08 Pathologie Komplexen Erlebens Und Verhaltens
08 Pathologie Komplexen Erlebens Und Verhaltens
Autismus
288
8.2
Regression
8.3
8.4
8.5
8.6
8.7
Erschpfungssyndrom (Neurasthenie)
8.8
Schlafstrungen
8.9
Ess-Strungen
8.10
Sprechstrungen (Dysarthrien)
8.11
Agnosien
8.12
Narzissmus
8.13
Schizoidie 329
8.14
8.15
Sexuelle Deviation
8.16
Borderlinesymptomatik 339
8.17
291
293
296
298
301
305
308
314
319
323
327
332
341
331
288
Die gestrte Persnlichkeit bietet in der Regel von Jugend an konsistent und
berdauernd Aufflligkeiten der Erlebniswelt und des Interaktionsverhaltens,
die zu erheblichen Defiziten an Lebensqualitt und/oder zu permanenten Auseinandersetzungen mit der Umwelt fhren knnen (7 auch Abschn. 1.11) . In
den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV werden sie orientiert an besonders prgnanten und sozial relevanten Eigentmlichkeiten nach schizoiden
und paranoiden, narzisstischen, histrionischen, emotional-instabilen und dissozialen sowie selbstunsicheren, abhngigen, ngstlichen und zwanghaften Prototypen gruppiert.
Die psychogenen krperlichen Symptome sind den somatoformen bzw. Somatisierungsstrungen zugeordnet; sie neigen ebenfalls zur Verfestigung mit einer Tendenz zu Hypochondrie und Dysphorie.
8.1
Autismus
Autistisches Denken (griechisch: auts = selbst) kennzeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch das Verharren in einer eigenen, besonderen Gedanken- und Vorstellungswelt (Introversion). Die Betroffenen schlieen
sich vor der Umwelt ab und meiden Kontakte. Die stets zu beobachtende
ausgeprgte selektive Wahrnehmung isolierter Vorkommnisse oder Gegenstnde der Umgebung ist offensichtlich Resultat mangelhafter zentraler Integrations- und Kodierungsprozesse bei der Verarbeitung sensorischer Reize.
289
8.1 Autismus
Im Bereich von Psychiatrie und Psychopathologie wird unter Autismus das gelegentlich bei Schizophrenen zu beobachtende, versponnene,
wenig einfhlbare, assoziativ gelockerte und unlogische Denken verstanden. Darber hinaus bestehen bergnge zur schizoiden und Borderlinepersnlichkeit mit den Kennzeichen erhhter Reizbarkeit, Vulnerabilitt und Sensitivitt, einer Tendenz zu Rckzug und Selbstbezogenheit, ferner zu Realittsverkennung, magischem Denken und Einengung
der Aufmerksamkeit (. Abb. 8.1).
Frhkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) wird eine sich innerhalb der drei ersten Lebensjahre manifestierende, seltene Verhaltensstrung genannt, die ebenfalls an Verschlossenheit, Selbstbezogenheit,
hoher Aufmerksamkeitsfokussierung und eingeschrnkten motorischen
Fhigkeiten und Fertigkeiten erkennbar ist. Die emotionalen Reaktionen auf nahe Bezugspersonen bleiben aus oder sind inadquat, die Feinmotorik wirkt eckig und unbeholfen. Die Sprachentwicklung ist verz-
290
Die Betroffenen beschftigen sich rigide mit ausgewhlten Gegenstnden; die Bewegungen sind stereotyp-ritualisiert. Einzelne Gegenstnde
werden hoch selektiv beachtet; sie scheinen eine besondere Faszination
auszuben. Die eingeschrnkte Kommunikation ist auf bizarre Weise ritualisiert. Soziale Interessen und Aktivitten fehlen oder sind inadquat;
Blickkontakt wird vermieden. Groe ngste bestehen gegenber Vernderungen der Umgebung; es besteht ein zwanghaftes Festhalten am Gewohnten. Bisweilen zeigen sich aggressive und autoaggressive Ausbrche. Die Intelligenz ist gemindert; das Ich-Erleben erscheint unreifverarmt.
Bei der 1944 erstmals von dem sterreicher H. Asperger (18441954)
beschriebenen Variante sind insulr bisweilen zustzlich ungewhnliche
kognitive Fhigkeiten (z. B. erstaunliche Gedchtnisleistungen und Rechenknste, Vielsprachigkeit, absolutes Gehr) zu beobachten (SavantSyndrom franzsisch: savoir = wissen). Die Intelligenz ist hher als
beim typischen Autismus, die Motorik hier indes meist gestrt (Einzelheiten s. Lehrbcher der Kinder- und Jugendpsychiatrie).
Untersuchungen
291
8.2 Regression
Vorkommen
4
4
4
4
4
4
8.2
Regression
292
In der Tiefenpsychologie spielt der Begriff der Regression als Form der Abwehr
eine besondere Rolle. Sie gilt hier als Ausdruck infantiler Bewltigung von EsImpulsen infolge unzureichender Ich-Souvernitt. S. Freud (18561939) wies
der Regression eine zentrale Position im psychoanalytischen Krankheitsmodell
zu; er definierte sie als Rckkehr zu frheren Entwicklungsphasen infolge psychosexueller Entwicklungshemmung und libidoblockierender Krfte. Freud zufolge uert sich eine beeintrchtigte Sexualentwicklung in einer Regression sowohl in Richung primitiver Formen der Ich-Funktion, als auch zu infantilen libidinsen Objekten und zu einer Reaktivierung der Sexualorganisation einer
frheren Entwicklungsstufe. Den Anlass zur Regression geben z. B. Versagungen
von Liebeswnschen.
