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Latte H!

J:isner
Dieydämonische
Leinwand~

Kommunales Kino
Lotte H. Eisner
Die dämonische Leinwand
Überarbeitete, erweiterte und autorisierte Neuauflage
Herausgegeben von
Hilmar HolTmann und Walter Schobert
Kommunales Kino Frankfurt
1. und 2. Tausend Oktober 1975
3. Tausend August 1976

Umschlag: Bernd Bextc


Herstellung: Bernd Bexte, Winfried Günther, Dieter Reifarth,
Renate Schlicht und Bert Schmidt
Satz: Erich Strohach & Co, Bergen-Enkheim
Druck: Pippert + Koch, Frankfurt am Main
© flir die deutsche Ausgabe: Lotte H. Eisner und
Kommunales Kino, 6000 Frankfurt am Main, Saalgasse 19
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Inhalt 1176
Vorwort 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Vorwort 1955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I. Die Prädisposition zum Expressionismus . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 13
II. ·Die Geburt der expressionistischen Filmkunst. . . . . . . . . . . . . . . 19
III. Die Magie des Li&h!§ - Das Halbdunkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
IV. Lubitsch und die Kostümfilme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
V'\) Das stilisi~rt Pha~he - die «feerie de laboratoire» . . . . . . . 87
VI~Symphomen des Grauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
VII. 1Dekorativer Expressionismus ............................ 111
VIII. c:;:J)ie Welt der Spiegel und Schallen ........................ 129
IX.I\')\telier-Landschaft und Atelier-Architektur ................. 155
---;(~Expressionistisches Debüt eines "realistischen" Regisseurs ..... 171
XI. Der Kammerspielfilm und die Stimmung .................. 179
XII. Mumau und der Kammerspielftlm ........................ 205
XIII. Geometrie der Massen ................................. 221
XIV. Fritz I.&Bss-Abenteuerfilme ............................. 241
XV. Tragödien der Straße ................................... 251
XVI. ie Entwicklung des Kostümf.üms ........................ 267
XVI as Kamera-Auge E. A. Duponts ........................ 275
XVIII. öhepunkt des Helldunkels ............................. 295
XIX. abst und das Mirakel von Louise Brooks .................. 309
XX. Verfairder deutschen Filmkunst- Ein· kurzer Ausblick ........ 321
Anmerkungen ....................................... 353
Index und Bildnachweis . . . . . ........................... 355
Der deutsche Mensch, das ist der dämonische
Mensch an sich. Schlechthin dämonisch verdient
das rätselhafte Verhalten zu einer fertig-
gebildeten Wirklichkeit, zu einer rundgeballten
Welt genannt zu werden ... Dämonisch ist der
Abgrund, der nie gdiJllt, dämonisch die Sehn-
sucht, die nie gestillt, der Durst, der nie ge-
löscht wird. ·

Umgetrieben, umgewirbelt von solcher Dä-


monie des Werdenden und niemals Seienden
erscheint der Deutsche den anderen Völkern.

Leopold Ziegler: Das Heilige Reich


der Deutschen, Darmstadt '1925.

7
Vorwort 1975
Als zwanzig Jahre zuvor die erste Auflage dieses Buches erschien, war in
Deutschland noch kaum das Interesse ftir die vergangene Filmkunst rege, im
Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, England und Amerika. Man
bevorzugte Filmanekdoten, Filmschmonzetten. Alles schien abgeschnitten
von der Vergangenheit, die schlimmen Jahre hatten die Kultur von einst
hinweggefegt

Heute ist es anders geworden. Eine neue Generation hat Filmregisseure


von Wert hervorgebracht und die Jugend ist filmbewußter geworden. Avant-
gardekinos eröffnen sich in vielen deutschen Städten, die Kommunalen Kinos
suchen Filme von Qualität. Die Murnau-Stiftung in Wiesbaden ist bemüht,
alte klassische Filme zu retten; das Institut ftir Filmkunde in Wiesbaden, das
Foto- und Filmmuseum in München, die Stiftung Deutsche Kinemathek in
Berlin setzen sich dafür ein.

Firmen sind auf die kommerzielle Auswertung großer Stummfilme be-


dacht- in Paris ist eine vertonte deutsche Kopie von Murnaus FAUST mit
Erfolg zur Aufführung gekommen. Und wenn ichauch nichtfür die Umstellung
auf 24 Bilder bin, weil eine Tonfilm-Fassung den Rhythmus des Stummfilms
zerstört, so ist doch der Wille anzuerkennen, alte Filmkunst einem größeren
Publikum zugängig zu machen.

So kommt die Neu-Auflage eines seit Jahren vergriffenen Buches zu einer


günstigeren Zeitlage heraus, das Buch, das ich in der Emigration mit Sehn-
sucht nach den zwanziger Jahren in Deutschland geschrieben habe. Es ist nur
ein Versuch - ich hoffe, daß es diesmal Leser mit Verständnis flir das künst-
lerische Erbe ihrer großen kulturellen Vergangenheit fmden wird und nicht
nur "the happy few".

Paris, im Mai 1975 Lotte H. Eisner


Vonvort
Man erwarte hier keineswegs eine vollständige, umfassende . Geschichte
des deutseben Films. Ich bin stets ein wenig mißtrauisch gegen jene Film-
geschichten, die den Leser, der mehr als eine allgemeine Orientierung verlangt,
durch die dürre Aufzählung zahlloser Titel verwirren. Er erfährt ja nichts
Wesentliches, wenn einmal bei einem Film nur der Inhalt kurz umrissen wird
und ein andermal, ein paar Zeilen weiter, bei einem zweiten Film lediglich
recht vage dessen "interessante Einstellungen" .gerühmt werden. Ein solches
Verfahren holt keinesfalls Wesen und Wert eines Films plastisch heraus oder
gibt eine halbwegs haltbare Analyse.

Um die Filmgeschichte eines Volkes in ihren großen Zügen aufzuzeigen,


erscheint es mir angebracht, die Methoden der Stilkunde und Stilentwicklung,
wie sie die Kunsthistoriker ausgebaut haben, anzuwenden. Dies bedeutet, daß
man den Stil eines jeden fUr die gesamte Entwicklung wichtigen Films, an den
man sich entweder noch gut erinnert oder den eine retrospektive Vorführung
uns wieder vor Augen gebracht hat, untersuchen muß.

Es genügt alsdann, das kunsthistorische Verfahren weiterzutreiben, Stil,


Technik, künstlerische Entwicklung eines jeden qualitätvollen Filmregisseurs
zu interpretieren und schließlich so vollständig, wie es uns heute die große
Distanz zu den Filmen früherer Epochen erlaubt, die Stiltendenzen der ein-
zelnen Entwicklungsphasen herauszukristallisieren.

Daß bei einem solchen Verfahren der Film an sich nicht als losgelöste
Einzelkunst betrachtet werden. kann, liegt bereits auf der Hand: er muß der I
Zeit und der Mentalität einer Nation, aus der heraus er geboren wurde, ver- \
bunden sein und aus diesen Gegebenheiten heraus erklärt werden. Künst-
lerische und literarische Kundgebungen dieser Epoche, ja sogar Probleme
gewisser Geistesrichtungen, die aus früheren Perioden herübergerettet wurden,
werden gleichfalls heranzuziehen sein.

Die hier vorliegende Untersuchung stellt lediglich einen ersten Versuch


dar, bestimmten geistigen, künstlerischen und technischen Tendenzen nach-
zuspüren, denen der deutsche Film im . Laufe seiner Entwicklungsphasen
unterworfen worden ist. Hierbei wird vor allem das Schwergewicht auf das
sogenannte goldene Zeita!!g des deutschen Films gelegt, also auf jene heute
bereits als .. ~ö'ipfundene St.mtiJmnetigrJe, deren Blüte direkt nach
dem Ersten Weltkrieg begann, noch vor dem Beginn der tonftlrn-Ära ihr Ende

11
fand, also im Grunde nur bis in die Jahre 1925/26 hinein reichte. Über die
Filmgeschichte der Pionierzeit, der Vorkriegsjahre und die des Ersten Welt-
krieges, die von der Verfasserio nicht bewußt genug miterlebt worden ist, wird
ein Berufenerer zu schreiben haben.

Wir feiern in diesem Jahr das sechzigjährige Bestehen des Films. Es ist
müßig, auf den Streit einzugehen, wem und welchem Land der Ruhm gebührt,
den Film ins Leben gerufen zu haben. Edison, Lumi6re, Friese-Greene und
Meßter haben jeder das ihrige dazu beigetragen. Wichtig ist heute vor allem
der Versuch, vergangene und vergessene Epochen der Stummfdmzeit wieder
vor Augen zu fUhren.

Für Kunstgeschichten sind Bilder, Plastiken und Monumente im rei-


chen Maße vorhanden. Der Film ist ein vergängliches Material. So kommt es,
daß man heute die Vorgeschichte der Menschheit besser kennt als die ersten
zwanzig, dreißig Jahre des Films. Jeder Filmhistoriker hat die Aufgabe, Filmen
von einst nachzuforschen, sich und seinen Lesern ihre Bedeutung klar-
zumachen.

"Dämonische Leinwand" sollte die deutsche Übertragung des in französi-


scher Sprache veröffentlichten Buches "L'Ecran D6moniaque" werden, das
geschrieben wurde, um den am Film interessierten Kreisen in Frankreich die
allgerneinen Tendenzen des klassischen deutschen Films vor Augen zu f'llhren.
Bei der jetzt vorliegenden Ausarbeitung in deutscher Sprache ist nicht alles
in gleicher Weise beibehalten worden; manches wurde ausgelassen, was deut-
schen Lesern selbstverständlich erscheinen mußte, anderes wiederum hinzu-
gefUgt, um das Gesamtbild zu vervoliständigen, so daß es sich hier letzten
Endes weit mehr um eine wesentlich erweiterte Bearbeitung als um eine
Übersetzung handelt.

Für deutsche Leser ist es wohl kaum notwendig hinzuzufligen, daß der
Ausdruck "dämonisch" - wie ja schon das vorangestellte Ziegler-Zitat zeigt -
im Sinne der Antike und Goethes zu interpretieren ist und keineswegs etwa
diabolisch bedeuten soll. -Die impressionistischen Regie-Tendenzen von Max
Reinhardt und der bereits schon vor dem Ersten Weltkrieg rücksichtslos
durchbrechende Expressionismus scheinen mir die beiden Einwirkungen zu
sein, die seinerzeit der deutschen Filmkunst zu einer nie wieder erreichten
Blüte verholfen haben.

Paris, im Herbst 1955 Lotte H. Eisner

12
I.

I
Die Prädisposition zum Expressionismus I'
I~
I
I
Die Deutschen sind übrigens wunderliche ~
Leute!- Sie machen sich durch ihre tiefen Ge-
danken und Ideen, die sie überall suchen und
überall hineinlegen, das Leben schwerer als
billig. Ei! So habt doch endlich einmal Courage,
Ii
I j
Euch den Eindrücken hinzugeben ... , aber i'
denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn
es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee
wäre . .. Es war im ganzen nicht meine Art, als
Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem
I
zu streben. Ich empfing in meinem Innem Ein- I,,
drücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebens-
voller, lieblicher, bunter, hunderifältiger Art . ..

Goethe (Eckermanns Gespräche


mit Goethe, 1827)

13
Jene schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bedeuten in Deutschland
eine besonders seltsame Epoche. Die Mentalität vieler Deutscher erholt sich
nur mühsam von dem Schock, imperialistische Träume zertrümmert zu sehen.
Und die radikalsten unter den Deutschen versuchen, durch eine revolutionäre
Bewegung wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, aber die Revolution
wird im Keim erstickt Eine fiebernde Unrast kommt zu ihrem Paroxysmus, "~ ·;
als die Inflation alle Wertbegriffe erschüttert!"die den Deutschen eingeborene
Zerrissenheit steigert sich ins Unmäßige.
i".. \•
Mystizismus und Magie sind jene dunklen, dumpfen Kräfte, denen sich
die deutsche Seele gern hingegeben hat. Die ewige Verlockung zur Grübelei
führt zu der apokalyptischen DS>~trin des Expressionismus. Das Elend, die
ständige Sorge um ein ungewisses Morgen haben dazu beigetragen, daß die
deutschen Künstler jetzt diesem Stil mit Leib/und Seele verfallen. Denn der I;
Expressionismus, der schon seit 1910 ungefähr bestrebt war, alle bi$her gültigen .
Kunstprinzipien hinwegzufegen, konnte ihnen dank der Vehemehz seiner
kategory~~h,~stellten Forderungen wenigstens die Möglichkeit einer intellek-
tuellen Revolte bieten.

Um das Phänomen des Expressionismus in der ganzen Verschlungenheil


se.iner Komplexe, in seiner schiller.p~~n Vieldeutigke!t z~ ana.lysieren, m~ssen
Wir, so paradox es auch anmuten mag, uns mehr an d1e literansehen Mamfeste
als an die plastischen oder graphischen Ausdrucksformen dieser Epoche
halten. Für das Volk der Dichter und Denker wandelt sich ja jede künstlerische
Kundgebung alsbald in ein fest umrissenes Dogma; die systematisch aufge-
baute Weltanschauung hält sich in erster Linie stets an eine dialektische Inter-
pretation von Kunstformen.

15

L.-
Bei erster Sicht scheint der EXpressionismus mit seinem Te~ll"mmstil, ..,
seinen Exklatn!lF.ionen, die an jene der Sturm- und Drang-Epoche (1) ge-
mahnen, mit seihen explosi~~ kurzen Sitzen, in denen die heilige alte
Ordnung der Syntax umgepffügt worden ist, die umständliche Ausdrucks-
weise der Deutschen vereinfacht, das Dickicht eingeschachtelter Nebensätze
ausgerodet zu haben. Aber diese Klarheit ist nur scheinbar, täuscht, ist voller
Fallstricke. Die metaphysische Bedeutung der Worte ist aufgeb~t; !Pl-·
kürlieh aneinandergekettete kühne Wortbildungen, mystische ~egöB~n,'aie
aller Logik bar sind, verwirren. Beschwert von SyiDbol~ un'aMftiiph:em
bleibt die Sprache absichtlich dunkel, damit nur Bingeweihte ihren tieferen
Sinn erfassen können. ,- .. ·. , ' Jt • .J. •\' I ')'!'•l. J_,.
) ' • .... ·; 'Jo:. • (, ..., "\.~....
• .... •• ..... . ~

Der Expressionismus, so erklärt Kasimir ~bmid (2), wendet sich gegen


"die atomische Verstückelung des Impressionismus", der die schillemden,. '
Nuancen der Natur widerspiegelt; er attackiert gleichfalls die Abziehbilder
des kleinbürgerlichen Naturalismus und dessen Sucht, die Natur und das
Alltagsleben sorgsanist abzufotografieren. Es ist absurd, die Welt, wie sie ist,
in ihrer "falschen Realität" wiederzugeben. Der expressionistische Künstler
sieht nicht, er schaut. "Nun gibt es nicht mehr die Kette der Tatsachen, Fabri-
ken, Häuser, Krankheiten, Huren, Geschrei, Hunger. Nun gibt es nur die
Vision davon! Die Tatsachen haben Bedeutung nur soweit, als durch sie
hindurchgreifend die Hand des Künstlers nach dem greift, was hinter ihnen
steckt." Der expressionistische Künstler, ein wirklich schöpferischerund nicht
reproduktiver Geist, formt das Weltbild nach seiner Idee um, die Wirklichkeit
wird von uns geschaffen. Statt momentaner Effekte wird die ewige Bedeutung
der Tatsachen und Objekte gesucht.

Man muß, so fordern die Expressionisten, sich von den naturgegebenen


Formen befreien und die "expressivste Expression" eines Objektes bloß-
legen. Beta Balazs interpretiert diese etwas dunklen Forderungen des Expres-
sionismus in seinem Buch "Der sichtbare Mensch": man kann ein Objekt
stilisieren, indem man seine "latente Physiognomie" heraushebt und beson-
ders akzentuiert. In dieser Weise kann man seine sichtbare Aura durch-
dringen.

Der Mensch, so proklamiert Edschmid, gibt sich der Schöpfung hin, von
der er nicht ein Stück ist, sondern die sich in ihm schaukelt, wie er sie wider-
spiegelt. Sein Dasein, sein Erleben haben Teil an dem großen Dasein des
Himmels und der Erde; sein Herz, verschwistert allem Geschehen, schlägt
im gleichen Rhythmus wie die Welt. Sein Leben reguliert sich ohne kleinliche
Logik, ohne Folgerung beschämender Moral und Kausalität lediglich nach
dem ungeheuren Gradmesser seines Gefühls; er ist dem Kosmos verstrickt;
er denkt nicht über sich nach, er erlebt sich. .,·~::;., ._
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(I) und weitere Ziffern s. Anhang Seite 3H f.

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In dieser großen Verwirrung der Gefühle wird daher die Psychologie,
die gefügige Dienstmagd des Naturalismus, genau wie die "falsche Realität"
der Natur völlig abgelehnt. Alle Anschauungen und Gesetze einer konfor-
mistischen Gesellschaftsordnung werden verdammt und mit ihnen alle jene
Tragödien, die auf "lächerlichem sozialem Ehrgeiz" beruhen.

Sieht man näher hin, so erkennt man Zwiespältigkeiten, WidersprUche:


auf der einen Seite finden wir einen bis ins Äußerste getriebenen Subjektivis-
mus, auf der anderen Seite erklärt jedoch Edschmid, der Mensch habe auf-
gehört, "ein Individuum, gebunden an eine Moral, eine Familie, eine Gesell-
schaftsklasse" zu sein. Die Bejahung eines totalitären und absoluten Ichs, das
sich seine eigene Welt formt, steht also neben einem Dogma, das das Indi-
viduum völlig negiert und aufhebt

Wird die Psychologie verworfen, so herrscht indessen der Intellekt:


Edschmid verkündet die "Diktatur des Geistes", der die Aufgabe hat, der
Materie Form zu geben. Die Expressionisten preisen die "Attitüde des kon-
struktiven Willens", sie fordern eine Revision des gesamten menschlichen
Verhaltens. Durchblättern wir die Kundgebungen der expressionistischen
deutschen Literatur, so stoßen wir immer wieder auf die gleichf'n stereotypen
AusdrUcke wie "innere Spannung", "Expansionskrafi", "ungeheure An-
häufung schöpferischer Konzentration" oder "metaphysisches Spiel der
Intensitäten und Energien". Man findet aber vor allem Bezeichnungen wie
"dynamisch" und jenes für andere Völker so unübersetzbare und unverständ-
liche Wort "Ballung" mit seinem so beliebten Adjektiv ,,geballt".

Hier ist noch etwas über den so oft von den Dogmatikern des Expressio-
nismus gebrauchten Begriff der "Abstraktion" zu sagen. In seiner 1907 ver-
öffentlichten Doktor-These "Abstraktion und Einftihlung" nimmt Wilhelm
Worringer, ein Kunsthistoriker, der fast so mystisch dunkel wie Oswald Speng-
'
ler schreibt, viele Formulierungen des Expressionismus vorweg; dies ist der
Beweis, wie sehr allejene ästhetischen Axiome der deutschen Weltanschauung 1.!
nahestehen.

