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JRGEN GERHARDS

MEHRSPRACHIGKEIT IM VEREINTEN EUROPA

NEUE BIBLIOTHEK DER SOZIALWISSENSCHAFTEN


Die Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften versammelt
Beitrge zur sozialwissenschaftlichen Theoriebildung und zur
Gesellschaftsdiagnose sowie paradigmatische empirische Untersuchungen. Die Edition versteht sich als Arbeit an der Nachhaltigkeit sozialwissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft.
Ihr Ziel ist es, die sozialwissenschaftlichen Wissensbestnde
zugleich zu konsolidieren und fortzuentwickeln. Dazu bietet die
Neue Bibliothek sowohl etablierten als auch vielversprechenden
neuen Perspektiven, Inhalten und Darstellungsformen ein Forum.
Jenseits der kurzen Aufmerksamkeitszyklen und Themenmoden
prsentiert die Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften
Texte von Dauer.

DIE HERAUSGEBER
Jrg Rssel ist Professor fr Soziologie an der
Universitt Zrich.
Uwe Schimank ist Professor fr Soziologie an der
Universitt Bremen.
Georg Vobruba ist Professor fr Soziologie an der
Universitt Leipzig.
Redaktion: Frank Engelhardt

JRGEN GERHARDS
MEHRSPRACHIGKEIT IM
VEREINTEN EUROPA
TRANSNATIONALES
SPRACHLICHES KAPITAL
ALS RESSOURCE IN EINER
GLOBALISIERTEN WELT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 2010
Alle Rechte vorbehalten
VS Verlag fr Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Lektorat: Frank Engelhardt
VS Verlag fr Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien.
Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.
www.vs-verlag.de
Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede
Verwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlags unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere
fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wren und daher von jedermann benutzt werden drften.
Umschlaggestaltung: KnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel
Gedruckt auf surefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-17441-9

Inhalt

Vorwort

Die Fragestellung

Der konzeptionelle Rahmen


2.1
Die Bedeutung der Sprache fr Prozesse der Vergesellschaftung
und Vergemeinschaftung
2.1.1 Definition von Sprache
2.1.2 Sprache als Kapital: Die zentralen gesellschaftlichen
Funktionen von Sprache
2.1.2.1 Sprachkompetenz und Vergesellschaftung:
Sprache als instrumentelles Kapital
2.1.2.2 Sprachkompetenz und Vergemeinschaftung:
Sprache als symbolisches Kapital
2.1.3 Transnationales sprachliches Kapital und seine
wachsende Bedeutung
2.2
Kritik des linguistic turn in der soziologischen Theoriebildung
2.2.1 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns
2.2.2 Niklas Luhmanns Systemtheorie
2.2.3 Die verstehende Soziologie: Alfred Schtz, Peter L.
Berger, Thomas Luckmann und die neuere
Wissenssoziologie

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen


3.1
Institutionalisierte Sprachenordnung: Nationalstaatsbildung und
sprachliche Homogenisierung, Weltgesellschaft und die
Hegemonie des Englischen
3.1.1 Allgemeine Mechanismen des Sprachenwandels
3.1.2 Nationalstaatsbildung und sprachliche Homogenisierung
3.1.3 Weltgesellschaft und die Hegemonie des Englischen
3.2
Die Europisierung und Globalisierung der nationalstaatlich
verfassten Gesellschaften Europas
3.2.1 Europisierung als Aufbau eines europischen
Herrschaftsverbandes

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56
59
66
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83
85
97
106
107

3.3

Transnationales sprachliches Kapital der Brger in den Lndern


der Europischen Union
4.1
Deskriptive Befunde: Die Mehrsprachigkeit der Brger der EU
4.2
Die Erklrung der Unterschiede in der Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital
4.2.1 Ein Modell zur Erklrung der Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital
4.2.2 Hypothesen zur Erklrung der Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital und ihre empirische
berprfung
4.2.3 Hypothesen zur Erklrung der Englischkompetenz der
Brger und ihre empirische berprfung
4.3
Zusammenfassung und eine Prognose, wie sich die
Mehrsprachigkeit der Brgern entwickeln wird
Ausblick: Ein Pldoyer fr eine vernderte Sprachpolitik der
Europischen Union

Literatur

3.2.2 Europisierung als territoriale Ausdehnung des


Herrschaftsraums
3.2.3 Europisierung als die rechtliche Schaffung eines
einheitlichen europischen Sozialraumes
3.2.4 Europisierung als Transnationalisierung der
Gesellschaften der Mitgliedslnder
3.2.5 Globalisierung der Mitgliedslnder der Europischen
Union
Die Sprachpolitik der Europischen Union
3.3.1 Akzeptanz der Multilingualitt
3.3.2 Schutz und Strkung der Minderheitensprachen
3.3.3 Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger

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213
227

Vorwort

Mehrere Personen und Institutionen haben zum Gelingen der hier vorgelegten Studie beigetragen. Hartmut Kaelble, Richard Mnch, Thomas Risse,
Jrgen Trabant und Peter A. Berger haben Vortrge zu verschiedenen Aspekten des Buchs, die ich bei unterschiedlichen Gelegenheiten gehalten
habe, kommentiert. David Glowsky und Mike S. Schfer haben einzelne
Kapitel und Georg Vobruba hat das Gesamtmanuskript kommentiert. Hilfreiche Literaturhinweise habe ich von Hubert Knoblauch, Sofia Perez, Jrg
Rssel, Jochen Roose und Andreas Sentker erhalten. Claudia Finger hat die
vielfltige historische Literatur zum Verhltnis von Nationalstaat und Sprache, Monika Hufnagel die Materialien zur Sprachpolitik der Europischen
Union zusammengetragen und bilanziert. Juliane Klein hat eine Vielzahl an
Hintergrundrecherchen durchgefhrt, die Daten zur Messung von Europisierungs- und Globalisierungsprozessen zusammengestellt und das Manuskript Korrektur gelesen. Besonderer Dank gilt Silke Hans und Inga Ganzer.
Silke Hans hat mich bei den empirischen Analysen tatkrftig untersttzt und
das empirische Kernkapitel sehr genau kommentiert. Inga Ganzer hat die
verschiedenen Fassungen der einzelnen Kapitel gelesen und korrigiert und
mir mit unterschiedlichen Recherchen geholfen.
Das von der DFG im Kontext der Exzellenzinitiative gefrderte
Cluster Languages of Emotion hat mir ein Forschungsfreisemester gewhrt, so ich von der Lehre befreit war. Eine Einladung an das Center for
European Studies der Harvard University bot mir die Mglichkeit, in einer
hervorragenden Arbeitsatmosphre die berlegungen in einer relativ kurzen
Zeit aufs Papier zu bringen. Mit Stanley Lieberson, der schon in den 1960er
Jahren zum Thema Sprache und Minderheiten sehr gute Verffentlichungen
vorgelegt hat, konnte ich die Hauptthesen des Buches diskutieren. Allen
gebhrt mein ausdrcklicher Dank. Gewidmet sei das Buch Friedhelm
Neidhardt und M. Rainer Lepsius, von denen ich akademisch und persnlich eine Menge gelernt habe.
Berlin, Februar 2010
7

1 Die Fragestellung

Die Sprachenkonstellation der heutigen Menschheit ist durch die Existenz


einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Sprachen gekennzeichnet. Diese Konstellation wird sehr hufig als babylonische Sprachverwirrung bezeichnet,
weil sie eine Verstndigung zwischen den Menschen der verschiedenen
Sprachen verhindert. Mit dieser Kennzeichnung wird Bezug genommen auf
einen der ltesten Mythen zur Beschreibung der existierenden Sprachenvielfalt. Die bekannteste Fassung der Erzhlung findet sich in einer kurzen Passage im Alten Testament, in der Genesis (1. Buch Mose), Kapitel 11, in der
Geschichte vom Turmbau zu Babel:
Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie
sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mrtel.
Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir
uns nicht ber die ganze Erde zerstreuen.
Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache
haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts
mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab
und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus ber die ganze Erde und sie
hrten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus
hat er die Menschen ber die ganze Erde zerstreut. (Die Bibel 1980: 14; Gen
11, 1-9)

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist eingebettet in eine Reihe von
Unheilsgeschichten des alten Testaments, die mit dem Verlust des paradiesischen Urzustandes, ber den Brudermord, die Sintflut bis hin zur Babelgeschichte reicht. Die Ursache des vielfltigen Unheils scheint in allen Ge-

schichten hnlich zu sein: es ist das Streben der Menschen nach gottgleicher
Allmacht.
Die Geschichte Babels enthlt zugleich einige sehr interessante soziologische Theoreme, die sich auf die Analyse der heutigen Sprachenkonstellation bertragen lassen. Das Volk, das in Babylon siedelt, bildet eine Gemeinschaft und dies u. a., weil es ber eine gemeinsame Sprache verfgt. Die Bedeutung der Sprache fr die Identittsbildung wird an den Wirkungen
kenntlich, die mit Gottes Strafe verbunden sind. Die Menschen sprechen
nach der Bestrafung unterschiedliche Sprachen; aus einem Volk werden
mehrere Vlker und diese sind durch unterschiedliche Sprachen gekennzeichnet. Eine gemeinsame Sprache vereinigt und kann identittsstiftend
wirken, whrend mehrere Sprachen trennen und zur Ausbildung einer segmentren Struktur von verschiedenen Gemeinschaften fhren knnen.
Neben der Vergemeinschaftungsfunktion der Sprache ist in der Geschichte aber auch die Vergesellschaftungsfunktion der Sprache angesprochen. Das Vorhaben, eine Stadt zu errichten und einen Turm zu bauen, der
bis zum Himmel reicht, ist nur mglich, weil die Menschen eine gemeinsame
Sprache sprechen. Sie knnen mit Hilfe der gemeinsamen Sprache ihre
Handlungen untereinander koordinieren, weil sie sich wechselseitig verstndigen und absprechen knnen. Der Plan, in gemeinsamer Anstrengung ein
groes gesellschaftliches Projekt zu realisieren, scheitert, als Gott ihnen die
fundamentale Voraussetzung der Koordination von Handlungen nimmt und
keiner mehr die Sprache des anderen verstehen kann. Und in der Tat kann
man sich schwer vorstellen, wie der Aufbau und der Erhalt einer Gesellschaft zu gelingen vermag, ohne dass sich die beteiligten Menschen untereinander verstndigen knnen.
Die in die Geschichte vom Turmbau zu Babel eingewobenen Ideen einer Soziologie der Sprachen werden im Neuen Testament in der Pfingstgeschichte wieder aufgenommen und zugleich weiter entwickelt. Nach Jesu
Kreuzigung und 50 Tage nach seiner Auferstehung an Ostern sind die Jnger in Jerusalem anlsslich des jdischen Wochenfest Schawuot versammelt, als der Heilige Geist auf die Jnger nieder kommt.
Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah pltzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfllte das ganze Haus, in dem sie saen. Und es erschienen
ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von
ihnen, und sie wurden alle erfllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu

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predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. (Die
Bibel 1980: 137; Apg 2, 1-4)

Das Wunder von Pfingsten hebt die babylonische Sprachverwirrung zwar


nicht auf; die Menschen sprechen weiterhin verschiedene Sprachen; und sie
sind auch weiterhin in verschiedene Sprachgemeinschaften zergliedert und
ber die Erde verstreut. Die Jnger Jesu sind aber diejenigen unter den
Menschen, die mehrsprachig sind. Sie verfgen ber das, was ich spter als
transnationales sprachliches Kapital bezeichnen werde; sie knnen mit den
anderen Menschen in deren jeweiliger Sprache kommunizieren. Und weil sie
dies knnen, sind sie in der Lage, das Wort Gottes zu verbreiten. Pfingsten
wird deswegen auch mit Recht als der Geburtstag der Kirche, eines der ersten groen, global agierenden Unternehmen bezeichnet. Die Mehrsprachigkeit der Jnger ermglicht den Aufbau einer ganz neuen Form von Gesellschaft. Mit der Fhigkeit, in den jeweiligen Sprachen der anderen sprechen
zu knnen, entsteht die Mglichkeit des Aufbaus einer globalisierten Gesellschaft und die Chance, die zersplitterte Struktur der Vlker zu berwinden.
Die im Alten und Neuen Testament angesprochene Spannung zwischen einer nachbabylonischen Sprachverwirrung einerseits und den Chancen der Herstellung einer Gesellschaft, die die Sprachgrenzen berschreitet,
andererseits, bildet auch die Grundlage dieser Studie, auch wenn deren Gegenstand zeitlich weit von den biblischen Erzhlungen entfernt ist. Die Analysen beziehen sich auf Entwicklungsprozesse, die in der zweiten Hlfte des
20. Jahrhunderts ansetzen und bis weit in die Gegenwart und darber hinaus
in die Zukunft reichen. Die Ordnung der Weltgesellschaft wird von vielen
Politikwissenschaftlern sicherlich idealtypisch berzeichnet als westflische Ordnung beschrieben. Damit ist gemeint, dass das System der Weltgesellschaft aus souvernen Nationalstaaten besteht, aus einem Nebeneinander
vieler nationalstaatlicher Container (Taylor 1994; Beck 1997). Mit dieser
Gesellschaftsordnung, besser: Gesellschaftenordnung ist auch eine spezifische Sprachenordnung verbunden. Die institutionalisierte Sprachenordnung
besteht aus einer nach Nationalstaaten gegliederten, sprachlich segmentierten Struktur. Viele Nationalstaaten haben fr sich jeweils nur eine Amtssprache zugelassen; die sprachliche Heterogenitt innerhalb des jeweiligen
Nationalstaates ist hufig sehr gering. Die zwischen-staatliche Heterogenitt
ist hingegen sehr hoch, insofern in den verschiedenen Nationalstaaten meist
verschiedene Sprachen gesprochen werden. Diese Ausgangskonstellation
hnelt der nachbabylonischen Situation: Die Vlker sind ber die Erde zer11

streut und leben jeweils in ihren Nationalstaaten, in denen es meist eine


Amtssprache gibt, die sich von der Amtssprache der anderen Nationalstaaten unterscheidet, so dass eine Verstndigung zwischen den Vlkern nicht
mglich ist.
Die zweite Hlfte des 20. Jahrhunderts ist der Beginn einer tief greifenden Vernderung dieser Ausgangskonstellation, eine Vernderung, die mit
dem Begriff der Globalisierung umschrieben wird. Das Ausma, die Dichte
und das Tempo des Austauschs zwischen verschiedenen nationalen Gesellschaften und zwischen den verschiedenen Regionen der Welt haben seit
dieser Zeit enorm zugenommen. Der Prozess der Globalisierung hat Gesellschaften weltweit tief greifend verndert, Grenzen sind aufgeweicht worden
und der interregionale konomische, kommunikative, kulturelle sowie politische Austausch hat seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rasant zugenommen. Dies gilt vor allem fr eine Region der Welt fr Europa, auf die ich mich in meinen Ausfhrungen konzentriere. Der politische
Prozess der europischen Integration hat die inzwischen 27 Mitgliedslnder
der EU zunehmend freinander geffnet und den Austausch zwischen den
Lndern erhht. Vor allem die Herstellung des europischen Binnenmarkts
sowie die damit verbundene Freizgigkeit fr Waren, Finanzkapital, Dienstleistungen und Arbeitskrfte hat grenzberschreitende Wirtschaftsprozesse
befrdert und entscheidend das Anwachsen des binneneuropischen Handels, die Zunahme europischer Wertschpfungsketten und eine Transnationalisierung des Finanzkapitals begnstigt.
Mit der Globalisierung und Europisierung der vormals nationalstaatlich
abgeschotteten Container sind neue Anforderungen, aber auch Chancen fr
die Menschen in Europa verbunden. Da in den verschiedenen Lndern der
EU unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, ist eine Teilhabe am Globalisierungs- und Europisierungsprozess hufig nur mglich, wenn man die
Sprachen anderer Lnder beherrscht. Die Verfgung ber transnationales
sprachliches Kapital wird damit zu einer entscheidenden Ressource der Teilhabe
am Transnationalisierungsprozess. Diejenigen, die wie die Jnger Jesu mehrere Sprachen sprechen, haben es leichter, mit Brgern anderer Lnder in Kontakt zu treten und zu interagieren, sie zu bekehren, mit ihnen wirtschaftlich
zu handeln, wissenschaftlich zu kooperieren, politische Verhandlungen zu
fhren, Proteste ber die nationalstaatlichen Grenzen hinaus zu organisieren,
Liebesbeziehungen einzugehen etc., kurz: sich in unterschiedlichen Dimensionen transnational zu vergesellschaften. Die Verfgung ber transnationales

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sprachliches Kapital versetzt diejenigen, die darber verfgen, in die Lage,


am Transnationalisierungs- und Europisierungsprozess teilzunehmen und
entsprechende transnationale Interaktionsbeziehungen aufzubauen; diejenigen, die nur ihre Muttersprache sprechen, sind hingegen an ihr Land gebunden und knnen die Vorteile des vereinten Europas und einer globalisierten
Welt nur in geringerem Mae nutzen. Die Verfgung ber transnationales
linguistisches Kapital ist damit eine neue Quelle sozialer Ungleichheit im
Kontext einer sich entwickelnden globalisierten und europischen Gesellschaft; sie ist eine Ressource, die ber die Inklusion in diese Gesellschaft
mitentscheidet bzw. zur Exklusion fhren kann.1
Mehr- oder Einsprachigkeit hat aber nicht nur individuelle, sondern
auch kollektive Folgen. Gesellschaften, die dieselbe Sprache sprechen, treiben einen deutlich regeren Handel miteinander, als Gesellschaften, in denen
verschiedene Sprachen gesprochen werden, weil die Transaktionskosten des
Austauschs deutlich niedriger sind. Insofern wrde eine Mehrsprachigkeit
der europischen Brger auch das Wachstum in Europa steigern. Auch die
Allokation von Ressourcen innerhalb des europischen Marktes wrde sich
deutlich verbessern, wenn die Menschen mehrsprachig wren. Mangelnde
Mehrsprachigkeit ist eine der wichtigsten Ursachen fr die geringe rumliche
Mobilitt von Personen innerhalb der EU. Eine durch Mehrsprachigkeit
gesteigerte geographische Mobilitt wrde zu einer besseren Balance von
Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage innerhalb der EU fhren und htte
einen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum in Lndern mit Arbeitskrftemangel sowie den Wohlstand in Lndern mit Arbeitskrfteberschuss. Zudem wrde eine geographische Mobilitt zu einer besseren bereinstimmung zwischen den Qualifikationen der Arbeitnehmer und den Qualifikationsanforderungen der offenen Stellen fhren (vgl. Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit 2008).
Auch die Entwicklung einer europischen ffentlichkeit wrde von der
Mehrsprachigkeit der Brger profitieren (vgl. Gerhards 1993; 2000). Politische Entscheidungen werden immer hufiger von den Institutionen der EU
und nicht mehr von den nationalstaatlichen Regierungen und Parlamenten
gefllt. Die Berichterstattung der Medien bleibt aber weitgehend national1

Georg Vobruba (2008) geht in einem programmatischen Aufsatz zur Bestimmung der
Aufgaben einer Europasoziologie davon aus, dass die Analyse des Spannungsverhltnisses
zwischen der institutionellen europischen Ordnung und der sozialen Integration der Brger
zu den zentralen Aufgaben einer sich entwickelnden Europasoziologie gehrt.

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staatlich verhaftet. Franzosen informieren sich auf Franzsisch vor allem


ber die Politik ihres Landes, Deutsche richten ihre Aufmerksamkeit auf das
Geschehen in Berlin etc. Die Folge ist, dass die Brger nicht ausreichend
ber die Entscheidungen der EU informiert sind. Eine der wichtigsten
Grnde fr das ffentlichkeitsdefizit der EU liegt in dem Sprachenproblem. Die Entstehung einer europischen ffentlichkeit und die Partizipation
der Brger an der europischen Integration wrden entsprechend enorm
erleichtert, wenn sich die Menschen in Europa untereinander verstndigen
knnten.
Wie ist es aber um die Mehrsprachigkeit der Brger in den Mitgliedslndern der EU berhaupt bestellt? Welche Sprachen sprechen sie und welche Lnderunterschiede gibt es? Ich gehe wenigstens bis zum Beweis des
Gegenteils davon aus, dass die Verfgung ber transnationales sprachliches
Kapital nicht das Ergebnis einer Pfingstheimsuchung durch den heiligen
Geist ist. Man kann stattdessen vermuten, dass die Verfgung ber Mehrsprachigkeit gesellschaftliche Ursachen hat. Im Zentrum dieser Studie steht die
Frage, ob und in welchem Mae die Brger in den 27 Lndern der EU ber transnationales sprachliches Kapital verfgen und wie man die Unterschiede sowohl zwischen den 27
Lndern als auch innerhalb der Lnder in der Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital erklren kann. Dabei unterscheiden wir zwei Formen von transnationalem Kapital: die Anzahl der Sprachen, die jemand spricht ganz unabhngig davon, um
welche Sprachen es sich handelt und die Fhigkeit, diejenige Sprache zu sprechen, die den
hchsten Kommunikationswert hat, nmlich Englisch. Die Beantwortung dieser
Fragen ist eingebettet in eine Reihe vorbereitender konzeptioneller berlegungen ber das Verhltnis von Sprache und Gesellschaft und eine Analyse
der makrostrukturellen Kontextbedingungen, die eine Mehrsprachigkeit der
Brger erst notwendig machen. Zudem diskutiere ich die normative Frage,
welche Sprachpolitik der EU eine vernnftige und zugleich gerechte wre.
Die Argumentation erfolgt in folgenden Schritten: Das zweite Kapitel ist
der Entwicklung eines theoretisch-begrifflichen Rahmens zur Steuerung der
empirischen Untersuchung gewidmet. Dazu werde ich kurz erlutern, was
man unter Sprache versteht und durch welche Merkmale Einzelsprachen
gekennzeichnet sind. Ich werde dann diskutieren, welche zentralen gesellschaftlichen Funktionen der Sprache zukommen und unterscheide in diesem Zusammenhang eine Vergesellschaftungs- von einer Vergemeinschaftungsfunktion der Sprache: Eine gemeinsame Sprache ermglicht zum einen
die Verdichtung von Interaktionen; sie kann zum Zweiten als Merkmal zum

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Aufbau einer Gemeinschaft, einer kollektiven Identitt genutzt werden.


Diese doppelte Funktion gilt auch fr die Mehrsprachigkeit. Ich werde das
Konzept des transnationalen sprachlichen Kapitals mit Rckgriff auf die
Theorie Pierre Bourdieus genauer erlutern.
Die theoretisch begrifflichen berlegungen werden dann in Beziehung
gesetzt zu existierenden Theorieangeboten. Mehrere soziologische Grotheorien haben einen linugistic turn vollzogen; insofern kann man erwarten, dass man aus diesen Theorien etwas ber das Verhltnis von Sprache
und Gesellschaft lernen kann. Ich diskutiere die linguistischen Fundamente
von Habermas Theorie des kommunikativen Handelns, von Luhmanns
Systemtheorie und der Theorie der Strukturen der Lebenswelt von Alfred
Schtz und Thomas Luckmann. Der Befund dieser Auseinandersetzung ist
ernchternd. Die linguistische Wende hat die Sprachsoziologie ins Allgemeine und Unverbindliche transformiert. ber den Einfluss der Sprache auf
Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsprozesse erfhrt man aus
den Grotheorien nur wenig. Zudem zeigt sich, dass eine zentrale Annahme
der Theorien, dass unterschiedliche Sprachen zu einer unterschiedlichen
Weltaneignung und zu unterschiedlichen Kulturen fhren, nicht haltbar ist.
Die Vorstellung, dass Sprachenvielfalt immer auch kulturelle Vielfalt bedeutet, ist so nicht richtig. Dies hat Folgen fr die Sprachpolitik, wie ich im
letzten Kapitel herausarbeiten werde.
Das dritte Kapitel ist einer Analyse der institutionalisierten Sprachenordnung in Europa gewidmet. Die Beschreibung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen soll plausibel machen, warum die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital berhaupt zu einer zentralen Ressource der
Partizipation am europischen Integrationsprozess geworden ist. Drei Faktoren sind hier bedeutsam: a) Im Unterschied zu den USA gibt es in den
Vereinigten Staaten von Europa keine einheitliche Sprache, sondern 23
verschiedene Amtssprachen. Die sprachliche Heterogenitt innerhalb der
Lnder ist sehr gering, da die meisten Mitgliedslnder nur eine Amtssprache
zugelassen haben; die sprachliche Heterogenitt zwischen den Staaten ist
fast maximal, insofern in den 27 Mitgliedslndern 23 verschiedene Amtssprachen zugelassen sind. Wie sich diese nach Nationalstaaten gegliederte
sprachlich segmentierte Struktur im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat,
werde ich genauer beschreiben. Die Folge dieser historisch entstandenen
Ausgangskonstellation ist, dass Mehrsprachigkeit eine notwendige Voraussetzung ist, wenn man transnational und europaweit agieren mchte. b) In

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geschlossenen Gesellschaften, die nur wenige Kontakte mit anderen Gesellschaften haben, ist Mehrsprachigkeit keine bedeutende Ressource, weil sie
nur selten eingesetzt werden kann. Der Prozess der Globalisierung und der
Europisierung hat dies radikal verndert, da sich die Austauschprozesse
zwischen den europischen Lndern erhht haben. Ich werde mehrere Dimensionen von Europisierungs- und Globalisierungsprozessen unterscheiden und mit Rckgriff auf verschiedene Datenquellen die Entwicklung beschreiben. Die Befunde zeigen, dass die Gesellschaften Europas nicht nur
durch den europischen Einigungsprozess strker untereinander vernetzt
worden sind, sondern zugleich der Grad der weltweiten Verflechtung im Kontext von Globalisierungsprozessen enorm zugenommen hat. Erst unter
diesen Bedingungen ergeben sich fr die Brger neue Anforderungen und
Gelegenheiten, von denen sie aber nur Gebrauch machen knnen, wenn sie
auch andere Sprachen sprechen. c) Die Entstehung der Nationalstaaten lehrt
uns, wie vormals sprachlich heterogene Gebilde durch die Politik homogenisiert wurden. Entsprechend ist es bedeutsam, sich die Sprachpolitik der
Europischen Union genauer anzuschauen; dies geschieht im dritten Unterkapitel. Die sprachliche Heterogenitt Europas wird sich, so die Schlussfolgerung, in naher Zukunft nicht ndern, da die Sprachpolitik der Europischen Union die Sprachenvielfalt Europas untersttzt und darber hinaus
die Minderheitensprachen frdert. Unter diesen Kontextbedingungen wird
Mehrsprachigkeit zu einer zentralen Ressource der Teilhabe am Europisierungsprozess.
Der vierte Teil des Buches bildet das empirische Kernkapitel der Abhandlung. Auf der Basis einer Umfrage in 27 Lndern der EU werde ich die
Mehrsprachigkeit der Brger analysieren. Die empirischen Analysen zeigen,
dass es mit der Mehrsprachigkeit der Brger nicht so weit her ist: Mehr als
50 % der Brger sprechen neben ihrer Mutersprache keine zweite Sprache;
ihre Partizipationschancen am Europisierungsprozess sind damit sehr eingeschrnkt. Die Auswertungen zeigen darber hinaus, dass die Kompetenzen der Mehrsprachigkeit zwischen den Lndern und innerhalb der Lnder
sehr unterschiedlich verteilt sind. In den Niederlanden sprechen z. B. mehr
als 90 % der Bevlkerung mindestens eine Fremdsprache, in Ungarn weniger als 30 %.
Nicht jede Zweitsprache erffnet die gleichen Kommunikationschancen. Je mehr Menschen man mit einer Fremdsprache erreichen kann, desto
hher ist die Rendite des entsprechenden sprachlichen Kapitals. Demgem

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ist die Kenntnis weit verbreiteter Sprachen eine wichtigere Ressource als die
Kenntnis von gering verbreiteten Sprachen. Ich habe deswegen fr die am
hufigsten gesprochene Sprache in Europa die Menge der englischkompetenten Sprecher in den 27 Lndern bestimmt: Knapp die Hlfte der Brger
Europas kann sich in Englisch unterhalten. Und auch hier zeigen sich gewaltige Unterschiede innerhalb der Lnder und zwischen den Lndern. In
Bulgarien sind es z. B. 84,6 % der Brger, die kein Englisch sprechen knnen, in den Niederlanden sind dies nur 12,4 % der Bevlkerung.
Warum verfgen die Menschen in manchen Lndern der EU ber eine
sehr gute Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital und knnen sich auf Englisch verstndigen und warum ist das in anderen Lndern
nicht der Fall? Dieser Frage gehe ich im zweiten Teil des vierten Kapitels
nach. Dazu wird zuerst ein allgemeines Modell der Erklrung von Mehrsprachigkeit vorgestellt: Die Gelegenheiten zum Erwerb einer Sprache, die
Kosten, die mit dem Lernen einer Srache verbunden sind und die Motivation, eine Sprache zu erlernen, sind die drei zentralen Elemente des Kernmodells der Erklrung. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die die
Menschen eingebettet sind, wirken auf diese drei Dimensionen ein und
bestimmen, wer ber transnationales Kapital verfgt und wer nicht. Die aus
dem Erklrungsmodell abgeleiteten Hypothesen werden dann empirisch
getestet. Es zeigt sich, dass u. a. die Gre eines Landes und der Verbreitungsgrad der Muttersprache die Motivation und die Notwendigkeit, eine
zweite Sprache zu lernen, negativ beeinflussen. Der Modernittsgrad eines
Landes und vor allem das Entwicklungsniveau des Bildungswesens haben
einen positiven Einfluss auf die Mehrsprachigkeit. Mit Rckgriff auf die
Klassentheorie von Bourdieu kann man zeigen, dass die Klassenlage und die
Bildung des Befragten zentrale Gren auf der Mikroebene sind, die die
Verfgung ber transnationales Kapital begnstigen. Hinzu kommen das
Alter des Befragten, sein Migrationshintergrund und schlielich seine emotionale Bindung an die Muttersprache, die einen Effekt auf die Mehrsprachigkeit haben. Die Ergebnisse der Kausalanalysen zeigen insgesamt, dass
zentrale Faktoren, die die Ungleichheitsstruktur zwischen den Lndern und
innerhalb der Lnder beeinflussen, auch die Verfgung ber transnationales
Kapital beeinflussen. Nur ein Teil der Bevlkerung, und vor allem der Teil,
der sowieso schon bevorteilt ist, wird von den Chancen einer Europisierung profitieren knnen. Das Projekt Europa ist neben allen anderen Dingen auch ein Klassenprojekt.

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Man muss die Ergebnisse der empirischen Analysen auch im Kontext des
allgemeinen Forschungsstandes interpretieren. Die Analyse der Sprache im
Allgemeinen und die der Mehrsprachigkeit von Menschen im Besonderen
ist eine Domne der Linguisten, Psychologen und Pdagogen; deren Publikationen zum Thema Bi- und Multilingualismus fllen Bibliotheken (vgl. die
berblicksdarstellungen in Wei 2000; Bialystok 2001; Bhatia & Ritchie 2006;
Auer & Wei 2007). Sie dominieren mit immer kleinteiligeren Fragestellungen
und elaborierteren Methoden das Forschungsfeld zur Mehrsprachigkeit. Sie
knnen zeigen, welche neuropsychologischen Prozesse den Erwerb einer
zweiten Sprache begleiten, welche kognitiven Voraussetzungen zum Erwerb
mehrerer Sprachen gegeben sein mssen und welchen Einfluss umgekehrt
das Erlernen mehrerer Sprachen auf die Kognitionsentwicklung hat. Sie
untersuchen, in welcher Phase der individuellen Entwicklung der Erwerb
einer zweiten Sprache am schnellsten verluft und welche bilingualen Lernprogramme welche Erfolge zeitigen etc. Allein die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die Menschen eingebettet sind, spielen in ihren Analysen so gut wie keine Rolle. Und Soziologen haben sich aus dem Feld der
Sprachforschung und der Analyse der Bedingungen von Multilingualitt
zurckgezogen bzw. es nie betreten.
Dies wre nicht weiter bemerkenswert, wenn die Soziologie keinen relevanten Beitrag zur Sprachforschung im Allgemeinen und zur Multilingualitt im Besonderen leisten knnte. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Analysen werden zeigen, dass es genau die vernachlssigten gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen sind, die die Mehrsprachigkeit zentral beeinflussen.
Ob jemand Englisch als Fremdsprache spricht oder nicht, hngt weniger
von den individuellen kognitiven Bedingungen ab, als z. B. davon, ob die
Eltern aus der Oberschicht eines kleinen, westlichen Landes oder aus einem
Arbeiterhaushalt eines vormals sozialistischen Landes kommen. Diese und
hnliche Faktoren sind die eigentlichen Determinanten der Mehrsprachigkeit. Sie werden nur bis dato in den Analysen nicht bercksichtigt. Diese
Studie zeigt damit auch, dass die Forschung zur Zwei- und Mehrsprachigkeit, aber auch die Forschung zur Sprache im Allgemeinen dringend um eine
soziologische Perspektive ergnzt werden mssen.
Im fnften und letzten Kapitel diskutiere ich schlielich die normative Frage, ob die Politik der EU, die 23 Amtssprachen zu schtzen und die Minderheitensprachen zu frdern, eine gerechte Politik ist. Ich argumentiere,
dass die Sprachpolitik der EU hilft wenn auch unbeabsichtigt , die Un-

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gleichheiten in der Verfgung ber transnationales Kapital zu stabilisieren.


Besser wre es, wenn die Politik die Dominanz des Englischen nicht nur
anerkennen, sondern die Verbreitung einer lingua franca Englisch europaweit frdern wrde, auch wenn dies zu Lasten der Nationalsprachen und
der Minderheitensprachen ginge. Dieser Vorschlag widerspricht nicht nur
der Sprachpolitik der EU und der Ideologie von der Einheit in der Vielfalt, sondern auch der herrschenden Meinung von Linguisten und Anthropologen, die sich fr eine sprachliche Vielfalt einsetzen. Warum eine Politik
der Frderung der sprachlichen Vielfalt aber nur begrenzt gut begrndbar
ist, wird entsprechend ausfhrlich diskutiert.
Eine Frderung von Englisch als lingua franca wrde allerdings diejenigen Lnder, in denen Englisch bereits die Muttersprache ist, begnstigen. Zur Kompensation dieser Asymmetrie wird vorgeschlagen, dass sich
die 27 Lnder in einem unterschiedlichen Ausma an der Finanzierung der
Sprachpolitik der EU beteiligen. Diese Idee einer disproportionalen Frderung liegt auch der Struktur- und Regionalpolitik der EU zu Grunde, wre
also fr die EU keine gnzlich neue Politik.

19

2 Der konzeptionelle Rahmen

Das primre Ziel der folgenden berlegungen besteht in der Entwicklung


eines konzeptionellen Rahmens zur Anleitung der empirischen Untersuchungen, die dann in den nachfolgenden Kapiteln erfolgen werden. Der
Anspruch der Ausfhrungen geht aber ber diese enge Zielsetzung hinaus,
insofern es auch um eine grundlegendere Bestimmung des Verhltnisses
von Sprache und Gesellschaft gehen wird. Entsprechend produziert das
Kapitel einen gewissen berschuss an theoretischen berlegungen, die
spter nicht bentigt bzw. nicht aufgenommen werden. Dieses Vorgehen
kann durch die einschlgige Literaturlage gerechtfertigt werden. Die Soziologie hat der Analyse der Sprache fr die Konstitution von Gesellschaften
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Diese These mag auf den ersten Blick
verwundern, wenn man bedenkt, dass in der soziologischen Theoriebildung
in den 1970er Jahren eine sprachwissenschaftliche Wende stattgefunden hat.
So unterschiedliche Theorien wie die Luhmannsche Systemtheorie, die
Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns oder Alfred Schtz
und Thomas Luckmanns Theorie der Strukturen der Lebenswelt haben alle
ein kommunikations- und in der Regel sprachsoziologisches Fundament. Sie
sind in ihrem Selbstverstndnis allgemeine soziologische und sprachsoziologische Theorien zugleich.
So grotesk es klingen mag: Die linguistische Wende hat die Sprachsoziologie ins Allgemeine und damit ins Unverbindliche transformiert. Die
Analyse des Einflusses der Sprache auf Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsprozesse bleibt in den Grotheorien weitgehend unbercksichtigt. Und auch die umgekehrte Frage, in welchem Mae die Menge der
existierenden Sprachen, die Hegemonie bestimmter Sprachen oder die Vernderungen der Dominanzverhltnisse zwischen verschiedenen Sprachen
von der Gesellschaftsordnung abhngig sind, wird in den Theorien nicht
behandelt. Die Tatsache, dass z. B. ein Brger eines englischsprachigen Landes ganz andere Kommunikationsmglichkeiten hat als ein Brger aus Lettland, ist ja nicht zufllig, sondern das Resultat eines historischen Prozesses,
in dessen Verlauf englischsprachige Imperien eine hegemoniale Stellung
21

erreicht haben und Lettland eben nicht (vgl. dazu genauer Kapitel X). Ich
werde mich im zweiten Unterkapitel, das einer Kritik des linguistic turn in
der soziologischen Theoriebildung gewidmet ist, mit den verschiedenen
Grotheorien kritisch auseinandersetzen und sowohl die Luhmannsche
Systemtheorie, die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns
als auch die Theorie der Strukturen der Lebenswelt von Alfred Schtz und
Thomas Luckmann darstellen und kritisieren.
Fr die Entwicklung eines theoretischen Rahmens zur Steuerung der
empirischen Untersuchung mit dem Ziel der Beantwortung der in der Einleitung formulierten Fragestellungen taugen die soziologischen Grotheorien aber nur wenig. Man ist auf den eigenen Kompass angewiesen. Orientierung bei der Entwicklung eines theoretischen Rahmens findet man vor
allem bei der konomischen und soziologischen Migrations- und Integrationsforschung, die die Bedingungen des Erwerbs einer neuen Sprache von
Migranten analysiert hat. Ich werde an diesen Forschungsstand anknpfen.
In einem ersten Schritt soll kurz erlutert werden, was man unter Sprache
und unter Einzelsprachen versteht. Ich werde in einem zweiten Schritt diskutieren, welche zentralen gesellschaftlichen Funktionen der Sprache zukommen. Ich unterscheide in diesem Zusammenhang zwischen einer Vergesellschaftungs- und einer Vergemeinschaftungsfunktion der Sprache. Wird
die Sprache fr Prozesse der Vergesellschaftung genutzt, spreche ich von
instrumentellem sprachlichen Kapital, bezieht sich der Ressourceneinsatz
auf Vergemeinschaftungsprozesse, auf die Ausbildung kollektiver Identitt
also, spreche ich von symbolischem sprachlichen Kapital. In einem dritten
Schritt wird diese Begrifflichkeit auf die Kompetenz, mehrere Sprachen
sprechen zu knnen, bertragen. Unter vernderten gesellschaftlichen
Randbedingungen, die in der Literatur unter den Stichworten Globalisierung
und Europisierung abgehandelt werden, kommt der Mehrsprachigkeit eine
zentrale Rolle zu. Diejenigen, die mit transnationalem sprachlichem Kapital
ausgestattet sind, also ber Mehrsprachigkeit verfgen, sind in der Lage, am
Transnationalisierungs- und Europisierungsprozess teilzunehmen; diejenigen, die nur ihre Muttersprache sprechen, sind an ihr Land gebunden und
knnen die Vorteile des vereinten Europa und einer globalisierten Welt nur
in geringerem Mae nutzen. Die Verfgung ber transnationales linguistisches Kapital ist damit auch eine neue Quelle sozialer Ungleichheit im Kontext einer sich entwickelnden europischen Gesellschaft.

22

2.1

Die Bedeutung der Sprache fr Prozesse der Vergesellschaftung


und Vergemeinschaftung

2.1.1 Definition von Sprache


Die meisten Definitionen von Sprache stellen Sprache als ein System von
Zeichen dar, das der bermittlung von Informationen dient (vgl. z. B. Vater
2002; Volmert 2005). Eine solche, auf den ersten Blick einfache Definition
enthlt unterschiedliche Bestimmungselemente: Der bermittlungsbegriff
unterstellt, dass es mindestens einen Sprecher und einen Rezipienten gibt
und etwas, das zwischen ihnen ausgetauscht wird. Ausgetauscht werden
Informationen. Informationen knnen Aussagen ber die Welt oder eigene
Gemtszustnde und Gefhle, die Artikulation von Handlungsabsichten,
Kaufentscheidungen, Liebeserklrungen, politische Ansprachen etc. sein.
Dieser Austausch von Informationen erfolgt zeichenvermittelt. Zeichen
bestehen, wie Ferdinand de Saussure (1967) herausgearbeitet hat, aus zwei
Komponenten: dem Bezeichneten und dem Bezeichnenden. Das Bezeichnende hat ein materielles Substrat, es besteht aus Lauten/Schallwellen oder
Schriftzeichen/Bildern. Die Laute bzw. Schriftzeichen und Bilder verweisen
auf das Bezeichnete. Sie sind aber nicht identisch mit dem Bezeichneten.
Ren Magritte hat in einem seiner berhmtesten Bilder La trahison des
images auf genau diesen Unterschied hingewiesen. Auf diesem Bild ist eine
Pfeife zu sehen, die mit der Bildunterschrift Ceci nest pas une pipe (Das
ist keine Pfeife) versehen ist und darauf verweist, dass die Darstellung eines
Gegenstandes nicht mit dem originalen Gegenstand gleichzusetzen ist. Die
Zuordnung von bestimmten Lauten oder Zeichen zu bestimmten Bedeutungen ist arbitrr. Es gibt keinen in dem Bezeichneten liegenden Grund,
warum die Zuordnung so erfolgt, wie sie erfolgt; und entsprechend ist die
Zuordnung je nach Einzelsprache unterschiedlich. Die Buchstabenfolge T-is-c-h bezeichnet einen Gegenstand, der in der Regel auf vier Beinen steht
und an dem man sitzen kann, um zu essen oder zu schreiben. Das, was wir
im Deutschen Tisch nennen, wird im Spanischen als mesa, im Englischen
als table und im Polnischen als st bezeichnet.
Die mit Bedeutung versehenen Laute und Zeichen werden nach Regelsystemen miteinander kombiniert, so dass grere Einheiten, Satzteile und

23

Stze entstehen.1 Diese Regelsysteme sind in der Grammatik einer Sprache


festgehalten. Eine Sprache besteht im Wesentlichen also aus einer Grammatik und aus einem Wortschatz; Personen bezeichnen mit Stzen, die sie aus
dem Wortschatz und mit Hilfe der Grammatik bilden, Dinge in der Welt,
formulieren Liebeserklrungen, uern Kaufabsichten oder bringen andere
Handlungsabsichten zum Ausdruck und teilen dies einem anderen Kommunikationspartner mit. Jede Kommunikation enthlt entsprechend eine triadische Struktur: Ego zeigt mit Hilfe von Lauten und Zeichen Alter etwas in
der Welt an.2 Alter versteht die Bedeutungen der Aussagen und kann auf
dieser Basis wiederum seine uerungen ttigen, die dann erneut von Ego
verstanden werden. ber diesen wechselseitigen Austausch von Informationen knnen Menschen ihre Handlungsabsichten koordinieren und miteinander kooperieren.
Die Fhigkeit des Menschen, sprechen zu knnen, ist an eine Vielzahl
von Bedingungen geknpft, die von anatomischen bis hin zu spezifischen
Hirnvoraussetzungen reichen (sehr anschaulich z. B. Friederici 2002; Fischer
2008a). So ist die Fhigkeit, sehr differenzierte Laute zu produzieren, von
einer besonderen Anatomie des Rachenraums abhngig; die Lage des Kehlkopfs spielt dabei eine wichtige Rolle. Im Vergleich zu den Schimpansen
liegt der Kehlkopf beim Menschen viel tiefer; dadurch entsteht ein groer
und zugleich fein modulierbarer Resonanzraum, der die Produktion sehr
unterschiedlicher Laute und insbesondere von Vokalen ermglicht eine
anatomische Grundlage, die dem Homo sapiens sonst nahe stehende Affen
gerade nicht besitzen. Auf die verschiedenen Voraussetzungen, die menschliches Sprechen und dann auch Schreiben ermglichen, gehe ich hier nicht
weiter ein. Was die verschiedenen Voraussetzungen aber ermglichen, ist,
dass jeder Mensch sofern keine pathologischen Beeintrchtigungen vorlie1 Auf die Gliederung von sprachlichen Einheiten Phonem, Morphem, Wort, Satzteil, Satz,
Text und die darauf spezialisierten linguistischen Subdisziplinen (Phonetik, Morphologie
etc), gehe ich hier nicht ein; die sprachwissenschaftlichen Ausfhrungen bleiben insgesamt
sehr sparsam und beschrnken sich auf das Notwendigste.
2 Michael Tomasello (2008) geht davon aus, dass sich die sprachliche Kommunikation des
Menschen aus der Kommunikation mit Gesten entwickelt hat. Auch die Kommunikation mit
Gesten weist bereits eine triadische Struktur auf: Im vorsprachlichen Alter benutzen Kinder
den Zeigefinger, um etwas in der Welt anderen Kommunikationspartnern anzuzeigen. Diese
Geste des Anzeigens verweist auf ein Objekt in der Welt; die beteiligten Personen bernehmen zugleich mit der Blickrichtung auch die jeweilige Sicht und Intention des Anderen; sie
teilen mit ihm eine gemeinsame Bedeutungsdefinition. Genau diese Fhigkeit, so die These
Tomasellos (2008: 331) haben z. B. Schimpansen nicht.

24

gen sprechen lernt, und zwar fast automatisch, ohne dass er dazu explizit
angeleitet werden muss. Die Fhigkeit zur Sprachentwicklung ist angeboren
(vgl. Pinker 1994 im Anschluss an die Arbeiten von Noam Chomsky).
Auch wenn die allgemeine Disposition, jede Sprache lernen zu knnen,
fr alle Menschen gegeben ist, lernt jeder Mensch nur diejenige Sprache, die
in seiner Umgebung gesprochen wird (Muttersprache). Und entsprechend
ist die Chance, mit anderen kommunizieren zu knnen, davon abhngig, ob
man dieselbe Sprache spricht wie die jeweiligen Kommunikationspartner.
Dieselbe Sprache zu sprechen, bedeutet nach unserer Definition von Sprache, dass die Sprecher den Lauten und Lautfolgen, den Zeichen und Zeichenfolgen die gleichen Bedeutungen zuordnen und das gleiche Regelsystem
der Kombination von Wrtern und Stzen, die gleiche Grammatik also,
beherrschen. Ist dies der Fall, dann knnen sie miteinander kommunizieren;
ist dies nicht der Fall, ist eine unmittelbare sprachliche Kommunikation
schwerlich mglich. Damit haben wir auch eine recht einfache Definition
von Einzelsprachen formuliert. Die verschiedenen insgesamt auf der Erde
existierenden Sprachen unterscheiden sich von einander durch verschiedene
Grammatiken, unterschiedliche Lexika und zum Teil durch unterschiedliche
Zeichensysteme. Deutsch, Schwedisch, Japanisch, Russisch etc. sind Einzelsprachen. Eine Einzelsprache liegt dann vor, wenn sich Sprecher von zwei
verschiedenen Sprachen nicht bzw. nur mit sehr groem Aufwand verstndigen knnen.
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachen im Hinblick
auf die Grammatik und die Zeichensysteme und damit auch im Hinblick auf
die Verstndigungsmglichkeiten sind relativ. Die vergleichende Sprachwissenschaft benutzt zur Beschreibung des Verhltnisses der verschiedenen
Sprachen zueinander und zur Analyse des Sprachenwandels Begriffe der
Evolutionsbiologie (vgl. Dixon 1997; Mufwene 2001). Mehrere Sprachen
bilden eine genetische Einheit, wenn diese von einer gemeinsamen Vorgngersprache abstammen, sie sich also im Stammbaum der Sprachen auf einen
gemeinsamen Knoten zurckverfolgen lassen. Eine genetische Einheit muss
nicht aus verwandten Sprachen bestehen, sie kann auch als eine Einzelsprache existieren, wenn es sich um eine isolierte Sprache handelt. Sprachen, die
denselben Ursprung haben, also von einer gemeinsamen Ursprungssprache
abstammen, gehren zur selben Sprachfamilie (vgl. Lewis 2009). Deutsch,
Englisch, Franzsisch, Russisch, Bulgarisch oder Lettisch gehren zum
Beispiel im Unterschied zu Arabisch, Chinesisch, Trkisch, Ungarisch oder

25

Baskisch alle zur selben Sprachfamilie, zur Familie der indogermanischen


Sprachen. Und hnlich wie in richtigen Familien gibt es auch bei Sprachfamilien innerhalb ein und derselben Grofamilie unterschiedliche Grade der
Nhe der Abstammung und damit der berschneidung in den gemeinsamen
Genen bzw. den Zeichensystemen und der Grammatik. Der Abstand zwischen den verschiedenen Einzelsprachen beeinflusst den Aufwand, den man
betreiben muss, eine andere Sprache zu lernen. Je geringer der Abstand
zwischen zwei Einzelsprachen, desto leichter ist es, die andere Sprache zu
lernen. Ich werde auf diesen Zusammenhang an spterer Stelle, bei der
Formulierung von Hypothesen ber den Fremdsprachenerwerb, nochmals
zurckkommen.
An dieser Stelle geht es uns aber um die Definition von Einzelsprachen.
Unscharf wird der Begriff der Einzelsprache in den Fllen, in denen der
Grad der berschneidung zwischen zwei Sprachen sehr hoch ist, wir es
gleichsam mit zweieiigen oder sogar eineiigen Zwillingen zu tun haben. In
diesen Fllen ist es dann hufig eine aus linguistischer Perspektive artifizielle, meist politische Entscheidung, ob man von zwei Einzelsprachen spricht
oder von zwei Dialekten ein und derselben Sprache. Dies trifft z. B. fr
Norwegisch und Schwedisch oder Kroatisch und Serbisch zu. Norweger
und Schweden einerseits und Kroaten und Serben andererseits knnen sich
untereinander verstndigen und trotzdem handelt es sich offiziell um unterschiedliche Sprachen. Dies ist auf die Tatsache zurckzufhren, dass gesellschaftliche Gruppen wie Ethnien und vor allem Nationen sich hufig ber
eine gemeinsame Sprache definieren. Der linguistisch betrachtete marginale
Unterschied zwischen zwei Sprachen wird in diesen Fllen als substanzieller
Unterschied definiert, um die eigene Nation oder Ethnie von einer anderen
Nation abgrenzen zu knnen. Ich komme spter auf diese symbolische
Funktion von Sprache zur Definition von Gemeinschaften noch ausfhrlicher zurck.3 An dieser Stelle knnen wir aber festhalten: In aller Regel gilt,
dass Einzelsprachen durch unterschiedliche Grammatiken und Lexika gekennzeichnet sind; diese Unterschiede manifestieren sich pragmatisch in der
Sprachverwendung in dem Sachverhalt, dass zwei Sprecher, die unterschiedliche Sprachen sprechen, sich nicht oder kaum verstndigen knnen.

Im Beispiel von Serbisch und Kroatisch wird die Abgrenzung zudem durch die Verwendung einer anderen Schrift (lateinisch / kyrillisch) gefrdert; vgl. zur politischen Konstruktion des Unterschieds zwischen beiden Sprachen die Ausfhrungen in Nic Craith (2008: 25ff.).

26

Die Tatsache, dass Akteure nicht ber eine gemeinsame Sprache verfgen,
bedeutet nun nicht, dass sie nicht miteinander interagieren knnen. Die
Transaktionskosten der Interaktion sind aber im Vergleich zu einer Verfgung ber eine gemeinsame Sprache recht hoch. Entweder bedarf es eines
bersetzers, der beide Sprachen beherrscht. Die Transaktionskosten bestehen dann zum einen in den Entlohnungskosten fr den bersetzer, zum
Zweiten in der Zeit fr die bersetzung, die die Kommunikation selbst
verlangsamt; drittens entstehen bei einer bersetzung immer Unschrfen,
die die Kommunikation selbst erschweren und beeintrchtigen.
Eine Alternative zur bersetzung besteht darin, dass die Akteure versuchen, sich unmittelbar und nicht sprachlich zu verstndigen. Jeder, der in
einem Land war, dessen Sprache er nicht spricht und versucht hat, z. B. den
Weg zum Bahnhof oder zum Flughafen herauszufinden, wei, mit welch
hohen Transaktionskosten dies verbunden ist. Mit Mimik und Gestik ist
selbst eine relativ einfache Kommunikation wie die einer Wegbeschreibung
fast nicht zu bewerkstelligen, weil die Differenziertheit der mimischen und
gestischen Zeichen begrenzt ist, vor allem aber die grammatikalisch gesteuerten Kombinationsmglichkeiten von Zeichen gering sind. Peter A. Kraus
(2004: 100) berichtet von einem Ereignis aus Belgien aus dem Jahr 2001.
Der Versuch, einen Zusammensto von zwei Zgen zu verhindern, schlug
deswegen fehl, weil die beiden Bahnmitarbeiter, die fr die Kontrolle zustndig waren, jeweils nur Flmisch bzw. Franzsisch sprachen.
2.1.2 Sprache als Kapital: Die zentralen gesellschaftlichen Funktionen von Sprache
Welche Bedeutung kommt der Beherrschung einer oder mehrerer Einzelsprachen fr die Konstituierung der Gesellschaft zu? Man kann die Sprachund Sprachenkompetenz als eine Ressource, als ein Kapital begreifen, das
zur Vergesellschaftung einerseits und zur Vergemeinschaftung andererseits
genutzt werden kann. Wird die Sprache fr Prozesse der Vergesellschaftung
genutzt, spreche ich von instrumentellem sprachlichen Kapital, bezieht sich
der Ressourceneinsatz auf Vergemeinschaftungsprozesse, spreche ich von
symbolischem sprachlichen Kapital. Handelt es sich um die Kompetenz, in
mehreren Sprachen sprechen zu knnen, dann bezeichne ich dies als transnationales sprachliches Kapital und unterscheide analog zwischen einer
instrumentellen und einer symbolischen Funktion des transnationalen
sprachlichen Kapitals. Ich lehne mich mit dieser Begrifflichkeit an die Arbei-

27

ten von Pierre Bourdieu (1992; zusammenfassend Loos 2000) an, der die
Verfgung ber Sprache als ein Kapital begreift und zwischen der Ressourcenfunktion und der symbolischen Funktion von Sprache unterscheidet.4
Allerdings benutzen weder Bourdieu noch die anderen Autoren den
Begriff des transnationalen sprachlichen Kapitals. So wie die Arbeiten
Bourdieus insgesamt in hohem Mae dem methodologischen Nationalismus
(Beck & Grande 2004) verhaftet bleiben, indem sie vor allem die Klassenstruktur einer nationalstaatlich verfassten Gesellschaft analysieren, bleibt
auch sein Konzept des linguistischen Kapitals weitgehend auf den Nationalstaat bezogen. Der Begriff des linguistischen Kapitals bezieht sich bei ihm in
erster Linie auf die elaborierte Beherrschung der jeweiligen Hoch- und
Amtssprache eines Landes und die klassenabhngige Kompetenz, diese
sprechen zu knnen (Bourdieu 1992). Im Kontext von Transnationalisierungs- und Europisierungsprozessen werden aber Kapitalienausstattungen
erforderlich, die ein Agieren jenseits des nationalstaatlichen Containers
(Taylor 1994; Beck 1997) ermglichen. Dazu gehrt die Mehrsprachigkeit.
2.1.2.1 Sprachkompetenz und Vergesellschaftung: Sprache als
instrumentelles Kapital
Der Grundbegriff der Soziologie ist nach Max Weber bekanntlich der des
sozialen Handelns.5 Eine wechselseitige Bezugnahme von Akteuren aufeinander ist eine Interaktion und fhrt zu sozialen Beziehungen. Weber unterscheidet zwei Formen sozialer Beziehungen: Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung. Sprache erfllt eine zentrale Funktion, sowohl fr Prozes4

In der Literatur finden sich zur Bezeichnung desselben Sachverhalts zum Teil hnliche
Begriffe. Peter A. Kraus (2004) unterscheidet zwischen einer instrumentellen und einer expressiven Funktion von Sprache. Hartmut Esser (2006: 52) beschreibt die Sprachkompetenz
zum einen als eine Ressource, ber die andere gesellschaftlich relevante Ressourcen erlangt
werden knnen. Er spricht zustzlich von der Symbolfunktion von Sprache; Sprache ermglicht, Dinge zu bezeichnen und vor allem Stereotype und Diskriminierungen herzustellen.
Esser (2006: 52) unterscheidet zustzlich eine dritte Funktion der Sprache: Sprache ist ein
Medium der Kommunikation, sie ermglicht Verstndigung. Die Funktion der Verstndigung scheint mir aber mit der Beschreibung von Sprache als einer Ressource schon hinreichend abgedeckt zu sein. Jochen Roose (2010: 126) schlielich spricht von der praktischen
und der symbolischen Bedeutung der Sprache.
5 Soziales Handeln ist nach Weber ein Handeln, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem
Ablauf orientiert ist (Weber 1985: 1).

28

se der Vergesellschaftung als auch fr die der Vergemeinschaftung. Ich


bernehme von Weber allein die beiden Begriffe Vergesellschaftung und
Vergemeinschaftung; die Rolle der Sprache fr beide Prozesse ist von ihm
nicht diskutiert worden.
Weber versteht unter Vergesellschaftung eine soziale Beziehung wenn
und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (zweckrational
oder wertrational) motiviertem Interessenausgleich [...] beruht (Weber
1985: 21). Weber denkt bei der Definition von rational motiviertem Interessenausgleich vor allem an konomisch motivierte Interaktionen. Der
Begriff der Vergesellschaftung ist aber durchaus weiter zu verstehen; er
umfasst alle Formen des Austauschs zwischen miteinander interagierenden
Personen. Der Austausch kann sich u. a. auf den Austausch von Informationen, von Gtern, Aktien, sexuellen Dienstleistungen oder von wissenschaftlichen Erkenntnissen beziehen.
Die Tatsache, dass Sprache eine Interaktion zwischen Menschen ermglicht, ohne dass mit der Interaktion sehr hohe Transaktionskosten verbunden sind, macht es wahrscheinlich, dass eine Vergesellschaftung zwischen denjenigen, die dieselbe Sprache sprechen, eher zustande kommt, als
zwischen denjenigen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Jeder, der auf
internationalen Konferenzen war oder sich in anderen mehrsprachigen
Konstellationen aufgehalten hat, kennt diesen Zusammenhang aus unmittelbarer Erfahrung. Personen, die die gleiche Sprache sprechen, kommen
eher miteinander ins Gesprch als Personen, die nicht die gleiche Sprache
sprechen. Diejenigen, die die gleiche Sprache sprechen, setzen sich z. B. bei
Tisch zusammen und unterhalten sich. Personen, die mit am Tisch sitzen
und nicht die Sprache der Anderen sprechen, sind von der Kommunikation
weitgehend ausgeschlossen. Die in ein und derselben Sprache stattfindenden
Kommunikationen verdichten und verfestigen sich hufig. Die Kommunikationspartner entdecken ein wechselseitiges Interesse aneinander und beim
nchsten Treffen setzt man sich wieder mit denen zusammen, die dieselbe
Sprache sprechen. Man trifft sich hufiger und auf diesem Wege entsteht
eine Interaktionsverdichtung zwischen Kommunikationspartnern in Abgrenzung zu denen, die eine andere Sprache sprechen. Dies ist der erste
Schritt in Richtung einer Vergesellschaftung der in derselben Sprache Sprechenden. Auf dieser Grundlage entstehen dann je nach Interesse z. B. wissenschaftliche Austausch-, Liebes- oder Geschftsbeziehungen. Insofern ist
eine Sprache ein Mittel, ein Kapital, das die Konstitution von Gesellschaft

29

wahrscheinlich macht. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Vergesellschaftungen mit bilingualer oder trilingualer Zusammensetzung gibt. Sowohl
auf der Ebene von Interaktionssystemen (Freundschaften, Partnerschaften,
Ehen) als auch auf der Ebene von ganzen Nationalstaaten (z. B. Schweiz,
Belgien, Kanada, Indien, Sdafrika) finden wir Vergesellschaftungsformen
von Menschen, die nicht die gleiche Sprache sprechen. Ihre Entstehung ist
aber deutlich voraussetzungsvoller und damit unwahrscheinlicher.
Wie wirkungsmchtig die Sprache auch dann noch ist, wenn Menschen
seit langem in einem gemeinsamen Nationalstaat leben, zeigt das Beispiel
Schweiz. Als loser Staatenbund besteht die Schweiz bereits seit dem 13.
Jahrhundert. In der heutigen Form wurde sie als fderaler Bundesstaat 1848
gegrndet. Deutsch, Franzsisch, Italienisch und Rtoromanisch sind die
offiziellen Amtssprachen der Schweiz. Die sprachliche Gliederung der
Schweiz prgt trotz langer staatlicher Einheit das Verhalten ihrer Brger.
Ein gutes Beispiel, um dies zu illustrieren, ist die Mediennutzung der
Schweizer.6 Das nationale Fernsehen der Schweiz umfasst sechs Kanle, mit
jeweils zwei Vollprogrammen fr die drei groen Sprachregionen (SF 1 und
SF 2 fr die Deutschschweiz; TSR 1 und TSR 2 fr die Franzsisch sprechende Schweiz und TSI 1 und TSI 2 fr die Italienisch sprechende
Schweiz). Hinzu kommen die Sendeangebote, die aus dem Ausland in der
Schweiz empfangen werden knnen, also vor allem die Fernsehsendungen
aus Deutschland, Frankreich und Italien. Die auslndischen Sender haben
dabei einen sehr hohen Marktanteil am schweizerischen Markt. Dieser liegt
bei ca. 65 % der Sehdauer der Zuschauer (vgl. Hasebrink & Herzog 2009).
Das Medienrezeptionsverhalten der Brger folgt nun fast vollstndig der
sprachlichen Gliederung der Schweiz. Die Deutschschweizer schauen die
deutschen Programme aus der Schweiz und vor allem aus dem Ausland, die
Franzsisch sprechenden Schweizer schalten die franzsischen und die italienischen Schweizer die italienischen Programme ein. Nur auf die Schweizer Fernsehprogramme bezogen kommen Daniel Beck und Bertil Schwotzer
(2006: 26) zu folgendem Ergebnis: So ist der Marktanteil der SRG6

Andere Indikatoren ber den Effekt der Sprachgliederung der Schweiz auf die Vergesellschaftung sind leider nicht verfgbar. So wre es interessant zu erfahren, in welchem Mae
die Sprachgrenzen die Wirtschaftsgrenzen beeinflussen, wie ausgeprgt z. B. der Handel
zwischen den verschiedenen Sprachregionen ist. Auch die Hufigkeit von Eheschlieungen
ber die Sprachgrenzen hinweg wre ein interessanter Indikator, um den Effekt der Sprachen
auf den privaten Bereich zu berprfen.

30

Fernsehprogramme aus den jeweils anderen Sprachregionen ziemlich gering,


2005 lag er in der Deutschschweiz bei 0,7 Prozent, in der Romandie bei 1,8
Prozent und im Tessin bei 4,1 Prozent. Die Bezeichnung ziemlich gering
scheint mir eine deutliche Untertreibung zu sein. Faktisch besteht die
Schweiz aus nach Sprachgruppen aufgeteilten drei Mediengesellschaften.
Geht man davon aus, dass die Medienrezeption einen nicht unerheblichen
Einfluss auf die Weltwahrnehmung der Menschen hat, dann leben die
Schweizer partiell in verschiedenen Welten.
Die These, dass eine gemeinsame Sprache eine Vergesellschaftung entscheidend begnstigt, wird auch durch Befunde der Makrokonomie eindrucksvoll besttigt. In der konomie gibt es eine ausgedehnte Diskussion
ber den Einfluss, den eine gemeinsame Sprache auf den Handel zwischen
verschiedenen Lndern hat. Die Ergebnisse der empirischen Studien sind
eindeutig: Lnder, in denen die gleiche Sprache gesprochen wird, betreiben
einen deutlich intensiveren Handel miteinander, als Lnder, fr die dies nicht
gilt (zusammenfassend Melitz 2008). Dieser Zusammenhang bleibt auch
dann bestehen, wenn man eine Vielzahl anderer Faktoren, die den Handel
zwischen Lndern beeinflussen, kontrolliert (z. B. Existenz einer Freihandelszone, gemeinsame Mitgliedschaft in einer politischen Union, gemeinsame
Whrung, gemeinsame Geschichte und Kultur, geographische Distanz, Bruttoinlandsprodukt etc.). Die Ursache fr diesen Befund sehen konomen in
den deutlich geringeren Transaktionskosten, die mit einer gemeinsamen
Sprache verbunden sind. Die Informationsbeschaffung ber mgliche Handelspartner ist deutlich einfacher und die Handlungsabwicklung fllt leichter,
wenn man in ein und derselben Sprache kommunizieren kann.7
Man kann den beschriebenen Zusammenhang von Sprache und Vergesellschaftung auch aus der Perspektive der Individuen formulieren. Die
Kenntnis der Sprache, die in einer Gruppe gesprochen wird, ist aus der Perspektive der Individuen eine zentrale Ressource der Teilhabe an der Gesellschaft. Da fr die meisten Menschen gilt, dass sie in der Gesellschaft leben,
in der sie auch aufgewachsen sind und entsprechend die Sprache dieser Gesellschaft sprechen, weil sie diese als Muttersprache gelernt haben, ist die
sprachliche Voraussetzung fr eine Vergesellschaftung weitestgehend gege7

Dieser allgemeine Zusammenhang ist in der Forschung weiter spezifiziert worden, indem
einerseits zwischen verschiedenen Gtern, die getauscht werden, unterschieden wird, andererseits verschiedene Figurationen der Sprachenbereinstimmung unterschieden werden (vgl.
Melitz 2008; Felbermayr & Toubal 2009).

31

ben. Welche Bedeutung die Sprache fr alle Formen der Vergesellschaftung


hat, wird vor allem dann deutlich, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben
ist, wenn die Akteure ber wenig relevantes sprachliches Kapital verfgen.
Das gilt z. B. fr Migranten, die mit dem Wechsel des Landes hufig auch
den Sprachkontext wechseln. Damit wird ihr muttersprachliches Kapital mit
einem Schlag weitgehend entwertet, weil sie in ihrer Herkunftssprache nicht
oder kaum noch kommunizieren knnen.8 Die Integrationsforschung hat
theoretisch und empirisch gezeigt, welch groe Bedeutung der Sprache fr
alle Vergesellschaftungsprozesse von Migranten zukommt.9 Welches sind
die zentralen Befunde?
Die Kenntnis und kompetente Verwendung der Sprache, die in einer
Gesellschaft gesprochen wird, ist eine spezifische Form des Humankapitals.10 Die Verfgung ber eine gute Sprachkenntnis kann in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen nutzbringend eingesetzt werden und ist
dann mit entsprechenden Renditen fr diejenigen verbunden, die ber das
sprachliche Kapital verfgen.11

Dies gilt nur eingeschrnkt fr die Flle, bei denen sich in dem jeweiligen Aufnahmeland
eine groe Gruppe von Migranten der gleichen Sprachgemeinschaft befindet.
9 Hartmut Esser (2006) hat den theoretischen und empirischen Literaturstand sehr gut zusammengefasst und in eine allgemeine Theorie der Erklrung von Handeln integriert. Esser
selbst steht dabei auf den Schultern einer elaborierten Forschung, die ich hier nicht im Einzelnen rekonstruieren will, deren theoretische Prmissen und empirischen Befunde aber
weitgehend bereinstimmen (vgl. fr viele andere z. B. zusammenfassend Chiswick 2007).
10 Mit Humankapital bezeichnet man die personengebundenen Fhigkeiten, Wissensbestnde,
Erfahrungen und Motivationen von Menschen, die diese vor allem bei der Arbeit einsetzen
knnen, um konomische Werte zu schaffen (Becker 1993).
11 Der Nutzen des sprachlichen Kapitals hngt dabei entscheidend von der Struktur der
jeweiligen Gesellschaft ab, von den gesellschaftlichen Randbedingungen also. So mag in
Jger- und Sammlergesellschaften die Fhigkeit, Pfeil und Bogen zielgenau handhaben zu
knnen, wichtiger sein und mehr zu einer Verbesserung des Einkommens und der Anerkennung durch die anderen Gesellschaftsmitglieder beitragen als die Fhigkeit, sich elaboriert
ausdrcken zu knnen. In postindustriellen Gesellschaften werden die Pfeil-und-BogenFhigkeiten keine besonderen Vorteile mit sich bringen. Hier erhlt die Sprachkompetenz
aufgrund der besonderen Struktur dieser Gesellschaft eine besondere Relevanz. Esser (2006:
39ff.) geht im Anschluss an Siegwart Lindenberg (1989) und anderen davon aus, dass alle
Menschen darum bemht sind, ihr physisches Wohlbefinden zu erhalten bzw. zu verbessern
und von anderen Menschen Anerkennung zu erhalten. Diese universellen Ziele knnen sie
nur erreichen, wenn sie die in einer bestimmten Gesellschaft definierten spezifischen Ziele
erreichen, die dann zu den universellen Zielen fhren. Die spezifischen Ziele oder auch
Zwischengter fallen je nach Typus von Gesellschaft unterschiedlich aus.

32

a) Bildungszertifikate: Das Einkommen von Personen und die gesellschaftliche


Anerkennung, die sie genieen, werden in einem nicht unwesentlichen
Ausma von der Berufsposition bestimmt. Das Erreichen von attraktiven
Berufspositionen ist wiederum hufig an einen hohen Bildungsabschluss
gebunden. Hochschullehrer, Arzt oder Rechtsanwalt kann man z. B. nur
werden, wenn man die entsprechenden Universittsexamina abgelegt hat.
Eine basale Voraussetzung, um Bildungszertifikate und darber vermittelt
attraktive Berufspositionen zu erreichen, ist die Kenntnis der Sprache, die in
einer Gesellschaft gesprochen wird. Geringe oder schlechte Sprachkenntnisse fhren dazu, dass man in der Schule nicht erfolgreich ist. Dies gilt nicht
nur fr die Fcher, in denen die Sprachkompetenz selbst bewertet wird,
sondern auch fr die anderen Fcher. Auch Mathematik und Physik werden
in der Muttersprache des jeweiligen Landes unterrichtet; diejenigen, die die
Sprache nicht oder nicht gut beherrschen, werden entsprechend weniger
lernen, schlechter in den Klausuren und in der mndlichen Mitarbeit abschneiden, schlechtere Zeugnisnoten bekommen und schlechtere Bildungsabschlsse erwerben. Da die Qualitt der Bildungszertifikate wiederum den
Zugang zu den Berufspositionen strukturiert, verringert eine schlechte
Sprachkenntnis auch die Chancen, attraktive Berufspositionen zu erreichen.
b) Arbeitsmarktintegration und Berufspositionen: Gute Sprachkenntnisse erhhen
die Wahrscheinlichkeit, gesellschaftlich anerkannte Bildungszertifikate und
darber vermittelt Berufspositionen, die mit einem hohen Einkommen und
mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind, zu erreichen. Die Qualitt der Sprachkenntnisse hat aber auch einen unmittelbaren Effekt auf die
Wahrscheinlichkeit, attraktive Berufspositionen zu erlangen (vgl. Esser
2006: 399ff.). Die verschiedenen Berufe unterscheiden sich in dem Ausma,
in dem Sprachkenntnisse zur Ausbung des Berufs notwendig sind. Bei
krperlichen Ttigkeiten ist der Sprachkompetenzbedarf deutlich geringer
als bei Ttigkeiten, in denen die Kommunikation selbst im Mittelpunkt der
Berufsausbung steht, wie z. B. bei Beratungsttigkeiten. Keine noch so
hohe L1-Kompetenz12, etwa in Finnisch oder Italienisch, nutzt etwas, wenn
beispielsweise bei einer Produktberatung in einer Bank in den Niederlanden
oder Frankreich, die Kunden nur die Sprache des Aufnahmelandes beherrschen (Esser 2006: 402). Und dies gilt auch dann, wenn die Person einen
hohen Bildungsabschluss erworben hat. Hinzu kommt ein weiterer Faktor,
12

L1-Kompetenz bedeutet bei Esser die Kenntnis der Muttersprache.

