(Hoch) Schulmathematik PDF
(Hoch) Schulmathematik PDF
(Hoch)Schul-
mathematik
Ein Sprungbrett
vom Gymnasium an die Uni
(Hoch)Schulmathematik
Tobias Glosauer
(Hoch)Schulmathematik
Ein Sprungbrett vom Gymnasium
an die Uni
Tobias Glosauer
Johannes-Kepler-Gymnasium
Reutlingen, Deutschland
Springer Spektrum
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
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drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das
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rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
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benutzt werden dürften.
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Vorwort
Was soll und kann dieses Buch?
Dieses Buch richtet sich an Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe,
die in die Hochschulmathematik reinschnuppern möchten, aber auch an Studie-
rende im ersten Semester, die noch etwas mathematische Starthilfe gebrauchen
können.
Ursprünglich entstand dieser Text als Begleitmaterial zum Vertiefungskurs Ma-
”
thematik“, der am Kepler-Gymnasium Reutlingen von 2012–2014 gehalten wurde.
Dieses Wahlfach Mathe-Plus“ wird gerade an vielen Schulen Baden-Württembergs
”
eingeführt, um den mathematischen Übergang an die Hochschule zu erleichtern.
Aber auch wenn es keinen solchen Kurs an deiner Schule gibt, kannst du dieses
Buch mit viel Gewinn im Selbststudium durcharbeiten.
In Teil I lernst du grundlegendes mathematisches Handwerkszeug: Es geht los mit
einer Einführung in die (Aussagen-)Logik, gefolgt von mathematischer Beweis-
methodik sowie etwas Mengenlehre.
Teil II stellt eine Einführung in die Analysis dar: Nach intensivem Studium des
Grenzwertbegriffs wird zur Abrundung noch Grundwissen in Differenzial- und In-
tegralrechnung vermittelt (hiervon ist dir vieles bereits aus der Schule bekannt).
Nachdem in Teil IV eine gründliche Einführung in die komplexen Zahlen erfolgt
ist, werden die Anfangsgründe der Linearen Algebra erforscht, wobei wir uns mit
Vektorräumen, linearen Abbildungen und Matrizen beschäftigen. In beiden Teilen
bekommst du ein Gefühl dafür, was dir am Anfang einer Mathe-Vorlesung des er-
sten Semesters alles um die Ohren fliegen wird.
Zwischendrin, sozusagen zum Verschnaufen von den vielen abstrakten Konzep-
ten, wird in Teil III ganz handfest gerechnet: Du lernst Gleichungen und Unglei-
chungen zu lösen (bzw. dein Schulwissen zu reaktivieren und zu festigen), sowie
komplizierte Integrale zu knacken. Auf diese Rechenfertigkeiten wird vor allem
in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen wie z.B. Maschinenbau großen
Wert gelegt.
Danksagungen
Ich möchte all denjenigen danken, die mich beim Entstehen dieses Buches un-
terstützt haben. An erster Stelle danke ich ganz herzlich meiner Kollegin Marion
Rauscher, da ich mich ohne sie vermutlich niemals an dieses äußerst zeitintensive
Projekt herangewagt hätte. Wir haben das erste Jahr des Vertiefungskurses Ma-
”
thematik“ im Wechsel unterrichtet und dabei entstanden die Kapitel 3 und 7 in
gemeinsamer Arbeit. Bei vielen anderen Kapiteln war sie mir beim Editieren und
Korrekturlesen extrem hilfreich.
Ein riesiges Dankeschön gebührt meiner lieben Frau (und unerbittlichen Korrekto-
rin) Vera, die mir vor allem in der Endphase dieses Buchprojekts eine unschätzbar
große Hilfe war – sowohl mathematisch als auch beim Abwenden von Panikattacken
durch viel gutes Zureden.
vi
Adi, Anja, Annabel, Benno, Carlotta, Dani, Fabi, Felix, Franz, Franzi, Henrik,
Jakob, Jan-Hendrik, Jooon, Joni, Julia, Juliane, Kai, Kenji, Kosta, Leonie,
Lukas, Marco, Marie, Marius, Marvin, Matze, Michi, Mirjam, Moritz, Nico,
Pasi, Patrick, Peer, Sabrina, Sam, Simon, Timon, Tobi (2x), Verena und Vero.
Das Spektrum ihrer Blicke und Gesichtsausdrücke (von Ah ja, klar!“ über Jetzt
” ”
hab ich’s kapiert!“ bis hin zu Häh, was will der?“ und Wann ist endlich 15.20
” ”
Uhr?“) war stets ein guter Indikator dafür, ob der Stoff verständlich oder vielleicht
doch zu abstrakt bzw. zu hastig erklärt war. Durch ihre Fragen und Kommenta-
re haben einige von ihnen erheblich zur Verbesserung des Textes beigetragen und
zudem haben sie noch zahlreiche Tippfehler und Lücken aufgespürt. Alle verblei-
benden Fehler gehen selbstverständlich auf ihr Konto; hättet ihr halt aufmerksamer
gelesen, ihr Schnarchnasen! Aber Spaß beiseite: Alle mir noch bekannt werdenden
Fehler und deren Korrektur werden auf der Homepage
http://gl.jkg-reutlingen.de/MathePlus/
erscheinen. Hinweise auf Fehler sowie jede andere Art von Rückmeldung werden
dankbar entgegengenommen; einfach eine Mail an [email protected] senden.
Zurück zum eigentlichen Dank: Ich danke meinem Kollegen Oliver Redner ganz
herzlich für den LATEX-Support und Dr. F. Haug für das Beantworten einer Frage
zur Logik.
Schließlich möchte ich Frau Schmickler-Hirzebruch vom Springer Verlag wärmstens
dafür danken, dass sie sich überhaupt auf dieses Projekt eingelassen hat sowie für
ihre vielen konstruktiven Tipps und Ratschläge. Ebenfalls besten Dank an Frau
Gerlach vom Springer Verlag für die äußerst angenehme Zusammenarbeit.
I Formales Fundament 1
1 Ein wenig Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.1 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.2 Junktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.1.3 nicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
”
1.1.4 und“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
”
1.1.5 (entweder) oder“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
”
1.1.6 wenn . . . , dann . . .“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
”
1.1.7 . . . genau dann, wenn . . .“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
”
1.1.8 Aussagenlogische Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.1.9 Aussagenlogische Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2 Ausblick auf die Prädikatenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.1 Prädikate und Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.2 Der Allquantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.2.3 Der Existenzquantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2 Beweismethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.1 Exkurs: Grundwissen über Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.2 Direkter Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.3 Indirekter Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3.1 Kontraposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3.2 Widerspruchsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.4 Beweis durch vollständige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
V Anhang 321
11 Lösungen zu den Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
11.1 Lösungen zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
11.2 Lösungen zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
11.3 Lösungen zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
11.4 Lösungen zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
11.5 Lösungen zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
11.6 Lösungen zu Kapitel 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
11.7 Lösungen zu Kapitel 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
11.8 Lösungen zu Kapitel 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
11.9 Lösungen zu Kapitel 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
Teil I
Formales Fundament
1 Ein wenig Logik
Logik ist die vom griechischen Philosophen-Boss Aristoteles (384–322 v.Chr.)
begründete wissenschaftliche Disziplin vom korrekten Schlussfolgern“, die heutzu-
”
tage ein eigenständiges Gebiet der mathematischen Grundlagenforschung ist.
Wir stellen hier lediglich ein paar bescheidene Grundkonzepte der Logik vor, die
uns im weiteren Verlauf des Buches von Nutzen sein werden.
1.1 Aussagenlogik
Wir beginnen mit einer elementaren Einführung in die Aussagenlogik, die sich mit
der Verknüpfung einfacher Aussagen“ zu komplexeren, zusammengesetzten Aus-
”
sagen beschäftigt. Dazu müssen wir natürlich zunächst klären, was unter einer
Aussage denn überhaupt zu verstehen ist.
1.1.1 Aussagen
Definition 1.1 Eine Aussage ist ein Sachverhalt, der entweder wahr oder falsch
ist. Die Möglichkeiten wahr“ (w) und falsch“ (f) heißen Wahrheitswerte. ♦
” ”
Beispiele für Aussagen sind somit:
Die Erde ist eine Scheibe. (f)
Alle Schüler lieben Mathe. (f)!
Es gilt x 0 für alle reellen Zahlen x.
2
(r)
Pythagoras hatte mal genau 109 712 Haare auf dem Kopf. (?)
Wie man am letzten Beispiel sieht, spielt es keine Rolle, ob wir den Wahrheitswert
tatsächlich ermitteln können; wichtig ist nur, dass man dieser Aussage prinzipiell
genau einen der Werte w“ oder f“ sinnvoll zuordnen kann. Weitere solche Bei-
” ”
spiele für Aussagen sind unbewiesene mathematische Vermutungen wie z.B. die
Goldbach-Vermutung (siehe Seite 20). Ihr Wahrheitswert ist entweder w oder f,
man weiß momentan (2014) aber nicht, welche Möglichkeit zutrifft.
Keine Aussagen sind Fragen, Befehle, Ausrufe, etc. wie zum Beispiel:
Wann ist diese Stunde endlich vorbei?
Alter, komm, wir gehen Mensa!
Laaangweilig!
Zum Wort Sachverhalt“: Man hätte eine Aussage auch als einen deskriptiven (be-
”
schreibenden) Satz definieren können, allerdings wollen wir uns nicht nur auf reine
Sätze beschränken, sondern interessieren uns auch für mathematische Sachverhalte
wie z.B. 2 · 2 = 4, was eine wahre Aussage darstellt.
Definition 1.2 Enthält eine Aussage eine oder mehrere Variable (Platzhalter),
und kann man erst nach Ersetzen der Variable(n) durch geeignete Objekte den
Wahrheitswert der Aussage entscheiden, so spricht man von einer Aussageform. ♦
A(x): x+5=8
ist ein Beispiel einer Aussageform. Für x = 3 nimmt A(3) den Wahrheitswert w
an, während A(x) z.B. für x = 17 bzw. x = Hund falsch wird.
————————— —————————
Aufgabe 1.2 Handelt es sich bei dem folgenden Satz (S) um eine Aussage?
Anleitung: Überlege dir, dass sowohl die Annahme S ist wahr“ als auch die An-
”
nahme S ist falsch“ zu einem Widerspruch führt. Somit kann S weder wahr noch
”
falsch sein – obwohl die Frage nach seinem Wahrheitswert sinnvoll gestellt werden
kann. S ist also keine Aussage (und gilt als paradox“). Ähnlich ist es bei:
”
L: Ich lüge gerade.
Die klassische Version dieses Paradoxons lautet: Ein Kreter sagt: Alle Kreter
”
sind Lügner.“; vielleicht hatte auch bereits Urrkh ähnliche Gedanken (siehe Abbil-
dung 1.1)?
Das Problem der Sätze S und L ist ihre Selbstrückbezüglichkeit. Ein weiteres solches
Beispiel ist:
F: Der nächste Satz ist falsch. Der vorhergehende Satz ist wahr.
Denke jeweils kurz über den Wahrheitswert von L und F nach; weiter wollen wir
diese Problematik hier nicht vertiefen.
1.1 Aussagenlogik 5
Russell1 konnte 1908 die Widersprüche, die solche selbstrückbezüglichen Sätze bergen,
im Rahmen seiner Typentheorie beseitigen. Siehe [Rus]; schweeere Kost!
————————— —————————
1.1.2 Junktoren
Junktoren sind Worte wie oder“, und“, weil“, nicht“ usw., die aus einer oder
” ” ” ”
mehreren Aussagen eine neue Aussage bilden. Beispiele:
1. In der Mittagspause esse ich einen Döner oder ich esse eine Pizza.
2. Ich sitze im Klassenzimmer und mein Handy ist aus.
3. Ich gehe ins Freibad, weil es 35◦ im Schatten hat.
4. Sheldon Cooper ist nicht verrückt. (His mother had him tested.)
Hierzu gleich ein paar wichtige Bemerkungen.
1 Bertrand Russel (1872–1970); einer der Gründungsväter der modernen Logik.
6 1 Ein wenig Logik
a) Aussage 1 zeigt eines der Probleme mit den Doppeldeutigkeiten der Um-
gangssprache auf, nämlich dass das oder“ hier auf zwei Arten verstanden
”
werden kann: Als ausschließendes oder“ – entweder Döner oder Pizza – oder
”
als nicht-ausschließendes oder“, in welchem Fall die Aussage auch dann wahr
”
bleibt, wenn der hungrige Schüler beides verspeist. In der Mathematik ist mit
oder“ immer das nicht-ausschließende gemeint.
”
b) Der Wahrheitswert von Aussage 2 hängt nur von dem der Teilaussagen Ich
”
sitze im Klassenzimmer“ (A) und Mein Handy ist aus“ (B) ab, denn nur
”
wenn sowohl A als auch B wahr sind, ist auch die verknüpfte Aussage A und
”
B“ wahr. In allen anderen Fällen ist sie falsch.
Bei Aussage 3 hingegen ist das anders. Beide Teilaussagen können wahr sein,
ohne dass damit der Wahrheitswert der Gesamtaussage geklärt wäre: Selbst
wenn Ich gehe ins Freibad“ (A) und Es hat 35◦ im Schatten“ (B) beide
” ”
wahr sind, ist noch nichts über den Wahrheitswert von A weil B“ gesagt.
”
Ich könnte auch aus anderen Gründen ins Freibad gehen, die nichts mit den
35◦ zu tun haben, z.B. um meine neuen Schwimmflügel auszuprobieren.
Junktoren dieses Typs betrachten wir im Folgenden nicht mehr, sondern nur
noch Junktoren, bei denen der Wahrheitswert der verknüpften Aussage allein
von den Wahrheitswerten der Teilaussagen abhängt.
Wir werden nun die für uns wichtigen Junktoren einführen und untersuchen, wie
der Wahrheitswert der durch sie gebildeten Aussagen von den Wahrheitswerten
der ursprünglichen Aussagen abhängt. Da es in der Aussagenlogik nur um den
Wahrheitswert von Aussagen, nicht aber deren konkreten Inhalt geht, verwenden
wir stets abstrakte Symbole wie A und B für Aussagen.
1.1.3 nicht“
”
Der einfachste Junktor ist die Negation mit dem Symbol ¬ . Ist A eine Aussage, so
ist ihre Verneinung ¬ A ( nicht-A“) eine Aussage, die wahr ist, wenn A falsch ist
”
und falsch ist, wenn A wahr ist. Dies ist in der Wahrheits(wert)tafel 1.1 dargestellt.
A ¬A
w f
f w
Tabelle 1.1
Unbedingt zu beachten ist: Die Negation von Zitronen schmecken süß“ lautet nicht
”
etwa Zitronen schmecken sauer“, sondern natürlich Zitronen schmecken salzig“
” ”
Späßle . . . sondern natürlich Zitronen schmecken nicht süß“.
”
1.1 Aussagenlogik 7
1.1.4 und“
”
Als Nächstes betrachten wir die und“-Verknüpfung, auch Konjunktion genannt,
”
die mit ∧ abgekürzt wird. Wie oben bereits diskutiert, ist A ∧ B genau dann wahr,
wenn sowohl A als auch B wahr sind, d.h. wir erhalten die Wahrheitstafel 1.2.
A B A∧B
w w w
w f f
f w f
f f f
Tabelle 1.2
Tabelle 1.3
A B A→B
w w w
w f f
f w w
f f w
Tabelle 1.4
A B A ←→ B
w w w
w f f
f w f
f f w
Tabelle 1.5
(Leider wird dies heutzutage nicht mehr als Äquivalenz gehandhabt; 25◦ C um 10
Uhr ist nur noch notwendig, aber nicht mehr hinreichend für hitzefrei.) Es gilt
dasselbe zu beachten wie bei der Subjunktion, nämlich dass in der Aussagenlogik
kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen A und B bestehen muss.
(A ∨ B) → (¬ C)
Nach den Vorfahrtsregeln ist dies die Kurzschreibweise für ((¬ A) ∨ B) ←→ (¬ B).
A B ¬A ¬A∨B ¬B ¬ A ∨ B ←→ ¬ B
w w f w f f
w f f f w f
f w w w f f
f f w w w w
Tabelle 1.6
A B ¬A∨B ←→ ¬ B
w w w f f
w f f f w
f w w f f
f f w w w
Tabelle 1.7
Unter den zuletzt ausgeführten Junktor, hier also ←→ , trägt man den Wahrheits-
wert der gesamten Formel ein.
Bis hierhin haben wir recht viel formalen Unsinn“ betrieben, und man mag sich zu
”
Recht fragen, was das alles soll. Im folgenden Abschnitt lernen wir nun aber endlich
Zusammenhänge kennen, die uns in den nächsten Kapiteln (Beweistechniken und
Mengenlehre) von Nutzen sein werden.
A B ¬ (A ∧ B) ¬A ∧ ¬B A B ¬ (A ∧ B) ¬A∧¬B
w w f w f f f w w f f
w f w f f f w w f w f
f w w f w f f f w w f
f f w f w w w f f w w
Tabelle 1.8
A B ¬ (A ∧ B) ¬A∨¬B
w w f f
w f w w
f w w w
f f w w
Tabelle 1.9
Aha! Tabelle 1.9 zeigt, dass die Wahrheitswerte beider Formeln in jedem möglichen
Fall gleich sind, d.h. vom aussagenlogischen Standpunkt her sind sie nicht vonein-
ander zu unterscheiden. Solche Formeln nennt man aussagenlogisch äquivalent.
Mit Hilfe der Bijunktion lässt sich dies noch etwas umformulieren: Da F ←→ G
genau dann wahr ist, wenn die beiden Teilformeln F und G denselben Wahrheits-
wert haben, erhalten wir für die Formel ¬ (A ∧ B) ←→ ¬ A ∨ ¬ B die Wahrheits-
tafel 1.10.
A B ¬ (A ∧ B) ←→ ¬ A ∨ ¬ B
w w f w f
w f w w w
f w w w w
f f w w w
Tabelle 1.10
An ihr erkennt man, dass diese Bijunktion in jedem möglichen Fall wahr ist; eine
solche Aussage nennt man eine aussagenlogische Tautologie. Die Äquivalenz zweier
Formeln drückt man durch das Zeichen ⇐⇒L aus, wobei der Index daran erinnern
soll, dass es sich um eine aussagenL ogische Äquivalenz handelt. (Echte Logiker ver-
wenden hierfür das Symbol =| |=. Mir gefällt ⇐⇒L besser, auch wenn dies kein
offizielles Symbol ist) Als Ergebnis dieses Beispiels können wir die sogenannte erste
De Morgan2 ’sche Regel festhalten:
¬ (A ∧ B) ⇐⇒L ¬ A ∨ ¬ B .
◦ Das Zeichen ⇐⇒L hingegen ist kein Junktor. F ⇐⇒L G ist keine aussa-
genlogische Formel, sondern macht eine Aussage über die Formel F ←→ G,
nämlich dass diese eine Tautologie ist.
(F → G) ⇐⇒L (¬ G → ¬ F) (Kontrapositions-Regel ).
F G (F → G) ←→ (¬ G → ¬ F)
w w w w f w f
w f f w w f f
f w w w f w w
f f w w w w w
Tabelle 1.11
————————— —————————
¬ (A ∨ B) ⇐⇒L ¬ A ∧ ¬ B.
Bilde mit Hilfe der De Morgan-Regeln die Verneinung der beiden folgenden Aussa-
gen zur Abendgestaltung eines Schülers.
1.1 Aussagenlogik 13
Aufgabe 1.7 a) Weise die Gültigkeit der Assoziativgesetze für ∧ und ∨ nach:
(A ∧ B) ∧ C ⇐⇒L A ∧ (B ∧ C) und
(A ∨ B) ∨ C ⇐⇒L A ∨ (B ∨ C).
Sie besagen, dass man bei mehrfacher ∧ - bzw. ∨ -Verknüpfung die Klammern
weglassen kann. (Es genügt, wenn du nur eines der beiden Gesetze beweist.)
b) Verfahre ebenso für die beiden Distributivgesetze
(A ∧ B) ∨ C ⇐⇒L (A ∨ C) ∧ (B ∨ C) und
(A ∨ B) ∧ C ⇐⇒L (A ∧ C) ∨ (B ∧ C).
Aufgabe 1.8 In dieser Aufgabe soll gezeigt werden, dass sich alle bisher ein-
geführten Junktoren allein durch die zwei Junktoren ¬ und ∨ ausdrücken lassen.
a) Zeige, dass für die Subjunktion gilt: (A → B) ⇐⇒L ¬ A ∨ B.
b) Gewinne eine {¬ , ∨ }-Darstellung des ∧ -Junktors durch Verneinung der er-
sten De Morgan-Regel.
c) Kannst du auch für die Bijunktion ←→ und die Kontravalenz ≺ entspre-
chende Ausdrücke finden?
Aufgabe 1.9 Wie du in Aufgabe 1.8 c) vielleicht erkannt hast, gilt
A ≺ B ⇐⇒L (¬ A ∧ B) ∨ (A ∧ ¬ B).
Gewinne daraus mit Hilfe der De Morgan-Regeln und des zweiten Distributivgeset-
zes (siehe Aufgabe 1.7) eine Formel für die Negation von A ≺ B.
————————— —————————
14 1 Ein wenig Logik
Beispiel 1.3 Bei − ist satt“ handelt es sich um ein Prädikat, da durch Ein-
”
setzen des Namens Gustl“ die Aussage
”
Gustl ist satt.
entsteht. Hier wird also einem Individuum (Gustl) durch das Prädikat eine gewisse
Eigenschaft (Satt-sein) zugeordnet. In der Aussagenlogik hätten wir diese atomare
Aussage einfach mit A abgekürzt. In der Prädikatenlogik richten wir das Augenmerk
auf die innere logische Struktur der atomaren Aussage und schreiben sie als
S(g).
Dabei verwenden wir Großbuchstaben als Symbole für Prädikate – hier ist S das
Prädikatensymbol für − ist satt“ – und Kleinbuchstaben als Symbole für Individu-
”
en – hier ist g die sogenannte Individuenkonstante für Gustl“. S ist ein einstelliges
”
Prädikat, da es nur eine Leerstelle enthält.
Beispiel 1.4 Ein Beispiel für ein zweistelliges Prädikat beinhaltet die Aussage
Bei der Formalisierung ist die Reihenfolge der zwei Individuenkonstanten in der
Klammer zu beachten:
wobei W für das zweistellige Prädikat − isst mehr Wildschweine als −“ steht und
”
o bzw. a für die Individuen Obelix“ bzw. Asterix“.
” ”
1.2 Ausblick auf die Prädikatenlogik 15
Im letzten Schritt wurde zur Abkürzung von für alle − gilt“ der Allquantor ∀ (ein
”
umgedrehtes A) eingeführt.
Beispiel 1.6 Der Allquantor ist nützlich, um mathematische Aussagen wie z.B.
Für alle reellen Zahlen gilt, dass ihr Quadrat größer gleich Null ist.
Das zeigt nun ganz eindeutig die prädikatenlogische Struktur der Aussage, aber
keine Sorge: So umständlich schreiben wir das später nie mehr auf. Statt R(x)
schreibt man x ∈ R und statt G(x2 , 0) natürlich x2 0. Außerdem spart man sich
die Subjunktion und mogelt die Voraussetzung x ∈ R in den Allquantor mit rein:
∀x ∈ R : x2 0.
in prädikatenlogische Form.
Es gibt (mindestens) ein Ding für das gilt: Das Ding ist leer.
Es gibt (mindestens) ein x für das gilt: x ist leer.
∃x : L(x)
∃x : ( Z(x) ∧ K(x2 , 0) ),
wobei Z für das Prädikat − ist eine Zahl“ steht und K für das zweistellige Prädi-
”
kat − ist kleiner als −“. (Was Z(x) mathematisch bedeuten soll, werden wir erst
”
im Kapitel über komplexe Zahlen konkretisieren; dort werden wir dann auch sehen,
dass obige Aussage wahr ist.)
Zum Abschluss notieren wir noch zwei nützliche Verneinungs-Regeln. Ohne dass
wir formal definieren, was prädikatenlogisch äquivalent bedeutet3 , sollte der folgen-
de Zusammenhang intuitiv einleuchtend sein: Ist F ein Prädikat (oder allgemeiner
eine prädikatenlogische Formel wie G( ) ∧ H( )), so gilt
Denn: Die Verneinung der Aussage, dass alle Dinge x die Eigenschaft F haben, ist,
dass F auf mindestens ein Ding x nicht zutrifft. Ebenso gilt
In Worten kann man sich das so merken: Zieht man den ¬ -Junktor in die Klammer,
so wird aus dem ∀ ein ∃ (und umgekehrt) und das Prädikat F (x) wird verneint.
Die letzte Äquivalenz folgt aus Aufgabe 1.4, wenn man die dortige Äquivalenz
negiert und ¬ B für B einsetzt. In Worten: Für alle Dinge x gilt: wenn x ein Schüler
ist, dann telefoniert x nicht während des Unterrichts.
————————— —————————
Aufgabe 1.10 Gegeben sind die einstelligen Prädikate mit den Symbolen M :
− ist ein Mann“ und S: ist ein Schwein“. Formuliere die folgenden prädika-
” ”−
tenlogischen Aussagen in Worten. (Welche Aussagen sind wahr?)
a) S(x, y) stehe für x ist schwerer als y“. Drücke in Worten aus:
”
(i) ∀x ∃y : S(x, y) (ii) ∃x ∀y : S(x, y) (iii) ∃x ∃y : S(x, y)
You can fool all people some of the time and you can fool some
people all of the time, but nobody can fool all people all of the
time.
Bringe dies auf prädikatenlogische Form. Dabei soll F (x,y,t) für das Prädikat
x can fool y at time t“ stehen und you“ als generalisierender Ausdruck im
” ”
Sinne von jeder“ aufgefasst werden.
”
c) Diese Aufgabe ist nur dann sinnvoll, wenn du bereits die Definition des Grenz-
werts a einer Folge (an ) kennst (siehe Kapitel 4), die wie folgt lautet:
————————— —————————
Literatur zu Kapitel 1
Definition 2.2 Eine natürliche Zahl größer eins, die nur die trivialen Teiler be-
sitzt, also nur durch sich selbst und durch 1 teilbar ist, heißt Primzahl.
Eine Zahl heißt prim, wenn sie eine Primzahl ist, andernfalls heißt sie zusammen-
gesetzt. ♦
2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, 37, 41, 43, 47, 53, 59, 61, 67, 71, . . .
Keiner kann bis heute einen Funktionsterm f (x) angeben, der einem alle Prim-
zahlen ausspuckt, wenn man für x z.B. alle natürlichen Zahlen einsetzt. Die Ei-
genschaften der Primzahlen und ihre Verteilung innerhalb der natürlichen Zahlen
ist intensiver Forschungsgegenstand der sogenannten Zahlentheorie. Hier gibt es
noch viele Möglichkeiten, Ruhm und Ehre zu erlangen. So ist z.B. die so schlicht
aussehende Goldbach1 -Vermutung aus dem Jahre 1742
Jede gerade Zahl größer als 2 ist die Summe zweier Primzahlen
eines der bis heute (2014) offenen Probleme der Zahlentheorie! Als Beispiel ist
4 = 2 + 2; verfahre ebenso für die geraden Zahlen von 6 bis 20.
Ist dir auch aufgefallen, dass in obiger Primzahlliste oft Paare wie (3, 5), (5, 7),
(11, 13) etc. auftreten, die sich nur um 2 unterscheiden? Die Vermutung, dass es un-
endlich viele solcher Primzahlzwillinge gibt, ist bis heute ebenfalls unbewiesen. Aber
ich schweife ab; zum Schluss notieren wir zwei grundlegende Sätze über Primzah-
len, die wir an dieser Stelle ohne Beweis akzeptieren (siehe [Pad] und Beispiel 2.6).
Dies (oder unvollständige Beweise) kennzeichnen wir fortan mit dem Zeichen .
Beispiel 2.2 Die Primzahl 3 teilt 12 = 2 · 6, also muss sie laut Euklid2 bereits
einen der Faktoren 2 oder 6 teilen, was auch stimmt. Ist p hingegen keine Primzahl,
so kann Folgendes passieren: 6 teilt zwar 18 = 2 · 9, aber 6 teilt keinen der Faktoren,
weder a = 2 noch b = 9.
Anmerkung: Ein Lemma ist ein Hilfssatz, dem nicht ganz so viel Bedeutung
eingeräumt wird wie einem Satz oder gar einem Theorem, d.h. einem Satz von
grundlegender Bedeutung. Oftmals enthalten Lemmata Zusammenhänge, die man
als wichtige Schritte im Beweis von Sätzen braucht. Weil man während des Be-
weises aber nicht durch zu viele technische Details den roten Faden verlieren will,
lagert man oft Beweisschritte als Lemmata aus, die dann vor dem eigentlich Beweis
gesondert bewiesen werden.
1 Christian
Goldbach (1690–1764); deutscher Mathematiker.
2 Euklidvon Alexandria (vermutlich 3. Jhdt. v. Chr.). Einer der bedeutendsten Mathematiker
der griechischen Antike, der monumentale Beiträge zur Geometrie und Zahlentheorie lieferte.
2.2 Direkter Beweis 21
Das Lemma von Euklid ist allerdings so bedeutsam, dass es die Bezeichnung Satz
verdient hat. Man benötigt es z.B. zum Beweis der Eindeutigkeitsaussage des
nächsten Satzes, den man auch als Hauptsatz der elementaren Zahlentheorie be-
zeichnet.
Theorem 2.1 besagt nun, dass man zwar die Reihenfolge der Primfaktoren in dieser
Zerlegung ändern kann, etwa 264 = 2 · 11 · 2 · 3 · 2, nicht aber die darin auftretenden
Primzahlen samt ihrer Anzahl.
Lemma 2.1 Wenn t die Zahlen a und b teilt, dann teilt t auch deren Summe.
a = k·t und b = l · t.
22 2 Beweismethoden
Immer wenn ein Beweis vollständig erbracht ist, freut sich der Mathematiker und
macht ein Kästchen (wie auch schon nach dem Beweis von Satz 1.1 geschehen).
Um die logische Struktur des Beweises besser zu beleuchten, geben wir ihn nochmals
in Kurzform wieder.
Voraussetzung: t|a ∧ t|b
=⇒ ∃ k, l ∈ N : a = k · t ∧ b = l · t
=⇒ a + b = k · t + l · t = (k + l) · t mit k + l ∈ N
=⇒ t | (a + b)
So schreibt man das auf, wenn man sich eine Beweisidee auf einem Schmierblatt
überlegt. Beim Niederschreiben des Beweises verlangt jedoch die mathematische
”
Etikette“, dass man viel Wert auf Begleittext legt und so wenig Folgepfeile und
Junktoren wie möglich verwendet.
Nun kommen wir zum Beweis eines echten Klassikers. Beachte, dass der nun fol-
gende Satz nicht in der Form A =⇒ B formuliert ist, sondern nur als Aussage B
da steht. Der (direkte) Beweis greift zwar unter anderem auf Theorem 2.1 zurück,
aber dessen Gültigkeit setzt man hier voraus, und hebt sie nicht gesondert als
Voraussetzung A hervor.
Satz 2.2 Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Der wunderschöne Beweis geht auf Euklid zurück und steht (in ähnlicher Form) in
seinem berühmtem Werk Elemente. Bearbeite zur Vorbereitung Aufgabe 2.1.
Beweis: Wir starten mit einer Liste von n Primzahlen p1 , . . . , pn (n ist dabei
eine beliebige natürliche Zahl) und konstruieren daraus eine weitere Primzahl, die
noch nicht in dieser Liste vorkommt. Hat man also n Primzahlen gefunden, dann
gibt es mindestens noch eine weitere. Da n beliebig war, muss es unendlich viele
Primzahlen geben.
Die zentrale Beweisidee besteht nun darin, aus den gegebenen Primzahlen die Zahl
m = p1 · . . . · p n + 1
zu bilden. Für m können zwei Fälle auftreten:
3 Der Doppelpunkt in m := k + l weist darauf hin, dass die Zahl m als k + l definiert wird.
2.2 Direkter Beweis 23
1) m ist bereits prim. Dann ist man fertig, denn man hat eine Primzahl gefun-
den, die noch nicht in der Liste p1 , . . . , pn steht, da m ja offenbar größer als
alle dort auftretenden Zahlen ist.
2) m ist nicht prim. Nach Theorem 2.1 besitzt m dann einen (echten) Primfak-
tor, den wir q nennen. Wäre q eine der Zahlen p1 , . . . , pn , so würde q das
Produkt p1 · . . . · pn teilen. Weil q aber m teilt (als Primfaktor von m), müsste
q auch die Differenz
m − p1 · . . . · pn = 1
teilen (siehe Aufgabe 2.1), was wegen q > 1 nicht sein kann4 . Somit ist q eine
Primzahl, die von p1 , . . . , pn verschieden ist.
In beiden Fällen haben wir also eine weitere Primzahl gefunden, und die Behaup-
tung des Satzes folgt (wie oben erklärt).
Bis heute (2014) war übrigens noch niemand in der Lage zu klären, ob unter Zahlen
der Gestalt m = p1 · . . . · pn + 1 unendlich viele Primzahlen auftreten.
————————— —————————
Vorbemerkung: Erfahrungsgemäß tut man sich als Anfänger enorm schwer, er-
ste Beweise selbstständig auszuführen, bzw. überhaupt darauf zu kommen, wie
man vorgehen soll. Schaut man dann gleich die komplette Lösung an, so ist der
Witz“ weg und man hat sich der Möglichkeit beraubt, selber zumindest auf Teile
”
des Beweises zu kommen.
Deshalb gibt es auf Seite 328 vor den ausführlichen Lösungen Hinweise zu einigen
Aufgaben, die als Starthilfe zum Beweis dienen können. Es ist äußerst empfehlens-
wert, erst nur den Hinweis zu lesen und dann einige Zeit über den auftretenden
Problemen zu brüten, bevor man gleich zur vollständigen Lösung blättert.
Aufgabe 2.1 Zeige: Teilt t die Zahlen a > b, so auch deren Differenz a − b.
(Damit a − b nicht negativ wird, wir also N nicht verlassen, wird a > b vorausge-
setzt. a < b wäre aber auch kein Problem, denn für ganze Zahlen ist Teilbarkeit
vollkommen analog definiert.)
Aufgabe 2.2 Beweise die folgenden Teilbarkeitsregeln. Alle Zahlen seien aus N.
a) Ist a ein Teiler von b, und teilt b wiederum c, so ist auch a ein Teiler von c.
b) Wenn gilt: a teilt c und b teilt d, dann teilt a · b das Produkt c · d.
c) Teilt t die Zahlen a und b, dann teilt t auch m · a + n · b.
4 Dieses Argument ist im Vorgriff auf 2.3.2 bereits ein kleines Widerspruchsbeweischen.
24 2 Beweismethoden
Aufgabe 2.4 Zeige: Ist die Quersumme einer Zahl durch 3 (9) teilbar, dann
ist auch die Zahl selbst durch 3 (9) teilbar. (Es genügt, die Beweisidee an einem
Beispiel zu entwickeln.)
Aufgabe 2.5 Starte mit der Liste“ p1 = 2 und wende das Verfahren aus Eu-
”
klids Beweis von Satz 2.2 wiederholt an, um eine Liste mit mindestens 5 Primzahlen
zu erhalten.
————————— —————————
Es gibt auch Sätze, die als A ⇐⇒ B“ formuliert sind (lies: A gilt genau dann,
” ”
wenn B gilt“ oder A ist äquivalent zu B“), wie z.B.
”
Das Dreieck ABC hat bei C einen rechten Winkel (A)
genau dann, wenn
C auf einem Kreis mit der Hypotenuse AB als Durchmesser liegt (B).
In diesem Fall müssen zum Beweis des Satzes stets beide Implikationen gezeigt
werden, also sowohl A =⇒ B (hier: Kehrsatz bzw. Umkehrung des Satzes von
Thales5 ) als auch B =⇒ A (hier: Satz von Thales). Manchmal ist dies in ei-
nem Aufwasch möglich, zu Beginn empfiehlt es sich allerdings, beide Richtungen
getrennt voneinander aufzuschreiben.
Wir wollen an dieser Stelle nicht in die Schul-Geometrie einsteigen und den Beweis
des Satzes und Kehrsatzes von Thales tatsächlich führen, sondern demonstrieren
die typische Beweisstruktur nur an einem Trivialbeispiel. In Kapitel 3 werden wir
dann interessantere Äquivalenzen beweisen.
Beispiel 2.4 Wir beweisen die folgende Äquivalenz (für welche die Bezeichnung
Satz oder Lemma stark übertrieben wäre):
2.3.1 Kontraposition
Will man den Satz A =⇒ B beweisen, so kann man auch seine Kontraposition
¬ B =⇒ ¬ A
beweisen. Wir demonstrieren dies zunächst an einem Beispiel und begründen da-
nach allgemein, wieso dieser Beweis der Kontraposition äquivalent zum Beweis der
ursprünglichen Aussage ist.
Lemma 2.2 Wenn n2 gerade ist (für ein n ∈ N), dann ist auch n gerade.
26 2 Beweismethoden
Für einen direkten Beweis müssten wir das euklidische Lemma 2.1 heranziehen
(das wir nicht bewiesen haben): Aus 2 | n2 = n · n folgt 2 | n, da 2 eine Primzahl
ist. Der Beweis durch Kontraposition kommt dagegen ganz ohne solche Mittel aus.
Formulieren wir zunächst die Kontraposition: Da ungerade“ die Negation von
”
gerade“ ist, lautet ¬ B =⇒ ¬ A hier
”
Wenn n ungerade ist, dann ist auch n2 ungerade.
Beweis der Kontraposition: Als ungerade Zahl lässt sich n als n = 2k + 1 mit
einem k ∈ N darstellen (siehe Aufgabe 2.3). Für das Quadrat von n folgt daher
Verblüffend einfach! Außer der Definition einer ungeraden Zahl, der ersten binomi-
schen Formel und dem Distributivgesetz ging nichts weiter in den Beweis ein.
Logische Analyse
Kurz gesagt: Äquivalent zum Nachweis von A =⇒ B, also dass der Fall A wahr
”
und B falsch“ nicht auftreten kann, ist der Nachweis von aus B falsch folgt A
”
falsch“. Letzteres ist gleichbedeutend mit aus nicht-B wahr folgt nicht-A wahr“,
”
sprich ¬ B =⇒ ¬ A.
Wem das so noch nicht einleuchtet, kann sich auf die Aussagenlogik berufen. Dazu
brauchen wir den folgenden Zusammenhang6 zwischen der inhaltlichen“ Impli-
”
kation =⇒ und dem aussagenlogischen Subjunktor → . Erinnern wir uns an die
Wahrheitstafel der Subjunktion (die dritte und vierte Zeile können wir ignorieren,
da uns hier nur die Fälle interessieren, in denen A wahr ist):
A B A→B
w w w
w f f
f w w
f f w
Tabelle 2.1
Hier sind A und B noch beliebige Aussagen. Stehen nun aber die Inhalte von A
und B in Beziehung zueinander, und haben wir A =⇒ B auf inhaltlicher Ebene
bewiesen (wie z.B. n = 4k =⇒ n gerade), dann wissen wir, dass in diesem Fall
A → B nicht falsch sein kann, d.h. dass die zweite Zeile (A wahr und B falsch) nicht
auftreten kann. Wissen wir umgekehrt, dass A → B für bestimmte Aussagen A, B
nicht falsch sein kann, dann gilt auch A =⇒ B, denn im Falle A wahr und B
”
6 Sich nur auf Wahrheitstafeln bzw. die aussagenlogische Kontrapositions-Regel zu stützen,
erscheint mir etwas zu knapp, da die aussagenlogische Subjunktion → eben doch etwas anderes
als der inhaltliche“ Folgepfeil =⇒ ist.
”
2.3 Indirekter Beweis 27
————————— —————————
Aufgabe 2.7 Beweise durch Kontraposition: Ist eine Zahl gerade, so ist ihre
letzte Ziffer (im Zehnersystem) gerade.
Aufgabe 2.8 Finde Beispiele für einen wahren Satz A =⇒ B, für den weder
¬ A =⇒ ¬ B noch sein Kehrsatz B =⇒ A wahr sind (warum ist eine der beiden
Forderungen überflüssig?). Überzeuge dich zudem davon, dass die Kontraposition
des Satzes wahr ist.
————————— —————————
2.3.2 Widerspruchsbeweis
Ein Beweis durch Widerspruch ist eine der schärfsten mathematischen Waffen“
”
(G.H. Hardy7 ). Man geht davon aus, dass die zu beweisende Aussage falsch ist
und führt dies zu einem Widerspruch, z.B. zu einem absurden Resultat wie 1 < 0,
oder etwa dass gleichzeitig A und ¬ A wahr ist. Somit erweist sich die Annahme,
die zu beweisende Aussage sei falsch, als nicht haltbar, woraus die Wahrheit der
Aussage folgt.
Auch hier demonstrieren wir das Vorgehen zunächst an einem Beispiel und be-
trachten erst danach die zugrunde liegende Logik ausführlicher.
Zum Einstieg bringen wir den Klassiker schlechthin: Den Beweis für die Irratio-
nalität der Quadratwurzel aus 2. Der angeführte Beweis gilt als der erste Wider-
spruchsbeweis in der Geschichte der Mathematik und geht – wie sollte es anders
sein – auf Euklid zurück.
√
Satz 2.3 2 ist eine irrationale Zahl, also nicht als Bruch darstellbar.
7 Godfrey Harold Hardy (1877–1947); berühmter britischer Zahlentheoretiker.
28 2 Beweismethoden
√
Beweis: Wir nehmen an, die Aussage des Satzes sei falsch, also dass 2 doch
rational ist und sich somit als (positiver) Bruch m
n mit m, n ∈ N darstellen lässt:
√ m
2= ().
n
Zudem nehmen wir an, dass m und n teilerfremd sind, der Bruch also vollständig
gekürzt wurde (z.B. 75 statt 14
10 ). Nach Definition der Quadratwurzel folgt durch
Quadrieren von ()
m 2 √ 2
= 2 =2 bzw. m2 = 2n2 .
n
Nun ist offenbar 2n2 eine gerade Zahl, also muss auch m2 gerade sein. Nach Lem-
ma 2.2 ist dies nur möglich, wenn bereits m selbst gerade ist, d.h. m = 2k mit
einem k ∈ N. Eingesetzt in obige Gleichung liefert dies
2n2 = m2 = (2k)2 = 4k 2 ,
und Teilen durch 2 ergibt n2 = 2k 2 , woraus wie eben folgt, dass n gerade ist. Somit
besitzen m und n die 2 als gemeinsamen Teiler, was aber ihrer Teilerfremdheit
widerspricht. √
Die Annahme, 2 sei eine rationale Zahl, führt also auf einen Widerspruch,
√ sie
muss demnach falsch gewesen sein. Folglich ist die Behauptung, dass 2 irrational
ist, bewiesen.
Logische Analyse
Um zu sehen, auf welcher aussagenlogischen
√ Äquivalenz obiges Vorgehen fußt, brin-
gen wir zunächst den Satz 2 ist irrational“ auf die Form A =⇒ B:
”
m
Wenn n ein vollständig gekürzter Bruch ist (A),
√
dann kann nicht m n = 2 gelten (B).
Im obigen Beweis √ haben wir A als wahr und ¬ B als wahr vorausgesetzt, nämlich
dass doch m n = 2 gilt. Dann haben wir daraus den Widerspruch gefolgert, dass
auch ¬ A wahr ist (da m und n nicht teilerfremd waren, m n also nicht vollständig
gekürzt), d.h. wir haben
A ∧ ¬ B =⇒ ¬ A
bewiesen. Nun kann man sich aber durch eine Wahrheitstafel leicht davon über-
zeugen, dass
( A ∧ ¬ B → ¬ A ) ⇐⇒L (A → B)
gilt (tue dies!), und nach den Überlegungen von Seite 26 ist der Beweis der Impli-
kation A ∧ ¬ B =⇒ ¬ A deshalb äquivalent zum Beweis von A =⇒ B.
Diese Variante, wo der Widerspruch aus der gleichzeitigen Wahrheit von A und
2.3 Indirekter Beweis 29
¬ A besteht, wird als reductio ad absurdum bezeichnet. Alternativ kann man auch
B und ¬ B als gleichzeitig wahr nachweisen, in diesem Fall spricht man von reductio
ad impossibile. Dieses Vorgehen basiert auf der Äquivalenz
( A ∧ ¬ B → B ) ⇐⇒L (A → B).
Um die zweite Variante zu demonstrieren, beweisen wir erneut den Satz 2.2, dass
es unendlich viele Primzahlen gibt. Dazu schreiben wir ihn in der Form
Beweis: (Durch reductio ad impossibile.) Wir nehmen an, B ist falsch, d.h. ¬ B
ist wahr. Dann gibt es nur endlich viele Primzahlen, sagen wir n Stück, die wir als
p1 , . . . , pn auflisten können. Wir betrachten wie früher bereits die Zahl
m = p1 · . . . · pn + 1.
Wörtlich wie auf Seite 22 erhält man nun eine Primzahl, die nicht in der Liste
p1 , . . . , pn vorkommt, nämlich m selbst, falls es prim ist, bzw. ein Primfaktor q
von m, der laut A existieren muss, wenn m keine Primzahl ist. Die Existenz dieser
weiteren Primzahl zeigt, dass ¬ B falsch und damit B wahr ist, was ein Widerspruch
zur Annahme ist.
( A ∧ ¬ B → C ) ⇐⇒L (A → B)
gilt (Wahrheitstafel aufstellen), zeigt auch dieses Vorgehen die Gültigkeit der Im-
plikation A =⇒ B. Diese Variante kommt z.B. in Aufgabe 2.9 zur Anwendung.
Meistens gilt: Wenn man einen Beweis direkt führen kann, sollte man dies auch tun.
So ist z.B. der direkte Beweis von Satz 2.2 angenehmer zu lesen als obiger Beweis,
der ja nur eine logische Umformulierung darstellt. Hat man allerdings keinen Plan,
wie man beim direkten Beweis ansetzen sollte, hilft oftmals das Vorgehen durch
Widerspruch weiter.
————————— —————————
————————— —————————
Hat man nämlich (IA) nachgewiesen, so folgt mit (IS), dass auch A(2) richtig ist.
Dann folgt aber durch erneute Anwendung von (IS), dass A(3) richtig ist usw.
( Induktionsschleife“). So kann man sich durch alle natürlichen Zahlen nach oben
”
hangeln und erkennt, dass durch den Nachweis von nur zwei Bedingungen, (IA)
und (IS), die Richtigkeit unendlich vieler Aussagen bewiesen wurde.
Stelle dir zur Veranschaulichung unendlich viele Dominosteine vor, die in einer Rei-
he stehen.
(IA): Stein 1 fällt um.
(IS): Wenn Stein n fällt, dann fällt auch Stein n + 1.
Sind beide Aussagen wahr, dann fallen alle Steine um. Hieran erkennt man auch,
dass einem die Gültigkeit von (IS) alleine gar nichts bringt; man muss sich stets
vergewissern, dass auch tatsächlich (IA) erfüllt ist.
1
1 + 2 + 3 + ... + n = n(n + 1).
2
2.4 Beweis durch vollständige Induktion 31
Diese wird zu Ehren von C.F. Gauss8 auch gaußsche Summenformel genannt. Die
Geschichte vom neunjährigen Carl Friedrich, der die Zahlen von 1 bis 100 addieren
musste, wurde schon so oft erzählt, dass ich hier auf sie verzichte. . .
Beweis: Wir zeigen durch vollständige Induktion die Richtigkeit der Aussagen
A(n): Die Summenformel stimmt für n“ für jedes n ∈ N.
”
(IA): Induktionsanfang: Für n = 1 stimmt diese Formel offenbar, denn 1 = 12 · 1 · 2.
(IS): Induktionsschritt von n auf n + 1: Unter der Voraussetzung, dass die Formel
1
1 + 2 + 3 + ... + n = n(n + 1)
2
für ein n gilt (IV), zeigen wir, dass sie dann auch für n + 1 gilt. Wir müssen
also unter Verwendung der (IV) nachweisen, dass
! 1 1
1 + 2 + 3 + . . . + n + (n + 1) = (n + 1) · ((n + 1) + 1) = (n + 1)(n + 2) ()
2 2
gilt. Dies lässt sich hier leicht bewerkstelligen:
(IV) 1 1
( 1 + 2 + 3 + . . . + n )+(n+1) = n(n + 1)+(n+1) = (n+1)(n+2).
2 2
Der letzte Schritt mag überraschend erscheinen, aber es wurde einfach nur
1
2 (n + 1) ausgeklammert. Diese Rechnung zeigt, dass wenn A(n) wahr ist,
auch A(n + 1) wahr ist.
Die Induktionsschleife liefert die Richtigkeit von A(n) für alle n ∈ N.
An dieser Stelle bietet es sich an, ein paar Worte über die Σ-Notation zu verlieren.
Um Schreibarbeit und Pünktchen zu sparen, schreibt der Mathematiker gerne
n
1 + 2 + . . . + n =: k.
k=1
Das große Sigma steht für Summe“ und der Ausdruck auf der rechten Seite sagt
”
einfach nur: Summiere alle Zahlen k von 1 bis n auf“. k heißt Laufindex, und man
”
8 Carl Friedrich Gauss (1777–1855); einer der größten Mathematiker e v e r. Leistete Bahn-
brechendes in der Zahlentheorie, Differenzialgeometrie, Statistik und und und. . .
32 2 Beweismethoden
kann natürlich jeden anderen Buchstaben dafür wählen – außer n, da dies bereits
den höchsten Wert des Laufindex bezeichnet. In Σ-Notation lautet die gaußsche
Summenformel also kurz und bündig
n
1
k= n(n + 1).
2
k=1
In den nachfolgenden Aufgaben kannst du bereits damit beginnen, dich mit dieser
Schreibweise vertraut zu machen, die wir später immer wieder ausgiebig einsetzen
werden. Ist aber auch in Ordnung, wenn du vorerst bei der Pünktchen-Schreibweise
bleiben willst.
Satz 2.5 Für jedes reelle x mit 0 = x > −1 und alle n ∈ N, n 2, gilt die
Bernoulli9 -Ungleichung
(IS): Unter der (IV), dass (1 + x)n > 1 + nx für ein n stimmt, müssen wir die
Gültigkeit der Ungleichung auch für n+1 nachweisen. Um von ♥n auf ♥n+1 zu
kommen, muss man mit ♥ malnehmen. Also multiplizieren wir die (IV) mit
(1 + x) > 0 (hier geht x > −1 ein; für x < −1 würde sich das >-Zeichen
umdrehen):
Aus a > b > c folgt automatisch a > c, also haben wir insgesamt
Und wieder greift die Induktionsschleife und liefert die Gültigkeit der Ungleichung
für jedes n ∈ N mit n 2.
9 Jakob
Bernoulli (1654–1705). Schweizer Mathematiker und Physiker, der einer regelrechten
Dynastie brillanter Mathematiker und Wissenschaftler entstammte.
2.4 Beweis durch vollständige Induktion 33
Auf dieses letzte, immer gleiche Argument mit der Induktionsschleife verzichten
wir in Zukunft und beenden Induktionsbeweise gleich nach dem Beweis von (IS).
9n+1 − 1 = 9 · 9n − 1 = 9 · (8m + 1) − 1 = 9 · 8m + 9 − 1
= 9 · 8m + 8 = (9m + 1) · 8 = k · 8,
Mittels Induktion lässt sich auch die Existenzaussage des Hauptsatzes zur Prim-
faktorzerlegung leicht beweisen (siehe Theorem 2.1). Allerdings muss man hier die
(IV) leicht modifizieren, weil man von n + 1 nicht nur auf n, sondern auf noch
weitere Vorgänger zurückgreift.
Beispiel 2.6 Jede natürliche Zahl n > 1 ist ein Produkt von Primzahlen.
n + 1 = k · t = p1 · . . . · p i · q1 · . . . · q j
Die Eindeutigkeit dieser Zerlegung lässt sich nicht ganz so einfach zeigen. Zumindest
braucht man dafür das euklidische Lemma (für n Faktoren), um dessen Beweis wir
uns hier ja gedrückt haben.
————————— —————————
b) 1 + 3 + 5 + . . . + (2n − 1) = n2
1
c) 12 + 22 + . . . + n2 = 6 n(n + 1)(2n + 1)
1
d) 13 + 23 + . . . + n3 = 4 n2 (n + 1)2
Folgere aus d) und der Summenformel aus Satz 2.4 die überraschende Beziehung
(1 + 2 + . . . + n)2 = 13 + 23 + . . . + n3 .
1 − q n+1
1 + q + q2 + . . . + qn = .
1−q
Aufgabe 2.16 (Wer noch nicht ableiten kann, lese kurz mal Kapitel 5 als Vor-
bereitung zu dieser Aufgabe.)
a) Leite die Funktion f (x) = x1 ein paar Mal ab. Stelle eine Vermutung für die
n-te Ableitung f (n) (x) auf und beweise sie.
b) Zeige, dass für die n-te Ableitung von f (x) = √1 , x > 0, gilt:
x
1 · 3 · 5 · . . . · (2n − 1)
f (n) (x) = √ 2n+1 .
(−2)n · x
Aufgabe 2.17 In einem Klassenzimmer befinden sich n Schüler11 , die sich alle
mit Handschlag begrüßen. Zeige, dass dabei 12 (n − 1) · n Handschläge stattfinden.
Aufgabe 2.18 Wir beweisen die Aussage Alle Schüler mögen Mathe“, indem
”
wir vollständige Induktion auf die Aussagen
11 Natürlich ist hier Schüler“ immer im Sinne von Schülerinnen und Schüler“ gemeint.
” ”
2.4 Beweis durch vollständige Induktion 35
A(n): Mag von n Schülern einer Mathe, so mögen sie alle Mathe.“
”
anwenden. A(1) ist offensichtlich wahr, es bleibt nur der Induktionsschritt von n auf
n + 1 zu zeigen. Sei also A(n) für ein n ∈ N wahr. Betrachte eine beliebige Menge
Schüler S1 , . . . , Sn+1 , von denen mindestens einer Mathe mag (z.B. S1 , sonst
Umnummerierung). Weil A(n) wahr ist, mögen somit S1 , . . . , Sn Mathe. Also mag
von den Schülern S2 , . . . , Sn+1 mindestens Sn Mathe. Erneute Anwendung von
A(n) liefert, dass damit auch alle Schüler S2 , . . . , Sn+1 Mathe mögen, insgesamt
also alle n + 1. Damit ist A(n + 1) wahr, und die Induktionsschleife liefert die
Gültigkeit der Aussagen A(n) für alle n ∈ N.
Und da nun (hoffentlich) ein Schüler Mathe mag, folgt obige Aussage! Stimmt’s?
Aufgabe 2.19 Der binomische Lehrsatz besagt, dass für alle reellen Zahlen a, b
und n ∈ N der Zusammenhang
n n n 0 n n−1 1 n 2 n−2 n 0 n
(a + b) = a b + a b + a b + ... + a b
0 1 2 n
besteht. In Σ-Notation lautet er deutlich kompakter
n
n n−k k
(a + b)n = a b .
k
k=0
Die Vorfaktoren von an−k bk sind die Binomialkoeffizienten (die du vielleicht in der
Schule als Einträge des Pascal12 -Dreiecks kennen gelernt hast)
n n!
=
k k!(n − k)!
mit der Fakultät n! := n · (n − 1) · (n − 2) · . . . · 2 · 1 (und 0! := 1).
a) Zur Gewöhnung an dieses Formel-Gestrüpp: Schreibe den binomischen Lehr-
satz für n = 1, . . . , 4 explizit auf, mit und ohne Summenzeichen, und überzeu-
ge dich, dass er die (hoffentlich) bereits bekannten Formeln für die Binome
(a + b)n wiedergibt.
n n n+1
b) Zeige (ohne Induktion): + = für alle k n ∈ N.
k k−1 k
c) Beweise den binomischen Lehrsatz mittels vollständiger Induktion.
Dabei wird der folgende Index-Shift“ hilfreich sein (begründe ihn):
”
n n+1
A(k) = A(k − 1).
k=0 k=1
————————— —————————
Literatur zu Kapitel 2
3.1 Mengen
Wir beginnen mit einer anschaulichen und leicht verdaulichen Einführung in die
Begriffswelt der Mengen.
Eine Menge kann man auf zwei verschiedene Arten beschreiben. Entweder be-
schreibt man, welche Eigenschaften die Elemente der Menge A haben sollen, etwa
A = { x | x hat die Eigenschaften E1 , E2 , . . . },
z.B. A = { x | x war Haar auf Pythagoras’ Kopf (am 1. Mai 550 v.Chr.) },
oder man benennt die Elemente in A explizit:
A = { x1 , x2 , . . . , xn },
z.B. A = { Haar1 , . . . , Haar109 712 }.
Bei einer ( abzählbar“) unendlichen Menge schreibt man: A = { x1 , x2 , x3 , . . . }.
”
Beispiel 3.1
a) ∅ = { } heißt leere Menge. Sie enthält kein Element, d.h. | ∅ | = 0. Falls
Pythagoras sich an besagtem 1. Mai gerade den Kopf geschoren hatte, so ist
in obigem Beispiel A = ∅.
b) M = { Döner, Pizza, Brathendl }1 ist eine endliche Menge mit |M | = 3. Rei-
henfolge der Elemente sowie Mehrfachnennungen werden bei Mengen übri-
gens stets ignoriert, d.h. M = { Pizza, Brathendl, Döner } = M und M =
{ Döner, Pizza, Brathendl, Döner } = M . Insbesondere ist auch |M | = 3.
c) Die (unendliche) Menge der geraden ganzen Zahlen E ( E“ steht für even“):
” ”
E = { e ∈ Z | e ist gerade } = { e | e = 2k, k ∈ Z }.
————————— —————————
Aufgabe 3.2 Unsere naive Mengendefinition verbietet es z.B. nicht, dass ei-
ne Menge sich selbst als Element enthalten kann. Dass bereits dies zu absurden
Folgerungen führt, zeigt die Russell’sche Antinomie2 (Widerspruch). Sei
M := { M | M ∈
/M}
die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Dann stellt sich natürlich
die Frage, ob M ∈ M oder M ∈ / M gilt. Was trifft zu?
(Wie man solche Widersprüche vermeidet, kann nur im Rahmen der axiomatischen
Mengenlehre geklärt werden, auf die wir hier weder eingehen können noch wollen.)
————————— —————————
1 Vegetarische
Alternative: M = { Falafel, Pizza Margherita, Tofuburger }.
2
Bertrand Russell (1872–1970).Bedeutender Philosoph und Mathematiker; insbesondere Lo-
giker. Seine Principia Mathematica sind ein Meisterwerk über die Grundlagen der Mathematik.
3.1 Mengen 39
Beispiel 3.3 Wir führen die (vermutlich schon aus der Schule bekannte) Inter-
vallschreibweise ein, die wir häufig verwenden werden. Für zwei reelle Zahlen a < b
ist das offene Intervall ( a , b ) eine echte Teilmenge von R der Gestalt
( a , b ) := { x ∈ R | a < x < b }.
Beim halboffenen Intervall [ a , b ) gehört der linke Randwert a mit dazu, d.h.
[ a , b ) := { x ∈ R | a x < b }, analog bei ( a , b ]. Die Menge [ a , b ] heißt ab-
geschlossenes Intervall. Schließlich definiert man ( a , ∞ ) als { x ∈ R | x > a } und
(−∞ , b ) := { x ∈ R | x < b } (beachte: ±∞ bezeichnet keine reellen Zahlen).
Definition 3.3 Sei M eine beliebige Menge. Dann heißt
P(M ) := { A | A ⊆ M }
die Potenzmenge von M . Sie ist also die Menge aller Teilmengen von M . ♦
Beispiel 3.4 Wir bestimmen die Potenzmenge von
M = { Döner, Pizza, Brathendl } = { d, p, b }.
Die einelementigen Teilmengen von M sind {d}, {p} und {b}; die zweielementigen
{ d, p }, { d, b } und { p, b } (die Reihenfolge spielt wie oben bereits gesagt keine
Rolle). Da nach Definition ∅ ⊆ M und natürlich auch M ⊆ M gilt, haben wir
insgesamt
P(M ) = ∅, {d}, {p}, {b}, { d, p }, { d, b }, { p, b }, { d, p, b } ,
Ähnlich wie bei Zahlen, die man auf verschiedene Weise verknüpfen kann (etwa
durch Addition oder Multiplikation), kann man dies auch mit zwei oder mehreren
Mengen tun, um neue Mengen zu erhalten.
Definition 3.4 Seien A, B Teilmengen einer Menge M .
◦ Die Schnittmenge von A und B ist
A ∩ B := { x ∈ M | x ∈ A ∧ x ∈ B }.
In A ∩ B liegen also alle Elemente, die in A und gleichzeitig auch in B liegen.
◦ Die Vereinigungsmenge von A und B ist
A ∪ B := { x ∈ M | x ∈ A ∨ x ∈ B }.
In A ∪ B liegen also alle Elemente, die in A oder B liegen. Erinnere dich:
Oder“ im mathematischen Sinne ist kein ausschließendes entweder-oder“.
” ”
Ein Element von A ∪ B darf in A und auch gleichzeitig in B liegen.
◦ Die Differenz von A und B ist (lies: A ohne B“)
”
A\B := { x ∈ M | x ∈ A ∧ x ∈ / B }.
B
A∩B
A
Abbildung 3.1
Beispiel 3.5
a) Wir betrachten die in Beispiel 3.1 definierten Teilmengen E und O von Z.
Offenbar ist E ∩ O = ∅ und E ∪ O = Z. Zwei Mengen, deren Schnitt leer
ist, nennt man disjunkt. Z ist somit die disjunkte Vereinigung der Menge der
geraden und ungeraden ganzen Zahlen, in Zeichen
Z = E ∪· O.
Zudem ist OC = E und umgekehrt. Und was ist eigentlich O\E?
b) Man kann nicht nur zwei oder endlich viele Mengen schneiden und vereinigen,
sondern auch unendlich viele. Betrachte z.B. die Intervalle In = [−n , n ] ⊂ R
für alle n ∈ N0 . Dann sollte intuitiv klar sein, dass
∞
∞
In = {0} und In = R.
n=0 n=0
Wie beim Rechnen mit Zahlen gelten auch bei der Verknüpfung von Mengen ge-
wisse Regeln, wie z.B. das Assoziativ- und Kommutativgesetz: Sind A, B und C
Teilmengen einer Menge M , so gilt
(A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C) und A ∩ B = B ∩ A;
42 3 Mengen und Abbildungen
analog für die Vereinigung. Die Beweise hierzu sind offensichtlich (denke kurz
darüber nach). Lohnenswerter ist es, sich den Beweis für die Distributivgesetze
genauer anzusehen.
Wem diese Reduktion auf die Aussagenlogik suspekt ist, der kann sich die Men-
gengleichheit auch zu Fuß“ überlegen. (Dies entspricht letztendlich dem, was wir
”
damals beim Aufstellen der Wahrheitstafeln gemacht haben, nur eben jetzt in Men-
genschreibweise.)
Zur Erinnerung: Zwei Mengen X und Y sind genau dann gleich, wenn X eine
Teilmenge von Y und Y eine Teilmenge von X ist, d.h.
X = Y ⇐⇒ ( X ⊆ Y ∧ Y ⊆ X ).
Zum Nachweis der Mengengleichheit X = Y auf Elementebene müssen wir also
zeigen, dass jedes x ∈ X auch in Y liegt und umgekehrt.
————————— —————————
Aufgabe 3.3 Beweise das zweite Distributivgesetz aus Satz 3.1. (Auf welche
Weise ist dir überlassen.)
Aufgabe 3.5 Beweise die De Morgan’schen Regeln für Mengen (vergleiche Sei-
te 11 sowie Aufgabe 1.3): Seien A und B Teilmengen einer Menge M . Dann gilt
für die Komplemente (bezogen auf M ) von Schnitt und Vereinigung
Aufgabe 3.6 Seien A und B endliche Teilmengen einer Menge M . Finde mit
Hilfe des Venn-Diagramms 3.1 eine Formel für |A ∪ B| und begründe diese. (Zerlege
dazu A ∪ B in disjunkte Teilmengen.)
A × B := { (x, y) | x ∈ A, y ∈ B }
(lies: A Kreuz B“). In A × B sind zwei Elemente (x1 , y1 ), (x2 , y2 ) genau dann
”
gleich, wenn x1 = x2 und y1 = y2 ist.
Gib für die beiden Mengen A = { Döner (d), Pizza (p), Brathendl (b) } und B =
{ Ketchup (k), Mayo (m), Scharf (s) } explizit das kartesische Produkt an. Was ist
dessen Mächtigkeit |A × B| und welche Formel gilt hier offenbar allgemein (für
endliche Mengen A, B)?
und für jedes i ∈ I sei Mi eine Teilmenge von M . (Mi )i∈I nennt man dann eine
Familie von Teilmengen. Man definiert
Mi := { x ∈ M | x ∈ Mi für alle i ∈ I } und
i∈I
————————— —————————
3.2 Abbildungen
In der Schule hast du dich beim Umgang mit Funktionen wie z.B. f (x) = x2 −2x+3
meist nur auf die Funktionsvorschrift f (x) konzentriert.
Wir beschäftigen uns nun mit Eigenschaften von Funktionen, die maßgeblich vom
Definitionsbereich ( welche x man einsetzen darf“) und Bildbereich der Funktion
”
( welche y = f (x) rauskommen“) abhängen. Betrachte z.B.
”
f : R → R, x → x2 , und f
: R+
0 := [ 0 , ∞) → R, x → x2 .
Obwohl die Funktionsvorschrift jeweils dieselbe ist, sind f und f
aufgrund ihrer
unterschiedlichen Definitionsbereiche Df = R und Df = R+ 0 verschiedene Funktio-
nen. (Stelle dir die zugehörigen Schaubilder vor.)
Wir schränken uns im Folgenden nicht mehr auf Funktionen f : Df ⊆ R → R ein,
die auf R oder reellen Intervallen definiert sind, sondern lassen ab jetzt beliebige
Mengen als Definitions- und Bildbereiche zu. So werden wir z.B. mit Hilfe von
f : Z → E, z → 2z,
untersuchen, welche der beiden Mengen Z und E die größere Mächtigkeit hat. Was
meinst du?
3.2 Abbildungen 45
f : A → B, x → f (x),
(lies: f von A nach B, x geht über nach f (x)“) ist eine Vorschrift, die jedem
”
Element x ∈ A ein eindeutiges Element f (x) ∈ B zuordnet, das sogenannte Bild
von x unter f . Ein x ∈ A heißt Urbild von y ∈ B, falls y = f (x) gilt.
A heißt Definitionsbereich, B heißt Bildbereich von f . ♦
Anmerkung: Man kann die Worte Abbildung“ und Funktion“ synonym ge-
” ”
brauchen; wir reservieren hier allerdings den Ausdruck Funktion“ speziell für Ab-
”
bildungen f : Df ⊆ R → R.
Beispiel 3.6
a) Betrachte die Quadratfunktion q : A = R → B = R, x → x2 . Anhand von q
sieht man leicht ein:
◦ Zwei verschiedene Elemente von A können dasselbe Bild haben. Bzw.:
Das Urbild eines Elements aus B muss nicht eindeutig sein.
Denn z.B. ist x1 = 1 = −1 = x2 , aber q(x1 ) = 1 = (−1)2 = q(x2 ).
Anders ausgedrückt besitzt die Zahl 1 ∈ B die beiden Urbilder x1 = 1
und x2 = −1, da beide unter q auf 1 abgebildet werden.
◦ Nicht für jedes Element aus B muss ein Urbild existieren. Denn für
−1 ∈ B findet man kein x ∈ A = R mit q(x) = x2 = −1.
b) Ist A = { Döner (d), Pizza (p), Brathendl (b) } und B = { Ketchup (k),
Mayo (m), Scharf (s) }, so wird durch die Zuordnungen
p : R → R, x → an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 ,
f (M ) := { f (x) | x ∈ M } ⊆ B
heißt Bildmenge von M unter f (oder kürzer: Bild von M unter f ). Für M = A
nennt man f (A) =: im f das Bild von f (engl. image). Das Bild im f besteht also
aus allen Elementen von B, die von f getroffen werden“ (siehe Abbildung 3.3).
”
Für eine Teilmenge N ⊆ B heißt
f −1 (N ) := { x ∈ A | f (x) ∈ N }.
Urbildmenge von N unter f (oder kürzer: Urbild von N unter f ). Es besteht aus
allen x ∈ A, die bei Anwendung von f in N landen. ♦
im f
A B
Abbildung 3.3
d.h. f −1 ({y}) besteht aus allen Urbildern von y (im Sinne von Definition 3.5). Man
schreibt f −1 ({y}) kürzer als f −1 (y).
Bearbeite vor dem Weiterlesen gründlich Aufgabe 3.10, um dich mit diesen neuen
Begriffen vertraut zu machen.
3.2 Abbildungen 47
Wir untersuchen nun, wie sich Bild- und Urbildbestimmung von Teilmengen mit
der Inklusion und den Mengenoperationen Schnitt, Vereinigung und Komplement-
bildung vertragen.
(4) f −1 (N C ) = (f −1 (N ))C .
(Urbild- und Komplement-Bildung sind vertauschbar.)
Beweis: Wir zeigen nur zwei Aussagen (Rest als Aufgabe 3.11).
Um f (M1 ∪ M2 ) = f (M1 ) ∪ f (M2 ) aus (2) zu zeigen, weisen wir wie gewohnt beide
Inklusionen nach.
⊇“ Sei x ∈ f −1 (N1 )∩f −1 (N2 ), also x ∈ f −1 (N1 ) und x ∈ f −1 (N2 ). Das bedeutet
”
f (x) ∈ N1 und f (x) ∈ N2 , also f (x) ∈ N1 ∩ N2 bzw. x ∈ f −1 (N1 ∩ N2 ).
48 3 Mengen und Abbildungen
Anmerkung: Oftmals lassen sich solche Beweise auch in einem Rutsch“ auf-
”
schreiben: Etwa für (3) gelten die Äquivalenzen
x ∈ f −1 (N1 ∩ N2 ) ⇐⇒ f (x) ∈ N1 ∩ N2
⇐⇒ f (x) ∈ N1 ∧ f (x) ∈ N2
⇐⇒ x ∈ f −1 (N1 ) ∧ x ∈ f −1 (N2 )
⇐⇒ x ∈ f −1 (N1 ) ∩ f −1 (N2 ).
Allerdings muss man sich hierbei in jedem Schritt vergewissern, dass tatsächlich
eine Äquivalenz vorliegt, man also den Folgepfeil in beide Richtungen lesen darf.
————————— —————————
Aufgabe 3.10 Gib für die Abbildungen aus Bsp. 3.6 die folgenden Mengen an:
a) im q, q([ 1 , 3 )), q −1 ([ 169 , 361 ]), q −1 (−1), q −1 ((−1 , 2 )).
b) im f , f −1 (m), f −1 (s), f −1 ({ s, k }).
c) im p, wobei an > 0 sei.
d) id−1 (N ) für beliebiges N ⊆ A.
e) im r, r−1 ({169, . . . , 361}).
Anmerkungen:
(1) Die (logisch äquivalente) Kontraposition der Definition von Injektivität lautet
x1 = x2 =⇒ f (x1 ) = f (x2 ).
Injektivität ist gleichzusetzen mit der Eindeutigkeit des Urbilds, d.h. dass
zwei verschiedene Elemente nicht auf dasselbe Element des Bildbereichs fal-
len können.
(2) Die Surjektivität ist gleichzusetzen mit der Existenz des Urbilds für jedes
y ∈ B, d.h. dass alle Elemente des Bildbereichs B von f getroffen werden“.
”
(3) Die Bijektivität ist gleichzusetzen mit der Existenz und Eindeutigkeit des
Urbilds, d.h. dass jedes Element des Bildbereichs B genau ein Urbild besitzt
(siehe auch Aufgabe 3.13). Somit stellt f eine 1:1-Beziehung zwischen den
Elementen von A und B her.
Durch eine leichte Abänderung des Definitionsbereichs erreichen wir, dass der mo-
difizierte Rechtsshift ( rho“) ρ : N0 → N, n → n + 1, bijektiv wird.
”
◦ Injektivität von ρ: Wörtlich wie oben.
◦ Surjektivität von ρ: Um nachzuweisen, dass ρ surjektiv ist, müssen wir für
jedes m ∈ B = N ein Urbild angeben, das in A := N0 liegt. Für ein beliebiges
m ∈ B = N ist m − 1 das Urbild, denn ρ(m − 1) = (m − 1) + 1 = m. Wegen
m 1 ist m − 1 0 und somit liegt m − 1 auch tatsächlich in A = N0 .
————————— —————————
Aufgabe 3.12
a) Untersuche das in Abbildung 3.3 dargestellte f auf Injektivität, Surjektivität
und Bijektivität.
b) Zeichne entsprechende Diagramme für eine Abbildung, die i) injektiv, aber
nicht surjektiv; ii) surjektiv, aber nicht injektiv; iii) bijektiv ist.
50 3 Mengen und Abbildungen
c) Die Funktion q2 : R+
0 → R, x → x , ist injektiv.
2
d) Die Funktion q3 : R+
0 → R0 , x → x , ist bijektiv.
+ 2
————————— —————————
B 1 = B2
f im f
x g
im (g ◦ f )
f (x)
g(f (x))
A
g◦f C
Abbildung 3.4
3.2 Abbildungen 51
g ◦ f = f ◦ g = idR+ .
0
offensichtlich bijektiv, also eine Permutation von A. Wir können hier π mit sich
selbst verketten: π ◦ π =: π 2 . Achtung, es ist nicht etwa π 2 (1) = π(1)2 = 32 (was
ja auch gar nicht mehr in A läge), sondern
Verfahre im Kopf ebenso für π 2 (2), π 2 (3) und π 2 (4) und stelle fest, dass π 2 , das
wir mit σ (sigma) abkürzen, insgesamt
Was es zu bedeuten hat, wenn die Verkettung zweier Abbildungen die Identität
ergibt, zeigt der nächste Satz.
Probiere ein Weilchen, ob du die Beweise der Teile (1) und (2) des Satzes selber
hinbekommst. Bei Teil (3) ist es bereits eine Leistung, wenn du beim ersten Lesen
des Beweises alle Schritte nachvollziehen kannst.
Beweis:
(1) Ist g : B → A eine Abbildung mit g ◦ f = idA , dann gilt
Ebenso gilt
Zusatz: Ist f bijektiv, dann ist die Abbildung g aus Satz 3.3 (3) eindeutig
bestimmt. Man nennt sie die Umkehrabbildung oder Inverse von f und bezeichnet
sie mit g = f −1 .
3.2 Abbildungen 53
Achtung: Die Bezeichnung f −1 darf nur bei bijektivem f als Abbildung verstan-
den werden. Bei nicht bijektivem f steht sie für das Urbild unter f und beschreibt
keine Abbildung: Ist nämlich f : A → B nicht injektiv, so gibt es ein b ∈ B, das min-
destens zwei Urbilder besitzt. Somit besteht f −1 (b) aus mindestens zwei Elementen
und über f −1 lässt sich b ∈ B nicht in eindeutiger Weise ein a ∈ A zuordnen. Ist f
nicht surjektiv, so besitzt mindestens ein b ∈ B gar kein Urbild, d.h. auch in diesem
Fall lässt sich mittels f −1 keine Abbildung von B nach A konstruieren (höchstens
von im f nach A).
Beispiel 3.10 Die Bijektivität des Rechtsshifts ρ folgt unter Verwendung von
Satz 3.3 (3) viel schneller als in Beispiel 3.7. Seine Umkehrabbildung ist nämlich
: N → N0 , m → m − 1 (der Linksshift), denn es gilt offensichtlich ρ ◦ = idN sowie
◦ ρ = idN0 , d.h. = ρ −1 .
————————— —————————
Aufgabe 3.16
a) Seien f , g und h Abbildungen (mit solchen Definitions- und Bildbereichen,
dass alle vorkommenden Verkettungen definiert sind). Überzeuge dich von der
Richtigkeit des Assoziativgesetzes für die Verkettung: (f ◦ g) ◦ h = f ◦ (g ◦ h),
indem du diese Gleichheit auf Elementebene, d.h. für alle x ∈ Dh , nachweist.
54 3 Mengen und Abbildungen
Beispiel 3.11 Wir können nun die auf Seite 44 aufgeworfene Frage, welche der
Mengen Z oder E die größere Mächtigkeit besitzt, beantworten. Da beides unend-
liche Mengen sind, kann man die Mächtigkeit nicht mehr durch eine Zahl beschrei-
ben, und auch so eine verlockende Aussage wie Z hat doppelt so viel Elemente
”
wie E“ verliert ihren Sinn. Stattdessen betrachten wir die Abbildung
f : Z → E, z → 2z,
die aus jeder ganzen Zahl durch Multiplikation mit 2 eine gerade Zahl macht. Die
Umkehrabbildung von f ist offenbar f −1 : E → Z, e → 12 e, d.h. f ist bijektiv.
(Beachte: Weil jedes e von der Form 2z ist, bildet f −1 auch tatsächlich wieder
nach Z ab.) Also sind Z und E gleichmächtig. . . . Wer hätt au dees denggt!4 .
4 Für Nicht-Schwaben: Wer hätte das gedacht?“
”
3.2 Abbildungen 55
Satz 3.4
(1) Die ganzen Zahlen Z und die rationalen Zahlen Q sind abzählbar unendlich.
