von Soll-Kosten zur Kostenkontrolle, so unterstellt eine zweckbedingte Hypothese z.B., dass eine Abteilung von einem normaltchtigen Abteilungsleiter gefhrt wird. Als prmissenbedingte Hypothese ist die Unterstellung zu betrachten, dass alle im Betrieb eingesetzten Faktoren entgeltlich erworben werden. So sind dann z.B. Abschreibungen auf Schenkungen als prmissenbedingte Kosten zu verrechnen. Durch eine derartige Hypothesenbildung besteht im Ergebnis in der berwiegenden Zahl der Flle kein Unterschied zwischen der Anwendung des wertmigen und des pagatorischen Kostenbegriffs. Im Falle der Bestandsbewertung im Rahmen der Bilanz ergeben sich keine Unterschiede, da kalkulatorischer Eigenkapitalzins und Unternehmerlohn nicht angesetzt werden drfen, da hierdurch unrealisierte Gewinne ausgewiesen wrden. Bei der Ermittlung des Betriebsergebnisses (Periodengewinns) treten allerdings Diskrepanzen auf: Beim wertmigen Kostenbegriff werden der kalkulatorische Eigenkapitalzins und der kalkulatorische Unternehmerlohn genauso als Kosten angesetzt wie z.B. die Fertigungslhne. Bei Anwendung des pagatorischen Kostenbegriffs ist das nicht der Fall. Das Betriebsergebnis ist bei der pagatorischen Kostenrechnung daher um diese Zusatzkosten (= Kosten, die von ihrem Charakter her keine Aufwendungen sind) hher. Von Zusatzkosten sind Anderskosten zu unterscheiden. Anderskosten sind kalkulatorische Kosten, die aufgrund von Differenzen zwischen Bilanzwerten und kalkulatorischen Notwendigkeiten der Kostenrechnung auftreten. Anderskosten unterscheiden sich verrechnungsmig vom Aufwand. Derartige vom Aufwand in ihrer Hhe verschiedene Kostenarten sind kalkulatorische Abschreibungen und kalkulatorische Wagnisse. Das pagatorische Betriebsergebnis ist auch um die Differenz zwischen der Hhe der Anderskosten und den entsprechenden Bilanzwerten hher als bei der kalkulatorischen Ermittlung des Betriebsergebnisses. Fr die Bestimmung des kalkulatorischen Periodengewinns sind insbesondere die kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen relevant. Sie werden bei der Berechnung des kalkulatorischen Periodengewinns genau wie die Fremdkapitalzinsen als gewinnmindernde Kosten betrachtet.

154

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

Abbildung 23:

Ermittlung des kalkulatorischen Periodengewinns

Kostenund LeistungsRechnung

Ist-Leistungen Ist-Kosten = kalkulatorischer Periodengewinn Planleistungen Plankosten = kalkulatorischer Periodengewinn

gegenwartsorientiert zukunftsorientiert

Element des internen Rechnungswesens gegenwarts- und zukunftsorientiert

Bei der Ermittlung des pagatorischen Periodengewinns erscheinen die kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen nicht als Aufwand und sie begrnden auch keine Ausgabe. Lediglich die gezahlten und zu zahlenden Fremdkapitalzinsen sind Aufwand und mindern den Gewinn, whrend die kalkulatorischen Zinsen als Gewinnbestandteil behandelt werden. Der pagatorische Gewinn ist somit, vom Umfang her, um die kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen grer als der kalkulatorische Gewinn.

5.2.3

Ermittlung des Kapitalgewinns

Neben pagatorischem und kalkulatorischem Gewinn wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur der Kapitalgewinn als weitere Gewinnkategorie diskutiert.393 Fachvertreter, die mit dem Kapitalgewinn arbeiten, gehen davon aus, dass smtliche Zinsen (kalkulatorische Eigenkapitalzinsen wie auch Fremdkapitalzinsen) nicht als Kosten, sondern als Gewinnbestandteile zu betrachten sind. Da Fremdkapitalzinsen, so wird argumentiert, einen Ertrag des Fremdkapitaleinsatzes darstellen, sind sie als Erfolgsgre (als ein return on investment) fr die Glubiger zu betrachten, und das Unternehmen hat sie ber Gewinne zu erwirtschaften. Somit sind Fremdkapitalzinsen als Bestandteil des Gewinns zu behandeln.

5.2.4

Periodengewinne und pagatorischer Totalgewinn

Bisher wurde Gewinn als Periodengewinn verstanden, als ein Gewinn, der sich auf eine Teilperiode bezieht. Wenn der Versuch unternommen wird, den Gewinn fr die gesamte Lebensdauer eines Unternehmens zu ermitteln, spricht man vom Totalge393 Zu den unterschiedlichen Gewinnbegriffen vgl. Heinen (1992b) S. 108 f.

155

Konkretisierung des konomischen Prinzips

winn. Im Rahmen des internen Rechnungssystems der Investitions- und Finanzplanung kann ber die Feststellung einer positiven Differenz zwischen smtlichen (vergangenen, gegenwrtigen und zuknftigen) Einzahlungen und Auszahlungen (von der Unternehmensgrndung bis zur Liquidation) ein (pagatorischer) Totalgewinn ermittelt werden.

Abbildung 24:

Ermittlung des pagatorischen Totalgewinns

Investitionsund Finanzplanung

Einzahlungen Auszahlungen = pagatorischer Totalgewinn

zukunftsorientiert

Element des internen Rechnungswesens zukunftsorientiert

Die bisher vorgestellten Gewinnkategorien sind unterschiedlich ausgeprgte absolute Gren, die sich auf einzelne Teilperioden oder die gesamte Lebensdauer des Unternehmens beziehen. Der Zusammenhang zwischen den Gewinnbegriffen ist aus der folgenden Abbildung 25 zu entnehmen.

156

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

Abbildung 25:

Zusammenhang zwischen unterschiedlichen absoluten Gewinnbegriffen

Totalgewinn (auf die gesamte Lebensdauer des Unternehmens bezogen)


Einzahlungen Auszahlungen

Periodengewinn (auf unterschiedliche Teilperioden bezogen)


kalkulatorischer Gewinn Leistungen Kosten (Fremdkapitalzinsen und kalkulatorische Eigenkapitalzinsen werden als gewinnmindernde Kosten begriffen) kalkulatorische Eigenkapitalzinsen pagatorischer Gewinn Ertrag Aufwand (lediglich Fremdkapitalzinsen sind gewinnmindernde Kosten, kalkulatorische Eigenkapitalzinsen sind Gewinnbestandteil) Fremdkapitalzinsen Kapitalgewinn (Fremdkapitalzinsen und Eigenkapitalzinsen sind Gewinnbestandteile)

+ =

+ =

5.2.5

Berechnung von Rentabilitten

Statt einer absoluten Gewinngre, die als Differenz ermittelt wird, betrachten viele Fachvertreter den Quotienten aus erzielbarem Gewinn und notwendigem Kapitaleinsatz und damit eine relative Gewinngre als Basis der Konkretisierung des konomischen Prinzips. Das Streben nach einem absoluten Gewinn wird dann ersetzt durch ein Rentabilittsstreben. Der Quotient Rentabilitt drckt die Verzinsung des eingesetzten Kapitals aus.394 Abhngig davon, wie Gewinn und Kapitalbegriff abgegrenzt werden, knnen unterschiedliche Kapitalrentabilitten ermittelt werden. Man unterscheidet Eigenkapital- von Gesamtkapitalrentabilitt. Die Eigenkapitalrentabilitt (EKR) wird mit der folgenden Formel bestimmt:

Die Gesamtkapitalrentabilitt (GKR) ist wie folgt definiert:

Bei der Ermittlung der Gesamtkapitalrentabilitt steht das Gesamtkapital im Nenner des Rentabilittsquotienten. Da das Gesamtkapital sich aus Fremd- und Eigenkapital zusammensetzt, sind im Zhler neben den Ertrgen des Eigenkapitals auch die Ertrge
394 Synonyme Begriffe fr Rentabilitt sind Rendite oder rate of return. Die Verzinsung des

eingesetzten Kapitals ist eine wichtige Gre zur Bewertung von Kapitalanlagen.

157

Konkretisierung des konomischen Prinzips

des Fremdkapitals (Fremdkapitalzinsen) zu bercksichtigen. Somit ist der Kapitalgewinn einzusetzen.395 Die folgende Formel gibt den Zusammenhang von Eigenkapitalrentabilitt und Gesamtkapitalrentabilitt wieder:

und veranschaulicht, dass eine Erhhung der Eigenkapitalrentabilitt durch zustzliche Aufnahme von Fremdkapital erreicht werden kann. Dies ist solange mglich, wie die Gesamtkapitalrentabilitt hher ist als der Fremdkapitalzinssatz ). Diese Hebelwirkung wird als Leverage-Effekt bezeichnet. Mit der Vorgabe von Rentabilittskennziffern versucht die Unternehmenspraxis, Abteilungen und ganze Unternehmen zu steuern.396 Darber hinaus wird die Rentabilittsrechnung397 eingesetzt, um einzelne Investitionsprojekte zu beurteilen. Ob eine bestimmte Investition positiv oder negativ einzuschtzen ist, kann allerdings nicht allein anhand der ermittelten Hhe der Rentabilittskennziffer abgelesen werden, vielmehr ist es notwendig, alternative Kapitalanlagemglichkeiten in das Entscheidungskalkl mit einzubeziehen. Als Vergleichsmastab wird hufig die Geldanlage in festverzinsliche Wertpapiere herangezogen, und die Rendite der zu ttigenden Investition bzw. die im Unternehmen erzielte Gesamtkapitalrentabilitt wird mit der Rendite festverzinslicher Wertpapiere verglichen. Letztere wird als mindestens zu realisierende Verzinsung des im Unternehmen eingesetzten Kapitals vorgegeben. Die Rentabilitt einer bestimmten Investition wird ermittelt, indem der durch die betrachtete Investition zu erwartende zustzliche Gewinn ins Verhltnis gesetzt wird zu dem zustzlich durch die Investition gebundenen Kapital. Dabei geht man jeweils von durchschnittlichen Gewinn- und Kapitalgren whrend der Projektdauer aus. Absolute Vorteilhaftigkeit einer Investition ist dann gegeben, wenn die Rentabilitt der Investition grer ist als eine vorgegebene Mindestrentabilitt. Bei der Ermittlung der relativen Vorteilhaftigkeit einer Investition im Vergleich zu einer alternativen Investitionsmglichkeit wird im Allgemeinen nicht ein Vergleich der
395 Der Vollstndigkeit halber sei hier noch die Fremdkapitalrentabilitt genannt. Sie drckt aus,

welchen prozentualen Anteil die Fremdkapitalzinsen am Fremdkapital haben. Diese Kennziffer spielt in der Unternehmenspraxis eine untergeordnete Rolle. Eine weitere Rentabilittskennziffer ist die Umsatzrentabilitt (Verhltnis von Gewinn zu Umsatz). 396 Vgl. das Return on Investment-Konzept. Die Spitzenkennziffer Gesamtkapitalrentabilitt wird zu Steuerungs- und Analysezwecken bis in kleinste Verstelungen zerlegt und die mathematische Verknpfung zwischen den so gewonnenen Elementen dargestellt. Derart kann z.B. der Einfluss von bestimmten Aktionen in einzelnen Kostenstellen auf die Spitzenkennziffer ermittelt werden. Zu Einzelheiten vgl. Abschnitt 8.3.2.5. 397 Die Rentabilittsrechnung ist in der Praxis weit verbreitet und stellt ein Verfahren der statischen Investitionsrechnung dar.

158

Verfahren der Gewinnermittlung

5.2

Rentabilitten der unterschiedlichen Projekte vorgenommen, sondern es wird die Rentabilitt der Differenzinvestition bestimmt. Wenn mit der durchschnittliche zustzliche Gewinn bezeichnet wird, der durch eine Investition 1 (2) erwartet wird, und mit das durchschnittliche, zustzlich durch die Investition 1 (2) gebundene Kapital, ist die Rentabilitt der Differenzinvestition bestimmt durch:

Wenn grer als die vorgegebene Mindestrentabilitt ist, so sollte Investition 1 Investition 2 vorgezogen werden. Dabei wird unterstellt, dass Investition 1 das hhere durchschnittlich gebundene Kapital aufweist. Rentabilitten werden nicht nur zur Bewertung von einzelnen Unternehmen und ihren Abteilungen und einzelnen Investitionsobjekten herangezogen, sondern auch zur Bewertung von Segmenten einer Volkswirtschaft oder ganzer Volkswirtschaften. So wird regelmig die Gesamtrentabilitt der deutschen mittelstndischen Wirtschaft und von deutschen Grounternehmen ermittelt. Die Gesamtkapitalrentabilitt kann als Indiz dafr herangezogen werden, ob sich Unternehmertum in Deutschland finanziell lohnt. 398 Die Ermittlung von Rentabilitten basiert auf einer Denkform, die sich bei der Ableitung vieler betriebswirtschaftlicher Kennziffern wiederfindet und in der Betriebswirtschaftslehre insgesamt vorherrschend ist. Gemeint ist das Ursache-Wirkungs-Denken. Der Rentabilittsquotient behauptet einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Im Zhler der Kennziffer steht die zu bewirkende Wirkung, der Zweck, das Ziel, nmlich Gewinnerzielung. Im Nenner wird eine Ursache, das Mittel, der Kapitaleinsatz aufgefhrt und behauptet, er htte die Wirkung, den Gewinn verursacht. Die Rentabilittsformel suggeriert, wenn man sie isoliert betrachtet, dass der Gewinn allein durch das eingesetzte Kapital bewirkt worden sei und dass der Gewinn die einzige Wirkung des Kapitaleinsatzes ist. Ein solch eindeutiger Zusammenhang ist im Allgemeinen allerdings nicht gegeben. Denn Kapitaleinsatz allein bewirkt noch keinen Gewinn. Es mssen weitere notwendige Ursachen hinzukommen, um sicherzustellen, dass berhaupt Gewinne realisiert werden. Solche weiteren Ursachen sind z.B. der Einsatz von menschlicher Arbeitszeit und weiterer Produktionsfaktoren und deren Kombination mit dem eingesetzten Kapital. Darber hinaus muss natrlich die Schwerkraft als weitere Ursache vorhanden sein, um berhaupt produzieren und Gewinne erzielen zu knnen. Betrachtet man die Wirkungsseite, zeigt sich, dass im Allgemeinen der Kapitaleinsatz nicht nur Gewinne verursacht. Es ist mit Nebenfolgen zu rechnen. Im Rentabilittsquotienten kommen diese Sachverhalte nicht zum Ausdruck. Daher ist eine

398 Insbesondere die Differenz zwischen Gesamtkapitalrentabilitt und der Rendite festverzinsli-

cher Wertpapiere hat sich in den letzten Jahren bei kleinen deutschen Unternehmen verringert. Dies muss als Warnsignal interpretiert werden, denn wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, ist mit einer Verringerung unternehmerischen Engagements zu rechnen.

159

Konkretisierung des konomischen Prinzips

ausschlieliche Orientierung wirtschaftlichen Handelns an der Kennzahl Rentabilitt problematisch.

5.3

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

Allein mit der Gewinnermittlung, ob in Form eines absoluten oder relativen Gewinns, ob in Form eines Perioden- oder Totalgewinns, ist die Forderung, nach dem konomischen Prinzip zu handeln, nicht erfllt. Um konomisches Verhalten von Unternehmen theoretisch zu beschreiben, werden Marktmodelle angefertigt. Der Grad an Exaktheit der Theorieaussagen dieser Modelle ist abhngig von den gesetzten Annahmen, unter denen sie abgeleitet werden. Je abstrakter die Modellbedingungen, umso hher die Exaktheit der Theorieaussagen. Dieser hhere Grad an Exaktheit muss unter Umstnden mit einem greren Abstand von der Wirklichkeit erkauft werden.399 Es ist zu erwarten, dass die Realisation des konomischen Prinzips durch Unternehmen in Abhngigkeit von den gesetzten Rahmenbedingungen (der unterstellten Wirtschaftsordnung), unter denen sie agieren, zu unterschiedlichen Ergebnissen fhrt.

5.3.1

Marktformen vollkommener und unvollkommener Mrkte

Die Gestalt der Mrkte ist ein Element einer Wirtschaftsordnung. Dieses Ordnungselement wird in Marktmodellen als der Bedingungskomplex behandelt, der die Marktpolitik von Unternehmen bestimmt. Um die Vielgestaltigkeit realer Marktsituationen in berschaubare Klassen einzuteilen, werden in der einschlgigen Literatur Ausprgungen zweier Merkmale kombiniert. Das eine Merkmal ist der Vollkommenheitsgrad von Mrkten, das zweite ist die Marktform. Entsprechend dem Vollkommenheitsgrad lassen sich die zwei extremen Ausprgungen, nmlich vollkommener und unvollkommener Markt, unterscheiden. Auf einem vollkommenen Markt realisieren Unternehmen das konomische Prinzip, wenn sie nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung handeln. Haushalte tun dies, wenn sie versuchen, ihren Nutzen zu maximieren. Dabei wird unterstellt, dass die Preise, an denen die Marktteilnehmer ihr Handeln orientieren, Marktpreise sind, die das freie Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage hervorgebracht hat und dieses Zusammenspiel nicht von ueren, insbesondere staatlichen Eingriffen in das Markt- und Preisgeschehen gestrt wird. Weiter zeichnen sich vollkommene Mrkte durch voll399 Gutenberg (1984) S. 185.

160

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

kommene Markttransparenz aus. Das heit, smtliche Marktteilnehmer sind ber alle relevanten Marktdaten vollstndig informiert. Darber hinaus gilt Homogenitt auf beiden Marktseiten, d.h., es besteht sachliche, persnliche, rumliche und zeitliche Indifferenz bzw. in den genannten Richtungen gibt es keine Prferenzen. Weiter wird fr vollkommene Mrkte unterstellt, dass Anpassungsprozesse keine Zeit bentigen, was gleichbedeutend mit der Annahme ist, dass Markt und Marktteilnehmer mit einer unendlich groen Reaktionsgeschwindigkeit ausgestattet sind. Die Modelle vollkommener Mrkte unterstellen weiter, dass die Marktteilnehmer mit stabilen Prferenzen, also mit unvernderbaren Zielvorstellungen, ausgestattet sind. Bei ihnen kommt es nicht vor, dass sich whrend der Betrachtungsperiode beispielsweise ihre Vorliebe fr Schokoladeneis in Richtung Zitroneneis verschiebt. Unvollkommene Mrkte weisen eine oder mehrere der aufgefhrten Eigenschaften nicht auf. Je mehr von den Bedingungen, die vollkommene Mrkte kennzeichnen, aufgegeben wird, umso mehr nhert man sich Marktsituationen, wie sie fr empirisches Marktgeschehen charakteristisch sind. Werden die Bedingungen dem Untersuchungszweck entsprechend gewhlt, dann ergibt sich ein System unvollkommener Mrkte, das nach oben an das Modell vollkommener Mrkte und nach unten an empirisches Marktgeschehen grenzt.400 Neben der Differenzierung in vollkommene und unvollkommene Mrkte werden Marktformen in ihrer einfachsten Form nach dem Merkmal Zahl und Gre der Marktpartner systematisiert. Mit den Ausprgungen viele kleine, wenige mittelgroe, ein groer Anbieter lsst sich die Angebotsstruktur beschreiben. Dabei wird als Ma fr die Gre eines Unternehmens hufig sein Marktanteil eingesetzt. Wird ein bestimmtes Produkt nur von einem Anbieter auf den Markt gebracht, spricht man von einer monopolistischen Angebotsstruktur. Ist der andere Extremfall gegeben, nmlich dass viele Anbieter, die jeweils einen verschwindend geringen Marktanteil besitzen, die gleiche Ware auf den Markt bringen, liegt eine polypolistische Angebotsstruktur vor.401 Von oligopolistischer Angebotsstruktur wird gesprochen, wenn die Angebotsseite sich aus wenigen Anbietern zusammensetzt, deren Marktanteile eine derartige Gre besitzen, dass ihre Marktpolitik (Preis- und/oder Mengenpolitik) zu Preis- und Angebotsmengenreaktionen ihrer Konkurrenten fhren wird. Mit den gleichen Ausprgungen von Zahl und Gre der Marktpartner kann auch die Nachfrageseite in drei berschaubare Klassen eingeteilt werden. Eine Kombination der so gewonnenen Angebots- und Nachfragestruktur fhrt zu einem morphologischen Marktformenschema, das insgesamt neun unterschiedliche Marktformen ent-

400 Gutenberg (1984) S. 186. Zur Definition vollkommener und unvollkommener Mrkte, vgl. 401 Gutenberg spricht von atomistischer Angebotsstruktur, wenn es um vollkommene Mrkte

Gutenberg (1984) S. 185 f.

geht, und reserviert die Begriffe polypolistische Angebotsstruktur fr den Fall, dass viele kleine Anbieter auf einem unvollkommenen Markt agieren, vgl. Gutenberg (1984) S. 186.

161

Konkretisierung des konomischen Prinzips

hlt. Auf vollkommene Mrkte angewandt, erhlt man das in Abbildung 26 wiedergegebene Schema, in dem jede Marktform mit besonderen Ausdrcken bezeichnet ist.402

Abbildung 26:

Marktformen auf vollkommenen Mrkten

Anbieter viele kleine Nachfrager viele kleine


bilaterales Polypol

wenige mittelgroe
AngebotsOligopol bilaterales Oligopol

ein groer
AngebotsMonopol

wenige mittelgroe

NachfrageOligopol

beschrnktes Angebots-Monopol

ein groer

NachfrageMonopol

beschrnktes Nachfrage-Monopol

bilaterales Monopol

Die Einteilungen des obigen Marktformenschemas knnen auch fr eine Systematisierung der Marktformen unvollkommener Mrkte genutzt werden. Wenn Marktmodelle das Verhalten der Marktteilnehmer (nach dem konomischen Prinzip) auf unvollkommenen Mrkten in den Blick nehmen, werden entweder die Namen der einzelnen Marktformen mit den Worten auf unvollkommenen Mrkten ergnzt, oder es werden besondere Ausdrcke fr die Marktformen unvollkommener Mrkte benutzt. Ein Angebots-Monopol auf unvollkommenen Mrkten wird Monopoloid genannt. Ein Angebots-Oligopol auf unvollkommene Mrten bezeichnet man mit dem Ausdruck Oligopoloid. Der Ausdruck bilaterales Polypol erhlt den Zusatz auf unvollkommenen Mrkten, wenn es sich um Marktmodelle handelt, die diese Marktform in den Bedingungskomplex unvollkommener Mrkte einzufgen beabsichtigen.403

402 Hufig wird, wenn es sich um die Analyse eines bilateralen Polypols auf vollkommenen

Mrkten handelt, anstatt des Ausdrucks bilaterales Polypol auch der Ausdruck atomistische oder freie Konkurrenz benutzt. 403 Vgl. Gutenberg (1984) S. 186 ff., insbesondere S. 188. Hier prsentiert Gutenberg eine Matrix der Marktformen auf vollkommenen und unvollkommenen Mrkten.

162

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Es sind Vorschlge gemacht worden, die weit differenzierter ausgelegt sind als die hier dargestellte Marktmorphologie.404 Eine alternative Mglichkeit, Marktformen zu konzipieren und dabei auf die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Mrkten zu verzichten, ist von Triffin entwickelt worden.405 Er nutzt das Konzept der Preiselastizitt, in ihrer Ausprgung als Kreuzpreiselastizitt, zur Beschreibung von Marktformen. Mit folgenden berlegungen kann verdeutlicht werden, was unter einer Preiselastizitt bzw. Kreuzpreiselastizitt zu verstehen ist: Bezeichnet man die nachgefragte Menge nach einem Gut mit X und den Preis des Gutes mit p und geht man davon aus, dass die nachgefragte Menge dieses Gutes ausschlielich von seinem Preis abhngig ist und die Nachfragemenge und der Preis immer positiv sind ( ), so kann die Nachfragefunktion mit der Formel: notiert werden. Gilt fr die Nachfragefunktionen das Nachfragegesetz, so folgt, dass eine absolute Preisnderung dp eine Vernderung der nachgefragten Menge dX dergestalt bewirkt, dass eine absolute Preiserhhung eine Reduktion der nachgefragten Gtermenge zur Folge hat und eine absolute Preissenkung zu einem Anstieg der Nachfrage fhrt. Dies bedeutet formal ausgedrckt, dass

< 0, denn wenn dp positiv ist, wird dX negativ und umgekehrt.


Preiselastizitt ist definiert als ein Ma, mit dem die Reaktion der Nachfrage auf Preisnderungen gemessen wird. Sie beschreibt die relative Nachfragenderung Preisderung

(Men-

gennderungen relativ zur Absatzmenge vor Preisnderung), die durch eine relative (Preisnderung relativ zum Ausgangspreis) hervorgerufen wird. Fr die Preiselastizitt der Nachfrage gilt:

Da p und X > 0 und

, muss die Elastizitt immer ein negatives Vorzeichen

haben. Betrgt die Preiselastizitt bei einer bestimmten Nachfragemenge beispielsweise 20% besagt dies, dass eine Preiserhhung bzw. -senkung um 1% die Nachfragemenge um 20% zurckgehen bzw. ansteigen lassen wrde. Die Kreuzpreiselastizitt ist ein Ma zur Messung der Wirkung von relativen Preisnderungen eines Anbieters auf die relativen nderungen der Absatzmenge der anderen Anbieter. Ihr numerischer Wert gibt Auskunft ber die Intensitt der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Anbietern auf einem Markt. Die mathematische Darstellung wird in der Literatur nach ihrem Erfinder Triffin als Triffinscher Koeffizient (T) bezeichnet. Diesen kann man sich wie folgt verdeutlichen. Aus der Menge smtlicher
404 So unterscheidet Ott immerhin 25 Marktformen, vgl. Ott (1974) S. 41 ff. 405 Vgl. Triffin (1949) S. 97-105.

163

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Anbieter, die auf dem Markt ttig sind, wird ein Unternehmen herausgegriffen. Es sei das Unternehmen A. Es wird danach gefragt, ob und inwieweit die Vernderung der Absatzpreise des Unternehmens A ( ) eine Vernderung des Absatzvolumens irgendeines Unternehmens B ( ) bewirkt.406 Dabei ist die Ausgangslage der Preise ( ) und der Absatzmengen ( ) zu bercksichtigen, die vor der Preisnderung gegeben war. Damit kann die relative nderung des Absatzvolumens des Unternehmens B (

), die durch eine relative Preisnderung des Unternehmens A (

) hervorgeru-

fen wird, durch die folgende Formel, den Triffinschen Koeffizienten, dargestellt werden:

Triffin unterscheidet zunchst drei Flle: T = . Der Triffinsche Koeffizient wird unendlich gro, wenn eine noch so kleine Preisnderung des Unternehmens A einen Einfluss auf das Absatzvolumen des Unternehmens B ausbt. Dieser Sachverhalt bedeutet, dass zwischen den Unternehmen eine sehr intensive Konkurrenzbeziehung besteht. Fr Triffin ist dieser Fall umso wahrscheinlicher, je homogener die Produkte sind, die auf dem Markt gehandelt werden. Daher nennt Triffin die beschriebene Konstellation homogene Konkurrenz. T = 0. Der Triffinsche Koeffizient wird 0, wenn eine Preisnderung des Unternehmens A berhaupt keinen Einfluss auf die Absatzmenge des Unternehmens B ausbt. T = 0 bedeutet, dass zwischen den Unternehmen keine Konkurrenzbeziehung vorliegt, in dem Sinne, dass es keine Verbindung zwischen Preisnderungen des einen und Absatzmengennderungen des anderen gibt. Triffin bezeichnet die Marktsituation, in der Unternehmen derart voneinander getrennt sind, als isolated selling oder pure monopoly. 0 < T < . Liegt der Triffinsche Koeffizient zwischen 0 und , bedeutet dies, dass eine Preisnderung des Unternehmens A zwar zu einer sprbaren, nicht aber zu einer bermig groen Vernderung des Absatzvolumens des Unternehmens B fhrt. Diese Marktsituation nennt Triffin heterogene Konkurrenz, da nicht homogene, sondern heterogene Produkte ausgetauscht werden, mithin Produktdifferenzierung gegeben ist, und der Markt weitere Unvollkommenheit aufweist. Die Marktform der heterogenen Konkurrenz enthlt, anders als die extremen

406 Der Buchstaben wird hier verwandt, um zu verdeutlichen, dass es sich um partielle Preis-

bzw. partielle Mengennderungen handelt. Die Summe ber smtliche partiellen Preisnderungen, die von den Konkurrenten des Unternehmens B vorgenommen werden, ergbe die totale Preisnderung. Durch Summation ber smtliche, durch die partiellen Preisnderungen hervorgerufenen, partiellen nderungen des Absatzvolumens des Unternehmens B erhlt man die totale nderung des Absatzvolumens des Unternehmens B. Sie wird mit dX bezeichnet.

164

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Marktformen der homogenen Konkurrenz407 und des isolated selling, eine berflle mglicher absatzpolitischer Beziehungen zwischen den Anbietern. Die von Triffin angebotene Klassifikation von Marktsituationen ist nicht etwas vollstndig anderes als die Marktmorphologie, die eine Einteilung in Marktformen vornimmt. Der Unterschied ist mehr formaler Natur. Das Marktformenschema verwendet die Ursachen, Triffin dagegen die Wirkungen von Preisnderungen als Kriterium fr die Einteilung der Mrkte.408 Fr die Marktformen vollkommener und unvollkommener Mrkte sind Marktmodelle entwickelt worden, mit denen die Marktpolitik von Unternehmen beschrieben wird. Der Versuch, smtliche Marktmodelle vorzufhren, wrde den Rahmen dieses Buches sprengen. Darber hinaus weisen insbesondere Oligopolmodelle einen Komplexittsgrad auf, der mit einfachen mathematischen Mitteln nicht mehr darzustellen ist. So beschrnken sich die folgenden Ausfhrungen darauf, vier Varianten klassischer Marktmodelle zu prsentieren. Dabei konzentrieren sich die Betrachtungen zunchst auf vollkommene Mrkte und unterstellen, dass Unternehmen lediglich ein Produkt herstellen und den Unternehmen viele kleine Wirtschaftseinheiten als Nachfrager gegenberstehen. Bezogen auf die Marktformenmatrix der Abbildung 26 bedeutet dies, dass zunchst die erste Zeile der Matrix in den Blick genommen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass vollkommene Mrkte empirisch wohl kaum anzutreffen sind. Das heit aber nicht, dass die Marktformen vollkommener Mrkte nichts mit der Realitt des Wirtschaftens zu tun htten und dass ihre Analyse fr das Verstndnis der Wirtschaftsrealitt nicht wichtig wre. Der Einschtzung Gutenbergs ist zuzustimmen, der feststellt: Es wre jedoch verfehlt, anzunehmen, dass das System von Bedingungen, das die vollkommene atomistische Konkurrenz kennzeichnet, gewissermaen einem Spiel abstrakter Phantasie entsprungen sei.409 Vielmehr behandelt die klassische Preistheorie Angebotsmonopol und bilaterales Polypol auf vollkommenen Mrkten als ihr Zentralthema.

407 Die heterogene und homogene Konkurrenzsituation differenziert Triffin weiter, indem er

jeweils danach fragt, ob oligopolistische Rckwirkungen (ob die durch Preisnderungen hervorgerufenen Mengennderungen wiederum Preisnderungen hervorrufen, die Mengennderungen bewirken) vorhanden sind oder nicht. So spricht Triffin im Fall der homogenen Konkurrenz beim Vorliegen von oligopolistischen Rckwirkungen vom reinen Oligopol und fr den Fall, dass keine oligopolistischen Rckwirkungen auszumachen sind, von reiner Konkurrenz. Im Fall der heterogenen Konkurrenz unterscheidet er entsprechend zirkulre (es liegen oligopolistische Rckwirkungen vor) von atomistischer heterogener Konkurrenz (es liegen keine oligopolistischen Rckwirkungen vor). 408 Gutenberg (1984) S. 191. 409 Gutenberg (1984) S. 221.

165

Konkretisierung des konomischen Prinzips

5.3.2

Mengenpolitik im bilateralen Polypol auf vollkommenen Mrkten

Das Prinzip der Gewinnmaximierung soll mit einem einfachen Modell, das sich auf die Maximierung des absoluten Gewinns bezieht, veranschaulicht werden. Es sei die Marktform des bilateralen Polypols unterstellt. Das heit, auf beiden Marktseiten (auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite) agieren viele kleine Wirtschaftseinheiten. Weiter wird die Annahme gemacht, dass die Akteure unter der Bedingung eines vollkommenen Marktes handeln. Unter diesen Voraussetzungen ist der Angebotspreis (p) ein Datum ( ). Diese Aussage leuchtet sofort ein, denn der polypolistische Anbieter spielt am Markt eine sehr bescheidene Rolle, die ihn dazu zwingt, sich an Marktgegebenheiten anzupassen. Fr ihn wre es nicht sinnvoll, preispolitisch aktiv zu werden, da er sich im Falle einer Anhebung seines Preises ber das Niveau seiner Konkurrenten einem totalen Nachfrageausfall gegenber she, whrend er bei einer Senkung seines Preises unter das Preisniveau der Konkurrenz sofort die gesamte Nachfrage auf sich zge, die er jedoch voraussetzungsgem, aufgrund seiner geringen Produktionskapazitten, nicht befriedigen knnte. Da weder Preiserhhung noch Preissenkung unter den gemachten Bedingungen Sinn machen, werden sie unterbleiben, und der Preis ist als Datum hinzunehmen. Die Manahme, die in einer solchen Situation den Unternehmen brig bleibt, ist, sich mit ihrer Absatzmenge den Marktbedingungen anzupassen, Mengenanpassung zu betreiben. Um das Problem der Gewinnmaximierung in einer einfachen Form zu prsentieren, sei die Gleichheit von Ausgaben, Aufwand und Kosten sowie von Einnahmen, Ertrgen und Leistungen unterstellt. Weiter sei angenommen, dass es keine Lagerhaltung gibt und damit keine Bestandserhhungen und Bestandsminderungen an fertigen und unfertigen Produkten. Eigenleistungen in Form z.B. selbsterstellter Anlagen und eigenen Reparaturleistungen treten ebenfalls nicht auf. Das heit, es ist davon auszugehen, dass die Produktionsmenge der Absatzmenge entspricht. Unter diesen Bedingungen erscheint der Gewinn als positive Differenz zwischen den folgenden Gren: Auf der einen Seite stehen die mit Absatzpreisen (p) bewerteten Absatzmengen der Produkte (X), der Umsatz. Er ist abhngig von der Absatzmenge und mit (1) gegeben. Auf der anderen Seite sind die zur Beschaffung, Herstellung, Vermarktung und Verwaltung der Produkte entstandenen Kosten zu notieren. Es sei unterstellt, dass Fixkosten ( ) auftreten. Fixkosten sind Kosten, die unabhngig von der Hhe der Ausbringungsmenge entstehen. Darber hinaus ist mit variablen Kosten zu rechnen. Dies sind Kosten, die mit der Ausbringungsmenge variieren. Die Gesamtkosten knnen als Gleichung (2) notiert werden. Fr den Gewinn gilt: (3)

166

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Formal wird die Forderung nach Gewinnmaximierung wie folgt notiert: (4) Wenn die erste Ableitung der Gewinnfunktion den Wert 0 annimmt, ist die notwendige Bedingung fr das Vorliegen eines Gewinnmaximums erfllt. (5) (5a)

, daraus folgt:

Dieser Ausdruck besagt: Wenn der zustzliche Umsatz d(U(X)), der durch den Absatz einer zustzlichen Mengeneinheit d(X) hervorgerufen wird, gleich den zustzlichen Kosten ist, die durch die Produktion und den Absatz einer zustzlichen Mengeneinheit d(X) entstehen, erreicht der Gewinn sein Maximum. Die Vernderung des Umsatzes beim Absatz einer zustzlichen Produkteinheit wird als Grenzumsatz bezeichnet. Demgegenber bezeichnen die Grenzkosten jene Kosten, die dadurch entstehen, dass eine zustzliche Produkteinheit hergestellt und abgesetzt wird. Die Differenz zwischen Umsatz und Kosten ist also bei der Absatzmenge am grten, bei der gilt: Grenzumsatz = Grenzkosten. Es sei unterstellt, dass fr das Unternehmen, das auf einem polypolistischen Markt agiert, eine klassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktion gilt (vgl. Abbildung 14). Sie bildet die mengenmige Basis fr die Ermittlung der Kostenfunktion des Anbieters. Um von der Produktionsfunktion zur Kostenfunktion zu gelangen, ist zunchst eine so genannte monetre Produktionsfunktion zu konstruieren. Dies gelingt, indem die Produktionsfaktormengen mit ihren Preisen bewertet und die Produkte addiert werden. Die monetre Produktionsfunktion hat das folgende Aussehen:

,
wobei der Buchstabe K Index G die Gesamtkosten symbolisiert. Enthalten die Gesamtkosten Kosten fr fixe Faktoren , dann sind diese, da fixe Faktoren fr sich genommen keine Ausbringungsmengen (X) erzeugen knnen, von zu subtrahieren, so dass gilt:

.
D.h., nur die Kosten, die ber die Fixkosten hinaus eingesetzt werden, liefern eine zustzliche Ausbringungsmenge. Daher werden diese, die Fixkosten bersteigenden Kosten, variable Kosten genannt.

.
167

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Die beschriebenen Sachverhalte sind in der folgenden Abbildung 27 dargestellt.

Abbildung 27:

Ableitung einer monetren Produktionsfunktion aus einer klassischen ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion

r fix u q fix

K fix

r1q1  r2 q2  ...  rn qn

Kv

K G  K fix

Die monetre Produktionsfunktion stellt die Ausbringungsmenge in Abhngigkeit von den Kosten dar (X (K)). Um aus der monetren Produktionsfunktion eine Kostenfunktion zu ermitteln, ist dieses Abhngigkeitsverhltnis umzukehren, denn Kostenfunktionen veranschaulichen Kosten in Abhngigkeit von der produzierten Ausbringungsmenge (K (X)). Durch Inversion der monetren Produktionsfunktion, durch die Bestimmung ihrer Umkehrfunktion, werden die Kosten in Abhngigkeit von der Ausbringungsmenge dargestellt. Aus:


wird durch Vertauschen der Rolle der unabhngigen und der abhngigen Variablen die Kostenfunktion:

168

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Abbildung 28:

Ableitung der Gesamtkostenfunktion aus einer monetren Produktionsfunktion

X(K) K(X)

KG(X) = Kfix + Kv (X)

X(K) = f (KG - Kfix )

Kfix K(X) X

Die klassische ertragsgesetzliche Produktionsfunktion begrndet eine Gesamtkostenfunktion, die dadurch ausgezeichnet ist, dass die Gesamtkosten zunchst bei einer Ausdehnung der Produktionsmenge unterproportional bis zu einem Wendepunkt ansteigen und bei weiterer Ausdehnung der Produktionsmenge berproportional zunehmen. Um die gewinnmaximale Produktions- und Absatzmenge zu bestimmen, sind die Grenzkosten und Grenzerlse zu ermitteln. Die Absatzmenge, die sicherstellt, dass die Grenzkosten den Grenzerlsen entsprechen, begrndet ein Gewinnmaximum. Die erste Ableitung der Gesamtkostenfunktion liefert die Grenzkosten. Grafisch knnen die Grenzkosten durch das Anlegen von Tangenten an jeden Punkt der Gesamtkostenfunktion und die Bestimmung des jeweiligen Tangens, der die Steigung der Tangente angibt ( = Gegenkathete zu Ankathete), dargestellt werden:

Der Wendepunkt der Gesamtkostenfunktion markiert das Minimum der Grenzkosten. Um das absolute Gewinnmaximum zu bestimmen, ist es sinnvoll, die Durchschnittskosten, die auch als totale Stckkosten bezeichnet werden, zu berechnen. Auf analytischem Wege erhlt man sie, indem die Gesamtkosten an einer beliebigen Stelle durch die dort erreichte Ausbringungsmenge geteilt werden:

169

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Grafisch knnen die totalen Durchschnittskosten ermittelt werden, indem durch jeden Punkt der Gesamtkostenfunktion ein Fahrstrahl aus dem Ursprung des Koordinatensystems geschickt wird. Der Tangens des Winkels, den die Mengenachse (X) und der Fahrstrahl bilden, gibt die jeweiligen Durchschnittskosten an. Bei der Ausbringungsmenge, bei der die totalen Stckkosten den Grenzkosten gleich sind, erreichen die totalen Stckkosten ihr Minimum, denn an dieser Stelle wird der Fahrstrahl zur Tangente. Von den totalen Stckkosten sind die variablen Stckkosten zu unterscheiden. Analytisch sind sie als Quotienten aus variablen Gesamtkosten und Produktionsmenge

berechenbar. Grafisch lassen sich die variablen Stckkosten bestimmen, indem ausgehend vom Fixkostensockel ein Fahrstrahl durch die Gesamtkostenfunktion gelegt wird. An der Stelle, an der die variable Durchschnittskostenkurve ihr Minimum erreicht, schneidet sie die Grenzkostenkurve. Der vom Fixkostensockel ausgesandte Fahrstrahl wird an dieser Stelle zur Tangente der Gesamtkostenfunktion. Die variablen Durchschnittskosten erreichen ihr Minimum bei einer Produktionsmenge, die kleiner ist als die Produktionsmenge, die zu einem Minimum der totalen Durchschnittskosten fhrt. Die beschriebenen Sachverhalte sind in Abbildung 29 wiedergegeben. Der bersichtlichkeit halber wurde darauf verzichtet, die variablen Durchschnittskosten mit in die Darstellung aufzunehmen.

170

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Abbildung 29:

Grafische Bestimmung der Grenz- und Durchschnittskosten

KG ( X )

K fix  K v ( X )

K(X)

dK ( X )

dK G ( X ) dX D K G ( X ) X

kG

Kfix

tan D

DdKG ( X )
dX

dX
Ausbringungsmenge, bei der die Grenzkosten minimal sind.

X
Ausbringungsmenge, bei der die totalen Stckkosten minimal sind.

Die Grafik veranschaulicht, dass sich aus einer Produktionsfunktion vom Typ A ein Ufrmiger Grenzkostenverlauf ergibt und dass auch die Durchschnittskosten unter den festgelegten Bedingungen ebenfalls U-frmig verlaufen. Nachdem Grenz- und Durchschnittskosten ermittelt sind, ist der Grenzumsatz zu berechnen. In dem vorliegenden Fall gilt:

Abbildung 30 fhrt obige berlegungen zusammen und weist auf ein Problem bei der Bestimmung des Gewinnmaximums hin, denn die Abbildung zeigt, dass sowohl die Ausbringungsmenge , als auch die Produktionsmenge sicherstellen, dass Grenzumsatz und Grenzkosten denselben Wert annehmen.

171

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Abbildung 30:

Gewinnmaximum im bilateralen Polypol bei U-frmigem Grenzkostenverlauf

p
dU ( X ) dX p dK G ( X ) dX
dK G ( X ) dX K G ( X )

kG

dU ( X ) dX

X1

X G max

Um festzustellen, bei welcher Produktions- bzw. Absatzmenge ein Gewinnmaximum realisiert wird, ist neben der notwendigen auch die hinreichende Bedingung fr das Vorliegen eines Gewinnmaximums zu untersuchen. Wenn die zweite Ableitung einer Funktion kleiner null ist, ist die hinreichende Bedingung fr ein Maximum der Funktion erfllt. Fr die Gewinnfunktion bedeutet dies:

muss < 0 sein.

Diese Forderung ist gleichbedeutend mit der folgenden Ungleichung:

< 0.

Da

und die Ableitung von nach ergibt,

ist die obige Ungleichung nur dann erfllt, wenn gilt:

> 0.

Das heit, an der Stelle , an der die Grenzkostenfunktion in ihrem fallenden Bereich die Preisgerade schneidet, ist die hinreichende Bedingung fr ein Gewinnmaximum nicht erfllt, denn mit zunehmender Produktion sinken die Grenzkosten. Bei einer Produktions- und Absatzmenge in Hhe von weist die Grenzkostenfunktion

172

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

eine positive Steigung auf. Somit ist an dieser Stelle die hinreichende Bedingung fr das Vorliegen eines Gewinnmaximums erfllt. Der gewinnmaximale Umsatz betrgt:

.
Die gewinnmaximalen Kosten sind mit:
gegeben.

In dem Beispielsfall erhlt man einen maximalen Gewinn in Hhe von:


.

In Abbildung 30 ist die Hhe des maximalen Gewinns mit der schraffierten Flche wiedergegeben.

5.3.3

Preis- und Mengenpolitik eines Angebotsmonopolisten

Nachdem dargestellt wurde, wie Unternehmen im bilateralen Polypol ein Gewinnmaximum erreichen, soll nun die Marktform, in der Unternehmen agieren, gewechselt und ein Angebotsmonopol unterstellt werden. Ein Monopolunternehmen hat keine Konkurrenten. Bei dem Versuch, seinen Gewinn zu maximieren, muss das Monopolunternehmen daher Reaktionen von Konkurrenten auf eigene Aktionen nicht in sein Entscheidungskalkl mit einbeziehen (der Triffinsche Koeffizient ist gleich 0). Auf der Nachfrageseite stehen dem Monopolunternehmen viele kleine Nachfrager gegenber. Insofern mssen mgliche Reaktionen der Nachfrager bei der Bestimmung des Gewinnmaximums bercksichtigt werden. Fr das Monopolunternehmen ist es wichtig zu wissen, wie die Nachfrager auf nderungen des Absatzpreises bzw. nderungen der Angebotsmengen reagieren. Mithilfe von Preis-Absatz-Funktionen (PAF) beschreibt man modellhaft die Nachfragereaktionen. Die Preis-Absatz-Funktion ist definiert als die funktionale Beziehung zwischen nachgefragter Menge (X) eines Gutes und seinem Preis (p), bei Konstanz aller weiteren Gterpreise und des Einkommens. Man erhlt eine Preis-Absatz-Funktion aus der bereits bekannten Nachfragefunktion:

, mit

indem abhngige und unabhngige Variablen vertauscht werden. Whrend in der Nachfragefunktion der Preis die unabhngige und die nachgefragte Menge die abhngige Variable ist, wird in der Preis-Absatz-Funktion die Absatzmenge als unabhngige Variable dargestellt, und der Preis erscheint als abhngige Variable. Mit der Funktion

, mit

173

Konkretisierung des konomischen Prinzips

ist eine Preis-Absatz-Funktion definiert. Es sei davon ausgegangen, dass die Hhe des Absatzpreises von der Hhe der abgesetzten Menge abhngig ist und eine lineare Preis-Absatz-Funktion unterstellt, die mit der Gleichung:


wiedergegeben ist. Dabei symbolisiert den Prohibitivpreis. Er entspricht einer Preishhe, bei der die Nachfrager nicht mehr bereit sind, auch nur eine Mengeneinheit des angebotenen Gutes zu kaufen. Bei einem Preis in Hhe des Prohibitivpreises knnen Unternehmen also nichts mehr absetzen. Ihre Absatzmenge ist gleich 0 . Der Buchstabe b in obiger Gleichung gibt die Steigung der Preis-Absatz-Funktion () an. Er gibt wieder, um wie viel Geldeinheiten der Preis sinkt (steigt), wenn die Absatzmenge um eine Mengeneinheit erhht (vermindert) wird.

Der Vollstndigkeit halber sei der Begriff Sttigungsmenge eingefhrt und mit dem bezeichnet. Die Sttigungsmenge ist die Menge, die abgesetzt werden knnSymbol te, wenn das Gut verschenkt wrde bzw. es einen Preis von null htte. Die Mglichkeit, mithilfe von Preiselastizitten Absatzmengennderungen, die durch Preisnderungen hervorgerufen werden, zu messen, wurde bereits bei der Darstellung des Triffinschen Koeffizienten in Abschnitt 5.3.1 besprochen. Daher muss an dieser Stelle hierauf nicht weiter eingegangen werden. Den Umsatz U(X), den ein Unternehmen unter den unterstellten Marktbedingungen erwirtschaften kann, erhlt man durch Multiplikation der Preis-Absatz-Funktion mit der Absatzmenge:

.
Die Ableitung der Umsatzgleichung nach der Absatzmenge liefert den Grenzumsatz:

Bezglich der Kostenentwicklung sei ein linearer Verlauf unterstellt. Weiter sei davon ausgegangen, dass es Fixkosten in Hhe von gibt und variable Stckkosten in Hhe von vorgegeben sind, die proportional mit der Produktionsmenge variieren. Die Gesamtkosten errechnen sich zu:

.
Die Grenzkosten, also die zustzlichen Kosten, die dadurch entstehen, dass eine zustzliche Mengeneinheit produziert wird, erhlt man mit der ersten Ableitung der Gesamtkostenfunktion:

174

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Es ist bereits verdeutlicht worden, dass die Absatzmenge, die sicherstellt, dass der Grenzumsatz den Grenzkosten entspricht, ein Gewinnmaximum garantiert:

In dem Beispielsfall ist dies gewhrleistet, wenn

Die gewinnmaximale Absatzmenge ist damit: .

Den gewinnmaximalen Preis erhlt man durch Einsetzen von in die Preis-Absatz-Funktion:

Durch Umformung kann der Term vereinfacht werden: . Die gewinnmaximale Preis-Mengen-Kombination, die durch die Koordinaten gegeben ist, wird nach dem franzsischen Wirtschaftswissenschaftler Antoine Augustin Cournot (1801-1877), als Cournotscher Punkt bezeichnet.410 Die beschriebenen Sachverhalte sind in Abbildung 31 grafisch veranschaulicht.

410 Cournot ist der Begrnder der Monopoltheorie. Seine Gedanken hierzu knnen in Kapitel

fnf seines Werkes Untersuchungen ber die mathematischen Grundlagen des Reichtums nachgelesen werden, vgl. Cournot (1924).

175

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Abbildung 31:

Gewinnmaximum eines Angebotsmonopolisten

U max

K G ( X ) K fix  k v u X

Gmax
U (X )

Gewinnlinse

~ pX  bX 2

~ p
p( X ) ~ p  bX
C= Cournotscher Punkt ( X G max ; pG max )

K fix

pG max
kv

dK ( X ) dX

X G max

~ X 2

dU ( X ) dX

~ p  2bX

~ X

In obiger Abbildung 31 gibt der maximale Abstand zwischen Umsatzfunktion und Kostenfunktion innerhalb der Gewinnlinse das Gewinnmaximum an.

5.3.4

Marktpolitik eines Angebotsdyopolisten

Gewinnmaximierung erscheint noch einmal anders, wenn anstatt von einen Angebotsmonopolisten davon ausgegangen wird, dass zwar weiterhin viele kleine Nachfrager ein Gut nachfragen, dass nun aber zwei gewinnmaximierende Anbieter (A und B) das begehrte Gut bereitstellen. Eine derartige Marktform wird Angebotsdyopol genannt. Es stellt eine spezielle Ausprgung des Oligopols dar und kann mit dem Cournotschen Dyopolmodell411 beschrieben werden, das im Folgenden anhand eines Zahlenbeispiels dargestellt wird. Das Verhalten der Unternehmen ist im Fall eines Angebotsdyopols nicht nur von den erwarteten Reaktionen der Nachfrager, sondern auch vom erwarteten Verhalten des Konkurrenten abhngig. Wenn weiterhin von einem vollkommenen Markt ausgegangen wird, dann heit dies u.a., dass beide Anbieter mit der gleichen Preis-Absatz-Situation konfrontiert sind. Die gesamte angebotene Gtermenge setzt sich zusammen aus der Angebotsmenge von A, die mit
411 Vgl. Cournot (1924) Kapitel sieben.

176

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

bezeichnet sei, und der Angebotsmenge von B, die mit notiert sei. Die fr beide Anbieter gltige Preis-Absatz-Funktion sei gegeben durch:

.
Es sei angenommen, dass die beiden Anbieter das gleiche Gut produzieren, allerdings mit unterschiedlichen Kosten. Die Kostenfunktion des Anbieters A sei mit der folgenden Gleichung wiedergegeben:


Die Kostenfunktion des Anbieters B laute:

.
Wenn beide Anbieter nach dem konomischen Prinzip handeln und insofern Gewinnmaximierung betreiben, stellt sich die Frage, welche Mengen sie jeweils zu welchen Preisen auf den Markt bringen. Zur Beantwortung der Frage muss zunchst der Gewinn der beiden Anbieter berechnet werden. Der Gewinn des Anbieters A ist gleich:

.
Durch Einsetzen der Preis-Absatz-Funktion in die Gewinngleichung erhlt man:

.
Ausrechnen ergibt:
.

Die Gleichungen verdeutlichen, dass die Gewinnhhe des Anbieters A von seiner eigenen Absatzmenge und der Absatzmenge des Konkurrenten B abhngig ist. Der Gewinn des Anbieters B ist gleich:

.
durch Einsetzen der Preis-Absatz-Funktion erhlt man:

.
Ausrechnen ergibt:
.

Die Gleichungen verdeutlichen, dass die Gewinnhhe des Anbieters B von seiner eigenen Absatzmenge und der Absatzmenge des Konkurrenten A abhngig ist. Um das Gewinnmaximum des Anbieters A zu ermitteln, ist seine gewinnmaximale Absatzmenge zu bestimmen. Dazu ist die erste Ableitung seiner Gewinnfunktion gleich 0 zu setzen.

177

Konkretisierung des konomischen Prinzips

daraus folgt:

.
Die gewinnmaximale Absatzmenge des Anbieters A ist abhngig von alternativen Angebotsmengen des Anbieters B. Entschliet sich der Anbieter B, nichts anzubieten, kann A sein Gewinnmaximum erreichen, wenn er acht Mengeneinheiten des begehrten Gutes auf den Markt bringt. Wenn der Anbieter B sein Angebot auf sechs Mengeneinheiten festlegen wrde, betrge die gewinnmaximale Absatzmenge des Anbieters A fnf Mengeneinheiten. Mit der Gleichung: knnen fr smtliche Ausprgungen von entsprechende gewinnmaximale Angebotsmengen des Anbieters A berechnet werden. Voraussetzungsgem wird Anbieter B aber nicht irgendeine, sondern seine gewinnmaximale Angebotsmenge auf den Markt bringen. kann in analoger Weise wie errechnet werden:

Die gewinnmaximale Absatzmenge des Anbieters B ist:

.
Mit dieser Gleichung knnen fr smtliche Ausprgungen von entsprechende gewinnmaximale Angebotsmengen des Anbieters B ermittelt werden. Um die beschriebenen Sachverhalte in einem -Koordinatensystem zu veranschaulichen, ist die Gleichung:


nach aufzulsen. Man erhlt:

178

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Abbildung 32:

Gewinnmaximale Mengenkombinationen im Angebotsdyopol

XA
14

X A 14  2 X B max

8
X A max 6

X A max

8  0,5 X B

0 X B max 4

16

XB

Der Graph der Funktion von zeigt fr alternative die gewinnmaximalen Absatzmengen des Anbieters A. Die grafische Darstellung der Funktion veranschaulicht fr alternative Absatzmengen die gewinnmaximalen Absatzmengen des Anbieters B. Wenn beide Anbieter erwarten, dass der jeweilig andere seinen Gewinn zu maximieren versucht, wird Anbieter A die gewinnmaximale Menge Gtereinheiten und Anbieter B die gewinnmaximale Menge Gtereinheiten auf den Markt bringen. Damit werden insgesamt 10 Mengeneinheiten des betreffenden Gutes angeboten. In die Preis-Absatz-Funktion eingesetzt erhlt man:


Damit kann der maximale Gewinn der Anbieter A und B ausgerechnet werden:

.
Zu bedenken ist, dass der gewinnmaximale Preis von Unternehmen nur zu ermitteln ist, wenn alle Gren, die in die Gewinnfunktion des jeweiligen Unternehmens eingehen, bekannt und vom Unternehmen kontrollierbar sind. Das ist aber zum Zeitpunkt, an dem das Unternehmen seine Absatzpreise bzw. seine Absatzmengen gewinnmaximierend plant, nicht der Fall. Denn zu diesem Zeitpunkt ist das preis- und mengenpolitische Verhalten des Konkurrenten noch nicht bekannt. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, greift die Oligopoltheorie auf Erwartungen der Marktteilnehmer ber das
179

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Verhalten der anderen Marktteilnehmer zurck. Das Beispiel zum Angebotsdyopol konnte nur deshalb gelst werden, weil unterstellt wurde, dass die jeweiligen Erwartungen der Konkurrenten ihre Preis- und Mengenentscheidungen bestimmen. Stillschweigend wurde von sicheren, zutreffenden Erwartungen ausgegangen, d.h., es wurde angenommen, dass die erwarteten Preis-Mengen-Reaktionen auch tatschlich eintreten. Da aber alle Beteiligten faktisch auch anders handeln knnen als erwartet, das eigene Handeln aber festgelegt werden muss, bevor der andere gehandelt hat, sei darauf hingewiesen, dass die Problematik des Gefangenendilemmas in der Oligopoltheorie erneut aufscheint. Ins Dyopolmodell sind nicht nur Erwartungen ber das Verhalten der Konkurrenten eingegangen, sondern implizit auch sichere Erwartungen ber das Verhalten der Nachfrager. Smtliche Akteure in den bisher dargestellten Modellen knnen sicher erwarten, dass alle anderen Akteure sich so verhalten wie ein homo oeconomicus und knnen ihr Verhalten hieran ausrichten. Das Modell des homo oeconomicus entspricht den Modellen vollkommener Mrkte insofern, als die Annahmen, auf denen das Menschenmodell und das Marktmodell aufbauen, identisch sind. Der homo oeconomicus besitzt keine zeitlichen, rtlichen, sachlichen und persnlichen Prferenzen. Fr ihn gibt es nur homogene Orte, Gter und Personen. In allen Entscheidungssituationen kann er sich auf seine vollkommene Marktbersicht und vollkommene Voraussicht bezglich der Handlungen der anderen Marktteilnehmer, seiner Handlungsalternativen und der Konsequenzen seines Handelns verlassen. Er wei immer, was er will, denn er verfgt ber ein eindeutig definiertes, widerspruchsfreies, konsistentes und stabiles Zielsystem, das auf maximalen Eigennutzen (Gewinn) ausgelegt ist. Darber hinaus handelt er stets nach dem konomischen Prinzip, kann auf eine unendlich schnelle Reaktionsfhigkeit zurckgreifen und ist mit einer unbegrenzten Denk- und Rechenfhigkeit ausgestattet. Genau mit diesen Annahmen werden vollkommene Mrkte beschrieben.412 In einer betriebswirtschaftlichen Theorie, die auf der Vorstellung vollkommener Mrkte aufbaut, bleibt vieles, was fr Betriebswirte interessant ist, unbercksichtigt. Die Marktpolitik der Unternehmen ist auf reine Preis- und Mengenpolitik reduziert, und auch die nach innen gewandte Unternehmenspolitik erscheint ausschlielich als Versuch, durch Kostenminimierung zur Gewinnmaximierung beizutragen. Im Vergleich zur Theorie vollkommener Mrkte sind Theorien unvollkommener Mrkte fr die Betriebswirtschaftslehre der interessantere Untersuchungsgegenstand.413 Denn erst wenn bestimmte Vollkommenheitsbedingungen aufgegeben werden, wachsen den Unternehmen Entscheidungsspielrume zu, die ber reine Preis- und Mengenentscheidungen hinausgehen. Indem einige der realittsfernen Annahmen ber Marktvollkommenheit durch realittsnhere Annahmen ersetzt werden, entsteht die Mglichkeit, in immer grerem Umfang die Flle des realen Geschehens in Unternehmen
412 Vgl. Abschnitt 5.3.1. 413 Vgl. Gutenberg (1984) S. 187.

180

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

theoretisch zu reflektieren. Diesen Gedanken nehmen die Ausfhrungen des folgenden Abschnitts auf, indem danach gefragt wird, wie Marktunvollkommenheiten theoretisch beschrieben werden knnen und wie sich Marktpolitik von Unternehmen in einer durch Unvollkommenheiten ausgezeichneten Marktsituation darstellt. Dabei wird die Marktform des bilateralen Polypols unterstellt.

5.3.5

Marktpolitik im bilateralen Polypol auf unvollkommenen Mrkten

Marktunvollkommenheiten erscheinen, wenn die Annahmen Homogenitt und Indifferenz, vollkomme Markttransparenz und unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit aufgegeben werden und an ihre Stelle die Annahmen Heterogenitt, Existenz von Prferenzen, mangelnde Marktbersicht und endliche Reaktionszeiten des Marktes und der Marktteilnehmer treten. Auf unvollkommenen Mrkten werden heterogene Gter gehandelt. Hier sind z.B. Tische nicht unbedingt aus dem gleichen Material, von gleicher Bauart, gleicher Qualitt, gleichem Design usw. Sie unterscheiden sich (sind differenzierte Produkte), dienen aber dem gleichen Verwendungszweck. Produktdifferenzierung muss nicht auf Qualitt, Design usw. beschrnkt bleiben. Gleichartige Gter knnen durch zeitliche und rtliche Differenzierung aus Sicht der Kunden als heterogene Gter erscheinen. Darber hinaus verteilen sich im Polypol die Prferenzen der vielen Kunden nicht gleichmig auf die vielen Unternehmen414. Sie konzentrieren sich auch nicht auf ein einziges Unternehmen415, sondern die Prferenzen der Kufer sind unterschiedlich auf die auf einem unvollkommenen Markt agierenden Unternehmen und ihre Produkte verteilt. Diese Sachverhalte und die mangelnde Markttransparenz regen Unternehmen mit polypolistischer Marktstruktur an, sich ihren eigenen Markt zu schaffen, ihren Absatzmarkt zu individualisieren. Soweit dies gelingt, verfgen Unternehmen im Polypol auf unvollkommenen Mrkten in einem bestimmten Bereich ber eine individuelle Preis-Absatz-Funktion.416 Die Gestalt und der Verlauf der Preis-Absatz-Funktion eines Unternehmens mit polypolistischer Marktstruktur auf unvollkommenen Mrkten sind von Gutenberg nher untersucht worden. Das Ergebnis seiner Analysen hat er in einer doppelt geknickten Preis-Absatz-Funktion zusammengefasst, die in Abbildung 33 wiedergegeben ist. Mit

414 Verteilten sich die Prferenzen gleichmig auf alle Unternehmen, htte man es mit einer 415 Wrden sich die Prferenzen der Kufer auf ein einziges Unternehmen konzentrieren, lge 416 Auf vollkommenen Mrkten sind smtliche Unternehmen mit der gleichen Preis-Absatz-

Polypolsituation auf einem vollkommenen Markt zu tun. eine Monopolsituation vor.

Funktion konfrontiert, und fr jedes der homogenen Gter gibt es eine einzige Preis-AbsatzFunktion.

181

Konkretisierung des konomischen Prinzips

ihr lassen sich unterschiedliche Marktunvollkommenheiten und die Marktpolitik von Unternehmen beschreiben.417

Abbildung 33:

Doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion

p
~ p A
p0

polypolistischer Abschnitt

monopolistischer Abschnitt

pu

D
X0
Xu

polypolistischer Abschnitt

X
Quelle: Gutenberg (1984) S. 247.

Bei der Ableitung der doppelt geknickten Preis-Absatz-Funktion ging Gutenberg von einer polypolistischen Marktstruktur aus, die Marktpreise liefert, die durch das freie Zusammenspiel der Marktteilnehmer zustande kommen. Darber hinaus werden zentrale Elemente des Modells des homo oeconomicus nicht aufgegeben, denn es wird angenommen, dass die Marktteilnehmer ihr Handeln nach dem konomischen Prinzip ausrichten und stabile Prferenzen besitzen. Haushalte (die Kunden der Unternehmen) versuchen ihren Nutzen zu maximieren, Unternehmen ihre Gewinne. Die doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion weist drei Intervalle auf: ein monopolistisches und zwei polypolistische. Der monopolistische Abschnitt wird durch die Schwellenpreise und von den oberen und unteren polypolistischen Abschnitten abgegrenzt. Der konkrete Verlauf der doppelt geknickten Preis-Absatz-Funktion hngt vom Verhalten der Kufer, der Absatzpolitik von Konkurrenzunternehmen, gesamtwirtschaftlichen und branchenbezogenen Entwicklungen sowie von der Geschichte des eigenen Unternehmens ab. Ganz wesentlich wird er aber bestimmt durch das zum
417 Vgl. Gutenberg (1984) S. 238-272. Polypolistische Konkurrenz auf unvollkommenen Mrkten

ist in der Praxis im Lebensmitteleinzelhandel, bei Textilien usw. anzutreffen.

182

Gewinnmaximierung in unterschiedlichen Marktformen

5.3

Einsatz gebrachte akquisitorische Potential des jeweiligen Unternehmens. Denn mit seinen absatzpolitischen Instrumenten kann das Unternehmen seinen Absatzmarkt individuell gestalten und so eine Bindung der Kufer an das eigene Unternehmen erreichen. Dabei geht es darum, Einfluss auf die Prferenzen der Kunden zu nehmen, so dass sie das eigene Unternehmen und seine Produkte gegenber anderen Unternehmen und deren Produkten prferieren (Prferenzpolitik). Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist die Bearbeitung des Marktes mit dem absatzpolitischen Instrumentarium.418 Hierzu zhlen nach Gutenberg Absatzmethode419, Preispolitik, Absatzwerbung sowie Produkt- und Sortimentsgestaltung. Meffert hat spter das absatzpolitische Instrumentarium differenzierter betrachtet. Sein System der Marketinginstrumente besteht aus: Produkt-Mix (Produktqualitt, Sortiment, Marke, Kundendienst), Kontrahierungs-Mix (Preis, Kredite, Rabatt, Skonto), Distributions-Mix (Absatzkanle, Logistik (Lagerung, Transport, Lieferzeit)) und Kommunikations-Mix (Public Relations, persnlicher Verkauf, Verkaufsfrderung, Werbung).420 Der abgestimmte Einsatz dieser Instrumente soll zu einer Optimierung der eigenen Preis-Absatz-Funktion fhren, um so einen preispolitischen Spielraum zu schaffen, innerhalb dem das jeweilige Unternehmen sich wie ein Monopolist verhalten kann. In Abbildung 33 ist der monopolistische Abschnitt der polypolistischen Absatzkurve durch den Kurvenabschnitt BC wiedergegeben. Innerhalb dieser selbstgeschaffenen Zone und ausschlielich in dieser Zone kann sich das Unternehmen wie ein Monopolist gebrden. Das bedeutet, innerhalb des Kurvenabschnitts BC der Preis-Absatz-Funktion ist kaum mit Reaktionen der Nachfrager auf Preisnderungen zu rechnen. Die Schwellenpreise und bestimmen die Grenzen des monopolistischen Bereichs der Absatzkurve. berschreitet das Unternehmen den oberen Schwellenpreis oder unterschreitet es den unteren Schwellenpries , dann wird die monopolistische Zone verlassen und das Unternehmen bewegt sich auf den polypolistischen sten (AB bzw. CD) seiner Preis-Absatz-Funktion, auf denen der Schutz, den die Kuferprferenzen bieten, nicht mehr gewhrleistet ist. Soweit Reaktionen und Anpassungsprozesse auf unvollkommenen Mrkten Zeit beanspruchen, fhrt z.B. eine Preisnderung nicht unmittelbar und sofort zu Kundenbewegungen von einem zum anderen Unternehmen. D. h., Unternehmen haben auf unvollkommenen Mrkten bei Preisnderung nicht sofort mit einer nderung ihrer Absatzmenge zu rechnen. Damit ist der Verlauf der polypolistischen Kurvenabschnitte der Preis-Absatz-Funktion nicht mehr, wie im Fall des Polypols auf einem vollkommenen Markt, parallel zur Abszisse (Mengenachse) darstellbar421, vielmehr werden die Preis-Absatz-Funktionen auf unvollkommenen Mrkten in ihren polypolistischen Intervallen steiler verlaufen. Im Vergleich zum Kurven418 Vgl. Gutenberg (1984) S. 7-9, ausfhrlich S. 104 ff. 419 Zur Absatzmethode zhlt Gutenberg das Vertriebssystem, die Absatzform (Verkauf durch

Angestellte, Reisende oder selbststndige Handelsvertreter), die Absatzwege (direkter Verkauf an Endverbraucher oder Einschaltung von Absatzmittler). 420 Zu Einzelheiten des von Meffert konzipierten Marketing-Mix, vgl. Meffert (2008) S. 397 ff. 421 Zum Verlauf der Preis-Absatz-Funktion im bilateralen Polypol auf vollkommenen Mrkten vgl. Abschnitt 5.3.2.

183

Konkretisierung des konomischen Prinzips

abschnitt des monopolistischen Bereiches verlaufen die Kurvenabschnitte der polypolistischen Bereiche hingegen flacher. Der Abstand zwischen den Schwellenpreisen und und der Verlauf der doppelt geknickten Preis-Absatz-Funktion ist nach Gutenberg abhngig von:422 der Kuferbindung an das Unternehmen, der Substituierbarkeit der angebotenen Gter, dem Grad an Markt- und Qualittstransparenz und dem des eigenen akquisitorischen Potenzials im Vergleich zu dem aller anderen Unternehmen.

Der Abstand zwischen dem unteren und oberen Schwellenpreis und ist umso grer und der Verlauf des Kurvenabschnitt BC umso steiler, je strker die Prferenzen der Kufer fr das eigene Unternehmen ausgeprgt sind, je weniger Substitute es auf dem Markt fr das eigene Produkt gibt, je intransparenter der Markt und die Produktqualitt sind und je strker das eigene akquisitorische Potenzial im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen ist. Ist das eigene akquisitorische Potential im Vergleich zu den Konkurrenzunternehmen sehr stark ausgeprgt, kann der monopolistische Bereich derart ausgedehnt werden, dass er auch Abschnitt AB der Preis-Absatz-Funktion mit einschliet. Verfgt dagegen das eigene Unternehmen im Vergleich zu den Konkurrenzunternehmen ber ein sehr schwaches akquisitorisches Potential, dann bewirken die Prferenzen fr andere Unternehmen, dass die Preis-Absatz-Funktion im Intervall CD relativ steil verluft, so dass Preissenkungen in diesem Bereich nur zu einer geringen Zunahme der Absatzmenge fhren. Haben smtliche Unternehmen ein schwaches akquisitorisches Potential, wird die Preis-Absatz-Funktion insgesamt relativ flach verlaufen. Die Gestalt der polypolistischen ste der Preis-Absatz-Funktion ist abhngig von der Geschwindigkeit, mit der Kufer auf Preisnderungen reagieren. Je hher die durchschnittliche Reaktionsgeschwindigkeit der Kufer ist, umso flacher wird die PreisAbsatz-Funktion in ihren polypolistischen Intervallen verlaufen. Da eine polypolistische Angebotsstruktur gegeben ist und somit die einzelnen Unternehmen nur ber eine begrenzte Kapazitt verfgen, wird das polypolistische Intervall CD nicht unbegrenzt nach rechts in Richtung Mengenachse ausgedehnt werden knnen. Der gewinnmaximale Preis und die gewinnmaximale Menge und damit das Gewinnmaximum lassen sich auf die gleiche Art und Weise bestimmen wie im Monopolfall.423 Auch fr Unternehmen, die im Polypol auf einem unvollkommenen Markt agieren, gilt die Regel: Das Gewinnmaximum ist bei der Absatzmenge erreicht, bei der gilt: Grenzumsatz = Grenzkosten.

422 Vgl. Gutenberg (1984) S. 154 ff. 423 Vgl. Abschnitt 5.3.4.

184

Marktmodelle und Unternehmenswirklichkeit

5.4

Ist die gewinnmaximale Absatzmenge ermittelt, kann mithilfe der Preis-AbsatzFunktion der gewinnmaximale Preis und der maximale absolute Gesamtgewinn errechnet werden. Bei den Berechnungen sind die einzelnen Intervalle der Absatzkurve zu betrachten. In der Regel liegen die gewinnmaximale Menge und der korrespondierende Preis im monopolistischen Intervall der Preis-Absatz-Funktion. Nur in seltenen Fllen, wenn der Abschnitt CD der Preis-Absatz-Funktion sehr flach verluft, kann es vorkommen, dass sich in diesem polypolistischen Kurvenabschnitt eine Absatzmenge findet, die die Realisation eines Gewinnmaximums sichert. Es wird, jedenfalls vom Umgang her, eine Ausbringungsmenge sein, die ein Unternehmen, das ja voraussetzungsgem nur mit einer relativ kleinen Produktionskapazitt ausgestattet ist, kaum in der Lage sein wird, ohne zustzliche Investitionen zu produzieren. Unvollkommenheiten des Marktes fhren dazu, dass die Marktpolitik eines Unternehmens breit gefchert auftritt. Sie besteht nicht mehr nur aus Mengen- und Preispolitik, sondern das gesamte Arsenal des Marketing-Mix kommt zum Einsatz, um die Unvollkommenheiten im eigenen Unternehmensinteresse zu nutzen und auszubauen. Mit dem Bemhen, den Markt zu gestalten, geht eine interne Differenzierung des Unternehmens einher. Spezialisierte Stellen und Abteilungen fr Vertrieb und Marketing knnen die Marktbearbeitung bernehmen. Kundencenter knnen Kunden, auch nachdem der Kauf gettigt wurde, weiter betreuen und eventuell auftretende kognitive Dissonanzen bearbeiten. Ein Netz aus Filialen kann die rumliche Distanz zwischen Kunden und Unternehmen verringern. All die aufgefhrten Organisationselemente und weitere gibt es auf vollkommen Mrkten nicht.

5.4

Marktmodelle und Unternehmenswirklichkeit

Die bisher angestellten Modellbetrachtungen haben neben dem einfachen UrsacheWirkungs-Denken eine spezifische Ausprgung dieser Denkform offengelegt, nmlich das Denken in Vernderungen, die Vernderungen bewirken. Es werden Gren verndert und danach gefragt, welche Vernderungen diese Vernderungen bei anderen Gren hervorrufen. Mathematisch gesprochen geht es um die Ermittlung von Differentialquotienten. Die durch die Vernderungen einer unabhngigen Variablen verursachten Zuwchse bzw. Abnahmen bei einer abhngigen Variablen werden in Modellen beschrieben. Diese Denkart ist nicht unrealistisch, sondern in der Unternehmenspraxis verbreitet. Viele unternehmerische Entscheidungen werden nicht auf der Basis absoluter Gren oder den Differenzen zwischen absoluten Gren getroffen, sondern beruhen auf den theoretisch beschriebenen Grenzwertbetrachtungen. Allerdings wird in der Unternehmenspraxis eine Konkretisierung des konomischen Prinzips in Form der Lsung einer Extremwertaufgabe kaum vorkommen, denn Gewinn- bzw. Rentabilittsmaxi-

185

Konkretisierung des konomischen Prinzips

mierung424 oder Kostenminimierung kann nur gelingen, wenn Annahmen bezglich des Informationsstandes und des Rationalverhaltens der Entscheidungstrger gemacht werden, die in der Realitt nicht vorliegen. U.a. impliziert die Planung eines Gewinnmaximums vollkommene Information des Entscheidungstrgers ber smtliche zuknftigen Handlungsmglichkeiten, die Gewinnmaximierung sichern. Im Unternehmensalltag ist schon diese Bedingung nicht erfllt. Darber hinaus bewirken in der Realitt ausgewhlte Handlungsprogramme nicht nur die beabsichtigten Wirkungen, sondern sie haben immer auch Nebenwirkungen, die nur zum Teil als Kosten, bei dem Versuch Gewinne zu erzielen, bercksichtigt werden, da nicht smtliche Interdependenzen bekannt sind. In realen Planungssituationen handeln Menschen, die sich durch beschrnktes Wissen und unzulngliche Fhigkeiten zum Lernen und Lsen von Problemen auszeichnen.425 Die Forderung, Gewinnmaximierung zu betreiben, ignoriert diese realistische Annahme und geht von Vorstellungen vom handelnden Menschen aus, die im Modell des homo oeconomicus zusammengefasst sind. Demgegenber sind reale Menschen nur mit begrenzter Denkfhigkeit und -kapazitt ausgestattet. Sie verhalten sich nicht vollstndig rational, sondern Rationalitt erscheint u.a. als begrenzte Rationalitt, als bounded rationality426. Im Unternehmensalltag geht es beim Wirtschaften also nicht primr um das Finden optimaler Lsungen, sondern um das Suchen von brauchbaren, anschlussfhigen und angemessenen Problemlsungen. Die Unternehmenspraxis strebt nach angemessenen Gewinnen. Aber auch bei der Planung eines angemessenen Gewinns bleiben zunchst offene Fragen, die, je nachdem wie sie beantwortet werden, unterschiedliche Verhaltensweisen der Unternehmen nach sich ziehen. Das betrifft die Zeitdauer und den Inhalt des angestrebten Gewinns. Abhngig davon, ob Unternehmen kurzfristige, mittelfristige oder auf die Lebensdauer des Unternehmens bezogene Gewinnerzielung anstreben, werden sich ihre Handlungsprogramme unterscheiden. Die unternehmenspolitische Ausrichtung ist auch abhngig von der jeweiligen Definition des Gewinninhalts. Wenn ein bestimmtes Gewinnniveau angestrebt wird, ist zu klren, ob ein absoluter Gewinn in seinen Ausprgungen Kapitalgewinn, kalkulatorischer Gewinn oder pagatorischer Gewinn die Zielgre darstellt oder ob eine relative Gewinnerzielung in Form unterschiedlicher Ausprgungen des Rentabilittsstrebens stattfinden soll. Auf der Betrachtungsebene der bisher vorgestellten Marktmodelle konkretisierte sich das konomische Prinzip in der Form, dass jenes Absatzprogramm (Absatzmengen der Produkte und ihre Absatzpreise) bestimmt wurde, welches sicherstellt, dass die
424 Im Fall der Rentabilittsmaximierung geht es um die Maximierung des Quotienten aus er425 Vgl. March/Simon (1976) S. 129 ff. Bei der Darstellung der verhaltenswissenschaftlichen 426 Das Konzept der bounded rationality bildet ein Gegenmodell zum homo oeconomicus, vgl.

zielbarem Gewinn und notwendigem Kapitaleinsatz.

Richtung des entscheidungsorientierten Ansatzes wird hierauf noch eingegangen.

Simon, H. A. (1982) und die Ausfhrungen zu der verhaltenswissenschaftlich orientierten Entscheidungstheorie in Abschnitt 8.3.2.2.

186

Wirtschaftlichkeit, Produktivitt und weitere Kriterien zur Beurteilung von Unternehmen

5.5

Differenz zwischen Erlsen und Kosten maximiert wird. Mit der Festlegung des gewinnmaximalen Absatzprogramms ist gleichzeitig die hierzu notwendige Produktion nach Art und Umfang fixiert. So knnen wirtschaftliche Betrachtungen, die diesen berlegungen vorgelagert sind, von gegebenen Produktions- und Absatzprogrammen ausgehen.

5.5

Wirtschaftlichkeit, Produktivitt und weitere Kriterien zur Beurteilung von Unternehmen

Wenn das Produktionsprogramm fixiert ist, muss jene Kombination von Produktionsfaktoren bestimmt werden, welche die geringsten Kosten verursacht. Die Kostentheorie bietet Modelle an, mit denen derartige Minimalkostenkombinationen ermittelt werden knnen. Das konomische Prinzip erscheint dann nicht als Maximal-, sondern als Minimalprinzip. Es geht dann darum, eine Komponente der Gewinnorientierung, nmlich die Wirtschaftlichkeit, nher zu betrachten. Gegenber dem konomischen Prinzip, das eine Handlungsnorm darstellt, ist die Wirtschaftlichkeit eine Kennzahl, mit der, genau wie mit den Gewinnkategorien, faktische Verhltnisse beschrieben werden. Von ihrer Architektur her beruht auch die Wirtschaftlichkeit auf einem Ursache-WirkungsDenken, das bereits, als es um die Darstellung der Rentabilittsrechnungen ging, nher beschrieben wurde. Im Fall der Kostenwirtschaftlichkeit wird das Leistungsprogramm, das zu erreichen ist, ins Verhltnis gesetzt zu den Kosten, die als urschlich fr die Bewirkung der Leistungen betrachtet werden:

Ist die Kostenwirtschaftlichkeit 1, so werden durch die Leistungen entweder die Kosten gedeckt oder es wird ein Gewinn erwirtschaftet. Ist der Quotient aus Leistungen und Kosten < 1, werden Verluste gemacht. Den Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen sind Produktivittsbetrachtungen vorgelagert. Sie werden in der Produktionstheorie angestellt. Whrend es in der Kostentheorie um die Analyse der Beziehung zwischen Output und Kosten geht, beschftigt sich die Produktionstheorie ausschlielich mit Mengenbeziehungen und technischen Verhltnissen zwischen Input- und Outputmengen. Die Produktionstheorie liefert der Kostentheorie das Mengengerst (Faktoreinsatzmengen) zur Bestimmung der Kosten. Das konomische Prinzip fordert fr den Bereich der Produktion hohe Produktivitt der Einsatzfaktoren. Unter Produktivitt wird das Verhltnis der gesamten Outputmengen zu den gesamten Inputmengen verstanden. Wenn die weiter oben eingefhrte Schreibweise zur

187

Konkretisierung des konomischen Prinzips

Kennzeichnung einer Produktionsfunktion genutzt wird, kann die Produktivitt mit dem folgenden Quotienten notiert werden:


Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Ermittlung einer Gesamtproduktivitt nicht mglich ist, denn im Allgemeinen sind sowohl die Produktionsfaktormengen als auch die Outputmengen unterschiedlich dimensioniert. Dies hat zur Folge, dass z.B. die Zusammenfassung von Arbeitsstunden, kg Schmiermittel, Anzahl der Schrauben und Meter an Stoff usw. aufgrund ihrer Ungleichnamigkeit genauso wenig mglich ist wie die Zusammenfassung der unterschiedlich dimensionierten Produktmengen eines Mehrproduktunternehmens. Da eine Gesamtproduktivitt nicht berechnet werden kann, beschrnkt man sich auf die Bestimmung von Teilproduktivitten. Der mengenmige Umfang einer einzigen Produktart wird lediglich auf einen einzigen an der Produktion beteiligten Produktionsfaktor bezogen. So ermittelt man beispielsweise die Arbeitsproduktivitt, indem die Ausbringungsmenge eines bestimmten Produkts (in Mengeneinheiten (ME) dimensioniert) ins Verhltnis zur Arbeitszeit (in Arbeitszeiteinheiten (AZE) dimensioniert) gesetzt wird, die aufgebracht werden muss, um die Ausbringungsmenge zu produzieren.

Der Produktionskoeffizient, die zweite Art der Messung von Produktivittsbeziehungen, ist definiert als reziproker Wert der Produktivitt:

Da es sich bei Produktivittskennziffern um reine Mengenrelationen handelt und daher die Menge einer Produktart ins Verhltnis zu der Einsatzmenge lediglich eines Produktionsfaktors gesetzt werden muss, obwohl im Allgemeinen eine Vielzahl von Produktionsfaktoren an der Produktion beteiligt sind, erkennt man die Problematik von Produktionskennziffern, nmlich eine Wirkung auf eine einzige Ursache zurckzufhren. An der Formel zur Berechnung der Arbeitsproduktivitt kann dies verdeutlicht werden. Wenn durch das Einbringen zustzlicher Maschinenzeit in den Produktionsprozess eine hhere Ausbringungsmenge realisiert wird, dann steigt unter sonst gleichen Umstnden die Arbeitsproduktivitt. Eine erhhte Arbeitsproduktivitt wird in diesem Fall, bei einseitiger Betrachtung der Kennziffer Arbeitsproduktivitt, dem Faktor Arbeit zugerechnet, obwohl die Ursache fr die Ertragssteigerung die zustzlich eingesetzte Maschinenzeit war. Gewinn, Wirtschaftlichkeit und Produktivitt sind ohne jede Frage zentrale Kategorien des Wirtschaftens. Mit dem Wunsch, Gewinne zu erzielen, wirtschaftlich und produktiv zu arbeiten ist allerdings nicht gleichzeitig die Erfllung des Wunsches verbunden. Trotz der Absicht, Gewinne zu machen, knnen Verluste eingefahren wer-

188

Wirtschaftlichkeit, Produktivitt und weitere Kriterien zur Beurteilung von Unternehmen

5.5

den. Die Realisation von Verlusten muss aber nicht das Ende eines Unternehmens bedeuten, besonders dann nicht, wenn sie lediglich sporadisch auftreten und fr zuknftige Geschftsjahre Gewinne zu erwarten sind, die einen Verlustausgleich garantieren. Der wirtschaftliche Tod eines Unternehmens tritt dann ein, wenn die Zahlungsfhigkeit verloren geht, wenn Unternehmen illiquide werden. Daher findet sich in der Unternehmenspraxis auch keine ausschlieliche Konzentration auf Gewinnerzielung, Wirtschaftlichkeit und Produktivitt, sondern die Unternehmenspraxis handelt nach dem Motto: Liquiditt geht vor Rentabilitt, denn wer nicht zahlen kann, wird von der Wirtschaft vergessen. Mit Liquidittskennzahlen, die aus Bilanzen der Unternehmen abgeleitet werden, versuchen Unternehmen, ihre Fhigkeit, Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, zu dokumentieren. Es kann eine statische von einer dynamischen und eine absolute von einer relativen Liquiditt unterschieden werden. Ein Beispiel fr eine absolute und gleichzeitig statische Liquidittskennzahl ist die so genannte Barliquiditt. Sie wird als Differenz zwischen liquiden Mitteln und kurzfristig (< ein Jahr) zur Verfgung gestelltem Fremdkapital ermittelt. Ist die Barliquiditt 0, dann ist Zahlungsfhigkeit sichergestellt. Eine relative und statische Liquidittskennzahl ist mit dem so genannten Liquidittsgrad 1 bestimmt. Er wird als Quotient von liquiden Mitteln und kurzfristigem Fremdkapital gebildet. Errechnet sich ein Wert des Liquidittsgrades 1, der 1 ist, kann davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Bei der Ableitung dynamischer Liquidittskennzahlen werden die Vernderungen z.B. der liquiden Mittel ber einen Zeitraum beobachtet bzw. ihre Gre an zwei Zeitpunkten miteinander verglichen. Ein Finanzplan leistet genau das. Hierbei geht es darum, im Vorhinein sicherzustellen, dass Unternehmen zu jedem Zeitpunkt ber gengend Zahlungsmittel verfgen, um die eingegangenen Verpflichtungen zu erfllen. Zahlungsunfhigkeit entsteht, wenn eine Investition gettigt wird, im Umfang der hierzu ntigen Ausgabe. Insofern ist Zahlungsunfhigkeit eine Voraussetzung, um berhaupt Gewinne machen zu knnen. Die Zahlungsunfhigkeit in Hhe der gettigten Investitionsausgabe wird in Kauf genommen, wenn die in Zukunft erwartete Differenz zwischen abdiskontierten Einnahmen- und Ausgabenstrmen positiv ist. Denn dann kann von Gewinnerzielung (in seiner pagatorischen Form) ausgegangen werden. Gewinnerzielung wiederum ist Voraussetzung fr Zahlungsfhigkeit. Gewinnerzielung und Zahlungsunfhigkeit begrnden sich also wechselseitig. Diese Zirkularitt hat nicht unbedingt ein harmonisches Verhltnis des Strebens nach Liquiditt und Gewinn zur Folge. Jedenfalls ist auf kurze Sicht hufig die Verfolgung dieser Ziele nicht unbedingt konfliktfrei mglich. Wer ausschlielich Gewinnerzielung (bzw. Gewinnmaximierung) als Unternehmensziel postuliert, der verkennt diesen Sachverhalt. Mit Einkommens-, Gewinn-, Wirtschaftlichkeits-, Produktivitts- und Liquidittsbetrachtungen werden wirtschaftliche Handlungen von und in Unternehmen beurteilt und begrndet. Weitere Kriterien zur Beurteilung von Unternehmen und zur Fundierung unternehmerischer Entscheidungen werden u.a. in Form von Bilanzkennziffern
189

Konkretisierung des konomischen Prinzips

aus Unternehmensbilanzen abgeleitet. Sie werden zur weitergehenden Unternehmensanalyse genutzt.427 Eine wichtige Bilanzkennzahl ist die Eigenkapitalquote. Sie wird als Quotient aus Eigen- und Gesamtkapital gebildet und drckt somit den Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital aus. Sie stellt einen Indikator fr die finanzielle Stabilitt eines Unternehmens dar. Besonders Banken beobachten die Entwicklung der Eigenkapitalquote von Unternehmen, denn eine niedrige Eigenkapitalquote signalisiert fr den Anleger ein hohes Risiko. Je hher die Eigenkapitalquote, umso grer sind die Mglichkeiten, Verluste auszugleichen. Eine besonders hohe Eigenkapitalquote kann andererseits auf mangelnde Investitions- und Wachstumsbereitschaft eines Unternehmens hinweisen. Die Eigenkapitalquote der mittelstndischen Wirtschaft in Deutschland steigt seit dem Jahr 2004 kontinuierlich an.428 Diese Entwicklung wird u.a. auf die verschrften Richtlinien bei der Vergabe von Krediten zurckgefhrt (Basel II).429 Beim internen Rating nach Basel II spielt die Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens eine groe Rolle. Mit den Regeln von Basel II sollten die Sicherung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung von Banken und die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen sowohl fr die Kreditvergabe als auch fr den Kredithandel erreicht werden. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das Regelwerk von Basel II nicht ausreichte, Banken auf eine angemessene Eigenkapitalausstattung hin zu orientieren. Der Mittelstand beklagt, dass seine Besonderheiten im Vergleich zu groen Unternehmen nicht gengend bercksichtigt wurden und in der andauernden Finanzkrise Banken bei der Vergabe von Krediten kleine und mittelgroe Unternehmen gegenber Grounternehmen mit Verweis auf Basel II benachteiligen.

427 Die weiter oben vorgefhrten Liquidittskennzahlen sind ebenfalls derartige Bilanzkennzif428 Vgl. Deutscher Sparkassen- und Giroverband (2007) S. 36 ff. 429 Mit dem Krzel Basel II wird ein Regelwerk bezeichnet, das auf Richtlinien und Empfehlun-

fern.

gen beruht, die vom Basler Ausschuss fr Bankenaufsicht entwickelt wurden. Der Basler Ausschuss wurde 1974 von den Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehrden der G-10Staaten gegrndet. Mittlerweile gehren ihm eine Reihe weiterer Mitglieder an. Die vom Ausschuss erarbeiteten Regeln zur Eigenkapitalausstattung, Bankenaufsicht und Offenlegung von Informationen sind entsprechend der EU-Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG in allen Mitgliedsstaaten der Europischen Union fr alle Kredit- und alle Finanzdienstleistungsinstitute in nationales Recht umgesetzt worden und sollen seit dem 1. Januar 2007 angewandt werden. In Deutschland geschieht dies durch das Kreditwesengesetz (KWG), die Solvabilittsverordnung (Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen zur Konkretisierung der 10 ff. KWG) und die Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Kreditinstitute (Schreiben der Bundesanstalt fr Finanzdienstleistungsaufsicht zur Konkretisierung des 25a KWG).

190

Zeit und Unsicherheit bei der Einkommens- und Gewinnerzielung

5.6

5.6

Zeit und Unsicherheit bei der Einkommensund Gewinnerzielung

Wer Einkommen bzw. Gewinn erzielen bzw. verwenden mchte, kann auch durch die Anwendung der in den vorhergehenden Abschnitten vorgestellten Berechnungs-, Bewertungs- und Planungsinstrumente zwei Sachverhalte nicht aus der Welt schaffen. Gemeint ist die Unsicherheit, die als Abwesenheit von Sicherheit zu verstehen ist430 und das ungleich verteilte Wissen, Knnen und Wollen der Menschen.431 Allein die Tatsache der zeitlichen Extension menschlichen Lebens begrndet Unsicherheit. Erst sie macht wirtschaftliches Handeln mglich und ntig. Unsicherheit ist ein stndiger Begleiter des wirtschaftlichen Handelns. Es ist insbesondere Carl Menger, der frhzeitig verdeutlicht, dass Zeit und Unsicherheit konstitutiv fr Wirtschaften sind.432 Bereits die Produktion von Gtern, als eine Vorbedingung der Einkommens- bzw. Gewinnerzielung, bentigt Zeit. Die zeitliche Distanz zwischen der Produktion der Gter und ihrer Konsumtion ist durch keine, wie auch immer geartete Manahme aufzuheben. Menger drckt diese Tatsache mit seinem Konzept der Gterordnung aus. Dabei versteht er unter Gter niedrigster Ordnung (erster Ordnung) Gter, die zur unmittelbaren Bedrfnisbefriedigung eingesetzt werden, und unter Gter hherer (zweiter, dritter usw. Ordnung) Gter, die der mittelbaren Bedrfnisbefriedigung dienen, also Inputgter eines mehrstufigen Produktionsprozesses sind. Menger schreibt, [...] eines ist sicher, dass der Zeitraum, welcher zwischen der Verfgung ber Gter hherer Ordnung und jener ber die entsprechenden Gter niederer Ordnung liegt, niemals vllig beseitigt erscheint.433 Erst die zeitliche Distanz von Produktion und Konsumtion verleiht den zur Produktion von Gtern notwendigen Produktionsfaktoren ihre wirtschaftliche Qualitt. Gter hherer Ordnung werden hierdurch zu konomischen Sachverhalten. Auch bei genauer Kenntnis von Art und Menge der zur Verfgung stehenden Produktionsfaktoren und der Produktionstechnik bleibt das Ergebnis des Produktionsprozesses in hohem Grade unsicher. Mit Zeit und Unsicherheit sind nicht nur die bereits angesprochenen wirtschaftlichen Phnomene durchdrungen. Auch bei Problemen der Kapitalbildung434, der Lagerhaltung, der Spekulation, der Bercksichtigung von Geldwertschwankungen in Bilanzen, des Einflusses von Konjunktur und Wachstum auf unternehmerische Entscheidungen usw. ist eine Reprsentation der Zeit und damit der Unsicherheit unabdingbar. Whrend bei Menger Wirtschaften sich primr an einer problematischen Zeitdimension orientiert, steht im Rahmen neoklassischer mikrokonomischer Analysen, deren
430 Bei der Darstellung des entscheidungstheoretischen Ansatzes in Abschnitt 8.2.1 werden die 431 432 433 434

Begriffe Sicherheit, Unsicherheit und Unwissen eingehend erlutert. Vgl. Schneider (1993) S. 23 ff. Vgl. Menger (1968) besonders das Kapitel Zeit-Irrtum, S. 21-26. Menger (1968) S. 23. Zum Mengerschen Konzept der Gterordnungen vgl. ebenda, S. 8 ff. Kapitalbildung ist in der Begrifflichkeit Mengers, die gegenwrtige Verfgung ber Gter hherer Ordnung fr kommende Zeitrume. Vgl. Menger (1968) S. 129 ff.

191

Konkretisierung des konomischen Prinzips

grundlegender Aufbau mit Marktmodellen (vgl. Abschnitt 5.3.2 bis 5.3.5) skizziert wurde, die sachliche Allokation knapper Ressourcen auf alternative Verwendungsrichtungen im Mittelpunkt des wirtschaftswissenschaftlichen Interesses. Zwar versuchen Autoren neoklassischer Prgung, insbesondere Arrow und Debreu, ihre auf die Sachdimension bezogenen Analysen ber die Zeitindizierung von Gtern und Prferenzen auf die Zeitdimension auszudehnen435, letztlich bleiben sie aber in einer zeitlosen Welt gefangen. Mit der Zeitindizierung werden allerdings zumindest die Wissensanforderungen in Bezug auf zuknftige Datenkonstellationen herausgestellt. Das Problem einer gegenwrtig als unsicher erlebten Zukunft und Mglichkeiten ihrer Entproblematisierung wird damit allerdings nicht aufgezeigt, denn im Zeitablauf knnen in neoklassischen Modellen nur Erwartungen (ausgedrckt durch am Anfang der Betrachtungsperiode abgeschlossene und aufeinander abgestimmte Vertrge) durch entsprechende Leistungen (vertragsgeme Lieferungen) erfllt werden. Somit sind Markttransaktionen nur zu Periodenbeginn mglich und werden nur zu diesem Zeitpunkt vertragsgem vollzogen. Genau wie Menger und in Abgrenzung zu den Annahmen der neoklassischen Marktmodelle betont von Hayek, da alle wirtschaftlichen Probleme durch unvorhergesehene nderungen hervorgerufen werden, die Anpassungen erfordern436. In der Lsung dieser Probleme sieht er die eigentliche Funktion der Wirtschaft. Es sind insbesondere Fragen des Unwissens, denen von Hayek nachgeht. Unwissen bedeutet, dass Ereignisse und ihre Folgen vollstndig unbekannt, also nicht einmal der Art nach bekannt sind. Neben wirtschaftlichen Problemen, die mit dem Unwissen zusammenhngen, beschftigte sich von Hayek mit den konomischen Folgen der Aufteilung von Wissen zwischen den konomischen Akteuren, dem zweiten Sachverhalt, der als konstitutiv fr wirtschaftliches Handeln herausgestellt wurde. Gerade das an das Individuum gebundene Wissen um die besonderen Umstnde von Ort und Zeit, das immer nur ein unvollstndiges sein kann, lsst, durch eine unsichere Zukunft hervorgerufen, Probleme in der Sozialdimension aufscheinen, die durch das Einrichten von Institutionen (sozialen Systemen) entschrft werden knnen. Auf das Dauerproblem der doppelten Kontingenz bzw. des Gefangenendilemmas sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen, denn mit der Etablierung von Institutionen wird zwar einerseits Unsicherheit reduziert, indem sie den Handlungsraum der Wirtschaftssubjekte beschrnken, Unsicherheit wird hierdurch aber nicht vernichtet, sozusagen in Sicherheit berfhrt. Auf jeden Fall ist mit dem Hinweis auf Institutionen immer auch die zeitliche Dimension des Wirtschaftens angesprochen, denn die Entwicklung, Einrichtung, Unterhaltung und berwachung von Institutionen beanspruchen Zeit. Soweit in der konomischen Theorie institutionelle Betrachtungen stattfinden, ist damit gleichzeitig die Unsicherheit als konstitutives Element des Wirtschaftens und als der wesentliche
435 Vgl. Arrow/Debreu (1954), Debreu (1959), Arrow/Hahn (1971). 436 von Hayek (1952) S. 133 sowie S. 109.

192

Zeit und Unsicherheit bei der Einkommens- und Gewinnerzielung

5.6

Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Analysen anerkannt.437 Damit wird nicht mehr die Knappheit der Gter als das Grundproblem der Wirtschaft begriffen, sondern die Verringerung der Unsicherheit und der Ungleichverteilung des Wissens, Knnens und Wollens im Wirtschaftsleben.438 Nach dieser Auffassung hat sich die Betriebswirtschaftslehre mit Institutionen zur Verringerung von Einkommensunsicherheiten zu befassen. Zu solchen Institutionen zhlen Unternehmen, Verwaltungen, Mrkte, Handelsbruche, Vertrge, Kooperationen, berufsstndische Organisationen usw. Wirtschaften wird als ein Element verstanden, das jeder menschlichen Ttigkeit zukommt, wenn sie zur Einkommenssicherung bzw. zur Verringerung von Einkommensunsicherheiten vollzogen wird.439 Auch der in Abschnitt 4.1.4 entwickelte Planungsbegriff bestimmt Unsicherheit als das grundlegende Problem allen Wirtschaftens. Die Sichtweise, dass es zunchst die Unsicherheit ist und nicht die Knappheit der Gter, die als Problemformel des Wirtschaftens zu betrachten ist, mit der sich die Wirtschaftswissenschaft auseinanderzusetzen hat, wird auch durch die im Folgenden zu behandelnde Bedrfnis- und Gterkategorie weiter besttigt.

437 Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass sowohl im liberalen Denken von Hayeks und

(weniger stark ausgeprgt) in der Ordnungstheorie Euckens wie auch bei Marx Institutionen (Marx nennt sie Produktionsverhltnisse) wirtschaftliches Handeln bestimmen. Auch die Organisationstheorie, die Neue Institutionenkonomik und die neuere Systemtheorie bauen im Hinblick auf unsichere Voraussicht und institutionelle Arrangements ihr Forschungs- und Lehrgebiet aus. In Teil III dieses Lehrbuchs wird hierauf noch einzugehen sein. 438 Vgl. Schneider (1993) S. 1 ff. 439 Vgl. statt anderer Schneider (1993) S. 6 ff.

193

Bedrfnisse und Bedrfnisbefriedigung

6.1

6 Bedrfnisse, Gter, Haushalte,


Betriebe und Unternehmen

Neben dem konomischen Prinzip werden Bedrfnisse und Gter als zentrale Kategorien herangezogen, um den Wirtschaftsbegriff zu bestimmen. Die Betriebswirtschaftslehre vermittelt die Vorstellung, dass Gter eingesetzt werden, um Bedrfnisse zu befrieden. Dabei wird unterstellt, dass Gter in Unternehmen produziert werden und Haushalte sowie die in ihnen zusammengefassten Wirtschaftssubjekte sie konsumieren. Den Fragen, die mit Bedrfnissen und ihrer Befriedigung, mit Gtern und ihrer Produktion und den Mglichkeiten der Klassifikation von Wirtschaftseinheiten in Zusammenhang stehen, sind die folgenden Abschnitte gewidmet.

6.1

Bedrfnisse und Bedrfnisbefriedigung

In den folgenden Abschnitten geht es darum, den Bedrfnis- und Motivationsbegriff inhaltlich zu bestimmen, eine von Abraham Harold Maslow (1908-1970) vorgeschlagen Systematik von Bedrfnissen vorzustellen und auf alternative Gliederungsmglichkeiten hinzuweisen. Nachdem dies geleistet ist, wird verdeutlicht, dass es beim Wirtschaften nicht einfach um Bedrfnisbefriedigung geht, sondern um eine spezifische Form der Bedrfnisbefriedigung, die das Zeitelement bercksichtigt.

6.1.1

Bedrfnisse, Motive und ihre Klassifikation

Die Betriebswirtschaftslehre versteht unter Bedrfnissen Wnsche. Es sind Wnsche, die ein Gefhl des Mangels wiedergeben. Instinkte und Triebe werden als primre Bedrfnisse bezeichnet und von sekundren Bedrfnissen unterschieden.440 Whrend primre Bedrfnisse genetisch determiniert bzw. angeboren sind und damit biologischen Vorgngen unterliegen, sind sekundre Bedrfnisse erlernt und gesellschaftlich geformt, also abhngig vom sozialen Umfeld, in dem der Mensch lebt. Bedrfnisse werden durch innere oder uere Anreize ausgelst. Solange ein Mangelempfinden besteht, motivieren Bedrfnisse zu Handlungen. Bedrfnisse sind somit den Motiven vorgelagert. Abgeleitet von dem lateinischen Wort movere (= bewegen) wird der Begriff Motivation (Menge von Motiven) im Sinne von Beweggrnde menschlichen Handelns
440 Vgl. Staehle (1999) S. 147. Hier findet sich auch seine Kritik an der Unterscheidung von pri-

mren und sekundren Bedrfnissen.

195
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_7, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

definiert. Von Motiven spricht man, wenn zu den Gefhlen des Mangels die Bereitschaft zur Beseitigung dieses Mangels hinzutritt und Bedrfnisbefriedigung erwartet werden kann. Erst wenn Mangelgefhle und die Erwartung sie beseitigen zu knnen, also Bedrfnisbefriedung zu erreichen, eine gewisse Ausprgung annehmen, wird ein Antrieb zum Handeln begrndet, der zu einem zielgerichteten, bedrfnisbefriedigenden Verhalten fhrt. Diese Zusammenhnge sind im Begriff Motivation zusammengefasst. Mit der Frage, was im Menschen Verhalten erzeugt und wie ein bestimmtes Verhalten hervorgebracht sowie verndert wird, und wie es beeinflusst werden kann, befassen sich Motivationstheorien.441 Weite Teile betriebswirtschaftlicher Lehrtexte greifen auf Vorstellungen zurck, die der Psychologe Maslow entwickelt hat. Maslow unterscheidet verschiedene Bedrfnisschichten und bringt sie in eine hierarchische Ordnung442, die er mit einer Bedrfnispyramide darstellt.443 Er unterscheidet die folgenden fnf Bedrfnisschichten: physiologische Bedrfnisse Sicherheitsbedrfnisse soziale Bedrfnisse Bedrfnisse nach Selbstachtung und Anerkennung durch andere Bedrfnisse nach Selbstverwirklichung

Die ersten zwei Bedrfniskategorien werden in betriebswirtschaftlichen Fachbchern unter dem Begriff der Existenzbedrfnisse zusammengefasst. Existenzbedrfnisse sind unbedingt zu befriedigen, denn erst ihre Erfllung sichert das berleben des Menschen. Der Wunsch nach Nahrung, Behausung, Kleidung, Schlaf, Sexualitt sowie Schutz vor physischen Gefahren, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Zukunftsvorsorge sind derartige Existenzbedrfnisse. Nachdem die physische und psychische Existenz gesichert ist, beeinflussen in immer strkerem Mae die sozialen Bedrfnisse das menschliche Handeln. Damit sind Bedrfnisse nach Liebe, Zrtlichkeit, nach Zugehrigkeit zu einer Gruppe, nach Freundschaft, Bildung, Reisen, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen angesprochen. Die Betriebswirtschaftslehre bezeichnet derartige Bedrfnisse als Grundbedrfnisse. Schlielich treten intellektuelle und sthetische Bedrfnisse der vierten und fnften Bedrfnisschicht in den Vordergrund. Diese hochgelegenen Bedrfnisschichten verlangen danach, die eigenen Mglichkeiten und Fhigkeiten aus441 Motivationstheorien sind insbesondere fr die Lehre von der Unternehmensfhrung rele442 Schon vor Maslow wurden Bedrfnisklassifikationen vorgenommen. Eduard Spranger (1882-

vant. In Abschnitt 8.3.1.3 werden unterschiedliche Motivationstheorien vorgestellt.

1963), stellt bereits 1914 eine Wertpyramide vor. Spranger unterscheidet: a) wirtschaftliche Grundbedrfnisse von b) theoretischen, sthetischen, sozialen und politischen Bedrfnissen und diese von c) religisen Motiven. Der Mensch strebt, so Spranger, nach der Seligkeit des gesamten Daseins und nach geistiger Erfllung, vgl. Staehle (1999) S. 169. 443 Vgl. Maslow, A. H. (1977) S. 35 ff. Die Maslowsche Motivationstheorie ist nicht die einzige aber eine prominente Theorie, die in der Betriebswirtschaftslehre zur Erklrung von Motivationsstrukturen Anwendung findet.

196

Bedrfnisse und Bedrfnisbefriedigung

6.1

zuschpfen und auszubauen sowie durch andere anerkannt zu bekommen. Handlungen werden an dem Bedrfnis nach Geltung der eigenen Leistung, nach Status und Prestige ausgerichtet. Bedrfnisse nach Kompetenz, Verstehen und Einsicht mchten verwirklicht werden. Die Betriebswirtschaftslehre setzt diese Bedrfnisse mit dem Wnschen nach Befriedigung von Luxusbedrfnissen gleich. Die Villa im Tessin, der Drittwagen, die haute couture, die Mahagonimbel, das Gemlde eines bekannten Malers sind in der Lage, Luxusbedrfnisse zu befriedigen. Auch das von Maslow 1970 zustzlich in seine Bedrfnispyramide aufgenommene Bedrfnis nach Transzendenz, womit die Suche nach Gott oder nach etwas, das nicht beobachtet werden kann und ber allem anderen steht, gemeint ist, wird von der Betriebswirtschaftslehre in die Kategorie Luxusbedrfnis aufgenommen. Die Einordnung eines Bedrfnisses in die Kategorien Grund- und Luxusbedrfnis ist nicht eindeutig und fr immer gltig, sondern abhngig von Zeit, Ort, Kultur und Gesellschaft. Zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen und in anderen Gesellschaftsformationen werden ehemalige Luxusbedrfnisse zu Grundbedrfnissen und umgekehrt. Abbildung 34: Bedrfnispyramide nach Maslow

Bedrfnis nach Selbstverwirklichung Bedrfnis nach Selbstachtung und Anerkennung durch andere Soziale Bedrfnisse Sicherheitsbedrfnisse Physiologische Bedrfnisse

Luxusbedrfnisse

Grundbedrfnisse Existenzbedrfnisse

Maslow unterstellt, dass die auf der Bedrfnispyramide hher angesiedelten Bedrfnisse erst zu Handlungszielen (Motiven) und damit verhaltensrelevant werden, wenn die jeweils vorgeordneten Motive entsprechend dem Anspruchsniveau des Individuums verwirklicht sind. Das Maslowsche Motivationsmodell geht davon aus, dass Motive Beweggrnde des Handelns sind. Die Neurobiologie relativiert diese Sichtweise, indem sie erklrt, dass

197

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

der Mensch hufig nachtrglich Motive fr etwas erfindet, was er getan hat.444 Diese neurobiologische Einsicht kehrt das von Maslow behauptete Wirkungsverhltnis um, denn es wird behauptet, dass nicht Motive das Handeln begrnden, sondern dass, nachdem gehandelt wurde, Motive erst beschafft werden.445 Neben der Klassifikation von Bedrfnissen in Form einer Bedrfnispyramide werden in der Betriebswirtschaftslehre weitere Gliederungsmglichkeiten von Bedrfnissen angeboten. Es werden materielle von immateriellen, Individual- von Kollektivbedrfnissen446 und intrinsische von extrinsischen Bedrfnissen unterschieden. Intrinsisch motivierte Menschen beziehen ihre Befriedigung aus der Bearbeitung einer Aufgabe selbst. Sie sind von der Arbeit an der Lsung eines Problems fasziniert, whrend extrinsisch Motivierte mehr aus den Umstnden, unter denen gearbeitet wird, insbesondere aus der Bezahlung fr ihre Arbeit Befriedigung erfahren. ber die genannten Bedrfnisklassifikationen hinaus kennt man die Einteilung in offene und latente Bedrfnisse. Offene Bedrfnisse werden bewusst wahrgenommen und sind gegenwrtig wirksam. Demgegenber stellen latente Bedrfnisse unbewusste Wnsche dar. Marketingaktivitten und die Beseitigung von Informationsdefiziten knnen latente Bedrfnisse wecken und in offene Bedrfnisse berfhren. Sind Bedrfnisse mit Kaufkraft ausgestattet, werden sie als Bedarf oder als Nachfrage bezeichnet. In wirtschaftswissenschaftlichen Lehrtexten werden Bedrfnisse mit Nutzenfunktionen dargestellt, und aus ihnen werden Nachfragefunktionen abgeleitet. Den Nachfragefunktionen werden Angebotsfunktionen gegenbergestellt. Sie basieren auf Kostenfunktionen, hinter denen sich Produktionsfunktionen verbergen. Nachfrage und Angebot werden ber den Markt-Preis-Mechanismus zum Ausgleich gebracht. Die angesprochenen funktionalen Beziehungen sind in einschlgigen Lehrbchern nachzulesen, auf die an dieser Stelle verwiesen sei.447

444 Vgl. Singer (2003) S. 56. 445 Diese Einsicht hat Barnard bereits 1938. Er schreibt: Motive sind psychische Faktoren [],

sie werden aus den Handlungen, das heit nachtrglich erschlossen. [] In der Regel wird das, was ein Mensch wnscht, sogar fr ihn selbst nur verstndlich durch das, was er tut oder zu tun versucht, vorausgesetzt, es besteht die Mglichkeit zu selektivem Handeln. Barnard (1970) S. 27. 446 Diese Unterscheidungen werden bei der Behandlung der Gterklassifikationen nher erlutert, vgl. Abschnitt 6.2.2. 447 Zur Darstellung von Nutzen-, Produktions- und Kostenfunktionen, vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 4.1 und Abschnitt 5.3.2. Zur Ableitung von Nachfragefunktionen aus Nutzenfunktionen und von Angebotsfunktionen aus Kostenfunktionen sowie zur Darstellung der Marktkoordination, vgl. statt anderer Schumann/Meyer/Strbele (1999) S. 41 ff., S. 121 ff. und S. 207 ff.

198

Bedrfnisse und Bedrfnisbefriedigung

6.1

6.1.2

Zeitdimension der Bedrfnisbefriedigung

Wirtschaften kann nicht gleichgesetzt werden mit der Befriedigung materieller (im Sinne physischer und organischer) Bedrfnisse menschlichen Daseins448. Die Anmerkung, Bedrfnisse seien nicht auf materielle Gter an sich gerichtet, sondern sie zielten vielmehr auf Nutzleistungen, die Gter durch Be- und Verarbeitung sowie Verbrauch in der Lage sind zu stiften,449 hilft bei der Bestimmung von wirtschaftlichem Handeln auch nicht viel weiter. Darber hinaus ist zu beachten, dass die Bedrfnisse des Menschen von der ihn umgebenden Gesellschaft, besonders auch von der Wirtschaft selbst beeinflusst werden. Es sind also nicht nur triebgesteuerte, in der Natur des Menschen wurzelnde Bedrfnisse, die den Wirtschaftsablauf steuern,450 sondern umgekehrt ist es der Wirtschaftsablauf, der die Bedrfnisse mitbestimmt. Luhmann formuliert extrem: Die Wirtschaft folgt nicht einer immanenten Logik des Bedarfs, sondern der Bedarf einer immanenten Logik der Wirtschaft.451 Insofern sind Bedrfnisse auch als Artefakte zu betrachten.452 Gerade im Vordringen des Marketinggedankens in der Unternehmenspraxis und -theorie zeigt sich der Versuch, eine systematische Verhaltensbeeinflussung der Nachfrager zu erreichen453, um dann allerdings auf diese wirtschaftsintern erzeugte Vernderung der Bedrfnisse bedrfnisbefriedigend reagieren zu knnen. Auch mit dem Hinweis, beim Wirtschaften gehe es um die Verwendung knapper Mittel zur Bedrfnisbefriedigung, ist das Wirtschaften nicht ausreichend bestimmt, denn bei fast allen menschlichen Ttigkeiten und in allen sozialen Systemen geht es um die Verwendung von knappen Mitteln, um Bedrfnisse zu befrieden. Wenn es bei den meisten menschlichen Ttigkeiten um die Befriedigung von Bedrfnissen geht, dann kann das Wirtschaften sich von anderen Ttigkeiten nur unterscheiden, wenn es eine spezifische Form der Behandlung menschlicher Bedrfnisse herausbildet. Die spezifisch wirtschaftliche Form der Bedrfnisbefriedigung besteht darin, zuknftige Bedrfnisbefriedigung gegenwrtig zu sichern.454 Bei der Herausarbeitung der spezifisch wirtschaftlichen Form der Bedrfnisbehandlung muss somit das Zeitelement bercksichtigt werden. Die Zeitdimension und damit Unsicherheit, die bereits bei der Behandlung der Einkommens- und Gewinnerzielung als problematisch herausgestellt wurde, tritt mit diesen berlegungen noch einmal in den Vordergrund.

448 Vgl. Luhmann (2005c) S. 455. 449 Vgl. statt anderer Hensel (1979), S. 1 f. 450 Karl Menger sah die menschlichen Bedrfnisse noch im Wesentlichen in natrlichen Trie451 Luhmann (2005a) S. 261. 452 Diese Erkenntnis schliet natrlich nicht aus, fr bestimmte konomische Analysen Bedrf453 Das schreibt der Marketing-Papst Meffert bereits 1977, vgl. Meffert (1977), S. 34. 454 Diese Ansicht vertritt auch Luhmann, vgl. Luhmann (2005c) S. 456.

ben begrndet und abstrahierte somit von der gesellschaftlichen Bedrfnisbedingtheit.

nisse als exogene Daten zu setzen.

199

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

Man kann sich wiederum auf Carl Menger berufen, der vor 140 Jahren bereits den Sachverhalt der Zeitbedingtheit von Bedrfnissen verdeutlicht, indem er hervorhebt: Die Sorge der Menschen fr die Befriedigung ihrer Bedrfnisse wird [] zur Vorsorge fr die Deckung ihres Bedarfs an Gtern fr kommende Zeitrume.455 Dabei ist fr Menger der zuknftige Bedarf, dessen Befriedigung gegenwrtig zu sichern ist, im Vorhinein nicht vollstndig spezifizierbar. Nun lehrt uns aber die Erfahrung, dass es mit Rcksicht auf kommende Zeitrume nicht selten mehr oder minder ungewiss ist, ob sich gewisse Bedrfnisse innerhalb derselben berhaupt geltend machen werden.456 Menger verdeutlicht, dass die gegenwrtige Unsicherheit ber zuknftige Bedrfnisse sich sowohl auf die Bedrfnisart, wie deren quantitativer Ausprgung, als auch auf die Herausbildung vollstndig neuer Bedrfnisse bezieht.457 Damit ist herausgestellt, dass das Unsicherheitsmoment schon bei der Bedrfnisbestimmung, also in einer Phase, in der die Ziele des Wirtschaftens festgelegt werden, zum Tragen kommt, und nicht erst bei der Bestimmung des Mitteleinsatzes (um Ziele zu erreichen) oder bei der Bestimmung und Vermarktung der Produktionsergebnisse.

6.2

Gterklassifikationen, Aspekte der Gterproduktion und Gterknappheit

Gter zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Lage sind, demjenigen einen Nutzen zu stiften, der sie konsumiert, sie verarbeitet oder bearbeitet. Neben Bedrfnissen nehmen Gter eine zentrale Stellung bei der Definition des Wirtschaftens ein. Dabei werden nicht smtliche Gter in die Begriffsbestimmung mit aufgenommen. Mit freien Gtern muss nicht gewirtschaftet werden, auch wenn sie Bedrfnisse befriedigen und Nutzen stiften, denn sie stehen in ausreichendem Umfang zur Verfgung. Bei Wirtschaftsgtern sieht dies anders aus. Sie sind ein Gegenstand des Wirtschaftens. Dieser Sachverhalt wird im folgenden Abschnitt begrndet und nher ausgefhrt.

6.2.1

Wirtschaftsgter und freie Gter

Wirtschaftsgter sind knappe Gter, die in der Lage sind, einen Nutzen zu stiften. Nur wenn zu diesen zwei Charakteristika noch ein weiteres Merkmal hinzutritt, nmlich dass die Gter auf Mrkten getauscht werden knnen, spricht man von Wirtschaftsgtern. In marxistischer Begrifflichkeit sind Wirtschaftsgter Waren, Objekte, mit denen Handel getrieben werden kann. Notwendige Bedingung fr die Existenz von Waren ist nach Karl Marx gesellschaftliche Arbeitsteilung. Als hinreichende Bedin455 Menger (1968) S. 34. 456 Menger (1968) S. 36. 457 Vgl. Menger (1968) S. 36 ff.

200

Gterklassifikationen, Aspekte der Gterproduktion und Gterknappheit

6.2

gung gibt er an, dass Produkte von selbststndigen, voneinander unabhngigen, privaten Produzenten produziert werden und die Produzenten ihre Privatarbeiten durch den Austausch ihrer Produkte aufeinander beziehen.458 Einige betriebswirtschaftliche Lehrtexte bieten Definitionen des Wirtschaftsbegriffs an, die explizit auf dem Begriff des Wirtschaftsgutes bzw. der Ware basieren. Sie bestimmen Wirtschaften als Entscheiden ber Wirtschaftsgter. So definiert ein weit verbreitetes Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre Wirtschaften als disponieren ber knappe Gter, soweit sie als Handelsobjekte (= Waren) Gegenstand von Marktprozessen sind (oder zumindest potenziell sein knnen). Voraussetzung fr den Warencharakter eines knappen Gutes ist dabei, dass es berhaupt Gegenstand von marktlichen Austauschbeziehungen sein kann (also verfgbar und bertragbar ist) und dass es eine bestimmte Eignung zur Befriedigung menschlicher Bedrfnisse aufweist.459 Wenn der Begriff des Wirtschaftsgutes mit in die Definition von Wirtschaften aufgenommen wird und Wirtschaftsgut als Ware begriffen wird, ist Wirtschaften ausschlielich als eine soziale Veranstaltung mglich, die sich durch Arbeitsteilung und darauf gegrndete Tauschprozesse auszeichnet. Robinson als einsamer Schiffbrchiger auf seiner Insel kann nach dieser Vorstellung nicht wirtschaften, obwohl er stndig Entscheidungen trifft. Arbeitsteilung und Tausch knnen erst dann stattfinden, wenn Freitag auftritt. Nur so kann die Robinsonade zu einer Gemeinschaft mutieren, in der gewirtschaftet werden kann. Erst jetzt ist Gtertausch mglich. Wie bereits angemerkt, sind Wirtschaftsgter von freien Gtern zu unterscheiden. Freie Gter sind nicht knapp. Da sie in beliebiger Menge vorhanden sind, ist niemand bereit, etwas fr sie zu zahlen. Der Knappheitsindikator Preis ist bei freien Gtern gleich null, whrend im Fall der Wirtschaftsgter von einem positiven Preis auszugehen ist. Freie Gter scheinen immer knapper zu werden. An bestimmten Orten und/oder zu bestimmten Zeiten mag es noch vereinzelt freie Gter geben. Aber sogar fr reine Luft bezahlt man mittlerweile, und auch das Wasser wird durch rationales Wirtschaften immer knapper. Jeder Versuch, die Knappheit zu verringern, steigert sie anscheinend an anderer Stelle. Man knnte bswillig behaupten, dass durch eine spezifische Art des Wirtschaftens alle Gter mittlerweile zu Wirtschaftsgtern aufgestiegen sind und dass das Wirtschaften selbst zur Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Betriebswirtschaftslehre beigetragen hat.

6.2.2

Klassifikationen von Wirtschaftsgtern

Um das Untersuchungsobjekt Wirtschaftsgut fassbarer zu machen, wird es nach verschiedenen Kriterien klassifiziert.
458 Vgl. Marx (1977a) S. 55 ff. 459 Schierenbeck/Whle (2008) S. 4.

201

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

Wenn auf die Beziehung von Gtern untereinander abgestellt wird, lassen sich indifferente, komplementre und substitutive Gter unterscheiden. Indifferente Gter zeichnen sich dadurch aus, dass sie beim Gebrauch und Verbrauch nicht miteinander in Beziehung stehen (Rasierwasser und Straenbelag). Wenn zwei oder mehrere Gter nur zusammen sinnvoll zur Bedrfnisbefriedigung eingesetzt werden knnen, handelt es sich um komplementre Gter (Kraftfahrzeuge und Benzin, Gas oder Strom). Haben Gter die Eigenschaft, sich ersetzen zu knnen, spricht man von substitutiven Gtern (Butter und Margarine). Stellt man auf die Substanz von Gtern ab, lassen sich materielle von immateriellen Gtern unterscheiden. Materielle Gter besitzen eine physikalische Substanz. Im Gegensatz hierzu fehlt bei immateriellen Gtern die materielle Substanz. Beispiele fr immaterielle Gter sind insbesondere jede Art von Dienstleistung, die menschliche Arbeitskraft sowie Rechte, z.B. Lizenzen. Die Differenzierung der Gter in Input- und Outputgter wurde weiter oben bereits vorgefhrt. Sie verweist auf die Stellung der Gter im Produktionsprozess. Inputgter werden im Rahmen von Produktionsprozessen in Outputgter transformiert. Inputgter stellen Produktionsfaktoren dar. Beispiele fr Inputgter sind technische Apparaturen, Roh- und Betriebsstoffe, menschliche Arbeitsleistung, und immer grere Bedeutung erlangt Wissen als eigenstndiger Produktionsfaktor. Produktionsfaktoren werden im Leistungserstellungsprozess miteinander kombiniert oder teilweise verbraucht. Jedenfalls erzeugt ihr Einsatz Outputgter. Outputgut kann jedes in der Wirtschaft hergestellte Produkt sein. Es ist Ergebnis eines Produktionsprozesses. Der Zusammenhang zwischen dem mengenmigen Einsatz der Inputgter und dem mengenmigen Ergebnis in Form der Outputgtermenge wird in der Betriebswirtschaftslehre durch Produktionsfunktionen dargestellt. Gter, die unmittelbar konsumiert werden, bezeichnet man als Konsumgter. Sie sind stets Outputgter. Bier, Schokolade, Kleidung, Reisen usw. dienen direkt der Befriedigung menschlicher Wnsche und sind Beispiele fr Konsumgter. Anders als Konsumgter, knnen Produktionsgter sowohl Output- wie Inputgter sein. Fr nachgelagerte Produktionsprozesse knnen sie Inputgter darstellen, die zur Produktion von wiederum Zwischen- oder Endprodukten eingesetzt werden. Beispiele fr Produktionsgter sind Werkzeuge, Maschinen usw. Konsumgter werden in Verbrauchsgter und Gebrauchsgter eingeteilt. Gebrauchsgter knnen hufiger benutzt werden, ohne dass sie verbraucht werden (Rasenmher, Kfz, lheizung, Schuhe, PC usw.). Eine langfristige Benutzung ist hier vorgesehen. Gter, die nach einmaligem Einsatz verbraucht sind, also whrend des Konsumprozesses untergehen (die kstliche Speise, der Strom, der die Glhbirne zum Leuchten bringt), werden Verbrauchsgter genannt. Eine auf Produktionsgter bezogene Differenzierung gliedert Gter in Repetier- und Potenzialfaktoren. Hier findet das gleiche Gliederungskriterium wie bei der Unter-

202

Gterklassifikationen, Aspekte der Gterproduktion und Gterknappheit

6.2

scheidung von Gebrauchs- und Verbrauchsgtern Anwendung. Potenzialfaktoren knnen im Produktionsprozess wiederholt eingesetzt werden. Sie besitzen ein Leistungspotenzial, das erst durch wiederholten Einsatz erschpft wird. Die menschliche Arbeitskraft, Maschinen, Werkzeuge oder Gebude sind Potenzialfaktoren. Repetierfaktoren werden im Produktionsprozess verbraucht und mssen daher stndig neu beschafft werden. Entweder gehen sie whrend des Produktionsprozesses unter oder werden Bestandteil des hergestellten Produktes. Rohstoffe (Leder, Textilien, Ton, Holz usw.) werden Hauptbestandteil des fertigen Produktes. Hilfsstoffe (Kleber, Farben, Ngel) werden ebenfalls Bestandteil des Fertigproduktes, whrend Betriebsstoffe im Produktionsprozess verbraucht werden und damit nicht ins Produkt unmittelbar eingehen (Energieeinsatz, Schmiermittel). Eine Unterscheidung, die fr die weiteren berlegungen wichtig ist, ist die Differenzierung in Realgter und Nominalgter. In einer reinen Naturaltauschwirtschaft gibt es kein Geld. Lediglich Realgter materieller oder immaterieller Art werden in der oben aufgefhrten Vielgestaltigkeit getauscht. Fr ein Brenfell bekommt der Indianer vom Trapper drei Flaschen Whisky. Erst in der Geldwirtschaft treten Nominalgter auf in Form des Geldes selbst und in Form von Rechten auf Geld. Wirtschaftsgter sind private Gter oder Individualgter. Individualgter sind bereits mit den Kategorien Rivalitt und physikalische Exklusion definiert worden. Private Gter unterscheiden sich von Individualgtern dadurch, dass bei privaten Gtern an die Stelle der physikalischen Exklusivitt die rechtliche Exklusivitt tritt. Die Existenz privater Gter setzt also eine Rechtsordnung als gegeben voraus.460 Die Etablierung einer Rechtsordnung beruht allerdings nicht auf einer privaten, sondern kollektiven Entscheidung. Die Privatheit von privaten Gtern ist selbst ein ffentliches Gut461. ber Rivalitt und Exklusion hinausgehend sind bei Individual- und privaten Gtern idealtypisch die Folgen der Produktion und der Verwendung des Gutes dem Nutzer dieser Gter direkt und vollstndig zurechenbar. Unter diesen und weiteren Bedingungen wirft der Markt mithilfe des Preismechanismus Preise aus, die die relativen Knappheiten der privaten Gter reprsentieren. Preise zeigen dann die gesellschaftliche Wertschtzung eines Gutes an und verdeutlichen dem Nutzer die wirtschaftlichen Folgen seiner Handlungen. Sind smtliche Konsequenzen im Umgang mit dem Gut im Preis erfasst, verwirklicht die Marktkoordination eine effiziente Allokation. Die betreffenden Gter flieen in jene Verwendungsrichtungen, in denen sie den grten Nutzen stiften. Durch eine Umverteilung der Verwendung der knappen Gter kann kein Individuum bessergestellt werden, ohne dass ein anderes schlechtergestellt wrde. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als ParetoEffizienz, benannt nach dem italienischen konomen und Soziologen Vilfredo Pareto

460 Zur Unterscheidung von individuellen und privaten Gtern, vgl. Boettcher (1974) S. 95. 461 Bonus (1980) S. 172. Auch der Wettbewerbsmarkt, auf dem private Gter gehandelt werden,

ist als ffentliches Gut zu betrachten, vgl. Ostrom (1999) S. 19. Zur Definition des Begriffs ffentliches Gut, vgl. Abschnitt 6.2.3.

203

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

(1848-1923). Individuelle Handlungsrationalitt (individuelles Wohl) und Systemrationalitt (Gemeinwohl) stimmen in dem beschriebenen Fall berein. Wenn die Politik meint, private Gter wrden vom Markt nicht im gewnschten Umfang bereitgestellt und nachgefragt, und dann mit Manahmen in das Marktgeschehen eingreift, um politische Vorstellungen zu realisieren, spricht man von meritorischen bzw. demeritorischen Gtern.462 Meritorische Gter sind private Gter, die aus politischer Sicht vom Markt in nicht gengend hohem Umfang bereitgestellt und nachgefragt werden (Bildung, Gesundheit), demeritorische Gter werden aus politischer Sicht in einem zu hohen Umfang bereitgestellt und nachgefragt (Drogen).

Abbildung 35:

Gtersystematik

ffentliche Gter, Kollektivgter, Externe Effekte

Wirtschaftsgter = nutzenstiftende, knappe Gter, die auf Mrkten gehandelt werden knnen = Waren = Individualgter (Rivalitt + physikalische Exklusivitt) oder Private Gter (Rivalitt + rechtliche Exklusivitt).

Freie Gter sind keine kappen Gter.

Systematisierungskriterien: Gterbeziehungen Substanz von Gtern Stellung der Gter im Produktionsprozess Hufigkeit der Nutzbarkeit der Gter Gter in der Geldwirtschaft Politisch bestimmte Gtermengen indifferente Gter materielle Gter Inputgter = Produktionsgter komplementre Gter immaterielle Gter Outputgter = Produkte = Produktionsgter oder Konsumgter substitutive Gter

Potenzialfaktoren Repetierfaktoren Nominalgter meritorische Gter

Gebrauchsgter

Verbrauchssgter

Realgter demeritorische Gter

6.2.3

ffentliche Gter, Kollektivgter und externe Effekte

Wenn man lediglich die Gter, die als Tauschobjekte auf Mrkten gehandelt werden, betrachtet und ausschlielich sie als fr die Betriebswirtschaftslehre interessant erklrt, dann wrden smtliche Gter, die nicht ber Mrkte gehandelt werden, nicht zum Gegenstandsbereich der Betriebswirtschaftslehre zhlen. Um den Bereich der
462 Zur Unterscheidung von meritorischen und demeritorischen Gtern, vgl. Musgrave (1957)

S. 333-343.

204

Gterklassifikationen, Aspekte der Gterproduktion und Gterknappheit

6.2

Nicht-Markt-konomie, insbesondere die Produktion und die Verwendung von ffentlichen Gtern und Kollektivgtern sowie die mit der Existenz externer Effekte zusammenhngenden Fragen, in betriebswirtschaftliche Betrachtungen einzubeziehen, werden diese wirtschaftlichen Aspekte, neben den Wirtschaftsgtern, von Fachvertretern mit in den Gegenstandsbereich der Betriebswirtschaftslehre aufgenommen.463 Wenn die Voraussetzungen fr das Vorliegen von Wirtschaftsgtern nicht gegeben sind, also das Marktausschlussprinzip nicht gilt (d.h., diejenigen, die nicht fr das Gut zahlen, knnen von der Nutzung des Gutes nicht ausgeschlossen werden) und Nichtrivalitt im Konsum gegeben ist (d.h., mehrere Wirtschaftssubjekte knnen gleichzeitig ber dasselbe Gut verfgen, ohne dass die Gtermenge abnimmt), spricht man von ffentlichen Gtern oder Kollektivgtern. Gilt das physikalische Ausschlussprinzip nicht, hat man es mit einem ffentlichen Gut zu tun. Kollektivgter liegen vor, wenn fr eine bestimmte Gruppe ein rechtlicher Ausschluss insofern wirksam wird, als alle jene, die nicht zur Gruppe gehren, von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden.464 In der Realitt sind reine ffentliche Gter kaum anzutreffen, wenn man von der Gravitation einmal absieht. Fast smtliche ffentliche Gter sind Mischgter, bei denen lediglich eine der beiden aufgefhrten Eigenschaften eines reinen ffentlichen Gutes voll ausgeprgt vorliegt. Mautgter zeichnen sich dadurch aus, dass das Marktausschlussprinzip herrscht und gleichzeitig Nichtrivalitt. Im Fall von Allmendegtern465 (common pool Gter) gilt das Marktausschlussprinzip nicht, es besteht allerdings Rivalitt im Konsum. Ist es nicht mglich, smtliche Folgen der Produktion und der Verwendung der Gter dem Nutzer dieser Gter direkt zuzurechnen, so existieren externe Effekte. In der Realitt ist immer mit externen Effekten zu rechen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die whrend der Gterproduktion oder ihrer Verwendung entstehenden Kosten (soziale Kosten) nicht den Kosten entsprechen, die der Produzent oder Nutzer des Gutes bernommen hat (private Kosten).466 Es lassen sich negative externe Effekte von positiven externen Effekten unterscheiden. Im Fall negativer externer Effekte werden die im Zusammenhang mit der Produktion oder Verwendung des Gutes entstandenen Kosten anderen als den Nutzern auferlegt, indem sie Nutzeneinbuen oder Aufwendungen hinnehmen mssen. Anders ausgedrckt, die sozialen Kosten sind grer als die privaten Kosten. Ein Hersteller von Kunststofffenstern produziert z.B. neben den Kunststofffenstern auch Abgase und Abwasser und verschmutzt damit die Umwelt. Soweit diese sozialen Kosten der Umweltverschmutzung nicht im Rechnungswesen des Unternehmens ihren Niederschlag finden, stellt das Unternehmen zu viele Kunst463 Vgl. Raffe (1993) S. 9 f. 464 Zur Unterscheidung von ffentlichen und kollektiven Gtern vgl. Boettcher (1974) S. 96 ff. 465 Unter Allmende versteht man das Grundeigentum einer Dorfgemeinschaft, das von allen

Dorfbewohnern genutzt werden kann, z.B.: der Gemeindewald, der Dorfweiher, die Gemeindewiese. 466 Vgl. Pigou (1920).