Die Abstraktion erwächst, so erklärt Worringer, aus der großen Unruhe


und Qual, die der Mensch den Dingen der Außenwelt gegenüber empfindet,
deren Beziehungen zueinander und deren unerklärliches Wechselspiel er zu
entziffern sich abmüht. Die Angst des primitiven Menschen angesichts des
grenzenlosen Raumes zwingt ihm das Bestreben auf, "das einzelne Objekt
der Außenwelt aus seiner Verbindung und Abhängigkeit von den anderen
Dingen zu lösen, es dem Lauf des Geschehens zu entreißen, es absolut
zu machen".

Der nordische Mensch, so erklärt Worringer weiterhin, "fühlt einen Schleier

17
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zwischen sich und der Natur"; darum erstrebt er eine abstrakte Kunst Das
Ausdrucksbedürfnis disharmonischer Völker braucht jenes unheimliche
Pathos, das der Verlebendigung des Anorganischen anhaftet Der Mittelmeer-
Mensch wird in seiner vollkommenen Harmonie niemals ,.die Ekstase der
expressiven Abstraktion" empfmden können.

Hier haben wir bereits jene paradoxe, hyb1/a~ Formulierung, die Ab-
straktion und intensive Expression zu verbinden sucht, hier fmden wir den
Schlüssel zur expressionistischen Weltanschauung und zu ihrem chaotischen
Mystizismus.
. .,

Für die Expressionisten muß alles ;kizzenhaft bleiben, voll vibrierender


Spannung, eine unaufhörliche Gärung muß sich der Objekte, der Menschen
bemächtigen - es ist das ewig drängende"Werden", das immer wieder vom
Deutschen an Stelle des statischen harmonischen ,.$eins" bevorzugt wird.

Dieser Paroxysmus, der den Expressionisten als Dynamismus erscheint,


erhält seinen Abglanz in allen Dramen jener Epoche, die man später die
"0 Mensch"-Periode genannt hat Was ein zeitgenössischer Kritiker vom
.,Bettler" Reinhard Sorges schreibt, kann fUr alle Werke des Expressionismus
gelten: die Welt ist so durchlässig geworden, daß ihr jeden Augenblick
Visionen und Phantome zu entströmen scheinen; unaufhörlich wandeln sich
äußere Tatsachen in innere Erlebnisse um, unaufhörlich werden seelische
'1 Vorgänge exteriorisiert.

ln deutschen klassischen Filmen finden wir mitunter diese Atmosphäre


wieder, hier erkennen wir oft eine visuelle Transponierung von Traumformen,
die in verschwimmender Hast vor den Augen Geängstigter vorUberziehen,
hier tauchen Visionen auf, die zu Schatten werden.

18
ij
1
II.
:I
Die Geburt der expressionistischen Filmkunst 'I
II
,.Das Kabinett des Dr. Caligari" (1919)- ,.Genuine~ (1920) I

d.

Es ist der Rhythmus, der Caligari seine


Eindringlichkeit verleiht. Zuerst ist dieser
Rhythmus äußerst langsam, ja geradezu mit
Absicht umständlich, es wird der Versuch ge-
macht, die Erwartungen arif die Folter zu span-
nen. Dann, wenn sich das vage Getriebe des
Jahrmarkts zu drehen beginnt, wird das Tempo
beschwingt, die Handlung konzentriert sich, i,'
beschleunigt sich, reißt mit, das Wort ,.Ende" I'
überrascht uns wie eine Ohifeige. I~
Louis Del/uc in Cinea ~Paris 1922
H

I
i
19

.- .....~(:·N1~~~\':~:·~:~:~-F~~~.·~~-:~ ·::~::~.~~:.;?t~~r:·~~·.- .'" ,. .


·. •.;,.·
De Neigung zu heftissten Kontrasten, die sich in der expressionistischen
Literatur in abgehackten Wendungen und willkürlichen grammatikalischen
Umstellungen ausprägt, wie auch das den Deutschen angeborene Sehnen
nach Helldunkel und geheimnisschweren Schatten mußten ihren idealen
Ausdruck in der neuen Filmkunst finden. Visionen, die Unrast und Unstäte
heraufbeschworen haben, erstehen hier halb in Traumhaftigkeit, halb in :Ii
greifbarer Realität Die Sucht der Psychoanalyse, Empfindungen zu zerglie-
dern, die Exaltation der jeder Psychologie abgeneigten expressionistischen il
Weltanschauung, jene beiden Extreme begegnen sich in dieser chaotischsten
aller Epochen mit der nie ganz vergessenen Mystik der Geisterwelt der
Romantik. So kann es geschehen, daß Filmregisseure, die sich späterhin, als
der expressionistische Stilwille bereits der Vergangenheit angehört, als völlig
zweitklassig erweisen - dies ist zum Beispiel bei Robert Wiene der Fall -,
Filme voll starker Eigenart schaffen.
1-
Die an CALIGARI beteiligten Filmschaffenden haben die mit seiner
Entstehung zusammenhängenden Vorkommnisse verschieden interpretiert.
Die beiden Autoren des Films, Carl Mayer und Hans Janowitz, wollten - wie
Kracauer in seinem Buch .,Von Caligari bis Hitler" berichtet hat - in der
zwiespältigen Person des Doktor Caligari, der Jahrmarktanreißer und Direktor
eines Irrenhauses ist, die Absurdität einer asozialen Autorität brandmarken.
Gegen ihren Willen ist eine Rahmenerzählung hinzugefUgt worden, durch
die der Gang der eigentlichen Handlung zu der Halluzination eines Irren
herabgemindert wurde.

Erich Pommer, der gescheite, geschäftskundige Produktionsleiter, er-


zählt (3), daß die Autoren die Absicht hatten, Alfred Kubin für die Aus-

21
gestaltung des Filmdekors zu gewinnen. Kubin bitte sicherlich Filmbilder in
Goya-Art erstehen lassen, und der expressionistische Film in Deutschland
wäre wahrscheinlich jener gefährlichen Abgrilndiskeit abstrakter Gestaltung
entgangen und auf anderem Wege zu der gleichen ihm heute innewohnenden
halluzinierenden Eindringlichkeit gelangt Kubin stammte wie Janowitz aus
Prag, der mysteriösen Golemstadt, in der damals noch das Mittelalter durch
die engen Gassen des Ghettos geisterte. Und wie .Janowitz kannte er das
Grauen einer unheimlichen Zwischenwelt In einer autobiographischen
Skizze, die im Jahre 1921 im "Ararat" veröffentlichtwurde, weiß Kubin zu
berichten, wie er ziellos durch dunkle Straßen irrt, geradezu genotzüchtigt
von einer dumpfen Kraft, die seltsame Tiere, Häuser, Landschaften, groteske
und furchtbare Situationen vor seinem Geist hinzaubert Wie einst die
Romantiker, fühlt er sich in dieser verwunschenen Welt unbeschreiblich wohl
und gehoben. Er betritt einen kleinen Teesalon; gleich beim Eintritt erscheint
es ihm, als seien die Kellnerinnen Wachspuppen und wie von einem rätsel-
haften Mechanismus angetrieben. Ihm ist, als habe er die wenigen Gäste,
die ihm wie unwirkliche Schattenwesen vorkommen, bei satanischen Ge·
schäften überrascht. Doch ist es vor allem der Hintergrund des Teesalons
mit seiner Spielorgel und seinem bürgerlichen Büfett, der ihm verdächtig
vorkommt: das ganze erscheint ihm wie eine Attrappe, die wohl das eigent·
liche Geheimnis - vermutlich eine trüb erleuchtete, blutige Höhle - ver-
bergen soll. Alle diese Vorstellungen wechseln und wandeln sich fortwährend
wie etwa die ineinandergleitenden Visionen bei Novalis, Schlegel oder Jean
Paul; er versucht sie mit dem Zeichenstift festzuhalten.

Liest man diese Zeilen, so bedauert man, daß es Kubin, dem dämonischen
Schöpfer lebensumwitterter Nachtmären, nicht vergönnt war, die Dekors
für CALIGARI zu ersinnen. Immerhin sind die eindrucksvollen expressio-
nistischen Dekors für den Stil dieses Films, dem bereits Carl Mayers Kunst
das Gepräge des Außerordentlichen gegeben hatte, bestimmend geworden -,
und zwar weit mehr als die Regie von Robert Wiene!

Der praktische, nur der Realität zugeneigte Pommer berichtet, daß er,
während Mayer und Janowitz ihm von Kunst sprachen, das Filmmanuskript
unter einem völlig anderen Gesichtspunkt sah. "Jene beiden", schreibt er,
.. wollten Experimente, ich indes erkannte, daß ein verhältnismäßig billiger
Film herzustellen war."

Die Ausführung der Dekors in Leinwand statt ihrer Konstruktion aus


Baustollen bedeutete eine erhebliche Herabminderung der Kosten und er-
leichterte zu jener Zeit der Material- und Geldknappheit die Herstellung
wesentlich. Andererseits war damals in Deutschland, wo noch die RUck·
schlüge der im Keim crstickten Revolution zu spüren waren und wo die
Wirtschaftslage ebenso unstet schien wie der seelische Zustand der meisten

22
---~ --------

Menschen, die Atmosphäre durchaus günstig ftir Stilexperimente und ge-


wagte Neuerungen. Der Regisseur von CALIGARI, Robert Wiene, hat
späterhin in London die alleinige Vaterschaft für die expressionistische
Ausgestaltung des Films mr sich in Anspruch genommen. Jedoch die Film-
architekten Hermann Warm und Walter Röhrig, die von Pommer an Stelle
von Alfred Kubin berufen worden waren, haben immer erklärt, daß sie im
Einverständnis mit Waller Reimann, dem Schöpfer der CALIG ARI-Kostüme·
und einiger Dekorskizzen, dem zögernden Wiene ihre fortschrittlichen Ideen
aufzwingen mußten.

Warm erklärt heute, daß er "beim Lesen des eigenartigen Drehbuchs,


von dessen bizarrem Stil und der eigenwilligen Formgebung begeistert,
erkannt habe, die dekorative Ausstattung müsse abgewandt vom Realen ganz
auf phantastische, rein malerische Wirkung gestellt sein". "Bis in die Nacht
hinein", so erzählt er, "diskutierten wir drei Maler das vorliegende Drehbuch.
,,'
Reimann, dessen Bilder zu dieser Zeit expressionistisch beeinflußt waren,
drang mit der Ansicht durch, daß dieser Stoff in seiner Formgebung expres- I
sionistisch sein müsse. Noch in der gleichen Nacht wurden von uns einige
Skizzen gemacht."

Nicht der Anekdote wegen werden hier diese Vorkommnisse berichtet;


sie zeigen in klarster Weise das Grundprinzip der damaligen deutschen Film-
produktion: die Rolle, die der Manuskriptverfasser und die technischen Mit-
arbeiter bei der Herstellung eines Films gespielt haben. Dies ergibt gleichfalls,
daß der deutsche Film - mit Ausnahme des absoluten Films·- keine eigent-
liche "Avantgarde" kennt wl~ etwa Frankreich. In Deutschland hat sich die
Filmindustrie alsbald aller künstlerischen Faktoren bemächtigt, da man,
dank des Erfolges von CALIGARI im Ausland, begriffen hatte, daß sie
letzten Endes Geld einbringen könnten. Allerdings müssen wir uns vor
Augen halten, daß ein so großer Konzern, wie es die spätere UFA werden
sollte, sich niemals zu einem derartigen Versuch hergegeben haben würde,
wie es der CALIGARI-Film war. Die OeCtitjedoch, eine kleine, bescheidene,
unabhängige Gesellschaft, hatte nichts zu verlieren gehabt und alles bei
jenen Intellektuellen zu gewinnen, die schon im Jahre 1913 den "Autoren-
film" (4), also den literarisch wertvollen Film, gefordert hatten .


Hier muß einmal auf die überragende Rolle der deutschen Filmarchitekten
hingewiesen werden. Schon vor CALIGARI sind Dekors gebaut worden, .
die bereits stimmungsmäßig die Einstellungen vorbereiteten. So etwa das
Arbeitskabinett im STUDENT VON PRAG aus dem Jahre 1913, dem die
Entwürfe von Klaus Richter ein romantisches Helldunkel verliehen haben.

23
Vor allem seit CALIGARI haben die deutschen Fllmarchitekten bei
ihren Entwürfen den Darsteller in das GesamtbUd eingeordnet Jeder Entwurf
entspricht bereits der Kamera-Einstellung. Ein nicht allzu bedeutender Regis-
seur wie Robert Wiene konnte sich also an die Entwürfe seiner Film-
architekten halten.

Anders liegt der Fall bei einem so eigenwilligen und bedeutenden Regis-
seur wie Fritz Lang. Auch Otto Huntes und Erich Kettelhuts Entwürfe flir
DIE NIBELUNGEN zeigen, wie jeder Darsteller bereits in die Architektur
eingepaßt worden ist. Aber hier hat Lang drei bis vier Wochen vor Dreh-
beginn in Regiesitzungen, die von morgens bis in die Nacht hinein dauerten,
mit seinem technischen Stab (vom ersten Kameramann und ersten Film-
architekten bis zum letzten Beleuchter) alles genau besprochen und fest-
gelegt. Mumau ließ seinen großen Filmarchitekten Robert Herlth von den
Figuren ausgehen, das heißt, den Vorgang einer Szene zeichnen, und von
hier aus entwickelte sich für ihn der Raum.

In allen damaligen Filmentwürfen war bereits jede Licht- und Schatten-


wirkung genau angegeben. Der Kameramann wußte von Anfang an, woran
er sich zu halten hatte. Es ist bezeichnend, daß der englische Filmarchitekt
Edward Carrick in seinem Dekorbuch überrascht vermerkt, der deutsche
Kameramann Günther Krampf habe, als er in einem englischen Atelier
arbeitete, "vorher die Skizzen zum Studium ausgebeten - ein für hiesige
Verhältnisse ungebräuchliches Verfaliren".

Das raubt jedoch den großen deutschen Kameraleuten - Kar! Freund,


Carl Hoffmann, Fritz Amc Wagner, Krampf, Guido Seeber und später
SchütTtao usw. - keineswegs ihre Bedeutung. Die fruchtbare Zusammenarbeit
bedeutender Regisseure, großer Filmarchitekten, Kameraleute und ausge-
zeichneter Autoren hat zu den hervorragenden Werken der deutschen Film-
kunst geführt. Jeder konnte in den Regiesitzungen zu Wort kommen, Vor-
schläge machen. Unendlich viel wurde ausprobiert, mitunter wieder ver-
worfen. Man hatte Zeit, Dekors stehen zu lassen, Einstellungen nachzuholen,
Probeaufnahmen der Dekors zu machen, sie umzubauen.

Diese lebensvolle Einheit ist das Geheimnis klassischer deutscher Film-


kunst gewesen.


Man hat oft von dem CALIGARI-Dekor geschrieben, er sei zu flach;
nichtsdestoweniger ist ihm eine gewisse Tiefenwirkung eigen, die ihm die
absichtsvoll verzerrte falsche Perspektive seiner schräg einmündenden, sich
in brüsken Winkeln schneidenden Gassen verleiht Mitunter wird diese

24
Tiefenwirkung durch eine sich in ihre Schräge einspannende Hintergrund-
leinwand verstärkt, auf der Wellenlinien die Verlängerung der Gassen dar-
stellen. Diese fast dem Zufall überlassene Plastik wird noch verstärkt durch
die baufallig sich vomeigenden Kubenhäuser.

"Der Hintergrund", so sagt mit einem Wortspiel ein englischsprachiger


Autor, "drängt sich in CALIGARI gleichsam in den Vordergrund." In dem
mit Absicht vage gelassenen Raum führen schräge Wege, geradlinig oder als
sinnfällige Kurve gekrümmt, zum Hintergrund; es ist der Pfad, deP Cesare,
der Somnambule, an die Mauer verkrampft entlangschleicht Schrii,; schnei-
det, einer Messerklinge vergleichbar, das schmale Dach, auf dem er seine
Beute entlangschleppt, über den Raum hinweg, schräg steigen die Höhen-
wege an, auf denen er den Verfolgern zu entrinnen sucht.

Aber diese Kurven und diese schrägen Linien haben eine tiefere Be-
deutung: Bei Einn.ihlung in Formen, so erklärt Rudolr Kurtz in seinem
Buch "Expressionismus und Film" im Jahre 1926, entstehen entsprechende
Strebungen in der Seele. Eine gerade Linie führt das Gefühl anders als schräge;
verblüffende Kurven, das Rapide, Abgehackte, jäh Auf- und Absteigende
rufen andere seelische Antworten hervor als eine Architektur mit reichen
Übergängen.

Kurtz hat das Wesentliche erkannt: hier sollen die Schrägen die Unruhe,
das Grauen, das sich dem Zuschauer mitteilt, verstärken; die Variation von
Einstellungen bleibt etwas vollkommen Sekundäres. In CALIGARI wird die I~
"latente Physiognomie" einer kleinen alten Stadt mit ihren gewundenen dunk-
. .jl
len Gassen, wo die vorgeneigten, vom Alter zerfressenen Hausfassaden das
Tageslicht nicht eindringen lassen, äußerst glücklich zum Ausdruck gebracht.
Keilförmige Türen mit schattenschweren Eingängen, schräge Fenster mit
verquollenem Rahmenwerk scheinen die Mauern zu zernagen. Wie Kabba-
listenzeichen ziehen sich Zickzacklinien, Dreiecksformen, schwarze Kreise
als grob angedeutetes Pflaster über den Boden hin, dunkle Rhomboide an den ,,
Hausrändern stellen gemalte Schlagschatten dar, weiße Sternen- und Blüten- !~
muster versinnbildlichen die gleichfalls nur aufgemalten Lichtreflexe ver-
bogener Straßenlaternen. Wie ein Alpdrucktraum verdichten sich überall
~~
Schrecken, Grauen vor künftigen Geschehnissen. i,l
'.1
Die vorfallenden Häuser, die roh skizzierte Form eines Brunnens an einem 1 !I
Gassenwinkel vibrieren von innerem Leben. "Der Urweltcharakter alles Ge-
räts und aller Behelfe ist erwacht", schreibt Kurtz. (Wir erkennen hier jenes
"unheimliche Pathos", das, wie Warringer erklärt, der Verlebendigung des
Anorganischen anhaftet.)

Dieser Eindruck wird nicht nur dank der seltsamen Gabe, die dem

25
Deutschen eigen ist, Objekte zu beleben, hervoraerufen. In der normalen
Syntax der deutschen Sprache haben die Objekte ja bereits völlig ein Eigen-
leben: man bedient sich bei ihnen der gleichen Adjektive wie fiir lebende
Wesen, man verleiht ihnen damit auch dieselben Eigenschaften. Schon lange
vor der expressionistischen Stilepoche ist dieser Anthropomorphismus äußerst
entwickelt gewesen, spricht ja Friedrich Theodor Vischer in seinem 1879
erschienenen Buch .,Auch einer" von der .,Tücke des Objekts". Jene Kragen-
knöpfe zum Beispiel, die voll Hinterlist unseren Fingern entgleiten, sich mit
Absicht unter die Kommode rollen, unsern Fortgang verspäten und uns so
um die Karriere bringen, sind zudem auch der verhexten Welt schadenfroher,
arglistiger Objekte E. T. A. Hoffmanns verwandt, wo sich dem Studenten
Anselm Rockschöße und Türklopfer in den Weg zu stellen wissen.

ln der Phraseologie, der verschlungenen SatzfUgung des Expressionismus,


wird die Personifikation <Jes Objektes übertrieben: die Metapher wuchert,
vermengt Objekt und Personen. Der Dichter wird zum durstig aufgerissenen
Ackerland, und die gierigen Rachen von Fenstern oder die Dolchspitzen
riiuberischer Schatten bohren sich ein in erbebende Mauermassen; die gmu-
samen Schneiden von unbarmherzigen Türen zerfleischen die stöhnenden
Flanken von Häusern, die in Verzweiflung hindämmern.

