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Aufzeichnungen eines Auenseiters

Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner

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VORWORT

Vor mehr als einem Jahr startete John Bryan irgendwo in Los
Angeles seine Underground-Zeitung OPEN CITY. Es fing an in
einem Hinterzimmer im Parterre eines kleinen bauflligen
Hauses, das er gemietet hatte, dehnte sich bald auf smtliche
Rume aus, und schlielich wurde der ganze Laden ins Ge schftsviertel an der Melrose Avenue verlegt. Das soll nicht
heien, das Bryan nun ausgesorgt hat. Die Auflage ist zwar
gestiegen, aber die Anzeigen kommen nicht rein wie sie sollten. Drben im vornehmeren Teil der Stadt hat sich die LOS
ANGELES FREE PRESS etabliert. Und die kriegen die Anzeigen. Das
Dumme ist, da sich Bryan diese Konkurrenz selbst zu verdanken hat; er hatte nmlich zuerst fr die L. A. FREE PRESS
gearbeitet und ihre Auflage von 16000 auf mehr als das Dreifache gesteigert. Das ist fast so, als wenn man die National
Army aufbaut und sich dann auf die Seite der Aufstndischen
schlgt. Natrlich, es geht nicht nur um eine Rivalitt zwischen OPEN CITY und FREE PRESS. Wenn man OPEN CITY liest,
merkt man sehr schnell, da es um mehr geht. OPEN CITY legt
sich mit den Big Boys an und wei Gott, es kommen uns
gerade in diesen Tagen ein paar renommierte Bosse in die
Quere. Es ist also aufregender und riskanter, fr OPEN CITY zu
arbeiten den mutigsten Fetzen Zeitung, schtze ich, den wir
in den USA heute haben. Aber davon allein kann man sich
eben in Gottes Namen noch keine Margarine aufs Toastbrot
streichen, und fr die Katze fllt dabei auch nichts ab; und
bald kommt es so weit, da man den Toaster verschrotten
kann und die Katze in die Pfanne hauen mu.
Bryan ist ein verrckter Romantiker und Idealist. Er stieg aus,
oder wurde gefeuert, oder beides damals flog 'ne Menge
Scheie durch die Luft jedenfalls er verlor seinen Job beim
HERALD EXAMINER, weil er Stunk gemacht hatte, als man dem
Jesuskind den Bammelmann und die Eier wegretuschierte. Und
das auf der Titelseite der Weihnachtsausgabe. Und es ist
nicht mal mein Gott, sagte er zu mir, es ist denen ihrer.
Dieser romantische Idealist grndete also OPEN CITY. Wie
wrs mit einer wchentlichen Kolumne? fragte er mich so

nebenbei und fummelte an seinem roten Bart. Naja, wissen Sie,


wenn ich so an unsere Kolumnisten denke und was fr eine
mde Soe die sich aus den Fingern saugen, besonders attraktiv erschien mir die Sache eigentlich nicht. Aber ich fing an,
nicht mit einer Kolumne, sondern mit einer Besprechung von
Papa Hemingway von A. E. Hotchner. Dann, eines Tages,
nach dem letzten Rennen und ein paar guten Wetten, hockte
ich mich hin und tippte die berschrift: NOTES OF A DIRTY OLD
MAN, machte 'ne Dose Bier auf, und das Schreiben erledigte
sich von selbst. Nichts von dem verkrampften Gedrechsel, das
gefragt ist, wenn man was fr Atlantic Monthly schreibt; aber
auch kein 08/15-Journalistengewsch. Ich sa einfach am Fenster, kippte mein Bier und lie die Sachen kommen wie sie
kamen. Und mit Bryan hatte ich nie Schwierigkeiten. Ich gab
ihm ein Manuskript in den frhen Tagen und er bltterte
es durch und sagte: OK, gekauft. Nach einiger Zeit bltterte
er es nicht einmal mehr durch, sondern stopfte es einfach in
ein Fach und sagte: Gekauft. Was gibts sonst Neues? Inzwischen sagt er auch nicht mehr, Gekauft. Ich drck ihm
einfach ein paar Seiten in die Hand und damit hat sichs. Das
hat mir natrlich beim Schreiben sehr geholfen. Ich glaube,
man merkt es den Texten an. Vllige Freiheit, zu schreiben
was man will. Es war eine gute Zeit fr mich; ich habe es
auch ernst genommen, wenigstens ab und zu; vor allem aber
bekam ich mit der Zeit das Gefhl, da mir das Schreiben
immer besser von der Hand ging.
An Direktheit und Action, finde ich, ist es Gedichten um Lngen voraus. Ein Gedicht wird zur Verffentlichung angenommen und man kann sich darauf einstellen, da es irgendwann
nach zwei bis fnf Jahren erscheint, und die Chancen stehen
fifty-fifty, da es berhaupt nicht erscheint; oder da Zeilen
daraus Wort fr Wort im Opus irgendeines bekannten Dichters auftauchen, und dann kommt man auf den Trichter, wie
beschissen es in der Welt zugeht. Nichts gegen Gedichte; nur
gibt es zu viele unmagebliche Scheier, die vorgeben, welche
zu schreiben, und der Mist wird dann unweigerlich auch noch
irgendwo abgedruckt. Bei den NOTES setz ich mich mit einem
kalten Bier an einem Freitag oder Samstag oder Sonntag hin
und fang an, die Sache in die Maschine zu hacken, und bis
Mittwoch hat die ganze Stadt ein Exemplar auf dem Tisch. Ich
kriege Briefe von Leuten, die nie ein Gedicht gelesen haben,
weder von mir noch von sonst jemand. Leute kommen an meine

Tr ehrlich gesagt, es sind mir viel zu viele , um mir mitzuteilen, da sie von NOTES OF A DIRTY OLD MAN begeistert sind.
Ein heruntergekommener Typ kommt an und bringt einen Zigeuner plus Frau mit und wir quatschen und saufen die halbe
Nacht. Eine Dame vorn Fernamt in Newburgh, N. Y., schickt
mir Geld. Sie mchte, da ich das Biertrinken aufgebe und
lieber was Anstndiges esse. Ich hre von einem Irren, der
sich Knig Arthur nennt und in der Vine Street in Hollywood lebt und mir beim Schreiben meiner Kolumne helfen
will. Ein Typ kommt in aller Herrgottsfrhe angeschossen
und sagt: Ich habe Ihre Spalte gelesen und glaube, da ich
Ihnen helfen kann. Ich war frher mal Psychiater. Ich schick
ihn wieder weg.
Ich habe hier Kolumnen aus annhernd 14 Monaten zusammengestellt. Ich hoffe, da Ihnen das Zeug was sagt. Wenn
Sie mir Geld schicken wollen, in Ordnung. Wenn Sie mich dafr hassen wollen, auch in Ordnung. Fest steht, wenn ich
Dorf schmied wre, wrden Sie sichs zweimal berlegen, bevor
Sie mir an den Karren fahren. Aber ich bin blo ein alter
Schnorrer, der ein paar Stories auf Lager hat. Und der fr
eine Zeitung scheibt, die wie er selbst schon morgen frh hinber sein kann.
Komisch. Stellen Sie sich vor, wenn man dem Jesuskind nicht
zwischen den Beinen rumretuschiert htte, wrden Sie das
jetzt nicht lesen. Na dann: viel Spa.
Charles Bukowski

Irgendein mickriger Freier wollte den Zaster nicht ausfahren,


die ganze Runde behauptete Pleite zu sein, das Spiel war im
Eimer, ich sa da mit meinem alten Kumpel Elf, Elf hatte
als Kind 'ne Macke gehabt, lag jahrelang im Bett und machte
solche verrckten bungen, Gummiblle kneten und so, und
als er eines Tages das Bett verlie, war er so breit wie hoch,
ein rhrender muskelbepackter Schrank von Mensch, der
Schriftsteller sein wollte, aber zu sehr wie Thomas Wolfe
schrieb und abgesehen von Dreiser war T. Wolfe der mieseste Schreiber, den Amerika je hervorgebracht hat und pltzlich hatte ich dem Elf eine gescheuert und die Flasche fiel vom
Tisch (er hatte was gesagt, das mir nicht pate), und als der
Elf wieder hochkam, hatte ich die Flasche in der Hand (teurer
Scotch) und erwischte ihn halb am Kinn und halb am Hals und
er ging wieder zu Boden, ich fhlte mich ganz Herr der Situation, ich war Schler Dostojewskis und hrte Symphonien
von Mahler im Dunkeln, und ich hatte Zeit, einen Schluck aus
der Flasche zu nehmen, sie wieder hinzustellen, mit der Rechten zu tuschen und ihm die Linke unter den Grtel zu wuchten, und er fiel gegen die Kommode, der Spiegel ging in Scherben es klang wie im Kino blitzte und splitterte, und dann
landete der Elf eine direkt ber meiner Nase und ich kippte
nach hinten ber einen Stuhl, das Ding klappte unter mir zusammen als sei es aus Stroh, billiges Stck Mbel, und dann
hatte er mich in der Mangel ich hatte nicht genug Pulver
hinter meinen Schlgen, berhaupt keinen rechten Ehrgeiz,
und ich hatte ihn noch lngst nicht fertiggemacht und er
ging auf mich los wie ein bescheuertes rachgieriges Individuum aus einem Horrorfilm, und fr jeden (nicht einmal besonders guten) Schlag, den ich anbrachte, steckte ich drei ein,
aber das reichte ihm noch nicht, er wollte nicht aufhren, das
Mobiliar ging eins nach dem anderen zu Bruch, ich hoffte
irgendwie, jemand wrde den Krach hren und der verdammten Schau ein Ende machen die Vermieterin, die Polente,
der liebe Gott, IRGEND JEMAND, aber es ging weiter und weiter,
und dann konnte ich mich an nichts mehr erinnern.

Als ich wieder zu mir kam, schien die Sonne, und ich lag
unter dem Bett. Ich kroch darunter hervor und brachte es
irgendwie fertig, aufzustehen. Platzwunde unterm Kinn, zerschrammte Knchel. Ich war schon in schlimmerem Zustand
aufgewacht, und in weit schlimmeren Lokalitten dazu. Knast,
zum Beispiel. Ich schaute mich um. Es war alles echt gewesen;
ich hatte nicht getrumt. Alles in die Brche gegangen, verschmiert, verschttet, durcheinander Lampen, Sthle, Kommoden, Bett, Aschenbecher ramponiert, vllig sinnlos, alles
beschissen, kaputt, am Boden zerstrt. Ich trank einen Schluck
Wasser und schlurfte zum Besenschrank . . . Es war noch alles
da: Zehner, Zwanziger, Fnfer, der Zaster, den ich jedesmal
da abgeladen hatte auf dem Weg vom Spieltisch zum Klo. Und
allmhlich erinnerte ich mich, da ich wegen des ZASTERS die
Schlgerei angefangen hatte. Ich sammelte die Piepen ein,
steckte sie in die Brieftasche, legte meinen Pappkoffer auf das
schiefe Bett und begann meine paar lumpigen Sachen einzupacken: Arbeitshemden, steinharte Schuhe mit Lchern in den
Sohlen, steife, dreckverkrustete Socken, zermanschte Hosen,
das Manuskript einer Geschichte darber, wie ich mir mal im
San Francisco Opera House die Krtze geholt hatte, ein zerfleddertes Thrifty Drugstore Wrterbuch Palingenesis: recapitulation of ancestral stages in life-history.
Die Uhr funktionierte noch, der alte Wecker, Gott sei's gescheppert, wie oft hatte ich total verkatert morgens um halb
acht darauf geschaut und gesagt, schei auf den Job, SCHEISS
AUF DEN JOB ! Naja, jetzt war es 4 Uhr morgens . . . Ich war
gerade dabei, den Wecker zu verstauen, als es klarer Fall,
was? an die Tr klopfte.
Yeah?
Mr. Bukowski?
Yeah. YEAH?
Ich mchte gern reinkommen und das Bettzeug wechseln.
Nee, nich heut. Ich bin heut krank . . .
Oh, das tut mir leid. Aber lassen Sie mich doch schnell rein
und das Bettzeug wechseln, ich geh ja gleich wieder.
Nenee, ich sag doch, ich bin krank, ich bin einfach zu krank,
verstehn Sie? Ich mcht nicht, da Sie mich so sehn . . .
Und so ging es weiter. Sie wollte das Bettzeug wechseln. Ich
sagte nein. Sie sagte, ich will das Bettzeug wechseln. Ich sagte,
verdammtnochmal NEIN. Und so weiter, in einer Tour. Diese
Zimmerwirtin, brigens. Was fr ein Krper. Nichts als Kr-

per. Alles an ihr schien zu schreien KRPER KRPER KRPER.


Ich hatte erst 2 Wochen da gewohnt. Im Erdgescho war eine
Bar. Wenn Leute hochkamen, die mich sehen wollten und ich
war nicht da, sagte sie einfach, Er ist unten in der Bar. Er
ist stndig unten in der Bar . . ., und die Leute sagten zu mir
Mann Gottes, wer ist deine Wirtin . . . Fantastisch!
Aber dieser enorme weie Koffer stand auf Filipinos. Diese
Filipinos, Mann, die kannten Tricks, von denen wrde sich
ein Weier nie trumen lassen, nicht mal ich. Und diese
Flips gibts lngst nicht mehr, mit ihren tief in die Stirn
hereingezogenen breitrandigen George-Raft-Hten und ihren
wattierten Schultern; weie Schuhe mit hohen Abstzen,
fettige, heimtckische Visagen was ist aus denen geworden?
Na, ist ja egal. Jedenfalls, es war nichts mehr zu trinken da
und ich sa stundenlang herum und wurde langsam fickrig.
Abgelaufen. Abgeschlafft. Lapprig in den Eiern. Da sa ich
mit meinem 450-Dollar-Gewinn und konnte mir nicht mal
ein abgestandenes Helles kaufen. Ich sa und wartete auf das
groe Dunkelwerden. Dunkel, nicht Tod. Ich wollte raus. Noch
eine Chance. Schlielich hatte ich meine Nerven soweit, da
ich es riskieren konnte. Ich machte die Tr ein Stck auf, lie
aber die Kette dran, und da war einer, ein kleiner affengesichtiger Flip mit 'nem Hammer. Als ich die Tr aufmachte, hob
er den Hammer und griente. Als ich anfing, die Tr wieder
zu schlieen, nahm er die Spangen aus seiner Fresse und tat
so, als ob er sie in den Teppich hmmern wollte, der vom
Flur hinunter ins Erdgescho fhrte und zum einzigen Ausgang. Ich wei nicht mehr, wie lang das so ging. Immer die
gleiche Pantomime. Ich mach die Tr auf, er hebt seinen Hammer und grient. Beschissener Affenarsch! Er blieb einfach wie
angewachsen auf der obersten Treppenstufe. Ich fing an durchzudrehen. Ich fing an zu schwitzen und zu stinken. Kleine
Lichtwirbel blitzten auf und kreisten in meinem Schdel. Ich
hatte wirklich das Gefhl, da ich dabei war, den berblick
zu verlieren. Ich ging rber zum Bett und griff mir meinen
Koffer. Er war leicht zu tragen. Nichts als ein paar Lumpen
drin. Und dann fiel mein Blick auf die Schreibmaschine. Ich
hatte sie mal von der Frau eines ehemaligen Freundes ausgeliehen, aber nie wieder zurckgegeben. Sie fhlte sich gut
und solide an, wie sich eben Stahl so anfhlt: grau, flach,
schwer, gefhrlich, banal. Meine Augen wanderten an meinen

Hinterkopf und sahen, da die Kette an der Tr weg war, und


mit dem Koffer in der einen Hand und der Schreibmaschine
in der anderen rannte ich in die Maschinengewehrsalven, in
die Strahlen der aufgehenden Sonne, das Splittern der Cornflakes, das Ende von allem.
HEY! Wo willst du hin?
Der kleine Affe von Flip war dabei, sich hochzustemmen, hob
den Hammer, und mehr brauchte ich nicht der elektrische
Lichtblitz auf dem Eisen des Hammers ich hatte den Koffer
in der linken Hand, den sthlernen Apparat in der rechten, er
war in ausgezeichneter Position, grad neben meinem Knie,
und ich holte mit groer Przision (und einiger Wut) aus und
gabs ihm mit der flachen Seite auf die Schlfe, auf die ganze
Schdelwand.
Ein Schock, als habe der Blitz eingeschlagen, als schreie alles
auf einmal los, und dann wieder vllige Stille. Ich war drauen, ganz pltzlich, auf dem Gehsteig, ohne zu wissen, wie
ich all diese Stufen heruntergekommen war. Und da war auch
schon ein gelbes Taxi. CABBY!
Schon sa ich drin. Union Station.
Es war ein gutes Gefhl. Das ruhige Gerusch der Reifen in
der Morgenluft. Nee, Moment mal, sagte ich. Lieber zum
Busdepot.
Was los, Mann? fragte der Fahrer.
Ich hab grad meinen Alten umgelegt.
Dein Alten umgelegt?
Schon mal was von Jesus Christus gehrt?
Klaar.
Also dann: Busdepot.
Ich hockte eine geschlagene Stunde im Busdepot und wartete
auf den Bus nach New Orleans. Ich fragte mich, ob ich den
Flip gekillt hatte oder nicht. Schlielich stieg ich ein, mit Koffer und Schreibmaschine, verstaute die Maschine tief hinten
in der Ablage, damit mir das verdammte Ding nicht am Ende
selbst den Schdel ramponierte. Es war eine lange Fahrt. Aber
ich hatte immer eine Flasche auf dem Scho, und irgendwann
gab es dann auch ein Techtelmechtel mit einer Rothaarigen
aus Fort Worth. In Fort Worth stieg ich mit ihr aus, aber sie
wohnte bei ihrer Mutter und ich mute mir ein Zimmer suchen, und aus Versehen erwischte ich eins innem Nuttenhaus.
Die Weiber keiften die ganze Nacht, na, man kennt das ja ...
HEY ! Das Ding hngst du aber bei MIR nicht rein, da kannste

zah'len, was du willst! . . . Die Klosetts rauschten in einer


Tour;
Tren
flogen
auf
und
knallten
zu.
Die Rothaarige, war'n nettes unschuldiges Ding, oder vielleicht tat sie nur so, um sich einen besseren Freier zu angeln.
Jedenfalls, als ich die Stadt wieder verlie, war es mir nicht
gelungen, bis unter ihren Rock vorzudringen. Am Ende kam
ich dann doch noch nach New Orleans.
Aber der Elf, erinnert ihr euch? Der Schrank, mit dem ich die
Schlgerei hatte. Also, im Krieg, da wurde er von einem
Maschinengewehr umgelegt. Ich hrte, da er noch 3 oder 4
Wochen im Lazarett lag, bis er schlielich abkratzte. Und das
Merkwrdige ist, er hatte mich mal gefragt: Angenommen,
irgendein BLDES Arschloch mit 'nem Maschinengewehr macht
den Finger krumm und legt mich um . . .?
Naja, dann ist es deine eigene Schuld.
Na Mensch, bei DIR wei man ja genau, da du nicht an
einer Salve aus 'nem Maschinengewehr krepieren wirst.
Worauf du einen lassen kannst, Baby. Es sei denn, es ist eins
von Uncle Sam . . .
Ach, erzhl mir doch keinen Schei! Ich wei doch genau,
da du dein Land liebst. Es steht doch ganz gro in deinen
Augen. Liebe, echte Vaterlandsliebe!
An diesem Punkt kriegte er die erste von mir gelangt.
Und den Rest kennt ihr ja.
Als ich in New Orleans ankam, vergewisserte ich mich, da
ich nicht in einem Hurenhaus landete. Obwohl die ganze
Stadt wie eins aussah.

Wir hockten in unserem Bro, die Mannschaft hatte wieder


7:1 verloren, die Saison war bereits zur Hlfte rum und wir
mit 25 Spielen im Keller, und ich wute, dies wrde meine
letzte Saison als Manager der Blues sein. Unser erster hitter
schaffte ganze 234 und unser erster home run Mann war bis her ber 6 nicht hinausgekommen. Unser erster pitcher stand
bei 7 & 10 mit einem E. R. A. von 3,95.
Old Man Henderson holte die Flasche aus der Schublade, go
sich seine Ration hinter die Binde und schob mir den Rest
herber.
Und um den Braten f e t t zu machen, sagte er, hab ich mir
vor 2 Wochen auch noch die Krtze geholt.

10

Oje. Tut mir leid fr Sie, Bo.


Und Bo wirst du mich auch bald nicht mehr zu nennen
brauchen.
Ich wei. Aber kein Baseball-Manager auf der Welt kann
diese lahmen Krcken vor dem Abstieg retten, sagte ich und
nahm einen langen Schluck aus der Flasche.
Und was noch viel schlimmer ist, sagte Henderson, ich
glaub, meine eigene Frau hat mir die Krtze angehngt.
Ich wute nicht, ob ich darber lachen sollte oder nicht.
Jemand klopfte leicht an die Tr zu unserem Bro. Die Tr
ging auf, und da stand dieser komische Typ mit Papierflgeln
auf dem Rcken. Es war ein Junge von vielleicht 18 oder so.
Ich bin gekommen, um Ihrem Club zu helfen, sagte er.
Er hatte diese enormen Papierflgel an. Ein irres Huhn. Zwei
Lcher hinten in seinem Anzug, da wo sie rauskamen. Die
Flgel, meine ich. Sie waren auf seinem Rcken angeklebt.
Oder angeschnallt, oder was wei ich.
Hr zu, sagte Henderson, mach um Gottes willen, da du
hier verschwindest! Wir haben schon beim normalen Spiel
mehr als genug Affentheater auf dem Spielfeld, die Mannschaft ist uns heut komplett aus dem Stadion gelacht worden.
Also raus mit dir, und zwar dalli! Der Junge griff sich die
Flasche, nahm einen langen Schluck, stellte sie wieder vor uns
hin und sagte: Mr. Henderson, ich bin die Antwort auf all
Ihre Probleme.
Junge, sagte Henderson, fr das Gesff hier bist du noch
'n bichen zu jung.
Ich bin lter als ich aussehe, sagte der Junge.
Und ich hab was, da siehst du danach noch 'n bichen lter
aus!
Henderson drckte auf den kleinen Knopf unter seiner Schreibtischplatte. Das bedeutete Bull Kronkite. Ich will nicht sagen,
da Bull schon mal einen richtig umgebracht hat, aber Sie
knnen von Glck sagen, wenn Sie Ihren Krllschnitt noch
aus einem synthetischen Arschloch schmauchen knnen, nachdem er mit Ihnen fertig ist. Der Bull kam nach wenigen Sekunden rein & nahm gleich die halbe Trfllung mit.
Welcher isses, Boss? fragte er, und seine klobigen Finger
zuckten, whrend er sich im Zimmer umsah.
Der schrge Vogel da mit den Papierflgeln, sagte Henderson.
Bull machte eine Bewegung.
Rhr mich nicht an, sagte der Typ mit den Flgeln.

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Bull strzte sich auf ihn, UND so WAHR MIR GOTT HELFE, der
Kerl fing an zu FLIEGEN! Er flatterte im Zimmer rum, oben an
der Decke entlang. Henderson und ich langten gleichzeitig
nach der Flasche, aber der Alte war schneller als ich. Bull fiel
auf die Knie: Gott im Himmel, steh mir bei! Ein Engel! EIN
ENGEL!
Fang doch nicht an zu spinnen! sagte der Engel. Ich bin
kein Engel. Ich will einfach den Blues helfen. Bin schon immer ein Blues Fan gewesen.
Also gut. Komm runter. Reden wer mal ber die Sache,
sagte Henderson.
Der Engel (oder was immer es war) kam heruntergeflattert
und landete auf einem Stuhl. Der Bull zog ihm mit zitternden
Fingern Schuhe und Socken aus und fing an, ihm die Fe zu
kssen.
Henderson beugte sich mit einem angewiderten Gesichtsausdruck nach vorn und spuckte dem Bull ins Gesicht: Fick dich
nicht ins Knie, du abnormaler Depp! Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist es deine weinerliche Sentimentalitt!
Bull wischte sich das Gesicht ab und verdrckte sich wortlos.
Henderson durchwhlte seine Schubladen.
Shit, ich hab doch hier mal Vertragsformulare gehabt. . .!
Beim Stbern stie er auf eine weitere Halbliterflasche, und
wahrend er die Zellophanhlle abri, warf er dem Jungen
einen Blick zu und fragte:
Sag mal, kannst du ne Einwrtskurve schmettern? Ne Auswrts?
Und
wie
stehts
mit
'nem
slider?
Keine Ahnung, sagte das papierene Federvieh, ich hab
mich die letzten Jahre 'n bichen rar gemacht. Was ich wei,
hab ich aus den Zeitungen und vom Fernsehen. Aber ich bin
immer ein Blues Fan gewesen, und diese Saison haben sie mir
einfach leid getan.
Dich rar gemacht, hm? WIE DENN? Ein Typ mit Flgeln kann
sich doch nicht mal innem Fahrstuhl in der Bronx rar machen!
Wie hast du denn das angestellt? Was fr 'ne Masche hast du
denn da geritten?
Mr. Henderson, ich mchte Sie mit den Einzelheiten nicht
langweilen . . .
brigens, wie heit du eigentlich?
Jimmy. Jimmy Crispin. Oder einfach J. C.*
Jaycee, gngige Abkrzung fr Jesus Christus.

12

Hey, was soll das? Willst du michVERARSCHEN?


Aber nein, ganz bestimmt nicht, Mr. Henderson.
Also. Shake-hands. Sie schttelten sich die Hnde.
Verdammt, du hast mal elend kalte Pfoten. Wann hast du
denn zum letzten Mal was gegessen?
Wieso? Heut mittag um vier. Hhnchen, Pommes frites und
'n Bier.
Hm. Hier, nimm noch 'n Schluck.
Henderson wandte sich an mich. Bailey?
Yeh?
Die komplette bescheuerte Mannschaft ist mir morgen frh
Punkt zehn auf dem Spielfeld. Ohne Ausnahme. Ich hab das
Gefhl, wir haben hier das grte Ding seit der Atombombe.
Und jetzt hauen wir uns erst mal aufs Ohr. Hast du was, wo
du unterkriechen kannst, Junge?
Klar, sagte J. C., flatterte die Treppe runter und war verschwunden.
Wir hatten das Stadion dicht gemacht. Niemand drin auer
dem Team. Und die, total verkatert, guckten den Kerl mit
den Flgeln an und dachten, es handle sich um einen Werbegag. Oder 'ne Probe fr einen. Die erste Mannschaft kam aufs
Feld und der Junge auf die Platte. Ihr httet sehen sollen, wie
die ihre entzndeten Augen aufrissen, als der Junge einen
roller die Third Base Linie runterschmetterte und dann zur
First Base rber FLOG! Dort machte er touchdown, und ehe der
Third Base Mann den Ball aus den Hnden kriegte, war der
Junge schon weiter zur Second Base geflogen.
Alles schwankte und torkelte durcheinander an diesem heien
Morgen. Um fr ein Team wie die Blues zu spielen, mute
man schon ziemlich behmmert sein, aber das hier war nochmal was anderes.
Dann machte sich der pitcher fertig, um dem batboy, den wir
auf die Platte gestellt hatten, einen Ball zu verpassen, und
J. C. flog runter zur Third Base! Er peste runter! Ihr httet
die Flgel nicht mal gesehen, selbst wenn ihr an dem Morgen
noch Zeit gefunden httet, zwei Alka Seltzer zu kippen. Und
bis der Ball bei der Platte ankam, war unser Junge schon wieder eingeschwebt und hatte home plate berhrt.
Wir fanden heraus, da der Junge das ganze Outfield spielen
konnte. Seine Geschwindigkeit war einfach unvorstellbar! Wir
nahmen also die zwei anderen Outfielder einfach herein und
stellten sie ins Infield. Damit hatten wir zwei shortstops und

13

zwei Spieler auf Second Base. Und schlecht wie wir waren:
damit waren wir ein irrer Gegner.
An diesem Abend sollten wir unser erstes Spiel mit Jimmy
Crispin im Outfield abziehen.
Zu Hause hngte ich mich sofort ans Telefon und rief Bugsy
Malone an.
Bugsy, wie stehen die Wetten auf einen Pokalsieg der
Blues?
Gibt keine Wetten. Die Tafel ist leer. Selbst bei 10000 : 1
wrde nicht mal der grte Idiot auch nur einen Cent auf die
Blues setzen.
Was gibst du mir?
I s t das dein Ernst?
Yeah.
250 : 1. Was willst du setzen? Einen Dollar?
Tausend.
TAUSEND? Also Menschenskind . . . Moment mal . . . ich ruf
dich in zwei Stunden zurck.
Das Telefon lutete nach einer Stunde und 45 Minuten. In
Ordnung, ich nehm dich rein, 'n Tausender kann ich immer
brauchen.
Thanks, Bugsy.
Keine Ursache.
Das Spiel an jenem Abend werd ich nie vergessen. Alles
dachte, wir htten einen Affenzirkus auf die Beine gestellt, um
die Rnge zu fllen; aber als sie sahen, wie Jimmy Crispin
aufstieg und einen todsicheren hom run einfing, der 5 Meter
ber den Zaun am linken centerfield gegangen wre, da fing
der Laden an zu laufen. Bugsy war neugierig geworden und
runtergekommen, um sich die Geschichte anzusehen, und ich
beobachtete ihn in seiner Loge. Als er sah, wie J. C. diesen Ball
aus dem Himmel holte, fiel ihm seine 5-Dollar-Zigarre aus dem
Mund. Aber in den Bestimmungen stand nichts, das es einem
Mann mit Flgeln verbot, Baseball zu spielen; und damit hatten
wir sie bei den Eiern. Und wie. Wir gewannen das Spiel mit der
linken Hand. Crispin holte allein 4 Punkte.
Die anderen kriegten aus unserem Infield nichts raus, und im
Outfield gabs sowieso nichts fr sie zu holen.
Und die Spiele danach. Die Zuschauermassen. Einen Spieler
durch die Luft fliegen zu sehen, war an sich schon Anreiz
genug; dazu kam noch, da wir mit 25 Spielen im Keller waren
und die Zeit langsam knapp wurde. Die Menge sieht

14

es gern, wenn einer wieder von den Brettern hochkommt.


Und die Blues waren gro im Kommen. Es war die Schau
des Jahrhunderts.
LIFE kam und bat Jimmy um ein Interview. TIME. LIFE. LOOK.
Er hatte ihnen nichts zu erzhlen. Ich mchte blo, da
die Blues die Meisterschaft gewinnen, sagte er.
Aber das war immer noch ein harter Brocken, allein von
der mathematischen Seite, wenn man sich das
Punktverhltnis ansah. Und wie im Illustriertenroman kam
es arn Ende auf das letzte Spiel der Saison an, wir lagen
punktgleich mit den Bengals auf dem zweiten Platz, und
im Endspiel hie es die Bengals oder wir. Fr mich war die
Sache ganz klar. Wir hatten, seit Jimmy in die Mannschaft
gekommen war, kein einziges Spiel verloren. Und meine
250 Tausend Dollar waren zum Greifen nah.
Am Abend des Endspiels hockten wir im Bro, Old Man
Henderson und ich. Wir hrten was drauen auf der
Treppe, und dann fiel einer zur Tr rein, voll wie tausend
Mann. J. C. Seine Flgel waren weg. Nur noch Stummel
waren zu sehen.
Sie ham mir meine gottverdammten Flgel abgesgt, die
Dreckscke! Sie ham ne Frau auf mich angesetzt, im Hotel.
Und was fr eine. Mann, was'n Koffer! Und dann ham se
mich vollaufen lassen. Ich steig also drber, und da ham se
mir DIE FLGEL ABGESGT. Mann, ich knnt mich doch da nicht
mehr wehren. Was'n Scheispiel. Und die ganze Zeit hockt
da dieser Typ im Zimmer, dicke Zigarre und so, und grient
und kichert in einer Tour . . . Jessas, was'n Klasseweib . . .
und ich konnts nicht mal . . . oh SHIT ! . . .
Naja, Baby, du bist nicht der erste, dem 'ne Frau einen
reingedrckt hat. Blutet das brigens? fragte Henderson.
Nee, is nur Knorpel und Knochen. Aber es tut mir so leid,
da ich euch sowas angetan hab, da ich die Blues im Stich
gelassen hab. Herrgott, ich knnt mich dafr in den Arsch
beien . . .
Der tat sich leid, hm? Und mir waren grad 250 Mille durch
die Lappen gegangen.
Ich langte nach der Flasche und machte sie leer. J. C. war
sowieso schon zu voll, um noch spielen zu knnen, egal, ob
mit oder ohne Flgel. Henderson legte einfach seinen Kopf
auf den Tisch und fing an zu heulen. Ich fand seine Luger
im untersten Schubfach. Ich steckte sie in den Mantel, verlie
das Bro und ging rber auf die Tribne. Ich setzte mich in
die Box hinter Bugsy Malone, der heute ein elegantes
15

Flittchen dabei hatte. Es war Hendersons Box, und Henderson


soff sich jetzt wohl mit seinem gefallenen Engel zu Tode. Er
wrde seine Box nicht mehr brauchen. Und das Team wrde
mich nicht mehr brauchen. Ich rief dru nten im
Spielergraben an und sagte ihnen, sie sollten dem Batboy die
Regie bergeben, oder sonst jemand.
Hallo, Bugsy, sagte ich.
Wo ist denn euer center fielder? Ich kann ihn nirgends
sehen, sagte Bugsy und zndete sich eine seiner 5-DollarZigarren an.
Und center fielder hat sich wieder in seinen Himmel verzogen. Und das verdankt er einem deiner Strichjungen und
einer 3-Dollar-50-Knochensge.
Bugsy lachte. Ein Mann wie ich kann es sich leisten, einem
alten Maultier ins Auge zu pissen und das Zeug hinterher als
Pfefferminzcocktail rumgehen zu lassen. Nur so hab ichs zu
dem gebracht, was ich heute bin.
Wer ist die bezaubernde Lady? fragte ich.
Oh, das ist Helena. Helena, das hier ist Tim Bailey, die
grte Niete von Manager, die der Baseballsport je gesehen
hat.
Helena schlug diese Nylondinger bereinander, die sich Beine
nennen, und ich war bereit, J. C. alles zu vergeben.
Nett, Sie kenn'zulern, Mr. Bailey. Yeah.
Das Spiel ging an. Es war wie in alten Zeiten. Beim siebten
i n n i n g lagen wir mit 10:1 im Rckstand. Bugsy war in glnzender Laune, er fummelte seiner Nutte an den Beinen rum
und rieb sich an ihr, als ob ihm die ganze Welt gehrte. Er
drehte sich zu mir um und steckte mir eine 5-Dollar-Zigarre
zu. Ich zndete sie mir an.
War dies er Typ wirklich 'n Engel? fragte er mich mit einem
amsierten Lcheln.
Er sagte, wir sollten ihn einfach J. C. nennen, aber ich will
verdammt sein, wenn ichs wei.
Sieht so aus, als ob der Mensch dem lieben Gott jedesmal
eins ausgewischt hat, wenn sie einander ins Gehege kamen.
Kann ich nicht beurteilen, sagte ich, aber ich seh die Dinge
so: wenn man einem die Flgel kappt, dann ist das so, als
wenn man ihm den Schwanz abschneidet.
Mag sein. Aber so wie ich die Dinge sehe, hat der Strkere
eben das Recht auf seiner Seite.
Was in diesem Fall der Tod ist.
16

Ich holte die Luger raus und drckte sie ihm an den Hinterkopf. Um Gottes willen, Bailey! Komm wieder zu dir! Ich
geb dir die Hlfte von allem, was ich hab! Nein, ich geb dir
alles, was ich hab sogar die Tante hier, alles blo nimm
das
Ding
wieder
von
meinem
Kopf
weg!
Wenn du denkst, da Killen was Starkes ist, dann PROBIER
mal, wie das schmeckt!
Ich drckte ab. Es war schauderhaft, 'ne Luger. Sein Schdel
flog in Fetzen, und berall Ge hirn und Blut, auf mir, auf
ihren
Nylon-Beinen, auf ihrem Kleid . . .
Das Spiel wurde fr eine Stunde unterbrochen, whrend sie
uns da rausschafften den toten Bugsy, seine kreischende,
hysterische Alte und mich. Und dann spielten sie die restlichen innings. Am nchsten Tag in meiner Zelle kriegte ich
vom Schlieer die Zeitung:
BLUES ENTSCHEIDEN DAS SPIEL IM 14. INNING, GEWINNEN DIE
MEISTERSCHAFT MIT 12:11.

Ich ging zum Fenster meiner Zelle im 8. Stock. Ich knllte die
Zeitung zusammen, ich ballerte sie in die Gitterstbe und
boxte sie durch und sah ihr nach, wie sie durch die Luft fiel,
und es sah aus, als htte sie Flgel, naja, Schei drauf, sie
flatterte runter wie jedes andere Stck Papier, runter ins Meer,
diese weien und blauen Wellen da unten, so nah, zum Greifen nah, Gott hatte eben doch immer den Finger als erster
am Drcker, egal in welcher Gestalt ob in Form eines verdammten Maschinengewehrs oder eines Gemldes von Klee,
naja, und jetzt, diese Nylonbeine umklammerten inzwischen
einen anderen gottverdammten Narren, Malone schuldete mir
250 Tausender und konnte nicht mehr zahlen, J. C. mit Flgeln, J. C. ohne Flgel, J. C. am Kreuz, ich lebte immer noch
ein bichen, und ich drehte mich um und ging zurck in die
andere Ecke, hockte mich auf den kalten Knastpott und fing
an zu scheien, Ex-Erste-Liga-Manager, Ex-Mann, und ein
leichter Wind kam durch die Gitterstbe, und ich hatte nicht
mehr weit.

Es war hei in der Bude. Ich ging ans Klavier und fing an zu
spielen. Hatte natrlich keine Ahnung von Klavierspielen; ich
hmmerte einfach auf die Tasten. Ein paar Leute tanzten auf
der Couch. Irgendwann schaute ich zufllig mal unters Piano,

17

und da hatte sich ein Mdchen lang gelegt, ihr Kleid war bis
ber die Hften hochgerutscht. Ich spielte mit einer Hand weiter und langte mit der anderen runter und fummelte ein bi chen. Entweder war es mein haarstrubendes Geklimper oder
das Fummeln, jedenfalls die Dame wachte schlagartig auf. Sie
kroch unterm Piano hervor. Die Leute auf der Couch hrten
auf zu tanzen. Ich schleppte mich rber zur Couch und haute
mich fr 'ne Viertelstunde hin. Ich hatte zwei Tage und
Nchte nicht mehr gepennt. Es war hei da drin, elend hei.
Ich wachte auf und kotzte in eine Kaffeetasse. Und dann war
die Tasse voll und es fing an auf die Couch zu gehen. Jemand
brachte einen groen Pott angeschleppt. Grad noch rechtzeitig.
Und ich fing richtig an zu reihern. Sauer. Alles war sauer. Ich
stand auf und ging ins Badezimmer. Da waren schon zwei
nackte Jungs drin. Einer war mit Ras iercreme und Pinsel zugange und schumte dem anderen den Schwanz und die Eier
ein.
Hrt her, ihr Schnen, ich mte mal ne Stange Schit in die
Ecke stellen.
Na man zu, sagte der Typ, der eingeschumt wurde, wir
stren dich nicht dabei.
Ich ging an ihnen vorbei und hockte mich auf die Schssel.
Der mit dem Pinsel sagte zu seinem Kunden: Ich hab gehrt,
da sie Simpson vom Club 86 gefeuert haben.
KPFK*, sagte der andere. Die feuern mehr Leute als Douglas Aircraft, Sears Roebuck und Thrifty Drugs zusammen.
Ein falsches Wort, ein Satz, der nicht in ihr vorfabriziertes
Schema von Politik, Kunst oder Moral pat, und schon sitzt
du auf der Strae. Der einzige, der bei KPFK nicht um seinen
Job zu frchten braucht, ist Eliot Mintz. Der ist wie 'n Spielzeug-Akkordeon: du kannst es quetschen wie du willst, es
kommt immer der gleiche Ton.
So, jetzt mach, sagte der mit dem Rasierpinsel.
Jetzt mach was?
Reib dein Bammelmann, bis er hart wird.
Ich lie einen Dicken in die Schssel platschen.
Jessas! sagte der mit dem Pinsel, nur hatte er den Pinsel
nicht mehr; er hatte ihn ins Waschbecken geworfen.
Was Jessas? fragte der andere.
Du hast 'n Kopf an dem Ding wie 'n Paukenschlegel!
Rundfunkstation in Los Angeles.

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Hatte mal 'n Unfall. Davon ist das.


Ich wnschte, ich knnt auch mal so 'n Unfall haben.
Ich pflatschte noch einen in die Schssel.
Also, jetzt mach.
Was? Beug dich zurck und steck dirs zwischen die Schenkel.
So?
Yeah.
Und jetzt?
Jetzt mit dem Bauch vor. Hin - und Herreiben. Klemm die
Beine zusammen. So! Siehst du! Du wirst nie mehr 'ne Frau
brauchen!
Oh Harry, es ist einfach nicht das gleiche wie pussy! Was
du mir da zeigst, ist doch Scheie!
Man mu nur BUNG drin haben! Du wirst schon sehn!
Wirst schon sehn!
Ich wischte mir den Hintern ab, zog die Splung und machte,
da ich da rauskam.
Ich ging zum Khlschrank und holte mir zwei Dosen Bier
raus; ich machte beide auf und fing an die erste zu kippen.
Ich fragte mich, wo ich hier eigentlich war. Ich tippte auf
North Hollywood.
Ich lie mich in einen Sessel fallen, gegenber einem Typ mit
einem roten Blechdeckel auf dem Kopf und einem zwei Fu
langen Bart. Er war ein paar Nchte lang in groer Form
gewesen, aber jetzt kam er von einem speed Trip runter, und
sein Stoff war alle. Er hatte noch nicht das Schlafstadium erreicht, erst das traurige und leere Vorstadium. Hoffte vielleicht noch darauf, da ihm jemand einen joint anbieten
wrde, aber es tat sich nichts.
Big Jack, sagte ich.
Bukowski. Du schuldest mir noch 40 Dollar, sagte Big Jack.
Hr zu, Jack, mir ist es, als htte ich dir grad vor kurzem
20 Dollar gegeben. Ehrlich. Ich kann mich noch gut an die 20
erinnern.
Aber wie kannst du dich denn dran erinnern, Bukowski? Du
warst doch besoffen, Bukowski, deshalb kannst du dich an
nichts mehr erinnern!
Big
Jack
hatte
einfach
was
gegen
Sufer.
Seine Freundin Maggy, die neben ihm sa, machte jetzt den
Mund auf. Es stimmt, du hast ihm 20 gegeben, aber er sollte
dir was zu trinken dafr holen. Wir gingen beide weg und

19

haben dir was geholt. Das Wechselgeld haben wir dir wiedergegeben.
Na is ja schon gut. Wo sind wir hier eigentlich? North Hollywood? Nee, Pasadena.
Pasadena? Das kann doch nicht sein . . .
Ich hatte eine Zeitlang zugesehen, wie diese Leute hinter so
einen groen Vorhang gegangen waren. Einige kamen nach
zehn oder zwanzig Minuten wieder raus, andere berhaupt
nicht mehr. Das war jetzt schon seit zwei Tagen im Gange.
Ich leerte meine zweite Dose, stand auf, zog den Vorhang
weg und ging da mal rein. Es war stockdunkel da drin. Es
roch nach Pot. Und Arsch, Ich brauchte eine Weile, bis ich
mich an die Dunkelheit gewhnt hatte. Es waren fast nur
Mnner da. Leckten einander die rsche. Kauten einander ab.
Rammelten. Nichts fr mich. Dazu war ich zu altmodisch. Es
war wie in der Turnhalle, nachdem die ganze Mannschaft am
Barren gebt hatte. Und dazu der saure Samengeruch. Ich fing
an zu wrgen. Ein hellhutiger Neger kam auf mich zu.
Hey, du bist Charles Bukowski, stimmts?
Yeh, sagte ich.
Wow! Das ist der schnste Augenblick meines Lebens! Ich
hab CRUCIFIX IN A DEATHHAND gelesen. Ich halt dich fr den
Grten seit Verlaine!
Verlaine? Yeah, Verlaine!
Er langte mit einer Hand rber und fate mich an die Eier.
Ich nahm ihm die Hand wieder weg.
Was is los? fragte er.
Nicht grad jetzt, Baby. Ich schau nur nach 'nem Freund.
Oh sorry . . .
Er verdrckte sich. Ich schaute mich nochmal um und wollte
gerade gehen, als ich eine Frau in der anderen Ecke des Zimmers sah. Sie hing da in der Ecke, die Beine auseinander, und
schien ziemlich weg zu sein. Ich ging rber und guckte sie mir
an. Schien in Ordnung zu sein. Ich lie meine Hosen runter
und steckte ihr das Ding rein. Naja. Ich steckte rein, was ich
hatte.
Ooooh, machte sie, ist das gut! Du bist so kurvig! Wie
'n Angelhaken!
Hatte mal 'n Unfall als Kind. Mit 'm Dreirad.
Ohhhhh . . .
Es lief grad ganz gut, als sich pltzlich was zwischen meine
Arschbacken RAMMTE. Sterne tanzten mir vor den Augen.

20

Hey, VERDAMMT NOCHMAL! Ich griff hinter mich und zog


das Ding raus. Da stand dieser Typ und ich hatte sein Ding
in der Hand. Was glaubst du eigentlich, was du hier machst,
Buddy? fragte ich ihn.
Hr zu, Sportsfreund, sagte er, das Ganze ist ein groes
Kartenspiel. Wenn du mitmischen willst, mut du halt nehmen, was ausgeteilt wird.
Ich zog mir die Hosen wieder hoch und machte, da ich da
rauskam. Big Jack und Maggy waren weg. Ein paar Leute
lagen auf dem Fuboden rum, vllig hinber. Ich holte mir
noch ein Bier aus dem Khlschrank, trank es aus und ging
vors Haus. Die Sonne traf mich wie ein Unfallwagen mit
smtlichen Rotlichtern an. Man hatte meine Karre in eine
fremde Einfahrt geschoben. An der Windschutzscheibe steckte
ein Strafzettel. Aber man hatte Platz genug gelassen, damit
ich das Ding wieder aus der Einfahrt herausbugsieren konnte.
Das war das Nette an diesen Leuten hier. Jeder wute genau,
wie weit man gehen konnte.
Ich hielt an der Standard-Tankstelle, und der Mann dort erklrte mir, wie man auf die Pasadena Freeway kommt. Irgendwie schaffte ich es bis nach Hause. Mute mir unterwegs
dauernd auf die Lippen beien, um wach zu bleiben. Im
Kasten lag ein Brief von meinem Ex-Weib in Arizona.
. . . ich wei, da Du oft einsam und deprimiert bist. In solchen Fllen solltest Du ins >Bridge< gehen. Ich bin sicher, die
Leute dort wrdest Du mgen. Oder wenigstens einige von
ihnen. Oder Du solltest zu den Dichterlesungen in der Unitarian Church gehen . . .
Ich lie mir ein heies Bad ein. Ich zog meine Klamotten aus,
fand eine Dose Bier, trank sie halb aus, stellte sie auf den
Rand der Wanne und hockte mich rein, griff mir Seife und
Brste und fing an, meine Schrunden zu bearbeiten.

Ich lernte Kerouacs Helden Neal Cassady* noch kennen, bevor


er sich in Mexiko auf jene Eisenbahnschienen legte. Es war
in Bryans Bro, der Plattenspieler lief auf Hochtouren, Neal
quollen die Augen aus dem Kopf, er kroch frmlich in den
Lautsprecher rein, er swingte, hechelte und stampfte, er hatte
* Hauptfigur in Kerouacs Roman On the r o a d .

21

ein weies T-shirt an, auf dem berall die Schweiflecken


durchbrachen, er ging mit der Musik mit, dem Beat immer um
einen Schatten voraus. Ich setzte mich hin mit meinem Bier in
der Hand und sah ihm zu. Ich hatte ein oder zwei Six-Packs
mitgebracht. Bryan vergab gerade einen Auftrag an zwei junge
Typen; sie sollten einen Bericht ber 'ne Show liefern, bei der
die Polente dauernd Razzia machte, irgendein Poet aus San
Francisco hatte das Ding auf die Beine gestellt, ich komm nicht
mehr auf den Namen. Niemand beachtete Neal C., und Neal
schien es egal zu sein, oder wenigstens tat er so. Als die Platte
zu Ende war, gingen die zwei Jungs, und Bryan stellte mich der
Berhmtheit vor. Neal C.
'n Bier? fragte ich ihn.
Neal ri sich eine Dose aus dem Karton, warf sie in die Luft,
fing sie wieder auf, ri den Verschlu auf und leerte das Ding
in zwei Zgen.
Noch eins?
Klar.
Ich dachte immer, ich htte mit Biertrinken was drauf.
Mann, ich bin nicht umsonst im Knast gro geworden. Hab
brigens dein Zeug gelesen.
Hab deinen Kram auch gelesen. Die Geschichte, wo du bei
dieser Tante nackt aus dem Badezimmerfenster gekrochen bist
und dich die halbe Nacht in den Bschen versteckt hast. War
ganz gut. Hat mir gefallen.
Ah ja. Er kippte eine Dose nach der anderen. Er setzte sich
nie hin. Er scho stndig im Zimmer hin und her. Seine
Action war 'n bichen bullig und aggressiv, aber es war kein
Ha in ihm. Man mochte ihn unwillkrlich, obwohl man
wute, da ihn Kerouac mit seiner Masche gekdert hatte,
und er hatte angebissen u nd nie aufgehrt zu beien. Aber
Neal war O. K., und wenn man es andersrum anschaute, dann
hatte Jack schlielich nur das Buch geschrieben. Er war ja nicht
Neals Mutter. Nur sein Untergang.
Neal, auf seinem ewigen Trip, tanzte durchs Zimmer. Sein
Gesicht sah alt und mitgenommen aus, aber sein Krper war
immer noch der eines Achtzehnjhrigen.
Willst du's mal fr 'ne Runde mit ihm versuchen, Bukowski? fragte Bryan.
Yeah, wie war's, Baby? fragte Neal.
Nee, vielen Dank. Ich werd im August 48. Ich hab schon
genug eingesteckt.

22

Ich htte ihn nie geschafft.


Wann hast du Kerouac zum letztenmal gesehn?
Ich glaube, er sagte 1962, oder 63, jedenfalls schon lange her.
Ich schaffte es gerade noch, mit Neals Bierkonsum mitzuhalten und mute schon bald raus und neues holen. Die Arbeit
in der Redaktion war in etwa getan, Neal sollte bei Bryan
bernachten, und B. lud mich zum Abendessen ein. All
right, sagte ich, und da ich schon einen Leichten sitzen hatte,
war mir nicht recht klar, was mir jetzt bevorstand.
Als wir auf die Strae kamen, hatte gerade ein Nieselregen
angefangen, so 'ne dnne fettige Pisse, die so richtig die
Straen vermasselt. Ich merkte immer noch nichts. Ich dachte,
Bryan wrde fahren; aber Neal stieg ein und setzte sich ans
Steuer. Na immerhin, ich hockte ja auf dem Rcksitz. Bryan
setzte sich vorne neben Neal, und ab ging die Post. Mit Vollgas diese glitschigen Straen runter, und jedesmal, wenn wir
grad an einer Ecke vorbei zu sein schienen, berlegte sichs
Neal noch kurz und bog ein. Um Haaresbreite an den geparkten Autos vorbei. Ein Millimeter mehr, und wir wren alle
drei im Eimer gewesen.
Und jedesmal fuhr mir so 'ne lachhaft blde Bemerkung raus
wie Na leck mich am Arsch!, und Bryan kicherte, und Neal
fuhr einfach zu weder verbis sen noch glcklich noch sarkastisch einfach so; er sa da und machte die ntigen Bewegungen. Ich verstand. Das war seine Arena, seine Rennbahn. Es war richtig und es mute so sein.
Das Beste kam kurz vor dem Sunset Boulevard; wir fuhren
in nrdlicher Richtung, auf Carlton zu. Das Nieseln hatte sich
noch verstrkt und ruinierte jetzt nicht nur die Fahrbahn,
sondern auch die Sicht. Kurz vor Sunset bog Neal ab, Vollgas,
jetzt mute seine nchste Entscheidung kommen, und zwar im
Bruchteil einer Sekunde. Um zu Bryans Wohnung zu kommen, mute man von der Carlton runter und links abbiegen.
Wir hatten noch einen Block zu fahren. Vor uns war ein
Wagen, und auf der Gegenfahrbahn kamen uns zwei entgegen. Nun, Neal htte Gas wegnehmen und hinter dieser
Karre bleiben knnen, aber das htte seinen Rhythmus ruiniert. Er scherte also aus und fing an, den Wagen vor uns zu
berholen. Ich dachte, das isses, jetzt hat er uns alle geschafft,
naja, macht nichts, macht wirklich nichts, oder was einem in
so 'ner Situation eben durch den Kopf geht. Die beiden Wagen rasten aufeinander zu, und der andere kam so dicht ran,

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da der ganze Rcksitz in sein Scheinwerferlicht getaucht war.


Ich bin berzeugt, der andere Fahrer mu im allerletzten Augenblick noch seine Bremse angetippt haben; das gab uns die
Haaresbreite, die wir brauchten. Neal mute das einkalkuliert
haben, diese winzige Bewegung. Aber es war noch nicht zu
Ende. Neal fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf der Gegenfahrbahn weiter wollte ja schlielich am Ende des Blocks
links einbiegen, und da kam uns der zweite Wagen ins Ge hege. Ich werde mich ewig an diesen Wagen erinnern, es war
wie eine Momentaufnahme aus allernchster Nhe. Es war
ein altes graublaues Coupe, verschrammt, verbogen und verdellert, und es sah hart aus, wie 'n gueiserner Backstein auf
Rdern. Neal schnitt es scharf links an. Vom Rcksitz aus
hatte es den Anschein, als wrden wir kerzengerade in das
Ding reinrasen. Es war ganz eindeutig. Aber irgendwie glichen
sich die Vorwrtsbewegung des anderen und unsere Drift
nach links genau aus. Die hauchdnne Linie war wieder da.
Neal parkte unsere Karre, und wir gingen rein. Jean trug das
Abendessen auf.
Neal fra seinen Teller kahl und machte sich dann ber meinen her. Das bichen Wein, das es gab, war sowieso im Nu
weg. Bryan hatte einen sehr intelligenten jungen homosexuellen Babysitter, der inzwischen, glaub ich, mit irgend 'ner
Rock-Band weitergezogen ist oder Selbstmord verbt hat, oder
was wei ich. Auf jeden Fall, ich erinnere mich, da ich ihn
in den Arsch kniff, als er an mir vorbeiging. Er mochte das.
Ich glaube, ich blieb lange da in jener Nacht, viel zu lange,
kpfte ein Bier nach dem anderen, unterhielt mich mit Neal.
Der Babysitter redete andauernd von Hemingway, verglich
mich irgendwie mit Hemingway, glaub ich, bis ich ihm schlielich klarmachte, da er mir auf die Nerven ging, und er verzog sich nach oben, um nach den Kindern zu sehen. Ein paar
Tage danach kriegte ich einen Anruf von Bryan. Neal ist tot.
Neal ist gestorben.
Oh shit, nein.
Und dann erzhlte Bryan noch was und hngte auf.
All diese Autofahrten, all diese vielen Seiten von Kerouac,
all die Jahre im Knast, um schlielich allein unter einem eisigen mexikanischen Mond zu krepieren, ALLEIN, versteht ihr?
Knnt ihr die mickrigen, verschrumpelten Kaktusdinger sehn?
Mexiko. Miese Gegend. Sprt ihr nicht den unsteten Blick der
Tiere in dieser trostlosen Wste? Die Ochsenfrsche, glatt,

24

unauffllig, Schlangen wie Schlitze im Hirn, wie sie angekrochen kommen, verhalten, warten, all das stumpfe Viehzeug
unter dem stumpfen mexikanischen Mond. Reptilien, blitzschnelle flickernde Dinger, blinzeln herber zu dieser Stelle im
Sand, wo dieser Kerl im weien T-shirt liegt.
Neal, er fand seinen Rhythmus, und niemand geschah etwas
dabei. Und jetzt hatte er Schlu gemacht, an einer Eisenbahnlinie in Mexiko.
Bei unserer einzigen Begegnung hatte ich zu ihm gesagt:
Kerouac hat all deine Kapitel geschrieben, bis auf das letzte.
Ich habs bereits im Kopf.
O. K. Worauf wartest du? hatte er gesagt. Schreib es.
end copy.

Die Sommertage sind lnger, wenn die Selbstmrder leicht im


Wind schaukeln und die Schmeifliegen ber den grenden
Schmant herfallen. Er ist ein berhmter Straenpoet aus den
50er Jahren und immer noch in Form. Ich schmei meine Flasche in den Kanal (wir sind in Venice), Jack ist hier irgendwo
fr 'ne Woche oder so untergekrochen und soll in ein paar
Tagen eine Lesung geben. Der Kanal sieht komisch aus, sehr
komisch.
Nicht mal tief genug, um sich reinzustrzen.
Yeah, sagt er in seiner Bronx-Kino-Stimme, hast recht. Er
ist 37. Graue Haare. Hakennase. Untersetzt. Vital. Unwirsch.
Mnnlich. Sehr mnnlich. Leichter Anflug eines jdischen Lchelns. Aber wahrscheinlich ist er gar nicht Jude. Jedenfalls
frag ich ihn nicht danach.
Er kennt Gott und die Welt. Pite Barney Rosset* auf 'ner
Party in die Schuhe, weil Barney was gesagt hatte, das ihm
nicht pate. Jack kennt Ginsberg, Creeley, Lamantia usw. usw.,
und jetzt hat er auch Bukowski kennengelernt.
Yeah, Bukowski kam nach Venice rber, um mich zu sehen.
Vllig vernarbtes Gesicht. Eingefallene Schultern. Sieht sehr
mde aus. Redet nicht viel, und wenn er was sagt, dann ist es
irgendwie flach und nichtssagend. Man wrde nie drauf kommen, da er all diese Gedichtbnde geschrieben hat. Er hat
viel zu lang im Postamt Briefe sortiert. Hat den Halt ver*HerausgebetderEVERGREENREVIEW.