(2) Die reellen Zahlen R hingegen sind überabzählbar unendlich.
Beweis:
(1) Wir müssen Z und Q durchnummerieren. Bei Z ist die Idee einfach: Der 0
geben wir die Nummer 1, die positiven ganzen Zahlen nummerieren wir mit
geraden Nummern und den negativen ganzen Zahlen verpassen wir ungerade
Nummern, beginnend ab 3, weil die 0 schon Nr. 1 ist:
ganze Zahl z ∈ Z ... −3 −2 −1 0 1 2 3 ...
Nummer von z in N ... 7 5 3 1 2 4 6 ...
Dieses Vorgehen wird durch folgende Abbildung formalisiert:
1
f : N → Z, n → 2n für gerades n
− 2 (n − 1) für ungerades n.
1
Beachte, dass n2 für gerades n und − n−12 für ungerades n stets ganze Zahlen
sind, d.h. im f ⊆ Z. Setze ein paar Zahlen ein, um zu verstehen, dass f genau
das macht, was oben beschrieben wurde (z.B. ist f (5) = − 42 = −2, d.h.
z = −2 bekommt die Nummer 5). Wir zeigen die Bijektivität von f , indem
wir explizit die Umkehrabbildung von f angeben:
2z für z > 0
g : Z → N, z →
−2z + 1 für z 0.
0 / 1 / −1 2 / −2 3
...
1 1 B 1 1 1
1 1 2 2 3
− − ...
2 B 2 2 2 2
1 1 2 2 3
− − ...
3 3 3 3 3
1
... ... ... ... ...
4
Abbildung 3.5
x1 = 0,153827 . . .
x2 = 0,092246 . . .
x3 = 0,287287 . . .
x4 = 0,500000 . . .
x5 = 0,314159 . . .
..
.
(Wem das nicht allgemein genug ist, der stelle xn als 0,zn1 zn2 zn3 . . . mit
Ziffern znk ∈ { 0, . . . , 9 } dar.) Nun konstruieren wir eine Zahl x ∈ I, die
nicht in dieser Liste vorkommt. Die erste Nachkommastelle von x soll sich
von 1, also der ersten Nachkommastelle von x1 , unterscheiden; die zweite
Nachkommastelle von x wählen wir als = 9, der zweiten Nachkommastelle
von x2 usw. Unser x könnte also z.B. so beginnen:
x = 0,20816 . . . .
3.2 Abbildungen 57
Der nächste Satz bringt ein weiteres Beispiel für eine übelst große“ Menge.
”
Satz 3.5 Die Potenzmenge von N ist überabzählbar unendlich.
Beweis: Zunächst ist P(N) natürlich nicht-endlich (da es z.B. bereits alle ein-
elementigen Teilmengen {n} ⊂ N enthält).
Um die Überabzählbarkeit von P(N) zu beweisen, führen wir einen sehr trickrei-
chen Widerspruchsbeweis. Angenommen, es gibt eine Bijektion f : N → P(N). Da
f surjektiv ist, liegt die Menge
N := { n ∈ N | n ∈
/ f (n) } ⊆ N (also N ∈ P(N))
im Bild von f , d.h. es existiert ein Urbild u ∈ N mit N = f (u). Dieses u muss dann
entweder in N oder in N C liegen.
Im Fall u ∈ N ist u ∈ / f (u) nach Definition von N , und wegen N = f (u) erhalten
wir u ∈
/ f (u) = N im Widerspruch zur Annahme u ∈ N .
Im anderen Fall u ∈ / N muss u ∈ f (u) gelten (denn sonst läge u in N ), was wieder
aufgrund von f (u) = N auf den Widerspruch u ∈ N führt.
Dies zeigt, dass es keine Bijektion f : N → P(N) geben kann, die Potenzmenge von
N also überabzählbar unendlich sein muss.
Anmerkung: Dieser Beweis funktioniert für jede beliebige Menge und ihre Po-
tenzmenge und zeigt damit, dass es zu einer beliebigen Menge M immer eine noch
größere Menge, nämlich P(M ), gibt.
Literatur zu Kapitel 3
4.1 Folgen
4.1.1 Der Grenzwertbegriff
1 1 1
1, , , , ...,
2 3 4
deren n-tes Glied die Zahl n1 ist. Es ist klar, dass die Folgenglieder n1 mit wach-
sendem n immer kleiner werden und sich der Zahl 0 nähern. Man sagt, die Folge
konvergiert gegen 0 bzw. der Grenzwert der Folge ist die 0.
Was aber ist darunter mathematisch exakt zu verstehen? Es bedeutet jedenfalls
nicht, dass die Folgenglieder irgendwann tatsächlich 0 werden müssen: Egal wie
groß n wird, es bleibt immer n1 = 0. Der Punkt ist vielmehr, dass der Abstand
zwischen den Folgengliedern und dem Grenzwert beliebig klein wird:
◦ Dies gilt für jede noch so kleine Zahl ε > 0: Man kann stets ein nε ∈ N mit
1 1
nε < ε finden, und es gilt dann, dass für n > nε alle n um weniger als ε von
der 0 entfernt sind.
Bevor wir dieses nε in Beispiel 4.2 explizit bestimmen, wollen wir die Begriffe
Folge“ und Grenzwert“ formalisieren.
” ”
Definition 4.1 Eine (reelle) Folge ist eine Abbildung a : N → R, also eine
Vorschrift, die jeder natürlichen Zahl n das n-te Folgenglied a(n) ∈ R zuordnet. ♦
Anmerkung: Meist schreibt man an anstelle von a(n) und stellt die Folge als
(an )n∈N dar. So bezeichnet etwa ( n1 )n∈N die Folge aus Beispiel 4.1, deren Folgen-
glieder an = n1 sind. In Zukunft lassen wir den Index n ∈ N“ weg und schreiben
”
die Folge einfach als (an ).
an
1
0,5
n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Abbildung 4.2
Bevor wir die Grenzwert-Definition formulieren, erinnern wir an den Betrag |x|
einer reellen Zahl x, der nichts anderes als ihr Abstand zur 0 ist. So ist z.B. |2| = 2,
während | − 2| auch 2 ergibt, d.h. | − 2| = −(−2) (der Betrag beseitigt “ also das
”
negative Vorzeichen).
Allgemein gilt |x| = x falls x 0 ist, und |x| = −x für negative Zahlen. Der
Betrag |x − y| misst damit den Abstand der Zahlen x, y ∈ R, egal ob x rechts oder
links von y auf der Zahlengeraden liegt.
Nun aber zur versprochenen Definition des Grenzwertbegriffs nach Weierstrass1 ,
die du dir mehrmals gründlich durchlesen solltest.
Definition 4.2 Eine Zahl a ∈ R heißt Grenzwert der Folge (an ), wenn gilt:
Für jedes ε > 0 gibt es eine Zahl nε ∈ N, so dass
|an − a| < ε für alle n > nε ist.
Besitzt eine Folge (an ) einen Grenzwert a – auch Limes genannt – so sagt man, die
Folge konvergiert gegen a und schreibt dafür
Ist a Grenzwert der Folge (an ), so bedeutet das: Egal wie klein man die Abweichung
ε zu a auch wählt, man findet immer einen Index nε , so dass sich alle Folgenglieder
an für n > nε um weniger als ε von a unterscheiden, also |an − a| < ε erfüllen.
1 Karl
Weierstrass (1815–1897); Begründer der Epsilontik“, mit der eine logische Strenge
”
Einzug in die Analysis hielt.
4.1 Folgen 63
Einige Beispiele sollen dir nun helfen, diese Definition zu verdauen. Es geht stets
darum, mit Hilfe der Weierstraß-Epsilontik zu beweisen, dass eine Folge den Grenz-
wert hat, den man vielleicht durch Hinschauen oder mit Hilfe des Taschenrechners
vermuten würde. Konkret bedeutet dies, dass wir zu gegebenem ε das passende nε
rechnerisch finden müssen.
1
Beispiel 4.2 Die Folge ( n1 ) ist eine Nullfolge, d.h. = 0.
lim
n→∞ n
Laut Herrn Weierstraß müssen wir für jedes ε > 0 ein nε ∈ N finden, so dass
1 1
|an − 0| = − 0 < ε , d.h. < ε für alle n > nε gilt.
n n
Sei also ein beliebiges ε > 0 gegeben. Auflösen der obigen Bedingung nach n durch
Kehrbruchbilden
1 liefert: n > 1ε . Da in der Regel 1ε ∈/ N sein wird, setzen wir
nε = ε := erste natürliche Zahl, die 1ε ist. Dann gilt für alle n > nε 1ε :
1 1 1
< 1 = ε.
n nε ε
Damit ist wie gewünscht n1 < ε für alle n > nε = 1ε , d.h. wir haben bewiesen,
dass 0 der Grenzwert der Folge ist, da wir für jedes ε > 0 ein geeignetes nε angeben
können.
1 Zahlenbeispiel bestimmen wir ein nε zu ε = 0,03: Hier kann man
Als konkretes
nε = 0,03 = 33,3 = 34 wählen (oder eine beliebige größere Zahl). Für ε =
0,003 braucht man mindestens nε = 334 usw.
Beispiel 4.3 Die Folge (an ) = n−1
n+1 konvergiert gegen 1.
Sei ε > 0 gegeben. Wir untersuchen, ob es ein nε gibt, so dass n−1
n+1 − 1 < ε für
alle n > nε wird. Umformen liefert:
n−1 n − 1 − (n + 1) −2
|an − 1| =
− 1 = = = 2 .
n+1 n+1 n+1 n+1
Löst man 2
< ε nach n auf, so erhält man n >
n+1
2
ε − 1. Wählt man
2
nε = ε − 1 ,
dann gilt |an − 1| < ε für alle n > nε . Da dieses Argument für jedes beliebige ε > 0
funktioniert, ist bewiesen, dass 1 der Grenzwert der Folge ist.
Beispiel 4.4 Die Folge ( 12 )n ist eine Nullfolge.
Sei wieder ε > 0 gegeben. Wir müssen ein zugehöriges nε ∈ N finden, so dass gilt:
|( 12 )n −0| < ε, d.h. ( 12 )n < ε für alle n > nε . Die folgenden Äquivalenzumformungen
führen zum Ziel:
1 n (i) 1 n (ii) log ε
< ε ⇐⇒ log < log ε ⇐⇒ n log 12 < log ε ⇐⇒ n > .
2 2
log 12
64 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Dabei wurde in (i) verwendet, dass die log-Funktion streng monoton steigend ist
und somit die Ungleichung erhält. In (ii) dreht sich aufgrund von log 12 < 0 das
<-Zeichen um. (Wer Skrupel hat, die Logarithmusfunktion an dieser Stelle zu ver-
wenden: siehe Aufgabe 4.7.) log ε
Damit gilt ( 12 )n < ε für alle n > nε := log 1 , d.h. Null ist Grenzwert der Folge.
2
Beispiel 4.5 Analog zeigt man, dass (q n ) für jedes 0 < q < 1 eine Nullfolge ist.
log ε
Zu ε > 0 ist nε := log q zu wählen (beachte log q < 0 für 0 < q < 1). Wegen
|q n − 0| = |q|n = ||q|n − 0| gilt dies auch für −1 < q < 0, und für q = 0 sowieso.
So viel zum rechnerischen Nachweis der Konvergenz. Es ist nun noch sehr lohnens-
wert, sich mit einer geometrischen Version der Weierstraß-Definition anzufreunden.
Dazu definieren wir die ε-Umgebung vona als das offene
Intervall Uε (a) = ( a − ε , a + ε ) mit Mittelpunkt a. Nach ( )
Definition besteht Uε (a) aus allen x ∈ R mit |x − a| < ε a − ε a a+ε
(siehe Abbildung 4.3).
Im Folgendiagramm wird daraus der ε-Schlauch Sε (a) = Abbildung 4.3
R+ ×Uε (a), also ein Kasten der Breite 2ε, der symmetrisch
um den Grenzwert a liegt (präziser: um die Halbgerade
R+ × {a}).
Die beiden folgenden Bilder illustrieren dies für die Folge (an ) mit
(−1)n
an = 2 − 2 · ,
n
die gegen a = 2 konvergiert. In Abbildung 4.4 wurde ε = 0,4 gewählt, in 4.5 ist der
Fall ε = 0,2 dargestellt.
an
4
3
Sε (a) (für ε = 0,4)
a+ε
a 2ε
a−ε
1
n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Abbildung 4.4
an
4
3 S0,2 (2)
2
1
n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Abbildung 4.5
Schlauches zu bleiben. (So gut man das eben anhand eines Bildchens überhaupt
erkennen kann.)
Da ein Punkt ( n | an ) genau dann im ε-Schlauch Sε (a) liegt, wenn das entspre-
chende Folgenglied an in der ε-Umgebung Uε (a) liegt, schreiben wir immer nur
an ∈ Uε (a). Aufgrund der größeren Anschaulichkeit solltest du dabei aber stets das
Schlauchbild im Kopf haben.
Konvergenz an → a bedeutet, dass es zu jedem ε > 0 ein nε ∈ N gibt, so dass
|an − a| < ε für alle n > nε gilt. Das bedeutet, dass nur die endlich vielen Folgen-
glieder a1 , . . . , anε außerhalb der ε-Umgebung Uε (a) liegen, der Rest liegt drin.
Beachten wir nun noch, dass der Ausdruck fast alle“ in der Mathematik alle bis
” ”
auf endlich viele“ bedeutet, so lässt sich die Grenzwert-Definition kurz und knackig
so fassen:
Die Folge (an ) konvergiert gegen a, wenn gilt: In jeder (noch so kleinen)
”
ε-Umgebung um a liegen stets fast alle Folgenglieder.“
Zum Schluss lernen wir divergente Folgen kennen, d.h. Folgen ohne Grenzwert.
Beispiel 4.6 Die Folge (an ) = (n) ist divergent.
Jedem ist wohl klar, dass die Folgenglieder n sich keiner festen Zahl nähern, und die
Folge damit keinen Grenzwert besitzen kann. Aber wie schreibt man das korrekt
auf? Etwa so:
Sei a ∈ R beliebig. Dann liegt z.B. für ε = 14 maximal eine natürliche Zahl k
im Intervall ( a − 14 , a + 14 ), d.h. höchstens ein Folgenglied ak = k liegt in der ε-
Umgebung U 14 (a). Wäre a Grenzwert der Folge, müssten aber fast alle Folgenglieder
in U 14 (a) liegen, d.h. kein a ∈ R ist Grenzwert der Folge.
In gewissem Sinn strebt (an ) gegen ∞, was aber keine reelle Zahl ist.
Oft weist man die Divergenz einer Folge nicht direkt nach, sondern mit Hilfe der
Tatsache, dass Unbeschränktheit stets Divergenz nach sich zieht.
66 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Definition 4.3 Eine Folge (an ) heißt beschränkt, wenn es Zahlen s, S ∈ R gibt,
so dass gilt:
s an S für alle n ∈ N.
s heißt dann untere Schranke und S obere Schranke der Folge. (Äquivalent dazu ist
die Existenz eines s∗ ∈ R+ mit |an | s∗ für alle n ∈ N; siehe Aufgabe 4.8.) ♦
Beispiel 4.7 Die Folge (q n ) ist für jedes q ∈ R mit |q| > 1 divergent.
Wir zeigen dies, indem wir zunächst für q > 1 die Unbeschränktheit der Folge
nachweisen (und zwar ohne Logarithmus). Wegen q > 1 ist q = 1 + x mit einem
x > 0. Mit Hilfe der Bernoulli-Ungleichung (Satz 2.5) folgt
q n = (1 + x)n > 1 + nx.
(Wegen x > 0 folgt dies auch aus dem binomischen Lehrsatz.) Wählt man also n
groß genug, so übersteigt q n > 1 + nx irgendwann jede Schranke S ∈ R+ .
Wegen |q n | = |q|n folgt die Unbeschränktheit auch für q < −1.
Es gibt jedoch auch divergente Folgen, die beschränkt sind.
Beispiel 4.8 Die alternierende Folge (−1)n ist divergent.
Für a = 1, −1 enthält Uε (a) gar keine Folgenglieder, wenn man ε klein genug wählt,
also kommt ein solches a als Grenzwert nicht in Frage. Wäre 1 der Grenzwert der
Folge, dann müssten in U 12 (1) fast alle, d.h. alle bis auf endlich viele, Folgenglieder
liegen. Dies ist nicht erfüllt: Zwar liegen dort unendlich viele Folgenglieder, nämlich
alle (−1)n = 1 mit geradem n, aber eben nicht fast alle, da die unendlich vielen
(−1)n = −1 mit ungeradem n nicht in U 12 (1) liegen. Ebenso sieht man, dass auch
−1 nicht der Grenzwert der Folge sein kann.
2 Die scheinbare so klare Aussage Zu jedem S ∈ R gibt es ein n ∈ N mit n > S“ (was wir bei der
”
Bestimmung von nε schon die ganze Zeit stillschweigend benutzt haben), ist als archimedisches
Axiom bekannt und muss bei der Konstruktion der reellen Zahlen R bewiesen werden (siehe
Aufgabe 4.16)!
4.1 Folgen 67
Definition 4.4 Eine Zahl h ∈ R heißt Häufungswert einer Folge (an ), wenn in
jeder ε-Umgebung um h unendlich viele (aber nicht notwendigerweise fast alle)
Folgenglieder liegen:
Beispiel 4.9 Wir betrachten eine Folge, die unendlich viele Häufungswerte be-
sitzt. Es sei (an ) die Folge mit
1
an = , wobei n die Quersumme von n ist.
n
Es ist also z.B.
1 1 1
a42 = = = (= a6 = a60 = a600 . . .).
42 4+2 6
Wir behaupten, dass jedes Folgenglied und die Zahl 0 Häufungswerte dieser Folge
sind (mache dir am Ende noch klar, dass es auch keine weiteren gibt).
Zunächst ist die 0 ein Häufungswert, weil die Quersumme beliebig groß werden
kann: Will man n = q erhalten, so kann man für n(q) z.B. die Zahl mit q Einsen
als Ziffern wählen, d.h. n(q) := 111 . . . 1. Ist nun ε > 0 beliebig gegeben, so wähle
ein natürliches k > 1ε . Alle Zahlen n(q) mit q k erfüllen dann
1 1 1
|an(q) − 0| = = <ε
n(q) q k
nach Wahl von k. Da es unendlich viele solcher Zahlen n(q) – also auch unendlich
viele solcher Folgenglieder an(q) – gibt, ist 0 ein Häufungswert von (an ).
Sei nun n eine beliebige Zahl mit Quersumme q := n und an = 1q das zugehörige
Folgenglied. Alle Zahlen der Form Nk := n(q) · 10k , k ∈ N, wobei n(q) wie vorher
die Zahl mit q Einsen als Ziffern ist, besitzen ebenfalls die Quersumme q – es werden
ja nur zusätzliche Nullen angehängt. (Für q = 2 z.B. ist n(2) = 11 und die Zahlen
Nk sind dann von der Gestalt 110, 1100, 11000, . . . ; hier könnte man ähnlich wie
bei a42 oben natürlich auch 20, 200, 2000 nehmen, aber wieso klappt das für zwei-
und mehrstellige Quersummen q nicht mehr?) Somit gilt aNk = N1 = 1q = an für
k
alle k ∈ N. Insbesondere liegen unendlich viele Folgenglieder in jeder ε-Umgebung
von an , da sie gleich an sind, also |aNk − an | = 0 < ε erfüllen. Dies zeigt, dass jedes
Folgenglied Häufungswert der Folge ist.
68 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
————————— —————————
Aufgabe 4.1 Stelle eine Vermutung für den Grenzwert der Folgen (an ) auf und
beweise diese sodann. Gib zudem zu ε = 10−6 explizit ein nε an.
1 1 − 2n (−1)n
a) an = 2 − √ b) an = c) an = π −
n 4n n2
√ n 3 n − 4n − 12n2 + 12n − 1
d) an = 2 + 58 e) an = f) an =
4n+1 8n2 − 8n + 2
√ √
Aufgabe 4.2 Zeige, dass ( n + 1 − n ) eine Nullfolge ist (Tipp: Mit geeigne-
tem Bruch erweitern und 3. binomische Formel verwenden).
Aufgabe 4.3 Beweise die Eindeutigkeit des Grenzwerts: Ist (an ) eine Folge mit
an → a und an → a , dann muss a = a sein. (Tipp: Nimm a = a an und führe
dies, z.B. mit Hilfe von ε-Umgebungen, zum Widerspruch.)
Aufgabe 4.4 Formuliere in Worten, was es bedeutet, dass a nicht der Grenzwert
der Folge (an ) ist. Vergleiche dazu auch Aufgabe 1.12.
Aufgabe 4.5 Beweise: Ist (an ) eine Nullfolge und (bn ) eine beschränkte Folge,
so ist das Produkt (an bn ) eine Nullfolge.
√ √
Aufgabe 4.6 Zeige: Aus an → a (mit an 0) folgt an → a.
Aufgabe 4.7 Folgt man einem logisch strengen Aufbau der Analysis, so darf
man in den Beispielen 4.4 und 4.5 keinen Logarithmus verwenden. (Die allgemeine
Potenz- und Logarithmusfunktion muss erst definiert werden – mit Hilfe von Folgen
oder über die Zahl e; siehe dazu Abschnitt 4.2.3 ff.)
Zeige q n → 0 für 0 < q < 1 ohne Logarithmus. Betrachte dazu 1q und verwende
Beispiel 4.7.
Aufgabe 4.8 Zeige, dass eine Folge genau dann beschränkt ist, wenn es ein
s∗ ∈ R mit |an | s∗ für alle n ∈ N gibt.
Aufgabe 4.9 Finde eine divergente Folge, die genau einen Häufungswert hat.
Aufgabe 4.10 Es bezeichne T (n) die Anzahl aller Teiler (inklusive 1 und n)
der Zahl n ∈ N. Gib möglichst viele Häufungswerte der Folge (an ) mit an = T (n)
1
Satz 4.2 Für konvergente Folgen (an ) und (bn ) gelten die folgenden Aussagen.
(G1 ) Die Summenfolge (an + bn ) ist konvergent und ihr Grenzwert ist die Summe
der Grenzwerte von (an ) und (bn ):
(G2 ) Die Produktfolge (an · bn ) ist konvergent und ihr Grenzwert ist das Produkt
der Grenzwerte von (an ) und (bn ):
an lim an
lim = n→∞ .
n→∞ bn lim bn
n→∞
Man darf also den Limes in Summe, Produkt und Quotient zweier Folgen reinzie-
”
hen“, w e n n (!) die Ausgangs-Folgen konvergent sind.
Im Beweis benötigen wir eine Ungleichung, die in der Analysis so häufig gebraucht
wird, dass wir ihr ein eigenes Lemma widmen.
|x + y| |x| + |y|.
Was diese Ungleichung mit einem Dreieck zu tun hat, wird erst im Kapitel über
komplexe Zahlen klar werden. Mit ihr gewappnet können wir nun zum Beweis der
Grenzwertsätze voranschreiten.
ε
Beweis: (G1 ) Es sei a := lim an und b := lim bn . Mit ε > 0 ist auch 2 >0
n→∞ n→∞
(der Grund für 1
2 wird gleich klar), und man findet nε,a , nε,b ∈ N mit
ε ε
|an − a| < 2 für alle n > nε,a und |bn − b| < 2 für alle n > nε,b .
Setzt man nε = max { nε,a , nε,b }, so sind für alle n > nε beide der obigen Unglei-
chungen gleichzeitig erfüllt, und es folgt
ε ε
|an + bn − (a + b)| = |an − a + bn − b| |an − a| + |bn − b| < 2 + 2 = ε.
Im zweiten Schritt wurde die Dreiecksungleichung 4.1 verwendet. Damit ist bewie-
sen, dass (an + bn ) gegen a + b konvergiert, und das ist genau die Aussage von (G1 ).
(G2 ) Wir müssen zeigen, dass a · b der Grenzwert von (an · bn ) ist. Dies ist äquiva-
lent zur Aussage, dass Folge minus Grenzwert“, hier also (an bn −ab) eine Nullfolge
”
ist (mache dir das klar). Das Einfügen einer nahrhaften Null“ ergibt
”
an bn − ab = an bn − an b + an b − ab = an (bn − b) + (an − a)b.
Die Folgen (an ) und (b) sind konvergent (die zweite ist sogar konstant) und damit
nach Satz 4.1 beschränkt. Ihre Produkte mit den Nullfolgen (bn − b) und (an − a)
bleiben laut Aufgabe 4.5 Nullfolgen, also folgt mit (G1 ) an (bn − b) + (an − a)b →
0 + 0 = 0.
(G3 ) Zunächst zeigen wir, dass aus bn → b = 0 folgt, dass fast alle bn = 0 sind:
Mit b = 0 ist ε := 12 |b| > 0. Da fast alle bn im Intervall Uε (b) liegen müssen, sind
sie mindestens 12 |b| von der Null entfernt und damit = 0. Ab einem gewissen Index
N ∈ N ist also bn = 0 und ab hier ist damit die Quotientenfolge abnn definierbar, wir
n+N
betrachten also abnn n>N “(wer mag, shiftet den Index und nimmt abn+N n∈N
).
” an
Wenn wir bn → b zeigen können, folgt (G3 ) wegen bn = an · bn sofort aus (G2 ).
1 1 1
kleiner als jedes beliebige ε > 0 machen. Wir haben gerade gesehen, dass es ein nε
mit |bn | 12 |b| für n > nε gibt. Für diese n gilt
Wegen bn → b gibt es ein nε nach dem |bn − b| < ε
:= 12 |b|2 ε ist. Der Grund
für diese spezielle Wahl von ε
ist, dass am Ende genau ε herauskommen soll. Für
4.1 Folgen 71
Beispiel 4.11 Die Folge n52 ist eine Nullfolge.
Zunächst hat n5 = 5 · n1 nach (G2 )den Grenzwert
Null. Die obige Folge ist also
das Produkt der beiden Nullfolgen n1 und n5 und erneute Anwendung von (G2 )
liefert:
5 5 1 (G ) 5 1
2
lim 2 = lim · = lim · lim = 0 · 0 = 0.
n→∞ n n→∞ n n n→∞ n n→∞ n
Diese Beispiele hätte man mit Hilfe der ε-Definition ebenso schnell (oder schneller)
bewältigt. Im nächsten Beispiel zeigt sich erstmals die Nützlichkeit der Grenz-
wertsätze.
4n2 −1
Beispiel 4.12 Die Folge 2n 2 −5n konvergiert gegen 2.
Zunächst klammern wir in Zähler und Nenner die höchste n-Potenz aus:
4n2 − 1 n2 4 − n12 4 − n12
= = ,
2n2 − 5n n2 2 − n5 2 − n5
und wenden anschließend die Grenzwertsätze an:
4n2 − 1 lim 4 − n12
4 − n12 (G3 ) n→∞ (G1, 2 ) 4−0
lim = lim = = = 2.
n→∞ 2n2 − 5n n→∞ 2 − 5 lim 2 − n5 2−0
n n→∞
5n
Beispiel 4.13 Bestimme den Grenzwert der Folge 3n +2 ·5n .
5n 5n 1
Zunächst 5n im Nenner ausklammern: n n
= n 3n = 3 n .
3 + 2·5 5 5n + 2 + 2
5
Da ( 35 )n nach Beispiel 4.5 eine Nullfolge ist, ergibt sich
5n 1 (G3 ) 1 (G1 ) 1 1
lim = lim = 3 n = = .
n→∞ 3n + 2 · 5n n→∞ 35 n + 2 lim 5 +2 0 + 2 2
n→∞
72 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
————————— —————————
Aufgabe 4.11 1 = lim 1 = lim n · n1 = lim n · lim1
= ∞·0 ! Oder?
n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ n
Aufgabe 4.12 Bestimme den Grenzwert von (an ) mit Hilfe der Grenzwertsätze.
√
4 + 2n (5 − 3n)2 2 n
a) an = √ b) an = c) an = √
3 − 2n 2 − 4n2 n−2
7n − 1 n−2 √ √
d) an = e) an = √ f) an = n+ n− n
7n+1 + 6n 4n2 − 1
————————— —————————
Definition 4.5 Es sei A ⊆ R eine nicht-leere Menge reeller Zahlen. Eine Zahl
S ∈ R heißt Supremum von A, in Zeichen S = sup A, wenn sie die kleinste obere
Schranke von A ist. Das bedeutet zweierlei:
(1) S ist eine obere Schranke von A, d.h. es gilt x S für alle x ∈ A und
(2) S ist die kleinste Zahl mit der Eigenschaft (1), d.h. keine Zahl S < S kann
obere Schranke von A sein. Anders formuliert:
x := 12 (S + 1) ∈ A, da 1
2 (S
+ 1) < 12 (1 + 1) = 1,
Somit kann kein 0 < S < S eine obere Schranke von A sein (und ein S < 0 sowieso
nicht), womit S = 1 die kleinste obere Schranke von A, also das Supremum ist.
Mit der ε-Definition gelingt der Nachweis von (2) viel müheloser: Ist ε > 0 , so gibt
es zu 1 − ε (es sei ε < 1) stets ein x ∈ A mit x > 1 − ε, z.B. x = 1 − 2ε .
Dieses x ist übrigens gerade obiges 12 (S + 1), wenn man ε = S − S > 0 setzt.
Anmerkung: Wie man an diesem Beispiel sieht, muss das Supremum einer
Menge A nicht zwingend in A liegen. Es gibt eben keine größte Zahl in [ 0 , 1 ),
sondern nur eine kleinste obere Schranke, die hier außerhalb von A liegt.
Beispiel 4.15 Besitzt die Menge A ein Maximum, d.h. ein M ∈ A mit x M
für alle x ∈ A, dann besitzt A auch ein Supremum und es gilt sup A = max A.
Denn M = max A ist eine obere Schranke von A (nach Definition des Maximums).
Es ist aber auch die kleinste obere Schranke, denn für kein S < M kann x S
für alle x ∈ A gelten, da ja M in A liegt und M > S ist. Somit ist max A das
Supremum von A.
Für A = [ 0 , 1 ] ist also sup A = max A = 1, während die Menge A aus obigem
Beispiel kein Maximum besitzt.
Beispiel 4.16 Wir definieren eine Folge (an√ ) ⊂ Q, indem wir für jedes n ∈ N
eine rationale
√ Zahl a n ∈ Q auswählen, die 0 < 2 − a√n < 10−n erfüllt. Es ist also
1 n
an < 2 und an weicht um weniger als ( 10 ) von 2 ab. Man kann allgemein
zeigen, dass es für jede reelle Zahl eine solche rationale Folge gibt; wir behelfen uns
hier mit der Dezimaldarstellung
√
2 = 1,4142 . . . und setzen a1 = 1,4; a2 = 1,41; a3 = 1,414; . . .
√ √
Es ist an < 2 für alle n, d.h. für die Menge A = { an | n ∈ N }√ist 2 eine
obere Schranke.√Nach Konstruktion der Folge konvergiert sie gegen 2, weshalb
der Grenzwert 2 auch √ die kleinste obere Schranke von A ist: Zu jedem ε > 0 gibt
an , das√|an − 2| < ε erfüllt (sogar fast alle √
es ein √ an erfüllen dies), was man wegen
√
|an − 2| = 2 − an umschreiben kann zu an > 2 − ε. Damit gilt sup A = 2.
Betrachtet man allerdings √ A als Teilmenge von Q, so besitzt A plötzlich kein Su-
premum mehr, denn es ist 2 ∈ / Q. Damit haben wir ein Beispiel gefunden für eine
nach oben beschränkte Teilmenge von Q, die kein Supremum besitzt.
Dass so etwas wie im letzten Beispiel in den reellen Zahlen nicht passieren kann,
garantiert der folgende Satz, auf dessen Beweis wir im Rahmen dieses Buches nicht
eingehen (siehe z.B. [Ebb]) – wir haben ja noch nicht einmal angedeutet, was reelle
Zahlen eigentlich sind bzw. wie man sie konstruieren kann, sondern betrachten sie
als gegeben. Der Satz stellt eine mögliche Formulierung3 der Tatsache dar, dass die
reellen Zahlen vollständig sind.
3 DieVollständigkeit von R lässt sich auch mit Hilfe sogenannter Intervallschachtelungen for-
mulieren.
74 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
————————— —————————
Aufgabe 4.13 (Definition und Eigenschaften des Infimums)
a) Gib analog zum Supremum die vollständige Definition des Infimums einer
Menge ∅ = A ⊆ R an, also der größten unteren Schranke von A.
b) Bestimme mit Hilfe der ε-Charakterisierung das Infimum von A = ( π , 42 ].
c) Definiere das Minimum min A einer Menge A ⊆ R und zeige inf A = min A,
sofern min A existiert.
Aufgabe 4.14
a) Für ∅ = A ⊆ R definieren wir −A := { −x | x ∈ A } (die an der Null gespie-
gelte Menge). Zeige: Ist A nach oben beschränkt, so gilt inf(−A) = − sup A.
Formuliere und beweise damit die Infimumseigenschaft von R“.
”
b) Zeige: Gilt inf A > 0 für ∅ = A ⊆ R+ , so ist sup(A−1 ) = inf1 A , wobei die
Kehrbruchmenge“ A−1 als { x1 | x ∈ A } definiert ist.
”
Definition 4.6 Eine Folge (an ) heißt Cauchyfolge, wenn es zu jedem ε > 0 ein
nε ∈ N gibt, so dass
Viel wichtiger ist jedoch, dass in R auch die Umkehrung obiger Erkenntnis gilt.
Tatsächlich kann man dieses Kriterium dazu verwenden, um die Vollständigkeit ei-
nes (Zahlen-)Körpers K (allgemeine Definition in Kapitel 9) zu beschreiben: K ist
vollständig, wenn alle Cauchyfolgen (an ) ⊆ K konvergieren, also einen Grenzwert
in K besitzen. Dies ergibt natürlich nur Sinn, wenn auf K überhaupt ein Konver-
genzbegriff vorhanden ist.
In Beispiel 4.16 wurde eine Folge (an ) ⊆ Q konstruiert, die zwar eine Cauchyfolge
√
ist (Nachweis wie oben), aber nicht in Q konvergiert, da ihr Grenzwert 2 nicht in
Q liegt. Also ist Q kein vollständiger Körper.
Definition 4.7 Eine Folge (an ) heißt monoton wachsend, wenn an+1 an für
alle n ∈ N gilt. Gilt sogar > anstelle von , so heißt die Folge streng monoton
wachsend. Entsprechend ist (streng) monoton fallend definiert.
Eine Folge heißt (streng) monoton, wenn sie (streng) monoton wachsend oder
(streng) monoton fallend ist. ♦
5 Bernhard Bolzano (1781–1848); böhmischer Priester und Hobbymathematiker, der als gei-
stiger Vorläufer von Weierstraß und Cantor gelten kann.
76 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Beweis: a) Ist (an ) eine beschränkte Folge, so ist die Menge A aller Folgenglieder,
A = { an | n ∈ N }, nach oben beschränkt. Aufgrund der Vollständigkeit von R
existiert daher S := sup A (Satz 4.3). Aus der Charakterisierung des Supremums
folgt nun direkt, dass S der Grenzwert von (an ) ist: Ist nämlich ε > 0 vorgegeben,
so muss es ein anε geben mit anε > S − ε (ansonsten wäre S − ε eine kleinere obere
Schranke aller Folgenglieder). Aufgrund der Monotonie gilt dann an anε > S −ε
für alle n > nε , und da sowieso an S gilt, liegen fast alle an in Uε (S).
b) geht vollkommen analog (siehe Aufgabe 4.19).
an
S
S−ε
n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Abbildung 4.6
Und wasbringt einem dieser Satz für die Praxis? Ihn für explizit gegebene Folgen
n
wie z.B. 4n+2 anzuwenden, ist meist eher umständlich – man müsste Beschränkt-
heit und Monotonie nachweisen und den Grenzwert, nämlich das Supremum, kennt
4.1 Folgen 77
man immer noch nicht: Hier sieht man viel schneller mit Hilfe der Grenzwertsätze,
dass die Folge konvergiert, und den Grenzwert, hier also 14 , erhält man gleich mit.
Die Nützlichkeit des Monotonieprinzips wird sich erst im nächsten Abschnitt of-
fenbaren, denn rekursiven Folgen sieht man oftmals gar nicht an, ob sie überhaupt
konvergieren.
————————— —————————
2n − 1 2 − n2
a) an = , b) an = .
2n + 1 n2 + 4
Aufgabe 4.18 Die Folgenglieder einer Würfelfolge“ entstehen dadurch, dass
”
man würfelt und die auftretende Augenzahl als n-te Nachkommastelle des Folgen-
glieds an einträgt. Eine solche Folge könnte also z.B. so aussehen: a1 = 0,1 ; a2 =
0,16 ; a3 = 0,163 ; a4 = 0,1633 ; . . . Was lässt sich über die Konvergenz einer
Würfelfolge aussagen?
————————— —————————
Beispiel 4.18 Eine rekursive Folge werde beschrieben durch a1 = 1 und die
Rekursionsvorschrift an+1 = 2an + 3 für alle n ∈ N.
Dann lauten die ersten Folgenglieder: a1 = 1; a2 = 2 · 1 + 3 = 5; a3 = 2 · 5 + 3 = 13.
1
Beispiel 4.19 s1 = 1 und sn+1 = sn + , n ∈ N, liefert
(n + 1)2
1 5 1 1 1 49
s1 = 1 ; s 2 = s1 + = ; s 3 = s2 + =1+ + = ; ...
22 4 32 4 9 36
Wie man von einer expliziten auf eine rekursive Vorschrift kommt und umgekehrt
kommen kann, wird in Aufgabe 4.21 behandelt.
Wir wenden uns nun der Konvergenz rekursiver Folgen zu.
So schön das Verfahren der beidseitigen Limesbildung auch ist, es muss nicht immer
zielführend sein. In Beispiel 4.19 passiert hierbei nämlich Folgendes:
1 (G1 )
lim sn+1 = lim sn + = lim sn + 0, also s = s,
n→∞ n→∞ (n + 1)2 n→∞
was natürlich wenig hilfreich ist. Dass der Grenzwert s überhaupt existiert, werden
wir erst später nachweisen. Berechnen können wir ihn auf diese Weise jedenfalls
nicht.
————————— —————————
Aufgabe 4.21
a) Gib auf zwei verschiedene Arten eine rekursive Folge an, deren vier erste
Glieder mit den Zahlen a1 = 6; a2 = 18; a3 = 54; a4 = 162 übereinstimmen.
b) Finde eine explizite Darstellung für die rekursive Folge a1 = 2; an+1 =
an − n(n+1)
1
. Stelle anhand der ersten Folgenglieder zunächst eine Vermutung
auf und beweise diese dann durch vollständige Induktion.
Aufgabe 4.22
a) Betrachte die rekursive Folge a1 = q, an+1 = q · an für 0 < q < 1.
Zeige, dass diese Folge durch 0 nach unten beschränkt und streng monoton
fallend ist und berechne dann ihren Grenzwert. (Natürlich sieht man auf einen
Blick, dass es sich um die Folge (q n ) handelt. Belasse sie dennoch in rekur-
siver Form, um die typische Vorgehensweise bei rekursiven Folgen einzuüben).
4.1 Folgen 81
an
b) Verfahre ähnlich für die rekursive Folge a1 = 3 ; an+1 = 2 + (n ∈ N).
2
Aufgabe 4.23 Zeige mittels vollständiger Induktion, dass die rekursive Folge
√
a1 = 1; an+1 = 1 + an (n ∈ N)
streng monoton wachsend und durch 2 nach oben beschränkt ist (die Monotonie der
Wurzelfunktion darf vorausgesetzt werden). Berechne ihren Grenzwert, den man
sich als die Kettenwurzel“
”
√
1 + 1 + 1 + ...
1
Aufgabe 4.24 Berechne die ersten Folgenglieder der durch a1 = 6; an+1 =
2an − 3a2n (n ∈ N) definierten Folge.
Zeige dann allgemein: Für jedes c > 0 konvergiert die rekursive Folge
1 1
a1 = ; an+1 = 2an − ca2n gegen .
2c c
Anleitung: (1) Zeige an+1 1
c für alle n, indem du quadratisch ergänzt.
(2) Zeige an > 0 für alle n mittels vollständiger Induktion und (1), und folgere
−ca2n −an für alle n.
(3) Mit (2) lässt sich nun leicht zeigen, dass (an ) monoton wachsend ist.
senschaften auf. Es gibt eine eigene Zeitschrift, The Fibonacci Quarterly“, die seit 1963 vier-
”
teljährlich erscheint und sich ausschließlich dem Studium dieser Zahlen widmet!
82 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
1
q1 = 1; qn+1 = 1 + () erfüllt.
qn
c) Zeige, dass die Folge (qn ) gegen den goldenen Schnitt Φ9 konvergiert. Dieser
ist die positive Lösung der Gleichung x2 − x − 1 = 0, also
√
1+ 5
Φ= .
2
Dass die Folge (qn ) einen Grenzwert besitzt, zeigt, dass sich auf lange Sicht
die Vermehrungsquote fn+1fn auf einen konstanten Wert einpendelt.
Wegen () lässt sich Φ = lim qn übrigens auch als folgender Kettenbruch
n→∞
darstellen:
1
Φ=1+ 1 .
1+ 1
1+ 1+...
Aufgabe 4.26 Beweise erneut, dass die Kettenwurzel-Folge (an ) aus Aufgabe
4.23 gegen den goldenen Schnitt Φ konvergiert, indem du die Differenz |an − Φ|
gemäß folgender Anleitung direkt abschätzt.
Anleitung: Zeige zunächst, dass (an − Φ)(an + Φ) = an−1 − Φ gilt, und gehe dann
ähnlich wie in Aufgabe 4.25 c) vor. Verwende dabei stets die definierende Gleichung
Φ2 = Φ + 1 des goldenen Schnittes.
————————— —————————
9 Das
Φ ehrt den griechischen Künstler und Baumeister Phidias, der z.B. beim Bau der Akro-
polis den goldenen Schnitt als ein dem Auge wohlgefälliges“ Längenverhältnis verwendete.
”
4.2 Reihen 83
4.2 Reihen
4.2.1 Reihen als spezielle Folgen
Definition 4.8 Für eine Folge (an ) definieren wir
s 1 = a1 ,
s 2 = a1 + a 2 ,
s 3 = a1 + a 2 + a 3 ,
..
.
n
s n = a1 + a 2 + . . . + a n = ak ,
k=1
..
.
und ordnen so der Folge (an ) eine neue Folge (sn ) zu, welche man (unendliche)
Reihe nennt. DieZahlen a1 , a2 , . . . heißen Glieder der Reihe; das n-te Folgenglied
n
der Reihe sn = k=1 ak heißt n-te Partialsumme der Reihe. ♦
Konvergiert die Folge (sn ), so nennt man ihren Grenzwert s den Wert der Reihe
und schreibt
∞
s = lim sn = a k = a1 + a 2 + a 3 + . . .
n→∞
k=1
∞
1 1 1 1
Beispiel 4.23 Es ist + + + ... = = 1.
1·2 2·3 3·4 k(k + 1)
k=1
aus. So wird
1 1 1 1 1 1 1
3
s2 = + ; s3 = s 2 + = + + = ;
1·2 2·3 3·4 1·2 2·3 3·4 k(k + 1)
k=1
84 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
1 ∞
1 1 1 1 3
Beispiel 4.24 Es gilt + + + + ... = = .
3 8 15 24 k −1
2 4
k=2
Eine ähnliche Zerlegung wie im Beispiel eben hilft auch hier weiter. Es ist
1 1 1
= − ,
k2 −1 2(k − 1) 2(k + 1)
wie man leicht nachrechnet. (Das Verfahren der Partialbruchzerlegung führt einen
auf solche Darstellungen; siehe Kapitel 8.) Damit werden die Partialsummen zu
Teleskopsummen (sei n 7):
1 1 1
n
n
1
sn = = −
k2 − 1 2 k−1 k+1
k=2 k=2
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
= 1 − + − + − + ... + − + −
2 3 2 4 3 5 n−2 n n−1 n+1
1 1 1 1 3 1 1
= 1+ − − = − − .
2 2 n n+1 4 2n 2(n + 1)
4.2 Reihen 85
(Wer den vorletzten Schritt nicht glaubt, kann die angegebene Formel für sn auch
leicht durch Induktion beweisen.) Für den Grenzwert der Reihe folgt damit
∞
1 3 1 1 3
= lim s n = lim − − = .
k 2 − 1 n→∞ n→∞ 4 2n 2(n + 1) 4
k=2
Eine notwendige Bedingung für die Konvergenz einer Reihe ist, dass das was dazu
”
kommt“ gegen Null geht:
∞
Satz 4.7 ak kann nur dann konvergieren, wenn (an ) eine Nullfolge ist.
k=1
Dass dies allerdings noch lang keine hinreichende Bedingung ist, zeigt das nächste
Beispiel der prominentesten divergenten Reihe.
∞
1
Beispiel 4.25 Die harmonische Reihe wächst unbeschränkt. Kurz:
k
∞ k=1
1 1 1
1 + + + ... = = ∞.
2 3 k
k=1
Die Beweisidee basiert auf Gruppieren der Glieder in 2er-, 4er-, 8er-Päckchen etc.:
1 1 1 1 1 1 1
s8 = 1 + + + + + + +
2 3 4 5 6 7 8
1 1 1 1 1 1 1
>1+ + + + + + +
2 4 4 8 8 8 8
1 1 1 1
=1+ + 2· + 4· = 1 + 3· .
2 4 8 2
Ebenso sieht man s16 > 1 + 4 · 12 , s32 > 1 + 5 · 12 und allgemein
1
s 2 > 1 + · für jedes ∈ N 2 .
2
Somit wächst sn über jede Schranke. Folglich divergiert die harmonische Reihe –
und das obwohl ( n1 ) eine Nullfolge ist.
86 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
————————— —————————
∞
∞
1− 1
π 1 1 1
Aufgabe 4.27 a) = b) =
πk π 4k 2−1 2
k=1 k=1
∞
1
Aufgabe 4.28 √ = ∞ (Vergleiche mit der harmonischen Reihe.)
k=1
k
————————— —————————
Die nächste Reihe ist von so großer Bedeutung für die Analysis, dass wir ihr einen
eigenen Abschnitt widmen.
Satz 4.8 a) Für die Partialsummen der geometrischen Reihe gilt für q = 1
n
1 − q n+1
1 + q + q2 + . . . + qn = qk = (geometrische Summenformel ).
1−q
k=0
b) Die geometrische Reihe ist nur für |q| < 1 konvergent und es gilt
∞
1
lim sn = qk = .
n→∞ 1−q
k=0
Beweis: a) Beweis durch Induktion siehe Aufgabe 2.14. Ohne Induktion: Aus-
multiplizieren führt auf eine Teleskopsumme
sn · (1 − q) = (1 + q + q 2 + . . . + q n ) · (1 − q)
= 1 + q + q2 + . . . + qn
− q − q 2 − . . . − q n − q n+1 = 1 − q n+1 ,
4.2 Reihen 87
also liefert teilen durch 1 − q = 0 die Behauptung. Aus der geometrischen Sum-
menformel folgt nun sofort b), wenn man die Grenzwertsätze zu Hilfe zieht und
sich erinnert (Beispiel 4.5), dass (q n+1 ) für |q| < 1 eine Nullfolge ist:
∞
1 − q n+1 1−0 1
q k = lim sn = lim = = .
n→∞ n→∞ 1−q 1−q 1−q
k=0
Für |q| 1 ist |q n − 0| = |q n | = |q|n 1. Somit bilden die Glieder der Reihe in
diesem Fall keine Nullfolge, und nach Satz 4.7 kann sie nicht konvergieren.
1 1 1 1
Beispiel 4.26 + − +
Bestimme den Wert der Reihe 1 − − ...
2 4 8 16
k k
Es handelt sich um eine geometrische Reihe mit den Gliedern (−1)k 12 = − 12 :
∞
1 1 1 1 1 k 1 2
1− + − + − ... = − = = .
2 4 8 16
k=0
2 1 − (− 2 )
1 3
Eine nette kleine Anwendung der geometrischen Reihe ist das Umwandeln periodi-
scher Dezimalzahlen in Brüche.
Abbildung 4.7
9 . Also ist A2 = A1 + 4 · 3 · 9 = 1 + 4 · 19 + 4 · 3 · 19 .
A3 : An den 12 · 3 = 36 freien Seiten entstehen 36 neue Quadrate der Fläche
1 3 1 3 2 3
27 · 27 = 9 , d.h. A3 = A2 +4 · 3 · 9 = 1+4 · 19 +4 · 3 · 19 +4 · 32 · 19 .
1 1 2
Mit Hilfe der geometrischen Reihe ergibt sich damit für den Grenz-Flächeninhalt“
”
∞ k
4 1 4 1 4 3 5
A∞ = lim An = 1 + · =1+ · =1+ · = .
n→∞ 9 3 9 1 − 13 9 2 3
k=0
Somit nähert sich die Figurenfolge einer Grenzfigur“, deren Inhalt endlich ist (was
”
man auch anhand der Grafiken vermuten würde) und 53 beträgt. Interessanterweise
wächst aber der Umfang der Figuren über alle Grenzen! Man kann sich leicht
überlegen, dass der Umfang der n-ten Figur durch Un = 4 + 83 n gegeben ist. Damit
geht Un → ∞ für n → ∞.
Anmerkung: Die Grenzfigur“ ist ein so genanntes Fraktal, worauf wir hier nicht
”
weiter eingehen können. Aber es sei noch angedeutet, dass es so stark verwinkelt“
”
ist, dass seine Hausdorff-Dimension“ keine ganze Zahl mehr ist, sondern zwischen
”
1 (Linie) und 2 (Fläche) liegt.
4.2 Reihen 89
Eine wichtige Eigenschaft der geometrischen Reihe ist, dass sich durch einen Ver-
gleich mit ihr oft die Konvergenz bzw. Divergenz anderer Reihen erkennen lässt.
Dies wird in Abschnitt 4.2.4 allgemein diskutiert, hier soll ein Beispiel genügen.
1 ∞
1 1 1
Beispiel 4.29 1+ + + + ... = konvergiert.
4 9 16 k2
k=1
Durch geschicktes Gruppieren erkennt man z.B. für die siebte Partialsumme:
1 1 1 1 1 1 1 1
s7 = 1 + 2
+ 2 + 2
+ 2 + 2 + 2 < 1 + 2· 2 + 4· 2
2 3 4 5 6 7 2 4
3
1 1 1 1 2 4.8 a) 1 − 12 1
=1+ + =1+ + = < = 2.
2 4 2 2 1− 21
1 − 12
So lässt sich auch allgemein erkennen, dass für die n-te Partialsumme mit n 2 −1
1 − 12 1
sn s2 −1 < < =2
1 − 12 1 − 12
für jedes ∈ N gilt. Dass die Folge (sn ) der Partialsummen streng monoton wächst,
ist offensichtlich, da alle Glieder der Reihe positiv sind. Da wir eben 2 als obere
Schranke gefunden haben, muss (sn ) nach dem Monotonieprinzip konvergieren.
90 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
2
Anmerkung: Dass der Grenzwert der Reihe π6 beträgt, können wir im Rahmen
dieses Buches leider nicht beweisen. Als erster fand dies 1735 der geniale Euler
heraus, der uns noch häufiger begegnen wird.
————————— —————————
Aufgabe 4.29 Bestimme den Wert der Reihe − 12 + 1
6 − 1
18 + 1
54 − 1
162 + ...
Aufgabe 4.30 Wandle die periodischen Dezimalzahlen in Brüche um.
a) 0,048 b) 3,148 (verwende a)) c) 0,1234
Aufgabe 4.31 (Zenons Paradoxon)
Ein alter Grieche namens Zenon von Elea stieß um 450 v.Chr. auf folgendes Problem
(in heutige Sprache übersetzt; damals gab es noch keinen Geschwindigkeitsbegriff):
Ein Läufer, der sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, kann nie-
mals in endlicher Zeit das Ende einer Bahn erreichen. Denn zuerst muss
er die Hälfte der Bahn durchlaufen, dann die Hälfte der verbleibenden
Hälfte (also ein Viertel), dann wieder die Hälfte des verbleibenden Vier-
tels (also ein Achtel) usw. – so dass er niemals sein Ziel erreichen kann.
Wo liegt Zenons Denkfehler? Widerlege sein Argument auch durch direkte Be-
rechnung der benötigten Gesamtzeit (unter Verwendung der geometrischen Reihe),
wenn der Läufer für die erste Hälfte eine Minute braucht.
Aufgabe 4.32 Die Ausgangsfigur in Abbildung 4.9 ist ein gleichseitiges Dreieck
der Seitenlänge 1. In jedem Schritt werden alle Kanten der Figur gedrittelt und
mittig“ mit neuen gleichseitigen Dreiecken bestückt.
”
Bestimme die Folge (An )n∈N0 , welche die Flächeninhalte dieser Figuren beschreibt.
Bestimme anschließend A∞ , den Grenzwert der Folge An , welchen man als Flächen-
inhalt der Grenzfigur“ – einem Fraktal namens Koch’sche Schneeflocke – auffassen
”
kann.
Dasselbe für die Folge (Un )n∈N0 , wobei Un der Umfang der n-ten Figur ist.
————————— —————————
4.2 Reihen 91
1 n
1 1 1
sn = 1 + + + ... + =
1! 2! n! k!
k=0
1 n
sowie die Folge (an ) mit an = 1+ .
n
(1) Die Reihe (sn ) ist monoton wachsend und beschränkt, also konvergent. Ihr
Grenzwert wird mit e bezeichnet und heißt eulersche Zahl :
∞
1 1 1 1
e := lim sn = = 1 + + + + ... .
n→∞ k! 1! 2! 3!
k=0
(2) Die Folge (an ) ist ebenfalls monoton wachsend und beschränkt, also besitzt
auch sie einen Grenzwert, den wir zunächst ẽ nennen:
n
1
ẽ := lim 1+ .
n→∞ n
11 Leonhard Euler (1707–1783). Mit 866 Veröffentlichungen einer der produktivsten Mathema-
tiker aller Zeiten, der große Beiträge zur reinen Mathematik (Analysis, Zahlentheorie, Algebra)
wie auch zur Physik (Mechanik, Hydrodynamik, Optik) leistete. Obwohl er die letzten 13 Jahre
seines Lebens blind war, entstand in dieser Zeit die Hälfte seines Gesamtwerkes: Er rechnete ein-
fach vor seinem geistigen Auge und diktierte alles seinem Diener. Dies führte zum Zitat Euler
”
rechnet, wie andere atmen.“
92 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
(3) Es gilt ẽ = e, d.h. zwei verschiedene Darstellungen der eulerschen Zahl sind:
n ∞
1 1
lim 1+ =e= .
n→∞ n k!
k=0
1
Beweis: (1): Die Monotonie ergibt sich sofort aus sn+1 = sn + (n+1)! > sn für
alle n ∈ N. Zum Nachweis der Beschränktheit schätzen wir gegen die geometrische
Reihe ab: Zunächst gilt für alle k 2
k
k
k
k! = = 1· 2 = 2k−1
=1 =2 =2
n
n
n k−1
1 k
n−1
1 1 1
sn = =1+ 1+ =1+ ,
k! k! 2 2
k=0 k=1 k=1 k=0
wobei wir im letzten Schritt einen Indexshift durchgeführt haben. Da die Reihe auf
∞ k
der rechten Seite nicht größer als ihr Grenzwert k=0 12 = 1−11/2 = 2 wird, ist
sn durch 1 + 2 = 3 beschränkt. Nach dem Monotonieprinzip konvergiert (sn ).
n
(2): Wir entwickeln 1 + n1 nach dem binomischen Lehrsatz:
n n
k n
1 n 1 n! 1
1+ = 1n−k = · k,
n k n k!(n − k)! n
k=0 k=0
−1
Beachte, dass für k = 0 ein Produkt der Form “ dasteht, welches wir als 1 de-
” =0
finieren (leeres Produkt). In der ursprünglichen Summe steht noch n1k = n1 · . . . · n1 ,
k−1
und diese k Faktoren ziehen wirnun mit den k Faktoren des Produkts =0 (n − )
zusammen gemäß (n − ) · n1 = 1 − n . Insgesamt haben wir nun
n n
k−1
1 1
an = 1+ = · 1− . ()
n k! n
k=0 =0
Nun ist n+1 < n, woraus 1 − n+1 > 1− n folgt. Somit ist jedes der Produkte
4.2 Reihen 93
k−1
k−1
=0 1− n+1 größer als =0 1− n , und wir können abschätzen:
n+1
k−1 n k−1
1 1
an+1 = · 1− > · 1−
k! n+1 k! n+1
k=0 =0 k=0 =0
n k−1
1
> · 1− = an ,
k! n
k=0 =0
wobei wir im zweiten Schritt einen positiven Summanden weggelassen haben, wo-
durch die Summe kleiner wird. Damit haben wir die Monotonie der Folge (an )
nachgewiesen.
Zur Beschränktheit zeigen wir an sn für alle n ∈ N – da die sn (durch
3 bzw. e) beschränkt sind, genügt das. Dazu müssen wir nur bemerken, dass
k−1
=0 1 − n 1 ist, da jeder Faktor 1 − n 1 ist. Dann ergibt sich mit
einem Schlag aus ()
n
k−1 n
1 1
an = · 1− · 1 = sn .
k! n k!
k=0 =0 k=0
Um umgekehrt e ẽ nachzuweisen, gehen wir wieder von () aus und schreiben
für m n
m
k−1 n k−1
1 1
am = · 1− · 1− ,
k! m k! m
k=0 =0 k=0 =0
wobei auf der rechten Seite die Grenzwertsätze eingingen. Da dies für alle n ∈ N gilt,
erhält man durch erneuten Grenzübergang (diesmal n → ∞) ẽ limn→∞ sn = e.
Insgesamt haben wir also e = ẽ bewiesen.
Wenn du jeden Schritt nachvollziehen konntest, darfst du dir zwei- bis dreimal
heftig auf die Schulter klopfen.
94 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Den Grenzwert tatsächlich zu bestimmen, ist nochmals eine ganz andere Geschich-
te. Hier beträgt er − ln 2 ≈ −0,693, was man ohne weitere Hilfsmittel aus der
Analysis nicht einsehen kann (vgl. Aufgabe 5.6 auf Seite 141).
Selbst wenn man den Grenzwert nicht immer explizit bestimmen kann, ist es in der
Mathematik oft schon nützlich zu wissen, dass eine Reihe überhaupt konvergiert.
Will man den Bezug auf den Grenzwert vermeiden, muss man oft – wie zum Beispiel
im nächsten Satz – mit dem Cauchy’schen Konvergenzkriterium arbeiten (Satz 4.4).
4.2 Reihen 95
analog für s̃n bzw. tn . Die aus (induktiver) Anwendung der Dreiecksungleichung
und Majorisierung |ak | bk für alle k > nε gewonnene Abschätzung
m m m
a |a | bk
k k
k=n+1 k=n+1 k=n+1
kann somit auch geschrieben werden als |sm − sn | |s̃m − s̃n | |tm − tn |. Da
|tm − tn | < ε für alle m > n > nε wird, sind wir fertig.
∞ ∞ ∞
Man nennt die Reihe k=1 bk eine Majorante für k=1 a k . Außerdem heißt k=1 ak
∞
absolut konvergent, wenn die Reihe der Absolutbeträge k=1 |ak | konvergiert. Aus
absoluter Konvergenz folgt stets die gewöhnliche Konvergenz der Reihe, was obiger
Satz für den Fall bk = |ak | beinhaltet.
Die Umkehrung gilt nicht, was die alternierende harmonische Reihe zeigt: Nach
obigem Beispiel konvergiert diese, aber die Reihe der Absolutbeträge hingegen ist
die harmonische Reihe, welche divergent ist (siehe Beispiel 4.25).
∞
Beispiel
1 4.31 Nach Beispiel 4.29 konvergiert die Reihe k=1 k12 . Da offenbar
n = 1n 12 für alle n ∈ N mit n 2 gilt, liefert das Majorantenkriterium die
k k k
Konvergenz der Reihen
∞
1
für n 2.
kn
k=1
96 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
aber schon für n = 3 kennt man keine ähnlich einfache Darstellung des Grenzwerts.
Als Folgerungen aus dem Majorantenkriterium beweisen wir nun zwei weitere, in
der Praxis besonders nützliche Konvergenzkriterien (für absolute Konvergenz) bzw.
Divergenzkriterien. Hier zeigt sich erneut die Stärke der geometrischen Reihe.
|aK+2 | < q |aK+1 | < (q )2 |aK | und |aK+3 | < q |aK+2 | < (q )3 |aK |.
Induktiv ergibt sich |ak | < (q )k−K |aK | =: bk für alle k > K. Die geometrische Rei-
he mit den Gliedern bk = (q )k−K |aK | = |aK |(q )−K · (q )k =: c · (q )k konvergiert
aufgrund von q < 1:
∞
∞
∞
∞
1
bk = c · (q )k = c · (q )k < c · (q )k = c · .
1 − q
k=1 k=1 k=1 k=0
Da |a
k | < bk für alle k > K, also für fast alle k gilt, folgt die absolute Konvergenz
∞
von k=1 ak aus dem Majorantenkriterium.
(ii) Für q > 1 findet man analog zum ersten Fall ein q >1 und einen Index K ∈ N,
so dass qk > q > 1 für alle k K gilt. Wenn aber qk = aak+1k
> q > 1 für k K
ist, so bedeutet dies |ak+1 | > |ak | für alle k K. Somit ist die positive Folge (|ak |)
ab dem Index K monoton wachsend, und kann also keine ∞ Nullfolge sein. Damit ist
auch (ak ) keine Nullfolge und nach Satz 4.7 divergiert k=1 ak .
Für q = 1 ist mit Hilfe des Quotientenkriteriums keine Aussage möglich: Für die
k
harmonische Reihe mit ak = k1 gilt qk = k+1 , was gegen 1 konvergiert, während
4.2 Reihen 97
konvergent.
∞ 1
Beispiel 4.32 Nach Satz 4.9 konvergiert die Reihe k=1 k! . Dies sieht man viel
schneller durch Anwenden des Quotientenkriteriums, denn es ist
ak+1 1
k! k! 1
qk = = (k+1)! = = = → 0 = q < 1.
ak 1
k!
(k + 1)! (k + 1) · k! k + 1
Satz 4.13 (Wurzelkriterium)
∞
Sei k=1 ak gegeben und es existiere der Grenzwert q := lim k |ak |.
k→∞
∞
(i) Falls q < 1, dann konvergiert k=1 ak absolut.
∞
(ii) Falls q > 1, dann divergiert k=1 ak .
Beweis: (i) Wie im Beweis zu 4.12 findet man im Fall q < 1 ein q < 1 und
K ∈ N, so dass |ak | < q < 1 für alle k K ist. Damit gilt |ak |k < (q )k =: bk für
k
k > K, womit wir eine konvergente Majorante (eine geometrische Reihe, nämlich
∞
k=1 bk ) gefunden haben.
(ii) Analog folgt im Fall q > 1 aus |ak |k > (q )k > 1 für fast alle k, dass (ak ) keine
Nullfolge sein kann, und somit die zugehörige Reihe divergieren muss.
Streng genommen ist die Existenz des Grenzwerts hier nicht vonnöten, sondern
man könnte
in obigem Satz den Limes q durch den größten Häufungswert der
Folge ( k |ak |) (Stichwort Limes superior“) ersetzen. Das werden wir allerdings
”
nicht brauchen.
Beispiel
∞ 4.33 Als triviale Anwendung untersuchen wir die geometrische Rei-
he k=0 q k selbst (ob man beik = 0 oder 1 startet, spielt für die Konvergenz
natürlich keine Rolle). Es gilt k |q k | = k |q|k = |q|, so dass die Reihe nach Satz
4.13 konvergiert, wenn |q| < 1 ist. Hier gilt sogar genau dann wenn“, da für |q| = 1
”
die Reihenglieder keine Nullfolge sind.
————————— —————————
Aufgabe 4.33 Untersuche die folgenden Reihen auf Konvergenz.
2,7 · k + π k
∞ ∞
(−1)k ∞
k! k
a) b) c) ·x
e·k + 5 k(k + 1) kk
k=1 k=1 k=1
Definition 4.9 Eine (reelle) Potenzreihe P (x) ist ein Ausdruck der Gestalt
∞
P (x) = a k x k = a0 + a 1 x + a 2 x 2 + a 3 x 3 + . . . ,
k=0
wobei die Koeffizienten ak reelle Zahlen sind und x eine reelle Variable. ♦
Konvergiert die Reihe P (x) für bestimmte x ∈ R, so ist die Zuordnung P : x → P (x)
eine Funktionsvorschrift. Die große Frage ist nun, für welche x ∈ R diese Reihe
konvergiert, d.h. welchen Definitionsbereich DP die Funktion P hat.
Beispiel 4.34
Für ak = 1 für alle k erhalten wir die Potenzreihe P (x) =
∞ k
k=0 x . Diese ist für jedes feste x eine geometrische Reihe und konvergiert somit
genau dann, wenn |x| < 1 ist. D.h. als Funktion in x gesehen, konvergiert P auf
dem offenen Invervall DP = ( −1 , 1 ) und divergiert außerhalb. Dank der geome-
trischen Summenformel wissen wir sogar, welche Funktion P (x) auf DP darstellt,
nämlich
∞
1
P (x) = xk = .
1−x
k=0
In der Tat ist der Definitionsbereich einer jeden Potenzreihe ein offenes Intervall,
das symmetrisch um den Ursprung liegt (und auch R = ( −∞ , ∞ ) sein kann, bzw.
nur {0}, was wir hier zwecks Notationsvereinfachung als {0} = ( −0 , 0 ) schreiben).
4.2 Reihen 99
Nun wissen wir zwar, dass es immer ein symmetrisches Konvergenzintervall“ gibt,
”
allerdings liefert die abstrakte Supremumsdefinition von R keine praktische Möglich-
keit zur Berechnung des Konvergenzradius. Durch Anwendung der Konvergenzkri-
terien für Reihen aus dem vorigen Abschnitt wollen wir nun noch explizite Formeln
für R herleiten. Hierbei verwenden wir die Konventionen 10 := ∞ und ∞ 1
:= 0.
Satz 4.15 (Euler-Formel für den Konvergenzradius)
∞ k
Wenn für die Potenzreihe
ak+1 P (x) = k=0 ak x gilt, dass ak = 0 für alle k ∈ N0
und q := limk→∞ ak existiert (oder = ∞ ist), dann ist der Konvergenzradius R
gegeben durch R = 1q , d.h.
1 ak
R= .
ak+1 = k→∞
lim
a
lim ak k+1
k→∞
100 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Dies konvergiert nach Voraussetzung (und Grenzwertsatz (G2 )) gegen q · |x|. Nach
Satz 4.12 konvergiert P (x) falls q · |x| < 1 ist, und divergiert falls q · |x| > 1 ist.
Somit erhalten wir Konvergenz für |x| < 1q und Divergenz für |x| > 1q . Folglich ist
1
q der Konvergenzradius der Potenzreihe.
Wenn die Quotientenformel“ nicht greift, kann der folgende Satz weiterhelfen.
”
Satz 4.16 (Hadamard12 -Formel für den Konvergenzradius)
∞
Wenn für die Potenzreihe P (x) = k=0 ak xk der Limes limk→∞ k |ak | existiert
(oder = ∞ ist), dann ist der Konvergenzradius R gegeben durch
1
R= .
lim k
|ak |
k→∞
Der Beweis verläuft vollkommen analog zum vorigen Beweis, unter Verwendung
des Wurzelkriteriums anstelle des Quotientenkriteriums. Schreibe ihn selbst auf,
am besten ohne oben zu spicken.
Beachte, dass es sich hierbei nur um eine abgeschwächte Form der Hadamard-
Formel handelt, da wir ohne Limes superior“ arbeiten (siehe Bemerkung auf Sei-
”
te 97) und statt dessen die Existenz des Limes voraussetzen mussten.
Beispiel 4.35
∞ k
a) Die Potenzreihe
√k=0 x (aus dem vorigen Beispiel) hat Konvergenzradius
R = 1/ limk→∞ k 1 = 11 = 1 (was wir natürlich schon längst wissen).
Sowohl für x = 1 als auch x = −1 divergiert sie.
∞ 1 k
b) Die Potenzreihe k=0 (k+1) 2x hat ebenso R = 1, denn es gilt mit der Quo-
tientenformel
1 2
(k+1)2 k+2
R = lim 1 = lim = 12 = 1.
k→∞ 2 k→∞ k + 1
(k+2)
Somit ist E : R → R eine auf ganz R definierte Funktion. Nach Satz 4.9 gilt
∞
1 1 n
E(1) = = lim 1 + = e = e1 .
k! n→∞ n
k=0
Man kann sogar mit denselben Beweisideen wie im Beweis von Satz 4.9 zeigen, dass
∞
1 k x n
E(x) = x = lim 1 +
k! n→∞ n
k=0
für alle x ∈ R gilt. Mittels der rechten Seite lässt sich das Additionstheorem nach-
weisen, welches besagt, dass
Damit folgt dann E(2) = E(1 + 1) = E(1) · E(1) = E(1)2 = e2 etc. und allge-
mein E(n) = en für alle n ∈ N. Dies lässt sich leicht auf E(r) = er für rationales
r= m x
n ∈ Q erweitern. Was schließlich die Potenz e für x ∈ R\Q überhaupt sein
x :=
soll, definiert man durch e E(x) und erhält so eine auf ganz R erklärte Expo-
nentialfunktion, die man zu Ehren Eulers e-Funktion
labelexp nennt:
∞
1 k
exp : R → R, x → ex := E(x) = x .
k!
k=0
schreiben.
Die für die Analysis bedeutendste Eigenschaft der e-Funktion ist, dass sie sich beim
Ableiten nicht verändert (mehr dazu in Kapitel 5).
Außerdem wird uns im Kapitel 9 die Erweiterung der e-Funktion auf komplexe
Zahlen und das zugehörige Additionstheorem von unschätzbarem Wert sein.
Wir wollen an dieser Stelle noch wichtige Eigenschaften der e-Funktion aus ihrer
Reihendarstellung (in Zusammenhang mit dem Additionstheorem) herauskitzeln.
102 4 Grenzwerte von Folgen und Reihen
Beweis: Dass der Bildbereich im (exp) wirklich in R+ liegt, sieht man mittels
des Additionstheorems: Zunächst ist
x x x x x 2
ex = e 2 + 2 = e 2 · e 2 = e 2 0.
Ferner gilt e0 = 1, wie man durch Einsetzen von 0 in die Exponentialreihe sieht.
Somit folgt (wieder mit dem Additionstheorem) aus
1 = e0 = ex+(−x) = ex · e−x ,
dass ex = 0 für alle x ∈ R sein muss (sonst wäre obiges Produkt nicht 1, sondern
0). Folglich ist im (exp) ⊆ R+ .
Zur
∞ Injektivität der e-Funktion: Für y > 0 sind alle Summanden der Reihe ey =
1 k 1 2 1 3
k=0 k! y = 1 + y + 2 y + 3! y + . . . positiv, so dass beim Weglassen der höheren
Potenzen die Abschätzung
entsteht. Sei nun x = y, also etwa x < y (der Fall y < x läuft vollkommen analog).
Mit dem Additionstheorem folgt ey = e(y−x)+x = ey−x · ex , und wegen y − x > 0
gilt ey−x > 1 nach der eben gezeigten Abschätzung. Da ferner ex stets positiv ist,
haben wir ey = ey−x · ex > 1 · ex = ex (d.h. exp ist streng monoton wachsend).
Insbesondere gilt ex = ey , was die Injektivität zeigt.
Zur Surjektivität verwenden wir einerseits wieder ex > 1 + x für alle x > 0, da
dies zeigt, dass ex → ∞ für x → ∞ strebt. Andererseits haben wir ex = e−x 1
(siehe
oben), und für x → −∞ geht der Nenner wie eben gezeigt gegen ∞. Somit haben
wir 0 < ex → 0 für x → −∞. Nun brauchen wir, dass die e-Funktion alle Werte
zwischen je zwei Funktionswerten, also im Intervall [ ex , ey ] für beliebige x < y,
auch tatsächlich annimmt, d.h.
Da nach dem eben Bewiesenen ex beliebig klein (für x → −∞) und ey beliebig groß
(für y → ∞) werden kann, folgt, dass exp sogar alle Werte in ( 0 , ∞ ) annimmt und
somit surjektiv ist.
Dass () für die e-Funktion gilt, können wir an dieser Stelle nicht beweisen. Dies
folgt aus dem sogenannten Zwischenwertsatz (siehe [Kön]), der insbesondere auf
Potenzreihen anwendbar ist (siehe Kapitel 5).
4.2 Reihen 103
Anmerkungen:
(1) In obigem Beweis wurde sorglos mit Aussagen wie ex → 0 für x → −∞“
”
hantiert, ohne dass wir bisher exakt definiert hätten, was ein solcher Grenz-
wert einer Funktion sein soll – wir wissen bisher ja nur, was Konvergenz einer
Zahlenfolge bedeutet. Wem das zu intuitiv ist, den können wir auf Definiti-
on 5.1 vertrösten, wo wir zumindest limx→0 g(x) genauer definieren werden.
(2) Durch eine ähnliche Abschätzung wie in obigem Beweis erhalten wir noch
eine interessante Eigenschaft, und zwar dass die e-Funktion schneller als je-
de Potenzfunktion xn (mit der Normalparabel n-ter Ordnung als Schaubild)
wächst, d.h.
ex
→∞ für x → ∞ (für jedes n ∈ N).
xn
∞ 1 k
Für x > 0 sind nämlich alle Summanden der Reihe ex = k=0 k! x positiv,
so dass beim Weglassen aller Glieder bis auf das (n + 2)-te die Abschätzung
1 x
ex > xn+1 = · xn für alle x > 0
(n + 1)! (n + 1)!
x
entsteht, so dass xen größer als die linear wachsende Funktion x
(n+1)! ist, welche
für x → ∞ über alle Schranken wächst.
Da nach Satz 4.17 exp bijektiv ist, besitzt sie eine Umkehrfunktion
ln : R+ → R, x → ln x,
In Abbildung 4.10 sind die Schaubilder beider Funktionen dargestellt. Da sie jeweils
Umkehrfunktionen voneinander sind, gehen ihre Schaubilder durch Spiegelung an
der ersten Winkelhalbierenden ineinander über (d.h. durch Vertauschen der Rollen
von x- und y-Wert). Am Schaubild kannst du auch nochmals sehen, wie die vorhin
bewiesenen Eigenschaften der e-Funktion zu Eigenschaften des ln werden: Dieser
hat an der Stelle 1 eine Nullstelle (da e0 = 1, ist ln 1 = 0), ist ebenfalls streng
monoton wachsend, und es gilt ln x → −∞ für x → 0 sowie ln x → ∞ für x → ∞.
Das Logarithmusgesetz
y y=x
3
e ex
2
ln x
1
x
−2 −1 0 1 2 e3 4
−1
−2
Abbildung 4.10
Für n ∈ N folgert man daraus sofort (wer mag auch durch Induktion):
ln(xn ) = ln(x · . . . · x) = ln x + . . . + ln x = n · ln x.
ln(xn ) = n · ln x für n ∈ N.
Literatur zu Kapitel 4
[Heu] Heuser, H.: Lehrbuch der Analysis 1. Vieweg+Teubner, 17. Aufl. (2009)
Δy
ms = ,
Δx
und lässt sich leicht berechnen: Wir müssen für Δy nur die y-Werte der Punkte Q
und P voneinander abziehen, d.h. Δy = f (x0 + Δx) − f (x0 ), und Δx ist ja gerade
die Differenz der x-Werte beider Punkte. Somit folgt
Q Sekante
f (x0 + Δx)
Δy
f (x0 ) P
Δx
x0 x0 + Δx x
Abbildung 5.2
Nun hat aber diese Steigung noch wenig mit der Steigung der Kurve in P zu
tun, denn ms ist für dieses Δx offensichtlich noch viel zu groß. Jetzt kommt die
entscheidende Idee: Wir lassen den Punkt Q, der bisher noch zu weit weg liegt,
immer näher an P heranwandern, d.h. Δx schrumpfen. Die folgende Abbildung 5.3
zeigt, was mit den von Δx abhängigen Sekantensteigungen ms = ms (Δx) passiert,
wenn die Punktfolge Q1 , Q2 , Q3 , . . . immer näher an P heranrückt.
Q1
Q2
Q3
Tangente
Kf P
Abbildung 5.3
Die Sekanten scheinen sich immer mehr einer Geraden anzunähern, welche sich an
die Kurve Kf anschmiegt“. Diese Grenz-Gerade“ nennen wir Tangente (wobei
” ”
der Begriff Grenz-Gerade“ natürlich noch präzisiert werden muss).
”
Gleich eine Warnung vorneweg: Es gibt k e i n e einfache geometrische Definition
der Tangente; insbesondere kann man sie nicht dadurch charakterisieren, dass sie
das Schaubild nur in einem Punkt berührt – so wie sie es bei einem Kreis tut. Bei
linearen Funktionen z.B. ist die Tangente des Schaubilds die Gerade selbst und
5.1 Die Ableitung 107
berührt somit das Schaubild in unendlich vielen Punkten (in jeder noch so kleinen
Umgebung von P ). Andere Schaubilder mit Ecken“ besitzen in manchen Punkten
”
gar keine Tangente. Das scheinbar intuitiv-geometrisch so klare Objekt Tangente“
”
lässt sich also nicht so leicht fassen. Tatsächlich müssen wir erst ein neues Re-
chenverfahren, das so genannte Ableiten, entwickeln, um die Tangente wasserdicht
definieren und ihre Steigung berechnen zu können. Die hierbei zu Grunde liegende
Idee ist, den Grenzwert der Sekantensteigungen mathematisch korrekt zu bilden.