205

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

stofffenster her, denn die privaten Kosten sind niedriger als die sozialen Kosten. Die auf den privaten Kosten beruhende Preiskalkulation ermittelt einen Fensterpreis, der nicht hoch genug angesetzt ist, denn er enthlt nicht smtliche durch die Produktion entstandenen Kosten. Dies hat zur Folge, dass die Absatzmenge der Kunststofffenster im Verhltnis zur Absatzmenge von z.B. Holzfenstern als berhht anzusehen ist. Positive externe Effekte zeichnen sich dadurch aus, dass die privaten Kosten grer sind als die sozialen Kosten. Beispiele fr positive externe Effekte sind Erfindungen, die genutzt werden knnen, ohne dass die gesamten Produktionskosten vom Nutznieer abgegolten werden. Bei ffentlichen Gtern, Kollektivgtern und externen Effekten ist der Markt nicht in der Lage, eine optimale Allokation zu bewirken, da entweder keine Preise existieren oder die Preise die Knappheiten der Gter nicht korrekt wiedergeben.

6.2.4

Probleme bei der Produktion ffentlicher Gter

Unternehmen stellen immer in Form der Zusammenarbeit ihrer Mitglieder ein ffentliches Gut her. In diesem Zusammenhang kann das Phnomen des Trittbrettfahrers (free rider) auftreten. Ist fr eine zu erbringende Leistung, als Beispiel sei der Transport eines Baumstammes angefhrt, der Arbeitseinsatz vieler notwendig, soll es schon vorgekommen sein, dass einer oder einige gar nicht mittragen, sondern ihre Krfte schonend sich eventuell am Baumstamm hngend von den anderen, die den Baumstamm schweitreibend schleppen, mittragen lassen. Free rider gibt es in jeder Organisation und in jeder Gesellschaft. Sie partizipieren von den Leistungen anderer, da sie keinen angemessenen oder gar keinen Beitrag zur Erstellung des Kollektivguts leisten und gleichzeitig nicht von der Nutzung des Kollektivguts ausgeschlossen werden. Mit steigender Gruppengre verschrft sich diese Problematik,467 denn in groen Gruppen ist der Beitrag des einzelnen Gruppenmitglieds kaum noch wahrnehmbar. Der Beitrag des einzelnen Mitglieds ist so gering, dass er die Zielerreichung nicht beeinflusst. Daher gibt es fr das einzelne Gruppenmitglied keinen Anreiz, ihn zu leisten. Folglich sollten Anreize institutionalisiert werden, damit (begrenzt) rational und eigeninteressiert handelnde Individuen sich an einer gemeinsamen Produktion eines Kollektivgutes beteiligen. Diese Anreize mssen selektive Anreize sein, die sicherstellen, dass Organisationsmitglieder, deren Handeln auf die Erreichung des Organisationsziels gerichtet ist, oder Nichtmitglieder, die ebenfalls einen Beitrag zur Realisierung des Organisationsziels leisten, eine andere Behandlung erfahren als diejenigen, die das nicht tun.468
467 Zum large-number-dilemma, vgl. Buchanan (1968) S. 85 ff. sowie S. 197 ff. Der Ruf nach 468 Vgl. Olson (2004) S. 49, 58 f.

einer Zentralinstanz wird fr groe Gruppen laut, vgl. Hume (1967) S. 538 f.

206

Gterklassifikationen, Aspekte der Gterproduktion und Gterknappheit

6.2

Die kleine Gruppe zeichnet sich gegenber der groen Gruppe dadurch aus, dass Interdependenzen zwischen den Gruppenmitgliedern bestehen, so dass die Aktivitten eines jeden Gruppenmitglieds fr alle anderen Gruppenmitglieder sprbar und bedeutungsvoll sind. Fr groe Gruppen gilt das nicht. Whrend die Auenseiterposition in der kleinen Gruppe nicht auftritt, sondern eine interne Drohposition typisch ist, muss in der groen Gruppe mit Auenseitern und Saboteuren gerechnet werden. Auenseiter und Saboteure nehmen Vorteile der Gruppenarbeit kostenlos in Anspruch.469 Soll eine groe Gruppe stabil organisiert werden, muss die Auenseiterposition ausgeschlossen werden. Dies kann durch Zwang oder durch Schaffung positiver Anreize geschehen, indem die Nutzung des ffentlichen Gutes mit dem Verbrauch oder Gebrauch eines privaten Gutes gekoppelt wird.470 Abbildung 36: ffentliche Gter, Kollektivgter und externe Effekte
Kollektivgter Fr eine rechtlich bestimmte Gruppe gilt der Ausschluss der Gternutzung nicht und es herrscht Nichtrivalitt im Konsum. Externe Effekte soziale Kosten private Kosten. Dem Handelnden werden nicht smtliche Folgen seiner Handlung zugerechnet.

ffentliche Gter Der physikalische Ausschluss von der Gternutzung kann oder soll nicht angewandt werden und es herrscht Nichtrivalitt im Konsum.

Mischgter

Allmendegter Marktausschlussprinzip wird nicht angewandt, und es herrscht Rivalitt im Konsum.

Mautgter Marktausschlussprinzip kann angewandt werden, und es herrscht Nichtrivalitt im Konsum.

Probleme bei der Produktion ffentlicher Gter: Trittbrettfahrer, Auenseiter, Saboteure Besonders in groen Gruppen besteht die Gefahr, dass die Gruppenmitglieder keinen Beitrag zur Erreichung des Organisationsziels leisten.

469 Zu den unterschiedlichen Vorteilsarten von Saboteur und Auenseiter, vgl. Boettcher (1974) 470 Weiter fhrt Boettcher die Bildung von kleinen Untergruppen und damit die Einfhrung von

S. 113 f.

Hierarchie an, um groe Gruppen zu stabilisieren, und geht auf die vom konomischen Grundmotiv abweichende Indoktrination oder blinde Solidaritt ein, vgl. Boettcher (1974) S. 122 ff.

207

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

6.2.5

Verringerung von Gterknappheit als Ziel des Wirtschaftens

Beim Wirtschaften, so behauptet Whe, geht es darum, ber Bedrfnisbefriedigung die bestehende Knappheit der Gter zu verringern.471 Dabei wird Knappheit als eine Relation zwischen Menschen und Sachen (das kann auch der objektivierte Mensch sein) betrachtet. Wenn Wirtschaften allerdings als eine soziale Veranstaltung verstanden wird, erscheint Gterknappheit nicht mehr (nur) als naturbedingt und nicht mehr (nur) als ein Verhltnis zwischen Menschen und Sachen, sondern im sozialen Verhltnis selbst begrndet. Da die Bedrfnisbestimmung und -befriedigung eines jeden nicht nur von ihm allein abhngig ist, sondern er hierbei durch andere gestrt oder aber auch angeregt werden kann, also mit externen Effekten zu rechnen ist, ergibt sich ein Vorsorgebedrfnis. Jeder muss, weil auch andere interessiert sind und interferieren werden, langfristig vorsorgen, und dieses Vorsorgen macht alle Gter knapp; denn jeder mchte fr seine Zukunft reservieren, was ein anderer schon gegenwrtig braucht.472 Durch Wirtschaften verringert sich die Knappheit der Gter also nicht, sondern ein verstrktes Vorsorgen fhrt zu einem Ansteigen der Knappheit. Es kommt noch hinzu, dass in einer Geldwirtschaft nicht nur Gter knapp sind, sondern auch Geld. Diese Geldknappheit wird wirtschaftspolitisch abgesichert. Mit dem Vordringen des Marketingdenkens ist zudem eine weitere Ausweitung von Knappheit verbunden. Knappheit bezieht sich nicht mehr nur auf die Gterproduktion (dargestellt durch Produktionsmglichkeitenkurven), sondern auch auf die Bedrfnisse. Marketing erlebt Bedrfnisse als knapp und wird daher aktiv, um Bedrfnisse zu wecken. Mit Kornai kann man behaupten: shortage breeds shortage473 (Knappheiten rufen Knappheiten hervor). Man knnte fast sagen, Knappheit wird als Mittel eingesetzt, um berhaupt wirtschaften zu knnen. Die Funktion des Wirtschaftens besteht also nicht darin, die Knappheit der Gter zu beseitigen, sondern in der Mglichkeit, eine Entscheidung ber die Befriedigung von Bedrfnissen zu vertagen, die Befriedigung trotzdem gegenwrtig schon sicherzustellen und die damit gewonnene Dispositionszeit zu nutzen.474 Da diese Aufgabe allerdings erst unter dem Aspekt der Knappheit operationalisierbar ist, ist es gerechtfertigt, Wirtschaften als Disposition ber knappe Gter und Leistungen zu definieren.475 Nachdem in den vorhergehenden Abschnitten grundlegende Kategorien diskutiert wurden, die in den Begriff des Wirtschaftens aufzunehmen sind, wie das konomische Prinzip und seine Konkretisierung in Form der Einkommens- und Gewinnerzielung, der Planungs- und Leitungsbegriff, die Unsicherheitsproblematik, die Bedrfnis- und
471 472 473 474 475

Vgl. Whe/Dring (2008) S. 2. Luhmann (1994a) S. 64. Vgl. Kornai (1979) S. 813. Luhmann (2005a) S. 259. Luhmann (1994a) S. 65.

208

Ursprngliche Wirtschaftseinheit, Haushalt und Betrieb

6.3

Nutzenkategorie sowie die Gterkategorie, geht es in den folgenden Abschnitten um die Gebilde, die wirtschaften.

6.3

Ursprngliche Wirtschaftseinheit, Haushalt und Betrieb

Haushalte, Betriebe, Unternehmen und der wirtschaftlich handelnde Einzelmensch sind nach dem Verstndnis der Betriebswirtschaftslehre Wirtschaftseinheiten, die wirtschaften. Entlang des Kriteriums Versorgung mit Gtern lassen sich Wirtschaftseinheiten klassifizieren. In ursprnglichen Wirtschaftseinheiten finden smtliche Aktivitten statt, die der eigenen Gterversorgung dienen. Der antike oikos ist ein Beispiel fr eine ursprngliche Wirtschaftseinheit. Haushalt und Betrieb bilden hier eine Wirtschaftseinheit, in der arbeitsteilig Gter hergestellt werden, die von den Mitgliedern gebraucht und verbraucht werden. Eine arbeitsteilige Verbindung zwischen den ursprnglichen Wirtschaftseinheiten muss nicht bestehen, da sie sich ja selbst versorgen knnen. Tauschgeschfte zwischen den ursprnglichen Wirtschaftseinheiten sind mglich, aber nicht notwendig. Von ursprnglichen Wirtschaftseinheiten sind abgeleitete Wirtschaftseinheiten zu unterscheiden. Sie weisen nicht die Einheit von Haushalt und Betrieb auf. Diese Einheit ist im Fall abgeleiteter Wirtschaftseinheiten aufgebrochen. Private Haushalte und Betriebe haben sich als eigenstndige Wirtschaftseinheiten herausgebildet, die auf bestimmte Ttigkeiten spezialisiert sind. Haushalte und Betriebe sind keine Selbstversorger mehr. Das heit, sie stellen nicht smtliche Gter her, die sie bentigen. Die Gesamtwirtschaft ist somit arbeitsteilig zu organisieren. Damit besteht die Notwendigkeit des Gteraustausches. Die Koordination der abgeleiteten Wirtschaftseinheiten bernimmt der Markt oder ein anderer gesamtwirtschaftlicher Koordinationsmechanismus, wie z.B. ein zentraler Plan einer Zentralbehrde. Insofern stehen die abgeleiteten Wirtschaftseinheiten nicht unverbunden nebeneinander. Private Haushalte werden von der Betriebswirtschaftslehre auch als Konsumwirtschaften bezeichnet. Das wirkliche Erscheinungsbild privater Haushalte verdeutlicht, dass Haushalte nicht nur konsumieren. Vielmehr finden in Haushalten ebenfalls Produktionsaktivitten statt. Hufig ist nur unter dieser Vorbedingung Konsum im Haushalt mglich. Die Betriebswirtschaftslehre unterstellt, dass, wenn Gter oder Leistungen im Haushalt produziert werden, sie ausschlielich dem Eigenbedarf dienen. Der Haushalt ist aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre eine den Eigenbedarf deckende Wirtschaftseinheit. Fr Wirtschaftseinheiten, die einen fremden Bedarf decken, wird der Begriff Betrieb reserviert. Betriebe sind Produktionswirtschaften, die unterschiedliche Gter nicht fr

209

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

den eigenen, sondern fr einen fremden Bedarf produzieren. Betrieben geht es also immer um die Produktion von Gtern, die an andere (Betriebe, Haushalte oder Einzelmenschen) weitergegeben werden, die einen entsprechenden Bedarf an diesen Gtern haben. Damit zeichnen sich Betriebe dadurch aus, dass sie nicht nur produzieren, sondern auch das Produzierte absetzen. Abbildung 37: Wirtschaftseinheiten

Ursprngliche Wirtschaftseinheit (Einheit von Haushalt und Betrieb)

Abgeleitete Wirtschaftseinheit (Einheit von Haushalt und Betrieb ist aufgebrochen)

Wirtschaftssubjekt

Betriebe = Fremdbedarf deckende Wirtschaftseinheiten

Private Haushalte = Eigenbedarf deckende Wirtschaftseinheiten

Es wurde bereits herausgestellt und verdeutlicht, dass Betriebe nicht nur Produktionsfaktoren unter Beachtung des konomischen Prinzips (Wirtschaftlichkeitsprinzip) kombinieren mssen, sondern dass das Wirtschaftlichkeitsprinzip ebenfalls bei der Beschaffung und beim Absatz der Gter anzuwenden ist. Darber hinaus haben Betriebe, auch das wurde bereits beschrieben, sicherzustellen, dass sie zahlungsfhig bleiben, denn zahlungsunfhige Betriebe hren auf zu existieren. Diese drei Eigenschaften, die jeder Betrieb aufweisen muss, um ein Betrieb zu sein, werden im Folgenden noch einmal aufgelistet: Kombination der Produktionsfaktoren, Beachtung des konomischen Prinzips, Sicherstellen der Zahlungsfhigkeit.

Auch Gutenberg hebt diese konstituierenden Merkmale hervor und bezeichnet sie als systemindifferente Faktoren.476 Die Anforderungen werden als systemindifferent bezeichnet, weil sie unabhngig von der jeweiligen Wirtschaftsordnung, in der ein Betrieb eingebettet ist, zu erfllen sind.

476 Vgl. Gutenberg (1971) S. 10 und S. 457 ff.

210

Unternehmen und sozialistische Betriebe

6.4

6.4

Unternehmen und sozialistische Betriebe

Abhngig von der Wirtschaftsordnung, unter der Betriebe ttig sind, weisen sie auer den bereits genannten systemindifferenten Faktoren weitere Eigenschaften auf. Mit den jeweiligen Ausprgungen von Wirtschaftsordnungselementen einer Marktwirtschaft und einer Zentralverwaltungswirtschaft bestimmt Gutenberg diese systembezogenen Faktoren477 und unterscheidet hiermit den Betriebsbegriff vom Begriff des Unternehmens. Von Gutenberg werden die folgenden Formelemente des Wirtschaftens untersucht: Planungssystem, Eigentumsordnung, Zielsysteme der Betriebe.

In Marktwirtschaften planen die dezentralen Wirtschaftseinheiten relativ autonom. Ihre Einzelentscheidungen werden, nachdem sie zur Ausfhrung gekommen sind, aufeinander abgestimmt (ex post-Koordination). Dies geschieht spontan ber die invisible hand (unsichtbare Hand) des Marktes. Es herrscht Planungsautonomie der Betriebe (Autonomieprinzip). In der zentralgeplanten Wirtschaft ist das anders. Die einzelnen (Betriebs-)Plne werden von einer Zentrale aufgestellt. Daneben ist ein zentraler Gesamtplan zu konstruieren, der sicherstellt, dass, bevor gehandelt wird, das System zentraler Einzelplne (zentraler Betriebsplne) zu einem konsistenten Ganzen zusammengefasst wird (ex ante-Koordination). Der zentrale Gesamtplan bernimmt in Zentralplanwirtschaften die Koordinationsfunktion, die der Markt in Marktwirtschaften ausbt. Die Betriebe planen unter diesen Bedingungen nicht selbst, sondern der zentrale Plantrger bestimmt die Wirtschaftsplne der Betriebe und den zentralen Gesamtplan. Die Betriebe sind als Organe der Zentralinstanz aufzufassen. Es herrscht das Organprinzip. Ein Ordnungselement der Marktwirtschaft ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Idealtypisch entscheiden die Privateigentmer ber die Kombination der Produktionsfaktoren und ber die Ausfhrung dieser Entscheidungen in ihren Betrieben. Ihr Wille setzt sich im Betrieb durch. Willensbildung und Willensdurchsetzung sind in privater Hand.478 Es herrscht das Prinzip des Privateigentums. In Zentralplanwirtschaften gilt das Prinzip des Gemeineigentums. Damit ist die zentrale Planungsinstanz in der Lage, eine die gesamte Volkswirtschaft berdeckende

477 Vgl. Gutenberg (1971) S. 10 und S. 457 ff. 478 Immer hufiger sind die Entscheidungstrger in Unternehmen nicht mehr identisch mit den

Eigentmern. Manager, nicht Eigentmer entscheiden dann in Unternehmen. In managergeleiteten Unternehmen ist mit Interessendivergenzen zwischen Eigentmern und Managern zu rechnen. Dies fhrt zu der Frage, wie das Handeln der Manager auf die Ziele der Eigentmer orientiert werden kann.

211

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

hierarchische Organisationsstruktur einzurichten. Sie stellt die vollstndige Subordination der Wirtschaftseinheiten unter einen zentralen Willen sicher. Als vorherrschendes Ziel kapitalistischer Betriebe ist das erwerbswirtschaftliche Prinzip anzusehen. Es sollen Gewinne realisiert werden. Ein Betrieb kann dieses Ziel langfristig nur sicherstellen, wenn er sich mit seinem Gterangebot an den Wnschen seiner Kunden orientiert und gleichzeitig mit einem konomisch vertretbaren Aufwand sein Gterangebot produziert. Die Betriebe in der Zentralplanwirtschaft haben sich dem Prinzip der Planerfllung zu unterwerfen. Um den zentralen Plan erfllen zu knnen, mssen die Betriebe sich an den Vorgaben (Kennziffern, Anweisungen) der zentralen Planungsinstanzen halten. Idealtypisch spielt die Gewinnkategorie hier keine Rolle bei der Orientierung betrieblichen Verhaltens. Wie die vorstehenden Ausfhrungen verdeutlicht haben, sind die Ausprgungen der systembezogenen Faktoren von der jeweiligen Wirtschaftsordnung abhngig. Fr Betriebe in Marktwirtschaften gelten das Autonomieprinzip, das Prinzip des Privateigentums und das erwerbswirtschaftliche Prinzip. Marktwirtschaftliche Betriebe werden als Unternehmen bezeichnet. Die vorgestellte Begriffsverwendung bestimmt Betrieb als Oberbegriff, da er unabhngig von der jeweiligen Wirtschaftsordnung definiert ist. Er ist insofern umfassender konzipiert als der Unternehmensbegriff, da dieser an eine bestimmte Wirtschaftsordnung gebunden ist. In der Literatur findet sich auch der Vorschlag, das Verhltnis der Begriffe Betrieb und Unternehmen umzukehren und Unternehmen als Oberbegriff zu benutzen. Der Betriebsbegriff wird dann zur Bezeichnung technisch-organisatorischer Produktionseinheiten eingesetzt, und mit dem Begriff Unternehmen werden wirtschaftende und rechtliche Einheiten bezeichnet, unter deren Dach Betriebe zusammengefasst werden. Begrndet wird diese Begriffskonstruktion mit ihrer Kompatibilitt mit dem Gesellschafts- und Mitbestimmungsrecht479, das zwischen Unternehmensund Betriebsverfassung unterscheidet. Die Unternehmensverfassung ist ein Regelsystem, das sich auf das Gesamtunternehmen bezieht. Ihre Ausgestaltung hat gesetzliche Vorschriften (z.B. Arbeits-, Gesellschafts-, Wettbewerbsrecht, Gesetze zum Verbraucherschutz usw.) zu beachten und wird weiter durch kollektive (z.B. Betriebsvereinbarungen) und privatrechtliche Vereinbarungen (z.B. Satzungen, Geschftsordnungen, Gesellschaftsvertrge) konkretisiert.480 Demgegenber bestimmt die Betriebsverfassung Entscheidungsrechte der Arbeitnehmer bezglich der technischen, organisatori-

479 Vgl. Macharzina/Wolf (2008) S. 18. 480 Whrend die Theorie der Unternehmensverfassung auf smtliche Unternehmensformen

angewandt wird und mehr auf die innere Ordnung von Unternehmen ausgerichtet ist, konzentriert sich das Konzept des Corporate Governance auf Grounternehmen und die Frage der Abstimmung ihrer Unternehmensordnung mit Gesellschafts-, Wirtschafts-, Rechts- und weiteren gesellschaftlichen Ordnungen.

212

Unternehmen und sozialistische Betriebe

6.4

schen und sozialen Ausgestaltung der Produktionssttten (Betriebe), an denen konkret Produktionsfaktoren kombiniert werden. Der Autor dieses Buchs schliet sich der betriebswirtschaftlichen Theorietradition an, die den Unternehmensbegriff, der Anregung Gutenbergs folgend, fr Betriebe in marktwirtschaftlichen Ordnungen reserviert. Unternehmen werden auch als kapitalistische Betriebe tituliert. Ihnen werden sozialistische Betriebe gegenbergestellt. Sie sind in Zentralplanwirtschaften eingebettet. Fr sie gelten das Organprinzip, das Prinzip des Gemeineigentums und das Planerfllungsprinzip. ffentliche Betriebe und ffentliche Verwaltungen in Marktwirtschaften weisen ebenfalls, genau wie sozialistische Betriebe, die aufgefhrten Eigenschaften auf. Soweit die Betriebswirtschaftslehre ihre Aufmerksamkeit auf Wirtschaftseinheiten konzentriert, die fr den Bedarf Dritter produzieren, sich also mit Produktionsbetrieben auseinandersetzt, ist sie eine Lehre von den Produktionswirtschaften. Dabei wird der Begriff des Produktionsbetriebes weit gefasst, so dass neben den Betrieben, die Gter produzieren, auch jene erfasst sind, die Dienstleistungen anbieten. Das knnen sowohl Unternehmen als auch in einer anderen als der marktwirtschaftlichen Ordnung eingebettete Produktionsbetriebe sein. Die ausschlieliche Beschftigung mit Unternehmen fhrt zu einer Lehre von den Unternehmen. Die Fokussierung auf sozialistische Betriebe leistet die Lehre vom sozialistischen Betrieb. Wenn das Wirtschaften der privaten Haushalte, der Konsumtionswirtschaften, in den Gegenstandsbereich der Betriebswirtschaftslehre aufgenommen wird, dann bilden sich Lehren von der Einzelwirtschaft heraus.

213

Bedrfnisse, Gter, Haushalte, Betriebe und Unternehmen

Abbildung 38:

Wirtschaftseinheiten als Gegenstand von Lehre und Forschung

Abgeleitete Wirtschaftseinheiten
private Haushalte
Kombination der Produktionsfaktoren Marktwirtschaftliche Betriebe

Betriebe
Prinzip der Wirtschaftlichkeit Prinzip der Zahlungsfhigkeit

Zentralplanwirtschaftliche Betriebe

Unternehmen
charakterisiert durch:
Autonomieprinzip Prinzip des Privateigentums Erwerbswirtschaftliches Prinzip

sozialistische Betriebe
(ffentliche Betriebe und Verwaltungen) charakterisiert durch:
Organprinzip Prinzip des Gemeineigentums Planerfllungsprinzip

Lehre von den Unternehmen

Sozialistische Betriebswirtschaftslehre

Lehre von den Produktionsbetrieben Betriebswirtschaftslehre

Lehre von den Einzelwirtschaften

214

Teil 3 Konzepte der Betriebswirtschaftslehre

215

Die Ausfhrungen im ersten und zweiten Teil des Buches haben u.a. auch einen Einblick in Wissenschaftskonzepte und wissenschaftliche Methoden gewhrt und ein Vorverstndnis davon vermittelt, wie Wirtschaften in Unternehmen begriffen werden kann. Hierauf baut der dritte Teil des Lehrbuchs auf. In den folgenden Kapiteln geht es um die Darstellung unterschiedlicher Mglichkeiten, sich dem Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre zu nhern. Auch auf dieser Betrachtungsebene ist man mit einem Pluralismus von grundstzlich unterschiedlichen Perspektiven und Methoden konfrontiert, Unternehmen zu erforschen und zu beschreiben. Die gesamte Angebotspalette unterschiedlicher Betriebswirtschaftslehren und ihre jeweiligen Grundlagen zu referieren, kann hier nicht geleistet werden. Vielmehr sollen besonders prominente Auffassungsunterschiede bezglich grundstzlicher Problemstellungen diskutiert werden. Aus der Flle unterschiedlicher Entwrfe der Betriebswirtschaftslehre wurden die neoklassische Unternehmenstheorie, der faktortheoretische Ansatz Gutenbergs, entscheidungstheoretische Anstze, Konzepte der Neuen Institutionenkonomik sowie systemtheoretische Konzepte ausgewhlt. Die grundlegenden Gedanken, auf denen die genannten Theorien zur Erfassung des Unternehmensgeschehens aufbauen, sind Thema der folgenden Abschnitte. Bei diesem Vorhaben kann es nicht darum gehen, die unterschiedlichen Betriebswirtschaftslehren bis in ihre Einzelheiten auszuleuchten. Vielmehr stellen die folgenden Ausfhrungen darauf ab nachzuforschen, auf welcher Theoriebasis die jeweilige betriebswirtschaftliche Theorie errichtet wurde. Dabei wird sich herausstellen, dass die Betriebswirtschaftslehren von ihren Nachbarwissenschaften, insbesondere von der Volkswirtschaftslehre, der Soziologie, den politischen Wissenschaften, der Systemtheorie und Erkenntnissen anderer Wissenschaften, inspiriert worden sind. Daher stellen die folgenden Ausfhrungen auch darauf ab, Einsichten der Nachbarwissenschaften, soweit sie fr Betriebswirtschaftslehren relevant geworden sind bzw. relevant werden knnten, zu referieren. Es sei noch einmal betont, dass die Auswahl der betriebswirtschaftlichen Konzepte, die in diesem Lehrbuch zum Gegenstand weiterer Betrachtungen gemacht werden, auch anders htte ausfallen knnen und mit der Entscheidung fr die hier prsentierten Konzepte nicht behauptet wird, dass andere Konzepte der Betriebswirtschaftslehre fr die Entwicklung betriebswirtschaftlicher Forschung und Lehre keine Bedeutung htten. Einige der in diesem Lehrbuch nicht behandelten Konzepte der Betriebswirtschaftslehre sollen daher zumindest genannt werden. Zum Beispiel wird auf handlungstheoretische481, situative482, kontingenztheoretische Anstze,483 arbeitsorientierte Einzel-

481 Vgl. Stdemann (1993) und Koch (1975). 482 Vgl. Kieser (2006b) S. 215-244. Organisationsstruktur ist das Thema situativer Anstze. Unter-

schiedliche, empirisch nachweisbare Organisationsstrukturen werden mit situativen Faktoren erklrt. Die zentrale Erkenntnis ist: Wenn sich die Situation ndert, ndert sich die Organisationsstruktur. 483 Vgl. Lawrence/Lorsch (1967).

216

wirtschaftslehren484 und andere Konzepte nicht eingegangen. Der interessierte Leser sei auf die angegebene Literatur verwiesen.

484 Vgl. Koubek (1977) S. 33-61. Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehren sind als Gegenentwurf

zu kapitalorientierten Betriebswirtschaftslehren konzipiert worden, indem sie die Arbeitnehmerinteressen zur Basis ihrer Theorieentwrfe erklren.

217

Neoklassische Unternehmenstheorie und ihre Kritik

7.1

7 Neoklassische
Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Mit der neoklassischen Unternehmenstheorie beschftigt sich die Mikrokonomie, die einen Theoriekomplex der Volkswirtschaftslehre darstellt.485 Die von Gutenberg konzipierte Betriebswirtschaftslehre486 baut neoklassische mikrokonomische Vorstellungen in ihr Lehr- und Forschungsgebude ein und entwickelt sie weiter, indem u.a. die Theorie produktiver Faktoren in die betriebswirtschaftliche Theorie mit aufgenommen wird. Um den Ausgangspunkt und Leitgedanken der von Gutenberg begrndeten Betriebswirtschaftslehre zu verstehen, erscheint es daher sinnvoll, die Grundzge der neoklassischen Unternehmenstheorie zu skizzieren.

7.1

Neoklassische Unternehmenstheorie und ihre Kritik

Es ist bereits an anderer Stelle ausgefhrt worden, dass die Mikrokonomie eine Unternehmenstheorie enthlt, die das Entscheidungsverhalten von Unternehmen untersucht.487 Daher knnte man auf den ersten Blick vermuten, dass die mikrokonomische Unternehmenstheorie fr die Betriebswirtschaftslehre verwendbare Einsichten liefert. Auf den zweiten Blick, so wird sich zeigen, sind die zu erwartenden Erkenntnisgewinne aus einer neoklassisch ausgeformten Unternehmenstheorie fr die Be485 Um 1870 beginnt der Siegeszug neoklassischen Denkens. Es bleibt bis 1930 die dominierende

Denkrichtung der Wirtschaftswissenschaft, gefolgt vom Keynesianismus. Begrnder neoklassischen Denkens sind: Jevons, Menger, Walras. Als weitere Vertreter gelten der Amerikaner Irving Fisher (1867-1947), der Italiener Vilfredo Pareto (1848-1923), die Schweden Knut Wicksell (1851-1926) und Karl Gustav Cassel (1866-1945), die Briten Arthur Cecil Pigou (18771959) und Alfred Marshall (1842-1924) sowie der Franzose Antoine-Augustin Cournot (18011877). Neoklassisches Denken dominiert heute noch in der Mikrokonomie, und nachdem nach 1970 der Keynesianismus an Glaubwrdigkeit verlor, findet es sich auch wieder in Makrokonomischen Schriften. 486 Vgl. das dreibndige Werk Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre von Erich Gutenberg, Bd. 1: Die Produktion (1971, 1. Aufl. 1951), Bd. 2: Der Absatz (1984, 1. Aufl. 1955) und Bd. 3: Die Finanzen (1972, 1. Aufl. 1969). 487 Vgl. die Ausfhrungen zur Mikrokonomie in Abschnitt 2.6.1.

219
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_8, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

triebswirtschaftslehre begrenzter Natur. Der Grund fr diese Einschtzung liegt in den (realittsfernen) Annahmen, von denen neoklassisches Denken seinen Ausgangspunkt nimmt. So werden in der neoklassischen Welt dem Unternehmer die Eigenschaften eines homo oeconomicus zugeschrieben,488 der auf vollkommenen (oder unvollkommenen) Mrkten agiert und das konomische Prinzip realisiert, wenn er seinen Gewinn maximiert.489 Mit guten Argumenten ist bereits verdeutlicht worden, dass reale Unternehmer mit dem Modell des homo oeconomicus nicht hinreichend beschrieben werden knnen, dass vollkommene Mrkte in der Realitt nicht anzutreffen sind und dass die Zielsetzung realer Unternehmen nicht auf Gewinnmaximierung reduziert werden kann. Auf den dargestellten Annahmen basiert allerdings neoklassische Modellbildung, so dass Preis und Menge die einzigen Aktionsparameter darstellen, die dem Unternehmen bleiben. Eine weitergehende Unternehmenspolitik ist unter neoklassischen Bedingungen nicht mglich. Auch das Instrument der Preispolitik wird, wie gezeigt wurde, dem neoklassischen Unternehmer genommen und zwar genau dann, wenn die ideale Marktform des bilateralen Polypols auf einem vollkommenen Markt unterstellt wird. Herrscht vollkommener Wettbewerb auf einem polypolistischen Markt, dann existiert fr Unternehmen nur noch ein Handlungsparameter, und das ist ihre Produktions- bzw. Absatzmenge. Unter diesen Bedingungen sind Unternehmen gezwungen, als Mengenanpasser und Preisnehmer zu agieren. Die Vielfalt realer unternehmenspolitischer Mglichkeiten kann die Neoklassik mit ihren Modellen somit nicht abbilden. Die Ergebnisse ihrer Analysen fhrt die Neoklassik auf individuelle Optimierungsentscheidungen zurck, die unter strengen Nebenbedingungen abgeleitet werden.490 Es werden Marginalanalysen genutzt, um gewinnmaximale Preise und Mengen zu bestimmen und ein totales Marktgleichgewicht mit mathematischen Modellen darzustellen.491 Vorlufiger Kulminationspunkt neoklassischer berlegungen bildet die von Arrow und Debreu angebotene Welt des allgemeinen Gleichgewichts.492
488 Das Modell des homo oeconomicus ist keine Erfindung der Neoklassik, die klassische Natio-

489 490

491

492

nalkonomie verwendet es bereits. Die Kritik an den realittsfernen Annahmen des Modells des homo oeconomicus wird kritisiert. Zu einem Versuch, den homo oeconomicus fr betriebswirtschaftliche Analysen zu rehabilitieren, vgl. Bretzke (1983) S. 27-62. Vgl. die Ausfhrungen zu Marktmodellen in den Abschnitten 5.3.2 bis 5.3.5. Zu den Nebenbedingungen gehren voll reagible, Gterknappheiten widerspiegelnde Marktpreise, vorgegebene mit wnschenswerten Eigenschaften ausgestattete Prferenz- und Produktionsfunktionen, gegebene Faktoranfangsausstattungen und weitere, die Informiertheit der Marktteilnehmer und ihr Entscheidungsverhalten betreffende Unterstellungen. 1874 beschreibt Leon Walras das totale Konkurrenzgleichgewicht (Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf allen Mrkten) durch die Lsung eines Gleichungssystems. 1936 weist Abraham Wald die Existenz eines solchen Gleichgewichts nach. Vgl. Arrow/Debreu (1954); Debreu (1959); Arrow/Hahn (1971). Arrow und Debreu haben fr ihre wissenschaftlichen Arbeiten den Nobelpreis erhalten. Arrow bekam ihn 1972, Debreu wurde er 1983 verliehen. Ein Hinweis sei hierzu gegeben: Der so genannte Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften ist nicht von Nobel selbst ausgelobt worden und insofern kein eigentlicher Nobelpreis. Er ist vielmehr ein Bankenpreis, den die schwedische Reichsbank 1968 zu ihrem 300-jhrigen Bestehen ins Leben gerufen hat und der seit 1969 verliehen wird.

220

Neoklassische Unternehmenstheorie und ihre Kritik

7.1

Neoklassische Untersuchungen basieren nicht nur auf dem Gleichgewichtsgedanken, darber hinaus werden Unternehmen als Einmann/Einfrau-Veranstaltungen begriffen. Eigentmer, Manager und mit Ausfhrungsaufgaben betraute Mitarbeiter treten in einer Person auf. Wenn in neoklassischen Anstzen Einpersonen-Unternehmen unterstellt werden, hat dies u.a. zur Folge, dass Interessengegenstze zwischen den genannten Personengruppen nicht thematisiert werden knnen, obwohl in realen Unternehmen mit vielfltigen Interessendivergenzen und unterschiedlichen Zielvorstellungen der Beteiligten zu rechnen ist. Insbesondere die Einheit von Eigentum an und Verfgungsgewalt ber die Vermgensgegenstnde ist in modernen Unternehmen hufig aufgehoben.493 Eigentmer beauftragen Manager, ihr Unternehmen zu fhren. Die Konsequenzen, die aus dieser Entwicklung folgen, kann die Neoklassik genauso wenig verdeutlichen wie die heterogenen Zielvorstellungen weiterer Mitglieder eines Unternehmens und unternehmensexterner Institutionen und Personen, die Einfluss auf die Bildung von Unternehmenszielen nehmen. Damit bleiben die komplizierten Verhandlungsprozesse, mit denen die unterschiedlichen individuellen Ziele zum Ausgleich gebracht werden, im Dunkeln, und es kann nicht dargestellt werden, dass die resultierenden Unternehmensziele letztlich einen Kompromiss darstellen, der nicht auf reine Gewinnmaximierung hinausluft. Der neoklassische Unternehmer plant, leitet, organisiert und fhrt die geplanten, geleiteten und organisierten Handlungen selber aus. Da er keine Mitarbeiter hat, kann er auch keinem auer sich selbst Anweisungen geben. Er muss auch niemanden auer sich selbst motivieren, etwas zu tun oder zu lassen. Eine innerbetriebliche Arbeitsteilung gibt es nicht. Organisation erscheint nur insofern, als der Unternehmer sich selbst und seine eigenen Arbeitsschritte organisieren muss. Stellen, Abteilungen, Instanzen, all diese Organisationseinheiten fehlen einem neoklassischen Unternehmen. Pointiert kann man formulieren: Der Unternehmer ist das neoklassische Unternehmen. Der Leistungsprozess von Unternehmen steht im Mittelpunkt der neoklassischen Unternehmenstheorie. Er wird mit Produktions-, Kosten- und Absatzfunktionen beschrieben und ist nur insofern wichtig, als ber Minimierung der Kosten ein bestimmter Gewinn mglich wird bzw. bei vorgegebenen Kosten ein maximaler Gewinn erzielt werden kann. Dabei bleibt der Ausgangspunkt neoklassischer Unternehmenstheorie die Produktionsfunktion des Unternehmens. Daher erscheinen neoklassische Unternehmen sehr vereinfachend letztlich als Produktionsfunktionen. Auch die neoklassische Annahme, Unternehmen wrden auf vollkommenen Mrkten agieren, ist durch die Realitt nicht gedeckt. Reale Marktwirtschaften weisen Marktunvollkommenheiten in unterschiedlicher Ausprgung auf. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass, wenn Wirtschaften als soziale Veranstaltung begriffen wird, externe Effekte, die ffentliche Gterproblematik und Unsicherheit in der Ausprgung des Unwissens immer Begleiterscheinungen des Wirt493 Vgl. Galbraith (1976) S. 88 ff.

221

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

schaftens sind. Damit sind Marktunvollkommenheiten herausgestellt, die in neoklassischen Modellen unbercksichtigt bleiben, denn sie gehen von privaten Gtern, die auf Mrkten gehandelt werden, aus und von Entscheidungssituationen, die durch Abwesenheit von Unwissen ausgezeichnet sind. Unter dem Dach des neoklassischen Unternehmens gibt es keine rivalisierenden Interessen zwischen Personen. Der Unternehmer, die einzige Person, die es im neoklassischen Unternehmen gibt, ist Eigentmer des Unternehmens. Er allein trifft die Entscheidungen und hat die damit in Zusammenhang stehenden Folgen voll zu verantworten und zu tragen. Die reale Erscheinung des Auseinanderfallens von Entscheidung und Verantwortung managergeleiteter Unternehmen, eine weitere Marktunvollkommenheit, kann von der Neoklassik nicht thematisiert werden. Darber hinaus unterstellt neoklassische Modellbildung, soweit sie sich auf polypolistische Marktstrukturen konzentriert, dass Unternehmen gleichmchtig sind. Die Wirklichkeit sieht auch hier anders aus. Es gibt Unternehmen, die mchtiger sind als andere und die ihre Macht einsetzen, um ihre Interessen auch gegen Widerstreben anderer Marktteilnehmer durchzusetzen zu versuchen. Ihre Macht versetzt sie in die Lage, ohne Ausgleichszahlungen die Interessen anderer zu verletzen. Dabei geht es nicht nur um Einflussnahme auf Personen (Bestechung), sondern wirtschaftliche Macht kann auch fr politische Zwecke, indem Einfluss auf politische Entscheidungen und ffentliche Institutionen genommen wird (Korruption), eingesetzt werden oder um eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen, um damit die Funktionsfhigkeit des Marktsystems auer Kraft zu setzen. Oligopolistische Marktstrukturen in realen Marktwirtschaften verdeutlichen, dass die mchtigen Oligopolisten nicht mehr nur auf (Preis-)Signale des Marktes reagieren, sondern gerade umgekehrt ber Absprachen aktiv versuchen, Marktdaten selbst zu setzen. Mchtige Unternehmen sind eine weitere Marktunvollkommenheit. Soweit das neoklassische Unternehmen lediglich aus der Unternehmerperson besteht und neben den personellen auch die weiteren Kapazitten des Unternehmens zunchst als begrenzt und fest vorgegeben unterstellt werden, kann die Frage nach der optimalen Gre eines Unternehmens nicht gestellt werden. Und da diese Frage nicht gestellt werden kann, ist auch die Frage, wie Unternehmen in Marktwirtschaften berhaupt mglich sind, fr die Neoklassik eine irrelevante, nicht zu beantwortende Frage. Fr die Betriebswirtschaftslehre sind die Bestimmung der Unternehmensgre und eine Erklrung, wie Unternehmen mglich sind, zentrale Probleme. Auf dem vollkommenen Markt der Neoklassik handeln Unternehmen ausschlielich nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip. Die Darstellung der Diskussion ber die Notwendigkeit einer eigenstndigen Disziplin Unternehmensethik hat gezeigt, dass es Fachvertreter gibt, die die Auffassung vertreten, dass in Fllen von Markt- und Staatsversagen neben dem gewinnorientierten und dem an Rechtsregeln orientierten Handeln ein an moralischen Werten orientiertes (auf Verstndigung angelegtes) Handeln

222

Neoklassische Unternehmenstheorie und ihre Kritik

7.1

tritt. Mit neoklassischen Instrumenten kann diese Erscheinung nicht beschrieben werden. Es ist offensichtlich, dass die neoklassische Unternehmenstheorie die Komplexitt realer Unternehmen in einem derartigen Umfang reduziert, dass ihre Erkenntnisse fr Betriebswirtschaftslehren, die eine realittsnhere Unternehmenstheorie anstreben, nicht ausreichen. Trotzdem hat die neoklassische Unternehmenstheorie eine nicht zu verkennende praktische Relevanz fr die betriebswirtschaftliche Theoriebildung. Dies soll die folgende Gedankenfhrung verdeutlichen. Nimmt man an, dass es der staatlichen Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik gelingt, eine idealtypische Wirtschaftsordnung und -verfassung in Form der Realisierung der notwendigen und hinreichenden Bedingungen einer vollkommenen Marktwirtschaft (bilaterales Polypol auf vollkommenem Markt) zu etablieren und zu sichern, wre eine darber hinausgehende Wirtschaftspolitik nicht notwendig, denn die Realisierung idealtypischer Voraussetzungen gewhrleistet den von neoklassischen Modellen dargestellten Wirtschaftsablauf. Unternehmen wrden das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen und es ber Anpassung ihrer Absatzmengen an die Preissignale des Marktes realisieren. Wenn nun die Vollkommenheitsbedingungen nach und nach durch die Annahme von Marktunvollkommenheiten ersetzt werden, die den Markt-PreisMechanismus teilweise auer Kraft setzen, wird eine ber die Etablierung idealtypischer Rahmenbedingungen hinausgehende Wirtschaftspolitik notwendig. Es ergibt sich ein zustzlicher wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf des Staates, sowohl in Bezug auf die Wirtschaftsordnung als auch in Bezug auf den Wirtschaftsprozess, um die Auswirkungen von Marktunvollkommenheiten in Grenzen zu halten. Gleichzeitig wachsen Unternehmen durch Markunvollkommenheiten Handlungs- und Entscheidungsspielrume zu, die nicht mehr durch die Marktstruktur der vollkommenen Konkurrenz determiniert sind. Erst unter den Bedingungen der Unvollkommenheit besteht die Mglichkeit und Notwendigkeit, dass Unternehmen ber eine reine gewinnmaximierende Mengenstrategie hinausgehende Unternehmensstrategien entwickeln, an denen sie ihr unternehmerisches Handeln orientieren. Genau auf diesen Sachverhalt weist die von Porter vorgelegte neuere Industriekonomik hin.494 Sie geht nicht von vollkommenen Mrkten aus. Vielmehr werden Branchenstrukturen identifiziert, die Vollkommenheitsbedingungen nicht gengen und sich im Hinblick auf das Ausma der durch sie wirkenden Wettbewerbskrfte unterscheiden. Porter nennt fnf Faktoren, die die Intensitt des Wettbewerbs bestimmen:495 Grad der Rivalitt unter den Wettbewerbern einer Branche, Markteintrittsbarrieren, die den Auftritt von neuen Konkurrenten behindern, Gefahr der Substitutionskonkurrenz in Form der Entwicklung von Ersatzprodukten, die vorhandene Produkte vom Markt verdrngen knnten,

494 Vgl. Porter (2009). 495 Vgl. Porter (2009) S. 35 ff.

223

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Machtbeziehungen zu Lieferanten und Machtbeziehungen zu den Abnehmern der eigenen Produkte.496

Die Analyse dieser Wettbewerbskrfte bildet die Grundlage fr eine Prognose der durchschnittlichen Branchenrentabilitt. Von dieser kann jedes in der Branche ttige Unternehmen, indem es eine individuelle Unternehmensstrategie verfolgt und/oder auf die in der Branche existierenden Wettbewerbskrfte einwirkt, abweichen und Wettbewerbsvorteile realisieren. Zwei Grundtypen von Unternehmensstrategien, die Wettbewerbsvorteile ermglichen, sind nach Porter zu unterscheiden: Realisierung niedrigerer Kosten als die Konkurrenz (umfassende Kostenfhrerschaft) und Produktdifferenzierung.497 Sowohl Unternehmensstrategien, die sich nach auen, insbesondere auf die relevanten Mrkte richten (Chancen-Risiken-Analysen) als auch nach innen gerichtetes strategisches Denken (Strken-Schwchen-Analysen) kennt die Neoklassik nicht. Der zunchst durch Marktunvollkommenheiten begrndete, ber reine Preis- und Mengenpolitik hinausgehende Handlungsspielraum der Unternehmen, der weitere Unternehmensstrategien ermglicht, wird wiederum eingeengt, indem die ebenfalls durch Marktunvollkommenheiten auf den Plan gerufene Wirtschaftspolitik den Ordnungsrahmen (insbesondere die Wirtschaftsverfassung) ausgestaltet, um die Konsequenzen von Marktversagen abzumildern. Einerseits mssen unter diesen Bedingungen Unternehmen nicht nur die Marktstruktur, sondern auch die staatlich gesetzten Rechtsregeln bei ihren Entscheidungen bercksichtigen. Andererseits wird der Entscheidungsprozess in derartigen Modellunternehmen im Vergleich zum Entscheidungsprozess in neoklassischen Unternehmen modifiziert, indem z.B. neben dem (oder den) Eigentmer(n) des Unternehmens weitere Interessengruppen (z.B. die Arbeitnehmer) am unternehmensinternen Entscheidungsprozess beteiligt werden. Die obigen Ausfhrungen zeigen, dass die Aussagen der neoklassischen Unternehmenstheorie, bedingt durch trivialisierende Annahmen bezglich der Unternehmenspraxis und den Einsatz der Mathematik, zwar eine berzeugende logische Konsistenz erreichen, diese allerdings mit einem weitgehenden Realittsverlust erkauft wird. Aus mindestens zwei Grnden besitzt die neoklassische Unternehmenstheorie trotzdem fr die Betriebswirtschaftslehre praktische Bedeutung. Einerseits knnen aus dem mathematischen Instrumentenkasten der Neoklassik Werkzeuge entnommen werden, mit denen Probleme der Unternehmenspraxis zu bearbeiten sind. Andererseits besitzt das neoklassische Unternehmensmodell als Referenzmodell, indem smtliche Elemente logisch aufeinander abgestimmt sind, fr die Betriebswirtschaftslehre eine prakti-

496 Die Industriekonomik geht also von Handlungsspielrumen aus, die durch die in der Bran497 Vgl. Porter (2009) S. 71 ff. Neben den beiden Hauptstrategien zur Erlangung von Wettbe-

che existierenden Wettbewerbskrfte begrenzt werden.

werbsvorteilen nennt Porter noch die Strategie der Konzentration auf Schwerpunkte (Konzentration auf Marktnischen). Im Ergebnis fhrt diese Strategie zur Differenzierung und/oder niedrigen Kosten.

224

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

sche Bedeutung. Denn indem die wirklichkeitsfremden Annahmen der neoklassischen Unternehmenstheorie eine nach der anderen aufgegeben werden und durch realittsnhere Annahmen ersetzt werden, kommt immer strker die Flle der Unternehmenswirklichkeit zum Vorschein. Mit der Verringerung des Abstraktionsgrades der Unternehmenstheorie wird diese allerdings immer komplexer und komplizierter. Gleichzeitig erscheint die Unternehmenspraxis immer weniger durch Rationalitt und durch Anwendung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips ausgezeichnet. Erreicht wird allerdings die wirkliche Wirklichkeit der Unternehmenspraxis durch noch so realittsnahe Modellbildung nie.

7.2

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

Wie weiter oben bereits hervorgehoben, geht es Gutenberg darum, eine Unternehmenstheorie zu entwerfen, die von allen Irrationalitten befreit ist. Dieses Vorhaben beruht, genau wie die neoklassische Unternehmenstheorie, auf der Denkfigur des homo oeconomicus. Sie bildet die Grundlage der Ableitung eines idealtypischen Unternehmens, das als Hintergrundfolie genutzt wird, um reale Unternehmen zu beschreiben und einen Beitrag zur Rationalisierung ihrer Unternehmensstrukturen und prozesse zu leisten, indem hierzu Vorschlge entwickelt werden. Gutenberg unterteilt sein Gedankengebilde Unternehmen in einen technischen, einen kommerziellen und einen finanziellen Teilbereich. Leistungserstellung (Beschaffung, Produktion) findet im technischen Bereich, Leistungsverwertung (Absatz) im kommerziellen Bereich statt, whrend im finanziellen Teilbereich die Funktionen Finanzierung und Investition zu erfllen sind. Genau wie die neoklassische Unternehmenstheorie konzentriert sich auch die betriebswirtschaftliche Theorie von Gutenberg zunchst auf den Leistungsbereich (Beschaffung, Produktion, Absatz). Unternehmen werden als Input-Output Systeme beschrieben. Ein Input (Menge an Produktionsfaktoren) wird durch eine Transformationsapparatur (Produktionsfunktion) geschickt und in einen Output (hergestellte Gtermenge) umgewandelt.

225

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Abbildung 39:

Unternehmen als Input-Output-Systeme

Unternehmen Input r1,ri,,rn f (r1,ri,,rn) =X Transformation von Input in Output Output X

Gutenberg beginnt seine Theoriebildung mit der Betrachtung der produktiven Ttigkeiten in Unternehmen. Unternehmen sind fr ihn vor allem produktive Systeme. Seine produktionstheoretische Perspektive erscheint insbesondere in dem von ihm entwickelten System produktiver Faktoren, mit dem die betriebliche Leistungserstellung beschrieben wird.

7.2.1

System produktiver Faktoren

Genau wie die Volkswirtschaftslehre unterscheidet die Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs ebenfalls drei produktive Faktoren. Whrend die Anzahl der Produktionsfaktoren von Volks- und Betriebswirtschaftslehre die gleiche ist, stimmen ihre Bezeichnungen der Produktionsfaktoren nicht berein. Auch der Inhalt, der sich hinter den Bezeichnungen verbirgt, ist in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre nicht der gleiche. Die Volkswirtschaftslehre arbeitet mit den Faktoren Arbeit, Boden und Kapital.498 Demgegenber unterscheidet Gutenberg die drei produktiven Faktoren: Menschliche Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoffe.499 Unter dem Namen
498 In der Volkswirtschaftslehre wird der Faktor Arbeit durchaus differenziert betrachtet. Ent-

lang des Ausbildungsstands der Arbeitskrfte teilen Volkswirte den Produktionsfaktor Arbeit in unterschiedliche Arbeitsklassen ein. Unter Kapital wird Sachkapital in Form von produzierten Produktionsmitteln (Gebude, Maschinen, Vor- und Zwischenprodukte) verstanden. Die Kategorie Boden umfasst die von der Natur bereitgestellten Ressourcen. 499 Zu der von Gutenberg vorgenommenen Einteilung produktiver Faktoren, vgl. Gutenberg (1971). Es gibt in der Betriebswirtschaftslehre andere als die von Gutenberg vorgeschlagene Klassifikation der Produktionsfaktoren. So unterscheidet Mellerowicz die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Organisation, vgl. Mellerowicz (1963) S. 175. Heute werden neben den von Gutenberg aufgefhrten Produktionsfaktoren insbesondere die produktiven Funktionen des Wissens und des Geldkapitals hervorgehoben. Auf die zunehmende Bedeutung von Wissen als Produktionsfaktor, seine Eigenstndigkeit und auf wesentliche Unterschiede zu den anderen Produktionsfaktoren macht Willke (2001) S. 64 ff. aufmerksam.

226

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

Betriebsmittel sind alle technischen Voraussetzungen der betrieblichen Leistungserstellung zusammengefasst, und der Begriff Werkstoffe bezeichnet die zur Produktion notwendigen Rohstoffe, Hilfsstoffe sowie Halb- und Fertigerzeugnisse. Die drei produktiven Faktoren sind fr Gutenberg Elementarfaktoren. Den Elementarfaktor menschliche Arbeitsleistung differenziert Gutenberg in zwei verschiedene Arbeitsleistungen und unterscheidet objektbezogene, ausfhrende von dispositiven Arbeitsleistungen. Die dispositive Arbeitsleistung wird aus dem Elementarfaktor menschliche Arbeitsleistung herausgenommen und als ein vierter Faktor identifiziert. Gutenberg bezeichnet diesen vierten Faktor mit unterschiedlichen Begriffen.500 Er nennt ihn den dispositiven Faktor oder Geschfts- und Betriebsleitung oder Geschfts- und Betriebsfhrung oder Unternehmensleitung oder Unternehmensfhrung. Dieser vierte Faktor besteht aus einer Person oder Personengruppe. Die eigentliche Funktion des dispositiven Faktors besteht in Marktwirtschaften nach Gutenberg nicht darin, Kapital zur Verfgung zu stellen oder das Risiko zu bernehmen, das mit der Geschftsttigkeit eines Unternehmens verbunden ist. Selbst die Geschftsfhrung erklrt Gutenberg nicht zur eigentlichen Aufgabe des dispositiven Faktors, und es ist auch nicht die Durchsetzung neuartiger Kombinationen, die Schumpeter als Hauptaufgabe des in Marktwirtschaften ttigen Unternehmers identifiziert. Die Kombination der elementaren Faktoren schlechthin ist die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Aufgabe der Unternehmer in marktwirtschaftlichen Systemen.501 Diese Aufgabe des dispositiven Faktors ist nach Auffassung Gutenbergs im eigentlichen Sinne nicht zu verwissenschaftlichen.502 Der dispositive Faktor [] ist in kein Verfahren auflsbar. Denn die groen Entscheidungen wurzeln in jener Irrationalitt, die das Geheimnis individueller Art zu denken und zu handeln bleibt.503 Die erste und kardinale Aufgabe der Unternehmensleitung besteht [] darin, die Unternehmungspolitik auf weite Sicht zu bestimmen und festzulegen.504 Gutenberg war der Ansicht, dass es keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensfhrung geben kann. Von verantwortlicher Stelle aus weitgehende und richtige Entscheidungen fr das Unternehmen zu treffen diese Kunst ist im Grunde weder lehr- noch lernbar.505 Die Unternehmensfhrung, die Gutenberg auch als psychophysisches Subjekt bezeichnet, ist aus der Unternehmung als Objekt der betriebswirtschaftlichen Theorie zu eliminieren. Fr Gutenberg heit dies: das psychophysische Subjekt wird eingeklammert, worin zum Ausdruck kommen soll, dass das Subjekt zwar da ist, und

500 501 502 503 504 505

Vgl. Gutenberg (1971) S. 3, S. 5, S. 131, S. 133, S. 136. Gutenberg (1971) S. 5. Vgl. Gutenberg (1971) S. 145. Gutenberg (1971) S. 147. Gutenberg (1971) S. 135. Gutenberg (1962) Vorwort S. 5.

227

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Bercksichtigung findet, aber als eigene Problemquelle ausgeschlossen bleibt.506 Wenn man die Ausfhrungen Gutenbergs nicht weiter lesen wrde, knnte man zur Auffassung gelangen, er habe sich mit Fragen der Unternehmensfhrung nicht befasst. Dem ist allerdings nicht so. Denn Gutenberg fhrt weiter aus: Es gibt jedoch eine groe Anzahl von Fragen der Unternehmensfhrung, die einer wissenschaftlichen Behandlung zugnglich sind.507 Dem Problemkomplex Unternehmensfhrung, soweit er rational fassbar und damit nach Auffassung Gutenbergs wissenschaftlich zugnglich ist, galt durchaus sein Interesse. Rationale Elemente des dispositiven Faktors sind Planung und Organisation, wobei unter Planung Vorschau und Willensbildung verstanden wird und Organisation als Gestaltung und Willensdurchsetzung zu begreifen ist. Fr Gutenberg gilt das Primat der Planung. Planung gibt die Ordnung des betriebswirtschaftlichen Geschehens vor, befreit es von Zuflligkeiten, macht Unberechenbares berechenbar und giet das Gewollte in rationale Formen.508 Demgegenber hat Organisation die Aufgabe, das Geplante durchzusetzen, indem sie dafr sorgt, dass das Geplante realisiert wird. Bei Gutenberg heit es: [U]nter Organisation [wird M.B.] nur diejenige Apparatur verstanden, die die Aufgabe hat, eine durch Planung vorgegebene Ordnung im Betriebe zu realisieren.509 Organisation ist der verlngerte Arm der Betriebs- und Geschftsleitung. Organisation ist das Mittel, das zum Einsatz kommt, um Planungen umzusetzen. Sie beinhaltet generelle und fallweise Regelungen. Fallweise Regelung wird verstanden als individuelle Anordnung. [M]it zunehmender Unbersichtlichkeit und Unbestndigkeit der zu organisierenden Tatbestnde nimmt die Mglichkeit ab, individuelle Anordnungen ad hoc durch generelle Regelungen zu ersetzen.510 Darber hinaus bemerkt Gutenberg, dass neben einer formellen, geplanten Organisation und Aufsicht eine spontan oder allmhlich entstehende informelle Fhrung [] einen organisatorisch uerst wichtigen Tatbestand darstellt.511 Mit diesem wichtigen Tatbestand beschftigt Gutenberg sich allerdings nur beilufig.512 Gutenbergs theoretisches Interesse konzentriert sich zunchst ausschlielich auf die Planung der Funktionsbereiche eines Unternehmens und die Beziehungen zwischen den Funktionsbereichen und nicht auf die Plandurchfhrung (Organisation). Die betriebswirtschaftliche Theoriebildung Gutenbergs startet mit der Unterstellung, dass die Planimplementation ohne Probleme abluft. Insofern wird die Organisation zunchst von Gutenberg nicht als Objekt der betriebswirtschaftlichen Theorie betrachtet.
506 Gutenberg (1929) S. 42. Spter fhrt Gutenberg das psychophysische Subjekt als dispositi-

507 508 509 510 511 512

ven Faktor, jedenfalls mit seinen rationalen Elementen als Analysegegenstand, wieder in die Betriebswirtschaftslehre ein. Gutenberg (1962) Vorwort S. 5. Vgl. Gutenberg (1971) S. 7, S. 147 und S. 235. Gutenberg (1971) S. 236. Vgl. Gutenberg (1971)S. 241. Gutenberg (1971) S. S. 295. Die informellen Aspekte der Organisation und Fhrung von Unternehmen werden bei der Darstellung der Hawthorne-Experimente in Abschnitt 8.3.2.3 ausfhrlich behandelt.

228

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

Schon in seiner Habilitationsschrift bringt Gutenberg diese Vorstellung explizit zum Ausdruck, indem er schreibt: Die Unternehmung als Objekt betriebswirtschaftlicher Theorie kann also nicht unmittelbar die empirische Unternehmung sein. Es muss fr sie [gemeint ist die betriebswirtschaftliche Theorie, M.B] die Annahme gemacht werden, da die Organisation der Unternehmung vollkommen funktioniert. Durch diese Annahme wird die Organisation als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet und soweit aus ihrer wissenschaftlich und praktisch bedeutsamen Stellung entfernt, da aus ihr keine Schwierigkeiten mehr fr die theoretischen Gedankengnge entstehen knnen. Die Annahme einer solchen eingestimmten, den reibungslosen Vollzug der betriebswirtschaftlichen Grundprozesse gewhrleistenden Organisation bedeutet nicht eine Negation, sondern lediglich eine Neutralisierung der Probleme der Organisation. Gerade aus der hier weiter vorzutreibenden Einstellung heraus wird sich eine Flle von Argumenten fr die wissenschaftliche Bevorzugung organisatorischer Fragen ergeben. Jedoch soll nunmehr der Blick von der Organisation fortgenommen und unmittelbar auf die Unternehmung als Objekt betriebswirtschaftlicher Theorie gelenkt werden.513 Festzuhalten ist: Das Gutenbergsche System produktiver Faktoren besteht aus insgesamt sechs Faktoren, aus drei Elementarfaktoren und drei dispositiven Faktoren. Einer der dispositiven Faktoren setzt sich aus irrationalen Elementen zusammen. Er ist einer wissenschaftlichen Analyse nicht zugnglich und kann daher keinen Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie und Lehre bilden. Die zwei rationalen Faktoren Planung und Organisation sind Gegenstnde der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre. Sie stellen derivate Faktoren dar, da ihre Aufgaben aus der eigentlichen Aufgabe des dispositiven Faktors abgeleitet sind. Schwerpunkt des Gutenbergschen Theoriekonzepts bildet die Planung des Zusammenwirkens der Produktionsfaktoren. Erst nachdem ein von allen Irrationalitten befreiter Unternehmensgesamtplan entwickelt worden ist, geht es um Fragen der Organisation im Sinne einer Realisierung des Geplanten.

513 Gutenberg (1929) S. 26.

229

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Abbildung 40:

Gutenbergs System produktiver Faktoren

Elementarfaktoren

Dispositive Faktoren

ausfhrende, objektbezogene, menschliche Arbeitsleistung Betriebsmittel

irrationale Faktoren

rationale Faktoren

Planung

Werkstoffe

Organisation

Es ist bereits hervorgehoben worden, dass der faktortheoretische Ansatz Gutenbergs die zentrale Aufgabe des dispositiven Faktors darin sieht, Elementarfaktoren planvoll zu kombinieren. Formal ausgedrckt geht es darum, eine Kombinationsvorschrift ausfindig zu machen, die bereits, als es um die Darstellung von Produktionsfunktionen ging, mit dem Buchstaben f bezeichnet wurde. Die Vorschrift f soll die Produktionsfaktoren nicht irgendwie zusammenbringen, sondern derart, dass eine Verschwendung von Ressourcen unterbleibt, damit ein mglichst gnstiges Verhltnis der Menge an hergestellten Gtern und der dafr eingesetzten Mengen an Produktionsfaktoren gesichert ist. Mit anderen Worten: Eine mglichst hohe Produktivitt ist das Ziel. Hierauf baut eine weitere Leitmaxime auf, nmlich das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Es besagt, dass das mit jeweiligen Preisen bewertete Verhltnis von hergestellten Produktmengen und Faktoreinsatzmengen mglichst wirtschaftlich (gnstig) zu gestalten ist. Nicht nur bei der Herstellung der Gter und Dienstleistungen, sondern auch bei der Leistungsverwertung (Absatz) und im finanziellen Bereich sind die Elementarfaktoren durch den dispositiven Faktor produktiv zu kombinieren. Die hergestellten Gter werden entsprechend einer Absatzfunktion am Markt verwertet. Die Verwertung der produzierten Gter am Markt hat unter Beachtung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips zu erfolgen. Darber hinaus sind Leistungserstellung und Leistungsverwertung von Strungen aus dem finanziellen Bereich freizuhalten. Damit ist das Prinzip der Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts angesprochen. Es besagt, dass die Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens terminlich mit den Ein-

230

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

nahmen abgestimmt werden mssen. Verkrzt gesagt: Unternehmen mssen zu jedem Zeitpunkt zahlungsfhig sein.514

7.2.2

Produktionsfunktionen, Determinanten der Produktivitt und Determinanten der Kosten

Um die Planung des Funktionsbereiches Produktion fr Industriebetriebe zu beschreiben, entwickelt Gutenberg eine nach ihm benannte Produktionsfunktion. Sie wird auch Produktionsfunktion Typ B genannt und unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von ertragsgesetzlichen Produktionsfunktionen des Typs A.515 Produktionsfunktionen des Typs A sind substitutionale Produktionsfunktionen. Dies bedeutet zweierlei: Einerseits fhrt die sukzessive Vermehrung des Einsatzes eines Produktionsfaktors bei Konstanz des Einsatzes der brigen Faktoren zu Ertragsnderungen, andererseits kann eine vorgegebene Ertragsmenge durch unterschiedliche Mengenkombinationen der Produktionsfaktoren hergestellt werden. Hieraus folgt, dass, ausgehend von einer bestimmten Kombination der Produktionsfaktormengen, eine Verringerung der Einsatzmenge eines Faktors durch den vermehrten Einsatz der anderen Faktoren ausgeglichen werden kann, so dass weiterhin die vorgegebene Ausbringungsmenge produziert werden kann. Im Fall substitutionaler Produktionsfunktionen ist es also mglich, eine bestimmte Gtermenge mit einer Vielzahl unterschiedlicher Einsatzmengen bzw. Einsatzmengenrelation der Produktionsfaktoren herzustellen. Da eine konstante Ausbringungsmenge durch Variation des Einsatzverhltnisses der Faktoren auf verschiedenste Art zu erreichen ist, steht fr jedes Ausbringungsniveau ein Spektrum von Produktionskoeffizienten zur Verfgung.516 Es werden zwei Arten der Substitutionalitt unterschieden, alternative und periphere Substitution. Im Falle alternativer Substitution knnen die Produktionsfaktoren vollstndig gegeneinander ausgetauscht werden, ohne dass hierdurch eine Ertragsnderung eintreten wrde. Bei peripherer Substitution, die auch als Randsubstitution bezeichnet wird, ist der Austausch der Produktionsfaktoren nur innerhalb bestimmter Grenzen mglich. Ein Faktor kann nicht vollstndig gegen einen anderen ausgetauscht werden, denn der Einsatz beider Faktoren ist im Fall peripherer Substitution notwendig, um berhaupt die Produktion in Gang zu bringen. Neben der Annahme peripherer Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren gelten fr ertragsgesetzliche Produktionsfunktionen weitere Voraussetzungen. U.a. ist davon auszugehen, dass Einsatzdauer und Qualitt der Produktionsfaktoren whrend der
514 Zu den drei von Gutenberg aufgefhrten grundlegenden Prinzipien vgl. Gutenberg (1990) 515 Vgl. Abschnitt 4.1.1. Gutenberg selbst beschreibt die Produktionsfunktion Typ A, vgl. Guten516 Zur Problematik der Bestimmung von Produktivittskennziffern und Produktionskoeffizien-

S. 43-45.

berg (1971) S. 303 ff.

ten, vgl. Abschnitt 5.5.

231

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Betrachtungsperiode nicht variiert werden knnen, sondern fest vorgegeben sind und lediglich die Anzahl der Produktionsfaktoren in beliebig kleinen Mengen vermehrt oder vermindert werden kann. Darber hinaus wird im Fall ertragsgesetzlicher Produktionsfaktoren unterstellt, dass nur eine einzige, qualitativ gleich bleibende Produktart hergestellt wird und das Ertragsgesetz fr den Gesamtbetrieb gilt. Gutenberg verdeutlicht, dass die Prmissen ertragsgesetzlicher Produktionsfunktionen fr Industriebetriebe nicht gelten.517 Um industrielle Produktion zu beschreiben, gibt Gutenberg die Annahme der Substitutionalitt der Produktionsfaktoren auf und konzipiert seine Produktionsfunktion als limitationale Produktionsfunktion. Limitationalitt bedeutet, dass eine vorgegebene Ausbringungsmenge nur mit einem ganz bestimmten technisch fest vorgegebenen Einsatzverhltnis der Produktionsfaktoren produziert werden kann. Die Grenzproduktivitt eines Faktors ist somit gleich null. Anders ausgedrckt: Bei vermehrtem Einsatz eines einzelnen Produktionsfaktors einer limitationalen Produktionsfunktion und Konstanz der Einsatzmengen der anderen Produktionsfaktoren kann kein zustzlicher mengenmiger Ertrag produziert werden. Eine Ertragssteigerung ist nur mglich, wenn entsprechend den technischen Bedingungen ein vermehrter Einsatz aller an der Produktion beteiligten Faktoren erfolgt. Limitationalitt bedeutet nicht, dass die Produktionskoeffizienten der einzelnen Faktoren konstant sein mssen.518 Die Gutenberg-Produktionsfunktion weist variable Produktionskoeffizienten auf. Die Produktionskoeffizienten variieren mit den Vernderungen des Niveaus der erstellten Produktmengen. Das Koppelungsverhltnis der Produktionsfaktormengen ist vom Ausbringungsniveau abhngig. In dieser Situation ist der Produktionskoeffizient eines Produktionsfaktors eine Funktion der Ausbringungsmenge. Die Gutenberg-Produktionsfunktion unterscheidet sich von einer ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion nicht nur dadurch, dass sie die Eigenschaft der Limitationalitt besitzt, whrend ertragsgesetzliche Produktionsfunktionen durch Substitutionalitt ausgezeichnet sind. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Annahme einer fest vorgegebenen Einsatzzeit der Produktionsfaktoren, unter der ertragsgesetzliche Produktionsfunktionen abgeleitet werden, aufgegeben wird und durch die Annahme einer variablen Einsatzzeit der Produktionsfaktoren ersetzt wird. Darber hinaus ist bei Produktionsfunktionen Typ B, anders als bei Produktionsfunktionen Typ A, der Verbrauch einzelner Produktionsfaktormengen nicht mehr nur von der Hhe der Ausbringungsmenge abhngig, sondern auch von der Intensitt, mit der z.B. Maschinen (Aggregate) gefahren werden.

517 Vgl. Gutenberg (1971) S. 320 ff. 518 Es gibt allerdings limitationale Produktionsfunktionen, bei denen dies der Fall ist. Leontief-

Funktionen haben diese Eigenschaft. Bei Leontief-Produktionsfunktionen ist das technische Koppelungsverhltnis der Produktionsfaktoren unabhngig vom Ausbringungsniveau. Eine Verdopplung der Inputmengen fhrt daher zu einer Verdoppelung der Outputmengen.

232

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion ist der dreistufige Aufbau der Gutenberg-Produktionsfunktion.519 Auf der ersten Stufe werden so genannte technische Verbrauchsfunktionen bestimmt. Dabei wird der Zusammenhang zwischen der technischen Leistung eines Aggregats pro Zeiteinheit (z.B. die technische Leistung 6 Ausstanzungen/Minute einer Stanzmaschine der Schuhindustrie) und dem Verbrauch an Produktionsfaktormengen pro technischer Leistungseinheit (z.B. Kilowatt Storm/Stanzvorgang) hergestellt. Dieser Zusammenhang wird fr jedes Aggregat (Maschine) und fr jeden Produktionsfaktor dargestellt. Auf der zweiten Stufe werden konomische Verbrauchsfunktionen ermittelt. Zu ihrer Ableitung bilden die technischen Verbrauchsfunktionen die Basis. Die technische Leistung (6 Ausstanzungen/Minute) wird in die konomische Leistung (z.B. 2 Brandsohlen) berfhrt. Auch diese Beziehung wird fr jedes Aggregat (Maschine) und fr jeden Produktionsfaktor ermittelt. Erst auf der dritten Stufe wird die Produktionsfunktion entwickelt. Damit wird eine Beziehung zwischen der Ausbringungsmenge eines bestimmten Produktes an einem bestimmten Aggregat und dem Faktorverbrauch an diesem Aggregat hergestellt. Indem die Verbrauchsmengen eines Produktionsfaktors ber smtliche Aggregate hinweg aufsummiert werden, erhlt man die gesamten Verbrauchsmengen eines bestimmten Produktionsfaktors, der zur Herstellung der Ausbringungsmenge eines bestimmten Produktes bentigt wird. Entsprechend der Gutenberg-Produktionsfunktion ist der mengenmige Verbrauch eines Produktionsfaktors fr eine vorgegebene Produktionsmenge abhngig von: der eingesetzten Menge der Aggregate, der Einsatzzeit der Aggregate, der Leistung der Aggregate und, wenn die Verbrauchsfunktionen der Aggregate sich unterscheiden, von ihren technischen Gegebenheiten.

Damit ist, anders als im Fall der Produktionsfunktion Typ A beim Vorliegen einer Produktionsfunktion Typ B nicht nur eine quantitative Anpassung mglich. D.h., eine Produktionsmengenvariation ist nicht nur ber die Vernderung der Anzahl der zur Produktion eingesetzten Maschinen zu erreichen, sondern auch, indem eine zeitliche Anpassung derart vorgenommen wird, dass die Maschinen lngere oder krzere Zeitspannen eingesetzt werden. Darber hinaus sind die intensittsmige Anpassung und die selektive Anpassung weitere Mglichkeiten, die Produktionsmenge entsprechend den Erfordernissen auszugestalten. Intensittsmige Anpassung bedeutet, dass die Maschinen schneller oder langsamer laufen gelassen werden. Bei selektiver

519 Vgl. Gutenberg (1971) S. 326 ff. Hier findet sich auch eine formal mathematische Darstellung

der Gutenberg-Produktionsfunktion.

233

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

Anpassung werden Maschinen mit unterschiedlichen technischen Eigenschaften zum Einsatz gebracht. Da das Produktionsergebnis wesentlich von der Beschaffenheit der Produktionsfaktoren bestimmt wird, untersucht Gutenberg die Bedingungen optimaler Ergiebigkeit der produktiven Faktoren.520 Bezogen auf menschliche Arbeit identifiziert Gutenberg subjektive und objektive Determinanten, deren jeweilige Ausprgungen die menschliche Arbeitsleistung beeinflussen. Zu den subjektiven Bedingungen zhlen folgende Faktoren: biologische und psychologische Anlagen, Fhigkeiten, Fertigkeiten, innere Antriebe, Einstellungen (insbesondere zum Arbeitsobjekt), Entfremdungserscheinungen, Leistungsbewusstsein, zwischenmenschliche Beziehungen in und auerhalb des Unternehmens u.a. Zu den objektiven Bedingungen, von denen die menschliche Arbeitsleistung abhngig ist, sind zu rechnen: die zum Einsatz gebrachte Arbeitstechnik, die Gestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsraumes, der Pausenregelung, die Hhe des Arbeitslohns, die als gerecht oder ungerecht empfundene Lohndifferenzierung, Leistungsprmien, die organisatorische Einbindung des Beschftigten u.a. Neben der Ausgestaltung der subjektiven und objektiven Arbeitsbedingungen durch das Unternehmen, die bezogen auf einige der aufgefhrten subjektiven Bedingungen nur in begrenztem Umfang mglich ist, wird die menschliche Arbeitsleistung ganz wesentlich dadurch bestimmt, inwieweit es dem Unternehmen gelingt, subjektive und objektive Arbeitsbedingungen aufeinander abzustimmen.521 Die Produktivitt der Betriebsmittelbestnde ist von ihrer Beschaffenheit und ihrer qualitativen und quantitativen Eignung, bestimmte Leistungen zu erstellen, abhngig. Die technische Beschaffenheit der Betriebsmittel wird bestimmt durch den Grad ihrer Modernitt, ihren Abnutzungsgrad und den Grad ihrer Betriebsfhigkeit. Unter Zuhilfenahme von Investitions- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind die gnstigsten technischen Produktionsverfahren zu ermitteln, und die Kapazitten der Betriebsmittel sind qualitativ und quantitativ so aufeinander abzustimmen, dass keine Disproportionen im kapazittsmigen Aufbau des Unternehmens entstehen, denn dies htte einen negativen Einfluss auf die Produktivitt der Betriebsmittel. Die Ergiebigkeit der Betriebsmittel ist weiter abhngig von der Fertigungsorganisation (Werkstattfertigung, Reihenfertigung, Fliefertigung, vollautomatische oder teilautomatische Fertigung u.a.) und hiermit im Zusammenhang stehend, von ihrer Eignung, umgerstet zu werden (Elastizitt), falls ein Wechsel der zu produzierenden Produktart anliegt.522 Die Produktivitt der Werkstoffe (Rohstoffe, Hilfsstoffe sowie Halb- und Fertigerzeugnisse) ist u.a. umso hher, je werkstoffgerechter sie verarbeitet werden und je mehr standardisierte und genormte Werkstoffe eingesetzt werden.523
520 521 522 523

Vgl. Gutenberg (1971) S. 11 ff. Zu Einzelheiten, vgl. Gutenberg (1971) S. 11-70. Zu Einzelheiten, vgl. Gutenberg (1971) S. 70-122. Zu Einzelheiten, vgl. Gutenberg (1971) S. 122-130.

234

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

Die Beschaffenheit und Eignung eines Produktionsfaktors bestimmen nicht nur seinen eigenen Verbrauch, sondern beeinflussen auch den Verbrauch anderer Produktionsfaktoren. Die Determinanten der Ergiebigkeit der Produktionsfaktoren beeinflussen somit auf mehrfache Weise das Produktionsergebnis. Darber hinaus wird die Produktivitt eines Produktionsfaktors und damit das Produktionsergebnis durch die Vorschrift bestimmt, wie, wann und wo die Produktionsfaktoren zu kombinieren sind. Die Kombinationsvorschrift und die Ausprgung der Determinanten der Ergiebigkeit der Produktionsfaktoren bestimmen zusammen die Produktivitt der Produktionsfaktoren. Auf den Ergebnissen der Analysen von Teilproduktivitten (Arbeits-, Betriebsmittel-, Werkstoffproduktivitt) und von Produktionsfunktionen errichtet Gutenberg seine Produktionstheorie. Sie bildet die Grundlage der Kostentheorie, indem sie das Mengengerst fr die Entwicklung von Kostenfunktionen liefert. Es wurde bereits dargestellt, wie, ausgehend von einer Produktionsfunktion, unter Bercksichtigung der Faktorpreise, eine monetre Produktionsfunktion und durch ihre Inversion eine Kostenfunktion abgeleitet werden kann.524 Damit ist klargestellt, dass Preisnderungen bei den Produktionsfaktoren die Kosten beeinflussen. Diese Einflussnahme muss nicht auf eine rein wertmige Vernderung der Kosten beschrnkt bleiben. Eine Preiserhhung bei einem Produktionsfaktor kann auch Substitutionsprozesse dergestalt auslsen, dass das Kombinationsverhltnis der Produktionsfaktormengen verndert wird, indem von dem teurer gewordenen Produktionsfaktor weniger Mengen und von einem Produktionsfaktor, der sich im Preis nicht verndert hat, mehr Mengen eingesetzt werden. Lohnerhhungen knnen beispielsweise dazu fhren, dass Arbeitszeit durch Maschinenzeit ersetzt wird. Soweit dies der Fall ist, gehen von Preisnderungen wert- und mengenmige Einflsse auf das Kostenniveau aus. Mit Preisnderungen ist lediglich eine von Gutenberg aufgefhrte Haupt-Kosteneinflussgre benannt.525 Neben nderungen der Faktorpreise analysiert Gutenberg den Einfluss von Vernderungen der technisch organisatorischen Produktionsbedingungen (Fertigungsverfahren, Arbeitsintensitt, Altersaufbau und Zusammensetzung der Mitarbeiter, Werkstoffeinsatz, Planung und Organisation u.a.), wozu auch Vernderungen der Faktorqualitten zhlen, auf das Kostenniveau. Als dritte und vierte Haupt-Kosteneinflussgre werden Produktmengenvariationen bei gegebenen Kapazitten und der Einfluss von nderungen des Produktionsprogramms, die Diskrepanzen zur Produktionsausstattung hervorrufen, auf das Kostenniveau untersucht. Darber hinaus analysiert Gutenberg Betriebsgren-Variationen und ihren Einfluss auf die Kostensituation. Das aus fnf Komponenten bestehende System der Kostendeterminanten bildet die Basis der Kostentheorie. Dabei muss beachtet werden, dass zunchst lediglich die Produktionskosten betrachtet werden und es notwendig ist, Vertriebs-, Finanzierungs- und Verwaltungskosten in die Betrachtungen mit einzubeziehen, wenn eine umfassendere Kostentheorie angestrebt werden soll.
524 Vgl. Abschnitt 5.3.2. 525 Zu Einzelheiten, vgl. Gutenberg (1990) S. 65 ff. sowie ausfhrlich, Gutenberg (1971) S. 344 ff.

235

Neoklassische Unternehmenstheorie und Gutenbergs faktortheoretisches Konzept

7.2.3

Absatz und Finanzierung

In den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre behandelt Gutenberg nicht nur die Produktions- und Kostentheorie, sondern auch die Funktionen Absatz und Finanzierung. Die zuletzt genannten Funktionsbereiche eines Unternhemens dienen nach Auffassung Gutenbergs grundstzlich dazu, die Produktion zu ermglichen. Lediglich wenn Absatz oder Finanzierung Engpsse darstellen, kommt ihnen Prioritt gegenber der Produktion zu. Produktions-, Absatz- und Finanzierungsfunktionen beschreiben das Input/Output-System, als das sich die Unternehmung, sofern sie Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre ist, darstellt.526 Whrend Gutenberg den Zeitfaktor beim Herleiten der Produktions- und der hierauf aufgesetzten Kostentheorie weitgehend ausklammert was in dem folgenden Zitat zum Ausdruck kommt: der Produktions- und Kostentheorie [wrde M.B.] wenig an betriebswirtschaftlich relevanter Problematik genommen werden, wenn der Faktor Zeit ausgeschaltet wrde527 ist Zeit und Unsicherheit ein zentrales Thema der Investitions-, Finanzierungs-528 und Absatztheorie529. Die Investitions- und Finanzierungstheorie geht davon aus, dass die finanziellen Vorgnge im finanziellen Bereich grundstzlich als sich in der Zeit vollziehend vorgestellt werden mssen530 und dass es ein typisches Merkmal finanzieller Planung sowohl auf nahe wie auf weite Sicht [ist M.B.], da sie unter Ungewiheit ber die Entwicklung der Daten in der Zeit vorgenommen werden mu. Diese Ungewiheit erstreckt sich sowohl auf die Hhe als auf die zeitliche Verteilung der Aus- und Einzahlungen.531 Mit Ungewissheit, die zum Unwissen ausarten kann, sind Unternehmen insbesondere konfrontiert, wenn sie ihren Blick nach auen richten, wenn sie ihre Umwelt, insbesondere ihre Mrkte beobachten. Unternehmen sind immer durch ein gewisses Ausma von Unwissen bezglich der Vorgnge auf ihren Absatzmrkten geprgt. Gutenberg schlgt vor: Angesichts dieser absatzwirtschaftlichen Situation mssen Unter-

526 527 528 529 530

Gutenberg (1984) S. 11. Gutenberg (1972) S. 6. Vgl. Gutenberg (1972). Vgl. Gutenberg (1984) S. 15 ff. Gutenberg (1972) S. 6. Der Begriff der Kapitalbindung enthlt den Faktor Zeit, der damit in die theoretische Betriebswirtschaftslehre eingefhrt wird. Gutenberg (1929) S. 36. Solange sich die Geldbewegung in der Unternehmung an den Gterumsatz lediglich anschmiegt oder anpat, bleibt die finanzielle Sphre im Eigensektor ohne akzentuierte Problematik. Erst wenn sich Gter- und Geldbewegungen in der Unternehmung zeitlich zueinander verschieben, tritt die finanzielle Sphre als eigenes Gebiet im Objekt der theoretischen Betriebswirtschaftslehre in Erscheinung, von dem dann Wirkungen ausgehen, die durch das Ganze der Unternehmung hindurch strahlen. Gutenberg (1929) S. 56. 531 Gutenberg (1972) S. 372.

236

Gutenbergs faktortheoretischer Ansatz

7.2

nehmen versuchen, das Unberechenbare so weit wie mglich berechenbar zu machen.532 Muss schon die Unternehmensleitung, wenn es ihr nicht gelingt, mittels Planung der Funktionsbereiche Finanzierung und Absatz, das Unberechenbare trotz aller Planungsrechnungen wegzurechnen, auf ihre irrationalen Elemente zurckgreifen, so ist sie endgltig gefordert, wenn es um echte Fhrungsentscheidungen533 geht. Irrationalitten aber sind nach Gutenberg einer wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre nicht zugnglich. Koch stimmt Gutenberg zu, indem er extrem formuliert: Menschliches Handeln ist der wissenschaftlichen Analyse nur dann zugnglich, wenn es rational vollzogen wird, d.h. wenn es ausschlielich auf Zielvorstellungen des Handelnden (Zwecke) zurckgefhrt werden kann. Ttigkeiten, die sich nicht rational begrnden lassen, knnen nicht mit Verstandesmitteln begriffen werden.534 Gutenberg, seine Mitstreiter und Nachfolger im Geiste haben versucht, durch die Entwicklung von Planungs- und Entscheidungsmethoden, der Unternehmenspraxis Instrumente an die Hand zu geben, um das ehemals nicht Berechenbare berechenbar zu machen. Demgegenber hat sich von Beginn an eine Gegenstrmung in der Betriebswirtschaftslehre breitgemacht, die die Rolle von Intuition, Kreativitt und Emotion bei der Entscheidungsfindung im Unternehmen hervorhebt und mit wissenschaftlichen Mitteln zu untersuchen versucht.535 Beide Richtungen werden im nchsten Kapitel unter den berschriften formalwissenschaftlich und verhaltenswissenschaftlich orientierte Betriebswirtschaftslehren zu Worte kommen.

532 Gutenberg (1990) S. 81. 533 Echte Fhrungsentscheidungen sind fr Gutenberg nur solche Entscheidungen, die fr den

Bestand des Unternehmens von Bedeutung sind, die nur aus dem Ganzen des Unternehmens heraus getroffen werden knnen und die von der Unternehmensleitung nicht an andere Personen delegiert werden knnen, vgl. Gutenberg (1971) S. 134. 534 Koch (1957) S. 581. 535 Vgl. Nippa (2001) S. 211- 247.

237

Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte

8.1

8 Entscheidungstheoretische
Konzepte

Betriebswirtschaftslehre, so konnte festgestellt werden, beschftigt sich mit wirtschaftlichen Handlungen in Unternehmen und von Unternehmen. Wirtschaftliche Handlungen wurden als bewusste Handlungen qualifiziert und von im Affekt ausgefhrten Handlungen abgegrenzt. Damit beruhen wirtschaftliche Handlungen auf Entscheidungen, die den wirtschaftlichen Handlungen vorgelagert sind. Mit der Entscheidung, die als Ausfluss eines Entscheidungsprozesses angesehen werden kann, wird festgelegt, wann, was, wie auszufhren ist. Damit rcken die Entscheidungen und der Entscheidungsprozess in den Mittelpunkt betriebswirtschaftlicher Betrachtungen. Mittlerweile haben sich zwei Hauptrichtungen entscheidungsorientierter Betriebswirtschaftslehren etabliert. Betriebswirtschaftliche Anstze, die entscheidungslogisch vorgehen (formalwissenschaftliche Richtungen), knnen von Anstzen unterschieden werden, die reale, empirisch vorfindbare Entscheidungsprozesse untersuchen (verhaltenswissenschaftliche Richtungen). Bevor die Grundgedanken der formal- und verhaltenswissenschaftlichen Richtungen der betriebswirtschaftlichen Entscheidungslehre skizziert werden, sollen Gemeinsamkeiten dieser Konzepte herausgestellt werden.

8.1

Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte

Zwei Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte werden im Folgenden behandelt. bereinstimmung zwischen formal- und verhaltenswissenschaftlichen Betrachtungen besteht einerseits darber, was eine Entscheidung ausmacht, durch welche bestimmenden Merkmale eine Entscheidung charakterisiert werden kann. Die konstitutiven Elemente einer Entscheidung werden im Grundmodell der Entscheidungstheorie zusammengefasst. Andererseits liefern beide Richtungen der Entscheidungstheorie eine weitgehend bereinstimmende Klassifikation von Entscheidungssituationen. Das Grundmodell der Entscheidungstheorie und die Klassifikation von Entscheidungssituationen werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt.

239
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_9, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Entscheidungstheoretische Konzepte

8.1.1

Grundmodell der Entscheidungstheorie

Vertreter der formal- und verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie sind sich einig, dass eine Entscheidung die Existenz von Alternativen voraussetzt, zwischen denen gewhlt werden kann. Ohne Wahlmglichkeit liegt keine Entscheidungssituation vor. Eine Entscheidung treffen heit, zwischen Alternativen auszuwhlen. Gewhlt wird zwischen Handlungsmglichkeiten (Handlungsalternativen). Auch wenn smtliche Handlungsmglichkeiten, in einer bestimmten Problemsituation, bekannt wren, was realiter nie der Fall ist, kann alleine mit diesem Wissen die Wahl einer dieser Mglichkeiten noch nicht begrndet werden. Sinnvollerweise ist eine Entscheidung an den vermuteten Folgen, welche die Ausfhrung der gewhlten Handlung nach sich zieht, zu orientieren. Da die erwarteten Handlungsfolgen nicht nur von der eigenen Entscheidung, sondern ebenfalls von den Entscheidungen anderer und weiterer Umstnde, unter denen entschieden wird, abhngig sind, besteht die Notwendigkeit, Erwartungen darber zu entwickeln, wie andere entscheiden und handeln werden und mit welchen weiteren Gegebenheiten zu rechnen ist. An diese Erwartungen und insbesondere an den Erwartungen darber, welche Verhaltenserwartungen andere Entscheidungstrger entwickelt haben, orientieren sich Entscheidungen. Wenn auch andere entscheiden, ist derjenige, der zu entscheiden hat, mit dem weiter oben ausfhrlich diskutierten Phnomen der doppelten Kontingenz konfrontiert, was mit dem Gefangenendilemma beschrieben werden kann. Auch aus der Kenntnis der eigenen Entscheidungs- und Handlungsmglichkeiten und den Erwartungen ber die Entscheidungs- und Handlungsmglichkeiten anderer Entscheidungstrger und weiterer Entscheidungsumstnde, die unter dem Begriff Umweltsituationen oder Umweltlagen zusammengefasst werden knnen, lassen sich die Handlungsfolgen einer Handlung noch nicht ableiten. Es mssen Algorithmen, Rechenverfahren bzw. Verknpfungsregeln bekannt sein, mithilfe derer die Menge aller Handlungsalternativen mit der Menge der potenziellen Umweltsituationen verknpft werden knnen. Ihr Einsatz ermglicht, Erwartungen ber Handlungsfolgen der eigenen Handlungen zu entwickeln, mit denen die eigene Entscheidung begrndet werden kann. Allerdings sind die ber das skizzierte Verfahren berechneten Handlungskonsequenzen allein immer noch nicht als ausreichende Vorbedingung fr sinnvolles Entscheiden anzusehen. Diese sind erst geschaffen, wenn die erwarteten Handlungsfolgen entsprechend der angestrebten Ziele bewertet worden sind. Um endgltig eine Entscheidung zu fundieren und zu erklren, ist es weiter u.a. notwendig, sich Gedanken ber die Informiertheit und die Persnlichkeit derjenigen zu machen, die Entscheidungen treffen, denn vom Informationsstand und persnlichen Merkmalen des Entscheidungstrgers ist es abhngig, welche Entscheidungsregeln und -verfahren zum Einsatz kommen. In entscheidungstheoretischen Anstzen werden die herausgestellten Elemente als konstitutive Elemente einer Entscheidung bezeichnet. Sie sollen noch einmal zusammenfassend in Listenform notiert werden:

240

Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte

8.1

Handlungsmglichkeiten Umweltsituationen Rechenverfahren, die Handlungsmglichkeiten und Umweltlagen verknpfen Handlungsfolgen Ziele Informiertheit ber die Punkte 1 bis 5 Entscheidungsregeln und -verfahren

Die Elemente 1 bis 5 knnen im Grundmodell einer Entscheidung zusammengefasst werden und lassen sich formal in einer Entscheidungsmatrix darstellen.

Abbildung 41:

Grundmodell der Entscheidungstheorie


u1 a1 a2
: :
k11 (z11) k21 (z21) : : ki1 (zi1) : : kn1 (zn1)

u2
k12 (z12) k22 (z22) : : ki2 (zi2) : : kn2 (zn2)

..........
.......... ..........

uj
k1j (z2j) k2j (z2j) : :

..........
.......... ..........

um
k1m (z1m) k2m (z2m) : :

ai
: :

..........

kij (zij) : :

..........

kim (zim) : :

an

..........

knj (znj)

..........

knm (znm)

ai : = Handlungsalternativen (i = 1,..., n) uj: = Umweltsituationen (j = 1,..., m) kij bzw. zij: = numerische Werte der Handlungskonsequenzen bzw. Zielbeitrge

Die Matrix K (kij K) der Handlungsfolgen wird als Ergebnismatrix bezeichnet. Indem jedem kij genau ein zij Z zugeordnet wird, entsteht die Entscheidungsoder Zielbeitragsmatrix (Z).

8.1.2

Klassifikation von Entscheidungssituationen

Entscheidungssituationen lassen sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten einteilen. Ein Klassifikationskriterium stellt die informelle Basis einer Entscheidung dar. Abhngig davon, in welchem Umfang Informationen ber die Elemente der Entschei-

241

Entscheidungstheoretische Konzepte

dungsmatrix vorliegen, werden Entscheidungssituationen unter Sicherheit, Unsicherheit, Risiko, Ungewissheit536 und Unwissen unterschieden. Entscheidungssituationen unter Sicherheit zeichnen sich dadurch aus, dass vollstndige Informationen ber smtliche oben aufgefhrten Elemente des Grundmodells der Entscheidungstheorie vorliegen. Es besteht vollstndige Kenntnis darber, was gewollt wird, zwischen welchen Handlungsalternativen gewhlt werden kann, insbesondere besteht vollstndige Kenntnis darber, welche Umweltsituation eintreten wird. Darber hinaus sind die aus den eigenen Handlungen und der Umweltsituation resultierenden Handlungsfolgen vollstndig berechenbar. Viele Flle, die in der betriebswirtschaftlichen Theorie behandelt wurden, sind in der heutigen Terminologie als Entscheidungen unter Sicherheit zu bezeichnen. Hierher gehrt die Theorie der Preispolitik, wie sie Schmalenbach und F. Schmidt entworfen haben. Auch in der sogenannten mikrokonomischen Theorie hat bisher dieser Typ von Entscheidungssituationen vorgeherrscht.537 Demgegenber ist im Falle von Entscheidungen unter Unsicherheit entweder der Eintritt von bekannten Umweltzustnden unsicher, oder einige Komponenten des oben beschriebenen Entscheidungsmodells sind vollstndig unbekannt. Ist der zuletzt genannte Fall gegeben, spricht man von Entscheidungssituationen unter Unwissen.538 Wenn lediglich ber den Eintritt von Umweltzustnden keine Sicherheit vorliegt, smtliche weiteren Elemente der Entscheidung aber bekannt sind, liegen entweder Entscheidungen unter Risiko oder Entscheidungen unter Ungewissheit vor.539 Risiko-Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, dass Umweltsituationen, die eintreten knnten, zwar bekannt sind, der Eintritt einer bestimmten Umweltsituation allerdings nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann. Beruht die Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf statistischen Untersuchungen, spricht man von objektiven Wahrscheinlichkeiten. Derartige Wahrscheinlichkeiten beruhen auf reprsentativen Stichproben. Sie werden in Unternehmen beispielsweise
536 Bei der Bestimmung der Begriffe Risiko und Ungewissheit wird hier auf Vorstellungen von

H. Knight zurckgegriffen, vgl. Knight (1921) besonders S. 197 ff. Knight versteht unter Risiko eine durch die Bekanntheit objektiver Wahrscheinlichkeitsverteilungen der zuknftigen Ereignisse geprgte Situation. Zu der von Knight benutzten weitergehenden Begrifflichkeit, vgl. Knight (1921) S. 20 ff. 537 Gutenberg (1971) S. 141. 538 Es ist insbesondere von Hayek, der Fragen des Unwissens nachgeht. Er betont, da alle wirtschaftlichen Probleme durch unvorhergesehene nderungen hervorgerufen werden, die Anpassungen erfordern, Vgl. von Hayek (1952) S. 133 sowie S. 109. Insofern weist der von Hayeks Ansatz ber den Ansatz von Knight hinaus. Letzterer konzentriert sich auf Risiko und Ungewissheit und thematisiert Fragen des Unwissens nur peripher. 539 In betriebswirtschaftlichen Lehrbchern findet man hufig eine andere Art der Begriffsverwendung. Es werden sicheren Entscheidungssituationen ungewisse gegenbergestellt und Unsicherheit und Risiko als Ausprgungen der Ungewissheit behandelt, vgl. statt anderer Bea/Friedl/Schweitzer (2009) S. 59 f. Es bleibt ungeklrt, wieso der Sicherheit nicht ihre Negation, die Unsicherheit (Nicht-Sicherheit), gegenbergestellt wird.

242

Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte

8.1

fr Qualittskontrollen, bei der Erstellung eines Inventars und in der Marktforschung zum Einsatz gebracht, um Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu ermitteln. Hufig sind keine objektiven Wahrscheinlichkeiten zu errechnen. Die betriebswirtschaftliche Literatur empfiehlt, in solchen Fllen auf subjektive Wahrscheinlichkeiten zurckzugreifen540, und versteht hierunter ein Ma fr die Strke, mit der ein Entscheidungstrger daran glaubt, dass eine bestimmte Umweltlage eintreten wird. Im Falle von ungewissen Entscheidungssituationen lassen sich keine Angaben bezglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der potenziellen Umweltsituationen machen. Ihr Eintritt erscheint somit als gleich wahrscheinlich. Mithilfe von so genannten Entscheidungsbumen lassen sich die Unterschiede zwischen unsicheren und sicheren Entscheidungssituationen verdeutlichen. Eine Entscheidung unter Sicherheit ist dadurch ausgezeichnet, dass sich zunchst die Umwelt festlegt, indem z.B. entweder die Umweltsituation oder eintritt. Erst nachdem dies geschehen ist, wird eine Entscheidung zwischen den Alternativen und getroffen. Es wird die Alternative gewhlt, mit der das beste Ergebnis verbunden ist. Der Zeitpunkt, an dem der Entscheider eine Entscheidung trifft (Entscheidungspunkt), liegt nach dem Zeitpunkt, an dem die Welt sich festlegte (Zufallspunkt). Fr das in Abbildung 42 dargestellte Beispiel gilt: Ist die Umweltlage eingetreten und gilt , ist die Alternative zu whlen. Liegt die Umweltsituation vor und sind die Zielbeitrge wie folgt angeordnet: hat der Entscheidungstrger sich fr die Handlungsalternative zu entscheiden.

Abbildung 42:

Entscheidungen unter Sicherheit

z11 a1 Entscheidungspunkt

z12 a2

z21 a1

z22 a2

u1 Zufallspunkt

u2

540 Auf Probleme, die bei der Ermittlung subjektiver Wahrscheinlichkeitsverteilungen auftreten,

weist Bamberg/Coenenberg/Krapp (2008) S. 67 ff hin.

243

Entscheidungstheoretische Konzepte

Fr Entscheidungen unter Unsicherheit ist charakteristisch, dass die Entscheidung zwischen Alternativen zu einem Zeitpunkt getroffen wird, an dem eine bestimmte Umweltsituation noch nicht Realitt geworden ist. Nachdem eine Alternative ( oder ) gewhlt wurde, antwortet die Welt mit einer Umweltsituation ( oder ). Der Zeitpunkt, an dem der Entscheider eine Entscheidung trifft, liegt vor dem Zeitpunkt, an dem die Welt sich festlegt. Der Entscheidungstrger ist zwar, bevor er seine Entscheidung trifft, ber smtliche Umweltlagen, die eintreten knnten, informiert, er ist aber nicht sicher, welche dieser Umweltsituationen eintreten wird, nachdem er seine Entscheidung getroffen hat. Erst nachdem eine Umweltlage Realitt geworden ist, kann er angeben, welche Konsequenzen seine eigene Entscheidung nach sich zieht.

Abbildung 43:

Entscheidungen unter Unsicherheit

z11 u1 Zufallspunkt

z12 u2

z21 u1

z22 u2

a1 Entscheidungspunkt

a2

Sichere und unsichere Entscheidungen, soweit Letztere risikoreiche und ungewisse Entscheidungen sind, werden als wohl strukturierte Entscheidungssituationen bezeichnet. In derartigen Entscheidungssituationen kennt der Entscheidungstrger smtliche Elemente des Grundmodells einer Entscheidung. Von wohl strukturierten Entscheidungssituationen sind schlecht strukturierte Entscheidungssituationen (Entscheidungssituationen unter Unwissen) zu unterscheiden. Liegen schlecht strukturierte Entscheidungssituationen vor, sind dem Entscheidungstrger einige oder alle Komponenten des oben beschriebenen Entscheidungsmodells vollstndig unbekannt. Die vorgefhrte Klassifikation von Entscheidungen entlang des Kriteriums Sicherheitsgrad der Informationsbasis ist in der folgenden Abbildung 44 zusammenfassend noch einmal wiedergegeben.

244

Gemeinsamkeiten entscheidungstheoretischer Konzepte

8.1

Abbildung 44:

Charakterisierung von Entscheidungen

Differenzierung von Entscheidungen entsprechend dem (Un-)Sicherheitsgrad ihrer Informationsbasis

Entscheidungen unter Sicherheit

Entscheidungen unter Unsicherheit

Entscheidungen unter Risiko

Entscheidungen unter Ungewissheit

Entscheidungen unter Unwissen

Wohl strukturierte Entscheidungen

Schlecht strukturierte Entscheidungen

Zur Gliederung von Entscheidungen werden, neben dem Informationsumfang bezglich der Elemente des Grundmodells der Entscheidungstheorie, weitere Kriterien herangezogen. Beispiele fr derartige Klassifikationsmerkmale sind: Anzahl der verfolgten Ziele Hiernach werden Entscheidungssituationen, in denen lediglich ein Ziel verfolgt wird, von jenen unterschieden, in denen mehrere Ziele angestrebt werden. Ausprgung der Entscheidungsinstanz (des Entscheidungstrgers) Es macht einen Unterschied, ob es sich um Individualentscheidungen oder Kollektiventscheidungen handelt. Im Fall von Kollektiventscheidungen ist grundstzlich nicht von einheitlichen Prferenzen (Zielen) der Mitglieder des Kollektivs auszugehen. Mit Entscheidungskompetenz ausgestattete Gremien in Unternehmen sind mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Insbesondere ist mit Interessendivergenzen aufgrund der Aufgaben, die Entscheidungstrger in Unternehmen wahrnehmen, zu rechnen. Zwischen Eigentmer-, Manager- und Arbeitnehmerinteressen besteht in den seltensten Fllen Harmonie. Gleiches gilt fr die Interessen der Reprsentanten unterschiedlicher Ressorts und bezglich der Ressortsinteressen sowie den Interessen derjenigen, die Verantwortung fr das Unternehmen als Ganzes tragen. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist, wie es trotz der unterschiedlichen Vorstellungen der an Kollektiventscheidungen Beteiligten mglich ist, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen. Auch im Fall von Individualentscheidungen ist realiter nicht davon auszugehen, dass der Entscheidungstrger mit konsistenten (widerspruchsfreien), vollstndigen und stabilen (gleich-

245

Entscheidungstheoretische Konzepte

bleibenden) Prferenzen ausgestattet ist. Hufig ist von intrapersonellen Zielkonflikten, unvollstndigen und sich wandelnden Zielsystemen auszugehen. Entscheidungsgegenstand Bezglich dieses Kriteriums kann zwischen Routineentscheidungen und innovativen Entscheidungen differenziert werden. Die einschlgige Literatur macht auch einen Unterschied zwischen Ziel- und Mittelentscheidungen. Zeitliche Reichweite Entsprechend diesem Kriterium unterteilt man in lang-, mittel- und kurzfristige Entscheidungen. Neben der zeitlichen Reichweite wird die zeitliche Interdependenz als Gliederungskriterium genannt. Seine Anwendung ermglicht eine Einteilung der Entscheidungen in einstufige (statische) und mehrstufige (dynamische) Entscheidungen. Einstufige Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, dass Folgeentscheidungen unbercksichtigt bleiben bzw. mehrere Entscheidungen in einer Simultanentscheidung zu einer Gesamtentscheidung zusammengefasst werden. Mehrstufige Entscheidungen sind Sukzessiventscheidungen. Die vorhergehende Entscheidung beeinflusst ihre Nachfolger. Mit der Einfhrung der Zeit als Klassifikationskriterium kann darber hinaus der vor der eigentlichen Entscheidung liegende Entscheidungsprozess in einzelne Phasen gegliedert werden.

8.2

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

Formalwissenschaftliche Anstze beruhen auf den Annahmen, dass smtliche Informationen ber das Entscheidungsproblem bereits vorliegen und es daher als geschlossenes Modell darstellbar ist und dass Entscheiden sich rational, entsprechend den Grundannahmen der Logik, vollzieht. Entscheidungssubjekte (Entscheidungstrger) sind diejenigen, die Entscheidungen treffen bzw. denen eine Entscheidung zugerechnet wird. Hierbei wird unterstellt, dass die Entscheider eine Maximierung ihres eigenen Nutzens anstreben. Mit diesen Prmissen beruft sich die formalwissenschaftliche Richtung der Entscheidungstheorie auf das konomische Basiskonzept und orientiert sich am Modell des homo oeconomicus. Bei ihren Versuchen, den Entscheidungsprozess in Unternehmen zu beschreiben und zu erklren, gehen formalwissenschaftliche Entscheidungsanstze axiomatisch-deduktiv vor. Ihre Theoriearchitektur und die dahinter liegenden Grundannahmen entsprechen der neoklassischen Art der Weltbetrachtung. Die grundlegende Gedankenfhrung formalwissenschaftlicher Anstze lsst sich wie folgt beschreiben: Eine Zielfunktion (z. B. Gewinn, Umsatz, Deckungsbeitrag, Durchlaufzeit, Kosten), die als exogen gegeben betrachtet wird, soll unter Nebenbedingungen (z.B. verfgbare Kapazitten, Lieferfristen, Kreditlinien) optimiert werden. Zur Bestimmung eines Optimums werden mathematische Modelle und Methoden einge-

246

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

setzt. Mithilfe von Optimierungsmodellen, linearer und dynamischer Programmierung, Simulationsmodellen, Spieltheorie und Netzplantechnik soll abgeschtzt werden, welchen Beitrag die Folgen einer Entscheidung fr die Zielerreichung und die Einhaltung der Nebenbedingungen leisten.541 Entscheidungslogische Modelle finden insbesondere auf operativer Ebene im mittleren und unteren Bereich betrieblicher Abteilungsbildung Anwendung542 und werden hier zur Vorbereitung von Entscheidungen genutzt. Entscheidungsprobleme auf dieser Betrachtungsebene sind im Vergleich zu strategischen Entscheidungsnotwendigkeiten berschaubarer. Whrend strategische Entscheidungen die Unternehmenspolitik langfristig und ber smtliche Funktionsbereiche hinweg bestimmen, indem weit in die Zukunft hinein sowohl Entwicklungen in der Umwelt als auch im Unternehmen antizipiert werden, geht es bei operativen Entscheidungen darum, unter Beachtung der durch die strategischen Entscheidungen gesetzten Entscheidungsprmissen543, kurzfristig fr Einzelprobleme in bestimmten Funktionsbereichen Entscheidungen vorzubereiten. Beispiele sind Versuche, mithilfe mathematischer Modelle die optimale Bestellmenge, optimale Maschinenbelegungsplne, krzeste Wege, optimale Investitionsprogramme usw. zu bestimmen. Derartige Modelle sollen die operative Planung untersttzen. Planung wird aus der Perspektive der formalen Entscheidungstheorie nicht umfassend im Sinne von Planaufstellung und Plandurchfhrung verstanden. Vielmehr konzentrieren sich die formalen Entscheidungsmodelle auf die Phase der Aufstellung der Funktionsbereichsplne. Probleme, die bei der Plandurchfhrung auftreten, liegen auerhalb des Interesses der entscheidungslogischen Richtung der Betriebswirtschaftslehre. Diese Sichtweise erinnert an Vorstellungen, die Gutenberg bei der Ableitung seiner wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre zugrunde legte. Auch er abstrahierte zunchst von Problemen, die bei der Durchfhrung von Plnen auftreten, und ging davon aus, dass weite Bereiche der Unternehmensfhrung insbesondere ihre strategischen Entscheidungen, die immer irrationale Elemente enthalten, einer wissenschaftlichen Analyse nicht zugnglich sind. Um optimale Entscheidungen zu generieren, hat die formale Entscheidungstheorie, abhngig von der jeweiligen Entscheidungssituation, Entscheidungsmodelle entwickelt. In diesen Entscheidungsmodellen, die sich ausschlielich auf wohl strukturierte Entscheidungssituationen (Sicherheit, Risiko und Ungewissheit) beziehen, sind Ent541 In den USA und Grobritannien wird diese Richtung als Management Science bezeichnet,

in Deutschland als mathematische Schule der Betriebswirtschaftslehre. Inhaltlich wird das Gleiche abgehandelt wie in der Unternehmensforschung (Operation Research). Gutenberg leistete fr diese Richtung der Betriebswirtschaftslehre Pionierarbeit. 542 Vgl. Gutenberg (1971) S. 141. Mittlerweile wird allerdings auch versucht, hochkomplexe Probleme formalwissenschaftlich abzubilden z. B. ber Expertensysteme, knstliche Intelligenz, neuronale Netze und unter Rckgriff auf die Fuzzy Logik. 543 Der Begriff Entscheidungsprmisse wurde von Simon eingefhrt, vgl. Simon , H. A. (1981) S. 37.

247

Entscheidungstheoretische Konzepte

scheidungsregeln integriert. Dabei wird unter einer Entscheidungsregel eine Anweisung zur Auswahl einer bestimmten Handlungsalternative verstanden. Einige in der Betriebswirtschaftslehre diskutierten Entscheidungsregeln sollen in den folgenden Abschnitten beschrieben werden.

8.2.1

Entscheidungsregeln fr wohl strukturierte Entscheidungen

Als es um die Klassifikation von Entscheidungen entsprechend ihrer informellen Basis ging, wurden wohl strukturierte Entscheidungen weiter differenziert in Entscheidungen unter Sicherheit, Risiko und Ungewissheit. Entlang dieser Unterscheidung entwickelt die einschlgige Literatur Entscheidungsregeln.544

8.2.1.1

Entscheidungsregeln fr Entscheidungen unter Sicherheit

Im Fall sicherer Entscheidungssituationen, die auch als deterministische Entscheidungssituationen bezeichnet werden, ist bekannt, welche Umweltsituation eintreten wird. Auch ber alle weiteren Elemente des Grundmodells der Entscheidungstheorie liegen vollstndige Informationen vor. Damit ist die Entscheidungssituation, wenn man die Darstellungsform als Entscheidungsmatrix heranzieht, als Spaltenvektor darstellbar. Jedenfalls gilt dies solange, wie lediglich ein Ziel verfolgt wird. Die Alternative ist zu whlen, die den gnstigsten Zielbeitrag liefert. Die Entscheidung eines Unternehmens bezglich seines Produktionsprogramms, das auf zwei Maschinen jeweils zwei Produkte (Produkt 1 und Produkt 2) herstellen kann und als einziges Ziel die Maximierung des Deckungsbeitrags verfolgt, soll als Beispiel fr eine sichere Entscheidungssituation durchgerechnet werden. Es sei daran erinnert, dass der Deckungsbeitrag pro abgesetztes Stck die Differenz zwischen Verkaufspreis und variablen Stckkosten ist. Fr Produkt 1 wird ein Deckungsbeitrag von 1,5 Geldeinheiten (GE), fr Produkt 2 ein Deckungsbeitrag von 1 GE erwartet. Die Produktion von Abfall soll ausgeschlossen werden. Das heit, von Produkt 1 und/oder von Produkt 2 kann entweder gar nichts oder es knnen positive Mengen produziert werden. Wenn mit dem Buchstaben x die Produktionsmenge bezeichnet wird und ein entsprechender Index (1 oder 2) verdeutlicht, ob es sich um die Produktionsmenge des Produktes 1 oder 2 handelt, lsst sich die Nichtnegativittsbedingung formal notieren mit: .

544 Zu einer in die Tiefe und Breite gehenden Darstellung von Entscheidungsregeln,

vgl. Bamberg/Coenenberg/Krapp (2008) S. 41 ff.

248

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

Fr eine grafische Darstellung des Entscheidungsproblems im kartesischen Koordinatensystem bedeuten diese (Un-)Gleichungen, dass nur der rechte obere Quadrant des Koordinatensystems unter Einschluss der Koordinaten (0,0) relevant ist. Weiter sei davon ausgegangen, dass Maschine 1 maximal 60 Zeiteinheiten (ZE) und Maschine 2 maximal 50 ZE fr die Produktion der Produkte eingesetzt werden kann. Im Rahmen dieser Zeitbeschrnkungen liegen sichere Erwartungen darber vor, welche Kapazittsrestriktionen die Maschinen aufweisen. Diese Bedingungen seien durch die folgenden Gleichungen formal beschrieben: Fr Maschine 1 gilt: (1) . Fr Maschine 2 gilt: (2) . Absatzprobleme gibt es nicht. Die hergestellte Menge entspricht der Absatzmenge. Das Unternehmen ist in der Lage, sein Ziel, den Deckungsbeitrag zu maximieren, mit der folgenden Zielfunktion zu konkretisieren: Um die Lsung des Entscheidungsproblems im kartesischen Koordinatensystem grafisch zu veranschaulichen, sollen zunchst die Kapazittsbegrenzungen eingezeichnet werden. Dadurch wird sichtbar, welche Produktionsprogramme berhaupt mglich sind. Zunchst wird die Frage beantwortet, wie viele Mengeneinheiten unter der Bedingung, dass von Produkt 1 bzw. von Produkt 2 gar nichts produziert wird ( bzw. ), vom jeweilig anderen Produkt hergestellt werden knnen. Diese Frage ist auf jede Maschine zu beziehen und zu beantworten. Wenn auf Maschine 1 nur Produkt 1 produziert wird, also fr gilt: so folgt aus der Kapazittsgleichung (1): . Mithin knnen, wenn auf Maschine 1 ausschlielich Produkt 1 produziert wird, Produktmengen zwischen 0 und 20 hergestellt werden: . Wenn auf Maschine 1 nur Produkt 2 produziert wird, also fr gilt: , so folgt aus der Kapazittsgleichung (1): . Mithin knnen, wenn auf Maschine 1 ausschlielich Produkt 2 produziert wird, Produktionsmengen zwischen 0 und 12 hergestellt werden: .

249

Entscheidungstheoretische Konzepte

Die gleichen berlegungen knnen fr Maschine 2 angestellt werden. Unter Beachtung der Kapazittsgleichung (2) erhlt man fr den Fall, dass : . Wenn , errechnet sich fr : . Die ermittelten Produktionsmglichkeiten der beiden Maschinen lassen sich mit zwei Funktionen in ein Koordinatensystem eintragen. Die graue Flche in Abbildung 45 markiert smtliche Produktionsmglichkeiten von Produkt 1 und Produkt 2, die die Maschinen 1 und 2 realisieren knnen. In diese Grafik lsst sich die Zielfunktion, in dem gewhlten Beispiel ist es die Deckungsbeitragsfunktion, einzeichnen. Sie wird durch willkrliches Einsetzen eines bestimmten Deckungsbeitrags in die Deckungsbeitragsfunktion konstruiert. Wird ein Deckungsbeitrag von 6 Geldeinheiten (GE) gewhlt, so erhlt man: . Der Deckungsbeitrag von 6 GE kann realisiert werden, wenn und gesetzt wird. Eine weitere Mglichkeit besteht darin, mit und mit vorzugeben. Die bertragung dieser Koordinaten in die Grafik und das Einzeichnen einer Verbindungslinie zwischen diesen Koordinaten zeigt, dass die Produktionsmglichkeiten die Realisation eines Deckungsbeitrags von 6 GE und einen darber hinausgehenden erlauben. Da der maximal mgliche Deckungsbeitrag das Ziel ist, ist die Zielfunktion so lange parallel und vom Ursprung weg zu verschieben, bis der uerste Eckpunkt des zulssigen Produktionsbereiches erreicht ist. Das ist der Fall fr: und . Durch Einsetzen der Werte fr und in die Zielfunktion erhlt man: .545

545 Die Anwendung des Simplexalgorithmus besttigt die grafisch ermittelte Lsung des Ent-

scheidungsproblems.

250

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

Abbildung 45:

Grafische Darstellung einer Entscheidung unter Sicherheit

x2

16
14 12

2 3

x 2opt

10

x1opt
3 1 3

1 3

12

16

20

x1

Werden mehrere Ziele verfolgt und sind es komplementre Ziele, ist die Entscheidungsregel weiterhin anzuwenden, die besagt, dass die Handlungsalternative auszuwhlen ist, die ber die Zielbeitrge summiert den grten Nutzen bringt, denn im Falle komplementrer Ziele gibt es eine Alternative, die bezogen auf mehrere komplementre Ziele die beste ist. Sie dominiert alle anderen Alternativen. Nach der so genannten Dominanzregel ist sie zu whlen. Liegen Zielkonflikte vor, kann die Dominanzregel nicht unmittelbar angewandt werden, denn es gibt unter dieser Bedingung nicht mehr nur eine Alternative, die fr beide Ziele im Vergleich zu allen anderen Alternativen die hchsten Zielbeitrge liefert. Man hilft sich, indem die einzelnen Ziele durch Gewichtung (subjektive Einschtzungen) in eine Rangordnung gebracht werden. Die Multiplikation der Gewichte mit den jeweiligen Ausprgungen der Zielbeitrge wird als Nutzen interpretiert, den die Auswahl einer Handlungsalternative stiftet. Summiert ber alle Ziele erhlt man den Gesamtnutzen, der bei Auswahl einer Handlungsalternative erwartet wird. Die Handlungsalternative mit dem hchsten Gesamtnutzen ist zu whlen. Mit der folgenden Matrix in Abbildung 46 ist eine Situation dargestellt, in der die konfliktren Ziele und verfolgt werden und zwischen zwei Handlungsalternativen und gewhlt werden kann.

251

Entscheidungstheoretische Konzepte

Abbildung 46:

Zielgewichtung bei Zielkonflikten

Zielkonflikt: Eine Alternative ist nicht fr alle Ziele die beste.

Z1 a1 a2 6 7

Z2 9 5
Fr Z2 die gnstigste Alternative Fr Z1 die gnstigste Alternative

Durch Zielgewichtung werden die Ziele in eine Rangordnung gebracht, z.B. Z1 : Z2 = 4 : 6.

Z1 a1 6 x 4 = 24 a2 7 x 4 = 28

Z2 9 x 6 = 54 5 x 6 = 30

Gesamtnutzen 24 + 54 = 78 28 + 30 = 58
fr beide Ziele die gnstigste Alternative

8.2.1.2

Entscheidungsregeln fr Entscheidungen unter Risiko

Risikosituationen sind dadurch ausgezeichnet, dass smtliche oben genannten Elemente einer Entscheidung weiterhin bekannt sind. Bezogen auf den Komplex, der weiter oben mit Umweltsituation bezeichnet wurde, tritt im Vergleich zur Sicherheit allerdings eine nderung ein. Es ist nmlich nicht mehr mglich, mit Sicherheit anzugeben, welche Umweltsituation eintreten wird. Die mglichen Umweltsituationen sind zwar bekannt, was den Eintritt einer bestimmten Umweltlage betrifft, knnen allerdings lediglich Eintrittswahrscheinlichkeiten ermittelt werden. Daher werden Entscheidungen unter Risiko auch als stochastische Entscheidungen bezeichnet. Ausgewhlte Entscheidungsregeln, die in Risikosituationen zum Einsatz kommen, sollen im Folgenden anhand von Beispielen dargestellt werden. Hierzu wird eine Entscheidungssituation unterstellt, die durch eine Entscheidungsmatrix wiedergegeben ist. Die Entscheidungsdaten knnen der Abbildung 47 entnommen werden. Mit in die Abbildung aufgenommen sind die Formeln zur Berechnung des Erwartungswertes und der Standardabweichung. Diese Gren werden im Zusammenhang mit der Beschreibung von Entscheidungsregeln, die sie in ihr Entscheidungskalkl einbauen, nher erklrt.

252

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

Abbildung 47:

Ausgangsbedingungen zur Beschreibung von Entscheidungsregeln fr Risikosituationen

Umweltzustnde (uj) Wahrscheinlichkeiten (pj) Handlungsalternativen (ai)

u1
0,5

u2
0,3

u3
0,2

Erwartungswert

Standardabweichung

Pi
10 3 7 3 7 2 5 6 8

Vi
p j (kij  Pi ) 2
j

a1 a2 a3

( k ij p j )
j 1

kij bezeichnet die Handlungskonsequenzen bzw. Zielerreichungsgrade der alternativen Handlungsmglichkeiten ai beim Eintreten der Umweltzustnde uj . Fr die Eintrittswahrscheinlichkeiten pj gilt: 0 d pj d 1 und 6 pj = 1.

Aus der Flle von risikobezogenen Entscheidungsregeln seien die folgenden herausgegriffen: Dominanzregel (mehr ist besser)

Sie kommt dann zur Anwendung, wenn die Ergebnisse einer Aktion gegenber den Ergebnissen aller anderen Handlungsmglichkeiten durchgngig besser sind. Die Handlungsmglichkeit, die dies sicherstellt, ist zu whlen. Auf das ausgewhlte Beispiel lsst sich diese Entscheidungsregel nicht anwenden, denn es gibt keine Handlungsalternative, deren Handlungsfolgen bezogen auf smtliche Umweltsituationen im Vergleich zu den anderen Handlungsmglichkeiten durchgngig bessere Ergebnisse liefern wrde. Bezogen auf die Entscheidungsmatrix vergleicht der Entscheidungstrger die numerischen Ergebnisse der einzelnen Zeilen. Regel der hchsten Wahrscheinlichkeit

Wird der Eintritt einer bestimmten Umweltsituation im Vergleich zu allen anderen Umweltsituationen als so dominant angesehen, dass die anderen Umweltsituationen vernachlssigbar erscheinen, kann der Risikofall in einen Sicherheitsfall transformiert werden. Die Alternative mit dem hchsten numerischen Ergebniswert wre zu whlen. Die Entscheidungsmatrix reduziert sich, genau wie im Fall der Sicherheit (und der Verfolgung lediglich eines Ziels), auf einen Spaltenvektor. Auf den Beispielfall bezogen, knnte der Entscheidungstrger die Umweltsituation gegenber den weiteren Umweltlagen als dominierend betrachten. Er htte sich entsprechend der Regel der

253

Entscheidungstheoretische Konzepte

hchsten Wahrscheinlichkeit fr die Alternative zu entscheiden, denn ihre Folgen sind im Vergleich zu den Handlungsfolgen der anderen Handlungsmglichkeiten hher bewertet. Bayes-Regel

Anders als die vorgngig beschriebenen Entscheidungsregeln nimmt die Bayes-Regel, die auch -Prinzip genannt wird,546 nicht nur einzelne Zeilen oder Spalten der Entscheidungsmatrix in den Blick, sondern die gesamte Ergebnismatrix. Wer nach der Bayes-Regel entscheidet, hat zunchst die erwarteten Ergebnisse der Alternativen , wie sie die Abbildung 47 enthlt, mit den Eintrittswahrscheinlichkeiten zu gewichten. Nach dieser Regel wird die Alternative mit dem maximalen mathematischen Erwartungswert () gewhlt. Der Erwartungswert einer Handlungsalternative wird ermittelt, indem die Produkte aus Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltlagen und numerischen Werten der Handlungsfolgen gebildet werden und die so gewonnenen Produkte fr jede Zeile der Ergebnismatrix hinweg aufaddiert werden. Die beschriebenen Rechenoperationen liefern die in Abbildung 48 wiedergegebene Entscheidungsmatrix. Dabei wurde weiterhin unterstellt, dass der Entscheidungstrger ausschlielich ein Ziel verfolgt.

Abbildung 48:

Bayes-Regel

Umweltzustnde (uj) Wahrscheinlichkeiten (pj) Handlungsalternativen (ai)

u1
0,5

u2
0,3

u3
0,2

Pi
10 x 0,5 = 5 3 x 0,5 = 1,5 7 x 0,5 = 3,5 3 x 0,3 = 0,9 7 x 0,3 = 2,1 2 x 0,3 = 0,6 5 x 0,2 = 1 6 x 0,2 = 1,2 8 x 0,2 = 1,6 6,9 4,8 5,7

a1 a2 a3

Nach der Bayes-Regel ist die Alternative zu whlen, da der zugeordnete Erwartungswert ( = 6,9) im Vergleich zu allen anderen Erwartungswerten der grte ist. Ein Entscheidungstrger, der nach dieser Regel entscheidet, bercksichtigt die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltlagen, nicht jedoch die Streuung der numeri546 Die Regel ist nach dem britischen Statistiker Thomas Bayes (1702-1761) benannt.

254

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

schen Handlungsergebnisse. Letztere bilden kein Element seines Entscheidungskalkls. Daher qualifiziert man Entscheidungstrger, die die Bayes-Regel anwenden, als risikoneutral. Ihre Risikoneigung bleibt unbercksichtigt. (, )-Regel

Bercksichtigt der Entscheidungstrger bei seinen Entscheidungen neben den Erwartungswerten () unter Rckgriff auf die Standardabweichung () auch die Streuung der numerischen Handlungsergebnisse, handelt er nach der so genannten (, )-Regel. Die Berechnung der Standardabweichungen erfolgt nach der in Abbildung 47 notierten Formel. Mithilfe der Standardabweichung wird versucht, die Risikoneigung des Entscheidungstrgers darzustellen, indem sie in seine Zielfunktion eingebaut wird. Abhngig davon, wie ein Entscheidungstrger die erwartete Streuung der numerischen Handlungsergebnisse in seine Nutzenfunktion (sein Entscheidungskalkl) einbezieht, kann zwischen risikoaversen und risikofreudigen Entscheidern unterschieden werden. Wenn die Standardabweichung einen negativen Effekt auf die Nutzenwerte (Erwartungswerte) hat, die ein Entscheidungstrger seinen Handlungsalternativen zuordnet, wird er als risikoavers charakterisiert. Ist der Entscheidungstrger risikofreudig gestimmt, drckt sich dies durch eine positiven Einfluss der Streuung der Wahrscheinlichkeitsverteilung auf seine Nutzenfunktion aus. Eine zu maximierende, um die Risikoneigung (Standardabweichung) erweiterte, Nutzenfunktion (U) im Falle von Risikoaversion knnte das folgende Aussehen haben: . Eine zu maximierende Nutzenfunktion beim Vorliegen von Risikofreude kann mit notiert werden. Ergnzt man die Ergebnismatrix der Abbildung 48 um die Spalten , -2 und +, erhlt sie das folgende Aussehen:

255

Entscheidungstheoretische Konzepte

Abbildung 49:

(, )-Regel

Umweltzustnde (uj)

u1

u2
0,3

u3
0,2

Nutzenfunktionen
risikoavers risikofreudig

Wahrscheinlichkeiten (pj) 0,5 Handlungsalternativen (ai)

Pi
5 1,5 3,5 0,9 2,1 0,6 1 1,2 1,6 6,9 4,8 5,7

Vi
3,18 1,83 2,45

- 2
0,55 1,13 0,8

+
10,08 6,63 8,15

a1 a2 a3

Der risikoaverse nutzenmaximierende Entscheider whlt die Alternative , der risikofreudige die Alternative . 547 Bernoulli-Regel

Wird die Bernoulli-Regel eingesetzt, ist die Ergebnismatrix in eine Nutzenmatrix zu transformieren. Den verschiedenen Handlungskonsequenzen ( ), die mit den Handlungsalternativen verbunden sind, wird jeweils ein Nutzenwert zugeordnet, der mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit durch Multiplikation gewichtet wird: . Die Summe der gewichteten einzelnen Nutzenwerte jeder Handlungsalternative ergibt den Erwartungsnutzen der Alternative: . Den erwarteten Gesamtnutzen der Alternativen gilt es zu maximieren. Die Handlungsalternative mit dem hchsten erwarteten Gesamtnutzen ist zu whlen.548 Die sogenannte Erwartungsnutzentheorie, dessen Begrnder Bernoulli ist, baut auf dieser Entscheidungsregel auf. Sie geht vom Vorliegen objektiver Wahrscheinlichkeiten bezglich des Eintritts von Umweltlagen aus. Da diese hufig nicht zu ermitteln sind, wurde die klassische Erwartungsnutzentheorie zur subjektiven Erwartungsnutzentheorie erweitert. Sie erlaubt, Entscheidungssituationen zu bearbeiten, in denen keine objektiven Wahr-

547 Es gibt Situationen, in denen die (, )-Regel nicht zu optimalen Entscheidungen fhrt, da sie 548 Zu Einzelheiten, vgl. Bamberg/Coenenberg/Krapp (2008) S. 71 ff.

das Dominanzprinzip verletzen, vgl. Laux (2005) S. 158 ff.

256

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

scheinlichkeiten vorhanden sind, sondern in denen mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten gearbeitet wird.549

8.2.1.3

Entscheidungsregeln fr Entscheidungen unter Ungewissheit

Liegen Entscheidungssituationen unter Ungewissheit vor, kennt der Entscheidungstrger weiterhin smtliche konstitutiven Elemente des Grundmodells der Entscheidungstheorie. Anders als im Risikofall fehlen Wahrscheinlichkeitsvorstellungen fr den Eintritt der Umweltzustnde vollstndig. Es wird erwartet, dass die unterschiedlichen Umweltlagen mit einer gleichen Wahrscheinlichkeit auftreten. Fr den Ungewissheitsfall werden im Folgenden vier Entscheidungsregeln beispielhaft beschrieben. Dabei werden Ausgangsbedingungen unterstellt, die in der folgenden Matrix in Abbildung 50 festgehalten sind:

Abbildung 50:

Ausgangsbedingungen zur Beschreibung von Entscheidungsregeln fr Ungewissheitssituationen

Umweltzustnde Alternativen

u1

u2

u3

Zeilenmaxima

Zeilenminima

Summe der numerischen Ergebniswerte

a1

a2

a3
Spaltenmaxima

-1

-1

549 Von Neumann und Morgenstern haben nachgewiesen, dass der Erwartungsnutzen aus den

Prferenzen der Entscheidungstrger ermittelt werden kann, wenn die Prferenzordnung eine konsistente Struktur aufweist, die sie mit fnf Axiomen beschreiben, Vgl. hierzu Neumann/Morgenstern (1944).

257

Entscheidungstheoretische Konzepte

Maximax-Regel

Entscheidungstrger, die entsprechend der Maximax-Regel entscheiden, betrachten zunchst die maximal mglichen Ergebnisse pro Handlungsalternative. Sie nehmen also eine Zeilenbetrachtung der Entscheidungsmatrix vor. Anders formuliert: Sie gehen davon aus, dass eine Umweltlage eintritt, die sicherstellt, dass die jeweils gnstigste Handlungskonsequenz der Alternativen realisiert wird. Aus den so ermittelten hchsten Ergebnissen der Alternativen whlt der Entscheidungstrger die Alternative aus, die mit dem hchsten Ergebniswert ausgestattet ist. Das Maximum-Prinzip wird also zweimal angewandt. Daher charakterisiert die Maximax-Regel einen extrem risikofreudigen Entscheidungstrger. Auf das Beispiel bezogen versucht er, seinen maximalen Nutzen zu realisieren, indem er die Alternative whlt. Sie ist dadurch ausgezeichnet, dass sie in der Zeile der Entscheidungsmatrix steht, die den hchsten numerischen Wert der Handlungskonsequenzen aufweist. Im aufgefhrten Beispiel ist es die Zahl 5 (vgl. Abbildung 50). Minimax-Regel

Diese Regel gibt vor, dass zunchst die Handlungsalternativen daraufhin zu untersuchen sind, welche Ergebnisse zu erwarten sind, wenn die ungnstigste Umweltsituation eintritt. Der Entscheidungstrger ermittelt also die Zeilenminima der Entscheidungsmatrix. Er entscheidet sich fr die Alternative, die mit dem hchsten Ergebniswert der schlechtesten Ergebnisse verbunden ist. D.h., nach der Minimax-Regel ist die Handlungsalternative zu whlen, die beim Eintritt der ungnstigsten Umweltsituation noch zum relativ besten Ergebnis fhrt. Bezogen auf die in Abbildung 50 dargestellte Entscheidungssituation wrde die Entscheidung auf die Alternative fallen. Sie korrespondiert mit dem Maximum der Zeilenminima. Derjenige, der entsprechend dieser Regel entscheidet, ist extrem risikoavers. Er ist ein konservativer Pessimist, der eine Beamtenstrategie fhrt. Die Anwendung dieser Regel soll vllig gegen Enttuschungen absichern. Unabhngig davon, wie die Welt sich entscheidet, erhlt der Entscheidungstrger, wenn er nach der Minimax-Regel handelt, das hchstmgliche sichere Ergebnis. Laplace-Regel

Nach der Laplace-Regel ist die Alternative zu whlen, bei der die Summe der numerischen Werte der Handlungskonsequenzen einer Alternative gegenber den anderen Alternativen am grten ist. In der beispielhaft in Abbildung 50 dargestellten Entscheidungssituation htte sich der Entscheidungstrger fr die Alternative zu entscheiden, denn mit ihr ist der hchste, ber die Umweltlagen summierte Ergebniswert von 7 Einheiten zu erwarten. Savage-Niehans-Regel

Die Savage-Niehans-Regel ist auch als Regel des kleinsten Bedauerns bekannt. Hiernach ist die Handlungsalternative zu whlen, die den Nachteil minimiert, der durch

258

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

eine Fehleinschtzung bezglich des Eintritts einer bestimmten Umweltsituation erwartet werden kann. Der Entscheidungstrger berlegt wie folgt: Wenn er sich im Beispielfall, der in Abbildung 50 wiedergegeben ist, fr die Alternative entscheidet und spter mglicherweise die Umweltlage eintritt, bedeutet dies fr ihn ein uerst ungnstiges Ergebnis, nmlich -1. Htte er die Alternative gewhlt, so wre, wenn die Umweltlage eintritt, mit besseren Ergebnissen, nmlich 0 (1), zu rechnen gewesen. Um das Risiko einer solchen Fehleinschtzung zu bercksichtigen, werden zunchst die maximalen Ergebniswerte fr jede Umweltlage ermittelt. Bezogen auf das Beispiel enthlt die letzte Spalte der in Abbildung 50 wiedergegebenen Ergebnismatrix diese Maximalwerte. Die Abweichungen der Ergebnisse vom hchsten Ergebniswert, die beim Eintritt einer bestimmten Umweltsituation zu erwarten sind, werden als Ma zur Messung des Risikos einer Fehleinschtzung interpretiert. Fr jede Alternative wird das maximale Risiko einer Fehleinschtzung ermittelt. Die Alternative ist zu whlen, die das maximale Risiko einer Fehleinschtzung minimiert. Wendet man die Savage-Niehans-Regel auf das in Abbildung 50 wiedergegebene Beispiel an, dann wre aus der Ergebnismatrix der Abbildung 50 mit folgenden Operationen eine neue Entscheidungsmatrix zu generieren: Das maximale Risiko einer Fehleinschtzung erhlt man, indem vom hchsten Ergebniswert einer Spalte (vgl. die letzte Zeile von Abbildung 50) die brigen Spaltenwerte subtrahiert werden. Fr jede Zeile wird im Anschluss hieran das maximale Risiko in einer gesonderten Spalte ausgeworfen. Befolgt man die Savage-Niehans-Regel, so ergibt sich folgende Entscheidungsmatrix:

Abbildung 51:

Savage-Niehans-Regel

Umweltzustnde Alternativen

u1

u2

u3

Maximales Risiko der Fehleinschtzung

a1

10=1

32=1

55=0

a2

11=0

33=0

52=3

a3

1 (-1) = 2

30=3

51=4

259

Entscheidungstheoretische Konzepte

Die Alternative ist optimal, da mit der Entscheidung fr diese Alternative der Nachteil, der eintreten knnte, im Vergleich zu allen anderen Alternativen am geringsten ist. Der Entscheidungstrger handelt nach dem Prinzip des kleinsten Bedauerns. Pessimismus-Optimismus-Regel oder Hurwicz-Regel

Die nach Hurwicz benannte Entscheidungsregel fhrt eine psychologische Konstante (D) ein, fr die gilt: 0 d D d 1. Mit ihr sollen das Temperament und die Erfahrung des Entscheidungstrgers ausgedrckt werden. Je optimistischer der Entscheidungstrger ist, umso nher liegt D bei der Zahl 1, je pessimistischer er ist, umso mehr nhert sich D dem Wert 0 an. In der Literatur wird D daher auch als OptimismusPessimismus-Parameter bezeichnet. Mit diesem Parameter werden die schlechtesten und die besten Ergebnisse jeder Handlungsalternative gewichtet. Die besten Ergebniswerte werden mit D bewertet, die schlechtesten mit (1 - D). Ist dem Entscheidungstrger die Ergebnismatrix der Abbildung 50 bekannt, betrachtet er zunchst die Zeilen der Matrix und ermittelt die schlechtesten und besten numerischen Werte der Handlungskonsequenzen jeder Handlungsalternative. Das Resultat seiner Beobachtung kann in zwei gesonderten, der Ergebnismatrix hinzugefgten Spalten ausgewiesen werden. Eine der Spalten ist fr die besten Zeilenergebnisse, die zweite fr die schlechtesten Zeilenergebnisse reserviert. Die Zeilenmaxima sind mit dem Parameter D zu gewichten, die Zeilenminima mit (1D). Die Berechnungen knnen in zwei weiteren, der Ergebnismatrix hinzugefgten Spalten aufgefhrt werden. In einer letzten Spalte werden die mit D gewichteten Zeilenminima und -maxima addiert. Der Entscheidungstrger entscheidet sich fr die Handlungsalternative, der der hchste Summenwert zugeordnet ist. Wenn D = 1 ist, werden ausschlielich die Zeilenmaxima betrachtet. In diesem Fall entspricht die Hurwicz-Regel der Maximax-Regel. Wenn D = 0 ist, sind nur die Zeilenminima entscheidungsrelevant. In diesem Fall wird die Hurwics-Regel zur Minimax-Regel. Wenn unterstellt wird, dass D = 0,4 und damit (1D) = 0,6 ist, dann kann unter diesen Voraussetzungen die in Abbildung 52 dargestellte Entscheidungsmatrix ermittelt werden.

