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Robert Michels - Die Deutsche Sozialdemokratie Im Internationalen Verbande (1907)
Robert Michels - Die Deutsche Sozialdemokratie Im Internationalen Verbande (1907)
Verbände.
Von
ROBERT MICHELS.
listenpartei 1). Es ist kein Zweifel daran, daà er mit diesem Aus-
spruch recht hat. Lange Jahre hat die Leitung der Angelegen-
jeder Hinsicht eine weit geringere Rolle als die Sektionen der
deutschen Persönlichkeiten von Marx und Engels, die nicht nur durch
ihr Wissen und Können, sondern auch durch ihre Tatkraft und Rück-
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wenig stolz waren, wie sie denn überhaupt durchaus als die Stamm-
schaft < bezeichnet2) â wurde bald zur Zielscheibe der Kritiken
doner Generalrats, der nichts mehr und nichts weniger war als
sition, die sich gegen ihn erhoben hatte, am Ende Herr. Sowohl
len endgültig von der Bühne verschwunden. Der andere, der sich
national unorganisiert. Erst Ende der achtziger Jahre taten sich hier
und dort wieder Bestrebungen kund, die sich für den engeren An-
rin nicht darin nach, daà sie sich die gleiche Struktur gab. Auf der
Erkenntnis fuÃend, die Engels in den Satz goÃ: »Die Massen sind
2) Es sei hier an das erboste Wort von Marx erinnert: , In den Augen dieser
»nternationalen« ist es überhaupt schon eine Sünde, daà »deutscher« Einfluà (weil
deutsche Wissenschaft) im General Council vorwiegt«. (Brief von Karl Marx aus
London vom 9. November 1871 an F. A. Sorge: »Briefe und Auszüge aus Briefen
von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. a. an F. A.
nun einmal nur auf dem, jedem Lande und den jedesmaligen Um-
ständen entsprechenden Wege â der meist ein Umweg ist â in
Bewegung zu bringen« 3), war sie nicht mehr wie vorher eine ohne
sondern sie lebte wieder auf als eine lose Aneinanderreihung natio-
schränkte. Wenn auch durch diese neue Form die Diktatur eines
sationsform, die sie sich gab, und dem Geist, der sie beseelte,
werten4), nicht ohne leisen Tadel: als Parteien, die ihr Modell aus
hat die deutsche Partei häufig als ein abgöttisch angebetetes Idol
8) Brief von Fr. Engels aus London vom 16. September 1887 an F. A. Sorge.
die das wilde Raubtier Bismarck auf die Kniee gezwungen habe,
Fall dieses Gesetzes, der vom 12. â18. Oktober 1890 in Halle a. S.
des Auslandes wie die kleinen Schüler, die ihrem Herrn und Meister,
war so groÃ, daà sie »selbst bei fehlerhafter Taktik« auf den Kon-
neuen, von der alten abtrünnigen holländischen Partei 1500 Mk. Unterstützung
gesandt hatte. Kein internationaler Kongreà habe doch der deutschen Fraktion
»das Mandat verliehen als europäische Parteijustiz«! (Protokoll über die Verhand-
zu Frankfurt a. M. vom 21. bis 27. Oktober 1894. Berlin 1894. Verlag d. Exp.
d. »Vorwärts«. p. 75.)
Partei Deutschlands. Abgehalten zu Halle a. S. vom 1z. bis 18. Oktober 1890.
Berlin 1890. Verl. d. Exp. des »Berliner Volksblatt«. (Reden von: F. Domela-
7) Brief von Friedrich Engels aus London vom 27. September 1890 an F.
empfohlen zu werden.
ersten Opfer der procedes der Partei auf den internationalen Kon-
sagt, daà sie, vereint mit einigen Freunden aus Frankreich und
0) Brief von Fr. Engels aus London vom 8. Februar 1890 an F. A. Sorge.
Briefe und Auszüge, loco cit. p. 330. Vgl. auch den Brief von Fr. Engels an
F. A. Sorge aus London vom 12. Oktober 1889. p. 323. Man vergleiche auch die
äuÃerst scharfen, zum Teil auf Erzählungen von Adolph Hepner beruhenden Urteile
über das Wesen der deutschen Sozialdemokratie in Amerika aus der Feder eines
leuchtung der Vorgänge auf demselben. Separatabdruck aus dem »Sozialist« Berlin
1896. Verl. Gustav Friedrich, p. 39, sowie Leon Remy: »Le Congres de Lon-
") Vgl. »Der Londoner Kongreë p. 39, 43, sowie »Les Revohuionnaires au
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war, Männer wie die Franzosen Edouard Vaillant und Marcel Sem-
bat, die Engländer Keir Hardie und Bernhard Shaw und der Belgier
E. Vandervelde, die doch sachlich auf ihrer Seite standen, mit aller
sam verfolgt hat, dem kann weder entgangen sein, wie fein und
wie stark die Fäden waren, die gesponnen wurden, um die »Familie
von Intrigue und diplomatischem Spiel, sich in den Besitz der tat-
können, reizt uns erst recht zur Wiederholung der Frage nach den
Bann. Also nochmals: was sind die Ursachen für die deutsche
12) Vgl. die Stelle eines Briefes von F. Engels aus London vom 30. Dezem-
ber 1893 an F. A. Sorge: »Trotz alledem krähen die Herren Franzosen wieder
siegestrunken in die Welt hinaus und möchten wieder an die Spitze der Bewegung
treten. Sie haben einen Antrag auf Verwandlung der stehenden Armee in ein
Milizheer eingebracht (Vaillant) und Guesde will einen einbringen auf einen euro-
päischen EntwaffnungskongreÃ. Der Plan ist, die Deutschen und Italiener sollen
einen ähnlichen in ihren Parlamenten einbringen, wo sie dann natürlich als Nach-
treter der »führenden« Franzosen erscheinen würden. Was die paar â noch dazu
höchst konfusen â Italiener tun, ist wurst, ob aber unsere Deutschen sich so ohne
weiteres ins französische Schlepptau begeben, ist zweifelhaft. Wenn man seine
Machtstellung durch 25Jährigen harten Kampf erobert, und zwei Millionen Wähler
hinter sich hat, so hat man das Recht, sich das seratch lot etwas näher anzusehen,
das so plötzlich kommandieren will. Um so mehr als die Herren Franzosen selbst
äuÃerst kitzlich sind, sobald ihnen gegenüber die geringste Etikettenverletzung ge-
Wenn wir von der der Sozialdemokratie, der sie ihre end-
veranlagte Männer urteilten über sie nur mit der gröÃten Hochach-
ihr feines Gefühl für das journalistisch Wirksame 16), Filippo Turati
Zürich 1892, 141 Seiten. Ferdinand Domela Nie uwe nh u is: »Les Divers Cou-
dcmoeratie Allemande«. Paris 1896. Edition des Temps Nouveaux, V', 4 Rue Broca.
15) Der mit einem trefflichen Blick für wenn auch nicht immer das Wirkl1che,
Verehrer der deutschen Arbeiterpartei, mit deren Führern ihn vielfache Bande der
der Klassenlage ein Loblied gesungen: ». . . quando io esamino dappresso la storia prece-
tinuo dei successi elettorali ehe mi riempia proprio principalmente l'animo di am-
mirazione e di speranza. Più ehe almanaccare su quei voti come arra dell' avvenire,
secondo i calcoli qualche volta fallaci della illazione e della combinatoria statistica, mi
sento ripieno di viva ammirazione per questo caso veramente nuovo ed imponente di
di operai e di piccoli borghesi, si formi una coscienza nuova, nella quale concorrono,
in egual misura, il sentimento diretto della situazione economica, ehe induce alla
lotta, e la propaganda del socialismo, inteso come meta o punto d'approdo«. (Ant.
") Guglielmo Ferrero: »L'Europa Giovane. Studi e Viaggi nei Paesi del
155
Monarchie18) und sprach sein Bedauern darüber aus, daà die ita-
Feinden gegenüber befände, habe sie ein Recht darauf, die Hälfte
maten vieux jeu zu spielen 20). Aber selbst diese leisen Kriti-
der Universität Genf, hat fast 600 Seiten Lobes über die deutsche
immer in den Weg stellen möchten, sie sei ohne jede Frage im
Stande, sie alle spielend zu überwinden 22). Es ist der Geist völ-
Potere. Dai discorsi al Parlamento Tedesco nelle tornate del 3 e 6 febbr. 1893«.