Wenn wir das geschafft haben, dann können wir die eingangs gestellte Frage so
beantworten:
Die Steigung einer Kurve in einem Punkt P ist definiert als Steigung
der Kurven-Tangente in diesem Punkt.
Berechnet man als Grenz-Steigung der grauen Sekanten in Abbildung 5.3 z.B. 0,45,
dann definiert man die Steigung der Kurve Kf in P einfach als die Zahl 0,45.
f (x0 + h) − f (x0 )
ms (h) =
h
fortan als Differenzenquotienten von f an der Stelle x0 (der Name rührt von den
Differenzen der f - bzw. x-Werte in Zähler und Nenner des Quotienten her).
y
4
3
Qh
2
Δy = Δf
Kf 1
P Δx = h
−1 0 1 2 3 4 x
Abbildung 5.4
In Abbildung 5.4 ist h = 2 gewählt, d.h. der Punkt Qh hat die Koordinaten ( 3 | 94 ).
Für die Steigung der grauen Sekante folgt somit
Δy Δf f (3) − f (1) 9
4 − 1
4
ms = = = = = 1.
Δx h h 2
Die Sekantensteigung (Differenzenquotient) für beliebiges h = 0 lautet
f (1 + h) − f (1) 1
4 (1 + h)2 − 1
4 · 12 1
4 (1 + h)2 − 1
4
ms (h) = = = .
h h h
Nun lassen wir h immer kleiner werden. Was dabei geschieht, zeigt Tabelle 5.1:
Tabelle 5.1
Tabelle 5.2
Definition 5.1 Sei g(h) eine reelle Funktion, die für jedes h ∈ (−δ , δ )\{0} =: D
für ein δ > 0 definiert ist. Dann bedeutet
für ein b ∈ R, dass für jede Folge (hn ) ⊂ D mit hn → 0 auch die Bildfolgen (g(hn ))
konvergieren, und zwar stets gegen denselben Grenzwert b. Anders ausgedrückt:
Setzen wir g(h) := ms (h) (beachte, dass der Differenzenquotient in 0 nicht definiert
ist, was die Definition bereits berücksichtigt), so führt uns die Frage nach Existenz
und Berechnung des Grenzwerts der Sekantensteigungen auf die Untersuchung des
Grenzwerts limh→0 ms (h) in obigem Sinne, was wir nun für Beispiel 5.1 explizit
durchführen.
Beispiel 5.1 (fortgesetzt) Nehmen wir also für f (x) = 14 x2 die Differenzenquo-
tienten im Punkt P ( 1 | 14 ) genauer unter die Lupe:
f (1 + h) − f (1) 1 (1 + h)2 − 1
ms (h) = = .
h 4 h
110 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Wenn wir jetzt direkt nach obiger Definition ms (hn ) für eine Nullfolge 0 = hn → 0
betrachten, nähern sich Zähler und Nenner ärgerlicherweise wieder einfach der Null,
denn (1 + hn )2 wird für n → ∞ nach den Grenzwertsätzen immer näher an 12 = 1
heranrücken. Hier hilft verblüffenderweise eine simple algebraische Umformung des
Zählers weiter: Es ist
(1 + h)2 − 1 = 1 + 2h + h2 − 1 = 2h + h2 ,
1 (1 + h)2 − 1 1 2h + h2 1 h(2 + h) 1
ms (h) = = = = (2 + h) .
4 h 4 h 4 h 4
Der letzte Ausdruck macht nun überhaupt keine Probleme mehr, wenn wir (hn )
einsetzen: Die Grenzwertsätze liefern 14 (2 + hn ) → 14 · 2 = 0,5 für n → ∞. D.h. die
Bildfolgen (ms (hn )) konvergieren für jede Nullfolge (hn ) ⊂ R\{0} gegen denselben
Grenzwert, nämlich 0,5. Somit haben wir bewiesen, dass der Grenzwertwert der
Sekantensteigungen für h → 0 existiert. Damit können wir guten Gewissens die
Tangentensteigung mt der Kurve Kf im Punkt P ( 1 | 14 ) definieren als
Der Grenzwert der Sekantensteigungen bekommt einen eigenen Namen und ist einer
der bedeutsamsten Begriffe der Analysis überhaupt:
f (x0 + h) − f (x0 )
lim =: f (x0 )
h→0 h
Differenzialquotient oder Ableitung der Funktion f (x) an der Stelle x0 (lies f (x0 )
als f Strich von x0“). ♦
”
5.1 Die Ableitung 111
In Beispiel 5.1 haben wir also herausgefunden, dass die Ableitung der Funktion
f (x) = 14 x2 an der Stelle x0 = 1 die Zahl 0,5 ist, kurz: f (1) = 0,5 .
Weil die Ableitung einer Funktion also nichts anderes als der Grenzwert der Se-
kantensteigungen, also die Tangentensteigung der zugehörigen Kurve ist, lässt sich
die Antwort auf die ganz zu Beginn des Kapitels gestellte Frage nun endgültig so
umformulieren:
————————— —————————
Aufgabe 5.1 Bestimme die Ableitung der folgenden Funktionen an der gege-
benen Stelle x0 durch Bildung des Grenzwerts der Differenzenquotienten (forme
zunächst die Differenzenquotienten so weit um, dass erkenntlich wird, was für h → 0
geschieht).
————————— —————————
Beispiel 5.2 Wir bestimmen die Gleichung der Tangente an das Schaubild von
f (x) = 14 x2 für x0 = 1 (siehe Beispiel 5.1).
Da die Tangente eine Gerade ist, ist ihre Funktionsgleichung von der Form t(x) =
mt x + c, wobei
gilt. Also haben wir t(x) = 0,5 x + c, und den y-Achsenabschnitt c erhält man mit
Hilfe einer Punktprobe, da die Tangente durch den Punkt P ( 1 | 14 ) ∈ Kf verlaufen
muss: Aus t(1) = 14 folgt 0,5 · 1 + c = 14 , also c = 14 − 12 = − 14 . Somit ist
1 1
t(x) = x−
2 4
die gesuchte Tangentengleichung. Vergleiche diese mit der dunkelgrauen Geraden
in Abbildung 5.5.
Nun wollen wir eine allgemeine Funktionsgleichung t(x) für die Tangente finden.
Satz 5.1 Sei f eine reelle Funktion, deren Ableitung f (x0 ) existiere. Dann
lautet die Gleichung der Tangente an das Schaubild Kf im Punkt P ( x0 | f (x0 ) )
Beweis: Sei Kt die zu t(x) gehörige Gerade. Dann hat Kt nach Definition 5.2
die Steigung mt = f (x0 ) und wegen
Wie aber kommt man auf diese allgemeine Formel? Ganz einfach: Man führt die
Punktprobe aus obigem Beispiel allgemein durch.
Viel besser ist es jedoch, wenn man sich
merkt, was geometrisch hinter dieser Glei-
chung steckt – siehe Abbildung 5.7. Beginnen Kf
wir mit der Geraden Kt1 , deren Gleichung
Kt
t1 (x) = f (x0 ) · x P
f (x0 )
und die entstehende Gerade Kt2 anschließend noch um f (x0 ) in y-Richtung. Da-
durch erhalten wir schließlich die Tangente Kt mit der Gleichung
Kf Kt
t(x0 + h) f (x0 + h)
P
x0 x0 + h
Abbildung 5.8
und es gilt
————————— —————————
Aufgabe 5.2 Stelle die Tangentengleichungen zu den in Aufgabe 5.1 a)–c) ge-
gebenen Funktionen an der Stelle x0 auf. Zeichne Schaubild mitsamt Tangente.
Berechne (ohne Taschenrechner) mit Hilfe der oben erklärten linearen Approxima-
1
tion näherungsweise 1,043 bzw. −1,08 und vergleiche mit den tatsächlichen Funk-
tionswerten (mit Taschenrechner).
————————— —————————
5.1.5 Differenzierbarkeit
Nachdem wir das Bestimmen der Ableitung an einer Stelle x0 nun geübt haben, sind
wir bereit für den nächsten Schritt. Möchte man z.B. die Ableitung
√ der Funktion
aus Beispiel 5.1 nicht bei x0 = 1, sondern etwa an der Stelle x0 = 2 berechnen, so
wäre es natürlich extrem lästig, wenn man dieselbe mühsame Rechnung nochmal
– nur eben mit anderen Zahlen – durchführen müsste.
Deshalb bestimmen wir die Ableitung jetzt allgemein, d.h. anstatt eine speziel-
le Zahl x0 in den obigen Rechnungen einzusetzen, rechnen wir gleich mit einem
beliebigen x.
1 1 1 1
ms (h) = f (x + h) − f (x) = (x + h)2 − x2 = (2xh + h2 ) = (2x + h).
h 4h 4h 4
Durch Grenzübergang h → 0 erhalten wir als Ableitung
1 1
f (x) = lim (2x + h) = x.
h→0 4 2
Diese Rechnung und Grenzwertbetrachtung ist für jedes x ∈ Df = R gültig, d.h.
die Ableitungsfunktion f : R → R, x → 12 x, hat denselben Definitionsbereich wie
die Funktion f selbst.
x falls x 0,
Beispiel 5.4 Die Betragsfunktion | · | : R → R, x → |x| :=
−x falls x < 0,
1 1
m−
s (hn ) = |0 + hn | − |0| = · (−hn ) = −1.
hn hn
1 1
m+
s (hn ) = |0 + hn | − |0| = · (hn ) = 1.
hn hn
116 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Die Existenz von limh→0 ms (h) bedeutet aber, dass für jede Nullfolge (hn ) (mit
hn = 0) die Folge (ms (hn )) denselben Grenzwert besitzt. Da dies hier nicht der
Fall ist, ist die Betragsfunktion in 0 nicht differenzierbar. Für x > 0 bzw. x < 0
existiert die Ableitung selbstverständlich und ist 1 für x > 0 bzw. −1 für x < 0
(mit derselben Rechnung wie eben).
Dieses Beispiel zeigt also unter anderem, dass die Ableitungsfunktion einen echt
kleineren Definitionsbereich als die Funktion selbst besitzen kann: Df = R\{0},
während Df = R ist.
√
Beispiel 5.5 Wir berechnen die Ableitungsfunktion von f (x) = x für ein
beliebiges x > 0. Der Differenzenquotient besitzt hier die Gestalt
1 1 √ √
ms (h) = f (x + h) − f (x) = x+h− x ,
h h
wobei h schon so klein sein soll, dass x + h 0 gilt, weil sonst die Wurzel nicht
definiert ist. Auf den ersten Blick können
√ wir dies nicht mehr weiter vereinfachen
(grottenfalsch wäre, die Klammer als x + h − x umzuschreiben). Nun kommt der
immer gleiche miese Trick, nämlich geschickt erweitern und die dritte binomische
Formel wirken lassen:
√ √ √ √ 2
1 √ √
2
x+h+ x 1 x+h − x
ms (h) = x+h− x ·√ √ = · √ √
h x+h+ x h x+h+ x
1 x+h−x 1 h 1
= ·√ √ = ·√ √ =√ √ .
h x+h+ x h x+h+ x x+h+ x
Um den letzten Ausdruck für h → 0 in den Griff zu bekommen, greifen wir explizit
auf Definition 5.1 zurück: Ist (hn ) eine Nullfolge (mit hn = 0), so strebt natürlich
x
√+ hn gegen x,√und mit Aufgabe 4.6 auf Seite 68 lässt sich die Konvergenz von
x + hn gegen x folgern. Insgesamt ergibt sich mit Hilfe der Grenzwertsätze für
die Ableitung der Wurzelfunktion
√ 1 1 1
f (x) = x = lim √ √ =√ √ = √ .
h→0 x+h+ x x+ x 2 x
Versucht man diese Rechnung auch für x = 0 durchzuführen, bleibt am Ende der
Ausdruck √1h stehen, der für h → 0 keinen (rechtsseitigen) Grenzwert besitzt, da
er über alle Schranken wächst (d.h. gegen +∞ strebt). Es steht das Wörtchen
rechtsseitig“ vor dem Grenzwert, da wir uns aufgrund der Wurzel nur für h > 0,
”
also von rechts her, der 0 nähern können.
Wenn überhaupt, dann könnte die Wurzelfunktion nur eine rechtsseitige“ Ablei-
”
tung in 0 besitzen, was sie nach dem eben Gesagten nicht tut. Der geometrische
Grund hierfür ist, dass das Schaubild in 0 unendliche Steigung besitzt (wenn man
hier von Tangente sprechen will, so wäre es die y-Achse), siehe Abbildung 5.10.
Auch hier ist also Df = ( 0 , ∞ ) kleiner als Df = [ 0 , ∞ ) (wobei für den Randpunkt
0 ohnehin keine richtige“, d.h. beidseitige Differenzierbarkeit in Frage kam).
”
5.1 Die Ableitung 117
y
1 √
y= x
x
0 1
Abbildung 5.10
Definition 5.5 Sei f : Df → R eine Funktion und x ∈ Df . Gilt für jede Folge
(xn ) ⊂ Df mit xn → x, dass auch die Bildfolge (f (xn )) konvergiert, und zwar
gegen f (x), d.h.
lim f (xn ) = f lim xn = f (x),
n→∞ n→∞
dann heißt f stetig an der Stelle x. Ist f an allen Stellen x ∈ Df stetig, so nennt
man f stetig. ♦
Beispiel 5.6 Mit Hilfe der Grenzwertsätze sieht man leicht ein, dass alle poly-
nomialen Funktionen wie z.B. f (x) = x4 − 2x2 + 1 oder sogar gebrochenrationale
3
Funktionen wie z.B. g(x) = xx2−2x +1 auf ihrem gesamten Definitionsbereich stetig
sind. Führen wir den Nachweis für g(x): Ist x ∈ Dg = R beliebig und (xn ) eine gegen
x3n −2xn
x konvergente Folge, so konvergiert nach (G1 )–(G3 ) die Bildfolge g(xn ) = x2n +1
x3 −2x
gegen x2 +1 = g(x).
Der folgende Satz hilft, aus bekannten stetigen Funktionen neue zu bilden.
ist, da die Wurzel definitionsgemäß positiv sein muss), also lässt sich die Betrags-
funktion als Verkettung von Quadratfunktion q und Wurzelfunktion w schreiben:
|x| = w(q(x)). Nach vorigem Beispiel ist q(x) = x2 stetig, und die Stetigkeit der
Wurzelfunktion w ergibt sich aus Aufgabe 4.6. Nach Satz 5.2 folgt die Stetigkeit
der Betragsfunktion.
Die Stetigkeit lässt sich auch direkt unter Verwendung der umgekehrten Dreiecks-
”
ungleichung“ |x| − |y| |x − y| nachweisen (Übung).
Beispiel 5.8 Unstetige Funktionen kann man sich leicht künstlich konstruieren:
So ist die Sprungfunktion“ f (x) := 0 für alle x = 0 und f (0) := 1 unstetig in
”
0, denn für jede Nullfolge (xn ) mit xn = 0 für alle n ist stets f (xn ) = 0, also
konvergiert die Bildfolge (f (xn )) nie gegen 1 = f (0).
Abbildung 5.11
f lim xn = f (2) = 2
n→∞
Der nächste Satz sagt uns, dass die Eigenschaft der Differenzierbarkeit stärker ist
als die Stetigkeit.
Satz 5.3 Ist f eine an der Stelle x differenzierbare Funktion, so ist f automatisch
auch stetig in x. Ist also f differenzierbar, so ist f stetig.
Beweis: Dass f differenzierbar in x ist, bedeutet, dass der Grenzwert f (x+hhnn)−f (x)
für jede Nullfolge (mit hn = 0) existiert und die Ableitung f (x) ist. Ist nun (xn )
eine gegen x konvergente Folge, so definiert hn := xn − x eine Nullfolge (wir be-
trachten hier nur den interessanten Fall, dass xn = x für fast alle n ist), das heißt
Da die rechte Seite gegen 0 geht, folgt auch |f (xn ) − f (x)| → 0, d.h. f (xn ) → f (x)
für n → ∞, was die Stetigkeit von f beweist.
Dass aus Stetigkeit allerdings noch lange nicht die Differenzierbarkeit folgt, zeigt
die Betragsfunktion. Sie ist zwar auf ganz R stetig (siehe Beispiel 5.7), aber in 0
nicht differenzierbar, wie wir in Beispiel 5.4 gesehen haben.
Historisches. Die Differenzialrechnung, also die mathematische Disziplin, die auf dem
Begriff der Ableitung basiert, wurde Ende des 17. Jahrhunderts unabhängig von zwei Ge-
nies entwickelt: Dem Physiker Sir Isaac Newton1 und dem deutschen Universalgelehrten
Leibniz2 .
Newton entwickelte die Ableitung, um seine physikalischen Ideen präziser formulieren zu
können. Seine Bezeichnung f˙(t0 ) (lies: f Punkt von t0“) ist bis heute üblich, wenn man
”
nach der Zeit t ableitet.
Leibniz hingegen näherte sich der Ableitung aus geometrischer Sicht, indem er versuchte,
die Tangente einer Kurve zu bestimmen. Auf ihn geht die Notation
Δf df
lim =: (x0 )
Δx→0 Δx dx
(lies: df nach dx an der Stelle x0“) für die Ableitung zurück. Das d soll andeuten, dass
”
beim Grenzübergang Δx → 0 aus den endlichen Differenzen Δ nun unendlich kleine“
”
Zahlen, so genannte Differenziale“ werden. Obwohl das Differenzial-Kalkül wunderbare
”
Resultate lieferte, sorgte der Umgang mit diesen unendlich kleinen Zahlen“ (die aber doch
”
irgendwie von Null verschieden sind) lange Zeit für große Verwirrung und Kontroversen.
Eine logisch befriedigende Präzisierung des Ableitungs-Konzeptes, u.a. durch Cauchy und
Weierstraß, erfolgte erst später, da dafür ein rigoroser Grenzwertbegriff notwendig war.
————————— —————————
Aufgabe 5.3 Zeige, dass die folgenden Funktionen auf ihrem maximalen Defi-
nitionsbereich differenzierbar sind, indem du explizit die Ableitungsfunktion mit
der h-Methode bestimmst.
1
a) f (x) = x b) f (x) = c) f (x) = x3
x
————————— —————————
5.2 Ableitungsregeln
Es wäre natürlich sehr unerfreulich, wenn man jedes Mal beim Ableiten die umständ-
lichen Umformungen der h-Methode aus dem letzten Abschnitt anwenden müsste.
Deshalb werden wir nun allgemeine Regeln aufstellen, mit denen sich Ableitungen
vieler der uns bekannten Funktionen mühelos bestimmen lassen.
wobei die zweite Regel natürlich nur für x ∈ Df ∩ Dg , also auf dem gemeinsamen
Definitionsbereich, gelten kann.
In Worten: Ein konstanter Vorfaktor bleibt beim Ableiten einfach stehen und Sum-
men von Funktionen werden summandenweise abgeleitet.
1 1 1
k(x + h) − k(x) = c · f (x + h) − c · f (x) = c · f (x + h) − f (x) ,
h h h
und da der letzte Ausdruck für h → 0 nach Grenzwertsatz (G2 ) gegen c · f (x) geht,
folgt die erste Behauptung, nämlich dass k(x) = c · f (x) die Ableitungsfunktion
c · f (x) besitzt.
Für den Differenzenquotienten der Summenfunktion s(x) := f (x) + g(x) gilt
1 1
s(x + h) − s(x) = f (x + h) + g(x + h) − f (x) + g(x)
h h
1 1
= f (x + h) − f (x) + g(x + h) − g(x) .
h h
Für h → 0 geht diese Summe nach Grenzwertsatz (G1 ) gegen die Summe der
Differenzialquotienten, also gegen f (x) + g (x), was zu zeigen war.
Anmerkung: Natürlich gilt die Summenregel auch für 3 oder mehr Summanden,
wie man durch Klammern und mehrfaches Anwenden der Summenregel sieht:
f + g + h = f + (g + h) = f + (g + h) = f + g + h .
Außerdem gilt für Differenzen f (x)−g(x) = f (x)−g (x). Dies sieht man, indem
man f − g als f + (−1) · g schreibt, und Summen- plus Faktorregel anwendet.
5.2 Ableitungsregeln 121
√
Beispiel 5.9 Für die Ableitung von f (x) = 2 x + 13 x3 − πx folgt (für x > 0)
unter Verwendung der beiden Regeln und der Ableitungs-Ergebnisse der letzten
Abschnitte (inklusive Aufgabe 5.3):
1 1 −1 1 π
f (x) = 2 · √ + · (3x2 ) − π · 2 = √ + x2 + 2 .
2 x 3 x x x
Was xr für rationales oder gar irrationales r überhaupt sein soll, und wie man diese
Regel dann beweist, sehen wir erst auf Seite 133 mit Hilfe der e-Funktion.
122 5 Grundwissen Differenzialrechnung
(Normalerweise sparen wir uns die Klammer um das x im Argument von sin oder
cos; weil sin x oder sin 0 aber etwas komisch aussieht, setzen wir sie hier.)
Dass beim Ableiten von Cosinus ein Minus auftritt, kann man sich daran merken,
dass die Cosinuskurve für x > 0 zunächst fällt, also erstmal negative Steigung
besitzt.
Beweis: In Schritt 1 bestimmen wir die Ableitung des Sinus an der Stel-
le x0 = 0. Interessanterweise lässt sich der allgemeine Fall auf diesen Spezialfall
zurückführen (siehe Schritt 2). Es ist
1 1 sin h
lim sin(0 + h) − sin 0 = lim sin(h) − 0 = lim .
h→0 h h→0 h h→0 h
Um den Grenzwert formal korrekt zu bestimmen, müssen wir etwas tiefer in die
Trickkiste greifen (durch Einsetzen kleiner h mit dem Taschenrechner kommt man
zur Vermutung, dass er 1 sein wird).
Betrachte den in Abbildung 5.12 dargestellten Einheitskreis-Ausschnitt. Es sei h
das Bogenmaß des Winkels αh , also die Länge des Kreisbogens DC. Nach Definition
von Sinus und Cosinus am Einheitskreis ist AB = cos h und BC = sin h. Zudem
gilt tan h = DE1 , d.h. die Länge der Strecke DE auf der Kreistangente ist tan h
(daher stammt die Bezeichnung Tangens).
Nun betrachten wir das Dreieck ABC (Flächeninhalt A1 ), welches im Kreissek-
tor ADC (Flächeninhalt As ) enthalten ist, welcher selbst wiederum innerhalb des
Dreiecks ADE (Flächeninhalt A2 ) liegt. Offenbar gilt die Beziehung
A1 As A2 . (∗)
5.2 Ableitungsregeln 123
E
C
tan h
sin h h
A αh B D
cos h 1
Abbildung 5.12
1 1
A1 = · cos h · sin h und A2 = · 1 · tan h.
2 2
h h
Für den Kreissektor gilt As = 2π · π 12 = 2 , und eingesetzt in (∗) ergibt dies
1 h 1
· cos h · sin h tan h.
2 2 2
Multiplizieren mit 2 und teilen durch sin h > 0 (für 0 < h < π) liefert unter
sin h
Beachtung von tan h = cos h
h tan h 1 1 sin h
cos h = bzw. cos h.
sin h sin h cos h cos h h
Nun geht für h → 0 aber sowohl cos h → cos 0 = 1 (anschaulich klar am Einheits-
kreis3 ), als auch cos1 h → 11 = 1, und weil der interessierende Bruch zwischen diesen
beiden Ausdrücken eingequetscht ist, folgt im Grenzübergang h → 0
sin h
1 lim 1,
h→0 h
was dem mittleren Grenzwert keine andere Wahl lässt, als selbst auch 1 zu sein.
Damit haben wir mühsam bewiesen, dass die Ableitung des Sinus in 0 existiert und
sin h
sin (0) = lim =1
h→0 h
gilt. Weil cos 0 = 1 ist, stimmt die Behauptung sin (x) = cos x zumindest für x = 0.
Schritt 2: Wir bestimmen die Ableitung des Sinus für ein beliebiges x. Um den
3 Eigentlichbrauchen wir hier die Stetigkeit des Cosinus. Da wir aber nur die anschauliche
Definition der Cosinusfunktion verwenden, können wir ihre Stetigkeit auch nicht streng beweisen.
124 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Der Grund für die seltsame letzte Umformung ( h2 in den Nenner) sollte im Hinblick
auf Schritt 1 nicht
mehr ganz so überraschend wirken. Für h → 0 geht der erste
Faktor gegen cos 2x+02 = cos x (siehe obige Fußnote). Beim zweiten Faktor setzen
h
wir 2 = u und beachten, dass mit h → 0 dann auch u → 0 geht. Geschickterweise
wissen wir bereits aus Schritt 1, dass limu→0 sinu u = 1 ist, d.h. der zweite Faktor
im Differenzenquotient geht gegen 1 für h → 0. Somit folgt
1 2x + h sin h2
sin (x) = lim sin(x + h) − sin x = lim cos · h
= cos x.
h→0 h h→0 2
2
→ cos x →1
Die Ableitungsregel für den Cosinus beweist man völlig analog zu Schritt 2 mit
Hilfe der Beziehung
α+β α−β
cos α − cos β = −2 sin sin .
2 2
(∗) im Gradmaß
1 π 1
cos αh sin αh ◦
αh tan αh ,
2 360 2
π sin αh π
und nach Umformen folgt 180 1
◦ cos α
h
αh 180◦ cos αh . Durch Grenzwert-
bildung αh → 0 ergibt sich schließlich
sin αh π π
lim = und damit sin (α) = cos α .
αh →0 αh 180◦ 180◦
π
Um den störenden Vorfaktor 180 ◦ zu vermeiden, wird beim Ableiten von Sinus oder
Beweis: Wir greifen zurück auf die Definition der Ableitung als Differenzialquo-
tient. Zunächst formen wir den Differenzenquotient durch Einfügen einer nahr-
”
haften Null“ geeignet um:
1 1
p(x + h) − p(x) = u(x + h) · v(x + h) − u(x) · v(x)
h h
1
= u(x + h) · v(x + h)− u(x) · v(x + h) + u(x) · v(x + h) − u(x) · v(x)
h
1
= u(x + h) − u(x) · v(x + h) + u(x) · v(x + h) − v(x)
h
u(x + h) − u(x) v(x + h) − v(x)
= · v(x + h) + u(x) · .
h h
Gewonnen haben wir dadurch, dass die jeweiligen Differenzenquotienten von u
bzw. v isoliert auftreten. Für jeden dieser Terme wissen wir, dass der Limes für
h → 0 existiert: Die beiden Brüche konvergieren aufgrund der vorausgesetzten
Differenzierbarkeit gegen u (x) bzw. v (x), der Faktor v(x + h) strebt aufgrund
der Stetigkeit von v (siehe Satz 5.3) einfach gegen v(x), und u(x) ist lediglich
ein konstanter Vorfaktor. Insgesamt erhalten wir mit Hilfe der Grenzwertsätze die
Konvergenz des gesamten Ausdrucks, und zwar gegen
1
p (x) = lim p(x + h) − p(x)
h→0 h
Beispiel 5.11 Wir bringen ein paar einfache Anwendungen dieser neuen Regel.
a) Für f (x) = x2 · sin x folgt, wenn wir u(x) = x2 und v(x) = sin x setzen, mit
der Leibniz-Regel
2
b) Die Funktion g(x) = x x+1 können wir in dieser Gestalt nicht ableiten, da wir
noch keine Regel für das Ableiten von Quotienten haben (auf gar keinen Fall
darf man Zähler und Nenner einzeln ableiten!). Schreiben wir jedoch g(x) =
(x2 + 1) · x1 , so liefert die Produktregel unter Beachtung von x1 = − x12
1 1 1 1
g (x) = 2x · − (x2 + 1) · 2 = 2 − 1 − 2 = 1 − 2 .
x x x x
Auf dieses Ergebnis kommt man natürlich viel schneller, wenn man g(x) =
x2 1 1
x + x = x + x beachtet. Wenn man die Möglichkeit hat, ein Produkt in eine
Summe umformen zu können, kann dies beim Ableiten oft schneller zum Ziel
führen.
c) Wir leiten das mehrfache Produkt h(x) = x · sin x · cos x ab. Weil wir die Pro-
duktregel nur für zwei Faktoren haben, müssen wir zunächst u(x) = x · sin x
und v(x) = cos x setzen. Sukzessives Anwenden der Leibniz-Regel ergibt
Durch dasselbe Vorgehen kannst du dir leicht die folgende allgemeine Formel
herleiten:
(u · v · w) = u · v · w + u · v · w + u · v · w .
Beispiel 5.12 Mit Hilfe der Produktregel erhalten wir eine weitere, besonders
elegante Methode, die Potenzregel (xn ) = nxn−1 für natürliche Hochzahlen n zu
beweisen, indem wir nämlich vollständige Induktion über n führen.
Der Induktionsanfang x = 1 = 1 · x0 wurde bereits früher mit Hilfe des Differen-
zenquotienten gezeigt. Es gelte also (xn ) = nxn−1 für ein n ∈ N (IV). Dann liefert
die Leibniz-Regel mit u(x) = xn und v(x) = x
(IV)+(IA)
xn+1 = xn · x = nxn−1 · x + xn · 1 = (n + 1)xn = (n + 1)x(n+1)−1 ,
Bei (
hn ) handelt es sich aufgrund der Stetigkeit von v (siehe Satz 5.3) jedenfalls
um eine Nullfolge. Da nach Definition 5.1 aber nur Folgen mit
hn = 0 erlaubt sind,
betrachten wir als Fall 1 zunächst nur Folgen (hn ) mit der zusätzlichen Eigenschaft
hn = v(x + hn ) − v(x) = 0 für fast alle n ∈ N. ()
Ab einem gewissen N gilt dann
hn = 0 für alle n N , so dass wir für diese n in
obigem Differenzenquotienten folgende nahrhafte Eins“ einfügen können:
”
u(v(x + hn )) − u(v(x))
hn u(v(x) +
hn ) − u(v(x)) v(x + hn ) − v(x)
· = ·
hn
hn hn
hn
u(v(x) +
hn ) − u(v(x)) v(x + hn ) − v(x)
= · .
hn hn
Für n → ∞ strebt der erste Faktor gegen u (v(x)) (da u in v(x) ∈ Du differenzierbar
ist), und der zweite konvergiert gegen v (x) (aufgrund der Differenzierbarkeit
von
v in x). Das Produkt besitzt nach Grenzwertsatz (G2 ) somit u v(x) · v (x) als
Limes, was die Behauptung für Folgen (hn ) mit () zeigt.
Fall 2: Was passiert bei Folgen (hn ), bei denen v(x + hm ) = v(x) für unendlich
viele m gilt, die () also nicht erfüllen? Sei qn := h1n (v(x + hn ) − v(x)). In diesem
Fall gilt qn = 0 für unendlich viele n (= m), d.h. 0 ist Häufungswert von (qn ).
Da aber wegen der Differenzierbarkeit von v in x gleichzeitig der Limes von (qn )
existiert, muss dieser 0 sein, sprich v (x) = 0. Somit lautet die Behauptung hier
hn (u(v(x + hn )) − u(v(x))) =: Qn → u v(x) · v (x) = 0 für n → ∞.
1
Für die Folgenglieder Qm , bei denen v(x + hm ) = v(x) ist, gilt jedoch bereits
Qm = 0 (da u(v(x)) − u(v(x)) = 0), d.h. diese Differenzenquotienten Qm stimmen
schon mit dem behaupteten Limes 0 überein. Falls nach Wegstreichen dieser Qm
noch unendlich viele Qn mit v(x + hn ) = v(x) stehen bleiben, betrachten wir
die Teilfolge (Qn ). Diese erfüllt (), also sind wir in Fall 1, weshalb sie gegen
u (v(x)) · v (x) = 0 konvergiert. Nach der Grenzwertdefinition folgt die Konvergenz
der gesamten Folge (Qn ) gegen den behaupteten Grenzwert Null.
5.2 Ableitungsregeln 129
Nicht schlimm, wenn du nicht alle Feinheiten im Beweis verstanden hast. Viel
wichtiger ist, dass du die Kettenregel mit verbundenen Augen anwenden kannst.
√
Beispiel 5.14 Wir leiten die Funktion f (x) = 2x − 4 aus obigem Beispiel
gaaanz langsam √ und ausführlich mit Hilfe der Kettenregel ab. Die äußere Funk-
tion u(♥) = ♥ ist differenzierbar auf Du = ( 0 , ∞ ), und die innere Funktion
v(x) = 2x − 4 ist auf ganz R = Dv differenzierbar. Der passende Definitionsbereich
für die Ableitung der Verkettung f = u ◦ v ist v −1 (Du ) = ( 2 , ∞ ).
Nach der Kettenregel müssen wir zur Berechnung von f zunächst die äußere Ab-
1
leitung bestimmen. Diese ist u (♥) = 12 ♥− 2 = 2√1♥ für ♥ ∈ ( 0 , ∞ ). Werten wir
dies an der Stelle ♥ = v(x) aus (für x > 2), so erhalten wir als äußere Ableitung
1 1
u (v(x)) = = √ .
2 v(x) 2 2x − 4
Die innere Ableitung ist erfreulich einfach: v (x) = (2x − 4) = 2. Insgesamt folgt
nach der Kettenregel für die Ableitung von f = u ◦ v auf ( 2 , ∞ )
1 1
f (x) = (u ◦ v) (x) = u v(x) · v (x) = √ ·2 = √ .
2 2x − 4 2x − 4
Die ersten 5-10 Übungen schreibt man sich am besten so ausführlich auf (jedoch oh-
ne sich mit den Definitionsbereichen so lange aufzuhalten). Mit etwas mehr Übung
sollte es dir allerdings gelingen, die Ableitung wie in der letzten Zeile direkt aufzu-
schreiben.
Beispiel 5.15 Wir bringen weitere, nun etwas knapper gehaltenere Beispiele.
a) Für f (x) = (2x2 + 1)3 ist u(♥) = ♥3 die äußere Funktion mit Ableitung
u (♥) = 3♥2 , sowie v(x) = 2x2 + 1 die innere Funktion mit Ableitung v (x) =
4x. Die Kettenregel liefert
√
c) Bei h(x) = ecos x handelt es sich sogar um eine doppelte Verkettung, was
aber nicht weiter√ schlimm ist. Wir schreiben zunächst h = u◦v mit u(♥) = e♥
und v(x) = cos x. Wir verwenden im Vorgriff auf Seite 136, dass die e-
Funktion sich selbst als Ableitung hat. Somit lautet die äußere Ableitung
u (♥) = e♥ . Erstes Anwenden der Kettenregel liefert
√
h (x) = u (v(x)) · v (x) = ev(x) · cos x .
Beispiel 5.16 Als theoretisches Beispiel zeigen wir, dass die Produktregel aus
der mächtigen Kettenregel (zusammen mit der Summenregel) folgt.
Zur Vorbereitung überlegen wir uns, was die Ableitung von f (x) := g(x)2 für eine
beliebige differenzierbare Funktion g ist. Die äußere Funktion ist hier die Qua-
dratfunktion, d.h. f = q ◦ g mit q(♥) = ♥2 . Die äußere Ableitung lautet somit
q (♥) = 2♥, und die innere Ableitung ist g (x). Nach der Kettenregel ist demnach
Dies schreiben wir im Folgenden abgekürzt als f = 2g · g . Nun seien u und v dif-
2
ferenzierbare Funktionen, und wir leiten die Hilfsfunktion h(x) := (u(x) + v(x)) ,
2
die wir ebenfalls kürzer als h = (u + v) notieren, auf zwei Arten ab (die Diffe-
renzierbarkeit von h folgt aus Summen- und Kettenregel). Zuerst direkt mit der
Ketten- und Summenregel
()
h = 2(u + v) · (u + v) = 2(u + v) · (u + v )
= 2u · u + 2 (u · v + v · u ) + 2v · v .
Andererseits kann man auch h zunächst auf ausmultiplizierte Form bringen, d.h.
h = u2 + 2u · v + v 2 , und danach ableiten. Dass dabei u · v = 12 (h − u2 − v 2 )
überhaupt differenzierbar ist, folgt aus Faktor-, Summen- und Kettenregel (für u2
und v 2 ) zusammen mit der vorher begründeten Differenzierbarkeit von h. Hier ist
()
h = 2u · u + 2 (u · v) + 2v · v .
5.2 Ableitungsregeln 131
Beachte, dass wir den Ausdruck (u · v) absichtlich so haben stehen lassen – die
Produktregel wollen wir ja gerade erst (erneut) beweisen. Da h = h gelten muss,
erhalten wir nach Wegstreichen der beidseitig auftretenden Summanden
2 (u · v + v · u ) = 2 (u · v) ,
Anmerkung: Vor allem bei Physikern ist die folgende Schreibweise der Kettenregel in
Leibniz-Notation sehr beliebt: Für die Ableitung von u(v(x)) schreibt der Physiker
du du dv
= · ,
dx dv dx
d.h. um auf die Kettenregel zu kommen, muss man lediglich formal mit dv erweitern. Wir
raten dem Anfänger von einer (unbedachten) Anwendung dieses Formalismus dringend
ab, werden allerdings im Kapitel 8 erfolgreich Gebrauch vom skrupellosen Rechnen in
Leibniz-Notation machen.
Wir tun nun so, als würden wir die Ableitung der Wurzelfunktion w (x) noch nicht
kennen. Beidseitiges Ableiten von q(w(x)) = x ergibt nach der Kettenregel
1 1 1
q (w(x)) · w (x) = x = 1, d.h. w (x) = = = √ ,
q (w(x)) 2w(x) 2 x
und schon steht sie da, die gesuchte Ableitung w (x). Das Teilen durch q (w(x))
ist aber natürlich nur erlaubt, wenn q (w(x)) = 0 gilt, also
√ müssen wir allein schon
aus diesem Grund x = 0 ausschließen, da q (w(0)) = 2 · 0 = 0 ist.
Beispiel 5.18 Durch dasselbe Vorgehen bestimmen wir die Ableitung der natürli-
chen Logarithmusfunktion
ln : R+ → R, x → ln x,
132 5 Grundwissen Differenzialrechnung
1 1 1
exp (ln x) · (ln x) = 1 also (ln x) = = = .
exp (ln x) exp(ln x) x
Die Division durch exp (♥) = exp(♥) > 0 ist hier stets erlaubt. Diese Rechnung
gilt auch für ln(−x), wenn x < 0 ist, denn laut Kettenregel ist
1 1
ln(−x) = ln (−x) · (−x) = · (−1) = ,
−x x
so dass wir uns insgesamt merken können:
1
ln |x| = für alle x = 0.
x
Achtung: Wir haben hier keinesfalls bewiesen, dass die Wurzel- oder ln-Funktion
differenzierbar sind, sondern wir haben nur gezeigt, dass wenn sie es sind, ihre
Ableitungen durch obige Formeln gegeben sind. Die Anwendung der Kettenregel
erfordert ja bereits die Differenzierbarkeit beider verketteter Funktionen!
Die Vorgehensweise der Beispiele zeigt jedoch allgemein: Ist die Umkehrfunktion
g = f −1 von f differenzierbar, so kann die Ableitung von f nirgends verschwinden,
denn sonst wäre g (f (x)) · f (x) = 0 = 1. Dass diese notwendige Bedingung f = 0
(unter gewissen Voraussetzungen an Df ) bereits hinreichend für die Differenzier-
barkeit der Umkehrfunktion ist, zeigt der folgende Satz.
Satz 5.9 Ist die auf einem Intervall Df definierte Funktion f differenzierbar mit
f (x) = 0 für alle x ∈ Df und besitzt sie eine Umkehrfunktion g = f −1 : f (Df ) →
Df , so ist diese ebenfalls differenzierbar, und für ihre Ableitung gilt
1
g (y) = .
f (g(y))
Setzt man
h := g(y + h) − g(y), was wegen h = 0 aufgrund der Bijektivität von g
ebenfalls = 0 ist, so nimmt dies die folgende Gestalt an:
g(y + h) − g(y)
h 1
q(h) = = = ,
f (g(y + h)) − f (g(y))
f (g(y) + h) − f (g(y)) f (g(y)+
h)−f (g(y))
h
5.2 Ableitungsregeln 133
g(y + h) − g(y) 1 1
lim = lim = .
h→0 h n→∞ f (g(y)+
hn )−f (g(y)) f (g(y))
hn
Im letzten Schritt geht Grenzwertsatz (G3 ) ein, der wegen f (g(y)) = 0 angewendet
werden darf.
Anmerkung: Ist die Ableitung von f sogar selbst wieder stetig, muss man die
Existenz der Umkehrfunktion nicht mehr extra fordern. Aus f (x) = 0 folgt dann
nämlich, dass auf dem ganzen Intervall Df entweder f (x) > 0 oder f (x) < 0 gilt
(nach dem Zwischenwertsatz, siehe [Kön]), woraus man auf die strenge Monotonie
von f schließen kann. Insbesondere ist f injektiv, also bijektiv auf das Bild f (Df ),
d.h. g = f −1 existiert hier automatisch.
Beispiel 5.19 Für natürliche Zahlen n folgt aus exp ◦ ln = idR+ zusammen mit
dem Logarithmusgesetz ln(xn ) = n ln x (siehe Seite 104)
n
xn = eln(x )
= en ln x für alle x ∈ R+ .
Die rechte Seite dieser Beziehung ergibt sogar für beliebige reelle Zahlen n = r ∈ R
Sinn, so dass man die allgemeine Potenzfunktion definiert als
xr := er ln x für x ∈ R+ .
Für die Ableitung von xr liefert die Kettenregel (wieder werden die Differenzier-
barkeit und Ableitungsregeln von exp und ln vorausgesetzt)
r
(xr ) = er ln x = er ln x · (r ln x) = er ln x · .
x
Somit gilt die Potenzregel (xr ) = r · xr−1 tatsächlich für alle Exponenten r ∈ R.
134 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Die Produktregel liefert die Differenzierbarkeit von f (x) · (g(x))−1 und für die ge-
suchte Ableitung folgt (wir sparen uns das x):
f g f f g
= (f · g −1 ) = f · g −1 + f · (g −1 ) = f · g −1 + f · − 2 = − 2 .
g g g g
Bringt man nun noch den ersten Bruch durch Erweitern mit g auf den Nenner g 2 ,
so steht die gewünschte Formel auch schon da.
sin x π
Beispiel 5.20 Für die Ableitung des Tangens, tan x = ,x∈
/ 2 + πZ, folgt
cos x
sin x sin (x) · cos x − sin x · cos (x)
tan (x) = =
cos x cos2 x
cos x · cos x − sin x · (− sin x) cos2 x + sin2 x 1
= 2
= 2
= ,
cos x cos x cos2 x
Aufgabe 5.4 Bestimme die erste Ableitung der folgenden Funktionen (abgelei-
tet wird immer nach der Variablen in der Funktionsklammer), und vereinfache die
Ergebnisse so weit wie möglich. Um die Definitionsbereiche machen wir uns keine
Sorgen.
1 π √ √ 1 3t2
a(x) = x +e 2 b(x) = 2 x − cos x c(t) = + √3 4
π t4 t
√
d(x) = t x2 + t2 x e(t) = t x2 + t2 x f (x) = x · x + 1
2 n 1
j(x) = e−x k(x) = l(t) = cos4 (tan t)
ln(4x)
x 40x2 − 90 x3 · ln(tan ex )
m(x) = n(x) = o(t) = √
x2 − 1 2x + 3 x2 + 1
Aufgabe 5.5 Abbildung 5.13 zeigt einen Ausschnitt eines Kreises vom Radius
r und einen Punkt P (x0 | y0 ) (mit y0 > 0), der auf ihm liegt.
Die folgenden Teilaufgaben werden zeigen, dass
der geometrische Tangentenbegriff am Kreis mit
unserem analytischen (d.h. über die Ableitung
Kt
definierten) Tangentenbegriff übereinstimmt.
Kf
a) Geometrisch ist die Kreis-Tangente tgeo in P
P definiert als die Gerade, die durch P y0
verläuft und senkrecht zum Radius OP
steht. Wie lautet demnach ihre Gleichung r
tgeo (x)?
(Tipp: Die Steigungen orthogonaler Gera-
den erfüllen m1 · m2 = −1.) O x0
b) Zeige, dass das Schaubild Kf der Funktion
Abbildung 5.13
f (x) = r2 − x2
Die grundlegende Beweisidee ist zwar einfach (leite die Partialsummen Pn (x) ab,
die ja Polynome sind), tückisch ist die Begründung, dass der Grenzwert der Pn
tatsächlich die Ableitung von P ist, worauf wir uns hier nicht einlassen wollen.
Als Folgerung halten wir jedoch noch fest, dass Potenzreihen automatisch unendlich
oft differenzierbar sind: P ist ja selbst wieder eine Potenzreihe, auf die man wieder
den Satz anwenden kann, um P in der Form einer Potenzreihe zu erhalten, usw.
Die für uns wichtigste Anwendung des Satzes kommt in folgendem Beispiel.
Beispiel 5.21 Für die Ableitung der in 4.2.6 eingeführten e-Funktion ergibt sich
für jedes x ∈ R:
∞
∞ ∞ ∞
1 k k k−1 k 1
(ex ) = x = x = xk−1 = xk−1 ,
k! k! k · (k − 1)! (k − 1)!
k=0 k=1 k=1 k=1
Die e-Funktion hat also die beachtliche Eigenschaft, mit ihrer eigenen Ableitung
übereinzustimmen! Darin begründet sich ihre herausragende Bedeutung für die
Analysis, vor allem in Anwendungen wie z.B. dem Lösen so genannter Differen-
zialgleichungen, die in Physik und Technik eine zentrale Rolle spielen.
Beispiel 5.22 Als lustige kleine Anwendung bestimmen wir den Grenzwert der
Reihe
1 1 1 1
1 + 2· + 3· + 4· + 5· + ... .
2 4 8 16
∞ k−1
Schreiben wir die Reihe geschlossen als k=1 k 12 , so fällt nach
obigem Satz
∞
ins Auge, dass dies G ( 12 ) der geometrischen Potenzreihe“ G(x) := k=0 xk ist.
”
5.4 Ausblick: Taylorreihen 137
1
Da wir wissen, dass G(x) = 1−x gilt (geometrische Summenformel), können wir
dies auch direkt mit der Kettenregel ableiten und erhalten damit
∞
1
= G (x) = kxk−1 .
(1 − x) 2
k=1
Setzen wir hier nun x = 12 ein, so ergibt sich für den gesuchten Grenzwert der Reihe
∞ k−1
1 1
k = 2 = 4.
2 1− 1
k=1 2
Das war natürlich ein ganz hinterhältiger Trick, allerdings lassen sich Grenzwerte
von Reihen oft nur auf Umwegen bestimmen.
Es fällt auf, dass bei der k-ten Ableitung f (k) (wobei f (0) := f sei) der konstante
Term mit ak den Vorfaktor k! hat: So ist zum Beispiel 3! a3 der konstante Term
von f (3) (x) und 4! a4 der konstante Term von f (4) (x). Wertet man die Ableitungen
in 0 aus, so fallen die nichtkonstanten Terme weg, und man erhält f (k) (0) = k! ak .
(k)
Umgeschrieben gilt ak = f k!(0) , d.h. die Koeffizienten des Polynoms lassen sich
aus den Ableitungen (in 0) rekonstruieren. In diesem Fall lässt sich die Funktion
also auch darstellen als
f (0) 2 f (3) (0) 3 f (4) (0) 4 f (k) (0) k
4
f (0) f (0)
f (x) = + x+ x + x + x = x .
0! 1! 2! 3! 4! k!
k=0
138 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Dass wir dies nur für fünf Summanden und nicht gleich für beliebige Potenzreihen
gemacht haben (wie wir es nach dem vorigen Abschnitt hätten tun können), dient
nur der Übersichtlichkeit. Das Muster lässt sich ja auch bereits so erkennen. Die
hier auftretende Form der Vorfaktoren motiviert nämlich die folgende Definition
für allgemeines f .
heißt Taylorreihe von f (im Entwicklungspunkt 0). Die Partialsummen dieser Reihe
n
f (k) (0)
Tf, n (x) := xk
k!
k=0
Man kann die Reihe Tf (x) zwar als Symbol immer hinschreiben, ihre Konvergenz
ist aber ein anderes Thema. Dass wir uns hier stets auf den Entwicklungspunkt
0 beschränken, dient hauptsächlich der Notationsvereinfachung: Zur Entwicklung
∞ (k)
um ein beliebiges a ∈ R betrachtet man Reihen der Gestalt k=0 f k!(a) (x − a)k .
Nun aber zu konkreten Beispielen.
Beispiel 5.24 Schauen wir doch mal, welche Taylorreihe wir für die e-Funktion
exp : R → R, x → ex , erhalten: Das Aufstellen ist hier besonders angenehm, denn
es gilt exp(k) (x) = exp(x), da die e-Funktion sich nach Beispiel 5.21 beim Ableiten
exp(k) (0)
nie ändert. Somit ist k! = 1
k! für alle k ∈ N0 , und wir erhalten
∞
1 k
Texp (x) = x = exp(x),
k!
k=0
d.h. die Taylorreihe ist nichts anderes als die Potenzreihe selbst, über die exp de-
finiert wurde. Verallgemeinert man Beispiel 5.23 mittels Satz 5.11 auf beliebige
konvergente Potenzreihen, so stellt man fest, dass sie immer mit ihren Taylorrei-
hen übereinstimmen.
Jetzt kommen zwei wichtige Funktionen, die bei uns nicht über Potenzreihen defi-
niert wurden.
Beispiel 5.25 Wir bestimmen als erstes die Taylorreihe des Cosinus (im Ent-
wicklungspunkt 0). Dazu benötigen wir zunächst all seine Ableitungen in 0. Es ist
5.4 Ausblick: Taylorreihen 139
cos (x) = − sin x, cos (x) = − cos x, cos(3) (x) = sin x, cos(4) (x) = cos x, womit wir
wieder bei der Ausgangsfunktion angekommen sind. Allgemein gilt:
⎧
⎪
⎪ cos 0 = 1 für k ∈ 4N0
⎪
⎨ − sin 0 = 0 für k ∈ 1 + 4N0
cos(k) (0) =
⎪
⎪ − cos 0 = −1 für k ∈ 2 + 4N0
⎪
⎩
sin 0 = 0 für k ∈ 3 + 4N0
In Abbildung 5.14 sind die ersten Taylorpolynome von cos (in 0) dargestellt (wir
geben nur die geradzahligen an, da Tcos, 2k+1 = Tcos, 2k gilt). Man erkennt, dass
bereits
1 2 1 4 1 6
Tcos, 6 (x) = 1 − x + x − x
2 24 720
für −2 x 2 eine sehr gute Näherung des Cosinus darstellt. Allerdings sieht
man auch, dass z.B. für x = 5 noch deutlich mehr Summanden nötig sein werden,
um eine brauchbare Näherung des Cosinus zu liefern.
−4 −2 0 2 4 6
cos
−1
−2
Abbildung 5.14
140 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Analoge Aussagen gelten auch für die Sinusfunktion. Rechne selbst nach, dass
(−1)k ∞
−1 3 1
Tsin (x) = 0 + 1 · x + 0 · x +
2
x + 0 · x 4 + x5 + . . . = x2k+1
3! 5! (2k + 1)!
k=0
gilt. Auch hier konvergiert die Folge der Taylorpolynome auf ganz R gegen sin, d.h.
auch sin besitzt eine Darstellung als Taylorreihe:
∞
(−1)k
sin x = Tsin (x) = x2k+1 für alle x ∈ R.
(2k + 1)!
k=0
Besitzt man die Reihendarstellungen, so lassen sich leicht die Ableitungsregeln von
sin und cos reproduzieren. Gliedweises Differenzieren (nach Satz 5.11) liefert
∞
∞
(−1)k (−1)k
cos (x) = Tcos
(x) = 2kx2k−1 = x2k−1
(2k)! (2k − 1)!
k=1 k=1
∞
k+1 ∞
Shift (−1) (−1)k
= x2(k+1)−1 = (−1) · x2k+1 = − sin x.
(2(k + 1) − 1)! (2k + 1)!
k=0 k=0
Überzeuge dich mit derselben Methode noch davon, dass auch sin (x) = cos x folgt.
Man darf hierbei natürlich nicht vergessen, dass wir eben diese Ableitungsregeln
essentiell zum Aufstellen der Reihen verwendet haben. Führt man jedoch (ganz
ungeometrisch) Sinus und Cosinus mit Hilfe der Reihendarstellungen ein, so fal-
len einem die Ableitungsregeln in den Schoß, allerdings ist dann die geometrische
Bedeutung dieser Funktionen zunächst obskur.
In diesen letzten Beispielen haben wir die Fragestellung f = Tf positiv beantwor-
∞ (k)
ten können. Wünschenswert ist eine solche Darstellung von f als k=0 f k!(0) xk
einerseits deshalb, weil mit Potenzreihen angenehm zu arbeiten ist (etwa beim Ab-
leiten oder Integrieren). Andererseits ist diese Darstellung höchst bemerkenswert,
denn sie besagt, dass eine so lokale Eigenschaft wie der Wert aller Ableitungen an
nur einer Stelle (der 0) bereits die gesamte Information über den globalen Funk-
tionsverlauf beinhaltet!
Leider gilt: Je stärker die Eigenschaft, desto weniger darf man hoffen, dass alle
Funktionen sie erfüllen, was das folgende warnende Gegenbeispiel zeigt.
5.4 Ausblick: Taylorreihen 141
1
e− x für x > 0
Beispiel 5.26 Die Plattfußfunktion“ f (x) :=
” 0 für x 0,
Allgemein gibt es für jede unendlich oft differenzierbare Funktion und jedes n ∈ N
eine Darstellung f = Tf, n + Rf, n mit einer Fehler-Funktion Rf, n , auch Restglied
genannt, für die es verschiedene Darstellungen gibt. Wie gut Tf, n die Funktion
f annähert und ob gar Tf,n gegen f konvergiert und es somit eine Taylorreihen-
darstellung gibt (siehe obige Positiv- und Negativbeispiele), hängt dann von der
Abschätzung des Restglieds ab. Für die Details verweisen wir z.B. auf [Kön].
Wer wirklich verstehen will, warum manche Funktionen wie exp, sin und cos eine
globale Taylorreihendarstellung besitzen, andere Funktionen hingegen nicht, oder
1
nur auf einem Teilintervall ihres Definitionsbereichs (wie z.B. f (x) = 1+x 2 nur auf
( −1 , 1 ) ⊂ Df = R), der muss den Schritt ins Komplexe wagen und die sogenannte
Funktionentheorie“ lernen (siehe z.B. [FrB]).
”
————————— —————————
Aufgabe 5.6 Bestimme die Taylorreihe von f (x) := ln(x + 1) (da wir um 0
entwickeln, betrachten wir ln(x + 1) anstelle von ln x). Für welche x ∈ R kon-
vergiert die Reihe? Vergleiche mit dem maximalen Definitionsbereich von f . Wir
teilen (ohne Beweis) mit, dass f = Tf auf dem Konvergenzintervall gilt. Welche
Reihendarstellung erhält man damit für ln 2?
————————— —————————
142 5 Grundwissen Differenzialrechnung
Literatur zu Kapitel 5
[Heu] Heuser, H.: Lehrbuch der Analysis 1. Vieweg+Teubner, 17. Aufl. (2009)
[Kön] Königsberger, K.: Analysis 1. Springer, 6. Aufl. (2004)
6 Grundwissen Integralrechnung
Wir stellen hier die Grundlagen für Kapitel 8 bereit, nämlich den Begriff der
Stammfunktion sowie elementare Integrationsregeln. Anschließend feiern wir einen
weiteren Siegeszug der Grenzwert-Idee, indem wir das bestimmte Integral als Grenz-
wert gewisser Summen einführen.
6.1 Stammfunktionen
Im letzten Kapitel haben wir gelernt, wie man Funktionen ableitet. Nun lernen wir
– zunächst ohne zu verstehen wozu – die Umkehrrechenart kennen, also aufleiten“,
”
was man vornehmer als integrieren bezeichnet. Zu einer gegebenen reellen Funktion
f (x) suchen wir also eine Funktion F (x), deren Ableitung f (x) ist.
Für f (x) = x3 − 4x + 1 wäre z.B. F (x) = 14 x4 − 2x2 + x eine mögliche Aufleitung“.
”
Definition 6.1 Es sei f : I → R eine Funktion auf dem offenen Intervall I =
( a , b ). Eine Stammfunktion von f auf I ist eine auf I differenzierbare Funktion F ,
deren Ableitungsfunktion f ist:
1 3
Fc (x) = x +c für alle c ∈ R.
3
Dass dies wirklich alle Stammfunktionen von f sind, dass es also keine weiteren gibt,
wird erst Satz 6.3 zeigen. Für die Gesamtheit aller Stammfunktionen verwenden
wir die folgende Schreibweise1 :
"
1
x2 dx = x3 + c , c ∈ R .
3
Lies: (unbestimmtes) Integral über x2 dx“. Die Funktion unter dem Integral heißt
”
Integrand. Den Zusatz c ∈ R lassen wir ab sofort weg.
1
Beispiel 6.2 Integriere f (x) = √ auf I = ( 0 , ∞ ).
x
1 Daes sich um eine Menge handelt, müssten wir eigentlich { F (x) + c | c ∈ R } schreiben, was
aber niemand tut.
1
Zunächst schreiben wir f um als f (x) = x− 2 . Um beim Ableiten von F (x) die
Hochzahl − 12 zu bekommen, muss die Hochzahl von F eins höher sein, also − 12 +1 =
1 1 1
2 . Da beim Ableiten von x der Faktor 2 entsteht, müssen wir beim Integrieren
2
durch diesen Faktor teilen. Damit ergibt sich als eine mögliche Stammfunktion
1 1 √
F (x) = 1 x2 = 2 x .
2
"
1 √
Unbestimmtes Integral: √ dx = 2 x + c.
x
Durch dieses Vorgehen erkennt man eine ganz einfache allgemeine Regel für das
Integrieren von Potenzfunktionen.
Satz 6.1 Beim Integrieren von f (x) = xr , r ∈ R\{−1}, erhöht man die Hoch-
zahl r um 1 und teilt anschließend durch die neue Hochzahl r + 1.
"
1
xr dx = xr+1 + c
r+1
Beweis: Nach der Potenzregel der Differenzialrechnung (siehe Beispiel 5.19) ist
1
F (x) = r+1 xr+1 + c für jedes c ∈ R eine Stammfunktion von f (x) = xr , denn
1 1
F (x) = xr+1 + c = (r + 1) · xr+1−1 = xr = f (x).
r+1 r+1
Anmerkung: Beachte, dass man den Fall r = −1 ausschließen muss, denn für
f (x) = x1 = x−1 wäre nach obiger Regel F (x) = −1+1
1
x−1+1 = 10 x0 , was wegen der
Division durch Null unsinnig ist. Interessanterweise besitzt x1 keine elementare“
”
Stammfunktion, sondern die natürliche Logarithmusfunktion, da wir auf Seite 131
bewiesen haben, dass (ln x) = x ist (bzw. (ln |x|) = x , falls man auch negative x
1 1
zulassen will).
Konstante Faktoren darf man also vor das Integralzeichen ziehen und eine Summe
von Funktionen darf summandenweise integriert werden.
6.1 Stammfunktionen 145
"
Beispiel 6.3 Bestimme (π cos x + 8x3 ) dx.
" " " " "
3 3
(π cos x + 8x ) dx = π cos x dx + 8x dx = π cos x dx + 8 x3 dx
1 4
= π sin x + 8 · x + c = π sin x + 2x4 + c
4
Durch Ableiten des Ergebnisses kannst du übrigens stets die Probe machen, ob du
richtig integriert hast. Führe dies hier durch.
Beispiel 6.4 Auch das Integrieren von verketteten Funktionen wie z.B. f (x) =
( 13 x − 1)5 , deren innere Funktion wie hier v(x) = 13 x − 1 linear ist, geht leicht
unter Verwendung obiger Regel, allerdings darf man die innere Ableitung nicht
vergessen. Würde man nur die äußere Funktion u(♥) = ♥5 aufleiten, so käme man
auf F
(x) = 16 ( 13 x − 1)6 . Dass dies nicht die korrekte Stammfunktion ist, sieht man
beim Kontroll-Ableiten mit Hilfe der Kettenregel: Äußere Ableitung mal innere
”
Ableitung“ (v (x) = 13 ) ergibt nämlich
11 5 1 1
F
(x) = 6 · x − 1 · = f (x) · = f (x) .
6 3 3 3
Um den störenden Vorfaktor v (x) = 13 zu beseitigen, muss man zusätzlich zum
Aufleiten der äußeren Funktion noch durch die innere Ableitung teilen, d.h. die
korrekte Stammfunktion lautet
1 11 6 11 6
F (x) = 1 · x−1 +c= x − 1 + c,
3
6 3 2 3
wie man leicht durch Ableiten bestätigt.
Warnung: Sobald die innere Funktion nicht mehr linear ist, geht diese Auflei-
tungsregel komplett in die Hose! So ist die Stammfunktion von g(x) = (x2 − 1)5
nie und nimmer
1 1 2
G(x) = · (x − 1)6 ,
2x 6
denn beim Ableiten von G ist neben der Ketten- unbedingt die Produktregel zu
beachten. Überprüf doch mal selbst, dass G (x) = g(x) ist. Wie man kompliziertere
Verkettungen integrieren kann, lernen wir erst in Kapitel 8. Für den Moment halten
wir nur den Spezialfall bei linearer innerer Funktion fest.
Satz 6.2 (Integration bei linearer Verkettung)
Ist F eine Stammfunktion von f , so gilt (für a = 0)
"
1
f (ax + b) dx = F (ax + b) + c.
a
In Worten: Um f (ax + b) zu integrieren, leitet man f (♥) wie gewohnt auf (setzt
aber als Argument ♥ = ax + b ein) und teilt noch durch die innere Ableitung a.
146 6 Grundwissen Integralrechnung
"
1 1 1 2
dx = 1 · (2 − 14 x)−2 + c = + c.
(2 − 14 x)3 − 4 −2 (2 − 14 x)2
Mache hier unbedingt die Probe durch Ableiten mit der Kettenregel.
————————— —————————
Satz 6.3 Sind F und G beides Stammfunktionen der Funktion f auf dem In-
tervall I, dann gibt es ein c ∈ R, so dass
Beweis: Betrachte die Differenzfunktion δ(x) = G(x) − F (x). Sie besitzt auf I
die Ableitung
δ (x) = G(x) − F (x) = G (x) − F (x) = f (x) − f (x) = 0 ,
also (!) handelt es sich bei δ um eine konstante Funktion, d.h. δ(x) = c für ein
c ∈ R. Damit ist G(x) − F (x) = c, bzw. G(x) = F (x) + c wie behauptet.
Das Ausrufezeichen (!) weist darauf hin, dass an dieser Stelle etwas fehlt, da die
(geometrisch so klare) Aussage δ = 0 =⇒ δ = konstant auf I“ sich erst mit Hilfe
”
des Mittelwertsatzes der Differenzialrechnung streng beweisen lässt; siehe [Kön].
Eine Frage drängt sich nun aber so langsam auf: Was bringt einem das Integrieren,
bzw. wozu sind Stammfunktionen nütze? Während die Ableitungsfunktion Aussa-
gen über die Steigung von Schaubildern macht, lernen wir jetzt, dass sich mit Hilfe
einer Stammfunktion Flächeninhalte unter Schaubildern berechnen lassen.
f (x) f (x)
Kf Kf
x x
x0 = a xk−1 xk b = x6 x0 = a b = x12
Abbildung 6.3
Weil diese Unter-Näherung“ der gesuchten Fläche evtl. nicht nah genug kommen
”
könnte, nähern wir uns in Abbildung 6.4 ebenfalls von oben her“ an.
”
f (x) f (x)
Kf Kf
x x
x0 = a b = x6 x0 = a b = x12
Abbildung 6.4
Beispiel 6.7 Wir führen die archimedische Streifenmethode für die Quadrat-
funktion f (x) = x2 auf dem Intervall [ 0 , b ] explizit durch, um den Flächeninhalt
der Fläche, die von der x-Achse und der Normalparabel auf [ 0 , b ] eingeschlossen
wird, exakt zu bestimmen.
2 Archimedes von Syrakus (287–212 v.Chr.); griechischer Mathematiker, Physiker und Inge-
nieur. Neben Euklid einer der bedeutendsten Mathematiker der Antike.
6.2 Das bestimmte Integral 149
als untere Näherung für den Flächeninhalt A unter Kf : Un < A für alle n ∈ N.
Entsprechend ist die Obersumme3 (stelle dir die zugehörigen Rechtecksflächen im
Schaubild selber vor)
n
On = f (x1 ) · Δx + f (x2 ) · Δx + . . . + f (xn ) · Δx = f (xk ) · Δx
k=1
eine obere Schranke für den Flächeninhalt: On > A für alle n ∈ N. Wir bestimmen
nun explizite Ausdrücke für Un und On , was ein klein wenig anstrengend wird.
(1) Berechnung der Untersumme Un :
n−1
n−1
b b
n−1
b 2 b 2 b 3
n−1
Un = f (xk ) · Δx = f k· · = k· · = k ·
n n n n n
k=0 k=0 k=0 k=0
n−1
b 3 2 ! b3 1 1 n − 1 n 2n − 1 3
= · k = 3 · (n − 1) n (2n − 1) = · · ·b ,
n3 n 6 6 n n n
k=0
n
wobei die Summenformel k=1 k 2 = 16 n(n + 1)(2n + 1) aus Aufgabe 2.13 einging
(der erste Summand oben ist Null und kann entfallen), nur dass hier n durch n − 1
ersetzt wurde. Kürzen von n bringt die Untersumme schließlich auf die Gestalt
1 1 1 3
Un = 1− 2− ·b ,
6 n n
3 Beachte: Dass die linken Intervallgrenzen x , . . . , x
0 n−1 zur Untersumme und die rechten
Intervallgrenzen x1 , . . . , xn zur Obersumme gehören, klappt nur deswegen, weil die Parabel auf
[ 0 , b ] monoton wachsend ist.
150 6 Grundwissen Integralrechnung
1 1 1 3
n
b3 2 b3 1
= · k = · n (n + 1) (2n + 1) = 1 + 2 + ·b .
n3 n3 6 6 n n
k=1
1 3
A= b
3
besitzt. Ab sofort verwenden wir für Flächen die-
ser Art die Integralschreibweise (lies: bestimmtes A
”
Integral über x2 dx von 0 bis b“) x
" b
a=0 b
A= x2 dx.
0 Abbildung 6.6
Das Integralzeichen soll dabei an ein langgezogenes S (für Summe) erinnern und
das dx an die Breite Δx der approximierenden Rechtecke (die für wachsendes n
immer kleiner wird).
Was das bestimmte Integral mit dem früher eingeführten unbestimmten Integral
zu tun hat, ist im Moment allerdings noch vollkommen unklar!
6.2 Das bestimmte Integral 151
f (x) Kf
x
a b
Abbildung 6.7
Um eine Formel für das Volumen des Rotationskörpers plausibel zu machen, nähern
wir die Fläche durch eine Treppenfigur an. Deren Rechtecke haben die Breite Δx
und die Höhe f (xk ). Rotiert ein solches Rechteck um die x-Achse, so entsteht ein
Zylinder mit Radius rk = f (xk ) und Höhe h = Δx. Das Volumen des Zylinders ist
somit Vk = πrk2 h = πf (xk )2 Δx.
Summiert man all diese Zylindervolumina auf, so erhält man eine Näherung für
das Volumen V des Rotationskörpers:
n−1
n−1
n−1
V ≈ V0 + V1 + . . . + Vn−1 = Vk = πf (xk )2 Δx = π f (xk )2 Δx.
k=0 k=0 k=0
Lässt man nun n immer größer werden, so wird die Treppenfigur immer feiner und
obige Näherung für V immer besser. (Man kann zeigen, dass für stetiges f sich
Ober- und Untersumme demselben Wert nähern.) Im Grenzübergang n → ∞ wird
aus der Summe das Integral über f (x)2 , und wir erhalten für das Volumen eines
Rotationskörpers
n−1
" b
V = lim π f (xk )2 Δx = π f (x)2 dx.
n→∞ a
k=0
Für eine praktische Berechnung solcher Volumina verweisen wir auf Seite 167.
152 6 Grundwissen Integralrechnung
————————— —————————
Aufgabe 6.2 Berechne mit Hilfe der Streifenmethode (für b > 0):
" b " b
a) x dx, b) x3 dx.
0 0
" b
1
c) 2−
x dx (0 < b < 4; Untersummen genügen).
0 2
————————— —————————
Muss ich nun jedes Mal eine solch grauenvolle Rechnung durchführen, um die
”
Fläche unter einer Kurve zu bestimmen?“ wird man sich an dieser Stelle be-
sorgt fragen. Die Antwort ist glücklicherweise Nein; der wundervolle Hauptsatz
der Differenzial- und Integralrechnung wird uns auf Seite 164 eine verblüffend ein-
fache Formel in die Hand geben, mit welcher sich bestimmte Integrale bzw. Flächen
unter Kurven mühelos berechnen lassen.
Zunächst definieren wir jedoch ganz allgemein und abstrakter als bisher, wann eine
Funktion für uns integrierbar heißen soll.
Gleich zur Beruhigung vorneweg: Für unsere Zwecke genügt es fast immer, stetige
Funktionen auf dem Intervall [ a , b ] zu betrachten, deren Gesamtheit wir ab sofort
mit C [ a , b ] abkürzen (das C steht für continuous“). Diese haben die folgende
”
schöne Eigenschaft (für einen Beweis siehe [Kön]):
Dieser Satz garantiert, dass die oben erklärten Infima und Suprema für jedes f ∈
C [ a , b ] tatsächlich auch angenommen werden, d.h. für jedes k = 1, . . . , n gibt es
Zahlen xmin,k , xmax,k ∈ Ik , so dass gilt
Somit nehmen die Unter- und Obersumme einer stetigen Funktion f die folgende
Gestalt an:
n
n
UZ (f ) = f (xmin,k )Δxk und OZ (f ) = f (xmax,k )Δxk .
k=1 k=1
Die geometrische Bedeutung der Untersumme UZ (für f 0) ist der Abbildung 6.9
zu entnehmen: Es ist (wie in 6.2.1) einfach der Flächeninhalt aller grauen Rechtecke.
Analoges gilt für die Obersumme.
154 6 Grundwissen Integralrechnung
f (x)
Kf
x
a x1 x 2 x3 xmin,4 x4 x5 b
Abbildung 6.9
gilt, d.h. falls ihr oberes und unteres Darboux-Integral übereinstimmen. Der ge-
#b
meinsame Wert wird mit D– a f (x) dx bezeichnet. ♦
Schön und gut; zur praktischen Berechenbarkeit taugt dies aber rein gar nichts – wie
sollte man das Supremum der riesigen Menge U(f ) denn auch berechnen? Warum
es bei der Streifenmethode genügte, nur eine spezielle Folge von Zerlegungen zu
betrachten, zeigt der folgende Satz, für dessen Beweis wir wieder auf [Heu] oder
[Roc] verweisen (hier geht abermals () ein, und der Rest folgt problemlos aus den
Eigenschaften von inf und sup).
In Beispiel 6.7 hatten wir für f (x) = x2 eine Folge von äquidistanten Zerlegun-
gen Zn des Intervalls [ 0 , b ] gewählt und gezeigt, dass die zugehörigen Unter- und
Obersummenfolgen Un = UZn (f ) bzw. On = UZn (f ) gegen dieselbe Zahl A (= 13 b3 )
konvergieren. Das bedeutet aber, dass es zu jedem ε > 0 ein (gemeinsames) N ∈ N
gibt, so dass sowohl |Un − A| = A − Un < 2ε als auch |On − A| = On − A < 2ε für
alle n > N ist. Insbesondere gilt dann
ε ε
OZN (f ) − UZN (f ) = ON − UN = ON − A + A − UN < + = ε.
2 2
Also folgt nach Satz 6.5 die Darboux-Integrierbarkeit von f (x) = x2 auf [ 0 , b ],
und unser früheres Ergebnis lautet nun
" b
1 3
D– x2 dx = b .
0 3
Bevor wir im nächsten Abschnitt klären, welche Funktionen denn nun tatsächlich
Darboux-integrierbar sind (die stetigen gehören dazu, so viel sei schon mal verra-
ten), bringen wir noch ein Negativ-Beispiel.
Zahlen (ohne Beweis), d.h. für χ gilt ik = 0 und sk = 1 für jedes k. Folglich ist für
jede beliebige Zerlegung Z von [ 0 , 1 ]
n
" 1
UZ (χ) = ik Δxk = 0, d.h. auch χ(x) dx = 0,
k=1 0
welche ihm zu Ehren Riemann-Summen heißen. Die Notation RZ, ξ beinhaltet, dass
die Summe nicht nur von Z, sondern auch von der Wahl der Stützstellenmenge
ξ = { ξ1 , . . . , ξn } abhängt.
und nennt dies das Riemann-Integral von f . Mit R [ a , b ] bezeichnen wir die Menge
aller Riemann-integrierbaren Funktionen auf [ a , b ]. ♦
6 Bernhard Riemann (1826–1866); einer der genialsten und produktivsten Mathematiker des
19. Jahrhunderts. Begründete u.a. die abstrakte Differenzialgeometrie und stellte die berühmte
Riemann-Vermutung in der Zahlentheorie auf.
6.2 Das bestimmte Integral 157
(n) (n)
Die etwas überladene Notation ξk und Δxk soll andeuten, dass es sich um die
Stützstellen und Längen der Intervalle der n-ten Zerlegung Zn handelt. In Zukunft
lassen wir das (n)“ weg, aber man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass die
”
Summanden einer n-ten Riemann-Summe stets auch von n abhängen.
Der direkte Nachweis von R–Integrierbarkeit ist noch schwieriger als der direk-
te Nachweis von D–Integrierbarkeit, weil zu allen möglichen Zerlegungen Z jetzt
auch alle möglichen Stützstellenmengen ξ zu berücksichtigen sind. Ist jedoch be-
kannt, dass f Riemann-integrierbar ist (siehe z.B. Sätze 6.7 und 6.8), so besitzt
jede Folge von Riemann-Summen per Definition denselben Grenzwert, also genügt
eine, z.B. äquidistante Riemann-Summenfolge, wie etwa die Obersummenfolge aus
Beispiel 6.7 mit Stützstellen ξk := xmax,k .
Beispiel 6.10 Wir überzeugen uns unter direktem Rückgriff auf die Definition
davon, dass konstante Funktionen stets R–integrierbar sind. Sei also f (x) = c für
alle x ∈ [ a , b ], wobei c ∈ R eine beliebige Konstante ist. Dann gilt bereits für jede
einzelne Riemann-Summe
n n n
Rn = f (ξk )Δxk = c · Δxk = c · Δxk = c · (b − a),
k=1 k=1 k=1
da die Intervall-Längen Δxk sich stets zur Gesamtlänge des Intervalls [ a , b ] auf-
addieren. Da das Ergebnis gar nicht mehr von n abhängt, existiert natürlich auch
der Limes, d.h. wir erhalten für jede Riemann-Summenfolge
" b
lim Rn = c · (b − a) = R– c dx.
n→∞ a
Wir erhalten also den Inhalt der Rechtecksfläche
(mit Vorzeichen, falls c < 0) zwischen Kf und x- y
Achse – wäre schlimm, wenn es anders wäre.
Mit ein klein wenig mehr technischem Aufwand
kann man auch zeigen, dass allgemeiner alle auf
[ a , b ] stückweise konstanten Funktionen (soge- x
nannte Treppenfunktionen“; siehe Abbildung 6.10) a b
”
Riemann-integrierbar sind und als R–Integral die
Summe der Rechtecksflächen (mit Vorzeichen) her- Abbildung 6.10
auskommt.
Die Äquivalenz unserer beiden Integralbegriffe beinhaltet der folgende Satz (siehe
[Roc] oder [Heu] für den aufwändigen Beweis), der es uns erlaubt, ab sofort die
unschöne R– bzw. D–Vorsilbe wegzulassen und unter dem bestimmten Integral
stets das Riemann-Integral zu verstehen.
Satz 6.6 Eine Funktion f : [ a , b ] → R ist genau dann Riemann-integrierbar,
wenn sie Darboux-integrierbar ist, und in diesem Fall gilt
" b " b
R– f (x) dx = D– f (x) dx.
a a
158 6 Grundwissen Integralrechnung
(Beachte: Man kann zeigen, dass allein aus der Riemann-Integrierbarkeit bereits
die Beschränktheit von f folgt (siehe [Roc]), die ja eine notwendige Voraussetzung
für die Darboux-Integrierbarkeit ist.)
Nun mag man sich fragen, wozu wir (neben der historischen Bedeutung) zwei kon-
kurrierende Begriffe eingeführt haben, die sich letztlich als äquivalent entpuppt ha-
ben. Darboux war näher an der anschaulichen Streifenmethode aus 6.2.1, während
die Riemann-Definition oftmals das Beweisen erleichert. So lässt sich mit ihr z.B.
relativ mühelos7 die folgende, für Abschnitt 6.3 bedeutsamste Aussage gewinnen.
Ein weiterer Vorzug der Riemann-Summen ist, dass sich damit bestimmte (Un)-
Gleichungen für Summen elegant auf Integrale übertragen lassen, was wir nun an
zwei Beispielen vorführen wollen.
