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Judith Borgwart (Hrsg.

)
Kai Kolpatzik (Hrsg.)
Aus Fehlern lernen Fehlermanagement in Gesundheitsberufen
Top im Gesundheitsjob

Judith Borgwart (Hrsg.)


Kai Kolpatzik (Hrsg.)

Aus Fehlern lernen


Fehlermanagement
in Gesundheitsberufen
Mit 6 Abbildungen

123

Dr. Judith Borgwart


Hoherodskopfstrae 40, 60435 Frankfurt

Kai Kolpatzik
AOK-Bundesverband
Rosenthaler Strae 31, 10178 Berlin

ISBN-13 978-3-642-12622-2 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York


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Planung: Barbara Lengricht und Susanne Moritz, Berlin
Projektmanagement: Ulrike Niesel, Heidelberg
Lektorat: Dr. Sirka Nitschmann, Werl-Westnnen
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz: Fotosatz-Service Khler GmbH Reinhold Schberl, Wrzburg
SPIN: 12990276
Gedruckt auf surefreiem Papier

22/2122/UN 5 4 3 2 1 0

Geleitwort
von Dr. Jrg Lauterberg
In einer funktionierenden Sicherheitskultur
sind alle Lernende
Jeder Patient, auch der aufgeklrte mndige Patient mchte und
braucht eine verlssliche Gre: das Vertrauen in die Menschen,
die ihn versorgen, weil er krank, schwach oder hilfsbedrftig ist. Die
Qualitt der Versorgung in unserem Gesundheitssystem stellt Tag fr
Tag bei Tausenden von Menschen unter Beweis, dass dieses Vertrauen
berechtigt ist. Denn ob Mitarbeiter in einem ambulanten Pflegedienst,
rztin oder Arzt in Klinik und Praxis, Auszubildende, Hebamme oder
OP-Schwester sie alle geben ihr Bestes, um Menschen optimal zu
betreuen und zu versorgen. Dennoch kommt es immer wieder vor,
dass eine Panne passiert, etwas schief luft und alle Beteiligten
gerade noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen. Oder
eben auch nicht. Dann hat ein Fehler, ein vermeidbares unerwnschtes
Ereignis einem Patienten Schaden an seiner Gesundheit zugefgt, vielleicht sogar sein Leben in Gefahr gebracht.
Die aus Tabugrnden im Gesundheitswesen immer noch gebruchlichste, aber auch gefhrlichste Art, mit Fehlern umzugehen, ist Verschweigen. Denn dann hat niemand die Chance, andere Patienten
davor zu beschtzen, dass dieser Fehler sich wiederholt. Deswegen ist
es so wichtig, darber zu sprechen. ber Fehler sprechen und sie
nchtern analysieren zu knnen, fllt leichter, wenn nicht gleich mit
Schuldzuweisungen und Sanktionen reagiert wird. Gegrndet auf die
moderne Fehlerforschung setzt sich allmhlich die Erkenntnis durch,
dass viele vermeidbare, unerwnschte Ereignisse mit Systemfehlern
und Fehlerketten, und nicht allein mit dem persnlichen Versagen von
Einzelnen zusammenhngen. Eine lebendige und konstruktive Sicher-

VI

Geleitwort

heitskultur kommt allen Beteiligten zu Gute, vor allem aber Patienten


und Bewohnern: Wo Fehler offen und ohne Zeit zu verlieren kommuniziert werden, kann Schlimmeres oftmals abgewendet werden. Oder
Fehler knnen ganz vermieden werden, weil ihre Ursachen erkannt
und ausgeschaltet worden sind.
Mit diesem Buch mchte ich Sie einladen, sich in Ihrem beruflichen
Wirkungskreis fr eine neue Sicherheitskultur zu engagieren. Lassen
Sie sich ein auf einen Prozess, in dem alle Lernende sind. In dem es um
nicht mehr und nicht weniger geht als die Gesundheit und die Sicherheit der Menschen, die sich Ihnen anvertraut haben.
Im Juli 2010
Dr. Jrg Lauterberg
Geschftsfhrer Aktionsbndnis Patientensicherheit e.V.

VII

Geleitwort
von Andreas Westerfellhaus
Die Suche nach Schuldigen fhrt in eine Sackgasse
Der frhere Bundeskanzler Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben:
Wenn man einen Fehler gemacht hat, muss man sich als erstes fragen,
ob man ihn nicht sofort zugeben soll. Leider wird einem das als
Schwche angekreidet. Und damit sind wir schon mitten in der
Diskussion! Das Dilemma ist ja, dass niemand davor gefeit ist, Fehler
zu machen. Wie dann damit umgegangen wird wie man selbst damit
umgeht und wie die anderen damit umgehen hat Dimensionen, die
weit ber das Persnliche hinausgehen. Deswegen machen wir es uns
alle gern einfach: Wir reduzieren den Fehler! Dann erscheint er als das
Ergebnis einer konkreten Handlung einer konkreten Person. Und die
ist Schuld! Ein solcher Umgang mit Fehlern fhrt in eine Sackgasse!
Wenn man aber, anstatt zu fragen: Wer hat den Fehler gemacht?
fragt: Wie kam es zu dem Fehler? entdeckt man oft ganze Kaskaden
von Teilfehlern Missstnde und Missverstndnisse, Informationen,
die nicht weitergegeben wurden, Unwissenheit (womglich aller Beteiligten), Unterlassungen die dem Fehler unbeachtet vorausgegangen sind. Und pltzlich ist er da, der Fehler. Eine Studie konnte nachweisen, dass einem sichtbaren Fehler eine Patientin wurde verwechselt 17 unsichtbare, weil unbemerkte Fehler vorausgegangen
sind! Mglicherweise htte die Vermeidung eines einzelnen davon,
die Fehlerkaskade wirksam unterbrochen. Deswegen brauchen wir eine
neue Fehlerkultur. Eine Kultur, die hinschaut, anstatt Schuldige heraus
zu deuten. In der es mglich ist, offen mit Fehlern umzugehen und
gemeinsam nach Lsungen zu suchen. Damit Fehler sich nicht wiederholen, sondern als das erkannt werden knnen, was sie sind: Hinweise
auf eine notwendige Verbesserung. Eine solche neue Fehlerkultur ist

VIII

Geleitwort

eine herausragende Strke, Zeichen von Professionalitt. Und sie ist ein
unmissverstndliches Vertrauensangebot an die Menschen, die sich an
uns wenden, weil sie hilfsbedrftig, krank oder ratsuchend sind.
Ein offener Umgang mit Fehlern ist der einzige Weg, der aus der
Sackgasse fhrt. Denn man kann Fehler weder verbieten noch
hundertprozentig vermeiden. Man kann nur aus ihnen lernen.
Im Juli 2010
Andreas Westerfellhaus
Prsident des Deutschen Pflegerates

IX

Die Herausgeber
Dr. Judith Borgwart hat nach dem Studium der Kulturanthropologie und Europischen Ethnologie zunchst als freie
Autorin und Sprecherin beim Hessischen
und Bayerischen Rundfunk gearbeitet.
Sie leitete den Programmbereich Gesundheitskommunikation bei MVS
Medizinverlagen Stuttgart. Heute lebt
und arbeitet sie als freie Autorin und
Medienberaterin in Frankfurt am Main.

Kai Kolpatzik, MPH, EMPH, ist Arzt


und Gesundheitswissenschaftler und arbeitete als Assistenzarzt in der Chirurgie
in Krankenhusern in Freiburg und am
Bodensee. Stationen in der Gesundheitswissenschaft waren die Universitt
Bielefeld mit Abschluss European
Master of Public Health und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in
Genf, bevor er 2004 seine Ttigkeit im
AOK-Bundesverband aufnahm. Seit
2009 leitet er die Abteilung Prvention
im AOK-Bundesverband.

XI

Die Autoren
Professorin Christel Bienstein
Leiterin des Departements fr Pflegewissenschaft
der Universitt Witten/Herdecke gGmbH, Fakultt Medizin
Dr. phil. Judith Borgwart
Freie Autorin, Frankfurt am Main
Claudia Christ-Steckhan
Projektleitung im Bereich Risikomanagement, Zentrales Qualittsmanagement der Charit Universittsmedizin, Berlin
Henning Cramer
Zentrum fr Pflegeforschung und Beratung (ZePB), Hochschule Bremen
Hedwig Francois-Kettner
Pflegedirektorin an der Charit Universittsmedizin, Berlin
Sabine Girts
Geschftsfhrerin Verband Bundesarbeitsgemeinschaft
Leitender Pflegepersonen e.V. BALK
Professorin Dr. Monika Habermann
Leiterin des Zentrums fr Pflegeforschung und Beratung (ZePB)
der Hochschule Bremen
Dr. med. Marc-Anton Hochreutener
Geschftsfhrer der Stiftung fr Patientensicherheit, Zrich
Rolf Hfert
Geschftsfhrer des Deutschen Pflegeverbandes e. V. (DPV),
Experte fr Pflegerecht

XII

Die Autoren

Dr. phil. Edith Kellnhauser


Professorin im Fachbereich Pflege und Gesundheit
(ehemalige Funktion), Katholische Fachhochschule Mainz
Kai Kolpatzik
Leiter der Abteilung Prvention beim AOK-Bundesverband, Berlin
Professor Dr. Andreas Lauterbach
Studiengangsleiter Pflege, Hochschule fr Gesundheit, Bochum
Vera Lux
Pflegedirektorin der Universittsklinik Kln
Dr. Karin Pppel
Sozialwissenschaftlerin, Offenbach am Main
Dr. Marianne Rabe
Pdagogische Geschftsfhrerin Charit Gesundheitsakademie,
Berlin
Gertrud Stcker
Stellvertretende Prsidentin des Deutschen Berufsverbandes
fr Pflegeberufe DBfK-Bundesvorstand, alternierende Vorsitzende
des Deutschen Bildungsrates fr Pflegeberufe (DBR), Grevenbroich
Professor Dr. Martin Teising
Fachhochschule Frankfurt am Main University of Applied Sciences
Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
Professor Dr. Dr. Karl-Heinz Wehkamp
Professor fr Gesundheitswissenschaften; Ethik- und Organisationsberater fr Kliniken und andere Einrichtungen in Gesundheitswesen
und Gesundheitswirtschaft

XIII

Inhaltsverzeichnis
Fehler was ist das eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 Definitionen nach dem Aktionsbndnis


Patientensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Auf der Suche nach geeigneten Definitionen in der Pflege

4
5

2
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5

Fehler drfen nicht individualisiert werden! . . . . . .


Weniger Pflegekrfte mehr Patienten . . . . . . . . . .
Stellenabbau: Patienten gefhrdet, Fehlerrisiko erhht .
Welche Lsungen werden diskutiert? . . . . . . . . . . . .
Bei jedem Fehler ist auch das System gefordert . . . . .
Wer aufhrt zu jammern, handelt . . . . . . . . . . . . . .

3
3.1
3.2
3.3

Hohe Arbeitsbelastungen: Was Sie tun knnen


Leider nicht die Ausnahme: Mngel in der Pflege .
Werden Sie aktiv! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Darber reden heit nicht petzen . . . . . . . . . . .

. .

17

.
.
.
.
.

.
.
.
.
.

17
21
22
23
24

. . . . .

27

. . . . .
. . . . .
. . . . .

28
28
32

Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen .


. . .
. . .

36
40

. . .

42

. . .

43

5
Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik . . . . .
5.1 Eine Frage der Augenhhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Ethik regelt unser Zusammenleben . . . . . . . . . . . . . . .

47
49

4.1 ngste, Stress und Sorgen im Umgang mit Fehlern . .


4.2 Ethische Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Leitungsverantwortung und persnliche Reaktionen
auf Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 Folgen eines Fehlergeschehens in der Fragebogenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

47

XIV

Inhaltsverzeichnis

Dekubitusprophylaxe aber bitte richtig! . . . . . . . . .

59

6.1 Die 5 wichtigsten Fehler bei der Vermeidung


von Druckgeschwren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Einen guten Job machen, ist nicht alles . . . . . . . . . . . . .

59
62

7
7.1
7.2
7.3

Kein Fehler vor dem Schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

Was ist eine Eingriffsverwechslung? . . . . . . . . . . . . . . .


Ohne Konsequenz geht es nicht . . . . . . . . . . . . . . . . .
Und im Fall der Flle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67
68
74

8
Wie sage ichs dem Patienten? . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1 Vorgehen bei der Fehlerkommunikation . . . . . . . . . . . .

78

bergabefehler verursachen 6%
der nosokomialen Todesflle. . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.1 Dauer der bergaben und Anzahl der Patienten . . . . . . .


9.2 Informative bergabe oder Schema F? . . . . . . . . . . . .
9.3 Mndliche bergabe und Dokumentation
wie von verschiedenen Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung


10.1 Fehler oder Fehlverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.2 Fehlverhalten kann viele Gesichter haben . . . . . . . . . . .

78

82
82
83
84
89
89
91

11

Pflege ist auch Gefhlsarbeit zur Psychoanalyse


der Pflegebeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

11.1
11.2
11.3
11.4

Unsere erste Pflegebeziehung: die (frhe) Kindheit . . . . .


Warum wir mitfhlen knnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Warum wir Pflegebedrftigkeit gerade im Alter so frchten
Im Unbewussten abgespeichert: die erste Pflegebeziehung

101
102
104
106

12

Pflege und Betreuung: Auch eine Frage


des Patientenbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110

12.1 Noch viel zu hufig: das Bild vom unmndigen Patienten


12.2 Zeit zum Umdenken: Der Patient ist Partner und Mensch .

110
111

Inhaltsverzeichnis

13

XV

Fehlerkultur fr die Altenpflege und den


hausrztlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

13.1 Berichtssysteme damit Fehler gar nicht erst passieren . .


13.2 Beispiele von Berichtssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.3 Die ersten Schritte sind getan, weitere mssen folgen . . .

119
122
124

14 Beispiele aus dem Sicherheitsmanagement der Charit


14.1 Jeder Fehler ist eine Chance! . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.2 Fehler als Trainingspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

15

128
128

Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen . .

136

15.1 Die gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


15.2 Rechtsflle aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.3 Mir ist ein Fehler passiert! Und jetzt? . . . . . . . . . . . . . .

138
140
144

16

Ein Blick ber den Tellerrand Fehlervermeidung


durch Qualittssicherung in den USA . . . . . . . . . . . .

146

16.1 Die Joint Commission zur Qualittskontrolle . . . . . . . .


16.2 Wie fit bin ich? Die Leistungsbewertung . . . . . . . . . . . .
16.3 Fehlern vorbeugen: Das Risikomanagement . . . . . . . . .

146
149
151

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

Kennen Sie das auch?


Zu sagen: Ich habe einen Fehler gemacht das fllt schwer! Denn
die Antwort darauf lautet normalerweise nicht: Wie gut, dass du es
gesagt hast! Jetzt knnen wir gemeinsam danach suchen, wie wir
solche Fehler in Zukunft vermeiden. Deswegen war es 2008 eine
kleine Sensation, als 17 rzte und Vertreter anderer Gesundheitsberufe sich dazu bekannten, Fehler gemacht zu haben. ffentlich in
einer Broschre des Aktionsbndnisses Patientensicherheit, die vom
AOK-Bundesverband organisiert und umgesetzt wurde. Unter dem
Titel Aus Fehlern lernen wurde in einem ganz besonders fehlersensiblen Bereich, der Behandlung und Versorgung kranker, alter
und hilfsbedrftiger Menschen, ffentlich gemacht, dass ber unerwnschte Ereignisse, Fehler, Schden und Beinahe-Schden gesprochen werden muss, um sie vermeiden zu knnen. Fast nie ist es
ein einzelner, der sie allein zu verantworten hat. Kommt es zu einem
Fehler, hat er meist eine unsichtbare Vorgeschichte, die aus vielen
kleinen Fehlern vieler Beteiligter wie z. B. Unterlassungen, Fehlinformationen, Unwissenheit besteht, die nur entdeckt werden knnen,
wenn man offen darber spricht.
Von der Broschre des Aktionsbndnisses hin zur Idee dieses Buches,
das sich insbesondere an Auszubildende und Studierende in den Gesundheitsberufen wendet, war es kein langer Weg aber was fr ein
schwieriger! Sehr bald stellte sich heraus, dass in der Pflege, einer Arztpraxis oder z. B. als Hebamme Ttige noch immer nicht den Mut finden, offen einen Fehler zu bekennen. Nicht einmal dann, wenn am
Ende alles gut ausgegangen und niemand zu Schaden gekommen ist.
Noch immer scheint die Erwartung bermchtig, auf ein Fehlereingestndnis werde mit Schuldzuweisungen, Vorwrfen und Sanktionen
reagiert. In unserem Buch wollen wir nicht nur einzelne Akteure, die
sagen: Ich habe einen Fehler gemacht, sondern die Fehler selbst zu
Wort kommen lassen. Denn wir vertrauen darauf, dass jeder Fehler in
sich den Keim zu seiner Vermeidung trgt. Nur dann, wenn man offen
mit Fehlern umgehen und sich auf eine moderne Sicherheitskultur
verlassen kann, knnen Fehler als Chance fr Verbesserungen gesehen und genutzt werden. Davon profitieren nicht nur Patienten und
Angehrige, davon profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes.
Dr. Judith Borgwart, Kai Kolpatzik

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

Fehler was ist das


eigentlich?
Judith Borgwart
Nach Angaben des Bundesministeriums fr Gesundheit (BMG), des
Aktionsbndnisses Patientensicherheit e.V. und dem AOK-Bundesverband sind die Zahlen ber Vorflle, bei denen in Deutschland
im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes Menschen zu Schaden gekommen sind, alarmierend [22]:
4 Jedes Jahr infizieren sich 500.000 Menschen mit Krankenhauskeimen.
4 4 % der Patienten bzw. 88.000 Menschen, die in der inneren Medizin aufgenommen werden, sind Opfer gefhrlicher Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen. Die Folgekosten, die sich daraus ergeben, werden mit 400 Millionen Euro beziffert!
4 Jedes Jahr werden 40.000 Vorwrfe wegen eines medizinischen
Behandlungsfehlers erhoben 12.000 davon werden als solche anerkannt.
4 17.000 Todesflle, die sich jhrlich in deutschen Kliniken ereignen,
wren vermeidbar gewesen (. Abb. 1.1).

1 Fehler was ist das eigentlich?

. Abb. 1.1. Spitze des Eisbergs.

1.1

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

Definitionen nach dem Aktionsbndnis


Patientensicherheit

Die genannten Zahlen machen deutlich: ber Fehler muss geredet


werden. Aber was ist eigentlich ein Fehler? Das Aktionsbndnis
Patientensicherheit e.V. (APS) hat 5 Schlsselbegriffe zum Thema
Patientensicherheit definiert.
Definition von 5 Schlsselbegriffen zur Patientensicherheit
Unerwnschtes Ereignis
Ein schdliches Vorkommnis, das eher auf der Behandlung als auf der
Erkrankung beruht. Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein.
Vermeidbares unerwnschtes Ereignis
Ein unerwnschtes Ereignis, das vermeidbar ist.
Kritisches Ereignis
Ein Ereignis, das zu einem unerwnschten Ereignis fhren knnte
oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhht.
Fehler
Eine Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom
Plan, ein falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden
entsteht, ist fr die Definition des Fehlers irrelevant.
Beinahe-Schaden
Ein Fehler ohne Schaden, der zu einem Schaden htte fhren knnen.
Nach: Jeder Tupfer zhlt Glossar zum Downloaden unter [31]

1.2 Auf der Suche nach Definitionen

1.2

Auf der Suche nach geeigneten Definitionen


in der Pflege

Die folgenden Ausfhrungen entstanden auf Basis mehrerer ausfhrlicher Gesprche mit Frau Dr. Angelika Abt-Zegelin, Departement fr
Pflegewissenschaft, Universitt Witten/Herdecke.
Meist wird ein Fehler in Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung betrachtet, wenn z. B. etwas verwechselt oder falsch gemacht
worden ist. Bei genauerer Betrachtung greifen solche Definitionen
oftmals zu kurz. Denn sie bercksichtigen weder die Verkettung von
Umstnden, die zu einem Fehler fhrt, noch unterscheiden sie zwischen den Folgen, die ein Fehler fr die betroffene Patientin oder den
betroffenen Patienten hat.
Kurzfristige und langfristige Folgen von Fehlern
4 In der Medizin: meist Fehler mit akuten Folgen
4 In der Pflege: Fehler mit meist langfristigen Folgen und vorrangig
2 Ursachen:
4 Eine den Patienten gefhrdende Situation wird aufgrund
fehlenden Wissens nicht erkannt bzw. aus Unwissenheit wird
eine Betreuungshandlung durchgefhrt, die nicht zum Nutzen
des Patienten ist.
4 Fr den Patienten und seine Gesundheit frderliche Manahmen werden unterlassen.

Unwissenheit und Unterlassung


In der Diskussion um Pflegefehler gilt es, berhaupt erst einmal eine
genaue Definition zu finden. Denn fast nie lsst sich eine einzelne
falsche Pflegehandlung identifizieren, fast immer geht einer Situation, in der ein Patient Schaden nimmt, eine ganze Kaskade von Unterlassungen voraus, an denen oft mehrere Personen beteiligt sind. Kom-

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

biniert mit Unterlassung, aber auch als eigenstndige Ursache von Fehlern, lsst sich auch Unwissenheit identifizieren. Sie kann dazu fhren,
dass ein Pflegebedarf nicht erkannt wird oder eine falsche bzw. ungeeignete Pflegehandlung durchgefhrt wird. Verschiedene Vorschlge,
solche Ereignisse zu kategorisieren, sind:
4 Kritisches Ereignis: Beschrieben wird damit ein Ereignis, das selbst
zu einem unerwnschten Ereignis fhrt oder zumindest ein unerwnschtes Ereignis wahrscheinlicher macht.
4 Fehler: Bei dieser Definition ist es unerheblich, ob tatschlich ein
Patient zu Schaden gekommen ist. Fehler beschreibt vielmehr
eine Abweichung vom Plan oder einen falschen Plan oder das
Fehlen eines Plans.
4 Unerwnschtes Ereignis: Der Patient nimmt aufgrund eines Ereignisses Schaden, zu dem es eher im Rahmen der Behandlung denn
als Folge der Erkrankung gekommen ist.
4 Beinahe-Schaden: Es ist kein Schaden entstanden, aufgrund eines
Fehlers htte aber ein Schaden entstehen knnen.
4 Vermeidbares unerwnschtes Ereignis: Das im Rahmen der Behandlung unerwnschte Ereignis htte vermieden werden knnen.
> Was bis heute fehlt, ist eine Nomenklatur, eine Definition, die die
komplexen Ursachenzusammenhnge wirklich erfasst. Das Wort
Fehler reicht dafr nicht aus (. Abb. 1.2).

Fehlerkonstellationen am Beispiel der Bettlgerigkeit


Unwissenheit? Unterlassung? Pflegefehler? Im Folgenden werden am
Beispiel der Bettlgerigkeit Fehlerkonstellationen reflektiert, an deren
Ende ein Schaden fr den betroffenen Patienten steht. Dieses Beispiel
mag zeigen, wie unzureichend der Begriff des Fehlers ist.
Liegen fhrt zum Liegen!
Ein Beispiel fr das Ineinandergreifen von vielen, ganz unterschiedlichen Faktoren, die dann zu einem Schaden fr den Patienten fhren,
ist die allmhliche Ortsfixierung als pflegerische Komplikation. Mit

1.2 Auf der Suche nach Definitionen

. Abb. 1.2. Das Schweizer-Kse-Modell nach Reason veranschaulicht, wie einem


Fehler eine Kette von Fehlern vorausgeht (Modifiziert nach Reason, James: Human error,
Cambridge University Press 1990, S. 208).

sehr schweren Folgen fr den Betroffenen kann sie in die finale Bettlgerigkeit fhren, von der ein Patient sich nicht mehr erholen kann.
Unerwnschtes Dauerliegen ist eine pflegerische Komplikation, die
gefhrliche Risiken wie z. B. Thrombosen, Dekubitus, Pneumonie und/
oder Kontrakturen nach sich ziehen kann.
> Zu den krperlichen Risiken kommen Folgen fr die Seele dazu:
Ortsfixierte und bettlgerige Patienten fhlen sich isoliert, verzweifelt und ohne Hoffnung, traurig bis hin zur manifesten
Depression. Die Welt schrumpft auf das Bett zusammen, das Zeitgefhl geht verloren.

Spricht man in diesem Fall von einem Fehler, einer Unterlassung,


einem aus Unwissenheit nicht erkannten Risiko? Eine Untersuchung
zeigt, dass Bettlgerigkeit selbst in der Regel berhaupt nicht hinterfragt wird. Im Gegenteil: Die Ablufe in stationren und ambulanten
Einrichtungen frdern Bettlgerigkeit nur allzu oft, die dann selbst
Risiko fr die genannten schweren Folgeerkrankungen ist. Damit
ist Bettlgerigkeit in vielen Fllen eine vermeidbare pflegerische Komplikation.

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

Bettruhe und Bettlgerigkeit sind zweierlei


Patient und Bett lassen sich meist in einem Atemzug nennen.
Denn bei Krankheit oder nach einem Unfall fr eine kurze Zeit das
Bett zu hten, scheint ein Beitrag zur Genesung zu sein. Dies wird aber
in der Medizin zunehmend hinterfragt. Zahlreiche Studien belegen
sogar, dass Betthten eher schdlich als ntzlich ist.
> Im Gegensatz zur Bettruhe, die man hat, ist man bettlgerig. Bettlgerigkeit ist ein Seinszustand. Dieser unterscheidet sich von
der Bettruhe durch die lange Dauer, die ein Patient (ohne es zu
wollen) berwiegend im Bett verbringt, und birgt selbst Risiken
fr seine Gesundheit bzw. sein Gesundwerden.

Unterscheiden lsst sich:


4 Leichtere Bettlgerigkeit: Der Patient verbringt die berwiegende
Zeit im Bett, verlsst es aber tglich fr mindestens 45 Stunden.
4 Mittelschwere Bettlgerigkeit: Der Patient verlsst das Bett nur
noch, um zur Toilette zu gehen oder sich zu waschen.
4 Schwere Bettlgerigkeit: Der Patient steht berhaupt nicht mehr
auf.
Die bergnge sind flieend
Im Prozess des Bettlgerigwerdens lassen sich 5 Phasen unterscheiden
[2]. Diese Phasen gehen schleichend ineinander ber. An ihrem Ende
liegt ein Mensch wie fest genagelt im Bett, unfhig auch nur die Tasse
an den Mund zu heben oder sich die Haare zu kmmen.
Phase 1: Instabile Phase
Der Betroffene ist in seiner Bewegung kaum eingeschrnkt, bewegt
sich aber sehr vorsichtig. Oft steckt die Angst, zu strzen oder in der
vielleicht engen Umgebung anzustoen, dahinter, dass krperliche
Aktivitt mit diffusen Befrchtungen besetzt wird. Bereits gemachte
Sturzerfahrungen bestrken Unsicherheit und Furcht. Der Einsatz
von Hilfsmitteln, z. B. Gehstcke oder Rollator, und/oder das Umstellen der Mbel zu Hause sollen Sturzgefahren mindern und Halt
geben.

1.2 Auf der Suche nach Definitionen

Phase 2: Ereignis
Ein Krankenhausaufenthalt oder der Einzug in eine Pflegeeinrichtung
ist z. B. ein Ereignis, das Bettlgerigkeit ungewollt frdert. Viele Patienten glauben, sowie sie das ihnen zugewiesene Zimmer betreten,
in den Schlafanzug schlpfen und sich ins Bett legen zu mssen. Wo
soll ich mich denn sonst aufhalten? meinen sie und: Wenn der Arzt
kommt, muss ich doch da sein! Im Krankenhaus im Bett zu liegen,
wird auch vom Pflegepersonal offenbar als normaler Zustand betrachtet, so dass Ermunterungen, das Bett zu verlassen, wenn man nicht
liegen muss, meist ausbleiben. In einer Befragung kam heraus, dass
manche Patienten, die noch in der Untersuchungsphase waren, nach
einer Woche unfhig waren aufzustehen obwohl sie zunchst nur zur
Untersuchung ins Krankenhaus gekommen waren.
> Der Einzug in eine Pflegeeinrichtung ist fr viele Menschen das
zentrale Ereignis, das in dauerhafte Bettlgerigkeit mndet. Die
neue Umgebung wird als Wartesaal fr die letzten Monate erlebt.
Betroffene ziehen sich immer weiter in sich zurck, geben sich auf,
weil sie keine Perspektive mehr fr sich sehen. Auch hier die Frage:
Pflegefehler? Unterlassung? Oder in Wahrheit das ungelste Problem einer Gesellschaft, die nicht wei, wie man mit dem Altern
und alten Menschen umgeht?

Phase 3: Immobilitt im Raum


In dieser Phase knnen die Betroffenen sich zwar noch bewegen, verbringen aber die meiste Zeit im Bett oder auf einem Stuhl und knnen
schon bald nur noch mhsam ein paar Schritte laufen. Diese Phase
entscheidet meist ber den weiteren Verlauf. Bleibt langes Liegen und/
oder Sitzen im Sessel, das nicht krankheitsbedingt ist, unbeachtet, und
werden keine Manahmen getroffen, um der drohenden Bettlgerigkeit zuvorzukommen bzw. sie hinauszuzgern, setzt fast immer unweigerlich die nchste Phase ein.

10

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

v Praxistipp
Immobilitt kann lange hinausgeschoben werden, wenn man die
Mbel im Raum so arrangiert, dass man sich gut absttzen kann,
wenn man z. B. zur Toilette geht oder das Fenster ffnen will. In
den Rollstuhl gesetzt zu werden, frdert nicht die Mobilitt der
Betroffenen, denn auch im Rollstuhl sind sie ortsfixiert und scheinmobil.
Hufig geschehen solche Fehler aus Zeitmangel, und der Zeitmangel
aus Personalmangel sind es dann Pflegefehler? Unterlassungen? Unwissenheit?
Eine ltere Dame bekommt wegen Blasenschwche einen Blasenkatheter. An sich noch gut zu Fu, schmt sie sich nun, mit dem Beutel
in der Hand auf dem Stationsgang hin- und her zu marschieren oder
sogar damit in das Patienten-Caf zu gehen. Da bleibt sie doch lieber
im Zimmer, da sieht sie nur die Bettnachbarin, und die hat ebenfalls
einen Urinbeutel. Zunchst versucht sie noch, es sich auf dem Stuhl
an dem kleinen Tischchen bequem zu machen und Kreuzwortrtsel zu
lsen. Dann aber schmerzt ihr zunehmend der Rcken, weil der Stuhl
unbequem ist. Also zieht sie sich ins Bett zurck da liegt sie einigermaen entspannt, nur mit dem Kreuzwortrtselraten will es nicht so
recht gehen. Schlielich liegt sie nur noch, die Hnde auf der Bettdecke, vor sich hin trumend im Bett. In der Folgewoche kann sie es
ohne Hilfe nicht mehr allein verlassen.

Phase 4: Ortsfixierung
Menschen in dieser Phase knnen sich nicht mehr ohne Hilfe aus dem
Bett oder ihrem Sessel erheben und herumlaufen, sie sind wie angekettet, festgenagelt. Diese Phase des Nicht-von-allein-Wegknnens
ist entscheidend, denn sie mndet direkt in die letzte Phase, die Bettlgerigkeit. Selbst dann, wenn die Betroffenen im Sinne einer zu eng
gefassten Auffassung von Mobilisierung tglich kurz aus dem Bett herausgesetzt wurden.

1.2 Auf der Suche nach Definitionen

11

v Praxistipp
Die wenigen Schritte zum Toilettenstuhl oder dem WC sind extrem
wichtig. Nicht nur aus Grnden der Mobilitt, auch aus Grnden
der Wrde. Fast alle Menschen gehen ein Leben lang selbststndig
zur Toilette. Das aufgeben zu mssen, bedeutet fr die meisten
einen Verlust an Autonomie und Wrde. Statt der Frage nach
einem Pflegefehler sollten hier die strukturellen Ursachen dafr
beleuchtet werden!
Phase 5: Bettlgerigkeit
Nun wird das Bett gar nicht mehr verlassen. Viele Patienten beschreiben weitere Vernderungen, die sie in dieser Phase erleben:
4 es wird vermehrt ber sie als mit ihnen gesprochen,
4 es wird von oben nach unten mit ihnen gesprochen.
Beides fhrt dazu, dass sie sich weniger ernst genommen fhlen. Hinzu
kommt, dass die feste Bettlgerigkeit keinen Rckzug erlaubt alles
wird im Bett verrichtet, und fr alles wird immer fter Hilfe gebraucht.
> Aus Rcksichtnahme auf die Verhltnisse und die Pflegenden
machen Bettlgerige oft keine Ansprche geltend man will das
Pflegepersonal ja nicht dauernd stren.

Zeitmangel und fehlende Konzepte


Bettlgerigkeit im Sinne eines unerwnschten Dauerliegens kann fr
den Betroffenen katastrophale Folgen haben: nicht nur vermeidbare
Folgeerkrankungen, sondern auch die oft unwiederbringlich verlorene
Fhigkeit, aktiv seinen Alltag gestalten zu knnen.
Das Risiko, als Patient in einer Einrichtung zu einem bettlgerigen
Pflegebedrftigen zu werden, hat dabei ganz verschiedene Ursachen,
zum Beispiel:

12

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

Faktor Unwissenheit
Vielen Pflegenden ist berhaupt nicht bewusst, dass Bettlgerigkeit
kein Schicksal ist, sondern oft die logische Folge mangelnder und
zunehmend eingeschrnkter Mobilitt. Der aus dem 19. Jahrhundert
stammende Irrglauben, Betthten selbst sei eine Heilmanahme,
verstellt den Blick auf die schlimmen Folgen zu langen Betthtens. Die
zunehmende Schwche eines Patienten, zu der es dadurch kommen
kann, wird nicht als Folge zu langen Liegens erkannt, sondern als deren
Ursache missverstanden.
Faktor fehlende Konzepte
Viele Pflegende kennen keinerlei Konzepte fr die Mobilisierung von
Patienten. Aktivitten, die sich dazu eignen sollen, den Patienten
aus dem Bett zu bekommen, taugen oft genug nur dazu, ihm Angst
zu machen. Da wird im Hauruck-Verfahren aus dem Bett gezerrt,
whrend der Kranke in dauernder Furcht ist, den Halt zu verlieren und
zu strzen.
Faktor fehlende Zeit
Die Zeittaktung der ambulanten wie auch der stationren Pflege steht
oftmals im krassen Widerspruch zu dem, was es braucht, um Bettlgerigkeit vorzubeugen ein paar Minuten fr eine professionelle Mobilisation reichen einfach nicht aus!

Bettlgerigkeit vermeiden
Auf Seiten der (Alten-)Pflege gilt es, berholte Vorstellungen aufzugeben: Alt oder krank zu sein bedeutet nicht automatisch, fest das Bett
hten zu mssen.
> Unsere Sprache ist verrterisch, was unsere Vorstellungen von
Krankheit und Alter betrifft und die Hauptrolle, die das Liegen
dabei spielt: Da wird jemand verlegt, wartet auf ein Bett im
Krankenhaus, die Politik spricht von der Liegedauer im Kranken6

1.2 Auf der Suche nach Definitionen

13

haus, das Krankenhaus von Belegung und seiner Bettenzahl.


All diese Begriffe tun so, als sei Liegen der Normalzustand bei Alter
oder Krankheit.

Whrend einerseits bercksichtigt werden muss, dass manche Menschen einfach liegen wollen (und es ihnen vielleicht sogar zur Daseinsstrategie wird), muss gegenwrtig sein, dass Bettlgerigkeit selbst
ein Gesundheitsrisiko ist, das vermieden oder lange, lange hinausgezgert werden sollte.
v Praxistipp
4 Zeit fr den Transfer: Wenn Patienten fr Bewegung im Raum
Hilfe bentigen, braucht es Zeit und Geduld seitens der Helfer.
Hast kann dazu fhren, dass Patienten befrchten, Pflegepersonen htten keine Zeit fr sie. Und fehlende Technik wiederum kann fr die Patienten schmerzhaft sein, wenn anstelle
eines sicheren und kompetenten Transfers gezerrt und geruckt
wird. Kinsthetik bietet hier ein geeignetes Transferkonzept.
4 Zeit fr das An- und Ausziehen: Sich an- und auszukleiden ist
kein Luxus, sondern etwas, das Patienten ein Leben lang beherrscht haben es sollte auch in Einrichtungen gefrdert und
untersttzt werden.
4 Eigenaktivitten, z. B. der Kauf einer Zeitschrift am Krankenhauskiosk, sollten aktiv untersttzt und nicht aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft fr den Patienten erledigt werden.
Es sei denn, er bittet darum, weil er etwas nicht selbst tun kann.
Biografiearbeit: Auch alte Menschen brauchen Sinn
Die psychischen Folgen von Bettlgerigkeit sind mit einem Verlust an
Lebenssinn zu beschreiben. Hier unterscheiden sich die verschiedenen
Einrichtungen ganz erheblich Verwahrung statt Sinnerhaltung und
Sinngebung ist aber leider manchmal die traurige Realitt. Dabei sind
Anknpfungspunkte an das, was individuell als Sinn und damit Lebensfreude spendend erlebt wird, da! Man findet sie, wenn man Betroffene
nach ihrer Biografie fragt und nach dem, was sie als sinnvolle Ttig-

14

Kapitel 1 Fehler was ist das eigentlich?

keiten in ihrem Leben beurteilen. Biografiearbeit kann Menschen nicht


nur vor Immobilitt und deren Folgen schtzen, sie kann sie sogar aus
ihrer Immobilitt herauslocken wenn sie an das anknpft, was im Leben Orientierung und Sinn gestiftet hat. Dass hier geeignete Konzepte
nicht gekannt, nicht umgesetzt oder schlicht in ihrer Bedeutung nicht
wahrgenommen werden: Soll das ein Pflegefehler sein? Oder zeigt es
nicht vor allem, dass eine Gesellschaft die Umkehrung der Alterspyramide (noch) nicht verdaut und keine lebensweltlich wirksamen Sinnkonstrukte dafr entwickelt hat? Sinngebung und Sinnerhaltung durch
Biografiearbeit kann Lsung im individuellen Fall sein. Wie eine Gesellschaft als Ganzes in diesem Zusammenhang fllige Sinnfragen lst
das bleibt weiterhin eine spannende Frage.
Fazit
4 Was ein Pflegefehler ist, muss aus der Pflege heraus definiert
werden. Am Beispiel der Bettlgerigkeit wurde diskutiert, wie eine
Reihe von Verkettungen und Missverstndnissen dazu fhrt, dass
Menschen ungewollt und nicht durch ihren Gesundheitszustand
bedingt bettlgerig werden knnen, ohne dass der Begriff Pflegefehler richtig greifen wrde.

