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Die letzte Welt?

Der Dichter in seiner verlorenen Heimat


Untersuchungen zu Ovids Exilpoesie und Christoph Ransmayrs Die letzte Welt

Hausarbeit im Rahmen des Landeswettbewerbs

Alte Sprachen 2009/2010


des Niederschsischen Altphilologenverbandes zugleich besondere Lernleistung in der Abiturprfung 2011

vorgelegt von Robert Spalthoff Lindenallee 5 26122 Oldenburg 0441-75317 [email protected]

Altes Gymnasium Oldenburg

Inhalt
Einleitung 1. Ovid Lebenslauf und Exil a) Leben vor dem Exil b) Das Exil c) Bemhungen um eine Rckkehr Die letzte Welt von Christoph Ransmayr a) bersicht ber den Roman b) Zusammenfassung der Handlung c) Beschreibung der Stadt Tomi d) Charakterisierung der Figur Naso Die letzte Welt? a) Ovid Person und literarische Figur b) Tomi bei Ovid und bei Ransmayr 3

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3.

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Schluss a) Zusammenfassung der Ergebnisse b) Ausblick Literatur a) Textausgaben und bersetzungen b) Sekundrliteratur c) Internetpublikation Anhang

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Einleitung
Whrend des Nationalsozialismus in Deutschland verlieen viele berhmte deutsche Literaten ihre Heimat, um vor dem Regime zu fliehen. Das Exil vernderte viele der Schriftsteller, oft fiel ihnen schwer aus dem Ausland heraus zu schreiben. Allerdings diente das Schreiben den Literaten auch als eine Zuflucht und als Ventil, als eine Verbindung in die Heimat. Georg Stefan Troller beschreibt, wie das Exil auf Gren wie Thomas Mann oder Bertholt Brecht auch eine knstlerisch verheerende Wirkung hatte. Diese Wirkung hing auch mit der Verbannung aus dem Sprachraum zusammen und damit, dass dadurch der direkte Kontakt zum Publikum nicht mehr vorhanden war. Stefan Zweig schrieb drei Monate vor seinem Freitod am 22. Februar 1942: Ich habe immer Angst, die eigene Sprache zu verlernen [] Ich finde die Identitt mit meinem Ich nicht mehr, nirgends hingehrig, nomadisch und unfrei1 Auch Ovid musste seine Heimat Rom wider Willen verlassen, er wurde nach Tomi verbannt. Mit Rom verlie er auch den lateinischen Sprachraum, am Schwarzen Meer wurde Griechisch, Getisch und Sarmatisch gesprochen.2 Nachdem er von seiner Verbannung erfahren hatte, begann er bereits auf der Reise ins Exil mit dem Verfassen der spter als Tristia erschienenen Gedichte. Diese Klagelieder stellen zusammen mit den Epistulae ex Ponto das Sptwerk des Dichters dar. In der vorliegenden Facharbeit soll mehreren Fragen nachgegangen werden. Zuerst gehe ich auf Ovids Leben und Wirken mit besonderem Augenmerk auf die Exiljahre ein. Die Fragen, wie Ovid das Leben in Tomi beschrieb und in welcher Weise es ihn in seinem Schreiben prgte, stehen im Vordergrund. Die Suche nach Publius Ovidius Naso ist das Thema in Christoph Ransmayrs Buch Die letzte Welt. Der zweite Teil der Facharbeit geht auf diesen Roman ein. Die Frage, wie Ransmayr das Exil beschreibt, bildet zusammen mit einer Charakterisierung der Romanfigur Naso den Kern dieses Kapitels. Im dritten und letzten Kapitel erfolgt ein Vergleich des reellen Dichters mit der Figur des Naso, auerdem vergleiche ich Ovids und Ransmayrs Beschreibung des Exils in Tomi.

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Zitiert nach: Troller, S. 94. Vgl. Ov. trist. V 12, 57 f.

1. Ovid Lebenslauf und Exil


a) Leben vor dem Exil Publius Ovidius Naso wurde am 20.3.43 v. Chr. in Sulmo, dem heutigen Sulmona geboren: Sulmo heit meine Heimat. 3 Als Sohn eines wohlhabenden Ritters (mein Stand ist ererbt von den Ahnen: nicht durch Gunst nur des Glcks ward ich zum Ritter gemacht.)4 war fr Ovid die mterlaufbahn, der sogenannte cursus honorum vorgesehen. Ich aber fand schon als Knabe Gefallen an himmlischen Weihen: lockte die Muse mich doch heimlich bereits in ihr Tun. Oft hat mein Vater gesagt: ,Was treibst du brotlose Knste?5 Aus diesem Ovid-Zitat geht dreierlei hervor: Zum einen belegt es, dass Ovid schon als Junge an der Dichtung, den himmlischen Weihen, wie er es nennt, interessiert war. Zum anderen zeigt es aber auch, dass sein Vater dieses frh aufgetretene Talent nicht weiter frdern wollte, und das Interesse seines Sohnes kritisiert. Auch in Rom galt die Dichtung, wie das Zitat auerdem belegt, als ein Beruf mit unstetem, schlechtem Einkommen und groer finanzieller Unsicherheit. Aus diesem Grund studierte Ovid in Rom Rhetorik und war als Einzelrichter in Zivilsachen und als Strafbeamter ttig. 6 Bald jedoch beendete Ovid die politische Laufbahn, um sich nun doch ganz der Poesie zu widmen. Wegen der finanziellen Absicherung seiner Familie konnte er diesen Weg einschlagen. Ovid selbst begrndet seinen Schritt auch mit der krperlichen und geistigen Belastung eines ffentlichen Amtes, der er nicht gewachsen war: Weder mein Krper war noch mein Geist der Mhe gewachsen; auch die Bewerbung ums Amt hab ich, als strend, gescheut.7 Als erstes Werk Ovids erschienen 20 v. Chr. die Liebeselegien Amores. Hier gibt Ovid seinen Lesern Ratschlge, die teilweise auch heute noch als sittenwidrig gesehen werden knnen. Unter anderem fordert er dazu auf, einen Seitensprung unter allen Umstnden abzustreiten, selbst wenn er noch so offensichtlich ist: Und mein rgendes Wort heit keusch nicht und schamhaft dich
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Sulmo mihi patria est (Ov. trist. IV 10, 3). Usque a proavis vetus ordinis heres / non modo fortunae munere factus eques. (Ov. trist. IV 10, 8 f.). At mihi iam puero caelestia sacra placebant, / inque suum furtim musa trahebant opus. Saepe pater dixit studium quid inutile temptas? (Ov. trist. IV 10, 19 f.). Vgl. Wieser, S. 227. Nec patiens corpus, nec mens fuit apta labori, sollicitaeque fugax ambitionis eram (Ov. trist. IV 10, 37 f.).

