Brennpunkt - Wo Gott Wohnt
Brennpunkt - Wo Gott Wohnt
R E LIG ION
Wo Gott wohnt
Was passiert, wenn wir beten, meditieren oder sonst wie „religiös aktiv“ sind?
Neurowissenschaftler bringen mit bildgebenden Verfahren ans Licht, was dabei
im Gehirn geschieht. Wohnt Gott nur in unseren Köpfen?
Von Ulrich Kraft
G
ott ist tot.“ Dieser Satz mach- wollen die so genannten Neurotheologen wirksam nannten die Forscher das hinter
te den Philosophen Friedrich das, was ein Gläubiger als transzendente dem linken Ohr liegende Areal „Gottes-
Nietzsche berühmt – bewahr- Realität oder Wirken Gottes beschreiben Modul“.
heitet hat er sich jedoch nicht. würde, mit neuronalen Verschaltungen „Es gibt eine neuronale Basis für reli-
Auch heute, mehr als ein Jahrhundert und biochemischen Prozessen erklären. giöse Erfahrungen.“ Diesen Schluss zieht
nach Nietzsches eigenem Abschied, er- Und siehe da: Die Quintessenz ihrer Be- Ramachandran aus Studien an Patien-
freuen sich die verschiedenen Religio- mühungen ist eine Provokation für all ten mit einer Temporallappenepilepsie
nen, allen Unkenrufen der Materialisten jene, die an die Existenz eines über- (TLE). Bei dieser Krankheit kommt es zu
und Atheisten zum Trotz, weltweit be- geordneten Geistes glauben. Religiöse unkontrollierten, gewitterartigen Erregun-
trachtet ungebrochener Beliebtheit. Tot- Empfindungen entspringen demnach, gen der Nervenzellen im Bereich des
gesagte leben eben länger, möchte man wie alle anderen menschlichen Gefühls- Schläfenlappens, der anatomisch und
dem Philosophen da ins Jenseits zurufen. regungen auch, dem Wirrwarr der ein- funktionell eng mit dem Hippocampus
Die Naturwissenschaften schenkten hundert Milliarden Nervenzellen unter und der Amygdala zusammenhängt. Liegt
dem Glauben an ein höheres Wesen bis unserer Schädeldecke. Ist Gott also der epileptische Fokus in einem Hirnareal
vor wenigen Jahren kaum Beachtung; nichts weiter als ein Hirngespinst? hinter dem linken Ohr, berichten die Be-
Religion galt als ein rein soziokulturelles „Viele Eigenschaften machen uns troffenen oft von „spirituellen Visionen“.
Phänomen, als Konstrukt des mensch- menschlich, aber keine ist rätselhafter als Das Erlebte hinterlässt offensichtlich
lichen Geistes. Jetzt scheint die scientific die Religion“, meint Vilayanur Rama- bleibenden Eindruck: Menschen mit TLE
community aber nicht länger willens, das chandran. Der bekannte Neurologe von tendieren auch während der langen Peri-
Feld den Theologen und Soziologen der University of California in San Diego oden zwischen den Anfällen überdurch-
kampflos zu überlassen. Eine stetig hofft aber der Lösung des Rätsels auf der schnittlich häufig zu tiefer Religiosität.
wachsende Schar von Hirnforschern, Spur zu sein. Bereits vor vier Jahren hat Viele fesselt die Idee einer übergeordne-
Psychologen und Radiologen macht sich er gemeinsam mit seinen Kollegen eine ten Instanz so sehr, dass ihr Glaube fana-
auf, die Wurzeln des Glaubens zu finden. Region im Gehirn identifiziert, die allem tisch, das Göttliche zur Obsession wird.
Ihr Suchgebiet ist das Gehirn. Bewaffnet Anschein nach mit spirituellen Gedan- „Er sieht das Universum in einem Sand-
mit modernsten bildgebenden Verfahren ken in enger Verbindung steht. Werbe- korn und schwimmt in einem Meer reli-
giöser Ekstase.“ So beschreibt Ramachan-
dran seinen Patienten Paul, bei dem die
Unter der Haube: Gewitter im Schläfenlappen seit Jahren in
Ein umgebauter Motor- unregelmäßigen Abständen toben.
radhelm, der elektro- Ursächlich beteiligt an dieser extre-
magnetische Signale men Leidenschaft ist das limbische Sys-
tem, im Speziellen die Amygdala. Diese
abfeuert, dient an
Hirnregion hat die Aufgabe, Sinnesein-
der kanadischen Lauren- drücke und Erfahrungen nach ihrer Wer-
tian University dazu, tigkeit zu beurteilen. Zentrale Ereignisse
Versuchspersonen für das menschliche Überleben, wie bei-
„religiöse“ Gefühle zu spielsweise Sex oder der „süße“ Anblick
vermitteln. eines Kindes, werden vom limbischen
System mit Emotionen belegt – ein
ROD O’CONNOR
Nirwana-Schnappschüsse
Hätte Paul in früheren Zeiten gelebt, wäre
er wahrscheinlich nicht im Krankenhaus
behandelt, sondern als Heiliger verehrt
oder als Ketzer verbrannt worden – so die
Schlussfolgerung der Neurotheologen.