20) Lucio: »La Conquista delle Campagne«. Polemiche Agrarie fra So-
rungen spricht. Aber er ist uns interessant als Zeuge von der
entgegenbrachten.
im internationalen Sozialismus.
wohl rechts wie links gegenüber bewährt hat und nicht nur so
bild geworden:
l) Weil es seit etwa dem Anfang der 8oer Jahre des XIX. Jahr-
halte und Theorien des Sozialismus immer mehr, wenn auch nicht
völlig aus dem Felde geschlagen, so doch, zumal auf dem wich-
heit entsandt hatten, wie die Ideengänge von Männern wie Proudhon.
") Vgl. den glückseligen Artikel von Friedrich Engels im Volksstaat über
Jubel konstatiert, daà dies das erste Manifest sei, »worin französische Arbeiter sich
der Schweiz â oft, und zwar wo, wie in England, Frankreich, RuÃ-
der Marxschen Ideen. Die Gründe liegen auf der Hand. Die Ge-
riesen galt und die Rolle eines Nestors spielen durfte, zu wel-
same Verquickung von Glück und Unglück, die für die Sozial-
dazu als Minorität, mit anderen Worten, bon grö mal gre von
eine Lage, die ihr andererseits doch â oder gerade deshalb â
Ideen bis zur Sättigung« sogar als eines der Hauptmerkmale der deutschen Sozial-
demokratie gelten lassen will. (»Sozialismus und soziale Bewegung«, 5. Aufl. p. 138).
24) »Das eben ist der groÃe Vorzug unserer deutschen Bewegung â ein
Vorzug, der nicht auf persönliches Verdienst, sondern auf unsere eigentümliche,
sie vom ersten Moment an ein in den Grundzügen feststehendes Programm, eine
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konnten. Sie, der ein gütiges Schicksal, früher als allen ande-
abgegebenen Stimmen fast die einzigen auf der ganzen Erde und
Sozialdemokratie24a).
keit der Maschen einer über das ganze deutsche Land verzweig-
ben ihr das. Es ist keine Frage, daà die deutsche Sozialdemo-
fällen ganz bedeutend stärker unter die Arme greift, als es um-
haben.
des sich diese Lehre zum Muster nahm? So übertrug sich der
brauchen.
deutschen Sozialdemokratie.
Bedeutung, wie in der Duellfrage, nimmt die Partei kraft ihrer vor-
selbst für das Symptom einer inneren Krankheit gehalten wurde 25),
24d) MagalhSes Lima: »O Primeiro de Maio.» Lisboa 1894. Typ. da Com-
25) »Na Allemanha, as mesmos pruridos militaristas que se observam nas altas
-se, principalmente, este facto nos congressos, onde, a um simples aceno do deputado
e aos agrupamentos politicos. E ai! d'aquelle que se desviar d'estas normas: corre
o risco de ser expulso, sem mais appelo nem aggravcx. MagalhSes Lima: »O
Quelle nicht nur in vielen sehr realen Dingen, sondern doch auch
sie, die Herrscherin, ihm an neuen Ideen? â Lagardelle gibt uns
nous a pas habituös aux idöes neuves« zÃ). Leider müssen wir
man sagen kann, daà sie ä force de mots ne disait rien. Wir wer-
den uns mit ihr noch zu beschäftigen haben. Der »Gipfel ihrer
auf dem Kongreà 1900 zu Paris die Italiener und Guesdisten ge-
nur als anormalen Notbehelf, zulieà *8). Die Resolution von Dres-
hätte sie nicht ein Gefühl der Würde zurückgehalten, sie ruhig
Rhetorik und wenig Logik. Was Enrico Ferri von dem Kauts-
kyschen Antrag zur Ministerfrage Paris 1900 sagte, trifft auf sie
alle zu: sie sind aus Wenn und Aber zusammengesetzt und mit
land, wie das Jaeckh sehr richtig bemerkt, wenn ihm auch die
80) Dr. Ludwig Frank erzählt aus Amsterdam: »Als darauf der Präsident
feierlich den Kongreà für geschlossen erklärte und die Delegierten begeistert
die »Internationale« anstimmten, schauten wir Deutschen uns verlegen an und â
hielten den Mund. Ein französischer Reporter sprang eifrig auf unsere Gruppe zu
und wollte wissen, warum wir nicht mitsingen. Ich erwiderte ihm mit tiefem Ernste,
es sei auf Antrag des Revisionisten Bernstein von uns beschlossen worden, an dem
n*
164 Robert Michels,
über das, was drauÃen vorging, â w1e Engels sagte 31j â hat
der polnischen Partei verlangte sie â freilich vergeblich â den
welcher mit Konrad Haenisch und Georg Ledebour unter der auf
Wahrheit ist natürlich, daà wir weder Melodie noch Text kannten und peinlich
überrascht waren, als nicht die Marseillaise intoniert wurde. Wir wuÃten
nicht, daà in Frankreich, der Heimat der Marseillaise, dieses Lied von den Reak-
tionären aufgenommen worden ist ...» (Ludwig Frank: «Briefe aus Amsterdam«.
82) Der Korrespondent des »Temps« auf dem Parteitag in Jena, Mr. Edgar R o e l s,
allemands ont d'ailleurs produit une 1mpression singuliere sur les Russes qui sont
congres a allure bourgeoise des socialistes allemands, qui ont fait cependant, par
d'envoyer 100,000 franes par delà la frontiere pour y soutenir ceux qui luttent
stellen müÃten33).
den sollten, wurden auf Wunsch der Deutschen, die sogar fünf-
nalen Kongresse hinwies, die darin bestehe, »daà die Bande der Brü-
treten« M), tat Singer diese Bedenken mit der Bemerkung ab: »Wir
fünf Jahre sehen; wenn sie nicht tiefer wurzelte, wäre sie keinen
offenbart sich ein guter Teil der Psychologie der deutschen So-
zialdemokratie.
Partei Deutschlands, abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903.
Berlin 1903. Verlag der Buchhandlung Vorwärts, p. 276. Siehe auch den Auf-
Partei gegenüber der polnischen beschwert, sowie viele Artikel in der pol-
nischen Presse.
zu Köln a. Rh. vom 22. bis 27. Mai 1905. Berlin. Verlag der Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands (C. Legien). p. 239.) Vgl. damit auch die in
wir nicht kurz auf die groÃmächtige Art hinweisen, den »toncassant«,
sen und in ihrer Presse, alles über einen Kamm scheerend, die Befol-
") Als ein weiÃer Rabe gab nach dem Amsterdamer Kongreà Dr. Max Quarck
in Frankfurt ein treffendes Bild von dem hochfahrenden und undemokratischen Ge-
bahren, durch welches das Verhalten der deutschen Delegation auf dem internationalen
Parteitag sich durchweg auszeichnete. Quarck meinte im Hinblick auf den Versuch,
die bekannte Dresdener Resolution als auch für die französischen Verhältnisse maÃ-
gebend zu gestalten, daà doch die deutsche Partei selbst noch sehr viel zur Aus-
prägung des Klassenkampfstandpunktes ihrer Mitglieder zu tun habe und daà die
wahrhafte demokratische Auffassung ihrer Aufgaben auch bei der deutschen Sozial-
demokratie selbst noch mancher Vertiefung bedürfe. Ferner berichtete Quarck einige
interessante Einzelheiten aus den Verhandlungen des Kongresses: »Wie war nun
die Haltung der deutschen Delegation in der Taktikfrage und wie kam endlich die
bei anderen Fragen zutage trat, ist Schuld daran, daà den deutschen Delegierten,
die doch mit den Groschen der Arbeiter nach Amsterdam gesendet wurden, die
Möglichkeit gar nicht geboten war, den Standpunkt ihrer Wähler zu vertreten.
Man begnügte sich damit, Bebel und Kautsky in die Taktikkommission zu ent-
senden, damit war die Sache erledigt. Erst kurz vor der Gesamtabstimmung war
möglich nur dadurch, weil ich in letzter Stunde, genau so wie man es bei den
wenigstens kurz vor der Abstimmung uns Gelegenheit zur Rücksprache zu geben.