zu werden, aber es fordert, du sollst suchen, dass du es verbirgst8. Ovid stellt die Liebe durch Anweisungen wie diese als eine Art gesellschaftliche Technik dar, die wie andere Techniken auch erlernt werden kann. Dies widerstrebte Augustus, der zur Zeit seiner Herrschaft eine traditionelle Familienpolitik durchsetzte und versuchte, der Ehe als Sttze der Gesellschaft wieder eine grere Bedeutung zukommen zu lassen.9 Die Amores hatten sofort berraschend groen Erfolg, Ovid wurde schon im Alter von 23 Jahren zu einem der angesehensten Dichter Roms.10 In weiteren Verffentlichungen wie den Heroides (grtenteils 5 v. Chr. verffentlicht), der Ars amatoria (1 n. Chr.) und den Remedia amoris wendet sich Ovid vor allem dem Thema Liebe zu.11 Ein weiteres Thema in Ovids Dichtung ist die Mythologie. Die Heroides stellen bereits eine Mischung der beiden Themen Liebe und Mythologie dar, und auch in der Tragdie Medea, die allerdings nicht erhalten ist, liefert die Mythologie den Hintergrund. In den Metamorphoses, Ovids Hauptwerk, beschreibt der Dichter die Verwandlungen mythischer Figuren von einer Form zu einer anderen. Bei einem Besuch auf der Insel Elba im Jahre 8 n. Chr. erreichte Ovid die unerwartete Nachricht seiner Verbannung aus Rom. Zu diesem Zeitpunkt waren die Metamorphoses zur Publikation vorbereitet, allerdings noch nicht verffentlicht.12 Der Kaiser Augustus hatte das Exil in Tomi am Schwarzen Meer verfgt, ohne Zustimmung des Senates oder ein richterliches Urteil einzuholen. Somit sind die Grnde fr die Verbannung des Poeten unklar. Spter nennt Ovid zwei Grnde fr seine Verbannung, einen Gesang und einen Irrtum: Da zwei Frevel, Gedicht und Verirrung, zugrunde mich richten, sei meines zweiten Vergehens Fehltritt in Schweigen gehllt13 Weiter geht Ovid nicht auf letzteren Fehltritt ein. Sehr wahrscheinlich ist, dass es sich bei dem Gedicht um die anrchigen Liebesgedichte handelt, vor allem die Ars amatoria. Diese waren hnlich frivol wie auch schon die Amores. Bei dem Fehler knnte es um sein Mitwissen in einem Sittenskandal um Augustus' Enkelin Julia gehen.14 Da Ovid seinen
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Nec te nostra iubet fieri censura pudicam, / sed tamen, ut temptes dissimulare, rogat (Ov. am. III 14, 3 f.). Vgl. Martenstein, S. 55. Vgl. Holzberg, S. 594. Sofern nicht anders angegeben, sttzen sich die folgenden Darstellungen auf Meyers Enzyklopdisches Lexikon, Stichwort: Ovid. Vgl. Wieser, S. 230. Perdiderint cum me duo crimina, carmen et error, / alterius facti culpa silenda mihi (Ov. trist II 1, 207 f.). Vgl. Wieser, S. 227, und Ransmayr, S. 274276.

Fehltritt aber an keiner Stelle selbst benennt, handelt es sich bei solchen Annahmen um Spekulationen. b) Das Exil Zehnmal, seitdem ich geboren, errang, bekrnzt mit dem lzweig, in dem pisischen Kampf siegend ein Pferd sich den Preis, als der Zorn unsres Frsten befahl, nach Tomis zu ziehen, das an des ,Gastlichen Meers linkem Gestade sich hebt. So beschreibt Ovid sein Alter bei der Verbannung. Der pisische Kampf entspricht bei ihm den Olympischen Spielen (Olympia liegt in der griechischen Landschaft Pisa). Diese Spiele fanden wie heute noch durchgefhrt alle vier Jahre statt. Somit ergbe sich eine Verbannung Ovids im Jahre 3 v. Chr., allerdings wurde Ovid mit ungefhr fnfzig Jahren, im Jahre 8 n. Chr. verbannt. Das erklrt sich dadurch, dass Ovid zwischen den olympischen Spielen jeweils eine Frist von fnf anstelle von vier Jahren berechnet, wie es bei den rmischen lustra blich war.15 Die Nachricht seiner Verbannung berraschte Ovid wahrscheinlich sehr. Als er vor Antritt der Reise ins Exil sein Haus in Rom aufsuchte, verbrannte er eine Abschrift der Metamorphoses, das Original aber blieb erhalten. Dies stellt Ovid selbst mehrfach anders dar, als Beispiel sei dieses genannt: Auch bei meiner Verbannung verbrannt ich, was sicher gefiele, weil ich meinem Bemhn zrnte und meinem Gesang.16 Hier meint er die Metamorphoses. Vermutlich verffentlichte Ovid diese aus dem Exil heraus oder lie sie von Anderen in Rom verbreiten. Dies knnte er zum Beispiel deswegen heimlich getan haben, weil er vermutete, die Metamorphoses knnten den Zorn Augustus noch weiter schren. Andererseits liegt nahe, dass eine Person wie Ovid, die als Dichter zu theatralischen Gesten neigte und sich ihrer Wirkung sehr bewusst war, die Metamorphoses verbrannte, um die rmische ffentlichkeit zu bestrafen. Dies lsst sich auch an Ovids oben erwhnter Wortwahl erkennen, er verbrannte, was sicher gefiele. Das weist auf die beschriebene Trotzreaktion hin. Vielleicht hat Ovid seine Emprung ber das Urteil auf diese Weise deutlich machen wollen. Das wrde auch erklren, warum die Metamorphoses dann doch verffentlicht wurden: Der Dichter wollte trotz allem auf den Ruhm, den er durch die Metamorphoses
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Postque meos ortus Pisaea vinctus oliva / abstulerat deciens praemia victor equus, / cum maris Euxini positos ad laeva Tomitas / quaerere me laesi principis ira iubet. (Ov. trist. IV 10, 9598); vgl. Holzberg, S. 571. Tunc quoque, cum fugerem, quaedam placitura cremavi, / iratus studio carminibusque meis. (Ov. trist. IV 10, 63 f.).

erlangen konnte, nicht verzichten, er hatte jahrelang an diesem Werk gearbeitet. Ausdruck seiner Gefhle, aber genauso seines Gesprs fr Theatralik war auch, dass Ovid bereits auf der Reise nach Tomi, auf der Galeere Minerva, mit dem Verfassen der Elegien der Schwermut, den spteren Tristia, begann. In Tomi angekommen, nderte sich wenig an der Erschtterung Ovids ber das Exil. Wieser zitiert Ovid mit der Aussage Kein Buch gibt es hier.17 Ovid selbst beschreibt die Stadt Tomi in den Tristia mit diesem Ausruf: Ach, wie nachbarlich nah ist mir das Ende der Welt!18 In der Tat lag die Stadt Tomi an der Grenze des rmischen Imperiums und war von Rom circa 1500 Kilometer Luftlinie entfernt. Was zu Ovids Schicksal hinzukam, war, dass seine Werke aus den ffentlichen Bibliotheken Roms entfernt wurden. Dieser Schritt hat den Dichter bestimmt sehr getroffen, auch da er wie oben erwhnt selbst viel auf seine eigenen Werke hielt. Sogar frhere Freunde hatten sich von Ovid abgewendet, wie dieses Zitat nahe legt: Hielt von den vielen doch nur dieser und jener zu mir.19 Daher blieben die Epistulae ex Ponto, wrtlich Briefe vom Schwarzen Meer, die Ovid an Freunde und an mchtige Personen, auch Augustus selbst, verschickte, um Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen, ohne Erfolg. Um aber zu erfassen, wie schwer die Verbannung Ovid getroffen hat, muss man begreifen, wie umjubelt er in Rom war. Er war den Applaus gewohnt, er verkehrte in den edelsten Kreisen Roms und war ein Feingeist, wie er auch in den Tristia selbst berichtet: Ich, der ich fern von Geschften zu ruhiger Mue geboren, frher bequem und weich alle Strapazen vermied, dulde nun uerstes.20 Er berichtet, dass er sowohl unter den kulturlosen Bewohnern Tomis litt als auch unter dem harten Klima der Schwarzmeerkste.21 Im Jahr 18 n. Chr. verstirbt der Dichter im Exil.