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loren. Sie haben ihm den Schneid abgekauft. Schade um ihn,


aber ihr wit ja, wie's ist. Trotzdem, er ist immer noch Klasse,
groe Klasse.
Tack kennt sich aus mit den Leuten; es ist merkwrdig, aber
nur zu alltglich, zu wissen, da an den meisten Leuten nichts
dran ist. Das Ganze ist 'ne einzige beschissene Leier, man hat
das alles schon so oft gehrt, aber es ist doch ein merkw rdiges Gefhl, wenn man es gesagt kriegt, whrend man an
einem Kanal in Venice hockt und dabei ist, einen berdimensionalen Kater auszukurieren.
Er blttert in einem Buch. Meistens Aufnahmen von Dichtern.
Mein Bild ist nicht drin. Ich hab spt angefangen und zu lang
allein gelebt in billigen kleinen Zimmern und Wein gesoffen.
Die Leute denken immer, da so'n Einzelgnger behmmert
sein mu, und vielleicht haben sie recht.
Er blttert also in seinem Buch. Meine Gte, da sitz ich mit
meinem Kater und unter mir schwappt das Wasser, und hier
ist Jack und blttert in seinem Bilderbuch, und ich sehe die
Nasen und Ohren der Berhmtheiten auf den glnzenden Seiten in der Sonne aufblitzen. Mir ist alles gleich, aber ich
schtze, wir mssen uns ber irgendwas unterhalten, und
Konversation liegt mir nicht, naja, er macht das alles allein,
here we go, Venice Canal, das ganze traurige beschissene
Leben . . .
Der hier hat vor zwei Jahren durchgedreht. Der hier wollte,
da ich ihn blase, bevor er mein Buch verffentlicht.
Hast du ihn . . . ? Ob ich . . .? Gescheuert hab ich ihm eine!
Mit dem hier! Er zeigt mir seine Bronx -Faust.
Ich lache. Er gibt sich wie er ist und macht keine Umstnde.
Alle haben heute Angst davor, schwul zu werden. Ich finde
das ein bichen ermdend auf die Dauer. Vielleicht sollten
wir alle schwul werden und uns endlich mal ein bichen entspannter geben. Nichts gegen Jack, also. Er ist 'ne wohltuende
Ausnahme. Zu viele Leute haben Schi davor, etwas gegen
Homos zu sagen nicht mal auf der >rein intellektuellen
Ebene. Ebenso wie sich viele intellektuelle Blten scheuen,
etwas gegen die Linke zu sagen. Mich interessieren die Schwulitten dieser Eierkpfe herzlich wenig. Auf jeden Fall wei
ich eins: zu viele Leute haben die Hosen voll.
Jack ist also in Ordnung. Und da ich die letzte Zeit zu viel mit
intellektuellen zusammen gewesen bin, wei ich ihn besonders zu schtzen. Ich verliere sehr schnell die Geduld mit die-

26

sen prezisen Intellekten, denen stndig ein Juwel ber die


Lippen kommen mu, sobald sie die Schnauze aufmachen.
Und es ermdet mich, wenn ich dauernd zu tun habe, um mir
einen Platz in der geistigen Arena freizukmpfen. Deshalb
habe ich mich so lange Zeit berhaupt nicht blicken lassen;
und jetzt, wo ich wieder mit Leuten zusammen komme, hab
ich das Gefhl, da ich mich am liebsten gleich wieder in
meinen Bau verziehen mchte. Schlielich ist das Geistesleben
nicht alles. Es gibt zum Beispiel noch Insekten, Palmen und
Salzstreuer. Und da ich in meinem Bau ber einen Salzstreuer
verfge, kann ich nur lachen. Und berhaupt ist den Menschen nicht ber den Weg zu trauen.
Die ganze Geschichte mit den Dichterlesungen ist eine Domne der Linksradikalen und Schwulen geworden, sagt er
und starrt in den Kanal.
Da ist sicherlich was Wahres dran und man kann schlecht
was dagegen einwenden. Irgendwas ist faul an dieser PoetrySzene. Die Bcher der sogenannten Groen sind so elend langweilig; Shakespeare eingeschlossen. (War es damals schon so?)
Ich entschliee mich, Jack einen Knochen vorzuwerfen.
Erinnerst du dich an das alte POETRY Magazin? Ich wei nicht
mehr, ob es Monroe war oder Shapiro, der das Ding herausgegeben hat; jedenfalls ist es mittlerweile so mies geworden,
da ich es berhaupt nicht mehr lese. Aber ich erinnere mich
an einen Ausspruch von Whitman: >Um groe Dichter zu
haben, brauchen wir ein gutes Publikums Naja, ich hab Whitman immer fr besser gehalten als mich, falls das berhaupt
was bedeutet, aber in dem Punkt ist ihm was Falsches rausgerutscht. Es mte heien: >Um ein gutes Publikum zu haben, brauchen wir groe Dichte<
Yeah, genau. Stimmt, sagte Jack. Ich hab krzlich Creeley
auf 'ner Party getroffen und hab ihn gefragt, ob er je was
von Bukowski gelesen htte, und da wurde er richtig eisig.
Mann, er wollte mir einfach keine Antwort geben. Na, du
kennst das ja.
Machen wir, da wir hier wegkommen, sagte ich.
Wir machen uns auf den Weg zu meiner Karre. (Irgendwie
hab ich's mal zu 'nem Wagen gebracht, Gebrauchtwagen natrlich, reiner Schrott.) Jack ist nach wie vor in sein Bilderbuch vertieft.
Der hier blst jeden Schwanz in Sicht.
Oh yeah?

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Und der hat 'ne Lehrerin geheiratet, die poliert ihm den
Arsch mit der Peitsche, 'n frchterlicher Rechen. Er hat seit
seiner Heirat kein Wort mehr geschrieben. Ich wette, die hat
seine Seele einbalsamiert und unter Verputz in ihrer Mse.
Sprichst du von Gregory oder von Kero?
Nee, das hier ist wieder 'n anderer!
Groer Gott!
Wir gehen weiter in Richtung auf meine Karre. Ich fhl mich
ziemlich benommen, aber ich SPRE die Vitalitt dieses Mannes, die pure ENERGIE in ihm, und fr einen Moment wird mir
klar, da mglicherweise eines der wenigen unsterblichen Naturtalente unserer Zeit neben mir her geht.
Ich steig ein. Der Schrotthaufen springt an, aber die Schaltung
klemmt wieder. Ich mu die ganze Strecke im ersten Gang
fahren, und das Scheiding von Motor verreckt an jeder Kreuzung. Batterie mal wieder leer, ich flehe das Ding innerlich
an, nur noch einmal anzuspringen, nur keine Bullen, nur nicht
schon wieder 'ne Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer . . .
ich bieg links ab und steh vor dem Haus, das er mir angegeben hat, auf die Bremse, und wir steigen aus. Jack blttert
immer noch in seiner Sammlung.
Der hier is O. K. Der hat sich, seinen Alten, seine Mutter
und seine Frau umgebracht, aber die drei Kinder und den
Hund hat er am Leben gelassen. War einer der Grten seit
Baudelaire.
Yeah?
Yeah. Shit.
Also wir klettern aus der Karre und ich mach ein Kreuz ber
der Motorhaube in der Hoffnung, da sich's die Batterie beim
nchstenmal doch noch berlegen wird.
Wir gehen die Stufen rauf und Jack bollert an die Tr.
BIRD! BIRD! Hier ist Jack!
Die Tr geht auf und da ist Bird. Ich mu zweimal hinsehen.
Ist das nun ein Mann oder 'ne Frau. Das Gesicht hat die reine
therische Schnheit von destilliertem Opium. Es ist ein Mann.
Er hat die Bewegungen eines Mannes. Aber ich wei, da er
jedesmal, wenn er sich a u f die Strae traut, in Lebensgefahr
schwebt. Irgendwann werden sie ihn killen, denn er hat nicht
eine Spur von Tod an sich. Ich bin schon zu 9/10 krepiert, und
an das restliche Zehntel klammere ich mich wie an ein rostiges Maschinengewehr. Und wenn ich die Strae runtergehe,
sieht man mir's a n .

28

Bird, ich brauch 'n Zwanziger, sagt Jack.


Eine gottverdammte 20-Dollar-Note schlt sich aus Birds Hand.
Die Bewegung ist glatt und lssig. Thanks, Baby.
Vergi es. Wollt ihr reinkommen?
All right.
Wir gehen also rein und setzen uns. Mein Blick fllt auf ein
riesiges Bcherregal. Ich seh mir das mal genauer an, und da
scheint kein einziges langweiliges Buch drin zu stehen. Ich
seh all die Bcher, die ich selbst schon immer bewundert habe.
Verdammt, trum ich? Der Junge hat ein Gesicht, da mir
jedesmal, wenn ich ihn ansehe, ganz warm ums Herz wird,
naja, ihr versteht schon, wie ber 'nem Teller Chili und Bohnen, so richtig dampfend hei, nach 'ner ewig langen Sauftour, der erste richtige Fra in Wochen, naja, fuck, ich mu
immer auf der Hut sein.
Bird. Und der Ozean da drauen. Und eine abgelaufene Batterie. Eine schrottreife Karre. Und die Bullen, die ihre stupiden leeren Straen patrouillieren. Was fr ein lausiger Krieg.
Und was fr ein idiotischer Alptraum. Nur fr einen Augenblick dieser ruhige Raum zwischen uns, und irgendwann werden wir alle an die Wand gedrckt, zertreten wie Kinderspielzeug, und Schlu mit unserem lahmen Heldentum.
Also wir setzen uns. Eine Flasche Scotch erscheint. Ich kippe
ein Wasserglas voll in einem Zug, ah, ich schnapp nach Luft,
blinzle, ich Idiot, geh auf die 50 zu und versuch immer noch,
den Helden zu spielen. Ich Arschloch von einem Helden, fsiliert von einer Salve Kotter.
Birds Frau kommt rein. Man stellt mich ihr vor. Sie ist eine
Frau mit flieenden Bewegungen, sie hat ein braunes langes
Kleid an und sie fliet, hat lachende Augen, und ich sag euch:
sie fliet einfach so dahin.
wow wow wow!, sag ich.
Sie sieht derart gut aus, da ich sie einfach hochheben mu,
ich drck sie an mich, ich wirble mit ihr herum, ich lache. Niemand hlt mich fr verrckt. Wir alle lachen. Wir alle verstehen einander.
Jack hat es gern, da ich aus mir raus gehe. Er hat den ganzen
Nachmittag praktisch alleine bestreiten mssen und ist mde.
Er grinst. Er fhlt sich gut. Ein einziges Mal in eurem Leben
seid ihr vielleicht mal in einem Zimmer voll Leute gewesen,
mit denen ihr euch in allem, was ihr tut, einig seid. Dies war
so ein magischer Augenblick. Ich wute es. Naja. O. K.

29

Ich zischte noch 'n Glas Scotch aus reiner Verlegenheit.


Bird schaute zu mir herber.
Hast
du
schon
meine
Collage
gesehen?
Er hielt mir ein vllig beschissen aussehendes Ding hin, mit
'nem Ohrring draufgepappt, und in der anderen Ecke klebte
noch so'n undefinierbarer Fetzen Mist; und ich schlitterte in
einen dieser endlosen, langweiligen Vortrge ber das und
jenes, was mir nicht gefiel, und wie ich auf der Kunstakademie
gelitten hatte . . .
Bird zieht die Notbremse. Er zerreit das Ding und grinst
mich an. Die Kokser-Masche. Aber ich kenn mich aus. Und
ich wei auch, jedenfalls nach dem was ich so hre, da der
einzige Kokser, der es wirklich berzeugend bringen kann,
William Burroughs ist, dem die Burroughs Co. gehrt, oder
beinah, und der wirklich den harten Burschen abziehen kann,
obwohl er innerlich ein fetter, schwuler, Warzen-schmatzender
Macker ist. Jedenfalls hr ich das so hinten rum, und anscheinend redet man nicht laut darber. Ob das stimmt? Na egal,
sag ich, das mag stimmen oder nicht, auf jeden Fall ist Burroughs 'ne stinklangweilige Type, und ohne die tatschlichen
Erfahrungen, die hinter seinem Geschreibsel stecken, wre er
'ne glatte Null, genauso wie Faulkner eine Null ist auer
in den Augen von ein paar vertrockneten Extremisten aus den
Sdstaaten und genau wie Mr. Corrington und Mr. Nod
und Mr. Suck-Dry-Shit. . .
Baby, sagen sie zu mir, du hast 'n Schlag.
Und wei Gott ja, das hab ich. Das hab ich. Und jetzt bleibt
nichts mehr, als mich in die Grne Minna zu verfrachten oder
mich meinen Affen ausschlafen zu lassen.
Sie richteten mir ein Bett.
Ich kipp das Zeug zu schnell in mich rein. Sie unterhalten sich
weiter. Ich hre sie, verschwommen, weit weg.
Ich nicke ein. Ich schlafe. Das Meer wird mich nicht unter sich
begraben, und die anderen werden mir auch keinen reindrkken. Sie haben meinen fetten, schlafenden, schnarchenden Krper gern. Ich bin ein Arschloch. Sie haben mich trotzdem gern.
Ich wnschte, alle htten es so gut wie ich.
Was soll ich mich da noch ber 'ne leere Batterie aufregen.

30

Es war der reine Irrsinn da stand ich mit meinem Pappkoffer am Times Square und sie kamen aus allen Lchern herausgequollen, rempelten mich und schssen blindlings an mir
vorbei. Endlich gelang es mir, einen von ihnen zu fragen, wo
das Village sei, und als ich ins Village kam, fand ich ein Zimmer, und als ich meine Flasche Wein kpfte und mir die
Schuhe auszog, merkte ich, da in dem Zimmer eine Staffelei
stand, aber ich war kein Knstler, nur ein Tramp auf der
Suche nach dem berhmten Silberstreif am Horizont, und ich
hockte mich hinter die Staffelei und trank meinen Wein und
sah aus dem verschmierten Fenster.
Als ich rausging, um mir noch eine Flasche zu holen, sah ich
unten in der Halle diesen jungen Typ im seidenen Morgenrock, Baskenmtze auf dem Kopf, Jesus-Sandalen an den Fen und einen verkmmerten Bart in der Visage, und er sabberte ins Telefon: Oh yes, yes, Darling, ich mu dich einfach
sehen, oh yes, unbedingt! Sonst schneide ich mir die Puls adern durch . . .! Yes! Und ich mu unbedingt hier raus,
entschied ich. Was fr ein mieser kleiner Scheier. Der wrde
sich nicht mal die Schuhriemen durchschneiden. Und drauen
hockten sie in den Cafes rum, sehr lssig, mit Baskenmtzen
und so, und machten auf Knstler.
Ich blieb dann doch eine Woche da, sa meine im voraus
bezahlte Miete ab und nahm mir dann ein Zimmer auerhalb
des Village. In Anbetracht der Gre und passablen Ausstattung war die Miete berraschend niedrig, und ich konnte mir
zuerst nicht vorstellen, wo da der Haken war. An der Ecke
war eine Bar, da sa ich den ganzen Tag ber meinem Bier;
das Geld ging mir langsam aus, aber wie gewhnlich war mir
der Gedanke an einen Job zuwider. Am spten Abend nahm
ich mir zwei Flaschen Portwein mit aufs Zimmer. Ich zog mich
aus, kroch ins Bett und go mir das erste Glas ein. Und dann
fand ich heraus, warum das Zimmer so billig war. Die L*
fhrte genau an meinem Fenster vorbei. Und der Zufall wollte
es, da gerade hier eine Haltestelle war. Direkt vor meinem
Fenster. Jedesmal wenn ein Zug hielt, wurde es taghell im
Zimmer. Und ich hatte eine ganze Wagenladung Gesichter
vor mir; schauderhafte Gesichter Nutten, Orang-Utans, Bastarde, Irre, Killer sie alle hockten da und starrten mich an
wie das Jngste Gericht. Und dann fuhr der Zug an, und das
* Hochbahn.

31

Zimmer wurde wieder dunkel. Bis zur nchsten Ladung. Und


die kam immer viel zu schnell. Ich hatte den Wein wirklich
ntig.
Pas Haus gehrte einem jdischen Ehepaar. Sie hatten eine
Schneiderwerkstatt plus Reinigung ber der Strae. Ich entschied, da meine Klamotten in die Reinigung muten. Es lie
sich nicht mehr vermeiden, ich mute mich in Schale werfen
und mich nach einem Job umsehen. Ich also rein, halb im Suff,
mit meinen paar Lumpen auf dem Arm.
. mcht das Zeug hier waschen lassen oder reinigen oder
so was. Sie armer Junge! Das sind ja nur noch Fetzen! Damit knnte ich nicht mal mehr die Fenster putzen. Ich will
Ihnen was sagen . . . oh, Sam . . .! Yeh?
Zeig doch diesem netten Jungen mal den Anzug, den der
Herr hiergelassen hat.
Oh ja, das ist solch ein hbscher Anzug. Ich begreife nicht,
wie i h n der Herr einfach zurcklassen konnte!
Ich will euch mit dem Rest der Unterhaltung verschonen. In
der Hauptsache bestand ich darauf, da mir der Anzug zu
klein sei. Sie bestritten das energisch. Ich sagte, wenn er mir
nicht zu klein ist, dann sind eben die rmel zu lang. Sie
sagten 7 Dollar. Ich sagte Pleite. Sie sagten sechs. Ich sagte
immer noch Pleite. Als sie auf vier herunter waren, sagte ich,
sie sollten mich erst mal in das Ding reinkriegen. Sie schafften es irgendwie. Ich gab ihnen die vier. Ging zurck auf
mein Zimmer, zog das Ding aus und legte mich lang. Als ich
aufwachte, war es Nacht (auer wenn die Zge ankamen),
und ich beschlo, meinen neuen Anzug anzuziehen, auszu gehen und mir eine Frau zu angeln; eine, die gut aussah,
natrlich, damit sie mich versorgen konnte.
Als ich in die Hosen stieg, rissen sie mir bis ber den Hintern
auf. Naja, ich nahm das hin. Es zog ein bichen, aber ich
dachte mir, die Jacke geht ja ein Stck drber. Als ich in die
Jacke schlpfte, ging der lin ke rmel an der Schulter ab, und
ein schmuddeliges Schaumgummipolster quoll heraus.
Wieder mal reingefallen. Ich pellte mich aus dem, was von
der Klamotte noch brig war, und beschlo, da ich mal wie der die Tapete wechseln mute.
Ich fand ein anderes Zimmer. So 'ne Art Souterrain, man
mute ein paar Stufen runtergehen und sich zwischen den
Mlltonnen der anderen Mieter durchzwngen. Na, damit kam
ich meiner Ebene schon nher.

32

Die erste Nacht, nachdem die Bars dicht gemacht hatten, stand
ich vor der Tr und stellte fest, da ich meine Schlssel verloren hatte. Ich hatte nur ein dnnes weies Hemd an. Um
mir nicht den Arsch abzufrieren, stieg ich in einen Bus und
fing an, kreuz und quer durch die Gegend zu fahren. Schlielich sagte der Fahrer Endstation; vielleicht hatte er mich auch
einfach satt, was wei ich.
Ich stieg aus. Es war nach wie vor elend kalt. Ich stand vor
dem Yankee-Stadion.
Mein Gott, dachte ich, hier hat Lou Gehrig, der Held meiner
Kindheit, gespielt. Und jetzt soll ich hier drauen verrecken.
Na, das pate ja alles zusammen.
Ich ging ein Stck, und nach einer Weile fand ich ein Cafe.
Ich ging rein. Lauter schwarze Kellnerinnen, alle ein bichen
jenseits der besten Jahre. Aber die Kaffeetassen waren gro,
und eine Doughnut plus Kaffee kostete so gut wie nichts.
Ich nahm mein Zeug, setzte mich an einen Tisch, schlang die
Doughnut runter, schlrfte einen Mundvoll Kaffee und steckte
mir eine King-size ins Gesicht.
Ich fing an Stimmen zu hren.
PRAISE THE LORD, BROTHER!
OH, PRAISE THE LORD, BROTHER!

Ich schaute mich um. Die Kellnerinnen waren dabei, mich zu


lobpreisen, und einige Kunden ebenfalls. Wie schn. Die lngst
fllige Anerkennung, dachte ich. Atlantic Monthly und Harper's Bazaar konnten sich zum Teufel scheren. Dem Genie
konnte die Anerkennung auf die Dauer nicht versagt bleiben.
Ich lchelte sie alle an und zog genlich an meinem Glimmstengel.
Und dann kam eine der Kellnerinnen angerauscht und brllte
mich an:
RAUCHEN VERBOTEN IM HAUSE DES HERRN, BROTHER!

Ich erstarrte. Ich machte die Zigarette aus. Ich trank meinen
Kaffee.
Dann ging ich raus und sah das Transparent ber der Tr:
FATHER DIVINE'S MISSION. Oh Brother. Ich zndete mir eine
neue Zigarette an und machte mich auf den langen Weg nach
Hause. Ich kam an, drckte auf smtliche Klingeln, aber niemand machte auf. Schlielich machte ich mirs auf den Mlltonnen
bequem
und
versuchte
zu
schlafen.
Immerhin hatte ich noch so viel Verstand, da ich mich nicht

33

auf die Erde legte, wo mich die Ratten erwischen konnten. Ich
war eben ein cleverer Junge.
Jch war so clever, da ich am nchsten Tag sogar einen Job
fand. Und am Abend, leicht zittrig, ziemlich verkatert und
verkrumpclt, ging ich an die Arbeit.
Zwei alte Kerle sollten mich einweisen. Sie hatten den Job
schon, seit man die U-Bahn erfunden hatte. (Bzw. die Hochbahn, wie sich rasch herausstellte.) Wir schusserten also los,
jeder mit einem Sto Pappdeckel unterm Arm und einem kleinen Gert in der Hand, das aussah wie ein Flaschenffner.
In New York ham alle Leute solche kleinen grnlichen Wanzen, sagte einer der beiden Alten.
Was du nicht sagst! meinte ich, wobei es mir ziemlich egal
war, was fr 'ne Farbe die Wanzen hatten.
Du wirst sie sehen, auf den Sitzen. Wir finden sie jede Nacht
auf den Sitzen. Yeh, machte der andere.
Meine Fresse, dachte ich, ob sowas auch mal Cervantes passiert ist?
Jetzt schau her, sagte der eine. Jeder Karton hat 'ne kleine
Nummer. Wir nehmen die alte Anzeige raus und setzen die
neue mit derselben Nummer rein.
Flip, flip. Der Flaschenffner lste die Halterungen, die alte
Werbung fiel raus, die neue wurde reingehauen, flip, flip die
Halterungen wieder festgemacht.
Jetzt Versuchs du mal.
Ich tat mein Bestes. Aber die Halterungen gaben nicht nach.
Ich hatte einen miesen Flaschenffner erwischt. Und auerdem
war mir schlecht.
Wirst es schon hinkriegen, sagte einer der Alten.
Ich werds schon hinkriegen. Du ARSCH, dachte ich.
Wir arbeiteten uns durch den Wagen durch. Am anderen Ende
kletterten wir raus und die Opas gingen weiter, ber die
Schwellen. Die Schwellen waren mindestens einen Meter auseinander. Ein Mensch konnte da bequem durchfallen, ohne
sich besondere Mhe zu geben. Wir waren gut und gern 25
Meter ber der Strae und ebensoweit vom nchsten Wagen
entfernt. Die beiden alten Knacker hpften ber die Schwellen, erreichten den nchsten Wagen und drehten sich nach mir
um. Drben an der Haltestelle war gerade ein Zug eingefahren. Im Licht, das aus seinen Wagen ber die Gleise fiel,
konnte man die Zwischenrume zwischen den Schwellen sehr
schn sehen.

34

Mach schon! Los, wir hams eilig!


Schei auf eure Eile! brllte ich zurck. Ich fing an, mich
langsam vorzuarbeiten, mit meiner Ladung Pappdeckel unterm Arm und diesem lcherlichen Flaschenffner in der
Hand . . . ein Schritt. . . noch einer . . . noch einer . . . schwindelig, verkatert, benommen.
Und dann fuhr der Zug drben ab und es wurde dunkel wie
in einer Besenkammer. Noch dunkler sogar. Ich sah nichts
mehr. Ich konnte nicht mehr vor und nicht mehr zurck. Ich
stand einfach da.
Na los doch! Mach schon! Wir ham noch mehr Wagen zu
machen!
Meine Augen gewhnten sich langsam wieder an die Dunkelheit. Ich tastete mich vorsichtig weiter vor. Manche Schwellen
waren weich und angefault, andere uneben und voller Splitter.
Lngst nahm ich ihr Rufen nicht mehr wahr. Ich starrte nur
noch wie hypnotisiert vor mich in die Dunkelheit. Jeder
Schritt, den ich machte, konnte mein letzter sein.
Ich schaffte es bis zum nchsten Wagen und schmi ihnen das
Zeug vor die Fe.
Wassn los?
Wassn los, wassn los! ICH SCHEISS DRAUF!
Was pat dir denn nicht?
Ein falscher Schritt, und man hat sich's Genick gebrochen.
Ist euch Deppen das eigentlich klar?
Hier hat sich noch keiner was gebrochen.
Wahrscheinlich weil keiner so viel suft wie ich. So, und
jetzt htte ich gern, da mir einer von euch sagt, wie man
hier wieder runter kommt.
Tja, da drben geht 'ne Treppe runter, aber da mu man
ber die Gleise gehn. Und das heit, man mu ber zwei oder
drei Heie steigen . . .
Fuck it. Was sind >Heie<?
Da fliet der Saft drin. Wenn du da drankommst, bist du
hin.
Zeig mir, wo man rbergeht.
Sie zeigten mir die Stelle. Die Entfernung schien nicht allzu
gro zu sein.
Bedanke mich, Gentlemen.
Pa auf die heien Schienen auf. Pures Gold. Wenn du drankommst . . . pffft!
Ich machte mich auf den Weg. Ich sprte, wie sie mich beob-

35

achteten. Jedesmal, wenn ich an eine heie Schiene kam,


machte ich einen hohen, vorsichtigen Schritt. Einmal blickte
ich zurck. Ihre Gesichter waren weich und milchig im Mondlicht.
Ich erreichte die Treppe und fing wieder an zu leben. Drunten
auf der Strae war eine Bar. Ich hrte schallendes Lachen. Ich
ging rein und pflanzte mich irgendwo hin. Ein Kerl gab Ge schichten ber seine Mutter zum besten, wie sie ihn in die
Klavierstunde schickte und zum Malen auf die Abendakademie, und wie er ihr das Geld fr seine Sauftouren aus der
Tasche zog. Die ganze Belegschaft grlte. Mich berkam es
auch. Der Kerl war ein Genie, seine gute Laune war einfach
ansteckend, und er teilte es nach allen Seiten aus. Ich lachte,
bis die Bar dicht machte und die Runde auseinanderging.
Ich verlie New York wenige Tage spter und bin nie wieder
hingegangen. Es gibt Stdte, die einem Glck bringen, und es
gibt Stdte, die einen killen. Die zweite Sorte ist in der berzahl. Um in New York durchzukommen, braucht man einen
ganzen Panzerschrank voll Glck. Und das hatte ich nicht.
Das Nchste, an das ich mich erinnere, ist, da ich in einem
komfortablen Hotelzimmer in Kansas City sa und zuhrte,
wie der Manager das Zimmermdchen verdrosch, weil sie es
nicht fertiggebracht hatte, mir ihren Arsch zu verkaufen. Alles
war wieder real, friedlich und normal. Ich sa im Bett, hrte
mir das Gezeter an, langte nach einem vollen Glas, go es
mir hinter die Binde und rkelte mich in den sauberen Leintchern. Der Manager hatte eine beachtliche Handschrift. Ich
hrte ihren Kopf gegen die Wand schlagen.
Am nchsten Tag, wenn ich die Strapazen der Busfahrt berstanden hatte, wrde ich sie vielleicht fr einen Kurzen zu
mir reinlassen. Sie hatte einen ansprechenden Hintern. Und
der Manager besa die kluge Umsicht, ihr den nicht zu ramponieren. Und ich war New York entronnen, gerade noch mal
mit einem blauen Auge davongekommen.

Das waren Abende, damals im Olympic. Sie hatten einen


glatzkpfigen kleinen Iren (hie er Dan Tobey?), der die Ansage machte, und der Kerl hatte Stil, er hatte was gesehen im
Leben, vielleicht war er sogar als Junge noch auf den alten
Riverboats gewesen, oder wenn er nicht schon so alt war,

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dann hatte er doch mindestens noch den Dempsey-Firpo-Fight


miterlebt.
Ich sehe ihn immer noch, wie er hochlangte und langsam das
Ringmikrophon zu sich runterzog, wir hatten alle schon vor
dem ersten Kampf einen sitzen, pafften Zigarren, fhlten uns
wie Graf Rotz und warteten darauf, da sie die ersten beiden
Jungs auf die Bretter stellten. Wir waren eine grausame
Meute, aber so wie die Dinge lagen, wollten wir was sehen
fr unser Geld.
Fast jeder von uns hatte eine rot oder blond gefrbte Schnheit dabei. Meine hie Jane, und wir zogen manch einen
guten 10-Runden-Fight miteinander ab, von denen einer fr
mich mit K. o. endete. Und ich war stolz, wenn sie aus dem
Damenklo kam und die ganze Galerie anfing zu stampfen und
zu pfeifen, wenn sie mit diesem groen magischen Hintern
unter ihrem hautengen Kleid wackelte und es war ein magischer Hintern: sie konnte den kltesten und hrtesten Burschen derart bedienen, da er nach Luft schnappte und brnstige Liebeslaute gegen einen Zementhimmel lallte. Und sie
kam also die Galerie runter und setzte sich neben mich, und
ich setzte die Flasche an wie eine Fanfare, reichte sie ihr rber,
sie nippte daran, gab sie zurck, und ich sagte gewhnlich
irgendwas Starkes in Richtung auf die Meute auf den billigen
Pltzen: Diese heulenden Wichser da oben, ich leg sie alle
um!
Und dann schaute sie auf ihr Programm und fragte mich:
Auf wen tippst du im ersten Kampf?
Ich lag immer gut mit meinen Tips vielleicht in 90 /o aller
Flle , aber ich sah mir die Jungs vorher immer genau an.
Ich tippte immer auf den, der am wenigsten Wind machte.
Und wenn einer sich vor dem Gong bekreuzigte und der andere nicht dann stand fr mich der Sieger bereits fest. Es
stimmte meistens: derjenige, der rumtanzte und das ganze
Schattenboxen abzog, war meistens auch der, der sich bekreuzigte, wenn es ernst wurde, und dann auch prompt Prgel
bezog.
Es gab kaum schlechte Kmpfe in jenen Tagen, und wenn es
welche gab, dann spielten sie sich wie heute in der Schwergewichtsklasse ab. Aber wenn damals etwas faul aussah, dann
machten wir uns auch bemerkbar auf den Rngen wir demolierten die Sitze oder nahmen den Ring auseinander oder
steckten die ganze Halle an. Sie konnten sichs einfach nicht

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leisten, uns zu viele miese Fights vorzusetzen. Die Hollywood Legion hatte das Monopol auf miese, gezinkte Fights,
und keiner von uns lie sich dort blicken. Jeder selbst die
Bovs von der Hollywood L. wute, da die wirkliche Action
im Olympic war. Raft kam, und all die anderen Gren, und
die Starlets kuschelten sich in ihre reservierten Sitze am Ring.
Und die Jungs auf der Galerie gerieten auer sich, und die im
Ring schlugen sich wie die Irren, und die ganze Halle war
blau vom Zigarrenqualm; und wie wir uns die Lunge aus dem
Hals schrien und Geldscheine in den Ring warfen und den
Whisky rumgehen lieen; und wenn es vorbei war, kam die
Fahrt nach Hause, und dann auf die Matratze mit unseren
blondgefrbten raffinierten Ludern, man machte eine Nummer, und dann schlief man wie ein besoffener Engel. Wer
brauchte damals die Leihbibliothek? Wer brauchte Ezra? T. S.
E.? H. D.? Wer brauchte die Eliots, die Sitwells, den ganzen
hochtrabenden Verein?
Ich werde nie den Abend vergessen, als ich zum erstenmal
den jungen Enrique Balanos im Ring sah. Damals war mein
Favorit ein tchtiger schwarzer Fighter; er brachte immer ein
kleines weies Lamm mit in den Ring und drckte es an sich,
bevor der Kampf losging. Das war natrlich zickig, aber der
Junge hatte Klasse, und einem harten Fighter sieht man
schlielich schon so einige Flausen nach, stimmts?
Jedenfalls, er war mein Held. Er hie wohl Watson Jones oder
so hnlich. Watson hatte Klasse und einen guten Riecher
schnelle Kombinationen, links-rechts, und dann kam der
PUNCH; und man merkte, da ihm die Arbeit im Ring Spa
machte. Und dann, eines Abends, stellten sie ohne Vorankndigung diesen Balanos gegen ihn auf die Bretter, und Balanos
hatte genau die richtige Einstellung, er nahm sich Zeit, zermrbte Watson, deckte ihn ein nach Strich und Faden und gab
ihm in der letzten Runde den Rest. Meinem Helden! Ich wollte
es nicht wahrhaben. Ich stieg auf meinen Sitz, fuchtelte mit
meiner Flasche in der Luft und schrie nach einem Sieg fr
Watson, der einfach nicht mehr drin war. Wenn ich mich recht
entsinne, ging Watson am Ende sogar k. o., so da der Abend
wirklich zu einem bitteren Erlebnis wurde. Balanos teilte aus,
was er hatte und er hatte 'ne Menge. Er bewegte sich fast
nicht. Er pflanzte seine Beine auf die Bretter und lie seinen
Gegner kommen. Er tuschte, duckte ab, fintete, und stndig
kreisten seine Arme, die reinsten Windmhlenflgel, kann ich

38

euch sagen, und immer wieder kam er mit seiner Rechten


durch. Nach diesem Fight wurde mir klar, da es eines Mannes von einsamer Klasse bedurfte, um diesen Balanos zu
schlagen. Und da es fr Watson das Beste war, wenn er sich
sein Lmmchen unter den Arm klemmte und fr immer von
der Bildflche verschwand.
Aber erst spt in jener Nacht, als der Whisky in mich reinlief wie in ein leckgeschlagenes Schiff und ich mich mit meiner Schickse in der Wolle hatte, war ich so weit, da ich mir
eingestand, da der bessere Mann den Fight gewonnen hatte.
Balanos. Gute Beinarbeit. Er handelt ohne zu berlegen.
Reagiert blitzschnell und instinktiv. Heut nacht hat der Krper ber die Seele gesiegt. So isses meistens. Goodbye Watson, goodbye Central Avenue. Feierabend. Es ist alles vorbei.
Ich schmi mein Glas an die Wand, ging rber und griff mir
'n Stck Weib. Ich war angeschossen. Sie war schn. Wir stiegen ins Bett. Ich entsinne mich, da es zum Fenster reinregnete. Wir lieen uns vollregnen. Es tat gut. Es tat so gut, da
wir zwei Nummern hintereinander schoben. Und dann schliefen wir ein, mit dem Gesicht zum Fenster, und es regnete, und
am nchsten Morgen wachten wir vllig durchnt und durchfroren auf und niesten und lachten, J e s s a s ! Menschenskind!
Irre! Es war lustig, und der arme Watson lag irgendwo mit
seinem zu Matsch geschlagenen Gesicht und sah den 6-Runden- und den 4-Runden-Kmpfen in der Provinz entgegen
und schlielich einem Job neben mir am Flieband in der Fabrik, acht oder zehn Stunden Plackerei am Tag fr 'n Trinkgeld, keine Aussicht, jemals wieder hochzukommen, nur noch
geduldig auf Papa Tod zu warten, sich in den Arsch treten
lassen, sich das Hirn durch den Wolf drehen lassen, und wir
niesten, Jessas!, es war lustig und sie sagte, Mensch, du
bist ja total blaugefroren! BLAU! Von Kopf bis Fu! Guck dich
doch mal im Spiegel an!, und ich stellte mich bibbernd vor
den Spiegel, es stimmte, ich war vollkommen blau angelaufen! Verrckt! Ich fing an zu lachen, ich lachte, bis ich auf
den Teppich fiel, und sie fiel auf mich und wir lachten, lachten, lachten, da ich dachte, wir htten beide den Verstand
verloren, und dann wurde es Zeit fr mich, ich mute mich
anziehen, mir die Haare kmmen, die Zhne putzen, essen
konnte ich nichts, es kam mir schon beim Zhneputzen hoch,
und dann ging ich raus und machte mich auf den Weg zur

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Glhbirnenfabrik, die Sonne brannte herunter, es tat gut, aber


das war auch das einzige, und im brigen mute man es eben
nehmen wie es kam.

Santa Anita, 22. Mrz 1968, 15 Uhr 10. Quillo's Babe liegt
im Ziel gleichauf mit Alpen Dance, und ich hol nicht mal wieder meinen Einsatz raus. Das 4. Rennen ist vorbei, ich bin mit
40 Dollar im Schneider und hab noch keinen lausigen Cent
gutgemacht. Es htte klappen mssen bei Boxer Bob im zweiten Rennen mit Bianco im Sattel, einem der besseren neuen
Jockeys auf der Bahn, und bei einer Notierung von 9/5. Bei
jedem anderen Jockey, sagen wir Lambert oder Pineda oder
Gonzales, htte das Pferd mit 6/5 oder weniger notiert. Aber
immerhin, ich halt mich an meinen alten Spruch: Eine Chance
wittern und dann nicht konsequent nachsetzen ist dmmer,
als von vornherein einfach auf Verdacht zu setzen. Wenn man
blind setzt und es haut nicht hin, kann man sich wenigstens
noch sagen: Scheie, heut geht mir wieder alles daneben.
Wenn man aber einen Lauf kommen sieht und sich nicht dranhngt, kann man sich hinterher nur noch Asche aufs Haupt
streuen und nicht mal mehr mit gutem Gewissen Scheie
sagen. Und das ist ungesund, fhrt zu verkorksten Nchten,
zuviel Alkohol, und dreht einen schlielich durch den Reiwolf.
All right. Die alten Kunden des Totalisators verschwinden
nicht einfach von der Bildflche. Sie sterben, aber hrter als
die brigen Zeitgenossen. Vielleicht verkriechen sie sich in
ein Loch an der East 5th, oder vielleicht stehen sie noch eine
Zeitlang an der Ecke und verkaufen Zeitungen, mit einer zerschlissenen Schildmtze auf dem Kopf, und tun so, als ob das
Ganze nur ein Gag sei, whrend sie in Wirklichkeit schon das
Gras von unten wachsen hren. Ich glaube, es war einer von
Freuds Lieblingsschlern (er hat sich inzwischen wohl einen
Namen gemacht, meine Ex-Frau hat ihn immer mit Vorliebe
gelesen), der gesagt hat, Glcksspiel sei eine Form von Masturbation. Es mu schn sein, Kpfchen zu haben und solche
Weisheiten von sich zu geben. Und vermutlich steckt in jeder
derartigen Binsenweisheit ein Krnchen Wahrheit. Wenn ich
so ein gescheites Haus wre, wrde ich wahrscheinlich hnliche Sprche auf die Menschheit loslassen. Sich die Finger-

40

ngel mit einer dreckigen Nagelfeile putzen ist eine Form von
Masturbation. Und ich wrde vielleicht ein Stipendium kriegen oder zum Ritter geschlagen werden und noch 14 scharfe
Nmmerchen als Dreingabe erhalten.
Gesttzt auf meine langjhrige Erfahrung mit Schlachthfen,
Fabriken, eisigen Nchten auf Parkbnken, lausigen Jobs
miesen Weibern und allgemein entnervenden Lebenslufen
kann ich nur soviel sagen: der Grund, weshalb der Durchschnittsmensch seine paar Piepen beim Pferderennen verwettet, ist, weil man ihm die Schrauben zu eng angezogen hat,
weil der Vorarbeiter eine Kanaille ist, weil der Hauswirt
Scherereien macht, weil das Sexleben unter den Gefrierpunkt
gesunken ist; Einkommenssteuer, Krebs und der groe Katzenjammer; Kleider, die beim drittenmal Tragen aus dem
Leim gehen; Leitungswasser, das wie Pisse schmeckt; rzte
mit Fliebandbetrieb und verlausten Wartezimmern; Politiker
mit Scheie und Eiter im Kopf . . . man knnte diese Aufzhlung bis ins Aschgraue fortsetzen, wrde sich aber nur den
Vorwurf einhandeln, man sei verbittert und bergeschnappt.
Also schei drauf. Jedenfalls, wenn ich richtig mitgezhlt habe,
dann hab ich bis heute 2500 Nummern geschoben, dagegen
aber 12 500 Pferderennen erlebt. Wenn ich also jemand einen
Rat geben kann, dann den: Malen Sie Aquarelle.
Worauf ich hinaus will, ist dies: Die Leute kommen zum
Rennplatz, weil ihnen das Wasser bis zum Hals steht, und
weil sie eher riskieren wollen, da ihnen das Wasser bis ber
die Ohren geht, als sich mit ihrer augenblicklichen Lage zufrieden zu geben. Und hoch da oben thronen die Big Boys und
schauen auf den Ameisenhaufen herunter. Glauben Sie nicht,
da Johnson sich wie Graf Rotz fhlt, wenn er seine Nabelschau betreibt? Und ist Ihnen nicht ebenso klar, da Johnson
gleichzeitig eine der grten Arschkrcken ist, die man uns je
angedreht hat? Aber wir haben den Kder genommen, wir
hngen an der Angel und zappeln uns einen ab. Und einige
von uns haben sich bereits derart einwickeln lassen, da sie
geradezu schtig sind nach diesen Qulereien, weil sie Teil
eines logischen Plans zu sein scheinen. Sie scheinen unumgnglich, da sich keine Alternative anzubieten scheint. Also
haben wir manipulierte Pferderennen in Santa Anita. Und
also haben wir Johnson. Und irgendwie lassen wir es zu, da
es so bleibt. Wir sind so wahnsinnig, uns die Handschellen
selbst anzulegen. Das mag erklren, weshalb einige von uns

41

- wenn nicht die meisten, wenn nicht alle an einem Tag


wie dem 22. Mrz 1968 in Santa Anita zusammenkommen,
um sich reinlegen zu lassen.
Ende des 5. Rennens; Sieger ist Quadrant, die Nr. 12. Die
Anzeigetafel registriert 5/2. Das Pferd hat einen berzeugenden Sieg herausgelaufen und seinen Vorsprung auf der Zielgeraden noch vergrert. Ich hab Zehn auf Sieg und warte
mit meinen 40 Dollar Minus auf die offizielle Notierung.
5/2 zahlt zwischen S 7.00 und S 7.80, und Zehn auf Sieg
bedeutet einen Gewinn zwischen $ 35.00 und $ 39.00. Und
damit, schtze ich, bin ich einigermaen aus dem Schneider.
Das Pferd war an dritter Stelle in der Aufstellung und die
5/2-Notierung hatte sich bis zu dem Zeitpunkt, als der Totalisator dichtmachte, nicht gendert.
Die offizielle Notierung leuchtete auf: 5:40. Da war es, direkt
vor meinen Augen. Fnf-Vier-Null. Das liegt zwischen 8/5
und 9/5 und hat mit 5/2 wei Gott nichts mehr zu tun. Anfang der Woche hatte das Management ber Nacht und ohne
Vorankndigung die Parkgebhren von 25 auf 50 Cents erhht. Die Gehlter der Parkwchter wurden garantiert nicht
verdoppelt. Auerdem wurde der Eintrittspreis von $ 1.95
auf $ 2.00 aufgerundet. Und jetzt das. $ 5.40. Verdammt
nochmal. Ein langsames, unglubiges Aufsthnen kam von
der Tribne. In all den nahezu 13 ooo Rennen, die hinter mir
lagen, hatte ich etwas derartiges noch nicht erlebt. Natrlich
ist die Anzeigetafel nicht unfehlbar. Ich habe bei 9/5 schon
erlebt, da 8 6.00 ausgezahlt wurden und hnliche geringfgige Verschiebungen, aber noch nie, da eine 5/2 im letzten
Augenblick auf beinah 8/5 fiel. Dazu htten in letzter Sekunde
noch unglaublich hohe Wetten eingehen mssen.
Die Menge fing an zu buhen. Das Buhen verebbte und begann
von neuem. Und jedesmal hielt es lnger an. BUH BUUUH
BUUUUUUHHHHHH! Der Mob merkte, da etwas faul war. Der
Mob war mal wieder aufs Kreuz gelegt worden. $ 5.40 bedeutete, da ich statt $ 39.00 nur $ 27.00 kassierte. Und ich
war nicht d e r einzige, der davon betroffen war. Man sprte,
wie es in der Menge grte. Fr viele bedeutete jedes Rennen
die Entscheidung darber, ob sie ihre Miete bezahlen konnten, am nchsten Tag was zu essen hatten und die nchste
Rate fr ihren Wagen bezahlen konnten oder nicht,
Ich schaute runter auf die Bahn und sah einen Mann, der mit
seinem Programm fuchtelte und auf die Tafel zeigte. Er schien

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auf einen der Platzordner einzureden. Dann schwenkte er sein


Programm in Richtung auf die Zuschauer und forderte sie auf,
herunter auf die Rennstrecke zu kommen. Ein Mann kam
runter und sprang ber .das Gelnder. Die Menge brach in
Beifallsgeschrei aus. Dann kam noch einer. Wieder Beifall. Die
Menge kam in Stimmung. Und dann kamen weitere, und
die Menge johlte. Man fhlte sich besser, man witterte eine
Chance . . . Noch mehr Leute kamen herunter auf die Gerade;
es muten wohl an die 65 sein.
Die Stimme des Ansagers drhnte aus den Lautsprechern:
LADIES AND GENTLEMEN, WIR BITTEN SIE, DIE RENNSTRECKE ZU
RUMEN, DAMIT DAS 6. RENNEN BEGINNEN KANN!

Seine Stimme hatte einen unangenehmen Klang. Auf der Zielgeraden waren zehn Polizisten in ihrer grauen Santa-AnitaKluft; jeder trug eine Pistole. Die Menge BUHTE.
Dann merkte einer auf der Bahn unten, da das nchste Feld
im Anmarsch war und man ihm den Eingang blockierte. Die
Leute zogen sich also auf den Rasen zurck und lieen die
Pferde rein. Es waren acht Pferde, angefhrt vom Outrider
im roten Jackett und schwarzer Samtmtze. Die Leute kamen wieder vom Rasen herunter und verteilten sich auf der
Bahn.
WIR FORDERN SIE NOCH EINMAL AUF, DIE BAHN ZU RUMEN,

sagte der Ansager. BITTE RUMEN SIE DIE BAHN! DIE TAFEL
KONNTE DIE LETZTEN WETTEN NICHT MEHR REGISTRIEREN! DER AN
GEZEIGTE BETRAG IST KORREKT! Die Pferde hatten ihre Parade
vor der Tribne beendet und kamen zurck, auf die wartenden Leute zu. Die Pferde sahen sehr gro und nervs aus.
Ich fragte Denver Danny, einen Bekannten und Veteranen des
Rennbetriebs: Was, zum Teufel, luft hier eigentlich, Denver?
Die Anzeige stimmt, sagte er, daran ist nichts faul. Jeder
gewettete Dollar ist registriert worden. Als die Maschinen gestoppt wurden, hat die Tafel 5/2 angezeigt. Dann hat sie noch
einmal aufgeleuchtet und die letzten nderungen registriert;
nur die 5/2 blieben unverndert. Nun, die Franzosen haben
einen alten Spruch: >Wer bewacht uns vor den Wchtern?< Du
erinnerst dich, der Sieg von Quadrant stand schon im ersten
Drittel der Zielgeraden fest, und er hat seinen Vorsprung bis
ins Ziel noch vergrert. Was knnte nun passiert sein? Es
gibt mehrere Mglichkeiten. Vielleicht wurden die Wettmaschinen berhaupt nicht abgestellt, whrend das Rennen lief.

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Als feststand, da Quadrant gewinnen wrde, htte also das


Management weiter Gewinn-tickets ausdrucken knnen. Es
wrde auch reichen, da eine oder zwei Maschinen gezinkt
sind und weiterlaufen, whrend die anderen gestoppt sind.
Auf jeden Fall ist mir klar, da hier ein grandioser Beschi
irn Gange ist, und die anderen haben es auch gemerkt.
Die Pferde bewegten sich auf die wartenden Leute zu, vorneweg der Outrider und das erste Pferd in der Aufstellung,
RICH DESIRE, br. g. 4, ein wahres Monster von Pferd, mit
Pierce im Sattel. Einer rief der Rennbahn-Polente einen unfltigen Ausdruck zu, und drei Bullen griffen sich den Jungen,
schleppten ihn rber ans Gelnder und schickten sich an, ihm
ein paar Rippen zu brechen. Die Demonstranten strzten sich
sofort auf sie, und die Bullen muten sich wieder a u f ihre
Positionen zurckziehen. Die Jockeys rckten weiter mit ihren
Gulen vor und man sprte, da sie sich nicht aufhalten lassen wrden. Es war klar, da sie ihre Anweisungen hatten.
Das war es also: eine Herde berittener Arschkriecher gegen
ein Hufchen verbitterter Verlierer mit nichts in der Hand.
Zwei oder drei Demonstranten legten sich vor den Pferden
auf die Bahn. Das Gesicht des Outriders verzerrte sich und
wurde so rot wie seine Reitjacke. Er packte RICH DESIRE am
Zgel, gab seinem Pferd die Sporen und rammte sich einen
Weg durch die Demonstranten. Ich konnte nicht sehen, ob jemand dabei das Genick gebrochen wurde.
Aber der Outrider hatte sich seine Spesen verdient. Ein guter
Management-Boy. Und ein paar miese Knacker auf der Tribne johlten auch noch Beifall. Aber damit war die Sache noch
nicht entschieden. Einige Demonstranten umringten das erste
Pferd und versuchten, den Jockey aus dem Sattel zu zerren.
Da griffen schlielich die Bullen ein.
Ich bin sicher, wenn sie den Jockey aus dem Sattel gekriegt
htten, wren sie als nchstes dazu bergegangen, die Tribne
in Brand zu stecken und die ganze Anlage zu ramponieren.
Die Bullen verausgabten sich inzwischen so richtig nach Herzenslust. Ihre Schieeisen blieben in den Halftern, aber sie
schienen auch mit den Knppeln mchtig Spa zu haben. Die
Jockeys ritten ihre Pferde warm und bereiteten sich auf die
1 1/2- Meilen vor. Im Gegensatz zu den Bullen, die sich auergewhnlich roh auffhrten, schienen die Demonstranten nicht
allzu viel Kampfgeist zu besitzen. Das Spiel war verloren. Die
Bahn wurde gerumt. Und dann hob sich aus dem Durchein-

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ander eine laute Stimme ab. NICHT WETTEN! NICHT WETTEN!


NICHT WETTEN!
Das wre was gewesen, hm? Keinen Dollar mehr in die Wettmaschinen der abartigen fetten Geier, die am Ende wohl gar
noch ihre Villen in Beverly Hills einben wrden. Zu schn,
um wahr zu sein. Die Maschinen hatten bereits 6000 Dollar
geschluckt, als die Parole Nicht wetten! ausgegeben wurde.
Und wieder sa der Angelhaken im Fleisch, und wieder und
wieder wrde man vor der Maschine zu Kreuz kriechen und
sich melken lassen . . .
Die zehn Bullen standen innen entlang der Zielgeraden, schwitzende, stolze Wahrzeichen der Korrruption.
Der Sieger des 6. Rennens war OFF, mit 9/1 notiert, und das
wurde auch ausbezahlt. Wenn 8 oder 7 ausbezahlt worden
wren, gbe es heute wahrscheinlich kein Santa Anita mehr.
Ich las in der Zeitung, da am nchsten Tag, einem Samstag,
45 ooo Zuschauer auf dem Rennplatz waren, keine ungewhnliche Zahl fr einen Samstag.
Ich selbst war nicht dort und wurde auch nicht vermit und
die Pferde drehten ihre Runden und ich schrieb diesen Bericht.
23. Mrz, 20 Uhr, Los Angeles, immer die gleiche verdammte
Tretmhle und kein Ausweg in Sicht.

Gestern sprach mich ein Kerl in Army -Klamotten an und


sagte: Jetzt, wo es Kennedy erwischt hat, solltest du da was
drber schreiben. Er hat immer behauptet, er sei Schriftsteller warum schreibt er nicht was darber? Dauernd wollen sie mir ihre verkorksten Blle zuspielen, und ich soll sie
irgendwie im literarischen Korb unterbringen. Mein Eindruck
ist, da sich bereits genug Experten mit dem Fall beschftigen.
Dies ist das Jahrzehnt der Attentter und Experten. Und keiner von ihnen ist ein Stck gefrorene Hundescheie wert. Das
entscheidende Problem, das durch ein Attentat wie das auf
Robert Kennedy aufgeworfen wird, ist, da wir nicht nur
einen guten Mann verlieren, sondern auch gewisse politische,
geistige und soziale Errungenschaften wieder einben und
es gibt solche Dinge, mag es auch noch so geschwollen klingen. In der Krise, die durch ein solches Attentat ausgelst
wird, verhrten sich automatisch die Vorurteile der anti-humanen und reaktionren Krfte, und die Folgeerscheinungen ei-

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ner solchen Krise werden als Vorwand benutzt, um mhsam


errungene
Freiheiten
wieder
zu
annullieren.
Ich will mir hier nicht wie Camus (in seinen Essays) den Heiligenschein des engagierten Aktivisten aufsetzen, der sich um
das Wohl der Menschheit sorgt, denn diese Menschheit macht
mich zum grten Teil krank, und das einzige, was sich vielleicht anzustreben lohnt, wre ein universales Konzept der
Aufklrung und Erziehung, des gegenseitigen Verstehens auf
der Basis realer positiver Vibrationen, eine Chance fr die heranwachsende Generation, die noch nicht mit dem Rcken zur
Wand steht; aber ich gehe jede Wette ein, da man auch sie
hopps nehmen wird und da man ein solches Konzept schon
in den Anfngen abwrgen wird, weil es denen, die am Drkker sitzen, an die Substanz gehen wrde. Nein, Sweetheart,
ich bin kein Camus, aber es strt mich doch, wenn ich sehe,
wie unsere Bonzen im Schlagschatten dieser Tragdie ihr leeres
Stroh dreschen.
Ein Auszug aus der Erklrung Gouverneur Reagans: Der
anstndige, gottesfrchtige, die Gesetze unseres Landes achtende Brger ist so erschttert und besorgt ber das, was geschehen ist, wie Sie und ich. Er, und wir alle, sind die Opfer
einer Haltung, die sich in den letzten Jahren immer mehr
breitgemacht hat einer Haltung, die meint, da es jedem
berlassen sei, wie und wann er die Gesetze befolgen will;
da er um irgendeiner Sache willen das Gesetz in die eigenen
Hnde nehmen kann, und da ein Verbrechen nicht notwendigerweise die Shne nach sich ziehen mu. Diese Haltung
i s t bestrkt und ermutigt worden durch die unverantwortlichen demagogischen Reden sogenannter Leader, die oft nicht
einmal
ein
entsprechendes
Mandat
besitzen.
Aber es hat keinen Zweck, diesen Burschen weiter zu zitieren.
Das ganze Gerede ist einfach zu verlogen und durchsichtig.
Das alte Vater-Image mitsamt der Knute, die dir ber den
Arsch gezogen wird. Und dann nimmt uns der gute Gouverneur die Spielsachen weg und schickt uns zur Strafe ohne
Abendessen ins Bett.
Nun, wei Gott, ich hab Kennedy nicht ermordet, weder den
einen noch den anderen. Ich hab auch weder King noch Malcolm X. noch all die anderen umgelegt. Aber jeder kann sich
ausmalen, aus welchen Motiven die Linksliberalen nacheinander abserviert werden (einer der Verdchtigen soll in einem
Reformhaus gearbeitet haben und die >Juden gehat< ha-

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ben . . .) egal aus welchen Grnden, die Linken werden abgemurkst und unter die Erde gebracht, und die Rechtsradikalen tragen dabei nicht mal Grasflecken auf ihren Knien davon.
Da die Attentter krankhaft veranlagt sind, mag man einrumen, und ebenso, da das Vater-Image einen krankhaften
Zustand signalisiert. O. K. Und dann kommen auch noch die
>Gottesfrchtigen< an und behaupten, ich sei ein >Snder<, weil
meine Vorfahren mal dem Herrn Jesus an den Karren gefahren sind. Fest steht, da ich weder den Herrn Jesus noch den
Kennedy umgelegt habe, und Mister Reagan hat es, soviel
man wei, auch nicht getan. Das heit, wird sind quitt. Das
heit nicht, da Reagan was Besseres ist als ich. Was sind das
denn fr Leute, die versuchen, uns Scheie aufs Brot zu
schmieren? Wenn ein Pechvogel sich im Bett zu Tode vgelt,
soll das heien, da alle anderen schuldbewut das Pimpern
einzustellen haben? Wenn sich herausstellt, da ein miratener Brger ein klinischer Fall ist, mssen sich dann alle Brger als klinische Flle behandeln lassen? Wenn jemand Gott
gettet hat, heit das, da ich auch den Wunsch hatte, Gott zu
tten? Wenn jemand Kennedy umbringen wollte, wollte ich
es dann auch? Wer bringt es fertig, den Gouverneur so ins
Recht zu setzen, da er sich berechtigt fhlt, uns andere ins
Unrecht zu setzen? Die Typen, die ihm seine Reden schreiben.
Und nicht einmal besonders gute, wie man sieht.
Eine aufschlureiche Bemerkung am Rande: ich fuhr am 6.
und 7. Juni durch Los Angeles, und in den Negervierteln fuhren neun von zehn Autos mit Standlicht, als Zeichen der Verbundenheit mit Kennedy. Je nher ich den ausschlielich weien Stadtvierteln kam, desto mehr verschob sich dieses Verhltnis, und am Hollywood Blvd. und entlang dem Sunset
zwischen La Brea und Normandie hatte nur noch jeder zehnte
Wagen die Scheinwerfer an. Und fr einen Augenblick kam
mir der Gedanke: war Kennedy ein Schwarzer?
Wie gesagt, alle rissen das Maul auf, allen voran unser Gouverneur; und jeder hatte irgendwelche miesen Komplexe oder
Vorurteile abzuladen. Jeder, der sich was zusammengerafft
hat, will es um jeden Preis behalten und wird dir klarmachen,
wie unrecht es wre, ihm die goldenen Schubladen aus dem
Schreibtisch ziehen zu wollen. Ich bin im Grunde ein unpolitischer Mensch; wenn ich aber sehe, wie diese reaktionren
Geier ihre Schlge unterhalb der Grtellinie anbringen, dann
platzt mir der Kragen und ich steige in den Ring.