Und in dieser letzten Besprechung, die hastig in der Dämmerung des Abstimmungs-
abends gehalten werden muÃte, stellte Bebel dann sofort die Vertrauensfrage; er
erklärte, sich für die unabgeänderte Dresdener Resolution soweit engagiert zu haben,
daà er nicht mehr zurückkönne. Niemand wollte unserem verehrten Führer ein
sagen können: »Ich bin nur euer Vertreter, bestimmt und beschlieÃt ihr, ich habe
mich danach zu richten«. Das geschah nicht, und so scheuten die meisten unserer
deutschen Delegierten den Schein, als sollte Bebel desavouiert werden, was gesagt
werden muÃ, nachdem Genossin Zetkin in Stuttgart bei der Berichterstattung von
der verschwindenden Minderheit gegen Bebel gesprochen hat. Auch darf ruhig
ausgesprochen werden, daà die Ketzerrichterei Kautskys nicht viel Anklang bei
den anderen Nationen in Amsterdam gefunden. Wo haben wir auch jemals ge-
und rücksichtslos über unsere deutschen Parteiverhältnisse zu urteilen, wie das von
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. )(57
Herr und Meister ihrer aller. Für Differenzierung hatte sie keinen
deutscher Seite oft über ausländische versucht wurde ? Und doch wäre dazu oft
genug Gelegenheit gegeben gewesen. Man wirft in einem Teile unserer Presse
Jaures vor, daà er angeblich für jede beliebige Kolonialausgabe stimme. Wäre es
da für die Franzosen nicht geradezu verlockend gewesen, demgegenüber den Stand-
punkt der deutschen Fraktion in der Hererofrage zu halten, die sich bei der Ab-
stimmung über die ersten 11/» Millionen der Stimme enthielt mit der mehr als
eigentümlichen Begründung, daà man nicht gut gegen den Schutz der deutschen
Ansiedler stimmen könne? Oder wenn Jaures gar Anlaà genommen hätte, den
fordern, um die Gegner nicht zu veranlassen, mit der Forderung: Abschaffung des
Wahlrechts zu antworten? Oder die geringe Fühlung zwischen Partei und Gewerk-
schaften in Deutschland, aus der auch ein groÃer Teil unserer taktischen Meinungs-
zu verbessern gesucht habe, wobei ich aber auf den lebhaften Widerspruch Auers
und anderer stieà ? Wenn wir prinzipielle Kritik üben wollen, dann finden wir in
Deutschland soviel Gelegenheit dazu, daà wir gar nicht nach Frankreich zu gehen
brauchen, während wir umgekehrt für diese unsere eigene Kritik sehr viel von
Jahrg. XV, No. 212, 1. Beil.) Die Ausführungen des Dr. Quarck wurden von seiten
Bebels lebhaft, aber den sachlichen Inhalt nicht wesentlich alterierend, bekämpft.
Bernstein: »Ein offenes Wort zum Amsterdamer Kongreë. Das Neue Mon-
meint, Bebel sei hier denn doch perilously near sounding like
geführt hat. Die deutsche Partei stieà nicht nur selbst mit groÃer
Leichtigkeit alle die Elemente aus, die sich auch nur um Milli-
SchoÃe belieÃ, sondern sie sorgte auch dafür, daà die Arbeiter-
auch wenn sie von ihr nichts trennte als die ZweckmäÃigkeits-
war es ferner, die immer wieder auf die Bedeutung des Parla-
les partis (Lagardelle)30b) â soweit sie immer konnte, auf die
Möglichkeiten30').
listen â voran Enrico Ferri und Oddino Morgan â in der
ten, lieÃen die Deutschen es nach einer Rede von Pfannkuch so-
gar auf eine Abstimmung ankommen, bei der sie freilich, zusam-
men mit dem gelobten Dänemark und Holland gegen die Ver-
48) Da Nicolaus II. als liebender Enkel allerdings überaus häufig seinem kö-
Gelegenheiten zu Schloà gebeten wird, sondern auch wirklich dort erscheint, würde
allerdings die «peinliche Lage« dieses dänischen Genossen groà gewesen sein.
Hätte er sich zum Empfang im Königsschloà eine Pfeife mitbringen und dem Zaren
räumen und mit groÃem Tamtam bei den Wahlen die bürgerliche
Keizer ten slotte maling heeft aan den rijksdag44). Die Stimmen
4-) »Still, political experience has made the German party so far Opportunist
and constitutional .... But they have not ventured to avow this, and have stu-
died the art of giving an extreme and catastrophic air to very ordinary and harm-
less proposals .... They have learnt the art of electioneering thoroughly ....
The German Party does not enjoy one-third of the consideration and infiuence in
Germany, which its numbers and organisation, properly handlcd, could command«.
»Cosmopolis, Revue Internationale«, Tome III, N.9 (pp.671, 670, 667, 668). Paris 1896.
44b) vgl. Daniel De Leon: »Flasldights«, loco cit. p. 127: »Nothing more
natural, aye, inavoidable, than that a belated radical bourgeois movement in our
days should be strongly flavored with revolutionary feeling and terminology â least
Taktik in Frankreich, als den Beweis dafür, daà die Taktik der
kam, daà es auch immer mehr offenbar wurde, daà diese Partei
innere Tendenz der Politik des Staates, in dem sie wirkte, daà der
Der erste Sozialdemokrat, der mit der ganzen Wucht seines Tempe-
raments und dem guten Klang seines Namens der deutschen So-
die soziale Revolution nur als eine tönerne Sparbüchse auf, die man
ganz füllen müsse, ehe man sie öffne. Man häufe eine Million so-
Das Herz poche vor Erwartung, aber es sei noch nicht genug.
Man warte und häufe weiter auf: vier Millionen, fünf Millionen,
I 7 2 Robert Michels,
sechs Millionen. Das sei die entscheidende Zahl. Das sei die
Partei beschäftigen (Eroberung der Macht ete.), auch für sie selbst
sie sich von Jahr zu Jahr in der wachsenden Zahl eurer Stimmen
nimmt. t) ja, am Tage nach jenen Juniwahlen, die euch die drei
bung, der Einreihung habt, aber daà weder die Traditionen eures
Mittel der proletarischen Aktion noch fehlen â ihr habt weder
seht ihr sie bei Völkern, die auf sie zurückgreifen, mit MiÃvergnü-
gen, und ihr habt nur Angriffe, eure Theoretiker haben nur Ge-
Socialiste« (VI« AnmSe, II« Serie, No. 142, 1. Nov. 1904): »Evidemment, les diffi-
d'agir sont plus grandes en Allemagne qu'en France: encore ne faut-il pas
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande.
173
folgenden Polemik drückt Jaures die Hoffnung aus, daà auch die
der das Weltall erfaÃt und nach seinem Wollen bildet und der
1848 Fiasko gemacht. »Et c'est parce que Marx et Lassalle ont
et formulö pour celle-ci une autre tactique, qui fut tout ensemble,
trop exagerer .... La verité, c'est que toute vertu rcvolutionnaire manque au
comme il s'est appele â qui, en termes diserets mais précis, est venu faire au
parti honte de cette inertie des masses socialistes, si lourdes k manier, qui n'ont
derriere elles aucune tradition revolutionnaire pour nourrir leur Energie, et qui, au
(5 septembre 1904).
septembre 1904).
51) Jean Jaures: »Echec pesanu. L'Humanite, I No. 150. (14. septembre
1904).
phes prophezeit hatte. Schon 1890 schrieb Fr. Engels nach New-
M) »In uno Stato della Germania e stato possibile togüere il suffragio uni-
Ora, noi non siamo legalitari fino a questo punto« â Filippo Turati, auf dem
10, u Aprile 1904. Pubblicazione della Direzione del Partito. Roma 1905. Luigi
Mâ¢) Edmund Fischer: »Der Widerstand des deutschen Volkes gegen Wahl-
H) »All' indomani dell' ultima vittoria elettorale dei socialisti tedeschi, questi
versale .... Ma era singolare ehe i due serittori socialisti non tanto si pre-
merce lo sfruttamento delle vittorie elettorali, quanto del non retrocedere. Ora il
socialismo non consiste già , per esempio, nel mantenimcnto delle attuali condizioni
All' indomani dunque delle ultime vittorie elettorali i socialisti tedeschi non
dovevano preoccuparsi â con un' esercito di tre milioni di elettori! â di n o n
del progresso, i socialisti tedeschi insistettero su quello della stasi, cioe della per-
(La Crisi Pratlen del Partito Socialista)«. 1» Ediz. Milano 1904. p. to/n.
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande.