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Vgl. Wieser, S. 227. Heu quam vicina est ultima terra mihi! (Ov. trist. III 4, 52). Qui modo de multis unus et alter erant. (Ov. trist. I 3, 16), gemeint sind die in Vers 15 erwhnten Amicos Quique fugax rerum securaque in otia natus, / mollis et inpatiens ante laboris eram, / ultima nunc patior. (Ov. trist. III 2, 911). Vgl. Wieser, S. 227.

c) Bemhungen um eine Rckkehr Indem Ovid aus dem Exil heraus die Tristia und die Epistulae ex Ponto verfasste, versuchte er in Rom Einfluss zu nehmen. Um dies zu erreichen, bediente er sich mehrerer Methoden. Zuerst einmal stellt er sein Schicksal immer wieder sehr drastisch dar. An zwei Beispielen mchte ich das erlutern. Als erstes die berfahrt in das Exil: Von dieser handelt unter anderem das zweite Kapitel des ersten Buches der Tristia. Ovid beschreibt hier einen unaufhrlichen, starken Sturm, in dem er um sein Leben frchtet: Ja, um uns ists geschehn! Es ist keine Hoffnung auf Rettung. Da ich noch rede, ergiet mir sich die Woge aufs Haupt. Flut wird dies Leben ersticken: es dringt todbringendes Wasser mir in den Mund schon ein, da er vergebens noch fleht.. 22 Er betet zu den Gttern, dieser Sturm mge enden, und beschreibt wortgewandt die Schrecken des Meeres. Das gesamte Gedicht handelt von den Strapazen der berfahrt, genauso auch das vierte Kapitel. Es ist Ovid sehr daran gelegen, sein Leid und seine Verzweiflung zu beschreiben. Man hat den Eindruck, das Ovid zuvor nie den Unbilden der Natur ausgesetzt war. Er stellt, wie in dem Textbeispiel gezeigt, die Situation als lebensbedrohend dar. Sein Ziel ist es, den Leser in Rom dahingehend zu beeinflussen, die Exilstrafe als viel zu hart fr sein Vergehen zu empfinden. Da Ovid als einziger ber seine berfahrt nach Tomi berichtet, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie gefhrlich diese wirklich war. Weil er aber auch an zahlreichen anderen Stellen in seiner Exildichtung das eigene Schicksal sehr drastisch wiedergibt, liegt die Vermutung nahe, dass Ovid hier den Sturm und die eigene Todesangst bertreibt. Als anderes Beispiel soll das zehnte Gedicht des dritten Buches dienen; Hier beschreibt Ovid den Winter an der Schwarzmeerkste. Ohne Zweifel geht er auch hier bei seiner Schilderung ber die Grenzen des real Erlebten hinaus und gibt frei Erfundenes hinzu, um die Situation schlimmer darzustellen, als sie ist. Besonders auffllig ist diese Passage: Drum, wo der erste [gemeint ist der Schnee, Anm. des Verf.] noch nicht zerschmilzt, eh der zweite gekommen, bleibt er an manchem Ort meistens zwei Jahre hindurch.23 Ganz klar bertreibt der Dichter hier. Heutzutage ist das Klima an der Schwarzmeerkste, in Konstanza, wie Tomi heute heit,
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Scilicet occidimus, nec spes est ulla salutis, / dumque loquor, vultus obruit unda meos. / opprimet hanc animam fluctus, frustraque precanti / ore necaturas accipiemus aquas. (Ov. trist. I 2, 3336). Ergo ubi delicuit nondum prior, altera venit, / et solet in multis bima manere locis: (Ov. trist. III 10, 15 f.).

gemigt. Im Januar und Februar sinkt die durchschnittliche Minimaltemperatur unter den Gefrierpunkt.24 Vor 2000 Jahren sah dies allerdings etwas anders aus, denn um das Jahr 1 n. Chr. herum gab es in der Tat eine kleine Eiszeit. Bedenkt man nun, dass auch heutzutage die Temperaturen manchmal auf 30 C sinken und am Schwarzen Meer vor allem Flussmndungen und kstennahe Gewsser zufrieren, erkennt man, dass Ovids Behauptung nicht vllig aus der Luft gegriffen ist. Dass Schnee zwei Jahre hindurch lag, ist aber sehr unwahrscheinlich.25 Dennoch ist es uerst unwahrscheinlich, dass der Schnee in Tomi in der Tat zwei Jahre hindurch lag. Mit Sicherheit plagte Ovid das harte Wetter seines Exilortes wirklich sehr, seine Schilderung ist aber dennoch nicht wahrheitsgetreu. Man kann von einer bertriebenen Beschreibung durch Ovid ausgehen. Wie auch in dem zuvor genannten Beispiel ist es hier Ovids Absicht, durch derartige bertreibungen Anteilnahme an seinem schweren Los, wenn mglich auch bei Augustus selbst, hervorzurufen. Dass Ovid solche Mittel anwendet und vor allem so viel hinzuerfindet, weil er Anteilnahme und schlielich auch eine Begnadigung oder Strafmilderung zu erhalten hofft, wirft eine interessante Frage auf: Fehlten Ovid handfeste Klagegrnde, so dass er zu erfundenen greifen musste? Ohne Zweifel schmerzte Ovid die Verbannung deswegen sehr, weil er seine Frau und seine Freunde vermisste. Darber klagt Ovid in zahlreichen seiner Schriften, so zum Beispiel im fnften und siebten Gedicht des ersten Buches der Tristia . Dort dichtet er ber den Verlust der Freunde so wie im sechsten ber den Verlust seiner Gattin. Auch in den Epistulae ex Ponto wendet sich Ovid im vierten Gedicht des ersten Bandes an seine Gattin, um ihr zu beschreiben, wie sehr er sie vermisst. Im fnften Buch der Tristia schreibt Ovid von neuem an sie, um seine Liebe und Treue zu ihr zu bezeugen. Wenngleich es keinen berechtigten Zweifel an seiner aufrichtigen Liebe zu ihr gibt, lsst sich doch vermuten, dass Ovid einen weiteren Grund hatte, diese Liebeselegien an seine Ehegattin zu schreiben: Eine treue, traditionelle Ehe war auch sehr im Sinne der Familienpolitik des Augustus. Auf diese Weise versucht Ovid, Augustus zu schmeicheln.

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Vgl. Klimadiagramm von Konstanza, auf: http://www.wetter.com/reise/laenderinfos/ klimadatenbank/?type=temp&continent=EU&country=RO&station=154800 (Anhang, S. 29). Vgl. Climate, auf: http://www.encyclopediaofukraine.com/pages/B/L/BlackSea.htm.

Ein anderer Brief Ovids wendet sich an Cotta Maximus, einen Freund des Dichters. In diesem geht Ovid auf ein weiteres Leid seiner Verbannung ein. Er schreibt, im fernen Tomi falle ihm das Dichten und Schreiben zunehmend schwer. Ovid kritisiert seine eigenen Gedichte hart: Les ich, was ich geschrieben, so schm ich mich, weil auch nach meiner Meinung das meiste verdient, dass man es tilge sogleich.26 Dass Ovid das Dichten im Exil nicht mehr so einfach von der Hand ging wie in Rom, ist glaubwrdig. Dennoch bertreibt er, wenn er seinen eigenen Stil kritisiert, von neuem: Seine Gedichte sind weiterhin hervorragend verfasst, wie Niklas Holzberg in seiner Einleitung darlegt.27 Diese beiden Klagegrnde, die Sehnsucht nach Nahestehenden und das Verlernen der eigenen Sprache, klingen berzeugend. Wie auch die deutschen Exilliteraten vermisst Ovid die Heimat mit den zurckgebliebenen Freunden und ist in seinem Schaffen durch die Verbannung eingeschrnkt. Der dritte Grund zur Klage hat sich aber als falsch erwiesen; das Bild, dass Ovid von seinem Exil erzeugt, ist an vielen Stellen berzeichnet. Wahrscheinlich frchtete Ovid, dass eine Klage ber blo psychische Leiden durch die Verbannung nicht genug Anteilnahme an seinem Schicksal hervorrufen knnte. Daher erfand er Situationen physischer Bedrohung durch z. B. die Schrecken der Meere und des Winters, aber auch durch Barbarenangriffe28, um einen greren Effekt bei seinem Publikum zu erzeugen. Eine weitere Methode, die Ovid hufig einsetzt, um Gefhle bei den Lesern zu erzeugen, ist, dass er immer wieder Helden antiker Sagen in seinen Berichten erwhnt und sich teilweise auch mit ihnen vergleicht. Geschickt gelingt dies auch an folgender Stelle: Glaube mir, wenn man mit mir den Odysseus wollte vergleichen weniger gro ist Neptuns Rache als Jupiters Zorn.29 Wichtig ist hier, dass Ovid den Vergleich zwischen sich und Odysseus nicht selbst vornimmt, sondern ihn dem Leser blo in den Mund legt. So kann Ovid nicht selbst fr den unternommen Vergleich kritisiert werden und entgeht dem Vorwurf, anmaend zu sein. Dennoch erzeugt Ovid eine Verbindung zwischen dem eigenen Schicksal und dem des Odysseus und stellt sein Leiden sogar grer als das des antiken Helden dar.
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Cum relego, scripsisse pudet, quia plurima cerno / me quoque qui feci, iudice digna lini (Ov. Pont. I 5, 15 f.). Vgl. Holzberg, S. 607. Protinus aequato siccis Aquilonibus Histro / invehitur celeri barbarus hostis equo (Ov. trist. III 10, 54 f.). Crede mihi, si sit nobis collatus Ulixes, / Neptuni minor est, quam Iovis Ira fuit. (Ov. trist. III 11, 61 f.).