33

der erklrt, warum eine schwache Sprachkompetenz zu Nachteilen auf dem


Arbeitsmarkt fhren kann. Die Sprachkompetenz wird von Arbeitergeberseite hufig als ein Ersatzindikator fr andere, beruflich notwendige Kompetenzen interpretiert. Auf der Grundlage einer schwachen Sprachkompetenz, die bei jedem Bewerbungsgesprch gleichsam nebenbei ohne besondere Tests erhoben wird, wird dann geschlossen, dass auch andere wichtige
Qualifikationen des Bewerbers nicht oder in geringem Mae vorhanden sind
(vgl. Esser 2006: 207).
c) Soziale Integration und Sozialkapital: Personen, die die Sprache des Landes, in
dem sie sich aufhalten nicht oder sehr schlecht sprechen, haben wenig
Chancen, mit Personen dieses Landes in Kontakt zu treten. Kontakt ist aber
eine Voraussetzung fr intensivere Beziehungen, fr Freundschaften, Liebesbeziehungen oder auch Ehen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass
diejenigen Migranten, die ber eine schwache Kenntnis der Sprache des
Aufnahmelandes verfgen, auch diejenigen sind, die in einem geringeren
Mae sozial integriert sind. Soziale Beziehungen sind hufig kein Selbstzweck. Sie sind insofern ein Sozialkapital, als sie u. a. als Informationsbrse
und Untersttzungsnetzwerke in Notsituationen dienen und damit wiederum den Zugang zu anderen Bereichen (Arbeitsmarkt, Schulen, rzte) erleichtern knnen.
d) Politische Partizipation: Fr die Gesellschaften, die im Zentrum dieser Analyse stehen, gilt, dass es sich um Demokratien handelt. Eine demokratische
Verfasstheit einer Gesellschaft bedeutet bekanntlich, dass die Herstellung
von kollektiv verbindlichen Entscheidungen an die Interessen und Willensbildungsprozesse der Staatsbrger gekoppelt ist. Eine solche Kopplung
erfolgt vor allem und in erster Linie durch die Wahl. Die Staatsbrger whlen in periodischen Abstnden diejenigen, die dann Herrschaftspositionen
einnehmen knnen und befugt sind, fr die in einem Territorium lebenden
Staatsbrger allgemein verbindliche Entscheidungen zu verabschieden und
durchzusetzen, die aber zugleich bei der nchsten Wahl von den Herrschaftspositionen wieder entlassen werden knnen, wenn die Brger sich
nicht hinreichend reprsentiert fhlen. Neben der Wahl knnen die Brger
aber auch direkt durch Mitarbeit in Parteien, Verbnden und sozialen Bewegungen versuchen, politische Entscheidungen bzw. die Entscheidungstrger
selbst zu beeinflussen.

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In fast allen Lndern ist das Wahlrecht an die Staatsbrgerschaft gekoppelt;


und in einigen Lndern wie z. B. in den USA erhlt man die Staatsbrgerschaft nur, wenn man die Sprache des Landes spricht. Insofern ist in diesen
Lndern die Chance der Wahlteilnahme an die Sprachkompetenz gekoppelt.
Aber auch in den Lndern, fr die dies nicht gilt, verringert eine mangelhafte Sprachfhigkeit die Chancen der politischen Partizipation. Damit die Brger eine Wahlentscheidung treffen und beim nchsten Mal revidieren bzw.
sich in den verschiedenen Interessengruppen und Parteien engagieren knnen, mssen sie die Mglichkeit haben, sich ber das politische Geschehen,
die Reprsentanten und deren Konkurrenten hinreichend zu informieren.
Die Debatten und der Informationsaustausch in der politischen ffentlichkeit in den Massenmedien, auf Parteiveranstaltungen und im Internet
finden ganz dominant in der jeweiligen Amtssprache des jeweiligen Landes
statt. Eine Teilhabe an der politischen ffentlichkeit und damit am demokratischen Willensbildungsprozess hngt entsprechend von der Fhigkeit ab,
die jeweilige Sprache, in der die Informationen vermittelt und die Debatten
gefhrt werden, verstehen und selbst sprechen zu knnen. Ist dies nicht der
Fall, ist man aus dem demokratischen Willensbildungsprozess weitgehend
exkludiert. Insofern ist die Kenntnis der jeweiligen Sprache auch eine Voraussetzung fr eine politische Vergesellschaftung.13
Die Ausfhrungen sollten gezeigt haben, dass die Kenntnis der Sprache, die in einer Gruppe gesprochen wird, eine zentrale Ressource fr alle
Formen der Vergesellschaftung ist. Sie erleichtert erheblich den Zugang zu
anderen Ressourcen, die in einer Gesellschaft als wichtig erachtet werden
und damit die Chance, sein Einkommen und die gesellschaftliche Anerkennung zu verbessern. Ich habe diesen Zusammenhang am Beispiel von
Migranten erlutert, die ihre ursprngliche Sprachgemeinschaft verlassen
haben und dadurch mit einer Umgebung konfrontiert sind, in der eine andere Sprache gesprochen wird, weil sich hier der Zusammenhang von Sprache
und Vergesellschaftung besonders gut illustrieren lsst.

13 Dass die verschiedenen Faktoren sich wiederum wechselseitig beeinflussen, bleibt hier
unbercksichtigt. So ist fr manche Berufe die bernahme der Staatsbrgerschaft eine notwendige Voraussetzung. Wenn die Staatsbrgerschaft wiederum an die Sprachkompetenz
gekoppelt ist, hat die Sprachkompetenz einen direkten und einen vermittelten Effekt auf die
Arbeitsmarktchancen. hnliches gilt fr die soziale Integration, insofern die Einbindung in
Netzwerke auch die Zugangschancen zum Arbeitsmarkt verbessert.

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Der Zusammenhang von Sprachkompetenz und Vergesellschaftungschance


gilt aber auch fr Sprecher ein und derselben Sprachgemeinschaft. Diese
knnen ihre (Mutter-)Sprache unterschiedlich gut beherrschen. Je besser
Personen die als Amtssprache kodifizierte Sprache sprechen und schreiben
knnen, desto wahrscheinlicher wird es sein, dass sie hhere Bildungszertifikate erreichen, erfolgreicher in der Platzierung in der Berufshierarchie sind,
Netzwerke zu oberen Schichten aufbauen und auch besser an politischen
Prozessen partizipieren knnen (Bourdieu 1992; Bourdieu & Passeron
1971). Die Arbeiten von Basil Bernstein aus den 1960er Jahren haben bereits gezeigt, dass die Verfgung ber die entsprechenden Sprachkompetenzen klassenabhngig ist. Bernstein (1960; 1973) hat nachgewiesen, dass es
eine klassenspezifische Sprachentwicklung und Sprachverwendung gibt
(restringierter versus elaborierter Code), die dann zu unterschiedlichen
Schulerfolgen fhren und damit die Klassenstruktur von Gesellschaften
reproduzieren helfen.14 Die empirische Bildungsforschung der letzen Jahre
hat diesen Befund immer wieder besttigt.
Gilt der Zusammenhang zwischen Sprachkompetenzen und Vergesellschaftungschancen aber auch fr den Erwerb einer Fremdsprache, fr die
Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital? Fr Migranten, die in
einer neuen Sprachgemeinschaft Fu fassen wollen, ist der Anreiz, die neue
Sprache zu lernen, gegeben. Fr Menschen, die in einer homogenen Sprachgemeinschaft leben, die von anderen Sprachgemeinschaften abgeschnitten
ist, gibt es keinen Nutzen zumindest nicht im soziologischen Sinn eine
fremde Sprache zu lernen, da sie ihre Chancen der Vergesellschaftung durch
das Lernen einer Fremdsprache ja nicht verbessern knnen, weil sie auf14 Die Thesen Bernsteins sind seinerzeit vor allem von William Labov (1966) kritisiert worden. Labov kommt auf der Grundlage eigener Untersuchungen vor allem zur Sprache afroamerikanischer Jugendlicher zu dem Ergebnis, dass die verschiedenen Soziolekte bezglich
der Breite und Differenziertheit der Ausdrucksmglichkeiten funktional quivalent zum
Standardenglisch sind. Die Sprache der Unterschicht unterscheidet sich zwar vom Standardenglisch, sie ist aber nicht defizitr (Differenz- versus Defizithypothese). Ganz hnlich argumentiert spter Steven Pinker (1994: 28f.). Aus soziologischer Perspektive ist es aber unerheblich, ob Linguisten wie William Labov oder Kognitionspsychologen wie Steve Pinker im
Anschluss an Chomsky feststellen, dass verschiedene Soziolekte gleichwertig sind, weil sie
nur unterschiedliche Oberflchenmanifestationen einer hnlich gearteten Tiefenstruktur sind.
Wenn in einer Gesellschaft verschiedene Sprachen unterschiedlich bewertet werden und
diese Bewertung dazu fhrt, dass man mit einer bestimmten Sprache und das ist in der
Regel die Standardsprache in einer Gesellschaft erfolgreicher ist als mit einer anderen
Sprache, dann ist dies ein sozialer Tatbestand an und fr sich.

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grund der isolierten Lage, mit den fremdsprachlichen Sprechern keine sozialen Beziehungen aufbauen knnen. Ein entsprechendes, bereits vorhandenes transnationales sprachliches Kapital ist unter diesen Bedingungen wertlos, weil es nicht eingesetzt werden kann.
Sind die Randbedingungen der Gesellschaft aber andere, ist diese in eine globale Weltgesellschaft mit vielfltigen Austauschbeziehungen mit anderen Lndern und unter verschiedenen Sprachgemeinschaften eingebettet,
dann erhlt die Fremdsprachenkompetenz den Charakter eines verwertbaren Kapitals, weil es nun fr transnationale Vergesellschaftungsprozesse
eingesetzt werden kann. Genau diese Randbedingungen haben sich seit
Mitte des letzten Jahrhunderts, sptestens seit den 1970er Jahren entwickelt.
Die einschlgigen Transformationsprozesse werden in der Literatur unter
dem Stichwort Globalisierungs-, Transnationalisierungs- und Europisierungsprozesse abgehandelt. Bevor ich auf diese vernderten Randbedingungen und auf die dadurch induzierte Bedeutung von transnationalem
sprachlichem Kapital eingehe, mchte ich die zweite Funktion von Sprache,
ihre Rolle fr Vergemeinschaftungsprozesse genauer erlutern.
Viele Beispiele zeigen, dass trotz des hohen Vergesellschaftungsnutzens
der Sprache viele Menschen nicht bereit sind, z. B. ihre Muttersprache zu
Gunsten des Erlernens der Sprache des Aufnahmelandes hinten anzustellen,
obwohl dies mit vielen Vorteilen verbunden wre. Auch die massiven Konflikte zwischen verschiedenen Sprachgruppen, die um die Hegemonie bzw.
die Eigenstndigkeit ihrer Sprache streiten, lassen sich nicht verstehen, wenn
man die Funktion der Sprache auf die Vergesellschaftungsdimension reduziert (aus konomischer Perspektive vgl. Grin 1994: 32). Sprache kann zum
Identittsmerkmal von Gruppen werden und erhlt damit eine Vergemeinschaftungsfunktion. Ist dies der Fall, dann kann das Aufgeben der eigenen
Sprache und die Anpassung an eine neue Sprache zur Identittsfrage werden.
2.1.2.2 Sprachkompetenz und Vergemeinschaftung: Sprache als
symbolisches Kapital
Vergemeinschaftung soll eine soziale Beziehung heien, wenn und soweit
die Einstellung des sozialen Handelns im Einzelfall oder im Durchschnitt
oder im reinen Typus auf subjektiv gefhlter (affektueller oder traditionaler)
Zusammengehrigkeit der Beteiligten beruht (Weber 1985: 21). Das Gefhl
der Zugehrigkeit zu einer Gruppe, die Identifikation mit einer Gruppe,

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kann durch verschiedene Merkmale hergestellt werden. Gemeinschaften


knnen sich auf der Grundlage einer gemeinsamen Hautfarbe, hnlicher
Abstammung, eines hnlichen Lebensstils oder auch auf der Grundlage
einer gemeinsamen Sprache konstituieren. Der Sprache kommt dabei eine
besondere Bedeutung zu (Lieberson 1970: 5f.).
Ich werde zuerst durch Bezugnahme auf die einschlgige sozialpsychologische Forschung den systematischen Zusammenhang zwischen Sprache
und Gemeinschaftsbildung und Gruppenidentitt erlutern. Ich werde dann
an einigen Beispielen illustrieren, welche Rolle die Sprache zur Identifikation
mit unterschiedlichen Gemeinschaften bernimmt.15 Vor allem die Diskussion der sozialpsychologischen Forschung fllt dabei sehr ausfhrlich aus.
Da der Mechanismus, der Sprache fr Identittsbildungsprozesse besonders
geeignet macht, in der sozialwissenschaftlichen und historischen Literatur
meist unterstellt, aber nicht expliziert wird, scheint es mir sinnvoll zu sein,
dieser Frage etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
a) Sprache und Gemeinschaft in sozialpsychologischer Perspektive
1. Die sozialpsychologische Diskussion ber die Faktoren, die zur Ausbildung von Gruppenidentitt fhren, ist stark beeinflusst durch die Arbeiten
von Henri Tajfel und John C. Turner und das Konzept der MinimalGroup-Theory (Tajfel 1982; Taifel & Turner 1986; Billig & Tajfel 1973). In
den Experimenten von Tajfel et al. wurden Versuchspersonen in zwei willkrliche, also nicht schon bestehende Gruppen eingeteilt. Die Gruppen
waren nach Malern benannt, so dass es eine Klee-Gruppe und eine Kandinsky-Gruppe gab. Dann wurden Personen aus den Gruppen aufgefordert,
bestimmte Geldbetrge an zwei Personen zu verteilen. Eine der beiden Personen kam aus der Klee-, die andere aus der Kandinsky-Gruppe. Die Personen selbst waren den Versuchspersonen nicht bekannt. Sie wussten nur,
dass die Person entweder Mitglied der Klee- oder der Kandinsky-Gruppe
15 Das soziologische Interesse an einer Analyse der Entstehungsbedingungen von Gemeinschaftsgefhlen folgert aus der Prmisse, dass Gemeinschaften handlungsrelevante Folgen
haben. Zum einen strkt eine Gemeinschaft die Solidaritt der Gruppenmitglieder untereinander, was sich in unterschiedlichen Solidarittshandlungen manifestieren kann. Zum anderen sind Gemeinschaften durch Grenzen zu anderen Gemeinschaften definiert; Gemeinschaftsbildung geht hufig einher mit Abwehrhandlungen gegenber anderen Gruppen, was
sich in diskriminierenden Einstellungen bis hin zu kriegerischen Handlungen manifestieren
kann.

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war. Es existierte auch kein Kontakt zwischen den Versuchspersonen und


den Personen, die die Geldbetrge erhalten sollten. Die Klee- und die Kandinsky-Gruppe waren also keine realen Gruppen, sondern existierten gleichsam nur in den Kpfen der Versuchspersonen. Die Ergebnisse der Experimente zeigen nun, dass die Versuchspersonen denjenigen Personen hhere
Geldbetrge zukommen lieen, die Mitglied der eigenen Gruppe waren und
den Mitgliedern der Fremdgruppe signifikant weniger zuwiesen. Aus diesem
Befund haben die Autoren der Studien abgeleitet, dass jede Zuordnung von
Personen zu Gruppen und sei sie noch so artifiziell, dazu fhrt, dass sich
Gruppen allein aufgrund der kategorialen Zuordnung als Gemeinschaften
konstituieren und eigene Gruppenmitglieder gegenber denen fremder
Gruppen bevorzugen. Wenn dieser Zusammenhang fr alle Merkmale der
Kategorisierung gilt, dann besteht er auch fr eine gemeinsame Sprache
(Giles & Johnson 1987). Gibt es aber darber hinaus gehende Befunde, die
zeigen, dass eine gemeinsame Sprache mehr als andere Merkmale zur Gruppenbildung beitrgt?
2. Zur Beantwortung dieser Frage sind die jngsten Arbeiten von Katherine
Kinzler et al. (Kinzler et al. 2007; 2009; vgl. auch die dort gegebenen Literaturhinweise auf frhere Arbeiten) einschlgig. Die Autorengruppe um Kinzler hat mehrere experimentelle Untersuchungen durchgefhrt, in denen sie
versucht hat, zu zeigen, ob und in welchem Mae die Muttersprache ein
Merkmal der Definition von Gruppenzugehrigkeit ist und dazu fhrt, dass
Menschen diejenigen, die ihre Muttersprache sprechen, gegenber denjenigen, die ihre Muttersprache nicht sprechen, bevorzugen. Das Originelle an
den Studien von Kinzler et al. ist, dass sie den Zusammenhang von Sprache
und Gruppenzugehrigkeit bereits fr Suglinge nachgewiesen haben. Zudem knnen sie zeigen, dass der Sprache im Vergleich zu anderen Merkmalen eine ganz besondere Bedeutung bei der Definition von Gruppenzugehrigkeit zukommt.
2.1 Fnf bis sechs Monate alte Suglinge sollten sich einen Film anschauen, in dem eine englischsprachige Frau zu ihnen sprach. In einer Versuchsanordnung wurde der Film normal abgespielt, in der zweiten Versuchsanordnung mit einer zweiten Frau lief die Sprache rckwrts ab, so
dass eine Kunstsprache entstand. Dann wurden die beiden Frauen den Kindern schweigend vorgestellt. Es wurde gemessen, wie lange die Kinder die
Frauen jeweils anschauten. Die Frau, die vorher in der Muttersprache ge-

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sprochen hatte, wurde signifikant hufiger und lnger angeschaut, als die
Frau, die in der Kunstsprache zu ihnen gesprochen hatte. Die Muttersprache hat also einen Einfluss auf den Grad der Aufmerksamkeit, den jemand
geniet.
Das Experiment wurde wiederholt, indem statt der Kunstsprache Englisch und Franzsisch benutzt wurde; Englisch fr Suglinge, deren Muttersprache Englisch ist, Franzsisch fr Kinder, deren Muttersprache Franzsisch ist. Es zeigte sich, dass die Suglinge der Person, die in ihrer Muttersprache gesprochen hatte, deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkten. Um
aber nicht nur die Effekte der Muttersprache auf die Aufmerksamkeit, sondern auch auf das Verhalten zu analysieren, wurde folgendes Experiment
durchgefhrt. Die Suglinge diesmal 10 Monate alt schauten wieder
einen Film, in dem zum einen eine Frau in ihrer Muttersprache, zum anderen in einer anderen Sprache mit ihnen sprach. Am Ende des Films hielten
die beiden Frauen jeweils ein kleines Kuscheltier in der Hand. Direkt nach
dem Film befanden sich diese Kuscheltiere auf einem Tisch vor den Kindern. Die Kinder konnten sich eines der beiden Kuscheltiere nehmen. Signifikant hufiger wurde das Kuscheltier ausgewhlt, das vorher von der Frau,
die ihre Sprache gesprochen hatte, in der Hand gehalten wurde. Dieser Befund wurde durch ein weiteres Experiment besttigt: Kinder im Alter von
fnf Jahren sahen sich Fotos von zwei unbekannten Kindern an, whrend
sie das eine Kind auf Englisch, das andere auf Franzsisch sprechen hrten.
Danach wurden sie gefragt, welches der beiden auf den Fotos gezeigten
Kinder sie lieber als Freund htten. Die Kinder whlten signifikant hufiger
das Kind, das in ihrer Muttersprache gesprochen hatte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Sprache einen klaren Einfluss auf die Auswahl von anderen
Personen, auf den Grad der Aufmerksamkeit, die Personen genieen und
auch auf die Bevorzugung der Person, die die gleiche Sprache spricht, hat.
2.2 Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, in welchem Mae
die Sprache einen besonderen im Vergleich zu anderen Faktoren vielleicht
sogar strkeren Einfluss auf Gruppenbildungen hat. Zur Beantwortung
dieser Frage haben Kinzler et al. (2009) ebenfalls experimentelle Befunde
vorgelegt. Fnfjhrige weie Kinder sollten sich Bilder von anderen Kindern ansehen. Die Hlfte der Kinder auf den Fotos hatte eine schwarze, die
andere eine weie Hautfarbe. Danach wurden die Kinder gefragt, wen sie
von den gezeigten Kindern gerne als Freund htten. Die Mehrheit der Kinder whlte signifikant hufiger ein weies Kind, also jemanden mit der glei-

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chen Hautfarbe. In einem zweiten Experiment wurden den Kindern dieselben Fotos gezeigt, nur diesmal sprachen die Kinder auf den Fotos. Die weien Kinder sprachen Franzsisch, die schwarzen Kinder sprachen Englisch.
Die Muttersprache der Kinder, mit denen das Experiment durchgefhrt
wurde, war Englisch. Wiederum konnten die Kinder sich einen Freund aussuchen. Diesmal wurden signifikant hufiger die schwarzen Kinder ausgewhlt, diejenigen also, die auch Englisch sprachen, aber eine andere Hautfarbe hatten. Das Interessante an dem Experiment und an dem Ergebnis ist
nun, dass die unterschiedliche Strke von zwei verschiedenen Kategorisierungen gleichzeitig getestet wurde. Bis dato ging die Forschung davon aus,
dass es vor allem visuelle Merkmale sind, die zu einer Klassifikation in
ingroup und outgroup benutzt werden, wie z. B. Geschlecht, Rasse und
Alter. Das Experiment zeigt nun aber, dass Sprache offensichtlich noch
wichtiger ist als ein im amerikanischen Kontext so wichtiges visuelles
Merkmal wie die Hautfarbe.
3. Warum der Sprache aber eine besondere Rolle beim Aufbau von Gruppenidentitt zukommt, wird von den Autoren der Experimente nicht untersucht. Folgende Hypothese kann den korrelativen Zusammenhang kausal
begrnden helfen: Das Faktum, dass die Sprache zum Aufbau von Gemeinschaften so wirkungsvoll genutzt werden kann, geht wahrscheinlich auf die
Tatsache zurck, dass alle Sozialisationserfahrungen, die wir seit der Geburt
machen, im Medium der Muttersprache erfolgen. Die ersten Worte der Mutter, die Zuwendungen, die wir im Elternhaus erfahren, der komplette Prozess der kognitiven und emotionalen Sozialisation erfolgt im Medium einer
Sprache. In der Muttersprache beginnen wir zu denken und zu kommunizieren. Die Sprache wird zu einem unmittelbaren Bestandteil der eigenen Geschichte. Dadurch erwerben wir ein Verhltnis der tiefen Vertrautheit mit
der eigenen Sprache, ihren Wrtern und ihrem Klang.
Genau dies macht die Muttersprache besonders geeignet fr Prozesse
der kollektiven Identittsbildung. Im Unterschied zu anderen Merkmalen,
die zum Aufbau von kollektiven Identitten genutzt werden knnen, ist die
Muttersprache in hohem Mae mit den persnlichen Erfahrungen, der eigenen Geschichte, der personalen Identitt verwoben. Sie signalisiert die Zugehrigkeit zu der Gruppe, die fr jeden Menschen die Primrgruppe ist.
Evolutionstheoretisch betrachtet, kann dies mit Vorteilen verbunden gewesen sein, so die Vermutung von Kinzler et al. (2009) mit Bezugnahme auf

41

die einschlgige Literatur. Whrend die Varianz der Physiognomie zwischen


verschiedenen Gruppen wohl eher gering war, gilt dies nicht fr die Sprache
und unterschiedliche Akzente: An diesen konnte man die eigene Gruppe in
Differenz zu Fremdgruppen erkennen. Hinzu kommt, dass die Sprache im
Vergleich zu anderen Identittsmarkern, wie das Tragen bestimmter Kleidung, Krperbemalungen oder kulturelle Praktiken nicht einfach gewechselt
werden kann und damit ein bestndiges Kennzeichen der Gruppenzugehrigkeit ist. Eine neue Sprache wird man in aller Regel nicht akzentfrei sprechen knnen, wenn man sie nicht bis zum Ende der Jugendphase gelernt
hat. Die Muttersprache bleibt somit ein relativ bestndiger Identittsmarker
(Lieberson 1970/81).
4. Die bisher berichteten Befunde aus der experimentellen Sozialpsychologie
bezogen sich auf die Bedeutsamkeit von Sprache bei der Kategorisierung
von Personen, ohne dass die Personen auf der Basis der einmal vorgenommenen Klassifikation weiter Kontakt miteinander hatten. Wenn aber eine
gemeinsame Sprache ein zentrales Merkmal zur kategorialen Gruppenbildung ist, dann ist mit dieser Gruppenbildung in alltglichen Situationen in
der Regel eine Handlungsfolge verbunden: Die einmal ausgewhlten Personen werden miteinander interagieren und sie tun dies in ein und derselben
Sprache. Der auf der Basis einer gemeinsamen Sprache vollzogene Vergemeinschaftungsprozess fhrt im nchsten Schritt zu einer Vergesellschaftung der Gruppenmitglieder, zu einer Verdichtung von Interaktionen. Die
Kinder in dem Experiment, die ihre Freunde ausgewhlt hatten, werden mit
diesen spielen, sich wieder verabreden, dann wieder miteinander spielen etc.
Da die Auswahl der Freunde auf der Basis einer gemeinsamen Sprache erfolgt, findet auch die Vergesellschaftung in einer gemeinsamen Sprache
statt. Die zunehmende Vergesellschaftung strkt wiederum das Gemeinschaftsgefhl der Gruppenmitglieder. Und wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, ist eine gemeinsame Sprache, im Unterschied zu anderen Merkmalen, die Mitglieder einer Gruppe teilen knnen, besonders geeignet, Vergesellschaftungsprozesse und damit auch Vergemeinschaftungsprozesse
voranzutreiben. Der Sprache kommt im Vergleich zu anderen Merkmalen
also nicht nur eine besondere Bedeutung fr die Gruppenentstehung zu, sie
forciert den Vergesellschaftungsprozess der Gruppe sogar und wirkt damit
wiederum auf die Vergemeinschaftung der Gruppe ein.

42

5. Gehen wir davon aus, dass aus irgendwelchen Grnden die einmal gebildete Gruppe sich anschickt, sich als Gruppe zu beschreiben, also Merkmale
zu nennen, die fr sie typisch sind. Zum Prozess der normalen Gruppeninteraktion tritt also eine Ebene der Reflexion und der Selbstbeschreibung
hinzu. Die Gruppe wei von sich selbst, dass alle Mitglieder der Gruppe
dieselbe Sprache sprechen und dass dies die Gruppe von anderen Gruppen
unterscheidet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gruppenmitglieder zur
Selbstbeschreibung ihrer Gruppenidentitt auf das gemeinsame Merkmal
einer Sprachidentitt zurckgreifen werden. Damit hat sich die Gemeinschaft als Sprachgemeinschaft auch reflexiv konstituiert. Sie ist eine Gruppe
geworden, die ihre Identitt faktisch wie auch reflexiv durch eine gemeinsame Sprache gewinnt.
An die Mglichkeit, Gruppenidentitten durch Selbstbeschreibungen
reflexiv zu konstituieren, knnen politische Unternehmer anknpfen. Die
Geschichtsschreibung, vor allem die Analysen zur Entstehung von Nationalstaaten, hat an einer Vielzahl von Beispielen gezeigt, wie Nationen als
vorgestellte Gemeinschaften durch politische Eliten mit Bezugnahme auf
sprachliche Merkmale konstituiert wurden. Ich komme darauf an spterer
Stelle bei der Beschreibung der Bedeutung der Sprache fr die Konstitution
der Nationalstaaten nochmals zurck.
Die bis dato mit Bezug auf die sozialpsychologische Literatur formulierten Argumente sollten plausibel machen, warum der Sprache neben der
Vergesellschaftungs- hufig auch eine Vergemeinschaftungsfunktion zukommt. Dies bedeutet selbstverstndlich nicht, dass Sprache das alleinige
Merkmal ist, ber das sich Gemeinschaften konstituieren knnen. Es bedeutet auch nicht, dass sprachlich heterogene Gruppen keine Gruppenidentitt
ausbilden knnen; die Merkmale der Identittsbildung sind in diesen Fllen
eben andere. Die Ausfhrungen sollten aber gezeigt haben, dass eine gemeinsame Sprache eines neben anderen Merkmalen ist, das (a) zur Herstellung von Gemeinschaften tauglich ist und dass (b) Sprache aus den genannten Grnden ganz besonders gut geeignet ist, Gemeinschaftsbildungsprozesse zu begnstigen.
Man kann den beschriebenen Zusammenhang zwischen Sprache und
Vergemeinschaftung hnlich wie den zwischen Sprache und Vergesellschaftung auch aus der Perspektive der Individuen formulieren. Die Kenntnis der
Sprache und eine mglichst gute Beherrschung der Sprache, die in einer
Gruppe gesprochen wird, ist aus der Perspektive der Individuen nicht nur

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eine Ressource der Vergesellschaftung, sondern kann auch eine wichtige


Ressource der Vergemeinschaftung sein und mit Distinktionsgewinnen fr
denjenigen verbunden sein, der die Sprache gut beherrscht.
Fr welchen Gemeinschaftstypus Sprache als Merkmal eingesetzt
wird, ist bis jetzt nicht thematisiert worden. Die Geschichte und die Gegenwart zeigen uns, dass Sprache vor allem zur Konstruktion von Nationen,
Regionen und Klassen genutzt werden kann. Dies sei an einigen Beispielen
illustriert.
b) Sprache und die Identifikation mit unterschiedlichen Gemeinschaften
1) Nation und Sprache: Die Entstehung von Nationalstaaten ist wahrscheinlich
der historisch prominenteste Fall der Nutzung einer gemeinsamen Sprache
als Identifikationsmerkmal zum Aufbau einer Gemeinschaft. In fast allen
Fllen geht die Nationalstaatsbildung mit einer Politik der sprachlichen
Homogenisierung einher, der Ausbildung einer Einheitssprache also, die
dann auch zur Amtssprache wird.16 Die nationalstaatliche Sprachpolitik ist
aber nicht nur ein Instrument einer nationalstaatlichen Vergesellschaftung
gewesen, sondern meist auch ein Medium der Vergemeinschaftung. Die
Einheitssprache wird nicht nur zur Amtssprache, sondern auch zur Nationalsprache, zum zentralen Merkmal der Identittskonstruktion. Fast alle Nationalstaaten haben Institutionen der Sprachpflege entwickelt, regeln den verbindlichen Sprachgebrauch durch den Aufbau eines Wrterbuchs und von
berwachungseinrichtungen der Sprachkontrolle. Sie beginnen, die in ihrer
Sprache gesprochene Nationalliteratur zu kanonisieren, pflegen Volkslied
und Volkskultur und beschreiben ihre Identitt u. a. durch die jeweilige Nationalsprache. Die Kehrseite des Prozesses der sprachlichen Homogenisierung und der Etablierung einer gemeinsamen Sprache als Identittsmerkmal
der Nation ist die Verdrngung und Unterdrckung von Minderheitensprachen (vgl. Mann 2001). Ich werde auf den Zusammenhang von Nationalstaatsbildung und sprachlicher Homogenisierung im Kapitel 3.1 noch ausfhrlicher eingehen.

16 Einige der kleineren Staaten Europas z. B. Belgien und die Schweiz bilden eine Ausnahme von diesem allgemeinen Muster; hier wurde die interne sprachliche Spaltung gesellschaftlich institutionalisiert.

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2) Region und Sprache: Man findet in der Geschichte aber auch viele Beispiele,
in denen die Nationalsprache abgelehnt wurde, um die Identifikation mit
einer subnationalen Einheit zum Ausdruck zu bringen. Die heutige Spaltung
Belgiens in einen wallonischen und flmischen Teil ist auch und vor allem
eine sprachliche Spaltung und hat eine lange Geschichte. Die bermacht
des Franzsisch sprechenden Walloniens, das auch die Grndung eines
belgischen Einheitsstaates im Jahr 1831 betrieben hat, hat zunehmend den
Widerstand Flanderns und der Flmischen Bewegung hervorgerufen, die
schrittweise kulturelle und sprachliche Rechte fr sich erkmpfte (vgl. Kern
1997). Die Entwicklungen einiger Regionen Spaniens in der ra nach Franco oder in den baltischen Staaten nach der Unabhngigkeit von der Sowjetunion sind weitere Beispiele aus der Gegenwart. Vor allem das Baskenland,
Galizien und Katalonien haben sich nach Francos Tod gegen die Dominanz
des spanischen Zentralstaats aufgelehnt und ihre eigene regionale Autonomie ausgebaut. Dieser Emanzipationsprozess manifestiert sich in einer Vielzahl von Dimensionen. In allen drei Regionen ist die jeweilige Sprache zum
zentralen Merkmal der regionalen Identifikation geworden. Die kastilische
Sprache wurde im Gegenzug als Sprache der Zentralmacht interpretiert, die
ber Jahrhunderte die regionale Autonomie unterdrckt hat; ihr symbolisches Kapital wurde zunehmend entwertet. Vor allem Katalonien ist mit
seiner Autonomie- und Sprachpolitik recht erfolgreich (vgl. zum folgenden
Bernecker, Eler & Kraus 2007). Whrend der Franco-Zeit wurde der ffentliche Gebrauch der katalanischen Sprache unterdrckt; der Schulunterricht fand ausschlielich auf Spanisch statt. Dies hat sich heute radikal verndert: Im Parlament und in der Verwaltung wird Katalanisch gesprochen;
auch die Straenschilder sind Katalanisch. Der wichtigste Transmissionsriemen zur Verbreitung des Katalanischen sind die Schulen. In den Grundschulen findet eine Politik der Immersion statt, deren Ziel es ist, den Kindern, die die katalanische Sprache nicht beherrschen, sehr zgig Katalanisch
beizubringen. Auch in den Universitten wird heute berwiegend in der
katalanischen Landessprache gelehrt. Und auch die Medien senden und
drucken heute in erster Linie auf Katalanisch. Viele Arbeitspositionen, vor
allem im Staatsdienst der katalanischen Region, setzen voraus, dass die Personen, die die Stelle begleiten, auch Katalanisch knnen. Das Beherrschen
der katalanischen Sprache und gerade das Sprechen dieser im Kontrast zum
Kastilischen ist ein zentraler Marker katalanischer Identitt geworden. Fr
diejenigen, die die Sprache sprechen, ist die Kompetenz mit Anerkennung

45

durch die Sprachgemeinschaft selbst verbunden. Kathryn A. Woolard und


Tae-Joong Gahng (1990) konnten in ihrer Studie ber den Status des Katalan genau diesen Zusammenhang nachweisen.17
hnliche Entwicklungen lassen sich in den baltischen Staaten nach der
Unabhngigkeit von der Sowjetunion beobachten, z. B. in Lettland. Das
Land wurde whrend des Zweiten Weltkriegs von Russland besetzt und
nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion zwangsintegriert. Durch
Zuwanderung und Umsiedlung nderte sich zudem zwischen 1940 und 1990
die Zusammensetzung der Bevlkerung, insofern der Anteil der Russen
enorm zunahm. Die russische Sprache wurde damit symbolisch und faktisch
zur dominanten Sprache. Nach der Wiederherstellung der Souvernitt Lettlands im Jahr 1990 wurde Lettisch die alleinige Amtssprache. Die neue lettische Souvernitt und Identitt manifestiert sich in einer entsprechenden
Sprachpolitik, die das Lettische in allen Bereichen des gesellschaftlichen
Lebens aufwertet und die russische Sprache zugleich entwertet (vgl. Nic
Craith 2008: 31ff.). Viele Brger Lettlands, die unter der Vorherrschaft der
Sowjetunion gelitten haben, sind nach der erreichten Unabhngigkeit ihres
Landes wenig geneigt, Russisch zu sprechen, obwohl sie die Sprache beherrschen, weil es die Sprache der vormaligen Unterdrcker ist.
3) Klasse fr sich und Sprache: Auch fr Gesellschaften, in denen nur eine
Sprache gesprochen wird und alle Brger mit ihrer Sozialisation diese Sprache lernen, gilt, dass es in aller Regel in dieser Gesellschaft unterschiedliche
Dialekte, Soziolekte und Akzente gibt. Auch wenn im Hinblick auf das
Ausdrucksvermgen und die Verstndigungsmglichkeit die Dialekte gleichwertig sind, sind sie es hufig nicht im Hinblick auf die symbolische Anerkennung, die mit den einzelnen Dialekten verbunden ist. In vielen Nationalstaaten hat sich mit dem Prozess der sprachlichen Homogenisierung auch
17 hnliche Entwicklungen zeigen sich in Galizien, mit ca. 2,7 Millionen Einwohnern eine der
rmsten Regionen Spaniens. Im Juni 2007 wurden folgende Beschlsse bezglich der galizischen Sprache erlassen: 1. Alle Kommunikation innerhalb der Administration muss auf
Galizisch erfolgen. 2. Der Unterricht in den Schulen muss mindestens zu 50 % in Galizisch
stattfinden; dies gilt fr die Vorschule ebenso wie fr die Primar- und Sekundarstufe und die
Erwachsenenbildung. Der Unterricht auf Galizisch muss sich auf alle Fcher erstrecken, also
z. B. auch auf Physik, Biologie etc. 3. Die Lehrer mssen entsprechende Kenntnisse des
Galizischen nachweisen, was natrlich zu einem Ausschluss vieler Bewerber aus den anderen
Regionen Spaniens fhrt. http://fete.ugt.org/galicia/arquivos/pdf/070629D_LEX_dec_
uso_galego_no_sist_edu.pdf.

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eine Hochsprache entwickelt, die von Sprachwissenschaftlern und anderen


Akademikern kanonisiert wurde. Pierre Bourdieu (1992) hat diesen Prozess
fr Frankreich rekonstruiert und gezeigt, wie es den Eliten gelungen ist, eine
Einheitssprache durchzusetzen und andere Sprachen und Dialekte zu delegitimieren (Bourdieu 1992; vgl. dazu auch Loos 2000; aus der Perspektive
eines Historikers vgl. Weber 1976). Die Beherrschung der Hochsprache ist
mit hoher gesellschaftlicher Anerkennung verbunden. Diejenigen, die sie
beherrschen, grenzen sich mit ihrer Fhigkeit gegenber denjenigen ab, die
sie nicht beherrschen. Sie schlagen aus ihrer Fhigkeit symbolisches Kapital,
produzieren fr sich Distinktionsgewinne, indem sie sich gegenber der
Alltagssprache der unteren Klassen mit ihrer vulgren Sprache (Bourdieu
& Passeron 1971: 110) distanzieren (vgl. auch Bourdieu 1992: 43-65). Vor
allem die Ausbildungsinstitutionen prmieren die Fhigkeit, sich in der
Hochsprache gewhlt artikulieren zu knnen.
Die Beherrschung der Hochsprache bringt damit nicht nur Vorteile im
Hinblick auf den Erwerb von Bildungszertifikaten, die Verbesserung der
Arbeitsmarktchancen und des Einkommens (siehe die Ausfhrungen ber
den Zusammenhang von Sprache und Vergesellschaftung), sie ist zugleich
ein Merkmal, das die Zugehrigkeit zur Gemeinschaft der Oberschicht signalisiert und hilft, Klassen zu konstituieren, eine Klasse an sich in eine
Klasse fr sich zu berfhren (Bourdieu 1992: 62ff.).18 Die sprachpsychologische Forschung hat in einer Vielzahl von Studien gezeigt, dass die
Hochsprache, die in der Regel von den oberen Klassen gesprochen wird,
deutlich hher bewertet wird, als Soziolekte und Dialekte (vgl. den Literaturberblick in Giles & Billings 2004). Die Unterschiede in der Bewertung
der Sprache sind mit Handlungsfolgen fr deren Sprecher verbunden: Vermieter bevorzugen Sprecher, die die Hochsprache beherrschen; gleiches gilt
fr Lehrer in der Beurteilung der Schulleistung von Kindern. Richter urteilen bei gleichem Straftatbestand ber Sprecher, die gut die Hochsprache
beherrschen, milder als ber Sprecher, fr die dies nicht gilt. Schlielich hat
sich auch gezeigt, dass Arbeitgeber Personen, die die Hochsprache sprechen, bei Kontrolle vieler anderer Faktoren, eher einstellen als andere Personen (vgl. Giles & Billings 2004).
18 Ein hnlicher Zusammenhang gilt fr Migranten, die nicht nur das Land, sondern auch die
Sprachgemeinschaft wechseln. Das Lernen und Sprechen der Sprache des Ziellandes ist nicht
nur mit Vergesellschaftungsvorteilen, die wir weiter oben beschrieben haben, verbunden,
sondern auch mit Zugewinnen an Anerkennung und symbolischem Kapital.

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Die Beispiele illustrieren, dass Sprache als ein zentrales Merkmal zur Konstruktion von unterschiedlichen Gemeinschaften genutzt werden kann und
genutzt wurde. Die reichhaltige historische Forschung zeigt uns auch, wie
wichtig und handlungsrelevant die Sprache fr die Identittsbildung werden
kann; die sozialpsychologischen Befunde knnen plausibel machen, warum
die Sprache besonders geeignet ist, als Merkmal fr Gemeinschaftsbildungsprozesse zu dienen. Identifizieren sich Menschen mit einer Sprachgemeinschaft, sind sie hufig bereit, zum Teil sehr hohe Kosten zur Verteidigung
oder zur Expansion ihrer Sprachgemeinschaft zu bernehmen.
Diese Kosten knnen sich u. a. auch in Nachteilen in der Vergesellschaftungsdimension manifestieren. Migranten z. B., die eine hohe Identifikation mit ihrer Muttersprache aufweisen und die Muttersprache als ein zentrales Merkmal ihrer Herkunftsidentitt interpretieren und deswegen die
Sprache des Ziellandes ablehnen, werden Nachteile in der Bildungskarriere,
in der Integration in den Arbeitsmarkt, im Aufbau von Netzwerken mit den
Einheimischen und im Ausma der politischen Integration hinnehmen mssen. Die Brger Galiziens, die eine hohe Identifikation mit ihrer Region besitzen und deswegen die staatliche Bildungspolitik der Unterrichtung der
Kinder in Galizisch untersttzen, werden die internationalen Kommunikations- und damit die Vergesellschaftungschancen ihrer Kinder regional beschrnken, weil Galizisch nur von recht wenigen Menschen gesprochen wird.
Die Beispiele zeigen, dass der Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsnutzen einer Sprache einander widersprechen knnen. Ist die Sprache
ein wichtiges Identittsmerkmal einer Gruppe, dann kann die Aufgabe der
eigenen Sprache zur Frage des Verlusts der eigenen kollektiven Identitt
werden. Unter dieser Bedingung werden Vergesellschaftungsvorteile, die mit
einer Anpassung an eine neue Sprachkonstellation verbunden sein mgen,
mit Vergemeinschaftungsnachteilen bezahlt.
Dieser Zusammenhang gilt auch fr den Erwerb von Fremdsprachen.
Personen knnen sich mit einer Fremdsprache positiv oder negativ identifizieren. Je strker eine positive emotionale Identifikation mit einer Sprache
ist, desto hher ist die Bereitschaft, diese zu lernen et vice versa. Der Grad
der Identifikation mit einer Sprache ist wiederum wesentlich bestimmt
durch das Ausma der Identifikation mit der Gruppe derer, die diese Spra-

48

che sprechen.19 Mit welchen Sprachen sich Menschen in welcher Intensitt


identifizieren, wird entsprechend bestimmt durch die kollektiven Identitten, mit denen sie sich verbunden fhlen.
2.1.3 Transnationales sprachliches Kapital und seine wachsende Bedeutung
Wenn Menschen in einer Gesellschaft leben, die sprachlich homogen und
von anderen Gesellschaften, in denen andere Sprachen gesprochen werden,
abgeschnitten ist, ist es wenig sinnvoll, wenn sie Fremdsprachen lernen. Sie
knnen durch den Erwerb einer Fremdsprache weder ihre Vergesellschaftungs- noch die Vergemeinschaftungschancen erhhen. Je strker aber Gesellschaften mit anderen, andere Sprachen sprechenden Gesellschaften vernetzt sind, desto wertvoller wird die Fhigkeit, mehrere Sprachen sprechen
zu knnen. Ich werde in Kapitel 3.2 auf die vernderten Rahmenbedingungen, die die Verwertungsmglichkeit von Fremdsprachenkompetenz erst
erzeugen, noch genauer eingehen. An dieser Stelle gengt eine kurze Skizze
der vernderten Bedingungen, um das Argument, dass unter Bedingungen
von Globalisierung und Europisierung der Verfgung ber transnationales
sprachliches Kapital eine besondere Bedeutung zukommt, zu plausibilisieren. Nationalstaatliche Gesellschaften werden in der Literatur auch als
Container-Gesellschaften bezeichnet (Taylor 1994; Beck 1997). Damit ist
gemeint, dass die Institutionen der Gesellschaft auf das Territorium des
jeweiligen Nationalstaates begrenzt bleiben; und auch die verschiedenen
Formen der Interaktionen (vom Gteraustausch bis hin zum Heiratsverhalten) finden in erster Linie innerhalb der Nationalstaaten statt. Die Nationalstaaten sind nun im Kontext von Globalisierung und Transnationalisierung
zunehmend Vernderungsprozessen unterworfen. Dies gilt vor allem und in
erster Linie fr die Lnder, die Mitglieder der Europischen Union sind. Die
EU-Mitgliedslnder sind in den letzten 40 Jahren deutlich aufgeweicht
worden, insofern sie einen Teil ihrer Souvernittsrechte auf die europische
Ebene verlagert haben, womit die Politikfelder, fr die die Europische
Union und nicht mehr der Nationalstaat zustndig sind, ausgedehnt wurden.
Dieser durch die Mitgliedslnder der EU selbst ausgelste Prozess der Ver19 Die Ablehnung des Englisch bei einem Teil der Bevlkerung in Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg erklrt sich aus der Ablehnung der Amerikaner und Englnder als Siegerund Besatzermchte; die Ablehnung des Spanischen in Katalonien ist Ausdruck der Ablehnung einer Dominanz des spanischen Zentralstaates.

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lagerung von Rechtssetzungskompetenzen hat zu einer zunehmenden Europisierung der Gesellschaften der Mitgliedslnder der EU, einer Erhhung
des Austauschs zwischen den Mitgliedslndern und damit zu einer Aufweichung der nationalstaatlich verfassten Container beigetragen (vgl. Mnch
2001; 2008; Fligstein 2008a; aus historischer Perspektive vgl. Kaelble 2005;
2007). Vor allem die Herstellung des europischen Binnenmarkts sowie die
damit verbundene Freizgigkeit fr Waren, Kapital, Dienstleistungen und
Arbeitskrfte hat grenzberschreitende Wirtschaftsprozesse befrdert und
das Anwachsen des binneneuropischen Handels, die Zunahme europischer Wertschpfungsketten und die Transnationalisierung des Kapitals
begnstigt (vgl. Ambrosius 1996; Hirst & Thompson 1998; Fligstein & Stone Sweet 2002; Fligstein & Merand 2002; Verwiebe 2004). Die Gesellschaften Europas sind aber nicht nur durch den Europisierungsprozess, sondern
auch durch die Globalisierung tief greifend verndert worden. Seit den
1970er Jahren hat der interregionale konomische, kommunikative, kulturelle und politische Austausch rasant zugenommen (siehe dazu Kapitel 3.2).
Diese Strukturvernderungen haben unterschiedliche Folgen fr die
verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft. Viele Beobachter haben darauf hingewiesen, dass vor allem das Finanzkapital von den Prozessen
der Globalisierung und Europisierung profitiert (vgl. zusammenfassend
Beck 1997; Zrn 1998; Altvater & Mahnkopf 1999; Hartmann 2007). Offene Grenzen ermglichen es den Unternehmen, neue Absatzmrkte fr sich
zu gewinnen und ihren Standort in andere Lnder zu verlagern und zwar in
die Lnder, in denen die Lohnkosten und die Lohnnebenkosten deutlich
niedriger sind als im Herkunftsland. Die Mobilitt des Faktors Arbeit ist im
Vergleich zu der der Unternehmen deutlich geringer. Personen sind in hherem Mae an ihren Wohnort, ihre Familie und ihr Land gebunden. Die
Unterschiede in der Mobilitt manifestieren sich in Unterschieden des Nutzens, der mit Globalisierung und Europisierung verbunden ist. Whrend
das Kapital der eigentliche Nutznieer der vernderten Ordnung ist, mssen
die Menschen die Nachteile, die sich in der Verringerung oder Stagnation
der Lhne, geringeren Steuereinnahmen des Staates oder hherer Arbeitslosigkeit manifestieren, hinnehmen.
Arbeit ist aber nicht gleich Arbeit. Die Menschen sind in unterschiedlichem Ausma mit Humankapital ausgestattet; und je nach Verfgung ber
ein adquates Humankapital kann der Prozess der Transnationalisierung und
Europisierung mit Vor- oder Nachteilen verbunden sein. Unter den vern-

50

derten Bedingungen von Transnationalisierung und Europisierung kommt


der Mehrsprachigkeit eine besondere Bedeutung zu. Da die Nationalstaaten
in aller Regel auch durch unterschiedliche Sprachen gekennzeichnet sind, ist
ein Austausch ber die Sprachgrenzen hinweg nur mglich bzw. wird wesentlich erleichtert, wenn die Brger ber ein entsprechendes transnationales
sprachliches Kapital verfgen, also mehrere Sprachen sprechen knnen. Die
Verfgung ber diese Ressource erleichtert es erheblich, mit Brgern anderer Lnder zu interagieren, wirtschaftlich zu handeln, wissenschaftlich zu
kooperieren, politische Verhandlungen zu fhren, Proteste ber die nationalstaatlichen Grenzen hinaus zu organisieren, Liebesbeziehungen einzugehen etc., kurz: sich in unterschiedlichen Dimensionen transnational zu vergesellschaften. Die Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital
versetzt damit diejenigen, die ber Mehrsprachigkeit verfgen, in die Lage,
am Transnationalisierungs- und Europisierungsprozess teilzunehmen und
entsprechende transnationale Beziehungen aufzubauen; diejenigen, die nur
ihre Muttersprache sprechen, sind an ihr Land gebunden und knnen die
Vorteile des vereinten Europas und einer globalisierten Welt nicht nutzen.
Die Verfgung ber transnationales linguistisches Kapital ist damit eine
neue Quelle sozialer Ungleichheit im Kontext einer sich entwickelnden europischen Gesellschaft.
In den empirischen Analysen werde ich zwei Varianten von transnationalem sprachlichem Kapital unterscheiden. Personen verfgen zum einen
ber transnationales sprachliches Kapital, wenn sie verschiedene Fremdsprachen sprechen, ganz unabhngig von der Frage, welche Fremdsprachen
es sind alle Sprachen werden hier also gleich behandelt. Die Kapitalausstattung ist in diesem Fall umso hher, je mehr Sprachen jemand spricht.
Der Nutzen einer Sprache variiert nun aber mit der Menge der Kommunikationspartner, die man mit der Kenntnis einer Fremdsprache erreichen
kann. Die Menge der potentiell erreichbaren Kommunikationspartner berechnet sich wiederum aus der Summe der Menschen, die diese Sprache als
Muttersprache sprechen und denjenigen, die sie als Fremdsprache sprechen.
Und da diese Menge der Sprecher je nach Sprache unterschiedlich ausfllt,
ist auch der Nutzen von verschiedenen Fremdsprachen unterschiedlich. Die
Anzahl der Menschen, die z. B. Lettisch oder Finnisch als Mutter- oder
Fremdsprache sprechen, ist wesentlich geringer als die Anzahl derer, die
Englisch sprechen. Englisch ist diejenige Sprache, die innerhalb der EU, wie
wir sehen werden, den hchsten Kommunikationswert hat. Personen verf-

51

gen dann und dies ist die zweite Variante ber transnationales sprachliches Kapital, wenn sie die Sprache mit dem hchsten Sprachnutzen (Englisch) beherrschen.
Eine gute Sprachkompetenz kann, wie wir oben gesehen haben, fr
verschiedene gesellschaftliche Bereiche von Nutzen sein. Dies gilt auch fr
die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital unter den skizzierten Kontextbedingungen.
a) Mehrsprachigkeit erffnet zum einen bessere Ausbildungschancen und
ermglicht den Erwerb von hher dotierten Bildungszertifikaten. Je mehr und
je besser man mehrere Sprachen beherrscht, desto besser ceteris paribus
werden die Noten sein, die man in der Schule erreicht. Mehrsprachigkeit
ermglicht aber vor allem auch, die Bildungsinstitutionen im Ausland nutzen zu knnen, dort Prfungen abzulegen und entsprechende Bildungszertifikate zu erwerben, die, wenn man z. B. an die amerikanischen und britischen Eliteuniversitten denkt, mit hoher Reputation verbunden sind.
b) Mehrsprachigkeit verbessert zum anderen den Zugang zu besseren Berufspositionen, Positionen, die mit einem hohen Einkommen und Ansehen verbunden sind. Einerseits ist der Zugang zum Arbeitsmarkt hufig an den
Erwerb der Bildungspatente geknpft. Wenn die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital zu hheren und besseren Bildungsabschlssen
fhrt, dann ist damit indirekt auch ein besserer Zugang zu hher dotierten
Berufspositionen verbunden. Andererseits verbessert Mehrsprachigkeit auch
unmittelbar die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dies gilt vor allem fr die
Europische Union. Die Institutionalisierung der so genannten Freizgigkeitsregel fr Arbeitnehmer hat allen Unionsbrgern die Freiheit gegeben, in
jedem Mitgliedsstaat Arbeit zu suchen, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. Die Freizgigkeitsregel gilt analog fr Selbststndige
(Niederlassungsrecht). Diese rechtliche Erweiterung der Arbeitsmglichkeiten knnen aber faktisch vor allem diejenigen nutzen, die mehrere Sprachen
sprechen, weil die meisten auslndischen Berufspositionen die Kenntnis der
jeweiligen Sprache des Landes voraussetzen. Auch die Firmen innerhalb
eines Landes haben sich in ihren Beziehungen internationalisiert, was zu
einer Vernderung des Anforderungsprofils an die Mitarbeiter gefhrt hat.
Internationale Erfahrungen, interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachigkeit sind zu zentralen Qualifikationsmerkmalen geworden. Dies gilt in hnli-

52

cher Weise fr die Politik und die politische Brokratie. Selbst Brokratien,
traditionell der Hort nationalstaatlicher Selbstabschlieung, sind heute in
Netze des Informationsaustauschs und der wechselseitigen Unterrichtung
und Kenntnisnahme eingespannt. Viele Fachausschsse und Fachverwaltungen [] mssen sich, um die Rechts- und Sachlagen, die sich aus der
Verwobenheit ergeben, richtig beurteilen zu knnen, mit Experten anderer
Lnder konsultieren (Mau 2007: 240). Schlielich gilt auch fr die Wissenschaften, dass ihr Grad der Internationalisierung enorm zugenommen hat
(siehe dazu Kapitel 3.1). Ingesamt kann man also vermuten, dass Personen,
die ber transnationale Kompetenzen im Allgemeinen und ber transnationales linguistisches Kapital im Besonderen verfgen, bessere Berufschancen
haben.20
c) Mehrsprachigkeit verbessert drittens die Mglichkeit der Ausdehnung der
eigenen Netzwerke und damit die Chance der Internationalisierung der sozialen
Integration. Internationale Netzwerke sind selbst wiederum ein soziales Kapital, das zur Ausdehnung von Geschftsbeziehungen, politischen Kontakten
und als Informationsbrse genutzt werden kann.
d) Schlielich verbessert die Verfgung ber transnationales sprachliches
Kapital auch die Chancen zur politischen Partizipation. Fremdsprachenkenntnis
ermglicht die Teilhabe am politischen Leben in einem anderen Land; man
kann die Medienberichterstattung besser verfolgen und sich selbst politisch
engagieren, indem man z. B. in Parteien und in zivilgesellschaftlichen Organisationen mitarbeitet. Die Transnationalisierung der politischen Partizipationsmglichkeit ist vor allem im Kontext der europischen Integration von
Belang. Die Brger der EU besitzen seit dem Maastrichter Vertrag von 1992
neben ihrer nationalen Staatsbrgerschaft auch eine Unionsbrgerschaft; sie
haben damit das Recht, an den Kommunalwahlen des europischen Landes
teilzunehmen, in dem sie sich aufhalten. Von dieser rechtlichen Mglichkeit
knnen sie aber faktisch nur Gebrauch machen, wenn sie auch die Sprache
des Landes verstehen und sich ber die politischen Debatten in dem jeweiligen Land informieren knnen.

20 Zur Frage, in welchem Mae die Eliten in verschiedenen Lndern bereits europisiert sind
vgl. Michael Hartmann (2007: 195-213; 2009).

53

Neben dem beschriebenen instrumentellen Nutzen kann die Mehrsprachigkeit aber auch mit einem symbolischen Nutzen verbunden sein. Wir haben gesehen, dass der symbolische Nutzen der Sprache sich auf die Identifikation
mit einer Gemeinschaft bezieht, wobei die Sprache zur Konstruktion von
unterschiedlichen Gemeinschaften (Nation, Region, Klasse etc.) eingesetzt
werden kann. Ich vermute, dass die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital zum Aufbau eines neuen Klassenbewusstseins genutzt werden
kann. Personen, die mehrsprachig sind und in unterschiedlichen Lndern
mit unterschiedlichen Sprachen agieren knnen, erhalten aufgrund dieser
Kompetenz Anerkennung durch ihre Mitmenschen. hnlich wie die kulturellen Eliten innerhalb der Lnder durch eine ffentliche Inszenierung ihres
hochkulturellen Lebensstils sich als gebildete Klasse inszenieren und gegenber den mittleren Klassen abgrenzen, ermglicht die Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital, sich als Teil einer transnationalen Klasse
darzustellen, sich nicht nur von den Mittel- und Unterschichten, sondern
auch von den Oberschichten in den eigenen Lndern, die national zurckgeblieben sind, zu distanzieren. Aus der Fhigkeit der Mehrsprachigkeit
kann man symbolisches Kapital schlagen, indem man sich gegenber den
locals distanziert. 21 Man kann vermuten, dass die Strategien, Distinktionsgewinne auf der Grundlage von Fremdsprachenkompetenz einzufahren,
hnlich gelagert sind wie diejenigen, die Pierre Bourdieu fr den hochkulturellen Lebensstil beschrieben hat. Die soziale Vermitteltheit der Fremdsprachenkompetenz wird abgedunkelt, Mehrsprachigkeit wird als vermeintlich
natrliche, inkorporierte und selbstverstndliche Fhigkeit inszeniert; und
diejenigen, die keine Fremdsprachen sprechen, werden als rckstndig interpretiert.
Neben einem neuen Klassenbewusstsein mag sich eine neue, multilinguale Elite aber auch durch eine vernderte Solidaritt mit dem Nationalstaat auszeichnen. Adam Smith hat eine hnliche Vermutung bereits vor 150
Jahren in seinem Buch Wealth of Nations formuliert: The proprietor of
land is necessarily a citizen of the particular country in which his estate lies
[]. The proprietor of a stock is properly a citizen of the world, and is not
necessarily attached to any particular country (Smith 1864: 358). Gerade
weil diejenigen, die transnational agieren, in transnationale Netzwerke ein21

Empirisch wissen wir ber eine sich entwickelnde neue transnationale Klasse allerdings
recht wenig, auch wenn es einige populrwissenschaftliche Spekulationen zu dem Thema
gibt.

54

gebunden sind, lst sich ihre Bindung an den Nationalstaat auf.22 Steffen
Mau, Jan Mewes und Ann Zimmermann (2008a; 2008b) knnen z. B. zeigen, dass Menschen, die ber viele auslndische Beziehungen verfgen, also
transnational vernetzt sind, im strkeren Mae kosmopolitische Orientierungen und positive Einstellungen gegenber Auslndern aufweisen (Mau,
Mewes & Zimmermann 2008a; 2008b).23 Ob sich aus der transnationalisierten Position auch eine neue Bindung an und Identifikation mit internationalen Organisationen, wie der Europischen Union, ergibt, kann man vermuten. Ich komme darauf im Kapitel 5 nochmals mit einer kleinen eigenen
Analyse zurck.
2.2

Kritik des linguistic turn in der soziologischen


Theoriebildung

Ich habe zu Beginn des Kapitels die These formuliert, dass die sprachwissenschaftliche Wende in der soziologischen Theoriebildung unser Verstndnis von Sprache und Gesellschaft nicht wesentlich verbessert hat, bin die
Begrndung fr diese These aber schuldig geblieben. Dies soll im Folgenden
nachgeholt werden. Leser, die an dieser theorieimmanenten Auseinandersetzung nicht interessiert sind, knnen das Kapitel berspringen. Das begriffliche und theoretische Fundament fr die empirischen Analysen habe ich im
letzten Unterkapitel expliziert.
Die Diskussion der kommunikationswissenschaftlichen Fundierung
von drei Gro-, bzw. Metatheorien (Alexander 1987) steht im Zentrum der
folgenden berlegungen: Ich behandle die Theorie des kommunikativen
Handelns von Jrgen Habermas, die Systemtheorie von Niklas Luhmann
und die kommunikationstheoretische Fundierung der verstehenden Soziologie, wie sie von Alfred Schtz, Thomas Luckmann und Peter L. Berger formuliert wurde. Ich werde die drei Theorieanstze nacheinander skizzieren
22

Samuel P. Huntington (2004) beschreibt in seinem Buch ber die Vernderung der amerikanischen Identitt das Nachlassen der Bindung der transnationalen Eliten an die USA und
sieht darin eine der Gefahren fr die Zukunft der USA.
23 Kosmopolitismus wird von den Autoren folgendermaen definiert: Cosmopolitanism, in
contrast, is conceived as a particular worldview characterized by the capacity to mediate
between different cultures, the recognition of increasing interconnectedness of political
communities and the approval of political responsibility at the supranational and global level
(Mau, Mewes & Zimmermann 2008b: 2).

55

und diskutieren, um auf die Blindstellen einer konturlos gewordenen


Sprachsoziologie hinzuweisen.24
2.2.1 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns
Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns bezieht ihre
Fundierung aus der universalpragmatischen Philosophie einerseits und der
Sprechakttheorie andererseits (zum folgenden Habermas 1981). Ausgangspunkt der Habermasschen Gesellschaftstheorie ist die Bestimmung eines
geeigneten Handlungsbegriffs. Er unterscheidet zwischen instrumentellem
Handeln einerseits, das nicht auf andere Menschen bezogen ist und sozialem
Handeln, das an anderen Interaktionspartnern orientiert ist, andererseits.
Soziales Handeln, selbst wieder unterteilt in strategisches und kommunikatives Handeln, zielt ab auf die Handlungskoordination zwischen mindestens
zwei Interaktionspartnern. Es ist sprachlich vermittelt und verluft regelorientiert. Zur Rekonstruktion des sprachlich vermittelten sozialen Handelns
und seiner Regeln nimmt Habermas Bezug auf die Sprechakttheorie von
John Searle (Searle 1969). Sprechakte sind die Grundelemente der sprachlichen Kommunikation. Mit den Sprechakten sind wiederum Geltungsansprche der Kommunikation verbunden. Immer, wenn Menschen miteinander interagieren, tun sie dies auf der Basis der Unterstellung von Geltungsansprchen. Habermas unterscheidet bekanntlich vier solcher Gel24 Auch die Gesellschaftstheorie von Hartmut Esser, die er in sechs Bnden entwickelt hat
und die ihr handlungstheoretisches Fundament in der Theorie rationalen Handelns besitzt,
verbessert unser Verstndnis von Sprache und Gesellschaft nicht wesentlich. Dies ist insofern berraschend, als Esser mit seiner Studie ber die sozialen Bedingungen und die Folgen
des Spracherwerbs von Migranten (Esser 2006) eine hervorragende empirische Analyse ber
das Verhltnis von Sprache und Gesellschaft vorgelegt hat; wir werden im vierten Kapitel
darauf noch genauer eingehen. Die konkreten empirischen Analysen haben aber offensichtlich seine grundlagentheoretischen berlegungen zu Sprache und Gesellschaft nicht beeinflusst. Im dritten Band des sechsbndigen Werks Soziologie. Spezielle Grundlagen (Esser
2000: 227-298) geht Esser auf die Rolle der Sprache ein. Er unterscheidet zuerst drei Formen
der Interaktion (Koordinierung, symbolische Interaktion und Kommunikation). In Anlehnung an Luhmann beschreibt er dann Kommunikation als die Mitteilung von Informationen
von Ego an Alter inklusive des Verstehens dieser Mitteilung durch Alter. Dieser Kommunikationsprozess kann auf der Rezipientenseite gestrt werden, wenn es Sprachbarrieren gibt.
Esser konzentriert sich bei der Analyse der Sprachbarrieren vor allem auf Barrieren, die
durch klassenspezifische Sprechweisen entstehen und diskutiert hier die Arbeiten von Basil
Bernstein. Auf die fundamentale Bedeutung von Einzelsprachen geht er so gut wie nicht ein.

56

tungsansprche: den Anspruch auf Verstndlichkeit, auf Wahrhaftigkeit, auf


Wahrheit und auf Richtigkeit.
Verstndlichkeit ist die Basisvoraussetzung fr jede gelingende Kommunikation; erst wenn sie gewhrleistet ist, knnen die anderen Geltungsansprche eingelst werden. Der Geltungsanspruch der Verstndlichkeit
meint, dass Hrer und Sprecher sprachlich kompetent sein mssen, um die
vom jeweilig Anderen benutzen Zeichen zu verstehen. Wahrhaftigkeit des
Sprechers bedeutet, dass die Interaktionspartner wechselseitig davon ausgehen, dass der andere zu seinem Wort steht, dass Gesagtes und Gemeintes
bereinstimmen. Weiterhin unterstellen die Sprecher einander, dass die Aussagen, die sie ttigen, auch wahre Aussagen sind. Wenn jemand sagt, dass es
drauen regnet, dann unterstellt das Gegenber, dass der proportionale
Gehalt der Aussage nmlich, dass es regnet wahr ist. Schlielich unterstellen die Kommunikationspartner die Richtigkeit der Normen, denen sie
folgen, so dass sie diese im Ernstfall auch rechtfertigen knnen. Wenn sich
jemand z. B. fr die Einfhrung der Todesstrafe ausspricht, dann unterstellt
man, dass er dafr gute Grnde anfhren kann. In der alltglichen Kommunikation gibt es hufig Nachfragen nach den unterstellten Geltungsansprchen, die meist schnell geklrt werden knnen.25
Manchmal sind aber die Nachfragen nach den Geltungsansprchen
durch schnelle Korrekturen nicht ausreichend zu befriedigen. Die Interaktionspartner unterbrechen dann die Interaktion und wechseln in einen anderen Modus der Kommunikation, in den der Metakommunikation, den Habermas als Diskurs bezeichnet. Wenn Akteure in den Diskurs einsteigen, um
problematische Geltungsansprche zu klren, dann stellt sich die Frage, auf
welcher Basis man entscheiden kann, ob Geltungsansprche richtig oder
falsch sind. Habermas geht davon aus, dass jedem Diskurs wiederum eine
Unterstellung zugrunde liegt, nmlich die einer idealen Sprechsituation. Wir
unterstellen (idealerweise), dass in dem Diskurs a) nur der zwanglose Zwang
25 Studierende fragen im Seminar, was Pierre Bourdieu denn unter Habitus versteht; man
erlutert dies und wird damit dem Anspruch nach Verstndlichkeit gerecht. Die Mutter hat
Zweifel, ob das Kind wirklich die Hausaufgaben gemacht hat und zweifelt an der Wahrhaftigkeit des Kindes, das behauptet, es htte die Hausaufgaben gemacht. Die Person, die sich
fr die Todesstrafe ausspricht, wird sich wahrscheinlich Nachfragen gefallen lassen mssen
und dann mit Argumenten zu begrnden versuchen, warum sie die Todesstrafe als ein legitimes Mittel des Strafrechts ansieht. Schlielich wird man auch die Aussage, dass es regnet, in
Zweifel ziehen knnen, indem man darauf verweist, dass der Wetterbericht doch Sonnenschein angekndigt habe.