260

Formalwissenschaftliche Anstze (Entscheidungslogische Anstze)

8.2

Abbildung 52:

Pessimismus-Optimismus-Regel oder Hurwicz-Regel

Extremwerte der Zeilen

Zeilenmaxima

Zeilenminima

Zeilenmaximum gewichtet mit , = 0,4

Zeilenminimum gewichtet mit (1-) = 0,6

Alternativen

Summe der gewichteten Zeilenminima und -maxima

a1

a2

1,2

0,6

1,8

a3

-1

0,4

-0,6

-0,2

Nach der Hurwicz-Regel ist die Alternative smtlichen anderen Handlungsmglichkeiten vorzuziehen.

8.2.2

Kritik an den Entscheidungsregeln

Gegen die Mglichkeit, die dargestellten Entscheidungsregeln in der Unternehmenspraxis anzuwenden, wird eingewandt, dass sie nur zum Einsatz kommen knnen, wenn das Unternehmen und seine Umwelt als berschaubare Wirklichkeiten vorausgesetzt werden. D.h. wenn wohl strukturierte Entscheidungssituationen vorliegen. Da die meisten Entscheidungssituationen in der unternehmerischen Praxis nicht von dieser Art sind, relativiere sich die Bedeutung der vorgefhrten Entscheidungsregeln fr die Unternehmenspraxis. Insbesondere wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass den Entscheidungsverfahren das Modell des homo oeconomicus zugrunde liege, das von Annahmen ber den Informationsstand und Prferenzen eines Entscheidungstrgers ausgehe, die realiter nicht gegeben seien. Es wird argumentiert, dass die Anwendung der dargestellten Entscheidungsregeln schon daran scheitere, dass die Daten, die bentigt werden, um eine Ergebnismatrix aufzustellen, schwierig oder gar nicht zu beschaffen seien. Darber hinaus wird auf Probleme hingewiesen, die bei der Bewertung der Handlungskonsequenzen auftreten, da immer mit Zielnderungen zu rechnen ist, die aber aufgrund der Annahme eindeutiger und stabiler Zielordnungen mit den vorgestellten Entscheidungsmodellen nicht abzubilden seien. Allein schon aufgrund dieser Tatsachen knne es kaum gelingen, eine Entscheidungsmatrix aufzustellen, auf die sich die vorgestellten Entscheidungsregeln beziehen.

261

Entscheidungstheoretische Konzepte

Die Einwnde sind ernst zu nehmen. Aus ihnen folgt allerdings nicht, dass die Betriebswirtschaftslehre auf die Analyse wohl strukturierter Entscheidungssituationen verzichten sollte. Im operativen Bereich eines Unternehmens sind sehr wohl Entscheidungssituationen anzutreffen, die als wohl strukturiert zu bezeichnen sind. Dies gilt z.B. fr die Bestimmung krzester Wege und optimaler Bestellmengen, die Ermittlung von Maschinenbelegungsplnen usw. Bei der Vorbereitung und Aufstellung operativer Plne leisten formalwissenschaftliche Modelle gute Dienste. Mit ihnen kann allerdings nicht dargestellt werden, dass schon whrend der Planaufstellungsphase widerstreitende Interessen z.B. von Abteilungen eines Unternehmens auftreten, die die Entwicklung der Plne beeinflussen. Eine soziale Dimension fehlt der formalwissenschaftlichen Entscheidungstheorie. Auerdem beschftigen sich formalwissenschaftliche Anstze nicht mit der Phase der Plandurchfhrung. Die Frage, welche Gestalt die aus den Plnen abzuleitenden Vorgaben haben sollten, kann mit formalen Modellen der Entscheidungstheorie nicht beantwortet werden. Damit bleibt ungeklrt, ob naturale (mengenmige) oder monetre Kennziffern oder Einzelanweisungen zur Ausfhrung vorzugeben sind und wie detailliert sie jeweils ausgestaltet werden sollten. Auch der Einfluss der unterschiedlichen Vorgabearten auf die Motivation und das Verhalten derjenigen, die die Vorgaben auszufhren haben, wird nicht thematisiert. Zentrale Fragen der Organisation bleiben somit ausgeblendet. Diese Anmerkungen verdeutlichen, dass die formalwissenschaftlichen Anstze der Entscheidungstheorie ihr Interesse auf die sachliche Dimension der Aufstellung operativer Plne konzentriert. Zu einer Theorie der strategischen Unternehmensplanung knnen die formalwissenschaftlichen Modelle der Entscheidungstheorie keinen Beitrag leisten, denn die strategische Unternehmensplanung ist mit schlecht strukturierten Entscheidungssituationen konfrontiert. Derartige Entscheidungssituationen zeichnen sich dadurch aus, dass die einzelnen Elemente des Entscheidungsproblems nicht von vornherein feststehen und insofern nicht als bekannt vorauszusetzen sind. Erst im Laufe des Entscheidungsprozesses werden zustzliche Informationen gewonnen, die zur Entscheidungsfundierung genutzt werden knnen. Intuition, Erfahrung, Einfallsreichtum und Kreativitt sind zur Lsung schlecht strukturierter Entscheidungsprobleme notwendig. Diese Sachverhalte lassen sich nicht mehr mit geschlossenen mathematischen Modellen der formalen Entscheidungstheorie beschreiben. Vielmehr sind hierzu offene Entscheidungsmodelle einzusetzen. Offene Entscheidungsmodelle versuchen, empirisch beobachtbare Problemlsungsverfahren abzubilden. Auch die Unternehmenspraxis ist seit geraumer Zeit darum bemht, unter Rckgriff auf Kreativittstechniken (Brainstorming, Synektik, morphologische Methoden, Delphitechnik), schlecht strukturierte Entscheidungssituationen einer Lsung zuzufhren. Wenn die von Gutenberg getroffene Unterscheidung von Planung und Organisation zugrunde gelegt wird, kann festgestellt werden, dass die formalwissenschaftliche Entscheidungstheorie sich nicht mit Organisation im Sinne von Plandurchfhrung befasst. Sie beschftigt sich mit Planungsfragen nur insoweit, als es um die Aufstellung von Plnen geht. Dies geschieht allerdings auch nur eingeschrnkt, da lediglich

262

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

die operative Planung, nicht aber die strategische Planung betrachtet wird. Im Bereich der Aufstellung operativer Plne konzentriert sich das Interesse formalwissenschaftlicher Anstze der Entscheidungstheorie auf die sachliche Dimension der Planung. Damit wird die soziale Dimension sowohl der Planaufstellung als auch der Plandurchfhrung nicht thematisiert. All das, was die formalwissenschaftliche Entscheidungstheorie vernachlssigt, erklren verhaltenswissenschaftliche Anstze der Entscheidungstheorie zu ihrem Forschungsgegenstand.

8.3

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

Ende der 1960er Jahre wird die verhaltenswissenschaftliche Ausprgung der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre von Edmund Heinen (1919-1996) in Deutschland populr gemacht. Heinen erklrt: Alles Geschehen in einer Betriebswirtschaft kann letztlich als Ausflu menschlicher Entscheidungen oder Entschlsse angesehen werden.550 Er liefert damit eine Erkenntnis, die der Wirtschaftswissenschaft seit Langem bekannt war. Auch die formalwissenschaftliche betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie beruht auf dieser Vorstellung. Das Neue an der verhaltenswissenschaftlichen Richtung der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, so Heinen, sei die Art und Weise, wie sie Entscheidungen untersucht.551 Die neue Herangehensweise zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass reale, empirisch nachweisbare Entscheidungsprozesse in Unternehmen erforscht werden. Anders als die entscheidungslogische Strmung, die eine Integration der Mikrokonomie und Mathematik in die Betriebswirtschaftslehre leistet, versucht die verhaltenswissenschaftliche Strmung der Entscheidungstheorie, wie ihr Name schon andeutet, die Betriebswirtschaftslehre mit Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften anzureichern.552 Heinen berbietet diesen Anspruch noch, denn er meint, dass die Betriebswirtschaftslehre Erkenntnisse der Entscheidungs- und Systemtheorie, der Mathematik, der Sozialpsychologie, Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in ihr Lehr- und Forschungsgebude einzubeziehen htte.553 Eine so konzipierte Betriebswirtschaftslehre betrachtet Unternehmen nicht mehr

550 Heinen (1992b) S. 21. 551 Heinen (1969) S. 208. 552 Gutenberg beschreibt die Grundannahmen der entscheidungslogischen Richtung, geht aber

auch auf die Ansichten der Vertreter der Behavioral Theory ein, vgl. Gutenberg (1971) S. 280 ff. und S. 288 ff. Er schlgt sich auf die Seite jener, die mit der Entscheidungslogik Entscheidungen in Unternehmen untersuchen. 553 Vgl. Heinen (1976a) S. 395 f.

263

Entscheidungstheoretische Konzepte

nur als produktive Systeme, wie Gutenberg es tat, sondern auch und insbesondere als soziale Systeme. Um Unternehmen als soziale Systeme zu beschreiben, greift die Betriebswirtschaftslehre Theoriekonzepte der Soziologie und Psychologie auf. Erkenntnisse der Soziologie ber das Verhalten von Gruppen, Organisationen, gesellschaftlichen Subsystemen und der Gesellschaft werden in die betriebswirtschaftliche Theoriebildung554 genauso eingebaut wie Vorstellungen der Psychologie ber individuelles Verhalten. Darber hinaus wird auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen des Entscheidungs- und Arbeitsprozesses in Unternehmen zurckgegriffen.555 Angestrebt wird die Entwicklung eines umfassenden sozialwissenschaftlichen Grundmodells, mit dem das Geschehen in und um Unternehmen herum realittsnah wissenschaftlich erfasst werden soll. Mit den beschriebenen Entwicklungen befassen sich die folgenden Abschnitte, wobei sie ausgewhlte psychologische und soziologische Theoriefragmente und Ergebnisse empirischer Untersuchungen prsentieren, soweit sie in verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehren Resonanz gefunden haben.

8.3.1

Psychologische Teilaspekte menschlichen Verhaltens

Die Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse auf Betriebswirtschaften geht mit dem Versuch einher, Betriebswirtschaftslehre als eine Lehre von der Unternehmensfhrung zu konzipieren. Basis einer solchen Lehre bilden Theorien ber die Unternehmensfhrung. Als einen Teilbereich hiervon betrachten weite Teile der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur die Theorie der Personalfhrung, die das individuelle Verhalten von Mitarbeitern in Arbeitssituationen beschreiben und erklren will. Sie zielt darauf ab, Aussagen darber zu treffen, wie das individuelle Arbeitsverhalten einerseits durch die Fhrung von Personen durch den einzelnen Fhrer und das Fhrungspersonal (Einflussnahme psychischer Systeme auf psychische Systeme) und andererseits durch allgemeine Regeln (Einflussnahme sozialer Systeme auf psychische Systeme) in eine gewnschte, mglichst produktive Richtung gelenkt werden kann. Soll das Arbeitsverhalten von Menschen auf Produktivitt orientiert werden, ist es notwendig, die Beweggrnde menschlichen Verhaltens zu kennen und zu verstehen, wie der Prozess funktioniert, an dessen Ende ein bestimmtes (produktives) Arbeitsverhalten steht. ber den Umweg der Beeinflussung der Beweggrnde bzw. des vor der Verhaltensuerung liegenden Prozesses kann dann versucht werden, das Verhal554 Eine betriebswirtschaftliche Theorie, so wird behauptet, ist immer nur so gut, wie sie an den

Erkenntnisstand der Theorie der Gesellschaft angepasst und anschlussfhig ist. Witt (1997) S. 424. 555 Die so genannten Hawthorne-Experimente und empirische Untersuchungen, die von Forschern durchgefhrt wurden, die der Human-Relations-Bewegung zuzurechnen sind, liefern derartige empirische Erkenntnisse, vgl. Abschnitt 8.3.2.3.

264

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

ten der Werkttigen zu beeinflussen. Diese psychologischen berlegungen bilden die Grundlage, auf der Fachvertreter der Betriebswirtschaftslehre eine Theorie der Personalfhrung aufbauen. Nicht nur fr die Entwicklung einer Theorie der Personalfhrung sind Erkenntnisse der Psychologie relevant. Auch wenn es um die Erklrung und Einflussnahme auf Kuferverhalten geht oder um die Erklrung des Phnomens der mikropolitischen Spiele556 in Unternehmen, greift die Betriebswirtschaftslehre auf Einsichten der Psychologie zurck. U.a. aus den genannten Grnden sind Ergebnisse psychologischer Forschung fr die Betriebswirtschaftslehre wichtig. Daher werden im Folgenden einige ausgewhlte Konzepte der Psychologie, soweit sie Eingang in betriebswirtschaftliche Forschung und Lehre gefunden haben, referiert.

8.3.1.1

S-O-R-C-Modell zur Erklrung individuellen Verhaltens

Ein in der Psychologie weit verbreitetes Konzept zur Erklrung menschlichen Verhaltens, das sich in betriebswirtschaftlichen Lehrtexten wiederfindet, ist das so genannte Stimulus-Response-Konzept (Reiz-Reaktions-Konzept). Interessanterweise ist es gleichzeitig in der damaligen Sowjetunion und den USA entwickelt worden. In der Sowjetunion war es Iwan Petrowitsch Pawlow (18491936)557, der die Reflexologie etablierte. Aufsehen erregten seine HundeExperimente, mit denen er nachwies, dass der Speichelfluss, der bei der Ftterung seiner Hunde auftrat, nicht nur durch die Darreichung von Futter ausgelst werden konnte. Er koppelte einen neutralen Reiz, das Erklingen einer Glocke, mit der Hundeftterung. Durch wiederholtes Prsentieren dieses neutralen Reizes in Verbindung mit der Ftterung konnte er bei seinen Versuchstieren nach einer gewissen Zeit, allein durch den Glockenton und ohne Futter zu reichen, einen Speichelreflex hervorrufen. Der instinktive, unbedingte Reflex: Darreichung von Futter bewirkt Speichelfluss, wird zu einem bedingten Reflex: Erklingen der Glocke bewirkt Speichelfluss. Dieses Phnomen wird in der Literatur als klassische Konditionierung bezeichnet. Die Einsichten Pawlows wurden von dem US-Amerikaner John Broadus Watson (1878-1958)558 auf menschliches Verhalten bertragen. Die Stimulus-ResponsePsychologie firmiert in den USA unter dem Etikett Behaviorismus. Watson gilt als einer seiner Begrnder. Die Beschreibung seines Little-Albert-Experiments ist in die Lehrbcher der Psychologie eingegangen. In diesem Experiment wurde dem kleinen Jungen namens Albert wiederholt eine weie Ratte (neutraler Reiz) prsentiert, die er streichelte. Jedes Mal, wenn das geschah, ertnte ein ohrenbetubender Lrm, ausgelst durch einen Hammerschlag. Dieser Lrm erzeugt bei Albert einen unbedingten Reflex, nmlich Erschrecken. Watson konnte zeigen, dass der bedingte Reflex des
556 Vgl. Kpper/Felsch (2000) S. 149 ff. und weiter Ortmann (1992) S. 217-225. 557 Fr seine Forschungsarbeit erhielt Pawlow 1904 den Nobelpreis. 558 Watson war von 1908 bis 1920 Professor fr Psychologie an der Johns Hopkins Universitt.

Danach war er bis 1945 in der Werbebranche ttig.

265

Entscheidungstheoretische Konzepte

Erschreckens bei dem kleinen Jungen nur durch den Anblick der weien Ratte erzeugt werden konnte. Das Donnern des Hammerschlagens war hierzu nicht mehr notwendig. Anhnger der Reflexologie und des Behaviorismus fordern, dass Psychologie sich ausschlielich auf beobachtbares Verhalten zu konzentrieren habe, denn Bewusstseinsinhalte, subjektive Wahrnehmung, Gefhle und Denkvorgnge entziehen sich nach dieser Vorstellung einer wissenschaftlichen Betrachtung. Menschliches Verhalten wird ausschlielich als Ergebnis biologischer Vorgnge betrachtet.559 Drsen und Muskelaktivitten bestimmen es. Der Organismus (von Menschen, Hunden, Ratten, Tauben etc.) arbeitet wie eine Maschine, die von Verhaltensgesetzen gesteuert wird. Die psychischen Vorgnge sind in einer black box verborgen. Auf das, was in diesem fensterlosen Haus geschieht, kann allerdings durch Beobachtung der Reize und der Reaktionen geschlossen werden. Es ist insbesondere Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) gewesen, der den Neobehaviorismus mit seinen Experimenten bekannt gemacht hat. Berhmt geworden ist die so genannte Skinner Box. Sie besteht aus einem Kfig, in dem eine Vorrichtung eingebaut ist, die durch Knopfdruck Futter bereitstellt. Skinner zeigte, das die mit einer Handlung (Knopfdruck) ausgelsten Folgen (Ftterung) zu Anreizen fr weitere Handlungen werden. Mit dieser Einsicht erweiterte er das Stimulus-ResponseKonzept um Consequences (C = Konsequenzen), die mit einer bestimmten Reaktion verbunden sind und die zurckwirken auf die Reiz-Reaktions-Konstellation. Verhalten kann derart durch positiv oder negativ empfundene Konsequenzen, die es nach sich zieht, in eine bestimmte Richtung verndert werden. Dieser Sachverhalt wird in Abgrenzung zur klassischen Konditionierung als operante oder instrumentelle Konditionierung bezeichnet.560 Unter Einbeziehung der operanten Konditionierung wird das S-R-Modell zum S-R-CModell erweitert. Und indem Anhnger des Neobehaviorismus Erkenntnisse der Gestaltpsychologie (Begrnder: Max Wertheimer, Kurt Lewin) und der Psychoanalyse (Begrnder: Sigmund Freud) mit in ihr Schema zur Erklrung menschlichen Verhaltens einbeziehen, werden auch die psychischen Vorgnge im Organismus in den Blick genommen, die zwischen Reizaufnahme und Verhaltensreaktion liegen. Die psychischen Elemente des Organismus, von denen angenommen wird, dass sie das menschliche Verhalten bestimmen, sind im Laufe der Zeit von der kognitiven Psychologie561 immer weiter ausgeleuchtet worden.

559 Neurobiologen kritisieren das Reiz-Reaktions-Konzept: Zudem sehen wir das Nervensys-

tem immer noch viel zu sehr als ein im Grunde lineares, stationres System, das als ReizReaktions-Maschine funktioniert, was wahrscheinlich ganz falsch ist. Singer (2003) S. 61. 560 Sie bildet die Grundlage fr das ebenfalls von Skinner entwickelte programmierte Lernen. 561 Die kognitive Psychologie versucht die Prozesse zu verstehen, die sich in der Psyche abspielen. Da diese Prozesse hufig unbewusst ablaufen, befasst sich die kognitive Psychologie nicht nur mit dem Bewussten, sondern auch mit dem Unbewussten.

266

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Insbesondere die folgenden Aspekte werden als Bestandteile des Organismus aufgefhrt und zur Erklrung individuellen Verhaltens herangezogen:562 Instinkte/Triebe Bedrfnisse/Motive Werte/Einstellungen Ziele/Anspruchsniveau/Erwartungen Qualifikationen Persnlichkeit Menschenbilder

Mit den vorgestellten Erweiterungen wird das S-R-Modell zum S-O-R-C-Modell, in dem auch Rckkopplungen zwischen seinen Elementen Bercksichtigung finden knnen. Die Zusammenhnge sind in der folgenden Abbildung 53 zusammengefasst wiedergegeben.

Abbildung 53:

S-O-R-C-Modell zur Erklrung menschlichen Verhaltens

Organismus (O) Stimulus (Reiz) Umwelt, Situation (S) Instinkte/Triebe Bedrfnisse/Motive Ziele/Anspruchsniveau/Erwartungen Werte/Einstellungen Qualifikationen Persnlichkeit Menschenbilder

Verhaltensintention

Wahrnehmung

Rezeptor

Response Verhalten Handlung (R)

Effektor

Consequence HandlungsKonsequenzen (C)


In Anlehnung an Staehle (1999) S. 163.

Das S-O-R-C-Modell basiert auf den folgenden Vorstellungen: Ein von auen kommender Reiz trifft auf einen Organismus (das kann ein menschlicher oder tierischer Organismus sein), stimuliert die Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut etc.), wird von Rezeptoren (z. B. Netzhaut, Schnecke, Schleimhaut) aufgenommen, ber Nervenfasern und Rckenmark ans Gehirn weitergeleitet und dort wahrgenommen und verarbeitet. Von hier aus wird wiederum das vegetative (autonome) und/oder das senso-

562 Vgl. Staehle (1999) S. 162-196.

267

Entscheidungstheoretische Konzepte

motorische Nervensystem563 angeregt. ber die Aktivierung von Instinkten/Trieben, Bedrfnissen/Motiven, Zielen/Anspruchsniveaus/Erwartungen, Werten/Einstellungen, Fhigkeiten/persnlichen Eigenschaften, Welt-/und Menschenbildern kommt es zu willkrlichen oder unwillkrlichen Verhaltensabsichten (z.B. der Vorstellung von Bewegungsmustern), die ber periphere Nerven an Muskulatur oder Sehnen (Effektoren) weitergeleitet werden und durch Muskel und Sehnenaktivitt ein beobachtbares Verhalten bewirken. Dieses Verhalten hat Konsequenzen, das auf smtliche, sich wechselseitig beeinflussende Modellelemente zurckwirkt. Als die einfachen S-R-Modelle der Reflexiologie und des Behaviorismus aufkamen, gab es ein groes Interesse sowohl der Machthaber in der damaligen Sowjetunion wie auch der mchtigen Fhrer von Grounternehmen in Amerika an den einschlgigen Forschungsergebnissen. Den einen ging es darum, durch das Setzen entsprechender Anreize sozialistische Verhaltensweisen (was immer man sich derzeit darunter vorstellte) zu provozieren, den anderen darum, produktives Mitarbeiterverhalten und gewinnbringendes Kuferverhalten zu initiieren. Die S-O-R-C-Modelle gaben diesen Hoffnungen einen Dmpfer, denn sie verdeutlichen, dass ein gewnschtes menschliches Verhalten nicht das Ergebnis mechanischer Reaktionen auf Reize aus der Umwelt ist und somit weder eindeutig vorhergesagt noch durch das Setzen von Anreizen oder Belohnung und Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen vollstndig zu kontrollieren bzw. zu manipulieren ist. Auf die unter dem Buchstaben O der S-O-R-C-Modelle aufgelisteten psychischen Elemente und ihr wechselseitiges Zusammenwirken kann in den folgenden Abschnitten nicht in allen Einzelheiten eingegangen werden, denn ein solches Vorhaben wrde die Intention dieses Lehrbuchs verfehlen. So stellen die folgenden Ausfhrungen auf lediglich einige wenige psychische Gesichtspunkte der S-O-R-C-Modelle und der Klrung der in diesem Zusammenhang benutzten Grundbegriffe ab. Dabei wird deutlich werden, dass die in formalwissenschaftlichen Modellen unterstellte Rationalitt des Entscheidungstrgers in mehrfacher Weise relativiert wird, indem u.a. auf Beteiligung der Gene, des Unbewussten, der Verzerrungen von Wahrnehmungen und vieles andere hingewiesen wird.

563 Das vegetative Nervensystem ist der Kontrolle des Bewusstseins weitgehend entzogen. Seine

Aufgabe besteht u.a. darin, fr das berleben des Organismus wichtige Funktionen wie Atmung, Stoffwechsel, Blutdruck usw. zu steuern. Das senso-motorische Nervensystem kann bewusst vom Menschen gesteuert werden. Hiermit werden beispielsweise Bewegungsablufe koordiniert.

268

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

8.3.1.2

Instinkte und Triebe

Instinkte und Triebe (primre Bedrfnisse) sind angeboren und weitgehend durch Gene bedingt.564 Sie treiben das menschliche Verhalten in eine bestimmte Richtung, die nicht von einem erlernten Verhalten oder bewussten Entscheiden vorgegeben wird. Verhalten, das instinktiv und triebhaft geschieht, wird nicht durch kognitive Prozesse gesteuert. Es geschieht unberlegt. Unbewusste Prozesse erzeugen reflexartige Reaktionen auf bestimmte Ereignisse, bevor das Bewusstsein eingeschaltet wird. Allerdings ist genetisch bedingtes Triebverhalten nicht unvernderbar. Menschen knnen durch Erfahrungen und berzeugungen angeborenes Triebverhalten ndern. Sie knnen z.B. dem Trieb der Nahrungsaufnahme trotzen und sich zu Tode hungern. Schon Sigmund Freud hatte mit seiner Theorie der Triebe auf den Zusammenhang von drei Instanzen der Psyche aufmerksam gemacht. Er unterscheidet Es, Ich und ber-Ich. Das ber-Ich kann als moralische Instanz oder als Gewissen des Menschen aufgefasst werden. Hier sind gesellschaftliche, kulturelle und moralische Werte gespeichert, die insbesondere im Rahmen der Erziehung durch die Eltern weitergegeben worden sind. Im ber-Ich entsteht eine Idealvorstellung vom eigenen Handeln. Das ber-Ich stellt auch eine Kontrollinstanz dar, die versucht, durch einen Vergleich der selbst beobachteten eigenen Handlungen mit der Idealvorstellung vom eigenen Handeln, das eigenen Handeln auf diese Idealvorstellung hin zu orientieren. Das Es ist mit dem Unbewussten gleichzusetzen. Es beinhaltet den Sexual- und Aggressionstrieb. Es gehorcht dem Lustprinzip und strebt nach unmittelbarer Befriedigung der Triebe. Gibt der Mensch sich ganz seiner Lust hin, sorgt das ber-Ich dafr, dass er Schuldgefhle empfindet. Das Ich ist das Bewusste, das Selbstbewusstsein, der kritische Verstand. Wahrnehmen und Denken finden hier statt. Es gilt das Realittsprinzip. Es begrndet Triebverzicht und Sublimierung. Das Ich soll sowohl der Lust (dem Es) wie der Moral (dem berIch) gerecht werden. Das Es wirkt mit seinen Ansprchen auf animalische Bedrfnisbefriedigung auf das Ich ein. Das ber-Ich macht sittliche Ansprche geltend. Das Ich muss eine Art Gleichgewicht zwischen Es und ber-Ich herstellen. Es verarbeitet die Umweltreize im Lichte der Wert- und Normvorstellungen, der Rationalitt und der Lust, um anschlieend mit Entscheidungen auf sie zu reagieren.

564 Biologen erklren individuelles und soziales Verhalten genetisch. Whrend die Wirtschafts-

wissenschaft die Wirtschaftssubjekte als eigenntzig beschreibt, unterstellen Biologen, dass fr Gene die Eigennutzhypothese gilt. Unter Rckgriff auf die Vorstellung eigenntziger Gene beschreiben sie soziales Verhalten im Tierreich, vgl. Wickler/Seibt (1981). Fr eine bertragung der von den Autoren entwickelten Gen-Selektions-Theorie auf das soziale Verhalten von Menschen geben die Autoren selbst einige Beispiele, vgl. ebenda S. 347 ff.

269

Entscheidungstheoretische Konzepte

Neuerdings werden animalische Instinkte als zentrale Erklrungskategorien des Entscheidens und Handelns wirtschaftlicher Akteure herausgestellt.565 In diesem Zusammenhang wird der herausragende Einfluss des Sexual- und Aggressionstriebs auf menschliches Entscheidungsverhalten behauptet. Soweit Instinkte und Triebe herangezogen werden, um individuelles Verhalten zu erklren, wird die Annahme, dass es ausschlielich Bewusstsein und Rationalitt sind, die Entscheidungen in Unternehmen bestimmen, aufgegeben.

8.3.1.3

Motivationstheorien

Auer Instinkten und Trieben (primre Bedrfnisse) identifiziert die Psychologie sekundre Bedrfnisse als Bestimmungsgrnde menschlichen Handelns. Anders als die genetisch begrndeten Instinkte und Triebe werden sekundre Bedrfnisse durch das Einzelbewusstsein, Sozialisation und weitere gesellschaftliche Einwirkungen (z.B. Erziehung, Werbung u.a.) beeinflusst und geformt. Mit sekundren Bedrfnissen werden somit Kategorien angesprochen, auf die von auen eingewirkt werden kann. Soweit Bedrfnisse ein Gefhl des Mangels hinterlassen und darber hinaus erstens die Bereitschaft besteht, diesen Mangel zu beseitigen, und zweitens die Erwartung hinzutritt, durch entsprechendes Handeln die Befriedigung des Bedrfnisses zu erreichen, spricht man von Motiven. Unter dem Begriff der Motivation wird eine Menge von Motiven, im Sinne von Beweggrnden menschlichen Handelns, zusammengefasst.566 Hiermit setzen sich Motivationstheorien auseinander. Sie beanspruchen, individuelles Verhalten zu erklren, indem sie die Beweggrnde des Handelns offenlegen. Die einschlgige Literatur unterscheidet Inhalts- und Prozesstheorien der Motivation.567 Inhaltstheorien versuchen, wie der Name schon sagt, Bedrfnisinhalte zu beschreiben. Sie gehen der Frage nach, was Menschen motiviert, und wollen erklren, welche Wirkungen von unterschiedlichen Bedrfnisarten auf individuelles Verhalten ausgehen. Prozesstheorien geht es nicht um Bedrfnisinhalte. Sie unterstellen, genau wie formalwissenschaftliche Anstze der Entscheidungstheorie, dass individuelles Verhalten sich am zu maximierenden subjektiv erwarteten Nutzen orientiert (subjektive Erwartungsnutzentheorie), der sich auf beliebige Bedrfnisinhalte beziehen kann.568 Prozesstheorien erheben den Anspruch, den Prozess zu beschreiben, wie individuelles

565 Akerlof/Shiller (2009). 566 Diese Zusammenhnge wurden bereits in Abschnitt 6.1.1 geklrt. So kann an dieser Stelle auf 567 Die Unterscheidung geht auf Campbell et al. zurck, vgl. Campbell (1970) S. 342. Staehle

das dort vermittelte Verstndnis verwiesen werden.

(1999) beschreibt auf den Seiten 218-244 unterschiedliche Inhalts- und Prozesstheorien der Motivation. Der interessierte Leser sei ausdrcklich auf seine Ausfhrungen verwiesen. 568 Da Prozesstheorien die Erwartungskomponente bei der Erklrung individuellen Verhaltens besonders hervorheben, hat Lattmann sie als Erwartungstheorien bezeichnet. Inhaltstheorien der Motivation bezeichnet er als Bedrfnistheorien, vgl. Lattmann (1982) S. 107.

270

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Verhalten rein formal erklrt, hervorgebracht und zielgerichtet beeinflusst und verndert werden kann. Die Bedrfnistheorie von Maslow, ber die bereits berichtet wurde569, zhlt zu den Inhaltstheorien. Mit seiner Bedrfnispyramide bringt Maslow Bedrfnisinhalte in eine hierarchische Ordnung. Nur unbefriedigte Bedrfnisse wirken handlungsbestimmend. Sie motivieren zu bestimmten Handlungen, wenn ihre Befriedigung in Aussicht gestellt wird. Erst nachdem untergeordnete Bedrfnisschichten befriedigt sind, knnen hher angesiedelte Bedrfnisarten Verhalten motivieren. Anders als bei Maslow sind die Motivklassen, die Clayton P. Alderfer mit seiner Motivationstheorie vorstellt, nicht mehr hierarchisch angeordnet, sondern zunchst gleichberechtigt auf einer Ebene angesiedelt. Alderfers Motivationstheorie wurde als ERGTheorie bekannt.570 Sie ist benannt nach den Anfangsbuchstaben der von ihm unterschiedenen Bedrfnisklassen. Es werden existence needs (Existenzbedrfnisse), relatedness needs (Beziehungsbedrfnisse) und growth needs (Wachstumsbedrfnisse) unterschieden. In der Kategorie Existenzbedrfnisse sind die ersten zwei Maslowschen Bedrfnisschichten, physiologische Bedrfnisse und Sicherheitsbedrfnisse, zusammengefasst. Die Klasse der Beziehungsbedrfnisse nimmt die dritte und Elemente der vierten Maslowschen Bedrfnisschicht, soziale Bedrfnisse und Bedrfnisse nach Wertschtzung durch andere, auf. In der Kategorie Wachstumsbedrfnisse sind Elemente der vierten und die fnfte Maslowsche Bedrfnisebene zusammengefasst, nmlich die Bedrfnisse nach Selbstachtung und Selbstverwirklichung. Die Rangordnung der drei Bedrfnisklassen ist nicht festgeschrieben, sondern variiert individuell. Motivationsbemhungen haben nach der ERG-Theorie zu bercksichtigen, dass die in Unternehmen Beschftigten mannigfaltige Bedrfnisse haben, deren Befriedigung simultan in Aussicht gestellt werden muss. Es reicht nicht, sich auf eine Bedrfnisklasse zu konzentrieren, wie es die Maslowsche Motivationstheorie vorschlgt. Falls ein hochgelagertes Bedrfnis unbefriedigt bleibt, kommt es vor, dass seine Befriedigung nicht mehr angestrebt, sondern auf eine leichter zu befriedigende Bedrfniskategorie zurckgegriffen wird. Dieses Phnomen wird als Frustration (frustration-regression) bezeichnet. Nach der Zwei-Faktoren-Theorie der Motivation von Frederick Herzberg (1923-2000) wird individuelles Verhalten durch zwei Faktoren beeinflusst: durch motivation factors (Motivatoren) und hygiene factors (Hygienefaktoren).571 Whrend Motivatoren Zufriedenheit und eine Steigerung des Selbst- und Fremdwertgefhls herstellen knnen und zur Arbeit motivieren, sind Hygienefaktoren nicht dazu in der Lage. Sie knnen lediglich Bedingungen beseitigen (fr Hygiene sorgen), die unzufrieden machen. Mit ihrem Einsatz kann nicht motiviert werden, aber es kann erreicht werden, dass Unzufriedenheit mit der Arbeit in Richtung Neutralitt gelenkt wird. Typische
569 Vgl. Abschnitt 6.1.1. 570 Alderfer (1972). 571 Vgl. Herzberg (1966) und weiter, Herzberg (1972) S. 113-125.

271

Entscheidungstheoretische Konzepte

Hygienefaktoren sind: Arbeitsbedingungen, Unternehmenspolitik und Personalfhrung, zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz, Entlohnung, Status, Sicherheit des Arbeitsplatzes etc. Als Hygienefaktoren sind damit uere Bedingungen (extrinsische Bedingungen) benannt, unter denen in Unternehmen gearbeitet wird. Die Ausgestaltung dieser Faktoren kann Unzufriedenheit reduzieren, nicht aber Zufriedenheit und damit Motivation herstellen. Typische Motivatoren sind: die eigene Leistung, die Anerkennung der Leistung, die Arbeitsinhalte, Verantwortung, berufliches Fortkommen etc. Hiermit wird auf intrinsische Faktoren hingewiesen, die zur Motivation der Mitarbeiter eingesetzt werden knnen. Nur sie knnen zu einem bestimmten Verhalten motivieren. Die Stimulation von auen (Kita-Methode = kick in the ass = Tritt in den Hintern-Methode) ist fr Herzberg keine Motivation. Herzberg diskutiert die Mglichkeiten, Mitarbeiter zu mehr Arbeit durch Arbeitsbereicherung (job enrichment) und Arbeitserweiterung (job enlargement) sowie Tausch von Arbeitsaufgaben zwischen Stelleninhabern (job rotation) zu motivieren. Er prferiert das job enrichment und nennt sein Konzept job loading, mit dem durch das Einbeziehen von planenden und kontrollierenden Ttigkeiten in den Arbeitsbereich des Einzelnen seine Arbeitsaufgaben bereichert werden sollen. Zu den Inhaltstheorien der Motivation wird die von David McClelland und John William Atkinson vorgelegte Motivationstheorie572 gezhlt, obwohl sie bereits ber die Inhaltstheorien hinaus in Richtung Prozesstheorien weist, da sie die Erwartungskomponente als erklrende Variable beinhaltet. Von den bisher vorgestellten Inhaltstheorien unterscheidet sich das Konzept von McClelland und Atkinson auch insofern, als es davon ausgeht, dass die meisten Bedrfnisse nicht naturgegeben, sondern erlernt und durch Erfahrungen geformt worden sind. Es werden drei Bedrfnisklassen unterschieden: need for achievement (Bedrfnis nach Leistung), need for affiliation (Bedrfnis nach Zugehrigkeit und Geselligkeit) und need for power (Bedrfnis nach Macht). Die Motivation individuellen Verhaltens resultiert aus diesen drei Bedrfniskategorien. In der Literatur wird daher die Motivationstheorie von McClelland und Atkinson auch als three need theory bezeichnet. Um auf den Aspekt der Vergesellschaftung von Bedrfnissen hinzuweisen, nennt man sie auch learned needs theory. Die von McClelland und Atkinson durchgefhrten empirischen Untersuchungen belegen, dass Personen mit einem Bedrfnis nach Zugehrigkeit und Geselligkeit sich gute zwischenmenschliche Beziehungen wnschen und auf die Akzeptanz durch andere angewiesen sind. Sie passen sich Gruppennormen an und bevorzugen Arbeitssituationen mit hoher Interaktionsdichte. Das Bedrfnis, Macht auszuben, kann sich in zwei Formen uern: als Bedrfnis, Macht ber Personen zu besitzen, oder als das Bedrfnis, ber institutionelle Macht zu verfgen. Whrend individuelles Verhalten, das auf dem Bedrfnis beruht, ber ande572 Vgl. McClelland (1966), McClelland (1985) S. 812-825, Atkinson (1975).

272

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

re Personen Macht auszuben, also auch gegen deren Widerstreben die eigenen individuellen Interessen durchzusetzen, kritisch zu beurteilen ist, kann eine Orientierung des Handelns an dem Bedrfnis nach institutioneller Macht positive Wirkungen haben. Denn in letzterem Fall geht es darum, Bedingungen fr die Realisierung der Organisationsziele zu schaffen. Das Bedrfnis nach Leistung betrachten McClelland und Atkinson als das zentrale Element zur Erklrung individuellen Verhaltens. Daher entwickeln sie eine eigens hierauf eingestellte Leistungsmotivationstheorie. Hiernach ist die Strke der Leistungsmotivation insbesondere abhngig von dem individuellen Anspruchsniveau einer Person. Dieses wiederum ist geprgt durch Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen. berwiegen Erfolgserfahrungen, erhht sich das Anspruchsniveau und damit steigt die Leistungsmotivation. Umgekehrt lassen viele Misserfolgserfahrungen das Anspruchsniveau und damit die Leistungsmotivation sinken. Dabei spielen subjektive Erwartungen darber, ob das eigene Verhalten zuknftig Erfolg oder Misserfolg bewirken wird, eine ausschlaggebende Rolle. Auer von der Strke des Leistungsbedrfnisses und von den subjektiven Erwartungen darber, mit welcher Wahrscheinlichkeit Erfolg oder Misserfolg eintreten wird, hngt die Leistungsmotivation von der Attraktivitt des angestrebten Zieles ab, das es aus Sicht des zu Motivierenden hat. Als ein Ergebnis ihrer empirischen Untersuchungen zur Leistungsmotivation haben McClelland und Atkinson einen Katalog von persnlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen zusammengestellt, mit dem hoch leistungsmotivierte Personen (high achievers) beschrieben werden knnen. Hoch Leistungsmotivierte gehen gut kalkuliertes, berschaubares Risiko ein, bevorzugen mittelschwere Aufgaben, die aber einen gewissen Neuigkeitsgehalt aufweisen und persnliche Initiative und Kreativitt verlangen, konzentrieren sich auf Arbeit/Aufgabe selbst und weniger auf Mitarbeiter; vertragen keine Arbeitsunterbrechung, bevorzugen Arbeitssituationen, in denen sie selbststndig und eigenverantwortlich arbeiten und entscheiden knnen, bentigen unmittelbares Feedback; hufige eigene und fremde Beurteilung der Arbeitsergebnisse, beziehen hohe Befriedigung durch die Arbeit selbst (intrinsisch motiviert); Geld ist nur als Indikator fr Leistung von Bedeutung. 573

McClelland und Atkinson haben Programme vorgeschlagen, mit denen individuelle Bedrfnisprofile verndert werden knnen. Ihr Ziel ist es, in der Bevlkerung das Bedrfnis nach Leistung zu entwickeln und zu frdern. Denn nur wenn das individuelle Leistungsbedrfnis in einer Gesellschaft in ausreichendem Ausma vorhanden ist, besteht nach Ansicht von McClelland und Atkinson die Mglichkeit der Wohlstandsmehrung. Die von McClelland und Atkinson entwickelten Programme zur Frderung
573 Staehle (1999) S. 228 f.

273

Entscheidungstheoretische Konzepte

des Leistungsmotivs beziehen sich bereits aufs Kindesalter. Sie propagieren eine frhzeitige Herausbildung des Leistungsmotivs, was nicht mehr geleistet werden kann, wenn Personen im fortgeschrittenen Alter als Mitarbeiter in Unternehmen eintreten. Die unterschiedlichen Bedrfniskategorien, mit denen sich Inhaltstheorien der Motivation auseinandersetzen, und ein Vergleich der Theorieanstze sind in der folgenden Abbildung 54 dargestellt.

Abbildung 54:

Vergleich der Inhaltstheorien

Bedrfnishierarchie

ERG-Theorie

Zwei-FaktorenTheorie

Leistungsmotivationstheorie Leistungstreben Machtstreben

Selbstverwirklichung Wachstumsbedrfnisse Wertschtzung soziale Bedrfnisse Sicherheitsbedrfnisse Existenzbedrfnisse physiolog. Bedrfnisse Beziehungsbedrfnisse Hygienefaktoren Motivatoren

soziales Streben

Quelle: Hellriegel/Slocum/Woodmann (1986) S. 187, zitiert nach: Staehle (1999) S. 230.

Inhaltstheorien der Motivation beschrnken sich darauf, Motivarten zu identifizieren, zu klassifizieren und danach zu fragen, welche unterschiedlichen Motivarten individuelles Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken. Auf das Problem, wie ein bestimmtes Verhalten erzeugt, erhalten, verndert und beeinflusst werden kann, gehen sie nicht ein. Kognitive Prozesse und ihre Einflsse auf die Motivation und auch die Umwelt-Komponente der Motivation spielen bei Inhaltstheorien keine oder eine untergeordnete Rolle. Demgegenber bercksichtigen Prozesstheorien kognitive und Umweltaspekte, die Motivation hervorbringen, indem sie u.a. Erwartungen und Prferenzen des Entscheidungstrgers und Umweltelemente (u.a. mit Handlungsfolgen verbundene Sanktionen) in ihre Modelle einbauen. Mithilfe von Prozesstheorien wird versucht, die Frage zu beantworten, wie Kognition und Umwelt Motivation beeinflus-

274

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

sen. Sie geben aber auch Hinweise darauf, wie umgekehrt Motivation auf Kognition und Umwelt einwirkt. Dabei spielt im Rahmen prozesstheoretischer Betrachtungen die inhaltliche Dimension der Motivation bei der Erklrung individuellen Verhaltens keine Rolle. Unabhngig von jedem Motivinhalt bauen Prozesstheorien ihre Theorien auf der Annahme auf, dass die Entscheidungstrger eigenntzig handelnde Individuen sind, die ihren Nutzen zu maximieren beabsichtigen oder ein als befriedigend angesehenes Nutzenniveau (Anspruchsniveau) erreichen mchten.574 Bezogen auf Arbeitsleistungen unterstellen Prozesstheorien, dass sie nur angestrebt werden, wenn der Nutzen, der aus der Arbeitsleistung gezogen werden kann, einen Beitrag zur Realisation individueller Ziele zu leisten in der Lage ist. Damit ist die Motivation, eine Arbeitsleistung zu erbringen, nicht mehr vom Arbeitsinhalt und nicht mehr nur von biologischen Anlagen (Gene, Triebe, Instinkte) bestimmt oder durch Sozialisation erlernt, sondern auch davon abhngig, ob und in welcher Hhe in einer bestimmten Situation von einer zu erbringenden Leistung ein Nutzen erwartet und wahrgenommen wird und inwieweit erwartet wird, dass die realisierten Nutzen einen Beitrag zur Erreichung individueller Ziele leisten. Der erwartete Nutzen, den eine erbrachte Leistung stiftet, wird somit von Prozesstheorien als Mittel betrachtet, um individuelle Ziele zu erreichen. Das prominenteste Prozessmodell der Motivation ist von Victor H. Vroom entwickelt worden.575 Das Ziel-Mittel-Denken erscheint im Motivationsmodell von Vroom als Instrumentalitt. Sie besagt, dass der Nutzen einer Leistung als Instrument eingesetzt wird, um individuelle Ziele zu frdern. Prferenzen des Entscheidungstrgers bzw. Wichtigkeiten, die ein Entscheidungstrger den Elementen einer Entscheidungssituation zuordnet, nennt Vroom Valenz. Da neben Valenz und Instrumentalitt das Vroom-Modell auch noch Erwartungen des Entscheidungstrgers ber den Eintritt von ihm nicht zu kontrollierender Ereignisse beinhaltet, wird die Motivationstheorie von Vroom auch Valenz-Instrumentalitts-Erwartungs-Theorie (VIE-Theorie) genannt.576 Das bereits bekannte Grundmodell der Entscheidungstheorie577 wird von Vroom in mehrfacher Weise erweitert. Vroom verdeutlicht, dass es nicht die Handlungsergebnisse an sich sind, die motivieren, und auch nicht die mit einem Handlungsergebnis objektiv verbundenen Sanktionen noch die objektive Mglichkeit, Belohnungen als Instrument zur Erreichung eigener Ziele einzusetzen. Vielmehr bestimmen subjektive
574 Insofern Prozesstheorien eigenntziges Entscheidungsverhalten unterstellen, basieren sie auf

einer Grundannahme, die auch die neoklassische Unternehmenstheorie, der faktortheoretische Ansatz von Gutenberg und die formalwissenschaftliche Entscheidungstheorie ihren Analysen unterstellen. 575 Vgl. Vroom (1964). 576 Einen berblick ber die Grundelemente seines Motivationsmodells gibt Vroom selbst, vgl. Vroom (1964) S. 14-19. 577 Vgl. Abschnitt 8.1.1.

275

Entscheidungstheoretische Konzepte

Erwartungen bezglich der beschriebenen Sachverhalte, ob mgliche Handlungsergebnisse berhaupt als erstrebenswert angesehen werden und Motivationskraft erlangen. Subjektive Erwartungen werden von Vroom als subjektiv wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeiten von Ereignissen interpretiert. Dabei findet Erwartungsbildung auf unterschiedlichen Ebenen statt. Zunchst werden Erwartungen darber gebildet, ob es mglich ist, mit einer bestimmten Anstrengung berhaupt ein bestimmtes Handlungsergebnis zu erzielen. Die Erwartungsbildung auf dieser Ebene ist stark von den charakterlichen Eigenschaften und Fhigkeiten des jeweiligen Entscheidungstrgers abhngig. Die subjektiven Erwartungen knnen zwischen 0 und 1 liegen. Wird z.B. die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Handlungsergebnisses mit 0 bewertet, geht der Entscheidungstrger davon aus, dass das Handlungsergebnis nicht eintritt, wird die Eintrittswahrscheinlichkeit mit 1 angegeben, ist der Entscheidungstrger sicher, dass er das Ergebnis erreichen kann. Auf der nchsten Ebene der Erwartungsbildung geht es um die Frage, ob erwartet werden kann, dass die an Handlungsfolgen gekoppelten Belohnungen auch ausgezahlt werden und die erhaltenen Belohnungen als Instrument zur Erreichung eigener Ziele einzusetzen sind (Instrumentalitt). Die Erwartungsbildung ist auf dieser Ebene mageblich abhngig von dem (wahrgenommenen) Verhalten anderer Personen, insbesondere vom Fhrungsverhalten des Fhrungspersonals und den Organisationsregeln. Im Vroom-Modell kann die erwartete Instrumentalitt Werte zwischen -1 und +1 annehmen. Liegt die Instrumentalitt bei +1, geht der Entscheidungstrger davon aus, dass eine an ein Handlungsergebnis gekoppelte Belohnung sicher einen Beitrag zur Realisation der eigenen Ziele leisten kann. Eine Instrumentalitt von -1 bedeutet, dass der Entscheidungstrger mit Sicherheit erwartet, dass ein bestimmtes Handlungsergebnis und die hiermit verbundene Belohnung zur Realisation eigener Ziele keinen Beitrag leisten knnen. Damit wird unterstellt, dass Belohnungen nicht von sich aus motivierend wirken, sondern nur insoweit und so lange, wie sie in der Lage sind, als Mittel eingesetzt zu werden, um individuelle Ziele zu erreichen. Neben der Erwartung, die Belohnungen fr die eigene Zielverfolgung zu instrumentalisieren, wirkt die subjektive Einschtzung ber die Wichtigkeit (Valenz) der eigenen Ziele auf die Einschtzung der Attraktivitt von Handlungsergebnissen zurck und beeinflusst derart die Motivation, Anstrengungen zu unternehmen, um als attraktiv eingestufte Handlungsergebnisse zu realisieren. Die Valenz eines Handlungsergebnisses errechnet der Entscheidungstrger aus den Valenzen aller anderen Handlungsergebnisse und deren Instrumentalitt, indem er die Valenzen mit der jeweiligen Instrumentalitt gewichtet und die so gewonnenen Produkte aufsummiert. Eine Valenz von > 0 bedeutet, das Handlungsergebnis ist anzustreben. Bei einer Valenz von < 0 wird das Handlungsergebnis vermieden. Betrgt die Valenz = 0, ist der Entscheidungstrger indifferent gegenber den Handlungsergebnissen. Die Anstrengung, die eine Person unternimmt, um ein bestimmtes Handlungsergebnis zu erzielen, ist somit im Vroom-Modell von den Valenzen aller Handlungser-

276

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

gebnisse abhngig und von der subjektiven Erwartung, durch eigenes Handeln das gewnschte Handlungsergebnis erzielen zu knnen und die damit verbundene Belohnung als Instrument zur Frderung als attraktiv eingestufter individueller Ziele einsetzen zu knnen.578 ber die Beeinflussung von Erwartungen, Valenzen und Instrumentalitten des einzelnen Mitarbeiters kann auf seine Leistungsbereitschaft Einfluss genommen werden. Nach dem Vroom-Modell wrde ein Mitarbeiter eine gute Leistungen abliefern, wenn er eine hohe Wahrscheinlichkeit sieht, dass seine persnlichen Anstrengungen zu einer hohen Arbeitsleistung fhren, diese Arbeitsleistung entsprechend entlohnt wird und diese Entlohnung eingesetzt werden kann, um persnliche, als attraktiv eingestufte eigene Ziele zu frdern.

Abbildung 55:

Motivationsmodell von Vroom

Grundannahme: Nutzenmaximierendes Entscheidungsverhalten Umweltzustnde Handlungsmglichkeiten Handlungsergebnisse Belohnung, die mit dem Erreichen eines Ergebnisses verbunden ist Instrumentalitt: Belohnungen sind Mittel zur Realisation der Ziele Ziele des Entscheidungstrgers Attraktivitt (Wertigkeit = Valenz) der Ziele
Positive Valenz: Streben nach dem Ergebnis. Negative Valenz: Ergebnis vermeiden. Valenz von 0: Indifferenz gegenber dem Ergebnis.

Attraktivitt (Wertigkeit = Valenz) der Ergebnisse

Erwartung, mit einer bestimmten Anstrengung das Handlungsergebnis zu erreichen. (intern bestimmt) Erwartung, mit dem Erreichen des Ergebnisses die hiermit verknpfte Belohnung zu erhalten. (extern bestimmt) Erwartung , die erhaltenen Belohnungen als Beitrag zur Erreichung eigener Ziele einsetzen zu knnen.

Neben dem Vroom-Modell werden in der einschlgigen Literatur weitere Prozesstheorien der Motivation besprochen, die ebenfalls die Erwartungskomponente in ihre The-

578 Zur formalen Darstellung der beschriebenen Sachverhalte, vgl. Vroom (1964) S. 17 f.

277

Entscheidungstheoretische Konzepte

orien einbauen.579 An dieser Stelle sei lediglich auf das Motivationsmodell von Porter und Lawler580 und die Zieltheorie der Arbeitsmotivation von Locke581 hingewiesen. Porter und Lawler gehen der Frage nach, wie Anstrengung, Belohnung, Zufriedenheit und Leistung zusammenhngen. Sie stellen u.a. fest, dass Zufriedenheit nicht unbedingt Voraussetzung fr gute Leistung ist, und kehren die klassische Annahme, Zufriedenheit bewirkt gute Leistung, um, indem sie behaupten, gute Leistung und die hiermit verbundene Belohnung bewirkt Zufriedenheit. Das Motivationsmodell von Locke hebt die zentrale Rolle von Zielen fr die Arbeitsmotivation hervor. Hiernach bt die Zielsetzung so lange einen Einfluss auf das individuelle Verhalten aus, wie das gesetzte Ziel nicht erreicht ist, denn so lange wirkt eine Motivationskraft und bringt Handlungen hervor, die auf Zielerreichung gerichtet sind. Diese Motivationskraft ist umso strker ausgeprgt, je attraktiver das Ziel aus Sicht des Handelnden ist. Zielsetzungen beeinflussen die Arbeitsleistung, indem sie die Entwicklung von Zielerreichungsstrategien begrnden und Richtung, Intensitt und Ausdauer der individuellen Handlungen festlegen. Locke stellt fest, je anspruchsvoller Ziele formuliert sind, desto hher die Leistung. Diese Aussage gilt, wenn der Handelnde das Ziel akzeptiert und sich mit ihm identifiziert. Neben Zielakzeptanz und Zielidentifikation wird die Leistung von der Zielklarheit und den Fhigkeiten des Handelnden beeinflusst. Sind fr den Handelnden unmittelbar nach seiner Handlung die Ergebnisse seiner Bemhungen erkennbar, wirkt dies leistungssteigernd. Die Zieltheorie der Arbeitsmotivation von Locke kann zu einer Klasse von Prozesstheorien gezhlt werden, die gleichgewichtstheoretische berlegungen ihrer Modellbildung zugrunde legen. Diese Art von Motivationstheorien entdeckt als zentrales Handlungsmotiv das Streben nach einem Gleichgewichtszustand, nach Harmonie, Konsens und Stabilitt. Die Wahrnehmung von Dissonanzen, Disharmonien, Ungleichheiten, Ungerechtigkeit, Konflikten usw. motiviert, die Abweichungen vom Gleichgewichtszustand durch entsprechende Handlungen zu reduzieren. Die Motivation hierzu ist umso grer, je strker die Abweichung vom Gleichgewichtszustand wahrgenommen wird. Nicht nur innere, intrasubjektive Ungleichgewichte, sondern auch intersubjektive Ungleichheiten, die durch einen Vergleich, z.B. der eigenen sozialen Stellung mit der sozialen Stellung, die andere einnehmen, wahrgenommen werden, knnen Motive freisetzen und Handlungen begrnden. Von erwartungstheoretisch und gleichgewichtstheoretisch ausgerichteten Motivationstheorien sind Motivationstheorien zu unterscheiden, die Attributionen (lat. attribuere = zuschreiben) als die zentralen Motive des Handelns identifizieren. Erst die Zuschreibung von Ursachen schafft aus attributionstheoretischer Sicht die Voraussetzung, um individuelles Verhalten zu erklren, vorauszusagen, zu beeinflussen und zu kontrollieren. Es wird zwischen der Mglichkeit der internen Zuschreibung (die handelnde
579 Vgl. Staehle (1999) S. 236 ff. 580 Vgl. Porter/Lawler (1968), Lawler (1977). 581 Vgl. Locke et al. (1981) S. 125-152.

278

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Person war es selbst, ihre Fhigkeiten und/oder Anstrengungen waren es) und der externen Zuschreibung (die Situation, die Aufgabe und/oder der Zufall war es) unterschieden.582 Das individuelle Verhalten ist nach Aussagen der Attributionstheorie davon abhngig, ob die Ergebnisse frheren Handelns intern oder extern zugeschrieben wurden. Verhaltensbestimmend ist also, ob Erfolge bzw. Misserfolge dem Handelnden selbst oder dem Zufall und/oder der gestellten Aufgabe zugerechnet werden. Neben den individualpsychologischen Erklrungsversuchen individuellen Handelns, greift die verhaltenswissenschaftlich orientierte Betriebswirtschaftslehre auf Erkenntnisse der Sozialpsychologie und der sozialen Lerntheorie zurck.583 Dabei steht die von Kurt Lewin entwickelte Feldtheorie (psychological field theory) und das darin enthaltene Konzept des Lebensraums im Mittelpunkt des Interesses.584 Der Lebensraum besteht aus der handelnden Person, ihren Zielen und Motiven und ihrer physikalischen und sozialen Umwelt, in die sie eingebettet ist. Die Theorie des Lebensraums verdeutlicht, dass es nicht allein Reize aus der Umwelt sind, die individuelles Verhalten bestimmen, sondern dass die jeweilige Situation, mit der eine Person konfrontiert ist, und ihre individuelle Art und Weise der Wahrnehmung und Verarbeitung der Umweltreize die wesentlichen Bestimmungsfaktoren ihres Verhaltens sind. Lewin hat diese Sachverhalte in einer Verhaltensgleichung zusammengefasst. V = f (P, U) Dabei steht der Buchstabe V fr Verhalten und f drckt den funktionalen Zusammenhang zwischen P und U aus, wobei P den Zustand einer Person symbolisiert, der durch ihre momentane Stimmungs- und Gefhlslage, ihren Charakter, ihre Geschichte und ihre Bedrfnisse bestimmt ist. Mit dem Buchstaben U wird die momentane Situation der physikalischen und sozialen Umwelt wiedergegeben. Vereinfacht ausgedrckt, besagt die Verhaltensgleichung, dass der Zustand, in dem sich eine Person befindet, und die jeweilige Umweltsituation ihr Verhalten bestimmen. Die Interaktionstheorie hat die Einseitigkeit dieser Erklrung erweitert, indem sie feststellt, dass zwischen Handlungssituation, Zustand der Person und Verhalten ein zirkulres Verhltnis besteht. Die Situation und der Zustand der Person bestimmen nicht nur das Verhalten der Person, sondern ihr Verhalten bestimmt auch die Situation und den Zustand der Person. Diese Erkenntnis bernimmt die soziale Lerntheorie, die von Albert Bandura entwickelt wurde.585 Sie verbindet die Verhaltensgleichung Lewins mit dem S-O-RModell586 und liefert die Einsicht, dass Lernen (Verhaltensnderung) nicht nur darauf beruht, dass man die positiv oder negativ empfundene Konsequenzen des eigenen Verhaltens beobachtet und hieraus lernt und Anste fr eine eventuelle Verhaltensnderung gewinnt (instrumentelle Konditionierung), sondern dass die Beobachtung,
582 583 584 585 586

Grundlegendes zur Attributionstheorie findet man bei Heider (1977). Vgl. Staehle (1999) S. 156 ff. Vgl. Lewin (1963). Vgl. Bandura (1979). Vgl. Staehle (1999) S. 157.

279

Entscheidungstheoretische Konzepte

wie andere sich verhalten und beobachten, eine Rolle beim Lernen spielt. Mit der Beobachtungskategorie ist die kognitive Dimension der handelnden Person angesprochen. Diese kognitive Vorstellung, die in die soziale Lerntheorie eingebaut ist, fhrt dazu, dass von ihr die Situation, unter der gehandelt wird, bei der Erklrung des Verhaltens zwar Bercksichtigung findet, aber letztlich Verhalten als eine sich selbst (durch kognitive Prozesse) steuernde Angelegenheit betrachtet wird. Whrend die bisher vorgestellten individual- und sozialpsychologischen Anstze zur Erklrung menschlichen (Entscheidungs-)Verhaltens Teilaspekte hervorgehoben haben, die verhaltensbestimmend sind, versuchen Persnlichkeitstheorien und Menschenbilder Menschen zu klassifizieren, indem sie eine berschaubare Anzahl von Klassen bilden, unterschiedliche Menschen in die Klassen einordnen und den einzelnen Klassen unterscheidbare Verhaltensweisen zuordnen.

8.3.1.4

Persnlichkeitstheorie und Menschenbilder

Die Persnlichkeitspsychologie und die ltere Charakterkunde haben unterschiedliche Persnlichkeitstheorien vorgelegt, mit denen versucht wird, das Einzigartige und Dauerhafte einer handelnden Person zu beschreiben, um hieraus zuknftiges Verhalten und Erleben der Person prognostizieren zu knnen. Persnlichkeitstheorien konzentrieren sich auf unterschiedliche Aspekte der Persnlichkeit: auf Typen, Eigenschaften, Biografien, psychodynamische-, Kognitions-, Lern-, Interaktions- sowie neurobiologische Phnomene. Eine einheitliche, smtliche Persnlichkeitsaspekte zusammenfassende Persnlichkeitstheorie gibt es bisher nicht. Es lassen sich statisch angelegte Persnlichkeitstheorien, die Persnlichkeitstypologien liefern, von Persnlichkeitstheorien unterscheiden, die sich mit der Persnlichkeitsentwicklung beschftigen. Frhzeitig sind Persnlichkeitstypologien vorgelegt worden. Eine der bekanntesten ist die Klassifikation von Hippokrates (460-377 vor Chr.). Als Arzt nahm er die Krpersfte Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle und bildete nach diesem Muster Persnlichkeitstypen, denen individuelle Menschen zugeordnet werden knnen: Dem Blut entspricht der Sanguiniker. Sanguiniker sind temperamentvolle Menschen. Sie sind leicht ansprechbar, gesprchig, erregbar und unbestndig, haben ein geselliges und offenes, lebhaftes und dominantes Wesen. Dem Schleim wird der Phlegmatiker zugeordnet. Phlegmatiker zeichnen sich durch Trgheit und wenig Agilitt aus. Sie sind schwerfllig, langsam; passiv, nachdenklich, ruhig, beherrscht, friedlich und ausgeglichen und zeichnen sich durch ein groes Durchhaltevermgen aus. Die gelbe Galle charakterisiert den Choleriker. Choleriker sind leicht reizbare, jhzornige, aggressive, unruhige und empfindliche Menschen. Ihr Wesen ist durch Optimismus und Aktivitt geprgt.

280

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Die schwarze Galle kennzeichnet den Melancholiker. Schmerz, Traurigkeit und Angst bestimmen Melancholiker. Sie erscheinen trbsinnig, schwermtig, bedrckt, zurckhaltend, schweigsam, ungesellig, launisch, pessimistisch und neigen zu Depressionen. Unbeweglichkeit und geringe Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, sind weitere Kennzeichen. Auf die Verbindung mit der Vier-Elementen-Lehre von Platon und Aristoteles sei hingewiesen. Die griechischen Philosophen hatten als Urstoffe, aus denen alles hervorgeht, Luft, Wasser, Feuer und Erde, identifiziert. Nach diesem Muster wurden in Folge geometrische Krper, Eigenschaften, Tierkreiszeichen, Geister, Gtter, Himmelsrichtungen, Engel etc. und auch alle Menschen klassifiziert. Sanguiniker wurden der Luft, Phlegmatiker dem Wasser, Choleriker dem Feuer und Melancholiker der Erde zugeordnet. Nicht nur anhand der Krpersfte und der Urstoffe des Lebens wurden Persnlichkeitstypen gebildet. Auch Formen des menschlichen Krpers wurden zur Typologie genutzt. Man unterscheidet Pykniker (Korpulente), Athletiker (Muskulse) vom Leptosom (Schmalgebauter) und schliet von diesen Krperformen auf bestimmte Verhaltensweisen.587 Weiter klassifiziert man Menschen mithilfe des PersnlichkeitsEnneagramms (Enneagramm = Neuneck) in neun Persnlichkeitstypen oder nutzt die Big Five588, um die individuelle Persnlichkeit zu klassifizieren, und zieht hieraus Rckschlsse auf ihr zuknftiges Verhalten. Obwohl, oder eventuell gerade weil, das ganze Typologisieren von Personen und Prognostizieren ihres Verhaltens den Anschein erweckt, ins Mystische abzugleiten, werden in vielen Unternehmen bei der Personalauswahl, fr Teamentwicklungen und beim Coaching Persnlichkeitstests zur Bestimmung des Persnlichkeitstyps genutzt.589 Neben den statisch angelegten Persnlichkeitstypologien gibt es Theorien der Persnlichkeitsentwicklung. Sie ziehen den Entwicklungsstand einer Person zur Erklrung ihres Verhaltens heran. Zu nennen ist die psychosexuelle Theorie der Persnlichkeitsentwicklung von Sigmund Freud (1856-1939), die fnf Entwicklungsphasen (orale, anale, phallische, latente, genitale) unterscheidet, die ein Kind durchluft und die die Persnlichkeit des Erwachsenen und damit sein Verhalten prgen. Andere Theorien der Persnlichkeitsentwicklung heben den bestimmenden Einfluss des sozialen Um587 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass Erich Rudolf Jaensch (1883-1940) mit seiner Verf-

fentlichung Der Gegentypus Persnlichkeitstypologie und Rassenideologie des Nationalsozialismus miteinander verbunden hat, vgl. Jaensch (1938). 588 McCrae/Costa (1987) S. 81-90. Die individuelle Persnlichkeit beschreiben McCrae und Costa mit den fnf Grunddimensionen: Neurotizismus (emotionale Labilitt), Extraversion (Reizbedrfnis), soziale Vertrglichkeit (Prosozialitt), Gewissenhaftigkeit (Kontrolliertheit, Selbstkontrolle) und Offenheit fr Erfahrungen (Bedrfnis nach Neuem). 589 Dazu werden u.a. der Meyers-Briggs-Typenindikator (MBTI) oder das DISG-PersnlichkeitsProfil und viele andere Instrumente zur Einordnung individueller Persnlichkeiten in Persnlichkeitstypen zum Einsatz gebracht.

281

Entscheidungstheoretische Konzepte

felds bei der Entwicklung der Persnlichkeit hervor und verdeutlichen, dass die Art und Weise, wie in bestimmten Phasen des Lebens auftretende Konflikte bewltigt werden, die Persnlichkeit eines Menschen bestimmt.590 In der Betriebswirtschaftslehre hat die Unreife-Reife-Theorie der Persnlichkeitsentwicklung von Chris Argyris besondere Beachtung gefunden.591 Den Entwicklungsprozess, den eine Person durchluft, beschreibt Argyris mit sieben Merkmalen, die auf einem Kontinuum zwischen Reife und Unreife angeordnet sind. Im Laufe seines Lebens kann die Persnlichkeit eines Menschen durch unterschiedliche Ausprgungen der Merkmale auf dem Unreife-Reife-Kontinuum gekennzeichnet sein. Das Kind ist durch die Charakteristika einer unreifen Person ausgezeichnet. Die Entwicklung hin zu einer reifen Persnlichkeit ist kein zwangslufiger Prozess. Er kann durch psychische, soziale und andere Einflsse behindert werden. Die von Agyris genannten Unreife-Reife-Merkmale sind in Abbildung 56 aufgenommen worden. Mit den Ausprgungen der sieben aufgefhrten Merkmale ist die Persnlichkeit eines Menschen zu beschreiben. In Abbildung 56 ist das Persnlichkeitsprofil einer bestimmten Person grafisch wiedergegeben.

Abbildung 56:

Dimensionen der Unreife-Reife-Theorie

Charakteristika einer unreifen Person: Passivitt Abhngigkeit wenige Verhaltensalternativen oberflchliche Interessen kurze Zeitperspektive Unterordnung fehlende Selbsterkenntnis und Fremdkontrolle

Charakteristika einer reifen Person: Aktivitt Unabhngigkeit viele Verhaltensalternativen tiefergehende Interessen lange Zeitperspektive Gleich- oder berordnung Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle
Quelle: Argyris (1957) S. 50.

590 Vgl. Erikson (1965). Erikson unterscheidet die folgenden Krisen, die ein Mensch im Laufe

seines Lebens durchluft: Vertrauenskrise, Autonomiekrise, Initiativkrise, Leistungskrise, Identittskrise, Intimittskrise, Generativittskrise und Integrittskrise. 591 Vgl. Argyris (1957).

282

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Argyris stellt einen Widerspruch fest zwischen den Ansprchen, die brokratische Organisationen an ihre Mitglieder stellen, und den Ansprchen einer reifen Persnlichkeit. Brokratische Organisationen sind hierarchisch strukturiert und Hierarchie bedeutet, dass die Organisationsmitglieder sich vorgesetzten Stellen unterzuordnen haben, Dienstwege einhalten mssen und dass ihr Tun in der Organisation von Vorgesetzen kontrolliert wird. Eigeninitiative wird nicht verlangt, sondern angepasstes, allein auf die jeweilige Sachaufgabe konzentriertes Interesse. Dem Einzelnen bleiben nur wenig Verhaltensalternativen, da alles Handeln in brokratischen Organisationen regelgebunden abluft. Die beschriebenen Sachverhalte zeigen, dass brokratische Organisationen eine Entwicklung ihrer Mitglieder zu reifen Persnlichkeiten behindern. Argyris hat Organisationsstrukturen vorgeschlagen, die es den Organisationsmitgliedern erlauben, die Charakteristika einer reifen Persnlichkeit zu entwickeln.592 Persnlichkeitstypologien und Theorien der Persnlichkeitsentwicklung fhren individuelles menschliches Verhalten auf den Persnlichkeitstyp und auf das Entwicklungsstadium, in dem sich eine Person befindet, zurck. Andere Anstze zur Erklrung menschlichen Verhaltens, die sich insbesondere auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern beziehen, heben hervor, dass es Menschen- und Weltbilder sind, die verhaltensbestimmend wirken. Dabei wird unter Menschen- oder Weltbild eine festgefgte Auffassung verstanden, die eine Person von der Persnlichkeit anderer Menschen und der Welt hat. Diese Bilder prgen das Verhalten. Dies gilt insbesondere auch fr Personen, die in Unternehmen Fhrungspositionen einnehmen. Ihr Fhrungsverhalten wird von ihrem Menschen- und Weltbild bestimmt. Douglas McGregor hat mit seiner X/Y-Theorie zwei unterschiedliche Menschenbilder bei Fhrungskrften festgestellt.593 Ein Menschenbild beruht auf der X-Theorie, das andere auf der Y-Theorie. In der X-Theorie fasst McGregor idealtypische Vorstellungen der klassischen Organisationstheorie zusammen.594 Sie nimmt an, dass der Durchschnittsmensch arbeitsscheu ist und, wann immer es mglich ist, versuchen wird, Arbeit zu vermeiden. Aufgrund dieser Charakteristika mssen die meisten Menschen zur Arbeit gezwungen, angewiesen und kontrolliert werden und mit Strafen bedroht werden, damit sie einen produktiven Beitrag zur Erfllung der Organisationsziele leisten. Der Durchschnittsmensch mchte sogar von anderen gefhrt werden. Er vermeidet es, Verantwortung zu tragen, entwickelt keinen Ehrgeiz und sein sehnlichster Wunsch ist Sicherheit. Von diesem durch die X-Theorie geprgtem Menschenbild, ist das Menschenbild zu unterscheiden, das auf der Y-Theorie beruht.595 Hiernach verabscheut der Durchschnittsmensch die Arbeit nicht. Im Gegenteil, er betrachtet Arbeit als eine wichtige Quelle der Zufriedenheit. Soweit Mitglieder der Organisation sich mit den Organisati-

592 593 594 595

Vgl. Argyris (1985). Vgl. McGregor (1960). Vgl. McGregor (1960) S. 33 ff. Vgl. McGregor (1960) S. 45 ff.

283

Entscheidungstheoretische Konzepte

onszielen identifizieren, ist eine Fremdkontrolle nicht ntig. An ihre Stelle tritt die Selbstkontrolle und Eigeninitiative der Organisationsmitglieder, verbunden mit dem Wunsch, unter entsprechender Anleitung, Verantwortung fr das eigene Handeln zu bernehmen und dabei das eigene intellektuelle und kreative Potenzial zum Einsatz zu bringen. Diese Verhaltensweisen werden nicht primr durch materielle Anreize hervorgerufen, sondern beruhen auf dem Streben nach Selbstbesttigung und Selbstverwirklichung. Die Menschenbilder wirken wie sich selbst erfllende Prophezeiungen, denn sie rufen ein Fhrungsverhalten und Fhrungsstrukturen hervor, die das Verhalten der Organisationsmitglieder in Richtung Besttigung des unterstellten Menschenbildes festlegen. Diesen Zusammenhang versucht Abbildung 57 wiederzugeben.

Abbildung 57:

X/Y-Theorie nach McGregor

Menschenbild: Mitarbeiter sind faul

Desinteresse, verantwortungsscheu, keine Initiative

X-Theorie
Strenge Vorschriften und Kontrollen (Taylorsystem) Demotivation, passives Arbeitsverhalten Menschenbild: Mitarbeiter sind leistungswillig Engagement, Interesse und Initiative

Y-Theorie
groer Handlungsspielraum Selbstkontrolle Motivation steigt

Bis hierher wurden Anstze zur Erklrung individuellen Verhaltens vorgestellt, die Gene, Umweltelemente, Bedrfnisinhalte, Erwartungen und Prferenzen, den eigenen Nutzen, Attribuierungen, die Persnlichkeit und ihr individuelles Entwicklungsstadium, Menschenbilder und vieles mehr zur Erklrung individuellen Verhaltens heranziehen. Die Darstellung hat kognitive Elemente wie Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Vorstellungen ber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Gedchtnis usw.

284

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

aufscheinen lassen und damit deutlich gemacht, dass die Konstruktionen des menschlichen Geistes subjektive Realitten entstehen lassen, die mageblich individuelles Verhalten bestimmen.596 Subjektive Realitten sind nicht unbedingt durch Rationalitt, Egoismus und unwandelbare Wnsche ausgezeichnet. Mit dem Versuch, individualund sozialpsychologische Vorstellungen in die Betriebswirtschaftslehre zu integrieren, wird eine Relativierung der fundamentalen konomischen Annahmen bezglich der Entscheider ntig. Whrend formalwissenschaftliche entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehren von rationalen und egoistischen Entscheidungstrgern ausgehen, die, auf eine bestimmte Zeitperiode bezogen, stabile, unvernderbare Prferenzen besitzen, beabsichtigen verhaltenswissenschaftliche Betriebswirtschaftslehren, diese Annahmen durch realittsnhere zu ersetzen. Die prospect theory versteht sich als Alternative zur Erwartungsnutzentheorie. Sie macht darauf aufmerksam, dass tatschliches Entscheidungsverhalten hufig im Widerspruch zu den blichen Annahmen der konomie ber Egoismus, Rationalitt und Prferenzen steht. Deshalb werden sie durch realittsnhere ersetzt, was mit Wahrnehmungsverzerrungen (biases) begrndet wird. Damit ist das Wahrnehmungsvermgen des Menschen als eine magebende Kategorie zur Erklrung individuellen Verhaltens hervorgehoben.

8.3.1.5

Wahrnehmungsverzerrungen

Die prospect theory wurde von Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt.597 Sie wird auch als Neue Erwartungstheorie bezeichnet. Die zentrale Aussage der prospect theory lautet: In Entscheidungssituationen, die durch Unsicherheit ausgezeichnet sind, beeinflussen durch psychische Faktoren ausgelste Verzerrungen der Wahrnehmung die Entscheidung in eine Richtung, die nicht mehr mit dem Modell des homo oeconomicus bzw. der (subjektiven) Erwartungsnutzentheorie beschreibbar ist. Entscheidungstrger in Unsicherheitssituationen entwickeln nmlich Vorurteile, die dazu fhren, dass sie weniger rational, egoistisch und entlang stabiler Prferenzen entscheiden als der homo oeconomicus, sondern emotional. Einige von der prospect theory herausgearbeiteten emotionalen Vorurteile, die das Entscheidungsverhalten bestimmen, sollen im Folgenden besprochen werden. Mit den von Kahneman und Tversky empirisch nachgewiesenen framing-Effekten (Rahmeneffekte) wird die fundamentale Annahme stabiler Prferenzen infrage ge596 Auf diese Sachverhalte macht der operative Konstruktivismus aufmerksam, vgl. die Ausfh597 Daniel Kahneman (geb. 1934) erhielt 2002 zusammen mit Vernon L. Smith den Wirtschafts-

rungen zum Konstruktivismus in den Abschnitten 3.1.1 und 3.1.4.

Nobelpreis. Tversky, mit dem Kahneman zusammen die prospect theory entwickelt hat, war da schon verstorben. Heute beschftigt sich Kahneman mit Glcksforschung. Zur prospect theory, vgl. Kahneman/Tversky (1979) S. 313-327 sowie Tversky/Kahneman (1992) S. 297-323.

285

Entscheidungstheoretische Konzepte

stellt.598 Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Art und Weise der Darstellung eines Entscheidungsproblems Einfluss auf Entscheidungen hat. Framing-Effekte beruhen auf reference-dependence (Referenzpunktabhngigkeit) von Entscheidungen und auf einer bestimmten Eigenschaft von Prferenzen, der Verlustaversion. Diese Behauptung soll im Folgenden nher erlutert werden. Kahneman und andere zeigen, dass Entscheidungstrger bei ihren Entscheidungen den Status quo (ihre Ausstattung mit Gtern und anderem) als Orientierungspunkt (Referenzpunkt) nutzen (endowment-effect), von dem aus sie Gewinn- und Verlustaussichten bewerten.599 Die Bewertung ihrer Gewinn- und Verlustaussichten ist also nicht unabhngig von ihrer aktuellen Anfangsausstattung (vom Status quo).600 Eine reference-independence (Unabhngigkeit von einem Referenzpunkt) des Entscheidungstrgers behauptet allerdings die (subjektive) Erwartungsnutzentheorie.601 Sie geht davon aus, dass im Fall des Risikos rationale Entscheider ihre Handlungsalternativen nach der Hhe des erwarteten Nutzens, der aus den Handlungskonsequenzen gezogen werden kann, in eine Rangordnung bringen und sich dann fr jene Handlungsalternative entscheiden, die mit dem grten erwarteten Gesamtnutzen verbunden ist. Die finalen Handlungskonsequenzen (Gewinne) sind fr die Erwartungsnutzentheorie die Nutzenbringer.602 Die in Aussicht stehenden Handlungskonsequenzen und die damit verbundenen Nutzenwerte werden entsprechend der Erwartungsnutzentheorie nicht im Lichte der Ausstattung, die dem Entscheider schon zur Verfgung steht, betrachtet. Die Handlungskonsequenzen erbringen sozusagen aus sich heraus, unabhngig von vorgegebenen Ausstattungen, einen Nutzen. Man kann auch sagen, die Prferenzen der Entscheider sind unabhngig von ihren Anfangsausstattungen und insofern stabil. Oder noch anders und allgemeiner ausgedrckt: Entscheider, die sich entsprechend der (subjektiven) Erwartungsnutzentheorie entscheiden, entscheiden anhand von absoluten Nutzenwerten. Dieser Aussage widersprechen die empirischen Untersuchungen von Kahneman und Tversky, deren Ergebnisse zeigen, dass bei Entscheidern eine reference-dependence (Referenzpunktabhngigkeit) bezglich des in Aussicht stehenden Nutzens vorliegt. Psychologisch ist dieser Sachverhalt darauf zurckzufhren, dass die menschliche Wahrnehmung Unterschiede registriert, absolute Werte dagegen nicht. Nicht das neue Niveau einer Stimulation, sondern der Unterschied zwischen neuem und Ausgangsniveau wird wahrgenommen.603 Eine wichtige Konsequenz aus dieser Einsicht ist, dass gleiche

598 Vgl. Tversky/Kahneman (1986) S. 251-278. 599 Vgl. Kahneman/Knetsch/Thaler (1991) S. 193-206. 600 Es wird diskutiert, ob der Referenzpunkt mit der Status quo-Ausstattung einer Person

gleichgesetzt werden muss, oder ob nicht auch andere Referenzpunkte, wie Erwartungen, Anspruchsniveau, Werte usw. als Referenzpunkte gesetzt werden knnten. 601 Vgl. Kahneman (2003) S. 163 f. Zur Erwartungsnutzentheorie, vgl. die Ausfhrungen zur Bernoulli-Regel in Abschnitt 8.2.1.2. 602 Vgl. Tversky/Kahneman (1991) S. 1039-1061. 603 Vgl. Helson (1964).

286

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Alternativen unterschiedliche subjektive Werte aufweisen knnen, je nachdem welcher Referenzpunkt gewhlt wurde. Neben der Status quo-Bezogenheit von Entscheidungen unter Unsicherheit ergaben die empirischen Untersuchungen von Kahneman und Tversky, dass ein Entscheider Gewinn- und Verlustaussichten unterschiedlich bewertet. Verbesserung gegenber dem Status quo wird eine weit weniger groe Bedeutung beigemessen als Nachteilen gegenber dem Status quo. Dieser Sachverhalt ist von Kahneman und Tversky mit einer Wertfunktion (value function) fr Gewinne und Verluste dargestellt worden.604 Der Status quo, der Referenzpunkt, kann als Null-Punkt eines Koordinatensystems, an dem sich Gewinn- bzw. Verlustaussichten orientieren, interpretiert werden. Im Gewinnbereich hat die Wertfunktion einen konkaven, im Verlustbereich einen konvexen Verlauf. Das bedeutet, dass Entscheider, die sich im Gewinnbereich zwischen Handlungsalternativen entscheiden, sich risikoavers verhalten, und wenn sie sich im Verlustbereich zwischen zwei Alternativen zu entscheiden haben, entscheiden sie risikofreudig. Im Gewinnbereich wird ein sicherer kleiner Gewinn einem unsicheren Gewinn vorgezogen, auch wenn er den gleichen oder einen hheren Erwartungswert hat.605 Im Verlustbereich ist es genau umgekehrt. Der Krmmungsunterschied der Wertfunktion in der Gewinn- und Verlustzone ist nicht der einzige Unterschied. Der Verlauf der Wertfunktion im Gewinn- und Verlustbereich zeichnet sich durch eine weitere Differenz aus: Die Wertfunktion verluft im Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich. Hiermit wird die Beobachtung erklrt, dass die Resonanz auf in Aussicht stehende Verluste durchweg intensiver ist als die auf Gewinne in gleicher Hhe. Erwartete Verluste lsen mehr Bedauern aus, als in gleicher Hhe zu erwartende Gewinne Vergngen bereiten (Verlustaversion).606 Dies Mehr an Bedauern, das erwartete Verluste im Vergleich zu gleich hohen Gewinnen verursachen, wird mit einem Faktor beziffert, der gegen 2 konvergiert.607 So haben Experimente, die von Tversky und Kahneman durchgefhrt wurden, ergeben, dass die berwiegende Zahl der Versuchspersonen dann bereit war, eine Wette darauf abzuschlieen, dass der Wurf einer Mnze Kopf und nicht Zahl bringt, wenn der zu erwartende Gewinn fast doppelt so hoch war wie der zu erwartende Verlust, obwohl die Verlust- oder Gewinnwahrscheinlichkeit objektiv jeweils 50 Prozent betrgt.608 Die meisten Menschen wrden hiernach bereit sein, bei einem Mnzwurf 10 Euro zu riskieren, wenn in Aussicht steht, dass sie 20 Euro gewinnen knnen. Eine Wette, bei der mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit 10 Euro verloren werden knnten und mit 50604 Vgl. Kahneman/Tversky (1979) S. 277 ff. 605 Bei Anwendung der Erwartungsnutzentheorie wrde immer die Alternative gewhlt, die mit 606 Obwohl Verlustaversion die Entscheidungsfindung beeinflusst, konnte ebenfalls gezeigt

dem hchsten Erwartungswert verbunden ist.

werden, dass tatschlich eingetretene Verluste ein nicht so groes Bedauern auslsen, wie die Entscheidungstrger vor ihrem Eintritt prognostiziert hatten, vgl. Kermer et al. (2006). S. 649-653. 607 Vgl. Tversky/Kahneman (1992). 608 Vgl. Tversky/Kahneman (1992).

287

Entscheidungstheoretische Konzepte

prozentiger Wahrscheinlichkeit 15 Euro gewonnen werden knnten, wrde aufgrund von Verlustaversion immer abgelehnt werden. Die Erwartungsnutzentheorie kme zu einem anderen Ergebnis. Die Wette wrde angenommen, denn der Erwartungswert von 7,5 ist grer als der Erwartungswert 5. Aus dem steileren Verlauf der Wertfunktion im Verlustbereich im Vergleich zum Gewinnbereich folgt umgekehrt, dass eine Verringerung von Verlusten hher bewertet wird als eine Erhhung von Gewinnen. Dies bedeutet auch, dass ein Weitergeben von Verlusten als unfair eingestuft wird, wohingegen es vollkommen akzeptiert wird, wenn Gewinne nicht geteilt werden.609 Neben den bisher herausgestellten Unterschieden zwischen Erwartungsnutzentheorie und prospect theory besteht ein weiterer wichtiger Unterschied darin, dass die prospect theory eine Entscheidungsgewichtungsfunktion (weighting function) beinhaltet610, whrend die Erwartungsnutzentheorie eine solche Funktion nicht kennt. Im Rahmen der prospect theory werden subjektive Wahrscheinlichkeiten bezglich des Eintritts der Handlungskonsequenzen mithilfe nichtlinearer Gleichungen in Entscheidungsgewichte transformiert. Entscheidungsgewichte sind keine Wahrscheinlichkeiten, und sie gehorchen auch nicht den Axiomen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mit den Entscheidungsgewichten werden die Handlungskonsequenzen bewertet. Die Entscheidungsgewichtungsfunktion gibt wieder, welches Entscheidungsgewicht ein Entscheider einer Wahrscheinlichkeit zuordnet. Wichtige Eigenschaften der Entscheidungsgewichtsfunktion sind die folgenden: Da der Mensch nicht in der Lage ist, extreme Wahrscheinlichkeiten zu beurteilen, bleiben extrem geringe Wahrscheinlichkeiten nahe 0 unbercksichtigt, und extrem hohe Wahrscheinlichkeiten nahe 1 werden als absolut sicher eingeschtzt.611 Kleine Wahrscheinlichkeiten werden bergewichtet, mittlere und groe Wahrscheinlichkeiten untergewichtet.612 Aus der Wertfunktion und der Entscheidungsgewichtungsfunktion setzt sich die Nutzenfunktion, mit der die prospect theory arbeitet, zusammen.613 In einer Studie prsentieren Tversky und Kahneman614 ein Experiment, dessen Ergebnisse framing-Effekte sind, die unter Rckgriff auf die vorgestellten Begriffe der prospect theory erklrt werden knnen. Das Experiment ist als Asian disease problem bekannt geworden. Eine Versuchsgruppe wurde gebeten, sich vorzustellen, dass eine unbekannte asiatische Seuche ihr Land bedroht und mit 600 Todesopfern zu rechnen sei. In einer ersten Version der Problemstellung wurden zwei Programme zur

609 Vgl. Kahneman/Knetsch/Thaler (1986) S. 728-741. 610 Vgl. Kahneman/Tversky (1979) S. 280 ff. 611 In der unmittelbaren Nhe der Wahrscheinlichkeit von 0 und 1 weist die Entscheidungsge612 Die Entscheidungsgewichte liegen also zunchst oberhalb des numerischen Werts der Wahr-

wichtungsfunktion daher Sprungstellen auf.

scheinlichkeit und mit steigendem numerischen Wert der Wahrscheinlichkeit unterhalb der Wahrscheinlichkeit. 613 Auf eine formale Darstellung wird hier verzichtet. Vergleiche hierzu und zu weiteren Einzelheiten, Kahneman/Tversky (1979). 614 Vgl. Tversky/Kahneman (1981).

288

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Seuchenbekmpfung (A und B) vorgeschlagen, zwischen denen sich die Versuchspersonen entscheiden sollten. Programm A: 200 Menschen werden gerettet. Programm B: Mit einer Wahrscheinlichkeit von werden alle 600 Menschen gerettet, und mit einer Wahrscheinlichkeit von wird kein Mensch gerettet. Obwohl die Zahl der geretteten Personen bei Anwendung beider Programme gleich gro ist, entschieden sich 72 Prozent der Versuchspersonen fr Programm A und lediglich 28 Prozent fr Programm B. In einer zweiten Version der Problemstellung wurde den Probanden das gleiche Problem in vernderter Formulierung vorgelegt. Jetzt war zwischen Programm C oder D zu entscheiden. Programm C: 400 Menschen sterben. Programm D: Mit einer Wahrscheinlichkeit von wird niemand sterben und mit einer Wahrscheinlichkeit von werden alle 600 Menschen sterben. 22 Prozent der Versuchspersonen entschieden sich fr Alternative C und 78 Prozent fr die Alternative D. Es stellte sich die Frage, wieso sich 72 Prozent der Versuchspersonen fr Programm A und nur 22 Prozent fr die Alternative C entschieden hatten, obwohl doch in beiden Fllen 200 Menschen sicher gerettet bzw. 400 Menschen sicher sterben wrden, und weiter war zu klren, wieso die Mehrheit der Probanden sich im ersten Fall fr die sichere Rettung von 200 Menschen entschieden hatte und im zweiten Fall fr die unsichere Variante, in der mit einer Wahrscheinlichkeit von niemand sterben wird. Tversky und Kahneman erklren dieses Phnomen damit, dass durch die Rahmung Rettung der ersten Version der Problemstellung und die Rahmung Sterben der zweiten Version unterschiedliche Referenzpunkte gebildet werden, wodurch bei der ersten Version der Problemstellung die Konsequenzen als Gewinne erscheinen, whrend sie in der zweiten Version als Verluste wahrgenommen werden. Da beim framing der Konsequenzen als Gewinne risikoavers entschieden wird, fllt die Entscheidung fr das sichere Programm A. Wenn man beim framing die Handlungskonsequenzen als Verluste darstellt, wird risikofreudig entschieden. Dann fllt die Entscheidung fr Programm D. Die vernderte Problembeschreibung hatte eine Verschiebung von Risikoaversion zu Risikofreude zur Folge. Derartige framing-Effekte sind bei vielen Entscheidungsproblemen aufgedeckt worden.615 Auch der Frage, ob es sich bei der uerung individueller Zahlungsbereitschaft fr die Produktion ffentlicher Gter um das Sichtbarmachen von Prferenzen oder Einstellungen handelt, sind Kahneman und andere nachgegangen.616 Die Untersuchungen (telefonische Umfragen) zeigen, dass die Bereitschaft, fr ffentliche Gter einen bestimmten Betrag zu zahlen, nicht Prferenzen fr das ffentliche Gut, sondern fest615 Vgl. Bazerman (1984) S. 1259-1262; McNeil/Pauker/Sox/Tversky (1982) S. 333-343. 616 Vgl. Kahneman/Ritov/Jacowitz/Grant (1993) S. 310-315, Kahneman/Ritov (1994) S. 5-38,

Kahneman/Ritov/Schkade (1999) S. 203-235.

289

Entscheidungstheoretische Konzepte

gefgte Einstellungen zum Ausdruck bringt. Es wurde auch hier nachgewiesen, dass die Zahlungsbereitschaft abhngig ist von dem Rahmen, in dem das ffentliche Gut prsentiert wird. Fr das gleiche ffentliche Gut wurde eine unterschiedliche Zahlungsbereitschaft festgestellt, je nachdem, ob nach der Zahlungsbereitschaft fr ein bestimmtes einzelnes ffentliches Gut gefragt wurde oder nach der Zahlungsbereitschaft fr ein Gterbndel, in das das betreffende Gut eingebettet wurde (embedded). Dieser Effekt wird als Embedding-Effekt bezeichnet. Ein Grund fr die Abweichung der geuerten Zahlungsbereitschaft vom eigentlichen Wert des ffentlichen Gutes sehen Kahneman und Knetsch in der moralischen Befriedigung, die Personen durch den von ihnen genannten Zahlbetrag erfahren. Sie bezeichnen diesen Effekt als Warm-Glow-Effekt.617 Darber hinaus stellen Kahneman und andere fest, dass Zuflle und fr das eigentliche Entscheidungsproblem vollkommen irrelevante Informationen Einfluss auf den Entscheidungsprozess ausben, indem sie whrend der Entscheidungssituation prsent sind. Das betrifft insbesondere irrelevante numerische Informationen, die dem Entscheider von auen vorgegeben werden oder die er selbst generiert. Sie verschmelzen mit dem eigentlichen Entscheidungsproblem. Dies gilt insbesondere dann, wenn Entscheidungen auf der Basis von nur wenigen Informationen getroffen werden sollen. In solchen Situationen bilden die irrelevanten numerischen Werte einen Anker, an dem sich die Entscheidung orientiert. Dieser Effekt wurde als Ankereffekt (anchoring effect) bekannt. Tversky und Kahneman beschreiben den Ankereffekt erstmals mit ihrem Glcksradexperiment.618 In diesem Experiment hatten die Versuchspersonen ein manipuliertes Glcksrad zu drehen, um eine Zufallszahl zu ermitteln. Fr die eine Hlfte der Versuchsteilnehmer blieb das Glcksrad bei der Zahl 10 stehen, fr die andere Hlfte stoppte das Glcksrad bei der Zahl 65. Nachdem die Zufallszahlen vorlagen, wurden die Probanden gefragt, ob der Prozentsatz der afrikanischen Staaten, die Mitglied in den Vereinten Nationen sind, nach ihrer Einschtzung ber oder unter der durch das Glcksrad vorgegebenen Zufallszahl liegt. Versuchspersonen, bei denen das Glcksrad bei der Glckszahl 10 stehengeblieben war, schtzten den erfragten Prozentsatz auf 25, Versuchspersonen mit der Glckszahl 65 auf 45. Die niedrige Ankerzahl fhrte offensichtlich zu einer niedrigen Schtzung, die hohe Ankerzahl zu einer hohen Schtzung. Die Entscheidungen der Versuchspersonen waren also in Richtung auf die jeweilige Ankerzahl verzerrt, obwohl die Probanden erkannten, dass die ermittelten Glckszahlen Zufallszahlen sind, die fr das eigentliche Entscheidungsproblem vollstndig irrelevante Informationen darstellen. Es sind neben all den bereits genannten psychischen Faktoren, die Wahrnehmungsverzerrungen auslsen, eine Vielzahl weiterer psychischer Eigenarten experimentell nachgewiesen worden, die den Annahmen ber Rationalitt, Egoismus und stabile

617 Kahneman/Knetsch (1992) S. 57-70. 618 Vgl. Tversky/Kahneman (1974) S. 1128. Mit dem Glcksradexperiment wird ein Anker von

auen gesetzt. Zu durch den Entscheider selbst generierten Ankern, vgl. ebenda.

290

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Prferenzen, wie sie die formalwissenschaftliche Entscheidungstheorie unterstellt, widersprechen. Sie alle in diesem Buch zu prsentieren und in dem ihnen gebhrenden Umfang darzustellen, ist nicht mglich. Es sollen daher lediglich einige wenige weitere psychologische Vorurteile genannt werden, ohne sie tiefgehend zu besprechen. Eines der Vorurteile, das zu einer systematischen Verletzung der eigenen Interessen des Entscheidungstrgers fhrt, ist die Tendenz eines bermigen Vertrauens (overconfidence) in die eigenen Fhigkeiten, Kenntnisse und den eigenen Einfluss auf zuknftige Ereignisse (over confidentiality bias) sowie die falsche Einschtzung der Handlungsmglichkeiten anderer Entscheidungstrger. Weiter konnte festgestellt werden, dass Entscheidungstrger eine Auffassung, die sie ber eine zu entscheidende Frage gebildet haben, nicht wieder aufgeben und die Tendenz besteht, dass sie ihre Voreingenommenheit durch das Suchen nach Besttigungen ihrer Meinung zu untermauern versuchen, whrend sie Fakten, die ihre Ansichten widerlegen knnten, einfach ignorieren.619 Im Fall emotional aufgeladener Entscheidungssituationen werden empirische Fakten gar nicht mehr wahrgenommen.620 Die Neurobiologie hat nachgewiesen, dass Gefhle wie Furcht, Abscheu, Wut, Ekel usw. immer an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Dies besttigten Beobachtungen von Menschen, deren limbisches System (Gefhlszentrum im Gehirn) beschdigt ist. Sie waren nicht mehr imstande, einfachste Entscheidungen zu treffen.621 Dass individuelle Entscheidungen nicht nur durch individuelle Rationalitt, sondern von der sozialen Situation abhngen, in die Entscheidungssituationen eingebettet sind, zeigen die berhmten Elektroschock-Experimente von Stanley Milgram. Sie verdeutlichen, dass Gruppendruck sehr extreme Entscheidungen erzeugt.622 Die Behauptung, dass eine wachsende Zahl von Handlungsmglichkeiten zu qualifizierteren Entscheidungen fhrt, wurde als Illusion entlarvt. Im Fall einer berflutung des Entscheidungstrgers mit Wahlmglichkeiten steigen nicht nur die Entscheidungskosten und die Ansprche an seine Informationsverarbeitungskapazitt, sondern es erhht sich auch die Zahl von Fehlentscheidungen.623 Nutzenmaximierung im Sinne der klassischen Entscheidungstheorie ist bei einer berflle an Wahlmglichkeiten nicht mehr mglich.

619 Mit dem Kartenwahlexperiment von Peter Wason wurde belegt, dass Menschen versuchen,

620 621 622

623

ihre vorgefassten Meinungen zu besttigen und nicht, wie es bereits Popper empfiehlt, zu falsifizieren, vgl. Wason (1968) S. 273-281. Vgl. Wilson/Arvai (2006) S. 165-178. Vgl. Damasio (2004). Vgl. Milgram (1997). In diesem Zusammenhang sind auch die Experimente von Asch interessant, die nachweisen, dass sich Menschen unter Gruppenzwang fremden Meinungen anschlieen, obwohl sie diese nicht teilen, vgl. Asch (1955) S. 31-35. Vgl. Iyengar/Kamenica (2010) S. 530-539.

291

Entscheidungstheoretische Konzepte

Es ist gefordert worden, die aufgefhrten Wahrnehmungsverzerrungen und weitere, hier nicht genannte, psychologische Faktoren in Verhaltens- und Entscheidungsmodellen zu bercksichtigen. Teilweise ist dies von Kahneman und anderen fr einige psychische Faktoren geleistet worden, indem sie sie in mathematischen Modellen formalisiert haben. Kahneman sieht zwar deutliche Fortschritte, was die Bercksichtigung von Wahrnehmungsverzerrungen in konomischen Modellen betrifft. Er fhrt auch viele Beispiele an, die verdeutlichen, dass die Wirtschaftswissenschaften psychologische Erkenntnisse mit in ihre Modellbildungen einbeziehen. Gleichzeitig erkennt er auch die Gefahr, die mit einer Einbindung von immer mehr Parametern in die konomische Analyse verbunden ist, nmlich, dass hiermit die Praktikabilitt und bersichtlichkeit der Analyse sinkt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Kluft zwischen Psychologie und konomie sich wahrscheinlich verkleinert, es aber keine Anzeichen dafr gibt, dass die beiden Disziplinen irgendwann eine gemeinsame Theorie des menschlichen Verhaltens entwickeln werden.624

8.3.1.6

Psychologie als Basis einer sozialwissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

Das Verhltnis von Psychologie und Betriebswirtschaftslehre ist nicht nur aus den genannten Grnden problematisch. Zwar spricht man seit dem Aufkommen der Verhaltenskonomik von einer psychologischen Wende in den Wirtschaftswissenschaften, die Frage aber bleibt, ob die Psychologie berhaupt als Basis fr die Betriebswirtschaftslehre taugt. Es ist natrlich nicht zu leugnen, dass Psyche und insbesondere Bewusstsein notwendige Voraussetzungen sind, damit Entscheidungsprozesse in Unternehmen stattfinden knnen und Entscheidungen getroffen werden. Wenn Unternehmen als Entscheidungssysteme verstanden werden und das Entscheidungselement in psychologische Elemente aufgelst wird, dann befindet man sich allerdings auf einer Ebene, auf der die Elemente und ihre Beziehungen psychische Systeme konstituieren und nicht soziale Systeme. Genauso gut knnte man Entscheidungen in ihre chemischen, neurophysiologischen, genetischen oder andere Elemente zerlegen, mit der Folge, dass Unternehmen als chemische, neurophysiologische oder genetische Systeme erscheinen wrden. Wenn man Unternehmen allerdings als soziale Systeme analysieren will, und diesen Anspruch erhebt eine sozialwissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre, dann sind betriebswirtschaftliche Analysen relativ unabhngig von den genannten Betrachtungsebenen, also auch relativ unabhngig von der psychischen Ebene, durchzufhren. Bereits Popper hat darauf hingewiesen, dass Psychologie nicht als Basis aller Sozialwissenschaften herangezogen werden kann.625 Er zeigt, dass der methodologische Individualismus mit einer psychologischen Methode nichts gemein hat. Zwar ist alles
624 Vgl. Kahneman (2003) S. 166. 625 Vgl. zu einer Kritik an Versuchen, Sozialwissenschaft auf Psychologie zu reduzieren, Popper

(1974) S. 111 sowie ausfhrlicher Popper (1975) S. 112-125.

292

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

kollektive Handeln, insbesondere auch Entscheidungshandeln, entsprechend dem methodologischen Individualismus auf Einzelentscheidungen zu reduzieren. Dieses aber ist nicht allein aus voraussetzungslos gedachten Beweggrnden des Handelns und Entscheidens zu erklren, vielmehr bestimmt die Logik der Situation", auch aus der Sicht des methodologischen Individualismus, primr individuelles Handeln und Entscheiden. Eine Erklrung des Handelns aus der sozialen Situation, unter der gehandelt wurde, tritt damit im Vergleich zur motivationalen (psychologischen) Handlungsbestimmung in den Vordergrund der Analyse, denn gerade die Handlungssituation bestimmt die Handlungsmotive.626 Was hier zumindest ansatzweise deutlich wird ist, dass die enge Bindung von Handlung und Person aufgelockert, nicht aber aufgegeben wird und als konstitutives Element von Handlung nicht mehr nur Interessen, Motive, Erwartungen, Persnlichkeit, Wahrnehmung etc. angegeben werden, sondern soziale Situationen, man kann auch sagen, soziale Systeme. Entscheidung, Handlung und soziales System bedingen sich also wechselseitig. Gehandelt werden kann nur in sozialen Systemen, und soziale Systeme sind ohne Handlungen nicht mglich. Obwohl mit einer anderen Begrndung, die auf Parsons Emergenzkonzept zurckgreift, kommt Luhmann zum gleichen Ergebnis: Begriffe wie Handlung und System [] (sind M.B.) zugleich und mit Bezug aufeinander zu verwenden. Denn wenn eine Handlung als Element fungiert, so nur in Systemen, die sie trotz weiterer Auflsbarkeit als Element in Anspruch nehmen, so wie umgekehrt Systeme auf dem fr soziale Ordnung kennzeichnenden Aggregationsniveau nur begriffen werden knnen, wenn man sie als Relationierung von wie immer kompakt intendierten und erlebten Handlungen auffat".627 Diese Auffassung wird auch vom Autor dieses Lehrbuchs vertreten. Der Wirtschaftswissenschaft und damit auch der Betriebswirtschaftslehre kann es nicht darum gehen, das individuelle menschliche Verhalten in allen Einzelheiten zu erforschen und eine umfassende Theorie menschlichen Individualverhaltens vorzulegen.628 Diese Einschtzung schliet nicht aus, dass sich die Wirtschaftswissenschaft von psychologischen Erkenntnissen inspirieren lsst. Wenn Unternehmen als soziale Systeme begriffen werden, ist es naheliegend, dass eine Betriebswirtschaftslehre, die das soziale System Unternehmen als ihr Untersuchungsobjekt identifiziert, den Blick auf die Soziologie richtet und danach fragt, inwieweit soziologische Perspektiven fr die Betriebswirtschaftslehre verwertbare Einsichten liefern.

626 Vgl. Popper (1975) S. 122 f. 627 Luhmann (2005c) S. 61. 628 Die gleiche Einschtzung vertreten Homann und Suchanek, vgl. Homann/Suchanek (2000)

S. 427.

293

Entscheidungstheoretische Konzepte

8.3.2
8.3.2.1

Soziologische Perspektiven
konomie und Soziologie

Die reine konomie der Neoklassik und die formalwissenschaftliche Richtung der Entscheidungstheorie analysieren wirtschaftliche Phnomene (zunchst) ohne Bercksichtigung sozialstruktureller Faktoren. Der Leser wird sich erinnern, dass die neoklassische Unternehmenstheorie und der faktortheoretische Ansatz Gutenbergs die Elemente der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als Daten betrachten und zunchst die Organisation eines Unternehmens aus ihren Untersuchungen ausklammern. Unternehmen werden als produktive und nicht als soziale Phnomene beschrieben. Daraus schien sich unter anderem auch eine saubere Arbeitsteilung zwischen der Nationalkonomie und den anderen Zweigen der Soziologie zu ergeben.629 Die sozialstrukturellen Faktoren werden von der neoklassischen Unternehmenstheorie und in ihrem Gefolge von der Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs und entscheidungslogischen Konzepten als exogene Daten behandelt. Ihre Erklrung wird aus konomischen Betrachtungen ausgeklammert und in den Verantwortungsbereich der Soziologie verwiesen.630 Damit war zunchst eine klare Trennung der Zustndigkeiten von konomie und Soziologie behauptet.631 Soziologie analysiert die sozialen Rahmenbedingungen u.a. des Wirtschaftens. konomie in ihren Ausprgungen als Volks- und Betriebswirtschaftslehre untersucht wirtschaftliche Erscheinungen in einem exogen vorgegebenen sozialen Bedingungskomplex. Wie noch gezeigt werden wird, beziehen verhaltenswissenschaftliche Konzepte, die Neue Institutionenkonomik (vgl. Kapitel 9) und systemtheoretische Konzepte (vgl. Kapitel 10) soziale Ordnung mit in ihre konomischen Analysen ein. Dies geschieht, indem sie die Grundprmissen der konomischen Theorie (methodologischen Individualismus, (begrenzt-)rational und eigenntzig handelnde Akteure) auf das Phnomen soziale Ordnung bzw. soziale Institutionen und damit auf Unternehmen anwenden. Das gilt ebenfalls fr die Neue Politische konomie632 und die Spieltheorie.633 All die aufgefhrten konomischen Anstze verallgemeinern im oben beschriebenen
629 Albert (1967) S. 403. 630 Diese institutionelle Abstinenz hat Albert bekanntlich als Modell-Platonismus kritisiert, 631 Albert hat sich vehement und mehrfach gegen eine theoretische Autonomie von Soziologie 632 Anstze der Neuen Politischen konomie finden sich in der deutschsprachigen Literatur

vgl. Albert (1967) S. 331 ff.

und konomie ausgesprochen, vgl. statt anderer Textstellen, Albert (1967) S. 474 ff.

auch unter dem Etikett konomische Theorie der Demokratie und in englischsprachigen Texten unter der Bezeichnung Public Choice. Einen berblick liefert Kirsch, G. (2004). Hauptvertreter sind: Anthony Downs, James M. Buchanan, William A. Niskanen, Mancur Olson, George Stigler, Sam Peltzman, Gordon Tullock, William D. Nordhaus. 633 Zur Spieltheorie, vgl. Selten (2001) und die dort angegebene weiterfhrende Literatur. Einen Hhepunkt hatte die Spieltheorie, als 1994 drei Spieltheoretiker den Wirtschaftsnobelpreis erhielten. Zu ihnen gehrte Reinhard Selten, der als erster Deutscher mit dieser Auszeichnung geehrt wurde.

294

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Sinne neoklassisches konomisches Denken und ben einen bestimmenden Einfluss auf die Konzepte der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre aus. Darber hinaus haben die Grundannahmen der neoklassischen Theorie auch Eingang in die soziologische Theoriebildung gefunden, insbesondere in Form des Tausch- und verhaltenstheoretischen Ansatzes von Homans.634 Diese Entwicklungen in der soziologischen und der konomischen Theorietradition haben zu einer Relativierung der jeweiligen Autonomieansprche und damit zu einer Annherung von Soziologie und konomie gefhrt.635 Der individualistische Weg, der konomie und Soziologie verbinden knnte, wird allerdings nicht von allen Fachvertretern beschritten. Die neuere Systemtheorie, die vom Soziologen Niklas Luhmann vorangetrieben wurde, hlt ihn fr den falschen Weg,636 die Wirtschaftswissenschaft fr den richtigen. So behaupten weite Teile der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, smtliche sozialen Erscheinungen der Welt konomisch nicht nur beschreiben, sondern auch erklren und prognostizieren zu knnen und das besser als jede soziologische Theorie. Gary Stanley Becker selbst und seine Gefolgschaft wollen durch Anwendung des konomischen Ansatzes auf alle Formen menschlichen Verhaltens die hochgesteckten Ansprche einlsen und Vorschlge fr eine bessere Gesellschaft liefern.637 Gary Becker verkndet: In der Tat bin ich zu der Auffassung gekommen, dass der konomische Ansatz so umfassend ist, dass er auf alles menschliche Verhalten anwendbar ist, sei es nun Verhalten, das monetr messbar ist oder unterstellte Schatten-Preise hat, seien es wiederkehrende oder seltene Entscheidungen, seien es wichtige oder nebenschliche Entscheidungen, handle es sich um emotionale oder nchterne Ziele, reiche oder arme Menschen, Mnner oder Frauen, Erwachsene oder Kinder, kluge oder dumme Menschen, Patienten oder Therapeuten, Geschftsleute oder Politiker, Lehrer oder Schler.638 Hervorzuheben ist, dass es den Bemhungen der individualistischen, konomischen Konzepte nicht nur um die Erklrung des beobachtbaren Verhaltens von Einzelmenschen geht, sondern insbesondere um die Erklrung des Handelns von Kollektiven. Auf individualistisch-utilitaristischer Basis sind mittlerweile smtliche Funktionsbereiche der Gesellschaft behandelt worden. Es gibt eine konomische Theorie der Politik (Neue Politische konomie),639 eine konomische Theorie des Rechts640, mit Unterabteilungen bis hin zur Verwaltungsrechtskonomik641, eine konomische Theorie
634 635 636 637 638 639 640

641

Vgl. Homans (1961), insbesondere das Kapitel The Position of Economics. Vgl. Vanberg (1983) S. 51 f. Vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 10.3.6. Vgl. Becker (1993) S. 3; vgl. auch Becker/Becker (1998). Gary Becker erhielt fr seine Forschungen 1992 den Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften. Becker (1993) S. 7. Vgl. Downs (1957). Das grundlegende Werk stammt von Posner (2002). Die konomische Theorie des Rechts bezieht sich insbesondere auf das Zivilrecht (Gesellschafts-, Vertrags-, Strafrecht), vgl. Kirchner (1997) sowie Adams (2004). Vgl. Aaken (2004).

295

Entscheidungstheoretische Konzepte

der Bildung usw. Weiterhin kann man eine konomische Theorie der Familie642 wie auch eine konomische Theorie sozialer Interaktionen643 usw. finden. Diese Entwicklung der imperialistischen Anwendung des konomischen Ansatzes auf smtliche soziale Erscheinungen ist durch eine Relativierung der Annahmen ber die Rationalitt von Entscheidungen in Organisationen gekennzeichnet. Das bedeutet ein Abrcken vom Modell des homo oeconomicus. Es wird durch ein realittsnheres Modell vom handelnden Menschen in Organisationen ersetzt.

8.3.2.2

Modell des homo organisans

Bei der Darstellung von Wahrnehmungsverzerrungen wurde bereits darauf hingewiesen, dass empirische Forschungen widerlegt haben, dass die Unternehmenswirklichkeit durch streng rationale Entscheidungen und isoliert handelnde Individuen, die mit dem Modell des homo oeconomicus beschreibbar sind, bestimmt wird. Herbert Simon war der Erste, der mit seinen Konzepten der befriedigenden Lsung (satisficing) und begrenzten Rationalitt (bounded rationality)644, die er im Modell des homo organisans645 zusammenfasste, ein realistischeres Modell vom handelnden Menschen in Organisationen prsentierte. Anders als der homo oeconomicus sucht der homo organisans nach befriedigenden (satisficing) und nicht nach optimalen Lsungen, die die neoklassische Theorie des Unternehmens, die Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs und die entscheidungslogische Richtung der Betriebswirtschaftslehre anstreben. Der homo organisans belastet sich nicht mit dem Versuch, smtliche Handlungsalternativen, die sich ihm bieten, zu eruieren, um dann nach Magabe der Erwartungsnutzentheorie zu entscheiden, sondern er legt sein Anspruchsniveau fest. Er entscheidet nicht wie der homo oeconomicus unter der neoklassischen Annahme vollstndiger Information. Der homo organisans ist generell unvollstndig informiert. Er bezieht nur die fr ihn zu einem gegebenen Zeitpunkt relevanten Handlungsmglichkeiten in sein Entscheidungskalkl ein, und dies sind sehr wenige. Darber hinaus kann er nur lckenhafte Erwartungen bezglich des Entscheidungsverhaltens anderer bilden und orientiert seine Entscheidungen an einer beraus einfachen Vorstellung ber das Weltgeschehen. Fr den homo organisans hat die berwiegende Mehrzahl realer Geschehnisse berhaupt keine Bedeutung. Er ignoriert sie, genau wie er Ursache-Wirkungs-Zusammenhnge nicht bis in letzte Einzel642 Vgl. Becker (1993) insbesondere S. 167 ff. und S. 187 ff. Die konomische Theorie der Familie

prsentiert eine Theorie des Haushalts. Anders als bei der Neoklassik werden nicht Einpersonen-Haushalte, sondern Haushalte, die aus mehreren Personen bestehen, mit interdependenten Nutzenfunktionen in die Analyse einbezogen. Dabei findet die Leistungsproduktion, wie die new home economics betonen, nicht ausschlielich in Betrieben statt, sondern auch in den, von der neoklassischen Haushaltstheorie, rein konsumtiv gedachten Haushalten, die durch den Einsatz auch von Konsumgtern Nutzleistungen produzieren und somit zur Bedrfnisbefriedigung beitragen. 643 Vgl. Becker (1993) S. 282 ff. 644 Vgl. Simon, H. A. (1955). 645 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 31 f.

296

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

heiten verfolgt. Er vernachlssigt vielmehr die Mehrzahl der Interdependenzen. Anders als der homo oeconomicus verfgt der homo organisans lediglich ber eine uerst begrenzte Denkfhigkeit und -kapazitt. Das charakteristische Merkmal des homo organisans ist seine bounded rationality646. Der homo organisans handelt nicht irrational. Er handelt rational insofern, als er die erstbeste Handlungsalternative auswhlt, deren Folgen sicherstellen, dass sein Anspruchsniveau erreicht wird. Um trotz seiner begrenzten rationalen und intellektuellen Fhigkeiten qualifiziert zu entscheiden, ist der homo organisans darauf angewiesen, dass ihm Entscheidungsprobleme vorstrukturiert vorgelegt werden. D. h., er bentigt einen Rahmen, der wie ein Filter wirkt, der verhindert, dass das Chaos der Welt beziehungsweise ihre Komplexitt ihn unmittelbar trifft und entscheidungsunfhig macht. Diese Filterfunktion erfllen Organisationen im Allgemeinen und Wirtschaftsorganisationen (Unternehmen) im Besonderen. Sie unterbrechen Interdependenzen mit ihrer Umwelt. Daher geht es der verhaltenswissenschaftlichen Strmung der Entscheidungstheorie u.a. darum, Organisationsformen und speziell Unternehmensformen zu finden, in deren Grenzen rationales Entscheiden ermglicht wird, unter der Bedingung, dass das Modell des homo oeconomicus nicht mehr gilt, sondern das Modell des homo organisans. Der homo organisans muss in die Lage versetzt werden, ber den Einsatz von einfachen Daumenregeln (thumb rules) hinaus, qualifizierte und brauchbare Entscheidungen zu treffen.647 Vertreter der verhaltenswissenschaftlichen Richtung erkennen, dass Entscheidungen in Unternehmen nicht in einem sozialen Vakuum getroffen werden, sondern Entscheidungen Ergebnis eines Entscheidungsprozesses sind, der von Unternehmen zu Unternehmen variiert. Seine spezifische Ausgestaltung ist u.a. davon abhngig, ob und in welchem Ausma es Machtunterschiede zwischen den Mitgliedern des Unternehmens gibt und welche Normen, organisatorischen Regeln, Erwartungen usw. etabliert sind. Diese Regelwerke werden als Entscheidungsprmissen betrachtet, an denen sich Einzelentscheidungen orientieren. Entscheidungsprmissen steuern und regeln den Entscheidungsprozess. Teilweise ist das Steuer- und Regelwerk durch Entscheidungen entstanden (gesetzte Ordnung, formale Organisation), teilweise ist es nicht auf Entscheidungen eines einzelnen Bewusstseins zurckzufhren, sondern durch das Zusammenwirken der Mitglieder des Unternehmens spontan evoluiert (gewachsene Ordnung, informelle Organisation). Auf den informellen Aspekt von Organisationen machen die Ergebnisse der Hawthorne-Experimente aufmerksam. Sie werden im folgenden Abschnitt dargestellt.

646 Simon, H. A. (1982). Das Konzept der bounded rationality ist spter przisiert worden, vgl. 647 Simon, H. A. (1981) S. 31.

Gigerenzer/Selten (2002).

297

Entscheidungstheoretische Konzepte

8.3.2.3

Hawthorne-Experimente

Eine der Wurzeln der verhaltenswissenschaftlichen Anstze bilden die berhmten Hawthorne-Experimente der Harvard Business School, die zwischen 1924 und 1932 in den Werken des Unternehmens Western Electric durchgefhrt wurden. Die Experimente wurden nach ihrem Standort Hawthorne (Illinois, USA) benannt. Mit ihnen versuchte man die Frage zu beantworten, ob durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen (unabhngige Variable) die Arbeitsleistungen (abhngige Variable) zu steigern sind. Der Frage, wie die Arbeitsproduktivitt erhht werden kann, war bereits Frederick Winslow Taylor (1856-1915) nachgegangen.648 Die Antwort des Taylorschen scientific management lautete: Durch Spezialisierung und Standardisierung, durch Verbesserung der ueren Arbeitsbedingungen, durch Einfhrung des Stcklohns und/oder von Prmiensystemen, durch Abstimmung der physiologischen Mglichkeiten des Arbeiters mit den physischen Arbeitsanforderungen ist die Arbeitsproduktivitt zu steigern.649 Auf diesen Vorstellungen der wissenschaftlichen Betriebsfhrung bauten die Hawthorne-Experimente auf.

Abbildung 58:

Faktoren, die nach Taylor die Arbeitsleistung beeinflussen

Ergonomische Arbeitsgestaltung:  Arbeitsraum (Licht, Farben, Akustik, Raumklima )  Arbeitsmittel  Arbeitsgegenstand  Arbeitszeit

Physische und biologische Eigenschaften des Arbeiters und physische Arbeitsanforderungen

physische Arbeitsanforderungen

Arbeitsleistung Produktivitt

Spezialisierung und Standardisierung

Lohnanreizsysteme

Physiologische Anforderungen:  Krperfunktionen  Belastbarkeit  Ermdung

648 Vgl. Taylor (2004) und Taylor (2006). Taylor absolvierte eine Lehre als Mechaniker, studierte

Jura und legte in Harvard sein Examen ab. Er war als Chefingenieur und Unternehmensberaterttig ttig und kehrte 1909 als Hochschullehrer an die Harvard Universitt zurck, an der er bis 1914 scientific management lehrte. 649 Vgl. Taylor (2004) S. 39.

298

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Im Hawthorne-Werk der Western Electric Company wurden von den Forschern Versuchs- und Kontrollgruppen gebildet. Da in einem ersten Versuch der Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzbeleuchtung und Arbeitsleistung untersucht werden sollte, wurden bei der Versuchsgruppe die Beleuchtungsverhltnisse verbessert. Bei der Kontrollgruppe geschah dies nicht. Bis auf die Beleuchtungsstrke wurden smtliche weiteren ueren Arbeitsbedingungen wie z.B. die Luftfeuchtigkeit, die Raumtemperatur, Pausenregelungen, das Lohnsystem usw. fr Versuchs- und Kontrollgruppe auf einem konstanten und gleichen Niveau gehalten. Wie zu erwarten war, konnte mit zunehmender Verbesserung der Lichtverhltnisse ein Anstieg der Produktivitt nachgewiesen werden. Als man allerdings die Lichtverhltnisse wieder verschlechterte, war man mit einem Phnomen konfrontiert, das den Vorstellungen des scientific management widersprach: Mit abnehmender Beleuchtungsstrke stieg die Produktivitt weiter an, anstatt ebenfalls abzunehmen. Auch bezogen auf die Entwicklung der Arbeitsproduktivitt in der Kontrollgruppe ergab sich berraschendes. Obwohl die ueren Arbeitsbedingungen nicht verndert worden waren, konnte auch fr die Kontrollgruppe ein Produktivittsanstieg verzeichnet werden. Auch die Variation weiterer Arbeitsbedingungen, wie Vereinfachung der Arbeitsaufgabe (die Anzahl der zu fertigenden Produkttypen wurde verringert), persnliche Gestaltung der Pausenregelung, Verkrzung der Arbeitszeit, Einfhrung des Gruppenlohnsystems, fhrte zu den gleichen Ergebnissen. Produktivittszuwchse waren durch verbesserte Arbeitsbedingungen nicht zu erklren. Es war Elton Mayo (18801949), Professor fr Psychologie der Harvard University, der ab 1928 dem Forscherteam angehrte und die Einsicht verbreitete, dass die beobachteten Produktivittseffekte auf Gefhle, auf Emotionen, auf psychische Faktoren der am Versuch beteiligten Personen zurckzufhren seien.650 Aufgrund der Aufmerksamkeit, die den Versuchspersonen durch forschende Beobachter, Versuchsleiter und Vorgesetzte zuteil wurde, entwickelten die Versuchspersonen das Gefhl, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Die Untersuchungen der Forscher lieferten Gesprchsthemen. Es fanden gemtliche Zusammenknfte mit Kuchen und Eis statt, bei denen man sich unterhalten konnte. All dies bildete die Grundlage zum Aufbau von persnlichen Beziehungen (human relations). Dass persnliche Beziehungen Einfluss auf Arbeitsergebnisse haben, wusste die Unternehmenspraxis natrlich schon, bevor die Ergebnisse der Hawthorne-Experimente verffentlicht wurden. Durch sie wurde diese Erkenntnis allerdings wissenschaftlich fundiert.651 Damit war der Ansto gegeben, Unternehmen nicht mehr nur als produktive Systeme zu begreifen, sondern auch als Geflecht von Mitarbeiterbeziehungen, als soziale Systeme. Es wurde erkannt, dass die Leistungsbereitschaft und -fhigkeit der Mitarbeiter nicht nur von materiellen Anreizen und weiteren physischen Arbeitsbedingungen abhngig sind. Die emotionale, psychische Befindlichkeit und der soziale
650 Einen ausfhrlichen Bericht ber die Hawthorne-Experimente und ihre Ergebnisse liefert 651 Vgl. Kieser (2006a) S. 141 ff.

Roethlisberger/Dickson (1939).

299

Entscheidungstheoretische Konzepte

Kontext (inner- wie auerbetrieblich), in dem die Mitarbeiter eingebunden waren, beeinflusste ihr Arbeitsverhalten. Diese Einsicht hat zu der Forderung gefhrt, einen rein auf die Sachaufgabe des Unternehmens orientierten Fhrungsstil (unpersnlicher Fhrungsstil) durch einen mitarbeiterorientierten Fhrungsstil (personenbezogener Fhrungsstil), der auf die Problemlagen der Mitarbeiter eingeht, zu ergnzen bzw. zu ersetzen. Um den Vorgesetzten einen derartigen Fhrungsstil nherzubringen, wurde ein Interviewprogramm aufgelegt (zwischen 1928 und 1930 wurden 21.000 Interviews durchgefhrt), mit dem sie in nicht direktiver Gesprchsfhrung geschult wurden. Das Zuhren-Knnen sollte den Vorgesetzten durch die Interviews beigebracht werden. Es bildete die Grundlage fr die Fhigkeit des Vorgesetzten, persnlich auf die Sorgen und Nte ihrer Mitarbeiter einzugehen und einen kooperativen Fhrungsstil anzuwenden. Durch Vereinfachung der Arbeitsaufgabe, Einfhrung persnlicher Pausenregelungen, Reduzierung der Arbeitszeit, Etablierung von Gruppenentlohnung und einen mitarbeiterorientierten Fhrungsstil konnte in zwei Jahren eine Leistungssteigerung von 30 Prozent erreicht werden. Welchen Anteil die einzelnen Vernderungen der Arbeitsbedingungen an dieser Produktivittssteigerung hatten, konnte das Forscherteam nicht schlssig erklren.652 Nach eigener Einschtzung der Forscher war aber der Zusammenhang zwischen human relations und Arbeitsleistung wie auch der positive Einfluss eines mitarbeiterorientierten Fhrungsstils auf die Motivation der Mitarbeiter nachgewiesen. Diese Zusammenhnge sind zu einem Leitthema der verhaltenswissenschaftlich orientierten Entscheidungstheorie geworden. Die letzte Untersuchung der Hawthorne-Forschungen betraf die Frage nach dem Einfluss der Arbeitsgruppe auf das Arbeitsverhalten der einzelnen Gruppenmitglieder. 653 Hierzu wurde die bank-wiring group gebildet, deren Aufgabe darin bestand, Wicklungen fr Motoren zu fertigen. Diese Gruppe umfasste 14 Arbeiter, fr die man einen speziellen Beobachtungsraum, den berhmten bank wiring observation room einrichtete. Die bank-wiring group wurde in drei formale Arbeitsgruppen aufgeteilt. Jede der Arbeitsgruppen bestand aus drei Wicklern und einer Person, die fr das Zusammenlten der Kontakte der Wicklungen zustndig war. Darber hinaus gab es zwei Qualittsinspektoren. Sie hatten die Aufgabe, die Arbeitsqualitt aller drei Gruppen zu begutachteten. Die Studie brachte die folgenden Ergebnisse zutage: Die einzelnen Arbeitsgruppen entwickelten eigene Normen ber eine angemessene Arbeitsleistung. Dieser informelle Standard bewirkte, dass die Gruppenmitglieder ihr Leistungsvermgen nicht in vollem Umfang ausschpften und die Arbeitsleistung unter der geforderten formalen Arbeitsleistung lag, die die Realisation des Lohnmaximums gesichert htte. Weiter konnte beobachtet werden, dass besonders gute oder
652 So berichten Roethlisberger/Dickson (1939) S. 87 ff. und S. 129 ff. 653 Vgl. Roethlisberger/Dickson (1939) S. 380 ff.

300

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

besonders schlechte Arbeitsergebnisse nicht gemeldet wurden, um nicht die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten auf sich zu ziehen. Die Menge an hergestellten Produkten, die ber der Tagesnorm lag, wurde als Leistungsreserve vor den Vorgesetzten verborgen, um hiermit Tagesleistungen, die die Norm nicht erfllten, auszugleichen. Die Berichte an die Vorgesetzten wurden entsprechend frisiert. Die Entwicklung gruppenspezifischer Verhaltensweisen bewirkte eine Orientierung der Gruppenmitglieder an den informellen Standards. Diejenigen, die die informellen Standards zu berbieten versuchten, wurden gehnselt und ein Kontakt mit ihnen vermieden. Diese Beobachtungen machten deutlich, dass die Arbeitsleistung nicht nur von physischen Arbeitsbedingungen und den physischen Fhigkeiten der Arbeiter und nicht nur von den eingerichteten Lohnsystemen, sondern insbesondere auch von sozialen (Gruppen-) Normen bestimmt wird. Ein weiteres Untersuchungsergebnis betraf die Bildung zweier informeller Gruppen, die sich ber die drei formalen Arbeitsgruppen hinweg vollzog. Charakteristische Eigenschaften der einzelnen Personen waren bestimmend dafr, ob sie in eine der Gruppen aufgenommen wurden. Die Interaktionen innerhalb der informellen Gruppen waren durch eine hohe Intensitt (hufige Kontakte, Hilfestellungen, gemeinsame Unternehmungen auerhalb der Arbeit) gekennzeichnet, whrend zwischen den beiden informellen Gruppen selbst derartige Interaktionen nicht stattfanden. Weiter konnte beobachtet werden, dass die Prfergebnisse der Qualittsinspektoren durch persnliche Beziehungen, die sie zu den Arbeitern aufgebaut hatten, beeinflusst wurden. Fazit der Harvard-Forschungen in Hawthorne ist, dass persnliche Beziehungen, informelle Standards, die informelle Organisation, der Fhrungsstil usw. Einfluss auf den Produktionsaussto haben. Formale Organisationen sind immer mit informellen Phnomenen durchsetzt. Informelle Beziehungen lassen sich nicht, wie Taylor es annahm, durch formale Organisation beseitigen.654 Die im Gefolge der Hawthorne-Experimente einsetzende human relations-Bewegung ist darum bemht, in die formale Organisation Arbeitsbedingungen einzufhren, die die sozialen und psychischen Bedrfnisse der Mitglieder bercksichtigen. Von einer derartigen Organisation wird ein positiver Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter erwartet. Die Zufriedenheit soll durch Zurckdrngen der Spezialisierung (job enlargement, job enrichment, job rotation), einen mitarbeiterorientierten Fhrungsstil, Delegation von Verantwortung, Teilnahme an Entscheidungen und weitere Motivationstechniken erreicht werden. Von zufriedenen Mitarbeitern werden Hchstleistungen und eine Identifikation mit den formalen Zielen der Organisation erwartet. Whrend der Taylorismus eine Harmonie (ein Gleichgewicht) von Unternehmenszielen und individuellen Zielen der Mitarbeiter ber finanzielle Anreize in Form des Stcklohns und Prmien sowie der Gestaltung der physischen Arbeitsbedingungen zu
654 Bisher stand die Persnlichkeit an erster Stelle, in Zukunft wird die Organisation und das

System an erste Stelle treten. Taylor (2004) S. 18.

301

Entscheidungstheoretische Konzepte

erreichen versucht, propagiert die human relations-Bewegung die oben genannten Motivationstechniken. In beiden Fllen wird der Versuch unternommen, Systemrationalitt und individuelle Rationalitt zur Deckung zu bringen. Nicht Humanisierung der Arbeitswelt ist das Ziel, sondern wie bei Taylor geht es darum, sich an die Rationalittsanforderungen des Unternehmens anzupassen, durch Rationalisierung eine Steigerung der Produktivitt herbeizufhren. Wie Experimente der human relations-Bewegung zeigen, ist nicht in jedem Fall die Zufriedenheit der Mitarbeiter notwendige Bedingung fr hohe Produktivitt. Hufig reichen indifferente Einstellungen der Werkttigen zu ihrer Arbeit aus, um dieses Ziel zu erreichen.655

8.3.2.4

Unternehmen als Handlungs- und Entscheidungssysteme

Weite Teile der betriebswirtschaftlichen Literatur behaupten, die Elemente von Unternehmen seien ganze Menschen und vieles andere mehr. So ist bei Heinen nachzulesen: Die Elemente der Organisation sind Menschen bzw. Gruppen von Menschen und sachliche Hilfsmittel.656 Und nach Ansicht von Ulrich und Probst setzen sich Unternehmen aus einer Vielzahl unterschiedlichster Elemente zusammen. Sie bilden eine Ganzheit aus Grundstcken, Gebuden, Maschinen und Einrichtungen aller Art, aber vor allem aus vielen Menschen, die unter sich sehr verschiedene Eigenschaften aufweisen knnen. Trotz dieser vielfltigen Zusammensetzung ist sie (die Unternehmung M.B.) eine Ganzheit.657 Wenn Betriebswirte Unternehmen als soziale Systeme qualifizieren, erscheinen in der berwiegenden Zahl der Flle eine Mehrzahl von ganzen Menschen auf der Bildflche. So auch bei Ulrich, der feststellt:Wenn wir reale Gebilde, die eine Mehrzahl von Menschen umfassen, als soziale Systeme bezeichnen, so gehren Unternehmungen zu dieser Kategorie.658 Fr Kirsch besteht ein soziales System aus einer Menge sozialer Aktoren. Soziale Aktoren sind entweder Menschen oder selbst soziale Systeme.659 Die Vorstellung, dass Unternehmen (verstanden als Organisationen bzw. soziale Systeme) aus Menschen und weiteren Substanzen oder Wesenheiten zusammengesetzt sind, ist, sptestens seitdem der US-amerikanische Unternehmer und soziologische Management-Theoretiker Chester Irving Barnard (1886-1961) im Jahr 1938! Organisationen und damit auch Unternehmen als Handlungssysteme beschrieben hat,660 nicht mehr akzeptabel. Barnards klassisch gewordene berlegungen zur Organisationstheo-

655 656 657 658 659

Vgl. Luhmann (1999b) S. 133 und die hier angegebene Literatur. Heinen (1992a) S. 22. Ulrich/Probst (1990) S. 233. Ulrich, H. (2001) S. 44. Kirsch, W. (1976) S. 15. Spter relativiert Kirsch seine Sicht. Er ersetzt den Menschen durch individuelle Gehirne, denen er alle Beschreibungen (bzw. Konstruktionen der Wirklichkeit), die in sozialen Systemen eine Rolle spielen, zurechnet, vgl. Kirsch, W. (1992) S. 23. 660 Vgl. Barnard (1970) S. 65 ff.