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Einem Rmer waren die Sagenfiguren wie Odysseus oder Herkules noch wesentlich besser bekannt, als sie es uns heute sind, und Ovid hatte sich auch schon vorher, vor allem in den Metamorphoses, mit der Sagenwelt auseinandergesetzt. Daher gelingt es ihm an vielen Stellen, derartige Vergleiche einzubauen. Zusammenfassend stellt man bei einer Untersuchung der Tristia und der Epistulae ex Ponto fest, dass Ovids Ziel beim Verfassen der Gedichte nicht war sein reell erlebtes Leiden im Exil mitzuteilen. Vielmehr war sein Bestreben, durch seine Bcher direkten Einfluss auf sein zuknftiges Schicksal zu nehmen und die ffentliche Wahrnehmung seiner Person zu steuern. Er inszeniert das Exil, wie er vorher auch die Liebe oder Sagengeschichten in Szene gesetzt hat. Dabei nutzt er nicht nur seine eigenen Erlebnisse und Gefhle als Inspiration, sondern fgt auch frei Erfundenes hinzu.

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2. Die letzte Welt von Christoph Ransmayr


a) bersicht ber den Roman Hans Magnus Enzensberger bat den Autor Christoph Ransmayr im Jahr 1984, eine deutschsprachige Prosafassung der Metamorphoses fr Die andere Bibliothek zu schreiben. Als sich Ransmayr mit Ovids Buch beschftigte, fielen ihm in seinem tglichen Leben Menschen auf, die den von Ovid beschriebenen Mythengestalten sehr hnelten. Der Autor erfuhr durch diese Begegnungen, dass die Metamorphoses von noch heute gltigen Themen berichten. Daher entschied er sich, dieses Buch nicht neu zu fassen, sondern aufbauend auf Ovids Metamorphoses einen ganz eigenen Roman zu schreiben, Die letzte Welt. 30 Schon ganz zu Anfang des Romans wird das wichtigste Thema genannt: Keinem bleibt seine Gestalt. Christoph Ransmayr lsst diese Nachricht auf einem Fetzen Stoff niedergeschrieben von seiner Hauptfigur finden, der Text stammt aus Publius Ovidius Nasos Feder.31 Daher sind mit Ausnahme der Hauptfigur Cotta, der ein in den Briefen Ovids verbrgter Freund des Dichters ist, alle im Buch handelnden Charaktere aus den Metamorphoses bernommene Gestalten. Diese verhalten sich auch entsprechend der Ovidschen Vorbilder. So zum Beispiel die Geliebte Cottas, Echo: Sie lebt in einer Hhle und wiederholt aus Angst stets nur, was zuvor gesagt wurde. Eines Tages verschwindet sie spurlos aus Tomi. In den Metamorphoses ist Echo eine Nymphe, die von Juno bestraft wird, indem sie nur die letzten Worte wiederholen kann, die an sie gerichtet wurden. Echo verliebt sich in Narcissus, der sie verschmht. Aus Trauer darber flieht Echo in Wlder und Berge und lebt in Hhlen. Die unerfllte Liebe lst ihren Krper auf und verwandelt ihre Knochen zu Stein. Nur ihre Stimme, das Echo, bleibt.32 Diese Parallele mit der Echo-Figur aus den Metamorphoses ist beabsichtigt, so hnlich wie in diesem Beispiel verhlt es sich mit fast allen Bewohnern Tomis. Sie tragen Namen aus Ovids Metamorphoses und erfllen jeweils auch das Schicksal, das diese ihnen zuteilen. In Die letzte Welt greift Ransmayr Themen der Metamorphoses also auf, malt sie aber vllig eigenstndig aus.

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Vgl. Wieser, S. 235. Vgl. Ransmayr, S. 14. Vgl. Ov. met. III 339510.

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Tomi wird als die eiserne Stadt beschrieben, was aber eher als bildliche Umschreibung fr diesen unwirtlichen Ort als im wrtlichen Sinne gemeint ist. hnlich wie in den Metamorphoses wird eine innere Eigenschaft wie z. B. die Bswilligkeit der lykischen Bauern in eine auch uerlich sichtbare verwandelt, im Fall der lykischen Bauern bedeutet dies die Verwandlung in quakende Frsche. Im Falle des Exilstadt ist es die innere Klte und Gleichgltigkeit, die sich auch nach auen hin ausdrckt. Diese Idee, das Sichtbarwerden eines Charakterzuges, ist ein wesentlicher Bestandteil des Romans, viele Zeichen sind erst sinnvoll, wenn man sie in diesem Sinn auffasst. b) Zusammenfassung der Handlung Die letzte Welt handelt von der Suche nach Ovids Buch Metamorphoses, das, kontrafaktisch, dieser vor seiner Abreise aus Rom auch im Original vernichtet hat. Der Roman beginnt mit der berfahrt der Hauptfigur Cotta von Rom nach Tomi. Die Schilderung der Reise hat vor allem den schweren Sturm zum Thema, in dem Cotta tagelang schlaflos zwischen den Wellen hinund hergerissen wird. 33 In Tomi selbst herrscht bei Cottas Ankunft ein seit zwei Jahren whrender Winter, der aber kurz danach in einen Frhling bergeht. Nach seiner Ankunft vor Ort versucht Cotta, bei den Bewohnern Tomis Informationen ber Ovid, der im Roman meist Naso genannt wird, einzuholen. Er erhlt aber blo wenige Hinweise auf diesen. Als Cotta ein verfallenes Gehft namens Trachila in der Nhe der Stadt aufsucht, trifft er dort auf Pythagoras, den Diener Nasos. Dieser zeigt ihm den auf Steinsulen eingravierten den Epilog der Metamorphoses, einen Hinweis sowohl auf Naso als auch auf sein verschollenes Buch. In diesem Epilog schreibt Ovid, sein Name sei unzerstrbar, er werde fr immer fortdauern34. Dennoch werden die Steinsulen bereits von Nacktschnecken, Tieren von symboltrchtiger Langsamkeit, zersetzt. Ransmayr deutet auf diese Weise an, dass Naso Unrecht hat und die Zeit letztendlich doch ber alles siegt. Wenn auch Naso seine Zeit durch Ruhm verlngern konnte, so wird dieser auch sptestens mit dem letzten Menschen sterben. Bei seiner Rckkehr findet Cotta Tomi in einer rauschenden, gewaltttigen und zgellosen35 Fastnachtsfeier vor. Er trifft auf eine Parade, bei der die Teilnehmer als Zerrbilder der in den
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Vgl. Ransmayr, S. 8. Vgl. Ov. met. XV 876. Vgl. Ransmayr, S. 77.