57

des besseren Arguments gilt, d. h. Macht und Zwang ausgeschlossen sind, b)


jeder das Recht hat, alle Sprechakte zu benutzen und c) dass man sich auf
die besten Argumente einigen wird und diese sich dann durchsetzen, so dass
am Ende des Diskurses ein argumentativ gesttzter Konsens stehen wird.
Diese komplexe, zugleich stringent und elaboriert ausgearbeitete Theorie
der Kommunikation und der Metakommunikation basiert ganz fundamental
auf dem ersten Geltungsanspruch: dass die Kommunikationspartner berhaupt einander verstehen knnen. Die Bedingungen fr Verstndlichkeit
werden aber von Habermas an keiner Stelle diskutiert. Verstndlichkeit hngt
ganz entscheidend von der Frage ab, ob die Kommunikationspartner dieselbe Sprache sprechen. Dies wiederum wird von Habermas einfach vorausgesetzt oder als so selbstverstndlich interpretiert, dass er dieser Frage keine
Aufmerksamkeit schenkt. Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, die ein und
dieselbe Sprache spricht, ist aber alles andere als selbstverstndlich. Die
Grenzen von Sprachgemeinschaften sind gesellschaftlich definierte Grenzen.
Die gesellschaftlich definierten Sprachgemeinschaften begrenzen umgekehrt
den Mglichkeitsraum, innerhalb dessen Interaktionen, Interaktionsverdichtungen, Lebenswelten und damit Gesellschaften entstehen knnen.
Dies gilt nicht nur fr Interaktionen, in denen alle Geltungsansprche
als richtig unterstellt werden, sondern auch fr die Mglichkeit diskursiver
Kommunikation. Das Aushandeln von Geltungsansprchen im theoretischen und praktischen Diskurs setzt voraus, dass die Akteure sich wechselseitig verstehen und dies ist wiederum an die Bedingung geknpft, dass sie
dieselbe Sprache sprechen. Das Sprechen ein und derselben Sprache ist
natrlich keine hinreichende Voraussetzung fr das Gelingen von Diskursen, es ist aber eine unabdingbare, notwendige Voraussetzung dafr, dass
Diskurse berhaupt zu Stande kommen knnen.
Diese grundbegriffliche Blindheit gegenber der Tatsache, dass die
Menschen sehr unterschiedliche Sprachen sprechen und dass die Sprachkonstellation der Erde selbst wiederum durch die gesellschaftliche Institutionenordnung geprgt ist, spiegelt sich auch in der makrosoziologischen
Applikation der Grundbegriffe wieder, vor allem in der Habermasschen
ffentlichkeitssoziologie. Dem Bereich der ffentlichkeit widmet Habermas seit seiner Habilitationsschrift Strukturwandel der ffentlichkeit
(1962) immer eine besondere Aufmerksamkeit und dies aus theorieimmanenten guten Grnden. Wenn der Diskurs der Bereich ist, in dem die Menschen die zentralen Regeln ihres Zusammenlebens in einer Gesellschaft

58

aushandeln, dann kommt der Institutionalisierung von Diskursen in Form


der ffentlichkeit eine zentrale Funktion in der Selbstbestimmung von Gesellschaften zu.
Die Teilhabe an ffentlichkeit, an ffentlichen Debatten ber politische Optionen und damit an einem demokratischen Gemeinwesen setzt
voraus, dass sich die Interaktionspartner miteinander verstndigen knnen.
Die Verstndigungsmglichkeit ist aber in hohem Mae an die Kompetenz,
die gleiche Sprache zu sprechen, gebunden. Wie sonst soll man Argumente
z. B. zur Frage, ob der Klimaschutz hchste politische Prioritt genieen
soll, Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen oder eine militrische Intervention in Afghanistan sinnvoll ist, miteinander austauschen knnen,
wenn man nicht dieselbe Sprache spricht? Die Grenzen von ffentlichkeit
sind entsprechend weitgehend durch die institutionell definierten Sprachgemeinschaftsgrenzen aufgezeigt. Genau diese bleibt im Habermasschen
Konzept von ffentlichkeit unterbelichtet. Dass die Entstehung von ffentlichkeit, sei es historisch in Form der nationalen ffentlichkeiten, sei es
im Hinblick auf die Gegenwart in Form einer europischen, transnationalen
oder sogar globalen ffentlichkeit an die Grundvoraussetzung, dass man
ein und dieselbe Sprache spricht, gebunden ist, wird von ihm nicht thematisiert. Damit bleiben aber auch Vorstellungen von ffentlichkeiten, die jenseits der ja meist sprachlich homogen verfassten Nationalgesellschafen gelagert sind, weitgehend illusorisch.
2.2.2 Niklas Luhmanns Systemtheorie
Auch der fast zeitgleich zur Habermasschen Theorie des kommunikativen
Handelns entwickelte Gegenentwurf zu einer Theorie der Gesellschaft, die
Systemtheorie von Niklas Luhmann, hat eine kommunikationswissenschaftliche Fundierung. Gegenstand der Soziologie ist bekanntlich die Analyse sozialer Systeme. Kommunikation ist das Letztelement oder die spezifische Operation von sozialen Systemen und damit der Grundbegriff einer systemtheoretischen Gesellschaftstheorie (zum Folgenden Luhmann 1984). Individuen
bzw. psychische Systeme bilden die Umwelt von sozialen Systemen. Sie operieren auf der Basis von Gedanken und Bewusstsein und nicht auf der Basis
von Kommunikation. Kommunikation liegt gleichsam auerhalb der Individuen. Kommunikation selbst besteht wiederum aus drei verschiedenen Elementen: einer Information, einer Mitteilung und dem Verstehen. Eine Kom-

59

munikation hat stattgefunden, wenn Alter versteht, dass Ego eine Information mitgeteilt hat. Verstehen bedeutet in der Luhmannschen Begriffsfhrung
nicht das psychische Verstehen einer Person, sondern dass der Kommunikationspartner zur Fortsetzung der Kommunikation motiviert wird. Wenn z. B.
ein Dozent in einer Einfhrungsvorlesung sagt, dass bei der letzten Klausur
im Kontext einer Einfhrungsvorlesung 30 % der Studierenden die Klausur
nicht bestanden haben, die Studierenden die Information 30 % der Studierenden sind durch die letzte Klausur durchgefallen als die Mitteilung, der Dozent
will uns warnen und zugleich motivieren, mehr zur Vorbereitung der Klausur
zu tun, verstehen, dann ist dies eine Kommunikation, weil die Studierenden
den Unterschied zwischen Information und Mitteilung verstanden haben.
Der Verstehensprozess bildet dann die Voraussetzung fr weitere Kommunikationen, indem z. B. die Studierenden behaupten, das Anforderungsniveau
in den Klausuren sei zu hoch oder darum bitten, dass der Dozent den klausurrelevanten Stoff mehr eingrenzen mge.26
Zur genaueren Beschreibung von sprachlicher Kommunikation greift
Luhmann auf die Unterscheidung der recht abstrakten Begriffe Form und
Medium zurck. Ein Medium ist durch eine lose Kopplung zwischen verschiedenen Elementen gekennzeichnet, whrend eine Form die verschiedenen Elemente miteinander verknpft und verdichtet. Luhmann erlutert
diesen Unterschied am Beispiel von Luft und elektromagnetischen Wellen,
die jeweils Medien darstellen. Sie sind als solche lautlos bzw. unsichtbar.
Gesprochene Laute oder wahrgenommene Gegenstnde geben dem jeweiligen Medium (Luft und Wellen) eine Form. Man sieht nicht das Licht, sondern die Dinge, und wenn man Licht sieht, dann an der Form der Dinge.
26 Das gegebene Beispiel bezieht sich bereits auf eine besondere Form der Kommunikation,
nmlich auf sprachliche Kommunikation. Luhmann unterscheidet verschiedene Formen der
Kommunikation, die evolutionr nacheinander entstanden und entsprechend unterschiedlich
leistungsfhig sind. Die einfachste Art der Kommunikation ist die Wahrnehmung. Die Frau
am Tisch in einer Kneipe nimmt wahr, dass der Mann an der Theke sie anschaut. Sie kann
die Information (Blick des Mannes) als Anmache (Mitteilung) interpretieren und damit verstehen. Das Beispiel verdeutlicht aber, dass die Wahrnehmung hufig eine uneindeutige Form
der Kommunikation ist. Der Blick des Mannes mag eher zufllig die Augen der Frau am
Tisch berhrt haben, die Mitteilung Anmache war nicht die intendierte Mitteilung. Sprache
ist ein Medium der Kommunikation, das im Vergleich zur Wahrnehmung eindeutiger ist und
zudem mit einer Flle anderer evolutionrer Vorteile verbunden ist (zu Luhmanns Sprachbegriff vgl. Srubar 2005). So ist der Satz des Manns an der Theke Darf ich Sie auf einen
Drink einladen in seinem Informationsgehalt und in seiner Mitteilung eindeutiger als der
Blick.

60

Man hrt nicht die Luft, sondern Gerusche [] (Luhmann 1997: 201).
Was nun Form und was Medium ist, ist relativ. Nichts ist an sich Form oder
Medium.
Die mndliche Sprache besteht zuerst einmal aus Lauten. Von den Lauten ist der Sinn der Laute zu trennen. Der Laut bestimmt, welches der Sinn
ist, der mit dem Laut verbunden ist. Insofern kann man sagen, dass die Laute das Medium sind und der Sinn die Form. Sprachliche Kommunikation
ist also zunchst: Prozessieren von Sinn im Medium der Lautlichkeit
(Luhmann 1997: 213). Etwas ist Medium in Bezug auf die Form, die sich
durchsetzt; die Form kann aber auch Medium sein im Hinblick auf eine
andere Form, die sich in dem Medium durchsetzt: Laute sind die Form des
Mediums Luft; Worte sind wiederum Form des Mediums Laute; und Worte sind Medium der Form des Sinns. Worte wiederum knnen ein Medium
sein, die nach den Regeln einer Grammatik miteinander kombiniert werden
und Stze im Sinne von Sinnzusammenhngen produzieren.
Das entscheidende Merkmal, dass die Differenz der mndlichen Sprache zur Kommunikation durch Wahrnehmung von Gesten ausmacht, ist
aber die Differenz von Laut und Sinn. Luhmann knpft hier an die Unterscheidung von Ferdinand de Saussure zwischen Bezeichnetem (signifi) und
Bezeichnenden (signifiant) an (Luhmann 1997: 208).27 Das Zeichen ist nicht
identisch mit dem Bezeichneten. Entsprechend ist die Zuordnung von Laut
und Sinn arbitrr.28 So kann der an eine Frau gerichtete Satz eines Mannes
in der Kneipe Darf ich Sie auf einen Drink einladen? auch lauten May I
invite you for a drink? oder Quiere usted tomar algo? Es gibt keinen in
dem Bezeichneten liegenden Grund, warum bestimmte Informationen und
Mitteilungen eine bestimmte Lautfolge haben. Es gibt auch keinen zwingenden Grund, warum bestimmte Wrter nach einem bestimmten Regelsystem
(Grammatik) miteinander kombiniert werden.
Luhmann beschreibt nun eine Menge an Merkmalen, die mit der Entwicklung von Sprache verbunden sind und die die Evolution der Gesellschaft begnstigt haben. Im Vergleich zur Wahrnehmungskommunikation
ist z. B. die Mglichkeit der Kommunikation von komplexen Informationen
27 Sinnhaft ist etwas, das mit Bedeutungen versehen ist. Das Besondere von Sinn besteht
darin, dass es einen dauerhaften berschuss an Bedeutungen gibt (Luhmann 1984: 93).
28 Ilja Srubar (2005: 604) hat in seiner Rekonstruktion des Luhmannschen Sprachbegriffs
darauf hingewiesen, dass das Luhmannsche Sprachkonzept beraus konventionell sei, wenn
auch in einer eigenen und eigenwilligen Theoriesprache ausformuliert.

61

weitaus grer; man stelle sich vor, man msse den gerade gelesenen Satz
durch Gestik und Mimik darstellen. Weiterhin ist die Mitteilung der Kommunikation im Falle der sprachlichen Kommunikation eindeutiger. Zudem
kann man mit sprachlicher Kommunikation ber Objekte kommunizieren
und dies ganz unabhngig von deren Anwesenheit. Weiterhin kann man
ber Objekte reden, die man nicht wahrnehmen kann, wie z. B. ber Freiheit, Demokratie oder das Jenseits. Die Entwicklung der Schriftsprache
erhht nochmals die evolutionren Mglichkeiten der Kommunikation im
Vergleich zur mndlichen Sprache. Die Besonderheiten der Schriftsprache
formuliert Luhmann wiederum mit Hilfe der Begrifflichkeit von Form und
Medium. Whrend die Sprache ganz allgemein ihre Form als Differenz von
Laut und Sinn findet, ermglicht die Schrift eine Symbolisierung genau dieser
Differenz in einem anderen Wahrnehmungsmedium, im Medium der Optik.
[] das heit: Schriftzeichen bringen die Einheit einer Unterscheidung zum
Ausdruck, und zwar so, dass mit der Einheit weiter operiert werden kann,
also andere Unterscheidungen getroffen werden knnen. Mit Schrift kann
man ganz neuartige Operationen durchfhren, nmlich lesen und schreiben,
und dies genau deshalb, weil in diesen Operationen nicht zwischen Laut und Sinn, sondern zwischen Buchstabenkombinationen und Sinn unterschieden werden mu (Luhmann 1997: 255f.). Welche Besonderheiten und Vorteile fr die Entwicklung der Gesellschaft mit der Schriftsprache wiederum verbunden sind, wird
von Luhmann ausfhrlich expliziert (zusammenfassend Luhmann 1997:
289f.). Das muss uns hier aber nicht weiter interessieren, weil die Basisannahmen der Luhmannschen Konzeptionalisierung von Kommunikation
und Sprache hinreichend klar sind, um die Kritik an diesen Annahmen zu
formulieren.
Die Kritik setzt an der fr gesprochene Sprache definitorischen Unterscheidung von Laut und Sinn bzw. an der fr Schriftsprache zentralen Unterscheidung von Buchstabenkombination und Sinn und deren jeweiligem
Rckbezug auf den Kommunikationsbegriff an. Kommunikation wird von
Luhmann, wie wir gesehen haben, als das Zusammenspiel von Information,
Mitteilung und Verstehen definiert. Eine mndliche uerung kann aber
nur dann zur Kommunikation fhren, wenn die Sprecher und Hrer den
Zusammenhang zwischen den Lauten und Worten einerseits und dem Sinn,
der mit den Worten verbunden ist, kennen. Gleiches gilt fr den Zusammenhang von Buchstabenkombination und Sinn. So ist der Satz Darf ich
Sie auf einen Drink einladen in seinem Informationsgehalt und in seiner

62

Mitteilung nur verstehbar, wenn der Hrer des Satzes der deutschen Sprache mchtig ist. Dazu muss er mit dem Lexikon der Wrter, aus dem die
Wrter des Satzes stammen, vertraut sein; und er muss ber Kenntnisse der
Grammatik verfgen, die die Wrter zu Stzen kombiniert hat. Ist dies nicht
der Fall, dann bleibt das Hren des Satzes reines Lautmalen, ohne Sinnbezug oder in der Luhmannschen Terminologie formuliert: Medium ohne
Form und damit keine Kommunikation. Damit sprachliche Kommunikation
berhaupt stattfinden kann, mssen Ego und Alter also ber die jeweilige
Einzelsprachkompetenz verfgen; sonst ist die Kommunikation zwischen den
beiden zum Scheitern verurteilt, genauer: die Autopoiesis sprachlicher
Kommunikation wird erst gar nicht in Gang gesetzt. Denn gerade das Verstehen einer Kommunikation ist ja Voraussetzung dafr, dass sie angenommen oder abgelehnt werden kann (Luhmann 1997: 229). Und das Verstehen setzt die Handhabung der Differenz von Laut und Sinn voraus. Dazu
muss man aber wissen, welche Laute mit welchem Sinn kombinierbar sind.
Auch wenn der Kommunikationsbegriff und der Begriff der sprachlichen Kommunikation von Luhmann nicht so anspruchsvoll konzeptionalisiert wird wie der Begriff des kommunikativen Handelns von Habermas, so
weist der Begriffsvorschlag doch eine hnliche Schwche auf. Luhmann
spricht hnlich wie Habermas von Sprache und nicht von Sprachen und
unterstellt damit kontrafaktisch eine universelle Kommunikationsmglichkeit zwischen den Menschen. Zwar ist die Zuordnung von Laut bzw. Zeichen und Sinn im Grundsatz arbitrr; welche konkreten Zuordnungen Sprecher aber gelernt haben, hngt von deren Zugehrigkeit zu Sprachgemeinschaften ab, die wiederum durch Einzelsprachen gekennzeichnet sind.
Sprachliche Kommunikation zwischen zwei und mehr Kommunikationspartnern wird nur dann mglich, wenn die Sprecher dieselbe Sprache sprechen. Die Menge der existierenden Einzelsprachen, ihre jeweilige Ausdehnung und Sprecherzahl ist wiederum nicht zufllig entstanden, sondern das
Resultat eines historischen Entwicklungsprozesses der Durchsetzung von
hegemonialen Sprachen und der Verdrngung von kleineren Sprachen. Diese Sprachenkonstellation bildet die entscheidende Voraussetzung dafr, dass
Kommunikation ganz im Sinne Luhmanns berhaupt stattfinden kann
oder zum Scheitern verurteilt ist.
Und hnlich wie bei Habermas hat die grundbegriffliche Blindheit gegenber der Tatsache, dass die Menschen sehr unterschiedliche Sprachen
sprechen und dass die Sprachenkonstellation der Welt selbst wiederum

63

durch die gesellschaftliche Institutionenordnung geprgt ist, Folgen fr die


makrosoziologische Sichtweise auf Gesellschaft. Die Gesellschaft besteht
nach Luhmann aus Kommunikationen und zwar aus einem unendlichen
Strom von Kommunikationen, die sich selbst immer weiter reproduzieren.
Gesellschaft ist also dasjenige Sozialsystem, in dem smtliche potentiell anschlussfhige Kommunikation stattfindet. Dieser Gesellschaftsbegriff und
der ihm zugrunde liegende Kommunikationsbegriff impliziert fast automatisch, dass die Gesellschaft eine Weltgesellschaft ist. Entsprechend ergibt
sich die Luhmannsche These von der Existenz einer Weltgesellschaft konsequent aus der Begriffslogik seines Theoriegebudes. Wenn Gesellschaft als
das umfassende Sozialsystem aller Kommunikationen definiert ist, dann
kann es nur eine Gesellschaft geben: Geht man von Kommunikationen als
der elementaren Operation aus, deren Reproduktion Gesellschaft konstituiert, dann ist offensichtlich in jeder Kommunikation Weltgesellschaft impliziert, und zwar ganz unabhngig von der konkreten Thematik und der
rumlichen Distanz zwischen den Teilnehmern (Luhmann 1997: 130).29
Die Frage nach der Existenz einer Weltgesellschaft wird hingegen in eine empirische Frage transformiert, wenn man bercksichtigt, dass Kommunikation nur funktioniert, wenn die Kommunizierenden auch in der Lage
sind, an die Kommunikationen der anderen anzuschlieen. Dies wiederum
ist von Bedingungen abhngig, die man genauer spezifizieren muss und die
fr die unterschiedlichen Medien der Kommunikation (Sprache; symbolisch
generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld, Macht oder Wahrheit)
recht unterschiedlich ausfallen. Fr das Medium der sprachlichen Kommunikation, und auf dieses konzentriere ich mich hier, ist eine Weltgesellschaft
nur vorstellbar, wenn es eine lingua franca gibt, die von allen Kommunikationsteilnehmern gesprochen wird. Dass es diese nicht gibt, zeigt jeder
Wechsel in ein anderes Land, dessen Sprache man nicht spricht. Im Grund29 Die interne Differenzierung der Weltgesellschaft erfolgt dabei nach Luhmann primr nach
dem Kriterium der funktionalen Differenzierung und nicht nach Staaten und Regionen:
Eine primr regionale Differenzierung widersprche dem Primat funktionaler Differenzierung. Sie wrde daran scheitern, da es unmglich ist, alle Funktionssysteme an einheitliche
Raumgrenzen zu binden, die fr alle gemeinsam gelten. Regional differenzierbar in Form von
Staaten ist nur das politische System und mit ihm das Rechtssystem der modernen Gesellschaft. Alle anderen operieren unabhngig von Raumgrenzen. Gerade die Eindeutigkeit
rumlicher Grenzen macht klar, da sie weder von Wahrheiten noch von Krankheiten, weder
von Bildung, noch vom Fernsehen, weder vom Geld (wenn man Kreditbedarf mitbercksichtigt), noch von der Liebe respektiert werden (Luhmann: 1997: 166).

64

satz ist die Frage nach der Existenz einer Weltgesellschaft aber eine empirische Frage, die man nicht theoretisch vorweg entscheiden kann. Und auch
die empirische Antwort kann nur sehr differenziert ausfallen. Es gibt zentrale Sprachen, die von einer Vielzahl von Sprechern gesprochen werden, wie
Englisch oder Mandarin. Deren Sprecher haben eine ganz andere Kommunikationschance als Sprecher, die sich in einer Sprache artikulieren, die z. B.
nur von einer kleinen Gruppe von Indianern im Amazonas gesprochen
wird; aber auch fr die Sprecher der Zentralsprachen gilt, dass sie nur von
einem relativ geringen Teil der derzeit 6,8 Milliarden Menschen der Erde
verstanden werden. Neben dem Verbreitungsgrad der Einzelsprachen ist die
Fremdsprachenkompetenz der Sprecher, ihr transnationales sprachliches
Kapital also, eine entscheidende Ressource, um mit mglichst vielen kommunizieren zu knnen. Die Verfgung ber Fremdsprachenkenntnisse
hngt wiederum von einer Vielzahl von Bedingungen ab, wie dem Entwicklungsgrad des Bildungssystems in einem Land, der Gre eines Landes, aber
auch von individuellen Merkmalen wie der Klassenlage oder des Bildungsgrades einer Person; diese Faktoren werde ich spter in den eigenen empirischen Analysen genauer betrachten.
Die wenigen Andeutungen mgen an dieser Stelle gengen, um das systematische Argument zu illustrieren. Luhmann kann zu seiner These, dass
die Gesellschaft eine Weltgesellschaft ist, nur gelangen, weil sein Kommunikationsbegriff verkrzt ist. Da die Theorie nicht bercksichtigt, dass der
kommunikative Anschluss nur mglich ist, wenn zwei oder mehrere Sprecher mit den gleichen Lauten bzw. Zeichen den gleichen Sinn verbinden,
also die gleiche Sprache sprechen, ist die Luhmannsche Gesellschaft in der
Tat per definitionem eine Weltgesellschaft. Geht man aber von der Prmisse
aus, dass Kommunikation auch Kommunikationsmglichkeit voraussetzt,
also Sprachkompetenzen, stellt sich die Frage nach der Existenz einer Weltgesellschaft ganz anders. Soziologisch hoch relevante Fragen geraten in den
Blick, wie die nach der Sprachenkonstellation der Gegenwart, nach den
gesellschaftlichen Krften, die die Sprachenkonstellation erzeugt haben und
nach der Dynamik, die dazu fhrt, dass manche Sprachen an Bedeutung
gewinnen, andere verdrngt werden. All diese Fragen stellen sich erst gar
nicht, wenn man den Kommunikationsbegriff sprachenunabhngig konzeptionalisiert.

65

2.2.3 Die verstehende Soziologie: Alfred Schtz, Peter L. Berger, Thomas Luckmann
und die neuere Wissenssoziologie
Die Sprachsoziologie hatte in der deutschen Soziologie insofern ein institutionelles Zuhause als es innerhalb der Deutschen Gesellschaft fr Soziologie eine Sektion Sprachsoziologie gab. Diese war von Hans Georg Soeffner, Thomas Luckmann und Richard Grathoff gegrndet worden und wurde dann in die Sektion Wissenssoziologie umbenannt. Die Namensnderung war eine Konsequenz der inhaltlichen Vernderungen, die unter dem
Dach der Sektion stattgefunden hatten. Hubert Knoblauch (2003) hat die
Entwicklungsschritte der Sprachsoziologie hin zur Wissenssoziologie kenntnisreich zusammengefasst (vgl. dazu auch Hitzler 2000: 469ff.). Ausschlaggebend fr die Transformation war die Annahme, dass jede gesellschaftliche
Interaktion eine kommunikative Interaktion darstellt, und fast jede kommunikative Interaktion eine sprachliche Interaktion ist. Sprache wurde zunehmend als wesentliche Trgerin von Sinn, als Objektivierung von Wissen
oder als Aspekt eines allgemeiner konzipierten Handelns angesehen
(Knoblauch 2003: 585). Das Erkenntnisinteresse einer nun in eine Wissenssoziologie aufgelsten Sprachsoziologie konzentriert sich entsprechend auf
eine Rekonstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktionen (vgl.
Hitzler, Reichertz & Schroer 1999; Hitzler 2000; 1998).30
Die theoretische Legitimation, Sprachsoziologie in Wissenssoziologie
zu transformieren, erfolgt vor allem durch Bezugnahme auf die einschlgigen Arbeiten von Alfred Schtz, Thomas Luckmann und Peter L. Berger.
Ich werde zuerst die theoretischen Prmissen und den Kommunikationsund Sprachbegriff der Autoren erlutern. Ich werde dann das von den Autoren skizzierte Verhltnis von Sprache und Gesellschaft diskutieren. Die
Vorstellung der Autoren, dass die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklich30 Die Annahme, Gesellschaft sei kommunikativ und dominant sprachlich verfasst, spiegelt
sich auch in der Text- und Sprachorientierung der Methoden der verstehenden Soziologie
(dazu Knoblauch 2003: 584f.). Auch wenn das Erkenntnisinteresse nicht auf Texte sondern
auf die Erforschung der Praxis der Lebenswelt der vergesellschafteten Subjekte gerichtet ist,
so mssen die im Feld generierten Daten doch in fixierte, hin- und her wendbare, immer
wieder in objektivierter Form vergegenwrtigbare Daten vorzugsweise also doch (im weitesten Sinne) Texte (Hitzler 2000: 462) transformiert werden (vgl. auch Hitzler & Honer
1997: 8). Die Analyse und Interpretation dieser Texte ist einerseits Sprachanalyse, zugleich
und vor allem aber Gesellschaftsanalyse, da die Analyse der Sprache auf eine verstehende
Rekonstruktion des Sinns sozialer Handlungen abzielt.

66

keit sprachlich vermittelt ist, wird von einer Vielzahl von Sozial- und Geisteswissenschaftlern vertreten und ist auch im Hinblick auf die Sprachpolitik
einflussreich. Ich werde versuchen zu zeigen, dass die These im Lichte des
aktuellen Forschungsstandes so nicht aufrechterhalten werden kann.
1) Grundbegriffe und theoretische Prmissen: Alfred Schtz geht ganz hnlich wie
spter dann Luhmann davon aus, dass Subjekte in ihrem Bewusstsein wechselseitig fr einander nicht zugnglich sind; man kann die Gedanken des
anderen nicht wahrnehmen (Schtz 1974).31 Wie knnen sich dann Akteure
wechselseitig verstehen und auf dieser Basis ihre Handlungen koordinieren?
Dazu machen Akteure, so Schtz, verschiedene Unterstellungen (Idealisierungen). Sie unterstellen einander zum einen, dass auch der Andere mit
Bewusstsein ausgestattet ist und die Fhigkeit zur Sinndeutung hat. Schtz
bezeichnet diese Annahme als die Generalthese des Alter Ego (Schtz 1974:
138). Zweitens gehen die Akteure von einer Reziprozitt der Perspektiven aus.
Sie unterstellen, dass der jeweilig Andere hnliche Interpretationen ttigt wie
man selbst. Auf der Basis dieser beiden Annahmen ist Verstndigung im
Grundsatz mglich, auch wenn die Subjekte freinander wechselseitig in
ihrem Bewusstsein nicht zugnglich sind. Wie funktioniert Kommunikation
auf der Basis der gemachten Unterstellungen?
Jede Kommunikation erfolgt zeichenvermittelt; sie bedarf der Produktion von ueren Objekten durch Ego, die Alter wahrnehmen kann. Damit
wird Kommunikation zu etwas wiederum ganz hnlich wie bei Luhmann
, das gewissermaen auerhalb des Bewusstseinsstroms der beteiligten
Subjekte gelagert ist. Gesten und Gesichtsausdrcke sind u. a. solche Objektivationen (Berger & Luckmann 1969: 36 f.). Indem ich z. B. die Stirn in
Falten lege oder die Lautfolge Ojeoje von mir gebe und mein Gegenber
diesen Gesichtsausdruck bzw. die Laute wahrnimmt, haben Ego und Alter
einen gemeinsamen, ueren Bezugspunkt; der Gesichtsausdruck bzw. die
Laute bilden eine intersubjektive Welt zwischen Ego und Alter (vgl. hierzu
die Ausfhrungen von Hitzler (1998: 98) mit Bezugnahme auf Goffman).
Sowohl Gesichtsausdrcke, als auch Gesten und Laute werden aber
nicht blo als natrliche Vorgnge erlebt (Luckmann 1972), sie werden als
Anzeichen von etwas erlebt, als Anzeichen dessen, was dahinter steht. Das
dahinter ist im Kern der Sinn, der mit der Mimik, der Gestik und den
31 Die Gemeinsamkeiten mit der Luhmannschen Systemtheorie sind nicht unerheblich, wie
Ursula Dallinger gezeigt hat (vgl. Dallinger 1999).

67

Lauten verbunden wird. Die Mimik, die Gestik oder der Laut apprsentieren
(mitvergegenwrtigen) das Erleben von Ego (Luckmann 1972: 231). Die
Stirn, die ich in Falten lege, kann Ausdruck meiner Besorgnis sein ob des
heranziehenden Gewitters. Wie kann Alter den Sinn Besorgnis auf der
Basis der Wahrnehmung eines Stirnrunzelns verstehen? Alter unterstellt
zum einen, dass Ego mit Bewusstsein ausgestattet ist und entsprechend das
Stirnrunzeln eine Bedeutung hat (Generalthese des Alter Ego); Alter unterstellt zum Zweiten, dass Ego dem Stirnrunzeln eine hnliche Bedeutung
zumessen wird, wie Alter dies selbst tun wrde (Reziprozitt der Perspektiven). Wie kommt aber die Bedeutungszuordnung von Stirnrunzeln und
Besorgnis zu Stande?
Auch hier gilt: Die Zuordnung von Zeichen und Sinn ist im Ursprung
arbitrr, soll heien: Besorgnis kann man auch anders, mit einer anderen
Gesichtsexpression ausdrcken. Wenn aber aus welchen Grnden auch
immer in besorgniserregenden Situationen Ego sein subjektives Erlebnis der
Besorgnis mit einem Stirnrunzeln ausdrckt und Alter diesen Zusammenhang von besorgniserregenden Situationen, dem Besorgniserlebnis Egos
und dem Stirnrunzeln erkennt und dieses Erkennen des Zusammenhangs
wiederum zum Ausdruck bringt, dann ist der erste Schritt der Ausbildung
eines gemeinsamen interpretativen Schemas getan: Ego und Alter verbinden
mit dem Stirnrunzeln einen hnlichen Sinn. Dieser Zusammenhang von
spezifischem Gesichtsausdruck und spezifischem Sinn mag dann in Folgeinteraktionen wiederholt werden und sich zu einem festen Zusammenhang
verdichten, es kommt zur Typisierung. Im nchsten Schritt kann dann die
Ausdrucksform intentional benutzt werden: Eine Ausdrucksform wird also
nun absichtlich von einem Partner hervorgebracht, der die Interpretation
dieser Ausdrucksform vorwegnimmt darber hinaus wird die gleiche Ausdrucksform zum gleichen Zweck vom anderen Partner hervorgebracht. Die
Partner bringen nun nicht mehr zufllig einen inneren Zustand zum Ausdruck (sie handeln auch nicht mehr im schlichten Wechselbezug einer Faceto-Face-Situation. Sie handeln, um etwas auszudrcken, das der Partner
wissen soll); sie nehmen die Interpretation ihrer Ausdruckshandlung vorweg, wobei die gleiche objektivierte Ausdrucksform dem gleichen Zweck
fr die anderen Partner dient. Mit anderen Worten, sie haben begonnen,
miteinander zu sprechen. X ist jetzt ein prototypisches Zeichen und nicht
mehr blo ein Ausdruck oder eine Kundgabe (Luckmann 1972: 233).

68

Ganz hnlich beschreiben Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1969:


39ff.) und Luckmann (1972; 1979) die Entstehung der Sprache und die Verstndigung durch Sprache. Die Entstehung der Sprache beginnt mit der
Verbindung von spezifischen Lauten und Lautfolgen mit bestimmten Bedeutungsgehalten, die von Ego und Alter zugleich geteilt werden. Sprachformen als prototypische Zeichen sind intersubjektiv gltige, auswechselbare und absichtlich hervorgebrachte Objektivierungen subjektiver Vorgnge
schreibt Luckmann (1972: 234). Im Unterschied zu Mimik und Gestik ist
sprachliche Kommunikation aber durch eine Menge von Merkmalen gekennzeichnet, die sie besonders leistungsfhig macht. Das wichtigste Merkmal ist das der Ablsbarkeit der Sprache von Face-to-Face-Situationen
(Berger und Luckmann 1969: 39). Sprache ermglicht Bedeutungen zu vermitteln, die nicht direkter Ausdruck des Subjektes in einer konkreten Situation sind. Man kann ber Dinge und Begebenheiten sprechen, die nicht
prsent sind oder die in der Zukunft oder in der Vergangenheit liegen oder
die nicht real sind (wie z. B. Trume oder Geister).32
Man sieht, dass die Herleitung des Kommunikations- und Sprachbegriffs groe hnlichkeit mit der spter von Luhmann vorgelegten Theorie
aufweist, auch wenn die Terminologie eine andere ist. hnlich wie Luhmann
gehen die Autoren aber in einem geringen Mae auf die Tatsache ein, dass
es mehrere Sprachen gibt. In dem Standardwerk der neueren Wissenssoziologie, dem Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit,
thematisieren Berger und Luckmann (1969) die eben erluterten Grundbegriffe von Kommunikation und Sprache in dem ersten, den Grundlagen gewidmetem Kapitel. Im zweiten Kapitel, das sich mit der Analyse der Gesellschaft als objektive Wirklichkeit sowie unter anderem mit Institutionalisierungsprozessen beschftigt, htte man erwartet, dass Prozesse der Institutionalisierung von Einzelsprachen, die so entscheidend fr jede Kommunikationsmglichkeit sind oder von Soziolekten, die mit den Schicht- und Klas32 Dabei betonen Schtz und Luckmann und mit ihnen die gesamte Schule der verstehenden
Soziologie, dass Kommunikation immer ein sehr brchiger Prozess ist. Der subjektive Sinn,
den Ego mit einer Mimik, einem Laut oder einem Zeichen verbindet, ist Alter nicht direkt
zugnglich. Nur ber Typisierungen und Standardisierungen von Zeichen und Sinn, denen
unterstellt wird, dass sie gemeinsam geteilt werden, interferiert Alter von einem Ausdruck
oder einer Laut- oder Zeichenfolge auf den von Ego intendierten Sinn. Ob dieser Rckschluss richtig ist, ist immer ungewiss. Denn das Hier des einen ist immer noch das
Dort des Anderen (Schtz 1955/2003a: 160). Insofern ist das Verstehen des Anderen und
damit Kommunikation immer interpretations- und damit stranfllig.

69

senverhltnissen in Verbindung stehen, analysiert werden. Diesen Themengebieten wird aber keine Aufmerksamkeit geschenkt. Vor allem kommt die
Tatsache, dass es verschiedene Sprachen und Sprachgemeinschaften gibt,
nicht hinreichend in den Blick. Dies ist ganz erstaunlich, wenn man bedenkt,
dass das Augenmerk der verstehenden Soziologie gerade auf Prozesse des
Verstehens gerichtet ist. Eine Grundvoraussetzung fr jegliches Verstehen
ist aber, dass Ego und Alter dieselbe Sprache sprechen.
Interessant scheint mir diesbezglich eine uerung von Alfred Schtz
aus seinen Vorlesungen zur Sprachsoziologie zu sein. Nachdem er in 13 Vorlesungen linguistische, philosophische, anthropologische und phnomenologische Perspektiven der Beschftigung mit Sprache mit Rekurs auf eine Vielzahl von Autoren vorgestellt hat, beginnt er die 14. Vorlesung, fast am Ende
des Zyklus angelangt, mit dem Satz: Die eigentliche Sprachsoziologie beginnt mit der Frage: Was ist eine Sprachgemeinschaft? (Schtz 1955/
2003b: 277). Sprachgemeinschaften sind fr Schtz gesellschaftliche Gruppen, die eine spezifische Sprache sprechen. Sprachen knnen Einzelsprachen sein (wie Deutsch, Japanisch oder Englisch), Fachsprachen, wie die verschiedenen Wissenschaftssprachen oder Dialekte, Soziolekte oder Slangs.
Sprachgemeinschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die Sprachen und damit die Sprachgemeinschaften konstituieren. Es sind Nationen, die Nationalsprachen durchsetzen, es
sind klassenspezifische Bedingungen, die zu klassenspezifischen Codes fhren und es ist der Prozess der Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung, der
wissenschaftliche Fachsprachen entstehen lsst. Schtz erhebt die Untersuchung des Zusammenhangs von Vergesellschaftungsprozessen und Sprachgemeinschaften in den Status, das eigentliche Thema der Sprachsoziologie zu
sein, auch wenn er selbst sich auf die Ausarbeitung der These der sprachlichen Konstituierung der Wirklichkeit konzentriert hat, die ich gleich diskutieren werde. Und auch die Nachfolger von Schtz haben seinen Vorschlag
nicht aufgenommen, sondern sich in erster Linie mit der Frage einer sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit beschftigt, mit der Folge, dass die
Sprachsoziologie in eine Wissenssoziologie berfhrt wurde.
2) Sprachliche Konstruktion der Gesellschaft: Auf der Basis der erluterten
Grundbegriffe spezifizieren Schtz, Berger und Luckmann ihr Verstndnis
des Verhltnisses von Sprache und Gesellschaft. Sie nehmen die Humboldtsche Idee, dass die Weltaneignung des Menschen sprachlich vermittelt

70

sei, auf und entwickeln die These einer sprachlichen Konstruktion der Gesellschaft. Jeder Mensch wird in eine bereits existierende Welt hineingeboren. Er erlernt in dieser Gesellschaft ein Wissen, wie man eine Vielzahl von
Situationen bewltigt. Schtz bezeichnet dieses unhinterfragte Wissen als
Rezeptwissen (Schtz 1972: 56). Jeder Mensch wird zugleich in eine spezifische Sprachgemeinschaft hineingeboren. Die existierende Sprache ist kein
neutrales Medium der Kommunikation. Sie strukturiert das Wissen ber die
Gesellschaft und wirkt damit auf die Konstruktion der gesellschaftlichen
Wirklichkeit ein. Die bereits existierende Sprache ist ein System existierender Erfahrungsschemata, das auf Idealisierungen und Anonymisierungen der
unmittelbaren subjektiven Erfahrung aufruht. Diese von der Subjektivitt
abgelsten Erfahrungstypisierungen sind sozial objektiviert, wodurch sie zu
einem dem Subjekt vorgegebenen gesellschaftlichen Apriori werden
(Schtz & Luckmann 2003: 318). Die Erfahrungstypisierungen sind in hohem Mae sprachlich vermittelt (Schtz 1972: 63f.). So markieren z. B. das
Du und das Sie im Deutschen den Unterschied zwischen Privatheit und
ffentlichkeit. Das Fachvokabular der einzelnen Wissenschaften z. B. stellt
eine sprachliche Objektivation dar, das den Handelnden in dem Feld vorschreibt, wie sie in dem Feld handeln sollen. Die Sprache hat damit eine
wissens- und wirklichkeitsstiftende Macht (Berger & Luckmann 1969: 163).
Genau diese Vorstellung, dass das Wissen ber die Gesellschaft ein weitgehend sprachlich vermitteltes Wissen ist, die Typisierungen sprachliche Normierungen sind, wird von den Autoren immer wieder, in immer neuen
Formulierungen wiederholt. Alfred Schtz hat die Wirkungsmchtigkeit von
Erfahrungstypisierungen und deren Sprachgebundenheit fr die Bewltigung des Alltags u. a. am Beispiel der Rolle des Fremden illustriert (Schtz
1972). Fr denjenigen, der von einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft wechselt, gelten die einmal gelernten Erfahrungstypisierungen gerade
nicht mehr; er verfgt nicht ber das Wissen, das ihm die Typisierung von
Situationen ermglicht. Er kennt auch nicht den Sinnhorizont, der mit bestimmten Wrtern und Stzen verbunden ist, auch nicht die Konnotationen
von Wrtern, in denen vergangene Erfahrungen abgespeichert sind (Schtz
1972: 64). Gerade diese Durchdringung von Sprache und Welterfahrung
macht es fr den Fremden so schwierig, sich in der neuen Gesellschaft zurechtzufinden, weil es mit dem Lernen von Wrtern und Syntax der neuen
Sprache allein nicht getan ist.

71

Die These der sprachlichen Konstruktion der Wirklichkeit scheint bis heute
die dominante Vorstellung nicht nur in der Wissenssoziologie zu sein, sondern auch in der Anthropologie und in Teilen der Sprachwissenschaften.
Auch in der Habermasschen Fassung des Verhltnisses von Sprache und
Gesellschaft findet man eine hnliche Vorstellung.33 Die These ist zudem
politisch sehr bedeutsam. Autoren, die davon ausgehen, dass die Kultur
einer Gesellschaft in hohem Mae eine sprachlich vermittelte Kultur ist,
sind auch diejenigen, die den Rckgang von Einzelsprachen, gerade von
kleineren Sprachen beklagen. Der Verlust einer Sprache ist aus ihrer Perspektive zugleich der Verlust einer Kultur und dieser wird gerade deswegen
als besondere Einbue interpretiert (vgl. Crystal 2000; kritisch dazu de
Swaan 2004). Wie wir in Kapitel 3.3 sehen werden, haben sich auch die internationalen Organisationen und die Europische Union diese Position zu
Eigen gemacht. Insofern lohnt es, sich mit der These, dass die Sprache die
Konstruktion der Wirklichkeit prgt, etwas lnger auseinanderzusetzen und
dabei die aktuellen Forschungen zum Thema zu bercksichtigen. Ich werde
im ersten Schritt kurz die zentralen Argumente und Beispiele, die fr die
These sprechen, behandeln und dann die kritischen Einwnde diskutieren.
1. Schtz, Berger und Luckmann knpfen mit der These der sprachlichen
Konstruktion von Wirklichkeit an die Herdersche Vorstellung an, dass die
Sprache die Weltsicht prgt. Johann Gottfried Herder reichte 1770 eine
Abhandlung ber den Ursprung der menschlichen Sprache bei der Kurfrstlich Brandenburgischen Societt der Wissenschaften ein und antwortetet damit auf eine Ausschreibung der Akademie, durch die ein Streit innerhalb der Akademie gelst bzw. geschlichtet werden sollte (vgl. Trabant
2006). In dem Streit ging es um die Frage, ob die Sprache menschlichen
oder gttlichen Ursprungs ist. Im zweiten Teil seiner Abhandlung geht Herder dann auf die Frage des Verhltnisses von Geschichte, Gesellschaft und
Sprache ein. Eine spezifische Sprache fhrt zu einer spezifischen Weltaneignung, so Herder. Und da es viele Sprachen auf der Erde gib, fhrt die Vielzahl der Sprachen zu unterschiedlichen Kulturen. Jede Nation hat ein eignes Vorratshaus solcher zu Zeichen gewordenen Gedanken, dies ist ihre
33 Die Bildung von Identitten und die Entstehung von Institutionen kann man sich nun so
vorstellen, dass der auersprachliche Kontext der Verhaltensdispositionen und der Verhaltensschemata gewissermaen sprachlich durchdrungen, d.h. symbolisch durchstrukturiert
wird (Habermas: 1981, Band 2: 42).

72

Nationalsprache: ein Vorrath, zu dem sie Jahrhunderte zugetragen ()


der Gedankenschatz eines ganzen Volks (Herder 1984: 76). Wilhelm von
Humboldt folgte dieser Vorstellung Herders: Durch die gegenseitige Abhngigkeit des Gedankens, und des Wortes von einander leuchtet es klar ein,
dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit
darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre
Verschiedenheit ist nicht eine von Schllen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst (Humboldt 1843/1963: 262; vgl.
auch Trabant 2007).
Diese Herdersche und Humboldtsche Vorstellung ist dann spter von
Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf weiterentwickelt worden (vgl. zusammenfassend Hunt & Agnoli 1991; Hunt 2001). Die Grundthese besagt,
dass die von Sprechern gelernte Muttersprache das Denken und die kognitive Reprsentation der Welt bestimmen. Entsprechend wird vermutet, dass
unterschiedliche Sprachen zu unterschiedlichen Weltsichten fhren. Edward
Sapir (1921) ging von der These aus, dass die sprachlichen Kategorien eine
notwendige Voraussetzung der Weltsicht sind. Das, was sprachlich nicht
vorgesehen ist, kann auch nicht perzipiert werden. Diese radikale Sichtweise
auf das Verhltnis von Sprache und kognitiver Reprsentation ist, so Hunt
(2001: 8320), von der psychologischen Forschung falsifiziert worden, da es
hinreichend viel Beispiele gibt, die zeigen, dass Menschen auch ohne die
entsprechenden sprachlichen Kategorien zu differenzierten Kategorisierungen kommen knnen. Ein beliebtes Beispiel in der Forschung ist die Analyse von Farbwahrnehmungen (vgl. Berlin & Kay 1999). Hunt (2001) berichtet von einer Studie, die bei einer Ethnie in Neu Guinea, den Dani, durchgefhrt wurde. Die Mitglieder dieser Gruppe verfgen nur ber zwei sprachliche Kategorien zur Beschreibung von Farben, nmlich hell und dunkel.
Trotzdem sind die Menschen in der Lage, eine Vielzahl an unterschiedlichen
Farben wahrnehmen zu knnen.
Benjamin Lee Whorf (1956) hat im Vergleich zu seinem Lehrer Sapir
eine moderatere These des Verhltnisses von Sprache und kognitiver Reprsentation formuliert, insofern er allein von einer Beeinflussung des Denkens
durch die Sprache ausging. Seine Beispiele bezogen sich u. a. auf das von
Franz Boas bernommene und in der Literatur vielfach zitierte Exempel der
verschiedenen Wrter, die Eskimos fr Schnee benutzen und seine Analyse

73

der Raum- und Zeitvorstellungen der Hopi-Indianer.34 Fr die Richtigkeit


dieser moderaten These gibt es nun einige empirische Evidenz. Dazu drei
Beispiele (vgl. die Darstellung in Hurt & Agnoli 1991; Hurt 2001; fr weitere Beispiele vgl. Werlen 2002; vgl. auch die Beitrge in Gumperz & Levinson 1996).
a) Im Spanischen gibt es fr das Verb sein zwei unterschiedliche Varianten. Whrend das Verb ser zur Beschreibung von Merkmalen eingesetzt
wird, die man immer besitzt, wird das Verb estar fr die Merkmale benutzt, die man nur vorbergehend besitzt. Man sagt also zum Beispiel Yo
soy un hombre (Ich bin ein Mann), aber Estoy en mi oficina (Ich bin in
meinem Bro). Diese sprachliche Differenzierungsmglichkeit, die es im
Deutschen und im Englischen nicht gibt, ermglicht es spanischen Kindern,
zwischen permanenten und vorbergehenden Eigenschaften von Objekten
zu differenzieren, eine Fhigkeit, die Kinder, in deren Sprache es die sprachliche Differenzierungsmglichkeit nicht gibt, nicht oder nicht im gleichen
Mae haben.
b) Es gibt Sprachen, in denen die Wrter zur Bezeichnung von Zahlen unmittelbar logisch durchkonjugiert werden. Dies gilt z. B. nicht fr das Deutsche und das Englische. Die Zahlen elf und zwlf haben insofern einen
besonderen Status, als sie nicht als Kompositum von zehn plus eins
bzw. zehn plus zwei zusammengesetzt sind. Erst ab den Zahlen dreizehn und vierzehn erfolgt die Zahlenbezeichnung als Kompositumsbezeichnung. In Mandarin ist dies anders. Studien haben nun gezeigt, dass Schler,
in deren Sprache der Zahlenaufbau nicht durchgehend sprachlich logisch
erfolgt, mehr Probleme beim Rechnen mit den nicht-logisch abgeleiteten
Zahlenbezeichnungen haben, als Schler, in deren Sprache die Zahlenabfolge komplett logisch erfolgt. Hurt und Agnoli (1991) interpretieren diesen
Befund als ein Beispiel dafr, dass die sprachlichen Kategorien das Denken,
hier das mathematische Operieren, beeinflussen.
c) In vielen Sprachen unterscheidet man begrifflich zwischen Staat und Nation. Whrend mit dem Staatsbegriff die politische Administration und die
34 Eskimos haben offensichtlich vier Wrter fr Schnee: aput (snow on the ground), qana
(falling snow), piqsirpoq (drifting snow) und qimuqsuq (snowdrift) (vgl. dazu Werlen 2002:
385).

74

Regierung eines Landes bezeichnet werden, bezieht sich der Begriff der
Nation auf die soziale und kulturelle Einheit einer Gesellschaft. Im Chinesischen gibt es nicht die sprachliche Unterscheidung zwischen Staat und Nation. Fr Sachverhalte, die auch ohne die sprachliche Differenzierungsmglichkeit existieren, wird derselbe Begriff benutzt. Diese nicht existierende
sprachliche Differenzierung hat in der Vergangenheit zwischen der Volkrepublik China und Taiwan zu erheblichen Missverstndnissen gefhrt. Die
Volksrepublik China akzeptiert, dass es Kooperationen zwischen den beiden
Staaten gibt. Sie hat aber den Anspruch, dass es nur eine chinesische Nation
gibt und dass Taiwan Teil dieser Nation ist. Die Tatsache, dass es im Chinesischen fr diese Unterscheidung keine sprachliche Differenzierungsmglichkeit gibt, hat zu Konflikten zwischen den beiden Lndern gefhrt. So hat
die Volksrepublik das Ansinnen Taiwans einer Zweistaatenlsung als einen
Vorschlag zu einer Zweinationenlsung interpretiert und entsprechend aggressiv reagiert (Hunt 2001).
2. Wie lauten nun die Gegenargumente zu der These der sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit? Die Whorf-Hypothese ist vor allem von Psychologen aus dem Feld der kognitiven Psychologie kritisiert worden. Jerry Fodor (1975) geht in Aufnahme der Arbeiten von Noam Chomsky in seiner
viel zitierten Monographie davon aus, dass das Denken in einer speziellen,
mentalen Sprache stattfindet (mentalese). Diese mentale Sprache ist eine
universelle Sprache, ber die alle Menschen verfgen. Jede in dieser mentalen Sprache erfolgte Operation kann in eine natrliche Sprache bersetzt
werden. hnlich argumentiert einige Jahre spter auf der Grundlage einer
Vielzahl von empirischen Forschungen Steven Pinker (1994) in seiner Abhandlung The Language Instinct.35 Aus den Grundannahmen ergeben
sich zwei Schlussfolgerungen: a) Weil das Denken in einer inneren Sprache
stattfindet, ist der Einfluss der natrlichen Sprachen auf das Denken gering.
b) All das, was Menschen in einer bestimmten natrlichen Sprache ausdrcken, kann im Grundsatz in eine andere Sprache bersetzt werden. Hunt
(2001: 8320) spricht in diesem Zusammenhang von einer intertranslatability hypothesis. Dies bedeutet nicht, dass die bersetzung reibungslos verluft. Hufig gibt es in einer bestimmten Sprache nicht das Wort, das es in
35 Pinker (1994: 55-82) setzt sich auch lnger mit den Thesen Whorfs auseinander; im Lichte
der neueren Forschung betrachtet, kommt er zu dem Ergebnis, dass die Whorfschen Thesen
als falsifiziert gelten knnen.

75

einer anderen Sprache zur Bezeichnung desselben Gedankens oder Gegenstandes gibt. Dann bedarf es eines greren Um- und Beschreibungsaufwands. Dieser bersetzungsaufwand kann aber nicht darber hinwegtuschen, dass eine bersetzung grundstzlich mglich ist.
Interpretiert man im Licht dieser Annahmen der Kognitionspsychologie die oben genannten drei Beispiele, dann kann man vermuten, dass es
einerseits in der Tat einen Einfluss der Sprache auf das Denken gibt, dass
andererseits aber dieser Einfluss sehr begrenzt ist. Die Unterscheidung von
ser und estar im Spanischen lsst sich auch in anderen Sprachen formulieren, auch wenn dies etwas komplizierter und mit Umschreibungen verbunden ist. Der sprachlich unlogische Zahlenaufbau in manchen Sprachen
mag einen leichten Effekt auf die Rechenfhigkeit haben, dieser Effekt wird
aber nicht sehr gro sein. Und die Nichtexistenz der Unterscheidung von
Staat und Nation in Mandarin mag zu politischen Irritationen fhren, wenn
die Differenz der beiden Begriffe wichtig ist. Ist aber erkannt, welche
sprachlichen Ursachen die Irritationen haben, lassen sie sich leicht durch
Umschreibungen ausrumen.
Selbst Hunt, der an sich ein Vertreter des Whorfschen Hypothese ist,
muss am Ende seines Literaturberblicks ber den Effekt der Sprache auf
die Weltwahrnehmung sagen: The effects are generally rather small, but
they occur every day a speaker uses language. Whether or not language exerts an important control on thought depends upon how one defines important (Hunt 2001: 8324). Versucht man wichtig genauer zu spezifizieren, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass der Einfluss der Sprache auf
die Konstruktion der Wirklichkeit nicht sehr gro ist.
a) Es mag richtig sein, dass es in verschiedenen Sprachen unterschiedliche
Begriffe gibt, die zu Unterschieden in der kognitiven Reprsentation fhren.
Man kann aus Beispielen aber nicht schlussfolgern, dass die Weltaneignung
in verschiedenen Sprachen grundstzlich unterschiedlich ist. Die sprachlichen Unterschiede mssen mit den sprachlichen Gemeinsamkeiten verglichen werden. Tut man dies zum Beispiel im Hinblick auf das Lexikon, dann
wird man feststellen, dass es fr die meisten Dinge in der Welt in den verschiedenen Sprachen auch Begriffe gibt, die Schnittmenge zwischen Sprache
und Welt in den verschiedenen Sprachen also relativ hoch ist.

76

b) In den Fllen, fr die das nicht gilt, lsst sich in aller Regel durch Umschreibungen der gleiche Sachverhalt sprachlich abbilden. Wenn es in einer
Sprache z. B. keine speziellen Begriffe fr die verschiedenen Formen des
Schnees gibt, dann kann man die verschiedenen Schneeformen umschreiben
(trocken, nass liegend etc.). Die Unterschiede in den Lexika bedeuten
nur, dass man in einer Sprache hhere sprachliche Transaktionskosten hat
also mehr Umschreibungen benutzen muss nicht aber, dass dies grundstzlich nicht geht.
c) Die mglichen Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen hngen
von der Familienhnlichkeit der Sprachen ab. Je hnlicher die Sprachen
sind, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es Unterschiede in
der Weltaneignung gibt. Whorf hat selbst darauf hingewiesen, dass die
standard average European languages ber eine ganz hnliche Geschichte
verfgen und sich deswegen nicht sehr stark voneinander in der kognitiven
Reprsentation der Welt unterscheiden werden (vgl. dazu Werlen 2002:
384). Dies war einer der Grnde, warum er als Beispiel zur Untermauerung
seiner These den Vergleich mit Sprachen gewhlt hat, die zu einer ganz anderen Sprachfamilie gehren, wie z. B. die Sprache der Hopi-Indianer. Fr
die Sprachen, die im Zentrum der hier vorgenommenen Analysen stehen,
gilt, dass sie fast alle zur gleichen Sprachenfamilie gehren. Hinzu kommt
ein Argument, das die Gesellschaftsentwicklung bercksichtigt. In einer
zunehmend untereinander vernetzten Welt werden die Erfahrungen der
Menschen immer hnlicher, die Unterschiede zwischen verschiedenen
Sprachgemeinschaften immer geringer.
d) Schlielich kann man vermuten, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen je nach Sachbereich, auf den sich die Sprachen beziehen, unterschiedlich ausgeprgt sind. Mathematische Ableitungen werden
sich wahrscheinlich problemlos in alle Sprachen der Welt bersetzen lassen,
weil die Zuordnung der Zeichen und die damit verbundenen Bedeutungen
eindeutig sind. Im Bereich des Privaten oder der Literatur (speziell der Lyrik), die einem Sprecher nicht erlauben, lange Umschreibungen zu benutzen,
um einen Sachverhalt, fr den es in einer Sprache keine Wort gibt, zum
Ausdruck zu bringen, mag dies schwieriger sein. Existieren in einer Sprache
keine Begriffe fr spezifische Sachverhalte Heimat, Weltschmerz z. B.

77

dann kann man diese auch nicht direkt bezeichnen, vielleicht auch nicht
fhlen oder denken.
Die Ausfhrungen insgesamt sollten aber gezeigt haben, dass die Annahme,
die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit sei eine sprachliche und
falle je nach Sprache auch anders aus, so nicht haltbar ist. Es mag die richtige Beschreibung der Ausnahme sein, nicht aber die der Regel. Ich werde auf
diese Schlussfolgerung vor allem ganz am Ende meiner Analysen nochmals
zurckkommen, wenn es um die normative Frage geht, wie eine gute
Sprachpolitik aussehen kann. Eines der zentralen Argumente, das gegen die
Einfhrung von Zentralsprachen oder einer lingua franca angefhrt wird,
betont, dass damit nicht nur die Minderheitensprachen, sondern die Kultur
der Sprecher dieser Sprachen bedroht wrde. Wenn aber Sprache und Kultur nicht so eng miteinander verzahnt sind, wie dies in der Regel in der Literatur unterstellt wird, dann hat dies Folgen fr die gezogenen politischen
Schlussfolgerungen im Umgang mit Sprache.
An dieser Stelle gilt es aber die Befunde der Diskussion der drei Grotheorien zu bilanzieren. Wir hatten gesehen, dass so unterschiedliche Theorien wie die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns, die
Luhmannsche Systemtheorie und die von Alfred Schtz, Peter L. Berger
und Thomas Luckmann ausgearbeitete wissenssoziologische Theorie der
Gesellschaft alle ein kommunikations- und sprachsoziologisches Fundament
haben. Fr die Analysen kann man aus den groen Theorien leider nur wenig lernen. Hinzu kommt, dass die von Schtz, Luckmann und Berger vertretene These einer sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit in dieser
Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten ist.
Eine Renaissance der Sprachsoziologie, die mir ob der im ersten Kapitel erluterten Wichtigkeit der Sprache fr alle Vergesellschaftungs- und
Vergemeinschaftungsprozesse notwendig zu sein scheint, sollte die Bereiche
Gesellschaft einerseits und Sprachen andererseits analytisch getrennt halten
und nicht Sprachsoziologie in Gesellschaftstheorie auflsen. Erst die analytische Trennung ermglicht es, beide Bereiche aufeinander zu beziehen.
Man kann dann fragen, in welchem Mae die Sprach- und Sprachenkompetenzen der Brger ihre Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungschancen strukturieren. Man kann umgekehrt fragen, wie die innergesellschaftlichen Sprachenordnungen, vor allem aber die Sprachenordnung der Erde
denn zustande gekommen sind (vgl. z. B. de Swaan 2001b). Alfred Schtz

78

hatte vollkommen Recht, als er schrieb, dass die eigentliche Sprachsoziologie erst mit der Frage beginnt: Was ist eine Sprachgemeinschaft? (Schtz
1955/2003b: 277).

79

3 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

Ich hatte im letzten Kapitel betont, dass die Fhigkeit, verschiedene Sprachen sprechen zu knnen, nur unter bestimmten Kontextbedingungen zu
einer wichtigen Ressource fr die Brger wird. Drei Faktoren sind hier von
Bedeutung, die ich in diesem Kapitel genauer beschreiben werde. Diese
bilden die makrostrukturellen Randbedingungen, die die Frage nach der
Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital erst zu einer relevanten
Fragestellung machen, die ich dann im Kapitel IV analysieren werde.
Die Notwendigkeit, verschiedene Sprachen zu sprechen, um innerhalb
Europas interagieren zu knnen, hngt zum einen von der jeweilig institutionalisierten Sprachenordnung ab. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist
Englisch die verbindliche Sprache in allen Staaten; eine Fremdsprachenkompetenz ist zur Verstndigung zwischen Brgern aus Maine und Idaho nicht
notwendig, sieht man einmal von den mglichen Verstndigungsschwierigkeiten mit den Einwanderungsgruppen ab. In den Vereinigten Staaten von
Europa ist die Ausgangskonstellation eine ganz andere. Die EU ist ein Zusammenschluss von 27 Nationalstaaten. In aller Regel gibt es innerhalb der
Nationalstaaten nur eine Amtssprache. Eine nach Nationalstaaten gegliederte, sprachlich segmentierte Struktur ist damit konstitutives Merkmal der
Sprachenkonstellation Europas. Eine Beschreibung der Genese dieser Ausgangskonstellation steht im Mittelpunkt des ersten Unterkapitels.
Solange der grte Teil der Austauschprozesse und Kommunikationen
innerstaatlich verluft, gibt es keine Notwendigkeit, Fremdsprachen zu erlernen. Je strker aber Gesellschaften mit anderen, Fremdsprachen sprechenden Gesellschaften vernetzt sind, desto wertvoller wird die Fhigkeit,
mehrere Sprachen zu beherrschen. Ich werde im zweiten Schritt erlutern,
wie Prozesse der Europisierung und Globalisierung die ContainerGesellschaften der EU aufgeweicht und transnationalisiert haben, so dass
die Verfgung ber transnationales linguistisches Kapital zu einer relevanten
Ressource wird.
Gerade die Entstehung der Nationalstaaten lehrt uns, wie vormals
sprachlich heterogene Gebilde durch die Politik homogenisiert wurden.
81

Entsprechend ist es bedeutsam, die Sprachenpolitik der Europischen Union genauer zu analysieren; dies geschieht im dritten Unterkapitel. Die Sprachenpolitik der EU ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Die Akzeptanz der sprachlichen Heterogenitt der Europischen Union und der Verzicht auf eine Politik der sprachlichen Homogenisierung einerseits sowie die
Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger Europas andererseits. Ich werde den politischen und ideologischen Hintergrund dieser Politik genauer
analysieren.
3.1

Institutionalisierte Sprachenordnung: Nationalstaatsbildung


und sprachliche Homogenisierung, Weltgesellschaft und die
Hegemonie des Englischen

Die Notwendigkeit, verschiedene Sprachen zu sprechen, um innerhalb Europas und darber hinaus interagieren zu knnen, hngt von der jeweilig
institutionalisierten Sprachenordnung ab. Wenn in allen Lndern Europas
die gleiche Sprache gesprochen wrde, wrde sich das Problem der wechselseitigen Verstndigung erst gar nicht stellen. Die Ausgangskonstellation in
Europa ist aber eine andere. Die institutionalisierte Sprachenordnung, also
das Sprachenregime in Europa besteht aus einer nach Nationalstaaten gegliederten, sprachlich segmentierten Struktur. Die inner-nationalstaatliche
sprachliche Heterogenitt ist sehr gering, da die meisten Mitgliedslnder nur
eine Amtssprache zugelassen haben; die zwischen-staatliche Heterogenitt
ist fast maximal, insofern in den 27 Mitgliedslndern 23 verschiedene Amtssprachen zugelassen sind. Wie sich diese Sprachenordnung in Europa im
Kontext der Nationalstaatsentstehung entwickelt hat, werde ich im Folgenden genauer erlutern (Kapitel 1.2).
Die Nationalstaaten selbst sind eingebunden in eine internationale
Ordnung, in eine Weltgesellschaft, deren Struktur den verschiedenen Nationalstaaten ein sehr unterschiedliches Gewicht gibt. Mit der unterschiedlichen Bedeutsamkeit der Nationalstaaten geht eine unterschiedliche Wichtigkeit ihrer Sprachen einher. Welche Faktoren dafr verantwortlich sind, dass
Englisch weltweit zur dominanten Sprache geworden ist, ist Gegenstand
eines weiteren Unterkapitels (Kapitel 1.3). Die Tatsache, dass Englisch heute
diejenige Sprache ist, die die hchste Verbreitung hat, begrndet, warum es
nicht nur opportun ist, sein Sprachenkapital durch das Lernen von Fremd-

82

sprachen im Allgemeinen zu erhhen, sondern warum es besonders rentabel


ist, Englisch zu lernen. Die berlegungen zum Verhltnis von Weltgesellschaft und Sprachenordnungen lehnen sich vor allem an die Arbeiten von
Abram de Swaan (de Swaan 1993; 2001b) an.
3.1.1 Allgemeine Mechanismen des Sprachenwandels
Die neuere vergleichende Sprachwissenschaft benutzt zur Analyse des Verhltnisses der verschiedenen Sprachen zueinander und des Sprachenwandels
Begriffe und Theoreme aus der Evolutionsbiologie (vgl. Dixon 1997; Mufwene 2001). Im Hinblick auf die Entwicklung der verschiedenen Sprachen
zueinander lassen sich idealtypisch drei verschiedene Konstellationen unterscheiden.
1. Den Ausgangspunkt der Sprachenentwicklung bildet eine Ursprungskonstellation, in der in einem bestimmten Gebiet mehrere verschiedene Sprechergruppen leben, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die aber untereinander nicht oder nur wenig vernetzt sind. Die Sprachentwicklungen der
existierenden Einzelsprachen erfolgt unter dieser Bedingung in erster Linie
endogen. Die Evolution der Sprachen nimmt ihren Ausgangspunkt bei den
konkret gesprochenen Sprachen und nicht bei den abstrakten Regelsystemen, die Linguisten als gemeinsame Elemente einer Sprache, als die Tiefenstruktur einer Sprache unterstellen. Sprachen werden von ihren Sprechern
nicht einheitlich gesprochen; es gibt laufend Abweichungen von der Standardsprache, weil es kaum Sprecher gibt, die eine Sprache perfekt sprechen;
dieser Mechanismus der imperfekten Replikation einer Sprache (Mufwene
2001: 193) fhrt zu einer dauerhaften Produktion sprachlicher Abweichungen (Variationspool). Diese knnen zur Ausdifferenzierung von Mundarten
und Dialekten und im Zeithorizont von mehreren tausend Jahren zu einer
Vernderung einer Sprache dergestalt fhren, dass die erreichte Vernderung einer Sprache so weit gediehen ist, dass die Ursprungssprache und die
entstandenen Mutationen nur noch wenig gemeinsam haben.
2. Die Entwicklung der Sprachen ist eine andere, wenn (verschiedene) Sprechergruppen unterschiedlicher Sprachen miteinander in Kontakt stehen.
Dixon (1997) unterscheidet fr diese Konstellation einen besonderen Unterfall. Innerhalb eines Territoriums befinden sich mehrere Sprachen und

83

Sprechergruppen mit hnlicher Gre. Keine der Gruppen hat ein hheres
Prestige oder mehr Macht als die anderen Gruppen. Stehen die verschiedenen Gruppen untereinander in Kontakt, dann sind die Vernderungen der
Sprachen auf interne Mutationen einerseits und wechselseitige sprachliche
Beeinflussungen andererseits zurckzufhren; die Vernderungen sind aber
eher moderater Natur. Bleibt diese Konstellation sehr lange, ber mehrere
tausend Jahre erhalten und gibt es zwischen den (verschiedenen) Sprechergruppen weiterhin einen Austausch, dann fhrt dies zu einer langsamen
Anpassung der Sprachen aneinander; die Sprachen konvergieren zu einem
gemeinsamen Prototyp. Dixon (1997) hat versucht zu zeigen, dass die
Sprachentwicklungen in Australien bis zur Entdeckung und Kolonialisierung des Kontinents diesem Modell folgten.
3. Der Gleichgewichtszustand zwischen verschiedenen Sprachen ndert sich
aber gewaltig, wenn es zu einer Situation des punctuated equilibriums
kommt. Das Konzept des punctuated equilibriums (Punktualismus) ist
eine von den amerikanischen Palontologen Niles Eldredge und Stephen Jay
Gould 1972 publizierte Theorie, die davon ausgeht, dass biologische Entwicklung nur in bestimmen Phasen langsam und durch kleine Variationen
erfolgt. Vernderungen ereignen sich hingegen explosionsartig, wenn der
Prozess durch exogene Ereignisse punktuiert wird. Dixon hat diese Idee
auf die Analyse des Sprachenwandels angewandt. Ereignisse, die zu einer
schnellen Vernderung der Sprachenkonstellationen fhren, sind in aller
Regel gesellschaftliche Ereignisse, die das Macht- und Prestigeverhltnis
zwischen (verschiedenen) Sprechergruppen verndern. So knnen Naturkatastrophen oder Krankheiten die Anzahl der Sprecher einer Sprache dezimieren, so dass das relative Gewicht anderer Sprechergruppen an Bedeutung gewinnt und diese sich auf Kosten der anderen Sprachen ausdehnen
knnen. Daneben sind Vernderungen in der relativen Machtausstattung
verschiedener Sprechergruppen dafr verantwortlich, dass sich manche
Sprachen ausdehnen, andere an Bedeutung verlieren. Die Sprachen selbst
verhalten sich zu den gesellschaftlichen Vernderungen wie sich Parasiten
zu ihren Wirten verhalten. Mit der Ausdehnung oder dem Verschwinden
von Sprechergruppen (Wirten) dehnen sich auch die Sprachen aus bzw.
verschwinden (Mufwene 2001: 192ff.). Die Machtausstattung und ihre Ausbung sind selbst wiederum auf unterschiedliche Ursachen zurckzufhren:
Militrische Macht und Eroberung und Unterwerfung vormals fremder

84

Gebiete, konomische Macht durch Ausdehnung des Handels sowie religis


oder weltanschaulich motivierte Expansionen bilden die Haupttriebfedern.
Diese sprachwissenschaftlichen, zum Teil empirisch gut abgesicherten berlegungen bilden das Fundament und das Anschlussstck fr sozialwissenschaftliche Analysen. Fr unsere Fragestellung sind dabei die folgenden
beiden Entwicklungen besonders relevant. Die Entstehung von Nationalstaaten in Europa und deren weltweite Ausdehnung als Vergesellschaftungsund Vergemeinschaftungsmodell lsst sich als Punktuation begreifen, die die
Sprachenordnung fundamental verndert hat, insofern einerseits in fast allen
Nationalstaaten ein Prozess der sprachlichen Homogenisierung ausgelst
wurde, andererseits die inter-nationale sprachliche Segmentierung institutionalisiert wurde (2.2).
Zugleich sind die Nationalstaaten selbst eingebunden in eine Weltgesellschaft, deren Struktur den verschiedenen Nationalstaaten ein sehr unterschiedliches Gewicht gibt. Mchtige Nationalstaaten bzw. solche, die in der
Vergangenheit einflussreich waren und bis in die Gegenwart Spuren ihres
Einflusses hinterlassen haben, wie die Kolonialmchte, bestimmen die internationale Sprachenordnung insofern, als ihre welthegemoniale Stellung
auch ihrer jeweiligen Sprache eine hegemoniale Stellung einrumt (2.3).
Fr beide Entwicklungen gilt: Die gesellschaftliche Institutionenordnung geht der Sprachenordnung voraus. Die Menge der Einzelsprachen, die
auf der Erde gesprochen werden, die Dominanz mancher Sprachen und die
Bedeutungslosigkeit anderer Sprachen, werden entscheidend durch die
Machtstrukturen der gesellschaftlichen Institutionenordnung geprgt, die als
Punktuation die Sprachenordnung formt.
3.1.2 Nationalstaatsbildung und sprachliche Homogenisierung
Wenn Sozialwissenschaftler, aber auch Nichtexperten, heute von Gesellschaft sprechen, dann denken sie in aller Regel an nationalstaatlich verfasste
Gesellschaften, z. B. an die Gesellschaft der USA, Ghanas, Frankreichs oder
Perus. Selbst in den Fllen, in denen kein Nationalstaat existiert, wird das
Problem der Nichtexistenz von Gesellschaft in nationalstaatlichen Kategorien gefasst. Das prominenteste Beispiel, von dem man fast tglich in den
Nachrichten lesen kann, ist das der Palstinenser, die nach einem eigenen
Nationalstaat streben. Und auch in den Fllen, in denen Nationalstaaten