So kommt es, daß sich die Straße fUr die Autoren deutscher Sprache oft
teunisch gebärdet: in Gustav Meyrinks "Golem" sind die Häuser des gespen-
stigen Prager Ghettos, die wie Unkraut hervorwachsen und dem Zufall
überlassen werden, von einem perfiden, feindseligen Leben erfiillt, wenn an
Herbstabenden der Nebel sich senkt und ihr kaum wahrnehmbares Mienen-
spiel verschleiert. Sie verstehen es, am Tage sich ihres Lebens und ihrer
Gefühle zu entäußern, sie borgen sie alsdann den Einwohnern, jenen rätsel-
haften schattengleichen Geschöpfen, die ein magnetischer Strom nur schwach
anzutreiben scheint. Aber des Nachts heimsen sie ihr Leben mit Wucher-
zinsen von diesen unwirklichen Kreaturen wieder ein: die Türen werden
giihnende. schreiende Rachen, die Hausgesichter verziehen sich in tückisch-
ster Boshaftigkeit, lauem wie Raubtiere.

Die dynamische Kraft der Dinge schreit um ihre Gestaltung, schreibt


Kurtz. - Hier haben wir die Erklärung fiir jas Gespenstige, das uns aus dem
behexten Dekor von CALIGARI entgegenströmt

Wird die Deformierung der Objekte, die einen so wes~ntlichen Faktor


ftir die expressionistische Kunst darstellt, einzig allein durch Lichtverhältnisse,
durch atmosphärische Ausdünstungen oder durch die Imponderabilien der
Entfernungen hervorgerufen?

Wir dürfen die Macht der Abstraktion, die sich der expressionistischen

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Vision zugesellt, nicht unterschätzen. Mit Hilfe einer schöpferisch vor-
gehenden, auswählenden Verzerrung, so etwa erklärt Georg Marzynski in
seiner "Methode des Expressionismus" vom Jahre 1921, verfügt der expressio-
nistische Künstler über die Möglichkeit, psychische Komplexe in all ihrer
Eindringlichkeit zu gestalten. Indem er diese in den Vordergrund gerückten
Komplexe mit optischen verbindet, kann er das innere Leben eines Objekts,
den Ausdruck seiner "Seele" wiedergeben. Die Expressionisten arbeiten
lediglich mit Vorstellungsbildern und gelangen so völlig von selbst zu jenen
schrägen, statisch unmöglichen Wänden. "Es ist nämlich gerade ein Charak-
teristikum von Vorstellungsbildern, die Dinge so wiederzugeben, als seien sie
schräg von oben $esehen; denn bei dieser Sehrichtung fällt ein großer Teil
der verwirrenden Überschneidungen fort, der beim Blick von vorn die Über-
sichtlichkeit und gegenständliche Klarheit des Bildes beeinträchtigen würde."

Schon die Romantiker haben bestimmte Formwandlungen bemerkt. So


beschreibt William Lowell, einer der Helden Ludwig Tiecks, einmal diesen
merkwürdigen Aspekt einer flutenden, sich undeutlich erweisenden Vor-
stellungswelt: die Straßen kommen ihm wie Reihen nachgemachter Häuser
vor, in denen verrückte Gestalten Menschen darstellen sollen und das Mond-
licht nur wie zufällig auf eine lächerliche, verzerrte Schöpfung fallt. Und
die Straßen, von denen Kubin oder Meyrink sprechen, scheinen geradezu
nur ein Abglanz dieser verschwimmenden Häuserreihen zu sein. i)
jJ
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Die absolute Verzerrung, die synthetische Abstraktion des CALIGARI-
Dekors erreicht ihren Höhepunkt bei dem Kerker, in dem schwarze Kanten ll
und Linien, scharf wie Fischgräten, sich nach oben zusammendrängen und
den Gefangenen wie die Krallen eines Riesenvogels einzwängen. Der be-
klemmende Eindruck wird noch durch die pfeilartige Verlängerung der
Führungslinien amBoden verstärkt: sie richten ihre Spitzen bedrohlich gegen
den kauernden, fesselbeladenen Gefangenen in der Mitte. In dieser Höllen-
Enge scheint die verschobene Raute eines unerreichbaren Fensters gleichsam
eine Verhöhnung. Die Filmbilder des CALIGARI haben die absolute Idee
des Kerkers in seiner "expressivsten Expression" verwirklicht.

Hermann Warm hat seinerzeit erklärt: "Das Filmbild muß Graphik


werden." Das berühmte Helldunkel deutscher Filmkunst ist indes nicht allein
auf diesen Ausspruch zurückzuftihren. Die HOMUNCULUS-Filme (1916)
zeigen deutlich genug, daß Otto Rippert bereits begriffen hatte, welche
Wirkungen der scharfe Kontrast zwischen Hell und Dunkel bietet.


Der Dekor diktiert gleichsam eine Stilisierung des Spiels der Darsteller.
Aber Werner Krauss, der diabolische Dr. Caligari, und Conrad Veidt in der

27
Rolle des unheimlichen Somnambulen sind die einzigen, die sich der Abstrak-
tion und Verzerrung des Dekors durch die Konzentration ihrer Physiognomie,
durch die Verhaltenheit ihres Körperausdrucks anzupassen verstehen. Sie ver-
einfachen die Mimik, verdichten ihre Gesten zu fast linearen, mathematisch
abstrakten Bewegungen, die in der Fläche bleiben und die trotz einiger, wie
Kurtz sagt, "verfänglicher Kurven" brüsk erscheinen wie die gebrochenen
Winkel des Dekors.

"Krauss und Veidt", so erklärt weiterhin recht bedeutsam Kurtz, der ja


noch dieser Epoche entstammt, "spielen machtvoll auf eine metaphysische
Konzeption hin. Der Vordergrund ist von ihnen so stark in Bewegung gesetzt
worden, daß die anderen Gestalten regelmäßig in eine farblose Atmosphäre
gerückt werden können." Um die von dem Expressionismus geforderte
,.dynamische Synthese ihres Daseins" zu erreichen, haben Krauss und Veidt
also in ihrer Körperhaltung und in ihrem Gesichtsausdruck alle Übergänge
und wrmitt.:lmk Nuancen ausgeschaltet.

Schon von vornherein übrigens entsprechen die Rollen des Doktor Cali-
gari und des Cesare einer expressionistischen Vorstellungswelt: der Somnam-
bule. der seiner Alltagsumgebung entrückt, der jeglicher Individualität, jeder
persönlichen Initiative beraubt ist, tötet ohne jedes Motiv, ohne Logik, ist
somit eine psychologisch undeutbare,abstrakte Kreatur. Während sein Meister,
der mysteriöse Doktor, völlig skrupellos mit jener gewalttätigen Gefiihl-
losigkcit, mit jener Verachtung einer konventionellen Moral agiert, die von
den Expressionisten als Hochleistung proklamiert wird.

CALIGARI hat keine eigentliche Schule hervorgerufen. Die deutschen


Filmschallenden stehen jedoch eine geraume Zeit unter seiner Wirkung.

Wiene selbst sucht im folgenden Jahr mit GENUINE die Stilisierung


CALIGARIS erneut aufzunehmen. Er wählte wiederum Carl Mayer zum
Drehbuchautor, der mit seinem ersten Szenario bereits sein großes Talent
und sein vollkommenes Verständnis dafür, was Filmkunst bedeutet, bewiesen
hatte. Dieser eigenartige Schöpfer, der keinen Roman, keine Novelle hinter-
lassen, der nur für den Film geschrieben hat, besaß eine außerordentliche,
rein auf das Visuelle eingestellte Gestaltungskrafi: er empfand eine Handlung
als eine Aufreihung von Bildern, ja von Einstellungen. Aber obschon er
GENUINE seinen unnachahmbaren Rhythmus mitteilte, konnte er einen
Mißerfolg nicht verhindern, an dem vor allem der Dekor des expressio-
nistischen Malers Cesar Klein, der mit Walter Reimann arbeitete, schuld war.
Vor einem kunstgewerblich omamentalen Teppichmuster bewegten sich
naturalistisch agierende Schauspieler, denen es nicht gelang, sich von dem
wirren Hintergrund genügend wirksam abzuheben.

28
Wiene begriff die Unzulänglichkeit des Dekors von GENUINE: flir seinen
RASKOLNIKOW holte er sich einen Architekten besonderer Qualität -
Andrej Andrejew. Dank Andrejews Dekors bringt Wiene Bildwirkungen
zuwege, die aus dem zwangsschweren Universum Dostojewskis aufzusteigen
scheinen und denen eine seltsam dumpfe Halluzination entströmt. Oft ist die
Verzerrung seiner Dachstuben nur durch die natürliche VerwinkeJung alters-
schwachen Gemäuers bedingt; in anderen Fällen wiederum vermittelt ein
schon in den Entwürfen angegebenes strömendes Helldunkel zwischen über-
gangslosen Dreiecken und Rhomben, bis es ihnen sogar die abstrakte Zer-
stückelung nimmt. Eine schiefe Stiege mit ihren zerrissenen Latten, ihrem
schartigen Geländer erinnert bereits an jene unheimliche, gleichfalls von
Andrejew entworfene Treppe voll ausgezackter Schatten in dem Pabst-Film
DIE BÜCHSE DER PANDORA, wo Lulu den unseligen Jack den Bauch-
aufschiitzer zu ihrem und seinem Verderben die Stufen hinauflockt

Ein anderer expressionistischer Film ist weit artifizieller gestaltet: in Karl


Heinz Martins VON MORGENS BIS MITTERNACHT (nach dem Stück
von Georg Kaiser) sind die Gesichter und Kleider der Darsteller wie die
Dekors fleckig weiß aufgehellt oder mit dunklen Schatten bemalt. Stattjedoch
das Volumen der Formen zu verstärken, verwischt diese künstlich verzerrte
Licht- und Schattenaufmalung die Konturen, macht alles gegenstandslos.
Bei einem weiteren Film, TORGUS, den Hans Kobe gedreht hat, ist der
expressionistische Gestaltungswille auf Ornamente beschränkt, während die
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natürlichen Konturen der Gegenstände eingehalten werden; ein einziger
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Versuch, die hinderliche Wirklichkeit aufzuheben, wird unternommen: die il
Möbel sind in ähnlicher Weise wie die Dekors des Karl Heinz Martin-Films
radierungsähnlich gestrichelt.
I
In allen diesen Filmen erkennt man deutlich einen Zwiespalt, den allein
CALIGARI zu vermeiden gewußt hat: eine Dissonanz wird immer unaus-
I
bleiblich sein, wenn es sich um die Ausgestaltung einer Atmosphäre handelt, I~
bei der gleichsam impressionistisch anmutende Elemente einzusetzen sind, Ii!
um durch ein flutendes Helldunkel Stimmung zu erzeugen; das Experimen- ij
tieren mit abstrakten Faktoren beschränkt sich hier zumeist auf eine Stilisie-
rung des Dekors. So verwischt sich zum Beispiel in TORGUS die expressioni- !1
stische Wanddekoration in der Wirtsstube völlig, Rauchschwaden und das
dämmerige Licht einer Hängelampe verschleiern sie.

Kobe läßt den jungen Liebhaber ähnlich wie den Cesare in CALIGARI
nachtwandlerisch willenlos einhertappen. Indes bleibt die expressionistische
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I
Haltung der Darsteller lediglich Beiwerk und bedeutet im Grunde nicht mehr
als jener überhohe Zylinderhut aus CALIGARI, der auch in TORGUS auf-
taucht. Nie wieder wird in einem der expressionistischen Filme die Einheit
zwischen Dekor, Spiel und Kostümwirkung erreicht, die in CALIGARI bei

29
Krauss und Veidt zu finden war. Dies ist vielleicht besonders in Fritz Wend-
hausens Film DER STEINERNE REITER. (1923) zu spüren; hier steht
der von Wemdorff geschaffene expressionistische Dekor in einem abstrusen
Widerspruch zu dem naturalistischen Körpergebaren der Darsteller.

Im expressionistischen Theater half das Wort wenigstens, den Stileindruck


zu halten. "Wir schleuderten", so schreibt rückblickend die Schauspielerin
Leontine Sagan (Regisseurin von MÄDCHEN IN UNIFORM) im Jahre 1933
in Cinema Quarterly, "die Worte heraus wie Steine von einem Katapult"

Im Stummfilm dagegen sollten Körperhaltuna, Mimik und Gesten allein


den expressionistischen Stilwillen ausdrücken. "Der Schauspieler", so schreibt
Leontine Sagan, "der an seinen eigenen körperlichen Naturalismus gebunden
war, mußte also versuchen, sich möglichst expressionistisch zu gebärden: wir
reduzierten unsere Gesten auf das Minimum aktiver Bewegung. In unserem
Bestreben, abstrakt zu werden, gerieten wir ins Extreme und wurden steif,
diese Art von Schauspielerei wurde oft blutlos und akademisch." Das ist die
Ucfahr Hir fast alle expressionistischen Filme gewesen.


In CALIGARI war die Verzerruna als Vorstellunaswelt im Hirn eines
Irren gerechtfertigt. In VON MORGENS BIS MITfERNACHT ist der
Standpunkt ein wesentlich anderer; Objekte und Personen sind so gesehen,
wie sie der Kassierer, den ein Zufall seiner ehrlichen Alltagswelt entrissen hat,
wahrnimmt. Formen, die für seine getrübte Bewußtseinswelt von Bedeutuna
werden, sind gigantisch groß, sie sind, wie die Expressionisten es fordern,
aus allen Beziehungen mit anderen Objekten und Personen herausgerissen
und haben jegliche logischen Beziehungen und Proportionen, die sie einst
ihrer Umgebung einbanden, verloren. Andere, filr den Kassierer unwesentlich
gewordene Objekte verschwimmen, verkleinem sich in übertriebenem Maße.

Wir berühren hier das Geheimnis der phantastischen Wirkuna so mancher


deutscher Filme aus der expressionistischen Epoche. Jenen Maelström von
einander sich ablösenden, durcheinanderwirbelnden Bildern und Vorstel-
lungen finden wir in Mumaus PHANTOM, in den sich wandelnden Aspekten
der von oben gesehenen Masse in Duponts VARIETt. Auf solchen Einstel~
Iungen beruht noch die Wirkung gewisser Szenen in Alfred Abels NARKOSE,
einem Film, in dem den Zuschauern die dem Unterbewußtsein entstam-
menden Wahnbilder der Narkotisierten vermittelt werden. Dies ist noch die
Gestaltungsweise, die flir Emö Metzners Kurzfilm ÜBERFALL anaewendet
worden ist, wo der Fieberwahn eines Verletzten mittels deformierender
Linsen, mit Hilfe von konkaven oder konvexen Spiegeln wiedergegeben
wird.

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30

... ,....,,.,
Indes ist es vor allem Pabst gewesen, der sich in einem Film aller jener
Errungenschaften bemächtigt hat, die ihm der Expressionismus als Erbe bot.
In den GEHEIMNISSEN EINER SEELE sucht er das traditionelle Verfahren
zu transponieren. Neben süßlich anmutenden Traumvisionen im Öldruckstil
und anderen, in denen ein neutraler weißer Hintergrund wie im .,absoluten
Film" die Realität mit ihren Beziehungen aufhebt, neben den Simultan-
eindrücke wiedergebenden Einblendungen, Überblendungen, wie sie fran-
zösische Avantgardisten verwerten, verwendet Pabst Visionen, die ihm allein
der deutsche Expressionismus vermitteln konnte. Er hat hier die Möglichkeit
gefunden, Personen und Objekten ein leuchtendes Relief, eine Art von Aura,
phosphoreszierende Konturen zu geben, architektonische Perspektiven zu
verzerren, ihre Proportionen zu übersteigern und sie so zu den seltsamsten
Gebilden umzuformen.

31
DER STUDENT VON PRAG von Stellan Rye mit Paul Wegener

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DER STUDENT VON PRAG von Stellan Rye mit Poul Wegener

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~
~

Albert Bessermann in DER ANDERE von Mox Mock

DAS HAUS OHNE TOR von Stellen Rye


33
DAS HAUS OHNE TOR von Stellan Rye

DAS HAUS OHNE TOR von Stellan Rye

34
RASKOLNIKOW von Wiene

35
CALIGARI von Robert Wiene

CALIGARI von Robert Wiene

36
CALIGARI von Robert Wiene
37
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LANDRU, DER BLAUBART VON PARIS von Hans Otto Löwenstein
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RASKOLNIKOW von Robert Wiene

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Expressionistische VIsionen und Trlume

GEHEIMNISSE EINER SEELE von G. W. Pabst

SCHATTEN von Arthur Robison


40
Expressionistische VIsionen und Träume

RASKOLNIKOW

41

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VON MORGENS BIS MITTERNACHT von Karl Heinz Martin

VON MORGENS BIS MITTERNACHT


42
TORGUS von Hans Kobe
43

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CALIGARI
44
IIl.

Die Magie des Lichts - Das Halbdunkel


Einflüsse Max Reinhardts- "Der Golem" (1920)- "Zur Chronik
von Grieshuus" (1925)

Das doppelte Licht ist allerdings gewaltsam,


und Sie können immerhin sagen, es sei gegen
die Natur. -Allein wenn es gegen die Natur ist,
so sage ich zugleich, es sei höher als die Natur,
so sage ich, es sei der kühne Griff des Meisters,
wodurch er aufgeniale Weise an den Tag legt,
daß die Kunst der natürlichen Notwendigkeit
nicht durchaus unterwotfen ist, sondern ihre
eigenen Gesetze hat.

Goethe (Eckermanns Gespräche


mit Goethe, 1827)

45

r • • > ~ ) v• > ' • ...,.. • '-' • • .( o ~~ ' ,< ~~ ( " ' •:.. '
- - - - - - - - - - - - - - ·-···----
Wir pflegen das berühmte Helldunkel des deutschen Films als ein wesent-
liches Attribut des Expressionismus anzusehen; man glaubt allgemein, seit
Kracauer darauf hingewiesen hat, daß dies Helldunkel auf die 1917 bei Rein-
hardt erfolgte Aufflihrung eines expressionistischen Dramas, auf den "Bettler"
von Reinhard Sorge, zurückzuführen ist.

Hier fanden sich der Kontrast, der Zusammenprall von Licht und Schatten
und jene plötzliche Ausleuchtung einer Person, eines Objekts, um die Auf-
merksamkeit des Zuschauers auf sie zu konzentrieren, während zur gleichen
Zeit alle anderen Personen oder Objekte in ein abgrundtiefes Dunkel getaucht
schienen. Dies bedeutete die visuelle Übertragung des expressionistischen
Axioms, das vorschrieb, im Chaos des Universums nur ein Ding zu fixieren
und es seinen vermittelnden Beziehungen zu anderen Objekten zu entreißen.
Hier gab es auchjene phosphoreszierende Aura,jene Gloriole, die den Kon-
turen eines Kopfes folgte, ihn plastisch aus dem Dunkel herausholte, oder
jene harten Strahlenbündel, die den weißen Fleck eines Gesichts wie einen
Schrei herausprallen ließen.