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Im Ring machten sich auch die Sportjournalisten breit, und


die sind, wie jeder wei, die schlimmsten, wenn es ans Schreiben geht und speziell, wenn es um etwas geht, bei dem
man den Verstand bemhen mu. Ich wei nicht, was schlimmer ist: ihr Geschreibe oder ihr unterernhrtes Denken. Auf
jeden Fall pflegt eins mit dem ndern eine hchst ungesunde
Liaison einzugehen, aus der allenfalls Bastarde und wasserkpfige Monstren hervorgehen knnen.
Ein Sportjournalist einer der grten Zeitungen, die noch
nicht durch einen Streik lahmgelegt ist, schttelte sich folgende Perlen aus dem rmel (whrend die rzte noch um
R. Kennedys Leben rangen):
Die blindwtigen Staaten von Amerika: Eine Nation auf
dem Operationstisch.
. . . wieder einmal hat Amerika the Beautiful eine Kugel in
den Leib bekommen. Das Land liegt auf dem Operationstisch.
Die Verblendeten Staaten von Amerika. Eine Kugel ist mchtiger als eine Million Stimmen . . .
Dies ist keine Demokratie, dies ist eine Pathologie. Ein Land,
das davor zurckschreckt, seine kriminellen Elemente zu bestrafen, seinen Kindern Disziplin beizubringen und seine Unzurechnungsfhigen in geschlossenen Anstalten unterzubringen . . .
Der Prsident der USA wird in einem Versandhaus-Katalog
gewhlt und mit einer Flinte aus demselben Katalog wieder
beseitigt . . .
Die Freiheit wird zum Freiwild erklrt. Das >Recht<, zu
morden, gilt d i e s e r Nation immer noch als unveruerliches
Grundrecht. Faulheit und Schmarotzertum gelten als Tugenden. Patriotismus ist eine Snde, staatserhaltende Gesinnung
ein Anachronismus. Gott ist unglaubwrdig, weil er ber 30
ist. Jung-sein i s t die einzige Religion als sei es ein hart erkmpftes Privileg. >Anstand<, das sind schmutzige Fe und
hochnsige Verachtung jeder ehrlichen Arbeit. >Liebe< ist etwas, das mit Penicillin behandelt werden mu. >Liebe< ist es,
wenn du einem nackten Jngling mit giftigen Ottern im Haar
eine Blume reichst, whrend deine Mutter mit gebrochenem
Herzen im vereinsamten Heim sitzt. Man >liebt< wildfremde
Leute, aber nicht seine Eltern.
Ich bin altmodisch genug, Leute zu mgen, die saubere Vorhnge an ihren Fenstern haben, und nicht Leute, die in >Buden< wohnen. Ich bin es leid, mir sagen zu lassen, ich msse

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unkontrollierbaren Bsewichten >Verstndnis entgegenbringen< Erwartet man denn von einem Kanarienvogel, da er
fr die Katze >Verstndnis< hat?
Die Verfassung war niemals als Deckmantel fr allgemeine
Degeneration gedacht. Es fngt an mit der ffentlichen Verbrennung der Flagge und endet mit der Einscherung von
Detroit. Man schafft fr alle die Todesstrafe ab, nur nicht fr
Prsidentschaftskandidaten und fr Prsidenten . . .
Gottesmnner werden zu Anfhrern des Mobs. Wste Schreie
in der Nacht ersetzen die Nationalhymne. Amerikanische
Brger knnen sich nicht mehr ungefhrdet in ihren eigenen
Parks ergehen oder die ffentlichen Verkehrsmittel benutzen.
Sie mssen sich in ihren Wohnungen verbarrikadieren . . .
>La Dich nicht unterkriegen, Amerika!< wird gerufen; aber
der Ruf verhallt ungehrt. Zeig die Zhne, wird gesagt. Drohe
mit Vergeltungsschlgen. Der Lwe zeigt die Zhne, und die
Hynen ergreifen die Flucht. Ein feiges Tier dagegen liefert
sich an Angreifer aus. Aber Amerika will nicht hren . . .
. . . neurotische Studenten, mit den Fen auf dem Tisch,
den sie nicht einmal selbst zusammenzimmern knnten. Sie
reien Universitten nieder und besitzen weder das Wissen
noch die Fhigkeit, sie wieder aufzubauen . . .
Die Wurzel dieses ganzen bels liegt in der Glorifizierung
der ungewaschenen Taugenichtse, Landstreicher und arbeitsscheuen Elemente ble arrogante Gste, ungehobelte Schmarotzer an der edlen Tafel der Demokratie, die auch vor
der Ungeheuerlichkeit nicht zurckschrecken, ihren bestrzten
Gastgebern die Gedecke vor die Fe zu werfen . . . ! . . . wir
beten zum Allmchtigen, da er unseren Heilkundigen helfen
mge, Bobby Kennedy zu retten. Wer wird Amerika retten?
Wie gefllt euch dieser Typ? Eben. Das dachte ich mir auch.
Eine miese Kreuzung aus Gartenlaube und Volksschulaufsatz.
Sind Sie zufllig Mllkutscher? Machen Sie sich nichts daraus.
Wie man sieht, gibt es angenehmere Jobs, die nicht halb so
gut verrichtet werden.
Die Irren einsperren. Aber wer ist ein Irrer? Also lt man
die Koryphen, die Seelendoktoren, die Untersuchungsausschsse auf uns los, um herauszufinden, wo bei uns der Wurm
drin ist. Wer eine Macke hat und wer nicht, wer recht hat
und wer nicht. Und wer eine Macke hat, gehrt in die Gummizelle. Aber von sechzig Zeitgenossen, die man auf der Strae

49

trifft, haben neunundfnfzig einen Schatten industrielle


Neurosen, keifende Ehefrauen, knstlich geschaffener Zwang
zu berstunden und Mehrkonsum, so da sie keine Zeit finden, wieder zu sich zu kommen und sich klar zu werden, wer
oder was sie eigentlich sind oder tun, und warum . . .
Und bald werden die Kommissionen ihre Berichte vorlegen;
und wie die Armut & Hungersnot-Kommissionen, die zu berichten wuten, da da unten ein paar armselige unterernhrte
Kanacken rumkrebsen, werden sie uns berichten, da es auch
welche gibt, die im Oberstbchen unterernhrt sind. Und dann
wird alles wieder in Vergessenheit geraten; bis zur nchsten
>Affekthandlung<, und bis zur nchsten Stadt, die in Flammen
aufgeht. Dann werden sie wieder zusammentreten, erneut ihre
langweiligen Platitden von sich geben, sich die Hnde reiben und verschwinden wie ein Batzen Scheie, wenn man die
Splung bettigt. Naja, schn wrs. Nur kommt das Gesocks
immer wieder hoch. Und am hartnckigsten sind die PsychoEquilibristen, die darauf bestehen, uns ihre geistigen Eiertnze vorzufhren und uns zu der Erkenntnis zu bewegen,
da bei uns was schiefgegangen ist, weil unsere Mutter einen
Klumpfu hatte und der Vater Alkoholiker war und uns ein
Huhn ins Maul geschissen hat, als wir 3 Jahre alt waren, und
deshalb sind wir pervers oder schwul oder bedienen 8 Stunden am Tag eine Blechstanze. Whrend die simple Wahrheit
ist, da sich einige von uns elend fhlen, weil sie unter elenden Bedingungen leben mssen, und da sich das ohne weiteres ndern liee. Was man uns unter keinen Umstnden
zugeben will, ist, da unsere Geisteskrppel und unsere Amoklufer zwangslufige Produkte unseres gegenwrtigen inhumanen gesellschaftlichen Klimas sind, unseres guten alten
American Way of Life and Death.
Und es ist geradezu ein Wunder, da man uns anderen den
Psychopathen nicht schon an der Nase ansieht.
Aber Schlu mit den ernsten Betrachtungen; lassen wir diese
Geschichte in einer etwas leichteren Tonart ausklingen. Ich
war einmal unten in Santa Fe und sa mit einem Freund zusammen, der ein ziemlich renommierter Irrenarzt war, und
whrend wir grad so schn am Klnen und Bechern waren,
beugte ich mich ber den Tisch und fragte ihn: Jean, sag mir
eins: bin ich verrckt? Also los, Baby, raus damit. Ich kann
die Wahrheit vertragen.
Er leerte in aller Ruhe sein Glas, setzte es auf den Tisch und

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verkndete ungerhrt: Da wre zuerst mal mein bliches


Honorar fllig.
Und da wute ich wenigstens, wer von uns beiden eine
Schraube locker hatte. Gouverneur Reagan und die Sportjournalisten von Los Angeles waren nicht mit von der Partie, und
der zweite Kennedy war noch nicht einem Attentat zum Opfer
gefallen. Aber whrend ich diesem bergeschnappten SeelenIngenieur gegenbersa, kam mir die unheilvolle Gewiheit,
da es gar nicht gut um uns bestellt war und da sich daran
auch fr ein paar weitere Jahrtausende nichts ndern wrde.
So, mein Freund in deiner Army -Kluft, jetzt kannst du noch
deinen Senf dazugeben . . .

Es ist vorbei, sagte er. Die Toten haben gewonnen.


Die Toten haben gewonnen, haben gewonnen, haben gewonnen, echote Moss.
Weit du, wer das Spiel heut abend gewonnen hat? fragte
Anderson.
Keine Ahnung.
Moss ging ans Fenster. Drauen sah er ein mnnliches amerikanisches Individuum vorbeigehen. Er rief aus dem Fenster:
He, wer hat das Spiel gewonnen?
Pirates. 3:2, sagte der amerikanische Mensch.
Moss drehte sich zu Anderson um: Hast du es mitgekriegt?
Yeh. Pirates. 3:2.
Ich frag mich, wer wohl das 9. Rennen gewonnen hat.
Wei ich zufllig, sagte Moss. Spaceman II. 7/1.
Unter wem?
Garza.
Sie knpften sich wieder ihr Bier vor. Sie waren beide schon
leicht hinber.
Die Toten haben gewonnen, sagte Anderson.
Ja doch. Leg mal 'ne neue Platte auf, sagte Moss.
Also gut: Ich brauch was frs Bett, und zwar bald, sonst
dreh ich durch.
Vergi es. Der Preis ist immer zu hoch.
Wei ich. Trotzdem geht mirs stndig nach. Ich fang an, irre
Trume zu kriegen, in denen ich Hhner in den Arsch ficke.
Hhner? Geht denn das?
Wenn man trumt, geht alles.

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Sie suckelten an ihren Bierdosen. Zwei alte Heinis, Mitte


Dreiig, die es zu nichts gebracht hatten. Anderson, verheiatet, wieder geschieden, 2 Kinder irgendwo. Moss, zweimal
erheiratet und wieder geschieden, ein Kind irgendwo. Es war
Samstagabend, im Apartment von Moss.
Anderson warf in hohem Bogen eine leere Dose durch die
Luft Sie landete in einem groen Papierkorb, in dem schon
mehrere leere Dosen lagen. Weit du, sagte er, manche
Mnner verstehen es einfach nicht mit den Weibern. Ich zum
Beispiel. Das Ganze ist eine schrecklich fade Angelegenheit,
und wenn es rum ist, kommt man sich so richtig verladen und
verarscht vor.
Soll das ein Witz sein?
Du weit schon, was ich meine. Die ausgebeulten Schlpfer
neben dem Bett mit grad so nem leichten braunen Schatten
von Scheie dran, und SIE marschiert siegreich ab ins Badezimmer. Du liegst da und starrst an die Decke, mit diesem
abgeschlafften Ding zwischen den Beinen, und fragst dich,
was das alles eigentlich soll, und du weit, da du fr den
Rest des Abends ihr saudummes Gewsch ber dich ergehen
lassen mut. . . Ahm, sag mal, glaubst du, ich bin schwul
oder so was?
Nee, Mann. Ich wei schon, was du meinst. Weit du, das
erinnert mich an was, da war ich mal bei d i e s e r Schnecke
aufm Zimmer, hab sie eigentlich kaum gekannt, ein Freund
hat mich irgendwie mit ihr zusammengebracht. Ich also rein
mit ner Flasche unterm Arm, 'n Zehner fr sie locker gemacht,
alles prima. Nix mit romantischem Geflster, Seelenverwandtschaft und solche Zicken. Ich roll also wieder von ihr runter
und fhl mich ziemlich O. K., starre an die Decke, rkle mich
und warte darauf, da sie auf die Badezimmer-Tour geht.
Und da langt sie doch wei Gott unters Bett und holt einen
Lappen vor und gibt ihn mir, damit ich mich abwische. Das
hat mir wirklich den letzten Nerv geraubt, kann ich dir sagen.
Der verdammte Lappen war schon ganz verkrustet. Aber gut,
ich lie mir nichts anmerken, spielte den Professionellen. Ich
fand 'ne weiche Ecke an dem Lappen was nicht leicht war
und wischte mich ab. Und dann hat sie den Lappen benutzt.
Ich machte, da ich rauskam. Und du kannst mich prde nennen, wenn du willst, ist mir egal.
Sie verstummten fr eine Weile und widmeten sich ihrem
Bier.

52

Naja, wir wollen nicht ungerecht sein, sagte Moss.


Hnnn? machte Anderson.
Es gibt schon 'n paar dufte Weiber.
Hnnn?
Doch, wirklich. Ich meine, wenn alles richtig luft. Ich hatte
mal 'ne Freundin, na ich kann dir sagen . . . Zucker! Und
keine Fisematenten, vonwegen Seele und so . . .
Und was ist mit der?
Gestorben. Noch ziemlich jung.
Hart.
Ja. Ich hab mich danach fast zu Tod gesoffen.
Sie nahmen sich wieder ihr Bier vor.
Wie kommt das eigentlich? fragte Anderson.
Was?
Da wir fast in allem einer Meinung sind?
Das kommt, weil wir Freunde sind. Dieselben Erfahrungen,
dieselben Vorurteile und so.
Moss und Anderson. Ein Duo. Wir sollten am Broadway
auftreten.
Wir wrden vor leeren Sitzen spielen.
Yeah.
(Pause. Pause. Pause.) Dann:
Das Bier wird immer beschissener. Ist bald nichts mehr dran
kaputtzumachen.
Ywah. Garza. Bei Garza hatte ich nie Glck.
Hat eh nicht viel drauf.
Aber jetzt, wo Gonzales seine Krtze auskuriert hat, kommt
er vielleicht wieder besser ins Rennen.
Gonzales. Der hat nicht genug in den Knochen. Lt seine
Pferde in der Kurve immer nach auen treiben.
Und dabei verdient er immer noch mehr als wir beide zusammen.
Kein Wunder.
Eben.
Moss warf seine leere Dose in Richtung Papierkorb. Er warf
daneben.
Sport war nie meine Strke, sagte er. Wenn ich dran
denke, in der Schule, wenn sie da die Mannschaften aufgestellt haben, bin ich immer am Schlu drangekommen. Nach
mir kam nur noch der Klassendepp. Winchell hie er.
Und was ist aus Winchell geworden?
Groes Tier in der Stahlindustrie.

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Mein Gott.
Willst du noch den Rest hren?
Meinetwegen.
Primus. Harry Jenkins. Sitzt jetzt in San Quentin.
Mein Gott. Sind nun eigentlich die Richtigen im Knast oder
die Falschen?
Sowohl als. I s t gehupft wie gesprungen.
Du hast doch auch mal gebrummt. Wie ist das eigentlich.
Kein Unterschied.
Wie meinst du d a s ?
Naja, die gleiche verkackte Gesellschaft, drauen wie drinnen.
Im Knast existiert die gleiche Klassengesellschaft wie drauen.
Die Betrger und Flscher geben sich nicht mit den Autoknackern ab. Die Autoknacker wollen nichts mit Typen zu
tun haben, die wegen Vergewaltigung s itzen. Und die halten
sich wieder fr was Besseres als die Exhibitionisten. Alles
schn abgestuft, je nach Metier. Zum Beispiel: einer, der
Pornofilme gedreht hat, rangiert ziemlich oben, aber einer,
der sich ein bichen an Kindern vergangen hat, weit unten.
Und wie stufst du sie ein?
Alle gleich: alle haben sich erwischen lassen.
All right, aber was fr ein Unterschied ist dann zwischen
einem, den sie verknackt haben, und einem Durchschnitts brger auf der Strae?
Der Typ, der eingebuchtet wu rde, ist in die Scheie getreten,
aber er hat wenigstens versucht, was zu drehen.
Also ich geb's auf. Trotzdem brauch ich jetzt was frs Bett.
Moss ging zum Khlschrank und holte Nachschub. Er setzte
sich und machte zwei Dosen auf.
Ach ja, 'n Stck Weiberarsch, sagte er. Wir reden, als
seien wir grad 15 geworden. Ich schaff's einfach nicht mehr,
ich kann nicht dauernd ber meinen Schatten springen, all
diese kleinen Aufmerksamkeiten und Artigkeiten, diese ganze
mhsame Vorarbeit, ich brings einfach nicht mehr. Manchen
geht das anscheinend ganz leicht von der Hand. Wenn ich an
Jimmy Davenport denke, meine Fresse, was fr 'n triefugiger kleiner Fatzke, aber die Damen sind reihenweise umgefallen, wenn er seine Schau abzog. Und hinterdrein lie er
immer die Sau raus. Wenn er mit ihnen fertig war, ging er
immer an ihren Khlschrank und pite ihnen in die Salatschsseln oder in die Milchtten oder was wei ich, was ihm
grad unter den Hammer kam. Er fand das sehr witzig. Und

54

die Alte kam aus den Federn gekrochen und kuschelte sich an
ihn und die Augen gingen ihr ber aus Liebe zu diesem drekkigen Arsch. Manchmal nahm er mich mit und zeigte mir,
wie er's machte, und ab und zu lie er mich auch mal ran,
deshalb wei ichs, weil ichs ja selber miterlebt hab. Es scheint,
als ob grad die besten Weiber sich immer an die grten
Scheikerle hngen. Oder hab ich 'n Sehfehler?
Nee, Mann, du hast vollkommen recht. Die Weiber fallen
immer auf den rein, der ihnen den grten Eiertanz vormacht.
Also, angenommen, das stimmt: geht dabei nicht das Naturgesetz in die Binsen? da sich die Starken immer nur mit
den Starken paaren? Was fr eine Gesellschaft soll denn dabei rauskommen?
Die Natur hat eben andere Gesetze als die Gesellschaft. Wir
haben eine unnatrliche Gesellschaft. Deshalb hngen wir ja
auch mit einem Bein immer in der Molle. Die Weiber merken
instinktiv, da die Windmacher in dieser Gesellschaft am ehesten berleben, deshalb geben sie denen den Vorzug.
Dann meinst du also, da uns die Weiber an den Rand des
Untergangs gebracht haben?
Das Wort dafr ist Misogyniker.
Und Jimmy Davenport ist der Knig.
Der Knig der Pisser. Die groe grne Mse hat uns verraten und ihre Atom-Eier liegen rings um uns herum, ganze
Berge davon . . .
Mit einem Wort: Misogynie.
Moss hob seine Bierdose:
Auf Jimmy Davenport!
Anderson hob seine:
Auf Jimmy Davenport!
Sie leerten ihre Dosen.
Moss machte die beiden nchsten auf. Zwei einsame alte
Mnner, die den Ladies die Schuld anhngen . . .
Was sind wir doch fr lausige rsche, sagte Anderson.
Yeah.
Hr mal, kennst du nicht zufllig ein paar Weiber hier in
der Gegend?
Schon mglich. Warum versuchst du's nicht mal?
Du bist wirklich nicht mehr zu retten, sagte Moss. Dann
ging er ans Telefon und whlte eine Nummer.
Er wartete.

55

Shareen? sagte er. Oh yeah, Shareen . . . Lou . . . Lou


Moss . . . erinnerst du dich nicht? Die Party in der Katella
Avenue. Bei Lou Brinson . . . 'ne ziemliche Nacht. Natrlich,
ich wei, da ich gemein war . . . aber wir haben's dann doch
noch miteinander getrieben, nicht? Erinnerst du dich? Ich hab
dich immer gemocht. Es ist dein Gesicht, glaub ich . . . so
klassisch irgendwie. Nee. Nur 'n paar Bierchen. Wie gehts
Mary Lou? Mary Lou ist 'ne sehr nette Person. Ich hab 'n
Freund hier . . . was? Er ist Dozent fr Philosophie in Harvard. Ehrlich. Aber sonst 'n ganz prima Bursche. Ich wei,
d a Harvard 'n juristisches Dings ist, aber es springen noch
immer so 'n paar Immanuel Kants rum, noch von frher und
so . . . Was? Ein 65er Chevvy. Grad die letzte Rate bezahlt.
Wann? Sag mal, h a s t du noch das grne Kleid mit diesem
scharfen Grtel, der immer so da unten rum hngt? Nein,
ganz ehrlich. Sehr sexy. Wirklich fabelhaft. Ich trum immer
von dir, und von Hhnern, die ich . . . Was? Nur 'n Scherz.
Also was ist mit Mary Lou? O. K. Fein. Aber sag ihr, dieser
Hinge i s t sehr gehemmt. Gescheites Haus, aber schchtern und
so . . . oh, 'ne entfernter Cousin. Maryland. Was? Aber ja,
ich hab 'ne sehr einflureiche Familie! Ah, was du nicht
s a g s t . . . Na, jetzt machst du aber einen kleinen Scherz! Jedenfalls, er ist grad zu Besuch und . . . Aber nein, natrlich
i s t er Junggeselle! Warum sollte ich dir was vormachen?
Nein, also ich mu immer an dich denken d i e s e r Grtel, der
da so tief runterhngt ich wei, es klingt zickig Klasse,
du b i s t wirklich Klasse. Klar, mit Radio und Heizung. Am
Strip? Nicht mehr viel, nur noch paar junge Schnsel da. Warum komm ich nicht einfach zu euch rber und bring 'ne Flasche mit? . . . all right, sorry. Nein, ich hab nicht sagen wollen, da du alt bist. Herrgott, du kennst mich doch. Ich und
mein loses Mundwerk. Nee, ich mute auswrts, sonst htt
ich mal angerufen. Wie alt? 32, aber er sieht viel jnger aus.
Er h a t 'n Stipendium gekriegt, glaub ich, und geht bald nach
Europa. Nach Heidelberg, als Gastdozent. Nee, ehrlich. Wann?
All right, Shareen. Bis dann, Schatz.
Moss hngte auf. Setzte sich. Langte nach seinem Bier.
Wir haben noch eine Stunde, um unsere Freiheit zu genieen, Professor.
Eine Stunde? fragte Anderson.
Eine Stunde. Die beiden mssen sich noch die Musen pudern
u n d all diesen Kram. Du kennst das ja.

56

Auf Jimmy Davenport! sagte der Professor aus Harvard.


Auf Jimmy Davenport! sagte der Mann von der Blechstanze.
Sie kippten ihre Dosen.

Das Telefon lutete.


Er sa auf dem Teppich. Er zog den ganzen Apparat an der
Leitung zu sich herunter. Dann las er den Hrer vom Boden
auf. Er hrte ein Gerusch.
Hallo? sagte er.
McCuller!
Yowp?
Es sind jetzt schon drei Tage.
Seit wann?
Seit Sie zum letztenmal zur Arbeit erschienen sind.
Ich baue mir einen Leydener Krug.
Was ist denn das?
Ein Apparat, der statische Elektrizitt speichert. 1746 von
Cuneus von Leyden erfunden.
Er hngte auf und warf das Telefon durchs Zimmer. Er trank
sein Bier aus und hockte sich aufs Klo. Er schi, zog sich die
Hosen wieder hoch und kam singend herausmarschiert.
DA DA! sang er
DA DA
DA DA DA DA!
Herb Alpert's T. Brass. Gefiel ihm. So diese suerliche Melancholie.
RA DA
RA DA
RA DA DA DA
Er setzte sich in der Mitte des Zimmers auf den Teppich, und
da sa seine 31/2jhrige Tochter. Er furzte.
HEY! Du hast GEFURZT! sagte sie.
DENKMAL AN! sagte er.
Sie lachte.
Fred, sagte sie.
Yowp?
Ich mu dir was sagen.
Schie los.
Mama hamse all solche Scheie aus dem Arsch gezogen.

57

Ja?
Ja. Diese Leute haben ihr mit den Fingern in den Arsch gelangt und lauter so Scheie rausgepuhlt.
Wie kommst du denn auf solche Geschichten, du weit doch
ganz genau, da das nicht stimmt.
Doch, es stimmt, es stimmt, ich habs gesehn!
Geh, hol mir 'n Bier.
O. K.
Sie rannte ins andere Zimmer.
RA DA,
sang er,
RA DA
RA DA
RA DA DA DA!
Die Kleine kam mit dem Bier zurck.
Sweetheart, sagte er, ich mchte dir was sagen.
All right.
Die Schmerzen sind inzwischen fast total. Wenn sie ganz
total sind, werd ichs nicht mehr lang machen.
Warum wirst du nicht blau wie ich? fragte sie.
Ich bin doch schon blau.
Warum wirst du nicht blau wie ich und die Blumen?
Ich werds versuchen.
Tanzen wir auf den >Mann von La Mancha<! sagte sie.
Er legte die Platte auf. Sie tanzten. Er eins-achtzig und sie ein
Drittel oder ein Viertel davon. Sie tanzten, jeder fr sich, je der mit seinen eigenen Bewegungen.
Die Platte lief aus.
Marty hat mich gehauen, sagte sie.
Was?
Ja, Marty und Mama ham sich in der Kche gedrckt und
gekt und ich hab Durst gehabt und hab Marty gefragt, ob
ich ein Glas Wasser haben kann und Marty wollte mir's nicht
geben und dann hab ich geheult und dann hat mich Marty
gehauen.
Geh, hol mir doch 'n Bier. Ein Bier! Bier!
Er stand auf, ging in die Ecke, hob das Telefon auf und legte
den Hrer auf die Gabel zurck. Es lutete.
Mr. McCuller?
Ywop?
Ihre Versicherung i s t abgelaufen. Der neue Satz ist $ 248
pro Jahr und ist im voraus zu entrichten. Sie haben drei Ein-

58

tragungen in der Verkehrssnder-Kartei. Jede berschreitung


wird von uns gleichrangig mit einem Verkehrsunfall behandelt . . .
Bldsinn.
Wie bitte?
Ein Unfall kostet euch Geld, eine sogenannte berschreitung
kostet mich Geld. Und die Verkehrsbullen, die uns vor uns
selber schtzen sollen, mssen ein Tagessoll von 16 bis 30
Strafzetteln erfllen, damit sie ihre Einfamilienhuser und
ihre neuen Wagen abbezahlen knnen, und Klamotten und
Ohrringe anschaffen knnen fr ihre drittklassigen Weiber.
Erzhlen Sie mir also hier keinen Mist. Auerdem hab ich
berhaupt keinen Wagen mehr zu versichern. Ich hab meine
Karre letzte Nacht im Hafen versenkt. Nur eins tut mir
leid . . . Und das wre?
Da ich nicht in der Kiste war, als sie unterging.
McCuller hngte auf und lie sich von seiner Tochter ein
neues Bier reichen.
Kleiner Spatz, sagte er. Auf da es dir im Leben mal besser geht als mir.
Ich hab dich gern. Freddie, sagte sie.
Sie versuchte ihn zu umarmen, aber ihre Arme reichten nicht
einmal halb um seinen Bauch.
Ich drck dich! Ich hab dich gern! Ich drck dich!
Ich hab dich auch gern, kleiner Spatz.
Er hob sie hoch und drckte sie an sich.
Mann, Mann, was fr 'ne komische Welt, sagte er.
Sie setzten sich wieder auf den Teppich und spielten >Build
A City<. Sie stritten sich gerade darber, wo die Eisenbahnschienen sein sollten und wer darauf fahren durfte, als die
Trklingel ging. Er stand auf und ging zur Tr und machte
auf; seine Tochter schaute an ihm vorbei und sah die beiden
drauen im Flur.
Mama! Marty!
Hol deine Sachen, Sweety. Es ist Zeit.
Ich will bei Freddy bleiben!
Ich hab gesagt, hol deine Sachen!
Aber ich will bei Freddy bleiben!
Ich sag dirs nicht nochmal, hol jetzt deine Sachen oder es
gibt einen auf'n Po!
Freddy, sag du ihnen, da ich hierbleiben will!
Sie will hierbleiben.

59

Du hast schon wieder 'n Schlag, Freddie. Wie oft soll ich dir
noch sagen, du sollst nicht trinken, wenn das Kind dabei
ist!
Ach was, du bist ja selber besoffen!
Sieh dich vor, Freddie, sagte Marty, whrend er sich eine
Zigarette ansteckte. Ich hab dich sowieso noch nie leiden
knnen. Ich hab schon immer den leisen Verdacht gehabt, da
du halb schwul bist.
Nett von dir, da du mir mal sags t, was du wirklich
denkst.
Jedenfalls, sieh dich vor, Freddie, und verkneif dir diese Beleidigungen. Oder ich lackier dir den Arsch . . .
Augenblick. Ich mu dir was zeigen.
Freddie ging in die Kche und kam singend wieder heraus:
RA DA
RA DA
R A D A DA DA!

Marty sah das Fleischmesser. Nun sag blo nicht, da du


mich mit dem Ding das Frchten lehren willst. Pa auf, da
ich dir nicht den Arsch damit ramponiere!
Ah ja? Aber was ich dir sagen wollte: die Tante von der
Telefongesellschaft rief mich an und sagte, sie wrden mir
das Telefon abstellen, weil ich die letzten Rechnungen nicht
bezahlt hab. Ich hab ihr gesagt, da ich sie krumm und lahm
ficken mchte.
Na und?
Ich wollte damit sagen, da auch mir mal der Kragen platzen kann.
Freddie machte eine blitzschnelle Bewegung. Als Marty zurcktaumelte, war ihm die Klinge bereits vier- oder fnfmal
ber die Kehle gezischt.
Um Gottes willen . . . bring mich nicht um, bitte bring mich
nicht um!
Er krachte hinunter auf den Treppenabsatz.
Freddie ging zurck ins Zimmer, schmi das Messer in den
Kamin und setzte sich wieder zu seiner Tochter auf den Teppich.
Jetzt knnen wir weiterspielen, sagte sie.
Klar.
Autos drfen nicht auf die Schienen.
Ganz meiner Meinung. Die Polente wrde uns sonst verhaften.

60

Und wir wollen nicht, da uns die Polente verhaftet, nicht?


Mhm.
Marty is ganz voller Blut, nicht?
Sieht mir ganz danach aus.
Sind wir daraus gemacht?
So ziemlich.
Was so ziemlich?
Na eben Blut und Knochen und Schmerzen.
Sie saen da und spielten >Build A City<. Man hrte die
Sirenen. Eine Ambulanz, die zu spt kam. Drei berfallwagen. Eine weie Katze strich an Marty vorbei, roch kurz
an ihm und verschwand mit einem Satz. Eine einsame Ameise
kroch ber seine linke Schuhsohle.
Freddie.
Was ist?
Ich mu dir was sagen.
Ja?
Diese Leute haben Mama in den Arsch gelangt und haben
ihr lauter Scheie rausgeholt mit ihren Fingern . . .
O. K. Ich glaub dir's.
Wo ist Mama jetzt?
Ich wei nicht.
Mama rannte unten die Strae rauf und runter und erzhlte
es all den Zeitungsjungen und Verkufern und Kellnern und
Deppen und Sadisten und Halbstarken auf Motorrdern und
abgemusterten Matrosen und Gammlern und Schnorrern, und
so weiter, und so weiter, und der Himmel war blau und das
Brot sauber in Zellophan verpackt, und das erste Mal seit
Jahren war Leben in ihren Augen, echtes, herrliches, sprhendes Leben. Aber der Tod war eine langweilige Sache. So langweilig, da sich nicht einmal Katzen und Ameisen damit aufhielten.

Die Flsse fhren Hochwasser, eine elektrische Spannung


liegt in der Luft, den Lehrern rutscht immer hufiger die Hand
aus, und die Wrmer fressen sich durchs Korn; die MGs werden in Stellung gebracht, und die Buche sind wei, und die
Buche sind schwarz, und die Buche sind Buche. Der ganze
repressive Automatismus luft auf Hochtouren; auf wahllosen
Opfern wird wahllos herumgedroschen; Gerichtssle sind Auf-

61

nahmestudios, in denen der letzte Akt zuerst gedreht wird,


und alles was davor kommt ist nichts als Vaudeville. Menschen werden in Hinterzimmern verhrt, und wenn sie wieder
herauskommen, sind sie nur noch halbe Menschen oder gar
keine mehr. Einige setzen ihre Hoffnung auf einen Umsturz,
doch wenn sie ihre Revolution gemacht und eine neue Regie rung eingesetzt haben, stellt sich heraus, da es dieselbe alte
Chimre ist, nur hat sie sich eine neue Maske aufgesetzt.
Die Bullen von Chicago machten einen Fehler, als sie einigen
Reportern unserer groen Zeitungen eins berzogen der
Schlag auf den Hinterkopf mochte immerhin einige nachdenklich stimmen; und bei den groen Zeitungen hat man sich das
Nachdenken seit 1917 abgewhnt wenn man von der ehemaligen New York Times und einigen Ausgaben des Christian Science Monitor absieht. Man kann Open City den Proze machen, weil auf ihren Seiten ein alltglicher Teil der
menschlichen Anatomie abgebildet ist, aber wenn man den
Leitartikler eines Blattes mit Millionenauflage in den Arsch
tritt, mu man sich darauf gefat machen, da er anfngt,
die Wahrheit zu schreiben und nicht nur ber Chicago
und sich einen alten Gummi drum schert, ob sich das auf den
Anzeigenteil auswirkt oder nicht. Er braucht nur noch einen
einzigen Leitartikel durchbringen, bevor er gefeuert wird
das wrde schon reichen, um eine Million Leser zum Nachdenken zu bringen; und wer wei, was fr Folgen das haben
knnte.
Aber die Daumenschrauben sitzen zu fest. Und die Wahl zwischen Nixon und Humphrey luft auf das gleiche hinaus, als
wenn man uns beim Mittagessen die Wahl zw ischen kalter
und aufgewrmter Scheie lt.
Es sieht wirklich nicht sehr danach aus, als stnden die Zeichen auf Vernderung. Die Geschichte mit Prag hat vielen
einen Dmpfer aufgesetzt, die Ungarn schon wieder verges sen hatten. Und in den Parks hngen sie nach wie vor herum
mit ihren Che Guevara Plakaten und mit Castro -Ansteckern
am Jackett und rennen hinter Allen Ginsberg, Jean Genet
und William Burroughs her und machen auf OOOOOOOMMMM
OOOOOOOOMM wie importierte indische Heilige. Diese Schrift steller gehen auf die Strae, und eine Meute von Idioten
hngt sich an sie und kaut ihnen ihren geistigen Schwanz ab.
Schreiben funktioniert nur, wenn man mit seiner Schreib maschine ALLEIN ist. Ich habe genug Fabriken, Bordelle, Zucht-

62

huser, Bars und Seifenkistenredner erlebt, genug fr die Lebzeiten von hundert Zeitgenossen. Einer, der auf die Strae
geht, nachdem er einen groen Namen hat, macht sichs leicht
und mu damit rechnen, da es schief geht. Thomas und
Behan haben sie kleingekriegt mit ihrer LIEBE, ihrem Whisky,
ihrer abgttischen Verehrung und ihren einladend gespreizten
Beinen; und ein halbes Hundert weitere haben sie fast so weit
gekriegt. WENN DU VON DEINER SCHREIBMASCHINE AUFSTEHST,
LEGST DU DEINE MASCHINENPISTOLE AUS DER HAND UND LSST

DEN RATTEN FREIEN LAUF.

Als Camus anfing, vor den verstaubten Geistern der Akademien Reden zu halten, ging seine
Schriftstellerei den Bach runter. Und was ihn umbrachte, war
kein Autounfall.
Wenn ein paar meiner Freunde fragen: Warum machst du
nicht mal eine ffentliche Lesung, Bukowski?, sind sie immer
ganz perplex, wenn ich sage: Nicht mit mir, Baby.
Also haben wir Chicago, also haben wir Prag, und es hat sich
nichts gendert. Natrlich wre mir Cleaver als Prsident auch
lieber als Nixon, aber das will nicht viel heien. Eins mu
diesen gottverdammten Revolutionren noch klar werden, die
mir stndig auf die Bude rcken und mein Bier saufen und
mir den Khlschrank leerfressen und mir die rosigen Schenkel
ihrer Weiber vorfhren: da sich erst mal in den Kpfen ein
neues Bewutsein etablieren mu, und da es nicht reicht,
wenn man einem eine neue Regierung ber den Kopf stlpt
wie einen neuen Hut und darauf hofft, da sich dann auch in
der Rbe, die darunter steckt, etwas tut. Und solange sich bei
dem Betreffenden die wesentliche Sorge auf das konzentriert,
was sich zwei Stockwerke tiefer abspielt, wird auch ein kompletter Satz Dizzie-Gillespie-Platten nichts ndern.
Vor ein paar Tagen sa einer bei mir im Zimmer auf dem
Teppich und verkndete:
Ich werd die ganze Kanalisation sabotieren. Die ganze Stadt
wird von Scheie berschwemmt sein.
Na, der Junge hatte an dem Abend bereits so viel Scheie
geredet, darunter htte man nicht nur Los Angeles, sondern
die ganze Gegend bis rauf nach Pasadena begraben knnen.
Und dann sagte er: Hast du noch 'n Bier, Bukowski?
Und die Mieze, die er dabei hatte, schlug ihre Beine bereinander und lie dabei ein Stck rosa Unterwsche aufblitzen; da stand ich eben auf und brachte dem Kerl noch ein
Bier.

63

Revolution. Das klingt so romantisch. Ist es aber nicht. Es ist


Blut, Hrte und Wahnsinn. Es bedeutet gewhnlich, da eine
ganze Reihe von Jungs draufgehen, blo weil sie in die Mhle
geraten sind ohne zu wissen, was eigentlich luft. Oder da
dein Weib ein Bajonett in den Bauch gerammt kriegt und
einen Schwanz in den Arsch, whrend du zusehen darfst. Und
da Mnner, die frher mit Begeisterung Mickey-Mouse-Hefte
gelesen haben, einander Streichhlzer unter die Daumenngel
treiben. Bevor man sich darauf einlt, sollte man sich vielleicht klar werden, wohin und wozu einen die Begeisterung
eigentlich treiben soll, und was davon noch brig sein wird,
wenn die Sache gelaufen ist.
Ich bin nicht mit Dostojewski der Meinung, a la Schuld und
Shne, da keiner das Recht hat, einem anderen das Leben
zu nehmen. Tatsache ist, da man uns in so und so vielen
Fllen das Leben nimmt, ohne auch nur einen Schu abzufeuern. Auch ich habe mich fr einen miesen Stundenlohn
auspowern lassen, whrend der Bonze in seinem Boudoir in
Beverly Hills die Vierzehnjhrigen reihenweise entjungfert
hat. Ich habe erlebt, da Mnner gefeuert wurden, weil sie
fnf Minuten zu lang auf dem Scheihaus gesessen haben. Ich
habe Sachen gesehen, ber die ich nicht mal reden will. Aber
bevor man eine Sache beseitigt, sollte man etwas Besseres an
ihre Stelle zu setzen haben. Jedenfalls etwas Besseres als politische Latrinenparolen und Hatiraden in Parks und ffentlichen Pltzen.
Und auer diesem emotionalen Gefasel ist bisher nichts zu
hren gewesen. Keine Spur von einem realistischen Konzept,
keine Spur von Anfhrern, die wenigstens untereinander einig
sind; nicht ein Hauch von Gewiheit, da der Revolution
nicht wie gehabt der Verrat an der gemeinsamen Sache folgen
wird. Ich bin fr Gewaltanwendung, wenn es keine andere
Lsung mehr gibt (und es gibt keine andere mehr), aber bevor ich einen umlege, will ich sicher sein, da man mir nicht
wieder ein hnliches Kaliber an seine Stelle setzt. Auf die
Tour haben wir bereits einen ansehnlichen Teil Geschichte
verspielt, wie ein Haufen besoffener Wrfelspieler im Mnnerklo
unserer
Stammkneipe
an
der
Ecke.
O. K., es ist eine Sache, von Revolution zu faseln, whrend
man einem anderen das Bier wegsuft und mit einer l6jhrigen Ausreierin aus Grand Rapids durch die Gegend walzt;
oder whrend man 3 international bekannten Rattenfngern

64

in den Indischen Ozean folgt. Eine andere Sache ist es, die
Show tatschlich ber die Bhne zu bringen.
187071 haben sie in den Straen von Paris 20000 umgelegt,
die Straen schwammen frmlich in Blut, und die Ratten kamen hervor und machten sich ber die Leichen her; und die
Brger, ausgehungert, abgerissen und kirre, die Brger kamen
heraus und machten sich ber die Ratten her. Und was ist
Paris heute? Und mein Besucher auf dem Teppich gibt seinen
braunen Senf dazu und grient in die Runde. Naja, er ist erst
20 und liest zuviele Gedichte. Und Lyrik ist nichts als ein nasser Lumpen im Splbecken.
Und dann >Pot<. Stndig nennen sie Pot in einem Atemzug
mit Revolution. Aber so gut ist Pot eben auch wieder nicht;
und wenn es morgen legal wre, Pot zu rauchen, wrden 50 /o
dieser Leute das Interesse daran verlieren. Und wenn Sodomie
nicht mehr unter Strafe gestellt wre, wrden all diese Truthhne pltzlich umsonst mit dem Hintern wackeln.
Was wre also zu tun? Eine ganze Reihe von Dingen. Zunchst wrde man einmal mit dem Brauch aufrumen mssen,
derart fiese Visagen als Prsidentschaftskandidaten zu nominieren. Zweitens mte mit den Museen etwas geschehen.
Nichts ist so deprimierend und verstunken wie ein Museum.
Und man fragt sich fast, warum der Prozentsatz an 3jhrigen
Mdchen, die in den Museen von frustrierten Zeitgenossen
angefallen werden, nicht noch hher ist. In jeder Etage mte
also eine Bar sein; das allein wrde schon die laufenden Ausgaben decken und mglicherweise auch noch die Restaurierung
diverser Kunstwerke und des Sbelzahntigers, dem stndig
das Sgemehl aus dem Arsch luft. Als nchstes wrde ich
auf jeder Etage eine Rock Band, eine Swing Band und ein
Sinfonieorchester installieren; plus drei oder vier gutaussehende Weiber, die nichts als rumzulaufen und gut auszusehen htten. Mit anderen Worten, zum Sehen und Lernen
bedarf es erst mal einer geeigneten Atmosphre, d. h. der
Stall mu die richtigen Vibrations ausstrahlen. So wie es jetzt
ist, werfen die Leute einen flchtigen Blick auf das ldierte
Hinterteil des Sbelzahntigers und drcken sich daran vorbei,
etwas
peinlich
berhrt
und
leicht
gelangweilt.
Wie aber, wenn nun ein Typ mit seiner Alten ankommt, je der einen scharfen Drink in der Hand, und sie begucken sich
den Sbelzahn, und er sagt: Ver-dammt, schau dir blo diese
Beierchen an! Fast wie 'n Elefant, hm?

65

Und sie haucht: Honey, ich bin schon ganz geil. Gehn wir
heim und schieben ein Nmmerchen!
Und er sagt: Mo-ment! Erst mu ich aber noch runter in die
Halle und mir diese 1917er Spad ansehn. Es heit, da Eddie
Rickenbacker sie selber geflogen hat. Siebzehn Fritzen damit
vom Himmel geholt. Auerdem sollen die PINK FLOYD da unten spielen.
Unsere Revolutionre dagegen wrden das Museum einfach
niederbrennen, damit wren fr sie alle Probleme geritzt. Sie
wrden ihre eigene Gromutter abbrennen, wenn sie nicht
schnell genug Leine ziehen wrde. Und dann wrden sie ankommen und fragen, wo denn hier der Wasserhahn ist und
ob hier jemand ist, der mal schnell 'n Blinddarm operieren
kann, oder jemand, der was gegen die Irren tut, die ihnen bei
Nacht die Hlse durchschneiden wollen. Und dann wrden sie
mit Schmerzen feststellen, wieviele Ratten es in einer Stadt
gibt nicht die in Menschengestalt, sondern die richtigen ,
und da die Ratten die letzten sind, wenn es ans Ersaufen,
Verbrennen und Verhungern geht. Die Ratten sind die wahren Revolutionre; die gehen ganz pragmatisch vor, schon seit
Jahrtausenden. Die Ratten, das ist der wahre Underground.
Sie interessieren sich nicht fr deinen Arsch, es sei denn, er
hat die letzten Zuckungen schon hinter sich. Und auf indische
Litaneien fallen sie auch nicht herein.
Ich will damit nicht sagen: schmeit den Lffel fort und gebt
auf. Auch mir liegt etwas am Fortbestand des wahren menschlichen Geistes. Nur lat euch nicht verladen von den Jungs,
die so zndende Reden halten und euch dann mit vier hartgesottenen Bullen und acht oder neun Typen von der Nationalgarde allein lassen. Die Schreier, die euch fr die groe
Konfrontation prparieren, lassen sich gewhnlich nicht mehr
blicken, wenn die Schieerei losgeht. Sie wollen am Leben
bleiben, damit sie ihre Memoiren schreiben knnen.
Und unweigerlich stoen zu den revolutionren Varieteknstlern auch die Propagandisten von der Abteilung Religion. Was
Wunder, da man bei diesem siamesischen Zwilling nicht
mehr wei, was vorne und hinten ist. Frher, da war die religise Masche noch in kompetenten Hnden. Ich meine nicht
die Kirchen das war schon immer eine mde Angelegenheit , sondern die kleinen weigestrichenen Buden an der
Strae. Mann, ging es da rund. Ich hockte mich nachts immer
rein, nachdem ich aus smtlichen Bars geflogen war, und hrte

66

zu. Es war allemal besser als nach Hause gehen und sich einen
runterholen. Am besten florierte der Schwindel in Los Angeles, dicht gefolgt von New York und Philadelphia. Wahre
Knstler waren das, diese Prediger. Ich bin ziemlich abgebrht, aber die Burschen brachten mich fast so weit, da ich
mich in ekstatischer Verzckung auf dem Boden wlzte. Und
man sah, da die Typen selber noch gegen ihren letzten Kater
ankmpften, ihre blutunterlaufenen Augen traten ihnen aus
dem Kopf, und sie kreischten sich die Lunge aus dem Leib,
bis sie wieder die ntigen Moneten fr eine Flasche Fusel oder
eine Nutte oder was wei ich zusammen hatten.
Inzwischen hat die Sache ziemlich gelitten; der liebe Gott verga, die Miete zu bezahlen oder die nchste Flasche auszufahren, und unter derart widrigen Arbeitsbedingungen baut
man rapide ab. Gott fing an zu passen, und das Warten fllt
einem schwer, wenn einem der Bauch bis in die Kniekehlen
hngt, die Seele den groen Katzenjammer hat, die Lebenserwartung knapp 55 Jahre betrgt und man sich vergegenwrtigt, da Gott sich zum letztenmal vor 2000 Jahren hat
blicken lassen, und selbst da zeigte er nur ein paar billige
Jahrmarktsnummern, lie sich von einem Genossen reinlegen
und
machte
spontan
den
Schirm wieder zu.
Gott hat seinen Platz im Apfelbaum gerumt, die Schlange
und die Mse von Eden eingepackt, und jetzt sitzt Karl Marx
oben und wirft mit den goldenen pfeln um sich.
Wenn es zum Kampf kommt wovon ich berzeugt bin; und
dem verdanken wir unsere Van Goghs und Mahlers, unsere
Gillespies und Charly Parkers dann ist, was die Anfhrer
angeht, Vorsicht am Platz, und bei dem einen oder anderen
mglicherweise die Frage erlaubt, ob er, statt die Shell-Tankstelle an der Ecke abzubrennen, nicht vielleicht doch lieber im
Aufsichtsrat von General Motors se. Und wir fragen uns
vielleicht, ob auch unser Dubcek nur noch als halber Mann
aus der Klte zurckkommen wird . . .
Die Foyers der >Schnen Knste< und die Nester der >Revolutionre< quellen ber von unvorstellbaren verlausten Nieten,
die ihren Kummer darber, da sie weder einen Job als Tellerwscher finden noch dem Cezanne das Wasser reichen knnen,
in Coca Cola ersufen. Und in ihrem Innern herrscht die
gleiche ghnende Leere wie in den Schokoladenhasen, die wir
an Ostern unseren Kindern andrehen.
Aber, alt wie ich bin, kann ich doch noch mit Befriedigung

67

registrieren, DASS DER KLEINE MANN JETZT DEN KANAL VOLL HAT
UND NICHT LNGER MIT SICH SCHLITTEN FAHREN LSST. Man

kann es berall beobachten; in Prag und in Watts, in Ungarn


und Vietnam. Es ist mehr als ein Auflehnen gegen die jeweilige Regierungsform. Es ist viel elementarer: Menschen, die
sich nicht lnger verarschen lassen von einer Weien Weihnacht a la Bing Crosby und von gefrbten Ostereiern, die
man vor den Kindern versteckt, damit sich die Kleinen erst
mal ABRACKERN mssen, um die Scheidinger zu finden. Ein
elementares Unbehagen; und mir ist wohl dabei, ich schpfe
wieder Hoffnung. Die Jungen haben endlich angefangen, sich
ber gewisse Dinge Gedanken zu machen und verstehen es
mehr und mehr, sich mit ihren Vorstellungen durchzusetzen.
Ihre Sprecher nehmen das Risiko einer exponierten Stellung
auf sich und werden der Reihe nach umgelegt. Aber die verhrteten Alten merken, da ihnen der Teppich langsam aber
sicher unter den Fen weggezogen wird. Sie mssen sich darauf gefat machen, da sie sehr bald von einer Revolution
abserviert werden, die sich in Form von ganz gewhnlichen
Wahlen abspielt. Vorausgesetzt, da man ihnen berhaupt
noch soviel Zeit lt. Das ist eigentlich unser Dilemma, Jungs:
entweder wir machen zu langsam und gehen dabei drauf;
oder wir machen zu schnell und gehen dabei drauf . . .
Naja, ich la das mal so stehen. Langsam kriege ich Zerfalls erscheinungen, ich werde mde, ich frage mich, wozu ich mir
den Mund fusselig rede, ich hoffe, da das alles doch irgendwie einen Zusammenhang ergibt, der Kopf sackt mir auf die
Maschine, ich hre auf, warte auf morgen. Vielleicht komme
ich aus der Tr und latsche auf eine Tellermine? Wen kmmert das schon. Hoffentlich kommt dann ein paar Lesern wenigstens das Mittagessen hoch . . .

Kommt so das Ende? Der Tod aus smtlichen Nasenlchern


der Nacht? Wie billig. Was fr ein Plagiat. Und wie brutal.
Ein Klumpen rohes, stinkendes Hackfleisch, das jemand hat
liegen lassen.
Er kotzte sich aufs Hemd; zu schwach, um den Kopf auf die
Seite zu drehen.
Sie hatten ihn gewarnt. Nie Pillen und Whisky durcheinander. Und wei Gott, sie hatten recht behalten.
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Er sprte, wie seine Seele unter ihm wegrutschte. Er fhlte,


wie sie verkehrtherum dahing, wie eine Katze, und mit den
Hinterbeinen krampfhaft nach einem Halt suchte.
Motherfucker, komm zurck! sagte er.
Seine Seele lachte, du hast mich lang genug gestriezt, Baby.
Jetzt bin ich dran.
Es war ungefhr drei Uhr morgens.
Das Sterben kmmerte ihn weniger, eher schon die losen Enden, die vielen kleinen unerledigten Dinge, die nun fr immer unerledigt bleiben wrden eine vierjhrige Tochter
irgendwo in einem Hippie-Camp in Arizona; Strmpfe und
Unterhosen auf dem Boden, verschimmeltes Geschirr im Splbecken; unbezahlte Rechnungen fr Autoreparaturen, Gas,
Strom, Telefon; und ein Teil von ihm, verschollen in ungewaschenen Msen von einem halben Hundert Nutten, auf
Fahnenmasten und Feuerleitern, in bauflligen leeren Wohnungen, im Kommunionsunterricht, auf Schiffen und in Ge fngniszellen, in abgerissenen, vermoderten Verbnden, im
Klo runtergesplt; Spuren seines Ich, die an weggeworfenen
Weckern klebten, an weggeworfenen Schuhen, Frauen, Freunden . . .
Es war einfach ein Jammer. Wer konnte den Blues blasen so
wie er wirklich war? Niemand. Das war es. Niemand konnte
es. Man konnte es nur immer wieder versuchen, und das
Scheitern und die Verzweiflung wuchsen, und es gab keinen
Weg zurck.
Er wrgte wieder, bergab sich und lag wieder still. Er konnte
die Grillen hren, drauen in Hollywood, entlang dem Sunset
Boulevard. Ich hab verspielt, mein Gott, ich hab alles verspielt, dachte er.
Yeah, Brother, hast verspielt, sagte seine Seele.
Er hatte das Ende aller Rokuren erreicht. Er brachte nichts
mehr runter, kein Bier, keine Pillen, nicht mal Wasser. Nichts
mehr. Es gab kein Pot mehr, kein Hasch, keine Liebe, keinen
Windhauch, keinen Sound nur noch das Zirpen der Grillen.
Nichts mehr zu hoffen. Und er hatte nicht einmal ein Streichholz, um die Bude in Brand zu stecken.
Und es wurde schlimmer.
Eine Melodie begann ihm durch den Kopf zu gehen und sich
zu wiederholen, immer dieselbe Melodie:
Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman, solang
du noch kannst. . .

69

Ah ja. Und immer wieder dieselbe Leier:


Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman . . .
Schaff lieber noch einen Dollar . . .
Schaff lieber noch . . .
Schaff lieber . . .
Mit letzter Energie, die irgendwo aus den wahnsinnigen Echos
des Raums zu kommen schien (Wer kann den wahren Blues
blasen? Niemand.), langte er hoch und machte die kleine
Lampe ber seinem Kopf an, es war nur noch eine nackte
Glhbirne, der Schirm war lngst abgerissen (Wer kann ihn
blasen, diesen Blues?), und er hob eine Ansichtskarte vom
Boden auf, die er vor einigen Tagen in seinem Briefkasten
gefunden hatte, und las:
Lieber Buk: wir gren dich aus der Feme und heben ein
deutsches Helles und einen Klaren auf dein Wohl und gedenken deiner Suferseele hinter den heimeligen Butzenscheiben
des . . .
Ein paar aufdringliche vollgefressene Typen, die gedankenlos
in ihrem Glck aus zweiter Hand dahindmmerten. Die nachlssig hingeschmierten Zeilen verhedderten sich vor seinen
Augen.
Eine Andeutung, da man am nchsten Tag nach England aufbrechen werde. Gedichte, die sich langsam einstellten. Zu fett
gegessen und bei der Stadtrundfahrt den Bus vollgekotzt.
Wir halten Sie fr den grten Dichter seit Eliot.
Unterzeichnet von einem Herrn Professor und seinem Lieblingsschler. Nur seit Eliot? Das war nicht weit her. Als ob
er nicht all diesen einfallslosen Geistern demonstriert htte,
was es heit, wieder Gedichte zu schreiben, die so voller Energie und Leben waren, da sie leuchteten und schwitzten und
stanken; und jetzt machten diese Leute eine Vergngungsreise durch Europa und holten sich gegenseitig einen runter in ihrem Erste-Klasse-Abteil, whrend er in seinem schbigen Loch auf der Skid Row von Hollywood am Abkratzen
war.
Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman . . . solang du noch kannst. . .
Er warf die Karte auf den Boden. Es war doch alles egal. Wenn
er wenigstens noch ein bichen Selbstmitleid empfinden knnte
oder sich in einen gesunden Wutanfall hineinsteigern knnte.
Aber es war alles trocken und leer in ihm, und es kam ihm
vor, als sei es nie anders gewesen.