302

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

rie starten mit der Einsicht, dass menschliche Organismen nur in Verbindung mit anderen menschlichen Organismen existieren und funktionieren knnen661 und dass Menschen zusammenarbeiten, um etwas zu erreichen, was sie allein nicht erreichen knnten. Neben den an der Zusammenarbeit teilnehmenden Personen kommen weitere Komponenten wie biologische, physikalische und technische Systeme sowie auch Organisationen zum Einsatz, um eine Leistung zu erbringen, die eine einzelne Person nicht erbringen knnte. Diese Komponenten und ihr Zusammenwirken fasst Barnard unter dem Begriff Kooperations-System zusammen.662 Organisationen sind nach Barnard von Kooperations-Systemen streng zu unterscheiden. Organisationen sind Elemente von Kooperations-Systemen. Biologische, physikalische und technische Systeme sind keine Elemente von Organisationen, sondern stellen Aspekte ihrer Umwelt dar.663 Dies gilt auch fr ganze Menschen. Sie sind fr Barnard einmalige Individualisierung von physikalischen, biologischen und sozialen Faktoren, die in begrenztem Umfang die Fhigkeit zur freien Entscheidung besitzen.664 Organisationen bestehen ausschlielich aus koordinierten Handlungen zweier oder mehrerer Personen.665 Sie sind daher substanzlos. Zwar beziehen sich die Handlungen von Personen auf physikalische Objekte, diese gehren aber nicht zur Organisation, sondern zur Organisationsumwelt. Insofern kann die rumliche Dimension nicht auf Organisationen angewandt werden. Das bedeutet, dass Organisationen keine rumlichen Grenzen aufweisen. Demgegenber hat die Zeitdimension eine groe Bedeutung, wenn es um die Beschreibung von Organisationen geht, denn trotz eines stndigen Wechsels von Personen, deren Handlungen die Organisation ausmachen, bleiben Organisationen bestehen.666 Das umfassendste Handlungssystem ist die Gesellschaft, sie stellt einen Komplex informeller Organisationen dar, der sich aus Handlungen individueller Persnlichkeiten zusammensetzt und in dem eine Vielzahl von formellen Organisationen eingebettet ist.667 Gesellschaft ist ein informelles, unbestimmtes, nebuloses und ungesteuertes System.668 Die bekannteste Handlungsform in der Gesellschaft ist die Verbal-Kommunikation.669 Informelle Organisation zeichnet sich dadurch aus, dass Personen ohne spezifische, bewusste, gemeinsame Ziele interagieren. Sie ist weitgehend unbestimmt und unstrukturiert.
661 662 663 664 665

666 667 668 669

Vgl. Barnard (1970) S. 20 ff. Vgl. Barnard (1970) S. 32, S. 51, S. 61, S. 74 und S. 76 Funote 6. Vgl. Barnard (1970) S. 66. Vgl. Barnard (1970) S. 25 f. Was wir Organisation nennen, ist demnach ein System, das aus den Ttigkeiten von Menschen besteht. Diese Ttigkeiten verschiedener Personen werden durch Koordination zu einem System. Barnard (1970) S. 73. Vgl. Barnard (1970) S. 75. Vgl. Barnard (1970) S. 89. Barnard (1970) S. 74. Vgl. Barnard (1970) S. 29.

303

Entscheidungstheoretische Konzepte

Aus informellen Beziehungen knnen sich formale Organisationen entwickeln.670 Formale Organisation definiert Barnard als System bewut koordinierter Handlungen oder Krfte von zwei oder mehr Personen, die auf ein gemeinsames Ziel gerichtet sind.671 Formale und informale Organisationen sind wechselseitig aufeinander angewiesen und knnen nur zusammen bestehen.672 Entscheidet sich eine individuelle Persnlichkeit, an einer formalen Organisation mitzuwirken, und wird diese Entscheidung von der Organisation angenommen, bleibt die individuelle Persnlichkeit, der ganze Mensch, weiter Umwelt der Organisation. Jeder Mitwirkende an einer formalen Organisation entwickelt allerdings eine zweite Persnlichkeit: die Organisationspersnlichkeit und ist insofern eine Doppelpersnlichkeit. Lediglich die Handlungen der Organisationspersnlichkeiten konstituieren die formale Organisation. Private Handlungen individueller Persnlichkeiten sind keine Organisationselemente, sondern gehren zur Organisationsumwelt.673 Unternehmen sind nach diesen Vorstellungen insbesondere formale Organisationen. Sie bestehen ausschlielich aus Handlungen der Organisationspersnlichkeiten, die sinnhaft aufeinander bezogen sind, insbesondere indem sie auf die Realisation eines Unternehmensziels abstellen und sich dabei an Erwartungen, auch und gerade ber das Handeln anderer Akteure (Organisationspersnlichkeiten und individueller Persnlichkeiten), orientieren.674 Zu den Handlungen, die Unternehmen konstituieren, gehren nicht nur die Handlungen der Mitarbeiter und des Managements (Mitglieder), sondern auch die Handlungen von Lieferanten, die Rohstoffe, Fertigwaren oder Dienste liefern, Kunden, die etwas kaufen, Kapitalgebern, die Geld investieren, und weitere Handlungen von Gruppen, die Energie ins Unternehmen einbringen oder entnehmen (Nicht-Mitglieder).675 Auch diese unternehmensbezogenen Handlungen sind Elemente des Unternehmens. Barnard nennt die Ttigkeiten, die ein Unternehmen bilden, Mitwirkungen, und diejenigen, die diese Mitwirkungen vollziehen, Mitwirkende. Der Begriff Mitwirkende umfasst Mitglieder des Unternehmens und Nicht-Mitglieder. Mitwirkung meint also mehr als Mitgliederhandlungen. Diese Sichtweise fhrt u.a. dazu, dass die Grenzen des Unternehmens nicht mehr klar gezogen werden knnen. Unternehmen bestehen eben nicht mehr aus Organisationsmitgliedern (deren Namen und Adressen man auflisten knnte), Gebuden, Maschinen usw., sondern einzig und allein aus zielgerichteten Handlungen der Mitwirkenden. Indem nicht nur die unternehmensbezogenen Handlungen der Beschftigten, sondern auch diejenigen Handlungen weiterer Mitwirkender in die Betrachtung ein670 671 672 673 674

Vgl. Barnard (1970) S. 103 ff. Vgl. Barnard (1970) S. 71 und S. 76. Vgl. Barnard (1970) S. 107. Vgl. Barnard (1970) S. 82. f. Weder die Personen noch die objektiven Ergebnisse sind selber die Organisation. Barnard (1970) S. 77. Barnard bezieht sich implizit auf den von Max Weber entwickelten Begriff des sozialen Handelns, vgl. Weber, M. (1980) S. 1 sowie die Ausfhrungen in Abschnitt 10.5.2. 675 Vgl. Barnard (1970) S. 72 f.

304

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

bezogen werden, ragen Unternehmen unterschiedlich weit in ihre Umwelt hinein. Damit wird eine ausschlielich nach innen gerichtete Sicht von Unternehmen aufgebrochen. Unternehmen werden als zielgerichtete Handlungssysteme, die in einer Umwelt agieren, betrachtet. Unternehmen sind offene Handlungssysteme. Herbert Alexander Simon (1916-2001) hat spter an die Stelle von Handlung die Entscheidungsprmisse als Analyseeinheit gesetzt, um individuelles und kollektives Verhalten zu erklren und vorherzusagen. Fr ihn sind Handlung, auch Entscheidung und erst recht die Rolle (Mitgliedsrolle), verstanden als Verhaltensmuster einer Organisationspersnlichkeit, zu grobe Einheiten. Die Entscheidungsprmisse ist eine viel kleinere Einheit [] denn an jeder einzelnen Entscheidung oder Handlung sind viele Prmissen beteiligt, und viele Prmissen sind in der Definition einer einzelnen Rolle enthalten.676 Mit dieser Vorstellung werden Unternehmen als Entscheidungssysteme definiert. Damit es zu einer formalen Organisation kommen kann, mssen drei Bedingungen erfllt sein. Personen mssen die Mglichkeit haben, miteinander in Kontakt zu treten, d. h., Kommunikation muss zugelassen sein. Weiter muss die Bereitschaft von Personen vorhanden sein, an Handlungen (Entscheidungen) mitzuwirken, und drittens muss ein Organisationsziel (gemeinsames Ziel) vorhanden sein, das durch das Zusammenwirken der Mitwirkenden angestrebt wird.677 Nur wenn individuelle Persnlichkeiten sich entscheiden, miteinander zu kooperieren, um ein gemeinsames Unternehmensziel zu erreichen, kommen Unternehmen als formale Organisationen zustande. Die Bereitschaft zur Kooperation bedeutet Selbstverleugnung, Delegation der Kontrolle ber das eigene Verhalten an andere, Entpersnlichung persnlichen Handelns.678 Die Eintrittsentscheidungen der potenziellen Mitwirkenden und ihr Verbleiben im Unternehmen orientieren sich zunchst einmal an eigenen individuellen Zielen, die nicht unbedingt mit dem Unternehmensziel bereinstimmen mssen. Unternehmensziele (gemeinsame Ziele) und die Ziele der einzelnen Personen (individuelle Ziele) sind etwas grundstzlich Verschiedenes.679 Ein Ausgleich zwischen Unternehmenszielen und individuellen Zielen der Mitwirkenden kann einmal im Rahmen von Verhandlungen zustande gebracht werden. Dabei spielt die Machtverteilung zwischen den Mitwirkenden eine entscheidende Rolle. Die Individualziele der Mchtigen werden, nach Abstimmung mit anderen mchtigen Interessen, in einem Zielvereinbarungsprozess zu Unternehmenszielen. Unternehmensziele sind daher immer entsprechend machtvoll autorisiert.

676 Vgl. Simon H. A. (1981) S. 37. Auch die Rolle ist fr Simon eine falsch gewhlte Kategorie, um

Verhalten in Organisationen zu analysieren. Denn der Rolleninhaber spielt nur seine Rolle, und die lt keinen Raum fr Rationalitt im Verhalten, ebenda. 677 Vgl. Barnard (1970) S. 78. 678 Barnard (1970) S. 79. 679 Vgl. Barnard (1970) S. 47 f. sowie S. 83.

305

Entscheidungstheoretische Konzepte

Barnard entwickelt eine zweite Mglichkeit, Unternehmensziele und individuelle Ziele miteinander zu verknpfen, indem er eine Antwort auf die Frage gibt, unter welchen Umstnden individuelle Persnlichkeiten bereit sind, einer Organisation als Mitwirkende beizutreten, und in welchem Umfang und in welcher Hhe sie einen Beitrag zur Realisation der Unternehmensziele leisten. Seine Antwort lautet: Individuelle Persnlichkeiten werden einem Unternehmen nur beitreten und nur so lange bereit sein, als Mitwirkende einen Beitrag fr die Erreichung der Unternehmensziele zu leisten, wie sie ihre eigenen individuellen Ziele verfolgen knnen. Darber hinaus mssen Unternehmen ihren Mitwirkenden Anreize bieten. Diese Anreize mssen in den Augen der Beteiligten ihre Beitrge, die sie leisten, bersteigen.680

Nur soweit und solange diese zwei Bedingungen erfllt sind, ist der Einzelne bereit, Mitwirkender am Unternehmen zu werden oder seine Mitwirkung aufrechtzuerhalten. Nur wenn ber eine Abstimmung von Anreizen und Beitrgen eine Verknpfung von Individual- und Unternehmenszielen gelingt, hat ein Unternehmen Bestand. Unternehmen befinden sich im Gleichgewicht, wenn die Beitrge ausreichen, Anreize in einem solchen Umfang zu schaffen, dass die Mitwirkenden weiter bereit sind, ihre Beitrge zu leisten. Ein derartiges Gleichgewicht ist Voraussetzung fr das langfristige berleben eines Unternehmens. Hierbei richten sich positiver Anreiznutzen und negative Beitragsnutzen nach subjektiven und relativen Wertmastben der Mitwirkenden und formieren sich immer wieder neu. Fllt eine Gruppe von Mitwirkenden (eine bestimmte Interessengruppe) vollstndig aus, was ja bedeutet, dass sie ihren Beitrag nicht mehr leistet, ist das Unternehmen gefhrdet oder beendet. Dies sind die Kernaussagen der von Barnard (und March sowie Simon) entwickelten Anreiz-BeitragsTheorie.681 Die allgemeinen Aussagen der Anreiz-Beitrags-Theorie konkretisiert Barnard, indem er sich eingehend mit der konomie der Anreize beschftigt. Dabei geht er von den individuellen Bedrfnissen der Organisationsmitglieder aus.682 Anders als das scientific management und die neoklassische konomik, die materielle Bedrfnisse (Geld, physische Arbeitsbedingungen) als die herausragende Quelle mglicher Anreize betrachten, konzentriert Barnards Analyse sich auf nicht-materielle Bedrfnisse und

680 Wenn jeder nur herausbekommt, was er hereinsteckt, entwickelt sich kein Antrieb. [ ] Was

er herausbekommt, muss ihm einen Vorteil, und zwar in der Form von materiellen und sozialen Befriedigungen bringen. Barnard (1970) S. 60. 681 Vgl. Barnard (1970) S. 78 ff. sowie March/Simon (1976) S 81 ff. 682 Vgl. Barnard (1970) S. 122 ff. Dominierend sind die egoistischen Motive der Selbsterhaltung und der persnlichen Befriedigung. Ebenda S. 122.

306

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Anreize.683 Er verdeutlicht, dass die Bedrfnisse und Anreize, die zum Tragen kommen, individuell verschieden ausgeprgt sind und mit der Zeit und dem Organisationstyp variieren. Daher erhebt die von ihm aufgestellte Liste nicht-materieller Bedrfnisse auch keinen Anspruch auf Vollstndigkeit und Allgemeingltigkeit. Als Quellen mglicher Anreize684 werden die Mglichkeiten, Berufsehre zu entwickeln, Prestige zu erlagen, persnliche Macht auszuben und an sozialen Beziehungen teilzunehmen, genannt. Darber hinaus kann der Organisationszweck als solcher (insbesondere im Fall militrischer, religiser, politischer u.a. Zwecke), die Organisationsstrukturen und -verfahren oder das Ansehen der Organisation in der ffentlichkeit, Anreize zum Eintritt und zum Verbleib bieten. Ob materielle und nicht-materielle Anreize ausreichen, um individuelle Persnlichkeiten zum Eintritt in Unternehmen und zur Mitwirkung zu motivieren, hngt auch von wahrgenommenen Alternativen, d.h. von Anreiz-Beitrags-Konstellationen, die andere Organisationen bieten, ab.685 Formale Organisationen stellen nicht nur objektive Vergtungen in Form von materiellen und nicht-materiellen Gtern bereit, um die Bedrfnisse ihrer Mitglieder zu befriedigen, sondern sie nehmen auch aktiv auf die Nutzenfunktionen ihrer Mitglieder Einfluss.686 Damit wird angestrebt, dass die angebotenen Vergtungen als ausreichende Anreize wahrgenommen werden. Als ein Mittel, das hierzu eingesetzt wird, kommt die Entlassung derjenigen infrage, deren Beitrge als unzureichend angesehen werden. Hierdurch wird Angst bei den verbleibenden Organisationsmitgliedern erzeugt, dass ihnen das gleiche Schicksal bevorstehen knnte, und diese Angst soll sie motivieren, ihre Beitrge in der gewnschten Hhe zu erbringen. Weitere Instrumente, die zum Einsatz kommen, um die Bedrfnisse der Organisationsmitglieder zu beeinflussen, reichen von der Einstellung nur solcher Personen, die mit gewnschten Zielsystemen ausgestattet sind, ber Werbung bis zur Einpflanzung von Motiven durch Erziehung und Propaganda. Um den potenziellen und bereits aktiven Koalitionren Anreize zu bieten, die ber ihre Beitrge hinausgehen, muss das Unternehmen berschsse erwirtschaften. Es muss erfolgreich in dem Sinne sein, dass es seine Unternehmensziele (nicht die individuellen Ziele der einzelnen Koalitionre) erreicht. Ist das der Fall, liegt in der Begrifflichkeit Barnards Effektivitt vor. Unternehmen sind effektiv, wenn sie am Markt er683 Nach Barnard zeigt sich, da materielle Belohnungen jenseits des Existenzminimums []

unwirksam sind, und da die meisten Menschen allein wegen der Aussicht auf eine grere Menge materieller Gter weder hrter arbeiten noch dazu veranlasst werden knnen, mehr als einen Bruchteil ihrer prinzipiell mglichen Mitwirkung auf eine organisierte Bemhung zu verwenden. Barnard (1970) S. 126. 684 Vgl. Barnard (1970) S. 126 ff. 685 Vgl. Barnard (1970) S. 80 f. Ginge es bei der Entscheidung [sich einer Kooperation anzuschlieen M.B.] logisch zu, so mte der einzelne ausmachen, ob ihm Kooperation im Vergleich zu unabhngigem Handeln Vorteile bringt und, ist das der Fall, ob die Vorteile grer oder kleiner sind als die, die eine andere Gelegenheit zur Kooperation verspricht. Ebenda. 686 Vgl. Barnard (1970) S. 129 ff. Barnard nennt diesen Sachverhalt Methoden der berzeugung.

307

Entscheidungstheoretische Konzepte

folgreich sind, also Gewinn erwirtschaften. Von der Effektivitt eines Unternehmens ist seine Effizienz zu unterscheiden.687 Effizient ist ein Unternehmen, wenn es die individuellen Ziele der Koalitionspartner erfllt. Nur wenn Unternehmen effektiv sind, knnen sie die notwendigen Anreize der Koalitionsmitglieder finanzieren. Effektivitt ist somit die Voraussetzung fr Effizienz. Und nur wenn Unternehmen effizient sind, knnen sie effektiv sein, denn ineffiziente Unternehmen haben keinen Bestand. Effizienz ist somit die Voraussetzung fr Effektivitt. Effektivitt und Effizienz sind zirkulr miteinander verbunden, sie begrnden sich wechselseitig. Barnard geht davon aus, dass sowohl die Beitrittsentscheidung zu einer Koalition als auch die jederzeit mgliche Austrittsentscheidung eines Mitwirkenden freiwillig geschieht. Die Beitrittsentscheidung, die auf einer Motivation zur Teilnahme beruht, sichert allein noch nicht, dass der gewnschte Beitrag (Leistung) von dem Mitwirkenden erbracht wird. Zur Teilnahmemotivation muss Leistungsmotivation hinzutreten, um eine mglichst gute Leistung der Mitwirkenden zu sichern.688 Dazu ist Akzeptanz von Herrschaftsbeziehungen zwischen Organisationspersnlichkeiten notwendig, d.h., es muss akzeptiert werden, dass andere ber das eigene Handeln (Entscheiden) entscheiden und es insofern bestimmen. Da Eintritts- und Austrittsentscheidungen auf Freiwilligkeit basieren, sind es die Entscheidungen der Koalitionsmitglieder, auf denen die Herrschaftsbeziehungen in einer Organisation beruhen, die sie legitimieren. Nicht der Herrscher (z.B. die Unternehmensfhrung) und sein Sanktionspotenzial oder seine Macht erzwingt ein bestimmtes Verhalten der Unterworfenen, sondern die Unterworfenen entscheiden, ob sie eine Anweisung befolgen oder nicht. Sie gestehen einem Befehl Autoritt zu oder nicht. Damit ist es untergeordneten Mitwirkenden jederzeit mglich, der Unternehmensfhrung die Autoritt zu entziehen. Von dieser Mglichkeit machen die Mitglieder des Unternehmens allerdings in einem bestimmten Bereich keinen Gebrauch. Barnard nennt diesen Bereich Zone von Indifferenz (zone of indifference). Innerhalb der Indifferenzzone werden Anweisungen bergeordneter Stellen ohne weitere Prfung befolgt.689 Dieser Sachverhalt sichert Unternehmen die notwendige Stabilitt, und er ist eine Bedingung fr ihren langfristigen Bestand. Die Gre der Indifferenzzone und welche Beitrge sie umfasst, ist abhngig davon, inwieweit ein Gleichgewicht zwischen Anreizen und Beitrgen hergestellt werden konnte. Mit diesen Vorstellungen hat Barnard die Akzeptanztheorie der Autoritt begrndet.

687 Zu der von Barnard vorgenommenen Unterscheidung zwischen Effektivitt (Wirksamkeit)

und Effizienz (Leistungsfhigkeit), vgl. Barnard (1970) S. 58 ff. sowie Barnard (1970) S. 196 ff. Die Begriffe Effektivitt und Effizienz werden auch in einem anderen Sinn benutzt. So wird von Effektivitt gesprochen, wenn die richtigen Dinge gemacht werden, und von Effizienz, wenn die Dinge, die gemacht werden, richtig gemacht werden. 688 Zur Unterscheidung von Teilnahme- und Leistungsmotivation vgl. Barnard (1970) S. 191 ff. sowie March/Simon (1993) S. 67. 689 Vgl. Barnard (1970) S. 143 ff.

308

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Die Anreiz-Beitrags-Theorie ist von Richard Michael Cyert (1921-1998) und James Gary March (geb. 1928) zur Koalitionstheorie ausgebaut worden.690 Sie begreifen Unternehmen als Koalition von einzelnen Personen oder Gruppen, die aus freiem Entschluss eine Beziehung zum Unternehmen eingehen, da sie so ihre eigenen Interessen besser realisieren knnen, als wenn sie nicht am Unternehmen mitwirken wrden. Die Koalitionstheorie geht davon aus, dass die Interessen der Koalitionre nicht nur unterschiedlich sind, sondern dass die Koalitionspartner des Unternehmens durchaus konfliktre Ziele verfolgen. Allerdings wird Interessenharmonie bezglich grundlegender Ziele, wie z. B. der langfristigen Bestandssicherung des Unternehmens, unterstellt. Auf der Grundlage dieses Grundkonsenses verhandeln die Koalitionspartner ber die konkrete Ausgestaltung der Unternehmensziele.691 Mit der Anreiz-BeitragsTheorie und der darauf aufbauenden Koalitionstheorie werden die Beziehungen des Unternehmens mit ihren Koalitionren in den Mittelpunkt des analytischen Interesses gerckt. Diese Perspektive nimmt auch das populr gewordene stakeholderKonzept ein, dessen Grundlage die Koalitionstheorie bildet. Genau wie die Anreiz-Beitrags-Theorie wurde auch die Akzeptanztheorie der Autoritt weiterentwickelt. Whrend Barnard die Mitwirkenden (Koalitionre) unterschiedslos in seine Autorittstheorie einbezieht,692 unterscheiden March und Simon ausdrcklich zwischen Beschftigten (employee) und anderen Koalitionspartnern, indem sie die Besonderheit des Arbeitsvertrags gegenber den mit anderen Koalitionspartnern abgeschlossenen Vertrgen hervorheben.693 Arbeitsvertrge unterscheiden sich von anderen Vertrgen nicht unbedingt durch ihre Unvollstndigkeit, denn auch bei anderen Vertrgen sind nicht smtliche whrend der Vertragsdauer zu erbringenden Leistungen vollstndig spezifiziert. Der Unterschied besteht darin, dass Arbeitsvertrge eine Hierarchie, ein Herrschaftsverhltnis begrnden, das sicherstellt, dass knftig zu erbringende Leistungen von mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Stellen der Hierarchie konkretisiert werden. Der Verkufer von Arbeit verkauft nicht eine bestimmte, genau spezifizierte Arbeit, sondern seine Arbeitskraft. Er gesteht mit Abschluss des Arbeitsvertrages einer vorgesetzten Stelle das Recht zu, seine Arbeitsleistungen nach Art und Umfang zu bestimmen. Dieses Recht zur Spezifizierung der Arbeitsleistung ist nicht unbegrenzt, sondern auf die Indifferenzzone, die Simon zone of acceptance nennt, beschrnkt. Die Weiterentwicklung der Koalitionstheorie zum stakeholder-Ansatz hat die von March und Simon initiierte Differenzierung in systeminterne und systemexterne Koalitionspartner beibehalten. Es werden Ansprche, Ziele und Interessen der typischen stakeholder eines Unternehmens untersucht und auf Anreize hingewiesen, die Unternehmen setzen mssen, um sicherzustellen, dass die stakeholder die notwendigen Beitrge zur Realisation der Unternehmensziele leisten. Die Koalitionstheorie und
690 691 692 693

Zu den Grundlagen der Koalitionstheorie, vgl. Cyert/March (2001) sowie March (1962). Vgl. Cyert/March (2001) S. 31 ff. Vgl. Barnard (1970) S. 139 ff. Vgl. March/Simon (1993) S. 108 ff.

309

Entscheidungstheoretische Konzepte

der stakeholder-Ansatz weisen auf die zentrale Bedeutung individueller Ziele der Koalitionspartner, der Unternehmensziele, der Verbindung der individuellen Ziele untereinander und der Verbindung der individuellen Ziele mit den Unternehmenszielen hin und haben damit eine systematische Zielforschung angeregt, die heute Gegenstand betriebswirtschaftlicher Forschung ist.694

8.3.2.5

Unternehmensziele

Wie immer die Interessen der an einem Unternehmen tatschlich oder potenziell Mitwirkenden im konkreten Fall gelagert sind, mssen Unternehmen, um sich zu etablieren und zu berleben, bestimmte formale Bedingungen erfllen. Diese Bedingungen sind als Formalziele des Unternehmens zu betrachten. Dazu gehren: die Unternehmensziele Liquiditt, Rentabilitt (Wirtschaftlichkeit und Produktivitt) und Wachstum695, soweit die Wirtschaft wchst. Wenn die Wirtschaft schrumpft, aber auch aus anderen Grnden, kann es statt um Wachstum um Gesundschrumpfen von Unternehmen gehen. Bestimmte kritische Schwellenwerte dieser Ziele drfen nicht unterschritten werden, sonst ist der Bestand des Unternehmens gefhrdet. Ein Unternehmen, das ber lngere Zeit unrentabel arbeitet, kann weder notwendige Investitionen ttigen noch seine Mitarbeiter halten. Unternehmen, die zahlungsunfhig sind, gehen in Konkurs und hren auf zu existieren. Die konkrete Ausgestaltung der formalen Existenzbedingungen von Unternehmen oberhalb bestimmter kritischer Schwellenwerte ist nicht mehr institutionell vorgegeben, sondern abhngig von den individuellen Zielsystemen der Koalitionspartner. Sind die Minimalanforderungen der formalen Existenzbedingungen von Unternehmen sichergestellt, knnen weitergehende Interessen der mit dem Unternehmen verbundenen Personen oder Personengruppen Bercksichtigung finden. Dies gilt auch fr neoklassische Unternehmen, in denen der Unternehmer als einzige Person ttig ist und Kunden sowie Lieferanten ihre Beitrge leisten, wenn ihnen Sachund Dienstleistungen bereitgestellt werden bzw. fr gelieferte Sach- und Dienstleistungen Zahlungen erfolgen. Aus Sicht der Kunden ist das Unternehmensziel die Erstellung und Lieferung von Sach- und Dienstleitungen. Aus Sicht des Unternehmers ist das Unternehmensziel Gewinnmaximierung. Sobald die Unternehmensziele identifiziert sind, kann das Verhalten des neoklassischen Unternehmens erklrt werden.696 Allerdings ergibt sich bereits auf dieser Betrachtungsebene ein Problem. Das Problem ist der Zielbegriff selbst. Zwar wird von der betriebswirtschaftlichen Theorie der Unternehmensziele der Zielbegriff im Allgemeinen benutzt, um einen als erstrebenswert angesehenen Zustand des Unternehmens anzugeben697 bzw. Unternehmensziele gel-

694 695 696 697

Vgl. Heinen (1976b). Dies sehen Schierenbeck und Whle genauso, vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 74. Vgl. die Ausfhrungen in Abschnitt 7.1. Vgl. Heinen (1976b) S. 45.

310

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

ten als motivierende Vorstellung knftiger Zustnde698. Das Verhltnis zu den Begriffen Motiv, Norm, Zweck usw. bleibt allerdings weitgehend ungeklrt. Es gibt Vorschlge zur Definition von Unternehmenszielen (allgemeiner von Organisationszielen), die auf der Unterscheidung von Zielen und Motiven beruhen.699 Ziele werden als Entscheidungsprmissen definiert, die ein Entscheidungstrger bei seinen Entscheidungen bercksichtigt. Motive sind beliebige Grnde von Entscheidungstrgern, bestimmte Ziele und nicht andere als Prmissen ihrer Entscheidungen auszuwhlen.700 Nach dieser Vorstellung bilden individuelle Ziele den Ausgangspunkt fr die Ableitung von Unternehmenszielen. Im Fall des neoklassischen Unternehmens wird das individuelle Ziel des Unternehmers zum Unternehmensziel erklrt. Zwischen individuellem Ziel und Unternehmensziel besteht in diesem Fall kein Unterschied. Um ein erstes Verstndnis davon zu vermitteln, was mit (individuellen) Zielen gemeint ist, wurde vorgeschlagen, auf die formalwissenschaftliche Entscheidungstheorie zurckzugreifen.701 Um es einfach zu machen, geht man zunchst von einer sicheren Entscheidungssituation aus. Damit wird unterstellt, dass dem Entscheidungstrger smtliche Elemente des Grundmodells der Entscheidungstheorie bekannt sind und er in der Lage ist, den Eintritt einer bestimmten Umweltsituation mit Sicherheit vorauszusagen. Darber hinaus wei der Entscheidungstrger beim Vorliegen einer sicheren Entscheidungssituation genau, was er will. In Abschnitt 8.2.1.1 wurde eine derartige Entscheidungssituation modellmig dargestellt und ein optimales Produktionsprogramm berechnet. Dieses Beispiel soll nun herangezogen werden, um zu verdeutlichen, was unter einem (individuellen) Ziel zu verstehen ist. Es sei daran erinnert, dass es in dem Beispiel zur Ermittlung eines optimalen Produktionsprogrammes darum ging, eine Zielfunktion (Deckungsbeitrag) unter Nebenbedingungen (Kapazittsbeschrnkungen der Maschinen und Nichtnegativittsbedingung) zu maximieren. Eine Lsung des Entscheidungsproblems, die sowohl den Nebenbedingungen als auch der Zielfunktion gengt, nennt man optimal. In dem in Abschnitt 8.2.1.1 wiedergegebenen Beispiel wre das optimale Produktionsprogramm eine Lsung, die sowohl die Zielfunktion als auch die Nebenbedingungen bercksichtigt. Ein Produktionsprogramm, das lediglich den Nebenbedingungen gengt, wird als zulssiges Produktionsprogramm bezeichnet. Wird das Ziel, maximiere den Deckungsbeitrag, durch die Bedingung ersetzt, dass lediglich ein bestimmter Deckungsbeitrag anzustreben ist, z.B. einer von M Geldeinheiten, dann wird das gesuchte Produktionsprogramm auf all die Mglichkeiten beschrnkt, die der neuen Zielfunktion (erwirtschafte einen De698 Vgl. Luhmann (1999a) S. 100. 699 Vgl. die Konzeption des Organisationszieles von Barnard (1970) 81 ff., S. 194 ff., Simon, H. A. 700 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 274. 701 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 274 ff. Auch Heinen schlgt vor, bei dem Versuch, den Zielbegriff

(1981) S. 273-291 und Cyert/March (2001) S. 30-51.

zu przisieren, von seiner Funktion im Rahmen der Entscheidungslogik auszugehen. Heinen (1976b) S. 45.

311

Entscheidungstheoretische Konzepte

ckungsbeitrag von M Geldeinheiten) und den weiter bestehenden Kapazittsbegrenzungen und Nichtnegativittsbedingungen gengen. Die Auswahl eines einzigen (optimalen) Produktionsprogramms ist nicht mehr mglich, da die Maximierungsbedingung aufgegeben wurde. Vielmehr steht eine ganze Palette von Produktionsprogrammen zur Auswahl. Die Frage, welches der Produktionsprogramme allen anderen zulssigen Produktionsprogrammen vorzuziehen ist, ist nicht mehr zu beantworten (zur Veranschaulichung, vgl. Abbildung 45 in Abschnitt 8.2.1.1). Unter bestimmten Bedingungen ist es allerdings mglich, eine Teilmenge aus der Menge der zulssigen alternativen Produktionsprogramme zu ermitteln, die es wert ist, einer nheren Betrachtung unterzogen zu werden. Wenn angenommen wird, dass die Kapazittsbeschrnkungen Minimalbedingungen sind und dass ceteris paribus eine grere Kapazittsauslastung der Maschinen immer einer weniger groen vorgezogen wird, dann kann Folgendes festgestellt werden: Das zulssige Produktionsprogramm B dominiert das Produktionsprogramm A genau dann, wenn der Deckungsbeitrag des Produktionsprogramms B nicht kleiner als der Deckungsbeitrag des Produktionsprogramms A ist und wenn das Produktionsprogramm B die Kapazittsauslastung der Maschinen mindestens genauso sicherstellt wie das Produktionsprogramm A, aber mindestens eine Maschine besser auslastet. Die Menge aller Produktionsprogramme, die zulssig ist, und die nicht dominiert wird, bezeichnet man als pareto-effiziente Menge. Die Entscheidung fr das eine oder andere Produktionsprogramm aus der pareto-effizienten Menge der Produktionsprogramme ist davon abhngig, welche Wichtigkeit fr den Entscheidungstrger Deckungsbeitrge im Vergleich zur Kapazittsauslastung und die Kapazittsauslastung der Maschinen untereinander besitzen. Unter bestimmten Bedingungen werden die Kapazittsbeschrnkungen einen genauso groen oder greren Einfluss auf die Entscheidung fr ein bestimmtes Produktionsprogramm ausben wie das Deckungsbeitragsziel. Unter solchen Umstnden kann es geraten erscheinen, die Idee aufzugeben, da eine Entscheidungssituation durch ein einfaches Ziel beschrieben werden kann. Stattdessen erscheint es vernnftiger, von einer ganzen Menge von Zielen zu sprechen.702 Das (komplexe) Ziel einer Handlung kann somit gleichgesetzt werden mit der Menge aller Bedingungen, unter denen entschieden wird. Dies gilt sowohl fr individuelle als auch fr kollektive Entscheidungen. Ziele werden damit als Beschrnkungen (Prmissen) begriffen, die bei Entscheidungen zu bercksichtigen sind, und es wird davon ausgegangen, dass es normalerweise nicht ein Ziel, nicht eine einzige Beschrnkung (Prmisse) ist, die den Entscheidungsprozess bestimmt, sondern ein Bndel von Zielen. Die beispielhaft dargestellte Entscheidungssituation unterstellt eine sichere Entscheidungssituation. Unter anderem bedeutet dies, dass dem Entscheidungstrger smtliche Handlungsalternativen bekannt sind. Unter diesen Bedingungen sind die bekannten Handlungsalternativen daraufhin zu prfen, ob sie den durch Ziele vorgegebenen Beschrnkungen gengen. Wird die Annahme fallengelassen, dass dem Entschei702 Simon, H. A. (1981) S. 276 f. Zum Folgenden, vgl. ebenda S. 277 ff.

312

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

dungstrger smtliche seiner Handlungsmglichkeiten bekannt sind, er also mit einer unsicheren Entscheidungssituation konfrontiert ist, dann knnen Ziele noch in einer zweiten Hinsicht zum Einsatz kommen, nmlich bei der Erzeugung von mglichen Handlungsalternativen. Somit lassen sich zwei Zielarten unterscheiden: Ziele, die die eigentliche Entwicklung bestimmen, indem sie bei der Suche nach Handlungsalternativen eingesetzt werden (Alternativenerzeugung), und Ziele, die zur berprfung der Zulssigkeit von vorgeschlagenen Handlungsalternativen genutzt werden (Alternativenberprfung). Mit der Unterscheidung von Alternativenerzeugung und Alternativenprfung wird deutlich, dass der Suchprozess nach Handlungsalternativen die zu treffende Entscheidung ganz wesentlich beeinflusst. Zu den Schwierigkeiten, die bei der Bestimmung von Zielen dadurch entstehen, dass im Allgemeinen nicht nur ein Ziel, sondern gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die durch zahlreiche Nebenbedingungen begrenzt werden, kommt eine weitere Komplikation hinzu. Sie entsteht dadurch, dass zwischen Handlung und Ziel im Allgemeinen keine einfache, direkte Beziehung in dem Sinne besteht, dass mit einer einzigen Handlung das gesetzte Ziel erreicht werden kann. Vielmehr mssen zwischen Handlung und Ziel Zwischenhandlungen eingeschoben werden, so dass die Handlung-ZielBeziehung als komplexe, indirekte Ziel-Mittel-Abfolge erscheint, die darber hinaus auf Erwartungen, die vom sozialen Umfeld geprgt sind, beruht. Zudem sind Ziele, wie bei der Diskussion der Kennziffern Produktivitt, Wirtschaftlichkeit und Rentabilitt verdeutlicht wurde, hufig selbst als Ziel-Mittel-Relationen formuliert.703 Auf die grundlegende Problematik, die mit der Verfolgung derartiger Zielsetzungen verbunden ist, wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen. Die bisherigen Ausfhrungen sind von einem einzelnen Entscheidungstrger und seinen individuellen Zielen ausgegangen. Wenn mehrere Personen zusammenwirken, sind die individuellen Ziele der einzelnen Personen und das Verhltnis der individuellen Ziele zueinander zu betrachten, und es stellt sich die Frage, ob es so etwas wie ein kollektives (gemeinsames) Ziel gibt und was hierunter zu verstehen ist. Fr den Fall, dass Personen in Unternehmen zusammenwirken, ist damit die Frage nach dem Unternehmensziel aufgeworfen. Offensichtlich knnen in einer Mehrpersonensituation die Ziele einer Person zu Beschrnkungen fr andere Personen werden.704 Existiert eine Schnittmenge der Beschrnkungsmengen der zusammenarbeitenden Personen, kann sie als gemeinsames Ziel der Beteiligten interpretiert werden. Schaut man sich z.B. die Ziele derjenigen, die auf einem Markt Gter anbieten (Verkufer), und diejenigen, die Gter nachfragen (Kufer), an, so kann zunchst festgestellt werden, dass Kufer und Verkufer unterschiedliche Ziele verfolgen. Der Kufer mchte billig einkaufen, der Verkufer teuer verkaufen. Ein Gtertausch kommt zustande, wenn es eine Schnittmenge der Beschrnkungsmengen von Kufer und Verkufer gibt. Dem Gtertausch geht eine Suche nach alternativen Kauf- bzw. Verkaufsmglichkeiten voraus. Da dieser
703 Aus diesen Grnden stellt Heinen fest: Die Mittel-Zweck-Betrachtung ist fr eine Przisie704 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 279.

rung des Zielbegriffs nur bedingt geeignet. Heinen (1976b) S. 50.

313

Entscheidungstheoretische Konzepte

Suchprozess eine kostspielige Sache ist, wird er von den potenziellen Kufern bzw. Verkufern abgebrochen, wenn sie jeweils eine oder einige Mglichkeiten entwickelt haben, um das gewnschte Gut zu erlangen bzw. abzusetzen. Die Alternativenentwicklung der Marktteilnehmer wird von den konfliktren Zielen der Kufer und Verkufer gesteuert. Kommt eine Markttransaktion zustande, dann wird allerdings sichtbar, dass es eine gemeinsame Beschrnkungsmenge von Kufer und Verkufer gibt. Sie kann als das gemeinsame Ziel von Kufer und Verkufer aufgefasst werden. bertragen auf Unternehmen bedeuten die vorangestellten berlegungen, dass, wenn Unternehmensziele als Beschrnkungen des Entscheidungsprozesses aufgefasst werden, Unternehmen tatschlich Unternehmensziele in dem Sinne haben, dass es eine gemeinsame Menge an Beschrnkungen bei der Prfung von Handlungsalternativen gibt. Wenn es allerdings um die Suche nach Handlungsalternativen geht, sieht das anders aus. Man kann dann feststellen, dass in den unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens unterschiedliche Ziele verfolgt werden und Zielkonflikte zwischen den Bereichszielen an der Tagesordnung sind.705 Wenn Unternehmen als Koalitionen betrachtet werden, dann steht man vor dem Problem, dass das organisatorische Verhalten des Unternehmens auer durch formale Existenzbedingungen durch die individuellen Ziele der Koalitionre zu erklren ist oder die Annahme gemacht werden muss, dass Unternehmensziele unabhngig von den individuellen Zielen der Koalitionspartner existieren und es die emergenten Unternehmensziele sind, die das Verhalten eines Unternehmens bestimmen. Lsst man sich auf die zweite Alternative ein, erscheinen Unternehmen als berindividuelle Einheiten, deren Verhalten nicht mehr mit dem Verhalten der Koalitionspartner des Unternehmens beschrieben werden kann.706 Ein solcher Erklrungsansatz widerspricht dem methodologischen Individualismus. Die berwiegende Mehrzahl der Verffentlichungen zur verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie versucht diesen Widerspruch zu vermeiden.707 Wenn man sich auf das Verhltnis der individuellen Ziele der Koalitionre konzentriert, so lassen sich grundstzlich zwei Flle unterscheiden. Ein Zustand, in dem smtliche Koalitionre identische, gleichgeordnete, subjektive Ziele verfolgen, kann von jenem unterschieden werden, in dem jeder Koalitionspartner ein eigenes, von anderen Koalitionspartnern differentes Zielsystem aufweist. Ist der erste Zustand gegeben, spricht man von einem Team. Die Teamtheorie beschftigt sich mit diesem Fall.708 Das Problem, aus den individuellen Zielsystemen ein kollektives Unterneh705 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 280. 706 Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 273. 707 Obwohl individualistisch orientiert, finden sich in den Verffentlichungen Barnards Textstel-

len, aus denen hervorgeht, dass er emergente Eigenschaften von Organisationen als empirisch gegebenen Sachverhalt betrachtet, vgl. z.B. Barnard (1970) S. 75. 708 Zur Teamtheorie vgl. Radner (1972a) S. 189-215, Radner (1972b) S. 217-236 sowie Marschak/Radner (1972).

314

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

mensziel abzuleiten, tritt bei Teams nicht auf, da die individuellen Ziele identisch sind, und somit das Unternehmensziel mit den individuellen Zielen bereinstimmt. Da alle das Gleiche wollen, treten Motivationsprobleme und Fragen der Verteilung von Entscheidungsbefugnissen in den Hintergrund. Problematisch bleibt lediglich die Informationsstruktur des Unternehmens, mit der eine Koordination der interdependenten Einzelentscheidungen der Teammitglieder derart sicherzustellen ist, dass die Unternehmensziele optimal erreicht werden. Hierauf konzentriert die Teamtheorie ihr Interesse. Fr eine Beschreibung der Entwicklung von Unternehmenszielen aus unterschiedlichen individuellen Zielen ist die Team-Theorie nicht geeignet. Im Unterschied zur Teamtheorie gehen Konzepte, die mit Marktmodellen709 das Thema Unternehmensziele bearbeiten, von individuellen Nutzenfunktionen der Marktteilnehmer aus, die ber den Markt-Preis-Mechanismus derart aufeinander abgestimmt werden, dass ein gesamtwirtschaftliches Nutzenmaximum erreicht wird. Eine bertragung des Marktmodells auf Unternehmen ist problematisch,710 insbesondere treten bei der Entwicklung eines unternehmensinternen Preissystems Probleme auf. Die Probleme sind auf die Anforderungen zurckzufhren, die ein unternehmensinternes Preissystem zu erfllen hat. Es hat die Einzelentscheidungen autonomer dezentraler Entscheidungstrger derart zu koordinieren, dass die Optimierung eines vorgegebenen Unternehmensziels erreicht wird. Die Ableitung eines derartigen Preissystems ist nur unter Bedingungen vollstndiger totaler Planung mglich. Mithilfe der Optimierung linearer Programme knnen durch Lsung der Primalaufgabe die optimalen Produktionsmengen eines exogen vorgegebenen Unternehmensziels bestimmt werden. Gleichzeitig liefert die Lsung des zum Primalproblem gehrenden Dualproblems Dualvariablen, die als Optimalpreise (Schattenpreise) interpretierbar sind. Werden diese unternehmensinternen Gleichgewichtspreise vorgegeben und orientieren die im Unternehmen Ttigen ihre Entscheidungen an den Schattenpreisen, wird eine optimale Realisierung des Unternehmensziels mglich. Dies gilt aber nicht bei unvollstndiger Planung, denn die Ermittlung von Optimalpreisen setzt die verlassenen Annahmen vollstndiger Planung voraus. Zur Behebung von Planungsmngeln kann also ein Optimalpreissystem, an dem sich dann die dezentralen Entscheidungen ausrichten, nicht eingesetzt werden, da seine notwendigen Ableitungsbedingungen fehlen. Der unterstellte Planperfektionismus ist einer der Grnde, wieso u.a. die von Schmalenbach entwickelte pretiale Lenkung711 zur Koordination von dezentralen Entscheidungseinheiten in Unternehmen kritisch zu beurteilen ist. Genau wie die Teamtheorie sind auch organisationstheoretische Konzepte, die auf Marktmodelle zurckgreifen, ungeeignet, den unternehmensbezogenen Zielbildungsprozess zu beschreiben und zu erklren. Eine weitere Lsung des Problems, aus unterschiedlichen individuellen Zielen ein gemeinsames kollektives Unternehmensziel abzuleiten, bieten Sozialwahltheorien
709 Marschak (1965) S. 423 ff. 710 Vgl. Heinen (1976b). S. 196. 711 Vgl. Schmalenbach (1948).

315

Entscheidungstheoretische Konzepte

(social choice theories).712 Sie beanspruchen, aus den unterschiedlichen Zielfunktionen der am Unternehmen Mitwirkenden ein kollektives Zielsystem des Unternehmens abzuleiten. Nach bestimmten, mathematisch formulierten Regeln (Sozialwahlfunktionen) werden die individuellen Nutzenfunktionen der Organisationsmitglieder zu einer kollektiven Nutzenfunktion des Unternehmens zusammengefasst. Die Ableitung der kollektiven Nutzenfunktion des Unternehmens, die als Unternehmensziel betrachtet wird, geschieht unter der Annahme, dass ein interpersoneller Nutzenvergleich mglich ist. Obwohl diese Bedingung als ein grundlegender Einwand gegen die Theorie kollektiver Entscheidungen ins Feld gefhrt wird, knnen die Sozialwahltheorien als erste Versuche gewertet werden, das Zielsystem eines Unternehmens nicht als exogene, sondern als endogene Variable zu behandeln.713 Auer mit den bisher dargestellten Theorieanstzen werden mit Verhandlungstheorien (bargaining theories), die bilaterale Verhandlungsmodelle einsetzen, Zielentscheidungen in Unternehmen (allgemeiner in Kollektiven) analysiert.714 Verhandlungstheorien sind Spieltheorien. Der kollektive Entscheidungsprozess in Unternehmen wird als kooperatives Spiel beschrieben, indem smtliche Mitwirkende des Unternehmens als Spielteilnehmer betrachtet werden knnen. Es wird unterstellt, dass die Spieler einerseits ein gleichgerichtetes Interesse an einer vorteilhaften Kooperation haben und darber hinaus entgegengesetzte Interessen bezglich der Verteilung des durch die Kooperation ermglichten Zugewinns. Damit Unternehmen berhaupt zustande kommen, muss zunchst ein Verteilungskonflikt gelst werden. Gelingt dies nicht, entstehen die Kooperation und damit der Zugewinn erst gar nicht. Zielkonflikte zwischen den Kooperationspartnern werden whrend des Verhandlungsprozesses durch Seitenzahlungen zwischen den Beteiligten ausgeglichen (sidepayment bargaining), so dass, nachdem die Seitenzahlungen gettigt wurden, eine gemeinsame Nutzenfunktion, ein gemeinsames Unternehmensziel, definiert werden kann.715 Sowohl Verhandlungstheorien, Sozialwahltheorien, analog zum Marktmodell gebildete Organisationstheorien wie auch die Anreiz-Beitrags-Theorie in ihrer ursprnglichen Fassung (die im vorhergehenden Abschnitt behandelt wurde) bercksichtigen bei der Beschreibung des Zusammenhanges zwischen individuellen Zielen und Unternehmenszielen smtliche Ziele der am Unternehmen Mitwirkenden gleichermaen. Simon spricht von einer symmetrischen Betrachtung.716 Wenn im Rahmen der AnreizBeitrags-Theorie von einer Symmetrie der Mitwirkenden ausgegangen wird, dann sind smtliche materiellen und immateriellen Anreize, die vom Unternehmen eingesetzt werden, damit die Mitwirkenden ihre notwendigen Beitrge leisten, als Unternehmensziele zu betrachten. Aus diesem Blickwinkel ist es mehr oder weniger belie712 713 714 715 716

Vgl. Arrow (1963), Arrow/Sen/Suzumura (2002) sowie Gaertner (2006). Vgl. Heinen (1976b) S. 198. Vgl. Nash (1950) S. 155-162. Vgl. Cyert/March (2001) S. 34. Vgl. Simon, H. A. (1952/1953) S. 41.

316

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

big, welche Anreize als Unternehmensziele hervorgehoben werden, denn smtliche Anreize und damit die unterschiedlichen Ziele der Koalitionre beeinflussen die Entscheidungen im Unternehmen. Aus der Perspektive der Eigentmer oder der Manager sind es Gewinn, Wachstum oder Prestige, aus Sicht der Beschftigten sind es u.a. Gehaltszahlungen und fr Kunden sind es die bereitgestellten Sach- bzw. Dienstleistungen, die sie veranlassen, ihre Beitrge zu leisten. Das Unternehmensziel kann mit gleicher Berechtigung z.B. als Erstellung und Vermarktung von Sach- bzw. Dienstleistungen, als Gewinnerzielung oder Einkommenserzielung angegeben werden.717 Sichergestellt werden muss ein Gleichgewicht des Unternehmens, das dann erreicht ist, wenn die Anreize jedes Mitwirkenden dessen Beitrge bersteigen. Derart wird eine Verknpfung von Individual- und Unternehmenszielen erreicht. Indem Cyert und March die Analyse des Zielbildungsprozesses (goal formation process), den sie als Verhandlungsprozess begreifen, in ihre Unternehmenstheorie mit aufnehmen, liefern sie Einsichten, die ber die Anreiz-Beitrags-Theorie hinausgehen. Ihre Forschungen ber Unternehmensziele konzentrieren sich auf drei Schwerpunkte: 1. The bargaining process by which the composition and general terms of the coalition are fixed; 2. the internal organizational process of control by which objectives are stabilized and elaborated; 3. the process of adjustment to experience by which coalition agreements are altered in response to environmental changes.718 Cyert und March stellen fest, dass zu Beginn der Verhandlungen zwischen den Koalitionren ber das gemeinsam zu verfolgende Unternehmensziel eine grundstzlich symmetrische Koalition gegeben ist. Allerdings kristallisieren sich whrend des Verhandlungsprozesses zwei Klassen von Koalitionspartnern heraus. Es kann zwischen externen und internen Koalitionspartnern unterschieden werden, und es wird deutlich, dass einige Koalitionspartner fr das Unternehmen weniger Zeit opfern und sich berwiegend passiv verhalten, whrend andere dem Unternehmen mehr Zeit widmen und aktiv ber Unternehmensziele verhandeln. Die Mitglieder der aktiven Gruppe handeln die Unternehmensziele unter sich aus, whrend die brigen Koalitionre nicht in Erscheinung treten. Eine Bedingung fr ihre Passivitt ist, dass ihre Forderungen auf Auszahlung materieller und immaterieller Anreize erfllt werden.719 Whrend des Zielverhandlungsprozesses werden Zielkonflikte zwischen den Koalitionren gelst. Das Ergebnis des Verhandlungsprozesses ist aber weder Zielidentitt der Koalitionspartner noch Konsistenz der individuellen Ziele noch Reduktion smtlicher Ziele auf eine gemeinsame Dimension.720 Vielmehr weisen die ausgehandelten Unternehmensziele die folgenden Merkmale auf:721
717 718 719 720 721

Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 143 ff. sowie Cyert/March (2001) S. 34. Cyert/March (2001) S. 33. Vgl. Cyert/March (2001) S. 34 f. Vgl. Cyert/March (2001) S. 164. Vgl. Cyert/March (2001) S. 37.

317

Entscheidungstheoretische Konzepte

Sie sind nur unvollstndig rationalisiert. Der Umfang, indem eine Abstimmung zwischen den Unternehmenszielen erfolgt, ist von den Fhigkeiten der im Verhandlungsprozess involvierten Personen abhngig, der Reihenfolge, mit der Ziele in den Verhandlungsprozess eingebracht werden, der Aggressivitt, mit der Organisationseinheiten ihre Vorstellungen vertreten, und der Knappheit der Ressourcen. Normalerweise ist die Zielabstimmung weit davon entfernt, vollstndig zu sein. Das angestrebte Ausma der Zielerreichung ist als Anspruchniveau und nicht als Maximal- oder Minimalforderung formuliert. Die Mehrzahl der ausgehandelten Unternehmensziele ist nicht-operational formuliert. Die Dominanz nicht-operationaler Unternehmensziele kann teilweise damit erklrt werden, dass derartige Ziele mit heterogenen Zielen der Koalitionre kompatibel sind.

Der Zielbildungsprozess fhrt zu einer Quasilsung der Zielkonflikte,722 d.h., Konflikte werden nicht endgltig gelst. Die meisten Unternehmen existieren und entwickeln sich erfolgreich trotz erheblicher latenter Zielkonflikte. Auf der Ebene der nichtoperationalen Ziele, die unbestimmt formuliert sind und daher vieldeutige Interpretationen zulassen, gibt es keine Konflikte, denn weichen Zielen knnen die tatschlichen und potenziellen Mitwirkenden problemlos zustimmen. 723 Salopp formuliert: Seitenzahlungen, ob monetrer oder nicht monetrer Art, werden mit Zielkonzessionen finanziert. Die Zugestndnisse an einzelne Koalitionre begrnden genau wie Ressourcenknappheit Beschrnkungen der Handlungsmglichkeiten von Unternehmen. Whrend des Verhandlungsprozesses ber die Unternehmensziele setzen Unternehmen ihre Ziele als side payments an die Mitwirkenden ein. Dies wird damit begrndet, dass jede monetre Seitenzahlung unternehmenspolitische Entscheidungen voraussetzt, die monetre Seitenzahlungen ermglichen. Dies bedeutet, dass jede Seitenzahlung zu Einschrnkungen unternehmenspolitischer Mglichkeiten fhrt 724 und somit durch Seitenzahlungen viele Unternehmensziele definiert und konkretisiert werden. Die beschrnkten intellektuellen Fhigkeiten der Mitwirkenden und ihre beschrnkte Zeit begrnden, dass sie sich nicht mit jedem Aspekt des Unternehmens auseinandersetzen knnen. Sie sind insbesondere nicht in der Lage, alle zuknftigen Situationen zu antizipieren, und knnen auch nicht alle Anreize, die fr Koalitionspartner in Zu722 Vgl. Cyert/March (2001) S. 164 ff. 723 Luhmann weist darauf hin, dass man dies nicht nur als Vorteil sehen kann, und verdeutlicht,

mit welchen Problemen eine derartige Sichtweise verbunden ist. Die Motivationskraft weich und schwammig formulierter Ziele ist gering, die Gefahr von Konflikten bei dem Versuch, die nicht-operationalen Ziele zu operationalisieren, gro, vgl. Luhmann (1999a) S. 102. 724 Vgl. Cyert/March (2001) S. 35 f. Luhmann stellt fest, dass Unternehmen, die ihre Zwecke als side payments einsetzen, ihre Zwecke unter doppelte Eignungsanforderungen und unter doppelte nderungsbedingungen [stellen M.B.] und machen sie dadurch relativ unbeweglich. Luhmann (1999a) S. 103.

318

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

kunft wichtig sein werden, vorhersehen. Insofern sind ihre Koalitionsvereinbarungen immer unvollstndig. Diese unvollkommenen Abmachungen sind zudem unvollstndig aufeinander abgestimmt. Soweit die Koalitionspartner trotzdem bereit sind, unter den getroffenen Vereinbarungen zusammenzuarbeiten, etablieren sich weitgehend selbsttragende (self-confirming) Kontrollsysteme, die die Einhaltung der Vereinbarungen berwachen und ihre Durchsetzung sicherstellen. Als Beispiele fr auf Gegenseitigkeit beruhende Kontrollsysteme nennen Cyert und March Budgets und die Koordination der Funktionsbereiche eines Unternehmens.725 Derartige Kontrollsysteme tragen sich deshalb weitgehend selbst, da sich keiner der Koalitionre den Anforderungen festverzahnter ineinandergreifender Arbeitsprozesse, die fr moderne Unternehmen typisch sind, entziehen kann. Nicht nur aufgrund der Sachzwnge arbeitsteilig organisierter und auf spezielle Funktionen ausgerichteter Unternehmensbereiche sind Unternehmensziele stabiler, als wenn sie ausschlielich durch Verhandlungen zustande kommen wrden. Sobald sich Unternehmen etabliert haben, werden die meisten Strukturen von den Koalitionren einfach hingenommen. Es besteht eine starke Tendenz, frhere Problemlsungen, Entscheidungen, Zustimmungen und Abmachungen als Mastab fr die Behandlung hnlich gelagerter gegenwrtiger Flle zu betrachten. In Form von Przedenzfllen bildet sich in Unternehmen ein Gedchtnis heraus, so dass nicht stndig neu ber Unternehmensziele verhandelt werden muss, sondern ein Verweis auf frhere Abmachungen ausreicht, um gegenwrtige Situationen zu regeln. Past bargains become precedents for present situations; a budget becomes a precedent for future budgets; an allocation of functions becomes a precedent for future allocation.726 Aus den genannten und anderen Grnden (z.B. bestraft der Markt all jene, die abrupt von einer Hochpreis- auf eine Niedrigpreispolitik umschalten) ist davon auszugehen, dass Unternehmensziele nicht stndig ausgewechselt werden, sondern durch eine gewisse Stabilitt ausgezeichnet sind. nderungen von Unternehmenszielen sind zu erwarten, wenn die whrend der Zusammenarbeit von den Koalitionren gemachten Erfahrungen in den Zielverhandlungsprozess eingebracht werden, neue Koalitionspartner im Unternehmen mitwirken oder die Umwelt Zielnderungen erzwingt. Die Entscheidung, an einem Unternehmen mitzuwirken und Mitwirkender zu bleiben, ist durch persnliche Ziele (Anreize und Beitrge) motiviert. Diese Ziele stellen Beschrnkungen fr das Unternehmen dar, die eingehalten werden mssen, wenn das Unternehmen berleben will. Mit der Teilnahmeentscheidung und ihrer Annahme kommt ein Rahmenkontrakt zwischen Mitwirkenden und Unternehmen zustande. Er beinhaltet die beiderseitige Anerkennung formalisierter Erwartungen. Beitreten bedeutet Anerkennen der Mitgliedsrolle, einer Rolle, die durch das Unternehmen festgelegt wird. Die Mitgliedsrolle erschliet den Zugang zu allen anderen formalen und informalen Rollen im System.727 Sie verpflichtet, Beitrge zu entrichten, beinhaltet
725 Vgl. Cyert/March (2001) S. 38. 726 Cyert/March (2001) S. 39. 727 Luhmann (1999a) S. 46.

319

Entscheidungstheoretische Konzepte

das Recht, Entscheidungen bergeordneter Organisationseinheiten herbeizufhren, verlangt die Anerkennung von Entscheidungs- und Anordnungsrechten der Unternehmensfhrung sowie smtlicher formalen Regeln. Die Ausgestaltung der Mitgliedsrolle kann zwar u.a. durch persnliches Machtstreben, das Interesse, Karriere zu machen, durch die Persnlichkeit und fachliches Knnen persnlich eingefrbt sein, aber persnliche Ziele, durch die die Teilnahme motiviert ist, sind es nicht, die das Verhalten bestimmen, wenn die Mitgliedsrolle ausgefhrt wird. Simon weist auf die kognitiven Aspekte organisatorischer Entscheidungsprozesse hin und stellt fest, da die alltgliche organisatorische Umwelt ganz andere Assoziationen aus dem Gedchtnis des Teilnehmers hervorruft als berlegungen ber den Wechsel des Arbeitsplatzes. Soweit dies der Fall ist, liefert er eine zustzliche Erklrung dafr, warum sein persnliches System von Anreizen und Beitrgen, also die Nutzengren, die die Arbeitsplatzentscheidung beeinflussen, keinen Einflu auf seine organisatorischen Entscheidungen haben wird []728. Mitglieder mssen den Zweck des Unternehmens akzeptieren. Wer den Zweck des Zusammenschlusses nicht bejaht, handelt inkonsequent, wenn er trotzdem Mitglied bleiben will. Wer Kegeln fr tricht hlt und diese Auffassung kundtut, kann nicht gut Mitglied eines Kegelklubs bleiben; er wird austreten. [] es sei denn, dass der Rebell eine nderung des Zweckes vorschlgt und durchsetzen kann.729 Der Schwerpunkt der Mitgliedsrolle liegt in der Erwartung, dass Mitglieder ein bestimmtes verbales Verhalten an den Tag legen, das die Gesamtheit der formalen Erwartung trgt und sttzt und ihre Institutionalisierung ermglicht.730 Informelle Rollen sind in der Mitgliedsrolle nicht vorgesehen. Wenn sie nicht bedient werden, hat dies zwar keine Konsequenzen fr die Mitgliedschaft, das heit aber nicht, dass informelle Rollen nicht wichtige Funktionen in Unternehmen bernehmen.731 Nach dem Eintritt ins Unternehmen und der damit verbundenen bernahme der Mitgliedsrolle sind es nicht mehr private Ziele, die das Verhalten des Rollentrgers bestimmen. Es gibt keine logische Verknpfung zwischen privaten Zielen und der Ausbung der Mitgliedsrolle.732 Ob es die Unternehmensziele sind, die das Entscheidungsverhalten einer Organisationspersnlichkeit motivieren, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.733 Luhmann ist der Ansicht, dass es die Mitgliedsrolle als solche ist, die es unntig macht, von Fall zu Fall zu bestimmten Leistungen zu motivieren. Mit der bernahme der Mitgliedsrolle ist Motivation generell sichergestellt, jedenfalls
728 729 730 731 732 733

Simon, H. A. (1981) S. 282 f. Luhmann (1999a) S. 35 f. Luhmann (1999a) S. 47. Vgl. Luhmann (1999a) S. 48 ff. Vgl. Simon, H. A. (1981) S. 288. Simon geht davon aus, dass Mitglieder die Unternehmensziele in einem gewissen Ausma internalisieren und bei der Ausbung der Mitgliedsrolle die Unternehmensziele das Verhalten bestimmen, vgl. Simon, H. A. (1981) S. 183.

320

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

soweit Bedingungen der Mitgliedschaft berhrt sind. Der typische Bedienstete [] wei, wie wenig er tun muss, um seine Mitgliedschaft zu erhalten, was gengt, um nicht aufzufallen.734 Eine Motivation zu Mehrleistung ist nicht dadurch zu erreichen, dass z.B. den Mitarbeitern der Unternehmenszweck verdeutlicht und schmackhaft gemacht wird. Diese Auffassung stt sich [] nicht nur hart an den Fakten, von der oberflchlichen Unredlichkeit praktischer Versuche ganz zu schweigen. Sie bersieht vor allem die selbstverstndlich gewordenen Vorteile einer separaten Behandlung der Motivationsfragen, die in deren Ablsung sowohl von der Fhrungs- und Kommunikationsstruktur als auch von der Zweckstruktur liegen.735 Nur wenn Unternehmensziele unabhngig von der Frage nach ihrer Motivationskraft gewhlt werden, knnen sie so przise ausformuliert werden, dass sie eine zweckrationale Auswahl zwischen Handlungsalternativen bzw. die Erzeugung von Handlungsalternativen ermglichen und somit ihren eigentlichen Sinn erfllen. Erst eine Abkopplung der Unternehmensziele von Motivations- und Fhrungsfragen sichert ihre Flexibilitt, macht es mglich, dass Unternehmensziele umgestellt werden knnen, wenn Umweltentwicklungen oder unternehmensinterne Vernderungen es erfordern. Organisationen, deren Zweck den Mitgliedern nichts bedeutet, knnen ihn anpassen, die Produktion von Badewannen auf Maschinengewehre umstellen [].736 Gleichzeitig werden die Fhrungskrfte von Motivationsaufgaben entlastet und knnen sich auf reine Vorgesetztenfunktionen konzentrieren und eine reine zweckrationale Entscheidungsprogrammierung sichern. Die Auffassung, Unternehmensziele (und damit Unternehmen) als Instrumente zu betrachten, um private Ziele zu erreichen, ist nach Luhmann nachgewiesenermaen falsch. Beispielsweise sind die Ansprche der Beschftigten nicht davon abhngig, ob Unternehmensziele erreicht wurden. Bezahlt wird die Mitgliedschaft als solche, und gekauft wird damit die Bereitschaft, auch bei umgedeuteten oder genderten Organisationszwecken Mitglied zu bleiben.737 Vor dem Hintergrund der vorstehenden berlegungen erscheinen die Bemhungen in Unternehmen, Mehrleistung durch Leistungsmotivation zu erreichen, problematisch und zugleich verstndlich, denn die Mitgliedsrolle ist, was die zu erbringende Leistung angeht, unbestimmt. Zwar ist davon auszugehen, dass Mitglieder ber ihre Mitgliedsrolle motiviert sind, (Minimal-)Beitrge zu erbringen, die ihre Mitgliedschaft nicht infrage stellen. Inwieweit und wodurch sie darber hinaus zu Mehrleistungen motiviert werden knnen, bleibt zunchst eine offene Frage.738 Vorschlge, die zur Leistungsmotivation unterbreitet werden, zeichnen sich hufig dadurch aus, dass sie den Sinn der Trennung von Teilnahme- und Leistungsmotivation gar nicht erkennen, die Nachteile starker Leistungsmotivation bersehen, die Frage bergehen, ob bestimmte Formalstrukturen in Unternehmen nicht zur Indifferenz gegenber Unterschieden der individuellen Motivation fhren, andere Strukturen des Unternehmens
734 735 736 737 738

Luhmann (1999a) S. 105. Luhmann (1999a) S. 103. Luhmann (1999a) S. 102 f. Luhmann (1999a) S. 101. Zu den folgenden Ausfhrungen, vgl. Luhmann S. 106 f.

321

Entscheidungstheoretische Konzepte

belasten, so dass sie ihre eigentlichen Funktionen nur noch eingeschrnkt erfllen knnen, Sachzwnge ignorieren, die in der festen Kopplung der Arbeitsvorgnge liegen, die dazu fhrt, dass traditionelle Motivationstechniken (Kontrolle, Arbeitsklima, Formen der Entlohnung, usw.) obsolet werden. Bercksichtigt man diese Argumente, erscheinen Versuche, Quellen der Motivation ber die Einrichtung von informalen, kleinen Gruppen in Unternehmen zu erschlieen, als fragwrdig, u.a. weil eine bereinstimmung von Gruppennormen und Unternehmenszielen nicht zu gewhrleisten ist und weil die emotionale Stabilisierung informeller Gruppen der funktionalen Stabilisierung von Unternehmen widerspricht. Wenn man sich die Unternehmenstheorie und die in ihr enthaltene Zieltheorie vor dem Hintergrund der vorstehenden berlegungen anschaut, dann lassen sich die folgenden fnf Entwicklungsstufen ausmachen. Eine gngige Theoriestrategie bestand darin, einen oder einige Koalitionspartner des Unternehmens herauszugreifen. Zumeist waren das die Eigentmer des Unternehmens, der Vorstand bzw. die Geschftsfhrer und Kontrollorgane (z.B. Aufsichtsrat, Verwaltungsrat usw.). Ihre Ziele wurden zu Unternehmenszielen erklrt. Dieses Vorgehen wird damit gerechtfertigt, dass die genannten Gruppen, die als Kerngruppen739 oder Zentren betrieblicher Willensbildung740 bezeichnet werden, durch Gesetze oder Vertrge (z.B. Satzung einer Aktiengesellschaft) autorisiert sind, Unternehmensziele zu fixieren.741 In Marktwirtschaften begrndet das Ordnungselement Privateigentum an den Produktionsmitteln das Recht der Eigentmer, Unternehmensziele zu bestimmen. Abhngig von der Rechtsform des Unternehmens, knnen es eine Person (Einzelunternehmen, GmbH und AG mit nur einem Gesellschafter) oder mehrere Personen (OHG, GmbH, AG) sein, die mit entsprechenden Entscheidungsrechten ausgestattet sind. In den Fllen, in denen mehrere Eigentmer Einfluss auf die Zielsetzung des Unternehmens haben, regeln Gesellschaftsvertrge, wie bei auftretenden Zielkonflikten zwischen den Eigentmern zu verfahren ist, bestimmen die Art und Weise des Abstimmungsverfahrens und vieles mehr. Im Allgemeinen ist die Stimmenzahl der Gesellschafter an die Hhe ihrer Kapitaleinlagen gekoppelt und bestimmt den Einfluss der jeweiligen Eigentmer auf Zielentscheidungen. Die traditionelle konomische Unternehmenstheorie definiert Unternehmensziele als Ziele des Unternehmers. Ihre Akzeptanz durch die Beschftigten wird durch Zahlungen (Lhne, Interesse, Liebe) des Unternehmers an die Beschftigten erkauft und durch eine interne Kontrolle, die die Beschftigten ber die Forderungen des Unternehmers informiert, sichergestellt.742

739 740 741 742

Vgl. Heinen (1976b) S. 201. Vgl. Gutenberg (1971) S. 486 ff. Vgl. Heinen (1976b) S. 203 ff. Eine derart asymmetrische Betrachtung verstellt nach Ansicht von Cyert und March das Verstndnis darber, wie Unternehmensziele zustande kommen, vgl. Cyert/March (2001) S. 32 ff.

322

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Nur wenn die Eigentmer gleichzeitig die Geschftsfhrungsfunktion innehaben, ist sichergestellt, dass sie mageblich den Zielbildungsprozess im Unternehmen bestimmen.743 Zunehmend sind es allerdings Manager, die mit ihren Entscheidungen Unternehmensziele festlegen, und nicht mehr die Eigentmer. Manager werden von anderen beauftragt, Unternehmerfunktionen durch eigene Willensbildung und Willensdurchsetzung fr andere auszuben.744 Hierzu wird ihnen die Verfgungsgewalt ber Ressourcen des Unternehmens bertragen. Damit fallen Eigentum und Verfgungsgewalt auseinander.745 Mit dem Auftreten von Managern wird der Kreis derjenigen, die an dem Prozess der Bildung von Unternehmenszielen beteiligt sind, ausgeweitet. In managergeleiteten Unternehmen ist mit Interessendivergenzen zwischen Eigentmern und Managern zu rechnen. John Kenneth Galbraith (1908-2006) stellt fest, dass die Anteilseigner von Unternehmen an einer Gewinnsteigerung interessiert sind, whrend es Managern um Ertragssicherung und Wachstum geht.746 Dies bedeutet u.a., dass, soweit Manager die Herrschaft ber Unternehmen bernehmen, das primre Unternehmensziel nicht mehr, wie es die traditionelle Betriebswirtschaftslehre (und die neoklassische konomische Theorie) behauptet, Gewinnsteigerung ist.747 Die Legitimation zur Festsetzung von Unternehmenszielen leitet sich nicht mehr aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln ab, sondern aus dem Wissen und Knnen von Spezialisten. Der fhrende Kopf einer Firma ist dann allmhlich nicht mehr ein einzelner, sondern ein Apparat von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern, von Verkufern, Werbefachleuten und Marktexperten, von PRLeuten, Lobbyisten, Rechtsanwlten und Mnnern mit besonderer Kenntnis der Staatsbrokratie und ihrer Manipulation, von Koordinatoren, Managern und lei-

743 Vgl. Gutenberg (1971) S. 488. 744 Vgl. zu dieser Definition, Schneider (1993) S. 30. Die zentrale Unternehmerfunktion besteht

nach Schumpeter in der Durchsetzung neuartiger Kombinationen (der Produktionsfaktoren), vgl. Schumpeter (2006) S. 171 ff. Diese Unternehmerfunktion nennt auch Dieter Schneider. Die Hauptaufgabe eines Unternehmers sieht er allerdings in der zeitweisen bernahme von Einkommensunsicherheiten fr andere Menschen. Schneider (1993) S. 30. Anders als bei Schumpeter erfllt fr Dieter Schneider auch der Arbitrage-Unternehmer eine Unternehmerfunktion, vgl. ebenda. Den Begriff Arbitrage-Unternehmer schuf Schumpeter zur Bezeichnung des statischen Wirts, der im Gegensatz zum innovativen, schpferischen Unternehmer nichts Neues schafft, sondern Einkommen erzielt durch Ausnutzung von Preisdifferenzen bzw. Spekulationen auf den Mrkten. Die Auslagerung arbeitsintensiver Produktionsprozesse in Lnder mit niedrigen Lohnkosten htte nach Schumpeter nichts mit der Wahrnehmung einer Unternehmerfunktion zu tun. 745 Die von Berle/Means (1932) angefertigte Studie weist das Auseinanderfallen von Eigentum und Verfgungsgewalt und die damit verbundene Managerherrschaft ber Unternehmen nach. Sie verdeutlicht eigenntziges Managerhandeln und das damit verbundene Kontrollproblem. 746 Vgl. Galbraith (1976) S. 88 ff. Lesenswert ist das letzte Buch des damals fast 100-jhrigen John Kenneth Galbraith: Die konomie des unschuldigen Betrugs. Vom Realittsverlust der heutigen Wirtschaft. Mnchen 2005. 747 Grundlegendes zur Kritik der neoklassischen Gewinnmaximierungshypothese findet man in Abschnitt 5.4.

323

Entscheidungstheoretische Konzepte

tenden Angestellten.748 Die Organisation dieser Spezialistengruppe hat Galbraith Technostruktur genannt. Die Befehlsgewalt geht vom Einzelnen auf die Technostruktur ber. Sie ist die richtungsweisende Intelligenz in Unternehmen und damit die Instanz, die den strksten Einfluss auf die Zielbildung ausbt. An die Stelle der Zielentscheidung einer einzelnen Unternehmerpersnlichkeit, die Eigentum an den Produktionsmitteln besitzt, tritt die kollegiale Entscheidung der Managergruppe, die auf Erfahrungen, Intuitionen und Spezialkenntnissen ihrer Mitglieder beruht. Jede Intervention eines Einzelnen, der nicht an der Entscheidungsfindung der Managergruppe mitgewirkt hat, beruht auf unzureichender Kenntnis der Sachlage und kann Schaden anrichten. Daher verlagert sich die Macht der Eigentmer [] auf das Management []. Und aus denselben Grnden verlagert sich die Macht innerhalb der Gesellschaft [gemeint sind Unternehmen M.B.] nach unten auf jene Personen, die mit ihren Kenntnissen aktiv an den Entscheidungen beteiligt waren.749 Neben Eigentmern, Managern und Personen mit Spezialkenntnissen gehren die Mitglieder von Kontrollorganen (z.B. Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften) zu der Kerngruppe, deren Einfluss auf die Unternehmensziele im Vergleich zu weiteren Interessengruppen, die Satellitengruppen darstellen750, dominiert. Zu den Satellitengruppen gehren auch Beschftigte (auer Manager und Spezialisten), denen zwar ber gesetzliche Regelungen (Betriebsverfassungsgesetze, Mitbestimmungsgesetz), z.B. mit der Institution Betriebsrat, Mitwirkungsrechte an der betrieblichen Willensbildung und Mitbestimmungsrechte, z. B. bezglich der Besetzung und Bestellung von Aufsichtsrat und Vorstand, zustehen, aber ein unmittelbarer Einfluss auf die Bildung der Unternehmensziele ist den Beschftigten hiermit nicht eingerumt. Nur in Ausnahmefllen geht der Einfluss der Beschftigten ber eine informelle Einflussnahme auf den Prozess der Bildung oberster Unternehmensziele hinaus. Von den bisher genannten internen Koalitionspartnern sind externe Koalitionspartner zu unterscheiden, die, soweit sie nicht aktiv die Bildung der Unternehmensziele zu beeinflussen versuchen, als Satellitengruppen zu betrachten sind. Entsprechend des von Barnard entwickelten Konzepts der formalen Organisation gehren hierzu Mitwirkende wie Lieferanten, Kunden, Kreditgeber, Banken und staatliche Institutionen (insbesondere Finanzamt, Gewerbeaufsicht usw.) sowie weitere Gruppen, die Energie ins Unternehmen einbringen oder entnehmen. Unter Normalbedingungen verhalten sich die externen Koalitionspartner und die Beschftigen, was ihre Einflussnahme auf die Zielbildung angeht, passiv. In Krisenzeiten allerdings kann ihr Einfluss auf Zielentscheidungen betrchtliche Ausmae annehmen. So werden Banken und Glubiger bei drohenden Liquidittsproblemen die Unternehmensziele wesentlich mitbestimmen. Kunden und Liefe-

748 Galbraith (1976) S. 81 f. 749 Galbraith (1976) S. 84. 750 Zur Unterscheidung von Kern- und Satellitengruppen, vgl. Heinen (1976b) S. 201 und S. 205.

Kerngruppen sind zur Zielbildung legitimiert, whrend Satellitengruppen Einflu auf die Zielbildung in der Kerngruppe zu gewinnen versuchen. Ebenda S. 201.

324

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

ranten, mit denen langfristige und vom Umsatz her umfangreiche Abnahme- bzw. Liefervertrge abgeschlossen wurden, sind ebenfalls in der Lage, aktiv auf Unternehmensziele einzuwirken. Eine direkte Mitbestimmung der Unternehmensziele von Satellitengruppen ist darber hinaus immer dann gegeben, wenn zwischen Kern- und Satellitengruppe eine Koalition oder Kooptation besteht.751 Normalerweise ist die Einwirkung der Satellitengruppe auf die Unternehmensziele allerdings indirekter Art. Sie kann durch Machtkonstellationen zwischen Mitgliedern der Satelliten- und Kerngruppe oder durch Identifikationen bestimmter Mitglieder der Kerngruppe mit Zielvorstellungen der Satellitengruppe begrndet sein. Mittlerweile werden Unternehmen als gesellschaftliche Institutionen betrachtet. Damit einher geht die Forderung, neben den Einflssen der Koalitionre auf die Unternehmensziele auch die Erwartungen gesellschaftlicher Gruppen, der Medien, des Wirtschafts-, Rechts-, Politik- und Bildungssystems sowie weiterer Subsysteme der Gesellschaft und der Gesellschaft als Ganzes mit in die Analyse der Unternehmensziele einzubeziehen. Neben den Ansprchen der sozialen Umwelt wirken technische und kologische Entwicklungen auf die Zielbildung von Unternehmen ein. Von heutigen Unternehmen wird eine umfassende Umweltorientierung verlangt. Mit entsprechenden Unternehmenszielen soll sie nach innen und auch fr Auenstehende verdeutlicht werden. Unternehmen existieren heute in einer komplexen, globalisierten, internationalen Umwelt. Sie sind gezwungen, in einem kollektiven arbeitsteiligen Prozess die Weltkomplexitt auf ein be- und verarbeitbares Ma zu reduzieren. Komplexitt bedeutet fr Unternehmen, sich durch die Wahl entsprechender Unternehmensziele und -strategien an unternehmensrelevante Umweltvariablen anzupassen und aktiv die gesellschaftliche, technische und natrliche Unternehmensumwelt zu gestalten. Wenn Unternehmen derartige umweltbezogene Unternehmensziele und strategien verfolgen, hat das Konsequenzen fr die Unternehmensstruktur. Dass Unternehmensstrategie und Unternehmensziele die Unternehmensstruktur bestimmen, darauf hat Alfred D. Chandler jr. (1918-2007) mit den Ergebnissen seiner wirtschaftsgeschichtlichen Studien ber groe amerikanische Unternehmen aufmerksam gemacht.752 Die strategische Orientierung an turbulenten und komplexen Umwelten hat in mehrfacher Hinsicht die Binnenstruktur von Unternehmen verndert. Um die vielfltigen Umweltbezge zu erfassen, etabliert sich eine komple-

751 Vgl. Heinen (1976b) S. 205. Durch Koalitionsbildung wird die Kerngruppe um die Satelliten-

gruppe erweitert. Es entsteht eine direkt an der Bildung von Unternehmenszielen beteiligte derivative Kerngruppe. Im Fall der Kooptation entsendet die Satellitengruppe einige ihrer Mitglieder in die Kerngruppe, die dann unmittelbar am Zielbildungsprozess mitwirken. 752 Vgl. Chandler (1962). Chandler hat die bis dahin innerhalb der Betriebswirtschaftslehre geltende Vorstellung, dass die Unternehmensstruktur (Unternehmensorganisation) die Unternehmensprozesse bestimmt, umgekehrt. Der Ansatz des Business Process Reengineering (ein Begriff, der 1993 von Henry J. Johansson eingefhrt wurde) erweitert die Erkenntnis Chandlers, nach der gilt, Structure follows strategy zu Structur follows process follows strategy. Damit wird die Unternehmensstruktur als abhngige Variable der betrieblichen Prozesse betrachtet.

325

Entscheidungstheoretische Konzepte

xe Unternehmensstruktur.753 Es werden eigenverantwortlich handelnde Unternehmensteile in Form von profit oder cost center etabliert. Diese Organisationseinheiten sollen von entrapreneuren, die sich wie entrepreneure (Unternehmer) verhalten, gefhrt werden.754 Sie erhalten den Status von Unternehmen in Unternehmen und sollen ber einen internen Markt oder die Vorgabe monetrer Kennziffern koordiniert werden. Dieser Anspruch bleibt nicht ohne Konsequenzen fr die Entwicklung von Unternehmenszielen, denn das zur Ausfhrung vorgegebene Kennziffernsystem muss die Unternehmensziele widerspiegeln. Werden Einzelaufgaben der Unternehmensprozesse nicht mehr einzelnen Stellen zugeordnet, sondern ganze Prozesse oder Prozessketten in den Verantwortungsbereich einer Stelle oder Abteilung gestellt, gewinnen die Kernprozesse bei der Formulierung von Unternehmenszielen gegenber den Unternehmensfunktionen an Relevanz. Mit dem Prozessdenken geht die Integration den eigentlichen Unternehmensprozessen vor- und nachgelagerter Prozessstufen (bei Lieferanten und Kunden) einher. Damit verbunden ist die Problematik der Einbindung der Zielsetzungen der zur Prozessintegration geschaffenen Projektgruppen in die differenten Unternehmensziele der beteiligten Unternehmen. Prozessdenken hat eine Verschlankung der Hierarchiestufen und Organisationsformen zur Folge, die nicht mehr mit Begriffen wie ber- bzw. Unterordnung beschreibbar sind. So bilden sich in und zwischen Unternehmen Netzwerke, in denen Organisationseinheiten unabhngig von ihrer Positionierung innerhalb der Unternehmensorganisation eingebunden sind. Den Unwgbarkeiten und Unsicherheiten und im schlimmsten Fall der vollkommenen Zuflligkeit, begrndet durch eine komplexe, eigentlich unbeherrschbare Umwelt, ist nicht mehr mit festgefgten formalen Organisationsstrukturen zu begegnen. Selbstorganisation wird zur internen Vorkehrung, um einen flexiblen Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen sicherzustellen. Diese Entwicklungen bleiben nicht ohne Einfluss auf Unternehmensziele. Ihre Entwicklung wird nicht mehr nur von einzelnen Personen (der Eigentmergruppe oder der Unternehmensleitung) und durch Verhandlungen zwischen Kerngruppen allein bestimmt, sondern smtliche im Unternehmen mit formalen oder informalen Entscheidungsrechten ausgestatteten Stellen wirken an der Modifikation von Unternehmenszielen mit.
753 Die Umwelt eines Unternehmens ist immer komplexer als das Unternehmen selbst. Unter-

nehmen knnen nicht auf jeden Umweltzustand mit nderung der eigenen Prozesse und Strukturen reagieren bzw. sie sind nicht in der Lage, sich die Umwelt so einzurichten, dass ihr Bestand auf Dauer gesichert ist. Dazu fehlt Unternehmen die requisite variety (Ashby 1956). Luhmann drckt diesen Sachverhalt sehr allgemein aus: Es gibt [] keine Punkt-frPunkt bereinstimmung zwischen System und Umwelt. Luhmann (1987) S. 47. 754 Die Ausdrcke entrepreneur (Unternehmer), entrapreneur (Unternehmensfhrer eines Unternehmens im Unternehmen) und entrepreneurship (Unternehmertum) haben Eingang in die Lehrbcher gefunden, vgl. Ripsas, S. (1997), nur deshalb werden sie hier benutzt. Seit Langem werden typische Unternehmereigenschaften ermittelt und hierauf aufbauend Management-Development-Konzepte oder Hochschulstudiengnge entwickelt, mit denen Manager oder Studierende zu Unternehmern aus- und weitergebildet werden sollen.

326

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Die aufgefhrten fnf Entwicklungsstufen der Theorie der Unternehmensziele veranschaulichen, dass sich der Gegenstand, auf den sich Unternehmensziele beziehen, verndert hat und dass mit diesen Vernderungen neue Aufgaben der Unternehmensfhrung verbunden sind. Im Rahmen empirischer und theoretischer Zielforschung sind die Inhalte, die Rangordnung, das angestrebte Ausma, der zeitliche Bezug, die Beziehungen zwischen und die Ordnung von Unternehmenszielen untersucht worden. Was die Inhalte von Unternehmenszielen betrifft, konzentriert sich das Interesse auf: 755 konomische Ziele wie Gewinnstreben, Umsatzstreben, Wirtschaftlichkeitsstreben, Sicherung des Unternehmenspotenzials, Sicherung der Liquiditt, Unabhngigkeits- und Vereinigungsstreben. Ethische und soziale Bestrebungen wie Gerechtigkeitsstreben, Prestigestreben und Machtstreben kologische Ziele.756 sonstige Zielvorstellungen (Gestaltenwollen, Freude am Vollbringen, Verpflichtung gegenber einer Idee usw.)

Es verwundert nicht, dass die Zielforschung feststellt, dass das Gewinnziel, in absoluter oder relativer Ausprgung (Rentabilittsstreben), eine zentrale Stellung im Kanon der Unternehmensziele einnimmt. Die neben dem Gewinnziel aufgefhrten Unternehmensziele werden hufig als Mittel betrachtet, um Gewinnziele zu erreichen. Auch die durch empirische Forschungen ermittelten Rangordnungen von Unternehmenszielen positionieren das Streben nach Gewinn ganz oben auf der Rangskala.757 Die Untersuchungen machen aber auch deutlich, dass in Unternehmen Zielpluralismus herrscht und die Einzelziele nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern ihre Realisierung wechselseitig voneinander abhngig ist. Wird z.B. eine Betriebserweiterung geplant, so mssen u.a. Wachstumsmglichkeiten eruiert, Umsatzfragen geklrt, die Entwicklung der Marktanteile verfolgt, Wirtschaftlichkeitsfragen untersucht, Konsequenzen fr die Selbststndigkeit und Gewinnauswirkungen und vieles mehr bercksichtigt werden. Abhngig davon, welches oder welche Unternehmensziele bei den berlegungen zur Betriebserweiterung zugrunde gelegt werden, wird die Entscheidung fr oder gegen sie ausfallen. Bezglich des Ausmaes der Unternehmensziele unterscheidet man das Streben nach einem bestimmten, begrenzten Ausma, von einem Streben nach unbegrenztem Ausma eines bestimmten Zielinhaltes. Whrend Zielinhalte, die lediglich in einem bestimmten Umfang verwirklicht werden sollen, als Anspruchniveaus vorgegeben werden, wird das unbegrenzte Streben in Form einer Maximierungs- oder Minimierungs-

755 Eine ausfhrliche Darstellung der einzelnen Zielinhalten findet sich bei Heinen (1976b) 756 Vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 85-89. 757 Vgl. Heinen (1976b) S. 30-44.

S. 59-82.

327

Entscheidungstheoretische Konzepte

aufgabe formuliert, die unter Beachtung von Nebenbedingungen zu lsen ist. In der Unternehmensrealitt werden begrenzte Zielniveaus angestrebt und keine Maximaloder Minimalwerte. In der Zeitdimension werden Unternehmensziele als lang-, mittel- und kurzfristige Ziele formuliert. Darber hinaus sind statische Ziele, die sich auf einen Zeitpunkt beziehen, von komparativ statischen Zielen zu unterscheiden. Komparativ statische Ziele beinhalten Aussagen ber die Ausprgungen von Zielinhalten zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten. Dynamisch ausgestaltete Ziele beziehen sich nicht auf Zeitpunkte, sondern auf einen Zeitraum. Zielbeziehungen verdeutlichen, welche Auswirkung die Verfolgung eines Zieles auf den Zielerreichungsgrad eines anderen, ebenfalls angestrebten Zieles hat. Folgende Zielbeziehungen sind denkbar: Komplementre Zielbeziehungen. Eine komplementre Zielbeziehung liegt vor, wenn die Verfolgung des einen Ziels das Erreichen eines anderen Ziels begnstigt. Zwischen Umsatz und Gewinn besteht in der Regel eine komplementre Beziehung. Eine Umsatzerhhung bewirkt im Allgemeinen c.p. einen steigenden Gewinn. Indifferente Zielbeziehungen. Sie drften in der Unternehmenspraxis eher selten sein, da im Unternehmen vielfltige Abhngigkeiten bestehen. Konkurrierende Zielbeziehungen. Zielkonkurrenz ist gegeben, wenn das Streben nach einem Ziel die Erreichung eines anderen Ziels behindert bzw. unmglich macht. Konkurrierende Ziele knnen nicht gleichzeitig verfolgt werden. Das gleichzeitige Streben nach maximaler Rentabilitt und nach maximaler Liquiditt widerspricht sich. Beim Vorliegen konkurrierender Ziele spricht man auch von Zielkonflikten. Zielkonflikte sind nicht nur sachlogisch durch eine mangelnde Zielkonzeption begrndet wie im Fall der gleichzeitigen Verfolgung des Rentabilitts- und Liquidittsziels. Die Hauptursachen fr Zielkonflikte liegen in der sozialen Dimension. So sind es u.a. die Konkurrenz zwischen Organisationseinheiten (Abteilungsegoismus), die unterschiedlichen Wertvorstellungen, Risikoneigungen und der unterschiedliche Grad an Informiertheit der am Zielbildungsprozess Beteiligten, die Zielkonflikte begrnden. Totale und partielle Zielbeziehungen. Unter einer totalen Zielbeziehung versteht man eine Zielbeziehung, die ausschlielich konkurrierend, komplementr oder indifferent ist. In der Unternehmensrealitt sind totale Zielbeziehungen selten. Realistischer ist der Fall wechselnder Beziehungen zwischen Zielen. Man spricht in diesem Fall von partiellen Zielbeziehungen. So kann zwischen dem Gewinn- und Umsatzziel zunchst eine Konkurrenzbeziehung vorherrschen. Dies wre dann der Fall, wenn aufgrund einer bestimmten Marktkonstellation nur ber verstrkte, kostspielige Werbemanahmen eine Umsatzsteigerung mglich wre und der Kostenanstieg zunchst die Umsatzsteigerung berkompensieren wrde. Spter knnen aber gegebenenfalls die Umsatzbemhungen auch zu einer Gewinnverbesse-

328

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

rung fhren, womit Komplementaritt zwischen Umsatz und Gewinn gegeben wre. Haupt- und Nebenziele. Mit der Unterscheidung von Haupt- und Nebenzielen wird darauf aufmerksam gemacht, dass nicht alle Ziele gleichrangig nebeneinander stehen. So ist im Fall von konkurrierenden Zielbeziehungen zu klren, welches Ziel zunchst angestrebt werden soll. Es ist eine Gewichtung der Ziele vorzunehmen. Diese Gewichtung ist von der zur Zielentscheidung berechtigten Person oder Personengruppe vorzunehmen. Sie bestimmt das Hauptziel. Damit ist es vom Entscheidungstrger abhngig, welchem Ziel er den Vorrang gibt. Ober-, Zwischen- und Unterziele. Mit dieser Unterscheidung werden Ziele in eine Zweck-Mittel-Hierarchie eingeordnet und stehen insofern ebenfalls, genau wie bei der Unterscheidung von Haupt- und Nebenzielen, nicht gleichrangig nebeneinander. Die ber/Unterordnung von Ober-, Zwischen- und Unterzielen ist allerdings sachlich begrndet und nicht wie im Fall von Haupt- und Nebenzielen primr vom Entscheidungstrger abhngig. Unter- bzw. Zwischenziele werden als Mittel betrachtet, um Oberziele zu erreichen. Strebt ein Unternehmen Gewinnsteigerung an und beabsichtigt es, dieses Ziel nicht ber eine Forcierung des Umsatzes, sondern ausschlielich mit innerbetrieblichen Kostensenkungsmanahmen zu erreichen, ist das Ziel Kostensenkung gegenber dem Oberziel Gewinnsteigerung ein Zwischenziel. Um das Zwischenziel Kostensenkung zu frdern, sind entsprechende Zielanforderungen an einzelne Funktionsbereiche und Kostenstellen des Unternehmens zu stellen. Das Ziel Senke die Kosten der Kostenstelle X ber Rationalisierungsmanahmen! wre gegenber dem Gewinnziel ein Unterziel. Zuordnung der Ziele zu Rangebenen in der Unternehmenshierarchie. Diese Ordnungsbeziehung nutzt die formale Struktur eines Unternehmens, um Ziele zu klassifizieren. Entsprechend dieser Auffassung legen die obersten Instanzen die umfassendsten Unternehmensgesamtziele fest und konkretisieren die generellen Unternehmensziele, indem Unternehmensbereichsziele (z. B. fr die Funktionsbereiche oder Sparten eines Unternehmens) ermittelt werden. Hiernach werden fr die nchst niedrigere Hierarchieebene, z.B. fr die Abteilungsebene, aus den Bereichszielen Abteilungsziele abgeleitet, die von unteren Instanzen geklrt, in Anordnungen transferiert und den ausfhrenden Stellen als Stellenziele vorgegeben werden.

Die obigen Ausfhrungen verdeutlichen Bemhungen, die unterschiedlichen Unternehmensziele in eine Ordnung zu bringen, indem die Beziehungen zwischen einzelnen Zielgren geklrt werden. Es besteht der Anspruch, ein Zielsystem zu entwickeln, das bestimmten Anforderungen gengt. In der Literatur finden sich unterschiedlichste Anforderungskataloge, nach denen Zielsysteme ausgestaltet werden sollen.758 Folgende Anforderungen soll ein Zielsystem erfllen: Ziele sollen realistisch bzw. erreichbar sein, d.h., mit den verfgbaren Mitteln und unter gegebenen Umstnden sollte eine Verwirklichung der Ziele mglich sein.

758 Vgl. Berthel (1973) S. 124 f. sowie Wild (1982) S. 55 ff.

329

Entscheidungstheoretische Konzepte

Ziele sind operational zu formulieren. Operationalitt bedeutet, dass Zielinhalt, Zielausma, Zeitbezug und die fr die Ausfhrung zustndige Stelle przise zu bestimmen sind. Ziele sollen unter Bercksichtigung bestehender Zielbeziehungen in eine Zielhierarche einzuordnen und zu gewichten sein. Ziele sollen konsistent sein in dem Sinne, dass Widersprche zwischen den Einzelzielen zu vermeiden sind und eine Abstimmung der Einzelziele vorzunehmen ist, wobei partielle Zielkonflikte einzukalkulieren sind. Ziele sollen aktuell sein. Aktualitt des Zielsystems ist nur erreichbar, wenn eine Anpassung der Ziele an genderte Bedingungen stattfindet. Ziele sollten vollstndig sein. Damit ist gemeint, dass smtliche wichtigen Ziele im Zielsystem enthalten sein sollten. Ziele sollten durchsetzbar sein. Dies setzt voraus, dass die Stellen, die mit der Zielrealisierung beauftragt sind, die Ziele verstehen und mglichst akzeptieren. Ziele sollten organisatorischen Gegebenheiten nicht zuwiderlaufen, sondern kongruent mit der Organisationsstruktur entwickelt und vorgegeben werden. Ziele sollten transparent sein. Zieltransparenz kann durch eine bersichtliche, nachvollziehbare und einheitliche Darstellung der Ziele und Bekanntgabe der Zieladressaten erreicht werden. Ziele sollten berprfbar formuliert sein. Dies setzt ihre schriftliche Dokumentation voraus.

Die Beratungsbranche benutzt das einprgsame Kurzwort SMART, um auf Anforderungen, die an eine eindeutige Zieldefinition zu stellen sind, aufmerksam zu machen. Die Ansprche an eine smarte Zielformulierung bleiben hinter den Anforderungen, die im obigen Katalog aufgelistet sind, zurck, denn die Buchstaben des Akronyms SMART stehen fr: Specific (meint eindeutige, przise Zielformulierung), Measurable (klagt Messbarkeit anhand bestimmter Kriterien ein), Accepted (fordert Zielakzeptanz) bzw. Attractive (fordert attraktive positiv formulierte und motivierende Ziele) bzw. Achievable (Zielformulierungen sollen Sinn fr das Machbare widerspiegeln), Realistic (Ziele sollen erreichbar sein), Timely (Terminvorgaben).

Trotz aller Bemhungen gengen bestehende, reale Zielsysteme in Unternehmen hufig nicht den Anforderungen, die an sie gestellt werden. Ziele sind oft: unvollstndig, ungeordnet, widersprchlich, nicht allen Beteiligten bekannt, nur teilweise schriftlich fixiert.

330

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Aus der Vielzahl der fr Unternehmen vorgeschlagenen Zielsysteme soll eines herausgegriffen werden, das auf einer deduktiven Zweck-Mittel-Betrachtung basiert und zwischen Ober-, Zwischen- und Unterzielen unterscheidet.759 Gemeint ist das wohlbekannte Return on Investment (ROI)-Konzept, das zur Aufstellung des Zielsystems eines Unternehmens und als Kennziffernsystem genutzt wird. Als Ausgangspunkt der Systementwicklung wird entweder die gewnschte Ausprgung des Oberziels Gesamtkapitalrentabilitt oder Eigenkapitalrentabilitt gewhlt. Die weitere Aufgliederung in Zwischen- und Unterziele orientiert sich an Rentabilittsdefinitionen760 und den Definitionen der Rentabilittskomponenten und deren logischer Verknpfung. Wird die Gesamtkapitalrentabilitt (GKR) als Oberziel gesetzt, so ist von ihrer Definition

auszugehen.

Der Kapitalgewinn errechnet sich aus dem pagatorischen Gewinn plus Fremdkapitalzinsen. Die Gesamtkapitalrentabilitt lsst sich als Produkt aus Umsatzbruttorentabilitt (UBR) und Kapitalumschlag (KU) ausdrcken. Umsatzbruttorentabilitt ist mit dem Bruch:

definiert,

und der Kapitalumschlag kann mit der folgenden Relation beschrieben werden: . Somit gilt: =

Die Gesamtkapitalrentabilitt kann erhht werden, wenn die Umsatzrentabilitt und/oder der Kapitalumschlag gesteigert wird. Umsatzrentabilitt und Kapitalumschlag beinhalten die Gren Kapitalgewinn, Gesamtkapital und Umsatz. Der Kapitalgewinn ist definiert als: Die Kosten werden wesentlich bestimmt durch das Streben nach Wirtschaftlichkeit und Produktivitt. Einflsse auf die Kosten und den Gewinn knnen soziale, ethische und kologische Bestrebungen haben. Im Umsatz drckt sich das Streben nach Marktanteilen, Marktmacht und Prestige aus.

759 Zu alternativen Konzeptionen unternehmerischer Zielsysteme, vgl. Heinen (1976b) S. 125 ff.

sowie Hammer (1992) S. 45. Die folgenden Ausfhrungen lehnen sich an Beschreibungen von Heinen an, vgl. Heinen (1976b) S. 128 f. Von deduktiven Zielkonzepten unterscheiden sich induktive Zielkonzepte, die durch empirische Forschung ermittelt wurden, vgl. Heinen (1976b) S. 129 ff. 760 Vgl. Abschnitt 5.2.5.

331

Entscheidungstheoretische Konzepte

Das Gesamtkapital gilt als Mastab fr das Streben nach nomineller bzw. realer Kapitalerhaltung. Das Gesamtkapital setzt sich aus Eigenkapital (EK) und Fremdkapital (FK) zusammen. An der jeweiligen Ausprgung der Aufteilung von Eigenkapital und Fremdkapital kann die strukturelle Liquiditt abgelesen werden. Sie ist somit Ausdruck des Liquidittsstrebens. Im Verhltnis von Gesamtkapital und Fremdkapital drckt sich das finanzwirtschaftliche Unabhngigkeitsstreben aus, und die absolute Hhe des Eigenkapitals kann als Indiz fr Prestigestreben betrachtet werden. Die vorstehenden berlegungen zur Aufgliederung des Zielsystems entsprechend des ROI-Konzepts sind in Abbildung 59 zusammengefasst dargestellt.

Abbildung 59:

ROI-Zielsystem
Gesamtkapitalrentabilitt (Return on Investment)

Umsatzbruttorentabilitt

Umsatzbruttorentabilitt

Gewinn

: _
Kosten

Umsatz

Umsatz

: +

Gesamtkapital

Umsatz

Eigenkapital

Fremdkapital

Ethische, soziale, kologische Bestrebungen

Wirtschaftlichkeit, Produktivitt

Marktanteil

Marktmacht, Prestige

Liquiditt

Unabhngigkeit (finanzwirtschaftliche)

Kapitalerhaltung (reale)

In Anlehnung an Heinen (1976b) S. 128.

Das obige, aus der Definition der Gesamtkapitalrentabilitt, deduktiv abgeleitete Zielsystem beinhaltet wichtige Unternehmensziele. In dem amerikanischen Chemiekonzern DuPont de Nemours and Company wurde 1919 das ROI-Konzept entwickelt und erstmals mit ihm gearbeitet. Anders als in obiger Abbildung 59 angegeben, kann statt des Gesamtkapitals und dessen Differenzierung in Eigen-und Fremdkapital das Gesamtvermgen und dessen Differenzierung in Anlage- und Umlaufvermgen in die Kennzahlenpyramide eingefgt werden. Das Anlagevermgen kann rechnerisch in Sachanlagen und Finanzanlagen und das Umlaufvermgen in Vorrte, Forderungen und Zahlungsmittelbestnde aufgelst werden.
332

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

Diese Gren, wie auch die Kosten- und Umsatzkategorie, knnen rechnerisch nach unterschiedlichen Kriterien weiter aufgelst werden. Die errechneten Werte knnen als Zielvorgaben oder zur Analyse der Unternehmensbereiche genutzt werden. Die Firma DuPont hat das ROI-Verfahren derart verfeinert, dass fr jeden Unternehmensbereich ber 400 Kennziffern vorgegeben und zur Budgetkontrolle genutzt wurden.761 Die ROI-Analyse ist in mehrfacher Hinsicht erweitert worden.762 Statt der Gesamtkapitalrentabilitt kann die Eigenkapitalrentabilitt als Spitzenkennziffer eingesetzt werden,763 und diese wiederum kann mit dem Marktwert des Eigenkapitals verknpft werden. Dieser Ausbau der ROI-Analyse orientiert sich an dem shareholder-valueKonzept, in dessen Mittelpunkt das Streben nach einer Steigerung des Unternehmenswertes bzw. der Anlegerrendite fr die Aktionre (shareholder) steht. Das ROI-Ziel- bzw. Kennzahlensystem und seine Erweiterungen werden zur Analyse, Planung und Kontrolle des Gesamtunternehmens genutzt. Mit ihnen lassen sich die Haupteinflussfaktoren auf die Rentabilitt bzw. des Marktwerts des Eigenkapitals ermitteln, Schwachstellen und Abweichungen bei den einzelnen Kennziffern ausfindig machen und Konsequenzen von bestimmten Manahmen durchrechnen. Hufig wird das ROI-Konzept als Grundlage von Zielvereinbarungen eingesetzt. Kritisiert wird an den ROI-Konzeptionen u.a. eine ungengende Bercksichtigung der Liquiditt764, die ausschlieliche Konzentration auf monetre Gren, die Verwendung von Durchschnittsgren, die nicht hinreichende Bercksichtigung von Risiken (Umsatz- und Investitionsrisiken) und die Vergangenheitsorientierung. In den 1990er Jahren wurde die von Robert S. Kaplan und David P. Norton entwickelte balanced scorecard populr. Hiermit sollten die Defizite der traditionellen Kennzahlen- und Zielsysteme behoben werden. Entsprechend des balanced scorecard-Konzepts werden Unternehmensvisionen und Unternehmensstrategien auf zumeist vier Bereiche: Finanzen, Kunden, Geschftsprozesse und Mitarbeiterentwicklung abgebildet, indem kritische Erfolgsfaktoren ermittelt werden und hieraus mit keyperformance-Indikatoren ein Kennzahlensystem (scorecard) abgeleitet wird.765

761 Vgl. Koch (1977) S. 132. 762 Vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 97 ff. 763 Das vom Zentralverband der Elektroindustrie entwickelte branchenneutrale Kennzahlensys-

tem (ZVEI) whlt die Eigenkapitalrentabilitt als Spitzenkennzahl und lehnt sich an das DuPont-Schema an. Es eignet sich insbesondere fr die Unternehmenskontrolle mittels Betriebsvergleich, vgl. Koch (1977) S. 136. Eine verkrzte Darstellung dieses Kennzahlensystems findet sich ebenda. Das ZVEI-Kennzahlensystem besteht aus einer Wachstums- und Strukturanalyse. Mit der Wachstumsanalyse wird das gegenwrtige unternehmerische Geschehen mit der Vorperiode verglichen. Die Strukturanalyse orientiert sich an der Eigenkapitalrentabilitt und ihrer rechnerischen Zerlegung der sie bestimmenden Gren. 764 Das Rentabilitts-Liquiditts-Kennzahlensystem (RL-Kennzahlensystem), das von Thomas Reichmann und Laurenz Lachnit entwickelt wurde, bercksichtigt die Ziele Rentabilitt und Liquiditt als gleichgeordnete Ziele, vgl. Reichmann/Lachnit (1976) S. 705-723. 765 Vgl. Kaplan/Norton (1997).

333

Verhaltenswissenschaftliche Anstze (Empirisch realistische Anstze)

8.3

9 Konzepte der Neuen


Institutionenkonomik

Whrend entscheidungstheoretische Anstze Entscheidungen und Entscheidungsprozesse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen, heben die Anstze der Neuen Institutionenkonomik die besondere Bedeutung von Institutionen als Informationsund Motivationsquellen des Wirtschaftens hervor. Nicht nur die Neue Institutionenkonomik beschftigt sich mit Institutionen. Bevor sie sich etablierte, gab es den sogenannten Alten Institutionalismus, zu dem die Deutsche Historische Schule und der amerikanische Institutionalismus gezhlt werden. Beide Richtungen des Alten Institutionalismus nutzen die Analyse von Institutionen zur Erklrung des Wirtschaftens. Sie melden allerdings Vorbehalte gegenber den Grundannahmen und Methoden der neoklassischen konomie an. Weder mit dem methodologischen Individualismus, der Annahme (begrenzt-)rationaler und eigenntziger, entsprechend der Maximierungshypothesen (Gewinn- und Nutzenmaximierung) handelnder Akteure, noch mit dem Einsatz mathematischer Methoden, wie der Marginalanalyse, knnen sich Vertreter des Alten Institutionalismus anfreunden. Insbesondere wird von ihnen beklagt, dass in der neoklassischen Modellwelt der Einfluss von Institutionen auf das wirtschaftliche Verhalten individueller Wirtschaftssubjekte nicht thematisiert wird, da Institutionen in neoklassischen Modellen als vorgegebene Daten, als externe Variablen, behandelt werden. Whrend die Neue Institutionenkonomik mit dem Alten Institutionalismus darin bereinstimmt, dass wirtschaftliches Handeln institutionell bestimmt ist, unterscheiden sich die Denkrichtungen in der Beantwortung der Frage, ob das neoklassische Instrumentarium bei der Analyse von Institutionen eingesetzt werden soll. Anders als der Alte Institutionalismus lehnt die Neue Institutionenkonomik grundlegende Annahmen der Neoklassik nicht ab, sondern bernimmt sie. Sie dehnt neoklassisches Denken insofern aus, als Grundprmissen der Neoklassik nicht mehr nur auf individuelles, sondern auch auf institutionelles (kollektives) Handeln angewandt werden. Es wird der Versuch unternommen, das institutionelle Defizit der neoklassischen konomie zu berwinden und das Zustandekommen, den Erhalt und die Vernderung von Institutionen und ihren Einfluss auf individuelles wirtschaftliches Verhalten zu erklren. Aus den genannten Grnden darf die Neue Institutionenkonomik nicht mit dem Alten Institutionalismus verwechselt werden. Bevor auf die Neue Institutionenkonomik eingegangen wird, sollen einige Gedanken der Hauptvertreter des Alten Institutionalismus vorgestellt werden.

335
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_10, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

9.1

Der Alte Institutionalismus

Bei der Darstellung der unterschiedlichen Positionen, die whrend des Werturteilsstreits eingenommen wurden, ist Gustav von Schmoller als ein Hauptvertreter der Deutschen Historischen Schule vorgestellt und die Grundzge seiner Denkweise beschrieben worden. An dieser Stelle sei hierauf verwiesen.766 Die grundlegenden Ansichten, die Schmoller in der Auseinandersetzung mit Karl Menger vertritt, sind reprsentativ fr die Jngere Deutsche Historische Schule, zu der als weitere prominente Vertreter Georg Friedrich Knapp (1842-1926), Karl Bcher (1847-1930) und Lujo Brentano (1844-1931) gehren.767 Ihre Arbeiten zeichnen sich alle durch eine ethisch-normative Orientierung aus sowie teilweise durch vehemente Kritik an der reinen konomik klassischer und neoklassischer Prgung. Dies kann mit vielen Zitaten aus den Schriften der Genannten belegt werden. Beispielhaft sei die Einschtzung Schmollers angefhrt. Er schreibt: Die alte Volkswirtschaftslehre mit ihrem Untergehen in Preisuntersuchungen und Zirkulationserscheinungen stellt den Versuch einer volkswirtschaftlichen Sftephysiologie ohne Anatomie des sozialen Krpers dar.768 Die historische Gestalt und Struktur des sozialen Krpers darf bei der Analyse und Erklrung des Wirtschaftens nicht unbercksichtigt bleiben. Der soziale Krper setzt sich aus Institutionen zusammen, die die Erfahrung und die Weisheit von Jahrhunderten in Bezug auf die vernnftige und richtige Behandlung praktischer Verhltnisse verkrpern. Die Vertreter der Jngeren Deutschen Historischen Schule verlangen daher eine Beschreibung und Analyse historisch nachweisbarer Institutionen. Den Begriff Institution definiert Schmoller als eine partielle, bestimmten Zwecken dienende, zu einer selbstndigen Entwicklung gelangte Ordnung des Gemeinschaftslebens, welche das feste Gef fr das Handeln von Generationen, oft von Jahrhunderten und Jahrtausenden abgibt: das Eigentum, die Sklaverei, die Leibeigenschaft, die Ehe, die Vormundschaft, das Marktwesen, das Mnzwesen, die Gewerbefreiheit, das sind Beispiele fr Institutionen. Es handelt sich bei jeder Institution um eine Summe von Gewohnheiten und Regeln der Moral, der Sitte und des Rechts, die einen gemeinsamen Mittelpunkt oder Zweck haben, unter sich zusammenhngen, ein System bilden, eine gemeinsame praktische und theoretische Ausbildung empfangen haben, festverwurzelt im Gemeinschaftsleben, als typische Form die lebendigen Krfte immer wieder in ihren Bannkreis zu ziehen769 Von den Vertretern der Jngeren Deutschen Historischen Schule werden menschliche Triebe, (sittliche) Gefhle, Moral, rechtliche Normen, Tugenden, Gewohnheiten, Pflichten gegenber der Gemeinschaft
766 Vgl. Abschnitt 2.2.2. 767 Zu den Werken der genannten Vertreter der Jngeren Historischen Schule und ihren

Grundgedanken, vgl. Stavenhagen (1969) S. 197 ff., Schumpeter (2009) S. 988 ff. sowie Schneider (2001) S. 297 ff. Schneider arbeitet heraus, inwieweit insbesondere Schmoller sich mit Fragen der einzelwirtschaftlichen Institutionenbildung befasst, vgl. Schneider (2001) S. 627 ff. 768 Schmoller (1923) S. 64. 769 Schmoller (1923) S. 61 f.

336

Der Alte Institutionalismus

9.1

usw. in die Analyse der Institutionen einbezogen, mit der Folge, dass der zweckrationale, ausschlielich eigeninteressierte homo oeconomicus als Menschenbild der konomischen Theorie kategorisch abgelehnt wird.770 Vorlufer der Jngeren Deutschen Historischen Schule ist die ltere Deutsche Historische Schule.771 Wilhelm Roscher (1817-1894), Bruno Hildebrand772 (1812-1878) und Karl Knies (1821-1898) zhlen zur lteren Deutschen Historischen Schule. Diese Denkrichtung will durch die Erhebung und Auswertung empirischer Daten konomische Entwicklungsgesetze bzw. Entwicklungsstufen ableiten,773 und Hildebrand strebt an, die Nationalkonomie zu einer allgemeinen Kulturtheorie auszubauen. Der Gedanke, die Wirtschaftswissenschaft in eine sie umfassende Kulturtheorie (heute wrde man von Soziologie sprechen) einzubetten, ist sowohl fr die ltere wie die Jngere Richtung der Deutschen Historischen Schule typisch. Dies gilt ebenfalls fr die Benutzung der Organismusmetapher zur Beschreibung wirtschaftlicher Phnomene. Whrend sich die ltere Deutsche Historische Schule im wesentlichen auf den von der Klassik vorgezeichneten Bahnen bewegt, indem sie Erkenntnisse der klassischen konomik durch empirische wirtschaftshistorische Untersuchungen zu fundieren und zu vervollstndigen versucht774, strebt die Jngere Deutsche Historische Schule eine berwindung klassischer Vorstellungen an und verzichtet auf Generalisationen jeder Art.775 Den Vertretern der Jngeren Richtung erscheint die empirische Basis fr eine induktiv zu entwickelnde Wirtschaftstheorie nicht ausreichend.776 Daher widmen sie sich dem Sammeln von weiterem empirischen Material. Dies belegen ihre zahlreichen wirtschaftshistorischen Spezialarbeiten.777 Sie beschftigen sich mit der Entstehung einzelner wirtschaftlicher Institutionen, ihrer historischen Entwicklung und der Zielbildung wirtschaftlicher Organisationen, mit Problemen der Statistik, der Verwaltungsgeschichte und mit sozialen Problemen, insbesondere der Arbeiterfrage.778

770 Vgl. Schmoller (1923) S. 91 ff. 771 Vgl. Schumpeter (2009) S. 987 f., Schneider (2001) S. 295 f., Stavenhagen (1969) S. 195 ff. 772 Begrndete die Jahrbcher fr Nationalkonomie und Statistik. Sie existieren seit dem Jahr 773 So entwarf Hildebrand eine Stufenfolge der Wirtschaft. Er unterscheidet die drei Wirtschafts774 Vgl. Stavenhagen (1969) S. 196 f., sowie Schumpeter (2009) S. 988. 775 Vgl. Stavenhagen (1969) S. 197. 776 Vgl. Schachtschabel (1971) S. 137. Schumpeter sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen

1863.

stufen Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft und Kreditwirtschaft.

dem Denkstil von Roscher und Schmoller darin, dass der zuerst Genannte sich dem Glauben an die Gesetze der Wirtschaftsgeschichte hingab, whrend Schmoller, obwohl auch er eine Abfolge von Wirtschaftsstufen entwarf, nach Ansicht Schumpeters dies nicht tat, vgl. Schumpeter (2009) S. 549 f. Schmoller unterscheidet die folgende Typenfolge der Wirtschaft: Dorfwirtschaft, Stadtwirtschaft, Territorialwirtschaft und Volkswirtschaft. 777 Stavenhagen hat die wichtigsten zusammengetragen, vgl. Stavenhagen (1969) S. 198. 778 Vgl. Stavenhagen (1969) S. 197.

337

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Die Jngere Deutsche Historische Schule hat den amerikanischen Institutionalismus stark beeinflusst.779 Schumpeter hatte schon 1926 festgestellt, dass Schmoller als Vater des amerikanischen Institutionalismus zu betrachten sei.780 Als Begrnder des amerikanischen Institutionalismus sind Thorstein Veblen (1857-1929) und John. R. Commons (1862-1945) zu nennen. Veblen lehnt in seinem Aufsatz Why is economics not a evolutionary science die mechanistische, an der Newtonschen Physik angelehnte Theoriebildung der klassischen konomik ab und fordert eine Evolutionstheorie zur Erklrung konomischer Phnomene.781 Er ist einer der entschiedensten Gegner der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und bringt seine Einschtzung wortstark zum Ausdruck.782 Nach Veblen sind es die Denkgewohnheiten (habits of thoughts) menschlicher Gruppen, die durch Instinkte und Umwelteinflsse entstehen und die soziale, politische und konomische Entwicklung bestimmen. Die gruppenspezifischen Denkgewohnheiten setzt Veblen mit Institutionen gleich. Institutionen sind durch Anpassung an Umstnde, die in der Vergangenheit liegen, entstanden und soweit sie bestehen, sind sie das Ergebnis eines natrlichen Selektionsprozesses der fittest habit of thoughts. Sie entsprechen allerdings nicht vollstndig den Ansprchen der Gegenwart.783 Veblens auf einzelne Berufs- und Wirtschaftsgruppen bezogene holistische Gruppen-InstinktSicht ist heftig kritisiert worden.784 Auf die holistische Perspektive ist Veblens ablehnende Haltung gegenber dem methodologischen Individualismus zurckzufhren. Commons stellt fest, dass die klassische und neoklassische Wirtschaftstheorie Gter und Personen als Elementareinheiten des Wirtschaftes betrachten, ohne auf Eigentumsverhltnisse einzugehen. So bleibt in neoklassischen Modellen die Effizienz des Wirtschaftens von der Verteilung der Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln auf die wirtschaftenden Akteure unberhrt. Lediglich bei der Verteilung der Produktionsergebnisse wird die Frage, wem die Produktionsfaktoren gehren, relevant. Commons nimmt, was die Frage nach dem Letztelement des Wirtschaftens angeht, gegenber der Neoklassik eine grundstzlich andere Position ein. Fr ihn sind nicht mehr Gter und Personen die Elementareinheiten des Wirtschaftens, sondern die bertragung des Eigentumsrechts (property rights) an Gtern (physischen Sachen) von einer Person auf eine andere Person betrachtet er als Letztelement des Wirtschaftens. Diese rechtliche bertragung des Eigentums und das Recht, Vertrge abzuschlieen, nennt Commons Transaktion. [] transactions are, not the exchange of commodities but the alienation and acquisition, between individuals, of the rights of property and liberty created by society, which must therefore be negotiated between the parties concerned before labor can produce, or consumers can consume, or commodities be phys779 780 781 782 783 784

Vgl. Hutchison (1984) S. 20-29. Vgl. Schumpeter (1926) S. 337-388, insbesondere S. 355. Vgl. Veblen (1897/98) S. 373-397. Vgl. Schumpeter (2006) S. 979. Vgl. Veblen (1934) S. 191. Vgl. Schneider (2001) S. 476.

338

Der Alte Institutionalismus

9.1

ically exchanged.785 Damit hat Commons die Zentralkategorie der Neuen Institutionenkonomik bestimmt. Commons unterscheidet bargaining transactions von managerial transactions und diese von rationing transactions.786 Unter bargaining transactions ist die Eigentumsbertragung auf Mrkten von Sachen und Diensten durch Vertragsabschluss (Kauf-, Arbeitsvertrge usw.) rechtlich gleichgestellter Personen zu verstehen. Managerial transactions liegen vor, wenn in hierarchischen Organisationen bergeordnete Instanzen Anweisungen zur Produktion von Sachen oder Diensten an untergeordnete Stellen geben, wobei nach Durchfhrung der Anweisungen Eigentum an den neuen Sachen und Diensten entsteht. Rationing transactions sind Befehle rechtlich bergeordneter, die Vorteile und Nachteile den rechtlich Untergeordneten zuteilen (z.B. Verpflichtung, Steuer zu zahlen; Recht, Subventionen zu erhalten). Diese drei Transaktionstypen fasst Commons in sein Konzept des going concern zusammen. Er selbst bersetzt going concern mit gutgehendes Geschft ins Deutsche.787 An dem Begriff going concern bindet Commons seine Vorstellung von Institution. Damit will er verdeutlichen, dass Institutionen nicht einfach passive Gruppen sind, sondern Aktivitt ihr Kennzeichen ist. Kollektives Handeln, das der Kontrolle individuellen Handelns dient, bezeichnet Commons als Institution.788 Die Spannweite der Institutionen reicht von der unorganisierten Gewohnheit (unorganized Custom) bis zu durchorganisierten Unternehmen (organized Going Concerns). Zu den Institutionen zhlt Commons: die Familie, die Aktiengesellschaft, die HoldingGesellschaft, die Berufsvereinigung, die Gewerkschaft, das Zentralbanksystem, die Gruppe der an einem Unternehmen Beteiligten, den Staat.789 Auf die individuelle Transaktion und ihre Kontrolle durch kollektives Handeln hat die politische konomie nach Commons ihre theoretischen Bemhungen zu konzentrieren.790 Commons verdeutlicht, dass die Harmonievorstellung, die sich hinter klassischen und neoklassischen Theorien verbirgt, zu ersetzen ist durch die Annahme, dass konomische Prozesse durch Interessenkonflikte ausgezeichnet sind. So arbeiten Menschen nach seiner Ansicht nicht zusammen, weil sie von Beginn an die gleichen Interessen haben, sondern sie fhren durch bewusste Entscheidungen einen neuen Interessenausgleich unter denjenigen herbei, die zusammenarbeiten wollen. Unternehmen und Mrkte sind daher endogen instabil. Durch Etablierung einer Wirtschaftsverfassung und umfassende, die Wirtschaft reglementierende, wirtschaftspolitische Manahmen kann der Versuch unternommen werden, stabilisierend auf die Wirtschaft einzuwirken.

785 786 787 788

Commons (1931) S. 652, sowie Commons (1934) S. 58 und S. 64. Vgl. Commons (1934) S. 58-68. Vgl. Commons (1934) S. 69. Funote 102. We may define an institution as Collective Action in Control of Individual Action. Commons (1934) S. 69 sowie Commons (1931) S. 648. 789 Vgl. Commons (1934) S. 69. Zum Folgenden, vgl. Ebenda. S. 70. 790 Vgl. Commons (1934) S. 6 und S. 57.

339

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

9.2

Der Begriff Institution

Wie die obigen Ausfhrungen verdeutlichen und wie zu erwarten war, wird der Begriff Institution, obwohl er namensgebend fr die Neue Institutionenkonomik ist und darber hinaus eine hervorragende Stellung in den Sozialwissenschaften einnimmt, mehrdeutig und mit unterschiedlichem Inhalt benutzt. Er bezeichnet einerseits Regelsysteme (Verhaltensnormen, normative Prinzipien, kulturelle Einrichtungen) und andererseits organisiertes Handeln von Personen (Handlungssysteme, kollektive Handlungseinheiten).791 Zustzliche Begriffsverwirrung ist festzustellen, wenn das Verhltnis der Begriffe Ordnung, Organisation und Institution betrachtet wird. Einige Autoren benutzen den Begriff Institution als Oberbegriff, unter dem sie die Begriffe Ordnung (verstanden als Regelsystem) und Organisation (verstanden als Handlungssystem) zusammenfassen. 792 Fr andere besteht eine Ordnung aus mehreren Institutionen. Entsprechend diesem Verstndnis wird der Ordnungsbegriff als Oberbegriff eingesetzt, um ein institutionelles Arrangement zu beschreiben.793 In dem zuletzt genannten Sinn hat auch Schmoller die Begriffe Ordnung und Institution verwandt. Er versteht, auf den Punkt gebracht, unter Institution ein zweckdienliches System von Verhaltensregeln.794 Da Schmoller Institution als partielle Ordnung des Gemeinschaftslebens begreift, setzt sich soziale Ordnung fr ihn aus mehreren Institutionen zusammen. Von diesen, abstrakten, zunchst inhaltsleeren Gefen fr das menschliche Handeln ist die persnliche Seite der Institution zu unterscheiden. Sie entsteht durch soziale Organbildung, durch die Personen und Gter fr bestimmte Zwecke dauerhaft miteinander verknpft werden. Die Verknpfung von Personen und Gtern geschieht durch Handlungen. Soziale Organe setzen sich aus konkreten Handlungen zusammen. Sie sind mit Organisationen gleichzusetzen.795 Organisationen bestehen aus konkreten, an Verhaltensregeln orientierten Handlungen. Folgt man dieser Interpretation der Aussagen Schmollers, sind Organisationen Handlungssysteme, Institutionen Regelsysteme und Ordnungen mehrere Institutionen, die Handlungssysteme hervorbringen. Institutionen, verstanden als Verhaltensregeln oder Verhaltensnormen, bilden nicht nur ein Gef fr menschliches Handeln, sondern sie informieren insbesondere ber
791 Auf diese Doppeldeutigkeit macht Etzioni aufmerksam, vgl. Etzioni (1967) S. 13. Auf die

792 793 794 795

Erklrungsprobleme, die mit der doppeldeutigen Verwendung des Institutionsbegriffs verbunden sind, geht Vanberg ausfhrlich ein, vgl. Vanberg (1982) S. 32 ff. Vanberg unterscheidet organisierte soziale Kollektive (kollektive Handlungseinheiten, korporative Gebilde, gemeinsames oder organisiertes Handeln von Individuen) von einem Komplex normativer Regelungen [] etwa Recht, Eigentum oder Geld, vgl. Vanberg (1983) S. 55 ff. Dieter Scheider ist hierfr ein Beispiel, vgl. Schneider (1993) S. 22. Vgl. Theurl (1999) S. 152. Vgl. Schmoller (1923) S. 62., zum Folgenden, vgl. ebenda. Der Organbegriff, darauf weist Schmoller implizit selbst hin, kann durch den Organisationsbegriff ersetzt werden, vgl. Schmoller (1923) S. 63.

340

Der Begriff Institution

9.2

eigene Handlungsmglichkeiten und darber, wie andere Personen wahrscheinlich handeln werden. John Rawls erklrt: Unter einer Institution verstehe ich nun ein ffentliches Regelsystem, das mter und Positionen bestimmt mit ihren Rechten und Pflichten, Machtbefugnissen und Schutzzonen u.. Nach diesen Regeln sind bestimmte Handlungsformen erlaubt, andere verboten.796 Die Verhaltensregeln sind mit positiven und negativen Sanktionen gekoppelt. Denn fr den bertretungsfall sehen sie [die Regeln M.B.] bestimmte Strafen, Gegenmanahmen usw. vor.797 Institutionen bieten somit Anreize (Motive), in einer bestimmten Art und Weise zu handeln. Durch die Etablierung sozial sanktionierter Institutionen wird sichergestellt, dass nicht nur Erwartungen ber eigene Handlungsmglichkeiten und Handlungsfolgen gebildet werden knnen, sondern auch Erwartungen ber die Erwartungen und das Verhalten anderer Personen. Institutionen gewhrleisten auch, dass Erwartungen nicht stndig enttuscht werden, und gewhrleisten, dass morgen das menschliche Verhalten nicht ganz anders abluft als heute. Sie stabilisieren Verhalten. Besonders dann, wenn eine gemeinsame Leistung durch Zusammenarbeit mehrerer Personen erbracht werden soll, ist Verhaltensstabilitt der beteiligten Personen wichtig, damit der eine sich auf den anderen verlassen kann. Institutionen, die Erwartungsbildung in diese Richtung begnstigen, sind Regeln der Sprache, Regeln bezglich des Umgangs mit Geld, Rechtsregeln, sittliche und moralische Normen sowie Regeln bezglich vertraglicher Vereinbarungen. Wenn man den Institutionenbegriff auf die Realisation der durch ein Regelsystem beschreibbaren Handlungsformen bezieht,798 d. h. mit dem weiter oben entwickelten Organisationsbegriff gleichsetzt, sind Institutionen, nach Einschtzung der einschlgigen Literatur, vorhersehbare, nach einem bestimmten Muster geordnete Handlungsablufe.799 Hayek hat diese Handlungsmuster als Handelnsordnung bezeichnet und von Verhaltensregeln unterschieden.800 In der Hayekschen Analyse kommen auer Regelsystem und Handelnsordnung noch Ordnungselemente (Individuen) und Verhaltensumstnde zur Anwendung. Bei gegebenen Verhaltensumstnden lenken Systeme von Verhaltensregeln das Verhalten der Ordnungselemente und knnen auch eine Handelnsordnung erzeugen.801 Zwar sieht Hayek generell einen Zusammenhang zwischen Verhaltensregeln und regelmigem individuellen Verhalten, was in dem folgenden Zitat zum Ausdruck kommt: Eine Gesellschaft von Tieren oder Menschen ist immer eine Anzahl von Individuen, die solche allgemeinen Regeln des Verhaltens befolgen, die unter den Umstnden, unter denen sie leben, eine Handelnsordnung
796 Rawls (1979) S. 74. 797 Rawls (1979) S. 75. 798 Eine Institution kann man sich auf zweierleiweise vorstellen: einmal als abstrakten Gegen-

stand, d.h. als mgliche Verhaltensform, die durch ein Regelsystem beschrieben wird; zweitens als die Verwirklichung dieses Verhaltens durch bestimmte Menschen in Gedanken und Handlungen zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Rawls (1979) S. 75. 799 Vgl. statt anderer, Theurl (1999) S. 152. 800 Vgl. von Hayek (1994) S. 145. 801 Vgl. von Hayek (1994) S. 32-47.

341

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

hervorbringen.802 Fr ihn sind allerdings auch die zwei folgenden Extremflle zumindest denkbar: eine Handelnsordnung bei vollkommener Unregelmigkeit des Verhaltens der Ordnungselemente. Das knnte z.B. der Fall sein, wenn die Gesamtordnung durch eine zentrale Behrde hervorgebracht wrde, indem diese jede einzelne Handlung befiehlt und indem sie die Individuen, die eine Handlung zu einem gegebenen Zeitpunkt auszufhren haben, nach dem Zufallsprinzip auswhlt [...].803 ein regelmiges Verhalten der Ordnungselemente, das nicht zu einer Handelnsordnung fhrt. Diesen Sachverhalt veranschaulicht Hayek mit dem zweiten Gesetz der Thermodynamik, dem Entropiegesetz.804

Im weiteren Verlauf der Ausfhrungen wird der Institutionenbegriff fr die Bezeichnung sanktionsgesttzter Verhaltensregeln reserviert, der Ordnungsbegriff fr eine Mehrzahl von Institutionen. Der Organisationsbegriff wird verwandt, wenn es um Handlungs- bzw. Entscheidungssysteme geht. Mit einem lngeren Zitat sei der hier verwandte Institutionen- und Regelbegriff verdeutlicht. Institutionen knnen definiert werden als eine Gruppe von Arbeits- oder Verfahrensregeln, die festlegen, wer berechtigt ist, Entscheidungen auf einer bestimmten Ebene zu treffen, welche Handlungen erlaubt oder verboten sind, welche Aggregationsregeln zu verwenden, welche Prozeduren einzuhalten, welche Informationen bereitzuhalten und welche Auszahlungen den Individuen entsprechend ihren Handlungen zuzuteilen sind []. Alle diese Regeln enthalten Vorschriften, die eine Handlung oder Ergebnis gebieten, verbieten oder erlauben. Arbeitsregeln sind also jene Regeln, die faktisch benutzt, berwacht und durchgesetzt werden, wenn die Individuen sich fr bestimmte Handlungen entscheiden []. Durchgesetzt werden knnen sie von anderen unmittelbar Beteiligten, von eigens dazu Bevollmchtigten, externen Vollstreckern oder irgendeiner Kombination dieser Vollstrecker. Von einer Regel sollte man nur dann sprechen, wenn die meisten Personen, deren Strategien von ihr betroffen sind, von ihrer Existenz wissen und damit rechnen, da die anderen ihre Einhaltung berwachen und Verste sanktionieren. Mit anderen Worten, Arbeitsregeln gehren zum gemeinsamen Wissen und werden berwacht und durchgesetzt. Gemeinsames Wissen impliziert, da jeder Teilnehmer die Regeln kennt und wei, da die anderen die Regeln kennen und auch sie wissen, da alle anderen die Regeln kennen. [] All diese Regeln sind in ein anderes Regelsystem eingebettet, in dem festgelegt ist, wie das erste Regelsystem modifiziert werden kann. Diese Einbettung von Regeln in andere Regeln auf mehreren Ebenen hnelt der hierarchischen Einbettung einer Serie von Computersprachen auf mehreren Ebenen. Was auf einer Ebene gemacht werden kann, hngt ab von den Mglichkeiten und Grenzen der Soft-

802 Hayek (1994) S. 145. 803 Hayek (1994) S. 147. 804 Vgl. Hayek (1994) S. 145. Das Entropiegesetz wird in Abschnitt 10.1.3. noch ausfhrlich be-

schrieben.