Max Reinhardt, der große Impressionist, hatte für den "Bettler" eine
streng expressionistische Aufrührung zuwege gebracht, um den symbolischen
Gehalt des Expressionistendramas auszuschöpfen. Es war indes nicht das
erstemal, daß er sich der suggestiven Magie der Beleuchtungen bediente.
Ihm hatte es stets gefallen, mannigfaltigste Formen durch ein warmes Leuch-
ten, das von einer unsichtbaren Lichtquelle flutete, zu modellieren, diese
Lichtquellen zu vervielfältigen, Oberflächen durch samtene Schattengebung
auszuhöhlen oder zu verwischen, das alles, um jeglichen Verismus und Natura-
lismus, die einer vorangegangenen Generation als höchste Kunst erschienen
waren, zu bekämpfen.

A'7
In den letzten Kriegsjahren, 1917/18, war Max Reinhardt, dem die Kritik
so oft seinen Hang für allzu reichen Dekor vorgeworfen hatte, aus Material-
und Geldmangel gezwungen, auf allen Prunk der Ausstattung zu verzichten;
er ließ jetzt oft sämtliche Szenen eines Stücks, die an verschiedenen Orten
abrollten, zwischen zwei ungeheuren Säulen spielen. Licht und Dunkel be-
kamen von nun an eine neue Bedeutung, sie mußten den einst verschieden-
artigen Dekor ersetzen, eine einzige, nur gerade angedeutete Architektur
beleben und wandeln. Wechselnde Beleuchtungen kreuzten sich, stießen auf-
einander, sie waren die alleinige Möglichkeit, die Mittelmäßigkeit von Ersatz-
material und -stoffen zu verschleiern und den Forderungen eirter bewegten
Handlung gemäß die Atmosphäre zu intensivieren. Oft tauchte eine kurze,
heftig geführte Szene leuchtend aus einem gähnenden Dunkel auf, und dieses
Intermezzo wurde im gewollten Moment wieder von einer erbarmungslosen
Nacht verschluckt, während im Augenblick danach Licht auf eine andere
Szene grellte. Diesen plötzlichen Wechsel von Hell und Dunkel ermöglichte
die Drehbühne des Deutschen Theaters oder die sich weit hinstreckende
Arena des Großen Schauspielhauses. Reinhardt fand hier zugleich eine neue
Art, die Darsteller zu gruppieren, ihre ganze Plastik durch den Kontrast
zwischen Licht und Dunkel herauszuholen. Eine Menge erscheint im Geheim-
nis der Schatten viel dichter. Solche Ausleuchtungen konnten die tragische
Spannung einer Szene, den pathetischen Gehalt der Handlung intensivieren,
eine Stimmung ausschöpfen, Atmosphäre geben; sie konnten gleichzeitig
auch das saftig Burleske einer commedia dell' arte funkelnd und glitzernd
unterstützen.

Die deutschen Filmregisseure hatten es also keineswegs nötig, sich der


Aufführung des "Bettlers" zu entsinnen, um ihrerseits die zaubervollen
Effekte eines Helldunkels zu verwerten, das ihnen bereits seit einer geraumen
Zeit vertraut war.

Daß dies der Fall gewesen ist, zeigen am besten die HOMUNCULUS-
Filmepisoden, die vor der Reinhardt-Aufflihrung vom "Bettler" gedreht
worden waren. In diesen Filmen finden wir bereits alle Kontrastierungen
von Hell und Dunkel, den Schock des Lichts mit den Schatten sowie alle
klassisch gewordenen Elemente des künstlerischen deutschen Films von dem
MÜDEN TOD bis METROPOLIS.


In seinem "Untergang des Abendlandes", einem Werk, das so charakte-
ristisch flir die damalige deutsche Weltanschauung gewesen ist, preist Oswa1d
Spengler das Nebelhafte, das geheimnisvolle Helldunkel, das Kolossale und
die grenzenlose Einsamkeit des faustischen Menschen. Der unermeßliche
Raum, den die nordische Seele kennt, ist niemals klar, niemals hell, düstere
Dämpfe durchströmen ihn. Germanias Walhall, das Symbol grenzenloser
Einsamkeit, ist nebelgrau, ungesellige Heroen, feindliche Götter hausen hier.

Wie späterhin Hitler, hat S12-eng]er deshalb eine Vorliebe für die braune
Farbe - "das Atelierbraun Rembrand"ts". Dieses Braun, eine "protestantische
Farbe" par excellence, fehlt am Regenbogen, ist daher die irrealste aller
Farben, wird die der Seele, wird das Emblem des Transzendentalen, des Un-
endlichen, des Raumhaften. Die Neigung zum Bräunlichen und daher zu dem
Schattenhaften ist auf Julius Langbehns berühmtes Buch "Rembrandt als
Erzieher", das 1890 veröffentlicht wurde und unzählige Auflagen erlebt hat,
zurückzuführen. Langbehn sieht bekanntlich in Rembrandt den typischen
Vertreter des authentischen Ariers, der den "helldunklen Charakter der Nieder-
deutschen" aufweist. Wie alle Deutschen, so behauptet Langbehn, sucht
Rembrandt das Melancholische, die dunkle Seite des Daseins, die Dämmer-
stunde, in der das Dunkle noch dunkler erscheint und das Helle noch heller. /
Das Helldunkel ist für ihn die typische deutsche Farbe, weil der Deutsche
zugleich hart und zart sei !

Liest man gewisse Sätze bei Jean Paul, so kommt es uns oft vor, als rolle
vor unseren Augen ein klassiscner deutscher Film ab. Er spricht zum Beispiel
in seinem 1802 veröffentlichten "Titan" von einem "helldunklen Zimmer", in
dem die Seele erschauert, weil ein Sonnenstrahl durch das hohe Fenster
herabbrennt und weil ein beseelter Staub, der Form zu nehmen scheint, in
ihm spielt.

Die Landschaft nimmt an diesem Hang zum grenzenlosen Helldunkel teil.


HöJ,dedjn erklärt, daß sein Herz sich unendlich wohl fühlt in dem Halb-
dunkel und daß, wenn er die undurchforschbare Natur betrachte, der Anblick
ihres verschleierten Götterbildes ihm heilige und göttliche Tränen entreiße.

Ist das Helldunkel unser Element, ist der Schatten die Heimat unserer
Seele? - so fragt sich Hölderlin, und ~flüchtet sich in den dunklen
Schoß der Nacht, weitab vom "armen und törichten Licht".

Wir finden jene gleiche hybride Sehnsucht nach dem Dunkel bei Zara-
thustra. "Licht bin ich: ach, daß ich Nacht wäre! Ach, daß ich dunkel wäre
und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen!"

Spengler, der große Theoretiker des Mystizismus, hat den Versuch unter-
nommen, die Beweggründe für diese Vorliebe aufzudecken. Das Tageslicht
legt dem Auge Grenzen auf, so erklärt er, schaffi körperliche Objekte, die
· Nacht jedoch löst das Körperliche auf, wie der Tag das Seelische auflöst
In diesem Sinne scheint ihm die Dunkelheit ein typisch gennanisches Erbteil
zu sein: schon die Edda trägt Spurenjener Mittemächte in sich, in denen Faust
in seiner Studierstube grübelt.

Die faustische Seele des nordischen Menschen gibt sich also den nebel-
haften Weiten hin, während Reinhardts "magische orientalische Seele" seine
Welt mit Hilfe des Lichts zu schaffen weiß und sich des Dunkels nur gleichsam
als eines Hintergrunds bedient.
*
Sieht man heute den ersten STUDENT VON PRAG wieder, den Stellan
Rye, der dänische Filmregisseur, mit Paul W~en~ in der Hauptrolle gedreht
hat, so mag man ein wenig enttäuscht sein. rotz mancher Unbeholfenheit
birgt jedoch dieser Film bereits viele jener Elemente, für die der deutsche Film
berühmt werden sollte. Man denke an die Beleuchtungseffekte der Kerzen,
an das romantische HeUdunkel in jener Szene, in der Scapinelli, der geheimnis-
voUe Böse, im Arbeitszimmer des Studenten auftaucht

Zuweilen wird auch der natürliche Dekor für die Stimmung ausgewertet.
Auf der Schloß-Terrasse werfen Säulen schwere Schatten. Und auf dem alten
Judenfriedhof von Prag ragen unheimlich die verwitterten mittelalterlichen
Grabsteine auf.

Noch ist dies für Wegener als Filmschauspieler nur ein Auftakt. Er mußte
sich erst auf der Leinwand sehen, um zu begreifen, daß für ihn, den Theater-
darsteUer, der Film eine grundlegende Umstellung bedeutete. Schon seine
RoHe im ersten GOLEM von 1914 zeigt, wie er zur Konzentration, zu spar-
samen Gesten, zur vereinfachten Mimik gelangt ist.

Paul ~ner, der lange Jahre hindurch der Reinhardt-Schauspielertruppe


angehört hat,ISt'eine zu eigenwillige Persönlichkeit gewesen, um Reinhardts
Regiekunst einfach nachzuahmen. Er paßte Reinhardts Magie der Beleuch-
tungen der Filmvision an.

,f Während der Kriegsjahre hat Wegener Märchenfalrne wie RÜBEZAHLS


HOCHZEIT oder RATTENFÄNGER VON HAMELN inmitten der Felsen
des Riesengebirges oder auf sonnigen Hängen kleiner mittelalterlicher Städte
am Rhein gedreht, und von diesen Freilichtaufnahmen hat er eine Leichtigkeit
beibehalten, eine Luftbeschwingtheit, ein Fluten der Atmosphäre, die noch
in seinem im Atelier gedrehten GOLEM (1920) zu spüren sind. Sein Kinder-
reigen vor den. Ghetto-Toren hat sich etwas von dem flimmernden Sonnenlicht
der Außenaufnahmen bewahrt.

In diesem zweiten GOLEM wertet Wegener alle Lichteffekte aus, die von
Reinhardt stammen. Sterne glitzern auf einem Samthimmel, vom Herd des
Alchimisten lodert die Lohe, in einem Winkel wird Miriams Gestalt von der
kleinen Ölfunzel beleuchtet, ein Diener hält eine Laterne hoch, Fackeln
flackern durch die Nacht, und in der Synagoge sind die Flammen des sieberi-
armigen heiligen Leuchters angezündet, ihr Licht huscht über die nieder-
gesunkenen Beter. Weich verschwimmen alle diese Lichtwirkungen, ohne
jene Kontraste und ohne den Schock, die der expressionistische Stil mit sich
bringt. Ein Rembrandt-warmes Leuchten modelliert die rissigen Züge des
alten Rabbiners, das Gitter eines Fensters zeichnet sich als Schatten auf ein
Gewand. Die Beschwörungsszene mit ihren magischen Feuerkreisen, die
stärker wirkt als die ähnliche Szene in Mumaus FAUST, ist völlig auf Licht-
effekte eingestellt. Das phosphoreszierende Antlitz des Dämonen mit den
traurig leeren Augen fließt wie im Nichts daher, wird plötzlich an dem Rand
der Leinwand zu einer gigantischen Asiatenmaske, zu einer packenden
Drohung - die Macht der Vision ist hier bis zum Äußersten gesteigert.

Paul Wegener hat sich stets dagegen gewehrt, seinen GOLEM als ex-
pressionistischen Film gelten zu lassen. Wenn der GOLEM uns heute als
expressionistischer Film erscheint, so liegt dies in der Hauptsache an Hans
Poelzigs Bauten.

Poelzigs Golemstadt, so schreibt Kurtz, hat von dem Aspekt einer mittel-
alterlichen Siedlung nichts und von einem gotischen Traum alles. Kurtz sieht
in Poelzigs Schöpfungen eine "rhythmisch gefühlte Architektur", ein starkes
architektonisches Bewußtsein von Kräftespannung und Gebundenheit, teils
im Sinne des gotischen, teils in dem des expressionistischen Stils.

Was indes läßt jene Häuser, deren gotische Vertikalen Kurtz richtig
empfunden hat, sich so stark von den vom überfallenden schiefen Kuben-
häusern CALIGARIS unterscheiden? Es ist die wirkliche Form von steilen,
engen Giebelhäusern, die durchdringt; auf einem spärlichen, durch Mauem
eingezwängten Raum erhebt sich ein qualvoll gedrängtes Ghetto, in dem
Haus neben Haus keinen Platz hat, sich auszubreiten, und in die Höhe steilen
muß. Hier sind die expressionistisch empfundenen Bauten nicht zum ab-
strakten Dekor geworden. Die spitzen Judenhüte scheinen die Replik zu
den spitzen Giebeln zu sein, alles wird fast Greco-haft zackig, zackig wirken
die Spitzbärte, die im Winde wehen, zackig die flackernden Gesten, die in
die Höhe gereckten Hände. Die fiebernde Unruhe dieser Ghetto-Menge, ihr
Hin- und Herwogen in ewigem Schrecken hat nichts gemein mit dem ge-
schickten Mechanismus, mit dem Lubitsch eine Menge vor- und zurücktreibt.
Hier ist auch nichts von dem wohlgeordneten Vordringen in geometrisch-
architektonisch eingebundenen Gruppen zu finden, wie sie Fritz Lang zu
lenken weiß. Wegener sucht im Grunde keine omamentale Einordnung.
Wenn einmal in einer Einstellung die von oben aufgenommene Masse sich
dekorativ um die Thora-Lade einfügt, wenn sich zu beiden Seiten dieser
Lade die Schofarhörner der Synagoge erheben, so ist dieser sich zum Orna-
ment gestaltende Anblick, gerade weil er einmalig erscheint und organisch
aus der Aktion selbst herauswächst, von besonderer Wirkung. Ähnlich ist
es am Schluß des Films, wenn die vom Golem befreiten Bewohner sieh als
eine fast unabsehbare Menschenschlange aus der engen, langen Ghettostraße
zum Tor vordrängen; auch hier wieder sind Bewegung und die gebundene
Form der Masse aus der Handlung heraus entwickelt

In den Interieurs sind Poelzigs Spitzbogen zu schrägen Ellipsen verzogen,


ihr Maschenwerk rahmt die Figuren gleichsam ein und gibt der fluktuierenden
I
Atmosphäre eine gewisse Stabilität. So mischen sich hier expressionistische
Bau-Elemente mit Reinhardts impressionistischen Beleuchtungseffekten, und
I gerade diese Verquickung heterogener Stilfaktoren verleiht dem GOLEM
I
eine besondere Note, hebt ihn aus der Reihe expressionistischer Filme heraus.
I
Vielleicht begreift man auch angesichts des GOLEM die Fehler eines
I Films wie DER STEINERNE REITER von Fritz Wendhausen. Ein mitunter
recht reizvoller expressionistischer Dekor steht nicht im Einklang mit der
I
naturalistischen Körperhaltung der Darsteller, und der Regisseur hat es nicht
I verstanden, die hier so stark fühlbare Inkongruenz durch Lichtwirkungen
zu verwischen.
I

I
*
I
Artbur von Gerlachs ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS ist in einer
gewissen Beziehung dem GOLEM verwandt. Auch hier schimmert etwas von
I
dem Balladenton durch, der Wegencrs frühe Filme erfllJlt Der GRIESHUUS-
I Film zeigt in seinen Interieurszenen zudem auch jenes verwebende Schim-
mern des Lichts, jenes weich flimmernde Leuchten, das dem GOLEM eigen
I
ist und das wir in Murnaus FAUST wiederfinden werden.
·---~· ....... .
I

I
Erinnert uns die CHRONIK VON GRIESHUUS weiterhin so sehr an
einen schwedischen Film, weil Gerlach ein typisch nordisches Sujet von dem
I aus Schleswig stammenden Dichter Theodor Storm gewählt hat? Sind es die
I
Außenaufnahmen, der Sinn für Naturlandschaften, die diesen Film, wie etwa
auch Murnaus NOSFERATU, von anderen nur im Atelier gedrehten
I
deutschen Filmen unterscheiden? In der CHRONIK VON GRIESHUUS
I ist die Lüneburger Heide mit ihren düsteren, mageren Hängen, dem vom
Sturm zerrissenen Gesträuch zum Rahmen einer Geschichte von Bruderhaß,
Brudermord, unseliger Liebe und qualvoller Sühne geworden. Gegen einen
blassen Himmel erheben sich wie riesenhafte Fresken Reiter auf ihren ge-
bäumten Rossen, die faltenreichen Mäntel blähen sich im Wind, grausam-
wilde Leidenschaften gesellen sich dem Sturm zu. Und selbst das auf dem
Neubabelsberger Gelände aufgebaute expressionistisch verbeulte, verquollene

,...,
(von Robert Herlth meisterhaft entworfene) Heideschloß wird in diesem
FD~· der so voll der Poesie des schwedischen Pleinairs ~!,'i'~~e. r ..
tssonanz. · · .· · ··· ·· ·
. ·.
Mitunter mag es wundernehmen, daß die "nordische Invasion", ·das
Arbeiten so vieler Filmregisseure und Schauspieler aus Skandinavien in den
deutschen Ateliers, im Grunde nicht mehr Einfluß auf den deutschen Film
gehabt hat Vielleicht deshalb, weil die Einwirkungen, die Reinhardts ·ge-
bändigter Theaterstil und weit mehr noch der Expressionismus ausübten,
eine so unmittelbare Bedeutung hatten, daß Einflüsse von außen her kaum
eindringen konnten. ·

Dies ist sogar noch der Fall, wenn, wie im Sven Gade-Film HAMLET,
in dem A$1a.~ den Helden spielt, das dänische Element in .den
Vordergrund rückt Hier tragen zwar die Freilichtszenen typisch· skandi-
navische Prägung, aber die dekorativ gehaltene Stilisierung der Gruppen ist
direkt auf Reinhardts Inszenierung zurückzufUhren. Und mögen in HANNE- ·
LES HIMMELFAHRT, dem von Urban Gad in Deutschland gedrehten
Film, gewisse nordische Elemente durchschimmern, so ist doch die Licht-
führung als ein typisch deutscher, aus dem Expressionismus herausgewach~ ·
sener Stimmungsfaktor zu erklären.

•-.· ·~·· .
Plakat zu dem Film ALGOL von Hans Werckmeister (1920)
Der expressionistische Mensch "erscheint, als trOge er sein He
auf der Brust aemalt." (Kasimir Edschmid)
:JUne und Golem sind die bevorzugten Personen
"dämonischen Epoche".
Skizze von Professor Hans Poelzig für den Dekor des GÖLE/
WIE ER IN DIE WELT KAM
57
eil des Labors für den GOLEM,
eführt von Marlene Poelzig nach einer Skizze ihres Mannes

1arell für das Ghetto des GOLEM von Hans Poelzig


Zwei Skizzen für CAUGARI von Walter Reiman
~e für CALIGARI von Hermann Warm
Der expressionistische Übermensch

HOMUNCULUS in einer Episode aus dem Film von Otto Rippert

Rothwang in METROPOLIS von Fritz lang


r dämonische Doppelgänger des STUDENTEN VON PRAG (1926)

s Geheimnisschwere der nächtlichen Straße: ORLACS HÄNDE


n Robert Wiene
Der Einfluß von Max Reinhard1

I. N. R.l. von Robert Wient

. MONNA VANNA von Richard Eichber~


)er Einfluß von Max Reinhardt

JCREZIA BORGIA von Richard Oswald

\NTON von Dimitri Buchowetzki


Der Einfluß von Max Relnhardt

CARLOS UND ELISABETH von Richard Oswald

LUCREZIA BORGIA von Richard Oswol'


'er Einfluß von Max Reinhardt

CREZIA BORGIA

I Jannings in DAS WACHSFIGURENKABINETT von Paul Leni

"'"'
Der Einfluß von Max Relnhardt

Asta Nielsen in VANINA von Arthur von Gerlach


67
lr Einfluß von Max Reinhardt

\DAME DUBARRY von Ernst Lubitsch

.DAME DUBARRY von Ernst Lubitsch


68
ZUR CHRONIK VON G&IESHUUS von Arthur von Gerlad

VAN IN
69
---------·-··------
IV.