175
York: »Aussicht, daà wir jetzt bald das Proletariat der Ostsee-
Dann ist die ganze alte Wirtschaft Kladderadatsch und wir herr-
Aber der Triumph blieb aus. Selbst als 12 Jahre später die
und jeder, der Augen hatte, zu sehen, sah, daà die Verwirklichung
beiter hinter mir habe, dann bin ich der König von PreussenU
tot und die organisierten Arbeiter zählten weit über eine Million,
**
M) An Sorge, aus London vom 12. April 1890 (Briefe und Auszüge u. s. w.,
setzt von P. Martignctti und erläutert bezw. kommentiert von Filippo Turati (unter
rat, den sie sich geschaffen, von der Vorhut zur Nachhut im
deutsche Sozialdemokratie.
sehr viel geringerem MaÃe, das Selbstgefühl der Massen sich ge-
zelnen Ländern. Was der Knabe Sozialismus nie geahnt, sah der
recht hielt nicht Schritt mit der Revolutionierung der Köpfe. Der
tariat die Unzufriedenheit; laut ertönte der Ruf nach neuen Waf-
streik, die friedliche Kreuzung der Arme, nicht zum Zweck des
September 1904 als Protest gegen die blutigen Eingriffe der Re-
") Siehe z. B. den Leitartikel der Na tional - Zeitung, LV, Nr. 237
(13. April 1902): »In Deutschland und in England, wo der Staat doch schon vieles
man diese Wendung der Dinge darauf zurückführen, daà das aus der romanischen
schied zwischen dem romanischen und dem germanischen Sozialismus ist zweifellos
lichen Entwickelung viel weniger als die romanische Gelegenheit gefunden hat, bei
revolutionären Erhebungen erfolgreich mitzuwirken, daà sie sich aber dafür in der
jüngsten Zeit, mochte sie wollen oder nicht, mit einem gewissen Vertrauen zu der
Fortdauer der sozialpolitischen Einsicht des Bürgertums erfüllen muÃte, ein Ver-
Klassen ganz und gar abhanden gekommen ist. Aus solchen Voraussetzungen folgt
freilich in keiner Weise, daà das germanische Bürgertum auch nur auf einige po-
litische Dankbarkeit und auf freiwillige MäÃigung von seiten der sozialistischen
Parteien zu rechnen hätte. Immerhin erhalten England und Deutschland den ro-
durch, daà in den erst genannten Ländern die sozialen Kämpfe unserer Tage in
â er hatte sachlich nicht Unrecht â den ganzen belgischen General-
fielen scharfe Worte gegen die Brüder vom Ausland wegen ihrer
zum dritten Male das belgische Experiment«. Neue Zeit XX2, Nr. 4 und 9.
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. 170,
Auf dem Kongreà in Jena dess. J. ging dann zwar, nachdem sich
und PreuÃen akut wurde, blieb nach den ersten polizeilichen Ver-
Partei PreuÃens. Berlin 1904. Verlag Vorwärts 1905. p. 107, 108, 111.
12*
l8o Robert Michels,
nationaler Antimilitarismus.
tarismus.
spricht von der Pflicht der Arbeiter, sich der internationalen Po-
dem Sinne nach für den Militärstreik und die Insurrektion im Fall
lich. Die Völker können nur gewinnen, wenn ihre Feinde sich
Bellais, p. 68.
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. IS1
ist ein Sieg des französischen Volkes; jede Niederlage des Bismarck-
schen Cäsarismus ist ein Sieg des deutschen Volkes. Wir Nord-
den sind noch nicht völlig gefesselt. ZerreiÃen Sie die Schlinge
und ersparen sie Europa, der Welt jene Todsünde wider den hei-
Ihre Schuldigkeit, und der Krieg der Cäsaren wird zum Aufer-
Kreise erfaÃt, daà selbst Männer wie der der Internationalen fern-
krat Dr. Ferdinand Goetz 65) für ihn eintraten. Als dann freilich
G. m. b. H. p. 104.
84) In einer Polemik gegen Bismarck schreibt Rochefort: »Cet homme est
décidernent le plus fort. II sait bien, lui, que le jour où deux armées pourront
a l'autre pour se dire: Au fait, nous sommes trop betes de passer notre temps
à nous massaerer pour des individus qui ne nous invitent jamais à venir partager
leurs bons morceaux, et qui savent si bien nous trouver quand ils ont à placer
des obligations vereuses. â La fusion des langues serait la suppression de la guerre.
petites choses-la qu'on tient à garder«. (La Lanterne, Paris I86S. Rèimprimee
05) Das dürfte aus folgenden, im Jahre 1867 geschriebenen Versen klar her-
aber wieder, die Arbeiter hätten nichts mit dem Kriege gemein.
(Zit. nach d. Mitteid. Sonnt.-Ztg. XI, Nr. 29; 17. Juli 1904.)
soweit sie überhaupt bereits von den Ideen des modernen Sozialis-
die von ihrem Zentralorgan als ein »Akt der Volksjustiz« geprie-
tional que ne le sont les ouvriers francais (so der Sozialist James
J a eck h: »Die Internationale«. Leipzig 1904. Verl. d. B.-A. (p. IOO ff.), Franz
1899. Wörlein.
184 Robert Michels,
und sie in jene taktische Stellung zu drängen, die ihr von seiten
lichen Parteien so viel Haà und von seiten der auswärtigen So-
Militarismus ein Ende machen und den Frieden unter den Völ-
den Klasse müÃten die Arbeiter aller Länder gegen alle Kriegs-
wäre seiner Ansicht nach das beste Mittel der Abwehr der all-
nehmen Ã0). Was werde sonst in der Tat, führte er später aus, im
die berühmte Phrase von der > Verantwortung vor der Mensch-
heit und vor der Geschichte« nicht vergessen werde. Dann wer-
unterlag jedoch Holland, dem sich die Mehrheit der groÃen Staa-
hatten, â eine Tatsache, die den oft wiederholten Vorwurf, daÃ
werde, aber doch weniger wie der Krieg. Aber die deutsche
Heer werde einst der Befreier RuÃlands sein und dürfe deshalb
Die Furcht vor RuÃland überwog die Logik und die neue Inter-
keit, die sehr schlecht zu der Begründung paÃte, mit der diese
zeigte.
sen, in dem davon die Rede war, die italienischen und die öster-
den Krieg, hieà es in ihm, müÃten die Sozialisten, und mit ihnen
die Massen, mit einem Generalstreik antworten, der nicht vor den
") Vgl. das von deutscher Seite redigierte Protokoll des Int. Soz. Arbeiter-
kongresses in der Tonhalle Zürich vom 6.â12. August 1893. Zürich 1894. Buchh.
das Versprechen abgäben, für den Fall, daà die italienische Mo-
sprächen sie etwas, von dem sie genau wüÃten, daà sie es ein-
halten könnten. Sie hätten bewiesen, daà und wie sie einen Ge-
guerre, il faut que ce danger soit par nous conjure. Nous le pou-
danger, pour eviter la guerre, n'en serait que plus grand. II n'est
dulden würden, »à quelque prix que ce soit« 75). Dieser Aufruf
Zeit der Gefahr eines Krieges mit Japan war auch die Haltung
nicht zur Ruhe kommen lieÃ, erzeugte allerwegen als Reaktion eine
Vorurteile in den Massen, die die Partei bisher fast unberührt ge-
lassen hatte, aufgreift und vor den Kopf stöÃt, der vorzugsweise
stiche Strömung drängte sich doch überall hervor. Man trug ihr
die deutschen Brüder und Bebel, den Beschluà faÃte, dem Kriege
von Karl Liebknecht, der sich noch ängstlich bemüht, mit den
zu groÃ. Insbesondere Bebel war es, der jedesmal mit dem gan-
7â¢) Vgl. Protokoll des Parteitags von Bremen (p. 212), Jena (p. 284) und
die eher auf eine Kräftigung als auf eine Bekämpfung des Mili-
konflikt.
eine Prüfung. Sie bestand sie nicht. Sie nahm nicht die Rolle
78â¢) »Es ist Sache der Regierung, sich eine Mehrheit für ihre Politik zu schaf-
fen, oder abzutreten. Diese Mehrheit mag sich die Mittel zur Landesverteidigung
bewilligen ; stimmt die Sozialdemokratie dagegen, so wird das Vaterland nicht wehr-
los. Erst wenn sie einmal in die Mehrheit gelangt, ist es ihre Aufgabe, zu tun,
was für die Wehrhaftigkeit der Nation nötig ist, und es so zu tun, wie es nach
191
qui la font. Le proletariat quoi qu'on ait dit et quoi qu'on lui
gen die französischen Arbeiter auf die StraÃe, pfiffen das Mili-
der Arbeiter und den Frieden aus. Gustave Herve und die Sei-
lemma : entweder ihr haltet Frieden oder ihr habt den Krieg und
hafte Tätigkeit.