Die Betreffenden zeigen manchmal nur kurzzeitig auf allen geistigseelischen Ebenen Merkmale der Funktionseinschrnkung bis hin zur
Hilflosigkeit und Versorgungsbedrftigkeit. Dies kann sich wie oben
angedeutet im Verhalten, in der Sprache, der praktischen Intelligenz
und psychosozialen Kompetenz uern. Sie wirken kindlich-anlehnungsbedrftig, hilfesuchend, abhngig und anklammernd.
Von der Regression zu unterscheiden ist die Retardierung (lateinisch: retardare = verzgern) als Ausdruck einer partiellen oder kompletten krperlichen und seelischen Entwicklungsverzgerung gegenber dem Altersdurchschnitt.
Untersuchungen
Vorkommen
4
4
4
4
293
8.3 Dissoziation und Konversion
Zusammenfassung
Der Vorgang der Regression kennzeichnet ein Wiederauftreten frherer
kindlicher Verhaltensweisen. In der psychoanalytischen Lehre gehrt er
zu den sog. Abwehrmechanismen als Reaktion auf sexuell-libidinse
Entwicklungshemmung und Frustration.
8.3
Als Konversion (lateinisch: convertere = umwenden) wird in der Tiefenpsychologie der Vorgang einer Umwandlung seelischer Konflikte in
krperliche Symptome bezeichnet, der klinisch als Somatisierung in Erscheinung tritt. Konflikterzeugend knnen Phantasien, Wnsche und
Impulse sein, die nicht vom Ich-Bewusstsein zugelassen und daher
294
verdrngt werden; sie sollen sich sodann in nichtorganischen (psychogenen) Krperstrungen bzw. psychosomatischen Symptomen uern
(Einzelheiten s. Lehrbcher der psychodynamischen Psychotherapie).
S. Freud sah 1894 im Konstrukt Konversion das klinische Resultat von Abspaltung und Verdrngung, erzeugt durch einen intrapsychischen Konflikt zwischen
unerlaubten libidinsen bzw. sexuellen Wnschen und Phantasien einerseits
und deren Nichtakzeptanz durch das bewusste Ich bzw. das Gewissen (kurz:
als Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen Es und ber-Ich). Dieses mechanistische Konzept beinhaltet, dass Affekte sozusagen blockiert werden und
unerkannt zu Krankheitserscheinungen fhren knnen.
295
8.3 Dissoziation und Konversion
296
Vorkommen
8.4
Hauptschliche Merkmale histrionischen (hysterischen) Verhaltens (lateinisch: histrio = Schauspieler) sind ausdrucksstarke Selbstdarstellung
und theatralisches Agieren infolge vermehrter Geltungsbedrftigkeit.
Der Begriff Hysterie (griechisch: hystra = Gebrmutter), entstanden aus der
antiken noch von C. Galen (129199) vertretenen humoralpathologischen Ansicht einer Verursachung durch eine Gebrmuttererkrankung (gynaikas hystericas) gilt als veraltet. Die Gebrmutterhypothese hatte erstmals der englische
Hippokrates Th. Sydenham (16241689) in Frage gestellt; er sah Hysterie und
297
8.4 Histrionisches Verhalten (Hysterie)
Hypochondrie als ein und dieselbe Krankheit an. Der bereits genannte Briquet
(17961881) betrachtete sie als eine Art Hirnneurose mit den Leitsymptomen
Gefhls- und Bewegungsstrungen, Krmpfe, Anflle und Halluzinationen an
(7 auch Abschn. 8.3). In der franzsischen Psychiatrie wurde der Hysterie zu Ende
des 19. Jahrhunderts durch den Neurologen und Psychiater J. M. Charcot
(18251893) an der Salptrire groe Aufmerksamkeit gewidmet, demonstriert
am Beispiel des hysterischen Anfalls und anderer psychogener Krperstrungen.
Der Leipziger Nervenarzt P. F. Moebius (18531907) bezeichnete sie als durch Vorstellungen verursachte Krankheiten. Die damalige Hysteriediskussion wurde
dann vor allem durch S. Freud (18561939), der 1885 bei Charcot hospitiert hatte,
korrigiert und ergnzt; er verstand unter Konversionshysterie die im vorigen Abschnitt beschriebene Symptomatik. 1895 verffentlichten S. Freud und J. Breuer
gemeinsam die Studien ber Hysterie.
298
Vorkommen
8.5
In Abhngigkeit von den jeweils betroffenen Krperbereichen oder Organsystemen sind in Anlehnung an die derzeitigen Leitlinien nach
299
8.5 Somatoforme (funktionelle) Strungen
. Abb. 8.2. Beschwerdenliste (BL) bei somatoformer Strung. (Nach Zenz u. Jurna 1993)
300
Krampfanflle
Pseudoepileptische bzw. epilepsiehnliche Krmpfe, die jedoch ohne
echten Bewusstseinsverlust und (meist auch) ohne Zungenbiss, Verletzungen, Urinabgang und sonstige typische neurologische Anfallssymptome verlaufen.
Bewegungsstrungen
Lhmungen [z. B. Unfhigkeit zu stehen (Astasie) oder zu gehen (Abasie)], mangelnde Koordination (Ataxie), Zittern und Tremor oder
Sprechstrung (Aphonie, Dysarthrie 7 auch Abschn. 8.10).