Lubitsch und die Kostümfilme


Filme von Buchowetzki, Oswald, Eichberg - Lubitschs "Madame
Dubany" (1919), "Sumurun" und "Anna Boleyn" (1920)

Er kann bei der ersten Bekanntschaft etwas


sehr derb, ja mitunter sogar etwas roh er-
scheinen . . . Und dabei muß man nicht ver-
gessen, daß er über ein halbes Jahrhundert in
Ber/in zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an
allem merke, dort ein so verwegener Menschen-
schlag beisammen, daß man mit der Delika-
tesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare
atif den Zähnen haben und mitunter etwas
grob sein muß, um sich übet Wasser zu halten.
Goethe (Eckermanns Gespräche
mit Goethe, 1823)

..,,
Skizzen von Ernst Stern für Max Reinhardts Theater
Die Hochflut historischer Filme in Deutschland um die Jahre 1919 bis
12f312·t~r;ter Filme, die man bezeichnenderweise "Kostümftlme" nennt, ist
aufdas Verlangen eines verarmten Volkes, das stets Paradenglanz geliebt
hat, nach Prunk, nach "Evasion" zurückzuführen. Die meisten dieser Filme,
die Paul Rotha in seinem Buch "The Film Till Now" als "commercial products
of the property room and Reinhardt" kennzeichnet, haben lediglich in recht
oberflächlicher Weise ein paar Regie-Elemente der Reinhardt-Bühneil nach-
zuahmen versucht.

Gewiß, es ist der Einfluß Reinhardts gewesen, daß so viele Kostümftlme


dieser Zeit in der Renaissance-Epoche spielen (man denke nur an Ripperts
DIE PEST IN FLORENZ, an eine Episode des MÜDEN TOD,an LUCREZIA
BORGIA oder MONNA VANNA). Es kommt auch gelegentlich vor, daß
es einem zweitklassigen Regisseur gelingt, ein paar überraschend geschickte
Einstellungen, ein paar Gruppenbildungen ungewöhnlicher Art zuwege zu
bringen. In Richard Oswalds LUCREZIA BORGIA bilden die Soldaten eine
lanzenstarrende Reihe, die sie als dichtgedrängtes Heer erscheinen läßt. Man
erinnert sich an Reinhardts Kunst, in Shakespeares "Heinrich IV." Statisten
zu gruppieren, und mehr noch an Schlachtenbilder Paolo Uccellos, die
Reinhardt bewußt herangezogen hat.

In MONNA VANNA, einem Film von Richard Eichberg, dessen Ehrgeiz


sonst kaum über mittelmäßige Unterhaltungsfilme hinausgegangen ist, ent-
decken wir plötzlich erstaunlich gute Gruppenbildungen. So stoßen zum
Beispiel im Halbkreis gestellte Krieger ihre Lanzen gegen eine isolierte Figur,
Paul Wegener, vor, der die Angreifer in Schranken hält. Die Art, ~ine Haupt-
person zu isolieren, alle Führungslinien auf sie zu richten und damit das

.,.,
Auge des Zuschauers auf sie zu lenken, ist typisch flir Reinhardt Die ganze
Szene verrät seine Art; sogar die anstoßenden Palastfronten zeigen deutlich,
wie hier mit einem Bühnenraum gerechnet wurde. (Auch Lubitschs berühmte
Plätze in MADAME DUBARRY, SUMURUN und ANNA BOLEYN ver-
raten immer ihre Herkunft vom Theater.) Um gleichsam Reinhardts Regie-
kunst dokumentarisch zu fixieren, hätte man nicht besser vorgehen können.

Richard Oswald hat weit mehr als Ernst Lubitsch begriffen, wieviel der
Film von der Magie Reinhardtscher Beleuchtungskunst zu gewinnen hatte.
Für seinen Film CARLOS UND ELISABETH konnte er zudem Schillers
"Don Carlos", den Reinhardt wiederholt am Deutschen Theater inszeniert
hat, als Vorbild nehmen.

Wie bei Reinhardt tauchen die Darsteller plötzlich vor einem dunklen
Hintergrund auf, heben sich, von einer unsichtbaren Lichtquelle modelliert,
plastisch ab; durch ein hohes Mittelfenster fallt ein leuchtender Streifen,
gleitet über den Boden hinweg, und zu beiden Seiten drückt Finsternis den
Raum. Lamestoffe glitzern, Goldspitzen zeichnen ihr Spinngewebe in die
Luft, reich bestickte Samtwämser leuchten auf; wie Harnlet erscheint der
Infant von Spanien - Conrad Veidt- im schwarzen Gewand, aus der Dunkel-
heit heraus prallt sein bleiches Gesicht.

In LUCREZIA BORGIA stößt ein Lichtkegel plötzlich auf eine am


Boden hingestreckte Gestalt, um sie herum erscheint der dunkle Raum un-
endlich tief.

Das sind typische Reinhardt-Effekte. Mitunter jedoch, und das ist be-
zeichnend für alle jene von Reinhardt beeinflußten Kostümfllme, wird die
Magie der Beleuchtung außer acht gelassen; dann spüren wir die Mittel-
mäßigkeit der Schauspielerfl.ihrung, fl.ihlen, daß die Hand Reinhardts gefehlt
hat - obwohl die meisten Schauspieler dieser Filme der Reinhardt-Truppe
entstammen.

Hier sehen wir die Grenzen jener Nachahmung. Vielleicht ist das nir-
gends so deutlich zu erkennen wie bei den Filmen von Dimitri Buchowetzki,
einem in Deutschland arbeitenden, völlig in seinem Stil akklimatisierten
Filmregisseur, der mehr noch als die anderen Reinhardt nachzuahmen
bestrebt war. In seinem von naiv umständlichen Titeln beschwerten
OTHELLO ist nichts mehr von der leuchtenden opalisierenden Venedig-
Atmosphäre zu spüren, die der Impressionist Reinhardt hervorzuzaubern
wußte und die wir mitunter in der Karnevals-Episode des MÜDEN TOD
wiederfinden. Einzig allein die Figur eines ungewöhnlich agilen Jago erinnert
an Reinhardts Auffassung. Krauss hat ja auch im Deutschen Theater den
gleichen, halb tänzerisch-burlesken, halb dämonischen Bösewicht verkörpert,
der von Callots Grotesken der commedia dell' arte zu stammen scheintmit
seinem knöpfeblitzenden, aalhautgleich angegossenen Kostüm, aus dem sein
fetter Körper herausprallt Er fUhrt die skurrilsten Entrechats aus, um die
Schicksalsfäden Ahnungsloser zu verwirren, ist Marionette und Marionetteo-
ftihrer zugleich. Das Quiproquo eines tragischen Balletts der Eifersucht, das
Reinhardt inszeniert hat, kommt in diesem sonst so unbeholfen und schwer-
fällig anmutenden Film einige Augenblicke lang zum Ausdruck.

Ähnlich verhält es sich mit Buchowetzkis DANTON. Neben Szenen


voller Mittelmäßigkeit steht plötzlich eine packende Revolutionsszene mit
vordringenden Menschenmassen, oder wir sehen das Revolutionstribunal, wo
sich die Figuren von einem dunklen Hintergrund ungemein wirkungsvoll
abheben und jene wohlabgewogene, gestaffelte Gruppenbildung zeigen, die
Reinhardt-Inszenierungen eigen war.

*
Lubitsch. der der Reinhardt-Truppe so lange angehörte, ist merkwürdiger-
weise weit weniger als andere deutsche FilmschafTende dem Einfluß dieses
großen Theaterregisseurs verfallen. Es mag daran liegen, daß Lubitsch seine
Karriere mit derben Filmgrotesken begonnen hat und so in den pseudo-
historischen Kostümfilmen lediglich eine Gelegenheit sah, komische Züge,
lächerliche Zwischenfälle und Situationen zu enthüllen, um ein anspruchs-
loses Publikum zu amüsieren.

Die Berliner galten früher als besonders realistische Leute, deren lebhaft
agierender Verstand rasch Lächerlichkeiten durchschaute und die zu witzigen,
oft scharfen Erwiderungen bereit waren. Dem in der Wirklichkeit verwurzelten
Spree-Athen hatten die sich ansiedelnden Hugenotten etwas von dem fran-
zösischen Esprit mitteilen können - man denke nur an Fontane, in dem sich
eine gewisse lateinische Ironie mit Preußengeist gemischt hat. Zu Beginn
des 19. Jahrhunderts kam im Salon Rahel Varnhagens ein neues Element
hinzu: der Witz und Scharfsinn jüdischer Intellektueller .wie Heine, die
gepflegte Geistigkeit eines reichen jüdischen Bürgertums. Gegen Ende des
Jahrhunderts und vor allem zu Beginn des neuen Jahrhunderts mischt sich
diesen heterogenen Elementen ein neuer Faktor bei: die Witzeleien, der
Jargon der "Konfektion", sein Galgenhumor, sein halb resigniertes, halb
zynisches Hinnehmen von Dingen, die man nicht ändern kann, jener
Fatalismus von Menschen, die gewohnt waren, in der Ghetto-Enge des Ostens
Pogrome und Verfolgungen zu erleiden.

Dies sind die bunten Ingredienzen des sogenannten "Lubitsch touch",


wie die Amerikaner Lubitschs Manier nennen. Seine Komödien, vom BLU-
SENKÖNIG bis zur AUSTERNPRINZESSIN, sind ungemein derb. Auch
die oft als graziös gerühmte PUPPE mit ihren amüsanten Papierdekorationen
ist noch ziemlich schwerfällig. Daran sind vor allem die Zwischentitel
schuld. KOHLHIESELS TÖCHTER mit dem Quiproquo der Doppelrolle
Henny Portens bleiben in ihrer bäuerlichen Derbheit einigermaßen erträglich.
ROMEO UND JULIA IM SCHNEE, eine andere Bauemkomödie, wirkt
heute ziemlich peinlich. (Schließlich hat Deutschlands größter Filmregisseur,
Murnau, in seiner Filmkomödie DIE FINANZEN DES GROSSHERZOGS
aUcll gewisse Geschmacksverirrungen nicht vermeiden können.)

Erst in Amerika wird sich Lubitsch bewußt, was er durch eine Verfeinerung
seines Komödienstils gewinnen kann. So betont er selbst, er habe "good
bye slapstick and hello nonchalance" gesagt. Erst jetzt gelangt er zu den
"rapierlike comments of his camera", die Lewis Jacobs in seinem "Rise of
the American Film" rühmt, zu jenen elliptischen Verkürzungen von Szenen,
jenen blitzartigen Andeutungen oder amüsanten Zuspitzungen einer Situa-
tion,jenen bildlich wiedergegebenen Gedankenassoziationen, zu einer doppel-
sinnig ausgewerteten Situationskomik, für die er berühmt geworden ist.
Die bürgerlich derbe Filmgroteske wandelt sich zur amüsanten leichteren
Filmkomödie, die in spiegelnden Parkettflächen, reichen Stukkaturen und
üppigen Draperien schwelgt.

Wenn jedoch der "Lubitsch touch" sich erst hier entwickelt hat, so beruht
]er auf manchen von Lubitsch nach Amerika mit hinübergenommenen
1Qualitäten, die er bereits in Berlin aufwies: seine berlinische Geistesgegen-
wart, seine Schlagfertigkeit, sein Hang zu realistischen Details, sein Spaß an
komischen, unmöglichen Situationen, an jüdischen Witzen und Doppel-
sinnigkeiten der Bildeinstellungen, an einer rasch gehandhabten Montage.
Dazu kommt zur Zeit des Tonfilms eine geradezu kaleidoskopische Ver-
wertung von Wort, Lied und Geräusch. Schon in Berlin hat Lubitsch es
verstanden, durch eine Einstellung das Wesentliche eines Charakters, einer
Situation bloßzulegen, mit dem Kontrast zwischen der imposanten Bedeutung
einer Hauptfigur und kleinen, an der Peripherie gehaltenen Manien, lächer-
lichen Eigenarten zu jonglieren. Aber Lubitsch ist der Kammerdiener, vor
dem es keinen Helden gibt, was einen kultivierten Zuschauer mitunter
wiederum recht peinlich anmutet. Gewiß, dieser Blick hinter die Kulissen
gibt seinen historischen Figuren des öfteren etwas überraschend Mensch-
liches. Indes gehen die Amerikaner, die ja das Authentische der Historie
selten respektieren (vor allem nicht der anderer Völker), zu weit, Lubitsch
deshalb als "great humanizer of history", als deutschen Griffith zu bezeichnen.
Einen König zu zeigen, der seine Mätresse höchst eigenhändig manikürt
oder in aller Einfachheit eine Hofdame in einen gewissen Körperteil kneift,
bedeutet gewiß noch nicht ungeschminkte Historie.

Andererseits wollte Lubitsch nicht etwa, wie französische Kritiker noch


heute glauben und wie seinerzeit Henry Roussell, ein damals bekannter
Filmregisseur, geschrieben hat, mit MADAME DUBARRY die französische
Königsmacht ins Lächerliche ziehen und große Revolutionsheroen herab-
würdigen oder in ANNA BOLEYN den traditionellen Respekt der Engländer
für ihre Herrscher untergraben und das amerikaDisehe Puritanerturn gegen
das "merry old England" aufbringen. Selbst die UFA war weit eher darauf
bedacht, dem verarmten Land Devisen einzubringen, als die Nachbarvölker
vor den Kopf zu stoßen. Für Lubitsch ist Historie nie etwas anderes als die
willkommene Gelegenheit, Filme in den prunkvollen Kostümen ihrer Epoche
zu drehen: Seide, Samt, reiche Stickereien entzückten das geschulte Auge
des ehemaligen Kommis aus der Konfektion. Zudem spürt dieser geborene
Schaumann, dem Hollywood in dieser Hinsicht kaum etwas beizubringen
hatte, in den Kostümftlmen die große Möglichkeit, eine sentimentale Liebes-
geschichte mit dem melodramatischen Aufruhr von Massen und mit zum
Gebrauch gefallig zugebogenen historischen Geschehnissen zu vermengen.

Lubitsch ist so von dem bunten Nebenbei, von allerhand Possen, Regie-
Einfällen in Anspruch genommen, daß er auf das deutsche Helldunkel, das
die anderen Filmschaffenden bereits erstreb~n, keinerlei Wert legt Seine
typisch berlinische Mentalität ist dem Phantastischen nicht sehr zugetan
(vergessen wir nicht, daß zum Beispiel Barlach mit seinem "Blauen Boll"
von der Ostseeküste und Billinger mit seinem wilden "Walpurgisnacht"-Drama
aus Oberösterreich stammt). So hängt Lubitsch trotz seiner PUPPE kaum
am Traumhaften - für ihn kann die Hölle wie der Himmel warten. Die
amerikanischen Filmkritiker der damaligen Zeit haben übrigens gefunden,
daß der Fotografie seiner Filme das Leuchten fehlt, das andere deutsche
Filme dieser Epoche haben.
-~
Ein Jahr später ist sich Lubitsch bewußt geworden, was für ein stilistisches i
Raffmement die subtilere Ausleuehrung bieten kann. So läßt er einmal in
seinem WEIB DES PHARAO die Menge im Vordergrund völlig im Schatten
und beleuchtet eine Szene im Hintergrund besonders scharf, wie Reinhardt
dies zu tun gewohnt war; enorme Scheinwerfer wurden mit ihren Lichtkegeln
auf die gigantischen Säulen des Thronsaales gerichtet, und diese Ausleueh-
rung charakterisiert gleichsam symbolhaft die Macht einer gottgleichen
Dynastie. In der FLAMME (Montmartre) gelangte Lubitsch zum erstenmal
zu einem schimmernden Helldunkel, und hier finden wir auch endlich jene
geschmackvollen Nuancen des Kostümlichen, mit denen seine amerika-
nischen Filme das Auge erfreuen.

Immerhin sind bereits gewisse Regie-Abstufungen in seiner MADAME


DUBARRY zu fmden, die der ein Jahr später gedrehte Film ANNA
BOLEYN nicht aufweist Die Revolutionsszenen vor allem zeigen, daß
Lubitscb einigermaßen von den beiden Inszenierungen Max Reinhardts
- "Dantons Tod" von Georg Büchner (Deutsches Theater, 1916) und Romain
Rollands "Danton" (Großes Schauspielhaus, 1919) - beeindruckt worden ist,
ähnlich wie dies vielleicht in noch stärkerer Weise rür den DANTON von
Buchowetzki der Fall war. So heben sich wie in dem Buchowetzki-Film
auch bei Lubitsch die Revolutionsfiguren oft stark von einem dunklen
Hintergrund ab oder werden dekorativ stilisiert in Reinhardt-Manier zu
Gruppen geformt. Und gerade in diesem Lubitsch-Film zeigt sich ein Stil-
unterschied: in den konventionell gerührten Szenen um den König, wo
kein Vorbild vorlag, wird trotz Lubitschs Freude an reichen Draperien und
glänzenden Parkettflächen etwas Requisitenstarres nicht vermieden, während
in den Revolutionsszenen weit mehr elementar Vitales zutage tritt.

Lubitschs gerühmtes D~giereo der: Massm ist auf Reinhardt zurück-


Z\lführen. Allerdings ist seine Massenbewegung mechanischer - ein zeit-
genössischer Kritiker spricht zu Recht von einer ,,gestellten Disziplin".
Immerhin zeigt die berühmt gewordene Szene der hin- und herflutenden
Menge vor der Kathedrale in ANNA BOLEYN, daß sich Lubitsch nicht
völlig der Suggestion des Reinhardt-Stils entziehen konnte.

In MADAME DUBARR Y drängen sich die Massen um die Guillotine,


fordern den Tod der einstigen Favoritin: genau parallel erheben sie wie zum
Hitler-Gruß den Arm. Auch diese Parallelbewegung des Arms, die wir in
allen damaligen Kostümfilmen - wir erinnern nur an Eichbergs MONNA
VANNA - wiederfinden und die Fritz Lang in einer persönlicheren Weise
in seinem Film METROPOLIS verwertet hat, stammt von Reinhardt, der
im Jahr 1910 bei seiner Inszenierung von "König Ödipus" diese antike
Geste für seine Chöre heranzog. In den damaligen Filmen hat diese Ge-
bärde, die für jede Exaltation der Masse recht stereotyp Verwendung fand,
viel von der ursprünglichen Eindringlichkeit verloren.

"Sumurun", die Lieblingspantomime von Reinhardt - eine Tausend-


undeine-Nacht-Phantasie, die er seit 1909 wiederholt in Szene gesetzt hatte-,
beeinflußte weit mehr als die beiden Danton-Inszenierungen den Stil von
Lubitsch. Wenn Lubitsch als Buckliger mit der trunkenen Alten ein seltsam
automatisch ruckhaftes Ballett vollruhrt, bei dem Arme und. Beine durch-
einanderschlenkern und ein Eigenleben zu führen scheinen, so spürt man
hier etwas von der commedia dell' arte, dem kaleidoskopisch-bunten Leben,
von dem Reinhardts Pantomime erfüllt war. Wo dieser rür damalige deutsche
Filme seltene Rhythmus in der Tragikomödie durchschimmert, sind es An-
klänge an die Inszenierung von Reinhardt, die wir bewundern.