zialdemokratie â die selbst absolut nichts tat, das als Aequi-
valent für die Tätigkeit der Franzosen hätte gelten können â
für deren Opferfähigheit nichts als Spott und Hohn übrig. Der
Deutsche eigentlich doch ein besserer Mensch sei als der Fran-
zose. Während in Europa alle Welt der Ansicht war, daà von
ist der Begriff des Vaterlandes mit der gesicherten nationalen Exi-
Gesetz des Krieges gebe81), wurde von Seiten der Deutschen, nach-
"â¢) S. den Artikel: Krieg dem Kriege (XII, N. 284), in dem es heiÃt: »Sicher ist
jedenfalls, daà die allgemeine Situation so ernst wie möglich ist, und daà Deutsch-
land politisch isoliert dasteht. Man kann daher das Entsetzen begreifen, das Be-
bels Erklärung bei den bürgerlichen Parteien hervorrief. Diese Rasse ist seit jeher
gewöhnt, mit den Knochen der besitzlosen Klassen zu rechnen, wie der Schlächter
mit dem Schlachtvieh. Daà sich jetzt die besitzlose Klasse dafür bedankt, die Rolle
des geduldigen Schlachtviehes weiter zu spielen, ist eine unerhörte Frechheit, ist die
offene Rebellion, ist der Zusammenbruch der göttlichen Weltordnung! Und irgend
ein beliebiger Krautjunker schnarrte dann auch empört, wie Bebel sich herausnehmen
ordnung nirgends so zynisch und grotesk zum Ausdruck wie beim Kriege. Daà die-
selben Massen, die jahraus jahrein die Reichtümer schaffen, um sie dann einer lächer-
lichen Minderheit abzutreten, während sie selbst mit einem Stück Brot und einem
Schluck Wasser sich begnügen müssen, daà diese ausgeplünderten Proletarier nun
auch noch die ihnen geraubten Reichtümer mit ihren Knochen zu schützen haben,
damit nur ja diese genuÃfreche Minderheit in ihrem Wohlleben nicht gestört werde,
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. 103
der übrigen Presse â etwa von einem Artikel des ehemaligen
das ist allerdings der Gipfel des Hohns. Und es versteht sich, daà eine Partei, die
der kapitalistischen Ausbeutung den Krieg erklärt hat, auch der Konzentration dieser
Unsere Agitation gegen den Krieg tritt jetzt in ein neues Stadium. Bisher war
sie in der Hauptsache darauf gerichtet, die Massen über den wahren Charakter des
reden, ihnen den Patriotismus ans dem Herzen zu reiÃen. Das genügte, solange die
Möglichkeit eines Krieges nicht direkt vor der Türe stand. Jetzt jedoch ist die
Situation anders, was uns weder die Thronrede noch Herr v. Bülow erst zu erzählen
brauchte. Das alte Europa windet sich in den Geburtswehen einer neuen Ge-
RuÃlands steht nahe bevor und mit ihm die furchtbarste wirtschaftliche Er-
schütterung, die dieses alte Europa jemals erlebt hat. Die politische Erbitterung
im eigenen Lande drängt mit aller Vehemenz zu einer Explosion. Der Veitstanz
des Wettrüstens zu Wasser und zu Lande hat alle Länder erfaÃt. Das ist die
Situation, in der bankrotte Politiker in einem Kriege den einzigen Ausweg aus
der Sackgasse sehen. Wer kann heute sagen, wie die Welt in den nächsten
Monaten aussehen wird ? â Jetzt ist die alte Welt das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten geworden.
ruhende Pol und die sichere Zuflucht der gefährdeten Kultur. Ein Krieg gegen den
entschlossenen Willen der Sozialdemokratie ist heute schon unmöglich, das mögen
sich die herrschenden Klassen gefälligst hinter die Ohren schreiben. Je mehr sich
in den kommenden Monaten das Tätigkeitsfeld der Partei erweitert, desto mehr wer-
den auch ihre Kräfte wachsen, desto mehr wird sie zur Vertrauenspartei der unend-
lich überwiegenden Mehrheit der Nation. Darüber täusche man sich nicht im geg-
Wie sehr die Leipziger Volkszeitung aber in der Marrokkofrage isoliert war,
beweist das Verhalten eines ihr sonst eng verwandten Mannes, K. Kautsky. Auch
Kautsky ist zwar ein viel zu durchbildeter Marxist, um an dem bürgerlichen Vater-
keine ethischen Gründe, die vom Standpunkt des proletarischen Patriotismus aus
von vornherein dagegen sprächen«. Aber die entscheidende Frage sei die, ob ein
auf das entschiedenste. (S. Karl Kautsky: »Patriotismus, Krieg und Sozialdemo-
kratie«. Neue Zeit, XXIII, Nr. 37, 38.) Es ist nun in hohem Grade interessant
zu sehen, daà die Argumente, mit denen Kautsky den Generalstreik im Kriegs-
falle bekämpfen zu müssen glaubt, mit denen, die in einem von den Radikalen
als schlapp und feige aufs heftigste angegriffenen Artikel in den Sozialistischen
wärtigen Deutschland?« Soz. Mon.-H. IX (XI), Heft 9) zur Bekämpfung des Ge-
angeführt:
Bei Meine:
Bei Kautsky:
zufegen.«
jeder Versuch, uns mit ihr zu messen, aussichtsloses Beginnen bleiben müÃte.
II.
Bei Heine:
Bei Kautsky:
195
gesamten fünf Viertel Millionen gewerk- einem Staate 10OOoMann dieses Herois-
S. S.: Der Generalstreik würde unter unseren Anhängern mehr Opfer fordern,
als vielleicht Sozialisten vorhanden sind, die diese Opfer zu bringen gewillt wären.
III.
BeiHeine: BeiKautsky:
»Der politische Massenstreik würde »Will man schlieÃlich noch sagen, daÃ
gefährden könnte.«
S. S.: Das einzige Resultat eines Generalstreikes würde die Zertrümmerung und
wenn wir es nicht ausdrücklich schreiben, oberster Daseinszweck unserer Aktion ist.
Wir sehen also, der radikale Kautsky und der revisionistische Heine sind sich
in groÃen Richtlinien bei der Beurteilung des vor ihnen liegenden Problems völlig
einig. Worin sie sich unterscheiden, ist nur, daà der Jurist Heine den mitgeteilten
für die juristische Unmöglichkeit des Generalstreiks, unter Hinweis auf die Ver-
lem Unterstützung zu gewähren, und auf Paragraph 116 des Strafgesetzbuches, der
jedem Versuch der StraÃenansammlungen hindernd in den Weg treten müÃte, hinzu-
i3*
IQ6 Robert Michels,
wurde verzichtet und weder der Weg Herves noch der Weg Jaures'
seits nicht geradezu verhöhnt und verlacht, so ignorierte man sie ge-
ging''6), wurde auch nur mit seinem Worte in der Presse der deut-
das Kriegsrecht verschmaht, sowie daà Heine seine These von der Impotenz der
führlicher Begründung seiner These von der völligen physischen wie psychischen
Schwäche des Proletariats dem Kriege gegenüber über sich bringt, als das stärkste
Hindernis eines europäischen Krieges die »bloÃe Tatsache der kraftvollen Existenz»
und 919 und »Marokko« (Notiz in der Rundschau), Sozial. Monatshefte IX 1XI), p. 458.
Fed. Nat. des Synd. des Bflcherons, Georges Yvetot, Seerét. de la Föderation des
197
klar erklärt hatten, der Proletarier habe kein Vaterland, er könne auf
zösischen Proletariats.
ciras nahe daran war, in den Krieg einzumünden, setzte man den
kratie lieÃen sagen, sie hätten jetzt keine Zeit. Grund: die Agi-
Sitzung vom 4.â5. Marz 1906. Imprimerie et Lith. G. Cops, Rue de Fiennes 61.
chen zu lassen â eine Idee Kurt Eisners, die einem längst ge-
â und zumal nicht von der --Hasenhaide« â dulden wollte.
zu veranlassen. Aber weder sie noch die Partei lieà sich auf den
fahren, die Partei beteuerte, mit den von ihm vertretenen Gewerk-
Anarchist, IV Nr. 2 (Februar 1906). â Robert Michels: »Les Socialistes Allemands
et la Guerre«. Mouvement Socialiste, VIII, 2«ne serie, No. 171 (15 fevrier 1906). â
1906). â Der MiÃerfolg der Reise Griffuelhes nach Berlin wurden von Clcmenceau
in der Aurore als ein neuer Beleg für den Patriotismus der deutschen Sozialde-
mokratie benützt und an seiner Hand die Verfehltheit der antimilitaristischen Propa-
199
falls mit allen Mitteln â selbst den Generalstreik nicht ausge-
man jetzt auf allen Seiten den Kopf zu schütteln. Man fand es un-
die auch den Beifall von Jaures gefunden hatte, zu beraten, die
Ãer Schärfe heiÃt es: Noi vorremmo ehe i nostri compagni di Ger-
del loro paese per modo ehe egli non potesse più basare la sua
taria ehe tende per contro a spostare le contese sociali dal campo
Stimme vom linken Flügel der Partei fand auf dem rechten mäch-
tigen Widerhall. Vittorio Piva, der Sohn eines höheren Offiziers, be-
in Berlin ist, ging noch weiter. In einer Note vom 28. Februar03),
â¢4) z. B. mit der Ueberschrift: »Un jugement sur l'attitude des socialistes fran-
Zubeil et Bebel ont declare que c'ctait une infame calomnie de dire que les socia-
listes allemands pourraient tomber sur les derrieres de l'armee en temps de guerre«.