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Metamorphoses dargestellten Figuren kostmiert sind. Ein epileptischer Junge namens Battus trgt als Kostm eine lange Nase, die der Ovids absichtlich hnlich sieht.36 Auf diese Weise verdeutlicht Ransmayr, dass Naso doch einen groen Einfluss auf die Bewohner Tomis hat, diese sich des Einflusses aber nicht bewusst sind. Nach und nach erfhrt Cotta, dass Naso oft Bewohnern Tomis Geschichten aus den Metamorphoses erzhlt hat. Diese sind der einzige Hinweis auf das von Cotta gesuchte Buch. Einige Zeit spter wird Battus versteinert aufgefunden. Diese Verwandlung ist ein weiteres Zeichen dafr, wie sehr Naso die Kste bereits beeinflusst. Cotta bemerkt daraufhin, dass er den Widerspruch zwischen der rmischen Vernunft und der Versteinerung nicht ertragen kann; da die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum vielleicht fr immer verloren war.37 Er verzweifelt an der alptraumhaften Gleichgltigkeit der Geschehnisse. Um sich selbst vor dem Wahnsinn zu bewahren, beschliet er, erneut nach Trachila zu gehen, um Naso endlich zu finden. Er findet das Haus des Dichters dort von Steinrutschen zerstrt vor. In einer Wahnvorstellung glaubt er, den Dichter gefunden zu haben. Dies stellt sich aber als falsch heraus.38 Anstelle des Dichters stt Cotta allerdings auf zahlreiche beschriebene Stofffetzen, auf denen Pythagoras, der Diener Nasos, die Schicksale der Bewohner Tomis beschreibt. Auf den Lumpen greift er auch auf zuknftige Ereignisse vor, bei denen es sich stets um Metamorphosen handelt. In einer Kette von Naturphnomenen wie Steinlawinen und Wochen andauernden Regenfllen verndert sich die Landschaft um Tomi, bis schlielich der Olymp, ein hoher Berg, aus dem Gebirge hervortritt. Im Verlauf dieser Geschehnisse treten auch viele Verwandlungen der Dorfbewohner in Steine oder Vgel auf. Ransmayr schliet sein Buch mit der vollstndigen Verwandlung der Gegend um Tomi: Die Stadt selbst ist verrostet und verfallen, die Menschen in Steine oder Tiere verwandelt. Als einziger Mensch zieht der inzwischen dem Wahnsinn verfallene Cotta in das neue Gebirge. Auch Naso, so schreibt Ransmayr, habe sich in einen Teil der Natur verwandelt, und die komplette Schwarzmeerkste seinen Vorstellungen angepasst.39 Auf diese Weise beschreibt Ransmayr, wie die Natur sich alles Menschliche und jede Erinnerung schlielich einverleibt.
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd., ebd., ebd., ebd.,

S. S. S. S.

84 f. 194. 211. 254.

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c) Beschreibung der Stadt Tomi Bei Christoph Ransmayr wird Tomi als das Ende der Welt ausgemalt. Schon die berfahrt der Hauptfigur Cotta dorthin steht unter einem sehr ungnstigen Stern. Sie wird als chaotisch und dunkel, als schlaflos und dreckig dargestellt.40 In Tomi selbst herrscht bei der Ankunft Cottas noch Winter, die Stadt ist kalt und trist. An der Westkste des Schwarzen Meeres gelegen, ist Tomi eine teilweise verlassene Kleinstadt mit nur neunzig Husern, eine eiserne Stadt: Rost war die Farbe der Stadt.41 Mit dieser Wortwahl lsst Ransmayr ein ganz besonders heruntergekommenes und dreckiges Bild der Stadt in den Kpfen der Leser entstehen. Rost klingt nach Schrott, Armut. Tomi wirkt ungastlich, es ist von kalten Strmen geplagt und unbedeutend. Ransmayr beschreibt Tomi wie eine Stadt, der alles Elegante und Edle fehlt. Wenn Ransmayr hingegen die Hauptstadt des Imperiums beschreibt, erzhlt er hufig von Situationen, die die Gre und den Wohlstand Roms verdeutlichen, von dem imposanten Stadion der sieben Zufluchten zum Beispiel.42 Die Reichen selbst sind in Rom aber genau so einfach und plump wie sie es die Bewohner Tomis sind. Sie wohnen in Husern, in denen es zwar kaum noch Bcher gab, dafr marmorne Standbilder, Lichtschranken, versilberte Brunnen und Jaguare im Zwinger.43 Der Unterschied zwischen diesem Prunk und Tomi knnte grer kaum sein. In Rom sind die Theater, die Bibliotheken, der Circus, das gehobene Publikum eines Dichters und viele, die seine Arbeit anerkennen und verehren. Rom ist das Zentrum der Welt, gro, warm und schn. Auch die Bewohner Tomis sind neidisch auf Rom und alles Rmische. Tomi muss auf einen Neuankmmling aus Rom furchtbar gewirkt haben. An anderer Stelle beschreibt Ransmayr eine Prozession, die den Gttern fr den beginnenden Frhling dankt, mit diesen Worten: Dort unten versuchten sich die Bewohner Tomis mit einem Himmel auszushnen, der ihnen nicht gndig war.44 Das Wort gottverlassen trifft auf das Tomi in Ransmayrs Roman also sogar im wrtlichen Sinne zu. Cotta wird von den Bewohnern Tomis kaum wahrgenommen, auf seine Fragen wird unfreundlich geantwortet. Typisch dafr ist die Reaktion in einem Absatz, in dem sich Cotta nach Nasos Verbleib erkundigt. Die Antwort, die er erhlt, definiert die
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Vgl. ebd., S. 7 f. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 53 f. Vgl. ebd., S. 52 Vgl. ebd., S. 13.

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Stimmung: Gewiss, Naso, der Rmer. Ob er noch lebte? Wo der begraben war? Ach, gab es denn nun auch ein Gesetz, das einen zwang, sich um einen Rmer zu kmmern, der in Trachila verkam? Ein Gesetz, nach dem man Rede und Antwort stehen mute, wenn ein Fremder nach dem Verbleib eines anderen fragte?45 Man hrt einen feindlichen Unterton, nicht nur gegenber dem Protagonisten, sondern gegenber allem Rmischen. Sofort denken die Bewohner Tomis an neue, brokratische Gesetzte aus Rom, die in Tomi nicht willkommen sind. Diese Feindseligkeit lsst sich mit dem krassen Gegensatz zwischen Tomi und Rom erklren. Es ist eine einfache, nichts hinterfragende, neidische Ablehnung des Rmischen. Gleichzeitig spiegelt sich bereits hier die Gleichgltigkeit der Menschen der Schwarzmeerkste. Es ist ihnen vllig egal, dass ein Dichter von Weltruhm nach Tomi verbannt wurde. Sowieso wird die Bevlkerung meistens als plump und sehr einfach dargestellt, so wie der jhzornige, brutale Schlachter Tereus, der epileptische Sohn Battus der Kolonialwarenhndlerin oder viele der anderen Figuren. Als zum Beispiel der beginnende Frhling in Tomi mit einem mehrtgigen Fastnachtsfest gefeiert wird, erscheinen zu den Festen Bauern, Bernsteinsucher und Schweinehirten46. Auch whrend der tatschlichen Fastnachtsfeier am Ende der Festzeit kommen die barbarischen Zge der Stadtbewohner zutage; betrunkene, grlende Horden ziehen durch die Gassen, es gibt Schlgereien, die Hauptfigur Cotta wird von einer solchen Gruppe brutal gezwungen, sich ebenfalls zu betrinken.47 Die einzige wirkliche Kulturveranstaltung sind die jhrlichen Filmvorfhrungen eines reisenden Filmvorfhrers, bei denen sich die Menschen in Tomi jedoch auch unkultiviert verhalten und laut dazwischenrufen. Sie sind von dem Zauber der Filmkunst wie Kinder beeindruckt.48 Ein anderer wichtiger Charakterzug ist die grenzenlose Gleichgltigkeit, mit der die Menschen in Tomi jedes Ereignis hinnehmen: Die Versteinerung des Battus ist schnell vergessen, ber die neuartige Vegetation wundern sich die Bewohner nur kurz, und auch als ein Einwohner Tomis in verlassenen Husern faustgroe Spinnen entdeckt, ist die Verwunderung nur von kurzer Dauer: Es schien in diesen Tagen nichts zu geben, woran
45 46 47 48

Vgl. ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 7785, insbesondere S. 79. Vgl. ebd., S. 31 u. 34.