342

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

9.3

ware(regeln) auf dieser Ebene, von den Softwareregeln auf einer tieferen Ebene und von der Hardware [].805 Bevor im nchsten Abschnitt auf die grundlegenden Annahmen der Neuen Institutionenkonomik eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass die Relevanz institutionenkonomischer Betrachtungen neuerdings (im Jahr 2009) durch die Vergabe von Wirtschaftsnobelpreisen an Elinor Ostrom und Oliver E. Williamson hervorgehoben wurde, die sich in ihren Arbeiten mit dem Einfluss von Regelsystemen auf individuelles Verhalten auseinandersetzen.806 Ihre Forschungen haben hnlichkeiten mit spieltheoretischen Untersuchungen, insbesondere mit einer Ausprgung der Spieltheorie: der Theorie des mechanism design, denn die Theorie des mechanism design behandelt die Frage, wie in einem Spiel die Spielregeln gestaltet werden mssen, um ein gewnschtes Spielergebnis bzw. Verhalten der Spielteilnehmer zu erzielen. Die zu etablierenden Regeln werden als Mechanismen bezeichnet, und es wird nach ihrem Design gesucht, um z.B. eine optimale Mischung von Kooperation und Wettbewerb (coopetition) bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen Geschftspartnern zu ermitteln.807

9.3

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

Genau wie die verhaltenswissenschaftliche Variante der Entscheidungstheorie unterstellen weite Teile der Neuen Institutionenkonomik unvollkommen informierte und begrenzt rational handelnde Akteure, die keine eindeutigen und stabilen Prferenzen besitzen und darber hinaus mit einer ungleichen Verteilung von Informationen auf die Akteure zu rechnen haben.808 Mit diesen Annahmen wird die neoklassische Welt verlassen. Da Wirtschaftssubjekte nicht mehr umfassend ber mgliche
805 Ostrom (1999) S. 66 f. 806 Elinor Ostrom (geb. 1933) ist die erste Frau, die den Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften

erhielt. Eine bekannte Verffentlichung von ihr ist: Die Verfassung der Allmende, vgl. Ostrom (1999). Die Ergebnisse der Forschungen von Oliver E. Williamson (geb. 1932) sind u.a. in seinen Bchern Die konomischen Institutionen des Kapitalismus, vgl. Williamson (1990) und Markets and Hierarchies, vgl. Williamson (1975) niedergeschrieben. Vordem hatte Ronald H. Coase fr seine Forschungen ber Transaktionskosten 1991 den Nobelpreis bekommen, und zwei Jahre spter war es mit Douglas C. North wieder ein Vertreter der Neuen Institutionenkonomik, der zusammen mit Robert W. Fogel mit dem Nobelpreis geehrt wurde. North nutzt die Neue Institutionenkonomik zur Beschreibung und Erklrung der Etablierung und Entwicklung historisch vorfindbarer Institutionen, vgl. North (1978). 807 Fr ihre Arbeiten auf diesem Gebiet wurden Leonid Hurwicz, Eric S. Maskin und Roger B. Myerson 2007 mit dem Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Ihre Forschungsergebnisse kann man nachlesen bei Hurwicz (1960), Maskin (1999) und Myerson (1991). 808 Einen berblick ber die Neue Institutionenkonomik liefern Richter/Furubotn (2003).

343

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Tauschpartner informiert sind, auch das Verhalten der Tauschpartner nicht mehr vollkommen vorausgesehen werden kann und die Tauschpartner mit unterschiedlichem Wissen ausgestattet sind, entstehen Kosten im Zusammenhang mit der physikalischen und rechtlichen bertragung von Gtern und Leistungen.809 konomische Transaktionen in Form der physikalischen und rechtlichen bertragung von Gtern und Leistungen sind eine unabdingbare Begleiterscheinung einer arbeitsteiligen, spezialisierten Wirtschaft. Die Kosten, die mit Transaktionen verbunden sind, werden Transaktionskosten genannt. Mit der Annahme positiver Transaktionskosten unterscheiden sich die Modellvorstellungen vom Wirtschaften, wie sie die Neue Institutionenkonomik entwickelt, grundstzlich von neoklassischen Modellen, die Transaktionskosten von null unterstellen. Die Modelle des Transaktionskostenansatzes veranschaulichen diese Unterschiede und die wirtschaftlichen Folgen positiver Transaktionskosten. Hierauf wird in Abschnitt 9.4 nher eingegangen. In engem Zusammenhang mit positiven Transaktionskosten stehen Eigentumsrechte (Verfgungsrechte ber Sachen und Dienste) und Rechte, Vertrge abzuschlieen. In neoklassischen Modellen spielt es unter Effizienzgesichtspunkten keine Rolle, ob die Produktionsmittel sich im Eigentum des Produzenten befinden oder ob er sie zum Beispiel mietet. Einen Markt fr Eigentumsrechte an Produktionsmitteln, der sich neben den Gtermrkten etabliert, kennt die Neoklassik nicht. Mit dieser Sichtweise verbunden ist die Konzentration der neoklassischen Wirtschaftsanalysen auf Leistungen der Produktionsfaktoren, die sie whrend eines bestimmten Zeitraums erbringen, whrend die (Anfangs-)Bestnde an Produktionsmitteln, mit denen Wirtschaftssubjekte ausgestattet sind, unbercksichtigt bleiben. Sie werden als exogen vorgegebene Daten behandelt. Analoges gilt fr den Bereich der Konsumtion. Der unmittelbare Verbrauch von Konsumgtern geht in neoklassische Analysen ein. Vorrte an Konsumgtern spielen analytisch nur dann eine Rolle, wenn sie in der Betrachtungsperiode verbraucht werden. Neben der Behandlung von Gterbestnden als exogen vorgegebene Gren, zeichnet sich die neoklassische Modellbildung durch die Unterstellung aus, dass Wirtschaftsakteure Vertrge abschlieen (z.B. Kauf-, Arbeitsvertrge), die alles vollstndig vertraglich regeln, was die betreffende Transaktion betrifft, bevor gehandelt und getauscht wird. Auch nach Abschluss eines Vertrages treten keine Probleme auf, denn es wird unterstellt, dass Vertrge in jedem Fall vollkommen erfllt werden. Von den genannten neoklassischen Vorstellungen distanzieren sich Vertreter der Neuen Institutionenkonomik. Sie heben hervor, dass von der Ausgestaltung der Eigentumsordnung Anreize zum wirtschaftlichen Umgang mit Produktionsmittelbe809 Williamson stellt bei der Definition des Begriffs Transaktion auf die physikalische bergabe

ab. Eine Transaktion findet statt, wenn ein Gut oder eine Leistung ber eine technisch trennbare Schnittstelle hinweg bertragen wird. Eine Ttigkeitsphase wird beendet; eine andere beginnt. Williamson (1990) S. 1. Demgegenber bindet Commons seinen Transaktionsbegriff an die rechtliche bertragung von physikalischen Sachen auf Personen, vgl. Commons (1934) S. 58.

344

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

9.3

stnden und Gtervorrten ausgehen und dass die Verteilung von Eigentumsrechten auf die Wirtschaftssubjekte ihr Verhalten beeinflusst. Da die Neue Institutionenkonomik von unvollkommener Voraussicht und der Existenz externer Effekte ausgeht, ist es weder mglich, Verfgungsrechte vollstndig den einzelnen Wirtschaftssubjekten zuzurechnen, noch kann die Respektierung der Verfgungsrechte vollstndig berwacht werden, noch lassen sich fr die Verfgungsrechte in jedem Fall Marktpreise ermitteln. Als Konsequenz dieser Sachverhalte ist zu erwarten, dass Wirtschaftssubjekte ihre eigenen Interessen gegen die Interessen von Eigentmern durchzusetzen versuchen. Dabei nehmen sie die Schdigung des Eigentmers in Kauf, um eigene Vorteile zu realisieren. Sie verhalten sich opportunistisch. Opportunismus810 tritt nicht nur im Fall unvollstndiger berwachung von Verfgungsrechten auf, vielmehr ist mit opportunistischem Verhalten auch vor und nach Vertragsabschlssen zu rechnen. Mit den Folgen derartiger Verhaltensweisen und Absicherungsmglichkeiten gegen Opportunismus und weiteren Fragen befasst sich die property-rightsTheorie (vgl. Abschnitt 9.5). Mit der neoklassischen Annahme vollkommen informierter Wirtschaftsakteure geht die Vorstellung einher, dass Wirtschaftssubjekte mit gleichem Wissen, Knnen und Fhigkeiten ausgestattet sind. Auch diese Annahme wird von der Neuen Institutionenkonomik nicht bernommen. Sie geht davon aus, dass Wirtschaftssubjekte unterschiedliches Wissen, Knnen und Fhigkeiten aufweisen. Jede konomische Transaktion ist mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Insbesondere wird die Wissensverteilung zwischen Wirtschaftssubjekten relevant, wenn es um Beziehungen geht, in denen die eine Person Auftraggeber (Prinzipal) und die andere Person Beauftragter (Agent) ist. Derartige principal-agent-Beziehungen zeichnen sich durch asymmetrische Informationen aus. Das Adjektiv asymmetrisch wird benutzt, um hervorzuheben, dass der Agent im Allgemeinen mehr ber seine konkreten Handlungsumstnde und mglichkeiten wei als der Prinzipal. Dieser Sachverhalt hat Konsequenzen, die von der principal-agent-Theorie behandelt werden (vgl. Abschnitt 9.6). Whrend die Neue Institutionenkonomik die Bedingungen, unter denen sie ihre Forschungen durchfhrt, von vollkommener auf unvollkommene Information, von vollstndiger individueller Rationalitt auf begrenzte Rationalitt, von eindeutigen und stabilen Prferenzen auf nicht eindeutige und wechselnde Prferenzen und von gleicher auf ungleiche Wissensverteilung umstellt, behlt sie die Annahme des eigenntzigen Verhaltens der wirtschaftenden Akteure bei. In dieser Hinsicht entfernt sie sich nicht von der neoklassischen und klassischen konomik. Institutionen entstehen, verndern sich oder bleiben bestehen, wenn fr alle Beteiligten hierdurch ein hheres Nutzenniveau erreicht wird, als es ohne die Existenz von Institutionen der Fall wre. Vorteile fr alle Beteiligten knnen durch Institutionen entstehen, indem Handlungen
810 Williamson verdeutlicht den Unterschied zwischen der schlichten Verfolgung von Eigenin-

teresse und opportunistischem Verhalten und zeigt, dass Opportunismus, gepaart mit begrenzter Rationalitt, zu schwerwiegenden Vertragsproblemen fhrt, vgl. Williamson (1990) S. 73 ff.

345

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

der Beteiligten aufeinander abgestimmt und gewnschte Handlungen sowie Regeleinhaltung motiviert werden. Auf die Unterscheidung von spontan entstehenden und bewusst gemachten Institutionen bzw. Ordnungen ist an anderen Stellen insbesondere in Abschnitt 4.2.3.2 aufmerksam gemacht worden.811 Auch die Neue Institutionenkonomik greift auf diese Standardunterscheidung zurck. Williamson spricht von spontaner und intendierter Herrschaft,812 die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie von formaler und informaler Organisation.813 Soweit spontane und gemachte Ordnungen thematisiert werden und es um Fragen der spontanen Herrschaft bzw. der Selbstorganisation geht, wird auf die grundlegenden Gedanken, die Hayek hierzu angestellt hat, zurckgegriffen. Von Hayek nennt eine durch die ordnende Ttigkeit eines ordnenden Wesens (einen Planer) geschaffene Ordnung Taxis (oder Organisation).814 Diese Ordnungsform ist fr von Hayek von untergeordnetem Interesse, denn es ist fr ihn eine Ordnung, die wir alle verstehen, weil wir wissen, wie sie hergestellt wird.815 Seine besondere Aufmerksamkeit richtet er auf eine Ordnung, die nicht von irgendjemand gemacht wird, sondern die sich spontan [] polyzentrisch bildet.816 Er bezeichnet sie als Kosmos817 oder bezogen auf eine vom Markt erzeugte Ordnung als Katallaxie.818 Eine polyzentrische Ordnung zeichnet sich dadurch aus, dass die gesonderten Reaktionen der einzelnen Elemente auf die besonderen Umstnde, die auf jedes wirken, hnlichen Regeln folgen.819 Die meisten Regeln sind denjenigen, die sie befolgen, gar nicht bekannt. Als Beispiele spontaner Ordnungen nennt von Hayek: Sprache, Schrift, Recht, Moral, Geld, den biologischen Organismus, und als Musterbeispiel einer spontanen Ordnung hebt er den Markt hervor.820 Von Hayek stellt zwei Unterschiede von Kosmos und Taxis heraus. Der Kosmos hat, da er nicht bewusst vom Menschen geschaffen wurde, keinen Zweck.821 und da sie [die spontane Ordnung M.B.] nicht zweckgebunden ist, kann sie zur Erreichung sehr vieler verschiedener, voneinander abweichender, ja widerstreitender Ziele genutzt werden. Speziell die marktwirtschaftliche Ordnung

811 Schmoller erfasst diesen Unterschied mit den Begriffen gewordene und gewillkrte 812 Vgl. Williamson (1991) S. 159-187. 813 Die Entdeckung der informalen Seite der Organisation geht auf die so genannten Hawthorne814 815 816 817 818 819 820 821

Organe, vgl. Schmoller (1923) S. 62.

Experimente zurck, vgl. Abschnitt 8.3.2.3. Vgl. von Hayek (1994) S. 208 und S. 32 f. Von Hayek (1994) S. 34. Vgl. von Hayek (1994) S. 35. Vgl. von Hayek (1994) S. 208. Vgl. von Hayek (1994) S. 118. Vgl. von Hayek (1994) S. 38 f. Vgl. von Hayek (1994) S. 36 f. Von Hayek (1994) S. 208.

346

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

9.3

beruht nicht auf irgendwelchen gemeinsamen Zielsetzungen, sondern auf Reziprozitt, d.h. auf dem Ausgleich verschiedener Interessen zum wechselseitigen Vorteil der Teilnehmer.822 Gegenber dem Kosmos setzt jede Taxis (Anordnung, Organisation) ein bestimmtes Ziel voraus.823 Um eine Organisation zu bilden, ist eine Einigung ber eine gemeinsame Hierarchie von Zielen notwendig.824 Spontane Ordnungen beruhen auf abstrakten Verhaltensregeln, Organisationen auf konkreten Befehlen.825

Spontane Ordnungen sind aufgrund ihrer Komplexitt undurchschaubar und unberechenbar und von einer Instanz aus nicht zu steuern. Die Macht der Lenkung [ist M.B] auf die abstrakten Zge beschrnkt [] und [kann M.B.] sich nicht auf die konkreten Manifestationen dieser Ordnung erstrecken.826 Gerade weil spontane Ordnungen undurchschaubar sind und die Regeln, nach denen die Akteure handeln, ihnen weitgehend unbekannt sind, kommen durch das Zusammenwirken der Beteiligten Ergebnisse zustande, die unvoraussagbar und im Ganzen verschieden von jenen sind, die irgendjemand bewusst htte anstreben knnen.827 Spontane Ordnungen, so kann man die von Hayek bezglich des Wettbewerbs gemachten Aussagen verallgemeinern, dienen zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne ihr Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden wrden.828 Die Aussagen von Hayeks schrfen den Blick einerseits fr die Grenzen des bewusst Machbaren und die begrenzten Mglichkeiten, Institutionen einzusetzen, um bestimmte Ergebnisse zu erzeugen. Andererseits zeigen sie, dass spontane Ordnungen dazu dienen, Wissen zu generieren und Wissen, das keinem Einzelnen in seiner Gesamtheit zur Verfgung steht, zu nutzen. Neben der Unterscheidung von spontan sich entwickelnden Regelsystemen und bewusst gesetzten Regelsystemen unterscheidet die Neue Institutionenkonomik zwischen sich selbst erhaltenden Institutionen und berwachungsbedrftigen Institutionen.829 Sich selbst erhaltende Institutionen zeichnen sich dadurch aus, dass die Nichtbeachtung der institutionalisierten Regeln fr alle Beteiligten individuelle Nachteile zur Folge hat und es fr keinen der Beteiligten vorteilhaft ist, die institutionalisierten Regeln nicht zu befolgen. Daher mssen diese Institutionen nicht berwacht werden. Als Beispiele fr solche sich selbst erhaltenden Normen werden u.a. Sprachregeln und grundlegende Regeln des Straenverkehrs genannt. Eine zentrale Regel zur Koordination der Fahrten der Verkehrsteilnehmer ist das Rechtsfahrgebot bzw.
822 823 824 825

826 827 828 829

Von Hayek (1994) S. 111. Von Hayek (1994) S. 209. vgl. von Hayek (1994) S. 211. vgl. von Hayek (1994) S. 187. Mit den Begriffen Nomos und Thesis handelt von Hayek die unterschiedlichen Verhaltensregeln ab, die Kosmos bzw. Taxis begrnden, vgl. von Hayek (1994) S. 211 ff. Vgl. von Hayek (1994) S. 33. Von Hayek (1994) S. 38. Von Hayek (1994) S. 247. Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003) S. 39.

347

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

das Linksfahrgebot. Ist entweder die eine oder die andere Regel etabliert, ist es fr jeden Straenverkehrsteilnehmer von Vorteil, sich an das entsprechende Fahrgebot zu halten. Jeder Verkehrsteilnehmer wei, auf welcher Straenseite er fahren muss und auf welcher Straenseite alle anderen Verkehrsteilnehmer fahren, ohne dass er sich mit ihnen, bevor er die Strae benutzt, ber die zu befahrende Straenseite (neu) verstndigen msste. Verkehrsunflle und damit einhergehende Kosten werden bei Regelbefolgung fr jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer vermieden. Die Beteiligten knnen generell erwarten, dass das entsprechende Fahrgebot eingehalten wird, da sie davon ausgehen knnen, dass es bezglich der Fahrgebotsregel keine Interessenkonflikte der Beteiligten gibt und darber hinaus bei Regelbefolgung das gemeinsame Interesse (sicherer Straenverkehr) und die individuellen Interessen (Kostenvermeidung) gefrdert werden. Die Inanspruchnahme der Vorteile einer institutionellen Vorkehrung setzt natrlich ihre Einrichtung voraus. Sie ist nur dadurch zu erreichen, dass die Beteiligten sich gegenseitig informieren, indem sie miteinander kommunizieren. Damit steht man bei der Einrichtung auch einer sich selbst erhaltenden Institution (nicht bei ihrer Erhaltung) vor dem in Abschnitt 4.2.3.1 ausfhrlich diskutierten Problem des Gefangenendilemmas. Institutionen mssen immer dann berwacht werden, wenn jeder der Beteiligten die Mglichkeit hat, individuelle Vorteile durch das Nichtbefolgen der Regeln zu realisieren und dieses Verhalten dazu fhrt, dass das gemeinsame Interesse an einer Zusammenarbeit systematisch verfehlt wird bzw. eine Kooperation gar nicht zustande kommt. Solche Situationen sind dadurch ausgezeichnet, dass individuell rationales Verhalten und Systemrationalitt auseinanderfallen. In Abschnitt 4.2.3.1 ist diese Konstellation mit dem Gefangenendilemma beschrieben worden. Es wurde verdeutlicht, dass der einzige Ausweg fr die Beteiligten, die ein gemeinsames Interesse an den Vorteilen einer Institution haben, darin besteht, dass ein Mechanismus installiert wird, der gewhrleistet, dass Regelbefolgung fr den Einzelnen zu individuellen Vorteilen fhrt bzw. Regelverletzung derart sanktioniert wird, dass sie sich fr den Einzelnen nicht mehr lohnt. Es muss ein Mechanismus (oder eine Instanz) eingefhrt werden, der das Verhalten der Beteiligten berwacht und zu regelkonformem Verhalten motiviert, indem Regelverletzer mit Strafen zu rechnen haben, die aus individueller Sicht derart hoch sind, dass Regelbefolgung zur individuellen nutzenmaximierenden Strategie wird. In arbeitsteiligen Wirtschaften knnen die wirtschaftlichen Handlungen der Akteure ber Markt, Hierarchie (Unternehmen, Organisation) oder Kooperationen (hybride Organisationsformen) koordiniert und motiviert werden. Dabei ist zu beobachten, dass Unternehmen versuchen, Risiken bezglich Qualitt, Quantitt und technischen Vernderungen zu reduzieren, indem sie die Anzahl ihrer Transaktionspartner verringern und mit den verbleibenden Lieferanten und Kunden langfristige Vertrge abschlieen, in die hierarchische Elemente eingebaut sind. Andererseits werden Unternehmensbereiche aus Unternehmen ausgegliedert (Outsourcing), und ber Kooperationsvereinbarungen wird die Zusammenarbeit mit den ausgegliederten Un-

348

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

9.3

ternehmensteilen abgesichert. Kooperative Organisationsformen gewinnen derzeit an Bedeutung, weil sowohl marktliche als auch hierarchische Transaktionen transformiert werden.830 Unternehmenskooperationen werden mit Effizienzsteigerung, Machtsteigerung, Wertschaffung, Zugang zu komplementren Kernkompetenzen, Minimierung von Organisationskosten, Realisierung komplexer Problemlsungen begrndet.831 Nachdem die Entscheidung fr Kooperation gefallen ist, geht es um ihre Institutionalisierung. Abhngig davon, ob primr Umweltunsicherheit oder Verhaltensunsicherheit reduziert werden soll, konkretisiert sich die Kooperation in einer marktnahen oder hierarchienahen Form der Kooperation. Marktnahe Kooperationsformen tragen der Notwendigkeit der flexiblen Anpassung an sich ndernde Umweltbedingungen Rechnung. Hierarchienahe Formen der Kooperation zielen auf die Stabilisierung der Innenbeziehungen einer Kooperation durch die Einrichtung formeller und informeller institutioneller Arrangements, die Anreize fr kooperatives Verhalten beinhalten.832 Kooperationen unterscheiden sich nicht nur durch die konkrete Ausgestaltung und Kombination marktnaher und hierarchienaher Institutionen, sondern auch durch den Grad ihrer Institutionalisierung. Er reicht von formlosen Vereinbarungen ber schriftlich ausgearbeitete Vertrge, die je nach Ausgestaltung833 den Institutionalisierungsgrad festlegen. Der Einbau von Kapitalbeteiligung in Vertrge erhht den Institutionalisierungsgrad weiter, und er kann darber hinaus, indem die kooperierenden Unternehmen ein gemeinsames, rechtlich selbststndiges Unternehmen in Form der Genossenschaft oder des Joint Venture834 grnden, gesteigert werden. Die obigen Ausfhrungen haben Vertrge als wichtige Institutionen herausgestellt. Sie spielen in den unterschiedlichen Anstzen der Neuen Institutionenkonomik eine herausragende Rolle. Vertrge werden im Hinblick auf ihre Koordinations- und Motivationsfunktion sowie im Hinblick auf die durch sie begrndeten Entscheidungsrechte analysiert. Mit ihren Vertragsanalysen unterscheidet sich die Neue Institutionenkonomik von der neoklassischen konomik, die Vertragsanalysen nicht kennt.

830 Theurl/Schweinsberg (2004) S. 9. Dieser Trend wird mit den Worten Move tot the middle

831 832 833

834

beschrieben, wobei Markt und Hierarchie als zwei uere Extrempunkte auf einer Koordinationsskala und Kooperation als Mitte zwischen Markt und Hierarchie angesiedelt wird. Frher suchte man nach dem dritten Weg. Dazu detailliert Theurl/Schweinsberg (2004) S. 10-19. Zu Einzelheiten und zum Folgenden vgl. Theurl/Schweinsberg (2004) S. 23 ff. So ist ein Kennzeichen von Franchising-Vertrgen ihr ausgeprgter Institutionalisierungsgrad. Der Deutsche Franchise Verband e.V. definiert Franchising wie folgt: Franchising ist ein auf Partnerschaft basierendes Absatzsystem mit dem Ziel der Verkaufsfrderung. Der so genannte Franchise-Geber bernimmt die Planung, Durchfhrung und Kontrolle eines erfolgreichen Betriebstyps. Er erstellt ein unternehmerisches Gesamtkonzept, das von seinen Geschftspartnern, den Franchise-Nehmern, selbststndig an ihrem Standort umgesetzt wird. Beim Joint Venture bringen die selbststndig bleibenden Grndungsunternehmen zumeist nicht nur Kapital in das neue, rechtlich selbststndige Unternehmen ein, sondern auch Betriebsanlagen, Know-how, Schutzrechte usw.

349

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Obwohl der Vertragsbegriff eine zentrale Kategorie darstellt, wird er in der Literatur mehrdeutig verwandt.835 Im Weiteren soll unter Vertrag eine Vereinbarung zwischen Vertragspartnern verstanden werden, die festlegt, wie sie sich zuknftig zu verhalten haben, und vertragswidriges Verhalten mit Sanktionen belegt. Die Neue Institutionenkonomik unterscheidet zwischen drei Vertragstypen: klassischen, neoklassischen und relationalen Vertrgen.836 Klassische Vertrge zeichnen sich durch ihre Zeitpunktorientierung aus. Leistung und Gegenleistung fallen zeitlich zusammen oder werden vergegenwrtigt, indem fr alle mglichen zuknftigen Umweltzustnde ex ante vertragliche Bestimmungen formuliert werden. Je nach objektiv feststellbarem Umweltzustand treten dann die entsprechenden Vertragsteile in Kraft. Klassische Vertrge sind somit vollstndig. Die Vertragserfllung ist objektiv feststellbar und ggf. durch Gerichte erzwingbar. Die Identitt der Vertragspartner spielt keine Rolle, zwischen ihnen werden weder vorausgegangene noch nachfolgende Beziehungen angenommen. Klassische Vertrge beziehen sich in der Regel auf Standardgter und werden fr den kurzfristigen Leistungsaustausch zwischen anonymen Vertragspartnern abgeschlossen, wie dies z.B. beim Kauf von Benzin an einer Autobahntankstelle der Fall ist. Demgegenber sind neoklassische Vertrge zeitraumbezogen. Die Vertragsbeziehung ist zwar zeitlich begrenzt, erstreckt sich aber ber einen lngeren Zeitabschnitt. Dabei ist es oftmals nicht mehr mglich, alle Eventualitten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorherzusehen. Alle Umweltzustnde eindeutig zu regeln, kann zudem sehr teuer oder ineffektiv sein. Neoklassische Vertrge bleiben deshalb teilweise unvollstndig. An die Stelle konkreter Bestimmungen treten Regeln, die dem Vertrag mehr Flexibilitt verleihen. Treten bei ihrer Ausfhrung Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern auf, so kann in diese bilaterale Leistungsbeziehung eine dritte Partei als Schlichter (Sachverstndiger, Schiedsgericht) einbezogen werden. Beispiele fr neoklassische Vertrge sind ein mehrjhriger Beschaffungsvertrag oder ein Mietverhltnis. Auch langfristig angelegte Kooperationen zwischen Unternehmen knnen auf der Basis neoklassischer Vertrge begrndet werden. Relationale Vertrge unterscheiden sich von klassischen und neoklassischen Vertrgen fundamental: Whrend klassische und neoklassische Vertrge auf expliziten, zumeist fixierten Vereinbarungen beruhen, treten im relationalen Vertragsrecht implizite, auf gemeinsamen Werten basierende Vereinbarungen weitgehend (wenn auch nicht vollstndig) an ihre Stelle. Die Identitt der Vertragspartner sowie die gewachsene Qualitt ihrer gegenseitigen Beziehungen spielen eine dominierende Rolle. Die sich im Zeitablauf entwickelnde Leistungsbeziehung, die gemeinsamen Werthaltungen,
835 Vgl. hierzu Richter/Furuboton (2003) S. 165 ff. Die Autoren verweisen auf die unterschiedli836 Vgl. Williamson (1990) S. 77 ff. Williamson beruft sich bei der Einteilung der drei Vertragsty-

che Begriffsverwendung in der Wirtschaftstheorie und Rechtswissenschaft.

pen auf Macneil (1974) und (1978). Den relationalen Vertragstyp nennt Williamson Kooperation.

350

Grundlegende Annahmen der Neuen Institutionenkonomik

9.3

das gegenseitige Vertrauen und die Solidaritt zwischen den Vertragspartnern gewinnen damit berragende Bedeutung fr das Zustandekommen und die vereinbarungsgeme Durchfhrung des relationalen Vertrags. Relationale Vertrge liegen den meisten Arbeitsverhltnissen oder auch besonders intensiven zwischenbetrieblichen Kooperationsvereinbarungen zugrunde. Eine effiziente, die zuknftigen Beziehungen nicht belastende Beilegung von Unstimmigkeiten kann nur durch die Beteiligten selbst erfolgen. Die Einmischung Dritter, seien es Richter oder Schlichter, ist selten hilfreich und in der Regel auch schon deshalb unmglich, weil der Gegenstand relationaler Vertrge meist so spezifisch ist, dass er gegenber Dritten kaum beschreibbar, geschweige denn durch diese verifizierbar ist.837 Da im Konfliktfall eine befriedigende Lsung vor Gericht kaum mglich ist, wird gefordert, dass in relationalen Vertrgen glaubwrdige Selbstverpflichtungen (credible commitments) eingebaut werden sollten. Smtlichen konomischen Transaktionen liegen Vertrge zugrunde. Mrkte, Unternehmen und Kooperationen der Unternehmen knnen als Vertragssysteme begriffen werden. Mrkten lassen sich als System klassischer und neoklassischer Vertrge zwischen wirtschaftlich und rechtlich selbststndigen Akteuren beschreiben. Unternehmen lassen sich als ein System von neoklassischen und relationalen Vertrgen zwischen Einzelpersonen sowie zwischen Einzelpersonen und einem Kollektiv begreifen. Aus vertragstheoretischer Sicht bestehen Kooperationen aus einem System relationaler Vertrge zwischen rechtlich selbststndigen Unternehmen. Die Ausgestaltung von Transaktionen mittels Vertrgen ist ein Untersuchungsgegenstand der Neuen Institutionenkonomik. Neben konomischen Transaktionen beziehen einige Anstze der Neuen Institutionenkonomik smtliche sozialen Transaktionen in ihre konomischen Analysen ein, soweit sie den institutionellen Rahmen, in dem gewirtschaftet wird, begrnden, erhalten und verndern. Damit wird das gesamte soziale Handeln (im Sinne Max Webers) zum Analysegegenstand erklrt. Politische und rechtliche Transaktionen stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses. Nicht nur die Wirtschaftsordnung, sondern auch die Rechtsordnung, politische Ordnung und im Extremfall auch die Gesellschaftsordnung werden nicht mehr als exogene, sondern als endogene Variablen in Wirtschaftsmodelle der Neuen Institutionenkonomik eingebunden. Die zunchst nur auf gesamtwirtschaftliche Fragen ausgerichteten Konzepte der Neuen Institutionenkonomik werden seit geraumer Zeit auch zur Beschreibung einzelwirtschaftlicher Sachverhalte eingesetzt.838 So versteht Dieter Schneider unter Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre die Erforschung und Lehre der Institutionen zur Verringerung von Einkommensunsicherheiten fr einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen innerhalb einer Gesellschaft. Er przisiert den Untersuchungsbereich der Betriebswirtschaftslehre, indem er ihn festlegt auf: Erwerb und Verwen837 Picot/Reichenwald/Wigand (2003) S. 43. 838 Vgl. z. B. Schneider (1993), Neus (1998), Gbel (2002), Picot/Reichwald/Wigand (2003).

351

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

dung von Einkommen unter Unsicherheit und ungleich verteiltem Wissen sowohl beim Handeln einzelner Menschen als auch (sogar vornehmlich) durch die und in den von Menschen geschaffenen Einrichtungen (Institutionen) ihres Zusammenlebens. 839 Die nchsten drei Abschnitte sind den wichtigsten Theorieanstzen der Neuen Institutionenkonomik gewidmet: dem Transaktionskostenansatz, dem propertyrights-Ansatz und dem principal-agent-Ansatz (Agencytheorie). Es gibt in der Literatur unterschiedliche Ansichten darber, in welchem Verhltnis diese Anstze zueinander stehen, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede sie aufweisen.840 Klar ist, dass immer dann, wenn Personen zusammen wirtschaften, Wirtschaften also als ein soziales Phnomen betrachtet wird, die Themen Transaktionen, Verfgungsrechte und Beziehungen zwischen mindestens zwei eigeninteressierten Personen zu behandeln sind. Mit der gerafften und verkrzten Darstellung der Teilanstze der Neuen Institutionenkonomik, die in den folgenden Abschnitten geleistet wird, ist keine detaillierte Beschreibung der Konzepte angestrebt, sondern lediglich eine Skizzierung ihrer Grundzge. Es werden die Unterschiede der genannten Konzepte herausgestellt, wobei die vielfltigen berschneidungen zwischen den Anstzen der Neuen Institutionenkonomik und ihre Gemeinsamkeiten nicht geleugnet werden sollen, die sich u.a. in den gemeinsamen Grundannahmen, die in den vorstehenden Ausfhrungen dargestellt wurden, uern.

9.4

Transaktionskostenansatz

Ronald H. Coase (geb. 1910) gilt als Begrnder des Transaktionskostenansatzes 841 und als derjenige, der damit grundlegende Gedanken der Neuen Institutionenkonomik entwickelt hat. In seinem Aufsatz The Nature of the Firm der im Jahr 1937 verffentlicht wurde, wendet sich Coase gegen die neoklassische Vorstellung, dass der Markt kostenlos funktioniert.842 Die von Coase entwickelten Vorstellungen bleiben von den Fachvertretern zunchst bis zu Beginn der 1970er Jahre weitgehend unbemerkt. Coase behandelt in der zitierten Abhandlung zwei Fragen. Die erste Frage lautet: Wie sind Unternehmen in Marktwirtschaften mglich? Und die zweite Frage problematisiert die (optimale) Unternehmensgre. Die erste Frage ist berechtigt, da es auf den ersten Blick der Markt-Preis-Mechanismus ist, der die Handlungskoordination und -motivation leistet. Warum sind darber hinaus noch Unternehmen ntig, die Handlungen koordinieren und fr Anreize zum Handeln sorgen? Coase stellt fest, dass die Handlungskoordination und -motivation in

839 840 841 842

Schneider (1993) S. 23. Vgl. Gbel (2002) S. 60. Zum Transaktionskostenansatz, vgl.: Coase (1937), Williamson (1975) und Williamson (1990). Zum Folgenden, vgl. Coase (1937) S. 388 ff.

352

Transaktionskostenansatz

9.4

Unternehmen in realen Wirtschaftssystemen ein funktionales quivalent zur Marktkoordination darstellen. Die Funktion des Markt-Preis-Mechanismus bernimmt in Unternehmen die Unternehmensfhrung (entrepreneur-coordinator). Wenn es zwei Koordinations- und Motivationsalternativen gibt, auf welcher Basis erfolgt dann die Entscheidung fr die eine bzw. andere Alternative? Coase erklrt: Unternehmen sind in einer arbeitsteiligen Wirtschaft deshalb mglich, weil es positive Transaktionskosten gibt. Markttransaktionen verursachen Kosten. Kosten mssen von den Tauschpartnern aufgewandt werden, da sie sich ber relevante Preise informieren mssen. Neben den Informationskosten kommen fr jede Markttransaktion noch Verhandlungskosten und Vertragsabschlusskosten hinzu. Sind ausschlielich Markttransaktionen zugelassen, dann muss der Eigentmer eines Produktionsfaktors, wenn er mit einem Eigentmer eines anderen Produktionsfaktors zusammenarbeiten will, eine Serie von kurzfristigen Einzelvertrgen abschlieen. Die Existenz von Unternehmen reduziert die Anzahl dieser Vertrge und verndert darber hinaus ihren Charakter. Vertrge, mit denen Produktionsfaktoren in Unternehmen eingebunden werden, sind dadurch ausgezeichnet, dass vereinbart wird, dass der im Unternehmen beschftigte Produktionsfaktor ein bestimmtes Einkommen (das fest oder variabel sein kann) erhlt und dafr dem Unternehmer das Recht zugebilligt wird, in vertraglich bestimmten Grenzen ber den Einsatz des eingekauften Produktionsfaktors zu disponieren. Um die Versorgung mit Gtern und Dienstleistungen sicherzustellen und um Risiken zu reduzieren, werden wenige langfristige statt vieler kurzfristigen Vertrge abgeschlossen. Dadurch knnen Vertragsabschlusskosten vermieden werden. Je langfristiger die Vertrge angelegt sind, umso grer ist die Unsicherheit bezglich des zuknftigen Verhaltens des Vertragspartners. Verhaltensunsicherheit fhrt dazu, dass langfristige Vertrge generelle Abmachungen enthalten und keine genauen Details festlegen. Die detaillierte Ausgestaltung wird zu einem spteren Zeitpunkt und nicht schon bei Vertragsabschluss vorgenommen. Derartige (neoklassische und relationale) Vertrge, die dem Kufer von Produktionsfaktoren das begrenzte Direktionsrecht zugestehen, zuknftig ber ihren detaillierten Einsatz zu entscheiden, lassen Unternehmen entstehen. Die Letztelemente von Unternehmen sind nach Coase also Vertrge, die die Beziehungen zwischen den Eigentmern der Produktionsfaktoren regeln. Nach Coase werden sich Unternehmen in den Fllen herausbilden, in denen Vertrge von kurzer Dauer unbefriedigend sind.843 Unternehmen sind in Marktwirtschaften mglich, weil Markttransaktionen etwas kosten und weil durch die Einrichtung von Unternehmen Markttransaktionskosten eingespart werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die internen Transaktionen in Unternehmen zu geringeren Kosten fhren, als wenn sie dem Markt berlassen wrden. Mit der Annahme positiver Transaktionskosten unternehmensinterne und externe Transaktionskosten (Markttransaktionskosten) wird die neoklassische Vorstellung
843 Vgl. Coase (1937) S. 392. Dies gilt besonders fr Arbeitsvertrge, weniger fr Kaufvertrge.

353

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

einer Wirtschaft ohne Transaktionskosten verlassen. Transaktionskosten von null lassen sich nur unter den Bedingungen vollkommener Mrkte begrnden, deren wesentliche Eigenschaft vollkommene Voraussicht der Marktteilnehmer ist. Positive Transaktionskosten beruhen auf der allgegenwrtigen Unsicherheit, die das Wirtschaften begleitet. Letztlich ist es die Unsicherheit, die die Mglichkeit von Unternehmen erffnet. It seems improbable that a firm would emerge without the existence of uncertainty, bemerkt Coase.844 Bereits in der Privatwirtschaftslehre Riegers nimmt Unsicherheit und Risiko eine hervorragende Stellung bei der Erklrung von Unternehmen ein. Bei ihm kann man nachlesen: In dem Augenblick, in dem wir zu einer Wirtschaftsform gelangen, die ein risikofreies Wirtschaften zult, hat die Unternehmung aufgehrt zu existieren.845 Nachdem Coase die Frage, wie Unternehmen in Marktwirtschaften mglich sind, theoretisch abgehandelt hat, befasst er sich mit dem Problem der (optimalen) Unternehmensgre. Ein Unternehmen wird grer, wenn es zustzliche Transaktionen in sich aufnimmt, die vordem Markttransaktionen waren und vom Markt-PreisMechanismus koordiniert wurden und nachdem sie Bestandteil des Unternehmens geworden sind, von der Unternehmensleitung koordiniert werden. Ein Unternehmen verkleinert sich, wenn es Transaktionen ausgliedert. Wenn Unternehmen im Vergleich zum Markt in der Lage sind, Transaktionskosten zu reduzieren, stellt sich die Frage, warum nicht die gesamte Produktion einer Wirtschaft von einem groen, alle hierzu notwendigen Transaktionen zusammenfassenden, Unternehmen ausgefhrt wird. Die Antwort, die Coase gibt, lautet: Mit zunehmender Unternehmensgre steigen die Transaktionskosten im Unternehmen, und es wird naturgem ein Punkt erreicht werden, an dem die Transaktionskosten einer zustzlichen Transaktion innerhalb eines Unternehmens gleich den Transaktionskosten sind, die entstehen wrden, wenn die Abwicklung derselben Transaktion dem Markt oder einem anderen Unternehmen berlassen wrde.846 Das Transaktionskostenkonzept von Coase ist u.a. durch Williamson ausgebaut worden. In Anlehnung an Arrow begreift Williamson Transaktionskosten als Betriebskosten des Wirtschaftssystem, die durch Reibungserscheinungen in der Wirtschaftspraxis entstehen und von Produktionskosten streng zu unterscheiden sind.847 Whrend Produktionskosten im Mittelpunkt theoretischer Analysen der neoklassischen konomik stehen, da sie Unternehmen als Produktionsfunktionen begreift, konzentriert sich das Interesse des Transaktionsansatzes auf Vertragsprobleme, da Organisationen im Allgemeinen und Unternehmen im Speziellen als Vertragssysteme betrachtet werden.

844 845 846 847

Coase (1937) S. 392. Rieger (1964) S. 17. Vgl. Coase (1937) S. 395. Vgl. Williamson (1990) S. 21.

354

Transaktionskostenansatz

9.4

Transaktionskosten knnen vor Vertragsabschluss (ex-ante) und/oder nach Vertragsabschluss (ex-post) entstehen.848 Bevor ein Vertrag abgeschossen und eine Transaktion durchgefhrt werden kann, mssen potenzielle Verhandlungs- und Tauschpartner gefunden werden. Es entstehen Suchkosten. Treten die Vertragspartner miteinander in Kontakt, mssen sie sich wechselseitig ber ihre Ansichten, Bedingungen und Prferenzen informieren. Diese Aktivitten begrnden Informationskosten. Weiter ist ber den Inhalt von Vertrgen zu verhandeln, was zu Verhandlungskosten fhrt. Auch die Erstellung eines Vertragsentwurfs und das Treffen von Vereinbarungen sind nicht kostenlos mglich, sondern begrnden Vertragsentwurfs- und Vereinbarungskosten. Darber hinaus entstehen bereits ex-ante-Transaktionskosten durch Aktivitten, mit denen Vereinbarungen abgesichert werden sollen. Diese Kosten nennt Williamson Kosten der Einrichtung und des Betriebs von Beherrschungs- und berwachungssystemen.849 Derartige Transaktionskosten treten nicht nur als ex-ante-Transaktionskosten auf, sondern sind auch eine Form von ex-post-Transaktionskosten. Zu den ex-postTransaktionskosten gehren alle Kosten, die mit der Kontrolle, der Durchsetzung und der Anpassung von Vertrgen und der Regelung von Streitigkeiten in Zusammenhang stehen. Neben den Beherrschungs- und berwachungskosten zhlen hierzu Kosten der Fehlanpassung und des Feilschens, die bei dem Versuch entstehen, Fehlentwicklungen ex-post zu korrigieren, sowie der Aufwand, der betrieben wird, um Zusagen durchzusetzen. Die Entscheidung, einen Vertrag abzuschlieen, orientiert sich an den Transaktionskosten, die damit verbunden sind. Diese Entscheidung ist aus mehreren Grnden problematisch: Einerseits sind ex-ante- und ex-post-Transaktionskosten nur simultan zu ermitteln, da sie sich wechselseitig begrnden, andererseits lassen sich Transaktionskosten nur schwer quantifizieren, da sie nicht unbedingt durch Zahlungen ausgelst werden, also nicht als pagatorische Kosten auftreten. Sie stellen vielmehr Opportunittskosten dar und sind als solche von den subjektiven Wertungen der Vertragspartner abhngig. Darber hinaus bestimmen nicht absolute Transaktionskosten die Entscheidung fr oder gegen eine vertragliche Beziehung, sondern Transaktionskostendifferenzen, die immer in einem Institutionenvergleich veranschlagt werden.850 Grnde fr das Entstehen von Transaktionskosten sind einerseits menschliche Verhaltensweisen (human factors) und andererseits Umweltfaktoren (environmental factors). Das Zusammenwirken von Verhaltensannahmen und Umweltbedingungen systematisiert Williamson im sogenannten organizational failures framework.851 Bezglich des menschlichen Verhaltens geht der Transaktionskostenansatz von begrenzter Rationalitt und Opportunismus aus. Er orientiert sich, wie der verhaltenswis848 Vgl. Williamson (1990) S. 22 ff. 849 Williamson (1990) S. 24. Eine Mglichkeit der Absicherung von Vereinbarungen besteht in

der Errichtung eines Unternehmens, eine andere in der Signalisierung einer glaubwrdigen Selbstverpflichtung. 850 Vgl. Williamson (1990) S. 25. 851 Vgl. Williamson (1975) S. 40. Zum Folgenden, vgl Williamson (1975) S. 20-40.

355

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

senschaftliche Ansatz der Entscheidungstheorie, am Konzept der bounded rationality.852 Simon hat verdeutlicht, dass Menschen zwar beabsichtigen, rational zu handeln, dazu aber nur in begrenztem Umfang fhig sind, da ihnen hierzu die kognitiven Fhigkeiten und die notwendigen Informationen fehlen. Unvollstndige Informationen und damit im Zusammenhang stehende begrenzte Rationalitt sowie die Annahme eigenntziger Akteure machen es notwendig, die Kosten der Planung, Anpassung und berwachung von Transaktionen zu beachten und zu untersuchen, ob die Handlungskoordination effizienter ber Mrkte oder auermarktliche Formen der Organisation zu realisieren ist. Unvollstndige Information bzw. begrenzte Rationalitt und die Eigennutzhypothese machen opportunistisches Verhalten mglich. Opportunismus bedeutet, dass die Akteure skrupellos, unter Missachtung moralischer Werte, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, gnstige Positionen auf Kosten anderer zum eigenen Vorteil ausnutzen. Williamson versteht unter Opportunismus: die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schliet krassere Formen ein, wie Lgen, Stehlen und Betrgen, beschrnkt sich aber keineswegs auf diese. Hufiger bedient sich der Opportunismus raffinierter Formen der Tuschung.853 Mit raffinierten Tuschungen sind Sachverhalte wie vorstzliche Flschung, unvollstndige Weitergabe, Verzerrung und Verschleierung von Informationen gemeint. Mit ihnen soll bewusst in die Irre gefhrt werden. Derartiges opportunistisches Verhalten verstrkt und verfestigt Informationsasymmetrie zwischen den Beteiligten und ist nur beim Vorliegen von Informationsasymmetrie mglich. Durch institutionelle Arrangements kann versucht werden, opportunistisches Verhalten zu begrenzen. Dies verursacht Transaktionskosten. Williamson empfiehlt: Organisiere Transaktionen so, da die begrenzte Rationalitt sparsam eingesetzt wird, die Transaktionen aber gleichzeitig vor den Risiken des Opportunismus geschtzt werden.854 Der Umfang, indem opportunistisches Verhalten ausgelebt werden kann, hngt von den Umweltfaktoren Faktorspezifitt, Unsicherheit und Transaktionshufigkeit ab.855 Faktorspezifitt betrifft die Frage, ob und inwieweit Investitionen zu ttigen sind, um berhaupt eine Transaktion durchfhren zu knnen. Fr andere Transaktionen ist die Investition in eine spezifische Transaktion weitgehend wertlos und/oder nur unter Inkaufnahme von Verlusten verwertbar. Transaktionsspezifische Investitionen werden gettigt, wenn die Identitt der Transaktionsbeteiligten und der Wunsch nach einem

852 Vgl. Abschnitt 8.3.2.2. Williamson unterscheidet zwischen maximierender, begrenzter und

organischer Rationalitt und baut seinen Transaktionskostenansatz auf begrenzter Rationalitt auf, vgl. Williamson (1990) S. 51 ff. Dabei bleibt das von Simon eingefhrte Konzept der befriedigenden Lsung (satisficing) unbercksichtigt. 853 Williamson (1990) S. 54. Vom opportunistischen Verhalten unterscheidet Williamson die schlichte Verfolgung des Eigeninteresses und Gehorsam. 854 Williamson (1990) S. 36. 855 Williamson bezeichnet sie auch als Dimensionen der Transaktion.

356

Transaktionskostenansatz

9.4

lang andauernden Vertragsverhltnis als wichtig erachtet werden. Williamson unterscheidet vier Arten der Faktorspezifitt856: Standortspezifitt: Investitionen in standortgebundene Anlagen, die dazu fhren, dass Produktionsanlagen nur unter Inkaufnahme hoher Verlagerungskosten an einen anderen Standort verbracht werden knnen. Insbesondere wenn Anlagen aufeinander aufbauender Produktionsstufen an einem Standort installiert sind, verharren die Transaktionsbeteiligten fortan, auf Lebensdauer der Objekte, in einer zweiseitigen Tauschbeziehung. Sachkapitalspezifitt: Investitionen in Spezialmaschinen, um die bestehende Produktionskapazitt auszuweiten, damit ein bestimmter Abnehmer beliefert werden kann. Spezifitt des Humankapitals: Investitionen in spezifische Mitarbeiterqualifikationen und learnig by doing. Zweckgebundene Sachwerte: Investitionen, um bestehende Anlagen im Interesse eines bestimmten Kufers zu erweitern. Kommt die Transaktion mit dem Kufer nicht zustande, entstehen berkapazitten.

Mit einer faktorspezifischen Investition ist fr den Investor nur dann ein Nutzen verbunden, wenn die Transaktionsbeziehung, fr die die Investition gettigt wurde, bestehen bleibt. Die Investition bindet den Investor somit an seinen Transaktionspartner. Weil der Investor versucht, die sunk-costs der Investition zu vermeiden, wird ein Wechsel des Transaktionspartners erschwert. Mit der faktorspezifischen Investition hat der Investor ex-ante seine spteren Handlungsweisen festgelegt. Diesen Effekt bezeichnet Williamson als lock-in-Effekt.857 Mit zunehmender Spezifitt verbundene lock-in-Effekte begrnden zustzliche Absicherungsbedrfnisse, die Transaktionskosten verursachen. Der Transaktionskostenansatz verdeutlicht, dass Marktstrukturen (Polypol, Oligopol, Monopol) die Wettbewerbsintensitt und damit Transaktionskosten beeinflussen. Bei der Analyse des Einflusses von Marktstrukturen auf die Transaktionskosten werden die zu Beginn einer Transaktionsbeziehung vorliegende Marktstruktur und ihre mgliche Vernderung im Laufe der Vertragsbeziehung betrachtet. Wenn ex-ante eine Vielzahl mglicher Transaktionspartner existiert (Polypol), kann aufgrund von transaktionsspezifischen Investitionen in Human- und Sachkapital ex-post eine small number-Situation entstehen. So ist die Erstherstellung einer Leistung hufig nur durch faktorspezifische Investitionen mglich. Bei Folgeauftrgen knnen in der Regel first mover advantages realisiert werden. Die bereits gettigte faktorspezifische Investition betrachtet der Erstanbieter in der Folgezeit als sunk-costs. Soweit in seiner Preiskalkulation diese berlegung einfliet, ist er in der Lage, den Produktpreis niedriger als die Konkurrenz zu setzen und diese vom Markt zu verdrngen. Derart kann langfristig ein Monopol entstehen. Williamson spricht von einer fundamentalen
856 Vgl. Williamson (1990) S. 62 und S. 108 f. 857 Vgl. Williamson (1990) S. 61.

357

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Transformation858 die sich ex-post durch Spezifitt ergibt. Die durch spezifische Investitionen begrndete Abhngigkeit kann opportunistisch ausgenutzt werden. Daher empfiehlt Williamson, spezifische Transaktionen durch langfristige Vertrge oder durch Errichtung eines Unternehmens hierarchisch abzusichern. Bei dieser Entscheidung ist die strategische Bedeutung der Transaktion zu bercksichtigen. Wenn erwartet wird, dass mit der Transaktion Wettbewerbsvorteile verbunden sind und die Transaktion spezifische Investitionen in die Qualifikation der Mitarbeiter notwendig macht, so dass Kernkompetenzen entstehen, ist die Transaktion unternehmensintern und nicht ber den Markt zu organisieren. Wenn Spezifitt und strategische Bedeutung der Transaktion nicht zusammenfallen, also z.B. hohe Spezifitt mit geringer strategischer Bedeutung der Transaktion kombiniert ist, sollten spezifische Investitionen reduziert werden und die Transaktion langfristig ausgelagert werden. Neben Faktorspezifitt bestimmt und begrndet Unsicherheit Transaktionskosten.859 Unsicherheit entsteht aufgrund der begrenzten kognitiven Fhigkeiten des Menschen, Umweltkomplexitt zu verarbeiten. Die Folge ist Umweltunsicherheit. Hiervon ist Unsicherheit hinsichtlich des menschlichen Verhaltens zu unterscheiden, die durch opportunistisches Ausnutzen von Informationsasymmetrien entsteht. Informationsasymmetrien knnen Ineffizienzen und unzureichende Mglichkeiten der Umweltund Verhaltensbeobachtung bewirken. Williamson bezeichnet dieses Phnomen mit dem Begriff information impactedness. Soll bezglich der fr eine Transaktion relevanten Informationen zwischen den Verhandlungsparteien Informationsparitt hergestellt werden, um Verhaltens- und Umweltunsicherheit zu reduzieren, ist mit Transaktionskosten zu rechnen. Unsicherheit fhrt in Verbindung mit begrenzter Rationalitt dazu, dass Vertrge immer unvollkommen sind. Aus diesem Grunde mssen sie whrend des Transaktionsprozesses berwacht, konkretisiert und nachgebessert werden. Dies fhrt zu steigenden Transaktionskosten. Auer von der Spezifitt und der Unsicherheit hngen das Entstehen und die Hhe der Transaktionskosten von der Hufigkeit, mit der Transaktionen anfallen, ab.860 Die Ausprgung der Trinitt Spezifitt, Unsicherheit und Hufigkeit bestimmt, ob es sich lohnt, unternehmensinterne, spezialisierte berwachungs-, Beherrschungs- und Anreizsysteme (governance structure) einzurichten oder ob die Abwicklung von Transaktionen dem Markt berlassen werden sollte. Fr hufig stattfindende Transaktionen, die mit erheblichen transaktionsspezifischen Investitionen verbunden sind, bietet sich eine unternehmensinterne Lsung an. Hufige Transaktionen, die nicht mit spezifi-

858 Vgl. Williamson (1990) S. 70 ff. Williamson verweist auf von Hayek, der darauf aufmerksam

gemacht hat, dass interessante Ordnungsprobleme sich nur im Zusammenhang mit Unsicherheit ergeben. 859 Vgl. Williamson (1990) S. 64 ff. 860 Vgl. Williamson (1990) S. 69.

358

Property-Rights-Ansatz

9.5

schen Investitionen verbunden sind, bedrfen keiner speziellen governance structure. Ihre Koordination ber den Markt statt ber Hierarchie ist kostengnstiger. Der Transaktionskostenansatz vergleicht Koordinations- und Motivationsformen wirtschaftlicher Transaktionen im Hinblick auf die durch ihren Einsatz verursachten Transaktionskosten. Dabei werden nicht nur die Alternativen Markt und Hierarchie, sondern eine Vielzahl marktnaher oder hierarchienaher Kooperationsformen in die Analyse miteinbezogen. Da in Abschnitt 9.3 hierauf bereits eingegangen wurde, soll der Verweis an dieser Stelle gengen und lediglich berblicksartig noch einmal zusammengefasst werden, unter welchen Umstnden Markt und Hierarchie jeweils vorteilhafte Koordinations- und Motivationsformen fr wirtschaftliche Transaktionen darstellen. Vergleicht man die Koordinations- und Motivationsformen Markt mit Hierarchie, so ist der Markt gegenber der Hierarchie vorteilhaft, wenn: Transaktionen keine spezifischen Investitionen erfordern. die Mglichkeit besteht, kurzfristige und vollstndige Vertrge abzuschlieen. kein gegenseitiges Interesse an der Person des Vertragspartners besteht, so dass die Vertragspartner anonym bleiben. es eine groe Zahl potenzieller Tauschpartner und damit Ausweichalternativen gibt (Polypol). Vetragsgestaltung, -abschluss und -kontrolle problemlos mglich sind.

Demgegenber ist eine unternehmensinterne, hierarchische Koordination und Motivation gegenber der Markt-Koordination vorteilhaft, wenn: hohe transaktionsspezifische Investitionen zu ttigen sind und Transaktionen sich hufig wiederholen und die Vertragserfllung in hohem Mae unsicher ist.

In den genannten Fllen kann es ber eine hierarchische Koordination und Kontrolle, Selbstverpflichtung und Vertrauen gelingen, die Gefahr des Opportunismus zurckzudrngen.

9.5

Property-Rights-Ansatz

Genau wie der Transaktionskostenansatz basiert der property-rights-Ansatz auf den Grundannahmen der Neuen Institutionenkonomik.861 In der deutschsprachigen Literatur werden property-rights in der Regel als Eigentums-, Entscheidungs-, Verfgungs- und/oder Handlungsrechte bezeichnet. Der property-rights-Ansatz rckt

861 Zum property-rights-Ansatz, vgl.: Coase (1960), Alchian (1961), Demsetz (1967),

Furubotn/Pejovich (1974) und Pejovich (1990).

359

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Interaktionsrechte, Verfgungsrechte ber Gter, die Behandlung externer Effekte und die damit verbundenen Transaktionskosten in den Mittelpunkt seiner theoretischen Bemhungen. Dies geschieht, indem danach gefragt wird, welchen Einfluss die Verteilung von Verfgungsrechten auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte ausbt und wie negative Auswirkungen externer Effekte abgemildert werden knnen. Der property-rights-Ansatz basiert auf zwei wesentlichen Erkenntnissen. Einerseits werden Gter nicht mehr als Ganzheiten betrachtet, sondern als Rechtsbndel. Somit geht der property-rights-Ansatz, im Gegensatz zum neoklassischen Ansatz, davon aus, dass einzelne Rechte an Gtern und nicht (ganze) Gter zwischen Wirtschaftssubjekten ausgetauscht werden. Andererseits unterstellt der property-rights-Ansatz, dass der Wert eines Gutes und die Motivation der Wirtschaftssubjekte von der Verteilung der property-rights auf die Wirtschaftssubjekte mitbestimmt werden. Property-rights sind als Handlungs- und Verfgungsrechte zu verstehen, die den einzelnen Wirtschaftssubjekten durch die Rechtsordnung oder Vertrge bezglich des Umgangs mit Gtern oder Interaktionen zugeordnet werden. Indem Handlungs- und Verfgungsrechte festlegen, welche Rechte Wirtschaftssubjekte an einem Gut oder an der Ausgestaltung einer Interaktion haben, grenzen sie die Rechte der Wirtschaftssubjekte bzgl. des Umgangs mit Gtern und Interaktionen gegeneinander ab. Es gibt dann Wirtschaftssubjekte, die durch Handlungs- und Verfgungsrechte bezglich des Umgangs mit Gtern oder der Mglichkeit der Ausgestaltung von Interaktionen gegenber anderen Wirtschaftssubjekten begnstigt werden. Hierdurch werden die Handlungsmglichkeiten derjenigen, die ber keine Verfgungs- und Handlungsrechte an dem betreffenden Gut oder der Gestaltung der betreffenden Interaktion verfgen, eingeschrnkt. Von der jeweiligen Zurechnung der Handlungs- und Verfgungsrechte auf die Wirtschaftssubjekte gehen Anreize aus, die ein bestimmtes Verhalten motivieren. Wenn beispielsweise die Rechte eines Unternehmers, sich die Gewinne des Unternehmens anzueignen, eingeschrnkt werden, indem die Steuer- und Abgabenlast steigt und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer durch Rechtsverordnung festgelegt wird, wird das nicht ohne Einfluss auf die Motivation und das Verhalten von Unternehmern bleiben. Bezglich des Umgangs mit einem Gut kann es vier Einzelrechte geben: das Recht, ein Gut zu nutzen (usus). das Recht, Form und Substanz eines Gutes zu verndern (abusus). das Recht, sich entstehende Gewinne, die mit der Verwendung des Gutes in Zusammenhang stehen, anzueignen, und die Pflicht, resultierende Ver1uste zu tragen (usus fructus). das Recht, ein Gut an Dritte zu veruern (Kapitalisierungs- bzw. Liquidationsrecht).

Neben dem Interaktionsrecht, das sich auf den Tausch von Gtern bezieht (Tauschrecht), gibt es ein zweites Interaktionsrecht, das nicht unmittelbar mit dem Austausch von Gtern in Zusammenhang steht, sondern dazu berechtigt, Organisation zu gestal-

360

Property-Rights-Ansatz

9.5

ten.862 Diese Entscheidungsrechte ber die Selbstorganisation beinhalten das Recht, Personen einzustellen bzw. zu entlassen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wer die mit Entscheidungskompetenz ausgestatteten Positionen innerhalb eines Unternehmens besetzt und wie dieser Personenkreis ausgewhlt und kontrolliert wird.863

Abbildung 60:

Property-Rights

Rechte ber Verwendung von Gtern


Rechte, Gtern zu benutzen (usus) Rechte, Form und Substanz des Gutes zu verndern (abusus) Rechte, sich Gterertrge anzueignen und Pflichten, Verluste zu tragen (usus fructus)

Interaktionsrechte

Selbstorganisationsrechte (z.B. Rechte, Personen zu entlassen oder einzustellen)

Rechte, Gter zu tauschen oder an Dritte zu veruern (Tausch- bzw. Veruerungsrechte)

Bezogen auf eine Person und auf ein Gut, werden vier (zwei mal zwei) Flle unterschieden: Die Person kann exklusiv smtliche Verfgungs- und Handlungsrechte an einem Gut besitzen, oder die Person verfgt nur ber eines oder einige der vier Einzelrechte im Umgang mit dem Gut. Im Hinblick auf ein Gut kann eines der Einzelrechte ausschlielich einer Person oder dasselbe Einzelrecht kann mehreren Personen zugeordnet sein. Liegt der Fall einer exklusiven Zuordnung der property-rights auf eine Person vor und treten keine Transaktionskosten auf, spricht man von einer vollstndigen Spezifikation der property-rights. Die Person, die mit derart umfassenden property-rights
862 Vgl. Eschenburg (1978). Eschenburg teilt die property-rights, die er mit Verfgungsrechten

bersetzt, in Nutzungsrechte und Vertragsschlieungsrechte (Interaktionsrechte) ein. Das Vertragsschlieungsrecht untergliedert er weiter in das Selbstorganisationsrecht und das Tauschrecht, vgl. Eschenburg (1978) S. 11. 863 Es sei daran erinnert, dass Max Weber eine Klassifikation sozialkonomischer Verbnde eingefhrt hat und als Unterscheidungsmerkmal einerseits die Ausprgung von Tausch- und Verfgungsrechten ber Gter nutzt und andererseits Verbnde entsprechend der Ausprgung ihrer Selbstorganisationsrechte klassifiziert. Die Verteilung von Tausch- und Nutzungsrechten auf die Verbandsmitglieder misst Weber entlang einer Achse, deren Extrempunkte mit vollstndige Autonomie und vollstndige Heteronomie benannt sind, whrend die Verteilung von Selbstorganisationsrechten als extreme Ausprgungen vollstndige Autokephalie und vollstndige Heterokephalie aufweisen kann, vgl. Weber, M. (1980) S. 26 ff.

361

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

ausgestattet ist, kann den gesamten Nutzen aus der Verfgung ber das ihr zugeordnete Rechtsbndel ziehen. Sie hat andererseits aber auch smtliche damit verbundenen Kosten zu tragen. Vollstndige Spezifikation und fehlende Transaktionskosten schaffen, da der handelnden Person smtliche Handlungsfolgen zugerechnet werden, einen Anreiz, Gter effizient zu nutzen, und sichern derart eine effiziente Gterallokation. Wenn Handlungs- und Verfgungsrechte nur unvollstndig spezifiziert sind und/oder sich mehrere Personen diese Rechte teilen und von positiven Transaktionskosten auszugehen ist, liegen verdnnte property-rights vor. Damit besteht die Gefahr, dass die handelnden Personen nicht mehr smtliche Handlungsfolgen, die mit dem Umgang des betreffenden Gutes verbunden sind (smtliche Kosten und Ertrge, die ihr Handeln verursacht), selber tragen. Vielmehr wird der Nutzen anderer Personen tangiert, obwohl sie nicht die Nutzer der entsprechenden Gter sind. Dies ist gleichbedeutend mit dem Auftreten externer Effekte und dem Umstand, dass Handlungs- und Verfgungsrechte teilweise kostenlos genutzt werden. Im Allgemeinen fhren verdnnte property-rights zu einer bernutzung der kostenlos zur Verfgung gestellten Gter und damit zu Wohlfahrtsverlusten. Auf die Problematik der Allmendegter sei hingewiesen. 864 Wenn es den betroffenen Parteien gelnge, durch Verhandlungen und entsprechende Vertragsabschlsse sicherzustellen, dass smtliche externe Effekte bei den Verursachern internalisiert wrden, dann wre unabhngig davon, wer Inhaber der Handlungs- und Verfgungsrechte ber ein Gut ist, auch bei ursprnglich verdnnten property-rights effiziente Gterallokation gesichert. Diese Aussage, die als Coase-Theorem 865 bekannt ist, gilt allerdings nur, wenn unterstellt wird, dass die Internalisierung externer Effekte nicht zu positiven Transaktionskosten fhrt, die es verhindern, dass eine vollstndige Internalisierung externer Effekte gelingt. Da in der Realitt immer mit Transaktionskosten und externen Effekten zu rechnen ist, geht es entsprechend dem property-rights-Ansatz darum, eine Verteilung der propertyrights derart vorzunehmen, dass die Differenz zwischen der Summe smtlicher

864 Zu externen Effekten und Allmendegtern, vgl. Abschnitt 6.2.3. 865 Neben dem bereits zitierten Aufsatz von Coase, vgl. Coase (1937) hat ein zweiter, den er im

Jahr 1960 verfasste, groe Beachtung gefunden. Er titelt mit The Problem of Social Cost, vgl. Coase (1960). In diesem Aufsatz formulierte Coase das mit seinem Namen benannte Theorem. Coase lehnt es ab, durch externe Effekte verursachtes Marktversagen durch Staatseingriffe zu beheben. Er fordert vielmehr zur Korrektur von Externalitten, dass der Staat eine Ausgangsverteilung der property-rights an natrlichen Ressourcen festlegen soll und es dann den beteiligten Parteien berlassen bleiben sollte, miteinander zu verhandeln, um die externen Effekte zu internalisieren, vgl. Coase (1960) S. 8. Coase pldiert: From these considerations it follows that direct governmental regulation will not necessarily given better results than leaving the problem to be solved by the market or the firm. [] It is my belief that economists, and policy-makers generally, have tended to over-estimate the advantages which come from governmental regulation. Coase (1960) S. 18.

362

Property-Rights-Ansatz

9.5

Transaktionskosten und den durch externe Effekte bedingten Wohlfahrtseffekten minimal wird. Dieses Kriterium kann auch angewandt werden, wenn es in Unternehmen um eine Vernderung der Organisationsstruktur z.B. in Richtung Dezentralisierung geht. Unternehmen werden dann, entsprechend dem property-rights-Ansatz, als Netzwerk von Verfgungsrechten und Vertragsbeziehungen betrachtet und es wird nach der Organisationsstruktur gesucht, die Kompetenzen, Funktionen und Verantwortung derart bndelt sowie einzelnen Stellen und Abteilungen zuordnet, dass Effizienz, im Sinne minimaler Transaktionskosten und minimalen, durch externe Effekte hervorgerufenen Kosten, sichergestellt ist. Letztlich bedeutet diese Forderung, dass propertyrights in Unternehmen mglichst vollstndig spezifiziert werden sollten, so dass diejenigen Stellen, die mit Entscheidungsrechten ausgestattet sind, fr die getroffenen Entscheidungen auch die Verantwortung zu tragen haben. Entscheiden und Verantworten sollten eine untrennbare Einheit bilden.866 Mit ihren Unternehmensverfassungen legen Unternehmen eine bestimmte Struktur von Handlungs- und Verfgungsrechten fest und damit, wer bzw. welche Stelle im Unternehmen mit Entscheidungs-, Sanktions- und Vertragsschlieungsrechten ausgestattet ist. Dabei ist zu bercksichtigen, dass durch die unternehmensinterne Zuordnung von Handlungs- und Verfgungsrechten auf einzelne Personen oder Personengruppen und den damit verbundenen Aneignungsrechten des Nutzens aus den Handlungsfolgen in Form von Residualeinkommen Motivationswirkungen ausgehen. Die Bezieher von Residualeinkommen beeinflussen mageblich das Unternehmensgeschehen. Sie tragen das Markt- und Verlustrisiko. Von Residualeinkommen sind Kontrakteinkommen zu unterscheiden, die auf einer vertraglichen Vereinbarung beruhen und u.a. Arbeitnehmern zuflieen. Sind die property rights in Arbeitnehmerhand, erhalten sie Residualeinkommen. Man spricht von einem arbeitsgeleiteten Unternehmen. Diese Variante der Verteilung von property-rights in Unternehmen ist problematisch. Als Grnde werden das Risiko und die Schwankungen von Residualeinkommen, lange Entscheidungswege, eine schwache Haftungsbasis und damit verbunden herabgesetzte Kapitalbeschaffungsmglichkeiten angefhrt sowie Interessenkonflikte, die auftreten, wenn z.B. bei einer notwendigen Verkleinerung des Unternehmens entschieden werden muss, wer das Unternehmen zu verlassen hat. Auch um das Phnomen der Drckebergerei (shirking) zu verhindern, wird der property-rights-Ansatz herangezogen. Es wird empfohlen, eine spezialisierte Stelle einzurichten, die mit Weisungsrechten auszustatten ist und die berwachung des
866 Diese Einsicht vermittelt auch Curt Sandig ((1901-1981), der einer der ersten deutschen Be-

triebswirte war, der ein umfassendes Konzept zur Unternehmensfhrung vorlegte. Sandig schreibt: Rede und Antwort stehen, Rechenschaft geben in mndlicher oder Rechenschaft legen in schriftlicher Form, [] die Grnde fr die getroffenen Entscheidungen offenlegen und fr die getroffenen Entscheidungen einstehen mit der ganzen Person, mit der persnlichen Stellung, mit dem persnlichen Ruf, mit dem Vermgen und im weitestgehenden Falle auerhalb des wirtschaftlichen Bereichs sogar mit dem Leben. Sandig (1966) S. 55.

363

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

Arbeitsverhaltens bernimmt. Diese Instanz bewertet den Arbeitseinsatz und erhlt das Recht, Kndigungen aussprechen oder nderungen und Neuabschlsse von Arbeitsvertrgen vorzunehmen. Im Forschungs- und Entwicklungsbereich gibt es verschiedene institutionelle Regelungen wie Urheberrechte, Geschmacksmuster oder Patente, die sicherstellen sollen, dass der Nutzen, der aus neuem Wissen entsteht, demjenigen zugerechnet wird, der es errungen hat.867 Gbe es solche Institutionen nicht, die Verfgungsrechte an Wissen garantieren, wrden Innovationen stark behindert.

9.6

Principal-Agent-Ansatz

Im Rahmen des Principal-Agent-Ansatzes werden Auftragsbeziehungen zwischen einem Auftraggeber (Principal) und einem Auftragnehmer (Agent) betrachtet.868 Von besonderem Interesse sind Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, die durch folgende Eigenschaften ausgezeichnet sind: Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer handeln opportunistisch und verfolgen unterschiedliche Ziele, woraus sich Zielkonflikte ergeben. Das Verhalten des Auftragnehmers entzieht sich einer unmittelbaren Beobachtung durch den Auftraggeber. Damit besteht die Mglichkeit aufseiten des Auftragnehmers, Handlungen gegenber dem Auftraggeber zu verbergen (hidden action). Aufseiten des Auftraggebers bestehen nicht nur Informationsdefizite bezglich des Verhaltens des Auftragnehmers, sondern auch bezglich dessen Anstrengungsniveau und seiner Handlungsmglichkeiten, denn der Auftragnehmer kann Informationen hierber verbergen (hidden information).

Der Principal-Agent-Ansatz geht davon aus, dass der Auftragnehmer ber die durchzufhrenden Ttigkeiten besser informiert ist als sein Auftraggeber und der Auftragnehmer diesen Informationsvorsprung eigenntzig und nicht unbedingt zum Wohle des Auftraggebers nutzt. Aufgrund von Informationsdefiziten kann der Auftraggeber das Verhalten des Auftragnehmers nicht ber explizite Anordnungen festlegen. Dies bedeutet, dass dem Auftragnehmer Handlungsmglichkeiten zuwachsen. Zwar kann der Auftraggeber versuchen, ber implizite Anordnungen das Handeln des Auftragnehmers auf die eigenen (Auftraggeber-)Ziele zu orientieren, mit impliziten Anweisungen ist aber immer eine Entscheidungsdelegation verbunden. Damit kann der Auftragnehmer im Rahmen einer Zielvorgabe in eigenem Ermessen und eigener Verantwortung darber entscheiden, welche Handlungen ihm im Hinblick auf die Erreichung der vorgegebenen Zielsetzung geeignet erscheinen.
867 Picot (2003) S. 49. 868 Zum Principal-Agent-Ansatz, vgl.: Ross (1973), Jensen/Meckling (1976), Meckling (1976),

Pratt/Zeckhauser (1985).

364

Principal-Agent-Ansatz

9.6

Da der Auftragnehmer die Mglichkeiten hat, hidden information und hidden action zu betreiben und Informationen verzerrt oder unvollstndig an den Auftraggeber weiterzuleiten, ist es fr den Auftraggeber nicht mglich, zwischen dem Entscheidungsrisiko und dem Verhaltensrisiko (nicht zielentsprechendes Handeln des Auftragnehmers) zu unterscheiden. Somit besteht die Gefahr, dass der Aufragnehmer als Drckeberger auftritt (shirking)869 oder Konsum am Arbeitsplatz (consumption on the job) betreibt.870 Diese Erscheinungen begrnden das Risiko des Auftraggebers, dass er ausgebeutet wird, indem der Auftragnehmer ihn schdigt, um den eigenen Nutzen zu steigern und eigene Ziele zu verfolgen. Das Resultat opportunistischen Verhaltens ist als moral hazard bekannt. Das Ausbeutungsrisiko des Auftraggebers ist umso grer, je weniger er in der Lage ist, das Verhalten des Auftragnehmers zu beobachten und zu kontrollieren. ber entsprechende Vorkehrungen und durch eine geschickte Vertragsgestaltung kann der Auftraggeber versuchen, das Ausbeutungsrisiko zu reduzieren. Zu den Manahmen, die hierzu eingesetzt werden, zhlen: Der Ausbau des Informations- und Kontrollsystems (monitoring) zur berwachung des tatschlichen Verhaltens des Auftragnehmers. Die Kopplung der Handlungsergebnisse des Auftragnehmers mit Anreizsystemen, denn die Handlungsergebnisse sind leichter zu beobachten als das faktische Verhalten des Auftragnehmers. Die Installation von Anreizsystemen, die dazu motivieren, Informationen wahrheitsgem weiterzugeben. Eine Vertragsgestaltung durch den Auftraggeber, die wegen ihrer spezifischen Risikoverteilung nur von geeigneten und fhigen Auftragnehmern angenommen werden kann (self-selection).

Die beschriebenen Phnomene der Auftragsbeziehungen beruhen insbesondere auf dem Phnomen der asymmetrischen Information, die opportunistisches Verhalten ermglicht und zur Schdigung des anderen Vertragspartners fhren kann. Ist dem schlecht Informierten sein Informationsrckstand bewusst, wird er versuchen, in den Vertrag Absicherungsklauseln einzubauen. Diese Absicherungen stellen aus Sicht des anderen Vertragspartners ungnstige Bedingungen dar. Im ungnstigsten Fall kann dies dazu fhren, dass kein Vertrag zustande kommt. Besteht beiderseitiges Interesse am Abschluss eines Vertrages, werden die Vertragspartner bemht sein, Informationsasymmetrie und deren Folgeprobleme zu verhindern, indem sie der jeweils anderen Vertragspartei Kontrollrechte einrumen, Versicherungen abschlieen oder Bedin869 Taylor hat bereits die Drckebergerei als das grte bel beklagt, an dem die arbeitende

Bevlkerung krankt, vgl. Taylor (2004) S. 24. Er fhrt das Sich-um-die-Arbeit-Drcken einerseits auf die naturbedingte Bequemlichkeit des Menschen zurck und andererseits auf eine durch eigenes Nachdenken geschaffene Auffassung. Liegt der letzte Fall vor, spricht Taylor vom systematischen Sich-Drcken, vgl. Taylor (2004) S. 27. 870 Beispiele hierfr sind das Erledigen von privaten Angelegenheiten am Arbeitsplatz wie private Telefonate, Surfen im Internet, berweisungen privater Rechnungen usw.

365

Konzepte der Neuen Institutionenkonomik

gungen schaffen, die sicherstellen, dass Informationen wahrheitsgem bermittelt werden. Indem die Mitarbeiter strker auf unternehmerisches Handeln hin orientiert werden, kann die grundlegende Problematik einer Principal-Agent-Beziehung in Unternehmen, nmlich die Interessen- und Informationsdivergenz zwischen Manager (bzw. Mitarbeitern) und Eigentmer, abzumildern versucht werden.871 Entrepreneurship ist der modische Begriff, der zur Bezeichnung einer dieser Versuche benutzt wird. Durch entsprechende vertragliche Anreize sollen sich Manager bzw. Mitarbeiter wie Unternehmer verhalten.872 Versuche, eigenverantwortliche Unternehmensteile, wie profit- und cost centers einzurichten, gehen in diese Richtung.

871 Schumpeter hatte schon darauf hingewiesen, dass Angestellte unter bestimmten Bedingun872 Vgl. Ripsas (1997) S. 81.

gen wie Unternehmer handeln.

366

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

10 Systemtheoretische Konzepte
Die Wirtschaftstheorie hat fr die unterschiedlichen Betrachtungsebenen des Wirtschaftens ein breit gefchertes Angebot von Systemtheorien vorgelegt. Dies gilt fr die Ebene der Gesamtwirtschaft, die mit einer Vielzahl unterschiedlicher Wirtschaftssystemtheorien analysiert wird, wie auch fr die Ebene der Betriebswirtschaften, die mit systemorientierten Betriebswirtschaftslehren wissenschaftlich bearbeitet werden, und auch fr die Ebene der Unternehmensfhrung, auf die sich Theorien systemischer Unternehmensfhrung beziehen. Mit einer kaum zu berschauenden Variationsbreite ebenspezifischer Systemtheorien versucht die Wirtschaftswissenschaft, den Systemcharakter der Gesamtwirtschaft, der Einzelwirtschaft und der Unternehmensfhrung zu erfassen. Das vielfltige Angebot von Wirtschaftssystemtheorien macht deutlich, dass es die Wirtschaftssystemtheorie, die gesamtwirtschaftliche und einzelwirtschaftliche Erscheinungen in ihr Theoriegebude aufnimmt und mit einem einheitlichen Begriffsrepertoire hantiert, nicht gibt. Jedenfalls ist keine Wirtschaftssystemtheorie in Sicht, die diesen Anspruch erhebt. Bevor auf systemtheoretische Konzepte zur Erfassung der Gesamt- und Betriebswirtschaften eingegangen wird, sollen Grundlagen systemtheoretischer Betrachtungen, soweit sie in die wirtschaftswissenschaftliche Literatur Eingang gefunden haben, dargestellt werden. Dies betrifft Gleich- und Ungleichgewichtskonzepte, geschlossene und offene Systemkonzepte, Input-Output-Modelle und kybernetische Modelle. Unter Inanspruchnahme der grundlegenden Vorstellungen dieser Konzepte werden Wirtschaftssystemtheorien beispielhaft vorgefhrt, die sich auf die Ebene der Gesamtwirtschaft beziehen und von jenen unterschieden, die sich auf Einzelwirtschaften konzentrieren. Nachdem dies geleistet ist, werden neuere Entwicklungen der Allgemeinen Systemtheorie vorgestellt. Dabei wird insbesondere auf Konzepte eingegangen, die Niklas Luhmann neu in die Allgemeine Systemtheorie eingebracht hat.

10.1 Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher


Systemanstze
Grundlage einer systemtheoretischen Betriebswirtschaftslehre und einer auf die Gesamtwirtschaft bezogenen Wirtschaftssystemtheorie kann nicht eine Allgemeine Systemtheorie sein, denn sie liegt als Gesamtkonzept nicht vor. Theoriefragmente, die zur Entwicklung einer Allgemeinen Systemtheorie genutzt werden knnten, finden sich allerdings in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Derartige Theoriebruchst-

367
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_11, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

10

Systemtheoretische Konzepte

cke sollen im Folgenden ausfindig gemacht werden. Nach ihrer Identifizierung soll die wirtschaftswissenschaftliche Literatur daraufhin befragt werden, ob und inwieweit sie begriffliche Vernderungen nachvollzieht, die in den Theoriefragmenten einer Allgemeinen Systemtheorie vorgenommen wurden, oder ob sie im traditionellen Sprachgebrauch gefangen bleibt.

10.1.1 Klassischer Systembegriff


Traditionell wird der Systembegriff mit zwei Bedeutungsinhalten benutzt. Er wird einerseits eingesetzt, um die Einheit eines logisch widerspruchsfreien Zusammenhangs zu bezeichnen. Die zweite Bedeutungsvariante bezeichnet ein System als ein Ganzes, das sich aus Teilen zusammensetzt, die miteinander in Beziehung stehen.873 Mit der Verwendung des Systembegriffs zur Bezeichnung der Einheit eines logisch widerspruchsfreien Zusammenhangs ist die abstrakt analytische Systembetrachtung angesprochen. (Wissenschaftliche) Beobachter konstruieren ein logisch widerspruchsfreies, rational strukturiertes Gedankengebilde, entwickeln derart Modelle, unabhngig davon, was wirklich der Fall ist, und konfrontieren ihr Ideal mit der Wirklichkeit, um Defizite festzustellen und Vorschlge zu deren Behebung zu machen. Ein derartiges Vorgehen ist in den Wirtschaftswissenschaften nicht unblich, wie weiter oben an den Beispielen der Unternehmenstheorie Gutenbergs, der formalen Entscheidungstheorie und der neoklassischen konomik verdeutlicht wurde. Eine logisch widerspruchsfreie analytische Systemkonzeption lehnt Luhmann als unzureichend ab.874 Auch die zweite Variante des Systembegriffs ist nicht unproblematisch. Sie bezeichnet ein Ganzes, das sich aus miteinander in Beziehung stehenden Teilen zusammensetzt, und beinhaltet die Vorstellung, dass die Ordnung der Teile dazu fhrt, dass das Ganze nicht nur als eine Gesamtheit von Teilen erscheint, sondern das Ganze mehr ist als die Summe der Teile.875 Denkt man an ein aus Teilen bestehendes Ganzes, stt man auf die Paradoxie, dass es im Ganzen Teile geben muss, die nicht das Ganze sind. Das aber bedeutet, dass das Ganze selbst nur ein Teil des Ganzen sein kann.876 Auch die Frage, wie das Ganze mehr sein knne als die Summe seiner Teile, ist falsch gestellt. Die Frage msste lauten, wie das Ganze weniger sein knne als die Summe seiner Teile.877 Eine Kombination des Ganze/Teil-Schemas mit der Unterscheidung von Zweck und Mittel fhrt zu der Vorstellung, dass die Teile als Mittel zu betrachten sind, die dem Zweck des Ganzen dienen (Zweckrationalitt). Eine Kombination des Ganze/Teil873 Luhmann weist darauf hin, dass die erste Definition bis ins Sptmittelalter, die zweite bis in

874 875 876 877

die Antike zurckreicht, vgl. Luhmann (2005a) S. 256. Alles, was bis in die Antike zurckreicht, ist fr Luhmann alteuropische Tradition. Sie ist zu klar, um auf hochkomplexe, sich selbst konstituierende Sinnzusammenhnge faktischer Interaktionen anwendbar zu sein. Luhmann (2005a) S. 256. Vgl. Luhmann (2005a) S. 256, vgl. auch Luhmann (1987) S. 21. Luhmann (2005a) S. 283 f. Luhmann (2005a) Funote 45, S. 290.

368

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

Schemas mit der Unterscheidung von oben und unten lsst die oberen Teile des Ganzen als Reprsentanten des Ganzen erscheinen, obwohl sie Teile sind (Hierarchiemodell).878 Der Ganze/Teil-Ansatz ist fr Luhmann zu unklar und daher fr die Analyse komplexer Systeme abzulehnen.879 Obwohl Unternehmen als komplexe soziale Systeme zu betrachten sind, orientieren sich prominente wirtschaftswissenschaftliche Lehrtexte an den dargestellten klassischen Systemvorstellungen und thematisieren den Systembegriff unreflektiert. Diese Behauptung kann an dem an deutschen Hochschulen immer noch meist gelesenen Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre verdeutlicht werden. Gemeint ist die Einfhrung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre von Gnter Whe unter Mitarbeit von Ulrich Dring. Sie begngen sich damit, den Systembegriff in seiner umgangssprachlichen Verwendung als bekannt vorauszusetzen. In ihrem Lehrbuch findet man eine Menge von Worten und Begriffen, in denen System als Bestandteil vorkommt 880, sowie eine Darstellung des systemorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre. Es hat den Anschein, als wrden die Autoren dem systemorientierten Ansatz eine immer geringere Bedeutung zugestehen. In der 17. Auflage ihres Einfhrungswerkes widmen sie ihm noch fast zwei Seiten, die 23. Auflage kommt mit ein wenig mehr als einer halben Seite aus. In der 17. Auflage wird behauptet: Die Systemtheorie versteht unter einem System allgemein eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen Beziehungen bestehen und die wiederum Systeme niederer Ordnung (Subsysteme) sein knnen.881 Damit dokumentieren die Autoren ein am Ganzes/Teil-Schema orientiertes Systemverstndnis.882 Der unmittelbar an das obige Zitat anschlieende Hinweis auf das Wesen der kybernetischen Systeme, die offene Verhaltenssysteme
878 Vgl. Luhmann (2005a) S. 175 und S. 256, vgl. auch Luhmann (1987) S. 21. 879 Vgl. Luhmann (2005a) S. 256. Nach Luhmann ist die alteuropische Gesellschaftstheorie

auf die Unterscheidung zwischen Ganzes und Teil aufgebaut. Politik wurde als konstituierendes Wesen der Gesellschaft im ganzen und als reprsentativer Teil in ihr begriffen. Luhmann (2005a) S. 175. Im Rahmen der Theorie der brgerlichen Gesellschaft bernimmt die Wirtschaft die Vorherrschaft. Gesellschaft ist jetzt das Wirtschaftssystem, das sich aus Arbeit und Eigentum aufbaut, das sich selbst Rationalitt und Fortschritt garantiert und auf Grund dieser seiner Struktur die entsprechenden Aufgaben der Politik festlegt. Luhmann (2005a) S. 178. 880 Eine Auswahl aus Whe/Dring (2008): Wirtschaftssystem (S. 15), Gutenbergs System (S. 24), systemorientierter Ansatz (S. 26), soziale Systeme (S. 26), Systemanalyse (S. 26), Zielsystem der Unternehmung (S. 29), marktwirtschaftliches System (S. 74), Leitungssysteme (S. 123), Planungssystem (S. 207) usw. Weitere Verwendungsweisen sind: Informations- und Kommunikationssysteme, operative und analytische Systeme, Computersysteme, Systemsoftware usw. (S. 176 ff.). 881 Whe/Dring (1990) S. 81. 882 Das gilt auch fr die Ansicht, die Kirsch, W. (1998) S. 43 vermittelt: In einer sehr allgemeinen Begriffsfassung wird unter einem System eine Menge von Elementen verstanden, die in irgendeiner Beziehung zueinander stehen. Das Lexikon der Betriebswirtschaftslehre, Corsten (2000), vertritt die gleiche Auffassung und betrachtet darber hinaus Systeme als Modellrahmen, reserviert sie also fr die rein abstrakte Ebene. Auf S. 927 heit es: Ein System ist ein allgemeiner Modellrahmen, in den hinein die Realitt bei Verwendung der Systemsicht abgebildet wird.

369

10

Systemtheoretische Konzepte

sind, lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Umwelt des Systems, ohne dass die Differenz von System und Umwelt im Text erklrt wrde. Selbst den Begriff Umwelt sucht man vergebens. In der 23. Auflage wird bei der Darstellung des systemorientierten Ansatzes die Vorstellung der Systemtheorie bezglich des Systembegriffs gar nicht mehr referiert. Vielmehr wird die kybernetische Vorgehensweise mit einem Zitat beschrieben.883 Diese oberflchliche Art der Darstellung wird weder der Stellung des systemorientierten Ansatzes innerhalb des betriebswirtschaftlichen Lehrgebudes noch dem Systembegriff gerecht. In einem anderen, weit verbreiteten betriebswirtschaftlichen Lehrbuch: Grundzge der Betriebswirtschaftslehre von Henner Schierenbeck und Claudia Whle erscheint alles Komplexe als System.884 Derart wird der Systembegriff inflationr eingesetzt, ohne dass eine Begriffsklrung und Abgrenzung von nahe stehenden Begrifflichkeiten geleistet wrden. Es lieen sich weitere Beispiele fr die trivialisierende, unreflektierte, an der traditionellen Verwendung des Systembegriffs angelehnte Begriffsbildungen in der betriebswirtschaftlichen Literatur nachweisen, und dieser Sachverhalt knnte auch an volkswirtschaftlichen Texten verdeutlicht werden. Dass es auch anders und ausfhrlicher geht, zeigt die 16. Auflage von Gablers Wirtschaftslexikon (2005). Hier findet man unter dem Stichwort System viel verfgbares Material, und es wird erkannt, dass es notwendig ist, den jeweiligen Systembegriff, mit dem eine Theorie arbeitet, herauszuarbeiten. Als Fazit lsst sich festhalten: In den Wirtschaftswissenschaften ist ein elaborierter Systembegriff durchaus bekannt. Bei der konsequenten Anwendung zeigen sich jedoch Defizite.

10.1.2 Theorie des Gleichgewichts und Ungleichgewichts


Auf den engen Zusammenhang zwischen der klassischen Ganze/Teile-Unterscheidung und Gleichgewichtsmodellen ist in diesem Buch an anderer Stelle bereits hingewiesen worden. Gleichgewichtsvorstellungen sind eine der ltesten Quellen des systemischen Denkens.885 Gleichgewichtstheorien gehen davon aus, dass, wenn die Teile in ein Gleichgewicht gebracht worden sind, das System als Ganzes die Eigenschaft der
883 Vgl. Whe/Dring (2008) S. 26. Whe bezieht sich auf Baetge (1992) S. 24 und zitiert: Die ky-

bernetische Vorgehensweise besteht zunchst in einer detaillierten System- und Verhaltensanalyse. Danach folgt eine empirische und theoretische Modellbildung sowie die Optimierung und Simulation mit exakten und/oder heuristischen Verfahren. Damit sollten dem Entscheider akzeptable Lsungsvorschlge vorgelegt werden, aus denen er die ihm optimal erscheinende Alternative auswhlen kann. Kybernetik setzt Baetge mit der Theorie dynamischer Systeme gleich, vgl. Baetge (1992) S. 23. 884 Siehe Schierenbeck/Whle (2008). Die Rede ist hier vom modernen marktwirtschaftlichen System, Wirtschaftssystem, Systemanalyse als Management-Technik, Computersystemen und Systemprogrammen. Weitere Beispiele: Fertigungssystem (S. 49), Organisationssystem (S. 142 ff.), Planungs- und Kontrollsystem (S. 147), Personal-(Fhrungs-) System (S. 170), Anreizsysteme (S. 171), Kontrollsystem (S. 630) usw. 885 Luhmann (2006b) S. 42.

370

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

Stabilitt gewinnt. Sollte eine Strung von auen auf das System treffen, so stellt ein in das Modell eingebauter Mechanismus sicher, dass sich die Systemelemente erneut entweder in das alte oder in ein neues Gleichgewicht einpendeln. In der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl derartiger Gleichgewichtsvorstellungen. Als Beispiele seien einige bereits behandelte Theorien genannt. So leitet die neoklassische konomik unter heroischen Annahmen ein gleichgewichtiges, stabiles Wirtschaftssystems ab, das ber Gleichgewichtspreise und -mengen Marktgleichgewichte begrndet, die unterschiedliche Bedrfnisse zum Ausgleich bringen. Mit Gleichgewichtsvorstellungen arbeitet auch die Anreiz-Beitrags-Theorie, die davon ausgeht, dass Anreize und Beitrge ins Gleichgewicht zu bringen sind, um die Stabilitt von Unternehmen zu sichern. Auch die Theorie der Unternehmensziele, die ein Gleichgewicht zwischen individuellen Zielen und Unternehmenszielen postuliert, beruht auf einer Theorie des Gleichgewichts genau wie gleichgewichtstheoretische Motivationsmodelle. Auf die Einschtzung von Schumpeter, dass Gleichgewichtsmodelle sich nicht eignen, um die Realitt des Wirtschaftens zu beschreiben, ist bereits hingewiesen worden. Seine Kritik an der Gleichgewichtstheorie ist in den Wirtschaftswissenschaften nicht unbeachtet und nicht die einzige geblieben. Die Einsicht, dass Ungleichgewichte und nicht Gleichgewichte konstitutiv fr die Etablierung und Entwicklung von Wirtschaftssystemen sind, hat Eingang in die Wirtschaftswissenschaft gefunden.886 So lehnen Anhnger des Post-Keynesianismus eine auf dem Gleichgewichtskonzept basierende Wirtschaftstheorie rigoros ab.887 Die von Keynes vorgelegte Theorie selbst und die Ungleichgewichtstheorie verwenden zwar Gleichgewichtsvorstellungen, diese entsprechen aber nicht den Gleichgewichtskonzepten der Neoklassik.888 Vielmehr bilden nicht-walrasianische Gleichgewichte die Theoriebasis. Die Diskussion innerhalb der konomie, ob man ohne Gleichgewichtsvorstellungen auskommen kann, ist allerdings noch nicht beendet. Die Beantwortung der Frage kreist um die genannten Positionen.

886 Eine Einfhrung in die Ungleichgesichtstheorie findet sich bei Rothschild (1981). 887 Eine Einfhrung in die postkeynesianische Theorie findet man neben einer Darstellung und

Kritik der neoklassischen Theorie in dem Volkswirtschaftslehrbuch von Heine/Herr, vgl. Heine/Herr (2003), vgl. weiter die von Kurz (1987) herausgegebene Aufsatzsammlung. 888 Keynes (1974) hatte in seiner General Theory darauf aufmerksam gemacht, dass destabilisierende Einkommenseffekte vom allgemeinen Gleichgewicht der Neoklassik weg und zu Beharrungsgleichgewichten bei Unterbeschftigung fhren. Die Ungleichgewichtstheorie mikrokonomischer Prgung verdeutlicht, dass Transaktionen nicht nur im Gleichgewicht stattfinden (so wie es bei Walras der Fall ist), sondern dass whrend der Dauer des Ungleichgewichts die Transaktionen weitergehen. Landmann (1981) S. 170. Die makrokonomische Theorie verdeutlicht mit dem Input-Output-Ansatz, der Effizienzlohntheorie, dem Insider-Outsider-Ansatz und dem Men-Cost-Ansatz, warum Pareto-effiziente Verbesserungen unterbleiben und sich wirtschaftliche Ungleichgewichte stabilisieren, vgl. Gordon (1990) S. 212 f.

371

10

Systemtheoretische Konzepte

Eine interessante Version der Ungleichgewichtstheorie liefert Kornai.889 Er hat mit seiner auf kybernetischen Vorstellungen basierenden Theorie die Theorie des Wirtschaftssystemvergleichs bereichert, indem er die Existenz realer Wirtschaftssysteme auf ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zurckfhrte. Angebotsberhnge kennzeichnen hiernach kapitalistische Wirtschaftssysteme, Nachfrageberhnge sozialistische Wirtschaftssysteme. Die Abkehr von neoklassischen Vorstellungen hat dazu gefhrt, dass die Stabilitt der Wirtschaft nicht mehr mit einem Gleichgewicht konomischer Gren gleichgesetzt wird, sondern ungleichgewichtige Situationen als Bedingung fr wirtschaftliche Stabilitt anerkannt werden.

10.1.3 Theorien geschlossener und offener Systeme


Im Rahmen der beiden klassischen Kontexte, in denen der Systembegriff benutzt wird, und unter dem Aspekt des Gleichgewichts richtet sich das Forschungsinteresse auf die Innenseite des Systems.890 Systeme erscheinen aus dieser Perspektive als etwas abgeschlossenes, als geschlossene Systeme. Das besttigt die wirtschaftswissenschaftliche Literatur u.a., indem sie das Wirtschaftssystem als geschlossenes Kreislaufmodell prsentiert891 und ein Unternehmen als geschlossene wirtschaftliche Einheit betrachtet.892 Die Umwelt spielt in diesen Modellen keine Rolle. Das ndert sich mit der Entwicklung von Theorien, die Systeme als offene Systeme konzipieren. Damit wird die Ganze/Teil-Unterscheidung durch die Unterscheidung von System und Umwelt ergnzt und zum Konzept eines stabilen Gleichgewichts wird das Konzept des Fliegleichgewichts (steady state) hinzugefgt.

889 Vgl. Kornai (1975). Zu Einzelheiten der Systembetrachtung von Kornai und zu einem Ver890 Vgl. Luhmann (2005a) S. 257: das Ganze/Teil-Schema und der logische Konsistenz fordernde 891 Das erste geschlossene System der Volkswirtschaft stellt der Physiokrat Francois Quesnay

gleich mit anderen Wirtschaftssystemtheorien, vgl. Bardmann (1988).

Systembegriff richten ihr Augenmerk nur auf Innenverhltnisse eines Systems.

vor. In Analogie zum Blutkreislauf veranschaulicht Quesnay das Wirtschaftssystem als Gterkreislauf, vgl. Quesnay (1965). Soweit das Ausland in die Betrachtungen mit einbezogen wird, behaupten Wirtschaftswissenschaftler, der Wirtschaftskreislauf bekme die Qualitt eines offenen Systems. Heute werden Unternehmen, Haushalte, der Staat und eine Kapitalsammelstelle (Banken) als Elemente identifiziert und in ein Kreislaufmodell einbezogen. 892 Vgl. Rieger (1964) S. 15, S. 18 und S. 44.

372

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

Zu diesen Theoriedispositionen und zur Entwicklung einer Allgemeinen Systemtheorie hat der Biologe Ludwig von Bertalanffy in besonderem Mae beigetragen.893 Er entwickelt zunchst eine Theorie des Organismus. Hiernach ist der Organismus ein offenes System, da er mit seiner Umwelt in einem Stoff- und Energieaustausch steht.894 Seine Theorie des Organismus wendet sich vom Reduktionismus ab, der das Verhalten des ganzen Organismus mit dem Verhalten seiner Teile zu erklren versucht. Dem setzt von Bertalanffy einen Holismus entgegen, der behauptet, dass der Organismus Eigenschaften aufweist, die durch eine eigene Qualitt ausgezeichnet sind, die nicht auf das Verhalten seiner Teile zurckgefhrt werden kann. Die Theorie des Organismus steht auch im Gegensatz zu mechanistischen Vorstellungen, denn sie geht nicht davon aus, dass die Elemente des Organismus in immer gleicher, festgelegter, vorhersagbarer Weise zusammenwirken. Darber hinaus wird das Verhalten des Organismus und seine Entwicklung als zielgerichtet betrachtet. Weiter unterscheidet sich die Theorie des Organismus von Bertalanffy vom damalig vorherrschenden vitalistischen Denken. Whrend der Vitalismus die Seele oder Entelechie bemht, um Freiheitsgrade des Organismus zu erklren, ist es in der Theorie des Organismus von Bertalanffy die faktische und logische Unbestimmbarkeit des Organismus, die Freiheitsrume erffnet.

893 Ludwig von Bertalanffy und der Mathematiker, Biologe und Psychologe Anatol Rapoport

werden in der einschlgigen Literatur als Begrnder der Allgemeinen Systemtheorie genannt. 1954 grnden sie gemeinsam mit dem Neurophysiologen und Verhaltenswissenschaftler Ralph Gerard und dem konomen Kenneth Boulding die Society for General Systems Research, die spter in International Society for the Systems Sciences umbenannt wurde. Ziel der Gesellschaften war es, einen Beitrag zur berwindung der Grenzen der Einzelwissenschaften zu leisten und damit eine interdisziplinre Zusammenarbeit der Wissenschaften zu frdern. Dazu sollte auch das von den oben Genannten herausgegebene Jahrbuch General Systems einen Beitrag leisten. Rapoport beschftigte sich auer mit allgemeiner Systemtheorie mit der Spiel- und Entscheidungstheorie sowie mit Friedens- und Konfliktforschung, vgl. Rapoport (1989) und Rapoport (1993). Auch Kenneth Boulding verffentlichte ber Themen der Friedens- und Konfliktforschung. Mit seinem Beitrag zur Umweltproblematik, vgl. Boulding (1966), erregte er Aufsehen. Denn er propagiert eine Wirtschaft, die nicht auf Wachstum abstellt. Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum kann unendlich lange andauern in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrckter oder ein konom. Boulding strebt evolutionary economics an, in der die Bedeutung des Wissens und des Lernens fr die wirtschaftliche Entwicklung besonders hervorgehoben werden. Den Versuch, smtliche Lebensbereiche mithilfe des konomischen Ansatzes (der Anwendung des konomischen Kalkls) zu erklren und zu prognostizieren, lehnt Boulding ab und wendet sich damit gegen den Methodenimperialismus, den viele seiner Fachkollegen betreiben sowie gegen neoliberale Vorstellungen der konomisierung smtlicher Lebensbereiche. 894 Von Bertalanffy (1940) S. 521-531. Im Jahr 1932 fhrt von Bertalanffy den Begriff offenes System ein, vgl. von Bertalanffy (1932).

373

10

Systemtheoretische Konzepte

Die Theorie des Organismus hat von Bertalanffy zu einer allgemeinen Systemtheorie ausgebaut,895 die offene von geschlossenen Systemen unterscheidet.896 Geschlossene Systeme haben keine Umwelt bzw. die Umwelt ist fr sie irrelevant. uere Einflsse auf das System gibt es nicht. Damit gilt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, nach dem die Entropie in geschlossenen Systemen stndig zunimmt. Fr die Verteilung von Moleklen in einem hermetisch abgeschlossenen Raum beschreibt Entropie den bergang von einer ungleichen Verteilung (unwahrscheinlicher Zustand) der Molekle im Raum zu ihrer Gleichverteilung (wahrscheinlichster Zustand).897 Gleichverteilung der Molekle bedeutet Gleichverteilung der Temperatur und des Drucks im System. Ist das der Fall, liegt ein thermodynamisches Gleichgewicht vor. Mit dem Ausgleich der Temperatur gibt es im System kein thermodynamisches Potenzial mehr. Mechanische Arbeit kann nicht mehr verrichtet werden, denn dazu fehlt dem System nutzbare Energie (negative Entropie). Verallgemeinert man diesen Gedanken, gilt fr geschlossene Systeme, dass sie die Tendenz aufweisen, alles Unterscheidbare (was sich in ihnen befindet) aufzulsen, da keine Energie mehr vorhanden ist, irgendetwas von etwas anderem zu unterscheiden.898 Mit dieser Erkenntnis steht man vor der Frage, wie es denn unter der Bedingung des Anstiegs der Entropie mglich ist, dass es physikalische, chemische, biologische, psychische und soziale Ordnungen gibt? Die Antwort wird mit der Theorie offener Systeme gegeben. Fr offene Systeme hat das Gesetz der Entropiezunahme keine Gltigkeit, denn es findet ein (Energie- und/oder Materien-)Austausch mit der Umwelt statt. Die Austauschbeziehungen erscheinen in unterschiedlichen Ausprgungen. Im Fall von organischen Systemen stellt man sich vor, dass Energie aus der Umwelt zugefhrt wird und nicht mehr nutzbare Energie an die Umwelt abgegeben wird. Durch Stoffwechsel, die Struktur des Organismus und die dynamischen Prozesse im Organismus strebt der Organismus zu einem Fliegleichgewicht,899 zu einem steady stateZustand. Kennzeichen offener Systeme sind langfristige Fliegleichgewichte. Steady
895 Von Bertalanffy (1945), (1949), (1972) und (2001). Schon 1945 skizziert von Bertalanffy Prinzi-

896 897 898 899

pien einer Allgemeinen Systemlehre, vgl. von Bertalanffy (1945) S. 31-45. Mithilfe von Differentialgleichungen bestimmt er die Begriffe: System, stationrer Zustand, stabiles, instabiles, Gleichgewicht (S. 32 f.), Finalitt (die den Anschein hat, als ob die aktuelle Vernderung von einem erst in Zukunft zu erreichenden Endzustand abhngig wre, dabei aber auf der rein formalen Eigenschaft eines Gleichungssystems beruht.), Maximum, Minimum (S. 34), Ganzheit, reale Summativitt, fortschreitende Mechanisierung, Zentralisierung, fhrendes Element, Verstrkung, hierarchische Ordnung, quifinalitt (der gleiche Endzustand wird trotz unterschiedlicher Anfangsbedingungen und auf verschiedenen Wegen erreicht S. 40) und verdeutlicht, dass Elemente von Systemen wiederum geschlossene und offene Systeme sein knnen. Vgl. von Bertalanffy (1949) S. 37. Jeder beliebige Zustand eines geschlossenen Systems ist durch die Position und die Geschwindigkeit der Teile bestimmt. Luhmann spricht von sozialer Entropie und meint damit die gleiche Wahrscheinlichkeit von Annehmen und Ablehnen einer Kommunikationsofferte, vgl. Luhmann (2005b) S. 221. Vgl. von Bertalanffy (1953) sowie derselbe (1949).

374

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

state-Zustnde werden auch fr die Wirtschaft behauptet. Sie beruhen auf der Annahme abnehmender Grenzproduktivitten der zum Einsatz gebrachten Produktionsfaktoren. Diese Bedingung stellt sicher, dass die Wirtschaft einem langfristigen Fliegleichgewicht entgegenstrebt, anstatt endlos zu wachsen. Festzuhalten bleibt, dass eine Theorie offener Systeme notwendig wurde, um zu erklren, wieso Entropie nicht eintritt und Ordnung ab- und wieder aufgebaut werden kann. Gleichzeitig mit von Bertalanffy entwickelt in den 1940er Jahren Ilya Prigogine einen hnlichen Systemansatz, der sich auf irreversible Prozesse konzentriert.900 Prigogine untersuchte die Bildung von Strukturen in offenen chemischen Systemen. Er konnte nachweisen, dass offene Systeme sich dadurch auszeichnen, dass sie gleichgewichtsferne Zustnde annehmen knnen und ihre Stabilitt nicht (in jedem Fall) durch einen Gleichgewichtszustand gesichert ist. Bedingt durch nicht lineare Rckkopplungen innerhalb des Systems und einen stndigen Austausch von Materie und Energie mit der Umwelt, kann Systemstabilitt ohne Gleichgewichtszustand erreicht werden.901 Weitergehend fhren zustzliche Einflsse der Umwelt auf das System zu vermehrten internen Schwankungen, die thermodynamische Stabilittsgrenzen sprengen und spontan neue Strukturen, eben dissipative Strukturen, begrnden.902 Hervorgerufen werden die dissipativen Strukturen nicht direkt durch Umwelteinflsse, sondern sie werden selbstreproduktiv durch das System hergestellt. Das Verhalten des Systems wird damit von seiner eigenen historischen Entwicklung beeinflusst.903 Die Vorstellung, nach der offene Systeme Gleichgewichtszustnde anstreben bzw. sich in einem Gleichgewicht befinden, muss seit der Entdeckung dissipativer Strukturen durch Prigogine als widerlegt angesehen werden. Mit einer anthropomorphen Ausdrucksweise knnte man sagen, dass die Materie unter gleichgewichtsfernen Bedingungen beginnt, Unterschiede in der Auenwelt (wie etwa schwache Gravitations- oder elekt-

900 Vgl. Prigogine (1988). 901 Im Gegensatz zu den Auffassungen der Gleichgewichts-Thermodynamik entstehen in Un-

gleichgewichtssituationen spontan neue Strukturtypen. Unordnung und Chaos knnen sich unter gleichgewichtsfernen Bedingungen in Ordnung verwandeln. Prigogine/Stengers (1981) S. 21. Wir knnen von einer neuen Kohrenz sprechen, von einem Mechanismus der Kommunikation zwischen den Moleklen. Eine solche Kommunikation kann allerdings nur unter gleichgewichtsfernen Bedingungen entstehen. Prigogine/Stengers (1981) S. 22. 902 Vgl. Prigogine/Stengers (1981) S. 176, Prigogine (1988) S. 104 und S. 146. 903 Vgl. Prigogine (1988) S. 116.

375

10

Systemtheoretische Konzepte

rische Felder) wahrzunehmen, die sie unter Gleichgewichtsbedingungen nicht spren konnte.904 Nicht nur aufgrund der Entropiegesetze, sondern auch aus einer zweiten, einer historischen Blickrichtung bedarf es einer Theorie offener Systeme, denn nur mit ihr ist zu erklren, wie die Biochemie des Lebens im Bereich organischer Systeme die Artenvielfalt von Lebewesen oder wie sprachliche Kommunikation im Bereich der sozialen Systeme so viele Sprachen und unterschiedliche Kulturen hervorgebracht hat. Seit Darwin ist es die Evolutionstheorie, die die Entwicklung der (organischen und anschlieend der sozialen) Typenvielfalt mit den Begriffen Variation, Selektion (und Stabilisierung) erklrt. Entsprechend der Darwinschen Evolutionstheorie bedarf es zur Selektion, Variation und Stabilisierung von Ordnungen keiner Planung, keines bewusst gesetzten Rahmens, keiner vorhergehenden Modellbildung. Zufallskomponenten bestimmen den Aufbau und die Entwicklung komplexer Ordnungen, nicht absichtsvolle Planung. Systeme ndern zufllig ihre Strukturen. Die Anregungen hierzu kommen aus der Umwelt. Zellmutationen sind ein Beispiel aus dem biologischen Bereich. Informationen, die Systeme aus Irritationen und Strungen erzeugen, sind ein Beispiel aus dem psychischen und sozialen Bereich. Stellen sich die Strukturnderungen nach Prfung als stabil heraus, werden sie beibehalten. Wenn das nicht der Fall ist, werden sie nicht beibehalten. Die Entwicklung der Vielfalt komplexer Ordnungen knnte durch eine Theorie geschlossener Systeme nicht erklrt werden, denn hiernach wre das Gegenteil, nmlich die Zunahme der Entropie, Einfalt und nicht Vielfalt zu erwarten. Akzeptiert man die evolutorischen Vorstellungen, ist damit gleichzeitig das Machbarkeitsdenken innerhalb der Betriebswirtschaftslehre problematisiert. Die Entwicklung (Evolution) komplexer wirtschaftlicher Strukturen wird heute mit Simulationsmodellen wie Zuckerwelt zu erklren versucht.905 Zuckerwelt ist ein offenes, dynamisches Ungleichgewichtssystem, in dem unvollstndig informierte Akteure modelliert werden, die lern- und anpassungsfhig sind, indem sie Informationen verarbeiten. Es entwickelt sich ein dynamisches Netzwerk von Beziehungen zwischen den Akteuren, das Verhaltensmuster auf Systemebene begrndet, an denen sich die Akteure im weiteren Verlauf der Simulation orientieren. Derart wird einerseits durch Systembildung Komplexitt reduziert und andererseits eine immer hhere
904 Prigogine/Stengers (1981) S. 23. Beachte auch die Theorie der Verzweigungen. Eine kleine

Schwankung kann eine neue Entwicklung einleiten, die das Gesamtverhalten des makroskopischen Systems drastisch verndert. Die Analogie zu gesellschaftlichen Problemen, ja zur Geschichte drngt sich auf. Prigogine/Stengers (1981) S. 23. Heute knnen wir in gewisser Vereinfachung sagen, dass unser Interesse sich von der Substanz auf die Beziehungen, auf die Kommunikation, auf die Zeit verlagert. Prigogine/Stengers (1981) S. 12. Wir gehen einer neuen Synthese entgegen, einer neuen Naturauffassung, in der die abendlndische Tradition, die das Experiment und die quantitative Formulierung betont, sich mit der chinesischen Tradition verknpft, in deren Mittelpunkt die Auffassung von einer spontan sich selbst organisierenden Welt steht. Prigogine/Stengers (1981) S. 29. 905 Joshua Epstein und Robert Axtell schufen 1995 das Computermodell Zuckerwelt, das ein stark vereinfachtes Wirtschaftssystem simuliert.

376

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

Komplexitt aufgebaut. Strungen, die auf die Zuckerwelt einwirken, ob von innen oder auen, fhren nicht dazu, dass sich ein neues Gleichgewicht einpendelt, sondern sie setzen einen Informationsverarbeitungsprozess in Gang. Hiermit ist eine neue Blickrichtung angedeutet: die Umsetzung von Gleichgewichtsmodellen auf Informationsverarbeitungsmodelle.906 Den Sachverhalt, dass Ungleichgewichte zwischen wirtschaftlichen Gren Informationsverarbeitungsprozesse in Gang setzen, reflektiert die Wirtschaftswissenschaft seit Langem. Die Unterscheidung von geschlossenen und offenen Systemen ist der Wirtschaftswissenschaft sptestens seit Einfhrung der Kreislaufmodelle gelufig, denn die Elemente des geschlossenen Wirtschaftssystems, nmlich die Unternehmen, die Haushalte, der Staat und die Banken, sind miteinander durch Gter- und Geldbeziehungen verbunden. Insofern werden die Elemente des Wirtschaftskreislaufs als offene Systeme gedacht, fr die die jeweils anderen Elemente des Wirtschaftskreislaufs ihre Umwelt bilden. Auch die Abwendung von geschlossenen und die Hinwendung zu offenen Systemen findet sich in der berwiegenden Mehrzahl wirtschaftswissenschaftlicher Verffentlichungen. Damit verbunden ist die Forderung, Input-Output-Modelle und kybernetische Modelle einzusetzen, um wirtschaftliche Sachverhalte zu beschreiben und zu analysieren.

10.1.4 Input-Output-Modelle
Im Rahmen der Theorie offener Systeme werden die Kontakte des Systems mit seiner Umwelt als Input-Output-Beziehungen beschrieben. In der betriebswirtschaftlichen Literatur ist nachzulesen, dass bezogen auf Unternehmen beispielsweise Produktionsfaktormengen einen Input darstellen. Die Strukturen des Unternehmens werden als Transformationsregeln (z.B. Produktionsfunktionen) beschrieben, nach denen der Input (z.B. Produktionsfaktormengen) in den Output (z.B. Ausbringungsmengen an Gtern) umgewandelt wird. Eine Beeinflussung der Input-Output-Relation ist durch eine Vernderung der Unternehmensstruktur (z.B. Etablierung einer neuen Produktionsfunktion) mglich. Auer in der Betriebswirtschaftslehre findet die Input-Output-Analyse in der Volkswirtschaftslehre als ein Verfahren der empirischen Forschung Anwendung.907 Das Input-Output-Modell stellt Wirtschaftssysteme in Matrixform dar. Die Matrix wird hufig in Vorleistungsverflechtungen, Endnachfrage und Wertschpfung unterteilt. Nach Wirtschaftszweigen untergliedert, werden die Entstehung der Produktion und die hierzu eingesetzten Vorprodukte und Produktionsfaktoren (Inputseite) darge906 Vgl. Luhmann (2006b) S. 127. 907 Die auf Gesamtwirtschaften bezogene Input-Output-Analyse wurde von Wassily Leontief

entwickelt, vgl. Leontief (1966). Im Aufsatz von Leontief und Hoffenberg: The Economic Effects of Disarmament werden erstmalig die konomischen Aspekte einer Abrstung modellmig mithilfe der Input-Output-Analyse dargestellt, vgl. Leontief/Hoffenberg (1961).

377

10

Systemtheoretische Konzepte

stellt und analysiert. Gleiches gilt fr die Verwendung der produzierten Mengen (Outputseite). Dabei werden linear-limitationale Produktionsfunktionen (Leontief Produktionsfunktionen) unterstellt. Heinz von Foerster hat derartige Input-Output-Beziehungen als triviale Maschinen bezeichnet, die er von nicht-trivialen Maschinen unterscheidet. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Output wieder als Input verwenden und insofern zirkulre Verhltnisse aufweisen.908 Diesen Gedanken reflektiert die Theorie der unternehmensinternen und -externen Stoff- und Energiekreislufe, denn sie erkennt, dass nach einer gewissen Zeit der Output zu Abfall wird. Der aufbereitete Abfall (der ehemalige Output) wird von Unternehmen vermehrt als Input beschafft. Damit ist eine zirkulre Beziehung zwischen Input und Output hergestellt.

10.1.5 Kybernetische Modelle


Die Kybernetik beschftigt sich mit der Regelung und Nachrichtenbertragung im Lebewesen und in der Maschine. Mit diesen Begriffen hatte Norbert Wiener sein Werk, mit dem er die Kybernetik begrndete und bekannt machte, betitelt.909 Kybernetik ist bei Wiener und anderen, wie man heute sagt, als Kybernetik erster Ordnung angelegt.910 In der Kybernetik erster Ordnung herrscht ein Denken in Fliegleichgewichten vor. Mit Soll-Ist-Vergleichen, Abweichungsanalysen und Feedbackschleifen sollen, nachdem eine Strung eingetreten ist, Gleichgewichtszustnde hergestellt werden.911 Kybernetische Modelle beziehen sich genau wie Input-Output-Modelle auf offene Systeme. Sie unterscheiden sich von Input-Output-Modellen, da Regelungs- und Steuerungsaspekte mit in die Betrachtung einbezogen werden. Kybernetische Modelle arbeiten mit den Grundbegriffen Regler und Regelstrecke. Der Regler und die Regelstrecke bestimmen den grundlegenden Aufbau, den Regelkreis, derartiger Modelle. Der Regler ist das bestimmende Element, die Regelstrecke der zu beeinflussende Prozess. Neben dem Regler und der Regelstrecke sind Fhrungs- und Strgren zentrale Elemente kybernetischer Systeme. Sie beeinflussen das Zusammenwirken von Regler und Regelstrecke. Die Fhrungsgre bestimmt den Soll-Wert. Die Strgre wirkt auf das Erreichen des Soll-Werts ein. Beide Gren sind exogene Einflussfaktoren. Bei der
908 909 910 911

Vgl. von Foerster (1993) S. 206 f. sowie S. 244 ff. Vgl. Wiener (1968). Vgl. Ashby (1956) und Bertalanffy (2001). Mittlerweile hat sich die sogenannte Kybernetik zweiter Ordnung etabliert. Ungleichgewichtssituationen werden nach dieser Vorstellung als Normalfall von Systemen betrachtet. Instabilitt, Flexibilitt, Wandel, Lernen, Evolution, Autonomie, Selbstreferenz sind Themen, mit denen sich die zuletzt genannte Richtung der Kybernetik befasst. Vgl. Baecker (1993) S. 17-23.

378

Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Systemanstze

10.1

Bestimmung der Fhrungsgre sind Strgren zu bercksichtigen. Geschieht dies, ist eine Vorkopplung (Feed forward) gegeben, die man als Steuerung bezeichnet. Stell- und Regelgren sind weitere Elemente eines kybernetischen Modells. Stellgren sind Manahmen, die vom Regler vorgegeben werden, um die Fhrungsgre zu erreichen. Die Regelgre stellt die faktisch erreichten Ergebnisse dar. Sie liefert IstWerte. Stell- und Regelgre sind endogene Einflussfaktoren. Der Regler vergleicht die vorgegebene Soll-Gre mit der realisierten Ist-Gre und stellt bereinstimmung oder Abweichung zwischen diesen Gren fest. Gibt es Differenzen zwischen SollWerten und Ist-Werten, erfolgt eine Abweichungsanalyse. Das Ergebnis dieser Abweichungsanalyse liefert die Grundlage fr eine Rckkopplung vom Regler zur Regelstrecke. Sie hat das Ziel, eine Angleichung von Soll- und Ist-Werten zu erreichen. Die Kybernetik bezeichnet diesen Fall als Regelung oder auch als Rckkopplung (Feedback).

Abbildung 61:

Regelkreis

Fhrungsgre

Regler
Soll
Rckkopplung

Vergleich

Ist

Regelgre

Stellgre

Regelstrecke
Strgre
Quelle: Bestmann (1990) S.79.

Es muss natrlich Sensoren und Rezeptoren in dem kybernetischen System geben, die durch Reize erregbar sind und sie wahrnehmen knnen sowie in eine Verhaltensintention des Reglers berfhrbar sind. Da etwas getan werden muss, kommt das System

Vorkopplung

379

10

Systemtheoretische Konzepte

nicht ohne Effektoren aus, die die Intention in die Tat umsetzen.912 Es knnen ber Regelung natrlich nicht smtliche Werte eines komplexen Systems stabil gehalten werden, sondern nur bestimmte. Geht es darum, ein System stabil zu halten, spricht man von negativem Feedback. Positives Feedback bedeutet Abweichungsverstrkung, im Sinne von Vernderung des Systems in eine spezifische Richtung. Man kann dann fragen, wie weit bestimmte Steigerungen zugelassen werden knnen, ohne dass das System sich selber gefhrdet. Auf die Wirtschaft bezogen erscheint die Frage berechtigt, wie lange sie noch wachsen kann, ohne sich selbst und die Gesellschaft zu gefhrden.

10.2 Auf die Gesamtwirtschaft bezogene


Systemkonzepte
Bezogen auf die Gesamtwirtschaft knnen marxistische von brgerlichen Wirtschaftssystemtheorien unterschieden werden. Marx selbst hat eine Theorie der konomischen Gesellschaftsformationen entwickelt. Er unterscheidet zwischen Produktivkrften und Produktionsverhltnissen, die in ihrer dialektischen Einheit (in ihrer wechselseitigen Bedingtheit) die Produktionsweise (die konomische Basis der Gesellschaft) bilden. Produktivkrfte, das sind fr Marx insbesondere die Fhigkeiten und Kenntnisse des Produktionsfaktors Arbeit, der technische Stand der Produktionsmittel, die Produktionsmethoden, die Wissenschaft, soweit sie Einfluss auf die Produktionsmethoden nimmt, die Kooperationsformen und der Boden. Letztlich sind unter dem Begriff Produktivkrfte smtliche Faktoren zusammengefasst, die die Arbeitsproduktivitt bestimmen. Produktionsverhltnisse sind die etablierten wirtschaftlichen Institutionen. Die Wechselwirkung zwischen Produktivkrften und Produktionsverhltnissen bringt einen (geistig ideologischen) berbau hervor, in dem die Gesamtheit der kulturellen, rechtlichen und politischen Normen sowie Ideen- und Bewusstseinssysteme zusammengefasst sind. Der berbau wiederum wirkt zurck auf die Produktionsweise und beeinflusst ihre Ausgestaltung. Eine vereinfachende Zusammenfassung des komplizierten wechselseitigen Verhltnisses zwischen Produktivkrften, Produktionsverhltnissen und berbau liefert Marx selbst.913 Der jeweilige Entwicklungsstand von Produktivkrften, Produktionsverhltnissen und entsprechendem geistig ideologischen berbau ist kennzeichnend fr historisch reali912 Das erinnert an psychologische Theorien in ihrer Ausprgung als S-O-R-C-Modelle, die

Response in Verhalten und Konsequenzen differenzieren und Rckkopplungen mit in die Betrachtung aufnehmen, vgl. Abschnitt 8.3.1.1. 913 Vgl. Marx (1972) S. 15.

380

Auf die Gesamtwirtschaft bezogene Systemkonzepte

10.2

sierte konomische Gesellschaftsformationen. Marx unterscheidet die folgenden: Urkommunismus, Sklavenhalterordnung, Feudalismus, Kapitalismus, auf den der Kommunismus folgt, den Marx in die zwei Phasen Sozialismus und Vollkommunismus einteilt.914 Die jeweilige konomische Gesellschaftsformation bestimmt das Verhltnis zwischen den gesellschaftlichen Klassen und die in der jeweiligen konomischen Gesellschaftsformation herrschenden konomischen Gesetze. So begrndet das Privateigentum an den Produktionsmitteln das konomische Grundverhltnis (zwischen der gesellschaftlichen Klasse des Proletariats und der gesellschaftlichen Klasse der Kapitalisten) im Kapitalismus. Aus diesem Klassenverhltnis wird das konomische Grundgesetz (das Bewegungsgesetz) des Kapitalismus, das Mehrwertgesetz abgeleitet.915 Das Mehrwertgesetz bringt den Markt-Preis-Mechanismus (Wertgesetz) und das Profitstreben zum Ausdruck. Es bestimmt die Funktionsweise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Fr Marx ist das Wirtschaftssystem das dominierende Funktionssystem der Gesellschaft, es nimmt gegenber anderen Funktionssystemen (Politik, Recht usw.) eine Vorrangstellung ein und determiniert die Gesellschaft und ihre Entwicklung. Aufbauend auf diesem marxistischen Gedankengut haben die selbsternannten Nachfolger von Marx, zu denen sich auch DDR-Wirtschaftswissenschaftler zhlten, das ehemals entwickelte und real existierende, sozialistische DDR-Wirtschaftssystem mit marxistischer Begrifflichkeit beschrieben und Gestaltungsvorschlge fr seine Weiterentwicklung geliefert.916 Eine geschlossene systemtheoretische Konzeption zur Leitung und Planung sozialistischer Wirtschaftssysteme haben sie nicht vorlegen knnen.917 Ein Beispiel wirtschaftssystemtheoretischer Anstze der brgerlichen konomie ist die Ordnungstheorie von Walter Eucken, die eine Wirtschaftssystemtheorie enthlt918, die von Hensel weiter ausgeformt wurde919. Hensel hat mit der von ihm entwickelten Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft Mglichkeiten der Analyse sozialistischer Wirtschaftssysteme aufgezeigt, die u.a. von Friedrich Haffner aufgegriffen und mit marxistischem Gedankengut durchsetzt zu einer Theorie systemkontrrer Beziehungen ausgebaut wurde.920 Auch die von Gutmann vorgestellte Wirtschaftssystemtheorie baut auf dem Gedankengut von Eucken und Hensel auf.921 Von Hayek prsentiert
914 Marx (1987) S. 21. 915 Marx gibt im Vorwort zur ersten Auflage des ersten Bandes seines Hauptwerks Das Kapital

916 917 918 919 920 921

als letzten Endzweck seiner Forschungen an: das konomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthllen Marx (1977a) S. 15 f. Eine komprimierte Darstellung der Marxschen Wertlehre, des Wertgesetzes und seiner formationsspezifischen Konkretisierung findet sich bei Bardmann (1986) S. 11-23. Vgl. Autorenkollektiv (1971), Granberg (1981), Friedrich (1983). Vgl. zu dieser Selbsteinschtzung sozialistischer Autoren, Bardmann (1988) S. 196 ff. Vgl. Eucken (1950). Vgl. Hensel (1979). Vgl. Haffner (1978). Vgl. Gutmann (1981), Gutmann (1983).

381

10

Systemtheoretische Konzepte

ein Konzept zur Betrachtung von Wirtschaftssystemen, das den Aspekt der Evolutionen der Wirtschaftssysteme in den Vordergrund rckt.922 Kornai greift bei der Entwicklung seiner Wirtschaftssystemtheorie auf die Kybernetik zurck und veranschaulicht, dass die Konstitution von Wirtschaftssystemen Ungleichgewichte voraussetzt.923 Hurwicz befasst sich mit der Theorie der Allokationsmechanismen, d.h. mit der Funktionsweise von Wirtschaftssystemen. Er nutzt hierzu u.a. die Informationstheorie.924 Neuberger/Duffy integrieren entscheidungs-, informations- und motivationstheoretische Einsichten in eine Theorie der Wirtschaftssysteme. Ihr Konzept ist in der einschlgigen Literatur als DIM Approach bekannt.925 Die Auflistung kontroverser Systemanstze knnte weiter fortgesetzt werden. Sie wrde dokumentieren, dass die Volkswirtschaftstheorie, was Systemfragen betrifft, breit gefcherte Angebote bereithlt.926 Angemerkt sei, dass der Wirtschaftssystembegriff in den unterschiedlichen (mit den obigen Namen etikettierten) Anstzen mit differentem Inhalt benutzt wird. So begreift Eucken Wirtschaftssysteme als Idealtypen, als abstrakt-analytische Systeme, whrend er den Wirtschaftsordnungsbegriff zur Umschreibung konkreter Systeme, fr die Konstruktion abstrakt-analytischer Systeme sowie abstrakt-normativer Systeme einsetzt. Diese Art der Begriffsverwendung ist, wie die Literatur belegt, nicht die einzig mgliche.927 In diesem Lehrbuch wird davon ausgegangen, dass es Wirtschaftssysteme in der Realitt gibt. Der Wirtschaftssystembegriff wird somit zur Umschreibung realer Wirtschaften (konkreter Systeme) eingesetzt.928 In diesem Sinne benutzt auch Hensel den Begriff Wirtschaftssystem. Er vertritt die Auffassung, dass Wirtschaftssysteme sowohl die jeweilige Wirtschaftsordnung als auch alle prozesspolitische Gestaltung des wirtschaftlichen Geschehens umfassen.929 Diese von Hensel vorgenommene Unterscheidung zwischen Wirtschaftsordnung und Wirtschaftssystem lsst sich wie folgt interpretieren. Die Ausprgung und Anordnung der Formelemente des Wirtschaftens, die rechtlichen auf die Wirtschaft bezogenen Regeln sowie die sittliche Ordnung (das
922 Vgl. hierzu die Aufsatzsammlung von Hayek (1994), die in seinen Freiburger Studien wie923 Vgl. Kornai (1975). 924 Vgl. Hurwicz (1960) sowie Hurwicz (1972) und Hurwicz (1973). Zum Systemansatz von

dergegeben ist.

925 926 927 928

929

Hurwicz und zu einem berblick ber die Theorie der Allokationsmechanismen vgl. Seidl (1978). Vgl. Neuberger/Duffy (1972) und (1976). Eine Darstellung der zitierten Wirtschaftssystemtheorien und weiterer findet sich bei Bardmann (1988). Zu verschiedenen Alternativen des Gebrauchs obiger Terminologie vgl. Lampert (1981) S. 17 ff. Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs Wirtschaftssystem, vgl. Ptz (1964) S. 133 f. Vgl. Hensel (1977) S. 110 ff. Auch Luhmann betont immer wieder die Realitt sozialer Systeme und damit auch die Realitt des Wirtschaftssystems. Hiermit ist ein Unterschied zu der Begriffsverwendung von Eucken markiert. Eucken benutzt den Begriff Wirtschaftssystem zur Bezeichnung eines abstrakt analytischen Systems. Vgl. Hensel (1970) S. 14.

382

Auf Betriebswirtschaften bezogene Systemkonzepte

10.3

Ethos der Wirtschaftenden) machen die Wirtschaftsordnung aus. Die Existenz, Ausgestaltung und Kombination dieser Ordnungselemente begrnden neben der Verteilung von Entscheidungsmacht und unterschiedlichen Formen der Koordination von Entscheidungen spezifische Leistungsanreiz- und Leistungskontrollsysteme.930 Diese zuletzt genannten Systeme wirken je nach Ausprgung auf wirtschaftliches Handeln ein und stellen Subsysteme des Wirtschaftssystems dar. Neben dem Beziehungsnetz zwischen den Formelementen umfasst das Wirtschaftssystem die auf den Wirtschaftsprozess und die Wirtschaftsordnung bezogene Wirtschaftspolitik und das Sachund Humanvermgen in Form von Bestnden an Produktionsfaktoren und Produkten sowie von technischem und organisatorischem Wissen. Auch diese Elemente werden in die Systembetrachtung mit einbezogen.931 Darber hinaus wird der durch die Formelemente geordnete Wirtschaftsablauf, der Wirtschaftsprozess, als Bestandteil des Wirtschaftssystems betrachtet.932

10.3 Auf Betriebswirtschaften bezogene


Systemkonzepte
Neben den auf die Gesamtwirtschaft gerichteten Systementwrfen gibt es eine Vielzahl von Verffentlichungen, die das Systemkonzept auf Unternehmen und die Unternehmensfhrung anwenden. Das prominenteste ist das St. Galler Modell. Es ist nach der Universitt St. Gallen benannt, an der Hans Ulrich Ende der 1960er Jahre die wesentlichen Vorarbeiten leistete.933 Gemeinsam mit Walter Krieg publizierte Ulrich im Jahre 1972 als Ergebnis ihrer Forschungsarbeit Das St. Galler ManagementModell.934 Es bildete den Ausgangspunkt fr vielfltige Ergnzungen und Weiterentwicklungen, an denen die Autoren Fredmund Malik935, Gilbert Probst und Peter Gomez936, Knut Bleicher937, Johannes Regg-Strm938, Peter Kruse939 und andere beteiligt waren. Nach dem Selbstverstndnis der St. Galler Schule ist ihr Konzept einer systemorientierten Betriebswirtschaftslehre nicht als Gegensatz zum entscheidungs-

930 Vgl. Hensel (1963) S. 327. 931 Vgl. Bardmann (1988) S. 62 ff. 932 Zu einer derartigen Begriffsverwendung, vgl. Schnwitz/Weber (1983) S. 6 sowie Leipold

933 934 935 936 937 938 939

(1985) S. 85. Zur unterschiedlichen Verwendung des Wirtschaftsordnungs- und Wirtschaftssystembegriffs vgl. Bardmann (1988) S. 34 ff. Vgl. Ulrich, H. (1970). Vgl. Ulrich, H., Krieg, W. (1972). Vgl. Malik (1992). Vgl. Probst/Gomez (1987). Vgl. Bleicher (1994) und (2004). Vgl. Regg-Strm (2003). Vgl. Kruse (2010).

383

10

Systemtheoretische Konzepte

theoretischen Ansatz zu verstehen, vielmehr wird behauptet, dass der Systemansatz den entscheidungstheoretischen Ansatz beinhalte.940 Das Fundament, auf dem Hans Ulrich und seine Nachfolger ihre systemtheoretische Betriebswirtschaftslehre errichten, bilden Erkenntnisse der Systemtheorie und der Kybernetik, die auf Unternehmen angewandt werden. Unternehmen werden als Ganzheit gesehen, die aus Teilen bestehen.941 Diese Teile sind derart miteinander verbunden, dass smtliche Teile wechselseitig zusammenhngen.942 Eine Auswirkung dieses ganzheitlichen Denkens ist der Einbezug der Umwelt in die berlegungen. [] So wird die Unternehmung als ein offenes System betrachtet.943 Unternehmen sind durch Gter-, Geld- und Informationsstrme mit ihrer vielschichtigen Umwelt (kologischen Umwelt, technischen Sphre, konomischen Sphre, sozialen Sphre) verbunden. In diesen Umwelten sind verschiedene Institutionen, Kunden, Konkurrenten, Kapitalgeber, Lieferanten, Arbeitnehmer angesiedelt, gegenber denen sich Unternehmen behaupten mssen.944 Dazu ist es notwendig, Unternehmen zu gestalten, zu lenken und zu entwickeln.945 Gestaltung, Lenkung und Entwicklung sind die eigentlichen Aufgaben der Unternehmensfhrung. Um ihre Aufgaben zu erfllen, greift die Unternehmensfhrung auf kybernetische Vorstellungen zurck, die fr technische Systeme entwickelt worden sind.946 Unternehmen sind nach dem Verstndnis der St. Galler Schule technische (produktive) Systeme und gleichzeitig soziale Systeme. Fr Vertreter des St.-Galler Ansatzes sind Menschen die Elemente von sozialen Systemen.947 Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass eine derartige Vorstellung berholt ist.948 Unternehmen setzen sich, soweit sie als soziale Systeme begriffen werden, nicht aus Menschen zusammen, sondern aus dem, was Menschen tun. Soweit Unternehmen als soziale Systeme analysiert werden, unterscheidet sich die Sichtweise der St. Galler Schule fundamental von jener, die soziale Systeme als operativ geschlossene Systeme begreift. Die Vorstellung der operativen Geschlossenheit ist bereits bei den Vertretern der Kybernetik erster Ordnung
940 Vgl. Ulrich, H. (2001) S. 35. 941 Vgl. Ulrich/Probst (1990) S. 27. 942 Vgl. Ulrich/Probst (1990) S. 30. Wenn in einem System alle Teile miteinander verknpft sind,

943 944

945 946

947 948

ist, in systemtheoretischer Begrifflichkeit ausgedrckt, das System mit einer Vollstruktur ausgestattet. In der Betriebswirtschaftslehre wird eine derartige Systemvorstellung z.B. genutzt, um die mengenmigen Leistungsverflechtungen zwischen Kostenstellen darzustellen. Auf dieser Basis werden Verrechnungspreise ermittelt. Vgl. Ulrich, H. (2001) S. 46 ff., Zitat S. 47. Vgl. Ulrich, H. (2001) S. 48. An dieser System- und Umweltvorstellung, die Ulrich in einem Schaubild zusammenfasst, irritiert einiges, insbesondere die Trennung von sozialer und konomischer Sphre. Vgl. Ulrich/Probst (1990) S.259 ff. sowie Ulrich, H. (2001) S. 66 ff. Die Vertreter der St. Galler Schule lassen sich bei diesem Rckgriff von Stafford Beer (19262002) inspirieren. Beer wandte als einer der Ersten die Kybernetik auf Managementfragen an. Zu den ursprnglichen Vorstellungen von Beer, vgl. Beer (1962a) und (1962b). Vgl. statt anderer Textstellen Ulrich/Probst (1990) S. 233. Vgl. u.a. Abschnitt 8.3.2.4.