70

Vor zwei Jahren hatten die Professoren angefangen, ihm die


Tr einzurennen. Sie wollten herausfinden, wie er dazu kam,
solche enormen Dinge von sich zu geben. Was htte er ihnen
schon sagen sollen. Sie waren alle gleich so richtig gepflegt
und adrett, auf eine beinahe weibische Art, mit langen Beinen, die sie zierlich schlenkerten, und groen, rosigen Schaufensteraugen. Und wenn sie erst den Mund aufmachten, tat
es ihm leid, da er sie berhaupt reingelassen hatte. Sie waren
nichts als noble sthetische Eierkpfe einer zerfallenden Struktur, die vor lauter sem Eierschnee im Hirn nicht merkten,
da schon der ganze Dachstuhl in Flammen stand.
Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman . . .
Was war mit all der Hrte in seinen Gedichten? Scheie, er
war mrbe und weich jeder war es, wenn man genau hinsah. Sein ganzes Leben hatte er den harten Burschen rausgekehrt, aber diese Hrte war nur ein Vorwand, ein verlogener Schutzwall. Er sa in einer lcherlichen beschissenen Falle,
die er sich selbst gebaut hatte.
Er wlzte sich aus dem Bett. Es kostete ihn eine bermenschliche Anstrengung. Im Flur kam es ihm wieder hoch, grngelbes schleimiges Zeug und etwas Blut. Er schwitzte und fror
abwechselnd. Seine Fe schleppten schwer ber die Dielen,
als gehrten sie einem Gummielefanten. Flump, flump, flump.
Und da (er blinzelte in das Licht einer Glhbirne) hing das
sthnende, angsterfllte Auge des Konfuzius ber seinem letzten Drink.
Blas mir einer den Blues
Er tastete sich ins Wohnzimmer vor . . .
Hey, Mr. Businessman . . .
peilte einen Sessel an, verfehlte ihn, krachte auf den Fuboden
und brach in irres Gelchter aus... Vor ihm stand das Telefon.
So enden also die Einzelgnger, dachte er. Irgendwo im Dunkeln. Allein mit sich selbst und der Welt. Als Einzelgnger
sollte
man
sich
beizeiten
darauf
einstellen.
All die starken Gedichte helfen jetzt nicht mehr. Auch nicht
all die Frauen, die ich aufgetan hab. Und die, die ich nicht
geschafft hab, erst recht nicht. Was ich jetzt brauche, ist einer,
der mir gro und sicher den Blues vortrgt und sagt, ich wei,
worum es geht. Junge, nimm es ganz in dich auf, und dann
leg dich hin und la alles gehen.
Er sah das Telefon an. Er berlegte und berlegte. Wen sollte
er anrufen; wer wrde ihm jetzt die richtigen Worte sagen,

71

die ihm den Rest leicht machten. Er ging sie der Reihe nach
durch, die wenigen von den M illiarden, die paar Leute, die er
kannte.
Aber er wute, es war zu frh am Morgen; kaum die pas sende Zeit fr einen Sterbenden, um seine Freunde zu behelligen. Es wre ungeschickt, sie wrden wahrscheinlich denken,
er mache Spa oder sei besoffen oder verrckt, und er knnte
es ihnen nicht einmal belnehmen. Jeder war abgeschnitten,
abgehngt, isoliert in seiner eigenen kleinen Zelle. Hey, Mr.
Businessman . . .
Motherfuck!
Wer immer dieses Spiel erfunden hatte, er hatte sich einen
sauberen, glatten Trick ausgedacht. Gut, nennen wir ihn Gott.
Er war lngst fllig fr einen Blattschu. Aber der raffinierte
Bruder lie sich nie richtig anvisieren. Das Zeitalter der Mrder hatte bisher den grten Halunken ausgespart. Seinen
Sohn htten sie damals fast gekriegt, aber er ging ihnen
durch die Lappen und wir schlitterten weiter ber die verkotzten Fliesen unseres Badezimmers. Der Heilige Geist war
der gerissenste von den Dreien, er lie sich berhaupt nie
blicken. Er lehnte sich einfach bequem zurck und wichste,
bis er schwarz wurde.
Seine Seele schlenderte aus dem Schlafzimmer mit einer leeren
Dose Bier in der Hand. Nur noch mal die Stimme deiner
kleinen Tochter hren, damit du in Frieden abkratzen kannst,
hm? Du mieser, sentimentaler Waschlappen! Deine kleine
Tochter versumpft irgendwo in einem Hippie-Camp, whrend
ihre Mutter irgendeinem Idioten an den Eiern fummelt! Na,
wie schmeckt d a s ? Schnall ab und schluck's runter, du lapprige
Nummer!
. . . you need love, you need love, love will get you in the
end, my friend!
Liebe, was? Und mich am Ende kriegen?
Der groe Prelufthammer Tod. Yeah.
Er fing an zu lachen, brach ab, wrgte wieder einen Klumpen
Kotze aus. Mehr Blut dieses Mal. Fast nur Blut.
Er schleppte sich hinber zur Couch.
. . . you need love, you need love . . .
Naja, dachte er, wenigstens haben sie 'ne andere Platte aufgelegt.
Das Sterben war nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt
hatte. berall Blut, die Vorhnge zugezogen, drauen mach-

72

ten sich die Leute fertig fr die Arbeit. Einmal, als er sich
herumwlzte, fiel sein Blick auf das Bcherregal, da standen
all seine Gedichtbnde und er fhlte, wie alles umsonst
gewesen war. Er hatte versagt, das reichte nicht einmal zu rck bis Eliot, nicht einmal bis gestern frh. Er hatte verspielt
wie ein leichtsinniger Affe, der vom Baum fllt und im Maul
des Tigers landet.
Es machte nichts, und den Blues mochte blasen, wer wollte,
es war ihm egal. Satchmo, go home. Schostakowitsch mit deiner Fnften, vergi es. Peter Tschaik, hast dich mit einem
runtergekommenen Sopran in die Nesseln gesetzt und nebenher noch 'ne Lesbierin unterhalten, wie man hrt. . . vergi
es. Wir haben alle nach der groen Nummer gehangelt, und
alle haben wir versagt als Schwanzlutscher, als Maler,
rzte, Zuhlter, Green Berets, Tellerwscher, Zahnklempner,
Trapezknstler und Birnenpflcker. Jeder an sein eigenes Kreuz
genagelt. Und jeder rhrte seinen eigenen Blues.
You need love, you need love . . .
Er stand auf und ging zum Fenster, zog die Vorhnge zur
Seite, die beschissenen Dinger waren total verrottet, er hielt
nur noch ein paar Fetzen in der Hand. Auch die Sonne war
alt und ausgelaugt; sie schien auf dieselben mden Blumen
und
dieselben
verbrauchten
jungen
Mdchen.
Er sah zu, wie die Leute zur Arbeit gingen. Er war genauso
gescheit oder behmmert wie immer.
Er lie sich wieder auf die gemietete Couch fallen, und fr
einen Augenblick war es seine Couch.
Nach all dem Trouble war nichts weiter dabei.
Er starb.

Der kleine verkrppelte Schneider sa immer da und nhte


und hatte gute Laune. Nur wenn seine Alte auftauchte und
an der Tr schellte, verlie ihn seine gute Laune. Mach auf,
ich hab dir saure Sahne mitgebracht, rief sie zu ihm hinein.
Hau ab, du stinkst mir! schrie er. Ich schei auf deinen
verdammten Rahm!
h! machte sie. Du und dein verstunkener Laden!
Schaff doch wenigstens mal deinen Mll raus! Und weg war
sie wieder.
Der Schneider legte einen Finger an die Nase und dachte einen

73

Augenblick nach. Ah ja die drei Leichen. Das war es. Eine


lag in der Kche vor dem Gasherd. Eine weitere hing steif im
Wandschrank an einem Kleiderhaken. Und die dritte sa in
halb aufrechter Position in der Badewanne, so da gerade
noch der Kopf ber dem Rand sichtbar war. Langsam stellten
sich immer mehr Fliegen ein, und das war unangenehm. Die
Fliegen schienen sich auerordentlich wohl zu fhlen, sie berauschten sich frmlich an dem Verwesungsgeruch, und wenn
er mit der Fliegenpatsche nach ihnen schlug, wurden sie wtend und fielen ber ihn her. Also lie er sie einfach in
Ruhe.
Er setzte sich wieder an seine Arbeit, und wieder klingelte es.
Sieht so aus, als ob ich heut ums Verrecken nicht zum Nhen
komme, dachte er.
Es war sein Freund Harry.
Hallo, Harry.
Hallo, Jack.
Harry kam rein. Wo kommt denn der Gestank her?
Leichen.
Leichen? Soll das ein Witz sein?
N. Schau dich doch um.
Harry ging seiner Nase nach und fand den in der Kche, dann
den im Wandschrank und den in der Badewanne. Warum
hast du die umgebracht? Bist du bergeschnappt? Was wirst
du denn jetzt tun? Warum schaffst du sie nicht weg und versteckst sie irgendwo? Hast du nicht mehr alle Tassen im
Schrank? Warum hast du sie denn umgebracht? Warum rufst
du nicht die Polizei? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Mann, dieser GESTANK! Hr mal, komm mir ja nicht
zu nahe! Was soll denn jetzt werden? Was zum Teufel luft
hier eigentlich? UHHH! DIESER GESTANK! MIR DREHT SICH DER
MAGEN UM!
Jack arbeitete ungerhrt weiter. Er nhte und nhte und nhte.
Es war, als ob er sich dahinter verstecken wollte.
Jack, ich ruf jetzt die Polizei an.
Harry ging in Richtung Telefon, merkte aber pltzlich, wie es
ihm hochkam. Er rannte ins Bad und kotzte in die Kloschssel, grad neben dem Kopf der Leiche in der Wanne.
Er kam wieder heraus und langte nach dem Telefon. Er stellte
fest, da man die Sprechmuschel abschrauben und seinen
Penis in die ffnung schieben konnte. Er schob ihn darin vor
und zurck, und es tat gut. Sehr gut sogar. Als er fertig war,

74

hngte er den Hrer ein, zog seinen Reiverschlu wieder


hoch und setzte sich zu Jack.
Jack, bist du meschugge?
Becky sagt, sie hlt mich fr 'n klinischen Fall. Sie will mich
ins Irrenhaus stecken.
Becky war seine Tochter.
Wei sie ber die Leichen Bescheid?
Noch nicht. Sie ist gerade geschftlich in New York. Sie
arbeitet als Einkufer fr'n groes Kaufhaus. Guter Job. Bin
stolz auf das Mdchen.
Und Maria? Wei sie es?
Maria war Jacks Frau.
Maria wei von nichts. Sie kommt nicht mehr her. Seit sie
den Job in der Grobckerei hat, denkt sie, sie is was Besseres. Sie lebt jetzt mit 'ner ndern Frau zusammen. Manchmal denk ich, sie hat'n leichten Stich ins Lesbische.
Na, jedenfalls, ich brings nicht fertig, dir die Polente auf 'n
Hals zu hetzen. Du mut selber mit der Geschichte fertig werden. Aber kannst du mir nicht wenigstens sagen, warum du
diese Leute umgebracht hast?
Ich hatte was gegen sie.
Aber man kann doch Leute, gegen die man was hat, nicht
einfach umlegen!
Es gab halt zu viel, was mir an ihnen nicht gepat hat.
Jack?
Hm?
Willst du mal ans Telefon?
Wenn du nichts dagegen hast.
Is ja schlielich dein Telefon, Jack.
Jack stand auf und zog seinen Reiverschlu runter. Er steckte
seinen Penis in den Hrer. Er schob ihn vor und zurck, und
es fhlte sich gut an. Als er fertig war, zog er seinen Reiverschlu hoch, setzte sich wieder hin und nhte weiter. In
diesem Augenblick lutete das Telefon. Er ging hin und nahm
den Hrer ab.
Oh, hallo Becky! Nett, da du anrufst! Danke gut, und dir?
Ah ja, das kommt , weil wir die Sprechkapsel abgeschraubt
haben. Harry und ich. Harry ist grad hier. Was is mit Harry?
Glaubst du wirklich? Ich finde, er ist in Ordnung. Nichts weiter. Bin am Nhen, wie immer. Harry is auf 'n Sprung vorbeigekommen. Ziemlich trber Nachmittag. Wirklich trbselig.
Keine Sonne, nix. Alle Leute ham heute hliche Gesichter.

75

Oh ja, ich fhl mich O. K. Wirklich. Nee, noch nicht. Aber ich
hab 'n gefrorenen Hummer im Eisschrank. Bin einfach verrckt auf Hummer. Nee, hab sie schon 'ne Weile nicht mehr
gesehn. Spielt die feine Dame und so. Ja, ich werd's ihr ausrichten. Keine Sorge. Goodbye, Becky.
Jack legte auf, setzte sich hin und fing wieder an zu nhen.
Weit du, sagte Harry, das erinnert mich an was. Frher
verdammte Fliegen! Bin ich denn schon am Verschimmeln?!
als junger Mann hatte ich mal 'n Job, ich und dieser andere
Junge. Als Leichenwscher. Manchmal kriegten wir richtig gut
aussehende Weiber rein. Einmal kam ich zur Arbeit, und
Mickey, das war der andere, war grad dabei, ber so eine
drberzusteigen. Mickey, sag ich, was MACHST du denn da?
Du solltest dich was SCHMEN! Er guckte mich blo so von
der Seite an und machte weiter.
Als er von ihr runterkletterte, sagte er: Harry, ich hab schon
mindestens 'n Dutzend von denen gepimpert. Gar nicht schlecht.
Versuch's mal. Wirst sehn...! Nee, danke! hab ich gesagt. Einmal, als ich 'ne wirklich schicke Tante am Waschen
war, hab ich 'n bichen Stinkfinger bei ihr gemacht. Aber zu
mehr knnt ich mich nicht aufraffen.
Jack
bosselte
weiter
an
seiner
Nharbeit.
Glaubst du, da du's mal mit einer versucht httest, Jack?
Ach Gott, was wei ich. Woher soll ich das wissen?
Er nhte. Nach einer Weile sagte er: Hr zu, Harry, ich hab
'ne harte Woche hinter mir. Ich mu was essen und mich
dann 'n bichen aufs Ohr legen. Ich hab 'n Hummer im
Eisschrank. Aber ich bin komisch, ich bin gern allein beim
Essen. Schmeckt mir nicht, wenn mir jemand dabei zusieht.
Ja?
Ja . . . mchtest du, da ich gehe? Du scheinst 'n bichen
durcheinander zu sein. Na, O. K. Ich mach mich dnne . . .
Harry stand auf.
Mut nicht beleidigt sein, Harry. Wir sind doch Freunde.
Wollen es auch bleiben, nicht? Wir sind doch alte Freunde.
Klar. Seit 33. Das waren noch Zeiten! FDR. Die NRA. Die
WPA. Aber wir haben's durchgestanden. Die Jungs von heut,
die haben doch einfach keine Ahnung, wie das war.
Kann man wohl sagen.
Na denn . . . .Goodbye, Jack.
Goodbye, Harry.
Jack ging mit Harry zur Tr, machte ihm auf, sah ihm zu,

76

wie er wegging. Immer noch dieselben alten, zerbeulten Hosen. Der Bursche lief rum wie 'n Lumpensammler.
Dann ging Jack in seine Kche, holte den Hummer aus dem
Gefrierfach und fing an, die Anleitung zu lesen. Die machten
immer so konfuse Anleitungen. Dann kam ihm die Leiche vor
dem Herd in die Quere. Er wrde sie beiseite schaffen mssen. Das Blut unter dem Krper war lngst getrocknet und
bildete einen harten Belag auf dem Fuboden. Die Sonne kam
nun doch noch durch die Wolken, es war spter Nachmittag,
ging schon auf den Abend zu, und der Himmel wurde rtlich,
und etwas von dem rtlichen Licht kam durchs Kchenfenster.
Man konnte fast verfolgen, wie es sich hereintastete, ganz
langsam, wie ein riesiger Schneckenfhler. Die Leiche lag mit
dem Gesicht nach unten, und unter ihr, merkwrdig verrenkt,
kam der rechte Arm an der Seite heraus, so da die Handflche nach oben zeigte. Der rtliche Schneckenfhler ruhte
genau auf der Handflche, so da sie leicht rosa schimmerte.
Das fiel Jack auf. Es sah so unschuldig aus. Nichts als eine
Hand, eine einsame rosa Hand auf dem Fuboden. Fast wie
eine Blume. Fr einen Augenblick hatte Jack den Eindruck, da
sie sich bewegte. Nein, sie hatte sich nicht bewegt. Eine rosa
Hand. Nur eine Hand. Eine unschuldige Hand. Jack stand unbeweglich da und sah sie an. Dann setzte er sich auf einen
Stuhl, den Hummer auf dem Scho, und schaute auf die Hand.
Und dann fing er an zu weinen. Er legte den Hummer auf den
Boden, warf sich ber den Tisch, den Kopf in den Armen vergraben, und schluchzte. Er weinte eine lange Zeit. Er weinte
wie eine Frau. Er weinte wie ein kleines Kind. Er weinte wie
Gott wei was. Dann ging er ins andere Zimmer und hob den
Hrer ab.
Vermittlung, geben Sie mir die Polizei. Ja, ich wei, da es
komisch klingt; das Mundstck ist abgeschraubt. Aber ich
mchte trotzdem, da Sie mich mit der Polizei verbinden.
Jack wartete.
Ja? Also, hren Sie zu, ich hab einen Mann umgebracht!
Was sag ich einen Mann? DREI MNNER! Im Ernst, ja, das ist
mein Ernst! Ich mchte, da Sie kommen und mich holen.
Und da Sie die Leichen abholen. Ich bin wahnsinnig. Ich hab
den Verstand verloren. Ich wei nicht, wie es passiert ist. Was?
Jack gab ihnen seine Adresse.
Was? Das kommt, weil das Mundstck nicht mehr dran ist.
Ich hab's abgemacht. Ich hab das Telefon gepimpert.

77

Der Beamte am anderen Ende redete aufgeregt weiter, aber


Jack legte auf. Er ging zurck in die Kche, setzte sich wieder
an den Tisch und vergrub den Kopf in den Armen. Er heulte
nicht mehr. Er sa einfach da, das rtliche Licht war vers chwunden, die Sonne war weg, es wurde dunkel, er dachte an
Becky, und dann dachte er daran, sich umzubringen, und schlielich dachte er an gar nichts mehr. Der tiefgekhlte sdafrika nische Hummer taute langsam zwischen seinen Fen. Er kam
nicht mehr dazu, ihn zu essen. Ich hatte mir eines Abends
leicht einen angetrunken und kriegte Besuch von dem Kerl,
der ein paar von meinen Bchern verffentlicht hat, und er
fragte mich: Bukowski, hast du Lust, mit rber zu L . . . zu
gehen?
L . . . war ein berhmter Schriftsteller. Seine Bcher waren in
alle mglichen Sprachen bersetzt. Diverse Stipendien, Ehen,
Mtressen, Preise, Romane, Gedichtbnde, Kurzgeschichten,
Europa-Aufenthalte, sogar Gemlde-Ausstellungen, was man
nur wollte.
Nee, Scheie, sagte ich zu Jensen, der Kerl langweilt
mich.
Aber das sagst du bei jedem.
Na und? Stimmt ja auch.
Jensen setzte sich hin und sah mich an. Jensen liebte es, dazusitzen und mich anzustarren. Er konnte einfach nicht verstehen, weshalb ich so bld war.
Er mchte dich kennenlernen. Er hat von dir gehrt.
So, hat er? Und ich hab von ihm gehrt.
Du wrdest dich wundem, wie viele Leute schon von dir gehrt haben. Grad krzlich war ich bei N. A. zum Abendessen,
und sie hat gesagt, da sie dich gern mal zum Essen e inladen
mchte. Sie hat L . . . whrend seiner Zeit in Europa gekannt.
Was du nicht sagst.
Und beide waren gute Bekannte von Artaud.
Ah ja, und sie wollte Artaud nicht an ihren Arsch ran lassen.
Stimmt.
Kann man ihr nicht verdenken. Ich hlt ih n auch nicht rangelassen.
Tu mir einen Gefallen. Geh mal mit rber zu ihm.
Artaud?
Nee, L . . .

78

Ich leerte mein Glas.


Na schn, gehn wir.
Es war eine lange Fahrt von den Slums zu L's Haus. Und was
fr ein Haus. Jensen rammte den Wagen die Einfahrt hoch,
und die war so lang und breit wie 'ne Autobahnauffahrt.
Ist das der Mensch, der stndig jammert, wie arm er dran
ist?
Na immerhin soll er dem Finanzamt 85 ooo schulden . . .
Arme Sau.
Wir stiegen aus dem Wagen. Es war ein dreistckiges Haus.
Auf der Veranda stand eine gepolsterte Schaukel, und in der
Schaukel lag eine 25O-Dollar-Guitarre. Ein riesiger Schferhund kam angerannt, fletschte die Zhne, Schaum vor dem
Mund. Ich wehrte ihn so gut es ging mit der Guitarre ab,
whrend Jensen die Trklingel bettigte.
Ein Guckloch ffnete sich in der Tr und eine gelbe, runzlige
Visage sagte: Wer ist da?
Bukowski und Jensen.
Wer?
Bukowski und Jensen.
Die Herrschaften sind mir nicht bekannt.
Der Schferhund machte einen Satz und es gelang mir, seine
Flugbahn durch einen Schlag mit der Guitarre zu ndern, aber
als er wieder auf den Beinen landete, schttelte er sich nur
kurz und machte sich zum nchsten Sprung bereit, das Fell im
Nacken gestrubt und die dreckigen, gelben Zhne in meine
Richtung gebleckt.
Bukowski. Der Autor von >ALL THE DAMN TIME, SCREAMING
IN THE RAIN<. Und ich bin Hilliard Jensen. NEW MOUNTAIN
PRESS.
Der Schferhund gab ein letztes wtendes Knurren von sich,
ehe er wieder zum Sprung ansetzte, als ich L's Stimme hinter
mir hrte:
Oh, Poopoo, la das!
Poopoo entspannte sich ein wenig.
Brav, Poopoo, sagte ich. Brav, Poopoo.
Poopoo schielte mich an. Er wute, da ich log. Der alte L
hielt die Tr auf.
Also. Kommen Sie herein, sagte er.
Ich warf die zerdepperte Guitarre in die Schaukel und wir
gingen rein. Das Wohnzimmer hatte die Mae einer Tiefgarage.

79

Setzen Sie sich, sagte L. Ich griff mir den nchsten Stuhl
und pflanzte mich hin.
Ich geb dem Establishment noch ein Jahr, sagte L. Den
Leuten sind langsam die Augen aufgegangen. Wir werden
den ganzen verkackten Laden bis auf die Grundmauern niederbrennen.
L schnalzte mit den Fingern. Es wird verschwinden . . .
(SNAP !) Einfach so! Ein neues und besseres Leben wird kommen, fr uns alle!
Wie wrs mit was zu trinken? fragte ich.
L lutete eine kleine Glocke neben seinem Lehnstuhl. MAR LOWE! brllte er.
Dann sah er mich an. Ich habe Ihr letztes Buch gelesen, Mr.
Meade.
Irrtum, sagte ich. Ich bin Bukowski.
Er wandte sich an Jensen. Dann sind also S i e Taylor Meade!
Verzeihen Sie mir!
Nein, nein, ich bin Jensen. Hilliard Jensen. NEW MOUNTAIN.
Betretenes Schweigen. Ein Japaner in schwarzen Pluderhosen
und weiem Jackett kam hereingetrabt, verbeugte sich und zog
ein Lcheln auf, als ob er uns eines Tages alle um die Ecke
bringen wollte.
Marlowe, du Saftneger, diese Herren mchten was trinken.
Nimm ihre Wnsche entgegen und bediene sie umgehend,
oder ich versohle dir den Arsch!
Merkwrdig: L's Gesicht sah aus, als habe es nie Schmerzen
gekannt. Es war faltig und zerfurcht, aber die Falten sahen
irgendwie unecht aus, als seien sie aufgemalt oder aufgeklebt.
Merkwrdige Visage. Gelb. Kahl. Winzige Knopfaugen. Auf
den ersten Blick ein unbedeutendes, nichtssagendes Gesicht.
Wie war es nur mglich, da er all das geschrieben hatte?
Oh, Mack hatte einen groen Schwanz! Oh, Mack hatte den
grten Schwanz von allen! Was fr einen Schwanz er hatte!
Mack hatte den grten Schwanz in der ganzen Stadt, den
grten westlich des Mississippi. Alles redete ber Macks
Schwanz. Oh, Mack hatte einen groen Schwanz . . .< usw. In
Sachen Stil machte ihm so leicht keiner was vor.
Marlowe brachte die Drinks, und das mu ich Marlowe las sen: er machte die Glser voll und sparte mit dem Wasser.
Er stellte sie vor uns hin und trabte wieder hinaus. Sein Hintern wackelte unter den dnnen Seidenhosen.

80

L hatte schon einen sitzen gehabt, als wir ankamen. Er schttete wieder ein Glas in sich hinein. Ein Whisky-Soda-Typ.
Ich werde mich immer an dieses Hotel in Paris erinnern. Wir
waren alle da. Kaja, Hal Norse, Burroughs . . . die bedeutendsten
literarischen
Kpfe
unserer
Generation.
Haben Sie den Eindruck, da das Ihrer Arbeit frderlich war,
Mr. L? fragte ich.
Es war eine blde Frage. Er schaute mich strafend an und
schenkte mir schlielich ein kleines Lcheln. Alles ist meiner
Arbeit frderlich.
Dann saen wir einfach schweigend da, fhrten unsere Glser
zum Mund und starrten einander an. In regelmigen Abstnden lutete L die Glocke, und Marlowe brachte Nachschub.
Marlowe, sagte L schlielich, bersetzt Edna St. Vincent
Millay ins Japanische.
Wunderbar, sagte Jensen von der NEW MOUNTAIN.
Ich kann nicht sehen, was daran so wunderbar sein soll, wenn
einer Edna St. Vincent Millay ins Japanische bersetzt, dachte
ich.
Ich vermag nicht zu sehen, was daran so wunderbar sein soll,
wenn einer Edna St. Vincent Millay ins Japanische bersetzt,
sagte L.
Nun ja, Millay ist schon ein bichen passe, aber was ist mit
der neueren Lyrik? fragte der Mann von NEW MOUNTAIN.
Zuviel jugendlicher berschwang, zu schnell hingemotzt, und
sie geben zu schnell auf, dachte ich.
Keine bleibenden Werte, sagte der alte L.
Ich wei nicht. Keiner redete mehr was. Im Grunde konnten
wir uns nicht ausstehen. Marlowe servierte weitere Drinks.
Ich hatte das Gefhl, da ich in einer unterirdischen Hhle
sa oder in einem Film, der keinen Sinn ergab. Nichts als
eine Abfolge beziehungsloser Einstellungen. Gegen Ende stand
L auf und versetzte Marlowe einen harten Schlag. Ich wute
nicht, was es zu bedeuten hatte. Sex? Langeweile? Oder nur
eine Marotte? Marlowe grinste und flchtete sich wieder in
den Scho der Millay.
Keiner soll mein Haus betreten, der nicht alles Licht und allen
Schatten ertragen kann, sagte L.
Schau her, Mann, sagte ich, du hast nichts als Scheie im
Hirn. Ich hab mich nie fr deinen Kram begeistern knnen.
Und ich hab nie was fr deinen Kram brig gehabt, Meade,

81

sagte der Alte. Diese ewige Leier von wegen Filmstars abkauen und so. Das kann doch jeder. Das ist nichts Besonderes.
Kanns aber manchmal sein, sagte ich. Auerdem bin ich
nicht Meade.
Der alte Macker stand auf und wankte auf mich zu mit seinen
Ausgaben in 18 verschiedenen Sprachen.
Willst du pampig werden oder pimpern? fragte er.
Pimpern, sagte ich.
MARLOWE! brllte L.
Marlowe trottete herein und L schrie ihn an: DRINKS ! Ich
hatte FAST damit gerechnet, da er Marlowe auffordern wrde,
fr mich die Hosen runterzulassen . . . Aber ich sah nur noch
Marlowes wackelnden Hintern durch die Kchentr verschwinden.
Wir setzten uns zur nchsten Runde. Einfach so! (SNAP !)
sagte L. Und das Establishment ist im Eimer! Wir sgen sie
alle ab!
Dann fiel sein Kopf nach vom und er war erledigt.
Gehn wir, sagte Jensen.
Augenblick, sagte ich. Ich ging r ber zu dem Alten und fing
an, ihn zu filzen.
Was machst du denn da? fragte Jensen.
Alles ist meiner Arbeit frderlich, sagte ich. Und dieser
Typ hier ist gestopft.
Ich fand seine Brieftasche, steckte sie ein und sagte: Gehn
wer.
Das httest du nic ht tun sollen, sagte Jensen, whrend wir
zur Tr gingen.
Mein Arm wurde nach hinten gerissen und auf meinem Rkken hochgedreht.
Wir lassen ALLE GELD HIER, BEVOR WIR GEHEN, zu EHREN VON
MR. L! sagte der bersetzer von E. V. Millay.
Du brichst mir den verdammten Arm, du schlitzugiges
Aas!
WIR LASSEN ALLE GELD H I E R ! EHREN VON MR. L! brllte er.

Tret ihm eine rein, Jensen! SCHLAG IHN ZUSAMMEN! SCHAFF


MIR DIESEN GELBEN ARSCH VOM HALS!

Dein Freund langt mich an, dein Arm istZERBROCHEN!


Also schn, nimm die Brieftasche. Zum Teufel damit! Ich
krieg sowieso noch 'n Scheck vonGROVE PRESS.
Er nahm L's Brieftasche und lie sie auf den Boden fallen.

82

Dann nahm er meine heraus und lie sie auf den Boden
fallen.
Hey, MOMENT MAL! Wie kommst du dazu? Bist du vielleicht
ein krankhafter Kleptomane?
WIR LASSEN ALLE GELD HIER! EHREN VON MR. L!

Nicht zu fassen. Das ist ja schlimmer als im Bordell.


Jetzt. Sag deinem Freund. Er lat seine Brieftasche fallen
auf dem Boden oder ich brech dein Arm!
Marlowe bog mir den Arm ein bichen weiter nach oben, um
mir einen Vorgeschmack zu geben.
Jensen! Deine Brieftasche! SCHMEISS SIE HIN!
Jensen lie seine Brieftasche fallen. Marlowe lie meinen Arm
los. Ich schnellte herum. Ich konnte nur noch einen Arm gebrauchen.
Jensen? fragte ich.
Er sah Marlowe an. Nee, sagte er.
Ich schaute zurck zu dem alten Mann, der in seinem Lehnstuhl vor sich hindste. Er schien ein leichtes Lcheln auf den
Lippen zu haben. Wir machten die Haustr auf und gingen
raus.
Brav, Poopoo, sagte ich.
Brav, Poopoo, sagte Jensen.
Wir stiegen ins Auto.
Hast du noch jemand, den du heut abend mit mir besuchen
willst? fragte ich.
Well, ich hatte an Anais Nin gedacht.
Vergi es. Ich glaub nicht, da ich sie noch verkraften
knnte.
Jensen bugsierte den Wagen aus der Einfahrt. Ein Abend wie
jeder andere. Ein warmer kalifornischer Abend. Wir kamen
auf den Pico Boulevard und Jensen ging auf stlichen Kurs.
Ich konnte es nicht mehr erwarten, bis die verdammte Revolution endlich ausbra ch.

Red, sagte ich zu dem Jungen, fr die Weiber hab ich aufgehrt zu existieren. Zum Teil ist es meine eigene Schuld. Ich
geh nicht mehr auf Tanzveranstaltungen, Kirchenbasare, Dichterlesungen, Love-ins und all die Scheie und da treiben
sich die meisten Nutten herum. Ich hab sonst immer was angeschafft, in den Bars oder im Zug auf der Rckfahrt von Del

83

Mr, berall wo eine Sauferei im Gang war. Aber heut halt


ichs in den Bars nicht mehr aus; all diese Typen, die da verloren rumsitzen und die Zeit totschlagen und darauf hoffen,
da sich ihnen irgendwann eine krtzige Tante auf den Scho
setzt. Die ganze Tour ist eine Schande fr die Menschheit.
Red wirbelte eine Bierflasche durch die Luft, fing sie auf und
sprengte an meiner Tischkante die Kappe ab.
Es ist alles im Kopf, Bukowski. Du hast das nicht ntig.
Es ist alles im Kopf von meinem Schwanz, Red. Und ich
habs ntig.
Einmal haben wir 'ne pathologische Weinsuferin gefat
und auf 'n Bett geschnallt. 50 Cents pro Nummer. Ich schtze,
da da smtliche Krppel und verklemmten Macker in der
Gegend drbergestiegen sind. In drei Tagen und drei Nchten
mssen wir an die 500 Kunden abgefertigt haben.
Menschenskind, Red, du machst mich krank!
Wieso? Ich dachte, du bist der Dirty Old Man?
Ich wechsle blo nicht jeden Tag die Socken, das ist alles.
Habt ihr sie wenigstens aufstehen lassen, damit sie zwischendurch aufs Scheihaus gehen konnte?
Wieso?
O shit. Hast du ihr denn was zu essen gegeben?
Die Sorte it nichts. Wir haben ihr Wein gegeben.
Macht mich krank.
Wieso?
Es war inhuman, verstehst du? Tierisch. Ach was, nicht mal
Tiere wrden sowas tun.
Wir haben 250 Dollar gemacht.
Wieviel hast du ihr gegeben?
Nix. Wir ham sie einfach dagelassen. Die Miete war erst in
zwei Tagen fllig.
Habt ihr sie losgebunden?
Klar. Wir wollten uns doch keinen Mord anhngen lassen.
Wie rcksichtsvoll.
Du redest wie ein Pfarrer.
Nimm dir noch 'n Bier.
Ich kann dir 'n bichen Pussy besorgen.
Wieviel? 50 Cents?
Nee, bichen mehr mut du schon investieren.
Nee, danke.
Siehst du, du willst es gar nicht wirklich!
Schtze, du hast recht.

84

Wir machten uns an ein neues Bier. Er hatte einen guten Zug.
Dann stand er auf. Siehst du, ich hab immer ein kleines
Rasiermesser an mir. Hier, unter meinem Grtel. Fr die meisten Rumtreiber i s t Rasieren ein Problem. Nicht fr mich.
Und wenn ich auf Fahrt bin, hab ich immer zwei Paar Hosen
an hier, siehst du? und wenn ich inne Stadt komm, zieh
ich das uere Paar aus, rasier mich, und unter meinem blauen
Navy-Hemd hab ich 'n weies Nylon an, das drck ich schnell
durchs Wasser und inner Stunde oder so ist es trocken, und
dann zieh ich meinen Schlips an, polier mir die Schuhe, hol
mir innem An- und Verkauf-Laden eine passende Jacke, und
zwei Tage spter hab ich 'n white collar Job wie jeder respektable Brger. Keiner sieht mir an, da ich grad aus 'm Viehwaggon abgesprungen bin. Aber ich halt die Jobs nie lang
aus. Und ums Katzenficken bin ich wieder auf Tour.
Ich wute nicht, was ich dazu sagen sollte. Also hielt ich die
Klappe und schlappte weiter mein Bier.
Und ich hab immer so 'n kleinen Eispickel im rmel, an so
'nem elastischen Halter am Unterarm, siehst du?
Yeah, ich sehs. Ein Freund von mir behauptet, 'n Flaschenffner is 'ne prima Waffe.
Hat recht, dein Freund. Also, und wenn mich die Bullen anhalten, sto ich das Ding immer schnell ab. Ich rei die Arme
hoch und schrei NICHT SCHIESSEN! . . . (Red fhrte mir die
Pantomime vor) . . . und dabei lie ich den Eispickel rausfallen. Sie finden nie was an mir. Ich wei nicht, wieviel ich
schon so verschwinden lassen mute. Ne Unmenge jedenfalls.
Hast du mit 'nem Eispickel schon mal was gedreht, Red?
Er warf mir einen merkwrdigen Blick zu.
O. K., vergi es, sagte ich. Ich hab nichts gesagt.
Wir schlappten weiter an unserem Bier.
Ich hab mal in so 'ner Absteige 'ne Zeitung gesehn mit so
einem Artikel von dir. Ich halt dich fr 'n groen Schriftsteller.
Thanks, sagte ich.
Ich habs auch mal versucht, aber es haut nich hin. Ich hock
mich hin und versuch zu schreiben, aber es luft einfach
nicht.
Wie alt bist du?
Einundzwanzig.
La dir Zeit.

85

Er sa da und berlegte, wie er ein Schriftsteller werden


knnte. Dann langte er in seine Gestasche.
Das harn sie mir gegeben, damit ich die Schnauze halte.
Es war eine geflochtene lederne Brieftasche.
Wer?
Ich hab so zwei Typen gesehn, wie sie einen fertig gemacht
ham, und dann ham sie mir das gegeben, damit ich nichts
sage.
Warum ham sie ihn umgelegt?
Na weil er diese Brieftasche hatte mit sieben Dollar drin.
Und wie ham sie's gemacht?
Mit 'nem Steinbrocken. Er hat Wein gesoffen, und als er
einen sitzen hatte, ham sie ihm den Schdel geknackt. Und
die Brieftasche abgenommen. Ich hab zugesehn.
Was ham sie mit der Leiche gemacht?
Frh am Morgen hat der Zug gehalten und die Lok hat Wasser aufgenommen. Da ham sie die Leiche rausgeschleppt und
unter so 'ne Viehrampe geworfen. Dann sind sie wieder eingestiegen und der Zug ist weitergefahren.
M-hmmm, sagte ich.
Spter finden die Bullen dann so 'ne Leiche, sehn die Kleider, das Sufergesicht, keine Papiere am Mann, und der Fall
ist fr sie gestorben. Nur wieder 'n Rumtreiber. Interessiert
niemand.
Wir tranken noch ein paar Stunden weiter, und ich gab auch
ein paar Sachen zum besten, natrlich nicht halb so gut wie
seine. Dann wurden wir schweigsam, und jeder dachte an was
anderes.
Dann stand Red auf.
Well, hr zu, Mann, ich mu wieder los. Aber das war 'n
guter Abend.
Ich stand auf.
Mu ich auch sagen, Red.
Well, shit, vielleicht sehn wir uns mal wieder.
Shit, yes, Red.
Irgendwie zgerten wir beim Abschied. In mancher Beziehung
war es ein guter Abend gewesen.
See you, Kid.
O. K., Bukowski.
Ich sah ihm nach, wie er um die Hecke vor dem Haus bog
und sich entfernte, in Richtung Normandie, und weiter raus,
auf Vermont zu, wo er noch fr drei oder vier Tage ein Zim-

86

mer hatte, und dann war er verschwunden, und der letzte


Rest des Mondes schien herab, und ich schlo die Tr ab,
kippte noch ein letztes mdes Bier, machte das Licht aus,
schlurfte zum Bett, zog die Klamotten aus und lie mich reinfallen, whrend sie drauen in den Gterbahnhfen ber die
Gleise stapften und die Zge zusammenstellten und ihre Bestimmungsorte notierten bessere Stdte, bessere Zeiten, mit
mehr Liebe oder Glck oder irgendwas. Sie wrden es nie
finden. Sie wrden nie aufhren, danach zu suchen.
Ich schlief.

Er hie Henry Beckett und es war Montag frh, er war gerade


aufgestanden, schaute aus dem Fenster, sah, wie ein e Frau im
Minirock vorbeiging und dachte, man hat sich schon fast wieder daran gewhnt, zu dumm. Aber schlielich mute eine
Frau noch was anhaben, sonst hatte man nichts zum Ausziehen. Das nackte Fleisch allein hatte keinen Reiz.
Er ging in Unterhosen ins Bad, um sich zu rasieren. Als er
sein Gesicht im Spiegel sah, stellte er fest, da seine Haut
vllig goldfarben war, mit grnen Tupfen. Er stand da, den
Rasierpinsel in der Hand, und schaute nochmal hin.
Der Rasierpinsel fiel zu Boden. Aber sein Gesic ht blieb unverndert im Spiegel: gold mit grnen Tupfen. Die Wnde
begannen sich zu verschieben. Henry klammerte sich ans
Waschbecken. Irgendwie schaffte er es zurck ins Schlafzimmer und warf sich aufs Bett. Da lag er fnf Minuten lang,
und in seinem Hirn schwappte, wrgte und schluchzte es
durcheinander. Dann richtete er sich auf, ging ins Bad und
schaute wieder in den Spiegel: goldenes Gesicht mit grnen
Tupfen.
Er ging ans Telefon. Ja, hallo, hier spricht Henry Beckett.
Ich kann heut leider nicht kommen, ich bin krank. Was?
Oh . . . verkorkster Magen, ja, vllig verkorkst. Er legte
auf.
Zurck ins Badezimmer. Es war nutzlos. Das Gesicht war immer noch da. Er lie Wasser ein und ging wieder zum Tele fon. Die Sprechstundenhilfe wollte ihm einen Termin fr
kommenden Mittwoch geben. Hren Sie, das ist ein dringender Fall! Ich mu den Doktor unbedingt noch heute sehen! Es
geht um Leben und Tod! Nein, ich kanns Ihnen nicht sagen,

87

aber geben Sie mir bitte noch heute einen Termin, bitte, Sie
mssen mich heute noch irgendwo reinnehmen!
Sie
gab
ihm
einen
Termin
um
halb
vier.
Er zog die Unterhosen aus und hockte sich in die Wanne. Er
merkte, da er am ganzen Krper goldgelb und grn gesprenkelt war. Bauch, Rcken, Beine, alles . . . sogar sein Schwanz.
Er seifte sich ein und fing an zu reiben. Es ging nicht ab. Er
stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog die Hosen
wieder an.
Das Telefon lutete. Er hob ab. Gloria, seine Freundin, war
dran. Sie arbeitete in derselben Firma.
Gloria, ich kann dir nicht sagen, was los ist. Es ist schrecklich. Nein, ich hab nicht die Syph. Es ist was Schlimmeres. Ich
kanns dir nicht sagen. Du wrdest es mir nicht glauben.
Sie sagte, sie werde whrend der Mittagspause vorbeikommen.
Nein, bitte nicht, Baby. Sonst b ring ich mich um.
Ich komm sofort rber! sagte sie.
Nein, bitte nicht, BITTE . . .
Sie hatte bereits aufgelegt. Er starrte das Telefon an, stellte
es zurck und ging wieder ins Badezimmer. Unverndert. Er
g i n g zurck ins Schlafzimmer, legte sich hin und starrte auf
die Risse an der Decke. Das war das erste Mal, da ihm die
Risse in der Decke auffielen. Sie sahen aus wie die Falten in
einem freundlichen alten Gesicht. Er hrte den Verkehr drauen, gelegentlich einen Vogel, Stimmen auf dem Gehsteig
eine Mutter, die zu ihrem Kind sagte: Na komm, geh doch
ein bichen schneller . . . , ab und zu ein Flugzeug ber dem
Haus.
Es klingelte an der Tr. Er ging ins vordere Zimmer, zog den
Vorhang an der Tr ein wenig beiseite und schaute hinaus.
Es war Gloria. Weie Bluse, leichter blauer Rock, sie sah gut
a u s , er konnte sich nicht erinnern, da sie jemals so gut ausgesehen hatte. Strohblond. Voller Leben. Die Nase ein wenig
zu dick, aber wenn man sich daran gewhnt hatte, gefiel einem
auch die Nase. Er fhlte, wie sein Herz schlug. Es tickte wie
eine Zeitbombe in einer leeren Besenkammer.
Ich kann dich nicht reinlassen, Gloria!
Mach die verdammte Tr auf, du doofer Arsch!
Er sah, wie sie versuchte, durch die Vorhnge hindurch einen
Blick von ihm zu erhaschen.
Gloria, du verstehst nicht . . .

88

Ich hab gesagt, MACH DIE TR AUF!


All right, sagte er, all right, verdammt nochmal!
Er sprte, wie sich hinter seinen Ohren der Schwei sammelte
und ihm langsam den Rcken hinunterlief.
Er ri die Tr auf.
JESSES ! Sie gab einen halberstickten Schrei von sich. Ihre
rechte Hand fuhr hoch und blieb ber ihrem offenen Mund
hngen.
Ich hab doch GESAGT , ich hab doch versucht, dirs zu SAGEN . . .
Er machte ein paar Schritte rckwrts ins Zimmer hinein. Sie
machte die Tr hinter sich zu und folgte ihm ins Zimmer.
Was ist das?
Ich wei nicht, mein Gott, ich hab keine Ahnung. Fa mich
nicht an, fa mich nicht an . . . vielleicht ist es was Anstekkendes.
Mein armer Henry, oh, mein armer Junge . . .
Sie kam nher, er wich weiter zurck und stolperte ber einen
Papierkorb.
Verdammt! Ich hab dir gesagt, du sollst wegbleiben!
Wieso, du siehst beinah hbsch aus!
BEINAH! brllte er. ABER ICH KANN IN DEM ZUSTAND KEINE
VERSICHERUNGSPOLICEN VERKAUFEN, O D E R ? !

Beide brachen in Gelchter aus. Dann hockte er pltzlich auf


der Couch und weinte. Er hatte sein grn-goldenes Gesicht in
den Hnden und weinte.
Mein Gott, warum kann es nicht Krebs sein, oder ein Herzinfarkt, irgendwas Ordentliches und Sauberes? Gott hat auf
mich geschissen, das ist es, Gott hat auf mich geschissen!
Sie hatte begonnen, ihn am Hals zu kssen, und dann bewegten sich ihre Lippen ber seine Hnde, die er immer noch
vors Gesicht geschlagen hatte. Er stie sie weg. Hr auf, hr
auf!
Ich liebe dich, Henry. Mir ist das alles ganz gleich.
Ihr gottverdammten Weiber seid alle bescheuert!
Aber ja. Wann bist du zum Arzt bestellt?
Halb vier.
Ich mu zurck ins Bro. Ruf mich an, wenn sich was herausstellt. Ich komm heut abend wieder vorbei.
O. K. O. K. Und dann war sie weg.
Zehn nach drei hatte er einen Hut auf, tief in die Stirn gezogen, einen Schal um den Hals und eine Sonnenbrille auf der

89

Nase. Beim Fahren vermied er jede unntige Bewegung und


schaute immer geradeaus, als ob er sich dadurch unsichtbar
machen knnte. Er schien niemand aufzufallen.
Das Wartezimmer war voll besetzt, alle lasen LIFE, LOOK,
NEWSWEEK, und so weiter, die Sthle und Sofas reichten kaum
aus, und es war hei da drin. Seiten wurden umgeblttert,
raschelten . . . Er schaute herunter auf eine Zeitschrift, die er
in den Hnden hielt, und versuchte, nicht gesehen zu werden.
15 oder 20 Minuten lang ging alles gut; dann geschah das
Unvermeidliche. Ein kleines Mdchen, das stndig seinen Luftballon durch die Gegend schubste und zwischen den Leuten
herumrannte, kam in seine Nhe, und als der Ballon schlielich bei seinem Bein landete und die Kleine ihn aufhob, schaute
sie ihm direkt ins Gesicht. Sie klemmte sich das Ding unter
den Arm und lief zu einem absolut grundhlichen Weib mit
Pfannkuchenohren und Augen wie das Innere einer Spinnenseele und sagte zu ihr: Mammi, was ist mit dem Mann seinem GESICHT?
Und Mammi sagte: Seh schschschschhhh!
ABER ES IST DOCH GANZ GELB UND HAT LAUTER SO ROTE TUPFEN
DRAUF!
Mary Ann, ich hab doch gesagt, du sollst RUHIG sein! Jetzt
SETZ dich mal eine Weile her zu mir und hr mit der Rennerei
auf! LOS , setz dich hier HIN, hab ich gesagt!
Aber, Mammi! . . .
Die Kleine hockte sich hin, schnupfte, sah sein Gesicht an,
schnupfte und sah sein Gesicht an.
Mammi und ihre Kleine wurden aufgerufen. Andere wurden
aufgerufen, Neue kamen rein, manche gingen gleich wieder.
Schlielich rief ihn der Arzt rein.
Mr. Beckett.
Er folgte dem Doktor ins Sprechzimmer. Nun, wie geht es
uns, Mr. Beckett?
Sie brauchen mich nur anzusehn, dann wissen Sie es.
Der Arzt drehte sich um. Gtiger Gott! sagte er.
Yeah, sagte Mr. Beckett.
Ich habe noch nie etwas derartiges gesehen! Bitte machen Sie
sich frei und setzen Sie sich hier auf den Tisch. Wann ist das
zum erstenmal aufgetreten?
Heut morgen, als ich aufgewacht bin.
Wie fhlen Sie sich?
Als ob ich von Kopf bis Fu mit Scheie vollgeschmiert bin.

90

Ich meine physisch.


Ich hab mich glnzend gefhlt, bis ich in den Spiegel geschaut hab.
Der Arzt wickelte ihm die Gummimanschette um den Oberarm.
Normaler Blutdruck.
Lassen Sie den Unfug, Doktor. Demnchst lassen Sie mich
noch auf die Waage stehn. Geben Sie's ruhig zu: Sie wissen
nicht, was es ist.
Nein, hab ich niemals derartiges gesehen.
Ihre Grammatik ist nicht ganz in Ordnung, Doktor. Wo
sind Sie her?
Aus sterreich.
Aus sterreich. Ah ja. Und was wollen Sie jetzt mit mir
machen?
Ich wei es nicht. Vielleicht ein Hautspezialist, stndige Beobachtung, Tests . . .
Ich bin sicher, die wrden mich sehr interessant finden. Aber
es wird nicht weggehen.
Was wird nicht weggehen?
Was ich da hab. Ich spr es. Es wird nie mehr weggehen.
Der Arzt fing an, sein Herz abzuhren. Beckett schlug ihm
das Stethoskop weg. Er stand auf und zog sich wieder an.
berstrzen Sie nichts, Mr. Beckett. Bitte . . .!
Dann war er angezogen und drauen. Hut, Schal und Sonnenbrille lie er da. Zurck in seiner Wohnung, griff er sich
seine Jagdflinte und genug Patronen, um ein ganzes Bataillon
umzulegen. Er fuhr auf die Freeway und bog ab, wo es zu
den Hgeln ging. Von den Hgeln konnte man eine Kurve
einsehen, in der die Fahrer Gas wegnehmen muten. Er hatte
keine Ahnung, wie er ausgerechnet auf diese Stelle kam. Er
stieg aus dem Wagen und kletterte auf die hchste Erhebung,
die er finden konnte. Er wischte den Staub vom Zielfernrohr,
lud durch, entsicherte und legte sich flach.
Zuerst wollte es nicht richtig hinhauen. Der Schu schien
jedesmal hinter dem Wagen einzuschlagen. Er bte sich darin,
mit den Wagen mitzugehen. Sie fuhren alle praktisch gleich
schnell, aber er pate sich instinktiv den geringfgig wechselnden Geschwindigkeiten an. Der erste Fahrer, den er erwischte, war sehr merkwrdig. Die Kugel ging ihm durch die
linke Schlfe und er schien genau zu ihm herauf zu sehen.
Dann kam der Wagen ins Schleudern, fuhr gegen einen Zaun

91

und kippte um. Er nahm sich den nchsten vor, eine Frau am
Steuer, verfehlte sie, die Kugel ging in den Motor, der Wagen
fing Feuer, und die Frau sa einfach drin, schrie, wedelte mit
den Armen und brannte. Das wollte er nicht mit ansehen. Er
erscho sie.
Der Verkehr stoppte. Leute stiegen aus ihren Wagen. Er beschlo, keine weiteren Frauen zu erschieen. Das sah nicht
gut aus. Ein Doktor aus sterreich. Hatten sie in sterreich
keine Kranken? Warum war er nicht dort geblieben?
Er erwischte vier oder fnf Mnner, bevor sie da unten berhaupt merkten, was los war. Dann trafen die Bullen ein und
die Krankenwagen. Sie sperrten die Freeway. Er lie sie die
Toten und Verwundeten in die Ambulanzen laden. Er scho
nicht auf die Krankentrger. Aber er feuerte auf die Bullen.
Einen erwischte er, einen massigen Kerl, er war nicht zu verfehlen.
Er verlor jeden Sinn fr die Zeit. Es wurde dunkel. Er fhlte,
wie sie ringsherum begannen, zu ihm heraufzusteigen. Er
wechselte seine Position. Bewegte sich auf sie zu. Er dezimierte ihren linken Flgel, indem er zwei aus dem Hinterhalt
umlegte. Dann wurde er von rechts unter Besch genommen
und mute sich wieder zurckziehen. Sie kreisten ihn langsam
ein. Es wre falsch gewesen, wenn er sich an einer bestimmten Stelle festgesetzt htte. Er versuchte noch einmal auszugehen, aber das heftige Feuer trieb ihn wieder zurck.
Er arbeitete sich langsam wieder zu seiner alten Stellung zurck. Er hrte, wie sie redeten und fluchten. Es waren viele.
Er stellte das Feuer ein und wartete. Er sah ein Hosenbein
hinter ein paar Bschen, er zielte etwas hher, wo er den
Krper vermutete, und drckte ab. Ein Mann schrie auf.
Es wurde immer dunkler. Gloria wre ihm garantiert weggelaufen. Er wute genau, da er sie sitzen gelassen htte,
wenn sie jemals sowas gehabt htte.
Sie wuten, er sa in der Falle, ganz da oben auf dem Hgel.
Aber sie sahen auch, da sie sich nicht mehr nher an ihn
heranarbeiten konnten; es gab keine Deckung mehr, nur noch
verstreute kleine Felsbrocken. Und alle wollten wieder heil
nach Hause kommen. Er schtzte, da er sie noch eine ganze
Weile in Schach halten konnte.
Sie fingen an, Leuchtkugeln hochzujagen. Es gelang ihm, ein
paar davon abzuschieen, aber bald deckten sie ihn frmlich damit ein. Und sie kamen immer nher. Scheie. Scheie. Na ja.

92

Eine Leuchtkugel landete ganz dicht neben ihm, und fr einen


Augenblick konnte Henry seine Hnde sehen. Er schaute nochmal hin: seine Hnde waren WEISS.
WEISS! Es war weg!. Er war wieder WEISS, WEISS!
Hey! schrie er, ICH GEBS AUF! ICH ERGEB MICH! ICH GEBS
AUF!!

Henry ri sein Hemd auf und schaute auf seine Brust: WEISS.
Er zog sein Hemd aus, band es an den Lauf seiner Flinte und
schwenkte es. Sie hrten auf zu schieen. Der irre lcherliche
Traum war vorber. Der Clown mit den roten Tupfen war
verschwunden. Was fr ein Witz, was fr eine Scheie . . . war
es berhaupt wirklich geschehen? Es konnte nicht sein. Er
mute es sich eingebildet haben. Oder war es doch geschehen?
War das in Hiroshima wirklich geschehen? War irgend etwas
jemals wirklich geschehen?
Er warf sein Gewehr hinunter. Dann ging er langsam hinterher, kam langsam auf sie zu, die Hnde hoch ber dem Kopf,
und schrie: ICH GEBS AUF! ICH ERGEB MICH! ICH ERGEB MICH!
Whrend er nher kam, hrte er erregtes Stimmengewirr.
Mann, was sollen wir jetzt machen? Ich wei nicht. Pa
blo auf, vielleicht ist es ein Trick. Er hat Eddie und Weaver
auf dem Gewis sen. Ich hasse die Drecksau.
Er kommt nher.
ICH ERGEB MICH!
Einer der Bullen gab fnf Schsse auf ihn ab, drei trafen ihn
im Bauch, zwei gingen durch die Lunge.
Sie lieen ihn gut eine Minute liegen, ohne sich zu regen.
Dann kamen sie aus der Deckung. Der Bulle, der geschossen
hatte, erreichte ihn als erster. Er setzte den Stiefel an seiner
Seite an und drehte ihn mit einem Schwung auf den Rcken.
Der Bulle war ein Neger, Adrian Thompson, 236 Pfund, mit
einem beinahe abbezahlten Eigenheim am Rande eines der
besseren Stadtviertel. Er grinste im schwachen Mondlicht auf
den leblosen Krper herunter.
Der Verkehr auf der Freeway wickelte sich wieder so reibungslos ab, als sei nichts geschehen.

Wir krallen uns alle an die Wnde der Welt, und in den finstersten Augenblicken meines Deliriums denke ich an zwei
Freunde, die mir Ratschlge zu verschiedenen Arten des
Selbst93

mords geben. Kann man sich einen besseren Beweis der Freundschaft denken?
Der eine hat an seinem linken Arm eine Rasiermessernarbe
neben der anderen. Der andere stopft sich die Pillen pfundweise durch das Loch in seinem filzigen schwarzen Bart. Beide
schreiben Gedichte. Gedichte schreiben bringt es in manchen
Fllen mit sich, da man stndig mit einem Bein ber dem
Abgrund schwebt. Trotzdem werden wir alle drei wahrscheinlich ein hohes Alter erreichen. Knnt ihr euch die Welt im
Jahre 2010 vorstellen? Vieles wird natrlich davon abhngen,
was man mit der Bombe anstellt. Aber es ist denkbar, da
man nach wie vor Rhreier zum Frhstck essen wird, Orgasmusschwierigkeiten haben wird, Gedichte schreiben wird und
Selbstmord verben wird.
Ich glaube, meinen letzten Selbstmordversuch habe ich 1954
unternommen. Ich wohnte damals in einem Apartmenthaus
an der North Mariposa Avenue. Ich machte alle Fenster dicht
und drehte das Gas auf. Dann machte ich mirs auf dem Bett
bequem. Das Gerusch von ausstrmendem Gas hat etwas ungemein Beruhigendes an sich. Ich war im Nu weg. Es htte
wohl auch geklappt, nur kriegte ich von dem eingeatmeten
Gas solche Kopfschmerzen, da ich wieder aufwachte. Ich
s t a n d auf, fing an zu lachen und sagte mir: >Du Idiot, du
willst dich ja gar nicht umbringen !< Ich drehte das Gas ab
und ri die Fenster auf. Ich mute einfach lachen. Das Ganze
kam mir wie ein blder Witz vor.
Ein paar Jahre davor, als ich mal wieder eine einwchige Sauftour hinter mir hatte, war ich auch ziemlich entschlossen, mich
umzubringen. Ich lebte damals mit so 'nem sen kleinen
Ding zusammen und hatte keinen Job. Das Geld war alle, die
Miete fllig, und selbst wenn ich mich um einen mickrigen
Job gekmmert htte, wre es nur eine andere Form von Krepieren gewesen. Bei der nchsten Gelegenheit, wenn sie grad
mal weg war, wollte ich es tun.
Inzwischen wollte ich mich vergewissern, was fr ein Tag es
war, denn bei der stndigen Sauferei verwischten sich einem
die Vorstellungen von Tag und Nacht. Wir waren einfach
pausenlos am Trinken und Stoen. Es war um die Mittagszeit,
als ich aus dem Haus trat, und ich ging die Strae runter zum
Kiosk und kaufte eine Zeitung. Freitag stand da neben dem
Datum. Schn, Freitag war mir so lieb wie jeder andere Tag.
Und dann sah ich die Schlagzeile. MILTON BERLE'S COUSIN VON

94

HERABFALLENDEM STEIN ERSCHLAGEN.