(hier wurden die beiden analogen Regeln von Seite 144 zu einer zusammengefasst).
Beweis: Es seien (Zn ) eine beliebige Folge von Zerlegungen von [ a , b ], deren
Feinheit gegen Null strebt, (ξ (n) ) eine Wahl von Stützstellen sowie (Rn (f )) und
(Rn (g)) die zugehörigen Folgen von Riemann-Summen von f bzw. g. Da f und g
Riemann-integrierbar sind, konvergieren diese Folgen gegen das bestimmte Integral
von f bzw. g, d.h.
" b n
f (x) dx = lim Rn (f ) = lim f (ξk )Δxk
a n→∞ n→∞
k=1
7 Dass wir dennoch auf den Beweis verzichten, liegt nur daran, dass wir dazu einen stärkeren
Stetigkeitsbegriff – die sogenannte gleichmäßige Stetigkeit“ – benötigen würden, den wir nicht
”
eingeführt haben.
6.2 Das bestimmte Integral 159
und analog für g. Wir definieren s(x) := λ · f (x) + μ · g(x) und betrachten nun für
ein beliebiges n ∈ N die folgende Summe:
n
n
λ · Rn (f ) + μ · Rn (g) = λ · f (ξk )Δxk + μ · g(ξk )Δxk
k=1 k=1
n
n
= λ · f (ξk ) + μ · g(ξk ) Δxk = s(ξk )Δxk ,
k=1 k=1
wobei im vorletzten Schritt das Distributivgesetz einging (die Faktoren λ und μ
wurden in die Summen gezogen und das Δxk ausgeklammert) und beide Sum-
men unter dasselbe Summenzeichen geschrieben wurden. Der letzte Schritt soll
verdeutlichen,
n dass am Ende nichts anderes da steht als eine Riemann-Summe
Rn (s) = k=1 s(ξk )Δxk der Summen-Funktion s. Die Grenzwertsätze liefern die
Existenz des Grenzwerts von (Rn (s)):
lim Rn (s) = lim ( λ · Rn (f ) + μ · Rn (g) ) = λ · lim Rn (f ) + μ · lim Rn (g).
n→∞ n→∞ n→∞ n→∞
Die rechte Seite hängt nicht von der konkreten Wahl der Zerlegungs- und Stütz-
stellenfolge ab (da f, g ∈ R [ a , b ]). Da (Zn ) und (ξ (n) ) beliebig waren, folgt nach
Definition 6.3, dass s = λ · f + μ · g R–integrierbar ist. Obige Gleichung bedeutet
ebenfalls nach Definition 6.3 nichts anderes als
" b " b " b
s(x) dx = λ · f (x) dx + μ · g(x) dx,
a a a
Auch wenn dieser Beweis auf den ersten Schritt vielleicht abschreckend wirkt, so
ist die zentrale Idee doch ganz einfach, nämlich für endliche Summen gültige Re-
chenregeln wie das Distributivgesetz mittels eines Grenzprozesses auf Integrale zu
übertragen.
Satz 6.10 (Dreiecksungleichung für Integrale)
Für jedes f ∈ C [ a , b ] ist |f | ∈ R [ a , b ] und es gilt
" " b
b
f (x) dx |f (x)| dx.
a a
Beweis: Nach Satz 5.2 ist |f | als Verkettung der stetigen Betragsfunktion (sie-
he Beispiel 5.7) mit dem stetigen f selbst wieder stetig. Satz 6.7 liefert daher
|f | ∈ R [ a , b ].
Die gewöhnliche Dreiecksungleichung |x1 + x2 | |x1 | + |x2 | lässt sich durch
vollständige Induktion sofort auf beliebige endliche Summen ausdehnen:
n
n
xk |xk |.
k=1 k=1
160 6 Grundwissen Integralrechnung
Ist nun (Rn ) eine Folge von Riemann-Summen, die gegen das Integral von f kon-
vergiert, so gilt für jedes n
n n
n
|Rn | = f (ξk )Δxk |f (ξk )Δxk | = |f (ξk )|Δxk .
k=1 k=1 k=1
ergibt. Dass der Grenzwert auf der linken Seite überhaupt existiert, folgt aus der
Konvergenz der Rn sowie der Stetigkeit des Betrags:
" b
lim |Rn | = lim Rn = f (x) dx ,
n→∞ n→∞ a
Abschließend seien noch ein paar Formeln erwähnt, die oft (stillschweigend) ver-
wendet werden. Sie sind anschaulich so klar, # a dass wir auf einen formalen Beweis
verzichten wollen. Zunächst ist natürlich a f (x) dx = 0.
Ferner gilt die Intervall-Additivität des Integrals:
" b " c " b
f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx für c ∈ [ a , b ].
a a c
#a #b
Legt man noch fest, dass b f (x) dx := − a f (x) dx sein soll, dann gilt die Addi-
tivität des Integrals auch für c ∈ [ a , b ].
————————— —————————
Aufgabe 6.3 Gehe ähnlich vor wie im Beweis von Satz 6.10, um die Monotonie
des bestimmten Integrals zu beweisen:
" b " b
Gilt f (x) g(x) für alle x ∈ [ a , b ], so folgt f (x) dx g(x) dx
a a
————————— —————————
6.2 Das bestimmte Integral 161
Uff . . . das war schweeere Kost und viel Theorie auf einmal. Ist aber auch gar
nicht schlimm, wenn du nicht alle Details verdauen konntest. Falls du allerdings
den Beweis des Hauptsatzes (Seite 164) verstehen willst, solltest du zumindest die
Aussagen der letzten drei Sätze im Hinterkopf haben.
Zur Versöhnung destillieren wir an dieser Stelle ein paar Essenzen unserer bisheri-
gen Überlegungen heraus:
◦ Das unbestimmte Integral einer Funktion (siehe 6.1) ist selbst wieder eine
Funktion (genauer: Menge von Funktionen), die sogenannte Stammfunktion,
und kann durch bestimmte Aufleitungsregeln“ berechnet werden.
”
◦ Das bestimmte Integral einer Funktion (6.2.2 und 6.2.3) hingegen ist eine
reelle Zahl, die kompliziert definiert ist, nämlich als Grenzwert einer Folge
von Riemann-Summen.
◦ Manchmal lässt sich für ein bestimmtes Integral mittels der Streifenmetho-
de ein geschlossener Ausdruck bestimmen (als gemeinsamer Grenzwert einer
Unter-/Obersummenfolge), allerdings ist dies äußerst mühsam (siehe 6.2.1).
Bevor wir in 6.3 eine Beziehung zwischen bestimmten Integralen und Stammfunk-
tionen kennenlernen, beleuchten wir noch kurz den Zusammenhang zwischen be-
stimmten Integralen und dem Flächeninhalt unter dem zugehörigen Schaubild.
f (x) f (x)
Kf Kf
A1
+
x x
a c b a c b
A−
2
−
Abbildung 6.11
162 6 Grundwissen Integralrechnung
Zwischen a und c ist wie vorhin f > 0, entsprechend ist dort der Grenzwert ei-
ner Folge von Riemann-Summen, also das bestimmte Integral, positiv, und wir
definieren den Inhalt der gesuchten Fläche unter dem Schaubild als
" c
A1 := f (x) dx > 0.
a
Zwischen c und b hingegen ist f < 0, d.h. für die Summanden einer jeden Riemann-
Summe mit c < ξk < b gilt f (ξk )Δxk < 0, und damit ist auch der Grenzwert einer
solchen Folge von Riemann-Summen, sprich das bestimmte Integral, negativ. Für
den vorzeichenbehafteten Flächeninhalt A− 2 gilt
" b
A−
2 := f (x) dx < 0.
c
Würden wir den Inhalt der gesamten grauen Fläche durch A = A1 +A−
2 ausrechnen,
so würde eine Zahl kleiner als A1 herauskommen, was natürlich nicht sein darf.
Deshalb müssen wir zur Flächenberechnung das Vorzeichen von A− 2 umdrehen:
A2 = |A−2 | bzw.
" b
A2 = −A− 2 = − f (x) dx > 0.
c
So weit, so gut. Allerdings haben wir immer noch keine elegante Methode zur
Berechnung von bestimmten Integralen an der Hand (ohne Ober-/Untersummen-
Massaker). Diesen bedauernswerten Umstand gilt es nun schleunigst zu ändern!
Integralfunktion von f zur Grenze a. Da die Variable x bereits in der oberen Inte-
gralgrenze vorkommt, wurde die Integrationsvariable in t umbenannt.
Geometrisch: Ia ordnet jedem x ∈ [ c , d ] den (vorzeichenbehafteten) Inhalt der
Fläche zu, die das Schaubild Kf zwischen a und x mit der x-Achse einschließt. ♦
(3) Ist f differenzierbar mit stetiger Ableitung f , so kann man f durch bestimm-
te Integration aus seiner Ableitung f rekonstruieren8 :
" x
f (x) = f (a) + f (t) dt.
a
Anmerkung: Die Aussagen (1) und (3) kann man in Kürze so zusammenfassen:
Ableitung und bestimmtes Integral heben sich gegenseitig auf.
Aussage (2) ist für die Berechnung bestimmter Integrale unentbehrlich. Die For-
mel besagt, dass sich das komplizierte Objekt auf der linken Seite ganz einfach
berechnen lässt: Man muss lediglich die Grenzen b und a in eine Stammfunkti-
on F einsetzen und die Differenz der Ergebnisse bilden. Dazu muss man F aber
natürlich erst mal explizit kennen. Der Hauptsatz sagt uns leider nicht, wie wir ei-
ne geschlossene (integralfreie) Darstellung der Integralfunktion finden, bzw. ob dies
2
überhaupt möglich ist; so gibt es z.B. für f (x) = e−x keine geschlossene Formel
für die Stammfunktion.
8 Das lateinische Wort integrare“ bedeutet wiederherstellen“.
” ”
6.3 Der Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung 165
Beweis: Zunächst einmal existiert die Integralfunktion Ia (x), weil f als stetig
vorausgesetzt wurde (siehe Satz 6.7).
(1) Um Ia (x) = f (x) nachzuweisen, zeigen wir, dass
I (x + h) − I (x)
a a
− f (x) → 0 für h → 0
h
Ia (x + h) − Ia (x)
strebt, denn das bedeutet Ia (x) = lim = f (x).
h→0h
Schreiben wir zunächst den Differenzenquotienten von Ia unter Verwendung der
Intervall-Additivität von Seite 160 um (es sei stets h > 0, den anderen Fall behan-
delt man analog):
" x+h " x
Ia (x + h) − Ia (x) = f (t) dt − f (t) dt
a a
$" " % " "
x x+h x x+h
= f (t) dt + f (t) dt − f (t) dt = f (t) dt.
a x a x
Um f (x) auf eine ähnliche Gestalt zu bringen (was für die folgenden Abschätzungen
nützlich ist), wenden wir einen Trick an: Integriert man nach t, so ist f (x) eine
Konstante und nach Beispiel 6.10 gilt
" x+h " x+h
f (x) dt = f (x) · 1 dt = f (x) · 1 · (x + h − x) = f (x) · h,
x x
1
# x+h
weshalb man f (x) zu x hf (x) dt umschreiben kann. Der Nutzen dieser schein-
bar unsinnigen Umformung wird nun gleich offenbar, denn es folgt
I (x + h) − I (x) 1 " x+h "
1 x+h
a a
− f (x) = f (t) dt − f (x) dt
h h x h x
"
1 x+h
= f (t) − f (x) dt ,
h x
wobei im zweiten Schritt die Linearität des bestimmten Integrals (siehe Satz 6.9)
eingeht. Mit Hilfe der Dreiecksungleichung für Integrale (Satz 6.10) erhalten wir
" "
1 x+h 1 x+h
f (t) − f (x) dt f (t) − f (x) dt.
h x h x
Weil f (t) stetig ist, folgt die Stetigkeit von |f (t) − f (x)| =: d(t), und somit existiert
nach Satz 6.4 für diese Funktion auf dem Intervall [ x , x + h ] ihr Maximum
m := max { d(t) | t ∈ [ x , x + h ] }.
Aus d(t) m folgt aufgrund der Monotonie des Integrals (siehe Aufgabe 6.3)
" x+h " x+h
d(t) dt m dt = m · (x + h − x) = m · h.
x x
166 6 Grundwissen Integralrechnung
Aufgrund der Stetigkeit von f wird |f (t) − f (x)| für t ∈ [ x , x + h ] beliebig klein,
wenn nur h klein genug gewählt wird9 . Somit geht die Funktion m = m(h) =
max { |f (t) − f (x)| | t ∈ [ x , x + h ] } gegen 0 für h → 0, und es bleibt der linken
Seite in obiger Abschätzung nichts anderes übrig als gleichfalls gegen 0 zu gehen.
Hurra! Denn genau das wollten wir zeigen.
(2) Nach der Knochenarbeit in (1) fällt uns der Rest nun in den Schoß. Da Ia (x)
laut (1) eine Stammfunktion von f ist, kann sie sich nach Satz 6.3 nur durch eine
Konstante k von jeder anderen Stammfunktion F (x) unterscheiden. Folglich ist
Ia (x) − F
# a(x) = k für alle x ∈ [ c , d ], und Einsetzen von a liefert aufgrund von
Ia (a) = a f (t) dt = 0, dass 0 − F (a) = k, also Ia (x) = F (x) + k = F (x) − F (a)
ist. Insbesondere folgt für x = b die Behauptung:
" b
Ia (b) = F (b) − F (a) sprich f (x) dx = F (b) − F (a).
a
" x
(3) Da f eine Stammfunktion von f ist, liefert (2):
f (t) dt = f (x) − f (a).
a
Beispiel 6.12 F (x) = 14 x4 ist eine Stammfunktion von f (x) = x3 , also liefert
der Hauptsatz (ganz ohne mühevollen Ober-/Untersummenkalkül)
" 2 &1 ' 2 1 4 1 15
x3 dx = x4 = F (2) − F (−1) = · 2 − · (−1)4 = = 3,75.
−1 4 −1 4 4 4
Beispiel 6.13 Wir berechnen den Inhalt A der getönten Fläche in Abbildung 6.14
mit dem Hauptsatz.
y
sin x
1
A1
x
0 π 2π
A−
2
−1
Abbildung 6.14
9 Hier verwenden wir streng genommen Stetigkeit in einer anderen Formulierung (sogenannte
ε-δ-Stetigkeit) als der von uns definierten Folgenstetigkeit.
6.3 Der Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung 167
Da − cos x eine Stammfunktion von sin x ist und cos x eine Stammfunktion von
− sin x, ergibt sich für den Flächeninhalt
" 2π " π " 2π
( )π ( )2π
A= | sin x| dx = sin x dx + (− sin x) dx = − cos x 0 + cos x π
0 0 π
was aufgrund der Symmetrie der Sinuskurve klar ist (es ist A−
2 = −A1 ).
Für umfangreichere Beispiele zur Flächenberechnung verweisen wir auf die Schule
und auf die paar Leckerli in Kapitel 8.
Beispiel 6.14 Zum Abschluss berechnen wir noch das Volumen des Rotati-
onskörpers aus Abbildung 6.7 (Seite 151):
" b " b * +b
√ 2 x2 π 2
V =π x dx = π x dx = π = b .
0 0 2 0 2
————————— —————————
Aufgabe 6.5 Leite eine Formel für das Volumen der folgenden Körper her, in-
dem du sie als Rotationskörper geeigneter Schaubilder Kf auffasst.
a) Kegel mit Höhe h und Radius r.
b) Kugel mit Radius r.
————————— —————————
168 6 Grundwissen Integralrechnung
Auch diesen Grenzwert nennt man uneigentliches Integral (zweiter Art: Integrati-
onsbereich beschränkt, aber Integrand unbeschränkt an einer Grenze des Integra-
tionsbereiches).
————————— —————————
Aufgabe 6.7 Das Schaubild der Funktion f (x) = x1 rotiert auf dem Intervall
[ 1 , ∞ ) um die x-Achse. Untersuche, ob der so entstehende Rotationskörper ein
endliches Volumen besitzt. Was gilt für die eingeschlossene Fläche?
————————— —————————
Literatur zu Kapitel 6
[Heu] Heuser, H.: Lehrbuch der Analysis 1. Vieweg+Teubner, 17. Aufl. (2009)
[Kön] Königsberger, K.: Analysis 1. Springer, 6. Aufl. (2004)
Rechenfertigkeiten
7 Lösen von (Un)Gleichungen
Nachdem wir uns bis jetzt mit vielen abstrakten und theoretisch anspruchsvollen
Konzepten auseinander gesetzt haben, kommt nun ein Kapitel, in dem endlich mal
wieder ganz normal“ gerechnet werden darf. Einige der hier vorgestellten Lösungs-
”
methoden werden dir aus der Schule noch in guter Erinnerung sein, aber bereits bei
Bruch-, Wurzel-, oder gar Betragsgleichungen (von den zugehörigen Ungleichungen
ganz zu schweigen) bist du vielleicht schon nicht mehr ganz so sattelfest.
7.1 Polynom(un)gleichungen
Eine reelle Polynomgleichung ist eine Gleichung, die man auf die Form f (x) = 0 mit
einem Polynom f (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 mit reellen Koeffzienten
ai ∈ R für i = 0, . . . , n bringen kann. Dabei heißt n Grad der Gleichung.
Eine reelle Zahl x heißt Lösung der Gleichung, wenn f (x) = 0 zu einer wahren
Aussage wird, d.h. wenn x eine Nullstelle des Polynoms f ist.
a) 3x2 + 3x − 18 = 0 b) x2 − 2x + 3
4 =0
x1 + x2 = −1 und x1 · x2 = −6
x 1 + x2 = 2 und x1 · x2 = 34 ,
3
also x1 = 2 und x2 = 12 . Die Lösungsformel bestätigt dies wieder:
√
−(−2) ± (−2)2 − 4 · 1 · 34 2± 1 3/2
x1,2 = = =
2 2 1/2.
a) Ausklammern
Wie oben kann man im Fall a0 = 0 mindestens eine Potenz von x ausklammern
(ohne dass negative Potenzen von x in der Klammer entstehen).
Beispiel 7.2 5x4 + 3x3 + 6x2 = 0 wird zu x2 · (5x2 + 3x + 6) = 0. Mit dem Satz
vom Nullprodukt bleiben die Gleichungen x2 = 0 und 5x2 + 3x + 6 = 0 zu lösen. Da
die zweite quadratische Gleichung keine Lösungen besitzt (negative Diskriminante
32 − 4 · 5 · 6 unter der Wurzel), erhalten wir L = { 0 }.
Achtung: Division der Gleichung durch x2 ist nur für x = 0 erlaubt. Der Fall
x = 0 muss dann gesondert betrachtet werden, was man oft vergisst und dadurch
die Lösung x = 0 verliert“. Ausklammern und Nullproduktsatz anwenden ist also
”
stets der Division durch (Potenzen von) x vorzuziehen.
7.1 Polynom(un)gleichungen 175
Also gilt x3 + x2 − 17x + 15 = (x − 1) · (x2 + 2x − 15), und mit dem Satz vom
Nullprodukt bleibt noch die reduzierte Gleichung x2 + 2x − 15 = 0 zu lösen. Der
Satz von Vieta liefert x2 = 3 und x3 = −5. Insgesamt ergibt sich die Lösungsmenge
L = { −5, 1, 3 }.
(x − 1) · (ax2 + bx + c) = x3 + x2 − 17x + 15
an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 = 0
ganzzahlig, so ist jede ganzzahlige Lösung (falls es überhaupt eine solche gibt) ein
Teiler des letzten Summanden a0 .
2 Sollte
dir diese aus dem Schulunterricht nicht bekannt sein, kannst du z.B. hier nachschauen:
http://www.mathe.to/chapters/92 (ausführliche Erklärung mitsamt Video).
176 7 Lösen von (Un)Gleichungen
an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0 = 0
Aufgrund der Voraussetzung ai ∈ Z für alle i ist k eine ganze Zahl, sprich z | a0 .
(Wir erweitern unseren früheren Teilbarkeitsbegriff auf Z, indem wir in a0 = k · z
auch negative k zulassen.)
c) Substitution
Manchmal lässt sich eine Gleichung höheren Grades durch eine Ersetzung der
Form u = xk in eine mit obigen Methoden lösbare Gleichung geringeren Grades
überführen.
Weitere Beispiele zur Substitution findest du in den Aufgaben und in den folgenden
Abschnitten.
7.1 Polynom(un)gleichungen 177
————————— —————————
Aufgabe 7.1 Löse folgende Gleichungen mittels Polynomdivision und dem al-
ternativen Verfahren aus Beispiel 7.3.
a) x3 − 4x2 + x + 6 = 0 b) x3 − 2x2 + x − 2 = 0 c) x3 − 7x − 6 = 0
————————— —————————
7.1.3 Polynomungleichungen
Eine reelle Polynomungleichung n-ten Grades ist eine Ungleichung, die man auf die
Form f (x) 0 oder f (x) > 0 mit einem reellen Polynom vom Grad n bringen
kann. (Die Fälle 0 und < 0 erhält man durch Betrachtung von −f .)
Eine reelle Zahl x heißt Lösung der Gleichung, wenn die Ungleichung bei der Ein-
setzung von x in eine wahre Aussage übergeht.
Wir beschränken uns im Folgenden auf die Betrachtung linearer, quadratischer und
einfacher kubischer Ungleichungen. Die Methode, die hier für quadratische Unglei-
chungen vorgestellt wird, lässt sich aber auch auf Ungleichungen höheren Grades
übertragen, da die Schwierigkeit im Bestimmen der Lösungen der zugehörigen Glei-
chung besteht und nicht darin, dass eine Ungleichung vorliegt.
Im linearen Fall löst man eine Ungleichung durch Äquivalenzumformungen. Dabei
ist zu beachten, dass bei der Multiplikation (Division) der Ungleichung mit einer
negativen Zahl das Ungleichheitszeichen umgedreht werden muss3 .
Streckung mit m > 0 erhalten bleibt, d.h. es ist auch mb > ma. Ein Minuszeichen spiegelt an der
0, kehrt also die Lage um, so dass −mb < −ma folgt. Für eine formale Begründung braucht man
die Anordnungsaxiome, siehe Seite 241.
178 7 Lösen von (Un)Gleichungen
Wie man bei quadratischen Ungleichungen vorgeht, zeigt das nächste Beispiel.
x2 − 2x − 3 = (x − x1 ) · (x − x2 ) = (x + 1) · (x − 3).
Soll nun f (x) > 0 gelten, so müssen die beiden Faktoren x + 1 und x − 3 dasselbe
Vorzeichen besitzen.
Fall 1: x + 1 > 0 und x − 3 > 0, d.h. x > −1 und x > 3, also zusammen x > 3.
Fall 2: x + 1 < 0 und x − 3 < 0, d.h. x < −1 und x < 3, also zusammen x < −1.
Insgesamt ergibt sich L = (−∞ , −1 ) ∪ ( 3 , ∞ ) als Lösungsmenge der Ungleichung.
Dies wird noch klarer, wenn man sich das Schaubild Kf als nach oben geöffnete
Parabel mit den Nullstellen −1 und 3 vorstellt (siehe Abbildung 7.1).
3
2
f (x) > 0 1 f (x) > 0
−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5 6
−1
−2
Kf
−3
−4
Abbildung 7.1
Bei Ungleichungen höheren Grades können die vielen Fallunterscheidungen bei die-
ser Vorgehensweise etwas mühsam werden. Deshalb präsentieren wir noch einen
weiteren Lösungsweg, der zwar keinen geringeren Aufwand erfordert, bei dem man
dafür aber fast nichts denken muss.
Er basiert auf folgender Beobachtung: Sind x1 < x2 benachbarte Nullstellen ei-
nes Polynoms f (x), und gilt f (x0 ) > 0 für ein x0 ∈ ( x1 , x2 ) = I, so gilt bereits
f (x) > 0 für alle x ∈ I. Das liegt daran, dass Polynome stetig sind, und somit auf
I kein weiterer Vorzeichenwechsel stattfinden kann, denn zwischen x1 und x2 liegt
ja keine weitere Nullstelle von f . Kurz: Kf macht keine Sprünge mit Vorzeichen-
”
wechsel“. (Eine formale Begründung benötigt den Zwischenwertsatz.)
Wir führen dieses Vorgehen am Beispiel quadratischer Ungleichungen vor: Zunächst
bringt man die Ungleichung mittels Äquivalenzumformungen auf die Form
ax2 + bx + c 0 ()
7.1 Polynom(un)gleichungen 179
(statt kann auch >, oder < stehen), und bestimmt wieder die Lösungen der
zugehörigen quadratischen Gleichung ax2 + bx + c = 0.
1. Findet man keine Lösung, hat die linke Seite für jede
y
reelle Zahl dasselbe Vorzeichen. Einsetzen von bei-
spielsweise x = 0 liefert für () die Aussage c 0.
Ist diese wahr, so ist die Ungleichung für jedes x ∈ R
x
erfüllt, d.h. L = R. Ist sie falsch, so gilt L = ∅.
b) Addition von 15 liefert (): x3 + x2 − 17x + 15 < 0, und nach Beispiel 7.3
besitzt die zugehörige Gleichung die Lösungen x1 = −5, x2 = 1 und x3 = 3.
◦ Für x = −6 < x1 wird () zur wahren Aussage −63 < 0.
◦ Für x = 0 ∈ ( x1 , x2 ) folgt 15 <, was falsch ist.
◦ x = 2 ∈ ( x2 , x3 ) liefert −7 < 0; wahr.
◦ x = 4 > x3 in () eingesetzt liefert 27 < 0, eine falsche Aussage.
Die Lösungsmenge ist also
y
2
f (x) = x3 + 2x2
x
−2 −1 0 1
Abbildung 7.2
————————— —————————
a) −x2 + 4x < 0 b) x4 + 38 x2 − 16
1
0 c) 3x3 + 6x2 > x3 + 36x + 80
————————— —————————
7.2 Bruch(un)gleichungen 181
7.2 Bruch(un)gleichungen
7.2.1 Bruchgleichungen
Gleichungen wie z.B.
x 7 1 1 2 1 5
= + oder + + = ,
2 4 x x − 1 x + 1 x2 − 1 8
in denen x in irgendeiner Form im Nenner vorkommt, heißen Bruchgleichungen.
Im Unterschied zu Polynomgleichungen kann es bei Bruchgleichungen Definiti-
onslücken geben, nämlich immer dann, wenn ein Nenner Null wird.
Typische Vorgehensweise beim Lösen von Bruchgleichungen: Nenner beseitigen!
Dies erreicht man durch Multiplikation der gesamten Gleichung mit dem kleinsten
gemeinsamen Vielfachen aller Nenner (lies dazu auch Anmerkung).
Beispiel 7.9 Löse die beiden obigen Bruchgleichungen (jeweils auf ihrem maxi-
malen Definitionsbereich D ⊂ R)
x 7 1 1 2 1 5
a) = + , b) + + 2 = .
2 4 x x−1 x+1 x −1 8
————————— —————————
x 2x 1 x+3 1 1 1
a) + = + , b) − =1− .
x − 3 x + 3 x − 3 9 − x2 x2 −x x−1 2x
————————— —————————
7.2.2 Bruchungleichungen
Beim Lösen von Bruchungleichungen verfolgt man dieselbe Strategie wie bisher: Der
Nenner muss weg. Man multipliziert die Ungleichung wieder mit dem kleinsten ge-
meinsamen Nenner. Allerdings muss man darauf achten, das Ungleichheitszeichen
umzudrehen, sofern dieser Nenner negativ ist, was in der Regel auf Fallunterschei-
dungen führt.
3 x 7 1
a) 1 für x ∈ R\{1}, b) + für x ∈ R\{0}.
x−1 2 4 x
Fall 1.2: Damit beide Klammern negativ werden, muss x < 4 und
x < − 12 sein. Zusammengefasst also x < − 12 . Da im gesamten Fall 1
aber x positiv ist, führt Fall 1.2 auf keine Lösung.
Fall 2: Ist 4x negativ, also x < 0, liefert Multiplikation mit 4x die Un-
gleichung 2x2 7x + 4, was diesmal auf die quadratische Ungleichung
2x2 − 7x − 4 0 führt. Wir spalten die Ungleichung wieder in einzelne
Faktoren auf: 2(x − 4)(x + 12 ) 0. Diese ist jetzt erfüllt, wenn die Klammern
unterschiedliche Vorzeichen haben.
Fall 2.1: Damit die erste Klammer positiv (oder 0) und die zweite
negativ ist, müsste x 4 und x < − 12 gelten, was nicht geht.
Fall 2.2: Andersherum muss x < 4 und x − 12 sein, also zusammen
− 12 x < 4, was wegen der Voraussetzung x < 0 auf − 12 x < 0
eingeschränkt wird.
Es ergibt sich schließlich L = [ − 12 , 0 ) ∪ [ 4 , ∞ ).
Anmerkung: Natürlich könnte man in Fall 1 und 2 auch wie in Beispiel 7.8
vorgehen und Zahlen einsetzen, um die Gültigkeit der äquivalenten Polynom-
ungleichung 2x2 − 7x − 4 0 (bzw. 0) zu prüfen, was vom Aufwand her
vergleichbar ist. Im nächsten Beispiel thematisieren wir beides.
3 1 3
Beispiel 7.11 Löse < + für x ∈ R\{ 0, 1, 2 }.
2x − 4 x 2x − 2
Der kleinste gemeinsame Nenner ist N (x) = 2x(x − 1)(x − 2) (bei 2x − 4 und 2x − 2
kann man jeweils eine 2 rausziehen). Um dessen Vorzeichen zu untersuchen, legt
man am besten eine Vorzeichentabelle an.
Tabelle 7.1
p(x) := x2 − 92 x + 2 > 0.
184 7 Lösen von (Un)Gleichungen
Die linke Seite lässt sich mittels Vieta als p(x) = (x − 12 )(x − 4) faktorisieren, und
wegen p(x) > 0 müssen beide Klammern das gleiche Vorzeichen haben.
Fall 1.1: Beide Klammern positiv, d.h. x > 12 und x > 4, zusammen also
x > 4. Geschnitten mit J1 bleibt es bei x > 4, dieser Fall steuert somit
( 4 , ∞ ) zur Lösungsmenge L bei.
Fall 1.2: Beide Klammern negativ, d.h. x < 12 und x < 4, sprich x < 1
2.
Nach Schneiden mit J1 bleibt ( 0 , 12 ) ⊂ L übrig.
Fall 2: Ist N (x) negativ, also x ∈ (−∞ , 0 ) ∪ ( 1 , 2 ) = J2 , so ändert sich bei
Multiplikation der Ungleichung mit N (x) das Ungleichheitszeichen, und man erhält
nach den gleichen Umformungen wie oben p(x) = (x− 12 )(x−4) < 0. Die Klammern
müssen jetzt also verschiedene Vorzeichen besitzen.
Fall 2.1: x < 12 und x > 4 ist nicht erfüllbar. Dieser Fall liefert also keine
weiteren Lösungen.
Fall 2.2: x > 12 und x < 4 bedeutet x ∈ ( 12 , 4 ), was geschnitten mit J2 auf
( 1 , 2 ) ⊂ L führt.
Insgesamt erhalten wir also die Lösungsmenge
L = ( 0, 12 ) ∪ ( 1 , 2 ) ∪ ( 4 , ∞ ).
Nachdem man J1 , J2 sowie p(x) wie gerade eben bestimmt hat, kann man alter-
nativ auch mittels Einsetzen fortfahren:
Die Lösungen der zugehörigen Gleichung p(x) = x2 − 92 x + 2 = 0 sind x1 = 12 und
x2 = 4, also haben die Test-Intervalle“ die Gestalt
”
I1 = (−∞ , 2 ), I2 = ( 12 , 4 ) und I3 = ( 4 , ∞ ).
1
In Fall 1, also für x ∈ J1 , ist die Polynomungleichung p(x) > 0 () zu untersuchen.
Wann diese erfüllt ist, lässt sich nun durch Einsetzen dreier Testzahlen aus I1 ∩ J1 ,
I2 ∩ J1 und I3 ∩ J1 herausfinden. Analog verfährt man für p(x) < 0 (∗) in Fall 2,
also auf J2 . Diese sture Vorgehensweise führen wir in den Lösungen zu Aufgabe 7.5
vor; hier wollen wir etwas eleganter argumentieren:
Für x = 0 ∈ I1 ist p(0) = 2 > 0, d.h. es gilt p(x) > 0 auf ganz I1 . Stellt man sich
die Parabel Kp vor, leuchtet sofort ein, dass p(x) < 0 auf I2 und p(x) > 0 auf I3
sein muss. Insgesamt ist also
p(x) > 0 für x ∈ I1 ∪ I3 und p(x) < 0 für x ∈ I2 .
Folglich ist () aus Fall 1 auf (I1 ∪ I3 ) ∩ J1 = ( 0, 12 ) ∪ ( 4 , ∞ ) erfüllt, während (∗)
aus Fall 2 für alle x ∈ I2 ∩ J2 = ( 1 , 2 ) gilt, so dass wir am Ende natürlich wieder
auf die gleiche Lösungsmenge L kommen.
Welche Methode man wählt, ist Geschmackssache. Die zweite ist jedoch meist
aufwändiger (vor allem, wenn man stur alle Test-Intervalle durchhechelt).
7.2 Bruch(un)gleichungen 185
2
Kf
1
−2 −1 0 1 2 3 4
−1
Abbildung 7.3
————————— —————————
x+1
Aufgabe 7.5 Löse folgende Bruchungleichungen: a) 0,
x+2
x3 10 − 2x 1 2 1 5
b) +x+ , c) + + 2 < .
x+1 x+1 x+1 x−1 x+1 x −1 8
————————— —————————
186 7 Lösen von (Un)Gleichungen
7.3 Wurzel(un)gleichungen
7.3.1 Wurzelgleichungen
Gleichungen wie etwa
√ √ √
2+ 20 − 4x = x oder x−1+1= 2x
in denen x also in irgendeiner Form unter einer Wurzel vorkommt, heißen Wurzel-
gleichungen. Da im Reellen unter der Wurzel keine negativen Werte stehen dürfen,
ist der Definitionsbereich von Wurzelgleichungen (d.h. die Menge aller x, für die
alle Radikanden 0 sind) im Allgemeinen nicht ganz R.
√ √ √
Beispiel 7.13 Löse a) 2 + 20 − 4x = x, b) x−1+1= 2x.
√
a) Nach Isolieren der Wurzel bleibt die Gleichung 20 − 4x = x − 2 zu quadrie-
ren. Anwendung der binomischen Formel liefert nun die Gleichung 20 − 4x =
x2 − 4x + 4, was auf x2 = 16 und damit √ x = ±4 führt.
Die Probe mit x = 4 ergibt links 2 + 20 − √ 16 = 2 + 2 = 4, was der rechten
Seite entspricht. Für x = −4 steht links 2 + 20 + 16 = 2 + 6 = 8, was nicht
mit −4 übereinstimmt.
Die Lösungsmenge ist also nur L = {4}.
An diesem Beispiel sieht man auch schnell, warum das Isolieren als erster
Schritt notwendig ist. Sofortiges Quadrieren würde
√ √ 2
4+4 20 − 4x + 20 − 4x = x2
liefern. Die hintere Wurzel verschwindet zwar, aber der mittlere Term enthält
immer noch die Wurzel und man ist der Lösung keinen Schritt näher.
7.3 Wurzel(un)gleichungen 187
x − 4x + 4 = 0
2
Die letzte Gleichung lautet (x − 2)2 = 0 (Binom), und deshalb ist x = 2 der
einzige
√ Kandidat√ für eine Lösung. Die Probe zeigt, dass dies eine Lösung ist,
da 1 + 1 = 4. Die Lösungsmenge ist L = {2}.
Anmerkung: Die hier vorgestellte Vorgehensweise lässt sich genauso auf dritte,
vierte, . . . , n-te Wurzeln übertragen. Statt des Quadrierens muss dann aber mit
dem entsprechenden n potenziert werden (siehe Aufgabe 7.7 c)).
————————— —————————
Aufgabe 7.6 Finde je ein Beispiel einer Wurzelgleichung, bei der durch das
Quadrieren die Lösungsmenge a) verändert, b) nicht verändert wird.
————————— —————————
7.3.2 Wurzelungleichungen
Wie bei den Polynomungleichungen auch, lösen wir zuerst die zugehörige Wur-
zelgleichung. Achtung: Probe nicht vergessen! Anschließend testen wir auf den
entstehenden Teilintervallen, ob die Ungleichung dort erfüllt ist4 . Hierbei ist si-
cherzustellen, dass die Teilintervalle in der Definitionsmenge der Wurzelgleichung
liegen, weshalb diese hier explizit bestimmt werden muss.
√
3 √
4 Beachte hier jedoch wieder Beispiel 7.12. So besitzt etwa f (x) = x/ |x| bei x = 0 einen
Pol mit Vorzeichenwechsel.
188 7 Lösen von (Un)Gleichungen
√
Beispiel 7.14 Löse die Wurzelungleichung 2 3x + 1 + x 5.
√
Wir lösen zunächst die zugehörige Wurzelgleichung 2 3x + 1+x = 5. Isolieren und
Quadrieren führt zunächst auf 12x + 4 = x2 − 10x + 25, was zu x2 − 22x + 21 = 0
äquivalent ist und nach Vieta die Lösungen x1 = 1 und x2 = 21 besitzt. Die Probe
zeigt, dass nur x1 = 1 eine Lösung ist.
Da die Definitionsmenge D = { x ∈ R | 3x + 1 0 } = [− 13 , ∞ ) ist, sind die zu
prüfenden Teilintervalle I1 = [− 13 , 1 ] und I2 = [ 1 , ∞ ).
√
◦ Wir wählen x = 0 ∈ I1 und erhalten 2 1 + 0 5, was falsch ist.
√
◦ Für die Wahl x = 5 ∈ I2 folgt dagegen 2 16 + 5 5, eine wahre Aussage.
Somit ist L = I2 = [ 1 , ∞ ) die Lösungsmenge der Wurzelungleichung.
————————— —————————
7.4 Betrags(un)gleichungen
Wiederhole als Grundlage für diesen Abschnitt, was der Betrag einer reellen Zahl
ist (Seite 62), und wirf nochmals einen Blick auf das Schaubild der Betragsfunktion
x → |x| auf Seite 115.
Beispiel 7.15 Um uns an den Betrag zu gewöhnen, schreiben wir den simplen
Ausdruck |x − 2| betragsfrei:
x−2 falls x − 2 0, also x 2,
|x − 2| =
−(x − 2) = −x + 2 falls x − 2 < 0, also x < 2.
7.4 Betrags(un)gleichungen 189
Beispiel 7.16 Zeichne das Schaubild Kf der Funktion f (x) = |x| − 1 .
y
2
1 Kf
x
−3 −2 −1 0 1 2 3
−1 Kg
Abbildung 7.4
Algebraische Lösung: Zunächst lösen wir den äußeren Betrag auf (man könnte aber
auch mit dem inneren anfangen):
|x| − 1, falls |x| 1, also x −1 oder x 1,
f (x) = |x| − 1 =
−(|x| − 1) = 1 − |x|, falls |x| < 1, also − 1 < x < 1.
Weiteres Auflösen des inneren Betrages führt auf insgesamt vier Fälle:
⎧
⎪
⎪ x − 1, falls x 1,
⎪
⎪
⎪
⎨
−x − 1, falls x −1,
f (x) = |x| − 1 =
⎪
⎪ 1 − x, falls 0 x < 1,
⎪
⎪
⎪
⎩ 1 + x, falls − 1 < x < 0.
a) |2x + 3| = 9 b) x2 + |x| = |x − 1| + 1
|x| = −x |x| = x
|x − 1| = −(x − 1) |x − 1| = x − 1
0 1
Abbildung 7.5
An diesem Bild erkennt man, dass man für die gesamte Gleichung drei Fall-
unterscheidung machen muss. Für x 1 kann man beide Beträge einfach
weglassen. Ist 0 x < 1, so gilt zwar |x| = x, aber um bei |x − 1| den Betrag
wegzulassen braucht man das negative Vorzeichen. Dies muss man für x < 0
bei beiden Beträgen tun.
Fall 1: x 1, also |x| = x und |x − 1| = x − 1.
Die Gleichung geht über in x2 + x = x − 1 + 1, d.h. x2 = 0. Diese Gleichung
besitzt zwar x1 = 0 als Lösung, aber 0 liegt nicht im Definitionsbereich von
Fall 1. Also gibt es hier keine Lösung der ursprünglichen Gleichung, wie man
auch durch Einsetzen von 0 gemerkt hätte: 02 + |0| = |0 − 1| + 1.
Fall 2: 0 x < 1, also |x| = x und |x − 1| = −(x − 1) = 1 − x.
Hier ist x2 + x = 1 − x + 1 bzw. √
x2 + 2x − 2 = 0 zu lösen.
√ Die Lösungsformel
liefert die Lösungen x2 = −1 + 3 und x3 = −1 − 3, von denen aber nur
x2 im Definitionsbereich von Fall 2 liegt.
Fall 3: x < 0, also |x| = −x und |x − 1| = −(x − 1) = 1 − x. √
√ erhalten wir x − x = 2 − x bzw. x = 2, was auf x4,5 = ± 2 führt.
2 2
Diesmal
Nur − 2 liegt im Definitionsbereich von Fall 3.
√ √
Die Lösungsmenge ist L = { − 2, 3 − 1 }.
Die gleiche Vorgehensweise wie in Beispiel 7.17b) führt auf folgende Fallunterschei-
dung. Mache dir dies an einer Zahlengeraden wie oben klar.
Fall 1: x < −2, also |x| = −x und |x + 2| = −(x + 2).
Die Funktionsvorschrift geht über in f (x) = 12 (−x) − (x + 2) = − 32 x − 2.
7.4 Betrags(un)gleichungen 191
und das in Abbildung 7.6 dargestellte Schaubild Kf setzt sich aus drei Gera-
denstücken zusammen.
y
4
1
x
−3 −2 −1 0 1
Abbildung 7.6
————————— —————————
|x + 1|
d) =x+1
|x|
Aufgabe 7.10 Zeichne die Schaubilder. Gib Definitions- und Wertebereich an.
x + |x| x
a) f (x) = b) f (x) = (x − 2) c) f (x) = |x − 2| + |x + 1|
2 |x|
d) f (x) = |x2 − 2|
————————— —————————
192 7 Lösen von (Un)Gleichungen
7.4.2 Betragsungleichungen
Beispiel 7.19 Löse folgende Betragsungleichungen.
a) Die Ungleichung ist nach Definition des Betrags genau dann erfüllt, wenn
entweder 4x − 3 > 1 oder 4x − 3 < −1 ist. Also für x > 1 oder x < 12 .
Die Lösungsmenge ist somit L = (−∞ , 12 ) ∪ ( 1 , ∞ ).
b) Für x −1 geht die Ungleichung über in x + 1 > x, was auf die stets wahre
Aussage 1 > 0 führt. Somit sind alle x mit x −1 Lösungen.
Im Fall x < −1 erhalten wir −(x + 1) > x, was äquivalent zu 2x < −1 bzw.
x < − 12 ist. Da wir im Fall x < −1 sind, entfallen alle x mit −1 x < − 12 .
Insgesamt ist L = (−∞ , −1 )∪[−1 , ∞ ) = R. Mache dir dies auch klar, indem
du dir die Schaubilder von x und |x + 1| vorstellst.
c) Die Argumente der beiden Beträge wechseln ihr Vorzeichen bei 1 bzw. 3.
Insgesamt sind drei Fälle zu betrachten.
Fall 1: x < 1, also |x − 1| = −(x − 1) und |3 − x| = 3 − x. Die Ungleichung
vereinfacht sich zu −3x + 4 4, d.h. x 0. Somit ist L1 = [ 0 , 1 ).
Fall 2: 1 x 3, also |x − 1| = x − 1 und |3 − x| = 3 − x. Jetzt erhalten
wir −x + 2 4, d.h. x −2 und daher L2 = [ 1 , 3 ].
Fall 3: x > 3, also |x − 1| = x − 1 und |3 − x| = −(3 − x). In diesem letzten
Fall geht die Ungleichung über in x − 4 4, d.h. x 8 und L3 = ( 3 , 8 ].
Für die gesamte Lösungsmenge erhalten wir
L = L1 ∪ L2 ∪ L3 = [ 0 , 8 ],
was auch Abbildung 7.7 zeigt. Dort wurde das Schaubild der Funktion f (x) =
|x − 1| + |3 − x| − x geplottet, welches zwischen 0 und 8 unterhalb von y = 4
verläuft.
————————— —————————
a) |x − 4| + |2 − x| > x + 1 b) |x2 − 2| 1
4 c) |x3 − 117x2 + 42| < −π
————————— —————————
7.5 Exponential(un)gleichungen 193
y
4
x
0 2 4 6 8
Abbildung 7.7
7.5 Exponential(un)gleichungen
7.5.1 Exponentialgleichungen
Exponentialgleichungen sind Gleichungen wie z.B.
2 √ 1
3x = 9, 5x+x = 1 oder 3 x
= πx,
in denen die gesuchte Variable im Exponenten steht.
Um zu verstehen, was ein Ausdruck wie 3x für beliebiges x ∈ R bedeuten soll,
erinnern wir uns an Beispiel 5.19, wo wir xr als er ln x für x ∈ R+ definiert haben.
Dies verwenden wir auch hier – nur dass jetzt die Variable im Exponenten statt
in der Basis steht – und erklären für a > 0 die allgemeine Exponentialfunktion durch
ax := ex ln a für alle x ∈ R.
Beachtet man (ex )s = esx für s ∈ N, wie man leicht durch Induktion aus dem
Additionstheorem der e-Funktion folgert, so ergibt sich für rationale Exponenten
x = rs ∈ Q (s ∈ N)
s
(ax )s = ex ln a = es·x ln a = er ln a = ar .
r √
Dies passt zu der Festlegung a s := s ar , die dir vielleicht noch aus der Schule
bekannt ist.
Die allgemeine Exponentialfunktion expa : R → R+ , x → ax , ist für a = 1 bijektiv,
da sie die allgemeine Logarithmusfunktion
ln x
loga : R+ → R, x → loga x := ,
ln a
als Umkehrfunktion besitzt. In der Tat gilt
ln x ln x
(expa ◦ loga )(x) = expa (loga x) = expa = e ln a ·ln a = eln x = x
ln a
für alle x > 0, d.h. es ist expa ◦ loga = id , und ebenso weist man loga ◦ expa = idR
R+
nach. Abbildung 7.8 zeigt die Schaubilder beider Funktionen für a = 2 und a = 12 .
194 7 Lösen von (Un)Gleichungen
1 x 3 y y=x
2 2x
1 log2 x
x
−2 −1 0 1 2 3 4
−1 log 1 x
2
−2
Abbildung 7.8
Dabei darf in der ersten Gleichung ♥ ∈ R sein, während in der zweiten nur ♥ ∈ R+
zulässig ist, weil der Logarithmus eben nur für positive Zahlen definiert ist.
Desweiteren verwenden wir (oft stillschweigend) die folgenden Potenz- und Loga-
rithmengesetze, um Exponentialgleichungen zu lösen.
Alle Variablen sollen hierbei so gewählt sein, dass jeweils beide Seiten definiert
sind. Beweis dieser Regeln ist Aufgabe 7.13.
Ebenso hätte man zu Beginn den Logarithmus zur Basis 7 anwenden können.
Führe dies durch und überzeuge dich mit dem Taschenrechner von der Gleich-
heit der Lösungen.
c) Die Gleichung ist äquivalent zu
42x · 4−1 + (42 )x+1 = 10 bzw. 42x (4−1 + 42 ) = 10,
auf 42x = -10 · 65
was , 4
führt. Anwenden von log4 ergibt 2x = log4 8
13 , d.h.
1 8
L = 2 log4 13 .
d) Anwenden des 3er-Logarithmus ergibt
log3 32x + log3 3x+1 = log3 10 ... epic fail !
Man darf log3 nämlich nicht in die Summe reinziehen! Da der Logarithmus
auf die komplette Summe links angewendet werden muss, erhält man so nur
log3 32x + 3x+1 = log3 10,
was sich aber mit keinem Logarithmusgesetz weiter vereinfachen lässt.
Die einzig sinnvolle Vorgehensweise ist hier die folgende: Mit 32x = (3x )2 und
3x+1 = 3 · 3x nimmt die Gleichung die Gestalt
(3x )2 + 3 · 3x − 10 = 0
an. Die Substitution u = 3x liefert u2 + 3u − 10 = 0, und mit dem Satz
von Vieta findet man u1 = −5 und u2 = 2. Die Rücksubstitution führt auf
3x = −5, was keine Lösung besitzt, oder 3x = 2, also insgesamt L = { log3 2 }.
√
e) Umschreiben der linken Seite als x 16 = (42 )1/x = 42/x und ein Vergleich des
Exponenten bei nun gleicher Basis liefert
x2/32
4 /x = 4
2 2 1 2
, also x = 32 x .
————————— —————————
————————— —————————
7.5.2 Exponentialungleichungen
Beim Lösen von Exponentialungleichungen
ist zu beachten, dass die Funktion f (x) = y
loga x nur für a > 1 streng monoton steigend loga x2
ist. Aus x1 < x2 folgt in diesem Fall also
loga x1
loga x1 < loga x2 ,
x
so dass sich das Ungleichheitszeichen beim x1 x2
Anwenden des Logarithmus nicht umdreht
(siehe Abbildung 7.9).
Ist aber 0 < a < 1, so ist die Funktion Abbildung 7.9
ln x
f (x) = loga x = ln a aufgrund von ln a < 0
nun streng monoton fallend, so dass sich bei Anwendung von loga das Ungleich-
heitszeichen umdreht. Um Probleme dieser Art zu vermeiden, wendet man am
besten einfach immer gleich den ln = loge an.
Wir lösen nach x auf: x ln 0,5 − x ln 3 < ln 0,5, und Ausklammern von x sowie
Division durch den negativen Faktor ln 0,5 − ln 3 ergibt schließlich
ln 0,5
x> ≈ 0,387.
ln 0,5 − ln 3
7.5 Exponential(un)gleichungen 197
Literatur zu Kapitel 7
[Kem] Kemnitz, A.: Mathematik zum Studienbeginn. Springer Spektrum, 11. Aufl.
(2014)
[Kre] Kreul, H., Ziebarth, H.: Mathematik leicht gemacht. Harri Deutsch Verlag,
6. Aufl. (2006)
[Wal] Walz, G., Zeilfelder, F., Rießinger, Th.: Brückenkurs Mathematik. Springer,
3. Aufl. (2011)
8 Die Kunst des Integrierens
In diesem Kapitel lernst du, wie man komplizierteren Integralen zu Leibe rückt.
Vorausgesetzt werden Grundkenntnisse in Integralrechnung (siehe Kapitel 6) sowie
die Produkt- und Kettenregel (siehe Kapitel 5).
8.1 Produktintegration
Bei dieser Integrationsmethode handelt es sich um die Umkehrung der Produkt-
regel. Für Funktionen u, v gilt laut der Produktregel 5.7
u(x) · v(x) = u (x) · v(x) + u(x) · v (x).
Wenn wir auf beiden Seiten Stammfunktionen bilden, d.h. unbestimmt nach x
integrieren, erhalten wir
" " "
(u(x) · v(x)) dx = u (x) · v(x) dx + u(x) · v (x) dx,
wobei auf der rechten Seite das Integral gleich in die Summe gezogen wurde. Auf der
linken Seite steht nach Definition des unbestimmten Integrals aber nichts anderes
als u(x) · v(x) (genauer: u(x) · v(x) + c, aber die Integrationskonstante c unterschla-
gen wir zunächst). Bringen wir noch eines der Integrale auf die andere Seite der
Gleichung, so erhalten wir das folgende Resultat.
Die erste Reaktion auf diese Gleichung ist vermutlich: Wie um Himmels Willen
”
soll mir das helfen, Integrale zu berechnen?“
Der Witz hierbei ist, dass bei geschickter Wahl von u und v das Integral auf
der rechten Seite (über u · v) leichter zu lösen ist, als das ursprüngliche Integral
(über u · v ) auf der linken Seite. Mehrere Beispiele werden dies gleich verständlich
machen.
"
Beispiel 8.1 Bestimme das Integral x · sin x dx.
Setzen wir u(x) = x und v (x) = sin x, dann ist u (x) = 1 sowie v(x) = − cos x und
" "
u(x) · v (x) dx = u(x) · v(x) − u (x) · v(x) dx
" u v u v " u v
x · sin x dx = x · (− cos x) − 1 · (− cos x) dx.
Oho! Nun ist das Integral auf der rechten Seite tatsächlich einfacher zu lösen, und
wir erhalten
" "
x · sin x dx = −x · cos x + cos x dx = −x · cos x + sin x + c.
Mache selbst die Probe, ob die Ableitung dieser Funktion tatsächlich x · sin x ist.
Beachte: Hätten wir u und v umgekehrt gewählt, also u(x) = sin x und v (x) = x,
so hätte die Produktintegration auf
" v u u v " u v
x · sin x dx = sin x · 2 x − cos x · 2 x dx
1 2 1 2
geführt, was keinerlei Gewinn bringt, da das rechte Integral nun noch schlimmer als
das ursprüngliche aussieht. Es ist also entscheidend, die richtige Wahl für u und v
zu treffen, was einem mit etwas Übung meist schnell gelingt. Als grobe Merkregel
kann man sagen, dass u sich beim Ableiten vereinfachen sollte, und dass man v
integrieren können muss, um auf v zu kommen.
"
Beispiel 8.2 Bestimme das Integral x · ex dx.
Hier sollte klar sein, dass wir u(x) = x und v (x) = ex setzen. Dann ist u (x) = 1
und v(x) = ex , da die e-Funktion sich beim Auf- und Ableiten nicht verändert, und
mit Produktintegration folgt (Probe am Ende wieder selbst durchführen)
" u v u v " u v
x · e dx = x · e − 1 · ex dx = x · ex − ex + c = ex · (x − 1) + c.
x x
"
Beispiel 8.3 Bestimme das Integral x · ln x dx.
Da wir ln x noch nicht integrieren können, bleibt uns nichts anderes übrig, als
u(x) = ln x und v (x) = x zu wählen. Dann ist u (x) = x1 (siehe Seite 131) und
200 8 Die Kunst des Integrierens
————————— —————————
Aufgabe 8.1 Löse folgende Integrale mit Hilfe partieller Integration.
" " "
a) x · e−x dx b) x2 · e−x dx c) xn · ln x dx (n ∈ N)
Als nächstes führen wir noch Integrationsgrenzen ein, betrachten also bestimmte
Integrale. Man kann hier zunächst die Stammfunktion bestimmen, und die Grenzen
erst am Schluss einsetzen.
" e
Beispiel 8.4 Berechne ln x dx.
1
Wir bestimmen zunächst die Stammfunktion (ohne Grenzen). Aber nanu, hier steht
ja gar kein Produkt unter dem Integralzeichen? Jetzt kommt ein ganz frecher Trick:
Wir schreiben ln x = ln x · 1 und setzen u(x) = ln x und v (x) = 1. Damit können
wir partiell integrieren und erhalten:
u v
" " u v u v " "
1
ln x dx = ln x · 1 dx = (ln x) · x − · x dx = x · ln x − 1 dx
x
= x · ln x − x + c = x · (ln x − 1) + c.
Die Stammfunktion des ln sollte man sich gut einprägen:
"
ln x dx = x · (ln x − 1) + c.
Dabei ist in der Klammer ln(x) − 1 und nicht etwa ln(x − 1) gemeint. Nun setzen
wir die Grenzen ein (das +c kann entfallen, weil es sich am Ende sowieso weghebt)
und erhalten für das bestimmte Integral
" e & 'e
ln x dx = x · (ln x − 1) = e · (ln e − 1) − 1 · (ln 1 − 1) = 1,
1 1
Wer die Grenzen lieber von Anfang an dabei hat, verwendet den folgenden
Links steht aufgrund der Linearität des bestimmten Integrals nichts anderes als
#b
a
(u(x) · v (x)+u (x) · v(x)) dx (siehe Satz 6.9). Da u(x) · v(x) nach der Produktre-
gel eine Stammfunktion des Integranden ist, folgt mit Aussage (2) des Hauptsatzes
der Differenzial- und Integralrechnung (Theorem 6.1)
" b " b & 'b
(u(x) · v (x) + u (x) · v(x)) dx = (u(x) · v(x)) dx = u(x) · v(x) ,
a a a
" π
Beispiel 8.5 Berechne den Wert des bestimmten Integrals cos2 x dx.
0
Weil wir die Stammfunktion von cos2 x später brauchen, integrieren wir auch hier
zunächst ohne Grenzen. Beim Integranden cos2 x = cos x · cos x fällt die Wahl für
u und v leicht, und wir erhalten:
Nun scheinen wir in eine Sackgasse gelaufen zu sein, denn sin2 x können wir bisher
genauso wenig integrieren wie cos2 x.
202 8 Die Kunst des Integrierens
Doch der trigonometrische Pythagoras rettet uns: Wegen sin2 x + cos2 x = 1 folgt
" " " "
cos x dx = cos x · sin x+ (1−cos x) dx = cos x · sin x+ 1 dx− cos2 x dx.
2 2
Addieren wir das cos2 -Integral auf beiden Seiten, so fällt es rechts weg und steht
links zweimal, d.h.
" "
2 cos2 x dx = cos x · sin x + 1 dx = cos x · sin x + x + c,
Auf diese Tricks wird man beim ersten Mal vermutlich nur schwer selbst kommen,
aber mit ein wenig Übung bekommt man ein besseres Händchen dafür. Einsetzen
der Grenzen ergibt
" π &1 'π π
cos2 x dx = (x + cos x · sin x) = . . . = .
0 2 0 2
(Bei den Pünktchen geht ein, dass der Ausdruck cos x · sin x sowohl für x = π als
auch x = 0 verschwindet, da sin π = sin 0 = 0 ist.)
————————— —————————
Tipp zu c): Zweifache partielle Integration (zunächst ohne Grenzen). Gehe danach
wie am Ende von Beispiel 8.5 vor. Beim Einsetzen der Grenzen ist zu beachten,
dass e2x → 0 für x → −∞ strebt und cos x bzw. sin x beschränkt sind. (Und
natürlich kann man −∞ nicht wie eine Zahl einsetzen, sondern man schreibt dieses
uneigentliche Integral wie in 6.4 als Grenzwert auf.)
————————— —————————
8.2 Integration durch Substitution 203
die eine Funktion u und ihre Ableitung u in dieser Art enthalten. Ist nämlich F
eine Stammfunktion von f , so liefert die Kettenregel für die Ableitung von F ◦ u
F u(x) = F u(x) · u (x) = f u(x) · u (x).
Obiges Integral löst sich damit in Wohlgefallen auf, da wir die Ableitung F u(x)
integrieren.
Satz 8.3 (Substitutionsregel)
" "
f u(x) · u (x) dx = F u(x) dx = F u(x) + c
Wie schon bei der Produktintegration bringt einem diese Formel auf den ersten
Blick wenig Gewinn, also schnell ein paar Beispiele.
"
Beispiel 8.6 Bestimme das Integral sin(x2 ) · 2x dx.
Hier ist klar erkennbar, dass f (♥) = sin(♥) die äußere Funktion ist, und dass die
Ableitung der inneren Funktion u(x) = x2 als Faktor 2x auftritt. Mit F (♥) =
− cos(♥) ergibt sich
sin(x2 ) · 2x = − cos(x2 ) ( Kettenregel rückwärts“), d.h.
”
" "
sin(x2 ) · 2x dx = − cos(x2 ) dx = − cos(x2 ) + c.
"
Beispiel 8.7 Bestimme das Integral cos(2x3 ) · x2 dx.
Hier ist offenbar f (♥) = cos(♥) die äußere Funktion mit Stammfunktion F (♥) =
sin(♥). Da die innere Ableitung 6x2 beträgt, müssen wir die 6 noch künstlich
erzeugen, indem wir 16 · 6 einfügen:
" " "
1 1
cos(2x3 ) · x2 dx = cos(2x3 ) · · 6 x2 dx = cos(2x3 ) · 6x2 dx
6 6
"
1 1
= sin(2x3 ) dx = sin(2x3 ) + c.
6 6
204 8 Die Kunst des Integrierens
1
Allgemein ist in Leibniz-Notation
”du = u (x) dx“ und der Ausdruck unter dem
Integralzeichen in Satz 8.3, f u(x) · u (x) dx, vereinfacht sich zu f (u) du.
"
x
Beispiel 8.8 Bestimme das Integral dx.
x2 + 1
Hier steht im Zähler fast die Ableitung des Nenners (bis auf den Faktor 2).
du du
Substitution: u = x2 + 1; Differenziale: u (x) = = 2x =⇒ dx =
dx 2x
" " "
x x du 1 1 1 1
dx = = du = ln |u| + c = ln |x2 + 1| + c
x2 + 1 u 2x 2 u 2 2
(Den Betrag kann man sich wegen x2 + 1 > 0 hier auch sparen.)
"
ln x
Beispiel 8.9 Bestimme das Integral dx (x > 0).
x
du 1
Substitution: u = ln x; Differenziale: u (x) = = =⇒ dx = x du
dx x
" " "
ln x u 1 1
dx = x du = u du = u2 + c = (ln x)2 + c
x x 2 2
1 Fasst man dx und du als sogenannte Differenzialformen auf, kann man dieser Notation auch
formal korrekt Sinn einhauchen. Das würde hier aber wesentlich zu weit führen.
8.2 Integration durch Substitution 205
Beweis: Ist F eine Stammfunktion von f , so gilt nach dem Hauptsatz 6.1 (2)
" b " b &
'b
f u(x) · u (x) dx = F u(x) dx = F u(x) = F u(b) − F u(a) ,
a a a
was mit rechter Seite obiger Formel übereinstimmt, denn wieder nach dem Haupt-
satz ist
" u(b) & 'u(b)
f (u) du = F (u) = F u(b) − F u(a) .
u(a) u(a)
" 2
8x3
Beispiel 8.10 Berechne den Wert des bestimmten Integrals √ dx.
0 x4 + 9
Wir setzen u(x) = x4 + 9. Mit du = 4x3 dx folgt
" 2 " u(2) 3 " 25
8x3 8x du 1
√ dx = √ 3
= 2u− 2 du
0
4
x +9 u(0) u 4x 9
& √ '25 √ √
= 4 u = 4 25 − 4 9 = 8.
9
Will man sich das Umrechnen der Grenzen sparen, darf man natürlich auch wie
gewohnt zunächst die Stammfunktion ohne Grenzen bestimmen,
"
8x3
√ dx = . . . = 4 x4 + 9 + c,
x4 + 9
und dann die ursprünglichen Grenzen einsetzen:
" 2 & '2 √ √
8x3
√ dx = 4 x4 + 9 = 4 25 − 4 9 = 8.
4
x +9 0
0
————————— —————————
"
Aufgabe 8.3 Bestimme das Integral (3x + 2)4 dx. Zeige dann allgemein
durch Substitution, dass
"
1
f (ax + b) dx = F (ax + b) + c
a
gilt, wenn F eine Stammfunktion von f ist (siehe Satz 6.2). Warum geht F durch
”
innere Ableitung“ schief, wenn die innere Funktion nicht mehr linear ist?
206 8 Die Kunst des Integrierens
————————— —————————
1) Es gilt (Mitteilungen ohne Beweise): Die Einschränkung des Sinus auf das
Intervall I = [− π2 , π2 ] ist streng monoton steigend und somit injektiv. Weiter
ist sin(I) = [−1 , 1 ], d.h.
( )
sin : − π2 , π2 → [−1 , 1 ]
ist nach Definition des Bildbereichs surjektiv, insgesamt also bijektiv und
damit umkehrbar. Die Umkehrfunktion
( )
arcsin : [−1 , 1 ] → − π2 , π2
y
π
2
− π2 −1 0 1 π
2
−1
sin x
arcsin x
Abbildung 8.1
3) Die eingeschränkte Tangensfunktion tan : − π2 , π2 → R ist bijektiv und ihre
Umkehrfunktion
arctan : R → − π2 , π2 heißt Arcustangens.
π
2
arctan x
x
− π2 0 π
2
− π2
tan x
Abbildung 8.2
√
b) Integranden, die 1 − x2 enthalten
"
1
Beispiel 8.11 Bestimme das Integral √ dx (für |x| < 1).
1 − x2
Da nirgendwo die innere Ableitung von 1−x2 in Sicht ist, hilft eine Substitution der
Form u = 1 − x2 hier nichts. Stattdessen führen wir eine neue Integrationsvariable
t ein, indem wir
x(t) := sin t
setzen, wobei sich t in einem Bijektivitäts-Intervall des Sinus befinden muss, also
z.B. in I := − π2 , π2 (die Ränder ± π2 entfallen wegen der Forderung |x| < 1).
Der Sinn dieser Definition erschließt sich, wenn man sich an den trigonometrischen
Pythagoras erinnert:
√ t∈I
sin2 t + cos2 t = 1, woraus 1 − sin2 t = cos2 t = | cos t | = cos t
8.2 Integration durch Substitution 209
folgt. Der Betrag entfällt, da cos t > 0 für t ∈ I. Somit verschwindet die unange-
nehme Wurzel des Integranden und die Umrechnung der Differenziale liefert
dx
x (t) = = cos t =⇒ dx = cos t dt.
dt
Insgesamt ergibt sich
" " " "
1 1 1
√ dx = cos t dt = cos t dt = 1 dt = t + c.
1 − x2 1 − sin2 t cos t
Um die Stammfunktion als Funktion von x zu erhalten, beachten wir, dass x(t) =
sin t für t ∈ I umkehrbar ist und dort t = arcsin x gilt. Somit erhalten wir ein sehr
wichtiges Resultat:
"
1
√ dx = arcsin x + c für |x| < 1.
1 − x2
1
arcsin (x) = √ für |x| < 1,
1 − x2
was man natürlich auch viel direkter mit Satz 5.9 (siehe Aufgabe 8.7), aber hier
geht es ja darum, Integrationstechniken zu entwickeln.
Beachte, dass arcsin (x) → ∞ für |x| → 1 gilt, was man auch am Schaubild 8.1
erkennt, wenn man sich den Rändern des Definitionsbereichs des Arcussinus nähert.
Beispiel 8.12 Wir berechnen durch Integration die Fläche des in Abbildung 8.3
dargestellten Kreissektors (zunächst im Fall 0 x < 1).
(Da die Variable x bereits als untere Grenze auftritt, haben wir die Integrations-
variable in ξ umbenannt. Viel Spaß beim Schreiben.)
Dem Integral rücken
( wir
) wie oben mit der Substitution ξ(t) = sin t, d.h. dξ =
cos t dt, t ∈ I = − π2 , π2 , zu Leibe:
" " "
1
1 − ξ 2 dξ = 1 − sin2 t cos t dt = cos2 t dt = (sin t · cos t + t) + c.
2
Die Stammfunktion von cos2 t lässt sich dabei mit Hilfe von Produktintegration
bestimmen, was wir bereits in Beispiel 8.5 getan haben. Mit sin t = ξ, also t =
arcsin ξ, ergibt sich unter Beachtung von cos t = 1 − sin2 t (Betrag entfällt, da
cos t 0 für t ∈ I)
"
1 1
1 − ξ 2 dξ = sin t · 1 − sin2 t + t + c = ξ · 1 − ξ 2 + arcsin ξ + c.
2 2
Für den Flächeninhalt des gesamten Kreissektors erhalten wir somit
" 1
A(x) = x 1 − x2 + 2 1 − ξ 2 dξ
x
&1 '1
= x 1 − x2 + 2 ξ 1 − ξ 2 + arcsin ξ
2 x
= x 1 − x2 + 1 1 − 12 + arcsin 1 − x 1 − x2 + arcsin x
π
= arcsin 1 − arcsin x = − arcsin x = arccos x (nach Seite 207).
2
√
Dieser Ansatz stimmt übrigens auch für −1 < x < 0. Dann ist zwar x 1 − x2 < 0,
was aber
dazu passt, dass die Dreiecksfläche für x < 0 von der durch Integration
über 1 − ξ 2 berechneten Fläche abgezogen werden muss (erstelle dir eine Skizze).
Insgesamt erhalten wir für alle x ∈ [−1 , 1 ] ein verblüffend einfaches Ergebnis,
nämlich
A(x) = arccos x.
Als kleines Schmankerl: Für x = −1 ist der Kreissektor der gesamte Einheitskreis,
dessen Flächeninhalt folglich
arccos(−1) = π (= π · 12 )
beträgt. Setzt man hier umgekehrt die πr2 -Formel für die Kreisfläche voraus, so
ist die Aufgabe natürlich schnell ganz ohne Integration gelöst: Bezeichnet ϕ den
halben Öffnungswinkel des Kreissektors, so ist cos ϕ = x1 = x und es folgt
2ϕ 2 arccos x
A(x) = · AKreis = · π12 = arccos x.
2π 2π
8.2 Integration durch Substitution 211
1
c) Integranden der Form
1 + x2
Zunächst erinnern wir uns, dass tan (x) = 1 + tan2 x die Ableitung der Tangens-
funktion ist (siehe Seite 134).
"
1
Beispiel 8.13 Bestimme das Integral dx.
1 + x2
Substituieren wir x(t) = tan t, t ∈ − π2 , π2 , so ist dx 2
dt = 1 + tan t, d.h.
dx = (1 + tan2 t) dt = (1 + x2 ) dt.
Setzen wir dies ein, so lässt sich der Nenner kürzen, und wir erhalten
" " "
1 1 2
dx = (1 + x ) dt = dt = t + c = arctan x + c.
1 + x2 1 + x2
Wir merken uns
"
1 1
dx = arctan x + c bzw. arctan (x) = .
1 + x2 1 + x2
"
1
Beispiel 8.14 Wir bestimmen das Integral dx.
9x2 +4
1
Dazu bringen wir den Integranden auf die Form 1+u2 , um das eben gewonnene
Grundintegral anwenden zu können. Es ist
1 1 1
=
9 2 =
.
9x2 + 4 4 1 + 4x 4 1 + ( 32 x)2
" ∞
1
Beispiel 8.15 Wir berechnen das uneigentliche Integral dx.
1 x2 − 2x + 7
Zunächst bringen wir den Nenner durch quadratische Ergänzung und Substitution
auf die Form 1 + u2 .
x2 − 2x + 7 = x2 − 2x +1 − 1 + 7 = (x − 1)2 + 6
$ 2 %
(x − 1)2 x−1
=6 +1 =6 1+ √
6 6
212 8 Die Kunst des Integrierens
————————— —————————
Aufgabe 8.6 Setze x(t) = cos t, um die Stammfunktion in Beispiel 8.11 zu
bestimmen. Warum widerspricht das Ergebnis nicht dem Ergebnis des Beispiels?
Aufgabe 8.7 Bestimme arcsin (x), indem du sin(arcsin x) = x (für |x| < 1)
beidseitig ableitest, bzw. direkt Satz 5.9 anwendest, der überhaupt erst garantiert,
dass arcsin für |x| < 1 differenzierbar ist. Ebenso für den Arcustangens.
Aufgabe 8.8 Integriere! Tipp zu b): quadratisch ergänzen.
" " − 14 " ∞
1 1 1
a) √ dx b) dx c) dx
3 − x2 − 12 −4(x2 + x) 0 4 + 25x2
Aufgabe 8.11 Lässt man die Ellipse aus voriger Aufgabe um die x-Achse ro-
tieren, so entsteht ein Ellipsoid. Berechne das Volumen (siehe Seite 151) dieses
Ellipsoids und spezialisiere das Ergebnis auf das Volumen einer Kugel.
du 1
b) Rechne nach, dass = (1 + u2 ) gilt.
dϕ 2
Somit führt u = tan ϕ2 insgesamt zu
1 − u2 2u 2du
cos ϕ = , sin ϕ = und dϕ = ,
1 + u2 1 + u2 1 + u2
und diese Substitution verwandelt jedes Integral über eine rationale Funktion in
sin ϕ und cos ϕ in ein Integral über eine rationale Funktion in u. (Dieses kann unter
Umständen aber noch unangenehmer zu lösen sein als das ursprüngliche.)
————————— —————————
a) Zeichne Schaubilder von sinh und cosh und begründe ihre Symmetrie sowie
ihren Verlauf für x → ∞.
cosh2 x − sinh2 x = 1.
Anmerkung: Eigenschaft b) verleiht sinh und cosh ihren Namen. Aus der Defi-
nition des gewöhnlichen Sinus und Cosinus am Einheitskreis folgt cos2 t+sin2 t = 1,
d.h. der Einheitskreis x2 +y 2 = 1 lässt sich auch beschreiben als Menge aller Punkte
( cos t | sin t ) mit t ∈ [ 0 , 2π ).
In Abbildung 8.6 ist eine Hyperbel dargestellt, deren Punkte die Gleichung
x2 − y 2 = 1
erfüllen. Aufgrund von cosh2 t−sinh2 t = 1 lässt sich nun der rechte Ast (x 1) ei-
ner solchen Hyperbel als Menge aller Punkte ( cosh t | sinh t ) mit t ∈ R beschreiben
(siehe Aufgabe 8.14).
y x2 − y 2 = 1
2
( cosh t | sinh t )
1
−2 −1 0 1 2 x
−1
Abbildung 8.6
"
1
Beispiel 8.16 Bestimme das Integral √ dx.
1 + x2
Der kleine aber entscheidende Unterschied zu Beispiel 8.11 ist das Plus- anstelle des
216 8 Die Kunst des Integrierens
Minuszeichens unter der Wurzel. Deshalb substituieren wir hier nicht x(t) = sin t,
sondern x(t) = sinh t, t ∈ R. Mit Aufgabe 8.13 folgt dann
dx
= cosh t und 1 + x(t)2 = 1 + sinh2 t = cosh2 t = cosh t
dt
(beachte | cosh t| = cosh t für alle t ∈ R), d.h. es ist
" " "
1 1
√ dx = cosh t dt = 1 dt = t + c.
1 + x2 cosh t
Machen wir die Substitution x(t) = sinh t rückgängig (Aufgabe 8.13 e)), so folgt
"
1
√ dx = arsinh x + c = ln x + x2 + 1 + c für x ∈ R.
1 + x2
————————— —————————
wobei das + für den rechten und das − für den linken Hyperbelast zu wählen ist.
"
1
Aufgabe 8.15 Bestimme das Integral √ dx für x > 1.
x2 − 1
Aufgabe 8.16 Verfahre wie in Aufgabe 8.7, um mit Hilfe der Kettenregel die
Ableitungen von arsinh x und arcosh x zu bestimmen.
1
tanh (x) = .
cosh2 x
————————— —————————
kennen, wobei wir uns auf den Spezialfall eines quadratischen Nennerpolynoms be-
schränken. Hat man hier die Vorgehensweise einmal verstanden, kommt man auch
mit Nennerpolynomen höheren Grades zurecht; allerdings sind hier die Ansätze im
Falle mehrfacher oder komplexer Nullstellen etwas komplizierter (siehe z.B. [Kre]).
Beginnen wir mit f (x) = 1 und einem Nenner der Gestalt g(x) = x2 + px + q (einen
218 8 Die Kunst des Integrierens
Vorfaktor a vor dem x2 klammert man aus und zieht ihn vor das Integral), also
Integralen der Form
"
1
2
dx.
x + px + q
Fall 3: g(x) besitzt zwei verschiedene Nullstellen x1 , x2 ∈ R. Dies ist der Fall, der
uns tatsächlich etwas Neues bringt. Hier lässt sich der Integrand in eine Summe
von zwei Partialbrüchen zerlegen, d.h. man findet Konstanten A, B ∈ R, so dass
1 A B
= +
x2 + px + q x − x1 x − x2
gilt. Nun kann man die rechte Seite mit Hilfe der natürlichen Logarithmusfunktion
mühelos integrieren. Die Existenz obiger Partialbruchzerlegung (PBZ) lässt sich
allgemein beweisen (Aufgabe 8.21), aber es ist instruktiver, sie explizit an einigen
Beispielen durchzuführen.
"
1
Beispiel 8.17 Integriere mit Hilfe einer PBZ dx.
x2 − 1
Die Nullstellen des Nenners sind x1 = −1 und x2 = 1, d.h. wir machen den Ansatz
1 A B
= +
x2 −1 x+1 x−1
für die Partialbruchzerlegung des Nenners. Beidseitiges Multiplizieren mit dem ge-
meinsamen Nenner x2 − 1 = (x + 1)(x − 1) führt auf
Nun kann man die rechte Seite nach Potenzen von x sortieren: A(x−1)+B(x+1) =
(A + B)x + B − A, und ein Koeffizientenvergleich mit der linken Seite 1 = 0x + 1
führt auf das lineare Gleichungssystem
Noch schneller führt das Einsetzungsverfahren zum Ziel: Setzt man x = 1 in ()
ein, so folgt sofort 1 = A · 0 + B · 2, d.h. B = 12 . Für x = −1 wird () zu 1 =
A · (−2) + B · 0, also A = − 12 .
Somit lautet die Partialbruchzerlegung des Integranden
1 − 12 1
1 1 1
= + 2
= − ,
x2 − 1 x+1 x−1 2 x−1 x+1
Wenn das Zählerpolynom des Integranden nicht konstant, sondern linear ist, ändert
sich an der Vorgehensweise fast nichts, wie das nächste Beispiel zeigt.
"
x+4
Beispiel 8.18 Löse das Integral dx.
x2 − x − 2
Die Faktorisierung des Nenners lautet x2 − x − 2 = (x + 1)(x − 2). Hier lässt man
im Ansatz für die PBZ des Integranden den Zähler ganz einfach stehen:
x+4 A B
= + =⇒ x + 4 = A(x − 2) + B(x + 1).
x2 − x − 2 x+1 x−2
Für x = 2 ergibt sich 6 = 3B und für x = −1 folgt 3 = −3A. Also ist A = −1 und
B = 2, d.h.