384

Auf Betriebswirtschaften bezogene Systemkonzepte

10.3

insofern angelegt, als sie einen Unterschied machen zwischen Systemen, die fr Energiezuflsse offen sind, und Systemen, die, wie Ashby es ausdrckte, bezglich der Informationskategorie informations- und steuerungsdicht sind.949 Wenn Unternehmen der Status von sozialen Systemen zuerkannt wird, ist damit ihre Komplexitt und Dynamik hervorgehoben und die Erkenntnis der St. Galler Schule, dass komplexe soziale Systeme, wie es Unternehmungen sind, [] sich nicht wie vergleichsweise einfache, seelenlose Maschinen gestalten und lenken [lassen M.B]; wohl aber lassen sich dieselben theoretischen Grunderkenntnisse sinngem auch auf Sozialgebilde anwenden.950 Gemeint sind die kybernetischen Kategorien: Information, Steuerung und Regelung. Mit diesen Begriffen wird Unternehmensfhrung als kybernetischer Regelkreis beschreibbar.951 Die sich durch das Zusammenwirken der Menschen im Unternehmen spontan bildende Ordnung (informelle Organisation, Selbstorganisation) ist fr das Funktionieren eines Unternehmens notwendig,952 reicht allerdings nicht aus, um Unternehmen auf Unternehmensziele zu orientieren. Erforderlich ist auch ein bewusstes, rationales Gestalten der Unternehmensstruktur (formale Organisation) und der Unternehmensablufe durch die Unternehmensfhrung. Obwohl Unternehmen komplexe und dynamische Systeme sind, weisen sie eine Ordnung (stabile Struktur, spezifische Art der Vernetzung von Handlungen und Entscheidungen) auf, die ein Verhaltensmuster erzeugt. Die Elemente des Unternehmens verhalten sich nicht beliebig, sondern regelgebunden. Unternehmensgestaltung als eine Kernaufgabe des Managements besteht in dem Entwerfen einer Ordnung, die das Verhalten der im Unternehmen ttigen Menschen auf Unternehmensziele orientiert. Das Bewirken konkreter Handlungen, die sich in die vorgedachte Ordnung einfgen, ist eine zweite Kernaufgabe des Managements, die als Unternehmenslenkung bezeichnet wird. Hierbei geht es um unmittelbare Lenkung der Unternehmensprozesse bei eintretenden Strungen. Dabei steht nicht die personale Lenkung im Vordergrund, sondern eine Lenkung durch abstrakte Lenkungssysteme, und erst wenn diese versagen, ist durch personenbezogene Einzelanweisungen einzugreifen. Die dritte Kernfunktion der Unternehmensfhrung besteht in der Unternehmensentwicklung. Darunter ist die Aufgabe des Managements zu verstehen, Voraussetzungen zu schaffen, um die Lernfhigkeit der Unternehmung zu frdern. Diese von Ulrich entwickelten Grundgedanken erfuhren eine Weiterentwicklung u.a., indem die Dimensionen des werthaften (Managementphilosophie), normativen (Unter-

949 Cybernetics might, in fact, be defined as the study of systems that are open to energy but 950 Ulrich, H. (2001) S. 44. 951 Vgl. Ulrich, H. (2001) S. 15. Darauf hatte Heinen ebenfalls aufmerksam gemacht und auf die

closed to information and control-systems that are information-tight.Ashby (1956) S. 4.

Schwierigkeiten hingewiesen, die entstehen, wenn man den Industriebetrieb als eine Hierarchie sich berlappender Regelkreise auffasst, vgl. Heinen (1974) S. 690. 952 Vgl. Ulrich, H. (2001) S. 113 und S. 182.

385

10

Systemtheoretische Konzepte

nehmenspolitik, Mission), strategischen (Programme) und operativen Managements (Auftrge) unterschieden sowie ihr Zusammenspiel und ihre vertikale Integration verdeutlicht wurden. Die horizontale Integration beschreibt das Unternehmensmodell mit den Begriffen Struktur, Aktivitten, Verhalten und charakterisiert hiermit die Unternehmensentwicklung. In Abbildung 62 sind die Grundzge des St.-Galler Management-Modells zusammengefasst.

Abbildung 62:

Zusammenhang von normativem, strategischem und operativem Management in horizontaler und vertikaler Sicht
UNTERNEHMUNGS- und MANAGEMENTPHILOSOPHIE Vision Horizontale Integration

Unternehmungsverfassung

NORMATIVES MANAGEMENT Unternehmungskultur Unternehmungspolitik Mission

Vertikale Integration

Organisationsstrukturen Managementsysteme

STRATEGISCHES MANAGEMENT Programme

Problemverhalten

Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme Strukturen

OPERARTIVES MANAGEMENT

Leistungs- und Kooperationsverhalten Verhalten

Auftrge AKTIVITTEN

UNTERNEHMENSENTWICKLUNG Entwicklung von Markt-, Technologie- und Managementpotentialen


Quelle: Bleicher (1994) S. 17.

Die Themen Unternehmenskultur und Unternehmensethik sind integraler Bestandteil des St. Galler Konzepts. Peter Ulrich, Grnder des Instituts fr Wirtschaftsethik der Universitt St. Gallen, hat sich mit diesen Fragen intensiv auseinandergesetzt.953 Innerhalb der Betriebswirtschaftslehre ist die Mglichkeit der Instrumentalisierung von Unternehmenskultur und Unternehmensethik kontrovers diskutiert worden. Es gibt Fachvertreter, die einen positiven Zusammenhang von Unternehmenskultur, Rentabilitt, Wirtschaftlichkeit und Produktivitt behaupten und die wesentliche Auf953 Zu der von Ulrich vertretenen Auffassung ber Unternehmensethik, vgl. Abschnitte 2.6.1 und

2.6.2. Zu seinem Verstndnis von Unternehmenskultur, vgl. Ulrich, P. (1992) S. 4351-4366.

386

Auf Betriebswirtschaften bezogene Systemkonzepte

10.3

gabe der Unternehmensfhrung im Aufbau eines Wertesystems und dem Vorleben von Werten sehen,954 whrend andere Einflussmglichkeiten auf die Unternehmenskultur als begrenzt ansehen.955 Die Betrachtung der kulturellen Dimension von Unternehmen ist insbesondere von Edgar H. Schein (geb. 1928) vorangetrieben worden. Schein definiert Unternehmenskultur als ein Muster gemeinsamer Grundprmissen, das die Gruppe bei der Bewltigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewhrt hat und somit als bindend gilt, und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz fr den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird.956 Nach dem Grad ihrer Sichtbarkeit unterscheidet Schein drei Kulturebenen: die Ebene der Artefakte, die Ebene der bekundeten Werte und die Ebene der Grundannahmen. Diese Kulturebenen beeinflussen sich wechselseitig. Damit Unternehmen in ihrer Umwelt Bestand haben, mssen sie sich zum einen an ihre Umwelt anpassen, und sie mssen ihre Mitglieder in das Unternehmen integrieren. Bei den Versuchen der Bestandssicherung werden Problemlsungsmuster unbewusst erlernt, abgespeichert und als Grundprmissen des Handelns selbstverstndlich, ohne dass sie stndig hinterfragt werden. Diese Grundprmissen erzeugen einheitliche Verhaltensweisen, Gruppennormen, Denkgewohnheiten, Spielregeln und erzeugen Symbole, denen gemeinsame Bedeutungen zugeschrieben werden. Die grundlegenden berzeugungen bestimmen Unternehmensstrategien, Unternehmensziele, Unternehmensleitbilder und konkrete Manahmen sowie den im Unternehmen angewandten Fhrungsstil. Die weiteren Zusammenhnge zwischen den Kulturebenen sind aus der folgenden Abbildung 63 zu entnehmen.

954 Vgl. Peters/Waterman (1982). 955 Vgl. Schein (1995). 956 Schein (1995) S. 25.

387

10

Systemtheoretische Konzepte

Abbildung 63:

Ebenen der Unternehmenskultur

Artefakte Verwendete Technologie Kunst Architektur Rituale und Zeremonien Geschichten, Legenden und Anekdoten Mythen Idiosynkratrische Sprache Logo Kleidung Bekundete Werte Unternehmensgrundstze Unternehmensleitbilder usw. internalisierte Werte (Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Flexibilitt)

Sichtbare Strukturen und Prozesse, die zwar beobachtet werden knnen, deren Bedeutung aber nur schwer zu entschlsseln ist.

Strategien, Ziele, Philosophie, Leitbilder, die offiziell bekundet werden und als Bezugspunkte und zur Rechtfertigung bestimmter Handlungen herangezogen werden. Hiermit wird eine intersubjektive berprfung realer Handlungen angestrebt. Selbstverstndliche, unbewusste, unsichtbare Anschauungen, Gedanken, Gefhle und grundlegende berzeugungen, die nicht hinterfragt werden. Sie bleiben unausgesprochen, sind nicht verhandelbar und bestimmen die Wahrnehmungen der Mitarbeiter des Unternehmens.
Quelle: Schein (1995) S. 30.

Grundannahmen Menschen- und Weltbilder religise berzeugungen

Den Versuch von Hans Ulrich, die Unternehmung als produktives soziales System zu bestimmen, erklrte Gutenberg fr gescheitert.957 Er beklagte, dass durch den Versuch, verhaltenswissenschaftliche Einsichten in die Betriebswirtschaftslehre zu integrieren, die Grenzen zu anderen Sozialwissenschaften verschwimmen und die Identitt der Betriebswirtschaft verloren gehen wrde. Dieter Schneider stimmt spter in diese Klage ein, indem er seine Dilettantismus-These formuliert.958 Hiermit behauptet er, dass Versuche, in der betriebswirtschaftlichen Forschung verschiedene Aspekte menschlichen Handelns zu verknpfen, nur zu Dilettantismus in der Theoriebildung fhren kann. Identittsverlust der Betriebswirtschaftslehre droht auch aus anderen Grnden.959

957 Zur ablehnenden Haltung Gutenbergs gegenber dem systemtheoretischen Konzept von

Hans Ulrich, vgl. Gutenberg (1989) S. 168 ff. Als Fazit schreibt Gutenberg: Ich meine, dass ich die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man die Unternehmung als soziales System zum Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre macht, von Anfang an richtig gesehen habe. Gutenberg (1989) S. 50. Auch die auf Drkheim zurckgehende Einsicht, dass soziale Systeme emergente Eigenschaften besitzen und daher Soziales nur mit Sozialem erklrt werden kann, reflektiert Gutenberg und kommt zu dem Schluss, dass auch diese Konzeption nicht dazu angetan sei, ein eigenstndiges Problemfeld der Betriebswirtschaftslehre zu generieren. 958 Vgl. Schneider (1993) S. 140. vgl. 959 Vgl. hierzu statt anderer Schreygg (2007) S. 1-25.

388

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Von der St. Galler Schule unterscheiden sich systemtheoretisch-evolutionr orientierte Unternehmens- und Unternehmensfhrungstheorien, die als Mnchener Managementansatz rund um die Autoren Kirsch, Seidel und van Aaken bekannt geworden sind.960 Weiter hat sich ein Wiener Managementansatz etabliert, der u. a. mit den Verffentlichungen von Kasper und Mayrhofer verbunden ist.961 Erwhnenswert sind auch die von den Universitten Heidelberg und Herdecke ausgehenden Impulse, die genau wie der Wiener Managementansatz auf der von Luhmann entwickelten Systemtheorie basieren.962 Innerhalb der Betriebswirtschaftslehre finden die genannten Systemtheoretiker allerdings nicht die ihnen gebhrende Resonanz. Neben den aufgefhrten Autoren sind Wimmer, Knigswieser und Hillebrand zu nennen, die Organisationen und ihre Beratung aus systemtheoretischer Perspektive betrachten963, sowie Willke, der Wissen (als Produktionsfaktor) in den Vordergrund seiner Betrachtungen stellt und auf der Basis der Luhmannschen Systemtheorie eine Theorie der Firma vorzulegen versucht964 sowie Strategien der Intervention in autonome Systeme, zu denen er Unternehmen zhlt, entwickelt.965 Die obige Aufzhlung von Systemtheorie durchdrungenen Betriebswirtschaftslehren verdeutlicht, dass der Betriebswirtschaftslehre nicht der Vorwurf einer Abstinenz in Systemfragen gemacht werden kann.

10.4 Neuere Entwicklungen auf der Ebene der


Allgemeinen Systemtheorie
Die vorstehenden Darstellungen haben gezeigt, dass Umstellungen auf der Ebene der allgemeinen Systemtheorie von weiten Teilen der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur explizit oder implizit nachvollzogen worden sind. Die Wirtschaftswissenschaft stellt von Gleichgewicht auf Ungleichgewicht, von geschlossenen auf offene Systeme um und nutzt Input-Output- und kybernetische Modelle, um wirtschaftliche Institutionen als offene Systeme zu beschreiben, die mit ihrer Umwelt in Beziehung stehen. Im Folgenden werden neuere Entwicklungen der Allgemeinen Systemtheorie vorgestellt, die von Niklas Luhmann initiiert und auf soziale Systeme bertragen wurden.966 Vorweg sei darauf hingewiesen, dass sich sowohl die volkswirtschaftliche wie auch die betriebswirtschaftliche Forschung zurckhaltend verhlt, was den Einbau der
960 961 962 963 964 965 966

Vgl. Kirsch, W. (1992) sowie Kirsch/ Seidl/Aaken (2009). Vgl. Kasper/Mayrhofer/Meyer (1998) S. 603-621. Vgl. hierzu Baecker (1994), (2003) sowie Simon, F. B. (2007a), Simon, F. B. (2007b). Vgl. Wimmer (2004) und Knigswieser/Hillebrand (2008). Vgl. Willke (2001). Vgl. Willke (1987) S. 333-361. Bevor der Leser sich mit dem folgenden Text beschftigt, sollte er sich noch einmal die Ausfhrungen in Abschnitt 3.1.4 in Erinnerung rufen.

389

10

Systemtheoretische Konzepte

von Luhmann gelieferten Einsichten in die wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung betrifft. Dies hat mehrere Grnde. Zum einen liegt es daran, dass die von Luhmann verwandte Begrifflichkeit fr Wirtschaftswissenschaftler/innen, gelinde gesagt, ungewohnte Kost darstellt. Das Lesen seiner Texte und das Nachdenken seiner Gedankengnge ist eine mhevolle, Zeit raubende Angelegenheit. Hinzu kommt, dass Luhmann ein Vielschreiber war. Er hat seine Gedanken in ber 50 Monografien und mehr als 500 Aufstzen zusammengefasst. Darber hinaus ist derjenige, der sich fr die Luhmannsche Systemtheorie interessiert, nicht nur mit dem enormen Umfang der zu bearbeitenden Primrliteratur konfrontiert, sondern auch mit der Tatsache, dass die Luhmannschen Begriffe mit gewohnten, sozialwissenschaftlichen Begriffstraditionen brechen. Die aus ursprnglichen Sinnzusammenhngen herausgelsten Begriffe definiert Luhmann mit Bezug aufeinander neu.967 Wenn nun, wie mehrfach geschehen, begriffliche Umstellungen derart vorgenommen werden, dass theorieleitende Begriffe ausgewechselt werden, dann verndert sich die gesamte Theoriekollage bzw. treibt die Theorie in hhere Schichten der Abstraktion.968 Auch dieser Sachverhalt des stndigen Umarrangierens der Theorie erleichtert nicht gerade den Zugang zur neueren Systemtheorie, sondern stellt ein Hindernis dar, das berwunden werden muss. So nimmt die Mehrzahl der wirtschaftswissenschaftlichen Verffentlichungen die Luhmannsche Systemtheorie gar nicht zur Kenntnis. Darber hinaus zeichnen sich die wenigen Versuche, neue Theoriefiguren der Allgemeinen Systemtheorie in wirtschaftswissenschaftliche Konzepte zu integrieren, dadurch aus, dass sie mehrheitlich die Schlsselkategorien der neueren Systemtheorie bis zur Unkenntlichkeit verbiegen. Sie lsen die benutzten Begrifflichkeiten aus dem Kontext der neueren Systemtheorie heraus und benutzen sie mit eingeschrnkter oder neuer Bedeutung, um eingetretene Pfade des eigenen Ansatzes ungestrt weiterzuverfolgen. Insbesondere die differenztheoretische Anlage der von Luhmann konzipierten Systemtheorie, die nicht mehr auf Einheit (Ganzheit), sondern auf Unterschiede aufbaut, wird von der Wirtschaftswissenschaft nur sporadisch wahrgenommen. Die Ganzes/Teil-Unterscheidung, nach der Systeme sich aus einer Menge miteinander in Beziehung stehender Teile zusammensetzen, ersetzt Luhmann durch die System/Umwelt-Unterscheidung. Diese Aussage reicht allerdings nicht aus, um den vernderten Blick auf Systeme zu charakterisieren, denn die Unterscheidung von System und Umwelt findet sich bereits in der Theorie offener Systeme. Neu ist an dem Theorieangebot von Luhmann, wie beschrieben, nicht die Unterscheidung von System und Umwelt, sondern die Umstellung der Systemvorstellung von Einheit (Ganzheit, Identitt) auf Differenz und die Kombination von geschlossenen (Geschlossenheit) und offenen
967 Vgl. Luhmann (1987), S.12. 968 Beispiele hierfr sind Luhmanns kommunikationstheoretische Wende (Umstellung von

Handlung auf Kommunikation als Letztelement sozialer Systeme), seine autopoietische Wende (Umstellung von Selbstorganisation (Struktur) auf Selbsterzeugung der Operation (Element)), seine radikalisierte differenztheoretische Wende (Umstellung von der Differenz von System und Umwelt auf Differenz von Identitt und Differenz), die Einfhrung der Beobachtung zweiter Ordnung u.s.w.

390

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Systemen (Offenheit). Luhmanns These lautet: Systeme sind operativ geschlossen und Geschlossenheit macht Offenheit erst mglich. Hiermit wird die Theorie offener System nicht widerrufen. Ihre Aussagen behalten fr bestimmte Realittsebenen ihre Gltigkeit. So werden Systeme auf der Ebene der Thermodynamik weiter als offene Systeme behandelt. Auf der Ebene ihrer Operationen sind Systeme allerdings als geschlossene Systeme zu betrachten. Luhmann erklrt die Theorie offener Systeme also nicht fr obsolet. Er beabsichtigt vielmehr, wie er selber sagt, die Theorie offener Systeme zu berarbeiten969, und um das zu leisten, startet er seine Theoriebildung mit der Behauptung: System ist Differenz. System ist die Differenz zwischen System und Umwelt.970 Auf dieser Leitdifferenz971, auf dieser Grundunterscheidung, baut alles Weitere auf.972

10.4.1 System als Differenz


Bei der differenztheoretischen Konzeption seiner Systemtheorie beruft sich Luhmann auf Theorieentwicklungen in der Sprachtheorie, Sozialtheorie, Informationstheorie und der Mathematik.973 Zur Veranschaulichung der differenztheoretischen Anlage sprachwissenschaftlicher Untersuchungen zitiert Luhmann die Sprachtheorie Ferdinand de Saussures.974 Sie begreift Sprache als Differenz zwischen verschiedenen Wrtern [] und nicht ohne weiteres auch als Differenz zwischen den Wrtern und den Dingen [].975 Die Bedeutung der Wrter ergibt sich aus dem Unterschied zwischen ihnen. Ob es in der Realitt (der bezeichneten Gegenstnde) solche Unterschiede gibt, ist zunchst nicht relevant. Es wrde natrlich nicht gesprochen, wenn mit dem Wort, das gesagt wird, nichts bezeichnet wrde, aber das, was als nchstes Wort gesprochen wird, ist von dem vorher gesprochenen abhngig. Wenn man sich das in geschriebener Textform vorstellt, liefert erst der Blick nach links auf die vorstehenden Worte und der Blick nach rechts auf die folgenden Worte die Bedeutung des in der Mitte stehenden Wortes.976 Die Unterschiede zwischen den Worten steuern den Sprachprozess und nicht

969 Vgl. Luhmann (2006b) S. 46. 970 Vgl. Luhmann (2006b) S. 66. 971 Leitdifferenzen sind Unterscheidungen, die die Informationsverarbeitungsmglichkeiten 972 Vgl. Luhmann (1987) S. 35. 973 Vgl. Luhmann (2006b) S. 67 ff. 974 Vgl. das Hauptwerk von Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaften Saussu-

der Theorie steuern Luhmann (1987) S. 19.

re (1967). Saussure verdeutlicht: das sprachliche Phnomen zeigt stets zwei Seiten, [] von denen die eine nur gilt, vermge der anderen. Saussure (1967) S. 9. 975 Luhmann (2006b) S. 67; vgl. statt anderer Textstellen im Werk Luhmanns, wo ebenfalls auf Saussure Bezug genommen wird, Luhmann (1997) S. 208 f. 976 Nach Saussure kommt Bedeutung eines Zeichens immer von der Seite durch Unterschied zu anderen Zeichen.

391

10

Systemtheoretische Konzepte

ihr Bezug zu den Gegenstnden, die sie bezeichnen.977 Interessanterweise hat Saussure seine Erkenntnisse durch einen Vergleich von Sprache und Geld gewonnen.978 Hiermit legitimiert er seinen Versuch, die Grenznutzentheorie mit ihrem subjektiven Wertbegriff in die Sprachwissenschaft aufzunehmen. Sowie der (relative) Wert eines Gutes nur in Relation zu allen anderen Gterwerten, auf Basis subjektiver Grenznutzenschtzungen, bestimmt werden kann, erhlt der sprachliche Wert (das sprachliche Zeichen) seine Bedeutung nur in Relation zu allen anderen sprachlichen Werten. Damit ist der systemische Aspekt der Sprachtheorie von Saussure herausgestellt. So wie die Gterwerte eine andere Realittsebene darstellen als die Gter selbst und die Beziehung zwischen Gterwert und Gtern durch einen sozialen Mechanismus hergestellt wird, so sind die Worte der Sprache auf einer anderen Realittsebene angesiedelt als die realen Gegenstnde, die sie bezeichnen, und die Zuordnung eines Zeichens zu einem Gegenstand der Realitt ist ebenfalls eine durch Zufall ausgelste soziale bereinkunft.979 Als Beispiele aus dem Fundus der Sozialtheorie, die ebenfalls mit Differenz und nicht mit Einheit starten, referiert Luhmann die Imitationstheorie von Gabriel Tarde, denn wenn man jemanden imitiert, muss zunchst einmal jemand anderes da sein, und die Theorie der Imitationskonflikte von Ren Girard, die das Problem behandelt, wie in einer durch Gterknappheit ausgezeichneten und damit durch Konflikte belasteten Welt Konflikte in eine soziale Ordnung transformiert werden knnen.980 Um zu belegen, dass die Informationstheorie heute ebenfalls auf differenztheoretischem Boden steht, beruft Luhmann sich auf Gregory Bateson. Bateson hat die elementare Informationseinheit als ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht definiert.981 In seiner Vorlesung Form, Substanz und Differenz von 1970 greift Bateson die Behauptung von Korzybski982 auf, dass die Karte nicht das Territorium
977 Der wirkliche Gegenstand ist von der gedanklichen Vorstellung des Gegenstandes (Signifi-

978

979 980 981 982

kat) und dieses vom Wort, das den Gegenstand bezeichnet (Signifikanten), zu unterscheiden. Nach dem frhen Wittgenstein bildet der Gedanke die Wirklichkeit ab. Unter zurhilfenahme von Zeichen drckt der Satz den Gedanken aus. Die Menge aller Stze bildet die Sprache, vgl. Wittgenstein (1922). So sieht, wie der obige Text verdeutlicht, Saussure das nicht. Fr Saussure sind die Signifikanten keine Abbilder der Signifikate. Die Unterschiede zwischen den Signifikanten bestimmen ihre Bedeutung und nicht die Beziehung zu dem bezeichneten Gegenstand. Ein Bezug zum bezeichneten Gegenstand wird arbitrr, vollkommen willkrlich, hergestellt. Der Vergleich von Sprache und Geld wird nicht erst seit Saussure vorgenommen. Er findet sich bereits in der Antike und heute in der Theorie der Dekonstruktion von Jacques Derrida, vgl. Derrida (1967a) und (1967b), vgl. insbesondere den Text Falschgeld von Derrida (1993). Vgl. Saussure (1967) S. 79. Luhmann (2006b) S. 68 f. Bateson (1981) S. 582. Alfred Korzybski (1880-1950) war Sprachwissenschaftler, der die Allgemeine Semantik als empirische Wissenschaft verstand und in seinem Hauptwerk Science an Sanity (1933) drei Landkarten-Grundstze formulierte: Die Landkarte ist nicht das Gelnde. Die Landkarte zeigt nicht das ganze Gelnde. Die Landkarte spiegelt sich selbst wider.

392

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

ist.983 Bateson beantwortet die Frage, was vom Territorium in die Karte gelangt: Was also in die Karte gelangt, ist in der Tat ein Unterschied, sei es ein Unterschied der Hhe, der Vegetation, der Bevlkerungsstruktur, der Oberflche, oder was auch immer. Was in die Karte kommt, sind Unterschiede.984 Wenn man [] in die Welt der Kommunikation, Organisation usw. eintritt, lsst man jene ganze Welt hinter sich, in der Wirkungen durch Krfte, Einflsse und Energieaustausch hervorgebracht werden. Man betritt eine Welt, in der Wirkungen und ich bin nicht sicher, ob man weiterhin dasselbe Wort verwenden sollte durch Unterschiede hervorgerufen werden. [] In der Welt des Geistes kann Nichts das, was nicht ist eine Ursache sein.985 Bateson setzt den Begriff Unterschied mit dem Kantschen Begriff der Idee gleich. Er liest aus der Kritik der Urteilskraft, dass fr Kant der elementarste sthetische Akt die Auswahl einer Tatsache ist. Er fhrt aus, dass in einem Stck Kreide eine unendliche Anzahl potenzieller Tatsachen stecken. Das Ding an sich, das Stck Kreide, kann niemals in die Kommunikation oder in den geistigen Prozess eingehen, weil ihm diese Unendlichkeit zukommt. Die Sinnesrezeptoren knnen es nicht annehmen; sie filtern es aus. Was sie tun, ist, bestimmte Tatsachen aus dem Stck Kreide zu selektieren, die dann, in moderner Terminologie, zur Information werden. Ich nehme an, Kants Behauptung lsst sich so modifizieren, dass sie besagt, im Umkreis und innerhalb des Kreidestcks sind unendlich viele Unterschiede. Es bestehen Unterschiede zwischen der Kreide und dem Rest des Universums, zwischen der Kreide und der Sonne oder dem Mond. Und innerhalb des Kreidestcks bestehen fr jedes Molekl eine unendliche Anzahl von Unterschieden zwischen seinem Ort und den Orten, an denen es htte sein knnen. Von dieser Unendlichkeit selektieren wir eine sehr begrenzte Anzahl, die zur Information werden.986 Information ist aber nicht einfach ein Unterschied, sondern erst wenn ein vorhandener Unterschied wahrgenommen wird und dies dazu fhrt, dass im wahrnehmenden System ein Unterschied erzeugt wird, liegt eine Information vor. Dies ist mit der von Bateson angebotenen Informationsdefinition, information is a difference that makes a difference, gemeint. Nach Behandlung der Vorlufer differenztheoretischer Konzepte, landet Luhmann bei der nach seiner Einschtzung radikalsten Form eines solchen differenzialistischen Denkens, nmlich bei der Differenztheorie bzw. dem Kalkl der Form des britischen Mathematikers George Spencer-Brown, das er in seinem Werk Laws of Form niedergeschrieben hat.987 Der Formbegriff von Spencer-Brown ist hoch abstrakt angelegt. Form wird nicht als geformte Gestalt (z.B. eine Flasche, eine Gesellschaftsformation) begriffen, die sich von ihrem Inhalt (dem Wasser, den Produktivkrften) unterscheidet und gleichzeitig den Inhalt (die Wassermenge, die Produktionsverhltnisse) bestimmt (in etwa so hatte es Marx gesehen). Formen sind in der Theorie von Spencer-Brown auch keine existierenden Dinge, die eine Substanz aufweisen. Formen sind auch nicht be983 984 985 986 987

Bateson (1981) S. 577. Bateson (1981) S. 580. Bateson (1981) S. 581. Bateson (1981) S. 582. Vgl. Spencer-Brown (1999).

393

10

Systemtheoretische Konzepte

reits vorhanden. Sie sind nicht etwas Bestehendes, was beschrieben werden knnte. Vielmehr gehen Formen auf einen Imperativ (einen Befehl, eine Anweisung) zurck. Die Ergebnisse des Vollzugs der Anweisung fhren zu Erkenntnissen, die sprachlich nicht ausgedrckt werden knnen. Spencer-Brown verweist auf die Mathematik und auf Kunstformen wie das Kochen und die Musik, bei denen es ebenfalls nicht um Beschreibungen, sondern um eine Folge von Anweisungen geht, die, wenn sie befolgt werden, den nicht zu beschreibenden Geschmack des Kuchens oder die nicht zu beschreibenden Erfahrungen des Komponisten reproduzieren.988 Die Anweisung lautet: Triff eine Unterscheidung!989 Erst wenn sie befolgt wird, konstituiert sich eine Unterscheidung. Die Unterscheidung ist kein Objekt, und auch wenn man Objekte (Haus und Tisch) voneinander unterscheidet, liegt der Unterschied weder in dem einen (Haus) noch in dem anderen Objekt (Tisch) noch im Raum (oder der Zeit) zwischen ihnen. Darauf hatte Bateson bereits aufmerksam gemacht.990 Eine Unterscheidung liefert zwei Seiten und das kann sie nur, wenn eine Grenzlinie zur Hilfe genommen wird, die beide Seiten trennt.991 Jede Seite wre ohne die andere Seite nicht vorhanden. Erst wenn eine der beiden Seiten bezeichnet (markiert) wird und die andere zunchst unbezeichnet bleibt, kann die bezeichnete Seite von der unbezeichneten Seite (unmarked space) unterschieden werden. Insofern besteht die Durchfhrung der Anweisung Triff eine Unterscheidung! aus einer Operation mit zwei Komponenten:992 aus dem Einschnitt, der zwei Seiten hervorruft, und der Bezeichnung einer der beiden Seiten.993 Diese zwei Komponenten-Operation erzeugt die Differenz zwischen den beiden Seiten. Unterscheidung zusammen mit Bezeichnung nennt Spencer-Brown Form.994 Die Form ist eine Zwei-Seiten-Form, von der eine der Seiten bezeichnet ist. Dabei kann auf der bezeichneten Seite etwas und auf der anderen Seite alles andere stehen, oder auf der anderen Seite steht der Kontext, in dem das bezeichnete Etwas bezeichnet wurde, oder, wenn der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gilt, kann auf der anderen Seite die Negation des auf der gegenber liegenden Seite bezeichneten Wertes stehen. Dieser Formbegriff und lediglich zwei Axiome bilden die Basis, auf der Spencer-Brown seine Differenztheorie errichtet. Die zwei Axiome sind: das Gesetz des Nennens (der Wert einer nochmaligen Nennung ist der Wert der Nennung) und das Gesetz des Kreuzens
988 In diesem Zusammenhang zitiert Spencer-Brown Wittgenstein mit: Wovon man nicht spre-

989 990 991 992 993

994

chen kann, darber muss man schweigen (TLP Satz 7), und bemerkt, dass sich diese Aussage wohl lediglich auf die beschreibende Sprache bezieht, vgl. Spencer-Brown (1999) S. 67. Spencer-Brown (1999) S. 3. Vgl. Bateson (1981) S. 580 f. Die Grenze kann man sich als eine Linie auf einem weien Blatt Papier vorstellen, es kann auch ein Kreis, ein Viereck oder hnliches zur Hilfe genommen werden. Daher beinhaltet die Operation des Unterscheidens bereits eine Unterscheidung. Keine Bezeichnung kann ohne Unterscheidung und keine Unterscheidung ohne Bezeichnung getroffen werden. Bezeichnung und Unterscheidung setzen sich wechselseitig voraus, stehen in einem zirkulren Verhltnis, vgl. Spencer-Brown (1999) S. 1. Vgl. Spencer-Brown (1999) S. 1. und S. 4. Zum Folgenden, vgl. Spencer-Brown (1999) S. 2-10.

394

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

(der Wert eines nochmaligen Kreuzens ist nicht der Wert des Kreuzens). Das Gesetz des Nennens besagt: Wiederhole eine Bezeichnung (einer Unterscheidung)! Folgt man dieser Anweisung, entsteht Kondensation. Mit Kondensation ist gemeint, dass die Wiederholung einer Unterscheidung die Unterscheidung besttigt und erkennen lsst, dass die Unterscheidungen identisch sind. Klickt man auf die Webseite von SpencerBrown, so erscheint diese auf dem Bildschirm. Klickt man noch einmal auf die gleiche Adresse, erscheint noch einmal die Webseite von Spencer-Brown auf dem Bildschirm. Aus dem Gesetz des Kreuzens folgt Aufhebung der Unterscheidung.995 Man geht von der bezeichneten Seite auf die unbezeichnete Seite und bezeichnet sie und geht dann von hieraus auf die unbezeichnete Seite, ohne sie zu bezeichnen. Damit sind alle Bezeichnungen aufgehoben.

10.4.2 Anwendung des Formkalkls auf Systemtheorie


Die Differenztheorie von Spencer-Brown nutzt Luhmann zur Entfaltung seiner Systemtheorie, indem er das Formkalkl auf Systemtheorie anwendet. Dadurch erkennt man, dass Systeme eine besondere Art von Form sind: Das System ist eine Form mit zwei Seiten.996 Die eine Seite ist das System, die andere die Umwelt. System und Umwelt sind nur gleichzeitig mglich. Zwar sind System und Umwelt als die zwei Seiten der Form durch eine Systemgrenze voneinander getrennt, sie knnen aber nicht ohne einander und nur gleichzeitig miteinander existieren. Beide Seiten stehen gleichberechtigt nebeneinander, d.h., es ist nicht so, dass das System wichtiger wre als seine Umwelt und umgekehrt. System und Umwelt stehen nicht in einem hierarchischen Verhltnis. Das System wird durch Operationen, einen bestimmten einzigartigen Operationstyp, erzeugt. Soweit es um organische, psychische und soziale Systeme geht (und wenn im Folgenden von System die Rede ist, sind, wenn nichts anderes gesagt ist, diese Systeme gemeint), beruht ihre Existenz auf Operationen, die abhngig vom Systemtyp jeweils nur einem einzigen Operationstyp angehren. Eine Operation ist ein momenthaft aufscheinendes Ereignis,997 das weder Substanz hat, noch Subjekt ist. Mit seinem Auftreten ist es auch schon wieder verschwunden. Sein Erscheinen konstituiert ein Vorher (vor dem Ereignis) und ein Nachher (nach dem Ereignis), mithin Zeit. Wenn es nach dem Ereignis nicht weitergeht, d.h. keine weiteren Operationen folgen, hrt das System auf zu existieren. Das bedeutet, dass Systeme Zeit bentigen, da Ereignisse an Ereignisse anschlieen mssen, damit sie sich konstituieren knnen.

995 Vgl. Spencer-Brown (1999) S. 5 und S. 9 f. 996 Luhmann (2006b) S. 77. 997 Den Ereignisbegriff bernimmt Luhmann von Alfred N. Whitehead, vgl. Whitehead (1979)

S. 69 f. Ereignis ist Identitt und Verschiedenheit. Luhmann zitiert, wegen der greren Przision die englischen Termini self-identiyund self-diversity, vgl. Luhmann (1994a) S. 53.

395

10

Systemtheoretische Konzepte

Ereignisse knnen nur dann an Ereignisse anschlieen, wenn sie eine Fhigkeit dazu besitzen. Die systembildende Operation muss anschlussfhig sein. Sie muss Nachfolger haben, wenn das System Bestand haben soll. Die nachfolgende Operation ist nur anschlussfhig, wenn sie vom gleichen Typ wie die vorhergehende Operation ist. Dies ist nur mglich, wenn die vorhergehende Operation ihre Nachfolger selbst erzeugt. Da die systemeigenen Operationen ausschlielich im System und nicht in der Umwelt stattfinden, werden das System und damit die Differenz zur Umwelt genau dadurch erzeugt und nur dadurch erzeugt, dass Operationen, aus denen das System besteht, Operationen produzieren, aus denen das System besteht. Dieser Sachverhalt wird mit Autopoiesis bezeichnet. Autopoiesis erklrt nichts weiter, als dass Systembildung mit Selbstreferenz (Selbstbezglichkeit der Operationen) beginnt. Autopoietische Systeme sind operativ geschlossene Systeme, die alle Elemente (Operationen, Ereignisse), aus denen sie bestehen, selbst hervorbringen. Operative Geschlossenheit meint: rekursive Ermglichung eigener Operationen durch die Resultate eigener Operationen.998 Der Anschluss von Operation an Operation kann nur gelingen, wenn das System in der Lage ist zu beobachten, denn es muss ja eigene Operationen als solche identifizieren und von anderen, fremden Operationen unterscheiden knnen. Auf der Ebene der allgemeinen Systemtheorie heit Beobachtung lediglich Handhabung von Unterscheidungen.999 Dies kann wiederum nur durch eigene Operationen im System geschehen. Mit seinen Operationen muss das System sich selbst (und seine Operationen) erkennen und von allem anderen unterscheiden knnen. Dazu muss es die Unterscheidung von System und Umwelt in sich selbst, ins System, hineinkopieren. Hierdurch wird es in die Lage versetzt, intern zwischen System und Umwelt zu unterscheiden. Mit Spencer-Brown wird diese Notwendigkeit als der Wiedereintritt der Form in die Form oder mit dem Begriff re-entry bezeichnet.1000 Das System kann sich auf sein internes Selbst (Selbstreferenz) und auf seine interne Umwelt (Fremdreferenz) beziehen. Dies verdeutlicht, dass Selbstreferenz und Fremdreferenz nur als Selbstreferenz mglich sind. Durch Operationen des Systems wird die Differenz zwischen System und Umwelt und somit das System und die Umwelt erschaffen. Die Einheit dieser Differenz ist die Welt. Die Operationen des Systems produzieren (imaginieren) damit (ihre systemeigene) Welt. Nur im Dreiklang treten System, Umwelt und Welt auf. Die Anzahl der existierenden Systeme bestimmt die Anzahl der unterschiedlichen Weltstandpunkte. Es gibt Systeme, weil sie operieren, und es gibt sie nur so lange, wie sie operieren. Fr soziale Systeme ist Kommunikation genau die Operation, die die oben genann-

998 Vgl. Luhmann (2006b) S. 94. 999 Vgl. Luhmann (1987) S. 63. Nur im Fall psychischer Systeme setzt der Begriff [Beobachtung

M.B.] Bewusstsein voraus (man knnte auch sagen: entsteht aus Anlass von Beobachtungen das systemeigene Medium Bewusstsein). Ebenda. 1000 Vgl. Spencer-Brown (1999) S. 60 ff.

396

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

ten Anforderungen an autopoietische Elemente erfllt.1001 Fr psychische Systeme ist es Bewusstsein (Gedanken). Fr organische Systeme ist es Leben. Diese neue Blickrichtung auf Systeme wird als Basis fr tiefergehende Betrachtungen der einzelnen, neu in die allgemeine Systemtheorie eingebrachten Theoriebausteine genutzt. Dazu zhlen operative Geschlossenheit, Selbstreferenz, Autopoise, Umweltkontakt durch Selbstkontakt, Beobachtung, Systemgrenzen, Systembeziehungen, die im folgenden Abschnitt eingehender betrachtet werden sollen.

10.4.3 Operative Geschlossenheit


Operative Geschlossenheit bedeutet, dass systemeigene Operationen ausschlielich im System stattfinden. Im System wird eine Operation an die nchste gekoppelt (operative Kopplung). Selbstreferenzielle Systeme koppeln durch ihre Operationen Selbstreferenz mit Fremdreferenz und koppeln, indem sie ihre Strukturen durch Operationen erzeugen, Operationen und Strukturen. Operative Geschlossenheit heit nicht, dass Systeme brutal und vollstndig von ihrer Auenwelt abgeschlossen und von ihr unabhngig sind und nicht auf Bedingungen der Umwelt reagieren knnten. Die These der Geschlossenheit bezieht sich ausschlielich auf systemeigene Operationen.1002 Sie behauptet, dass sich kein System (lebende, psychische, soziale Systeme) mithilfe eigener Operationen mit seiner Umwelt in Verbindung setzen kann. Eine Verbindung mit seiner Umwelt kann ein System weder aufnehmen, indem es in die Umwelt hinein operiert, noch indem die Umwelt ins System hinein operiert.1003 Systeme sind operativ dicht. Das heit nicht, dass Sinnsysteme (psychische und soziale Systeme) und organische Systeme ohne Umwelt existieren knnten, denn sie knnen sich selbst nur als System identifizieren, wenn sie sich von etwas anderem unterscheiden, und das andere, die andere Seite ihres Selbst, ist ihre Umwelt. Mit der These der operativen Geschlossenheit von Systemen wird ihre gleichzeitige Offenheit keinesfalls negiert. Das Gegenteil ist der Fall. Zwischen System und Umwelt gibt es durchaus Verbindungen, aber eben keine operativen. Whrend u.a. die Systemtheorie von Bertalanffy das Verhltnis von offenen und geschlossenen Systemen als Gegensatz betrachtet, ist es fr Luhmann ein Kombinations- und darber hinaus ein Steigerungsverhltnis. Operative Geschlossenheit wird als Bedingung dafr betrach1001 Vor dem hatte Luhmann Verhalten resp. Handlung als Letztelemente sozialer Systeme her-

ausgestellt. Hierauf und auf den von Luhmann entwickelten Kommunikationsbegriff wird weiter unten noch einzugehen sein. 1002 Vgl. Luhmann (1987) S. 28 und weiter Luhmann (1997) S. 77. 1003 Jede systemfremde Operation, die ins System eindringt, bedeutet sein Ende (Tod). Solange die Spitzhacke als Gedanke im Kopf herumschwirrt, kann das Bewusstsein weiterdenken. Dringt die wirkliche Spitzhacke in den Kopf ein, bedeutet dies das Ende des be- und getroffenen Bewusstseins.

397

10

Systemtheoretische Konzepte

tet, dass Systeme ihr Vermgen steigern, Umweltereignisse in Systemereignisse zu transformieren. Nur an Systemereignissen (an systemeigenen Operationen) wird Umweltgeschehen erfahrbar, und Systemereignisse knnen nur selbstreferenziell im System stattfinden. Das selbstreferenzielle Operieren sichert somit einerseits die Autonomie des Systems gegenber seiner Umwelt und erffnet andererseits Mglichkeiten, eine Verbindung mit der Umwelt aufzunehmen. Wie erlutert, heit Systemautonomie nicht Unabhngigkeit des Systems von der Umwelt. Die Abhngigkeit von System und Umwelt kommt schon in der Systemdefinition zum Ausdruck, denn sie bestimmt: System ist Differenz. Diese Anforderung hat zur Folge, dass Systeme sich nur in einer existierenden Welt1004 ausdifferenzieren knnen. Mit ihrer Ausdifferenzierung hinterlassen Systeme eine Umwelt in der Welt. Ausdifferenzierung heit, dass ein System durch operative Verknpfung von Operationen einen Unterschied zu seiner Umwelt herstellt. Ausdifferenzierung bedeutet nicht, dass Systeme sich aus der Welt herausnehmen und ihr gegenbertreten. Sie bleiben in der Welt. Sie spalten die Welt in System und Umwelt. Damit ist die fundamentale Abhngigkeit von System, Umwelt und Welt hervorgehoben. Ohne Umwelt kann es keine Systeme geben und ohne Systeme keine Umwelt und keine Welt. Wenn Systeme, die durch operative Verknpfung eigener Operationen entstehen, mit ihren eigenen Operationen unmittelbar keinen Kontakt mit der Umwelt aufnehmen knnen, steht man vor der Frage, womit sie es denn dann tun sollen, denn etwas anderes als systemeigene Operationen stehen nicht zur Verfgung. Die Antwort der neueren Systemtheorie lautet: Selbstreferenzielle Systeme knnen mit der Umwelt Kontakt aufnehmen, indem sie mit sich selbst in Kontakt treten. Umweltkontakt durch Selbstkontakt setzt voraus, dass die, durch das einfache Operieren des Systems entstehende System/Umweltdifferenz (Ausdifferenzierung) ins System hineinkopiert wird. Das Hineinkopieren der System/Umweltdifferenz in ein existierendes System (re-entry) entspricht einer internen Differenzierung des Systems (Systemdifferenzierung) in ein internes Selbst und eine interne Umwelt. 1005 Hierdurch wird das System in die Lage versetzt, zwischen dem internen Selbst (Selbstreferenz) und der internen Umwelt (Fremdreferenz) selbstreferenziell zu unterscheiden und zu wechseln. Es kann Zurechnungen auf sich selbst oder auf anderes (die interne Umwelt) vornehmen. Umweltkontakt (Offenheit) kann nur ber Selbstkontakt (Geschlossenheit), ber Selbstre-

1004 Welt wird von Luhmann nicht als die Gesamtheit der Dinge (die ein Schpfer hinterlassen

hat) begriffen, sondern als Horizont, die andere Seite jeder Bestimmung, als Hintergrundsunbestimmtheit, vgl. Luhmann (1997) S. 147 f., als Gesamthorizont alles sinnhaften Erlebens, die Gesamtheit dessen, was fr ein jedes System, System- und Umwelt ist, vgl. Luhmann (1997) S. 153 f. 1005 Luhmann unterscheidet zwischen Ausdifferenzierung und Systemdifferenzierung. Der Begriff Ausdifferenzierung wird benutzt, wenn durch operative Verknpfung von Operationen sich eine Differenz von System und Umwelt etabliert. Der Begriff Systemdifferenzierung wird reserviert fr eine Differenzierung innerhalb existierender Systeme, vgl. Luhmann (1997) S. 596 f.

398

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

ferenz, hergestellt werden,1006 und das heit ber systemeigene Operationen, die sich auf eigene Operationen beziehen. Umweltkontakt des Systems geschieht also nicht ber die Aufnahme von Informationen aus der Umwelt oder indem Informationen an die Umwelt abgegeben werden. Es findet berhaupt kein Informationsinput noch output zwischen System und Umwelt statt. Die Informationen, die im System verarbeitet werden, erzeugt das System selbst als berraschende Auswahl eines Unterschieds aus der Menge mglicher Unterschiede.1007 Information ist allerdings nicht nur ein Unterschied, darauf hatte Bateson bereits aufmerksam gemacht, sondern Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Das heit, der Zustand des Systems ist, nachdem es die Information selbst erzeugt hat, ein anderer als vorher. Information kann zufllig zustande kommen oder durch Nichts, z.B. ein bemerktes Nicht-Tun (sie hat mich nicht angelchelt). In der Umwelt gibt es an und fr sich keine Unterschiede und damit keine Information. Sie ist gefllt mit undifferenziertem Rauschen. Sie ist, wie sie ist. 1008 Informationen werden vom System erzeugt, indem es sich durch das differenzlose Umweltrauschen zufllig irritieren1009 bzw. berraschen lsst oder aus nichts eine Information generiert. Das System kann aktiv Informationen aus dem sinnlosen Rauschen erzeugen und diese in den Fluss der eigenen Operationen einbauen, um derart in systemspezifischen Hinsichten aus dem Rauschen der Welt selbstreferenziell Ordnung zu erzeugen.1010 Heinz von Foerster hat die selbstreferenzielle Bildung von Systemstrukturen (Selbstorganisation), hervorgerufen durch das Chaos der Welt (der vollkommenen Beliebigkeit, den rauschhaften Bedingungen der Umwelt), als order from noise bezeichnet.1011 Hiermit ist die Strukturebene von Systemen angesprochen, die ein Netzwerk zirkulr verbundener Strukturen besitzen, die es selbst produziert. Zwar ist eine solches System fr selbst ausgewhlte Umweltreize empfnglich, indem es aus den Umweltreizen Informationen erzeugt. Die Umwelt kann die Systemstrukturen allerdings nicht determinieren. Sie sind strukturell nicht fremdbestimmt, sondern selbstbe-

1006 Vgl. Luhmann (1987) S. 59 f. 1007 Information ist eine berraschende Selektion aus mehreren Mglichkeiten. Sie kann als

berraschung weder Bestand haben noch transportiert werden; und sie muss systemintern erzeugt werden, da sie einen Vergleich mit Erwartungen voraussetzt. Luhmann (1997) S. 71. 1008 Vgl. von Foerster (2003) The environment contains no information. The environment is as it is. Ebenda S. 252. 1009 Zum Irritationsbegriff vgl. Luhmann (1997) S. 790 ff. An anderer Stelle definiert Luhmann: Unter Irritation soll verstanden sein, dass ein autopoietisches System auf dem eigenen Bildschirm Strungen, Ambiguitten, Enttuschungen, Devianzen, Inkonsistenzen wahrnimmt in Formen, mit denen es weiterarbeiten kann. Luhmann (1991) S. 174. 1010 Luhmann (1997) S. 71 f. Auerdem sind Informationen nicht rein passiv zu gewinnen als logische Konsequenz von Signalen, die aus der Umwelt empfangen werden. Vielmehr enthalten sie immer auch eine volitive Komponente, das heit einen Vorausblick auf das, was man mit ihnen anfangen kann. Bevor es zur Erzeugung von Informationen kommen kann, muss sich also ein Interesse an ihnen formieren. 1011 Vgl. von Foerster (1985) S. 115-130.

399

10

Systemtheoretische Konzepte

stimmt. Insofern sind selbstreferenzielle Systeme weder von auen direkt zu kontrollieren noch zu steuern. Sie sind sich selbst organisierende Systeme. Die Autonomie selbstreferenzieller Systeme besteht also darin, dass die Umwelt nicht direkt (unvermittelt), ohne Mitwirkung des Systems, das System beeinflussen kann. Eine Anpassung des Systems an seine Umwelt ist nur insoweit mglich, als das System aufgrund seiner eigenen Struktur und Operationen zu Vernderungen seiner selbst in der Lage ist.1012 Luhmann unterscheidet drei Anpassungsformen: Selbstanpassung, Morphogenese und umweltbezogene Anpassung. Selbstanpassung beruht auf der Unterscheidung von Element und Relation,1013 Morphogenese auf der Differenz von Aktivierung und Inhibierung (Hemmung). Mit dieser Begrifflichkeit greift Luhmann auf systemische Vorstellungen der Biologie ber die Formentwicklung des Lebens zurck.1014 Die umweltbezogene Anpassung beruht auf der Unterscheidung von System und Umwelt. Sie ist mit der Konstituierung von System/UmweltBeziehungen und damit mit der Konstitution eines Weltstandpunktes verbunden. Das Verhltnis System/Umwelt wird zustzlich problematisch, wenn in der Umwelt eines Systems weitere Systeme vorhanden sind. Dann ist zu unterscheiden zwischen der Umwelt eines Systems und Systemen in der Umwelt dieses Systems und damit verbunden zwischen Abhngigkeitsbeziehungen zwischen Umwelt und System und

1012 Vgl. Luhmann (1987) S. 478. 1013 Vgl. Luhmann (1987) S. 479. 1014 Vgl. Luhmann (1987) S. 480. Dem zentralen Dogma der Biologie: Replikation der DNA durch

Selbstreferenz, Transkription in RNA und Transkription von RNA in Proteine steht entgegen, dass ein identisches Genom unterschiedliche Erscheinungsformen (Phnotypen) hervorbringt (Metamorphose eines Schmetterlings) und unterschiedliche Genome hnliche Formen hervorrufen (Frhstadien embryonaler Entwicklungen). Diese Erkenntnisse haben dazu gefhrt, die Morphogenese als einen universellen Mechanismus der Strukturbildung zu betrachten, der die Frage beantwortet, wie aus einem Haufen identischer Zellen differenzierte Strukturen (Gebilde wie Nerven, Muskeln, Arme und Beine usw.) entstehen knnen. Alan Turing hatte 1952 mit einer Reaktions-Diffusions-Gleichung beschrieben, dass zwei chemische Substanzen miteinander reagieren und diffundieren und derart eine Vielfalt unterschiedlicher Muster hervorbringen knnen. Fr die Biologie bedeutet dies, dass ein morphologisches Feld, verstanden als Konzentrationsgradient eines Morphogens, zur rumlichen Differenzierung monoclonaler Zellen fhrt und die Konzentration des Morphogens einer ReaktionsDiffusions-Gleichung folgt. Nach dem Gierer/Meinhardt-Modell sind fr die Entwicklung differenzierter Muster zwei Steuermolekle (Morphogene) verantwortlich. Stoffe, die ein Merkmal erzeugen, werden Aktivator genannt. Die Substanz, die die Merkmalsausprgung unterdrckt, bezeichnet man als Inhibitor. Der Aktivator produziert sich selbst und den Inhibitor. Der Aktivator verstrkt sich selbst. Er wirkt autokatalytisch, whrend der Inhibitor die Aktivatorproduktion unterdrckt. Dadurch knnen spontan Verteilungsmuster der Substanzen entstehen. Geht es um die Ausbildung rumlicher Strukturen, muss zustzlich angenommen werden, dass der Inhibitor sich durch Diffusion schneller verteilen kann als der Aktivator.

400

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Abhngigkeitsbeziehungen zwischen Systemen.1015

Bei der Betrachtung von Beziehungen zwischen Systemen kann es um Systembeziehungen zwischen verschiedenartig operierenden Systemen (Beziehungen zwischen organischen, psychischen, sozialen Systemen) gehen oder um Systembeziehungen zwischen Teilsystemen innerhalb eines Gesamtsystems oder Systembeziehungen zwischen Teilsystem und Gesamtsystem oder der Beziehung des Systems zu sich selbst.

Geht es um das Verhltnis von Teilsystem zu Gesamtsystem, spricht Luhmann von Funktion. Das Teilsystem unterhlt eine funktionale Beziehung zum Gesamtsystem; es erfllt eine Funktion fr das Gesamtsystem. Das Verhltnis der Teilsysteme eines Gesamtsystems zueinander belegt Luhmann mit dem Begriff der Leistung und deutet damit eine Art Austauschverhltnis (eine Leistungsbeziehung) zwischen Teilsystemen an. Wenn es um die Beziehung des Systems zu sich selbst geht, spricht Luhmann von Reflexion.1016

10.4.4 Autopoiese
Mit der Anwendung des fr organische Systeme entwickelten Autopoiese-Konzepts auf soziale und psychische Systeme wird die Theorie selbstreferenzieller Systeme in ihrer Ausprgung als Theorie der Selbstorganisation radikalisiert. Autopoiese behauptet Selbstreferenz nicht mehr nur fr die Strukturebene, sondert siedelt sie auf der Ebene der Systemelemente an. Autopoietische Systeme sind Systeme, die nicht nur ihre Strukturen, sondern auch die Elemente, aus denen sie bestehen, im Netzwerk eben dieser Elemente selbst erzeugen.1017 Strukturen des Systems etablieren sich durch Wiederholungen von Operationen. Die Wiederholung ermglicht Identifikation und Generalisierung, so dass auch im Fall wechselnder Umstnde durch Strukturierung die Anschlussfhigkeit von Operationen gesichert ist. Dies bedeutet einerseits, dass es keinen Import von Strukturen und Operationen aus der Umwelt gibt, und andererseits, dass die Operationen den gegenwrtigen Zustand des Systems festlegen und dieser Zustand bestimmt, wie das System mit eigenen Operationen weiteroperiert. Dabei sind Strukturen nicht als etwas starres, fr immer Bestndiges zu betrachten, denn nur wenn und solange das System operiert, werden die Strukturen aktiviert und wirken auf die Operationen. Das Verhltnis von Struktur und Operation ist ein zirkulres. Die Strukturen wirken auf die Operationen, und die Operationen begrnden die Strukturen. Was dabei als Element (als Operation, als Ereignis) fungiert, mit welchem Operationstyp das System sich selbst produziert und reproduziert, legt das System
1015 Vgl. Luhmann (1987) S. 36 f. 1016 Vgl. Luhmann (1997) S. 757 f. 1017 Luhmann (1997) S. 66.

401

10

Systemtheoretische Konzepte

selbst fest. Element ist [] das, was fr ein System als nicht weiter auflsbare Einheit fungiert (obwohl es mikroskopisch betrachtet), ein hochkomplex Zusammengesetztes ist.1018 Die Elemente autopoietischer Systeme stehen nicht einfach miteinander in Beziehung, sondern es gibt viele Mglichkeiten, Elemente miteinander zu verbinden. Daher muss das Verhltnis der unterschiedlichen, potenziell mglichen Beziehungen zwischen den Elementen geregelt sein, so dass nur unter bestimmten Bedingungen bestimmte Beziehungen zwischen bestimmten Elementen hergestellt werden. Luhmann nennt diese Form der Regelung von Beziehungen Konditionierung. Konditionierung ist eine Relationierung von Relationen.1019 Die Regeln, nach denen Elementbeziehungen hergestellt werden, werden geregelt. Autopoietische Systeme sind ihr eigenes Werk. Sie produzieren sich selbst. Dabei ist mit dem Begriff der Produktion nicht gemeint, dass autopoietische Systeme smtliche Ursachen ihrer Existenz und ihres Weiterbestehens kontrollieren knnten. Produktion ist nicht gleichzusetzen mit Schpfung all der Bedingungen, die notwendig sind, damit Autopoiese in Gang kommen kann. Vielmehr geht es bei Produktion, im Sinne von Autopoiese (Selbstproduktion) darum, einen Teilbereich der Ursache-WirkungsZusammenhnge zu kontrollieren. Autopoietische Systeme produzieren sich sozusagen aus einem Kontext von Bedingungen heraus, den sie nicht selbst produziert haben, sondern der gegeben ist. So spricht die neuere Systemtheorie von Produktion: wenn einige aber nicht alle Ursachen, die zum Bewirken bestimmter Wirkungen ntig sind, unter Kontrolle durch ein System eingesetzt werden knnen.1020

10.4.5 Beobachtung
Autopoietische Systeme mssen sich selbst unterscheiden knnen von allem anderen, von allem, was sie nicht sind. Das mssen sie stndig leisten, immer wieder, sonst wrden sie sich in der Welt verlieren. Sie mssen eine eigene Identitt entwickeln. Sie mssen ihre Unterscheidungen, die ihre Identitt sichern, von allen anderen Unter-

1018 Luhmann (1987) S. 43. 1019 Vgl. Luhmann (1987) S. 44. 1020 Luhmann (1987) S. 40. Die Klarstellung, was mit Produktion gemeint ist, ist nicht unwich-

tig, weil in der Diskussion ber Autopoiese immer wieder behauptet wird, dass die Menschen zum Beispiel doch unentbehrliche Ursachen fr Kommunikation seien. Da knnte man allerdings noch mehr nennen, den Blutkreislauf, die gemigte Temperatur, die normale Elektromagnetik der Erde, damit die Knochenbrche wieder heilen, und weitere Umweltbedingungen fr Kommunikation. Luhmann (2006b) S. 112.

402

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

scheidungen unterscheiden knnen.1021 Hierzu muss das System seine Operationen beobachten. Auf diese Notwendigkeit ist bereits bei der Darstellung des Wissenschaftskonzepts der neueren Systemtheorie in Abschnitt 3.1.4 hingewiesen worden, wo auch der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung sowie Beobachtung erster und zweiter Ordnung verdeutlicht wurde. Insofern sind die folgenden Ausfhrungen als Ergnzungen und Vertiefungen der in Abschnitt 3.1.4 angestellten berlegungen zu verstehen. Klar ist, dass Systeme operieren mssen, um zu beobachten, da die Beobachtung selbst eine Operation ist, mit der unterschieden und bezeichnet wird. Beobachter, die die Operation Beobachtung ausfhren, sind somit immer Systeme und zwar Systeme, die operieren. Die Definition, Beobachtung gleich Unterscheidung und Bezeichnung, ist ganz bewusst hochabstrakt angelegt, da sie Sachverhalte erfassen soll, die nicht nur psychische Systeme betreffen.1022 Selbstreferenzielle Systeme beobachten sich selbst. Selbstbeobachtung bedeutet, dass der Beobachter im System ist, das er beobachtet. Er ist entweder das System selbst oder ein auf Beobachtung spezialisiertes Teilsystem des Systems. Selbstbeobachtung kann sich auf drei Systemebenen beziehen.1023 Die erste Ebene betrifft die basalen Operationen, mit denen das System sich gegenber einer Umwelt ausdifferenziert. Es geht, wie Luhmann es nennt, um basale Selbstreferenz. Hiervon ist die, auf gleicher Ebene wie die basale Selbstreferenz angesiedelte, prozessuale Selbstreferenz zu unterscheiden. Mit der prozessualen Selbstreferenz wird die herausragende Stellung der Anschlussnotwendigkeit und -fhigkeit der Operationen hervorgehoben. ber die Beobachtungsform der basalen und prozessualen Selbstreferenz kann das System systemeigene Elemente von systemfremden unterscheiden und sicherstellen, dass eine Operation an die vorhergehende anschliet. Nur so kann die Produktion der Elemente durch systemeigene Elemente gelingen. Die zweite Beobachtungsebene betrifft die Struktur des Systems und damit die Selbstorganisation. Eine nderung der Struktur durch systemeigene Mittel setzt Beobachtung der Struktur und Beobachtung der systemeigenen Mittel (Elemente) voraus. Die dritte Ebene betrifft das System selbst, die Systemreferenz. Das System bezeichnet sich selbst als System (Einheit) im Unterschied zu seiner Umwelt und nutzt die Beobachtungsergebnisse u.a. zur Selbstdarstellung. Fr smtliche Ebenen der Selbstbeobachtung gilt, dass Selbstbeobachtung nur nach internen Kriterien und nur durch interne Operationen vollzogen werden kann. Von der Selbstbeobachtung ist die Fremdbeobachtung zu unterscheiden. Im Fall der Fremdbeobachtung wird ein System von der Umwelt aus beobachtet. Dies bedeutet,
1021 Wenn diese Erkenntnis in eine Zwei-Seiten-Form formuliert wird, dann ist die andere Seite

der Identitt die Differenz. Aus dieser Einsicht heraus hatte Luhmann angemerkt, dass die Unterscheidung System/Umwelt abstrahiert werden msse in die Differenz von Identitt und Differenz, wobei er hervorhebt, dass es weiter um Differenz und nicht um Identitt von Identitt und Differenz geht, vgl. Luhmann (1987) S. 26. 1022 Vgl. Luhmann (1997) S. 69. 1023 Vgl. Luhmann (1987) S. 600 ff.

403

10

Systemtheoretische Konzepte

dass ein externer Beobachter beobachtet. Sobald externe Beobachter auftreten, muss eine System/Umwelt-Differenz, wie sie im System selbst zur Selbstbeobachtung verwendet wird, von einer System/Umwelt-Differenz, die der externe Beobachter benutzt, unterschieden werden. Soweit lediglich Objekte oder Sachverhalte der Welt beobachtet werden (Beobachtung erster Ordnung), tritt die Notwendigkeit, zwischen zwei System/Umwelt-Differenzen zu unterscheiden, nicht auf. Diese Unterscheidung wird erst relevant, wenn Beobachter beobachten, wie (mit welchen Unterscheidungen) andere Beobachter beobachten (Beobachtung zweiter Ordnung).1024 Der Beobachter, der andere Beobachter beobachtet, ist selbst wiederum ein selbstreferenzielles System, das mit eigenen Operationen (mit eigenen Unterscheidungen) Beobachter beobachtet.1025 Er ist ein selbstreferenzielles System, das selbstreferenzielle Systeme (das kann auch er selbst sein) beobachtet. Systeme beobachten sich selbst als Beobachter und werden von anderen Systemen als Beobachter beobachtet. Die Beobachtung zweiter Ordnung erkennt nicht nur, was die beobachteten Beobachter sehen, sondern sie erkennt auch, wie (mit welchen Unterscheidungen) die beobachteten Beobachter sehen, was sie sehen. Der Beobachter zweiter Ordnung kann eventuell auch sehen, was der beobachtete Beobachter nicht sieht. Darber hinaus besteht die Mglichkeit, dass der Beobachter zweiter Ordnung sieht, dass der beobachtete Beobachter nicht erkennt, dass er nicht sieht, was er nicht sieht. Der Beobachter zweiter Ordnung sieht also das, was der beobachtete Beobachter sieht, und das, was der beobachtete Beobachter nicht sieht.1026 Da jeder Beobachter mit eigenen Unterscheidungen die Welt beobachtet, ist die Welt nicht fr alle Beobachter dieselbe Welt. Unterschiedliche Beobachter erzeugen verschiedene Weltentwrfe. Die Welt kann auf verschiedene, und nur auf verschiedene Weise beobachtet werden.1027 Indem ein System (ein Beobachter) mit einer Unterscheidung einen anderen Beobachter auswhlt und beobachtet, wie dieser beobachtet, also nach seiner Unterscheidung fragt, hat der Beobachter mit zwei Unterscheidungen umzugehen, nmlich mit seiner eigenen und mit der Unterscheidung desjenigen, den er beobachtet. Die Welt, so knnte man sagen, wird dann dadurch erschlossen (imaginiert), dass Beobachter beim

1024 Mit der Unterscheidung von Beobachtung erster Ordnung von Beobachtung zweiter Ord1025 Die Evolution hat zu einer Welt gefhrt, die sehr viele verschiedene Mglichkeiten hat, sich

nung geht ein Riss durch die ganze Systemtheorie. Luhmann (2006b) S. 140.

selbst zu beobachten, ohne eine dieser Mglichkeiten als die beste, die einzig richtige auszuzeichnen. Jede Theorie, die diesem Sachverhalt angemessen ist, muss daher auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen angesiedelt sein auf der Ebene der second order cybernetics im Sinne Heinz von Foersters. Luhmann (2005e) S. 110. 1026 Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung kann man also alles sehen: das, was der beobachtete Beobachter sieht, und das, was der beobachtete Beobachter nicht sieht. Die Beobachtung zweiter Ordnung vermittelt einen universellen Weltzugang. Luhmann (2005d) S. 16. 1027 Luhmann (1997) S. 156.

404

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Beobachten beobachtet werden. Da andere Beobachter mit anderen Unterscheidungen beobachten, wird die eigene Beobachtung als kontingent (auch anders mglich) erlebt. Die Beobachtung zweiter Ordnung lst die alten Beobachtungsschemata SeinNichtsein und Ursache-Wirkung ab. Die Beobachtung zweiter Ordnung ist die Beobachtungsform der modernen Gesellschaft.1028 Die moderne Gesellschaft ist ein System, das eine Vielfalt unterschiedlicher Beobachtungen und Beschreibungen zulsst. Sie ist, um es mit Gotthard Gnther (1900-1984) auszudrcken, ein polykontexturales System.1029 Dies bedeutet, dass Beobachtung und Beschreibung nicht mehr in mono-kontexturaler Art stattfinden knnen. Beobachtung kann nicht mehr nur mit einer Unterscheidung arbeiten, und keine der eingesetzten Unterscheidungen kann Richtigkeit fr sich beanspruchen.1030 Die Einheit der polykontexturalen Beobachtungen kann nur zustande kommen, wenn jeder Beobachter in seine Beobachtung einbezieht, dass es andere Beobachter gibt, die anders beobachten als er. Der Beobachter kann die Einheit seiner Unterscheidung (beide Seiten der Unterscheidung), mit der er beobachtet, whrend er beobachtet, nicht sehen. Die Unterscheidung ist mit den Worten von Heinz von Foerster der blinde Fleck des Beobachtens.1031 Beobachtung setzt voraus, um es mit der Begrifflichkeit von Spencer Brown auszudrcken, dass man sich auf eine Seite, die bezeichnete Seite, konzentriert. Auf dieser Seite kann dann operiert werden. Die andere Seite ist zwar vorhanden, sie wird aber whrend der Beobachtung nicht benutzt. Man kann sie spter durch ein crossing (Kreuzen) der Systemgrenze erreichen, aber im Moment der Beobachtung bleibt sie unbenutzt. Die Unterscheidung ist im Verhltnis zu den beiden Seiten, die sie unterscheidet, das ausgeschlossene Dritte. Whrend der Beobachter beobachtet, ist er der ausgeschlossene Dritte. Beobachten macht daher etwas sichtbar, es hinterlsst aber immer auch etwas Unsichtbares.1032 Beobachtung ist nur mglich durch Systemdifferenzierung. Systemdifferenzierung ist die Wiederholung der Systembildung in Systemen (re-entry). Es ist dann zwischen dem Gesamtsystem und seinen Teilsystemen zu unterscheiden. Mit der Konstitution eines Teilsystems geht die Konstituierung der internen Umwelt des Teilsystems innerhalb des Gesamtsystems einher. Teilsystem zusammen mit interner Umwelt ergnzt sich zum Gesamtsystem. Sobald sich mehrere Teilsysteme aus dem Gesamtsystem ausdifferenzieren, gilt das Gesagte fr jedes der Teilsysteme auf je spezifische Weise. Jedes Teilsystem hat seine eigene interne Umwelt, die sich von der internen Umwelt anderer Teilsysteme unterscheidet.1033 Das Gesamtsystem kann mit diesen Vorstel1028 Vgl. Luhmann (1997) S. 766 ff. 1029 Vgl. Luhmann (1997) S. 36. Zum Konzept der Poly-Kontextur, vgl. Gnther (1976-1980) 1030 Vgl. Luhmann (1997) S. 1095. 1031 Von Foerster (1993) S. 26 ff. 1032 Der Beobachter muss sich als Element der Unterscheidung zwischen Beobachter und Be1033 Vgl. Luhmann (1987) S. 36.

und Gnther (1978).

obachtetem unsichtbar machen. Luhmann (2006b) S. 146 f.

405

10

Systemtheoretische Konzepte

lungen nicht mehr als aus Teilen bestehend gedacht werden, die miteinander in Beziehung stehen. Vielmehr hinterlsst die Differenzierung des Gesamtsystems in Teilsysteme, entsprechend ihrer Anzahl, im Gesamtsystem operativ verwendbare System/Umwelt-Differenzen. Von jedem Teilsystem aus kann dann das Gesamtsystem als Einheit von Teilsystem und systeminterner Umwelt rekonstruiert werden.1034 Damit ist eine Rckbindung an die Ausgangsdifferenz, die das Gesamtsystem konstituiert, sichergestellt. Das Gesamtsystem filtert die unkontrollierbare Umwelt und stellt fr die Teilsysteme eine vorstrukturierte interne Umwelt zur Verfgung, die von den Teilsystemen weiter geordnet wird. Systemdifferenzierung verstrkt somit die Filterwirkung gegenber einer chaotischen, komplexen Umwelt.

10.4.6 Systemgrenzen
Mit Geschlossenheit, Selbstreferenz, Autopoiese und Beobachtung sind gleichzeitig die Grenzen des Systems thematisiert. Mithilfe des Grenzbegriffs kann ein Unterschied zwischen System und Umwelt herausgestellt werden: Denn Systeme haben Grenzen,1035 die Umwelt besitzt keine berschreitbaren Grenzen. Insofern ist die Umwelt kein System. Grenzen haben eine doppelte Funktion. Sie trennen Systeme von ihrer Umwelt und sie verbinden System und Umwelt.1036 Sie trennen die Systemelemente (die Systemoperationen) von der Umwelt, nicht aber notwendigerweise Relationen zwischen System und Umwelt. Mithilfe von Grenzen knnen Systeme sich schlieen und ffnen. Geffnete Grenzen bedeutet nicht, dass ein Austausch von Elementen zwischen System und Umwelt stattfindet. Man kann sich Grenzen wie Filter vorstellen, die Systemelemente brutal von der Umwelt des Systems trennen, d.h., die als Filter gedachte Grenze stellt sicher, dass Elemente entweder zum System gehren oder nicht zum System gehren und u.a. die Mglichkeit ausschlieen, dass Elemente teilweise zum System und teilweise zur Umwelt gehren. Whrend fr Elemente dieses Entweder-Oder gilt, trifft es fr Relationen nicht zu. Relationen knnen nicht nur interne Interdependenzen zwischen Systemelementen herstellen, sondern es gibt auch Relationen zwischen System und Umwelt, die nicht notwendigerweise durch Systembildung gekappt werden und die die als Filter gedachte Grenze passieren lassen.

1034 Vgl. Luhmann (1987) S. 22. Der Anspruch, der hier erhoben wird, besteht in nichts Geringe-

rem, als eine neue Art von Logik zu etablieren, die in wesentlichen Punkten erheblich von der herkmmlichen klassischen Logik abweicht. Luhmann bezieht sich dabei auf die mehrwertige transklassische oder auch polykontexturale Logik von Gotthard Gnther, vgl. Gnther (1976-1980) und (1978). 1035 Sie konstituieren und erhalten sich durch Erzeugung und Erhaltung einer Differenz zur Umwelt, und sie benutzen ihre Grenzen zur Regulierung dieser Differenz. Luhmann (1987) S. 35. 1036 Vgl. Luhmann (1987) S. 52.

406

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Im Fall von Gebuden bilden Mauern mit ffnungen die Gebudegrenzen. Sie bieten Schutz vor dem Geschehen in der Umwelt. Die Umwelt wird durch sie nicht vollstndig drauen gehalten. Mauern bieten keinen vollstndigen Schutz vor von auen eindringender Feuchtigkeit, Wrme oder Klte. Durch die Trffnungen kann man von innen nach auen gelangen und sie dienen als Kontrollstellen fr Personen, die von auen ins Innere des Hauses gelangen wollen, bieten aber keinen vollstndigen Schutz gegen Einbrecher. Staatsgrenzen (allgemein territoriale Grenzen) werden durch Grenzsteine markiert, von Grenzsoldaten, Minenfeldern und hnlichem bewacht, die sicherstellen sollen, dass nur ausgewhlte Personen und Gter die Grenze passieren. Derartige Grenzen sind von einem Beobachter im Raum beobachtbar. Es sind rumliche Grenzen. Auch lebende Systeme weisen rumliche Grenzen auf, Membranen im Fall von Zellen, Hute im Fall von Organismen. Auch hier dienen sie zur Abschirmung gegenber der Auenwelt und regeln den Austauschprozess zwischen System und Umwelt, indem sie das, was hinein- und hinausgeht, auswhlen. Zwar sind die Systemgrenzen lebender Systeme rumliche Grenzen, anders als in den Fllen von Gebuden, Staaten und Maschinen usw. werden ihre Grenzen aber durch systemeigene Operationen des organischen Systems selbst erzeugt. Eine Selbstbegrenzung gilt auch fr psychische und soziale Systeme. Lebende, psychische und soziale Systeme operieren innerhalb der selbstgezogenen Begrenzungen artspezifisch. Die eigenartigen Operationen Leben, Bewusstsein, Kommunikation erzeugen die Systemgrenzen zur jeweiligen Umwelt. Im Gegensatz zu lebenden Systemen, operieren psychische und soziale Systeme nicht im Raum, sondern ihr Medium ist Sinn.1037 Daher sind sie im Unterschied zu lebenden Systemen rumlich nicht begrenzt. Ihre Grenzen sind Sinngrenzen. Im Medium Sinn operierende Systeme erzeugen durch ihre eigenen Operationen, die ausschlielich in ihrem Inneren hergestellt werden, intern rein interne Grenzen zu dem selbst geschaffenen Selbst (Selbstreferenz) und der selbst geschaffenen Umwelt (Fremdreferenz).

10.4.7 Strukturelle Kopplungen (Systembeziehungen)


System/Umwelt-Beziehungen werden nur insoweit wirksam, d.h. vom System bemerkt, als das System, physikalisch gesprochen, mit Resonanzfhigkeit ausgestattet ist. Ist das der Fall, kann ein System nur aufgrund seiner Eigenfrequenzen durch Umweltereignisse zur Resonanz gebracht werden. In der Theorie lebender Systeme wird zur Bezeichnung der Resonanzfhigkeit eines Organismus der Begriff der Kopplung (statt des Begriffs Systembeziehung) eingesetzt, um zu bezeichnen, dass es nirgends vollstndige Punkt-fr-Punkt-bereinstimmungen zwischen System und Um1037 Vgl. Luhmann (1997) S. 76 f. Auf den Sinnbegriff wird in Abschnitt 10.5.2 nher eingegan-

gen. An dieser Stelle sei der Hinweis gegeben, dass Luhmann unter Sinn die Einheit der Differenz von Aktualitt und Possibilitt versteht.

407

10

Systemtheoretische Konzepte

welt gibt.1038 In beiden Fllen geht es um selektiven Kontakt des Systems mit der Systemumwelt und Abschirmung des Systems durch Systemgrenzen. Wenn in der Umwelt eines selbstreferenziellen Systems weitere, andere selbstreferenzielle Systeme vorhanden sind, kann im Sinne von Resonanz eine Verbindung zwischen den Systemen hergestellt werden. Luhmann nennt diesen Sachverhalt strukturelle Kopplung.1039 Strukturelle Kopplung bedeutet, dass der Bereich mglicher Strukturen, die die gekoppelten Systeme realisieren knnen und mit denen sie ihre Autopoiesis durchfhren, beschrnkt ist. Kennzeichen autopoietischer Systeme ist, dass nur ihre eigenen Strukturen und Operationen die eigenen Operationen determinieren. Die Operationen autopoietischer Systeme werden eben nicht durch Strukturen der Umwelt (das knnen auch die Strukturen anderer Systeme sein) bestimmt. Sobald ein System existiert und somit einen Bereich mglicher Strukturen realisiert, ist es immer schon an seine Umwelt angepasst, sonst wrde es nicht existieren. Innerhalb des durch die Strukturen festgelegten Bereichs an Mglichkeiten hat das System alle Mglichkeiten, sich unangepasst zu verhalten.1040 Da Umwelt und System nur gleichzeitig mglich sind, operieren Umwelt und die in ihr enthaltenen anderen Systeme gleichzeitig. Aus gleichzeitig (parallellaufenden) Operationen knnen Systeme keine Informationen gewinnen. Gleichzeitig ablaufende Operationen knnen sich auch nicht gegenseitig steuern oder beeinflussen. Informationsgewinnung ist fr Systeme nur mglich, wenn die analogen Verhltnisse in digitale, in nacheinander ablaufende, Verhltnisse transformiert werden. Wenn die Umwelt ber strukturelle Kopplungen Einfluss auf das System gewinnen soll, mssen daher zunchst analoge in digitale Verhltnisse umgeformt werden. Die Sprache bernimmt im Verhltnis zwischen Kommunikationssystemen und Bewusstseinssystemen diese Funktion, indem sie ein kontinuierliches Nebeneinander in ein diskontinuierliches Nacheinander verwandelt.1041 ber Sprache sind Kommunikationssysteme und Bewusstseinssysteme strukturell miteinander gekoppelt. Ein Beispiel aus dem organischen Bereich fr strukturelle Kopplung ist die Kopplung der Biologie des Auges und des Ohres mit entsprechenden Anschlussoperationen im Gehirn. Das Gehirn wiederum ist ber entsprechende Anschlussoperationen mit Bewusstsein und Bewusstsein mit Kommunikation strukturell gekoppelt. Die Co-Evolution der Systeme hat dazu gefhrt, dass ihre Systemstrukturen aufeinander abgestimmt und voneinander abhngig sind. 1042 Soll strukturelle Kopplung stattfinden, mssen Systeme auer zur Digitalisierung analoger Verhltnisse in der Lage sein, intern Mglichkeitsberschsse zu erzeugen.
1038 Luhmann (2004) S. 41. 1039 Vgl. Luhmann (1997) S. 92 ff. 1040 Vgl, Luhmann (1997) S. 100 f. 1041 Vgl. Luhmann (1997) S. 101. 1042 Vgl. Luhmann (1997) S. 85, S. 102, S.108.

408

Neuere Entwicklungen auf der Ebene der Allgemeinen Systemtheorie

10.4

Fr psychische und fr soziale Systeme sind diese Mglichkeitsberschsse durch das Medium Sinn vorgegeben.1043 Anhaltspunkte hierzu knnen aus dem systemeigenen Gedchtnis, aber auch aus den strukturellen Kopplungen entnommen werden. Dass Systeme an ihre Umwelt angepasst sind, kann weder mit der natrlichen Auslese von berlebten Systemen noch mit kognitiven Leistungen des Systems angemessen erklrt werden, denn kein System kann die dafr notwendige requisite variety (Ashby) aufbringen. Es kann nur das Unbekanntsein der Umwelt durch die internen Mglichkeitsberschsse, [] kompensieren. Strukturelle Kopplungen besitzen eine von den gekoppelten Systemen unabhngige Realittsbasis. Sie setzen vor allem eine physikalisch funktionierende Welt voraus, in der selbstreferenzielle Systeme eben nicht operieren (sie operieren im Medium Sinn). Da strukturelle Kopplungen mit allen autopoietisch mglichen Strukturentwicklungen vereinbar sind, weisen sie eine hohe Stabilitt auf. Sie bndeln und steigern bestimmte Einwirkungen auf das gekoppelte System und steigern damit seine Irritationssensibilitt und regen es zur Selbstdetermination an. Andererseits sind die gekoppelten Systeme nicht in der Lage, auf eine Zerstrung der strukturellen Kopplungen zu reagieren, da ihre Reaktionsmglichkeiten ja durch die strukturellen Kopplungen auf einen bestimmten Bereich festgelegt sind. Eine Destruktion struktureller Kopplungen zieht daher die Destruktion der gekoppelten Systeme nach sich. Von struktureller Kopplung ist operative Kopplung zu unterscheiden. Mit operativer Kopplung ist zum einen die Verbindung der Operationen in einem System gemeint. Zum anderen ermglicht z.B. Sprache, bezogen auf Lebewesen, eine operative Kopplung.1044 Handlungen knnen psychische und soziale Systeme operativ koppeln. Ist das der Fall, spricht Luhmann von Interpenetration.1045 Weiter kann zwischen loser und fester (strikter) Kopplung unterschieden werden, womit der Unterschied von Medium und Form angesprochen ist. Lose Kopplung ist gegeben, wenn eine Menge koppelbarer Operationen (Ereignisse, Elemente) vorhanden ist. Eine Menge lose gekoppelter Elemente bezeichnet Luhmann als Medium. Lose Kopplung ist Voraussetzung fr feste Kopplung (Form). Indem eine mgliche Kopplung zwischen Elementen realisiert wird, wird sie im Moment ihrer Realisation eine feste Kopplung. Im Medium werden Formen ausgeprgt.1046

1043 Luhmann (1997) S. 101. Zu den folgenden Ausfhrungen, vgl. Luhmann (1997) S. 101 ff. 1044 Vgl. Luhmann (1997) S. 211. 1045 Vgl. Luhmann (1987) S. 289. 1046 Zur Verwendung der Unterscheidung Medium und Form vgl. Luhmann (1997) S. 195 ff.

Luhmann greift mit dieser Differenzierung auf die Unterscheidung von Ding und Medium zurck, die Fritz Heider eingefhrt hat. Zu der von Heider, zur Darstellung von Wahrnehmungsprozessen, vorgenommenen Unterscheidung von Ding und Medium, vgl. Heider (1926) S. 109-157.

409

10

Systemtheoretische Konzepte

10.4.8 Komplexitt
Zu Beginn der Luhmannschen Theoriebildung ist Komplexitt das zentrale Thema seiner Systemtheorie. Dabei verstand Luhmann zunchst unter Komplexitt in erster Annherung an den schwierigen Begriff die Gesamtheit mglicher Ereignisse.1047 Die Gesamtheit mglicher Ereignisse, die ungeordnet einen chaotischen Weltzustand hinterlassen, erzwingt Systembildung. Systeme bringen Ordnung ins Chaos. Sie erfassen und reduzieren die Komplexitt der Welt, indem sie aus der Flle der Mglichkeiten in der Welt eine oder einige auswhlen. Dabei werden die nicht gewhlten Mglichkeiten durch Systembildung nicht vernichtet, sondern veranschaulichen, dass anders gewhlt htte werden knnen. Sie zeigen die Kontingenz einer jeden Selektion. Spter hat Luhmann die Unterscheidung von Element und Relation benutzt, um den Komplexittsbegriff zu definieren.1048 Mit den Begriffen Element und Relation kann die Einsicht formuliert werden, dass bei einer zunehmenden Anzahl von Elementen die Anzahl der potenziell mglichen Relationen zwischen den Elementen berproportional zunimmt. Mit steigender Anzahl von Elementen werden schlielich Grenordnungen erreicht, die es nicht mehr ermglichen, jedes Element mit jedem anderen jederzeit zu verknpfen.1049 Wenn eine Gesamtheit von Elementen diese Eigenschaft aufweist, ist Komplexitt gegeben. Komplexitt macht ein Auswhlen der Relationen zwischen den Elementen notwendig, weil es nicht mehr mglich ist, alle Elemente mit allen Elementen zu verbinden. Durch Systembildung wird Weltkomplexitt reduziert. Es entsteht organisierte Komplexitt. Das Potenzial zur Reduktion von Komplexitt kann enorm gesteigert werden, wenn in einer Gesamtheit von Elementen nacheinander verschiedene Beziehungsmuster realisiert werden knnen, die gleichzeitig nicht mglich wren. Systeme, die derart Komplexitt temporalisieren, sind in der Lage, sich ihrer Umwelt durch nderung ihrer eigenen Zustnde anzupassen. Sehr komplexe Systeme sind immer Systeme mit temporalisierter Komplexitt.1050 Durch Systembildung wird einerseits Weltkomplexitt reduziert, andererseits entsteht die Komplexitt der Welt durch Systembildung, durch Reduktion von Komplexitt, denn nach der Systembildung steigt die Anzahl der Systeme. Die brigen Systeme sind mit einem zustzlichen System in ihrer Umwelt konfrontiert. Fr alle anderen Systeme ergibt sich folglich ein Komplexittszuwachs ihrer Umwelt. Systembildung hinterlsst eine komplexere Welt.1051 Das Verhltnis zwischen Umwelt und System ist ganz allgemein durch ein Komplexittsgeflle ausgezeichnet, d.h., die Umwelt eines Systems ist immer komplexer als das
1047 Luhmann (2005a) S. 146. Hier bestimmt Luhmann den Komplexittsbegriff noch unter Rck1048 Vgl. Luhmann (2005b) S. 257 ff. Zur Kritik an dieser Begriffsumstellung und generell zum 1049 Luhmann (2005b) S. 257. 1050 Vgl. Luhmann (2005c) S. 129. 1051 Vgl. Luhmann (1987) S. 47 und S. 243.

griff auf die Beziehung zwischen System und Umwelt.

Luhmannschen Komplexittsbegriff, vgl. Willke (2005) S. 303-324, insbesondere S. 317 ff.

410

Theorie sozialer Systeme

10.5

System selbst.1052 In der Umwelt ist mehr mglich als im System. Systeme knnen nicht smtliche Mglichkeiten ihrer Umwelt in sich aufnehmen. Wenn dies geschehen wrde, gbe es keine Differenz mehr zwischen System und Umwelt. Systeme knnen auch nicht auf jeden Weltzustand reagieren, indem sie sich ihm anpassen. Dazu besitzen sie nicht die erforderliche requisite variety. Anpassung ist fr komplexe, autopoietische Systeme immer Selbstanpassung. Sie passen sich selbst an ihre eigene Komplexitt an, und das geschieht nach eigenen Gesichtspunkten und nicht anhand von Umweltkriterien. Wenn Systeme zerbrechen, zerbrechen sie letztlich an Selbstanpassung.1053 Das Auftreten von Komplexitt erzeugt eine unsichere und risikoreiche Welt. Komplexitt zwingt zur Selektion und Selektion heit, dass aus einem Mglichkeitsbereich selektiert werden muss, der mit der Selektion nicht verschwindet, sondern verdeutlicht, dass anders htte selektiert werden knnen. Die Selektion wird damit als kontingent erlebbar. Und da eine andere Selektion, als die faktisch vorgenommene, mglich gewesen wre, erscheint das Phnomen Unsicherheit und Risiko.1054

10.5 Theorie sozialer Systeme


Die in den vorhergehenden Abschnitten dargestellten Theorieelemente einer allgemeinen Systemtheorie wendet Luhmann auf die Theorie sozialer Systeme an. Insbesondere die bertragung des von Maturana fr lebende Systeme (Zellen, Organismen) entwickelten Autopoiese-Konzepts1055 auf psychische und soziale Systeme ist auf heftigen Widerspruch gestoen.1056 Maturana selbst lehnt eine bertragung seiner Autopoiese-Idee auf soziale Systeme ab.1057 Vertreter aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen uern sich kritisch bis ablehnend. Es gibt Versuche, den Autopoiese-Gedanken zu relativieren, soweit es um die Beschreibung und Analyse sozialer Systeme geht. So wurde bezogen auf das Rechtssystem ein gradueller Autonomieansatz vorgelegt.1058 Im Anschluss hieran ist auf Unternehmen bezogen eine Autopoiese-Relativierung in Angriff genommen worden.1059 Dies gilt auch fr die Managementlehre.1060 Es gibt Betriebswirte, die mit ihren Theo1052 Vgl. Luhmann (1987) S. 249 ff. sowie Luhmann (1993a) S. 275. 1053 Vgl. Luhmann (1987) S. 56. 1054 Komplexitt [] heit Selektionszwang, Selektionszwang heit Kontingenz, und Kontin1055 Vgl. Maturana/Varela (1975a), (1975b), (1987) und Maturana (1985). 1056 Vgl. statt anderer, Bhl (1987) S. 225-254. 1057 Vgl. Krll (1987) S. 11. 1058 Vgl. Teubner (1989). 1059 Vgl. Kirsch, W. (1992) S. 249 ff. und zu Knyphausen (1991). 1060 Vgl. Gleissner (1994), S. 110 ff., Weber, B. (1994), S. 284 f. und Krebs/Rock (1994), S. 335 ff.

genz heit Risiko. Luhmann (1987) S. 47.

und von Horstig (1993), S. 9 f.

411

10

Systemtheoretische Konzepte

rieentwrfen zur Unternehmensfhrung nicht nur das Autopoiese-Konzept, soweit es um die Analyse der Unternehmensfhrung geht, zu relativieren versuchen, sondern sogar eine Vershnung der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme mit der von Habermas vertretenen Theorie kommunikativen Handelns anstreben.1061 Luhmanns Position ist hart, klar und eindeutig: Ein System setzt seine Reproduktion fort oder es setzt sie nicht fort. Es gibt keine dazwischenliegenden Mglichkeiten. Eine Frau ist schwanger oder sie ist nicht schwanger, sie kann nicht ein bisschen schwanger sein.1062 Ein bisschen Autopoiese gibt es fr Luhmann nicht, entweder ganz oder gar nicht. Es gibt allerdings auch Vertreter der Betriebswirtschaftslehre, die die Einschtzung Luhmanns fr die Analyse von Unternehmen bernehmen, indem sie behaupten: Organisationen sind an Mrkte gekoppelt, die die Zufuhr von Rohstoffen, Energie, Kapital und Personen sicherstellen. Diese Form der Umweltabhngigkeit bleibt theoretisch banal und unbestritten. Auf einer basalen Ebene aber, in ihrer Tiefenstruktur, die die permanente Produktion der Elemente die Auswahl der Verkopplung von Entscheidungen etwa steuert, verschlieen sich Systeme in ihrer Eigenlogik einer direkten Beeinflussbarkeit.1063

10.5.1 Mensch, psychisches System und Person


Mit der bertragung des Autopoiese-Konzepts auf soziale Systeme geht die Positionierung des Menschen in der Theorie sozialer Systeme einher. Luhmann verortet den Menschen auerhalb von sozialen Systemen. Menschen sind hiernach keine Elemente sozialer Systeme, sondern gehren zur Umwelt sozialer Systeme. Diese Sichtweise lehnen viele Betriebswirte immer noch und teilweise entrstet ab, obwohl sie, seitdem Barnard Organisationen als Handlungssysteme qualifiziert hat, Wissensbestand auch der Betriebswirtschaftslehre sein knnte. In der betriebswirtschaftlichen Fhrungsliteratur wird der Begriff Mensch im Zusammenhang mit Fhrung benutzt. Es wird behauptet, Menschen seien Individuen, und es gelte, Menschen bzw. Individuen bzw. Subjekte zu fhren. Mit der Verwendung dieser Begrifflichkeit versucht man, auf die Einzigartigkeit eines Menschen hinzuweisen, die bei seiner Fhrung zu bercksichtigen ist. Natrlich ist jedem klar, dass Menschen keine Individuen sind, wenn man unter Individuum ein nicht weiter teilbares Ganzes versteht. Die Begriffe Mensch, Individuum, Subjekt bleiben in betriebswirtschaftlichen Schriften weitgehend ungeklrt. Das gilt auch fr den Begriff Person. Die neuere Systemtheorie strebt eine Klrung der genannten Begriffe an.

1061 Vgl. Kirsch, W. (1992). 1062 Luhmann (1985) S. 2. 1063 Kasper/Mayrhofer/Meyer (1998) S. 608 f.

412

Theorie sozialer Systeme

10.5

Vom Menschen spricht die neuere Systemtheorie, wenn es um das psychische und um das organische System des Menschen geht.1064 Der Mensch ist somit kein System sondern ein Konglomerat von Systemen.1065 Ohne Menschen knnte es zwar keine sozialen Systeme geben, Elemente sozialer Systeme sind sie deshalb aber nicht. Dieses Bild vom Menschen widerspricht traditionellen humanistischen Vorstellungen. Es folgt allerdings zwangslufig aus der differenztheoretischen Anlage der neueren Systemtheorie. Danach hat die Theorie die Wahl, den Menschen als Teil des sozialen Systems zu betrachten oder ihn der Umwelt zuzuordnen. Wenn der Mensch als Element sozialer Systeme betrachtet wrde, wre nachzuweisen, dass Menschen alle Eigenschaften autopoietischer Elemente besitzen. Nach den bisherigen berlegungen kann dies nicht gelingen, denn Menschen setzen sich nicht aus Operationen eines einzigartigen Operationstyps zusammen. Darber hinaus wre, wenn Menschen als Elemente sozialer Systeme angesehen wrden, die Theorie der Differenzierung als eine Theorie der Verteilung von Menschen zu konzipieren. Menschen wren auf Schichten, auf Nationen, Ethnien oder Gruppen zu verteilen. Damit geriete man jedoch in einen eklatanten Widerspruch zum Konzept der Menschenrechte, insbesondere zum Konzept der Gleichheit. Ein solcher Humanismus wrde also an eigenen Vorstellungen scheitern. Es bleibt also nur die Mglichkeit, den Menschen voll und ganz, mit Leib und Seele, als Teil der Umwelt des Gesellschaftssystems (und damit aller sozialen Systeme M.B.) anzusehen.1066 Viele konomen knnen nicht nachvollziehen, dass es ein Wirtschaftssystem oder Unternehmen geben soll, in denen keine Menschen als Elemente vorkommen. Hierauf ist in diesem Buch an vielen Stellen hingewiesen worden. Whrend es Menschen als Systeme nicht gibt, gibt es psychische Systeme. Psychische Systeme sind autopoietische Systeme. Alles, was bereits ber autopoietische Systeme gesagt wurde, gilt somit auch fr psychische Systeme. Psychische Systeme operieren als Bewusstseinssysteme. Elementareinheiten (Operationen) des Bewusstseins sind Vorstellungen (Gedanken).1067 Um die Operationsweise psychischer Systeme zu beschreiben, greift Luhmann auf die transzendentale Phnomenologie von Edmund Husserl zurck.1068 Hiernach beschftigt sich das Bewusstsein mit Phnomenen der Welt (es intendiert ein Phnomen) und mit sich selbst (mit dem Bewusstseinsprozess, mit dem Denkprozess selbst). In der Begrifflichkeit Luhmanns heit das: Die Form psychischer Systeme (und sozialer Systeme) ist der Unterschied von Selbstreferenz und Fremdreferenz.1069 Mit Intenti1064 Vgl. Luhmann (1987) S. 286. Zur Unterscheidung der Begriffe Mensch, Subjekt, Individuum,

Person und psychisches System und ihrer Bedeutung im Kontext der Luhmannschen Systemtheorie vgl. Luhmann (1991) S. 166-175. 1065 Vgl. Luhmann (1994b) S. 40-56, insbesondere ab S. 50. 1066 Luhmann (1997) S. 29 f. 1067 Vgl. Luhmann (1987) S. 356. 1068 Vgl. statt anderer Textstellen, Luhmann (2006b) S. 84 f. Luhmann verweist auf die Phnomenologie von Husserl und zitiert aus, Husserl (1950). 1069 Luhmann (1991) S. 167.

413

10

Systemtheoretische Konzepte

on und Intentionalitt beschreibt Husserl den Kopplungsvorgang der einzelnen Vorstellungen (Operationen) des Bewusstseins. Von jedem intendierten Phnomen kann das Bewusstsein zu weiteren Erklrungen des Phnomens getrieben werden oder sich mit sich selbst beschftigen. Luhmann bezieht sich weiter auf Husserl, indem er die Begriffe Retention und Protention benutzt. Hiermit soll die Bedeutung von Zeit fr Bewusstseinssysteme hervorgehoben werden, denn jede Bewusstseinsoperation, jeder Gedanke bezieht sich auf vorhergehende Gedanken (Retention) und auf Gedanken, die in naher Zukunft anstehen (Protention). Das Bewusstseinssystem entwickelt, durch Erfahrungen und Theorie inspiriert, Voraussichten und ein Gedchtnis.1070 Als autopoietisches System haben psychische Systeme keinen unmittelbaren, direkten Kontakt mit ihrer Umwelt, d.h. mit anderen psychischen Systemen, sozialen oder organischen Systemen. Psychische Systeme operieren ausschlielich im eigenen Bewusstsein. Alle Umweltkontakte psychischer Systeme werden durch das Nervensystem vermittelt. Umweltkontakte liegen somit auf einer anderen Ebene der Realitt als Bewusstseinsoperationen.1071 Von Menschen und psychischen Systemen sind Personen zu unterscheiden. Person ist ein Etikett fr eine Menge von Erwartungen, die an einen Einzelmenschen gerichtet sind.1072 Diese Erwartungen entstehen als Ergebnis von Beobachtungen, nmlich immer dann, wenn psychische Systeme von anderen psychischen oder sozialen Systemen beobachtet werden.1073 Personen dienen als Adressen der Kommunikation, um sie als Kommunikationsteilnehmer identifizieren zu knnen.1074 Sie sind im Kommunikationsgeschehen Bezugspunkte fr weitere Selektionen (fr weitere Kommunikation). Aus psychischen Systemen, so knnte man sagen, entstehen im Kommunikationsprozess Personen, das heit, Erwartungskollagen.1075 Person bezeichnet sowohl Autor, als auch Adresse, als auch Thema in Kommunikationssystemen.1076 Eine Diskussion ber die Konsequenzen der Bercksichtigung vorstehender berlegungen fr eine Theorie der Personalfhrung wrde den Rahmen dieses Buches sprengen. Daher wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Die Bildung und der Bestand sozialer Systeme setzen die Existenz psychischer Systeme (Bewusstseinssysteme) voraus, und Voraussetzung fr psychische Systeme sind organische Systeme (biologische Systeme). Organische und psychische Systeme sind zwar notwendige Bedingung, dass sich soziale Systeme berhaupt bilden knnen, sie sind aber keine Elemente sozialer Systeme. Soziale Systeme sind auf einer anderen Realittsebene angesiedelt als psychische Systeme, und diese wiederum operieren
1070 Vgl. Luhmann (2006b) S. 85. 1071 Vgl. Luhmann (1987) S. 355. 1072 Vgl. Luhmann (1987) S. 286. 1073 Vgl. Luhmann (1987) S. 155. 1074 Vgl. Luhmann (1993b) S. 367 und S. 372. 1075 Vgl. Luhmann (1987) S. 178. 1076 Luhmann (2006b) S. 89.

414

Theorie sozialer Systeme

10.5

ebenfalls auf einer anderen Realittsebene als organische Systeme. Psychische und soziale Systeme sind im Wege der Co-Evolution entstanden. Die eine Systemart ist notwendige Umwelt der jeweils anderen. Die Begrndung dieser Notwendigkeit liegt in der diese Systemarten ermglichenden Evolution. Personen knnen nicht ohne soziale Systeme bestehen, und das gleiche gilt umgekehrt. Die Co-Evolution hat zu einer gemeinsamen Errungenschaft gefhrt, die sowohl von psychischen als auch von sozialen Systemen benutzt wird. Beide Systemarten sind auf sie angewiesen, und fr beide ist sie bindend als unerlssliche, unabweisbare Form ihrer Komplexitt und ihrer Selbstreferenz. Wir nennen diese evolutorische Errungenschaft Sinn.1077 Sinn hlt psychische und soziale Systeme zusammen und nicht etwa ein beide Systemarten umfassendes Gesamtsystem.1078

10.5.2 Sinn, Handlung und Kommunikation


Bei der Behandlung der Frage, wie soziale Ordnung (soziale Systeme) unter der Bedingung doppelter Kontingenz mglich ist, wurde in Abschnitt 4.2.3.3 die Sinnkategorie, wie sie die neuere Systemtheorie versteht, vorgestellt, und es wurde verdeutlicht, dass es die doppelte Kontingenz selbst ist, Zeit, Zufall und Sinn, die soziale Systeme mglich macht. Es gibt nicht nur Systeme und es gibt nicht nur selbstreferenzielle, autopoietische Systeme, sondern es gibt soziale Systeme.1079 Es gibt soziale Systeme, weil das Problem der doppelten Kontingenz in der realen Welt gelst ist. Sinn ermglicht eine Kopplung von psychischen Systemen untereinander und ermglicht so das Entstehen und den Bestand sozialer Systeme, die ebenfalls im Medium Sinn operieren. Andererseits kostituieren psychische und soziale Systeme Sinn, indem sie operieren. Psychische und soziale Systeme bringen Sinn in die Welt. Die Welt an sich hat keinen Sinn. Die Begriffe Sinn und Welt sind von Luhmann als Begriffe ohne Gegenbegriff konzipiert. Sie sind daher nicht negierbar. Insofern ist der von Luhmann benutzte Sinnbegriff nicht auf das Aufwerfen und Beantworten von Sinnfragen im herkmmlichen Verstndnis angelegt. Sinn wird stets gleichzeitig in drei Dimensionen konstituiert. Luhmann unterscheidet sachliche, zeitliche und soziale Sinndimensionen.1080 In der Sachdimension geht es bei psychischen Systemen um alle Gegenstnde sinnhafter Intention, und im Fall sozialer Systeme um alle Themen sinnhafter Kommunikation. Die Zeitdimension von Sinn wird durch die Differenz von Vorher und Nachher konstituiert. Alle aktuellen Ereignisse knnen sinnvoll auf den Horizont von Vergangenheiten und Zuknften bezogen werden. Mit der Sozialdimension ist der Unterschied von Ego-Perspektive

1077 Luhmann (1987) S. 92. 1078 Vgl. Luhmann (1993a) S. 181 f. 1079 Luhmann (1987) S. 30. 1080 Vgl. Luhmann (1975) S. 74, Luhmann (1987) S. 112 ff. und Luhmann (1993a) S. 283.

415

10

Systemtheoretische Konzepte

und Alter-Perspektiven angesprochen. Jeglicher Sinn kann daraufhin untersucht werden, ob andere ihn genauso erleben wie Ego. Da psychische und soziale Systeme im gleichen Medium, nmlich Sinn, operieren, ist ihre Kopplung mglich. Trotzdem bleiben psychische Systeme und soziale Systeme freinander jeweils Umwelt, denn sie operieren mit unterschiedlichen Operationstypen im Medium Sinn. Der Operationstyp psychischer Systeme sind Gedanken. Der Operationstyp sozialer Systeme ist Kommunikation. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Kopplung zwischen unterschiedlichen Systemtypen, die deren Unterschied nicht aufhebt, als Interpenetration bezeichnet wird. Interpenetration bedeutet, dass ein autopoietisches System die komplexen Leistungen der Autopoiese eines anderen Systems voraussetzt und sie so behandelt, als wenn sie ein Teil des eigenen Systems wren.1081 Diesen Begriff der Interpenetration wendet Luhmann auch auf das wechselseitige Verhltnis von personalen und sozialen Systemen an. Psychische und soziale Systeme unterscheiden sich und berschneiden sich. Das heit fr Luhmann, dass sie etwas gemeinsam haben. Als das Gemeinsame identifiziert er einzelne Handlungen. Einzelne Handlungen eines psychischen Systems interpenetrieren in soziale Systeme. Umgekehrt kommt ein soziales System als Handlungssystem nur zustande, wenn mehrere psychische Systeme sich mit ihren Handlungen zur Verfgung stellen. Ein und dieselbe Handlung bedeutet in Bezug auf das psychische System etwas anderes als in Bezug auf das soziale System, obwohl das Handlungsereignis das Gleiche ist. Diese Paradoxie beruht darauf, dass das gleiche Handlungsereignis von den jeweiligen Systemen (psychischen und sozialen Systemen) unterschiedlich beobachtet wird. Es weist systemabhngig eine unterschiedliche Selektivitt und Zeitlichkeit auf. Die unterschiedliche Selektivitt ergibt sich, da der Auswahlbereich von Handlungen fr psychische und soziale Systeme jeweils ein anderer ist. Die unterschiedliche Zeitlichkeit des Handlungsereignisses fr psychische und soziale Systeme ist darin begrndet, dass das Handlungsereignis systemabhngig in unterschiedliche Handlungssequenzen (vorausgegangene und folgende Handlungen) eingebettet ist. Darber hinaus operieren psychische und soziale Systeme mit verschiedenen Operationstypen.1082 Doppelte Kontingenz, darauf wurde bereits hingewiesen, lst einen Prozess von Selektionen aus, der Handlungen ber die Kategorie Sinn wechselseitig miteinander verbindet und soziale Systeme entstehen lsst. D.h. auch, dass soziale Systeme ber den jeweiligen Sinnzusammenhang der Handlungen voneinander unterschieden werden knnen, und weiter, dass Systembildung sich in einem strengen Sinn nicht bereits auf konkreter Handlungsebene, sondern erst auf der Ebene von Erwartungen ber konkretes Handeln vollzieht, und somit ein und dieselbe konkrete Handlung, abhn-

1081 Vgl. Luhmann (1991) S. 174. 1082 Vgl. zum Vorstehenden und Folgenden Luhmann (1993a) S. 278 f. sowie Luhmann (1987)

S. 295.

416

Theorie sozialer Systeme

10.5

gig von dem jeweils unterlegten Sinn, zu verschiedenen sozialen Systemen gehren kann.1083 hnlich hatte schon Max Weber soziales Handeln definiert, nmlich als ein Handeln, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.1084 Whrend Weber aber auf den subjektiv gemeinten Sinn abstellt, den entweder ein tatschlich Handelnder seiner Handlung unterlegt oder der durchschnittlich bei einer Vielzahl von Handlungen festgestellt werden kann, oder in einer idealtypischen Handlungssituation unterstellt wird, bietet Luhmann einen selektiven, intersubjektiven Sinnbegriff. Sinn selektiert Informationsinhalte. Er prsentiert simultan zum einen den Horizont von Mglichkeiten, das potenziell Erlebbare, wie zum anderen das selektiv Realisierte, das aktuell Erlebte,1085 fixiert Verweisungsberschsse des Erlebens in Form von Mglichkeitshorizonten und bindet sie an je gegebene Wirklichkeit und vermittelt damit zwischen Weltkomplexitt und Selektion aus der berflle an Mglichkeiten.1086 Bei aller hnlichkeit zwischen Webers und Luhmanns Systemvorstellung ist der Unterschied hervorzuheben: dass es fr die Systemtheorie Luhmanns eben nicht persnliche Sinnkonstrukte sind, die die Einheit des Systems gewhren, sondern der systemische Sinn selbst in seiner emergenten Autonomie bzw. seiner eigenstndigen Selektivitt, die dann auf die beteiligten Personen zurckprojiziert werden kann. Vor der kommunikationstheoretischen Wende der Luhmannschen Systemtheorie bis zum Jahr 1982 galt fr Luhmann Handlung als Letztelement sozialer Systeme. Soziale Systeme wurden als Handlungssysteme betrachtet.1087 Damit hatte Luhmann bereits hervorgehoben, dass nicht Menschen, sondern sinnhaft aufeinander bezogene Handlungen, die sich an Erwartungen orientieren, Elemente sozialer Systeme sind.1088

1083 Vgl. Luhmann (1999a) S. 59 f. 1084 Weber, M. (1980) S. 1. 1085 Vgl. Luhmann (2005c) S. 81. 1086 Vgl. Luhmann (2005c) S. 65 sowie Luhmann (2005 a) S. 146 f. ausfhrlicher, Luhmann (1987) 1087 Soziale Systeme bestehen aus faktischen Handlungen, die sinngem zusammenhngen. 1088 Den Zusammenhang der Theorie autopoietischer Systeme mit der Handlungstheorie be-

S. 92 ff. sowie Luhmann (1997) S. 44 ff.

Luhmann (2005a) S. 53.

schreibt Luhmann folgendermaen: Die Theorie der sich selbst herstellenden, autopoietischen Systeme kann in den Bereich der Handlungssysteme nur berfhrt werden, wenn man davon ausgeht, dass die Elemente, aus denen das System besteht, keine Dauer haben knnen, also unaufhrlich durch das System dieser Elemente selbst reproduziert werden mssen. Das geht ber ein bloes Ersatzbeschaffen hinaus und ist auch mit Hinweis auf Umweltbeziehungen nicht zureichend erklrt. Es geht nicht um Anpassung, es geht nicht um Stoffwechsel, es geht um einen eigenartigen Zwang zur Autonomie, der sich daraus ergibt, dass das System in jeder, also in noch so gnstiger Umwelt schlicht aufhren wrde zu existieren, wenn es die momenthaften Elemente, aus denen es besteht, nicht mit Anschlussfhigkeit, also mit Sinn, ausstatten und so reproduzieren wrde. Luhmann (1987) S. 28.

417

10

Systemtheoretische Konzepte

Einen radikalen Perspektivwechsel gegenber der Weberschen Handlungsvorstellung nimmt die neuere Systemtheorie vor, indem sie fordert, jene Letztherrschaft des Subjekts (oder Individuums) ber die Handlung in Frage zu stellen.1089 Anders als die Wirtschaftswissenschaft, die in Anlehnung an die Webersche Handlungsvorstellung Handlungen an konkret handelnde Subjekte und ihre Motive und Interessen bindet, kappt die neuere Systemtheorie diese Verbindung. Das Postulat der neueren Systemtheorie, Handlungen nicht mehr aus Motiven oder Interessenlagen des Handelnden zu erklren, findet seine Rckversicherung in Atttributionstheorien der Motivation, die von der Sozialpsychologie entwickelt wurden. Sie liefern die Erkenntnis, dass die Handlungswahl weniger durch die selbst beschafften Motive einer Person bestimmt und erklrbar ist, als vielmehr umgekehrt der Handelnde unter dem Druck sozialer Situationen sich durch die Handlung Motive beschafft. Das Wirkungsverhltnis Motiv-Handlung erscheint dann als umgekehrtes, als Handlung-Motiv. Mit diesem Ergebnis stt die neuere Systemtheorie auf das Problem, was denn nun beides, Handlungsintention und Handlung, bestimmt. Sie identifiziert Zeit als die Dimension, die sowohl Handlung wie Handlungsmotive bestimmt. Anstatt des Subjekts wird die Zeitdimension von der neueren Systemtheorie bei der Entwicklung ihrer Handlungstheorie an die erste Stelle gesetzt. Unabhngig von Situationseinschtzungen und Interessen muss gehandelt werden, um Leben zu kontinuieren. Das Handeln ist eine Notwendigkeit der Zeit selbst.1090 Zukunft und Vergangenheit rcken aufeinander zu und pressen sozusagen Handlung aus der Gegenwart heraus.1091 Die Subjekt-Handlungs-Beziehung wird gelst und durch die Verbindung Handlung und Zeit ersetzt.1092 Damit wird nicht mehr die Subjektivitt des Handelns in den Vordergrund gerckt, sondern seine Temporalitt, mit der Konsequenz eines radikalen Abrckens vom individualistischen Paradigma. Aus der Perspektive des Subjekts, der individualistischen Sicht, stellen sich, wenn es um Handlung geht, Fragen, die sich auf die Kausalitt des Handlungszusammenhangs (Handlungen sind Ursachen, um Ziele zu bewirken) beziehen, und Fragen nach subjektiven Interessen, Zielen und Motiven. Betrachtet man Handlung von ihrer Zeitlichkeit her, erscheint Handlung als Ereignis, das eine Gegenwart (Vergangenheit und Zukunft) konstituiert und sofort wieder entschwindet. Aus dieser Perspektive werden Fragen relevant, die sich auf die Neuheit des Ereignisses und den Zusammenhang mit der Vergangenheit und der Zukunft beziehen. Von Interesse ist darber hinaus, aus welchem Handlungsrepertoire ausgewhlt wird und wer Handlungen wie, wem zurechnet und warum. Durch die Temporalisierung der Handlungskategorie gelingt der neueren Systemtheorie eine
1089 Luhmann (2005c) S.116. 1090 Luhmann (2005c), S. 117. 1091 Vgl. Luhmann (2005c) S. 123. 1092 Vgl. zum Folgenden, Luhmann (2005c) S. 105 ff. Luhmann weist darauf hin, dass auch im

Handlungskonzept von Max Weber die Zeitkategorie enthalten ist, nmlich als Differenz zwischen Zwecken und Mitteln.

418

Theorie sozialer Systeme

10.5

berfhrung der Theorie autopoietischer Systeme in eine Theorie der Handlungssysteme. Die Handlung nimmt mit ihrer Bindung an die Zeitkategorie alle Eigenschaften eines autopoietischen Elements an. Sie hat keine Dauer und muss unaufhrlich durch das Handlungssystem selbst reproduziert werden, indem eine Handlung an die vorhergehende anschliet. Erst ber kommunikative Prozesse sind Handlungen als solche identifizierbar und den Akteuren zurechenbar. Erst die Zurechnung motiviert das Handeln.1093 Was jeweils als Handlung zhlt, ist [...] Resultat von Festlegungen, Ausfluss eines negotiated order, fast knnte man sagen: Verhandlungssache.1094 Ein sich selbst beobachtendes Kommunikationssystem legt fest, was als Handlung angesehen wird. Kommunikativ freinander erreichbare Handlungen sind somit die eigentlichen elementaren Einheiten, aus denen sich soziale Systeme zusammensetzen. Soziale Systeme knnen sich nur ber Kommunikationsprozesse aufbauen und etablieren und sind gleichzeitig Bedingung der Mglichkeit zu kommunizieren. Mit der Behauptung, dass soziale Systeme Kommunikationssysteme sind, ist die kommunikationstheoretische Wende der neueren Systemtheorie vollzogen. Nach dieser von Luhmann vorgenommenen Wende bestehen soziale Systeme nicht aus Menschen und auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen.1095 Das Kommunikationsverstndnis der neueren Systemtheorie ist sehr eigenwillig. Es beruht nicht mehr auf einer Informationstheorie, die vom Sender-Empfnger-Modell ausgeht. Es geht nicht davon aus, dass Informationen bzw. ihr gemeinter Sinn vom Sender an einen Empfnger bertragen werden. Vielmehr wird Kommunikation als Synthese eines dreistelligen Selektionsprozesses verstanden. Dieser Selektionsprozess besteht aus der Selektion einer Information, der Selektion einer Mitteilung und der Selektion eines Verstehens. Nur wenn alle drei Selektionen zusammenkommen, sich zu einer einheitlichen Operation verbinden, kommt Kommunikation zustande. Luhmann zumt Kommunikation vom Verstehen her, also von hinten, auf. Bei Ego, wobei Ego als System verstanden wird, kommt Verstehen zustande. Alter, ebenfalls als System gedacht, erzeugt eine Information, indem Alter aus dem aktuellen Verweisungszusammenhang etwas als mitteilenswerte Information auswhlt. Dann muss Alter ein Verhalten aus seinem Verhaltensrepertoire whlen, um die Information mitzuteilen. Dies muss nicht unbedingt absichtlich geschehen. Ein Verhalten kann auch unbeabsichtigt zur Mitteilung werden. Das Verstehen liegt nicht mehr bei Alter, sondern Ego muss verstehen, damit Kommunikation zustande kommt. Ego hat verstanden, wenn er Mitteilung und Mitteilungsinhalt (Information) unterscheiden kann. Mit dieser Unterscheidung erzeugt Ego wiederum eine Information, die mitgeteilt werden kann. Wenn dies geschieht, schliet Kommunikation an Kommunikation an. Kom-

1093 Dieser Gedanke ist auch ein Kerngedanke des property-rights-Ansatzes. In Abschnitt 9.5 1094 Luhmann (2005c) S. 20. 1095 Vgl. Luhmann (2004) S. 269.

wurde verdeutlicht, dass die Zurechnung von Eigentumsrechten zu Handlungen motiviert.

419

10

Systemtheoretische Konzepte

munikation kommt nur zustande, wenn diese Differenz (zwischen Information und Mitteilung M.B.) beobachtet, zugemutet, verstanden und der Wahl des Anschlussverhaltens zu Grunde gelegt wird.1096 Was immer der Mitteilende mitteilen wollte (intendierte mitzuteilen), der Verstehende macht das daraus, was er daraus macht, und nicht unbedingt, was der Mitteilende intendierte. Nicht der Sprecher, sondern der Hrer bestimmt den Sinn einer Botschaft. Kommunikation kommt nach Luhmann auch zustande, wenn missverstanden wird. Verstehen schliet Missverstehen mit ein. Auch wenn Kommunikation abgelehnt wird, setzt das zunchst voraus, dass verstanden wurde. Es kommt im Kommunikationsprozess nicht auf die jeweiligen Absichten, Vorstellungen, Motive und Ziele oder das Glck der Kommunikationsteilnehmer an und auch nicht, ob Konsens oder Dissens zwischen ihnen vorhanden ist, auch spielt die Annahme oder Ablehnung des jeweils zugemuteten Sinnes keine Rolle. Wichtig ist, dass verstanden wird, denn Verstehen sichert die Anschlussfhigkeit weiterer Kommunikationen, und darauf, auf die Anschlussfhigkeit, kommt es an.1097 Bei jeder Kommunikation wird daher geprft, ob die vorhergehende Kommunikation verstanden wurde oder nicht verstanden wurde. Die Verstehenskontrolle luft whrend des Kommunikationsprozesses stndig mit und produziert weitere Kommunikation durch Kommunikation. Hierdurch ist die Autopoiese der Kommunikation gesichert. Mit der Autopoiese verselbststndigt sich Kommunikation gegenber den vorausgesetzten psychischen Systemen, befreit sich von den Bedingungen ihrer Ermglichung. Psychische Systeme operieren mit ihren Gedanken als autopoietische Systeme in einem gegenber der Kommunikation abgeschlossenen Bereich. Kommunikation ist die Operation, die die Autopoiese sozialer Systeme durchfhrt und damit ein soziales System von seiner Umwelt abgrenzt. Sie kann nur im Zusammenhang mit anderen Kommunikationen in einem Netzwerk erzeugt werden, an dessen Herstellung jede einzelne Kommunikation mitwirkt. Insofern ist Kommunikation eine autopoietische Operation.1098 Kommunikation ist die einzige soziale Operation.1099 Sie setzt eine Mehrheit von mitwirkenden Bewusstseinssystemen voraus, kann aber keinem Einzelbewusstsein zugerechnet werden. Sie kann auch kein kollektives Bewusstsein erzeugen bzw. vollstndige bereinstimmung (Konsens) der Einzelbewusstseine herstellen. Durch Kommunikation wird es auch nicht mglich, dass die beteiligten Bewusstseinssysteme sich gegenseitig durchschauen. Anders als Watzlawick, der behauptet, der Mensch kann nicht nicht kommunizieren1100, kommt die neuere Systemtheorie nach der oben skiz-

1096 Luhmann (1987) S. 196. 1097 Vgl. Luhmann (1997) S. 90. 1098 Vgl. Luhmann (1997) S. 82 f. 1099 Vgl. Luhmann (1997) S. 81. 1100 Watzlawick (2007) S. 53.

420

Theorie sozialer Systeme

10.5

zierten Kommunikationsvorstellung zu dem Schluss: Nicht der Mensch kann kommunizieren, nur die Kommunikation kann kommunizieren.1101

10.5.3 Kommunikationsmedien
Aus mehreren Grnden ist es unwahrscheinlich, dass Kommunikation berhaupt zustande kommt. Erstens ist es unwahrscheinlich, dass die Kommunikationsteilnehmer sich berhaupt verstehen, denn sie unterscheiden sich in dem, was sie jeweils wahrnehmen und was ihnen ihr Gedchtnis bereitstellt. Darber hinaus schliet Verstehen ein Missverstehen nicht aus. Missverstehen wiederum macht den Abbruch der Kommunikation wahrscheinlich.1102 Zweitens ist es unwahrscheinlich, dass die Kommunikation einen Adressaten, der nicht anwesend ist, erreicht, denn alle Kommunikation, die ber Interaktion hinausgeht, ist mit dem Problem, Aufmerksamkeit zu bekommen, konfrontiert. Schlielich ist drittens der Erfolg einer Kommunikation unwahrscheinlich, weil selbst wenn sie den Adressaten erreicht und verstanden wird, nicht sichergestellt ist, dass sie auch angenommen und befolgt wird (im Sinne von bernahme der Information als Prmisse fr weiteres Verhalten desjenigen, der verstanden hat). Um die Hindernisse, die Kommunikation unwahrscheinlich machen, zu berwinden, haben sich Kommunikationsmedien herausgebildet.1103 Luhmann unterscheidet entsprechend den drei mglichen Unwahrscheinlichkeiten von Kommunikation drei verschiedene Kommunikationsmedien. Die Sprache ist eines dieser Medien. Sie steigert das Verstehen von Kommunikation weit ber das Wahrnehmbare hinaus. Sprache dient als Medium fr akustischen und optischen Zeichengebrauch. Eine Ausdehnung der Reichweite von Kommunikation wird durch Verbreitungsmedien wie Schrift, Druck und Funk erreicht. Sprachmedium und Verbreitungsmedien verdoppeln alle Aussagemglichkeiten, indem sie die Mglichkeit erffnen, alles, was gesagt oder geschrieben wurde, zu verneinen. U.a. aus diesem Grund wird die Erfolgswahrscheinlichkeit, die Annahmewahrscheinlichkeit, von Kommunikation weiter reduziert. Um diese Kommunikationsblockade zu berwinden, evoluieren symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien.1104 Symbolisch generalisiert heit, dass es sich um eine Verallgemeinerung von Symbolen handelt, die in der Kommunikation eingesetzt werden. Unter Rckgriff auf eine spezifische Deutung des Kontingenzbegriffs beschreibt Luhmann die Herausbildung unterschiedlicher symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. Die von Luhmann vorgenommene Deutung des Kontingenzbegriffs lsst
1101 Luhmann (1997) S. 105. 1102 Vgl. Luhmann (1987) S. 217. Zum Folgenden, vgl. Luhmann (1987) S. 217 ff. 1103 Vgl. zum Folgenden, Luhmann (1987) S. 220 ff. 1104 Bei der Entwicklung seiner Theorie der Kommunikationsmedien greift Luhmann auf Par-

sons Theorie der Tauschmedien zurck, vgl. Luhmann (2005b) S. 213 f.

421

10

Systemtheoretische Konzepte

alles Erleben und Handeln als Selektion und zwar als Selektion, die auch anders mglich gewesen wre, erscheinen. Diese Kontingenz von Erleben und Handeln bewirkt ein Zurechnungsproblem. Es kann gelst werden, indem die Selektion entweder der Umwelt (Ego bzw. Alter erlebt) oder dem (selektierenden) System (Ego bzw. Alter handeln) zugerechnet wird.1105 Da soziales Handeln und Erleben der Beteiligten (Alter und Ego) nicht voneinander unabhngig und ihre Selektionen gleichzeitig kontingent sind, mssen sie koordiniert werden. Diese Koordination wird ber Kommunikation ermglicht, wie bereits bei der Behandlung der Ordnungsfrage (in Abschnitt 4.2.3.3) herausgearbeitet wurde. Luhmanns These ist, dass ein Gesellschaftssystem, das hhere Komplexitt und hhere Kontingenz erreichen will, fr die besonderen Konstellationen Alter/Ego und Erleben/Handeln funktional spezifizierte Kommunikationsmedien entwickelt. Sie steuern den Prozess der Selektionsbertragung.1106 Luhmanns Typologie liefert die Medien: Wahrheit (das Erleben Alters fhrt zum Erleben Egos), Macht/Recht (Alter whlt durch eigenes Handeln ein Handeln von Ego aus), Liebe (Alters Erleben bewirkt Egos Handeln) und Eigentum/Geld (Alter whlt eine Handlung, die Ego erlebt).1107 Smtliche Kommunikationsmedien sind codiert. Ein Code besteht aus zwei Werten, die einen Gegensatz bilden.1108 Mit der Etablierung von Codes kann zwischen codierten und nicht codierten Ereignissen unterschieden werden. Whrend codierte Ereignisse im Kommunikationsprozess als Information wirken, erzeugen nicht codierte Ereignisse Strungen, Rauschen.1109 Die Codierung kann unterschiedliche Formen annehmen. Sprachliche und darauf aufbauende schriftliche Codierung verdoppelt alle Aussagemglichkeiten durch die Mglichkeit der Negierung eines jeden Satzes, durch den Einbau einer Ja/Nein-Differenz.1110 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien zeichnen sich durch einen speziellen Zentralcode aus, der fr den gesamten Medienbereich des jeweiligen Kommunikationsmediums gilt. Im Unterschied zum Ja/Nein-Code der Sprache sind die Codes symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien Prferenzcodes d.h., der positive Wert des Codes wird bevorzugt.1111 Im
1105 Um Kurzbezeichnungen verfgbar zu haben, sollen Selektionsprozesse, die [] auf Syste-

me zugerechnet werden, Handeln genannt werden und Selektionsprozesse, die auf Umwelten zugerechnet werden, Erleben. Luhmann (2005b) S. 218. 1106 Vgl. Luhmann (2005b) S. 219. An der zitierten Stelle findet sich auch unter Zuhilfenahme einer Kreuztabelle eine Zuordnung von Kommunikationsmedien zu den Kombinationsmglichkeiten von Alter/Handeln bzw. Erleben und Ego/Handeln bzw. Erleben. Zur Theorie der Kommunikationsmedien, vgl. ausfhrlich Luhmann (1997) S. 316-393. 1107 Neben den aufgefhrten Kommunikationsmedien weist Luhmann auf Mischformen der Medien hin und nennt als weitere Beispiele fr symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien: in gewissen Anstzen auch religiser Glaube, Kunst und heute vielleicht zivilisatorisch standardisierte Grundwerte. Luhmann (1987) S. 222. 1108 Vgl. Luhmann (1997) S. 360. 1109 Vgl. Luhmann (1987) S. 197. 1110 Vgl. Luhmann (1987) S. 602, vgl. weiter zur binren Codierung, Luhmann (1997) S. 113 und S. 221 f. 1111 Vgl. Luhmann (1997) S. 359 f.

422

Theorie sozialer Systeme

10.5

Fall von Eigentum ist es z.B. der positive Wert des Habens. Alles, was in Form von Codes erfasst wird, erscheint als anders mglich. Es besteht daher ein Bedarf an Entscheidungsregeln, die festlegen, unter welchen Bedingungen der Wert bzw. der Gegenwert eines Codes richtig bzw. falsch ist. Derartige Entscheidungsregeln nennt Luhmann Programme.1112 Bedingung fr Kommunikation ist die physisch-organische Existenz der am Kommunikationsprozess Beteiligten. Sie mssen sozusagen krperlich vorhanden sein. Diese Bedingung nennt Luhmann symbiotische Bedingungen und bezeichnet die Mechanismen, die das Verhltnis zwischen symbolischer und symbiotischer Ebene regeln, als symbiotische Mechanismen.1113 Alle Kommunikationsmedien haben gemeinsame symbiotische Grundlagen, z.B. begrenzt die Gehirnkapazitt die Mglichkeit, Informationen zu verarbeiten. Darber hinaus bilden sich fr einzelne Kommunikationsmedien spezifische symbiotische Mechanismen heraus. Im Fall von Wahrheit ist es Wahrnehmung, im Fall von Liebe Sexualitt, im Fall von Macht physische Gewalt, im Fall von Geld Bedrfnisbefriedigung.

10.5.4 Funktion sozialer Systeme


Auch fr soziale Systeme gilt, dass ihr Verhltnis zur Umwelt durch ein Komplexittsgeflle ausgezeichnet ist, d.h., die Umwelt eines sozialen Systems ist immer komplexer als das soziale System selbst.1114 Komplexittserfassung und -reduktion ist nach dem Verstndnis der Systemtheorie die Funktion sozialer Systeme.1115 Sie versumt es aber nicht, darauf hinzuweisen, dass hiermit noch keine operationale Systemfunktion identifiziert ist.1116 Fr die Systemtheorie kann die Welt unter dem Aspekt Komplexitt nur zum Bezugsproblem ihrer Analysen werden, wenn gleichzeitig von einer anthropologisch weitgehend konstanten und begrenzten Informationsverarbeitungskapazitt des Menschen und sozialer Systeme ausgegangen wird. Nur aufgrund des Spannungsverhltnisses zwischen der uerst komplexen, grenzenlosen Welt, die die Gesamtheit aller mglichen Ereignisse ungeordnet beinhaltet, und der beschrnkten Informationsverarbei1112 Vgl. Luhmann (1997) S. 750. 1113 Vgl. Luhmann (1975) S. 62. 1114 Vgl. Luhmann (1987) S. 249 ff. 1115 Im Kontext der Systemtheorie ist der Funktionsbegriff in seiner allgemeinsten Form auf die

Welt gerichtet, bezieht sich aber in einem engeren Sinn auf den Bedarf eines bergeordneten Systems. Genau wie Handlungs- und Sinnbegriff der Systemtheorie subjektlos konzipiert ist, richtet sich auch ihr Funktionsbegriff nicht auf Subjekte (Individuen), sondern auf die Erfllung eines Bedrfnisses eines bergeordneten sozialen Systems (z.B. die Gesellschaft). So fragt die neuere Systemtheorie nach der Funktion der Wirtschaft fr die Gesellschaft. Der konomischen Theorie geht es dagegen um die Frage nach der Funktion der Wirtschaft fr die Wirtschaftssubjekte. 1116 Zur Operationalisierung der Komplexittsproblematik durch Problemverschiebung, vgl. Luhmann (2005a) S. 149 ff.

423

10

Systemtheoretische Konzepte

tungskapazitt der Systeme ergibt sich die Notwendigkeit der Komplexittsreduktion.1117 Soziale Systeme heben dieses Spannungsverhltnis zwischen System und Welt zwar nicht auf, aber sie knnen es abmildern, indem sie einige Mglichkeiten aus der berflle des Mglichen ber Selektionsregeln (Sinn) auswhlen und so die uere Unordnung in eine interne Ordnung berfhren. Diese interne hhere Ordnung von geringerer Komplexitt, die durch Systembildung aufgebaut wird, kann nur bestehen, eine gewisse Dauergeltung besitzen, wenn mindestens zwei notwendige Bedingungen erfllt sind: Einerseits muss das System gegenber seiner Umwelt relativ invariant gehalten werden, andererseits muss es auf Umweltentwicklungen, unter Rckgriff auf eigene Operationen, flexibel genug reagieren knnen. Die relative Invarianz eines sozialen Systems kann ber die Herausbildung generalisierter Verhaltenserwartungen abgesichert werden. Genauer formuliert, msste man sagen, ber Erwartungen von Erwartungen, denn Erwartungen gewinnen erst eine soziale Relevanz, wenn sie ihrerseits erwartet werden.1118 Whrend einfache Erwartungen aufgegeben oder gendert werden, wenn das Erwartete nicht eintritt, wird an einer generalisierten Verhaltenserwartung trotz Situationsvernderung festgehalten. Die Generalisierung von Verhaltenserwartungen strukturiert, ordnet so Handlungen, die zum System gehren, im Vorhinein, stimmt soziales Verhalten, bevor gehandelt wird, aufeinander ab und lsst relativ invariante Systemstrukturen entstehen. ber den Einzelfall hinaus werden also durch Generalisierung Sinnbezge hergestellt und notfalls kontrafaktisch gesichert.1119 Die Generalisierung von Verhaltenserwartungen vollzieht sich in drei Richtungen, nmlich in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht.1120 In der zeitlichen Dimension fhrt Generalisierung dazu, dass den Verhaltenserwartungen Dauergeltung verliehen wird. Es kann gelernt werden, Enttuschungen der Erwartungen mitzuerwarten. Verhaltenserwartungen werden so zu Normen, die zuknftiges Handeln ordnen. Die Generalisierung von Erwartungen in der Zeitdimension bedarf der Ergnzung durch Generalisierung der Erwartungen in der sachlichen und sozialen Dimension. In der sachlichen Dimension sind Normen durch Personen, Rollen, (Entscheidungs-) Programme und abstrakte Werte abzusichern, die dann als Kriterien fr Erwartungsbildung genutzt werden. Dies geschieht durch eine, von der konkreten Situation unabhngige, Identifikation ihres Sinns und Grunds. Luhmann erwartet, dass die Gesellschaft sich auf der Sinnebene von Rollen und Programmen ausdifferenzieren wird. Rollen und Programme bilden die eigentlich strukturtragende

1117 Vgl. Luhmann (2005a) S. 145 ff. 1118 Vgl. Luhmann (1987) S. 411 und S. 413. 1119 Vgl. Luhmann (1999a) S. 54 ff. 1120 Vgl. Luhmann (1999a) S. 56 ff., sowie ders. (2005a) S. 153 ff.

424

Theorie sozialer Systeme

10.5

Schicht, bezglich der dann Personen mobilisiert und Werte ideologisiert werden knnen.1121 In der sozialen Dimension sind normative Rollenerwartungen zu institutionalisieren. Institutionen sichern den sozialen Konsens ber Verhaltenserwartungen, tragen die Normwirkung ber die unmittelbar Handelnden hinaus. Soweit eine Erwartung institutionalisiert ist, kann der Erwartende von Zustimmung ausgehen, ohne individuelle Meinungen und Motive geprft zu haben. Das erspart in der Regel, die Konsensfrage zu stellen und zu diskutieren, und ermglicht rasche Verstndigung ber ausgewhlte Themen.