1 6

sich die eiserne Stadt nach einem Augenblick des Schreckens oder des Erstaunens nicht gewhnen konnte.49 Durch diese Charakterisierung der Stadt und ihrer gleichgltigen Bewohner erzeugt Ransmayr die albtraumhafte Grundstimmung des Romans. Wie in Trumen gelten die Gesetze der Logik nicht immer, Ereignisse werden nicht so hinterfragt, wie sie es in einer reellen Welt wrden. Viele Charaktere wirken durch ihre Handlungen wie Traumgestalten. Eine andere Technik, die Ransmayr verwendet, um die Situationen traumartig erscheinen zu lassen, ist das Weglassen jeder Art der direkten wrtlichen Rede. An keiner Stelle im gesamten Roman macht eine Figur eine direkte uerung, auch wenn natrlich Unterhaltungen stattfinden. Nur paraphrasiert werden Gesprche wiedergegeben, mit dem Effekt, dass die Erzhlung zu einem Werk wird, in dem einzig der Autor spricht. Auch die Rckblenden zu Nasos Leben in Rom werden auf diese Weise berichtet. Sie sind in den erzhlerischen Kontext wie ein konsequenter Gedankengang eingebunden. Diese Form der Verfremdung strkt die traum- beziehungsweise albtraumartige Stimmung des Romans. Im Verlauf der Handlung ndert sich aber das Bild der Stadt wie oben beschrieben, die Bewohner verschwinden nach und nach und die Natur berwuchert jede Erinnerung an die Zivilisation. Diese Vernderung geht von dem Gehft Trachila aus, wo Naso lebt. Dort gibt es einen Maulbeerbaum, der auch im Winter wchst und Frchte trgt. Er passt nicht in die Vegetation des Schwarzen Meeres. Als Zeichen der Verwandlung tauchen im Verlauf der Handlung berall in der Stadt und ihrer Umgebung Gewchse auf, die dort noch nicht gesehen wurden. Die Pflanzen sind ein Symbol dafr, dass die Zivilisation der Menschen mit all ihren Fehlern durch die langsame, stete und unaufhaltsame Natur verndert und schlielich vergessen wird. Insgesamt unterliegt Tomi mit seinen Bewohnern einer Metamorphose, wie sie von Ovid beschrieben wird. d) Charakterisierung der Figur Naso Als besonders auffallendes Merkmal Nasos (vgl. lat. nasus fr Nase) wird immer wieder seine groe, einzigartige Nase aufgefhrt. Bei vollem Namen wird er nur selten erwhnt, auch Ovid wird er kaum genannt.

49

Vgl. ebd., S. 118 (Versteinerung), S. 176 (Spinnen).

1 7

Nasos ueres wird ebenso selten erlutert, an einer Stelle wird er als schmale, vornbergebeugte Gestalt beschrieben.50 Selbst diese Beschreibung muss aber in ihrem Kontext gesehen werden, da hier Naso vor einer riesigen Menschenmasse und von oben herab beobachtet wird. Sein Aussehen spielt aber abgesehen von der Nase, die als Erkennungsmerkmal dient, auch keine weitere Rolle, da Naso selbst nie als handelnder Charakter vorkommt. In die Erzhlung sind verschiedene Beschreibungen von Nasos Leben und Wirken in Rom eingestreut, die grtenteils einer Charakterisierung des Dichters und der politischen Verhltnisse in Rom dienen. Wichtig ist hier, dass Naso als eingebildet und gierig nach Ruhm gezeichnet wird (In seinem Bedrfnis nach Applaus)51. Er tritt in Die letzte Welt vor seinem Publikum auerdem schroff auf und trgt seine Werke viel zu leise vor, um sein Publikum zum Lauschen zu zwingen.52 Auch Nasos politisches Wirken in Rom wird bei Ransmayr ausfhrlich beschrieben. Komplett paraphrasiert wiedergegeben wird so eine von ihm gehaltene Rede, die mittels eines Vergleichs den Wandel der Brger Roms von Menschen hin zu einem unkritischen Ameisenvolk darstellt.53 Hinzu kommt, dass Naso vor seiner Rede eine als unerlsslich beschriebene Ehrerbietung vor dem Kaiser und den Senat bergeht, und sich mit den Worten: Brger von Rom an sein Publikum wendet.54 Auf diesem Weg beleidigt Naso die Mchtigen Roms erheblich. Auch wenn also Naso als politische Figur auftritt, macht der Autor dennoch sichtbar, dass Naso weder eindeutig kaisertreu noch oppositionell ist,55 sondern blo ein kritisch denkender Intellektueller, auch wenn beide Seiten, der Kaiser und die im Untergrund organisierte Opposition, ihn politisch ausnutzen wollen. Die in der erwhnten Rede formulierte Kritik an Rom wird als der Fehler dargestellt, der schlielich in die Verbannung fhrt. Als der Gesang, der zu dem Fehler hinzukommt, werden die Metamorphoses angefhrt. Hierzu erlutert Ransmayr, dass die rmische Oberschicht Angst bekommen habe, Naso knne sie mittels der Metamorphoses blostellen. Die Metamorphoses werden von Ransmayr also als durchaus politisches und sozialkritisches Buch in der Aufmachung alter Sagen aufgefasst.

50 51 52 53 54 55

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,

S. S. S. S. S. S.

54. 46. 47. 5457. 54. 114.

1 8

Man muss aber beachten, dass die beiden in dem Roman Die letzte Welt genannten Grnde nicht zu der Verbannung fhrten. Augustus wird als ein Herrscher dargestellt, der sich mehr fr sein Nashorn als fr die politischen Belange Roms interessiert, der noch nie ein Buch gelesen hat und whrend Nasos so bedeutender Rede einschlft.56 Tatschlicher Grund fr die Verbannung ist nmlich die grozgige Auslegung einer Handbewegung des Kaisers durch dessen Brokratie.57 Die wirklichen Ursachen fr die Verbannung spielen hier keine groe Rolle. Bewusst erzeugt Ransmayr nicht nur an dieser Stelle das Gefhl, das Rmische Reich sei ein willkrlich handelnder Staat. Alle Manahmen gegen Naso sind zufllige Produkte der Brokratie, weder gerecht noch durchdacht. Da also die Verbannung ohne rationale Grnde verfgt wurde, muss jeder Versuch, argumentativ, zum Beispiel durch Bittbriefe, gegen das Urteil vorzugehen, in Ransmayrs Welt scheitern.

56 57

Vgl. ebd., S. 62 u. 57. Vgl. ebd., S. 6365.

1 9

3. Die letzte Welt?


Wie eingangs erwhnt, verfassten die deutschen Exilliteraten ihre Schriften hufig auch in der Hoffnung, so ihrem Leiden ein Ventil zu geben. Liest man Ovid, entsteht auch bei ihm dieser Eindruck. a) Ovid Person und literarische Figur Die Lebensgeschichte und Schilderung Ovids in Die letzte Welt und in seinen eigenen Texten ist berwiegend gleich. Was allerdings bei Ovid nicht erwhnt wird, sind einige negative Eigenschaften wie die beschriebene Schroffheit. Dafr kann es drei Erklrungen geben: Zuerst, dass Ovid so einen negativen Charakterzug nicht hatte und Ransmayr diesen frei erfunden hat. Ein zweiter Grund fr eine Diskrepanz zwischen der Ovidschen Selbstdarstellung und der durch Ransmayr wre, dass Ovid natrlich keinen Grund hatte, sich in seinen Gedichten selbst schlecht darzustellen. Drittens muss man bedenken, dass ein Mensch seinen eigenen Charakter selbst nie vollkommen objektiv erkennen kann, sondern immer eine subjektive Einschtzung vornimmt. Als solche negativen Charakterzge treten im Text zum einen die Schroffheit, zum anderen die Gier nach Ruhm auf. Erstere kann man keinem der oben genannten Grnde eindeutig zuordnen. ber Ovids Art, mit dem Publikum umzugehen, gibt dieser selbst keine Hinweise. Es kann also sein, dass Christoph Ransmayr diesen Charakterzug frei erfindet, um die Figur Nasos plastischer wirken zu lassen. Die Gier nach Ruhm aber lsst sich auch aus Ovids Texten zumindest indirekt vermuten. Wie oben erlutert, verbrannte Ovid eine Abschrift der Metamorphoses, bevor er Rom verlie, das Original blieb erhalten. Er selbst schilderte dies in den Tristia und den Epistulae ex Ponto hufig anders. Als einen mglichen Grund fr diese Geste lsst sich anfhren, Ovid wollte nicht auf die ihm gebhrende Wrdigung verzichten. Dies ist freilich noch keine Ruhmsucht, wie bei Ransmayr beschrieben. Auch schreibt Ovid selbst, dass er nie auf den Ruhm des Publikums bedacht war, seine Muse htte noch nie gierig nach Beifall gehascht.58 Bei dieser Aussage handelt es sich aber mindestens um eine subjektive Selbsteinschtzung, wenn nicht sogar um freie Erfindung. Christoph Ransmayr greift aber genau diesen Aspekt in Die letzte Welt auf und baut ihn zu einer Sucht nach Ruhm aus.