85

bedroht sind oder dabei sind zu zerfallen, wie in Afghanistan, wird die Auflsung und der Zerfall in Referenz zum Nationalstaat interpretiert; die Analyse der Rume begrenzter Staatlichkeit so der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin , erfolgt in aller Regel auch mit Bezugnahme auf den Nationalstaat (vgl. Risse & Lehmkuhl 2007). Die Weltgesellschaft, so John W. Meyer aus neoinstitutionalistischer Perspektive, besteht
aus der strukturellen Isomorphie verschiedener Nationalstaaten (Meyer,
Boli, Thomas & Ramirez 1997). Gesellschaften als nationalstaatlich verfasste
Gesellschaften zu begreifen, ist dabei keine Erfindung von konstruktivistisch verblendeten Sozialwissenschaftlern und insofern auch nicht das Ergebnis eines methodologischen Nationalismus, sondern hat einen realen
Gehalt. Die Weltgesellschaft ist realiter u. a. in Nationalstaaten aufgegliedert;
es gibt gegenwrtig auf der Erde 192 verschiedene (von den Vereinten Nationen anerkannte) Nationalstaaten.
Die historische Forschung zur Entstehung von Nationalstaaten ist so
reichhaltig, dass sie nicht mehr berblickbar ist. Die im Folgenden gegebene
kurze Zusammenfassung wird weder der wissenschaftlichen Literaturlage
noch der Vielfalt der verschiedenen Wege zur Nationalstaatsentstehung
gerecht. Das ist aber auch nicht die Zielvorstellung. Aus soziologischer Perspektive geht es hier darum, den allgemeinen Zusammenhang von Nationalstaatsbildung und Sprachenordnung idealtypisch zu beschreiben. Dies geschieht rckblickend, soll heien aus der Perspektive der heute bestehenden
27 Nationalstaaten der EU und bezieht sich entsprechend auch in erster
Linie auf europische Nationalstaaten.
Gesellschaften nationalstaatlich zu organisieren, ist historisch betrachtet
eine relativ junge Entwicklung. Dieser Prozess setzt in Europa im 18. Jahrhundert ein, wird dann aber vor allem im 19. und 20. Jahrhundert intensiviert. Welches sind die zentralen Merkmale des Nationalstaates? Zum Staat
gehrt eine politische Instanz, die innerhalb eines abgegrenzten Territoriums und ber ein dazugehriges Staatsvolk auf der Basis der Monopolisierung der physischen Gewalt Macht ausbt, so die klassische Definition des
Staats von Georg Jellinek (Drei-Elemente-Lehre vgl. Jellinek 1905; vgl.
auch Hobsbawm 1996: 86). Der Staat selbst hat Anstaltscharakter (Weber
1985: 516f.), er sichert und definiert zum einen die Grenzen des Staatsgebiets nach auen, indem er mit Hilfe des Militrs die Grenze sichert und die
Kontrolle ber alle eingehenden und ausgehenden Gter und Menschen
bernimmt (zum Folgenden vor allem Rokkan 1999; 2000); Schlagbume,

86

Ausweiskontrollen und Zlle sind Ausdruck staatlicher Grenzpolitik. Nationalstaatsbildung geht zum Zweiten mit dem Aufbau eines auf das Territorium begrenzten Institutionensystems und der Schaffung eines einheitlichen
Rechts- und Regulierungsraums einher. Dazu gehren der Aufbau einer
nationalstaatlichen Verwaltung, die auch im entferntesten Winkel eines
Staatsgebietes prsent ist, die Einfhrung einer einheitlichen Registratur
(Geburtsregister, Sterberegister etc.) sowie einer nationalen Whrung und
eines nationalen Rechtssystems, die Erhebung von nationalen Steuern, die
Schaffung eines nationalstaatlichen Verkehrsnetzes (Straen und Schienen),
eines nationalen Schul- und Universittssystems etc. Durch den Aufbau
dieser Institutionen wird der nationalstaatliche Herrschaftsraum durchdrungen und vereinheitlicht, lokale und regionale Besonderheiten werden in aller
Regel eingeebnet. Historisch spter setzt dann die Rckbindung staatlicher
Herrschaft an den Willen der Herrschaftsunterworfenen durch die Etablierung demokratischer Herrschaftsformen innerhalb des nationalstaatlichen
Territoriums und die Ausbildung eines Interventionsstaates ein, der in die
nationalstaatlichen Gesellschaften eingreift, um die Rahmenbedingungen der
marktwirtschaftlichen Nationalkonomien zu gewhrleisten und um in
Form des Wohlfahrtsstaates fr sozialen Ausgleich zu sorgen (vgl. Leibfried
& Zrn 2006).
Parallel zur nationalstaatlichen Institutionenbildung erfolgt die Inklusion
der Menschen, die innerhalb des Territoriums eines Staates leben. Sie werden
zu Brgern ihres Staates, mssen sich als Staatsbrger ihres Landes registrieren, erfassen und verwalten lassen, mssen sich beschulen lassen (Schulpflicht), haben die Verpflichtung, das Land im Kriegsfall zu verteidigen, mssen Steuern und Abgaben entrichten, genieen aber auch die Schutzrechte
des Staates und knnen sich innerhalb des Territoriums frei bewegen. Sie
haben berdies, wenn es sich um demokratische Nationalstaaten handelt, das
Recht, ihre Regierung zu whlen und knnen die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen ihres (und nur ihres) Landes in Anspruch nehmen.
Das Besondere der nationalstaatlichen Institutionenordnung besteht
darin, dass sich die Dimensionen moderner Staatlichkeit zu einem einheitlichen Gewebe auf nationaler Ebene verknpfen (Leibfried & Zrn 2006:
34). Die Kongruenz zwischen Territorium, Bevlkerung und staatlichen
Aufgaben in den beschriebenen Dimensionen ist daher das konstitutive
Merkmal der Nationalstaatsbildung (Held 1995; Zrn 1998). Insofern ist die

87

Bezeichnung von Nationalstaaten als Container-Gesellschaften der Interaktionsverdichtung eine richtige Beschreibung (Taylor 1994; Beck 1997).
Die Entstehung von Nationalstaaten bedeutet aber nicht nur die Entstehung und Durchsetzung eines neuen Vergesellschaftungsmodus, Nationalstaaten sind auch durch einen neuen Typus von Vergemeinschaftung
gekennzeichnet, eines Gefhls der Zugehrigkeit ihrer Mitglieder. Die Nation wird zum Identifikationsobjekt fr die Brger (gemacht) und tritt in
Konkurrenz zu alternativen Identifikationsobjekten: Religion, Region,
Ethnie, Stand oder Klassenlage (Anderson 1993).
Historisch und analytisch lassen sich zwei verschiedene Kombinationen
von Staat und Nation unterscheiden. Im ersten Fall findet zuerst ein Staatsbildungsprozess statt und die Nation kommt gleichsam spter hinzu. Charles Tilly spricht in diesem Fall von einen state-led-nationalism. Im zweiten
Fall gibt es zuerst eine nationale Bewegung, dem dann eine Staatsbildung
folgt. Tilly spricht hier von einem Prozess des state-seeking. Die Staatsbildung kann durch eine Lslsung eines Territoriums aus einem greren
Herrschaftsverband oder durch die Integration mehrerer Territorien in einen neuen Nationalstaat erfolgen (vgl. Tilly 1994: 133f.).
Welche Merkmale fr die kollektive Identitt eines spezifischen Nationalstaats als wichtig definiert werden und welches Gewicht dem einen
Merkmal im Verhltnis zu anderen Merkmalen zugesprochen wird, variiert
zwischen den Nationalstaaten erheblich (Weber 1985: 242f., 528f.; Hobsbawm 1991). Manche Nationalstaaten rcken strker die Elemente der nationalstaatlichen Vergesellschaftung selbst in den Mittelpunkt der Identifikation: Die mit der Staatsbrgerschaft gewonnen Rechte, die Werte der Verfassung, werden dann zu den Elementen, die als die besonderen Merkmale
des eigenen Landes beschrieben werden und auf die man stolz ist (Staatsnation). In der Regel handelt es sich um die Nationalstaaten, in denen der Staat
und der Machtapparat bereits errichtet waren, bevor der Prozess der Nationenbildung begann (vgl. hierzu Hroch 2005). Die typischen Vertreter der
Staatsnation sind die USA und Frankreich am Ende des 18. und zu Beginn
des 19. Jahrhunderts. Andere Nationalstaaten rcken strker eine vermeintlich gemeinsame Abstammung, eine gemeinsame Religion oder gemeinsame
kulturelle Werte ins Zentrum ihrer Selbstbeschreibung (Kulturnation). Sehr
hufig handelt es sich dabei um Nationen, die (noch) keinen Staat ausgebildet hatten, in denen also der Staatsbildungsprozess dem der Nationenbil-

88

dung nachgeordnet war.1 Deutschland und Italien werden hufig als die
Idealtypen einer Kulturnation definiert. Aber auch fr die so genannten
Staatsnationen gilt, dass sie eine Vielzahl von kulturellen Elementen zum
Aufbau ihrer Identitt bemhen. Die USA z. B. verstehen sich als eine in
protestantischer Traditionslinie stehende Nation, sie zelebrieren extensiv
ihre eigene Geschichte als Merkmal nationaler Gemeinschaft und rekurrieren auf die englische Sprache als zentrales Identittsmerkmal (vgl. fr viele
andere Huntington 2004).
Mit der Entstehung und Ausbreitung von Nationalstaaten als dominanter Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsform sind nun dramatische Folgen fr die Sprachenordnung verbunden. In fast allen Nationalstaaten Europas, aber nicht nur dort, kommt es zu einer sprachlichen Homogenisierung insofern, als eine Sprache als die verbindliche National- und Amtssprache definiert wird, andere bis dahin in dem Territorium existierende
Sprachen, Dialekte oder die Sprachen von Migranten marginalisiert und zum
Teil massiv unterdrckt werden (vgl. jngst zur Entwicklung in Zentraleuropa die umfangreiche Studie von Kamusella (2009)).2
Einige der kleineren Staaten Europas z. B. Belgien und die Schweiz
bilden dabei eine Ausnahme von diesem allgemeinen Muster; hier wurde die
interne sprachliche Spaltung gesellschaftlich institutionalisiert und hat zu
einem versulten und fderalen Institutionensystem gefhrt (Rokkan 1999;
Rokkan & Urwin1983). Die sprachliche Binnengliederung der beiden Lnder
prgt trotz staatlicher Einheit in hohem Mae das Verhalten ihrer Brger,
1

Die historische Forschung hat gezeigt, dass je nach Nationalstaat und historischer Konstellation recht unterschiedliche Merkmale als Identittsmarker benutzt wurden, so dass man vor
mglichen Generalisierungen warnen muss (zum Folgenden Hobsbawm 1991). Ethnizitt
spielt in vielen Lndern eine bedeutsame Rolle als Identittsmerkmal (China, Japan und
Korea), in anderen aber nicht. Die katholische Religion ist ein wichtiges Merkmal nationaler
Identitt in Polen und Irland, nicht aber z. B. in Frankreich. Es gibt viele Lnder, die auf eine
lange (zum Teil erfundene) Geschichte als Merkmale ihrer Identitt verweisen; es gibt aber
ebenso Ethnien, die eine sehr lange Geschichte haben wie die Mapuche und die AymaraIndianer , die diese Geschichte aber nicht als Bezugspunkt der Identittskonstruktion nutzen. Schlielich spielt in vielen Nationalstaaten eine gemeinsame Sprache eine wichtige Rolle
bei der Selbstdefinition der Nation, nicht aber in der Schweiz, in Belgien oder in Kanada.
2 Der Terminus Amtssprache ist an dieser Stelle und im Folgenden nicht so zu verstehen,
dass die jeweilige offizielle Sprache als Amtssprache in der Verfassung als solche definiert
sein muss. Dies gilt z. B. nicht fr England und auch nicht fr die Vereinigten Staaten von
Amerika; in den USA ist nur in manchen Staaten Englisch in der Verfassung der Einzelstaaten als Amtssprache definiert.

89

wie wir am Beispiel der Schweiz in Kapitel 2 gesehen haben. Die Verstndigungsmglichkeiten innerhalb ein und desselben Landes sind dabei eingeschrnkt. Fr Belgien, das an der Befragung, die die Grundlage unserer empirischen Auswertungen bildet, teilgenommen hat, ergeben sich folgende Verteilungen: Von denjenigen, die Flmisch als Muttersprache sprechen, sprechen 70 % auch Franzsisch; allerdings sprechen nur 27 % Prozent der Wallonen Flmisch (eigene Berechnung); das bedeutet, dass sich 73 % der Wallonen nicht mit den Flamen in deren Muttersprache verstndigen knnen.
Fr die Schweiz, in der es neben der nur von Wenigen gesprochenen
Sprache des Rteromanischen, drei weitere Sprachen gibt, berichtet Iwar
Werlen (2008) folgende Verteilung. Von denjenigen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, sprechen 71 % Franzsisch und 32 % auch Italienisch;
von denjenigen, die Franzsisch als Muttersprache sprechen, sprechen 47 %
Deutsch; von denen, die Italienisch als Muttersprache sprechen, sprechen
74 % Franzsisch und 65 % Deutsch. Wollen Schweizer oder Belgier sich
untereinander verstndigen, mssen sie hufig auf die Sprache zurckgreifen,
die von allen die am hufigsten gesprochene, aber nicht eine der nationalen
Sprachen ist, nmlich Englisch.3
Der Grund, warum in den meisten Fllen der Prozess der Ausbildung
von Nationalstaaten in Europa mit einem Prozess der sprachlichen Homogenisierung einhergeht, ist in den beiden zentralen Funktionen von Sprache
zu suchen: (a) in ihrer Vergesellschaftungs- und (b) in ihrer Vergemeinschaftungsfunktion.
a) Der Aufbau eines nationalen Institutionensystems, die Durchdringung
der Gesellschaft mit der Institutionenordnung und die Einbindung der Brger in diesen Prozess werden enorm vereinfacht, wenn die Menschen innerhalb des Territoriums ein und dieselbe Sprache sprechen. Entsprechend
nimmt das Bestreben einer sprachlichen Homogenisierung seinen historischen Ausgangspunkt bereits im Absolutismus (Hroch 2005: 62ff.). Alle
administrativen Vorgnge, alle Rechtssetzungen und alle Verwaltungsvorschriften sind wesentlich einfacher umsetzbar, wenn die den Vorschriften
Unterworfenen dieselbe Sprache sprechen. Der Prozess der sprachlichen
3

So sprechen z. B. mehr Wallonen Englisch als Flmisch. Im Zeitverlauf hat der Anteil der
Wallonen, die Flmisch sprechen, sogar abgenommen, whrend der Anteil derer, die Englisch sprechen, zugenommen hat. Eine Verstndigung zwischen Wallonen und Flamen ber
eine dritte, auslndische Sprache, wird damit immer wahrscheinlicher.

90

Homogenisierung findet seine Fortsetzung mit der Verstrkung einer nationalstaatlichen Vergesellschaftung. Ein Schul- und Universittssystem lsst
sich wesentlich einfacher aufbauen, wenn die Unterrichtssprache vereinheitlicht ist; Verkehrssysteme sind besser zuzuordnen, wenn die Koordination
auf ein einheitliches Zeichensystem zurckgreifen kann; und die Einbindung
der Brger in den demokratischen Prozess ist um ein Vielfaches leichter
unter der Bedingung von Monolingualitt. Der enorme Transaktionskostengewinn, der mit einer sprachlichen Vereinheitlichung einhergeht, ist also der
wichtigste Grund, warum Prozesse der nationalstaatlichen Vergesellschaftung fast immer einher gehen mit dem Versuch der Festlegung, der Standardisierung und der Durchsetzung einer Einheitssprache (Hobsbawm 1996:
88). Umgekehrt formuliert: In den Lndern, in denen der Staatsbildungsprozess und der Prozess der gesellschaftlichen Integration weit vorgeschritten
war, war auch der Druck auf eine sprachliche Homogenisierung hoch; und
in den Lndern, die geringer gesellschaftlich integriert waren, war auch der
Grad der sprachlichen Segregation strker ausgeprgt. Miroslav Hroch
(2005: 65ff.) versucht mit diesem Argument zu erklren, warum die westlichen Gesellschaften in hherem Mae sprachlich homogenisiert waren als
die Lnder des Habsburger Reiches.
b) Zugleich, und in den verschiedenen Nationalstaaten in einem unterschiedlichen Ausma, ist die dann als Nationalsprache definierte Einheitssprache zum Merkmal nationaler Identifikation geworden. Ich hatte im Kapitel 2 mit Rekurs auf die sozialpsychologische Literatur darauf hingewiesen,
dass die Sprache sich besonders gut als Merkmal zur Ausbildung von kollektiver Identitt eignet. Und in der Tat definieren viele Nationalstaaten ihre
Identitt u. a. ber ihre Nationalsprache. Dazu bauen sie in aller Regel Institutionen auf, die den Sprachgebrauch durch die Festlegung verbindlicher
Lexika und Grammatiken standardisieren und berwachen. Mythen ber
den Ursprung der Sprache werden erfunden, die Geschichte der Sprache
wird kanonisiert, ihre Besonderheiten werden beschworen und eine in der
jeweiligen Sprache geschriebene Nationalliteratur wird als besondere Literatur hervorgehoben. Viele dieser Prozesse laufen in den verschiedenen Nationalstaaten Europas ganz hnlich ab, wie die historische Forschung ausfhrlich gezeigt hat. Die Verquickung von nationaler Identitt und Sprache
kommt zudem in der Bezeichnung vieler Nationalstaaten zum Ausdruck,
insofern der Name der Sprache in die Nationalstaatsbezeichnung einfliet

91

(England/Englisch; Deutschland/Deutsch; Frankreich/Franzsisch; Spanien/Spanisch etc.). In diesen Fllen wird bereits durch die Namensgebung
angezeigt, dass die Sprache ein zentrales Merkmal der Markierung nationaler
Identitt ist.
Europa ist der Kontinent, auf dem der Prozess der Nationalstaatsbildung
nicht nur am frhesten einsetzt, sondern auch am weitesten vorangetrieben
wurde. Dies manifestiert sich auch im Sprachengefge. Europa ist heute die
Groregion der Welt mit der geringsten Anzahl an regionalen Sprachen (vgl.
die Daten in Haarmann 2006: 326f.). Die Zeitphase, in der und das Tempo,
mit dem sich der Prozess der sprachlichen Homogenisierung vollzogen hat,
variiert zwischen den verschiedenen Europas Lndern erheblich. Es ist recht
schwierig, konkrete empirische Informationen ber den Prozess des Sprachenwandels zu erhalten.4 Ich mchte aus der vielfltigen Literatur aber
zumindest ein Beispiel erwhnen, auch wenn man aus dem beschriebenen
Fall nicht auf die Entwicklung in anderen Lndern schlieen kann. Relativ
gut erforscht ist die Sprachentwicklung in Frankreich.
Hilfreich zur Beschreibung des Prozesses der Durchsetzung einer
Amtssprache ist der von Dennis Ager (1996) benutzte Systematisierungsvorschlag, den dieser zur Beschreibung der Entwicklungen in Frankreich
und England angewandt hat. Ager unterscheidet vier verschiedene Phasen:
Selection, Codification, Elaboration and Acceptance (Ager 1996: 29-39;
Ager 1997).
Aus der Anzahl der in einem Territorium gesprochenen Sprachen wird
in einem ersten Schritt eine Sprache als die Standardsprache ausgewhlt. In
Frankreich ist es der Dialekt der Ile de France, das Franzische. Die Grnde
fr die Durchsetzung dieser und keiner anderen Sprache sind vielfltig, sie
sind aber alle mit gesellschaftlichen Machtfaktoren assoziiert. Unter den
Karpetingern kristallisierte sich Paris und die Ile de France allmhlich als
politisches Zentrum Frankreichs heraus. Hier war die Bevlkerungskonzentration am strksten und es herrschte der grte Wohlstand; zudem war Paris
4

Dies hat zwei Grnde. Zum einen ist die Quellenlage fr frhere Epochen deutlich schlechter als fr die Gegenwart; zum Zweiten gibt es unterschiedliche Definitionen dessen, was
unterschiedliche Sprachen sind. Wenn manche Autoren behaupten, dass in einem Land zu
einem bestimmten Zeitpunkt nur ein kleiner Prozentsatz der Bevlkerung die jeweilige, von
den Eliten gesprochene Sprache beherrschte, so ist hufig nicht klar, ob die Bevlkerung eine
andere Sprache als die der Elite sprach oder nur einen anderen Dialekt. Wenn es sich um einen
Dialekt handelt, dann ist eine Verstndigung zwischen Eliten und Bevlkerung mglich.

92

bereits das kulturelle Zentrum mit dem kniglichen Hof als Magnet fr
Literaten und dem Prestige der Sorbonne als Bildungszentrum. In den lndlichen Gegenden Frankreichs wurden zumeist weiterhin die regionalen
Sprachen und Dialekte gesprochen. Die regionalen Eliten bernahmen allerdings hufig den prestigetrchtigen Dialekt der Ile de France und fungierten als Vermittler.
Der zweite Schritt der Etablierung einer Standardsprache besteht in der
Kodifizierung der einmal ausgewhlten Sprache. Die Kodifizierung der
franzsischen Sprache ist verbunden mit der Grndung der Acadmie
franaise im Jahr 1634. Das Hauptziel der Akademie war die Kodifizierung
und der Schutz der franzsischen Sprache durch die Herausgabe von Wrterbchern und Grammatiken. Der dritte Schritt der Durchsetzung einer
Amtssprache bezeichnet Ager als Elaboration. Damit ist die Anpassungsfhigkeit der Sprache an neue (technologische) Entwicklungen gemeint, die
Vernderungen des Lexikons und der Grammatik. Der vierte Schritt
schlielich beschreibt die Ausbreitung und Durchsetzung der Standardsprache auf Kosten anderer gesprochener Sprachen. Die flchendeckende
Durchsetzung der Standardsprache findet in Frankreich vor allem in der
Zeit zwischen der franzsischen Revolution und dem Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Ager beruft sich auf verschiedene Quellen und geht davon
aus, dass der nicht-franzsischsprachige Bevlkerungsanteil in Frankreich
1764 46 % betrug; der Anteil geht auf 25 % im Jahr 1863 zurck und verschwindet im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts fast ganz (Ager 1996: 37).5
Einer der Hauptgrnde, warum die Durchsetzung des Franzsischen
mit der franzsischen Revolution zum politischen Programm erhoben und
durchgesetzt wurde, liegt in den politischen Vorstellungen der franzsischen
Revolution selbst: Neben der intendierten Bildung eines Nationalbewusstseins setzte sich die Auffassung durch, dass eine politische Aufklrung, Bildung und Beteiligung der gesamten Bevlkerung nur bei Beherrschung einer
gemeinsamen Sprache mglich ist. Die Umsetzung des Programms der Erziehung der franzsischen Brger in einer einheitlichen Sprache erfolgte
5

Die von Ager prsentierten Zahlen weichen etwas von den Einschtzungen von Eugen
Weber ab. Dieser vermutet, dass zu Beginn der Dritten Franzsischen Republik (1871) die
Hlfte der franzsischen Bevlkerung nicht oder lediglich eingeschrnkt des Franzsischen
mchtig war (vgl. Weber 1967: 70f.). Im Vergleich zu Italien wre das immer noch eine hohe
Quote. Eric Hobsbawm (1996: 88) erwhnt, dass zum Zeitpunkt der Vereinigung Italiens
1860 nur ca. 2,5 % der Italiener im Alltag Italienisch sprachen.

93

vermittels der Etablierung eines allgemein verbindlichen Schulsystems.


Whrend die Schulbildung unter dem Ancien Rgime weitestgehend in der
Hand der Kirchen war und in den regionalen Sprachen stattfand, wurde sie
in der Republik zur Staatsangelegenheit. Franzsischsprechende Lehrer
wurden in die Provinzen geschickt, um hier die offizielle Sprache zu lehren
(Grillo 1989; vgl. auch Oakes 2001: 53-64).
Die Kehrseite des Prozesses der nationalstaatlichen Homogenisierung
bilden Prozesse der Marginalisierung und Unterdrckung der Minderheitensprachen. Diese werden meist in die Privatsphre verbannt; sie erfahren
keine Institutionalisierung in Form der Standardisierung durch Wrterbcher, der Sprachkontrolle, der schulischen Unterrichtung der Bevlkerung in
der Minderheitensprache, der Zulassung in der Amtskommunikation etc.
Die Geschichte ist zudem reich an Beispielen, die zeigen, mit welcher
Wucht und Brutalitt die Minderheitensprachen in den Nationalstaaten unterdrckt wurden, um die Idee einer einheitlichen Sprachnation zu etablieren. Aufgrund der polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts wurden
z. B. circa 1,5 Millionen Polen an Preuen angegliedert. Zunchst versuchte
Preuen diese friedlich zu integrieren und gestand ihnen weit reichende
Rechte zu (zweisprachige Erlasse, Polnisch als gleichberechtigte Amts- und
Gerichtssprache, polnische Schulen). Nach der Reichsgrndung 1871 und
unter Bismarck nderte sich die Politik. Zu den sprachpolitischen Manahmen zhlten zum Beispiel die Germanisierung polnischer Namen, die Versetzung polnischer Lehrer, das Verbot des Unterrichtsfaches Polnisch und
des Verkaufs polnischer Zeitungen sowie die endgltige Abschaffung von
Polnisch als Amts- und Gerichtssprache. Die Sprachpolitik wurde dabei
umso repressiver, je deutlicher sich ein deutscher Nationalismus entwickelte (Puschmann 1996: 20).
Den Sdtirolern in Italien ging es mit der Machtergreifung der Faschisten ab 1922 nicht viel anders: Italienisch wurde in Sdtirol als Amtssprache
eingefhrt, Deutsch wurde als Unterrichtssprache verboten, die Ortsnamen
und zum Teil die Familiennamen wurden italienisiert, eine Neuansiedlung
von Italienern wurde forciert (Puschmann 1996: 22).
Und auch auf anderen Kontinenten lassen sich viele Beispiele finden,
die den Zusammenhang von Nationalstaatsbildung und Unterdrckung von

94

Minderheiten und ihrer Sprache demonstrieren. 6 Taiwan z. B., das bis 1895
zu China gehrte, wurde nach dem Verlust des chinesisch-japanischen
Kriegs an Japan abgetreten. Die japanische Regierung fhrte daraufhin das
Japanische als Amtssprache ein und unterdrckte massiv das Chinesische.
Diese Politik war erfolgreich: Als Taiwan 1945 zurck an China fiel, sprachen 71 % der Bevlkerung Japanisch. Nach 1945 setzt dann der Prozess
der Wiedereinfhrung des Chinesischen als Amtssprache ein und das Pendel
schwingt in die andere Richtung (vgl. Chen 1999: 30f.).
Die Beispiele der Unterdrckung von sprachlichen Minderheiten zum
Aufbau einer nationalen Identitt reichen bis in die Gegenwart und tangieren auch Europa, wie der Konflikt ber die sprachlichen Rechte der Kurden
in der Trkei zeigt. Die Entstehung des trkischen Nationalismus in Form
des Kemalismus bildete die wichtigste Grundlage des in den 1920er Jahren
entstandenen neuen Staates. Eine einheitliche trkische Sprache war von
Beginn an ein Zentralelement der Identittsbildung. Die Besonderheit des
Trkischen fand in der so genannten Sonnensprachtheorie ihre Legitimation. Man versuchte zu beweisen, dass das Trkische die Ursprache sei, von
der alle anderen Sprachen abstammten (vgl. Laut 2000). Diese absurd anmutende Theorie wurde an den Universitten gelehrt. Die Stilisierung des Trkischen zur Nationalsprache bedeutet umgekehrt die Delegitimierung und
Unterdrckung der existierenden Minderheitensprachen. Der massive Versuch des trkischen Staates, die Kurden in die Trkei zu integrieren, ging
einher mit der Unterdrckung der kurdischen Sprache. Der offizielle Gebrauch der kurdischen Sprache war lange Zeit verboten; Trkisch war die
alleinig zugelassene Sprache. Kurdische Nachnamen und Ortsbezeichnungen wurden durch trkische Nachnamen und Ortsbezeichnungen ersetzt.
Umsiedlungsmanahmen mit Deportationen von Kurden und Neuansiedlung von Trken sollten die Kongruenz von Sprache und Territorialitt
aufbrechen. Erst in jngster Zeit und auf Druck der Europischen Union im
Kontext der Beitrittsverhandlungen mit der Trkei hat sich dies gendert:
Die kulturellen Freiheiten der kurdischen Minderheit wurden etwas gestrkt;
der Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdischunterricht in Privatschulen
und kurdische Radio- und Fernsehkanle sind nun zum Teil erlaubt, wenn
auch sehr eingeschrnkt und mit begrenzter Sendezeit.
6

Vgl. z. B. die Analyse des Zusammenhangs von Nationalstaatsbildung und sprachlicher


Homogenisierung in den vier lateinamerikanischen Lndern Argentinien, Brasilien, Paraguay
und Uruguay bei Rainer Enrique Hamel (2003).

95

Die heute existierende institutionalisierte Sprachenkonstellation in den Mitgliedslndern der Europischen Union ist das Resultat dieses hier nur kurz
skizzierten Prozesses nationalstaatlicher Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung. Die Europische Union ist ein Zusammenschluss von 27 Nationalstaaten, die frher oder spter alle durch den Prozess der Nationalstaatsbildung gegangen sind. Die Folgen sind:

In 18 von 27 EU-Lndern gibt es nur eine Amtssprache.


In weiteren 6 Lndern ist fr das gesamte Territorium nur eine Amtssprache zugelassen, fr bestimmte, kleine Regionen wird aber eine
zweite Amtssprache akzeptiert. Zu diesen Lndern gehren sterreich,
Spanien, Italien, Finnland, die Slowakei und die Niederlande.
Die dritte Gruppe bilden die wenigen Lnder, die flchendeckend zwei
oder mehrere Amtssprachen zugelassen haben. Zu dieser Gruppe gehren Luxemburg, Belgien und Malta.

Die 27 nationalstaatlichen Container der EU, die durch eine je spezifische


Institutionenordnung gekennzeichnet sind, verfgen also in den meisten
Fllen auch ber eine einheitliche Sprache. Die Grenze der nationalstaatlichen Institutionenordnung ist damit meist identisch mit einer eigenstndigen Sprache, was der Sprachenordnung insgesamt eine ganz besondere Festigkeit verleiht.
Der Nationalstaat als dominante Vergesellschaftungsform des 19. und
20. Jahrhunderts prgt in den meisten Fllen aber nicht nur die Ausbildung
einer fr alle verbindlichen Einheitssprache und die Marginalisierung und
Unterdrckung von Minderheitensprachen, sondern auch das Verhltnis zu
den Sprachen von Migranten. Whrend Nationalsprache und Minderheitensprachen innerhalb eines Nationalstaates gleichsam zwei Seiten einer Medaille sind, fallen die Migranten mit ihren Sprachen gar nicht in den Aufmerksamkeitshorizont dieser binren Codierung. Es gibt heute z. B. mehr
Trkisch sprechende Bewohner in den Lndern der EU, als es Luxemburgisch, Maltesisch, Dnisch oder Lettisch sprechende Brger gibt (vgl. Nic
Craith 2008: 57f.). Das Trkische geniet aber weder in den Nationalstaaten
noch auf der europischen Ebene irgendeinen offiziellen Status.

96

3.1.3 Weltgesellschaft und die Hegemonie des Englischen


Den verschiedenen Nationalstaaten kommt im Gefge der Weltgesellschaft
eine unterschiedliche Bedeutung zu. Je nach Gre, militrischer, konomischer und politischer Macht nehmen manche eine hegemoniale Position ein,
whrend andere sich in der Peripherie befinden. Die Machtstellung der verschiedenen Nationalstaaten hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Machtstellung ihrer Sprache in der internationalen Ordnung. Da sich die einmal in
einem Territorium institutionalisierten Amtssprachen nur mit enorm hohem
Aufwand durch andere Amtssprachen ersetzen lassen, ist fr die Sprachenordnung nicht nur die gegenwrtige Machtverteilung zwischen den Nationalstaaten relevant, sondern auch die der Vergangenheit.
1. Der Schatten der Geschichte ist im Hinblick auf die Dominanzverhltnisse, die zwischen verschiedenen Sprachen existieren, besonders lang. Dies
macht u. a. verstndlich, warum die Kolonialzeit und die zu diesem Punkt
existierende Machtverteilung zwischen den Lndern bis heute strukturbildend auf die Sprachenordnung wirkt. Die Kolonialzeit im weiteren Sinne
beginnt mit den Eroberungen Portugals und Spaniens, dem damaligen Kastilien zu Beginn des 15. Jahrhunderts und endet am Ende des Zweiten
Weltkriegs. Die Tatsache, dass Spanisch7 und Portugiesisch8 in vielen Lndern der Erde heute noch Amtssprachen sind, geht auf die frhe Zeit der
von Europa ausgehenden Eroberungen zurck. Frankreich musste die gesamten Kolonien in Nordamerika und Indien nach der Niederlage im Siebenjhrigen Krieg (1763) an Grobritannien abtreten. Das koloniale Engagement Frankreichs bezog sich seitdem vor allem auf Afrika und Asien.

Spanisch ist auer in Spanien selbst in folgenden Lndern heute Amtssprache: Mittel- und
Sdamerika: Mexiko, Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica, Panama,
Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Paraguay, Argentinien, Uruguay und Chile;
Nordamerika: im Bundesstaat New Mexico; Karibik: Kuba, Dominikanische Republik und
Puerto Rico; Afrika: Westsahara (Amtssprache neben Arabisch) und quatorial-Guinea. Auerdem ist Spanisch Verkehrssprache in Trinidad und Tobago und im nrdlichen Marokko.
8 Portugiesisch ist neben seinem Ursprungsland Portugal in folgenden Lndern Amtssprache:
Sdamerika: Brasilien; Afrika: Angola, Kap Verde, Guinea-Bissau, Mosambik, So Tom und
Prncipe; Asien: Osttimor und Macau.

97

Viele der frheren franzsischen Kolonien haben auch nach ihrer Unabhngigkeit Franzsisch als Amtssprache beibehalten.9
Besonders wirkungsmchtig fr die Sprachenordnung der Gegenwart
ist der Erfolg der britischen Kolonialpolitik (zum Folgenden Crystal 2003).
Das Britische Empire wurde in einem Zeitraum von ber dreihundert Jahren gebildet. Expansive Phasen der Eroberung wechselten sich ab mit friedlichen Perioden, in denen Handel und Diplomatie vorherrschten. Mit der
Besiedelung der Ostkste Nordamerikas im frhen 17. Jahrhundert beginnt
der Aufstieg des Britischen Empires. Die Bewohner der 13 Kolonien, die
sich 1776 unabhngig erklrten und die USA grndeten und im folgenden
Jahrhundert ihr Territorium auf Kosten Frankreichs, der Niederlande und
Spaniens ausdehnten, waren bekanntlich britischer Abstammung und behielten entsprechend nach der Unabhngigkeit von Grobritannien Englisch als Amtssprache bei. Die Tatsache, dass Kanada heute dominant englischsprachig ist, geht ebenfalls auf die Machtstellung des Britischen Empires zurck. Nach der Niederlage Frankreichs im Siebenjhrigen Krieg musste Frankreich die Kolonien im stlichen Kanada an Grobritannien abtreten.10 Die Dominanz des Englischen in Kanada wurde zudem verstrkt, weil
die nach dem Unabhngigkeitskrieg der USA der britischen Krone treu
gebliebenen Royalisten scharenweise in das heutige Kanada auswanderten.
1770 erreichte James Cook die Ostkste Australiens und nahm das Land
als britische Kolonie New South Wales in Besitz; die Briten dehnten ihren
Einflussbereich in den kommenden Jahrzehnten kontinuierlich aus und
besiedelten Australien vor allen Dingen mit britischen Strafgefangenen, die
englischsprachig waren. Neuseeland, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts
selbststndig war, wurde 1840 als Kolonie in das Britische Empire integriert,
9

Franzsisch ist heute auer in Frankreich in folgenden Lndern eine Amtssprache: Afrika:
Benin, Burkina Faso, Burundi, Dschibuti, Gabun, Guinea, Kamerun, Republik Kongo, Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Malawi, Mali, Niger, Ruanda, Senegal, Seychellen,
Togo, Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik; Europa: Belgien, Luxemburg, Monaco, Schweiz; Nordamerika: Kanada; Asien, Australien und Ozeanien: Komoren und Vanuatu. Nicht in allen Fllen ist Franzsisch die alleinige Amtssprache. In weiteren Lndern ist
Franzsisch als Verwaltungs- und Verkehrssprache verbreitet, vor allem in Afrika: quatorial-Guinea, Cte dIvre (Elfenbeinkste), Mauritius, Tunesien, Algerien und Mauretanien, in
Mittelamerika (Haiti), sowie in Asien in Laos und im Libanon.
10 England gewhrte den Frankokanadiern in Quebec Religionsfreiheit, um sich so deren
Neutralitt in der Auseinandersetzung mit den nach Unabhngigkeit strebenden Kolonien in
den zuknftigen USA zu sichern; diese Entscheidung bildet wiederum die Grundlage fr die
Tatsache, dass Kanada heute zum Teil franzsischsprachig ist.

98

vor allem, um der Expansion der Franzosen zuvor zu kommen. Danach


setzte eine starke Migration von Briten nach Neuseeland ein. Das heutige
Papua-Neuguinea hie frher Britisch-Neuguinea und war Ende des 19.
Jahrhunderts zuerst zum britischen Protektorat erklrt und dann annektiert
worden. hnlich erging es den kleineren Inseln in Ozeanien.
Der britische koloniale Einfluss bezog sich aber auch auf Asien. Bereits
im 17. Jahrhundert hatten die Englnder auf dem indischen Subkontinent
Handelssttzpunkte gegrndet. Im 18. Jahrhundert wurde die Britische Ostindien-Kompanie zur fhrenden Macht. Die wichtigste Kolonie war Britisch-Indien, welches das heutige Indien, Pakistan, Bangladesch und Birma
(Myanmar) umfasst. Das Gebiet stand von 1858 bis 1947 unter direkter
britischer Kolonialherrschaft. Afrika, das bis ca. 1880 weitgehend unbesetzt
war, wurde Ende des 19. Jahrhunderts zum Hauptziel der Expansion der
europischen Gromchte. Deutschland hatte mit dem Verlust des 1. Weltkriegs auch seine afrikanischen Kolonien verloren; neben Frankreich und
Portugal war vor allem Grobritannien die dominante afrikanische Kolonialmacht. Viele der afrikanischen Staaten haben auch nach ihrer, nach dem 2.
Weltkrieg ereichten, Unabhngigkeit Englisch als Amtssprache beibehalten.
1921, zur Zeit des Hhepunkts des Kolonialismus, umfasst das Gebiet
des Vereinten Knigreichs 37 Millionen km, etwa ein Viertel der von Land
bedeckten Erdoberflche. Die Gesamtbevlkerung betrug ca. 500 Millionen
und damit rund ein Viertel der damaligen Weltbevlkerung (Crystal 2003:
78). Die Vormachtstellung des Knigreichs bedeutete auch eine Vormachtstellung seiner Sprache. Hinzu kommen die entlaufenen Kinder der Briten,
die vormaligen Kolonien, die sich bereits selbststndig gemacht hatten, wie
die USA und Kanada, die aber weiterhin englischsprachig waren. Die Folgen
dieser historischen Entwicklung fr die hegemoniale Stellung des Englischen wirken bis heute nach. In folgenden Lndern ist Englisch auch heute
die Amtssprache bzw. eine Amtssprache neben anderen: Afrika: Nigeria,
Sdafrika, Kenia, Uganda, Ghana, Kamerun, Malawi, Simbabwe, Sambia,
Ruanda, Sierra Leone, Liberia, Lesotho, Namibia, Botsuana, Gambia, Mauritius, Swasiland und die Seychellen; Asien: Indien, Pakistan, Philippinen und
Singapur; Australien und Ozeanien: Australien, Papua-Neuguinea, Neuseeland sowie die Inselgruppen Fidschi, Salomonen, Vanuatu, Samoa, Kiribati,
Mikronesien, Tonga, Marshallinseln, Palau, Nauru und Tuvalu; Europa:
Vereinigtes Knigreich, Irland und Malta; Mittelamerika: Bahamas, Belize,
Barbados, Jamaika, Trinidad und Tobago, St. Lucia, St. Vincent und die

99

Grenadinen, Grenada, Antigua und Barbuda, Dominica sowie St. Kitts und
Nevis; Nordamerika: Vereinigte Staaten von Amerika und Kanada sowie in
Sdamerika Guyana. Auerdem ist Englisch meist neben anderen Sprachen
Amtssprache verschiedener internationaler Institutionen und Organisationen: der Afrikanischen Union (AU), der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Union Sdamerikanischer Nationen (UNASUR), der Europischen Union (EU) sowie der Vereinten Nationen (UN).11
2. Die Vormachtstellung des Englischen geht aber nicht nur auf die koloniale Dominanz des Vereinigten Knigreichs zurck, sondern auch auf den
Aufstieg der USA als Weltmacht und die Ausdehnung ihres Einflussbereichs. Der damit verbundene Export der englischen Sprache erfolgt nicht
oder nur in Ausnahmefllen durch militrische Besetzung fremder Gebiete
und Zwang, sondern durch Mechanismen, die man dem Bereich der soft
power zuordnen kann (Nye 2004). Es gibt recht viele gesellschaftliche Bereiche, in denen die USA eine Vormachtstellung einnehmen und damit die
Kommunikation in diesen Bereichen mit ihrer Sprache bestimmen (vgl.
Crystal 2003). Die USA sind das Land auf der Erde, das mit Abstand die
meisten Gter importiert, und sie gehren zu den drei Lndern mit dem
hchsten Exportvolumen weltweit. Andere, vor allem kleine Lnder, die mit
den USA handeln wollen, haben einen Anreiz, sich der Dominanz des Landes anzupassen, indem sie den Handel in Englisch abwickeln.
Weiterhin gilt, dass die USA die fhrende Wissenschaftsnation sind,
was sich in vielen Indikatoren, z. B. der Anzahl der Nobelpreise, die an amerikanische Forscher insgesamt, vor allem aber in der Zeit von 1945 bis zur
Gegenwart, vergeben wurden oder in dem guten Abschneiden der amerikanischen Universitten in den weltweiten rankings manifestiert. Entsprechend erfolgen in vielen Wissenschaftsgebieten die wichtigsten Publikationen in englischer Sprache. Wissenschaftler in anderen Lndern mssen sich,
wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen, der englischen Sprachhegemonie
anpassen. Fr zwei Wissenschaftsgebiete kann ich die Dominanz der englischen Sprache mit Daten unterfttern.

11 Weitere Lnder haben eine andere Amtssprache, verfgen aber ber Englisch als Verkehrssprache: Somaliland in Afrika, Malaysia, Israel und Hongkong in Asien, Zypern und Gibraltar
in Europa sowie St. Martin in Mittelamerika.

100

Tabelle 3.1:

Wissenschaftliche Artikel im Fach Chemie in verschiedenen


Sprachen (1978 bis 1998, in Prozent)

1978
1982
1987
1992
Englisch
62.3
67.6
73.0
79.3
Russisch
19.5
16.5
12.0
7.6
Japanisch
4.7
4.2
4.5
4.7
Deutsch
5.0
3.8
2.9
2.3
Chinesisch
0.3
1.7
2.7
3.2
Franzsisch
2.4
1.6
1.1
0.6
Polnisch
1.1
0.6
0.6
0.4
Andere Sprachen
4.7
4.0
3.2
1.9
Anzahl
363,196
382,257
384,141
430,247
Quelle: Laponce (2003): Grundlage der Auswertung: Chemical Abstracts

1998
82.5
3.1
4.5
1.6
5.9
0.5
0.3
1.6
559,009

Der Anteil der Artikel, die im Fach Chemie in Englisch publiziert wurden,
lag Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mit 62 % schon recht
hoch, hat sich dann aber nochmals auf 82,5 % Ende der 90er Jahre gesteigert. Die Dominanz des Englischen gilt aber nicht nur fr die Naturwissenschaften; in der Soziologie zeigt sich eine hnliche Entwicklung, wie Schaubild 3.1 zeigt.
Die USA, bzw. die USA und Grobritannien, dominieren ebenfalls den
Bereich der Kulturindustrie (Bcher, Zeitungen, Periodika, Musik, audiovisuelle Medien und bildende Kunst): Grter Exporteur mit 8,5 Milliarden
US-Dollar war 2002 Grobritannien, gefolgt von den USA mit 7,6 Milliarden. Grter Importeur waren 2002 die USA mit 15,3 Milliarden US-Dollar,
doppelt soviel wie der zweitgrte Importeur Grobritannien (7,8 Milliarden), gefolgt von Deutschland an dritter Stelle mit 4,1 Milliarden US-Dollar
(Unesco Institute for Statistics 2005). Hinzu kommt die Dominanz des Englischen im World Wide Web; will man sich umfassend informieren, ist es
sinnvoll, Englisch zu verstehen.

101

Schaubild 3.1:

Wissenschaftliche Artikel im Fach Soziologie in englischer


Sprache (1960 bis 2007, in Prozent)

100
95
90
85
80
75
70
65
60
1960-64 1965-69 1970-74 1975-79 1980-84 1985-89 1990-94 1995-99 2000-04 2005-08

Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung. Grundlage: Sociological Abstracts; bercksichtigt wurden nur Artikel in Peer Review Journals.

Die nur an wenigen Beispielen illustrierte englischsprachige Dominanz in


vielen gesellschaftlichen Bereichen hat keinen Einfluss auf die Amtssprachen, die die Nationalstaaten als ihre Amtssprachen gewhlt haben, wohl
aber auf die Auswahl der Fremdsprache, die von den Menschen in den Lndern gelernt bzw. von den Ausbildungsinstitutionen angeboten und vermittelt werden. Einer der letzten Schutzwlle gegen die soft power der angloamerikanischen Macht und deren Sprache bildete die Sowjetunion. Die Mitgliedslnder der Sowjetunion und die sozialistischen Staaten, die unter dem
Einfluss der Sowjetunion standen, waren auch der hegemonialen Stellung
des Russischen unterworfen. Die Brger im so genannten Ostblock lernten
als erste Fremdsprache in erster Linie Russisch, sei es, weil dies im Curriculum der Ausbildungsinstitutionen so vorgesehen war, sei es freiwillig, weil
sie sich von dieser Sprachkompetenz Vorteile versprachen. Der Zusammenbruch der Einflusssphre der Sowjetunion, die gewonnene Selbststndigkeit der mittel- und osteuropischen Lnder und ihre zunehmende Orientierung Richtung Westeuropa spiegeln sich in einer Umorientierung in
den Fremdsprachenprferenzen wider. Die folgende Tabelle, die sich auf
102

den Prozentsatz der Schler in Ungarn, die verschiedene Fremdsprachen


lernen, bezieht, bringt dies eindrucksvoll zum Ausdruck. Innerhalb von
sieben Jahren ist der Anteil der Russisch lernenden Schler von 81,3 % auf
3,7 % gesunken.
Tabelle 3.2:

Englisch
Deutsch
Franzsisch
Russisch
N

Entwicklung der Anzahl der Schler fr unterschiedliche


Fremdsprachen in Ungarn (in Prozent, 1989-1997)
1989-91 1990-91 1991-92 1992-93 1993-94 1994-95 1995-96 1996-97
34.2
41.2
47.4
53.0
56.3
58.1
60.2
61.8
28.0
34.5
41.5
46.1
48.7
50.5
51.9
53.4
6.9
8.3
9.0
9.1
8.8
8.3
8.0
7.7
81.3
57.1
32.8
17.6
10.7
7.2
5.2
3.7
273,392 291,779 309,289 322,912 330,586 337,301 349,299 361,395

Quelle: Fodor & Peluau (2003: 85-98). Die Zahlen beziehen sich auf High Schools; die Spalten summieren sich nicht zu 100 %, da die Schler mehrere Fremdsprachen lernen knnen.

Das Beispiel illustriert nochmals eindrucksvoll das allgemeine Argument,


das diesem Kapitel zugrunde liegt. Die Sprachenordnung ist in evolutionstheoretischer Terminologie formuliert ein Parasit der gesellschaftlichen
Ordnung; ndert sich der Wirt, ndert sich der Parasit. Die gesellschaftliche
Ordnung ist wiederum eine hierarchisch gegliederte Ordnung mit Zentrum
und Peripherie; die Strke und Schwche der Einzelsprachen ist weitgehend
ein Spiegelbild dieser hierarchisch strukturierten Weltordnung. Die Vormachtstellung des Englischen geht deswegen zum einen auf die Dominanz
des Britischen Empires zurck, die zur Folge hatte, dass viele Nationalstaaten heute Englisch als Amtssprache benutzen und Englisch von vielen Menschen als Muttersprache gesprochen wird. Da die Transaktionskosten eines
Wechsels einer einmal institutionalisierten Sprache sehr hoch sind, haben
die ehemaligen Kolonien auch nach ihrer Unabhngigkeit in der Regel die
Sprache ihrer frheren Kolonialherren als Amtssprache beibehalten. In Indien z. B., in dem heute Hindi und Englisch die beiden in der Verfassung
festgeschriebenen berregionalen Amtssprachen sind, war ursprnglich
vorgesehen, dass Englisch ab 1965 den gleichberechtigten Status neben
Hindi verlieren sollte. Die geplante Degradierung des Englischen hatte vor
allem symbolische Funktion und sollte die Abkehr von der alten Kolonialmacht zum Ausdruck bringen. Da man realisierte, dass der Verzicht auf
Englisch mit sehr hohen Kosten verbunden sein wrde, hat man von dem
ursprnglichen Plan aber Abstand genommen.
103

Die Hegemonie des Englischen ist zum Zweiten eng verknpft mit der Vormachtstellung der USA vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, die diese in
vielen gesellschaftlichen Bereichen erreicht haben. Die Dominanz der USA
wirkt wie eine soft power, die es fr viele Lnder opportun macht, Englisch als erste Fremdsprache in ihren Lndern zu institutionalisieren. Betrachtet man die beiden in Kapitel 2.2 und 2.3 skizzierten Entwicklungsstrnge Nationalstaatsbildung und sprachliche Homogenisierung einerseits, Struktur der Weltgesellschaft und die Hegemonie des Englischen andererseits zusammen, dann ergibt sich daraus das von Abram de Swaan
(2001b) gezeichnete Bild eines Global Language System. Dieses besteht
aus vier Ebenen:
a) In der Peripherie des Systems befinden sich die vielen Sprachen, die meist
von wenigen Sprechern gesprochen werden, die in geringem Mae institutionalisiert sind, hufig keine Schriftsprachen sind und in aller Regel Minderheitensprachen innerhalb von Nationalstaaten bilden. Die Anzahl der peripheren Sprachen ist sehr hoch, die jeweilige Sprecherzahl eher gering (vgl.
die Daten in Crystal 2000: 15). Eine Kommunikation zwischen verschiedenen peripheren Sprachen erfolgt in der Regel nicht direkt, sondern wird
ber die Relaisstation der zentralen oder superzentralen Sprachen vermittelt.
b) Gleichsam in der Mitte des Systems befinden sich die Amtssprachen der
Nationalstaaten, die de Swaan als Zentralsprachen bezeichnet. Diese haben
sich im Prozess der Nationalstaatsbildung entwickelt, sind in hohem Mae
institutionalisiert, insofern es sich um Schriftsprachen handelt, die von den
Nationalstaaten gepflegt und berwacht werden und in denen die Ausbildung und die ffentliche Kommunikation (Medien, Literatur) stattfindet. Sie
bilden zudem meist ein Merkmal nationaler Identitt. Die Etablierung der
Zentralsprachen hat die Minderheitensprachen in den meisten Fllen in die
Peripherie verdrngt. Die Anzahl der Zentralsprachen wird von de Swaan
auf ca. 100 beziffert, ist also im Vergleich zu den peripheren Sprachen sehr
gering; die Anzahl der Sprecher dieser Sprachen deckt aber ca. 95 % der
Bevlkerung ab (vgl. auch Crystal 2000: 15).
c) Als superzentrale Sprachen bezeichnet de Swaan (2001b) die Zentralsprachen, die in mehreren Nationalstaaten als Muttersprache und in anderen
Lndern von vielen Brgern als Fremdsprache gesprochen werden. Hufig

104

handelt es sich bei den superzentralen Sprachen um die Sprachen ehemaliger Kolonialmchte. Die Anzahl der superzentralen Sprachen ist sehr niedrig (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Franzsisch, Deutsch, Hindi, Japanisch,
Malaiisch, Portugiesisch, Spanisch und Suaheli), die Anzahl der Sprecher
sehr hoch.
d) Eine Sprache sticht aus der Gruppe der Superzentralsprachen nochmals
hervor und wird von de Swaan (2001b) als Hyperzentralsprache bezeichnet. Es
handelt sich um Englisch und dies auf Grund der Tatsache, dass es nicht
nur viele Menschen gibt, die Englisch als Erstsprache sprechen, sondern die
Englisch aus den eben dargelegten Grnden als erste Zweitsprache gelernt
haben. Englisch ist zwar nicht die meist gesprochene Muttersprache, dies ist
Chinesisch bzw. Mandarin mit ca. 1,2 Milliarden Sprechern. Addiert man
aber alle Menschen, die entweder Englisch als Muttersprache, als zweite
Muttersprache oder als Fremdsprache sprechen knnen, dann kommt man
weltweit auf eine geschtzte Zahl von etwa 1,5 Milliarden Menschen, also
ungefhr einem Viertel der Weltbevlkerung im Jahr 2000 (Crystal 2003: 6).
Bilanzieren wir kurz die Ergebnisse dieses Kapitels. Die institutionalisierte
Sprachenordnung in Europa besteht aus einer nach Nationalstaaten gegliederten, sprachlich segmentierten Struktur. Die inner-nationalstaatliche
sprachliche Heterogenitt ist sehr gering, da die meisten Mitgliedslnder nur
eine Amtssprache zugelassen haben; die zwischen-staatliche Heterogenitt
ist fast maximal. Diese Struktur ist das Ergebnis eines historischen Prozesses, der eng verkoppelt ist mit der Entstehung und Verfestigung der Nationalstaaten in Europa. Eine Verstndigung ber die nationalstaatlichen Container hinaus ist damit nur mglich, wenn die Menschen ber Fremdsprachenkompetenz verfgen, also die Sprachen, die in anderen Mitgliedslndern gesprochen werden, beherrschen.
Zugleich haben wir gesehen, dass nicht jede Sprache gleich bedeutend
ist. Mchtige Nationalstaaten bzw. solche, die in der Vergangenheit einflussreich waren, bestimmen die internationale Sprachenordnung insofern, als
ihre welthegemoniale Stellung auch ihrer jeweiligen Sprache eine hegemoniale Stellung einrumt. Die Vormachtstellung des Britischen Empires und
die der USA im 20. Jahrhundert haben dazu gefhrt, dass dem Englischen
eine besondere Bedeutung zukommt. Zwar ist Englisch in Europa nur in
Grobritannien, Irland und Malta als Amtssprache institutionalisiert, die

105

weltweite Bedeutung des Englischen macht es aber zu der Sprache, deren


Kommunikationsnutzen am hchsten ist (de Swaan 1993; 2001a; 2001b).
Menschen, die mit anderen Personen in anderen Lndern kommunizieren
wollen, tun unter diesen Kontextbedingungen gut daran, nicht nur ihr transnationales Kapital generell zu erhhen, sondern vor allem Englisch zu lernen. Die These, dass der antizipierte Kommunikationsnutzen einer Fremdsprache den Erwerb einer Fremdsprache beeinflusst, ist von Abram de
Swaan (1993; 2001a; 2001b) ausformuliert worden. Menschen lernen die
Fremdsprache, mit der sie mglichst viele fr sie relevante Kommunikationspartner erreichen knnen.
3.2

Die Europisierung und Globalisierung der nationalstaatlich


verfassten Gesellschaften Europas

Solange die Nationalstaaten gleichsam selbstgengsame Container sind, in


denen der grte Teil der Austauschprozesse innerstaatlich verluft, gibt es
wenig Anreize, die Sprachen anderer Lnder zu lernen. Je strker aber Gesellschaften mit anderen, andere Sprachen sprechenden Gesellschaften vernetzt sind, desto wertvoller wird die Fhigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen. Ich werde im Folgenden nachzeichnen, wie der europische Einigungsprozess auf den Grad der Vernetzung der europischen Mitgliedslnder eingewirkt hat und sich die Gesellschaften Europas im Kontext von
Globalisierungsprozessen transnationalisiert haben. Man kann sich bei der
Darstellung auf eine Flle von empirischen Befunden und berblicksdarstellungen beziehen und sich entsprechend auf eine Systematisierung der
Befunde konzentrieren.
Der Prozess der Europisierung nationalstaatlich verfasster Gesellschaften findet in vier verschiedenen, miteinander verflochtenen Dimensionen statt. In allen Dimensionen hat im Zeitverlauf eine Zunahme an Europisierung stattgefunden, auch wenn dieser Prozess nicht gradlinig verlaufen
ist. Immer wieder gab es Brche, retardierende Momente und rcklufige
Bewegungen. Die kurzfristigen Schwankungen knnen aber nicht darber
hinwegtuschen, dass die langfristige Entwicklung in Richtung einer Zunahme der Europisierung gelaufen ist (aus historischer Perspektive vgl.
dazu Kaelble 2007).

106

3.2.1 Europisierung als Aufbau eines europischen Herrschaftsverbandes


Europische Integration manifestiert sich zum einen im Aufbau und in der
Ausdehnung der verschiedenen politischen Institutionen der EU, die von den Nationalstaaten mit Herrschaftsrechten ausgestattet worden sind und einen Teil
der Souvernittsrechte der Nationalstaaten bernommen haben. Europisierung auf dieser Ebene bedeutet, dass die Kompetenzen der europischen
Institutionen und ihre Organisationsstrke im Zeitverlauf ausgedehnt wurden und dies auf Kosten der nationalen Parallelinstitutionen. Dieser Prozess
lsst sich fr alle europischen Institutionen nachzeichnen und ist in politikwissenschaftlichen Handbchern hinreichend gut beschrieben worden
(fr viele andere Kohler-Koch, Conzelmann & Knodt 2004; Wessels 2008;
Brzel & Risse 2002). Ich fasse die Befunde fr die wichtigsten Institutionen
kurz zusammen.
Der Europische Rat: Der Europische Rat ist das Gremium der Staatsund Regierungschefs der EU. Die Staats- und Regierungschefs haben sich
bis 1969 nur zu zeremoniellen Anlssen getroffen. Auf einem Gipfeltreffen
in Den Haag 1969 wurden zum ersten Mal konkrete inhaltliche Themen
besprochen. Da dieses Treffen ein Erfolg war, kam es in den folgenden
Jahren in unregelmigen Abstnden zu hnlichen Treffen. 1974 wurde
vereinbart, sich alle vier Monate zu treffen. In die Vertrge wurde der Europische Rat als Institution der EU erst 1987 mit der Einheitlichen Europischen Akte aufgenommen. Die zentrale Aufgabe des Europischen Rats
besteht in der Formulierung allgemeiner politischer Zielvorstellungen und
Impulse fr die Weiterentwicklung der EU und in der Lsung von Konflikten, die auf Ministerebene, also im Rat der Europischen Union, nicht gelst
werden knnen. Und in der Tat ist der Europische Rat zunehmend zum
Impulsgeber fr die Weiterentwicklung der EU geworden. Im Laufe der
Zeit hat sich der Europische Rat ber einen Debattierclub hinaus zu
einem programmatischen Leitliniengeber mit nachhaltiger Wirkung fr die
Gestaltung mehrerer zentraler Politikfelder der EU entwickelt (Wessels
2008: 163). Im Vertrag von Lissabon ist vorgesehen, dass der Europische
Rat nun auch offiziell zu einem Organ der EU wird und sich viermal im Jahr
trifft.

107

Rat der Europischen Union: Der Rat der Europischen Union (Ministerrat) ist das wichtigste Entscheidungsorgan der Europischen Union. Er
setzt sich aus den Vertretern jedes Mitgliedsstaats auf Ministerebene zusammen. Zu seinen zentralen Aufgaben gehren, europische Rechtsvorschriften zu erlassen (in vielen Bereichen zusammen mit dem Parlament),
die Abstimmung ber die Grundzge der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsstaaten, das Abschlieen von internationalen bereinknften mit anderen Staaten auerhalb der EU und mit internationalen Organisationen, die
Genehmigung des Haushaltsplans der EU (zusammen mit dem Parlament)
und die Mitarbeit bei der Entwicklung der gemeinsamen Auen- und Sicherheitspolitik.
Schaut man sich die Entwicklung des Rats im Zeitverlauf an, dann sieht
man, dass die Mitgliedsstaaten die vertraglich festgelegten Aufgaben des
Rates und die Politikfelder, fr die er zustndig ist, kontinuierlich ausgedehnt haben (Wessels 2008: 191). Die Bedeutungszunahme des Rates findet
vor allem in der Zeit seit der Grndung der EU bis zum Jahr 1990 statt und
manifestiert sich in einer Reihe von Indikatoren: Die Anzahl der Ratsformationen hat sich in dem beschriebenen Zeitraum erhht; heute gibt es neun
12
verschiedene Ratsformationen; die Anzahl der Sitzungen pro Jahr und die
der verschiedenen Arbeitsgruppen hat sich ebenfalls erhht; gewachsen ist
auch die Anzahl der Politikbereiche, in denen einzelne Mitglieder berstimmt werden knnen (vgl. die Daten in Wessels 2008: 199, 212).
Europische Kommission: Die heutige Europische Kommission geht
auf die Hohe Behrde, die im Rahmen der Grndung der EGKS 1952 geschaffen wurde, zurck. Ihr oblag der Vollzug der Beschlsse der Montanunion. Der Hohen Behrde gehrten acht Mitglieder an, die von den Mitgliedslndern benannt wurden und ein neuntes Mitglied, das von der Behrde gewhlt wurde. Mit der Grndung der EWG und von Euratom 1958
wurden auch zwei neue Kommissionen eingerichtet. 1967 wurden die Hohe
Behrde der EGKS und die Kommissionen von EWG und Euratom im
12 Um die Vielfalt nicht ausufern zu lassen, hat der Europische Rat von Sevilla 2002 beschlossen, die Anzahl der Ratsformationen auf neun zu begrenzen. Zugleich hat aber eine
Binnendifferenzierung der Rte stattgefunden. Eine Ratsformation umfasst mehrere Fachminister, die fr unterschiedliche Politikfelder zustndig sind. Insofern ist die schiere Anzahl an
Ratsformationen noch kein guter Indikator fr die Ausdehnung der Politikfelder, fr die der
Rat zustndig ist (vgl. Wessels 2008: 199).

108

Rahmen des EG-Vertrags zur Europischen Kommission zusammengeschlossen. Mit dem Amsterdamer Vertrag (1999) wurden die Kompetenzen
der Kommission erweitert. Die Kommission hat das alleinige Gesetzesinitiativrecht, sie ist fr die Einhaltung der Vertrge verantwortlich, wirkt an der
Umsetzung der Beschlsse des Rates der EU und des Europischen Parlaments mit und vertritt die EU nach auen. Zudem formuliert die Kommission in Form der so genannten Wei- und Grnbcher Empfehlungen fr
ein Ttigwerden der Gemeinschaft in bestimmten Politikbereichen; die Anzahl der verabschiedeten Empfehlungen hat sich im Zeitverlauf deutlich
erhht (vgl. die Zahlen in Wessels 2008: 233). Auch die Kompetenzbereiche
der EU haben sich im Zeitverlauf zunehmend ausgedehnt; damit einher
geht ein Wachstum der Institution selbst: die Menge der Generaldirektionen, Kommissare und Ausschsse ist ebenso gewachsen wie das Verwaltungspersonal der Kommission insgesamt.
Europisches Parlament: Im Rahmen der Grndung der Europischen
Gemeinschaft fr Kohle und Stahl traf sich 1952 auch eine parlamentarische
Versammlung auf europischer Ebene; diese bestand aus Abgeordneten aus
den nationalen Parlamenten; die Versammlung war nur beratend ttig. Mit
der Grndung der EWG und von Euratom war die parlamentarische Versammlung der EGKS jetzt fr alle drei Gemeinschaften zustndig und wurde auf 142 Abgeordnete erweitert; sie erhielt aber keine neuen Kompetenzen. Als die Europische Gemeinschaft 1971 eigene Finanzmittel erhielt,
wurde die Versammlung an der Aufstellung und der Verabschiedung des
Haushaltsplans beteiligt, allerdings nicht im Bereich der Ausgaben fr die
Agrarpolitik. Seit Ende der siebziger Jahre gewann das Europische Parlament dann schrittweise an Bedeutung. 1979 fanden die ersten direkten Europawahlen statt. 1986 kam es durch die Einheitliche Europische Akte
erstmals zu einer wichtigen Kompetenzerweiterung fr das Parlament: Das
Parlament war nun an der allgemeinen Gesetzgebung beteiligt und konnte
offiziell nderungsvorschlge an Gesetzentwrfen machen, auch wenn nach
wie vor die letzte Entscheidung beim Ministerrat blieb. Dies nderte sich
wenigstens in einigen Politikbereichen 1992 mit dem Vertrag von Maastricht. In diesem wurde nun fr einige Politikbereiche das Mitentscheidungsverfahren eingefhrt. Durch die Vertrge von Amsterdam 1997 und Nizza
2001 schlielich wurde das Mitentscheidungsverfahren ausgeweitet, sodass

109

es nun auf einen Groteil der Politikbereiche der Europischen Union Anwendung findet.
Europischer Gerichtshof: Der Europische Gerichtshof wurde im Jahr
1952 durch den Vertrag zur Grndung der Europischen Gemeinschaft fr
Kohle und Stahl gegrndet. Er war zunchst fr Streitigkeiten innerhalb des
EGKS-Vertrages zustndig. Nach Grndung der EWG und der Europischen Atomgemeinschaft im Jahr 1957 war der EuGH fr smtliche Streitigkeiten aufgrund der drei Vertrge zustndig. Mit jeder Ausdehnung des
europischen Rechts haben sich auch die Aufgaben des Europischen Gerichtshofs erweitert, da die einheitliche Auslegung des europischen Rechts
die zentrale Aufgabe des Gerichts ist. Zudem hat sich die Organisationsstruktur des Gerichts vergrert: Im Jahr 1989 wurde zur Entlastung des
Gerichtshofs das Europische Gericht erster Instanz geschaffen. Seit dem
Jahr 2005 besteht zustzlich das Gericht fr den ffentlichen Dienst, das fr
Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Beamten und
Bediensteten zustndig ist. Die Institution selbst wie auch die Menge der
Rechtsprechung hat sich im Zeitverlauf kontinuierlich ausgedehnt.
Innerhalb der Politikwissenschaft gibt es zwei unterschiedliche Positionen
der Interpretation der Institutionen der EU. Intergouvernementalisten betonen, dass die Institutionen der EU unter der Kontrolle der Regierungen
der Nationalstaaten stehen, die Nationalstaaten also in den Kernbereichen
von Politik weiterhin das letzte Wort haben (Moravcsik 1993). Supranationalisten und Neofunktionalisten haben hingegen zu zeigen versucht, dass
die Institutionen der EU eine eigenstndige Machteinheit geworden sind, die
die Souvernitt der Nationalstaaten ersetzt hat (Sweet & Sandholtz 1998).
Betrachtet man die Entwicklung der Institutionen der EU im Zeitverlauf,
wrden sicherlich auch Intergouvernementalisten zustimmen, dass sich die
Herrschaftsbefugnisse der europischen Institutionen krftig ausgedehnt
haben. Auch wenn einige der Institutionen, wie der Europische Rat und
der Ministerrat, eine intergouvernementale Struktur aufweisen, gilt auch fr
diese Institutionen, dass die Menge an Entscheidungen, in denen einzelne
Lnder berstimmt werden knnen, gestiegen ist. Das folgende Schaubild
macht dies deutlich. Im Ministerrat, an sich die prototypische intergouvernementale Institution der EU, kann nach unterschiedlichen Regeln abgestimmt werden. Betrachtet man die verschiedenen Abstimmungsregeln im

110

Zeitverlauf, dann sieht man, dass der Anteil der Beschlsse, die einstimmig
gefllt werden mssen, im Zeitverlauf rcklufig ist. Die Vetomacht der
Mitgliedslnder wird also zunehmend zu Gunsten von Mehrheitsentscheidungen eingeschrnkt.
Schaubild 3.2: Entwicklung der Entscheidungsverfahren im Ministerrat13

Quelle: Wessels (2008: 195)

13 EGKS Europische Gemeinschaft fr Kohle und Stahl, EWG Europische Wirtschaftsgemeinschaft, EEA Einheitliche Europische Akte, EUV Vertrag ber die Europische Union, VVE Vertrag ber eine Verfassung fr Europa. Bei der einfachen Mehrheit
hat jeder Mitgliedstaat eine Stimme. Eine qualifizierte Mehrheit ist nach dem EUV bei der
Mehrheit der Mitglieder (14 MS) oder 255 (74 % von 345) der gewogenen Stimmen (orientieren sich an der Bevlkerungszahl des jeweiligen MS) und auf Antrag, wenn 62 % der Bevlkerung der EU von den zustimmenden Staaten reprsentiert sind, erreicht, bzw. nach dem
VVE bei einer Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder (min. 15 MS) oder wenn 65 %
der Bevlkerung reprsentiert sind. Bei der besonderen qualifizierten Mehrheitsentscheidung
werden mehrere Regelwerke gezhlt: qualifizierte Mehrheit mit 72 % der Mitglieder und 65 %
der Bevlkerung, wenn Entscheidungen nicht auf Vorschlag der Kommission oder des Auenministers gefllt werden (nach Art. I-25 VVE), qualifizierte Mehrheitsentscheidungen,
ausgenommen der betroffene MS (QM minus 1), qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, an
denen nur eine Gruppe bestimmter Staaten beteiligt ist, wie z. B. verstrkte Zusammenarbeit
oder Entscheidungen der Eurogruppe.