Normen, Rollen, Programme und Institutionen legen in sozialen Systemen intern zulssige Handlungsmglichkeiten fest. Sie bestimmen einen Groteil der jeweiligen Ordnung des sozialen Systems.1122 Die Generalisierung von Erwartungen, als der elementare Strukturierungsmechanismus, ist nur eine Art der Vorselektion, die zur Strukturbildung fhrt. Ist das Komplexittsreduktionspotenzial der Erwartungsgeneralisierung erschpft, so lsst sich der Ordnungsgrad eines sozialen Systems durch den anspruchsvollen Mechanismus der internen Differenzierung in Form segmentrer, stratifikatorischer oder funktionaler Differenzierung weiter erhhen.1123 Generalisierung und interne Differenzierung thematisieren nur eine Seite der doppelten Selektion: die Strukturbildung. Zustzlich wird durch Prozesse die trotz Generalisierung und interner Differenzierung verbleibende Komplexitt fallweise abgearbeitet. Strukturierung klammert die umgreifende Ungewissheit der Welt aus, indem sie eine, dem menschlichem Bewusstsein, angepasste Menge von Mglichkeiten bereitstellt, und damit Prozesse steuert und regelt.1124 Demgegenber ist mit dem Ablauf von Prozessen eine Reduktion von Komplexitt als faktisches Geschehen verbunden.1125 Auf Prozesse bezogen kann eine Selektionsverstrkung, hnlich wie sie auf der Ebene der Strukturbildung durch Generalisierung und Differenzierung erreicht wird, durch

1121 Vgl. Luhmann (2005a) S. 154. 1122 Von diesen faktisch zur Geltung kommenden generalisierten Erwartungen sind juristisch

kodifizierte und geforderte Normen zu unterscheiden, die neben den zuerst genannten den Handlungsablauf in sozialen Systemen ber jeweilige Rechtsverfassungen beeinflussen. Die Ordnungstheorie benutzt auf Wirtschaftssysteme bezogen zur Unterscheidung die Begriffe Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung, vgl. Eucken (1950) S. 52. 1123 Zur segmentren Differenzierung, vgl. Luhmann (1997) S. 634 ff., zur stratifikatorischen Differenzierung, vgl. Luhmann (1997) S. 678 ff., und zur funktionalen Differenzierung, vgl. Luhmann (1997) S. 743 ff. 1124 Vgl. Luhmann (2005a), S. 152. 1125 Vgl. Luhmann (2005a), S. 159.

425

10

Systemtheoretische Konzepte

Anwendung der Prozesse auf sich selbst (Reflexivitt) erzielt werden.1126 Eine weitere Mglichkeit der Selektionsverstrkung auf Prozessebene besteht in der Institutionalisierung von symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Whrend der Ordnungsgrad eines sozialen Systems durch Generalisierung, interne Differenzierung, Reflexivitt und Etablierung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien gesteigert werden kann, und damit eine gewisse Invarianz des sozialen Systems abgesichert wird, mssen soziale System trotzdem in der Lage sein, sich adaptiv auf Umwelteinflsse einzustellen, wenn sie Bestand haben sollen. Damit ist die Anpassungsfhigkeit sozialer Systeme an ihre Umwelt thematisiert. Reaktionsund Anpassungsnotwendigkeiten relativieren die Invarianz der Ordnung sozialer Systeme. Eine invariante Ordnung ist nur in einer unwandelbaren, stndig gleich ablaufenden Welt bestandsfhig. Soll ein System an Vernderungen in der Umwelt nicht scheitern, so muss es auf Umwelteinflsse reagieren knnen. Das System muss hinreichend viele Zustnde annehmen knnen (requisite variety besitzen), um mit wechselnden Umwelten kompatibel zu sein. Das berleben eines Systems ist nur mglich, wenn die interne Ordnung gengend Freiraum fr Anpassungen an die Umweltbedingungen lsst, wenn der Komplexittsgrad des Systems (der Mglichkeitsraum) in ein Entsprechungsverhltnis zur Umweltkomplexitt gebracht wird. In Abschnitt 10.4.3 sind Mglichkeiten autopoietischer Systeme, sich durch Selbstanpassung, Morphogenese und umweltbezogene Anpassung an ihre Umwelten anzupassen, beschrieben worden, so dass an dieser Stelle hierauf verwiesen werden kann. Soziale Systeme sind Kommunikationssysteme. Sie unterscheiden sich in der Form, wie sie mit doppelter Kontingenz umgehen. Es knnen Gesellschaft (mit ihren Funktionssystemen), Organisationen und Interaktionen (seit 1984 nimmt Luhmann noch die Protestbewegungen hinzu) unterschieden werden.1127

10.6 Gesellschaft und gesellschaftliche


Funktionssysteme
Das alle sozialen Systeme umfassende soziale System ist die Gesellschaft.1128 Gesellschaft setzt sich nicht aus Menschen und auch nicht aus Handlungen von Menschen
1126 Zur Theorie der Reflexivitt vgl. Luhmann (2005a) S. 116-142. Wir Lernen das Lernen, regu-

lieren die Normsetzung, finanzieren unseren Geldgebrauch, ja jeder Kauf ist fr den Verkufer ein Eintausch von Tauschmglichkeiten durch Geld. Wir planen das Planen und erforschen die Forschung. Unsere Brokratien entscheiden, ob und wann und wie sie entscheiden wollen. Wir wissen, wie auf diese Weise Effektivitt potenziert und komplexere Leistungsbedingungen kontrolliert werden knnen. Luhmann (2005a) S. 117. 1127 Vgl. Luhmann (1997) S. 829, sowie Luhmann (1997) S. 847 ff. und Luhmann (2004), wo er von neuen sozialen Bewegungen spricht. 1128 Vgl. Luhmann (1997) S. 78 ff.

426

Gesellschaft und gesellschaftliche Funktionssysteme

10.6

zusammen.1129 Gesellschaft besteht aus Kommunikationen, sie besteht nur aus Kommunikationen, sie besteht aus allen Kommunikationen.1130 Grenzen der Gesellschaft sind Grenzen mglicher, sinnvoller Kommunikation. Somit kann es in der Umwelt von Gesellschaft keine Kommunikation und damit keine sozialen Systeme geben. Die Elemente, eben Kommunikationen, aus denen die Gesellschaft besteht, reproduziert sie durch Kommunikationen, und sie gewinnt hierdurch ihre Einheit, etabliert sich als kommunikativ geschlossenes System. Die Bedingungen ihrer Existenz allerdings liegen in ihrer Umwelt (materielle Ressourcen, psychische Systeme, organische Systeme usw.), und insofern ist sie als offenes System zu kennzeichnen. Sie kommuniziert ber etwas - ber Themen, die ihre Umwelt oder sie selbst oder die gerade ablaufende Kommunikation betreffen.1131 Gesellschaft ist somit zugleich ein offenes und operativ geschlossenes, autopoietisches System. Die Funktion der Gesellschaft besteht in der Reduktion uerster Weltkomplexitt. Sie stellt fr smtliche Sozialsysteme eine geordnete, gesellschaftsinterne Umwelt bereit. Die Gesellschaft selbst ist ein evoluierendes Sozialsystem. Sie ist nicht Ergebnis bewusster Planung oder Ergebnis eines Schpfungsaktes. Die Gesellschaft selbst hat keinen Zweck.1132 Im Laufe der Evolution haben sich historisch unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen herausgebildet. Luhmann unterscheidet zwischen segmentr (archaisch gegliedert), stratifikatorisch (hierarchisch gegliedert) und funktional differenzierten Gesellschaften. Die moderne Gesellschaft zeichnet sich durch funktional differenzierte autopoietische Teilsysteme aus. Politik, Wirtschaft, Recht, Religion, Familien sind solche Funktionssysteme. Jedes Funktionssystem ist fr eine spezifische Funktion ausdifferenziert. Keines kann die Funktion eines anderen in vollem Umfang bernehmen. Keines hat Vorrang vor dem anderen. Keines kann die Gesellschaft als Ganze reprsentieren oder steuern. Diese Sachverhalte steigern die Abhngigkeit der Gesellschaft vom Funktionieren ihrer Funktionssysteme und die Abhngigkeit der Funktionssysteme untereinander. Die Innendifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme steigert, aufgrund der Spezialisierung der Funktionssysteme, das Komplexittsverarbeitungspotenzial der Gesellschaft und gleichzeitig ihre eigene Komplexitt. Funktionssysteme sind, da sie in der Gesellschaft existieren, Kommunikationssysteme. Auch sie bestehen nur aus Kommunikation. Aber sie knnen sich nicht durch Kommunikation schlieen, sich nicht als Kommunikationssysteme von ihrer Umwelt unterscheiden.1133 Die gesellschaftlichen Teilsysteme sind kommunikativ offene Systeme, da sie in einer innergesellschaftlichen Umwelt operieren, in der es ebenfalls Kommunikation gibt. Sie kommunizieren mit ihrer Umwelt (mit Systemen in ihrer
1129 Vgl. Luhmann (1997) S. 32. 1130 Luhmann (1994a) S. 50. 1131 Luhmann (1994a) S. 50. Mit ihrer Umwelt allerdings kann die Gesellschaft nicht kommuni1132 Luhmann (1997) S. 818. 1133 Luhmann (1994a) S. 50.

zieren, denn dort gibt es keine Kommunikation.

427

10

Systemtheoretische Konzepte

Umwelt) und nicht nur wie die Gesellschaft, die nicht mit, sondern ber ihre Umwelt kommuniziert. Um Funktionssysteme mit externer Kommunikationsfhigkeit auszustatten [], mssen in den Funktionssystemen Organisationen gebildet werden1134, denn genau wie die Gesellschaft haben die gesellschaftlichen Funktionssysteme keine Adressen, die angeschrieben oder angesprochen werden knnten. Organisationen und Personen dagegen haben Adressen. Die Teilsysteme sind strukturell miteinander gekoppelt. Die Kopplung von Wirtschaft und Politik geschieht ber Steuern und Abgaben.1135 Wirtschaft und Recht sind ber Eigentum und Vertrag strukturell gekoppelt.1136 Zeugnisse und Zertifikate stellen eine Kopplung zwischen Erziehungssystem und Wirtschaft (in ihrer Ausprgung als Beschftigungssystem) her.1137

10.7 Wirtschaftssystem
Entsprechend der Theorie sozialer Systeme besteht die Funktion sozialer Systeme in der Erfassung und Reduktion von Weltkomplexitt. Das Problem der Weltkomplexitt kann aber allein nicht Grundlage fr die Ausdifferenzierung sozialer Systeme sein, denn: Es schliet nicht aus, sondern ermglicht, alles mit allem zu vergleichen.1138 Bearbeitbar wird Weltkomplexitt fr relativ autonome soziale Systeme, indem sie eigene Regeln herausbilden, nach denen Kommunikationen Selektionsleistungen erbringen. Eine Mglichkeit besteht in der bersetzung des Problems der Weltkomplexitt in Systemprobleme. Um diese systeminternen Problemformeln herum konstituieren sich soziale Teilsysteme. Luhmann nennt diesen Sachverhalt Problemverschiebung. In den drei Sinndimensionen gibt es verschiedene Ersatzprobleme fr Komplexitt. In der Zeitdimension ist es das Bestandsproblem, in der Sachdimension die Knappheitsproblematik und in der Sozialdimension das Problem des Dissens.1139 Diese drei konkretisierten Grundprobleme mssen von allen sozialen Systemen bearbeitet werden. ber die Schwerpunktsetzung bezglich der jeweiligen Ersatzprobleme fr Komplexitt knnen sich Funktionssysteme etablieren und Eigenstndigkeit gewinnen. Die primre Problemformel, auf die hin die Gesellschaft ihr Wirtschaftssystem ausdifferenziert, liegt nach Luhmann in der Zeitdimension.1140 Die Funktion der Wirtschaft besteht darin, die zuknftige Versorgung mit Gtern heute (gegenwrtig) sicherzustel1134 Luhmann (1997) S. 843. 1135 Vgl. Luhmann (1997) S. 781 f. 1136 Vgl. Luhmann (1997) S. 783 f. 1137 Vgl. Luhmann (1997) S. 786 f. 1138 Luhmann (2005a) S. 149. 1139 Vgl. Luhmann (2005a) S. 149. 1140 Vgl. Luhmann (2005a) S. 259 ff.

428

Wirtschaftssystem

10.7

len. Damit werden soziale und sachliche Aspekte des Wirtschaftens als von der Zeitdimension her gesteuert betrachtet. Aus dieser Perspektive erscheint die sachliche Knappheitsproblematik als sekundr. Die Wirtschaft, so die Sichtweise der neueren Systemtheorie, produziert selbst Knappheit als systemeigenes Problemschema, unter dem sie inkonsistente Anforderungen bearbeitet und zeitliche, sachliche und soziale Verteilungsprobleme definieren kann. Deshalb nimmt Knappheit durch Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfhigkeit nicht ab, sondern zu.1141 Wie kommt die neuere Systemtheorie zu dieser Einschtzung, wo es doch, zumindest aus Perspektive der Wirtschaftssubjekte und nach Aussagen der Wirtschaftswissenschaft, beim Wirtschaften darum geht, Gterknappheiten zu reduzieren, indem sie einer wirtschaftlichen Kalkulation unterzogen werden?1142 Der Grund liegt in der unterschiedlichen Auffassung des Knappheitsbegriffs durch konomie und neuere Systemtheorie. Whrend die konomie Knappheit als eine Relation zwischen Menschen und Sachen betrachtet und hieraus das konomische Handlungsprinzip (bei gegebenen Mitteln eine maximale Zielrealisierung bzw. bei gegebenem Ziel einen minimalen Mitteleinsatz zu erzielen) ableitet, wird Knappheit von der neueren Systemtheorie an einem ganz anderen theoretischen Ort angesiedelt. Sie verbindet das Knappheitsproblem mit dem Problem der Kontingenz, dem Grundproblem jeder sozialen Beziehung. Alle als Vorsorge intendierten, faktischen oder mglichen wirtschaftlichen Handlungen sind zunchst auch anders mglich. Indem aber wirtschaftlich gehandelt wird, legen sich wirtschaftliche Ereignisse fest. Sie sind Selektionen aus der Handlungsmenge, die sich, bevor gehandelt wurde, als Handlungsmglichkeiten prsentierten, und verweisen auf das, was, nachdem gehandelt wurde, mglich wird. Alles htte auch anders sein knnen. ber Knappheit wird dieser soziale Sachverhalt, dass alles auch anders htte sein knnen, rekonstruierbar. Die Kontingenzproblematik erhlt als Knappheitsproblematik ihre spezifische wirtschaftliche Fassung, die es ermglicht, kontingente Ereignisreihen nichtkontingent zu verknpfen und die an sich unbestimmte Kontingenz menschlichen Handelns kalkulierbar und damit in eine bestimmbare Kontingenz zu berfhren. Die Funktion der Wirtschaft fr die Gesellschaft besteht in den Augen der neueren Systemtheorie in der Entproblematisierung der Zeitdimension.1143 Es ist nicht die Verwendung der Knappheitsformel, die das Wirtschaftssystem zum autopoietischen System macht. Die Qualifizierung des Wirtschaftssystems als funktional autonomes und autopoietisches System setzt voraus, dass Elemente identifizierbar sind, die autopoietische Eigenschaften besitzen und nur in der Wirtschaft vorkommen. Das Konstitutionsprinzip der Einheit des Wirtschaftssystems, das in seiner Umwelt
1141 Luhmann (2005a) S. 260. 1142 Auch und gerade Marxisten haben das Ziel, durch Wirtschaften Wirtschaft selbst aufzuhe-

ben, vom Reich der Notwendigkeiten ins Reich der Freiheit vorzudringen, in dem dann Wirtschaften und Wirtschaftswissenschaft berflssig wird. 1143 Darauf, dass konomen frhzeitig auf die Zeitbedingtheit allen Wirtschaftens aufmerksam gemacht haben, ist in Abschnitt 6.1.2 hingewiesen worden.

429

10

Systemtheoretische Konzepte

nicht existiert und das die Produktion und Reproduktion von Wirtschaftssystemelementen durch eben diese Elemente ermglicht, findet Luhmann im temporren, zeitpunktgebundenen Ereignis der Zahlung. Der unit act der Wirtschaft ist die Zahlung. Zahlungen haben alle Eigenschaften eines autopoietischen Elements: Sie sind nur auf Grund von Zahlungen mglich und haben im rekursiven Zusammenhang der Autopoiesis der Wirtschaft keinen anderen Sinn, als Zahlungen zu ermglichen.1144 Da beim Zahlen immer eine Mitorientierung am Gegenteil, der Nichtzahlung, mitluft, ist das eigentliche Grundelement des Wirtschaftens das gekoppelte Ereignis Zahlung/Nichtzahlung. Dieses gekoppelte Ereignis betrachtet Luhmann als Entscheidung, weil das eine nicht ohne Ablehnung des anderen mglich ist, sich also immer gegen die andere Mglichkeit profiliert. Letztelemente der Wirtschaft sind also nicht einfach Ausfhrungen oder Unterlassungen von Zahlungen, sondern Zahlungs- und Nichtzahlungsentscheidungen.1145 Ein solches System ist, solange es besteht, ber die Reproduktion von Zahlungen stndig in Bewegung, so dass ein Gleichgewicht niemals erreicht werden kann und insofern gleichgewichtstheoretische Vorstellungen in der Realitt des wirtschaftlichen Alltags nicht zu finden sind.1146 Die Autopoiesis der Wirtschaft vollzieht sich also nicht durch gleichgewichtige Handlungen, sondern allein durch Zahlungen, und zwar mit Hilfe jenes binren Schematismus, der Zahlen wie Nichtzahlen ber den Zwang zur Negation zur Selbstreferenz zwingt.1147 Der selbstreferenzielle Zahlungszirkel garantiert die Schlieung des Wirtschaftssystems. Zahlungen verweisen aber nicht nur auf Zahlungen, sondern auch auf die Umwelt des Systems, auf Bedrfnisse, Ressourcen, Gterstrme usw. Im Zahlen um des Zahlen willens ist, so Luhmann, offensichtlich ein Motivmangel eingebaut1148. Die autopoietische Elementarentscheidung Zahlung/Nichtzahlung findet ihre Begrndung erst mit dem Verweis auf die interne Systemumwelt. Die Systemumwelt, insbesondere die Interessen und die zur Befriedigung anstehenden Bedrfnisse, liefern die Zahlungsmotive. Selbstreferenz (Autopoiesis und damit Abgeschlossenheit des Zahlungsprozesses) ist nur ber Fremdreferenz mglich. Die parallel in jeweils umgekehrter Richtung gleichzeitig ablaufenden Zahlungs- und Gterstrme veranschaulichen diesen Sachverhalt. Das durch das Zahlungselement konstituierte, operativ geschlossene Wirtschaftssystem ist also nur als offenes System mglich.1149
1144 Luhmann (1994a) S. 52. 1145 Vgl. Luhmann (1994a) S. 53. Da Luhmann mit seinem Zahlungsbegriff auf Zahlungs- und

Nichtzahlungsentscheidungen abstellt und die reinen Ausfhrungshandlungen hiervon nicht abtrennt, trifft die von Marder, vgl. Mader (1985), S. 329 ff., geuerte Kritik, die Wirtschaft in ein Entscheidungs- und Handlungssystem zerlegt, nicht. Im Handlungsbegriff Luhmanns und somit auch im Zahlungsbegriff ist immer schon, da Handlung als Selektion begriffen wird, Entscheidung mit enthalten. 1146 Vgl. Luhmann (1994a) S. 54. Luhmann fordert eine Theorie der Stabilisierung durch Ungleichgewicht und verweist auf die Ungleichgewichtstheorie von Kornai. 1147 Vgl. Luhmann (1994a) S. 54. 1148 Vgl. Luhmann (1994a) S. 54. 1149 Vgl. Luhmann (1994a) S. 15.

430

Wirtschaftssystem

10.7

Das Zahlungsereignis ist mit seinem Auftreten auch schon wieder verschwunden. Es hat keinen Bestand. Dem Zahlungsereignis mssen immer wieder neue Zahlungsereignisse folgen. Wenn das nicht geschieht, hrt das Wirtschaftssystem schlichtweg auf zu existieren. Damit sich Zahlungen an Zahlungen reihen knnen, muss entstandene Zahlungsunfhigkeit ausgeglichen werden. Unternehmen, Privathaushalte und Staat zahlen, wenn erwartet werden kann, dass die durch ihre Zahlung entstandene Zahlungsunfhigkeit durch Zahlungen behoben wird. Dies geschieht auf unterschiedliche Art und Weise. Unternehmen zahlen (investieren) in der Erwartung, dass Auszahlungen Einzahlungen nach sich ziehen. Allerdings zahlen Unternehmen nur, wenn sie erwarten, dass die abdiskontierte Differenz zwischen Ein- und Auszahlungssumme positiv ist. So zahlen Unternehmen den Kaufpreis fr Maschinen und zahlen notwendig werdende Reparaturen, wenn die durch den Maschinenkauf und den Maschineneinsatz bedingte (abdiskontierte) Auszahlungssumme geringer ist als die durch den Verkauf der auf der neuen Maschine erstellten Produkte erwarteten (abdiskontierten) Einzahlungen ihrer Kunden. Ist das der Fall, liegt eine rentable Investition vor. Die beschriebene Zahlungskonditionierung nennt Luhmann rentabilitts- oder profitorientierte Zahlungskonditionierung.1150 Der Staat zahlt (Kindergeld, Subventionen, Schulden usw.) in der Erwartung, dass ber Steuerzahlungen und anderen Zwangsabgaben eine Kompensation dieser Auszahlungen stattfindet. Hiermit ist die steueraufkommensorientierte Zahlungskonditionierung beschrieben. Privathaushalte ttigen Zahlungen fr Konsumgter in der Erwartung, dass ber Lohnzahlungen eine Kompensation der geleisteten Zahlungen stattfindet. Damit ist die konsumorientierte Zahlungskonditionierung benannt. Luhmann hat das Wirtschaftssystem mit einem Doppelkreislauf beschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass das Phnomen des Doppelkreislaufs erst bei monetrer Zweitcodierung des wirtschaftlichen Mediums Eigentum entsteht.1151 Zweitcodierung bedeutet in diesem Fall, dass die binre Codierung Haben/Nichthaben berlagert wird durch die Codierung Zahlen/Nichtzahlen. Moderne Wirtschaft ist fr Luhmann immer Geldwirtschaft. In Anlehnung an seine Ausfhrungen kann der Doppelkreislauf der Wirtschaft mit folgender Abbildung 64 dargestellt werden.

1150 Vgl. zu den unterschiedlichen Konditionierungen der Zahlungen, Luhmann (1994a) S. 136. 1151 Vgl. Luhmann (1994a) S. 140 ff.

431

10

Systemtheoretische Konzepte

Abbildung 64:

Dsenprinzip der Wirtschaft


Rentabilitt Selbstkonditionierung des Wirtschaftssystems

Legende: Z = Zahlung ZU = Zahlungsunfhigkeit ZF = Zahlungsfhigkeit

ZU

ZF ZU ZF Z ZU Z ZF

ZF ZU Steuern (Staat) Z ZU

ZU Lohnzahlungen (Privathaushalte)

In Anlehnung an Luhmann (1994a) S. 137.

Durch den Doppelkreislauf wird, wie nach Art eines Dsenprinzips die Wirtschaft vorangetrieben, indem man Zahlungen in Erwartung eines Ausgleichs fr Zahlungsunfhigkeit leistet. Erst als Folge dieser Zahlungsbewegung entsteht eine Bewegung der Gter und Dienstleistungen.1152 Durch Zahlungen werden weitere Zahlungen ermglicht, die weitere Zahlungen ermglichen. Das Wirtschaftssystem ist ein operativ geschlossenes System. In ihm gibt es nichts als Zahlungen, die Zahlungen begrnden. Durch diese Art der Schlieung entsteht die Mglichkeit der ffnung. Die Umwelt des Wirtschaftssystems (u.a. Interessen und Bedrfnisse der Menschen, Politik, Organisationen) liefert Zahlungsmotive. Im ueren Kreislauf des Doppelkreislaufes wird Zahlungsunfhigkeit weitergegeben. Im inneren Kreislauf wird Zahlungsfhigkeit weitergegeben. Der uere Kreislauf wird durch Rentabilitts-, Steueraufkommens- und Konsumberlegungen konditioniert. Steuer- und Lohnzahlungen beziehen den Kreislauf der Zahlungen auf die innergesellschaftliche Umwelt des Wirtschaftssystems (politisches System, Familiensystem) und die Umwelt der Gesellschaft (Einzelmenschen und ihre Bedrfnisse).

1152 Luhmann (1994a) S. 137. Zum Folgenden, vgl. Luhmann (1994a) S. 137 ff.

432

Wirtschaftssystem

10.7

Die Rentabilittsbedingung bezieht den ueren Kreislauf (Zahlungsunfhigkeit) auf den inneren Kreislauf, der Zahlungsfhigkeit weiterleitet. Der uere Kreislauf konditioniert den inneren Kreislauf der Zahlungen: Investitionszahlungen werden gettigt und rufen Zahlungsunfhigkeit (uerer Kreislauf) hervor, in der Erwartung, dass zuknftige Einzahlungen dadurch induziert werden (innerer Kreislauf). Andererseits konditioniert der innere Zahlungszirkel den ueren: Zahlungen der Kunden rufen Zahlungsunfhigkeit der Kunden hervor (uerer Kreislauf) und begrnden Umsatzeinnahmen der Unternehmen (innerer Kreislauf). Die Umsatzeinnahmen werden wieder verausgabt unter der Bedingung, dass es sich um eine rentable Investitionsausgabe handelt. Mit Rentabilitt konditioniert sich das Wirtschaftssystem selbst, indem Zahlungen auf Zahlungen bezogen werden.1153 Mit Recht kann man daher die Rentabilittsrechnung als Selbstkonditionierung des Systems bezeichnen.1154 Sie hlt das Wirtschaftssystem zusammen, ohne auf seine Umwelt Bezug zu nehmen. Damit der Doppelkreislauf in Gang bleibt, mssen stets die drei Formen der Konditionierung von Zahlungen: die rentabilitts-, die konsum- und die steueraufkommensorientierte Zahlungskonditionierung zusammenwirken. Die Unterscheidung der beiden Kreislufe zeigt, wie mit Geld umgegangen werden kann. Es kann fr Steuern, Konsum und Investition ausgegeben werden, mit der Folge, dass man in Hhe der Zahlung zahlungsunfhig wird, oder es kann behalten (gespart) oder durch Lohn und Gewinn eingenommen werden, mit der Folge, dass man in Hhe der Zahlung zahlungsfhig wird. Die unterschiedlichen Formen des Umgangs mit Geld ermglichen eine Unterscheidung von Programm- und Kontrollformen, mit denen die Richtigkeit von Zahlungs- bzw. Nichtzahlungsentscheidungen begrndet und berprft werden kann. Im ueren Kreislauf der Haushalte werden dazu Budgets eingesetzt. Sie legen Geldmengen fest, die fr spezifische Zwecke in bestimmten Zeitrumen ausgegeben werden knnen unter Bercksichtigung, dass die durch Ausgaben entstehende Zahlungsunfhigkeit wieder ausgeglichen (abgewlzt) werden muss. Ausgaben drfen auf Dauer nicht grer als die Einnahmen sein. Im inneren Kreislauf der Unternehmen bentigt man Bilanzen. Allerdings werden in Unternehmen fr interne Zwecke auch Budgets aufgestellt. Produktion, und damit die beteiligten Produktionsfaktoren sowie ihre plan- und leitungsmige Kombination, die Verteilung, der Tausch wie auch der Konsum gehren nur insoweit zum Wirtschaftssystem, als hierfr gezahlt wird. Genauer muss man sagen: als hierber Zahlungs-/Nichtzahlungsentscheidungen getroffen werden. Und diese Zahlungs-/Nichtzahlungsentscheidungen gehren nach Luhmann auch nur dann zum Wirtschaftssystem, wenn die Entscheidungen auf der Grundlage monetrer

1153 Erwartete Einzahlungen, die Gewinn begrnden, werden auf Auszahlungen, die mit Kapi1154 Luhmann (1994a) S. 139.

talbildung verbunden sind, bezogen.

433

10

Systemtheoretische Konzepte

Berechnungen getroffen werden.1155 Damit wird die Geld- und Preiskategorie als Bedingung fr die Existenz eines funktional ausdifferenzierten autopoietischen Wirtschaftssystems herausgestellt. Die Selbstreferenz der Wirtschaftssystemelemente (der Zahlungen) wird institutionalisiert ber die Herausbildung eines speziellen, symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums: des Geldes.1156 Die Selektivitt faktischer Zahlungen wird hierdurch nicht nur verstrkt, sondern Geldverwendung berhaupt ist Bedingung dafr, dass Wirtschaft als autopoietisches System unter funktionaler Autonomie agieren kann. Eine funktional ausdifferenzierte Wirtschaft ist immer und ausschlielich Geldwirtschaft. Die Einheit der Wirtschaft kann nicht als Autopoiesis von Kommunikation schlechthin begriffen werden, nur die Gesellschaft integriert alle Kommunikationen und ist insofern das einzige System, das sich kommunikativ schlieen kann. Fr ausdifferenzierte Teilsysteme wie dem Wirtschaftssystem kann das nicht gelten, da es sich in der Gesellschaft befindet und nicht mit der Gesellschaft identisch ist. Da andererseits alle sozialen Systeme als Kommunikationssysteme ausgezeichnet sind, muss fr das Wirtschaftssystem ein besonderes Kommunikationsmedium auszumachen sein, das es in seiner Umwelt nicht gibt, denn nur so kann es sich von anderen Kommunikationssystemen unterscheiden. Als solches Medium wirtschaftlicher Kommunikation identifiziert Luhmann eben Geld.1157 Modernes Wirtschaften und damit die funktionale Autonomie der Wirtschaft ist an die Existenz des Geldmediums gebunden, so dass in zwei Richtungen die Autopoiesis der Wirtschaft gefhrdet erscheint: Durch die Vernichtung des Geldsystems. Starke politische Einflsse auf die Wirtschaft beeintrchtigen zwar die gesellschaftliche Funktionserfllung der Wirtschaft, was allein aber noch nicht gegen die These einer autopoietischen Wirtschaft spricht. Diese wird erst dann brchig, wenn das Medium Geld verschwunden ist. Durch eine universelle Monetarisierung anderer Sozialsysteme, so dass Grenzen zwischen dem Wirtschaftssystem und den anderen Teilsystemen der Gesellschaft nicht mehr auszumachen sind (z.B. Korruption der Politik).

Diese von Luhmann klar erkannten Gefahren fr sein Wirtschaftssystemkonzept, besonders die Gefhrdung der Autopoiese der Wirtschaft durch den Einfluss der Politik, rechtfertigen allerdings nicht, seine Vorstellungen mit der Begrndung abzulehnen, dass z.B. sozialistische Wirtschaften mit diesem Ansatz nicht zu erfassen seien, da hier alles Wirtschaften durch zentrale Planentscheidungen begrndet sei1158 und
1155 Vgl. Luhmann (1994a) S. 16 ff. 1156 Vgl. Luhmann (1994a) S. 14 ff. 1157 Vgl. Luhmann (1994a) S. 230 ff. Genau wie im Fall der Wirtschaft ist die Autopoiesis anderer

gesellschaftlicher Teilsysteme an die Existenz besonderer Kommunikationsmedien gebunden. Geld, Macht, Liebe, Wahrheit sind derartige Medien der Kommunikation, denen die funktional autonomen Teilsysteme Wirtschaft, Politik, Familie, Wissenschaft zugeordnet sind. 1158 Vgl. Mader (1985) S. 330.

434

Wirtschaftssystem

10.7

Geldzahlungen, wenn berhaupt, so eine vornehmlich rechentechnische und damit passive Erscheinung darstellten. Schon Lenin musste frhzeitig erkennen, dass das Marxsche Postulat vom Absterben des Geldes im Sozialismus nicht zu realisieren war.1159 Infolge dieses Scheiterns sind die vom Geld in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht generell zu erfllenden Funktionen (Rechen-, Tausch-, Wertaufbewahrungsfunktion) auch von Sozialisten fr den Sozialismus allgemein anerkannt. Auch in ehemals real existenten sozialistischen Wirtschaftssystemen wurden konomische Transaktionen in Geldform gettigt. Auch hier wurde Geld fr Zahlungen eingesetzt und Vermgen wurde in Geldform gehalten. Geld war somit Bestandteil sozialistischer Wirtschaftssysteme. Die Herausbildung des Geldes kann formationsunabhngig mit der Entproblematisierung der Zeitdimension (Risikominderung) und einer Verringerung der Transaktionskosten begrndet werden.1160 Damit ist einerseits auf die gesellschaftliche Funktion der Wirtschaft verwiesen und zum anderen auf die Selektionsverstrkung von Zahlungen durch die Einfhrung des Geldsystems. Da es bei Geldzahlungen weder auf die Herkunft des Geldes noch auf eine besondere Erklrung des Zahlungsgrundes ankommt, und insofern die Geldverwendungsmglichkeiten in hohem Grade unbestimmt sind, ist jede Geldzahlung mit einem hohen Informationsverlust verbunden.1161 Er erhht sich nochmals auf der Ebene der Preise. Preise geben nicht einmal darber Auskunft, ob und wie hufig zu diesem Preis tatschlich Zahlungen erfolgt sind. Andererseits ermglichen feststehende Preise aufgrund dieses Verzichts auf Information auch Informationsgewinn.1162 Preise kompensieren den Informationsverlust, da sie eine Erwartungsbildung ber zu zahlende Geldsummen fr Gter und Leistungen ermglichen, die zur zuknftigen Bedrfnisbefriedigung eingesetzt werden sollen.1163 Gleichzeitig ermglichen Preise die Kommunikation ber diese Erwartungsbildung. Sie liefern Informationen fr Kommunikationsprozesse. Fr wirtschaftliche Kommunikation generalisiert, strukturieren Preise die zeitpunktgebundenen Elementarereignisse der Wirtschaft, die Zahlungen, im Vorhinein. Preise bndeln Informationen (u.a. Kosten- und Gewinnsituationen) und verkrzen Informationen. Wer nicht zahlen und was nicht bezahlt werden kann, wird vergessen. Damit ist einerseits ersichtlich, dass das Wirtschaftssystem mit nur geringen Gedchtnisleistungen auskommen kann1164, andererseits wird deutlich, dass auch die Nichtzahlung ber Preise gesteuert wird: Preise halten vom Kaufen ab, so dass die
1159 Wenn die Geldwirtschaft zusammenbricht, bricht Wirtschaft berhaupt zusammen. Wrde

die Marxsche Forderung Wirklichkeit, htte dies das Ende der Wirtschaft (und damit der Wirtschaftswissenschaft) zur Folge. 1160 Vgl. Hartwig (1987) S. 35 ff. 1161 Vgl. Luhmann (1994a) S. 18. Zum Folgenden vgl, Luhmann (1994a) S. 18 f. 1162 Luhmann (1994a) S. 18. 1163 Preise sind also von faktisch gezahlten Geldsummen zu unterscheiden. 1164 Gedchtnis wird nach der Wirtschaftssystemtheorie Luhmanns erst auf Organisationsebene, z.B. ber das Rechnungswesen, in Unternehmen aktualisiert.

435

10

Systemtheoretische Konzepte

Nichtzahlungsentscheidung nicht durch Diskriminierung (ber den sozialen Rang einer Person) bedingt ist, sondern allein durch den Preis. Die konomische Theorie beschreibt, wie sich durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf Mrkten Preise bilden. Sie hebt hervor, dass Mrkte etwas anderes sind als Organisationen. Wirtschaftsorganisationen richten sich nach Auffassung der konomischen Theorie nach dem Markt, der als (marktwirtschaftliches) System begriffen wird. Dies sieht die neuere Systemtheorie anders. Fr sie ist der Markt kein System. Der Markt wird als Grenze dargestellt, die die Mglichkeit erffnet, dass der Konsum aus Sicht der Produktions- und der Verteilungsorganisationen wahrgenommen wird. Darber hinaus werden auch die Anstrengungen der Konkurrenten wahrgenommen, soweit durch sie Absatzchancen beeinflusst werden. So gesehen erscheint die Produktion sich selbst als Markt.1165 Mithilfe der Spiegelmetapher beschreibt die neuere Systemtheorie die Wirkung des Marktes. Im Spiegel des Marktes erscheint jedes Unternehmen sich selbst. Darber hinaus spiegelt der Markt die Konkurrenten, so dass jedes Unternehmen sich selbst als Konkurrent der Konkurrenten erkennt. Konsumenten und ihre Bedrfnisse erscheinen im Marktspiegel als nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Daher empfiehlt sich berproduktion, um auf sich bietende Absatzchancen reagieren zu knnen. Insofern erzeugt der Markt ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Luhmann formuliert abstrakter, indem er den Markt als: die Differenz von bestimmter und unbestimmter (eigener und umweltmiger) Komplexitt definiert.1166 Mit bestimmter Komplexitt ist die eigene Komplexitt von Unternehmen gemeint. Sie ist durch Organisation kontrollierbar und historisch als Investition bestimmbar und insofern zumindest beschrnkt vernderbar. Die Komplexitt der Umwelt von Unternehmen ist dagegen unbestimmt, denn in der Umwelt gibt es eine Vielzahl wechselseitig voneinander abhngiger Mglichkeiten. Diese Komplexitt ist insbesondere deshalb unbestimmt, weil sie nicht unabhngig von den Aktivitten der Konkurrenten und den eigenen Aktivitten ist. Der Markt nimmt als Umwelt von Unternehmen die Form doppelter Kontingenz an. Er erscheint als selbstreferenzieller Zirkel.

10.8 Interaktion
Von der Gesellschaft und ihren Subsystemen wie dem Wirtschaftssystem sind Interaktionssysteme zu unterscheiden.1167 Sie benutzen ebenfalls Kommunikation, um sich zu bilden, befinden sich also nicht auerhalb der Gesellschaft, sondern sind immer Vollzug von Gesellschaft in der Gesellschaft. Gesellschaft und andere soziale Systeme sind
1165 Luhmann (1994a) S. 73. Zum Folgenden, vgl. Luhmann (1994a) S. 73 ff. sowie S. 91 ff. 1166 Luhmann (1994a) S. 74. 1167 Zum Folgenden, vgl. Luhmann (1997) S. 812 ff.

436

Interaktion

10.8

ohne Interaktion nicht mglich. Interaktion unterscheidet sich allerdings von Gesellschaft, denn keine Interaktion kann alle Kommunikationen einschlieen. Das geht schon deshalb nicht, weil Interaktion anwesende Menschen (Psyche, Krper etc.) voraussetzt und nicht alle Menschen gleichzeitig anwesend sein knnen. Interaktionssysteme bilden sich, wenn das Problem der doppelten Kontingenz unter anwesenden Menschen durch Kommunikation gelst wird, so dass Grenzen zwischen dem jeweiligen Interaktionssystem und seiner innergesellschaftlichen Umwelt entstehen. Dazu ist es notwendig, dass Anwesende sich wechselseitig als Anwesende wahrnehmen. Die Wahrnehmung der Wahrnehmung ist Voraussetzung fr Interaktion. Wenn Teilnehmer wahrnehmen, dass sie wahrgenommen werden und dass ihre Wahrnehmung wiederum von anderen wahrgenommen wird, ist es nicht zu vermeiden, dass das Verhalten der Teilnehmer von anderen Teilnehmern als Mittelung verstanden wird. Reflexive Wahrnehmung erzwingt Kommunikation. Wer als anwesend (sichtbar, hrbar) behandelt wird, ist automatisch an der Kommunikation (der Interaktion) beteiligt. Durch Interaktionssysteme wird die Differenz von anwesend/abwesend selbst erzeugt. Sie markiert fr das Interaktionssystem die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Mit der Etablierung eines Interaktionssystems geht eine strukturelle Kopplung (z.B. ber Sprache, Gestik) der beteiligten, freinander undurchschaubaren Bewusstseinssysteme und eine strukturelle Kopplung von Bewusstseinssystem und Interaktionssystem einher. ber Interaktionssysteme sind Bewusstseinssysteme nicht zu kontrollieren, denn Kommunikations- und Bewusstseinssysteme operieren mit unterschiedlichen Operationstypen. Die Unterscheidung von anwesend/abwesend kann relativ leicht beobachtet werden. Insofern sind Interaktionssysteme die einfachsten sozialen Systeme. Wie alle sozialen Systeme sind sie trotzdem komplexe Systeme, denn die berflle mglicher Kommunikationen erlaubt es nicht, dass jede kommunikative Operation gleichzeitig mit allen anderen Kommunikationen verbunden werden kann. Es muss eine Selektion vorgenommen werden. Codes und Differenzschemata legen den strukturellen Rahmen fr mgliche Kommunikationen in Interaktionssystemen fest. Entsprechend der drei Sinndimensionen lassen sich drei Schemata der Interaktion unterscheiden: In der Zeitdimension konstant/variabel, in der Sachdimension intern/extern und in der Sozialdimension ist es Ego/Alter. Jede Interaktion operiert mit allen drei Selektionen gleichzeitig.

437

10

Systemtheoretische Konzepte

10.9 Organisation und Unternehmen


Whrend Anwesenheit Interaktion auszeichnet, ist Mitgliedschaft das Kennzeichen von Organisation.1168 Die Lsung des Problems der doppelten Kontingenz besteht im Fall von Organisation darin, dass die Mitgliedschaft konditioniert wird. Dies betrifft sowohl den Eintritt in die Organisation als auch die Bedingung der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft. Mitgliedschaft wird durch Entscheidung erworben und kann durch Entscheidung verloren gehen. Die Entscheidung, ob Mitgliedschaft erworben wird, ist typischerweise eine Kombination von Selbstselektion und Fremdselektion. Und die Entscheidung ber den Verlust der Mitgliedschaft in einer Organisation kann entweder durch Austritt oder Entlassung zustande kommen. Da immer nur eine begrenzte Anzahl von Personen Mitglieder einer (formalen) Organisation sein knnen, knnen Organisationen als solche identifiziert und zum Beispiel von Gesellschaft und anderen sozialen Systemen unterschieden werden. Kommunikationen, die Organisationen die Qualitt autopoietischer Systeme verleihen, haben die Form von Entscheidungen. Alles andere, Ziele, Hierarchien, Rationalittschanchen, weisungsgebundene Mitglieder, oder was sonst als Kriterium von Organisation angesehen worden ist ist demgegenber sekundr und kann als Resultat der Entscheidungsoperationen des Systmes angesehen werden. Alle Entscheidungen des Systems lassen sich mithin auf Entscheidungen des Systems zurckfhren.1169 Organisationen produzieren Entscheidungen aus Entscheidungen und sind insofern operativ geschlossene Systeme. Entscheidungen werden als Prmisse weiterer Entscheidungen genutzt. Dabei ist zu beachten: Entscheidungen knnen nur kommuniziert werden, wenn auch die abgelehnten Mglichkeiten mitkommuniziert werden, denn anders wrde nicht verstndlich werden, dass es sich berhaupt um eine Entscheidung handelt.1170 Entscheidungen unter Sicherheit gibt es fr Luhmann nicht. Denn die Last der fehlenden Information ist die Voraussetzung fr die Lust am Entscheiden. Bei vollstndiger Information knnte keine Entscheidung sich als Entscheidung kenntlich machen.1171 Unsicherheit ist die wichtigste Ressource der Autopoiesis des Systems. Denn ohne Unsicherheit bliebe nichts zu entscheiden, die Organisation fnde im Zustande kompletter Selbstfestlegung ihr Ende und wrde mangels Ttigkeit aufhren zu existieren.1172 Das Gedchtnis der Organisation hlt nur das fest, was als Entscheidungsprmisse bei weiteren Entscheidungen in Anspruch genommen wird. Durch Entscheidungen gibt das System Umwelteinflssen eine Form, die im System erinnert werden kann,
1168 Zum Folgenden, vgl. Luhmann (1987) S. 826 ff. 1169 Luhmann (2006a) S. 63. 1170 Luhmann (2006a) S. 64. 1171 Luhmann (2006a) S. 188. 1172 Luhmann (2006a) S. 186.

438

Organisation und Unternehmen

10.9

ohne dass miterinnert werden msste, welche Umweltlage den Ansto gab. Ein gutes Beispiel ist die doppelte Buchfhrung in Wirtschaftsbetrieben, die Leistungen erbringt, die das psychische Gedchtnis (auch des einzelnen Kaufmanns) niemals erbringen knnte, und andererseits vergisst, was im Individualgedchtnis an besonderen Aufflligkeiten haften bleibt.1173 Vieles, was vom Entscheidungsgedchtnis ausgelassen wird, bleibt als Organisationskultur erhalten. Das Gedchtnis eines Unternehmens setzt sich aus Entscheidungsgedchtnis (Rechnungswesen und Akten) und Unternehmenskultur zusammen. Letztere ist nicht in Akten niedergelegt. Entscheidungen werden immer Mitgliedern der Organisation zugerechnet. Organisationsmitglieder sind Personen (Erwartungskollagen) und keine psychischen Systeme. Psychische Systeme bleiben Umwelt organisierter Systeme. Mitgliedschaft bedeutet eben nicht die Vollinklusion der Person, die Mitglied einer Organisation wird. Sie betrifft lediglich Ausschnitte ihres Verhaltens, nur bestimmte Rollen einer Person, die daneben z. B in der Familie noch andere Erwartungen zu erfllen hat. Die Mitgliedschaftsrolle legt noch nicht fest, ber was, wann wer entscheiden kann. Die Entscheidungsmglichkeiten der Organisationsmitglieder werden ber Entscheidungsprmissen (ber die ebenfalls zu entscheiden ist) festgelegt. Sie begrenzen den Bereich, aus dem Entscheidungen ausgewhlt werden knnen. Luhmann unterscheidet drei Arten von Entscheidungsprmissen: Programme, die als Zweckprogramme oder Konditionalprogramme in Erscheinung treten. Sie begrenzen den Alternativenbereich, aus dem Entscheidungen ausgewhlt werden knnen. Zweckprogramme erreichen dies, indem sie zu erreichende Ziele festlegen, Konditionalprogramme, indem sie Bedingungen angeben, die bei ihrem Eintritt Entscheidungen provozieren. Festlegung von Kommunikationswegen, die ebenfalls Entscheidungsmglichkeiten begrenzen. ber Hierarchie und Weisungsketten werden Entscheidungen mit Bindungseffekten ausgestattet. Entscheidungen werden damit relativ zuverlssig erwartbar. Personen stellen die dritte Entscheidungsprmisse dar. Sie sind, was ihre Entscheidungsmglichkeiten betrifft, schon durch die Mitgliedschaftsrolle begrenzt. Darber hinaus wird die Selektivitt auch durch ihr Zielsystem, ihre Kontakte, ihre Fhigkeiten, ihre Reputation, ihre Erfahrungen usw. bestimmt.

Die drei Arten von Entscheidungsprmissen kondensieren zu Stellen. Jede Stelle hat Aufgaben (Programme) zu erfllen, ist eingeordnet in eine Hierarchie und Weisungsketten (Kommunikationswege) und ist mit einer Person besetzt. Die Kontingenz der unterschiedlichen Entscheidungsprmissen wird durch die Einrichtung von Stellen bearbeitbar. Personen knnen ausgewechselt, Programme und Kommunikationswege gendert werden. Solange nicht alle Entscheidungsprmissen gleichzeitig gendert werden, bleibt die Identitt der Stelle erhalten. Programme, Kommunikationswege
1173 Luhmann (2006a) S. 193.

439

10

Systemtheoretische Konzepte

und Personen begrnden die Erwartungsstrukturen der Organisation. Diese Strukturen ermglichen, dass Organisationen als autopoietische Systeme operieren. In der modernen (funktional differenzierten) Gesellschaft bilden sich die wichtigsten und grten Organisationen innerhalb der Funktionssysteme. Sie bernehmen damit deren binren Code. Das gilt nicht nur fr Organisationen in der Wirtschaft, sondern auch fr Forschungseinrichtungen in der Wissenschaft oder Kirchen im Funktionssystem Religion. Ihre Autopoiese gewinnen Organisationen nicht dadurch, dass sie in einem Funktionssystem aktiv sind, sondern dadurch, dass sie ber Programme, Kommunikationswege und Personen entscheiden und damit ihre Strukturen festlegen und so weitere Entscheidungen ermglichen. Whrend die Gesellschaft und ihre Funktionssysteme nicht selbst mit Systemen in ihrer Umwelt kommunizieren knnen, haben Organisationen die Mglichkeit, mit Systemen in ihrer Umwelt zu kommunizieren. Organisationen knnen, indem sie mit Organisationen kommunizieren, die in anderen Funktionssystemen eingerichtet sind, Funktionssysteme verbinden. Weder die Gesellschaft noch ihre Funktionssysteme knnen ihre Einheit als Organisation gewinnen. Die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Wissenschaft usw. sind keine Organisationen. Nur fr Organisationen gilt das Prinzip der Exklusion von Personen. Funktionssysteme behandeln Inklusion, also Zugang fr alle, als Normalfall.1174 Wirtschaftssystem und Gesellschaftssystem stellen mit ihren Strukturen und Prozessen, besonders mit der Herausbildung systemspezifischer Kommunikationsmedien eine unerlssliche Voraussetzung fr Wirtschaftsorganisationen dar. Unternehmen sind Wirtschaftsorganisationen. Sie besitzen alle Eigenschaften von Organisationen und nehmen aktiv an der Wirtschaft teil. Das ist ihr einziger Zweck. Als Teilnehmer an der Wirtschaft sind sie eingebunden in den Zahlungsfluss. Von Unternehmen spricht die neuere Systemtheorie, wenn Organisationen Zahlungen leisten unter der Annahme, dass die gettigten Auszahlungen mglichst zu Einnahmen fhren, die hher sind als die Auszahlungssummen. Ist dies der Fall, generieren sie entsprechende Zahlungsfhigkeit, die sich in ihren Bilanzen niederschlgt. Fr Luhmann lsst sich die Theorie der autopoietischen Organisation [] nicht mehr mit der neoklassischen Wirtschaftstheorie kombinieren. In dieser Theorie ist aus mathematischen Grnden kein Platz fr offene Entscheidungssituationen und auswhlende Entscheidungen und erst recht kein Platz fr eine dadurch reproduzierte offene Zukunft1175 Eventuell ist dies ein Grund, dass im Rahmen einzel- wie gesamtwirtschaftlicher Theoriebildung die Beschftigung mit der Systemtheorie Luhmanns eine Ausnahme

1174 Luhmann (1987) S. 844. 1175 Luhmann (2006a) S. 181.

440

Organisation und Unternehmen

10.9

bleibt.1176 Das mag auch an der eigenen Komplexitt der neueren Systemtheorie selbst liegen, die Erkenntnisblockaden der Wirtschaftswissenschaft begnstigt. Das Eindringen von Erkenntnissen der neueren Systemtheorie in die Betriebswirtschaftslehre wird insbesondere behindert, weil mit dem Einsickern systemischen Gedankenguts die lieb gewonnenen, an Zweckrationalitt gekoppelten Machbarkeitsvorstellungen der Betriebswirtschaftslehre zumindest zu problematisieren wren. Damit verbunden ergbe sich fr die betriebswirtschaftliche Theorie die Notwendigkeit, an die Stelle der Entwicklung abstrakter Rationalittskriterien die Konzeption von Laviermaximen zu setzen. Die Betriebswirtschaftslehre htte statt Erfolgswissen Orientierungswissen in Aussicht zu stellen. Wrde dieser Weg der Bescheidenheit beschritten, knnte man den Humanismus der neueren Systemtheorie zu Gesicht bekommen. Er besteht zum einen in der Mglichkeit, mit ihr den gesunden Menschenverstand theoretisch zu untermauern. Andererseits knnen unter Rckgriff auf die neuere Systemtheorie die Achtung und der Respekt vor dem anderen Menschen, vor seiner Autonomie, Eingang in betriebswirtschaftliche Theoriebildung und Praxis finden, und dies gerade deshalb, weil ganze Menschen nicht auf Elementeigenschaften sozialer Systeme reduziert werden knnen. Damit wrde gleichzeitig die Eigenstndigkeit sozialer Systeme, und das heit von Unternehmen, bewusst gemacht.

1176 Whrend noch in den 1990er Jahren zahlreiche Publikationen verschiedener wirtschafts-

wissenschaftlicher Schulen zumindest Hinweise auf das Vorhandensein der Luhmannschen Systemtheorie gaben, scheint heute, wie ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse der einschlgigen Fachzeitschriften beweist, die Luhmannsche Systemtheorie unter Wirtschaftswissenschaftlern in Vergessenheit geraten zu sein.

441

Teil 4 Unternehmen als produktive und/oder soziale Systeme

443

In der berwiegenden Mehrzahl betriebswirtschaftlicher Verffentlichungen werden Unternehmen als Systeme begriffen, die als Ganzheiten verstanden werden, die sich aus einer Menge von Elementen zusammensetzen, die wechselseitig miteinander in Beziehung stehen. Mit einer derartigen am Ganze/Teil-Schema orientierten Sicht wird der Blick zunchst ins Innere der Unternehmen gerichtet. Es werden Elemente benannt, aus denen Unternehmen bestehen, und die Beziehungen zwischen den Elementen werden herausgearbeitet. In der Betriebswirtschaftslehre besteht allerdings weder Einigkeit ber die Elemente, aus denen sich Unternehmen zusammensetzen, noch welcher Art die Beziehungen zwischen den Elementen sind. Abhngig davon, welche Elemente identifiziert werden und wie die Beziehungen zwischen den Elementen gedacht werden, lassen sich Unternehmen jeweils unterschiedlich darstellen. Folgt man dem Vorschlag Gutenbergs, die Unternehmensvariablen (Produktions-, Kosten-, Absatz-, Investitions- und Finanzierungsfunktionen usw.) als Elemente und die Zusammenhnge zwischen diesen Variablen zu betrachten, sind Unternehmen als produktive Systeme zu qualifizieren. Andere Wissenschaftler/innen kennzeichnen Unternehmen als soziale Systeme und stellen Handlungen, Entscheidungen, Entscheidungsprmissen, Transaktionen, Vertrge usw. als Elemente von Unternehmen heraus. Wieder andere Fachvertreter betrachten Unternehmen als soziale und produktive Systeme. bereinstimmend betonen betriebswirtschaftliche Lehrtexte, dass Unternehmen immer zweckgerichtete (zielgerichtete) Gebilde sind. Bezglich des Zwecks allerdings, den Unternehmen anstreben, gibt es in der betriebswirtschaftlichen Literatur wiederum unterschiedliche Ansichten. Einige Autoren behaupten, der Unternehmenszweck sei das berleben, andere sagen, es gehe darum, Gter zu produzieren und abzusetzen (Whe), wieder andere sehen den Unternehmenszweck im Gewinn- bzw. Rentabilittsstreben (Rieger, Gutenberg), wieder andere heben hervor, dass der Unternehmenszweck in der Reduzierung von Einkommensunsicherheiten (Schneider) bestehe. In betriebswirtschaftlichen Verffentlichungen wird die auf der Ganze/Teil-Unterscheidung beruhende Systembetrachtung von Unternehmen durch die Einsicht ergnzt, dass Unternehmen sich von ihrer Umwelt unterscheiden, mit der sie in Beziehung stehen. Unternehmen werden als offene Systeme beschrieben. Geld- und Gterstrme, die in das Unternehmen hinein- und hinausgehen, liegen auf der Ebene, die Unternehmen als offene Systeme charakterisieren. Wenn das Autopoiese-Konzept der neueren Systemtheorie auf Unternehmen bertragen wird, sind Unternehmen auf der Ebene ihrer Operationen geschlossene Systeme. Dabei spielt es zunchst keine Rolle, ob die autopoietischen Operationen von Unternehmen als Handlung, Entscheidung oder Kommunikation begriffen werden. Als Handlungs-, Entscheidungs- und Kommunikationssysteme sind Unternehmen operativ geschlossene Systeme. Unternehmen erzeugen entsprechend diesem Systemverstndnis sich selbst, ihre Umwelt sowie den Unterschied zwischen Unternehmen und Umwelt durch eigene Operationen, die nur im Inneren des Unternehmens stattfinden.

444

Sie gewinnen ihre Identitt durch die Herausbildung von Unternehmensgrenzen, die sie ausschlielich durch eigene Operationen erzeugen und die Sinngrenzen darstellen. Umwelt des Unternehmens ist aus differenztheoretischer Sicht all das, was nicht das Unternehmen ist. Dazu gehren andere Unternehmen und andere Organisationen, der Markt, das Wirtschaftssystem, weitere gesellschaftliche Teilsysteme (Rechtssystem, Politiksystem, Familiensystem usw.), das Gesellschaftssystem selbst und die humane Umwelt (Menschen) sowie die kologische Umwelt des Gesellschaftssystems. Da die Umwelt des Unternehmens immer komplexer ist als das Unternehmen selbst, sind Unternehmen gezwungen, Umweltkomplexitt zu reduzieren. Dies wird schon daran deutlich, dass Unternehmen nicht smtliche Gter produzieren knnen und sich fr die Produktion bestimmter Gterarten entscheiden mssen. Unternehmen konstruieren durch eigene Operationen ihre ganz eigenen Vorstellungen von ihrer Umwelt und von sich selbst. Sie verhalten sich entsprechend der eigenen Vorstellungen und nicht aufgrund einer objektiv gegebenen Wirklichkeit.

445

Organisation und Unternehmen

10.9

11 Unternehmenssphren und
Funktionsbereiche

Wenn man beabsichtigt, die innere Struktur von Unternehmen zu beschreiben, bietet sich eine funktionale Betrachtung an. Eine erste, grobe innere Strukturierung von Unternehmen gelingt, indem jene wirtschaftlichen Handlungen (bzw. Entscheidungen oder Kommunikationen) zusammengefasst werden, die sich auf hnliche Sachverhalte beziehen. Werden alle wirtschaftlichen Handlungen gebndelt, die sich auf reale Gter beziehen, erhlt man die Realgtersphre. Sie wird auch als Leistungsbereich des Unternehmens bezeichnet. In der Realgtersphre werden primr reale physikalische Handlungen ausgefhrt. Hier wird die Sachaufgabe eines Unternehmens erledigt, indem konkrete Handlungsprogramme (Produktprogramme) am Sachziel orientiert ausgefhrt werden. Von der Realgtersphre ist die Nominalgtersphre zu unterscheiden. In ihr sind alle Bewertungen des gterwirtschaftlichen Geschehens zusammengefasst. Die Nominalgtersphre reflektiert die Realgtersphre mithilfe von Wertkategorien in finanzieller Hinsicht. Dazu wird Geld eingesetzt. Die Nominalgtersphre umhllt smtliche Unternehmenssphren mit einem Geldschleier. Mithilfe der Geldkategorie wird die Formalaufgabe des Unternehmens beschrieben, so dass eine Orientierung an Formalzielen erfolgen kann, die als Wertkennzahlen in Form von Gewinn-, Rentabilitts-, Wirtschaftlichkeitskennziffern usw. zur Ausfhrung vorgegeben werden. In einer dritten Unternehmenssphre, der Steuer- und Regelsphre, finden primr intellektuelle Aktivitten statt. Hier hat die Unternehmensfhrung ihren Sitz. Sie hat Managementaufgaben zu erfllen. Mit der Vorstellung, dass in der Steuer- und Regelsphre primr geistig gearbeitet wird, ist nicht behauptet, dass in der Real- und Nominalgtersphre kopflos gehandelt wrde und ausschlielich Roboter am Werk sind. Auch in der Real- und Nominalgtersphre werden Entscheidungen getroffen. Soweit dies der Fall ist, geht es in der Steuer- und Regelsphre darum, Entscheidungen ber Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen ber Entscheidungen sind mit Entscheidungsprmissen gleichzusetzen, die den Rahmen festlegen, der das weitere Entscheiden begrenzt. Im brigen ist die Steuer- und Regelsphre ber das gesamte Unternehmen verteilt. Sie durchdringt und berlagert smtliche Unternehmenssphren. Sie steuert und regelt die realen physikalischen Handlungen und die Bewertungen dieser Handlungen. Diese Phnomene seien mit den Begriffen primre Steuerung und Regelung bezeichnet. Hiervon ist eine sekundre Steuerung und Regelung zu unterscheiden, deren Funktion darin besteht, die Steuer- und Regelsphre zu gestalten.

447
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_12, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Die vorstehenden berlegungen gestatten es also, das Innere von Unternehmen in drei Unternehmenssphren zu gliedern: die Realgtersphre, die Nominalgtersphre und die Steuer- und Regelsphre.1177

11.1 Funktionsbereiche der Realgtersphre


Eine weitere, ber die drei Unternehmenssphren hinausgehende, tiefergehende Differenzierung der Unternehmensstruktur gelingt, indem wiederum, unter dem Aspekt der Zusammenfassung hnlicher Sachverhalte, eine Differenzierung der Unternehmenssphren vorgenommen wird. So erhlt man die Funktionsbereiche des Unternehmens. In der Realgtersphre geschieht etwas mit realen Gtern. Hier sind die Funktionen Beschaffung, Produktion, Absatz (Marketing), Lagerhaltung und Logistik zusammengefasst. Produktionsfaktoren mssen beschafft werden; dies leistet die Funktion Beschaffung. In der Produktion werden die beschafften Produktionsfaktoren kombiniert, mit dem Ziel, neue Gter herzustellen. Im Funktionsbereich Absatz (Marketing) werden alle Handlungen zusammengefasst, die darauf gerichtet sind, die im Produktionsprozess hergestellten Produkte auf entsprechenden Mrkten abzusetzen. Die aufgefhrten Bereiche der Realgtersphre sind aufeinander abzustimmen. Da dies in der Realitt nur unvollkommen gelingt, ist mit Lagern zu rechnen. Werden in der Produktion weniger Gter bentigt, als beschafft wurden, entstehen Eingangslager. Lager knnen auch whrend des Produktionsprozesses entstehen, wenn mehrstufige Produktionsprozesse vorliegen. Unter diesen Umstnden werden Zwischenprodukte hergestellt, die in weiteren Schritten zu Endprodukten verarbeitet werden. Gelingt eine vollstndige Synchronisation der Produktion von Zwischen- und Endprodukten nicht, ist mit Zwischenlagern zu rechnen. Ist die Produktionsmenge der Endprodukte grer als die Absatzmenge, werden Fertigwarenlager auftreten. Produktionsfaktoren, die beschafft wurden, und Gter, die im Produktionsprozess hergestellt wurden, um auf Mrkten abzusetzen, mssen transportiert und eventuell gelagert werden. Aktivitten, die sich auf die Zeit- und Raumberbrckung der eingehenden, der innerbetrieblichen und der ausgehenden Gterflsse beziehen, werden der Logistik zugeordnet. Insofern verbindet die Logistik ber die Gterbewegungen die Funktionen Beschaffung, Produktion, Absatz und Lagerhaltung. Es kann eine unternehmensinterne Logistik (z.B. Produktionslogistik) von einer unternehmensexternen Logistik (z.B. Beschaffungs- oder Absatzlogistik) unterschieden werden.

1177 Die Unterscheidung von Realgter- Nominalgter- und Steuer- und Regelsphre zur Kenn-

zeichnung der inneren Struktur eines Unternehmens ist inspiriert durch die von Kornai vorgeschlagenen kybernetischen Begriffe, mit denen er Wirtschaftssysteme beschrieben hat, vgl. Kornai (1975).

448

Funktionsbereiche der Nominalgtersphre

11.2

Auch wenn die Abstimmung zwischen Beschaffung, Produktion, Absatz, Lagerhaltung und Logistik im Hinblick auf die zu erfllende Sachaufgabe vollzogen wurde, ist damit noch nicht gesichert, dass Kosten- und Ertragsziele (Formalziele) ebenfalls erfllt sind. Erst wenn Sachziele und Formalziele (d.h. vorgegebene Erfolgskriterien) bestmglich erfllt sind, spricht man von einem optimalen gterwirtschaftlichen Gleichgewicht. Um ein in diesem Sinne optimales gterwirtschaftliches Gleichgewicht zu ermitteln, bedarf es der Bewertung der Mengenkomponente der Realgterbeziehungen. Dies geschieht in der Nominalgtersphre.

11.2 Funktionsbereiche der Nominalgtersphre


Die Nominalgtersphre hat die Funktionen Investition und Finanzierung abzudecken. Dabei wird Investition als eine Zahlungsreihe verstanden, die mit einer Auszahlung beginnt, mit der zuknftige Einzahlungsberschsse intendiert sind. Unter Finanzierung versteht die Unternehmenspraxis zumeist die Beschaffung von Kapital fr langfristige Investitionsprojekte von Auenstehenden (Auenfinanzierung). Der betriebswirtschaftliche Finanzierungsbegriff ist heute weiter gefasst. Er beinhaltet sowohl die Auenfinanzierung langfristiger Projekte als auch die kurzfristige Kapitalzufhrung und die Innenfinanzierung (Gewinnthesaurierung, Rcklagen, Abschreibungsgegenwerte). Finanzierung ist die Bereitstellung finanzieller Mittel fr die Durchfhrung der Funktionen in der Realgtersphre und fr auerordentliche Vorgnge wie: Grndung, Kapitalerhhung, Sanierung und Liquidation des Unternehmens. Unter Investition ist die Verwendung der durch die Finanzierung bereitgestellten finanziellen Mittel zur Beschaffung von Sachen, immateriellem Vermgen und Finanzvermgen zu verstehen.

Abbildung 65:

Funktionsbereiche der Real- und Nominalgtersphre

Nominalgtersphre
Finanzierung Investition

Realgtersphre
Beschaffung Lager L o Produktion g i s Lager t i Absatz k Lager

449

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

11.3 Funktionsbereiche der Steuer- und


Regelsphre
Die Steuer- und Regelsphre umfasst die Funktionen der primren und sekundren Steuerung und Regelung. Sie kann mit dem Funktionsbereich Unternehmensfhrung gleichgesetzt werden. Die Unterscheidung von Steuerung und Regelung stammt aus der Kybernetik. Wendet man sie auf die Funktion Unternehmensfhrung an, gelingt ihre Differenzierung in Planung, Leitung und Organisation. Planung, Leitung und Organisation lassen sich als unterschiedliche Entscheidungs- und Anweisungsmethoden darstellen, die als Subsysteme der Unternehmensfhrung zu interpretieren sind. Diese Sichtweise ermglicht es, Unternehmensfhrung als kybernetischen Regelkreis zu beschreiben, der in weitere Regelkreise eingebunden ist. Zur Erledigung ihrer Aufgaben greift Unternehmensfhrung auf das Rechnungswesen zurck. Es ist als weiteres Subsystem der Unternehmensfhrung zu betrachten. Whrend es bei der primren Steuerung und Regelung um die primre Gestaltung der Real- und Nominalgtersphre geht, hat die sekundre Steuerung und Regelung die Aufgabe, die Steuer- und Regelsphre (die Unternehmensfhrung) selbst zu gestalten, und beeinflusst derart nicht unmittelbar, sondern vermittelt ber die Gestaltung der Steuer- und Regelsphre das gterwirtschaftliche Geschehen. Fr diese Aufgabe wird in diesem Buch der Begriff Controlling reserviert. Bevor auf die Ableitung eines eigenstndigen Controllingbegriffs nher eingegangen wird, der es erlaubt, Controlling als von anderen Fhrungssubsystemen unterscheidbares Fhrungssubsystem zu beschreiben, soll zunchst die primre Steuerung und Regelung dargestellt werden.

11.3.1 Primre Steuerung und Regelung


Im Rahmen der primren Steuerung und Regelung geht es darum, reale physikalische Handlungen und ihre Bewertung in Geldgren zu planen, zu leiten und zu organisieren. Diese Sachverhalte sind nicht, wie z.B. die Produktion von Gtern, mit InputOutput-Modellen zu beschreiben. Vielmehr werden kybernetische Modelle (vgl. hierzu Abschnitt 10.1.5) eingesetzt, um die Funktionen Planung, Leitung, Organisation und ihr Zusammenwirken zu verdeutlichen. Es sei daran erinnert, dass kybernetische Modelle die folgenden Elemente beinhalten: Regler und Regelstrecke, Fhrungs- und Strgren, Stell- und Regelgren sowie Vorkopplung und Rckkopplung. bertrgt man diese Begrifflichkeit auf Unternehmen, kann der Regler mit Unternehmensfhrung gleichgesetzt werden. Die Regelstrecke entsprche den zu beeinflussenden Geschftsprozessen in der Real- und Nominalgtersphre. Die Unternehmensfhrung ermittelt die zu realisierenden Zielgren (Fhrungsgren). Sie beziehen sich auf den Beschaffungs-, Produktions-, Absatz-, Investitions-, Finanzierungs-, Personalbereich und andere Unternehmensbereiche. Bei

450

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

der Festlegung der bereichsbezogenen und das Gesamtunternehmen betreffenden Ziele werden zu erwartende Strungen aus der Umwelt und aus dem Unternehmensgeschehen selbst (Strgren) soweit wie mglich antizipiert und bercksichtigt. Die Bestimmung der Zielgren ist verbunden mit der Entwicklung von Manahmen (Stellgren), deren Ausfhrung eine Realisation der Zielgren sicherstellen soll. Die bisher beschriebenen Aktivitten der Unternehmensfhrung bezeichnet die Kybernetik als Vorkopplung oder Steuerung. Einige Vertreter der Betriebswirtschaftslehre setzen den kybernetischen Begriff Steuerung mit Unternehmensfhrung und Unternehmensfhrung mit Management gleich.1178 Eine Reduzierung der Unternehmensfhrung auf ihre Steuerungsfunktion greift zu kurz, wenn unter Steuerung eine Vorkopplung (Feed Forward) im Sinne einer Bercksichtigung antizipierter Strgren bei der Bestimmung der Fhrungsgre verstanden wird. bertragen auf Unternehmen kann mit dem Steuerungsbegriff allerdings die Planung als eine bestimmte Methode des Entscheidens und Anweisens beschrieben werden.1179 Planentscheidungen beziehen sich auf einen zuknftigen Zeitabschnitt. Bevor der zuknftige Zeitabschnitt (Planperiode, Planausfhrung) beginnt, an dessen Datenkonstellation es sich mit Planentscheidungen anzupassen gilt, ist die Planaufstellung abgeschlossen. Mit der Unternehmensplanung wird angestrebt, die auf einzelne Unternehmensbereiche bezogenen Planentscheidungen in einem Unternehmensgesamtplan zu koordinieren, aus dem Kennziffern abgeleitet und zur Ausfhrung vorgegeben werden. Nach dem hier vertretenen Verstndnis ist Planung immer Kennziffernplanung. Folgt man diesen berlegungen, kann Planung als zeitabschnittsbezogene Antizipationsentscheidung beschrieben werden, die ber die Vorgabe von Kennziffern zuknftiges wirtschaftliches Handeln von Unternehmen zielorientiert festzulegen versucht. Damit ist der Planungsbegriff nicht mehr lediglich auf die Willensbildungsphase bezogen (wie beim Planungsverstndnis von Gutenberg), sondern die vorgestellte Planungskonzeption bercksichtigt, dass der Planende die Durchfhrung seiner Plne beabsichtigt, und bezieht daher die Willensdurchsetzungsphase in den Planungsbegriff mit ein. Nur in dem unwahrscheinlichen Fall, dass whrend der Willensdurchsetzungsphase alles so eintritt, wie im Plan vorhergesehen wurde, sind keine weiteren Entscheidungen mehr notwendig, denn es liegen fr smtliche Handlungen der Zukunft Planentscheidungen vor. Plne sind, aufgrund des menschlichen Unvermgens, die Zukunft vollstndig vorherzusehen, immer unvollstndige Plne. Sie enthalten weder fr alle mglichen zuknftigen Situationen Einzelentscheidungen, noch sind die in den Plnen enthaltenen Einzelentscheidungen in einer Gesamtentscheidung vollstndig aufeinander abgestimmt, so dass auch die aus der Gesamtentscheidung abgeleiteten und zur Ausfhrung vorgegebenen Kennziffern zuknftiges Handeln nur unvollstndig auf Unternehmensziele orientieren. Weil dies so ist und soweit Unternehmensfhrung auf bewusstem Entscheiden beruht, mssen neben Planung
1178 Vgl. Thommen/Achleitner (2009) S. 50 sowie S. 937. 1179 Vgl. Abschnitt 4.1.4.

451

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

weitere Entscheidungsmethoden zum Einsatz kommen, wenn die ungeplanten Handlungsrume durch Unternehmensfhrung ausgestaltet und nicht sich selbst berlassen bleiben sollen. Vertreter der Betriebswirtschaftslehre, die dies erkennen und sich ebenfalls auf die Kybernetik bei der Bestimmung von Unternehmensfhrung berufen, reduzieren Unternehmensfhrung nicht auf Steuerung und damit auf Planung, sondern beziehen das, was die Kybernetik mit Regelung bezeichnet, in ihre Betrachtungen ein.1180 Als Regelung definiert die Kybernetik eine Rckkopplung (Feed-back) vom Regler zur Regelstrecke, die darauf beruht, dass der Regler eine Abweichung zwischen Regelgre und Fhrungsgre feststellt. Betriebswirtschaftlich gedeutet heit dies, dass Unternehmensfhrung kontrolliert, ob das faktische Geschehen im Unternehmen vom geplanten abweicht, und wenn, aufgrund nicht antizipierter Strungen, dies der Fall ist, korrigierend, nachdem die Strung eingetreten ist, eingreift. Mit diesen Gedanken kann eine zweite, von Planung unterscheidbare Methode des Entscheidens und Anweisens herausgearbeitet werden, die mit dem Begriff Leitung benannt werden soll. Die Entscheidungs- und Anweisungsmethode Leitung weist gegenber Planung die folgenden Merkmale auf: Leitungsentscheidungen beziehen sich auf einen Zeitpunkt, an dem einzelne Ereignisse bereits eingetreten sind. Sie werden getroffen, nachdem das Ereignis eingetreten ist, an dessen Folgen es sich anzupassen gilt. Leitungsentscheidungen werden notwendig, weil Planentscheidungen fr diese Ereignisse fehlen. Sie stellen in ihrer Gesamtheit eine weitgehend unkoordinierte Menge von Einzelentscheidungen dar, die wenig normiert sind. Die aus den Leitungsentscheidungen abgeleiteten Anweisungen sind Anweisungen fr Einzelflle und verlangen von einzelnen Personen oder Personengruppen ein zeitlich befristetes Verhalten. Folgt man diesen berlegungen, lsst sich Leitung zusammenfassend als zeitpunktbezogene Reaktionsentscheidung begreifen, die mit Einzelanweisungen zuknftiges Handeln zielorientiert zu gestalten versucht. Diese inhaltliche Bestimmung von Leitung unterscheidet sich von all jenen Auffassungen, die Leitung ausschlielich auf die Willensdurchsetzungsphase beziehen.1181 Schon whrend der Phase der Willensbildung kommt Leitung zum Einsatz und zwar immer dann, wenn es allein aus Zeitgrnden nicht mglich ist, whrend der Willensbildung mittels Planentscheidungen, Planfreirume und Planlcken zu schlieen und nderungen der Ziele in der Planung zu bercksichtigen. Man kann denjenigen nur zustimmen, die behaupten, dass allein mit kybernetischen Vorstellungen das Phnomen Unternehmensfhrung nicht hinreichend beschrieben werden kann. Die Kybernetik vermittelt mit den Begriffen Steuerung und Regelung

1180 Vgl. Kirsch/Seidel/van Aaken (2009) S.13 ff. 1181 Diese Auffassung vertritt Bea, der behauptet: Leitung sorgt dafr, dass durch konkrete

Anweisungen die von der Fhrung vorgegebenen Richtlinien realisiert werden. Bea (2005) S. 6.

452

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

ein zu voluntaristisches Bild der Fhrung.1182 Daher sprechen einige Betriebswirte nicht von Unternehmensfhrung, die steuert oder regelt, sondern unter Fhrung verstehen sie einen Controlling Overlayer, d.h. eine berlagernde Handlungsstruktur, die einen sozialen Zusammenhang in asymmetrischer Weise prgt.1183 Damit sind Systeme von Verhaltensregeln angesprochen, die neben Planung und Leitung das Handeln in Unternehmen beeinflussen. Die Verhaltensregeln knnen ber die bewusste Setzung von personenbezogenen Verhaltensregeln und maschinenbezogenen Funktionsregeln, die fr eine lngere Dauer Gltigkeit beanspruchen, Geschftsprozesse der Real- und Nominalgtersphre beeinflussen. Dazu mssen die Verhaltensregeln mit Sanktionen gekoppelt sein, die im bertretungsfall verhngt werden.1184 Soweit Unternehmensfhrung versucht, bewusst eine Ordnung von Strukturen (Aufbauorganisation) und Prozessen (Ablauforganisation) zu schaffen, um Unternehmensziele zu erreichen, ist das Instrument formale Organisation angesprochen. Formale Organisation ist eine weitere, von Planung und Leitung unterscheidbare Methode des Entscheidens. Organisationsentscheidungen strukturieren Arbeitsprozesse fr lngere Dauer. Hierzu nehmen sie zunchst eine Differenzierung (Dekomposition) der Arbeitsprozesse vor und leisten im Anschluss eine Integration (Rekonstruktion) der Arbeitsprozesse in Form von Stellen. Darber hinaus statten sie Stellen mit Kompetenzen aus und regeln die (Kommunikations-)Beziehungen zwischen den Stellen. Sie koppeln das durch sie begrndete System von Regeln mit Sanktionen. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Formale Organisation ist eine fr lngere Dauer gltige Strukturentscheidung, die gekoppelt mit regelgebundenen Sanktionen zuknftiges Handeln auf Unternehmensziele orientiert. Diese Auffassung von Organisation bedeutet nicht, dass durch zielgerichtetes Organisieren der Unternehmensfhrung die Unternehmensorganisation vollstndig bestimmbar sei.1185 Groe Teile der Unternehmensorganisation sind von der Unternehmensfhrung nicht beherrschbar und trotzdem organisiert. Sie sind organisiert, weil sie sich selbst organisieren. Dies geschieht, indem das Verhalten der Organisationsmitglieder Regeln erzeugt, die sie zum Teil weder benennen knnen noch kennen, an denen sich aber ihr weiteres Verhalten orientiert. Die nicht auf die ordnende Ttigkeit der Unternehmensfhrung zurckfhrbare Unternehmensorganisation wird als Selbstorganisation bezeichnet. Sie beinhaltet die Unternehmenskultur. Selbstorganisation muss von der Unternehmensfhrung respektiert werden, denn sie und die formale Organisation sind es, die Unternehmen vor dem Chaos der Welt abschirmen, indem sich Grenzlinien (boundaries) zur Welt etablieren, innerhalb derer dann Unterneh1182 Vgl. Kirsch/Seidel/van Aaken (2009) S.18. 1183 Kirsch/Seidel/van Aaken (2009) S. 13. 1184 Grochla (1982) S. 1. 1185 Davon gehen nur einfach denkende Menschen aus. Ordnung ist fr einfach denkende

Menschen das Ergebnis der ordnenden Ttigkeit eines ordnenden Wesens. Von Hayek (1994) S. 32 f.

453

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

mensziele und individuelle Ziele verfolgt werden knnen. Nur innerhalb der durch Unternehmen selbst erzeugten Begrenzungen kann rationales Handeln als bounded rationality wirksam werden.1186 Im Zusammenhang mit der primren Steuerung und Regelung werden Unternehmensziele festgelegt, und es wird eine Kontrolle ihrer Realisation durchgefhrt. Kontrolle setzt immer einen Vergleich voraus. Eine faktisch realisierte Gre wird z.B. mit einer geplanten verglichen. Um derartige Vergleiche durchzufhren, nutzt die Unternehmensfhrung die vom Rechnungswesen bereitgestellten zahlenmigen Beschreibungen des Unternehmensgeschehens. Das Rechnungswesen, Geschftsberichte, Sitzungsprotokolle und weitere Akten bilden das Gedchtnis des Unternehmens. Hier kann man nachlesen, was gewesen ist, und nachvollziehen, wie entschieden wurde. Die inhaltlich bestimmten Begriffe Planung, Leitung, Organisation und Kontrolle lassen sich in einem Regelkreis der Unternehmensfhrung zusammenfhren, wobei die Elemente dieses Zirkels als Fhrungssubsysteme (Teilsysteme der Unternehmensfhrung) zu begreifen sind, die die antizipativen (Planung), reaktiven (Leitung), strukturierenden (Organisation) und vergleichenden (Kontrolle) Elemente der Unternehmensfhrung miteinander koppeln. Die folgenden Ausfhrungen sind der Beschreibung dieses Regelkreises der Unternehmensfhrung gewidmet. Planung bildet den Ausgangspunkt des Regelkreises der Unternehmensfhrung. Bei Planung geht es um das Nachdenken darber, was erreicht werden soll und wie es am besten zu erreichen ist. In dieser ersten Phase wird ber Zielsetzungen entschieden. Dies geschieht hufig in einem Zielvereinbarungsprozess. Im Rahmen der Vereinbarung der Unternehmensziele wird im Allgemeinen ein Spannungsverhltnis zwischen angestrebten Zielen und den Mglichkeiten, sie zu realisieren, auszumachen sein. Damit ergibt sich ein Problem, das es zu analysieren gilt. Im Rahmen der Problemanalyse ist bereits anzudeuten, in welche Richtung die angesprochene Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Realisationsmglichkeiten aufzuheben bzw. abzumildern ist. Es sind zuknftige Handlungsmglichkeiten, Umweltentwicklungen und die erwarteten Handlungskonsequenzen, die mit der Realisation bestimmter Aktionen verbunden sind, gedanklich in eine Gegenwart zu transponieren. Dies setzt die Analyse von Wirkungsverlufen und alternativen Szenarien voraus. Smtliche bisher beschriebenen Planungsaktivitten dienen dem Vorbereiten von Entscheidungen. Sie sind insbesondere auf die Entwicklung von Manahmen gerichtet, deren Einsatz die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Realisationsmglichkeiten reduziert. Es werden Alternativen gesucht und Prognosen angestellt, um Antizipationsentscheidungen (Planentscheidungen) vorzubereiten. Hufig sind diese Entscheidungsalternativen in einem zweifachen Sinne hierarchisch aufgebaut. Sie sind einmal auf das Gesamtunternehmen und seine Teilbereiche bezogen und zum Zweiten als langfristige Plne, in die kurzfristige Plne eingebettet sind, konzipiert. Die Ausfhrung der kurzfristigen Plne soll die Realisierung der langfristigen Plne sichern und die Ausfhrung der auf die Un1186 Vgl. Simon, H. A. (1982).

454

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

ternehmensbereiche bezogenen Plne die Unternehmensgesamtplanung. Mit den in dieser Phase entwickelten Planentwrfen wird nicht nur beabsichtigt, Ziele festzulegen, sondern sie beinhalten Rahmenrichtlinien, Programme und Verfahrensweisen zur Planrealisierung. Dies gilt sowohl fr die Unternehmensgesamtplanung wie auch fr die Bereichsplanungen und auch fr die kurz- und langfristigen Plne. Schon whrend der Planungsphase, dem Versuch, einen zuknftigen Zeitabschnitt entscheidungsmig zu gestalten, knnen Zielverschiebungen, Planfreirume und Planwidersprche auftreten, die Leitungsentscheidungen nach sich ziehen. Im Gegensatz zu Planentscheidungen sind Leitungsentscheidungen, wie verdeutlicht wurde, keine zeitabschnittsbezogenen Antizipationsentscheidungen, sondern zeitpunktbezogene Reaktionsentscheidungen. Die Vorbereitung von Reaktionsentscheidungen dient dazu, Entscheidungsrume, die durch pltzlich auftretende nderungen der Ziele, Planfreirume und Planwidersprche schon whrend der Planungsphase entstehen, mit Improvisationen zu fllen, so dass trotz nicht antizipierter Strungen (z.B. Zielnderungen) weiter entschieden und gehandelt werden kann (Leitung I). Nachdem die Vorbereitung von Plan- und Leitungsentscheidungen abgeschlossen ist, mssen Plan- und Leitungsentscheidungen getroffen werden. Die gnstigste oder eine einem definierten Anspruchsniveau gengende Handlungsalternative ist auszuwhlen. In diesem Zusammenhang knnen Optimierungsfragen auftreten. Zunchst geht es darum, Einzelentscheidungen bezogen auf einzelne Unternehmensbereiche zu treffen. Diese Entscheidungen drfen nicht isoliert und unverbunden bleiben, vielmehr ist eine Koordination der Einzelentscheidungen zu leisten, d.h., Einzelentscheidungen sind aufeinander abzustimmen und in einer Gesamtentscheidung zusammenzufassen. Damit ist die Unternehmensgesamtplanung und -leitung und nicht die Planung und Leitung einzelner Funktionsbereiche angesprochen. Plan- und Leitungsentscheidungen beziehen sich in dieser Entscheidungsphase auf naturale Gren (z.B. Mengen an Produktionsfaktoren, Ausbringungsmengen, Gterstrme usw.) und monetre Gren (Preise und Zahlungsstrme). Auch wenn naturale und monetre Gren in einem Unternehmensgesamtplan aufeinander abgestimmt sind, kann mit der Durchfhrung von Plan- und Leitungsentscheidungen noch nicht begonnen werden. Es muss vorab von der Unternehmensfhrung ein Handlungsgefge erdacht werden. Eine formale Organisationsstruktur ist zu entwickeln, mit der die auszufhrenden Aufgaben festgelegt und derart miteinander gekoppelt werden, dass eine Realisation der Plan- und Leitungsentscheidungen mglich wird. Die Unternehmensfhrung muss ihre Organisationsaufgabe wahrnehmen, indem sie Stellen, Instanzen und Abteilungen einrichtet. Diese sind mit Kompetenzen, Anweisungsbefugnissen und Verantwortungspflichten auszustatten. Stellen, Instanzen und Abteilungen mssen horizontal und vertikal derart verknpft werden, dass eine Einheit entsteht. Es ist ein Kommunikationssystem einzurichten, welches die eingerichteten Stellen mit den zur Aufgabenerfllung notwendigen Informationen versorgt. Mit diesen Vorkehrungen soll

455

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Verlsslichkeit und Wiederholbarkeit von Handlungen der Organisationsmitglieder sichergestellt werden. Soll eine plangebundene und in den planfreien Rumen eine leitungsgebundene Umsetzung der organisierten Handlungsablufe sichergestellt werden, dann mssen die in der Organisation geschaffenen Stellen und Instanzen mit Personal besetzt werden. Dieses Personal ist derart auszuwhlen, dass die Fhigkeiten der einzelnen Personen mit den Anforderungen fr die Ausfhrung der Plan- und Leitungsentscheidungen zur Deckung gebracht werden. Dies zu leisten, ist Aufgabe der personalen Leitung (Leitung II). Die personale Leitung beinhaltet die Besetzung von Stellen mit entscheidungsberechtigtem Personal. Darber hinaus ist sie auch fr Umbesetzung, Entlassung sowie Beurteilung und Entwicklung der Beschftigten durch Bildungs- und Erziehungsmanahmen verantwortlich. Ferner kmmert sie sich um eine leistungsgerechte Entlohnung. Personale Leitung zielt auf die Sicherstellung und Erhaltung der HumanRessourcen. Erst formale Organisation sowie Besetzung der Stellen und Instanzen mit Personen (personale Leitung) schaffen die strukturellen Voraussetzungen fr den eigentlichen Aufgabenvollzug. Damit sind die Bedingungen fr die Durchfhrung der Plan- und Leitungsentscheidungen geschaffen, da neben den naturalen und monetren Gren auch die personale Dimension bestimmt ist. Auch wenn idealerweise eine Koordination smtlicher Plan- und Leitungsentscheidungen in der Phase der Willensbildung erreicht wurde, ein Unternehmensgesamtplan vorliegt und smtliche Stellen und Instanzen mit Personen besetzt wurden, kann noch nicht mit dem Aufgabenvollzug begonnen werden. Er ist mit der Verffentlichung des Unternehmensgesamtplans nicht sichergestellt. Vielmehr ist die Gesamtplanung auf die einzelnen Entscheidungs- und Handlungseinheiten im Unternehmen herunterzubrechen, und es sind aus den Plnen abgeleitete Kennziffern in monetrer oder naturaler Form sowie Leitungsanweisungen zur Ausfhrung vorzugeben. Erst nachdem dies geschehen ist, kann die Phase der Willensdurchsetzung beginnen. Whrend der Durchfhrung der Arbeitsprozesse ist die Unternehmensfhrung stndig mit dem Phnomen konfrontiert, dass nichts so luft wie in der Phase der Willensbildung festgelegt. Damit trotz auftretender Strungen whrend der Willensdurchsetzungsphase weiter gehandelt werden kann, muss stndig ad hoc entschieden, angewiesen und motiviert werden. Die Unternehmensfhrung greift improvisierend ins Geschehen ein. Permanent mssen konkrete Anweisungen fr Einzelflle an einzelne, bestimmte Personen gegeben werden, die ein zeitlich befristetes Verhalten von ihnen verlangen, so dass die Erreichung der vorgegebenen Ziele sichergestellt ist. Eine stndige Feinjustierung der Ausfhrungshandlungen ist ntig. Alternativ kann diese Feinjustierung schon im Vorhinein durch die personale Leitung sichergestellt sein, indem Stellen mit Personen besetzt wurden, die mit einem solchen Ziel- und Entscheidungssystem ausgestattet sind, so dass im Falle von auftretenden

456

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

Strungen im Sinne bergeordneter Instanzen entschieden wird. Whrend des Arbeitsvollzuges treten Konflikte zwischen den beteiligten Akteuren auf, die zu lsen sind. (Konflikte zwischen Personen zeigen sich natrlich auch schon whrend der Willensbildungsphase.) In diesem Zusammenhang wird das Thema Mikropolitik und mikropolitische Spiele aktuell. Mit dem Begriff Mikropolitik wird gesagt, dass Unternehmen nicht nur Instrumente sind, um Plan- und Leitungsentscheidungen durchzufhren, sondern dass sie eine Eigendynamik entwickeln, die unter Umstnden hssliche Zge annehmen kann, die persnlich anstrengen, mit Angst verbunden sind und auch konomisch kostspielig sein knnen. Mikropolitik kann aber auch mit sehr viel Lust verbunden sein. Es kann Spa machen, Koalitionen zu schmieden und sich irgendwelche Schachzge auszudenken, um dieses oder jenes durchzusetzen.1187 Nachdem die Realisation der geplanten, geleiteten und organisierten Arbeitsprozesse abgeschlossen ist, findet eine Kontrolle statt. Sie ist die letzte Phase des Regelkreises der Unternehmensfhrung und leitet gleichzeitig den Beginn eines erneuten Durchlaufs des Regelkreises ein. Es werden faktische Gren des Unternehmensgeschehens naturaler, monetrer und personaler Art mit den entsprechenden Vorgaben verglichen. Die Aufgabe dieses Soll-Ist-Vergleichs besteht darin nachzuweisen, ob es gelungen ist, Vorgaben in die Tat umzusetzen. Im Normalfall werden Abweichungen zwischen den Vorgaben und dem Realisierten auftreten. Sie lsen Abweichungsanalysen aus. Mit diesen Analysen wird berprft, ob Korrekturmanahmen erforderlich sind. Diese knnen auf Zielkorrekturen und grundstzliche Planrevisionen hinauslaufen oder auf Vernderung der Bedingungen, unter denen im Unternehmen gearbeitet wurde. Die Kontrollaktivitten bilden den Ausgangspunkt fr weitere Planungen und damit fr einen neu beginnenden Prozess der Unternehmensfhrung. Kontrolle ist ohne Plan- und Leitungsvorgaben nicht mglich, da ohne Planung und Leitung keine Soll-Vorgaben vorlgen. Andererseits ist jeder neue Zyklus der Unternehmensfhrung nicht ohne Kontrollinformationen ber die Zielerreichung mglich. Der beschriebene Regelkreis der Unternehmensfhrung ist eine Abfolge von Funktionen, die Unternehmensfhrung zu erfllen hat. Dabei ist zu beachten, dass smtliche Funktionen der Unternehmensfhrung im Unternehmen gleichzeitig geschehen. Es wird geplant, geleitet und organisiert und whrend dies geschieht, werden gleichzeitig an anderer Stelle im Unternehmen plan- und/oder leitungsgebundene Entscheidungen durchgefhrt, kontrolliert und organisiert. Whrend Entscheidungen ausgefhrt werden, wird weiter entschieden. Die einzelnen Elemente des Regelkreises der Unternehmensfhrung beeinflussen sich wechselseitig. Diesen Sachverhalt sollen die gepunkteten Pfeillinien in Abbildung 66 andeuten.

1187 Vgl. Ortmann (1992) S.217-225 sowie Kpper/Felsch (2000) S. 149 ff.

457

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Abbildung 66:

Regelkreis der Unternehmensfhrung


Bestimmung der Unternehmensziele und Identifikation eines Spannungsverhltnisses zwischen Wunsch und Wirklichkeit (Problemanalyse)

Kontrolle Vergleich einer geplanten mit einer faktischen Gre (Soll-, Ist-, Alternativen-, Zeit-, Betriebsvergleich) Abweichungsanalyse und Entwicklung von Gegenmanahmen Zielorientierte Regelung der Unternehmensablufe Realisation und Leitungsanweisungen whrend der Realisation Improvisationen ermglichen, dass trotz auftretender Strungen whrend der Willensdurchsetzungsphase weitergehandelt werden kann (Leitung III) Disaggregation der Unternehmensplanung auf einzelne Handlungseinheiten. Vorgabe von Plankennziffern und Leitungsanweisungen Personale Leitung. Einsatz, Umbesetzung, Entlassung, Beurteilung und Entwicklung des Personals (Leitung II)

W I L L E N S D U R C H S E T Z U N G

Planung der Manahmen, Richtlinien, Programme und Verfahrensweisen Vorbereitung von Antizipationsentscheidungen. Diskrepanz W zwischen Zielen und Realisationsmglichkeiten I soll reduziert werden (Prognose der L Umweltzustnde, Alternativensuche, Bewertung L der Handlungsfolgen) E und N Leitung whrend der Willensbildung S Vorbereitung von Reaktionsentscheidungen, B ausgelst durch Zielverschiebungen, Freirume I der Planung und Planwidersprche (Leitung I) L D U Treffen von Einzelentscheidungen N (bezogen z.B. auf einzelne G Unternehmensbereiche; Optimierung, Suche der gnstigsten Alternative)

Koordination der Einzelentscheidungen zu einer abgestimmten Gesamtentscheidung, z.B. Unternehmensgesamtplanung

Organisation des Handlungsgefges. Aufgaben, Stellen, Kompetenzen werden festgelegt und ber Regelen verknpft.

Die Unternehmensfhrung setzt die Fhrungssubsysteme Planung, Leitung, Organisation, Kontrolle und das Rechnungswesen u.a. ein, um zu beobachten, was im Unternehmen geschieht (Beobachtung erster Ordnung). So erzeugt sie durch Beobachtung Informationen, mit denen Fhrungsentscheidungen fundiert werden. Diese werden den handelnden Personen mitgeteilt, in der Hoffnung, dass sie so verstanden werden, wie sie gemeint sind, um Unternehmensstrukturen und Unternehmensablufe in eine gewnschte Richtung zu beeinflussen. Die Manahmen der Unternehmensfhrung richten sich auf die Erfllung der Sach- und Formalaufgaben des Unternehmens. Sachund Formalaufgaben werden erst durch den Einsatz der Fhrungssubsysteme wirksam. Die Fhrungssubsysteme verdeutlichen, welche Aufgaben der Unternehmensfhrung zukommen. Nur wenn Sach- und Formalaufgaben sowie die Aufgaben der Unternehmensfhrung aufeinander abgestimmt sind, knnen Unternehmen erfolgreich sein. Um aus analytischer Perspektive zu verdeutlichen, was im Bereich der Unternehmensfhrung geschieht, muss das bis hierher entworfene Bild noch in vielen Richtungen ergnzt werden. Eine notwendige Ergnzung soll hier angedeutet werden: die Einbindung des Regelkreises der Unternehmensfhrung in weitere Regelkreise. Der Regelkreis der Unternehmensfhrung startet mit dem Vereinbaren von Unternehmenszielen. Die konkretisierten Unternehmensziele fallen nicht vom Himmel, sondern

458

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

werden aus Unternehmensstrategien abgeleitet. Unternehmensstrategien wiederum werden von Unternehmensphilosophie, Unternehmensleitbild und Unternehmenskultur beeinflusst. Die Ansprche der systeminternen und systemexternen Koalitionspartner des Unternehmens beeinflussen die Unternehmensziele. Zum einen direkt und andererseits indirekt ber die Beeinflussung der Unternehmensstrategien und der Unternehmenskultur. Die Ansprche der Koalitionspartner wiederum grnden in Motivlagen ihrer Mitglieder. Diese wiederum werden von dem Ausma der Realisierung der Unternehmensziele mitbestimmt. Individuelle Motive und Unternehmensziele sind derart wechselseitig miteinander verbunden. Damit ist der Strang der wechselseitigen Einflussnahme von Unternehmenszielen auf individuelle Motivlagen der Anspruchsgruppenmitglieder skizziert. Auer von individuellen Ansprchen der stakeholder werden Unternehmensstrategien wesentlich durch Unternehmensphilosophie, Unternehmensleitbilder und die gewachsene (bewusst oder unbewusst entstandene) Unternehmenskultur mitbestimmt. Diese Aspekte wiederum basieren auf den Werthaltungen der Personen, die an Fhrungsentscheidungen in Unternehmen beteiligt sind (Kerngruppen). Insbesondere die Unternehmenskultur kann von der Unternehmensfhrung nur teilweise instrumentell ausgebaut und genutzt werden. Die verinnerlichten Werte und Grundeinstellungen sind durch die Gesellschaft und ihre Subsysteme determiniert, auf die wiederum die von Unternehmen verfolgten Ziele einwirken. Damit ist der Strang der wechselseitigen Einflussnahme von Unternehmenszielen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen angedeutet. Die Regelkreise gesellschaftlicher Einflussnahme und individueller Einflussnahme auf die Unternehmensziele sind ebenfalls wechselseitig miteinander verbunden, denn individuelle Motive sind gesellschaftlich determiniert und gesellschaftliche Werte werden von den Beweggrnden individuellen Verhaltens beeinflusst. In Abbildung 67 sind diese Zusammenhnge grafisch dargestellt. Fgt man den Regelkreis der Unternehmensfhrung und seine motivationale und gesellschaftliche Bestimmung in einem Schaubild zusammen, zeigt sich das in Abbildung 68 wiedergegebene Bild der Einbindung des Regelkreises der Unternehmensfhrung in weitere Regelkreise.

459

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Abbildung 67:

Gesellschaftliche und individuelle Einflsse auf die Unternehmensfhrung

Motive

Gesellschaft und ihre Subsysteme verinnerlichte Werte und Grundeinstellungen der Kerngruppen

Ansprche der systeminternen Koalitionspartner Ansprche systemexterner Koalitionspartner und weiterer gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen

Unternehmensphilosophie Unternehmensleitbild Unternehmenskultur

Unternehmensstrategien Unternehmensziele als Ausgangspunkt des Managementprozesses

Abbildung 68:

Einbindung des Regelkreises der Unternehmensfhrung in weitere Regelkreise

Unternehmensziele

460

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

11.3.2 Sekundre Steuerung und Regelung


Whrend es bei der primren Steuerung und Regelung um die Primrkoordination der arbeitsteilig ablaufenden Beschaffungs-, Produktions-, Absatz-, Finanzierungs-, Investitionsprozesse usw. geht, konzentriert sich die sekundre Steuerung und Regelung auf die Steuerung und Regelung der zur primren Steuerung und Regelung eingesetzten Fhrungssubsystem. Es wurde bereits angemerkt, dass zur Beschreibung der sekundren Steuerung und Regelung der Controlling-Begriff benutzt werden soll. Inwieweit es notwendig ist, sich bei der Durchfhrung dieses Vorhabens von gngigen Controllingvorstellungen zu distanzieren und welche Spannweite der Begriff Controlling in der einschlgigen Literatur aufweist, soll im Folgenden dargestellt werden. Eine Variante des Controlling-Begriffs, die in der Literatur zur Unternehmensfhrung zu finden ist, setzt Controlling mit Unternehmensfhrung gleich.1188 Die Gleichsetzung von Controlling mit Unternehmensfhrung ist eine Extremposition.1189 Controlling scheint jedoch weniger als Unternehmensfhrung zu beinhalten und mehr als das, was in der deutschen Betriebswirtschaftslehre unter Kontrolle verstanden wird,1190 denn bei der Kontrolle, als einer Komponente der Unternehmensfhrung, geht es lediglich um den Vergleich eines vorgegebenen Solls mit faktischen Ergebnisgren und das Feststellen sowie die Analyse eventueller Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Gren. Die meisten Auffassungen ber Controlling bewegen sich zwischen den Polen, Controlling mit allen Komponenten der Unternehmensfhrung gleichzusetzen oder Controlling durch eine Komponente der Unternehmensfhrung (z.B. der Kontrolle) zu bestimmen. Eine Denkrichtung, die ebenfalls nur auf eine Komponente der Unternehmensfhrung bei ihrer Controlling-Definition zurckgreift, bestimmt Controlling als eine Fhrungsphilosophie, die ergebnisorientierte Planung und berwachung durch Zielvereinbarungen [] und Zielerreichungsanalysen [] mit dem Zahlenwerk des Rechnungs- und Finanzwesens beinhaltet.1191 Controlling wird als Regelkreis von Zielplanung, Vorgabe von Einzelplnen, Planimplementation, Kontrolle (die Abweichungsanalysen beinhaltet) verstanden, wobei die Ergebnisse der Abweichungsanalysen mit der Zielplanung rckgekoppelt werden. Controlling ist
1188 Vgl. Mann (1973) S. 11. Mann bestimmt Controlling als Gewinnorientierung. Siegwart

(1986) S. 109 setzt Controlling mit einer gewinnorientierten Lenkung und berwachung gleich. Ein derartiges Verstndnis von Controlling fhrt dazu, dass nur Unternehmen ein Controlling haben knnen und alle nicht gewinnorientierten Betriebe ohne Controlling auszukommen htten. Controlling wre nach Mann und Siegwart mit gewinnorientierter Unternehmensfhrung gleichzusetzen. 1189 bersetzungen der englischsprachigen Managementliteratur ins Deutsche legen die Gleichsetzung von Controlling und Unternehmensfhrung nahe, denn to control wird eingedeutscht mit den Worten Beherrschung, Lenkung, Steuerung, Regelung von Prozessen, vgl. Horvth (2009) S. 17. 1190 Horvth, der deutsche Controlling-Papst, stellt fest: Der Controller macht selbst kein Control bzw. Controlling. Er untersttzt vielmehr die Fhrung hierbei. Horvth (2009) S. 18. 1191 Hahn (1987) S. 6.

461

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

danach als Regelkreis des Planungsprozesses qualifiziert. Unternehmensfhrung wird mit Unternehmensplanung gleichgesetzt und Unternehmensplanung mit Controlling. Neben den Definitionen, die Controlling mit Unternehmensfhrung oder Unternehmensplanung oder Kontrolle gleichsetzen, finden sich Bemhungen, den ControllingBegriff an die Informationswirtschaft eines Unternehmens zu koppeln. Controlling ist dann Untersttzung der Steuerung der Unternehmung durch Information1192 oder Controlling wird bestimmt als Beschaffung, Aufbereitung und Koordination von Information fr deren Anwendung zur Steuerung der Betriebswirtschaft durch die Unternehmensleitung auf deren Ziel hin.1193 Die informationsorientierten Controlling-Konzepte betrachten das Rechnungswesen als Kernelement der Informationswirtschaft und heben seine Steuerungsfunktion und seinen Charakter als Fhrungsinstrument hervor. Sie setzen Controlling letztlich mit dem Rechnungswesen gleich.1194 Ein weit verbreitetes und derzeit in der einschlgigen Literatur dominierendes Controlling-Konzept greift zur Bestimmung von Controlling, statt auf die Kontroll- oder Planungskomponente, die Koordinationsfunktion aus dem Kanon mglicher Funktionen der Unternehmensfhrung heraus und basiert nach eigenen Aussagen auf einem systemorientierten Ansatz.1195 Dabei werden nicht smtliche Koordinationsnotwendigkeiten, die in einem Unternehmen anfallen, unter dem Begriff Controlling subsumiert. So wird die Koordination innerhalb und zwischen den Funktionsbereichen der Real- und Nominalgtersphre nicht als Aufgabe des Controllings betrachtet. Controlling wird erst notwendig, wenn Unternehmensfhrung (verstanden als Subsystem des Unternehmens) sich in Fhrungssubsysteme differenziert, die sich auf unterscheidbare Aufgaben der Unternehmensfhrung spezialisiert haben. Die Koordination der Fhrungssubsysteme bernimmt das Controlling. Es etabliert sich neben anderen Fhrungssubsystemen als eigenstndiges Fhrungssubsystem. Pter Horvth, auf den dieses Controlling-Verstndnis zurckgeht,1196 identifiziert ein Planungs-, Kontrollund Informationsversorgungssystem, wobei diese einzelnen Systeme vom Controlling zu einem Fhrungsgesamtsystem koordiniert werden.1197 Die vom Controlling zu leistende Koordination vollzieht sich durch Systembildung und Systemkopplung, die nicht nur darin besteht, aus vorhandenen Fhrungssubsystemen ein konsistentes Fhrungsgesamtsystem zu bilden, sondern es geht beim Con1192 Vgl. Hoffmann (1972) S. 85. 1193 Heigel (1989) S. 3. 1194 Vgl. Habert (1982) S. 68 f. 1195 Vgl. Weber, J. (2004) S. 27. Weber selbst bestimmt Controlling als Rationalittssicherung im

Kontext einer Koordination von Plnen. Weber, J. (2004) S. 49. Er glaubt damit, eine weitere Spezialdisziplin der Betriebswirtschaftslehre zu begrnden. Was Weber leistet, ist nichts anderes, als Controlling mit Unternehmensgesamtplanung gleichzusetzen. 1196 Zu den ersten, grundlegenden von Horvth angestellten berlegungen zum koordinationsorientierten Controlling, vgl. Horvth (1978) S. 194-208. 1197 Zu dem von Horvth entwickeltem Controlling-Verstndnis, vgl. Horvth (2009) S.123 ff.

462

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre

11.3

trolling auch um die Kreation von neuen bzw. den Umbau von Fhrungssubsystemen und ihre Kopplung zu einem neuen Fhrungsgesamtsystem. Aufbauend auf dem Controlling-Ansatz von Horvth ist eine weitere Differenzierung von Fhrungssubsystemen vorgeschlagen worden. Neben dem Planungs-, Kontroll- und Informationssystem werden das Ziel- und Organisationssystem1198 sowie das Personalfhrungssystem1199 in den Reigen der Fhrungssubsysteme mit aufgenommen, die Controlling zu koordinieren hat. Die Anregungen Horvths knnen aufgegriffen und, inspiriert durch die neuere Systemtheorie, zu einem Controlling-Ansatz ergnzt werden, der Controlling als Beobachtung mindestens zweiter Ordnung qualifiziert. Whrend es bei der Beobachtung erster Ordnung darum geht zu beobachten, was im Unternehmen geschieht, nimmt die Beobachtung zweiter Ordnung Beobachter in den Blick und beobachtet, wie Beobachter (das knnen Personen, psychische Systeme, andere Unternehmen, Banken, Finanzbehrden, das eigene Rechnungswesen usw. sein) beobachten. Controlling erkennt, dass das Unternehmensgeschehen auch anders beobachtet werden knnte, als es faktisch beobachtet wird. Controlling fragt, mit welchen Unterscheidungen (Instrumenten) Beobachter beobachten. Dabei verdeutlicht Controlling, dass die Beobachtungsinstanzen im und auerhalb des Unternehmen nach eigenen, unterscheidbaren, kontingenten (auch anders mglichen) Kriterien sich selbst und ihre Umwelt beobachten. Mit der Konzeption des Controllings als Beobachtung mindestens zweiter Ordnung werden so, neben den vorhandenen im Einsatz befindlichen Fhrungssubsystemen der primren Steuerung und Regelung, alternative Fhrungssubsysteme sichtbar. Damit ist die kreative Komponente des Controllings angesprochen. Beim Controlling geht es auch um die Kreation neuer Fhrungssubsysteme, damit fr bestimmte Situationen Beobachtungsinstrumente zur Verfgung stehen, die Strken und Schwchen des Unternehmens oder Chancen und Risiken auf den Mrkten sichtbar machen, die ohne den Einsatz dieser Instrumente unsichtbar blieben. Die neu kreierten Fhrungssubsysteme (z.B. die Einfhrung der Prozesskostenrechnung oder der balanced scorecard) sind in das bestehende System der Unternehmensfhrung einzubinden. Damit wchst dem Controlling die Aufgabe zu, die Fhrungssubsysteme zu einem abgestimmten Ganzen zu koppeln. Ohne eine derartige Koordination der Fhrungssubsysteme wre die Primrkoordination der arbeitsteilig ablaufenden Unternehmensprozesse nicht zu leisten. Bildung, Kopplung und Implementation von Fhrungssubsystemen sind wichtige Aufgaben des Controllings. Sie dienen der (Re-)Integration der funktional ausdifferenzierten Unternehmensfhrung. Mit der Konzeption des Controllings als Beobachtung mindestens zweiter Ordnung ist ein reflexiver Mechanismus angesprochen. Er konkretisiert sich, indem Controlling Fhrungssubsysteme auf sich selbst anwendet, so wird die Planung geplant, indem Planungsordnungen entwickelt und herausgegeben werden oder die Organisation geplant usw. Mit der Anwendung der

1198 Vgl. Schmidt, A. (1986) S. 56 f. 1199 Vgl. Kpper (1987) S. 99.

463

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Fhrungssubsysteme auf sich selbst werden ihre Leistungsfhigkeit und Wirkung verstrkt. Mit einer derartigen Begriffsverwendung gelingt es, dem Controlling eine eigenstndige, von anderen Fhrungssubsystemen unterscheidbare Rolle zuzuweisen. Entsprechend dieser Vorstellung ist Controlling weder mit Kontrolle noch mit Unternehmensfhrung gleichzusetzen. Controlling ist vielmehr als eigenstndiges Subsystem der Unternehmensfhrung zu begreifen, das Beobachtungen mindestens zweiter Ordnung ermglicht. Die Aussagen ber die Unternehmenssphren, ihre Funktionsbereiche und deren Zusammenspiel sind in Abbildung 69 zusammengefasst. Zu dieser Abbildung sind einige Anmerkungen notwendig. Lediglich aus darstellerischen Zwngen wurde die Steuer- und Regelsphre oberhalb der Funktionsbereiche der Nominal- und Realgtersphre angesiedelt. Natrlich findet Unternehmensfhrung nicht abgehoben von den Realitten der Funktionsbereiche statt. Vielmehr sind in und zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen Unternehmensfhrungsaufgaben zu erfllen. Unternehmensfhrung ist nicht nur an der Spitze der Hierarchie eines Unternehmens angesiedelt, sondern auf jeder Hierarchiestufe. Lediglich die Art und der Umfang von Unternehmensfhrung unterscheiden sich auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen. Diese Sachverhalte wurden in der Abbildung durch senkrecht stehende Kreise, die alle Unternehmensbereiche durchdringen, darzustellen versucht. Die fett in die Abbildung gemalten gebogenen Pfeile sollen veranschaulichen, dass in der Nominal- und Realgtersphre Selbstbeobachtungen stattfinden, aus denen Informationen gewonnen werden, die der Steuer- und Regelsphre mitgeteilt werden. Hier werden die Mitteilungen verstanden oder missverstanden, jedenfalls knnen sie Informationen hinterlassen. Die in der Steuer- und Regelsphre erzeugten Informationen werden weiterverarbeitet, teilweise gespeichert und zusammen mit, durch eigene Beobachtungen gewonnenen, Informationen zur Fundierung von Fhrungsentscheidungen genutzt. Diese werden in unterschiedlicher Form in Mitteilungen transformiert, z.B. in Kennziffern, persnlich adressierte Anweisungen, unverbindlich formulierte Wnsche1200 usw., die wiederum in der Real- und Nominalgtersphre verstanden oder missverstanden werden knnen. Der waagerecht angeordnete Kreis, der Zielsetzung, Planung, Organisation, Leitung und Kontrolle verbindet, soll den Regelkreischarakter der primren Steuerung und Regelung andeuten. Controlling steuert und regelt u.a. diesen Regelkreis der Unternehmensfhrung.

1200 Von denen allerdings jeder wei, dass man zu ihrer Erfllung beitragen sollte, wenn man

nicht in grere Schwierigkeiten geraten will.

464

Kontakte zur Unternehmensumwelt

11.4

Abbildung 69:

Funktionsbereiche der Steuer- und Regelsphre


Unternehmensfhrung
(Steuer- und Regelsphre)

sekundre Steuerung und Regelung


Information Mitteilung

Controlling Beobachtung zweiter Ordnung

Verstehen

primre Steuerung und Regelung


Kontrolle
Beobachtung

Zielsetzung Leitung

Planung und Leitung Organisation


Beobachtung

externes
Verstehen

Rechnungswesen
Nominalgtersphre Realgtersphre

internes
Information Mitteilung

11.4 Kontakte zur Unternehmensumwelt


Bisher ist die innere Struktur des Unternehmens als funktional differenziertes Gebilde dargestellt worden. Im Folgenden sollen die Umwelt von Unternehmen und die Kontakte des Unternehmens mit seiner Umwelt in die Betrachtungen mit einbezogen werden. Betriebswirtschaftlich relevante Umwelten von Unternehmen sind Mrkte (Beschaffungs-, Absatz- und Kapitalmrkte), die hier agierenden Konkurrenzunternehmen, Lieferanten und Nachfrager. Besonderes Augenmerk ist auf Personen und Personengruppen zu richten, die gegenber dem Unternehmen Ansprche (stakes) haben. Das sind Banken, die Bonitt verlangen, Versicherungen, denen es um geringe Risiken und hohe Prmien geht, Lieferanten, die an langfristigen Liefervertrgen interessiert sind, die ffentlichkeit, die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens verlangt, Mitarbeitervertretungen, die die Mitbestimmungsmglichkeiten der Mitarbeiter einfordern, die Unternehmensleitung, die am eigenen und hoffentlich auch an dem Erfolg des Unternehmens interessiert ist, Kunden, die ein akzeptables Preis-LeistungsVerhltnis verlangen, Mitarbeiter, denen es auf einen sicheren Arbeitsplatz ankommt, Kapitalgeber, die eine Wertsteigerung des Unternehmens (shareholder value) und

465

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

eine hohe Gewinnbeteiligung (z.B. in Form von Dividendenzahlungen) wnschen, usw. Die Kontakte der Real- und Nominalgtersphre mit ihrer Umwelt knnen als InputOutput-Beziehungen beschrieben werden. Damit erscheinen Unternehmen auf dieser Realittsebene als offene Systeme. Die relevante Umwelt fr die Realgtersphre sind Beschaffungs- und Absatzmrkte. Die Realgtersphre ist durch den Input und Output von Gtern mit ihrer Umwelt verbunden. Produktionsfaktormengen werden auf den entsprechenden Beschaffungsmrkten beschafft und kommen als Input ins Unternehmen. Dieser Input wird entsprechend den geltenden Transformationsregeln (Produktionsfunktionen) in Output (Ausbringungsmengen an Produkten) umgewandelt. Eine Beeinflussung der Input-Output-Relation ist durch eine Vernderung der Produktionsfunktion mglich. Die hergestellten Endprodukte werden auf den entsprechenden Absatzmrkten angeboten. Die materiellen und immateriellen Gterstrme, die innerhalb der Realgtersphre sowie zwischen Realgtersphre und ihrer Umwelt stattfinden, sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Nicht um Gterbewegungen aufrechtzuerhalten, werden Unternehmen gegrndet bzw. weitergefhrt, sondern wegen der Geldstrme. Das Unternehmen dient zur Erzielung von Geldeinkommen. Dieses kann auf Dauer nur erwirtschaftet werden, wenn Geldzahlungen ber den Absatz von Gtern ins Unternehmen flieen. Geldzahlungen flieen vonseiten der Absatzmrkte aber nur solange, wie die Leistungen aus dem Unternehmen auf den Absatzmrkten des Unternehmens nachgefragt werden. Auf den Absatzmrkten findet eine Transformation der Produkte in Geldzahlungen statt. Auf den Beschaffungsmrkten findet andererseits eine Transformation der Geldzahlungen in Mengen an Produktionsfaktoren statt. Mit den Beschaffungs- und Absatzmrkten ist die Nominalgtersphre durch Geldstrme verbunden. Gterstrme in das Unternehmen hinein und aus dem Unternehmen hinaus entsprechen in umgekehrter Richtung verlaufenden Geldstrmen. Neben den Beschaffungs- und Absatzmrkten sind fr die Nominalgtersphre Geld- und Kapitalmrkte ein wichtiges Umweltsegment. Auch mit diesen Mrkten ist die Nominalgtersphre durch Geldstrme verbunden. In diesem Fall gibt es allerdings keinen entgegengerichteten Gterstrom. Fr das gezahlte Geld (Zinszahlungen des Unternehmens) wird dem Unternehmen als Gegenleistung Kapital (Auszahlung des Darlehns in Geldform) bereitgestellt. Andererseits kann das Unternehmen Kapital auf den Geld- und Kapitalmrkten anbieten und bei entsprechender Nachfrage dafr Geldzahlungen (Zinszahlungen) erhalten. Staatliche Institutionen und Verbnde stellen neben den Mrkten weitere wichtige Umweltelemente des Unternehmens dar. An staatliche Institutionen fliet Geld in Form von Steuern, Abgaben und Beitrgen. Dafr liefert der Staat Subventionen und stellt ffentliche Gter (z.B. in Form von Infrastruktur) bereit. Verbnde erhalten Geldzahlungen in Form von Beitrgen und stellen dafr u.a. Verhandlungsergebnisse und Mitteilungen (z.B. Branchenanalysen) bereit. Insofern sind staatliche Institutionen

466

Kontakte zur Unternehmensumwelt

11.4

und Verbnde ber Geld- und Gterstrme mit der Real- und Nominalgtersphre verbunden.1201 Die Steuer- und Regelsphre von Unternehmen hat keinen unmittelbaren Kontakt mit der Umwelt. Unternehmen sind auf dieser Realittsebene operativ geschlossene Systeme. Unternehmensfhrung kann Umweltkontakt (Offenheit) nur ber Selbstkontakt (Geschlossenheit) herstellen. Umweltkontakt geschieht nicht ber die Aufnahme von Informationen aus der Umwelt oder indem Informationen an die Umwelt abgegeben werden. Es findet berhaupt kein Informationsinput und -output zwischen Unternehmen und der Umwelt statt, sondern die Informationen, die in der Steuer- und Regelsphre verarbeitet werden, erzeugt die Steuer- und Regelsphre selbst. Durch das differenzlose Rauschen der Umwelt kann die Steuer- und Regelsphre irritiert, berrascht, gestrt werden. Irritationen knnen dazu fhren, dass in der Steuer- und Regelsphre durch eigene Aktivitten aus dem sinnlosen Rauschen der Umwelt Informationen erzeugt werden. Zwar sind Unternehmen fr selbst ausgewhlte Umweltreize empfnglich, indem sie aus den Umweltreizen Informationen erzeugen, aber die Umwelt kann die Unternehmensstrukturen nicht determinieren. Insofern sind Unternehmen weder von auen direkt zu kontrollieren noch zu steuern. Sie sind sich selbst organisierende Systeme. Die Wechselbeziehungen zwischen Unternehmen und Umwelt werden nur insoweit wirksam (von der Steuer- und Regelsphre bemerkt), als in der Steuer- und Regelsphre Instrumente existieren, die mit Resonanzfhigkeit ausgestattet sind. Ist dies der Fall, kann das Unternehmen aufgrund und nur aufgrund seiner Eigenfrequenzen zur Resonanz gebracht werden.1202 In dem vorstehend beschriebenen Sinne sind Unternehmen auf der Ebene der Steuer- und Regelsphre aufgrund selbst gewhlter, hoch selektiver Kriterien (ber bestimmte resonanzfhige Irritationen) mit ihrer Umwelt verbunden. Gegenber weitergehenden Umwelteinflssen sind sie ber die selbst eingerichteten Unternehmensgrenzen abgeschirmt.

1201 Sollen die Gter- und Geldstrme genauer untersucht werden, sind weitere Kategorien wie:

Auszahlung, Ausgabe, Aufwand, Kosten und Einzahlung, Einnahme, Ertrag, Leistung einzufhren und zu klren. 1202 Vgl. Luhmann (2004) S. 41. Luhmanns Aussage, die im Text wiedergegeben ist, formuliert er allgemeiner, indem er sie auf smtliche sozialen Systeme bezieht und nicht nur auf Unternehmen.

467

11

Unternehmenssphren und Funktionsbereiche

Abbildung 70:

Unternehmensbereiche und ihre Beziehungen zur Umwelt

Staat
Subventionen Irritationen Mitteilungen Steuern Irritationen Mitteilungen

Verbnde
Verhandlungsergebnisse Beitrge

Irritationen Mitteilungen

Steuer-/Regelsphre
Geld

Geld Gter u. Dienste

Nominalgtersphre
Gter u. Dienste

Realgtersphre
Geld Geld

Geld- u. Kapitalmrkte

Irritationen Mitteilungen

Geld

Gter u. Dienste

Soweit Unternehmen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Umwelt in den Blick nehmen, geht es nicht mehr nur um die interne Unternehmensstruktur und die in ihr ablaufenden Unternehmensprozesse, sondern es werden weitere Analysegegenstnde relevant. Es sind dann die Gter- und Geldstrme, die das Unternehmen mit seiner Umwelt verbinden, zu beobachten. Darber hinaus sind die Mglichkeiten des Unternehmens, aus Irritationen und Mitteilungen der Umwelt Informationen zu erzeugen, kritisch zu hinterfragen, und die Umwelt selbst wird zum Beobachtungs- und Gestaltungsgegenstand von Unternehmen. Die Unternehmensfhrung beobachtet nicht mehr nur das, was im eigenen Unternehmen geschieht und wie das Unternehmensgeschehen von Mitgliedern und Abteilungen beobachtet wird (Selbstbeobachtung). Sie beobachtet u.a. auch, was andere Unternehmen beobachten und wie diese das Markt- und Weltgeschehen beobachten (Fremdbeobachtung). Die Unternehmensfhrung erkennt, dass andere Unternehmen und weitere Umweltelemente mit anderen Unterscheidungen beobachten wie sie selbst. Die eigene Beobachtung wird nochmals als kontingent (als auch anders mglich) erlebt. Eine Einheit der unterschiedlichen Beobachtungen kann im Unternehmen nur zustande kommen, wenn jeder Beobachter (Mitglieder, Stellen, Abteilungen) in seine Be468

Kontakte zur Unternehmensumwelt

11.4

obachtung einbezieht, dass es andere Beobachter gibt, die anders beobachten. Die Beobachtungen der Marketingabteilung werden zu einem Unternehmensmodell fhren, dass z.B. in der Hauptsache aus den Elementen Kunden, Konkurrenzunternehmen, Handel, ffentlichkeit usw. besteht, whrend die Personalabteilung als Hauptelement ihres Unternehmensmodells die Mitarbeiter identifizieren wird. Die wichtigsten Elemente des Unternehmensmodells der Finanzabteilung werden die Aktionre und die Kreditinstitute darstellen. All diese Standpunkte sind zu respektieren. In modernen Unternehmen geht es nicht darum, Einzelbeobachtungen zu harmonisieren, indem Konsens zwischen den Beobachtern hergestellt und somit eine einzige Weltund Unternehmenssicht geboten wird. Vielmehr ist die Unternehmensfhrung aufgerufen, Mechanismen zu entwickeln, die in die Lage versetzen, mit Dissens produktiv umzugehen. Nur so kann die Integration der Einzelbeobachtungen in ein Gesamtunternehmensmodell gelingen. Die Schnittstellen und damit die Beziehungen zwischen dem selbst geschaffenen Unternehmensmodell und der (selbst geschaffenen) Umwelt hat die Unternehmensfhrung zu gestalten. Schnittstellenmanagement beinhaltet die Ausgestaltung der Grenzen des Unternehmens zur Umwelt1203, Einflussnahme auf die Umwelt selbst1204 und die Gestaltung der Geld- und Gterstrme. Hat sich im Unternehmen eine bestimmte Fhrungsstruktur etabliert, kann Unternehmensfhrung sich noch lange nicht beruhigt zurcklehnen, denn die Welt und das eigene Unternehmen stehen nicht still. Stndig halten die Umwelt und das eigene Unternehmen berraschungen bereit. Das kann die Einrichtung neuer Planungs-, Leitungs-, Kontroll-, Organisations- und Frhwarnsysteme oder die Anpassung der alten Fhrungssubsysteme ntig machen. Externe und interne Irritationen und Turbulenzen rufen die Unternehmensfhrung immer wieder erneut auf zu entscheiden.

1203 Ikea hat seine Kunden zu Produzenten gemacht und damit Produktionselemente aus dem

eigenen Unternehmen ausgelagert. Ikea bestimmt somit seine Unternehmensgrenzen anders als andere Unternehmen, die dieser Auslagerungsstrategie nicht folgen. 1204 Ein in der Westpfalz ansssiger Schuhhersteller hat in einem Gesprch dem Autor dieses Buches mitgeteilt: Wenn eine bestimmte Schuhmarke keinen Markt findet, dann produziere ich eben nicht nur die Schuhmarke, sondern auch noch den Markt selbst.

469

Gliederung der Unternehmen

12.1

12 Gliederung der Unternehmen und


Unternehmensverbindungen

12.1 Gliederung der Unternehmen


Nachdem die innere Struktur von Unternehmen, ihre Umwelten und ihre Beziehungen zur Umwelt skizziert worden sind, sollen nun die vielgestaltigen Formen von Unternehmen prsentiert werden. Dieses Vorhaben kann nicht gelingen, indem auf die Eigenarten jedes auf der Welt existierenden Unternehmens eingegangen wird. Vielmehr mssen Kriterien herangezogen werden, um Unternehmen in berschaubare Klassen einzuteilen. Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur bietet eine Vielzahl von Gliederungskriterien an, nach denen Unternehmen und mit ihnen spezielle Betriebswirtschaftslehren unterschieden werden.1205 Eine Auswahl wird im Folgenden vorgestellt.

12.1.1 Wirtschaftssektoren
Eine Gliederungsmglichkeit von Unternehmen besteht darin, sie nach Wirtschaftssektoren bzw. Wirtschaftszweigen, in denen sie ttig sind, zu unterscheiden. Diese Art der Systematik wird auch als institutionelle Gliederung bezeichnet. An anderer Stelle, als es um die Klassifikation von Gtern ging, wurde eine Einteilung der Gter in materielle und immaterielle Gter vorgenommen.1206 In Anlehnung an diese Einteilung lassen sich Unternehmen danach unterscheiden, ob sie materielle oder immaterielle Gter herstellen. Die Produktion materieller Gter findet in Gewinnungs- und Verarbeitungsunternehmen statt. Gewinnungsunternehmen entnehmen Gter aus der Natur. Land- und forstwirtschaftliche Unternehmen, der Bergbau usw. sind Beispiele fr Gewinnungsunternehmen. Verarbeitungsunternehmen sind Produktionsunternehmen im engeren Sinne. Hier werden Gter in andere Gter umgewandelt, umgeformt oder veredelt. Industrieunternehmen sind das klassische Beispiel fr Verarbeitungsunternehmen. Gewinnungs- und Verarbeitungsunternehmen werden unter dem Oberbegriff Sachleistungsunternehmen zusammengefasst. Anders als Sachleistungsunternehmen, die materielle Gter produzieren, stellen Dienstleistungsunternehmen wie Handelsunternehmen, Bankunternehmen, Versiche1205 Zur Typologie von Unternehmen, vgl. statt anderer Thommen/Achleitner (2009) S. 71-112. 1206 Vgl. Abschnitt 6.2.2.

471
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2_13, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

12

Gliederung der Unternehmen und Unternehmensverbindungen

rungsunternehmen, Verkehrs- und Versorgungsunternehmen und sonstige Dienstleistungsunternehmen immaterielle Gter her. Die Mglichkeit, Unternehmen Wirtschaftssektoren zuzuordnen, nutzt auch Jean Fourasti (1907-1990). Er unterteilt die Wirtschaft eines Landes in einen primren, einen sekundren und einen tertiren Sektor.1207 Im primren Sektor sind Unternehmen der Urproduktion wie landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche oder Fischereiunternehmen anzusiedeln (Gewinnungsunternehmen). Der sekundre Sektor umfasst die Unternehmen, die Produkte verarbeiten (Verarbeitungsunternehmen), und im tertiren Sektor sind Dienstleistungsunternehmen zusammengefasst. Mit seiner DreiSektoren-Hypothese behauptet Fourasti, dass in unterentwickelten Volkswirtschaften der Hauptanteil des Volkseinkommens durch die Produktion im Primrsektor erzielt wird. Unternehmen in Volkswirtschaften mit durchschnittlichem Lebensstandard sind mehrheitlich im Sekundrsektor ttig, whrend in hoch entwickelten Volkswirtschaften der Tertirsektor der absolut dominierende Wirtschaftssektor ist. Das vom statistischen Bundesamt eingesetzte Schema, das zur Unternehmenssystematik genutzt werden kann, ist weit differenzierter ausgelegt. Seit dem Jahr 2008 werden Unternehmen entsprechend der Klassifikation WZ 2008 eingeteilt.1208 Diese Klassifikation basiert auf der Systematik NACE Revision 2 der Europischen Gemeinschaft und ordnet Unternehmen den folgenden Wirtschaftszweigen(-abteilungen) zu: A. B. C. D. E. F. G. H. I. J. K. L. M. N. O. P. Q. R. Land-, Forstwirtschaft und Fischerei Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden Verarbeitendes Gewerbe Energieversorgung Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen Baugewerbe Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen Verkehr und Lagerei Gastgewerbe Information und Kommunikation Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen Grundstcks- und Wohnungswesen Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen ffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung Erziehung und Unterricht Gesundheits- und Sozialwesen Kunst, Unterhaltung und Erholung

1207 Vgl. Fourasti (1989). 1208 Vgl. Statistisches Bundesamt (2008).

472

Gliederung der Unternehmen

12.1

S. T.

U.

Erbringen von sonstigen Dienstleistungen Private Haushalte mit Hauspersonal; Herstellung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen durch private Haushalte fr den Eigenbedarf ohne ausgeprgten Schwerpunkt Exterritoriale Organisationen und Krperschaften

Die Abschnitte A bis U sind in Abteilungen, Gruppen, Klassen und Unterklassen weiter untergliedert. Das Klassifikationsschema weist insgesamt 839 Unterklassen der Abschnitte aus und erlaubt somit eine tiefgehende Unterscheidung von Unternehmen.

12.1.2 Unternehmensgre
Eine weitere Gliederungsvariante benutzt die Unternehmensgre und grenzt Unternehmen nach quantitativen Kriterien voneinander ab. Als quantitative Gren werden die Zahl der Beschftigten und die Hhe des Jahresumsatzes eines Unternehmens genutzt. Hiermit knnen Unternehmen in drei Grenklassen eingeteilt werden. Man unterscheidet kleine, mittelgroe und groe Unternehmen. Ein prominentes Raster, das auch fr die Definition des Mittelstandsbegriffs (KMU) eingesetzt wird, hat das Institut fr Mittelstandsforschung (IfM) mit Sitz in Bonn vorgeschlagen. Die folgende Abbildung 71 zeigt die gelufige Gliederungsmglichkeit von Unternehmen nach Grenklassen des IfM.

Abbildung 71:

Gliederung von Unternehmen nach Grenklassen entsprechend der Definition des IfM

Unternehmensgre kleine Unternehmen mittelgroe Unternehmen Mittelstand (KMU) zusammen Grounternehmen

Zahl der Beschftigten bis neun Beschftigte zehn bis 499 Beschftigte bis 499 Beschftigte 500 und mehr Beschftigte

Jahresumsatz bis eine Million Euro eine bis 50 Millionen Euro bis 50 Millionen Euro ab 50 Millionen Euro

Quelle: Institut fr Mittelstandsforschung (IfM) Bonn.

473

12

Gliederung der Unternehmen und Unternehmensverbindungen

Im Jahr 2007 gehrten nach Definition des IfM 99,7 % der Unternehmen zur Klasse KMU. Sie erwirtschaften 37,5 % aller Umstze und der Anteil der Beschftigten in kleinen und mittleren Unternehmen betrug 70,6 % aller Beschftigten. Fr die Beantragung von Mitteln aus KMU-Frderprogrammen der Europischen Gemeinschaft ist es fr interessierte Unternehmen wichtig, den KMU-Status entsprechend der KMU-Definition der Europischen Kommission nachzuweisen. Seit dem Jahr 2005 gelten in der EU zur Systematisierung der Unternehmen in mittlere, kleine und Kleinstunternehmen die folgenden, aus Abbildung 72 zu entnehmenden Schwellenwerte fr die Mitarbeiterzahl, den Jahresumsatz oder alternativ zum Jahresumsatz die Jahresbilanzsumme.1209

Abbildung 72:

KMU-Definition der Europischen Kommission

Unternehmensgre Mittleres Unternehmen Kleines Unternehmen KleinstUnternehmen

Zahl der Beschftigten < 250 < 50 < 10

Jahresumsatz

Jahresbilanzsumme

43 Mio. und 50 Mio. oder Euro Euro

und 10 Mio. oder 10 Mio. Euro Euro und 2 Mio.


Euro

oder

2 Mio. Euro

Quelle: Europische Kommission (2006) S. 14.

12.1.3 Technisch-konomische Unternehmensstruktur und Mrkte


Andere Unternehmenssystematiken stellen auf die technisch-konomische Unternehmensstruktur ab. Als Unterscheidungsmerkmale werden der im Unternehmen dominierende Produktionsfaktor, der Fertigungstyp oder das im Unternehmen eingesetzte Fertigungsverfahren genutzt. In Abhngigkeit von dem hauptschlich eingesetzten Produktionsfaktor lassen sich personal-, anlagen-, material- und energieintensive Unternehmen unterscheiden. Dienstleistungsunternehmen sind personalintensive Unternehmen und zeichnen sich durch hohe Lohnkosten aus. Strom produzierende Unternehmen arbeiten anlagenintensiv. Hohe Investitionsausgaben sind ein charakteristisches Merkmal dieser Unternehmen. Bei Unternehmen der Baubranche liegen die
1209 Vgl. Europische Kommission (2006) S. 14.

474

Gliederung der Unternehmen

12.1

Materialkosten hher als bei Unternehmen, die in anderen Branchen ttig sind, und Aluminium herstellende Unternehmen mssen mit hohen Energiekosten kalkulieren. Mithilfe des Kriteriums Fertigungstyp lassen sich Unternehmen, die Einzelfertigung betreiben, von jenen unterscheiden, die ihre Produkte in Mehrfachfertigung (Massenfertigung oder Serienfertigung) herstellen. Stellt man auf die zum Einsatz gebrachten Fertigungsverfahren ab, so lassen sich Unternehmen mit Werkstattfertigung (die zu fertigenden Produkte werden entlang der installierten Maschinen nach Bedarf umhergeschoben) von Unternehmen mit Fliefertigung (Maschinen sind entsprechend der aufeinander folgenden Produktionsschritte angeordnet, die zu fertigenden Produkte durchlaufen die einzelnen Produktionsschritte) unterscheiden. Eine weitere Gliederungsvariante von Unternehmen orientiert sich an den Mrkten, auf denen Unternehmen ttig sind. Mithilfe dieses Merkmals werden auf regionalen Mrkten aktive Unternehmen von national oder international agierenden Unternehmen unterschieden.