301
8.6 Chronischer Schmerz
Vorkommen
Zusammenfassung
Somatoforme (funktionelle) Strungen sind nichtorganisch bedingte
Beeintrchtigungen der Befindlichkeit und der (autonomen) Krperfunktionen einschlielich psychogener Schmerzen.
8.6
Das Erleben von Schmerz (althochdeutsch: smerzo) wird als unangenehme, qulende Gefhlsqualitt quantitativ und qualitativ durch
kognitive, mnestische, emotionale und motivationale Faktoren weitgehend mitbestimmt, d. h. abgeschwcht, verlagert oder akzentuiert.
Wachheit, Aufmerksamkeitsgerichtetheit, Sensitivitt, individuelle Vulnerabilitt, Gestimmtheit, Phantasien, emotionale Belastbarkeit, kultu-
302
Wiederholte Schmerzreize hinterlassen als Stressoren infolge Reduzierung der neurophysiologischen Schmerzhemmung Schmerzspuren
im ZNS und fhren zur Ausbildung eines Schmerzgedchtnisses mit zunehmender Empfindlichkeit (Hyperalgesie). Schwerpunkte sind der
Kopf, der Bauchbereich, die Wirbelsule und die Glieder. Der chronische
Schmerz verliert seine ursprnglich an sich sinnvolle Warn- und Schutzfunktion und verselbststndigt sich quasi zu einer Schmerzkrankheit.
303
8.6 Chronischer Schmerz
Schlielich kann er in Form eines algogenen Psychosyndroms (griechisch: lgos = Schmerz) die gesamte Persnlichkeit in Mitleidenschaft
ziehen; die ursprngliche Schmerzursache wird immer weniger erkennbar. Die daraus resultierende Depressivitt ist verstndlich; weitere Folgen sind meist Leistungsinsuffizienz, Schonungsbedrfnis und sozialer
Rckzug sowie Schmerzmittelabhngigkeit.
Vom organischen Schmerz zu unterscheiden ist die Psychalgie als
somatoforme Schmerzstrung, bei der keine Krpererkrankung zugrunde liegt, sondern das Schmerzerleben wohl ausschlielich auf psychischen Ursachen beruht (7 auch Abschn. 8.5). Ferner knnen bei schizophrener oder depressiver Psychose schmerzhafte krperliche Missempfindungen (Dyssthesien bzw. Zonsthesien) auftreten (7 auch
Abschn. 3.11). Eine Besonderheit stellt der peripher induzierte Phantomschmerz dar, der eine intensive meist brennende oder krampfartige
Schmerzempfindung auch in virtuellen (amputierten) Gliedmaen vermittelt.
Umgekehrt kann die Schmerzempfindung unmittelbar nach schweren Krperschdigungen (z. B. durch unfallbedingte Verletzungen) infolge einer Freisetzung krpereigener, schmerzstillender Endorphine
in Gehirn und Hypophyse vorbergehend bis zur Analgesie unterdrckt werden.
Aufgrund anhaltender schwerer krperlicher Schmerzen knnen folgende psychische Vernderungen auftreten (. Abb. 8.4):
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
304
305
8.7 Erschpfungssyndrom (Neurasthenie)
Algolagnie (griechisch: lgnos = wollstig) kennzeichnet ein sadomasochistisches, sexuell deviantes Verhalten mit Lustempfindung durch Zufgen oder Erleiden von Schmerzen (7 auch Abschn. 8.15).
Untersuchungen
Vorkommen
Zusammenfassung
Chronischer Schmerz kann sich zu einem zermrbenden qulenden
Schmerzerleben ausweiten und schlielich die Persnlichkeit beherrschen (Schmerzkrankheit). Diese zeigt wechselnde Zustnde von Angespanntheit, Erwartungsangst, Gereiztheit, Verzweiflung und Depressivitt bis hin zur Suizidalitt.
8.7
Erschpfungssyndrom (Neurasthenie)
306
307
8.7 Erschpfungssyndrom (Neurasthenie)
1903 fhrte der Pariser Psychologe P. Janet (18591957), den Begriff Psychasthenie als Beschreibung einer seelischen Schwche ein. Er verstand darunter eine
eigenstndige neurotische Strung mit Erschpfung, begleitenden Verstimmungen und ngsten. Das Neurosekonzept wurde in der Folgezeit zu Gunsten der
Konstitutionshypothese aufgegeben.
In den aktuellen diagnostischen Leitlinien von Kap. V ICD-10 wird die Neurasthenie sowohl den somatoformen Strungen als auch den sonstigen abnormen Befunden (Kap. XVIII) zugerechnet, die asthenische Persnlichkeit hingegen in beiden Manualen nicht ganz plausibel der abhngigen Persnlichkeit gleichgesetzt.
Die betroffenen Personen wirken chronisch abgespannt, kraftlos und erholungsbedrftig; sie scheinen nur ber geringe Leistungsreserven zu
verfgen. Sie klagen ber Geruchs- und Geruschempfindlichkeit, Konzentrations- und Gedchtnisschwchen, im krperlichen Bereich u. a.
ber Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstrungen, Schlafstrungen und
Wetterfhligkeit (7 auch Abschn. 5.7; . Abb. 8.5).
Untersuchungen
Vorkommen
4
4
4
4
4
4
4
4
4
308
Zusammenfassung
Das Bild des Erschpfungssyndroms (Neurasthenie bzw. ChronicFatigue-Syndrom) ist gekennzeichnet durch rasche Erschpftheit,
Mdigkeitsgefhl, Stressempfindlichkeit und multiple krperliche
Missempfindungen bzw. diffuse Schmerzen.