111

3.2.2 Europisierung als territoriale Ausdehnung des Herrschaftsraums


Eine Europisierung der Gesellschaften Europas manifestiert sich neben
dem Aufbau eines supranationalen Herrschaftsverbandes auch in einer
schrittweisen territorialen Ausdehnung des Herrschaftsraumes der EU, also
in dem Prozess der Erweiterung der Anzahl der Mitgliedslnder. Die Lnder
Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande
bilden bekanntlich die Grndungslnder. 1973 traten Grobritannien, Dnemark und Irland der Gemeinschaft bei; 1981 folgte Griechenland, 1986
Portugal und Spanien, 1990 mit der deutschen Wiedervereinigung die frhere DDR sowie schlielich 1995 sterreich, Schweden und Finnland. Mit
dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Einflusssphre entstand
ab 1990 die Option der Osterweiterung der EU. Die EU hat diese Chance
der Ausdehnung ihrer Hegemonie u. a. auf Kosten Russlands erfolgreich
genutzt. 14 Jahre spter, zum 1. Mai 2004 sind zehn, meist mittel- und osteuropische Lnder der EU beigetreten (Estland, Lettland, Litauen, Malta,
Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern); 2007 folgten
Bulgarien und Rumnien.
Der Herrschaftsbereich der EU-Institutionen hat sich damit seit seiner
Grndung kontinuierlich ausgedehnt. Fr alle diese Lnder gilt, dass sie in
gleichem Mae dem Willen und den Beschlssen der Institutionen der EU
unterworfen sind. Alle Rechtsakte der EU, die fr alle Mitgliedslnder verbindlich sind Acquis communautaire mssen von allen Lndern, die Mitglied der EU werden wollen, bernommen werden, so dass die Ausdehnung
der EU nicht allein eine territoriale Erweiterung darstellt, sondern eine Ausdehnung eines einheitlichen Herrschaftsraums. Zugleich haben die Institutionen der EU mit der territorialen Ausdehnung sich selbst vergrert und
ihre Herrschaftsbefugnisse ausgedehnt.
3.2.3 Europisierung als die rechtliche Schaffung eines einheitlichen europischen
Sozialraumes
Die neu geschaffenen europischen Institutionen sind kein Selbstzweck. Sie
wirken mit ihrer Politik auf die Mitgliedslnder und im Zeitverlauf auf
zunehmend mehr Lnder ein. Sie tun dies in immer mehr Politikfeldern,
mit dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen europischen Sozialraums,
eines Interaktionsraumes also, der immer weniger nationalstaatlich begrenzt

112

ist. Die damalige EWG ist mit den Rmischen Vertrgen mit dem Ziel der
Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes gegrndet worden. Und die
Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes ist bis heute das zentrale Ziel
der EU. Insofern beziehen sich die meisten Manahmen auf die Herstellung
einer gemeinsamen Volkswirtschaft Europa. Es wrde den Rahmen dieser
Arbeit sprengen, diesen dritten Bereich von Europisierung auch nur annherungsweise vollstndig darzustellen. Folgende Rechtssetzungen sind fr
die Herstellung eines einheitlichen europischen Sozialraums, der dann auch
die Frage der Fremdsprachenkompetenz zu einer bedeutsamen Frage werden lsst, von besonderem Belang.
a) Abbau der Zlle: 1959 beginnt bereits der schrittweise Abbau der Zlle
innerhalb der EWG. Die Zollunion tritt 1968 in Kraft; damit werden die
Zlle im Handel innerhalb der EWG endgltig aufgehoben. Fr den Handel
mit Drittlndern gilt ein gemeinsamer Zolltarif. Der Abbau der Zlle senkt
die Transaktionskosten des Handels innerhalb der EU und macht zudem die
Kosten des Handels besser kalkulierbar.
b) Gemeinsamer Binnenmarkt: Die Abschaffung der Zlle hat zwar zu einer
Verbesserung des europischen Gteraustauschs gefhrt, eine Vielzahl von
nichttarifren Handelshemmnissen wie die unterschiedlichen Produktionsnormen oder unterschiedliche Zulassungsverfahren haben den freien Warenverkehr aber eingeschrnkt. Mit der Einheitlichen Europischen Akte von
1987 wird ein gemeinsamer europischer Binnenmarkt implementiert. Kernstck des Vertrages sind die so genannten vier Freiheiten: Personen, Waren,
Dienstleistungen und Kapital sollen sich in der EU genauso frei bewegen
knnen, wie es bisher innerhalb der nationalen Volkswirtschaften der Fall
gewesen war.
Fr unsere Fragestellung ist die Freizgigkeit von Personen besonders
interessant. Danach haben alle Brger der EU die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. Diese Regelung umfasst neben dem eingewanderten
Beschftigten Ehegatten, Kinder unter 21 Jahren sowie weitere Verwandte
in auf- und absteigender Linie, denen der Beschftigte Unterhalt gewhrt.
Die Freizgigkeitsregel gilt analog fr Selbststndige (Niederlassungsrecht).
Im Kontext der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes wurde auch
die Freizgigkeit fr Nichterwerbsttige wie Studierende und Rentner aus-

113

gedehnt; zudem wurden die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlssen und die bertragung der in einem anderen Mitgliedsland erworbenen
sozialen Ansprche vereinbart. All diese Manahmen haben ein Ziel: die
nationalstaatlichen Container fr die Brger durchlssiger zu machen und zu
europisieren.
c) Gemeinsame Whrung: Mit der Einfhrung der Whrungsschlange
1972 werden die Wechselkursschwankungen innerhalb der EU begrenzt, ein
erster Schritt hin zur gemeinsamen Whrung. 1999 wird der Euro als offizielle Whrung fr den bargeldlosen Handel an den Brsen und 2002 als
Bargeld in elf EU-Staaten eingefhrt. Heute ist der Euro in 16 EU-Lndern
die offizielle Whrung. Auch fr die gemeinsame Whrung gilt, dass sie
wirtschaftliche Transaktionen preisgnstiger und zugleich verlsslicher
macht, weil sie nicht mehr von Wechselkursschwankungen abhngig sind
und damit den europischen Handel und auch die Mobilitt erleichtern.
d) Aufhebung der Kontrolle des Personenverkehrs: Im so genannten
Schengener Abkommen (1985) haben zuerst fnf europische Staaten beschlossen, auf Kontrollen des Personenverkehrs an ihren gemeinsamen
Grenzen zu verzichten. Diesem Abkommen haben sich Schritt fr Schritt
immer mehr, mittlerweile 28 Lnder angeschlossen. Von den EU-Lndern
nehmen nur das Vereinigte Knigreich und Irland begrenzt am Schengener
Abkommen teil. Fr Bulgarien, Rumnien und Zypern gelten nur bestimmte
Bedingungen des Abkommens; eine Abschaffung der Grenzkontrollen ist
fr diese drei Lnder fr einen spteren Zeitpunkt vorgesehen. Zustzlich
gilt das Abkommen fr die Nicht-EU-Staaten Island, Norwegen und die
Schweiz. Whrend innerhalb des Schengen-Gebietes die Personenkontrollen
weggefallen sind, werden Personen an den Auengrenzen zu Drittstaaten
nach einem einheitlichen Standard kontrolliert.
e) Gemeinsame Staatsbrgerschaft: Mit dem Vertrag von Maastricht von
1992 ist jeder Staatsbrger eines der EU-Mitgliedslnder Staatsbrger seines
Landes und zugleich Staatsbrger der Europischen Union. Neben dem
bereits besprochenen Recht auf Freizgigkeit im gesamten Gebiet der EU
haben die Brger das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunal- und
Europawahlen und das Recht auf diplomatischen und konsularischen
Schutz. Auch diese Manahmen sollen u. a. die Mobilitt innerhalb Europas

114

verbessern helfen. Hinzu kommt die symbolische Bedeutung, die mit einer
Unionsbrgerschaft verbunden ist. Alle Brger Europas werden als Gleiche
behandelt, die Differenzen zwischen den nationalstaatlichen Staatsbrgerschaften werden europisiert.
Betrachtet man die verschiedenen Rechtssetzungen zusammen, dann weisen
sie alle in eine Richtung. Sie zielen ab auf die Ermglichung eines europischen Interaktionsraumes, der den Nationalstaat transzendiert und europisiert. Dies bedeutet nicht, dass es keine binneneuropischen Hemmnisse
einer Europisierung mehr gibt. Unterschiedliche Besteuerungen und Steuerstze in den Mitgliedslndern, verschiedene Sozialstandards und Durchfhrungsbestimmungen fr die vielen Rechtssetzungen, Probleme bei der
Anerkennung von Rentenansprchen beim Wechsel von einem EU-Land in
ein anderes etc. zeigen, dass der nationalstaatliche Container weiterhin wirkungsmchtig ist. Nur im Zeitverlauf hat er durch den Prozess der Europisierung merklich an Bedeutung verloren. Die Ausdehnung der Vertrge,
Rechtsordnungen und Politikfelder hat zugleich zu einer Strkung der Europischen Institutionen und ihrer Herrschaftsbefugnisse gefhrt.
3.2.4 Europisierung als Transnationalisierung der Gesellschaften der Mitgliedslnder
Der Aufbau eines europischen Institutionensystems, die territoriale Ausdehnung des Herrschaftsraumes und die Zunahme von Rechtsregeln zur
Herstellung eines europischen Interaktionsraumes fhren auch realiter zu
einer Europisierung der Gesellschaften Europas, die vierte hier unterschiedene Dimension von Europisierung. Unser Wissensstand ber den Grad
der Europisierung der Gesellschaften der Mitgliedslnder ist deutlich geringer. Dies hat zwei Ursachen. Zum einen geht es hier nicht um den Aufbau
von Institutionen und um vertragliche Beschlsse, sondern um die Effekte
der Institutionen und Beschlsse und diese sind deutlich schwieriger empirisch zu messen. Zum Zweiten fllt die Analyse dieser Dimension von Europisierung zum Teil in ein anderes Wissenschaftsgebiet, in das der Soziologie. Eine Soziologie der Europischen Integration ist im Vergleich zur
politikwissenschaftlichen Forschung zur Europischen Integration aber
deutlich geringer ausgedehnt; sie hat erst in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen und rckt dabei zunehmend den horizontalen Aspekt von Europisierungsprozessen in den Mittelpunkt (vgl. Bach 2000; 2008; Bartolini 2005;

115

Crouch 1999; Delhey 2005; Dez Medrano 2003; 2008; Favell 2008; Gerhards 1993; 2007; Haller 2009; Heidenreich 2006; Hettlage & Mller 2006;
Lepsius 1990; 1991; Mau 2007; Mau & Verwiebe 2009; Mnch 2001; 2008;
Mnch & Bttner 2006; Vobruba 2005; 2008).
Ich habe fr einige gesellschaftliche Bereiche versucht, Daten zur Messung von Europisierungsprozessen zu erheben und schliee damit an andere Autoren und Arbeiten an (vgl. Gerhards & Rssel 1999; Fligstein & Merand 2002; Fligstein & Stone Sweet 2002; Fligstein 2008a).
a) Beginnen wir mit dem Bereich der Rechtssetzung. Ein Indikator, der zur
Messung der Bedeutungszunahme des europischen Rechts in der Literatur
hufig angefhrt wird (Beckfield 2006), sind die so genannten Vorabentscheidungsverfahren des Europischen Gerichtshofs. Der EuGH ist u. a.
fr die Auslegung der EU-Vertrge zustndig. Kommt es im Rahmen von
Gerichtsverfahren vor einem Gericht eines Mitgliedsstaates zu einer Auslegungsfrage des EU-Rechts, hat das nationale Gericht die Mglichkeit, die
Entscheidung dem EuGH vorzulegen. Handelt es sich um eine letztinstanzliche Entscheidung des nationalen Gerichts, dann muss der EuGH angerufen und ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet werden. Die Menge
der Vorabentscheidungsverfahren indiziert damit indirekt die Menge der
EU-Rechtsregelungen. Denn je mehr es davon gibt, desto mehr knnen sie
mit dem nationalen Recht der Mitgliedslnder kollidieren.

116

Schaubild 3.3: Anzahl der Vorabentscheidungsverfahren des Europischen


Gerichtshofs im Zeitverlauf (1961-2006)

300
250
200
150
100
50
0
1961 1966 1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006
Quelle: Eigene Erhebung auf Grundlage des Europischen Gerichtshofs (2008).

Der Verlauf der Kurve zeigt eindrcklich, dass die Anzahl der Vorabentscheidungen in der Zeitentwicklung zugenommen hat und damit auch der
Grad der rechtlichen Durchdringung der EU-Mitgliedslnder durch Europisches Recht.
b) Mit der Verlagerung von politischen Entscheidungsbefugnissen von den
Mitgliedslndern auf die Institutionen der Europischen Union ndern sich
auch die Bedingungen der Einflussnahme fr Interessengruppen und zivilgesellschaftliche Akteure. Wollen diese ihren Interessen Ausdruck verleihen,
mssen sie ihr Augenmerk verstrkt auf Brssel statt auf ihre Nationalstaaten richten. Und in der Tat zeigt sich im Zeitverlauf eine Europisierung der
Interessensgruppen. Schaubild 3.4 zeigt die Anzahl der Interessengruppen,
die bei der EU registriert sind im Zeitverlauf.

117

Schaubild 3.4: Anzahl der in Brssel vertretenen Interessengruppen im


Zeitverlauf (1990-2005)
3000
2500
2000
Anzahl von
Interessenvertretungen in
Brssel

1500
1000
500
0
1990

1995

2000

2005

Quelle: Wessels (2008: 281)

In einem relativ kurzen Zeitraum von 15 Jahren hat sich die Anzahl der
Interessengruppen von 1.954 auf 2.843 erhht, ein Anzeichen fr die Europisierung des vorpolitischen Raumes.
c) Ein zentrales Ziel der europischen Politik ist, wie wir gesehen haben, die
Herstellung eines Europischen Wirtschaftsraumes. Der Erfolg dieser Politik manifestiert sich in einer Vielzahl von Indikatoren (vgl. hierzu vor allem
Fligstein 2008a: 62-88). Ein einfacher Indikator zur Messung des Grades der
Europisierung der Volkswirtschaften der Mitgliedslnder ist der Anteil der
EU-Intra-Exporte am Gesamtexport der EU-Lnder. Schaubild 3.5 zeigt die
Entwicklung fr den Zeitraum 1980 bis 2006. 1980 betrug der Anteil bereits
56 %; dieser wird bis zum Jahr 2006 nochmals gesteigert auf einen Wert von
fast 69 %. Fast 70 % des Handels mit dem Ausland, den die Lnder der EU
betreiben, bleibt innerhalb der Grenzen der Mitgliedslnder der EU.

118

Schaubild 3.5: Verlauf des Anteils der Intra-EU-Exporte am Gesamtexport


der Mitgliedslnder der EU (1980 bis 2006)
80
70
60
50

06
20
04
20
02
20
00
20
98
19
96
19
94
19
90
19
80
19
Quelle: Eigene Berechnung auf der Basis von Eurostat (2002, 2006, 2009).

d) Ob und in welchem Mae die Europisierung der Mitgliedslnder der EU


auch die innereuropische Mobilitt von Personen erhht hat, ist empirisch aus
mehreren Grnden nicht einfach festzustellen (vgl. Verwiebe 2008).14 Wir
wissen aber, dass der Anteil der EU-Brger, die in einem anderen EU-Land
leben, recht gering ist; er betrgt ca. 1,5 % fr alle europischen Lnder und
schwankt zwischen 0,5 in Portugal und Finnland einerseits und 5 % in Belgien und Zypern andererseits; in Deutschland sind 2,5 % der Bevlkerung
EU-Auslnder (Mau & Verwiebe 2009: 287). Ich habe selbst auf der Basis
der verfgbaren Daten die Entwicklung der innereuropischen Mobilitt fr
acht Lnder der EU (sterreich, Deutschland, Belgien, Irland, Niederlande,
Portugal, Schweden, Vereinigtes Knigreich) fr den Zeitraum 1999 bis
2006 rekonstruiert. Dabei ergibt sich folgendes Bild.

14 Fr viele EU-Lnder liegen keine verlsslichen Daten ber Zuwanderungen bzw. Abwanderungen vor. Wenn Daten vorliegen, dann sehr hufig nicht ber einen lngeren Zeitraum,
so dass man wenig ber Trendentwicklungen aussagen kann. Hinzu kommt, dass wir nicht an
der Mobilitt insgesamt interessiert sind, sondern an den innereuropischen Wanderungen;
dies bedeutet, dass man die Herkunft der Zuwanderer kennen muss, um sie als europische
Migranten klassifizieren zu knnen; die Herkunft der Zuwanderer ist aber hufig in der
amtlichen Statistik nicht ausgewiesen. Trotz dieser Einschrnkungen lassen sich folgende
Befunde bilanzieren.

119

Schaubild 3.6: Entwicklung des Anteils der EU-Auslnder in acht


europischen Lndern im Verhltnis zur Bevlkerungszahl
(in Prozent; 1999-2006)15
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
20

20

20

20

20

20

20

19

06

05

04

03

02

01

00

99

Quelle: Eigene Berechnung auf der Grundlage der Daten von Eurostat und OECD.

Der Anteil der EU-Auslnder in den ausgewhlten acht Lndern ist insgesamt sehr gering. Er flacht sich im Zeitverlauf sogar langsam ab, um dann
ab 2004 wieder auf das alte, wenn auch sehr geringe Gesamtniveau anzusteigen. Wir wissen allerdings auch, dass die Mobilitt in anderen Lndern der
EU deutlich hher ist, als in den acht Lndern, fr die systematisch Daten
fr eine etwas lngere Zeitphase vorliegen. Nach der Osterweiterung der
EU hat eine Wanderung von Arbeitskrften vor allem aus Polen und den
baltischen Lndern in erster Linie nach England, Irland und Schweden
stattgefunden; diese Lnder hatten keine bergangsfristen fr die Freizgigkeitsregel festgelegt (vgl. Mau & Verwiebe 2009: 287).16
15 Erfasst ist der Anteil der Immigranten aus der EU-15 an der Gesamtbevlkerung in den
Ziellndern sterreich, Belgien, Deutschland, Irland, Niederlande, Portugal, Schweden und
Grobritannien. Die Daten beschrnken sich auf die ausgewhlten Lnder, da Daten fr die
brigen EU-Mitgliedstaaten nur lckenhaft oder gar nicht verfgbar sind.
16 Steffen Mau und Roland Verwiebe (2009: 289) haben auf Grund der schlechten Datenlage
zur Entwicklung der innereuropischen Mobilitt die Entwicklung der Mobilittsbereitschaft
der Brger auf der Basis einer Eurobarometerbefragung ausgewertet. Sowohl im Jahr
2001/2002 als auch im Jahr 2005 wurden die Brger gefragt, ob sie die Absicht haben, in den
nchsten fnf Jahren u. a. ins europische Ausland umzuziehen. Der Anteil der Befragten in
den EU-15-Lndern, die diese Frage bejahten, betrug im Jahr 2001 1,5 %, im Jahr 2005

120

Der Befund einer schwach ausgeprgten innereuropischen Mobilitt gilt in


einem etwas geringeren Mae fr eine Teilgruppe der Bevlkerung, fr die
Studierenden. Aber auch fr diese Gruppe ist es nicht einfach, verlssliche
Daten ber die Entwicklung der innereuropischen Mobilitt zu erhalten.
Viele der Studierenden gehen im Kontext des Erasmus-Programms ins europische Ausland.
Schaubild 3.7: Verlauf der Anzahl der Erasmus-Studierenden
(1987/1988-2006/2007)

19
8
19 7/8
8 8
19 8/8
89 9
19 /9
9 0
19 0/9
91 1
19 /9
9 2
19 2/9
93 3
19 /9
9 4
19 4/9
95 5
19 /9
9 6
1 6/
19 997 97
99 /9
/ 8
20 200
0 0
20 0/0
0 1
20 1/0
02 2
20 /0
0 3
20 3/0
04 4
20 /0
0 5
20 5/0
06 6
/0
7

160000
140000
120000
100000
80000
60000
40000
20000
0

Quelle: Eigene Berechnung auf Grundlage der Daten der Europischen Kommission (European Commission 2008)

Wie das Schaubild 3.7 zeigt, ist der Anteil der Erasmus-Studierenden in
knapp 20 Jahren von ungefhr 3.000 auf fast 150.000 Studierende pro Jahr
angestiegen. Die Kurve berschtzt aber den Anteil der Studierenden im
Ausland, weil die Anzahl der Erasmusstudierenden nicht um die Anzahl der
Studierenden insgesamt gewichtet ist. Verlssliche Daten ber das Verhltnis der Anzahl der Studierenden im europischen Ausland zur Gesamtmenge der Studierenden ber einen lngeren Zeitraum und dies fr mehrere
2,7 %, wobei die Brger aus den baltischen Staaten, aus Polen, Frankreich, Irland, Schweden
und Finnland eine berdurchschnittliche Mobilittsbereitschaft uern. In allen Lndern
(auer Italien) ist der Anteil der Mobilittsbereiten innerhalb der 4 Jahre, die zwischen den
beiden Erhebungspunkten liegen, gestiegen.

121

europische Lnder zu bekommen, ist nicht einfach. Ich habe zumindest fr


drei europische Lnder Dnemark, Deutschland und Spanien die Anzahl der Erasmusstudierenden im Verhltnis zur Gesamtzahl der Studierenden fr den Zeitraum 1998 bis 2007 bestimmt. Das Ergebnis findet sich in
Schaubild 3.8.
Schaubild 3.8: Verlauf des Verhltnisses der Anzahl der Studierenden im
europischen Ausland (Erasmus) im Verhltnis zur Anzahl
der Studierenden in den Lndern Dnemark, Deutschland
und Spanien (in Prozent; 1998-2007).
1,1
1,05
1
0,95
0,9
0,85
0,8
07
20

06
20

05
20

04
20

03
20

02
20

01
20

00
20

99
19

98
19

Quelle: Eigene Berechnung auf der Basis der Daten der Europischen Kommission und von
Eurostat (European Commission 2009; Eurostat Anzahl Studierende o. J.).

Der Anteil der Studierenden, die nicht in ihrem Herkunftsland, sondern im


europischen Ausland mit Hilfe des Erasmusprogramms studieren, ist insgesamt sehr gering. Allerdings hat sich der Anteil innerhalb von 9 Jahren um
20 %, von 0,84 % auf 1,04 %, erhht. Nicht bercksichtigt sind hier Studierende, die nicht ber das Erasmusprogramm in ein anderes europisches
Ausland gehen und solche, die ins Ausland, nicht aber ins europische Ausland gehen. Der Anteil der Studierenden im Ausland, gleichgltig in welchem Land und ber welches Programm organisiert, liegt hher als die in
Schaubild 3.8 ausgewiesenen Zahlen. Im Jahr 2005 haben 2,9 % der deutschen Studierenden im Ausland studiert, in Frankreich waren es 2,5 %, in
England 1,0 % (vgl. Isserstedt & Link 2008).

122

Bilanziert man die empirischen Befunde insgesamt, dann scheint die innereuropische Mobilitt der Brger recht gering zu sein; und sie scheint sich
im Zeitverlauf, auer bei den Studierenden, auch nicht sonderlich verndert
zu haben. Die Mobilitt innerhalb Europas ist damit deutlich geringer als z.
B. innerhalb der USA. Einer der Grnde fr die geringe Mobilitt innerhalb
der EU sind sicherlich die Sprachunterschiede zwischen den Lndern. Ich
komme darauf gleich nochmals zurck.
Bevor ich die Befunde unserer Analysen des Europisierungsprozesses
bilanziere, soll kurz noch auf einen zweiten Entwicklungsprozess eingegangen werden, der die Gesellschaften Europas tief greifend verndert und die
Notwendigkeit der Mehrsprachigkeit befrdert hat.
3.2.5 Globalisierung der Mitgliedslnder der Europischen Union
Die Gesellschaften Europas sind nicht nur durch den europischen Einigungsprozess strker untereinander vernetzt worden, sie sind zugleich im
Kontext von Globalisierungsprozessen ber den europischen Rahmen hinaus transnationalisiert worden. Unter Globalisierung versteht man den Prozess der zunehmenden weltweiten Verflechtung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen: Wirtschaft, Kommunikation, Kultur, Politik etc. (vgl.
Held, McGrew, Goldblatt & Perraton 1999). Europisierung ist insofern ein
Unterfall von Globalisierungsprozessen, als es sich um Transnationalisierungsprozesse handelt, die aber an den Grenzen Europas halt machen, whrend Globalisierungsprozesse auch die Zunahme der Verflechtung ber die
europischen Rahmen hinaus umfassen.
Zur Beschreibung des seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ansetzenden Globalisierungsprozesses liegt nun eine nicht mehr zu berschauende Anzahl von Verffentlichungen vor. Ich beschrnke mich hier zur
empirischen Illustration des stattgefunden Wandels auf die Analyse eines in
der Literatur hufig benutzten Index zur Beschreibung von Globalisierungsprozessen: der KOF-Index der Globalisierung (vgl. Dreher 2006). Die
an der ETH Zrich lokalisierte Arbeitsgruppe hat fr eine Vielzahl von
Lndern fr den Zeitraum 1970 bis 2006 eine groe Anzahl von empirischen Informationen zur Messung der ffnung bzw. Schlieung der verschiedenen Lnder der Erde erhoben. Die Indikatoren werden drei Subdimensionen von Globalisierung zugeordnet:17
17

Vgl. http://globalization.kof.ethz.ch

123

Politische Globalisierung: Anzahl der Botschaften eines Landes, Anzahl


der Mitgliedschaften in internationalen Organisationen, Hufigkeit der
Teilnahme an UN-Missionen, Hufigkeit der Mitzeichnung von internationalen Vertrgen.
Soziale Globalisierung: Anzahl der Kontakte ins Ausland (Telefon,
Briefe, Tourismus, Auslnder in einem Land); Hhe des internationalen
Informationsflusses (Internetnutzer, TV-Anschlsse, Zeitungen); kulturelle Nhe (Anzahl von McDonalds, Anzahl von Ikea, Strke des Buchhandels).
konomische Globalisierung: Strke des konomischen Austauschs
(Exporte, Direktinvestitionen u. a.); Restriktionen fr den freien Handel (Steuern, versteckte Hindernisse, Restriktionen fr auslndisches
Kapital).

Die verschiedenen Indikatoren gehen mit einem unterschiedlichen Gewicht


in die Berechnung der jeweiligen Globalisierungsdimension ein (vgl. Dreher
2006). Auf der Basis der drei Subdimensionen bilden die Autoren zustzlich
einen Summenindex, der alle drei Dimensionen zusammenfasst, Globalisierungsprozesse also insgesamt abzubilden versucht. Die drei Subdimensionen
gehen wiederum mit einem unterschiedlichen Gewicht in die Berechnung
des Summenindex ein. Auf der Basis der im Internet zugnglichen Daten
wurde nun der Prozess der Globalisierung fr neun Mitgliedslnder (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande, Grobritannien, Dnemark und Irland) fr den Zeitraum 1973 bis 2006 berechnet. Wir haben uns auf neun Mitgliedslnder der EU beschrnkt, weil diese
seit der Erhebung des KOF-Index Mitglieder der EU sind und wir entsprechend ber eine relativ lange Zeitreihe verfgen.

124

Schaubild 3.9: Entwicklung der Globalisierung von neun Mitgliedslndern


der EU (1973-2006)
100
95
90
85

G lobalis ierung ins ges amt

80

70

wirts c haftlic he
G lobalis ierung
s oz iale G lobalis ierung

65

politis c he G lobalis ierung

75

60
55
50

06
20
03
20
00
20
97
19
94
19
91
19
88
19
85
19
82
19
79
19
76
19
73
19

Quelle: Eigene Berechnung auf der Grundlage der Daten: http://globalization.kof.ethz.ch/

Wie das Schaubild zeigt, hat in dem Zeitraum von 1973 bis 2006 in den
neun Mitgliedslndern der EU ein dramatischer Globalisierungsprozess
stattgefunden; dies gilt vor allem fr den Bereich der konomischen und
sozialen Globalisierung; der Bereich der Politik hatte zum Zeitpunkt der
ersten Erhebung bereits ein relativ hohes Niveau erreicht, sackt dann im
Zeitraum Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre im Kontext der Auflsung der bipolaren Ordnung ab, um mit Beginn der 90er Jahre ber das
Ausgangsniveau hinaus zu wachsen.
Fassen wir die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen: Solange die Nationalstaaten Europas mit ihrer segmentierten Sprachenordnung relativ geschlossene
Einheiten waren, gab es wenig Anreize, die Sprachen anderer Lnder zu
lernen. Wie ich in diesem Kapitel gezeigt habe, hat sich diese Rahmenbedingung verndert. Ich habe zum einen den Prozess der Europisierung nationalstaatlich verfasster Gesellschaften nachzuzeichnen versucht und dabei
vier verschiedene, miteinander verflochtene Dimensionen der Europisierung unterschieden: den Aufbau eines europischen Institutionensystems,
die territoriale Ausdehnung des Herrschaftsraumes und damit der Sprachen,
die Zunahme von Rechtsregeln zur Herstellung eines europischen Interaktionsraumes und die Zunahme des Grades der Vernetzung der europischen
125

Gesellschaften. Wir hatten weiterhin gesehen, dass die Gesellschaften Europas nicht nur durch den europischen Einigungsprozess strker untereinander vernetzt worden sind, sondern zugleich der Grad der weltweiten Verflechtung in den Dimensionen Wirtschaft, Politik, Kommunikation und Kultur
im Kontext von Globalisierungsprozessen zugenommen hat.
Damit ergeben sich fr die Brger ganz neue Anforderungen und Gelegenheiten, von denen sie aber in einem sehr geringen Mae Gebrauch machen. Die innereuropische Mobilitt der Brger Europas ist sehr niedrig und
deutlich geringer als z. B. innerhalb der USA; sie hat sich auch im Zeitverlauf
nicht sonderlich erhht. Dies mag verschiedene Grnde haben: Zum einen
gilt, dass trotz formaler Freizgigkeitsregel eine Mobilitt in Europa mit einer
Vielzahl von Nachteilen und Transaktionskosten verbunden sein kann, die so
in den USA nicht existieren. Zu diesen Kosten gehren, dass die erworbenen
Bildungsabschlsse zwar formal in einem anderen EU-Land anerkannt werden mssen, faktisch aber hufig als geringwertiger behandelt werden, was
dann hufig zu Einkommenseinbuen und einer niedrigeren beruflichen
Einstufung fhrt. Weiterhin gilt, dass die Renten- und Sozialleistungsansprche, obwohl rechtlich geregelt, hufig nur mhsam von einem in das andere
Land transferierbar sind (vgl. Mau & Verwiebe 2009: 288). Schlielich und
ganz entscheidend kommen die sprachlichen Unterschiede hinzu. Um in
einem anderen Land zu arbeiten, muss man in aller Regel die Sprache des
Landes beherrschen. Gerade diese Vorraussetzung scheint fr viele Brger
nicht gegeben, wie in den empirischen Analysen zu sehen sein wird. Sie knnen damit die Chancen, die sich durch die Prozesse der Europisierung und
Globalisierung ergeben haben, nur in einem geringen Mae nutzen.
3.3

Die Sprachpolitik der Europischen Union

Die Mitgliedslnder der EU sind im Kontext ihrer nationalstaatlichen Formierung durch eine Entwicklung der sprachlichen Homogenisierung gegangen, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben. Aus diesem historischen, bis
heute institutionalisierten Erbe ergibt sich die nach Nationalstaaten gegliederte segmentierte Sprachenstruktur Europas. Zugleich sind die Nationalstaaten Europas durch Prozesse der Europisierung und Globalisierung
geffnet worden; eine Partizipation der Menschen an den neu entstandenen
transnationalen Rumen wird erheblich erleichtert, wenn sie die Sprachen

126

sprechen, die in den anderen Lndern gesprochen werden. Die Entstehung


der Nationalstaaten lehrt uns, dass die Politik einen mageblichen Einfluss
auf die Frage hat, welche Sprachen die Brger lernen und sprechen. Entsprechend mchte ich im Folgenden die Sprachenpolitik der Europischen
Union genauer analysieren.
Die Sprachenpolitik der EU ist durch drei Merkmale gekennzeichnet
(vgl. Phillipson 2003: 105-138; Castiglione & Longman 2007): Im Unterschied zu den Nationalstaaten betreibt die Europische Union keine Politik
der sprachlichen Homogenisierung der Mitgliedslnder durch Frderung
einer einheitlichen lingua franca, die dann fr die Europische Union
verbindlich wre. Die EU akzeptiert die Amtssprachen ihrer Mitgliedslnder
als ihre eigenen Amtssprachen. Die Mehrsprachigkeit der EU ist damit konstitutives Merkmal der Europischen Union (1). Die EU akzeptiert nicht nur
die Amtssprachen der Mitgliedslnder als ihre eigenen Sprachen, sie schtzt
und frdert darber hinaus die Minderheitensprachen innerhalb der Nationalstaaten ihrer Mitgliedslnder und frdert damit nochmals die sprachliche
Heterogenitt Europas (2). Zugleich frdert die Europische Union durch
eine Vielzahl von Programmen die Mehrsprachigkeit ihrer Brger zur Verbesserung der Integration Europas (3). Ich werde die drei Merkmale der
Sprachpolitiken der EU jeweils beschreiben und versuchen, die Grnde,
warum die Sprachpolitik so und nicht anders ausfllt, zu rekonstruieren.
3.3.1 Akzeptanz der Multilingualitt
Whrend die EU in vielen Politikbereichen auf eine Homogenisierung und
Konvergenz der Mitgliedslnder drngt einen einheitlichen Markt, eine
einheitliche Whrung, eine Vereinheitlichung des Rechts etc. , gilt dies fr
die Sprachenpolitik gerade nicht. Die Akzeptanz der Vielsprachigkeit der
EU ist vertragsrechtlich eindeutig verbrieft. Diese Festlegung geht zum einen auf die Rmischen Vertrge zurck, zum anderen auf eine Verordnung
von 1958 (vgl. zusammenfassend Truchot 2003; Kraus 2004: 134 ff.; Ammon 2006). In den Rmischen Vertrgen ist das Verfahren festgehalten, wie
innerhalb der EU ber die Sprachenfrage entschieden wird. Der Europische Rat entscheidet ber die Sprachen nach dem Prinzip der Einstimmigkeit. Die Frage der Sprachregelung gehrt damit zu den Bereichen, die konsensuell zwischen allen Regierungen beschlossen werden mssen. Eine nderung der jetzt geltenden Regelungen zu erreichen, ist fast aussichtslos,

127

weil jedes der 27 Mitgliedslnder ein Veto-Spieler ist. Hinzu kommt, dass
die meisten der Mitgliedslnder dem Erhalt der Mehrsprachigkeit eine sehr
groe Bedeutung beimessen. Insofern kann man sich nicht vorstellen, dass
eines der Mitgliedslnder freiwillig darauf verzichten wird, dass seine
Sprache nicht eine Amtssprache der EU sein soll.
Whrend das Verfahren der Festlegung der Amtssprachen in den Rmischen Vertrgen kodifiziert wurde, sind die inhaltlichen Festlegungen,
welche Sprachen in welchen Kontexten zugelassen sind, durch die Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage fr die Europische Wirtschaftsgemeinschaft vom Rat 1958 beschlossen worden. Ursprnglich war
in der Verordnung nur von vier Amtssprachen die Rede; mit der Erweiterung der EU wurden auch die anderen Amtssprachen in die Verordnung
aufgenommen. Die Verordnung besteht aus acht Artikeln (Rat der Europischen Wirtschaftsgemeinschaft 2007).
Artikel 1: Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Union
sind Bulgarisch, Dnisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Franzsisch,
Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederlndisch,
Polnisch, Portugiesisch, Rumnisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch,
Spanisch, Tschechisch und Ungarisch.
Artikel 2: Schriftstcke, die ein Mitgliedstaat oder eine der Hoheitsgewalt eines
Mitgliedstaates unterstehende Person an Organe der Gemeinschaft richtet,
knnen nach Wahl des Absenders in einer der Amtssprachen abgefasst werden. Die Antwort ist in derselben Sprache zu erteilen.
Artikel 3: Schriftstcke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedstaat
oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person
richtet, sind in der Sprache dieses Staates abzufassen.
Artikel 4: Verordnungen und andere Schriftstcke von allgemeiner Geltung
werden in den Amtssprachen abgefasst.
Artikel 5: Das Amtsblatt der Europischen Union erscheint in den Amtssprachen.
Artikel 6: Die Organe der Gemeinschaft knnen in ihren Geschftsordnungen
festlegen, wie diese Regelung der Sprachenfrage im Einzelnen anzuwenden ist.

128

Artikel 7: Die Sprachenfrage fr das Verfahren des Gerichtshofes wird in dessen Verfahrensordnung geregelt.
Artikel 8: Hat ein Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen, so bestimmt sich der
Gebrauch der Sprache auf Antrag dieses Staates nach den auf seinem Recht
beruhenden allgemeinen Regeln. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen
verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Die Sprachenverordnung von 1958 ist bis heute gltig. Die Gleichbehandlung aller europischen (Amts-)Sprachen ist damit das erste und zentrale
Ziel der EU-Sprachpolitik. Smtliche nationalen Amtssprachen der Mitgliedslnder sind zugleich auch die Amtssprachen der EU. Eine Ausnahme
bildet hierbei das Luxemburgische, da die Regierung des Landes freiwillig
darauf verzichtet hat, Luxemburgisch zur Amtssprache der EU zu machen.
Insgesamt gibt es damit 23 Amtssprachen bei 27 Mitgliedslndern: Bulgarisch, Dnisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Franzsisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederlndisch,
Polnisch, Portugiesisch, Rumnisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch,
Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. Wie ich in der Einleitung erwhnt
habe, sind manche Sprachen Amtssprachen in zwei Lndern zugleich (Flmisch in den Niederlanden und in Belgien, Franzsisch in Frankreich und in
Belgien, Deutsch in sterreich und in Deutschland, Griechisch auf Zypern
und in Griechenland); deswegen ist die Anzahl der Amtssprachen (23) nicht
identisch mit der der Mitgliedslnder (27). Die aus Nationalstaaten gebildete
EU bleibt damit bezglich ihrer sprachlichen Konfiguration in hohem Mae
segmentr differenziert.
Peter A. Kraus (2004: 137) hat darauf hingewiesen, dass die EU mit ihrer Politik der Anerkennung der Amtssprachen ihrer Mitgliedslnder sich
von anderen internationalen Organisationen unterscheidet. Die ASEANStaaten benutzen zum Beispiel allein Englisch als ihre Amtssprache, die
NATO Englisch und Franzsisch. Obwohl die Vereinten Nationen eine
Weltorganisation mit mittlerweile 191 Mitgliedslndern sind, sind nur sechs
Sprachen als Amtssprachen zugelassen: Dies sind Arabisch, Chinesisch,
Englisch, Franzsisch, Russisch und Spanisch. Diese Regelung ist im Jahr
1946 von der Generalversammlung festgelegt worden. Amtssprache bedeutet, dass alle Dokumente (Resolutionsentwrfe, Protokolle, Berichte) in den
Amtssprachen verfasst und dass alle Sitzungen von und in die Amtssprachen bersetzt werden mssen. Zwei von den sechs Amtssprachen Eng129

lisch und Franzsisch sind als Arbeitssprachen zugelassen. Dies bedeutet,


dass alle organisationsinternen Arbeitsablufe (mndlich wie schriftlich) in
diesen beiden Sprachen ablaufen mssen.
Die Akzeptanz der Amtssprachen der Mitgliedslnder als Amtssprachen der EU und der Verzicht auf eine Politik zur Frderung einer lingua
franca ist mit entsprechenden Folgen fr die Kommunikation innerhalb
der EU-Institutionen verbunden. Wie die Verordnung von 1958 festschreibt, mssen alle Gesetze, Dokumente und Verordnungen in allen 23
Amtssprachen abgefasst werden; und auch die Brger und die Nationalstaaten knnen sich in ihrer Sprache an die EU wenden und haben das Recht, in
ihrer Sprache eine Antwort zu erhalten; auch die Informationsseiten der EU
sind in allen Amtssprachen verfasst.
ber die Arbeitssprachen, die die Institutionen intern verwenden, entscheiden die jeweiligen Geschftsordnungen (Schumann-Hitlzer & Ostarek
2005: 21). Im Folgenden beschreibe ich kurz, wie die einzelnen Institutionen
die Sprachvielfalt handhaben. Man bekommt darber einen Eindruck, mit
welchen gewaltigen Transaktionskosten das Prinzip der Vielsprachigkeit
verbunden ist. Die Sprachdienstleistungen der EU-Institutionen kosten die
EU ca. 1,1 Mrd. Euro pro Jahr (Website der Generaldirektion bersetzung
2007).
EU-Kommission: Seit 2001 gebraucht die Kommission Deutsch, Englisch
und Franzsisch als interne Arbeitssprachen (Peterson und Shackleton
2006: 61), wobei Englisch und Franzsisch bevorzugt werden (Ozvalda
2005: 66f.; Schumann-Hitzler & Ostarek 2005: 21). Erst wenn Entscheidungsprozesse abgeschlossen sind, erfolgt die bersetzung in die anderen
Amtssprachen (ebd.). Die Generaldirektionen bersetzung und Dolmetschen sind fr die Kommission und die anderen Organe der EU, auer dem
Parlament und dem Gerichtshof, zustndig (Mickel & Bergmann 2005: 33).
Allein die Generaldirektion bersetzung beschftigt 2.350 Mitarbeiter und
hat ein jhrliches Budget von etwa 280 Millionen Euro (Generaldirektion
bersetzung 2007). Sie ist damit der grte bersetzungsdienst der Welt.
Rund 15 % aller Bediensteten der Kommission gehren zum Sprachendienst (Mickel und Bergmann 2005: 33). Um die bersetzungsdienste der
Institutionen zu entlasten, wurde 1994 das bersetzungszentrum fr die
Einrichtungen der Europischen Union (CdT) eingerichtet.

130

Der Europische Rat: In allen Sitzungen des Europischen Rates wird aus
und in alle Amtssprachen bersetzt. Alle Dokumente werden dem Rat ebenfalls in allen Amtssprachen vorgelegt (Mickel & Bergmann 2005: 32).
Der Rat der Europischen Union: Alle Dokumente, ber die der Europische Rat bert, werden in alle Amtssprachen der EU bersetzt. Bei den
Sitzungen des Rats wird aus und in alle Sprachen gedolmetscht (vgl. Homepage des Rats der Europischen Union). Bei informellen Treffen scheint
sich aber die 3+1-Lsung (Englisch, Franzsisch, Deutsch + Sprache der
Ratsprsidentschaft) durchzusetzen (Ozvalda 2005). Im Ausschuss der
Stndigen Vertreter (ASTV) gilt das Drei-Sprachen-Regime (Englisch, Franzsisch, Deutsch). In den Ratsarbeitsgruppen der Fachbeamten wird in alle
Amtssprachen bersetzt, wenn ein Gesetz vorbereitet wird. In der berwiegenden Zahl der Gruppen werden nur fnf EU-Sprachen gedolmetscht
(Englisch, Franzsisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch). In 45 Gruppen
wird auf Dolmetschung ganz verzichtet und nur Englisch und/oder Franzsisch gesprochen. Fr die Ratsarbeitsgruppen wird das sog. Marktmodell
angewandt, d. h. dass sich die Mitgliedsstaaten im Einzelfall fr oder gegen
eine eigene bersetzung aussprechen, sich aber an den Kosten mitbeteiligen
(Mickel & Bergmann 2005: 32). Whrend der Rat der Europischen Union
fr das Dolmetschen auf die Generaldirektion Dolmetschen zurckgreift,
verfgt er auch ber einen eigenen Sprachendienst des Generalsekretariats
des Rates mit mehr als 700 bersetzern.
Der Europische Gerichtshof: Bei Klagen vor dem EuGH ist die Sprache
der Klageschrift Verfahrenssprache, soweit es sich um eine der EU-Amtssprachen handelt. In Vorabentscheidungssachen wird die Sprache des nationalen Gerichts, das den Gerichtshof anruft, zur Verfahrenssprache. In den
Sitzungen werden die Verhandlungen je nach Bedarf in verschiedene Amtssprachen der Europischen Union simultan bersetzt (Website des EuGH).
Als Arbeitssprache wird allein Franzsisch verwendet (Weidenfeld 2006:
408). Der EuGH verfgt ber eine Direktion Dolmetschen und eine Direktion bersetzung. Anfang 2006 gehrten der Direktion bersetzung des
Gerichtshofes 796 Mitarbeiter an, die alle mindestens drei Sprachen sprechen
und voll ausgebildete Juristen sein mssen. Dies entspricht ca. 45 % des Personals des Gerichtshofs.

131

Das Europische Parlament: Die Geschftsordnung des Europischen


Parlaments legt fest, dass alle Schriftstcke des Parlaments in allen Amtssprachen verfasst werden. Weiterhin haben alle Parlamentsmitglieder das
Recht, in ihrer (Amts-)Sprache zu sprechen und alle anderen Amtssprachen
in diese Sprache simultan gedolmetscht zu bekommen. Dies gilt ebenso fr
die Amtssprachen der Anwesenden in Ausschuss- und Delegationssitzungen, dies kann jedoch unter Einverstndnis der Mitglieder in Ausnahmefllen umgangen werden (Art. 138 Geschftsordnung des Europischen Parlaments). Das Europische Parlament hat sich in besonderer Weise der Vielsprachigkeit verschrieben. Auf der Homepage wird dazu erklrt: In Bezug
auf das Dolmetschen unterscheidet sich das Europische Parlament von den
anderen Organen der EU dadurch, dass in der tglichen Arbeit das Prinzip
der umfassenden kontrollierten Mehrsprachigkeit eingehalten wird. Um
Engpsse in der bersetzung zu umgehen, hat das Europische Parlament
ein System von Relais-Sprachen eingefhrt, d. h. dass Texte zunchst in
die gebruchlichsten Sprachen bersetzt werden (Englisch, Franzsisch oder
Deutsch). Lngerfristig knnten noch weitere Sprachen der Gemeinschaft
(Spanisch, Italienisch und Polnisch) ebenfalls zu Relais-Sprachen werden.
Das Parlament beschftigt einen eigenen bersetzungsdienst mit ca. 700
bersetzern.
Die kurzen Beschreibungen mgen gengen, um aufzuzeigen, dass das
Prinzip der Akzeptanz der Multilingualitt mit recht hohen Kosten verbunden ist. Diese manifestieren sich vor allem in finanziellen Kosten, dann in
Zeitkosten, da jede bersetzung mit Verzgerungen verbunden ist. Gerade
bei der Verfassung von Entwrfen, die z. B. von mehreren Europaabgeordneten in das Parlament eingebracht werden sollen, erweist sich eine bersetzung als zu kompliziert und trge. Die Entwrfe ndern sich dauernd und
sind das Resultat eines dichten Interaktionsprozesses (vgl. Wright 2007:
161). Gleiches gilt fr Versuche, andere Abgeordnete von einer bestimmten
Position im Vorfeld einer Debatte zu berzeugen. Dazu bedarf es eines
persnlichen Gesprchs und dies ist deutlich einfacher mglich, wenn man
die gleiche Sprache spricht. Hinzu kommt, dass gerade in parlamentarischen
Debatten die Lebhaftigkeit des unmittelbaren Austauschs von Argumenten
unter den Bedingungen des Dolmetschens sehr leidet. Schlielich birgt jede
bersetzung und jedes Dolmetschen ein Fehlerrisiko. Die zum Teil witzigen
Fehler, die dabei zu Stande kommen knnen, sind dann meist eine Presse-

132

berichterstattung wert. In einem Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT


vom 17. Juni 1999 nennt die Autorin Daniela Weingrtner unter der berschrift Capito? Verstanden? Compris? folgende Beispiele: Die transports
internationals routiers, auf den Lastwagen T.I.R. abgekrzt, bersetzte ein deutscher Abgeordneter als TiR-Transporte. In der Kabine wurden daraus Tiertransporte: transports des animaux. Ein britischer Abgeordneter verglich das
Tempo in einer hitzigen Debatte mit dem Rafting auf wilden Flssen: shooting rapids (Stromschnellen). Doch die deutsche Dolmetscherin hrte rabbits
Kaninchen. Darauf wnschte ein deutscher Abgeordneter zur Verwirrung
des Redners: Waidmannsheil! Und als das Parlament den Rat der Weisen
(Franzsisch: sages) einsetzen wollte, um Missstnde bei der Kommission
aufzudecken, wurde aus den Drei Weisen (trois sages) die Drei Affen
(trois singes). (Weingrtner 1999).18
Exkurs: Rechtliche Regelungen und empirische Praxis
1. Auch wenn de jure alle Amtssprachen der Mitgliedslnder der EU einen
gleichberechtigten Status genieen und nur drei Arbeitssprachen zugelassen
sind, hat sich in der Alltagspraxis der Interaktionen innerhalb der Institutionen der EU eine Asymmetrie in der Nutzung verschiedener Sprachen herausgestellt. In der Anfangsphase der EG verlief die Kommunikation vor
allem auf Franzsisch und dies aus folgenden Grnden (vgl. Truchot 2003):
Franzsisch war die meist gesprochene Sprache in den sechs Grndungslndern (Amtssprache in drei Lndern (Frankreich, Belgien und Luxemburg)
und die am strksten verbreitete Fremdsprache in den anderen Lndern).
Die wichtigsten Institutionen der EU waren und sind in Brssel und Luxemburg platziert, in Lndern also, in denen Franzsisch Amtssprache ist.
Grobritannien war noch nicht Mitglied der EU, so dass Englisch keine
Amtssprache war.
18 Dass der Versuch ohne bersetzung auszukommen und in Englisch zu kommunizieren,
auch dann wenn Englisch nicht die Muttersprache ist, auch nicht fehlerfrei funktioniert und
zu amsanten Missverstndnissen fhren kann, zeigt folgendes Beispiel. Eine weibliche, neu
berufene dnische Ministerin, die das erste Mal an einer Ratssitzung teilnahm und gleich den
Vorsitz bernehmen musste, erffnete die Sitzung auf Englisch mit der Bemerkung, Sie sei
not fully in command of things because she was just at the beginning of her period (zitiert
in Phillipson 2003: 140). At the beginning of her period bedeutet, dass der Menstruationszyklus gerade begonnen hat.

133

Mit der Aufnahme neuer Mitglieder ist Englisch zunehmend zur dominanten Sprache geworden (vgl. zusammenfassend auch Kraus 2004: 141ff.;
Ammon 2006). In einer im Jahr 1990 durchgefhrten Umfrage unter (hheren) Beamten und Abgeordneten der Europischen Gemeinschaft (EG)
kommt Michael Schlomacher zu folgendem Ergebnis: Die Sprachen der
Beamten der EG-Organe sind also in allen Funktionen Englisch und Franzsisch, alle anderen spielen nur eine marginale Rolle (Schlomacher 1994:
112). Claude Truchot (2003: 104) hat auf der Basis verschiedener verfgbarer Daten die Entwicklung der Sprachen, in denen die von der Kommission
verfassten Dokumente formuliert sind, rekonstruiert. Hier zeigt sich eine
deutliche Bedeutungszunahme des Englischen im Zeitverlauf (1986 bis
1999).
Tabelle 3.3: Sprachen, die in Texten der Europischen Kommission benutzt
wurden (in Prozent)
Jahr
Franzsisch
1986
58
1989
49
1991
48
1996
39
1997
40
1998
37
1999
35
Quelle: Truchot 2003

Englisch
26
30
35
45
45
48
52

Deutsch
11
9
6
5
5
5
5

Andere
5
12
11
12
12
10
8

Die Dominanz des Englischen in der internen Kommunikation wird sich


seit der Aufnahme von 12 mittel- und osteuropischen Lndern in den Jahren 2004 und 2007, deren Sprachen dann jeweils zu Amtssprachen wurden,
nochmals enorm verstrkt haben. Zumindest lsst sich dies schlussfolgern,
wenn man die von Abram de Swaan entwickelte Q-Value Theory zu
Grunde legt. Mit der Mitgliedschaft der neuen Lnder hat sich zwar der
Anteil derer, die Englisch als Muttersprache sprechen, nicht erhht, wohl
aber hat der Anteil derer, die Englisch und keine andere Fremdsprache
sprechen, enorm zugenommen. Das fhrt zu der einfachen Schlussfolgerung: The more languages, the more English (de Swaan 2001b).

134

2. Mit welchen Folgen die Dominanz bestimmter Sprachen innerhalb der


Institutionen der EU verbunden ist, ist bis dato noch nicht hinreichend gut
erforscht worden. Man kann aber von folgenden Effekten ausgehen.
a) Die Dominanz bestimmter Sprachen benachteiligt diejenigen Personen
und Interessengruppen in der Definition der politischen Agenda, die diese
Sprache nicht hinreichend gut genug sprechen: Eine Untersuchung von
Netzwerken unter den Parlamentariern fhrte 1996 zu der Erkenntnis, dass
relationships were dictated by language competences, that informal information flows were truncated by language barriers, and that negotiation in
unofficial settings was constrained for MEPs with no or little knowledge of
English or French (Wright 2000; zitiert nach Wright 2007: 151). Die bersetzung von Arbeitspapieren in die kleinen Sprachen dauert lnger, kommt
spter und behindert damit die Vorbereitung (Wright 2007: 157). Zudem
behindert es die informelle Vernetzung und hat damit einen Einfluss auf die
Chance, die eigenen Interessen durchzusetzen. Dies gilt zum Beispiel fr die
italienischen Abgeordneten The Italians punch below their weight (Wright
2007: 160) und dies aufgrund ihrer geringen Fremdsprachenkompetenz.
b) Die Dominanz bestimmter Sprachen kann einen selektiven Einfluss auf
die Rekrutierung der Europaabgeordneten haben. Die Tatsache, dass sehr
gute Sprachkenntnisse die Durchsetzungsmglichkeiten von Interessen erhhen, fhrt dazu, dass in Antizipation dieser Bedingung in den Nationalstaaten Abgeordnete fr das Europaparlament nominiert werden, die diese
Fhigkeiten besitzen. Dies hat zur Folge, dass bestimmte Personen, vor allem
Personen aus den hheren Bildungsschichten, eine deutlich hhere Chance
haben, Europaabgeordnete zu werden. Dies wiederum verstrkt den bereits
auf der Ebene der nationalen Parlamente existierenden bias, so dass die
oberen Schichten im Europaparlament deutlich berreprsentiert sind. Unter
demokratietheoretischen Gesichtspunkten betrachtet ist dies eine problematische berreprsentanz bestimmter Schichten einer Gesellschaft.
Exkurs Ende
Die Tatsache, dass das Prinzip der Gleichberechtigung aller Amtssprachen
beziehungsweise der drei Arbeitssprachen unter der Hand in der Praxis verletzt wird, hat in der Vergangenheit immer wieder zu Protesten der nationalen Regierungen gefhrt. Fr viele Mitgliedslnder der EU, vor allem aber fr

135

Lnder, deren Sprachen relativ weit verbreitetet sind (Deutsch, Franzsisch,


Italienisch und Spanisch), lassen sich diesbezglich Beispiele finden, die zeigen, wie die nationalen Regierungen darauf bestehen, dass ihre Sprache nicht
benachteiligt wird (Ammon 2006). Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard
Schrder hatte 1999 einen massiven Konflikt mit der damaligen finnischen
Ratsprsidentschaft entfacht, weil diese bei den informellen Treffen der Regierungschefs Deutsch nicht als Arbeitssprache zulassen wollte; Schrder
hatte mit seinem Fernbleiben gedroht (Forsberg 2000: 14).
Der ehemalige Prsident Frankreichs, Jacques Chirac verlie 1999 bei
einem Treffen der Regierungschefs der EU wutentbrannt den Raum, weil
ein franzsischer Unternehmensvertreter seine Frage an ihn auf Englisch
und nicht auf Franzsisch gestellt hatte. Chirac erklrte spter, dass er ber
die Tatsache, dass sein Landsmann ihn in einer fremden Sprache angesprochen habe, tief geschockt gewesen sei (vgl. BBC 2006). Der Unternehmervertreter begrndete die Sprachwahl mit der Tatsache, dass die meisten im
Raum des Englischen, nicht aber des Franzsischen mchtig gewesen seien.
Dass es Chirac mit seiner Reaktion um die Behauptung der franzsischen
sprachlichen Souvernitt gegangen war und nicht etwa um persnliche
Verstndigungsprobleme mit dem Englischen kann man vermuten, weil
Chirac als ehemaliger Harvard-Student des Englischen mchtig ist.
Der Deutsche Bundesrat und Bundestag haben gegenber der Kommission immer wieder und zuletzt in scharfen Tnen angemahnt, dass
Deutsch gleichberechtigt mit Englisch und Franzsisch zu behandeln sei;
der letzte Antrag des Bundestags in dieser Angelegenheit aus dem Jahr 2008
ist von Union, SPD, Grnen und FDP gemeinsam gestellt worden; in diesem Punkt sind sich also alle Parteien einig. Eine hnliche Forderung des
Bundestages vom 7.11.2008, die an die Kommission gerichtet war, wurde
ebenfalls von allen Mitgliedern des Bundesrats verabschiedet.
Ein eindruckvolles Beispiel fr die symbolische Bedeutung der Sprachenfrage fr die nationale Identitt ist auch das Irische. Obwohl Irland
bereits seit 1973 Mitglied der EU ist, ist Irisch (Gaeilge) erst seit 2007 eine
offizielle Amtssprache der EU. Der Anteil der Iren, der Gaeilge im Alltag
spricht, ist gering. Die Rckbesinnung auf Gaelige als eigene Sprache ist
eher ein Projekt der Eliten zur Erfindung ihrer eigenen, von Grobritannien
sich unterscheidenden Geschichte. Welche Verrcktheiten damit verbunden sind, mag folgendes Beispiel illustrieren. Von den 13 irischen Abgeordneten im Europischen Parlament sprechen nur vier berhaupt Irisch; diese

136

benutzen ihre Sprache im Parlament, um ihre nationale Besonderheit symbolisch zum Ausdruck zu bringen. Die anderen irischen Abgeordneten mssen ihre angebliche Muttersprache erst noch lernen. Dazu bietet das Europische Parlament besondere Kurse an (vgl. dazu Borovsky & Hartig 2008).
Die Beispiele illustrieren, wie wichtig den Nationalstaaten die Anerkennung ihrer Amtssprache als Amtssprache der EU ist. Dies leitet zur Frage
ber, wie man das Festhalten am Prinzip der Multilingualitt der EU erklren kann. Die EU-Politik, alle existierenden Amtssprachen der Mitgliedslnder zugleich als gleichberechtigte Amtssprachen der EU zu behandeln, erklrt sich aus der Tatsache, dass die Mitgliedslnder der EU nicht bereit
sind, sprachliche Souvernittsrechte aufzugeben. Warum sind sie dazu
nicht bereit? In der Politikwissenschaft unterscheidet man zwischen so genannten high politics und low politics (Hoffmann 1966). Die Bereiche,
die unmittelbar den Kern nationaler Souvernitt berhren, wie z. B. die
Auen- und Verteidigungspolitik, werden zu den high politics gezhlt. Fr
diese Felder gilt, dass die Nationalstaaten nicht oder nur in geringem Mae
bereit sind, Souvernittsrechte an supranationale Institutionen zu delegieren. Tun sie dies trotzdem, dann bewahren sie sich in der Regel eine VetoOption, so dass sie nicht durch andere Lnder berstimmt werden knnen.
Bereiche der low politics sind diejenigen Politikfelder, die nicht zum
Kernbestand nationalstaatlicher Politik gehren; in diesen Bereichen sind
die Nationalstaaten eher bereit, Souvernittsrechte aufzugeben. Die intergouvernementalistische Theorie der europischen Integration interpretiert
mit der skizzierten begrifflichen Unterscheidung den Prozess der Entstehung der EU vor allem als Prozess der Integration von Bereichen der low
politics (Hoffmann 1966; Moravcsik 1993; 1998).
Die Tatsache, dass jeglicher Versuch, die Amts- oder Arbeitssprachen
der EU vielleicht zu reduzieren, auf den massiven Widerstand der Nationalstaaten stt, die Nationalstaaten sich selbst fr den Versuch einer nderung der Sprachenordnung eine Veto-Option vorbehalten haben, deutet
darauf hin, dass es sich bei der Sprachenpolitik um ein Feld der high politics handelt, genauer msste man sagen: um ein Feld interpretierter high
politics. Denn in der Sprachenfrage geht es nicht um ein Thema, an das
Intergouvernementalisten denken, wenn sie von den Kernbereichen des
Staates sprechen; dazu gehren eher die Politikfelder, in denen es um Sicherheit, Interessen, Ressourcen, Machtoptionen etc. geht, also um harte
Interessen. In der Sprachenfrage geht es, und hier greife ich auf die im Kapi-

137

tel II explizierten Begriffe zurck, nicht um die Vergesellschaftungs- sondern um die Vergemeinschaftungsfunktion von Sprache, um die symbolische Dimension. Die Nationalstaaten interpretieren ihre jeweilige Nationalsprache als ein zentrales Merkmal ihrer Identitt, und sie messen dieser Interpretation eine sehr hohe Bedeutung zu; damit wird das Thema sprachliche Souvernitt zu einem Thema der gedeuteten high politics. Und die Mitgliedslnder sind bereit, sich diese Symbolik etwas kosten zu lassen, wie die
enorm hohen Transaktionskosten, die durch die Multilingualitt entstehen,
zeigen.
3.3.2 Schutz und Strkung der Minderheitensprachen
Die EU akzeptiert nicht nur die Amtssprachen der Mitgliedslnder als ihre
eigenen Sprachen, sie schtzt darber hinaus, wenn auch in eingeschrnktem Mae, die Minderheitensprachen innerhalb ihrer Mitgliedslnder und
frdert damit nochmals die sprachliche Heterogenitt Europas. Die Politik
des Schutzes und der Strkung der Minderheitensprachen hat dabei aber
einen deutlich geringeren rechtlichen Stellenwert als die Politik der Akzeptanz der Amtssprachen; Minderheitensprachen sind weder Amts- noch Arbeitssprachen der EU. Der Schutz der Minderheitensprachen ist zudem
deutlich umstrittener. Whrend die Institutionen der EU und vor allem das
Europische Parlament im Kontext einer weltweiten Debatte ber den
Schutz von Minderheiten auch die Rechte der Minderheiten in den Mitgliedslndern zu strken versuchen, sind die Mitgliedsstaaten, vor allem
diejenigen, die innerhalb ihres Territoriums grere sprachliche Minderheiten beherbergen, deutlich reservierter gegenber einer Frderung von Minderheitensprachen. Sie interpretieren die Strkung der Rechte der Minderheiten als einen Versuch, die nationale sprachliche Identitt zu untergraben.
Diese Konfliktlage erklrt, warum die Frderung der Minderheitensprachen
innerhalb der EU ambivalent ausfllt. Betrachtet man aber die Entwicklung
im Zeitverlauf, dann sieht man, dass es eine deutliche Zunahme der Bedeutung des Schutzes der Minderheitensprachen gegeben hat. Wie ist der
Schutz der Minderheitensprachen rechtlich verankert und mit welchen Mitteln werden die Minderheitensprachen von der EU gefrdert (1) und wie
kann man die Bedeutungszunahme in der Frderung der Minderheitensprachen erklren (2)?

138

1. In mehreren Vertrgen und Gesetzestexten gibt es Ansatzpunkte, die sich


als Aufforderung, Minderheitensprachen aktiv zu schtzen, interpretieren
lassen. Eine der Grundlagen, auf die sich die Politik zum Schutz von Minderheitensprachen sttzt, ist Artikel 151 des Maastrichter Vertrags, der die
Frderung der Kultur zu einer Aufgabe der Europischen Union macht (Vizi
2003: 53). Dabei ist allerdings offen, ob die Minderheitensprachen unter den
Bereich der Kultur fallen. Etwas prziser fllt die Charta der Menschenrechte
der EU aus dem Jahr 2000 aus. In Artikel 22 heit es: Die Union achtet die
Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. (Europische Gemeinschaft
2000). In der Antidiskriminierungsrichtlinie wiederum sind die Sprachen als
Diskriminierungsmerkmal nicht explizit erwhnt; genannt werden Religion,
Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung. Die rechtliche Uneindeutigkeit erffnet einen Spielraum fr Interpretationen, der von
den Akteuren der EU unterschiedlich genutzt wurde.
Im Kontext des Ost-Erweiterungsprozesses wurde dem Schutz von
Minderheiten und auch der Minderheitensprachen eine groe Bedeutung
beigemessen (Heidbreder 2004: 480). Der EU wurde dabei die Anwendung
doppelter Standards vorgeworfen, da beispielsweise die Europische Charta
der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates oder das Rahmenabkommen des Europarates ber den Schutz der europischen Minderheiten von einigen Mitgliedsstaaten selbst nicht unterschrieben bzw. ratifiziert wurde (Heidbreder 2004a; Vizi 2003: 50), zugleich aber die neuen Mitgliedslnder unter Druck gesetzt wurden, die Minderheiten und deren Sprachen strker zu schtzen.
Zum key player (Shuibhne 2007: 129) im Bereich der Minderheitensprachpolitik gehrt das Europaparlament. Das Parlament rief in den 1980er
Jahren die Kommission in drei Resolutionen (Arf-Resolutionen 1981 und
1983; Kuijpers-Resolution 1987) zum Schutz von Minderheitensprachen auf
(Shuibhne 2007: 129). Natrlich sind solche Resolutionen nicht bindend,
immerhin kann aber die Grndung des Europischen Bros fr die weniger
verbreiteten Sprachen (EBLUL) im Jahr 1981 und der Bericht ber sprachliche Minderheiten des Istituto della Enciclopedia Italiana (1986) auf diese
Initiativen zurckgefhrt werden (Shuibhne 2007: 129). Wichtiger ist allerdings, dass bereits 1988 eine Million ECU fr die Frderung der Minderheitensprachen vom Parlament ins Budget aufgenommen wurden (Vizi 2003:
56). Der jhrliche Haushaltsposten von bis zu 4 Millionen Euro wurde zwar
2000 vom Europischen Gerichtshof aufgrund seiner unklaren gesetzlichen

139

Grundlage gestrichen, allerdings kommt ein niedrigerer Betrag unter einer


anderen Budgetlinie weiterhin den Minderheitensprachen zu Gute (Strubell
2007: 171). Wohl als Reaktion auf Maastricht und zum Abschluss des Europischen Jahrs der Sprachen wiederholte das Parlament 1994 und 2001 in
weiteren Beschlssen die Forderung nach mehr Schutz fr Minderheitensprachen und Finanzierung sowie Gesetzesinitiativen in diesem Bereich
(Shuibhne 2007: 130). Der sogenannte Ebner-Report 2003, in dem das Parlament zum wiederholten Male die nachhaltige Finanzierung und including
regional and lesser-used languages in language education programmes
(Shuibhne 2008: 127) fordert, ist eine solche Initiative.
Die Kommission beschrnkt sich vor allem auf die Untersttzung von
Projekten und Organisationen zum Schutz der Minderheitensprachen.
EBLUL, die Untersttzung der Minderheitensprachen whrend des Europischen Jahrs der Sprachen, die Untersttzung der Online-Nachrichtenagentur Eurolang, die auf Minderheitensprachen spezialisiert ist oder die Publikation verschiedener Studien wie EUROMOSAIC (1996) knnen in diesem
Rahmen genannt werden (Vize 2003; vgl. Grin & Moring 2002; Nic Craith
2008). Im Aktionsplan zur Frderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt fr 2004-2006 bezieht die Kommission zum ersten Mal auch
die Minderheitensprachen explizit mit ein (Shuibhne 2008: 127). Dies ist ein
ganz entscheidender Schritt, weil die Kommission damit die Amtssprachen
der EU und die Minderheitensprachen, die innerhalb der EU gesprochen
werden, in der Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger gleichbehandelt.
Zugleich gibt es von einigen Mitgliedslndern Reservationen gegenber
einer Strkung der Rechte der Minderheitensprachen. Dies manifestiert sich
am strksten in der Verweigerung der Untersttzung des rechtlichen Dokuments, das den weitestgehenden Schutz der Minderheitensprachen festgelegt hat, die Europische Charta der regionalen oder Minderheitensprachen des Europarats. Von den 27 Mitgliedern der EU, die zugleich auch
Mitglied des Europarats sind, haben acht (Belgien, Bulgarien, Estland, Griechenland, Irland, Lettland, Litauen, Portugal) die Charta nicht unterzeichnet,
sieben haben die Charta zwar unterzeichnet, bis jetzt aber nicht ratifiziert
(Frankreich, Italien, Luxemburg, Polen, Rumnien, Tschechische Republik)
und nur zwlf Lnder haben die Charta unterzeichnet und zugleich ratifiziert (Dnemark, Deutschland, Finnland, Niederlande, sterreich, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Ungarn, Vereintes Knigreich, Zypern).
Wir hatten im letzten Abschnitt gesehen, dass die Nationalstaaten ihre je-

140

weilige Nationalsprache als ein zentrales Merkmal ihrer Identitt interpretieren, die Sprachenfrage damit ein Bereich der gedeuteten high politics ist.
Dieses Framing beeinflusst auch die Interpretation der Legitimitt von Minderheitensprachen und wird vor allem fr die Lnder virulent, die innerhalb
ihres Territoriums grere sprachliche Minderheiten haben. Lnder, die die
Charta nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, befrchten, durch die Anerkennung von Minderheiten und Minderheitensprachen auf ihrem Territorium die nationale Einheit zu gefhrden. Diese Befrchtungen sind sicherlich der wichtigste Grund, warum die Frderung der Minderheitensprachen
in der EU moderat ausfllt. Betrachtet man die Entwicklung im Zeitverlauf,
dann hat das Thema aber deutlich an Bedeutung gewonnen. Wie lsst sich
diese Entwicklung erklren?
2. Die Entdeckung des Themas Minderheitensprachenschutz ist eingebettet
in eine weltweite Vernderung der Wahrnehmung und Interpretation von
Minderheiten und ihrer Sprachen. Die Vernderungen werden in der wissenschaftlichen Literatur und in der politischen Debatte unter dem Stichwort Multikulturalismus abgehandelt. Vertreter einer multikulturalistischen Position gehen davon aus, dass die meisten Gesellschaften aus unterschiedlichen Kulturen bestehen, dass die Politik die unterschiedlichen Kulturen als gleichwertig betrachten, anerkennen und frdern sollte und es
nicht legitimiert ist, auf eine Anpassung der Kulturen an eine Mehrheitskultur hinzuwirken. Kulturelle Verschiedenartigkeit kann sich dabei an unterschiedlichen Merkmalen festmachen: Hautfarbe, Ethnie, Geschlecht, Religion, sexuelle Orientierung und eben auch Sprache (vgl. fr viele andere
Gutmann 2001 und die Beitrge in Joppke & Lukes 1999). Wie der Wandel
in der Wahrnehmung von Minderheiten und Minderheitensprachen zustande gekommen sind, ist schwer zu erklren. Dass er zustande gekommen ist,
ist kaum bestreitbar.
Will Kymlicka (2007) und Douglas A. Kibbee (2008) haben die Rechtsentwicklungen in Richtung einer Zunahme von Minderheitenschutz genau
nachgezeichnet. Whrend die frhen Bestrebungen, universelle Rechte
weltweit zu institutionalisieren, Versuche sind, individuelle Schutzrechte wie
z. B. die Menschenrechte zu kodifizieren und durchzusetzen, setzt seit den
80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Wandel ein. Die Definition von
Minderheitenrechten als Gruppenrechte gewinnt zunehmend an Bedeutung;
zudem geht es nicht mehr nur um den Schutz von Minderheitensprachen

141

(Abwehrrechte), sondern um ihre Frderung. 1992 verabschiedet die UNO


Die Deklaration ber die Minderheitenrechte, die sich ergnzend zu den
Menschenrechten mit den Rechten von Minderheiten befasst. Die Staaten
erklren, dass sie die Existenz und die nationale, ethnische, kulturelle, religise und sprachliche Identitt der Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet
schtzen. Die UNESCO verabschiedet im Jahr 2001 die Erklrung fr
kulturelle Vielfalt. Diese geht ber die bisherigen Rechtssetzungen hinaus,
insofern den Minderheitensprachen nicht nur Abwehrrechte zugebilligt
werden, Rechte also, die Sprecher von Minderheitensprachen vor einer Unterdrckung schtzen sollen. Die Respektierung und die Frderung kultureller
Vielfalt werden zustzlich als Ziele formuliert. Sich in seiner Sprache ausdrcken zu knnen, wird als Bestandteil von kultureller Vielfalt gefasst. Vier
Jahre spter (2005) verabschiedet die UNESCO das bereinkommen ber
den Schutz und die Frderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.
Die Sprachenvielfalt wird auch hier als ein grundlegendes Merkmal kultureller Vielfalt definiert, die es zu schtzen und zu frdern gilt. Und 2007 verabschiedet die UNO die Deklaration der Rechte indigener Vlker. Die Deklaration garantiert den indigenen Vlkern explizit als Kollektiv und als
Individuen das Recht auf vollen Genuss aller Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten; dazu gehrt auch das Recht auf Bildung in der eigenen
Sprache und das Recht auf eigene Medien.
hnliche Entwicklungen lassen sich fr Gesamteuropa (also nicht nur
fr die EU) nachzeichnen. 1992 hat der Europarat die bereits erwhnte
Europische Charta der regionalen oder Minderheitensprachen und 1995
das Rahmenbereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten verabschiedet. Beide Abkommen zielen auf den Schutz der Existenz nationaler
Minderheiten und deren Sprachen innerhalb der Vertragsstaaten ab und
kodifizieren deren Gleichbehandlung. Minderheitensprachen werden als
kulturelle Bereicherung interpretiert, zu deren Gebrauch ermutigt werden
soll; Unterricht von der Vorschule bis zur Universitt soll auch in den
Minderheitensprachen angeboten werden; Justiz und Verwaltung sollen die
Sprachen der Minderheiten zulassen und die Medien sollen den Minderheitensprachen einen entsprechenden Platz einrumen.
Insgesamt zeigt sich, dass im Zeitverlauf der Schutz der Minderheitensprachen in mehrerlei Hinsicht ausgedehnt wurde: 1) Das Thema hat im
Zeitverlauf deutlich mehr rechtliche und politische Aufmerksamkeit erfahren; 2) Minderheitensprachenschutz hat sich von einem individuellen Recht

142

hin zu einem Kollektivrecht entwickelt; 3) Die Minderheitensprachen werden nicht nur geschtzt, ihre Frderung wird aktiv untersttzt; Minderheitenrechte haben sich von reinen Abwehrrechten in Richtung Anspruchsrechte entwickelt.19
Die hier nur kurz beschriebenen Rechtsentwicklungen werden diskursiv
begleitet von einer vernderten Begrndung des Schutzes und der Frderung von Minderheitensprachen. Wortfhrer in der Debatte sind liberal
ausgerichtete Juristen, Sozialwissenschaftler, Anthropologen und Linguisten
(vgl. z. B. Krauss 1992; Hale 1998; Skutnabb-Kanga & Phillipson 1995;
Crystal 2000; Phillipson 2003; Kymlicka 2007; Nic Craith 2008). Die Akteure, die den Diskurs ber Minderheiten beherrschen, lassen sich mit Rckgriff auf die Weltgesellschaftstheorie von John W. Meyer als kulturelle
Andere, vermeintlich interesselose Akteure der Zivilgesellschaft und der
Wissenschaft begreifen, die die handelnden Akteure wie UNO, UNESCO
und EU beraten. Diese kulturellen Anderen handeln nicht selbst unmittelbar politisch, sondern wirken beratend. Ein Anderer trgt die Haltung
des interesselosen Beraters zur Schau, dem es mehr um die Wahrheit geht
als um seine eigenen Interessen (Meyer 2005: 170).20 Dabei gibt es zwei
zentrale Argumente, die von den Anderen zum Schutz und zur Pflege der

19 Die dramatische Zunahme der Bedeutung des Schutzes von Minderheiten und deren
Frderung manifestiert sich nicht nur in den zitierten Rechtsakten, sondern auch im Aufbau
einer Vielzahl von internationalen Institutionen und Stiftungen, die sich um die Minderheiten
und deren Sprachen kmmern. Monitoring-Systeme wurden entwickelt, die bedrohten Sprachen, die hufig keine Schriftsprachen sind, werden nach linguistischen Kriterien erfasst,
Statistiken ber deren Verbreitung und die Anzahl der Sprecher werden angelegt etc. (vgl.
Crystal 2000: 91ff.). All dies erfolgt mit dem Ziel, die ffentlichkeit und die Politik ber das
Ausma der Bedrohung der Minderheitensprachen zu informieren und zur Intervention zu
motivieren.
20 Die meisten Autoren, die zu dem Thema publiziert haben, sind aber selbst Protagonisten,
die sich fr eine Erweiterung des Minderheitenschutzes einsetzen. Auch wenn die Literatur als
wissenschaftliche Literatur ausgewiesen und bei wissenschaftlichen Verlagen verffentlicht
wurde, sind die Texte in der Regel nicht analytisch, sondern normativ orientiert (vgl. die kritische Kommentierung der Literatur von Kibbee 2003 und de Swaan 2004). Das akademische
Kapital, das die Autoren mitbringen, verschafft ihnen im ffentlich-politischen Diskurs ein
besonderes Gehr. Pikant ist dabei die Tatsache, dass sich die Autoren fr die Beibehaltung
und Pflege der exotischsten Sprachen aussprechen und dies den Sprechern dieser Sprache
auch empfehlen, sie selbst aber, wenn es irgendwie mglich ist, in der Welthegemonialsprache
Englisch publizieren, um die Rezeption ihrer Texte und damit ihre Reputation in der akademischen Welt zu maximieren (vgl. dazu die zynischen Bemerkungen von de Swaan 2004).