" "
x+4 −1 2
dx = + dx
x2 − x − 2 x+1 x−2
(x − 2)2
= − ln |x + 1| + 2 ln |x − 2| + c = ln + c.
|x + 1|
Das letzte Beispiel zeigt, wie man bei Zählergrad Nennergrad“ vorgeht.
”
"
x3 − 8x2 + 13x + 17
Beispiel 8.19 Bestimme das Integral dx.
x2 − 9x + 20
Der Integrand sieht wenig einladend aus, aber da der Zählergrad größer als der
Nennergrad ist, können wir ihn zunächst durch Polynomdivision vereinfachen.
220 8 Die Kunst des Integrierens
Die ersten beiden Summanden können wir bequem integrieren und dem letzten
rücken wir mit PBZ zu Leibe. Die Nullstellen des Nenners sind x1 = 4 und x2 = 5,
d.h. es ist x2 − 9x + 20 = (x − 4)(x − 5) und wir können somit ansetzen
2x − 3 A B
= + =⇒ 2x − 3 = A(x − 5) + B(x − 4) .
x2 − 9x + 20 x−4 x−5
Einsetzen von x = 5 liefert 7 = B und für x = 4 spuckt obige Gleichung 5 = −A
aus. Insgesamt ist
" "
2x − 3 1 2 −5 7
x+1+ 2 dx = x + x + + dx
x − 9x + 20 2 x−4 x−5
1 1 (x − 5)7
= x2 + x − 5 ln |x − 4| + 7 ln |x − 5| + c = x2 + x + ln + c.
2 2 (x − 4)5
————————— —————————
Aufgabe 8.20 Berechne mit Hilfe einer PBZ die folgenden Integrale.
" " "
5 3x − 2π x2 − x + 3
a) dx b) dx c) dx
x2 − x − 6 x2 − πx x2 − 3x + 2
gilt, falls p2 > 4q ist, d.h. falls das Nennerpolynom zwei verschiedene Nullstellen
besitzt (weil in diesem Fall die Diskriminante in der Lösungsformel positiv ist).
————————— —————————
8.4 Vermischte Übungen 221
Literatur zu Kapitel 8
[Heu] Heuser, H.: Lehrbuch der Analysis 1. Vieweg+Teubner, 17. Aufl. (2009)
Abstrakte Algebra
9 Komplexe Zahlen
Dieses und das nächste Kapitel sollen dir einen kleinen Einblick in die wunderbare
Welt der Algebra vermitteln.
Algebra ist hier nicht wie du es aus der Schule gewohnt bist das Rechnen mit
”
Buchstaben“, sondern es geht vielmehr darum, die Struktur gewisser Objekte (wie
z.B. sogenannter Gruppen, Ringe, Körper, Vektorräume, Moduln etc.) zu studieren
und die Eigenschaften von strukturerhaltenden Abbildungen (sogenannter Homo-
morphismen) zwischen diesen Strukturen zu verstehen.
Einigen dieser abstrakten Konzepte wollen wir nun anhand zahlreicher Beispie-
le Leben einhauchen. Bei den komplexen Zahlen beginnen wir ganz moderat und
rechnen viele konkrete Zahlenbeispiele durch, allerdings geben wir auch hier schon
einen kleinen Einblick in die axiomatische Methode der Algebra, indem wir uns mit
den sogenannten Körperaxiomen auseinandersetzen.
da x = ab im Allgemeinen keine ganze Zahl ist. Dieses Problem beseitigt man durch
Hinzunahme von Brüchen, also durch die Erweiterung von Z zu den rationalen
Zahlen Q = { ab | a, b ∈ Z, b = 0 } . Dieser Zahlbereich ist vom algebraischen
Standpunkt aus schon recht befriedigend, da er bezüglich der Grundrechenarten
±, · und : abgeschlossen ist (Q ist ein sogenannter Körper; Details in 9.3). Doch
auch Q ist noch unvollständig“, denn bereits eine so einfache Gleichung wie
”
2
x =2 besitzt keine rationale Lösung,
√
da (±) 2 irrational ist (siehe Seite 27). Nehmen wir zu den rationalen alle (überab-
zählbar unendlich vielen) irrationalen Zahlen hinzu, so gelangen wir zu den reellen
Zahlen R (die ebenfalls ein Körper sind). Für uns besteht R aus allen Dezimal-
zahlen; die rationalen Zahlen besitzen dabei eine abbrechende oder periodische
tein, Griechisch und Hebräisch konnte; mit 12 beherrschte er bereits zwölf Sprachen (u.a. Arabisch
und Sanskrit). Berühmt wurde er durch seine wichtigen Beiträge zur theoretischen Mechanik und
durch die Erfindung der Quaternionen H, welche die komplexen Zahlen erweitern (siehe 9.3.3).
9.2 Einführung der komplexen Zahlen C 227
Definition 9.1 Auf R2 erklären wir eine Addition und eine Multiplikation durch
a c a+c a c a·c − b·d
⊕ := und := .
b d b+d b d a·d + b·c
Die Menge R2 zusammen mit diesen beiden Verknüpfungen, kurz (R2 , ⊕ , ), nennt
man die komplexen Zahlen C. ♦
————————— —————————
Mit der Multiplikation komplexer Zahlen wollen wir uns nun genauer beschäftigen.
Die erste wichtige Erkenntnis ist, dass C eine Erweiterung von R ist, denn für
komplexe Zahlen, deren zweite Komponente 0 ist, gilt
a c a+c a c a·c − 0·0 ac
⊕ = und = = ,
0 0 0 0 0 a·0 + 0·c 0
d.h. diese komplexen Zahlen kann man wie gewöhnliche reelle Zahlen addieren und
multiplizieren. Abstrakter ausgedrückt stellt die Abbildung ι (lies: Iota“)
”
a
ι : R → C, a →
0
eine sogenannte Einbettung der reellen in die komplexen Zahlen dar. Dies bedeutet,
dass ι injektiv ist (klar!) und die Bedingungen
erfüllt (was genau der Inhalt obiger Rechnung ist). Die reellen Zahlen liegen also
als ι(R) in C drin“ und in ι(R) gelten die gewohnten Rechenregeln von R.
”
228 9 Komplexe Zahlen
Transportiert man die reelle 1 mittels ι nach C, so erhalten wir die komplexe Eins,
sprich eine komplexe Zahl, die bei Multiplikation nichts verändert. Denn
1
1C := ι(1) =
0
In C können wir nun unser ursprüngliches Problem, nämlich die Unlösbarkeit der
Gleichung x2 = −1 in √R, mit Leichtigkeit lösen. Dazu müssen wir nicht etwa so
obskure Ausdrücke wie −1 hinschreiben, sondern wir geben ganz unmystisch eine
komplexe Zahl – also einen Vektor des R2 – an, die mit sich selbst multipliziert
−1C ergibt.
Satz 9.1 In den komplexen Zahlen C ist die Gleichung z 2 = −1C lösbar.
(Achtung: Es ist nicht automatisch klar, dass (− i)2 = i2 gilt; siehe dazu Aufgabe
9.14). Somit besitzt die Gleichung z 2 = −1 in C (mindestens) zwei Lösungen,
nämlich i und −i.
Vereinbarung: Ab sofort lassen wir den Index C bei der 1 weg und identifizie-
ren 1C mit der reellen 1 (nach der oben besprochenen Einbettung ι). Durch die
Einführung von i gelangen wir auch zu einer gebräuchlicheren Darstellung komple-
xer Zahlen. Es ist nämlich
* +
a a 0 a b 0
z= = ⊕ = ⊕ = ι(a) ⊕ ι(b) i .
b 0 b 0 0 1
9.2 Einführung der komplexen Zahlen C 229
Identifizieren wir nun noch die Einbettungen ι(a) und ι(b) mit ihren reellen Pen-
dants a und b, und schreiben ab sofort + und · auch für die Addition und Multi-
plikation in C, so erhalten wir komplexe Zahlen in handlicher Gestalt als
z = ι(a) ⊕ ι(b) i = a + b · i = a + b i.
C = { z = a + b i | a, b ∈ R }.
Mit Hilfe dieser Darstellung wird auch sofort ersichtlich, wie man auf die seltsame
Multiplikationsregel für komplexe Zahlen kommen kann. Setzen wir die Gültig-
keit des Distributivgesetzes sowie die Kommutativität der Addition in C voraus
(Nachweis erst in 9.3.1), so erhalten wir für das Produkt zweier komplexer Zahlen
wobei im letzten Schritt i2 = −1 eingeht. Hier steht nun aber nichts anderes als
unsere ursprüngliche Definition 9.1 der Multiplikation – nur eben jetzt nicht mehr
vektoriell, sondern in der a + b i -Schreibweise. Man muss sich Definition 9.1 also
gar nicht merken, sondern man bildet einfach das Produkt komplexer Zahlen durch
ganz intuitives Ausmultiplizieren“ unter Beachtung von i2 = −1.
”
Definition 9.3 Für eine komplexe Zahl z = a+b i mit a, b ∈ R heißen die reellen
Zahlen Re z := a Realteil von z und Im z := b Imaginärteil von z.
Eine komplexe Zahl z = 0 heißt rein imaginär, falls z = b i mit b ∈ R\{0} ist. ♦
Beispiel 9.1
a) Für z = 2 − 5 i ist Re z = 2 und Im z = −5 (und nicht −5 i).
b) Für die imaginäre Einheit i = 0 + 1 i gilt Re i = 0 und Im i = 1.
Historisches. Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts, also ca. 300 Jahre vor Hamilton
beschäftigte sich Cardano2 mit dem Lösen von Gleichungen 3. und 4. Grades (siehe
Seite 262) und rechnete dabei mit Wurzeln aus negativen Zahlen – allerdings unter
√ ”
Überwindung geistiger Qualen“. Ausdrücke wie −1“ blieben den Mathematikern noch
”
lange Zeit suspekt, und das Rechnen mit diesen imaginären“ (also eingebildeten) Größen
”
wurde zunächst als bloße Spielerei angesehen. Dies änderte sich spätestens, als der groß-
artige Euler um 1770 komplexe Zahlen erfolgreich in der Analysis verwendete – von ihm
2 Gerolamo Cardano (1501–1576). Arzt, Mathematiker, Mystiker und Wüstling.
230 9 Komplexe Zahlen
imaginäre Achse
a 0
b = Im z z = a + bi = ⊕
0 b
1
0
i=
1
reelle Achse
1 a = Re z
1
C=R 2 1C =
0
Abbildung 9.1
stammt übrigens das Symbol i. Und als schließlich auch Gauß, der Fürst der Mathe-
”
matik“, um 1830 mit komplexen Zahlen arbeitete (zunächst in geometrischer Gestalt),
fanden sie allgemeine Anerkennung.
z + w = 2 + 5 i + 4 − 2 i = 2 + 4 + (5 − 2) i = 6 + 3 i.
Man muss also lediglich die Real- und Imaginärteile beider Zahlen addieren. Ebenso
leicht ist das Subtrahieren, denn z − w bedeutet nichts weiter als das Negative von
w zu z zu addieren: z − w = z + (−w), wobei −w = −(4 − 2 i) = −4 + 2 i ist. Die
9.2 Einführung der komplexen Zahlen C 231
z − w = 2 + 5 i − (4 − 2 i) = 2 − 4 + (5 + 2) i = −2 + 7 i.
Beispiel 9.3 Wir berechnen Produkt z · w und Quotient wz für obige Zahlen.
Das Produkt bilden ist leicht, wir multiplizieren dazu einfach aus:
(2 + 5 i) · (4 − 2 i) = 2 · 4 − 2 · 2 i + 5 i · 4 − 5 i · 2 i
= 8 − 10 i2 + (−4 + 20) i = 18 + 16 i,
Den Trick der letzten beiden Beispiele müssen wir unbedingt allgemein festhalten.
a − bi a b
(a + b i)−1 = 2 2
= 2 2
− 2 i.
a +b a +b a + b2
a − bi (a + b i) · (a − b i) a 2 − b2 i 2 a 2 + b2
(a + b i) · 2 2
= 2 2
= 2 2
= 2 =1.
a +b a +b a +b a + b2
Beachte: Teilen durch a2 + b2 ist erlaubt, da dieser Ausdruck für z = 0 nie 0 wird.
232 9 Komplexe Zahlen
Wie aber kommt man auf diese Formel für das Inverse? Ganz einfach: Wieder durch
i mit a − b i:
1
Nenner reell machen“, d.h. Erweitern von a+b
”
1 1 a − bi a − bi a − bi
= · = 2 = 2 .
a + bi a + bi a − bi a −b i
2 2 a + b2
Wenn man nicht auf diesen Trick kommt, muss man wesentlich mehr Mühe inve-
stieren, um die Formel für das Inverse zu erhalten (siehe Aufgabe 9.6).
————————— —————————
M = { z ∈ C | Re z 2 ∧ Im z < 1 }.
1
Aufgabe 9.4 Bestimme Re w und Im w für w = (z = 0).
z2
Aufgabe 9.5 Untersuche auf Injektivität, Surjektivität, Bijektivität.
a) r : C → R, z → Re z b) e : R → C, a → a + a i
1
c) k : C\{0} → C\{0}, z→
d) g : C → C, z → z + i
z
e) m : C → C, z → z · (1 + i)
————————— —————————
9.2 Einführung der komplexen Zahlen C 233
z := a − b i
(lies: z quer“), d.h. wir ersetzen den Imaginärteil von z einfach durch sein Negati-
”
ves. In der gaußschen Zahlenebene wird dabei der zu z gehörige Pfeil an der reellen
Achse gespiegelt. ♦
√ √
Beispiel 9.5 a) Es ist 3 + 2i = 3 − 2i.
b) Für reelles z gilt z = z und für rein imaginäres z gilt z = −z , z.B. i = − i.
————————— —————————
Nach dem Satz des Pythagoras ist |z| nichts anderes als die Länge des Pfeils, der
z in der gaußschen Zahlenebene repräsentiert. Zudem stimmt |z| √ für reelles
√ z mit
dem gewöhnlichen Betrag überein, denn für z = a ∈ R ist |z| = a · a = a2 = |a|.
234 9 Komplexe Zahlen
|z − (1 + 2 i)| = 2 ?
|z − 1 − 2 i| = |x + y i − 1 − 2 i| = |(x − 1) + (y − 2) i|
!
= (x − 1)2 + (y − 2)2 = 2.
Alle Paare (x | y), die diese Gleichung erfüllen, liegen nach Pythagoras auf einem
Kreis vom Radius 2 mit Mittelpunkt M (1 | 2) (stelle dir in Abbildung 9.2 ein recht-
winkliges Hilfsdreieck vor), welcher der komplexen Zahl v = 1 + 2 i entspricht.
Direkt aus der Definition von |z| ergibt sich eine Darstellung für das Betragsquadrat
einer komplexen Zahl, die oft extrem nützlich ist:
|z|2 = z · z.
Mit Hilfe von Betrag und Konjugation sind wir nun in der Lage, die Formel für das
Inverse wesentlich knapper aufzuschreiben, denn offenbar ist (siehe Satz 9.2)
a − bi z
z −1 = = .
2
a +b 2 |z|2
9.2 Einführung der komplexen Zahlen C 235
= zz + zw + wz + ww = |z|2 + zw + zw + |w|2
————————— —————————
κ : C → C, z → z; b : C → C, z → |z|; b̃ : C → R+
0, z → |z|.
————————— —————————
Definition 9.6 Ein Körper ist eine Menge K mit zwei Verknüpfungen
+ : K × K → K, (a, b) → a + b (Addition) und
· : K × K → K, (a, b) → a · b (Multiplikation),
so dass folgende neun Bedingungen, die sogenannten Körperaxiome, erfüllt sind.
9.3 Der Körper der komplexen Zahlen 237
Anmerkungen:
1. Das additive Inverse von a bezeichnen wir mit −a, das multiplikative Inverse
mit a−1 . Das“ Inverse darf man strenggenommen nur dann sagen, wenn
”
es eindeutig bestimmt ist. Dies sowie die Eindeutigkeit der Neutralelemente
wird in Aufgabe 9.13 aus den Axiomen gefolgert.
Dir bereits wohlbekannte Beispiele von Körpern sind die rationalen Zahlen Q sowie
die reellen Zahlen R. Natürlich wurden die Körperaxiome in der Schule stets nur
als Rechenregeln mitgeteilt, deren Gültigkeit ohne Beweis akzeptiert wurde.
Dass die komplexen Zahlen C tatsächlich ein Körper sind, wollen wir nun explizit
beweisen. Allerdings stützen wir uns dabei auf die Gültigkeit der Körperaxiome
in R – und deren Beweis bzw. überhaupt eine saubere Konstruktion von R ist
wie bereits früher angedeutet eine komplizierte Geschichte, auf die wir nicht näher
eingehen.
238 9 Komplexe Zahlen
Satz 9.5 Die Menge C = R2 ist mit den in 9.2.1 definierten Verknüpfungen
a c a+c a c ac − bd
⊕ = und =
b d b+d b d ad + bc
Es wird hier übrigens absichtlich die Vektorschreibweise verwendet, weil wir uns an
das intuitive Rechnen mit der a + b i-Schreibweise bereits zu sehr gewöhnt haben.
Uff. . . eine solch offensichtliche aber mühsame Rechnung will man nur einmal in
seinem Leben ausführlich aufschreiben. Wenn man genau hinschaut, ist () der
einzige interessante Schritt, und hier wird lediglich ausgenutzt, dass die gewöhnliche
Addition in R assoziativ ist. Wir können also auch einfach sagen, dass sich die
Assoziativität von ⊕ komponentenweise auf die Assoziativität der Addition in R
zurückführen lässt.
Die Gültigkeit der restlichen Körperaxiome (A2 )–(A4 ) für die Addition ist leicht
zu verifizieren: Das Neutralelement der Addition ist
0 a 0 a+0 a
0C := , da z ⊕ 0C = ⊕ = = =z
0 b 0 b+0 b
a −a
für alle z ∈ C gilt. (A3 ): Definiert man − := , so ist
b −b
a −a a−a 0
⊕ = = = 0C ,
b −b b−b 0
d.h. jedes z ∈ C besitzt ein additives Inverses. Schließlich ist die Addition ⊕ kom-
mutativ, weil die gewöhnliche Addition in R dies ist:
a c a+c c+a c a
⊕ = = = ⊕ ,
b d b+d d+b d b
die aus zwei komplexen Zahlen wieder eine komplexe Zahl macht. Etwas mühsam
ist wieder die Assoziativität (M1 ); man rechnet
a c e ac − bd e (ac − bd)e − (ad + bc)f
= = und
b d f ad + bc f (ac − bd)f + (ad + bc)e
a c e a ce − df a(ce − df ) − b(cf + de)
= = .
b d f b cf + de a(cf + de) + b(ce − df )
Auf das geschickte Umsortieren in der zweiten Zeile kommt man natürlich nur,
wenn man sich vor Augen hält, wie das Endergebnis aussehen soll.
Hurra, geschafft! C ist also erwiesenermaßen ein Körper, was bedeutet, dass wir
die aus Q oder R gewohnten Rechengesetze ab jetzt guten Gewissens auch in C
anwenden dürfen.
Es folgen nun ein paar abstraktere Aufgaben, in denen du dich an den Umgang
mit den Körperaxiomen gewöhnen sollst.
240 9 Komplexe Zahlen
————————— —————————
Aufgabe 9.12 Versuch einer alternativen Körpermultiplikation auf R2 .
Anstelle der seltsamen Multiplikation aus Definition 9.1 wäre das Produkt auf R2
a c ac
∗ :=
b d bd
doch eine viel natürlichere Wahl. Du sollst nun zeigen, dass (R2 , ⊕ , ∗) mit der so
definierten Multiplikation ∗ kein Körper ist.
a) Überlege, wie das multiplikative Neutralelement 1∗ ∈ R2 aussehen muss.
b) Gib Elemente ab = 00 =: 0 an, die kein multiplikatives Inverses bezüglich
∗ besitzen. Da die Existenz solcher Elemente mit dem Körperaxiom (M3 )
unvereinbar ist, kann ∗ also keine Körpermultiplikation auf R2 definieren.
c) Finde von Null verschiedene Elemente n, m ∈ R2 , für die n ∗ m = 0 gilt
(sogenannte Nullteiler). Begründe anschließend, warum es in einem Körper
keine Nullteiler geben kann (Tipp: Multiplikation mit dem Inversen). Dies
beweist erneut, dass ∗ keine Körpermultiplikation auf R2 sein kann.
a) Ebbes3 mal Null bleibt Null.“ Zeige, dass für jedes Element a eines Körpers
”
K stets a · 0 = 0 gilt. Probiere das zunächst ein Weilchen selber; sobald die
Verärgerung zu groß wird, folge der Anleitung: Schreibe die Null in a · 0 als
0+0 und wende das Distributivgesetz an. Subtrahiere dann auf beiden Seiten
der entstehenden Gleichung a · 0. (Dies ist möglich, weil das Körperelement
a · 0 ein additives Inverses besitzt.)
b) Zeige, dass (−1) · (−1) = 1 gilt. Tipp (erst schauen, wenn du selber nicht
weiter kommst): Beginne mit dem Ausdruck (−1) · (−1) + (−1) und wende
das Distributivgesetz rückwärts an.
c) Weise (−1) · a = −a für jedes a ∈ K nach, d.h. dass (−1) · a das additive
Inverse von a ist (welches nach Aufgabe 9.13 ja eindeutig bestimmt ist).
d) Minus mal Minus ergibt Plus.“ Zeige, dass (−a) · (−b) = a · b für alle a, b ∈ K
”
gilt. Tipp: Verwende dazu b) und c).
————————— —————————
a > 0, a = 0, − a > 0.
Eine Zahl a ∈ R heißt positiv, wenn a > 0 gilt (anschaulich: wenn sie rechts von
”
der Null auf der Zahlengeraden liegt“). Ist −a positiv, so nennen wir a negativ.
Mit Hilfe des Positivitätsbegriffes lässt sich nun leicht eine größer als“-Relation
”
einführen, indem man definiert:
Wir werden nun gleich zeigen, dass ein solcher Größenvergleich komplexer Zahlen
nicht möglich ist, was letztendlich daran liegt, dass die Gleichung z 2 + 1 = 0 in C
Lösungen besitzt.
3 Für Nicht-Schwaben: Ebbes (Ebbas, Äbbes) = Etwas.
242 9 Komplexe Zahlen
Dazu brauchen wir eine wichtige Folgerung aus den Anordnungsaxiomen, nämlich
dass stets a2 > 0 für jedes a = 0 gilt. Für a > 0 folgt dies sofort aus (P2 ), indem
man dort b = a setzt. Ist −a > 0, so folgt wegen (−1)2 = 1 (siehe Aufgabe 9.14)
und (P2 ), dass a2 = (−a)2 > 0 ist.
Da wir gar nicht wissen, welche und wie viele Möglichkeiten es geben kann, auf C
einen Positivitätsbegriff einzuführen, können wir sicher nicht all diese Möglichkeiten
durchprobieren und feststellen, dass sie immer (P1 ) oder (P2 ) verletzen. Deshalb
bietet sich hier ein Widerspruchsbeweis an. Zur Erinnerung: Hierbei nehmen wir
an, die Aussage des Satzes sei falsch, und zeigen, dass diese Annahme stets zu einem
Widerspruch führt. Folglich muss die Aussage des Satzes richtig gewesen sein.
wobei uw = u · w das gewöhnliche Produkt komplexer Zahlen ist und z die kom-
plexe Konjugation bezeichnet. (In folgendem Beweis wird ersichtlich, warum das
Konjugieren an den vorgegebenen Stellen nötig ist.)
Man nennt (H , + , · ) die hamiltonschen Quaternionen. ♦
Die beiden folgenden Aufgaben eignen sich z.B. als Grundlage einer Hausarbeit
über die Quaternionen. Dementsprechend gibt es hierzu keine Lösungen.
————————— —————————
Aufgabe 9.15 Beweise, dass die Quaternionen ein Schiefkörper sind. Anleitung:
a) Überprüfe die Körperaxiome für die Addition (siehe Beweis von Satz 9.5).
b) Schwieriger ist der Nachweis der Axiome für die Multiplikation.
(M1 ): Stures Nachrechnen (unangenehm, da viel Schreibarbeit).
(M2 ): Gib die 1 an und verifiziere 1 · q = q = q · 1 für alle q ∈ H.
(M3 ): Um das multiplikative Inverse eines Quaternions q ∈ H\{0} elegant
angeben zu können, bedienen
wir uns desselben Kunstgriffes wie in C.
u u
Wir definieren das zu q = konjugierte Quaternion als q := .
v −v
2
|u| + |v|2
Rechne nach, dass q · q = q · q = gilt.
0
Weiter definieren wir in Anlehnung an C den (reellen) Ausdruck |u|2 + |v|2
als Betragsquadrat |q|2 des Quaternions. Zeige, dass durch
q
q −1 :=
|q|2
das (Rechts- und Links-) Inverse eines jeden q ∈ H\{0} gegeben ist. (Der
Faktor |q|1 2 ist dabei so zu verstehen, dass er mit den beiden Einträgen von
q zu multiplizieren ist.)
Zeige explizit, dass das Kommutativgesetz (M4 ) in H nicht mehr gilt. Finde
dazu zwei (möglichst einfache) Quaternionen q und r mit q · r = r · q.
q · (r + s) = q · r + q · s (Linksdistributivgesetz)
gekämpft hat, darf sich guten Gewissens den Nachweis des Rechtsdistributiv-
gesetzes (q + r) · s = q · s + r · s sparen. Es gilt ebenfalls; versprochen!
244 9 Komplexe Zahlen
i2 = j2 = k2 = i · j · k = −1 und i · j = k = − j · i.
d) Zu guter Letzt überzeuge man sich von der Richtigkeit der Darstellung des
Inversen eines q = a1 + b i + c j + d k ∈ H\{0}:
1
q −1 = (a1 − b i − c j − d k),
|q|2
————————— —————————
Wer mehr über die Geschichte und die Eigenschaften von H erfahren möchte, dem
sei wärmstens [Ebb] empfohlen.
9.4 Polarform komplexer Zahlen 245
9.4.1 Polarkoordinaten
Einen Pfeil z in der gaußschen Zahlenebene kann man nicht nur durch die x- und
y-Koordinaten seines Endpunktes charakterisieren. Man kann die Lage eines z = 0
ebenso eindeutig durch seine Länge r = |z| sowie den Winkel ϕ ∈ [ 0 , 2π), den
der z-Pfeil mit der reellen Achse einschließt, beschreiben; siehe Abbildung 9.4. Der
Winkel ϕ wird oft auch als Argument von z bezeichnet.
Das Paar (r, ϕ) nennt man die Polarkoordinaten von z ∈ C\{0}. Der Null kann
man offenbar keinen eindeutigen Winkel zuordnen.
Im
z = a + bi
b = r sin ϕ
|z |
r=
ϕ Re
a = r cos ϕ
Abbildung 9.4
Der Zusammenhang zwischen der Polardarstellung und der bisherigen Form z =
a + b i ist Abbildung 9.4 leicht zu entnehmen, denn für den Realteil a und den
Imaginärteil b gilt
a = r cos ϕ und b = r sin ϕ .
Beachte: Dies gilt auch für ϕ > π2 , d.h. wenn der Pfeil nicht im ersten Quadranten
liegt. Sinus oder Cosinus sind dann gegebenenfalls eben negativ. Ob man den Win-
kel ϕ im Grad- oder Bogenmaß angibt, ist Geschmackssache. Wir werden meistens
das Bogenmaß verwenden. Aus obiger Darstellung folgt für jede komplexe Zahl
Weil sin ϕ i“ komisch aussieht (und man hier eigentlich Klammern um das ϕ
”
machen müsste), schreiben wir in der Polarform das i stets vor den Sinus.
√ √
Beispiel 9.9 Wir wandeln z = 2 + 2 i in Polarform um.
√ √
Zunächst ist r = |z| = 2 2 + 2 2 = 2. Um den Winkel ϕ zu bestimmen,
beachten wir
Im z b
tan ϕ = = .
Re z a
√
Hier ist tan ϕ = √22 = 1, was ϕ0 = π4 (45◦ ) liefert. Aber auch ϕ1 = π4 + π = 5π 4 ist
eine Lösung von tan ϕ = 1, die in [ 0 , 2π) liegt, da √
der Tangens
√ eine Periode von π
besitzt. Nun erkennt man an der Darstellung z = 2 + 2 i allerdings sofort, dass
z im ersten Quadranten liegt (wegen Re z > 0 und Im z > 0), also ist ϕ0 = π4 der
gesuchte Winkel. Somit gilt
√ √ π π
z = 2 + 2 i = 2 cos + i sin .
4 4
√
Beispiel 9.10 Dasselbe für z = 3 − 3 i .
√ √ √
Der Betrag von z ist r = |z| = 32 + (− 3)2 = 12 = 2 3. Für das Argument
√ √
von z gilt tan ϕ = ab = −3 3 , also ϕk = tan−1 − 33 = − π6 + k · π mit k ∈ Z.
Wegen ϕ0 ∈ / [ 0 , 2π) betrachten wir ϕ1 = ϕ0 + π = 5π 11π
6 und ϕ2 = ϕ0 + 2π = 6 .
Wegen Re z > 0 und Im z < 0 liegt der Pfeil von z im 4. Quadranten, d.h. ϕ2 ist
der korrekte Winkel. Somit ist
√ √ 11π 11π
z = 3 − 3 i = 2 3 cos + i sin .
6 6
Was aber bringt das Ganze? Die Polarform sieht doch ehrlich gesagt viel umständ-
licher aus als die a + b i -Darstellung. Die alles entscheidende Einsicht bringt uns
mal wieder der große Euler.
Die gute Nachricht ist: Fast alle Definitionen und Konzepte aus Kapitel 4 über-
tragen sich wortwörtlich auf C, wobei wir einfach den Betrag komplexer Zahlen als
Erweiterung des reellen Betrags verwenden. (Da C keine Anordnung besitzt, lassen
sich jedoch die Begriffe, die von der Ordnungsrelation auf R abhängen, wie z.B.
Monotonie oder Supremum, nicht auf C übertragen.)
Zumindest die Grenzwertdefinition wollen wir kurz elaborieren, weil wir dies im
folgenden Beweis benötigen: Eine Folge komplexer Zahlen (zn ) ⊂ C konvergiert
gegen den Grenzwert z ∈ C, wenn es für jedes ε > 0 eine Zahl nε ∈ N gibt, so dass
|zn − z| < ε (dies ist nun der komplexe Betrag) für alle n > nε gilt. Haben wir
zn → z in C, so folgt aus
dass auch die Ausdrücke |Re zn − Re z| und |Im zn − Im z| kleiner als jedes beliebige
ε > 0 werden. Somit zieht die komplexe Konvergenz zn → z automatisch die
Konvergenz der reellen Folgen (Re zn ) und (Im zn ) nach sich, und zwar gegen die
Grenzwerte Re z bzw. Im z.
Nun aber zurück zur komplexen e-Funktion selbst: Wir teilen mit, dass die sie
definierende komplexe Reihe für jedes z ∈ C konvergiert, und dass zudem das
extrem nützliche Additionstheorem
gilt (ohne Beweis; siehe jedoch Aufgabe 9.25 für den uns nur interessierenden Spe-
zialfall rein imaginärer u und v).
Euler hat entdeckt, dass etwas sehr Bemerkenswertes passiert, wenn man in die
e-Funktion rein imaginäre Zahlen z = ϕ i einsetzt.
eϕ i = cos ϕ + i sin ϕ.
∞ ∞
Reihen 1
k=0 k! ϕk Re ( ik ) bzw. 1
k=0 k! ϕk Im ( ik ) sind, erhalten wir
∞
∞
1 k 1 k
eϕ i = Re (eϕ i ) + i Im (eϕ i ) = ϕ Re ( ik ) + i ϕ Im ( ik ).
k! k!
k=0 k=0
∞
∞
1 1
= ϕ2m (−1)m + i ϕ2m+1 (−1)m
m=0
(2m)! m=0
(2m + 1)!
∞ ∞
(−1)m 2m (−1)m
= ϕ +i ϕ2m+1 .
m=0
(2m)! m=0
(2m + 1)!
Hoppla, da stehen ja plötzlich die Taylorreihen von Cosinus und Sinus, d.h. wir
haben eϕ i = cos ϕ + i sin ϕ bewiesen.
Drei der wichtigsten Zahlen der Mathematik, nämlich e, π und i (die ersten beiden
sind irrational, ja sogar transzendent und die dritte ist gar nicht mehr reell) hängen
also auf verblüffend einfache Weise zusammen:
eπ i = −1.
r (cos ϕ + i sin ϕ) = r eϕ i .
√ √ π
So ist die Polarform von 2+ 2 i ganz einfach 2 e 4 i (vergleiche Beispiel 9.9).
Mit Hilfe dieser neuen Darstellung der Polarform eröffnet sich mit einem Schlag
eine anschauliche geometrische Deutung der komplexen Multiplikation.
9.4 Polarform komplexer Zahlen 249
z · w = r eϕ i · s eθ i = rs eϕ i · eθ i = rs eϕ i+θ i = rs e(ϕ+θ) i .
(Falls ϕ+θ nicht in [ 0 , 2π) liegt, muss man noch 2π abziehen, um auf die eindeutige
Polardarstellung zu kommen.)
Komplexe Zahlen werden also multipliziert, indem man ihre Beträge multipliziert
und ihre Winkel addiert (siehe Abbildung 9.5).
z · w = rs e i(ϕ+θ) Im
w = s e iθ
rs
z = r e iϕ
|w|
=
|z ·
s=
w|
|
|z
ϕ+θ
=
r
θ
ϕ Re
Abbildung 9.5
√ √ 3π √ 5π π
Beispiel 9.11 2 eπ i · 8e 2 i
= 16 e 2 i = 4 e 2 i
Die Multiplikation mit i dreht einen komplexen Pfeil also um 90◦ im Gegenuhrzei-
gersinn, ohne aber seine Länge zu verändern.
eine Quadratwurzel von i, die zweite ist w2 = −w1 . Übung: Weise mit Eulers
Identität nach, dass es sich um dieselben w wie in Variante 1 handelt.
Wenn man sich vorstellt, was geometrisch beim Quadrieren einer komplexen Zahl
passiert, wird das Vorgehen von Variante 2 noch klarer. Wegen (r eϕ i )2 = r2 e2ϕ i
wird die Länge des Pfeils quadriert und sein Winkel (zur reellen Achse) verdoppelt.
Will man die Wurzel eines Pfeils ziehen, muss man folglich die Wurzel aus seiner
Länge nehmen und seinen Winkel halbieren !
Auch das negative Vorzeichen der zweiten Wurzel bekommt aufgrund von −1 = eπ i
eine geometrische Bedeutung: Ist w1 = s eθ i die Wurzel einer Zahl z, dann ist
Somit ist der Pfeil von w2 um π, d.h. 180◦ weiter gedreht als der von w1 . Beim
Quadrieren wird aus diesen 180◦ aber 360◦ , weshalb die Quadratpfeile“ von w1
”
und w2 identisch sind (da man einem Pfeil eine zusätzliche Drehung um 360◦ nicht
ansieht).
Die eben gewonnenen Erkenntnisse wollen wir nun allgemein festhalten.
√ ϕ i 2 √ 2 ϕ
Beweis: Es ist w12 = re2 = r e2 · 2 i = r eϕ i = z, also ist w1 eine
Quadratwurzel von z. Dass −w1 die angegebene Polardarstellung besitzt, folgt wie
oben aus −1 = eπ i und w22 = z ist wegen w2 = −w1 klar.
Dass es keine weiteren Quadratwurzeln geben kann, sieht man so: Ist w = s eθ i
2
eine komplexe Zahl mit der Eigenschaft w2 = z, so folgt wz = 1, d.h.
s2 e2θ i s2 (2θ−ϕ) i !
ϕ i
= e = 1.
re r
√
Dies erzwingt s2 = r, sprich s = r (da s > 0) und e(2θ−ϕ) i = 1. Nach Eulers
Identität ist e(2θ−ϕ) i = cos(2θ − ϕ) + i sin(2θ − ϕ), also muss cos(2θ − ϕ) = 1
und sin(2θ − ϕ) = 0 sein. Die einzigen Argumente, für die beides erfüllt ist, sind
k · 2π mit k ∈ Z (siehe Anmerkung). 2θ1 − ϕ = 0 ergibt θ1 = ϕ2 und gehört somit
zu w1 , während 2θ2 − ϕ = ±2π auf θ2 = ϕ2 ± π führt und damit zu w2 gehört.
(2θ − ϕ = ±4π, ±6π etc. liefert keine θ ∈ [ 0 , 2π ) mehr.)
252 9 Komplexe Zahlen
Anmerkung: Wir akzeptieren hier ohne Beweis, dass genau die Zahlen nπ, n ∈ Z,
die Nullstellen der Sinusfunktion sind (und der Cosinus dort 1 wird). Tatsächlich steckt
dahinter eine Möglichkeit, die Zahl π ungeometrisch“ zu definieren, nämlich als kleinste
”
positive Nullstelle der über die Potenzreihe auf Seite 138 erklärten Sinusfunktion. Dann
bleibt allerdings noch nachzuweisen, dass sin x periodisch mit Periode 2π ist.
Nun müssen wir √ noch über die Mehrdeutigkeit der Quadratwurzel reden. Im Reellen
definiert man x als positive Lösung der Gleichung w2 = x. In C machen wir es so
ähnlich (nur dass es hier den Begriff positiv“ nicht mehr gibt, siehe 9.3.2).
”
√
Definition 9.9 z ist die Lösung der Gleichung w2 = z, deren Argument in
[ 0 , π) liegt. ♦
√ π π 5π √ π
Somit ist also i = e 4 i und nicht e( 4 +π) i = e 4 i . Ebenso ist −1 = i = e 2 i und
3π
nicht − i = e 2 i .
Diese Festlegung wird noch verständlicher, wenn man sich die Geometrie der kom-
plexen Quadratfunktion in Abbildung 9.6 anschaut. Dort sind die Bilder der Pfeile
π 3π
von 1, u = e 4 i , v = i und w = e 4 i unter der Funktion z → z 2 eingezeichnet.
H− C
v u2
w u z → z 2
1 v2 12
√
z → z
w2
Abbildung 9.6
H− = { r eϕ i | r 0, ϕ ∈ [ 0 , π) } = { z ∈ C | Im z 0 } \ R−
bijektiv auf ganz C ab. Die Injektivität von q wird durch das Herausnehmen der
unteren komplexen Halbebene { z ∈ C | Im z < 0 } inklusive der negativen reellen
Achse garantiert, denn dadurch verschwindet die Doppeldeutigkeit der Urbilder
unter q (vergleiche Satz 9.8). Die Surjektivität folgt ebenfalls aus Satz 9.8, da jede
komplexe Zahl eine Wurzel, also ein Urbild unter q besitzt. √
Kurz gesagt ist q : H− → C, z → z 2 , bijektiv mit Umkehrfunktion z → z.
9.4 Polarform komplexer Zahlen 253
————————— —————————
Aufgabe 9.17 Berechne und schreibe das Ergebnis auch in der Form a + b i.
√ √ √ √ √
a) −4 b) −a (a ∈ R) c) 16 e3π i d) 5 + 12 i e) 3 − 4 i
(Die Festlegung sgn(0) = 1 garantiert hier, dass die Formel auch für b = 0 das
korrekte Ergebnis liefert. Überzeuge dich in den beiden Fällen a 0 und a < 0
hiervon.) Beachte, dass auf der rechten Seite obiger Formeln jeweils gewöhnliche
reelle Wurzeln stehen, weil die Radikanden reell und nicht-negativ sind.
Bestimme damit erneut die Wurzeln aus Aufgabe 9.17 a), d) und e).
Für die Hartgesottenen: Versuche diese Formel herzuleiten, indem du das Vorgehen
von Variante 1 aus Beispiel 9.14 verallgemeinerst.
————————— —————————
254 9 Komplexe Zahlen
————————— —————————
Aufgabe 9.21 Beweise mittels Eulers Identität die Formel von de Moivre5 .
1 ϕi 1 ϕi
cos ϕ = e + e−ϕ i und sin ϕ = e − e−ϕ i .
2 2i
(i) indem du in der Formel von de Moivre n = 2 setzt, und dann auf beiden
Seiten Real- und Imaginärteil vergleichst. Oder:
(ii) Indem du auf der rechten Seite obiger Gleichungen die Formeln für Sinus
und Cosinus aus Aufgabe 9.22 b) einsetzt und dann so lange umformst,
bis die linke Seite da steht.
b) Zeige (am schnellsten mit Methode (i)):
und wende dann auf beiden Seiten dieser Gleichung die eulersche Identität an.
————————— —————————
6 Von der Beweislogik her beißt sich die Katze jetzt in den Schwanz ( Zirkelschluss“), da zum
”
Nachweis der Additionstheoreme in Aufgabe 9.24 bereits die hier zu beweisende Eigenschaft der
e-Funktion verwendet wurde. Beweist man jedoch die Additionstheoreme reell (mit geeigneten
Dreiecken), dann ist dieser Beweis logisch einwandfrei.
256 9 Komplexe Zahlen
Beweis: Entweder verifiziert man direkt durch Einsetzen, dass z1,2 Lösungen der
quadratischen Gleichung sind (Übung), oder man leitet diese Formel her. Letzteres
bietet den Vorteil, dass es gleichzeitig auch die Einzigkeit obiger Lösungen beweist.
Die Herleitung funktioniert wortwörtlich wie in R durch quadratisches Ergänzen:
b b b 2 b 2
az 2 + bz + c = a z 2 + z + c = a z 2 + z + − +c
a a 2a 2a
b 2 b2 b 2 b2
=a z+ − 2 +c=a z+ − +c.
2a 4a 2a 4a
Damit verwandelt sich die Gleichung az 2 + bz + c = 0 in
b 2 b2 b2 − 4ac
a z+ = −c bzw. w2 = ,
2a 4a 4a2
b
wobei w = z + 2a substituiert wurde. Diese Gleichung besitzt nach 9.4.4 immer
genau folgende Lösungen
√
b2 − 4ac b2 − 4ac
w1,2 = ± 2
=± .
4a 2a
(Beachte, dass wir im zweiten Schritt das in Aufgabe 9.18 beschriebene Problem
vermeiden, da bereits ein ±-Zeichen davor steht.) √
b2 −4ac
b
Die Rücksbustitution z = w − 2a liefert wie behauptet z1,2 = −b± 2a .
————————— —————————
Aufgabe 9.26 Löse die folgenden quadratischen Gleichungen über C.
a) z 2 − 4z + 5 = 0 b) 5z 2 − (5 + 10 i)z − 5 + 5 i = 0
(der komische Buchstabe ist ein kleines griechisches Zeta“), welche man als dritte
”
Einheitswurzeln bezeichnet. Beachte: ζ2 = ζ12 und ζ3 = ζ13 = 1.
Da die Argumente der dritten Einheitswurzeln
sich jeweils um 120◦ unterscheiden, bilden sie Im
die Eckpunkte eines regelmäßigen, d.h. gleichsei- ζ1
tigen Dreiecks (siehe Abbildung 9.7). Mit Hilfe
der simplen Gleichung
Re
z3 = 1
ζ3 = 1
lässt sich also ein gleichseitiges Dreieck mit Eck-
punkten auf dem Einheitskreis in der komplexen
Zahlenebene beschreiben. Daher auch der Name ζ2
Kreisteilungsgleichung.
Diese Erkenntnisse können wir nun leicht auf je- Abbildung 9.7
des n ∈ N erweitern.
Satz 9.10 Die Gleichung z n = 1, n ∈ N, besitzt in C genau die n Lösungen
2π
2π 2π
ζ k = ek n i
= cos k + i sin k , k ∈ { 1, . . . , n }.
n n
Man nennt sie die n-ten Einheitswurzeln. Es gilt ζk = ζ1k , d.h. die Potenzen von ζ1
liefern alle n-ten Einheitswurzeln, weshalb man ζ1 auch als primitive Einheitswurzel
bezeichnet. In der komplexen Zahlenebene bilden die ζk daher die Eckpunkte eines
regelmäßigen n-Ecks.
258 9 Komplexe Zahlen
Ein regelmäßiges n-Eck besitzt n gleich lange Seiten und n gleich große Innenwinkel
(nur für n = 3 ist regelmäßig“ und gleichseitig“ äquivalent; so ist z.B. jede Raute
” ”
ein gleichseitiges Viereck, aber nur ein Quadrat ist auch regelmäßig).
Nun schauen wir uns an, was passiert, wenn auf der rechten Seite der Kreisteilungs-
gleichung nicht die 1, sondern eine beliebige komplexe Zahl steht.
Um alle vier Lösungen zu erhalten, muss man lediglich noch w mit den vierten
2π
Einheitswurzeln ζk = ek 4 i , k ∈ { 1, . . . , 4 }, multiplizieren, denn dann ist
In Abbildung 9.9 ist die Geometrie der Lösungsmenge dargestellt. Durch Multipli-
3π
kation mit w = e 8 i wird das regelmäßige Viereck (also das Quadrat) der vierten
◦
Einheitswurzeln ζ1 , . . . , ζ4 um 3π
8 = 67,5 im Gegenuhrzeigersinn gedreht. Wegen
|w| = 1 bleiben seine Seitenlängen aber erhalten.
Ausgeschrieben lauten alle Lösungen obiger Gleichung
2π 3π 7π
z1 = ζ1 w = e 4 i
·e 8 i
=e 8 i
= cos 7π 7π
8 + i sin 8
4π 3π 11π
z2 = ζ 2 w = e 4 i
·e 8 i
=e 8 i
= cos 11π 11π
8 + i sin 8
6π 3π 15π
z3 = ζ 3 w = e 4 i
·e 8 i
=e 8 i
= cos 15π 15π
8 + i sin 8
3π
z4 = ζ 4 w = 1 · w = e 8 i
= cos 3π 3π
8 + i sin 8 .
ζ1 z4 = w
z1
ζ2 ζ4 = 1
z3
ζ3 z2
Abbildung 9.9
Das Vorgehen des letzten Beispiels halten wir noch allgemein fest.
Satz 9.11 Die Gleichung z n = c besitzt für jedes c ∈ C \{0} genau n Lösungen.
Beweis: Wir geben die n verschiedenen Lösungen explizit an. Für c = r eϕ i ist
√ ϕ
w = n r en i
√ ϕ
sicher eine Lösung obiger Gleichung, denn wn = n r n en · n i = r eϕ i = c. Um alle
Lösungen zu erhalten, multiplizieren wir dieses w mit den n-ten Einheitswurzeln
ζk , k ∈ { 1, . . . , n }. Wegen (ζk w)n = ζkn · wn = 1 · wn = c sind damit
2π √ ϕ √ ϕ+2kπ
zk = ζk w = ek n i
· n
r en i = n
re n i
, k ∈ { 1, . . . , n },
n verschiedene Lösungen der Gleichung z n = c, und mehr als diese n kann es nicht
geben (verallgemeinere wieder das Argument im Beweis von Satz 9.8 bzw. siehe
Seite 261).
260 9 Komplexe Zahlen
————————— —————————
√
Aufgabe 9.29 Finde alle Lösungen von z 6 = −32 + 32 3 i und zeichne sie.
————————— —————————
f (z) = z 2 + 1 = (z − i) · (z + i)
in komplexe Linearfaktoren aufspalten. Dies ist sogar für jedes komplexe Polynom
2. Grades möglich, was darauf zurückzuführen ist, dass jede quadratische Gleichung
über C lösbar ist (siehe Satz 9.9). Wie√steht es aber mit komplizierteren Polynomen
wie z.B. f (z) = i z 5 −2z 3 +(2− i)z 2 + 2? Besitzen vielleicht auch sie stets komplexe
Nullstellen? Die Antwort lautet: Ja!
Der Körper C hat die wunderbare Eigenschaft, algebraisch abgeschlossen zu sein,
was bedeutet, dass jedes komplexe Polynom (mindestens) eine Nullstelle in C be-
sitzt. Dies ist der Inhalt des folgenden berühmten Theorems, dessen Beweis leider
außerhalb unserer Reichweite liegt (siehe z.B. [Kön] oder [Ebb]).
wobei g ein Polynom vom Grad n − 1 ist, und r der Rest, der ein Polynom vom
Grad 0 sein muss (da wir durch ein Polynom ersten Grades geteilt haben), also
einfach eine komplexe Zahl r(z) = r. Setzt man auf beiden Seiten die Nullstelle z1
ein, so folgt 0 = f (z1 ) = g(z1 ) · (z1 − z1 ) + r = g(z1 ) · 0 + r = 0, d.h. es gibt hier
gar keinen Rest und wir erhalten
f (z) = g(z) · (z − z1 ).
f (z) = (z − z1 ) · (z − z2 ) · h(z).
Dieses Verfahren lässt sich genau n-mal anwenden, da f ein Polynom vom Grad n
ist. Am Ende erhält man die behauptete Linearfaktorzerlegung
f (z) = (z − z1 ) · (z − z2 ) · . . . · (z − zn ),
Das lässt sich aber auch ohne Fundamentalsatz begründen: Wäre f (z) ein Polynom
n-ten Grades mit n + 1 verschiedenen Nullstellen z1 , . . . , zn+1 , dann würde das
Verfahren aus obigem Beweis die Faktorisierung f (z) = (z − z1 ) · . . . · (z − zn+1 )
liefern (es sei wieder an = 1). Rechts stünde dann nach Ausmultiplizieren ein
Polynom vom Grad n + 1, im Widerspruch zu grad(f ) = n.
zn − 1 = 0 bzw. zn − c = 0
Historisches. Viele große Mathematiker des 18. Jahrhunderts versuchten sich an Bewei-
sen des Fundamentalsatzes, doch fehlerfreie Beweise gelangen erstmals Laplace7 (1795)
und Gauß (1799). Heutzutage gibt es eine Vielzahl verschiedener Beweise des Fundamen-
talsatzes.
Beachte: Der Fundamentalsatz ist ein reiner Existenzsatz, d.h. er sagt uns nicht, wie die
Nullstellen konkret aussehen, z.B. durch eine allgemeine Lösungsformel wie in Satz 9.9
für n = 2, sondern nur dass es stets welche gibt. Oftmals ist aber bereits diese Existenz
ein großer Gewinn.
Im Fall n = 3 und n = 4 gibt es noch geschlossene Lösungsformeln, die (im Wesentlichen)
Cardano bereits 1545 entdeckt hatte. Die Lösungen der kubischen Gleichung
z 3 + pz + q = 0 mit p, q ∈ C
(Cardano konnte zeigen, dass sich jede Gleichung dritten Grades durch eine geeignete
Substitution auf obige Gestalt bringen lässt) sind durch die cardanischen Formeln
z1 = u + v, z2 = ζ 2 u + ζv, z3 = ζu + ζ 2 v
2π
gegeben, wobei ζ = e 3 i ist und u und v durch
3 q p 3 q 2 3 q p 3 q 2
u= − + + und v = − − +
2 3 2 2 3 2
zu bestimmen sind. Die (für komplexe Radikanden) mehrdeutigen dritten Wurzeln müssen
dabei der Nebenbedingung u · v = − p3 genügen. Die cardanischen Formeln für n = 4 sind
noch aufwändiger aufzuschreiben und anzuwenden. Für Details und Beispiele siehe [Bew].
1824 bewies Abel8 , dass es solche Lösungsformeln im Fall n 5 überhaupt nicht mehr
geben kann! Für n 5 ist es also gar nicht mehr möglich, den Fundamentalsatz explizit“,
”
d.h. durch konkrete Angabe der Lösungen zu beweisen.
Literatur zu Kapitel 9
[Bew] Bewersdorff, J.: Algebra für Einsteiger: Von der Gleichungsauflösung zur
Galois-Theorie. Springer Spektrum, 5. Aufl. (2013)
10.1 Vektorräume
Die Objekte, die man in der linearen Algebra studiert, sind die sogenannten Vek-
torräume (oder linearen Räume). Bevor wir die auf den ersten Blick etwas ab-
schreckende Definition eines Vektorraums hinknallen, betrachten wir zwei ganz
simple Beispiele, an denen man bereits alle wichtigen Ideen verstehen kann.
und erhält dabei wieder einen Vektor des R3 . Ebenso kann man einen Vektor mit
einem Skalar, also einer reellen Zahl wie z.B. λ = 2 ∈ R, multiplizieren:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 2
λ · #»
p = 2 · ⎝3⎠ = ⎝6⎠
2 4
und erhält auch hierbei wieder ein Element des R3 . Geschwollen drückt man dies
so aus: Der R3 ist abgeschlossen bezüglich der Addition und Skalarmultipikation.
Man kann sich die Addition und Skalarmultipikation in diesem Beispiel auch geome-
trisch veranschaulichen: Bei der Addition werden die Vektorpfeile nach der Paral-
lelogrammregel zusammen gesetzt, bei der Skalarmultipikation wird der Vektorpfeil
gestreckt bzw. gestaucht (je nachdem ob |λ| > 1 oder < 1 ist) und eventuell noch
gespiegelt (falls λ < 0). Diese Veranschaulichung wollen wir ab jetzt bewusst nicht
mehr durchführen, da man sich sonst zu sehr an die Vorstellung klammert, Vektoren
müssten immer Pfeilchen sein. Der Clou kommt nämlich jetzt.
Beispiel 10.2 Es sei P3 die Menge aller reellen Polynome vom Grad < 3, wie
z.B. f (x) = 2x2 − 5x + 83 oder g(x) = − 12 x + π. Allgemein:
, -
P3 = f (x) = ax2 + bx + c | a, b, c ∈ R .
Hier kann man dieselben Spielchen treiben wie im R3 , nämlich addieren und mit
Skalaren multiplizieren. Sind z.B. die Polynome p(x) = x2 + 3x + 2 und q(x) =
−2x2 + 2x + 1 gegeben, so ist ihre Summe wieder ein Polynom, und zwar:
Ebenso leicht erhält man das 2-fache von p(x), indem man ausmultipliziert:
Und jetzt frage ich dich: Wo liegt der Unterschied zu Beispiel 10.1? E s g i b t
k e i n e n, natürlich abgesehen von der unterschiedlichen Schreibweise. Laut Defi-
nition von P3 steht a für den Vorfaktor von x2 , b für den von x und c für das
konstante Glied, d.h. wir können
aufschreiben, und nun ist der Unterschied zum R3 komplett verschwunden. Unsere
beiden Polynome werden dann zu
und wenn wir sie addieren bzw. mit einem Skalar multiplizieren, tun wir g e n a u
d a s G l e i c h e, wie wenn wir dies mit den entsprechenden Vektoren #»
p und #»
q des
R durchführen:
3
Wir addieren einfach die Komponenten bzw. multiplizieren sie mit einem Skalar.
Obwohl ihre Elemente ganz unterschiedlich aussehen, sind die Mengen P3 und
der R3 also doch irgendwie gleich“, in dem Sinne, dass die Rechenoperationen
”
der Addition und der Skalarmultipikation vollkommen analog durchzuführen sind.
Wenn dir das einleuchtet, hast du bereits eine ganze Menge über Vektorräume
verstanden.
10.1 Vektorräume 265
Definition 10.1 Es seien K ein Körper und V eine Menge, auf der es zwei
Verknüpfungen gibt:
∀ u, v, w ∈ V : (u ⊕ v) ⊕ w = u ⊕ (v ⊕ w).
(A2 ) Es gibt ein neutrales Element der Addition, Nullvektor genannt, d.h.
∃ 0V ∈ V ∀v∈V : v ⊕ 0V = v (= 0V ⊕ v).
(A3 ) Jeder Vektor besitzt ein inverses Element bezüglich der Addition (manchmal
Gegenvektor genannt), d.h.
∀v∈V ∃ v ∈ V : v ⊕ v = 0V (= v ⊕ v).
∀ v, w ∈ V : v ⊕ w = w ⊕ v.
(S1 ) Die Eins des Körpers verändert bei Skalarmultiplikation nichts, d.h.
∀v∈V : 1K ∗ v = v.
Die restlichen Axiome legen fest, wie die Skalarmultiplikation sich mit der Addition
in V bzw. der Körperaddition und -multiplikation verträgt (Distributivität und
Assoziativität).
(S2 ) ∀λ∈K ∀ v, w ∈ V : λ ∗ (v ⊕ w) = (λ ∗ v) ⊕ (λ ∗ w)
(S3 ) ∀ λ, μ ∈ K ∀v∈V : (λ + μ) ∗ v = (λ ∗ v) ⊕ (μ ∗ v)
(S4 ) ∀ λ, μ ∈ K ∀v∈V : (λ · μ) ∗ v = λ ∗ (μ ∗ v) ♦
Anmerkungen:
(1) Die klobigen Symbole ⊕ und ∗ verwenden wir nur ganz am Anfang, damit
der Unterschied zwischen den Verknüpfungen in V bzw. K deutlicher zutage
tritt; siehe z.B. (S3 ) und (S4 ). Sobald wir uns etwas mehr an die Vektorraum-
struktur gewöhnt haben, schreiben wir nur noch + und · (bzw. lassen den
Malpunkt der Skalarmultiplikation ganz weg).
(2) Die Axiome (A1 ) – (A4 ) sollten dir bekannt vorkommen, wenn du dich an die
Körperaxiome erinnerst. Eine Menge V mit einer Addition ⊕, welche diese
vier Axiome erfüllt, nennt der Mathematiker eine kommutative Gruppe oder
abelsche Gruppe. Das Studium von Gruppen, die sogenannte Gruppentheorie,
ist ein eigenständiges Teilgebiet der Algebra.
Mit Hilfe des Gruppenbegriffs kann man die Vektorraumaxiome so zusam-
menfassen: Ein Vektorraum V ist eine abelsche Gruppe, auf der ein Körper
K wirkt (mit wirken“ meinen wir hier die Gültigkeit der Skalarmultiplika-
”
tionsaxiome (S1 ) – (S4 )).
10.1 Vektorräume 267
(3) Wir verzichten hier bewusst auf die Vektorpfeile über den Elementen von V ;
man muss jeweils aus dem Kontext erkennen, ob es sich um einen Vektor oder
einen Skalar aus dem Körper handelt (letztere werden wir aber fast immer
mit griechischen Buchstaben bezeichnen). Die schlauste Antwort auf die Frage
Was ist ein Vektor?“ lautet übrigens Ein Element eines Vektorraums“.
” ”
(4) Die lange Liste von Axiomen stellt offenbar viele Forderungen an die Struktur
eines Vektorraums, zumal der Skalar-Körper K selbst schon eine reichhaltige
Struktur besitzt (siehe Körperaxiome). Dies hat zur Folge, dass Vektorräume
recht starre“ Objekte sind, und es deswegen gar nicht so viele verschiedene
”
(endlich-dimensionale) Vektorräume gibt. Vergleiche dazu Theorem 10.2.
Liest du etwa doch gleich weiter? Falls ja, schäm dich und bearbeite gefälligst zuerst
Aufgabe 10.2, versprochen?
aller K-wertigen Folgen (das S steht dabei für sequence“, englisch für Folge; den
”
Buchstaben F brauchen wir weiter unten) können wir eine Vektorraum-Struktur
verpassen, indem wir
(A2 ) Da in Axiom (A2 ) die Existenz eines Neutralelements gefordert wird, müssen
wir explizit eines angeben. Das Neutralelement der Addition, also der Null-
vektor von FK , ist die Nullfunktion n, die durch n(x) := 0 für alle x ∈ K
definiert ist. Denn n erfüllt f ⊕ n = f für jedes f ∈ FK , da
()
(f ⊕ n)(x) = f (x) + n(x) = f (x) + 0 = f (x) für alle x ∈ K gilt.
Das Schaubild von n ist im Falle K = R einfach die x-Achse.
(A3 ) Der Gegenvektor eines f ∈ FK ist die Funktion f˜, die durch
f˜(x) := − f (x) für alle x ∈ K
definiert wird. Um f ⊕ f˜ = n nachzuweisen, müssen wir (f ⊕ f˜)(x) = n(x)
für alle x überprüfen, was schnell erledigt ist:
()
(f ⊕ f˜)(x) = f (x) + f˜(x) = f (x) − f (x) = 0 = n(x).
Das Schaubild von f˜ entsteht für K = R durch Spiegelung des Schaubilds
von f an der x-Achse. Wir schreiben ab sofort natürlich −f statt f˜.
(A4 ) Um die Kommutativität nachzuweisen, müssen wir zeigen, dass f ⊕ g = g ⊕ f
für zwei beliebige f, g ∈ FK gilt, also (f ⊕ g)(x) = (g ⊕ f )(x) für alle x ∈ K.
Dies folgt sofort aus der Kommutativität (K) der Addition in K:
() (K) ()
(f ⊕ g)(x) = f (x) + g(x) = g(x) + f (x) = (g ⊕ f )(x).
(S1 ) Wir müssen 1 ∗ f = f für alle f ∈ FK überprüfen. Das ist simpel, denn für
jedes x ∈ K gilt
()
(1 ∗ f )(x) = 1 · f (x) = f (x).
mit ak ∈ K für alle k. Bezeichnen wir mit Pn, K die Menge all solcher Polynome, so
können wir auf V = Pn, K in naheliegender Weise durch
n−1
n−1
n−1
p(x) ⊕ q(x) = ak xk ⊕ bk xk := (ak + bk )xk
k=0 k=0 k=0
n−1
und
λ ∗ p(x) := λak xk
k=0
eine Addition und Skalarmultiplikation definieren. Auch hier weist man ohne Pro-
bleme nach, dass dadurch Pn, K zu einem K-Vektorraum wird. Die Idee aus Beispiel
10.2, ein Polynom p(x) mit seinem Koeffizienten-Vektor
p = (an−1 , . . . , a1 , a0 )t
zu identifizieren, zeigt, dass Pn, K nichts anderes als ein verkleideter Kn ist.
Verzichtet man auf Grad < n, erhält man den Vektorraum aller Polynome über K:
n :
k
PK = K[x] := Pn, K = p(x) = ak x ak ∈ K, n ∈ N .
n∈N k=0
Anmerkung: Wir hätten das formale“ Polynom p(x) auch gleich mit der zugehörigen
”
1 Dies ist für Körper mit unendlich vielen Elementen wie Q, R oder C stets erlaubt.
272 10 Grundzüge der Linearen Algebra
————————— —————————
Aufgabe 10.1 Überprüfe, dass aus Körperaxiomen tatsächlich folgt, dass jeder
Körper K automatisch auch ein K-Vektorraum ist (vergleiche Beispiel 10.3).
Aufgabe 10.2 Verifiziere die Gültigkeit der Vektorraumaxiome für den Standard-
Vektorraum Kn (siehe Beispiel 10.5). Dabei genügt es, den Fall n = 2 zu betrachten.
Aufgabe 10.3 Folgerungen aus den Vektorraumaxiomen
In den folgenden Teilaufgaben musst du dieselben hinterhältigen Tricks anwenden,
wie damals schon bei den Folgerungen aus Körperaxiomen (siehe Aufgabe 9.14).
Bevor du verzweifelst, schau dort nochmal nach. Stets sei V ein beliebiger K-
Vektorraum.
a) Zeige, dass der Nullvektor 0V ∈ V sowie der Gegenvektor −v eines v ∈ V
eindeutig bestimmt sind. (Es kann also nicht zwei verschiedene Nullvek-
toren in V geben, bzw. keine zwei verschiedenen Vektoren v = v , die
v ⊕ v = 0V = v ⊕ v erfüllen.)
b) Zeige, dass λ ∗ 0V = 0V für alle λ ∈ K und 0K ∗ v = 0V für alle v ∈ V gilt.
c) Zeige, dass für alle λ ∈ K und alle v ∈ V stets (−λ) ∗ v = λ ∗ (−v) = −(λ ∗ v)
gilt. Insbesondere ist also (−1) ∗ v = −v.
————————— —————————
10.1.4 Untervektorräume
Beispiel 10.9 Wir betrachten zwei Teilmengen des R2 :
1 2 1 2
2a a
U1 = a∈R und U2 = a∈R .
a 2
Addiert man zwei Elemente u, v ∈ U1 , so erhält man wieder ein Element von U1 ,
denn es ist
2a 2b 2a + 2b 2c
u+v = + = = ∈ U1
a b a+b c
mit c := a + b. Ebenso gilt auch λ · u ∈ U1 für jedes beliebige λ ∈ R (mache
dir das klar). Die Teilmenge U1 ist somit abgeschlossen bezüglich Addition und
Skalarmultiplikation, weshalb man U1 als eigenständigen Vektorraum betrachten
kann, der in dem größeren Vektorraum R2 liegt. U2 hingegen besitzt diese nette
Eigenschaft nicht, denn für w, z ∈ U2 ist stets
a b a+b
w+z = + = ∈
/ U2 , sowie λ · w ∈
/ U2 , außer für λ = 1.
2 2 4
10.1 Vektorräume 273
In Abbildung 10.2 ist dies veranschaulicht. Addiert man zwei Vektoren, die zu
Punkten aus U2 gehören, so verlässt man stets U2 (stelle dir zwei solche Vektoren
und deren Summe vor). Die Teilmenge U1 hingegen wird durch eine Ursprungsge-
rade repräsentiert, weshalb die Summe und das skalare Vielfache von Vektoren, die
zu Punkten aus U1 gehören, stets wieder auf dieser Geraden liegen.
x2
U2
1
x1
0 1 2 3 4
U1
Abbildung 10.2
Wenn U in einem größeren Vektorraum V liegt, muss man nicht alle Vektor-
raumaxiome durchhecheln, um nachzuweisen, dass U ein Vektorraum ist. In der
Tat genügen zwei Eigenschaften, wie der nächste Satz zeigt – dann erbt“ U die
”
restlichen Vektorraum-Eigenschaften von V .
Beweis: Wir müssen nachweisen, dass U alle Vektorraumaxiome erfüllt, wenn (1)
und (2) gelten. Zunächst garantieren diese Bedingungen, dass man nach Addition
und Skalarmultiplikation von Elementen aus U auch wieder in U landet, d.h. dass
diese Operationen überhaupt sinnvoll auf U erklärt sind.
(A1 ) & (A4 ): Die Addition ist assoziativ und kommutativ, weil sie es in V ist und
U ⊆ V gilt. (A2 ): Wir müssen zeigen, dass U den Nullvektor 0V (= 0U !) enthält. Da
U = ∅ ist, enthält U mindestens einen Vektor u. Wählt man λ = 0K , so folgt aus
(2), dass 0V = 0K · u ∈ U gilt (0K · u = 0V wurde in Aufgabe 10.3 nachgewiesen).
(A3 ): Wieder nach Aufgabe 10.3 gilt −u = (−1) · u, und (2) garantiert somit, dass
zu jedem Vektor u ∈ U auch sein Gegenvektor −u in U liegt. (So folgt übrigens
erneut (A2 ), denn 0V = u + (−u) ∈ U laut (1).)
Schließlich überträgt sich die Gültigkeit von (S1 )–(S4 ) direkt von V auf U .
274 10 Grundzüge der Linearen Algebra
————————— —————————
Aufgabe 10.4
a) Zeige: V besitzt stets die trivialen Unterräume U0 = {0V } und sich selbst,
also U1 = V .
b) Ist u ∈ V ein beliebiger Vektor, so ist der Aufspann von u definiert als
!u"K = K · u := { λ · u | λ ∈ K }.
c) Wie lässt sich mit b) U1 aus Beispiel 10.9 kürzer schreiben? Gib drei weitere
(nicht-triviale, aber möglichst einfache) Unterräume von K2 an.
Aufgabe 10.5 Ist R ein Unterraum von C? (Wieso ist dies unpräzise gefragt?)
Aufgabe 10.6 Zeige, dass die Menge SR, c aller konvergenten reellwertigen Fol-
gen ein Unterraum von SR ist. (Tipp: Grenzwertsätze.)
Aufgabe 10.7 Ist die Menge DR aller auf R differenzierbaren Funktionen ein
Unterraum von FR ? Und wie steht es mit den auf I = [ a , b ] Riemann-integrierbaren
Funktionen (betrachtet als Teilmenge von FI )?
————————— —————————
10.1 Vektorräume 275
λ1 · v1 + . . . + λn · vn = 0V (mit λi ∈ K) =⇒ λ1 = . . . = λn = 0. ()
Andernfalls heißt das System linear abhängig. In diesem Fall existieren Skalare λ1 ,
. . . , λn , nicht alle 0, mit λ1 · v1 + . . . + λn · vn = 0V . ♦
Eine Summe der Form
n
λi · vi = λ1 · v1 + . . . + λn · vn mit λi ∈ K
i=1
bezeichnet man als Linearkombination von v1 , . . . , vn . Damit kann man () auch
so umformulieren: Die Vektoren v1 , . . . , vn sind linear unabhängig, wenn sich der
Nullvektor nur als triviale Linearkombination – d.h. alle λi = 0 – der Vektoren vi
darstellen lässt.
Dieser abstrakten Definition der linearen Unabhängigkeit soll nun Leben einge-
haucht werden.
Beispiel 10.10
a) Schauen wir uns an, was die Definition für n = 1, also für einen Vektor v
besagt: v ist linear unabhängig, wenn aus λ · v = 0V stets λ = 0 folgt. Dies
gilt aber für jeden Vektor v = 0V . Denn ist λ · v = 0V für ein λ = 0, so
existiert λ−1 (da K ein Körper ist), und es folgt
(S1 ) (S4 )
v = 1 · v = (λ−1 λ) · v = λ−1 · (λ · v) = λ−1 · 0V
A 10.3
= 0V .
Somit ist jedes v = 0 linear unabhängig ( von sich selbst“), und der Nullvek-
”
tor ist linear abhängig, da λ · 0V = 0V sogar für jedes λ ∈ K erfüllt ist.
276 10 Grundzüge der Linearen Algebra
λ1 · v1 + λ2 · v2 = 0V =⇒ v1 = −λ−1
1 λ2 · v 2 .
Somit gilt v1 = μ · v2 mit μ = − λλ21 , d.h. v1 ist ein skalares Vielfaches von
v2 . Geometrisch bedeutet dies, z.B. in V = R3 , dass die Pfeilchen zweier
linear abhängiger Vektoren auf einer Geraden liegen. Zwei linear unabhängige
Vektoren hingegen zeigen in verschiedene Richtungen“, in dem Sinne, dass
”
ihre Pfeilchen nicht auf einer Geraden liegen. Aus der Schule sollte dir bekannt
sein, dass die Menge
E = { λ1 · v1 + λ2 · v2 | λ1 , λ2 ∈ R } ⊂ R3
c) Auch für n 3 lässt sich leicht zeigen, dass sich bei einem linear abhängigen
System von Vektoren v1 , . . . , vn immer mindestens einer als Linearkombina-
tion der restlichen n − 1 darstellen lässt. Siehe dazu Aufgabe 10.14. Wie man
konkret untersucht, ob eine Menge von Vektoren linear unabhängig ist, zeigt
Aufgabe 10.13 (für n = 3).
a · 1 + b · i = 0C folgt sofort a = b = 0,
10.1 Vektorräume 277
denn eine komplexe Zahl a + b i ist genau dann Null, wenn ihr Realteil a und ihr
Imaginärteil b verschwinden. Somit sind die Vektoren 1 und i linear unabhängig
über R. Erinnert man sich an die Konstruktion von C als R2 , so ist
1 0
1C = = e1 und i= = e2 ,
0 1
d.h. wir sind wieder in Beispiel 10.11 gelandet, nur eben komplex formuliert.
Allerdings demonstriert dieses Beispiel einen wichtigen Punkt: Betrachtet man C
nicht als R- sondern als C-Vektorraum, so sind v1 und v2 plötzlich linear abhängig!
Für die komplexen Skalare λ1 = 1 und λ2 = i gilt nämlich
λ1 · v1 + λ2 · v2 = 1 · 1 + i · i = 1 + (−1) = 0C ,
d.h. über C lässt sich der Nullvektor 0C als nicht-triviale Linearkombination von v1
und v2 darstellen. Bei linearer Abhängigkeit kommt es also entscheidend auf den
Körper K an, aus dem die Skalare stammen.
Da zwei Polynome – als formale Summen in x – genau dann gleich sind, wenn all
ihre Koeffizienten übereinstimmen, folgt hier sofort λ1 = . . . = λn = 0. D.h. die
lineare Unabhängigkeit
der Monome steckt bereits in der Definition von Polynomen
als formale Ausdrücke k ak xk .
Betrachtet man Polynome als Polynomfunktionen z.B. für K = C (siehe Anmerkung auf
Seite 271), so muss man etwas subtiler argumentieren: Einsetzen von x ∈ C in obige
Null-Linearkombination, die wir p(x) nennen, führt auf
Das bedeutet, dass p die Nullfunktion ist (als Abbildung von C nach C aufgefasst) und
somit unendlich viele Nullstellen besitzt. Wäre nun λk = 0 für ein k > 1, so wäre p eine
nicht-konstante Polynomfunktion von Grad < n und könnte daher maximal n − 1 Null-
stellen besitzen (siehe Seite 261). Also müssen λ2 = . . . = λn = 0 sein. Das verbleibende
λ1 muss auch 0 sein, da wir sonst gar keine Nullstellen hätten. Das zeigt, dass alle λk = 0
sind, und somit die lineare Unabhängigkeit der Monome.
————————— —————————
Aufgabe 10.11 Warum ist die Aussage die Vektoren v1 , . . . , vn sind linear
”
unabhängig“ eigentlich unpräzise? (Vgl. Beispiel 10.10 a).)
278 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Aufgabe 10.12 Zeige: Ein System von Vektoren 0V , v2 . . . , vn , das den Null-
vektor enthält, ist stets linear abhängig.
Aufgabe 10.13 Untersuche die drei Vektoren des Q3 auf lineare Unabhängig-
keit:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 1/2 1
v1 = ⎝3⎠ , v2 = ⎝1/4⎠ , v3 = ⎝−2⎠ .
5 2 3
Stelle im Falle ihrer linearen Abhängigkeit einen der drei Vektoren als Linearkom-
bination der zwei übrigen dar.
Aufgabe 10.14 Zeige, dass sich bei einem linear abhängigen System von Vek-
toren v1 , . . . , vn immer mindestens einer als Linearkombination der restlichen n − 1
darstellen lässt.
√
Aufgabe 10.15 Beweise, dass 1 und 2 linear unabhängig über Q sind.
Aufgabe 10.16 Gib in den Vektorräumen R[x], SR und FR jeweils ein System
n linear unabhängiger Vektoren an, n ∈ N beliebig, und begründe die lineare Un-
abhängigkeit.
(Anleitung zu FR : Betrachte die Funktionen χk , die außerhalb des Intervalls Ik = ( k−1 , k )
Null sind und auf Ik den Wert 1 haben. Zeichne z.B. die Linearkombination 12 · χ1 +χ2 −χ3
und überlege danach allgemein, wieso λ1 · χ1 + . . . + λn · χn niemals die Nullfunktion er-
geben kann, wenn nicht alle λi Null sind. Die χk (χ ist der griechische Kleinbuchstabe
chi“) heißen übrigens charakteristische Funktionen des Intervalls Ik .)
”
————————— —————————
Definition 10.4 In Verallgemeinerung von Aufgabe 10.4 definieren wir für Vek-
toren v1 , . . . , vn ∈ V eines K-Vektorraums V den Aufspann (auch: lineare Hülle)
als die Menge all ihrer Linearkombinationen:
n
!v1 , . . . , vn "K := λ i · v i λ 1 , . . . , λn ∈ K . ♦
i=1
Es ist nicht schwer zu zeigen, dass !v1 , . . . , vn "K ein Unterraum von V ist, und zwar
sogar der kleinste Unterraum, der alle Vektoren v1 , . . . , vn enthält.
Beispiel 10.14 Wir betrachten R als Q-Vektorraum. Dann ist die lineare Hülle
√ √ √
! 1, 2 "Q = { a · 1 + b · 2 | a, b ∈ Q } =: Q( 2 )
√
der√kleinste Q-Unterraum von R, der √ 1 und 2 enthält. √
Q( 2 ) liest man als Q adjungiert 2“. Die Elemente von Q( 2 ) erinnern stark
” √
an komplexe Zahlen mit 2 anstelle √ von i. In der Tat kann man fast wörtlich wie
bei C nachrechnen, dass auch Q( 2 ) ein Körper ist.
10.1 Vektorräume 279
!v1 , . . . , vn "K = V
d.h. es gilt !e1 , e2 "K = K2 , also stellt e1 , e2 ein Erzeugendensystem von K2 dar. Da
diese beiden Vektoren nach Beispiel 10.11 linear unabhängig sind, bilden sie eine
Basis des K2 , die sogenannte Standardbasis (oft auch kanonische Basis genannt).
Entsprechendes gilt für den Kn mit der Standardbasis e1 , . . . , en .
Beweis: Dass sich jeder Vektor aus V als Linearkombination der vi darstellen
lässt, folgt daraus, dass B ein Erzeugendensystem ist, d.h. dass !v1 , . . . , vn "K = V
gilt. Zur Eindeutigkeit der Darstellung: Es seien
n
n
v= λi · v i und v= μi · v i
i=1 i=1
Definition 10.6 Ein K-Vektorraum V heißt endlich erzeugt, wenn er ein Erzeu-
gendensystem endlicher Länge besitzt, d.h. wenn es eine natürliche Zahl n und
Vektoren v1 , . . . , vn gibt mit !v1 , . . . , vn "K = V . ♦
Achtung: Endlich erzeugt“ heißt keinesfalls, dass |V | endlich ist, wie bereits
”
das Beispiel R = !1"R zeigt. Das Erzeugendensystem hat hier Länge 1, aber V = R
besteht aus (überabzählbar) unendlich vielen Vektoren.