12.1.4 Rechtsformen
Die Systematisierung von Unternehmen nach ihrer Rechtsform verdeutlicht, dass Unternehmen nicht nur Wirtschaftsgebilde darstellen, sondern auch rechtliche Einheiten sind. Rechtsformen regeln die Rechtsbeziehungen von Unternehmen zu ihrer Umwelt (uere Form) und die Organisation von Unternehmen (innere Form). Die Wahl der Rechtsform ist eine grundlegende strategische und damit langfristig wirksame unternehmenspolitische Entscheidung. Nur bei nderung wesentlicher Einflussgren wird daher ein Rechtsformenwechsel vorgenommen. Rechtsformen sind zentrales Element der Unternehmensverfassung und bestimmen das wirtschaftliche Handeln in Unternehmen. Es knnen ffentlich-rechtliche von privatrechtlichen Rechtsformen unterschieden werden. Fr private Unternehmen sind die ffentlich-rechtlichen Formen weniger wichtig. Fr sie kommen insbesondere die privatrechtlichen Rechtsformen infrage. Diese werden eingeteilt in Einzelunternehmen und Gesellschaften. Die Abbildung 73 liefert eine bersicht ber Rechtsformen ffentlicher Unternehmen, Abbildung 74 leistet dies fr alternative Rechtsformen privater Unternehmen.

475

12

Gliederung der Unternehmen und Unternehmensverbindungen

Abbildung 73:

Rechtsformen ffentlicher Unternehmen

ffentliche Unternehmen Unternehmen, die sich vollstndig oder berwiegend im Eigentum der ffentlichen Hand (Bund, Land, Gemeinde, sonstige Krperschaften des ffentlichen Rechts) befinden.

ffentliche Unternehmen ohne eigene Rechtspersnlichkeit

ffentliche Unternehmen mit eigener Rechtspersnlichkeit juristische Personen in ffentlich-rechtlicher Form, Krperschaften, Anstalten, Stiftungen juristische Personen in privatrechtlicher Form

verwaltungsmig unselbststndige und in den Trger wirtschaftlich eingegliederte Unternehmen = Regiebetriebe verwaltungsmig und wirtschaftlich selbststndige Unternehmen = Eigenbetriebe

Abbildung 74:

Rechtsformen privater Unternehmen

Einzelunternehmen (Einzelkaufmann)

Gesellschaften

Personengesellschaften

Kapitalgesellschaften

Mischformen von Personenund Kapitalgesellschaft

Nicht eindeutig zuordenbare Rechtsformen

Gesellschaft des brgerlichen Rechts (GbR) Offene Handelsgesellschaft (OHG) Kommanditgesellschaft (KG) Stille Gesellschaft (Innengesellschaft)

Aktiengesellschaft (AG) Societas Europaea (SE) (Europa AG) Gesellschaft mit beschrnkter Haftung (GmbH) Private Limited Company (Ltd.)

Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) AG & Co. KG KG wird von AG gefhrt GmbH & Co. KG KG wird von GmbH gefhrt

Eingetragene Genossenschaft (eG) Rechtsfhige, Wirtschaftliche Vereine

Stiftungen des privaten Rechts

476

Unternehmensverbindungen

12.2

Die fnf wichtigsten privaten Rechtsformen von Unternehmen sind: Einzelunternehmen, OHG, KG, GmbH und AG. Merkmale, die zur nheren Beschreibung dieser Rechtsformen eingesetzt werden, sind: ihre gesetzliche Grundlage, die Bezeichnung der (Mit-)Eigentmer, die Mindestzahl der Unternehmensgrnder, das vorgeschriebene Haftungskapital, Regelung der Haftung, ertragsteuerliche Belastung, Finanzierungspotenzial, Leitungsbefugnis, Bedeutung der Rechtsformen.1210 Da aus Platzgrnden hier nicht nher auf die charakteristischen Ausprgungen der aufgelisteten Merkmale der fnf wichtigsten Rechtsformen eingegangen werden kann, sei der interessierte Leser auf den berblick, den Schierenbeck und Whle mit zwei bersichtlichen Abbildungen liefern, verwiesen.1211

12.1.5 Kombinationen der Gliederungskriterien mit funktionalen und genetischen Aspekten


Die vorgefhrten Unternehmenssystematiken (institutionelle Gliederung, Gliederung der Unternehmen nach Gre, nach der technisch konomischen Unternehmensstruktur, nach Mrkten, nach ihren Rechtsformen) knnen miteinander und mit der Aufteilung von Unternehmen in Funktionsbereiche kombiniert werden. Entlang dieser Kombinationen haben sich spezielle Betriebswirtschaftslehren entwickelt. Kombiniert man z.B. die institutionelle Gliederung der Unternehmen mit ihren Funktionsbereichen, erhlt man beispielsweise Betriebswirtschaftslehren, die sich auf das Rechnungswesen der Industrieunternehmen oder auf die Organisation und Planung der Banken oder auf das Marketing der Handwerksunternehmen oder auf das Rechnungswesen ffentlicher Unternehmen konzentrieren. Nimmt man noch die Mglichkeit der genetischen Systematisierung von Unternehmen hinzu, die Unternehmen nach ihrem Lebenslauf einteilt, nmlich in Unternehmen, die sich in der Grndungsphase, der Umsatzphase oder der Liquidation bzw. der Auflsungsphase befinden, so gelangt man zu einer weiteren Spezialisierung betriebswirtschaftlicher Analysen. Grundlage smtlicher speziellen Betriebswirtschaftslehren bilden Erkenntnisse der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre.

12.2 Unternehmensverbindungen
Unter Unternehmensverbindungen sind wirtschaftliche Verflechtungen zweier oder mehrerer rechtlich selbststndiger Unternehmen zu verstehen, die ber laufende Lieferungs- und Leistungsbeziehungen hinausgehen und damit die wirtschaftliche Selbststndigkeit mindestens eines Unternehmens einschrnken.

1210 Vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 37. 1211 Vgl. Schierenbeck/Whle (2008) S. 38 f.

477

12

Gliederung der Unternehmen und Unternehmensverbindungen

Unternehmen, die sich miteinander verbinden, tun dies, um Vorteile gegenber dem unverbundenen Zustand zu erzielen. Vorteile werden bei der Erledigung der Formal-, Sach- und/oder Managementaufgaben erwartet. Bezogen auf die Formalaufgaben werden Unternehmensverbindungen eingegangen, um eine Umsatzsteigerung und/oder eine Verringerung der Kosten zu realisieren, so dass sich die Wirtschaftlichkeit, der Gewinn bzw. die Rentabilitt erhht. Dies soll durch die Ausnutzung von Synergien sichergestellt werden. So knnen Abteilungen zusammengelegt und das Wissen ber Mrkte, Produktionsverfahren usw. ausgetauscht werden. Derart lassen sich Schwchen reduzieren und Strken ausbauen. Darber hinaus rechnet man durch eine gemeinsame Produkt- und Marktbearbeitung mit hheren Chancen und geringeren Risiken auf den Mrkten. Abgesehen von den positiven Gewinnerwartungen schlieen sich Unternehmen zusammen, um ihre Liquiditt zu sichern oder ihren Unternehmenswert zu erhhen. Unternehmen verbinden sich auch, um ihre Sachaufgaben besser erledigen zu knnen. Fr smtliche Funktionsbereiche werden positive Effekte durch die Verbindung erwartet. Unternehmensverbindungen im Beschaffungsbereich sollen durch Strkung der Verhandlungsposition gegenber Lieferanten oder durch eine Verbindung mit Unternehmen vorgelagerter Produktionsstufen Einsparpotenziale mobilisieren. Im Produktionsbereich soll die Verbindung zu einer Optimierung der Produktionsprozesse fhren. Im Absatz und Marketing verbundene Unternehmen erwarten erhhte Absatzmglichkeiten durch Anwendung der folgenden, von Ansoff klassifizierten, Wachstumsstrategien.1212 Fr bereits bestehende Produkte kann auf schon bestehenden Mrkten z.B. durch die Einrichtung eines gemeinsamen Vertriebsnetzes und abgestimmte Marketingmanahmen die Markt-Durchdringung gesteigert werden. Eine weitere Mglichkeit, im Absatzbereich Vorteile zu realisieren, besteht (nicht nur) fr verbundene Unternehmen darin, fr ihre Produkte neue z.B. auslndische Mrkte zu erschlieen (Markt-Erweiterung). ber die Nutzung von gemeinsamem Forschungswissen knnen neue Produkte entwickelt und auf bestehenden Mrkten abgesetzt werden (Produkt-Entwicklung). Schlielich kann eine Absatzsteigerung erreicht werden, wenn neue Produkte auf neuen Mrkten Absatz finden (Diversifikation). Ein Zusammenschluss von Unternehmen kann im Finanzierungsbereich notwendig werden, wenn die finanzielle Belastung, um Groprojekte durchzufhren, von einem Unternehmen allein nicht zu stemmen ist, denn durch den Zusammenschluss entstehen neue Finanzierungsmglichkeiten. Eigenmittel knnen zusammengelegt, eigene Aktien herausgegeben werden und/oder die Kreditwrdigkeit erhht werden. Bezogen auf die Management- und Verwaltungsaufgaben erwarten Unternehmen ebenfalls Vorteile. Durch eine einheitliche Planung und Leitung bestimmter Funkti-

1212 Vgl. Ansoff (1965) S. 98 f.

478

Unternehmensverbindungen

12.2

onsbereiche der miteinander verbundenen Unternehmen knnen Overhead-Kosten eingespart werden. Die betriebswirtschaftliche Literatur klassifiziert Unternehmensverbindungen nach der Richtung ihrer leistungswirtschaftlichen Verflechtung und nach der Intensitt der Unternehmensverbindung. Das Intensitts-Kriterium wird weiter untergliedert in Unternehmenskonzentrationen und Unternehmenskooperationen. Einzelheiten sind aus Abbildung 75 zu entnehmen.

Abbildung 75:

Klassifikation von Unternehmensverbindungen

nach der Richtung leistungswirtschaftlicher Verflechtung Horizontale Unternehmensverbindungen (auf derselben Produktionsstufe) Vertikale Unternehmensverbindungen (auf der vor- oder nachgelagerten Produktionsstufe) Konglomerate Unternehmensverbindungen (auf verschiedenen Produktionsstufen) Mischkonzerne

nach der Intensitt der Unternehmensverbindung

Unternehmenskonzentration (wirtschaftliche und/oder rechtliche Selbstndigkeit wird aufgegeben) Konzern ( 18 AktG) Mutter- und Tochterkonzern Fusionen (wirtschaftliche und rechtliche Selbstndigkeit wird aufgegeben) Weitere verbundene Unternehmen: Joint Venture, Trust, Syndikat

Unternehmenskooperationen freiwillige Verbindung Kooperationen ohne wettbewerbsbeschrnkende Wirkung Arbeitsgemeinschaften (Konsortien) strategische Allianzen (mit zeitlicher Begrenzung) Funktionsgemeinschaften (ohne zeitliche Begrenzung) Kooperationen mit wettbewerbsbeschrnkender Wirkung - Kartellverbot -

Auf die Mglichkeiten der rechtlichen Ausgestaltung von Unternehmensverbindungen kann hier genauso wenig eingegangen werden wie auf Fragen, die ab einer gewissen Grenordnung einer Unternehmensverbindung relevant werden. Gemeint sind abgestimmte Verhaltensweisen oder Beschlsse verbundener Unternehmen, bei denen die Gefahr besteht, dass durch sie der Wettbewerb eingeschrnkt wird. In diesen Fllen sind die europische Zusammenschlusskontrolle sowie das deutsche Kartellrecht anzuwenden.

479

Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

Aaken, A. van (2004): Vom Nutzen der konomischen Theorie fr das ffentliche Recht: Methode und Anwendungsmglichkeiten, in: Bungenberg, M. et al.: Recht und konomik, Jena 2004 Adams, M. (2004): konomische Theorie des Rechts. Konzepte und Anwendungen, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2004 Aereboe, F. (1917): Allgemeine landwirtschaftliche Betriebslehre, Berlin 1917 Aereboe, F. (1953): Kleine landwirtschaftliche Betriebslehre. Ein Lehrbuch fr landwirtschaftliche Schulen und eine Einfhrung fr den praktischen Landwirt, 2. Aufl., Hamburg, Berlin 1953 (1. Aufl. 1920) Akerlof, G. A., Shiller, R. J. (2009): Animal Spirits. How human psychology drives the economy and why it matters for global capitalism, Princeton 2009 Albach, H. (1994): Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft vom Management, in: Wunderer, R. (1994): Betriebswirtschaftslehre als Management- und Fhrungslehre, Stuttgart 1994, S. 81-89 Albach, H. (2005): Betriebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik!, in: Zeitschrift fr Betriebswirtschaft, 2005 (75) 9, S. 809-831 Albach, H. (2007): Unternehmenstheorie und Unternehmensethik, in: Schwalbach, J., Fandel, G. (Hrsg.): Der Ehrbare Kaufmann: Modernes Leitbild fr Unternehmer? Zeitschrift fr Betriebswirtschaft-Special Issue, 2007 (1), S. 1-14 Albert, H. (1967): Marktsoziologie und Entscheidungslogik. konomische Probleme in soziologischer Perspektive, Neuwied, Berlin 1967 Albert, H. (1971): Pldoyer fr Kritischen Rationalismus, Mnchen 1971 Alberti, L. B. (1962): ber das Hauswesen, Zrich 1962 (Original: Libri della famiglia/ Bcher ber die Familie, EA um 1450) Albertus Magnus (1507): Summa theologiae/Summe der Theologie, in: Opera omnia, hrsg. von Siedler, 1978 (34/35) (EA Basel 1507 entstanden nach 1270, Teil II wurde nach 1274 vollendet) Alchian, A. A. (1961): Some Economics of Property, Santa Monica, CA 1961 Alchian, A. A., Demsetz, H. (1972): Production, Information Costs, and Economic Organization, in: American Economic Review, 1972 (72), S. 777-795 Alderfer, C. A. (1972): Existence, Relatedness, and Growth. Human Needs in Organizational Settings, New York 1972 Ansoff, H. I. (1965): Corporate Strategy: An analytic approach to business policy for growth and expansion, New York 1965 Argyris, Ch. (1957): Personality and Organization, New York 1957 Argyris, Ch. (1985): Strategy, change and defensive routines, Boston et al. 1985 Aristoteles (1981): Politik, 4. Aufl., Mnchen 1981

481
M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Literaturverzeichnis

Aristoteles (2006): Die Nikomachische Ethik, Aus dem Griechischen und mit einer Einfhrung und Erluterungen versehen von Gigon, O., 7. Aufl., Mnchen 2006 Arrow, K. J. (1963): Social Choice and Individual Values, 2. Aufl., New York 1963 (1. Aufl. 1951) Arrow, K. J., Debreu, G. (1954): The Existence of an Equilibrium for a Competitive Economy, in: Econometrica, 1954 (22), S. 265-290 Arrow, K. J., Hahn, F. H. (1971): General Competitive Analysis, San Francisco, Edinburgh 1971 Arrow, K. J., Sen A. K., Suzumura, K. (Hrsg.) (2002): Handbook of Social Choice and Welfare. Vol. 1, Amsterdam 2002 Asch, S. E. (1955): Opinions and social pressure, in: Scientific American, 1955 (193), S. 31-35 Ashby, W. R. (1956): An Introduction to Cybernetics, London 1956 (deutsche bersetzung: Einfhrung in die Kybernetik, Frankfurt a. M. 1974) Atkinson, J. W. (1975): Einfhrung in die Motivationsforschung, Stuttgart 1975 Autorenkollektiv (1971): Politische konomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR, Berlin (DDR) 1971 Autorenkollektiv (1973): Sozialistische Betriebswirtschaftslehre Lehrbuch, 2. Aufl., Berlin (DDR) 1973 Axelrod, R. (2000): Die Evolution der Kooperation, 5. Aufl., Mnchen 2000 (Original: The Evolution of Cooperation, New York 1984) Azpilcueta, M. de (1556): Comentario resolutorio de cambios/Entscheidender Kommentar zu den Wechselgeschften, Salamanca 1556 (Nachdruck Dsseldorf 1998; dt. in: Vademecum zu zwei Klassikern des spanischen Wirtschaftsdenkens, Dsseldorf 1998, S. 75-88) Baecker, D. (1993): Kybernetik zweiter Ordnung, in: Foerster, H. von (1993): Wissen und Gewissen. Versuch einer Brcke, Frankfurt a. M. 1993, S. 17-23 Baecker, D. (1994): Postheroisches Management, Berlin 1994 Baecker, D. (1999): Die Form des Unternehmens, Frankfurt a. M. 1999 Baecker, D. (2003): Organisation und Management, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2003 Baecker, D. (Hrsg.) (2005): Schlsselwerke der Systemtheorie, Wiesbaden 2005 Baetge, J. (1992): Kybernetik. Die Systeme und ihre Gesetzmigkeiten, in: Kting, K., Schnorbus, A. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre heute, Frankfurt a. M. 1992, S. 23-25 Bamberg, G., Coenenberg, A. G., Krapp, M. (2008): Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 14. Aufl., Mnchen 2008 Bandura, A. (1979): Sozial-kognitive Lerntheorie, Stuttgart 1979 (Original: Social learning, theory, Englewood Cliffs, N. J. 1977) Baraldi, C., Corsi, G., Esposito, E. (1999): GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a. M. 1999 (1. Aufl. 1997) Bardmann, M. (1986): Die Preistypdebatte, ihre Grundlagen und ihr Einfluss auf die praktische Ausgestaltung des Preissystems der DDR, Berlin 1986 Bardmann, M. (1988): Grundlagen einer Theorie konomischer Leitung und Planung, Mnster 1988

482

Literaturverzeichnis

Bardmann, T. M., Lamprecht A. (1999): Systemtheorie verstehen. Eine multimediale Einfhrung in systemisches Denken, Wiesbaden 1999 Barnard, C. I. (1970): Die Fhrung groer Organisationen, Essen 1970 (bersetzung der 17. Aufl. des Buches: The functions of the executive. Cambridge, Mass., 1. Aufl. 1938) Bateson, G. (1981): Form, Substanz und Differenz, in: Bateson, G.: kologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt a. M. 1981, S. 576-599 (Original: Steps to an ecology of mind, New York 1972) Baumstark, E. (1835): Kameralistische Encyclopdie, Heidelberg, Leipzig 1835 (Nachdruck Glashtten 1975) Bazerman, M. (1984): The relevance of Kahneman and Tverskys concept of framing to organizational behavior, in: Journal of Management, 1984 (10), S. 333-343 Bea, F. X. (2005): Einleitung: Fhrung, in: Bea, F. X., Friedl, B., Schweitzer, M. (Hrsg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Bd. 2: Fhrung, 9. Aufl., Stuttgart 2005, S. 1-15 Bea, F. X., Friedl, B., Schweitzer, M. (Hrsg.) (2009): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Bd. 1: Grundfragen, 10. Aufl., Stuttgart 2009 Becker, G. N., Becker, G. S. (1998): The Economics of Life, New York 1998 Becker, G. S. (1993): Der konomische Ansatz zur Erklrung menschlichen Verhaltens, 2. Aufl., Tbingen 1993 (1. Aufl. 1983) Beer, S. (1962a): Kybernetik und Management, Frankfurt a. M. 1962 (Original: Cybernetics and Management, London 1959) Beer, S. (1962b): Towards the Cybernetic Factory, in: Foerster, H. von, Zopf, G. W.: Principles of Self-Organization, Oxford 1962. Berghaus, M. (2004): Luhmann leicht gemacht. Eine Einfhrung in die Systemtheorie, 2. Aufl., Kln, Weimar, Wien 2004 (1. Aufl. 2003) Berle, A. A., Means, G. C. (1932): Modern Corporation and Private Property, New York 1932 Bernoulli, D. (1967): Specimen Theoriae Novae De Mensura Sortis, Farnborough 1967 (Erstmals erschienen in: Commentarii academiae scientiarum imperialis Petropolitane V., St. Petersburg 1738, S. 175-192. dt.: Versuch einer neuen Theorie der Wertbestimmung von Glcksfllen. Aus dem Lateinischen bersetzt und mit Erluterungen versehen von Professor Dr. Alfred Pringsheim. Mit einer Einleitung von Dr. Ludwig Fick, Leipzig 1896) Bernoulli, J. (1713): Ars conjectandi, EA Basel 1713 (lat. in: Werke Bd. 3 Basel 1975; dt.: Wahrscheinlichkeitsrechnung, Leipzig 1899, Neudruck Thun 1999) Bertalanffy, L. von (1932): Theoretische Biologie I. Band: Allgemeine Theorie, Physikochemie, Aufbau und Entwicklung des Organismus, Berlin 1932 Bertalanffy, L. von (1940): Der Organismus als physikalisches System betrachtet, in: Die Naturwissenschaften, 1940 (28), S. 521-531 Bertalanffy, L. von (1945): Zu einer allgemeinen Systemlehre, in: Deutsche Zeitschrift fr Philosophie, 1945 (18) 3/4 (Nachdruck in: Bleicher, K. (Hrsg.): Organisation als System, Wiesbaden 1972, S. 31-45) Bertalanffy, L. von (1949): Zu einer allgemeinen Systemtheorie, in: Biologica Generalis, 1949 (19), S. 114-129

483

Literaturverzeichnis

Bertalanffy, L. von (1953): Biophysik des Fliegleichgewichts. Einfhrung in die Physik offener Systeme und ihre Anwendung in der Biologie, Braunschweig 1953 Bertalanffy, L. von (1972): Systemtheorie, Berlin 1972 Bertalanffy, L. von (2001): General system theory: Foundations, Development, Applications, New York 2001 (1. Aufl., New York 1968) Berthel, J. (1973): Zielorientierte Unternehmenssteuerung, Stuttgart 1973 Bestmann, U. (1990): Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, 5. Aufl., Mnchen, Wien 1992 Bleicher, K. (1994): Leitbilder: Orientierungsrahmen fr eine integrative Managementphilosophie, 2. Aufl., Suttgart 1994 Bleicher, K. (2004): Das Konzept integriertes Management. Visionen Missionen Programme, 7. Aufl., Frankfurt a. M., New York 2004 Boettcher, E. (1974): Kooperation und Demokratie in der Wirtschaft, Tbingen 1974 Bhm-Bawerk, E. von (1914): Macht oder konomisches Gesetz?, in: Zeitschrift fr Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, 1914 (23), S. 205-271 Bhm-Bawerk, E. von (1975): Positive Theorie des Kapitales. Kapital und Kapitalzins: Zweite Abtheilung, Stuttgart 1991 (Faks. d. EA Innsbruck 1889) Bhm-Bawerk, E. von (1994): Geschichte und Kritik der Kapitalzins-Theorieen. Kapital und Kapitalzins: Erste Abteilung. Stuttgart 1994 (Faks. d. EA Innsbruck 1884) Bonus, H. (1980): Neue Politische konomie und ffentliche Gter, in: Boettcher, E., Herder-Dorneich, P., Schenk, K-E. (Hrsg.): Neue Politische konomie als Ordnungstheorie, Tbingen 1980, S. 153-172 Boulding, K. E. (1966): The Economics of the Coming Spaceship Earth, in: Jarrett, H. (Hrsg.): Environmental Quality in a Growing Economy. Essays from the Sixth RFF Forum, Baltimore 1966, S. 3-14 Brede, H. (2005): Grundzge der ffentlichen Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl., Mnchen 2005 Bretzke, W-R. (1983): Homo Oeconomicus. Bemerkungen zur Rehabilitation einer Kunstfigur konomischen Denkens, in: Kappler, E. (Hrsg.): Rekonstruktion der Betriebswirtschaftslehre als konomische Theorie, Karlsruhe 1983 Brockhoff, K. (2009): Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte. Eine Skizze, Wiesbaden 2009 Brockhoff, K. (Hrsg.) (2002): Geschichte der Betriebswirtschaftslehre. Kommentierte Meilensteine und Originaltexte, 2. Aufl., Wiesbaden 2002 Buchanan, J. M. (1968): The Demand and Supply of Public Goods, Chicago 1968 Buchanan, J. M. (1975): The Limits of Liberty Between Anarchy and Leviathan, Chicago 1975 (dt.: Die Grenzen der Freiheit. Zwischen Anarchie und Leviathan, Tbingen 1984) Bhl, W. L. (1987): Grenzen der Autopoiesis, in: Klner Zeitschrift fr Soziologie und Sozialpsychologie, 1987 (39), S. 225-254 Campbell, J. P. et al. (1970): Managerial behavior, performance, and effectiveness, New York et al. 1970 Cato, Marcus Porcius, der ltere (1982): De agricultura/Vom Landbau, Leipzig 1982 (entstanden ca. 154 vor Chr.; EA Venedig 1472; dt. Halle 1787)

484

Literaturverzeichnis

Chafuen, A. A. (2003): Faith and Liberty. The Economic Thought of the Late Scholastics, Lanham, Md. 2003 Chandler, A. D. jr. (1962): Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise, Cambridge, Mass. 1962 Coase, R. H. (1937): The Nature of the Firm, in: Economica N.S., 1937 (4), S. 386-405 Coase, R. H. (1960): The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics, 1960 (3), S. 1-44 Coenenberg, A. G., Fischer, T. M., Gnther, T. (2009a): Kostenrechnung und Kostenanalyse, 7. Aufl., Stuttgart 2009 Coenenberg, A. G., Haller, A., Mattner, G., Schultze, W. (2009b): Einfhrung in das Rechnungswesen, 3. Aufl., Stuttgart 2009 Columella, L. I. M. (1472): De re rustica/ber die Landwirtschaft. EA Venedig 1472 (12 Bcher; entstanden im 1. Jh. nach Chr.; lat.-dt.: Mnchen, Zrich 1981-1983) Commons, J. R. (1931): Institutional Economics, in: The American Economic Review, 1931 (21), S. 648-657 Commons, J. R. (1934): Institutional Economics, Madison, WI 1934 Corsten, H. (Hrsg.) (2000): Lexikon der Betriebswirtschaftslehre, 4. Aufl., Mnchen, Wien 2000 Cotrugli, B. (1990): Il libro dellarte di mercatura, ltestes erhaltenes Manuskript 1475 (Entstanden 1458; Neuausgabe Venedig 1990; dt.: Buch ber die Kunst des Handels) Cournot, A. (1924): Untersuchungen ber die mathematischen Grundlagen der Theorie des Reichtums, Jena 1924 (Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister, bersetzt von Waffenschmidt, W. G.; unter dem Original: Recherches sur les principes mathmatiques de la thorie des richesses, verffentlicht 1838) Cyert, R. M., March, J. G. (2001): A Behavioral Theory of the Firm, Nachdruck der 2. Aufl. von 1992, Malden, Mass. USA, Oxford, UK 2001 (1. Aufl., New Jersey 1963) Dahrendorf, R. (1995): ber den Brgerstatus, in: Van den Brink, B.; Van Reijen, W. (Hrsg.): Brgergesellschaft, Recht und Demokratie, Frankfurt a. M. 1995, S. 29-43 Damasio, A. R. (2004): Descartes' Irrtum: Fhlen, Denken und das menschliche Gehirn, Berlin 2004 (Original: Descartes' Error: Emotion, Reason, and the Human Brain, New York 1994) Debreu, G. (1959): Theory of Value. An Axiomatic Analysis of Economic Equilibrium, New Haven, London 1959 Defoe, D. (1719): The Life and strange surprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner, etc., EA London 1719 (dt.: Dsseldorf 2001) Demsetz, H. (1967): Towards a Theory of Property Rights, in: American Economic Review, 1967 (57), S. 347-359 Derrida, J. (1967a): De la Grammatologie, Paris 1967 (dt.: Grammatologie, Frankfurt a. M. 1983, 6. Aufl., 1996) Derrida, J. (1967b): Lcriture et la diffrence, Paris 1967 (dt.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M. 1972 und 1976) Derrida, J. (1993): Falschgeld. Zeit Geben I., Mnchen 1993

485

Literaturverzeichnis

Deutscher Sparkassen und Giroverband (Hrsg.) (2007): Diagnose Mittelstand. Deutsche Unternehmen auf der berholspur starke Partnerschaft von Mittelstand und Hausbank, Berlin 2007 Dieckmann, J. (2004): Luhmann-Lehrbuch, Paderborn 2004 Downs, A. (1957): An Economic Theory of Democracy, New York 1957 Durkheim, E. (1965): Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied, Berlin 1965 Emminghaus, K. B. A. (1868): Allgemeine Gewerkslehre, Berlin 1868 Enderle, G. (1988): Wirtschaftsethik im Werden. Anstze und Problembereiche der Wirtschaftsethik, Stuttgart 1988 Enderle, G. (1993): Handlungsorientierte Wirtschaftsethik. Grundlagen und Anwendungen, in: St. Galler Beitrge zur Wirtschaftsethik, Bd. 8, Bern, Stuttgart, Wien 1993 Erikson, E. (1965): Kindheit und Gesellschaft, Stuttgart 1965 Eschenburg, R. (1978): Mikrokonomische Aspekte von Property Rights, in: Schenk, R.-E. (Hrsg.): konomische Verfgungsrechte und Allokationsmechanismen, Berlin 1978, S. 9-27. Etzioni, A. (1967): Soziologie der Organisation, Mnchen 1967 (Original: Modern Organizations, 1968) Etzioni, A. (1975): Die aktive Gesellschaft Eine Theorie gesellschaftlicher und politischer Prozesse, Opladen 1975 (Original: The Active Society. A Theory of Societal and Political Processes, London 1968) Eucken, W. (1950): Die Grundlagen der Nationalkonomie, 6. Aufl., Berlin, Gttingen, Heidelberg 1950 (1. Aufl., Jena 1940; Nachdruck, Dsseldorf 1990) Eucken, W. (1952): Grundstze der Wirtschaftspolitik, Bern, Tbingen 1952 Europische Kommission (Hrsg.) (2006): Die neue KMU-Definition. Benutzerhandbuch und Mustererklrung, 2006 Ferguson, A. (1986): Versuch ber die Geschichte der brgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1986 (Original: An Essay on the History of Civil Society, Edinburgh 1767) Foerster, H. von (1985): Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie, Braunschweig 1985 (Neuauflage Heidelberg 1999) Foerster, H. von (1993): Wissen und Gewissen. Versuch einer Brcke, Frankfurt a. M. 1993 Foerster, H. von (2003): Understanding Understanding. Essays on Cybernetics and Cognition, New York et al. 2003 Ford, H. (1922): My Life and Work, Garden City, NY 1922 (dt.: Mein Leben und Werk, Leipzig 1923) Fourasti, J. (1989): Le Grand Espoir du XXe sicle. Progrs techniques, progrs conomique, progrs social, Paris 1989 (EA 1949; dt.: Die groe Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Kln 1954) Friedrich, G. et al. (Hrsg.) (1983): Leitung der sozialistischen Wirtschaft Lehrbuch, Berlin (DDR) 1983 Fuchs, P. (2004): Niklas Luhmann beobachtet. Eine Einfhrung in die Systemtheorie, 3. Aufl., Opladen 2004 (1. Aufl. 1992) Furubotn, E., Pejovich, S. (Hrsg.) (1974): The Economics of Property Rights, Cambridge, Mass. 1974

486

Literaturverzeichnis

Gadamer, H.-G. (1990): Wahrheit und Methode. Grundzge einer philosophischen Hermeneutik, 6. Aufl., Tbingen 1990 (1. Aufl., Tbingen 1960) Gaertner, W. (2006): A Primer to Social Choice Theory, Oxford 2006 Galbraith, J. K. (1976): Wirtschaft fr Staat und Gesellschaft, Mnchen, Zrich 1976 (Original: Economics and the Public Purpose, 1973) Gensicke, D. (2008): Luhmann, Stuttgart 2008 Gerken, G. (1992): Manager die Helden des Chaos: Wenn alle Strategien versagen, Dsseldorf, Wien, New York, Moskau 1992 Gesell, S. (1949): Die natrliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nrnberg 1949 (1. Aufl. Bern 1916) Gigerenzer, G., Selten, R. (2002): Bounded rationality: The adaptive toolbox, Cambridge, London 2002 Gleissner, U. (1994): Konzernmanagement. Anstze zur Steuerung diversifizierter internationaler Unternehmen, Mnchen 1994 Gbel, E. (2002): Neue Institutionenkonomik. Konzeption und betriebswirtschaftliche Anwendungen, Stuttgart 2002 Gordon, R. J. (1990): Macroeconomics, 5. Aufl., Glenvill, Ill., London 1990 Gossen, H. H. (1848): Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs, und der daraus flieenden Regeln fr menschliches Handeln, Braunschweig 1848 Granberg, A. G. (1981): Modellierung der sozialistischen Wirtschaft. Theoretische und methodologische Probleme, Berlin (DDR) 1981 Grice-Hutchinson, M. (1952): The School of Salamanca: Readings in Spanish Monetary Theory, 1544-1605, Oxford 1952 Grice-Hutchinson, M. (1993): Economic Thought in Spain. Selected Essays, hrsg. von Moss, V. L. S., Ryan, C. K. Aldershot, 1993 Grieger, J. (1999): Ansatzpunkte und Perspektiven der Rekonstruktion von Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus, Wuppertal 1999 (Arbeitspapiere des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Bergischen Universitt Gesamthochschule Wuppertal Nr. 187) Grochla, E. (1982): Grundlagen der organisatorischen Gestaltung, Stuttgart 1982 Gnther, G. (1976-1980): Beitrge zur Grundlegung einer operationsfhigen Dialektik, 3 Bde., Hamburg 1976-1980 Gnther, G. (1978): Idee und Grundri einer nicht-Aristotelischen Logik, 2. Aufl., Hamburg 1978 (1. Aufl. 1959) Gutenberg, E. (1929): Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin 1929 Gutenberg, E. (1957): Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, Krefeld 1957 (Akademische Festrede, gehalten zur Grndung der Universitt Kln am 22.05.1957) Gutenberg, E. (1962): Unternehmensfhrung,Wiesbaden 1962 Gutenberg, E. (1971): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 1: Die Produktion, 18. neu berarbeitete Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1971 (1. Aufl. 1951) Gutenberg, E. (1972): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 3: Die Finanzen, 5. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1972 (1. Aufl. 1969)

487

Literaturverzeichnis

Gutenberg, E. (1984): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 2: Der Absatz, 17. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1984 (1. Aufl. 1955) Gutenberg, E. (1989): Zur Theorie der Unternehmung. Schriften und Reden von Erich Gutenberg. Aus dem Nachlass hrsg. von Albach, H., Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo 1989 Gutenberg, E. (1990): Einfhrung in die Betriebswirtschaftslehre, unvernderter Nachdruck der 1. Aufl., Nachwort von Albach, H., Wiesbaden 1990 (1. Aufl. 1958) Gutmann, G. (1981): Volkswirtschaftslehre Eine ordnungstheoretische Einfhrung, Stuttgart 1981 Gutmann, G. (1983): Die Wirtschaftsordnung der DDR im Reformexperiment Bemerkungen aus theoretischer Sicht, in: Gutmann, G. (Hrsg.) (1983): Das Wirtschaftssystem der DDR, Stuttgart, New York 1983, S. 3-19 Gyllenhammar, P. G. (1977): People at Work, Reading, Mass. 1977 Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Fankfurt a. M. 1981 Habermas, J. (1991): Erluterungen zur Diskursethik, Fankfurt a. M. 1991 Habert, L. (1982): Controlling-Begriffe und Controlling-Konzeptionen, Frankfurt a. M. 1982 Habisch, A., Schmidpeter, R. Neureiter, M. (Hrsg.) (2007): Handbuch Corporate Citizenship, Berlin, Heidelberg, New York 2007 Haffner, F. (1978): Systemkontrre Beziehungen in der sowjetischen Planwirtschaft. Ein Beitrag zur Theorie der mixed economy, Berlin 1978 Hahn, D. (1987): Controlling Stand und Entwicklungstendenzen unter besonderer Bercksichtigung des CIM-Konzeptes, in: Scheer, A.-W. (Hrsg.): Rechnungswesen und EDV, 8. Saarbrcker Arbeitstagung, Heidelberg 1987, S. 3-39 Hammer, R. M. (1992): Unternehmungsplanung. Lehrbuch der Planung und strategischen Unternehmensfhrung, Mnchen, Wien 1992 Hartwig, K.-H. (1987): Monetre Steuerungsprobleme in sozialistischen Planwirtschaften, Stuttgart 1987 Hax, H. (1993): Unternehmensethik Ordnungselement der Marktwirtschaft?, in: Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 1993 (45), S. 769-779 Hayek, F. A. von (1952): Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach, Zrich 1952 Hayek, F. A. von (1994): Freiburger Studien. Gesammelte Aufstze, 2. Aufl., Tbingen 1994 (1. Aufl. 1969) Heider, F. (1926): Ding und Medium. Symposion, in: Philosophische Zeitschrift fr Forschung und Aussprache, 1926 (1), S. 109-157 Heider, F. (1977): Psychologie der interpersonalen Beziehungen, Stuttgart 1977 (Original: The Psychology of Interpersonal Relations, New York 1958) Heigel, A. (1989): Controlling Interne Revision, 2. Aufl., Stuttgart, New York 1989 Heine, M., Herr, H-J. (2003): Volkswirtschaftslehre: Paradigmenorientierte Einfhrung in die Mikro- und Makrokonomie, Mnchen 2003 (1. Aufl. 1999) Heinen, E. (1969): Zum Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift fr Betriebswirtschaftslehre, 1969 (39), S. 207-220

488

Literaturverzeichnis

Heinen, E. (1974): Industriebetriebslehre. Entscheidungen im Industriebetrieb, 3. Aufl., Wiesbaden 1974 (1. Aufl. 1972) Heinen, E. (1976a): Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, Mnchen 1976 Heinen, E. (1976b): Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen. Das Zielsystem der Unternehmung, Mnchen 1976 Heinen, E. (1992a): Fhrung als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre, in: Heinen (Hrsg.) (1992): Betriebswirtschaftliche Fhrungslehre. Grundbegriffe Strategien Modelle, 2. Aufl., Wiesbaden 1992, S. 19-49 (1. Aufl. 1978) Heinen, E. (1992b): Einfhrung in die Betriebswirtschaftslehre, 9. Aufl., Wiesbaden 1992 (1. Aufl. 1968) Helson, H. (1964): Adaptation level theory: An experimental and systematic approach to behavior, New York 1964 Hempel, C. G., Oppenheim, P. (1948): Studies in the Logic of Explanation, in: Philosophy of Science, 1948 (15) 2, S. 135-175 Hensel, K. P. (1963): Planwirtschaft, in: Handwrterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 8, Stuttgart, Tbingen, Gttingen 1964, S. 325-338 Hensel, K. P. (1970): Das Verhltnis von Allokations- und Wirtschaftssystemen, in: Hamel, H. (Hrsg.) (1977): Systemvergleich als Aufgabe. Aufstze und Vortrge von R. Paul Hensel, Stuttgart, New York 1977, S. 11-23 Hensel, K. P. (1977): Die Funktionen der Gewerkschaften in Ost und West, in: Hamel, H. (Hrsg.) (1977): Systemvergleich als Aufgabe. Aufstze und Vortrge von R. Paul Hensel, Stuttgart, New York 1977, S. 110-120 Hensel, K. P. (1979): Einfhrung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, 3. Aufl. Stuttgart, New York 1979 Herzberg, F. (1966): Work and the nature of man, Cleveland 1966 Herzberg, F. (1972): One more time: How do you motivate employees?, in: Davis, L. E., Taylor, J. (Hrsg.) Job design, Harmondsworth 1972, S. 113-125 Hobbes, Th. (1996): Leviathan [oder von Materie, Form und Gewalt des kirchlichen und brgerlichen Staates], Hamburg 1996 (Original: Leviathan or the matter, form, and power of a commonwealth ecclesiastical and civil, London 1651) Hoffmann, F. (1972): Merkmale der Fhrungsorganisation amerikanischer Unternehmen Auszge aus den Ergebnissen einer Forschungsreise 1970, in: Zeitschrift fr Fhrung und Organisation, 1972 (41), S. 3-8, S. 85-89 und S. 145-148 Homann, K. (2002): Vorteile und Anreize. Zur Grundlegung einer Ethik der Zukunft, Tbingen 2002 Homann, K. (2006): Die konomik als Fortsetzung der Ethik mit anderen Mitteln, in: Hilpert, K., Bohrmann, T. (Hrsg.): Solidarische Gesellschaft. Christliche Sozialethik als Auftrag zur Weltgestaltung im Konkreten. Festschrift fr Alois Baumgartner, Regensburg 2006, S. 181-194 Homann, K. (2007): Moral oder konomisches Gesetz?, in: Pies, I. (Hrsg.) (2007): Diskussionspapier Nr. 2007-7 des Lehrstuhls fr Wirtschaftsethik an der Martin-LutherUniversitt Halle-Wittenberg

489

Literaturverzeichnis

Homann, K., Blome-Drees, F. (1992): Wirtschafts- und Unternehmensethik, Gttingen 1992 Homann, K., Suchanek, A. (2000): konomik, Tbingen 2000 Homans, G. C. (1961): Social Behavior. Its Elementary Forms, New York 1961 Horkheimer, M., Adorno, Th. W. (2003): Dialektik der Aufklrung. Philosophische Fragmente, 14. Aufl., Frankfurt a. M. 2003 (1. Aufl. Amsterdam 1947) Horster, D. (2005): Niklas Luhmann, 2. Aufl., Mnchen 2005 (1. Aufl. 1997) Horstig, W. von (1993): Unternehmungen als operationell geschlossene Systeme. berlegungen zu einer Theorie der Autonomie, Bamberg 1993 Horvth, P. (1978): Entwicklungen und Stand einer Konzeption zur Lsung der Adaptions- und Koordinationsprobleme der Fhrung, in: Zeitschrift fr Betriebswirtschaft, 1978 (48), S. 194-208 Horvth, P. (2009): Controlling, 11. Aufl., Mnchen 2009 Hume, D. (1967): A Treatise of Human Nature, Oxford 1967 (zuerst 3 Bde. 1739/40; dt.: Ein Traktat ber die menschliche Natur, 2 Bde., Hamburg 1978-1989) Hundt, S. (1977): Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre, Kln 1977 (Reihe: Mitbestimmung Arbeit Wirtschaft, Bd. 1., Zugl.: Berlin, FU, Diss. 1976) Hurwicz, L. (1960): Optimality and informational efficiency in resource allocation processes, in: Arrow, K. J., Karlin, S., Suppes, P. (Hrsg.): Mathematical Methods in the Social Sciences, Stanford, CA 1960 Hurwicz, L. (1972): Centralization and Decentralization in Economic Processes, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas, 1972 (3), S. 87-113 Hurwicz, L. (1973): The Design of Mechanisms for Resource Allocation, in: The American Economic Review, 1973 (63), S. 1-30 Husserl, E. (1948): Erfahrung und Urteil: Untersuchungen zur Genealogie der Logik, Hamburg 1948 Husserl, E. (1950): Ideen zu einer reinen Phnomenologie und phnomenologischen Philosophie Bd. I., in: Husserliana, Bd. III., Den Haag 1950 Hutchison, T. W. (1984): Institutional Economics: Old and New, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics, 1984 (140), S. 20-29 Iacocca, L. (1984): An Autobiography, Toronto 1984 (dt.: Eine amerikanische Karriere, Dsseldorf 1985) Iyengar, S. S., Kamenica, E. (2010): Choice Proliferation, Simplicity Seeking, and Asset Allocation, in: Journal of Public Economics, 2010 (94) 7-8, S. 530-539 Jaensch, E. R. (1938): Der Gegentypus. Psychologisch-anthropologische Grundlagen deutscher Kulturphilosophie, ausgehend von dem was wir berwinden wollen, Beihefte zur Zeitschrift fr angewandte Psychologie und Charakterkunde, Leipzig 1938 Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976): Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, 1976 (3) 4, S. 305-360 Jevons, W. S. (1888): The Theory of Political Economy, 3. Aufl., London 1888 (1. Aufl. 1871)

490

Literaturverzeichnis

Kahneman D. (2003): A Psychological Perspective on Economics, in: The American Economic Review, 2003 (93) 2, S. 162-168 Kahneman, D., Knetsch, J. L. (1992): Valuing Public Goods: The Purchase of Moral Satisfaction, in: Journal of Environmental Economics and Management, 1992 (22) 1, S. 57-70 Kahneman, D., Knetsch, J. L., Thaler, R. H. (1986): Fairness as a Constraint on Profit Seeking: Entitlements in the Market, in: American Economic Review, 1986 (76) 4, S. 728-741 Kahneman, D., Knetsch, J. L., Thaler, R. H. (1991): The Endowment Effect, Loss Aversion, and Status Quo Bias: Anomalies, in: Journal of Economic Perspectives, 1991 (5) 1, S. 193-206 Kahneman, D., Ritov, I. (1994): Determinants of Stated Willingness to Pay for Public Goods: A Study in the Headline Method, in: Journal of Risk and Uncertainty, 1994 (9) 1, S. 5-38 Kahneman, D., Ritov, I., Jacowitz, K. E., Grant, P. (1993): Stated Willingness to Pay for Public Goods: A Psychological Analysis, in: Psychological Science, 1993 (4) 5, S. 310-315 Kahneman, D., Ritov, I., Schkade, D. (1999): Economic Preferences or Attitude Expressions? An Analysis of Dollar Responses to Public Issues, in: Journal of Risk and Uncertainty, 1999 (19) 1-3, S. 203-235 Kahneman, D., Tversky, A. (1979): Prospect theory: An Analysis of Decisions under Risk, in: Econometrica, 1979 (47) 2, S. 263-291 Kaltenstadler, W. (1978): Arbeitsorganisation und Fhrungssystem bei den rmischen Agrarschriftstellern (Cato, Varro, Columella), Stuttgart 1978 Kant, I. (1986): Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart 1986 (1. Aufl. 1781, 2. Aufl. 1787) Kaplan, R. S., Norton, D. P. (1997): Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen, Stuttgart 1997 Kasper, H., Mayrhofer, W., Meyer, M. (1998): Managerhandeln nach der systemtheoretisch konstruktivistischen Wende, in: Die Betriebswirtschaft, 1998 (58), S. 603-621 Kermer, D. A., Driver-Linn, E., Wilson, T. D., Gilbert, D. T. (2006): Loss aversion is an affective forecasting error, in: Psychological Science, 2006 (17), S. 649-653 Keynes, J. M. (1974): The General Theory of Employment, Interest and Money, 16. Aufl., London 1974 (1. Aufl. 1936) Kieser, A. (2006a): Human Relations-Bewegung und Organisationspsychologie, in: Kieser, A., Ebers, M. (Hrsg.) (2006): Organisationstheorien, 6. Aufl., Stuttgart 2006, S. 133-167 Kieser, A. (2006b): Der Situative Ansatz, in: Kieser, A., Ebers, M. (Hrsg.) (2006): Organisationstheorien, 6. Aufl., Stuttgart 2006, S. 215-244 Kieser, A., Kubicek, H. (1978): Organisationstheorien I, Stuttgart 1978 Kirchner, C. (1997): konomische Theorie des Rechts, Berlin 1997 Kirsch, G. (2004): Neue Politische konomie, 5. Aufl., Stuttgart 2004 (1. Aufl. 1997)

491

Literaturverzeichnis

Kirsch, W. (1976): Zur organisationstheoretischen Charakterisierung von Betriebswirtschaften, in: Kirsch, W. (1976): Organisationale Fhrungssysteme. Bausteine zu einem verhaltenswissenschaftlichen Bezugsrahmen, Mnchen 1976 Kirsch, W. (1992): Kommunikatives Handeln, Autopoiese, Rationalitt. Sondierungen zu einer evolutionren Fhrungslehre, Mnchen 1992 Kirsch, W. (1998): Betriebswirtschaftslehre. Eine Annherung aus der Perspektive der Unternehmensfhrung, 5. Aufl., Mnchen 1998 Kirsch, W., Seidel, D., Aaken, D. van (2009): Unternehmensfhrung. Eine evolutionre Perspektive, Stuttgart 2009 Kneer, G., Nassehi, A. (2000): Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einfhrung, 4. Aufl., Mnchen, Stuttgart 2000 (1. Aufl. 1993) Knight, F. H. (1921): Risk, Uncertainty, and Profit, New York 1964 (EA Boston 1921) Knyphausen, D. zu (1991): Selbstorganisation und Fhrung. Systemtheoretische Beitrge zu einer evolutionren Fhrungskonzeption, in: Die Unternehmung, 1991 (45) 1, S. 47-63 Koch, H. (1957): ber einige Grundfragen der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift fr handelswissenschaftliche Forschung, 1957 (9), S. 569-597 Koch, H. (1959): Zur Frage des pagatorischen Kostenbegriffs, in: Zeitschrift fr Betriebswirtschaft, 1959 (29), S. 8-17 Koch, H. (1966): Zur Kontroverse: Wertmiger pagatorischer Kostenbegriff, in: Koch, H.: Grundlagen der Kostenrechnung, Kln, Opladen 1966, S. 48 ff. Koch, H. (1975): Die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft vom Handeln, Tbingen 1975 Koch, H. (1977): Aufbau der Unternehmensplanung, Wiesbaden 1977 Knigswieser, R., Hillebrand, M. (2008): Einfhrung in die systemische Organisationsberatung, Heidelberg 2008 Kornai, J. (1975): Anti-quilibrium. ber die Theorien der Wirtschaftssysteme und die damit verbundenen Forschungsaufgaben, Berlin, Heidelberg, New York 1975 Kornai, J. (1979): Resource-constrained versus demand-constrained systems, in: Econometrica, 1979 (47) 4, S. 801-819 Korzybski, A. (1933): Science and Sanity. An Introduction to Non-Aristotelian Systems and General Semantics, Lancaster, Pa. 1933 Koslowski, P. (1986): Ethik des Kapitalismus; mit einem Kommentar von James M. Buchanan, 3. Aufl., Tbingen 1986 Koslowski, P. (1988): Prinzipien der Ethischen konomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der auf die konomie bezogenen Ethik, Tbingen 1988 Koslowski, P. (1994): Die Ordnung der Wirtschaft. Studien zur Praktischen Philosophie und Politischen konomie, Tbingen 1994 Koubek, N. (1977): Arbeitsorientierte Rationalitt und Arbeitnehmerinteresse, in: Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 1977 (29) 1, S. 33-61 Krause, D. (2005): Luhmann-Lexikon. Eine Einfhrung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann, 4. Aufl., Stuttgart 2005 (1. Aufl. 1996) Krebs, M., Rock, R. (1994): Unternehmensnetzwerke eine intermedire oder eigenstndige Organisationsform?, in: Sydow, J., Windeler, A. (Hrsg.) (1994): Manage-

492

Literaturverzeichnis

ment interorganisationaler Beziehungen. Vertrauen, Kontrolle und Informationstechnik, Opladen 1994, S. 322-345 Krll, M. (1987): Grundkonzepte der Theorie autopoietischer Systeme. Neun Fragen an Niklas Luhmann und Humberto Maturana und ihre Antworten, in: Zeitschrift fr systemische Therapie, 1987 (5) 1, S. 4-25 Kruschwitz, L. (2009): Investitionsrechnung, 12. Aufl., Mnchen 2009 Kruse, P. (2010): next practice - Erfolgreiches Management von Instabilitt. Vernderung durch Vernetzung, 5. Aufl., Offenbach 2010 (1. Aufl. 2004) Kuhn, Th. S. (1962): The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1962 (dt.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a. M. 1967) Kpper, H.-U. (1987): Konzeption des Controlling aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: Scheer, A.-W. (Hrsg.): Rechnungswesen und EDV, 8. Saarbrcker Arbeitstagung, Heidelberg 1987, S. 82-116 Kpper, H.-U., Schreck, P. (2008): Unternehmensethik in Praxis, Forschung und Lehre Status quo und Perspektiven im deutschsprachigen Raum, in: Scherer, A. G., Picot, A. (Hrsg.): Unternehmensethik und Corporate Social Responsibility Herausforderungen an die Betriebswirtschaftslehre, Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung Sonderheft, 2008 (58), S. 72-92 Kpper, W., Felsch, A. (2000): Organisation, Macht und konomie. Mikropolitik und die Konstitution organisationaler Handlungssysteme, Wiesbaden 2000 Kurz, H. D. (Hrsg.) (1987): Postkeynesianismus. konomische Theorie in der Tradition von Keynes, Kalecki und Sraffa, Marburg 1987 Lakatos, I. (1970): Falsification and the Methodology of Research Programmes, in: Lakatos, I., Musgrave, A. (Hrsg.): Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge, UK 1970, S. 91-196 (dt.: Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme, in: Lakatos, I., Musgrave, A. (Hrsg.): Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig, Wiesbaden 1974, S. 89-190) Lampert, H. (1981): Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Mnchen, Wien 1981 Landmann, O. (1981): Keynes in der heutigen Wirtschaftstheorie, in: Bombach, G. (Hrsg.): Der Keynesianismus, Bd. 1, Berlin et al. 1976, Nachdruck 1981, S. 133-210 Lattmann, Ch. (1982): Die verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen der Fhrung des Mitarbeiters, Bern, Stuttgart 1982 Laux, H. (2005): Entscheidungstheorie, Berlin, Heidelberg, New York 2005 Lawler III, E. E. (1977): Motivierung in Organisationen, Bern, Stuttgart 1977 (Original: Motivation in work organizations, Belmont, CA. 1973) Lawrence, P. R., Lorsch, J. W. (1967): Organization and environment. Managing differentiation and integration, Boston 1967 Le Goff, J. (2008): Wucherzins und Hllenqualen. konomie und Religion im Mittelalter, 2. Aufl., Stuttgart 2008 (1. Aufl. 1988) Leibniz, G. W. (2000a): ber den zwischenzeitlichen Zins, 1. Version, in: Knobloch, E., Schulenburg, J. M. Graf von der (Hrsg.): Hauptschriften zur Versicherungs- und Finanzmathematik, Berlin 2000, S. 60-71

493

Literaturverzeichnis

Leibniz, G. W. (2000b): Juristisch-mathematische Betrachtung, 1. Version, in: Knobloch, E., Schulenburg, J. M. Graf von der (Hrsg.): Hauptschriften zur Versicherungsund Finanzmathematik, Berlin 2000, S. 106-113 Leipold, H. (1985): Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich, 4. Aufl., Stuttgart 1985 Leitner, F. (1905): Die Selbstkosten-Berechnung industrieller Betriebe, Frankfurt a. M. 1905 Leitner, F. (1919): Privatwirtschaftslehre der Unternehmung, Berlin et al. 1919 Leontief, W. (Hrsg.) (1966): Input-Output-Economics, New York 1966 Leontief, W., Hoffenberg, M. (1961): The Economic Effects of Disarmament, in: Leontief, W. (Hrsg.): Input-Output-Economics, New York 1966, S. 188-203 Leuchs, J. M. (1933): System des Handels, Faks. Stuttgart 1933 (EA Nrnberg 1804) Lewin, K. (1963): Feldtheorie in der Sozialwissenschaft, Bern, Stuttgart 1963 (Original: Field theory and social science, New York 1951) Locke, E. A., et. al. (1981): Goal setting and task performance: 1969-1980, in: Psychological Bulletin, 1981 (90), S. 125-152 Ludovici, C. G. (1752-1756): Erffnete Akademie der Kaufleute, oder vollstndiges Kaufmanns-Lexicon, 5 Bde., Leipzig 1752-1756 (2. Aufl. 1767-1768) Ludovici, C. G. (1756): Grundri eines vollstndigen Kaufmanns-Systems, Leipzig 1756 (Bd. 5 von Ludovici (1752-1756)) Luhmann, N. (1975): Macht, Stuttgart 1975 Luhmann, N. (1985): Einige Probleme mit dem reflexiven Recht, in: Zeitschrift fr Rechtssoziologie, 1985 (6), S. 1-18 Luhmann, N. (1987): Soziale Systeme. Grundri einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1987 (1. Aufl. 1984) Luhmann, N. (1991): Die Form Person, in: Soziale Welt, 1991 (42), S. 166-175 Luhmann, N. (1992): Wirtschaft als autopoietisches System. Bemerkungen zur Kritik von Karl-Heinz Brodbeck, in: Zeitschrift fr Politik, 1992 (39) 2, S. 191-194 Luhmann, N. (1993a): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1993 Luhmann, N. (1993b): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1993 (1. Aufl. 1989) Luhmann, N. (1993c): Wirtschaftsethik als Ethik?, in: Wieland, J. (Hrsg.): Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 134-147 Luhmann, N. (1994a): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994 (1. Aufl. Frankfurt a. M. 1988) Luhmann, N. (1994b): Die Tcke des Subjekts und Fragen nach dem Menschen, in: Fuchs, P., Gbel, A. (Hrsg.): Der Mensch das Medium der Gesellschaft?, Frankfurt a. M. 1994, S. 40-56 Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde, Frankfurt a. M. 1997 Luhmann, N. (1999a): Funktionen und Folgen formaler Organisationen. Mit einem Epilog 1994, 5. Aufl., Berlin 1999 (1. Aufl. Berlin 1964) Luhmann, N. (1999b): Zweckbegriff und Systemrationalitt. ber die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 1999 (1. Aufl. Tbingen 1968)

494

Literaturverzeichnis

Luhmann, N. (2000): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexitt, 4. Aufl., Stuttgart 2000 (1. Auflage 1968) Luhmann, N. (2004): kologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf kologische Gefhrdungen einstellen?, 4. Aufl., Wiesbaden 2004 (1. Aufl. 1986) Luhmann, N. (2005a): Soziologische Aufklrung. Bd. 1. Aufstze zur Theorie sozialer Systeme, 7. Aufl., Wiesbaden 2005 (1. Aufl. 1970) Luhmann, N. (2005b): Soziologische Aufklrung. Bd. 2. Aufstze zur Theorie sozialer Systeme, 5. Aufl., Wiesbaden 2005 (1. Aufl. 1975) Luhmann, N. (2005c): Soziologische Aufklrung. Bd. 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 4. Aufl., Wiesbaden 2005 (1. Aufl. 1981) Luhmann, N. (2005d): Soziologische Aufklrung. Bd. 5. Konstruktivistische Perspektiven, 3. Aufl., Wiesbaden 2005 (1. Aufl. 1990) Luhmann, N. (2005e): Soziologische Aufklrung. Bd. 6. Die Soziologie und der Mensch, 2. Aufl., Wiesbaden 2005 (1. Aufl. 1995) Luhmann, N. (2005f): Einfhrung in die Theorie der Gesellschaft, Heidelberg 2005 (Transkription der im WS 92/93 an der Universitt Bielefeld von Niklas Luhmann gehaltenen Vorlesung Einfhrung in Theorie der Gesellschaft, hrsg. von Dirk Baecker) Luhmann, N. (2006a): Organisation und Entscheidung, 2. Aufl., Wiesbaden 2006 (1. Aufl. Opladen 2000) Luhmann, N. (2006b): Einfhrung in die Systemtheorie, 3. Aufl., Heidelberg 2006 (1. Aufl. 2002) (Transkription der im WS 91/92 an der Universitt Bielefeld von Niklas Luhmann gehaltenen Vorlesung Einfhrung in die Systemtheorie, hrsg. von Dirk Baecker) Luhmann, N. (2009): Soziologische Aufklrung. Bd. 4. Beitrge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, 4. Aufl., Wiesbaden 2009 Macharzina, K., Wolf, J. (2008): Unternehmensfhrung. Das internationale Managementwissen. Konzepte-Methoden-Praxis, 6. Aufl., Wiesbaden 2008 (1. Aufl. 1993) Macneil, I. R. (1974): The many futures of contracts, in: Southern California Law Review, 1974 (47), S. 691-816 Macneil, I. R. (1978): Contract: Adjustments of long-term economic relations under classical, neoclassical, and relational contract law, in: Northwestern University Law Review, 1978 (72), S. 854-905 Mader, H. (1985): Zu Luhmanns Aufsatz: Die Wirtschaft der Gesellschaft als autopoietisches System, in: Zeitschrift fr Soziologie, 1985 (14) 4, S. 330-333 Malik, F. (1992): Strategie des Managements komplexer Systeme. Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionrer Systeme, 4. Aufl., Bern, Stuttgart, Wien 1992 (Habil.Schrift 1977) Malthus, T. R. (1977): Das Bevlkerungsgesetz, Mnchen 1977 (Original: An essay on the principle of population as it affects the future improvement of society, with remarks on the speculations of Mr. Godwin, M. Condorcet, and other writers, bersetzt von Barth, Ch. M.) (1. Aufl. 1798)

495

Literaturverzeichnis

Mandeville, B. (1968): Die Bienenfabel oder Private Laster als gesellschaftliche Vorteile, Frankfurt a. M. 1968 (Original: The Fable of the Bees, or private vices made public benefits, London 1723) Mann, R. (1973): Die Praxis des Controlling, Mnchen 1973 Mantel, P. (2009): Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus. Eine institutionen- und personengeschichtliche Studie, Wiesbaden 2009 March, J. G. (1962): The business firm as a political coalition, in: Journal of Politics, 1962 (24), S. 662-678 March, J. G., Simon, H. A. (1976): Organisation und Individuum. Menschliches Verhalten in Organisationen, Wiesbaden 1976 March, J. G., Simon, H. A. (1993): Organizations, 2. Aufl., Cambridge, Mass. USA, Oxford, UK. 1993 (1. Aufl. New York 1958) Marschak, J., Radner, R. (1972): The Economic Theory of Teams, New Haven, London 1972. Marschak, T. A. (1965): Economic Theories of Organization, in: March, J. G. (Hrsg.) The Handbook of Organizations, Chicago 1965, S. 423 ff. Marx, K. (1972): Zur Kritik der Politischen konomie, Erstes Heft, Berlin (DDR) 1972 Marx, K. (1977a): Das Kapital, Kritik der politischen konomie, Bd. I, in: MEW, Bd. 23, Berlin (DDR) 1977 (Erstdruck Hamburg 1867) Marx, K. (1977b): Das Kapital, Kritik der politischen konomie, Bd. III, in: MEW, Bd. 25, Berlin (DDR) 1977 (Erstdruck Hamburg 1894) Marx, K. (1977c): Manifest der kommunistischen Partei (1848), in: MEW, Bd. 4, Berlin (DDR) 1977, S. 464 f. Marx K. (1987): Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19, Berlin (DDR) 1987 S. 1132 Maskin, E. S. (1999): Nash equilibrium and welfare optimality, in: Review of Economic Studies, 1999 (66), S. 23-38 Maslow, A. H. (1977): Motivation und Persnlichkeit, Olten, Freiburg i. Br. 1977 (Original: Motivation and personality, New York etc. 1954) Maturana, H. R. (1985): Erkennen: Die Organisation und Verkrperung von Wirklichkeit. Ausgewhlte Arbeiten zur biologischen Epistemologie, 2. Aufl., Braunschweig, Wiesbaden 1985 (1. Aufl. 1982) Maturana, H. R., Varela, F. J. (1975a): Autopoietic systems. A characterization of the living organization, Urbana, Ill. 1975 Maturana, H. R., Varela, F. J. (1975b): Autopoietische Systeme: eine Bestimmung der lebendigen Organisation, in: Maturana (1985) Maturana, H. R., Varela, F. J. (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens, Bern, Mnchen, Wien 1987 McClelland, D. C. (1966): Die Leistungsgesellschaft. Psychologische Analyse der Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung, Stuttgart 1966 McClelland, D. C. (1985): How motives, skills, and values determine what people do, in: American Psychologist, 1985 (40) 7, S. 812-825

496

Literaturverzeichnis

McCrae, R. R., Costa, P. T. (1987): Validation of a five factor model of personality across instrument and observers, in: Journal of Personality and Social Psychology, 1987 (52) 1, S. 81-90 McGregor, D. (1960): The Human Side of Enterprise, New York, Toronto, London 1960 McNeil, B., Pauker, S. G., Sox, H. C., Tversky, A. (1982): On the elicitation of preferences for alternative therapies, in: The New England Journal of Medicine, 1982 (306), S. 1259-1262 Meckling, W. H.: (1976): Values and the Choice of Model of the Individual in the Social Sciences, in: Schweizerische Zeitschrift fr Volkswirtschaft und Statistik, 1976, S. 545-559 Meffert, H. (1977): Marketing. Grundlagen der Absatzpolitik, Wiesbaden 1977 Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M. (2008): Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensfhrung, 10. Aufl., Wiesbaden 2008 Mellerowicz, K. (1952): Eine neue Richtung in der Betriebswirtschaftslehre?, in: Zeitschrift fr Betriebswirtschaft, 1952 (22), S. 145-161 Mellerowicz, K. (1963): Unternehmenspolitik, Bd. 2, 12. Aufl., Freiburg i. Brsg. 1963 Mellerowicz, K. (1964-1968): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 5 Bde., 12. Aufl., Berlin 1964-1968 Menger, C. (1883): Untersuchungen ber die Methode der Socialwissenschaften und der Politischen Oekonomie insbesondere, Leipzig 1883 (auch in: Gesammelte Werke, Bd. 2, Tbingen 1969) Menger, C. (1968): Grundstze der Volkswirtschaftslehre, Tbingen 1968 (1. Aufl. 1871) Milgram, S. (1997): Das Milgram-Experiment: zur Gehorsamsbereitschaft gegenber Autoritt, 14. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1997 (Original: Obedience to Authority. An Experimental View, New York 1974) Molina, L. de (1593-1609): De iustitia et iure/ber Gerechtigkeit und Recht, EA Cuenca, Antwerpen 1593-1609 (entstanden 1574-1582; Neuauflagen: Venedig 1614, Antwerpen 1615) Mugler, J. (2008): Grundlagen der BWL der Klein- und Mittelbetriebe, 2. Aufl., Wien 2008 Mnch, R. (2004): Soziologische Theorie. Bd. 3: Gesellschaftstheorie, Frankfurt a. M. 2004 Musgrave, R. A. (1957): A Multiple Theory of Budget Determination, in: Finanzarchiv, 1957 (17), S. 333-343 Myerson, R. B. (1991): Game theory. Analysis of conflict, Cambridge, Mass. 1991 Nash, J. (1950): The Bargaining Problem, in: Econometrica, 1950 (18), S. 155-162 Naturforschende Gesellschaft in Basel (Hrsg.) (1988-2006): Die gesammelten Werke der Mathematiker und Physiker der Familie Bernoulli, 5. Bde., Basel, Boston, Berlin 1988-2006 Nell-Breuning, O. von (1985): Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzge katholischer Soziallehre, 2. Bde, 2. Aufl., Mnchen 1985 Neuberger, E., Duffy, W. J. (1972): Toward a Decision-theoretic approach to the study of economic systems, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas, 1972 (3), S. 67-85 Neuberger, E., Duffy, W. J. (1976): Comparative Economic Systems: A Decision-Making Approach, 2. Aufl., Boston 1976

497

Literaturverzeichnis

Neumann, J. v., Morgenstern, O. (1944): Theory of games and economic behavior, Princeton 1944 (dt.: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten, Wrzburg 1961) Neus, W. (1998): Einfhrung in die Betriebswirtschaftslehre aus institutionenkonomischer Sicht, Tbingen 1998 Nicklisch, H. (1912): Allgemeine kaufmnnische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels und der Industrie, Leipzig 1912 (ab 1932 unter dem Titel Die Betriebswirtschaft, Stuttgart 1932) Nicklisch, H. (1933): Die Betriebswirtschaftslehre im nationalsozialistischen Staat, in: Die Betriebswirtschaft, 1933 (7) 26, S. 305-307 Nicklisch, H. (Hrsg.) (1926-1928): Handwrterbuch der Betriebswirtschaft, HWB, 5 Bde., 1. Aufl., Stuttgart 1926-1928 Nippa, M. (2001): Intuition und Emotion in der Entscheidungsforschung State-ofthe-Art und aktuelle Forschungsrichtungen, in: Schreygg, G., Sydow, J. (Hrsg.): Emotionen und Management, Wiesbaden 2001, S. 213-247 North, D. C. (1978): Structure and Performance: The Task of Economic History, in: Journal of Economic Literature, 1978 (16), S. 963-978. Ogger, G. (1992): Nieten in Nadelstreifen. Deutschlands Manager im Zwielicht, Mnchen 1992 Olson, M. (2004): Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgter und die Theorie der Gruppen, 5. Aufl., Tbingen 2004 (Original: The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups, 1965) Ortmann, G. (1992): Handlung, System, Mikropolitik, in: Kpper, W., Ortmann, G. (Hrsg.): Mikropolitik, 2. Aufl., Opladen 1992, S. 217-225 Ostrom, E. (1999): Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt, Tbingen 1999 (Original: Governing the commons. The evolution of institutions for collective Action, Cambridge, New York, Melbourne 1990) Ott, A. E. (1974): Grundzge der Preistheorie, 2. Aufl., Gttingen 1974 Pacioli, L. (1494): Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalita, Venedig 1494 Parsons, T. (1951): The Social System, Glencoe Ill. 1951 Parsons, T. (1964): Beitrge zur soziologischen Theorie, Neuwied, Berlin 1964 Parsons, T. (1968): The Structure of Social System, 2 Bde., New York 1968 (1. Aufl. 1938) Parsons, T. (1977): Social Systems and the Evolution of Action Theory, New York 1977 Parsons, T. (1978): Action theory and the human condition, New York 1978 Parsons, T., Bales, R. F., Shils, E. A. (1953): Working Papers in the Theory of Action, Glencoe, Ill. 1953 Parsons, T., Shils, E. A. (Hrsg.) (1951): Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass. 1951 Pegolotti, F. B. (1936): La practica della mercatura, EA Lissabon 1766, Neuausgabe Cambridge, Mass. 1936 Pejovich, S. (1990): The Economics of Property Rights. Towards a Theory of Comparative Systems, Dordrecht 1990

498

Literaturverzeichnis

Peters, T. J., Waterman, R. H. J. (1982): Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgefhrten US-Unternehmen lernen kann, Landsberg am Lech 1982 Picot, A., Reichwald, R., Wigand, R. T. (2003): Die grenzenlose Unternehmung. Information, Organisation und Management. Lehrbuch zur Unternehmensfhrung im Informationszeitalter, 5. Aufl., Wiesbaden 2003 (1. Aufl. 1996) Pigou, A. C. (1920): The economics of welfare, London 1920 Platon (1990a): Politeia/Der Staat, (griech.-dt.) in: Werke in acht Bnden, Bd. 4, 2. Aufl., Darmstadt 1990 (entstanden ca. 387-367 vor Chr.) Platon (1990b): Nomoi/Die Gesetze, (griech.-dt.) in: Werke in acht Bnden, Bd. 8, 2. Aufl., Darmstadt 1990 (entstanden ca. 361-347 vor Chr.) Pollock, F. (1964): Automation. Materialien zur Beurteilung der konomischen und sozialen Folgen, in: Frankfurter Beitrge zur Soziologie, Bd. 5, Neuausgabe Frankfurt a. M. 1964 (1. Aufl. 1956) Pollock, F. (1971): Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion 1917-1927, in: Schriften des Instituts fr Sozialforschung an der Universitt Frankfurt a. M., Bd. 2, Nachdruck Frankfurt a. M. 1971 (1. Aufl. 1929) Popper, K. R. (1971): Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften, in: Topitsch, E. (Hrsg.): Logik der Sozialwissenschaften, 7. Aufl., Kln, Berlin 1971, S. 113-125 Popper, K. R. (1973): Logik der Forschung, 5. Aufl., Tbingen 1973 (1. Aufl. Wien 1934 mit dem Untertitel: Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft; engl.: The Logic of Scientific Discovery, London, New York 1959) Popper, K. R. (1974): Das Elend des Historizismus, 4. Aufl., Tbingen 1974 Popper, K. R. (1975): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, II. Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen, 4. Aufl., Mnchen 1975 Popper, K. R. (1994-1997): Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis. 2 Teilbde. Tbingen 1994-1997 (Original: Conjectures and Refutations. The Growth of Scientific Knowledge, 1. Aufl., London 1963) Porter, L. W., Lawler III, E. E. (1968): Managerial attitudes and performance, Homewood, Ill. 1968 Porter, M. E. (2009): Wettbewerbsstrategie, Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, Frankfurt a. M. 2009 Posner, R. A. (2002): Economic Analysis of Law, New York 2002 (1. Aufl. 1973) Pratt, J. W., Zeckhauser, R. J. (Hrsg.) (1985): Principals and Agents. The Structure of Business, Boston, Mass. 1985 Prigogine, I. (1988): Vom Sein zum Werden. Zeit und Komplexitt in den Naturwissenschaften, 5. Aufl., Mnchen, Zrich 1988 (1. Aufl. 1979; Original: From being to becoming) Prigogine, I., Stengers, I. (1981): Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftlichen Denken, 2. Aufl., Mnchen, Zrich 1981 (1. Aufl. 1980) Probst, G., Gomez, P. (1987): Vernetztes Denken im Management eine Methodik des ganzheitlichen Problemlsens, Bern 1987

499

Literaturverzeichnis

Puechberg, J. M. (1774): Grundstze der Rechnungs = Wissenschaft auf das Privatvermgen angewendet, zum Gebrauche der ffentlichen Vorlesungen bey den K. K. Ritterakademien, und der Realschule allhier. Erster Theil, Wien 1774 Ptz, Th. (1964): Zur Typologie wirtschaftspolitischer Systeme, in: Jahrbuch fr Sozialwissenschaft, 1964, S. 133 ff. Quesnay, F. (1965): Tableau conomique, Versailles 1758 (EA Paris 1775; dt. Berlin (DDR) 1965) Radner, R. (1972a): Teams, in: McGuire, C. B., Radner, R. (Hrsg.): Decision and Organization. A Volume in Honor of Jacob Marschak, Amsterdam, London 1972, S. 189-215 Radner, R. (1972b): Allocation of a Scarce Resource under Uncertainty: An Excample of a Team, in: McGuire, C. B., Radner, R. (Hrsg.): Decision and Organization. A Volume in Honor of Jacob Marschak, Amsterdam, London 1972, S. 217-236 Raffe, H. (1974): Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre, Gttingen 1974 Raffe, H. (1993): Gegenstand, Methoden und Konzepte der Betriebswirtschaftslehre, in: Bitz, M., Dellmann, K., Domsch, M., Eger, H. (Hrsg.): Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Mnchen 1993, S. 16 ff. Ramp, E. (1949): Das Zinsproblem. Eine historische Untersuchung, Zrich 1949 Rapoport, A. (1989): The Origins of Violence. Approaches to the Study of Conflict, New York 1989 Rapoport, A. (1993): Peace, an Idea Whose Time has Come, Ann Arbor, Michigan 1993 Rawls, J. (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1979 (Original: A Theory of Justice, Cambridge, Mass. 1971) Reese-Schfer, W. (2001): Luhmann zur Einfhrung, 4. Aufl., Hamburg 2001 (1. Aufl. 1992) Reichmann, Th., Lachnit, L. (1976): Planung, Steuerung und Kontrolle mit Hilfe von Kennzahlen, in: Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 1976 (28), S. 705-723 Ricardo, D. (2006): ber die Grundstze der Politischen konomie und der Besteuerung, hrsg. von Kurz, H. D. und Gehrke, C., 2. Aufl., Marburg 2006 (Original: On the Principles of Political Economy and Taxation, London 1817) Rich, A. (1984/1990): Wirtschaftsethik, 2. Bde., Gttingen 1984 und 1990 Richter, R., Furubotn, E. (2003): Neue Institutionenkonomik. Eine Einfhrung und kritische Wrdigung, 3. Aufl., Tbingen 2003 (1. Aufl. 1996) Rieger, W. (1964): Einfhrung in die Privatwirtschaftslehre, 3. Aufl., Erlangen 1964 (1. Aufl. 1928) Ripsas, S. (1997): Entrepreneurship als konomischer Prozess Perspektiven zur Frderung unternehmerischen Handelns, Wiesbaden 1997 (Diss. Freie Universitt Berlin) Roethlisberger, F. J., Dickson, W. J. (1939): Management and the Worker, Cambridge, Mass. 1939 Roover, R. de (1955): Scholastic economics. Survival and lasting influence from the Sixteenth Century to Adam Smith, in: The Quarterly Journal of Economics, 1955 (69) 2, S. 161-190 Ross, S. (1973): The Economic Theory of Agency: The Principals Problem, in: American Economic Review. Papers and Proceedings, 1973 (63), S. 134-139

500

Literaturverzeichnis

Rothschild, K. W. (1981): Einfhrung in die Ungleichgewichtstheorie, Berlin et al. 1981 Regg-Strm, J. (2003): Das neue St. Galler Management-Modell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Der HSG-Ansatz, 2. Aufl., Bern 2003 (1. Aufl. 2002) Sandig, C. (1966): Betriebswirtschaftspolitik, 2. vllig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1966 (1. Aufl. unter dem Titel: Die Fhrung des Betriebes. Betriebswirtschaftspolitik, Stuttgart 1953) Saussure, F. de (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaften, Berlin 1967 (Original: Cours de linguistique gnrale, Lausanne, Paris 1916) Savary, J. (1993): Le parfait ngociant, EA. Paris 1675 (dt.: Der vollkommene Kauff- und Handelsmann, Genf 1676, Nachdruck Frankfurt a. M. 1968, Neuausgabe Dsseldorf 1993) Schachtschabel, H. G. (1971): Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, Stuttgart, Dsseldorf 1971 Schr, J. F. (1911): Allgemeine Handelsbetriebslehre, I. Teil, Leipzig 1911 Schein, E. H. (1995): Unternehmenskultur: Ein Handbuch fr Fhrungskrfte, Frankfurt a. M., New York 1995 Schein, E. H. (2004): Organizational culture and leadership, 3. Aufl., San Francisco, CA 2004 Schierenbeck, H., Whle C. B. (2008): Grundzge der Betriebswirtschaftslehre, 17. Aufl., Mnchen 2008 Schmalenbach, E. (1908/09): ber die Verrechnungspreise, in: Zeitschrift fr handelswissenschaftliche Forschung, 1908/09 (3), S. 165-185 (Habil. in gekrzter Form) Schmalenbach, E. (1911/12): Die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre, in: Zeitschrift fr Handelswissenschaftliche Forschung, 1911/12 (6), S. 304-316 Schmalenbach, E. (1919): Die Selbstkostenrechnung, in: Zeitschrift fr Handelswissenschaftliche Forschung, 1919 (13), S. 257-299 und S. 321-356 Schmalenbach, E. (1948): Pretiale Wirtschaftslenkung. Band 2. Pretiale Lenkung des Betriebes, Bremen 1948 Schmalenbach, E. (1962): Dynamische Bilanz, 13. Aufl., Kln-Opladen 1962 (vorher erschienen unter dem Titel Grundlagen dynamischer Bilanzlehre, Leipzig 1919; Nachdruck Darmstadt 1988) Schmidt, A. (1986): Das Controlling als Instrument zur Koordination der Unternehmensfhrung, Frankfurt a. M. et al. 1986 Schmidt, F. (1921): Die organische Bilanz im Rahmen der Wirtschaft, Leipzig 1921 Schmidt, F. (1924): Bilanzwert, Bilanzgewinn und Bilanzumwertung, Berlin 1924 Schmidt, F. (1927): Die Industriekonjunktur, ein Rechenfehler, Berlin 1927 (spter unter dem Titel: Betriebswirtschaftliche Konjunkturlehre, Berlin 1933) Schmoller, G. von (1901): Volkswirtschaft: Volkswirtschaftslehre und methode, in: Handwrterbuch der Staatswissenschaften, Bd. VII, 2. Aufl., Jena 1901 Schmoller, G. von (1923): Grundri der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Erster Teil, Mnchen, Leipzig 1923 Schneider, D. (1981): Vorlufer der Betriebswirtschaftslehre, in: Schmalenbachs Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 1981 (33) 2, S. 117-139

501

Literaturverzeichnis

Schneider, D. (1984): Managementfehler durch mangelndes Geschichtsbewusstsein in der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift fr Unternehmensgeschichte, 1984 (33), S. 114-130 Schneider, D. (1987): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Mnchen 1987 Schneider, D. (1990): Unternehmensethik und Gewinnprinzip in der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 1990 (42) 10, S. 869-891 Schneider, D. (1993): Betriebswirtschaftslehre. Band 1: Grundlagen, Mnchen, Wien 1993 Schneider, D. (1994): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Mnchen, Wien 1994 (1.Aufl. 1987) Schneider, D. (1997): Betriebswirtschaftslehre. Band 3: Theorie der Unternehmung, Mnchen, Wien 1997 Schneider, D. (1999a): Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, in: Lingenfelder, M. (Hrsg.): 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, Mnchen 1999, S. 1-29 Schneider, D. (1999b): Ethik als Auslser einzelner Fehlentwicklungen in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaft, in: Kumar, B. N. et. al. (Hrsg.): Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs. Sharehalder Value Globalisierung Hyperwettbewerb. Festschrift fr Professor Dr. Dr. h. c. Horst Steinmann zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1999, S. 637-658 Schneider, D. (2000): Verdankt die Betriebswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehren ihre Theorie?, in: Schmalenbachs Zeitschrift fr betriebswirtschaftliche Forschung, 2000 (52), S. 419-439 Schneider, D. (2001): Betriebswirtschaftslehre. Band 4: Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, Mnchen, Wien 2001 Schnwitz, D., Weber, H.-J. (1983): Wirtschaftsordnung. Eine Einfhrung in Theorie und Politik, Mnchen, Wien 1983 Schoppe, S. G. (1989): Kanonisches Zinsverbot und wirtschaftliche Entwicklung, in: Gutmann, G., Schller, A. (Hrsg.): Ethik und Ordnungsfragen der Wirtschaft, BadenBaden 1989, S. 157-174 Schreygg, G. (2007): Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre: zwischen Integration und Zerfall, in: Bock, K. et al.: Zukunftsperspektiven der Betriebswirtschaftslehre 75 Jahre Schmalenbach-Gesellschaft fr Betriebswirtschaft e. V., Kln 2007, S. 1-25 Schreygg, G., Koch, J. (2007): Grundlagen des Managements. Basiswissen fr Studium und Praxis, Wiesbaden 2007 Schreygg, G., Sydow, J. (Hrsg.) (2001): Emotionen und Management, Wiesbaden 2001 Schumann, J., Meyer, U., Strbele, W. (1999): Grundzge der mikrokonomischen Theorie, 7. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1999 Schumpeter, J. A. (1926): Gustav v. Schmoller und die Probleme von heute, in: Schmollers Jahrbuch fr Gesetzgebung und Verwaltung, 1926 (50), S. 337-388 Schumpeter, J. A. (1948): Introduction, in: Dempsey, B. W.: Interest and Usury, London 1948 Schumpeter, J. A. (1970): Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalkonomie, 2. Aufl., Berlin 1970 (1. Aufl. Mnchen, Leipzig 1908)

502

Literaturverzeichnis

Schumpeter, J. A. (2006): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 2006 (Nachdruck der 1. Aufl. von 1912) Schumpeter, J. A. (2009): Geschichte der konomischen Analyse. Band 1 und 2, nach dem Manuskript herausgegeben von Elisabeth B. Schumpeter, mit einem Vorwort von Fritz Karl Mann und einer Einfhrung von Alexander Ebner, Stuttgart 2009 (Originaltitel: History of Economic Analysis. New York 1954) Seidl, Ch. (1978): Allokationsmechanismen. Ein berblick ber dynamische mikrokonomische Totalmodelle, in: Schenk, K.-E. (Hrsg.) (1978): konomische Verfgungsrechte und Allokationsmechanismen in Wirtschaftssystemen, Berlin 1978, S. 123-205 Selten, R. (2001): Die konzeptionellen Grundlagen der Spieltheorie einst und jetzt, Bonn 2001 Siegwart, H. (1986): Controlling-Konzepte und Controller-Funktionen in der Schweiz, in: Mayer, E., von Landsberg, G., Thiede, W. (Hrsg.): Controlling-Konzepte im internationalen Vergleich, Freiburg i. Br. 1986, S. 105-131 Simon, F. B. (2007a): Einfhrung in Systemtheorie und Konstruktivismus, 3. Aufl., Heidelberg 2007 (1. Aufl. 2006) Simon, F. B. (2007b): Einfhrung in die systemische Organisationstheorie, Heidelberg 2007 Simon, H. A. (1952/1953): Comparison of Organization Theories, in: The Review of Economic Studies, (1952/53) Vol. XX, S. 40-48 Simon, H. A. (1955): A Behavioral Model of Rational Choice, in: Quarterly Journal of Economics, 1955 (69) 1, S. 99-118 Simon, H. A. (1981): Entscheidungsverhalten in Organisationen. Eine Untersuchung von Entscheidungsprozessen in Management und Verwaltung, Landsberg am Lech 1981 (Original: Administrative Behaviour: A Study of Decision-Making-Process in Administrative Organisation, New York 1945) Simon, H. A. (1982): Models of Bounded Rationality, 2 Bde., Cambridge, Mass. 1982 Singer, W. (2003): Ein neues Menschenbild? Gesprche ber Hirnforschung, Frankfurt a. M. 2003 Sloan, A. P. (1963): My Years with General Motors, New York 1963 (dt.: Meine Jahre mit General Motors, 3. Aufl., Mnchen 1966) Smith, A. (1978): Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, Mnchen 1978 (Original: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London 1776) Smith, A. (2004): Theorie der ethischen Gefhle oder Versuch einer Analyse der Prinzipien, mittels welcher die Menschen naturgem zunchst das Verhalten und den Charakter ihrer Nchsten und sodann auch ihr eigenes Verhalten und ihren eigenen Charakter beurteilen, Hamburg 2004 (Original: The Theory of Moral Sentiments, London 1759) Spencer-Brown, G. (1999): Laws of Form. Gesetze der Form, engl.-dt., 2. Aufl., Lbeck 1999 (1. Aufl. 1997; Original: Laws of Form, London 1969) Staehle, W. H. (1999): Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 8. Aufl., Mnchen 1999

503

Literaturverzeichnis

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2008): Klassifikation der Wirtschaftszweige. Mit Erluterungen, Wiesbaden 2008 Stavenhagen, G. (1969): Geschichte der Wirtschaftstheorie, 4. Aufl., Gttingen 1969 Stegmller, W. (1969): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Band 1: Wissenschaftliche Erklrungen und Begrndung, Berlin et al. 1969 Steinmann, H. (1978): Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, in: Steinmann, H. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft. Zur Bedeutung der konstruktiven Wissenschaftstheorie fr die Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1978 Steinmann, H. (1993): Unternehmensethik, in: Wittmann, et. al. (Hrsg.): Handwrterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Teilbd. 3, 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 4331-4343 Steinmann, H., Lhr, A. (1991): Einleitung: Grundfragen und Problembestnde einer Unternehmensethik, in: Steinmann, H., Lhr, A. (Hrsg.): Unternehmensethik, 2. Aufl., Stuttgart 1991, S. 3-32 (1. Aufl. 1989) Steinmann, H., Lhr, A. (1994a): Grundlagen der Unternehmensethik, 2. Aufl., Stuttgart 1994 Steinmann, H., Lhr, A. (1994b): Unternehmensethik Ein republikanisches Programm in der Kritik, in: Forum fr Philosophie, 1994, S. 145-180 Steinmann, H., Schreygg, G. (2005): Management. Grundlagen der Unternehmensfhrung. Konzepte Funktionen Fallstudien, 6. Aufl., Wiesbaden 2005 Stdemann, K. (1993): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Mnchen, Wien 1993 (1. Aufl. 1988) Tarski, A. (1936): Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, dt. in: Studia Philosophica, 1936 (1), S. 261-405 (EA auf polnisch, Warschau 1933) Taylor, F. W. (2004): Die Grundstze wissenschaftlicher Betriebsfhrung, Dsseldorf 2004 (Original: The Principles of Scientific Management, New York 1911) Taylor, F. W. (2006): Shop Management, Saarbrcken 2004 (1. Aufl. 1903) Teubner, G. (1989): Recht als autopoietisches System, Frankfurt a. M. 1989 Thaer, A. D. (1809-1812): Grundstze der rationellen Landwirthschaft, 4 Bde., Berlin 1809-1812 Thaer, A. D. (1815): Leitfaden zur allgemeinen landwirthschaftlichen Gewerbs-Lehre, Berlin 1815 Theurl, T. (1999): Monetre Ordnung im Lichte der Traditionellen Ordnungstheorie und der Neuen Institutionenkonomik, in: Cassel D. (Hrsg.): Perspektiven der Systemforschung, Schriften des Vereins fr Socialpolitik, Bd. 268, Berlin 1999, S. 147-178 Theurl, T., Schweinsberg, A. (2004): Neue kooperative konomie. Moderne genossenschaftliche Governancestrukturen, Tbingen 2004 Thomas von Aquin (1485): Summa theologiae, Erstdruck vollstndig Basel 1485 (entstanden 1266-1273; dt. 3 Bde, Leipzig, Stuttgart 1935-1938) Thomas von Aquin (1991): konomie, Politik und Ethik aus Summa theologiae, Dsseldorf 1991 Thommen, J.-P., Achleitner, A.-K. (2009): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Umfassende Einfhrung aus managementorientierter Sicht, 6. Aufl., Wiesbaden 2009

504

Literaturverzeichnis

Thnen, J. H. von (1826-1863): Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalkonomie, 3 Teile, Hamburg, Rostock 1826-1863 (Nachdruck Berlin 1990) Triffin, R. (1949) : Monopolistic Competition and General Equilibrium Theory, Cambridge, Mass. 1949 Turgot, A. R. J. (1981): Rflexions sur la formation et la distribution des richesses, EA Paris 1769 (dt.: Betrachtungen ber die Bildung und Verteilung der Reichtmer, Berlin 1981) Tversky, A., Kahneman, D. (1974): Judgement under Uncertainty: Heuristics and Bias, in: Science, New Series, 1974 (185) 4157, S. 1124-1131 Tversky, A., Kahneman, D. (1981): The Framing of Decisions and the Psychology of Choice, in: Science, New Series, 1981 (211) 4481, S. 453-458 Tversky, A., Kahneman, D. (1986): Rational Choice and the Framing of Decisions, in: Journal of Business, 1986 (59) 4, Part 2: The Behavioral Foundations of Economic Theory, S. 251-278 Tversky, A., Kahneman, D. (1991): Loss Aversion in Riskless Choice: A ReferenceDependent Model, in: Quarterly Journal of Economics, 1991 (106) 4, S. 1039-1061 Tversky, A., Kahneman, D. (1992): Advances in prospect theory: Cumulative Representation of Uncertainty, in: Journal of Risk and Uncertainty, 1992 (5) 4, S. 297-323 Ulrich, H. (1970): Die Unternehmung als produktives soziales System: Grundlagen der allgemeinen Unternehmungslehre, 2. Aufl., Bern, Stuttgart 1970 (1. Aufl. 1968) Ulrich, H. (1981): Die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Sozialwissenschaft, in: Geist, M., Khler, R. (Hrsg.): Die Fhrung des Betriebes, Stuttgart 1981, S. 1 ff. Ulrich, H. (2001): Systemorientiertes Management: das Werk von Hans Ulrich, (hrsg. von der Stiftung zur Frderung der Systemorientierten Managementlehre St. Gallen, Schweiz), Bern, Stuttgart, Wien 2001 Ulrich, H., Krieg, W. (1972): Das St. Galler Management-Modell, Bern, Stuttgart 1972 (neu abgedruckt in: Ulrich, H. (2001): Gesammelte Schriften, Bd. 2, Bern, Stuttgart, Wien 2001 Ulrich, H., Probst, G. J. B. (1990): Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln. Ein Brevier fr Fhrungskrfte, 2. Aufl., Bern, Stuttgart 1990 (1. Aufl. 1988) Ulrich, P. (1992): Unternehmenskultur, in: Wittmann, W., Kern, W. (Hrsg.): Handwrterbuch der Betriebswirtschaft, 5. Aufl., Stuttgart 1992, S. 4351-4366 Ulrich, P. (1993): Transformation der konomischen Vernunft Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft, 3. Aufl., Bern, Wien, Stuttgart 1993 (1. Aufl. 1986) Ulrich, P. (1994): Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik ein Rahmenkonzept, in: Blasche, S., Khler, W. R., Rohs, P. (Hrsg.): Markt und Moral. Die Diskussion um die Unternehmensethik, Bern, Stuttgart, Wien 1994, S. 75-107 Ulrich, P. (1999): Was ist gute Unternehmensfhrung? Zur normativen Dimension der Shareholder-Stakeholder-Debatte, in: Kumar, B. N. et. al. (Hrsg.): Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs. Sharehalder Value Globalisierung Hyperwettbewerb. Festschrift fr Professor Dr. Dr. h. c. Horst Steinmann zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1999, S. 27-52

505

Literaturverzeichnis

Ulrich, P. (2001): Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen konomie, 3. Aufl., Bern, Stuttgart, Wien 2001 (1. Aufl. 1997) Ulrich, P. (2006): Wirtschaftsethik, in: Dwell, M. et. al. (Hrsg.): Handbuch Ethik, 2. Aufl., Stuttgart 2006, S. 297-302 Vanberg, V. (1982): Markt und Organisation. Individualistische Sozialtheorie und das Problem korporativen Handelns, Tbingen 1982 Vanberg, V. (1983): Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahrbuch fr neue politische konomie, 1983 (2), S. 50-69 Varro, M. T. (1472): Rerum rusticarum libri tres/Drei Bcher ber die Landwirtschaft, EA Venedig 1472 (entstanden 37 vor Chr.; dt. Halle 1730; lat.-dt.: Gesprche ber die Landwirtschaft, 3 Bde., Darmstadt 1996-2002) Veblen, Th. B. (1897/98): Why is economics not an evolutionary science?, in: Quarterly Journal of Economics, 1897/98 (12), S. 373-397 Veblen, Th. B. (1934): The Theory of the Leisure Class, New York 1934 (Nachdruck New York 1899) Vergil (Publius Vergilius Maro) (1995): Georgica/Landleben, lat.-dt.: 6. Aufl., Zrich 1995 (entstanden etwa zwischen 37 und 29 vor Chr.; EA Rom ca. 1469) Vroom, V. H. (1964): Work and Motivation, New York, London, Sydney 1964 Waerden, B. L. van der (1982): Wahrscheinlichkeitsrechnung, in: Speiser, D. (Hrsg.): Die Werke von Daniel Bernoulli. Bd. 2: Analysis, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Basel 1982, S. 195-222 Walras, L. (1972): lments d'conomie politique pure, Lausanne, Paris, Basel 1874 und 1877. Thorie mathmatique de la richesse sociale. Lausanne, Paris, Rom, Leipzig 1883 (bersetzt von v. Winterfeld unter dem Titel: Mathematische Theorie der Preisbestimmung der wirtschaftlichen Gter, Stuttgart 1881, unvernderter Neudruck, Glashtten 1972) Wason, P. C. (1968): Reasoning about a Rule, in: Quarterly Journal of Experimental Psychology, 1968 (20), S. 273281 Watzlawick, P., Beavin, J. H., Jackson, D. D. (2007): Menschliche Kommunikation. Formen, Strungen, Paradoxien, 11. Aufl., Bern 2007 (1. Aufl. 1969) Watzlawick, P., Krieg, P. (Hrsg.) (2002): Das Auge des Betrachters. Beitrge zum Konstruktivismus. Festschrift fr Heinz von Foerster, Mnchen, Zrich 1991 (Neuausgabe Heidelberg 2002) Weber, B. (1994): Unternehmensnetzwerke aus systemtheoretischer Sicht Zum Verhltnis von Autonomie und Abhngigkeit in Interorganisationsbeziehungen, in: Sydow, J., Windeler, A. (Hrsg.) (1994): Management interorganisationaler Beziehungen. Vertrauen, Kontrolle und Informationstechnik, Opladen 1994, S. 275-297 Weber, J. (2004): Einfhrung in das Controlling, 10. berarbeitete und aktualisierte Aufl., Stuttgart 2004 Weber, M. (1917): Der Sinn der Wertfreiheit der soziologischen und konomischen Wissenschaften, 1. Aufl., in: Logos. Internationale Zeitschrift fr Philosophie der Kultur,

506

Literaturverzeichnis

1917 (7) 1 (Wiederabdruck in: Weber, M.: Gesammelte Aufstze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von J. Winckelmann, 6. Aufl., Tbingen 1985, 1. Aufl. 1922) Weber, M. (1968): Politik als Beruf, Auszug unter dem Titel: Der Beruf zur Politik, 1919, in: Winckelmann, J. (Hrsg.) (1968): Soziologie. Weltgeschichtliche Analysen. Politik, Stuttgart 1968, S. 167-185 Weber, M. (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tbingen 1980 (1. Auflage 1921) Weber, M. (1988): Gesammelte Schriften zur Religionssoziologie, 9. Aufl., Tbingen 1980 (1. Aufl. 1920) Weber, W. (1962): Geld und Zins in der spanischen Sptscholastik, Mnster 1962 Weintraub, E. R. (1975): Conflict and Co-operation in Economics, London 1975 Weyermann, M., Schnitz, H. (1912): Grundlegung und Systematik einer wissenschaftlichen Privatwirtschaftslehre und ihre Pflege an Universitten und Fach-Hochschulen, Karlsruhe 1912 Whitehead, A. N. (1979): Prozess und Realitt. Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt a. M. 1979 (Original: Process and Reality. An Essay in Cosmology, Cambridge 1929) Wickler, W., Seibt, U. (1981): Das Prinzip Eigennutz. Ursachen und Konsequenzen sozialen Verhaltens, Mnchen 1981 Wiedeking, W. (2008): Anders ist besser. Ein Versuch ber neue Wege in Wirtschaft und Politik, 8. Aufl., Mnchen, Zrich 2008 (1. Auflage 2006) Wiener, N. (1968): Kybernetik. Regelung und Nachrichtenbertragung im Lebewesen und in der Maschine, Reinbek bei Hamburg 1968 (Original: Cybernetics: Or Control and Communication in the Animal and the Machine, New York 1948) Wild, J. (1982): Grundlagen der Unternehmensplanung, Reinbek bei Hamburg 1982 Williamson, O. E. (1975): Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications, New York 1975 Williamson, O. E. (1990): Die konomischen Institutionen des Kapitalismus, Tbingen 1990 (Original: The Economic Institutions of Capitalism, New York 1985) Williamson, O. E. (1991): Economic Institutions: Spontaneous and Intentional Governance, in: Journal of Law, Economics, and Organization, 1991 (7), S. 159-187 Willke, H. (1987): Strategien der Intervention in autonome Systeme, in: Baecker, D. et al. (Hrsg.): Theorie als Passion. Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1987, S. 333-361 Willke, H. (1991): Systemtheorie. Eine Einfhrung in die Grundprobleme, 3. Aufl., Stuttgart, New York 1991 (1. Aufl. 1987) Willke, H. (2001): Systemisches Wissensmanagement, 2. Aufl., Stuttgart 2001 Willke, H. (2005): Komplexitt als Formprinzip. Helmut Willke ber Niklas Luhmann Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie (1984), in: Baecker (2005) S. 303-324 Wilson, R. S., Arvai, J. L. (2006): When less is more: How affect influences preferences when comparing low and high-risk options, in: Journal of Risk Research, 2006 (9), S. 165-178

507

Literaturverzeichnis

Wimmer, R. (2004): Organisation und Beratung: Systemtheoretische Perspektiven fr die Praxis, Heidelberg 2004 Witt, F. H. (1997): Organisation und Gesellschaft in der Theorie der Unternehmung, in: Ortmann, G., Sydow, J. Trk, K. (Hrsg.): Theorien der Organisation. Die Rckkehr der Gesellschaft, Opladen 1997 Wittgenstein, L. (1922): Tractatus logico-philosophicus (TLP), dt.-engl., London 1922 (Erstdruck dt. u.d.T. Logisch-philosophische Abhandlung, in: W. Ostwalds Annalen der Naturphilosophie, 1921) Whe, G., Dring, U. (1990): Einfhrung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 17. Aufl., Mnchen 1990 (1. Aufl. Mnchen 1960) Whe, G., Dring, U. (2008): Einfhrung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 23. Aufl., Mnchen 2008 (1. Aufl. Mnchen 1960) Xenophon (1992): Oikonomikos/Von der Hauswirtschaft, in: Audring, G. (Hrsg.): konomische Schriften, Berlin 1992 (entstanden ca. 370 vor Chr.; EA Florenz 1516)

508

Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis

A
Ablauforganisation ........................... 453 Absatz................................. 225, 236, 448 -funktion ................................ 221, 230 -markt ....................... 79, 183, 236, 465 Abteilung ........................................... 455 Abweichungsanalyse ............... 378, 457 Agent .................................................. 364 akquisitorisches Potenzial ............... 183 Aktiva ................................................. 149 Akzeptanztheorie der Autoritt...... 308 Allmendegter .................................. 205 Allokation .................................... 59, 203 Anderskosten .................................... 154 Angebot(s) ................................. 160, 198 -funktion ........................................ 198 -berhnge ..................................... 372 Ankereffekt ........................................ 290 Anlagevermgen ...................... 148, 332 Anreiz-Beitrags-Theorie........... 306, 309 Anspruchsniveau .............................. 273 Antizipationsentscheidung ................... ......................................... 123, 451, 454 quivalenzfunktionalismus .............. 91 Arbeitsproduktivitt ................ 188, 298 Arbeitsteilung.............. 66, 127, 200, 221 Arbeitsvertrag ................................... 309 Attributionstheorie ........................... 279 Aufbauorganisation ......................... 453 Aufwand ............................ 125, 153, 166 Ausdifferenzierung .......................... 398 Ausgaben ..................... 40, 152, 153, 166 Ausschlussprinzip .......................... Siehe Exklusion Auszahlung ....................................... 156 Autonomieprinzip ............................ 211

Autopoiese ................................... 88, 401

B
balanced scorecard............................ 333 Barliquiditt ....................................... 189 Barwertformel ..................................... 19 Basel II ................................................ 190 Basiskonzept -, konomisches ............................... 48 -, sozialwissenschaftliches ............. 48 Bayes-Regel ........................................ 254 Bedrfnis .................... 110, 116, 195, 208 -, latentes ........................................ 198 -, materielles................................... 306 -, nicht materielles ......................... 306 -, offenes ......................................... 198 -, primres .............................. 195, 269 -, sekundres .......................... 195, 270 -klasse ............................................. 271 -pyramide ............................... 196, 271 Behaviorismus ................................... 265 Beobachtung ........................ 89, 402, 468 - erster Ordnung.............. 89, 404, 458 - zweiter Ordnung .......... 90, 404, 463 Bernoulli-Regel .................................. 256 Beschaffung(s) ........................... 225, 448 -markt ............................................. 465 Betrieb(s) .................................... 106, 209 -gewinn........................................... 152 -leitung ........................................... 227 -mittel ..................................... 227, 234 -stoffe ................................ 37, 148, 202 -techniken........................................... 3 -typ ...................................................... 1 Betriebswirtschaftslehre ......................... ......12, 24, 33, 50, 55, 70, 106, 216, 369 -, Allgemeine .......... 1, 36, 76, 295, 351
509

M. Bardmann, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre,DOI 10.1007/978-3-8349-6517-2, Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Stichwortverzeichnis

-, deskriptive .................................... 51 -, ethisch-normative ............ 37, 42, 44 -, explikative .................................... 51 -, kapitalistische .................. 84, 88, 92 -, praktisch-normative .................... 51 -, prskriptive .................................. 51 -, sozialistische .......................... 49, 85 -, sozialwissenschaftliche ............. 292 -, spezielle .......................... 1, 471, 477 -, systemtheoretische ............ 367, 383 -, vorwissenschaftliche ............. 13, 31 Bewusstseinssystem ......................... 408 Bilanz .................................................. 149 -gewinn .......................................... 152 -kennziffer...................................... 189 -position ......................................... 149 -wert ............................................... 154 Bilanzierung .................................. 3, 151 Bilanztheorie -, dynamische .................................. 40 -, organische .................................... 40 black box ............................ 135, 142, 266 bounded rationality .................. 186, 296 break even point ................................. 36

-, axiomatische ................................. 92 -, nomologische ............................... 92 -, realtheoretische ............................ 92 Deutsche Historische Schule ..... 43, 335 ltere .............................................. 337 Jngere ........................................... 336 Dialektik ............................................... 91 Dienstleistungsunternehmen .......... 471 Differenzierung ................................. 453 Differenztheorie ................................ 391 Diskursethik ........................................ 68 dissipative Strukturen ...................... 375 Diversifikation ................................... 478 Dominanzregel .................................. 253 Doppelkreislauf ................................. 432 doppelte Buchfhrung ............... 28, 152 doppelte Kontingenz 131, 141, 192, 415 Durchschnittskosten ......................... 169 Dyopol ................................................ 176

E
Effektivitt ......................................... 307 Effizienz ............................................. 308 Eigenkapital ....................... 146, 148, 332 -quote .............................................. 190 -rentabilitt ............................ 157, 331 -zins, kalkulatorischer .................. 154 Eigentumsrechte ....................... 344, 359 Einkommen(s) ................... 145, 191, 466 -ermittlung ..................................... 145 Einnahmen ........................... 40, 152, 166 Einzahlung ................................. 156, 449 Einzelentscheidung................... 123, 211 Einzelwirtschaft .............. 12, 23, 59, 106 Einzelwirtschaftslehre ................ 36, 213 Elementarfaktor................................. 227 Embedding-Effekt ............................. 290 Emergenz ............................... 84, 90, 141 -konzept.......................................... 293 Empirismus.................................... 82, 85 Endowment-Effekt ............................ 286 Entropie ...................................... 342, 374

C
ceteris paribus ................................... 104 Chancen-Risiken-Analyse ............... 224 Codierung .......................................... 422 Controlling ................................ 450, 461 Corporate Citizenship ........................ 72 Corporate Good Governance ............ 71 Corporate Social Responsibility ........ 71 cost center .......................................... 366 Cournotscher Punkt ......................... 175

D
DDR ........................................ 49, 85, 381 Deckungsbeitrag ............... 246, 248, 311 Deduktion ...................................... 44, 92 -, analytische .................................... 44

510

Stichwortverzeichnis

Entscheidung(s) ........................ 239, 240 -, operative ..................................... 247 -, strategische ................................. 247 -gedchtnis .................................... 439 -gewichtungsfunktion .................. 288 -logik........................... 25, 54, 126, 246 -matrix .................................... 242, 248 -methoden ...................................... 122 -modell ................................... 101, 247 -prmisse................ 247, 305, 311, 439 -prozess .......................... 239, 246, 263 -regeln .................................... 248, 261 -situation, schlecht strukturierte . 241 -situation, wohl strukturierte ............ ............................................. 241, 248 -system ........................................... 302 -theorie ........................... 239, 246, 263 unter Risiko ........................... 242, 252 unter Sicherheit ..................... 242, 248 unter Ungewissheit .............. 242, 257 unter Unsicherheit ................ 242, 285 unter Unwissen ............................. 242 Entscheidungsrechte ........................ 359 ERG-Theorie ...................................... 271 Ertrge ........................ 151, 152, 157, 166 Erwartungsnutzen ............................ 256 -theorie ........................... 256, 270, 285 erwerbswirtschaftliches Prinzip ........... ................................................. 212, 222 Ethik ......................................... 60, 76, 81 -, deontologische ............................. 64 -, konsequentialistische .................. 67 -, nikomachische ............................. 64 -, teleologische ................................. 66 konomische................................... 68 Evolutionstheorie.............. 137, 338, 376 Existenzbedrfnisse.......................... 196 Exklusion -, physikalische .............. 132, 203, 205 -, rechtliche ............................ 203, 205 Explanandum ...................................... 93 Explanans ............................................ 93 externe Effekte................... 205, 207, 360

F
Faktor -, derivater ...................................... 229 -, dispositiver ................................. 227 -, produktiver................................. 226 Faktorleistungen ............................... 111 Faktorspezifitt ................................. 356 faktortheoretischer Ansatz..................... ......................................... 216, 225, 230 Falsifikation ......................................... 99 Feed forward ..................................... 379 Feedback ............................................ 379 Feedbackschleife ............................... 378 Feldtheorie ......................................... 279 Fertigung(s) -typ .................................................. 474 -verfahren ....................................... 474 Finanzierung...................... 225, 236, 449 Finanzplan ......................................... 189 formalwissenschaftliche Anstze .......... ................................................. 239, 246 Formbegriff ........................................ 393 Framing-Effekte ................................ 285 free rider ............................................. 206 Fremdbeobachtung ............. 89, 403, 468 Fremdkapital ............. 146, 158, 189, 332 -zinsen .................................... 158, 331 Fremdreferenz ..................................... 89 Fhrungsgre .................................. 378 Fhrungsverhalten ........... 276, 283, 300 fundamentale Transformation......... 358 Funktion ............................................. 401 Funktionsbereich........... 1, 228, 447, 477 Funktionssystem ....................... 426, 440

G
Ganze/Teil-Schema ................... 368, 370 Gebrauchsgter ................................. 202 Gefangenendilemma ........ 130, 135, 139 Geld .................................................... 433 -strme............................................ 444

511

Stichwortverzeichnis

-system ........................................... 434 -wirtschaft ................ 42, 145, 203, 208 Gemeineigentum ........................ 17, 211 Gemeinwirtschaftslehre ..................... 44 generalisierte Verhaltenserwartungen ......................................................... 424 Genossenschaft ..................... 1, 128, 349 Gesamtentscheidung ........................ 123 Gesamtkapital ................... 157, 190, 331 -rentabilitt ............................ 157, 331 Gesamtkosten ............................ 166, 167 Gesamtplan................ 123, 211, 229, 455 Gesamtproduktivitt ........................ 188 Gesamtvermgen .............................. 146 Gesamtwirtschaft .... 12, 40, 57, 367, 380 Geschichte der Betriebswirtschaftslehre......... 2, 3, 13 Gesellschaft(s) ............. 61, 130, 303, 426 -system ....................................... 61, 86 -vertrag ................................... 136, 322 Gesellschafter ............................ 149, 322 Gewinn ..................20, 147, 155, 188, 327 -, kalkulatorischer ......................... 152 -, pagatorischer.............. 147, 151, 155 -ermittlung ..................................... 147 -funktion ................................ 167, 177 -maximierung ........ 160, 166, 220, 310 -maximum ............................. 175, 184 -verwendung ................................. 150 Gewinn- und Verlustrechnung . 40, 151 Gewinnungsunternehmen............... 471 Gleichgewichtstheorie ...................... 367 going concern .................................... 339 Gossensches Gesetz -, erstes ............................................. 95 -, zweites .......................................... 95 Grenzerlse........................................ 169 Grenzertrag ....................................... 113 Grenzkosten ...................................... 167 -funktion ........................................ 171 Grenznutzen .................................. 21, 95 -theorie ............................................. 21 Grenzproduktivitt............. 95, 232, 375

Grenzumsatz ..................................... 167 Grundbedrfnisse ............................. 196 Grundkosten ...................................... 153 Gter ........................... 126, 195, 204, 338 -, demeritorische............................ 204 -, freie ...................................... 200, 201 -, immaterielle................ 202, 471, 472 -, indifferente ................................. 202 -, komplementre .......................... 202 -, materielle ............................ 202, 471 -, meritorische ................................ 204 -, ffentliche ........................... 205, 207 -, private ......................................... 203 -, substituive .................................. 202 -knappheit .............. 120, 125, 200, 208 -ordnung ........................................ 191 -strme.................................... 444, 466

H
Handelnsordnung ............................. 341 Handelshochschule............................. 35 Handlung(s) ....................................... 415 -alternative (-mglichkeit) ... 240, 248 -folge (-konsequenz) ..................... 240 -koordination ................. 128, 139, 352 -rechte ............................................. 359 -system ................................... 302, 340 -wissenschaft ............................. 24, 26 Haushalt ......................... 24, 57, 160, 209 Haushaltstheorie ................................. 79 Hausherrenlehre ................................. 24 Hawthorne-Experimente ................. 298 Hermeneutik........................................ 98 Heterogenitt ..................................... 181 Heuristik .............................................. 99 hidden action ..................................... 364 hidden information ........................... 364 Hierarchie .................................. 348, 359 Hilfsstoffe ........................... 203, 227, 234 Holismus .............................................. 84 homo oeconomicus ................................. ................. 180, 182, 186, 220, 285, 296

512

Stichwortverzeichnis

homo organisans ............................... 296 Homogenitt.............................. 161, 181 human relations ................................ 299 Humankapital ................................... 357 Hurwicz-Regel (PessimismusOptimismus-Regel ........................ 260

I
Idealismus............................................ 82 Idealwissenschaften ........................... 52 Indifferenz ................................. 161, 181 -kurve ..................................... 118, 121 -zone (zone of indifference) ......... 308 Individualethik ................................... 60 Individualgter ......................... 132, 203 Individualismus, methodologischer ....................................... 33, 82, 90, 293 Individualistischevolutionstheoretischer Ansatz... 137 individualistisch-utilitaristischer Ansatz ............................................ 132 Individualistisch-vertragstheoretischer Ansatz ..................... 133 Induktion ......................... 44, 47, 92, 337 Industriebetriebslehre .............. 1, 23, 30 Industriekonomik, neuere ............. 223 Informationsasymmetrie . 345, 358, 365 Informationskosten .................. 353, 355 Informationstheorie .......................... 382 Inhaltstheorien .................................. 270 Innenfinanzierung ............................ 449 Input ........................................... 225, 377 Inputgter .................................. 111, 202 Input-Output-Modelle ............. 225, 377 Instanz ................................................ 455 Instinkte ..................... 195, 267, 269, 338 Institution .............35, 130, 335, 340, 425 Institutionalismus Alter ................................................ 336 amerikanischer .............................. 338 Institutionenkonomik Neue ............................................... 335

Integration.................................. 453, 469 -, horizontale .................................. 386 -, vertikale ...................................... 386 Interaktion(s) ..................................... 436 -rechte ............................................. 360 -system ........................................... 437 -theorie ........................................... 279 Interdependenz ................................. 129 Interpenetration ........................ 409, 416 Inventar .............................. 147, 152, 243 Investition(s) ...................... 158, 356, 449 -rechnung ......................................... 19 -theorie ........................................... 236 Irrationalitten............................. 47, 225 Ismen .................................................... 81 Ist-Kosten ........................................... 155

J
Joint Venture ...................................... 349

K
Kapital ........................................ 157, 226 -beschaffung .................................. 363 -erhaltung ....................................... 332 -geber .............................................. 304 -gewinn........................... 155, 157, 331 -markt ................................. 37, 79, 465 -rentabilitt .................................... 157 -umschlag ....................................... 331 -wert .................................................. 19 Kapitalismus ................................ 42, 381 Kennziffer .......................... 123, 313, 451 Kennziffernsystem ............................ 326 KMU ................................................ Siehe Mittelstandsbegriff Knappheit .......... 120, 125, 200, 208, 429 Koalitionspartner ...................... 308, 310 -, externe ......................................... 317 -, interne ......................................... 317 Koalitionstheorie ............................... 309 Kollektivgter.................... 132, 205, 207

513

Stichwortverzeichnis

Kollektivismus, methodologischer ....... ..................................................... 82, 84 Kombinate ................................... 50, 128 Kommunikation(s) ........... 396, 415, 427 -medien .......................................... 421 -system ..................................... 89, 408 Komplexitt ........325, 376, 410, 423, 428 Konstruktivismus, radikaler ............. 82 Konsum ...................................... 209, 344 Konsumgter..................................... 202 Konsumtionswirtschaft .................... 209 Kontrakteinkommen ........................ 363 Kontrolle .................................... 454, 461 Kontrollsystem .................................. 319 Kooperation ....................................... 348 Kooperations-System ....................... 303 Koordination ............................. 315, 352 -, dezentrale ..................................... 58 -, ex ante ......................................... 211 -, ex post ......................................... 211 -, zentrale ......................................... 58 Kopplung ................................... 407, 415 -, feste ............................................. 409 -, lose............................................... 409 -, operative ............................. 397, 409 -, strukturelle ................................. 407 Kosmos ............................................... 346 Kosten..................153, 166, 231, 331, 355 -, fixe ......................................... 25, 166 -, kalkulatorische ........................... 154 -, pagatorische ............................... 153 -, private ......................................... 205 -, soziale ......................................... 205 -, variable ................................. 25, 166 -, wertmige................................. 153 -funktion ................................ 167, 235 -theorie ................................... 187, 235 -wirtschaftlichkeit ......................... 187 Kosten- und Leistungsrechnung .......... ................................................. 147, 152 Kreuzpreiselastizitt......................... 163 Kritischer Rationalismus............ 93, 100 Kunstlehre ........................................... 39

Kybernetik ......................................... 378

L
Lagerhaltung ............................. 166, 448 Laplace-Regel .................................... 258 Lebenszyklus ..................................... 477 Leistung ...................................... 166, 401 Leistungsmotivation ......................... 308 Leistungsmotivationstheorie ........... 273 Leitung ....................................... 122, 450 -, monetre ..................................... 455 -, naturale ....................................... 455 -, personale ..................................... 456 Leitungsspanne ................................... 26 Leverage-Effekt ................................. 158 Liquidation ................................ 156, 360 Liquiditt...................... 37, 148, 189, 310 Liquidittskennzahlen...................... 189 Lock-in-Effekt .................................... 357 Logistik ....................................... 183, 448 Lohn ...................................................... 57 -, gerechter ....................................... 16 -system ........................................... 299 Luxusbedrfnisse.............................. 197

M
Makrokonomie .................................. 58 Management .............................. 385, 451 -, normatives .................................... 78 -, operatives.................................... 385 -, strategisches ............................... 385 -, werthaftes ................................... 385 -lehre ............................................... 411 -philosophie ................................... 385 -praxis ............................................... 72 Marginalanalyse ........................ 220, 335 Marketing ....................... 1, 183, 199, 448 Marketing-Mix .................................. 183 Markt ................................ 16, 57, 69, 139 -, interner ........................................ 326 -, unvollkommener ............... 160, 221

514

Stichwortverzeichnis

-, vollkommener ............................ 160 -ausschlussprinzip ........................ 205 -form ....................................... 128, 160 -koordination......17, 58, 139, 203, 353 -modell ............................. 18, 160, 185 -ordnung ........................................ 139 -politik ............................ 160, 161, 176 -preis ......................................... 16, 160 -Preis-Mechanismus ............. 198, 352 -transparenz................................... 161 -versagen .......................................... 59 -wirtschaft ................................ 57, 211 Marxismus ........................................... 85 Materialismus...................................... 82 Mautgter .......................................... 205 Maximalprinzip ........................ 125, 187 Maximax-Regel ................................. 258 mechanism design ............................ 343 Mengenpolitik ................... 161, 173, 220 Methodenstreit .................................... 43 Mikrokonomie .............. 47, 54, 79, 219 Mikropolitik ...................................... 457 Minimalprinzip ......................... 125, 187 Minimax-Regel .................................. 258 Mischgter ......................................... 205 Mitgliedschaft ........................... 321, 438 Mitgliedsrolle .................................... 319 Mittelstandsbegriff ........................... 473 Monopol ............................... 16, 161, 173 Moral ........................................ 15, 60, 74 moral hazard ..................................... 365 Moralkodex ......................................... 71 Motivation(s) ............................. 195, 270 -, extrinsische ................................. 198 -, intrinsische ................................. 198 -modell ................................... 197, 275 -technik........................................... 322 -theorie ............................. 96, 196, 270 Motivatoren ....................................... 271 Motive ................................................ 195

N
Nachfrage ........................... 160, 163, 198 -funktion......................................... 163 -gesetz ....................................... 96, 163 -berhnge ..................................... 372 Nationalkonomie ...................... 27, 294 Nationalsozialismus ............. 38, 61, 281 Naturaltausch ............................ 145, 203 Naturrecht ............................................ 17 Naturwissenschaften .......................... 52 Neoklassik.......................... 191, 220, 338 neoklassische Unternehmenstheorie ................................................. 219, 294 Netzwerke .......................................... 326 Nominalgter ............................ 203, 447 Nominalgtersphre ................ 447, 450 Norm .................................................. 424 Normensystem .................................... 51 Nutzen .......................... 21, 110, 153, 275 -funktion................................. 110, 315 -gebirge........................................... 117 -niveau ............................................ 119

O
Oikos ..................................................... 24 konomik ............................ 24, 294, 336 Ethische ............................................ 65 konomische Gesetze ......................... 94 konomisches Prinzip 33, 124, 145, 294 Oligopol...................................... 161, 222 Operationen ............... 395, 397, 403, 408 Operationstyp.................................... 395 Opportunittskosten................. 153, 355 Optimalpreise .................................... 315 Ordnung(s) .......................... 56, 127, 340 -, gemachte ..................................... 346 -, interne ......................................... 424 -, invariante .................................... 426 -, komplexe..................................... 376 -, normative ...................................... 68 -, polyzentrische ............................ 346

515

Stichwortverzeichnis

-, soziale ........................... 52, 127, 415 -, spontane ..................................... 346 -begriff ............................................ 340 -element.................................. 128, 341 -grad ............................................... 425 -interdependenzen........................ 129 -politik .............................................. 58 -problem......................................... 130 Organisation ............................................ ...... 25, 47, 122, 228, 303, 340, 438, 450 -, formale ...... 138, 297, 304, 346, 385, 438, 453 -, hierarchische .............................. 339 -, informale .................... 301, 346, 385 Organisationspersnlichkeit ........... 304 Organisationstheorie ................ 283, 303 Organprinzip ..................................... 211 Output ................................ 187, 225, 377 Outputgter............................... 111, 202 over confidentiality bias................... 291 Overhead-Kosten .............................. 479

P
Pareto-Effizienz ......................... 203, 312 Partialanalyse .................................... 117 Passiva ................................................ 149 Periodengewinn ................................ 155 Personenbegriff ................................. 412 Persnlichkeit -, individuelle ................................ 303 Persnlichkeitstheorie ...................... 280 Pflichtenethik ...................................... 64 Philosophie .......................................... 82 Plan -, kurzfristiger................................ 454 -, langfristiger ................................ 454 -aufstellung ............................ 247, 451 -durchfhrung (-implementation) ..................................... 124, 228, 247 -entscheidungen ............................ 451 -erfllungsprinzip......................... 212 -kostenrechnung ........................... 153

Planung .......... 25, 47, 122, 228, 247, 450 -, dezentrale ..................... 49, 128, 211 -, operative ............................. 247, 263 -, strategische ................................. 262 -, zentrale .......................... 49, 128, 211 Polypol........................................ 161, 166 Potentialfaktor ................................... 202 Preis ........................................ 15, 21, 160 -, gerechter ................................. 15, 38 -elastizitt ....................................... 163 -politik .................... 161, 173, 183, 220 -system ........................................... 315 -theorie ..................................... 18, 165 Preis-Absatz-Funktion.............. 173, 183 doppelt geknickte - ....................... 181 Principal ............................................. 364 Principal-Agent-Ansatz............ 345, 364 Privateinlage .............................. 149, 322 Privatentnahme ................................. 149 Privatwirtschaftslehre ............ 30, 36, 42 Produktdifferenzierung ... 164, 181, 224 Produktion(s) ....... 41, 187, 225, 402, 448 -faktor ....... 57, 111, 202, 226, 377, 474 -gter .............................................. 202 -kennziffer ...................................... 188 -koeffizient ............................. 188, 231 -kosten .............................................. 15 -mglichkeitenkurve............. 110, 114 -programm ..................................... 311 -prozess ............................ 37, 111, 202 -theorie ................................... 187, 225 -verfahren ....................................... 112 -verhltnis ...................................... 380 Produktionsfunktion ........110, 111, 122, ..........167, 202, 221, 225, 230, 231, 466 -, klassisch ertragsgesetzliche ............ ..................................... 113, 167, 232 -, limitationale................................ 232 -, monetre ............................. 167, 235 -, neoklassisch ertragsgesetzliche 113 -, substitutionale ............................ 231 Gutenberg- ..................................... 231 Produktivitt ............. 187, 188, 230, 231

516

Stichwortverzeichnis

Produktivkrfte ................................. 380 profit center ....................................... 366 Programm .......................................... 424 Prohibitivpreis .................................. 174 property-rights-Ansatz .................... 359 prospect theory ......................... 285, 288 Prozesspolitik ...................................... 58 Prozesstheorie ................................... 270 Psychologie ................................ 264, 292

R
Rationalismus ...................................... 82 Rationalitt ........................ 124, 186, 285 -, begrenzte .................... 186, 296, 355 -, formale ........................................ 125 -, individuelle ................................ 132 -, konomische ................................ 46 Rationalprinzip ................................. 122 Reaktionsentscheidung .... 124, 452, 455 Realgter .................................... 203, 447 Realgtersphre ........................ 447, 450 Realismus ....................................... 82, 90 Realwissenschaften............................. 52 Rechnungswesen ..........................1, 28, 41, 102, 147, 458 -, externes ....................................... 147 -, internes ....................................... 147 Rechtsform..................... 1, 128, 322, 475 re-entry ....................................... 396, 405 reference-dependence ...................... 286 reference-independence ................... 286 Reflexion ............................................ 401 Regel der hchsten Wahrscheinlichkeit ....................... 253 Regelkreis .................................. 378, 450 - der Unternehmensfhrung ....... 454 Regelsphre ....................................... 450 Regelsystem ............................... 340, 347 Regelung .................................... 378, 450 Reinvermgen(s) ............................... 145 -minderung .................................... 146 -vergleich ....................................... 145

-zuwachs ........................................ 146 Rentabilitt ......................... 157, 189, 310 Repetierfaktor .................................... 202 requisite variety......................... 409, 426 Residualeinkommen ......................... 363 Return on Investment (ROI) .... 155, 331 Risiko -aversion ................................. 255, 287 -freudigkeit ............................ 255, 287 Rivalitt ...................................... 132, 203 Robinsonade .............................. 109, 201 Rolle .................................................... 424 -, formale ........................................ 319 -, informale ..................................... 319 Rckkopplung (Feedback) ....... 379, 452

S
Sachkapitalspezifitt ......................... 357 Sachleistungsunternehmen.............. 471 Sachziel ............................................... 153 Sanktion.............................................. 453 satisficing ........................................... 296 Sttigungsmenge ............................... 174 Savage-Niehans-Regel ...................... 258 Scheingewinn ...................................... 41 Scholastik ............................................. 15 Schulden ..................................... 146, 148 Schule von Salamanca .................. 15, 18 scientific management ...................... 298 Seitenzahlung .................................... 316 Selbstbeobachtung .............. 89, 403, 468 Selbstkontakt ............................. 398, 467 Selbstkosten ......................................... 40 Selbstorganisation ................................... ................. 138, 326, 346, 385, 401, 453 Selbstreferenz ...................... 89, 401, 403 Shareholder ........................................ 333 Shareholder-Value-Ansatz ............... 333 shirking ...................................... 363, 365 Sinn ..................................................... 415 SMART ............................................... 330 Soll-Ist-Vergleich ....................... 378, 457

517

Stichwortverzeichnis

Soll-Kosten ......................................... 154 S-O-R-C-Modell ................................ 265 soziale Lerntheorie ........................... 279 soziale Marktwirtschaft ..................... 49 Sozialismus .................................. 77, 381 Sozialwahltheorie ............................. 315 Sozialwissenschaften ...... 43, 52, 92, 292 Soziologie........................... 106, 130, 294 Spezialisierung .......................... 298, 301 Spezifikation -, unvollstndige ........................... 362 -, vollstndige ................................ 361 Spezifitt des Humankapitals ......... 357 Spieltheorie ................................ 316, 343 St. Galler Management-Modell ....... 383 Staat(s) .................................................. 58 -versagen .......................................... 59 Stakeholder .................................. 71, 309 Stakeholder-Value-Ansatz ......... 74, 309 Standortspezifitt.............................. 357 Strken-Schwchen-Analyse ... 224, 463 steady state ........................................ 372 Stelle ................................................... 455 Steuersphre ...................................... 450 Steuerung ................................... 378, 450 Steuerung und Regelung -, primre ....................................... 450 -, sekundre ................................... 461 Strategie ..................................... 134, 139 Strukturentscheidung ...................... 453 Stckkosten -, totale ............................................ 170 -, variable ....................................... 170 Stcklohn ........................................... 298 Suchkosten ......................................... 355 sunk-costs .......................................... 357 System .......................... 87, 368, 395, 398 -, abstrakt-analytisches ................... 47 -, autopoietisches .... 88, 141, 396, 401 -, biologisches ................................ 303 -, chemisches.................................. 375 -, gekoppeltes ................................ 408 -, geschlossenes ..... 372, 384, 391, 397

-, kybernetisches ............................ 378 -, offenes ......................... 372, 377, 384 -, organisches ................... 86, 374, 413 -, physikalisches ............................ 303 -, produktives .. 46, 226, 264, 299, 444 -, psychisches ........... 84, 264, 292, 412 -, reales.............................................. 86 -, selbstreferenzielles............. 398, 403 -, sinnbegrndendes ....................... 89 -, soziales ... 46, 86, 264, 292, 302, 385, ..................................... 411, 423, 444 -, technisches .................... 86, 303, 384 -begriff, klassischer ....................... 368 -beziehungen ................................. 407 -bildung .......................................... 462 -differenzierung .................... 398, 405 -grenzen.................................. 143, 406 -kopplung....................................... 462 -referenz ......................................... 403 -struktur ................................. 399, 408 -theorie ............. 86, 140, 143, 367, 389 -theorie, funktional-strukturelle.... 86 -theorie, klassische .......................... 88 -theorie, neuere.. 86, 91, 295, 390, 412 -theorie, strukturell-funktional ..... 86 -umwelt .......................................... 408 System/Umwelt-Differenz ....... 398, 404 systembezogene Faktoren ................ 211 systemindifferente Faktoren ............ 210

T
Tausch ......................................... 127, 353 Taxis .................................................... 346 Teamtheorie ....................................... 314 Teilnahmemotivation........................ 308 Teilproduktivitt ....................... 188, 235 Theorie des Organismus .................. 373 Totalgewinn ......................................... 40 Totalgewinn, pagatorischer ............. 155 Transaktion ........................................ 353 Transaktionshufigkeit ..................... 356 Transaktionskosten ... 344, 352, 353, 360

518

Stichwortverzeichnis

-, externe......................................... 353 -, unternehmensinterne ................ 353 Transaktionskostenansatz................ 352 Transformation(s) ............................. 225 -kurve ............................................. 114 -prozess .......................................... 111 -regel ....................................... 377, 466 Transzendentalphilosophie ............... 83 Triebe ................................................ Siehe Instinkte Triffinscher Koeffizient .................... 163 Trittbrettfahrer .................................. 206 Tugendethik......................................... 64

-struktur ................................. 447, 474 -theorie ................... 47, 56, 70, 79, 219 -umwelt .......................................... 465 -variablen ......................................... 46 -verbindungen ............................... 477 -verfassung..................................... 475 -ziel.................................. 305, 310, 458 -ziel, nicht-operationales .............. 318 -ziel, operationales ........................ 330 -ziel, strategisches ......................... 325 Unterscheidung ......................... 394, 404 Ursache-Wirkungs-Beziehung .. 43, 159

U
berwachungskosten ....................... 355 Umlaufvermgen ...................... 148, 332 Umsatzrentabilitt ............................ 331 Umweltkontakt ......................... 398, 467 Umweltunsicherheit ......................... 358 Ungleichgewichtstheorie ................. 367 Unreife-Reife-Theorie....................... 282 Unsicherheit ...................... 353, 356, 438 unsichtbare Hand ............... 17, 138, 211 Unternehmen(s) ...... ...42, 46, 54, 58, 79, .. 211, 264, 294, 302, 352, 384, 438, 444 -, neoklassisches ............................ 219 -ethik............................. 56, 70, 77, 386 -form ............................................... 128 -fhrung .... 70, 227, 264, 367, 383, 450 -gesamtplan ................................... 451 -gliederung .................................... 471 -grenzen ......................................... 303 -gre ..................................... 352, 473 -kooperation .......................... 348, 479 -kultur .................................... 386, 459 -organisation.................................. 453 -philosophie ................................... 459 -planung ................................. 451, 462 -politik ........................................ 56, 70 -sphre ............................................ 447 -strategie................. 224, 325, 387, 459

V
Valenz ................................................. 275 Variablen -, endogene ..................................... 103 -, exogene ....................................... 103 Verarbeitungsunternehmen ............. 471 Verbrauchsfunktion .......................... 233 Verbrauchsgter ................................ 202 Verbrauchsmengenvariation -, partielle ....................................... 117 -, totale ............................................ 117 Vereinbarungskosten ........................ 355 Verfgungsrechte ...................... 344, 359 Verhaltensunsicherheit ..................... 353 verhaltenswissenschaftliche Anstze ........................................... 48, 239, 263 Verhandlungskosten ................. 353, 355 Verhandlungstheorie ........................ 316 Verifikation .......................................... 99 Vermgen ................................... 148, 149 Vernunftethik................................. 64, 73 Vertrag ................................................ 350 -, klassischer ................................... 350 -, neoklassischer ............................ 350 -, relationaler .................................. 350 Vertragsabschlusskosten .................. 353 Vertragsentwurfskosten ................... 355 Vertragsschlieungsrechte ............... 344 Vertragstheorie .................................... 74

519

Stichwortverzeichnis

VIE-Theorie ....................................... 275 Volkswirtschaftslehre ........... 43, 55, 336 Vorkopplung (feed forward) ........... 379 Vorsorgebedrfnis ............................ 208 Vroom-Modell ................................... 275

Wirtschaftlichkeitsprinzip ............... 210 Wissenschaft(s) .............................. 13, 34 -konzepte.......................................... 81 -system ............................................. 35 wissenschaftliche Methoden ............. 91 WZ 2008 ............................................. 472

W
Wachstumsstrategie.......................... 478 Wahrnehmungsverzerrungen ......... 285 Wahrscheinlichkeit(s) ....................... 288 -, objektive...................................... 242 -, subjektive ............................ 243, 288 -rechnung ................................. 20, 288 Warm-Glow-Effekt ........................... 290 Wertesystem ...................................... 387 Wertfunktion (value function) ........ 287 Wertlehre -, objektive........................................ 21 -, subjektive ...................................... 21 Wertrationalitt ................................. 125 Werturteilsstreit .................... 43, 49, 336 Wettbewerb........................................ 223 Wirtschaft(s) -ethik............................... 38, 56, 70, 77 -gter ...................................... 200, 201 -ordnung ...........56, 127, 128, 130, 382 -ordnungselement......................... 128 -politik .............................................. 70 -prozess ............................................ 56 -sektor ....................................... 58, 471 -system ................49, 56, 372, 380, 428 -systemtheorie ................. 49, 367, 380 -theorie ............................... 56, 70, 367 -verfassung ............................ 128, 339 Wirtschaftlichkeit .............................. 188

X
X/Y-Theorie ........................................ 283

Z
Zahlung(s) .......................................... 430 -fhigkeit ........................................ 433 -unfhigkeit............................ 189, 433 Zentralverwaltungswirtschaft ............... ..................................... 49, 57, 211, 381 Ziel ...................................... 248, 273, 310 -beziehungen ................................. 328 -funktion................................. 246, 311 -konflikt .......................... 189, 246, 251 -system ................................... 310, 329 -theorie ........................................... 278 Zins ....................................................... 18 -, kalkulatorischer ......................... 155 -satz ................................................... 19 -verbot .............................................. 18 Zinseszins............................................. 19 Zuckerwelt ......................................... 376 Zusatzkosten...................................... 154 Zweckaufwendungen ....................... 153 Zweckgebundene Sachwerte ........... 357 Zweckrationalitt ...................... 125, 368 Zwei-Faktoren-Theorie .................... 271

520

Das könnte Ihnen auch gefallen