Politiker und Professor an der Universität Neapel, variierte diese Auffassung. Ihm
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. 2OI
lectual Stagnation and moral servility« 08). Russel stellt also selbst
tat nicht Jaures zu viel, sondern die deutsche Sozialdemokratie zu wenig Friedens-
propaganda. Ironisch betrübt fragt er: »Ma la sterminata falange dei socialisti te-
deschi oltre tre milioni di votanti â n u 11 a puö per far intendere la ragione all'
pacifica ehe Jaures esercita in Francia?« Auch Colajanni kommt zu dem SchluÃ,
in dem die öffentliche Meinung Westeuropas über diesen Punkt einig war: »Pare
ehe ne lo possano ne lo vogliano« (in der Uebersicht: »Gl i Avvenimenti e gli Uo-
mini«, der von ihm herausgegebenen Rivista Popolare di Politica, Lettere e Scienze
Boden, auf dem auch die scharfe Kritik erwachsen ist, die der
and progress as it has done for the past 20 years*. Darum seien
And indeed, this has been our experience throughout, since the
Human Life and Thought«. London 1904. Chapman and Hall, Ltd. New and
203
the ruin of our organisation.« That is all very well; but our fore-
ranny like that which they submit to so meekly, risked their li-
berty, their lives, and all that men hold dear, rather than exist
under the conditions Germans are content with today. Nay, just
are showing us daily that their are still human beings who hate
No. 1136. Dieser heftige Tadel, ausgesprochen von einem so bedeutenden und in dec.
tralorgan der Partei und an leitender Stelle erschienen war, wurde zunächst von
der deutschen Sozialdemokratie â nach altem Brauch â ganz unbeantwortet gelassen.
Erst als Bülow im Reichstag die wirklich ganz unschuldige sozialdemokratische Frak-
wollte, kam auch der Vorwärts auf die Haltung dieser zu sprechen. Er druckte zwar
die kritischen Worte Hyndmans nicht ab, erwähnte aber immerhin, daà H. die deut-
sche Sozialdemokratie für zu patriotisch halte. Dieses crimen laesae majestatis wurde
auf die merkwürdige Art zu entschuldigen versucht, daà Hyndman wegen seines relativ
geringen Einflusses in England verbittert sei (man vgl. Vorwärts, XXI, N. 300). Ueber-
dies sei ihm in London wegen der, (übr1gens nicht zitierten) antibebelschen Aeusse-
rungen nicht nur ein deutscher Arbeiter, sondern auch die einfluÃreichsten Männer
der eigenen Partei entgegengetreten. Das stimmt und stimmt nicht. Ernest Belfort
Bax, auf den die Stelle sich vornehmlich bezieht, hat zwar in der Tat der Redaktion
der Justice einen Brief gesandt, in dem er erklärt, Hyndmans Standpunkt in dieser
Frage nicht zu teilen, aber es ist ihm bei Leibe nicht eingefallen, die deutsche So-
international gesinnt wie Hyndman. Bax glaubt nur, daà Hyndman seinerseits nicht
ganz von englischem Patriotismus immun sei. Bax ist nichts weniger als ein Eides-
helfer des Bebeischen Vaterlandsbegriffes. Für ihn »patriotic sentiment to day has
lost its old meaning, and as I maintain, has lost all rneaning«. Die »sozialdemo-
kratische Vaterlandsliebe« aber hat Bax als music-hall jingoism lächerlich gemacht.
(S. Ernest Beifort Bax: »Essays in Socialism, New and Old.« London 1906.
pathien für die Prinzipien und die Taten der französischen Hel-
Loblied singen müssen 09). Was ein erbitterter Gegner der deut-
fesseur revoque, der Führer dieser Richtung, der sich nicht scheute,
erfüllen.
Socialiste, 14 rue Victor Massel p. 218. An anderer Stelle (p. 276) spricht er von
205
lows zieht sich wie ein roter Faden die huldvolle Anerkennung
Weisheit unserer gebildeten Stände, den sie sich nun einmal durch
â¢>Radikalismus< wird aber noch viel weniger von der deutschen So-
reich gebracht hätte. Zwar, fügt er, mehr agravierend als ent-
durch doch eben die Tatsache nicht umgestoÃen, daà die deutsche
101) »Les Socialistes Allemands et la Guerre«. Mouv. Soc., VIII. Annue,N. 171.
Der Artikel gibt, kleinerer redaktioneller Streichungen wegen, den Gedankengang des
102) Eduard Bernstein: »Das vergrabene Pfund und die Taktik der Sozial-
Holland nicht ruhig bleiben 104). Als Astronom in der Politik er-
Sozialisten muÃten sogar, auch wenn sie nicht von dem Glauben
ihn besäÃen, wollten sie nicht im eigenen Lande von der Ent-
103) Jos. Loopuit: »Tien Jaren Amsterdamsche Beweging«, in »Na Tien Jaar,
Gedenkschrift bij het Tienjarig Bestaan der Soc. Dem. Arb. Partij«. Amsterdam
mit einer Niederlage endete, die noch dazu jeder GröÃe entbehrte,
108) Jean Jaures ete.: »Pour la Paix. Diplomatie et Demoeratie«, loco cit. p. 12.
208 Robert Michels,
riat hat man mehr erwartet und man ärgerte sich mehr über die
Auslassung mit den Worten abtat, sie besäÃe nur den Wert eines
so recht klar, als die deutsche Partei in den Wahlen des Jahres
nationalen Sozialismus.
genommen, nichts zu merken war, und weiter, daà die Ideen der
(1. Beil.).
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande.
209
Das Hauptargument â und bei vielen das einzige â, mit
terdings nicht einseitig sein darf, daà aber »die deutsche Passivi-
in der Tat eine Waffe in die Hand, wie sie spitziger und schnei-
hatte â im Begriff stand, gegen seinen Willen einen Krieg auf-
zum Austritt aus der soeben erst neu geeinten Partei veranlaÃt
hat, oder doch zum mindesten ihnen dazu einen Vorwand gab.
billig sein. Als Gustave Herve auf einer zu Ehren der endlich
Artikel, der sich »La Patrie en Danger« nannte, eine Lanze gegen
faite. Noch heftiger wurde, in dem Organ von Jaures, der »Hu-
kurzen Debatten, nachdem der Parti Unifie ohne deshalb die Ideen
10") Abgedruckt bei Gustave Herve: »Leur Patrie«, loco cit. p. 272. Be-
kanntlich erklärte auch der bedeutende russische Geograph und anarchistische So-
zialist Fürst Peter K r n p o t k i n , die Pflicht aller Sozialisten gehe dahin, in einem
bevorstehenden Kriege zwischen Frankreich und Deutschland die Waffen für Frank-
reich zu ergreifen. Er selber noch werde den Säbel von der Wand nehmen und
polemisierten heftig gegen ihn und erklärten, an ihrem alten Standpunkt unver-
Anhang in den Massen, aber gefolgt von einer Reihe von Depu-
dere die Frage der Stellung zum Generalstreik, der direkten Ak-
den eben erst Geeinten hervorrief. Auf dem â der relativ ge-
neue Absplitter in den ersten Tagen des April 1907 in Lyon ab-
genommen 109), die sich vom Herveismus lossagte, wenn sie auch
100) Die Resolution hat folgenden Wortlaut: .Le parti socialiste francais
nettement l'antipatriotisme.
volution franc,aise qui, en se declarant de cceur avec tous les peuples contre tous
(L'Action, V, N. 1466.)
14*
212 Robert Michels,
für das sich die Franzosen von Jaures bis Hervö, jeder in seiner
trieb sie geradezu der Verzweiflung in die Arme, ja, lieà in ihnen
reich ging so weit, daà man ihr schlieÃlich alles zutraute. Als
zialisten auf einen Artikel von mir berief, in dem ich die Rede
delt und dabei erwähnt hatte, daà Bebel seine Gegnerschaft zum
keit«, nicht wie Bebel es gemeint hatte, auf die Partei (zu viel
1i0) S. die Antwort von A. Keufer auf die Enquete des Mouvement So-
VII, N. 156.
213
kommentiert hatte.
des Friedens bedeute, und daà man sie also auch von diesem
118) abgedruckt in der Depeche des Ardennes (Charleville) vom 13. Dez. 05.