Also wie zum Teufel kann


man an Selbstmord denken, wenn solche Dinge Schlagzeilen
machen? Ich klemmte mir die Zeitung unter den Arm und
ging zurck in die Wohnung. Rat mal, was passiert ist?
fragte ich sie. Was? sagte sie. Milton Berle's Cousin ist
ein Stein auf den Schdel gefallen. Im Ernst? Yeah.
Was glaubst du, was fr ein Stein das war? Ich schtze,
irgendwie rund, glatt und gelb. Yeah, das glaub ich auch.
Was dieser Cousin wohl fr Augen hat. . .? Ich wrde
sagen braun, so 'ne Art blasses Braun. Blasse braune Augen, und 'n leicht gelber Stein. CLUNK! Yeah, CLUNK! Ich
machte ein paar Flaschen auf, und wir hatten schlielich doch
noch einen richtig netten Tag. Ich glaube, die Zeitung mit
dieser Schlagzeile hie The Express oder The Evening Herald oder so hnlich. Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls, ich
bin der Zeitung und Milton Berle's Cousin und dem runden
glatten gelben Stein zu ewigem Dank verpflichtet.
Well, da unser Thema heute anscheinend Selbstmord ist, ich
erinnere mich da an die Zeit, als ich in Frisco im Hafen gearbeitet hab, und whrend der Mittagspause hockten wir da
am Pier, lieen die Fe ber den Rand baumeln und fraen
unsere Stullen. Well, eines Tages hock ich also da und der
Kerl neben mir zieht sich Schuhe und Strmpfe aus und legt
sie schn ordentlich neben sich hin. Ich denk mir nichts weiter
dabei, bis ich es platschen hre. Und merkwrdig: kurz bevor
er auf dem Wasser aufprallte, schrie er > H I L F E!<. Und dann
waren nur noch ein paar kleine Wellen zu sehen. Ich sa da
und sah zu, wie die Luftblasen aufstiegen. Dann kam einer zu
mir her gerannt und fing an zu brllen. TU DOCH WAS ! ER
VERSUCHT, SICH DAS LEBEN zu NEHMEN! Was soll ich denn da
machen, verdammt nochmal! Hol ein Seil, wirf ihm ein Seil
zu oder so was! Ich sprang auf und rannte in einen Schuppen, wo ein alter Mann grad dabei war, Pakete und Kartons
zu packen. GIB MIR 'N STCK SEIL! Er schaute mich verstndnislos an. VERDAMMT, GIB MIR 'N STCK SEIL, DA IST EINER AM
ERSAUFEN, ICH MUSS IHN RAUSZIEHEN! Der Alte drehte sich um
und langte nach etwas. Als er sich mir wieder zuwandte, hielt
er etwas zwischen zwei Fingern und streckte es mir hin. Es
war ein kleines Ende Bindfaden. Mir platzte der Kragen. DU
ELENDER
SAUBLDER
SCHEISSER! brllte ich ihn an.
Inzwischen hatte sich so ein junger Streber seiner Klamotten
entledigt, war reingesprungen und brachte unseren Selbst-

95

mrder wieder an Land. Der Streber durfte sich als Belohnung


fr den Rest des Tages frei nehmen. Unser Selbstmordkandidat behauptete steif und fest, er sei aus Versehen reingefallen.
Allerdings hatte er keine Erklrung dafr, warum er sich zuvor erst Schuhe und Strmpfe ausgezogen hatte. Ich sah ihn
nie wieder. Vielleicht versuchte er's in der Nacht noch einmal
mit mehr Erfolg. Man wei eben nie, wo einen der Schuh
drckt. Der lcherlichste Anla kann einen Knacks verursachen,
wenn einer erst mal in der richtigen Verfassung ist. Und am
schlimmsten ist es, wenn man sich seine ngste und Agonien
nicht einmal mehr selbst erklren kann, wenn es einfach auf
einem liegt wie ein groes, dickes Stck Eisenblech und man
nicht mehr hochkommt, nicht mal bei 25 Dollar in der Stunde.
Ich wei Bescheid. Selbstmord? Selbstmord scheint einem vllig
unvorstellbar bis man einmal selbst angefangen hat, ernsthaft daran zu denken. Und um dem Klub beizutreten, braucht
man nicht mal Mitglied in der Poet's Union zu sein . . .
Ich erinnere mich, als junger Mensch, ich lebte in so 'nem
schbigen Hotel und hatte damals einen Freund, schon etwas
lter, ehemaliger Strfling, und der hatte einen Job, der darin
bestand, die Trommeln von Candy-Maschinen auszukratzen.
Klingt nicht wie eine Sache, fr die es sich zu leben lohnt,
nicht? Jedenfalls, wir haben ab und zu 'ne Nacht zusammen
durchgesoffen und er machte den Eindruck, als ob man gut mit
ihm auskommen konnte; groer, bulliger, gutmtiger Bursche,
so an die 45; Lou hie er. Frher mal im Steinbruch gearbeit e t . Hakennase, groe, zerschrammte Pfoten, ausgelatschte
Schuhe, ungekmmtes Haar, nicht so gut im Umgang mit
Weibern wie ich damals wenigstens. Kurz und gut, er kam
mal nicht zur Arbeit, weil er gesoffen hatte, und die CandyDoys entlieen ihn. Ich hab ihm gesagt, er soll sich nichts
draus machen, ein Job kostet einen Mann sowieso die beste
Zeit im Leben. Er schien von meinen hausbackenen Ansichten
nicht viel zu halten und ging wieder weg. Ein paar Stunden
spter ging ich rber zu ihm, weil ich mir ein paar Zigaretten
von ihm pumpen wollte. Ich klopfte an, aber er reagierte
nicht. Ich dachte mir, er schlft wahrscheinlich seinen Rausch
a u s . Die Tr war nicht abgeschlossen. Ich ging also rein, und
da lag er auf dem Bett und die ganze Bude war voller Gas.
Ich schtze, die Southern California Gas Company hat keine
Ahnung, wie viele Leute ihren Service in Anspruch nehmen.
A l s o , ich machte die F e n s t e r a u f und drehte das Gas ab. Ein

96

alter Knastbruder, dem sie den Candy-Spachtel aus der Hand


genommen hatten, weil er einen Tag bei der Arbeit gefehlt
hatte. (Der Boss sagt, ich bin der beste Arbeiter, den er je
gehabt hat. Das Dumme ist blo, da ich zu oft fehle. Letzten
Monat waren es zwei Tage. Er sagt, wenn ich noch einmal
fehle, schmeit er mich raus.)
Ich ging rber ans Bett und rttelte ihn. Wach auf, du verdammtes Aas!
Waa . . .?
Du verlottertes Aas, wenn du das nochmal machst, tret ich
dich so lang in den Arsch, bis ich dir diese Flausen ausgetrieben hab!
Hey, Ski, DU HAST MIR DAS LEBEN GERETTET! ICH VERDANKE DIR
MEIN LEBEN! DU HAST MIR DAS LEBEN GERETTET!
Er hrte berhaupt nicht mehr auf. Noch Wochen danach fing
er immer wieder damit an. Er lehnte sich zu meiner Freundin
rber mit seiner Hakennase und nahm ihre Hand in seine
groe schwielige Pranke, oder noch schlimmer er legte sie
auf ihr Knie und sagte: Hey, dieser lausige Bruder hat mir
das LEBEN GERETTET! VERSTEHST DU?
Das hast du mir schon x-mal gesagt, Lou.
YEAH, ER HAT MIR DAS LEBEN GERETTET!
Ein paar Tage spter verschwand er und blieb fr zwei Wochen die Miete schuldig. Ich hab ihn nie wieder gesehen.
Langsam klart sich mein verkatertes Hirn wieder auf. Vielleicht hat man mehr davon, wenn man statt Selbstmord zu
begehen zu den anderen davon spricht und sie dadurch davon
abbringt. Oder wirklich?
Ich bin bei meinem letzten Bier angelangt, und aus meinem
Radio auf dem Fuboden kommt japanische Musik. Vor einer
Weile klingelte das Telefon. Irgendein Saufbruder. Ferngesprch. Aus New York.
Hr zu, Mann, solang sie uns nur alle fuffzig Jahr einen
Bukowski geben, hab ich keine Sorge, da ichs durchsteh.
Fr einen Augenblick erlaube ich mir den Luxus und la mir
das langsam auf der Zunge zergehen. Es ist verlogen, aber es
tut gut, und ich hab schlielich hochkartige Bluesdepressionen.
Mann, erinnerst du dich noch an die Sauftouren, die wir zusammen gemacht haben?
Yeah, ich erinnere mich.
Was machst du jetzt so? Immer noch am Schreiben?

97

Yeah, ich schreib grad was ber Selbstmord.


Selbstmord?
Yeah, ich schreib eine Kolumne oder so was, fr eine neue
Zeitung, die sie hier angefangen haben. OPEN CITY.
Und die drucken das Ding ber Selbstmord?
Was wei ich.
Wir reden noch eine Weile, und dann hngt er wieder auf.
Ich erinnere mich, als ich ein Junge war, gab es einen Song,
der hie BLUE MONDAY. Krzlich haben sie das, glaub ich, in
Ungarn oft im Radio gespielt. Und jedesmal, wenn im Radio
BLUE MONDAY kam, hat jemand Selbstmord verbt. Der Song
wurde schlielich verboten. Aber aus meinem Radio kommt
grad was, das ist genauso schlimm. Also wenn ihr in der
nchsten Ausgabe meine Kolumne vermit, dann bestimmt
nicht, weil mir die Themen ausgegangen sind.

Es war letzten Montag. Ich hatte Nachtschicht geschoben bis


Mitternacht und fuhr anschlieend zu so 'ner Party. Ich brachte
ein Six-Pack mit, das brachte die Leute wieder in Stimmung,
und jemand ging weg und holte mehr.
Letzte Woche httet ihr Bukowski erleben sollen, sagte einer. Er tanzte mit dem Bgelbrett, und dann hat er sogar
versucht, das Bgelbrett zu pimpern.
Yeah?
Yeah. Dann fing er an, uns seine Gedichte vorzulesen. Wir
muten ihm das Buch wegnehmen, sonst htte er nicht mehr
damit aufgehrt.
Ich sagte, da hat so ein jungfruliches Wesen gesessen, das
mich dauernd ansah, und deshalb htte ich es nicht bers Herz
gebracht, aufzuhren.
Mal sehen, sagte ich, wir haben jetzt Mitte Juli, und ich
hab dieses Jahr noch keine Frau umgelegt.
Sie lachten. Sie fanden das lustig. Leute, die solche Probleme
nicht kennen, finden das anscheinend immer lustig.
Dann sprachen sie ber diesen blonden Gtterjngling, der es
mit drei Miezen zugleich trieb. Ich wandte ein, da der Junge
mit 33 in einer Fabrik als Pfrtner enden wrde.
Die jngeren Gste schlafften langsam ab, und schlielich sa
ich mit einem Oldtimer allein, er war ungefhr im gleichen
Alter wie ich. Und darauf geeicht, die Nchte durchzumachen.

98

Als das Bier alle war, fanden wir noch 'ne kleine Flasche
Whisky. Er war Herausgeber einer groen Lokalzeitung irgendwo im Osten. Wir unterhielten uns also gut. Zwei alte
Knacker, die zuviel miteinander gemeinsam hatten. Es wurde
hell. Kurz nach sechs stand ich auf. Ich beschlo, meinen Wagen dazulassen. Ich hatte ungefhr acht Blocks zu gehen. Der
Oldtimer begleitete mich bis zur Kegelbahn am Hollywood
Boulevard. Dann trennten wir uns mit einem altmodischen
Hndedruck.
Ich war vielleicht zwei Blocks von meiner Wohnung entfernt,
als ich eine Frau sah, die sich vergeblich bemhte, ihren Wagen anzulassen. Sie stellte sich an wie der letzte Mensch. Der
Wagen, ein lteres Modell, ruckelte ein paar Schritt vor und
bockte. Sie drckte sofort wieder auf den Anlasser. Ich stand
an der Ecke und sah ihr zu. Sie kam nher geruckelt, und
schlielich stand sie mit ihrer Karre direkt vor mir. Ich sah
eine Frau mit hochhackigen Schuhen an den Fen, schwarze
Netzstrmpfe, Bluse, Ohrringe, Ehering und Schlpfer. Kein
Rock, nur solche dnnen rosa Schlpfer. Ich atmete tief ein.
Sie hatte ein altes Gesicht und den Krper eines jungen Mdchens. Der Wagen machte wieder einen Sprung und wieder
verreckte ihr der Motor. Ich beugte mich herunter und steckte
meinen Kopf durchs Seitenfenster.
Lady, ich glaub, es ist besser, wenn Sie das Ding hier parken. Die Bullen sind um diese Tageszeit besonders auf Draht.
Sie
knnten
Trouble
kriegen.
Na
schn.
Sie manvrierte den Wagen an den Straenrand und stieg
aus. Der Busen unter der Bluse sah auch noch ziemlich jung
und griffig aus. Da stand sie also in ihren Pumps und schwarzen Netzstrmpfen und ihrem rosa Schlpfer um 6 Uhr 25 an
einem Morgen in Los Angeles. Das Gesicht einer 55Jhrigen
und der Krper einer 18jhrigen.
Sind Sie sich sicher, da Ihnen nichts fehlt? fragte ich.
Klar, mir fehlt nichts, sagte sie.
Sind Sie sich auch ganz sicher?
Aber ja, selbstverstndlich. Sie drehte sich um und ging
weg. Ich stand da und beobachtete das Schaukeln ihres Hinterns unter diesem straffgespannten dnnen, rosa glnzenden
Zeug. Da ging das gute Stck, die Strae runter, und niemand
zu sehen, keine Bullen, keine Menschenscele. Nichts als diese
wiegenden jungen rosa Hinterbacken, die sich von mir entfernten. Ich war zu bematscht, um mir ein Sthnen abzu-

99

ringen; ich fhlte nur, wie der wilde Kummer ber diesen
Verlust an mir fra. Ich hatte nicht die richtigen Worte gesagt. Nicht die richtige Kombination gefunden. Ich hatte es
nicht einmal versucht. Das mit dem Bgelbrett geschah mir
recht. Naja, zum Teufel damit, doch blo eine Irre, die um
sechs in der Frh in rosa Schlpfern rumrannte.
Ich stand da und sah ihr nach. Das wrden mir die Jungs
nicht glauben, wenn ich es ihnen erzhlte. Und dann drehte
sie pltzlich um und kam zurck. Auf die Entfernung sah sie
auch von vorn ganz gut aus. Tatsache ist, je nher sie kam,
desto besser sah sie aus wenn man das Gesicht dabei auslie. Aber schlielich mute man auch mein Gesicht auer
Betracht lassen. Das Gesicht mu man immer als erstes abschreiben, wenn einen das Glck zu verlassen beginnt.
Sie kam dicht an mich ran; und immer noch war kein Mensch
auf der Strae zu sehen. Es gibt Augenblicke, wo der Wahns i n n so real und selbstverstndlich wird, da es schon kein
Wahnsinn mehr ist. Da atmeten mir also die rosa Schlpfer
ins Fell, und kein Streifenwagen bog um die Ecke, kein Mensch
war zu sehen.
Schn, Sie sind also zurckgekommen, sagte ich.
Ich wollte mich nur vergewissern, da der Wagen hier keine
Einfahrt versperrt.
Sie bckte sich; ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Ich
packte sie am Arm.
Komm, gehn wir zu mir. Es ist grad um die Ecke. Genehmigen wir uns 'n paar Drinks und machen wir, da wir von
der Strae runterkommen.
Sie wandte mir ihr zerfallenes Gesicht zu. Ich konnte dieses
Gesicht einfach nicht mit dem Krper zusammenbringen. Ich
war so geil, da ich stank. Dann sagte sie: O. K. Gehn wir.
Also gingen wir um die Ecke. Ich fate sie nicht an. Ich fischte
eine Zigarette aus meiner Hemdtasche und bot sie ihr an.
Whrend ich ihr Feuer gab, war ich darauf gefat, da sich in
der Nachbarschaft jeden Augenblick ein Fenster ffnete und
jemand herausschrie: He, Alte, mach, da du hier verschwindest mit deiner verdammten Reizwsche, oder ich hetz dir die
Bullen auf'n Hals! Aber es regte sich nichts. Es macht sich
eben doch bezahlt, wenn man am Rand von Hollywood wohnt.
Vermutlich linsten drei oder vier Kerle in diesem Augenblick
durch die Vorhnge und holten sich einen runter, whrend
hinter ihnen ihre Frauen den Frhstckstisch richteten.

100

Wir gingen rein, ich rckte ihr einen Stuhl zurecht und holte
eine halbe Karaffe Rotwein, die irgendein Hippie zurckgelassen hatte. Wir tranken schweigend. Sie schien doch einigermaen bei Trost zu sein wenigstens fing sie nicht gleich an,
ihre Familienfotos hervorzukramen. Nur ber ihren Alten
mute natrlich gelstert werden, in der Beziehung war sie
genau wie alle anderen.
Frank macht mich einfach krank. Er gnnt mir nicht die
kleinste Freude. Yeh?
Er sperrt mich dauernd ein. Ich habs satt, dauernd eingesperrt
zu sein. Er hat meine ganzen Rcke versteckt, meine ganzen
Kleider, alles weggeschlossen. Das macht er immer, wenn ich
am Trinken bin.
Yeh?
Er hlt mich wie eine Sklavin. Findest du es richtig, da ein
Mann seine Frau wie eine Sklavin behandelt?
Oh, selbstverstndlich nicht!
Also heut hab ichs einfach nicht mehr ausgehalten, ich hab
gewartet, bis Frank besoffen war, und dann bin ich abgehauen
so wie ich bin.
Frank ist wahrscheinlich trotz allem ein guter Kerl, sagte
ich. Du solltest auf Frank nicht dauernd rumhacken, verstehst du, was ich meine?
Alter professioneller Trick. Immer so tun, als ob man Verstndnis hat, selbst wenn es nicht stimmt.
Ich finde, Frank ist ein Untier. Bist du vielleicht nicht froh,
da ich hier bin?
Naja, htte ich beinah gesagt, auf jeden Fall besser als 'n
Bgelbrett. Ich kippte mein Glas vollends runter, langte rber
und griff mir dieses alte Gesicht und kte es wobei ich
mir Mhe gab, an ihren Krper zu denken hngte meine
Zunge rein, und sie fing an zu saugen und zu schmatzen,
whrend ich diese festen Mdchenbeine und Titten befummelte.
Wir kamen gleichzeitig wieder hoch und schnappten nach Luft.
Ich go die Glser wieder voll.
Was machst du eigentlich so? fragte sie.
Ich bin Innenarchitekt, sagte ich.
Ach fick dich doch nicht ins Knie . . .!
Hey, du merkst aber auch alles.
Bin schlielich aufs College gegangen.
Ah ja, du bist aufs College gegangen . . .

101

Naja, nicht allzu lange . . . Dann griff sie mir pltzlich an


die Eier. Ich war berhaupt nicht darauf gefat. Ich wollte sie
eigentlich gerade zu ihrem Wagen zurckbringen.
Naja, es war nicht schlecht. Es tat sogar ganz gut. Wie sie
mich so anfate. Und es half wenigstens ber das blde Ge rede hinweg.
Wir tranken noch ein paar auf die schnelle, und dann bugsierte ich sie in Richtung Schlafzimmer. Oder sie mich. Ist ja
auch unwichtig. Ich bestand darauf, da sie ihre Schuhe und
Netzstrmpfe anbehielt. Schlielich bin ich pervers. Oder was
wei ich, was die Psychiater fr einen Spezialausdruck dafr
haben. Jedenfalls hab ich auch ein paar Spezialausdrcke fr
die Psychiater.
Es war wirklich gut. Als wir das Badezimmer hinter uns hatten, gingen wir wieder nach vorn und gaben der Karaffe den
Rest. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich wieder ins Bett
gelangte. Jedenfalls, als ich aufwachte, glotzte mich dieses 55jhrige Gesicht an, vllig irre, die reine dementia praecox.
Ich mute lachen. Sie hatte mir einen Streifen hinmassiert,
whrend
ich
schlief.
Go, Baby, go! sagte ich zu ihr.
Ich fate rber und zog sie an den Backen zu mir herunter.
Das alte Gesicht sackte auf mich herunter und kte mich. Es
war schauderhaft, aber der 18jhrige Krper war fest wie eine
pralle Zitze, knisterte und schlngelte sich es war, als ob
sich smtliche Tapeten von den Wnden kringelten und lebendig wurden. Wir schoben noch eine Nummer. Dann schlief ich
endgltig ein.
Irgendwann weckte mich etwas auf. Der rosa Schlpfer geisterte durchs Zimmer. Ich sah, wie sie sich anschickte, in ein
Paar alte, ausgebeulte Hosen von mir zu klettern. Es tat mir
leid, zuzusehen, wie dieser prchtige Hintern in einem Paar
viel zu weiten, schlotterigen Hosen verschwand. Es war traurig und mies und es war lachhaft, aber als alter Professioneller tat ich so, als ob ich schlief. Ich beobachtete, wie sie in
einer leeren Zigarettenpackung stocherte. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie auf mich herunterschaute und fr einen
Augenblick hatte ich das Gefhl, da etwas Bewunderndes in
ihrem Blick lag. Na, schei drauf. . .
Sie stelzte aus dem Schlafzimmer. Als sie weg war, sprang
ich mit einem Satz aus dem Bett und durchsuchte meine Klamotten. Ich fand die Brieftasche. Ich fand 7 Dollar drin. An-

102

scheinend hatte sie mich doch nicht beklaut. Und mit einem
kleinen peinlichen Grinsen im Gesicht lie ich mich wieder in
die Federn fallen und pennte.

In Philadelphia damals hatte ich mir einen Stammplatz ganz


am anderen Ende der Bar ergattert, indem ich kleine Botengnge machte, Sandwiches holte usw. Jim, der Bartender von
der Morgenschicht, pflegte mich gegen halb sechs reinzulassen,
whrend er noch den Schmant von der letzten Nacht aufwischte, und ich kriegte freie Drinks, bis um sieben die ersten
Gste kamen. Der letzte, der am folgenden Morgen um zwei
die Bar verlie, war ich. Was bedeutete, da ich nicht allzu viel
Zeit zum Schlafen fand. Aber ich hatte eh nichts zu tun.
Die Bar war so alt und heruntergekommen und stank derart
nach Urin und Tod, da wir es geradezu als Auszeichnung
empfanden, wenn mal eine Nutte reinkam, um sich einen
Freier zu angeln.
Etwa um diese Zeit erschien eine Kurzgeschichte von mir in
PORTFOLIO HI, zusammen mit Beitrgen von Henry Miller,
Lorca, Sartre und anderen. Das Ding kostete 10 Dollar ein
enormer Apparat, lauter einzelne Bltter, teures, farb iges Papier, jede Seite in einer anderen Schrift gedruckt, und das
Ganze durchsetzt von irrsinnig progressiven Grafiken. Caresse
Crosby, die Herausgeberin, schrieb mir: Eine hchst ungewhnliche und wundervolle Story. Wer SIND Sie? Und ich
schrieb zurck: Liebe Mrs. Crosby: Ich hab keine Ahnung,
wer ich bin. Ihr sehr ergebener Charles Bukowski.
In jener Nacht wankte ich raus in den Regen, es ging ein
ziemlicher Wind, und ich lie PORTFOLIO sich in seine Bestandteile auflsen. Die Bltter wirbelten durch die Gegend, die
Leute rannten ihnen nach, und ich stand da in meinem Suff
und sah zu. Ein riesiger Fensterputzer, der immer sechs Eier
zum Frhstck a, stellte seinen Fu auf eines der Bltter.
Hier! He! Ich hab eins!
Fuck it! schrie ich. La die Scheie sausen, la den ganzen
Mist davonfliegen! Ich hatte irgendwas bewiesen, und das
reichte mir. Daraufhin stellte ich das Schreiben fr 10 Jahre
ein.
Jeden Morgen um 11 sagte Jim, los es reicht jetzt, du bist
voll, geh ein bichen an die Luft. Un d ich ging raus, um die

103

Bar herum, und legte mich in der Strae dahinter in die Gosse.
Das reizte mich, weil durch diese Strae stndig Lastwagen
fuhren und ich mir dachte, da knnte sich mal was ergeben.
Aber ich hatte nie Glck. Keiner hatte Lust, mich zu berfahren. Statt dessen kamen jeden Tag die Negergren der
Nachbarschaft und piesackten mich mit ihren Stecken, und
dann hrte ich ihre Mutter rufen: All right, lat das doch
endlich, lat den Mann in Ruh. Und nach einiger Zeit stand
ich dann wieder auf und ging in die Bar zurck.
Eines Tages erkundigte ich mich bei einem unserer Stammgste: Wie kommt es eigentlich, da nie mal einer in diese
andere Bar da unten an der Strae geht?
Das ist eine Gangster-Bar, wurde mir gesagt. Wenn du
da reingehst, legen sie dich um.
Ich trank mein Glas aus, stand auf und ging mir mal das
Ding ansehen. Die Bar machte einen ziemlich sauberen Eindruck. Eine Menge groer, breitschultriger Typen hockte da
rum, mit vllig ausdruckslosen Gesichtern. Als ich mich an
die Bar setzte, wurde es sehr still im Raum. Scotch and
water, sagte ich zum Barkeeper.
Er tat so, als htte er nichts gehrt.
Ich drehte meine Lautstrke etwas auf. Barkeeper, ich hab
gesagt >Scotch and water<!
Er lie sich lange Zeit; dann drehte er sich um, holte die
Flasche und schenkte ein. Ich kippte das Glas runter.
Und jetzt mcht ich noch einen.
Ich sah eine junge Lady allein in einer Nische sitzen. Sie sah
einsam aus. Und sie sah gut aus. Ich hatte einiges Geld bei
mir. Keine Ahnung, wo ich es her hatte. Ich griff mir mein
Glas, ging rber und setzte mich zu ihr.
Was mchtst du hren? Was soll ich auf der Jukebox fr
dich drcken? fragte ich.
Irgendwas. Was du willst. Ich fing an, die Jukebox aufzuladen. Die Lady sah wirklich gut aus. Wie konnte sie derart
gut aussehen und trotzdem allein sitzen?
Barkeeper! Barkeeper! Noch zwei Drinks! Einen fr die Lady
und einen fr mich!
Ich konnte es frmlich riechen, da Tod in der Luft lag.
Was mchtest du trinken, Honey? Sag dem Mann, was du
haben willst!
Wir hatten ungefhr eine halbe Stunde getrunken und uns
unterhalten, als sie aufstand und pissen ging.

104

Einer der beiden groen Typen, die ganz am Ende der Bar
saen, stand langsam auf und kam zu mir herber. Er stand
hinter mir und beugte sich zu mir herunter. Hr mal zu,
Buddy, ich mu dir mal was SAGEN.
Aber bitte. Schie los.
Das da ist dem Bo sein Zahn. Wenn du dich noch weiter
einmischst, kanns passieren, da dir jemand was zwischen die
Rippen steckt.
Er sagte tatschlich zwischen die Rippen steckt. Wie im
Kino. Er ging weg und setzte sich wieder an die Bar. Die
Lady kam wieder vom Pissen zurck und setzte sich.
Barkeeper, sagte ich.
Noch zwei.
Ich unterhielt mich weiter und lud zwischendurch die Jukebox
nach. Dann mute ich pissen gehen. Ein Schild, auf dem MEN
stand, zeigte auf eine lange Treppe, die nach unten fhrte.
Das Mnnerklo war hier im Keller. Merkwrdig. Ich fing an,
die Stufen hinunterzugehen, und dann merkte ich, da mir
die zwei groen Kerle folgten. Es machte mir eigentlich keine
Angst, ich fand das Ganze einfach uerst seltsam. Jedenfalls,
es blieb mir nichts anderes brig als weiterzugehen. Unten
stellte ich mich vor ein Pibecken, machte den Latz auf und
fing an zu schiffen. Leicht angetrunken, wie ich war, sprte
ich doch noch, wie ein Totschlger hinter mir niedersauste.
Instinktiv bewegte ich meinen Kopf ein bichen zur Seite,
kriegte das Ding aber trotzdem genau auf den Hinterkopf.
Das Licht ging aus. Dann ging es wieder an, flackerte, kreiste
in meinem Kopf, wurde zu Sternen, die mir vor den Augen
tanzten. Es war eigentlich nicht allzu wild. Ich pite zu Ende,
machte den Latz wieder zu und drehte mich um. Sie standen
da und warteten darauf, da ich zusammensackte.
Verzeihung, sagte ich und ging zwischen den beiden durch.
Ich stieg die Treppe hoch und setzte mich wieder an meinen
Platz. Ich hatte vergessen, mir die Hnde zu waschen.
Barkeeper, sagte ich. Noch zwei.
Blut lief mir am Hinterkopf herunter. Ich holte mein Taschentuch heraus und hielt es nachlssig dagegen. Dann sah ich,
wie die beiden Jungs nach oben kamen und sich wieder an die
Bar setzten.
Barkeeper, sagte ich und nickte in ihre Richtung. Zwei
Drinks fr die beiden Gentlemen da drben.
Ich machte weiter small talk und lie die Jukebox eine weitere

105

Ladung Platten abfahren. Das Mdchen rhrte sich nicht von


meiner Seite. Was sie sagte, kriegte ich, nur halb mit. Dann
mute ich wieder eine Stange Wasser in die Ecke stellen. Ich
stand auf und marschierte wieder in Richtung Mnnerklo. Als
ich an den beiden vorbeiging, sagte der eine zum anderen:
Den Hundeknochen kannst du nicht umlegen. Der ist bergeschnappt.
Diesmal gingen sie mir nicht nach, und als ich wieder nach
oben kam, setzte ich mich auch nicht wieder zu der Lady. Ich
hatte gezeigt, worum es mir ging, und weiter interessierte
mich die Sache nicht. Ich schttete noch einiges in mich rein,
bis die Bar dichtmachte, und dann gingen wir alle zusammen
raus und redeten durcheinander und lachten und grlten Lieder. Die letzten paar Stunden hatte ich mit einem schwarzhaarigen Jungen gebechert, und jetzt kam er zu mir her und
sagte: Hr zu, wir wollen dich in die Gang aufnehmen. Du
bist hart im Nehmen, 'n Kerl wie dich knnen wir brauchen.
Danke, Kumpel. Ehrt mich, aber ich mu ablehnen. Jedenfalls, danke fr das Angebot.
Ich drehte mich um und ging. Immer die gleiche Masche.
Effektvoller Abgang und so.
Nach ein paar Blocks stoppte ich einen Streifenwagen und erzhlte den Bullen, ein halbes Dutzend Matrosen htten mich
zusammengeschlagen und ausgeraubt. Sie fuhren mich in die
Ambulanz, wo sich ein Arzt und eine Schwester meinen Fall
vornahmen. Das wird jetzt ziemlich weh tun, sagte der
Doktor und fing an, mit seiner Nhnadel an mir zu fummeln.
Ich war so voll, da ich berhaupt nichts merkte. Als sie mir
einen Verband um den Schdel wickelten, langte ich der Schwester ans Bein und drckte ihr ein bichen das Knie. Es fhlte
sich gut an.
He! Zum Donnerwetter, was ist denn in Sie gefahren!
Nix. Sollte nur 'n Scherz sein, sagte ich.
Sollen wir diese Type einbuchten? fragte einer der Bullen.
Nein, schafft ihn nach Hause. Er hat eine wste Nacht hinter
sich.
Die Bullen chauffierten mich heim. Exzellenter Service. In Los
Angeles wre ich glatt in einer Zelle gelandet. Auf meiner
Bude leerte ich erst noch eine Flasche Wein, dann haute ich
mich hin.
Am nchsten Morgen war ich um halb sechs nicht da, als Jim
die alte Bar aufmachte. Das kam schon hin und wieder mal

106

vor. Ich blieb manchmal den ganzen Tag im Bett. Gegen zwei
Uhr mittags hrte ich ein paar Weiber vor meinem Fenster
tratschen. Ich wei nicht, sagte die eine. Dieser neue Mieter . . . manchmal bleibt er den ganzen Tag in seinem Zimmer . . . zieht nicht mal die Rollos hoch . . . hrt andauernd
Radio . . . Das is t alles, was er den ganzen Tag macht.
Ich kenn ihn, sagte die andere. Die meiste Zeit besoffen.
Was fr ein schrecklicher Mensch.
Ich glaub, ich mu ihm sagen, da er ausziehen soll.
Ah shit, dachte ich. Ah shit shit shit shit SHIT .
Ich stellte den Stravinsky ab, zog meine Klamotten an und
ging runter zur Bar.
Hey, da kommt er!!
Wir ham gedacht, du b i s t am Arsch!
Bist du in die Gangster-Bar reingegangen?
Yeah.
Na erzhl doch!
Erst brauch ich 'n Drink.
Klar, hier . . .
Ein Scotch & water wurde aufgefahren. Ich setzte mich auf
meinen Stammplatz. Das dreckige Sonnenlicht arbeitete sich
langsam durch den Raum. Mein Arbeitstag hatte begonnen.
Das Gercht, begann ich, da es sich um einen ruppigen
Laden handelt, entspricht absolut der Wahrheit. . . Und dann
erzhlte ich ihnen in groben Zgen, was vorgefallen war.
Der Rest der Story ist, da ich mir zwei Monate lang nicht
die Haare kmmen konnte, noch ein- oder zweimal in die
Gangster-Bar ging, zuvorkommend behandelt wurde, Philadelphia wenig spter verlie und nach neuen Schwulitten
Ausschau hielt. Trouble fand ich jede Menge, aber das, wonach ich sonst noch suchte, hab ich bis heute nicht gefunden.
Vielleicht finden wir das, wenn wir sterben. Vielleicht nicht
mal dann. Ihr knnt ja in euren philosophischen Wlzern
nachschlagen. Und im brigen: macht einen Bogen um Lokale,
bei denen das Mnnerklo im Keller ist.

Der Tod von Henrys Mutter machte keine Komplikationen.


Nettes katholisches Begrbnis, wie es sich gehrte. Der Sarg
blieb zu. Der Priester schwenkte ein paarmal sein Rauchfa,
und damit hatte es sich. Henry ging von der Beerdigung aus

107

direkt zum Rennplatz, erwischte einen guten Lauf und bandelte schlielich mit einer Chinesin an, die ihn mit auf ihr
Zimmer nahm. Sie machte Steaks, und dann stiegen sie ins
Bett.
Als sein Vater starb, ging es nicht so einfach ab. Der Sarg
blieb offen, und die Geliebte seines Alten er sah sie zum
erstenmal, eine gewisse Shirley diese Shirley also warf sich
ber den Sarg und heulte und zeterte und hievte den Oberkrper des Toten halb aus dem Sarg und bedeckte sein Ge sicht mit Kssen. Man mute sie mit Gewalt entfernen. Und
als Henry wenig spter die Treppe herunterkam, warf sie sich
ihm in der Halle um den Hals und kte ihn. Oh, du siehst
genauso aus wie dein Vater! Whrend sie ihn kte, wurde
er ziemlich scharf, und als es ihm schlielich gelang, sie wegzustoen, kam vorne auf seiner Hose ein feuchter Fleck durch.
Er hoffte, da die Trauergste nichts merkten. In Gedanken
machte er sich in Sachen Shirley einen Knoten ins Taschentuch. Sie war nicht viel lter als er.
Von der Beerdigung aus ging er auf den Rennplatz, aber es
war keine Chinesin aufzutreiben, und auerdem verlor er einige Einstze. Der Alte hatte wohl doch sein Stigma auf ihm
gelassen.
Laut Notariat gab es kein Testament. Es gab auch kein Geld,
nur ein Haus und einen Wagen. Henry und seine alte Freundin Maggy nahmen beides sofort in Beschlag.
Um die Mittagszeit pflegte er aufzustehen und den Rasen
unter Wasser zu setzen. Und die Blumen. Der Alte war ein
Blumennarr gewesen. Henry stand auf dem Rasen mit dem
Wasserschlauch in der Hand und dachte daran, wie ihn sein
Alter gehat hatte, weil er nicht arbeiten wollte und stndig
soff und sich mit Weibern herumtrieb. Und jetzt hatte er das
Haus und den Wagen, und der Alte sah das Gras von unten
wachsen. Allmhlich machte er sich mit den Nachbarn bekannt. Mit einem der Typen kam er in nheren Kontakt. Er
hatte eine Wscherei. Harry hie er.
Harry hatte einen ganzen Hinterhof voller Vgel. Zusammen
an die 5000 Dollar wert. Alle Arten von Vgeln. Eine Menge
exotisches Federvieh darunter. Einige konnten sogar reden.
Einer sagte stndig: Go to hell go to hell! Henry verpate
ihm einmal eine kalte Dusche, aber es ntzte nichts, der Vogel keifte ihn an: Hast du mal Feuer?, und dann sagte er
mehrere Male ganz schnell hintereinander: Go to hell! Der

108

ganze Hinterhof war vollgestapelt mit Kfigen aus Maschendraht. Harry lebte nur fr seine Vgel. Henry lebte fr seine
Flasche und fr die Musen. Vielleicht wrde er es mal mit so
einem Vogel versuchen . . . Aber wie stellte man das an?
Maggy war gut auf der Matratze, aber da sie halb Irin und
halb Indianerin war, entwickelte sie ein frchterliches Temperament, sobald sie was getrunken hatte, und er mute sie
in regelmigen Abstnden verprgeln. Er besorgte sich Shirleys Telefonnummer und lud sie mal zu sich ein. Sie fing
prompt wieder an, ihm um den Hals zu fallen und ihm zu
sagen, wie sehr er seinem Vater hnlich sah. Er spielte mit,
lie es aber an diesem Abend noch zu nichts kommen und
beschlo, erst einmal abzuwarten.
Harry kam fast jeden Abend mit seiner Frau herber, und
man setzte sich zusammen und leerte einige Flaschen. Harry
erzhlte von seiner Wscherei und von seinen Vgeln. Die
Vgel konnten Harrys Frau nicht ausstehen. Whrend Harrys
Frau sich darber ereiferte, wie sehr ihr die Vgel auf die
Nerven gingen, schlug sie stndig die Beine bereinander, und
zwar auf eine derart aufreizende Art, da sich unter Henrys
Hose bald etwas zu regen begann. Diese verdammten Weiber,
dauernd muten sie ihn reizen. Allmhlich stellte sich auch
Shirley regelmig zu diesen Abenden ein, Maggy wurde zunehmend sauer, und Henry sah von Harrys Frau zu Shirley
und berlegte, welche wohl besser sei. So kam schlielich eines Abends alles zusammen.
Harrys Frau hatte einiges ber den Durst getrunken und lie
smtliche Vgel raus. Die ganzen 5000 Dollar schwangen sich
in die Luft.
Harry, in seinem Suff, sa eine Weile wie versteinert da.
Dann fing er an zu schreien und seine Alte zu vermbeln.
Jedesmal, wenn sie umfiel, hatte Henry Gelegenheit, ihr unter
den Rock zu sehen. Er wurde langsam unertrglich geil. Maggy
rannte raus und versuchte, die Vgel wieder einzufangen,
schien aber keinen besonderen Erfolg zu haben. Die Viecher
flatterten die Strae rauf und runter, hockten auf den Bumen,
stelzten auf den Dchern herum, der ganze verrckte 5000Dollar-Verein, vllig irre und konfus wegen der ungewohnten
Freiheit.
Henry konnte sich nicht mehr beherrschen, er griff sich Shirley und schleppte sie ins Schlafzimmer. Er zog sie aus und
stieg drber. Er hatte Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden.

109

Der Alkohol machte ihm zu schaffen. Dann kam Maggy ins


Haus zurck, mit einem Vogel unter dem Arm. Das Ding
hatte ein paar vereinzelte rtliche Federbschel auf Kopf, Brust
und Beinen, und der Rest war nichts als graue, faltige Haut.
Harry hatte 300 Dollar dafr bezahlt. Maggy krakeelte im
Hausflur: Ich hab einen gefangen!, und als sie Henry nirgends entdeckte, ging sie ins Schlafzimmer, und als sie sah,
was dort lief, hockte sie sich auf einen Stuhl, den Vogel im
Scho, ri unglubig die Augen auf und schrie, und Harry
verdrosch weiter seine Frau, und das war etwa die Situation,
wie sie die Polizei vorfand.
Es waren zwei junge Typen. Die Bullen zerrten Henry von
seiner Shirley runter und befahlen dem ganzen Verein, sich
ausgehfertig zu machen. Ein weiterer Streifenwagen mit zwei
Bullen drin kam an. Maggy drehte durch und fiel einen der
beiden an. Die Bullen packten sie in den Wagen und fuhren
mit ihr in die Berge. Dort legte sie jeder einmal auf dem Rcksitz um. Sie muten ihr dabei Handschellen anlegen. Der andere Streifenwagen verfrachtete Henry, Shirley, Harry und
Frau auf die nchste Wache. Man nahm ihre Personalien auf
und buchtete sie ein. Zurck blieben die Vgel, die in hellen
Scharen durch die Straen rannten.
Am folgenden Sonntag sprach der Pfarrer von verworfenen
Trunkenbolden, die Snde und Schande ber unsere Gemeinde
bringen. Maggy sa als einzige nicht hinter Schlo und Riegel. Sie war sehr fromm. Sie sa in der ersten Reihe und
schlug ihre Beine in der bekannten Weise bereinander. Der
Pfarrer konnte nicht umhin, ihr unter den Rock zu sehen, und
unter seiner Soutane begann sich etwas zu regen. Glcklicherweise wurde der betreffende Teil seiner Anatomie durch die
Kanzel abgeschirmt. Er zwang sich dazu, whrend er weiterpredigte, aus dem Fenster zu sehen, bis sich das Ding unter
seiner Hose wieder legte.
Harry verlor seine Stellung. Henry verkaufte das Haus. Der
Pfarrer stieg mit Maggy ins Bett. Shirley heiratete einen Typ,
der Fernseher reparierte. Harry sa in seinem Hinterhof und
starrte die leeren Kfige an. Die Vgel verhungerten auf den
Straen und gingen reihenweise ein. Jedesmal, wenn er wieder einen toten Vogel entdeckte, nahm Harry seine Frau in
die Mangel. Henry verspielte und versoff das Geld, das er fr
das Haus bekommen hatte.
Mit Vornamen heie ich Henry. (Charles i s t mein zweiter

110

Vorname.) Beim Tod meiner Mutter gab es keine Komplikationen. Nettes katholisches Begrbnis. Weihrauch und so. Und
der Sarg blieb zu. Als mein Alter starb, ging es nicht so einfach ab. Der Sarg blieb offen, und die Geliebte meines Alten
warf sich darber, und den Rest der Geschichte kennen Sie.
P. S. Wenn du einen Vogel pimpern willst, mut du ihn erst
mal fangen.

Vor Jahren war ich mal mit einer aus Texas verheiratet, die
eine Erbschaft von einer Million in Aussicht hatte, man mute
nur warten, bis der Alte unter der Erde war. Aber in Texas
ist die Luft nicht so verpestet wie hier, und die Leute leben
gesund und rennen beim kleinsten Kratzer zum Arzt. . .
Sie war eine Nymphomanin, und mit ihrem Halswirbel stimmte
was nicht ganz, und um es kurz zu machen was uns zu sammenbrachte, waren meine Gedichte. Sie hielt mich fr den
grten Dichter seit Blake. Oder was wei ich. Damals wute
ich noch nichts von der Million. Ich sa in meinem Zimmer
am N. Kingsley Drive, frisch aus dem Krankenhaus entlassen
nach einem Blutsturz und einer Magenoperation, und nachdem sie mir neun Flaschen Blut und Glukose verabreicht hatten, erffneten sie mir: Noch ein Drink, und der Bart ist ab.
So redet man einfach nicht mit einem Selbstmordkandidaten.
Ich sa also in meiner Bude, umgeben von leeren und vollen
Bierdosen, schrieb Gedichte, paffte billige Zigarren, war ziemlich bla und schwach und wartete darauf, da mir die Decke
auf den Kopf fiel. Inzwischen begannen ihre Briefe einzu treffen. Ich schrieb zurck. Nachdem sie ausgiebig von meinen Gedichten geschwrmt hatte, schickte sie ein paar eigene
mit (sie waren nicht mal so schlecht), und dann kam immer
wieder die gleiche Tour: Ich werde nie einen Mann kriegen.
Es liegt an meinem Hals. Ich kann den Kopf nicht drehen.
Stndig das gleiche Lamento: Mich wird nie einer heiraten,
ich werd nie einen Mann kriegen, mich wird keiner heiraten.
Schlielich, eines Abends, platzte mir der Kragen. Ich setzte
mich hin, in meinem volltrunkenen Unverstand, und schrieb
ihr: Um Gottes willen, hr auf zu jammern! Ich werd dich
heiraten! Ich steckte den Brief in den Kasten und verga die
ganze Geschichte. Nur sie verga es nicht. Ich hatte Fotos von

111

ihr bekommen, die mir sehr gut gefielen, und auf diesen Brief
hin trafen pltzlich Fotos ein, die gar nicht mehr so schn
waren. Ich starrte die Fotos an und kriegte es langsam mit
der Angst zu tun. Ich fiel mitten im Zimmer auf die Knie und
sagte: Ich bin bereit, mich zu opfern. Wenn ich in meinem
Leben nur einen einzigen Menschen glcklich machen kann,
dann ist dieses Leben nicht umsonst gewesen. Shit, ich mute
mir einfach irgendeinen Balsam auf die Seele gieen.
Well, sie kam also aus Texas angereist. Mit dem Bus. Papa
und Mama wuten von nichts, selbst Opa war ahnungslos.
Sie machten irgendwo Ferien. Mehr als ein bichen Kleingeld
hatten sie ihr anscheinend nicht dagelassen. Ich wartete auf
sie an der Bushaltestelle. Ich wartete auf eine Frau, die ich
heiraten sollte, ohne sie jemals gesehen zu haben. Ich hatte
wirklich die Motten. Der Bus kam an.
Ich seh mir die Leute an, die aussteigen, und da kommt diese
blonde Schnheit raus, richtig sexy, mit Stckelschuhen, wippender Gang und so, dufter Hintern und alles, und JUNG,
Menschenskind, hchstens 23, und das mit dem Hals schien
gar nicht so wild zu sein. War es mglich? Moment, dachte
ich: und wenn sie den Bus verpat hat? Egal, ich ging auf sie
zu.
Sind Sie Barbara?
J a , sagte sie. Dann sind Sie also Bukowski . . .
Schtze ja. Wollen wir?
Allright.
Wir kletterten in meine alte Karre und fuhren zu mir.
Fast wre ich unterwegs wieder ausgestiegen und umgekehrt.
Kann ich verstehen.
Bei mir zu Hause kippte ich schnell noch ein paar Glser, aber
sie wollte erst mit mir ins Bett, wenn wir verheiratet waren.
Also legte sich jeder aufs Ohr, und am nchsten Morgen fuhr
ich mit ihr nach Las Vegas und wir heirateten. Ich fuhr die
ganze Strecke nach Las Vegas und zurck ohne Unterbrechung.
Ich hatte es so eilig wie noch nie in meinem Leben. Der
Schwei brach mir aus, wenn ich an den Augenblick dachte,
wo wir ins Bett steigen wrden. Und wie richtig diese Ahnung
war, stellte sich schnell heraus . . . NACH unserer ersten Nummer. O. K., sie hatte mir geschrieben, sie sei mannstoll. Aber
ich hatte es ihr nicht geglaubt. Nach der dritten oder vierten
Runde war ich soweit, da ich es glaubte. Da wute ich, da
ich mich in die Nesseln gesetzt hatte.

112

Ich arbeitete als Packer in einer Spedition. Ich gab den Job
auf und wir nahmen den nchsten Bus nach Texas. Dort stellte
sich heraus, da ich eine potentielle Millionrin geheiratet
hatte. Was mich nicht besonders aus der Fassung brachte
ich hatte schon immer einen leichten Schatten. Es war eine
ziemlich kleine Stadt. Einer Untersuchung zufolge war es die
letzte Stadt, auf die man eine Atombombe werfen wrde, und
ich war geneigt, mich der Meinung der Experten anzuschlieen.
Sooft ich der Sklavenarbeit im Schlafzimmer entrinnen konnte,
ging ich spazieren, ziemlich weich in den Knien und ziemlich
bleich im Gesicht, und wurde natrlich von allen Seiten angestarrt. Ich war der Macker aus der groen Stadt, der sich das
reiche Mdchen geangelt hatte. Irgendwas MUSSTE also an mir
dran sein. Alles, was an mir dran war, war ein mder Schwanz
und ein Koffer voll Gedichte.
Sie arbeitete im Brgermeisteramt. Sie hatte einen riesigen
Schreibtisch und nichts zu tun, und ich sa in ihrem Bro am
Fenster, lie mir die Sonne ins Gesicht scheinen und verscheuchte die Fliegen. Ihr Alter hate mich wie die Pest. Opa
dagegen schien mich zu mgen; nur hatte Papa fast all die
Moneten. Also hockte ich am Fenster und verscheuchte die
Fliegen und wartete. Ein riesiger Cowboy kam rein; in Stiefeln; einen enormen Hut auf dem Kopf; alles was dazu gehrte.
Hallo, Barbara, sagte er. Dann sah er mich.
Sag mal. . . was machst du hier?
Was ich hier MACHE?
Ja, was du hier eigentlichMACHST.
Ich lie eine lange Zeit verstreichen. Ich schaute aus dem Fenster. Ich verscheuchte eine Fliege. Dann wandte ich mich zu
ihm um. Er beugte sich ber den Schalter zu mir herein mit
seinen eins-dreiundachtzig, mit seiner roten texanischen Visage, ganz amerikanischer Volksheld.
Ich? Oooch, ich h . . . ich HNG hier eben so rum und nehm,
was kommt.
Er fuhr zurck, als htte ich den bsen Blick, und im nchsten
Augenblick war es vor dem Schalter wieder leer.
Weit du, wer das war? fragte sie mich.
Nee.
Das war unser starker Mann; verdrischt die Leute und so.
Er ist mein Cousin.

113

Na, aber eben hat er doch nichts GEZEIGT , oder?


Sie warf mir einen merkwrdigen Blick zu, und zum erstenmal hatte sie einen zweifelnden Ausdruck in den Augen. Sie
merkte wohl langsam, da die ganze Aura des sensiblen Lyrikers nur ein rosa Schleifchen war, das ich mir zu Weihnachten umband. Am BIue-Jean-Day (Cowboy-Festival) kramte
ich meinen einzigen guten Anzug heraus und zog ihn an und
schlenderte damit durch die Stadt. Angeblich sollte jeder, der
an diesem Tag nicht in Blue Jeans rumlief, in den Lschteich
geworfen werden. Aber damit war es nichts. Ich kriegte den
Teich nicht mal aus der Ferne zu sehen. Ich hatte schon einiges getankt, wankte durch die Gegend und sah gefhrlich
drein. Die Stadt gehrte mir. Der Doktor kam angekrochen
und wollte mit mir angeln gehen, oder auf die Jagd. Die Verwandten kamen an und machten groe Augen, whrend ich
die leergetrunkenen Bierdosen der Reihe nach in den Papierkorb flippte und Witze erzhlte.
Aber sie wollte unbedingt nach Los Angeles ziehen. Sie hatte
noch nie in einer groen Stadt gelebt. Ich versuchte es ihr auszureden, schlielich fand ich das Leben in Texas ganz ertrglich, aber nein, sie mute weg. A l s o stellte uns Opa einen
Scheck aus und zurck gings nach L. A. Mit dem Bus. Zwei
verstaubte und verdreckte Millionre in einem GreyhoundBus nach Los Angeles. Und es kam noch schlimmer: sie bestand darauf, da wir unseren Unterhalt selbst verdienten.
Also heuerte ich wieder als Packer an, und sie hockte zu Hause
herum und wnschte nichts sehnlicher, als auch einen Job zu
finden . . . Nach der Arbeit mute ich mich jeden Abend besaufen. Groer Gott, sagte ich, was hab ich nur gemacht.
Ich hab 'ne Dorftrampel geheiratet. Da ich vor der Million
keinen Respekt hatte, ging ihr wirklich an die Nieren.
Wir hatten ein kleines Haus in den Auenbezirken gemietet,
und der Hof hinterm Haus war vllig mit Gras zugewachsen
und voller Fliegen. Sie schwirrten zu Tausenden herum und
raubten mir langsam den letzten Nerv. Ich rannte jeden Tag
mit einer groen Spraydose raus und killte, soviele ich konnte,
aber sie nahmen nicht ab.
Das bescheuerte Volk, das vor uns da gewohnt hatte, hinterlie uns eine sinnreiche Einrichtung im Schlafzimmer sie
hatten um das ganze Bett herum Regale gebaut, auf denen
unzhlige Tpfe mit Geranien standen. Wenn wir fickten,
wackelte das Bett, und dann fing der ganze Apparat an zu

114

wackeln, es klang wie ferner Donner, wenn die Blumentpfe


auf den Regalen tanzten, und ich hrte mittendrin auf. Nein
NEIN, MACH WEITER, AHH, MACH WEITER! Und ich raffte mich
auf, versuchte meinen Rhythmus wiederzufinden, und dann
kam der ganze Laden auf mich herunter, die Geranien fielen
mir auf den Arsch und auf den Kopf, und auf den Rcken und
die Beine, und sie schrie und lachte in ihrem Delirium und
KAM.
Die Blumentpfe hatten es ihr wirklich angetan. Ich werd
diese ganze Scheie von der Wand reien! sagte ich stndig;
aber sie hatte so eine nette Art, mich davon abzubringen, da
ich die Dinger immer wieder aufstellte, und alles blieb beim
alten.
Dann kaufte sie eines Tages einen kleinen schwarzen Hund,
der einen Dachschaden hatte, und nannte ihn Bruegel. Nach
ein paar Tagen verlor sie das Interesse an ihm. Sie trat ihm
in die Rippen, wenn er ihr in den Weg kam, und raunzte ihn
an: Hau ab, Scheiviech! Die einzige Freude, die der Hund
hatte, waren unsere abendlichen Kmpfe, wenn ich im Suff
mit ihm auf dem Fuboden herumrollte.
Sie kaufte einen neuen Wagen, einen 57er Plymouth ich
fahr ihn heute noch und ich sagte ihr, bei der Landespolizei
htte sich ein Job fr sie ergeben. Sie stellte sich vor und
bezog einen Schreibtisch im Bro des Sheriffs. Ich erzhlte ihr,
die Spedition htte einiges Personal entlassen mssen, darunter leider auch mich.
Nun wusch ich jeden Tag den Wagen und holte sie von der
Arbeit ab. Eines Tages, ich parkte vor dem Gebude und sie
stieg gerade ein, da kamen lauter solche bleichgesichtigen Typen in geblmten Hemden und mit eingefallenen Schultern
und blden Kaugummi-Visagen aus dem Gebude.
Was sind denn das fr traurige Armleuchter? fragte ich sie.
Das sind Polizeibeamte, sagte sie in ihrem hochnsigen
Zickenton.
Ah, erzhl mir doch keine Mrchen! Diese mickrigen, dusseligen Scheier? Das sind doch im Leben keine Bullen! Was?
Ach komm, das sind doch keine Bullen!
Das sind Polizeibeamte, und es sind alles SEHR nette Jungs.
Oh, SHIT ! sagte ich.
Sie war tdlich beleidigt. In der Nacht fickten wir nur einmal.
Am nchsten Tag war wieder was anderes kaputt.
Das da ist Jose, sagte sie. Er ist Spanier.

115

Spanier?
Ja, er ist in Spanien geboren.
Die ganzen Mexikaner, mit denen ich in den Fabriken gearbeitet hab, die behaupten alle, sie seien in Spanien geboren.
Das ist alles Theater.
Aber Jose ist in Spanien geboren. Ich wei es.
Woher willst du denn das wissen?
Er hat es mir gesagt.
Oh, SHIT!
Am Abend beschlo sie, in den Zeichenkurs zu gehen. Sie war
stndig am Kritzeln und Malen.
Ich werd auch hingehen, sagte ich.
DU? Wozu denn?
Damit du jemand hast, mit dem du in der Pause Kaffee trinken kannst. Und ich kann dich dann immer hinfahren und
wieder zurck.
Na schn, wenn du willst . . .
Wir belegten den gleichen Kurs, und nach drei oder vier Abenden fing sie an nervs zu werden und die Seiten aus ihrem
Zeichenblock zu reien und zusammenzuknllen. Ich hockte
einfach an meinem Platz und gab mir Mhe, sie nicht anzusehen. Alle taten ganz geschftig und vertieft, kicherten aber
stndig, als sei das Ganze ein blder Witz und als sei es ihnen
peinlich, hier zu sitzen wie Schulkinder und zu malen.
Der Zeichenlehrer pflanzte sich vor mich hin. Hren Sie,
Bukowski, Sie sollen hier was malen. Warum sitzen Sie stndig da und starren auf das Papier?
Ich hab vergessen, mir einen Pinsel zu kaufen.
Na schn, dann LEIHE ich Ihnen eben einen Pinsel. Aber
geben Sie ihn nach der Stunde wieder zurck.
Yeah.
So, und jetzt malen Sie mal diese Vase da mit den Blumen
drin.
Ich beschlo, es hinter mich zu bringen. Ich schmierte was aufs
Papier, dann ging ich raus, trank einen Kaffee und rauchte
eine Zigarette. Als ich wieder reinkam, standen alle um meinen Platz herum. Eine Blonde mit enormen Titten wandte sich
nach mir um und hngte mir die Dinger vors Gesicht und
sagte: Ah, Sie haben FRHER schon gemalt, nicht wahr?
Nee, das ist mein erstes Bild.
Ah, Sie machen einenSCHERZ!
Ummmmmmm, war alles, was ich sagen konnte.