15

O Meine Geschichte: Peter Bechtel


Vorsitzender des Verbandes Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender
Pflegepersonen e.V. (BALK)
Ich tat, wie mir geheien und htte beinahe den Tod
eines Patienten herbeigefhrt
Htte ich mich damals anders verhalten sollen, anders verhalten
knnen? Ja und Nein. Ich war im 2. Ausbildungsjahr und auf der Intensivstation eingesetzt. Einer meiner Patienten war ein etwa 40-jhriger
alkoholkranker Mann, der ber einen Infusiomaten Distraneurin i. v.
appliziert bekam. Distraneurin wirkt nicht nur gegen die Entzugserscheinungen, es galt damals auch als Mittel der Wahl, um dem
gefrchteten Delirium tremens vorzubeugen. Bei der bergabe
gab man mir den Auftrag, immer dann, wenn der Patient unruhig
oder wach wrde, das Rdchen am Infusiomaten ein bisschen hher
zu drehen und kurzzeitig die Distraneurin-Dosis zu steigern und
anschlieend das Rdchen wieder herunterzudrehen.
Auf einmal rannten alle
Ich tat, wie mir geheien war. Und war zu Tode erschrocken, als
pltzlich das gesamte Personal der Intensivstation an das Bett des Patienten gerannt kam und Wiederbelebungsmanahmen Intubation,
maschinelle Beatmung usw. einleitete. Auf dem zentralen berwachungsmonitor war zum Entsetzen meiner Kollegen pltzlich eine
Nulllinie erschienen, die den Atem- und Kreislaufstillstand meines
Patienten angezeigt hatte. Dank der Versiertheit und Erfahrenheit des
Pflegepersonals ist dem Patienten glcklicherweise nichts passiert, er
konnte buchstblich ins Leben wieder zurckgeholt werden. Durch
einen Fehler, den ich aus Unwissenheit begangen hatte, hatte ich das
Leben des Patienten in Gefahr gebracht. Denn was ich nicht wusste
und worauf mich auch niemand vorbereitet hatte: Distraneurin kann
bei zu hoher Dosierung zum Atemstillstand und damit einem lebensbedrohlichen Zustand fhren!

Verantwortung muss man nicht nur tragen wollen,


sondern auch knnen
Heute wei ich das natrlich, aber damals, im 2. Ausbildungsjahr,
htte man mich darauf vorbereiten mssen, mir sagen: Vorsicht! Das
kann ins Auge gehen! Stattdessen machte man mir Vorwrfe. Sicherlich htte ich damals fragen sollen: Was kann schlimmstenfalls passieren? Worauf muss ich achten, wenn ich die Dosis steigere? Ich hatte
Verantwortung bernommen, die ich eigentlich noch gar nicht tragen
konnte! War mir dessen nicht einmal bewusst!
Dieser Vorfall war sehr prgend fr meinen weiteren Berufsweg.
Ich lernte daraus, niemals einfach zu machen, was man mir sagt,
einfach nur Anweisungen zu befolgen, sondern nachzufragen, mich
kundig zu machen, auch den Mut zu haben, Nein zu sagen. Und ich
habe gelernt, wie wichtig es ist, bei Fehlern nicht nur einfach nach
Schuldigen zu suchen, sondern sie zu analysieren, herauszufinden,
wie sie passieren konnten. Denn nur so kann man Fehler auch vermeiden.

2.1 Weniger Pflegekrfte mehr Patienten

17

Fehler drfen nicht


individualisiert werden!
Zur Situation in den Pflegeberufen
Sabine Girts
Wenn von Fehlern und Fehlermeidung im Bereich der Gesundheitsversorgung gesprochen wird, richtet sich der Blick hufig auf
das persnliche Fehlhandeln einzelner, konkreter Akteure. Der Frage,
welche Bedeutung die Rahmenbedingungen fr das Auftreten von
unerwnschten Ereignissen haben, soll mit diesem Beitrag nachgegangen werden. Grundlage dieser Ausfhrungen sind die Ergebnisse
des Pflege-Thermometers 2009, fr das mehr als 10.000 Pflegekrfte,
die in Krankenhusern in Deutschland arbeiten, zur beruflichen Situation und Patientenversorgung befragt worden sind. Diese Studie, die
von der B.-Braun-Stiftung untersttzt wurde, ist die grte zusammenhngende Befragung von Pflegekrften in Deutschland und wurde am
19.05.2010 in Berlin im Rahmen einer Pressekonferenz der ffentlichkeit vorgestellt.

2.1

Weniger Pflegekrfte mehr Patienten

Zunchst die gute Nachricht: Seit 2008 wurde in den allgemeinen


Krankenhusern erstmals seit 12 Jahren Personal im Bereich der Pflege
aufgestockt 1.840 Vollkrfte wurden zustzlich eingestellt. Das entspricht 0,7%. Damit wurde zum ersten Mal seit 1996 der Personalabbau
in den Krankenhusern gestoppt, der dazu gefhrt hatte, dass zwischen
1996 und 2008 ca. 50.000 Vollkraftstellen in der Krankenhauspflege
abgebaut worden sind. Und das ist die schlechte Nachricht, denn dieser
Stellenabbau beschreibt im Ergebnis nichts anderes als einen chronischen Mangel an Pflegekrften im Krankenhaus.

18

Kapitel 2 Fehler drfen nicht individualisiert werden!

Die logische Folgerung, dass vor dem Hintergrund des Abbaus an


Pflegepersonal immer weniger Personal immer mehr Patienten zu versorgen hat, gewinnt umso mehr an Bedeutung fr den Alltag in der
Pflege, als die Zahl der behandelten Patienten im gleichen Zeitraum
kontinuierlich angestiegen ist: Lagen die Fallzahlen in den allgemeinen
Krankenhusern 1995 noch bei rund 15,6 Millionen, waren es 2008
schon 17,5 Millionen. Ursache fr diesen Anstieg um immerhin 12,1%
ist die krzere Verweildauer der Patienten im Krankenhaus. Damit ist
allein von 2007 auf 2008 die von einer Pflegekraft zu betreuende Fallzahl von 59 auf 61,5 Flle angestiegen.

. Abb. 2.1. Entwicklung der Pflegekrfte zwischen 1995 und 2008. Zwischen 1995 und
2008 sinkt die Anzahl der Pflegekrfte um 14,2%. Im gleichen Zeitraum wird die Verweildauer der Patienten um nahezu ein Viertel (24,6%) reduziert, whrend die Fallzahl um
12,1% ansteigt [14]. Zum Vergleich: Die Zahl der rzte hat um ein gutes Viertel (26%) zugenommen eine Entwicklung, die auch Folge einer zunehmend verdichteten und intensiveren medizindiagnostischen Arbeit ist. Im Pflegebereich bedeutet die Zunahme rztlicher Arbeit zumeist auch eine Zunahme von Betreuungsaufwand, der von einer sinkenden Zahl an Pflegekrften zu leisten ist.

2.1 Weniger Pflegekrfte mehr Patienten

19

Personalabbau: Die Jungen trifft es am ehesten


Der Stellenabbau von 50.000 Vollkrften wurde zu einem Gutteil
dadurch realisiert, dass junge Menschen nach der Ausbildung nicht
bernommen wurden. Dadurch verschob sich die Altersstruktur im
Krankenhaus hin zu den lteren Pflegenden. In Zahlen ausgedrckt:
Whrend zwischen 2000 und 2008 die Zahl der Beschftigten, die
unter 35 waren, um 50.000 (15%) gesunken ist, hat sich in der
gleichen Zeit die Beschftigtengruppe der ber 50-Jhrigen nahezu
verdoppelt auf 171.000 Mitarbeiter!
Die stetig anwachsende Arbeitsbelastung bzw. berforderung versuchen offenbar viele Pflegende durch eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit zu kompensieren: Waren es im Jahr 2000 noch 34,71% Teilzeitbeschftigte, so hat sich diese Zahl 2008 auf 45,7% erhht. Und 2009 gab
immerhin jede vierte fr das Pflege-Thermometer befragte Pflegekraft
an, eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit aufgrund von berforderung
anzustreben.

Dauerbelastung die Regel und nicht die Ausnahme


Welche Folgen Stellenabbau und steigende Arbeitslast fr die Beschftigten in der Gesundheits- und Krankenpflege haben, lsst sich an
objektiven Daten ablesen: So belegen Auswertungen verschiedener
Krankenkassen und Rentenversicherungstrger, dass Pflegekrfte in
der Gruppe der ber 50-Jhrigen etwa doppelt so hufig wie andere
sozialversicherungspflichtig Beschftigte aufgrund psychischer und
physischer Erkrankungen zeitweilig arbeitsunfhig werden. Das
Gleiche gilt fr Frhberentung inklusive Erwerbsminderung.
Das Pflege-Thermometer 2009 fhrt als objektive Belastungsdaten
auf:
4 Zunahme der zu betreuenden Patienten,
4 Personalabbau,
4 berstunden,
4 Einspringen an (eigentlich freien) Wochenenden und Feiertagen.

20

Kapitel 2 Fehler drfen nicht individualisiert werden!

Jede/r Fnfte ist hochbelastet


Die Zahl der in den letzten 6 Monaten geleisteten berstunden beziffern 40% der Befragten mit 4670! Umgerechnet entspricht das 15.000
zustzlichen Vollzeitkrften! Mehrheitlich knnen die berstunden
nicht zeitnah wieder abgebaut werden. Vor diesem Hintergrund haben
die Forscher des Pflege-Thermometers 2009 eine Untergruppe von so
bezeichneten hochbelasteten Pflegenden identifiziert, deren Arbeitsalltag direkt von einerseits dem Stellenabbau und andererseits der
Zunahme der Patientenzahlen bestimmt wird. Hinzu kommt, dass die
berstunden nicht zeitnah durch Freizeit ausgeglichen werden
knnen. Jede fnfte Pflegeperson muss zu der Untergruppe der Hochbelasteten gerechnet werden!
Bei dieser Gruppe (der Hochbelasteten, Anm. d. Autorin.) lassen sich
in der Folge Unterschiede zur Gesamtgruppe hinsichtlich der Patientenversorgung und -sicherheit aufzeigen, heit es im Pflege-Thermometer
2009 [32].

Pflegeberufe verlieren an Attraktivitt


Zu dem wirtschaftlich begrndeten Stellenabbau hinzu kommt ein
steigender Trend zu einem nachlassenden Interesse am Pflegeberuf.
Entsprechend ist auch die Nachfrage nach Ausbildungs- und Arbeitspltzen rcklufig. Ursachen fr die sinkenden Bewerberzahlen im
Ausbildungsbereich und um Arbeitspltze werden nicht nur in der
demografischen Entwicklung (beralterte Bevlkerung und Geburtenrckgang) gesehen. Auch die unattraktiven Arbeitsbedingungen und
ein verbesserungsbedrftiges Image der Pflegeberufe in der Bevlkerung werden dafr verantwortlich gemacht.
Die Personal- und Ausbildungssituation der Pflegeberufe wird sich
also in den nchsten Jahren weiter dramatisch zuspitzen. Die zunehmende Knappheit von beruflich Pflegenden wird Folgen fr die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung der Bevlkerung haben. Unsere
Gesellschaft erwartet aber auch bei immer knapper werdenden Ressourcen eine optimale Versorgung zum gnstigen Preis.

2.2 Stellenabbau

21

In den Krankenhusern wurden in den letzten 15 Jahren rund


50.000 Vollkraftstellen abgebaut. Mit einem von der Bundesregierung
aufgelegten Pflege-Frderprogramm sollen in den nchsten drei Jahren
bis zu 17.000 zustzliche Pflegepersonalstellen in den Krankenhusern
geschaffen werden, die zu 90% durch die Krankenkassen finanziert
werden knnen. Das bedeutet, dass heute vakante Stellen jetzt noch
nicht besetzt werden knnen. Die Folge ist ein hoher Bedarf an pflegerischem Personal, der zu einem scharfen Wettbewerb um qualifizierte
Pflegekrfte fhrt.

2.2

Stellenabbau: Patienten gefhrdet,


Fehlerrisiko erhht

Wirtschaftliche Ziele, die ja auch jede Gesundheitseinrichtung hat,


werden ber einen quantitativen Leistungsdruck auf die Mitarbeiter
der Pflegeberufe versucht zu realisieren. Die Ergebnisse des PflegeThermometers 2009 zeigen eindrucksvoll, wie sich das auf die Qualitt
der Patientenversorgung und -sicherheit auswirkt. Der Studie zufolge
stellen die festgestellten Mngel mittlerweile den Regelfall dar. Jeder
weitere Abbau in der Pflege verschrft also die Gefhrdung der Patientensicherheit und erhht das Fehlerrisiko.
Neben den berechtigten Aspekten der Wirtschaftlichkeit von
Gesundheitseinrichtungen wurden die Bedrfnisse der fr die direkte
pflegerische Versorgung verantwortlichen und zustndigen Personen
komplett auer Acht gelassen. In Anbetracht des guten Willens und
der Einsatzbereitschaft der Pflegenden, ihr Bestes fr Patienten oder
Bewohner in unserem Gesundheitswesen geben zu wollen, erscheint
dies als paradox. Das Pflege-Thermometer stellte unter anderem fest,
dass die verbliebenen Pflegekrfte aber versuchen, die Versorgung fr
alle Patienten so gut wie irgend mglich aufrecht zu halten. [14].

22

2.3

Kapitel 2 Fehler drfen nicht individualisiert werden!

Welche Lsungen werden diskutiert?

Der Gesundheitswirtschaft stehen vielfltige Lsungskonzepte zu


Verfgung, um ihre wirtschaftlichen Ziele zu realisieren. Beispielsweise
die Umsetzung von Qualittsmanagement und die Einfhrung von
Expertenstandards.
Als grundlegende Voraussetzungen fr die Erreichung dieser Ziele
sind allerdings stndige Fort- und Weiterbildungen notwendig, weil
sich die Ziele dauerhaft nur mit Hilfe gut ausgebildeter Mitarbeiter
erreichen lassen. Und: Es bedarf aussagekrftiger Studien, um die Umsetzung und Auswirkungen von Weiterbildungsinhalten bewerten zu
knnen. Das Pflege-Thermometer 2009 weist auf diesen Umstand hin:
Es gibt zum Beispiel keine Daten darber, welche Kliniken Wundmanager einsetzen und mit welchem Erfolg fr die Wundversorgung
[14]. Zu klren wre hier auch, inwieweit Fortbildungsinhalte aufgrund
der prekren Personalsituation berhaupt in der Pflegepraxis greifen
knnen.

Ressourcen mssen zur Verfgung gestellt werden


Damit die Strategie einer fachgerechten pflegerischen Versorgung und
die damit verbundenen Ziele berhaupt umgesetzt werden knnen,
mssen Politik und ihre verantwortlichen Verhandlungspartner die
ntigen Ressourcen nicht nur stndig ermitteln, sondern auch zur
Verfgung stellen. Auerdem ist es heute notwendiger denn je, die erforderlichen Grundinformationen ber pflegerische Handlungsfelder,
Berufsbilder und Ausbildungsgnge zentral aufzubereiten und in
einem Gesamtkonzept zu bndeln. Andernfalls besteht die Gefahr,
dass aufwndige Konzepte fehlgesteuert verpuffen.
Pflege braucht Wertschtzung und angemessene Honorierung
Noch mehr Menschen als heute werden in Zukunft auf eine pflegerische Versorgung angewiesen sein. Pflegerische Ttigkeiten sind hoch
komplex. Leider werden sie (nicht nur) in der ffentlichkeit als eher

2.4 Bei jedem Fehler ist das System gefordert

23

persnlich individuelle denn als fachliche Leistungen verzerrt dargestellt. Damit aber befrchtete und bereits ffentlich thematisierte
Krisen verhindert werden knnen, sollte ein wichtiges gesellschaftliches Ziel werden, die entsprechende Wertschtzung, das gewnschte
Image der Pflegeberufe und die damit verbundene angemessene Honorierung zu untersttzen.
Zudem muss beachtet werden, dass der demografische Wandel
sogar doppelt im Gesundheitswesen angekommen ist: Einerseits finden
sich mehr ltere und hochbetagte Patienten und Bewohner in den
Gesundheitseinrichtungen. Andererseits steigt, wie oben gezeigt, der
Altersdurchschnitt der Belegschaften stetig an. Wie in der Gesamtwirtschaft werden auch im Gesundheitswesen knftig mehr ber 50-Jhrige als unter 30-Jhrige beschftigt sein; schon heute sind nahezu die
Hlfte der beruflich Pflegenden ber 45 Jahre alt. Der Verbleib im
Pflegeberuf so lange wie mglich wird ber die Aufrechterhaltung des
Gesundheitswesens genauso mitentscheiden wie eine ausreichende
Zahl von Berufseinsteigern. Attraktive Arbeits- und Organisationsbedingungen werden dafr genauso eine Rolle spielen wie eine Strategie
zur Erhaltung und Frderung der Arbeitsbewltigungsfhigkeit des
Personals.

2.4

Bei jedem Fehler ist auch das System gefordert

Jeder Fehler ist einer zu viel. Personalabbau, stetig steigende Arbeitsbelastung und schon 20% hochbelastete Pflegeberufler machen mehr
denn je dringend, die Fehlerverursachung nicht zu individualisieren!
Was zustzlich zu einer angemessenen personellen Ausstattung gebraucht wird, sind Instrumente zur Arbeitsgestaltung, Gesundheitsvorsorge, Unternehmenskultur, Personalentwicklung und Arbeitsbewltigungsfhigkeit, innerhalb derer Nachdenken, Umsetzen und Widerspruch bei Fehlerstrategien mglich sein mssen.
Jeder wei heute, dass ohne Fehler keine Entwicklung und kein
Lernen mglich ist. Ein Fehler ist eine Interpretation, eine Frage der
gewhlten Perspektive. Die Tatsache, dass den meisten Fehlern ganze

24

Kapitel 2 Fehler drfen nicht individualisiert werden!

Kaskaden unerwnschter Vorflle vorausgehen, lsst ahnen, wie


schlecht man beraten wre, wrde man sich nach dem Motto den
Letzten beien die Hunde nur auf den sichtbaren, benennbaren
Fehler am Ende einer Kette konzentrieren.

2.5

Wer aufhrt zu jammern, handelt

Hat man in seinem Beruf Erfolg, gewinnt man Selbstbesttigung, Mut


und Energie. Erfhrt man eine Niederlage, knnen aus dieser Erfahrung Anregungen fr bessere Ideen hervorgehen. Gewinnt diese Sichtweise die Oberhand, kann man nicht nur aus Fehlern lernen, etwas
besser zu machen. Man bekommt auch das Selbstvertrauen, sich kenntnisreich und kompetent fr Bedingungen einzusetzen, die Fehlerrisiken mindern und damit Kranke und Verletzte schtzen. Die berufliche Situation, so wie sie jetzt ist Personalnot, Arbeitsberlastung ,
ist von den meisten von uns so nicht unbedingt gewhlt. Aber fr die
Schlsse, die wir daraus ziehen, sind wir selbst verantwortlich. Gerade
hier liegt die groe Chance: Wer aufhrt zu jammern, handelt. Wer
bewusst whlt, bernimmt Verantwortung fr alle Konsequenzen.
Wer Verantwortung bernimmt, bernimmt die Regie fr sein Leben
das ist nichts anderes als Freiheit [31]. Die Verantwortung fr die
eigene Motivation und Leistungsbereitschaft im Pflegeberuf muss jeder
selbst fr sich bernehmen [32].
Fazit
4 Pflege ist ein zukunftsorientierter Beruf, wenn diejenigen, die ihn
ausben, das professionell mit Herz und Seele tun. Eine Vielzahl
von Bedingungen, vom Stellenabbau ber Personalnot bis hin zu
Fragen des Image der Pflege in der ffentlichkeit, frdern das
Risiko von pflegebedingten Fehlern. Hier gilt es, nicht zu resignieren, sondern sich aktiv und selbstbewusst fr Verbesserungsmanahmen einzusetzen. Dem Pflegeberuf selbst gehrt die Zukunft!

25

O Meine Geschichte: Martina Klenk


Prsidentin des Deutschen Hebammenverbandes e.V.
Hebammen und Fehler?!? Das geht gar nicht!
Gleich vorab: Natrlich passieren Hebammen auch Fehler! Und natrlich ist es sehr wichtig, Fehler frei und offen eingestehen zu knnen.
Denn Fehler sind eine Ressource nmlich zu lernen, wie man es
besser machen kann.
Wir Hebammen sind in den letzten Jahren in eine schlimme
Zwickmhle geraten. Gerade zur Zeit, wo langwierige Verhandlungen
klren sollen, wie sich Hebammen fr den Schadensfall vernnftig
und ausreichend absichern knnen, scheint eine offene Debatte ber
Fehler als Beitrag zu einer so dringend notwendigen Fehlerkultur in
Deutschland schwieriger denn je.
Die Grnde dafr liegen nur auf den ersten Blick bei den Hebammen und ihrer Arbeit. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich,
dass der Konflikt zwischen eventuell folgenreichen Fehlern auf Seiten
der Hebammen und der Frage nach dem Versicherungsschutz unserer
kleinen Berufsgruppe in Wahrheit ein gesellschaftliches Problem
enthllt.
Beginnen wir der Reihe nach: Jede in einem Gesundheitsberuf
ttige Person ob eine rztin, ein Pfleger oder eben eine Hebamme
braucht eine vernnftige rechtliche und finanzielle Absicherung
fr den Fall, dass ein Mensch aufgrund eigenen Fehlverhaltens zu
Schaden kommt. Noch 1992 reichte fr diesen Versicherungsschutz
eine in Euro umgerechnete Summe von 187,95, die eine freiberufliche Hebamme im Jahr zu entrichten hatte. Bis 2009 ist der Versicherungsbeitrag um mehr als das 12-fache angestiegen auf 2.370 im
Jahr! Eine Summe, die in keinem Verhltnis mehr steht zum Einkommenszuwachs einer freiberuflichen Hebamme.

Hebammen knnen die Folgen gesellschaftlichen Wandels


nicht allein tragen
Machen Hebammen mehr Fehler als frher? Sind die Kindseltern im
Schadenfall streitlustiger geworden? Hebammen machen nicht mehr
Fehler als frher. Aber Eltern klagen heute mehr. Der Grund liegt
auerdem in den Fortschritten von Medizin und Medizintechnik, die
als Kehrseite Schadenssummen in horrende Hhen treiben. Kinder,
die aufgrund eines geburtshilflichen Fehlers zu Schaden gekommen
sind, leben heute sehr viel lnger, als das noch vor einigen Jahren der
Fall war. Vielleicht mit lebenslnglichen gesundheitlichen Einschrnkungen, die dann Jahrzehnte lang finanziert werden mssen und
auch sollen. Und das will und kann! kaum eine Versicherung so
ohne weiteres tragen. Aber auch nicht eine so vergleichweise kleine
Berufsgruppe wie wir! 20.000 Hebammen in Deutschland knnen
nicht allein dafr geradestehen, dass der begrenswerte und erfreuliche Gewinn von mehr und besseren Jahren auch dann, wenn es
bei der Geburt zu einem Schaden gekommen ist, finanziert werden
kann. Hier mssen Regelungen her, die auch von den Hebammen
zu tragen sind nicht zuletzt, um wieder zu einem offenen und fairen
Diskurs ber Fehler- und Risikomanagement zu finden, der fr die
Hebammen genauso wichtig ist wie fr alle anderen Gesundheitsberufe.

3 Hohe Arbeitsbelastungen

27

Hohe Arbeitsbelastungen:
Was Sie tun knnen
Gertrud Stcker
Das Ansehen, das die Krankenpflege hierzulande geniet, ist ausgesprochen hoch: 92 Prozent der Deutschen geben an, ihr Vertrauen in
diese Berufsgruppe sei sehr hoch oder ziemlich hoch. Nur Feuerwehrleute schneiden noch ein kleines bisschen besser ab, rzte und
Apotheker dagegen rangieren etwas unterhalb der Krankenpflege [12].
Aber wie sehen Angehrige dieser Berufsgruppe selbst ihre Situation? Wie erleben sie selbst den Alltag in der Pflege? Der Deutsche
Berufsverband fr Pflegeberufere (DBfK) hat dazu zwischen Oktober
2008 und Februar 2009 eine Umfrage bei Pflegekrften durchgefhrt.
Die Ergebnisse sind alles andere als rosig [13]:
4 Knapp 70% geben an, die Pflegequalitt in den Krankenhusern
habe in den zurckliegenden 12 Monaten abgenommen.
4 Mehr als 4/5, nmlich 83,2%, sind der Meinung, dass die Personalausstattung nicht ausreiche.
4 Fast die Hlfte aller Befragten (45,5%) berichten, dass sie selten bis
nie eine ungestrte Pause nehmen knnten.
Auch die innerbetrieblichen Ablufe zeigen der DBfK-Umfrage zufolge
deutliche Defizite zum Beispiel im Bereich der Kommunikation:
4 Rund 75% der Befragten halten den Informationsfluss fr hufig
bis oft unzureichend.
4 44,1% berichten, Informationen mehrmals die Woche versptet zu
bekommen.
4 Mehr als 2/3 der Befragten, (67,9%) erhalten hufig bis oft unklare
Anweisungen.

28

3.1

Kapitel 3 Hohe Arbeitsbelastungen: Was Sie tun knnen

Leider nicht die Ausnahme: Mngel in der Pflege

Die Zunahme der Arbeitsbelastung durch den massiven Stellenabbau


im Bereich der Krankenhauspflege seit 1996 ist die Vollzeitstellenzahl
um 55.000 zurckgegangen belastet die Beschftigen und gefhrdet
eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten. Zu diesen alarmierenden Ergebnissen kommt das Deutsche Institut fr angewandte
Pflegeforschung e.V., kurz dip, in seinem Pflege-Thermometer 2009
[14]. Prof. Michael Isfort, der Leiter der Studie, sieht durch den Stellenabbau in der Krankenhauspflege die Versorgung der Patienten in Gefahr Mngel in der pflegerischen Versorgung (sind) nicht mehr die
Ausnahme, sondern die Regel [28]. Ausdrcklich lobt Isfort die Pflegekrfte, die die Versorgung der Patienten trotz der schwierigen Bedingungen so gut wie irgend mglich aufrecht zu erhalten suchten [28].
Die Frage nach den Ursachen und mglichen Vermeidungsstrategien von Fehlern ist damit v. a. auch eine Frage der Versorgungskapazitt und der Arbeitsbelastung der einzelnen Akteure.

3.2

Werden Sie aktiv!

Pflegekrfte werden in aller Regel nicht gefragt, wenn es um die personelle Ausstattung der Einrichtung oder der Station, auf der sie arbeiten,
geht. Das kann man zu Recht beklagen, aber Klagen hilft in der ganz
konkreten Situation meist nicht weiter. Es verbessert nicht die Versorgung der Patienten und es mindert nicht die Arbeitsbelastung der
Akteure (7 Top im Job: Und jetzt Sie; 7 Top im Job: Nicht rgern, ndern).
Der DBfK empfiehlt deshalb, sich aktiv mit der zu hohen Arbeitslast
auseinanderzusetzen und nach Verhaltensregeln zu suchen, die sowohl
den Patienten als auch das Pflegepersonal schtzen. Hinweise dazu
finden sich auf unserer Website [13]. Meine weiteren Ausfhrungen
mchte ich an diesen Verhaltensregeln orientieren.

3.2 Werden Sie aktiv!

29

Dauerbrenner Zeitdruck
Personalknappheit und in der Folge zu hohe Arbeitslast wird meist
intuitiv durch eine Steigerung des Arbeitstempos auszugleichen versucht. 100% der anfallenden Arbeit in 80% (oder weniger) der dafr
ntigen Zeit zu bewltigen fhrt leicht dazu, dass Pflegestandards nicht
eingehalten und Hygienevorschriften und Sicherheitsmanahmen vernachlssigt werden. Sich Informationen zwischen Tr und Angel oder
auf dem Gang zuzurufen prdestiniert geradezu zu Missverstndnissen, an deren Ende dann ein unerwnschtes Ereignis, ein Fehler stehen
kann. Zeitdruck gefhrdet die Patienten und schadet den Pflegekrften,
die deswegen oftmals auf Hilfsmittel oder rckenschonende Arbeitsweisen verzichten es muss halt schnell gehen!
Die Verantwortung liegt bei Ihnen!
Bitte denken Sie daran: Die Durchfhrungsverantwortung bei jeder
Ttigkeit liegt in Ihrer Hand werden Pflegestandards nicht eingehalten, kann das fr Sie arbeitsrechtliche und strafrechtliche Folgen haben!
Deswegen:
4 Egal wie knapp die Zeit ist: Halten Sie Pflegestandards ein! Niemand
kann Sie zwingen, aus Zeitnot bei der Einhaltung von Standards Abstriche zu machen.
4 Untersttzen Sie Ihre Kollegen bei der Einhaltung von Standards,
weisen Sie sie ggfs. in bestehende Standards ein.
Schler/-innen bzw. Studierende sollten ansprechen, wenn sie beobachten, dass auf Station praktizierte Pflege und in der Schule/Hochschule gelehrte Pflegestandards auseinanderklaffen im Pflegeteam
und in der Schule/Hochschule.

30

Kapitel 3 Hohe Arbeitsbelastungen: Was Sie tun knnen

Dauerbrenner fehlende Pausen


In zwei Patientenzimmern geht die Klingel, das Telefon lutet und im
Gang stehen Angehrige, die eine Frage haben. Wie soll man da an
Pause denken?! Mehr als 6 Stunden ohne Erholungspause durchzuarbeiten, deckt sich nicht mit dem Arbeitszeitgesetz.

Das Arbeitszeitgesetz sieht nmlich mindestens 30 Minuten Ruhepause


bei einer Arbeitszeit von 69 Stunden und mindestens 45 Minuten bei
mehr als 9 Stunden vor! Deswegen:
4 Treffen Sie Absprachen mit Ihren Kollegen, wer wann in die Pause
geht. Und: halten Sie sich daran. Bedenken Sie, dass vernnftige
Pausenregelungen sowohl Ihnen selbst als auch den Patienten
dienen, weil eine gestresste Pflegeperson nicht unbedingt eine
bessere Pflegeperson ist.
4 Auch im Nachtdienst zum Beispiel haben Sie Anrecht auf eine
Pause. Ihr Arbeitgeber ist verpflichtet, sich um eine entsprechende
Pausenablsung zu kmmern.
4 Verbringen Sie Ihre Pause wenn mglich nicht auf Station.
4 Informieren Sie Ihre Vorgesetzten, wenn Sie keine Pause nehmen
konnten. Diese Zeit muss zustzlich vergtet werden.
4 Lassen Sie sich zur dauerhaften Lsung des Pausenproblems nicht
auf den Pakt Bezahlte-Mehrarbeit-gegen-Pause ein. Das schadet
auf Dauer der Gesundheit und hilft, strukturelle Personalknappheit
zu verfestigen.

Dauerbrenner berstunden
Kennen Sie das unangenehme Gefhl, nicht alle Arbeit geschafft zu
haben und brig Gebliebenes an die nachfolgende Schicht weiterreichen zu mssen? Viele Pflegekrfte lsen dieses Problem, indem
sie mehr und lnger arbeiten. Arbeitsberlastung ist aber eine der
wesentlichen Ursachen fr das Zustandekommen von Fehlern.
Deswegen:

3.2 Werden Sie aktiv!

31

4 Machen Sie sich nicht selbst dafr verantwortlich, wenn Arbeit


liegen bleibt: Es ist nicht Ihre Schuld, wenn Kollegen ausfallen
und/oder die Station permanent berbelegt und personell unterversorgt ist.
4 Lassen Sie sich moralisch nicht unter Druck setzen, immer wieder
einzuspringen.
4 Gehen Sie offensiv mit Mehrarbeit und berstunden um, sprechen
Sie das Thema an und fordern Sie von Ihren Vorgesetzten eine
Lsung dafr.

Dauerbrenner krperliche Belastungen


Wussten Sie, dass Pflegende hufiger schwerer heben als Bauarbeiter
(68% der Pflegenden, 54% der Bauarbeiter)? Dass z. B. Rckenschmerzen wie auch andere Beschwerden durch Muskel- und Skeletterkrankungen in den Pflegeberufen viel hufiger sind als in anderen Berufen?
Oder dass 27% der Pflegenden angeben, oft bis an die Grenzen ihrer
Leistungsfhigkeit gehen zu mssen? Zu diesen Ergebnissen ist nmlich die Bundesanstalt fr Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua)
2007 gekommen [13]. Ganz abgesehen von den gesundheitlichen
Folgen der krperlichen Belastungen fr die Pflegenden, knnen
falsche Hebetechniken zum Beispiel auch ein Risiko fr die Patienten
sein, wenn etwa beim Lagern von Bettlgerigen dadurch Scherkrfte
entstehen, die die Dekubitusgefahr an den aufliegenden Krperteilen
erhhen. Deswegen:
4 Nutzen Sie die zur Verfgung stehenden Hilfsmittel. Auch dann,
wenn die Zeit knapp ist.
4 Lassen Sie sich zeigen, wie Hilfsmittel richtig und das heit z. B.
rckenschonend eingesetzt werden.
4 Geben Sie unverzglich an Ihre Vorgesetzten weiter, wenn Hilfsmittel defekt sind oder sogar fehlen.
4 Nehmen Sie an Fortbildungsveranstaltungen, die schonende Arbeitsweisen zum Thema haben, teil.
4 Nehmen Sie Ihre Gesundheit ernst (7 Top im Job: Nicht rgern, ndern)!

32

Kapitel 3 Hohe Arbeitsbelastungen: Was Sie tun knnen

Psychische Belastungen
Hoher Arbeits- und Leistungsdruck, hohe Anforderungen an sich
selbst (z. B. niemals Fehler machen zu drfen), eine fehlende Fehlerkultur und Spannungen im Team knnen ebenso Quellen fr psychische Belastungen sein wie die Konfrontation mit dem Leid anderer.
Den Kummer einfach herunterzuschlucken, ist auf Dauer aber keine
Lsung! Deswegen:
4 Treten Sie im Team dafr ein, dass die psychischen Aspekte der
Arbeit nicht unter den Tisch gekehrt werden. ber eigene Hilflosigkeit und Leiden am Leiden anderer muss man sprechen knnen.
4 Fordern Sie Fallbesprechungen und Supervisionen ein, wenn sie
noch nicht zu Ihrem Pflegealltag gehren.
4 Tauschen Sie sich im Team ber Ihr Berufsverstndnis aus: Was
sind Ihre Werte? Welche Konflikte knnen dadurch entstehen? etc.

3.3

Darber reden heit nicht petzen

Gerade wenn man noch Lernender ist und noch nicht so sattelfest
fllt es schwer, auf die genannten Dauerbrenner-Probleme, aber auch
genauso auf die psychischen Herausforderungen eine eigene Antwort
zu finden. Eine Antwort, die nicht so ausfllt, dass man, z. B. aus Angst
vor schlechten Noten halt mitmacht. Denn alle genannten Probleme
knnen dazu beitragen, dass auch die Qualitt der Ausbildung leidet.
Unter Druck und ohne Pause knnen Arbeitsschritte oft nicht genauso
gezeigt und erklrt werden, wie das in der Ausbildung ntig ist. Wenn
man sich selbst fachlich noch nicht fit fhlt, neigt man ganz schnell
dazu, etwas als eigenes Versagen zu deuten, nur weil man es noch nicht
kann. Bitte bedenken Sie, dass Sie ein Recht auf eine gute Ausbildung
haben. Und das bedeutet auch, dass die examinierten Kollegen sich fr
Sie Zeit nehmen knnen. Sprechen Sie die Stationsleitung auf Ihre
Beobachtungen an. Teilen Sie Versorgungsengpsse auch in Ihrer
Schule/Hochschule mit. Auch wenn Sie das Gefhl haben, pflegerische
Aufgaben erfllen zu sollen, auf die Sie nicht vorbereitet sind, oder

3.3 Darber reden heit nicht petzen

33

wenn Sie erleben, dass Pflegestandards, wie Sie sie in der Schule lernen,
in der Hektik des Stationsalltages unterlaufen werden. Mit Petzen
hat das nichts zu tun, denn es geht letztendlich um die verantwortungsvolle Betreuung von Patienten und das Vermeiden von Fehlern.
Fazit
4 Hohe Arbeitsbelastungen, fehlende Pausen, berstunden, die sich
anhufen, psychische Belastungen und Zeitdruck sind Faktoren,
die es schwierig machen, Pflegestandards immer einzuhalten. Das
geht nicht nur zu Lasten der Patienten und erhht das Risiko fr
Fehler, es tut auch den Pflegepersonen nicht gut. Verschweigen,
aushalten, Augen zu und durch das sind keine Lsungen! Verantwortung als Pflegeperson bernehmen heit auch, Defizite offen
anzusprechen, Missstnde zum Thema zu machen und gemeinsam
nach Lsungen zu suchen.

O Meine Geschichte: Rolf Hfert


Geschftsfhrer des Deutschen Pflegeverbandes e.V. (DPV)
Mein falsch eingesetztes Helfersyndrom machte mich zum Tter
Es war die letzte OP an einem langen Arbeitstag. Die Patientin, Mitte
70 und sehr kachektisch, hatte gerade eine Schenkelhalsoperation
hinter sich und befand sich, eingespannt auf dem Extensionstisch und
sehr unbequem, noch in der Aufwachphase. Offensichtlich tolerierte
sie den Tubus immer weniger. Alle riefen nach dem OP-Pfleger, aber
der kam nicht. Die Frau tat mir leid: Auf dem Extensionstisch zu liegen,
das tut schon beim Zusehen weh, wie unangenehm musste es erst
sein, selbst darauf zu liegen?!? Weil der OP-Pfleger nicht beikommen
wollte und ich, bevor ich als Ansthesiefachkraft ttig wurde, schon als
OP-Pfleger gearbeitet hatte, betrat ich kurz entschlossen den OP-Bereich. Untersttzt von dem Oberarzt, der das Bein der Patientin hielt,
schnitt ich beim Gipsspalten der Lnge nach von der Kniescheibe bis
fast zur Leiste auf. Von der Schnitttechnik her vllig korrekt aber was
wir beide, der Oberarzt und ich, nicht bedacht hatten, war der kachektische Zustand der Patientin. Anstatt die Gipsstanze ber einen Spalt
zwischen Oberschenkel und Gips einzufhren, fdelte ich sie in eine
Hautfalte der alten Dame ein und durchtrennte ihr dadurch die Haut
bis zum oberen Rand des Gipses. Da keine Schmerzenslaute vernehmbar waren und die Patientin schon vorher intensiv auf dem Tubus
gekaut hatte, war nicht zu unterscheiden, ob das Abwehr gegen den
Tubus oder gegen den Schnitt war. Als klar wurde, was passiert war,
wurde die Wunde umgehend genht und mit Antibiotika versorgt.
In den darauffolgenden Tagen besuchte ich die Patientin tglich
in ihrem Zimmer, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging und
sich nicht am Ende noch die Wunde infizieren wrde. Rechtliche Konsequenzen ergaben sich daraus weder fr mich noch fr den Oberarzt
im Gegenteil: Die Patientin nahm es mit Humor und war stolz, eine
viel lngere Narbe als ihre drei Zimmernachbarinnen vorweisen zu
knnen.