8.8
Schlafstrungen
309
8.8 Schlafstrungen
Der normale Schlaf ist gekennzeichnet durch verschiedene Schlafphasen als Ausdruck wechselnder Schlaftiefen, die whrend eines 8-stndigen Schlafes 4- bis 5-mal durchlaufen werden. Zu unterscheiden sind mit
Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) und durch Aufweckexperimente:
4 Entspannter Wachzustand (Stadium A): im EEG regelmige a-Wellen von 813 Hz
4 Einschlafphase (Stadium B): im EEG flache #-Wellen um 57 Hz,
Schlafspindeln
4 Leichter Schlaf (Stadium C): im EEG langsamere #-Wellen und
Schlafspindeln
4 Mitteltiefer Schlaf (Stadium D): im EEG langsame #-Wellen und
d-Wellen um 23 Hz
4 Tiefschlaf (Stadium E): im EEG groe, trge d-Wellen von 0,52 Hz
(slow-wave-sleep)
Die Stadien B und C reprsentieren berwiegend die in der 2. Nachthlfte vermehrten Traum- oder REM-Phasen, gekennzeichnet durch horizontales Hin- und Herpendeln der Augen (Rapid-Eye-Movements).
Solche REM-Stadien (desynchronisierter oder paradoxer Schlaf) induziert durch Impulse der Formatio retikularis treten etwa alle eineinhalb Stunden auf und dauern durchschnittlich 20 min; sie gehen mit
Erektionen einher. Die Traumerlebnisse whrend der Non-REM-Phasen
werden als weniger lebhaft und eindringlich geschildert; Funktion und
Bedeutung der Trume selbst sind noch nicht aufgeklrt (. Abb. 8.6).
310
Die verschiedenen Schlafstadien bzw. der REM-Schlaf wurden 1952 durch Beobachtungen an Suglingen von dem Neurophysiologen N. Kleitman (18951999)
und seinem Schler E. Aserinsky (19211998) in Chikago entdeckt. Mit Hilfe der
Polysomnographie wurde das Schlafverhalten in der Folgezeit systematisch untersucht; sie erbrachte weitere Aufschlsse ber Profil und Architektur des
Nachtschlafes. M. Jouvet und A. Hobson beobachteten die Steuerung der REMPhasen aus dem Hirnstamm; unter Einbeziehung sensorischer Rindenfelder entstehen offenbar die Traumerlebnisse.
311
8.8 Schlafstrungen
Dyssomnien
Insomnie (Hyposomnie)
Unvermgen infolge innerer Unruhe, Grbeleien, Angstgefhl oder
berwachheit in den Schlaf zu finden. Die Betroffenen sind nicht entspannt, wlzen sich im Bett hin und her und wollen frustriert den Schlaf
herbeizwingen. Durchschlafstrungen uern sich hingegen in unruhigem, zerhacktem Schlaf und hufigen Wachphasen, meist verbunden
mit Schwierigkeiten, erneut einzuschlafen.
Als Begleitsymptomatik zeigen sich zunehmende Angespanntheit
vor erneuten Schlafversuchen bzw. Angst vor Schlaflosigkeit, Gereiztheit
und Verstimmung. Die Betroffenen klagen ber Mdigkeit, Kopfdruck,
mangelndes Konzentrationsvermgen, Erschpfungsgefhl und verminderte Leistungsfhigkeit am Tag.
Bei der erstmals 1986 beschriebenen letalen familiren Insomnie
handelt es sich um eine Erbkrankheit mit schwersten Schlafstrungen,
die innerhalb von ein bis zwei Jahren tdlich verluft.
Vorkommen
312
Durch die Einnahme (trizyklischer) Antidepressiva kann der zur Erholung wichtige REM-Schlaf unterdrckt werden. Der knstlich herbeigefhrte Schlafentzug wird zur Behandlung depressiver Episoden bzw.
bei Depression major eingesetzt; die Betroffenen mssen ab Mitternacht
wach bleiben (Wachtherapie). Zudem dient er als Folter (7 auch Abschn.
7.5).
Hypersomnie
Erhebliche Mdigkeit und Schlfrigkeit whrend des Tages mit hufigem Einnicken trotz ausreichend langem Nachtschlaf. Die Betroffenen
sind morgens benommen und fhlen sich nicht erholt.
Vorkommen
4
4
4
4
4
beim Erschpfungssyndrom
bei mangelhaftem Schlaf (z. B. infolge eines Schlaf-Apnoe-Syndroms)
nach Hirnentzndung (Enzephalitis)
unter Einnahme dmpfender Drogen oder Medikamente
bei Narkolepsie (Pickwick-Syndrom) in Form imperativer Schlafattacken (bisweilen einhergehend mit Schlaflhmung und Trugwahrnehmungen)
4 beim Kleine-Levin-Syndrom (periodische Hypersomnie mit Verstimmungen und Heihungerattacken)
313
8.8 Schlafstrungen
Vorkommen
4
4
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4
Parasomnien
Abnormes Schlafverhalten mit Strungen der Schlafqualitt und des
Schlafablaufs. Hierzu zhlen:
Schlafwandeln
(Somnambulismus lateinisch: ambulare = umhergehen)
Dissoziatives nchtliches Aufwachen meist aus dem Tiefschlaf heraus
mit nachfolgendem Dmmerzustand (7 Abschn. 3.7). Die Betroffenen
setzen sich whrend einer Tiefschlafphase im Bett auf oder gehen ohne
Reaktion auf Ansprache mit geffneten Augen wie in Trance umher
bzw. fhren sinnlose Bewegungen aus. Sie knnen aber auch sprechen
oder einfache Handlungen verrichten (z. B. den Khlschrank ffnen,
die Toilette aufsuchen). Im Fall eines spontanen oder induzierten Erwachens zeigt sich meist eine kurzzeitige Orientierungsstrung; fr das
Schlafwandeln selbst besteht eine Amnesie.