143

Minderheitensprachen ins Feld gefhrt werden. Ich werde die Argumente


darstellen und zugleich kritisch kommentieren:
a) Sprachliche und biologische Vielfalt: Der Schutz der Sprachenvielfalt wird mit
dem Schutz der biologischen Artenvielfalt gleichgesetzt. Im Artikel 1 der
von der UNESCO verabschiedeten Erklrung fr kulturelle Vielfalt heit
es z. B.: Als Quelle des Austauschs, der Erneuerung und der Kreativitt ist
kulturelle Vielfalt fr die Menschheit ebenso wichtig wie die biologische
Vielfalt fr die Natur. Aus dieser Sicht stellt sie das gemeinsame Erbe der
Menschheit dar und sollte zum Nutzen gegenwrtiger und knftiger Generationen anerkannt und bekrftigt werden. Diesen Grundgedanken, dass
Sprachenvielfalt eine Bereicherung fr die Gesellschaft ist, sich auch positiv
auf ihre Produktivitt auswirken kann, findet man in sehr verschiedenen
Formulierungen. Douglas Kibbee (2003) bezeichnet diese Position als
green theory of ecological protection. Die Protagonisten der Frderung
sprachlicher Pluralitt folgern aus ihrer Deutung, dass der Schutz und die
Frderung von Minderheiten und Minderheitensprachen nicht nur ein ethischer Imperativ, sondern ein kologisches Erfordernis ist (Arzoz 2008a: 4;
2008b). Die Begrndung fr diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der evolutionstheoretischen Annahme des Vorteils von Artenvielfalt. Dieser besteht
darin, dass unter vernderten Umweltbedingungen (z. B. dem Aufkommen
neuer Krankheitserreger) die Vielfalt sicherstellt, dass zwar manche Organismen aussterben, andere aber gerade auf Grund einer unterschiedlichen genetischen Ausstattung berleben werden. Die genetische Variation ist
gleichsam ein Risikopuffer, der bei vernderten Umweltbedingungen zum
berleben beitragen kann.
Gilt dieses Argument aber auch fr die Sprachen? Nur wenn man zeigen
kann, dass sich die verschiedenen Kulturen auf der Grundlage unterschiedlicher Sprachen konstituieren, so dass mit einer Vielfalt von Sprachen urschlich eine Vielfalt von Kulturen verbunden ist, die dann als Variationspool
unterschiedliche gesellschaftliche Organisationsweisen zur Verfgung stellt,
stellt sich die sprachliche Mannigfaltigkeit als Gewinn dar. Wenn aber gilt,
dass man mit jeder Sprache ungefhr das Gleiche ausdrcken kann, dann ist
mit einer Vielzahl von Sprachen kein eigentlicher evolutionrer Vorteil verbunden. Der Verlust einer bestimmten Sprache fhrt nicht dazu, dass kulturelle Vorteile verloren gehen. Dieses leitet zum nchsten Punkt ber.

144

2) Sprachenvielfalt als kulturelle Vielfalt: Die Sprache wird als Ausdruck der
Kultur interpretiert. Unterschiedliche Sprachen fhren zu Unterschieden in
der Weltaneignung. Entsprechend ist der Schutz der Sprache der Minderheiten ein zwingendes Gebot, wenn man nicht nur die Sprachen, sondern die
Kulturen, die sich sprachlich konstituieren, schtzen mchte. Die Befrworter eines Ausbaus des Schutzes von Minderheitensprachen folgern aus ihrem Argument, dass der Minderheitensprachenschutz ein ethischer Imperativ ist (vgl. Arzoz 2008a). Dass dieses Argument der sprachlichen Konstitution von Kultur wenig berzeugungskraft hat, hatten wir im Kapitel 2.2
gesehen. Die kognitionspsychologische Literatur zeigt uns, dass der Einfluss
der Sprache auf das Denken recht begrenzt ist. Man kann durchaus seine
eigene Kultur und Lebensweise beibehalten und zugleich die eigene Sprache
nicht mehr sprechen. Kultur und Sprache sind weitgehend voneinander
entkoppelt. Kulturelle Vielfalt ist auch ohne eine korrespondierende sprachliche Vielfalt mglich (vgl. Ladefoged 1992).21
Die europische Politik der Frderung der Minderheitensprachen ist
sowohl in die Vernderung der internationalen Rechtsordnungen als auch in
den kurz erluterten hegemonialen Diskurs ber Minderheiten eingebettet
und hat ihn selbst mit befrdert. Er bildet u. a. auch die Hintergrundlegitimation fr die Rechtsentwicklungen innerhalb der EU, die ich im ersten
Punkt beschrieben habe und erklrt, warum der Schutz der Minderheitensprachen zu einem zunehmend bedeutsamen Thema der EU-Politik geworden ist. Ich habe mich an dieser Stelle weitgehend auf eine Darstellung und
Interpretation der EU-Politik beschrnkt. Ob eine solche Politik sinnvoll ist
und welche normativen Mastbe man zur Beurteilung von Sprachpolitiken
heranziehen kann, darauf gehe im letzten Kapitel genauer ein.
3.3.3 Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger
Bilden die Akzeptanz und die Untersttzung der Vielsprachigkeit und der
Schutz und die Frderung der Minderheitensprachen die ersten beiden Ziele
21 Es gibt ein drittes Deutungselement, das fr den vernderten Diskurs ber Minderheiten
konstitutiv zu sein scheint und das sich auf die Frage bezieht, wer fr den Schutz der Minderheiten zustndig ist. Die Souvernittsrechte des Nationalstaates werden diesbezglich
zunehmend in Frage gestellt; es findet eine Verantwortungsverlagerung auf internationale
Organisationen statt, die notfalls auch gegen die Nationalstaaten die Rechte der Minderheiten
schtzen sollen.

145

der EU-Sprachpolitik, dann ist das Prinzip der Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger Europas das zweite zentrale Ziel. Jeder Brger, so die
Vorstellung, soll neben seiner Muttersprache zwei in der EU gesprochene
Sprachen sprechen; alle Sprachen haben dabei die gleiche Bedeutsamkeit.
Welche weitgehenden Ziele verfolgt die EU mit ihrer Politik der Frderung
der Mehrsprachigkeit (a) und mit welchen Manahmen versucht sie diese zu
erreichen (b)?
a) hnlich wie die Frderung der Minderheitensprachen hat auch die Politik
der Frderung der Mehrsprachigkeit der Brger ein ideologisches Unterfutter. Das folgende Zitat des Kommissars fr Mehrsprachigkeit (seit 2007 hat
die EU fr diesen Bereich ein eigenes Kommissariat) bringt die Ziele der
EU, die sich in vielen rechtlichen Dokumenten der EU hnlich formuliert
finden, recht gut zum Ausdruck: Die Fhigkeit, in mehreren Sprachen zu
kommunizieren, ist ein groer Vorteil fr Menschen, doch auch fr Organisationen und Unternehmen. Sie verstrkt die Kreativitt, berwindet kulturelle Vorurteile, frdert das Denken abseits der ausgetretenen Pfade und
kann bei der Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen helfen. All diese Fhigkeiten und Ttigkeiten sind volkswirtschaftlich wertvoll.
Mehrsprachigkeit macht Menschen auch mobiler, so dass sie leichter in
anderen Lndern Ausbildungsmglichkeiten oder eine Arbeitsstelle suchen
knnen. Sie ist gut fr den Einzelnen, die Unternehmen und die Wettbewerbsfhigkeit, und damit auch entscheidend fr die Verwirklichung des
bergeordneten Ziels der Europischen Union die Lissabon-Strategie zur
Schaffung von Arbeitspltzen und zur Frderung des Wirtschaftswachstums. [] Ziel der Kommissionspolitik zur Mehrsprachigkeit ist es, diese
Strken miteinander zu verknpfen. Insbesondere hat sie zum Ziel, das
Sprachenlernen und die Sprachenvielfalt in der Gesellschaft zu frdern, eine
gesunde, mehrsprachige Wirtschaft zu frdern und den Brgerinnen und
Brgern in ihrer eigenen Sprache Zugang zu den Rechtsvorschriften der
Europischen Union zu geben (Orban 2007).
Die Legitimation einer Politik der Frderung der Mehrsprachigkeit
speist sich, wie das Zitat zeigt, aus zwei Motiven, einem kulturellen und einem wirtschaftspolitischen. Die Union mchte zum einen durch die Mehrsprachigkeit ihrer Brger zur Verbesserung der Verstndigung zwischen den
Menschen und zum Abbau von Vorurteilen beitragen; sie begreift die Mehrsprachigkeit zum Zweiten als eine Investition in die Verbesserung des Hu-

146

mankapitals der Brger, das diese in die Lage versetzt, auf dem europischen
Markt mobil zu sein und ihre Arbeitskraft auch auerhalb des Nationalstaates
einsetzen zu knnen und damit einen Beitrag fr das wirtschaftliche Wachstum Europas insgesamt zu leisten (vgl. auch Linsenmann 2006: 355; Mickel
& Bergmann 2005: 100). Mit der Sprachenpolitik verhlt es sich wie mit vielen anderen Politikbereichen der Europischen Union: Die EU ist in erster
Linie eine Wirtschaftsunion; die Legitimationsbeschaffung fr nicht konomische Politikfelder erfolgt in der Regel mit konomischen Argumenten (vgl.
fr die Geschlechter- und Familienpolitik Gerhards, Schfer & Kmpfer
2009; fr die Umweltpolitik Gerhards & Lengfeld 2008).
b) Die Manahmen, die die EU zur Frderung der Mehrsprachigkeit ihrer
Brger ergriffen hat, sind vielfltig und in aller Regel eingebunden in die
Manahmen zur Bildungspolitik der EU im Allgemeinen. Dabei waren
Sokrates und Leonardo da Vinci die wichtigsten Programme, die 2007
in das Programm fr Lebenslanges Lernen integriert wurden. Hierbei handelt es sich um ein Aktionsprogramm zur Frderung der transnationalen
Zusammenarbeit im Bildungsbereich. Die EU hat fr das Programm von
2007 bis 2013 ca. 7 Mrd. Euro bewilligt; es integriert vier verschiedene Einzelprogramme (vgl. Generaldirektion Bildung und Kultur 2008).
COMENIUS richtet sich an vorschulische Einrichtungen und Schulen
bis zum Ende des Sekundarbereichs II sowie an Einrichtungen der Schulverwaltung und der Lehreraus- und -fortbildung. Comenius untersttzt die
Mobilitt von Schlern, Lehramtsstudierenden und Lehrkrften und frdert
damit das Erlernen moderner Fremdsprachen. Gefrdert werden Schulpartnerschaften und die Mobilitt von Schlern; Assistenzzeiten von Studierenden der Lehramtsfcher an Schulen im Ausland; Fortbildungskurse fr
Lehrkrfte im Ausland.
ERASMUS richtet sich an Hochschulen und frdert die Mobilitt von
Studierenden, Dozenten und anderem Hochschulpersonal. Gefrdert werden Auslandsstudium, Auslandspraktikum, Gastdozenturen, die Organisation der Mobilitt, Intensivprogramme und vorbereitende Besuche.
LEONARDO DA VINCI ist das Programm fr die Zusammenarbeit
in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Gefrdert werden Auslandsaufenthalte in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Projekte zum Transfer
und zur Entwicklung von Innovationen, Partnerschaften, Netzwerke, vorbereitende Besuche und Kontaktseminare. Zielgruppen sind Einrichtungen

147

der beruflichen Bildung wie berufsbildende Schulen, auer- und berbetriebliche Bildungssttten, Unternehmen, Sozialpartner und ihre Organisationen, Berufsverbnde und Kammern.
GRUNDTVIG ist das Programm fr die allgemeine Erwachsenenbildung. Das Programm steht allen Einrichtungen der Erwachsenenbildung in
den Teilnehmerstaaten offen. Dies knnen ffentliche Institutionen sein wie
Behrden, Verwaltungen und Regierungsstellen oder Einrichtungen in ffentlicher oder privater Trgerschaft wie Initiativen, Vereine, Volkshochschulen oder Nichtregierungsorganisationen. Gefrdert werden die Mobilitt von Beschftigten der Erwachsenenbildung in Form von individuellen
Fortbildungen, Lernpartnerschaften zur Kooperation von Einrichtungen
aus verschiedenen Teilnehmerstaaten, Projekte zur Entwicklung, Erprobung
und Verbreitung von Produkten und Netzwerke zur Weiterentwicklung von
spezifischen Fachgebieten und Themen der Erwachsenenbildung.
In allen Programmen geht es nicht nur um den Erwerb einer Fremdsprache; aber der Fremdsprachenerwerb ist ein zentrales Ziel dieser Programme.22 Die konkreten Programme werden durch andere, eher symbolische Initiativen zur Frderung der Mehrsprachigkeit ergnzt. So wurde z. B.
das Jahr 2001 zum Jahr der Sprachen erklrt; jhrlich wird der 26. September als Sprachentag gefeiert und das Europische Sprachensiegel fr innovative Projekte im Zusammenhang mit Sprachenlernen- und lehren vergeben (Lutjeharms 2007: 113).
Bei allen Bemhungen der EU, die Frderung der Fremdsprachenkompetenz zu verbessern, werden alle Sprachen der Mitgliedslnder und
auch die Minderheitensprachen gleichbehandelt. Die EU betreibt keine Politik zur Frderung einer lingua franca in Europa, sie hat keine Prferenz
fr eine bestimmte Fremdsprache. Der Erwerb der kleineren Sprachen wird
von der EU genauso gefrdert wie das Erlernen der weit verbreiteten Sprachen. Auch hier stellt sich die Frage, ob dies eine sinnvolle Politik ist.
Abram de Swaan (2004) bezweifelt dies, und ich werde mich im letzten Kapitel, in dem die normative Frage einer angemessenen Sprachpolitik diskutiert wird, seiner Argumentation anschlieen. De Swaan vermutet, dass die
gleiche Frderung aller Sprachen lngerfristig genau den umgekehrten, nicht
22 Eine Evaluation des 2007 etablierten Programms Lebenslanges Lernen bezglich der
erzielten Erfolge liegt bis dato nicht vor. Allerdings gibt es einige Erkenntnisse ber den
Erfolg der in das Programm integrierten Vorluferprogramme (vgl. dazu McCoshan, McDonald, Santos & Hall 2008).

148

intendierten Effekt der Frderung einer Sprache, nmlich des Englischen


hat. The more languages the better remains the battle-cry. But this multiplicity of languages actually subverts diversity: the more languages that
compete, the more English will take hold. In the general confusion of
tongue, in which no indigenous language can predominate, English automatically imposes itself as the sole, obvious, solution. That is what has happened in India and South Africa, in Nigeria, and in the European Union.
The hegemony of English is being hastened and consolidated by the promotion of a multiplicity of languages by the European Commission, for instance (de Swaan 2004: 475).

149

4 Transnationales sprachliches Kapital der


Brger in den Lndern der Europischen
Union

Mit der Europisierung und Globalisierung der Mitgliedslnder der Europischen Union sind neue Anforderungen an und Chancen fr die Menschen
in Europa verbunden. Wollen sie am Europisierungsprozess partizipieren,
im europischen Ausland arbeiten, dort studieren, ihre Ferien verbringen,
neue Kontakte aufbauen und sich am politischen Leben beteiligen, mssen
sie die Sprache des jeweiligen Landes beherrschen. Die Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital wird damit zu einer entscheidenden Ressource der Teilhabe am Europisierungsprozess. Fr diejenigen, die ber die
Ressource verfgen, erffnen sich neue Mglichkeiten; diejenigen, die nur
ihre Muttersprache sprechen, sind an ihr Land gebunden und knnen die
Vorteile des vereinten Europas nicht nutzen.
Ich werde auf der Basis einer Auswertung einer Eurobarometerbefragung aus dem Jahr 2005 (Eurobarometer 63.4) in einem ersten Unterkapitel
der Frage nachgehen, ob und in welchem Mae die Brger in den 27 Lndern der EU ber transnationales sprachliches Kapital verfgen und in welchem Mae sie diejenige Sprache sprechen knnen, die den hchsten
Kommunikationswert hat, nmlich Englisch. Die Ergebnisse werden zeigen,
dass die Unterschiede sowohl zwischen den 27 Lndern als auch innerhalb
der Lnder in der Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital
ganz betrchtlich sind. Ich gehe deswegen in einem zweiten Schritt der Frage nach, wie man diese Unterschiede erklren kann. Dazu formuliere ich ein
theoretisches Modell der Erklrung, das zuerst bivariat, dann multivariat
berprft wird.

151

4.1 Deskriptive Befunde: Die Mehrsprachigkeit der Brger der EU


Die Umfrage, die den folgenden Analysen zugrunde liegt, wurde im Mai und
Juni 2005 vom Institut TNS Infratest im Auftrag der Europischen Kommission durchgefhrt. Befragt wurden in Form von Face-to-face-Interviews
Personen, die 15 Jahre und lter sind. Die Stichprobengre betrgt etwa
500 Personen in kleineren Lndern (z. B. Malta, Luxemburg) und 1.000
Personen in greren. Durch eine Gewichtung der Daten nach Alter, Geschlecht, Region und Gre des Wohnortes wird sichergestellt, dass die
Stichproben reprsentativ fr die Bevlkerung eines Landes sind. Da in die
Gewichtung auch die Bevlkerungszahl der jeweiligen Staaten mit eingeht,
ist das Eurobarometer insgesamt fr die Bevlkerung der EU reprsentativ.
In allen von uns im Folgenden prsentierten Analysen wird eine solche Gewichtung vorgenommen. Der Datensatz ist ber das Zentralarchiv fr empirische Sozialforschung in Kln zugnglich.
Bevor ich mich den Ergebnissen der Auswertung zuwende, soll der
Begriff des transnationalen sprachlichen Kapitals und seine Operationalisierung genauer erlutert werden. Ich habe bis jetzt ganz allgemein von transnationalem sprachlichem Kapital gesprochen. Mehrsprachigkeit manifestiert
sich in vier verschiedenen, miteinander verbundenen Fhigkeiten: im Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben einer Sprache. Die beiden passiven
Varianten (Verstehen und Lesen) sind einfacher zu erlernen als die beiden
aktiven Formen (Sprechen und Schreiben); das korrekte Schreiben in einer
Sprache stellt sicherlich die schwierigste Form der Fremdsprachenkompetenz dar. Die empirischen Analysen beziehen sich allein auf das Sprechen
einer Fremdsprache. In der Eurobarometerbefragung wurde den Interviewten u. a. folgende Frage gestellt: Welche Sprache sprechen Sie gut genug, um darin
ein Gesprch fhren zu knnen? Die Auswertung dieser Frage bildet die zentrale abhngige Variable unserer Analysen. Auch wenn zu den Verstehens-,
Lese- und Schreibfhigkeiten keine empirischen Informationen vorliegen,
kann man davon ausgehen, dass derjenige, der eine fremde Sprache sprechen kann, sie sicherlich auch besser verstehen, die entsprechende Sprache
besser lesen und auch schreiben kann als derjenige, fr den dies nicht gilt.
Wie die zitierte Frageformulierung zeigt, wurde die Sprechkompetenz
in der Eurobarometerbefragung nicht durch eine objektive Messung der
Sprechfhigkeiten durch Sprachtests erhoben, sondern wie in den meisten
Massenerhebungen durch eine subjektive Einschtzung des Befragten. Die

152

Frage ist nun, ob und in welchem Mae die subjektive Einschtzung der
Befragten eine hinreichend gute Messung der eigentlichen Sprachenkompetenz der Befragten darstellt bzw. in welchem Mae sich die Brger in
ihren Fhigkeiten falsch einschtzen. Hartmut Esser (2006) hat in seiner
Studie ber den Fremdsprachenerwerb von Migranten dieser methodischen
Frage ein ganzes Unterkapitel gewidmet (Kapitel 7.6) und alle relevanten
Literatur- und Datenquellen ausgewertet, so dass ich mich hier an Essers
Argumentation orientieren kann. Ingesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass
die subjektive Selbsteinschtzung der Sprachkompetenz durchaus als ein
Ersatzindikator fr eine objektive Kompetenzmessung genutzt werden
kann. Zwei Argumente sind hier von besonderer Relevanz: 1) Es liegen
mehrere Untersuchungen vor, in denen sowohl subjektive Selbsteinschtzungen als auch konkrete Sprachtests zur Messung der Sprachkompetenz
durchgefhrt wurden. Der korrelative Zusammenhang zwischen den beiden
Messungen schwankt von Untersuchung zu Untersuchung; die Werte liegen
zwischen .58 und .46 (Esser 2006: 527f.). Dieses Ergebnis zeigt, dass es
einen robusten Zusammenhang zwischen der faktischen Sprachkompetenz
und der subjektiven Einschtzung gibt.1 2) Esser ist in seiner Untersuchung
daran interessiert, die Fremdsprachenkompetenz der Migranten zu erklren.
Er hat sein Kausalmodell zum einen auf die Erklrung der subjektiven Einschtzung der Fremdsprachenkompetenz, zum anderen auf die durch
Sprachtests gemessenen objektiven Fhigkeiten angewandt. Fr beide Modellrechnungen ergibt sich genau die gleiche Kausalstruktur, auch wenn die
aufgeklrte Varianz in beiden Modellen etwas unterschiedlich ausfllt. Im
Hinblick auf die uns hier interessierende Frage bedeutet dieses Ergebnis,
dass man die subjektive Fremdsprachenkompetenzeinschtzung durchaus
als Ersatzmessung der objektiven Fremdsprachenfhigkeit benutzen kann,
weil man im Hinblick auf die Struktur der kausalen Beziehungen keinen
Fehlschluss begeht. Auch bezglich mglicher Lnderunterschiede in den
Fremdsprachenfhigkeiten sind keine Verzerrungen zu erwarten, da es unwahrscheinlich ist, dass z. B. die Schweden ihre Fremdsprachenfhigkeiten
berschtzen, whrend Polen sie unterschtzen.
1

Christian Dustmann und Arthur van Soest (2001) haben gezeigt, dass es bei der subjektiven
Selbsteinschtzung zu systematischen Fehleinschtzungen kommt. Gerade bei Anfngern
kommt es zu einer berschtzung der faktischen Fhigkeiten; im Zeitverlauf passt sich die
Selbsteinschtzung der objektiven Kompetenz an. Die beiden Autoren haben auf dieser Basis
versucht, eine statistische Korrektur zu berechnen und in der Analyse zu benutzen.

153

Tabelle 4.1 gibt nun einen berblick ber die Mehrsprachigkeit der Brger
in den 27 Mitgliedslndern der EU. Neben den Kategorien keine, eine,
zwei und drei und mehr Fremdsprachen wurde der Mittelwert der Anzahl der gesprochenen Fremdsprachen und die Standardabweichung pro
Tabelle 4.1: Transnationales sprachliches Kapital in 27 Lndern der EU
(in Prozent)

EU-27
Ungarn
Grobritannien
Portugal
Spanien
Italien
Rumnien
Irland
Frankreich
Bulgarien
Polen
Griechenland
sterreich
Deutschland
Tschechien
Finnland
Slowakei
Belgien
Zypern
Estland
Dnemark
Schweden
Slowenien
Litauen
Niederlande
Lettland
Malta
Luxemburg

Keine Fremdsprache

Eine Fremdsprache

51,3
70,6
70,0
64,1
63,9
63,7
59,4
59,2
55,5
54,6
50,9
50,6
41,6
40,6
40,0
33,7
31,1
28,9
27,8
13,8
12,6
12,3
11,1
9,8
8,6
6,6
4,8
0,0

27,1
18,4
20,4
16,3
23,7
24,3
21,4
24,9
27,8
28,9
26,1
32,7
33,6
36,7
32,3
24,4
26,8
22,5
52,8
37,9
25,2
40,7
27,8
43,5
22,5
49,5
33,3
4,3

Zwei Fremd- Drei und mehr


sprachen
Fremdsprachen
15,1
6,6
9,0
2,0
7,5
2,1
13,9
5,7
9,2
3,3
9,4
2,6
14,2
5,0
12,9
3,0
12,8
3,9
12,4
4,1
12,8
10,2
13,5
3,2
15,2
9,7
18,7
4,0
19,2
8,6
22,6
19,4
22,9
19,3
25,5
23,0
13,9
5,6
31,0
17,2
35,3
26,9
28,1
18,9
33,3
27,8
32,6
14,1
43,5
25,5
34,1
9,9
42,9
19,0
26,1
69,6

Mittelwert

0.77
0.42
0.42
0.61
0.52
0.51
0.65
0.59
0.65
0.66
0.82
0.69
0.93
0.86
0.97
1.28
1.31
1.43
0.96
1.54
1.77
1.54
1.77
1.51
1.86
1.47
1.74
2.61

0.93
0.74
0.72
0.92
0.79
0.77
0.90
0.82
0.85
0.85
1.01
0.82
0.98
0.86
0.97
1.13
1.11
1.13
0.81
0.94
0.99
0.94
0.98
0.85
0.90
0.76
0.86
0.64
N= 26.520

Land berechnet (vgl. fr eine Auswertung der Fremdsprachenkompetenz in


15 EU-Lndern Fligstein 2008a: 147ff; 2008b). Der in der Tabelle und in
154

den folgenden Ausfhrungen benutzte Begriff der Fremdsprachenkompetenz ist erluterungsbedrftig. Sie umfasst sowohl Personen, die neben ihrer
Muttersprache weitere Sprachen im Lauf ihres Lebens erworben haben, als
auch Personen, die mit zwei oder sogar mehr Muttersprachen aufgewachsen
sind, weil z.B. im Elternhaus oder in der unmittelbaren Umgebung zwei
oder mehr Sprachen gesprochen wurden.
1) Wie die Ergebnisse zeigen, ist die Europische Union von dem Ideal, dass
alle Brger mindestens zwei Fremdsprachen sprechen knnen, weit entfernt.
ber die Hlfte der Brger spricht keine einzige Fremdsprache. Fr diese ist
ihr Nationalstaat in der Tat ein Container, den zu verlassen mit groen Verstndigungsproblemen behaftet ist. Circa ein Viertel der Brger spricht zumindest eine Fremdsprache, ein knappes Viertel spricht zwei oder mehr
Fremdsprachen.
2) Zugleich zeigen die Berechnungen, dass die Unterschiede zwischen den
Lndern in der Ausstattung mit sprachlichem Kapital ganz betrchtlich sind.
Whrend in Luxemburg fast jeder Brger zumindest zweisprachig ist, in
Lettland, Malta oder den Niederlanden 90 % der Brger zwei und mehr
Sprachen beherrschen, liegt die Quote der Menschen, die zumindest eine
Fremdsprache sprechen, in Ungarn, Portugal, Grobritannien und Spanien
bei nur etwa einem Drittel der Bevlkerung. Die Ursachen der Lnderreihenfolge sind nicht einfach zu interpretieren, weil wahrscheinlich mehrere
Faktoren, die sich zum Teil verstrken, zum Teil aber auch wechselseitig
aufheben, zusammenwirken knnen. Brger aus Lndern, in denen die Muttersprache Englisch ist (Irland und England), sind im geringen Mae mehrsprachig.; hingegen scheinen die Brger in kleinen Lndern besonders gut
mit transnationalem sprachlichem Kapital ausgestattet zu sein. Auch das
Modernisierungsniveau einer Gesellschaft scheint die Mehrsprachigkeit zu
befrdern. Dies sind erste Hinweise auf mgliche Ursachen fr die Lnderdifferenzen. Ich komme darauf gleich, bei dem Versuch, die Lnderdifferenzen systematisch zu erklren, ausfhrlich zurck.
3) Schlielich zeigen die Befunde, dass die lnderinterne Streuung sehr hoch
ist. Die durchschnittliche Standardabweichung betrgt 0.93 bei einer Skala,
die von 0 bis 3 reicht. Es gibt also innerhalb eines jeden Landes Brger, die
ber ein hinreichendes sprachliches Kapital verfgen und es gibt Brger, fr

155

die dies nicht zutrifft. Wir werden bei dem Versuch der Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital sehen, dass die lnderinterne Streuung vor allem auf Bildungs-, Klassen- und Kohortenunterschiede
zurckzufhren ist.
Interpretiert man die Fhigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen als eine zentrale Ressource, die es erlaubt, an Transnationalisierungs- und Europisierungsprozessen zu partizipieren, dann zeigt sich, dass diese Ressource sehr
ungleich verteilt ist. Mehrsprachigkeit ist, wie ich in Kapitel 2.1 argumentiert
habe, mit einer Vielzahl von Vorteilen verbunden: Sie erleichtert es, in anderen Lndern zu studieren und verbessert die Ausbildungsoptionen; sie erhht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erleichtert es Firmen bzw.
ihren Mitarbeitern, sich neue Mrkte zu erschlieen. Die Mglichkeiten von
Wissenschaftlern, die Ergebnisse anderer Forscher berhaupt wahrzunehmen und ihre eigenen Erkenntnisse zu distribuieren und damit ihre eigene
Wertschtzung zu verbessern, wird durch die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital erhht. Mehrsprachigkeit verstrkt weiterhin die
Kontaktmglichkeiten zu potentiellen Bekannten, Freunden und Partnern
und verbessert auch die Chancen der politischen Partizipation an einer sich
europisierenden und globalisierenden Welt. Schlielich sind mit der Mehrsprachigkeit symbolische Gratifikationen verbunden, die zur Selbstinszenierung als Teil einer transnationalen Elite genutzt werden knnen. Die Mehrsprachigkeit ist ein Kapital, mit dem man die eigene Rendite zu steigern
vermag und dies in Abgrenzung zu denjenigen, die ber die entsprechende
Ressource nicht verfgen.
Transnationales sprachliches Kapital in dem bis jetzt zugrunde gelegten
Verstndnis umfasst die Anzahl der Fremdsprachen, die jemand spricht,
ganz unabhngig von der Frage, welche konkreten Fremdsprachen jemand
beherrscht. Handelt es sich bei transnationalem sprachlichem Kapital aber
um eine Ressource zur Verstndigung mit anderen Menschen, dann hngt
die Verwertbarkeit dieser Ressource entscheidend davon ab, wie viele Sprecher ich mit einer Fremdsprache erreichen kann. Die Anzahl der erreichbaren Kommunikationspartner berechnet sich aus der Summe der Muttersprachler einer Sprache und der Menge der Personen, die diese Sprache als
Fremdsprache sprechen. Jede Sprache, die eine Person als Fremdsprache
lernt, hat entsprechend einen Kommunikationswert (dazu de Swaan 2001a,
2001b). Luxemburgisch wird z. B. von ca. 300.000 Personen als Mutterspra-

156

che gesprochen und von ganz wenigen Personen als Fremdsprache.


Deutsch wird in Europa von ber 100 Millionen Personen gesprochen. Das
Erlernen von Luxemburgisch hat entsprechend einen wesentlich niedrigeren
Kommunikationswert als das Erlernen der deutschen Sprache. Die folgende
Tabelle gibt die Menge der Sprecher der in Europa am hufigsten gesprochenen Sprachen wieder.
Tabelle 4.2: Die am hufigsten gesprochenen Sprachen in den 27 Lndern
der EU (in Prozent)

Englisch
Deutsch
Franzsisch
Italienisch
Spanisch
Russisch
N

Fremdsprache und Muttersprache

Nur Fremdsprache

45,9
28,7
22,4
14,9
12,7
5,9
26.476

33,8
11,4
10,8
2,4
4,4
5,4
26.469

Auch wenn sich die Mutter- und Fremdsprachenkompetenz der Brger auf
sehr viele Sprachen verteilen, gibt es nur fnf Sprachen, die von mehr als
10 % der Bevlkerung, sei es als Mutter- oder als Fremdsprache gesprochen
werden. Diese Sprachen haben den hchsten Kommunikationswert. Weiterhin zeigt sich, dass Englisch die meist gesprochene Sprache in Europa ist.
Dies konnte man auf der Grundlage der Argumentation im letzten Kapitel
auch nicht anders erwarten. Es sind immerhin 43,1 % der Bevlkerung, die
in Englisch miteinander kommunizieren knnen. Fr jeden Brger, der
beginnt, eine neue Fremdsprache zu lernen, um so mit mglichst vielen
anderen Brgern zu kommunizieren, ist es rational, zuerst einmal Englisch
zu lernen. Dies gilt erst recht, wenn man den Bezugsrahmen ber Europa
hinaus ausdehnt und die weltweite Sprachkonstellation bercksichtigt. Englisch ist, wie wir in Kapitel 3.1 gesehen haben, diejenige Sprache, die von
den meisten Menschen auf der Erde, sei es als Mutter- oder als Fremdsprache, gesprochen wird. Im Vergleich zum Chinesischen, welches die Sprache
ist, die von den meisten Menschen als Muttersprache gesprochen wird,
kommt bei Englisch hinzu, dass die Streuung ber die verschiedenen Regionen der Erde hher ist; zudem ist es fr die meisten Sprecher einfacher,
Englisch zu lernen als Chinesisch, weil die linguistische Distanz zwischen
157

den meisten Sprachen und Englisch geringer ist als die zwischen diesen
Sprachen und Chinesisch.
Tabelle 4.3: Englischkompetenz in 27 Lndern der EU (in Prozent)

EU-27
Grobritannien
Irland
Malta
Niederlande
Schweden
Dnemark
Zypern
Luxemburg
Finnland
Slowenien
sterreich
Belgien
Deutschland
Griechenland
Estland
Frankreich
Lettland
Italien
Portugal
Rumnien
Polen
Litauen
Slowakei
Tschechien
Spanien
Ungarn
Bulgarien

Keine Englischkenntnisse
54,1
0,5
0,5
4,8
12,4
15,0
15,8
27,8
33,3
39,6
44,0
45,1
48,2
48,9
56,1
58,6
65,7
65,9
70,7
72,8
73,4
74,1
74,3
75,8
76,2
79,3
83,8
84,6

Englisch als Fremdoder Muttersprache


45,9
99,5
99,5
95,2
87,6
85,0
84,2
72,2
66,7
60,4
56,0
54,9
51,8
51,1
43,9
41,4
34,3
34,1
29,3
27,2
26,6
25,9
25,7
24,2
23,8
20,7
16,2
15,4

Englisch als
Fremdsprache
33,8
7,4
6,0
90,5
87,3
85,0
83,5
72,2
66,7
59,9
55,6
53,3
51,7
50,8
43,5
41,4
33,8
34,1
28,6
26,4
26,5
25,4
25,7
24,2
23,7
19,8
15,9
15,1

Entscheiden sich die Menschen oder Bildungsinstitutionen in Europa fr


den Erwerb beziehungsweise die Frderung einer Fremdsprache und folgen
sie dabei dem Prinzip, einen mglichst hohen Nutzen in Form der Erreichbarkeit mglichst vieler Sprecher zu erzielen, dann werden sie sich wahr158

scheinlich fr Englisch entscheiden, weil dies die hegemoniale Sprache innerhalb Europas ist. In welchem Mae sind die Brger der 27 Mitgliedslnder in der Lage, die dominante Sprache Europas zu sprechen? Tabelle 4.3
gibt darber Auskunft.
Die Tabelle ist auf den ersten Blick nicht einfach zu interpretieren, weil
die Lnder, die in ihrer Englischkompetenz nah beieinander liegen, dies aus
unterschiedlichen Grnden tun. Ingesamt ergeben sich vier Gruppen, die
sich im Niveau ihrer Sprachkompetenz des Englischen unterscheiden (Bezugspunkt der Interpretation ist die mittlere Spalte der Tabelle, in der der
Prozentsatz der Personen, die entweder Englisch als Mutter- oder als
Fremdsprache sprechen, festgehalten ist):
1) Die erste Gruppe bilden die Lnder, in denen Englisch die oder eine der
Amtssprachen ist. Hier liegt die Englischkompetenz bei fast 100 % (England, Irland und Malta).
2) Die zweite Gruppe mit einer 87- bis 60 %igen Englischkompetenz bilden
die kleinen, zugleich hoch modernisierten Lnder. Dazu gehren Dnemark,
Niederlande, Schweden, Luxemburg und Finnland.
3) Zur dritten Gruppe, deren Englischkompetenz zwischen 34 % und 60 %
variiert, gehren einerseits hoch entwickelte Lnder (Deutschland, sterreich, Belgien), andererseits kleine Lnder, die geringer modernisiert sind
(Griechenland, Estland, Slowenien, Slowenien).
4) Zur vierten Gruppe, deren Englischniveau zwischen 34 % und 15 %
variiert, gehren modernisierte romanische Lnder (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal) und viele Lnder des frheren Ostblocks (Lettland, Rumnien, Polen, Litauen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Bulgarien).
Die Gruppierung der Lnder gibt einige Hinweise auf mgliche Kausalfaktoren, die einen Einfluss auf die Englischkompetenz haben knnen, wie
z. B. die Gre eines Landes oder sein Modernisierungsniveau. Bevor ich
mich dieser Frage im nchsten Kapitel zuwende, mchte ich noch analysieren, welche Vorstellungen die Brger ber die Wichtigkeit von Fremdsprachen haben. Die Tatsache, dass ca. die Hlfte der Brger keine Fremdsprache spricht, kann sich ja im Einklang mit ihren eigenen Wunschvorstellun-

159

gen befinden. In der Eurobarometerbefragung wurden die Menschen gefragt, was sie glauben, wie viele Fremdsprachen man in der EU denn sprechen knnen soll. Die folgende Tabelle gibt den Prozentsatz der Befragten
wieder, die sagen, dass die Brger der EU mindestens eine Fremdsprache
beherrschen sollen.
Tabelle 4.4: Anzahl gewnschter Fremdsprachen pro Land (in Prozent)
EU-27
Zypern
Griechenland
Polen
Litauen
Lettland
Estland
Dnemark
Belgien
Tschechien
Schweden
Luxemburg
Niederlande
Spanien
Ungarn
Italien
Malta
Deutschland
Slowakei
Bulgarien
Frankreich
Slowenien
Portugal
Irland
Rumnien
Grobritannien
Finnland
sterreich

Mindestens eine Sprache


89,6
97,2
97,1
95,7
95,5
95,5
94,7
94,7
92,8
92,5
92,3
91,7
91,5
91,3
90,5
90,3
90,0
89,4
88,6
88,1
87,9
87,6
86,6
85,7
85,0
84,5
84,1
82,7

Keine Sprache
10,4
2,8
2,9
4,3
4,5
4,5
5,3
5,3
7,2
7,5
7,7
8,3
8,5
8,7
9,5
9,7
10,0
10,6
11,4
11,9
12,1
12,4
13,4
14,3
15,0
15,5
15,9
17,3

N
25.357
496
996
981
982
979
984
1.017
997
1.017
1.038
496
1.026
933
980
971
478
1.522
1.015
833
994
1004
919
910
856
984
1.011
938

Wir sehen, dass es einen europaweiten Konsens darber gibt, dass die Menschen zumindest eine Fremdsprache beherrschen sollen. Insgesamt sind es
160

90 % der Befragten, die dieser Vorstellung zustimmen; die Streuung zwischen


den Lndern ist recht gering. Die Tatsache, dass die Hlfte der Brger Europas keine Fremdsprache spricht, geht offensichtlich in einem nur geringen
Mae auf deren Motivation zurck, sondern muss andere Ursachen haben.
hnlich sind die Ergebnisse bezglich der Frage, welche Fremdsprachenkenntnisse die Menschen erwerben sollen. Die Brger wurden gefragt, welche Sprachen die Kinder jenseits der eigenen Muttersprache lernen sollen.
Tabelle 4.5: Fremdsprachen, die Kinder lernen sollen

EU-27
Belgien
Bulgarien
Dnemark
Deutschland
Estland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Grobritannien
Irland
Italien
Lettland
Litauen
Luxemburg
Malta
Niederlande
sterreich
Polen
Portugal
Rumnien
Schweden
Slowakei
Slowenien
Spanien
Tschechien
Ungarn
Zypern

Hufigste
Nennung
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Franzsisch
Franzsisch
Englisch
Englisch
Englisch
Franzsisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch
Englisch

Zweithufigste
Nennung
Franzsisch
Franzsisch
Deutsch
Deutsch
Franzsisch
Russisch
Schwedisch
Spanisch
Deutsch
Spanisch
Deutsch
Franzsisch
Russisch
Russisch
Englisch
Italienisch
Deutsch
Franzsisch
Deutsch
Franzsisch
Franzsisch
Deutsch
Deutsch
Deutsch
Franzsisch
Deutsch
Deutsch
Franzsisch

Dritthufigste Nennung
Deutsch
Niederlndisch
Russisch
Spanisch, Franzsisch
Spanisch
Deutsch
Deutsch
Deutsch
Franzsisch
Deutsch
Spanisch
Spanisch, Deutsch
Deutsch
Deutsch
Deutsch
Franzsisch
Franzsisch
Italienisch
Russisch
Deutsch
Deutsch
Spanisch
Franzsisch
Italienisch
Deutsch
Russisch, Franzsisch
Franzsisch
Deutsch

161

Wie die Ergebnisse in Tabelle 4.5 zeigen, ist Englisch in allen Lndern, in
denen Englisch nicht die Muttersprache ist, diejenige Sprache, die am hufigsten genannt wird. Eine Ausnahme bildet Luxemburg. Dies mag darauf
zurckzufhren sein, dass hier in der Tat der Nutzen von Franzsisch hher
ist als der des Englischen, weil ein groer Teil der Luxemburger Franzsisch
spricht und die Kenntnis von Franzsisch bei der Nachbarschaft und den
engen Beziehungen zu Frankreich besonders hilfreich ist. Auch die Verteilung der Sprachen, die an zweiter und dritter Stelle genannt werden, entspricht ganz den Erwartungen, die sich aus der Theorie des Kommunikationswerts von Fremdsprachen ergeben. Es sind zum einen die in Europa
und in der Welt weit verbreiteten Sprachen, die von den Brgern als gewnschte Fremdsprachen genannt werden. Hinzu kommen lnderspezifische Besonderheiten, die den erwarteten Kommunikationsnutzen einer
Fremdsprache beeinflussen. So hat Finnland eine groe schwedische Minderheit, was erklren mag, warum die Finnen Schwedisch als zweitwichtigste
Sprache nennen. hnliches gilt z. B. fr die baltischen Staaten im Hinblick
auf das Russische.
4.2

Die Erklrung der Unterschiede in der Verfgung ber


transnationales sprachliches Kapital

Wir hatten gesehen, dass die Kompetenz zur Mehrsprachigkeit sowohl zwischen den Lndern als auch innerhalb der Lnder recht unterschiedlich ausfllt; gleiches gilt fr die Kompetenz der Kommunikation in Englisch, der
Sprache also, die den hchsten Verbreitungsgrad hat. Ich werde in einem
ersten Schritt den theoretischen Erklrungsrahmen erlutern, der uns helfen
kann, Unterschiede in der Mehrsprachigkeit zu erklren (Kapitel 4.2.1). Aus
diesem allgemeinen Erklrungsrahmen lassen sich eine Vielzahl an Hypothesen ableiten, die dann in einem zweiten Schritt zuerst bivariat, dann multivariat berprft werden sollen. Da ich sowohl an der Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital im Allgemeinen als auch an
der Erklrung der Englischkompetenz interessiert bin, erfolgt die berprfung der Hypothesen in zwei separaten Unterkapiteln. Das Kapitel 4.2.2
rckt die Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital, das Kapitel 4.2.3 die Erklrung von Englisch in den Mittelpunkt der
Analyse.

162

4.2.1 Ein Modell zur Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches
Kapital
Es gibt verschiedene Theorien, die sich an der Erklrung des Fremdsprachenerwerbs versucht haben. Hartmut Esser (2006: 65-73) hat jngst die
verschiedenen Anstze aus der Linguistik, der konomie und der Soziologie
vorgestellt und zusammengefasst. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die
meisten Theorien untereinander eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten aufweisen, sowohl im Hinblick auf die genannten Faktoren, die die Fremdsprachenkompetenz erklren knnen, als auch bezglich der postulierten kausalen Wirkungsmechanismen.2 Esser selbst synthetisiert die Theorieanstze
und bindet die Erklrung des Fremdsprachenerwerbs an eine allgemeine
Theorie der Erklrung von sozialen Handlungen an. Er steht damit auf den
Schultern von anderen Wissenschaftlern, die sich an der Erklrung des
Sprach- und Fremdsprachenerwerbs versucht und hnliche Erklrungsmodelle vorgeschlagen und getestet haben (z. B. Lieberson 1970; 1981; Selten
& Pool 1991; Espenshade & Fu 1997; Chiswick & Miller 2001; van Tubergen & Kalmijn 2005; Van Parijs 2004; Chiswick 2007; Braun 2009; Hans
2010). Ich orientiere mich im Folgenden an den berlegungen von Esser.
Allerdings: Diese beziehen sich auf die Bedingungen des Erwerbs einer
Fremdsprache durch Migranten. Ich werde die Modellvorstellungen zuerst
erlutern, dann aber die besonderen Bedingungen der Mehrsprachigkeit von
Nicht-Migranten diskutieren.
Das Erklrungsmodell des Fremdsprachenerwerbs von Migranten besteht zum einen aus einem Erklrungskern, der die Entscheidung fr den
Erwerb einer Fremdsprache als Investitionsentscheidung modelliert (1); es
besteht zum Zweiten in der Bestimmung der gesellschaftlichen Randbedingungen, die auf die verschiedenen Faktoren des Kernmodells einwirken
knnen und damit die Entscheidung fr den Erwerb einer Fremdsprache
beeinflussen (2).

Whrend die konomischen Theorien die Wirkungsmechanismen genau explizieren und


zum Teil mathematisch modellieren, bleiben sie in den anderen Anstzen in strkerem Mae
implizit formuliert; substantielle Unterschiede sieht Esser aber nur wenige.

163

a) Das Kernmodell: Fremdsprachenerwerb als Investitionsentscheidung


1) Migranten, so Esser, die in eine neue Gesellschaft kommen, haben im
Hinblick auf den Erwerb der Sprache des Einwanderungslandes grundstzlich zwei Handlungsoptionen: Sie knnen sich fr den Erwerb der neuen
Sprache entscheiden oder bei ihrer Muttersprache bleiben und sich nicht um
einen Fremdsprachenerwerb bemhen. Die beiden Handlungsalternativen
bilden zwei Pole einer Skala; zwischen den beiden Polen sind unterschiedliche Grade der Investition in den Erwerb einer Fremdsprache zu verorten.
2) Ob und in welchem Mae Akteure in den Erwerb einer Fremdsprache
investieren, hngt davon ab, ob der Ertrag der Investition abzglich der
dabei entstandenen Kosten hher ist als der Ertrag, der ohne eine Investition in den Fremdsprachenerwerb entsteht. Der Erwerb der Englischkompetenz kann z. B. bedeuten, dass Menschen mit der Fremdsprachenfhigkeit
bessere Positionen auf dem Arbeitsmarkt erreichen als Personen, die diese
Kompetenz nicht haben. Wissenschaftler, die auf Englisch schreiben und
entsprechend in englischsprachigen Zeitschriften publizieren knnen, erreichen z. B. eine weit breitere Leserschaft; dies kann dazu fhren, dass sie mit
ihren Arbeiten auch hufiger zitiert werden, dadurch in der entsprechenden
scientific community eine hhere Reputation genieen und entsprechend
auch bessere Chancen auf attraktivere Berufspositionen haben inklusive
eines hheren Gehalts. Ein analoger Zusammenhang gilt z. B. fr den Beruf
der Sekretrin. In Deutschland ist fr eine Beschftigung im ffentlichen
Dienst tarifrechtlich genau festgelegt, dass Sekretrinnen, die mehrere
Fremdsprachen beherrschen, in eine hhere Tarifgruppe eingestuft werden,
als Personen, die diese Bedingung nicht erfllen. Zugleich sind mit dem
Fremdsprachenerwerb natrlich Kosten, vor allem Zeitkosten verbunden.
Um fehlerfrei in einer Fremdsprache schreiben zu knnen, muss man fr
eine lngere Zeit in den Erwerb dieser Sprache investiert haben. Wie hoch
die Kosten genau sind, ist recht schwer zu kalkulieren. Philippe Van Parijs
(2004: 132), der sich ausfhrlich mit der Analyse von Fremdsprachen beschftigt hat, nennt mit Bezug auf die einschlgige Literatur die Zahl von
10.000 Stunden, die man bentigt, um eine Sprache zu lernen. So spekulativ
eine solche Zahl auch sein mag und so wenig sie die individuellen Unterschiede beim Fremdsprachenerwerb bercksichtigt, bringt sie doch zum
Ausdruck, dass der Fremdsprachenerwerb mit erheblichen Kosten verbun-

164

den ist. Eine Investition in den Fremdsprachenerwerb findet nur dann statt,
so die Annahme, wenn der Ertrag der Investition minus die entstandenen
Kosten sich im Vergleich zu einer Nichtinvestition auch lohnt.
3) Ob sich eine Investition in den Erwerb einer Fremdsprache lohnt, hngt
nun von drei allgemeinen Bedingungen ab: a) von den Opportunitten, den
Zugangsbedingungen, eine Sprache zu erlernen, b) von der Motivation einer
Investition in eine Fremdsprache und schlielich c) von den Kosten (Esser
2006: 41; Chiswick & Miller 2001; van Tubergen & Kalmijn 2005; zusammenfassend Chiswick 2007; vgl. auch bereits Selten & Pool 1991).3
a) Der Zugang bzw. die Gelegenheitsstruktur bildet eine ganz zentrale Voraussetzung des Erwerbs einer Fremdsprache. Wenn es z. B. in einem Land
eine allgemeine Schulpflicht gibt und Englisch fr alle Schler verpflichtend
die erste Fremdsprache ist, dann ist dies eine wesentlich gnstigere Gelegenheitsstruktur zum Erlernen von Englisch, als wenn es in einem Land
keine Pflicht zum Erlernen einer Fremdsprache gibt bzw. wenn Russisch die
erste obligatorische Fremdsprache ist.
b) Selbst wenn die Opportunitten zum Erwerb einer Fremdsprache gnstig
sind, kann sich der Einzelne dem Erwerb einer Fremdsprache verweigern.
Die Motivation zum Erwerb einer Fremdsprache bildet entsprechend den
zweiten Faktor, der ber die Investition in eine Fremdsprache mit entscheidet. Die Motivation zum Fremdsprachenerwerb kann nun wiederum durch
verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Fr Soziologen sind dabei nicht
die idiosynkratischen Motive von Individuen relevant, sondern die kollektiven Prferenzen. Manche Lnder und Sprachen genieen z. B. ein hohes,
andere ein eher schwaches Prestige. berzeugte, separatistisch orientierte
3

Die drei Faktoren lehnen sich an andere Dimensionierungsvorschlge an. Barry R. Chiswik
und Paul W. Miller (2001) und spter dann Frank van Tubergen und Matthijs Kalmijn (2005)
unterscheiden folgende Faktoren: Exposure, was identisch ist mit dem hier benutzten
Begriff der Gelegenheit, efficiency, was sich mit der Kostendimension deckt und incentives, was mit dem hier benutzen Begriff der Motivation in Einklang zu bringen ist. An spterer Stelle (Esser 2006: 73ff.) unterscheidet Esser vier Faktoren, die ber den Spracherwerb
entscheiden: Motivation, Opportunitt, Kosten und Effizienz. Effizienz bezeichnet die
Schnelligkeit, mit der jemand eine Sprache lernt. Dies scheint mir ein Unterfall der Kostendimension zu sein je schneller jemand lernt, desto geringer sind die Zeitkosten; entsprechend bleibt der Faktor hier unbercksichtigt.

165

Katalanen sind z. B. nur gering motiviert, ihre Spanischkenntnisse zu verbessern; Brger des Iraks, die die amerikanischen Truppen als Besatzungsmacht wahrnehmen, mgen eine Abneigung gegenber der Sprache der
Besatzer empfinden und ihre Motivation, Englisch zu lernen wird dann
gering sein.
c) Schlielich sind die Kosten, die mit dem Erwerb einer Sprache verbunden
sind, eine entscheidende Gre, die ber den Spracherwerb mitentscheidet.
Fr Menschen, die hoch gebildet sind und Erfahrung im Lernen haben,
wird der Aufwand, eine neue Sprache zu lernen geringer sein als fr Menschen, die nur eine geringe Bildung haben und keine Techniken des Lernens
entwickelt haben.4 Und auch die verschiedenen Fremdsprachen unterscheiden sich im Aufwand, den man betreiben muss, um sie zu lernen. Wenn
man als Europer Chinesisch lernen will, dann muss man zugleich ein neues
Zeichensystem lernen; dieser Aufwand bleibt einem beim Lernen von Spanisch erspart. Die Kosten des Erlernens von Spanisch sind also fr einen
Deutschen geringer als die Kosten fr das Erlernen von Chinesisch.
b) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die den Fremdsprachenerwerb beeinflussen
Das Kernmodell gibt nur den allgemeinen Mechanismus an, der dem Erlernen einer Fremdsprache zugrunde liegt. Die Gelegenheitsstruktur des
Spracherwerbs, die Motivation und die Kosten sind aber Faktoren, die das
Individuum selbst nur in einem begrenzten Mae beeinflussen kann. Manche Menschen wachsen in postindustriellen Gesellschaften auf, in denen das
Erlernen von zwei Fremdsprachen Pflicht ist; andere werden in das Schulsystem eines gering modernisierten Landes eingeschult, in dem die Ausbildung und auch die Fremdsprachenausbildung unterentwickelt sind. Manche
Kinder kommen aus einem bildungsbrgerlichem Elternhaus, in dem die
Eltern den Eigenwert von Fremdsprachenkenntnissen motivational vermitteln und zudem die Ressourcen aufbringen knnen, ihre Sprsslinge fr ein
Jahr in ein englisches Internat zu schicken, damit diese richtig Englisch ler4

Die Bildung des Befragten beeinflusst natrlich nicht nur die Kosten des Fremdsprachenerwerbs, sondern ist vor allem mit der Gelegenheitsstruktur verbunden, da die Fremdsprachenausbildung ein Teil des schulischen Curriculums ist. Je hher gebildet jemand ist, desto
lnger war die Zeit, die er in Ausbildungsinstitutionen verbracht hat, desto lnger wurde er in
Fremdsprachen unterrichtet.

166

nen. Andere kommen aus einem Arbeiterhaushalt, in dem der Wert von
Bildung und von Sprachkenntnissen in geringerem Mae vermittelt wird
und die Ressourcen zur Frderung der Kinder ebenfalls gering sind. Die
Beispiele illustrieren, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in hohem Mae die Opportunitten, die Kosten und die Motivation zum Fremdsprachenerwerb beeinflussen, zum Teil sogar determinieren. In der Bedeutung der Randbedingungen fr den Fremdsprachenerwerb unterscheidet
sich der Erwerb einer Fremdsprache durch Migranten von dem von NichtMigranten.
Migranten der ersten Generation lernen die Sprache des Aufnahmelandes in der Regel als Erwachsene und knnen mehr oder weniger viel dafr
tun, um diese Sprache zu lernen. Insofern handelt es sich um Entscheidungen von Personen, bestimmte Investitionen in den Erwerb einer Sprache zu
ttigen oder nicht. Nicht-Migranten lernen Fremdsprachen aber in der Regel
in den jeweiligen Ausbildungsinstitutionen ihrer Lnder. In einigen Lndern
ist z. B. vorgeschrieben, dass in der ersten, dritten oder fnften Klasse eine
Fremdsprache zu lernen ist und zwei Jahre spter eine zweite. Zum Teil ist
auch die Wahl der Sprache vorgeschrieben, z. B. Englisch oder Russisch.
Natrlich lernen auch Erwachsene noch Fremdsprachen, indem sie Volkshochschulkurse besuchen oder Sprachkurse im Ausland oder bei privaten
Sprachschulen im Inland belegen; der Anteil derer, der dies tut, wird aber
vergleichsweise gering sein. Fr den Erwerb einer Fremdsprache durch
Nicht-Migranten scheint also insgesamt der Spielraum fr eigene Entscheidungen wesentlich geringer zu sein, als fr Migranten, die als Erwachsene
eine neue Sprache lernen. Insofern ist die Modellvorstellung, dass es sich
um whlbare Investitionsentscheidungen handelt, nicht ganz angemessen.
Es handelt es sich in hherem Mae um strukturdeterminierte Investitionen.
Dies ndert aber nichts an der Tatsache, dass die Opportunitten, die Kosten und die Motivation den Fremdsprachenerwerb beeinflussen.
Ich werde im Folgenden versuchen, verschiedene gesellschaftliche Rahmenbedingungen und ihre wahrscheinliche Wirkungsweise auf die Gelegenheitsstruktur, die Motivation und die Kosten zu explizieren. Die in der Tabelle 4.1 dargestellten Lnderunterschiede in der Mehrsprachigkeit der Brger werden durch die Ableitung von Hypothesen in soziale Bedingungsfaktoren aufgelst, die hinter den jeweiligen Lndern lagern und jeweils die
Opportunitten, die Kosten und/oder die Motivation des Fremdsprachenerwerbs beeinflussen. Ich begreife die verschiedenen EU-Lnder also als

167

Chiffre fr unterschiedliche soziale Bedingungskonstellationen, die in den


jeweiligen Gesellschaften existent sind und die einen Einfluss auf die
Fremdsprachenkompetenz haben. Der Vorteil, nicht nur die Rahmenbedingungen zu benennen und daraus Hypothesen zu formulieren, sondern die
Rahmenbedingungen auf den Erklrungskern der Theorie, also auf die Kosten, Gelegenheiten und die Motivation zu beziehen, besteht darin, das man
ganz analog zu der Hempel-Oppenheimschen Vorstellung von Erklrungen
das Explanandum aus allgemeinen Gesetzesaussagen und den Antezedenzbedingungen ableitet. Dadurch entgeht man dem Vorwurf, Variablensoziologie zu betreiben, die sich auf die Formulierung von ad-hoc-Hypothesen
beschrnkt. Die Verbindung von Randbedingungen mit einem theoretischen
Kern ermglicht zugleich eine hhere Verallgemeinerbarkeit der Befunde.
Bevor ich Schritt fr Schritt verschiedene Hypothesen abzuleiten versuche und diese dann empirisch berprfen werde, sind zwei Vorbemerkungen notwendig.
1) Die empirischen Auswertungen sttzen sich auf eine Sekundranalyse
von Eurobarometerdaten. Der Nachteil von Sekundranalysen besteht darin, dass man mit den Fragen und Variablen vorlieb nehmen muss, die andere sich ausgedacht und formuliert haben. Dies kann dazu fhren, dass geeignete Indikatoren zur Prfung eigener Erklrungsannahmen fehlen oder
sich die jeweiligen theoretischen Konstrukte nicht genau genug operationalisieren lassen, so dass ein und dieselbe Variable manchmal mehreren theoretischen Konstrukten zugeordnet werden kann. Diese generelle Beschrnkung von Sekundranalysen gilt auch partiell fr unsere Analyse. Zwar sind
die meisten relevanten Variablen im Datensatz vorhanden; allerdings ist es
in einigen Fllen so, dass sich die Variablen nicht eindeutig einem der drei
relevanten Faktoren des Kernmodells Gelegenheit, Motivation, Kosten
zuordnen lassen, sondern auf mehrere Faktoren wirken knnen.
2) Es gibt zwei mgliche Darstellungsweisen der Formulierung und berprfung von Hypothesen. Man strukturiert die Darstellung entlang des
Kernmodells der Erklrung, indem man die drei theoretischen Hauptdimensionen nacheinander abhandelt und die jeweiligen Randbedingungen unter
diese drei Dimensionen subsumiert; dies ist die theoretisch richtige Vorgehensweise, weil sie im strkeren Mae der Logik der theoretischen Ableitung folgt. Eine alternative Darstellung behandelt die verschiedenen Rand-

168

bedingungen nacheinander und erlutert, in welchem Mae welche Randbedingung auf welche Dimension des Erklrungsmodells Einfluss nimmt. Da
in unserem Fall einige Randbedingungen verschiedene Dimensionen des
Kernmodells zugleich beeinflussen, ist es lesefreundlicher und bersichtlicher, die Erluterung und Prfung der Hypothesen entlang der Einteilung
nach Randbedingungen vorzunehmen.
4.2.2 Hypothesen zur Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches
Kapital und ihre empirische berprfung
Jeder Brger der EU ist Mitglied eines Nationalstaates, mit einem bestimmten Institutionengefge, einer eigenen oder mehreren Nationalsprache(n),
einem bestimmten Mediensystem und mit einer bestimmten Bevlkerungsgre. Diese Makrokontexte, die fr alle Brger eines Nationalstaates ganz
hnlich, fr die Brger verschiedener Nationalstaaten aber unterschiedlich
sind, beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, mehrsprachig zu sein. Zugleich
unterscheiden sich die Brger innerhalb eines Nationalstaates z. B. bezglich
ihrer Klassenlage, ihres Bildungsniveaus und bezglich ihres Alters. Und
auch diese individuellen Merkmale beeinflussen die Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital. Die Rahmenbedingungen, die die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital erklren knnen, lassen
sich entsprechend in Makrokontexte einerseits und individuelle Merkmale
andererseits einteilen. Ich werde zuerst die Effekte, die von den Makrokontexten auf die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital ausgehen, erlutern und dann diejenigen Einflussfaktoren diskutieren, die auf
individuelle Merkmale zurckgehen. Tabelle 4.6 gibt einen berblick ber
die verschiedenen Randbedingungen, ihre Wirkung auf die drei Dimensionen des Kernmodells und ihre Wirkungsrichtung. Die Darstellung lehnt sich
an einen Vorschlag von Hartmut Esser (2006: 93f.) an. Allerdings ist die
inhaltliche Fllung der Tabelle eine andere. Dies hat zwei Grnde. Essers
Fokus liegt auf der Erklrung des Fremdsprachenerwerbs von Migranten;
fr diese Gruppe gelten zum Teil andere Bedingungen als fr die Gruppe
der Brger, die innerhalb ihres Nationalstaates eine Fremdsprache erlernen.
Zum Zweiten ist die Studie von Esser nicht international komparativ ange-

169

legt. Entsprechend spielen die Unterschiede zwischen den verschiedenen


Makrokontexten bei ihm keine Rolle.5
Tabelle 4.6: Kerntheorie, gesellschaftliche Randbedingungen und
Brckenhypothesen zu Erklrung der Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital
Opportunitten
Makrokontexte
Mehrere Amtssprachen
Weite Verbreitung der Muttersprache (Kommunikationsnutzen
einer Fremdsprache)
Gre eines Landes
Hohes Modernitts- und
Bildungsniveau der Gesellschaft
Individuelle Faktoren
Alter des Befragten
Obere Klassenlage des Befragten
Hohe Bildung (institutionelles
kulturelles Kapital) des Befragten
Auslndische Herkunft des
Befragten und seiner Eltern
Hohe Identifikation mit der Muttersprache / dem Herkunftsland

Kosten

+
+

Motivation
+
-

+
-

+
+

+
-

Ich werde die verschiedenen Hypothesen nacheinander diskutieren und


berprfen. Zur Operationalisierung der Erklrungsfaktoren wurden zum
Teil neue Variablen gebildet und dies partiell mit Rckgriff auf andere Datenstze. Die genaue Beschreibung der verschiedenen Variablen befindet
sich in einem Anhang ganz Ende dieses Kapitels.

Die meisten Studien, die die Sprachenkenntnisse von Migranten analysiert haben, konzentrieren sich auf ein Land und knnen entsprechend den Effekt von unterschiedlichen Makrokontexten nicht untersuchen. Ausnahmen sind z. B. die Untersuchung von Barry R. Chiswik
und Paul W. Miller (1995) und die sehr guten Analysen von Frank van Tubergen et. al (2004)
sowie Frank van Tubergen und Matthijs Kalmijn (2005).