35

Die richtige Technik allein gengt nicht


Der Oberarzt und ich diskutierten noch lange, was unser Fehler gewesen war: Zwar war die Schnitttechnik einwandfrei, da die Patientin
aber sehr dnn war, htte ihr Bein whrend des Schnittes anders gehalten werden mssen am Oberschenkel und nicht am Fu. So htte
man sicherstellen knnen, dass zwischen Haut und Gips gengend
Freiraum ist, um mit der Gipsstanze nicht die Haut zu verletzen.
Mein Resmee: Pflegestandards sind unabdingbar
Um die Patientin auf dem Extensionstisch nicht unntig leiden zu
lassen, ist ein Fehler unterlaufen, der auch einen Mangel an Professionalitt offenbart: In dem Wunsch, rasche Hilfe zu leisten, haben
wir dem Zustand der Patientin nicht gengend Rechnung getragen.
Die Hautfalte aufgrund ihres kachektischen Zustandes war geradezu
prdestiniert, einem Schnitt durch den Gips im Wege zu sein. Pflegestandards, die das Risikomanagement miteinschlieen, sind unabdingbar mssen natrlich erfllt sein und auch unter Druck greifen.
Sie fehlten damals vor 30 Jahren. Unser Druck war, wie so oft, ein
mehrfacher: Da war die Patientin in der Aufwachphase, die durch ihr
Kauen auf dem Tubus bereits Unbehagen signalisierte, der eigentlich
zustndige OP-Pfleger, der nicht greifbar war, die Erschpfung seitens
des Personals einschlielich des Oberarztes und der Wunsch, schnell
zu helfen.
Was man damals vor ber 30 Jahren lernte war, wie man etwas
korrekt tut. Was man nicht lernte, waren auf unterschiedliche Situationen angepasste Pflegestandards. Dass man zum Beispiel nach
einer Oberschenkelhals-OP den Gips bei einem kachektischen Patienten etwas anders spalten muss als bei einem normalgewichtigen
das muss man intus haben, es muss einem in Fleisch und Blut bergegangen sein, damit man es im Ernstfall abrufen kann. Risikomanagement ist daher ebenso wichtig wie das Erlernen der Pflege,
denn nur dann kann man sich nicht nur verantwortlich fhlen, sondern auch verantwortlich handeln.

36

Kapitel 4 Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen

Reaktionen von Pflegenden


auf ein Fehlergeschehen
Henning Cramer, Monika Habermann
Bis vor kurzem lagen kaum empirische Erkenntnisse ber Einschtzungen von Pflegenden in Deutschland zum Thema Fehler vor. Eine
Untersuchung des Zentrums fr Pflegeforschung und Beratung der
Hochschule Bremen (ZePB) unter der Leitung von Prof. Dr. Monika
Habermann hat diese Lcke nun geschlossen (Pflegefehler, Fehlerkultur
und Fehlermanagement in stationren Versorungseinrichtungen, s. a.
www.zepb.de): Im Jahr 2007 wurden mit 18 Pflegenden aus Krankenhusern und Pflegeheimen teilstrukturierte Interviews zu verschiedenen
Aspekten von Pflegefehlern, Fehlerkultur und Fehlermanagement in
stationren Versorgungseinrichtungen gefhrt. Ein Jahr spter wurden
1.100 Pflegende aus 30 Krankenhusern und 46 Pflegeheimen mit einem
umfangreichen Fragebogen zu ihrer Meinung zum selben Thema befragt
(ebd.). Es liegen nun Ergebnisse vor zu Fragen
4 der Einschtzung von Fehlern,
4 des Umgangs mit Fehlern und
4 nach den Folgen von Fehlern in der Pflege.
Der Teil der Ergebnisse, in dem nach individuellen Reaktionen und
allgemeinen Folgen von Fehlern gefragt wurde, wird in diesem Beitrag
vorgestellt. Er gibt Einblicke, wie Pflegende Fehler erleben und an
welche Folgen sie sich in diesem Zusammenhang erinnern.

4.1

ngste, Stress und Sorgen im Umgang mit Fehlern

In den Interviews wurden die Pflegenden u. a. gefragt, ob sie persnlich


ngste haben, Fehler zu begehen. Generell scheint dies eher nicht der
Fall zu sein. Angst und deren Begleiterscheinungen treten allerdings vor

4.1 ngste, Stress und Sorgen

37

allem dann auf, wenn ein Fehler schon einmal vorgekommen ist und
die betreffende Person sich dadurch in ihrer Routine und Sicherheit erschttert sieht: Knnte der Fehler ein zweites Mal passieren? Warum
konnte der Fehler berhaupt passieren? Ist man immer ausreichend
konzentriert genug? Solche Fragen beschftigen Pflegende dann lnger
und knnen auch zu Beeintrchtigungen der alltglichen Arbeitsgestaltung fhren. Als Beispiel seien hier 2 Interviewausschnitte angefhrt:
Zum Beispiel mit Medikamenten. Wir stellen die nachts und manchmal wirklich zwischen Tr und Angel und brauchen 2 Stunden dafr,
weil wir stndig zur Klingel mssen oder so etwas. Dann passiert es
schon mal, dass du etwas falsch stellst. Davor habe ich natrlich Angst.
Aber ich versuche, mich da nicht mehr so reinzusteigern wie frher.
Frher habe ich Phantasien entwickelt, ganz toll, aber das will ich
nicht. Ich will keine schlaflosen Nchte deswegen.

Eine andere Person beschreibt den Sachverhalt folgendermaen:


Natrlich hatte auch ich Gedanken wie: Mein Gott, nur keinen Fehler
machen! Aber ich denke, wer so arbeitet, macht gerade Fehler. Er lebt
in einer Angst, hat Angst zur Arbeit zu kommen und ist dann nicht einsetzbar. Er geht psychisch kaputt. Und das ist nicht gut fr die Arbeit.

Distanz schaffen schon in der Sprache


Hufig kommt es vor, dass Pflegende wie in dem oben zitierten Interviewausschnitt Zuflucht zu einer eher unpersnlichen Beschreibung
nehmen wie Er lebt dann in einer Angst. Fehler stellen sich auch
in der Forschung als eine Mglichkeit des Alltagslebens dar, der man
eher distanziert begegnen mchte. Konkreter wird eine Pflegende in
folgendem Interviewabschnitt:
Eine Kollegin hat im Rahmen unserer Supervision mal geuert, dass
sie Angst hat, dass ihr ein Fehler passiert. Und das hat mich ganz schn
erschrocken, weil ich fr mich so eigentlich nicht wahrnehme, dass ich
da stndig mit einer Angst herumlaufe, dass ein Fehler passieren
knnte. Und ich glaube, das setzt ganz schn unter Druck.

38

Kapitel 4 Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen

Auch die folgende Interviewpassage zeigt, wie die Angst vor dem Fehler persnlichen Stress im Arbeitsalltag aufbauen kann.
Was ich auch schon mal mache, ist so eine Mehrfachkontrolle. Dass
ich mir dann pltzlich nicht sicher bin: Hab ich das jetzt wirklich gemacht? Dann geh ich noch mal hin und schau nach. Ja, ist ok, hab
ich. Und dann zwei, drei Stunden spter fllt mir dieser Punkt pltzlich noch einmal ein, und ich denke: Oh nee doch. Nee. Nee, du bist
da gewesen. Oder? Geh lieber noch mal gucken.

Aus Angst passieren noch mehr Fehler


ngste sind aber nicht immer konkret benennbar, wie z. B. die oben
angefhrte Angst einer Pflegenden, sich beim nchtlichen und oft
unterbrochenen Medikamentenstellen zu irren. Sie sind vielmehr oft
diffuser Art und richten sich z. B. allgemein auf den Verlust des Arbeitsplatzes oder auf die Gefhrdung der Bewohner/Patienten, die aus
einem persnlichen Fehler resultieren knnte:
Viele haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Ich finde, dass es bis vor
fnf, sechs, sieben Jahren ganz anders war. Seit Kostenprobleme auf
dem Haus lasten, sind viele wirklich ganz ngstlich. Ich glaube, durch
diese Angst passieren noch mehr Fehler.

ngste auch bei Leitungsaufgaben


ngste werden auch bei der Erledigung von Leitungsaufgaben deutlich.
So erzhlte eine Pflegende, die mit dem Anfertigen des Dienstplans
betraut war, dass sie hufig von ngsten heimgesucht werde, obwohl
alles richtig bedacht sei und der Plan die notwendige Pflege auch gewhrleiste. Auch Pflegende in diesen Positionen erleben hier zuweilen
erheblichen inneren Druck, der sie bis in die Freizeit verfolgt und sie
stndig berlegen lsst, ob denn nun alles auch angemessen geregelt sei.

4.1 ngste, Stress und Sorgen

39

Und was, wenn ein Fehler passiert ist?


In der Fragebogenerhebung gab ein Viertel (23,4%, n=1.100) der
Pflegenden an, nach einem Fehler Angst gehabt zu haben, dass ihnen
dieser noch einmal passiert, und 15,5% meinten, dass ein Fehler sie im
Nachhinein unsicher gemacht habe. Die Angst vor beruflich-rechtlichen Folgen wurde allerdings eher selten im Fragebogen angekreuzt.
Nur 2,2% im Krankenhausbereich (n=724) und 4,3% im Pflegeheim
(n=376) berichteten dieses.
Fragt man nicht nur nach ngsten, sondern bezieht auch
weichere, unbestimmtere uerungen im Sinne von allgemeinem
Stress und Sorgen in das Antwortverhalten mit ein, ergibt sich ein
deutlicheres Bild einer Belastung in der Fragebogenstudie: Mehr als die
Hlfte (52,6%) der Teilnehmer gaben an, dass sie ein Fehler schon einmal aufgeregt, gestresst oder gergert htte.
ber Sorgen, eine unbestimmte Unruhe oder auch Stress im
Kontext eines Fehlergeschehens berichteten auch einige der interviewten Pflegenden. Verbunden mit einer hohen Arbeitsbelastung wird dies
z. B. hinsichtlich der bergabe an eine Nachtwache berichtet. Fehlerbezogene Sorgen und Stress knnen sich nmlich auch ganz allgemein
auf die Gewhrleistung einer guten Pflege beziehen:
Es ist eher das Gefhl, in harten Zeiten, zu denen wir viele Frischoperierte haben, bei denen zum Beispiel halbstndlich Protokoll gefhrt werden muss, dass ich das nicht schaffe. Ich kann dann wirklich
nur das Ntigste machen. Das finde ich schon belastend, auch gerade,
wenn man an die Nachtwache abends dann bergeben muss. Und
die steht dann allein vor diesem ganzen Berg. Dann macht man sich
schon Sorgen oder denkt: Mein Gott, dem Patienten geht es jetzt so
schlecht, wie wird das aussehen, wenn wir morgen frh kommen? Ist
da was passiert? Man schafft es ja kaum zu viert. Das finde ich schon
belastend.

Ein hoher Arbeitsanfall wurde dann auch von mehr als zwei Dritteln
(69,5%) der TeilnehmerInnen der Fragebogenbefragung als eine der
Hauptursachen von Pflegefehlern angesehen.

40

4.2

Kapitel 4 Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen

Ethische Konflikte

Sorgen bereiten auch ethische Konflikte und die Frage, wie diese denn
angemessen zu lsen seien:
Eine Patientin hatte dann irgendwann einen Dekubitus. Irgendwann
hatte sie [die Kollegin] dann auch gesagt, die Patientin lsst sich nicht
mehr lagern, und das haben die anderen dann auch so hingenommen. Beim Lagern hat man natrlich auch die Haut dann inspiziert,
und da war dann recht schnell ein Dekubitus entstanden, ein sehr
schlimmer Dekubitus. Gut, das musste dann einem Oberarzt gesagt
werden und der Pflegedienstleitung und da gab es ein groes Trara.
Die Folge war, dass die Patientin gegen ihren Willen gelagert wurde.
Da ist dann so ein Zwiespalt. Es gibt ja auch Patienten, die irgendwelche Dinge ablehnen, obwohl sie wissen, dass es jetzt wirklich
wichtig ist, und auch durch berzeugungskraft kann man da wirklich
nichts erreichen. Das ist auch ein Zwiespalt, der schon belastend sein
kann. Wenn man wei, es kann etwas passieren, und es passiert auch
was, und der Patient ist nicht einsichtig.

Groe Sorgen bereitet insbesondere auch ein Fehler, dessen Ausgang


man noch nicht kennt und den man dann abwarten muss, wie folgende
Interviewsequenz exemplarisch erlutert:
Das war eine Patientin, die hatte schon ziemlich viel Pech whrend
ihres Krankenhausaufenthaltes. Sie ist gekommen, weil ihre Gebrmutter herausgenommen werden sollte, und unter der OP haben sie
den Darm so angeritzt, dass sie einen Anus-praeter-Beutel brauchte.
Sie hat dann noch einen MRSA-Keim gehabt und kam dann zu uns in
die Reha. Und der ganze Bauch war auf, war vorher gesplt worden
und dieser Anus praeter, der passte nicht auf die Bauchwunde oder
hielt nicht auf dem Bauch, weil da Lsionen waren. Und die Patientin
tat mir mit ihrem ganzen Krankheitsbild und ihrem ganzen Leiden
tierisch leid. Sie hatte einfach so mein Mitgefhl, sagen wir mal so.
Und dann ging es ihr zwischendurch ziemlich dreckig. Sie musste sich
6

4.2 Ethische Konflikte

41

immer wieder bergeben, hatte morgens Nahrungskarenz, und dann


ist mir im Laufe des Nachmittags aufgefallen, dass sie kaum ausscheidet. Ich habe dann einen Internisten angerufen die Krea-Werte
waren alle erhht. Sie sollte aber nicht auf die Intensivstation. Und
dann haben wir ein groes Infusionsprogramm laufen lassen und
immer ordentlich Lasix gespritzt, um die Nieren wieder in Gang zu
kriegen. Und abends sagte sie dann, dass sie Hunger hatte auf eine
Stulle Weibrot, und die habe ich ihr gegeben. Tja.
(Interviewerin) Obwohl nchtern angeordnet war?
Ja, Nahrungskarenz, genau. Das hatte ich im Umgang mit der Niere
vllig ausgeblendet, hab das dann dem Internisten auch gesagt. Das
hatte erstmal keine Konsequenz. Ich habe mir halt schon Sorgen gemacht. Und dann kam ich am nchsten Tag zum Dienst, da kam meine
Kollegin mit so einem Gesicht und sagte, dass jemand gestorben ist.
Und ich habe dann natrlich gedacht, es wre DIE Patientin gewesen.
Da ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Aber sie war es nicht, und sie
hat dann auch mehr als fnfzig Milliliter ausgeschieden, das hatten wir
hingekriegt. Aber da hab ich mir schon Sorgen gemacht.

Fehler als Versagen im Job


Direkt im Anschluss an die soeben wiedergegebene Passage kommt die
Pflegende auf einen weiteren wichtigen Aspekt zu sprechen, der auch
in anderen Sequenzen und Zusammenhngen eine Rolle spielte: Das
Gefhl beruflicher Inkompetenz infolge eines Fehlers. Befragt dazu,
was der Pflegenden nach diesem fr sie doch dramatischen kurzen
Moment der vermeintlichen Schuld an dem Tod einer Patientin durch
den Kopf gegangen sei, meint diese:
Ich glaube, ich knnte da schlecht mit umgehen, wenn das so wre.
Ich wsste jetzt nicht, wie ich da berhaupt mit umgehen kann. Wenn
ich wirklich richtigen Schaden anrichte, ich glaube, dann wrde ich
meinen Beruf an den Nagel hngen.

42

Kapitel 4 Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen

Das Gefhl, nach einem Fehlerereignis im Job versagt zu haben, wurde


auch von vielen TeilnehmerInnen der Fragebogenerhebung angegeben
(18,2%). Auch die Frage, ob sie sich ber die Arbeit hinaus generell als
Person in Frage gestellt htten, wurde von immerhin 8,6% bejaht.

4.3

Leitungsverantwortung und persnliche Reaktionen


auf Fehler

Der Leitung einer Pflegeeinrichtung, einer Abteilung oder Arbeitsgruppe kommt eine wichtige Aufgabe zu, wenn es um die persnliche
Belastung durch Fehlergeschehen geht sei dieses nun selbst verschuldet oder beobachtet bei Kollegen. Ein wichtiger Hinweis auf diese
Verantwortung der Leitung und ihre hohe Bedeutung des erlebten oder
antizipierten Umgangs mit Fehlern findet sich in der Schilderung der
Vertuschung eines Fehlers. Dies geht einher mit erheblichen Sorgen
und ngsten, die um das eigene Wohlbefinden und die Gefhrdung
einer Patientin kreisen:
Frher mussten die Frauen, bevor sie eine Chemo kriegten, Sammelurin abgeben, auch Kreatinin-Clearance. Und die Frau es war eine
Privatpatientin hat vierundzwanzig Stunden gesammelt, und ich
habe den Urin abgemessen, spezifisches Gewicht und [schnalzt mit
der Zunge] ab ins Becken. Und wo ist der Urin fr das Labor? Ich bin
dann hingegangen und habe gesagt, es reicht nicht, ich brauche noch
einen Becher voll. Und der wre dann natrlich vllig verflscht. Dann
bin ich ins Wochenende gegangen und habe geschwitzt ohne Ende,
habe so eine Angst gehabt, wenn die jetzt ihre Chemo kriegt und mit
den Nieren ist irgendetwas nicht in Ordnung, dann hast DU Schuld.
Und dann komme ich am Montag rein und die Frau sagte zu mir: Wir
beide haben ein kleines Geheimnis. Sie wusste das ganz genau, die
war auch ganz plietsch [Norddeutsch fr aufgeweckt, gescheit,
Anmerkung der Autoren] und meinte, das sei ja auch kein Wunder.
Aber ich habe eine Angst vor unserer Leitung gehabt. Die hat immer
6

4.4 Folgen eines Fehlergeschehens

43

so alle viertel Jahr jemanden auf dem Kieker gehabt. Und in dem
Moment war ich diejenige welche. Und da htte ich gedacht: Das
hltst du nicht aus, wenn du ihr das jetzt sagst. Dann kann ich meine
Sachen packen und gehen. Ich habe trotzdem eine Wahnsinnsangst
gehabt, und die anderen haben gesagt: Ja, das ist mir auch schon
passiert, ich habe gesagt, der Urin ist ins Labor gegangen, und wenn
die den verschludern, dann ist das doch nicht mein Bier. Auf die Idee
wre ich nie gekommen. Ich habe mich ganz ganz lange nicht getraut,
das laut zu sagen, dass mir das passiert ist.

4.4

Folgen eines Fehlergeschehens


in der Fragebogenerhebung

Im Fragebogen wurde noch nach weiteren Folgen fr Pflegende gefragt. Diese sind weniger stark als die bereits geschilderten und
knnten sogar als normale oder natrliche Folgen bei einem Fehler
charakterisiert werden: Bedauern und Scham. Der Anteil der TeilnehmerInnen, die diese Folgen von Pflegefehlern bereits einmal durchlebt haben, ist zumindest beim Bedauern hher als derjenige der Befragten, deren Fehler oben genannte Konsequenzen hatten (. Abb. 4.1).
Interessant ist auch, dass diese Folgen sowie Aufregung, Stress,
rger von Befragten aus dem Krankenhaussektor allesamt hufiger
angegeben wurden als von solchen aus dem Pflegeheimbereich.
In der Fragebogenerhebung gaben darber hinaus 14,9% der TeilnehmerInnen an, bereits einmal unter Schlafstrungen aufgrund eines
Fehlers gelitten zu haben. Andere krperliche Symptome wie Kopfschmerzen etc. wurden auch in den Interviews nicht erwhnt.
Fehler haben aber nicht nur negative Folgen. Aus Fehlern wird man
klug, und so wurde im Fragebogen auch gefragt, ob die Befragten schon
einmal aus einem Fehler etwas fr ihren Beruf gelernt htten oder vielleicht sogar persnlich gewachsen seien. Ein Lernen aus Fehlern hatte
bei gut der Hlfte der Befragten stattgefunden (51,5%), und fast ein
Viertel (24,4%) gab an, als Person gewachsen zu sein. Die Ergebnisse der
Fragebogenbefragung sind zusammengefasst in . Abb. 4.1 ersichtlich.

44

Kapitel 4 Reaktionen von Pflegenden auf ein Fehlergeschehen

. Abb. 4.1. Folgen von Fehlern fr Pflegende (n=1.100).

Fazit
4 Pflegefehler haben teilweise massive Folgen fr diejenigen
Pflegenden, denen sie unterlaufen. Die hohen Anforderungen und
das potentielle Leid, das ein Fehler auslst, machen den TeilnehmerInnen beider Untersuchungsteile mitunter schwer zu schaffen.
4 Das Arbeitsumfeld ist nicht immer so gestaltet, dass es Pflegende,
die einen Fehler begehen, auffngt. Hufig herrscht eine negative
Fehlerkultur vor, so dass dem Pflegenden dann oft die alleinige
Schuld zugeschoben wird. Dabei ist lngst klar, dass organisatorische Fehler, die Pflegende hufig gar nicht beeinflussen knnen,
Fehler an der Pflege-Front sehr oft begnstigen, ja Pflegende
regelrecht in Fehler treiben.
4 Die Entwicklung eines positiven Umgangs mit Fehlern ist eine der
grten Aufgaben, denen sich ein Fehlermanagement-System
gegenber sieht. Viele Pflegende gaben an, aus einem Fehler gelernt zu haben. Notwendig ist aber nicht nur das persnliche Lernen:
Die Etablierung einer Lernkultur, von lernenden Organisationen ist
auch mit Nutzen fr die Patienten/Bewohner dringend notwendig.
Ebenso muss ein offener, nicht-strafender Umgang mit Fehlern in
der Pflege erreicht werden, um die geschilderten, oft schwerwiegenden Folgen von Fehlern fr Pflegende abzuwenden.

45

O Meine Geschichte: Heiko Rutenkrger


Leiter des Fachbereichs Pflege im Kuratorium Deutsche Altershilfe
Ich htte den Mut haben sollen, mich zu irren. Stattdessen habe
ich die Situation heruntergespielt
Als ich whrend meiner Abendrunde bei der Klientin eintraf ich war
damals Altenpfleger bei einem ambulanten Pflegedienst bemerkte
ich die Vernderung sofort. Normalerweise war das Waschen, Betten
und Lagern der netten alten Dame, die schon seit vielen Jahren von
diesem Pflegedienst betreut wurde, eine schwierige Pflegehandlung:
Ihr fortgeschrittener Parkinson, der auch die Ursache fr ihre Bettlgerigkeit war, hatte zu starken Spastiken gefhrt, die ihre Versorgung
schwierig machten. Heute dagegen war sie vllig schlaff, Arme und
Beine hingen kraftlos und ohne jede Spannung einfach so herab.
Trotzdem machte ich sie wie gewohnt frisch und wusch, bettete und
lagerte sie wie sonst fr die Nacht, verabschiedete mich und ging.
Und das war ein sehr groer Fehler.
Ich htte Kontakt zu den Angehrigen aufnehmen mssen
Als meine Kollegin die Klientin am anderen Morgen aufsuchte, war sie
bereits verstorben. Allein. Ohne ihre Angehrigen, die Nichte und den
Neffen, zu denen sie ein sehr inniges Verhltnis hatte und die sie alle
zwei, drei Tage besucht hatten. Diesen Fehler, fr den ich keine Entschuldigung habe, trage ich bis heute mit mir herum. Ich htte unbedingt Kontakt mit den Angehrigen der alten Dame aufnehmen sollen, sagen, dass die Vernderungen, die ich beobachte hatte, mglicherweise ein Hinweis auf den beginnenden Sterbeprozess wren. Ich
habe es nicht getan. Denn ich war mir nicht hundert Prozent sicher,
ob meine Beobachtungen wirklich auf einen finalen Sterbeprozess
hinwiesen. Kein Mensch auch kein noch so erfahrener Arzt kann
mit Sicherheit voraussagen, wie der Zustand eines Menschen sich in
fnf Stunden verndert und ob es sich wirklich um einen sterbenden
Menschen handelt.

Anstatt mich mit meinen Kollegen, die ja erreichbar gewesen wren, zu beraten oder mich beim Hausarzt der Patientin rckzuversichern und dann die Angehrigen anzurufen, habe ich die Situation
vor mir heruntergespielt: Du weit ja nicht genau, ob die Frau
wirklich heute Nacht stirbt, versetz die Angehrige nicht unntig in
Aufruhr und warte erst einmal ab. Das war falsch. Ich htte den Mut
haben mssen, mich mit der Beurteilung dessen, was ich sah, mglicherweise zu irren. Htte den Mut haben mssen, meine Kollegen
zu involvieren, anstatt die Symptome herunterzuspielen. Heute wei
ich, dass man eine zweite Meinung einholen und den Mut zum Risiko
haben muss, eine Situation auch einmal falsch zu interpretieren.
So musste die alte Dame ihre letzten Stunden allein erleben und
die Angehrigen hatten nicht die Mglichkeit, sich von ihr zu verabschieden.

5.1 Eine Frage der Augenhhe

47

Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik


Marianne Rabe, Judith Borgwart
Ein vertauschtes Tablettenschlchen oder eine falsch beschriftete Infusionsflasche sind ganz offensichtlich Fehler. Die Beziehung zwischen
Patienten und rztlichem bzw. Pflegepersonal birgt jedoch ihrer Grundstruktur nach das prinzipielle Risiko fr Fehler, die vor allem den
Umgang mit (abhngigen) Kranken und Alten betreffen und die im
weitesten Sinn mit der ethischen Grundhaltung der Akteure zu tun
haben. Diese Grundstruktur ist gekennzeichnet von Asymmetrie: auf
der einen Seite der Wissende und Helfende auf der anderen Seite der
Unwissende und Hilfsbedrftige.

5.1

Eine Frage der Augenhhe

Menschen, die aufgrund einer Erkrankung, einer Behinderung oder


ihres Alters die Hilfe anderer in Anspruch nehmen mssen, finden sich
ganz schnell in der Rolle, nicht mehr gleichwertiger Partner und auf
Augenhhe mit ihrem Gegenber zu sein. Sie fhlen sich unterlegen,
abhngig, unwissend und entmndigt. Dass die Gefahr dafr in der
Beziehung zwischen Patienten und Pflege- und rztlichem Personal so
besonders gro ist, hat vor allem zwei Ursachen:
4 Wer krank ist oder in seiner Gesundheit eingeschrnkt, hat vielleicht Schmerzen, fhlt sich unwohl oder sogar schlecht, ist in
seiner Mobilitt eingeschrnkt oder hat Angst. Weil die meisten
Patienten die genauen Zusammenhnge und Grnde fr ihr Kranksein nicht kennen, macht sie das zustzlich unsicher und hilflos.
Dann noch in ein Krankenhaus oder eine andere stationre Einrichtung zu kommen, in der man sich nicht auskennt, die einem
vllig fremd ist, kann Gefhle von Orientierungs- und Hilflosigkeit

48

Kapitel 5 Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik

auslsen. Hinzu kommt, dass Krankheit zumeist eine aueralltgliche Erfahrung ist. Man hat sie nicht schon x-mal durchgemacht
und seinen Weg, damit umzugehen, gefunden. Alles ist neu.
4 Das Personal im Krankenhaus kennt sich aus. Es wei nicht nur,
wo die Patiententoiletten sind oder die Rntgenabteilung, wann
es Essen gibt und um welche Uhrzeit gewhnlich die Visite ist, es
kennt und bestimmt auch die Ablufe, wei, wer die schichtfhrende Krankenschwester ist, wann Blut abgenommen wird und welcher Arzt wofr zustndig ist. Und das verleiht Macht.
Diese Asymmetrie zwischen einem Gesundheitsberufler und einem
Patienten verleiht aber nicht nur Macht, sondern erfordert viel mehr
die Fhigkeit, mit dieser prinzipiellen Asymmetrie zum Wohle des
Patienten umgehen zu knnen. Dazu braucht es neben persnlichen
Eigenschaften wie der Fhigkeit zur Selbsterkenntnis oder einem angemessenen Umgang mit den eigenen Gefhlen eine professionelle
Grundhaltung als Pflegeperson. Dazu gehren die Berufsethik und die
regelmige ethische Reflexion des eigenen Handelns.
Die Geschichte von Rainer S.: Teil I
Was hat denn der Arzt damit gemeint?
Kurz nach der Arztvisite klingelt der Patient Rainer S. Er sitzt mit fragend-ratlosem Gesicht im Bett und bittet den Pfleger, der auf sein
Klingeln kommt, ihm zu erklren, was der Arzt gemeint habe. Der habe
von so einer Untersuchung gesprochen, und was das denn sei und
ob er jetzt etwas machen msse? Muss ich vorher nchtern sein?
fragt Herr S. und: Wer bringt mich denn dann da hin? Der Pfleger
seinerseits ist etwas genervt, denn der Patient hat ihn von einer Arbeit
weggeholt, nur um zu fragen, was er doch auch den Arzt bei der Visite
htte fragen knnen! Wieso haben Sie denn das bei der Visite nicht
angesprochen?!? ist die gereizte Antwort. Ich wei auch nicht, was
der Arzt da gesagt hat, ich war nicht dabei.
Fr den Patienten ist die Situation ziemlich unangenehm: Die
angekndigte Untersuchung macht ihm gleich in zweierlei Hinsicht
6

5.2 Ethik regelt unser Zusammenleben

49

Angst: erstens frchtet er sich vor einem mglicherweise unangenehmen Ergebnis, zweitens frchtet er sich vor der Untersuchung
selbst, weil er keine Ahnung hat, was auf ihn zukommt. Den Arzt traut
er sich nicht zu fragen, der hat es immer so eilig und auerdem versteht er sein Fachchinesisch nicht. Nun gibt ihm auch noch der Pfleger
zu verstehen, dass er eigentlich keine Zeit fr seine Fragen habe.
Zum Gefhl der Unsicherheit empfindet Rainer S. nun auch ein
diffuses Gefhl von Demtigung und Unterlegenheit. Ein unsicheres
Pflaster, so ein Krankenhaus...

5.2

Ethik regelt unser Zusammenleben

Wer von Moral und Ethik sprechen mchte, kann sich nun nicht
unbedingt auf Vorschuss-Lorbeeren verlassen: den meisten fllt dazu
der Moralapostel ein, der erhobene Zeigefinger oder moralinsauer. Und das nicht ganz zu Unrecht. Denn allzu oft macht man die
Erfahrung, dass der Moralapostel von anderen fordert, was er selbst
nicht zu geben bereit ist.
Tatschlich bestimmen ethische Grundstze Prinzipien und
Werte aber in sehr hohem Ma das Zusammenleben von Menschen
in einer Gesellschaft. Es geht sogar noch weiter: ohne ethisches Verhalten ihrer Mitglieder knnte eine Gesellschaft gar nicht berleben!
Dass man seinem Nachbarn nicht einfach eine Scheibe einschlgt,
einer Hochschwangeren in der U-Bahn seinen Sitzplatz anbietet und
den ausgeliehenen Rasenmher unbeschdigt an seinen Besitzer zurckgibt, sind ungeschriebene Grundstze. Wenn solche Selbstverstndlichkeiten keine bindende Wirkung mehr haben, kommt eine
Gesellschaft insgesamt in Gefahr, aus den Fugen zu geraten.
In der Pflege kranker und alter Menschen kommt dem der Pflege
zugrundeliegenden Moralverstndnis eine ganz besondere Bedeutung
zu. Die Schwche, die Abhngigkeit, das Leiden und die Hoffnungen
der pflegebedrftigen Menschen berhren die zentrale Dimension
unseres Moralverstndnisses und unserer Ethik: Die Wrde des
Menschen.

50

Kapitel 5 Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik

Das Herzstck von Moral und Ethik:


Die Wrde des Menschen
Die Vorstellung davon, was die Wrde eines Menschen ist, ist tief
verankert im abendlndischen Weltbild und hat ihren Ursprung in der
Ethik der Sptantike und in der christlichen Idee, dass Gott den Menschen sich zum Bilde geschaffen habe. Untrennbar damit verbunden
ist die Wrde des Menschen, die ihm zukommt allein, weil er Mensch
ist. Ohne jede Bedingung, ohne jede Voraussetzung, egal was er getan
hat und egal was er ist die Wrde des Menschen ist unantastbar,
so heit es im Grundgesetz.
Vernunftfhigkeit
Wird die Zuschreibung der Wrde vor allem mit der Vernunftfhigkeit des Menschen begrndet, dem Hauptmerkmal, das ihn vor allen
Lebensformen auf der Welt auszeichnet, dann liegt darin bereits eine
potentielle Bedrohung unseres Begriffs von Wrde: denn wie steht
es dann um die Wrde von Menschen, die weniger oder gar nicht vernunftfhig sind Embryonen, ungeborene Kinder, Menschen im
Koma, Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, Verstorbene?
Man braucht nur einen Blick in die Zeitung zu werfen, um zu erkennen, dass Diskussionen hierber in allen Bereichen der Gesellschaft
nicht abgeschlossen sind und immer wieder aufflackern brigens
auch ein Beleg fr zwei Aspekte von Wrde: dass sie im Prozess gesellschaftlichen Wandels immer wieder neu ausgehandelt und definiert
werden muss und dass sie auch immer wieder in Gefahr geraten kann.
Ganz besonders markante Problemfelder sind hier zum Beispiel die
Diskussion um die Stammzellenentnahme von Embryonen oder die
Debatte um die Sterbehilfe, also die Fragen um die Grenzen des
menschlichen Lebens.
Wrde eine Frage der Selbstbestimmtheit
In der Pflege von kranken und alten Menschen ist das Thema Wrde
immer prsent. Auf die Hilfe anderer angewiesen und damit in seiner
Autonomie eingeschrnkt zu sein, empfinden die meisten Menschen

5.2 Ethik regelt unser Zusammenleben

51

als Verletzung ihrer Wrde. Die Intimpflege bei einem Patienten ohne
Sichtschutz zu verrichten oder Stze wie die Galle aus Zimmer 8
untergraben die Wrde eines Menschen weiterhin. Denn sie verletzen
einerseits die ihm zugehrige Privatsphre, anderseits machen sie ihn
zur Nummer ohne Namen, ohne Eigenschaften, ohne Schamgefhl,
ohne Geschichte. Der Patient wird zum Objekt, reduziert auf seine
Krankheit und seine Bedrftigkeit.
Nimmt man das oben genannte Beispiel von Rainer S., der wissen
wollte, welche Untersuchung auf ihn zukommt, kann man sich unmittelbar in sein Gefhl von Unsicherheit, Entwertung und Wrdeverlust
hineinfhlen. Betrachtet man nun die 5 weiteren Prinzipien, die zusammen mit dem Grundsatz der Wrde eine moralische Pflege begrnden, kann man auch verstehen, aus welchen Anteilen sich dieses
Gefhl von Wrdeverlust zusammensetzt
Das Prinzip Autonomie
Autonomie wird im Allgemeinen als das Recht auf Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung verstanden. Diese verkrzte Sicht entspricht nicht ganz dem eigentlichen Wortsinn, nach dem Autonomie
die Selbstgesetzlichkeit eines Menschen meint, der aus freien Stcken
moralischen Grundstzen folgt. Fr die Ethik im Gesundheitswesen ist
das Recht auf Selbstbestimmtheit von groer Bedeutung. Gerade vor
dem Hintergrund der charakteristischen Asymmetrie, in der der Patient der Unwissende und Hilflose und der Gesundheitsberufler der
Wissende und Helfende ist, ist sie potentiell immer bedroht. Zwar
wnschen offiziell alle den mndigen Patienten, wenn jemand aber
wirklich einmal etwas genau wissen will, kritisch hinterfragt oder sogar
ablehnt, gilt er schnell als schwieriger Patient.
Die Geschichte von Rainer S.: Teil II
Der muss jetzt zum CT.
Mglicherweise ist es eine Computertomografie, die der Arzt angeordnet, aber nicht erklrt hat. Dass Herr S. nur nebulse (und falsche)
Vorstellungen davon hat da kommt man in so eine Rhre!, da drin
6

52

Kapitel 5 Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik

ist es so laut, als wrde man neben einem Presslufthammer liegen!


ist die Folge von mindestens 2 Verletzungen seiner Autonomie: Denn
1. muss er und das steht sogar im Gesetz in die Lage versetzt
werden, autonom zu entscheiden, indem er angemessen aufgeklrt und informiert wird, und
2. wurde sein Einverstndnis mit der Untersuchung, deren Ziel und
Zweck er gar nicht verstanden hatte, stillschweigend vorausgesetzt.
brigens: Nicht nur fr rztliche Eingriffe, auch fr Pflegemanahmen
gilt: Sie drfen nur mit Einwilligung des Patienten erfolgen. Viele Pflegekrfte sind sich darber nicht im Klaren, denn sie sind der Auffassung,
da es sich bei der Pflege um die Sicherung menschlicher Grundbedrfnisse handle, sei ein Patient automatisch damit einverstanden.

Prinzip Gerechtigkeit
Auch im Bezug auf das, was gerecht ist, gibt es unterschiedliche Standpunkte: Ist Gerechtigkeit dasselbe wie Rechtmigkeit, also gesetzeskonformes Verhalten? Oder meint Gerechtigkeit, dass alle das Gleiche bekommen? Oder dass alle das bekommen, was sie tatschlich brauchen?
Oder dass alle nur das bekommen, was sie verdient haben?
Die Geschichte von Rainer S.: Teil III
Die Station ist einfach nicht gut besetzt!
Rainer S. hat es sofort bemerkt: Keiner hat Zeit fr ihn. Der Arzt ist in
Eile und der Pfleger schon unterwegs zum nchsten Patienten. Von
beiden htte er gern Auskunft ber die Untersuchung bekommen, die
ihm so viele Bauchschmerzen bereitet. Zur Last fallen mchte er auch
nicht, er sieht ja, wie das Personal rennt. Er versteht: Vor die Alternative
gestellt, mit ihm ein ausfhrliches Aufklrungsgesprch zu fhren
oder einen anderen Patienten zu versorgen, hat sich das Personal fr
das zweite entschieden. Denn schlielich kann sich niemand verdoppeln hier ein Patientengesprch fhren und gleichzeitig dort einen
Verband wechseln. Und Rainer S. geht durch den Kopf, was er neulich
in der Zeitung gelesen hat: Pflegenotstand in deutschen Kliniken
stand da, und Hier ist die Gesellschaft als Ganzes gefordert.