William Calvin und George Ojemann,
Neurowissenschaftler an der University
of Washington, schließen aus zeitgenössi-
schen Schilderungen, dass die wundersa- Drinnen oder Draussen?
me Wandlung des wenig gottesfürchtigen An der Frage, ob Gott am Ende nur
Saulus zum tief religiösen Paulus weniger ein Konstrukt unseres Denkens
durch Offenbarung als durch TLE verur-
ist, scheiden sich die Geister seit
sacht worden sein könnte. Auch Johanna
von Orleans mag die Stimme Gottes, die dem 19. Jahrhundert.
sie zur Rettung Frankreichs aufforderte,
während eines Schläfenlappenanfalls ver- Pennsylvania in Philadelphia und einer stanz in die Vene. Der so genannte „Tra-
nommen haben. der Pioniere der naturwissenschaftlichen cer“ bindet innerhalb kürzester Zeit an
Regelmäßige Kirchgänger müssen Suche nach dem Göttlichen, interessiert die Hirnzellen, und zwar insbesondere
jetzt aber nicht um ihre geistige Gesund- sich besonders für einen Bewusstseins- dort, wo das Gehirn am stärksten durch-
heit fürchten. Ins Grübeln kommen soll- zustand, von dem die Gläubigen fast al- blutet wird. Erhöhter Blutfluss in einer
ten vielleicht eher überzeugte Atheisten, ler Religionen berichten: dem Gefühl, Hirnregion signalisiert, dass dieser Be-
denn wie die Ergebnisse der Neurotheo- eins zu werden mit dem Universum. reich gerade besonders aktiv ist.
logen nahe legen, ist religiöses Denken „Ich fühlte ein Verschwinden der Kurze Zeit später bestimmte Newberg
in jedermanns grauen Zellen genetisch Grenzen um mich herum, eine Verbin- mit einer Spezialkamera die Verteilung
vorprogrammiert. Wir sind gewisserma- dung mit irgendeiner Energie, einen Zu- der Radioaktivität. Heraus kam sozusagen
ßen „geschaffen“, an Gott zu glauben! stand der Klarheit, Transparenz und ein Schnappschuss vom Nirwana. Das bei
Wie tief die religiösen Gefühle sind, Freude. Ich spürte eine tiefe Verbindung diesem single photon emission computed
hängt nach Ramachandran von der natür- zu allem, ich erkannte, dass es in Wahr- tomography oder kurz SPECT genannten
lichen elektrischen Aktivität im Tempo- heit nie eine Trennung gegeben hatte.“ Verfahren vom Computer errechnete Bild
rallappen ab oder von der Bereitschaft, So beschreibt Michael Baime den Mo- zeigt, was das Gehirn in dem Moment
sich auf spirituelles Erleben einzulassen. ment der Transzendenz. Baime ist einer macht, in dem – wie Baime beschreibt –
Alle Glaubensrichtungen machen der acht mit Meditationstechniken des ti- „die Grenzen zerfließen“.
sich den Gefühlsreichtum eines stimu- betanischen Buddhismus vertrauten Pro- Meditation verlangt intensive Kon-
lierten limbischen Systems in ihren banden, die Newberg in seinem nuklear- zentration. Daher erwarteten Newberg
Ritualen zu Nutze, meint Andrew New- medizinischen Labor auf einen Trip ins und seine Kollegen das Aufflackern einer
berg. Umgebung, Atmosphäre, die stili- Nirwana schickte. Im Moment der tiefs- für die Regulation der Aufmerksamkeit
sierten Abläufe einer Zeremonie unter- ten Versenkung zogen die Studienteilneh- zuständigen Region im präfrontalen Cor-
scheiden sich so sehr von Alltagssituatio- mer an einer Schnur. Auf dieses Signal tex. Sie entdeckten jedoch etwas ande-
nen, dass das Gehirn ihnen den Stempel hin injizierte der im Nebenraum warten- res. Ein weiter hinten liegendes Gebiet
„besonders bedeutend“ verpasst. New- de Forscher den Meditierenden über eine zeigte während der spirituellen Reise
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berg, Radiologe an der University of Infusionsleitung eine radioaktive Sub- eine überraschende Veränderung: Das in