116

Der Professor griff sich mein Opus und hngte es vorne an


der Tafel auf. Sehen Sie, meine Herrschaften, DAS ist es, was
ich von Ihnen mchte! Dieses GEFHL . . . diesen NATRLICHEN
FLUSS . . .!
Ach du groe Scheie, dachte ich.
Sie stand wtend von ihrem Platz auf, packte ihren Kram zusammen und verschwand im Nebenzimmer. Sekunden spter
hrte man da drin Papier in Fetzen gehen und Farbtpfe an
den Wnden zerschellen. Der Professor kam auf mich zu. Mr.
Bukowski. . . ist die Dame da drin Ihre . . . Frau?
h . . . ja.
Nun, wir dulden hier nmlich nicht solche PrimadonnaAllren. h, vielleicht wre es gut, wenn Sie das Ihrer Frau
Gemahlin sagten. Und, h, was ich Sie fragen wollte: wrden
Sie mir gestatten, Ihr Werk in die Kunstausstellung aufzunehmen . . .?
Klar.
Oh, verbindlichsten Dank, danke sehr, sehr freundlich von
Ihnen! Der Professor hatte ganz eindeutig eine Meise. Alles,
was ich zusammenschmierte, wollte er fr seine Kunstausstellung. Dabei wute ich nicht einmal, wie man richtig die Farben mischt. Ich rhrte einfach etwas zusammen, tunkte den
Pinsel rein und fuhrwerkte damit auf dem Papier herum. Das
Ganze sah aus, als sei ein Hund mit Dnnschi darber gerannt.
Jedenfalls, die Frau Gemahlin hatte den Kanal voll und steckte
das Malen auf. Und ich vermachte dem Professor meinen impressionistischen Dnnschi und meldete mich ebenfalls ab.
Dann fing sie an, mir von ihrem Trken vorzuschwrmen,
der sei so ein feiner Mensch. Er trgt eine purpurne Krawattennadel, und heut hat er mich auf die Stirn gekt, so ganz
dezent und hat gesagt, ich seh
HIMMLISCH
aus.
Hr zu, Sweetheart, sowas gehrt zum Standard -Repertoire
smtlicher Brohengste. Manchmal kommt was dabei heraus,
meistens aber nicht. Die meisten von diesen Typen onanieren
daheim in ihrer Besenkammer und sehen sic h zuviele Filme
mit Charles Boyer an. Die Typen, die wirklich was zu bieten
haben, machen nicht solchen Zirkus. Ich mach jede Wette, dein
Verehrer geht zu oft ins Kino. Fa ihm an die Eier, und er
luft davon.
Aber WENIGSTENS ist er ein GENTLEMAN! Und er ist immer so
berarbeitet. Er tut mir richtig leid.

117

berarbeitet! Von WAS denn? Vom Heftklammern -Sortieren?


Er hat ein Autokino, da mu er immer noch bis spt in die
Nacht arbeiten. Er kommt berhaupt nicht richtig zum Schla fen.
Na, da will ich Schweinchen Schlau heien . . .
So heit du auch, hauchte sie. In dieser Nacht kamen die
Geranien zweimal auf mich runter.
Und dann kam der Abend, als ich die pikanten chinesischen
Schnecken servierte. Ich war im Supermarkt gewesen, und
zum erstenmal war mir dieses Regal mit den Spezialitten aufgefallen. Ich kaufte den ganzen Mist. Winzige Tintenfische,
Schnecken, Schlangen, Eidechsen, Raupen, Heuschrecken . . .
Als erstes kamen die Schnecken auf den Tisch.
Ich hab sie in Butter gednstet, sagte ich zu ihr. Greif zu.
Das fressen die armen Schlucker im Osten jeden Tag. Hier
zahlt man sich krumm und bucklig dafr . . .
Die schmecken wie aus Gummi. . .
Gummi, Gummi . . . iss sie!
Sie haben so kleine Arschlcher . . . man kann richtig ihre
kleinen Lcher sehen . . . ohh . . .
Alles, was man it, hat ein Loch. Du hast eins, ich hab eins,
wir alle haben Lcher. Sogar dein Krawattenmuffel . . .
Ohhhhh . . .
Sie wurde grn im Gesicht, fing an zu wrgen und strzte
ins Bad. Ich brach in brllendes Gelchter aus, und whrend
mir die Trnen bers Gesicht liefen, schlappte ich die kleinen
Arschlcher eins nach dem anderen auf und splte sie mit Bier
runter.
Es berraschte mich nicht besonders, als mir wenige Tage
spter eine Scheidungsklage ins Haus flatterte.
Ich hielt ihr betrbt das Stck Papier hin. Baby, was ist denn
das? Liebst du mich denn nicht?
Sie fing an zu heulen. Sie heulte und heulte und heulte.
Na komm, na komm, krieg dich wieder. Vielleicht ist der
Krawattenmuffel der Richtige. Ja, ich glaube, das wird der
Richtige sein. Ich glaube auch nicht wirklich, da er heimlich
zu Hause onaniert.
Ohhhhh, ohh-ohh. Ohhhh , . .
Vielleicht wichst er nur in der Badewanne.
Oh, du gemeines Scheusal!
Sie hrte abrupt zu weinen auf. Wir brachten ein letztes Mal

118

die Geranientpfe zum Einsturz. Dann ging sie ins Badezimmer, summte und trllerte vor sich hin. Ich suchte ihr eine
Wohnung und half ihr beim Umzug. Sie wollte nicht im Haus
wohnen bleiben; sie sagte, es wrde ihr das Herz brechen.
bergeschnappte Mse. Am nchsten Tag kaufte ich mir eine
Zeitung und konsultierte den Stellenmarkt. Packer, Laufjunge,
Pfrtner, Kaufhausdetekliv, Aushilfe in einem Heim fr Krppel, Telefonbcher austragen . . . Ich warf die Zeitung in die
Ecke, ging ins nchste Spirituosengeschft und besorgte mir
eine Flasche und bego die entschwundene Million.
Ich sah sie ein- oder zweimal wieder nur so, ohne Geranien
und sie sagte, nach der ersten Nacht mit dem Krawattenmuffel htte sie ihren J o b aufgegeben, und je tzt wollte sie
ernsthaft mit Schreiben und Malen anfangen.
Spter ging sie nach Alaska und heiratete einen Eskimo, oder
einen japanischen Fischer, und wenn ich besoffen bin, mach
ich mir manchmal einen Witz daraus, den Leuten zu erzhlen:
Ich hab mal eine Million an einen japanischen Fischer verloren.
Ein- oder zweimal im Jahr krieg ich einen Brief von ihr, zu
Weihnachten meistens einen lngeren. Schreib mir mal,
sagt sie. Inzwischen hat sie zwei oder drei Kinder, die alle
Eskimo -Namen haben. Und sie sagt, sie hat ein Buch geschrieben, ein Kinderbuch, und sie ist sehr stolz darauf, und jetzt
schreibt sie einen Roman ber Persnlichkeitszerfall. Oder
vielmehr ZWEI. Aha, sag ich mir, einen ber mich und einen
ber den japanischen Fischermann, der inzwischen wohl lngst
durchgedreht hat.
Vielleicht htte ich mich lieber um die Blonde mit den groen
Titten in der Abendakademie kmmern sollen. Aber man kann
nie wissen.
Wahrscheinlich htte auch sie die Schnecken mit den kleinen
Lchern nicht gemocht. Aber Tintenfisch, das sollten Sie mal
versuchen. Wie Babyfinger in zerlassener Butter. Und whrend Sie daran schmatzen, haben Sie das Gefhl, da Sie genlich Ihre Rache auskosten, und dann kippen Sie ein Bier
hinterher und zum Teufel mit der Million, und zum Teufel
mit dem Elektrizittswerk und mit Fller-Pinseln, kaputten
Tonbandgerten und den Hngebuchen von Texas und ihren
bldsinnigen Weibern mit den steifen Hlsen, die stndig
keifen und flennen und einen auspowern und einem die
Substanz rauben, und jedes Jahr zu Weihnachten ihren Fa-

119

milientratsch auf einen loslassen, und obwohl man sich lngst


vllig fremd geworden ist, beharrlich in denselben alten Erinnerungen herumwhlen, Bruegel, die Fliegen, der 57er Ply mouth vor dem Fenster, das ganze Elend, sinnlos und vertan,
das stndig gleiche mde Theater, unser ganzes Leben, immer
nur einstecken, in die Knie gehen, wieder aufstehen, so tun
als sei alles O. K., und wir grinsen und sabbern und wischen
uns unsere kleinen verhrmten Arschlcher und all die anderen Lcher.

Die ffentlichkeit nimmt sich von einem Schriftsteller, was


sie braucht, und den Rest lt sie unter den Tisch fallen. Und
was sie unter den Tisch fallen lassen, ist meistens das, was sie
am ntigsten htten.
Sex i s t interessant, aber nicht das einzig Entscheidende. Ich
will damit sagen, es ist nicht mal so wichtig (technisch gesehen) wie das Scheien. Ein Mann kann 70 Jahre alt werden,
ohne je eine Nummer zu schieben, aber ohne Stuhlgang kann
er in einer Woche tot sein.
Vor allem h i e r in den Vereinigten Staaten geht die berschtzung des Sex ins Aschgraue. Eine Frau, die sexy aussieht, benutzt ihren Krper automatisch als Waffe im Kampf
um greren materiellen Wohlstand. Ich spreche nicht von der
gewerbsmigen Hure, ich spreche von eurer Mutter und eurer Schwester und eurer Frau und eurer Tochter. Und der
amerikanische Mann ist d u s s e l i g genug, zuzusehen, wie dieser Extremismus weiter ins Kraut schiet. Sicher, man mu
bercksichtigen, da der amerikanische Mann schon in frhester Kindheit weichgemacht wird von der Tretmhle der amerikanischen Erziehung und dem behmmerten amerikanischen
Elternhaus und von der Werbung, jenem speziellen amerika nischen Monster. Wenn er also ins entsprechende Alter kommt,
ist er prpariert, und seine weiblichen Gegenspieler kennen
ebenfalls ihren Part und lassen ihn vor sich hecheln und win seln und die Dollarscheine ausfahren. Deshalb hassen sie auch
ihre Konkurrentinnen, die gewerbsmigen Nutten mit dem
Gummi unter dem Leintuch, bis aufs Blut. Die rein geschftsmige Attitde der professionellen Hure wirkt zersetzend
a u f die Moral der amerikanischen Mnnergesellschaft:, der zufolge man sich erst vor dem Sexschinken im Staub winden

120

mu, bevor man mal darf, und dann auerdem noch den
spendablen Freier markieren mu. Mit anderen Worten, die
Einstellung der professionellen Nutte inflationiert das Whrungssystem Mse.
Es stimmt schon: Sex wird zu vllig berhhten Preisen gehandelt. Man betrachte sich einmal mit Verstand eine jener
Gruppenaufnahmen von Teilnehmerinnen an einem Schnheitswettbewerb oder einer Miwahl diese Idealfiguren,
diese Beine, diese Busen . . . in der Tat, eine gewisse magische
Ausstrahlung lt sich nicht abstreiten. Aber die Girls wissen
alle, da es sich dabei um KAPITAL handelt. Und dann betrachte
man einmal die GESICHTER, die einem da entgegenlcheln. Das
sind keine menschlichen Gesichter. Das ist genormtes Lcheln,
in ein Stck toten Karton eingestanzt. Die Einzelteile Nase,
Ohren, Mund usw. entsprechen durchaus unseren gngigen
Vorstellungen von Schnheit; aber als Ganzes sind diese Ge sichter hliche Fratzen ohne einen Funken Geist, ohne Intensitt, nichts als platte mrderische Attrappen aus bemalter
Haut. Aber sobald man diese Horrorvisagen einem amerikanischen Durchschnittsmann vorfhrt, wird er prompt sagen:
Yeah, die Weiber sind EINSAME KLASSE . . . nichts gegen zu
sagen.
Wenige Jahre spter kann man sie dann im Supermarkt sehen,
um Jahrzehnte gealtert, heruntergekommen, schlampig, bergeschnappt und verbittert sie fhlen sich hereingelegt, als
habe man ihre Aktien pltzlich weit unter Kurs verscherbelt.
Und dann ist Vorsicht geboten: ihre Shopping-Karren haben
Messerklingen an den Rdern wie die Kampfwagen der
alten Nubier. Sie sind die Wahnsinnsmsen des Universums.
Fr manche Schriftsteller den glorreich impertinenten Bukowski eingeschlossen ist Sex also eindeutig eine Tragikomdie. Wenn ich darber schreibe, dann nicht, weil ich hoffnungslos davon besessen bin. Ich sehe es eher als eine Schmierenkomdie, bei der man in den Pausen ein bichen heulen
mu. Boccaccio hat das viel b e s s e r gekonnt als ich. Er fand
den richtigen Stil und er hatte den ntigen Abstand davon. Ich
klebe immer noch zu sehr am Objekt, und die Leute halten
mich einfach fr einen Schmutzfinken. Vielleicht sollten sie
lieber mal das Dekameron lesen . . . Und doch, nach mehr
als 2000 Nummern von denen die meisten nicht viel taugten bin ich doch allmhlich in der Lage, die Sache mit etwas

121

Abstand zu sehen und mich ber mein Dilemma mit einiger


Selbstironie hinwegzusetzen.
Einmal hatte ich einen Job als Packer im Keller eines Modehauses. Ich arbeitete mit einem jngeren Typ zusammen, einem unausstehlichen kleinen Fatzken, dem die Haare ausfielen und der gerade seinen Einberufungsbescheid gekriegt
hatte, er sollte kurz vor Toresschlu noch im 2. Weltkrieg
mitmischen. Das schien ihn zu bedrcken. Er kam zu mir und
vertraute mir seine Sorgen an. Anscheinend hielt er mich fr
einen netten Burschen.
Wir waren allein in dieser riesigen unterirdischen Lagerhalle
die brigen Packer arbeiteten im Erdgescho , es war ein
trostloses, verstaubtes Loch und wir krochen auf allen Vieren
ber die Kartons, die sechs Fu hoch aufgestapelt waren, und
suchten nach einer bestimmten Nummer, irgendein Artikel,
der versandfertig gemacht werden sollte. Also wir krochen
durch diese staubigen Kartons, man konnte kaum atmen, und
im ganzen Keller gab es hchstens 3 oder 4 Glhbirnen, die
so trb waren, da man kaum die Hand vor den Augen sah,
und da sollten wir nun eine gewisse Nummer ausfindig machen.
Und der kleine kahlkpfige Fatzke schrie andauernd: HAST
DIE NUMMER JETZT GEFUNDEN?
Und ich rchelte irgendwo hinter einem Karton hervor:
N . . .
Shit, ich gab mir nicht mal Mhe. Was interessierte mich
diese Nummer. Schlielich whlte er sich zu mir durch, hockte
sich auf einen Stoffballen neben mir und zndete sich eine
Zigarette an.
Bukowski, du bist 'n dufter Kerl. Ich gab keine Antwort.
Noch eine Woche, und dann mu ich einrcken.
Wei Gott, seit ich hier angefangen hatte, juckte es mich stndig, ihm eine zu kleben, und jetzt kam er doch tatschlich
auch noch an meinen Busen gekrochen.
Weit du, was mir bei der Army zu schaffen macht?
Nee.
Ich werd meine Alte nicht mehr pimpern knnen. Also, die
meisten Jungs sind ja noch zu grn, die haben keine Erfahrung. Aber bei dir, ich meine, du kriegst es ja regelmig,
das seh ich dir an . . . (Fehlanzeige, dachte ich.) . . . also
sag ich zu meiner Frau, ich sag >Honey, was werd ich blo
tun. Ich werd dich nicht mehr ficken knnen.< Und weit du,

122

was sie mir antwortet? Sie sagt: >Menschenskind, mach, da


du in die Army kommst und sei endlich ein Mann. Ich werd
schon auf dich warten . . .< Aber verdammt, es wird mir fehlen. Es wird mir arg fehlen. Die meisten von diesen Jungs
wissen ja nicht, wie das ist, aber du und ich, wir wissen es.
Yeah.
Htte ich ihm vielleicht sagen sollen, da ein anderer ihm das
Pimpern abnehmen wrde, whrend er weg war? Und da sie,
wenn er nicht mehr zurckkam, mit dem was sie noch zu
bieten hatte, ganz selbstverstndlich die dafr vorgesehene
Position auf dem Fleischmarkt einnehmen wrde? Und der
kleine Maulwurf wrde seine x-beliebige unerhebliche Position in der Army ausfllen: einem Himmelfahrtskommando
BANZAI! brllender Japaner zu trotzen, oder einem letzten verzweifelten Schachzug des bereits geschlagenen Hunnen, der
erbittert und zhneknirschend mit der letzten Energie, die ihm
der Wahnsinn verlieh, durch den Schnee der Ardennen vorpreschte und nach SEINER Nummer Ausschau hielt. Und der
mickrige Maulwurf wrde es heroisch durchleiden wie einen
Juckreiz oder ein Ghnen oder eine Grippe, nur um weiter auf
der richtigen Seite der menschlichen Gesellschaft zu bleiben,
in der Hoffnung, bei einigem Glck mit heiler Haut davonzukommen und dann wieder in Ruhe seine Alte ficken zu
knnen.
Da habt ihr die Spannweite des Phnomens Sex: sie umfat
drittklassige Arschkrcken, die zwecks Erhaltung eines Systems, das auf der Diktatur sekundrer Geschlechtsmerkmale
beruht, einen Granatwerfer bedienen, ebenso wie die Triebkrfte, die ganze Armeen bewegen. Mnner, die anstelle eines
Hirns eine Mse haben, werden mit Tapferkeitsmedaillen dekoriert. Aber was fr eine Tapferkeit ist das? Der Mut von
Idioten fllt doch kaum ins Gewicht.
Nun ja, je mehr man darber nachdenkt, desto weniger wird
man daraus schlau, und das Sex-Ding macht sogar den Bukowski konfus.
Einmal sa ich abends in einer Kneipe, downtown, in der
Nhe von einem der groen Tunnels, ich wohnte grad um die
Ecke, ein Stck den Bunker Hill rauf, well, ich sa also in
dieser Kneipe, so richtig am Bechern, und verdammt, ich fhlte
mich so richtig stark, ganz harter Bursche und so, der mit
jedem fertig wird, der ihm in die Quere kommt. Ich war so
22, 23. Ein richtiges Arschloch, das sich noch Illusionen macht.

123

Na schn, ich sitz also da, trinke alles durcheinander Whisky,


Wein, Bier und geh mir jede Mhe, mal so richtig zu versumpfen, aber es will nicht klappen.
Und dann schau ich mal in die Runde und seh dieses sehr
traurige und schne junge Mdchen neben mir sitzen. Sie ist
vielleicht siebzehn und hat langes blondes Haar (sowas macht
mich immer weich, diese langhaarigen Typen, ich meine, wo
man bis an den Arsch runter langen kann und immer noch
Haar in der Hand hat. . .) und sie sitzt sehr still, ganz ruhig,
man sieht fast einen kleinen Heiligenschein . . . ah, aber sie
ist eine NUTTE, und neben ihr sitzt ihr Schutzengel, die lesbische Madam, und sie MCHTEN eigentlich lieber nicht, versteht ihr, aber sie brauchen eben den Zaster. Ich fing eine
Unterhaltung mit ihnen an und bestellte Drinks.
Fr jeden Drink, den sie schlrften, kippte ich drei runter. Das
schien sie zu ermutigen. Ich hatte angebissen, ich hatte das
X auf der Stirn, ich war leichte Beute. Was sie nicht wissen
konnten, ist, da ich schon berall in der Stadt Saufwetten
gewonnen hatte, und zwar mit einigen der hrtesten Trinker,
die es gab. Ich wei nicht, warum ich solche Unmengen in
mich reinkippen mute, bis ich endlich unter den Tisch fiel.
Vielleicht hatte ich zuviel aufgestauten rger in mir. Oder zuviel
Unverstand.
Wahrscheinlich
beides.
Jedenfalls, ich will mich nicht mit diesen Details aufhalten;
wir machten uns schlielich auf, alle drei, und gingen hoch
auf meine Bude.
Ich mu noch erwhnen, da die lesbische Madam ein widerwrtiger Fettklo war, mit Augen aus Pappe und sinnlosen
Wlsten an den unmglichsten Stellen, und dazu kam, da
ihr eine Hand fehlte, und an Stelle der Hand hatte sie so eine
schimmernde, klobige und sehr interessante sthlerne KLAUE.
Also wir gingen zusammen den Bunker Hill rauf, und in meinem Zimmer sah ich mir die beiden mal nher an. Die reine,
schlanke, magische junge Schnheit, und neben ihr die Tragdie des Jahrhunderts: Schmant und Horror, maschinelles
Versagen, Frontalzusammenste, Frsche, denen kleine Jungs
die Beine ausreien, die Spinne, die der Fliege die Eier abfrit,
und das zermatschte Hirn von Primo Camera, der unter den
monotonen Playboy-Kanonaden von Maxie Baer in die Knie
geht und ich warf mich auf die Tragdie des Jahrhunderts,
auf diese bldsinnige Migeburt aus Fett und Scheie.
Ich packte sie und versuchte, sie auf meine dreckige Matratze

124

zu werfen, aber sie war zu nchtern und zu stark fr mich.


Sie fegte mich mit ihrem puren lesbischen einarmigen Ha zur
Seite und fing an, DIESEN ARM MIT DER GROSSEN INTERESSANTEN
SCHIMMERNDEN STHLERNEN KLAUE ZU
SCHWINGEN.
Ich konnte nicht den Lauf der Sexualgeschichte ndern; dazu
hatte ich nicht das Zeug.
Sie ging mir nach mit weiten, wundervollen Schwngen dieser
Klaue, und jedesmal, wenn ich mich duckte und dann den
Kopf hob, um zu sehen, wo sich die KLAUE befand, kam sie
schon wieder auf mich herunter. Und whrend Eisenklaue
ihre Mordlust an mir auslie, warf ich schnelle Blicke auf die
schne junge und heilige Nutte, und ich sah an ihrem Ge sichtsausdruck, da sie von uns dreien am meisten litt. Sie
konnte bestimmt nicht begreifen, warum ich auf diesen hlichen Berg aus totem Fett aus war, anstatt auf das, was sie
mir zu bieten hatte. Aber ich schtze, die lesbische Mama
hatte lngst begriffen, und jedesmal, wenn sie mit ihrer Klaue
nach mir ausholte, wandte sie sich halb nach ihrer Kleinen
um und sagte: Der Kerl ist wahnsinnig, der Kerl i s t wahnsinnig, der Kerl i s t wahnsinnig . . .! In einem solchen Augenblick duckte ich mich unter einem ihrer Schwinger durch und
strzte mich auf die Tr. Ich zeigte auf die Kommode und
schrie: DAS GELD IST IN DER OBERSTEN SCHUBLADE! Und die
Alte, der raffgierige Knochen, lie sich einwickeln und wandte
sich der Kommode zu. Bis sie merkte, was gespielt wurde, war
ich schon den ganzen Bunker Hill hinauf. Ich sah mich um,
atmete tief durch, betastete mich von Kopf bis Fu und berlegte, wo das nchste Spirituosengeschft war.
Als ich mit der Flasche unter dem Arm zurckkam, stand die
Tr weit offen und sie waren weg. Ich verriegelte die Tr,
schenkte mir in Ruhe ein Glas ein und leerte es andchtig.
Auf den Sex und auf den Wahnsinn. Dann kippte ich noch
eins hinterher, legte mich lang und lie die Welt ihren Lauf
nehmen.

Alles fngt an und endet mit dem Briefkasten, und wenn sie
eines Tages einen Weg finden, wie man ohne Briefksten auskommt, werden wir eine ganze Menge Probleme los sein.
Aber soweit ist es noch nicht. Ich ging also nach einer schlaflosen Nacht auf meine Veranda und sah dieses groe, graue,
125

geistlose Ding an, unter dem sich gerade eine Spinne die letzten Zuckungen einer Schmetterlingsseele einverleibte. Ich steh
also da und sag mir, a h , well, vielleicht der Pulitzer-Preis oder
ein Reisestipendium oder mein Exemplar des Turf Digest
(Rennsportzeitung), ich lang also rein, und da ist es: ein einsamer Brief im Kasten ich kenne die Handschrift, ich wei
den Absender auswendig, ich kenne den Ton, das Vibrato,
die krakelige Persnlichkeit jedes einzelnen Schriftzugs, jeder
einzelnen Seite, das unsinnige Trommeln der Querschlger
und Schrapnelle einer berkandidelten, kleinkarierten weiblichen Seele:
Lieber Bongo:
Heut hab ich die Pflanzen gegossen. Meine ganzen Pflanzen
sterben. Wie geht es Dir? Bald wird es Weihnachten. Meine
Freundin Lana hlt einen Kurs ber Dichtung in der IrrHeilanstalt. Sie geben auch eine Zeitschrift heraus. Vielleicht
kannst Du auch etwas von Dir hinschicken. Jetzt mu ich
schlieen. Ich bin sicher, sie wrden gern was von Dir verffentlichen. Die Kinder kommen gleich von der Schule. Ich
hab Dein letztes Gedicht gelesen in der Oktobernummer von
BLUE STARDUST JACKOFF. Es war wundervoll. Du bist der grte
lebende Dichter unserer Zeit. Die Kinder kommen jetzt gleich
von der Schule und mu schlieen.
Liebe Gre
Deine Meggy.
Meggy bombardiert mich mit solchen Briefen. Ich habe sie nie
getroffen, aber ich kenne sie von den Fotos, die sie schickt,
und ich mu sagen, sie sieht aus wie eine groe, gesunde Fickmaschine. Sie hat mir auch schon Gedichte von sich geschickt.
In ihren Gedichten macht sie es sich ein bichen einfach, und
obwohl sie von Agonie und Tod und Ewigkeit und Ozean
spricht, ist das Ganze doch ein einziges groes ghnendes Loch
in der Sofaecke. Nichts als wieder mal eine triste Weiberseele,
eingelullt von ihrem eigenen Ausverkauf durch die Jahre und
Jahrzehnte, und lngst dazu verurteilt, fr den Rest ihrer
Tage mit dem Staubsauger durch die Gegend zu schussern und
sich mit den Flausen ihres Juniors herumzurgern, der ebenfalls
rapide auf das groe Nichts zusteuert.
Wenn Meggy irgendwo in der Nhe wohnen wrde, htte ich
der ganzen Qual lngst ein Ende machen knnen ich sehe
es richtig vor mir, sie in meiner Bude, hingemht vom Feuer-

126

atem meiner lyrischen Augen, gebannt dem mde stolzierenden Pantherschritt meiner Beine in den durchlcherten Hosen
folgend, mich im Geiste mit Stephan Spender vergleichend,
und ich wrde mich ihr zuwenden und in nicht ganz stilvollem
Englisch sagen:
Baby, in wenigen Minuten werd ich dir deine gottverdammten Fhnchen vom Leib reien und dir einen dicken, runzligen
Truthahnhals zeigen, der dir bis ans khle Grab hinan gedenken wird. Ich hab einen groen, krummen Penis, geschweift
wie eine Sichel, der schon gar manche Mse ausgerumt und
ihren heien Saft auf meinen hrenen, wanzenverschmierten
Teppich hat speien lassen. Doch erst la mich mal diesen Drink
vollends killen.
Und dann leerst du ein randvolles Glas Whisky, schleuderst
das Glas an die Wand, murmelst: Villon hat gegrillte Titten
zum Frhstck gegessen, steckst dir in Ruhe eine Zigarette
an, und wenn du dich umdrehst, ist das Problem verschwunden nmlich durch den Vordereingang. Wenn es nicht verschwindet, hat es verdient, was dann kommt. Und du selbst
auch.
Aber Meggy lebte in einem Staat hoch im Norden, und deshalb war diese Lsung fr mich gestorben. Immerhin beantwortete ich ihre Briefe mehrere Jahre lang, in der Hoffnung,
da sie vielleicht doch einmal eines Tages nahe genug kam,
um sie entweder zu ficken oder ein fr allemal zu verscheuchen.
Schlielich baute aber meine scheinbar permanente Erektion
doch ab. Es kamen weiter Briefe von ihr, aber ich beantwortete sie einfach nicht mehr. Ihre Briefe waren wie immer unendlich deprimierend und entnervend, aber die Tatsache, da
ich sie nicht mehr beantwortete, entschrfte langsam die Wirkung ihres Giftes. Was fr ein genialer Plan, ein Plan, fr den
ein simpler Verstand wie meiner JAHRE gebraucht hatte: einfach die Briefe nicht mehr beantworten, und du bist FREI.
Schlielich trat eine Pause ein. Ich hatte das Gefhl, da es
ausgestanden war. Ich fing an, wieder freier zu armen. Ich
fing an, wieder die kleinen Dinge meiner Umgebung zu sehen,
die seltsamen und verrckten Dinge, die mir frher immer
aufzufallen pflegten; romantische, explosive Dinge, die pltzlich eine magische Kraft zu offenbaren schienen, wo zuvor nur
ein ghnendes Nichts gewesen war.

127

TTET ERFINDER
Montercy, 18. Nov. ( UPI) Ein Mann aus Carmel Valley
erlitt tdliche Verletzungen, als ein von ihm konstruiertes
Gert zur Entrunzelung von Pflaumen aus bisher ungeklrten Grnden explodierte.

Das war die ganze Meldung. Perfekt. Ich lebte wieder. Dann,
eines Morgens, ging ich wieder mal an den Briefkasten, und
zwischen den Gas- und Stromrechnungen, einer Mahnung
vom Zahnarzt und einer Karte von einer meiner Ex-Frauen,
an die ich mich kaum noch erinnerte, lag wieder ein Brief von
IHR.
Lieber Bongo:
Das ist jetzt endgltig mein LETZTER Brief. Gott mge Dich
strafen. Meinetwegen fahr zur Hlle. Du bist nicht der EINZIGE, der mich verlassen hat. Euch undankbare Halunken werd
ich noch alle berleben. ICH WERD EUCH ALLE BERLEBEN!
Meggy.
Well. Ein paar Tage spter wieder ein Sto Briefe. Ich
machte den ersten auf:
Sehr geehrter Herr Bukowski,
Ihr Antrag auf ein Stipendium des National Endowment for
the Arts ist vom National Council on the Arts geprft worden. In bereinstimmung mit dem Urteil eines unabhngigen
Sachverstndigenausschusses bedauern wir, Ihnen mitteilen zu
mssen . . .
Ich ffnete den nchsten:
Hallo Bongo:
schreibe diese Zeilen zusammengekauert in einer Ecke dieses
belriechenden Hotelzimmers das einzige was die Stille durchbricht ist das KJirren von Flaschenhlsen zwischen klappernden Zhnen . . . hab eine bse Erkltung und Frostbeulen an
den Fen; 51 Asse umgedreht auf dem Tisch, alles Nieten;
und das 52. kommt mit der Post . . . hab an alles gedacht, verstehst du? und jetzt merk ich was fr ein elender beschissener
Teufelskreis es ist. . . Job auf der Zitronenplantage verloren
weil ich zu lang weg geblieben bin (4 Tage Hochzeit auf ner
Schweinefarm) und zu wenig gepflckt hab. Fuhr zurck nach
San F. und hab todsicheren Weihnachtsjob bei der Post um
einen Tag verpat. . . hock in dieser Ecke hier im Dunkeln
und warte darauf da in der Baptistenkirche gegenber das
rote Neonlicht angeht und mir die Trnen kommen . . . Bus-

128

fahrer Kontrolle verloren und 'n Hund auf der Strae berfahren . . . wnschte ich war dieser Hund gewesen, von selber
bring ichs doch nicht fertig . . . sogar das verlangt eine Entscheidung von einem . . . kann meine Zigaretten nicht fin den . . . heut morgen in der Mission gewesen, konnte es nicht
mehr aushaken, der unaussprechliche Fra dreht einem den
Magen um. Hab mich ein bichen auf der Market Street umgesehen, all die hbschen Mdchen mit ihren langen Haaren
wie klarer San-Frisco-Winter-Sonnenschein . . . Naja. Was
soll's.
M.
Und noch einer:
Lieber Bongo:
Verzeih mir. Es fliegt einfach so an mich ran. Versuch mich
ein bichen gern zu haben. Heut hab ich einen neuen Rasensprenger gekauft. Der andere war schon ganz verrostet. Ich
lege ein Gedicht aus >Poetry Chicago< bei. Ich mute . . . unwillkrlich . . . an mich selber denken . . . wie ich es gelesen
hab. Mu jetzt schlieen. Die Kinder kommen gleich heim.
K mich,
Meggy.
Das beiliegende Gedicht ist sorgfltig abgetippt, fehlerlos,
zweifacher Zeilenabstand, und die Worte sind alle mit dem
gleichen regelmigen Anschlag, mit der gleichen liebevollen
Sorgfalt auf dem Papier eingraviert. Es ist ein schauderhaftes
Gedicht. Es handelt vom Wind und von irgendeiner Tragdie,
die aber so lasch vorgetragen wird, da es wirklich nicht weit
her damit sein kann. Reines 18. Jahrhundert. Schlechtes 18.
Jahrhundert.
Ich lasse die Briefe unbeantwortet. Ich erscheine regelmig
zur Arbeit bei der Mllabfuhr. Da unten wissen sie nicht, wer
ich bin. Und das ist mir recht. Sie lassen mich in Frieden. Sie
lassen mich treiben. T. S. Eliot und Lawrence von Arabien
sind fr sie Jacke wie Hose. Manchmal bin ich zwei oder drei
Tage hintereinander besoffen. Aber ich erscheine pnktlich zur
Arbeit.
Wenn mich jemand anruft, mu er das Telefon nach einem
bestimmten System klingeln lassen, sonst hebe ic h nicht ab.
Das ist kein snobistischer Tick von mir; ich will nur sicher
sein, da mir der Betreffende auch was zu sagen hat. Aber
eines Nachts, als ich mich gerade fr die Arbeit fertig machte,
klingelte das Telefon; es war nicht das richtige Signal, aber

129

ich war sowieso schon halb aus der Tr und dachte, was soll's,
und nahm den Hrer ab. Bongo?
Eh? Yeh?
Hr zu, ich h, ich will mich nicht aufdrngen. Nur, ich krieg
eben Zustnde manchmal . . . und heut. . .
Oh . . . yeh . . . das geht uns allen so.
Hauptsache, du hat mich nicht wegen meinen Briefen . . .
Well, Meggy, das ist so: hassen tu ich deine Briefe eigentlich nicht. Sie sind einfach so . . .
Oh, ich bin ja so froh!
Sie lie mich nicht ausreden. Ich hatte sagen wollen, ihre
Briefe seien so nichtssagend, da sie mir mit ihrem Staubsauger-Ghnen den letzten Nerv raubten. Aber sie lie mich
ja nicht ausreden.
Das freut mich wirklich.
Yeh, sagte ich.
Aber du hast keine Gedichte geschickt fr die Zeitschrift von
der Heilanstalt.
Ich werd mal nachsehn, ob ich was passendes finde.
Ich bin sicher, da sie jedes Gedicht von dir nehmen wrden . . . Oder schreibst du keine Gedichte mehr? Ich kann mich
noch entsinnen an die Zeit, wo in jeder Nummer von BLUE
STARDUST was von dir drin war. Lilly schreibt, da du schon
seit Jahren nichts mehr schickst. Hast du denn die Little Magazines ganz vergessen?
Nee, die Motherfucker werd ich nie vergessen.
Oh, du bist ein Witzbold. Aber, ich meine, schickst du denn
deine ARBEITEN gar nicht mehr raus?
Naja, da ist zum Beispiel EVERGREEN . . .
Du meinst, die haben wirklich was von dir GENOMMEN?
Ein- oder zweimal. Aber EVERGREEN ist natrlich keine kleine
Zeitschrift mehr. Meinetwegen sag Lilly, ich bin desertiert.
Oh Bongo, ich hab gleich gewut, wie ich zum erstenmal
was von dir gelesen hab, da du zu was Groem bestimmt
bist. Ich hab immer noch mein Exemplar von deinem >Christus kriecht rckwrts<. Oh Bongo Bongo.
Ich wimmelte sie schlielich ab, indem ich ihr klarmachte, da
ich jetzt dringend etwas Mll aufsammeln mute. Ich holte
mir ein Bier aus dem Khlschrank. Ich beschlo, da ich heute
den Job schleifen lassen mute. Ich hockte mich in meinen
kaputten Lehnstuhl, setzte die Flasche an, und alles andere
war mir egal.

130

Ich kannte mal eine, die behauptete, sie sei im St.-ElisabethHospital zu Ezra Pound ins Bett gestiegen. Nach lngerer Korrespondenz gelang es mir, auch die abzuwimmeln. Ich bestand
darauf, da ich von Gedichten mehr verstand, und auerdem
seien die Cantos stinklangweilig.
berall lagen Meggys Briefe herum. Einer lag auf dem Boden
neben der Schreibmaschine. Ich stand auf, ging rber und hob
ihn auf:
Lieber Bongo:
Alle meine Gedichte kommen zurck. Naja, wenn die nicht
wissen, was ein gutes Gedicht ist, sind s ie selber dran schuld.
Ich nehme immer wieder deinen ersten Gedichtband zur Hand.
CHRIST CREEPS BACKWARDS. Und all deine anderen Gedichtbnde. Solang ich das hab, knnen die mir mit ihrer ganzen
schrecklichen Bldheit gestohlen bleiben. Die Kinder werden
gleich heimkommen.
K mich.
Meggy.
P.S. Mein Mann zieht mich stndig auf: >Bongo hat schon
lang nichts mehr von sich hren lassen. Wast ist los mit
Bongo ?<
Ich trank die Flasche aus und warf sie in den Papierkorb. Ich
konnte es richtig vor mir sehen: ihr Mann, wie er dreimal in
der Woche ber sie stieg. Ihr Haar wie ein verfilzter Fcher
auf dem Kissen. Und sie stellt sich vor, er sei Bongo. Er stellt
sich vor, er sei Bongo.
Oh Bongo! Bongo! sagt sie.
Gleich, Mutti, sagt er.
Ich lang mir noch ein Bier und gehe ans Fenster. Drauen
beginnt wieder ein trber, steriler, sinnloser Tag in Los Angeles. Ich wundere mich, da ich noch am Leben bin. Es ist
lange her seit jenem ersten Gedichtband. Es ist lange her seit
dem Aufstand in Watts. John Bryan braucht einen Artikel.
Ich knnte was ber Meggy schreiben. Aber bei der MeggyStory fehlt noch der Schlu. Er wird morgen im Briefkasten
liegen. Wenn das Ganze ein Film wre, htte ich den Schlu
schon jetzt parat:
Also sieh mal, John, ich kenn da so 'ne Schreckschraube. Sie
geht mir auf den Wecker, verstehst du? Du weit, wie man
mit sowas fertig wird. Aber vermassel die Sache nicht. Gib
ihr deinen 35-cm-Schwanz und schaff sie mir vom Hals, ja?
Du kannst sie nicht verfehlen. Sie steht in diesem Zimmer mit
dem Staubsauger in der Hand und Trnen in den Augen.

131

'n Zimmer voller Gedichtbnde und Lyrik-Hefte, und sie ist


unglcklich, sie glaubt, da sie das Leben angeschissen hat,
aber sie wei berhaupt nicht, was Leben ist, verstehst du?
Bring sie wieder in Ordnung, gib ihr deine 35 cm . . .
Aw right.
Und John . . . Yeh?
Sauf dir unterwegs keinen an. Aw right.
Ich lasse mich wieder in den Lehnstuhl fallen und schlrfe
mein Bier. Ich sollte mir einen ansaufen, zu ihr hochfliegen
und vllig verlaust und zerlumpt und voll wie tausend Mann
an ihre Haustr klopfen, die ganze Hemdenbrust gepflastert
mit Buttons: FEUERT JOHNSON . . . STOP THE WAR . . . EXHUMIERT TOM MIX. Irgendwas. Aber es ntzt alles nichts. Ich
kann nur dasitzen und warten. Mit dem Stipendium ist es
nichts. An EVERGREEN schicke ich keine Gedichte mehr. Und in
meinem Briefkasten werde ich in Zukunft nur noch eins finden:
Lieber Bongo:
Blh blh blh blh blh blh. Ich hab die Pflanzen gegossen.
Die Kinder kommen gleich heim. Blah blah blah blah blah
blah.
K mich.
Meggy.
Ob Balzac oder Shakespeare oder Cervantes je sowas pas siert ist? Ich mchte es ihnen jedenfalls nicht wnschen. Die
schlimmste Erfindung des Menschen ist eine dreikpfige Hydra:
Der Briefkasten, der Brieftrger und der Briefschreiber. Auf
dem Regal steht eine blaue Kaffeekanne voller unbeantworteter Briefe. Im Wandschrank steht ein groer Pappkarton voller
unbeantworteter Briefe. Wann tun all diese Leute eigentlich
saufen, ficken, Geld verdienen, schlafen, baden, scheien, essen
und sich die Fungel schneiden?? Und Meggy fhrt die
ganze Meute an: K mich, k mich, k mich.
Ein 35-cm-Schwanz wrde mich vielleicht aus der Affre zie hen. Oder noch weiter reinreiten. Jedenfalls mit dem, was ich
hab, hat es s chon Trouble genug gegeben.

In jenen Tagen war gewhnlich jemand in meiner Bude, egal


ob ich zu Hause war oder nicht, und wenn ich durch die Tr
kam, wute ich meistens nicht, wen (oder wie viele) ich an-

132

treffen wrde. Es war stndig irgendeine Party im Gange, und


um die Bude mit sechs oder sieben Leuten vollsitzen zu haben,
gengten zwei Dollar und etwas Wechselgeld und ein Sonderangebot in der Getrnkeabteilung.
All right, eines Nachts wachte ich auf in meinem Bett, stockvoll, aber doch noch klar im Kopf, die Lichter waren aus, ich
sttzte mich auf, sah mich um, und es schien niemand mehr
da zu sein. Nur ein paar leere Weinflaschen lagen auf dem
Boden herum. Ich setzte mich im Bett auf und erkannte die
Umrisse einer menschlichen Gestalt neben mir. Hm. Anscheinend hatte eine dieser Nutten beschlossen, bei mir zu bleiben.
Das war Liebe. Das war ein Zeichen von Courage. Shit, wer
konnte mich denn schon ausstehen? Jemand, der es mit mir
aushielt, mute wahrhaftig ein Herz aus purem Gold haben.
Ich mute diese Seele von Mensch einfach dafr BELOHNEN,
da sie das Stehvermgen und den Schneid hatte, bei mir zu
bleiben.
Und was fr eine schnere Belohnung gab es, als sie in den
Arsch zu ficken?
Ich hatte eine merkwrdige Serie von Weibern hinter mir,
und keine wollte sich von hinten nehmen lassen, was zur
Folge hatte, da sich das langsam zu einer Zwangsvorstellung
bei mir auswuchs. Sobald ich etwas getrunken hatte, mute
ich immer wieder davon anfangen. Ich peilte das nchste Weib
an und sagte: Ich werd dir den Arsch aufreien, und ich
werd deiner Mama den Arsch aufreien, und ich werd deiner
Tochter den Arsch aufreien.<< Und die Antwort war jedesmal:
Oh nein, das wirst du NICHT ! Sie wrden alles tun, nur
nicht DAS . Vielleicht war es das Gesetz der Serie, oder vielleicht lag es nur am Wetter, jedenfalls Jahre spter saen
pltzlich nur noch Weiber herum, die sagten: Bukowski,
warum rammelst du mich nicht mal in den Arsch? Ich hab
'n groes, rundes, weiches Hinterteil . . . , und ich pflegte zu
antworten: Das stimmt, Schtzchen, das sieht man wirklich.
Aber ich mcht lieber nicht.
Damals jedoch herrschte in dieser Beziehung reiner Notstand,
und ich kriegte wirklich langsam die Motten, und als ich DIE
da neben mir liegen sah, sagte ich mir, Mann, 'ne gute Nummer in der ihren Arsch und du b i s t 'ne Menge emotionale
Probleme los.
Ich fand noch einen Rest Wein in einem Glas mit einer leichten Schicht Zigarrenasche darauf, und dann kroch ich wieder

133

ins Bett und manvrierte meinen kleinen Weenie in dieses


makellose, schnarchende, sich wlbende Hinterteil. Von einem
heimlichen Dieb sagt man, da er die Beute nicht so sehr liebt
wie das eigentliche Stehlen. Ich mochte beides gleich gern.
Mein kleiner Bammelmann pulsierte und zitterte am Rande
des Wahnsinns. Das war die Rache, irgendwie, widerwrtig
und vollkommen, die Rache fr alles mgliche, fr verhutzelte
Eisverkufer mit irren Taubenaugen, fr meine tote Mutter,
die sich Fettcreme auf ihr lebloses, gleichgltiges Gesicht
schmierte . . .
Die hat aber einen tiefen Schlaf, dachte ich. Na, um so besser.
Wahrscheinlich war es Mitzi. Oder vielleicht Betty. Spielte ja
keine Rolle. Es war mein Sieg mein trauriger, arbeitsloser,
verhungerter Schwanz brach siegreich durch das Tor zu allen
verbotenen Dingen! Fanfarenste! Ich fhlte mich als Mittelpunkt eines groen Dramas wie Jesse James, als ihn im grell
ausgeleuchteten Aufnahmestudio die goldene Kugel traf.
Ich arbeitete drauflos wie ein Besessener. Sie sthnte und
machte AARG UG, HO AH, HA . . . Mir wurde klar, da sie nur
so tat, als ob sie schliefe. Sie tut nur so, um den letzten Rest
ihrer versoffenen Ehre zu retten, und ich bin ein MANN und
NIEMAND
kann
mir
an
den
Karren
fahren!
Ich erwischte zur Abwechslung mal einen richtigen Lauf, und
der magische Glanz und die Glorie des Ganzen und meine
wilde Brutalitt trugen mich empor und lieen mich mit schier
endloser Ausdauer rammeln und stoen, und alles war rein
und vollkommen.
Und dann rutschte uns in der Aufregung die Bettdecke weg,
und ich sah den Kopf und den Nacken und die Schultern
es war Baldy M. Glatzkpfiges, amerikanisches mnnliches
Individuum! . . . Alles an mir wurde schlaff. Ich rollte auf den
Rcken, benommen vor Ekel, und starrte an die Decke. Und
kein Tropfen Alkohol mehr in der Bude . . . Baldy M. machte
keinen Mucks. Kein Laut, keine Bewegung. Schlielich beschlo ich zu schlafen und den Morgen abzuwarten.
Am nchsten Morgen wachten wir auf, und keiner erwhnte
etwas. Dann kam jemand vorbei und wir legten zusammen
fr eine Flasche Wein.
Und er machte keine Anstalten zu gehen. Nach ein paar Tagen
fingen die Girls an, mir komische Blicke zuzuwerfen. Zwei
Wochen, drei Wochen gingen vorbei, und er war noch immer
da.

134

Es stellte sich auch heraus, da er nicht gerade einen Reinlichkeitsfimmel hatte. Eines Abends ich hatte den ganzen Tag
Kisten mit tiefgefrorenem Fisch abgeladen kam ich angekrochen, die Hnde blutig und zerschrammt und einen Fu, auf
den mir eine Kiste gefallen war, leicht angeknackst. Wieder
war eine Party im Gang was mich nicht strte, ich hab es
immer gern, wenn ein paar volle Flaschen auf dem Tisch stehen , nur mute ich feststellen, da es in der Kche verheerend aussah; sie hatten meine ganzen Konserven aufgebraucht,
smtliche Glser, Teller und Bestecke waren dreckig, und alles
lag im Ausgu in einer stinkenden trben Brhe, und der
Ausgu war verstopft; sie hatten auch meinen ganzen Vorrat
an Papiertellern aufgebraucht, die jetzt in dicken aufgequollenen Klumpen im Ausgu lagen, und zu alledem hatte auch
noch jemand in den Ausgu gekotzt. Und als ich das sah,
griff ich mir das nchste volle Glas, kippte es runter, schmi
das Glas an die Wand und brllte: JETZT REICHT ES MIR! ALLE
MANN RAUS! UND ZWAR SOFORT!

Sie machten sich dnne, einer nach dem anderen, all die Nutten und Schnorrer alle bis auf Baldy M. Er blieb einfach
auf dem Bettrand sitzen, sah mich verstndnislos an und
sagte: Hank, Hank, was is denn? Was is denn los, Hank?
HALTS Maul oder ich schlag dich k. o.!
Ich ging ans Telefon, suchte die Nummer seiner Mutter heraus und rief sie an. Er war einer von diesen Trotteln mit berdurchschnittlichem Intelligenzquotienten, die stndig bei ihrer
Mutter wohnen.
Hren Sie, Mrs. M., hier ist Hank. Kommen Sie rber und
holen Sie Ihren Filius ab.
Ah, also bei IHNEN hat er die ganze Zeit gesteckt. Ich hab
mirs halb gedacht, aber ich wute Ihre Adresse nicht. Wir
haben schon eine Vermitenanzeige erstattet. Sie sind ein
schlechter Umgang fr ihn, Hank. Warum knnen Sie meinen
Jungen nicht in Ruhe lassen? (Ihr >Junge< war 32 Jahre alt.)
Ich werd mir Mhe geben, Mrs. M. Inzwischen wre es vielleicht gut, wenn Sie ihn abholen.
Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb er diesmal so
LANGE geblieben ist. Gewhnlich kommt er nach ein oder zwei
Tagen wieder nach Hause.
Ja. Und jetzt holen Sie ihn bitte ab.
Ich gab ihr meine Adresse und ging wieder zu meinem Sorgenkind zurck.

135

Deine Mutter kommt vorbei und holt dich ab.


Ich will aber nicht gehen! Nein! Hank, ist noch Wein da?
Ich mu was trinken, Hank.
Ich schenkte ihm ein Glas ein. Ich will nicht gehen, sagte er.
Jetzt hr mir mal zu. Ich hab dir x-mal gesagt, du sollst verschwinden. Aber es hat nichts gentzt. Ich hatte nur die Wahl,
dich entweder windelweich zu schlagen und mit Gewalt rauszuschmeien, oder deine Mutter anzurufen. Ich hab mich fr
den zweiten Weg entschieden.
Aber ich bin doch ein erwachsener MANN! Ich bin ein MANN,
kannst du das nicht sehen? ICH WAR IN CHINA IM KRIEG! ICH
HAB

DIE

ICH

HAB

CHINESISCHEN
MICH

IN

TRUPPEN

AUGENBLICKEN

DURCH

DICK

HCHSTER

UND

DNN

GEFAHR

ALS

G EFHRT!
LEUTNANT

IN DER AMERIKANISCHEN INFANTERIE BEWHRT!

Es stimmte. Und er war sogar in Ehren aus der Army entlassen worden. Ich go jedem von uns ein Glas ein.
Auf den China-Feldzug! toastete ich.
Auf den China-Feldzug! sagte er.
Wir tranken aus.
Dann fing er wieder an. Ich bin ein MANN! Verdammt nochmal, ist dir nicht klar, da ich ein MANN bin! Begreifst du
nicht: ICH BIN EIN MANN!
15 Minuten spter kam sie an. Sie sagte nur ein Wort: WILLIAM!
Dann ging sie rber ans Bett und packte ihn beim Ohr. Sie
war eine gebeugte alte Lady, bestimmt ber die 60. Sie packte
ihn am Ohr, zog ihn hoch und zerrte ihn, ohne sein Ohr loszulassen, durch den Flur, hinaus zum Fahrstuhl, drckte auf
den Knopf, und whrend er wimmerte und sich wand, bugsierte sie ihn in den Fahrstuhl; der Fahrstuhl fuhr abwrts
und ich hrte ihn wieder schreien: ICH BIN EIN MANN, ICH BIN
EIN MANN!
Ich ging ans Fenster und sah zu, wie sie ihn am Ohr zum
Auto zerrte, ihn reinstie, auf die andere Seite herumging
und einstieg, und dann sah ich meine einzige Nummer a tergo
entschwinden und hrte, wie er mit schwcher werdender
Stimme heulte, ICH BIN EIN MANN! ICH BIN EIN MANN!
Es erbrigt sich zu sagen, da ich ihn nie wieder sah und
auch keine besonderen Anstrengungen unternahm, ihn wiederzusehen.

136

In der Nacht, als die Drei-Zentner-Hure auftauchte, war ich


zu allem bereit. Als einziger im ganzen Lokal, wie sich zeigte.
Sie war unglaublich fett, und allzu sauber war sie auch nicht.
Kein Mensch wute, woher sie kam, was sie hier suchte und
wie sie berhaupt so lange berlebt hatte. Aber von wem
wute man das schon. Also bestellte ich Drinks fr sie und
fing an, ihr auf die Pelle zu rcken, an ihr zu schnuppern und
sie anzuheizen. Sie kicherte in einer Tour. Baby, Baby, ich
knnte dir was reindrcken, da dir das Lachen vergeht und
das groe Wimmern kommt!
Ah, hahahahaha, h a , lachte sie.
Wenn ich dir das reinsteck, geht dirs durch den ganzen Bauch
und hoch durch die Tracheen und den Oesophagus. Yeah!
Ah, hahahahaha, ha!
Verdammt, ich mach jede Wette, wenn du dich aufs Scheihaus setzt, hngen dir die Arschbacken bis auf den Boden
runter, eh? Und wenn du geschissen hast, Baby, ist die Leitung einen ganzen Monat lang verstopft. Eh?
Ah, hahahahaha, ha!
Als die Kneipe Feierabend machte, gingen wir zusammen weg.
Ich mit meinen 1,80 und 165 Pfund, und sie mit ihren 1,58
und 300 Pfund. Die einsame und lcherliche Welt walzte zusammen die Strae runter. Vor meiner Pension blieb ich stehen und suchte nach den Schlsseln.
Jeesus, hrte ich sie sagen. Was is denn d a s ?
Ich drehte mich um. Auf der anderen Straenseite stand ein
kleines, unscheinbares Gebude, an dem ein unscheinbares
Schild hing: MAGENKLINIK.
Oh, das . . . ist was zum Lachen. Na lach mal, ich hr dich
gern lachen, Baby!
Es is 'ne Leiche, sie tragen 'ne Leiche raus!
Freund von mir. Hat frher mal bei Red Grange Football
gespielt. Ich hab ihn erst heut mittag noch gesehn. Da hat er
noch ganz gesund ausgesehen. Ich hab ihm 'ne Packung Zigaretten gegeben. Die Leichen schaffen sie hier immer bei
Nacht raus. Ich seh sie jede Nacht eine oder zwei raustragen.
Bei Tag wrde es schlecht aufs Geschft wirken.
Woher weit du, da es dein Freund ist?
Ich seh's an der ganzen Figur, an der Kopfform unter dem
Leintuch. Einmal nachts war ich so voll, da ich beinah so 'ne
Leiche geklaut htte. Ich wei nicht, was ich damit angefangen htte. In den Schrank gestellt, schtze ich.

137

Wo gehn sie jetzt hin?


Die nchste Leiche holen. Was macht dein Magen?
Oh . . . gut. . . gut.
Wir gingen rauf zu mir. Irgendwie schaffte sie es, obwohl sie
einmal ins Rutschen kam und fast die ganze Wand mitgenommen htte. Wir zogen uns aus und ich stieg auf.
Menschenskind, sagte ich. La mal 'n bichen BEWEGUNG
sehn! Lieg doch nicht einfach da wie 'n groer Pudding! . . .
heb mal deine groen Baumstmme an . . . Mutti, ich kann
dich ja gar nicht FINDEN! . . .
Sie fing an zu kichern. Oh, hehehehehehe, oh, hehehehehehe!
Shit und fuck! raunzte ich. MACH MAL LOS! SHAKE IT!
Und dann fing sie wirklich richtig an. Ich klammerte mich an
und versuchte den Rhythmus zu finden. Sie rotierte ganz
schn, aber es ging nicht n u r im Kreis, sondern dazu noch rauf
und runter. Dem Kreisen konnte ich mich noch anpassen, aber
bei dem unberechenbaren Auf und Ab wurde ich mehrere
Male aus dem Sattel geworfen. Einmal gelang es mir fast,
eine jener riesigen Titten zu fassen, aber dieses schreckliche
Ding rutschte weg ber den Rand der Matratze und hing da
wie eine trge, vollgefressene Wanze. Ich warf mich wieder
zurck auf die Mitte dieser 300 Pfund und sank wieder in das
Zentrum dieses Oh, hehehehehe, oh, hehehehehe, und ritt
und klammerte mich fest, so gut es ging.
Der Himmel steh uns bei, keuchte ich in eins ihrer fetten,
heien, dreckigen Ohren.
Betrunken wie wir waren, schufteten wir weiter, wobei ich
noch fter abgeworfen wurde, aber jedesmal beharrlich wieder
aufsprang. Ich bin sicher, wir wollten beide am liebsten aufgeben, aber irgendwie fanden wir nicht den richtigen Ausstieg. Einmal griff ich mir aus purer Verzweiflung eine dieser
enormen Titten, zog das Ding wie einen lapprigen Pfannkuchen hoch und rammte mir das spitze Ende in den Mund.
Es schmeckte nach Traurigkeit, Gummi und abgestandenem
Yoghurt. Angewidert spie ich das Ding wieder aus und grub
mich tiefer ein. Schlielich schaffte ich sie. Ich meine, sie war
immer noch am Arbeiten, das mu ich ihr lassen, aber sie
fing an nachzugeben, ich hatte ihren Rhythmus gefunden und
meine Ste kamen genau, wie sie es brauchte, und schlielich, wie ein abbruchreifes Haus, das sich gegen das Einstrzen wehrt, gab sie nach, gab nach, und dann sthnte sie und

138

wimmerte wie ein Kind, und ich rucherte sie vollends aus.
Es war herrlich. Dann schliefen wir.
Als wir am nchsten Morgen aufwachten, stellte sich heraus,
da das Bett platt auf dem Boden lag. Alle vier Beine waren
abgebrochen.
Meine Gte! sagte ich. Ach du meine Gte . . .!
Wasn los, Hank?
Das Bett ist kaputt.
Hab ich mir fast gedacht.
Yeah, aber ich hab kein Geld fr ein neues.
Hm. Ich hab auch keins.
Eigentlich sollte ich dir ja auch 'n bichen Geld geben, Ann.
Nein, ich bitte dich. Du bist der erste Mann seit Jahren, bei
dem ich was gefhlt hab.
Well, vielen Dank, aber im Moment beschftigt mich das
verdammte Bett. Willst du, da ich geh?
Hm, ich will ja nicht schofel sein, aber recht war mirs schon.
Es ist wegen dem Bett. Das macht mir Kummer.
I s t doch klar, Hank. Kann ich erst noch mal schnell aufs
Klo?
Natrlich.
Sie zog sich an und ging den Flur runter und zwngte sich
in das Kabuff. Dann kam sie wieder raus, blieb an der Treppe
stehen und drehte sich um.
Goodbye, Hank.
Goodbye, Ann.
Ich kam mir richtig schofel vor, da ich sie einfach so wegschickte. Aber das mit dem Bett machte mir Sorgen. Ich erinnerte mich an ein Seil, das ich mal gekauft hatte, als ich
mich aufhngen wollte. Es war ein gutes, solides Stck Seil.
Ich stellte fest, da die Bettpfosten der Lnge nach gesplittert
waren. Man konnte sie also schienen. Ich flickte sie notdrftig
wieder zusammen. Dann zog ich mich an und ging runter.
Unten erwartete mich meine Wirtin.
Ich hab diese Frau hier rausgehen sehen. Das war eine Straendirne, Mr. Bukowski. Ich habe Grund zu der Annahme,
da sie die Nacht auf Ihrem Zimmer verbracht hat. Ich kenne
meine Mieter; die anderen wrden sowas nicht tun.
Mutti, sagte ich. Es gibt sehr wenige Mnner, die sich das
verkneifen knnen.
Ich lie sie stehen und steuerte meine Kneipe an. Die Drinks
schmeckten, aber das mit dem Bett ging mir einfach nach.