5.2 Ethik regelt unser Zusammenleben

53

Prinzip Dialog
Kommunikation, das Miteinander-Sprechen als Praxis der gegenseitigen
Wrdigung und Wertschtzung ist etwas, was gerade vor dem Hintergrund personeller und zeitlicher Engpsse sehr schnell zu kurz kommt:
Da wird angeordnet, anstatt miteinander zu reden, mitgeteilt anstatt zu
informieren und aufzuklren und durchgefhrt, ohne sich vorher der
Zustimmung des Patienten zu vergewissern. Diese Asymmetrie in der
Kommunikation wird durch Zeit- und Personalnot noch gefrdert und
damit das Gefhl der betroffenen Patienten, als Mensch nicht gesehen
zu werden und mehr eine Nummer, ein Fall zu sein denn eine Person.
Die Geschichte von Rainer S.: Teil IV
Lesen Sie das. Da steht alles drin.
Rainer S. wollte sich ber die bevorstehende Untersuchung informieren und spricht noch einmal den Pfleger darauf an. Wie oft in solchen
Fllen wird auch ihm eine schriftliche Information in die Hand gedrckt
mit dem Worten: Lesen Sie das. Da steht alles drin! Mit Kommunikation hat das nichts zu tun. Vielleicht liest Herr S. das Schriftstck, und
vielleicht versteht er auch den Inhalt. Das ungute Gefhl, abgefertigt
worden zu sein, bleibt. Um Antworten auf Fragen, die er gern stellen
wrde, zu bekommen, muss er wieder nach der Klingel greifen und um
etwas bitten, muss nun seinerseits wieder die asymmetrische Situation
herstellen, in der er der Unwissende ist und der andere der Schlaue.
Und dieser Schlaue hat womglich noch nicht einmal Zeit fr ihn, so
dass Herr S. sich des Gefhls nicht erwehren kann, zu stren und von
Wichtigerem abzuhalten. Also unterdrckt er seine Fragen.
Ein klrendes Gesprch gleich von Anfang an htte Herrn S. in
mehrfacher Hinsicht gut getan:
4 Er htte danach das Gefhl gehabt, Bescheid zu wissen: Das ist
die Untersuchung, und so wird sie durchgefhrt. Bei Fragen htte
er gleich nachhaken knnen, Bedenken wren mglicherweise
leicht auszurumen gewesen.
4 So, in einem partnerschaftlichen Dialog, htte Herr S. gesprt:
Hier werde ich ernst genommen und wertgeschtzt..
6

54

Kapitel 5 Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik

Gut und umfassend informiert htte sich Herr S. guten Gewissens


gegen die Untersuchung entscheiden knnen oder, wie man ihm geraten hat, dafr. In beiden Fllen htte er eine autonome Entscheidung
treffen knnen.

Prinzip Frsorge
Frsorge wird manchmal missverstanden als verkappte Bevormundung.
Das ist Frsorge nicht. Frsorge nimmt Bezug auf die Wrde des Menschen und seine Autonomie. Kurz: Frsorge respektiert die Eigenheiten
des anderen, sie entmndigt ihn nicht. Entsprechend geht eine frsorgliche Pflege nicht am Gepflegten vorbei, sondern bezieht in aktiv mit
ein, verhlt sich solidarisch und ergreift Partei fr ihn, wenn er sich
selbst nicht mehr vertreten kann. Das Spannungsfeld spannt sich auf
zwischen der Autonomie des Pflegebedrftigen und der Frsorge fr
ihn: Nimmt die Frsorglichkeit berhand und missachtet dabei die
Autonomie des Patienten, wirkt sie entmndigend. Wird die Autonomie
allein zum Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungen und fehlt es
an mitfhlender Frsorge, wird Zuwendung kalt und gleichgltig. Am
Bespiel von Rainer S. lsst sich das gut veranschaulichen:
Die Geschichte von Rainer S.: Teil V
Zwingen knnen wir ihn nicht ....
Verunsichert ber Sinn und Zweck der Untersuchung hat sich Rainer S.
am Ende dagegen entschieden, in die Rhre geschoben zu werden.
Okay! sagt sich das Personal, wenn das seine Entscheidung ist
zwingen knnen wir ihn nicht. Und das, obwohl alle Beteiligten
wissen, dass die Untersuchung ber die nachfolgende Therapie und
mglicherweise deren Erfolg entscheidet. Herrn S. jetzt unverrichteter
Dinge nach Hause zu schicken, htte zwar seine Autonomie bercksichtigt, wre aber wenig frsorglich gedacht. Frsorglich wre gewesen nachzufragen, warum Herr S. die Untersuchung ablehnt mglicherweise hatte er nur Angst vor den hllischen Rckenschmerzen,
die er auf sich zukommen sieht, wenn er whrend der Untersuchung
eine halbe Stunde lang auf dem Rcken liegen muss. Und sicherlich
htte man dafr eine Lsung finden knnen.

5.2 Ethik regelt unser Zusammenleben

55

Prinzip Verantwortung
Lange Zeit galt die Pflege als ein Assistenzberuf und Pflegende als eine
Berufsgruppe, die weisungsgebunden handeln. Heute gehrt es zum
professionellen Berufsverstndnis Pflegender, die Verantwortung fr das
eigene Handeln und damit fr die Patienten, die sich ihnen anvertraut
haben, zu bernehmen. Diese besondere Verantwortung ist begrndet in
der Abhngigkeit des Patienten, die unter dem Stichwort Asymmetrie
schon erwhnt wurde. Die Verantwortung grndet sich aber auch auf
das Vertrauen, das der Patient Pflegenden und rzten entgegenbringt.
Ver-antwort-ung ist daher die professionelle Antwort auf krankheitsoder verletzungsbedingte Hilfsbedrftigkeit und entgegengebrachtes
Vertrauen. Man stelle sich vor, eine Pflegeperson hngt einer Patientin
eine Infusion an mit den Worten: Ich wei ja auch nicht, warum Sie die
kriegen, da saust Ihnen der Blutdruck ja gleich in den Keller, aber auf
dem Plan hier steht es so! Wie viel Vertrauen wre hier verspielt, wie
viel Wrde missachtet und wie unprofessionell gehandelt!
Die Geschichte von Rainer S.: Teil VI
Davon wei ich nichts!
Auf Zureden seiner Ehefrau will Rainer S. nun doch das CT machen lassen.
Und nun kommt niemand, um ihn in den Untersuchungsraum zu bringen. Er wartet. Was er nicht wei: Whrend er noch immer ratlos auf der
Bettkante sitzt, klingelt im Stationszimmer das Telefon: Wo bleibt denn
Herr S.?!? Hier ist alles fertig, und wer nicht da ist, ist Herr S.! Am spten
Nachmittag dann schaut ein junger Pfleger bei Herrn S. zur Tr herein:
Morgen um 10 zum CT. Aber darauf habe ich heute gewartet!, antwortet Rainer S. Heute??, fragt der Pfleger. Davon wei ich nichts!
Eine professionelle Dosis Verantwortungsbernahme htte hier
gleich 3 Missverstndnisse ausgerumt bzw. gar nicht erst entstehen lassen:
4 den verpassten Untersuchungstermin,
4 Herrn S. unntze Wartezeit auf eine Untersuchung, die nicht stattfindet,
4 einen Kollegen, der nicht entsprechend informiert ist.
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56

Kapitel 5 Professionelles Berufsverstndnis braucht Ethik

Blo: Wer war verantwortlich dafr?!? Verantwortung kann leicht im


Team verschwinden, wenn nicht jede und jeder eine gute Portion Mitverantwortung fr das eigene Arbeitsumfeld mitbringt.

Die Geschichte von Herrn S. zeigt, wie alltglich Verletzungen aller


ethischen Prinzipien sind. Wie wichtig eine professionelle Grundhaltung und die Mitverantwortung aller Helfenden fr das Geschehen
in der Institution sind, kann man spren, wenn man versucht, sich in
Herrn S. hineinzuversetzen. Nicht aufgeklrt und in Entscheidungen
miteinbezogen, abgefertigt und uninformiert, fhlt er sich wie eine
Nummer, ein Gegenstand, ber den verfgt wird. Professionalitt
kommt nicht ohne Ethik aus. Denn es geht dabei um die Wrde sowohl der Hilfsbedrftigen als auch der Helfer.
Fazit
4 Die prinzipielle Asymmetrie im Verhltnis zwischen wissendem
Gesundheitsberufler und unwissendem Patienten kann durch
ein Verhalten, das ethischen Prinzipien folgt, ausgeglichen werden.
Mit anderen Worten: Wenn die Wrde des Menschen beachtet
wird, die ansonsten in Gefahr geraten kann.

57

O Meine Geschichte: Heiko Dahl


Physiotherapeut, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Manuelle Therapie
im Deutschen Verband fr Physiotherapie Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten e.V. (ZVK)
Irgendetwas stimmt nicht
Irgendetwas stimmt nicht. Mit dieser Bemerkung, dick und unterstrichen in der Krankenakte, schloss eine aufmerksame Kollegin ihre
Bitte, mir einen Patienten einmal genauer anzuschauen. Ich komme
da nicht weiter, hatte sie geschrieben. Und offenbar war sie nicht
die erste, die mit dem Patienten nicht weiter gekommen war. Schon
einige rzte hatte der Mann aufgesucht, keiner hatte ihm helfen
knnen. Diffuse Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsule plagten
den durchtrainierten Mittvierziger einen aktiven Tennisspieler
immer wieder, dazu kamen Schmerzen im Arm, die sich in unregelmigen Abstnden vor allem beim Tennisspielen bemerkbar
machten.
Keine Besserung trotz mehrfach genderter
Behandlungsstrategien
Beschwerden, die im Zusammenhang mit Sport auftreten oder dadurch sogar verursacht werden, sind kein seltenes Phnomen in der
physiotherapeutischen Praxis. Nachdem ich den Patienten sorgfltig
untersucht hatte, begann ich mit der Behandlung. Leider musste ich
mir nach 10 Behandlungen aber ebenfalls eingestehen: Ich kam mit
diesem Patienten nicht weiter. Obwohl ich mehrfach meine Behandlungsstrategie gendert hatte, stellte sich keinerlei Besserung ein.
Die Symptome, unter denen der Patient zu Anfang gelitten hatte,
blieben hartnckig weiterbestehen. Schlielich wendete ich mich
mit demselben Satz, den meine Kollegin in die Krankenakte geschrieben hatte, nach vier Monaten hilfesuchend an den behandelnden Arzt: Irgendetwas stimmt nicht.

Die nun folgenden Untersuchungen fhrten zu einem niederschmetternden Befund: ein Karzinom im fortgeschrittenen Stadium.
Die Brustwirbelsule war stark beschdigt, Metastasen hatten sich
ausgebreitet. Die Therapie, die daraufhin eingeleitet wurde, konnte
den Patienten nicht mehr retten nach einem Jahr verstarb er.
Seitdem habe ich mich oft gefragt, ob alles anders gelaufen wre,
der Patient vielleicht sogar noch leben knnte, wenn ich diesen
drei Worten irgendetwas stimmt nicht in der Karteikarte des Patienten mehr Beachtung geschenkt htte. Heute beziehe ich den
Arzt ganz frh mit ein, wenn ich das Gefhl habe, dass ein Behandlungserfolg zu lange auf sich warten lsst.

6.1 Die 5 wichtigsten Fehler

59

Dekubitusprophylaxe
aber bitte richtig!
Christel Bienstein
Die Bezeichnung Dekubitus fr ein Druckgeschwr leitet sich aus
dem Lateinischen ab decumbere bedeutet so viel wie sich niederlegen und verweist damit auf die hufigste und wichtigste Ursache fr
die Entstehung eines Dekubitus: das lange und womglich bewegungslose Liegen. In der Pflegepraxis hat man dieses zentrale Pflegeproblem
lange erkannt die Zahl der an einem Dekubitus erkrankten Menschen
ist zwischen 2000 und 2008 um die Hlfte zurckgegangen, obwohl die
Zahl der potentiell gefhrdeten Personen gleich geblieben ist [33].
> Geht schnell, sagt viel: der Fingertest!
Beim Lagern eines Patienten bemerken Sie eine gertete
Krperstelle. Bleibt diese Stelle auf Druck mit dem Finger rot, ist
das Gewebe bereits geschdigt! Gesunde Haut wird wei!

6.1

Die 5 wichtigsten Fehler bei der Vermeidung


von Druckgeschwren

Die Vermeidung von Druckgeschwren gehrt zum Alltagsgeschft


der Kranken- und Altenpflege. Trotzdem oder gerade deswegen haben
sich hier eine Vielzahl von Mythen gebildet und gehalten, die dem
Patienten mehr schaden als ntzen. Und Hand aufs Herz: Sind Sie noch
nie einer oder sogar mehreren dieser Empfehlungen, die allesamt
einem Druckgeschwr vorbeugen sollen, begegnet? Hufig sind dann
die entsprechenden Pflegehandlungen zu einem regelrechten Ritual geworden.

60

Kapitel 6 Dekubitusprophylaxe aber bitte richtig!

1. Der Patient muss mglichst weich liegen.


5 Falsch! Je weicher ein Patient gelagert wird, umso weniger gut
kann er sich bewegen. Und Bewegungsmangel frdert die Entstehung von Druckgeschwren.
5 Richtig: Das Gegenteil einer mglichst weichen Lagerung ist
nicht eine harte, sondern eine druckentlastende bzw. -reduzierende Lagerung. Diese sollte
a. die Mobilitt des Patienten nicht einschrnken, sondern
frdern,
b. den Druck mglichst groflchig verteilen und
c. alle 2 Stunden durch eine Positionsvernderung gendert
werden.
2. Fersenschoner schtzen die Fersen.
5 Falsch! Auch der vermeintlich weichste Watteverband kann eine
Ferse nicht vor Dekubitus schtzen.
5 Richtig: Nur die konsequente Freilagerung der Ferse z. B. mit
Hilfe eines zusammengerollten Handtuchs kann einem Dekubitalgeschwr vorbeugen.
Immer beachten: Die Druckentlastung einer bestimmten
Krperregion geht immer mit einer Druckbelastung einer
anderen Region einher. Ziel muss daher stets sein, den Aufliegedruck auf einer mglichst groen Flche zu verteilen.
3. Mit den richtigen Lagerungssystemen liegt der Patient optimal
und braucht ber viele Stunden nicht umgelagert zu werden.
5 Nein! Selbst Spezialsysteme, die optimal auf den Patienten abgestimmt sind, ersetzen nicht das regelmige Umlagern.
Nur wenn der Patient alle 2 Stunden umgelagert wird, knnen
Spezialsysteme dazu beitragen, dass Dekubitalgeschwre vermieden werden. Die (allgemeine) Zeitangabe von 2 Stunden
muss jedoch von Beginn der Positionsvernderung an berprft werden. Denn es kann sein, dass die Position eines Patienten, der z. B. sehr kachektisch ist, hufiger verndert werden
muss.

6.1 Die 5 wichtigsten Fehler

61

> Wichtig ist die sprachliche Vernderung vom Lagerungsplan


zum Bewegungsplan. Der Begriff Lagerung hat lange dazu
gefhrt, dass Patienten mittels Kissen ruhig gestellt wurden.
Gerade dieses ruhige Liegen fhrt aber zu einem Dekubitus.
Bewegung muss das primre Mittel sein!
5 Richtig: Spezialmatratzen fr dekubitusgefhrdete Patienten re-

duzieren bei sachgerechter Anwendung das Risiko eines Dekubitus. Grundprinzip jeder Lagerung ist immer, die Auflageflche
so gro wie mglich zu halten. Besonders das gut gemeinte
Hochstellen des Kopfteils birgt spezielle Gefahren fr den Patienten: die Entstehung von Scherkrften, die das aufliegende
Ges ganz besonders belasten. Gemeint ist damit folgender
Vorgang: Der hochgelagerte Patient rutscht im Bett infolge der
Schwerkraft langsam in Richtung Fuende. Dabei bleibt die
Haut wie an der Unterlage kleben und wird dadurch extrem
strapaziert.
Deswegen: Bei der Hochlagerung auf die Hftbeugung achten.
Das Kopfteil des Bettes muss mindestens 90 cm betragen, weil
der Mensch sich nicht im BWS- oder LWSBereich, sondern
nur im Hftgelenk beugen kann.
Beim Lagern darauf achten, dass der Patient im Bett gewebeund hautschonend nach oben gehoben wird. Schon die Reibung
der Geshaut auf der Unterlage beim Hochziehen des Patienten im Bett ist eine Belastung, die vermieden werden sollte.
Inzwischen verfgen wir ber Bewegungskonzepte, die Pflegende dazu qualifizieren, Patienten ohne Reibungs- und Scherkrfte zu bewegen. Hier hat sich besonders das Konzept der
Kinsthetik bewhrt, das inzwischen in vielen Ausbildungsinstituten vermittelt wird.
5 Vorsicht! Je mehr Lagerungshilfsmittel verwendet werden, umso
weniger kann der Patient sich bewegen.

62

Kapitel 6 Dekubitusprophylaxe aber bitte richtig!

4. Eis und Fn sorgen fr eine optimale Durchblutung


und schtzen so vor Druckgeschwren.
5 Falsch! Dass Eisen und Fnen zu einer besseren Durchblutung
der Krperregionen fhrt, die besonderem Lagerungsdruck
ausgesetzt sind, ist wissenschaftlich widerlegt. Nicht nur, dass es
nicht zu der erwnschten verbesserten Durchblutung kommt
Eis schdigt die Haut sogar und Fnen trocknet sie aus. Im Ergebnis ist die Haut sogar anflliger fr Druckgeschwre!
5 Richtig: Unumstrittenes A&O jeder Hautpflege ist, die Haut vor
Feuchtigkeit Schwei, Urin und Stuhl zu schtzen. Eine
Hautpflege mit Wasser und mglichst unter Vermeidung von
Seife oder Tensiden (hufig in Waschlotionen enthalten) sowie
die Anwendung einer Wasser-in-l-Lotion knnen untersttzend wirken.
5. Sitzringe entlasten das Steibein.
5 Nur bedingt! Denn einerseits entlasten sie zwar das Steibein,
andererseits aber knnen sie dazu fhren, dass sich das Blut in
den Oberschenkeln staut und Gewebe gequetscht wird. Sitzringe fhren zu einem Abschnren der Stei- und Sitzbeinregion und knnen nicht unter dem Gesichtspunkt der Dekubitusvermeidung verwendet werden.
> Patienten sind in sitzender Position eher gefhrdet, einen Dekubitus zu entwickeln, als wenn sie ber mehr Auflageflche verfgen.
Das ist die Herausforderung: zwischen sitzenden und liegenden
Positionen den richtigen Zeitintervall zu finden. Eine jeweilige
berprfung der Haut ist erforderlich.

6.2

Einen guten Job machen, ist nicht alles

Dass personelle Engpsse auf Station und chronischer Personalmangel


zu Lasten der Patienten gehen ist einleuchtend, aber in Deutschland
nicht ausreichend untersucht.

6.2 Einen guten Job machen, ist nicht alles

63

Weniger Pflegekrfte mehr Dekubitalgeschwre


Das IQWiG, das Institut fr Qualitt und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, hat 2006 auf Grundlage internationaler Studien ein
Arbeitspapier verfasst, das sich speziell mit dem Zusammenhang
zwischen Pflegekapazitt und Ergebnisqualitt in der stationren Versorgung befasst. Diesem Arbeitspapier zufolge weisen mehrere Studien
darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Personalsituation eines Krankenhauses und dem Auftreten von z. B. Druckgeschwren. Danach gibt es einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Stunden der amtlich zugelassenen Pflegekrfte pro Pflegetag und dem Auftreten eines Dekubitalgeschwrs [15].
Fazit
4 Mythen zur Vermeidung von Dekubitalgeschwren fhren leider
oft zu deren Entstehung! Die Betreuung gefhrdeter Patienten
verlangt jedoch neben dem richtigen Know-how auch gengend
Zeit fr dessen Umsetzung. Fehlt es an qualifiziertem Personal,
fehlt es auch an Wissen und meist auch an Zeit fr die Durchfhrung. Zu wenig qualifiziertes Personal ist daher ein Risikofaktor fr
die Entstehung von Dekubitalgeschwren.

O Meine Geschichte: Susanne L.*


Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin
Unaufmerksamkeit + schlechte Beschriftung = Verwechslung
Wir, die Schlerin, die ich zu beaufsichtigen hatte, und ich waren
zufrieden, als wir nach Hause gingen: Wieder ein Tag auf Station,
der gut gelaufen war. Bis ich zu Hause dann einen Anruf von Station
bekam: Bei dem Kind, das eine Antibiotikakurzinfusion bekommen
sollte, war anstelle der Kochsalzlsung, mit der das aufgelste Antibiotikum verdnnt werden sollte, Kochsalzlsung mit einem Anteil
Heparin genommen worden! Stutzig geworden war ein Kollege, als
er feststellte, dass etwas von der Kochsalz-Heparin-Lsung fehlte.
Nachdem er hin- und hertelefoniert hatte, war nur noch eine Erklrung geblieben: Das Kind hatte das Heparin bekommen! Und die
Laborwerte besttigten seinen Verdacht: Die Blutgerinnung war deutlich vermindert!
Wie auf heien Kohlen
Am liebsten wre ich sofort zurck in die Klinik gefahren, aber meine
Kollegen beruhigten mich erst einmal, dem Patienten gehe es soweit
gut. Die Stationsrztin sei auch schon informiert und habe sich bereits
mit dem Chefarzt in Verbindung gesetzt. Ich sa wie auf heien Kohlen: Wie hatte das passieren knnen? Ausgerechnet mir, die ich sonst
lieber zweimal zu viel kontrolliere als einmal zu wenig. Zwar war es
die Schlerin gewesen, die zu der falschen Lsung gegriffen und sie
auch beschriftet hatte, aber ich hatte daneben gestanden, hatte die
Aufsichtspflicht. Also war es mein Fehler! Ich hatte der Schlerin an
sich zu Recht vertraut, denn sie ist sehr gewissenhaft, aber ich htte
trotzdem berprfen mssen, was sie tat. Und ich wusste: Die Flschchen mit der Kochsalzlsung und die mit Heparin sehen praktisch
identisch aus. Nur ein winzig kleines Etikett auf der Heparinflasche
machte da den Unterschied und das ist zu wenig!

65

Tatschlich ist das Kind nicht ernsthaft zu Schaden gekommen.


Den Eltern wurde erklrt, dass sie in den nchsten 24 Stunden aufpassen sollten, dass ihr Kind sich nicht stt, und auch warum. Diese
offene Art, mit einem Fehler, der nun einmal passiert war, umzugehen, hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass die Eltern relativ gelassen darauf reagieren konnten.
Guter Umgang mit dem Fehler und auch eine Lsung dafr
Im Anschluss an dieses Ereignis, das ja glcklicherweise glimpflich
ausgegangen ist, hat das Qualittsmanagement unserer Klinik eine
Besprechung einberufen. Dabei sind wir noch einmal dezidiert durchgegangen, wie es zu der Verwechslung der beiden Flschchen hatte
kommen knnen und wie man das in Zukunft vermeiden konnte. Ergebnis: Heparinflschchen werden seitdem mit einem groen roten
Aufkleber versehen, sodass man sie berhaupt nicht mehr mit einer
einfachen Kochsalzlsung verwechseln kann. Am Ende war ich sehr
erleichtert: Das Kind hatte von der ganzen Aufregung gar nichts bemerkt, die Eltern waren verstndnisvoll, meine Kollegen und der Chefarzt sind sachlich und freundlich mit unserem Missgeschick umgegangen. Und schlielich ist sogar noch eine Lsung dabei herausgekommen, mit der eine Wiederholung des Fehlers in Zukunft ziemlich
sicher vermieden werden kann.
* Name und Anschrift der Interviewpartnerin sind den Herausgebern
bekannt.

66

Kapitel 7 Kein Fehler vor dem Schnitt

Kein Fehler vor dem Schnitt


Kai Kolpatzik
Erfahrung nennt man die Summe aller unserer Irrtmer.
Thomas Alva Edison

Solche Einsichten vermgen uns in vielen Situationen helfen gerade


im Bezug auf einen Aufenthalt im Krankenhaus und eine bevorstehenden Operation trsten sie uns jedoch berhaupt nicht. Denn die Vorstellung, aus der Narkose aufzuwachen und einen Schnitt am falschen
Knie oder einen Gips um den gesunden Arm zu haben, erleichtert niemandem den Weg in den OP-Saal.
> In Deutschland kommt es schtzungsweise zwischen 100- und
240-mal im Jahr zu Verwechslungsfllen mit juristischen Konsequenzen. Wahrscheinlich ist das aber nur die Spitze des Eisbergs.
Denn etwa ein Fnftel aller Chirurgen geben an, im Laufe ihres
Berufslebens sei ihnen mindestens einmal eine Verwechslung
passiert.

Eingriffsverwechslungen sind immer wieder einmal Gegenstand von


Krankenhauswitzen in Wahrheit knnen sie fr die Betroffenen
schwerwiegende und sogar katastrophale Folgen haben. Rein theoretisch betrachtet ist eine Eingriffsverwechslung zu 100% vermeidbar.
Die Arbeitsteiligkeit im Krankenhaus und oftmals unbersichtliche
Situationen, in denen unter Zeitdruck schnell und richtig gehandelt
werden muss, bergen jedoch das potenzielle Risiko einer Gefhrdung
fr den Patienten, wenn keine wirksamen und von allen Beteiligten internalisierten Sicherheitsmanahmen vorhanden sind.

7.1 Was ist eine Eingriffsverwechslung?

7.1

67

Was ist eine Eingriffsverwechslung?

Wenn es bei operativen oder invasiven Eingriffen zu Verwechslungen


kommt, spricht man von Eingriffsverwechslungen. 3 Arten kann man
unterscheiden:
4 der Eingriff wurde an der falschen Krperseite bzw. dem falschen
Eingriffsort vorgenommen,
4 der Eingriff wurde am falschen Patienten vorgenommen,
4 es wurde der falsche Eingriff vorgenommen.

Stufenplan gegen Eingriffsverwechslung


Zwischen der Aufnahme bis hin zu dem Moment, in dem der Patient auf
dem OP-Tisch liegt, gibt es sehr viele Kontakte mit sehr vielen unterschiedlichen Personen des Krankenhausteams nur dann, wenn alle die
gleichen Regeln zur Vermeidung einer Verwechslung kennen und entsprechend danach handeln, knnen Verwechslungen ausgeschlossen werden.
> In einer Studie konnten 17 Fehler nachgewiesen werden, deren
Zusammenspiel zur Verwechslung einer Patientin fhrte.

Das Aktionsbndnis Patientensicherheit e.V. hat 2005 eine Arbeitsgruppe gegrndet, die sich mit diesem Thema beschftigt hat. Herausgekommen ist eine Handlungsempfehlung zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie bzw. den operativen Fchern,
deren Umsetzung insgesamt ber alle Prozesse maximal 3 Minuten
dauert. In diesem offiziellen Dokument werden 4 Handlungsstufen
unterschieden, deren Befolgung Patienten sowohl in Krankenhusern
als auch in Praxen wirksam vor Verwechslungen schtzen kann:
Stufe 1: Identifikation
Im Rahmen des Aufklrungsgesprchs werden die Personaldaten des
Patienten genau berprft und ggfs. ergnzt, um auch allen beteiligten
Mitarbeitern eine exakte Identifikation zu ermglichen. Auerdem
zeigt der Patient jeweils selbst auf die zu operierende Stelle.

68

Kapitel 7 Kein Fehler vor dem Schnitt

Stufe 2: Markierung
Der Eingriffsort wird mit einem nicht abwischbaren Stift klar markiert.
Stufe 3: Saal-Check
Unmittelbar bevor der Patient in den OP kommt, wird noch einmal
sicher gestellt, dass der richtige Patient in den richtigen Operationssaal
kommt und die Markierung vorhanden ist.
Stufe 4: Team-Time-Out
Bevor der erste Schnitt getan wird, nimmt das gesamte OP-Team (alle
Anwesenden!) eine kurze Auszeit Time Out und berprft und
besttigt auf Basis einer Mini-Checkliste, dass es sich um den richtigen Eingriff beim richtigen Patienten und in dessen richtiger Krperregion handelt.

7.2

Ohne Konsequenz geht es nicht

> Auch die besten Handlungsempfehlungen greifen nur, wenn sie


konsequent umgesetzt werden.

Die 4 Stufen zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen leuchten


unmittelbar ein. Wirksam greifen knnen sie jedoch nur, wenn alle Beteiligten sie kennen und beherzigen. Dazu schlgt das Aktionsbndnis
Patientensicherheit e.V. folgende Vorgehensweise fr die Einfhrung
der Empfehlungen im Krankenhaus oder in der Praxis vor:
4 Die Fhrungsebene muss die klare Entscheidung treffen: Wir setzen
die Handlungsempfehlungen um!
4 In Folge werden alle Mitarbeiter detailliert mit den einzelnen Stufen
der Handlungsempfehlung vertraut gemacht: Alle wissen Bescheid!
4 Patienten werden idealerweise ber das Prozedere schriftlich (z. B. in
Form eines Flyers) aufgeklrt: Der Patient ist aktiv miteinbezogen!
Bei genauerer Betrachtung fllt auf, dass sich auf jeder einzelnen dieser
Stufen Fehler einschleichen knnen, die dann zur Folge haben knnen,

7.2 Ohne Konsequenz geht es nicht

69

dass es zu einer Verwechslung kommt. Deswegen buchstabiert das


Aktionsbndnis genau aus, was auf jeder der einzelnen Stufen genau
passieren sollte [39].

Stufe 1: Identifikation
Der Operateur oder wenn das nicht mglich ist ein Arzt, an den er
diese Aufgabe delegiert, berprft aktiv die Identitt des Patienten,
vergewissert sich anhand der Patientenakte, ob Eingriffsort und Eingriffsart exakt beschrieben wurden und gleicht den geplanten Eingriff
noch einmal mit den vorangegangenen Untersuchungen (z. B. Einweisungspapiere, bildgebende Verfahren) ab.
> Was bedeutet aktiv?
Aktiv heit in diesem Falle, dass der Arzt Fragen, auf die der Patient
nur mit Ja oder Nein antworten kann, unbedingt vermeidet.
Denn gerade, wenn ein Patient z. B. schwerhrig oder sehr aufgeregt ist, antwortet er vielleicht auf die Frage, ob er Franz Mller
heie, mit Ja, obwohl er Hans Mller heit. Deswegen muss zum
Abgleich der Angaben in der Patientenakte gefragt werden:
4 Wie heien Sie?
4 Wann sind Sie geboren worden? usw.

Zeigen, wo der Eingriff stattfinden soll


Der Operateur sollte nicht fragen, an welchem Arm der Patient operiert werden soll, sondern den Patienten bitten, den Arm zu zeigen.
Denn wenn es um links oder rechts geht, kommt es ganz schnell
zu Missverstndnissen: Was fr mich links ist, ist fr mein Gegenber
rechts; und wenn ich noch, wie viele Menschen, gelegentlich links
und rechts verwechsle, ist ein Missverstndnis geradezu vorprogrammiert.

70

Kapitel 7 Kein Fehler vor dem Schnitt

Wenn der Patient keine Angaben machen kann oder will


Etwas schwieriger gestaltet sich die Besttigung der Patientenidentitt,
wenn der Patient keine Angaben zu seiner Person machen kann oder
will. In diesem Fall sollte
4 dokumentiert werden, dass der Patient trotz vorheriger Aufklrung
keine Angaben machen kann oder will, und
4 anhand der Patientenunterlagen (z. B. auch der Rntgenbilder) vom
Operateur berprft werden, dass die Identitt die richtige ist.
> Bei Kindern, Menschen, die nicht oder nur wenig Deutsch
sprechen, schwerhrigen, dementen, bewusstlosen Patienten,
aber auch bei Notfallpatienten sollten Angaben zur Person mit
dem einweisenden Arzt, Angehrigen oder einem Dolmetscher
abgeglichen werden.

Identifikation des Patienten [7]


4 Wer?
4 Operateur, aufklrender Arzt, voll informierter Arzt
4 Wann?
4 Aufklrungsgesprch vor oder nach Aufnahme
4 Was?
4 Richtiger Patient
Namen und Geburtsdatum sagen lassen und prfen
4 Eingriffsart
im Gesprch mit dem Patienten besttigen
4 Eingriffsort
aktiv fragen und zeigen lassen
Angehrige einbeziehen (v. a. bei Kindern und nicht urteilsfhigen Patienten)
4 Abgleich mit Akten und Bildern

Stufe 2: Markierung des Eingriffsorts


Das Aktionsbndnis Patientensicherheit empfiehlt, dass der Operateur
oder ein anderer Arzt, an den er diese Aufgabe delegiert hat, die Mar-

7.2 Ohne Konsequenz geht es nicht

71

kierung vornimmt. Dabei sollte immer nach dem gleichen Schema vorgegangen werden:
4 berprfung der Identitt des Patienten anhand der Patientenakte
4 Aktive Befragung des Patienten nach Identitt, geplantem Engriff
und Eingriffsort vor Gabe der Prmedikation
4 Markierung des Eingriffsorts/der Eingriffsorte mit einem nichtabwischbaren Stift (z. B. Kreuz oder Pfeil, nicht Ja oder Nein!)
4 Markierung mglichst beim wachen Patienten, damit dieser aktiv
miteinbezogen werden kann.
4 Diese zweite berprfung der Patientenidentitt vom Operateur,
der die Markierung vornimmt, ist eine weitere Sicherungsstufe zur
Vermeidung einer Eingriffsverwechslung. Unstimmigkeiten knnen
aufgedeckt werden, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Markierung Eingriffsort [7]


4 Wer?
4 Operateur, aufklrender Arzt, voll informierter Arzt
4 Wann?
4 auerhalb des OPs
4 beim wachen Patienten
4 Was?
4 Abgleich mit den Akten
richtiger Patient
Eingriffsart
Eingriffsort
4 Patienten aktiv einbeziehen
Eingriffsort zeigen lassen
Angehrige einbeziehen
4 Markierung
nur Eingriffsort
eindeutige Zeichen (Kreuz, Pfeil, Initialien)
nicht abwischbarer Stift
mehrere Eingriffsorte: alle markieren

72

Kapitel 7 Kein Fehler vor dem Schnitt

Stufe 3: Saal-Check
Hufig mssen Belegungen von Operationsslen ganz kurzfristig zurckgenommen werden, und eine fr OP-Saal A vorgesehene Operation wird auf OP-Saal C verschoben. Oder es erfolgt gerade, wenn es
sich um kurze Eingriffe handelt eine OP nach der anderen. Damit
dann nicht aus Versehen ein Patient mit einer Arthroskopie in den Saal
geschoben wird, in dem eine Struma oder ein Leistenbruch operiert
werden soll, empfiehlt das Aktionsbndnis, dass unmittelbar vor Eintritt in den OP Arzt oder Pflegepersonal checken, dass der richtige
Patient fr den richtigen Eingriff in den richtigen OP kommt:
4 berprfung der Patientenunterlagen (Vorname, Familienname,
Geburtsdatum, geplanter Eingriff, Eingriffsort). Zu diesen Angaben
aktiv den Patienten zu befragen, ist aufgrund der Prmedikation
meist nicht sinnvoll oder berhaupt mglich.
4 berprfung der Markierung. Ist keine Markierung des Eingriffsorts erfolgt, empfiehlt das Aktionsbndnis Patientensicherheit,
keine Ansthesie durchzufhren.

Zuweisung zum richtigen OP-Saal [7]


4 Wer?
4 definierte, verantwortliche Person
4 Wann?
4 unmittelbar vor Ansthesieeinleitung und vor Eintritt in den Saal
4 Was?
4 Patientenidentitt
Namen und Geburtsdatum berprfen
4 Eingriffsart
prfen und besttigen
4 Eingriffsort
prfen und besttigen
4 Markierung prfen
mit Aktenabgleich
wenn mglich aktive Befragung des Patienten
4 Saal-Check
Zuweisung zum OP-Saal berprfen

7.2 Ohne Konsequenz geht es nicht

73

Stufe 4: Team-Time-Out
Diese halbe Minute, diese Auszeit fr das OP-Team unmittelbar vor
dem ersten Schnitt, ist fr die Sicherheit des Patienten auerordentlich
wichtig! Das Team-Time-Out ist keine Wartezeit auf ein fehlendes
OP-Teammitglied, sondern sollte aktiv von allen an dem Eingriff Beteiligten dazu genutzt werden, nochmals die einzelnen Schritte zur
berprfung von Patientenidentitt, vorgesehenem Eingriff und Eingriffsort durchzugehen. Am besten geht das mit einer kleinen Checkliste. Jemand, der fr das Team-Time-Out verantwortlich ist, ruft dazu
die einzelnen Punkte auf und alle Beteiligten besttigen sie oder verneinen sie ggfs. Gibt es Uneinigkeit unter den OP-Teammitgliedern,
muss sie ernst genommen werden und, wenn keine eindeutige Klrung
erfolgen kann, der Eingriff selbstverstndlich mit einer Entschuldigung an den Patienten verschoben werden.

Team-Time-Out vor Schnitt [7]


4 Wer?
4 OP-Team
4 initiiert durch definierte, verantwortliche Person
4 Wann?
4 unmittelbar vor Schnitt
4 Was?
4 Letztes Innehalten letzte Richtigkeitsprfung
4 Mittels Minicheckliste
richtiger Patient (Namen und Geburtsdatum)
Eingriffsart
Eingriffsort
Aufnahmen bildgebender Verfahren
richtige Implantate verfgbar
4 Alle Punkte durch OK besttigen
4 Durchfhrung des Team-Time-Out dokumentieren

74

Kapitel 7 Kein Fehler vor dem Schnitt

v Praxistipp
Ob ein Team-Time-Out stattfindet oder nicht, sollte nicht dem
Zufall berlassen sein. Nur wenn jemand dafr verantwortlich ist,
in seiner Verantwortlichkeit anerkannt ist und seine Verantwortung wahrnimmt, kann bei diesem letzten Schritt vor dem ersten
Schnitt noch eine mgliche Eingriffsverwechslung abgewendet
werden.

7.3

Und im Fall der Flle?