170

a) Institutionalisierte Sprachenordnung und die Anzahl der Amtssprachen


Wir hatten im letzten Kapitel gesehen, dass die meisten europischen Lnder durch den Prozess der Nationalstaatsbildung sprachlich homogenisiert
wurden und nur eine Amtssprache zugelassen haben. Dies gilt aber nicht fr
die Lnder Belgien, Luxemburg, Malta und Irland;6 in diesen Lndern ist die
Zweisprachigkeit fest institutionalisiert. Die institutionalisierte Zweisprachigkeit fhrt dazu, dass die Menschen in diesen Lndern angehalten, zum
Teil verpflichtet werden, die beiden Nationalsprachen zu lernen, sei es in der
Schule, sei es in auerschulischen Kontexten. Die Gelegenheiten zum Erwerb von zwei Sprachen sind entsprechend in diesen Lndern deutlich strker ausgeprgt als in Lndern, in denen nur eine Sprache als Amtssprache
institutionalisiert ist. Zudem mag sich die institutionalisierte Zweisprachigkeit auf die Motivation der Menschen auswirken, die beiden Amtssprachen
zu lernen. Die Kenntnis der anderen gesprochenen Sprache des Landes
erhht die Chancen auf dem eigenen Arbeitsmarkt, die Kontaktchancen
(soziales Kapital), die Chancen der politischen Beteiligung etc.
Tabelle 4.7: Institutionalisierte Mehrsprachigkeit des Landes und
transnationales sprachliches Kapital der Brger (in Prozent)
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Einsprachiges Land
51,8
27,2
14,8
6,1
23.510

Mehrsprachiges Land
25,1
22,8
22,8
19,3
3.010

r = 0,10***, Spearmans Rho = 0,08***, Tau-b = 0,08***

Die Befunde der Tabelle 4.7 besttigen die Hypothese. Der Anteil der Personen, die mehrere Sprachen sprechen, ist in den Lndern, in denen die
Mehrsprachigkeit institutionalisiert ist, deutlich hher als in den Lndern,
die nur eine Amtssprache haben.
6 In Irland ist die Zweisprachigkeit zwar rechtlich kodifiziert, wird aber von der Bevlkerung
faktisch nicht praktiziert; nur ein geringer Anteil der Iren spricht Gaeilge; klassifiziert man
Irland als einsprachiges Land, wird der statistische Zusammenhang in der Tabelle deutlich
strker.

171

b) Verbreitung der Muttersprache und der Kommunikationsnutzen einer Fremdsprache


Die Kenntnis einer Sprache hat, wie ich in Kapitel 2.1 erlutert habe, vor
allem die Funktion, mit anderen Menschen in Kontakt treten und sich vergesellschaften und vergemeinschaften zu knnen. Personen, die in einer
Gesellschaft leben, in der viele andere dieselbe Muttersprache sprechen,
haben entsprechend deutlich hhere Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungschancen als Menschen, die eine Sprache sprechen, die nur von
wenigen Personen gesprochen wird. Die zuletzt Genannten sind in strkerem Mae auf die Kenntnis von Fremdsprachen angewiesen, um ihre Kontaktmglichkeiten zu erhhen.7 Umgekehrt formuliert: Der Kommunikationsnutzen einer zu lernenden Fremdsprache ist fr diejenigen, deren Sprache von vielen sei es als Muttersprache, sei es als Fremdsprache gesprochen wird, geringer als fr Personen, fr die diese Bedingung nicht gilt; dies
sollte sich auf die Motivation eines Fremdsprachenerwerbs auswirken (vgl.
de Swaan 1993; 2001a; 2001b).8
Zur berprfung dieser Hypothese habe ich zum einen die Mittelwerte
zwischen dem Verbreitungsgrad der jeweiligen Sprache und der Fremdsprachenkompetenz der Brger berechnet. Zum Zweiten wurden die verschiedenen Lnder dichotomisiert und zwar in eine Gruppe, deren Sprache von
mindestens 10 % der EU-Bevlkerung (sei es als Mutter- oder als Fremdsprache) und eine Gruppe, deren Sprache von weniger als 10 % der Bevlkerung gesprochen wird. Ich habe dann analysiert, ob sich die beiden Gruppen in ihrer Mehrsprachigkeit signifikant voneinander unterscheiden. Die
Ergebnisse beider Berechnungen sind in folgender Tabelle zusammengefasst.
7

Jochen Roose (2010: 129f.) kann z.B. zeigen, dass in Grenzregionen mehr Menschen die
Sprache des Nachbarlandes beherrschen als im Rest des Landes. Er fhrt dies auf den hheren Nutzen zurck, der mit der Kenntnis der Sprache des Nachbarlandes verbunden ist.
8 Dabei berechnet sich der so genannte Sprachwert einer jeden Sprache nach einer bestimmten Formel:
Qi S = pi ci = Pi / Ns Ci / Ms.
QiS: Kommunikationsnutzen der Sprache i in der Konstellation S.
pi: Prvalenz von i, das heit der Anteil der Sprecher P von i an der Gesamtzahl der Sprecher
N in der Konstellation S. Die Prvalenz gibt Auskunft ber die Anzahl von Sprechern, mit
denen eine direkte Kommunikation in der Sprache i mglich ist.
ci: Zentralitt von i, das heit der Anteil multilingualer Sprecher C, die i in ihrem Sprachrepertoire fhren, im Verhltnis zu allen multilingualen Sprechern in der Konstellation S. Die Zentralitt ist ein Ma fr die Verbindungen von i mit anderen Sprachen in der Konstellation S.

172

Tabelle 4.8: Verbreitung der Sprache und transnationales sprachliches


Kapital (in Prozent)

Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Bis 10%

ber 10%

37,4
28,0
21,5
13,1
17.346

59,4
26,1
11,5
3,0
7.798

Mittelwert
Verbreitung
20,8
17,4
14,8
10,5
25.144

r = -0,27***; Spearmans Rho = -0,25***; Tau-b = -0,24***, Eta = 0,22***

Die Resultate besttigen die Hypothese: Die Fremdsprachenkompetenz von


Personen, deren Sprache weit verbreitet ist, ist deutlich geringer, als die von
Personen, deren Sprache eine geringe Verbreitung hat. Die Mittelwerte sind
folgendermaen zu interpretieren: Die Sprache derjenigen, die drei Fremdsprachen sprechen, wird durchschnittlich von 10,5 % der Menschen in der
EU gesprochen (als Mutter- oder Fremdsprache). Die Sprache derjenigen,
die keine Fremdsprache sprechen, wird dagegen von 20,8 % gesprochen.
Das Assoziationsma Eta bezieht sich auf die Mittelwertberechnungen,
whrend sich die anderen Assoziationsmae auf den Zusammenhang zwischen der Gruppeneinteilung und der Mehrsprachigkeit beziehen.
c) Gre eines Landes und Fremdsprachenkompetenz
Mit dem Verbreitungsgrad einer Sprache hngt hufig die Gre eines Landes zusammen, insofern die Sprachen der kleinen Lnder einen geringen, die
der groen Lnder einen groen Verbreitungsgrad haben. Die Gre eines
Landes kann aber noch in anderer Hinsicht die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital beeinflussen. Je kleiner ein Land ist, desto grer
ist seine internationale Vernetzung. Dies wirkt sich sowohl auf die Gelegenheitsstruktur als auch auf die Motivation zum Fremdsprachenerwerb aus.
Zur Plausibilisierung dieses Zusammenhangs lassen sich in der Literatur
verschiedene Argumente finden (vgl. zum folgenden vor allem Geser 1992).
Aus der Geometrie kann man lernen, dass der Grenzumfang einer Flche
im degressiven Verhltnis zu seiner Innenflche wchst. Dies bedeutet, dass
ein kleines Land (Innenflche) berproportional viel Grenzflche mit seinen
Nachbarlndern hat. Dieser Tatbestand allein erhht die Wahrscheinlichkeit
173

von Auenkontakten. Wenn das Ausland zugleich durch eine andere Sprache gekennzeichnet ist, was in Europa meist der Fall ist, dann wirkt sich dies
positiv auf den Fremdsprachenerwerb aus. Die Gre eines Landes wirkt
hier also auf die Gelegenheitsstruktur des Fremdsprachenerwerbs. Dies gilt
besonders fr moderne, arbeitsteilige Gesellschaften. Die Wahrscheinlichkeit, einen Kommunikations- und Handelspartner fr seine Interessen und
Gter zu finden, der selbst Mitglied der eigenen (sprachlich homogenen)
Gesellschaft ist, ist fr kleine Gesellschaften deutlich geringer als fr groe
Gesellschaften. Die geringe Gre eines Landes motiviert gleichsam zur
Internationalisierung. Entsprechend sind kleine Gesellschaften in der Regel
auch in einem wesentlich hheren Mae in internationale wirtschaftliche
und kommunikative Austauschprozesse integriert als grere Lnder (vgl.
Katzenstein 1985). Der Austausch mit anderen Lndern wird wiederum
wesentlich erleichtert, wenn die Menschen die Sprache des Auslandes sprechen (vgl. van Tubergen & Kalmijn 2005: 1419).
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Gre eines Landes
wahrscheinlich einen Einfluss auf die Fremdsprachenkompetenz der Brger
hat. Menschen lernen eine Fremdsprache nicht nur durch Bildungsinstitutionen und durch unmittelbare Kontakte mit Menschen, die eine andere
Sprache sprechen, sondern auch durch die Rezeption medialer Produkte
(Bcher, Musik, Filme). Die bersetzung und Synchronisation von auslndischen Medienprodukten lohnt sich fr einen Verlag, einen Filmvertrieb
oder fr die Radio- und Fernsehanstalten nur, wenn die Menge der Abnehmer der Produkte eine bestimme Grenordnung erreicht. Ist das nicht der
Fall, werden die Produkte nicht bersetzt und nur in der Originalsprache
distribuiert bzw. bei Filmen und Fernsehsendungen allein mit Untertiteln
versehen ausgestrahlt. Die Kosten fr eine Synchronisation von Filmen sind
ca. elfmal so hoch wie die Kosten fr die Untertitelung (Van Parijs 2004:
128). Der Anteil der Medienprodukte, die in der Originalsprache distribuiert
werden, ist entsprechend in kleinen Lndern deutlich hher als in groen
Lndern (Kilborn 1993; Hasebrink & Herzog 2009). Menschen, die fremdsprachige Medienprodukte rezipieren, werden dadurch ihre Fremdsprachenkompetenz verbessern (vgl. Mitterer & McQueen 2009). Die Gre eines
Landes beeinflusst in diesem Fall die Gelegenheitsstruktur des Fremdsprachenerwerbs.
Zur Prfung der Hypothese des Zusammenhangs zwischen der Gre
eines Landes operationalisiert durch die Einwohnerzahl und der Verf-

174

gung ber transnationales sprachliches Kapital habe ich wiederum zwei


Berechnungen durchgefhrt. Zum einen wurden die Lnder in verschiedene
Gruppen eingeteilt und der prozentuale Zusammenhang mit der Fremdsprachenkompetenz berechnet, zum Zweiten wurde der Mittelwert der Bevlkerungszahl mit der Fremdsprachenkompetenz in Beziehung gesetzt. Die
Befunde beider Berechnungen sind wiederum in einer Tabelle zusammengefasst.
Tabelle 4.9: Gre eines Landes und transnationales sprachliches Kapital
(in Prozent)

Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Bis 5
Mio.
26,5
36,3
25,2
11,9
5.534

5 bis 11
Mio.
41,2
26,8
19,4
12,6
10.327

11 bis 35
Mio.
39,5
24,3
24,2
12,0
4.055

ber 35
Mio.
56,5
27,3
12,2
4,0
6.604

Mittelwert
Bevlkerung
47,4 Mio.
46,8 Mio.
40,7 Mio.
30,4 Mio.
2.6520

r = -0,20***, Spearmans Rho = -0,20***, Tau-b = -0,18***, Eta = 0,18***

Auch hier besttigen die Ergebnisse die Hypothese. Je grer ein Land ist,
desto hher ist der Anteil der Menschen, die keine Fremdsprache sprechen.
56,5 % der Brger in Lndern, die mehr als 35 Millionen Einwohner haben,
sprechen keine Fremdsprache, whrend der Anteil in Lndern bis 5 Millionen Einwohner nur 26,5 % betrgt. Die durchschnittliche Bevlkerungsgre des Landes derjenigen, die drei Fremdsprachen sprechen, betrgt 30,4
Millionen Einwohner, die Bevlkerungsgre des Landes derjenigen, die
keine Fremdsprache sprechen, betrgt hingegen 47,4 Millionen.
d) Modernitt der Gesellschaft und transnationales sprachliches Kapital
Die 27 Lnder der EU unterscheiden sich im Grad ihrer Modernitt. Legt
man z. B. den Human Development Index (HDI) zugrunde, ein in der
Literatur hufig benutztes Ma zur Messung des Modernittsgrades eines
Landes, dann erreichen Rumnien und Bulgarien die geringsten Modernisierungswerte, whrend Schweden, Finnland, Irland und die Niederlande die

175

Tabelle anfhren.9 Wir wissen bis heute nicht genau, welche Faktoren eine
Modernisierung befrdert haben und wie die Kausalbeziehungen zwischen
den verschiedenen Faktoren zu bestimmen sind. Das Ergebnis des Prozesses der Modernisierung ist aber die Entstehung einer Gesellschaft, die durch
ein Set von Merkmalen beschreibbar ist, die zusammen ein Syndrom bilden
(vgl. Norris 2002: 20ff.). Daniel Bell (1973) unterscheidet dabei zwei Phasen
des Modernisierungsprozesses. Modernisierung im Sinne von Industrialisierung meint, dass die industrielle Produktion von Gtern der dominante
Produktionsbereich wird und Fabriken und formale Organisationen die
dominanten Produktionseinheiten werden; Gter und Dienstleistungen
werden ber Mrkte vermittelt und distribuiert; der Grad der Technisierung
der Produktion ist hoch, das Bildungsniveau steigt an, die Urbanisierung
ebenfalls. Die zweite Phase der Modernisierung bezeichnet Bell (1973) als
Postindustrialisierung. Postindustrialisierung ist mit einer Bedeutungszunahme des Dienstleistungssektors verbunden, so dass dieser zum dominanten
Produktionsbereich wird. Technik und Wissenschaftsentwicklung gewinnen
zunehmend an Bedeutung, das Niveau der Bildung einer Gesellschaft steigt
erheblich. Vor allem die Zunahme der Bedeutung von Bildung im Prozess
der Modernisierung ist ein fr die Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital relevanter Faktor.
Die Zunahme der Bedeutung von Bildung im Kontext des Modernisierungsprozesses manifestiert sich in einer Vielzahl von Indikatoren: Zum
einen ist der Anteil der Inklusion aller Bevlkerungsgruppen in das Bildungssystem gestiegen, die Analphabetenrate und der Anteil derer, die keine
Schule besucht haben, ist zu einer marginalen Gre geworden. Zum Zweiten hat sich die Verweildauer in den Bildungsinstitutionen kontinuierlich
ausgedehnt und drittens damit zusammenhngend hat der Anteil der Bevlkerung, der hhere Bildungsinstitutionen besucht, kontinuierlich zugenommen. Ein Teil der Verbesserung der Bildung im Kontext von Modernisierungsprozessen ist die Verbesserung der Ausbildung der Fremdsprachenkompetenz. Je mehr Personen und je lnger diese in den Ausbildungsinstitutionen ihrer Lnder verbleiben, desto besser sollte ihre Ausbildung sein
(ceteris paribus). Und da das Erlernen von Fremdsprachen Bestandteil der
institutionalisierten Ausbildung in allen Lndern der EU ist, kann man erwarten, dass das Niveau der Modernitt eines Landes einen Einfluss auf die
9

In den HDI gehen das reale Bruttosozialprodukt pro Einwohner, das Bildungsniveau und
die durchschnittliche Lebenserwartung ein.

176

Fremdsprachenkompetenz seiner Brger hat. Die landesspezifischen Ausbildungssysteme strukturieren damit die Gelegenheiten fr den Fremdsprachenerwerb: Menschen, die in einem Land leben, das ber ein hoch entwickeltes Ausbildungssystem verfgt, werden mehr und lnger Gelegenheiten
haben, Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben als Menschen, die in einem
Land leben, das ein geringer entwickeltes Ausbildungssystem hat.10 Das
Niveau der Ausbildung kann sich zustzlich auf die Kosten, die mit dem
Erwerb einer Fremdsprache verbunden sind, auswirken. Je besser die allgemeine, fremdsprachenunabhngige Ausbildung von Personen ist, desto
besser und schneller sind sie in der Lage, sich auch neue Wissensgebiete und
u. a. eine neue Fremdsprache anzueignen. Mit der Lnge und Intensitt der
Ausbildung ist eine allgemeine Verbesserung der Lerntechniken verbunden
und diese senkt die Zeitkosten des Erwerbs einer neuen Sprache.
Zur Messung des Grades der Modernitt eines Landes kann man auf
den Human Development Index zurckgreifen. Eine spezifischere und
damit bessere Operationalisierung der Hypothese besteht aber in einer direkteren Messung des Entwicklungsniveaus der verschiedenen Ausbildungssysteme der 27 Lnder der EU. Dazu kann man verschiedene Mazahlen
verwenden. Am besten geeignet erscheinen uns die jhrlichen Ausgaben fr
ffentliche und private Bildungseinrichtungen pro Schler/Studierenden in
EURO KKS (Kaufkraftstandard) fr alle Bildungsbereiche zusammen, basierend auf Vollzeit. Mit dieser Mazahl hat man zwei sinnvolle Relationierungen von absoluten Mazahlen von Bildungsausgaben bercksichtigt:
zum einen das Verhltnis von Ausgaben zur Anzahl der Auszubildenden,
zum anderen Unterschiede in dem Preisniveau in den verschiedenen Lndern durch die Bercksichtigung von Kaufkraftparitten. Mit Hilfe der
Kaufkraftparitten werden die in Landeswhrung ausgedrckten Bildungsausgaben in eine gemeinsame Kunstwhrung, den so genannten Kaufkraftstandard (KKS), umgerechnet. Dnemark und sterreich haben nach dieser
Berechnung ber 8.000 Euro, Grobritannien, Schweden und die Niederlande jhrlich ber 7.000 Euro pro Auszubildendem in die Bildung investiert. Diese Lnder bilden die Spitzengruppe innerhalb der EU. Bulgarien
10 hnlich argumentieren Frank van Tubergen und Matthijs Kalmijn (2005) und Harmut
Esser (2006: 114) bezglich des Erwerbs der Sprache des Landes, in das Migranten eingewandert sind. Personen aus Herkunftslndern oder Regionen mit hohem Modernittsniveau
haben im Vergleich zu Personen aus Lndern mit geringem Modernittsniveau Vorteile im
Erwerb der neuen Sprache.

177

und Rumnien haben hingegen weniger als 2.000 Euro in die Bildung investiert und bilden die Schlusslichter innerhalb der EU.
Ich habe wiederum zwei Berechnungen durchgefhrt, um den Zusammenhang zwischen dem Modernittsniveau eines Landes bzw. dessen Investitionen in Bildung und der Verfgung ber transnationales sprachliches
Kapital zu berprfen. Zum einen wurden die Lnder in drei Gruppen der
Modernitt bzw. bezglich ihrer Ausgaben fr Bildung eingeteilt und der
prozentuale Zusammenhang mit der Fremdsprachenkompetenz berechnet,
zum Zweiten wurde der Mittelwert zwischen dem Modernittsgrad bzw. den
Bildungsausgaben und der Fremdsprachenkompetenz berechnet.
Tabelle 4.10: Modernitt eines Lands und transnationales sprachliches
Kapital (in Prozent)
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Niedrig
51,6
25,6
14,6
8,2
8.163

Mittel
48,7
31,1
15,7
4,5
7.682

Hoch
53,0
24,9
14,8
7,3
10.675

Mittelwert HDI
0,918
0,919
0,919
0,917
26.520

r = -0,01, Spearmans Rho = -0,02*, Tau-b = -0,01*, Eta = 0,02

Tabelle 4.11: Bildungsausgaben eines Landes (in Euro) und transnationales


sprachliches Kapital (in Prozent)

Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Niedrig

Mittel

Hoch

49,1
26,5
15,4
9,0
7.149

58,7
25,3
11,8
4,2
10.717

43,9
29,4
18,6
8,0
8.150

Mittelwert Ausgaben
5.554 Euro
5.660 Euro
5.721 Euro
5.632 Euro
26.016

r = 0,06***, Spearmans Rho = 0,08***, Tau-b = 0,07***, Eta = 0,04***

Die Ergebnisse in beiden Tabellen kommen zu einem hnlichen Befund: Es


gibt keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Grad der Modernitt eines Landes bzw. der Hhe der Bildungsausgaben einerseits und der Fremdsprachenkompetenz seiner Brger andererseits. Zwar zeigen die Assoziationsmae fr den Zusammenhang von Bildungsausgaben und transnationalem sprachlichem Kapital in die richtige, die Hypothese untersttzende
178

Richtung, der Zusammenhang ist aber so schwach (auch wenn er auf der
Basis der hohen Fallzahl signifikant ist), dass man ihn nicht eigentlich als
Besttigung der Hypothese interpretieren kann.
Was knnen die Ursachen fr die Falsifikation der Hypothese sein? Der
Einfluss des Modernittsniveaus und der Bildungsausgaben eines Landes auf
die Fremdsprachenkompetenz seiner Brger wird wahrscheinlich konterkariert durch andere Faktoren, die den Fremdsprachenerwerb beeinflussen.
Grobritannien gehrt z. B. zu der Gruppe der vier Lnder, die am meisten
in Bildung investieren; zugleich ist es das Land, in dem Englisch als Muttersprache gesprochen wird und der Kommunikationsnutzen einer Fremdsprache entsprechend mit am geringsten ist. Der umgekehrte Zusammenhang
gilt fr Rumnien, Bulgarien und die drei baltischen Lnder. Diese gehren
zur Gruppe der Lnder, die am wenigsten in Bildung investieren. Zugleich
handelt es sich um Lnder, deren Muttersprache eine geringe Verbreitung
hat und deshalb der Kommunikationsnutzen einer Fremdsprache besonders
hoch ist.
e) Alter und Mehrsprachigkeit
Die Mitgliedslnder der EU sind seit ihrer Grndung in den 50er Jahren des
letzten Jahrhunderts durch einen Prozess des sozialen Wandels gegangen.
Zwei Aspekte des sozialen Wandels sind fr die Mehrsprachigkeit von besonderer Relevanz. Zum einen, und dies knpft an den vorherigen Punkt an,
ist das Modernittsniveau aller Gesellschaften angestiegen, vor allem das
Bildungsniveau der Bevlkerung, insofern sich die Verweildauer der Menschen im Bildungssystem erhht hat und die Quote der Personen mit hheren Bildungsabschlssen von Kohorte zu Kohorte angestiegen ist. Um dies
an einem Beispiel zu illustrieren: Das bundesrepublikanische Schulsystem ist
bekanntlich dreigliedrig strukturiert (Hauptschule, Realschule, Gymnasium).
Der Anteil 13jhriger Schulkinder, die ins Gymnasium gingen, betrug zu
Beginn der 50er Jahre 12 %, zu Beginn der 70er Jahre 20 % und 2004 33 %.
Der Anteil an Hauptschlern fiel rapide von ca. 80 % zu Beginn der 50er
Jahre auf etwas mehr als 20 % im Jahr 2004 (Statistisches Bundesamt 2008).11
Die Studienanfngerquote (der Anteil einer Alterskohorte, die ein Studium
11 http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publi
kationen/Querschnittsveroeffentlichungen/Datenreport/Downloads/Datenreport2008,pro
perty=file.pdf

179

aufnimmt) ist in dem gleichen Zeitraum enorm angestiegen. hnliche Entwicklungen lassen sich fr die anderen Lnder Europas nachzeichnen.
Nicht nur hat sich die Ausbildungsdauer in den Lndern Europas im
Zeitverlauf verlngert und das Ausbildungsniveau erhht, die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften haben sich, wie wir in Kapitel 3.2 gesehen
haben, zunehmend europisiert und globalisiert, ihr wirtschaftlicher, politischer und sozialer Vernetzungsgrad mit den anderen Gesellschaften innerhalb und auerhalb Europas ist im Zeitverlauf gestiegen. Beide Vernderungen der makrostrukturellen Kontextbedingungen sollten einen Einfluss auf
die Mehrsprachigkeit der verschiedenen Alterskohorten haben. ltere Generationen verbrachten krzere Zeiten in den Ausbildungsinstitutionen, erreichten im Durchschnitt ein niedrigeres Ausbildungsniveau, verfgen wahrscheinlich auch ber weniger transnationale Erfahrungen und haben damit
weniger Gelegenheit gehabt, Fremdsprachen zu lernen als jngere Kohorten. Die Zunahme der Europisierung und Globalisierung der Gesellschaften kann zudem einen Einfluss auf die Motivation des Fremdsprachenerwerbs haben. Jngere Generationen sehen in strkerem Mae die Notwendigkeit und die Chance, die die Fhigkeit, eine fremde Sprache zu sprechen,
mit sich bringt.
Neben diesem Kohorteneffekt kann man zustzlich vermuten, dass es
einen Lebensverlaufseffekt auf die Fremdsprachenfhigkeit gibt. Wer als
Schler oder Student eine Fremdsprache gelernt oder gesprochen hat, mag
im Zeitverlauf in seinen Fremdsprachenkenntnissen nachlassen, vor allem
dann, wenn er die gelernte Fremdsprache nicht praktiziert. Hinzu kommt,
dass der Zeitaufwand (Kosten) des Erlernens einer neuen Sprache mit zunehmendem Alter steigt, da die Lerngeschwindigkeit, die Nachahmungsfhigkeit und die Gedchtnisleistung mit dem Alter nachlassen. Aus all den
genannten Grnden vermuten wir, dass Personen, die jnger sind, ber
mehr transnationales linguistisches Kapital verfgen als ltere Personen.
Ich habe die Befragten in sechs Altersgruppen eingeteilt und analysiert,
ob die jngeren Kohorten ber eine bessere Fremdsprachenkompetenz
verfgen als die lteren Generationen; zudem wurde ein Mittelwertvergleich
durchgefhrt und analysiert, wie alt im Durchschnitt diejenigen Personen
sind, die keine, eine, zwei oder drei Fremdsprachen sprechen. Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: Die jngere Generation verfgt ber eine
deutlich bessere Ausstattung mit transnationalem linguistischem Kapitel als
die ltere Generation. Der Anteil derer, die zumindest eine Fremdsprache

180

sprechen, hat sich von 33,5 % der ber 55jhrigen auf 68,7 % der 1524jhrigen mehr als verdoppelt.
Tabelle 4.12: Alter der Befragten und transnationales sprachliches Kapital (in
Prozent)

Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

15-24

25-34

35-44

45-54

55-64

65+

31,3

39,1

49,6

54,4

59,3

71,3

Mittelwert
Alter
50,3 Jahre

33,6

34,2

28,1

25,8

24,0

17,9

41,5 Jahre

25,8

19,1

14,8

13,8

11,3

6,9

38,3 Jahre

9,3

7,5

7,5

6,0

5,4

4,0

40,8 Jahre

3.447

4.158

4.674

4.473

4.223

5.535

26.510

r = -0,24***, Spearmans Rho = -0,26***, Tau-b = -0,22***, Eta = 0,28***

f) Klassen, Klassenfraktionen, Berufspositionen und Mehrsprachigkeit


Die deskriptiven Befunde haben gezeigt, dass die Verfgung ber transnationales Kapital nicht nur zwischen den 27 Lndern sehr unterschiedlich ausfllt, sondern auch innerhalb der Lnder. Alle Gesellschaften der Europischen Union sind in sich vertikal strukturiert und insofern Klassengesellschaften. Man kann vermuten, dass die Klassenzugehrigkeit der Eltern
einer Person und die Klassenzugehrigkeit der Person selbst die Verfgung
ber transnationales sprachliches Kapital beeinflusst.12
Der Datensatz enthlt leider keine Angaben ber die Eltern der Befragten. Insofern sind unsere Prfmglichkeiten der Hypothese, die ich gleich
noch genauer spezifizieren werde, recht eingeschrnkt. Akzeptiert man aber
folgende Brckenannahme, dann lsst sich der Zusammenhang zwischen
der Klassenlage der Eltern und der Fremdsprachenkompetenz des Befragten
12 Der Einfluss der Klassenlage kann nicht nur zur Erklrung der gesellschaftlich internen
Verteilung von transnationalem sprachlichem Kapital beitragen, sondern auch zu den Unterschieden zwischen verschiedenen Lndern. Wenn die oberen Klassen mehr Fremdsprachen
sprechen als die unteren Klassen, und wenn in einem Land A die oberen Klassen quantitativ
grer sind als in einem Land B, dann fhrt dies dazu, dass die Anzahl der mehrsprachigen
Personen im Land A hher ist als im Land B.

181

zumindest ansatzweise valide operationalisieren. Die soziologische Klassenanalyse geht davon aus, dass die Zugehrigkeit der Eltern zu einer Klasse
die Chancen der Kinder im Hinblick auf ihre Bildung, das zuknftige Einkommen, die Berufsposition und den Lebensstil in hohem Mae beeinflusst.
Insofern findet vermittelt durch das Elternhaus dauerhaft eine Reproduktion der Klassenstruktur einer Gesellschaft statt. Die Strke der Reproduktion
der Klassen variiert dabei zwischen den verschiedenen Lndern (vgl. Erikson & Goldthorpe 1992). Wenn es aber zumindest partiell eine Vererbung
der Klassenzugehrigkeit gibt, dann kann man die Angaben zur Klassenzugehrigkeit eines Befragten als Annherungsmessung der Klassenlage des
Elternhauses interpretieren.
Zur Beschreibung von Klassen gibt es verschiedene Typologisierungsvorschlge. Ich beziehe mich hier, wie schon bei der Entwicklung des Begriffs des transnationalen sprachlichen Kapitals, auf die Theorie von Pierre
Bourdieu. Die Verfgung ber linguistisches Kapital ergibt sich dann aus
der Klassenlage einerseits und der hinter den Klassen gelagerten relevanten
Kapitalausstattung andererseits. Die Klassenstruktur einer Gesellschaft ergibt sich aus der Aggregation der Kapitalien, ber die Personen verfgen
und der Zuordnung der Personen mit der gleichen Kapitalausstattung zu ein
und derselben Klasse. Bourdieu unterscheidet bekanntlich drei Klassen, die
sich im Niveau des Kapitalvolumens voneinander unterscheiden (die Oberklasse, die Mittelklasse und die Unterklasse). Innerhalb der drei Klassen sind
die Klassenfraktionen platziert, die durch eine unterschiedliche Zusammensetzung von kulturellem und konomischem Kapital gekennzeichnet sind
(Bourdieu 1982; 1983). Die Klassen und die Klassenfraktionen werden von
Bourdieu nicht nur abstrakt benannt, sondern mit der Angabe von konkreten Berufspositionen genauer bezeichnet. Dies ist fr unsere empirische
Analyse wichtig, weil der Datensatz es ermglicht, auf die erhobenen Berufspositionen zurckzugreifen. Die Oberklasse spaltet sich in eine Klassenfraktion mit viel kulturellem Kapital und eine Gruppe mit wenig kulturellem
Kapital. Das Besitzbrgertum, bestehend vor allem aus den Selbstndigen,
verfgt ber hohes konomisches und im Verhltnis dazu ber wenig kulturelles Kapital. Beim Bildungsbrgertum liegt ein umgekehrtes Verhltnis
vor: Hier dominiert das kulturelle Kapital vor dem konomischen. Zum
Bildungsbrgertum zhlt Bourdieu vor allem die Professoren und die anderen akademischen Berufe. Die Mittelklasse oder das Kleinbrgertum besteht
aus den Inhabern mittlerer Berufspositionen, vor allem aus den mittleren

182

Angestellten. Das Kleinbrgertum ist intern weiter differenziert: das absteigende


Kleinbrgertum besitzt wenig oder schrumpfendes konomisches und kulturelles Kapital; ber ein mittleres Volumen der beiden Kapitalsorten kann
das exekutive Kleinbrgertum verfgen und als Komplementrklasse zur
neuen Bourgeoisie existiert, entsprechend mit mittlerem Kapitalvolumen
ausgestattet, das neue Kleinbrgertum. Die Unterklasse, bzw. die Arbeiterund Bauernschaft wird von Bourdieu nicht weiter in Klassenfraktionen differenziert. Zur Arbeiterschaft gehren die gering gebildeten und manuell Berufsttigen.
Der Datensatz enthlt keine Einkommens- und Vermgensfragen, so
dass eine Operationalisierung des konomischen Kapitals unmittelbar nicht
mglich ist. Die Interviewten wurden aber nach ihrer Berufsposition befragt
und diese wird auch von Bourdieu zur Beschreibung der Klassen und
Klassenfraktionen benutzt.13 Aus den verschiedenen Kategorien wurden
folgende Berufsgruppen gebildet.

Angestellte oder selbstndige Professionals: Darunter fallen rzte,


Architekten, Rechtsanwlte, Hochschullehrer etc.
Hhere und mittlere Leitungskrfte: Darunter fallen Direktoren und
Manager, Abteilungsleiter, Techniker, Lehrer etc.
Selbstndige: Erfasst werden hier Geschfts- und Firmenbesitzer, selbstndige Handwerker etc.
Mittlere Angestellte und Facharbeiter
Ungelernte Arbeiter und Angestellte

Ich vermute, dass alle Berufsgruppen im Vergleich zu der Referenzgruppe


der ungelernten Arbeiter und Angestellten, die Bourdieu dem Proletariat
zuordnet, in hherem Mae ber linguistisches Kapital verfgen. Ich vermute zweitens, dass die Mittelklasse der Angestellten in geringerem Mae
ber linguistisches Kapital verfgt als die Selbstndigen, die Leitungskrfte
und die Professionals. Schlielich gehe ich davon aus, dass es eine Differenz
gibt zwischen den Professionals und den Leitungskrften auf der einen und
den Selbstndigen auf der anderen Seite. Alle drei Gruppen gehren zur
13 Wenn Interviewte zum Zeitpunkt der Befragung nicht erwerbsttig waren sei es, weil sie
zu diesem Zeitpunkt im Haushalt ttig, verrentet oder arbeitslos waren dann wurden sie
nach ihrer frheren Berufsposition gefragt. In einem ersten Schritt wurden die Anworten auf
die aktuelle und die frhere Berufsposition miteinander fusioniert.

183

Oberschicht, bilden aber zwei unterschiedliche Fraktionen innerhalb der


Oberklasse. Die Selbstndigen sind diejenigen, die ber viel konomisches,
aber ber relativ wenig kulturelles Kapital verfgen.14 Fr die anderen beiden Gruppen gilt die umgekehrte Kapitalstruktur. Entsprechend vermute
ich, dass die Selbstndigen im Vergleich zu den Professionals und den Leitungskrften in schwcherem Mae ber eine transnationale sprachliche
Kapitalausstattung verfgen.
Ich gehe davon aus, dass sowohl die Klassenposition des Elternhauses
des Befragten (1) als auch die eigene Klassenposition die formulierten Wirkungszusammenhnge begrnden kann (2).
1) Je hher die Klasse des Elternhauses des Befragten, desto mehr werden
die Eltern in die Bildung des Kindes investiert haben. Zu den Bildungsinvestitionen gehrt die Schaffung von Gelegenheiten zur Bildung wie auch
die Vermittlung der Motivation, dass Bildung ein wichtiges Lebensziel ist.
Fremdsprachen sind ein Teil dieser Bildungsinvestitionen. Insofern kann
man vermuten, dass die Klassenlage der Eltern die Ausstattung der Kinder
mit transnationalem sprachlichem Kapital beeinflusst. Charlotte Bchner
(2004) kann in einer Auswertung der Daten des Sozio-oekonomischen Panels zeigen, dass Schler, die im Ausland zur Schule gegangen sind oder dort
studiert und die jeweilige Fremdsprache gelernt haben, vor allem aus Elternhusern der oberen Klassen stammen. Auch die vermuteten Unterschiede in der Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital zwischen den beiden Klassenfraktionen der Oberklasse kann durch das Elternhaus beeinflusst werden. Whrend die Selbstndigen eher die anwendungsbezogenen, technisch naturwissenschaftlichen Kompetenzen ihrer Kinder
frdern, investiert das Bildungsbrgertum strker in eine humanistische
Ausbildung und dazu gehren u. a. die Fremdsprachen. Der symbolische
Nutzen des transnationalen sprachlichen Kapitals mag hier eine zustzliche
Rolle spielen (siehe dazu Kapitel 2.1). Personen, die mehrsprachig sind,
erhalten aufgrund dieser Kompetenz Anerkennung durch ihre Mitmenschen. hnlich wie die kulturellen Eliten innerhalb der Lnder durch eine
ffentliche Inszenierung ihres hochkulturellen Lebensstils sich als gebildete
Klasse prsentieren und gegenber den mittleren Klassen und der Klassen14 Da die Kategorie nicht nur Unternehmer sondern auch kleine Selbstndige wie Handwerker, die Bourdieu eher dem Kleinbrgertum zuordnen wrde, enthlt, ist die Operationalisierung etwas unscharf.

184

fraktion derer, die zwar ber viel materielles, aber ber relativ wenig kulturelles Kapital verfgen, abgrenzen knnen, ermglicht die Verfgung ber
transnationales sprachliches Kapital, sich als Teil einer transnationalen Klasse
darzustellen und damit Distinktionsgewinne einzufahren.
Die durch die Herkunftsklassen bedingte unterschiedliche Ausstattung
mit transnationalem sprachlichem Kapital beeinflusst dann wiederum die
Chancen, eine bestimmte Klassenposition zu erreichen, da die Mehrsprachigkeit die Chance erhht, bessere Berufspositionen und hhere Klassenpositionen zu erreichen.
2) Die dann vom Befragten erreichte Klassenposition erffnet unterschiedliche Mglichkeiten der Praktizierung der Fremdsprachenkompetenz. Die
Wahrscheinlichkeit, dass ungelernte Arbeiter und Angestellte, wenn sie denn
Fremdsprachen gelernt haben, diese auch anwenden und praktizieren knnen, ist deutlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, die fr Fhrungskrfte
und Professionals gegeben ist. Auch fr die Klassenfraktion der Selbstndigen vermuten wir, dass sie im Vergleich zu den bildungsbrgerlichen Klassen in geringerem Mae die Mglichkeit haben, vorhandene Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden und zu verbessern.
Tabelle 4.13: Klassen und Klassenfraktionen und transnationales
sprachliches Kapital (in Prozent)
Professionals
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

29,3
31,1
25,2
14,4
1.689

Hhere und
mittlere
Leistungskrfte
32,8
34,7
22,2
10,3
3.346

Selbststndige
52,8
25,6
13,2
8,5
1.590

Facharbeiter
und mittlere
Angesellte
55,5
26,6
12,5
5,4
12.922

Ungelernte
Arbeiter
70,6
19,7
6,7
2,9
2.960

r = -0,11***, Spearmans Rho = -0,14***, Tau-b =-0,12***

Die empirischen Ergebnisse besttigen die Erwartung, dass alle Berufsgruppen im Vergleich zu der Referenzgruppe der ungelernten Arbeiter und Angestellten in hherem Mae ber transnationales sprachliches Kapital verfgen. Weiterhin zeigt sich, dass die Mittelklasse der Angestellten in geringerem Mae mehrsprachig ist als die zwei Gruppen der Oberklasse (Leitungskrfte, Professionals); auch dies entspricht der Bourdieuschen Hypothese.

185

Weiterhin zeigt sich eine Differenz zwischen den Professionals und den
Leitungskrften auf der einen Seite und den Selbstndigen auf der anderen
Seite. Dies deutet darauf hin, dass die beiden Gruppen zwei Fraktionen
innerhalb der Oberklasse bilden. Die Selbstndigen sind diejenigen, die ber
viel konomisches, aber ber relativ wenig kulturelles und linguistisches
Kapital verfgen.
g) Institutionalisiertes kulturelles Kapital (Bildung) und Mehrsprachigkeit
Die Klassenstruktur einer Gesellschaft ergibt sich, so Bourdieu, aus der
Aggregation der Kapitalien, ber die Personen verfgen. Das materielle und
das kulturelle Kapital sind zur Ausbildung der Klassenstruktur die entscheidenden Ressourcen. ber die Ausstattung der Personen mit Einkommen
und Vermgen liegen uns leider keine Informationen vor, wohl aber ber
ihr institutionalisiertes kulturelles Kapital. Dieses besteht aus der Bildung
bzw. den Bildungszertifikaten, die eine Person durch die Bildungsinstitutionen einer Gesellschaft verliehen bekommen hat. Da Fremdsprachen in der
Regel ber die Ausbildungsinstitutionen vermittelt werden, kann man davon
ausgehen, dass das institutionalisierte kulturelle Kapital einen positiven Einfluss auf die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital hat.15 Fr
diese These sprechen drei Argumente. Hhere Bildung bedeutet eine lngere Verweildauer in Bildungseinrichtungen und die Teilhabe an qualitativ
anspruchsvolleren Bildungseinrichtungen. Fremdsprachenunterricht ist Teil
der Schulausbildung. Je lnger und je anspruchsvoller man beschult wird,
desto lnger und desto anspruchsvoller ist man auch dem Fremdsprachenunterricht ausgesetzt. Eine lngere und bessere Bildung beeinflusst aber
nicht nur die Gelegenheitsstruktur, sondern auch die Motivation zum
Fremdsprachenerwerb, wie Hartmut Esser vermutet (Esser 2006: 110). Gerade die hheren Bildungseinrichtungen vermitteln die Vorstellung, dass
Fremdsprachenerwerb einen kulturellen Wert an sich darstellt. Schlielich
kann das Niveau der Bildung auch die Kosten des Fremdsprachenerwerbs
beeinflussen, da sich mit der Lnge der Ausbildung auch die allgemeinen
Lerntechniken verbessern und dies die Zeitkosten des Erwerbs einer neuen
Sprache senkt.
15 Die durch die Bildungsinstitutionen vermittelte Fremdsprachenkompetenz kann dann
wiederum zur Erhhung des institutionalisierten kulturellen Kapitals in Form von Bildungszertifikaten fhren.

186

Bildungsabschlsse in 27 Lndern mit unterschiedlichen Bildungssystemen


zu erheben, so dass die Bildungszertifikate miteinander vergleichbar sind, ist
nicht einfach. Das Eurobarometer enthlt aber eine Variable, die einen Vergleich der Bildungszertifikate trotz der Unterschiede in den Bildungssystemen zumindest grob ermglicht. Die Interviewten wurden gefragt, wie alt
sie waren, als sie ihre Ausbildung beendet haben. Je lter ein Befragter zum
Zeitpunkt der Beendigung seiner Ausbildung war, desto hher ist sein Bildungsabschluss, desto hher ist sein institutionalisiertes kulturelles Kapital
und desto besser wird seine Ausstattung mit transnationalem sprachlichem
Kapital sein.
Zum einen wurden die Befragten in drei Bildungsgruppen eingeteilt
und analysiert, ob Personen mit hherer Bildung ber eine bessere Fremdsprachenkompetenz verfgen als die mit geringerer Bildung; zum Zweiten
wurde das Durchschnittsalter bei Beendigung der Ausbildung derjenigen,
die keine, eine, zwei oder drei Fremdsprachen sprechen, berechnet.
Tabelle 4.14: Institutionalisiertes kulturelles Kapital und Mehrsprachigkeit (in
Prozent)

Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Niedrig

Mittel

Hoch

80,7
14,9
3,2
1,2
5.662

54,0
28,6
12,3
5,1
12.031

25,6
34,1
26,4
13,9
5.869

Mittelwert
Bildung
16,6 Jahre
18,9 Jahre
20,4 Jahre
21,0 Jahre
23.562

r = 0,40***, Spearmans Rho = 0,41***, Tau-b = 0,37***, Eta= 0,43***

Die Hypothese wird durch die Ergebnisse besttigt. Nicht nur das: Vergleicht man die Ergebnisse der verschiedenen bivariaten, bis jetzt durchgefhrten Analysen miteinander, dann scheint von dem institutionalisierten
kulturellen Kapital der deutlich strkste Effekt auf die Mehrsprachigkeit
auszugehen.

187

h) Auslndische Herkunft des Befragten bzw. seiner Eltern und transnationales


sprachliches Kapital
Bis jetzt wurde unterstellt, dass die Brger der Mitgliedslnder der EU jeweils
in ihrem Land geboren, dort aufgewachsen und die Sprache ihres Landes als
Muttersprache gelernt haben. Dabei wurde auer Acht gelassen, dass manche
Brger bzw. deren Eltern selbst transnationale Erfahrungen gemacht haben,
indem sie in einem Land geboren und spter in ein anderes Land ausgewandert sind. Da ein Landeswechsel aufgrund der segmentierten Sprachenstruktur hufig auch mit einem Sprachenwechsel verbunden ist, sind die Personen,
die von einem Land in ein anderes ausgewandert sind, auch hufig der Notwendigkeit ausgesetzt, eine neue Sprache zu lernen. Entsprechend kann man
erwarten, dass die Personen, die einen Wechsel des Landes vollzogen haben,
mehr Sprachen sprechen, als diejenigen, fr die dies nicht zutrifft. Die folgende Tabelle teilt die Befragten in zwei Gruppen auf: in diejenigen, die in
dem Land, in dem sie im Moment leben, auch geboren wurden und in diejenigen, die in einem anderen Land geboren wurden.
Tabelle 4.15: Geburtsland des Befragten und transnationales sprachliches
Kapital (in Prozent)
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Im Inland geboren
53,1
26,1
14,6
6,2
25.157

Im Ausland geboren
19,5
44,2
23,3
13,0
1.333

r = 0,14***, Spearmans Rho = 0,15***, Tau-b = 0,14***

Die Ergebnisse besttigen die Erwartung. Befragte, die einen Wechsel des
Landes vollzogen haben, sprechen durchschnittlich mehr Fremdsprachen
als Personen, die ihren nationalstaatlichen Container nicht verlassen haben.
Aber nicht nur die eigene transnationale Erfahrung, sondern auch die der
Eltern wird sich wahrscheinlich auf die Mehrsprachigkeit positiv auswirken.
Eltern, die in ein anderes Land ausgewandert sind, sprechen auch in dem
neuen Land zu Hause meist noch die Sprache des Herkunftslandes. Und
hufig legen sie Wert darauf, dass ihre Kinder die Verbindung zu dem Herkunftsland aufrecht erhalten und die Muttersprache ihrer Eltern lernen.
Kinder, deren Eltern diese Migrationserfahrung nicht gemacht haben, haben
188

auch in geringerem Mae die Gelegenheit, zu Hause zweisprachig erzogen


zu werden. Auch diese These wird durch die Ergebnisse der folgenden Tabelle besttigt. Personen, die mindestens ein Elternteil haben, das im Ausland geboren wurde, sprechen deutlich hufiger eine oder mehrere Fremdsprachen als Personen, deren beide Elternteile Inlnder sind.
Tabelle 4.16: Geburtsland der Eltern und transnationales sprachliches
Kapital (in Prozent)
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Beide Eltern Inlnder


54,0
25,9
14,1
6,0
23.705

Mind. ein Elternteil Auslnder


27,6
37,2
23,6
11,5
2.742

r = 0,15***, Spearmans Rho = 0,16***, Tau-b = 0,15***

i) Identifikation mit dem Herkunftsland und transnationales linguistisches Kapital


Ich hatte im Kapitel 2.1 erlutert, dass Sprache nicht nur eine Vergesellschaftungs-, sondern auch eine Vergemeinschaftungsfunktion hat. Sie dient
hufig als wichtiges Identittsmerkmal einer Gruppe. Ist die jeweilige Muttersprache ein Identittsmerkmal einer Gruppe, dann kann der Einfluss und
das Erlernen fremder Sprachen als eine Beeintrchtigung oder sogar als
Verlust der eigenen kollektiven Identitt interpretiert werden. In diesem Fall
ist die Motivation zum Fremdsprachenerwerb gering. Auch der umgekehrte
Zusammenhang ist plausibel. Je strker eine positive emotionale Identifikation mit einer Fremdsprache ist, desto hher ist die Motivation, diese zu
lernen et vice versa. Der Grad der Identifikation mit einer Sprache ist wiederum wesentlich bestimmt durch das Ausma der Identifikation mit der
Gruppe derer, die diese Sprache spricht.
Die uns zur Verfgung stehenden Daten ermglichen es nur sehr begrenzt, den Zusammenhang zwischen Identifikation und Mehrsprachigkeit
zu berprfen. Bezglich der abhngigen Variable verfgen wir ber keine
Information ber den Grad der Motivation zum Fremdsprachenerwerb. Ich
gehe aber davon aus, dass die Fremdsprachenkompetenz selbst zum Teil auf
die Motivation, diese zu erwerben, zurckzufhren ist. Weiterhin fehlen uns
Informationen ber die Identifikation mit den verschiedenen Fremdsprachen. Informationen ber die Identifikation mit der Muttersprache sind hin189

gegen indirekt verfgbar. Die Interviewten wurden gefragt, in welchem Mae


sie sich mit ihrem Heimatort, ihrer Region und ihrem Land verbunden fhlen. Die Antwortalternativen reichen von sehr und ziemlich bis zu wenig und gar nicht. Die drei verschiedenen Identifikationsobjekte bilden
zusammen ein Einstellungssyndrom. Diejenigen, die sich stark mit ihrem
Land verbunden fhlen, fhlen sich zugleich auch stark ihrem Heimatort und
ihrer Region zugehrig. Ich habe deswegen in einem ersten Schritt aus den
Antworten auf die drei Fragen eine additive Skala gebildet (Crombachs alpha
= .79). Die neu gebildete Variable misst den Grad der nationalen und subnationalen Identifikation. Damit haben wir allerdings nicht die Identifikation
mit der Sprache des Landes operationalisiert. Da die jeweilige Sprache aber
sehr hufig ein zentrales Merkmal der Region oder des Landes ist, gehe ich
davon aus, dass eine Identifikation mit dem Land und den subnationalen
Einheiten zugleich eine Identifikation mit der dort gesprochenen Sprache
misst. Diese Brckenannahme vorausgesetzt, kann man nun den angenommenen Zusammenhang zwischen dem Grad der nationalen und subnationalen Identifikation und der Mehrsprachigkeit der Brger berprfen. Tabelle
4.17 zeigt zum einen die Ergebnisse bezglich des Zusammenhangs zwischen dem Grad der Identifikation mit dem Land und der Mehrsprachigkeit,16 zum anderen die Mittelwertunterschiede im Grad der Identifikation
mit dem Land/der Region/dem Heimatort zwischen den Personen, die keine, eine, zwei oder drei Fremdsprachen sprechen.
Tabelle 4.17: Verbundenheit mit dem Land und transnationales sprachliches
Kapital (in Prozent)
Keine Fremdsprache
Eine Fremdsprache
Zwei Fremdsprachen
Drei Fremdsprachen
N

Sehr
55,6
25,7
13,2
5,6
15.813

Ziemlich
47,9
28,6
16,6
6,9
8.678

Nicht so
39,3
30,5
19,0
11,2
1.659

Gar nicht
35,5
26,1
26,4
12,0
264

Mittelwert
8,43
8,04
7,82
7,54
26.273

r = 0,11***, Spearmans Rho = 0,11***, Tau-b = 0,10***, Eta = 0,16***

16 Die Ergebnisse bezglich des Zusammenhangs zwischen dem Grad der Identifikation mit
dem Wohnort bzw. der Region und der Mehrsprachigkeit sehen ganz hnlich aus; deswegen
habe ich auf eine Wiedergabe verzichtet.

190

Im Sinne unserer theoretischen Erwartung stellt sich heraus, dass diejenigen,


die eine starke Identifikation mit ihrem Land und den subnationalen Einheiten ihres Landes aufweisen, in geringerem Mae Fremdsprachen beherrschen als diejenigen, die sich schwcher mit ihrem Land identifizieren.
j) Multivariate berprfung der Ergebnisse
In welchem Mae die bivariaten Zusammenhnge auch einer multivariaten
Prfung standhalten, dieser Frage gehe ich im Folgenden nach. Die multivariate Analyse erlaubt es zum einen, die unterschiedliche Strke der verschiedenen Einflussfaktoren in der Erklrung der Mehrsprachigkeit einzuschtzen; sie gestattet es zum anderen, die Einflsse zwischen den verschiedenen
unabhngigen Variablen aufzudecken. So kann man z. B. vermuten, dass ein
Teil der Effekte, die von der Klassenposition des Befragten ausgehen, auf
die Bildung zurckzufhren sind, da die Bildung die Klassenposition beeinflusst. Tabelle 4.18 enthlt die Ergebnisse von sieben verschiedenen linearen
Regressionsrechnungen.17 Ich diskutiere im Folgenden allein, ob und in welchem Mae die verschiedenen Hypothesen besttigt werden und gehe dabei
nicht nochmals auf die Erluterung des Kausalmechanismus ein, der den
Zusammenhang zwischen unabhngiger und abhngiger Variable begrndet,
weil dies bereits bei der Diskussion der bivariaten Ergebnisse erfolgt ist.

17 Zustzlich wurden zwei weitere Berechnungen fr alle Modelle durchgefhrt. 1) Die abhngige Variable ist streng genommen keine metrische, sondern eine ordinal skalierte Variable. Entsprechend wurden ordered logit Regressionen berechnet. 2) Da die abhngige Variable rechtsschief verteilt ist, habe ich zustzlich logistische Regressionsanalysen durchgefhrt,
in der die Frage, ob jemand berhaupt eine Fremdsprache beherrscht oder nicht, die
dichotome abhngige Variable bildet. Die Ergebnisse beider Berechnungen sind mit denen
der linearen Regressionsanalysen komplett identisch. Da die linearen Regressionsanalysen
etwas leichter zu interpretieren sind, habe ich mich fr die Darstellung dieser Analysen entschieden.

191

Tabelle 4.18: Erklrung der Verfgung ber transnationales sprachliches


Kapital (lineare Regressionen)
Mehrere Amtssprachen
Gre des Landes
Sprachverbreitung

Modell Modell
1
2
***
0,088
***
0,032
***
0,220

Modell
3

Modell
4

***

***

***

0,108
***
0,143

***

***

***

0,048
***
0,054

***

-0,059

***

0,301
***
0,204

Professionals
Hhere und mittlere
Leitungskrfte
Selbstndige
Mittlere Angestellte und
Facharbeiter
Alter

Modell
6

***

0,122
0,120
0,050
***
***
***
0,162
0,145
0,041
***

0,166

0,066

***

0,049

***

***

0,080

0,070

***

0,097

-0,135
0,067
19.708

0,067
19.708

0,094
19.708

0,186
19.708

***

***

0,359
***
0,039

Auslndische Herkunft
Befragter
Auslndische Herkunft
Eltern

Gesamtmodell
***
0,054
***
-0,085
***
-0,275
***

0,242
0,234
0,078
***
***
***
0,294
0,294
0,105

Inst. kulturelles Kapital


Bildungsausgaben

Identifikation mit Herkunftsland


R
N

Modell
5

0,022
19.708

0,018
19.708

-0,051

***

0,285
19.708

* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001


Wiedergegeben sind die standardisierten Regressionskoeffizienten. Referenzkategorie fr die Berufsgruppen
sind die ungelernten Arbeiter und Angestellten.

Modell 1 bercksichtigt verschiedene Kontextvariablen, die die Verfgung


ber transnationales sprachliches Kapital erklren knnen: die Gre eines
Landes, den Verbreitungsgrad der Muttersprache und die Frage, ob es in
einem Land mehrere Amtssprachen gibt oder nicht. Wie die Beta-Koeffizienten zeigen, werden alle theoretischen Erwartungen besttigt. Befragte
aus kleineren Lndern, aus Lndern, in denen mehrere Amtssprachen institutionalisiert sind, vor allem aber aus Lndern, deren Sprachen einen geringen Verbreitungsgrad haben, sprechen mehr Fremdsprachen als Brger aus
Lndern, fr die diese Bedingungen nicht gelten.
In einem zweiten Schritt wurde die Berufsposition der Befragten in die
Analyse aufgenommen. Es besttigt sich die Erwartung, dass alle Berufs192

gruppen im Vergleich zur Referenzgruppe der ungelernten Arbeiter und


Angestellten in deutlich hherem Mae ber transnationales sprachliches
Kapital verfgen. Vergleicht man die Berufsgruppen untereinander, dann
sieht man, dass die Mittelklasse der Angestellten in geringerem Mae mehrsprachig ist als die zwei Gruppen der Oberklasse (Leitungskrfte, Professionals); auch dies entspricht der Bourdieuschen Hypothese. Weiterhin zeigt
sich eine Differenz zwischen den Professionals und den Leitungskrften auf
der einen Seite und den Selbstndigen auf der anderen Seite. Dies deutet
darauf hin, dass die beiden Gruppen zwei unterschiedliche Fraktionen der
Oberklasse bilden. Die Selbstndigen sind diejenigen, die ber viel konomisches, aber ber relativ wenig kulturelles und transnationales linguistisches Kapital verfgen.
Im dritten Modell wurde zustzlich das Alter und im vierten Modell
auerdem das institutionalisierte kulturelle Kapital des Befragten und die
Bildungsausgaben des Landes mit in die Analyse einbezogen.18 Wie die Vorzeichen der Koeffizienten zeigen, gehen die Effekte alle in die theoretisch
erwartete Richtung: Je hher die Bildungsausgaben eines Landes, umso
besser die Bildung des Befragten und umso besser seine Fremdsprachenkenntnisse; je jnger ein Befragter ist, desto besser ist seine Ausstattung mit
transnationalem sprachlichem Kapital. Ein Vergleich von Modell drei und
vier zeigt zudem, dass der Einfluss des Alters fast vollstndig verschwindet,
wenn man die Bildung bercksichtigt. Die jngeren Befragten sind auch die
besser Ausgebildeten. Die Bercksichtigung der Bildung reduziert zugleich
den Einfluss der Klassenlage auf die Erklrung des transnationalen linguistischen Kapitals (Vergleich von Modell 2 und 4). Auch dies entspricht der
Vorstellung Bourdieus, dass das institutionalisierte kulturelle Kapital einer
der Bestimmungsfaktoren der Klassenposition ist. Schlielich zeigen die
Analysen, dass die Bercksichtigung der Bildungsvariablen die Erklrungsleistung des Modells von 9 auf 18 % erhht. Von der Bildung des Befragten
geht also der strkste Effekt auf die Mehrsprachigkeit aus. Insgesamt werden durch die Analysen die Bourdieuschen Annahmen sehr gut besttigt.
Die Verfgung ber linguistisches Kapital wird entscheidend bestimmt
durch die Klassenlage und die Kapitalausstattung des Befragten.
18 Whrend ich in den bivariaten Analysen zwei Modernisierungsindikatoren (Human Development Index und die Bildungsausgaben eines Landes), die hoch miteinander korrelieren,
bercksichtigt hatte, beschrnke ich mich hier allein auf die Bercksichtigung der Bildungsausgaben.

193

Modell 5 analysiert, ob die Tatsache, dass der Befragte bzw. eines der beiden
Elternteile im Ausland geboren wurde, die Wahrscheinlichkeit der Mehrsprachigkeit erhht und dies ist, wie die Ergebnisse zeigen, der Fall. Und auch
der erwartete negative Effekt der Identifikation mit dem eigenen Land auf
die Mehrsprachigkeit besttigt sich in der multivariaten Analyse (Modell 6).
Das letzte Modell schlielich bercksichtigt alle theoretisch begrndeten Einflussfaktoren. Wie der R2-Wert von 28,5 % ausweist, kann man die
Fremdsprachenkompetenz mit den unabhngigen Variablen sehr gut voraussagen. Zudem werden alle unsere theoretischen Annahmen besttigt.
Den strksten Einfluss auf die Mehrsprachigkeit des Befragten haben das
institutionalisierte kulturelle Kapital des Befragten, die Bildungsausgaben
des Landes und der Verbreitungsgrad der Muttersprache.19
4.2.3 Hypothesen zur Erklrung der Englischkompetenz der Brger und ihre
empirische berprfung
Wir sind nicht nur an der Erklrung der Verfgung ber transnationales
sprachliches Kapital im Allgemeinen, sondern auch an einer Erklrung der
gefundenen Unterschiede in der Englischkompetenz der Brger interessiert,
da Englisch diejenige Fremdsprache ist, die in Europa von den meisten
Brgern, sei es als Mutter- oder als Fremdsprache, gesprochen wird. Da die
Kompetenz, eine bestimmte Fremdsprache sprechen zu knnen, ein Sonderfall der Fhigkeit ist, Fremdsprachen im Allgemeinen sprechen zu knnen, sind viele der im letzten Kapitel diskutierten Hypothesen auf die Erklrung der Englischkompetenz bertragbar.20 Ich werde deswegen diejenigen
Hypothesen, die sich transferieren lassen, nur sehr kurz diskutieren und
auch nicht bivariat, sondern nur multivariat berprfen. Den neuen, speziell
auf das Englische bezogenen, Hypothesen werde ich mehr Aufmerksamkeit
zukommen lassen. Tabelle 4.19 gibt einen berblick ber die verschiedenen
19 Vergleicht man die Ergebnisse von Modell 4 mit denen des Gesamtmodells, dann sieht
man, dass der Einfluss der Bildungsausgaben im Gesamtmodell strker wird. Das liegt daran,
dass die Bildungsausgaben positiv mit der Landesgre und der Sprachverbreitung korrelieren; der Effekt der Bildungsausgaben wird in Modell 4 also unterschtzt.
20 Von einer berprfung des Zusammenhangs zwischen der Menge der Amtssprachen und
der Mehrsprachigkeit kann man hier absehen. Dieser Fall trifft im Hinblick auf das Englische
nur auf Malta zu. Malta war von 1800 bis 1964 britische Kolonie; Englisch ist auf Malta
neben Maltesisch die zweite Amtssprache. Fast alle Malteser sprechen entsprechend Englisch, wie Tabelle 4.3 auch zeigt.

194

Hypothesen zur Erklrung von Englisch als Fremdsprache. Die neu hinzugekommenen Hypothesen sind besonders markiert.
Tabelle 4.19: Kerntheorie, gesellschaftliche Randbedingungen und Brckenhypothesen zur Erklrung der Englischfremdsprachenkompetenz
Opportunitten
Makrokontexte
Weite Verbreitung der Muttersprache (Kommunikationsnutzen
einer Fremdsprache)
Gre eines Landes
Hohes Modernitts- und
Bildungsniveau der Gesellschaft
Herkunft aus ex-sozialistischem
Land
Groe linguistische Distanz
zwischen Muttersprache und
Englisch
Eigendynamik der Zunahme des
Kommunikationsnutzens von
Englisch
Individuelle Faktoren
Alter des Befragten
Obere Klassenlage des Befragten
Hohe Bildung (institutionelles
kulturelles Kapital) des Befragten
Auslndische Herkunft des Befragten und seiner Eltern
Hohe Identifikation mit der Muttersprache / dem Herkunftsland

Kosten

Motivation
-

+
+

+
-

+
+

+
-

Ich bin von der Vermutung ausgegangen, dass der Kommunikationsnutzen


einer zu lernenden Fremdsprache fr diejenigen, deren Sprache einen groen Verbreitungsgrad aufweist, geringer ist als fr Personen, deren Sprache
nur von wenigen gesprochen wird. Dieser Zusammenhang msste auch fr
Englisch als Fremdsprache gelten. Diejenigen, die eine Sprache sprechen,
die von vielen gesprochen wird, sind weniger motiviert, Englisch zu lernen,

195

als die Sprecher von kleinen Sprachen. Ein hnlicher Effekt auf die Englischkompetenz kann von der Gre eines Landes ausgehen. Ich hatte verschiedene Kausalmechanismen diskutiert, die plausibel machen knnen,
warum in kleineren Lndern sowohl die Gelegenheitsstruktur als auch die
Motivation zum Erwerb einer Fremdsprache gnstiger ist als in greren
Lndern. Dieser Zusammenhang sollte auch und vor allem fr den Erwerb
des Englischen gelten, wenn man z. B. bedenkt, dass viele Filme englischsprachiger Herkunft sind und dass in kleineren Lndern diese aufgrund der
hohen Synchronisationskosten sehr hufig in der Originalsprache ausgestrahlt werden. Ich hatte weiterhin vermutet, dass der Modernittsgrad eines
Landes und vor allem die Entwicklung seines Bildungssystems die Englischkompetenz seiner Brger beeinflusst. Je moderner ein Land und je weiter
und besser das Bildungssystem entwickelt ist, desto besser wird die Ausbildung in Fremdsprachen und eben auch in Englisch sein und umso mehr
Brger werden Englisch sprechen knnen.
Die Englischkompetenz ist ein spezifisches transnationales sprachliches
Kapital. Wie die Verfgung ber die meisten gesellschaftlich relevanten
Ressourcen, wird auch die Englischkompetenz je nach Klassenlage des Befragten unterschiedlich ausfallen. Insofern kann man davon ausgehen, dass
die Hypothesen, die ich aus der Bourdieuschen Klassentheorie abgeleitet
habe, auch fr die Erklrung der Englischkompetenz gelten: Personen aus
den oberen Klassen werden hufiger Englisch sprechen knnen als Personen aus den unteren Klassen; innerhalb der Oberklasse wird die Klassenfraktion der Bildungsbrger hufiger ber Englischkenntnisse verfgen als
die Selbstndigen. Und auch das institutionalisierte kulturelle Kapital sollte einen
starken Effekt auf die Englischkompetenz der Brger haben, da diejenigen,
die eine lngere und bessere Ausbildung genossen haben, in der Regel auch
eher Englisch gelernt haben.
Den wahrscheinlichen Einfluss des Alters auf die Englischkompetenz
interpretiere ich auch hier in erster Linie als Kohorteneffekt. Einerseits hat
sich die Ausbildungsdauer verlngert und das Ausbildungsniveau in den
Lndern Europas im Zeitverlauf verbessert, andererseits hat der Grad der
internationalen Vernetzung deutlich zugenommen. Dies bedeutet fr die
verschiedenen Generationen, dass sie in unterschiedlichem Ausma beschult worden sind und internationalen Erfahrungen und Herausforderungen ausgesetzt waren und sind. Die lteren Generationen drften entspre-

196

chend weniger Gelegenheiten gehabt haben, Englisch zu lernen als die jngeren Kohorten.
Weiterhin kann man davon ausgehen, dass diejenigen, die entweder
selbst oder deren Eltern in einem englischsprachigen Land geboren wurden
und heute in einem anderen Land leben, besser Englisch sprechen, als diejenigen, die diesen Migrationshintergrund nicht teilen. Da in der Umfrage nicht
gefragt wurde, in welchem konkreten Ausland ein Befragter oder einer seiner Elternteile geboren wurde, kann man den Zusammenhang nicht direkt
berprfen. Da aber die Personengruppe, die in einem englischsprachigen
Land geboren wurde, eine Teilmenge derer darstellt, die berhaupt im Ausland geboren wurden (und dies wurde in der Befragung erhoben), kann man
die Information, ob der Befragte oder einer der Elternteile im Ausland geboren wurde, als Annherungsmessung des theoretischen Konstruktes benutzen. Der Zusammenhang zwischen dem Migrationshintergrund des Befragten oder seiner Eltern und der Englischkompetenz sollte aber schwcher
sein als der zwischen Migrationshintergrund und allgemeiner Mehrsprachigkeit. Und schlielich vermute ich, dass eine starke Identifikation mit nationalen und lokalen Einheiten und darber vermittelt mit der jeweiligen Muttersprache die Bereitschaft, Englisch zu lernen eher bremst als stimuliert.
Ob sich all diese Vermutungen empirisch besttigen lassen, werden wir
gleich in den multivariaten Analysen sehen. Neben diesen Hypothesen gibt
es zustzlich drei theoretische Erwartungen, die allein zur Erklrung der
Englischkompetenz herangezogen werden knnen.
a) Bipolare Weltordnung und Englischkompetenz
Ich gehe davon aus, dass die Platzierung eines Landes in der internationalen
Ordnung zur Zeit des Ost-/West-Konfliktes einen Einfluss auf die Englischkompetenz der Brger hat. Die sozialistischen ost- und mitteleuropischen Mitgliedslnder standen bis 1989 unter dem Einfluss der Sowjetunion
und waren der hegemonialen Stellung des Russischen unterworfen, so dass
Russisch vielfach die Fremdsprache war, die gelernt werden musste (vgl.
dazu die Ausfhrungen in Kapitel 3.1). Der Hegemoniebereich der Sowjetunion bildete zudem einen Schutzwall gegenber dem Vordringen des Englischen. Insofern vermute ich, dass die Menschen, die in einem Land leben,
dass zur Einflusssphre der Sowjetunion gehrte, in geringerem Mae Englisch sprechen, als Menschen, die in einem Land leben, das zur westlichen

197

Einflusssphre gehrte. Die Hypothese legt nahe, dass die bipolare Weltordnung nicht die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital im
Allgemeinen beeinflusst, sondern die Wahl einer spezifischen Fremdsprache. Entsprechend muss man die Analyse auf diejenigen Personen beschrnken, die berhaupt eine Fremdsprache sprechen.
Tabelle 4.20: Ex-Sozialistisches Land und Englischkenntnisse (in Prozent)
Kein ex-sozialistisches Land
Englischkenntnisse
Nein
Ja
N

17,8
82,2
8.665

Ex-sozialistisches Land
46,7
53,3
6.749

r = -0,30***, Spearmans Rho = -0,30***, Tau-b = -0,30***

Unsere theoretische Erwartung wird durch die Ergebnisse der Tabelle besttigt. Die Englischkompetenz derjenigen, die mindestens eine Fremdsprache
sprechen, ist in den westlichen Lndern fast 30 % hher als in den ehemaligen sozialistischen Lndern, die zur Einflusssphre der Sowjetunion gehrten. Der gefundene Zusammenhang sollte aber nicht mehr oder zumindest
schwcher fr die Zeit nach dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung
gelten. Die mittel- und osteuropischen Lnder haben sich in relativ kurzer
Zeit in Richtung Westen orientiert und geffnet und sind seit 2004 bzw.
2007 auch Mitglieder der EU. Man kann auch diese Hypothese berprfen,
indem man die Englischkompetenz fr verschiedene Alterskohorten separat
analysiert. Dabei werden zwei Gruppen unterschieden. Personen die zum
Zeitpunkt der Befragung (2005) 25 Jahre und jnger waren (also zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der bipolaren Ordnung 10 Jahre und jnger)
und Personen, die zum Befragungszeitpunkt lter als 25 Jahre waren. Auch
hier beschrnke ich die Analyse auf diejenigen, die berhaupt eine Fremdsprache sprechen.