Vorkommen
314
Vorkommen
8.9
Ess-Strungen
315
8.9 Ess-Strungen
bungen gab es allerdings schon 1691 durch den Londoner Arzt R. Morton, der
von Phthisiologica sprach. Sptere Bezeichnungen wurden: Puberttsmagersucht, juvenile Magersucht, psychogene Anorexie, Anorexia mentalis und
schlielich Magersucht (althochdeutsch: magar = dnn, fleischarm). Die systematische Aufklrung des Krankheitsbildes begann erst Mitte der 1960er Jahre
mit den Untersuchungen des Psychiaters A. H. Crisp in London.
Bei der Anorexia nervosa liegt eine (schwere) Strung der Nahrungsaufnahme mit Verleugnung bzw. Erlschen des Hungergefhls vor. Infolge
exzessiven Fastens bzw. Vermeidung kalorienhaltiger Nahrungsmittel
(restriktiver Typ) kommt es zu einem massiven Gewichtsverlust, untersttzt durch selbst induziertes Erbrechen wie auch durch Einnahme
von Appetitzglern, Abfhrmitteln, Entwsserungsmedikamenten (Diuretika) und Schilddrsenprparaten (Purging-Typ). Bei lnger bestehender Magersucht treten deme, eine allgemeine Schwche und andere
krperliche Strungen auf (Amenorrhoe, Blutdruckerniedrigung, Pulsverlangsamung). Mehr als 10% der Betroffenen sterben schlielich an dieser
Form der Ess-Strung (Einzelheiten s. Lehrbcher zur Psychosomatik).
Trotz allem zeigen die hufig auffallend ehrgeizigen und leistungsorientierten Betroffenen einen beachtlichen Ttigkeitsdrang mit Betriebsamkeit und bertriebenen krperlichen Aktivitten einschlielich
Sport. Sie haben Angst davor, dick zu werden, verleugnen jedoch andererseits ihre Essproblematik. Das Selbstwertgefhl wird infolge einer Krperschemastrung (7 auch Abschn. 8.11) durch eine verzerrte Wahrnehmung
der eigenen Figur und des Krpergewichts beeintrchtigt (. Abb. 8.7).
Als Orientierungsmastab fr das Vorliegen einer Anorexia nervosa
gilt der sog. Body-Mass-Index (BMI) bzw. Quetelets-Index, dessen
Grenzwert:
K
orpergewicht in kg
BMI
Quadrat der K
orpergr
oe in m2
bei 17,5 (Idealwert: 23) liegt.
Untersuchungen
316
Vorkommen
4
4
4
4
4
4
4
317
8.9 Ess-Strungen
Zusammenfassung
Charakteristikum der Anorexia nervosa (Magersucht) ist der absichtlich
herbeigefhrte Gewichtsverlust durch Fasten, Erbrechen und Abfhren,
untersttzt durch den Gebrauch von Appetitzglern und Diuretika.
Meist besteht keine Krankheitseinsicht.
Bulimia nervosa
Eine Variante der Anorexia nervosa stellt die Bulimia nervosa dar (EssBrech-Sucht; griechisch: boulimia = Heihunger). Sie uert sich in tglich mehrmaligen Fressattacken mit unkontrolliertem Konsum grerer Mengen an hochkalorischen (sen) Nahrungsmitteln (Hyperorexia
nervosa). Jeder Essattacke folgt als gegenregulierende Manahme ein
selbst herbeigefhrtes Erbrechen; hiermit wird versucht, das labilisierte
Krpergewicht unter Kontrolle zu halten (Bulimarexie).
Die Betroffenen unterliegen starken Stimmungsschwankungen, haben Scham- und Schuldgefhle, sind reizbar und unruhig. Hufig werden
Drogen oder psychotrope Medikamente genommen. Wie bei der Anorexia nervosa sind weitere klinische Kriterien eine hufige Beschftigung
mit dem Essen, intensiver Sport, Gebrauch von Abfhrmitteln, Appetitzglern und Entwsserungsmedikamenten. Gemeinsam ist allen Essgestrten eine Neigung zu Depressivitt und Minderwertigkeitsgefhl.
Untersuchungen
318
Vorkommen
Ess-Sucht
Im Fall der bloen Ess-Sucht (psychogene Hyperphagie) besteht ein
offensichtlich nicht zu zgelnder gesteigerter Appetit mit der Folge
hufiger Nahrungsaufnahme (binge eating). Im Gegensatz zu den
vorlaufend beschriebenen Ess-Strungen werden keine gegenregulatorischen, gewichtsreduzierender Manahmen ergriffen. Der Body-MassIndex (BMI) steigt auf ber 30 Punkte (7 oben). Die daraus resultierende Fettleibigkeit kann im Einzelfall ein groteskes Ausma annehmen.
Ausgeprgt sind begleitende Selbstvorwrfe und Selbstwertkrisen,
Schuldgefhle und Depressivitt.