Zunchst sollte jeweils an den entsprechenden Stellen der vier Stufen


eine umgehende Lsung des Problems gesucht werden. Muss ein Eingriff jedoch verschoben werden, weil auf einer der 4 Stufen zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen Unstimmigkeiten aufgedeckt
worden sind, sollte zunchst einmal der Patient darber aufgeklrt
werden, warum eine Verschiebung notwendig wurde. Auch eine Entschuldigung ist fr gewhnlich sehr am Platz, denn zu Recht sind Patienten, die einer Operation in aller Regel mit bangem Herzen entgegensehen, ber eine Verschiebung der gesamten Prozedur nicht
glcklich.
> Eine Eingriffsverwechslung rechtzeitig zu verhindern, ist eine
Teamleistung, auf die ein Team auch stolz sein darf. Denn fr den
Patienten wurden dadurch mglicherweise katastrophale Folgen
abgewehrt.

7.3 Und im Fall der Flle?

75

. Abb. 7.1. 5 Stufen der Umsetzung.

Fazit
4 Regeln brauchen Regeln, um zu greifen. Auch die besten Handlungsempfehlungen sind nur dann erfolgreich (. Abb. 7.1),
4 wenn sie verbindlich sind d. h. wenn sich jeder daran hlt,
4 wenn sie einheitlich sind d. h. dass alle Akteure sich an dieselben Regeln halten,
4 wenn sie gekannt sind d. h. dass alle Beteiligten umfassend
ber Sinn, Zweck und Durchfhrung informiert sind,
4 wenn sie gekonnt sind d. h. wenn alle Beteiligten in der Lage
sind, ihr Wissen auch richtig umzusetzen, und
4 wenn sie praktiziert werden.

O Meine Geschichte: Brigitte S.*


Pflegepdagogin
Schule muss auch sagen: Welche Verhaltensregeln
geben wir den Schlern mit auf den Weg?
Die Frage nach Fehlern, die schon einmal aufgetreten sind, habe ich
meinen Schlerinnen und Schlern gestellt. Und war bass erstaunt,
ber wie viele Fehler berichtet wurde! Fehler, die ansonsten einfach
untergegangen wren, obwohl man so viel daraus lernen knnte!
Scheinbar harmlos: Ein Patient mchte aufstehen
Zum Beispiel, wie Handlungsketten, an deren Ende dann in Patient
(zum Glck nicht schwer) gestrzt ist, irgendwie auch ihren Ursprung
in der Ausbildungssituation haben. Die Schlerin, die mir das folgende Ereignis erzhlt hat, arbeitete damals auf einer der Stationen in
unserem Haus, die in verschiedene Bereiche unterteilt sind. Als
ein Patient klingelte, ging sie auf die Klingel, obwohl sie fr diesen
Bereich gar nicht zustndig war. Der Patient hatte eine scheinbar
harmlose Bitte: Er wollte aufstehen. Die Pflegeschlerin setzte ihn
also, wie sie es in der Schule gelernt hatte, auf die Bettkante, streifte
ihm Schuhe ber die Fe und half ihm aus dem Bett. Schon gleich
nach den ersten zwei Schritten traten dem Patienten Schweiperlen
auf die Stirn. Bevor er noch den dritten Schritt tun konnte, kollabierte
er und rutschte zu Boden. Glcklicherweise hat der Mitpatient sofort
reagiert und auf dem Gang nach Hilfe gerufen. Sogleich kamen
zwei Kollegen geeilt und mit vereinten Krften gelang es dann, den
Patienten ins Bett zu heben. Weil der Patient langsam zu Boden gerutscht war, hatte er sich zum Glck keine Verletzungen oder blauen
Flecken zugezogen. Das Ganze htte aber auch ganz anders ausgehen knnen ...

77

Informationsdefizite, wo man hinschaute


Zunchst deutete alles auf die Schlerin: Wie hatte sie dem Mann aus
dem Bett helfen knnen, obwohl er gar nicht htte mobilisiert werden
drfen? Und warum hat sie eine Erstmobilisation allein durchgefhrt?
Erstmobilisationen mssen immer von zwei Pflegekrften vorgenommen werden, weil die Gefahr von Strzen gegeben ist.
Der Grund dafr war ganz einfach. Die Krankenpflegeschlerin hatte
nicht die ntigen Informationen gehabt:
1. wusste sie nicht, dass der Patient noch nicht mobilisiert werden
durfte,
2. wusste sie nicht, dass man eine Erstmobilisation zu zweit macht.
Und
3. war ihr auch nicht klar, dass sie bei einem Patienten, der nicht
ihrem Bereich angehrte, die zustndigen Kollegen htte einschalten mssen.
Und dabei hatte sie doch eigentlich nur Gutes und scheinbar Naheliegendes gewollt: dem Patienten dabei helfen, das Bett zu verlassen.
Viele, viele kleine und eigentlich unscheinbare Fehler, die, so sehe
ich das heute, im Grunde schon ihren Ausgang in der Krankenpflegeschule hatten. Denn dort sollte man den Auszubildenden ganz klipp
und klar sagen: niemals etwas tun, ohne genaue Informationen zu
haben. Uninformiert zu handeln, heit potenziell verantwortungslos
zu handeln, weil man die Konsequenzen nicht absehen kann. Hier ist
Schule ein Stck weit gefragt, Verhaltensregeln zu vermitteln und
deren Wichtigkeit klar zu machen.
Das bedeutet auch, ein Forum zu schaffen, wo Auszubildende
regelmig die Mglichkeit haben, offen darber zu reden, wenn
etwas schief gegangen ist. Hufig kommen da Dinge zu Tage, an die
man im Traum nicht gedacht htte. Nur so kann man gemeinsam
reflektieren, wie man Fehler vermeidet.
Ganz wichtig ist, einen Rahmen zu haben, wo das mglich ist. In
unserem Hause geht das!
* Name und Anschrift der Interviewpartnerin sind den Herausgebern
bekannt.

78

Kapitel 8 Wie sage ichs dem Patienten?

Wie sage ichs dem


Patienten?
Marc-Anton Hochreutener
Groes Aufatmen! Der Fehler wurde bemerkt, und niemand ist ernsthaft zu Schaden gekommen. Fehler in der medizinischen Versorgung
und Betreuung von Menschen knnen, selbst wenn alles noch einmal
gut gegangen ist, von den Betroffenen als Irritation oder sogar Belastung empfunden werden. Zum zweiten Mal im zugigen Gang sitzen
und auf eine Untersuchung warten zu mssen oder sich fr ein paar
Stunden benommen zu fhlen, weil eine Infusion zu schnell eingelaufen ist beides ist fr den Patienten nicht nur krperlich unangenehm,
es beeintrchtigt leicht auch sein Vertrauen in das behandelnde Personal. Um wie viel gravierender, wenn der Patient durch einen medizinischen oder pflegerischen Fehler zu Schaden gekommen ist!
In diesem Fall kommt es entscheidend darauf an, wie das Ereignis
mit dem betroffenen Patienten und seinen Angehrigen kommuniziert
wird. Unerwnschte Zwischenflle anzusprechen ist nicht nur ein
Zeichen von Professionalitt, sondern zeugt auch von Respekt vor dem
Patienten. Die Beachtung seiner Wrde durch den offenen Umgang
mit einem Fehler sorgt ganz entscheidend dafr, dass das Vertrauensverhltnis zwischen Patient und rztlichem und Pflegepersonal aufrecht erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird.

8.1

Vorgehen bei der Fehlerkommunikation

Wie kommuniziert man richtig? Gerade in restriktiven Institutionen


des Gesundheitswesens fllt es besonders schwer, einen Fehler zuzugeben und damit einen mglichen Lernprozess bei Beteiligten wie auch
den Nicht-Beteiligten anzustoen. Betroffenen Patienten und ihren
Angehrigen zu offenbaren, dass etwas schief gelaufen ist, will gelernt

8.1 Vorgehen bei der Fehlerkommunikation

79

sein, damit eventuelle Folgen eines Fehlers in einer Atmosphre des


Vertrauens gemeinsam bewltigt werden knnen. Die Stiftung fr Patientensicherheit der Schweiz hat hier Empfehlungen erarbeitet, wie
man unerwnschte Zwischenflle den Betroffenen kommuniziert
und damit umgeht [24]. Diese Empfehlungen sind praxistauglich,
evidenzbasiert, d. h. in ihrer Tauglichkeit wissenschaftlich belegt, und
gelten fachbergreifend.

Weiteren Schaden abwehren


Oberstes Gebot nach einem Zwischenfall ist, den Patienten vor weiterem Schaden zu bewahren. Zwischenflle, die folgenlos fr den Patienten und womglich von ihm unbemerkt geblieben sind, sollten ihm
nicht mitgeteilt werden. In den Fllen, in dem ein Fehler Folgen fr
den Patienten hatte, sollte er kommuniziert werden und zwar bedacht und koordiniert:
Wann soll ein Fehler kommuniziert werden?
So schnell wie mglich am besten innerhalb der ersten 24 Stunden
nach seinem Auftreten.
Wer sollte den Fehler kommunizieren?
Ein verantwortliches Teammitglied, zu dem der Patient auch Vertrauen
hat.
Wo sollte ber den Fehler gesprochen werden?
In einer ruhigen Umgebung, in der auch die Privatsphre des Patienten
geschtzt ist.
Sind die Rahmenbedingungen fr das Gesprch mit dem Patienten
und/oder den Angehrigen geklrt, schlgt die Stiftung fr Patientensicherheit der Schweiz insgesamt 6 Inhalte vor:
1. Darlegen, was passiert ist. Und zwar die Fakten und keine Mutmaungen.
2. Bedauern ausdrcken.

80

Kapitel 8 Wie sage ichs dem Patienten?

3. Darber informieren, welche eventuellen Folgen das unerwnschte


Ereignis fr den Betroffenen haben kann und zugleich Mglichkeiten der Bewltigung aufzeigen.
4. Dem Betroffenen das Angebot machen, von einem anderen Team
betreut zu werden.
5. Zeigen, dass Team und Institution aus dem Fehler lernen wollen
und wie.
6. Den Patienten und seine Angehrigen ber neue Erkenntnisse regelmig auf dem Laufenden halten und auf diese Weise die Beziehung aufrecht erhalten.
v Praxistipp
Verhalten bei schwerwiegenden Zwischenfllen
Ist es einmal zu einem schwerwiegenden Zwischenfall gekommen,
gilt es, Ausma und Folgen fr den Betroffenen weitestmglich zu
reduzieren und einer Wiederholung des Fehlers vorzubeugen. Das
gelingt nur, wenn der Fehler nicht nur von den beteiligten Akteuren, sondern von der Institution, in oder fr die sie arbeiten,
ernst genommen wird. Daraus ergibt sich:
4 Schwere Fehler sind Chefsache!
4 Gertschaften, Verbrauchsmaterialien (auch Abflle!), Medikamente und Akten sicherstellen.
4 Alle Beteiligten sollten schnellstmglich ein Gedchtnisprotokoll erstellen.
4 Ggf. Behrden und Haftpflichtversicherer einschalten, im Zweifelsfall unverzglich den Rat eines Rechtsmediziners einholen.
4 Patienten und Angehrige informieren.
4 Ein alternatives Betreuungsteam anbieten.
4 Patienten und Angehrige bei der Suche nach rechtlichen und
finanziellen Hilfsangeboten untersttzen.
4 Follow-up-Treffen mit dem Patienten und seinen Angehrigen
planen.
4 Bestimmen, wie der Zwischenfall in der Institution kommuniziert wird und von wem.
6

8.1 Vorgehen bei der Fehlerkommunikation

81

4 Ggf. eine Strategie entwickeln, wie die ffentlichkeit darber


zu informieren ist.
4 Zwischenfall und sein Zustandekommen dokumentieren und
analysieren, um einer Wiederholung vorzubeugen.
4 Verbesserungsmanahmen auch im Sinne der Qualittsentwicklung einleiten.

Fazit
4 Ist es zu einem unerwnschten Zwischenfall gekommen, heit es:
4 Weiterem Schaden vorbeugen.
4 Mit dem Patienten darber sprechen und sein Bedauern
darber zum Ausdruck bringen.
4 Schritte in die Wege leiten, um eine Wiederholung des Fehlers
zu vermeiden.

82

Kapitel 9 bergabefehler

bergabefehler
verursachen 6% der nosokomialen Todesflle.
Andreas Lauterbach
Nosokomiale Todesflle also durch Infektionen, die sich Patienten
im Krankenhaus durch einen Krankenhauserreger zugezogen haben
als Folge einer fehlerhaften bergabe?
Diese dramatische Zahl, die zurckgeht auf eine Untersuchung
von Catchpole [11], in der die bergabe zwischen den Stationen bzw.
Disziplinen untersucht wird, verlangt nach einem genaueren Blick auf
ein 3-mal tgliches Ritual: die bergabe beim Schichtwechsel.
Erika: So pass mal auf, wir fangen an! In der ..
Uta: Was macht denn die Frau Rupp. Ist die immer noch hier?
Erika: So fangen wir an in der 12.
Olga: Wir haben doch noch gar keine Zettel von der 12.
Erika: Ne, Zettel macht die Uta. Ich habe den nicht.
Pascale: Mach doch erst mal in der 15 weiter. Mach 15 erst mal.
Erika: 15! [21]

9.1

Dauer der bergaben und Anzahl der Patienten

Von den 3 bergaben ist die der Vormittagsschicht an die Mittagsschicht die umfangreichste. Frh- und Abendschicht dauern in der
Regel nur etwa halb so lange. Erstaunlicherweise gibt es aber keinen
Zusammenhang zwischen der Anzahl der Patienten, ihrer Pflegebedrftigkeit und der Dauer der bergabe. Mit anderen Worten: Auf
einer Station mit 30 Patienten, von denen 10 aufwendig betreut werden
mssen, dauert die bergabe in Etwa so lange wie auf einer Station
mit nur 16 Patienten, von denen 3 umfassender Pflege bedrfen. Die

9.2 Informative bergabe oder Schema F?

83

verbleibende Zeit wird mit Inhalten gefllt, die nicht direkt in die
Betreuung der Patienten einflieen bzw. gar nichts mit ihnen zu tun
haben.

9.2

Informative bergabe oder Schema F?

Die bergabe als zentrale Einrichtung fr den Informationsaustausch


innerhalb des Pflegeteams folgt, wenn man die Literatur dazu auswertet, einem recht einheitlichen Schema:
Ablauf der bergabe
Erffnungsphase
4 Sie beginnt, wenn alle versammelt sind, und ...
4 besteht aus ritualisierten Worten und Handlungen.
4 Sie beginnt mit dem Ritual: Wir bergeben uns jetzt.
Kernphase
4 Erffnung durch Berichterstattung ber Patientinnen und Patienten.
4 Assoziative Gesprchsfhrung.
4 Sie besteht aus Patientenbergabe und Organisatorischem.
4 Sie endet fast immer durch Auflsungserscheinungen.
Beendigungsphase
4 Einzelne oder alle verlassen den Ort.
4 Privatgesprche beginnen.
4 Ende der Arbeitszeit, Phase endet durch Arbeitsdruck.
4 Es sind nicht mehr alle beteiligt.

84

Kapitel 9 bergabefehler

9.3

Mndliche bergabe und Dokumentation


wie von verschiedenen Eltern

Eine Annahme hat die Untersuchung der bergabe ins Reich der
Mythen verbannt: dass nmliche die mndliche bergabe detaillierter
und umfassender ausfalle als die schriftliche Dokumentation. Stellt
man beide nebeneinander, so fllt eine krasse Diskrepanz auf. Hier ein
fiktives typisches Beispiel:
. Tab. 9.1. Mndliche vs. schriftliche bergabe
Mndliche bergabe

Schriftliche Dokumentation

Frau Walter ... da gibt es nichts.


Der geht es gut.

Pat. geht es gut. Keine Beschwerden.

Frau Spatz, die wollte gar nichts.

Pat. mchte evtl. ein Psychosom-Konsil


bitte bis Montag abklren. Pat. fhlt sich
gut. Keine Besonderheiten. Bitte nachfragen, ob Brustprothese schon bestellt ist!

Eine bergabe kann informativ sein und dem Wohl des Patienten
dienen. Sie kann strukturiert ablaufen und Informationen umfassend
weitergeben. Eine bergabe kann aber auch Abhaken sein, Informationen verkrzen oder ganz weglassen, Fragen unbeantwortet lassen,
anstatt Erklrungen zu geben und Anregungen aufzugreifen. Sie kann
Anregungen sogar dokumentieren. Damit dieser wichtigste Informationsaustausch ein Gewinn fr das Team und die Patienten ist, sind
hier drei Checklisten aufgefhrt. Je fter ein Hkchen neben einem der
Punkte steht, umso grer ist die Chance, dass Patienten nicht aufgrund eines bergabefehlers Schaden nehmen.

9.3 Mndliche bergabe und Dokumentation

85

Checkliste Rahmenbedingungen fr die bergabe


1. Verschriftet Sind die Richtlinien fr bergaben verschriftet
und fr die Teammitglieder gut einsehbar?
2. Geschult Sind alle Mitarbeiter/-innen fr die bergabeprozeduren geschult?
3. Gestaffelt Sind arbeitsfreie Zeiten derart gestaffelt, dass ein
Team nicht nur aus Pflegenden besteht, die alle lngere Zeit frei
hatten?
4. Computergesttzt Werden Computer-Datenbanken, Textverarbeitung, Programme und andere Software-Tools verwendet,
um den Umfang der bergaben zu reduzieren?
5. Gut nutzbar Sind die bergabedatenbanken durchsuchbar?
6. Evaluiert Werden bergaben regelmig evaluiert?
7. Wichtig Werden bergaben nicht nur als notwendiges bel
gesehen, sondern als mglicherweise vorteilhafte Situation?

Checkliste bergabe
1. Gute Vorbereitung Sie braucht Zeit und die richtigen Dokumentationsmaterialien.
2. Geeignete bergabematerialien Sie sind bersichtlich,
verstndlich, bieten Platz fr Unvorhergesehenes und knnen von
allen Teammitgliedern gelesen und verstanden werden.
3. Gengend Zeit Die Schichten mssen sich so berlappen,
dass ausreichend Zeit fr die bergabe ist.
4. Alle da Die bergaben sind so eingerichtet, dass mglichst
alle Teammitglieder beider Schichten anwesend sind.
5. Persnlich Rckfragen mssen mglich sein. Falls eine persnliche bergabe nicht mglich ist: Sind Alternativen (Telefon,
Telefonnummer, E-Mails) zugnglich?
6. Offen Wichtige Beobachtungen und Anregungen des Teams
flieen in die Planung der Pflegehandlungen mit ein und fallen
nicht unter den Tisch.
7. Verantwortung liegt bei allen Sowohl die kommende wie
auch die gehende Schicht tragen die Verantwortung fr die bergabe.

86

Kapitel 9 bergabefehler

Checkliste bergabematerialien
1. Mitbeteiligung Wurden die schriftlichen bergabematerialien mit den Pflegenden entwickelt, die am Prozess beteiligt sind?
2. Platz fr Unvorhergesehenes Bieten die schriftlichen bergabeprotokolle ausreichend Platz, um ungewhnliche Ereignisse
einzutragen?
3. Offen fr Fehler Fordert das schriftliche bergabematerial
dazu auf, relevante Informationen einzutragen, eine Fehleranalyse
vorzunehmen oder zu berprfen, welche Folgen ein Informationsverlust nach sich zieht?
4. Evaluiert Wurde das schriftliche bergabematerial evaluiert,
indem die Pflegenden in einer Probezeit die Mglichkeit hatten,
Ergnzungen und/oder Streichungen vorzunehmen?
5. Leicht zugnglich Sind die notwendigen Informationsquellen fr alle Teammitglieder leicht zugnglich?

Fazit
4 Zwischen bergabe und bergabe knnen Welten liegen!
Durch das Einfhren und Umsetzen von Standards lassen sich
Fehler insgesamt minimieren und zuknftig zu einem groen Teil
vermeiden.

87

O Meine Geschichte: Siegfried Huhn


Fort- und Weiterbildung in der Pflege mit Schwerpunkt gerontologische
Pflege, Beratung von Heimen und ambulanten Pflegediensten
Seine eigenen Grenze zu erkennen das kann ber Leben
und Tod entscheiden!
Es liegt schon lange zurck, aber heute knnte es genauso passieren.
Ich war damals Krankenpflegeschler im 3. Ausbildungsjahr und in
der Ansthesieabteilung eingesetzt. Das war damals ein Privileg:
als Schler auf die Ansthesie zu kommen! Bis zu dem nachfolgenden
Ereignis hatte ich schon eine Zeit lang dort gearbeitet und kam auch
relativ gut zurecht.
Pltzlich ein Problem mit dem Beatmungsgert!
Bei der Patientin, die nun auf dem OP-Tisch lag, hatte ich die Braunle
gelegt und den Tubus eingesetzt. Alles hatte prima geklappt und die
Narkose war eingeleitet worden. Die Patientin hatte bereits aufgehrt,
selbststndig zu atmen. Meine Aufgabe war es, die Atmung sicherzustellen und das Beatmungsgert anzuschlieen. Und das funktionierte nicht! Ich hatte zwar schon mit Beatmungsgerten zu tun gehabt, aber dieses war ein bisschen anders. Kurz: ich wusste einfach
nicht, wie ich es bedienen sollte. Ich komme mit dem Gert nicht
klar, ich kann es nicht anschlieen, helft mir doch mal! ich war
schon leicht in Panik. Aber der zustndige Ansthesiepfleger meinte
nur: Das kannst du schon, trau dich ruhig, du musst ab jetzt selbststndig arbeiten. Und der Chefarzt kommentierte etwas sffisant:
Es ist ja immer wieder auffallend, in welchen Situationen neue Leute
unsicher werden .... Ja, ich war unsicher! Und dass offenbar niemand
den Ernst der Lage erkannte, machte mich noch unsicherer. Ich wurde
immer nervser, zweifelte an mir und meinte, dass ich es vielleicht
nur nicht erkennen wrde, dass das Gert schon einwandfrei lief. Aber
dann sah ich: Die Patientin bekam berhaupt keine Luft! In meiner
Panik rief ich: Ich kann das nicht, ich gehe! Erst da drehte sich der

Chefarzt um, warf einen kurzen Blick auf die Patientin und schrie auch
gleich: Um Gottes Willen, die wird ja blau!
Auf einmal war eine Riesenhektik alle waren in Panik, und in null
Komma nichts war das Beatmungsgert vorschriftsmig angeschlossen und in Funktion. Der Patientin ist nichts passiert, und die OP
konnte ohne weiteren Zwischenfall zu Ende gefhrt werden.
Fr die anderen war ich ein Versager
Spter erkannte ich, dass das Beatmungsgert tatschlich leicht zu
bedienen war wenn man wei, wie! In der Zeit nach diesem Vorfall
war ich auf dieser Abteilung nur noch unglcklich. Man lie mich
spren, dass ich ein bisschen als Versager betrachtet wurde, als jemand, der seinen Aufgaben nicht gewachsen ist. Putzarbeiten das
war das, wofr ich immer fter eingeteilt wurde. Und zu rzten, die
selbst noch Anfnger waren.
Immer wenn ich an diese Situation denke, spre ich noch die
Panik von damals. Was htte ich anders machen sollen? Heute wei
ich es. Ich htte sagen sollen: Ich werde dieses Gert nicht bedienen,
wenn mir keiner zeigt, wie! Ganz selbstbewusst. Denn seine Grenzen
zu kennen, ist gerade in der Pflege ein Zeichen von Fachlichkeit, von
Professionalitt nicht von Versagen. Um Hilfe zu bitten, wenn man
etwas nicht kann, ist eine Ressource. Und in der Pflege kann es ber
Leben und Tod entscheiden, wenn man diese Ressource zur Verfgung hat. Wenn man sagt: Helft mir! Ich kann das nicht!

10.1 Fehler oder Fehlverhalten?

89

10

Fehlverhalten
zwischen Frsorge und
Machtausbung
Karl-Heinz Wehkamp
Die systematische Aufarbeitung und Vermeidung von Fehlern wird
nach Jahrzehnte langen Forderungen zunehmend ein Thema in Medizin und Pflege. Im Zuge von Verfahren zur Qualittssicherung werden
Fehler oder Beinahe-Fehler versuchsweise erfasst, gemeldet, statistisch
aufbereitet und analysiert. Critical Incident Reporting Systems (CIRS)
systematisieren und professionalisieren die Suche nach Schwachstellen
und Gefahrenquellen. Auch so genannte Morbiditts- und Mortalittskonferenzen (MMK) kmmern sich um Fehler und suchen nach
Wegen zur Vermeidung. Eine Fehlerkultur wird als Ziel angestrebt.
Daneben wird in einigen Fllen im Rahmen Klinischer Ethikkomitees
(KEK) ber kritische Verlufe und Entscheidungen aus ethischer
Perspektive diskutiert.
Allen Konzepten gemeinsam ist das Ziel, die Patientenversorgung
besser und sicherer zu machen. Koordiniert sind die Manahmen oft
unzureichend, so dass eine Vernetzung sicherlich von Vorteil wre.
Unverzichtbar ist zudem, dass nicht nur Fehler, sondern auch Fehlverhalten ins Blickfeld genommen wird. Letzteres stellt oft den Untergrund von Fehlern dar, die dann als letzter Ausdruck eines komplexen
Feldes von Faktoren zu Schaden bei Patienten, Kollegen oder im Unternehmen fhren.

10.1

Fehler oder Fehlverhalten?

Ein Fehler passiert leicht und niemand ist dagegen gefeit. Man hat
etwas falsch eingeschtzt oder vergessen, man war abgelenkt oder hat

90

Kapitel 10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung

etwas verwechselt. Wenn es nach einem solchen Vorfall schwer fllt,


sich den Fehler einzugestehen, wie viel schwerer ist es dann, wenn ein
Schaden fr den Patienten oder auch fr KollegInnen durch ein Fehlverhalten entsteht! Fehlverhalten ist offenbar mehr als nur einen
Fehler zu begehen, denn es kann unsere moralische Integritt und damit unsere Persnlichkeit in Frage stellen. Wenn ein Verhalten in einer
bestimmten klinischen Situation oder gegenber einem Patienten als
Fehlverhalten eingeschtzt wird, so ist dies mit einer Kritik an unserer
gesamten Person verbunden. Unser Selbstwertgefhl steht dabei auf
dem Spiel, und es bedarf groer Anstrengungen und Sensibilitt, um
konstruktiv, fair und solidarisch mit der Situation umzugehen.
> Fehlverhalten ist mehr als ein Fehler, denn es kann die moralische
Integritt des Betreffenden in Frage stellen.

Fehlverhalten: Oft sind ganze Gruppen daran beteiligt


Fehlverhalten ist freilich keineswegs ausschlielich den einzelnen Angehrigen der Gesundheitsberufe anzulasten. Es kann auch Ausdruck
einer ganzen Kultur, einer mangelhaften Ausbildung, eines falschen
Managements und/oder von berlastung und berforderung sein.
Im Rahmen meiner Untersuchungen zur Ermittlung medizin- und
pflegeethischer Herausforderungen in Kliniken stoe ich immer
wieder auf Flle, wo es trotz besseren Wissens zu Fehlverhalten kam.
Hufig sind es dann Gruppen von MitarbeiterInnen, die gemeinsam
gegen ethische Regeln verstoen oder sich unkritisch dem Fehlverhalten von Vorgesetzten anschlieen.
> Wer sich kritisch uert, luft oft Gefahr, als Nestbeschmutzer als
unkollegial oder gar als Verrter von der Mehrheit denunziert
und ausgegrenzt zu werden.

10.2 Fehlverhalten kann viele Gesichter haben

10.2

91

10

Fehlverhalten kann viele Gesichter haben

Eine Infusion zu vertauschen ist ein klarer Fehler. Bei Fehlverhalten


im o. g. Sinne als mgliche Verletzung der moralischen Integritt ist
das schon schwieriger.

Blo ein (schlechter) Witz oder sprachliches Fehlverhalten?


Oft beginnt solch kollektives Fehlverhalten mit der Sprache, die gegenber Patienten abfllig und diskriminierend ist. Gewhlte Worte und
die Art und Weise des Sprechens sind hochaggressiv. Wenn mittels der
Sprache Patienten oder Kollegen herabgesetzt und gedemtigt werden,
dann dient dieses Reden oft unbewusst der Abfuhr aggressiver Impulse, die durch Stress und selbst erlebte Herabsetzung verstrkt
werden. Schwchere werden zu Opfern allgemeiner Frustrationen. Die
Wut auf Vorgesetzte, die Klinik oder das Gesundheitswesen entldt
sich auf jener Strecke, die als vielleicht einziger Machtbereich noch erlebt wird: gegenber Patienten.
Eine erfahrene Pflegekraft berichtet von einer deutlichen Zunahme
verbaler bergriffe in der Erwachsenen- und Kinderkrankenpflege im
Zuge steigender Arbeitsbelastung und Anonymisierung der Teams. Sie
spricht von einer Verrohung durch Stress und sieht eine wrdevolle
Pflege nicht gewhrleistet. Eigene Sensibilitt wrde einem selber schaden, so dass es besser sei, sich anzupassen als sich kritisch zu verhalten.
Patienten mit Verdacht auf Schweinegrippe werden dann zu
Schweinen, Patienten mit Soor werden als eklig tituliert, bergewichtige mit vulgren Ausdrcken diskriminiert. Die Kolleginnen und
Kollegen, die ich dann darauf anspreche, sagen mir dann glatt: Ja, du
hast recht! Aber wir machen es trotzdem! berichtet die Pflegekraft.

Hier handelt es sich um ein Fehlverhalten von Gruppen und auch


von Fhrungskrften, sofern diese davon erfahren und dieses tolerieren oder sogar untersttzen. Die gngigen Konzepte zur Qualittssicherung greifen hier nicht.

92

Kapitel 10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung

Appelle an die Moral greifen zu kurz


Kann man auch aus Fehlverhalten lernen? Ja, aber zunchst die Fhrungskrfte, die neben ihrer Verantwortung fr technische und organisatorische Ablufe auch die vielfltigen Aspekte von Kommunikation
und Kultur als Bereich ihrer Zustndigkeit annehmen mssen. Sie
knnen daraus lernen, dass Teams in Pflege und Medizin nicht voraussetzungslos und jederzeit am Wohle der ihnen anvertrauten Patienten
orientiert sind und dass unter ungnstigen Rahmenbedingungen Frsorge in Aggressivitt umschlagen kann. Oft vermischen sich beide
Aspekte und erschweren die Wahrnehmung und Beurteilung der Situation. Individuelle Moralappelle greifen in der Regel zu kurz, da die
Phnomene auch komplexe (sozial-)psychologische Wurzeln haben.
Man kann lernen, moralisch unakzeptables Sprachverhalten als Warntafel fr Strungen der Binnenkultur zu deuten. Hier muss das Gesprch gesucht, Kritik gefhrt und Vorbildfunktion gelebt werden. Es
muss aber auch Verstndnis fr die Hintergrnde und Wurzeln solcher
Phnomene vermittelt werden. Und letztendlich gilt es, gemeinsam
nderungen vorzunehmen oder einzufordern, um derlei Entgleisungen den Boden zu entziehen.

Unwrdiges Sterben
In einem kommunalen Klinikum waren die Regeln des Umgangs mit
Sterbenden in der Mitarbeiterschaft allgemein akzeptiert. Trotzdem
konnte es passieren, dass eine fast 80-jhrige Frau die letzten 3 Lebenstage im Badezimmer der Station verbringen musste. Aufgrund der Beschwerde von Angehrigen wurden die MitarbeiterInnen der Station
von Mitgliedern des Klinischen Ethikkomitees danach befragt, wie
es zu dieser allgemein als unwrdig angesehenen Situation kommen
konnte. Es stellte sich heraus, dass die Stationsleitung befrchtete,
eine Sperrung von Betten in Mehrbettzimmern knne den Belegungsschlssel vermindern und damit Personalkrzungen einleiten. Diese
Sorge war nicht unbegrndet. Das kollektive Fehlverhalten war dem
Team bewusst, wurde aber in Kauf genommen, weil man die negativen

10.2 Fehlverhalten kann viele Gesichter haben

93

10

Folgen einer Bettensperrung schlimmer einschtzte als die Verletzung


moralischer Ansprche einer Sterbenden.
... und was daraus gelernt wurde
Aus diesem Fehlverhalten wurde gelernt, dass Entscheidungen im
Rahmen des Klinikmanagements Einfluss nehmen knnen auf die Versorgungsqualitt, dass die Lsung solcher Probleme eine enge Zusammenarbeit zwischen Pflege, Medizin und Verwaltung bzw. Management erfordert und dass es wichtig ist, die Sorgen der Teams mit den
Stabsstellen des Hauses zu kommunizieren. Der geschilderte moralische Versto wurde als ethischer Konflikt interpretiert und von einem
Klinischen Ethikkomitee bearbeitet. Der Problemlsung kam zugute,
dass diesem Komitee nicht nur Angehrige von Pflege, Medizin und
Seelsorge angehrten, sondern auch Mitarbeiter aus dem Management.
Die Lsung wurde schlielich vom Personalmanagement entwickelt.
Ergebnis war ein Konzept zur Sterbebegleitung im Mehrbettzimmer,
das Bettensperrungen ermglichte, ohne die Statistik und damit den
Personalschlssel zu belasten.

Lustig oder fatale Rituale?


Fehlverhalten kann in Ritualen des Pflegepersonals enthalten sein, die
sich ber Generationen fortpflanzen und zumeist als lustig angesehen
werden. Was fr einige Personen dann Spa ist, wird fr andere zum
Trauma.
In einem groen Klinikum war es blich, PflegeschlerInnen nach
bestandenem Pflegeexamen zu taufen und sie symbolisch und real
ins kalte Wasser zu werfen. Sie wurden dabei von ihren examinierten
KollegInnen an Armen und Beinen gepackt und gewaltsam und in
voller Montur in eine Badewanne geworfen. Eine frisch examinierte
Krankenschwester wollte diese Prozedur auf keinen Fall erleben. Ihre
mehrfach und sehr deutlich geuerte Weigerung wurde aber von
6

94

Kapitel 10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung

ihren KollegInnen nicht respektiert. Sie wurde gewaltsam eingefangen


und trotz heftiger Gegenwehr in die Wanne geworfen. Dabei platzte
dann zur weiteren Belustigung einiger Beteiligter die Naht ihrer Hose
auf, so dass ihre Beschmung verstrkt wurde. Die KollegInnen waren
sauer auf sie, da sie sich als Spielverderberin erwiesen hatte. Fr das
Opfer war es nicht mehr mglich, mit diesen KollegInnen zusammenzuarbeiten.

In manchen Kliniken ist es blich, Neulinge auf makabere Weise mit


dem Tod zu konfrontieren. Dies trifft besonders Pflegeschler und
junge Studierende der Medizin whrend ihres Pflegepraktikums und
hat sozialpsychologisch gesehen Merkmale der quatortaufe auf
Schiffen. Viele werden bereits in ihren ersten Tagen dazu eingesetzt,
Leichname frisch verstorbener Patienten in die Lagerungsrume
(zumeist im Klinikkeller) zu transportieren.
Ich sollte ganz allein einen sehr adipsen Leichnam in die Keller
fahren. Der schwere Krper rutschte mir dabei von der Trage. Die
KollegInnen standen um mich herum und lachten, whrend sie erwarteten, dass ich die Leiche alleine wieder hochhebe, was mir nicht
gelang. Das Ereignis hat mich bis heute verfolgt.

... und was man daraus lernen kann


Zuerst, dass es so etwas gibt und dass dies von ganz normalen Menschen ausgeht, die sich an anderer Stelle mit grter Hingabe und
Aufopferung fr andere einsetzen. Wir alle haben solche Seiten und
scheinen uns unbewusst mit derlei Ritualen auch Erleichterungen zu
verschaffen.
> Wenn wir uns eingestehen, dass Menschen (auch Angehrige der
Heilberufe) Licht- und Schattenseiten haben und dass die Grenze
zwischen Gut und Bse manchmal flieend und oft nicht genau
zu identifizieren ist, dann ist ein erster Schritt getan zur Wahrnehmung und nachfolgenden Beendigung oder Vermeidung
moralisch unakzeptabler Verhaltensweise und Regeln.

10.2 Fehlverhalten kann viele Gesichter haben

95

10

Fhrungskrfte sollten auf derlei Phnomene achten und Wege finden,


ohne moralische Blostellung von Personen die Dinge anzusprechen
und zu ndern. Dies kann in Einzel- und in Teambesprechungen geschehen. Die Personen sollten zur Einsicht kommen und mgliche
Hintergrnde fr das Fehlverhalten ermittelt werden.

Verletzungen der Menschenwrde


Im Rahmen eines qualitativen Leitfadeninterviews berichtet eine per
Zufall ausgewhlte Seelsorgerin die folgende Szene aus einem kommunalen Krankenhaus:
In der Frhschicht kam ich auf dem Stationsflur an einer offenen Tr
vorbei. In dem mit 3 Personen belegten Zimmer stand ein alter Mann,
splitternackt, und wurde gleichzeitig von 2 Pflegern bearbeitet. Whrend der eine ihm den Schambereich wusch, putzte ihm der andere
die Zhne. Wenn die eine Waschanlage fr Patienten gehabt htten,
sie htten sie benutzt.

Die Sprecherin erwhnte dann Szenen von folgenloser, invasiver


Diagnostik auf einer Intensivstation und fasste zusammen: Es kommt
immer wieder zu so viel Menschenverachtung unter dem Vorwand der
Lebensrettung oder der Frsorge, dass dies unbedingt als eine Fhrungsaufgabe verstanden werden muss.
Seit Beginn meiner klinischen Ttigkeit vor ca. 30 Jahren stoe ich
immer wieder auf Szenen wie die oben beschriebenen. Fehlverhalten
wie dieses wird offenbar zu oft toleriert. Die Hintergrnde dafr sind
vielfltig, und fr den Einzelfall lsst sich keine hinreichende Erklrung finden. Es kann sich um Mngel der Ausbildung handeln oder
darum, dass auch fr die Pflege ungeeignete Personen bernommen
werden. Es kann sich um unbewusste Aggressivitt handeln, die hier
an diesem Patienten ausagiert wird. Es kann sich um eine Folge von
Desensibilisierung bei den beiden Pflegern handeln, um BurnoutFolgen oder um Ausdruck von Langeweile, weil man seinen Spa
haben wollte. So etwas kann passieren und es passiert immer wieder.