58

Musa nec in plausus ambitiosa mea est (Ov. trist. V 7, 28).

2 0

Eine Gemeinsamkeit in den Schilderungen Ovids und Ransmayrs fllt auerdem ins Auge: Beide erzhlen in ihren Schriften, das Original der Metamorphoses sei verbrannt worden, noch bevor der Dichter die Reise ins Exil antrat. Dies widerspricht aber eindeutig der berlieferten Geschichte, die Metamorphoses sind schlielich bis zum heutigen Tag erhalten. Der Grund, aus dem Ovid behauptet, die Metamorphoses seien vollstndig vernichtet, lsst sich nur noch vermuten. Ransmayr aber bernimmt hier, wie an sehr vielen anderen Stellen auch, Ovids Schilderung der Ereignisse direkt in den Roman. Die letzte Welt erhebt nicht den Anspruch, die Geschichte Ovids historisch korrekt wiederzugeben, sondern orientiert sich an Ovids eigener Sicht der Dinge. Weder Ovid noch Ransmayr beschreibt das Aussehen des Dichters im Detail. Als Anhaltspunkt bei Ovid selbst kann aber seine Bemerkung dienen, er sei zu einem Leben fern von Anstrengungen und Strapazen geboren.59 Die auffllige Nase, die Ovid schlielich auch den Namen Naso einbrachte, findet auch bei Ransmayr Erwhnung. Auch in diesem Punkt unterscheiden sich also Realitt und literarische Fiktion nicht weiter. Als Hauptgrund fr die Verbannung wird von vielen Philologen heute vermutet, Ovid habe ber das sittenwidrige Verhalten von Augustus' Enkelin zu viel gewusst. Dieser oft von Ovid erwhnte error fhrte, so die Vermutung, zu der Verbannung, wobei der andere Grund, Ovids frivole erotische Dichtung (carmen), eher eine nebenschliche Begrndung ist. In Die letzte Welt sind die Grnde fr die Verbannung eines der Dinge, die den Hauptunterschied zur Realitt ausmachen: Im Roman wird Naso verbannt, weil die rmische Oberschicht frchtet, durch die Metamorphoses in der Funktion als das auch von Ovid erwhnte Carmen blogestellt zu werden und weil Ovid ffentliche Kritik an Kaiser und Senat bt. Dies ist bei Ransmayr der error, der mit zu der Verbannung fhrt. Schlussendlich liegt aber der grte Unterschied zwischen den Darstellungen Ovids und Ransmayrs in der Rolle des Kaisers Augustus fr die Verbannung. Ovids Bitten richten sich an die Gnade des Kaisers, da dieser die Verbannung persnlich erlassen hatte. In Rom lagen alle Entscheidungen bei dem Kaiser selbst und das gesamte Imperium wurde von nur wenigen Menschen verwaltet.60 Bei Ransmayr hat Augustus kein Interesse an Naso oder der Entscheidung ber die Verbannung des Dichters. Das Urteil ber Nasos Schicksal kommt hier durch brokratische
59

60

Quique fugax rerum securaque in otia natus, / mollis et inpatiens ante laboris eram (Ov. trist. III 2, 10 f.). Vgl. Fest, S. 144.

2 1

Prozesse zustande, die von Augustus nicht gelenkt werden. Dass die Brokratie so sehr der Kontrolle des Kaisers entging, ist aber unwahrscheinlich. Vermutlich ist es daher eher Ransmayrs Interesse, durch diese Variation der historischen Tatsachen seine eigene Kritik gegenber den Herrschaftsweisen zeitgenssischer Staaten zu verdeutlichen, als das antike Rom zu beschreiben. In dem Roman Die letzte Welt wird wenig Bezug auf die Briefe vom Schwarzen Meer oder die Klagelieder genommen. Diese sind aber charakterisierend fr Ovids spteres Leben. Dass ihnen dennoch keine groe Bedeutung bei Christoph Ransmayr zukommt, hat folgenden Grund: In Die letzte Welt empfindet Naso das Exil zwar als genau so leidvoll, wie auch der echte Ovid es beschrieben hat. Wo dieser sich allerdings um eine Verbesserung seiner Situation bemht, indem er die Tristia und die Epistulae ex Ponto schreibt, findet Ransmayr fr Naso eine andere Lsung: Dieser verwandelt die Schwarzmeerkste, die ihm so ungastlich erscheint, schlielich in seine eigene Kste, wie der Autor schreibt: Aus Rom verbannt hatte der Dichter die Metamorphoses am Schwarzen Meer zu Ende erzhlt, hatte die kahle Steilkste, an der er Heimweh litt und fror, zu s yxeiner Kste gemacht und zu seinen Gestalten jene Barbaren, die ihn bedrngten61. Man erkennt, dass Naso das Exil also zu einem Schauplatz seiner Phantasie macht. In der Realitt lassen sich Lebensumstnde zwar ndern, geographische Gegebenheiten lassen sich aber natrlich nicht auf derartige Weise beeinflussen. Somit besteht diese Mglichkeit nur ein einem Roman. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der berlieferten Geschichte und dem Roman ist auch der Tod Ovids. Ovid starb neun Jahre nach seiner Verbannung, im Jahr 18 n. Chr. Die Erzhlung Ransmayrs beginnt im Jahr 17 n. Chr. und endet mit der Verwandlung der Schwarzmeerkste ungefhr ein Jahr spter, also zu dem Zeitpunkt, an dem Ovid starb. Deswegen liegt es nahe die Ereignisse am Ende des Buches, die radikale Vernderung der Natur, als Todeszeitpunkt Nasos aufzufassen. Christoph Ransmayr schreibt aber nicht vom Tod, sondern vielmehr von einer Metamorphose des Verbannten in eine andere Gestalt. Auch hier greift der Autor also nicht historische Fakten auf, sondern spinnt die Fantasie des rmischen Dichters weiter und beschreibt den Tod so, wie er in einer von Ovids Metamorphosengeschichten ausgesehen htte.

61

Vgl. Ransmayr, S. 254.

2 2

b) Tomi bei Ovid und bei Ransmayr Wie auch bei der Figur Ovid bzw. Naso fallen hier zuerst die Parallelen ins Auge: Die Stadt wird sowohl von Ovid als auch von Ransmayr als uert ungastlich beschrieben. Wenn auch Ovid die von Griechen gegrndete Stadt selbst nicht viel nher beschreibt, erwhnt er hufig die getischen und sarmatischen Stmme in der Umgebung oder die Lage der Stadt am Rande des Rmischen Imperiums. Wie oben beschrieben, beschftigte Ransmayr sich ausfhrlich mit Ovid, bevor er Die letzte Welt verfasste. Es liegt also durchaus nahe, dass er bewusst Elemente aus Ovids Tristia oder anderen Bchern bernommen hat. Von dieser These ausgehend, lassen sich auch fr einige andere hnlichkeiten zwischen den Berichten ber Tomi in beiden Bchern Erklrungen finden. Nicht zufllig gehen beide Autoren auf die Schrecken der berfahrt ein. Ransmayr greift Ovids Beschreibung weitestgehend auf, den bedrohlichen Sturm und die uerste Not auf See erwhnt er ebenso wie der Dichter es tut. Einziger Unterschied ist, dass im Roman Cotta und nicht Naso den Sturm erlebt. Gewissermaen verlsst der Sturm die bloen Beschreibungen Nasos bzw. Ovids und manifestiert sich als auch von dritten erlebbares Naturphnomen. Genauso verhlt es sich auch mit dem von Ovid beschriebenen, zweijhrigen Winter: Dieses Wunder der Natur wird bei Ransmayr hnlich wie bei Ovid geschildert. Wie oben beschrieben ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass die von Strmen bedrohte berfahrt nach Tomi oder der lange Winter in diesem Ausma reell stattgefunden haben. Ransmayr greift an diesen beiden Stellen, genauso wie an vielen anderen, direkt auf Ovids Schilderung der Ereignisse zurck, wie fiktiv diese auch sein mgen. Auf diesem Prinzip beruht ein Groteil der Erzhlung; Ovids Ideen werden real und seine Figuren finden sich in der Welt wieder. Ransmayr verwendet als Synonym fr Tomi immer wieder die eiserne Stadt. So nennt Ovid seinen Verbannungsort nie. Trotzdem meinen beide Autoren etwas hnliches. Ovid inszeniert Tomi als das Ende der rmischen Welt, wo die Macht des Kaisers zu schwinden beginnt und wo Barbaren auf den Straen lauern und man vor Angriffen nicht sicher ist. Ransmayr beschreibt zwar keine Barbarenangriffe, dafr verdeutlicht er immer wieder den Kontrast zwischen Rom und Tomi. Auf der einen Seite steht das Zentrum der Welt, edel und ewig whrend, auf der anderen Seite eine schon verfallene, unbedeutende, kleine Stadt, ein vorbergehendes Produkt der Geschichte. Durch diese Gegenberstellung wird deutlich, wie 2 3