124 pp. (s. p. 62, 68, 73 u. a.). â Manchmal allerdings hört man von Seiten dieser
»Pazifisten« auch umgekehrt. Auf einer Versammlung in der in der Avenue de Clichy
(XVII. Arrond.) gelegenen Salle du Lihre Echange in Paris, die von einem Comtie Central
der Revolution des 24. Februar 1848 gewidmet sein sollte, in Wirklichkeit aber zur
Proklamation der Kandidatur von Ernest Roche für die kommenden Wahlen zu dienen
bestimmt war, präzisierte dieser, nachdem der alte Henri Rochefort, der ehemalige
Galli, Foursin, Léon Bailby, Redakteur des Intransigeant und Fellesse kurze Ansprachen
gehalten, seine Stellung gegenüber dem sozialistischen Antimilitarismus, der zur Verhinde-
rung eines Krieges mit Deutschland â man stand mitten in der gefahrvollsten Krisis der
letzten Periode der Marokko-Affaire â gerade damals mit besonderer Wucht einge-
setzt hatte, indem er seine Gegner mit folgenden Worten apostrophierte: »Vous
m e n t e z, quand vous vous dites socialistes! Vous mentez à notre histoire, à notre
tradition, à nos ancetres revolutionnaires. Vous mentez à Danton qui, presse de fuir
pour éviter l'echafaud, disait; »On n'emporte pas la Patrie a« semelle de ses souliers«.
214 Robert Michels,
Fast noch stärker als in Frankreich war die Reaktion auf die
Vous mentez à Marat qui s'appelait 'un bon bougre de patriote«. Vous mentez
ä Blanqui qui a cSerit avec son sang et avec ses larmes son admirable »Patrie
qu'il ne defendra pas la Patrie en danger devrait, des a präsent, s'en aller au dela
Xo. 9356 25. 2. 06.). Es ist Schreiber dieses, der der Versammlung, in der eine
Schwüle sondergleichen und die Spannung einer Klubsitzung patriotischer, nur etwas
dächtnis geblieben: Ernest Roche ging, nachdem er die Militärfeindschaft der französi-
schen Sozialisten in Grund und Boden geeifert und gegeifert, dazu über, mit gehobener
merkt, das einzige Mal, daà dem Verfasser während seines sechswöchentlichen Pa-
â¢-Ehre« genommen, und wer einem Volke die Ehre nehme, der nehme ihm alles.
Und nun die originellste Vermischung dieser Gedanken, die mit dem Gedankensy-
stem, das man als Sozialismus bezeichnet, wahrlich nicht viel gemein haben, mit ver-
Redner wird von einem Arbeiter unterbrochen, der ihm von der Gallerie herab zu-
ruft: »Mais faire la guetre c'est vouloir la mort des proletaires et l'inturet des
militarisme depuisque la loi les oblige ä accomplir leur service militaire! »Darauf
jubelnder Beifall, ein befreundeter Baritonsänger von der groÃen Pariser Oper singt
die Marseillaise, und das mit der Pensee (Stiefmütterchen), dem Wahrzeichen der.
Ligue des Patriotes im Knopfloch geschmückte Publikum erhebt sich begeistert von
den Saal. Die allgemeine Stimmung ist ungemein kriegerisch. Man würde sich
nicht gewundert haben, wenn vor den Toren Gewehre ve1teilt worden wären und
gezogen wären. Zu solchem Sozialismus als epitethon ornans ist einer der glühend-
Frankreich von 1893 heruntergesunken, und dabei ist Roche vielleicht immer noch
mehr »Sozialist« als seine anderen soeben genannten Fraktions-Kollegen von 1893.
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande.
215
ging, daà er sie sogar beschuldigte, â es war Piva selbst, der
dieses Wort prägte 115) â in ihrer Aktion nichts als das Alibi per-
Zur Erklärung diene eins: Für die Nationalisten war der ausdrückliche Verzicht der
deutschen Sozialdemokratie auf jede Revision des Frankfurter Friedens â eine Ver-
zichtleisttmg, die allerdings in striktestem Widerspruch sowohl mit dem Geiste des
Sozialismus als auch mit dem Erfurter Programm, das das Recht jedes Volks-
ganz besonders deutliches Symptom von dem Patriotismus der deutschen Arbeiter,
dessen Hervorhebung nie seinen Eindruck verfehlte. Uebrigens wird in der französi-
viel gelogen und erfunden. Teils aus polemischer Bequemlichkeit, teils allerdings
auch aus realen MiÃverständnissen heraus, die sich groÃenteils durch die erhebliche
Nonkuranz bezüglich der MeinungsäuÃerungen des Auslands, mit der die deutsche
z. B. überzeugt, daà die Ablehnung des Antrags Bernstein in Jena, in welchem die
Politik, zumal der Marokko-Affäre, und ihre Nichtachtung des Reichstages getadelt
Partei Deutschlands, abgehalten zu Jena, vom 17. bis 23. September 1905. Berlin
1905. Verl. Buchh. Vorwärts. â p. 140), eine neue Tat des sozialdemokratischen
Patriotismus bedeutete, ja einer Art Solidar1tätserklärung m1t dem Vorgehen der deut-
deshalb erfolgt war, weil man einerseits glaubte, mit der Annahme der Resolution
des Parteivorstandes die Marokkoaffäre bereits abgetan zu haben und andererseits sich
Allemand et le Congres d'Jena«, im Mouvement Socialiste VII, serie II, No. 166â167
Calvi, die sich mehr oder weniger entschieden auf die Seite der
erklärte sich für seine Person an und für sich gern bereit,
Auch Professor Graf Graziadei sprach aus, daà der patriotische Geist
beständige Gefahr für die Sache der Freiheit und für die Erhal-
"7) Vittorio Piva: Postilla alla risposta di Roberto Michels. Av. della
2I7
sie auch in den Massen weiten Widerhall fand â bald innerhalb
der maÃgebenden Kreise der Partei isoliert und die groÃe Majori-
tät der Führer rückte â Enrico Ferri an der Spitze â von ihr ab.
rung der nationalen Einheit gerade hier als besonders heilig em-
Bis 1907 hatte das Glück bei den Wahlen als rocher de
ten. Nun fiel mit dem Wahlglück auch die letzte Rechtfertigungs-
das Gefühl dieser Genugtuung nicht der Freude über den Sieg
Lehrer von dritter Seite auch einmal eine Lektion erhält, die ihn
Hinweis darauf zu erledigen, daà die Bourgeois eines jeden Landes stets ihre
lanJsmännischen Sozialisten für die schlimmeren, die des Auslandes hingegen für
Darin ist in der Tat etwas Wahres. Insbesondere Bülow hat das Lob der aus-
wärtigen Sozialisten mehrfach und mit Erfolg gesungen, und es liegt auch ohne
als die einzig Schlechten vorzustellen. Aber das schlieÃt nicht aus, daà der Hin-
weis auf die Sonderstellung der deutschen Sozialdemokratie in vielen ernsten Fragen
seitens der auswärtigen Regierungen nicht dennoch mit vollem Recht geschieht.
Die deutsche Sozialdemokratie im internatiunalen Verbande.