96

Kapitel 10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung

... und was man daraus lernen kann


Dass die Sorge um Umgangsweisen mit Patienten zu den Aufgaben
nicht nur der Mitarbeiterschaft, sondern auch der Fhrungskrfte
gehren muss. Und man kann lernen, dass man gewisse Strukturen bentigt, um derlei Phnomene anzuzeigen und zu besprechen. Schlielich bedarf es positiver Kulturen in den Abteilungen und Teams, die
sich um Aspekte der Achtsamkeit und Menschenwrde drehen, die
aber neben dem Schutz moralischer Regeln auch Verstndnis fr die
individuellen Beweggrnde der Einzelnen bereithalten.
Da die Rationalisierungen der letzten Jahre dem Personal die Zeitrume fr informelle Gesprche drastisch reduziert haben und auch
die bergaben auf ein Zeitminimum zusammengeschrumpft sind,
fehlt es an Orten und an Zeit fr gemeinsame Reflexion. Eine Kombination aus Ethischer Fallbesprechung und Balint-Gruppen wre
zweifellos hilfreich.
> Balint-Gruppen
Die nach dem Psychiater und Psychoanalytiker Michael Balint benannten Arbeitsgruppen bieten die Mglichkeit, sich im Team frei
auszutauschen und gemeinsam nach Verbesserungen im Verhltnis zwischen Patient und Behandlungsteam zu suchen.

Tdliches Mitleid und Selbstherrlichkeit


Es ist bekannt, dass eine hohe Identifikation von Pflegenden mit
schwerstkranken Patienten Gefhle von Mitleid erzeugen kann, die
den Wunsch erwecken, dass dieser Patient erlst werden mge. In
fast allen mir bekannten Kliniken gibt es dauerhafte Kontroversen um
die Frage, wie lange und wie intensiv Patienten medizinisch behandelt
werden sollen. Da Pflegende sich oft nicht gengend in die medizinischen Entscheidungsprozesse eingebunden fhlen, fehlt es oft auch an
rationalen Grnden, um den Mitleidsgefhlen etwas entgegenzusetzen.
Verbinden sich dann diese Mitleidsgefhle mit einer Haltung, die ich
moralischen Fundamentalismus nenne, so kann eine gefhrliche

10.2 Fehlverhalten kann viele Gesichter haben

97

10

Selbstherrlichkeit entstehen, mit der die betroffene Person sich zum


Richter ber Leben und Tod macht.
Es gibt eine Grauzone
Glcklicherweise sind Flle von Patiententtungen im Sinne aktiver
Sterbehilfe eher selten. Aber es gibt eine Grauzone, in der indirekt ber
Leben und Sterben entschieden wird. Sowohl aus der klinischen Praxis
als auch aus eigenen empirischen Studien ist mir gut bekannt, dass
nicht immer rzte ber lebenserhaltende Manahmen entscheiden,
sondern oft auch Pflegende. Dies gilt insbesondere nachts. In diesen
Fllen entscheiden Pflegende darber, ob und wann sie einen Arzt
rufen. Auch gibt es Absprachen zwischen diensthabenden rzten und
Pflegenden, im Falle einer Krise (z. B. Herzstillstand) den Alarm nicht
zu frh, also eher versptet auszulsen. Oft machen Pflegende ihre
Entscheidung davon abhngig, welcher Arzt gerade in Bereitschaft ist.
Dies mag nachvollziehbar sein und zeigt auch, dass das offiziell medizinisch Geforderte nicht von allen Pflegenden und rzten fr gut
geheien wird. Nur eine offene und qualifizierte Auseinandersetzung
ber Therapieziele und Sterbehilfe kann dies eindmmen, verhindern
lsst es sich wohl nicht.
Indirekt knnen Entscheidungen ber Leben und Sterben von
Patienten auch durch Personalentscheidungen und damit durch wirtschaftliche Aspekte mitbeeinflusst werden. Wenn die Anzahl und
Qualifikation der Pflegenden, die z. B. whrend der Nacht Dienst tun,
gemessen an der Anzahl der Patienten und der Schwere ihrer Erkrankungen nicht ausreichend ist, werden Notflle hufiger zu spt entdeckt.
> Auch das Entdecken einer lebensgefhrlichen Situation bedeutet
nicht automatisch eine richtige Einschtzung, und die richtige Einschtzung lst nicht automatisch die richtige Reaktion hervor.

Letztendlich sind viele Ebenen und viele Aspekte daran beteiligt, Fehlverhalten zu erzeugen. Ohne ausreichendes Personal, ohne Qualifikation desselben und ohne gute Organisation und Kommunikation entstehen ganze Kulturen von Fehlverhalten, die nicht den einzelnen Beteiligten zur Last gelegt werden knnen.

98

Kapitel 10 Fehlverhalten zwischen Frsorge und Machtausbung

Fazit
4 Was ist daraus zu lernen? Nur hinreichend gutes, motiviertes, ausgeruhtes Personal in einem organisatorisch gut aufgestellten Team
mit guter Kommunikation und Binnenkultur kann die Patientensicherheit optimieren. Diese Erkenntnis ist ebenso banal wie sie oft
vergessen wird.

Anmerkung des Verfassers


Der vorliegende Artikel beruht auf Erfahrungen aus klinischer Ttigkeit,
eigenen sozialwissenschaftlichen Studien in Krankenhusern sowie
aus Erfahrungen im Rahmen so genannter Ethik-Projekte. Vertiefende
Literatur beim Verfasser.

99

10

O Meine Geschichte: Christa Olbrich


Katholische Fachhochschule Mainz
Einfach blind in den Medikamentenschrank greifen
gengt nicht!
Der Junge, der zu uns in die Wundversorgung kam, war etwa 10 oder
12 Jahre alt. An seiner Hand klaffte eine gut 5 cm lange Schnittwunde,
die rztlich versorgt und genht werden musste. Der diensthabende
Chirurg hatte bereits alles vorbereitet, sterilisiert und abgedeckt und
auf dem Chirurgenstuhl Platz genommen. Meine Aufgabe war es, ihm
das Lokalansthetikum anzureichen. Der Junge wartete derweil ruhig
und offensichtlich tapfer auf das, was da kommen wrde. Ich hatte die
Lsung es war 2-prozentiges Scandicain aufgezogen und dem
Arzt in die Hand gedrckt. Als der damit begann, die ersten Spritzen
zu setzen, verzog der Junge, der bis dahin so tapfer gewesen war,
ganz frchterlich das Gesicht. Das tut weh, das tut weh! jammerte
er. Vorsichtig spritzte der Arzt weiter kleine Scandicain-Dosen um den
Wundrand herum: Das tut nur am Anfang weh, das ist der Anfangspiekser, meinte er. Gleich wird es besser, und dann sprst du nichts
mehr. Aber der Junge litt weiter und versuchte mit zusammengebissenen Zhnen, seinen Schmerz zu verbergen. Ich wunderte mich immer mehr: Ein so tapferer Junge und dann solche Schmerzen?? Verunsichert ging ich noch einmal an den Medikamentenschrank, zog die
Schublade mit dem Scandicain heraus und bemerkte es sofort: Anstatt des Lokalansthetikums hatte ich dem Arzt Aqua dest. gereicht!
Kein Wunder, dass der Junge so zu leiden hatte! Erschrocken machte
ich dem Arzt ein Zeichen, zog gleich das Scandicain das wirkliche
Scandicain auf und brachte es dem Chirurgen. Die weitere Versorgung der Wunde war unproblematisch. Das Lokalansthetikum wirkte
wie gewnscht, und auch der Junge freute sich: Jetzt tut es nicht
mehr weh!

Nie ohne zweiten Sicherheitsblick!


Ich habe mir spter schlimme Vorwrfe gemacht! Ich htte einfach
sorgfltiger mit dem Flschchen, das das vermeintliche Lokalansthetikum enthielt, umgehen sollen. Htte noch ein zweites und ein
drittes Mal genau hinschauen mssen! Dann wren dem Jungen, der
doch so tapfer war, diese schmerzhaften Momente erspart geblieben.
Um hnliche Verwechslungen ein fr alle Male auszuschlieen, sorgte
ich dafr, dass die beiden Flssigkeiten das Aqua dest. und das
Lokalansthetikum nicht weiterhin nebeneinander in der gleichen
Schublade aufbewahrt wurden. Spter war es fr mich eine Selbstverstndlichkeit, Verwechslungsmglichkeiten auszuschlieen und
einen zweiten Sicherheitsblick auf ein Medikament zu werfen,
bevor es verabreicht wird!

11.1 Unsere erste Pflegebeziehung

101

11

Pflege ist auch Gefhlsarbeit zur Psychoanalyse


der Pflegebeziehung
Martin Teising
Die Bedingungen fr die berufliche Pflege eines anderen Menschen
sind vielfltig und haben auf das, was Pflege zu leisten vermag, einen
bedeutsamen Einfluss, der oftmals den beteiligten Akteuren nicht oder
nicht in vollem Umfang bewusst ist. Neben der Qualifikation und dem
Vermgen, Wissen in Handeln umzusetzen, sind zum Beispiel das
Teamgefge, organisatorische Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Wertschtzung wesentliche Einflussfaktoren.
Die Pflegepraxis realisiert sich stets in zwischenmenschlichen
Beziehungen, die jedoch nur unzureichend begriffen werden knnen,
wenn nicht auch tiefenpsychologische Aspekte mitbetrachtet werden.
Sie knnen in nicht unerheblichem Mae beteiligt sein, wenn es zu
einem unerwnschten Ereignis, einem Fehler kommt.

11.1

Unsere erste Pflegebeziehung: die (frhe) Kindheit

Menschliches Leben ist von der Fhigkeit abhngig, zunchst gepflegt


zu werden, um dann sich selbst pflegen zu knnen. Fr sich selbst sorgen zu knnen, lernt der Mensch in einer zwischenmenschlichen Beziehung, in der Regel in der frhkindlichen Beziehung zur pflegenden
Mutter, von der der Nesthocker Mensch existentiell abhngig ist.
Mit der eigenen Entwicklung bernimmt das Kind nach und nach
die existenzsichernden Pflegeaufgaben in eigener Regie. Und das beginnt bereits mit dem ersten Atemzug bei der Ent-Bindung, mit dem
der Sugling die Aufgabe der Sauerstoffversorgung erstmalig selbststndig regelt. Jeder weitere Schritt in die Selbststndigkeit entbindet

102

Kapitel 11 Pflege ist auch Gefhlsarbeit

weiter von der Pflegeperson, z. B. der Durchbruch der ersten Zhne


und die Fhigkeit, kauen zu knnen, selbst wieder auf die Beine zu
kommen und laufen zu knnen usw. Alle diese Entwicklungsschritte
in die Unabhngigkeit werden von der Umgebung bejubelt und damit
gefrdert. Bei der Pflege kranker, behinderter und alter Menschen
mssen die Betroffenen Teilbereiche der erreichten Unabhngigkeit
wie z. B. die Nahrungsaufnahme, die Ausscheidungsvorgnge, die
Krperpflege usw. wieder abgeben ein Prozess, auf den ich spter
noch eingehen werde.

11.2

Warum wir mitfhlen knnen

Die Pflege Kranker und Alter ist eine spezifisch menschliche Handlung.
Pflegende Menschen nehmen es auf sich, mit Hilflosigkeit und Krankheit, mit Behinderung, Altern und Sterben und damit der eigenen Zukunft konfrontiert zu werden. Im Tierreich ist die Brutpflege und Aufzucht der Jungen bekannt. Ausgewachsene und Alttiere aber krepieren,
sie werden mit wenigen Ausnahmen nicht von Artgenossen gepflegt.
Ein Kennzeichen menschlich zivilisierter Gesellschaft ist, dass sich ihre
Mitglieder ihren kranken und hilfsbedrftigen Mitmenschen verbunden und verpflichtet fhlen. Dies beruht auf der Fhigkeit, sich in sie
hineinzuversetzen, sich zu erinnern und historisch zu denken.
Diese Fhigkeit, Gefhle wie z. B. Freude oder Schmerz nicht nur
einfach zu haben, sondern auch als etwas zu empfinden, das in einem
selbst entsteht, wird in der allerersten Pflegebeziehung unseres Lebens,
nmlich der zwischen Kind und hauptverantwortlichem Elternteil, in
der Regel die Mutter, entwickelt.
In dieser ersten Pflegebeziehung erfhrt das Kind, wie seine Gefhle und seine Krpervorgnge von seiner Pflegeperson beurteilt, gesteuert und benannt werden. Es lernt in dieser ersten Beziehung, dass
es die Situation aktiv beeinflussen kann.

11.2 Warum wir mitfhlen knnen

103

11

Steuerung durch die Hauptpflegeperson


Um eine adquate Antwort auf die Bedrfnisse des Suglings oder
Kleinkindes berhaupt geben zu knnen hat es Hunger? Tut ihm
etwas weh? Ist es mde? muss sich die Pflegende in das Kind bzw.
den Patienten hineinversetzen, seine Gefhle in sich lebendig werden
lassen und dann den Verstand einschalten. Zum Beispiel sprt sie den
Schmerz des Kindes, lsst sich aber nicht von ihm berwltigen. Sie
benutzt denkend ihr Fachwissen, um dem Kind bzw. dem Patienten
seine Gefhle bekannt und vertraut werden zu lassen. Wenn die Mutter
dem Kind, das Bauchschmerzen hat, die Hand auf den Bauch legt und
beruhigend erklrt, dass es nichts Schlimmes ist, sind die Beschwerden
schon viel ertrglicher. Sie vermittelt das sichere Gefhl, dass sie von
unangenehmen Empfindungen befreien kann. Die Pflegende bietet
eine Umwelt, ein Gerst oder einen Orientierungsrahmen, mit dessen
Hilfe das Kind und analog die Patienten sich selbst verstehen lernen.
So wird ein Schatz von Vorstellungen geschaffen, geboren aus dem
Bedrfnis, die menschliche Hilflosigkeit ertrglich zu machen, erbaut
aus dem Material der Erinnerungen [15].
Im gnstigen Fall kann der Sugling sich zunehmend auf die Pflegeperson verlassen. Er kann Zustnde des Unwohlseins und Alleinseins
immer lnger ertragen. Hat er diese Erfahrung nicht in ausreichendem
Mae gemacht, wird er sich spter, insbesondere in Krisensituationen
zum Beispiel als alter hilfsbedrftiger Patient im Krankenhaus immer
wieder vergewissern mssen, dass jemand da ist und sich um ihn kmmert, dass er nicht verhungert.

Lernen, eine Situation aktiv zu beeinflussen


Dass sich ein Mensch bereits als Sugling aktiv an der Gestaltung
der Pflegebeziehung beteiligt, mag auf den ersten Blick berraschen.
Nimmt man aber z. B. ein wenige Monate altes Kind, das den Kopf
abwendet, die Augen schliet und sich in den Schlaf zurckzieht, so
lsst sich das als Handlung interpretieren, mit der das Kind seine erste

104

Kapitel 11 Pflege ist auch Gefhlsarbeit

Wirkmchtigkeit ausbt und erfhrt. Es zeigt damit, dass es ber erste


krperliche Regulationsmechanismen in seiner Beziehung zur Umwelt
verfgt. Es beherrscht seinen Krper, wenn es einen Keks zwischen
Daumen und Zeigefinger halten und ohne Hilfe Nahrung aufnehmen
kann. Es entwickelt mit dem Erlernen motorischer Fhigkeiten, die es
ermglichen, sich zu entfernen oder anzunhern, weitere Selbstbestimmung. Die Fhigkeit Nein zu sagen, wurde bereits von Ren Spitz als
Organisator der Psyche beschrieben [30].

11.3

Warum wir Pflegebedrftigkeit gerade im Alter


so frchten

Wie gerade dargelegt, ist eine zentrale Erfahrung unserer Entwicklung,


eigenstndig, unabhngig und autonom zu sein. Das beginnt damit,
dass der Sugling die angebotene Milchflasche ablehnt, indem er den
Kopf zur Seite dreht oder sie mit der Hand wegschlgt, fhrt weiter
ber die Freude, ohne Hilfe auf dem Kinderfahrrad seine Runden
drehen zu knnen und setzt sich fort in immer weiter zunehmender
Handlungsfhigkeit in immer mehr Handlungsfeldern. Die Tatsache,
dass wir mit zunehmender Unabhngigkeit zugleich von anderen abhngige Wesen bleiben, wird weitgehend verleugnet. Wir werden mit
dem Erwachsenwerden scheinbar unabhngig bei der Erfllung unmittelbarer krperlicher Bedrfnisse. Wir sind aber abhngig vom
Funktionieren soziokonomischer und technischer entpersonalisierter
Versorgungsstrukturen. Wer knnte sich schon ohne von anderen erzeugten elektrischen Strom ernhren?

Selbststeuerung vs. Abhngigkeit


Der subjektiven Erfahrung, sein Leben steuern zu knnen, korrespondiert die Angst vor einer Konfrontation mit Abhngigkeit, die die individuelle Autonomie zum hchsten aller gesellschaftlichen Werte der
westlichen Zivilisation hat werden lassen.

11.3 Furcht vor Pflegebedrftigkeit

105

11

Das Alter mit dem erwartbaren Schwinden unserer Fhigkeiten


und dem zunehmenden Ausgeliefertsein an andere Personen ist fr
die meisten von uns eine unertrgliche Vorstellung. Denn es fhrt uns
in die Abhngigkeit der frhkindlichen Pflegebeziehung ohne jedoch
die Aussicht auf Wachstum und Autonomiegewinn.
In der letzten Lebensphase und besonders mit beginnender Pflegebedrftigkeit wird schmerzlich bewusst, dass der Mensch letztlich
kein autonomes Individuum, sondern ein soziales Wesen ist, dessen
Existenz auf der Beziehung zu anderen Menschen und der Existenz
seines Krpers beruht. Zeitlebens streben wir einerseits nach Unabhngigkeit und zeitlebens bleiben wir andererseits gebunden und
suchen nach Bindung. Angesichts abhngiger Pflegebedrftigkeit aber
kann die Idee von Selbststeuerung und Autonomie nicht lnger aufrecht erhalten werden und das lst Angst aus.

Die wechselseitige Abhngigkeit in Pflegebeziehungen


In fast allen mir bekannten Pflegeleitbildern wird auf die Autonomie
des Individuums ganz besonderer Wert gelegt. Pflege will sich zumindest auf dem Papier stets um die Erhaltung oder Wiederherstellung
grtmglicher Selbstpflegefhigkeit und Selbstbestimmung des Patienten bemhen.
Als Pflegeperson auch abhngig vom Patienten
Die augenfllige Angst vor der Abhngigkeit als Pflegefall korrespondiert mit einem oft unbewussten Angewiesensein der Pflegenden
auf ihre Patienten. Psychodynamisch bedeutsam ist das Bedrfnis
Pflegender nach Anerkennung der eigenen Hilfsbereitschaft und damit
nach Strkung des eigenen Selbstwertgefhls; der Wunsch, sich vor
sich selbst wie im Spiegel anderer als guter Mensch zu erweisen und
als solcher gewrdigt zu werden; Gutes zu tun und damit Zweifel an
der eigenen Person zu besnftigen. Wenn man so will, wird die eigene
Pflegebedrftigkeit altruistisch befriedigt. Das Angewiesensein der
Pflegenden auf ihre Patienten wird in der Regel zu wenig reflektiert.

106

Kapitel 11 Pflege ist auch Gefhlsarbeit

> Die Leugnung der gegenseitigen Abhngigkeit trgt dazu bei,


dass Pflegende ihren Patienten und sich selbst unbewusst deren
einseitige Abhngigkeit demonstrieren mssen. Damit erzeugen
sie genau das, was (potentiell) zu Pflegende besonders frchten.

Versuche gegenseitiger Beherrschung


Fr die Vorstellung, dass nicht nur der Patient die Pflegeperson
braucht, sondern diese (in psychodynamischer Hinsicht) auch den
Patienten dafr gibt es im Pflegealltag zahlreiche Hinweise. Die
vielen Demonstrationen der Abhngigkeit der Patienten als scheinbare Sachzwnge verschleiert nhren die Macht der Pflegenden und
bekmpfen ihr Ohnmachtsgefhl. Gegenseitige Beherrschungsversuche sind in Pflegebeziehungen immer wieder zu beobachten. Sie
werden mehr oder weniger offen ausgetragen. Ins Krankenhaus aufgenommen, wird von einem bis dahin selbststndig agierenden Menschen erwartet, dass er brav sein Nachthemd anzieht, sich ins Bett legt
und wartet, was mit ihm geschieht. Er hat Anweisungen zu befolgen,
seine praktischen Fertigkeiten und manchmal auch seine kritische Vernunft mit der Garderobe abzugeben. Die Pflegenden im Krankenhaus
und Pflegeheim herrschen auf mancher Station, als wre es ihr eigenes
Haus. So kann hin und wieder der Eindruck entstehen, dass die herrschenden Regeln denen einer militrischen Grundausbildung nahe
kommen. In der Patientenrolle wird aber auch manch regressives Bedrfnis befriedigt. Jede Pflegende kennt andererseits auch Patienten,
die Krankenschwestern und Pfleger kommandieren und terrorisieren
(wollen).

11.4

Im Unbewussten abgespeichert:
die erste Pflegebeziehung

Pflege kann natrlich nicht einfach als Wiederholung frhkindlicher


Pflegebeziehungen verstanden werden. Erfahrungen, die in der ersten
Pflegebeziehung unseres Lebens ihren Ursprung haben, werden jedoch
im Unbewussten zeitlebens wie Grundbausteine bewahrt Erfah-

11.4 Im Unbewussten abgespeichert

107

11

rungen aus frheren Lebensperioden, in denen eine andere Logik und


andere Denk- und Gefhlsprozesse gelten als spter. Die frhen Erfahrungen sind sozusagen die Fasern, aus denen wir unser psychisches
Gewebe herstellen. In Krisensituationen werden regressive frhe Denkstrukturen, Gefhle und Verhaltensweisen aktiviert, und die Fasern
unseres psychischen Gewebes werden bei Zerreiproben sichtbar.
Nach eigenen Beobachtungen ist in Einrichtungen, in denen mit
einem psychodynamischen Hintergrund und entsprechender Haltung
gepflegt wird, die Selbstreflexionsfhigkeit und das Selbstbewusstsein
der Pflegenden besonders ausgeprgt. Beides zusammen kann helfen,
unbewusst motivierte Pflegefehler zu vermeiden.
Fazit
4 Im Dschungel emotionaler Erwartungen, Befrchtungen und Verflechtungen ist von Gepflegten wie Pflegenden Gefhlsarbeit zu
leisten. Dazu bietet das Wissen um die Psychodynamik unbewusster Vorgnge Pflegenden Mglichkeiten, ihre Ttigkeit besser zu
verstehen.

O Meine Geschichte: Andreas Westerfellhaus


Fachkrankenpfleger fr Intensiv- und Ansthesiekrankenpflege,
Prsident des Deutschen Pflegerates
Fehlende Betubungsmittel, Staatsanwaltschaft,
Kriminalpolizei und eine schlimme Woche
Damals war ich als leitender Pfleger einer Ansthesieabteilung u. a.
verantwortlich fr die Ausgabe von Betubungsmitteln, die in einem
fest verschlossenen Tresor aufbewahrt wurden. Damit verbunden war
die akribische handschriftliche Erfassung der ausgegebenen und
verbrauchten sowie der wieder zurckgegangenen Medikamente.
Fr diesen Zweck gab es eine Liste, in die ich jeden Morgen eintrug,
welche Betubungsmittel ich wem gegeben hatte. Abends wurde
dann gegengecheckt: Stimmte die Summe der verbrauchten plus der
nicht verbrauchten und wieder an mich zurckgegebenen Medikamente mit der Menge berein, die ich morgens ausgegeben hatte?
Hin- und herrechnen half nicht
Lange Zeit war dieser Gegencheck vllig unauffllig gewesen. Bis ich
eines Abends feststellte, dass die Rechnung nicht aufging. Es fehlten
gleich mehrere Ampullen! Ich berprfte noch einmal smtliche Einund Ausgnge auf der Liste, rechnete ein drittes Mal, ein viertes Mal,
aber das Ergebnis war immer dasselbe: Morgens hatte ich mehr ausgegeben, als bis zum Abend an Patienten verabreicht bzw. an mich
zurckgegeben worden war. Ich ging noch einmal zu allen Kollegen,
fragte nach, ob etwas vergessen worden war oder ein Patient mehr
bekommen hatte als in der Liste stand. Aber auch so kam ich nicht
weiter. Ratlos und schon ziemlich verzweifelt wendete ich mich an
den Oberarzt. Auch der berprfte die Liste noch einmal sorgfltig,
kam aber zu keinem anderen Ergebnis als ich. Und tat dann das einzig
Richtige: Er schaltete die Staatsanwaltschaft ein.
Am Tag darauf stand die Kriminalpolizei in der Tr. Befragte mich,
befragte jeden einzelnen aus dem Team, das Pflegepersonal, die

109

11

rzte. Fnf Tage lang. Aber wo die Ampullen abgeblieben waren,


konnten auch die Nachforschungen der Polizei nicht aufklren. Am
Abend des fnften Tages und mit meinen Nerven am Ende nahm
ich mir noch einmal die Betubungsmittelliste vor. Brtete die ganz
Nacht. Verglich Zahlenkolonne um Zahlenkolonne, jede einzelne
Zeile, jede einzelne Zahl, jedes Komma, jede Mengenangabe. Bis in
den frhen Morgen hinein. Dann fand ich den Fehler: ein Zahlendreher! Ein ganz simpler Zahlendreher! Unscheinbar und unspektakulr ein Fehler, wie er berall auftauchen kann, wo mit Zahlen gearbeitet wird.
Die nchste Hrde: den Fehler beichten
War ich erleichtert? Ja und Nein. Erleichtert, weil damit bewiesen war,
dass keine Ampullen womglich gestohlen worden waren. Nicht
erleichtert, weil nun anstand, diesen Fehler zu beichten. Ganze
24 Stunden brauchte ich, um den Mut dafr aufzubringen. Zuzugeben, dass ich auf der Karteikarte eine falsche Angabe gemacht
hatte, die niemand, und ich natrlich auch nicht, bemerkt hatte. Mir
war dieser Fehler unsglich peinlich, und ich rechnete schon damit,
dass er negative Konsequenzen fr mich haben wrde. Immerhin war
eine Woche lang die Kripo in der Abteilung! Fehlermanagement gab
es damals nicht einmal in Anstzen, geschweige denn eine Fehlerkultur! Statt Erleichterung auf allen Seiten frchtete ich mich vor
Kritik, womglich Sanktionen. Bei diesem Fehler ist niemand zu
Schaden gekommen, nicht einmal in Gefahr geraten, aber fr mich
war das die schlimmste Woche meiner Zeit als Krankenpfleger!

110

Kapitel 12 Pflege und Betreuung

Pflege und Betreuung:


Auch eine Frage
des Patientenbildes
Karin Pppel
Ein Patient ist nicht nur Krper, sondern vor allem Mensch und Individuum mit Empfindungen, Bedrfnissen, ngsten, Hoffnungen und
Erwartungen. Ihre Bercksichtigung ist wichtig fr den in psychologischer und sozialer (auch: psycho-sozialer) Hinsicht richtigen
Umgang mit dem Patienten im Krankenhausalltag und wirkt sich im
positiven Sinne unmittelbar auf sein ganzheitliches Wohlbefinden und
damit seine Genesung aus.
Die Basis alltglicher professioneller Handlungen im Krankenhaus
ist das zugrunde liegende Patientenbild. Denn es ist verantwortlich fr
einen in psycho-sozialer Hinsicht falschen oder richtigen Umgang mit
dem Patienten.
Eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 2008 zum
vorherrschenden Patientenbild in acht deutschen Krankenhusern
zeigte, dass sich in einer Zeit des permanenten Wandels der medizinischen Versorgung und der Krankenhauslandschaft als solche
eines leider nicht zeitgem mitwandelt: das Patientenbild [26].
Zwar sind die gewonnenen Ergebnisse nicht reprsentativ fr alle
deutschen Krankenhuser, doch weisen sie in eine beunruhigende
Richtung.

12.1

Noch viel zu hufig: das Bild vom unmndigen


Patienten

Das vorherrschende Patientenbild ist das so genannte paternalistische


Patientenbild. Im Paternalismus (lat. pater = Vater) wird das vormund-

12.2 Zeit zum Umdenken

111

12

schaftliche Eltern-Kind-Verhltnis auf den auerfamiliren Bereich angewendet.


Das paternalistische Verhalten unterstellt eine (nicht aufzuhebende) Asymmetrie zwischen der professionellen Kraft und dem Patienten. Medizinischer Wissensvorsprung und unbeteiligte Rationalitt
stehen ber dem Patientenwillen, da der Patient in der Regel medizinischer Laie und aufgrund seiner Erkrankung emotional betroffen ist.
Der Patient wird daher traditionell als nicht entschlussfhig oder
nicht kompetent angesehen. Es wird pauschal unterstellt, dass sich
jeder Patient gern bevormunden lsst. Wenn dem so wre, wre dies
natrlich ein legitimer Patientenwunsch. Bedenklich ist jedoch, dass
diejenigen Patienten, die im Gegensatz hierzu Anteil nehmen und
selbst entscheiden wollen, im paternalistischen Patientenbild meist
keine Bercksichtigung erfahren. Das paternalistische Patientenbild
beruht auf der Betonung der (medizinisch-fachlichen) Ungleichheit
der beiden Parteien, was zur Bevormundung aller Patienten fhrt.
Und zwar in jeglicher Frage auch in jenen, die das Medizinfachliche
bersteigen, wie z. B. individuelle Werte, subjektives Erleben und Empfinden sowie private Umstnde.
Die zunehmende Verwissenschaftlichung, fachliche Spezialisierung
und Technisierung der medizinischen Arbeit und nicht zuletzt Restrukturierungen von Arbeitsprozessen in der Groorganisation Krankenhaus tun ihr briges. Sie lassen den Patienten zu einer zunehmend
kleineren Nummer werden.

12.2

Zeit zum Umdenken: Der Patient ist Partner


und Mensch

Die systematische Bevormundung des Patienten im paternalistischen


Patientenbild lsst sich jedoch immer weniger mit dem modernen Bild
des aufgeklrten selbstbestimmten Patienten in Einklang bringen. Eine
wesentliche Grundlage des Miteinanders westlicher Gesellschaften ist
die Anerkennung der Rechte des Einzelnen, in Deutschland verankert
in der Verfassung. Ihr zentraler Aspekt ist die Menschenwrde. Das auf

112

Kapitel 12 Pflege und Betreuung

dem Grundgesetz basierende Selbstbestimmungs- und Persnlichkeitsrecht ist ein nicht mehr wegzudenkendes Ideal in einer demokratischen
Gesellschaft. Brgerrechte gelten auch fr die medizinisch versorgenden Lebensbereiche. Der Wille des Patienten hat das Ma der Dinge zu
sein, auch in scheinbar objektiven Fragen, die ein fachlich kompetenter
Dritter rein sachlich betrachtet besser beantworten knnte. Der
Patient darf, kann und soll in seine sachlichen Abwgungen auch seine
Subjektivitt, Emotionen und Werte einflieen lassen. Der Patientenwille hat oberste Prioritt! Wenngleich es in Deutschland, anders als in
anderen westlichen Lndern, bislang keine Patientenrechtsbewegung
gab, so sind Selbstbestimmung und das Recht auf Subjektivitt im Bewusstsein der Brger doch sehr prsent: Etwa 70 Prozent der Patienten
wnschten sich, allein oder gemeinsam mit einer fachlich kompetenten
Person zu entscheiden und mitzureden!
Die Versorgung des Patienten auf Basis des unzeitgemen paternalistischen Patientenbildes birgt per se ein groes Fehlerpotential.
Ein zeitgemes, menschenfreundliches Patientenbild hingegen
hilft, Fehler im Umgang mit dem Patienten zu vermeiden. Denn es
rckt den Patienten ins Zentrum der Betrachtungen und macht zur
Bedingung, dass
4 die professionelle Kraft den Patienten als Mensch auf Augenhhe anerkennt und wertschtzt,
4 die Individualitt, Emotionalitt und Subjektivitt des Patienten
nicht als Strfaktor, sondern als Teil der ganzheitlichen Behandlung eines kranken Menschen erkannt und akzeptiert werden,
4 die professionelle Kraft die Rechte des Patienten kennt und respektiert,
4 diese formalen und teilweise noch abstrakten Rechte in einer
menschenfreundlichen Wese ausgelegt und umgesetzt werden,
4 die professionelle Kraft die Kommunikation mit dem Patienten
intensiviert, um eventuelle Wissenslcken bei sich und beim
Patienten zu schlieen, seine Befindlichkeit zu bercksichtigen
und seinen Willen zu erkennen.

12.2 Zeit zum Umdenken

113

12

Beispiel Patientenrecht auf Schutz der Privatsphre


Eines von vielen Patientenrechten ist das Recht auf den Schutz seiner
Intim- bzw. Privatsphre. In der Krankenhauspraxis wird hierunter
der vertrauliche Umgang mit Informationen, also der Datenschutz
verstanden. Die Auslegung der Privatsphre endet oft an diesem Punkt.
Dies ist sehr zu bedauern. Denn die private Sphre des Patienten ist
deutlich weiter zu fassen, nmlich als ein rumlich abgeschirmter
Bereich persnlicher Entfaltung, in dem der Patient allein zu bleiben
wnscht, um die Wahrung seiner Intimitt den Einblicken Dritter zu
entziehen [16].

Umsetzung des Rechts auf Intim- bzw. Privatsphre in der Praxis


Tglich und konsequent:
4 Das Krankenhauspersonal trgt Namensschilder (vorzugsweise
mit Funktionsangabe) an der Kleidung, damit der Patient wei,
wer sein Zimmer betritt und Handlungen vornimmt,
4 vor dem Eintreten ins Zimmer sollte angeklopft werden,
4 der Patient sollte hflich gegrt werden,
4 vor Pflegehandlungen sollte immer sowohl eine Aufklrung
darber als auch die Zustimmung des Patienten stattgefunden
haben,
4 bei krperlichen Entblungen fr Pflegemanahmen, fr die
Krperpflege in der Intimregion und sonstige Verrichtungen am
Patienten sollte immer ein Sichtschutz verwendet werden,
4 pflegerelevante Gesprche mit dem Patienten sollten in diskreter
Atmosphre, d. h. unter Ausschluss anderer Patienten und Besucher
im Zimmer stattfinden.

114

Kapitel 12 Pflege und Betreuung

Fazit
4 Das menschenfreundliche Patientenbild gibt der professionellen
Kraft Freiraum fr Ideen und Kreativitt im Umgang mit dem Patienten. Untersttzt werden kann es durch
4 die Beschftigung mit ethischen und rechtlichen Themen rund
um die eigene Berufsarbeit,
4 die Verbesserung der eigenen kommunikativen Fhigkeiten
sowie
4 eine kritische Auseinandersetzung mit vermeintlich sachlichen
Einschrnkungen.
4 Und all das ein ganzes Berufsleben lang!

115

12

O Meine Geschichte: Andreas Bscher


Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts fr Pflegewissenschaft,
Universitt Bielefeld
Obwohl ich es besser wusste, ist mir ein Fehler unterlaufen,
der sehr schlimm htte ausgehen knnen
Damals war ich Krankenpfleger auf einer interdisziplinren Intensivstation, auf der Patienten nach greren Eingriffen versorgt wurden.
Viele davon erhielten mehrere Infusionen gleichzeitig. Aus diesem
Grund werden die Zuleitungsschluche mit Dreiwegehhnen verbunden: Eine Perfusorpumpe reguliert dabei die genaue Dosierung und
fungiert darber hinaus auch als eine Art Sicherungssystem: Wenn
der Dreiwegehahn nicht geffnet ist, steigt der Druck in den Zuleitungsschluchen an und der Perfusor warnt mit einem Piepston. In
diesem Fall muss man zuerst den Druck von dem Gert nehmen und
erst dann den Zugang zum Patienten wieder herstellen. Das Einhalten
dieser Schrittfolge ist sehr wichtig, um den Patienten davor zu schtzen, dass zu schnell zu viele Medikamente infundiert werden. Immer
wieder weist man darauf hin, und eigentlich wei das jeder, der auf einer Intensivstation arbeitet ich wusste es auch.
Der Puls erhhte sich in Sekundenschnelle auf 190
Trotzdem und wider besseres Wissen ist mir dieser Fehler bei einem
Patienten passiert, der ber Infusion Katecholamine, also Medikamente zur Aufrechterhaltung der Kreislauffunktionen, bekam: Der
Perfusor piepst und zeigt damit an, dass der Druck zu hoch ist. Ich
ffne den Dreiwegehahn aber ich entblocke vorher nicht und
auf dem Monitor kann ich sehen, wie der Puls des Patienten innerhalb von Sekunden von 80 Schlgen in der Minute auf 180, sogar
190 hochschnellt. Ich stand da, vllig gelhmt und unfhig zu
reagieren. Dass es nicht zu einem Kreislaufversagen gekommen ist,
betrachte ich heute als reines Glck. Nach zwei, drei Minuten hatte
sich der Puls des Patienten wieder normalisiert. In den kommenden

Tagen ging ich immer wieder zum Bett des Patienten, um mich zu
vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Warum mir dieser Fehler passiert ist, wei ich bis heute nicht
Diese wenigen Minuten, in denen ich tatenlos zusehen musste, wie
der Puls des Patienten nach oben sauste, waren fr mich selbst ein
Schock. Und obwohl der Patient dabei Gott sei Dank nicht zu Schaden
gekommen ist, konnte ich im Team damals nicht ber meinen Fehler
sprechen. Auch das war natrlich nicht richtig. Eine wirkliche Erklrung oder gar Entschuldigung fr mein Versumnis habe ich nicht
der Arbeitspegel auf einer Intensivstation ist immer hoch, stndig
passiert Unvorhergesehenes. Und es passieren eben auch Fehler. Mir
ist dieser passiert.

13 Fehlerkultur fr die Altenpflege

117

13

Fehlerkultur fr die
Altenpflege und
den hausrztlichen Bereich
Vera Lux
Bis vor nicht allzu langer Zeit waren Begriffe wie Sicherheitskultur,
Fehlerkultur, Qualittsmanagement und Risikomanagement im Gesundheitswesen eher selten anzutreffen. Erst in den letzten 10 Jahren
hat sich das deutlich gendert. Mit zunehmendem konomischem
Druck auf die Gesundheitssysteme wurde die Notwendigkeit von
Qualittsmanagements erkannt, um Fehlsteuerungen im System entgegenzuwirken. Von der Gesundheitsgesetzgebung wurden die Leistungserbringer verpflichtet, interne Qualittsmanagementsysteme zu
implementieren. Ergnzt werden diese internen Systeme durch externe
Qualittsindikatoren, die von Institutionen wie BQS, MDK und Heimaufsicht abgeprft werden. Erst seit dieser Zeit hat die Auseinandersetzung mit der Versorgungsqualitt in Kliniken, stationren Pflegeeinrichtungen und in der hausrztlichen Versorgung deutlich an Fahrt
gewonnen.
> BQS und MDK
Das Institut fr Qualitt und Patientensicherheit kurz BQS ist
eine unabhngige Einrichtung, die auf die Darlegung von Versorgungsqualitt im Gesundheitswesen spezialisiert ist. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung kurz MDK sind Gemeinschaftseinrichtungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen,
die in den Bundeslndern als eigenstndige Arbeitsgemeinschaften organisiert sind. Sie agieren als gutachterliche und unabhngige Institutionen und beraten die Kranken- und Pflegekassen
in Bezug auf die allgemeine medizinische und pflegerische Versorgung und erstellen im Bedarfsfall Einzelgutachten.