Nun kommt der Hauptsatz dieses Abschnitts, auf dessen recht technischen Be-
weis wir verzichten. Aber so viel sei gesagt: Man benötigt den sogenannten Basis-
ergänzungssatz bzw. den damit verwandten Austauschsatz von Steinitz2 . Der er-
ste besagt, dass man jedes linear unabhängige System von Vektoren eines endlich
erzeugten Vektorraums V durch Hinzunahme geeigneter Vektoren (aus einem ge-
gebenen Erzeugendensystem von V ) stets zu einer Basis von V ergänzen kann. Für
Details konsultiere man z.B. [Jän] oder [Bos].
Theorem 10.1 Jeder endlich erzeugte Vektorraum V besitzt eine Basis endli-
cher Länge. Die Länge n der Basis ist dabei eindeutig durch V bestimmt, d.h. es
kann keine zwei Basen von V mit unterschiedlicher Länge geben.
dimK V = n.
Nach Theorem 10.1 ist dies wohldefiniert, da alle Basen gleich lang sind. ♦
Zum Abschluss dieses Abschnitts ziehen wir noch eine wichtige Folgerung aus dem
Basisergänzungssatz und Theorem 10.1.
Satz 10.3 Sei V ein endlich erzeugter Vektorraum. Dann ist jeder Untervektor-
raum U von V ebenfalls endlich erzeugt, mit Dimension dimK U dimK V .
Zudem gilt der oft nützliche Dimensionstest“
”
dimK U = dimK V =⇒ U = V. (∗)
Beweis: Nach Theorem 10.1 besitzt V eine Basis, deren Länge dimK V = n sei.
Jedes linear unabhängige System der Länge s von Vektoren aus U ist natürlich
auch linear unabhängig in V und lässt sich nach dem Basisergänzungssatz durch
Hinzunahme von n − s 0 Vektoren zu einer Basis von V ergänzen. Aus dieser
Beobachtung folgt zweierlei:
(1) Aufgrund von n − s 0, d.h. s n, ist n = dimK V eine obere Schranke
für die Länge linear unabhängiger Systeme in U . Folglich existiert ein linear
unabhängiges System B ⊂ U , dessen Länge |B| = r maximal ist (und eben-
falls r n erfüllt). Da linear unabhängige Systeme maximaler Länge stets
eine Basis bilden (wie man leicht zeigen kann; siehe [Jän]), ist B eine Basis
– also insbesondere auch ein Erzeugendensystem – von U der Länge r. Somit
ist U endlich erzeugt, und es gilt dimK U = r n = dimK V .
(2) Die Zahl der Vektoren, die man für die Ergänzung von B zu einer Basis von
V braucht, ist n − r, d.h. dimK V − dimK U . Im Falle dimK U = dimK V sind
somit keine zusätzlichen Vektoren mehr nötig, also ist die Basis B von U
bereits eine Basis von ganz V . Insbesondere ist sie ein Erzeugendensystem
von V , d.h. U = !B"K = V , womit der Dimensionstest“ bewiesen ist.
”
3 Das bedeutet nicht etwa, dass V gar keine Basis besäße. Man kann allgemein zeigen, dass
————————— —————————
Aufgabe 10.17 Formuliere und beweise die Umkehrung von Satz 10.2.
E = { (x1 , x2 , x3 )t ∈ K3 | x1 n1 + x2 n2 + x3 n3 = 0 }
ein Unterraum von K3 ist und weise dimK E = 2 nach. (Für K = R sollte dir E aus
der Schulgeometrie sehr bekannt vorkommen . . . )
Anleitung: Jedes x ∈ E erfüllt x1 n1 + x2 n2 + x3 n3 = 0; das ist eine Gleichung
für drei Unbekannte x1 , x2 , x3 . Wähle also zwei davon frei, etwa x1 = λ ∈ K
und x2 = μ ∈ K und drücke x3 in Abhängigkeit von λ und μ aus (dazu musst
du n3 = 0 annehmen). Damit lässt sich jedes x ∈ E als (λ, μ)-Linearkombination
zweier Vektoren darstellen, die zudem leicht als linear unabhängig zu erkennen sind.
————————— —————————
f : R → R, x → 2x, und g : R → R, x → x2 ,
10.2 Lineare Abbildungen 283
wobei wir R als Vektorraum über sich selbst auffassen. Dann respektiert f die
Vektorraumstruktur von R in folgendem Sinn: Für alle u, v ∈ R und alle λ ∈ R gilt
wie man auf einen Blick sieht (rechne das im Kopf nach). Es macht also keinen
Unterschied, ob man zuerst die Vektoren u und v addiert, und dann f anwendet,
also f (u + v) bildet, oder ob man dies in umgekehrter Reihenfolge tut, f (u) + f (v);
das Ergebnis ist stets dasselbe. Analoges gilt für die Skalarmultiplikation.
Die Funktion g hingegen hat diese Eigenschaft nicht. Bereits für u = v = 1 und
λ = 0 oder 1 ist
Wie du bereits aus der Schule weißt, nennt man f eine lineare Funktion (beachte
jedoch Aufgabe 10.23). Diesen Linearitäts-Begriff werden wir nun auf Abbildungen
zwischen beliebigen Vektorräumen erweitern.
Bevor wir Beispiele linearer Abbildungen bringen, ziehen wir eine einfache Konse-
quenz aus der Linearität.
Lemma 10.1 Jeder Homomorphismus ϕ : V → W bildet den Nullvektor auf
den Nullvektor ab, d.h. ϕ(0V ) = 0W .
Beweis: Es sei ϕ : V → W K-linear. Dann gilt
und beidseitiges Subtrahieren von ϕ(0V ) liefert 0W = ϕ(0V ). Oder noch schneller:
Beispiel 10.17 Die zwei einfachsten, aber auch langweiligsten linearen Abbil-
dungen sind die Nullabbildung o und die identische Abbildung idV mit
o : V → W, v → 0W , und idV : V → V, v → v.
Beispiel 10.18 In Verallgemeinerung von Beispiel 10.16 ist die Abbildung mal
”
m nehmen“
μm : K → K, x → μm (x) = m · x,
für jedes Körperelement m ∈ K ein K-Homomorphismus. Denn aus der Distribu-
tivät bzw. Assoziativität und Kommutativität der Körpermultiplikation folgt sofort
(x, y, λ ∈ K)
μm (x + y) = m · (x + y) = m · x + m · y = μm (x) + μm (y),
μm (λ · x) = m · (λ · x) = (m · λ) · x = (λ · m) · x = λ · (m · x) = λ · μm (x).
Beispiel 10.19 Nun kommt ein sehr instruktives Beispiel aus der ebenen Geo-
metrie. Wir betrachten die Abbildung ρ : R2 → R2 , die jeden Vektor um 90◦ gegen
den Uhrzeigersinn dreht; das griechische ρ (rho) soll dabei an Rotation“ erinnern.
”
An den beiden Bildchen in Abbildung 10.3 lässt sich die Linearität von ρ ablesen,
schau sie dir deshalb genau an.
x2
!
ρ(u + v) = ρ(u) + ρ(v)
x2
!
ρ(λ · v) = λ · ρ(v)
ρ(u)
λ·v
v
ρ(v) u+v ρ(v) v
· ·
x1 x1
u
Abbildung 10.3
Aber auch formal lässt sich die Linearität von ρ leicht nachweisen. Es ist nämlich
(mache dir das am Bild klar!)
x1 −x2
ρ : R2 → R2 , → ,
x2 x1
und anhand dieser Darstellung kann man leicht nachrechnen, dass
ρ(u + v) = ρ(u) + ρ(v) und ρ(λ · v) = λ · ρ(v)
für alle u, v ∈ R2 und λ ∈ R gilt. Wir führen dies hier für die Additivität vor:
u1 + v1 −(u2 + v2 ) −u2 −v2
ρ(u + v) = ρ = = + = ρ(u) + ρ(v).
u2 + v2 u1 + v1 u1 v1
Beispiel 10.19 C Noch eleganter wird es, wenn wir im letzten Beispiel einen
Vektor v = (a, b)t ∈ R2 mit der komplexen Zahl z = a + b i ∈ C identifizieren. Weil
π
i = e 2 i ist, entspricht die Multiplikation mit i der Drehung des z-Zeigers um 90◦
im Gegenuhrzeigersinn. Somit ist
μ i : C → C, z → i · z = i · (a + b i) = a · i + b · i2 = −b + a · i
die komplexifizierte“ Version der Abbildung ρ. Da μ i nach Beispiel 10.18 sogar
”
C-linear ist, ist μ i bzw. ρ natürlich auch R-linear (die Additivität ist unabhängig
vom Grundkörper erfüllt, und da μ i (λ · z) = λ · μ i (z) für alle λ ∈ C gilt, ist es
insbesondere auch für alle λ ∈ R ⊂ C wahr).
An der komplexen Darstellung erkennt man übrigens auch sehr schön, dass μ i
bzw. ρ einfach nur den Realteil (die x1 -Koordinate) mit dem Imaginärteil (der
x2 -Koordinate) vertauscht und ein Minus vor den neuen Realteil (die neue x1 -
Koordinate) schreibt.
Beispiel 10.20 Wir definieren die formale Ableitung auf dem Vektorraum aller
K-wertigen Polynome durch
n
n
d
: K[x] → K[x], ak xk → kak xk−1 ,
dx
k=0 k=1
————————— —————————
Jetzt ist übrigens ein guter Zeitpunkt, dich endgültig mit der Summenschreibwei-
se anzufreunden, die wir im Folgenden sehr häufig gebrauchen werden. In dieser
Notation lässt sich obige Gleichung viel kompakter schreiben als:
n n
ϕ λi · v i = λi · ϕ(vi ).
i=1 i=1
Aufgabe 10.23 Zeige, dass die in der Schule linear“ genannten Funktionen
”
f : R → R, x → mx + c, für c = 0 gar nicht linear im Sinne der linearen Algebra
sind. (Man spricht hier allgemeiner von affin-linearen Abbildungen.)
x1 x1
Aufgabe 10.24 Betrachte die Abbildung σ : R2 → R2 , → .
x2 −x2
Zeige durch geometrische Überlegungen, aber auch durch formales Nachrechnen,
dass σ linear ist. Was ist die Komplexifizierung“ von σ (siehe Beispiel 10.19 C )?
”
Aufgabe 10.25 Weise die Q-Linearität der folgenden Abbildung nach.
⎛ ⎞
q1
⎝ ⎠ 2q1 + q2
ϕ: Q → Q ,
3 2
q2 → 1
q3 2 q2 − q3
ϕ ◦ ψ : U → W, u → ϕ (ψ(u)) ,
ein K-Homomorphismus ist. Das ist ganz simpel nachzurechnen, also nur Mut!
die Menge aller Homomorphismen von V nach W . Zeige, dass HomK (V, W ) in
natürlicher Weise“ selbst wieder zu einem K-Vektorraum wird, indem du zunächst
”
geeignete elementweise Verknüpfungen wie in Beispiel 10.7 definierst. Hier musst
du zusätzlich noch nachweisen, dass ϕ + ψ und λ · ϕ überhaupt wieder lineare
Abbildungen sind.
(Dies ist eigentlich nicht schwer, aber aufwändig und für einen Anfänger sicherlich
sehr abstrakt.)
————————— —————————
im ϕ = { ϕ(v) | v ∈ V } = ϕ(V ). ♦
Um zu testen, wie weit dein mathematisches Denken inzwischen gereift ist, solltest
du die mit gekennzeichneten Beweise unbedingt zunächst selbst probieren,
bevor du sie durchliest.
Lemma 10.2 Kern und Bild einer linearen Abbildung sind Unterräume.
also liegt auch u + v in ker ϕ. Ebenso leicht sieht man λ · v ∈ ker ϕ für λ ∈ K, denn
ϕ(λ · v) = λ · ϕ(v) = λ · 0W = 0W ,
288 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Beispiel 10.22 Die Menge U1 aus Beispiel 10.9 ist das Bild der offensichtlich (!)
linearen Abbildung
2x
ϕ : R → R2 , x →
x
Bevor wir uns weitere Beispiele anschauen, kommt noch etwas mehr Terminologie
und eine nützliche Charakterisierung von Injektivität bei linearen Abbildungen.
An dieser Stelle möchtest du vielleicht in Kapitel 3 nochmal nachschlagen, was
Injektivität, Surjektivität und Bijektivität bedeutet.
Lemma 10.3 Eine lineare Abbildung ist genau dann monomorph (injektiv),
wenn ihr Kern trivial ist, d.h. wenn ker ϕ nur aus dem Nullvektor besteht.
Weil aber ker ϕ = {0V } ist, folgt u − v = 0V , also u = v. Somit ist ϕ injektiv.
Beachte, dass dies bei nichtlinearen Abbildungen total falsch ist. So bildet etwa
f (x) = x2 zwar auch nur die 0 auf die 0 ab (d.h. es wäre ker f = {0}, was man hier
allerdings nicht so nennt), aber f ist keineswegs injektiv.
10.2 Lineare Abbildungen 289
μm : K → K, x → m · x.
(Für m = 0 ist μm einfach die Nullabbildung.) Er besitzt trivialen Kern, denn nur
für x = 0 ist μm (x) = m · x = 0. Zudem ist er ein Epimorphismus, d.h. im μm = K,
denn jedes x ∈ K besitzt m−1 · x als Urbild unter μm :
μm (m−1 · x) = m · (m−1 · x) = 1 · x = x.
Insgesamt ist μm also ein Isomorphismus mit Umkehrabbildung (μm )−1 = μm−1 .
Es fällt auf, dass die Umkehrabbildung
μm−1 : K → K, x → m−1 · x,
selbst wieder linear ist. Dass dies kein Zufall ist, zeigt der nächste
Im vorletzten Schritt ging die Linearität von ϕ ein und im letzten ϕ ◦ ϕ−1 = idW .
Ein Vergleich des letzten mit dem ersten Ausdruck zeigt, dass ϕ−1 tatsächlich eine
lineare Abbildung ist.
Beispiel 10.19 Die Rotation ρ, welche Vektoren des R2 um 90◦ gegen den Uhr-
zeigersinn dreht, besitzt trivialen Kern, da kein Vektor = 0 beim Rotieren zum
Nullvektor wird. Zudem ist sie epimorph, denn jeder Vektor kommt als Bildvektor
unter ρ auf (das Urbild eines jeden Vektors ist einfach der um 90◦ im Uhrzeigersinn
gedrehte Vektor).
Betrachtet man ρ komplex als μ i : C → C, so ist μ i−1 die Umkehrabbildung, was
π
wegen i−1 = 1i = − i = e− 2 i der Rotation um 90◦ im Uhrzeigersinn entspricht.
Beispiel 10.23 Eine lineare Abbildung, bei der Kern und Bild ins Auge sprin-
gen, ist die Projektion
x1
π1 : R2 → R, → x1 ,
x2
die jedem Vektor in R2 seine x1 -Koordinate zuordnet (dass π1 linear ist, sollte of-
fensichtlich sein).
Anschaulich: Man beleuchtet den Vektor x mit einem zur x2 -Achse parallelen
Lichtbündel und betrachtet seinen Schattenwurf auf der x1 -Achse. (In der Ab-
bildung 10.4 wurde x1 mit dem Vektor (x1 , 0)t ∈ R2 identifiziert.)
ker π1 π1
x1 = π1 (x) im π1
Abbildung 10.4
Hier ist klar, dass genau die Vektoren, die auf der x2 -Achse liegen, auf die Null
projiziert werden, d.h.
1 2
0
ker π1 = 2
x ∈ R = !e2 "R .
x2
10.2 Lineare Abbildungen 291
im π1 = π1 (R2 ) = { x1 | x1 ∈ R } = R.
Beachte, dass Kern und Bild eindimensionale R-Vektorräume sind und daher
gilt. Diese extrem nützliche Beziehung gilt nicht nur hier, sondern für jede lineare
Abbildung!
Die Dimensionen von Kern und Bild addieren sich also stets zur Dimension des
Urbildraums. Insbesondere ist dimK im ϕ dimK V .
Beweis: Es sei dim ker ϕ = k, d.h. ker ϕ besitze eine Basis v1 , . . . , vk der Länge
k. Weiter sei dim im ϕ = l, d.h. im ϕ besitze eine Basis w1 , . . . , wl der Länge l (zur
Existenz der Basen beider Unterräume vergleiche Satz 10.3). Nach Definition des
Bilds gibt es dann Vektoren ui ∈ V mit wi = ϕ(ui ) für alle i = 1, . . . , l. Wir werden
nun zeigen, dass B bestehend aus v1 , . . . , vk , u1 , . . . , ul eine Basis von V ist, was
dim V = k + l bedeutet und somit die Aussage der Dimensionsformel ist.
(1) Nachweis, dass B ein Erzeugendensystem von V ist. Sei v ∈ V beliebig;
um es mit den wi = ϕ(ui ) in Verbindung zu bringen, bilden wir es doch
einfach mal mit ϕ ab und betrachten ϕ(v) ∈ im ϕ. Da die wi eine Basis des
l
Bilds darstellen, gibt es Skalare μi ∈ K mit ϕ(v) = i=1 μi · wi , und wegen
wi = ϕ(ui ) sowie der Linearität von ϕ folgt
l
l
l
ϕ(v) = μi · w i = μi · ϕ(ui ) = ϕ μi · u i .
i=1 i=1 i=1
l
Nun wieder zurück nach V : Oben steht, dass v und u := i=1 μi · ui unter ϕ
dasselbe Bild besitzen, also liegt die Differenz v − u im Kern von ϕ:
l l
0V = ϕ(v) − ϕ(u) = ϕ(v) − ϕ μi · u i =ϕ v− μi · u i .
i=1 i=1
Da die vi eine Basis des Kerns sind, finden wir Skalare λi ∈ K mit
l
k
l
k
v− μi · u i = λi · v i , also v= μi · u i + λi · v i .
i=1 i=1 i=1 i=1
und müssen folgern, dass alle Skalare Null sind. Anwenden von ϕ und Aus-
nutzen der Linearität liefert
k l
k
l
0W = ϕ(0V ) = ϕ λi · v i + μi · u i = λi · ϕ(vi ) + μi · ϕ(ui ).
i=1 i=1 i=1 i=1
l
Wegen vi ∈ ker ϕ ist ϕ(vi ) = 0W , d.h. es bleibt nur i=1 μi · ϕ(ui ) = 0W
von obiger Summe übrig. Es folgt μ1 = . . . = μl = 0, da die Basisvekto-
ren ϕ(ui ) = wi von im ϕ linear unabhängig sind. Von der ursprünglichen
k
Linearkombination bleibt also nur noch i=1 λi · vi = 0V stehen, woraus
λ1 = . . . = λk = 0 folgt, da die vi als Basis des Kerns linear unabhängig sind.
Insgesamt haben wir nun die lineare Unabhängigkeit von B nachgewiesen.
Nach (1) und (2) ist B eine Basis von V der Länge k + l.
————————— —————————
In den nächsten Aufgaben kann dir ab und zu der Dimensionstest“ (∗) aus Satz 10.3
”
weiterhelfen.
Aufgabe 10.29 Bestimme Kern und Bild der Homomorphismen aus den Auf-
gaben 10.24 – 10.26. (Tipp: Die Dimensionsformel erspart einem manchmal etwas
Arbeit, da man z.B. von der Dimension des Kerns auf die Dimension des Bilds
schließen und dann unter Umständen (∗) anwenden kann.)
————————— —————————
10.2.3 Isomorphie
Nun kommen wir zu einer ganz zentralen Frage, nämlich wann Vektorräume vom
Standpunkt der linearen Algebra aus als gleich“ zu betrachten sind. Die Antwort
”
ist ganz einfach: Ist ϕ : V → W ein Isomorphismus, dann stehen aufgrund der Bi-
jektivität von ϕ die Elemente von V in einer 1:1-Beziehung mit den Elementen von
W und, weil ϕ und ϕ−1 die lineare Struktur respektieren, ist es egal, ob Additi-
on und Skalarmultiplikation in V oder in W ausgeführt wird. Präziser: Für alle
w = ϕ(v), w = ϕ(v ) ∈ W und λ, λ ∈ K ist
d.h. man kann statt einer Linearkombination von Vektoren w, w in W auch eine
Linearkombination ihrer (eindeutig bestimmten) Urbilder v, v in V bilden und
diese dann mittels ϕ nach W schicken. Somit gibt es zwischen V und W keinen
Unterschied bis auf die evtl. verschiedene Bezeichnungsweise ihrer Vektoren.
Eine lineare Abbildung ist demnach durch ihr Verhalten auf einer Basis des Ur-
bildraums bereits eindeutig festgelegt.
294 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Beweis: Zunächst zeigen wir die Existenz einer linearen Abbildung mit Eigen-
schaft (). Dazu sei v ∈ V ein beliebiger
n Vektor, den wir als Linearkombination
der Basisvektoren vi schreiben: v = i=1 λi · vi mit eindeutig bestimmten Skalaren
λi ∈ K (siehe Satz 10.2). Wir legen fest, dass ϕ(vi ) := wi für i = 1, . . . , n sein soll,
und setzen dies linear auf ganz V fort“, indem wir
”
n n n
ϕ(v) = ϕ λi · vi := λi · ϕ(vi ) = λi · w i
i=1 i=1 i=1
(Im zweiten Schritt wurde lediglich die Summe unter Verwendung der Vektor-
raumaxiome in zwei Summen aufgesplittet.) Analog sieht man ϕ(λ · v) = λ · ϕ(v)
(tue dies), d.h. das oben definierte ϕ ist tatsächlich ein lineare Abbildung mit der
Eigenschaft ().
Nun zur Eindeutigkeitsaussage. Ist ψ : V→ W eine weitere lineare Abbildung, für
n
die () gilt, so ist für jeden Vektor v = i=1 λi · vi
n ψ linear
n n
() def
ψ(v) = ψ λi · v i = λi · ψ(vi ) = λi · wi = ϕ(v),
i=1 i=1 i=1
also ψ = ϕ. Somit ist ϕ die einzige lineare Abbildung, die () erfüllt.
Als Krönung können wir nun den Hauptsatz über (endlich-dimensionale) Vek-
torräume beweisen. Dieser besagt, dass ein Vektorraum der Dimension n (über
einem festen Körper K) bereits durch diese eine läppische Zahl bis auf Isomor-
phie eindeutig charakterisiert wird. Es gibt also gar nicht so viele“ verschiedene
”
endlich-dimensionale Vektorräume.
5 Wären die vi keine Basis, so könnte v = ni=1 μi
· vi mit λi = μi für
nmindestens ein i eine
weitere Darstellung von v sein. Es könnte somit auch n i=1 λi · ϕ(vi ) = i=1 μi · ϕ(vi ) sein, und
es wäre nicht klar, welche der beiden Summen man auf der rechten Seite der Definition verwenden
sollte; ϕ wäre damit nicht wohldefiniert.
10.2 Lineare Abbildungen 295
V ∼
= Kn .
Bis auf Isomorphie ist der Standard-Vektorraum Kn also der einzige n-dimensionale
K-Vektorraum!
Somit liegt w im Bild von ϕ, es ist also ϕ(V ) = W , sprich ϕ ist surjektiv.
Dass V ∼= Kn gilt, ergibt sich direkt aus der Tatsache dimK Kn = n.
Es lohnt sich, eine Erkenntnis aus diesem Beweis nochmals separat in Worten zu
formulieren:
Oder durch Kontraposition: Ist dimK V = dimK W , so kann es laut Aufgabe 10.30
keinen bijektiven Homomorphismus von V nach W geben, d.h. V W .
Somit wissen wir für zwei endlich-dimensionale Vektorräume V und W , dass fol-
gende Äquivalenz gilt:
V ∼
=W ⇐⇒ dimK V = dimK W .
Beispiel 10.24 Sei V ein n-dimensionaler Vektorraum mit einer beliebigen Ba-
sis B, die aus den Vektoren v1 , . . . , vn bestehe. Unter dem kanonischen Isomorphis-
mus von V in den Kn versteht man die lineare Abbildung
∼
ΦB : V −→ Kn , vi → ei , i = 1, . . . , n,
welche die Basis von V auf die die Standardbasis e1 , . . . , en des Kn schickt. Einem
n
beliebigen Vektor v = i=1 λi · vi wird dabei sein Koordinatenvektor bezüglich B
zugeordnet, den wir fortan mit (v)B bezeichnen:
⎛ ⎞
n n n λ1
⎜ .. ⎟
ΦB (v) = ΦB λi · v i = λi · ΦB (vi ) = λi · ei = ⎝ . ⎠ =: (v)B .
i=1 i=1 i=1 λn
Wenn du dir im Lichte all dieser Erkenntnisse nun noch einmal Beispiel 10.2 auf
Seite 264 zu Gemüte führst, so wirst du erkennen, dass wir bereits dort den Raum
P3 aller Polynome vom Grad < 3 vermöge des kanonischen Isomorphismus
∼
ΦB : P3 −→ R3 , x2 → e1 , x → e2 , 1 → e3 ,
mit dem R3 identifiziert haben. (Die Basis B wurde aus didaktischen Gründen in
der Reihenfolge (x2 , x, 1) anstatt (1, x, x2 ) geschrieben, weil man aus der Schule
noch an die Schreibweise ax2 + bx + c für Polynome gewöhnt ist.) Die Polynome
p(x) = x2 + 3x + 2 und q(x) = −2x2 + 2x + 1 wurden dort unter ΦB auf ihre
Koordinatenvektoren
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 −2
(p)B = 1 · e1 + 3 · e2 + 2 · e3 = ⎝3⎠ und (q)B = ⎝ 2⎠
2 1
C∼= R2 via 1 → e1 , i → e2
√ √
Q( 2) ∼
= Q2 via 1 → e1 , 2 → e2
Pn, R ∼
= Rn via xi−1 → ei , i = 1, . . . , n.
10.3 Matrizen 297
10.3 Matrizen
In diesem Abschnitt lernen wir, wie man eine lineare Abbildung ganz konkret durch
ein rechteckiges Zahlenschema, Matrix genannt, darstellen kann.
Uiuiui. . . das waren jetzt aber verwirrend viele Symbole und Indizes auf einmal.
Bevor wir uns im Notationsgestrüpp verirren, bringen wir ein klärendes Beispiel,
welches auch den Nutzen einer Matrix, der bis jetzt ja noch völlig obskur ist, ans
Licht bringt. Zuvor halten wir jedoch in einem Satz fest, wie wir die Matrix von ϕ
erhalten haben:
Dies ist für das Matrixkalkül von kaum zu überschätzender Bedeutung. Lies obigen
Satz so lange durch, bis du ihn verinnerlicht hast. (Echt jetzt!)
Beispiel 10.25 Wir betrachten die Rotation um 90◦ aus Beispiel 10.19:
x1 −x2
ρ: R → R ,
2 2
→ .
x2 x1
d.h. a12 = −1 und a22 = 0. Und schon können wir die Matrix von ρ bezüglich B
hinschreiben:
a11 a12 0 −1
Aρ = B (ρ)B = = .
a21 a22 1 0
Man sieht hier nochmal sehr schön, dass die erste Spalte der Matrix aus dem
Bildvektor von e1 besteht – genauer: dessen Koordinatenvektor bezüglich B ( x =
”
(x)B“ gilt nur, weil es sich bei B um die Standardbasis handelt!) – und die zweite
Spalte der Matrix aus dem Koordinatenvektor des Bildes von e2 .
Das Entscheidende ist jedoch immer noch unklar: Was bringt einem das Aufstellen
der Matrix überhaupt bzw. was hat die Matrix mit der Abbildung ρ zu tun? Die
Antwort liefert die sogenannte Kippregel“.
”
Stell dir vor, ein Koordinatenvektor x = (x)B schwebt
wie in Abbildung 10.5 dargestellt rechts oberhalb der
Matrix, und wir kippen“ ihn um 90◦ , so dass er auf
” x1
die erste Zeile der Matrix fällt. Multiplizieren wir dann
die Einträge, die übereinander liegen und addieren die x2
Ergebnisse, so erhalten wir
0 −1
0 · x1 + (−1) · x2 = −x2 . 1 0
Wiederholen wir das Ganze mit der zweiten Zeile der Abbildung 10.5
Matrix, so ergibt sich
1 · x 1 + 0 · x 2 = x1 .
Hat man also einmal die Matrix von ρ aufgestellt, so lassen sich die (Koordinaten
der) Bildvektoren stets mit Hilfe eines Matrix-Vektor-Produkts berechnen.
Dass dies hier kein Zufall war, sondern ganz allgemein gilt, zeigt der nächste Satz.
Um diesen formulieren zu können, müssen wir erst ganz allgemein das Matrix-
Vektor-Produkt erklären. Für 2 × 2−Matrizen definieren wir:
a11 a12 x1 a11 x1 + a12 x2 j a1j xj
· := = .
a21 a22 x2 a21 x1 + a22 x2 j a2j xj
Die Summenschreibweise ist hier zwar unnötig, da j nur von 1 bis 2 läuft, bereitet
aber gleich den allgemeinen Fall vor.
300 10 Grundzüge der Linearen Algebra
wobei j jeweils von 1 bis n läuft. Es ist eine reine Fleißaufgabe nachzuprüfen, dass
die von einer m × n−Matrix A induzierte Abbildung Kn → Km , x → A · x, linear
ist, also dass
A · (λx + μy) = λ (A · x) + μ (A · y)
für alle x, y ∈ Kn und λ, μ ∈ K gilt. Überzeuge dich davon zumindest im 2×2−Fall.
ΦB ΦC
Aϕ
Kn / Km
Abbildung 10.6
Einmal Pfeil rechts und runter“, also durch Anwenden von ΦC ◦ ϕ (ΦC ist der
”
kanonische Basiswahl-Isomorphismus aus Beispiel 10.24); das andere Mal Pfeil
”
runter und dann rechts“, d.h. Aϕ ◦ ΦB . Dabei steht Aϕ abkürzend für die durch
das Matrix-Vektor-Produkt gegebene Abbildung x → Aϕ · x, die nach obiger Be-
merkung linear ist. Wenn das Diagramm kommutiert“, so bedeutet dies, dass beide
”
Wege zum selben Ergebnis führen, also dass
(ΦC ◦ ϕ)(v) = (Aϕ ◦ ΦB )(v)
10.3 Matrizen 301
und das ist genau die Aussage des Satzes, den wir jetzt beweisen werden.
Im letzten Schritt wurde einfach die Reihenfolge der beiden endlichen Summen
vertauscht, was aufgrund des Kommutativgesetzes (A4 ) stets erlaubt ist. Außerdem
kamen bei xj (aij wi ) = (aij xj )wi das Axiom (S4 ) sowie die Kommutativität der
Körpermultiplikation zum Einsatz. Der letzte Ausdruck enthält die Darstellung
von ϕ(v) bezüglich der Bild-Basis C, nämlich
m
n
ϕ(v) = yi w i mit yi := aij xj ,
i=1 j=1
Das war jetzt sicherlich sehr schwere Kost. Falls du den Beweis nicht komplett
nachvollziehen konntest, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du arbeitest ihn
nochmals ganz in Ruhe durch (und schreibst falls nötig die Summen explizit aus,
um genau zu verstehen, was in jedem Schritt passiert ist), oder du glaubst ihn
einfach und freust dich, dass jetzt verständliche Beispiele und machbare Aufgaben
folgen. Wichtig ist für Praxis zunächst nur, dass du Matrizen aufstellen und die
Kippregel anwenden kannst.
Auf einen häufigen Anfängerfehler, der für viel Verwirrung sorgen kann, sei aber
302 10 Grundzüge der Linearen Algebra
noch explizit hingewiesen. Will man die Matrixeinträge aij bestimmen, so nimmt
man sich einen Urbild-Basisvektor vj und stellt ϕ(vj ) bezüglich der Bildbasis dar,
d.h. man sucht Skalare a1j , . . . , amj ∈ K mit
m
ϕ(vj ) = aij wi = a1j w1 + a2j w2 + . . . + amj wm ∈ W.
i=1
Hier läuft die Summe also über den vorderen Index i = 1, . . . , m von aij .
Hat man hingegen die Matrix A bestimmt und will das Matrix-Vektorprodukt von
t
A mit einem Koordinatenvektor (v)B = (x1, . . . , xn ) ausrechnen, so erhält man
als Ergebnis der Kippregel den Vektor ϕ(v) C = (y1 , . . . , ym )t mit den Einträgen
n
yi = aij xj ∈ K.
j=1
Beachte, dass die Summe nun über den hinteren Index j = 1, . . . , n von aij läuft.
Das darf man auf keinen Fall durcheinander bringen (denn dadurch würde man
Spalten und Zeilen der Matrix vertauschen).
Beispiel 10.26 Wir verallgemeinern Beispiel 10.25, indem wir statt der 90◦ -
Rotation die lineare Abbildung ρθ : R2 → R2 betrachten, die jeden Vektor des R2
um einen beliebigen Winkel θ (theta) gegen den Uhrzeigersinn dreht.
x2
ρθ (e2 ) e2
cos θ
ρθ (e1 )
sin θ
θ x1
− sin θ cos θ e1
Abbildung 10.7
Dass ρθ tatsächlich linear ist, begründet man am bequemsten durch ein geome-
trisches Argument wie in Beispiel 10.19. Wir geben die Abbildungsvorschrift hier
bewusst nur in Worten an, und gelangen über die Matrixdarstellung zu einer kon-
kreten Beschreibung von ρθ . Als Bild- und Urbildbasis wählen wir die Standardbasis
B = (e1 , e2 ). Wir bestimmen die Einträge der Matrix, indem wir die Bilder ρθ (e1 ),
ρθ (e2 ) der Basisvektoren bezüglich B darstellen. Der Abbildung 10.7 entnimmt
man
10.3 Matrizen 303
cos θ
ρθ (e1 ) = = cos θ · e1 + sin θ · e2 ,
sin θ
woraus wir die Matrixeinträge α11 = cos θ und α21 = sin θ erhalten. Und ebenso
− sin θ
ρθ (e2 ) = = − sin θ · e1 + cos θ · e2 ,
cos θ
d.h. α12 = − sin θ und α22 = cos θ. (Diese Formeln sind übrigens auch für θ > 90◦
gültig.) Somit erhalten wir die Matrix
cos θ − sin θ
B (ρθ )B = .
sin θ cos θ
Für einen beliebigen Vektor x ∈ R2 mit Koordinaten (x)B = (x1 , x2 )t (bei der
Standardbasis ist man oft schlampig und schreibt einfach nur x statt (x)B ) ergibt
sich nun sofort
cos θ − sin θ x1 x1 cos θ − x2 sin θ
ρθ (x) B = B (ρθ )B · (x)B = · = .
sin θ cos θ x2 x1 sin θ + x2 cos θ
Damit wissen wir automatisch, wie das Bild eines beliebigen Vektors unter ρθ aus-
sieht, ohne dass wir uns dies anhand einer Skizze überlegen müssten. Very nice
indeed!
Beispiel 10.27 Nun kommt ein zugegebenermaßen etwas konstruiertes Beispiel,
das aber demonstrieren soll, was zu tun ist, wenn Urbild- und Bildbasis nicht
gleich und auch nicht beide die Standardbasis sind. Wir betrachten zwei reelle
Polynomräume und als Homomorphismus zwischen ihnen die Multiplikation mit x:
μx : P2, R → P3, R , p(x) → x · p(x).
In P2, R wählen wir die Standardbasis B = (1, x), während wir in P3, R zur Basis
C = (2, 1−x, 12 x2 ) greifen, und bestimmen die Matrix von μx bezüglich dieser Basen.
Weil wir von einem Raum der Dimension n = 2 in einen Raum der Dimension m = 3
abbilden, wird es eine 3 × 2−Matrix werden (n = 2 Spalten mit jeweils m = 3
Einträgen, d.h. 3 Zeilen). Dazu müssen wir wie immer die Bilder der Basisvektoren
von B bezüglich C darstellen. Es ist
!
μx (1) = x · 1 = x = a11 · 2 + a21 · (1 − x) + a31 · 12 x2 .
Zusammenfassen der rechten Seite ergibt (2a11 + a21 ) − a21 x + 12 a31 x2 , und ein
Koeffizientenvergleich mit μx (1) = x = 0 + 1 · x + 0 · x2 führt auf das lineare Glei-
chungssystem
2a11 + a21 = 0 ∧ −a21 = 1 ∧ 1
2 a31 = 0.
Dieses ist schnell gelöst. Von rechts nach links: a31 = 0, a21 = −1 und eingesetzt
in die erste Gleichung folgt a11 = − 12 a21 = 12 . Somit ist (μx (1))C = ( 12 , − 1, 0)t .
Ebenso:
!
μx (x) = x · x = x2 = a12 · 2 + a22 · (1 − x) + a32 · 12 x2 .
304 10 Grundzüge der Linearen Algebra
mit den Lösungen a22 = a12 = 0 und a32 = 2. Folglich haben wir (μx (x))C =
(0, 0, 2)t . Die Matrix von μx besitzt damit folgende Gestalt
⎛ ⎞
1/2 0
Machen wir die Probe aufs Exempel und bestimmen das Bild von p(x) = 3 − 4x
mit Hilfe des Matrix-Vektor-Produkts. Zunächst ist der Koordinatenvektor von p
gegeben durch (p)B = (3, − 4)t und mit der Kippregel folgt
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1/2 0 1/2 · 3 + 0 · (−4) 3/2
3
μx (p) C = C (μx )B · (p)B = ⎝−1 0⎠ · = ⎝−1 · 3 + 0 · (−4)⎠ = ⎝−3⎠ .
−4
0 2 0 · 3 + 2 · (−4) −8
Das sind also die C-Koordinaten von μx (p), was nichts anderes bedeutet als
μx (p) = 3
2 · 2 + (−3) · (1 − x) + (−8) · 12 x2 = 3 − 3 + 3x − 4x2 = 3x − 4x2 ,
was – oh Jubel – tatsächlich das Ergebnis von x · p(x) ist. Nochmal: Dieses Beispiel
war nur zu Demonstrationszwecken gedacht; kein normaler Mensch würde bei einer
solch einfachen Abbildung den Umweg über die Matrix wählen, geschweige denn
auch noch mit C als Basis.
Einen ersten Hinweis darauf, was einen überhaupt dazu bewegen sollte, andere
Basen als die Standardbasis zu verwenden, gibt Aufgabe 10.33.
So, genug der Beispiele. Es hilft nämlich alles nichts: Um richtig mit Matrizen
umgehen zu lernen, musst du selbst die folgenden Aufgaben durchackern.
————————— —————————
a) o : V → V , v → 0V , B = C = (v1 , . . . , vn ) (Nullmatrix).
10.3 Matrizen 305
b) id : V → V , v → v, B = C = (v1 , . . . , vn ).
Diese Matrix der Identität heißt Einheitsmatrix und wird mit En bezeichnet.
d) μ i : C → C, z → i · z, B = C = (1, i) (R-Basen).
Bestimme zudem den B-Koordinatenvektor von z = 2 − 3 i und berechne
seinen Bildvektor über das Matrix-Vektor-Produkt.
e) μ i : C → C, z → i · z, B = C = (1) (C-Basen).
i) d
dx : P4, R → P3, R , p(x) → p (x), B = (1, x, x2 , x3 ), C = (1, x, x2 ).
b) Wie lautet die Matrix B := E (ϕ)E bezüglich der Basis E von Q3 , die aus
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 1 1
v1 = ⎝1⎠ , v2 = ⎝0⎠ , v3 = ⎝ 0⎠ besteht?
0 1 −1
————————— —————————
Ein kleiner theoretischer Ausblick soll diesen Abschnitt abrunden. Wir bezeichnen
mit Matm×n, K die Menge aller m × n-Matrizen mit Einträgen aus K. Schreiben
wir A = (aij ) für eine Matrix, so wird Matm×n, K unter den komponentenweise
definierten Verknüpfungen
dimK Matm×n, K = m · n.
Hat man Aufgabe 10.28 bearbeitet, so weiß man, dass auch HomK (V, W ), also die
Menge aller linearen Abbildungen von V nach W , ein Vektorraum ist. Wählt man
Basen B = (v1 , . . . , vn ) von V und C = (w1 , . . . , wm ) von W , dann erhält man eine
Abbildung
die jedem Homomorphismus seine Matrix bezüglich der gewählten Basen zuordnet.
Man kann zeigen, dass dieses M ein Isomorphismus ist. Probier das doch mal; es
ist nicht ganz leicht, aber mit unserer bisher entwickelten Theorie gut machbar.
Aus HomK (V, W ) ∼ = Matm×n, K folgt dann insbesondere
ϕA : K n → K m , x → A · x
eine lineare Abbildung (weise dies nach!). Mit x = (x)B ist dabei der Koordinaten-
vektor eines x ∈ Kn bezüglich der Standardbasis gemeint. Die Abbildung
ist dann offensichtlich“ die Umkehrabbildung zu M. Falls du bis jetzt noch nicht
”
ausgestiegen bist, versuche doch auch dies noch zu beweisen.
Vor allem in fortgeschrittenen Mathebüchern kann es passieren, dass Sachen, die
der Autor als offensichtlich“ abtut, dir auf den ersten Blick überhaupt nicht klar
”
sind. Dann hilft oftmals der Griff zu Papier und Bleistift, um in Ruhe darüber
nachzudenken.
also der Rotation um 90◦ gegen den Uhrzeigersinn und der Spiegelung an der x1 -
Achse (siehe Aufgabe 10.24). Inzwischen solltest du durch scharfes Hinschauen er-
kennen können, dass die Matrizen beider Abbildungen bezüglich der Standardbasis
gegeben sind durch
0 −1 1 0
Aρ = und Aσ = .
1 0 0 −1
an. Diese Abbildung ist laut Aufgabe 10.27 selbst wieder linear, was man hier
auch durch bloßes Hinsehen erkennt: ρ ◦ σ vertauscht einfach die x1 - mit der x2 -
Komponente (und ist damit die Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden). Die
Matrixdarstellung bezüglich der kanonischen Basis B = (e1 , e2 ) lautet
0 1
B (ρ ◦ σ)B = .
1 0
Die Frage ist nun, ob sich diese Matrix irgendwie auch anhand von Aσ und Aρ
aufstellen lässt, was einem die konkrete Berechnung von ρ◦σ ersparen würde. Bilden
wir einfach mal ganz frech ein Matrixprodukt“ Aρ · Aσ , indem wir die beiden
”
Spalten von Aσ als zwei separate Vektoren auffassen und mit beiden das Matrix-
Vektor-Produkt mit Aρ bilden. Anders ausgedrückt: Wir wenden die Kippregel auf
beide Spalten von Aσ (eine ist fett, die andere grau gesetzt) an und erhalten
0 −1 1 0 0·1 − 1·0 0 · 0 − 1 · (−1)
Aρ · A σ = · =
1 0 0 −1 1·1 + 0·0 1 · 0 + 0 · (−1)
0 1
= .
1 0
Oho! Das so erklärte Matrixprodukt von Aρ mit Aσ ist doch tatsächlich die Matrix
von ρ ◦ σ. Dass dies kein Zufall ist, sehen wir in Kürze. Zuvor bemerken wir jedoch
noch, dass
1 0 0 −1 0 −1
Aσ · Aρ = · = = Aρ · Aσ
0 −1 1 0 −1 0
ist, d.h. die Matrixmultiplikation ist nicht kommutativ. Der geometrische Hinter-
grund ist hier, dass σ ◦ ρ – also erst Rotieren mit ρ und danach Spiegeln mit σ –
die Spiegelung an der zweiten und nicht mehr an der ersten Winkelhalbierenden
ist (mache dir das an einem Bildchen klar).
Um den allgemeinen Fall vorzubereiten, bilden wir das Produkt einer 2× 3−Matrix
A mit einer 3×2−Matrix B. Starre diese Rechnung so lange an, bis du jeden Schritt
308 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Das Ergebnis ist also eine 2 × 2−Matrix C = A · B, deren Einträge cik , i, k ∈ {1, 2},
gegeben sind durch
3
cik = aij bjk .
j=1
Mache dir klar, dass man in diesem Fall auch das Produkt D = B · A hätte bilden
können, und schreibe auf, welches Format D hat und wie die Einträge δik hier
aussehen.
Definition 10.12 Ist A = (aij ) eine m × −Matrix und B = (bjk ) eine Matrix
vom Format × n, so kann man (durch mehrfache Kippregel“) deren Produkt
”
C = A · B bilden. Die Produktmatrix C = (cik ) besitzt dann das Format m × n
und ihre Einträge sind gegeben durch
cik = aij bjk , 1 i m, 1 k n.
j=1
(Das Produkt A · B ergibt nur dann Sinn, wenn die Anzahl der Spalten von A mit
der Anzahl der Zeilen von B übereinstimmt.) ♦
Um die Matrix von ϕ ◦ ψ bezüglich A und C zu erhalten, müssen wir die Bilder der
Vektoren von A unter ϕ ◦ ψ bezüglich C darstellen.
m Konkreter ausgedrückt müssen
wir Skalare cik finden, die (ϕ ◦ ψ)(uk ) = i=1 cik wi für alle 1 k n erfüllen.
Gehen wir’s an:
m
(ϕ ◦ ψ)(uk ) = ϕ (ψ(uk )) = ϕ bjk vj = bjk ϕ(vj ) = bjk · aij wi .
j=1 j=1 j=1 i=1
Jetzt kommen die gleichen Schritte wie schon im Beweis von Satz 10.7, nämlich
distributives Ausmultiplizieren und Vertauschen der Summen:
m m
m
!
(ϕ ◦ ψ)(uk ) = bjk aij wi = aij bjk wi = cik wi .
j=1 i=1 i=1 j=1 i=1
Somit ergibt sich cik = j=1 aij bjk für die Matrixeinträge von ϕ ◦ ψ. Da dies
genau die Einträge der Produktmatrix A · B = C (ϕ)B · B (ψ)A sind, beendet das
den Beweis.
Auch dies ist ein Beweis, der auf den ersten Blick vielleicht abschreckend aussieht,
den du aber gut selbst hinbekommen könntest. Schreib ihn doch einfach nochmal
selber auf, und du wirst sehen, wie alles fast automatisch an den richtigen Platz
fällt. (Allerdings musst du gut aufpassen, dass du m, und n nicht durcheinander
bringst.)
Bevor du dich mit den nächsten Aufgaben vergnügen darfst, kommt wieder ein
kleiner theoretischer Ausblick. Wie auf Seite 305 angedeutet, ist Matm×n, K ein K-
Vektorraum. Die Menge An, K = Matn×n, K aller quadratischen n×n−Matrizen mit
Einträgen aus K besitzt sogar noch mehr Struktur, nämlich die einer sogenannten
(assoziativen) K-Algebra. Grob gesagt ist dies ein Vektorraum, dessen Elemente
man auch vernünftig“ multiplizieren kann. Genauer gelten für das oben eingeführte
”
Matrixprodukt An, K × An, K → An, K , (A, B) → A · B, folgende Rechenregeln:
◦ Es ist assoziativ, d.h. (A · B) · C = A · (B · C) für alle A, B, C ∈ An, K .
◦ Es gelten Distributivgesetze, d.h. es ist (A + B) · C = A · C + B · C sowie
A · (B + C) = A · B + A · C für alle A, B, C ∈ An, K (aufgrund der fehlenden
Kommutativität der Matrixmultiplikation für n ≥ 2 muss beides gefordert
werden).
◦ Die Skalarmultiplikation des Vektorraums ist kompatibel mit der Matrixmul-
tiplikation: (λA) · B = λ(A · B) = A · (λB) für alle A, B ∈ An, K und alle
λ ∈ K.
◦ An, K ist sogar eine K-Algebra mit Eins, denn die Einheitsmatrix En (mit
Einsen auf der Diagonalen und Nullen sonst) verhält sich neutral bezüglich
der Matrixmultiplikation, d.h. En · A = A = A · En für alle A ∈ An, K .
310 10 Grundzüge der Linearen Algebra
All diese Eigenschaften sind leicht nachzurechnen, nur das Assoziativgesetz erfor-
dert unangenehm viel Schreibaufwand.
————————— —————————
a) Zeige, dass C ein R-Vektorraum mit Basis (1C , I) ist (du darfst voraus-
setzen, dass Mat2×2, R ein R-Vektorraum ist). Gib explizit einen Isomorphis-
mus ϕ : C → C an, der die Isomorphie von C zu C (als R-Vektorräume)
zeigt.
b) C ist sogar selbst wieder eine (assoziative) R-Algebra mit Eins: Dazu musst
du nur noch nachweisen, dass für Z, W ∈ C auch Z · W wieder in C liegt,
denn alle weiteren Algebren-Eigenschaften vererben sich von A2, R auf C .
c) Rechne nach, dass C sogar kommutativ ist, d.h. dass Z · W = W · Z für alle
Z, W ∈ C gilt (was bei Matrixmultiplikation ja nicht selbstverständlich ist).
d) Was ist I 2 ? Wenn du an die Beispiele 10.19 C und 10.25 denkst, sollte dich
das Ergebnis nicht überraschen.
e) Zeige weiter, dass der Isomorphismus ϕ aus a) sogar multiplikativ ist, d.h.
dass ϕ(Z · W ) = ϕ(Z)ϕ(W ) für alle Z, W ∈ C gilt.
10.4 Ausblick: LGS und Determinanten 311
————————— —————————
2x1 + x2 = 0 (I)
4x1 + 3x2 = 0 (II).
Zunächst fassen wir beide Gleichungen als Gleichheit zweier Vektoren des R2 auf:
2x1 + x2 0
= = 0R2 ,
4x1 + 3x2 0
6 Weil LGSe“ doof aussieht, verwenden wir die Abkürzung LGS sowohl für den Singular als
”
auch den Plural.
312 10 Grundzüge der Linearen Algebra
A·x = 0
an (für den Nullvektor schreiben wir nur noch 0 statt 0R2 ) mit der Matrix
2 1
A= .
4 3
Überzeuge dich davon, dass ϕA tatsächlich linear ist und bezüglich der Standard-
basis des R2 gerade A als Darstellungsmatrix besitzt. Wir verstehen im Folgenden
immer ker A im Sinne von ker ϕA .
Im ursprünglichen LGS ersetzen wir Gleichung (II) durch (IIa) = (II)−2 ·(I) um x2
rauszuwerfen und das LGS auf Stufenform zu bringen ( Gauß-Algorithmus“):
”
2x1 + x2 = 0 (I)
x2 = 0 (IIa).
Hieran lässt sich nun sofort ablesen, dass das homogene LGS nur die triviale Lösung
x1 = x2 = 0 besitzt, dass also L(A, 0) nur aus dem Nullvektor 0 = (0, 0)t besteht.
Abstrakter ausgedrückt bedeutet dies, dass die lineare Abbildung ϕA injektiv ist,
da sie trivialen Kern besitzt (Lemma 10.3).
Auch diesen zur Bestimmung von L(A, 0) notwendigen Schritt wollen wir nun ele-
gant mit Hilfe von Matrizen darstellen. Es sei nochmal betont, dass es uns hier nicht
um das numerische Lösen von LGS geht, sondern um das Verstehen der zugrunde
liegenden Theorie. Zum umgeformten LGS gehört die Matrix
2 1
A = ,
0 1
welche man aus A erhält, indem man von links mit der Umformungsmatrix“
”
1 0
U=
−2 1
10.4 Ausblick: LGS und Determinanten 313
Multiplizieren wir also beide Seiten des ursprünglichen LGS A · x = 0 von links mit
U , so geht es in seine Stufenform über:
U · (A · x) = U · 0 =⇒ A · x = 0,
gilt. Bevor wir dies im nächsten Satz allgemein beweisen, noch eine wichtige
Beweis: (1) ist ein Spezialfall von (2) für λ = 0 (bzw. μ = 0 und λ = 0, wenn
es um Gleichung (I) geht). Zum Beweis von (2) zeigen wir ker A = ker A , d.h.
L(A, 0) = L(A , 0), wobei A = Uλ, μ · A die umgeformte Matrix des LGS ist.
Die Inklusion L(A, 0) ⊆ L(A , 0) ist simpel, denn aus A · x = 0 folgt
also (II) einfach vernichtet, was natürlich keine erlaubte Zeilenumformung ist. Analog für (1).
314 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Um umgekehrt L(A , 0) ⊆ L(A, 0) zu zeigen, beachten wir, dass ker Uλ, μ trivial ist:
Uλ, μ · x = 0 lautet ausgeschrieben
1 0 x1 x1 ! 0
· = = ,
λ μ x2 λx1 + μx2 0
Da P offenbar trivialen Kern besitzt, folgt wie in (2) ker A = ker (P · A).
Das Schöne an dieser Argumentation ist, dass sie sich wortwörtlich auf n × n−LGS
überträgt. Man muss einfach nur davon überzeugen, dass auch im Fall n > 2
alle Umformungsmatrizen, die zu elementaren Zeilenumformungen gehören, stets
trivialen Kern besitzen.
2x1 + x2 = 0 (I)
4x1 + 2x2 = 0 (II),
2 1
also B · x = 0 mit der Matrix B = .
4 2
Um L(B, 0) = ker B zu bestimmen, ersetzen wir Gleichung (II) wieder durch
(II)−2 ·(I), gehen also über zur Matrix
1 0 2 1 2 1
B = U−2, 1 · B = · = .
−2 1 4 2 0 0
Aufgrund der Nullen in der zweiten Zeile muss ein x ∈ ker B lediglich 2x1 + x2 = 0
erfüllen. Wählen wir x1 = λ ∈ R als freien Parameter, so folgt x2 = −2x1 = −2λ.
Mit Satz 10.9 erhalten wir
1 2 = >
λ 1
L(B, 0) = ker B = ker B =
−2λ
λ∈R = −2
.
R
Die Lösungsmenge des LGS ist also ein eindimensionaler Unterraum des R2 .
10.4 Ausblick: LGS und Determinanten 315
somit ist der Kern von B nicht-trivial und B · x = 0 besitzt (unendlich viele) nicht-
triviale Lösungen.
Bei den Umformungsmatrizen Uλ, μ (mit μ = 0) liefert die Determinante sofort die
Trivialität des Kerns, denn es ist
1 0
det Uλ, μ = det = 1 · μ − 0 · λ = μ = 0.
λ μ
Satz 10.10 gilt ebenfalls für n × n−Matrizen, allerdings ist die Definition der De-
terminante für beliebige n deutlich aufwändiger (siehe beliebiges Buch aus dem
Literaturverzeichnis). Etwa für eine 3 × 3−Matrix A = (aij ) lautet die Determi-
nantenformel
det A = a11 a22 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32
− a13 a22 a31 − a11 a23 a32 − a12 a21 a33 .
Bei n = 4 hat man bereits 4! = 24 und bei n = 5 sogar 5! = 120 solcher Summanden
zu berücksichtigen.
Bei der expliziten Bestimmung von Lösungen eines inhomogenen LGS im nächsten
Abschnitt wird sich der nächste Satz als äußerst nützlich erweisen, da er einem
lästige Zeilenumformungen erspart.
Satz 10.11 Ist A ∈ Mat2×2, R eine Matrix mit det A = 0, so ist A invertierbar,
d.h. es gibt eine Matrix A−1 ∈ Mat2×2, R mit A · A−1 = E2 = A−1 · A.
a11 a12
Für A = besitzt die inverse Matrix die Gestalt
a21 a22
1 a22 −a12
A−1 = · .
det A −a21 a11
Der Vorfaktor ist so zu verstehen, dass jeder Matrixeintrag durch det A geteilt wird.
Beweis: Wir rechnen explizit nach, dass die angegebene Matrix die Inverse von
A ist. Wir haben (zunächst ohne den Vorfaktor det1 A )
a11 a12 a22 −a12 a11 a22 − a12 a21 −a11 a12 + a12 a11
· =
a21 a22 −a21 a11 a21 a22 − a22 a21 −a21 a12 + a22 a11
det A 0 1 0
= = det A · = det A · E2 ,
0 det A 0 1
und Teilen durch det A liefert das gewünschte Resultat. Ebenso rechnet man nach,
dass auch A−1 · A = E2 erfüllt ist.
Wir begründen nun noch abstrakt, warum es im Falle det A = 0 eine solche inverse
Matrix geben muss – ganz ohne Rückgriff auf die explizite Formel für A−1 . Nach
10.4 Ausblick: LGS und Determinanten 317
Satz 10.10 bedeutet det A = 0, dass ker A = {0} und die Abbildung ϕA somit injek-
tiv ist. Mit der Dimensionsformel 10.5 bzw. Aufgabe 10.30 folgt die Surjektivität
von ϕA , denn es gilt
also muss im ϕA = R2 sein. Die Dimension des Bildes von ϕA nennt man übrigens
den Rang der Matrix A. Insgesamt ist ϕA also ein Isomorphismus und besitzt
daher eine lineare Umkehrabbildung ϕ−1 −1 −1
A , die ϕA ◦ ϕA = idR2 = ϕA ◦ ϕA erfüllt.
Übergang zu Matrizen (bezüglich der Standardbasis) überführt diese Beziehung in
A · B = E2 = B · A, wobei B die Matrix von ϕ−1 A bezeichnet. Vorige Gleichung
besagt, dass B die gesuchte inverse Matrix von A ist.
Satz 10.12 Ist der Vektor x0 ∈ R2 eine Lösung des inhomogenen LGS A · x = y,
so besitzt dessen gesamte Lösungsmenge die Gestalt
(Man verschiebt“ also einfach die Lösungsmenge des zugehörigen homogenen LGS
”
um den Vektor x0 .)
Achtung: Der Satz sagt nicht, dass es überhaupt eine Lösung x0 geben muss.
Im Unterschied zum homogenen Fall (dort gibt es stets die triviale Lösung x = 0)
gibt es inhomogene LGS mit L(A, y) = ∅, wie wir weiter unten sehen werden.
0 = A · z − A · x0 = A · (z − x0 ),
weil Multiplikation mit A linear ist. Somit liegt z − x0 in ker A = L(A, 0), also ist
z − x0 = x für ein x ∈ L(A, 0), und wir erhalten wie gewünscht z = x0 + x mit
x ∈ L(A, 0).
x0 + L(A, 0) ⊆ L(A, y): Diese Inklusion ist noch einfacher, denn für jedes x0 + x
mit x ∈ L(A, 0) = ker A gilt
A · (x0 + x) = A · x0 + A · x = y + 0 = y.
318 10 Grundzüge der Linearen Algebra
Beispiel 10.33 Wir wiederholen Beispiel 10.32 mit y = (1, 3)t , also
2x1 + x2 = 1 (I)
4x1 + 2x2 = 3 (II).
Beidseitige Multiplikation von B · x = y mit U−2, 1 ergibt
2 1 x 1 0 1 1
· 1 = · = .
0 0 x2 −2 1 3 1
Da in der zweiten Komponente die unerfüllbare Gleichung 0 · x1 + 0 · x2 = 1 steht,
ist in diesem Beispiel L(B, y ) = ∅.
Der abstraktere Grund hierfür ist, dass der Vektor y = (1, 3)t nicht im Bild von
ϕB liegt. So etwas kann immer dann auftreten, wenn der Rang der Matrix B nicht
”
voll“, hier also kleiner als 2 ist, denn dann ist im ϕB nicht der gesamte R2 .
Und damit soll es genug sein. Ich hoffe, dass dir die Lektüre des Buches viel Freude
bereitet hat und dir den Einstieg in die Hochschulmathematik erleichtern wird!
10.4 Ausblick: LGS und Determinanten 319
Literatur zu Kapitel 10
Anhang
323
Lösung 1.2 Angenommen, S ist wahr. Dann stimmt der Inhalt von S, der aber
gerade besagt, dass S falsch ist. Widerspruch.
Nimmt man hingegen S als falsch an, so ist Dieser Satz ist falsch“ falsch, d.h. es
”
folgt die Wahrheit des Satzes im Widerspruch zur Annahme.
Man kann S also weder w noch f als Wahrheitswert zuordnen, somit ist S keine
Aussage.
Ebenso verhält es sich bei den Sätzen L und F.
A B ¬ (A ∨ B) ←→ ¬ A ∧ ¬ B
w w f w w f f f
w f f w f
f w f w f
f f w w w
Tabelle 11.1
Wer das Aufstellen der Tafel noch nicht ganz verstanden hat, trage in Gedanken
die fehlenden Werte ein. Hier ist die Erklärung für die zweite Zeile: Ist A wahr
und B falsch, so ist A ∨ B wahr, also ist ¬ (A ∨ B) falsch. ¬ A ist falsch und ¬ B ist
wahr, also ist ¬ A ∧ ¬ B falsch. Die Bijunktion ist damit wahr, da beide Teilformeln
denselben Wahrheitswert, in diesem Fall falsch, besitzen.
Es bedeute M: Gustl lernt Mathe“ und P: Gustl geht pumpen“. Dann ist die
” ”
Verneinung von M ∧ P laut De Morgan ¬ M ∨ ¬ P, d.h.
Gustl lernt nicht Mathe oder geht nicht pumpen. (Auch beides möglich.)
Die Verneinung der zweiten Aussage M ∨ P ist nach De Morgan ¬ M ∧ ¬ P:
Gustl lernt nicht Mathe und geht nicht pumpen. Oder gleichbedeutend:
Gustl lernt weder Mathe noch geht er pumpen.
Verneinen von Entweder lernt Gustl Mathe oder geht pumpen“ bedeutet, dass er
”
beides macht, oder keins von beidem, d.h.
(Gustl lernt Mathe und geht pumpen) ∨ (Er lernt weder Mathe noch
geht er pumpen).
(Dies ist sogar ein entweder-oder, da beide Möglichkeiten sich ausschließen.)
A B ¬ (A → B) ←→ A∧¬B
w w f w w w f f
w f w w w
f w f w f
f f f w f
Tabelle 11.2
Die Verneinung der Aussage Wenn Gustl Mathe lernt, dann geht er nicht pumpen“,
”
¬ (M → ¬ P), ist demnach M ∧ ¬ ¬ P bzw. M ∧ P, d.h.
Gustl lernt Mathe und geht pumpen.
A B (A → B) ←→ (¬ A → ¬ B) (A → B) ←→ (B → A)
w w w w w w w w
w f f f w f f w
Tabelle 11.3
Sobald das erste f unter dem Bijunktor auftaucht, kann man aufhören, da dann die
Bijunktion keine Tautologie mehr sein kann. A → B ist somit weder zu ¬ A → ¬ B
noch zu B → A äquivalent.
Lösung 1.6 Dies ist trivial (unmittelbar einsichtig): Wegen F ⇐⇒L G haben
F und G stets die gleichen Wahrheitswerte (F ←→ G ist eine Tautologie). Da der
¬ -Junktor einfach nur die Wahrheitswerte w und f vertauscht, haben auch ¬ F
und ¬ G stets die gleichen Wahrheitswerte, nur eben jetzt vertauscht (d.h. auch
¬ F ←→ ¬ G bleibt eine Tautologie), sprich ¬ F ⇐⇒L ¬ G.
11.1 Lösungen zu Kapitel 1 325
Lösung 1.7
a) Hier musst du dich überzeugen, dass die Formeln (A ∧ B) ∧ C und A ∧ (B ∧ C)
stets die gleichen Wahrheitswerte annehmen, für alle möglichen Kombinatio-
nen der Wahrheitswerte von A, B und C. Gleichbedeutend damit ist, dass
(A ∧ B) ∧ C ←→ A ∧ (B ∧ C) eine Tautologie ist. Dies macht man durch
Aufstellen einer Wahrheitstafel mit 23 = 8 Zeilen, was jeder selber kann;
vergleiche b). Analog für (A ∨ B) ∨ C und A ∨ (B ∨ C).
b) Wir beweisen nur das erste Distributivgesetz durch Tabelle 11.4. Diese zeigt,
dass die Bijunktion beider Teilformeln eine Tautologie ist, also sind die beiden
Formeln äquivalent.
A B C (A ∧ B) ∨ C ←→ (A ∨ C) ∧ (B ∨ C)
w w w w w w w w w w
w w f w w f w w w w
w f w f w w w w w w
w f f f f f w w f f
f w w f w w w w w w
f w f f f f w f f w
f f w f w w w w w w
f f f f f f w f f f
Tabelle 11.4
Lösung 1.8
a) Dies folgt aus Aufgabe 1.4 unter Verwendung von Aufgabe 1.6:
A ∧ B ⇐⇒L ¬ (¬ A ∨ ¬ B),
A ≺ B ⇐⇒L (¬ A ∧ B) ∨ (A ∧ ¬ B).
(Überprüfe dies!) Ersetzt man beide ∧ mit Hilfe von b), so ergibt sich
A ≺ B ⇐⇒L ¬ (A ∨ ¬ B) ∨ ¬ (¬ A ∨ B).
Wir formen nun den rechten Term mit Hilfe der De Morgan-Regeln (DM1,2 ) und
des zweiten Distributivgesetzes (DG2 ) um. Zudem wird verwendet, dass ¬ ¬ A und
A äquivalent sind.
¬ (¬ A ∧ B) ∨ (A ∧ ¬ B)
DM
⇐⇒2 L ¬ (¬ A ∧ B) ∧ ¬ (A ∧ ¬ B)
DM1
⇐⇒ L (¬ ¬ A ∨ ¬ B) ∧ (¬ A ∨ ¬ ¬ B)
( 1.8 c) )
⇐⇒ L (A ∨ ¬ B) ∧ (¬ A ∨ B) ⇐⇒ L (A ←→ B)
DG2
⇐⇒ L A ∧ (¬ A ∨ B) ∨ ¬ B ∧ (¬ A ∨ B)
DG
2
⇐⇒ L (A ∧ ¬ A) ∨ (A ∧ B) ∨ (¬ B ∧ ¬ A) ∨ (¬ B ∧ B)
(¬ B ∧ ¬ A) ∨ (¬ B ∧ B) ⇐⇒L ¬ B ∧ ¬ A.
Insgesamt ergibt sich
¬ (A ≺ B) ⇐⇒L (A ∧ B) ∨ (¬ A ∧ ¬ B),
also genau das, was man auch intuitiv erwartet hätte: Die Verneinung von Ent-
”
weder A oder B“ ist (Sowohl A als auch B) oder (Weder A noch B)“.
”
(Natürlich hätte man das viel leichter mit einer Wahrheitstafel überprüfen können;
der Vorteil der formalen Methode ist, dass sie auch zum Ziel führt, wenn man das
Ergebnis nicht intuitiv erkennt.)
Lösung 1.10
a) Für alle Dinge x gilt: Wenn x ein Mann ist, dann ist x ein Schwein.
Kurz: Alle Männer sind Schweine. (Falsch?!)
11.1 Lösungen zu Kapitel 1 327
b) Für alle Dinge x gilt: x ist ein Mann und x ist ein Schwein.
Kurz: Alles ist ein Mann und ein Schwein. (Sicherlich falsch.)
c) Es gibt ein Ding x, für das gilt: x ist ein Mann und ein Schwein.
Kurz: Manche Männer sind Schweine. (Richtig?!)
Lösung 1.11
a) ∀x : E(x), wobei E das Prädikat − ist Eins“ (womit?) bezeichnet.
”
b) ∀x : ( W (x) → R(x) ); mit den beiden Prädikaten W − ist ein Weg“ und R
”
führt nach Rom“.
”−
c) ∃x : ( S(x) ∧ M (x) ); mit S: − ist Schüler“ und M : − ist gut in Mathe“.
” ”
Beachte: ∃x : ( S(x) → M (x) ) drückt etwas anderes aus: Da diese Subjunk-
tion automatisch wahr ist, wenn S(x) falsch ist, wäre diese Aussage bereits
dann wahr, wenn man für x z.B. Ferkel einsetzt.
d) Ist G das Prädikat − ist Gurke“ und T das Prädikat − ist Tomate“, so
” ”
lautet die Aussage
¬ ( ∃x : ( G(x) ∧ T (x) ) ) ⇐⇒L ∀x : ¬ ( G(x) ∧ T (x) ),
was sich nach Aufgabe 1.4 auch als ∀x : ( G(x) → ¬ T (x) ) schreiben lässt.
Lösung 1.12
a) (i) Für jedes Ding x gibt es ein Ding y, so dass x schwerer als y ist.
(ii) Es gibt ein Ding x, das schwerer als alle anderen Dinge y ist.
(iii) Es gibt ein Ding x, für das es ein y gibt, so dass x schwerer als y ist.
b) ( ∀x ∀y ∃t : F (x,y,t) ) ∧ ( ∀x ∃y ∀t : F (x,y,t) ) ∧ ¬ ( ∃x ∀y ∀t : F (x,y,t) ),
wobei man ¬ ( ∃x ∀y ∀t : F (x,y,t) ) auch als ∀x ∃y ∃t : ¬ F (x,y,t) schreiben
kann.
c) Für jedes ε > 0 gibt es ein nε ∈ N, so dass für alle n > nε gilt: |a − an | < ε.
Um dies zu verneinen, wendet man ¬ ( ∃x : F (x) ) ⇐⇒L ∀x : ¬ F (x) und
¬ ( ∀x : F (x) ) ⇐⇒L ∃x : ¬ F (x) sukzessive an und erhält folgende Äquiva-
lenzkette (das ⇐⇒L wurde eingespart):
¬ ( ∀ε > 0 ∃nε ∈ N ∀n > nε : |a − an | < ε )
∃ε > 0 : ¬ ( ∃nε ∈ N ∀n > nε : |a − an | < ε )
∃ε > 0 ∀nε ∈ N : ¬ ( ∀n > nε : |a − an | < ε )
∃ε > 0 ∀nε ∈ N ∃n > nε : ¬ ( |a − an | < ε )
∃ε > 0 ∀nε ∈ N ∃n > nε : |a − an | ε.
In Worten: Es gibt ein ε > 0, so dass es für alle natürlichen Zahlen nε ein
n > nε gibt, für welches die Ungleichung |a − an | < ε nicht erfüllt ist, d.h.
für welches |a − an | ε gilt. (Dazu sagen wir später: an liegt nicht in der
”
ε-Umgebung um a“.) Dass es für jedes nε ∈ N ein n > nε gibt, heißt übrigens
nichts anderes, als dass es unendlich viele solcher n gibt.
328 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Hinweis 2.13 Gehe analog zum Beweis von Satz 2.4 vor; beachte allerdings die
dortige Anmerkung: Meist wirst du nicht elegant durch Ausklammern auf das
gewünschte Ergebnis kommen, sondern musst die linke und rechte Seite der im
(IS) zu beweisenden Gleichung getrennt berechnen und am Ende vergleichen.
Die Σ-Notation spart im (IS) etwas Schreibarbeit.
Hinweis 2.14 Beim (IA) ist die dritte binomische Formel nützlich. Beim (IS)
musst du Brüche addieren durch Hauptnenner-Bilden.
Hinweis 2.15 b) Vereinfache im (IS) (n + 1)3 − (n + 1) so weit wie möglich
(binomische Formel für hoch 3 beachten, oder (n+1)3 = (n+1) · (n+1)2 schreiben)
und überlege, wieso n(n + 1) stets gerade, und damit 3n(n + 1) durch 6 teilbar ist.
Hinweis 2.16 a) Die Abkürzung n · (n − 1) · (n − 2) · . . . · 2 · 1 := n! (n Fakultät)
spart viel Schreibarbeit. Beachte, dass (n + 1) · n! = (n + 1)! ist. Ein wechselndes
Vorzeichen lässt sich durch (−1)n ausdrücken.
Lösung 2.1 Laut Voraussetzung gilt t | a und t | b, also gibt es natürliche Zahlen
k und l mit a = k · t und b = l · t. Beachte, dass wegen a > b auch k > l ist.
Wir wollen t | (a−b) zeigen, d.h. wir müssen eine Zahl m ∈ N finden mit a−b = m · t.
Dies lässt sich mit Hilfe des Distributivgesetzes leicht bewerkstelligen:
DG
a − b = k · t − l · t = (k − l) · t.
Somit ist a − b = m · t mit m := k − l ∈ N (wegen k > l ist m > 0), was t | (a − b)
bedeutet.
Lösung 2.2
a) Wegen a | b und b | c gibt es natürliche Zahlen k und l mit b = k · a und c = l · b.
Damit folgt (unter Verwendung des Assoziativgesetzes)
c = l · b = l · (k · a) = (l · k) · a,
woran man a | c ablesen kann, da l · k ∈ N ist.
b) Nach Voraussetzung gilt a | c und b | d, also gibt es natürliche Zahlen k und
l mit c = k · a und d = l · b. Das Produkt c · d lässt sich damit faktorisieren
als c · d = (k · a) · (l · b) = (k · l) · a · b (Assoziativ- und Kommutativgesetz),
woraus die Behauptung a · b | c · d folgt.
c) Wegen t | a und t | b gibt es natürliche Zahlen k und l mit a = k · t und
b = l · t. Für beliebe m, n ∈ N gilt dann (unter Verwendung von Assoziativ-
und Distributivgesetz)
m · a + n · b = m · (k · t) + n · (l · t) = (m · k + n · l) · t,
und aufgrund von m · k + n · l ∈ N folgt t | (m · a + n · b). Diese Aussage ver-
allgemeinert Lemma 2.1 sowie Aufgabe 1.1 (wenn man n = −1 zulässt, was
am Beweis nichts ändert).
330 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 2.3 Die Summe zweier gerader Zahlen ist wieder gerade. Dasselbe gilt
für die Summe ungerader Zahlen.
Beweis: Sind m = 2k und n = 2l mit k, l ∈ N gerade Zahlen, so ist
m + n = 2k + 2l = 2(k + l)
wieder gerade. Ebenso ist die Summe zweier ungerader Zahlen u = 2k + 1 und
v = 2l + 1 mit k, l ∈ N0 wieder gerade, denn es gilt
Lösung 2.4 Wir führen hier nur einen beispielgebundenen Beweis. Die Quer-
summe der Zahl z = 672 = 6 · 100 + 7 · 10 + 2 · 1 beträgt z = 6 + 7 + 2 = 15, was
durch 3 teilbar ist. Also sollte 3 auch z selbst teilen. Um dies einzusehen, spaltet
man die Zehnerpotenzen auf als 100 = 99 + 1 und 10 = 9 + 1:
z = 6 · (99 + 1) + 7 · (9 + 1) + 2 · 1 = (6 · 99 + 7 · 9) + (6 + 7 + 2) = (6 · 99 + 7 · 9) + z.
Der erste Summand s := 9 · (6 · 11+7 · 1) ist durch 3 teilbar, z ist laut Voraussetzung
durch 3 teilbar, also ist 3 auch ein Teiler von z = s + z (Lemma 2.1). Diese Idee
kann man nun leicht auf beliebige Zahlen verallgemeinern; es ist nur etwas lästig,
dies allgemein aufzuschreiben.
Ist z sogar durch 9 teilbar, so folgt die Teilbarkeit von z durch 9, weil der Summand
s stets auch durch 9 teilbar ist.
Lösung 2.6 Die Kontraposition von Wenn die Zahlen von der Form n und
”
n + 1 sind (A), dann sind sie teilerfremd (B)“ lautet:
11.2 Lösungen zu Kapitel 2 331
Beweis der Kontraposition: Zunächst schließen wir den trivialen Fall a = b aus,
wo einfach a − b = 0 ist. Sei nun also a = b und t 2 ein Teiler von a und b. Dann
gibt es Zahlen k = l mit a = k · t und b = l · t und es folgt
|a − b| = |k · t − l · t| = |(k − l) · t| = |k − l| · t.
Wegen k = l und t 2 ist das letzte Produkt 2, d.h. a und b haben einen
Abstand von größer als 1, sie folgen also nicht aufeinander.
Will man den Betrag vermeiden, so kann man o.B.d.A. ( ohne Beschränkung der
”
Allgemeinheit“) annehmen, dass a > b ist.
Lösung 2.7 Die Kontraposition von Ist eine Zahl gerade (A), so ist ihre letzte
”
Ziffer (im Zehnersystem) gerade (B)“ lautet:
Ist die letzte Ziffer einer Zahl ungerade (¬ B), dann ist die Zahl selbst
”
ungerade (¬ A)“.
Lösung 2.8 Ein simples Beispiel aus der Geometrie: Für eine Figur F gilt
Wenn F ein Quadrat ist (A), dann ist F ein Rechteck (B).“
”
¬ A =⇒ ¬ B lautet hier: Wenn F kein Quadrat ist, dann ist F kein Rechteck.“ Dies
”
ist sicherlich falsch (Gegenbeispiel aufzeichnen). Ebenso ist der Kehrsatz B =⇒ A,
also Wenn F ein Rechteck ist, dann ist F ein Quadrat“ falsch. Das sollte einen
”
nun nicht mehr überraschen, da B =⇒ A und ¬ A =⇒ ¬ B als Kontrapositionen
logisch äquivalent sind.
Die Kontraposition des ursprünglichen Satzes lautet Wenn F kein Rechteck ist
”
(¬ B), dann ist F kein Quadrat (¬ B)“, was natürlich stimmt.
Versuche dasselbe mit einem der Lemmata bzw. Sätze aus dem Text Beachte dabei:
Um zu zeigen, dass ein Satz falsch ist, genügt stets die Angabe eines Gegenbeispiels!
√
Lösung 2.10 Angenommen, es gilt 2 · ab > a+b. Da beide Seiten positiv sind,
erhält Quadrieren die Ungleichung, d.h.
√ 2
2 · ab = 4ab > (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 ,
was sich zu 0 > a2 − 2ab + b2 = (a − b)2 umformen lässt. Widerspruch, weil das
Quadrat einer reellen Zahl nicht negativ sein kann.