sehr sich Rom und Tomi unterscheiden, und wie weit beide voneinander entfernt sind. In Die letzte Welt liegt Tomi nicht blo am Rande des rmischen Imperiums, sondern gleichzeitig in einem traumartigen, unlogischen Reich. Wie bereits an den Beispielen der strmischen berfahrt und des zweijhrigen Winters erkennbar, orientiert sich Ransmayr auch bei der Charakterisierung Tomis an Ovids subjektiven Empfindungen und Beschreibungen, anstatt ein reales Bild des Exils zu zeichnen. Dieses Prinzip zieht sich in gewisser Weise durch den gesamten Roman: Die Charaktere sind, wie am Beispiel Echo gezeigt, denen aus den Metamorphoses sehr hnlich. Der Unterschied zu den sagenhaften Vorbildern besteht darin, dass sie den Bereich von Ovids Phantasie und der Sagen verlassen und in der Erzhlung als handelnde Figuren auftreten.

2 4

Schluss
a) Zusammenfassung der Ergebnisse Ovid hat in Tomi aus verschiedenen Grnden gelitten. Genau wie auch deutsche Autoren, die aus der nationalsozialistischen Heimat flohen, verlor Ovid den Kontakt zu Freunden und seinem rmischen Publikum. Einer seiner grten Wnsche war es, noch zu Lebzeiten nach Rom zurck zukehren. Davon schreibt er ausfhrlich in den Tristia und den Epistulae ex Ponto. Es hat sich aber herausgestellt, dass in den Tristia und den Epistulae ex Ponto auch Klagen zum Ausdruck kommen, die einer Grundlage entbehren: Der Winter am Schwarzen Meer kann sehr kalt werden, zwei Jahre aber wird er nie gedauert haben. Fr Ovid sind die beiden Bcher also nicht blo ein Ventil, um das Exil zu ertragen. Er nutzt seine Schriften bewusst, um auf eine Rckkehr hinzuarbeiten. Hier unterscheidet sich Ovid von den meisten deutschen Exilliteraten. Seine Briefe und Gedichte gehen ber eine bloe Verarbeitung des Leids hinaus. Hufig greift Ransmayr die bewusst berzeichneten Schilderungen Ovids auf. Die gefhrliche berfahrt findet genau so wie auch der zwei Jahre lange Winter Eingang in Die letzte Welt. Die Fantasie des Dichters wird in dem Roman zur Wirklichkeit. Das gilt im Besonderen fr die aus den Metamorphoses bernommenen Charaktere, aber auch fr die Beschreibung der Umgebung und der Lebensverhltnisse. Da Ovid also in den Tristia immer wieder beteuert, die Metamorphoses verbrannt zu haben, wird dies in Die letzte Welt wahr und das Hauptwerk der Dichters ist auch im Original verbrannt. Die letzte Welt ist mehr an Ovids subjektive Eindrcke als an das reale Exil angelehnt. Der Unterschied zwischen der von Ovid verbrgten Verbannung und Tomi, wie Ransmayr es beschreibt, ist oft geringer als der Unterschied zwischen Ovids Schilderung und der Realitt. Gleichzeitig nutzt Ransmayr das historische Szenario, um durch kleine Vernderungen auf die Gegenwart hinzuweisen. Durch seine Charaktere bt er Kritik an der Zivilisation. Ovid wird von einem Liebesdichter zu einer politischen Figur in Rom und zu der Quelle einer gewaltigen Metamorphose im Exil. b) Ausblick Wie in der Einleitung angerissen, ist es interessant, Ovid als einen ersten Exilpoeten zu sehen. Im Verlauf der Geschichte wurden in 2 5

vielen Kulturen immer wieder Dichter, Romanciers, Musiker und alle Arten von Kulturschaffenden aus verschieden Grnden verbannt. Einige der im Exil entstandenen Werke sind erhalten. Es wre interessant zu wissen, ob diese Werke wahrhaftiger Ausdruck der Gefhle waren oder vielmehr, so wie bei Ovid, darber hinaus ein konkretes Ziel verfolgten. Genauso lohnend wre es, eine einzelne Metamorphose (z. B. die Geschichte von Fama) zu untersuchen. Hier bte sich die Frage an, wie die Verwandlung in verschiedenen Epochen verarbeitet und gedeutet wurde. Auerdem liee sich Ransmayrs Adaption der Metamorphoses mit anderen Texten vergleichen, die mit der Figur Ovid kreativ umgehen.

2 6

Literatur
a) Textausgaben und bersetzungen Publius Ovidius Naso, Briefe aus der Verbannung. Tristia, Epistulae ex Ponto, bersetzt von Wilhelm Willige, eingeleitet und erlutert von Niklas Holzberg, Mnchen, Zrich (Artemis) 1990. Publius Ovidius Naso, Liebesgedichte. Amores, bersetzt von Walter Marg und Richard Harder, Mnchen, Zrich (Artemis) 6 1984. Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, bearbeitet von Hans Joachim Glcklich, Gttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 42007. Ransmayr, Christoph, Die letzte Welt, Frankfurt a. M. (11988).
14

2007

Ovid, in: Meyers Enzyklopdisches Lexikon, Bd. 18 (1976), S. 31 f. b) Sekundrliteratur Fest, Nicolaus, Eine Holding namens Rom, in: Geo Epoche Nr. 5 (2001), S. 142145. Holzberg, Niklas, Einfhrung, in: Publius Ovidius Naso, Briefe aus der Verbannung. Tristia, Epistulae ex Ponto, bersetzt von Wilhelm Willige, eingeleitet und erlutert von Niklas Holzberg, Mnchen, Zrich (Artemis) 1990, S. 592612. Martenstein, Harald, Liebe war nur ein Wort, in: Geo Epoche Nr. 5 (2001), S. 54 f. Troller, Georg Stefan, Sprache und Emigration, in: Lettre International 87 (2009), S. 9499. Wieser, Harald von, Eine Flaschenpost aus der Antike, in: Der Spiegel 37/1988, S. 226234 (im Internet auch verfgbar auf: http://www.spiegel. de/spiegel/print/d-13529956.html [3.Februar 2010]).

2 7

c) Internetpublikationen Climate auf: http://www.encyclopediaofukraine.com/pages/B/L/BlackSea.htm (2. Februar 2010). Klimadiagramm von Konstanza auf: http://www.wetter.com/reise/laenderinfos/klimadatenbank/? type=temp&continent=EU&country=RO&station=154800 (2. Februar 2010).

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Anhang

http://www.wetter.com/reise/laenderinfos/klimadatenbank/? type=temp&continent=EU&country=RO&station=154800

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Erklrung
Hiermit erklre ich, dass ich die vorgelegte Wettbewerbsarbeit in der vorgegeben Frist (30. Dezember 2009 bis 3. Februar 2010) selbststndig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Insbesondere versichere ich, dass ich alle wrtlichen und sinngemen bernahmen aus anderen Quellen als solche kenntlich gemacht habe. Oldenburg, den 15. Mrz 2011

......................................................................... (Robert Spalthoff)

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