Untersuchungen
319
8.10 Sprechstrungen (Dysarthrien)
Vorkommen
4
4
4
4
4
4
Zusammenfassung
Ess-Sucht (Hyperphagie) ist gekennzeichnet durch unkontrollierte
Fressattacken mit dem Ergebnis kontinuierlicher Gewichtszunahme
aufgrund fehlenden Sttigungsgefhls.
320
Sprachphilosoph L. Wittgenstein (18891959) fasste unter dem Begriff Sprachspiel die vielfltigen Funktionen der Sprache wie Benennung, Beschreibung,
Ausdruck, Befehl, Hinweis, Symbol u. . zusammen. Mit der Entdeckung der
Sprachzentren im Gehirn durch M. Dax (1836), P. Broca und J. H. Jackson (1864)
sowie C. Wernicke (1874) begann die Erforschung der Sprachstrungen. Zusammenhnge zwischen Halbseitenlhmungen und aphasischen Strungen waren
seit dem 17. Jh. bekannt. Physiologische Lateralittstests wurden erstmals 1948
von J. A. Wada (Amytaltest) und 1961 von J. Kimura (Dichotomie-Hrtest)
durchgefhrt.
Whrend die Schriftzeichen etwa 50006000 Jahre alt sein drften, liegen die
ersten Anfnge einer sprachlichen Verstndigung beim Menschen wahrscheinlich mindestens 150 000 bis 200 000 Jahre zurck. Voraussetzungen waren einerseits das hierzu notwendige geistige Potential, zum anderen die anatomische
Ausstattung, deren erste Anfnge bereits beim Homo erectus zu vermuten sind.
ber eine komplette Sprache mit Wrtern und Grammatik drfte sicherlich der
Homo sapiens verfgt haben, als er vor 50 000 Jahren aus Afrika auswanderte.
Inzwischen existieren weltweit etwa noch 6000 von ursprnglich vielleicht
10 000 verschiedenen Sprachfamilien, die sich seitdem entwickelt hatten.
321
8.10 Sprechstrungen (Dysarthrien)
322
323
8.11 Agnosien
Vorkommen
siehe oben
Zusammenfassung
Psychogene Sprechstrungen uern sich in qualitativen und quantitativen Beeintrchtigungen der Artikulation und des Sprachflusses, in
Rededrang oder in unverstndlichen Wortneubildungen bzw. einer
Vernderung deren Sinngehalts.
8.11 Agnosien
Die normale Wahrnehmung ist nicht nur an die Intaktheit der Sinnesorgane und afferenten Leitungsbahnen gebunden, sondern auch an die
Funktionstchtigkeit der zentralen Filterung, Kodierung und Interpretation der aufgenommenen Reize. Eine Agnosie (griechisch: agnosia =
Unkenntnis) liegt vor, wenn trotz erhaltener Funktionstchtigkeit des
ueren Sinnesapparates (des Sensoriums) bzw. trotz erhaltener sinnlicher Wahrnehmung die Fhigkeit eingeschrnkt ist, optische, akustische, taktile und andere Reizkonfigurationen zu erkennen und das
Wahrgenommene einzuordnen. Als Folge einer lokalen Hirnschdigung
kann sie je nach Ort der Lsion auf verschiedenen Sinnesgebieten in
Erscheinung treten. Kontralaterale Wahrnehmungsausflle im visuellrumlichen und taktilen Bereich meist nach Parietallsion heien
Neglect (lateinisch: neglegere = vernachlssigen) (. Abb. 8.8).
Nach einer Erstbeschreibung der Seelenblindheit unter der Bezeichnung
Asymbolie im Jahr 1870 wurde der Begriff Agnosie 1891 von S. Freud
(18561939) als Beeintrchtigung des Wiedererkennens eingefhrt.
324
Die agnostischen Strungen Gegenstand der Neuropsychologie werden hier angesprochen, weil sie als Krankheitssyndrome erhebliche
Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten der betroffenen Personen
haben knnen. Folge- und Begleitstrungen sind z. B. ngste, Verwirrtheit, Depressionen, somatoforme Beschwerden und dissoziale Tendenzen.
Je nach betroffenem Sinnesgebiet werden als wichtigste Formen unterschieden:
325
8.11 Agnosien
326
327
8.12 Narzissmus
Untersuchungen
Vorkommen
8.12 Narzissmus
Die besondere Wertschtzung der eigenen Person mit den Merkmalen
von Selbstbezogenheit und Eitelkeit bis zur Selbstverliebtheit bei gleichzeitigem Mangel an Empathie wird Narzissmus genannt. Narzissten sind
berdruchschnittlich hufig im Showgeschft anzutreffen.
Der von S. Freud (18561939) im Jahr 1914 in die psychoanalytische Neurosenlehre eingefhrte Begriff (nach dem Jngling Nrkissos der griechischen Sage,
der sich in sein Spiegelbild verliebte und in eine Narzisse verwandelt wurde) sollte einen Vorgang kennzeichnen, bei dem das Ich mit Libido besetzt bleibt oder
erneuert wird. Unter primrem Narzissmus wird demnach die normale LibidoOrganisation der prgenitalen Entwicklungsphase verstanden, in der zwischen
Ich und Objekt noch nicht unterschieden werden kann. Pathologisch hingegen
ist der sekundre Narzissmus als regressive Wiederbesetzung des Ichs nach
Abzug der Libido von ueren Objekten, etwa infolge Krnkung oder Versagung
(7 auch Abschn. 8.2). B. E. Moore und D. Fine definierten 1967 den Narzissmus als
328
329
8.13 Schizoidie
Vertiefte Exploration, Psychostatus, biographische Anamnese bzw. neurosenpsychologische Untersuchung, Verhaltensbeobachtung, testpsychologische Persnlichkeitsdiagnostik (7 auch Kap. 2).