139

Idiotisch, dachte ich. Ich Leiche auf Rdern reg mich ber ein
kaputtes Bert auf. Aber es lie mir keine Ruhe. Ich go mir
noch ein paar hinter die Binde und ging wieder zurck. Wie der erwartete mich die Wirtin.
Mr. Bukowski. Mit Ihrem Seiltrick knnen Sie mir nichts
vormachen! Sie haben das Bett kaputt gemacht! Herr des Himmels, da oben bei Ihnen mu letzte Nacht wirklich was los
gewesen sein! An dem Bett sind alle VIER Beine ab!
Tut mir leid, sagte ich. Aber ich kann Ihnen das Bett nicht
ersetzen. Ich hab meine Stellung als Bus-Schaffner verloren,
und die bei Harpers' und Atlantic Monthly lehnen alle meine
Short Stories ab.
Well, wir haben Ihnen einNEUES Bett reingestellt.
Ein neues Bett?
Ja. Lila schlgt es gerade auf.
Lila war ein adrettes schwarzes Hausmdchen. Ich hatte sie
nur ein- oder zweimal zu Gesicht bekommen, da sie tagsber
arbeitete, und da war ich gewhnlich am Sumpfen.
Well, sagte ich. Ich bin ziemlich abgeschlafft. Vielleicht
sollte ich ein bichen raufgehen.
Ja, ich kann mir vorstellen, da Ihnen das guttun wrde...
Wir gingen zusammen die Treppe hoch. Am ersten Treppenabsatz hing ein handgesticktes Tuch an der Wand, auf dem
es hie: GOTT SCHTZE DIESES HAUS.
Lila! rief die Wirtin, als wir uns meinem Zimmer nherten.
Ja?
Wie weit bist du mit dem Bett?
Mann oh Mann, das Scheiding macht mich vielleicht fertig!
Da mcht man blutige Trnen furzen. Ich krieg einfach das
letzte Bein nicht dran! Ich kanns anstellen wie ich will, das
Ding PASST einfach nicht!
Wenn mich die Damen vielleicht einen Augenblick entschuldigen wollen, sagte ich. Ich mu auf'n Sprung ins Klo . . .
Ich schlo mich ein und setzte mich zu einem langsamen, aber
stetigen Bier-Wodka-Wein- und Whisky-Schi auf die alte
rissige Schssel. Ein Gestank wie tausend Ottern. Ich zog mit
letzter Kraft die Splung und ging wieder nach vorn. Als ich
vor meiner Tr stand, hrte ich drinnen einen lauten quietschenden Plumps, und dann brachen beide in ein wieherndes
Gelchter aus. Ich ging rein. Ihr Lachen erstarb. Sie blickten
pltzlich ganz rgerlich und mibilligend drein. Das Mdchen

140

rannte raus und polterte die Treppe hinunter. Unten fing sie
wieder an zu lachen. Die Wirtin baute sich im Trrahmen auf
und sah mich streng an.
Versuchen Sie bitte, sich in Zukunft zu benehmen, Mr. Bukowski. Dies ist ein anstndiges Haus.
Dann machte sie langsam die Tr zu.
Ich sah mir das Bett an. Es war aus Eisen.
Ich zog mich aus und legte mich nackt in mein neues, frisch
bezogenes Bett. Als ich mir die saubere weie Bettdecke ber
den Kopf zog, fiel mir ein, da ich schon wieder vergessen
hatte, mir die Hnde zu waschen. Was sollte es. Ein Wunder
war geschehen. Ich war gerettet. Ich schlief. Es war ein Uhr
nachmittags in Philadelphia.

Mary versuchte es mit allen erdenklichen Tricks. Aber in


Wirklichkeit wollte sie mich gar nicht verlassen. Eine typische
Abschiedsvorstellung sah etwa so aus: Sie kam aus dem Bad
und hatte ihre ganzen Haare zu einer windschiefen Frisur auf
die Seite gekmmt. Schau her! Ich go mir ungerhrt ein
Glas Wein ein und sagte in meinem besten angeekelten Tonfall: Billige Nutte, gottverdammte miese Nutte . . . Sie
machte kehrt, und als wie wieder herauskam, hatte sie statt
eines Mundes einen dicken, fetten Klacks Lippenstift im Ge sicht. Schau her! Genau wie dem Johnson seine Alte!
Nutte,
mickrige,
drittklassige
Nutte
.
.
.
Ich lie mich chzend aufs Bett fallen, barfu, in schmuddeliger Unterwsche, die ich seit mehr als einer Woche nicht
mehr gewechselt hatte, und stellte mit zittriger Hand mein
Glas auf den Nachttisch. Sie kam herber und beugte sich
ber mich.
DU BIST DIE GRSSTE DRECKSAU ALLER ZEITEN!

H hehehehe! meckerte ich.


Well, ich GEH jetzt!
Das juckt mich nicht. Blo la dir nicht einfallen, die Tr
zuzuknallen, wenn du rausgehst. Diese Trknallerei geht mir
nmlich langsam auf die Nerven. Also. Wenn du die Tr wieder zuknallst, geh ich dir mit der Kohlenschaufel nach!
Du TRAUST dich ja nicht!
Sie donnerte wahrhaftig die Tr zu. Als mich die Schockwelle
erreichte, blieb mir f a s t das Herz stehen. Ich wartete, bis die

141

Wnde aufhrten zu wackeln, dann sprang ich aus dem Bett


und strzte hinaus. Sie hrte, wie ich die Tr aufri, und fing
an zu laufen. Aber sie hatte hohe Schuhe an und kam nicht
weit. Ich holte sie auf dem ersten Treppenabsatz ein und
klebte ihr eine, da sie kopfber die restlichen Stufen hinuntersegelte. Das verschaffte mir die Mglichkeit, ihr unter
den Rock zu sehen; und als ich diese langen, prchtigen, nylonumspannten Beine in ihrer ganzen magischen Schnheit sah,
dachte ich: was fr ein Wahnsinn, all diese Herrlichkeit einfach in den Wind zu schieen! Aber es half nichts. Ich mute
Haltung zeigen. Ich drehte mich um und ging wieder hinauf,
schlo die Tr hinter mir, setzte mich hin und schenkte mir
das nchste Glas ein. Ich hrte, wie sie unten zeterte. Dann
ging eine Tr auf.
Was is los, Honey? sagte eine Frauenstimme.
Er hat michGESCHLAGEN! Mein Mann hat mich GESCHLAGEN!
(Mein MANN??)
Armes Ding! Kommen Sie, stehen Sie auf . . .
Vielen Dank.
Was wollen Sie jetzt machen?
Ich wei nicht. Ich kenne keine Menschen . . . (Verlogenes
Aas.)
Also, passen Sie auf: Sie nehmen sich jetzt ein Zimmer fr
die Nacht, und morgen, wenn er zur Arbeit geht, kommen Sie
einfach wieder zurck.
ARBEIT! heulte sie. ARBEIT? DER DRECKSACK HAT IN SEINEM
GANZEN LEBEN NOCH KEINEN EINZIGEN TAG GEARBEITET.'

Ich fand das ungeheuer witzig. Ich fand das so witzig, da


ich einen Lachkrampf kriegte. Ich mute mir das Kissen vors
Gesicht drcken, damit sie mich nicht lachen hrte. Als der
Anfall vorber war, machte ich vorsichtig die Tr auf und
schaute hinunter. Sie war weg.
Nach ein paar Tagen war sie wieder da, und alles ging wieder
von vorne los. Ich sa da in meinen schmuddeligen Unterhosen und wurde zunehmend sauer, und Mary war im Badezimmer zugange und richtete sich fr ihren nchsten Abgang.
Diesmal komm ich nicht mehr zurck! Jetzt hab ich endgltig den Kanal voll! Mir reicht's! Ich kann dich nicht mehr
ausstehen! Du bist einfach durch und durch verdorben und
verrottet!
Du bist 'n Flittchen, nichts als 'n billiges Flittchen . . .

142

Klar bin ich 'n Flittchen, sonst wrd ich ja nicht mit dir
leben . . .!
Hmmmm . . . von der Seite hab ich das noch gar nicht betrachtet.
Dann wirds aber Zeit. . .!
Ich leerte mein Glas und schenkte mir gleich wieder nach.
Hr zu, sagte ich, diesmal werde ich dich an die Tr bringen und SELBER die Tr aufmachen und wieder schlieen. Bist
du fertig?
Ich hielt ihr die Tr auf. Ich stand da in meinen Unterhosen
und mit meinem Glas Wein in der Hand und wartete. Komm,
komm, mach schon. Ich will mich hier nicht erklten. Bringen
wirs hinter uns. Hm? Es pate ihr gar nicht. Sie ging durch
die Tr, blieb stehen und drehte sich nach mir um.
Na los, zisch ab. Vielleicht kannst du dem Zeitungsjungen,
dem der rechte Daumen fehlt, du weit schon, der mit der
vernarbten Visage, vielleicht kannst du dem fr 5 Mark deine
Syph-Spritze
andrehen.
Toodle-uuh,
Schtzchen.
Ich machte Anstalten, die Tr zu schlieen, und sie packte
ihre Handtasche mit beiden Hnden und hob sie hoch ber
den Kopf. Du ELENDES Dreckstck! Ich sah die Handtasche
niedersausen und blieb einfach stehen, mit einem kleinen, un-.
gerhrten Lcheln auf den Lippen. Ich hatte etliche Schlgereien mit ziemlich harten Burschen berstanden, und eine
Frau mit Handtasche war das letzte, wovor ich mich frchtete.
Das Ding sauste auf mich herunter. Ich sprte es. Sehr sogar.
Sie hatte eine ganze Reihe Cremeptte aus Porzellan, anscheinend waren die alle da drin. Das Ding traf mich wie ein Fels brocken.
Baby, sagte ich. Ich hatte immer noch den Trknauf in der
Hand und mein stilles Lcheln im Gesicht, aber ich konnte
mich nicht bewegen, ich war wie gelhmt.
Wieder sauste die Handtasche nieder. Hr zu, Baby . . .
Und wieder.
Oh, Baby . . .
Meine Beine gaben nach. Und whrend ich langsam in die
Knie ging, hatte sie oben mehr Platz zum Ausholen, und jetzt
kam sie erst richtig in Fahrt, schneller und wtender kamen
ihre Schlge, als wollte sie mir den Schdel knacken. Das war
der dritte K. O. in meiner bewegten Karriere, aber der erste,
der
mir
von
einer
Frau
beigebracht
wurde.
Als ich wieder zu mir kam, war die Tr zu und ich war allein.

143

Ich sah Blut auf dem Boden. Glcklicherweise hatte ich Linoleum in der ganzen Wohnung. Ich rappelte mich auf, watschte
durch das Zeug und steuerte die Kche an, wo ich fr besondere Anlsse eine Flasche Whisky verwahrte. Dies war ein
besonderer Anla. Ich kpfte die Flasche, und bevor ich mir
ein Glas einschenkte, go ich mir eine Portion auf den Skalp.
Dann kippte ich das Glas in einem Zug. Das elende Weibsstck hatte versucht, mich UMZUBRINGEN! Unglaublich! Fr
einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, sie wegen
versuchten Totschlags anzuzeigen. Aber es war zu riskant.
Wahrscheinlich htten mich die Bullen gleich mit eingebuchtet.
Wer wei, vielleicht htten sie sich das Schauspiel nicht entgehen lassen, mich mit ihr zusammen in eine Zelle zu sperren!
Das Apartment lag im vierten Stock. Ich zwitscherte noch einen Whisky und ging zum Schrank. Ich griff mir ihre Kleider,
Schuhe, Hosen, Schlpfer, BHs, Slipper, Strumpfgrtel, den
ganzen Mist, und schichtete es am Fenster auf. Das verdammte Hurenstck hat versucht, mich zu killen . . . Neben
dem Haus war eine Baugrube. Ich warf das Zeug aus dem
Fenster. Ich warf es wild durch die Gegend. Die Fhnchen landeten auf den Hecken, auf den Bumen, auf dem Bauzaun,
oder flogen einfach in die Grube. Ich fhlte mich wieder besser. Ich leerte die Flasche, holte einen Putzlappen und wischte
den Boden auf.
Am nchsten Morgen drhnte mir der Schdel. Ich betastete
meinen Skalp und stellte fest, da ich einen dicken roten
Kamm aus geronnenem Blut hatte. Es ging auf Mittag zu. Ich
stieg die Treppen runter und ging durch den Hintereingang
auf den Hof hinaus, um die Kleider und das ganze Zeug wieder aufzusammeln. Es war weg. Ich ging um die Baustelle
herum. Das Zeug war verschwunden. Im Hinterhof des Nachbarhauses hantierte ein alter Knacker mit einer Maurerkelle.
Ich ging zu ihm hin.
Sagen Sie mal, haben Sie hier zufllig ein paar Kleider rumliegen sehen?
Was fr Kleider?
Na, Weiberklamotten.
Ja, sind hier in der Gegend gelegen. Hab den Kram aufgelesen und die Heilsarmee angerufen, damit sie es abholen.
Das waren die Kleider von meiner Frau.
Ich hab gedacht, die hat jemand weggeschmissen.

144

Es war ein Versehen.


Well, ich hab sie noch da. Inner Schachtel.
Sie ham sie noch? Hren Sie: kann ich sie wiederhaben?
Klar. Aber ich hab gedacht, die hat jemand weggeschmis sen.
Der alte Knacker ging ins Haus, und nach einer Weile brachte
er einen Karton angeschleppt.
Thanks, sagte ich.
Schon gut.
Ich klemmte mir den Karton unter den Arm und ging wieder
rauf.
Am spten Abend kam sie zurck, mit Eddie und der >Herzogin< im Kielwasser. Sie brachten Wein mit. Ich schenkte die
Glser voll. Eddie sah sich in der Wohnung um. Sieht richtig sauber aus hier, sagte er.
Hr zu, Hank, sagte Mary. Lassen wir doch die Streitereien. Es macht mich einfach krank. Und weit du, eigentlich
lieb ich dich doch. Ich lieb dich wirklich.
Yeah.
Die >Herzogin< sa teilnahmslos da, die Haare fielen ihr bers
Gesicht, ihre Strmpfe waren zerrissen und dnne Sp eichelfden liefen ihr aus den Mundwinkeln. Ich merkte sie mir im
Geiste vor. Sie hatte so einen kranken sexy -Look. Ich schickte
Mary und Eddie weg, um mehr Wein zu holen. Sie hatten kaum
die Tr hinter sich zugemacht, als ich mich auf die Herzogin
strzte und sie aufs Bett warf. Sie war nichts als Haut und
Knochen und sah irgendwie sehr theatralisch aus. Das arme
Ding hatte wahrscheinlich seit zwei Wochen nichts Anstndiges mehr gegessen. Ich puderte ihr einen ber, einen auf die
schnelle. Als die beiden anderen zurckkamen, saen wir wieder auf unseren Sthlen, als sei nichts gewesen.
Ungefhr nach einer Stunde flaute die Unterhaltung ab, und
wir saen nur noch herum mit unseren Glsern in der Hand.
Pltzlich streckte die Herzogin ihre Hand aus und zeigte mit
ihrem toten knochigen Finger auf mich. Er hat mich vergewaltigt, sagte sie mit vllig tonloser Stimme. Er hat mich
vergewaltigt, whrend ihr den Wein geholt habt.
Du glaubst doch nicht, was sie sagt, oder?
Natrlich glaub ichs, sagte Ed die.
Also wenn du einem Freund sowas zutraust, dann ist hier
kein Platz mehr fr dich! Mach, da du verschwindest!
Die Herzogin lgt nicht. Wenn sie sagt, da du . . .

145

VERSCHWINDET, IHR GOTTVERDAMMTEN


SCHEISSER!
Ich stand auf und schleuderte ein volles Glas an die Wand.
Ich auch? fragte Mary.
DU AUCH!
Oh Hank, ich hab gedacht, es ist endlich Schlu mit diesen
Szenen. Ich bins wirklich langsam leid . . .
Sie verdrckten sich. Eddie voran, dann die Herzogin, dann
Mary. Die Herzogin wiederholte stndig: Er hat mich vergewaltigt, ich sag euch, er hat mich vergewaltigt. Er hat mich
vergewaltigt, wenn ich euch sage . . . er hat mich vergewaltigt . . .
Als sie gerade aus der Tr waren, packte ich Mary am Arm.
Komm rein, du Miststck!
Ich zerrte sie ins Zimmer und kickte die Tr zu. Dann gab ich
ihr einen heien, saftigen Ku und griff mir eine pralle Hlfte
ihres Hinterns.
Oh, Hank . . .
Sie mochte das.
Hank, Hank, du hast doch dieses Knochengestell nicht wirklich gepimpert, oder?
Ich gab ihr keine Antwort, ich bearbeitete sie einfach weiter.
Ihre Handtasche fiel zu Boden. Sie langte mir mit einer Hand
zwischen die Beine und fing an, mir die Eier zu massieren. Ich
war pltzlich mde. Ich brauchte eine Schnaufpause.
Ich hab deine ganzen Klamo tten aus dem Fenster geschmissen, sagte ich.
Was?! Sie bekam groe Augen und nahm ihre Hand weg.
Aber ich bin runter und hab sie wieder aufgelesen.
Ich ging zum Tisch und schenkte zwei Glser voll.
Du weit, da du mich um ein Haar erledigt httest, nicht?
Waas?
Ja,
erinnerst
du
dich
denn
nicht
mehr?
Ich sank vllig gebrochen auf einen Stuhl und lie den Kopf
hngen, damit sie ihr Werk auch richtig begutachten konnte.
Sie kam herber und sah sich meinen ramponierten Skalp an.
Oh, mein armer Junge. Mein Gott, das tut mir aber leid ...
Sie beugte sich ber mich und kte meinen blutverkrusteten
Kamm. Ich langte ihr unter den Rock. Sie machte JUCH! Und
dann balgten wir uns wieder, in diesem elenden Loch, zwischen den Weinlachen und Glassplittern auf dem Boden. In
dieser Nacht wrde es keine Prgelei geben, es gab kein Ge sindel rauszuwerfen, wir waren allein, unsere Schatten tanz146

ten auf dem blanken, ausgetretenen Linoleum, die Liebe hatte


gesiegt.

Es war im French Quarter in New Orleans, ich stand auf dem


Trottoir (sic) und sah einem Italiener zu, der an einem betrunkenen Franzosen seine schlechte Laune auslie. Er fragte
ihn: Bist du 'n Franzos?, und der Franzose sagte: Ja, ich
bin Franzose. Der Itakker langte ihm eine und fragte wieder:
Bist du 'n Franzos? Und der Franzose sagte wieder ja und
fing wieder eine. Wie ein mechanisches Ballett. Und das Merkwrdige ist, jedesmal wenn ihm der Itakker eine latschte,
sagte er: Ich bin dein Freund, ich bin dein Freund, ich will
dir doch nur helfen, begreifst du das denn nicht? Und der
Franzose sagte ja und kriegte wieder eine gelangt.
Nun ja, ich war allerhand gewhnt. Aber da war noch ein
Franzose. Er sa in seinem Wagen und rasierte sich im Rckspiegel im Schein einer Taschenlampe. Er sa da, das ganze
Gesicht voller Rasiercreme, und schabte sich mit einem langen
Rasiermesser die Stoppeln aus dem Gesicht. Er ignorierte vllig, was um ihn herum vorging. Aber dann kam sein Landsmann unter den Schlgen des Itakkers ins Wanken und stolperte auf den Wagen zu. Er hielt sich am Trgriff fest und
sagte Hilfe. Der Itakker verpate ihm noch eine, er fiel
gegen den Wagen und das Ding kam ins Schaukeln. Auf der
anderen Seite ging die Tr auf und der Fahrer sprang heraus. Du elender Hund! brllte er. Auf seiner linken Backe
begann sich durch den weien Schaum ein roter Striemen abzuzeichnen. Er ging auf seinen Landsmann zu und zog dem
Strenfried mit blitzschnellen Bewegungen das Rasiermesser
bers Gesicht; und als der aufheulte und die Hnde vors Ge sicht schlug, schlitzte er ihm die Handrcken auf. Du elender Hund! Du dreckiger Sauhund!
Ich war erst seit zwei Tagen in der Stadt und fand es langsam
etwas schwierig, mich an die Verhltnisse zu gewhnen. Ich
ging in die nchste Kneipe und setzte mich an die Bar. Ein
Typ neben mir lehnte sich herber und fragte: Bist du 'n
Franzos, oder bist du Italiener? Weder noch, sagte ich. Ich
bin in China geboren. Mein Vater war dort Missionar. Er ist
von 'nem Tiger gefressen worden, als ich noch 'n kleines Kind
war . . .

147

Glcklicherweise blieben mir weitere Fragen erspart, weil in


diesem Augenblick die Band zu spielen anfing. Ich bestellte
ein Bier. Dann kam ein anderer zu mir her und setzte sich
neben mich. Mein Name ist Sunderson. Sie sehen aus, als
ob Sie Arbeit suchen.
Was ich brauch, ist Geld. Auf Arbeit bin ich nicht gerade
scharf.
Sie mten nur jede Nacht ein paar Stunden hinter der Kasse
sitzen. Und was ist dabei drin?
18 Dollar die Woche. Vorausgesetzt, die Kasse stimmt...
Und wie wollen Sie mich daran hindern, da ich nicht mit
der Kasse trme?
Ich heuere noch einen an. Auch fr 18 Dollar die Woche. Der
pat auf Sie und die Kasse auf.
Sind Sie 'n Franzos?
Sunderson. Schotte. Entfernter Verwandter von Winston
Churchill.
Ah. Ich hab mir gleich gedacht, da bei Ihnen was nicht ganz
in Ordnung ist.
Es war eine Art Tankstelle. Sie gehrte einem Taxiunternehmen. Die Fahrer kamen an zum Tanken, ich kassierte und
deponierte das Geld in der Kasse. Die meiste Zeit dste ic h
auf meinem Stuhl vor mich hin. Der Job lie sich ganz gut
an, abgesehen von gelegentlichen Streitereien mit den Fahrern, die unbedingt wollten, da ich ihnen beim Reifenwechsel
half. Dann hngte sich einer dieser italienischen Jungs ans
Telefon, klingelte den Bo aus dem Bett und beschwerte sich
ber meine mangelhafte Arbeitsmoral. Aber ich hatte meine
Anweisungen. Ich hatte nichts zu tun als Benzin zu zapfen
und auf das Geld aufzupassen. Und der Alte hatte mir gezeigt, wo die Pistole lag und wie sie funktionierte.
Nur htte er sich da fast geschnitten. Ich hatte nmlich nicht
das geringste Interesse, fr 18 Dollar in der Woche eine volle
Kasse zu bewachen. Das Dumme war, da mir mal jemand
unmiverstndlich klargemacht hatte, da unrecht Gut nicht
gedeiht, wie er sich ausdrckte. Und das sa so tief, da ich
einfach nicht dagegen ankam.
In der vierten Nacht stand pltzlich eine junge Negerin in der
Tr. Sie stand gut und gerne 3 Minuten lang da und lchelte
mich an. Schlielich sagte sie: Na, wie l ufts denn so? Ich
heie Elsie.
Nicht besonders, sagte ich. Ich heie Hank.

148

Sie kam herein. Sie hatte ein dnnes braunes Kleid an. Und
whrend sie auf mich zukam, schien so etwas wie Elektrizitt
im Raum zu knistern.
Sie lehnte sich an den alten Schreibtisch, hinter dem ich sa.
Kann ich einen Soft-Drink haben?
Klar.
Sie gab mir das Geld. Ich sah ihr zu, wie sie den Deckel von
der Khltruhe nahm und nach vielem Hin und Her eine Limo nade herausholte. Sie setzte sich auf einen Barhocker in der
Ecke, hob kurz die Flasche in meine Richtung und trank sie
runter. Ich sah, wie die Luftblasen in der Flasche im Schein
der Lampe aufblitzten. Ich starrte sie an. Ihren Krper. Ihre
Beine. Mir wurde ziemlich warm ums Herz. Es war einsam in
der Bude, wenn man Nacht um Nacht auf seinem Stuhl vor
sich hindmmerte. Und das fr 18 Dollar die Woche.
Sie gab mir die leere Flasche zurck.
Thanks.
Yeh.
Was dagegen, wenn ich morgen nacht 'n paar Freundinnen
mitbringe?
Wenn sie nur halb so dufte sind wie du, Sweetie, dann nichts
wie her damit.
Die sind alle wie ich.
Na dann bis morgen.
In der nchsten Nacht kam sie an mit drei oder vier Freundinnen; sie saen herum, lachten, redeten durcheinander und
machten sich ber die Soft-Drinks her. Sie waren jung, voller
Leben und Energie, es kam Stimmung in die Bude, und mein
Job fing an mir Spa zu machen. In der Nacht darauf waren sie
zu acht, und eine Nacht spter waren es 13 oder 14. Sie begannen Whisky und Gin mitzubringen, und ich brachte mir
auch einigen Stoff mit. Elsie war eine Marke fr sich; sie
setzte sich bei mir auf den Scho, und nach einiger Zeit
sprang sie pltzlich auf die Beine und schrie: Hey, Menschenskind, willst du mir meine EINGEWEIDE oben rausschieben
mit deiner dicken FAHNENSTANGE?! Sie funkelte mich an und
tat uerst pikiert, und die restlichen Girls lachten, bis ihnen
die Trnen herunterliefen. Ich sa da, vllig konfus und entgeistert, und lchelte in die Runde. Sie waren alle unerreichbar fr mich, aber irgendwie war es eine gute Show. Ich fing
richtig an aufzutauen.
Wenn drauen ein Fahrer hupte, stand ich schwankend auf,

149

trank langsam mein Glas aus, holte die Knarre aus der Schublade und sagte zu Elsie: Also, Baby, du nimmst jetzt die
Knarre und bewachst den Zaster in der Kasse, und wenn eins
von diesen Girls eine dumme Bewegung macht, dann blst du
ihr 'ne Kugel durch die Mse, klar?
Und Elsie stand da mit dieser enormen Luger in der Hand.
Es war eine merkwrdige Kombination. Sie hatte es in der
Hand, ob jemand aus Versehen draufging oder nicht, whrend
ich drauen an der Zapfsule stand . . .
Und dann kam eines Nachts Pinelli, einer der italienischen
Fahrer, herein und wollte einen Soft-Drink. Sein Name war
so ziemlich das einzige, was ich an ihm mochte. Er war einer
von denen, die mich stndig fr irgendwelche Hilfeleistungen
einspannen wollten. Reifenwechsel und so. Ich hatte nichts
gegen Italiener an sich, aber es beunruhigte mich doch, da
mir die italienische Landsmannschaft seit meiner Ankunft am
meisten Kummer zu machen schien. Pinelli kam also hereingestelzt. Und ich meine wirklich: gestelzt. Die Girls waren in
Hochstimmung. Sie ignorierten ihn vollkommen. Er ging an
die Khltruhe und hob den Deckel ab.
VERDAMMT-, DIE GANZEN SOFT-DRINKS SIND WEG! WER HAT DIE
SOFT-DRINKS WEGGESOFFEN?!

Ich, sagte ich.


Es wurde sehr still. Die Girls blickten interessiert herber.
Elsie stand direkt neben mir und beobachtete ihn. Pinelli sah
ganz gut aus, wenn man nicht so genau hinschaute. Adlernase, schwarzes Haar, enge Hosen. Dazu seine schnen blitzenden Augen. Im Geiste glaubte man sogar eine kleine herrische Gebrde mit einer unsichtbaren Reitpeitsche zu sehen.
DIESE GIRLS WAREN ES! UND DIE HABEN HIER DRIN NICHTS ZU
SUCHEN!
DIESE
DRINKS
SIND
NUR
FR
TAXIFAHRER!
Er kam nher und pflanzte sich vor mich hin. Dabei stellte er
seine Beine leicht auseinander. Genau wie ein Huhn, bevor es
kackt.
UND WEISST DU, WAS DAS FR GIRLS SIND? HM?

Klar, sagte ich. Das sind alles meine Freunde.


NEE, DAS SIND ALLES NUTTEN! SIE ARBEITEN IN DREI VERSCHIEDENEN BORDELLEN UM DIE ECKE! NUTTEN SIND DAS, ALLE ZUSAMMEN!

Keiner sagte etwas. Wir standen schweigend um ihn herum


und starrten ihn an. Nach einer Ewigkeit drehte er sich um
und ging hinaus. Fr einen Augenblick harte ich mir Sorgen

150

um Elsie gemacht. Sie hatte die ganze Zeit die Knarre in der
Hand gehabt. Ich ging hin und nahm sie ihr weg.
Fast htt ich diesem Scheier einen neuen Bauchnabel verpat, sagte sie. Ich will verdammt sein, wenn den nicht 'ne
vergrtzte Nutte ausgeschissen hat!
Und im nchsten Augenblick war die Bude leer. Ich hockte
allein da mit meinem Glas in der Hand.
Ich machte die Kasse auf und warf einen Blick hinein. Es
schien nichts zu fehlen.
Gegen 5 in der Frhe kam der Bo rein.
Bukowski.
Mr. Sunderson?
Ich mu Sie entlassen.
Wieso, was is kaputt?
Die Jungs sagen, Sie htten hier lose Sitten einreien lassen,
der ganze Laden voller Nutten mit raushngenden Titten und
Beine breit und so, und Sie sollen dazwischen rumgekrochen
sein und geleckt und gemacht und so, und das Nacht fr
Nacht! Stimmt das?
N, kann man eigentlich nicht sagen . . .
Also jedenfalls, ich werde hier jetzt selber nach dem Rechten
sehen, bis ich einen vertrauenswrdigen Mann fr den Job
finde.
Tja, wenn Sie meinen . . . Es ist Ihre Show, Sunderson.
Es mu ungefhr zwei Nchte spter gewesen sein. Ich war in
einer Bar gewesen und beschlo, auf dem Nachhauseweg mal
bei der alten Tankstelle vorbeizuschauen. Als ich ankam, waren drei berfallwagen da.
Ein Stck weiter erkannte ich Marty mit seinem Wagen. Er
war einer der wenigen Fahrer, mit denen ich gut auskam. Ich
ging zu ihm hin.
Was isn hier los, Marty?
Sunderson hamse abgestochen, und 'n Fahrer hamse mit der
Knarre umgelegt.
Jessas, wie im Kino. Und der Fahrer, den's erwischt h a t : war
das Pinelli?
Yeah! Wie kommst du drauf?
Loch im Bauch?
Yeah, yeah! Woher weit du 'n das?
Ich gab keine Antwort. Ich drehte mich um und machte mich
wieder auf den Weg. Ich wei nicht, entweder war ich voll
oder der Mond, jedenfalls lief mir unterwegs pltzlich das

151

Wasser aus den Augen. Hm. Elsie, die sagenhafte schwarze


Nutte. Ich htte was drum gegeben, wenn ich sie htte sehen
knnen, wie sie dem gelackten Affen ein Loch in den Pelz
gebrannt hat.
Ich ging weiter durch die ausgestorb enen Straen von New
Orleans. Ich machte einen Umweg und fand einen Laden, der
noch offen hatte. Der Verkufer stellte die Flasche vor mich
hin, lie aber seine Hand dran. Er lehnte sich ber den Ladentisch, hielt die andere Hand auf und sah mich von unten herauf an. Ich sttzte mich leicht auf die Kante, fischte die dreckigen Mnzen aus meiner Jackentasche, hielt sie mit spitzen
Fingern hoch (ich sah, wie seine Augen der Bewegung folg ten) und lie sie einzeln an seiner ausgestreckten Hand vorbei
auf den Boden fallen,

Ah, sagte mein Freund Lou. Ich glaub, ich habs!


Yeah?
Yeah. Wir mssen das Ding aber gemeinsam drehen.
In Ordnung.
Also. Du erzhlst gute Geschichten, ich meine, du hast da so
'ne Ader dafr. Sie brauchen ja nicht wahr zu sein . . .
Sie sind immer wahr.
Gut, in Ordnung, aber in diesem Fall i s t das vllig wurscht.
Also pa auf, wir machen das so: da unten an der Strae ist
so 'ne mondne Bar. Molino's. Du kennst den Laden. Da
gehst du rein. Alles, was du brauchst, ist das Geld fr den
ersten Drink. Dafr legen wir zusammen. Du hockst dich also
an die Bar und lt dir Zeit mit deinem Drink und siehst dich
um nach einem Typ, der groe Scheine ausfhrt. Da sitzen
immer einige drin, die gestopft sind. Und wenn du einen hast,
gehst du zu ihm rber und fngst an, deine Geschichten zu
erzhlen. Aber so richtig loslegen, verstehst du, du mut ihn
richtig einwickeln. Versuch dir vorzustellen, du httest so 'ne
richtige Schlagseite. Wenn du voll bist, entwickelst du 'n ganz
beachtlichen Wortschatz . . . einmal hast du sogar behauptet,
du wrst ein Arzt. . . damals hast du mir 'ne Dickdarm-Operation in allen Einzelheiten geschildert. . . O. K., also du wikkelst ihn ein, er wird dir Drinks bestellen, und du mut natrlich darauf bestehen, da er die ganze Nacht mithlt. Und
wenn die Bar schliet, gehst du mit ihm in Richtung Alvarado

152

Street, an der kleinen Sackgasse vorbei. Erzhl ihm, da du


ihm 'ne saftige junge Pussy verschaffen kannst, erzhl ihm,
was du willst, Hauptsache, du fhrst ihn an dieser Sackgasse
vorbei. Dort werd ich auf ihn warten. Mit dem da . . .
Lou fummelte hinter der Tr und brachte einen enormen
Baseballschlger zum Vorschein.
Mann Gottes! sagte ich. Willst du den Kerl umlegen?
Aach was, ein Besoffener geht nicht so schnell drauf, das
solltest du am besten wissen! Ich werd ihn nur fr 'ne Weile
aus'm Verkehr ziehen. Wir nehmen ihm die Brieftasche ab
und machen halbe-halbe.
Und das letzte, an was er sich erinnern wird, ist, da ich ihn
begleitet hab.
Das s timmt allerdings.
Ich glaub, ich mach lieber das mit dem Baseballschlger...
Ausgeschlossen. Das mu ich machen. Du mut das Quatschen besorgen. Ich hab nicht so'n guten Vortrag wie du.
Also ich kann das nicht, einen so hopps nehmen . . . das geht
mir gegen den Strich, dazu bin ich zu anstndig . . .
Du und anstndig. Du bist der kaltschnuzigste Knochen, der
mir je vorgekommen ist. Deshalb mag ich dich ja so gern ...
Ich fand einen. Einen richtigen Fettsack. Fr solche Scke hatte
ich mein Leben lang gearbeitet und war von ihnen aus allen
mglichen sinnlosen und unterbezahlten Jobs gefeuert worden. Langsam begann mir die Idee zu gefallen. Es wrde mir
gut tun.
Ich quatschte ihn an. Ich lie meine Platten ablaufen. Was ich
alles redete, wurde mir gar nicht recht bewut. Ich fhlte nur,
da sich meine Lippen bewegten. Aber er hrte zu, lachte,
nickte mit dem Kopf und lie die Drinks anfahren. Er hatte
eine massive Armbanduhr, an jedem Finger einen Ring, und
eine pralle Brieftasche. Es war harte Arbeit, aber mit den spendierten Drinks kam ich einigermaen ber die Runden.
Ich erzhlte ihm Stories aus dem Knast, von den Track-Gangs
bei der Eisenbahn und aus dem Bordell. Die Bordellgeschichten
gefielen ihm am besten. Ich erzhlte ihm von dem Kerl, der
sich nackt in die leere Badewanne setzte, whrend die Nutte
ein Abfhrmittel nahm, und nach einer Stunde kam sie rein
und zog ihren Dnnschi ber ihm ab, und ihm ging einer
ab, der bis an die Decke spritzte.
Oh nein, WIRKLICH?
Oh ja. Wirklich.

153

Dann erzhlte ich ihm von einem, der regelmig alle zwei
Wochen ankam und gut bezahlte. Er ging mit der Nutte aufs
Zimmer, sie zogen sich aus und spielten Karten. Nach zwei
Stunden war er soweit. Konnte es nicht mehr erwarten, seine
Klamotten wieder anzuziehen. Geld auf'n Tisch und raus. Und
die Nutte nie angelangt.
Donnerwetter! sagte der Fette und sah vllig entgeistert
drein.
Yeah, sagte ich.
Er hatte nichts als Scheie im Kopf, das stand fest. Und je
lnger ich seinen dicken Schweineschdel ansah, des to wohliger wurde mir beim Gedanken an den Augenblick, wenn der
Baseballschlger
darauf
niedersausen
wrde.
Mgen Sie junge Girls? fragte ich.
Oh yeah, yeah, yeah!
So um die 15?
Oh mein Gott, ja!
Ich erwarte eine aus Chicago heut nacht. Sie wird so kurz
nach 2 in meiner Wohnung sein. Sie i s t sauber, intelligent
und hat 'n irres Temperament. Ich geh natrlich ein kleines
Risiko ein, wenn ich Ihnen das so sage. Sie mssen mir also
vertrauen. Sagen wir 10 Dollar im voraus und 10, wenn Sie
fertig sin d. Oder ist Ihnen das zu hoch . . .?
Aber nein! Vllig in Ordnung! Er fischte einen Zehner aus
der Tasche.
O. K. Wenn die hier dicht machen, kommen Sie mit mir.
Klar. In Ordnung.
Und dann hat die Kleine aber auch noch solche Sporen. Silberne Sporen mit Rdchen aus Rubinen. Die kann sie anlegen
und Ihnen was vorreiten, whrend Sie sich die Eier am Abbrechen sind. Was meinen Sie dazu? Das kostet allerdings
5 Dollar extra.
Ah, nein, vielleicht doch lieber ohne die Sporen.
Schlielich wurde es 2 und ich ging mit ihm raus und steuerte
ihn in Richtung auf unsere Stelle. Hoffentlich war Lou nicht
irgendwo versumpft oder hatte Schi gekriegt. Vielleicht
machte er sich doch Sorgen, da er dem Typ aus Versehen den
Schdel zertrmmern knnte. Im stillen war ich froh, da ich
nur das Reden zu besorgen hatte . . . Wir schwankten im
Mondlicht die Strae hinunter. Weit und breit war niemand
zu sehen. Alles wrde g l a t t gehen.
Wir kamen an die vereinbarte Ecke. Lou war da.

154

Aber der Dicke sah ihn, er machte eine Bewegung mit dem
Arm und duckte sich. Der Schlag verfehlte ihn und traf mich.
Direkt hinter dem Ohr.
Whrend ich zu Boden ging, zuckte mir fr den Bruchteil einer Sekunde der Gedanke durch den Kopf: Wenigstens hab
ich den Zehner . . . wenigstens etwas . . .
Und dann lag ich in der Seitengasse im Dreck, zwischen alten
Kondomen, Zeitungsfetzen, demolierten Waschmaschinen, Ngeln, Streichholzschachteln, vertrockneten Regenwrmern, in
einer schmierigen Gasse voller nasser, sadistischer Schatten,
wo sich rachitische Tunten im Morgengrauen mit klammen
Hnden gegenseitig einen runterholten und der rasselnde
Atem von streunenden, bis aufs Skelett abgemagerten Katzen
aus den dunklen Ecken drang.
Undeutlich hrte ich noch, wie der Dicke die Flucht ergriff;
dann sprte ich Lous Hand, die mir den Zehner aus der Tasche zog; dann ri der Film.
Der steinreiche Bonze hockte in seiner Heimsauna und heulte.
Er hatte das Gesamtwerk von J. S. Bach auf Schallplatten,
aber das half nichts. Er hatte Butzenscheiben in der ganzen
Wohnung, er hatte ein Bild von einer Nonne, die ihre Rcke
hob und in den Rinnstein pite, und auch das ntzte nichts.
Einmal hatte er in der Wste von Nevada bei Vollmond einen
Taxifahrer zu Tode foltern lassen und dabei zugeschaut; das
mbelte ihn etwas auf, aber nach einer halben Stunde hatte
auch diese Geschichte ihren Reiz fr ihn verloren. Er fesselte
Hunde an alte Grabkreuze und brannte ihnen mit seinen
5-Dollar-Zigarren die Augen aus. Kalter Kaffee. Er hatte
so viele junge, unschuldige Dinger defloriert, da ihn auch
das nicht mehr juckte. Jetzt war er quengelig und verbittert. Er brannte teures exotisches Rucherwerk ab, whrend
er badete. Er schttete seinem Butler die Cocktails ins Gesicht.
Der reiche Bonze war ein kmmerlicher, alter, beschissener
Knacker.
Dann sa er mir an seinem Schreibtisch gegenber. Immer
noch liefen ihm die Trnen ber das aufgeschwemmte Gesicht.
Ich steckte mir eine von seinen teuren Zigarren an.
Tu doch endlich was, um HIMMELS willen, hilf mir doch!
schrie er.
Es war Zeit fr meinen Akt. Augenblick, sagte ich.
Ich machte seine Spezialtruhe auf, holte den schweren schwarzen Ledergrtel heraus. Ich hielt ihn so, da das Ende mit

155

der massiven Metallschnalle nach unten hing. Er zog seinen


Bademantel aus und legte sich ber den Tisch. All das ungesunde, weie, schwammige Fleisch, der eklige, schwabbelige, haarige Arsch . . . Ich holte weit aus und drosch mit dem
metallenen Ende des Lederriemens auf ihn ein.
ZAP! ZAP!
ZAP! ZAP! ZAP!
Er fiel vom Tisch. Er kroch am Boden herum wie ein Krebs,
der nach dem Ozean Ausschau hlt. Ich folgte ihm mit dem
Riemen.
ZAP!
ZAP!
ZAP !
Dann beugte ich mich zu ihm hinunter, und whrend er zweioder dreimal wild aufbrllte, drckte ich die Zigarre auf ihm
aus.
Dann lag er still. Er hatte ein verklrtes Lcheln auf dem
Gesicht. Ich ging in die Kche. Am Kchentisch hockte sein
Anwalt und trank Kaffee.
Fertig? fragte er.
Yeah.
Neben seiner Kaffeetasse lag ein dickes Bndel Geldscheine.
Er pellte umstndlich fnf Zehner ab und schob sie mir ber
den Tisch. Ich merkte, da ich immer noch die Zigarre in der
Hand hatte. Ich warf sie in den Ausgu.
Meine Fresse, sagte ich. Scheie nochmal.
Yeah, sagte der Anwalt. Ihr Vorgnger hat es nur einen
Monat ausgehalten.
Ich schenkte mir einen Kaffee ein. Die Kche war ganz gemtlich.
Also dann nchsten Mittwoch wieder, sagte er.
Wollen Sie's nicht mal fr mich machen?
ICH? Nee, ich bin viel zu sensibel . . .!
Wir lachten. Ich lie 2 Stck Wrfelzucker in meinen Kaffee
fallen.

Es war dunkel in der alten chinesischen Wscherei. Wir hrten,


wie er oben ber die aufgestellte Klappe stolperte, und dann

156

kam er ber die schrge Rutsche nach unten geschlittert. Maxfield zog ihm mit dem Stiel einer Zimmermannsaxt eine ber
und brach ihm das Genick. Wir durchsuchten seine Taschen.
Wir hatten den Falschen erwischt.
Oh shit, sagte Maxfield.
Oh shit, sagte ich.
Ich ging rauf ins Bro und rief Steinfeit an.
Rabbit. Ram. Kay. Remus. Hard, sagte ich.
Shoot. Bugger. Damn. Lame, sagte Steinfelt.
Spooks, sagte ich. Spooks down tender.
FUCK YOU, sagte Steinfeit und hngte auf.
Als ich wieder runterkam, lag Maxfield schmatzend auf der
Leiche.
Aha, ich hab dich schon immer im Verdacht gehabt, sagte
ich.
Maxfield schaute auf und bleckte die Zhne. Bugger, bugger
reeme, raunzte er.
Was hat'n DAS damit zu tun? fragte ich.
Gluub, machte er.
Ich hockte mich auf eine ausrangierte Waschmaschine.
Hr zu, sagte ich. Wenn wir eine bessere Welt scharfen
wollen, mssen wir den Kampf nicht nur auf der Strae austragen, sondern auch in unseren Kpfen. Auerdem, wenn
unsere Frauen ihre Fungel nicht sauberhalten knnen, steht
zu befrchten, da sie es auch mit der brigen Krperhygiene
nicht allzu ernst nehmen. Also immer erst Inspektion machen.
Und bei den Fuzehen anfangen.
Gluub, machte er. Er sttzte sich auf und entfernte der
Leiche mit seinem Schnappmesser die Augpfel. Auf dem
Messergriff war ein Hakenkreuz eingraviert. Er sah aus wie
Celine in seinen besten Tagen. Er schluckte die Augpfel
runter.
Eine Zeitlang saen wir schweigend da.
Dann fragte er: Hast du >Widerstand, Rebellion und Tod<
gelesen?
Ich frchte, ja.
In der hchsten Gefahr liegt unsere grte Hoffnung.
Hast du mal 'ne Zigarette?
Klar, sagte er.
Ich steckte sie an und drckte ihm die brennende Spitze leicht
auf den Handrcken.
Oh shit, sagte er. Hr doch mit diesem Tinnef auf.

157

Du kannst von Glck sagen, da ich dir das Ding nicht in


den Arsch gesteckt hab.
Schn wrs, seufzte er.
Ausziehen! kommandierte ich.
Er gehorchte.
Arschbacken auseinander!
Er gehorchte.
Ich gelobe, intonierte er, bei der . . .
Aus einem Lautsprecher im Obergescho kam Rimsky Korsakovs Scheherazade. Ich hielt ihm die rotglhende Zigarettenspitze zwischen die Backen.
Unngggg, machte er.
So. Gehen wir der Sache mal auf den Grund, sagte ich und
drckte ihm das Ding rein.
Mann, sagte er, Mann Gottes . . .!
Jeder macht mal 'ne kleine Dummheit, sagte ich ungerhrt.
Aber WER bringt es fertig, mit der dummen, arroganten
Glorie seines genialen Irrsinns zu leben?
Nur einer: CHARLES BUKOWSKI!
Maxfield, sagte ich, du bist gar nicht so bld wie ich gedacht hab. Ich zog ihm die Zigarette a u s dem Hintern,
schnupperte daran und warf sie in die Ecke.
Also, im Ernst, sagte ich, das mit Camus ist gar nicht so
schwer zu verstehen . . . wenn du mir folgen kannst. . . ein
Brukk, ein Banko, ein Sestina-vik . . . all das . . . brillanter
Schreiber, gewi, ABER ... letzten Endes doch umgefallen ...
Wovon redest du eigentlich?
Von den Briefen an COMBAT , von den Reden fr L'Amitie
Francaise, von den Erklrungen, die er im DominikanerKloster von Latour-Maubourg abgegeben hat. Und seine Antwort an Gabriel Marcel. Und die Rede im Gewerkschaftshaus
von Saint-Etienne am 10. Mai 1958. Und die Tischrede anllich eines Banketts zu Ehren von Prsident Eduardo Santos,
ehemaliger Herausgeber von >Il Tiempo<, und von der Junta
aus Kolumbien vertrieben. Und der Brief an M. Aziz Kessous.
Und das Interview in >Demain< im Oktober 1957. Mit anderen Worten: weich geworden, sich abkauen lassen, seine
Position aufgegeben. Er starb in einem Auto, das er lngst
nicht mehr steuerte . . .
Trotzdem, sagte er, was fr ein Recht haben wir, auf den
Mann zu scheien? Wer sind wir denn schon kleine Nummern . . . mit Flinten, Schreibmaschinen, anonymen Briefen

158

unter der Tr . . . rudige alte Kter, die versuchen, einem


groen Toten ans Bein zu pissen . . .
Ach, fick dich doch nichts ins Knie . . ., sagte ich.
Wir schwiegen eine lange Zeit. Schlielich sagte ich: Was
machen wir jetzt mit dieser Leiche?
Wieso? Hab ich doch schon erledigt. . .
Ich meine JETZT . . .
Jetzt bist du dran.
Vergi es.
Wir schwiegen und starrten den toten Krper an.
Warum sprichst du nicht mit Steinfeit? fragte Maxfield.
Warum ich . . .
Ja, warum denn nicht?
Mensch, du gehst mir vielleicht auf die Nerven.
Ich ging rauf und nahm den Hrer ab. Er fhlte sich an wie
ein groer, schlaffer Negerschwanz. Meine Hand war feucht
und verschwitzt.
Steinfeit, sagte ich.
Was meinst du, wer das 9. Rennen gewonnen h a t ? fragte
er, Harness oder Del Mr?
Harness.
Falsch getippt. Jonboy Star. 5 Mille gemeldet. Davor in Spokane waren es sechs, Asaphr im Sattel. Am Start die 8. Sechs
zu zwoeinhalb. Jetzt die 2. Jack Williams bernahm. Morning Line 4. Mit 7/2 erffnet. Nach letzten Wetten auf 2/1 herunter. Gewann spielend.
Und auf wen hast du gesetzt?
Smoke Concert.
Na also. Was soll der Quatsch.
Rabbit Ram Kay Remus. Hard.
Spooks, sagte ich. Spooks down tender.
FUCK YOU, sagte Steinfeit und hngte auf.
Ich ging wieder runter. Copelands >Fanfare for the Common
Man< drhnte aus dem Lautsprecher. Maxfield machte sich
wieder an der Leiche zu schaffen.
Ich sah ihm eine Weile zu.
Mein lieber Freund, sagte ich, unser Job ist nicht einfach.
Denk an Afrika, denk an Vietnam, denk an Watts und Detroit; denk an die Boston Red Sox und das L. A. Landesmuseum. Oder sonst was. Denk dran, wie beschissen du im
Spiegel aussiehst.
Blubb, sagte Maxfield.

159

Der unaufhaltsame Untergang des Alten Westens. Noch zehn


Jahre. Hchstens noch zehn Jahre, lieber Spengler. Oswald.
OSWALD??? Le Harvey Oswald Spengler.

Miriam und ich hatten eine Art Gartenhaus gemietet, was


ganz praktisch war Miriam ging arbeiten, und ich kmmerte mich um die Tulpen und Bohnen und fhrte den Hund
aus. Das war alles, was ich tat; wenigstens nach auen hin.
Die Miete war minimal und die Nachbarn lieen einen in
Ruhe, sogar wenn man im Suff randalierte. Wenn die Miete
fllig war, mute man dem Hausbesitzer geradezu damit
nachlaufen. Er war Autohndler und schwamm im Geld. Wenn
man ihm dezent andeutete, da man mit der nchsten Miete
vielleicht ein oder zwei Wochen in Verzug geraten wrde,
sagte er nur: Schon gut. Nur, tun Sie mir den Gefallen
und geben Sie das Geld nicht meiner Frau. Sie suft mir in
letzter Zeit zuviel, und ich mchte nicht, da das ins Kraut
schiet. . .
Es war ein gemtliches Arrangement. Miriam arbeitete als
Stenotypistin in einem groen Mbelgeschft. Morgens war
ich meistens zu verkatert, um sie an den Bus zu bringen; aber
abends holte ich sie immer mit dem Hund an der Haltestelle
ab. Wir hatten zwar einen Wagen, aber der blieb mir allein
vorbehalten, da sie unfhig war, das Ding anzulassen. Ge whnlich wachte ich gegen halb elf auf, lie mir Zeit mit dem
Aufstehen, sah nach den Blumen, trank einen Kaffee und ein
Bier und ging dann raus in die Sonne und rieb mir den Bauch.
Dann spielte ich mit dem Hund, was ziemlich ermdend war,
denn er war ein riesiges Tier, grer als ich selbst. Deshalb
verzog ich mich bald wieder ins Haus, rumte ein bichen auf,
machte das Bett, sammelte die leeren Flaschen auf und splte
das Geschirr. Noch ein Bier, ein kurzer Blick in den Khlschrank, um mich zu vergewissern, da noch etwas zu essen
fr sie da war, und dann wurde es Zeit fr den Rennplatz.
Nach dem letzten Rennen konnte ich es gerade noch bequem
schaffen, sie rechtzeitig an der Haltestelle abzuholen.
Es war ein schnes Leben. Es war zwar nicht gerade wie
Monte Carlo, aber ich fhlte mich doch ganz wohl dabei.
Schlielich war ich nicht besonders verwhnt. Ich schlief besser, sah besser aus und fickte besser als zuvor. Es war wirk-

160

lich nicht schlecht. Trotzdem, ich sprte, da es auf die Dauer


nicht gutgehen wrde . . .
Es fing an, als ich die Dame kennenlernte, die in dem Haus
vorne an der Strae wohnte. Zuerst war es ganz harmlos. Ich
sa auf der Veranda, trank mein Bier und warf den Ball fr
den Hund. Und sie kam heraus, breitete ein Badetuch auf dem
Rasen aus und nahm ein Sonnenbad. Man mute sehr genau
hinsehen, um zu bemerken, da sie einen Bikini anhatte. Er
bestand nur aus ein paar dnnen Fden. Und einen KRPER
hatte die Dame . . . Whrend der ersten paar Tage beschrnkten wir uns auf einen flchtigen Gru. Sie sagte Hi und
ich sagte Hi, und viel mehr wurde nicht gesprochen. Ich
mute vorsichtig sein. Miriam kannte schlielich die ganze
Nachbarschaft.
Aber dieser KRPER . . . Hin und wieder schafft die Natur einen
Krper, an dem alles stimmt , sogar der Hintern. Gewhnlich
ist es der Hintern, der aus der Reihe tanzt er ist entweder
zu gro oder zu platt oder zu rund oder nicht rund genug,
oder er hngt einfach vllig beziehungslos da, als sei er im
letzten Augenblick grad noch so drangeklatscht worden. Aber
bei der hier stimmte sogar der Hintern. Allmhlich fand ich
heraus, da sie Renie hie und da sie in einem der kleinen
Klubs an der Western Avenue als Stripper arbeitete. Sie hatte
ein paar harte Linien im Gesicht. Ein typisches Los-AngelesGesicht. Man ahnte, da sie einiges mitgemacht hatte, als sie
noch jnger war; und jetzt war sie vorsichtig geworden und
behielt ihre Deckung oben, als wolle sie sagen: Fuck you, Brother. .. jetzt bestimme ich, wie die Schlge verteilt werden.
Eines Morgens sagte sie zu mir: Ich mu jetzt immer hier
hinten hin zum Sonnenbaden. Krzlich ist mir da vorne der
alte Dreckskerl von nebenan auf die Pelle gerckt und hat
versucht, mich abzufummeln.
Tatschlich?
Ja. Die alte Sau. Bestimmt schon an die 70, aber seine drekkigen Griffel kann er immer noch nicht weglassen. Da ist ein
Kerl, der kommt jeden Tag und bringt seine Frau zu dem
Alten. Und der Alte steigt mit ihr in die Federn, und sie
liegen den ganzen Tag in der Falle und saufen und vgeln.
Und abends kommt der Mann wieder und holt seine Frau ab.
Die denken wahrscheinlich, wenn der Alte abkratzt, vermacht
er ihnen sein Geld. Steinreich, der Alte. Solche Leute machen
mich einfach krank. Da unten in dem Klub, wo ich arbeite,

161

der Kerl, dem der Laden gehrt, so'n groer, fetter Itakker,
Gregario heit er, der sagt also eines Tages zu mir: >Baby<,
sagt er, >wenn du fr mich arbeiten willst, dann mut du immer fr mich da sein, und nicht nur wenn du auf der Bhne
stehst.< Und ich hab zu ihm gesagt: >Schau her, George, ich
bin eine Knstlerin. Wenn dir mein Akt so, wie er ist, nicht
pat, dann steig ich aus!< Ich hab einen Freund von mir angerufen und wir haben meine ganzen Sachen da rausgeholt,
und kaum waren wir bei mir zu Hause, da hat schon das
Telefon geklingelt. Gregorio natrlich. >Schau, Honey<, sagt
er, >du mut zurckkommen! Der Laden luft einfach nicht,
wenn du nicht hier bist. Alle fragen sie nach dir. Bitte, komm
zurck, Baby. Ich respektiere dich als Knstlerin und als Frau.
Du bist 'ne groartige Frau . . .
Ham Sie Lust auf ein Bier? fragte ich sie.
Klar.
Ich ging ins Haus und holte ein paar Flaschen aus dem Khlschrank. Renie setzte sich zu mir auf die Veranda, und wir
fingen an zu trinken.
Was machst du so den ganzen Tag? fragte sie.
Zur Zeit gar nichts.
Du hast 'ne nette Freundin.
Ja, die is O. K.
Und was hast du frher gemacht?
Alles mgliche. Lauter miese Jobs. Nichts besonderes.
Ich hab mich mal mit Miriam unterhalten. Sie sagt, du malst
und schreibst Gedichte. Du bist ein Knstler.
In ganz seltenen Augenblicken bin ich ein Knstler, in der
brigen Zeit bin ich nichts.
Ich mchte gern, da du mal meinen Akt siehst.
Ich geh nicht gern in diese Klubs.
Ich hab 'ne Bhne in meinem Schlafzimmer.
Was??
Komm, ich zeigs dir.
Wir gingen rber in ihr Apartment. Tatschlich, sie hatte eine
Bhne im Schlafzimmer. Sie nahm fast den ganzen Raum ein.
Auf der Seite war ein Teil durch einen Vorhang abgetrennt.
Sie brachte mir einen Whisky. Dann ging sie auf die Bhne
und verschwand hinter dem Vorhang. Ich hockte auf dem
Bett und nippte an meinem Drink. Dann hrte ich Musik.
Slaughter on Tenth Avenue. Dann teilte sich der Vorhang
und sie schlngelte sich heraus.