118

Kapitel 13 Fehlerkultur fr die Altenpflege

Gar nicht so einfach: Die Verankerung einer Fehlerkultur


Sowohl in stationren Einrichtungen als auch im hausrztlichen Bereich gibt es bisher nur sehr wenige Einrichtungen, in denen ein
offener Umgang mit Fehlern praktiziert wird. Grnde hierfr gibt es
viele u. a. die noch immer vorherrschenden Vorstellungen von Unfehlbarkeit, aber auch die Erfahrungen, wie in der Vergangenheit mit
Fehlern umgegangen wurde. Immer noch berwiegt die Angst vor
Bestrafung und Sanktionen. Die Voraussetzungen fr einen offenen
Umgang mit Fehlern sind meist nicht noch gegeben. Damit wird das
Lernen aus Fehlern behindert. Im Rahmen einer der wenigen bisher
zu diesem Thema durchgefhrten Projekte des Zentrum fr Pflegeforschung und Beratung [17] der Hochschule Bremen wurde dieser
Eindruck fr die stationren Versorgungseinrichtungen besttigt. Es
war schwierig und sehr zeitaufwndig, die Einrichtungen davon zu
berzeugen, an der Befragung teilzunehmen und Freiwillige fr ein
Interview zu finden.
Fr eine neue Sicherheitskultur: Alle mssen an einem Strang
ziehen
Um eine Vernderung im Umgang mit Fehlern zu erreichen, muss an
verschiedenen Stellen gleichzeitig damit begonnen werden, einen
anderen Umgang mit Fehlern zu praktizieren. Zunchst muss sich die
Haltung in den Einrichtungen selbst ndern. Hier ist die bewusste Entscheidung der Geschftsfhrung fr einen anderen Umgang mit
Fehlern und die Einfhrung von Fehlermeldesystemen als prventives
Risikomanagement erforderlich. Ein wesentlicher Aspekt ist die Implementierung der Themen Fehler, Fehlerkultur und Fehlermanagement
in den Ausbildungscurricula. Weder im Curriculum der Medizinischen
Fachangestellten [10], der Gesundheits- und Krankenpflege [9] noch
in der Altenpflege [37] ist das Thema explizit aufgefhrt. Dabei ist die
Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlbarkeit und das Erlernen
eines offenen Umgangs mit Fehlern bereits in den ersten Jahren der
beruflichen Sozialisation eine wichtige Chance fr die Entwicklung einer
neuen Fehlerkultur.

13.1 Berichtssysteme

13.1

119

13

Berichtssysteme damit Fehler gar nicht erst


passieren

Berichtssysteme dienen dazu, Risiken und kritische Ereignisse, die zu


einem Fehler fhren knnten, zu melden, um risikoreiche Situationen
frhzeitig zu erkennen und Fehler zu vermeiden. Damit strken Berichtssysteme die Patientensicherheit und erhhen die Versorgungsqualitt. Aus diesem Grunde haben sich auch bedeutende Institutionen
wie die WHO und der Europarat mit diesem Thema beschftigt und
entsprechende Empfehlungen abgegeben.
> Berichtssysteme gehen von der Logik aus, dass man Fehler nicht
erst machen muss, um daraus zu lernen. Aber: Risiken und Fehler
mssen erkannt und analysiert werden. Denn nur dann knnen
Fehler vermieden, mindestens aber vermindert werden.

Aufgrund der fehlervermindernden Wirkungen haben sich Berichtssysteme wie z. B. Critical Incident Reporting System CIRS bewhrt
und sind international anerkannt. ber CIRS werden wichtige Informationen gewonnen, die dann ausgewertet und im Rahmen des Risikomanagements fr Manahmen zur Verbesserung der Sicherheit und
der Versorgungsqualitt herangezogen werden.
Arten von Berichtssystemen
Es gibt verschiedene Arten von Berichtssystemen. Man unterscheidet
zwischen geschlossenen und offenen Berichtssystemen. Geschlossene
Berichtssysteme sind in der Regel nur fr eine Einrichtung wie zum
Beispiel ein Pflegeheim, eine Praxis oder ein Krankenhaus nutzbar. Es
besteht keine Verbindung zu anderen Berichtssystemen.

Geschlossene Berichtssysteme
In einem geschlossenen Berichtssystem knnen nur Mitarbeiter der
Einrichtung Meldungen abgeben. Und nur diese internen Informationen werden ausgewertet und stehen zur Verfgung. Je nach Gre der
Einrichtung, gelebter Fehlerkultur und Akzeptanz durch die Mitarbei-

120

Kapitel 13 Fehlerkultur fr die Altenpflege

ter ist die Anzahl der Meldungen hoch oder eher gering. Wenn ein
Risiko in einer Einrichtung nur einmal oder auch gar nicht berichtet
wird, muss das noch lange nicht bedeuten, dass das Risiko nicht besteht
oder keine hohe Relevanz hat.
Denn es gibt durchaus Risiken, die in der einen Einrichtung gar
nicht erkannt und wahrgenommen, in einer anderen Einrichtung aber
sehr hufig gemeldet werden. Hierin liegt auch ein gewisses Manko
geschlossener Berichtssysteme: Da kein Austausch mit anderen Einrichtungen stattfindet, ist ihr Nutzen extrem abhngig von der Qualitt
und der Quantitt der Meldungen. Und diese sind wiederum abhngig
von mindestens drei Faktoren:
4 den Erfahrungen der Mitarbeiter im Umgang mit Fehlern,
4 ihrem Wissensstand und
4 ihrer Wahrnehmung von potenziellen Risiken.
Geschlossene Berichtssysteme leben davon, dass die MitarbeiterInnen
sich aktiv beteiligen. Damit das geschieht, mssen sie erstens die Mglichkeit haben, ihre Meldungen anonym abzugeben, und zweitens die
Zusicherung, dass sie nicht von Sanktionen bedroht sind. Notwendig
ist auch die kontinuierliche Untersttzung durch die Geschftsfhrung
und ein zeitnahes Feedback an die MitarbeiterInnen bezglich der
Manahmen, die aus den Meldungen abgeleitet werden.

Offene Berichtssysteme
Ein offenes Berichtssystem ist ber das Internet zugnglich. Damit hat
jeder Zugang dazu und kann Meldungen abgeben. Diese Meldungen
werden verschlsselt und anonymisiert in einer Datenbank abgelegt
und dann zur Verffentlichung freigegeben. In der Regel besteht auch
die Mglichkeit, Meldungen zu kommentieren. ber Berichtsdatenbanken knnen die Nutzer z. B. recherchieren, welche Fehler hufig
vorkommen und welche Empfehlungen zu ihrer Vermeidung gegeben
werden.

13.1 Berichtssysteme

121

13

Vorteile offener Berichtssysteme


Durch eine hohe Beteiligung stehen in der Datenbank relativ schnell
reprsentative Daten und Informationen zur Verfgung.
Aus der Datenbank lsst sich schneller erkennen, ob ein Fehler
nur ausnahmsweise aufgetreten ist oder ob es sich um einen Systemfehler handelt, der hufig vorkommt. Diese Unterscheidung ist von
enormer Bedeutung, weil die Manahmen zur Fehlervermeidung
dann vllig unterschiedlich sein knnen.

Gemischte Berichtssysteme
Inzwischen gibt es auch die Mglichkeit, Fehlermeldungen aus einem
geschlossenen System anonym und verschlsselt an ein externes Berichtssystem weiterzuleiten und in eine z. B. regionale oder nationale
Datenbank einzuspeisen. Auf diese Weise lassen sich Daten aus verschiedenen Einrichtungen bndeln, sodass man mittelfristig eine
Datenbank aufbauen kann, in der Risiken insgesamt, national und/
oder international, erfasst werden knnen. ber solche Datenbanken
lassen sich Informationen generieren, die sowohl fr die Gesundheitspolitik, die Gesundheitswirtschaft als auch fr Akteure in den Einrichtungen wesentliche Daten zu Risiken und in welchen Konstellationen
sie auftreten knnen, liefern. Eine gute Voraussetzung, um grundlegende und wegweisende Entscheidungen zur Verbesserung der Patientensicherheit zu treffen!

122

13.2

Kapitel 13 Fehlerkultur fr die Altenpflege

Beispiele von Berichtssystemen

Frankfurter Fehlerberichtssystem fr Hausarztpraxen


Egal ob man Arzt/rztin oder Arzthelfer/in ist in www.jeder-fehlerzaehlt.de [38] kann jeder Mitarbeiter in einer hausrztlichen Praxis
seine Meldungen abgeben. Und zwar online im Internet. Der Bericht
wird verschlsselt und ist daher bei der bertragung der Daten an die
Datenbank nicht lesbar. Die Datenbank liegt auf einem Server, der von
auen nicht zugnglich ist. Im Institut fr Allgemeinmedizin werden
dann die eingegangenen Daten entschlsselt und anonymisiert und
erst dann zur Verffentlichung im Internet freigegeben.
Aus Kommentaren werden Tipps zur Fehlervermeidung
Nutzer haben auch die Mglichkeit, die im Internet erschienenen
Fehlerberichte zu kommentieren. Diese Kommentare werden in einer
separaten Datenbank abgelegt, ebenfalls ausgewertet und flieen
anschlieend in die Tipps zur Fehlervermeidung ein. Diese sollen
helfen, Ablufe in der Praxis zu hinterfragen und Fehlerquellen ausfindig zu machen. Die Tipps zur Fehlervermeidung entspringen
berwiegend den Kommentaren der Nutzer, die zu Fehlerberichten
abgegeben wurden. Da sie von rztinnen und rzten, Arzthelfern
und Arzthelferinnen abgegeben wurden, sind sie nicht evidenzbasiert.
Alle vier Wochen erscheinen beispielhafte Analysen des Fehler des
Monats im Internet und in Fachzeitschriften.
Untersttzt vom Aktionsbndnis fr Patientensicherheit
www.jeder-fehler-zaehlt.de wurde vom Institut fr Allgemeinmedizin
der Universitt Frankfurt unter der Verantwortung von Prof. Ferdinand
M. Gerlach entwickelt und wird vom Verband Medizinischer Fachberufe VMF und dem Aktionsbndnis Patientensicherheit untersttzt.
Ziel ist es, aus Fehlern anderer zu lernen, nach dem Motto: Man muss
nicht jeden Fehler selbst machen, um daraus zu lernen.
Bei www.jeder-fehler-zaehlt.de handelt es sich um ein offenes
Berichtssystem, das fr jeden zugnglich ist. Aufgrund der anonymen

13.2 Beispiele von Berichtssystemen

123

13

Berichtsfunktion muss niemand Angst vor Sanktionen und Repressalien haben. Wissen ber risikobehaftete Situationen kann sich so gut
verbreiten, die Sensibilitt fr Risiken erhht und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlbarkeit gefrdert werden. Schon allein dadurch verndert sich der Umgang mit Fehlern, und eine neue Fehlerkultur kann sich entwickeln.

Online-Berichts- und Lernsystem fr die Altenpflege


Aus kritischen Ereignissen lernen ist das erste nationale Berichtssystem fr die Pflege und wurde vom Kuratorium Deutsche Altershilfe
Wilhelmine Lbke Stiftung e.V. entwickelt. Das Projekt steht unter der
Leitung von Heiko Rutenkrger und wurde ber das Bundesministerium fr Gesundheit aus Mitteln der ARD Fernsehlotterie Ein Platz
an der Sonne finanziert. Unter www.kritische-ereignisse.de [39]
knnen alle Personen in der Altenpflege ber kritische Ereignisse berichten, die sie entweder selbst erlebt oder beobachtet haben.
Ihre Stimme zhlt!
Wesentliches Element des Berichtssystems sind Lsungsvorschlge, die
dazu geeignet sind, dass die genannten Ereignisse zuknftig vermieden
werden. Auch bei diesem Berichtssystem sind Grundlage fr die Lsungsvorschlge die Kommentare derjenigen, die in der Altenpflege ttig sind.
Aus kritischen Ereignissen lernen versteht sich als Berichts- und
Lernsystem, das unerwnschte Ereignisse und aufgetretene Fehler als
Chancen sieht, zu lernen. Denn auch die Fehler anderer knnen sensibilisieren oft reicht es aus, Berichte zu lesen, um Erkenntnisse daraus
fr den eigenen Pflegealltag zu gewinnen.
Anonymitt gewahrt
Auch Aus kritischen Ereignissen lernen wahrt die Anonymitt des
Berichtenden. Personenbezogene Daten werden nicht abgefragt und
Daten, die eine Identifizierung des Berichtenden ermglichen, nicht
gespeichert. Eingereichte Berichte und Kommentare werden bis zu

124

Kapitel 13 Fehlerkultur fr die Altenpflege

ihrer Verffentlichung verschlsselt in einer Datenbank abgelegt und


anschlieend von einem Projektteam im KDA analysiert und ausgewertet. So knnen wichtige Erkenntnisse ber Arten und Ursachen
von kritischen Ereignissen gewonnen werden. Auf der Website werden
diese als Bericht des Monats verffentlicht. In einer Datenbank gespeichert knnen sie nach Titeln, Verffentlichungsdatum, Arbeitsbereichen und Schlagwrtern recherchiert werden.

13.3

Die ersten Schritte sind getan,


weitere mssen folgen

Die Einrichtung von Berichtssystemen ist noch lngst nicht flchendeckend umgesetzt, sondern steht erst am Anfang. Erste Schritte sind
gemacht und die Auseinandersetzung mit dem Thema Risiken, Fehler
und Fehlerkultur in Gesundheitseinrichtungen ist angestoen. Dazu
haben auch die bestehenden Berichtssysteme beigetragen. Um jedoch
nachhaltig eine Vernderung der Haltung in Bezug auf Fehler und
einen neuen Umgang mit Fehlern zu erreichen, mssen weitere
Schritte folgen.
Fazit
4 Fr eine nachhaltige Vernderung im Umgang mit Fehlern und
kritischen Ereignissen braucht es weitere Schritte, z. B.:
4 Der Umgang mit Fehlern sollte als fester Bestandteil in die
Ausbildungscurricula mitaufgenommen werden.
4 Angebote wie Patientensicherheitstrainings sollten noch
besser kommuniziert und in der Flche breiter angeboten
werden.
4 Die Implementierung von Berichtssystemen sollte nicht auf
freiwilliger Basis erfolgen, sondern im Rahmen des Qualittsmanagements fr jede Einrichtung gesetzlich verpflichtend
vorgeschrieben werden.

125

13

O Meine Geschichte: Dieter Muth


Krankenpfleger, Frankfurt am Main
Auf Station war die Hlle los!
Es war wieder einmal so ein Tag, da kam alles zusammen. Eigentlich
sollten wir an diesem Nachmittag drei Pflegekrfte auf der Hautstation sein, dann wurde berraschend eine krank, mein Kollege, der mit
mir Dienst hatte, fhlte sich auch nicht so gut und auf Station war die
Hlle los. Eine stationre Aufnahme nach der anderen, der Arzt wollte
etwas, die Ambulanz klingelte, Angehrige kamen mit Fragen und
die Patienten waren ja schlielich auch noch da. Man hat nur noch
reagiert. Irgendwie versuchte ich in dieser ganzen Hektik trotzdem,
alle pflegerischen Arbeiten zu erledigen. Und selbstverstndlich sollte
auch der ltere Herr, der mit einer ausgeprgten Schuppenflechte zu
uns auf Station gekommen war, seine Salbenbehandlung bekommen.
Rasch warf ich einen Blick in die Krankenakte, nahm die dort vermeintlich angegebene Salbe aus dem Schrank und cremte den Patienten von Kopf bis Fu damit ein. Kaum fertig damit, rannte ich,
um weitere Anordnungen auszufhren, einen neuen Patienten in
Empfang zu nehmen und ans Telefon zu gehen am besten alles
gleichzeitig.
Starke Hautreizungen durch die falsche Salbe
Am nchsten Tag hatte sich das Hautbild des Patienten deutlich verschlechtert. Die Haut war stark gereizt fast wie nach einer Verbrennung, und tat natrlich entsprechend weh. Zunchst konnte ich mir
das nicht erklren. Aber als ich die Krankenakte noch einmal zur
Hand nahm und berprfte, welche Salbe dort angeordnet war,
musste ich feststellen, dass ich zwar die richtige Salbe, aber in der
falschen Konzentration aufgetragen hatte. Statt der niedrig konzentrierten Salbe hatte ich zu einer deutlich hher konzentrierten gegriffen und bei dem Patienten damit starke Hautreizungen verursacht.
Mit einem furchtbar schlechten Gewissen entschuldigte ich mich

bei dem lteren Herrn, der zwar zunchst rgerlich war, meine Entschuldigung aber dann akzeptierte. Auch meinen Kollegen und dem
diensthabenden Arzt offenbarte ich mein Missgeschick. Letztendlich
hatte sich die Haut des Patienten nach ein paar Tagen wieder beruhigt. Aber mich hatte noch lange mein Gewissen so gedrckt, dass
es kaum auszuhalten war.
Strukturiert arbeiten egal wie gro die Hektik ist
Aus allem habe ich eine wichtige Lehre gezogen, nmlich Arbeitsablufe strukturiert durchzufhren, egal wie gro die Hektik ist. Einen
Schritt nach dem anderen tun, nicht in der Mitte anfangen oder den
letzten Arbeitsgang weglassen, lieber eine Arbeit, die man nicht
vollstndig erledigen kann, auf einen spteren Zeitpunkt verschieben.
Strukturiert arbeiten das ist das A & O!

14 Beispiele Sicherheitsmanagement

127

14

Beispiele aus dem


Sicherheitsmanagement
der Charit
Claudia Christ-Steckhan, Hedwig Franois-Kettner
Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte machen Menschen Fehler, erkennen Menschen ihre Fehler und lernen aus ihren Fehlern. Grundstzlich sind Fehler menschlich, mglich und lehrreich. Trotzdem ist es
nach wie vor schwer, im Pflege- und Behandlungsalltag offen und konstruktiv ber Fehler zu reden und miteinander aus Fehlern zu lernen.
Umso wichtiger ist es, gemeinsam an der Entwicklung einer offenen
und lernfhigen Sicherheitskultur und Fehlerkultur zu arbeiten.
Sicherheitskultur: fachbergreifend und lebendig
Die Charit verfolgt hier gezielt einen berufsgruppenbergreifenden
Ansatz. Pflegende, rzte und Therapeuten arbeiten in wechselseitiger
Abhngigkeit und Ergnzung. Der Pflege- und Behandlungsprozess
der Patienten erfolgt durch eine fein abgestimmte, arbeitsteilige Kooperation zwischen den Berufsgruppen. Nur durch gemeinsamen
Erwerb von Sicherheitswissen und die gemeinsame Umsetzung sicherheitsfrderlichen Verhaltens kann die Patientensicherheit, aber auch
die Sicherheit der Mitarbeiter erhht werden.
Vorrangiges Ziel ist es, eine lebendige Sicherheits- und Lernkultur
zu schaffen. Die 3 wesentlichen Projekte aus diesem Themenkreis sind:
4 das Risikomanagement Weblog
4 das Critical Incident Reporting System CIRS Charit
4 die Morbiditts- und Mortalittskonferenzen
Fehler: oft noch personalisiert und sanktioniert
Von zentraler Bedeutung ist, welche Einstellungen und Bewertungsmuster wir im Umgang mit Fehlern haben. In unserem Kulturkreis

128

Kapitel 14 Beispiele aus dem Sicherheitsmanagement der Charit

werden Fehler meist negativ gesehen und sind hufig verknpft mit
einem Opfer-Tter-Denken und Schuldzuweisungen. In der Vergangenheit haben wir Fehler meist personalisiert und negativ sanktioniert.
Das Thema war hufig an Regeln und Tabus gebunden. Fehler wurden
diskret, vertraulich und nicht ffentlich bearbeitet.

14.1

Jeder Fehler ist eine Chance!

Die Entwicklung einer offenen und lernenden Sicherheits- und Fehlerkultur macht es notwendig, dass wir diese alten Musterentlernen und
unsere Einstellungen, Wahrnehmungen und Bewertungsmuster im
Hinblick auf Fehler verndern [25]. Denn: In jedem Fehler steckt ein
groes Lernpotential fr den zuknftigen Pflege- und Behandlungsprozess. Dieses Potential knnen wir nur nutzen, wenn wir nicht
unsere ganze Energie darauf verwenden, uns in die Wer-ist-schuld?Frage zu verbeien. Viel interessanter und gewinnbringender ist die
Frage: Was ist schuld?

14.2

Fehler als Trainingspartner

Unvoreingenommen sollten wir analysieren, welche Faktoren an der


Entstehung des kritischen Ereignisses beteiligt waren [33]. Vereinfachende und personalisierende Interpretationen verstellen den Blick
fr die komplexe Verkettung von verursachenden Faktoren. Auf Basis
einer fundierten und systematischen Ursachenanalyse, knnen wir
wirksame Prventionsstrategien fr die Zukunft entwickeln. Auf diese
Weise werden Fehler zu Trainingspartnern und Lehrmeistern auf
dem Weg zu hherer Qualitt und besserer Versorgung der Patienten.
Fehleranalysen setzen Entwicklungsprozesse, Vernderungsprozesse
und Lernprozesse in Gang. Fehler zeigen uns, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Es ist unsere professionelle Verantwortung, die
Chance, die in jedem Fehler steckt, zu nutzen. Diesen Kulturwandel
verfolgen wir mit den nachfolgenden Projekten.

14.2 Fehler als Trainingspartner

129

14

Risikomanagement Weblog
Damit man aus Schwierigkeiten und Fehlern lernen kann, mssen sie
bekannt sein. Um bekannt zu werden, mssen Schwierigkeiten und Fehler offen angesprochen werden. Die Auseinandersetzung mit eigenen
Fehlern erfordert Mut. Diesen Mut und die erforderliche Offenheit wollen wir mit dem Risikomanagement Weblog im Intranet der Charit befrdern. Im Risiko-Blog werden ausgewhlte Beinahe-Zwischenflle aus
dem CIRS Charit und Probleme, die in den laufenden Morbiditts- und
Mortalittskonferenzen (M&M-Konferenzen, s. u.) besprochen wurden,
publiziert. Um die Mitarbeiter und das Unternehmen zu schtzen,
werden hier nicht nur Charit-interne Vorkommnisse berichtet, sondern
auch relevante Fehlerberichte aus anderen Kliniken und Fehlerberichtsdatenbanken. Auf diese Weise ist nicht mehr zu erkennen, wo der Fehler
passiert ist oder wer daran beteiligt war.
> Das Motto des Blog ist: Man muss nicht jeden Fehler selber
machen, um daraus zu lernen!

Gezielt suchen, lesen, lernen


Die Auswahl der Fehlerberichte und die redaktionelle Pflege des Weblog erfolgt durch das Zentrale Qualittsmanagement. Die einzelnen
Fehlerberichte sind klassischen Fehlerkategorien zugeordnet, wie
Schnittstellen/Kommunikation, Gerte/Material oder Medikamente.
So kann im Blog gezielt themenspezifisch gesucht, gelesen und gelernt
werden. Der Zugang zum Blog steht jedem Mitarbeiter ohne Passwort
ber das Intranet offen. Jeder kann anonym oder unter seinem Namen
Kommentare zu den Fehlerberichten schreiben.
Der Fehler des Monats
Seit April 2008 verffentlichen wir im Blog zustzlich zu den laufenden
Fehlerberichten jeden Monat den Fehler des Monats. Dies ist eine
bewusst offensiv gewhlte Form eine paradoxe Intervention um
auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Der Fehler des Monats ist
entweder sehr relevant, sehr hufig oder besonders lehrreich. Die Ur-

130

Kapitel 14 Beispiele aus dem Sicherheitsmanagement der Charit

sachen des Fehlers werden detailliert analysiert und die Manahmen


zur Vermeidung in der Zukunft dargestellt. Der Fehlerbericht des
Monats wird regelmig von sehr vielen Mitarbeitern gelesen und diskutiert. Im Durchschnitt gibt es pro Monat 1.500 einzelne Zugriffe auf
das Blog.

Critical Incident Reporting System: CIRS Charit


Im Jahr 2006 haben wir in der Charit ein anonymes Berichtssystem
fr kritische Ereignisse eingerichtet, das CIRS Charit. Seitdem kann
jeder Mitarbeiter von jedem Rechner aus anonym ber einen Fehler,
ein kritisches Ereignis oder einen Beinahe-Zwischenfall berichten.
Auf diese Weise ist es mglich, aus Beinahe-Zwischenfllen (Critical
Incidents) zu lernen, um wirkliche Zwischenflle, bei denen ein Patient
zu Schaden kommen knnte, zu vermeiden. In CIRS werden Ereignisse
gemeldet, die gerade noch einmal gut gegangen sind. Aus diesen Ereignissen wollen wir lernen, damit diese Patienten und Mitarbeiter
gleichermaen gefhrdenden Situationen in Zukunft vermieden
werden knnen.
Garantiert freiwillig, anonym, vertraulich und sanktionsfrei
Wichtig fr die Akzeptanz und Nutzung des Systems ist, dass die
Grundstze Freiwilligkeit, Anonymitt, Vertraulichkeit und Sanktionsfreiheit garantiert und eingehalten werden (s. Aktionsbndnis Patientensicherheit e.V.). Die eingegangenen Berichte werden durch sogenannte CIRS-Moderatoren ausgewertet. Die CIRS-Moderatoren sind
rzte und Pflegende aus den jeweiligen Teams. Meist sind 2 rzte und
2 Pflegekrfte das Moderatorenteam fr einen bestimmten CIRS-Meldekreis [29]. Gemeinsam werten sie die eingegangen Berichte aus und
setzen Vernderungen und Prventionsmanahmen in Gang, die einen
solchen Vorfall in der Zukunft verhindern helfen.
Durch die in CIRS gemeldeten Berichte ist es mglich, entstandene
Fehler zu identifizieren, Ursachen abzuklren und daraus Manahmen
zur knftigen Verhinderung dieser Fehler zu ergreifen.

14.2 Fehler als Trainingspartner

131

14

Aus Meldungen werden Verbesserungen


Nach gut 3 Jahren wurden ber 650 Fehlerberichte in CIRS Charit
gemeldet. Das System wird von rzten und Pflegekrften gleichermaen genutzt. Durch die Analyse der eingegangenen Meldungen ist
es gelungen, sehr relevante Vernderungen und Verbesserungen in
Gang zu setzen. Viele dieser Verbesserungen beziehen sich auf die Bereiche, aus denen die Berichte gemeldet wurden. Beispiele dafr sind
Trainings fr medizintechnische Gerte und Vernderungen der Arbeitsablufe im Pflege- und Behandlungsprozess. Einige CIRS-Meldungen haben unternehmensweite Vernderungen in Gang gesetzt, wie
zum Beispiel Produktwechsel von Medikamenten (in Folge von Medikamentenverwechslung) oder Produktwechsel von Medizinprodukten
(z. B. Handbeatmungsbeutel).
Sehr wichtig ist es, die Mitarbeiter kontinuierlich ber Manahmen, die durch CIRS-Meldungen erfolgen, zu informieren. Nur so
knnen die Mitarbeiter motiviert werden, Berichte von kritischen
Ereignissen zu melden [27]. Wenn es gelingt, CIRS in den tglichen
Arbeitsablauf zu integrieren, kann das Wissen der Mitarbeiter um
Fehlerquellen und Verbesserungspotenziale gezielt genutzt werden.

Morbiditts- und Mortalittskonferenzen


Sicherheitskultur setzt Kommunikationskultur voraus. Es muss Raum,
Zeit und die Bereitschaft gegeben sein, ber Probleme, kritische Situationen oder suboptimale Handlungen miteinander zu sprechen.
Das geeignete Besprechungsformat hierfr sind die Morbidittsund Mortalittskonferenzen. Diese regelmigen strukturierten Besprechungen besonders schwerer Krankheitsverlufe wurden primr
in den Intensivbereichen der Charit etabliert. Derzeit werden sie in
einem zweiten Schritt in den Normalstationsbereichen implementiert.
Die Besprechungsform ist ein klassisches Forum zur konstruktiven
und kritischen Auseinandersetzung mit einer eigenen Vorgehensweise.
rzte und Pflegekrfte, die bei der Betreuung der Patienten mitgewirkt
haben, nehmen gemeinsam an diesen Besprechungen teil. Durch die

132

Kapitel 14 Beispiele aus dem Sicherheitsmanagement der Charit

gemeinsame Analyse der Pflege- und Behandlungsverlufe unter dem


Blickwinkel Was htten wir besser machen knnen? wird fr die
Zukunft gelernt. So kommt es zu einer stndigen Verbesserung der
Arbeitsweise und Ablufe im Klinikalltag. Therapieentscheidungen
werden fr das Team nachvollziehbar gemacht und in Kenntnis der
Erfolge und Misserfolge diskutiert. Die Morbiditts- und Mortalittskonferenzen sind eine qualittssichernde Manahme, die sowohl kontrollierend und korrigierend als auch prophylaktisch wirkt.
Strukturiert und wertschtzend
Fr die Charit wurde ein Standardformat der Morbiditts- und
Mortalittskonferenzen entwickelt. Die Konferenzen sollen in einem
festen Rhythmus stattfinden, mglichst an einem feststehenden Termin. Besonderer Wert wird auf eine zielfhrende Moderation gelegt.
Hierdurch wird gewhrleistet, dass die Diskussion strukturiert und
sachlich verluft und der Ton des Austauschs wertschtzend ist. Aufgrund der Wichtigkeit der Moderation fr das Gelingen der Konferenzen [23] wurde ein eigenes Schulungsprogramm fr Moderatoren
entwickelt. Der Fokus der Konferenz liegt immer auf den Schlussfolgerungen fr die Zukunft: Wie knnen wir Manahmen und Ablufe
kontinuierlich verbessern, damit wir weiterhin optimale Pflege- und
Behandlungsergebnisse erreichen und sichern? Um die wichtigen
Ergebnisse der Konferenzen festzuhalten und diese auch Mitarbeitern,
die nicht teilnehmen konnten, verfgbar zu machen, wurde eine einheitliche Dokumentationsvorlage entwickelt, in der die Vernderungen, die in der Diskussion erarbeitet worden sind, nachgelesen werden
knnen.
Der offene Meinungsaustausch im geschtzten Rahmen fhrt
idealerweise zu einer Verbesserung von problembezogener Kommunikation und Teamarbeit im Pflege- und Behandlungsalltag. Zudem
wird ein teamorientierter Denkansatz im Hinblick auf die Steigerung
der Sicherheit und Qualitt gefrdert.

14.2 Fehler als Trainingspartner

133

14

Fazit
4 Mit den beschriebenen Projekten wurden entscheidende Fortschritte auf dem Weg hin zu einer offenen, fairen und lernenden
Sicherheitskultur initiiert. In der immer komplexer werdenden
modernen Hochleistungsmedizin, in der viele Menschen in einer
hochtechnisierten Umgebung gemeinsam in kleinteiligen Arbeitsschritten an der Versorgung der Patienten beteiligt sind, ist die
Aufgabe Lernen aus Fehlern ohne Alternative.

O Meine Geschichte: Ulrike Steinecke


Vorsitzende des Deutschen Verbandes fr Physiotherapie Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten e.V. (ZVK)
Mit meiner Querfriktion habe ich mehr Schaden als Nutzen
angerichtet
Wenn der Patient nicht schon lange und gern zu uns in die orthopdische Ambulanz gekommen wre, und wenn wir nicht ein so
gutes Verhltnis zu einander gehabt htten, htte das alles auch
ganz anders ausgehen knnen. Ich war damals im Praktikum, das
gleich im Anschluss an meine 2-jhrige Ausbildung zur Physiotherapeutin folgte. Der Patient war ein lterer Herr, der wegen einer rheumatoiden Arthritis in unsere Praxis kam. Er wurde vor allem wegen
seiner Schmerzen im Schultergelenk behandelt, die teilweise durch
eine schon lange anhaltende Sehnenreizung verursacht wurden.
Dass er eine Woche nach meiner Behandlung mit einem riesigen Bluterguss wiederkommen wrde, konnte keiner von uns voraussehen.
Prima! dachte ich. Luft alles bestens ...
Dabei war ich bei der Behandlung des Patienten ganz schulmig
vorgegangen: Bei der Palpation hatte sich herausgestellt, dass die
lange Bizeps-Sehne schmerzhaft war. Eine sehr gute Methode zur
Schmerzlinderung in solchen Fllen ist die so genannte Querfriktion.
Dazu wird quer zum Faserverlauf gerade so viel Druck auf die Sehne
ausgebt, wie es der Patient noch gut tolerieren kann. Um sicher zu
gehen, dass die Querfriktion auch fr den individuellen Fall wirksam
ist, macht man zuerst einen Test: Man bt die Querfriktion eine
Minute lang mit gleichbleibendem Druck aus. Wenn innerhalb dieser
kurzen Zeitspanne der Schmerz nachlsst, kann man die eigentliche
Behandlung anschlieen. Genauso war ich vorgegangen. Als ich
merkte, dass der Schmerz tatschlich abgeklungen war, freute ich
mich: Prima! Querfriktion wirkt! Bei den nachfolgenden bungen
zur Verbesserung von Beweglichkeit und Aktivitt lief ebenfalls alles
einwandfrei und der Patient ging zufrieden nach Hause.

135

14

Bestens? Von wegen!


Eine Woche spter dann stand er vor mir: An einem Schnheitswettbewerb kann ich jetzt nicht mehr teilnehmen! Sie haben mir die lange
Bizeps-Sehne abmassiert! Obwohl mglicherweise ein Wirkstoff,
der an dem Patienten gerade im Rahmen einer Pilotstudie untersucht
wurde, dafr verantwortlich war, dass die Sehne trotz sachgerechter
Behandlung abreien konnte, war ich sehr betroffen! Offenbar hatte
ich mit meiner Querfriktionsbehandlung mehr Schaden als Nutzen
angerichtet. Ich entschuldigte mich viele Male bei dem Patienten.
Auch meine Vorgesetzte kam untersttzend hinzu, strkte mir den
Rcken, schlichtete und beruhigte den Patienten. Glcklicherweise
war das Arbeitsklima so gut, dass ich mich nicht verteidigen musste,
nichts rechtfertigen, sondern meinen Fehler rckhaltlos zugeben
konnte. Unser offener Umgang damit und die Tatsache, dass der
Patient auer dem Bluterguss keine Bewegungseinschrnkungen
oder Schmerzen hatte beides hat sicherlich dazu beigetragen, dass
der Patient die Situation nicht eskalieren lie. Er konnte mein Missgeschick sogar mit einer guten Portion Humor nehmen und hat
uns weiterhin vertraut. Fehler passieren. Auch in der besten Ausbildung kann man nicht lernen, wie man Fehler hundertprozentig
ausschliet. Aber man kann lernen, mit Fehlern umzugehen offen
und ohne Angst.

136

Kapitel 15 Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen

Vorbeugen ist besser als


haften Aus Fehlern lernen
Rolf Hfert
Dekubitus/Dokumentationsmangel Schadenersatz 16.318
Die Krankenkasse einer Heimbewohnerin (Klgerin) forderte
Schadenersatzansprche fr Kosten, die ihr im Rahmen der Behandlung eines Dekubitus entstanden sind. Die Bewohnerin litt unter
seniler Altersdemenz mit Unruhe- und Verwirrtheitszustnden sowie
Harninkontinenz. Ihre Hausrztin diagnostizierte ein Dekubitalgeschwr im Gesbereich und verordnete Betaisodona-Salbe. Bei
einem weiteren Arztbesuch zeigte sich das Dekubitalgeschwr vergrert. Die Bewohnerin wurde nachfolgend zur stationren Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen und kehrte anschlieend in
die Pflegeeinrichtung zurck. Das Dekubitalgeschwr war noch vorhanden und wurde auf telefonische Anordnung der Hausrztin durch
Splungen mit Wasserstoff und mit Rivanol sowie Furosemid 40 behandelt. Erst ein chirurgischer Eingriff fhrte zur Abheilung des
Geschwrs. Die Krankenkasse verlangte daraufhin die Erstattung
der durch den zweiten Krankenhausaufenthalt entstandenen Kosten.
In der ersten Instanz hat das LG Duisburg die Klage dem Grunde nach
fr gerechtfertigt erklrt. Vor dem OLG Dsseldorf beantragte der
Heimtrger, das erstinstanzliche Urteil abzundern und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgrnde
In der Berufungsinstanz wurde erkannt, dass der Schadenersatzanspruch sowohl dem Grunde als auch der Hhe nach wegen schuldhafter Schlechterfllung des stationren Pflegevertrages gem
611, 276, 278 BGB begrndet ist. Die Entstehung des Geschwrs
beruhte auf einem schuldhaften Pflegefehler. Von Bedeutung war
6

15 Vorbeugen ist besser als haften

137

15

auch die unzulngliche und lckenhafte Dokumentation, die auf


schuldhafte, fehlerhafte Manahmen in der Dekubitusprophylaxe
schlieen lie. Ein mgliches rztliches Mitverschulden bei der Behandlung des bereits aufgetretenen Geschwrs wurde ausdrcklich
ausgeschossen.
(OLG Dsseldorf, Urteil vom 16.06.2004, 1-15 U 160/03).

Sicher haben Sie im Pflegealltag schon einmal eine so genannte Schrecksekunde erlebt. Vergleichbar der Luftfahrt kommt es auch im medizinischen und pflegerischen Leistungsbereich zu Beinahe-Katastrophen. In einer offenen Fehlerkultur und -kommunikation muss es
immer darum gehen, aus Fehlern zu lernen, um sie zu vermeiden.
Eine rigide Fehlerkultur, die vor allem mit Schuldzuweisungen operiert, ist kontraindiziert, weil die Akteure dann allzu oft nicht den
Mut finden, ihre Fehler offenzumachen, damit alle daraus lernen knnen (. Abb. 15.1).