219
und schlieÃt sich den Vorwürfen, die dieser den Deutschen da-
mals gemacht hat, an. Nach ihrem Wahlsieg von 1904 haben sie
geschrien: Das Reich ist unser! und dann sind sie in den Reichs-
kratie wartet auf eine Revolution. Aber sie verlegt sie auf so
späte Zeiten, daà sie nicht mehr den Anspruch darauf erheben
reich« hat die Reaktion freie Hand gehabt. Alle Tage, die ins
alles resigniert über sich ergehen lassen und von einem geradezu
Zähnen eine Zeitlang akzeptiert hatte, wurde sehr bald wie ein
125) Ivanoe Bonomi: »Lo Scacco del Socialismo Tedesco«. Critica So-
keit in der Tat. So ist diese Partei, die den anderen solange
gessen. Heute aber, nach der Wahlniederlage, ist der Bann der
schlieÃt: »Und das ist gut so. Bis auf den heutigen Tag hat die
wahre Tyrannei ausgeübt. Sie hat uns allen ein bischen von
der Mann der Mitte, der Integralist Enrico Ferri, der ihr bei die-
Reigerung, die sie selbst hinter das Zentrum gedrängt habe und
lement des grands Empires; elle est trop haut pour voir si bas, hat
rühren sie nicht. Vieles geht auch an ihr vorüber aus rein sprach-
Leistungen in der Regel nur sehr gering ist, besitzt die Partei
nur äuÃerst wenig Beamte, die auch nur einer der groÃen west-
listen mehr Redakteure u. s. w. gibt, die deutsch, als unter den deut-
schen, die, ich sage nicht italienisch â welches doch, auch für
sondern auch nur französisch lesen können. Alles das wirkt da-
selbst entgegentreten und sie deshalb nicht gut umhin kann, sich
kommen lassen, nämlich die, welche ihr Wasser auf die eigenen Müh-
len liefert. Ganz natürlich. Die liberale Presse â denn um diese
handelt es sich hier fast ausschlieÃlich â hat ganz und gar kein
mit der die deutsche Sozialdemokratie mit ihr umgeht, die einzig
mögliche Politik dieser Partei ihr gegenüber sei. Sie handelt hin-
ten und auf diese Weise nicht nur die Schwäche des Liberalismus
nen lassen, sondern auch die Zwietracht in die Reihen der Sozial-
lismus wiesen. Diese Art der Kritik an der deutschen Taktik, die,
mochte sie nun von Jean Jaures oder von Bernhard Shaw stammen,
die stets gegen die Freiheit gerichtet seien 127), zu verhindern und
lichen Staates ist in der internationalen Sozialdemokratie ganz allgemein. Als der
von Tag zu Tag und baut sich drohend vor dem alten Ruhm der
lismus sind für sie vorüber. Je mehr eine Partei aber Tages-
des Ausgewiesenen und seiner Richtung, den Minister des Auswärtigen. Er er-
suchte ihn, ein Mittel ausfindig machen zu wollen, um »dergleichen Patienten von
Deutschlands barbarischen Zuständen von jetzt ab unter den Schutz der nieder-
Ländern wie RuÃland und PreuÃen, die auf politisch niedrigerem Kulturniveau
dieser Stelle begnügen wir uns mit dem Urteil eines der organi-
ters, Werner Sombart, der sein Kapitel über die Stellung der
mus gemacht, wie mir scheint, vom Standpunkt eines reinen, so-
Das war das â übrigens aus Marx' Erbschaft übernommene â
225
partei beschäftigt, und was sie dazu tun konnte, die deutsche
redlich getan.
Dank den japanischen Kanonen und den jüdischen Bomben ist RuÃ-
land auf lange Zeit hinaus matt gesetzt. Die Furcht vor dem »Ko-
helm II. in Tanger â der Alpdruck der Gefahr eines »PreuÃisch-
äuÃerte sich, muÃte sich äuÃern, nicht nur darin, daà die ge-
das Wort redete, also für eine Suspension jeder mehr als theore-
darin, daà die schwache und träge Haltung der deutschen Sozial-
120) Dieser Standpunkt war früher von den deutschen Sozialisten und Demo-
kraten vollauf geteilt worden: »Deutschland in staatlicher Freiheit geeint â ist die
herrschaft dagegen ist Deutschland eine beständige Gefahr für die Nachbarvölker
â der Beginn einer Kriegsepoche, die uns in die traurigen Zeiten des Faustrechts
Seit den »Wahlsiegen« hat die Sozialdemokratie in praxi diese Auffassung beseitigt.
warf.
in der Partei offen klafft und eine lange Reihe von MiÃerfolgen
zeichnen131). Man kann wohl sagen, es weht ein Wind der Fronde
ruhmestitel eben darin besteht, daà sie selbst Ableger der groÃen
Lotta di Classe (I, N. 4), die bereits zitierten Urteile des Italieners J, Bon orn i
(s. S. 219) und des Belgiers J. Destree (s. S. 198). Auch Schreiber dieses hat sich
132) Bemerkenswert ist, weil es zur richtigen Wertung der scharfen Urteile der
auswärtigen Sozialisten über die deutsche Sozialdemokratie beiträgt, daà sie fast durch-
weg nicht blindem Zorn, sondern aufrichtigem Wohlwollen entspringen. Der Eng-
länder B. Shaw schrieb nach seinen bekannten scharfen Auslassungen an den Heraus-
geber der Sozialistischen Monatshefte : »Bitte, denken Sie ja nicht, ich sei in irgend
einer Weise unfreundschaftlich gesinnt. Ich möchte sehr gern dieser Ihrer zurück-
zur Modernität verhelfen.« (S. M., X (XII), Heft to). Im Interesse des gesamten
europäischen Sozialismus! Das ist der Gesichtspunkt, von dem aus auch viele Anarchisten
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. 227
Der Rest kommt nicht über ihr hochfahrendes Wesen, das bei
(März, April 1904), und der sehr interessante Artikel des bekannten italienischen
wie einst Erasmus von Rotterdam ausgerufen habe: »Wer befreit uns von den
»Wer befreit uns von der deutschen Sozialdemokratie mit ihrem dogmatischen For-
malismus und ihrer militaristischen Organisation?« Aber sein Prämià ist dabei das
Bekenntnis, daà die sozialdemokratische Partei ihm doch die nächste sei und er ihre
Wahlniederlage trotz aller Kritik an ihr als einen Schlag für den Sozialismus empfinde.
133) Trotz der jedesmal, wenn es Ernst wird, fälligen Chamade scheuen offiziellste
damals (1870â71) und heute. daà es nämlich heute im deutschen Reichstag und in
der deutschen Nation eine starke Arbeiterpartei gibt, in deren Händen der Frieden
sicherer gewahrt ist als in den Händen einer unfähigen Diplomatie und bürgerlich-
XXV, Nr. 31) (4. Mai 07). â »Es gibt in ganz Europa keine zweite sozialdemo-
kratische Partei, die systematischer den Kampf gegen den Militarismus auch im Parla-
ment führt, wie gerade die deutsche Sozaldemokratie.« (Bebe l auf dem Parteitag
kratischen Partei Deutschlands, abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September
1906. Verlag Buchhandl. Vorwärts.« â p. 385.) â Auch die weitverbreitete lite-
rarisch-polemische Eigenart der deutschen Sozialdemokratie, ihre ihr durch die staats-
sozialistischen Zukunft hinzustellen â die nicht nur die Spanier und Italiener, sondern
auch die Franzosen und Engländer nachahmen würden, sobald die Verhältnisse erst
einmal »so weit« gereift sein werden, wie im deutschen Reich, â kann natürlich den
iS*
228 Robert Michels,
tet sind, dafür hat die Reise der deutschen Journalisten nach
sei, lachend erwidert habe: »I know. How should you be a german
socialist? You are much too radical for that!? Barth fügt dem
stand und der Solidarität der Partei ganz besonders bedurft hätte
1M) Um nur ein parteigenössisches Urteil wiederzugeben: Dr. Giusto Calvi, 8ozia-
list. Abgeordneter und Chefredakteur der Turiner Tageszeitung II Grido del Popolo
machte sich über Bebels Definitionen vom Angriffs- und Verteidigungskrieg weidlich
lustig und bezeichnete seinen Standpunkt als einen puren Wahnsinn, ja einen Verrat
Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande. 22Q
Presse gegen die allzu schnellen Schritte ins bürgerliche Lager be-
er sich für den .korrekten Ton der gegen ihn geführten Pole-
greà mit Herve den Degen kreuzen werde. Also der in der Vater-
oder, wenn man will, VerstöÃe, nicht allzu groÃe praktische Be-
Gnade und Güte fremd sind, und das über eine ungemein selbstbe-
wuÃte und politisch fähige feudale Klasse und einen treu ergebenen,
hätte ebnen können, muÃte auf das Tempo des Vormarsches der
am Sozialismus, gegen den alle wirklich Internationalen die Pflicht hätten, zu prote-
tion, bedrohen könnte. Sie wird denkfaul und träge, sowie un-
sie scheut es, das groÃartige Menschenmaterial, das ihr zur Ver-
scheut vor allem die Opfer und rät â exempla abundant â in
137) Der bekannte italienische Mazzinist Dario Papa meint einmal mit präch-
land wird einmal kommen. Kein Zweifel. Aber ich vermag es mir nicht vorzu-
stellen. Vielleicht werden die Sozialdemokraten eines schönen Tages zum Kaiser
gehen und ihm sagen: Majestät, wir haben alles fertig, um unsere Revolution zu
machen. Es fehlen uns nur die Offiziere und Eure Majestät!« (Dario Papa:
Noch ein Beispiel: In der von de Bigault de Casanove redigierten bekannten Pa-
riser Wochenschrift »Le Cri de Paris« erschien nach dem Jenenser Parteitag auf dem
Titelblatt eine (von Roubille entworfene) Zeichnung, die in sarkastischem Hohn auf
die Schlappheit der deutschen Sozialdemokratie einen (offenbar der Partei ange-
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dem Kasernenhof von seinem Vorgesetzten miÃhandelt wird. Die Karikatur trug
als Ueberschrift die Worte: »Apres le Congres de Jéna«. Unter dem Bilde aber
stand: »Le Socialdemokrat: O botte! pour un vrai Allernand, rien n'est plus doux