Auch ein paar schattendunkle Gassen erinnern an Reinhardts Theater-


dekor. Aber im ganzen sind Lubitschs Plätze realistischer, wenigerstimmungs-
volL (Daß Lubitsch seine Inspiration von überall hernimmt, zeigt deutlich

78
die Treppe mit den angrenzenden Häusern, die geradezu dem GOLEM
entstammt Diese leicht aufgequollenen, lehmartigen Tr~pJ?~n~~fe.~ sind
auch in MONNA VANNA zu sehen. Von Poelzigs lehmverquollerier'Archi-
tektur fmden sich immer wieder Spuren in deutschen Filmen: noch die
GEHEIMNISSE DES ORIENTS [1928] von Strichewski, deren Dekor ein
Russe gestaltet hat, weisen ähnlich aufgeblähte, wie aus Plastilin geknetete
Bauten auf.) (

Einige Passagen in SUMURUN verraten bereits den "Lubitsch touch":


zum Beispiel jene Szenen, in denen die Kommis-Clowns taschenspielerisch-
tänzerisch geschwind Stoffballen aufrollen und ausbreiten. Ausgesprochener
Lubitsch-Stil sind auch jene Einstellungen von oben, bei denen sich um ein
paar Kissen ein Schwarm von Dienerinnen wie zu einer Arabeske fUgt,
um im nächsten Augenblick wieder auseinander zu schwirren. (Lubitsch
bringt später ähnliche Einstellungen in LOVE PARADE und weiß sie fUr
seine weiteren Filme immer wieder geschickt zu variieren. Von Lubitsch
sichtlich beeinflußt, wird der amerikaDisehe Music-haß-Film derartige Ein-
stellungen oft fUr das Präsentieren von Revuegirls verwerten.) Sogar in
MADAME DUBARRY fmden wir einmal eine Vorahnung des Lubitsch-Stils:
in Großaufnahme wird nur die Schleppe der sich zum Empfang in Versailles
schmückenden neuen Favoritin gezeigt, und auf diesen weißen Atlas-
massen sind die schwarzen Hände des Lei~negers sichtbar, der die Schleppe
arrangiert.

Aber es dauert noch eine Weile, bis sich Lubitsch endlich in Amerika
von allen jenen Schwerfälligkeiten und Geschmacksentgleisungen befreit,
die ihm sein deutsches Publikum nicht verübelt hat

*
Die deutschen Kostümfilme sind dem Einfluß der italienischen Monu-
mentalfilme weniger unterlegen als man denkt Die Joe May-Filme VERITAS
VINCIT 1/III (1918) und DAS INDISCHE GRABMAL 1/11 (1921) zeigen
zwar die leichte Vorliebe für grandiose Bauten und Filmkomparsen-Massen,
wirken aber nüchterner. Erst in TROJAS UNTERGANG (1923), dem
Film eines mittelmäßigen Regisseurs, Manfred Noa, der danach wieder die
üblichen Unterhaltungs- und Sittenfüme drehen sollte, spürt man mehr von
der italienischen großen Prunk-Schaustellung, aber auch hier fehlt die
Verve, die trotz aller Operntheatralik den italienischen Monumentalfllmen
eigen ist

Die von Otto Hunte auf dem Ateliergelände errichteten, reich ornamen-
tierten Monumentalbauten im INDISCHEN GRABMAL stehen im Kontrast
zu einer recht banalen Handlung. Der Film wirkt heute veraltet Der Auftakt

70
--------- -- --- --·----

des zweiten Teils ist jedoch herrliche deutsche Filmkunst. Conrad Veidts
hohe Gestalt wandelt durch ein helldunkles Tempel-Inneres. Über aufge-
raubte Mauermassen, über riesige, modern stilisierte indische Götterreliefs
fließt geheimnisvolles Schimmern.

Joe May kann dieses Niveau nicht halten. Fritz Langs Film in zwei Teilen
(DER GOLDENE SEE und DAS BRILLANTENSCHIFF), den er 1919
unter dem Haupttitel DIE SPINNEN gedreht hat, ist ein ähnlicher Abenteuer-
ftlm, aber Langs Freude am Omamentalen verleiht der teils realistischen,
teils phantastischen Handlung Relief.

Prunkhafte Monumentalftlme und Abenteuerfdme, die in exotischen


Ländern spielen oder in denen vermummte Bösewichte und Hotelratten
über die Leinwand geistern, sind typisch fllr die damalige Zeit und allen
Filmländern eigen. Auch wenn die Monumentalfdme zuerst in Italien, die
Abenteuerfilme in Amerika gedreht worden sind.

So dürfen auch der italienische und der schwedische Einfluß auf den
deutschen Film nicht überschätzt werden. Das trim ebenso für die Einwirkung
der in Deutschland arbeitenden russischen Filmregisseure zu, wie Bucho-
wetzki, Ozep und Granowsky. Buchowetzki ist wohl der beste Beweis dafl.ir.
Selbst ein PETER DER GROSSE ist trotz des Sujets ein deutscher Film,
in dem Licht- und Schattenwirkungen in Reinhardt-Manier eingesetzt wurden.
Ornamentaler Mechanismus bel Lublts

ANNA BOLEYN von Ernst Lubit

ANNA BOLE
81
lNA BOLEYN

-ILHIESELS TOCHTER von Lubitsch


82
Dle "KostUmfllme'

ANNABOLEYt'-

DANTON von Dimitri Buchowetzk


83
JMURUN von Ernst Lubitsch

E FLAMME von Ernst Lubitsch


84
.~:.
MADAME DUBARRY von Ernst Lubitsc

Polo Neg
85
V.

Das stilisiert Phantastische


- die ,j'eerie de laboratoire"
"Der müde Tod" von Fritz Lang (1921)

... young peop/e engaged in the cu/tural


fle/ds, myself among them, made a fetish oj
tragedy, expressing open rebellion agatnst the
o/d answers and outwomjonns, swingingjrom
naive nineteenth century sweetness and light
to the opposite extreme oj pessimlsm jor its
own sake.

Fritz Lang: Happi/y ever qfter.l


(Penguin Film Review, 1948)

87
:! ' " . ' .~ ·. ...,.....
Was die Deutschen von anderen Völkern unterscheidet, ist ihr Hang zum
Tode - die anderen Nationen haben einen Hang zum Leben, sagt Clemenceau.
Hat aber nicht eher Hölderlin recht, der in seinem "Hyperion" schreibt, daß die
Deutschen den Tod so sehr fUrchten und daher sinnen und sorgen, wie sie
dem Schicksal entrinnen können?

Die Themen von Langs Stummfilmen wie auch die der Manuskripte,
die er ft.ir Otto Rippert geschaffen hat, vibrieren in Molltönen, handeln alle
vom erbarmungslosen Tod. Es ist das Leitmotiv seines MÜDEN TOD, in
dem ein Mädchen den Geliebten zu retten sucht, ihn aber immer mehr in
sein Geschick verstrickt und dem Verderben weiht

Lang hat sich weiter entwickelt: in einem Artikel über das "happy
ending" betont er mehrmals, daß er nicht mehr Tragödien verfilmen will,
"where one is trapped by fate". Er lehnt es ab, Filme zu drehen, in denen
das unbarmherzige Schicksal, die "ananke" der Griechen, das letzte Wort
behält

Von allen Filmschaffenden ist.La.n&..f!urch den Rejnhardt.Stjl am meisten


beeinflußt worden, aber genau wie Wegener verliert er damit keineswegs
seine Eigen~

Die Einwirkung Reinhardtscher Inszenierungen zeigt am deutlichsten die


Episode, die in der Renaissancezeit in Venedig spielt: Treppenstufen,Jteigen
vor einem heUen Hintergrund an, schneiden in einer Dia&nnale über die
Leinwand, Karnevalsgestalten gleiten im beschwingten Rhythmus herunter;
durch die Nacht schimmern Fackeln.._in dun~r Flut spiegeln sich Lichter,

89
ünglinge im kurzen dunklen Mantel, enganliegendem Wams lehnen lässig
n einem Bogengang oder stürzen sich wie Falken auf einen Gegner. Wie
instmals bei den Reinhardt-Inszenierungen spüren wirmitunter die Lebens-
rische des Quattrocento, entdecken Szenen, wie wir sie auf florentinischen
lrauttruhen gemalt finden.

Lang ist im Grunde Architekt - er hat ja auch Architektur studiert. So


teben sich in der Gruftszene (5) die Kannelüren eines gotischen Spitz-
•ogenportals leuchtend ab und gewinnen eine schwellende Plastik. Denkt
11an an CALIGARI zurück, so begreift man, wie linear, wie flach der dortige
Jekor ist, wie wenig dort Helldunkel geherrscht hat Das Laboratorium des
leinen Apothekers vom MÜDEN TOD, ein dämmeriger Raum mit ver-
chlossenen Fensterläden, ist von einem seltsamen Gleißen erfüllt, Phosphor-
tanz geht von den Flaschen, den Geräten, dem ausgestopften Getier, dem
:kelett aus; es ist Hoffmanns satanische Welt, die sich hier aufzutun scheint

Das sind typisch expressionistische Beleucht~~· "Wird die Licht-


tuelle unterhalb des Bildraums gelegt", so weiß urtz zu berichten, der
Iiese Ausleuchtung noch selbst miterlebt hat, "so erhalten bestimmte Teile
les Bildes grelle Akzente und scharfe Schatten, die diese Teile plastisch
nachen und andere zurücktreten lassen, die Linien auseinandersprengen
md andere verkürzen. Ungeteilte Scheinwerfer legen Härten und knallige
jchter hin, Effekte, die mit kantiger Plastik den Raum gliedern."

Diese Beleuchtung von unten oder von der Seite her, die bestimmte
mchtende Linien, Bänder oder größere Flächen herausholt, übermäßig
mterstreicht und sie abrupt mit dem Dunkel zusammenstoßen läßt, wird
ür den expressionistischen Film charakteristisch. In Fritz Wendhausens
:TEINERNEM REITER zum Beispiel wandeln derartige Lichtbänder
)ekorationsdetails zu glitzernden Arabesken. In der Beschwörungsszene von
~s FAUST, in dem nächtlichen Garten von Robisons SCHATTEN
teben sich Zweige als weißes Liniengewirr wie schimmernde Knochen ab.
Jnd die psychoanalytische Traumwelt von GEHEIMNISSE EINER SEELE,
lern Pabst-Film, erhält durch phosphoreszierende Lichtkonturen ihre my-
tische Plastik. Pabst, den man so oft realistisch genannt hat, kann dieser
:Cndenz zu dekorativen Lichteffekten auch späterhin nicht ganz widerstehen:
n fluoreszierendem Glanz erstrahlen des Nachts die Umrisse des Spielhöllen-
;chiffs in der 1927 gedrehten BÜCHSE DERPANDÖRA.

Selbst Lupu Pick, der gegen den Expressionismus anzukämpfen glaubt,


ißt den Friedhof in SYLVESTER in ähnlicher Weise beleuchten; geisterhaft
teben sich hinter der Mauer bleiche Kreuze und fahl schimmernde Äste
on einem dunklen Hintergrund ab. Die deutschen Regisseure, die Beleuchter
md Kameraleute jonglieren geradezu mit Lichtkontrasten - Kurtz spricht

90
von Beleuchtungen, die "abgrundloseTiefen" erzeugen. Der jähe "Aufschr~i"
des Lichts, die alles umstürzende Wucht des Dunkels, das expressionistische
Aufreißen aller Formen finden den Höhepunkt in der letzten Episode von
Lenis WACHSFIGURENKABINETT. Mag es sich um einen Kontrapunkt
oder Kontrast zwischen Hell und Dunkel handeln, hier haben wir jedenfalls
sichtlich jene halb greifbare, halb irreale "feerie de laboratoire", von der Jean
Cassou einmal hinsichtlich des deutschen Filmes spricht.

"Der Deutsche", so erklärt Kurtz, "behandelt das Licht als raumgestal-


tenden Faktor."- Wir wissen ja bereits, daß Beleuchtungseffekte mehr als nur
Stimmungselemente darstellen, und auch hier haben wir mancherlei Präze-
denzfalle bei den Romantikern. Wenn in Eichendorffs "Ahnung und Gegen-
wart" eine lustige Fastnachtsbande nächtlich in ein Bauerngehöft eindringt
und dort einen "irrenden Ritter" in den Tanz auf dem Hof mit hineinreißt, so
heißt es raumdramaturgisch: "ein einziges Licht stand auf einem Pfahl und
warfirn Winde einen flatternden Schein über die seltsame Verwirrung".

Kurtz indessen erkennt noch nicht, wie in den deutschen Filmen expres-/
sionistische und impressionistische Stil-Elemente ineinander übergleiten:
wird beim GOLEM die gewundene Stiege im Haus des Rabbi Löw mit all
ihren leuchtenden Muschelkonturen expressionistisch herausgehoben, so
flutet in diesem Innenraum eine schimmernde Luft - eine rein impressioni-
stisch empfundene Atmosphäre erschließt sich.

Und in ähnlicher Weise weiß Fritz Lang Stimmung durch Licht zu er- (J
reichen. Die torlose Mauer im MÜDEN TOD öffnet sich, unter einem hohen,
steilen Spitzbogen leuchten und verflimmern unabsehbare Stufen. In der
Kathedrale des Totenreichs flackern zahllose Kerzen zu einer ewigen Aller-
seelenfeier. Dem Bambusdickicht der chinesischen Episode entströmen
Phosphordünste. Diese Stimmungsbilder sind eine Art von Präludium ftir
jene NIBELUNGEN-Szenen, in denen Siegfried auf weißem Zelter durch
einen sonnenumflossenen, geheimnisschweren Nebelwald reitet.

Kann man also Fritz Langs MÜDEN TOD einen expressionistischen


Film nennen? Man ist heute allzusehr geneigt, alle Werke der großen klassi-
schen Ära deutscher Filmkunst mit der so bequemen, konventionellen
Klassifizierung "expressionistisch" abzufertigen, ohne zu unterscheiden, wo
der Einfluß von Ma..x Reinhardt. dem nDramatumen des Lichts" (6), sichtbar
wird, und wo es sich um r . e ressionistische Beleuchtungseffekte nandelt.
Es mag vielleicht übertrieben sein, zu sagen, a te letzte Episode von Lenis
WACHSFIGURENKABINETT wie zuvor Karl Heinz Martins VON MOR-
GENS BIS MITTERNACHT die einzigen authentischen, rein expressioni-
stisch ausgeleuchteten Filme sind. Aber immerhin ist zu betonen, daß Lang
niemals ausschließlich expressionistische Effekte gesucht hat. Sein Sinn für

(
91
plastisches Herausarbeit~n von Formen, sein Talent, Lichtquellen zu diri-
gieren und auszuwerten, gehen über· den expressionistischen Stilwillen
hinaus. ·

92

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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -------·

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VI.
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Symphonien des Grauens !

,.Noiferatu" (1922) - Der Spuk des Doppelgängers -


Der dämonische Bürger

Laßt uns Deutschen alle Schrecknisse des


Wahnsinns, des Fiebertraums und der Geister- "
welt. Deutschland ist ein gedeihliches lAndfür
alte Hexen, tote 'Bärenhäuter, Golemsjeglichen
.Geschlechts . .. Nur jenseits des Rheins können
!I
. I

solche Gespenster gedeihen ...

Heine: Die romantische Schule.


1833.

Es sei noch at.if die unerschöpfliche Quelle


poetischer Flfekte in Deutschland hingewiesen: i''"
at.if das Grauen,· Phantome und HexenrrJeister
gqallen dem einfachen Volk wie den at.ifge-
klärten Geistern. ·
Madame de Stael: De I'AIIema-
gne. 1810.

93
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Birgt das sonderbare Vergnügen, das die Deutschen an schrecklichen


Visionen haben, zu gleicher Zeit ein übertriebenes Verlangen nach Disziplin?
ln "Dichtung und Wahrheit" verwirft Goethe die verhängnisvolle Erziehungs-
maxime, den Kindern alle Furcht vor dem Ahnungsvollen und Unsichtbaren
nehmen zu wollen, indem tnan sie frühzeitig an das Schauderhafte gewöhnt (7).
I
Goethes harmonischer Geist ist von derlei Exzessen weit entfernt, und ,)
so betont er einmal Eckermann gegenüber, daß er das Hexen- und Teufels-
wesen nur einmal gestaltet habe, im "Faust"; er sei froh gewesen, sein "nordi-
sches Erbteil verzehrt zu haben", um sich danach "zu den Tischen der Grie-
chen" zu wenden. Schiller dagegen, der Schöpfer des "Geistersehers" und
:i
Vorläufer der Romantiker, liebt unheimliche Szenen. Goethe wirft ihm daher
auch vor, "daß ihm noch von den Räubern her ein gewisser Sinn fl.ir das Grau-
same anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen
wollte." "So erinnere ich mich sehr wohl", fährt Goethe fort, "daß er im
Egmont in der Gefängnisszene, wo diesem das Urteil vorgelesen wird, den
Alba in einer Maske und in einen Mantel gehüllt im Hintergrund erscheinen
ließ, um sich an dem Effekt zu weiden, den das Todesurteil auf Egmont haben
würde. Ich protestierte jedoch, und die Figur blieb weg."

Welche Szene fl.ir einen deutschen Film ist hier gestaltet worden!
;·;
Das Ergötzen am Makabren, am Schauerlichen scheint dem Deutschen : i
:.j
eingeboren. In "Anton Reiser", dem Roman von Karl Philipp Moritz, jenem . I
merkwürdigen Vorfahren der Romantiker aus dem 18. Jahrhundert, verbringt
der kleine Anton schlaflose Nächte. Wenn der Wind durch den Kamin fegt
und pfeift, erschauert er beim Gedanken an das unheimliche Märchen vom

l
95

2 J 2 &2 I .J,U"''
Mann ohne Hände. Zugleich aber freut es ihn, sich mit einem eisenartigen
Wollustgeflihl vorzustellen, wie der Tod seinem Körper langsam Verwesung
bringen wird.
"Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolden,
Hexen, Däumlingen usw. zu hören oder zu lesen", läßt auch E. T. A. Hoff.
mann im "Sandmann" seinen tragisch endenden Helden Nathanael sagen.
Nathanael gefällt jene furchtbare Mär von dem Sandmann, dem bösen Mann,
der den Kindern, wenn sie nicht schlafen wollen, Sand in die Augen wirft, bis
diese blutig zum Kopf herausspringen; er wirft sie in seinen Sack, um sie
seinen Kleinen, die in ihrem Mondnest ihre scharfen Eulenschnäbel auf-
sperren, zur Atzung zu bringen.
In ähnlicher Weise genießt auch der Knabe in Eichendorffs "Ahnung und
Gegenwart" das grausige Märchen von dem Kind, dem die Rabenmutter mit
dem Truhendeckel den Kopf abschlägt; er lauscht mit einem eigenen, sehn·
suchterfüllten Schauern, derweil er sieht, wie der Abend blutrot hinter
schwarzen Wäldern versinkt. ·
Nirgends wird der Zwiespalt, dem die deutsche Seele so leicht verfallt, so
offensichtlich als in jenen Märchen, die, wie Tieck sagt, geschaffen wurden, um
die ungeheure Leere und das ti.uchtbare Chaos durch mannisfaltise Gestalten
zu bevölkern. In Deutschland macht der horror vacui einem neuen Grauen
Platz, dem wie einst das Märchen der Romantiker die Filmkunst Nahrung
zu geben weiß.
*
Der vollständige Titel des Mumau-Films lautet "NOSFERATU, EINE
SYMPHONIE DES GRAUENS". Und wirklich fllhlen wir noch heute, wenn
wir den Film sehen, daß "ei!t (l:o.sti&~!_!,.u&UL!l\IJ .d~m Jenseits", wie Bela
Balazs es nennt, in den "rllturmöglichen Bildern" wehte: Sö kommt es, daß
uns im Vergleich zu NOSFERATU der Schrecken, der CALIGARI erfullt,
plötzlich recht gekünstelt erscheint

Die filmische Vision Friedrich Wilhelm Mumaus, des größten Filmregis·


seurs, den die Deutschen gehabt haben, ist niemals allein auf eine dekorativ
ausgeführte Stilisierung zurückzuflihren. Er hat die hinreißendsten, packend-
sten Filmbilder geschaffen, die der deutsche Film aufzuweisen hat, und es ist
gewiß kein Zufall, daß gerade er als erster in Deutschland die "entfesselte
Kamera" verwendet hat, sie dem Kameramann fUr den LETZTEN MANN
auf den Leib schnürte und so über Lupu Picks fahrbare Kamera des SYL-
VESTER hinausging. Denn Mumaus Bestreben ist es, ~ins mit der Kamera,
dem Kamera-Auge, zu werden.