Vorkommen
4
4
4
4
Zusammenfassung
Narzisstisches Erleben und Verhalten sind gekennzeichnet durch
Selbstgeflligkeit, Egozentrik und Grenideen. In der psychoanalytischen Lehre wird Narzissmus als Ausdruck einer Libido-Besetzung des
eigenen Ichs statt uerer Objekte (d. h. Bezugspersonen) aufgefasst
(sekundrer Narzissmus).
8.13 Schizoidie
330
(18571939), Psychiater in Zrich, aufgegriffen und als Schizoidie auf entsprechende Persnlichkeitszge bertragen.
Vertiefte Exploration, Psychostatus, Fremdanamnese, Verhaltensbeobachtung, testpsychologische Persnlichkeitsdiagnostik (7 auch Kap. 2).
Vorkommen
331
8.14 Abhngigkeit (dependentes Verhalten)
332
Untersuchungen
Vorkommen
Zusammenfassung
Die Fortpflanzungstrieb und Erotik charakterisierenden Antriebe, Verhaltensweisen und Lebensuerungen fallen in den Bereich der Sexualitt (lateinisch: sexus = Geschlecht). Diese hat wie die Kulturgeschichte
der Homosexualitt beispielhaft zeigt eine groe kulturabhngige, individuelle wie auch sozial definierte Variationsbreite. Sexuelles Verhalten ist nicht auf den bloen erogen-genitalen Kontakt beschrnkt, sondern umfasst im Weiteren auch andere Formen der Interaktion unter
Erfllung spezifischer Rollenerwartungen.
333
8.15 Sexuelle Deviation
Die systematische Erforschung der Varianten sexueller Erlebnis- und Reaktionsweisen begann mit den Untersuchungen des Grazer Psychiaters R. v. KrafftEbing (18401903) gegen Ende des 19. Jahrhunderts., nachdem der ukrainische
Arzt H. Kaan bereits 1843 die Schrift Psychopathia sexualis verffentlicht hatte.
In der psychoanalytischen Lehre erhielt der Sexualtrieb als Verkrperung der
Antriebsenergie (Libido) bezglich der Entstehung von neurotischen Konflikten
und Strungen eine zentrale Position. Begrnder der Sexualpathologie als Lehre
von den Triebvariationen war der Nervenarzt M. Hirschfeld (18681935) in Berlin.
Transsexualitt
In der berzeugung, eigentlich dem anderen Geschlecht anzugehren,
entwickelt sich ab der Kindheit zunehmend die Tendenz, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen (cross dressing) und sich entsprechend
zu verhalten (lateinisch: trans = jenseits). Es entsteht ein wachsendes Unbehagen, sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren; die primren Geschlechtsmerkmale werden sptestens ab der Geschlechtsreife als
strend und deplatziert empfunden. Sekundr kommt es zu einer Tendenz der Vereinsamung und zu Identittskrisen mit Depressivitt. Meistens wird der Wunsch nach (hormoneller und chirurgischer) Umwandlung geuert, da der eigene Krper als fremd und falsch erlebt wird.
Doppelt so hufig ist eine Mann-Zu-Frau-Transsexualitt wie umgekehrt
(. Abb. 8.11).
334
8
Untersuchungen
Vorkommen
335
8.15 Sexuelle Deviation
Transvestismus (Transvestitismus)
Die sexuelle Ausrichtung besteht hauptschlich in der Neigung, eine fr
das andere Geschlecht typische Kleidung anzulegen (cross dressing).
Da berwiegend Mnner betroffen sind, werden weibliche Wsche- und
Kleidungsstcke getragen und weibliche Toilettenartikel benutzt (Transvestismus; lateinisch: vestire = kleiden). Transvestiten treten bisweilen in
speziellen Variets auf (Travestieshow). Eine Geschlechtsumwandlung
wird im Gegensatz zur oben beschriebenen Transsexualitt nicht angestrebt.
Untersuchungen
Vorkommen
336
kontakt wird nicht angestrebt. Exhibitionismus wird auf Anzeige strafrechtlich verfolgt.
Voyeurismus (lateinisch: videre, franzsisch: voir = Sehen) besteht in
dem Bedrfnis, anderen Personen bei sexuellen Aktivitten oder anderen Intimitten (z. B. beim Auskleiden oder Baden) zuzusehen (Skopophilie) und sich dabei sexuell zu befriedigen.
Untersuchungen
Vorkommen
4
4
4
4
Zusammenfassung
Exhibitionismus beruht auf einem sexuellen Lustgewinn durch
Entblung vor anderen, Voyeurismus einem solchen durch heimliches
Beobachten erotisierender bzw. sexueller Aktivitten.
Fetischismus
Fetischismus (portugiesisch: feitio = Zauber) heit die sexuelle Fehlhaltung, bei der Anblick und Berhrung bestimmter Krperteile, Gegenstnde oder Kleidungsstcke von Angehrigen des anderen Geschlechts
als bevorzugte Objekte der sexuellen Erregung und Befriedigung dienen.
Die Betroffenen ganz berwiegend Mnner sammeln bzw. stehlen
Kleidungs- und Wschestcke (hufig Schuhe!) gegengeschlechtlicher
Personen, die der sexuellen Erregung beim Sexualverkehr oder bei
der Masturbation dienen sollen. Das Tragen von Unterwsche des anderen Geschlechts kennzeichnet den fetischistischen Transvestismus.