198

Tabelle 4.21: Ex-Sozialistisches Land und Englischkenntnisse fr zwei


verschiedene Alterskohorten (in Prozent)
Jnger als 25 Jahre
Englischkenntnisse
Nein
Ja
N

Kein ex-sozialistisches Land


8,3
91,7
1.380

Ex-sozialistisches Land
16,9
83,1
1.198

r = -0,13***, Spearmans Rho = -0,13***, Tau-b = -0,13***

25 Jahre oder lter


Englischkenntnisse
Nein
Ja
N

Kein ex-sozialistisches Land


20,1
79,9
7.285

Ex-sozialistisches Land
57,6
42,4
5.548

r = -0,36***, Spearmans Rho = -0,36***, Tau-b = -0,36***

Die Unterschiede in der Englischkompetenz zwischen Personen aus westlichen und vormals sozialistischen Gesellschaften sind in der jungen Alterskohorte merklich geschrumpft, ein Ergebnis, das unsere These vom Einfluss
der bipolaren Weltordnung auf die Englischkenntnisse der Bevlkerung
nochmals besttigt. Lag die Prozentsatzdifferenz zwischen Englischsprechenden Brgern westlicher und stlicher Gesellschaften in der lteren Kohorte noch bei ber 37 %, so betrgt sie fr die Jngeren nur noch 8,6 %.
b) Linguistische Distanz zwischen Muttersprache und Englisch und die Kosten des
Fremdsprachenerwerbs
Wie ich in Kapitel 2.1 erlutert habe, teilt die vergleichende Sprachwissenschaft die verschiedenen Einzelsprachen in Sprachfamilien ein. Innerhalb
der Sprachfamilien gibt es wiederum unterschiedliche Grade der Nhe und
damit der berschneidung im Lexikon, der Phonetik und der Grammatik
etc. Der Abstand zwischen einer Muttersprache, die man schon beherrscht
und einer neu zu lernenden Sprache beeinflusst den Aufwand, den man
betreiben muss, um die Fremdsprache zu erlernen. Je geringer der Abstand
zwischen zwei Einzelsprachen, je hher also die berschneidung zwischen

199

der Muttersprache bzw. einer schon gelernten Fremdsprache und einer zu


lernenden Fremdsprache, desto leichter ist es, die neue Sprache zu lernen.
Insofern hat die linguistische Distanz zwischen einer Muttersprache und der
zu lernenden Fremdsprache einen Einfluss auf die Zeitkosten, die man aufbringen muss, um eine Fremdsprache zu erlernen. Und je hher die Kosten
des Spracherwerbs, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der
Fremdsprachenerwerb auch stattfinden bzw. erfolgreich sein wird. Dieser
angenommene Zusammenhang zwischen linguistischer Distanz, den Kosten
und der Wahrscheinlichkeit des Spracherwerbs ist in einigen Studien, die
sich auf den Spracherwerb von Migranten beziehen, nachgewiesen worden
(vgl. Carliner 2000; Chiswick & Miller 2001; 2004; Van Tubergen & Kalmijn
2005; fr den Spracherwerb in Grenzregionen der EU vgl. Roose 2010).
In einem ersten Schritt wurde der Abstand zwischen den verschiedenen, von den Brgern in der EU gesprochenen Muttersprachen und dem
Englischen bestimmt; dabei haben wir uns an einer Einteilung orientiert, die
auch von anderen Forschern benutzt wurde (Van Tubergen & Kalmijn
2005; Roose 2010). Die entsprechenden Sprachklassifikationen sind in einem Buch verffentlicht, aber auch im Internet21 verfgbar (vgl. Lewis
2009). Englisch ist eine indoeuropische Sprache und gehrt zur Gruppe
der germanischen und zur Untergruppe der westgermanischen Sprachen.
Alle anderen Sprachen wurden in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe mit
hoher und eine mit geringer Distanz zum Englischen.22 Die Ergebnisse der
folgenden Tabelle (die Analyse beschrnkt sich wiederum auf diejenigen, die
zumindest eine Fremdsprache sprechen) besttigen unsere Hypothese: Personen, die eine Sprache als Muttersprache sprechen, deren linguistische
Distanz zum Englischen geringer ist, sind deutlich hufiger in der Lage Englisch zu sprechen, als Menschen, die eine Muttersprache sprechen, deren
Distanz zum Englischen grer ist.

21

http://www.ethnologue.com
Personen, die eine Muttersprache sprechen, die entweder nicht zur Hauptgruppe der indogermanischen Sprachen oder zur Hauptgruppe der indogermanischen, aber nicht zur Untergruppe der germanischen Sprachen gehren, wurde der Wert 1 zugeordnet. Personen, die
eine Muttersprache sprechen, die zu der Gruppe der indogermanischen Sprachen und entweder zur Gruppe der germanischen Sprachen oder zur Untergruppe der westgermanischen
Sprachen gehrt, haben den Wert 0 erhalten. Fr die erste Gruppe ist der Abstand von
ihrer Muttersprache zum Englischen grer als fr die zweite Gruppe und damit auch der
Aufwand hher, Englisch zu lernen.
22

200

Tabelle 4.22: Linguistische Distanz zum Englischen und Englischkenntnisse


(in Prozent)
Nein
Ja
N

Gering
8,1
91,9
4.972

Hoch
36,2
63,8
10.253

r = -0,31***, Spearmans Rho = -0,31***, Tau-b = -0,31***

c) Eigendynamik der Zunahme des Kommunikationsnutzens von Englisch


Fr jeden, der beginnt, Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben, ist es rational, zuerst einmal Englisch als Fremdsprache zu lernen, weil Englisch den
hchsten Kommunikationswert hat. Auf der Basis der getroffenen Entscheidung entsteht im nchsten Schritt eine neue Konstellation fr all diejenigen, die sich zu einem spteren Zeitpunkt fr eine Fremdsprache entscheiden. Die Menge der Sprecher, die die gewhlte Sprache sprechen in
unserem Fall Englisch , hat sich erhht, so dass es fr diejenigen, die sich
zu einem spteren Zeitpunkt fr eine Sprache entscheiden, noch rationaler
wird, Englisch als Fremdsprache zu whlen, weil die Menge der damit erreichbaren Personen gewachsen ist. Dieser Mechanismus kann erklren,
warum Unterschiede im Gebrauch von bestimmten Sprachen sich im Zeitverlauf zu immer greren Unterschieden ausdehnen knnen. hnliche
Phnomene werden in der konomie unter dem Stichwort network externalities diskutiert (vgl. Katz & Shapiro 1984). Computernutzer mssen sich
z. B. zwischen dem Betriebssystem von Apple und dem von Microsoft entscheiden. Die einmal getroffenen Entscheidungen vergrern oder verkleinern das Netzwerk der Nutzer eines bestimmten Systems und beeinflussen
dadurch wiederum die Folgeentscheidungen zuknftiger Nutzer.
Einen Eindruck von der Dynamik des Prozesses der Ausdehnung des
Englischen erhlt man, wenn man die verschiedenen Generationen unserer
Befragung miteinander vergleicht. Da von Generation zu Generation die
Anzahl der Brger, die berhaupt eine Fremdsprache sprechen, zunimmt
wie wir weiter oben gesehen hatten beschrnke ich die Analyse auf diejenigen, die berhaupt eine Fremdsprache sprechen. So lsst sich ermitteln,
wie Englisch die anderen Fremdsprachen im Zeitverlauf verdrngt hat.

201

Tabelle 4.23: Alter der Befragten und Englischkenntnisse bezogen auf die
diejenigen, die berhaupt eine Fremdsprache sprechen (in
Prozent)
Englischkenntnisse
Nein
Ja
N

15-24
11,2
88,8
2.578

25-34
18,1
81,9
2.817

35-44
21,5
78,5
2.930

45-54
33,9
66,1
2.609

55-64
39,7
60,3
2.218

65+
49,5
50,5
2.259

r = -0,28***, Spearmans Rho = -0,28***, Tau-b = -0,25***, Eta = 0,31***

Die Vernderungen sind beachtlich: Innerhalb von ca. 40 Jahren ist der
Anteil derjenigen, die Englisch sprechen, in der Gruppe der Personen, die
mindestens eine Fremdsprache sprechen um 28,5 % gestiegen.
d) Multivariate berprfung der Hypothesen
hnlich wie bei der Erklrung des allgemeinen transnationalen sprachlichen
Kapitals werde ich im Folgenden berprfen, ob die gefundenen Zusammenhnge auch einer multivariaten Prfung Stand halten knnen. In einer
ersten Analyse beschrnke ich mich auf diejenigen Personen, die zumindest
eine Fremdsprache sprechen und analysiere den Einfluss der drei gerade
diskutierten Faktoren, die die Englischkompetenz der Brger, nicht aber die
Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital im Allgemeinen beeinflussen. Im Fokus steht also die Erklrung, warum die befragten Brger der
EU Englisch und nicht eine andere Fremdsprache sprechen.
Tabelle 4.24: Erklrung der Englischkenntnisse (logistische Regressionen)
Modell 1
Exsozialistisches Land
*
Exsozialistisches Land Alter > 25
Linguistische Distanz
Alter
Konstante
Nagelkerke R
N

***

0,245

Modell 2

Modell 3

Modell 4

1,059
***
0,149

***

***

0,435

***

***

4,663
0,117
15.222

***

4,663
0,169
15.222

Gesamtmodell 5

***

10,651
0,137
15.222

0,962
***
15,058
0,114
15.222

0,264
***
0,414
***
0,956
***
111,153
0,338
15.222

* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001


Ausgeschlossen sind diejenigen, die Englisch als Muttersprache und diejenigen, die keine Fremdsprache
sprechen.
Wiedergegeben sind die unstandardisierte Effektkoeffizienten (odds ratios): >1: positiver Effekt, <1: negativer
Effekt, =1: kein Effekt

202

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden fnf logistische Regressionen berechnet. In einem ersten Schritt habe ich bercksichtigt, ob ein Befragter aus
einem vormals sozialistischen oder aus einem westlichen Land kommt. Da
der Effekt dieser Variable auf die Englischkompetenz nur fr die ltere Generation gilt wie wir theoretisch begrndet und auch bivariat berprft
hatten , habe ich in einer zweiten Berechnung zustzlich eine dichotome
Altersvariable (Befragter lter als 25 Jahre ja/nein) bercksichtigt. Und in
der Tat zeigt sich, wenn man die Berechnungen in Modell 1 und 2 miteinander vergleicht, dass die Systemzugehrigkeit die Wahrscheinlichkeit, Englisch zu sprechen, beeinflusst; dass dieser Zusammenhang aber nur fr die
ltere Generation gilt. Das dritte Modell analysiert den Einfluss der linguistischen Distanz zwischen der Muttersprache des Befragten und dem Englischen und der Wahrscheinlichkeit, dass der Interviewte Englisch spricht.
Diejenigen, die eine Muttersprache sprechen, die eine hohe Distanz zum
Englischen aufweist, haben eine nur 43 %mal so groe Chance Englisch zu
knnen als diejenigen, die eine Muttersprache sprechen, die eine geringe
Distanz zum Englischen aufweist. Im vierten Modell wurde das Alter des
Befragten bercksichtigt. Mit jedem Jahr, das ein Befragter lter ist, sinkt
seine Chance, Englisch zu knnen um den Faktor 0,96. Das letzte Modell
enthlt alle unabhngigen Variablen. Der Effekt der theoretisch begrndeten Variablen bleibt fr alle Ursachenfaktoren bestehen; eine aufgeklrte
Varianz von fast 34 % ist mehr als zufriedenstellend; die drei unabhngigen
Variablen knnen die Englischkompetenz der Befragten gut erklren.
Englisch ist eine neben anderen Fremdsprachen; entsprechend sollten
diejenigen Faktoren, die die Verfgung ber allgemeines transnationales
sprachliches Kapital erklren knnen, auch einen Einfluss auf die spezifische Sprache Englisch haben. In die folgenden Analysen gehen sowohl die
Faktoren ein, die die allgemeine Fremdsprachenkompetenz, als auch diejenigen, die die spezifische Kompetenz, Englisch sprechen zu knnen, erklren
knnen. Ich beschrnke mich hier auf die Wiedergabe von drei Modellrechnungen.

203

Tabelle 4.25: Erklrung der Englischkenntnisse (logistische Regressionen)


Modell 1
Gre des Landes
Sprachverbreitung

0,994***
***
0,979

Gesamtmodell
0,998
***
0,938

Professionals
Hhere und mittlere Leitungskrfte
Selbstndige
Mittlere Angestellte und Facharbeiter
Alter

5,607***
5,838***
2,349***
2,275***
0,966***

5,478***
5,943***
2,695***
2,473***
0,961***

Institutionalisiertes kulturelles Kapital


(Bildung)
Bildungsausgaben

1,233***

1,269***

1,791***

1,302***

Auslndische Herkunft Befragter


Auslndische Herkunft Eltern

0,772*
1,019

0,777*
1,112

Identifikation mit Herkunftsland

0,959***

0,963***

Linguistische Distanz
Exsozialistisches Land
Exsozialistisches Land*Alter > 25
Konstante
Nagelkerke R
N

0,002***
0,401
18.083

Modell 2

0,581***
1,786***
0,240***

0,382***

1,457***
0,124
18.083

0,058***
0,462
18.083

0,431***

* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001


Ausgeschlossen sind diejenigen, die Englisch als Muttersprache sprechen. Wiedergegeben sind die unstandardisierten Effektkoeffizienten (odds ratios): >1: positiver Effekt, <1: negativer Effekt, =1: kein Effekt. Referenzkategorie fr die Berufsgruppen sind die ungelernten Arbeiter und Angestellten.

Modell 1 enthlt alle Variablen, die auch bei der Erklrung der allgemeinen
Mehrsprachigkeit von Bedeutung waren. Die Ergebnisse hneln sehr denen
aus der Tabelle 4.18. Alle Faktoren, die die allgemeine Mehrsprachigkeit
erklren knnen, haben auch einen Einfluss auf die Frage, ob jemand Englisch sprechen kann oder nicht. Und auch die Strke der Effekte, die von
den verschiedenen Faktoren ausgeht, ist ganz hnlich. Eine Ausnahme bildet hier, aber auch im Gesamtmodell der Einfluss der auslndischen Her-

204

kunft des Befragten. Diejenigen, die im Ausland geboren wurden, sprechen


seltener Englisch als diejenigen, die in dem Land, in dem sie jetzt leben,
geboren wurden. In einer separaten Analyse, deren Ergebnisse hier nicht
ausgewiesen werden, kann man zeigen, dass vor allem die Bildungsvariablen
den Effekt der auslndischen Herkunft des Befragten auf die Englischkenntnisse neutralisieren. Personen, die im Ausland geboren wurden, kommen vor allem aus Lndern, in denen der Grad der Modernisierung und der
Bildungsentwicklung geringer ist.
Modell 2 bercksichtigt die Variablen, die sich allein auf die Erklrung
von Englisch beziehen. Personen, deren Muttersprache eine hhere linguistische Distanz zum Englischen aufweist, haben eine 0,38mal so groe Chance, Englisch zu sprechen, wie Personen, deren Muttersprache eine geringe
Distanz zum Englischen hat. hnliches gilt fr ltere Personen aus den
ehemals sozialistischen Lndern.
Modell 3 schlielich bercksichtigt alle Variablen zugleich. Die Effekte
der Variablen aus Modell 1 und 2 bleiben bestehen, so dass fast alle unsere
Hypothesen besttigt werden. Betrachten wir zuerst die Kontextvariablen:
Befragte aus a) kleineren Lndern, b) aus Lndern, deren Sprache einen
geringeren Verbreitungsgrad aufweist, c) aus Lndern, die berdurchschnittlich viel in Bildung investieren, d) deren Muttersprache eine relativ geringe
Distanz zum Englischen aufweist und die e) aus nicht-sozialistischen Lndern kommen, haben eine hhere Wahrscheinlichkeit, Englisch zu sprechen,
als Brger, fr die diese Bedingungen nicht gelten. Allerdings ist der Effekt,
der von der Gre des Landes ausgeht, nicht signifikant. Und auch fr diejenigen, die sich nur schwach mit ihrem Land identifizieren, ist die Chance,
dass sie Englisch sprechen, hher als fr diejenigen, die sehr stark an ihr
Land und vermeintlich an ihre Muttersprache gebunden sind.
Auch die Erwartung, dass alle Berufsgruppen im Vergleich zu der Referenzgruppe der ungelernten Arbeiter und Angestellten eine deutlich hhere
Chance haben, Englisch zu knnen, besttigt sich. Die Differenz zwischen
den Professionals und den Leitungskrften auf der einen Seite und den Selbstndigen auf der anderen Seite lsst sich auch hier als der Unterschied zwischen zwei Fraktionen innerhalb der Oberklasse interpretieren. Schlielich
besttigt sich auch die Hypothese, dass die besser gebildeten Personen und
die Jngeren eher Englisch sprechen, als die lteren und diejenigen, die eine
geringe Bildung haben. Mit einer aufgeklrten Varianz von 46 % ist die Erklrungsleistung des Gesamtmodells hervorragend.

205

4.3

Zusammenfassung und eine Prognose, wie sich die


Mehrsprachigkeit der Brgern entwickeln wird

Auf der Basis einer Auswertung einer Umfrage in 27 Lndern der EU habe
ich die Fremdsprachenkompetenz der Brger analysiert. Die Analysen zeigen, dass es mit der Fremdsprachenkompetenz der Brger nicht so weit her
ist: Mehr als 50 % der Brger sprechen keine Fremdsprache; deren Partizipationschancen am Europisierungsprozess sind damit sehr eingeschrnkt.
Die Auswertungen zeigen zum Zweiten, dass die Kompetenzen der Mehrsprachigkeit zwischen den Lndern und innerhalb der Lnder sehr unterschiedlich verteilt sind. In Ungarn sprechen z. B. 70,5 % der Bevlkerung
keine einzige Fremdsprache, in den Niederlanden sind es nur 8,6 %.
Nicht jede Fremdsprache erffnet die gleichen Kommunikationschancen. Je mehr Menschen man mit einer Fremdsprache erreichen kann, desto
hher ist die Rendite des entsprechenden sprachlichen Kapitals. Ich habe
deswegen fr die am hufigsten gesprochene Sprache in Europa die Menge
der englischkompetenten Sprecher in den 27 Lndern der Europischen
Union bestimmt: Knapp die Hlfte der EU-Brger kann sich in Englisch
unterhalten. Und auch hier zeigen sich gewaltige Unterschiede innerhalb der
Lnder und zwischen den Lndern. In Bulgarien spricht z. B. 84,6 % der
Bevlkerung kein Englisch, in den Niederlanden sind es nur 12,4 %.
Warum verfgen die Menschen in manchen Lndern der EU ber eine
sehr gute Ausstattung mit transnationalem sprachlichem Kapital und knnen
sich auf Englisch verstndigen und warum ist das in anderen Lndern nicht
der Fall? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich zuerst ein allgemeines
Modell der Erklrung von Fremdsprachenkompetenz entwickelt: Die Gelegenheiten zum Erwerb einer Fremdsprache, die Kosten, die mit dem Lernen
einer Fremdsprache verbunden sind und die Motivation, eine Fremdsprache
zu erlernen sind die drei zentralen Elemente des Kernmodells der Erklrung.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die die Menschen eingebettet
sind, wirken auf diese drei Dimensionen ein und bestimmen, wer ber transnationales Kapital verfgt bzw. Englisch spricht und wer nicht. Die aus dem
Erklrungsmodell abgeleiteten Hypothesen wurden dann empirisch getestet.
Es hat sich gezeigt, dass man mit Hilfe der verschiedenen erklrenden Faktoren sowohl die Mehrsprachigkeit der Brger als auch die Fhigkeit, Englisch
sprechen zu knnen, sehr gut vorhersagen kann.

206

Man muss diese Ergebnisse auch im Kontext des allgemeinen Forschungsstandes interpretieren. Die Analyse der Mehrsprachigkeit von Menschen ist
eine Domne der Linguisten, Psychologen und Pdagogen (vgl. die berblicksdarstellungen in Wei 2000; Bialystok 2001; Bhatia & Ritchie 2006;
Auer & Wei 2007). Diese konzentrieren sich in ihren Untersuchungen vor
allem auf die kognitiven, zum Teil neuropsychischen Voraussetzungen von
Mehrsprachigkeit, auf die Analyse des Einflusses von Mehrsprachigkeit auf
die Kognitionsentwicklung und die Analyse der familiren und schulischen
Bedingungen und Folgen von Mehrsprachigkeit. Allein die groen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die Menschen eingebettet sind, spielen
in diesen Analysen so gut wie keine Rolle. Unsere Ergebnisse zeigen hingegen, dass es genau diese vernachlssigten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind, die die Mehrsprachigkeit ganz zentral beeinflussen. Forschungen zur Zwei- und Mehrsprachigkeit mssen folglich dringend um eine soziologische Perspektive ergnzt werden.
Jede Erklrung impliziert immer auch eine Prognose. ndern sich die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, dann wird dies die im Kausalmodell
angenommenen Effekte auf die abhngige Variable haben, in unserem Fall
also auf die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital. Welche
Vermutungen kann man ber die Vernderungen der Rahmenbedingungen
formulieren und mit welchen Vernderungen in der Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital ist zu rechnen? Eine Diskussion einer mglichen Vernderung der erklrenden Faktoren fasst indirekt auch nochmals
die wichtigsten Ergebnisse der Kausalanalyse zusammen.
a) Die Motivation, eine neue Sprache zu erlernen, steigt, wenn der Nutzen
des Spracherwerbs sich erhht. Wir hatten gesehen, dass die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts
sich in einem Prozess der zunehmenden Transnationalisierung befinden.
Wir hatten auch gesehen, dass sich der Prozess der Transnationalisierung
vor allem als ein Prozess der zunehmenden Europisierung manifestiert.
Der Austausch zwischen den verschiedenen Lndern der EU hat im Zeitverlauf zugenommen. Diese zunehmende Verdichtung der Interaktionen
manifestiert sich in recht unterschiedlichen Dimensionen und reicht von der
Zunahme des Austauschs von Gtern und Dienstleistungen, ber studentischen Austausch bis zur Zunahme der politischen Verflechtung. Da nun in
den verschiedenen Mitgliedslndern der EU unterschiedliche Sprachen ge-

207

sprochen werden, ist eine Partizipation an diesem Prozess der Transnationalisierung und Europisierung nur mglich, wenn man andere Sprachen
spricht. Je weiter also der Prozess der Transnationalisierung und Europisierung fortschreitet, desto hher ist der Nutzen des Erwerbs von transnationalem sprachlichem Kapital und desto hher ist die Motivation, dieses zu
erwerben. Alle Lnder Europas werden in gewisser Weise zunehmend zu
kleinen Lndern, insofern sie immer mehr mit den anderen Lndern vernetzt sind. Dies erhht den Druck auf den Erwerb von Fremdsprachenkompetenzen. Der Prozess der europischen und weltweiten Verflechtung
in vielen gesellschaftlichen Bereichen Wirtschaft, Kultur, Kommunikation,
Politik wird sich wahrscheinlich auch in der Zukunft fortsetzen, weil die
Ursachen des Prozesses weiterhin wirkungsmchtig bleiben. Der technische
Fortschritt, der die weltweite Kommunikation und den Transport enorm
erleichtert hat, hlt an und die Politik der Liberalisierung des Welthandels
ebenfalls. Dies lsst den Bedarf an Fremdsprachenkompetenz im Allgemeinen und an Englischkenntnissen im Besonderen wachsen.
b) Die Verstrkung von Globalisierungs- und Europisierungsprozessen hat
einen positiven Einfluss auf das Migrationsverhalten der Menschen. Ich
gehe davon aus, dass die binnen- und auereuropischen Migrationen eher
zu- als abnehmen werden. Dies bedeutet aber auch, dass Kinder vermehrt in
Familien aufwachsen werden, deren Eltern in einem anderen Land geboren
wurden, als in dem, in dem sie im Moment leben. Unsere empirischen Analysen haben gezeigt, dass dies hufig dazu fhrt, dass die Kinder zweisprachig aufwachsen.
c) Auch der Prozess der Verbesserung des Bildungsniveaus scheint noch
lange nicht an sein Ende gekommen zu sein. In allen Lndern der EU und
auf der europischen Ebene selbst steht die Verbesserung der Ausbildung
der Bevlkerung ganz vorne auf der politischen Agenda. Zu den bildungspolitischen Manahmen gehrt u. a. die Lissabon-Strategie der Europischen Union, die auf dem Sondergipfel der europischen Staats- und Regierungschefs im Jahr 2000 in Lissabon verabschiedet wurde. Ziel der verschiedenen Manahmen war es, die EU innerhalb von zehn Jahren zum
wettbewerbsfhigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu
machen. Dabei betonte die EU, dass Wissen und die davon ausgehenden
Innovationen die wichtigsten Vorteile der EU im globalen Wettbewerb sind.

208

Entsprechend kommt der Bildungspolitik als Mittel der Befrderung einer


Wissensgesellschaft eine ganz besondere Bedeutung zu (Mnch & Bernhard
2009). Eine Erhhung der Investitionen in Bildung, die Verbesserung und
Verlngerung der Ausbildungszeiten und eine Erhhung der Menge an Personen, die hhere Bildungsabschlsse erreichen, sind die zentralen Bildungsziele der EU. Und in der Tat lsst sich fr die letzten Jahre eine nicht
unerhebliche Vernderung des Bildungsniveaus beobachten. Fr neun europische Lnder (Dnemark, Deutschland, Finnland, Griechenland, Niederlande, sterreich, Polen, Slowakei und Schweden) liegen Daten ber die
Entwicklung des Anteils von Personen, die nach der Schulausbildung ein
Universittsstudium begonnen haben vor. Der Erhebungszeitraum bezieht
sich auf die Jahre 1995 bis 2007.
Schaubild 4.1: Anteil von Personen in neun EU Lndern, die nach der
Schulausbildung ein Studium begonnen haben (in Prozent)

60
40
20
0

07
20 6
0
20
05
20 4
0
2003
20 2
0
20
01
20 0
0
20

95
19

Quelle: OECD (2009): Education at a glance. Abrufbar unter: http://www.oecd.org/


document/24/0,3343,en_2649_39263238_43586328_1_1_1_1,00.html#4 (Stand: 1.12.2009).

Der Anteil der Personen in der tertiren Bildung ist in den 12 Jahren von
35 % auf 59 % angestiegen. Da Bildung einen positiven Effekt auf die
Wahrscheinlichkeit des Erwerbs von Fremdsprachen und von Englisch hat,
kann man vermuten, dass sich die Fremdsprachenkompetenz im Allgemeinen und die des Englischen im Besonderen in den letzten Jahren verbessert
hat und weiter verbessern wird.
d) Die Weltgesellschaftsstruktur hat sich zumindest in Europa seit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion und der Integration der ost- und mittel-

209

europischen Lnder in die EU so verndert, dass es keine ernsthaften Alternativen zu einer Politik der ffnung der Nationalstaaten, der Marktliberalisierung und zu einer Westorientierung der Lnder der EU gibt. Es ist nicht
anzunehmen, dass sich die Weltordnung hnlich wie zu Zeiten des Kalten
Krieges wieder bipolarisieren wird. Eine neue Konfliktlinienstruktur mag
sich zwischen westlichen und islamischen Lndern oder zwischen westlichen Lndern und China entwickeln bzw. bereits in Anstzen entwickelt
haben. Es ist aber nicht vorauszusehen, dass diese durch Europa verlaufen
wird. Insofern wird sich der Bedarf an Mehrsprachigkeit weiter erhhen und
Englisch die unangefochtene Hegemonialsprache bleiben. Die exponential
wachsende Zunahme der konomischen und politischen Bedeutung Chinas
und die Tatsache, dass Chinesisch die am meisten verbreitete Muttersprache
der Welt ist, wird den Kommunikationswert des Chinesischen sicherlich fr
die auereuropische, nicht aber fr die innereuropische Kommunikation
erhhen.
e) Hinzu kommt die Eigendynamik des Prozesses der Fremdsprachenausdehnung und vor allem der Ausdehnung des Englischen. Die Vormachtstellung des Englischen motiviert die Menschen, Englisch als die Sprache mit
dem hchsten Kommunikationswert zu lernen. Auf der Basis der getroffenen Entscheidungen erhht sich die Anzahl der Englisch sprechenden Brger und damit wiederum der Kommunikationswert des Englischen. Dieser
Prozess scheint nicht zu stoppen zu sein.
f) Dass sich die Klassenstrukturen in den europischen Gesellschaften auflsen werden, ist relativ unwahrscheinlich. Insofern werden die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften in der Verfgung ber transnationales
sprachliches Kapital Bestand haben. Das bedeutet, dass die oberen Klassen
mehr und besser Fremdsprachen sprechen werden als die Mittel- und Unterklassen und dass die Klassenfraktionen mit hohem kulturellem Kapital
diejenigen sein werden, die besonders gut mit transnationalem sprachlichem
Kapital ausgestattet sein werden. Gelten aber die zuvor formulierten Prognosen, dann kann man von einem Fahrstuhleffekt ausgehen, der dazu fhrt,
dass sich das Fremdsprachenniveau und die Englischkompetenz insgesamt
erhhen werden bei gleichzeitiger Beibehaltung der Unterschiede zwischen
den Klassen, den Bildungsgruppen, den Altersgruppen und auch den Ln-

210

dern, insofern sich die Lnderunterschiede aus der Gre der Lnder bzw.
dem Verbreitungsgrad der Muttersprache ergeben.
Anhang: Beschreibung der verwendeten Variablen
Variable

Ausprgungen

Beschreibung

Quelle

Fremdsprachenkompetenz

0 = keine
1 = eine
2 = zwei
3 = drei oder
mehr

Anzahl der Fremdsprachen, in der EB 63.4


eine Person nach Selbsteinschtzung ein Gesprch fhren kann

Englischkompetenz

0 = nein
1 = ja

Fhigkeit, ein Gesprch in Englisch fhren zu knnen Selbsteinschtzung

Mehrsprachiges
Land

0 = nein
1 = ja

Land mit mehr als einer offiziellen


Amtssprache

Verbreitung der
Muttersprache

0% bis 100%

Anteil der EU-Bevlkerung, der


die Sprache als Fremd- oder
Muttersprache spricht

EB 63.4

Linguistische
Distanz

0 = sehr gering
1 = gering
2 = hoch
3 = sehr hoch

Sprachliche Distanz der Muttersprache zum Englischen nach


Zugehrigkeit zu gleicher
Sprachfamilie

http://www.et
hnologue.com

Landesgre

0,399 bis 82,5

Bevlkerungszahl in Millionen

Eurostat

EF 63.4

Modernitt eines 0,805 bis 0,956


Landes
< 0.87 = niedrig
0,87-0,939 =
mittel
 0,94 = hoch

Human Development Index 2004 http://hdr.und


p.org/en/stati
aus Bruttoinlandsprodukt,
stics
Lebenserwartung, Alphabetisierungsrate, Einschulungsrate;
metrischer und kategorial genutzt

Bildungsausgaben

Eurostat
Bildungsausgaben pro Jahr und
Schler in Euro KKS; metrisch und
kategorial genutzt; fr multivariate Analyse in 1000 Euro KKS

1436 bis 8093


< 3700 = niedrig
3700-6299 =
mittel
 6300 = hoch

211

Ex-sozialistisches 0 = nein
Land
1 = ja

Lnderklassifikation nach
Situation von 1989

Alter

15 bis 97

Alter der Person in Jahren

EB 63.4

Klassenfraktionen

jeweils
0 = nein
1 = ja

Dummyvariablen fr (a) Professionals, (b) hhere und mittlere


Leistungskrfte, (c) Selbstndige,
(d) Facharbeiter und mittlere
Angesellte und (e) ungelernte
Arbeiter

EB 63.4

Institutionalisier- 14-25
tes kulturelles
 15 = niedrig
Kapital
1620 = mittel
 21 = hoch

Alter bei Ende der Ausbildung in


Jahren, max. 25 Jahre; metrisch
oder kategorial genutzt.

EB 63.4

Verbundenheit
mit dem Land

Verbundenheit der Person mit


dem Land in dem sie lebt

EB 63.4

Additiver Index Verbundenheit


der Person mit der Stadt, der
Region und dem Land in dem sie
lebt; kategorial oder metrisch
genutzt.

EB 63.4

1 = sehr
2 = ziemlich
3 = etwas
4 = gar nicht

Verbundenheit
1 bis 10
mit Land, Region 1 = gar nicht
10 = sehr
und Stadt

Geburtsland

0 = Deutschland Geburtsland der Person


1 = anderes
Land

EB 63.4

Geburtsland
Eltern

0 = beide in Dtl. Geburtsland der Eltern


1 = mindestens
ein Elternteil
nicht in
Deutschland

EB 63.4

212

5 Ausblick: Ein Pldoyer fr eine vernderte


Sprachpolitik der Europischen Union

Ich habe die Ergebnisse der Argumentation und der Analysen sowohl in der
Einleitung als auch am Ende der jeweiligen Kapitel zusammengefasst, so
dass ich auf eine weitere Bilanz am Ende des Buches verzichten mchte. Im
Fokus der abschlieenden berlegungen steht indes eine andere Frage: die
nach einer sinnvollen und gerechten Sprachpolitik fr Europa.
Gerechtigkeit, so der im Jahr 2002 verstorbene Philosoph John Rawls in
seiner Theorie der Gerechtigkeit (1971), ist die erste Tugend sozialer Institutionen. Eine der zentralen theoretischen Prmissen von Rawls ist der
Grundsatz der Chancengleichheit: Jeder soll die gleichen Chancen haben,
ffentliche mter und soziale Positionen in der Gesellschaft einnehmen zu
knnen. Dazu bedarf es institutionalisierter Regelsysteme, die sicherstellen,
dass Personen mit gleichen Fhigkeiten und Begabungen die gleichen Positionen auch wirklich erreichen knnen. Man kann diese Forderung von Rawls,
die in erster Linie auf die Herstellung von Gerechtigkeit innerhalb eines Nationalstaates bezogen war, auch auf Europa beziehen. Der Prozess der Europischen Integration hat die Mitgliedslnder der EU freinander geffnet
und die Grundlagen fr die Entstehung einer europischen Gesellschaft
geschaffen. Die Fremdsprachen- und vor allem Englischkompetenz sind
zentrale Ressourcen der Partizipation der Menschen an einer europisierten
Gesellschaft. Diejenigen, die mehrere Sprachen sprechen, knnen den europischen Wirtschaftsraum fr sich nutzen und ihre Berufsmglichkeiten und
ihr Einkommen verbessern; sie haben es leichter, mit Brgern anderer Lnder in Kontakt zu treten, wirtschaftlich oder wissenschaftlich zu kooperieren,
politische Verhandlungen zu fhren, Proteste ber die nationalstaatlichen
Grenzen hinaus zu organisieren, Liebesbeziehungen einzugehen etc. Diejenigen, die nur ihre Muttersprache sprechen, sind an ihr Land gebunden und
knnen die Vorteile des vereinten Europa und einer globalisierten Welt nicht
nutzen. Die Verfgung ber transnationales linguistisches Kapital kann damit

213

zu einer neuen Quelle sozialer Ungleichheit im Kontext einer sich entwickelnden globalisierten und europischen Gesellschaft werden.
Wenn man aus Grnden der Gerechtigkeit und der Chancengleichheit
mchte, dass die Beteiligungschancen der Brger Europas am europischen
Einigungsprozess insgesamt erhht werden und nicht will, dass nur die oberen Schichten, die Brger aus den wohlhabenden Lndern, die groen Firmen, die sich bersetzer leisten knnen, am Europisierungsprozess partizipieren, dann muss man die Menschen insgesamt und besonders diejenigen
aus den unteren Klassen und aus den geringer entwickelten Lndern mit
einer entsprechenden Sprachkompetenz ausstatten, so dass sie die Chance
erhalten, sich transnational zu vergesellschaften.
Die Gerechtigkeitslcke auf Grund unterschiedlicher fremdsprachlicher
Ressourcen gilt z. B. auch fr die verschiedenen Wissenschaftsbereiche. Die
Forschungen in den deutschen Geisteswissenschaften oder auch in der Soziologie knnen nach meinem Eindruck qualitativ in vielerlei Hinsicht mit
den US-amerikanischen Forschungen mithalten. Allein die Tatsache, dass
die Ergebnisse meist auf Deutsch publiziert werden, verhindert, dass sie
weltweit wahrgenommen werden. Der Sprachenunterschied manifestiert
sich im Grad der Verbreitung der Forschungsergebnisse, welcher sich wiederum in den am hufigsten benutzen Leistungsindikatoren fr Forschung,
den Zitationsindizes, niederschlgt. Die Sprache der Publikationen, die
meist identisch ist mit der Muttersprache des Autors, beeinflusst damit die
Qualittseinschtzung seiner Forschungen, obwohl die Publikationssprache
nichts ber die Qualitt einer historischen Studie, einer Gedichtinterpretation oder einer methodisch elaborierten Analyse von Umfragedaten aussagt.
Will man gleiche Wettbewerbschancen fr alle Forschungen ermglichen
und damit das Gebot der Chancengleichheit, selbst Voraussetzung einer
gerechten Gesellschaft, realisieren, muss man die Menschen in die Lage
versetzen in ein und derselben Sprache zu kommunizieren.
Zur Erreichung dieses Ziels gibt es zwei verschiedene Mglichkeiten.
Die Frderung der allgemeinen Mehrsprachigkeit der Brger oder die Frderung einer lingua franca in Europa. Da Englisch diejenige Sprache ist,
die am strksten in Europa, aber auch weltweit verbreitet ist, kommt nur sie
als lingua franca in Frage. Ich mchte in mehreren Schritten begrnden,
warum es sinnvoll ist, die Dominanz des Englischen als lingua franca
nicht nur notgedrungen zu akzeptieren, sondern politisch aktiv zu frdern
und dies auch auf Kosten der anderen Sprachen Europas und der Minder-

214

heitensprachen. Ich verlasse damit zum Teil das Feld empirischer Analysen
und begebe mich in den Bereich der normativen berlegungen. Hier zhlen
weniger empirische Belege, sondern gute Argumente, die normativ plausibel
abgeleitet und begrndet werden mssen (vgl. Mamadouh 2002).
1. Wir hatten in Kapitel 3 gesehen, dass die Nationalstaaten Europas, wenn
auch in einem unterschiedlichen Ausma, sehr genau darauf achten, dass
ihre jeweilige Sprache den Status einer Amtssprache behlt, innerhalb der
Europischen Union nicht benachteiligt, ja der Einfluss der eigenen Sprache
mglichst weiter ausgebaut wird. Die Europische Union akzeptiert in ihrer
Sprachpolitik, dass die Union aus 23 Amtssprachen besteht und betreibt
keine Politik der sprachlichen Homogenisierung. Ganz im Gegenteil: Sie
frdert ber die Amtssprachen hinaus die Minderheitensprachen in Europa.
Zugleich ist sich die EU des Problems bewusst, dass ein vereintes Europa
nur ein vereintes Europa der Brger werden kann, wenn sich die Brger
auch transnational verstndigen knnen. Deswegen frdert sie die Mehrsprachigkeit ihrer Brger. Sie mchte, dass jeder Brger zwei Fremdsprachen sprechen kann. Dabei werden alle Sprachen Europas von der EU
gleich behandelt und gleich gefrdert. Zur Frderung der Mehrsprachigkeit
hat die EU, wie wir gesehen haben, eine Vielzahl an Frdermanahmen
aufgelegt. Wird diese Politik zu einer Verbesserung einer europaweiten Verstndigung beitragen und damit die Partizipationschancen der Brger an
ihrem Europa erhhen?
Folgt man der Sprachpolitik der EU und der Nationalstaaten, dann
werden die Menschen in den 27 Lndern jeweils unterschiedliche Fremdsprachen lernen; dadurch werden sich die bilateralen Verstndigungsmglichkeiten innerhalb Europas deutlich verbessern. Ein sprachlich grenzloses
Europa lsst sich dadurch aber nicht erreichen. Ein Deutscher, der Flmisch
gelernt hat und ein Pole, der jetzt des Lettischen mchtig ist, haben jeweils
ihr transnationales Kapital aufgestockt, sie knnen sich dennoch nicht miteinander verstndigen. Je mehr Sprachen es gibt, desto hher ist die Kombinationsvielfalt an Sprachen, die Menschen als Fremdsprachen whlen
knnen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen aufeinander treffen, die die gleiche Kombination an Fremdsprachen gewhlt haben. Philippe Van Parijs (2004: 122ff.) hat fr verschiedene Mengen an Muttersprachen die Kombinationsmglichkeiten berechnet und gezeigt, dass in
einem Europa der 23 Amtssprachen die freie Wahl von zwei Fremdspra-

215

chen nicht entscheidend zu einer Erhhung der Verstndigungsmglichkeit


in ganz Europa beitragen kann. Die Sprachenvielfalt des Europischen Parlaments bildet diese Konstellation und die damit verbundene Problematik
im Mikrobereich ab; wir hatten in Kapitel 3.3 gesehen, mit welchen Verstndigungsproblemen dies behaftet ist. Van Parijs folgert daraus, dass die
Politik den empirisch ohnehin schon feststellbaren Trend, dass sich Englisch als lingua franca durchgesetzt hat, weiter forcieren und frdern soll.1
Welches sind die Vorteile einer gemeinsamen Fremdsprache in Europa und
welche Gegenargumente mssen bercksichtigt werden? Zur Beantwortung
dieser Fragen nehme ich Argumente von Van Parijs auf und ergnze diese
um weitere Gesichtspunkte.
2. Seit der Institutionalisierung der so genannten Freizgigkeitsregel fr alle
EU-Lnder sind die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, dass sich alle
Unionsbrgerinnen und Unionsbrger und mit ihnen die Ehegatten und
Kinder in jedem Mitgliedstaat niederlassen und arbeiten drfen. Von dieser
rechtlichen Mglichkeit machen nur sehr wenige Brger Gebrauch, die innereuropische Mobilitt ist, wie wir in Kapitel 3.2 gesehen hatten, sehr
gering. Einer der Hauptgrnde fr die geringe Mobilitt liegt in den nicht
ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen. Die gute Beherrschung der
Sprache, die von den meisten Brgern in der EU, aber auch weltweit gesprochen wird, ist eine Voraussetzung dafr, dass die Brger die Mobilittsoptionen in Europa und weltweit nutzen knnen. Wir hatten in Kapitel 2.1
mehrere Vorteile, die mit der Verfgung ber transnationales Kapital im
Allgemeinen und der Englischkompetenz im Speziellen verbunden sind,
diskutiert. Mehrsprachigkeit und vor allem Englischkenntnisse ermglichen
es, die Bildungsinstitutionen im Ausland nutzen zu knnen, dort Prfungen
abzulegen und entsprechende Bildungszertifikate zu erwerben. Englischkompetenz verbessert zum Zweiten den Zugang zu besseren Berufspositionen. Die
Europisierung und Globalisierung der Wirtschaft und der Politik haben das
Anforderungsprofil an Berufspositionen verndert. Internationale Erfahrungen und Englischkompetenz sind zu zentralen Qualifikationsmerkmalen
1

Van Parijs (2004) diskutiert ausfhrlich zwei weitere Alternativen zum Englischen als lingua franca: die Einfhrung von Esperanto als gemeinsamer Sprache und die Verbesserungen von bersetzungen durch neuere Softwareentwicklungen. Er kommt zu dem berzeugenden Ergebnis, dass beide Mglichkeiten keine gangbaren Alternativen sind, ohne dass ich
hier die Begrndungen wiederholen kann.

216

geworden. Personen, die diese Kompetenzen mitbringen, knnen die neu


entstandenen Mglichkeiten nutzen. Englischkompetenz verbessert drittens
die Chancen der Ausdehnung der sozialen Netzwerke und erhht die Chance der Internationalisierung der sozialen Integration. Internationales Sozialkapital
ist selbst wiederum eine Ressource, die u. a. zur Ausdehnung von Geschftsbeziehungen und politischen Einflussnahmen genutzt werden kann.
Schlielich verbessert eine gute Englischkompetenz auch die Chancen zur
politischen Partizipation, der Teilhabe am politischen Leben in einem anderen
Land und an einer transnationalen ffentlichkeit. Die Transnationalisierung
der politischen Partizipationsmglichkeit ist vor allem im Kontext der europischen Integration von Belang. Die Brger der EU besitzen seit dem
Maastrichter Vertrag von 1992 neben ihrer nationalen Staatsbrgerschaft
zustzlich eine Unionsbrgerschaft; sie knnen von den damit verbundenen
rechtlichen Mglichkeiten aber nur vollen Gebrauch machen, wenn sie sich
europaweit verstndigen knnen.
3. Eine Verbesserung der Englischkompetenz der Brger wrde nicht nur
Vorteile fr die Individuen in den beschriebenen Dimensionen mit sich
bringen, sondern htte auch positive kollektive Folgen. Der inner- und auereuropische Handel wrde auf der Grundlage der Verstndigungsmglichkeit in einer Sprache und der dadurch erzeugten Reduktion der Transaktionskosten deutlich erleichtert werden, was das Wirtschaftswachstum in
Europa deutlich erhhen wrde. Eine durch Englischkenntnisse erleichterte
geographische Mobilitt wrde zu einer besseren Balance von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage innerhalb der EU fhren und htte wiederum
einen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum (vgl. Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit 2008).
Auch die Entstehung einer europischen ffentlichkeit wrde von einer einheitlichen, von allen geteilten Fremdsprache enorm profitieren. Wie
wir in Kapitel 3.2 gesehen hatten, haben sich die politischen Entscheidungsprozesse immer weiter europisiert; kollektiv, bindende Entscheidungen
werden immer hufiger von den Institutionen der EU und nicht mehr von
den nationalstaatlichen Regierungen und Parlamenten gefllt werden. Die
Entwicklung einer europischen ffentlichkeit hinkt diesem Prozess hinterher, insofern die Berichterstattung der Medien weitgehend nationalstaatlich
verhaftet bleibt. So informieren sich z. B. die Polen in erster Linie auf Polnisch vor allem ber die Politik ihres Landes, Franzosen wiederum richten

217

ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen ihres Landes und dies in der franzsischen Sprache. Die Folge ist, dass die Brger nicht ausreichend ber die
Entscheidungen der EU informiert sind; Entscheidungen, von denen sie
aber unmittelbar betroffen sind. Einer der wichtigsten Grnde fr das ffentlichkeitsdefizit der EU liegt in dem Sprachenproblem (Gerhards 1993;
Kielmannsegg 1996: 55; Grimm 1995: 44; Scharpf 1999: 674; Prez-Diaz
1998: 221; Schlesinger 1999). Die Entstehung einer europischen ffentlichkeit und die Partizipation der Brger an der europischen Integration
wrden entsprechend enorm erleichtert, wenn sich die Menschen in Europa
untereinander verstndigen sowie die Berichterstattung und die Diskussionen ber den europischen Integrationsprozess in einer gemeinsamen Sprache stattfinden knnten.2
Es gibt ein Zusatzargument, dass diese Vorstellung eines sprachlich, in
Englisch vereinten Europas sogar der Habermasschen Vorstellung von
2

Die These, dass das ffentlichkeitsdefizit der EU vor allem auf das Sprachenproblem
zurckzufhren ist, ist aber nicht unwidersprochen geblieben. Cathleen Kantner (2004) hat in
ihrer Analyse mit Rckgriff auf die Gadamersche Hermeneutik zu zeigen versucht, dass
Verstndigung auch dann mglich ist, wenn zwei Menschen nicht ber eine gemeinsame
Sprache verfgen. Nicole Doerr (2008, 2009) zeigt in ihren Analysen von Gruppendiskussionen, die das Europische Sozialforum und das Weltsozialforum vorbereitet haben, dass trotz
Vielsprachigkeit deliberative Prozesse mglich waren. Thomas Risse (2010) lehnt sich in
seiner Analyse der Entstehungsbedingungen einer europischen ffentlichkeit an die These
von Cathleen Kantner an und kommt hnlich wie diese zu dem Schluss, dass die Sprachenvielfalt kein Hindernis fr die Entstehung einer europischen ffentlichkeit ist. Diese
Schlussfolgerungen verkennen aber die fundamentale Bedeutung, die der Sprache fr jede
Form der Verstndigung zukommt. Natrlich kann man sich auch mit Gestik und Mimik
verstndigen; natrlich kann man bersetzer einschalten, was allerdings bei 23 Sprachen
schon recht kompliziert ist. Nur: Die Transaktionskosten von Kommunikation, die nicht in
einer Sprache erfolgt, sind sehr, sehr hoch. Insofern muss man hier nicht diskutieren, ob eine
gemeinsame Sprache eine notwendige Voraussetzung fr eine europische ffentlichkeit ist.
Sie wrde aber, und dies scheint mir unbestreitbar zu sein, die Entstehung einer europischen
ffentlichkeit enorm erleichtern und beschleunigen. Und genau dies ist hier das zentrale
Argument: Wenn man von dem normativen Standpunkt ausgeht, dass eine Ausdehnung einer
europischen ffentlichkeit aus demokratietheoretischer Perspektive wnschenswert ist,
dann wird man diesem Ziel deutlich nher kommen, wenn Europa in einer gemeinsamen
Fremdsprache sprachlich vereint ist. Die Alternative, dass jeder Brger eine andere Fremdsprache lernt, hilft zur Auflsung der babylonischen Sprachverwirrung Europas nicht weiter.
Dadurch verbessern sich zwar die bilateralen Verstndigungsmglichkeiten innerhalb Europas, nicht aber die Chance einer einheitlichen Verstndigung innerhalb ganz Europa. Diese
ist nur mglich, wenn alle die gleiche Fremdsprache sprechen; und dies kann unter den gegebenen Umstnden und der Dynamik der Entwicklung nur Englisch sein.

218

einer europischen ffentlichkeit nahe bringt (Habermas 2004a, 2004b).


Die Fremdsprachengemeinschaft Europas hat die Chance, einen demos
auszubilden, ohne zugleich ethnos zu sein (Van Parijs 2004: 118). Fr die
meisten Brger Europas ist die englische Sprache kein Merkmal einer historisch gewachsenen Gemeinschaft mit klarem territorialem Bezug, sondern
ein Medium der Verstndigung, das weitgehend entlastet ist von dem historischen Ballast, der hufig mit Nationalsprachen verbunden ist bzw. so im
Kontext der Nationalstaatsentstehung konstruiert wurde. Hinzu kommt,
dass die bis dato erfolgte Durchsetzung des Englischen als dominante
Fremdsprache zumindest in Europa nicht das Resultat einer expansiven
Sprachpolitik der Briten oder Amerikaner ist, die ihre Muttersprache den
anderen Lndern oktroyieren wollen, sondern das Resultat einer softpower-Konstellation und vieler kleiner Entscheidungen von Einzelnen, die
sich in der Summe wechselseitig verstrken. Dies lsst die Vermutung zu,
dass die Ressentiments gegenber dem Englischen als lingua franca eher
gering sein werden, weil die Sprache selbst nicht mit den Machtansprchen
eines Landes und der dadurch ausgelsten Befrchtung, fremd bestimmt zu
werden, assoziiert wird. Dass durch eine Institutionalisierung des Englischen
als lingua franca diejenigen, die Englisch als Muttersprache sprechen,
aufgewertet wrden, ist zu erwarten. Wie man diese nicht legitimierbare
Ungerechtigkeit in der Reputation der Sprachen kompensieren kann, werde
ich gleich noch diskutieren.
4. Der Sprache kommt, wie ich im Kapitel 2.1 herausgearbeitet habe, aber
nicht nur eine Vergesellschaftungs- sondern auch eine Vergemeinschaftungsfunktion zu. Dies gilt auch fr die Fremdsprachenkenntnisse. Und
auch hier knnte die Verfgung ber eine einheitliche Fremdsprache zu
Gewinnen fhren. Fremdsprachenkenntnisse versetzen Menschen in die
Lage, transnationale Erfahrungen zu machen, mit Menschen anderer Kulturen in Interaktion zu treten und dadurch andere Lebensweisen und Gesellschaften kennenzulernen.3 Dies fhrt zu einer kognitiven Erweiterung des
Horizonts. Damit sind wiederum positive Folgen fr neue Formen der Ver-

Die Erweiterung des Horizonts kann auch virtuell durch die Mediennutzung erfolgen.
Pippa Norris und Ronald Inglehart (2009: 171ff.) knnen zeigen, dass die Nutzer von Nachrichtensendungen ein hheres Vertrauen in Menschen aus anderen Lndern und Personen
mit anderer Religionszugehrigkeit besitzen.

219

gemeinschaftung verbunden. Eine gemeinsame Sprache verbindet, unterschiedliche Sprachen spalten ceteris paribus natrlich.
Robert Putnam (2007) kann z. B. in seinen sehr abwgenden und methodisch elaborierten Analysen zeigen, dass der Grad der ethnischen Heterogenitt negativ mit dem Grad des Vertrauens, das Brger fr andere Brger
aufbringen, korreliert. Dieser Zusammenhang bleibt auch bestehen, wenn
man eine Vielzahl anderer Faktoren, die das Vertrauen der Menschen beeinflussen, kontrolliert. Je ethnisch heterogener eine Gemeinschaft zusammengesetzt ist, desto geringer ist das Vertrauen nicht nur in die Personen ethnisch anderer Herkunft, sondern das Vertrauen der Menschen insgesamt
(vgl. auch Newton & Delhey 2005). Menschen in ethnisch homogenen Gemeinschaften sind hingegen deutlich vertrauensvoller und offener. Vertrauen
ist wiederum eine Voraussetzung fr die Ausbildung von sozialem Kapital,
fr das Engagement der Menschen in freiwilligen Organisationen und fr die
Solidarittsbereitschaft der Menschen (vgl. auch Van Parijs 2008: 29).4
Da ethnische Heterogenitt sehr hufig mit sprachlicher Heterogenitt
einher geht, kann man vermuten, dass sich die sprachliche Heterogenitt
ebenfalls negativ auf die Ausbildung von Vertrauen auswirkt. Umgekehrt
formuliert: Eine gemeinsame Sprache kann helfen, Spaltungen zu berwinden und kann sich positiv auf die Ausbildung von Vertrauen, die Solidaritt
und die Identifikation auswirken. Die Bindungen der Menschen an ihren
nationalen Container und die subnationalen Einheiten werden durch eine
gemeinsame Fremdsprache aufgeweicht: eine Offenheit fr neue, ber den
Nationalstaat hinausgehende Bindungen entsteht. Die hier angenommene
Wirkung von Fremdsprachenkenntnissen auf die ffnung des Horizonts
und die Entstehung von transnationalen Identifikationen ist gerade fr die
Europische Union eine relevante Frage. Die Umfrageforschung hat verschiedentlich gezeigt, dass sich die Brger weiterhin in erster Linie mit ihrem
Nationalstaat und den subnationalen Einheiten identifizieren und der Grad
4 Die empirischen Befunde von Putnam sind in der Literatur aber nicht unumstritten. Will
Kymlicka (2009) hat jngst die Diskussion kenntnisreich zusammengefasst und mit Ergebnissen eigener Untersuchungen ergnzt. Der von Putnam u. a. festgestellte negative Zusammenhang zwischen der ethnischen Heterogenitt einer Gemeinschaft und dem Grad des
Vertrauens der Menschen zeigt sich auch in anderen Studien. Allerdings scheint es keinen
Zusammenhang zwischen der ethnischen Heterogenitt und der Solidaritt gemessen ber
die Sozialausgaben zu geben. Es zeigt sich aber, dass das schnelle Wachstum der ethnischen
Heterogenitt der Bevlkerung einen negativen Effekt auf die Sozialausgaben eines Landes
hat (vgl. Kymlicka 2009; Banting, Johnston, Kymlicka, & Soroka 2006).

220

der Identifikation mit Europa im Zeitverlauf auch nicht zugenommen hat


(vgl. Noll & Scheuer 2006; Roose 2007).
Neil Fligstein (2008b) vermutet, dass die Mehrsprachigkeit der Brger,
auch deren Identifikation mit Europa positiv beeinflusst, ohne dass er diesen Zusammenhang direkt berprft. Man kann mit unseren Daten ansatzweise testen, ob die Verfgung ber transnationales sprachliches Kapital
einen Einfluss auf die Identifikation der Brger mit Europa und eine Untersttzung des europischen Einigungsprozesses hat. In der von uns ausgewerteten Umfrage wurden die Brger in den 27 Lndern der EU auch gefragt, ob und in welchem Mae sie sich mit Europa verbunden fhlen.
Tabelle 5.1: Transnationales sprachliches Kapital und Identifikation mit
Europa (in Prozent)
Verbundenheit mit Europa
Gar nicht verbunden
Nicht so verbunden
Ziemlich verbunden
Sehr verbunden
N

Keine
9,3
26,5
42,0
22,2
10.157

Fremdsprachenkompetenz
Eine
Zwei
6,3
4,9
23,2
20,7
46,5
47,3
24,1
27,0
7.437
5.229

Drei
3,1
19,5
48,1
29,3
3.122

r =0,10***, Rho = 0,10***, Tau-b = 0,08*** (p<0.001)

Wie die Tabelle 5.1 ausweist, fhlen sich diejenigen, die mehrere Sprachen
sprechen, auch in einem strkeren Mae mit Europa verbunden. Der gleiche
Zusammenhang gilt fr diejenigen, die Englisch sprechen. Auch diese fhlen sich mit Europa strker verbunden, als diejenigen, die kein Englisch als
Fremdsprache sprechen. Dieser Befund bleibt auch in einer multivariaten
Analyse bestehen, in der ich neben der Fremdsprachen- bzw. Englischkompetenz eine Vielzahl anderer Variablen, die die Identifikation mit Europa
beeinflussen, bercksichtigt habe (vgl. dazu Fuchs, Magni-Berton & Roger
2009).
In weiteren Analysen habe ich den Zusammenhang zwischen der
Fremdsprachenkompetenz einerseits und der Untersttzung des europischen Einigungsprozesses und den ngsten vor dem Verlust einer nationalen Identitt analysiert (Ergebnisse werden hier nicht dargestellt). Auch hier
zeigt sich, dass diejenigen, die mehrsprachig sind bzw. Englisch als Fremdsprache sprechen, sich vermehrt fr die EU als Institution und fr eine weitere Vertiefung der EU aussprechen und zugleich auch diejenigen sind, die
221

kulturell offen sind und geringe Abschlieungstendenzen aufweisen. Auch


diese Befunde haben in einer multivariaten Analyse Bestand. Sie decken sich
zudem mit denen von Steffen Mau, Jan Mewes und Ann Zimmermann
(2008a, 2008b), die zeigen knnen, dass transnationale Erfahrungen kosmopolitische Orientierungen frdern. Multilingualitt und Englischkompetenz
bringen also nicht nur Vergesellschaftungs- sondern auch Vergemeinschaftungsvorteile mit sich.
5. Die faktische Durchsetzung von Englisch als lingua franca und ein
Pldoyer, diesen Prozess politisch zu frdern, fhren aber auch zu Ungerechtigkeiten zwischen den verschiedenen Sprachen. Sprachen sind, wie
Abram de Swaan (2001b) ausgefhrt hat, Kollektivgter. Und wie bei der
Herstellung aller Kollektivgter stellt sich auch bei der Festlegung einer
lingua franca die Frage, wie man verhindert, dass manche Akteure fr die
Herstellung des Kollektivguts die Kosten bernehmen, andere, wenn auch
ungewollt, in der Position des Trittbrettfahrers von der Herstellung des
Kollektivguts profitieren, ohne sich an den Kosten zu beteiligen (vgl. auch
Ammon 2006). Im Fall der Einfhrung von Englisch als lingua franca
wren diejenigen Sprecher, die Englisch bereits als Muttersprache sprechen,
die Trittbrettfahrer, weil sie selbst keine neue Sprache lernen mssen. Und
Menschen, die Englisch als Fremdsprache lernen, wren diejenigen, die die
Kosten fr die Herstellung des Kollektivguts bernehmen mssten.5
Hinzu kommt, dass die englischen Muttersprachler gegenber allen
Anderen bessere Chancen haben, ihren Fremdsprachenvorsprung fr unterschiedliche Formen einer europischen Vergesellschaftung zu nutzen: Sie
haben Vorteile auf dem internationalen Arbeitsmarkt, weil sie die lingua
franca besser sprechen als diejenigen, die sie als Fremdsprache erlernt haben; sie knnen in politischen und ffentlichen Debatten ihre Position besser formulieren und werden damit einflussreicher sein; sie werden sich leichter international vernetzen und dieses Sozialkapital in andere Kapitalien
transferieren knnen etc. 6
5

Umgekehrt gilt aber auch, dass die Investition in eine neue Fremdsprache denjenigen, die
diese Investition gettigt haben, Vorteile bringt, weil sie nun zweisprachig sind und diese
Zweisprachigkeit kapitalisieren knnen.
6 Van Parjis (2004) weist noch auf eine andere Ungerechtigkeit hin, die mit der Bevorzugung
des Englischen verbunden wre. Die Bevorzugung einer Sprache fhrt nicht nur dazu, dass
die Sprecher dieser Sprache bessere Chancen haben, ihre Sprachkompetenz in andere Kapita-

222

Welche Mglichkeiten gibt es, diese antizipierten Ungerechtigkeiten auszugleichen? In der Literatur werden dazu verschiedene Alternativen diskutiert. Der bekannteste Vorschlag ist von Jonathan Pool (1991) entwickelt
und mathematisch modelliert worden. Die Grundidee besagt, dass die Einfhrung einer lingua franca mit Nutzen und Kosten verbunden ist, sich
der Nutzen und die Kosten aber auf die verschiedenen Sprachgruppen unterschiedlich verteilen. Eine gerechte Lsung ist dann erreicht, wenn diejenige Sprachgemeinschaft, deren Muttersprache als lingua franca gewhlt
wird, diejenigen Sprachengemeinschaften subventioniert, die die lingua
franca lernen mssen und zwar bis zu dem Punkt, wo sich der Nutzen und
die Kosten des Fremdsprachenerwerbs ausgleichen. Die genaue Berechnung
der Summe, die als Ausgleichszahlung gezahlt werden msste, ist nicht so
einfach, weil dazu eine Vielzahl an Parametern bercksichtigt werden mssen (dazu genauer Van Parijs 2007).
Der Grundgedanke ist aber beraus charmant und zeigt einen Weg auf,
das Argument, dass die Einfhrung einer lingua franca zu einer ungleichen und damit ungerechten Belastung der verschiedenen Sprachgemeinschaften fhrt, zu entkrften. Eine effiziente und zugleich faire Sprachpolitik in einer mehrsprachigen Union ist im Grundsatz mglich. Die Europische Union hat, weil sie eine politische Institution ist, die Zugriffsrechte auf
die Mitgliedslnder und auch die Macht und die Mglichkeiten, eine solche
Politik umzusetzen. Die 27 Lnder mssten sich in einem unterschiedlichen
Ausma an der Finanzierung der Sprachpolitik der EU beteiligen bzw. die
Mittel mssten disproportional auf die Lnder verteilt werden. Lnder, in
denen die Englischkompetenz am geringsten ist, mssten am strksten gefrdert werden. Diese Idee einer disproportionalen Frderung ist dabei
durchaus kompatibel mit der Grundphilosophie der EU von einem integrierten Europa und anderer politischer Manahmen.

lien zu transformieren, sondern auch zu einer Erhhung ihres symbolischen Kapitals, insofern das Prestige ihrer Sprache in der Anerkennungsordnung der Sprachen steigt. Um diese
erwartbaren Effekte, wenn auch nicht zu neutralisieren, so doch zu verringern, schlgt er
mehrere Gegenmittel vor: a) Demystification: Man sollte darauf hinweisen, dass Englisch
nichts anderes ist, als der Dialekt einiger germanischer Barbaren, die jenseits des Kanals
gesiedelt haben, der englischen Sprache selbst also nichts Besonderes eigen ist. b) Ritual
affirmation: So wie der Papst den Ostersegen in allen Sprachen der Welt spricht, so sollte
die Europische Union darauf achten, dass bei allen ffentlichen Ritualen die Mehrsprachigkeit symbolisch gewrdigt wird.

223

Vorbild fr die Sprachpolitik knnte die Regionalpolitik sein. Die EU


verfolgt mit ihrer Strukturfrderung schwacher Regionen das Ziel, zur wirtschaftlichen Konvergenz der Regionen und Mitgliedslnder beizutragen.
Konvergenz bedeutet vor allem die Frderung von Wachstum und Beschftigung in Regionen und Mitgliedsstaaten mit dem grten Entwicklungsrckstand. Wachstum und Beschftigung wiederum sollen u. a. durch eine
Verbesserung der Humanressourcen, der Innovationskraft und eine Frderung der Wissensgesellschaft erreicht werden. Eine europische Sprachpolitik wre genau ber diese Ziele legitimierbar. Sie ist eine Investition in das
Humankapital der Brger und genau der Brger, die aufgrund einer nicht
gegebenen Englischkompetenz nicht hinreichend am Prozess der Europisierung partizipieren knnen.
Van Parijs (2004: 129) schlgt noch eine weitere Manahme vor, die
ohne Einsatz von Ressourcen die Englischkompetenz in der Bevlkerung
wahrscheinlich erhhen wrde. Die Tatsache, dass die Menschen in kleineren Lndern besser Englisch sprechen als in bevlkerungsgroen Lndern,
ist, wie wir in den empirischen Analysen gesehen hatten, u. a. darauf zurckzufhren, dass in kleinen Lndern viele Filme nicht bersetzt, sondern nur
mit Untertiteln gezeigt werden, da sich die Kosten fr eine bersetzung bei
relativ geringer Nachfrage nicht lohnen. Die Rezeption von Filmen in der
Originalsprache verbessert das Erlernen der Sprache, in der die Filme gezeigt werden. Und da die Mehrzahl der Filme aus dem angloamerikanischen
Raum stammt, ist mit einer Untertitelung der Filme eine Verbesserung der
Sprachkompetenz in Englisch verbunden. Der Vorschlag von Van Parijs
(2004), die bersetzung von Filmen per Gesetz zu verbieten, wird aber
weder politisch umsetzbar, noch rechtlich Bestand haben, weil eine solche
Vorschrift zu tief in den Markt eingreifen wrde, der von der Rechtsprechung der EU in hohem Mae geschtzt wird. Allerdings haben fast alle
Lnder der EU ffentlich-rechtliche oder staatliche Sendeanstalten. Man
knnte sich vorstellen, dass diese sich wechselseitig verpflichten, einen Teil
der Programme und vor allem der Jugendprogramme in den Originalsprachen auszustrahlen oder zumindest die Option anbieten, dass man die Sendungen auch in der Originalsprache sehen kann. Dies wre eine Manahme
zur Verbesserung der Fremdsprachen- und Englischkompetenz, die nicht
nur kein Geld kosten, sondern Geld einsparen wrde, weil man die Synchronisationskosten spart.

224

5. Die bisher formulierten Argumente sollten plausibel machen, dass die


Verfgung ber eine gemeinsame lingua franca die Europisierung der
Gesellschaften Europas beschleunigen, die Wirtschaftsentwicklung positiv
beeinflussen, die Entstehung einer europischen ffentlichkeit begnstigen
und die Chancengleichheit der Menschen, am Prozess der Europisierung
zu partizipieren, verbessern sowie die Identifikation der Brger mit dem
europischen Projekt erhhen wrde. Zugleich lassen sich, wie der letzte
Absatz gezeigt hat, Verfahren finden, die Ungerechtigkeit, die mit der Wahl
einer Sprache als lingua franca verbunden ist, auszugleichen.
Der gewichtigste Einwand gegen eine Frderung des Englischen als
lingua franca eines vereinten Europas kommt von denjenigen, die mit der
Dominanz einer Sprache nicht nur die anderen Sprachen, sondern mit dem
Bedeutungsverlust der anderen Sprachen deren Kulturen bedroht sehen.
Kritiker einer Dominanz des Englischen sehen in einer Vielfaltsverschiebung der Sprachen eine Dominanzverschiebung in den Kulturen. Mit der
Dominanz des Englischen sei zugleich eine Dominanz angloamerikanischer
Weltsichten und Werte verbunden, weil Sprache und Weltsichten ineinander
verwoben sind (vgl. fr viele andere Phillipson 2003). Richard Mnch (2004)
sieht vor allem das funktionsspezifische Englisch einer transnationalen Elite,
das von Wirtschaftsfunktionren, Brokraten und Unternehmensberatern
gesprochen wird, als Gefahr an, weil mit der Sprache eine spezifische Ideologie eines wirtschaftsliberalen Europa transportiert wird.
Wir hatten in den Kapiteln 2.2 und 3.3 gesehen, dass diese Vorstellung
der sprachlichen Konstituierung von Kulturen die hegemoniale Sicht unter
Linguisten und Anthropologen ist, die sich viele internationale Organisationen und auch die EU zu Eigen gemacht haben (vgl. z. B. Crystal 2000; Phillipson 2003; Nic Craith 2008). Sie ist deswegen nicht unbedingt plausibel.
Zum einen wrde die Frderung einer lingua franca Englisch fr alle
Europer ja nicht bedeuten, dass die sprachliche Souvernitt der Nationalstaaten innerhalb der Lnder angegriffen wird. Die Muttersprachen der
Lnder bleiben erhalten; sie werden nur ergnzt um eine forcierte Frderung
einer Fremdsprache. Zum Zweiten hatten wir in Kapitel 2.2 im Kontext der
Diskussion des linguistic turns der Soziologie gesehen, dass der momentane Forschungsstand die These, dass die Sprache das Denken und damit
die Weltaneignung beeinflusst, nur sehr begrenzt untersttzt. Die neuere
Kognitionspsychologie (Fodor 1975; Pinker 1994) geht davon aus, dass das
Denken in einer speziellen, mentalen Sprache stattfindet. Und weil das

225

Denken in einer inneren Sprache stattfindet, ist der Einfluss der natrlichen
Sprachen auf das Denken gering, und all das, was Menschen in einer bestimmten natrlichen Sprache ausdrcken, kann im Grundsatz in eine andere Sprache bersetzt werden. Wenn aber Sprache und Kultur nicht so eng
miteinander verzahnt sind, wie dies hufig in der Literatur unterstellt wird,
dann hat dies Folgen fr die gezogenen politischen Schlussfolgerungen. Ein
Kernargument gegen eine einheitliche Fremdsprache in Europa ist damit
entkrftet, zumindest aufgeweicht. Philippe Van Parijs bringt die berlegung nochmals przise auf den Punkt: There is nothing intrinsically procapitalist, or anti-poor, or market-imperialist about the English language, just as it is not because Marx wrote in German that there is something intrinsically anti-capitalist or pro-proletarian or state-fetishist
about the German language. Like all other languages in the world, English
and German have the means of expressing negation, so that whatever Marx
wrote in German you can also deny in German and whatever Bush said in
English you can also deny in English (Van Parijs 2004: 138).
Fast alle Argumente sprechen dafr, die Dominanz des Englischen als
lingua franca in Europa nicht nur notgedrungen zu akzeptieren, sondern
politisch aktiv zu frdern und dies auch auf Kosten der Frderung der anderen Sprachen. Die alttestamentarische Geschichte vom Turmbau zu Babel, mit deren Wiedergabe ich im ersten Kapitel begonnen hatte, lehrt uns,
welche enormen Vorteile mit einer gemeinsamen Sprache verbunden sind.
Die Europer sollten die Strafe Gottes nicht frchten, wenn sie sich daran
machen, das europische Projekt weiterzuentwickeln. Eine gemeinsame
Fremdsprache wrde die Entwicklung Europas in verschiedenen Dimensionen enorm beschleunigen und die Menschen in Europa nher zusammenbringen.

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