96

-------·
......,.,,~."...
Er kommt von der Kunstgeschichte her; während Lang, der Maler,
berühmte Bilder seiner Zeit, so vor allem die damals im bürgerlichen Salon
immer wieder präsentierten Bilder Böcklins, getreu im Atelier nachbildete,
hält sich Mumau gerade nur an Anklänge, an Erinnerung großer Kunstwerke,
die er zu eigenen. Visionen transponiert Im FAUST zeigt er einen Pest-
kranken in seltsamster Verkürzung, mit ungeheuren Fußsohlen (man denkt
dabei an den Leichnam Christi bei Mantegna oder Holbein). Und wenn
Gretchen, das Haupt in den Mantel gehüllt, in den Ruinen einer beschneiten
Hütte ihr Kind wiegt, so erinnert das an das Bild einer flämischen Madonna.

In seinem Begehren, sich selbst zu entrinnen, hat Mumau sich nie mit
der gleichen Kontinuität des Stils ausgedrückt wie Lang, dessen künstlerische
Entwicklung sich so leicht analysieren läßt. Aber alle Filme Mumaus tra-
gen - sieht man von den FINANZEN DES GROSSHERZOGS ab - eine
Spur seines inneren Zwiespalts, sie bezeugen etwas von dem Kampf, den
er mit einer Welt geflihrt hat, die ihm ewig fremd blieb. Erst in seinem
letzten Film TABU hat er ein wenig Frieden, ein wenig Glück finden können
inmitten einer schwellend reifen Natur, die europäische Moral- und Schuld-
gefühle nicht aufkommen läßt. Andre Gide ist seit seinem "Immoraliste"
dank eines sanfteren Klimas von seiner anerzogenen Moralstarrheit, von
den Gewissensskrupeln, die sein Protestantenturn ihm einflößte, befreit
worden; er konnte sich so seinen natürlichen Neigungen hingeben. Aber
Mumau, der um 1888 geboren ist, stand als junger Mensch noch unter dem
grauenhaften Zwang des unmenschlichen Paragraphen 175 des Strafgesetz-
buchs, der allen Erpressungsgelüsten freie Bahn ließ und bis zur Revolutions-
zeit alle seinesgleichen bedrohte. (Privatleben ist etwas Heiliges, und wenn
wir hier auf Mumaus Veranlagung zu sprechen kommen, so geschieht dies :!.,
lediglich, weil diese Erklärung zum Verständnis seines Stils - man denke vor
allem an seinen FAUST- herangezogen werden muß.)
..
Murnaus Gewissenhaftigkeit bringt es mit sich, daß er niemals Künste-
leien, billigen Ausflüchten anheimfällt, die sein Schaffen hätten müheloser
machen können. Darum erscheinen seine Filme oft ein wenig umständlich -
nur langsam enthüllt sich die tiefe Bedeutung ihres Gehalts, ihres inneren
Rhythmus. Mitunter, zum Beispiel, wenn ihn geschäftskundige UFA-Leute
dazu drängen, seinem tragischen LETZTEN MANN ein "happy ending"
anzufügen, zieht er alle Register gröbster Komik und bemüht sich, ebenso
gewöhnlich zu erscheinen wie ein Publikum, das sich bei KOHLHIESELS
TÖCHTER, dem Lubitsch-Film, schallend auf die Schenkel klat.~chte und
dröhnend lachte.
.,
Wir müssen leider auch zugeben, daß wir bei Mumau die überraschend-
sten Ungleichheiten, ja Geschmacksentgleisungen finden. Dieser so sensible
Künstler verfällt manchmal dem Edelkitsch, gerät in seinem FAUST zu

97
faden Postkartenbildern wie beim Osterspaziergang oder bei dem Kinder-
reigen auf der Blumenwiese, und solche süßlichen Aspekte stehen unmittelbar
neben packenden, großartig schöpferischen Visionen, die damals geradezu
einmalig waren. Seine Seele ist von der schweren doppelten Erbschaft einer
typisch deutschen Sentimentalität und einer seiner Veranlagung innewohnen-
den morbiden Scheuheil belastet, die ihn dazu bringt, die muskelstrotzende
Vitalitiit, die ihm mangelt, bei anderen zu bewundern. So läßt er bei Jannings,
dem Mephisto, die schlimmsten Mätzchen zu und weiß dem naiv-rohen
Ungestüm des Valentin, den Wilhelm Dieterle recht naturalistisch spielt,
keine Schranken zu setzen.


Murnau ist aus Westfalen gebürtig, jenem weiten Weideland, in dem
grobknochige, riesenhafte Bauern schwerfallige Arbeitspferde aufziehen. Bei
allen Atelierlandschaften, zu denen seine Schöpfungskraft gezwungen wird,
spürt man die Sehnsucht nach Ländlichem, und diese Sehnsucht gibt seinem
BRENNENDEN ACKER wie seinem im amerikanischen Atelier gedrehten
SONNENAUFGANG den herben Reiz.

Im Gegensatz zu den meisten Filmen dieser Zeit ist NOSFERATU - mit


Ausnahme der von Albin Grau gebauten Interieurs - nicht im Atelier ge-
dreht worden. Deutsche Filmschaffende wie Lubitsch oder Lang haben
keineswegs ganze Städte und Wälder im Atelier erstehen lassen, weil die
Grenzen ihnen damals verschlossen waren oder weil es an Devisen mangelte.
Es zwang sie auch kein ungünstiges Klima zu Atelierbauten; denn viele der
Bauten sind auf den Ateliergeländen um Neubabelsberg, Tempelhof oder
Staaken errichtet worden und waren somit Witterungsverhältnissen ausge-
setzt. Die deutschen Filmregisseure hätten leicht gotische Städte an der
Ostseeküste oder Spätbarockfassaden in Süddeutschland finden können.
Wenn sie auf diese vorhandenen Architekturen verzichtet haben, so deshalb,
weil die expressionistischen Axiome sie der Natur, der Wirklichkeit ent-
fremdet hatten. Der Expressionismus, sagt Rudolf Kurtz, will nicht passiv
hinnehmen, sondern gestalten. Der Deutsche will die Sphäre• eines allge-
meinen Weltgeftihls verdeutlichen, will den Geist der Handlung mitfoto-
grafieren. Es gibt Stimmungen einer Landschaft, die mit normalen Mitteln
fotografisch nicht wiederzugeben sind. Der ,.Geist" einer beleuchteten Welt-
stadt ist zum Beispiel flir das Objektiv unfaßbar, muß von einem konstruk·
tiven Willen gestaltet werden.

Hier ist also überall der Expressionismus mit seinen abstrakten Ausdrucks-
mitteln am Platz. (Bereits 1926127 versuchen allerdings Ruttmann oder
Richter in ihren "absoluten Filmen", durch Simultan-Einstellungen und
Überblendungen den Wirbel der Großstadt plastischer wiederzugeben.)

98
Mumau, der NOSFERA TU mit wenig Geld gedreht hat, wußte der
Natur die schönsten Bilder abzugewinnen. Er fangt die zarte, zerbrechliche
Form einer weißen Wolke über einer Düne ein, die jener Wolke gleicht,
von der einmal eines der schönsten Bert Brecht-Gedichte spricht. Der Wind
der Ostsee spielt im spärlichen Dünengras, auf einem abendlichen Frühlings-
himmel zeichnen ziselierte Äste ihr Filigran. Über eine Morgentau atmende
Wiese stürmen vom Zaumzeug befreite Pferde.

Die Natur nimmt auch an der Handlung teil. Das wilde Wogen der
Wellen kündet das Nahen des Vampirs, des Geschickes an, das die Küsten-
stadt bedrohen wird. Über allen diesen Naturbildern liegt, wie Bahizs betont,
"die Ahnung des Übernatürlichen".

ln einem Film von Murnau hat überdies jede Einstellung ihre bestimmte
Funktion in der Handlung. Wenn Murnau uns den Hafen am Abend zeigt,
so sucht er nicht nur den pittoresken Anblick von Schiffsmasten, die sich
vom dunklen Hintergrund abheben, sondern er bringt diese Szene, weil hier
eine der verdächtigen Sargkisten geöffnet werden kann und das Ratten-
gewimmel, das sie enthält, uns auf kommendes Unheil vorbereitet. Und
wenn er danach einen Augenblick die geschwellten Segel in Großaufnahme
zeigt, so ist diese Einstellung genau so notwendig wie jene von den Strom-
schnellen, auf denen ein Floß die verhängnisvolle Sarglast mit sich fUhrt.

Das Grau der Berge rings um das Vampirschloß, es sind die echten
Karpaten, hat etwas von dem fast Dokumentarischen gewisser Filme Dow-
shenkos. Ein paar Jahre später wird Murnau von der geschäftstüchtigen UFA
gezwungen, flir die Luftreise im FAUST Modellbauten zu verwenden. Nichts
fehltjenen Ersatzbergen aus Pappmache, weder die Fülle sorgfältig fabrizierter
Abgründe, noch die dazugehörigen Wasserfälle. Wenn dennoch der Anblick
dieser "K unstnatur" nicht nur erträglich, sondern sogar bewundernswert er-
scheint, so liegt das an Murnaus Meisterschaft, das Unechte mit Hilfe von
Nebeldünsten und hindurchschimmerndem Lichtgeriesel zu verschleiern.
Aber wir sehnen uns dennoch nach den grauen Hügeln von NOSFERA TU
.·!
zurück.

Murnaus große Begabung ist im FAUST zu ihrer ganzen Reife gelangt;


hier gestaltet er die Atelierlandschaft zu einer packenden Vision um - man j.
denke nur an jenes schneebedeckte Feld mit dem sturmzerfetzten Baum,
wo inmitten einer zerfallenen Einzäunung Gretchen ihr krankes Kind in den
Tod wiegt. Oder Murnau zeigt in seinem amerikanischen Film SUNRISE
ein einsames Moor, über das unser Auge lange hinirrt, bevor wir erkennen,
daß es künstlich ist. Aber Murnau, der wie Artbur von Gerlach zu jenen
deutschen Filmregisseuren gehört, die ein angeborenes Gefühl für die Natur-
landschaft haben (wie es sonst nur den schwedischen Filmschaffenden eigen

99

•u• SC! )J$ MCLU


ist), hat sich im Grunde niemals mit Ersatzlandschaften im Atelier aussöhnen
können. Als er CITY GIRL (UNSER TÄOLICH BROT) drehte, war er glück-
lich, als seine Fahrkamera durch das Meer reifer, wirklicher Komfelderglitt (8).
Der aufKommende Sprechfdm und Hollywoods Geschäftsusancen erstickten
diesen Traum. Um der Verstümmelung seines Films zu entrinnen, floh Mumau
fürTABU zu den Südseeinseln.


Die Bauten in NOSFERA TU sind typisch nordisch; echte gegiebelte Back-
steinfassaden. Mumau hat diese kühle Architektur in überraschender Weise
einem seltsamen Geschehen anzupassen gewußt Er hat es nicht einmal nötig
gehabt, die kleine Ostseestadt durch kontrastierende Beleuchtungseffekte
geheimnisvoller zu machen und für ihre steil einschneidenden Gassen ein
künstliches Helldunkel zu suchen. Unter seiner Leitung findet Fritz Amo
Wagners Kamera die Einstellungen, die nötig sind, um der kleinen Stadt oder
dem gleichfalls echten Vampirschloß den unheimlichsten Eindruck abzuringen.
Was kann es Packenderes geben als jene lange, enge Straße zwischen halb-
zerfallenen, eintönigen Backsteinfassaden, die von einem hochliegenden
Fenster aufgenommen worden ist, vor dem sich auch noch eine Fensterstange
quer über das Bild legt? Auf dem groben, unregelmäßigen Pflaster sieht man
Leichenträger, magere Gesellen im engen Bratenrock mit dem hohen Zylinde.r-
hut, in Gruppen mit regelmäßigen Abständen feierlich steif die schmalen
Särge tragen. Die "expressivste Expression", wie sie die Expressionisten for-
dern, ist hier ohne künstliche Mittel erreicht In seinem FAUST variiert Mur-
nau diese Szene. aber die allzu pittoresk gesehenen Kuttenträger, die mit ihren
Siirgcn die Stufen hinaufsteigen, erreichen nicht mehr die gleiche plastisch
eindringliche Wirkung wie die Leichendiener in NOSFERATU.
Bestimmte Einstellungen erhöhen das Grauen. So taucht die Figur des
Dr. Caligari oder die des Somnambulen Cesare meist von einem schrägen oder
gewundenen Pfad her auf. Mumau bringt auf andere Weise eine Spannung
zuwege, erstrebt eine direktere Bewegung und llißt seinen Vampir drohend auf
die Kamera zuschreiten; hier kommt die unheimliche Gestalt mit einer fast
unerträglich werdenden Langsamkeit heran. Mumau ist sich bewußt, welche
visuelle Macht ineinander übergehende, überraschend montierte Einstellungen
haben können. So f'ügt er zwischen die Einstellung, in der in·der Tiefe der Vam-
pir sichtbar wird, das ZuschJ.agen der Tür ein. Er richtet die Kamera auf diese
Tür, hinter der das Verderben lauert und immer näher rückt Die Tür wird
von unsichtbarer Hand geöffnet. und nun drlingt sich die Einstellung da·
zwischen. die den aufs Bett zurück geßüchtetenjungen Mann zeigt, bis schließ-
lich in einer neuen Einstellung der riesig gewordene Vampir in seiner ganzen
Schauerlichkeil erscheint. Und wie einstmals im Grand Caf6 die Zuschauer
sich unwillkürlich erschrocken auf ihren Sitzen zurückwarfen, weil Lumi~res

100
in den Bahnhof einfahrende Lokomotive riesengroß auf sie zuzufahren schien,
so kommt NOSFERATU als unheimliche Drohung auf uns zu und läßt uns
zusammenschrecken.

Nur einmal benutzt Wiene dieses unmittelbare Zuschreiten auf den Zu-
schauer, aber die bedrohliche Gestalt des Dr. Caligari inmitten des Jahrmarkt-
getümmels wird gerade in dem Augenblick, als sich Gesicht und Körper
dämonisch aufzublähen scheinen, von einer Abblendung zu rasch verschluckt.
In ähnlicher Weise schreitet im übrigen auch Cesare, der Somnambule, im Zelt
auf die Zuschauer zu. Dies geschieht gleichfalls, wenn er als dunkle Silhouette
in das helle Schlafzimmer Lil Dagovers eindringt. Aber niemals wird hier der
den Zuschauer gleichsam bestürzende Eindruck erreicht, wie ihn Mumau in
der Szene des Vampirs mit einer Tonleiter von durcheinandergeschobenen
Einstellungen zuwege gebracht hat. Selbst Lang, der seinen Automaten-
menschen in METROPOLIS urplötzlich auf das Publikum zuschreiten läßt,
kann nicht die gleiche Wirkung erreichen; nur der Kopf seines Dr. Mabuse,
· der zuerst winzig klein in der Tiefe der Leinwand erscheint und plötzlich
vorstößt, um gigantisch die ganze Leinwand einzunehmen, hat etwas von der
visuellen Eindringlichkeit des vordringenden Vampirs.

Mumau hat auch erkannt, welchen Eindruck eine transversale Bewegung,


die sich auf die ganze Leinwand erstreckt, zuwege bringen kann. So zeigt er
die dunkle Form eines Schilfes, das mit vollen, vom Wind geblähten Segeln
auf hohen Wellen einherfahrt, oder die enorme Silhouette des Vampirs, die
langsam quer über das SchiiT vordringt - die Kamera verleiht ihr von der
Froschperspektive her eine unheimlich schräg aus der Tiefe herausragende
Plastik, die gigantische Figur scheint den Rahmen zu sprengen, wird zu etwas ·.1
geradezu dreidimensional Bedrohlichem.

Man war oft verwundert, daß Wiene, der ft.it CALIGARI die mannigfaltig-
sten Blenden verwendet hat, niemals zu Tricks, die Georges Melies bereits
kannte, gegriffen hat, um die unheimliche Spannung zu erhöhen. Lang begritT
ftir seinen MÜDEN TOD die geradezu transzendentale Wirkung von Ein-
blendungen, Überblendungen, Erscheinungen und Verwandlungen und sah
in ihnen die Möglichkeit, den Film von seinen zweidimensionalen Grenzen
zu befreien.

Aber Mumau geht im Grunde mit einfacheren Mitteln vor: in NOSFE-


RA TU, jenem lebendigen Nachtmahr, wurde die ruckartige, unheimliche
Fahrweise der behexten Karosse, die den jungen Reisenden in das Land der
Phantome führt, durch Einzelbelichtung erzielt. Der schaurige Eindruck
gespenstig aufragender, bleicher Bäume mit ihren geistemden Knochenästen
ist mit Hilfe eines einmontierten Negativstreifens erreicht worden.

101
Aber stärker als alle expressionistischen Stilfanatiker macht sich Mumau
die Halluzination des verzauberten Objekts zunutze. In dem Kielraum des
verhexten Schiffes schaukelt die Hängematte des toten Matrosen hin und her
wie zu seinen Lebzeiten. Und Mumau zeiat in der Kapitänskabine des
Schiffes, wo alles Leben erstorben ist, das Hin und Her des Lichtreflexes einer
schwankenden Hängelampe. Er wird diese Lichtbewegung im FAUSTwieder
aufnehmen, nur zeigt er diesmal die Lampe selbst, als der verjüngte Faust die
stolze Herzogin von Parma auf dem Paradebett·in seinen Armen hält (Unab·
hängig von Mumau bringt Sjöström in seinem in Amerika gedrehten WIJ'ID
eine ähnliche Wirkung: hier wird die durch Sturm und Einsamkeit verängstigt
kauemde Lillian Gish unter dem schwankenden Lampenschein einmal von
Licht, einmal von Schatten überströmt. Clouzot und Malaparte sind in ähnlich
eindringlichen Szenen im CORBEAU [Der Rabe) und im CRISTO
PROIBITO lediglich ihren berühmten Vorgängern gefolgt.)

*
E. T. A. Hoffmanns satanische Welt erschließt sich in einem heute fast
vergessenen Film, den Kar! Heinz Martin nach einem Manuskript von Rudolf
Leonhard gedreht hat- DAS HAUS ZUM MOND, wo ein Wachsfiguren-
bildner seinen unheimlichen Geschöpfen ähnelt Noch im Jahr 1928/29 findet
sich in einem Film eine Figur, die Zug um Zug dem diabolischen Dr. Caligari
gleicht. Es ist Alfred Abels NARKOSE, in dem sich auch sonst bereits die
Realität der sogenannten "neuen Sachlichkeit" mit phantastischen Elementen
mischt.