. Abb. 15.1. Hufigkeit. Der Rechts-Links-Vergleich zeigt, dass es nur bei einem Bruchteil der Ereignisse tatschlich zu einem juristischen Verfahren kommt. Mit freundlicher
Genehmigung von Professor Dr. Matthias Schrappe (modifiziert nach [40])

138

15.1

Kapitel 15 Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen

Die gesetzliche Grundlage

Mit dem Bundesaltenpflegegesetz von 2003 und dem Krankenpflegegesetz von 2004 wurden jeweils in 3 die eigenverantwortlichen Aufgaben der Pflege klar definiert und die Verantwortung in Ausfhrung
rztlich veranlasster Manahmen konkretisiert.
Die Pflegeprofession ist mit dem Ansatz ganzheitlicher, am Patienten orientierter Konzepte und wissenschaftlicher Expertisen im Sinne
des Grundgesetzes, Artikel 74, Abs. 1 Nr. 19, als anderer Heilberuf
Partner in der Versorgungsstruktur.
Im juristischen Ernstfall sieht sich die Pflege mit dem Vorwurf
der gefhrlichen Pflegehandlung konfrontiert. Strafrechtliche und
zivilrechtliche Konsequenzen knnen einschneidende Folgen fr jeden
Einzelnen bedeuten.
Wesentlich in der Klrung der Schuldfrage sind dann die Ebenen
der Organisations-, Anordnungs- und Durchfhrungsverantwortung
bzw. -haftung.
v Praxistipp
Hufigste Klagemomente gegen Pflegende betreffen
4 Dekubitus
4 Sturz
4 Fixierung
4 Dokumentationsmngel
4 Fehler in der Ausfhrung rztlicher Verordnungen

Patienten erwarten, nach den neuesten Standards


betreut zu werden
Der Patient setzt im Sinne des Krankenhausaufnahmevertrages, Heimvertrages oder Pflegevertrages darauf, von kompetenten, konstruktiv
zusammenwirkenden Leistungserbringern im Sinne des aktuellen
Standes der Wissenschaft versorgt zu werden. Hierzu gehren auch
die wissenschaftlichen Expertenstandards Dekubitusprophylaxe,

15.1 Die gesetzliche Grundlage

139

15

Entlassungsmanagement, Schmerzmanagement, Sturzprophylaxe, Kontinenzfrderung, Pflege von Menschen mit chronischen


Wunden sowie Ernhrungsmanagement.
Im Sinne der Beweisfhrung vor Gericht sind Standards und Richtlinien sowie deren belegbare Umsetzung in der Einrichtung von besonderer Bedeutung.
Rechtliche Verpflichtung zur Fort- und Weiterbildung
fr Pflegende
Aufgrund der qualittssichernden Anforderungen des SGB V (Krankenversicherungsgesetz) und SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz) sind die
Leistungserbringer in der Pflege auch in Korrespondenz zum Altenpflegegesetz 3 und Krankenpflegegesetz 3 in Wahrnehmung der
eigenverantwortlichen Aufgaben verpflichtet, sich in aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen fort- und weiterzubilden. Im Vorwort zum GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wird unter 3b) Manahmen zur Verbesserung der Qualitt der Patientenversorgung gefordert: Zur Verbesserung der Qualitt der Versorgung soll auch eine
Verpflichtung fr alle rzte und sonstigen Gesundheitsberufe zur regelmigen interessenunabhngigen Fortbildung beitragen.
Heimtrger, ambulante Pflegedienste, Krankenhuser und deren
Mitarbeiter sind seit Jahren vermehrt mit Regressansprchen von
Krankenkassen konfrontiert, wenn es im Rahmen der pflegerischen
Versorgung zu Schden der Bewohner/Patienten bzw. Krankenversicherten kommt.

Die Beweislast liegt beim Trger


Bei Haftungsansprchen gegen den Trger bzw. die Mitarbeiter eines
Altenheimes, ambulanten Pflegedienstes, Krankenhauses ist die Beweislast bzw. Beweislastumkehr von groer Bedeutung. D. h. dass der
Trger beweisen muss, dass alles Erforderliche getan wurde, um nicht
zustzliche Risiken fr den Bewohner/Patienten aufkommen zu lassen.
Beweiserleichternd fr den Bewohner, Patienten, seine Angehrigen

140

Kapitel 15 Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen

und die Krankenkassen sind grobe Behandlungsfehler, der Einsatz


unqualifizierten Personals sowie eine unzulngliche, lckenhafte oder
nachtrglich erstellte Dokumentation (BGB NJW 1983, S. 2080, 2081).

15.2

Rechtsflle aus der Praxis

Typische Beispiele sind:


4 Kaliumchlorid statt Natriumchlorid
4 Hirnverletzung bei Kieferhhlenoperation
4 abgebrochene Operationsnadelspitze bei Bandscheibenoperation
4 Haken halten, Wundsekret absaugen und Gefe koagulieren durch
OP-Pfleger
4 tdliche Bakterieninfektion nach Kaiserschnittentbindung
4 Bauchtuch bei Operation vergessen
4 Amputation des Daumenendgliedes beim Verbandswechsel
4 vertauschtes Kreuzblut
4 tdliche Strangulation durch Bauchgurtfixierung
4 Patientin verblutet nach Nierenbiopsie
4 Rollstuhlfahrerin strzt ins Treppenhaus
4 Kontrastmitteleinlauf statt ins Rektum in die Scheide
4 gewaltsames Entfernen eines gefllten Ballonkatheters
4 Megacillininjektion bei Penicillinallergie
4 tdliche Sturzverletzung einer Heimbewohnerin, weil nur von einer
Pflegekraft gefhrt
4 versptete Reanimation mit Folge Wachkoma
4 Darmperforation bei Verabreichung eines Klysmas
4 Spritzenabszess,
4 Dekubitus, grobe Fahrlssigkeit
4 Injektion von Narkosemittel in Arterie
4 Badewasser ber 50C, Bewohnerin verstorben
4 Fehlmedikation

15.2 Rechtsflle aus der Praxis

141

15

Fall 1: Darmperforation bei Verabreichung eines Klysmas,


60.000 Schmerzensgeld
Wird ein Patient bei der Behandlung durch einen Krankenpfleger
verletzt, haftet das Pflegepersonal, ohne dass der Patient einen Behandlungsfehler nachweisen muss. Der Krankenpfleger verabreichte
dem Patienten einen Darmeinlauf (Klysma). Wegen pltzlich auftretender Bauchschmerzen und danach festgestellten Kontrastmittelaustritts aus dem Enddarm wurde der Klger notfallmig laparotomiert.
Deliktische Haftung des Krankenpflegers nach 253 Abs. 2, 823
Abs. 1 BGB Urteil des Pflzischen Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrcken vom 16.01.2007
OLG Zweibrcken, Az: 5 U 48/06
Fall 2: Geldstrafen fr Tod eines Bewohners nach verschluckter
Zahnprothese
Der 75-jhrige Patient war nach stationrer Behandlung in einem
Krankenhaus mit zwei Hftoperationen infolge der Verschlechterung
des Allgemeinzustandes in ein Pflegeheim verlegt worden. Hier verstarb er nach 5 Tagen an einer Lungenentzndung. Bei der Obduktion
fand man eine in den Rachenraum gelangte Unterkieferzahnprothese
als urschlich fr die Lungenentzndung.
Hauptvorwurf gegen die zwei verurteilten Altenpflegerinnen war,
dass der tdliche Ausgang htte verhindert oder verzgert werden
knnen, wenn eine sachgerechte Kontrolle und Pflege der Mundhhle, ein rechtzeitiges Entfernen der rachenwrts verlagerten Zahnprothese und das Hinzuziehen eines Arztes zur Behandlung erfolgt
wren.
Verurteilt wurde die eine Altenpflegerin wegen fahrlssiger
Krperverletzung zu einer Geldstrafe von 2.700,-, die andere wegen
fahrlssiger Ttung zu einer Geldstrafe von 3.000,(AG Bhl, AZ: Cs 200/Js 698/03).

142

Kapitel 15 Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen

Fall 3: Sturz am Waschbecken, 8.000,- Schadenersatz


wegen Fahrlssigkeit der Pflegerin
Zu seinem Recht und zu Schadenersatz kam der Ehemann einer in
einem privaten Altenpflegeheim untergebrachten Frau, die an den
Folgen eines Sturzes verstorben war. Die an schwerer Altersdemenz
leidende Patientin war auf ihrem Zimmer gestrzt und hatte sich eine
Armfraktur und Kopfverletzungen zugezogen, als ihre Pflegerin sie am
Waschbecken stehen lie, um den Toilettenstuhl bereitzustellen.
Das Gericht sah darin eine fahrlssige Unachtsamkeit der Pflegerin
und somit eine Vertragsverletzung, fr die auch das Pflegeheim einzustehen hat. Es durfte nicht darauf vertraut werden, dass die Patientin
auch nur kurze Zeit ohne Hilfe sicher stehen bleiben wrde. Die
Pflegende durfte deshalb nicht dadurch eine von ihr nicht mehr beherrschbare Situation herbeifhren, dass sie sich von der geflegten
Person abwandte, und sie so bei einem Sturz nicht mehr rechtzeitig
eingreifen konnte. Dem klagenden Ehemann steht somit aus bergegangenem Recht ein Schmerzensgeldanspruch ( 823 Abs. 1, 253
Abs. 2 BGB) in Hhe von 8000,- zu.
Fall 4: Eigenmchtige Fixierung durch das Pflegepersonal
Die Ehefrau eines Patienten verlangte Schadenersatz von zwei Pflegepersonen, weil jene haftungsrechtlich fr den Tod ihres Ehemannes
verantwortlich seien. Wegen eines akuten psychotischen Schubs kam
der 63-jhrige Patient in das Klinikum und wurde von den zwei diensthabenden Pflegekrften wegen starker Unruhe mittels eines Bauchgurtes und Fufesseln im Bett fixiert. Eineinhalb Stunden spter wurde
eine Pflegeperson wegen eines Hilferufes darauf aufmerksam, dass in
dem Zimmer des Patienten ein mit starker Rauchentwicklung verbundenes Feuer ausgebrochen war. Das Bettzeug des Patienten war in
Brand gesetzt worden. Der Patient erlitt schwere Verbrennungen
zweiten und dritten Grades an Fen und Beinen bis hinauf zu den
Genitalien. Er wurde zur stationren Behandlung in das Krankenhaus
eingeliefert, wo er nach 3 Monaten verstarb. Die Ehefrau, als Klgerin,
nahm das diensthabende Pflegepersonal, den diensthabenden Arzt
6

15.2 Rechtsflle aus der Praxis

143

15

und den Kliniktrger auf Ersatz von Haushaltshilfekosten sowie von


Aufwendungen in Zusammenhang mit der rztlichen Behandlung,
dem Krankenhausaufenthalt und der Beerdigung ihres Mannes in Anspruch.
Feststellungen des Gerichtes:
Pfleger handeln pflichtwidrig, wenn sie einen Patienten ohne vorherige schriftliche Anordnung des Arztes (teil-)fixieren und es darber
hinaus unterlassen, sofort einen Arzt von dieser Manahme zu unterrichten und dessen weitere Entscheidungen abzuwarten.
Eine eigenmchtige (Teil-)Fixierung durch das Pflegepersonal kann
nur zur Abwendung akuter Gefahren fr den Patienten oder andere,
die keinen Aufschub dulden, zugelassen werden.
Es ist ein Behandlungsfehler, einen psychiatrischen Risikopatienten,
der medikaments nicht ausreichend beruhigt worden war, im Bett zu
fixieren, ohne ihn stndig optisch und akustisch zu berwachen.
Fall 5: Injektion durch Nichtfachkrfte
Das Verabreichen einer Spritze stellt einen Eingriff in die krperliche
Unversehrtheit des Patienten dar und erfllt den Tatbestand der Krperverletzung im Sinne 223 des Strafgesetzbuches. Die Einwilligung
eines Patienten erstreckt sich auch auf die Delegation von Injektionen
auf medizinisches Hilfspersonal, soweit sie nach objektiven Mastben als zulssig anzusehen ist. Vor der Delegation rztlicher Ttigkeiten auf Hilfskrfte ohne pflegerische Ausbildung ist zwingend die
materielle Qualifikation durch einen Arzt festzustellen.
Zum Urteil:
Verurteilt wurde eine Heimleiterin wegen Anstiftung zur Krperverletzung, weil sie einen Mitarbeiter beauftragt hatte, subkutan Insulin
zu spritzen. Der Mitarbeiter war als Pflegehelfer eingestellt. Er hatte
keine pflegerische Qualifikation und war gelernter Kraftfahrzeugmechaniker. Eine rztliche Anleitung oder berwachung whrend der
Verabreichung fand nicht statt. Die Angeklagte hat den Mitarbeiter in
6

144

Kapitel 15 Vorbeugen ist besser als haften Aus Fehlern lernen

die Technik der subkutanen Injektion eingewiesen. Das Landgericht


Waldshut sah in den Injektionen durch den nicht (pflegerisch) qualifizierten Mitarbeiter eine vorstzliche Krperverletzung. Da die Patientin nicht im Voraus ber die fehlende Qualifikation des Mitarbeiters
unterrichtet wurde, konnte sie nicht wirksam in die Injektionen einwilligen. Der Heimtrger und die Pflegedienstleitung mssten seine
materielle Qualifikation, d. h. sein Wissen und Knnen im Zusammenhang mit den ihm bertragenen Aufgaben, prfen und die Delegation mit dem behandelnden Arzt oder einem Beratungsarzt des
Heimes abklren (LG Waldshut-Tiengen, Urteil vom 23.03.2004, AZ: 2
Ns 13 Js 1059/99).

Diese Urteile lassen sich auf alle Leistungsbereiche der Pflege bertragen.
v Praxistipp
Zur Fehlerprophylaxe gehrt das Aufzeigen von Bedenken
Unter Remonstration (Aufzeigen von Bedenken) versteht man
das Recht und die Pflicht, eine gefahrengeneigte Versorgung
schriftlich und damit nachweislich aufzuzeigen. Damit kommt der
Mitarbeiter/die Mitarbeiterin ihrer Hinweis- und Unterrichtsverpflichtung nach. Die Remonstration muss im Sinne des 121 BGB
unverzglich erfolgen.

15.3

Mir ist ein Fehler passiert! Und jetzt?

Gerade dann, wenn in einer Institution kein offener und konstruktiver


Umgang mit Fehlern gepflegt wird, fllt es sehr schwer, einen Fehler
einzugestehen. Warten, bis Gras ber die Sache gewachsen ist,
scheint dann oft die einzig vernnftige Perspektive zu sein. Anzuraten ist diese Sichtweise nicht, denn sie kann Schaden sowohl fr
den Patienten als auch den Behandelnden/Pflegenden noch ganz
erheblich vergrern.

15.3 Mir ist ein Fehler passiert! Und jetzt?

145

15

Persnliches Gedchtnisprotokoll ber den Zwischenfall


Einen Fehler, der einem unterlaufen ist, offen zu machen zum Beispiel
im Rahmen der Mitarbeiterbesprechung, ist nicht nur oberstes Gebot
eines professionellen Berufsverstndnisses und einer entsprechenden
Berufsethik, sondern hat gleich mehrere positive Auswirkungen:
4 Nur wenn ein Fehler offenbart wird ist, knnen sofortige Gegenmanahmen getroffen werden, die den Patienten vor mglichen
Folgen schtzen.
4 Nur aus einem Fehler, ber den man offen gesprochen hat, knnen
auch andere lernen.
4 Einen Fehler einzugestehen wirkt entlastend.
4 Wurde ein Fehler frhzeitig kommuniziert, wird das im Schadensfall entlastend bercksichtigt auch aus juristischer Perspektive ist
eine frhe Fehlerkommunikation und -dokumentation also sinnvoll.

Anonyme Berichterstattung
Neben dem offenen Gesprch besteht auch die Mglichkeit, anonym
ber einen Fehler zu berichten. Hier hat sich das Fehlerberichtssystem
CIRS Critical Incident Reporting System bewhrt. Es geht hierbei
um die anonyme Meldung von kritischen Ereignissen und BeinaheSchden im Sinne der Patientensicherheit. Nach dem Prinzip Berichten-Bearbeiten-Beheben knnen erkannte Risiken bearbeitet werden
und aus den kritischen Situationen Strategien zur Vermeidung von
Fehlern entwickelt und umgesetzt werden.
Fazit
4 Vorbeugen ist besser als haften! Neben dem aktiven Engagement
zur Vorbeugung von Fehlern gehrt auch, dass jede Pflegefachkraft eine persnliche Berufsrechtsschutz- und Berufshaftpflichtversicherung, entweder durch Mitgliedschaft in einem Pflegebzw. Berufsverband oder privat haben sollte.

146

Kapitel 16 Ein Blick ber den Tellerrand

Ein Blick ber den Tellerrand Fehlervermeidung


durch Qualittssicherung
in den USA
Edith Kellnhauser
Fehlervermeidung ist ein Thema, dass hierzulande als zunehmend
brisant gilt. Doch wie machen es die anderen Amerika zum Beispiel?
Die Behandlungsqualitt sicherzustellen, und zwar auf Basis klar definierter Kriterien, hat in den USA eine lange Tradition und ist in den
Gesundheitseinrichtungen institutionalisiert. Entsprechende krankenhausexterne Kontrollorgane stellen sicher, dass festgelegte Qualittsstandards eingehalten und kontinuierlich verbessert werden.

16.1

Die Joint Commission zur Qualittskontrolle

Das bedeutendste Qualittskontrollorgan in den USA ist die Joint


Commission for the Accreditation of Health Care Organisations
die Gemeinsame Kommission fr die Akkreditierung von Gesundheitseinrichtungen, kurz Joint Commission genannt.
> Akkreditierung kommt von dem lateinischen Wort accredere
und bedeutet so viel wie Glauben schenken, besttigen.
Entsprechend besttigt die Joint Commission die Qualitt einer
Gesundheitseinrichtung oder eben nicht.

Qualittsstandards dieser Kommission wurden von einigen der in


jngster Zeit in Deutschland entstandenen Qualittssicherungsagenturen weitgehend bernommen.

16.1 Die Joint Commission

147

16

Grndung der Joint Commission


Die Joint Commission wurde 1918 von einer Gruppe von Chirurgen
gegrndet mit dem Zweck, ihre qualitativ hochstehenden Leistungen
den Patienten gegenber belegen zu knnen. Heute, enorm vergrert
und in ihren eingesetzten Standards sehr detailliert, werden von
diesem Kontrollorgan im 3-jhrlichen Turnus landesweit Gesundheitseinrichtungen untersucht, um den Grad der fr Patienten erbrachten
Behandlungsqualitt zu ermitteln.

Arbeitsweise der Joint Commission


Die Joint Commission wird von den einzelnen Krankenhusern und
anderen Gesundheitseinrichtungen eingeladen. Diese freiwillige Beteiligung der Einrichtungen am Kontrollprozess erklrt sich daraus,
dass der Erwerb der Akkreditierung die Kostenbernahme durch die
privaten und gesetzlichen Kostentrger sichert die nachweisbare Einhaltung von Qualittsstandards entspricht also einem vitalen Interesse
der Gesundheitsanbieter! Auerdem ist sie aber auch hausintern von
groer Bedeutung:
4 Eine Einrichtung vergewissert sich so ihres aktuellen Qualittsniveaus,
4 kann durch Beseitigung eventueller Schwachstellen das festgelegte
Niveau halten und
4 das nachgewiesene Qualittsniveau als gewichtiges Mittel in der
Werbung um Patienten und der Anwerbung von kompetenten
rzten und Pflegepersonal einsetzen.
v Praxistipp
Hohe Qualittsstandards dienen nicht nur den Patienten und
Klienten einer Einrichtung sie bewirken auch eine positive Identifikation der Mitarbeiter mit ihrer Arbeitsstelle und heben damit
die Arbeitsmoral.

148

Kapitel 16 Ein Blick ber den Tellerrand

Ist-Zustand = Soll-Zustand? Der Akkreditierungsprozess


Der Akkreditierungsprozess wird von einer Expertengruppe durchgefhrt, die aus einem Krankenhausbetriebswirt, einem Arzt und einer
Pflegeperson besteht. Der Prozess dauert je nach Gre der Einrichtung drei und mehr Tage und umfasst alle Bereiche einer Institution.
Dazu werden, ausgehend von einem allgemein gltigen Grundstandard, zahlreiche Standards fr die einzelnen Fachabteilungen abgeleitet
und ermittelt, inwieweit der Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand, dem
Standard, bereinstimmt.
Werden Schwachstellen festgestellt, kommt es je, nach Schweregrad, zu einer mndlichen oder schriftlichen Beanstandung seitens der
Kommission. Bestehende Mngel mssen innerhalb eines bestimmten
Zeitraums beseitigt werden. Nach schriftlichen Beanstandungen
mssen die Mngelkorrekturen auch wiederum schriftlich besttigt
werden. Wurden gravierende Missstnde entdeckt, die nicht zur
Zufriedenheit der Prfer korrigiert wurden oder korrigiert werden
konnten, erfolgt bestenfalls eine Teil-Akkreditierung, schlimmstenfalls
eine Nicht-Akkreditierung. Wird die Akkreditierung entzogen, droht
der betroffenen Einrichtung sogar die Schlieung des Betriebes, wenn
sich die Kostentrger zurckziehen.
More power to You: Die Fortbildung
Qualitt zu sichern ist ein nie endender Prozess, der nicht am Tag x abgeschlossen ist. Qualitt muss immer wieder neu gesucht und hergestellt
werden. Dabei ist die ber 24 Stunden mit dem Patienten direkt befasste
Abteilung des Pflegedienstes von groer Bedeutung. In der Pflegeabteilung wird auf verschiedene Weise versucht, einen hchstmglichen
Grad an Pflegequalitt fr Patienten zu erbringen und zu sichern. Ein
Weg zur pflegerischen Qualittssicherung ist die Vermeidung von Fehlern. Dies kann durch unterschiedliche Manahmen erreicht werden.
Mehr wissen: Die Pflichtfortbildung
Das Risiko von Fehlern nimmt zu, je geringer der Wissensstand ist.
Diese einfache Tatsache ist eine Grundidee des Fortbildungssystems in
der Pflege in den USA, das ganz auf regelmige Weiterbildung setzt

16.2 Wie fit bin ich? Die Leistungsbewertung

149

16

und zwar nicht als Kann, sondern als Muss. Um ihre gltige berufliche Lizenz, also ihre Berufserlaubnis, zu behalten, sind Pflegekrfte
durch die Pflegekammer verpflichtet, alle zwei Jahre eine Fortbildung
an einer von der Kammer akkreditierten Fortbildungseinrichtung oder
sonstigen anerkannten Anbietern zu belegen. Eine solche Fortbildung
dauert in der Regel etwa 20 Stunden. Nur auf Basis dieser Fortbildung
wird die berufliche Lizenz auf weitere zwei Jahre erneuert. Ohne
gltige Lizenz kann man nicht in der Position weiterarbeiten, die man
bis dahin innehatte, sondern muss bis zum Wiedererwerb der Lizenz
auf die Position einer Hilfskraft zurckgestuft werden. Wer keine
gltige Berufslizenz vorweisen kann, hat kaum eine Chance er oder
sie wird von keinem Krankenhaus eingestellt.
Niemand macht absichtlich einen Fehler
Davon gehen Arbeitgeber in Gesundheitseinrichtungen aus und finanzieren grundstzlich alle Fortbildungsveranstaltungen im Haus. Lediglich auerhusige Veranstaltungen mssen zu einem kleinen Teil von
den Teilnehmern mitfinanziert werden.

16.2

Wie fit bin ich? Die Leistungsbewertung

Eine weitere Manahme zur Fehlervermeidung ist die jhrliche Leistungsbewertung, die am Jahrestag ihrer Einstellung mit den einzelnen
Pflegepersonen durch die direkte Vorgesetzte vorgenommen wird.
brigens: Dieses System wird nicht nur im Pflegedienst, sondern in
allen Abteilungen des Krankenhauses bis in hchste Positionen eingesetzt. Die Leistungsbewertung ist auf die Aufgaben abgestimmt und
wird auf Basis einer detaillierten Ttigkeitsbeschreibung nach messbaren Kriterien durchgefhrt. Bei Pflegenden auf Station z. B. so:
4 Grundlegende Aufgaben
4 Klinische Fhigkeiten
4 Zwischenmenschliche Beziehungen
4 Fhrungsfhigkeiten
4 Andere Verhaltenserwartungen

150

Kapitel 16 Ein Blick ber den Tellerrand

Das Finetuning der Kategorien


Jede dieser fnf Kategorien beinhaltet zahlreiche Items also Aspekte:
Zur Verdeutlichung werden nachstehend aus der ersten Kategorie
Grundlegende Aufgaben zwei Items vorgestellt und die Bewertung
nach messbaren Kriterien vorgenommen. Die erreichbaren Punkte
0 1 2 dienen zur Bestimmung des Qualittsgrades, den die bewertete Person bei den einzelnen Items erreicht. Zum Beispiel:
1. Nimmt die Beurteilung und Pflegedatenerfassung von neu aufgenommenen oder verlegten Patienten innerhalb von 15 Minuten
nach deren Ankunft auf der Station vor (ersichtlich aus der Pflegedokumentation). Erreichbare Punkte: 0 1 2
2. Entnimmt und prft tglich verfgbare Daten (Laborwerte, Operationsberichte) aus der Krankenakte und leitet angemessene Pflegettigkeiten ein (ersichtlich aus der Pflegedokumentation). Erreichbare Punkte: 0 1 2
Auf diese Weise werden alle Items der einzelnen Kategorien durchgegangen und abschlieend die erreichten Punktwerte addiert. Die
erreichte Gesamtzahl der Punktwerte wird in drei Bewertungsstufen
eingruppiert. Je nach Eingruppierung erfolgt die damit einhergehende
Gehaltserhhung, die gekoppelt ist an die jeweilige Inflationsrate. Bei
einer bestehenden Inflationsrate von beispielsweise 3% erhlt die
unterste Bewertungsstufe Standard nicht erfllt keine Gehaltserhhung. Die mittlere Stufe erfllt Standard bekommt 3%, und die
oberste ber Standard kann sich ber mindestens 5% freuen.
Auergewhnliche Leistungen werden auch auergewhnlich
belohnt
Zu Zeiten der Regierung von Prsident Jimmy Carter (19771981)
lag die Inflationsrate zeitweilig bei 14%. Das Ergebnis der Leistungsbewertung einer Pflegehelferin war in einem dieser Jahre ber
Standard. Folglich bekam sie eine Gehaltserhhung von 19%.
Hervorragend gute Leistungen wurden ohne Ansehen der Position
6

16.3 Fehlern vorbeugen

151

16

vor dem Hintergrund der persnlichen Wertschtzung und der


Leistungsanerkennung auch auergewhnlich entlohnt als im
wahrsten Sinne des Wortes barer Ausdruck von Wertschtzung und
Anerkennung.

Diese aufwndige Manahme der jhrlichen Leistungsbewertung


dient zuvorderst der formalen Anerkennung der guten Leistungen
der einzelnen sowie ihrer persnlichen Wertschtzung als betriebliche Mitarbeiter. Sie motiviert gleichzeitig aber auch zu weiterhin
qualitativ hochstehender Arbeit und trgt damit zur Fehlervermeidung bei.
You said it all
Aus Versehen verabreichte ich einmal einem Patienten die falschen
Medikamente. Natrlich wendete ich mich sofort, nachdem ich
meinen Fehler bemerkt hatte, an den behandelnden Arzt. Erklrte
ihm, was passiert war, und dass ich den Patienten auf mgliche
negative Auswirkungen intensiv beobachten wrde. Ganz offensichtlich war mir das alles uerst peinlich! Selbstverstndlich wrde ich
knftig alles daran setzen, derartiges zu vermeiden, indem ich den
Namen des Patienten mit dem Namen am Medikamentenschlchen
vergliche. Als der Arzt sich alles angehrt und erkannt hatte, wie
unangenehm mir mein Fehler war, schloss er nur freundlich: You said
it all Es ist schon alles gesagt. Keine Vorwrfe, keine Schuldzuweisungen. Fr ihn war nur eines wichtig: dass ich aus meinem Fehler
gelernt hatte!

16.3

Fehlern vorbeugen: Das Risikomanagement

Eine dritte Manahme zur Fehlervermeidung bzw. Fehlerkorrektur ist


das so genannte Risikomanagement. Gemeint ist damit ein Prozess, in
dem entschieden wird, ein bekanntes Risiko oder eine Gefahr zu akzeptieren, zu reduzieren oder abzubauen [18].
Das Risikomanagement ist ein betriebsweites Qualittssicherungssystem, das neben dem Personenschutz auch andere Bereiche wie z. B.

152

Kapitel 16 Ein Blick ber den Tellerrand

bauliche Gegebenheiten oder technische Anlagen miteinbezieht. In


allen Abteilungen besteht ein Meldesystem, das so genannte ungewhnliche Vorkommnisse an die dafr zustndige innerbetriebliche
Qualittssicherungsstelle berichtet. Wie in den anderen Abteilungen
gibt es auch im Pflegebereich Vordrucke, auf denen das ungewhnliche
Vorkommnis erfasst wird.

Beispiel fr Risikomanagement
Eine Pflegekraft verletzt sich an einer gebrauchten Kanle.
4 Anzugeben sind: Datum und Anschrift der betroffenen Person.
4 Berichtet wird in den Kategorien: Patient, Medikament, Besucher,
Mitarbeiter, Wertsachen.
4 Schritt 1
Nach Ankreuzen der zutreffenden Kategorie wird der Hergang
des ungewhnlichen Vorkommnisses objektiv und ohne Wertung von der verantwortlichen Pflegeperson beschrieben.
4 Schritt 2
Im Anschluss daran sind Verbesserungsvorschlge zur Vermeidung des erfolgten Vorkommnisses einzutragen.
4 Schritt 3
Der Vordruck wird von der berichtenden Person unterschrieben
und der Abteilungsleitung zur Weiterleitung an die Qualittssicherungsstelle bergeben.
Dort werden die eingegangenen Berichte monatlich gesichtet, ausgewertet und kategorisiert. Je nach Hufigkeit wird ber die Durchfhrung entsprechender Korrekturmanahmen entschieden.

16.3 Fehlern vorbeugen

153

16

Fazit
4 Fehler sind zum Lernen da nicht um Schuld zuzuweisen.
4 Die beschriebenen Manahmen sind lediglich 3 Beispiele aus dem
reichhaltigen Katalog zur Fehlerberichtigung und Fehlervermeidung im Rahmen des Qualittsmanagements in den USA.
4 Ihr eigentlicher Sinn ist die Qualittssicherung im Pflegebereich.
4 Eine ihrer grundlegenden Bedeutungen: Pflegende nicht durch
Schuldzuweisungen zu verunsichern und zu entmutigen, sondern
in einem gemeinsamen Vorgehen mit den jeweiligen Vorgesetzten
Fehler zu beheben und zu lernen, sie zuknftig zu vermeiden.

154

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Stichwortverzeichnis

158

Stichwortverzeichnis

A
Aktionsbndnis fr Patientensicherheit
2ff, 67
aktive Sterbehilfe 97
Altenpflege 117
Alterspyramide 14
Angst 36, 38
Anonymisierung der Teams 91
AOK-Bundesverband 2
Apotheker 27
quatortaufe 94
Arbeitsbelastung 19, 23, 27
Arbeitszeit 30
Gesetz 30
rzte 27
Assistenzberuf 55
Asymmetrie 47ff, 111
Aufklrungsgesprch 67, 70
Ausbildungssituation 20, 76
Autonomie 50, 51
Gewinn 105

Beweisfhrung 139
Beweislast 139
Beweislastumkehr 139
Biografiearbeit 13
BMG 7 Bundesministerium fr
Gesundheit
BQS 117
Bundesaltenpflegegesetz 138
Bundesanstalt fr Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin 7 baua
Bundesministerium fr Gesundheit 2
Burnout
Folgen 95

C
CIRS 119, 130ff
Meldekreis 130
Moderatoren 130
critical incident reporting system
7 CIRS

B.-Braun-Stiftung 17
Balint-Gruppe 96
baua 7 Bundesanstalt fr Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin 31
Bauarbeiter 31
Behandlungsfehler 2, 140ff
Berichtssysteme 119ff
Berufserlaubnis 149
Berufsethik 48, 145
Betthten 8, 12
Bettlgerigkeit 6ff
Bewegung
Konzept 61
Mangel 60
Plan 61

Datenschutz 113
DBfK 27ff
Umfrage 27
Dekubitus 7, 31, 40, 59ff, 136
Prophylaxe 59ff
Deliktische Haftung 141
Depression 7
Desensibilisierung 95
Deutscher Berufsverband fr Pflegeberufe 7 DBfK
Deutsches Institut fr angewandte
Pflegeforschung 7 dip
dip 7 Deutsches Institut fr angewandte
Pflegewissenschaft 28
Dialog 53

Stichwortverzeichnis

Dokumentation 84ff
Mangel 136, 138
Druckentlastung 60
Durchblutung 62
Durchfhrungsverantwortung 29,
138

E
Eigenaktivitten 13
Eingriffsort 67ff
Eingriffsverwechslung 66ff
Eis und Fn 62
Entlassungsmanagement 139
Ereignis 9
Erholungspause 30
Ernhrungsmanagement 139
Erwerbsminderung 19
Ethik 47ff
ethische Reflexion 48
Grundstze 49
Ethikkomitee 89, 92f

F
Fahrlssigkeit 140, 142
Fallbesprechung 32, 96
Fallzahl 18
Fehler des Monats 122, 129
Fehlerkommunikation 78ff
Fehlverhalten 89ff
sprachliches 91
Fersenschoner 60
Feuerwehrleute 27
Fixierung 138, 140, 142
Fnen 62
Fortbildung 22, 139, 148
Fragebogen 36
Frhberentung 19

159

AI

Fundamentalismus 96
Frsorge 54

G
Gedchtnisprotokoll 80, 145
Gefhlsarbeit 101
Geldstrafe 141
gemischtes Berichtssystem 121
Gerechtigkeit 52
geschlossenes Berichtssystem 119
Gesundheitssystem
konomischer Druck 117
GKV-Modernisierungsgesetz
7 GMG 139
GMG 7 GKV-Modernisierungsgesetz
Grundgesetz 50, 112, 138

H
Haftungsanspruch 139
Hebetechnik, falsche 31
Heimaufsicht 117
Heimvertrag 138
Hilflosigkeit, eigene 32
Hilfsbereitschaft
falsch verstandene 13
Hilfsmittel 29, 31
Hygienevorschrift 29

I
Identifikation 67, 69
Identitt
Patient 69
instabile Phase 8

160

Stichwortverzeichnis

Institut fr Qualitt und Patientensicherheit 7 BQS


Institut fr Qualitt und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
7 IQWiG
IQWiG 63

J
Joint Commission 146ff

K
KEK 89
Kinsthetik 13, 61
Klinische Ethikkomitees 7 KEK
Kommunikation 27, 92, 97, 112
Kontinenzfrderung 139
Kontraktur 7
krperliche Belastung 31
Krperverletzung 141, 143
Krankenhausaufnahmevertrag 138
Krankenhauserreger 82
Krankenhauskeim 2
Krankenpflegegesetz 138
Krankenversicherungsgesetz 139

L
Lagerung 60
Plan 61
Systeme 60
Leistungsbewertung 149, 150
Leitungsverantwortung 42

M
M&M-Konferenzen 129
Macht 48, 106
Machtausbung 89
Markierung 68, 70ff
MDK 117
Medizinische Dienst der Krankenversicherung 7 MDK
Mitleid 96
Mobilitt 12, 60
Moral 49, 92
Morbidittskonferenz 89, 127, 131
Mortalittskonferenz 89, 127, 131
mndiger Patient 51
Muskel- und Skeletterkrankung 31

N
Nachtdienst 30
Namensschild 113
Nebenwirkung 2
Nosokomiale Todesflle 82

O
offenes Berichtssystem 120
Ohnmachtsgefhl 106
Ortsfixierung 7, 10

P
Paternalismus 110
Patientenbild 110
Patientensicherheit 21, 119, 121
Patientenwille 111

Stichwortverzeichnis

Pause 30
Personalabbau 17, 19
Pflegebeziehung 101ff
Pflegekammer 149
Pflegeleitbild 105
Pflegestandard 29, 33, 35
Pflege-Thermometer 2009 17, 19ff
Pflegeversicherungsgesetz 139
Pflegevertrag 136, 138
Pflichtfortbildung 148
Pneumonie 7
Positionsvernderung 60
Privatsphre 51, 79, 83
Psychische Belastung 32
Psychoanalyse 101

Q
Qualittsmanagement 22, 117, 124,
129, 153

R
Regressanspruch 139
Risikomanagement 117, 118, 127, 151
Risikomanagement Weblog 129
Ritual 59, 82, 93
Rckenschmerz 31
Ruhepause 30

161

IU

Selbstbestimmtheit 50, 104


Selbstherrlichkeit 96
Selbstpflegefhigkeit 105
Selbststeuerung 104, 105
Selbstverwirklichung 51
SGB V 139
SGB XI 139
Sicherheitskultur 117, 118, 127, 131
Sicherheitsmanagement 127
Sitzringe 62
Spezialmatratzen 61
Sprache 12, 37, 91
Stammzellenentnahme 50
Stationsleitung 32, 92
Stellenabbau 17, 19, 20, 28
Sterbehilfe 50, 97
Sterben 45, 92, 93, 97, 102
aktive Hilfe 97
Begleitung 93
Stiftung fr Patientensicherheit 79
Strafgesetzbuch 143
Stress 36, 38, 91
Sturzprophylaxe 139
Supervision 32, 37

T
Team-Time-Out 68, 73
Teilfixierung 143
Thrombose 7
Todesfall 2, 82
Transfer 13

Saal-Check 68, 72
Schadenersatz 136, 142
Scherkrfte 31, 61
Schmerzensgeld 141, 142
Schmerzmanagement 139

bergabe 39, 82ff, 96


Beendigungsphase 83
Erffnungsphase 83
Fehler 82
Kernphase 83

162

Stichwortverzeichnis

berstunden 19, 20, 30


Unterlassung 3, 5, 6, 9
Unwissenheit 5ff, 12
USA 146

V
Verantwortung 16, 24, 29, 33, 42, 55,
74, 85, 128, 138
verbaler bergriff 91
Vernunftfhigkeit 50
Versagen im Job 41
Verweildauer 18
Vollzeitstellen 28

W
Wechselwirkung 2
Weiterbildung 22, 139, 148
Werte 32, 49, 104, 111, 112
Wundmanager 22
Wrde 11, 49, 50, 51, 54, 55, 78, 95, 111
Verletzung 95

Z
Zeitdruck 29, 33, 66
Zeitgefhl 7
Zeitmangel 10, 11
Zentrum fr Pflegeforschung
und Beratung 7 ZePB
ZePB 36, 118
Zwischenflle
schwerwiegende 80

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