337
8.15 Sexuelle Deviation
Untersuchungen
Vorkommen
Pdophilie
Die Neigung zu sexueller Bettigung mit Kindern heit Pdophilie
(griechisch: pais = Kind, Knabe; philos = Freund). Die bisweilen, aber
nicht obligat scheuen und selbstunsicheren Mnner fhlen sich zu
Jungen (Pderastie) oder Mdchen hingezogen. Sie sind fasziniert von
der Frische und Jugendlichkeit, Unbefangenheit und Verspieltheit der
Heranwachsenden. Die Annherung wird meist mit grozgigen Versprechungen und Geschenken versucht, jedoch kaum aggressiv betrieben. Pdophiles Verhalten ist strafbar.
Untersuchungen
338
Vorkommen
Zusammenfassung
Pdophilie liegt bei einer sexuellen Prferenz fr Kinder und Heranwachsende vor. (Beschrnkung auf Jungen: Pderastie).
Sadomasochismus
Sadomasochisten sind Personen, die sexuell durch Zufgen oder Erleiden von Schmerzen befriedigt werden [nach dem franzsischen Schriftsteller Marquis de Sade (17401814) und dem sterreichischen Schriftsteller L. v. Sacher-Masoch (18361895)].
Bei sadistischer Paraphilie wird sexuelle Erregung durch (verbale)
Erniedrigung oder krperliche Bestrafung des Partners erreicht
(aktive Algolagnie), beim Masochismus durch Gefesseltwerden oder andere Zchtigungen (passive Algolagnie). Sadomasochismus beruht auf
dem gleichzeitigen Verlangen nach Beherrschen und Devotion (7 auch
Abschn. 8.6).
Untersuchungen
339
8.16 Borderlinesymptomatik
Vorkommen
4
4
4
4
Zusammenfassung
Sadomasochistische Bettigungen dienen sexueller Erregung und Befriedigung durch Zufgen oder Erdulden von Demtigung und
Schmerz.
Zu weiteren Strungen der Sexualprferenz gehren obszne Telefonanrufe (Erotophonie), das Drcken oder Reiben des eigenen Krpers
an andere in Menschenansammlungen (Frotteurismus), sexuelle Handlungen an Tieren (Sodomie, Zoophilie), sexueller Lustgewinn durch
Berhrung oder Befassen ekelhafter Gegenstnde (Koprophilie), beim
Zusehen des Urinierens (Urolagnie) oder durch Manipulation an Leichen (Nekrophilie).
Sexuelle Delinquenz liegt vor, wenn das deviante Verhalten strafbar
ist (z. B. Pdophilie, sexueller Missbrauch bzw. sexuelle Gewalt und Exhibitionismus); etwa 90% der Sexualstraftaten werden von Personen mit
dissozialer Persnlichkeitsstrung begangen (7 auch Abschn. 8.17).
8.16 Borderlinesymptomatik
Die Borderlinestrung (englisch: borderline = Grenzlinie) kennzeichnet eine Strung der Affektregulation, die sich in unterschiedlichsten Erlebensund Verhaltensabnormitten manifestiert. Infolge einer emotionalen Hyperreagibilitt auf innere und uere Reize werden diese mit intensiven,
rasch aufschieenden Affekten beantwortet. In den Klassifikationsschemata ICD und DSM werden als Leitsymtome Impulsivitt, abrupte Stimmungsschwankungen und Unberechenbarkeit hervorgehoben.
340
Impulsiver Typus
Reizbarkeit, mangelnde Impulskontrolle mit aggressiven Ausbrchen.
Rcksichtslosigkeit
Borderline-Typus
Depressivitt. Suizidalitt, selbstverletzendes Verhalten. Instabile soziale
Beziehungen
Im Diagnoseschemata DSM-IV-TR ist der impulsive Typus der Borderlinestrung den Strungen der Impulskontrolle zugeordnet. Als besondere Merkmale sind genannt: Tendenz zu Rcksichtslosigkeit und konflikthaftem Verhalten, Aggressivitt und Stimmungsschwankungen.
341
8.17 Dissozialitt und Soziopathie
Untersuchungen
Vorkommen
Dissoziales bzw. antisoziales Verhalten (lateinisch: dissociabilis = ungesellig) zeigt sich in Egoismus, Rcksichtslosigkeit und Delinquenz. Der
bereits genannte Psychiater J. C. Prichard prgte 1835 hierfr den Begriff
moral insanity.
Die Betreffenden missachten soziale Normen und Regeln. Bei verminderter Frustrationstoleranz neigen sie zu aggressivem, auch gewaltttigem Verhalten, wobei es sowohl an Einfhlungsvermgen gegenber
den Belangen anderer wie auch Schuldbewusstsein mangelt. Auer
Handgreiflichkeiten sind Eigentumsdelikte sehr hufig, ebenso Drogenund Alkoholmissbrauch. Die Ursachen fr das eigene anstige Verhalten werden meistens bei anderen gesucht bzw. vordergrndig rationalisiert.
Erste Anfnge zeigen sich bereits whrend der Kindheit und Jugend
in Form von Weglaufen, Schuleschwnzen und Diebsthlen. Charak-
342
Vorkommen
4
4
4
4
Zusammenfassung
Dissozialitt ist gekennzeichnet durch Verantwortungslosigkeit und
mangelndes Einfhlungsvermgen, Missachtung sozialer Normen und
Regeln bei gleichzeitig verminderter Reflexions- und Lernfhigkeit in
Bezug auf das eigene antisoziale Verhalten.