√
Lösung 2.11 Wir nehmen an, die Aussage des Satzes sei falsch, also dass 3
rational ist und sich somit als (positiver) Bruch m
n mit m, n ∈ N darstellen lässt:
√ m
3= ().
n
Zudem nehmen wir an, dass m und n teilerfremd sind, der Bruch also vollständig
gekürzt wurde. Nach Definition der Quadratwurzel folgt durch Quadrieren von ()
m 2 √ 2
= 3 =3 bzw. m2 = 3n2 .
n
Nun ist 3n2 durch 3 teilbar, also muss auch m2 = m · m durch 3 teilbar sein. Nach
Euklids Lemma muss dann bereits m selbst durch 3 teilbar sein, d.h. m = 3k mit
einem k ∈ N. Eingesetzt in obige Gleichung liefert dies
3n2 = m2 = (3k)2 = 9k 2 ,
und Teilen durch 3 ergibt n2 = 3k 2 , woraus wie eben folgt, dass auch n durch 3
teilbar ist. Somit besitzen m und n die 3 als gemeinsamen Teiler, im Widerspruch
zu ihrer Teilerfremdheit.
Da Euklids Lemma für jede Primzahl p gilt, funktioniert dieser Beweis für jedes
√
p. Dies zeigt, dass es unendlich viele irrationale Zahlen gibt.
Alternative unter Verwendung der eindeutigen PFZ: In der Gleichung ()
m2 = 3n2
kommt auf der linken Seite der Primfaktor 3 entweder 0-mal, oder 2-mal, oder 4-mal
etc. vor (da m2 = m · m und m die 3 entweder 0-mal, 1-mal, 2-mal etc. enthalten
kann), also geradzahlig oft. Durch den zusätzlichen Faktor 3 auf der rechten Seite
tritt dort die 3 jedoch 1-mal, oder 3-mal, oder 5-mal etc. auf, also ungeradzahlig oft.
Da m2 und 3n2 dieselbe Zahl sind, widerspricht dies dem Satz von der eindeutigen
Primfaktorzerlegung.
p1 · . . . · pn + 1. Da m größer als alle pi ist, kann es nicht in der Liste stehen und
kann daher nach Voraussetzung nicht prim sein. Aber keine Primzahl pi aus der
Liste kann ein Teiler von m sein, denn sonst würde pi auch 1 = m − p1 · . . . · pn
teilen, was unmöglich ist. Somit hat m keinen Primfaktor und der Satz von der
Primfaktorzerlegung (A) ist falsch. Widerspruch1 .
Lösung 2.13
a) (IA): Für n = 1 steht links und rechts 1.
Bei allen Induktionsbeweisen greift nach dem Beweis von (IS) die Induktionsschlei-
fe, was wir nicht jedes Mal extra dazu schreiben.
b) (IA): Passt, da 1 = 12 .
(IS): Es gelte 1+3+5+. . .+(2n−1) = n2 für ein n (IV). Wir zeigen die Gültigkeit
der Formel für n + 1, d.h. dass
1 + 3 + 5 + . . . + 2(n + 1) − 1 = (n + 1)2
c) (IA): Passt, da 12 = 1
6 · 1 · 2 · 3.
(IS): Es gelte 12 + 22 + . . . + n2 = 16 n(n + 1)(2n + 1) für ein n (IV). Wir zeigen die
Gültigkeit der Formel für n + 1, d.h. dass
1
12 + 22 + . . . + (n + 1)2 = (n + 1)(n + 2) 2(n + 1) + 1
6
1
= (n + 1)(2n2 + 7n + 6) ()c
6
gilt (am Ende wurden die letzten beiden Klammern ausmultipliziert). (IV)
links einsetzen:
(IV) 1
12 + 22 + . . . + n2 + (n + 1)2 = n(n + 1)(2n + 1) + (n + 1)2 .
6
Nun wird 16 (n + 1) ausgeklammert:
1 1
n(n + 1)(2n + 1) + (n + 1)2 = (n + 1) n(2n + 1) + 6(n + 1) ,
6 6
und die zweite Klammer ergibt tatsächlich 2n2 + 7n + 6 wie in ()c .
d) (IA): Passt, da 13 = 1
4 · 12 · 22 .
(IV) 1 2
13 + 23 + . . . + n3 + (n + 1)3 = n (n + 1)2 + (n + 1)3 .
4
Jetzt kann 14 (n + 1)2 ausgeklammert werden:
1 2 1 1
n (n+1)2 +(n+1)3 = (n+1)2 n2 +4(n+1) = (n+1)2 (n2 +4n+4).
4 4 4
Erkennt man nun noch das Binom (n + 2)2 in der zweiten Klammer, steht
dasselbe wie in ()d da.
Für n = 1 geht die linke Seite der Formel unter Verwendung des Binoms in
die rechte über:
1 − q2 12 − q 2 (1 + q)(1 − q)
= = = 1 + q.
1−q 1−q 1−q
1−q n+1
(IS): Gilt 1 + q + q 2 + . . . + q n = 1−q für ein n (IV), so folgt durch Bruchrechnen
1 − q n+1
(IV)
1 + q+ . . . + q n + q n+1 = + q n+1
1−q
1 − q n+1 + q n+1 (1 − q) 1 − q n+2
= = .
1−q 1−q
Damit gilt die geometrische Summenformel auch für n + 1.
Die Aussage ist auch ohne Induktion klar, denn 10n − 1 ist eine Zahl mit n 9ern
als Ziffern (bzw. 10n − 1 = (10 − 1) · s = 9s mit s = 1 + 101 + . . . + 10n−1 nach der
geometrischen Summenformel).
Das Produkt n(n + 1) ist nach Aufgabe 2.3 stets gerade, da entweder n oder
n + 1 gerade ist, also kann man n(n + 1) = 2l mit einem l ∈ N schreiben.
Damit ergibt sich
Lösung 2.16
1 2 3·2 4·3·2
a) f (x) = −2
, f (x) = 3 , f (x) = − 4 , f (4) (x) = ...
x x x x5
n!
Vermutung: f (n) (x) = (−1)n n+1 , mit n! := n · (n−1) · (n−2) · . . . · 2 · 1.
x
1! 1
(IA): Passt, da (−1)1 =− 2.
x1+1 x
n!
(IS): Es gelte f (n) (x) = (−1)n = (−1)n n! · x−(n+1) für ein n. Wir leiten dies
xn+1
ab (beachte (x−(n+1) ) = (x −n−1
) = −(n + 1)x−n−2 ), und erhalten
− (n + 1) · n! (n + 1)!
f (n+1) (x) = f (n) (x) = (−1)n n+2
= (−1)n+1 n+2 .
x x
1 1
b) (IA): Die erste Ableitung von f (x) = √ = x− 2 ist
x
1 3 1 1
f (x) = − x− 2 = 3 = √ 3 .
2 −2 · x 2 −2 · x
Ohne Induktion: Wir lassen die Schüler nacheinander durch die Tür laufen und sich
begrüßen. Der zweite Schüler muss in eine Hand einschlagen, der nächste in zwei,
der übernächste in drei usw., und der n-te schließlich schlägt in n − 1 Hände ein.
Die Gesamtzahl der Handschläge beträgt dann nach
der gaußschen Summenformel:
1 + 2 + 3 + . . . + (n − 1) = 12 (n − 1) (n − 1) + 1 = 12 (n − 1) · n .
Lösung 2.19
a) Zunächst berechnen wir einige Binomialkoeffizienten.
0 0!
1 1!
1
0 = 0! ·0! = 1, 0 = 0! ·1! = 1 = 1
2 2!
2 2 2!
0 = 0! ·2! =1= 2 , 1 = 1! ·1! =2
3 3!
3 3! 3 ·2 ·1
3 3!
3 3!
0 = 0! ·3! = 1, 1 = 1! ·2! = 2 = 3, 2 = 2! ·1! = 3, 3 = 3! ·0! =1
4 4 4 4! 4 ·3 ·2 ·1
4 4 4! 4 ·3 ·2 ·1
0 =1= 4 , 1 = 1! ·3! = 3 ·2 ·1 =4= 3 , 2 = 2! ·2! = 4 =6
n=0 1
n=1 1 1
n=2 1 2 1
n=3 1 3 3 1
n=4 1 4 6 4 1
338 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Für die ersten vier Binome ergibt sich somit ((a + b)0 zählen wir nicht):
1
1 1−k k 1 1 0 1 1−1 1
(a + b)1 = a b = a b + a b =a+b
k 0 1
k=0
2
2 2 2−k k 2 2 0 2 2−1 1 2 2−2 2
(a + b) = a b = a b + a b + a b
k 0 1 2
k=0
= a2 + 2ab + b2
3
3 3 3−k k
(a + b) = a b = . . . = a3 + 3a2 b + 3ab2 + b3
k
k=0
4
4 4 4−k k
(a + b) = a b = . . . = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 .
k
k=0
b) Die zu beweisende
Regel ist genau das Bildungsgesetz des Pascal-Dreiecks:
Man erhält n+1
k , indem man
die beiden
n im Pascal-Dreieck über ihm liegen-
den Binomialkoeffizienten nk und k−1 addiert (k > 0).
n n n! n!
+ = +
k k−1 k! · (n − k)! (k − 1)! · (n − (k − 1))!
n! (n + 1) − k n! k
= · + ·
k! · (n − k)! (n + 1) − k (k − 1)! · ((n + 1) − k)! k
Es wurde n − (k − 1) zu (n + 1) − k umgeschrieben, und durch Erweitern
mit den grauen Brüchen stellen wir den Hauptnenner k! · ((n + 1) − k)! her:
Wegen (k − 1)! · k = k! und
(n−k)! · ((n+1)−k) = (n−k)! · ((n−k)+1) = ((n−k)+1)! = ((n+1)−k)!
steht jetzt nämlich das Gleiche im Nenner beider Brüche. Auf einen Bruch-
strich schreiben und zusammenfassen liefert das gewünschte Ergebnis (beach-
te erneut (n + 1) · n! = (n + 1)!):
n! · ((n + 1) − k) + n! · k n! · (n + 1) − n! · k + n! · k
=
k! · ((n + 1) − k)! k! · ((n + 1) − k)!
(n + 1)! n+1
= = .
k! · ((n + 1) − k)! k
c) Den (IA) für n = 1 haben wir bereits in a) erbracht. (IS): Unter der (IV), dass
der binomische Lehrsatz für ein n gilt, schließen wir nun auf seine Gültigkeit
für n + 1:
$ n %
(IV) n
(a + b)n+1 = (a + b) · (a + b)n = (a + b) · an−k bk .
k
k=0
11.2 Lösungen zu Kapitel 2 339
Dadurch haben wir erreicht, dass in beiden Summen in () dieselben Terme
an+1−k bk auftreten, allerdings startet nun die erste Summe in () bei k = 0
statt bei k = 1 und die zweite geht bis n+1 statt nur bis n. Deshalb schreiben
wir bei Summe 1 den ersten Summanden (k = 0) und bei Summe 2 den letzten
Summanden (k = n + 1) gesondert hin:
n n
n n+1 0 n n+1−k k n n 0 n+1
a b + a b + an+1−k bk + a b .
0 k k−1 n
k=1 k=1
Nun haben wir es fast geschafft, denn fassen wir die Summen zusammen, so
ergibt sich
n
n n
1 · an+1 b0 + + an+1−k bk + 1 · a0 bn+1
k k−1
k=1
n
b) n + 1 n+1 0 n + 1 n+1−k k n + 1 0 n+1
= a b + a b + a b
0 k n+1
k=1
n+1
n + 1 n+1−k k
= a b ,
k
k=0
Die Begründung des Indexshifts ist trivial: Schreibt man sich die linke und
rechte Seite von
n
n+1
A(k) = A(k − 1).
k=0 k=1
Lösung 3.4
⇐“ Sei C ⊆ A. Dann gilt A ∪ C = A (), und es folgt
”
DG ()
(A ∩ B) ∪ C = (A ∪ C) ∩ (B ∪ C) = A ∩ (B ∪ C).
⇒“ Beweis der Kontraposition: Ist C ⊆ A, dann existiert ein x
∈ C mit x
∈ A,
”
∈ A ∩ C und x
welches somit auch x
∈ A ∩ B erfüllt. Folglich ist
DG
∈ (A ∩ B) ∪ C
x
∈ (A ∩ C) ∪ (A ∩ B) = A ∩ (B ∪ C),
aber x
was (A ∩ B) ∪ C = A ∩ (B ∪ C) zeigt.
Lösung 3.5 Beweis der ersten De Morgan-Regel (A ∩ B)C = AC ∪ B C .
Möglichkeit 1: Rückführung auf die Aussagenlogik. Betrachte die Aussagefor-
men A(x) : x ∈ A und B(x) : x ∈ B. Beachte, dass ¬ A(x) wahr ist, wenn x ∈ / A,
also x ∈ AC gilt. Nun ist X(x) : ¬ (A(x) ∧ B(x)) nach der ersten De Morgan-Regel
der Aussagenlogik (Seite 11) äquivalent zu Y(x) : ¬ A(x) ∨ ¬ B(x). Damit folgt
x ∈ (A ∩ B)C ⇐⇒ X(x) wahr ⇐⇒ Y(x) wahr ⇐⇒ x ∈ AC ∪ B C .
Möglichkeit 2: Direkter Nachweis der Mengengleichheit.
⊆“ Wir betrachten ein x ∈ M mit x ∈ (A ∩ B)C = M \(A ∩ B), also x ∈ / A ∩ B.
”
Nicht im Schnitt zu liegen bedeutet x ∈ A oder(!) x ∈ B (nicht und“, denn
”
es genügt bereits, wenn x in einer der beiden Mengen nicht enthalten ist, um
nicht im Schnitt zu liegen). In anderer Notation: x ∈ AC oder x ∈ B C , also
x ∈ AC ∪ B C . Auf Mengenebene folgt (A ∩ B)C ⊆ AC ∪ B C .
⊇“ Sei x ∈ AC ∪ B C , d.h. x ∈ AC oder x ∈ B C , also x ∈ A oder x ∈ B. Dann
”
kann x natürlich auch nicht im Schnitt A ∩ B liegen, sprich x ∈ (A ∩ B)C .
Auf Mengenebene folgt AC ∪ B C ⊆ (A ∩ B)C .
Alternativ in einem Aufwasch durch Äquivalenzkette:
x ∈ (A ∩ B)C ⇐⇒ x ∈ A ∩ B ⇐⇒ x ∈ A oder(!) x ∈ B
⇐⇒ x ∈ AC oder x ∈ B C ⇐⇒ x ∈ AC ∪ B C .
Vorsicht: Bei der Verwendung von Äquivalenzpfeilen ist unbedingt darauf zu achten,
dass in jedem Schritt beide Implikationen ⇐“ und ⇒“ wahr sind.
” ”
Beweis der zweiten De Morgan-Regel (A ∪ B)C = AC ∩ B C . Wir zeigen diese nur
auf eine Weise, direkt über Äquivalenzen:
x ∈ (A ∪ B)C ⇐⇒ x ∈ A ∪ B ⇐⇒ x ∈ A und(!) x ∈ B
⇐⇒ x ∈ AC und x ∈ B C ⇐⇒ x ∈ AC ∩ B C .
Zur Begründung beachte man, dass jedes Element von A ∪ B entweder in A oder
B\A liegt (zeichne dir zur Veranschaulichung Venn-Diagramme). Da diese beiden
Mengen disjunkt sind, gilt
|A ∪ B| = |A| + |B\A|,
|A × B| = |A| · |B|,
denn jedes der |A| Elemente von A kann mit jedem der |B| Elemente von B zu
einem Tupel kombiniert werden.
Lösung 3.8 Für |M | = 0 ist M die leere Menge und damit auch die einzig
mögliche Teilmenge, d.h. P(M ) = { ∅ } (dies ist jetzt nicht etwa auch die leere
Menge, sondern eine einelementige Menge, die als einziges Element die leere Menge
enthält). Das bedeutet |P(M )| = 1 = 20 .
Sei |M | = 1, etwa M = { a }. Hier lassen sich als Teilmengen nur die leere Menge
und die Menge selbst auswählen, also P(M ) = { ∅ , {a} } und somit |P(M )| = 2 =
21 .
Sei |M | = 2, etwa M = { a, b }. Neben der leeren Menge und der Menge selbst lassen
sich noch einelementige Teilmengen bilden, also P(M ) = { ∅ , {a} , {b} , { a, b }}
und somit |P(M )| = 4 = 22 .
Für |M | = 3 wissen wir bereits aus Beispiel 3.4, dass |P(M )| = 8 = 23 ist.
Bei |M | = 4 sei etwa M = { a, b, c, d }. Aufschreiben aller Teilmengen liefert
,
P(M ) = ∅ , {a} , {b} , {c} , {d} ,{ a, b } , { a, c } , { b, c } , { a, d } , { b, d } ,
-
{ c, d } , { a, b, c }, { a, b, d }, { a, c, d }, { b, c, d }, { a, b, c, d } ,
also ist |P(M )| = 16 = 24 . Dies wollen wir nun noch etwas systematischer her-
leiten: Es gibt 4 einelementige Teilmengen von M : {a}, . . . , {d}. Weiterhin gibt es
4 · 3 = 12 Möglichkeiten, 2 der 4 Elemente von M auszuwählen. Weil bei Mengen
die Reihenfolge der Elemente aber keine Rolle spielt (z.B. ist { a, b } = { b, a }),
ergeben sich nur 42·3 = 6 verschiedene zweielementige Teilmengen. Ähnlich ist
11.3 Lösungen zu Kapitel 3 343
Hinter dem letzten Gleichzeichen steckt folgender Trick: Man schreibt 2 als 1 + 1
und entwickelt 2n = (1 + 1)n nach dem binomischen Lehrsatz (siehe Seite 35). Weil
die Faktoren 1k · 1n−k allesamt 1 sind, ist obige Summe der Binomialkoeffizienten
demnach nichts anderes als (1 + 1)n = 2n .
Die Mächtigkeit der Potenzmenge ist also die Zweierpotenz der Mächtigkeit der
Ursprungsmenge; daher auch der Name Potenzmenge.
Lösung 3.9
a) Es ist I = N0 und Mi = [−i , i ]. i∈I Mi = {0} ist klar, denn x ∈ R liegt
genau
dann in allen Intervallen Mi (inklusive [−0 , 0 ] = {0}), wenn x = 0 ist.
i∈I Mi = R: Da Mi ⊆ R für alle i ∈ I ist, gilt i∈I Mi ⊆ R. Umgekehrt liegt
auch jedes x ∈ R in (mindestens) einem Intervall Mi (vergleiche dazu auch
Aufgabe 4.16): Runde |x| auf die nächstgrößere natürliche
Zahl ix auf; dann
ist x ∈ [−ix , ix ] = Mix ⊂ i∈I Mi . Somit ist R ⊆ i∈I Mi und insgesamt
gilt Gleichheit.
b) Es ist i∈I Mi = ∅, denn wenn ein x ∈ R in allen Intervallen ( 0 , 1i ) liegt, so
müsste einerseits x > 0 sein, andererseits wäre x aber auch kleiner als jedes
i , i ∈ N. Dies ist nicht möglich: Wie in a) findet man eine natürliche
1
Zahl
ix mit ix > x1 , d.h. i1x < x. Somit enthält der Durchschnitt i∈I Mi keine
Elemente.
Die Vereinigung ist i∈I Mi = M1 = ( 0 , 1 ). ⊇“ ist klar nach Definition der
”
Vereinigung und ⊆“ folgt aus Mi ⊆ M1 für alle i ∈ N.
”
c) Die De Morgan-Regeln für beliebige Schnitte und Vereinigungen lauten
C
C
Mi = MiC und Mi = MiC .
i∈I i∈I i∈I i∈I
344 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Auch hier bedeutet für ein j“ wieder für mindestens ein j“.
” ”
Beweis der zweiten Regel:
C
x∈ Mi ⇐⇒ x ∈ Mi ⇐⇒ x ∈ Mi für alle i ∈ I
i∈I i∈I
⇐⇒ x ∈ MiC für alle i ∈ I ⇐⇒ x ∈ MiC .
i∈I
Lösung 3.10
−1
a) im q = R+0 ; q([ 1 , 3 )) = [ 1 , 9 ); q ([ 169 , 361 ]) = [−19 , −13 ] ∪ [ 13 , 19 ]
(gesucht sind alle Zahlen, deren Quadrat in [ 169 , 361 ] liegt);√ q −1√ (−1) = ∅,
da q(x) = x2 = −1 für kein x ∈ R gilt; q −1 ((−1 , 2 )) = (− 2 , 2 ).
b) im f = { s, k }, f −1 (m) = ∅, f −1 (s) = { d, p }, f −1 ({ s, k }) = A.
c) Falls n ungerade ist, gilt im p = R, weil die Polynomfunktion dann für x → ∞
gegen +∞ (da an > 0 vorausgesetzt wurde) und für x → −∞ gegen −∞
strebt und dazwischen jeden y-Wert annimmt (ohne Beweis).
Für gerades n gilt p(x) → +∞ für x → ±∞ (an > 0) und an einer Stel-
le x0 nimmt p(x) sein globales Minimum an. Deshalb ist in diesem Fall
im p = [ p(x0 ) , ∞ ).
d) id−1 (N ) = N für beliebiges N ⊆ A.
e) im r = N 2 , r−1 ({169, . . . , 361}) = {168, . . . , 360}.
Lösung 3.11
(1) Ist y ∈ f (M1 ), so ist y = f (x) mit einem x ∈ M1 , das aufgrund von
M1 ⊆ M2 auch in M2 liegt, woraus y = f (x) ∈ f (M2 ) folgt. Also haben
wir f (M1 ) ⊆ f (M2 ).
Ist x ∈ f −1 (N1 ), dann gilt f (x) ∈ N1 und wegen N1 ⊆ N2 folgt f (x) ∈ N2 ,
d.h. x ∈ f −1 (N2 ). Auf Mengenebene: f −1 (N1 ) ⊆ f −1 (N2 ).
(2) Ein y ∈ f (M1 ∩ M2 ) ist von der Gestalt y = f (x) mit x ∈ M1 ∩ M2 . Da x
demnach in beiden Mengen liegt, gilt y = f (x) ∈ f (M1 ) und y ∈ f (M2 ), also
y ∈ f (M1 ) ∩ f (M2 ).
Dass die Inklusion f (M1 ∩ M2 ) ⊆ f (M1 ) ∩ f (M2 ) echt sein kann, sieht man
z.B. an f : R → R, x → x2 , sowie M1 = [ 0 , 1 ] und M2 = [−1 , 0 ]. Hier ist
nämlich f (M1 ) = f (M2 ) = [ 0 , 1 ], aber
f (M1 ∩ M2 ) = f ({0}) = {0} ⊂ [ 0 , 1 ] = f (M1 ) ∩ f (M2 ).
11.3 Lösungen zu Kapitel 3 345
(3) f −1 (N1 ∪N2 ) = f −1 (N1 )∪f −1 (N2 ) beweisen wir durch eine Äquivalenzkette:
x ∈ f −1 (N1 ∪ N2 ) ⇐⇒ f (x) ∈ N1 ∪ N2
⇐⇒ f (x) ∈ N1 ∨ f (x) ∈ N2
⇐⇒ x ∈ f −1 (N1 ) ∨ x ∈ f −1 (N2 )
⇐⇒ x ∈ f −1 (N1 ) ∪ f −1 (N2 ).
Lösung 3.12
a) f ist nicht injektiv, da es zwei Punkte in A gibt, die denselben Bildpunkt in
B besitzen. Da es außerdem Punkte in B gibt, die kein Urbild in A haben,
ist f auch nicht surjektiv. Folglich kann f natürlich auch nicht bijektiv sein.
b) Diagramme zeichnen kann jeder selber (hoffe ich). Beachte dabei c).
c) Für injektives f ist |A| |B| eine notwendige Bedingung: Für |A| > |B|
hätten mindestens zwei Elemente von A dasselbe Bild unter f , da es nur |B|
Möglichkeiten zur Auswahl dieses Bildes gibt.
Für surjektives f braucht man |A| |B|: Wenn jedes y ∈ B von f getroffen
werden soll, muss A mindestens |B| Elemente enthalten, da kein x ∈ A mehr
als ein Bild haben kann (sonst wäre f keine Abbildung).
Beide Bedingungen zusammen ergeben |A| = |B| als notwendige Voraus-
setzung für die Bijektivität von f . (Natürlich ist das nicht hinreichend; z.B.
könnte f jedes x ∈ A auf dasselbe y0 ∈ B abbilden.)
Lösung 3.13
◦ Ist f injektiv, so wird kein y ∈ B mehrfach von f getroffen, jedes y besitzt
also höchstens ein Urbild unter f , d.h. es ist |f −1 (y)| 1 für alle y ∈ B.
◦ Ist f surjektiv, so besitzt jedes y ∈ B mindestens ein Urbild unter f , d.h. es
ist |f −1 (y)| 1 für alle y ∈ B.
◦ Bei bijekivem f besitzt jedes y ∈ B genau ein Urbild unter f , d.h. es ist
|f −1 (y)| = 1 für alle y ∈ B.
Lösung 3.14
a) Wegen q(−1) = q(1) ist q nicht injektiv, und da −1 kein Urbild unter q be-
sitzt, ist es auch nicht surjektiv.
√ √
b) Jedes y ∈ R+ 0 besitzt x = y als Urbild unter q1 , da y 2 = y ist (wegen
y 0 existiert die Wurzel stets).
c) Es sei q2 (x) = q2 (x̃), also x2 = x̃2 . Durch Wurzelziehen folgt |x| = |x̃| und
aufgrund von x, x̃ ∈ R+ 0 kann der Betrag entfallen, d.h. es ist x = x̃, was die
Injektivität von q2 beweist.
d) Folgt sofort aus b) und c).
346 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 3.15
a) Die lineare Funktion f (x) = 2x−2 ist auf ganz I = R bijektiv mit Bildbereich
J = R. Auflösen von y = 2x − 2 nach x ergibt x = y+2 1
2 = 2 y + 1. Durch
Vertauschen von x und y erhält man als Umkehrfunktion
f −1 : R → R, x → f −1 (x) = 21 x + 1.
Kontrolle:
(f ◦ f −1 )(x) = f f −1 (x) = f ( 12 x + 1) = 2( 12 x + 1) − 2 = x = idR (x),
und ebenso leicht sieht man f −1 ◦ f = idR ein. Die beiden Schaubilder gehen
durch Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden auseinander hervor (siehe
Abbildung 11.1).
y
5 Kf y=x
4
3 Kf −1
2
1
x
−2 −1 0 1 2 3 4 5 6
−1
−2
Abbildung 11.1
y y
5 5
4 Kg = Kg−1 4
Kh
3 3
y=x
2 2
1 1 Kh−1
x x
−2 −1 0 1 2 3 4 5 −2 −1 0 1 2 3 4 5
−1 −1
−2 −2
Abbildung 11.2
Somit liegen alle x ∈ {x}C , also alle x mit x = x, in B \ {f (x)} und werden
daher nicht auf f (x) abgebildet. Aus x = x folgt also f (x ) = f (x), was
gleichbedeutend mit der Injektivität von f ist.
(2) ⇒“ Sei f surjektiv und M = ∅ eine beliebige, echte Teilmenge von A. Jedes
”
Element y ∈ f (M )C = B \ f (M ) besitzt aufgrund der Surjektivität von f ein
Urbild, d.h. man findet ein x ∈ A mit y = f (x). Dieses x muss aber aus
M C stammen (für x ∈ M wäre y = f (x) ∈ f (M )), was y = f (x) ∈ f (M C )
bedeutet. Somit gilt f (M )C ⊆ f (M C ).
⇐“ Da f (M )C ⊆ f (M C ) für alle Teilmengen M ⊆ A gilt, können wir
”
insbesondere M = A wählen. In diesem Fall folgt wegen AC = A \ A = ∅
1 √ 1 1
√ <ε ⇐⇒ n> ⇐⇒ n> .
n ε ε2
− 12n2 + 12n − 1 3 2 3 2
an = =− + 2 =− + ,
8n − 8n + 2
2 2 8n − 8n + 2 2 2(2n − 1)2
√ 1 √
Da Auflösen von n+1+ n
< ε nach n unangenehm werden dürfte, schätzen wir
wie folgt ab:
√ √ √ 1 1
n+1+ n> n =⇒ √ √ <√ .
n+1+ n n
Es genügt also, dass √1n < ε wird, denn dann ist erst recht √n+1+ 1 √
n
< √1n < ε.
(So finden wir zwar
nicht das kleinstmögliche nε , aber das verlangt ja auch keiner.)
Somit ist nε = ε12 eine mögliche Wahl, was den Beweis von an → 0 beendet.
Lösung 4.4 Es gibt ein ε > 0, so dass nicht fast alle an in der ε-Umgebung um
a liegen. Da nicht fast alle“ gleichbedeutend mit unendlich viele“ ist, kann man
” ”
dies auch formulieren als: Es gibt ein ε > 0, so dass |an − a| ε für unendlich
viele an gilt. Für eine formale Verneinung siehe Aufgabe 1.12.
11.4 Lösungen zu Kapitel 4 351
Lösung 4.5 Wir müssen zeigen, dass an bn gegen 0 konvergiert. Wir suchen also
zu beliebigem ε > 0 ein nε , so dass |an bn − 0| < ε für alle n > nε gilt. Da (bn )
beschränkt ist, gibt es eine Zahl S ∈ R+ , so dass |bn | S für alle n ∈ N ist.
Da (an ) eine Nullfolge ist, finden wir zu ε = Sε > 0 ein nε , so dass |an | < Sε für
alle n > nε gilt (warum man Sε statt ε wählt, wird gleich klar werden). Für diese
n > nε gilt dann wie gewünscht
ε
|an bn − 0| = |an bn | = |an | · |bn | < · S = ε.
S
√ √
Lösung 4.6 Wir müssen | an − a | kleiner als jedes beliebige ε > 0 werden
lassen. Hierbei hilft wieder der Trick aus Aufgabe 4.2. Zunächst sei a > 0.
√ √ √ 2 √ 2
√ √ √ √ a n + a an − a
| an − a | = ( an − a) · √ √ = √ √
an + a an + a
|an − a| |a − a|
=√ √ n√ ,
an + a a
√ √ √
wobei im letzten Schritt die Abschätzung an + a a √ verwendet wurde. Weil
(an ) gegen a konvergiert, gibt es ein nε , so dass |an − a| < ε a für alle n > nε gilt,
und damit auch
√
√ √ |an − a| ε a
| an − a | √ < √ = ε.
a a
Für a = 0 ist die obige
√ Abschätzung nicht zulässig, jedoch sieht man in diesem Fall
√ √
direkt, dass | an − 0 | = an beliebig klein wird: Wegen √ an → 0 existiert ein nε ,
√
so dass an < ε2 für alle n > nε gilt, woraus an < ε2 = ε für alle n > nε folgt
(aufgrund der Monotonie der Wurzelfunktion).
Lösung 4.7 Für 0 < q < 1 ist Q := 1q > 1, und nach Beispiel 4.7 ist die
Folge (Q ) unbeschränkt. Zu jedem S ∈ R gibt es also ein NS ∈ N mit Qn > S
n
für alle n > NS . Setzt man zu ε > 0 nun S = 1ε und nε = NS , so erhält man
Qn = ( 1q )n > S = 1ε für alle n > nε , woraus durch Kehrwertbildung q n < ε für alle
n > nε folgt.
Lösung 4.8 ⇒“ Ist die Folge (an ) beschränkt, so gibt es Zahlen s, S ∈ R mit
”
s an S für alle n ∈ N. Der maximale Abstand eines an zur Null kann also
höchstens |S| oder |s| sein, je nachdem welche der beiden Beträge größer ist (der
Betrag ist nötig, falls s oder S negativ sind). Setzt man also s∗ = max { |s|, |S| },
so gilt |an | s∗ für alle n.
⇐“ Gibt es umgekehrt ein s∗ ∈ R+ mit |an | s∗ für alle n, so folgt nach
”
Definition des Betrages −s∗ an s∗ für alle n, d.h. s := −s∗ ist eine untere
Schranke der Folge und S := s∗ ist eine obere Schranke.
n
2n für ungerades n
Lösung 4.9 Die Folge (an ) mit an = 1−(−1) · n =
0 für gerades n
ist unbeschränkt, also divergent, besitzt aber 0 als (einzigen) Häufungswert.
352 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 4.10 Die Menge aller Häufungswerte der Folge ist { an | n 2 } ∪ {0}.
Dass 0 ein Häufungswert ist, zeigt man wie in Beispiel 4.9, denn man braucht wieder
nur, dass T (n) beliebig groß werden kann. Dies sieht man so: Ist p eine beliebige
Primzahl und k ∈ N beliebig, so ist T (pk−1 ) = k, denn die einzigen Teiler von pk−1
sind die k Primzahlpotenzen { p0 , p1 , p2 , . . . , pk−1 }. Also werden für nk := pk−1
die T (nk ) mit wachsendem k beliebig groß.
Ferner ist nach Definition der Folge klar: Jedes Folgenglied an ist von der Form k1
mit k := T (n) ∈ N. Jedes k1 mit k 2 kommt zudem unendlich oft als Folgenglied
vor, denn pk−1 besitzt wie oben erläutert genau k Teiler – und das gilt für jede
Primzahl p, von denen es unendlich viele gibt. Wieder mit derselben Argumentation
wie in Beispiel 4.9 ist somit jedes Folgenglied außer dem ersten (a1 = 1) auch
Häufungswert der Folge.
Dass es außerhalb von { an | n 2 }∪{0} keine weiteren Häufungswerte gibt, sieht
man folgendermaßen. Eine Zahl r ∈ R mit r < 0 oder r 1 kann sicherlich kein
Häufungswert sein, denn für genügend kleines ε liegt überhaupt kein an in Uε (r)
(bzw. nur a1 = 1 im Fall r = 1).
Ist 0 < r < 1 mit r = an für alle n, so gibt es ein m 2 mit m 1
< r < m−11
. (Wähle
dazu m als kleinste natürliche Zahl, die m > r erfüllt; dann muss m − 1 < 1r sein,
1
also insgesamt m > 1r > m − 1 und durch Kehrbruch-Bildung folgt die gewünschte
Eigenschaft.) Wählt man nun ε als das Minimum der Zahlen r − m 1 1
und m−1 − r,
so liegt kein Folgenglied in Uε (r), denn jedes Folgenglied besitzt die Gestalt k1 und
hat damit mindestens den Abstand ε zu r. Insbesondere kann r kein Häufungswert
der Folge sein.
Lösung 4.11 Weil (n) keine konvergente Folge ist, sind die Voraussetzungen der
Grenzwertsätze nicht erfüllt; man darf den Limes daher nicht in (n · n1 ) reinziehen.
1 n
7n − 1 7n 1 − 1
7n 1− (G1,3 ) 1−0 1
d) = n 6n = 76 n −→ =
7n+1 + 6n 7 7+ 7n 7+ 7
7+0 7
n
Hierbei wurde verwendet, dass (q ) für alle 0 < q < 1 eine Nullfolge ist.
11.4 Lösungen zu Kapitel 4 353
n−2 n 1 − n2 n 1 − n2 1 − n2 (G1,3 )* 1−0 1
e) √ = = = −→ √ =
4n2 − 1 n2 4 − n12 n 4 − n12 4 − n12 4−0 2
√ √ √ 2 √ 2
√ √ n+ n+ n n+ n − n
n+ n− n · √ √ = √ √
n+ n+ n n+ n+ n
√ √ √
n+ n−n n n
= √ √ = √ √ = √ √
n+ n+ n n+ n+ n n 1+ n + n n
√
n 1
=√ √ = .
n· 1+ √1
n
+ n 1+ √1
n
+1
Unter Verwendung von (G1,3 ) und Aufgabe 4.6 sieht man schließlich, dass
1
der letzte Ausdruck gegen √1+1 strebt, es ist also überraschenderweise
√ √ 1
lim n+ n− n = .
n→∞ 2
Lösung 4.13
a) Dass s die größte untere Schranke von ∅ = A ⊆ R ist, bedeutet:
(1) s ist eine untere Schranke von A, d.h. es gilt x s für alle x ∈ A und
(2) s ist die größte Zahl mit der Eigenschaft (1), d.h. keine Zahl s > s kann
untere Schranke von M sein. Anders formuliert: Für alle ε > 0 gibt es
ein x ∈ A mit x < s+ε. (Gäbe es ein ε, für das obige Bedingung verletzt
wäre, d.h. x s + ε für alle x ∈ A, dann wäre s := s + ε eine größere
untere Schranke als s.)
c) Das Minimum von A ist ein (bzw. das) Element m ∈ A mit x m für alle
x ∈ A. Existiert m = min A, dann ist es eine untere Schranke von A (nach
Definition). Es ist aber auch die größte untere Schranke, denn für kein s > m
kann x s für alle x ∈ A gelten, da ja m ∈ A und m < s gilt. Somit ist
min A das Infimum von A.
354 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 4.14
a) Da A nach oben beschränkt ist, existiert S := sup A (siehe Satz 4.3). Aus
x S für alle x ∈ A“ wird, wenn man mit −1 multipliziert: −x −S für
” ”
alle −x ∈ −A“, d.h. −S ist untere Schranke von −A. Es ist auch die größte
untere Schranke von −A, denn gäbe es eine größere Schranke −S > −S,
so wäre S < S eine kleinere untere Schranke von A (wieder aufgrund der
Äquivalenz −x −S ⇐⇒ x S ), was S = sup A widerspricht. Somit
ist −S = − sup A das Infimum der Menge −A.
Die Infimumseigenschaft von R“ lautet:
”
Jede nicht-leere, nach unten beschränkte Teilmenge A der reellen
Zahlen R besitzt ein Infimum in R.
Beweis: Nach dem gleichen Argument wie eben ist −A nach oben be-
schränkt, also existiert nach Satz 4.3 das Supremum sup(−A) ∈ R. Mit der
eben gezeigten Beziehung folgt aufgrund von A = −(−A)
Lösung 4.15 Offenbar ist 1 das größte Element von A, also gilt 1 = max A =
sup A (nach Beispiel 4.15). Ein Minimum besitzt A nicht, denn jedes n1 wird größen-
1
mäßig z.B. von n+1 unterboten. Das Infimum von A ist inf A = 0: Offensichtlich
ist Null eine untere Schranke von A, aber es ist auch die kleinste untere Schranke,
denn zu jedem ε > 0 gibt es ein n ∈ N mit n1 < 0 + ε.
Lösung 4.16 Angenommen das archimedische Prinzip gilt nicht. Dann gibt es
ein r ∈ R, so dass n r für alle n ∈ N gilt, d.h. r ist eine obere Schranke von
N. Nach der Supremumseigenschaft von R existiert dann S := sup N. Da S die
kleinste obere Schranke von N ist, muss es ein n ∈ N mit n > S − 1 geben (sonst
wäre S − 1 eine kleinere obere Schranke). Addition von 1 liefert n + 1 > S, was
wegen n + 1 ∈ N der Definition von S als Supremum widerspricht.
Lösung 4.17
a) Es ist an+1 − an = 2(n+1)−1
2(n+1)+1 − 2n+1 = . . . =
2n−1 4
(2n+1) ·(2n+3) > 0 für alle n ∈ N,
d.h. (an ) wächst streng monoton.
11.4 Lösungen zu Kapitel 4 355
(1 − n2 − 2n)(n2 + 4) − (2 − n2 )(n2 + 2n + 5)
=
(n2 + 2n + 5)(n2 + 4)
−12n − 6
= ... = <0 für alle n ∈ N.
(n2 + 2n + 5)(n2 + 4)
Lösung 4.18 Obwohl es dem Zufall überlassen ist, wie die Folgenglieder aus-
sehen werden, kann man mit Hilfe des Monotonieprinzips sagen, dass jede solche
Folge konvergieren wird: (an ) ist z.B. durch 0,7 nach oben beschränkt und streng
monoton wachsend, denn nach Konstruktion der Folge gilt an+1 > an für alle n ∈ N
(es kommt ja immer eine weitere Nachkommastelle > 0 dazu). Da man nicht un-
endlich lange würfeln kann, wird man den Grenzwert sup an (= a∞ :)) allerdings
niemals genau kennen.
Lösung 4.19 Die Menge A = { an | n ∈ N } aller Folgenglieder ist nach unten
beschränkt. Nach Aufgabe 4.14 existiert daher s := inf A. Aus der Charakterisie-
rung des Infimums folgt, dass s der Grenzwert von (an ) ist: Ist ε > 0 vorgegeben,
so muss es ein anε geben mit anε < s + ε (ansonsten wäre s + ε eine größere untere
Schranke von A). Da die Folge monoton fällt, folgt an anε < s + ε für alle
n > nε , und da sowieso an s gilt (s ist untere Schranke), ist s an < s + ε für
alle n > nε . Somit liegen fast alle an in Uε (s), d.h. an → s = inf A =: inf an .
Lösung 4.20
A: Falsch, es gibt beschränkte Folgen, die nicht konvergieren, wie z.B. ((−1)n ).
B: Richtig, alle unbeschränkten monotonen Folgen wie z.B. (n2 ) oder (2n ) di-
vergieren.
C: Richtig, z.B. ist (−n) nach oben durch 0 beschränkt, aber divergent. Oder
verwende das Beispiel aus A.
D: Richtig, siehe Satz 4.1.
n
E: Falsch, (−1)n ist nicht monoton, aber konvergiert gegen Null.
F: Richtig, siehe Monotonieprinzip 4.5.
Lösung 4.21
an+1
a) Es ist stets an = 3 ist, also leistet eine Folge mit
a1 = 6 und an+1 = 3an für n ∈ N
das Gewünschte. Ebenso kann man aber auch die Differenzen an+1 −an bilden;
dies liefert a2 − a1 = 12 = 4 · 3; a3 − a2 = 36 = 4 · 32 ; a4 − a3 = 108 =
4 · 33 ; . . . Eine weitere Rekursionsvorschrift lautet somit
a1 = 6 und an+1 = an + 4 · 3n für n ∈ N.
356 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 4.23
(1) Wir weisen zunächst die Beschränktheit
√ nach.√
IA: a1 = 1√
< 2. IS: Gilt an < 2
für ein n (IV), so folgt an+1 = 1 + an < 1 + 2 = 3 < 2, wenn man
verwendet, dass die Wurzelfunktion streng monoton steigend ist. Also gilt
an < 2 für alle n ∈ N.
√
(2) Wir zeigen an+1 > an durch Induktion nach √ n. IA: a2 = √2 > 1 = a1 . IS:
Gilt an+1 > an für ein n (IV), so folgt an+2 = 1 + an+1 > 1 + an = an+1 ,
wieder aufgrund der Monotonie der Wurzelfunktion.
(3) Da der Limes a nach dem Monotonieprinzip existiert, ist beidseitige Grenz-
wertbildung erlaubt. Mit Hilfe von Aufgabe 4.6, die besagt, dass man den
Limes unter die Wurzel ziehen darf, und Grenzwertsatz (G1 ) folgt
√ √
lim an+1 = lim 1 + an = 1 + lim an , d.h. a= 1 + a.
n→∞ n→∞ n→∞
√
Quadrieren führt auf a2 −a−1 = 0, was a = 1+2 5 als positive Lösung besitzt.
(Die negative Lösung entfällt, da alle an > 0 sind, und somit kein negativer
Grenzwert in Frage kommt.)
(2) Der Induktionsanfang ist klar. Es gelte an > 0 für ein n. Laut (1) ist an 1c ,
also can 1 (beachte c > 0) und durch Multiplikation mit −an < 0 folgt
−ca2n −an . Einsetzen in die Rekursionsvorschrift liefert
Somit haben wir an > 0 für alle n ∈ N nachgewiesen, woraus auch die Gültig-
keit der Ungleichung −ca2n −an für alle n ∈ N folgt.
(3) Daraus folgt nun rasch das monotone Wachstum der Folge:
Somit ist (an ) eine monoton wachsende, nach oben beschränkte Folge, die nach dem
Monotonieprinzip konvergiert. Ihren Grenzwert a erhalten wir durch das übliche
Verfahren, beidseitige Limesbildung in der Rekursionsvorschrift:
lim an+1 = lim 2an − ca2n , also a = 2a − ca2 .
n→∞ n→∞
Lösung 4.25
a) Zeichnet man sich einen Kaninchenstammbaum der ersten paar Generationen
auf1 , so kommt man darauf, dass f1 = 1, f2 = 1, f3 = 2, f4 = 3, f5 = 5, f6 =
8, usw. gilt. Die Anzahl der Kaninchenpaare zu Beginn des (n+1)-ten Monats
(n 2) ist die Summe der Paarzahlen der letzten beiden Monate, was man
auch ohne Diagramm leicht einsehen kann: Die fn Paare des letzten Monats
existieren weiter, und die fn−1 Paare, die es bereits im vorletzten Monat gab,
werfen nun jeweils ein neues Paar. Damit lautet die Rekursionsvorschrift
Für das Gesuchte f13 (nach einem Jahr heißt zu Beginn des 13. Monats)
ergibt sich 233.
c) Vorüberlegung: Wenden wir in () beidseitig den Limes an, so folgt, dass der
Grenzwert f von (qn ), wenn er denn überhaupt existiert, die Gleichung
1
f =1+ bzw. f2 − f − 1 = 0
f
(1) Wir zeigen qn 1 für alle n ∈ N durch vollständige Induktion. IA: passt.
IS: Setzen wir qn 1 für ein n voraus, so ist natürlich erst recht qn > 0 und
mit b) folgt qn+1 = 1 + q1n > 1.
(2) Mit den Tipps aus der Anleitung ergibt sich
1 1 1 Φ − qn
1
|qn+1 − Φ| = 1 + −1− = − =
qn Φ qn Φ qn Φ
|Φ − qn | |qn − Φ|
= ,
qn Φ Φ
|qn−1 −Φ|
|qn − Φ| |qn−1 − Φ|
|qn+1 − Φ| Φ
= .
Φ Φ Φ2
Wiederholt man dies, bis man bei q1 landet, so steht da
wobei am Ende |1 − Φ| = | − Φ|
1
= 1
Φ verwendet wurde.
n
Wegen Φ > 1 ist die Folge (b ) mit b := Φ1 < 1 eine Nullfolge, und zusam-
men mit der eben gezeigten Abschätzung |qn − Φ| bn folgt, dass |qn − Φ|
irgendwann kleiner als jedes beliebige ε > 0 wird. Somit ist bewiesen, dass
(qn ) gegen Φ konvergiert, d.h.
√
fn+1 1+ 5
lim qn = lim =Φ= .
n→∞ n→∞ fn 2
Durch Betragsbildung und Umstellen folgt unter Beachtung von an 1 (was man
leicht durch Induktion nachweist)
|an−2 −Φ|
Entsprechend gilt auch |an−1 −Φ| Φ2 ; setzt man dies oben ein und hangelt
sich bis a1 herunter, so erhält man
|an−1 − Φ| |an−2 − Φ| |a1 − Φ|
|an − Φ| . . . 2(n−1)
Φ2 Φ4 Φ
|1 − Φ| | − Φ1 | 1
= 2(n−1)
= 2(n−1) = 2n−1 .
Φ Φ Φ
Da ( Φ1 )2n−1 eine Nullfolge ist, wird auch |an − Φ| für genügend großes n beliebig
klein. Somit ist erneut an → Φ bewiesen.
Lösung 4.27
a) Umschreiben der Glieder führt sofort auf eine Teleskopsumme:
n
1
n
1− 1
π 1 1 1 1 1 1 1
= − = − 2 + 2 − . . . − n+1 = − n+1 ,
πk π k π k+1 π π π π π π
k=1 k=1
1 n+1
und weil ( π ) eine Nullfolge ist, liefert Limesbildung
∞
1− 1 1 1 1
π
= lim − n+1 = .
πk n→∞ π π π
k=1
Lösung 4.29 Damit die Reihe mit 1 beginnt und wir die Formel für die geome-
trische Reihe anwenden können, klammern wir zunächst − 12 aus:
− 12 + 16 − 18
1 1
+ 54 − 162
1
+ . . . = − 12 · 1 − 13 + 19 − 27
1 1
+ 81 + ... .
Lösung 4.30
a) Zunächst schreiben wir 0,048 = 10 1
· 0,48. Die Zahl 0,48 schreibt man wie in
Beispiel 4.27 mit Hilfe der geometrischen Reihe als 4899 , so dass man insgesamt
0,048 = 101
· 0,48 = 10
1
· 48
99 = 48
990 erhält.
48 3117
b) 3,148 = 3,1 + 0,048 = 3,1 + 990 = 990 .
1
= 0,1234 · = 1234
· 10 000
9999 =
1234
.
1− 1
10 000
10 000 9999
Lösung 4.31 Zenon war der Ansicht, dass die Addition“ unendlich vieler Zeit-
”
intervalle – auch wenn diese immer kleiner werden – keine endliche Zeit ergeben
können. Uns ist heutzutage klar, dass eine monoton wachsende Zahlenfolge durch-
aus eine obere Schranke besitzen kann.
Wenn der Läufer für die erste Hälfte 1 min benötigt, dann braucht er für das
nächste Viertel die Zeit 12 min, für das darauf folgende Achtel 14 min usw. Für die
Gesamtzeit ergibt sich somit (alles in Minuten)
∞
1 1 1
1 k 1
tges = 1 + + + + ... = = = 2,
2 4 8
k=0
2
1− 1
2
was natürlich wenig überrascht, da der Läufer sich ja gleichförmig bewegt, und
damit für die doppelte Strecke auch die doppelte Zeit, nämlich 2 min benötigt.
A1 = A0 + 3 · 19 · A0 = A0 · (1 + 3 · 19 ).
A3 : Durch Anfügen eines Dreiecks werden aus jedem geraden Seitenstück 4 Sei-
tenstücke (siehe Bild in der Aufgabe). Da wir in Schritt 2 von 12 Seiten
ausgegangen sind, finden wir nun 12 · 4 = 48 = 3 · 42 Seiten vor. In diesem
2 3
Schritt entstehen also 3 · 42 neue Dreiecke mit Grundseite a = 13 · 13 = 13
1 3
und Fläche 9 · A0 . Also ist
1 3 2 3
A3 = A2 + 3 · 42 · 9 · A0 = A0 · 1 + 3 · 19 + 3 · 4 · 19 + 3 · 42 · 19 .
An : Aus den vorigen Formeln lässt sich das allgemeine Bildungsgesetz erkennen:
n
An = An−1 + 3 · 4n−1 · 19 · A0
2 n
= A0 · 1 + 3 · 19 + 3 · 4 · 19 + . . . + 3 · 4n−1 · 19
4 2 4 n−1
= A0 · 1 + 3
9 · 1+ 4
9 + 9 + ... + 9
$ n−1
%
4 k
= A0 · 1 + 1
3 9 .
k=0
Auch hier wächst der Umfang der Figuren über alle Grenzen. nNach den vorigen
Überlegungen besitzt die n-te Figur 3 · 4n Seiten der Länge 13 . Somit ist Un =
n n
3 · 4n · 13 = 3 · 43 und es strebt Un → ∞ für n → ∞.
11.4 Lösungen zu Kapitel 4 363
Lösung 4.33
a) Aufgrund der k-ten Potenz drängt sich das Wurzelkriterium auf. Es ist
0
k
k 2,7 · k + π 2,7 · k + π 2,7 + πk
= = .
e·k + 5 e·k + 5 e + k5
d.h. ak+1 < ak für alle k ∈ N. Das Leibnizkriterium garantiert nun die Kon-
vergenz der Reihe.
Alternativ:
∞ Wir wissen ∞bereits aus Beispiel 4.23, dass die Reihe der Absolutbe-
träge k=1 |ak | = k=1 k(k+1)1
konvergiert. Nach dem Majorantenkriterium
konvergiert daher auch die zugehörige alternierende Reihe.
c) Wir versuchen es mit dem Quotientenkriterium: Für x = 0 ist die Konvergenz
trivial (Nullreihe), und für x = 0 können wir rechnen
(k+1)!
(k+1)k+1 · xk+1 (k + 1)! · k k · |x|k+1
qk = k!
=
k! · (k + 1)k+1 · |x|k
kk
· xk
k
(k + 1) · k k · |x| k 1
= = · |x| = · |x|,
(k + 1)k · (k + 1) k+1 1 k
1+ k
also ist |ak+1 | |ak | . . . |a1 | = 11!1 · |x| = e. Die Folgenglieder bilden
demnach in diesem Fall keine Nullfolge, d.h. die Reihe divergiert für |x| = e.
364 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
f (1 + h) − f (1) 1
ms (h) = = f (1 + h) − f (1)
h h
1 1 3
= (1 + h)3 − 13 = 1 + 3 · 12 · h + 3 · 1 · h 2 + h3 − 1
h h
1
= 3 · h + 3 · h 2 + h3 = 3 + 3 · h + h 2 .
h
1
ms (h) = f (2 + h) − f (2)
h
1
= (2 + h)2 − 2(2 + h) + 3 − (22 − 2 · 2 + 3)
h
1 1
= 4 + 4h + h2 − 4 − 2h + 3 − 3 = h2 + 2h = h + 2 .
h h
1 1 1 1 1 1 1 + (h − 1)
ms (h) = − = +1 = ·
h −1 + h −1 h h−1 h h−1
1 h 1
= · = .
h h−1 h−1
11.5 Lösungen zu Kapitel 5 365
Lösung 5.2 Einsetzen der in Aufgabe 5.1 bestimmten Ableitungen in die allge-
meine Tangentengleichung aus Satz 5.1 und Zusammenfassen liefert
Wir zeichnen nur das Bild der Hyperbel aus Teilaufgabe c):
1
Kt
−3 −2 −1 0 1 2
P
−1
Kf −2
−3
Abbildung 11.3
Lösung 5.3
a) Es sei x ∈ Df = R. Der Differenzenquotient lautet h1 f (x + h) − f (x) =
h (x + h − x) = 1. Da dies gar nicht mehr von h abhängt, ist natürlich auch
1
1 1 1 1 x − (x + h) 1
− = =− 2 .
h x+h x h x · (x + h) x + x·h
366 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Glücklicherweise hängt der Funktionsterm von o(t) gar nicht von t ab, so dass
o (t) = 0 ist.
Lösung 5.5
a) Die Strecke OP besitzt die Steigung m1 = xy00 (dies gilt auch für x0 < 0),
also muss die Tangente eine Steigung von m2 = − m11 = − xy00 haben (beachte
y0 = 0 nach Voraussetzung). Da Ktgeo durch P (x0 | y0 ) verläuft, führt die
Punktprobe mit tgeo (x) = m2 x + c auf
x0 x20 y 2 + x20 r2
y0 = − · x0 + c, d.h. c = y0 + = 0 = .
y0 y0 y0 y0
x0 r2
Somit ist tgeo (x) = − ·x + .
y0 y0
b) Nach dem Satz von Pythagoras gilt x2 + y 2 = r2 für jeden Punkt auf dem
Kreis. Löst man dies nach y auf, so ergibt sich
y 2 = |y| = r2 − x2 ,
√
und da in der oberen Hälfte des Kreises y 0 ist , folgt y = f (x) = r2 − x2
für dessen Funktionsgleichung. Diese Wurzel ist natürlich nur für |x| r
definiert. √ 1
Ableiten von f (x) = r2 − x2 = (r2 − x2 ) 2 mittels Kettenregel ergibt
1 2 1 −x
f (x) = (r − x2 )− 2 · (−2x) = √ ,
2 r − x2
2
(Der nullte Term entfällt wegen f (0) (0) = f (0) = ln 1 = 0.) Deren Konvergenzra-
dius bestimmen wir mit der Euler-Formel (Satz 4.15):
ak 1
R = lim = lim k = lim k + 1 = 1.
k→∞ ak+1 k→∞ 1 k→∞ k
k+1
d.h. die Taylorreihe divergiert dort (harmonische Reihe). Für x = 1 hingegen er-
halten wir die Reihe
∞
∞
(−1)k−1 (−1)k−1
Tf (1) = 1k = ,
k k
k=1 k=1
liefert. Die (negative) alternierende harmonische Reihe besitzt also den Wert ln 2 ≈
0,693.
11.6 Lösungen zu Kapitel 6 369
"
1 2 1 √
b) sin x − 2x− 2 dx = − cos x − 1 x 2 + c = − cos x − 4 x + c
2
"
n − 1 −n+1 n−1 −1
c) (n − 1)x−n dx = x +c= x−(n−1) + c = n−1 + c
−n + 1 −(n − 1) x
Bei den nächsten Aufgaben ist die lineare Verkettung zu beachten, d.h. man darf
nicht vergessen, durch die innere Ableitung (fett gedruckt) zu teilen.
"
1 1 1 1
1 1√
d) (2x + 2)− 2 + 2 dx = · 2
1 (2x + 2) 2 + 2x + c = 2x + 2 + 2x + c
2 2 2
2
"
1 2
e) π 2 · sin(πx) dx = · π (− cos(πx)) + c = −π cos(πx) + c
π
"
1 1 1 2 3
f) a(ax)− 3 dx = · a · 2 (ax) 3 + c = 3 (ax)2 + c
a 3
2
"
1 1 1
h) (1 − mx)−2 dx = · (1 − mx)−1 + c = +c
−m −1 m(1 − mx)
1
g) Die äußere Funktion des ersten Summanden 2x+2 1
ist ♥ , was ln |♥| als Stamm-
funktion besitzt. Beachtet man bei beiden Summanden die innere Ableitung
von 2, so ergibt sich:
"
1 1 1
+ e2x dx = ln |2x + 2| + e2x + c.
2x + 2 2 2
" 4 "
x 2 −2 1 3 −2 −1 x3 2
i) − dx = (x2
− 2x ) dx = x + x + c = + +c
x 2 x 2 3 −1 3 x
Ohne Umformung kann man hier nicht integrieren. Auf keinen Fall dürfen
Zähler und Nenner einzeln integriert werden!
1 1 2
n
b2 b2 1 1 n n+1 2
= · k= · n (n + 1) = · ·b = 1+ ·b .
n2 2
n 2 2 n n 2 n
k=1
b4 1 2 1 n2 (n + 1)2 4 1 1 2 4
= 4
· n (n + 1)2 = 2
· 2
·b = 1+ ·b ,
n 4 4 n n 4 n
2 2
wobei im letzten Schritt (n+1)
n2 = n+1 n einging. Grenzübergang liefert
1 1
lim On = (1 + 0)2 · b4 = b4 .
n→∞ 4 4
" b
1 4
Analog zeigt man limn→∞ Un = 1
4 b4 , also ist x3 dx = b .
0 4
c) Da f (x) = 2 − x monoton fällt, gehören die rechten Intervallgrenzen nun
1
2
zur Untersumme (erstelle eine Skizze!). Wir rechnen:
n
b b
n
1 b b
Un = f k· · = 2− k· ·
n n 2 n n
k=1 k=1
n
n
n n
b 1 b2 b 1 b2
= 2· − k· 2 = 2 · 1− · k.
n 2 n n 2 n2
k=1 k=1 k=1 k=1
b 1 b2 1 1 1 2
=2 ·n − 2
· n (n + 1) = 2b − 1+ ·b .
n 2 n 2 4 n
Grenzübergang: limn→∞ Un = 2b − 14 (1 + 0) · b2 = 2b − 14 b2 . Ebenso für den
Grenzwert der Obersummenfolge, so dass sich insgesamt ergibt
" b
1 1
2 − x dx = 2b − b2 .
0 2 4
11.6 Lösungen zu Kapitel 6 371
Lösung 6.3 Es seien (Zn ) eine Folge von Zerlegungen von [ a , b ], deren Feinheit
gegen Null strebt, sowie (Rn (f )) und (Rn (g)) die zugehörigen Folgen von Riemann-
Summen von f bzw. g. Aus f (x) g(x) für alle x ∈ [ a , b ] und Gleichheit der
Intervall-Längen Δxk folgt sofort
n
n
f (ξk )Δxk g(ξk )Δxk , d.h. Rn (f ) Rn (g).
k=1 k=1
Ist nun f ∈ C [ a , b ], so existiert nach Satz 6.4 das Maximum m von f auf [ a , b ],
für welches dann nach Definition f (x) m für alle x ∈ [ a , b ] gilt. Setzen wir
in obige Ungleichung für g(x) also die konstante Funktion m ein, so erhalten wir
unter Verwendung von Beispiel 6.10
" b " b
f (x) dx m dx = m · (b − a).
a a
Lösung 6.4
" 4 √ √
−1 ( √ )4
a) x 2 − 3x2 dx = 2 x − x3 1 = 2 4 − 43 − (2 1 − 13 ) = −61
1
" π * +π
π2 π2
b) π cos x − 2 dx = π sin x + = . . . = −2π
π
2
x x π
2
" 3
& ' 32 * + 32
2 1
c) 4(1 − 2x)−2 dx = 4 1
−2 · −1
1
(1 − 2x)−1 =2 = ... = 1
1 1 1 − 2x 1
" 12 * +12 * +12
12 1 1 2 32 2 3
2 · 3 3 x+1
2
d) 3 x+1 dx = = 3 x+1 = . . . = 26
0 3 2 0 0
" 2π
ω
ω ω
( 1 ) 2π ( ) 2π
e) 2 sin(ωt − π) dt = 2 ω − cos(ωt − π) ω
π = − 12 cos(ωt − π) πω
π ω ω
ω
= − 2 cos(2π − π) − cos(π − π) = − 12 (cos π − cos 0) = − 12 (−1 − 1) = 1
1
" 1 * +1
2 1 1 1 (√ )1
f) (2 − x)− 3 dx = · 1 (2 − x) 3 = −3 3 2 − x −6 = . . . = 3
−6 −1 3 −6
372 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 6.5
a) Ein Kegel vom Radius r und der Höhe h entsteht, wenn das Schaubild von
f (x) = hr x auf [ 0 , h ] um die x-Achse rotiert (erstelle eine Skizze für r = 1
und h = 2), also ist
" h "
r 2 r2 h 2 r 2 h3 π
VKegel = π x dx = π 2 x dx = π 2 · = r2 h.
0 h h 0 h 3 3
Lösung 6.6
" ∞ " z
1 1 ( √ )z √
a) √ dx := lim x− 2 dx = lim 2 x 1 = lim ( 2 z − 2) = +∞,
1 x z→∞ 1 z→∞ z→∞
b) Wieder finden wir die erste Lösung x1 = 2 von x3 − 2x2 + x− 2 =0 durch Ra-
ten, und Polynomdivision liefert x3 − 2x2 + x − 2 : x − 2 = x2 + 1.
− x3 + 2x2
x−2
−x+2
0
Da x2 + 1 = 0 keine reellen Lösungen besitzt, bleibt es bei L = { 2 }.
Mit dem alternativen Ansatz
!
(ax2 + bx + c) · (x − 2) = x3 − 2x2 + x − 2
!
ax3 + (b − 2a)x2 + (c − 2b)x = x3 − 2x2 + x − 2
Als Ergebnis erhalten wir a = 1 und c = −6, und wegen a+b = 0 folgt b = −1,
also ebenfalls die Produktdarstellung x3 − 7x + 6 = (x2 − x − 6) · (x + 1).
Zu lösen bleibt jedenfalls x2 − x − 6 = 0. Mit Vieta oder Lösungsformel
für quadratische Gleichungen erhält man die weiteren Lösungen x2 = 3 und
x3 = −2. Also ist L = {−2, − 1, 3 }.
Lösung 7.2
a) Zur Lösung von 4x4 − 12x2 + 9 = 0 substituieren wir u = x2 , was auf die
Gleichung 4u2 − 12u + 9 = 0 führt. Wenn man das Binom (2u − 3)2 nicht
erkennt, erhält man etwas aufwändiger auch mit der Lösungsformel
√
12 ± 144 − 144 3
u1,2 = =
2·4 2
√
als einzige Lösung. Die Rücksubstitution liefert |x| = u = 3/2 und damit
, -
die Lösungsmenge L = ± 3/2 der ursprünglichen Gleichung.
b) Durch Ausklammern von x erhält man
1 3 1 3
x5 + x3 − x = x · x4 + x2 − = 0,
4 8 4 8
also x1 = 0 als erste Lösung, und es bleibt nurmehr die reduzierte Gleichung
x4 + 14 x2 − 38 = 0 zu lösen. Die Substitution u = x2 liefert u2 + 14 u − 38 = 0,
also lauten die Lösungen der substituierten Gleichung
− 14 ± 16 1
+ 12
8 − 1
4 ± 25
16 −1 ± 5
u1,2 = = = 4 4 ,
2 2 2
d.h. u1 = 12 und u2 = − 34 . Aus der nicht-negativen Lösung u1 erhalten wir
√
via Rücksubstitution weitere Lösungen x2,3 = ± 1/2 = ± 2/2 (der Nenner
wurde rational gemacht) der ursprünglichen Gleichung. x2 = u2 < 0 ist nicht
möglich
, und√ liefert
- keine weiteren Lösungen. Die Lösungsmenge lautet somit
L = 0, ± 2/2 .
11.7 Lösungen zu Kapitel 7 375
Lösung 7.3
a) Die Ungleichung −x2 + 4x < 0 () ist zu lösen. Die zugehörige Gleichung
−x2 + 4x = −x(x − 4) = 0 hat die Lösungen 0 und 4. Wir müssen also die
Gültigkeit der Ungleichung in den drei Bereichen x < 0, 0 < x < 4 und x > 4
überprüfen. Einsetzen z.B. der Zahlen −1, 1 und 5 liefert wahre Aussagen für
() für die Bereiche x < 0 und x > 4, während dies zwischen 0 und 4 nicht der
Fall ist. Also ist die Lösungsmenge der Ungleichung L = ( −∞ , 0 ) ∪ ( 4 , ∞ ).
Dies erhält man noch schneller, wenn man sich überlegt, in welchen Bereichen
die Faktoren −x und x − 4 verschiedene Vorzeichen haben (denn dann ist ihr
Produkt −x(x − 4) < 0).
b) Die Substitution u = x2 führt auf die zugehörige Gleichung u2 + 38 u − 16
1
= 0,
welche die Lösungen u1 = 8 und u2 = − 2 hat. Rücksubstitution liefert
1 1
c) Die Ungleichung 3x3 + 6x2 > x3 + 36x + 80 bringt man durch Äquivalenz-
umformungen zunächst auf die Gestalt x3 + 3x2 − 18x − 40 > 0 (). Eine
(erratene) Lösung der zugehörigen Gleichung ist x1 = 4. Per Polynomdivision
erhält man die Faktorisierung
◦ Für −6 ∈ I1 ergibt die Probe in () −40 > 0, eine falsche Aussage.
◦ Für −3 ∈ I2 folgt 14 > 0, auf I2 gilt also die Ungleichung.
◦ Für 0 ∈ I3 wird () zur falschen Aussage −40 > 0.
◦ Für 5 ∈ I4 folgt 70 > 0, eine wahre Aussage.
Somit ist die Lösungsmenge L = I2 ∪ I4 = (−5 , −2 ) ∪ ( 4 , ∞ ).
Lösung 7.4
a) Die für x = ±3 definierte Gleichung formen wir um:
x 2x 1 x+3
+ = +
x−3 x+3 x − 3 9 − x2
⇐⇒ x(x + 3) + 2x(x − 3) = x + 3 − (x + 3)
⇐⇒ 3x2 − 3x = 0
⇐⇒ 3x(x − 1) = 0,
Nach der letzten Umformung können wir die Lösungsformel anwenden und
erhalten x1 = 1 und x2 = − 12 als Lösungen von 2x2 − x − 1 = 0. Da x = 1
aber nicht im Definitionsbereich der Bruchgleichung
, - liegt, gibt es nur eine
Lösung der ursprünglichen Gleichung, d.h. L = − 12 .
Lösung 7.5
Z
a) Am einfachsten argumentiert man so: Ein Bruch N ist genau dann 0,
wenn Z 0 und N < 0 oder Z 0 und N > 0 gilt.
Im ersten Fall erhalten wir x + 1 0 und x + 2 < 0, d.h. x −1 und
x < −2, was nicht gleichzeitig erfüllt sein kann.
Im zweiten Fall muss x + 1 0 und x + 2 > 0 erfüllt sein, d.h. x −1 und
x > −2, also zusammen: x ∈ (−2 , −1 ].
Die Lösungsmenge lautet somit L = (−2 , −1 ].
11.7 Lösungen zu Kapitel 7 377
3
x −2x
b) Die Ungleichung x+1 10
+ x + x+1 x+1 (), die für x = −1 definiert ist, wird
mit (x + 1) multipliziert.
Fall 1: x + 1 > 0, d.h. x ∈ (−1 , ∞ ) = J1 . () wird zu
x3 + x2 + x + 10 −2x ⇐⇒ x3 + x2 + 3x + 10 0 ().
x3 + x2 + 3x + 10 = (x + 2) · (x2 − x + 5)
√
und die Lösungsformel x2,3 = 1± 21−20 liefert keine weiteren reellen Lösun-
gen. Da die zu p(x) = x2 − x + 5 gehörige Parabel nach oben geöffnet ist
und keine Nullstellen hat, gilt p(x) > 0 für alle x ∈ R. Die Ungleichung (),
die sich als (x + 2) · p(x) 0 schreiben lässt, ist somit für x + 2 0, also
x ∈ [−2 , ∞ ) = I1 erfüllt. Fall 1 steuert somit das Intervall I1 ∩J1 = (−1 , ∞ )
zur Lösungsmenge bei.
Fall 2: x + 1 < 0, d.h. x ∈ (−∞ , −1 ) = J2 . () wird analog zu oben zu
x3 + x2 + 3x + 10 0 bzw. (x + 2) · p(x) 0.
erhält man nach kurzem Umformen 5x2 − 24x − 5 = 0 (siehe Beispiel 7.9).
Diese Gleichung besitzt die Lösungen 5 und − 15 und ihre linke Seite lässt sich
demnach faktorisieren als
Tabelle 11.5
Lösung 7.6
√
a) Die Gleichung x = −1 hat als Lösungsmenge offensichtlich die leere Menge,
während die quadrierte Gleichung x = 1 die einelementige Lösungsmenge
√
L = { 1 } besitzt. Ein weiteres Beispiel ist die Wurzelgleichung x = x − 1,
welche nach Quadrieren x = (x−1)2 = x2 −2x−1 bzw. √x −3x−1
2
= 0 lautet,
welche die zwei verschiedenen Lösungen x1,2 = 12 3 ± 9 + 4 besitzt, wovon
eine negativ und damit keine Lösung der ursprünglichen Gleichung ist.
√
b) Die Gleichung x2 = 1 hat als Lösungen
√ x1,2 = ±1, genau wie die quadrierte
Gleichung x2 = 1. Ebenso hat x = 1 genau wie ihr Quadrat x = 12 die
einzige Lösung x = 1.
Lösung 7.7
√
a) Als erstes quadrieren wir die Gleichung 6x + 37 = x + 5 und erhalten
6x + 37 = x2 + 10x + 25 ⇐⇒ x2 + 4x − 12 = 0.
Die Lösungen der letzten Gleichung liefert Vieta: Man erhält mit x1 = −6
und x2 = 2 Kandidaten für Lösungen der ursprünglichen Gleichung. Probe:
√
◦ Mit x1 = −6: Linke Seite ergibt −36 + 37 = 1, rechte Seite ergibt
−6 + 5 = −1, also ist x1 = −6 keine Lösung.
√
◦ Mit x2 = 2: Linke Seite ergibt 12 + 37 = 7, rechte Seite ergibt 2+5 = 7,
also ist x2 = 2 eine Lösung.
Die Lösungsmenge lautet somit L = { 2 }.
√ √
b) Durch Quadrieren wird aus 2x2 = x2 − 1 − 1 die Gleichung
2x2 = x2 − 1 − 2 x2 − 1 + 1 ⇐⇒ x2 = −2 x2 − 1,
380 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
was durch erneutes Quadrieren zu x4 = 4(x2 − 1) wird. Wir haben nun also
die Lösungen zu x4 − 4x2 + 4 = 0 zu finden. Substitution u = x2 liefert
u2 − 4u + 4 = 0, und da die linke Seite als u2 − 4u + 4 = (u − 2)2 geschrieben
√
werden kann, muss u = 2 sein und somit nach Rücksubstitution x = ± 2.
Wir müssen diese Lösungskandidaten zur Probe in die ursprüngliche Glei-
chung einsetzen: Beidesmal ergibt sich die falsche Aussage 2 = 0, so dass die
Lösungsmenge hier leer ist, L = ∅.
√
c) Die Gleichung 3 5x + 2 = x − 2 nehmen wir mit Hilfe des binomischen Lehr-
satzes hoch 3“ und erhalten
”
5x + 2 = x3 + 3 · x2 · (−2)1 + 3 · x · (−2)2 + (−2)3 = x3 − 6x2 + 12x − 8,
Der zweite Faktor der linken Seite kann nicht Null werden, denn die Gleichung
x2 − x + 2 = 0 führt wegen negativer Diskriminante in der Lösungsformel auf
keine weiteren reellen Lösungen.
Für x1 = 5 führen wir√ die Probe √ in der ursprünglichen Gleichung durch:
Die linke Seite ergibt 3 25 + 2 = 3 27 = 3, und ebenfalls ist die rechte Seite
5 − 2 = 3. Somit lautet die Lösungsmenge L = { 5 }.
Die Probe wäre hier nicht nötig, da die Abbildung f : R → R, x → x3 bi-
jektiv, also insbesondere injektiv ist. Stimmen bei einer Gleichung nach dem
Potenzieren beide Seiten für einen Wert von x überein, so haben sie auch
dasselbe Urbild unter f , das wiederum der dritten Wurzel entspricht.
Lösung 7.8
√
a) Wir lösen die zu 16 + x2 − x 5 gehörige Gleichung und erhalten nach
Isolieren, Quadrieren und Sortieren
√
◦ Für x = 0 ist 16 + 1 = 4 5, also gilt die Ungleichung für x x1 .
( 9
Als Lösungsmenge erhält man folglich L = − 10 ,∞ .
√ √
b) Wir quadrieren die zu 2 x − 2 x − 1 () gehörige Gleichung, isolieren
die Wurzel und quadrieren erneut:
√ √ √ √
2 x − 2 = x − 1 =⇒ 4x − 8 x + 4 = x − 1 ⇐⇒ 8 x = 3x − 5
wobei wir im ersten Schritt (unter Beachtung des wegen x > 1 positiven Vor-
zeichens) quadriert haben. Die Lösungen der zur letzten Ungleichung gehöri-
gen Gleichung ergeben sich nach Vieta zu x1 = −1 und x2 = 7. Die Prüfin-
tervalle sind somit I1 = (−∞ , − 1 ), I2 = (−1 , 7 ) und I3 = ( 7 , ∞ ). Da
I1 ∩ J1 = ∅ ist, brauchen wir die Ungleichung nur für x = 2 ∈ I2 ∩ J1 und
x = 14 ∈ I3 ∩ J1 testen:
◦ Für x = 2 wird () zu 21·2 > 11 ; falsch!
◦ Für x = 14 wird () zu 21·4 > 13 1
, was stimmt.
Fall 1 liefert somit das Intervall I3 ∩ J1 = ( 7 , ∞ ).
Fall 2: N (x) < 0, also (x−1) < 0, d.h. x ∈ (−2 , 1 ) = J2 (beachte x > −2
aufgrund der Definitionsmenge
√ D). Wir erhalten hier als bruchfreie Unglei-
chung x − 1 < 2 x + 2 mit Lösungen x1 = −1 und x2 = 7 der zugehörigen
Gleichung (siehe oben). Hier testen wir () mit −1,5 ∈ I1 ∩ J2 und 0 ∈ I2 ∩ J2
(es ist I3 ∩ J2 = ∅):
382 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 7.9
a) Damit |x − 5| = 8 wird, muss x − 5 entweder 8 oder −8 sein. Im ersten Fall
folgt x1 = 13, im zweiten x2 = −3. Die Lösungsmenge der Betragsgleichung
ist also L = {−3, 13 }.
b) Da die Gleichung |x−4| = |3x+6| mehrere Beträge enthält, veranschaulichen
wir die Fallunterscheidungen in Abbildung 11.4. Es gibt drei Fälle.
|x − 4| = −(x − 4) |x − 4| = x − 4
−2 4
Abbildung 11.4
machen: |3 + 6| ergibt 3, also ist x1 eine Lösung.
ursprünglichen Gleichung
Bei x2 erhält man jedoch | − 2 + 6| = 2 = −2.
Fall 2: x −6, also |x + 6| = −(x + 6) = −x − 6, und wir haben die
quadratische Gleichung −x − 6 = x2 bzw. x2 + x + 6 = 0 zu lösen. Aufgrund
negativer Diskriminate 1 − 4 · 6 < 0 liefert Fall 2 keine Lösungen.
Die Lösungsmenge lautet folglich L = { 3 }.
|x+1|
d) Die Gleichung |x| = x + 1, welche für x = 0 definiert ist, multiplizieren
|x|
wir für x = −1 mit x+1 und erhalten die Gleichung |x| = |x+1|
x+1 . Da |♥|
sich nur im Vorzeichen von ♥ unterscheiden kann, ist die rechte Seite 1 oder
−1. Links steht |x|, was > 0 ist, also kann die Gleichheit mit rechts nur
für |x| = 1 bestehen, d.h. x = ±1. Da wir für die Umformung x = −1
ausschließen mussten, erhalten wir so jedoch nur x = 1 als Lösung. Durch
direktes Einsetzen von x = −1 in die ursprüngliche Gleichung sieht man, dass
diese mit 0 = 0 erfüllt ist. Also ist insgesamt L = {−1, 1 }.