162

Ich go den Rest meines Drinks herunter und beschlo, diesen


Nachmittag nicht zum Pferderennen zu gehen.
Nach und nach fielen die Hllen. Sie fing an zu stoen und
sich zu winden. Sie hatte mir die Flasche neben das Bett gestellt; ich langte rber und go mir einen krftigen Schu ein.
Inzwischen hatte sie nur noch die dnne Schnur mit dem kleinen Perlenvorhang an. Wenn sie den Unterleib nach vorne
stie, sah man die magische Bchse. Dann war die Platte zu
Ende. Sie war wirklich gut.
Bravo, bravo! applaudierte ich.
Sie kam herunter und steckte sich eine Zigarette an.
Hat es dir wirklich gefallen?
Klar. Jetzt wei ich, was Gregario meint, wenn er sagt, du
hast Klasse.
All right, was meint er denn?
Erst brauch ich noch 'n Drink.
Schn. Ich nehm auch einen.
Also, Klasse ist etwas, das sieht man, das fhlt man. Das
kann man nicht erklren. Auch bei Mnnern kann man es
sehen. Und bei Tieren. Trapezknstler, zum Beispiel, wenn
sie in die Arena kommen. Sie haben so etwas in ihrem Gang,
in ihrer ganzen Haltung. Etwas, das von INNEN heraus durchscheint. Das hast du auch, wenn du tanzt. Dein ganzer Tanz
lebt von dem, was du in dir hast.
Ja, so empfinde ich es auch. Fr mich ist es nicht nur so 'n
mechanisches Sex-Gehupfe. Es ist ein Gefhl. Innerlich spreche
ich und singe ich, wenn ich tanze.
Wei Gott, das tust du, das hab ich gemerkt.
Aber weit du, ich mchte gern, da du mich kritisierst. Ich
mchte, da du mir Anregungen gibst. Ich mchte noch besser
werden. Deshalb hab ich auch diese Bhne hier, zum ben.
Sprich zu mir, whrend ich tanze. Du mut dich nicht genieren, was zu sagen.
O.K. Noch'n paar Drinks und ich schtze, ich werd auftauen.
Klar. Bedien' dich nur.
Sie verschwand wieder hinter dem Vorhang. Als sie wieder
herauskam, hatte sie ein anderes Kostm an. Und sie hatte
eine neue Platte aufgelegt.
When a New York baby says goodnight
it's early in the morning
good night sweetheart. . .

163

Die Musik war so laut, da ich geradezu brllen mute. Ich


kam mir vor wie ein abnormaler, fettarschiger Hollywoodregisseur.
DU DARFST NICHT LCHELN, WENN DU RAUSKOMMST. DAS IST
VULGR. DENK DRAN, DU BIST EINE LADY. DU LSST DICH HERAB,
VOR DIESEN MACKERN ZU ERSCHEINEN. WENN GOTT NE MSE HATTE,
DANN WRST DU GOTT. DU MUSST NUR NOCH ETWAS GELSTER
WERDEN. DU BIST EINE HEILIGE, DU BIST EINSAME KLASSE! ZEIGS
IHNEN!
Ich go mir Whisky nach. Ich fand eine Packung Zigaretten
auf dem Bett und rauchte eine nach der anderen.
J A ! GENAU SO! DU MUSST DIR VORSTELLEN, DU BIST GANZ ALLEIN.
KEIN PUBLIKUM. UND DU SEHNST DICH NACH LIEBE, NACH DER
LIEBE HINTER ALL DEM SEX, HINTER ALL DER QUAL.'

Ihr Kostm begann sich aufzulsen.


JETZT SAG ETWAS, GANZ UNVERHOFFT! ZISCH ETWAS INS PUBLI KUM, BER DIE SCHULTER, WHREND DU DICH VON DER RAMPE

WEGDREHST! WAS DIR GRAD EINFLLT! SAG IRGENDWAS! so WAS


WIE >POTATOES HURL MIDNIGHT ONIONS<!

Potatoes hurl midnight onions! zischte sie.


NEIN! NEIN! DU SOLLST SELBER WAS SAGEN!
Chippy chippy suck nuts! zischte sie.
Ich verschluckte beinahe die Eiswrfel. Ich go mir schnell
einen neuen Whisky nach.
UND JETZT TEMPO, AUFS GANZE GEHEN! RUNTER MIT DEN FHN CHEN.' ZEIG MIR DIE EWIGE MSE!

Sie tat es. Das ganze Schlafzimmer stand in Flammen.


UND JETZT SCHNELLER! SCHNELLER! ALS OB DU DEN VERSTAND
VERLOREN HTTEST! ALS OB DU ALLES UM DICH HERUM VERGISST!
Und sie legte los. Ich war sprachlos. Die Zigarette versengte
mir die Finger.
UND JETZT WERD' ROT!
Sie errtete tatschlich.
UND JETZT LANGSAMER! LANGSAM, GANZ LANGSAM! AUF MICH
ZU! LANGSAM, LANGSAM ...! JA! DIE GANZE TRKISCHE ARMEE
HAT EINEN STEIFEN? NHER! AUF MICH ZU! JAAA ! . . .
Ich wollte gerade auf die Bhne springen, als sie wieder
zischte: Chippy chippy suck nuts! Und da war es zu spt.
Es ging mir in die Hose.
Ich go noch ein Glas runter, sagte ihr goodbye, ging wieder
rber zu mir, nahm ein Bad, rasierte mich, splte das Geschirr,

164

nahm den Hund an die Leine und kam gerade noch zurecht,
um Miriam an der Haltestelle in Empfang zu nehmen. Sie war
mde und abgespannt.
War das mal wieder ein Tag, sagte sie. Eins von diesen
blden Mdchen ist rumgegangen und hat smtliche Schreibmaschinen gelt. Die Dinger haben berhaupt nicht mehr
funktioniert. Wir muten einen aus der Reparaturwerkstatt
holen. Der hat uns angebrllt: >Verdammt, wer hat die ganzen Dinger gelt?< Und dann ist uns Connors ins Kreuz getreten, damit wir die verlorene Zeit wieder aufholen und
diese blden Rechnungen fertig kriegen. Ich hab so auf die
Tasten gehmmert, da ich ganz taube Finger hab.
Du siehst trotzdem blendend aus, Baby, sagte ich. Du wirst
jetzt ein schnes heies Bad nehmen, und nach ein paar Drinks
fhlst du dich wieder ganz prchtig. Ich hab pommes frites im
Ofen und wir haben Steaks und Tomaten, und dazu ein frisches heies Knoblauchbrot.
Zu Hause hockte sie sich auf einen Stuhl, kickte ihre Schuhe
in eine Ecke und sagte: Ich bin einfach hundemde. Ich
brachte ihr einen Drink. Sie nippte daran und sah aus dem
Fenster. Wie schn doch unsere Stangenbohnen sind, wenn
abends die Sonne so durchkommt, sagte sie seufzend.
Sie war eben nur ein nettes kleines Mdchen aus New
Mexico.
Well, ich sah Renie noch ein paarmal wieder, aber es war nie
mehr so wie beim erstenmal, und wir hatten nie was miteinander. Erstens mute ich wegen Miriam vorsichtig sein, und
zweitens hatte ich mich so in die Vorstellung von Renie als
Knstlerin und Lady hineingesteigert, da ich es fast selber
glaubte. Und jede Intimitt htte unser striktes KnstlerKritiker-Verhltnis gestrt. So wie es war machte es eigentlich auch viel mehr Spa.
Als die Geschichte schlielich platzte, war es nicht Renie, die
mich verpfiff, sondern die kleine fette Frau des Garagenwarts
im Hinterhaus. Sie kam eines Morgens gegen 10 rber, um
sich etwas Kaffee oder Zucker zu borgen. Sie hatte nur so
einen dnnen, losen Morgenmantel an, und als sie sich vorbeugte, um ihren Kaffee oder was wei ich in Empfang zu
nehmen, fielen ihr die Titten raus.
Es war richtig gewhnlich. Sie wurde rot und richtete sich
schnell auf. Ich sprte, wie alles hei wurde. Wie wenn ich
von einer tonnenschweren Masse purer Energie eingeschlossen

165

sei, die mich stndig bearbeitete. Im nchsten Augenblick


hatte ich sie an mich gerissen. Ich dachte daran, da ihr Mann
vermutlich gerade auf seinem kleinen Rollschlitten unter einem Wagen lag und fluchend mit einem schmierigen Schraubenschlssel hantierte. Ich bugsierte sie ins Schlafzimmer. Sie
war eine fette kleine Butterpuppe. Es war gut. Dann ging sie.
Wir hatten die ganze Zeit kein Wort gesagt.
An einem der nchsten Abende, wir saen gerade gemtlich
bei einem Drink, sagte Miriam: Ich hre, du hast die kleine
Dicke von da hinten gebimst.
Na, sagte ich, so dick ist sie eigentlich gar nicht.
Das spielt jetzt auch keine Rolle. Jedenfalls kann ich sowas
nicht haben. Wenigstens solange ich hier fr das Geld sorge.
Mit uns zwei ist Schlu.
Kann ich nicht wenigstens heut nacht noch bleiben? fragte
ich. Nein.
Aber wo soll ich denn hin?
Von mir aus geh zum Teufel.
Nach all der Zeit, die wir zusammen waren?
Nach all der Zeit, ja.
Ich versuchte sie umzustimmen. Es ntzte nichts. Es wurde
nur noch schlimmer.
Ich hatte schnell gepackt. Meine paar alten Klamotten fllten
den kleinen Pappkoffer nicht einmal zur Hlfte. Glcklicherweise hatte ich noch etwas Geld. Ich fand ein hbsches, billiges Apartment am Kingsley Drive. Zuerst begriff ich nicht
recht, wieso Miriam das mit der kleinen Dicken herausgekriegt
hatte, ohne gleichzeitig auch der Sache mit Renie auf die Spur
zu kommen. Aber wahrscheinlich wute sie auch davon. Vermutlich steckten sie alle unter einer Decke. Frauen haben so
eine
Art,
sich
untereinander
zu
verstndigen.
Manchmal, wenn ich die Western Avenue hinunterfuhr, sah
ich auf den Aushang am Klub. Da stand ihr Name: Renie
Fox. Aber sie war nicht die Hauptattraktion. Das war eine
andere. Ihr Name leuchtete in dicken Neonbuchstaben. Renies
Name stand zusammen mit zwei oder drei anderen auf einem
Pappkarton. Ich ging nie rein.
Miriam sah ich noch einmal wieder, vor einem Thrifty Drugstore. Sie hatte den Hund dabei. Er sprang mich an und wedelte. Ich ttschelte ihn.
Naja, sagte ich, wenigstens der Hund vermit mich.
Das merk ich auch, sagte sie. Deshalb hab ich ihn mal

166

genommen und bin rber zu dir, aber bevor ich auf die Klin gel gedrckt hab, hat da drin bei dir so 'n Flittchen gekichert.
Ich wollte nicht stren und bin wieder gegangen.
Das mut du dir eingebildet haben. Bei mir ist noch nie je mand gewesen. Ich hab mirs aber nicht eingebildet.
Hr zu, sagte ich. Ich sollte vielleicht mal abends bei dir
vorbeischauen . . .
Nee, das solltest du nicht. Ich hab jetzt einen sehr netten
Freund. Er hat einen guten Job. Er ARBEITET, verstehst du? Er
geniert sich nicht, was zu arbeiten!
Und damit drehte sie sich um, und damit verschwanden Frau
und Hund aus meinem Leben. Ich sah ihnen nach, wie sie
weggingen und ihre Hinterteile schlenkerten. Ich stieg in den
Wagen. Ich stand an der Kreuzung und wartete, bis es grn
wurde. Dann gab ich Gas und fuhr weg. In die andere Richtung.

Ich lernte sie in einer Buchhandlung kennen. Sie trug einen


sehr kurzen, engen Rock und Schuhe mit enorm hohen Abstzen, und ihre Titten zeichneten sich sogar noch unter ihrem
weiten blauen Pullover sehr deutlich ab. Ihr Gesicht war irgendwie streng, sie trug kein Make-up, und ihre Unterlippe
schien etwas schief zu hngen; aber bei einem solchen Krper
konnte man das schon in Kauf nehmen. Man erwartete unwillkrlich, da sich ein massiver, bulliger Macker in ihrer
Nhe aufhielt. Ihre Augen schienen keine Pupillen zu haben,
man sah nur ein endloses, tiefes, schwarzes Leuchten. Ich
stand da mit einem Wlzer ber Pferderennen in der Hand.
Ich beobachtete sie, wie sie sich ab und zu niederbckte sie
kramte in einem der unteren Fcher mit Fachliteratur ber
Mystik und okkulten Kram und so , und dabei zeigte sie
mir jedesmal ihre strammen Schenkel und einen Hauch von
Arsch.
Ich ging zu ihr hin. Entschuldigen Sie, sagte ich, Sie haben
so eine magische Anziehungskraft. Ich fhle mich einfach unwiderstehlich zu Ihnen hingezogen. Ich glaube, es sind Ihre
Augen . . . Gott, sagte sie, zieht uns unwiderstehlich in
seinen Bann.
Sie sind Gott. Sie sind mein Schicksal, sagte ich. Darf ich
Sie zu einem Drink einladen?

167

Gern.
Wir gingen in die Bar um die Ecke, und dort blieben wir, bis
die Bar schlo. Sie redete vllig wirres mystisches Zeug. Ich
tat das gleiche. Und das half. Ich brachte sie dazu, da sie
mit auf mein Zimmer ging, und sie war eine ganz groe
Nummer.
Ich machte ihr ungefhr 3 Wochen lang den Hof, und dann
fragte ich sie, ob sie mich heiraten wolle. Eigentlich htte mir
schon bei ihrem Namen etwas auffallen mssen. Sie hie
nmlich Yevonna. Jedenfalls, sie sah mir lange in die Augen.
Sie sah mich so lange an, da ich frchtete, sie htte die Frage
womglich schon lngst wieder vergessen. Schlielich machte
sie den Mund auf: Als o gut. Aber ich heirate dich nicht aus
Liebe. Es ist nur . . . ich fhle, ich MUSS dich heiraten, es ist
meine Bestimmung. Wenn es nur aus Liebe wre . . . das wre
nicht recht. . . das wrde nicht gut gehen . . . Aber so . . . Ich
fhle, da es so sein mu.
O. K., Sweetheart, sagte ich.
Wir waren kaum verheiratet, als die kurzen Rcke und die
hochhackigen Schuhe verschwanden und sie tagaus tagein in
einem langen roten Morgenrock aus Kordsamt umherlief. Und
das Ding war nicht mal allzu sauber. Und darunter hatte sie
stndig ein Paar zerfledderte blaue Schlpfer an. In diesem
Aufzug ging sie auch auf die Strae, ins Kino, berall hin.
Und beim Frhstck lie sie mit Vorliebe ihre rmel in die
Butter hngen.
Anfangs sagte ich noch: He, du schmierst dich ja ganz mit
Butter voll!
Aber sie reagierte nie darauf. Statt dessen schaute sie zum Beispiel aus dem Fenster und rief: OOOOOOH! Ein Vogel! Dort
auf dem Baum, SIEHST du ihn? Oder: OOOOOOH! Eine Spinne!
Schau doch, dieses liebe kleine Geschpf Gottes! Ich LIEBE
Spinnen! Ich kann Leute, die etwas gegen Spinnen haben, einfach nicht verstehen! DU hast doch nichts gegen Spinnen,
Hank, oder?
Hm. Darber hab ich mir eigentlich noch keine Gedanken
gemacht. Nun, die ganze Wohnung wimmelte von Spinnen
und Fliegen und Wanzen. Und alle waren sie liebe kleine
Geschpfe Gottes.
Als Hausfrau war sie eine Katastrophe. Sie bestand darauf,
das sei vllig unwichtig. Ich dagegen hatte sie im Verdacht,
da sie einfach stinkfaul war und auerdem ein bichen eigen.

168

Ich war gezwungen, ein Dienstmdchen einzustellen. Es hie


Felicia.
Eines Nachts kam ich nach Hause und berraschte die beiden,
wie sie die Rckseite eines Spiegels mit irgendeiner Salbe
beschmierten und darber beschwrende Bewegungen mit den
Hnden machten und merkwrdige Laute von sich gaben. Als
sie mich sahen, schrien sie auf, rannten weg und versteckten
den Spiegel vor mir.
Also ich will verdammt sein, sagte ich, was ist denn das
fr ein Zirkus hier?
Keines Fremden Auge darf auf den Magischen Spiegel fallen, sagte Yevonna.
Das stimmt, sagte Felicia. Aber dann stellte sich heraus,
da auch Felicia lngst keinen Finger mehr krumm machte
und die Wohnung allmhlich wie ein Saustall aussah. Auch
sie hatte die fixe Idee, das sei alles unwichtig.
Entlassen wollte ich sie allerdings nicht, denn auf der Matratze
war sie fast so gut wie Yevonna. Auerdem konnte sie ganz
gut kochen, wobei mir jedoch oft nicht klar war, WAS sie mir
da eigentlich auftischte.
Dann wurde Yevonna schwanger, und immer hufiger wurde
mir von Nachbarn hinterbracht, da sie sich in meiner Abwesenheit immer merkwrdiger auffhrte. Sie selbst erzhlte
mir, sie habe stndig solche irren Trume, und ein Dmon
sei im Begriff, von ihr Besitz zu ergreifen. Sie beschrieb mir
das Ding. Der seltsame Macker schien ihr in zweierlei Gestalt
zu erscheinen. Eine davon hatte groe hnlichkeit mit mir.
Das andere war eine Kreatur mit dem Gesicht eines Menschen, dem Krper einer Katze, Beinen und Krallen wie ein
Adler, und Flgeln wie eine Fledermaus. Die Erscheinung
sprach nie zu ihr, aber allein das Ansehen schien sie auf komische Gedanken zu bringen. Einer dieser komischen Gedanken war, da ich an ihrem ganzen Elend schuld sei; und das
lste eine unbndige Zerstrungswut in ihr aus. Nur lie sie
ihre Wut nicht an den Schmeifliegen und Wanzen aus oder
an dem Dreck und dem Schmant, der sich berall ansammelte,
sondern an Dingen, die mein gutes Geld gekostet hatten. Sie
ramponierte die Mbel, ri die Jalousien herunter, verbrannte
die Vorhnge, zerfetzte die Couch, warf ganze Rollen Toilettenpapier durch die Zimmer, lie die Badewanne berlaufen
und setzte die ganze Wohnung unter Wasser. Auerdem
fhrte sie endlose Ferngesprche mit Leuten, die sie kaum

169

kannte. Wenn sie einen dieser Anflle hatte, blieb mir in der
Regel nichts anderes brig, als mit Felicia ins Bett zu steigen
und drei oder vier Nummern nach allen Regeln der Kunst abzuziehen, bis ich aus reiner Erschpfung alles um mich herum
verga.
Schlielich brachte ich Yevonna so weit, da sie sich bereit
erklrte, einen Psychiater aufzusuchen. Na schn, sagte sie,
wenn du meinst. . . Aber glaub mir, das ist kompletter Nonsens, du bildest dir das alles nur ein. In Wirklichkeit hast
nmlich du einen Dachschaden.
All right, Baby, sagte ich, aber berlassen wir das doch
dem Fachmann, hm?
Hol schon mal den Wagen raus, sagte sie. Ich komm gleich
nach. Ich wartete drauen im Wagen. Als sie herauskam,
hatte sie einen engen Rock an, hohe Schuhe, nagelneue Nylons
an den Beinen und makelloses Make-up im Gesicht. Sogar
frisiert hatte sie sich zum erstenmal seit unserer Hochzeit.
Gib mir einen Ku, Baby, sagte ich. Ich werd schon ganz
scharf.
Nein. Erst zum Psychiater.
Als wir schlielich dem Psychiater gegenbersaen, htte sie
sich nicht normaler auffhren knnen. Kein Wort von dem
Dmon. Sie lachte, wenn der Mann einen Scherz machte, sie
kam nie ins Plappern, sie lie immer den Doktor zuerst kommen. Er kam zu dem Schlu, da sie in ausgezeichneter krperlicher und geistiger Verfassung sei. Da sie in ausgezeichneter krperlicher Verfassung war, wute ich selbst.
Wir stiegen wieder in den Wagen und fuhren zurck. Zu
Hause hatte sie sich im Nu umgezogen und lief wieder in
ihrem dreckigen Morgenmantel herum. Und ich stieg wieder
mit Felicia ins Bett.
Die Erscheinungen des Dmons hrten auch nach der Geburt
unseres ersten Kindes nicht auf. Yevonna behauptete steif und
fest, da er sie nach wie vor peinigte. Sie wurde langsam
schizophren. Sie konnte ganz ruhig und umgnglich sein, und
im nchsten Augenblick fing sie an zu keifen und zu sabbern
und drehte durch.
Manchmal, wenn sie in der Kche stand, hrte ich so ein hliches, lautes, heiseres, bellendes Gerusch. Es klang wie eine
Mnnerstimme. Ich strzte rein und fragte: Was hast du
denn, Schatz?

170

Und sie sah mich ganz khl an und sagte ruhig: Was meinst
du denn?
Na, sagte ich dann, da will ich doch ein dreckiger Motherfucker sein . . .! Ich schenkte mir einen krftigen Drink ein
und verzog mich wieder.
Eines Tages gelang es mir, einen Psychiater ins Haus zu
schmuggeln, whrend sie wieder einen ihrer Anflle hatte. Er
stimmte mir zu, da sie nicht mehr alle Tassen im Schrank
hatte, und riet mir, sie in eine Anstalt einweisen zu lassen.
Ich fllte die ntigen Formulare aus, und ein Hearing wurde
anberaumt. Wieder kam sie mit ihrem kurzen Rock und den
hohen Schuhen an. Aber diesmal spielte sie nicht die kleine
normale, kichernde Ziege, diesmal kehrte sie die Intelligenzbestie heraus. Sie hielt einen brillanten Vortrag ber ihren
intakten Geisteszustand. Sie stellte mich als hinterhltigen
Ehemann hin, der sich auf schbige Weise seiner Frau entledigen will. Sie brachte es fertig, die Aussagen mehrerer Zeugen als vllig erstunken und erlogen vom Tisch zu fegen. Sie
trieb zwei vom Gericht bestellte Gutachter in die Enge und
brachte sie dazu, die Waffen zu strecken. Schlielich brach der
Richter das Hearing ab und erklrte: Das Gericht findet keinen hinreichenden Grund, der die Einweisung von Mrs. Radowski
in
eine
Anstalt
rechtfertigen
wrde.
Ich chauffierte sie wieder nach Hause und sie schlpfte wieder in ihren abgerissenen, verdreckten Morgenmantel. Wei
Gott, sagte ich, wegen dir dreh ich am Ende noch selber
durch.
Du HAST ja lngst einen Schaden, sagte sie. Warum steigst
du nicht wieder mit Felicia ins Bett, damit du wenigstens
deine Zwangsvorstellungen los wirst.
Genau das tat ich auch. Aber diesmal stand Yevonna neben
dem Bett und sah zu. Sie rauchte eine Kingsize-Zigarette aus
einem langen Elfenbein-Mundstck und lchelte die ganze
Zeit. Ich machte mir nichts daraus. Vielleicht war sie inzwischen vllig hinber und wrde in Zukunft keine Scherereien
mehr machen.
Aber damit war es nichts. Am nchsten Abend, als ich von
der Arbeit kam, stellte mich der Hausbesitzer in der Einfahrt.
Mr. Radowski! Mr. Radowski, Ihre Frau, IHRE Frau hat schon
wieder mit den Nachbarn Streit angefangen, und in Ihrer
Wohnung hat sie smtliche Fenster eingeschlagen! Ich mu
Sie bitten, die Wohnung auf der Stelle zu rumen!

171

Wir packten und fuhren zu Yevonnas Mutter nach Glendale.


Die alte Dame war noch ganz gut in Schu, aber der stndige
Budenzauber mit Rucherwerk, Beschwrungsformeln und magischen Spiegeln ging ihr bald so auf die Nerven, da sie uns
nahelegte, uns auf ihre Farm bei San Francisco zu verziehen.
Wir lieen das Baby bei ihr und fuhren rauf. Dort stellte sich
allerdings heraus, da die Farm von einem Pchter besetzt
war, einem gewissen Final Benson, der entschlossen schien,
seine Stellung um jeden Preis zu halten. Ich hab dieses Land
mein ganzes Leben lang bearbeitet, und hier kriegt mich
keiner runter. KEINER . Und da er eins-neunzig gro war
und gut 3 Zentner wog, mieteten wir uns im Nachbarhaus
ein und beschlossen, die Sache einem Rechtsanwalt zu bergeben.
Aber schon in der ersten Nacht ereignete sich etwas, das die
ganze Situation grundlegend nderte, ich war gerade dabei,
mit Felicia das neue Bett auszuprobieren, als ich aus dem
Wohnzimmer ein frchterliches Sthnen hrte. Auerdem
klang es, als krache die Couch aus allen Fugen. Moment,
sagte ich und stellte das Rammeln ein. Es hrt sich so an,
als ob Yevonna Schwierigkeiten hat.
Und in der Tat, sie hatte Schwierigkeiten: Final Benson war
nmlich dabei, sie nach allen Regeln der Kunst zuzureiten. Es
war ein berwltigendes Schauspiel. Benson leistete die Arbeit
von vier Mnnern zugleich. Ich schlich mich zurck ins Schlafzimmer und schob meine kleine Nummer zu Ende.
Am nchsten Morgen war Yevonna nirgends zu sehen. Ich
mchte nur wissen, wo dieses behmmerte Weibsbild wieder
steckt, murmelte ich. Erst als ich mit Felicia beim Frhstck
sa und zufllig aus dem Fenster sah, merkte ich, was los
war. Yevonna, in Blue Jeans und einem olivfarbenen Mnnerhemd, rutschte im Garten auf den Knien herum, und neben
ihr kniete Final Benson, zwischen sich hatten sie einen Korb
voll Rben. Final hatte sich eine Bauersfrau angeschafft.
Ach du groe Scheie, sagte ich. Jetzt aber nichts wie weg
hier! Felicia und ich packten unsere Sachen und ergriffen die
Flucht. In Los Angeles stiegen wir in einem Motel ab. So,
meine Se, sagte ich, die Sorge wren wir los. Wir besorgten uns eine Flasche Whisky und feierten.
In der Nacht weckte mich eine laute Stimme. Unseliger garstiger Qulgeist! hrte ich Felicia sagen. I s t keine Ruh vor
dir in diesem Leben? Yevonna h a s t du mir genommen, und

172

jetzt verfolgst du mich! Von dannen, Dmon! Hinweg mit


dir! Entfleuch und la mich auf immer!
Ich setzte mich jh auf. Ich folgte Felicias Blicken und glaubte
etwas zu sehen ein groes, rotglhendes Gesicht, aus dem
zwei lange gelbe Zhne hervorstanden, und die Fratze schien
uns anzugrinsen wie ein schweinischer Witz.
Hinweg sagte Felicia. Im Namen des Allmchtigen Jah,
im Namen Buddhas und im Namen von tausend Gttern verweise und versto ich dich aus unsern Seelen fr alle Ewigkeit!
Ich machte das Licht an.
Es ist nur der Whisky, Baby, sagte ich. Der Whisky und
die Anstrengung von der langen Fahrt.
Ich schaute auf die Uhr. Es war halb zwei. Ich brauchte dringend einen krftigen Schluck. Ich stand auf und zog mich
an.
Wo gehst du hin, Hank?
Was zu saufen holen. Ich kanns grad noch schaffen, bevor
der Laden zumacht. Die Fratze da hat mir wirklich einen
Knacks gegeben. Ich stand jetzt angezogen an der Tr.
Hank?
Was is, Sweetheart?
Ich mu dir was sagen.
O. K., aber machs kurz. Mu mich beeilen, bevor der Laden
dicht macht.
Ich bin Yevonnas Schwester.
Ah ja.
Ich beugte mich herunter und gab ihr einen Ku. Dann machte
ich, da ich weg kam. Das Motel war im Osten, fast an der
Vermount Avenue. Ecke Hollywood und Normandie war ein
Laden, der noch offen hatte. Ich kaufte eine Flasche, stieg wieder in den Wagen und fuhr weiter nach Westen.
Well, ein Final Benson luft einem nicht jeden Tag ber den
Weg, dachte ich. Jedenfalls nicht mit der Potenz. Aber manchmal mu man diese wahnwitzigen Msen einfach in den Wind
schieen, damit man wieder zu sich kommt. Manchmal ist da
ein Preis drauf, den einfach KEIN Mann bezahlen will.
Ich fand ein Hotel unten in der Nhe von Vine Street und
nahm mir ein Zimmer. Als ich auf den Fahrstuhl zuging, sah
ich eine in der Halle sitzen. Ihr Rock war bis ber den Hintern hochgerutscht. Ich versuchte mich zu beherrschen. Sie
starrte die Flasche an, die aus meinem Tragbeutel heraus-

173

ragte. Ich starrte ihren Hintern an. Als sich die Fahrstuhltr
schlo, war sie mit mir drin.
Sie werden diese Flasche doch nicht ganz allein austrinken,
Mister?
Nur wenn ich mu.
Sie mssen nicht.
Fein, sagte ich.
Der Fahrstuhl blieb stehen. Die Tr ging auf. Sie drckte sich
an mir vorbei und schlngelte sich hinaus auf den Flur. Es
kribbelte mir in smtlichen Gliedern.
Zimmer 41, sagte ich.
O. K.
brigens, du interessierst dich nicht zufllig fr Okkultis mus, Fliegende Untertassen, Geister, Hexen, Dmonen, Magische Spiegel und solche Sachen . . .?
WAS ? Kapier ich nicht. . .
Schon gut. Vergi es, Baby.
Sie ging vor mir her, ihre hohen Abstze klapperten, ihr Krper tanzte und schlenkerte im schummrigen Flurlicht. Ich
konnte es kaum erwarten. Zimmer 41. Ich schlo auf, fand
den Lichtschalter, schlo die Tr ab, fand zwei Glser, splte
sie aus, schenkte den Whisky ein und gab ihr ein Glas. Sie
setzte sich damit auf die Couch, schlug betont langsam ihre
Beine bereinander und lchelte mich an.
Na also. Alles war wieder normal.
Alles wrde gutgehen.
Fr ein paar Stunden.

Einer meiner besten Freunde und einer der strksten Dichter unserer Zeit schleppt es gerade in London mit sich herum; schon die alten Griechen kannten es; es kann einen in
jedem Alter erwischen, aber das beste Alter dafr scheinen die
spten Vierziger zu sein: es uert sich als innere Verhrtung
und Stasis, als vlliges Einfrieren der Lebensenergie, als totale innere Vereisung ich nenne es das >Frozen Man Syndrom<.
Frher oder spter erwischt es jeden einmal und deutet sich
an in Redensarten wie: Ich schaff es einfach nicht, oder:
Da i s t doch schon wieder alles zu spt, oder: Gr mir
den Broadway. Aber gewhnlich bleibt es ein vages, ober-

174

flchliches Unbehagen, und der Betroffene kehrt schnell wieder zu seinem normalen Leben zurck, verprgelt weiter seine
Frau und steckt weiter seine Karte in die Stechuhr. Bei meinem Freund dagegen ist es keine vorbergehende Schwche.
Es scheint geradezu ein chronisches organisches Leiden zu sein.
Er hat rzte in zahlreichen Lndern konsultiert in der
Schweiz, in Frankreich, Deutschland, Italien, Griechenland,
Spanien, England. Ohne Erfolg. Von einem ist er sogar gegen
Wrmer behandelt worden. Ein anderer hat es mit Akupunktur versucht. Das knnte es sein, schrieb er mir, Tausende
von goldenen Nadeln in den Armen, im Nacken, auf dem
Rcken . . . mit dem Trick knnte es vielleicht klappen.
Aus seinem nchsten Brief erfuhr ich, da er es jetzt mit einem Voodoo-Zauberer versuchte. Und dann versuchte er gar
nichts mehr. Er war bedient. Er war geliefert. Er war end gltig und fr immer zum Frozen Man geworden.
Einer der groen Dichter unserer Zeit, abgezehrt und paraly siert in seinem Bett in einem kleinen, dreckigen Zimmer in
London; unfhig zu schreiben, unfhig etwas zu sagen; angewiesen auf die immer seltener werdenden Zuwendungen
einiger peinlich berhrter Wohltter; innerlich erstarrt, gelhmt,
versteinert

ein
lebendes
Fossil.
Ich empfinde eine tiefe innere Verwandtschaft zu diesem
Mann, denn ich selbst bin und war schon immer, soweit ich
zurckdenken kann der geborene >Frozen Man<. Meine frheste Erinnerung ist die an unser Badezimmer, in dem ein
dicker schwarzer Lederriemen hing, den mein Vater ein lrmender, brutaler Schrank von einem Mann weniger dazu
benutzte, um seine Rasiermesser daran zu schrfen, als mir
mehrmals am Tag damit den Rcken und den Hintern zu
polieren. Diese Prgelszenen im Badezimmer schienen nach
einem geheimen, undurchsichtigen Mechanismus abzulaufen
und verdichteten sich allmhlich in meiner Erinnerung zum
Inbegriff eines zwanghaften Rituals der totalen Sinnlosig keit.
Zwischendurch pflegte er vllig planlos herumzulaufen und
zu singen: Oh wh en I was single / my pockets did jingle
(Ach, als ich noch Junggesell war / da zahlte ich immer in bar)
immer wieder, immer wieder diese beiden bldsinnigen
Zeilen. Ich glaube, manchmal war es geradezu eine Erleichterung fr mich, wenn er abrupt mit seiner Singerei aufhrte
und wieder zum Riemen griff. Ich hatte das Gefhl, da

175

er mich fr die Inkarnation seiner smtlichen Schuldgefhle


hielt.
Einmal in der Woche mute ich ihm den Rasen mhen einmal lngs und einmal quer und dann mit der Rasenschere
die Rnder trimmen. Und wenn dann auch nur ein Grashalm
noch aus der Flche herausragte, gab es Prgel. Das war
gleichzeitig der einzige Fall, wo ich einen handfesten Grund
fr die Prgel erkennen konnte. Nach den Prgeln mute ich
dann jedesmal hinaus und den Rasen gieen. Und inzwischen
spielten die anderen Jungens in der Nachbarschaft Baseball
oder Football und wuchsen zu normalen amerikanischen Menschen heran.
Der groe Augenblick kam immer, wenn sich der Alte flach
auf den Rasen legte und seine Luchsaugen ber die gemhte
Flche streichen lie auf der Suche, nach dem EINEN Grashalm, der aus der Reihe tanzte. Er fand ihn immer. Da, ich
hab ihn! Du hast einen ausgelassen! DU HAST EINEN AUS GELASSEN! Und dann brllte er zum Badezimmerfenster hinber, an dem meine Mutter ein edles germanisches Weib
in diesem Augenblick regelmig zu stehen pflegte: ER HAT
EINS AUSGELASSEN! ICH SEH ES! ICH SEH ES! Und dann hrte ich
die Stimme meiner Mutter: Wie? Er hat eins AUSGELASSEN?
Eine SCHANDE ist das! Und dann brllte er: REIN INS BADEZIMMER! Ich also rein ins Badezimmer, Hosen runter und
ber die Kloschssel gelegt. Und er ri den Riemen von der
Wand
und
Ring
frei
zur
nchsten
Runde.
Obwohl die Schmerzen grlich waren, empfand ich keine
Wut. Ich fhlte nichts. Es war ein Mechanismus, dessen Ursachen mir verborgen blieben; Schuld empfand ich keine, folglich
war
das
Ganze
fr
mich
uninteressant.
Am schlimmsten war das Heulen. Ich wollte nicht heulen. Ich
versuchte es zu unterdrcken. Es gelang mir nie. Hinterher
bei Tisch wollten sie mir immer ein Kissen unter den ldierten
Hintern schieben. Dabei schienen sie mit perversem Vergngen meine inneren Kmpfe zu beobachten, ob ich das Kissen
nun annehmen sollte oder nicht. Ich nahm es nie an.
Eines Tages beschlo ich, nun auch nicht mehr zu heulen,
wenn mich der Alte verdrosch. Es lste einen Schock bei ihm
aus. Man hrte nur noch das Sausen des Riemens und das
klatschende Gerusch, wenn er auf meinem nackten Hintern
landete ein merkwrdig fleischiges und widerwrtiges Ge rusch in der Stille des trostlosen Badezimmers. Die Trnen

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liefen mir bers Gesicht, aber ich gab keinen Laut von mir.
Ich lag einfach da und starrte auf die Fliesen. Gewhnlich
verabreichte mir der Alte 15 bis 20 Hiebe; diesmal stoppte
er nach sieben oder acht. Er starrte mich entgeistert an, dann
rannte er hinaus und schrie: He, Mama, ich glaub, unser
Junge is VERRCKT geworden, er schreit berhaupt nicht mehr,
wenn ich ihn verdresche!
Glaubst du, er ist verrckt geworden, Henry?
Ja!
Ach! Zu dumm!
Das war das erste erkennbare Anzeichen des FM-Syndroms.
Das Verhalten der Eltern suggerierte, da etwas mit mir nicht
stimmte, aber ich hielt mich nicht fr bergeschnappt. Ich
hatte lediglich kein Verstndnis dafr, wie man sich ber
vllig belanglose Dinge derart aufregen konnte, im nchsten
Augenblick ein bldsinniges Lied vor sich hintrllern konnte,
und im nchsten Augenblick zum Riemen greifen konnte; wie
man sich berhaupt fr IRGEND ETWAS interessieren konnte,
wo doch alles im Grunde vllig uninteressant war.
Im Sport oder beim Spielen mit den Nachbarkindern war ich
nicht besonders gut. Ich hatte keine Angst vor handgreiflichen
Auseinandersetzungen, aber ich hatte auch keinen besonderen
Ehrgeiz. Es bedeutete mir einfach nichts. Wenn ich mich mit
einem raufte, empfand ich keine Wut und fhlte nicht das
Bedrfnis, ihn zu besiegen. Ich kmpfte nur, weil es sich gerade so ergab und weil es unvermeidlich schien. Die Wut und
den Ha in meinem Gegner konnte ich nicht verstehen. Oft
verga ich ganz einfach, mich zu wehren, so sehr war ich damit beschftigt, seinen Gesichtsausdruck und seine Bewegungen zu beobachten; und das Ganze gab mir nichts als Rtsel
auf. Hin und wieder raffte ich mich auf und versetzte ihm
ein paar solide Haken, nur um zu sehen, ob ich es auch konnte,
wenn ich wollte; dann verfiel ich wieder in meine Lethargie.
Irgendwann kam dann unweigerlich mein Alter herausgestrzt
und brllte: Schlu jetzt! Schlu mit der Rauferei! Aus!
Schlu!
Die Jungs hatten alle Schi vor meinem Alten und liefen
weg.
Und dann sah er mich geringschtzig an. Du hast keinen
Mumm in den Knochen, Henry. Du bist halt einfach kein
Mann! Du hast dich schon wieder verdreschen lassen!
Ich reagierte nicht.

177

He, Mama, unser Junge hat sich schon wieder von diesem
Chuck Sloan verdreschen lassen!
Unser Junge?
Ja, unser Junge!
Was fr eine SCHANDE!
Schlielich, glaube ich, hat mein Alter dann doch den Frozen
Man in mir erkannt. Aber auch das kmmerte mich nicht. Ich
hatte ihm nic hts zu sagen. Es interessierte mich nicht.
Mit 17 fing ich an zu saufen. Ich trieb mich mit einer Bande
lterer Jungs herum, und wir raubten Tankstellen und Spirituosenhandlungen aus. Sie hielten meine Interesselosigkeit
fr ein Zeichen von Mut und Kaltbltigkeit. Ich war beliebt
bei ihnen, aber es berhrte mich nicht. Ich war GEFROREN. Sie
schtteten Wein und Bier und Whisky in mich rein, aber sie
schafften mich nicht. Wenigstens wurde ich nie so voll, da
ich vom Stuhl kippte. Die anderen fingen an zu grlen, die
Inneneinrichtung zu demolieren und sich gegenseitig die Nasenbeine zu brechen ich sa starr und s t e i f an meinem
Tisch, kippte noch ein Glas runter, fhlte, wie ich mich innerlich immer weiter von ihnen entfernte.
Ich wohnte immer noch bei meinen Eltern, es war jetzt die
Zeit der Wirtschaftskrise, 1937, und man bekam nirgends
mehr einen Job. Aus reiner Gewohnheit kam ich nach jeder
Schlgerei oder Sauferei und nach jedem Raubberfall wieder
nach Hause und klopfte an die Tr.
In einer Nacht machte meine Mutter das kleine Guckfenster
in der Tr auf und schrie: Er ist besoffen! Er hat schon wieder gesoffen! Und von drinnen hrte ich die laute Stimme
meines Alten: Was? Schon WIEDER besoffen?!
Er kam an die Tr. Du kommst mir hier nicht rein! Du bist
eine Schande fr deine Familie und fr dein Land!
Es ist scheikalt hier drauen, sagte ich ruhig. Entweder du
machst die Tr auf oder ich renn sie dir ein. Ich binden ganzen
Weg bis hierher gekommen, und jetzt will ich auch rein.
Nein, mein Lieber, du verdienst es nicht, da man dich reinlt. Dies ist ein anstndiges Haus. Du bist eine Schande fr
deine Familie und fr . . .
Ich ging ein paar Schritte zurck, senkte die rechte Schulter
und lief an. Ich tat es nicht aus Wut oder Verrgerung, sondern nur aus dem Bedrfnis, eine Sache, die rein mathe matisch bis zu diesem Punkt gelangt war, nun auch zu Ende
zu fhren.

178

Ich krachte gegen die Tr. Sie ging nicht auf, aber das Schlo
gab nach und ein starker Ri ging von oben bis unten durchs
Holz. Ich trat wieder zurck, um einen neuen Anlauf zu nehmen.
All right, sagte mein Alter. Komm rein.
Ich ging rein. Aber dann sah ich den miesen Ausdruck auf
ihren Gesichtern, auf diesen sterilen, toten, grauen, heimtkkischen Hackfleisch-Visagen, und es drehte mir den Magen
um. Ich kotzte auf ihren schnen Wohnzimmerteppich, in
dem das >Baum-des-Lebens<-Motiv eingestickt war. Ich stolperte darauf herum und reiherte ihnen den ganzen Teppich
voll.
Weit du, was man mit einem Hund macht, der einem auf
den Teppich scheit?!, fragte mein Alter drohend.
Nee.
Well, man steckt ihm die NASE rein, damit er's nicht WIEDER
tut!
Ich schwieg.
Er trat auf mich zu und packte mich hinten am Hals. Und
du BIST ein Hund, sagte er.
Du weit doch, was man mit einem Hund macht, oder?
Ich schwieg.
Er drckte mich hinunter auf den Boden, hinunter auf meinen
See aus Kotier auf dem >Baum des Lebens<.
Und hinter ihm stand meine Mutter, das edle germanische
Weib, in ihrem schmuddeligen langen Nachthemd, und sah
schweigend und mibilligend zu.
Also hr mal, sagte ich zu meinem Alten. Ich glaub, das
langt jetzt. . .
Nein. Du weit, was wir mit einem HUND machen . . .! Ich
hab gesagt, das LANGT jetzt.
Er drckte meinen Kopf weiter runter, bis meine Nase dicht
ber der Kotze war. Ich vermochte nicht recht einzusehen,
warum ich mir die Nase in meine eigene Kotze stecken lassen
sollte. Htte es einen Grund dafr gegeben, dann htte ich sie
SELBER reingesteckt. Aber so konnte ich es nur als ein Versuch
ansehen, meine spezielle Mathematik der Vorgnge durcheinander zu bringen. Und das strte mich.
Hr auf, sagte ich. Ich sags jetzt zum letzten Mal, hr auf
damit. Er drckte mir die Nase noch tiefer. Ich warf mich zur
Seite und schlug mit dem rechten Bein aus. Ich traf ihn mit
dem Absatz voll am Kinn. Er taumelte zurck, das ganze

179

brutale Empire zerrann zu Scheie, er krachte mit weit ausgestreckten Armen auf sein Sofa, BANG, er hatte glasige Augen, ich ging auf ihn zu, wartete, da er wieder hochkam . . .
er kam nicht mehr hoch. Er lag einfach da und starrte mich
mit seinen glasigen Augen an. Er versuchte nicht einmal aufzustehen. Trotz all seiner wilden Brutalitt war mein Alter
also ein feiger Hund. Es berraschte mich nicht besonders. Fr
einen Augenblick kam mir der Gedanke: da der Alte ein Feigling ist, b i s t du wahrscheinlich auch einer. Aber da ich ein
Frozen Man war, konnte mich auch das nicht jucken. Es bedeutete nichts.
Und dann fing meine Mutter a n , mir ihre Fingerngel durchs
Gesicht zu ziehen und zu zetern: Du hast deinen VATER geschlagen! Du hast deinen VATER geschlagen! Du hast deinen
VATER geschlagen!
Na und? dachte ich. Ich blieb bewegungslos stehen und lie
sie mein Gesicht bearbeiten und mir mit ihren dreckigen
Fingerngeln die Haut und das Fleisch in Fetzen abziehen,
und das Blut und die Fetzen kleckerten mir aufs Hemd und
hinunter auf den beschissenen >Baum des Lebens<. DU HAST
DEINEN VATER GESCHLAGEN! Ich wartete. Allmhlich lie ihre
Energie nach. Ich wartete. Du . . . hast . . . deinen ... VATER ...
geschlagen . . . deinen Vater . . .
Bist du fertig? fragte ich. Ich glaube, es waren die ersten
Worte (auer Ja und Nein), die ich seit 10 Jahren zu ihr
gesagt hatte. J a , sagte sie.
Du gehst jetzt a u f dein Zimmer, sagte mein Alter mit
schwacher Stimme. Wir sprechen uns morgen frh.
Aber am nchsten Morgen war ER auch ein Frozen Man. Ich
schtze, es blieb ihm einfach nichts anderes brig.
Ich hab m i r oft von Nutten und s o n s t i g e m Weibervolk das
Gesicht maltrtieren lassen, so wie damals von meiner Mutter. Das ist zu einer dummen Angewohnheit von mir geworden. So wie die Dinge stehen, mu ich mich eben damit abfinden, da die Kinder auf der Strae und manchmal auch die
Erwachsenen zusammenzucken und sich abwenden, wenn sie
mein Gesicht sehen . . .
Na ja, wahrscheinlich interessieren euch diese Storics zum
Thema FM nicht so sehr wie mich; deshalb will ich versuchen,
es kurz zu machen.
Zwischen 1936 und 1938 war ich in der Los Angeles High
School. Man hatte in der Schule die Wahl zwischen Sport-

180

Unterricht und ROTC*, so 'ner Art Kadettenverein. Nun hatte


ich am ganzen Krper solche groen, hlichen Pickel. Ich
hatte wei Gott keinen Hang zum Militr, aber ich sagte mir,
in einem Trikot sieht man die Pickel und in einer Uniform
nicht. Also meldete ich mich zum ROTC.
Jeder, der was auf sich hielt, machte natrlich auf Sport. Die
Versager, die Deppen, die Irren und die Ausstzigen wie ich
gingen zum ROTC. Mir s e l b s t machten die Pickel nichts aus,
aber irgendwie fhlte ich mich verpflichtet, diesen reinen Helden, diesen Auserwhlten meinen Anblick zu ersparen; und
auerdem wollte ich vermeiden, da sie mich stndig mit
ihren mibilligenden Rntgenaugen anstarrten. In Uniform
war ich gegen ihre Rntgenstrahlen immun. Ein inneres Verhltnis
zum
ROTC
fand
ich
nicht.
Schlielich war ichGEFROREN.
O. K. Eines Tages fand ein Schau-Exerzieren statt, in dessen
Verlauf ein Wettbewerb ablief ich glaube, es ging darum,
den Karabiner zu zerlegen und in der richtigen Reihenfolge
wieder zusammenzusetzen. Die Tribnen waren vollgepackt
mit Idioten smtliche Eltern, Verwandten usw. und wir
standen auf dem Exerzierfeld in der glhenden Sonne und
fhrten all die unsinnigen Kommandos aus. Bald waren 50 /o
ausgeschieden, dann 75 %, und schlielich waren nur noch
10 /o von uns brig, und ich war immer noch dabei mit meinen groen, roten, hlichen Pickeln im Gesicht, und es war
HEISS, ich schwitzte wie ein Affe, und ich sagte mir stndig:
Menschenskind, mach einen Fehler, mach doch endlich einen
Fehler, und du bist aus der ganzen Scheie r a u s . Aber ich
konnte mich einfach nicht dazu ZWINGEN, einen Fehler zu machen. Wieder das mathematische Ding, der zwanghafte mechanische Tick des Frozen Man, der unbeirrbar ablief wie ein
Uhrwerk in einem Zementblock.
Schlielich waren nur noch zwei im Rennen: mein Freund
jimmy und ich. Well, dachte ich, Jimmy Hadford ist so ein
krankhafter Streber, da er einfach gewinnen MUSS, fr ihn
ist das schlielich lebensnotwendig, also hoffentlich macht ers,
und alles hat seine Ordnung. Und dann kam das Kommando:
Order Arms! nein, es ging so: Order . . . (lange Pause)
. . . Arms! Da ich nie ein guter Soldat war, wei ich nicht
mehr, welchen Handgriff man draufhin auszufhren hatte.
* Reserve O f f i c e r s' T r a i n i n g Corp?.

181

Wahrscheinlich mute man den Bolzen in den Verschlu ein setzen oder sowas. Jedenfalls, ich rammte das Ding rein, und
dann schaute ich rber und sah, da Jimmy Mist gebaut hatte.
Jimmy, der sich immer fr die ganze Scheie begeistert h atte,
der vor Ehrgeiz schier aus den Nhten platzte, auf den die
ganze Mannschaft ihre Hoffnung setzte . . . und jetzt, 5 Minuten vor zwlf: abserviert. Und da stand ich, allein, verschwitzt, die Pickel quollen m i r aus dem Kragen, berzogen
meinen ganzen Schdel, sogar in den Haaren hatte ich welche,
und es war hei, unertrglich hei, das Uhrwerk lief ab, und
ich stand teilnahmslos da, empfand weder Freude noch rger,
einfach gar nichts. Und all die adretten Girls auf den Rngen
sthnten auf und vergin gen vor Mitleid mit ihrem armen
Jimmy, und seine Eltern lieen den Kopf hngen und verstanden die Welt nicht mehr.
Das alte Arschloch von Kommandeur ein gewisser Oberst
Muggett, der sein Leben lang mit der Army verheiratet gewesen war kam angekrochen, um mir die Medaille ans Hemd
zu stecken, unter dem meine verschwitzte, pickelige Haut
juckte. Er pinnte mir das Blech an die Brust und streckte mir
die Hand hin. Ich nahm seine Hand und grinste ihn an. Sein
Gesicht war todtraurig. Er hielt mich fr ein e Migeburt,
vllig untaugliches Material. Und ich hielt i h n fr einen Deppen.
Ein guter Soldat grinst nicht. Das Grinsen schien ihm klarzu machen, da ich ihn nicht nur fr einen Deppen hielt, sondern
da ich auch wute, da das Schicksal ihm und dem g anzen
Verein an den Karren gefahren war. Er zog seine Hand zu rck und wischte sie am Hosenbein ab. Ich marschierte zurck
zu meiner Einheit.
Und ihr werdet es nicht glauben: unser Leutnant baute sich
vor uns auf und sagte: Ich mchte dem Gefreiten Hadfo rd
meine Hochachtung dafr aussprechen, da er zweiter Sieger
geworden ist. Die Kompanie ist stolz auf ihn.
Dann: Stillgestanden!
Dann: Wegtreten! oder was wei ich.
Ich sah, wie die Jungs Jimmy umringten und ihm gratulierten. Niemand sagte etwas zu mir. Dann kamen Jimmys Eltern
von der Tribne herunter und nahmen ihn in den Arm. Mir
wurde schlecht. Ich ging weg.
Vor einem Drugstore machte ich mechanisch die Medaille ab
und lie sie in einen Gully fallen. Jimmy wurde ein paar

182

Jahre spter ber dem Kanal abgeschossen. Sein Bomber erhielt einen Volltreffer; er befahl seinen Leuten, auszusteigen,
und versuchte, das ramponierte Ding noch zum Sttzpunkt
zurckzubringen. Er schaffte es nicht. Etwa um diese Zeit
lebte ich, u. k.-gestellt, in Philadelphia und fickte eine 3-Zentner-Hure, wobei smtliche vier Beine an meinem Bett zu Bruch
gingen.
Das alles soll nicht den Eindruck erwecken, als ob mich berhaupt nichts berhrte, als ob ich keinerlei Mitgefhl htte
und zu keinerlei Emotionen fhig sei. Ich will damit nur
sagen, da meine Gefhle, meine Gedanken und Verhaltensweisen offensichtlich einem Schema gehorchen, das es mir unmglich macht, mit den anderen WARM zu werden.
Mein Freund in London beschreibt seine Erfahrungen als
Frozen Man so: . . . ich stecke in diesem Goldfischglas, verstehst du, in diesem riesigen Aquarium, und meine Flossen
sind anscheinend zu schwach, um mich in dieser groen Unterwasser-city bewegen zu knnen . . . Ich tu, was ich kann, aber
der magische Funke springt nicht mehr ber. Es scheint, ich
komme einfach nicht mehr aus diesem Cold Turkey*-Zustand
heraus, alles ist erzwungen und geqult das Schreiben, das
Ficken, das Essen und Trinken, ich werd nicht mal mehr high
. . . es ist nicht nur Sand im Getriebe, der ganze Mechanismus
ist im Eimer. Ich richte mich auf ein langes berwintern ein,
es wird eine lange, dunkle Polarnacht. Mehr als das: ich bin
an die Sonne gewhnt, an die Wrme und die grellen Farben
des Mittelmeers; ich bin daran gewhnt, mit dem Arsch auf
einem Vu lkan zu sitzen, wie in Griechenland dort gab es
wenigstens Licht, dort gab es noch ein paar Menschen, dort
gab es sogar so etwas wie Liebe. Und jetzt: nichts mehr von
alledem. Abgespannte, frhzeitig gealterte Gesichter. Gesichter, die einen im Vorbergehen krampfhaft anlcheln und
Hello sagen. Ein stndiges tristes Halbdunkel, grauer Nebel,
Klte. Ein alternder, ausrangierter Poet, der in seiner'eigenen
Scheie verkommt.
Ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen, von einer Klinik zur anderen mit Urinproben und Schitproben, und immer das gleiche
Lied kaputte Leber, kaputter Magen, und keiner kann was
dagegen tun. Ich wte was: alles liegen und stehen lassen
und mir eine sagenhafte junge Schnheit auftun, die mir den
* Zwangsweise > k a l t e < Entziehungskur (cl. h. ohne medizinische Hilfe).

183

Arsch in Schu hlt, wenig Ansprche stellt und sich im brigen still verhlt. Aber wo findet man so etwas? und wie?
Auerdem, was knnte ich ihr schon bieten? Aber Shit, es ist
durchaus mglich, da ich mit sowas wieder die Kurve kriegen
knnte . . .
Ich wnschte, ich wre hartgesotten genug, um nochmal von
vorn anzufangen und das Ganze strker, hrter und klarer
als zuvor zu Papier zu bringen. Aber ich habe nicht mehr das
gewisse Etwas, ich bin auf der Rolle, und ich verwende meine
ganze Energie darauf, Zeit zu schinden.
16.40 Uhr. Der Himmel ist dunkelgrau und stellenweise rot
angelaufen. Rush hour. Verkehrsstockungen. Drben im Zoo
hecheln die Steppenwlfe in ihren engen Kfigen. Der Mandrill knurrt gereizt, zieht sich die faulen Bananen und pfel
aus dem Arsch und bombardiert damit die Zuschauer. Bevor
ich abkratze, mchte ich nochmal nach Kalifornien, an die
Kste sdlich von Los Angeles, nahe an der mexikanischen
Grenze. Aber das ist ein Traum. Und all die Briefe, die ich
aus den Staaten bekomme, sind von Dichtern oder Knstlern,
die mal hier waren, auf dieser Seite des Atlantik, und alle
reden davon, wie beschissen es zu Hause zugehe, wie lausig
die ganze Szene sei usw.
Ich wei nicht, was ich davon halten soll. Aber im Moment
i s t es sowieso nicht drin, denn meine ganzen Geldgeber sitzen
hier drben, wollen mich in der Nhe haben und wrden
mich wahrscheinlich in den Wind schieen, wenn ich weggehe.
Ich wei, da es bei Dir noch beschissener aussieht, aber versuch, irgendwie am Ball zu bleiben. Und entschuldige diesen
tdlich langweiligen Brief; ich kann nicht recht in Stimmung
kommen mit all diesen Arztrechnungen und Mahnungen und
all der Scheie auf dem Tisch, dem ruigen Himmel und der
vergrtzten Sonne drauen, und es sieht nicht so aus, als ob
sich daran bald was ndern wird. Naja, du weit ja, wie das
ist. Stehen wirs eben durch. Cheers, alter Freund.
Harold.
Well, mein Freund in London sagt das alles viel besser als
ich. Und ich wei nur zu gut, da es sich hier nicht um lahmarschige Trgheit oder mieses Selbstmitleid handelt. Vielleicht
begreift das nur einer, der selbst zu Stein und Bein gefroren
im Kfig sitzt. Aber was soll's. Sogar ein verkrppelter Zwerg,

184

den man hochheben mu, damit man seinen Kopf in die


Schlinge kriegt, kann noch einen Steifen kriegen. Und ich bin
Mateo Platch und Nichlos Combatz in einer Person, und die
Sonne ist eine abgehalfterte, eingescherte Muse. Und drben
auf der Plaza zwischen dem Terminal Annex und der UnionStation sitzen die alten Mnner im Kreis und schauen stundenlang den Tauben zu, und im Grunde sehen sie gar nichts.
Vereist und versteinert werden wir uns weiter durch die Nchte
qulen mit unseren sinnlosen Trumen, wie schemenhafte
paranoide Maulwrfe, die sich fr nichts und wieder nichts
die Pfoten blutig scharren und am Ende eins werden mit ihren
Lchern. Und das ist auch alles, was von uns eines Tages
brig bleiben wird: sinnlose, blutende Lcher in der Nacht.

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