Lösung 7.10
x+|x|
f (x) = 2
6
−6 −4 −2 2 4 6
Abbildung 11.5
x
b) Die Funktion f (x) = |x| (x − 2) ist definiert für alle x = 0, d.h. maximaler
Definitionsbereich ist R\{ 0 }. Wir schreiben f (x) ohne Beträge:
x
x (x − 2) für x < 0 −x + 2 für x < 0
f (x) = (x − 2) = −xx =
|x| x (x − 2) für x > 0 x − 2 für x > 0.
384 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Somit ist der Wertebereich die Vereinigung der Wertemenge von −x + 2 für
negatives x, d.h. ( 2 , ∞ ), und der Wertemenge von x − 2 für positives x,
( −2 , ∞ ) (der Wert an der Stelle 0 ist jeweils nicht mit enthalten, wegen des
Definitionsbereichs der ursprünglichen Funktion). Zusammengefasst ist die
Wertemenge also Wf = ( 2 , ∞ ) ∪ ( −2 , ∞ ) = ( −2 , ∞ ).
6
x
f (x) = |x|
(x − 2)
4
−4 −2 2 4
−2
Abbildung 11.6
c) Die Funktion f (x) = |x − 2| + |x + 1| ist auf ganz R definiert. Für die Be-
stimmung des Wertebereichs bzw. zum leichteren Zeichnen unterscheiden wir
bezüglich des Terms |x − 2| die Bereiche x < 2 und x 2, sowie für |x + 1|
die Bereiche links und rechts von −1:
⎧
⎪
⎨−(x − 2) − (x + 1) für x < −1
f (x) = |x − 2| + |x + 1| = −(x − 2) + (x + 1) für − 1 x < 2
⎪
⎩
(x − 2) + (x + 1) für x 2
⎧
⎪
⎨−2x + 1 für x < −1
= 3 für − 1 x < 2
⎪
⎩
2x − 1 für x 2.
2 f (x) = |x − 2| + |x + 1|
−2 2 4 6
Abbildung 11.7
11.7 Lösungen zu Kapitel 7 385
Der Wertebereich ist [ 3 , ∞ ) (wie man leicht an der Vereinigung der Werte-
bereiche der einzelnen Geradenstücke sieht).
4
f (x) = |x2 − 2|
2
−4 −2 2 4
Abbildung 11.8
Lösung 7.11
a) Zur Lösung der Ungleichung |x − 4| + |2 − x| > x + 1 stellen wir zunächst fest,
dass die Argumente der beiden Beträge ihr Vorzeichen bei 2 bzw. 4 wechseln.
Insgesamt sind drei Fälle zu betrachten, wenn wir die Beträge auflösen wollen.
Fall 1: x 2, also |x − 4| = −(x − 4) und |2 − x| = 2 − x. Wir erhalten
hier die Ungleichung 6 − 2x > x + 1, d.h. x < 53 . Da 53 < 2 und die Bedingung
von Fall 1 somit automatisch erfüllt ist, gehört (−∞ , 53 ) zur Lösungsmenge.
Fall 2: 2 < x < 4, also |x − 4| = −(x − 4) und |2 − x| = −(2 − x). Die
Ungleichung vereinfacht sich zu 2 > x + 1, d.h. x < 1. Weil das die Bedingung
von Fall 2 verletzt, erhalten wir hier keine weiteren Lösungen.
Fall 3: x 4, also |x − 4| = x − 4 und |2 − x| = −(2 − x). In diesem
letzten Fall lautet die Ungleichung 2x − 6 > x + 1, d.h. x > 7 und als Beitrag
zur Lösungsmenge erhalten wir ( 7 , ∞ ).
Insgesamt ist L = (−∞ , 53 ) ∪ ( 7 , ∞ ).
b) Die Ungleichung |x2 −2| 14 ist nach Definition des Betrags gleichbedeutend
damit, dass entweder x2 − 2 14 oder x2 − 2 − 14 ist. Also muss x2 94
oder x2 74 sein.
Der erste Fall tritt genau für |x| 4 = 2 ein, d.h. − 2 x oder x 2 .
9 3 3 3
√ √
Der zweite Fall liegt genau dann vor, wenn − 27 x 27 ist.
√ √
Somit ist die Lösungsmenge L = (−∞ , − 32 ] ∪ [− 27 , 27 ] ∪ [ 32 , ∞ ).
386 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
c) Da der Betrag keiner reellen Zahl negativ sein kann, ist die Lösungsmenge
von |x3 − 117x2 + 42| < −π leer; L = ∅.
Lösung 7.12
a) Durch Logarithmieren zur Basis 3 erhalten wir log3 32x−5 = log3 3−3 , also
2x − 5 = −3. Somit muss x = 1 sein, d.h. L = { 1 }.
3x
b) Durch Logarithmieren zur Basis 7 erhalten wir aus 7 2 = 2−5x die Gleichung
2 = (−5x) · log7 2. Daraus folgt man (3 + 10 · log7 2)x = 0. Da der Vorfaktor
3x
nicht 0 ist (Taschenrechner, bzw. 2 > 1 und damit log7 2 > 0), muss x = 0
gelten, d.h. L = { 0 }.
Lösung 7.13 Der Beweis von (P1 ) ergibt sich unmittelbar aus dem Additions-
theorem der e-Funktion:
ln ey ln x y ln x ln x
loga (xy ) = loga (ey ln x ) = = =y = y loga x.
ln a ln a ln a
Der Beweis der restlichen Potenz- und Logarithmengesetze gelingt ähnlich mühelos,
x
wenn man zudem noch (ex )y = ey ln e = exy (im ersten Schritt wird nichts anderes
als die Definition ax = ex ln a mit a = ex verwendet) und ln(xy) = ln x + ln y
beachtet (siehe Seite 104).
388 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
x+1
= −xe−x − e−x + c = −e−x (x + 1) + c = − + c.
ex
b) Partiell integrieren mit u(x) = x2 , d.h. u (x) = 2x, und v (x) = e−x , d.h.
v(x) = −e−x , ergibt
" "
x2 · e−x dx = −x2 · e−x + 2x · e−x dx.
Das neu entstandene Integral ist laut a) gleich −2e−x (x+1)+c. (Ohne Kennt-
nis von a) müsste man erneut Produktintegration ausführen.) Insgesamt folgt
"
x2 · e−x dx = −x2 · e−x − 2e−x (x + 1) + c = −e−x (x2 + 2x + 2) + c.
Lösung 8.2
a) Am besten zieht man den Vorfaktor − 12 vor das Integral. Setze dann u(x) = x
und v (x) = cos x, so dass u (x) = 1 und v(x) = sin x ist. Partielle Integration
(mit Grenzen):
" π "
x 1 π
− · cos x dx = − x · cos x dx
0 2 2 0
& 'π "
1 π
1& 'π
=− x · sin x − 1 · sin x dx =− x · sin x + cos x = 1.
2 0 0 2 0
11.8 Lösungen zu Kapitel 8 389
1 1 1 1 1
= (−1)5 (5 ln | − 1| − 1) − (−e 5 )5 (5 ln | − e 5 | − 1) = .
25 25 25
c) Auch hier rechnen wir zunächst ohne Grenzen. Partiell integrieren mit u(x) =
e2x , d.h. u (x) = 2e2x , und v (x) = cos x, d.h. v(x) = sin x (auch die umge-
kehrte Wahl von u und v würde zum Ziel führen!), ergibt zunächst
" "
e2x cos x dx = e2x sin x − 2e2x sin x dx.
"
= e (sin x + 2 cos x) − 4
2x
e2x cos x dx.
" "
Addiere 4 e2x cos x dx: 5 e2x cos x dx = e2x (sin x + 2 cos x), d.h.
"
e2x
e2x cos x dx = (sin x + 2 cos x) (+c).
5
390 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
(Da in der Rechnung auf beiden Seiten ein unbestimmtes Integral stand,
wurde die Integrationskonstante c zunächst weggelassen.) Somit ergibt sich
für beliebiges z < 0
" 0 & e2x '0
e2x cos x dx = (sin x + 2 cos x)
z 5 z
e0 e2z 2 e2z
= (sin 0 + 2 cos 0) − (sin z + 2 cos z) = − · h(z)
5 5 5 5
mit h(z) = sin z + 2 cos z. Da h(z) beschränkt ist (|h(z)| 3, da cos und sin
2z
betragsmäßig nie größer als 1 werden), folgt | e5 · h(z)| 35 e2z und da die
2z
rechte Seite für z → −∞ gegen 0 strebt, muss dies auch für e5 · h(z) gelten.
Also ist
" 0 " 0 2 e2z 2
e2x · cos x dx = lim e2x cos x dx = lim − · h(z) = .
−∞ z→−∞ z z→−∞ 5 5 5
Lösung 8.4
a) Substitution: u = x3 + 2; Differenziale: du
dx = 3x
2
=⇒ dx = du
3x2 .
" " "
√ du √
9x2 · x3 + 2 dx = 9x2 · u 2 = 3 u du
3x
2 3
= 3· u 2 + c = 2 (x3 + 2)3 + c.
3
du du
b) Substitution: u = x2 ; Differenziale: dx = 2x =⇒ dx = 2x .
" " "
−x2 −u du 1 1 1 2
x·e dx = x·e = e−u du = − e−u + c = − e−x + c,
2x 2 2 2
11.8 Lösungen zu Kapitel 8 391
dx = −2x =⇒ dx = −2x .
c) Substitution: u = 3 − x2 ; Differenziale: du du
Lösung 8.5 Setzen wir u = f (x), so ist du du
dx = f (x) und dx = f (x) , also folgt
" " "
f (x) f (x) du 1
dx = = du = ln |u| + c = ln |f (x)| + c.
f (x) u f (x) u
Alternativ kann man die Formel durch Ableiten mit der Kettenregel beweisen.
Nützlich wäre dies bei c) und d) der vorigen Aufgabe gewesen, da der Zähler dort
jeweils die Ableitung des Nenners war. Bei d) erkennt man dies erst, wenn man den
1
1 x
Integranden als x ·ln x = ln x umschreibt. Dann folgt mit eben bewiesener Formel
" " 1
1 x
dx = dx = ln | ln x| + c.
x · ln x ln x
Lösung 8.6 Wir setzen x(t) = cos t, wobei sich t in einem Bijektivitätsintervall
des Cosinus befinden muss, also z.B. t ∈ ( 0 , π ); die Ränder entfallen aufgrund von
|x| < 1. Umrechnung der Differenziale liefert dx = − sin t dt und mit 1 − cos2 t =
sin2 t folgt
" " " "
dx − sin t dt sin t
√ = √ =− dt = − 1 dt = −t + c.
1 − x2 1 − cos2 t | sin t |
Beachte | sin t | = sin t aufgrund von t ∈ ( 0 , π ). Die Rücksubstitution t = arccos x
liefert
"
1
√ dx = − arccos x + c für |x| < 1.
1 − x2
Da zwei Stammfunktionen sich um eine additive Konstante unterscheiden dürfen
– diese verschwindet ja beim Ableiten – ist dies kein Widerspruch zu unserem
früheren Ergebnis arcsin x + c, denn zwischen Arcussinus und Arcuscosinus gilt der
Zusammenhang (siehe Seite 207) − arccos x = arcsin x − π2 .
392 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 8.7 Die Voraussetzungen von Satz 5.9 sind erfüllt: Sinus ist auf dem
Intervall I = (−1 , 1 ) differenzierbar mit sin (x) = 0 für x ∈ I und besitzt dort den
Arcussinus als Umkehrfunktion. Somit ist arcsin differenzierbar und Ableiten von
sin(arcsin x) = x liefert nach der Kettenregel (alternativ kann man auch direkt die
Formel aus dem Satz verwenden)
1
sin (arcsin x) · arcsin (x) = x = 1, also arcsin (x) = .
cos(arcsin x)
Hmm, das sieht noch etwas unschön aus, zumal wir nicht wissen, was der Cosinus
mit dem Arcussinus macht. Hier hilft der trigonometrische Pythagoras weiter:
sin2 x + cos2 x = 1, bzw. cos x = 1 − sin2 x
(| cos x | = cos x, da |x| 1), wobei sin2 x abkürzend für (sin x)2 steht. Damit folgt
1 1 1
arcsin (x) = = =√ .
cos(arcsin x)
1 − (sin(arcsin x))
2 1 − x2
Für den Arcustangens gehen wir analog vor. Zunächst folgt seine Differenzierbarkeit
(auf ganz R) aus Satz 5.9, da er die Umkehrfunktion von tan |(− π2 , π2 ) ist und dort
tan (x) = 1 + tan2 x = 0 gilt. Ableiten von tan(arctan x) = x liefert
1
tan (arctan x) · arctan (x) = x = 1, also arctan (x) = .
tan (arctan x)
Lösung 8.8
" " "
1 1 1 1
a) Es ist √ dx = dx = √ 2 dx.
3 − x2 3 1− 3 x2 3 1 − √x3
√ √
Substitution: x(t) = 3 sin t (für |t| < π2 ); Differenziale: dx = 3 cos t dt.
Unter Beachtung von 1 − sin2 t = | cos t | = cos t (da |t| < π2 ) folgt
" " √ "
1 1 1 1
√ 2 dx = √ 3 cos t dt = 1 dt = t + c.
3 1 − √x 3 1 − sin2 t
3
√
Rücksubstitution: Aus x = 3 sin t folgt t = arcsin √x3 , und wir erhalten
" x √
1
√ dx = arcsin √ + c für |x| < 3.
3 − x2 3
11.8 Lösungen zu Kapitel 8 393
1
Anmerkung: Setzt man die Stammfunktion von √1−u 2
als bekannt voraus,
muss man nicht mehr explizit mit dem Sinus substituieren.
√ Man setzt am
Ende der ersten Zeile einfach u = √x3 , also dx = 3 du und erhält
" √ " x
1 1 1
√ √ 3 du = √ du = arcsin u + c = arcsin √ + c.
3 1 − u2 1 − u2 3
1
Mit u = 2x + 1, d.h. du = 2 dx, und den neuen Grenzen u = 0 und u = 2
ergibt sich
1& ' 12 1 1 π
= arcsin u = (arcsin − arcsin 0) = .
2 0 2 2 12
π
Im letzten Schritt ging arcsin 12 = 6 (da sin π6 = 1
2) und arcsin 0 = 0 (da
sin 0 = 0) ein.
1
c) Wir formen den Integranden um zu 1+u 2 , um arctan als Stammfunktion
anwenden zu können.
" " "
1 1 1 1
dx = 2 dx = 5x 2 dx
4 + 25x2 4 1 + 25x
4
4 1+ 2
Die Substitution u = 5x 2
2 liefert dx = 5 du, und die Grenzen bleiben erhalten,
d.h.
" ∞ "
1 1 ∞ 1 2 du 1 & '∞ π
2
dx = 2
= arctan u = .
0 4 + 25x 4 0 1+u 5 10 0 20
π
Beachte dabei limu→∞ arctan u = 2 (da limx→ π2 tan x = ∞) und arctan 0 = 0
(da tan 0 = 0).
394 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 8.9
Ein Kreis mit Radius r um den Ursprung wird
beschrieben
√ durch x2 + y 2 = r2 bzw. y = √
r y = r 2 − x2
± r − x für |x| r. Wir müssen also den
2 2
r2 − x2 dx = r · 1 − dx
r Abbildung 11.9
" "
u= x
=r r · 1 − u2 r du = r2 1 − u2 du.
Für a = b = r geht die Ellipsengleichung in die Gleichung eines Kreises vom Radius
r über, und für dessen Flächeninhalt folgt erneut A = πab = πr2 .
2
Lösung 8.11 Für das Volumen des Rotationskörpers von f (x) = b 1 − xa2 gilt
Für a = b = r ergibt sich V = 43 πr3 , das wohlbekannte Volumen einer Kugel vom
Radius r.
Lösung 8.12
ϕ ϕ 1 2 u 2
cos ϕ = cos2 − sin2 = √ − √
2 2 1 + u2 1 + u2
1 u2 1 − u2
= − = ,
1 + u2 1 + u2 1 + u2
ϕ ϕ 1 u 2u
sin ϕ = 2 sin cos = 2 · √ ·√ = .
2 2 1 + u2 1 + u2 1 + u2
ϕ
b) Aus tan (x) = 1 + tan2 x folgt mit x = 2 und der Kettenregel:
du ϕ 1 ϕ 1
= tan = 1 + tan2 = (1 + u2 ).
dϕ 2 2 2 2
" " "
1 11 2 du
2 du
c) (i) dϕ = 2 1+u2 +1−u2 1 + u2
=
1 + cos ϕ 1 + 1−u
1+u2 1+u2
1 + u2
" 2 "
1 + u 2 du ϕ
= 2
= 1 du = u + c = tan + c
2 1+u 2
Lösung 8.13
y
Kcosh
4
1
x
−2 −1 0 1 2
−1
Ksinh −2
Abbildung 11.10
Beide Schaubilder (siehe Abbildung 11.10) nähern sich für wachsendes x auf-
grund von e−x → 0 für x → ∞ dem Schaubild von 12 ex an.
1 x 1
cosh2 x − sinh2 x = (e + e−x )2 − (ex − e−x )2
4 4
1 2x 1
= e + 2ex · e−x + e−2x − e2x + 2ex · e−x − e−2x = · 4e0 = 1.
4 4
b) 1
c) (i) cosh2 x + sinh2 x = 4 2e2x + 2e−2x = 1
2 e2x + e−2x = cosh(2x)
(ii) Subtrahiere b) von (i) und teile durch 2.
(iii) Addiere b) mit (i) und teile durch 2.
(iv) 2 sinh x cosh x = 2 14 (ex − e−x ) · (ex + e−x ) = 12 (e2x − e−2x ) = sinh(2x)
d d
d) Es gilt dx sinh x = cosh x und dx cosh x = sinh x, denn
1 x 1 1
sinh (x) = (e − e−x ) = (ex − e−x · (−1)) = (ex + e−x ) = cosh x,
2 2 2
1 x 1 1
cosh (x) = (e + e−x ) = (ex + e−x · (−1)) = (ex − e−x ) = sinh x.
2 2 2
e) Um die Umkehrfunktion des Sinus hyperbolicus zu bestimmen, müssen wir
die Gleichung sinh x = 12 (ex − e−x ) = y nach y auflösen und dann x mit y
vertauschen. Multiplikation mit 2ex führt auf
e2x − 1 = 2yex bzw. (ex )2 − 2yex − 1 = 0.
398 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Völlig analog führt die Umkehrung von cosh : [ 0 , ∞ ) → [ 1 , ∞ ) auf die Glei-
chung (ex )2 − 2yex + 1 = 0, was nach der Substitution ex = u in die quadra-
tische Gleichung u2 − 2yu + 1 = 0 übergeht, welche die Lösungen
2y ± 4y 2 − 4 2y ± 2 y 2 − 1
u1,2 = = = y ± y2 − 1
2 2
besitzt, die wegen y ∈ [ 1 , ∞ ) reell sind. Wieder entfällt das Minuszeichen,
denn die Einschränkung x ∈ [ 0 , ∞ ) erzwingt u = ex 1, was u2 wegen
u2 = y − y 2 − 1 1 nicht erfüllt. ( Die Gültigkeit der letzten Ungleichung
bestätigt man durch folgende trickreiche Abschätzung:
y 2 − 1 = y 2 −2y + 1 + 2y − 1 − 1 = (y − 1)2 + 2(y − 1)
(y − 1)2 = y − 1,
Lösung 8.15 Wir setzen x(t) = cosh t mit t > 0 (damit cosh bijektiv und x > 1
erfüllt ist). Dann ist dx
dt = sinh t und es folgt
" " " " "
dx sinh t dt sinh t sinh t
√ = = √ dt = dt = 1 dt,
x2 − 1 cosh2 t − 1 sinh2 t sinh t
wobei im vorletzten Schritt | sinh t | = sinh t für t > 0 verwendet wurde. Somit
ergibt sich
"
1
√ dx = t + c = arcosh x + c = ln x + x2 − 1 + c.
x2 − 1
Lösung 8.16
1) Die Differenzierbarkeit von arsinh begründet man mit Hilfe von Satz 5.9 wie
in Aufgabe 8.7 (beachte sinh (x) = cosh x = 0 für alle x ∈ R). Ableiten von
sinh(arsinh x) = x (x ∈ R) liefert nach der Kettenregel
1
sinh (arsinh x) · arsinh (x) = x = 1, also arsinh (x) = .
cosh(arsinh x)
Um dies etwas ansehnlicher zu machen, verwenden wir
cosh2 x − sinh2 x = 1, bzw. | cosh x | = cosh x = 1 + sinh2 x
2) Die Differenzierbarkeit von arcosh für x > 1 folgt aus Satz 5.9, wenn man
cosh (x) = sinh x = 0 für x > 0 = arcosh1 beachtet. Es ist
1
arcosh (x) = .
sinh(arcosh x)
Wie oben folgt weiter (beachte | sinh y | = sinh y für y 0)
1 1 1
arcosh (x) = = =√ .
sinh(arcosh x) 2
(cosh(arcosh x)) − 1 x −1
2
Lösung 8.17
a) Zunächst formen wir den Integranden um (beachte 222 = 484):
88 88 88 4
√ = = 11 2 = 2 .
484 + 121x 2
484 1 + 121 2
484 x 22 1 + 22 x 1 + x2
400 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
x
#
Man kann auch gleich = u setzen und √ 1 du = arsinh u+c verwenden.
2 1+u2
x2 + 4x + 3 = x2 + 4x + 22 − 22 + 3 = (x + 2)2 − 1.
Beachte: Da der Integrand f (x) bei x = −1 nicht definiert ist, handelt es sich
#2
um ein uneigentliches Integral, d.h. man sollte korrekter limz→−1 z f (x) dx
schreiben. Aus limu→1 arcosh u = 0 folgt jedoch die Existenz dieses Grenz-
werts, d.h. der Inhalt der Fläche, den das Schaubild zwischen −1 und 2 mit
der x-Achse begrenzt, ist endlich.
Lösung 8.18
2
a) Wir schreiben den Integranden als Produkt: √ax2 +x2 = x · √a2x+x2 . Da der
zweite Faktor mittels Substitution leicht integrierbar ist, können wir Pro-
duktintegration mit u(x) = x und v (x) = √a2x+x2 durchführen. Zunächst
bestimmen wir (ein) v(x), indem wir w(x) = a2 + x2 setzen, d.h. dw = 2x dx:
" "
x x dw 1 1
v(x) = √ dx = √ = 2w 2 = a2 + x2 .
a2 + x2 w 2x 2
c) Wir substituieren
√ x(t) = a cosh t (mit t > 0), d.h. dx = a sinh t dt. Beachte
zudem, dass sinh2 t = | sinh t| = sinh t wegen t > 0 ist. Los geht’s:
" " "
1 1 dx 1 a sinh t dt
√ dx = =
x x −a
2 2 2 a x2 x2
−1 a a2 cosh2 t cosh2 t − 1
a2
" " "
1 sinh t 1 1 b) 1
= √ dt = 2 dt = tanh (t) dt
a2 2 2
cosh t sinh t a cosh2 t a2
1 1 sinh t 1 cosh2 t − 1
= tanh t + c = 2 +c= 2 +c
a2 a cosh t a cosh t
x 2 √
1 a −1 x2 − a2
= x + c = + c.
a2 a a2 x
√
Lösung 8.19 Es ist AΔ = 12 · x · 2y = x · y = x x2 − 1 der Flächeninhalt des
Dreiecks Px OQx . Um den Inhalt der schraffierten Fläche zu erhalten, muss von
√ der Inhalt der Fläche, die von der gestrichelten Linie und der Hyperbel y =
AΔ
± x2 − 1 eingeschlossen wird, also
" x " x
2 f (ξ) dξ = 2 ξ 2 − 1 dξ,
1 1
abgezogen werden. Das Integral lässt sich durch die Substitution ξ(t) = cosh t
(t > 0), d.h. dξ = sinh t dt in den Griff bekommen, denn aufgrund von cosh2 t −
sinh2 t = 1 ergibt sich:
" " " "
t>0
ξ − 1 dξ =
2 cosh t − 1 sinh t dt = | sinh t | sinh t dt =
2
sinh2 t dt.
Durch beidseitiges Addieren des gesuchten Integrals und Teilen durch 2 erhält man
schließlich
"
1
sinh2 t dt = (sinh t · cosh t − t) + c.
2
11.8 Lösungen zu Kapitel 8 403
(Alternativ hätte man auch die Identität (ii) aus Aufgabe 8.13 c), sinh2 x =
2 (cosh(2x) − 1), verwenden und ähnlich wie in Aufgabe 8.18
1
b) vorgehen können.)
Mit cosh t = ξ, also t = arcosh ξ, ergibt sich wegen sinh t = cosh2 t − 1
"
1
ξ 2 − 1 dξ = cosh2 t − 1 · cosh t − t + c
2
1 2
= ξ − 1 · ξ − arcosh ξ + c.
2
Für den Flächeninhalt der schraffierten Fläche folgt nun endlich
" x
A(x) = x x2 − 1 − 2 ξ 2 − 1 dξ
1
&1 'x
= x x2 − 1 − 2 ξ ξ 2 − 1 − arcosh ξ
2 1
= x x2 − 1 − x x2 − 1 + arcosh x − 1 · 12 − 1 − arcosh
1
0
= arcosh x.
Lösung 8.20
a) Die Nullstellen des Nenners sind x1 = −2 und x2 = 3; somit ist
5 A B
= + der Ansatz für die PBZ des Integranden.
x2 − x − 6 x+2 x−3
Multiplizieren mit dem gemeinsamen Nenner (x + 2)(x − 3) = x2 − x − 6 führt
auf 5 = A(x − 3) + B(x + 2), also A = −1, B = 1 (setze x = −2 bzw. x = 3
ein). Damit:
" "
5 −1 1
dx = + dx
x2 − x − 6 x+2 x−3
x − 3
= − ln |x + 2| + ln |x − 3| + c = ln + c.
x + 2
c) Zunächst formen wir den Integranden um. Dies kann durch Polynomdivision
geschehen (selber durchführen), oder aber durch folgenden Trick:
x2 − x + 3 x2 − 3x + 2 + 2x + 1
=
x − 3x + 2
2 x2 − 3x + 2
x2 − 3x + 2 2x + 1 2x + 1
= 2 + 2 =1+ 2 .
x − 3x + 2 x − 3x + 2 x − 3x + 2
Die PBZ des letzten Bruches führt auf
2x + 1 A B
= + =⇒ 2x + 1 = A(x − 2) + B(x − 1).
(x − 1)(x − 2) x−1 x−2
Für x = 1 folgt daraus 3 = −A und für x = 2 erhält man 5 = B. Insgesamt
ergibt sich
" "
x2 − x + 3 3 5
dx = 1− + dx
x2 − 3x + 2 x−1 x−2
(x − 2)5
= x − 3 ln |x − 1| + 5 ln |x − 2| + c = x + ln + c.
(x − 1)3
√
−p± p2 −4q
Lösung 8.21 Nullstellen des Nenners: x1,2 = 2 = −p±k2 , d.h.
p−k p+k
x2 + px + q = (x − x1 )(x − x2 ) = x + x+ .
2 2
Ansatz für die PBZ:
1 A B
= p−k
+ =⇒ 2 = A(2x + p + k) + B(2x + p − k).
2
x + px + q x+ 2 x + p+k
2
1
(Es wurde mit 2(x2 + px + q) multipliziert, um das störende 2 zu beseitigen.)
Zusammenfassen und ordnen führt auf
0x + 2 = (2A + 2B)x + (A + B)p + (A − B)k,
und Koeffizientenvergleich liefert 2A + 2B = 0 sowie (A + B)p + (A − B)k = 2. Aus
der ersten Gleichung folgt A = −B, was mit der zweiten −2Bk = 2, also B = − k1
ergibt. Somit ist
1 1 1
= −
x2 + px + q p−k
k x+ 2 k x + p+k
2
Lösung 8.22
a) 1
2 sin2 x + c (Subst.: u = sin x)
Hier könnte statt F (x) = 12 sin2 x ebenso G(x) = − 12 cos2 x als Ergebnis ste-
hen (falls u = cos x gesetzt wurde). Beachte stets, dass deine Stammfunktion
sich um eine additive Konstante vom angegebenen Ergebnis unterscheiden
kann (da diese beim Ableiten verschwindet). Hier ist F (x) − G(x) = 12 .
b) 1
9 ln |z 9 − 1| + c (Subst.: u = z 9 − 1)
c) 1
4 e2x (2x − 1) + c (P.I. mit u = x und v = e2x )
d) + t + ln |t − 1| + c (Polynomdivision t2 : (t − 1) = t + 1 +
1 2
2 t
1
t−1 )
√
e) −2 1 − sin x + c (Subst.: u = 1 − sin x)
f) etan x + c (Subst.: u = tan x, du
dx = 1 + tan2 x = 1
cos2 x (S. 134) )
g) −xe−x + c (P.I. mit u = x − 1 und v = 1
ex = e−x )
h) 1
b ln |a + bex | + c (Subst.: u = a + bex )
1
i) arctan6 x + c (Subst.: u = arctan x, du
6
1
dx = 1+x2 )
√
1
j) 15 (1 + 2x)3 · (3x − 1) + c (P.I. mit u = x und v = 1 + 2x)
(Alternativ könnte man u = 1 + 2x substituieren, muss dann allerdings auch
x = 12 (u − 1) einsetzen.)
Um jeweils auf obiges Endergebnis zu kommen, muss man im Zwischenergeb-
nis 13 x(1+2x)3/2 − 15
1
(1+2x)5/2 +c noch den Ausdruck (1+2x)3/2 = (1 + 2x)3
ausklammern und die Klammer zusammenfassen.
k) x(ln x − 1)2 + x + c (P.I. mit u = ln x = v , also v = x(ln x − 1))
Man muss im Zwischenergebnis x ln x (ln x − 1) − x (ln x − 1) − x + c erst
x ausklammern und dann in der Klammer nochmals (ln x − 1) ausklammern,
um auf das Endergebnis zu kommen. (Beachte: ln x − 1 = ln(x) − 1.)
√
l) x arcsin x+ 1 − x2 +c (P.I. mit u = arcsin x und v = 1; beim entstehenden
Integral muss dann w = 1 − x2 substituiert werden.)
m) 12 arctan x+1
2 + c (Nenner erst quadratisch ergänzen, dann u = x+1 2 .)
406 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
x
n) arcsin 2 +c (x(t) = 2 sin t)
√
o) − 23 1 − x · (x + 2) + c (Subst.: u = 1 − x und x = 1 − u einsetzen!)
p) 1
2 ex (sin x − cos x) + c (zweifache P.I.)
q) − x+1
1
+c (Im Nenner des Integranden steht das Binom (x + 1)2 !)
r) 2
3 (ex + 1)3 + c (Subst.: u = ex + 1)
1
s) 2 arctan(x2 ) + c (Subst.: u = x2 )
t) 1 2
4 x (2 ln(3x) − 1) + c (P.I. mit u = ln(3x) und v = x)
√ √ du 1
u) 2 cosh( x) + c (Subst.: u = x, = √ )
dx 2 x
1
2
v) 4 ln(x2 ) +c (Subst.: u = ln(x2 ))
3
x−4
w) 1
2 ln (x+2)
x−2 (PBZ: x2 −4 = 1
2
3
x+2 − 1
x−2 )
x) 1
3cosh3 x − cosh x + c (Trick: sinh3 x = sinh2 x · sinh x = (cosh2 x − 1) · sinh x
= cosh2 x · sinh x−sinh x; beim ersten Summanden u = cosh x substituieren.)
= x + 2 ln(e−x + 1) − e−x + c.
408 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
= 25 · i5 = 32 · i2 · i2 · i = 32 i
11.9 Lösungen zu Kapitel 9 409
(1+ i)2 h) 2 i
i) Es ist 1+ i
1− i · 1+ i
1+ i = 1 2 − i2
= 2 = i, also müssen wir i 201 ausrechnen.
Fangen wir an mit i2 = −1, i3 = i2 · i = − i, i4 = i2 · i2 = (−1) · (−1) = 1.
Somit wiederholt sich diese Reihe ab i5 , denn i5 = i4 · i = 1 · i = i. Wir
müssen also nur schauen, wie oft die 4 in 201 steckt. Mit 201 = 4 · 50 + 1 folgt
1 + i 201
= i 201 = i 4 ·50+1 = i 4 ·50 · i1 = ( i4 )50 · i = 150 · i = i.
1− i
{ z ∈ C | Re z 2 } ∩ { z ∈ C | Im z < 1 }.
Beachte in Abbildung 11.12, dass der linke Rand mit zu M gehört, während der
obere Rand nicht dazu gehört.
Im
2
1
Re
0 1 2 3 4 5
−1 M
Abbildung 11.12
Lösung 9.4 Es sei z = a+b i mit a, b ∈ R. Am cleversten rechnet man wie folgt:
2 2 2
1 1 1 1 a − bi a − bi
= = = · =
z2 (a + b i)2 a + bi a + bi a − bi a 2 + b2
1 a 2 − b2 1 2ab
So oder so ist Re w = Re = und Im w = Im =− 2 .
z2 (a2 + b2 )2 z2 (a + b2 )2
410 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 9.5
d), e) Sowohl g als auch m sind bijektive Abbildungen, denn sie besitzen beide eine
Umkehrabbildung, und zwar g −1 (z) = z − i sowie m−1 (z) = 1+1
i · z. (Rechne
−1 −1
zur Kontrolle g ◦ g = idC = g ◦ g nach; ebenso für m.)
Lösung 9.6 Wir machen den allgemeinen Ansatz z −1 = c + d i und dröseln die
−1
Bedingung z · z = 1 in Komponenten auf:
z · z −1 = (a + b i) · (c + d i) = ac − bd + (ad + bc) i = 1C = 1 + 0 i.
!
Vergleich von Real- und Imaginärteil führt dann auf folgendes 2 × 2 –LGS:
I : ac − bd =1 a ·I+b ·II I : a 2 c + b2 c =a
−→
II : ad + bc =0 II : ad + bc =0
a
Aus I folgt c = a2 +b 2 , und einsetzen in II liefert (für a = 0): d = − bc −b
a = a2 +b2 .
Ist a = 0, so reduziert sich das LGS auf −bd = 1 und bc = 0, d.h. es ist d = − 1b
11.9 Lösungen zu Kapitel 9 411
und c = 0, was mit obiger Form für a = 0 übereinstimmt. Insgesamt erhält man
also dieselbe Formel für das Inverse:
a b
z −1 = c + d i = 2 − 2 i,
a + b2 a + b2
nur eben mit viel größerem Aufwand als durch Nenner reell machen“.
”
Lösung 9.7 Es sei z = a + b i und w = c + d i (mit a, b, c, d ∈ R).
(1) z + w = a + c + (b + d) i = a + c − (b + d) i = a − b i + c − d i = z + w.
z · w = ac − bd + (ad + bc) i = ac − bd − (ad + bc) i ist dasselbe wie
z · w = (a − b i) · (c − d i) = ac + bd i2 − ad i − bc i = ac − bd − (ad + bc) i.
(2) Es gilt z + z = a + b i + a − b i = 2a = 2 Re z. Teilen durch 2 liefert die
Behauptung.
Ebenso: z − z = a + b i − (a − b i) = 2b i = 2 i Im z. Teilen durch 2i liefert die
Behauptung.
Geometrische Interpretation: In Abbildung 11.13 erkennt man, dass der Pfeil
von z + z auf der reellen Achse liegt und die Länge 2 Re z besitzt.
Für z − z ergibt sich ein ähnliches Bild, nur dass der Pfeil hier auf der ima-
ginären Achse liegt.
(3) 3. Binom: z · z = (a + b i) · (a − b i) = a2 − (b i)2 = a2 + b2 ∈ R+
0.
Im
z
z+z Re
Re z 2 Re z
Abbildung 11.13
2 + 4i 1 1
= 50 · Im + Re 10 = 50 · Im + i + 10
2 2 + 42 10 5
1 1 1
= 50 · Im − i + 10 = 50 · − + 10 = −10 + 10 = 0.
10 5 5
412 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
a) b) Im c) 2 Im
Im
1 M2
z M3
M1 1 1
Re
0 1 Re Re
M1 0 1 0 1
Abbildung 11.15
und nach dem Satz des Pythagoras werden durch (x − 0)2 + (y − 0)2 = 1
alle Punkte (x | y) beschrieben, die zum Punkt (0 | 0) den Abstand 1 haben.
Diese bilden einen Kreis vom Radius 1 mit Mittelpunkt (0 | 0).
d.h. M2 ist ein Kreis mit Radius 1, dessen Mittelpunkt bei i, also im Punkt
(0 | 1) liegt.
c) M3 ist die grau getönte Menge. Beachte, dass der innere Kreis mit zu M3
zählt (wegen |z − i| 12 ), während der äußere Kreis nicht zu M3 gehört
(wegen |z − i| < 1).
⇐⇒ x2 − 2x + 1 = x2 + 2x + 1,
und die letzte Gleichung führt auf −2x = 2x, was nur durch x = 0 lösbar ist.
Da y beliebig ist (es fällt weg beim Umformen), folgt M4 = { (0 | y) | y ∈ R }.
414 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
x2 − 4x +4 − 4 + y 2 = (x − 2)2 − 4 + y 2 = 0,
also (x − 2)2 + (y − 0)2 = 4 = 22 . Somit ist M5 ein Kreis mit Radius 2 und
Mittelpunkt (2 | 0).
Lösung 9.12
a) Das multiplikative Neutralelement 1∗ = ee12 muss 1∗ ∗ x = x für alle x ∈ R2
erfüllen, d.h. es muss
e1 a e a ! a
∗ = 1 = für alle a, b ∈ R gelten.
e2 b e2 b b
Lösung 9.13
a) Beweis, dass die Eins eines Körpers eindeutig bestimmt ist: Angenommen
1
ist ein weiteres Neutralelement der Multiplikation. Dann folgt sofort
1 = 1·
1=
1,
und Addition der 1 auf beiden Seiten von (−1) · (−1) + (−1) = 0 ergibt
(−1) · (−1) = 1. Alternativ kann man auch rechnen
also ist x := (−1) · (−1) ein additives Inverses von −1. Da auch 1 diese
Eigenschaft hat, und additive Inverse eindeutig sind, folgt x = 1.
a)
c) Ausklammern liefert (−1) · a + a = (−1) · a + 1 · a = (−1 + 1) · a = 0 · a = 0,
d.h. (−1) · a ist das additive Inverse von a, sprich (−1) · a = −a.
c) (M4 ) b)
d) (−a) · (−b) = (−1) · a · (−1) · b = (−1) · (−1) · a · b = 1 · a · b = a · b
(Wo ging auch hier wieder stillschweigend das Assoziativgesetz ein?)
1 Da die 0 als Neutralelement bezüglich der Addition definiert ist, hat sie zunächst einmal gar
nichts mit der Multiplikation zu tun. Um eine Brücke zwischen beidem zu schlagen, muss also
irgendwo das Distributivgesetz eingehen, da es das einzige Axiom ist, welches + und · verbindet.
416 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 9.17
√
a) Es gilt (2 i)2 = −4 und 2 i ∈ H− , also ist −4 = 2 i. Darauf kommt man
auch, wenn man −4 als 4 eπ i schreibt und Satz 9.8 anwendet:
√ √ π
−4 = 4 e 2 i = 2 i.
√
Achtung: −2 i ist nicht −4, da der Winkel von −2 i nicht in [ 0 , π) liegt,
/ H− .
d.h. −2 i ∈
(Wer sorglos mit dem Wurzelzeichen umgeht, kann auch einfach schreiben:
√ ! √ √
−4 = 4 · (−1) = 4 · −1 = 2 i,
e) Wieder wandeln wir zuerst in Polarform um: Betrag |z| = 32 + (−4)2 = 5
und Argument ϕ = tan−1 ( −4 ◦ ◦
3 ) = −53,1 = 306,9 (gerundet; exakter Wert
gespeichert).
√ √ √ 306,9◦
3 − 4 i = 5 e306,9◦ i = 5 e 2 i
√ ◦
◦
TR
= 5 cos 306,9 2 + i sin 306,9
2 = −2 + i
√ √
√ √ Bereits
Lösung 9.18 √ für√z = w = −1 ist z · w = (−1) · (−1) = 1 = 1,
während z · w = −1 · −1 = i · i = −1 ist. Als Beispiel für die Division
eignet sich z = 1 und w = −1:
√ √
z 1 √ 1 1 z
= = −1 = i = = √ = √ .
w −1 i −1 w
11.9 Lösungen zu Kapitel 9 417
√ √ √ √
Da beide Ausdrücke z · w und − z · w die Gleichung ♥2 = z · w lösen (wie
man sofort durch Einsetzen
√ sieht), muss nach Satz 9.8 (und Definition 9.9) einer
von beiden die Wurzel z · w sein.
Lösung 9.19
√ √ 2
a) ⇒“ Sei z = r ∈ R+ 0 . Dann ist z = z = r2 natürlich auch reell und
”
nicht negativ.
√ √ 0 √
⇐“ Ist umgekehrt z = r e0 i ∈ R+ 0 , dann ist auch z = r e 2 i = r ∈ R+
0,
”
da es sich um die gewöhnliche reelle Quadratwurzel handelt.
√ √
b) ⇒“ Sei z = b i rein imaginär mit b ∈ R+ (b > 0, da z ∈ H− gelten
” √ 2
muss; spielt hier aber keine Rolle). Dann ist z = z = (b i)2 = −b2 < 0,
also z ∈ R− .
√ √ √
⇐“ Für z = −a ∈ R− ist z = −a = a i rein imaginär (siehe 9.17 b)).
”
√
Lösung 9.20 Wir führen das Anwenden der Formel nur am Beispiel von 3 − 4 i
vor. Es ist a = 3, b = −4, also sgn(b) = −1. Mit |3 − 4 i| = 5 ergibt sich
|z| + a |z| − a 5+3 5−3 √ √
+ sgn(b) i= − i = 4 − 1 i = 2 − i.
2 2 2 2
√
Da dieses Ergebnis nicht in H− liegt, gilt 3 − 4 i = −(2 − i) = −2 + i.
Herleitung der Formeln (nach [Kön]): Für z = a + b i (mit a, b ∈ R) suchen wir
Lösungen w = x + y i (x, y ∈ R) der Gleichung
w2 = z , d.h. (x + y i)2 = a + b i.
!
Ausführen des Quadrats liefert x2 + 2xy i + (y i)2 = x2 − y 2 + 2xy i = a + b i .
Vergleichen von Real- und Imaginärteil führt auf das reelle Gleichungspaar
Um dieses elegant zu lösen, beachten wir, dass aus w2 = z auch |w|2 = |w2 | = |z|
folgt, d.h.
(3) + (1) und (3) − (1) führt dann auf 2x2 = |z| + a und 2y 2 = |z| − a , also
gilt für den Real- und Imaginärteil des gesuchten w = x + y i
|z| + a |z| − a
x=± und y=± .
2 2
Nun haben wir allerdings Gleichung (2) noch gar nicht verwendet. Diese sagt uns,
welche Vorzeichen von x und y wir zu wählen haben. Ist b > 0, dann müssen x
418 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
und y wegen 2xy = b jeweils dasselbe Vorzeichen besitzen, also ist oben (+,+)
bzw. (−,−) auszuwählen; im Falle b < 0 muss (+,−) bzw. (−,+) gewählt werden.
Dies wird durch die Signumfunktion√ kompakt
√ ausgedrückt. Im √ Spezialfall
b = 0 ist
z = a ∈ R, und es gilt bekanntlich z = a für a 0 und z = |a| i für a < 0,
was auch die obigen Formeln für x und y liefern (überprüfe dies).
Schließlich muss man zur Kontrolle noch nachrechnen, dass mit diesen Zahlen x
und y (mit geeigneten Vorzeichen) tatsächlich w2 = (x + y i)2 = z gilt (ÜA).
Lösung 9.21 Mit Eulers Identität ist der Beweis von de Moivres Formel ein
Kinderspiel, denn
Lösung 9.22
a) eϕ i = cos ϕ + i sin ϕ = cos ϕ−i sin ϕ = cos(−ϕ)+i sin(−ϕ) = e−ϕ i , wobei die
Symmetrieeigenschaften von Cosinus und Sinus eingehen: cos(−ϕ) = cos ϕ
(Achsensymmetrie zur y-Achse) und sin(−ϕ) = − sin ϕ (Punktsymmetrie
zum Ursprung). Geometrisch: Den Pfeil von eϕ i an der reellen Achse zu
spiegeln bedeutet, das Vorzeichen des Winkels umzudrehen.
b) Für z = eϕ i ist laut a) z = e−ϕ i und somit folgt wegen eϕ i = cos ϕ + i sin ϕ
1 1
(z + z) = (eϕ i + e−ϕ i )
9.7
cos ϕ = Re z =
2 2
9.7 1 1 ϕi
sin ϕ = Im z = (z − z) = (e − e−ϕ i ).
2i 2i
Wer sich an die Formeln für Real- und Imaginärteil nicht mehr erinnert, kann
natürlich auch einfach die Euler-Identität in die rechte Seite der zu zeigenden
Gleichungen einsetzen und so lange umformen, bis cos ϕ bzw. sin ϕ da steht.
Lösung 9.23
a) Methode (i): Für n = 2 lautet die Formel von de Moivre
gilt. Vergleich von Real- und Imaginärteil der rechten Seiten liefert die Dop-
pelwinkelformeln.
11.9 Lösungen zu Kapitel 9 419
Methode (ii): Wir setzen die Beziehungen aus voriger Aufgabe in die rechten
Seiten ein.
1 ϕi 1 ϕi
(e + e−ϕ i ) ·
2 cos ϕ sin ϕ = 2 · (e − e−ϕ i )
2 2i
1 ϕi 2
= (e ) − (e−ϕ i )2 (3. Binom)
2i
1 2ϕ i
= e − e−2ϕ i = sin 2ϕ (nach 9.22 b))
2i
2 2
1 ϕi −ϕ i 1 ϕi −ϕ i
cos ϕ − sin ϕ =
2 2
(e + e ) − (e − e )
2 2i
1 ϕi 2
= (e ) + 2eϕ i · e−ϕ i + (e−ϕ i )2
4
1 ϕi 2
− (e ) − 2eϕ i · e−ϕ i + (e−ϕ i )2
−4
1 2ϕ i
= e + 2e0 + e−2ϕ i + e2ϕ i − 2e0 + e−2ϕ i
4
1 2ϕ i 1 2ϕ i
= 2e + 2e−2ϕ i = e + e−2ϕ i = cos 2ϕ
4 2
b) Hier musst du (cos ϕ + i sin ϕ)3 gemäß (a + b)3 = a3 + 3a2 b + 3ab2 + b3 auf-
dröseln und dann mit der de Moivre-Formel für n = 3 Real- und Imaginärteil
vergleichen. [. . . ]
Lösung 9.24
b) Geht vollkommen analog zu a) und meine Lust, das nochmal zu tippen, hält
sich in Grenzen. . .
420 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Wendet man nun auf beiden Seiten die Euler-Identität an, so steht da
eϕ i · eθ i = e(ϕ+θ) i .
Dies ist genau das Additionstheorem für die komplexe e-Funktion, das man zei-
gen wollte, allerdings nur für den Spezialfall rein imaginärer Exponenten (und 0).
Die Fußnote in der Aufgabenstellung zur Beweislogik sollte man aber unbedingt
beachten.
Lösung 9.26
√
4± (−4)2 − 4 · 5 4 ± −4 4 ± 2 i
a) z1,2 = = = =2± i
2 2 2
b) Um den Rechenaufwand zu reduzieren, teilt man beide Seiten der Gleichung
durch 5 und erhält als äquivalente Gleichung z 2 − (1 + 2 i)z − 1 + i = 0.
Lösungsformel anwenden:
√
1 + 2 i ± (−(1 + 2 i))2 − 4 · (−1 + i) 1 + 2i ± 1
z1,2 = = ,
2 2
also ist die Lösungsmenge L = { 1 + i , i }.
Lösung 9.27 Das Polynom f (z) = (z −(1−i)) · (z −(4+3 i)) besitzt offenbar die
gewünschten Zahlen als Nullstellen. Somit ist f (z) = 0 die gesuchte quadratische
Gleichung und Ausmultiplizieren führt auf
Zur Kontrolle kann man die Lösungsformel auf diese Gleichung anwenden:
√
5 + 2 i ± (−(5 + 2 i))2 − 4 · (7 − i) 5 + 2 i ± −7 + 24 i
z1,2 = =
2 2
5 + 2 i ± (3 + 4 i)
= (Aufgabe 9.20), d.h. L = { 4 + 3 i , 1 − i }.
2
Lösung 9.28 Wir setzen einfach nur die Zahlen k = 1, . . . , 5 in die Formel
2π
ζk = ek 5 i für die fünften Einheitswurzeln ein:
2π 4π 10π
i i i
ζ1 = e 5 , ζ2 = e 5 , ... , ζ5 = e 5 = 1.
Im
1
ζ1
ζ2
72◦ ζ5 Re
−1 1
ζ3
ζ4
−1
Abbildung 11.16
◦
Der Pfeil von ζk+1 entsteht durch Drehung des ζk -Pfeils um 2π5 = 72 . Die Pfeile
der ζk zeigen somit auf die Eckpunkte eines regelmäßigen Fünfecks (siehe Abbil-
dung 11.16).
√
Lösung √ 9.29 Wir wandeln die rechte Seite der Gleichung, c = −32 + 32 3 i =
32(−1 + 3 i), zunächst in Polarform um:
√
√ 2
|c| = 32 (−1)2 + 3 = 64, ϕ = tan−1 32 −32
3
∈ − π3 + πZ.
Im ζ w
1
ζ2 w
w = ζ6 w
20◦
Re
−2 −1 1 2
ζ3 w
ζ5 w
ζ4 w
Abbildung 11.17
In Abbildung 11.17 ist die Lösungsmenge grafisch dargestellt. Das regelmäßige Ein-
heitssechseck, welches zur Kreisteilungsgleichung z 6 = 1 gehört, wurde um den
Faktor 2 gestreckt und um π9 = 20◦ gegen den Uhrzeigersinn gedreht, was einer
π
Multiplikation der ζk mit w = 2 e 9 i entspricht.
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 423
(S2 ) Wenden wir komponentenweise das Distributivgesetz (D) von K an, so folgt
v1 + w 1 λ · (v1 + w1 ) (D) λ · v1 + λ · w1
λ ∗ (v ⊕ w) = λ ∗ = =
v2 + w2 λ · (v2 + w2 ) λ · v2 + λ · w2
λ · v1 λ · w1
= ⊕ = (λ ∗ v) ⊕ (λ ∗ w)
λ · v2 λ · w2
für beliebige λ ∈ K und v, w ∈ V .
424 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
(S3 ) Ebenso leicht verifiziert man auch (S3 ): Für λ, μ ∈ K und v ∈ V gilt
v (λ + μ) · v1 (D) λ · v1 + μ · v1
(λ + μ) ∗ v = (λ + μ) ∗ 1 = =
v2 (λ + μ) · v2 λ · v2 + μ · v2
λ · v1 μ · v1 v v
= ⊕ = λ ∗ 1 ⊕ μ ∗ 1 = (λ ∗ v) ⊕ (μ ∗ v).
λ · v2 μ · v2 v2 v2
(S4 ) Auch dieser Nachweis gelingt problemlos, wenn man komponentenweise das
Assoziativgesetz (M1 ) der K-Multiplikation verwendet:
v (λ · μ) · v1 (M1 ) λ · (μ · v1 )
(λ · μ) ∗ v = (λ · μ) ∗ 1 = =
v2 (λ · μ) · v2 λ · (μ · v2 )
μ · v1 v
=λ∗ =λ∗ μ∗ 1 =λ∗ μ∗v .
μ · v2 v2
Lösung 10.3
a) Geht wörtlich wie bei Körpern. Angenommen, 0̃V wäre ein weiterer Nullvek-
tor. Dann folgt, da sowohl 0V wie auch 0̃V Neutralelemente der Addition
sind, dass 0̃V = 0̃V ⊕ 0V = 0V sein muss.
Ist ṽ ein weiterer Gegenvektor zu v, d.h. gilt ṽ ⊕ v = 0V , so folgt
−λ ∗ v ⊕ λ ∗ v = (−λ + λ) ∗ v = 0K ∗ v = 0V ,
Lösung 10.4
a) Dass V ein Unterraum von sich selbst ist, ist klar.
Der Nullraum {0V } ist abgeschlossen unter +, da 0V + 0V = 0V ist, und da
λ · 0V = 0V für alle λ ∈ K gilt (siehe Aufgabe 10.3), ist er auch abgeschlossen
unter Skalarmultiplikation. Nach dem Unterraum-Kriterium ist der Nullraum
also ein Unterraum von V ; welch eine Überraschung.
b) Für zwei Elemente λ · u und μ · u von U = !u"K gilt nach (S3 )
λ · u + μ · u = (λ + μ) · u ∈ U,
Lösung 10.6 Es seien (an ) und (bn ) konvergente Folgen. Nach Grenzwertsatz
(G1 ) ist dann auch die Summenfolge (an + bn ) konvergent, sprich (an + bn ) ∈ SR, c .
Betrachtet man λ ∈ R als konstante Folge (λ), so liefert Grenzwertsatz (G2 ), dass
auch λ · (an ) = (λan ) konvergiert, d.h. λ · (an ) ∈ SR, c . Somit ist SR, c ein Unterraum
des Folgenraums SR .
Lösung 10.8 Un = !xn "K , n ∈ N. Oder Pn, K , n ∈ N, d.h. die Vektorräume der
Polynome vom Grad < n.
Lösung 10.10
a) Folgt aus der Definition von ∩: Sind u, u ∈ U ∩ U , so liegen u und u sowohl
in U als auch in U . Weil beides Unterräume sind, folgt u + u ∈ U und
u + u ∈ U , also auch u + u ∈ U ∩ U . Ebenso für λ · u.
u = (u + u ) − u ∈ U .
Lösung 10.11 Genauer sollte es heißen: Das System der Vektoren v1 , . . . , vn ist
linear unabhängig. Die Aussage die Vektoren v1 , . . . , vn sind linear unabhängig“
”
könnte man, wenn man böswillig ist, auch so missverstehen, dass jeder einzelne
Vektor dieser Liste linear unabhängig ist, was dann nur bedeuten würde, dass
keiner dieser Vektoren der Nullvektor ist. Auf solche Pedanterien werden wir uns
im Folgenden allerdings nicht mehr einlassen.
Lösung 10.13 Wir stellen den Nullvektor als Linearkombination der drei gege-
benen Vektoren dar. Wir versuchen also alle Skalare λ1 , λ2 , λ3 ∈ Q zu finden, die
λ1 · v1 + λ2 · v2 + λ3 · v3 = 0Q3 erfüllen, d.h.
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 1/2 1 0
λ1 · ⎝3⎠ + λ2 · ⎝1/4⎠ + λ3 · ⎝−2⎠ = ⎝0⎠ .
5 2 3 0
Dies führt auf das folgende lineare Gleichungssystem.
1
λ1 + 2 λ2 + 1λ3 =0 (I)
3λ1 + 1
4 λ2 − 2λ3 =0 (II)
5λ1 + 2λ2 + 3λ3 =0 (III)
Wie man solche LGS löst, hast du (hoffentlich !) in der Schule bis zum Erbrechen
geübt. Wir bringen es auf Stufenform, indem wir zunächst Gleichung (II) durch
(IIa) = (II)−3 ·(I) und (III) durch (IIIa) = 5 ·(I)−(III) ersetzen (wer keine Brüche
mag, multipliziert davor mit 2 bzw. 4 durch):
1
λ1 + 2 λ2 + 1λ3 =0 (I)
− 5
4 λ2 − 5λ3 =0 (IIa)
1
2 λ2 + 2λ3 =0 (IIIa).
Damit ist das LGS unterbestimmt, wir können also z.B. in (IIa) λ3 = t ∈ Q
frei wählen und erhalten λ2 = −4t, was beides eingesetzt in Gleichung (I) auf
λ1 = − 12 λ2 − λ3 = 2t − t = t führt.
Somit ist die Lösungsmenge L = { (t, − 4t, t) | t ∈ Q }, und für jedes t = 0 erhalten
wir eine nicht-triviale Lösung des LGS (eine genügt bereits!), d.h. die Vektoren
v1 , v2 , v3 sind linear abhängig. Für t = 1 ergibt sich 1 · v1 − 4 · v2 + 1 · v3 = 0Q3 , also
ist v1 = 4 · v2 − 1 · v3 eine mögliche Linearkombination.
428 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 10.14 Wenn das System linear abhängig ist, gibtes eine nicht-triviale
n
Linearkombination des Nullvektors, λ1 · v1 + . . . + λn · vn = i=1 λi · vi = 0V mit
mindestens einem λj = 0. Wir lösen nach λj · vj auf, indem wir alle anderen Sum-
manden auf die rechte Seite bringen:
λj · vj = − λi · v i = (−λi ) · vi ,
i
=j i
=j
1 λ i
vj = · (−λi ) · vi = − · vi ,
λj λj
i
=j i
=j
Lösung 10.16 Die n Monome 1, x, . . . , xn−1 sind nach Beispiel 10.13 für jedes
beliebige n ∈ N linear unabhängig.
Es sei ei = (0, . . . , 1, 0, . . . ) ∈ SR die Folge, deren i-tes Folgenglied 1 ist und die
sonstigen 0 sind. Die Folgen e1 , . . . , en sind dann für jedes beliebige n ∈ N linear
unabhängig. Denn λ1 · e1 + . . . + λn · en ist die Folge (λ1 , λ2 , . . . , λn , 0, . . . ), und
diese ist genau dann die Null-Folge, wenn λ1 = λ2 = . . . = λn = 0 gilt.
Natürlich kann man die Polynome wieder als reellwertige Funktionen auffassen,
d.h. R[x] ⊂ FR , und somit sind auch die Monome xn linear unabhängig in FR . Es
lohnt sich jedoch, noch ein weiteres Beispiel zu geben, allein um die punktweise
Verknüpfung in FR besser zu verstehen. Wie in der Anleitung definiert, betrachten
wir die charakteristischen Funktionen χk : R → R mit
1 wenn x ∈ Ik = ( k − 1 , k )
χk (x) =
0 wenn x ∈ / Ik
und weisen deren lineare Unabhängigkeit nach. In Abbildung 11.19 ist zur besse-
ren Veranschaulichung die Linearkombination = 12 · χ1 + χ2 − χ3 grafisch darge-
stellt. Setzt man in diese zum Beispiel x1 = 0,8 ∈ I1 ein, so erhält man (x1 ) =
2 · χ1 (x1 ) + χ2 (x1 ) − χ3 (x1 ) = 2 + 0 + 0 = 2 . Offensichtlich ist diese Linear-
1 1 1
kombination nicht die Nullfunktion. Wenn du dieses Bild im Kopf hast, wird dir
auch die folgende Verallgemeinerung nicht schwer fallen, wo wir zeigen, dass keine
nicht-triviale Linearkombination der χi die Nullfunktion ergeben kann.
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 429
χ2
1 1
2 χ1
−1 0 1 2 3
−χ3
−1
Abbildung 11.19
(xk ) = λ1 χ1 (xk )+. . .+λk χk (xk )+. . .+λn χn (xk ) = 0+. . .+λk 1+. . .+0 = λk .
Weil die Nullfunktion ist, muss (xk ) = 0 sein, woraus λk = 0 folgt. Dies zeigt
λ1 = . . . = λn = 0, also sind die charakteristischen Funktionen χ1 , . . . , χn linear
unabhängig.
Lösung 10.17 Die Umkehrung lautet: Lässt sich für ein System v1 , . . . , vn ∈ V
von Vektoren eines K-Vektorraums V jeder Vektor v ∈ V eindeutig als Linearkom-
bination der vi darstellen, so bildet dieses System eine Basis B von V .
Beweis: Da sich jeder Vektor als B-Linearkombination darstellen lässt, ist B ein
Erzeugendensystem. Zum Nachweis der linearen Unabhängigkeit von B betrachten
wir eine Linearkombination des Nullvektors: 0V = λ1 · v1 + . . . + λn · vn . Da auch
0V = 0 · v1 + . . . + 0 · vn gilt, folgt aus der vorausgesetzten Eindeutigkeit der Dar-
stellung λi = 0 für alle 1 i n, d.h. die lineare Unabhängigkeit von B. Somit
ist B ein linear unabhängiges Erzeugendensystem, also eine Basis von V .
Lösung 10.18 Nachweis mit Hilfe des Unterraum-Kriteriums, dass E ein Un-
terraum ist: Offensichtlich ist der Nullvektor in E enthalten, also ist E = ∅. Sind
x, y ∈ E, so folgt für deren Summe x + y = (x1 + y1 , x2 + y2 , x3 + y3 )t ∈ K3 unter
Verwendung von Distributiv- und Kommutativgesetz in K
also gilt auch x + y ∈ E. Sind x ∈ E und λ ∈ K, so folgt für das skalare Vielfache
λ · x = (λx1 , λx2 , λx3 )t ∈ K3 unter Verwendung von Assoziativ- und Distributiv-
430 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
gesetz in K
Damit lässt sich jedes x ∈ E als Linearkombination der zwei Vektoren u und
v darstellen, die zudem beide in E liegen (überzeuge dich hiervon). Die lineare
Unabhängigkeit von u und v sollte aufgrund der 1- und 0-Verteilung offensichtlich
sein (falls nicht, führe den Nachweis schriftlich). Damit ist u, v eine Basis von E,
d.h. dimK E = 2. E lässt sich nun auch etwas anschaulicher darstellen als
E = { λ · u + μ · v | λ, μ ∈ K },
was eine Ebene im K3 beschreibt. Für K = R hast du E bereits gründlich in der
Schulgeometrie studiert: Es handelt sich um eine Ebene mit Normalenvektor #» n,
die durch den Ursprung verläuft. Denn die definierende Bedingung von E ist nichts
anderes als #»
x · #»
n = 0, wobei der Malpunkt hier für das Skalarprodukt von Vektoren
im R steht.
3
Lösung 10.20 Erste Möglichkeit: Es ist −v = (−1) · v nach Aufgabe 10.3, und
da man Skalare aus linearen Abbildungen rausziehen“ kann, folgt
”
ϕ(−v) = ϕ((−1) · v) = (−1) · ϕ(v) = −ϕ(v).
Lösung 10.21 ⇒“ Sei zuerst ϕ als K-linear vorausgesetzt. Dann folgt durch
”
schrittweise Ausnutzung der beiden Linearitäts-Bedingungen aus Definition 10.8
wobei mehrfach das Vektorraumaxiom (S1 ) verwendet wurde. Die zweite Linea-
ritätsbedingung ϕ(λ · u) = λ · ϕ(u) folgt einfach durch Einsetzen von μ = 0.
Lösung 10.22 Der Induktionsanfang (IA) für n = 2 wurde bereits in der vori-
gen Aufgabe erbracht. n n
Es gelte nun also ϕ i=1 λi · vi = i=1 λi · ϕ(vi ) für irgendein 2 n ∈ N für
alle v1 , . . . , vn ∈ V und λ1 , . . . , λn ∈ K (Induktionsvoraussetzung (IV)).
Induktionsschritt: Für die Linearkombination von n + 1 Vektoren ergibt sich dann
unter Verwendung von (IA) und (IV)
n+1
n
ϕ λi · v i =ϕ λi · vi + λn+1 · vn+1
i=1 i=1
(IA)
n
= ϕ λi · v i + λn+1 · ϕ(vn+1 )
i=1
n
n+1
(IV)
= λi · ϕ(vi ) + λn+1 · ϕ(vn+1 ) = λi · ϕ(vi )
i=1 i=1
Lösung 10.24 In Abbildung 11.20 kann man geometrisch erkennen, dass σ ad-
ditiv, d.h. verträglich mit der Addition ist. Verträglichkeit mit der Skalarmultipli-
kation soll sich jeder selber vorstellen.
x2
u+v
u
v
x1
σ(v)
σ(u)
σ(u + v) = σ(u) + σ(v)
Abbildung 11.20
Lösung 10.25 Die Q-Linearität von ϕ verifiziert man durch direktes Nachrech-
nen: Der Übersichtlichkeit halber zeigen wir hier nur die Additivität, dazu seien
q = (q1 , q2 , q3 )t und r = (r1 , r2 , r3 )t Vektoren im Q3 :
⎛ ⎞
q1 + r1 2(q + r ) + (q + r )
ϕ(q + r) = ϕ ⎝q2 + r2 ⎠ = 1 1 1 2 2
2 (q 2 + r 2 ) − (q 3 + r 3)
q 3 + r3
(2q1 + q2 ) + (2r1 + r2 ) 2q1 + q2 2r1 + r2
= = + ,
( 12 q2 − q3 ) + ( 12 r2 − r3 ) 2 q2 − q3
1
2 r2 − r3
1
was nichts anderes als ϕ(q) + ϕ(r) ist. Ebenso direkt kann man ϕ(λ · q) = λ · ϕ(q)
für q ∈ Q3 und λ ∈ Q nachrechnen.
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 433
Lösung 10.26 Hinter der Linearität der Limesbildung verstecken sich nur die
Grenzwertsätze: Sind nämlich (an ) und (bn ) konvergente Folgen mit Grenzwerten
a bzw. b, so konvergiert die Summenfolge nach (G1 ) gegen a + b, d.h. es ist
Weiterhin ist (λan ) = (λ) · (an ), wobei (λ) die konstante Folge mit λ als Folgen-
gliedern (und Limes λ) bezeichnet. Nach dem Produkt-Grenzwertsatz (G2 ) folgt
(Beachte: Der erste Malpunkt in obiger Rechnung steht für die Skalarmultiplikation
in SR,c , während der zweite Malpunkt das Produkt von Folgen bezeichnet.)
(λ · ϕ)(v) := λ · ϕ(v) ∈ W.
434 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Da der Kern also der Aufspann des einen Vektors (−1, 2, 1)t = 0Q3 ist, besitzt er
Dimension 1, und die Dimensionsformel liefert
dimQ im ϕ = dimQ Q3 − dimQ ker ϕ = 3 − 1 = 2,
und wieder nach (∗) folgt im ϕ = Q2 , d.h. ϕ ist surjektiv.
(3) Der Kern des Limes-Homomorphismus : SR,c → R, (an ) → limn→∞ an , be-
steht genau aus den Nullfolgen, denn genau diese erfüllen limn→∞ an = 0. Das Bild
von ist ganz R, denn jede reelle Zahl r ∈ R kommt als Limes einer reellwertigen
Folge vor, am einfachsten als Limes der konstanten Folge (r).
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 435
Lösung 10.30
a) Die Dimensionsformel liefert in diesem Fall
Vor.
dimK ker ϕ = dimK V − dimK im ϕ > dimK W − dimK im ϕ.
Da im ϕ ein Untervektorraum von W ist, ist seine Dimension höchstens
dimK W . Somit ist dimK W − dimK im ϕ 0, und es folgt dimK ker ϕ > 0.
Folglich besitzt ϕ nicht-trivialen Kern und ist demnach nicht injektiv.
b) Es folgt analog zu a)
Vor.
dimK im ϕ = dimK V − dimK ker ϕ < dimK W − dimK ker ϕ dimK W.
Somit ist dimK im ϕ < dimK W , also kann im ϕ nicht ganz W sein, da es sonst
die gleiche Dimension haben müsste. Demnach ist ϕ nicht surjektiv.
c) Sei ϕ injektiv, d.h. ker ϕ = {0V }, sprich dimK ker ϕ = 0. Die Dimensions-
formel liefert dimK im ϕ = dimK V − 0 = dimK V , was nach Voraussetzung
dimK W ist. Mit (∗) ergibt sich im ϕ = W , also die Surjektivität von ϕ. Die
Umkehrung (ii) =⇒ (i) zeigt man völlig analog (man hätte auch gleich alle
Argumente mit ⇐⇒“-Pfeilen versehen können).
”
Für dimK V = ∞ versagt dieses Argument. So ist zum Beispiel der Ab-
leitungsoperator dxd
: R[x] → R[x] surjektiv, aber nicht injektiv (überlege,
warum!). Ein Beispiel für eine injektive, aber nicht surjektive lineare Abbil-
dung ist der Rechtsshift
ρ : SR → SR , (a1 , a2 , . . . ) → (0, a1 , a2 , . . . ).
In im ρ fehlen offenbar die Folgen, die als erstes Glied keine 0 besitzen, also
ist ρ nicht surjektiv. Die Injektivität ist offensichtlich.
Lösung 10.32 Die Bilder der Basisvektoren bzw. deren Koordinaten bezüglich
der Bildbasis kommen in die Spalten der Matrix.
436 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
a) Für jedes vi ist o(vi ) = 0V = 0 · v1 +. . .+0 · vn , also ist (o(vi ))B = (0, . . . , 0)t ,
d.h. die n × n-Matrix der Nullabbildung besitzt wie zu erwarten die Gestalt
⎛ ⎞
0 ... 0
⎜ .. . . .. ⎟ .
B (o)B = ⎝ . . . ⎠
0 ... 0
id(v2 ) = v2 = 0 · v1 + 1 · v2 + 0 · v3 + . . . + 0 · vn ,
d.h. (id(v2 ))B = (0, 1, 0, . . . , 0)t = e2 . Allgemein gilt (id(vi ))B = ei (der i-te
Standardbasisvektor im Kn ) für jedes 1 i n. Die Matrix der Identität
besitzt damit in jeder Basis B die Gestalt
⎛ ⎞
⎜
1 0
⎟
⎜ 1 ⎟
(id) = e e . . . e = ⎜ ⎟,
B B 1 2 n ⎜ .. ⎟
⎝ . ⎠
0 1
wobei die großen Nullen für alle Einträge (= 0) außerhalb der Hauptdiago-
nalen stehen.
c) Diesmal ist die geänderte Reihenfolge der Vektoren in der Bildbasis zu be-
achten: Hier ist
und die Matrix der Identität ist nun eine nicht-triviale Permutationsmatrix
⎛ ⎞
0 1 0
C (id)B =
⎝ 0 0 1 ⎠.
1 0 0
was wie zu erwarten dem Ergebnis der direkten Rechnung entspricht, denn
i · (2 − 3 i) = 2 i − 3 i2 = 3 + 2 i .
e) Wie in der vorigen Teilaufgabe gilt μ i (1) = i · 1, was hier jedoch schon die
Darstellung in der gegebenen C-Basis von C ist. D.h. (μ i ( i ))B = ( i ) und
die C-Matrix der Multiplikation mit i ist gegeben durch
B (μ i )B = ( i ).
C (μ i )B
= (−1).
√ √ √
g) Es gilt μ√2 (1) = 2 · 1 = 2 = 0 · 1 + 1 · 2, d.h. (μ√2 (1))B = (0, 1)t , sowie
√ √ √ √ √
μ√2 ( 2) = 2 · 2 = 2 = 2 · 1+0 · 2, d.h. (μ√2 ( 2))B = (2, 0)t . Als Matrix
ergibt sich
(μ √ ) = 0 2 .
B 2 B 1 0
Viel angenehmer ist es, dieses Ergebnis durch Anwenden des Matrix-Vektor-
Produkts zu berechnen. Es ist
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 −1 1 1 −4
(τ (p))B = B (τ )B · (p)B = ⎝0 1 −2⎠ · ⎝ 3⎠ = ⎝ 7⎠ ,
0 0 1 −2 −2
Lösung 10.33
a) Die Matrixdarstellung lautet
⎛ ⎞
2 −3 −1
A = B (ϕ)B = ⎝ 0 −1 0⎠ .
−1 1 2
Durch geschickte Wahl der Basis kann man hier also die darstellende Matrix
schön einfach aussehen lassen.
Anmerkung: Einen Vektor v, der bei Anwendung von ϕ in ein Vielfaches
λ · v von sich selbst übergeht, nennt man Eigenvektor und das zugehörige
λ heißt Eigenwert. Wie man solche Eigenvektoren bestimmen kann und für
welche linearen Abbildungen es wie in dieser Aufgabe sogar Basen aus Eigen-
vektoren gibt, untersucht man in der sogenannten Eigenwerttheorie.
Lösung 10.34
a) Durch mehrfaches Anwenden der Kippregel erhält man:
1 2 1 2 3
·
3 4 −1 −2 −3
1 · 1 + 2 · (−1) 1 · 2 + 2 · (−2) 1 · 3 + 2 · (−3) −1 −2 −3
= = .
3 · 1 + 4 · (−1) 3 · 2 + 4 · (−2) 3 · 3 + 4 · (−3) −1 −2 −3
Ferner ist σ1 ◦ σ2 = σ2 ◦ σ1 , wie man sich leicht überlegt (geometrisch oder formal).
440 11 Lösungen zu den Übungsaufgaben
Lösung 10.36
a) Wir prüfen das Unterraum-Kriterium 10.1. Zunächst ist wegen 1C ∈ C die
Menge C nicht leer und die Rechnung
a −b c −d a + c −(b + d)
+ = ∈C
b a d c b+d a+c
zeigt, dass die Summen von Matrizen aus C wieder in C liegen. Ebenso sieht
man, dass reelle skalare Vielfache von Matrizen aus C wieder ein Element
aus C ergeben:
a −b λ a −(λ b)
λ· = ∈ C.
b a λb λa
Folglich ist C ein Untervektorraum von Mat2×2, R und damit wieder selbst
ein R-Vektorraum. Die Zerlegung
a −b a 0 0 −b
= + = a · 1C + b · I
b a 0 a b 0
für a, b ∈ R zeigt, dass die Matrizen 1C , I ein Erzeugendensystem von C
bilden. Um die lineare Unabhängigkeit der beiden Matrizen nachzuweisen,
betrachten wir eine R-Linearkombination des Nullvektors von C , also der
2 × 2−Nullmatrix: λ · 1C + μ · I = 0C , d.h. ausgeschrieben
1 0 0 −1 λ −μ ! 0 0
λ· + μ· = = .
0 1 1 0 μ λ 0 0
Durch Vergleich der Matrixeinträge folgt λ = μ = 0. Somit ist (1C , I) eine
R-Basis von C .
Um den geforderten Isomorphismus ϕ : C → C zu definieren, ziehen wir Satz
10.6 heran. Laut diesem müssen wir nur vorgeben, was mit den Basisvektoren
von C geschieht. Wir setzen ϕ(1C ) := 1 sowie ϕ(I) := i, und Satz 10.6 liefert
uns eine eindeutige lineare Abbildung ϕ : C → C welche dies fortsetzt, und
zwar ϕ(a · 1C + b · I) = a + b i. Weil zudem ϕ eine R-Basis von C auf eine
R-Basis von C abbildet, ist ϕ ein Isomorphismus (vergleiche die Bemerkung
nach Satz 10.2).
b) Für Z, W ∈ C zeigt folgende Rechnung, dass auch Z · W in C liegt:
a −b c −d ac + (−b)d a(−d) + (−b)c
Z ·W = · =
b a d c bc + ad b(−d) + ac
ac − bd −(ad + bc)
= ∈ C.
ad + bc ac − bd
Wie in der Aufgabenstellung schon erwähnt, gelten alle weiteren Algebren-
Eigenschaften wie z.B. Assoziativität, Distributivität etc. die in A2, R gelten,
auch in der Teilmenge C . Weil zudem die Einheitsmatrix 1C , also das Neu-
tralelement der Multiplikation von A2, R , in C liegt, ist C selbst wieder eine
(assoziative) R-Algebra mit Eins.
11.10 Lösungen zu Kapitel 10 441
Man kann leicht nachrechnen, dass diese Matrix Z −1 tatsächlich das multi-
plikative Inverse von Z ist, also dass Z · Z −1 = 1C gilt. Eleganter geht dies
unter Verwendung der Multiplikativität von ϕ:
Logarithmusfunktion konvergente, 83
allgemeine, 193 Riemann-Integral, 156
Rotationskörper, 151
Mächtigkeit, 37
Majorantenkriterium, 95 Schiefkörper, 242
Matrix, 297 Schnittmenge, 40
inverse, 316 Sinus hyperbolicus, 214
Rang, 317 Sinus und Cosinus
Matrixprodukt, 308 Ableitung, 122
Menge, 37 Additionstheoreme, 254
Monomorphismus, 288 Doppelwinkelformeln, 254
Monotonieprinzip, 76 Taylorreihe, 138
Stammfunktion, 143
natürlicher Logarithmus, 103 Standardbasis, 279
nicht (Negation), 6 Stetigkeit, 117
notwendige Bedingung, 25 Substitutionsregel, 203
Nullteiler, 240 Summen-Notation, 31
Summenregel, 120
oder (Disjunktion), 7 Supremum, 72
surjektiv, 48
Partialbruchzerlegung, 218 System von Vektoren, 275
Partialsumme, 83
partielle Integration, 198 Tangente, 111
Permutation, 51 Tangentengleichung, 112
Polynomdivision, 175 Tautologie, 11
Polynomgleichung, 173 Taylorpolynom, 138
Polynomungleichung, 177 Taylorreihe, 138
Potenzmenge, 39 Teilbarkeit, 19
Potenzregel, 121 teilerfremd, 19
Potenzreihe, 98 Teilmenge, 39
Prädikatenlogik, 14 transzendent, 94
Primfaktorzerlegung, 21
Primzahl, 20 überabzählbar unendlich, 54
Produktintegration, 198 Umkehrabbildung, 52
Produktregel, 125 und (Konjunktion), 7
Projektion, 290 Untervektorraum, 273
wenn-dann (Subjunktion), 7
Wurzelgleichung, 186
Wurzelkriterium, 97
Wurzelungleichung, 187