Der Hang deutscher Filmschaffender, unheimliche Kreaturen zu zeigen,


veranlaßt Fritz Lang, in seinem MÜDEN TOD den kleinen, die Mandragora-
wurzel suchenden Apotheker mit allerhand dafür geeigneten schauerlichen
Requisiten zu umgeben: verbogene Bäume mit verkrümmten, halb aus dem
Boden gerissenen Wurzeln erheben sich phantomgleich aus dem Dunkel.
Der Apotheker selbst, den die begüterten BUrger nicht am Stammtisch auf-
nehmen, wirkt in seiner schwerwallenden Pelerine, dem überhohen Catigari-
Zylinderhut geradezu wie ein böser Dämon, um sich ein wenig später in
seiner Alchimistenstube als brav besorgter, recht fadenscheiniger kleiner
Mann zu entpuppen.

Es gefällt den deutschen Filmregisseuren, harmlose Kreaturen verdächtig


erscheinen zu lassen. So zeigt Paul Leni in seinem WACHSFIGUREN-
KABINETT einen braven Budenbesitzer, von dem wir zuweilen nicht wissen,
ob wir es nicht mit einem unheimlichen Kerl zu tun haben. Andererseits
fragt man sich, ob der bizarre kleine Herr in GENUINE mit seinen weißen
Gamaschen und den hellen Handschuhen, die mit dicken, schwarzen Raupen
garniert sind (auch Dr. Catigari trägt ja solche Handschuhe!), wirklich so brav

102
und bieder ist, wie Wiene uns am Ende des Alpdruck-Traumsglauben machen will.

Bei den deutschen Romantikem geschieht es oft, daß Personen, die sich
in der Folge als äußerst sympathisch erweisen, uns erst als seltsame Dämonen
erscheinen. In Hoffmanns "Goldenem Topf" erschrickt der Student Anselm
vor dem grauenvollen Gebaren, dem stechenden Blick des Archivars Lind-
horst, des Fürsten guter Geister. Und in Hoffmanns "Abenteuer einer Syl-
vestemacht" sieht der vom Teufel seines Spiegelbildes beraubte kleine
Spikher zuerst verdächtig und bösartig aus. (Hoffmann, so erklärt ja auch
Heine, sah überall nur Gespenster. Sie nickten ihm aus jeder Berliner Perücke
zu , er verwandelte Menschen in Bestien und diese sogar in königlich preu-
ßische Hofräte. Aber mit all seinen bizarren Fratzen klammerte er sich immer
an die irdische Realität.)
Es istjene halb reale Zwischenwelt E. T. A. Hoffmanns, die in den phan-
tastischen deutschen Filmen weiterlebte. Schon die Romantiker haben ihre
Freude daran gehabt, ihre skurrilen Geschöpfe einer kompliziert hierarchi-
schen Rangordnung einzufügen, der bürgerlich wohletablierten Gesellschafts-
klasse und ihrem minuziösen Räderwerk Phantastisches und Unwahrschein-
liches zu untermischen. Man weiß niemals so recht, ob einer dieser Honora-
tioren, die einen festumrissenen Beruf ausüben und offtziell einen pompösen
Titel tragen, nicht zu gleicher Zeit ein den romantischen Gemütern so geneh-
mes Doppelleben führt. Verstecken ein Stadtsekretär, ein Archivar, ein Titular-
bibliothekar oder gar ein Geheimrat hinter der Maske wohlanständiger Be-
amter ein paar Überreste von Zauberkünsten, die urplötzlich zum Vorschein
kommen können? So verwandelt sich der Obergerichtsrat Drosselmeier, dem
Hoffmann die eigenen Züge gegeben hat, im Märchen "Nußknacker und : i
Mäusekönig" in einen scheußlichen Uhu, der auf der Uhr sein garstiges
Gefieder sträubt.
Wir verstehen jetzt vielleicht jene Passagen in deutschen Filmen etwas
besser, die uns in so peinlicher Weise an Witzblatt-Komik erinnern. Im
MÜDEN TOD wie auch im LETZTEN MANN gefällt es Lang und Mumau,
des längeren die üble Trunkenheit von Spießern, denen die frische Luft
draußen nicht bekommt, anzuprangern. Leni und Jeßner, ebenso Lupu Pick
zeigen ähnliche torkelnde Bürger in HINTERTREPPE und SYLVESTER.
(Stroheim in GREED wird ihre ganze Erbärmlichkeit weit schonungsloser
während des Hochzeitsmahles enthüllen.)
Handelt es sich noch um den Konnikt zweier Seelen, die in Fausts Brust
wohnen, und zerreißt dieses unfreiwillige Doppelgängerturn ein ganzes Volk?
Sogar Heine hat seinen Tribut an den Doppelgänger, den finsteren Gesel-
len, zahlen müssen, Lenz ist wie Hölderlin schizoiden Visionen verfallen.
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103

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Überall gibt es Spuren: in ,.Titan" wagt der Titularbibliothekar Schoppe nicht,
seine Hände und Füße zu betrachten, aus Anpt, daß sie dem "Anderen"
gehören könnten. In "Hesperus" besieht sich Viktor abends seinen bebenden
Körper so lange, bis er ihn "als eine fremde Gestalt neben seinem Ich stehen
und gestikulieren sieht". "Mein eigenes Ich, zum grausamen Spiel eines
launenhaften Zufalls geworden und in fremdartige Gestalten zerfließend", so
ruft Hoffmann in "Elixiere des Teufels" aus, "schwamm ohne Halt in einem
Meer all der Ereignisse ... Ich konnte mich selbst nicht wiederfinden ... Ich
bin das, was ich scheine, ich scheine das, was ich nicht bin, mir selbst ein
unerklärliches Rätsel, bin ich entzweit mit meinem leb!"

Wir finden dieses unheimliche Doppelgängerturn in vielen deutschen


Filmen: Caligari ist zugleich Jahrmarkt-Anreißer und Direktor einer Irren-
anstalt; Nosferatu, der Vampir, ist Schloßherr und verhandelt über den Kauf
eines Stadthauses mit einem gleichfalls diabolischen Häusermakler. Selbst
DER MÜDE TOD ist ein Wanderer, der ein Grundstück am Friedhof zu
kaufen sucht. Für den Deutschen birgt das Dämonische einer Person oft ein
bürgerliches Gegengewicht. Das erklärt auch den großen Erfolg des zweimal
verfilmten Sujets DER ANDERE (Max Maclt, 1913, Robert Wiene,l930), wo
sich ein Staatsanwalt des Nachts in einen Binbrecher verwandelt, oder von
JANUSKOPF, in dem Mumau das Thema von Dr. Jekyll und Mr. Hyde
aufgenommen hat. Auch in einer Episode des HOMUNCULUS ist der Held
eine Art von "Führer", der, als Arbeiter verkleidet, die Menge gegen die eigene
Diktatur aufhetzt. Diese Freude am Doppelgängerturn spüren wir noch in den
beiden MABUSE-Filmen von Fritz Lang und in M.

Es kommt vor, daß die Maske völlig zerreißt und daß ein Ungeheuer in
seiner ganzen Scheußlichkeit erscheint: der Graf Dracula aus dem Roman
von Bram Stoker, der NOSFERATU als Vorbild gedient hat, ist eine merk-
würdige Persönlichkeit, die einen gewissen Charme besitzt. Mumau hat die
unheimliche Seite seines NOSFERATU verstärkt und ihn sichtbar scheuß-
licher gestaltet.

Der kahle Schädel, das maskenhaft unheimliche Gesicht eines solchen


Ungeheuers spuken durch manche deutsche Filme. Noch in der bürgerlichen,
realeren Atmosphäre des TAGEBUCHS EINER VERLORENEN, eines
Films von Pabst, erkennen wir eine ähnliche Figur. Der Direktor der Fürsorge-
anstalt, der wie ein Teufel aus seiner Kiste emporzuschnellen scheint, ein
langer steifer Herr im Bratenrock, erinnert an den seltsam rätselhaften Diener,
den Fritz Rasp in METROPOLIS spielte. Ist es nicht seltsam, daß sogar in
Siroheims G REED der fremde Mann, der Tina mitteilt, sie habe das große Los
gewonnen (das ihr und ihrem Mann ja nur Verderben und Tod bringen wird),
das gleiche unheimlich nackte Gesicht zeigt, also geradezu das "Schicksal"
im deutschen Sinn zu verkörpern scheint?

104

l,t.A
KahlköpfJg wie Nosferatu ist auch der kleine bizarre Herr in GENUINE,
kahlköpfJS war bereits der schauerliche Gast, den Jean Paul in "Titan" plötz-
lich im Trinkkeller auftauchen läßt Jener Unbekannte, dessen Kahlheit "mehr
fürchterlich als häßlich" erscheint, prophezeit dem Titularbibliothekar Schop-
-'-': .... ...,-., ..
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pe, den ein dampfender Punsch exaltiert hat, er würde "binnen heute und
fünfzehn Monaten" wahnsinnig werden. In ähnlicher Weise kündet in
CALIGARI der Somnambule Cesare einem froh erregten jungen Menschen
den Tod vor Morgengrauen an.

"Titan" enthält schon alle jene unheimlichen Elemente, die sich ein Jahr-
hundert danach der Film zu eigen gemacht hat. Der widrige Kahlkopf, dessen
welkes Gesicht konvulsivischen Zuckungen unterworfen ist, so daß er jedes- !i
mal ein anderer scheint, erweist sich als Besitzer eines . Wachsfiguren-
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kabinetts. Und wirkt es nicht schon fast wie ein expressionistisch beleuchteter
Film, wenn Jean Paul schreibt: "Als beide durch das kleine dunkle Vorzimmer
des Kellers gingen, sah Albano in einem Spiegel seinen eigenen Kopf in einen
Rammenring gefassct"?

Auch die seltsame, altmodische Tracht, die uns bei den Bürgern in
CALIGARI oder dem MÜDEN TOD auffiillt, entstammt der Welt der
Romantik. Der diabolische dünne Herr, dem Peter Schlemihlleichtsinniger-
weise den Schatten verkauft, trägt einen grauen, altfränkischen Rock, grau
und seltsam unmodisch ist auch der Bratenrock des bösartigen Advokaten
Coppelius aus E. T. A. Hoffmanns "Sandmann", der im übrigen geradezu
als eine Vorahnung des Dro Caligari erscheint. In vielen deutschen Filmen
sehen wir skurrile Spitzweg-Gestalten im Biedermeierkostüm. Filme wie
NOSFERATU oder DER STUDENT VON PRAG suchen jene Zeit Eo T. A.
Hoffmanns aufs neue zu beleben, während die Bürger aus CALIGARl,
dem MÜDEN TOD, auch aus M vage Ankliingc an jene Biedermeiertracht
zeigen, in der sich das Solid-Bürgerliche und Unheimlich-Bizarre so glück-
lich mischen.

Das Kostüm gewinnt bei den deutschen Filmschaffenden oft eine "drama-
tische Funktion". Das Laboratoriumsgeschöpf Homunculus ersteht vor un-
seren Augen dank schärfster Kontrastwirkung; sein bleiches Gesicht, die
verkrampften weißen Hände prallen aus dem Dunkel heraus, werden durch
den schwarzen Radmantel, den hohen schwarzen Zylinderhut, die schwarze,
gewundene Kragenbinde zu stärksten Akzenten. Der Pelerinenmantel gibt
Dr. Caligaris dämonischer Erscheinung den Aspekt einer riesigen, flattern-
den Fledermaus - die ganze Freude der Deutschen an vielfältigen Verwand-
lungen und Vexierbildverzerrungen wird hier offenbar. Im STUDENT VON
PRAG wird Scapinelli, der Bürger im Biedermeierrock mit dem Regenschirm,
dem Zylinderhut, plötzlich halb zur Vogelscheuche, halb zum Dämon. Der
Wind bläht seine Rockschöße auf, der Schirm wird zur Waffe gezückt, und

105
wir denken zurück an Hoffmanns "Goldenen Topf", wo der Student Anselm
den Archivar Lindhorst sich in ähnlicher WeiJe in einen weißgrauen, scheuß-
lichen Geier verwandeln sieht: "Da setzte sich der Wind in den weiten Über-
rock und trieb die Schöße auseinander, daß sie wie ein paar große Flügel
in den Lüften flatterten und es dem Studenten Anselm vorkam, als breite ein
großer Vogel die Fittiche zum raschen Auge."

Die Natur selbst wird im Film zur Fratze. Ein knorriger, kahler Baum mit
nackten, verästelten Wurzeln ragt neben dem unheimlich verbogenen Scapi-
nelli auf. Er erinnert an jene Baumphantome, neben denen der Apotheker
aus dem MÜDEN TOD, mit Radmantel und überhohem Zylinderhut an-
getan, im Nachtdunkel die Mandragorawurzel sucht (9).

Das Phänomen des "Anderen" wird so zum Höhepunkt gebracht, ins


Gigantische gesteigert.

ln einem Mantel von seltsam bräunlicher (!) Farbe hüpft, wie von einer
Sprungfeder getrieben, der bizarre kleine Spikher aus dem "Abenteuer einer
Sylvestemacht" im Trinkkeller herum, und dieser Mantel weht in vielen
Falten und Fältchen auf ganz eigene Weise um seinen Körper, "so daß es im
Schein der Lichter beinahe anzusehen war, als führen viele Gestalten aus-
und ineinander, wie bei den Enslerschen Phantasmagorien".

In Schlegels "Lucinde" verwischen und verändern sich die Umrisse eines


Antlitzes dank "der überspannten Einbildung", in dem Roman von Novalis
"Heinrich von Ofterdingen" wandeln sich im blauen Licht der Grotte die
Bilder unaufhörlich, fließen ineinander; auch in den "Flegeljahren" von
Jean Paul wechseln die Formen unablässig.

So kann man nicht mit Unrecht behaupten, daß det phantastische deutsche
Stummfilm dieser Zeit im Grunde oft nur als eine Art von Weiterentwicklung
romantischer Visionen erscheint und daß eine moderne Technik den Imagina-
tionen einer Traumwelt lediglich neue plastische Form verliehen hat.

106
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NOSFERATU von F. W. Murnau: Alte Backsteinfassaden

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NOSFERATU: die Grisaille der rauhen Berge um das Schloß des Vampirs
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NOSFERATU: die Darstellung des Grauens

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VII.

Dekorativer Expressionismus
"Das Wachsfigurenkabinett" (1924)- Das Raumgefühl
Faszination der Korridore und Treppen

Der Expressionismus stilisiert nicht etwa


aus dekorativen Rücksichten, was nur intellek-
tueller Mißbrauch mit der Kunst wie mit der
Welt ist. .,
Paul Fechter: Der Expressionis-
mus, München 1914.
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DAS WACHSFIGURENKABINETT von Paul Leni ist mannigfaltigen
Einflüssen unterworfen gewesen. Schon der Titel mit seinem Anklang an den
des KABINETT DES DR. CALIGARI zeigt dies deutlich. In seiner ver-
spielten Manier versucht Paul Leni zu einer Epoche reicherer technischer
Entwicklung das abenteuerlich Geheimnisvolle des Jahrmarkttreibens, das der
CALIGARI-Film so glücklich verwertet hatte, neu zu gestalten. Eine fort-
geschrittene Fotografie läßt subtilere Helldunkel-Kontraste zu: Lampions
flammen auf, in einer Einblendung geistert das leuchtende Spinnengewebe
von Riesenrad und Karussell über die Leinwand. Die nächtliche Stimmung
des Jahrmarktbetriebes wird voll ausgekostet; um die Köpfe der Darsteller
legt sich im verdunkelten Zelt ein fahler Phosphorschein, die reichen Ge-
wänder der Wachsfiguren gleißen im Fackellicht, über ihre wächsern glatten
Gesichter huschen geheimnisvolle Schatten. Die Atmosphäre in CALIGARI
erscheint im Vergleich dazu verschnörkelt, sie erstarrt kulissenhart
Zugleich hat Paul Leni, ein expressionistischer Theater- und Filmdekor-
maler, der auch KostümZeichnerwar, ernnnt, welche variierenden Möglich-
keiten für den Dekor und das KostUmliche Fritz Langs MÜDER TOD
gerade durch seine drei zu verschiedenen Epochen und in verschiedenen
Ländern spielenden Episoden bot So wählte er für seinen Film gleichfalls
drei Episoden, die eine Rahmenerzählung zusanuilenhält {10).
Kracauer sieht in dieser Form einer Rahmenerzählung, die ja bereits
CALIGARI andeutet, eine Sucht, vor der feindlichen Welt zu flüchten und
sich gleichsam angstvoll in eine Muschelschale zurückzuziehen. {Vielleicht
denkt er daran, daß Hölderlin in seinem "Hyperion" etwas Ähnliches von dem
"Austemleben" der Deutschen gesagt hat)

113
Ist es aber vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur lang-
atmigen, epischen Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der
Deutsche liebt das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschach-
telung von Nebensätzen in einem Hauptsatz.

Mumaus Vielniltigkeit findet in NOSFERATU zu einer überraschenden


Schlichtheit hinüber: er begnügt sich in der Art einer Theodor Stonn-Chronik
mit ein paar Zwischentiteln für den Auftakt und das Ende. Bei seinem
-$ARTÜFF wiederum kann er nicht der Versuchung widerstehen, einen
moralisierenden Prolog und Epilog anzuhängen, die den Fluß der Handlung
beschweren.

Lenis Stil, der sich in seinen amerikanischen Filmen zum dekorativ Un-
heimlichen hin entwickelt, ist im WACHSFIGURENKABINETT noch nicht
allzusehr fixiert. Mehr noch als Lang variiert er die Formelemente je nach der
Episode und deren Sujet. Die wie Teig verquolleneo Dekors seiner Harun al
Raschid- und Bäcker-Episode weisen überall Rundungen auf, Wandungen, die
gleichsam zu schmelzen scheinen. Man spürt etwas von Poelzigs GOLEM-
Dekor, nur daß hier die jeder Struktur baren Kolonnaden, molluskenhart
weichen Treppen, aufgetriebenen Kuppeln etwas Unwirkliches bekommen
haben, als seien sie aus Kautschuk, als müßten sie vor jeder Bewegung zurück-
weichen, um dann wieder vorzuschnellen. Diese Dekors sind der Schieß-
budenfigur von Emil Jannings wirksam angepaßt,. seinem aufgedunsenen
Gesicht, dem eine absichtlich grob ausgeführte Verschminktheit alles Men-
schenähnliche nimmt. Mit seinem enormen Turban, seiner weiten, unfor-
migen Pludertracht, dem unheimlich runden Bauch rollt Jannings einem un-
geheuren Kreisel vergleichbar durch einen unwahrscheinlich komischen
Bilderbogen-Orient. Kurtz hat hier überaus scharfsinnig Stildivergenzen be-
merkt: in gewissen Momenten wirkt der entpersönlichte Jannings in völlig
expressionistischer Weise als "motorisches Formenelement"; in anderen wie-
derum überwiegt eine "psychologische Drolerie", die naheam Naturalismus zu
sein scheint. "So pendeln die Intentionen des Regisseurs zwischen zwei
Stilen einher." -

Die Episode vom blutigen Zaren Iwan dem Schrecklichen ist völlig anders
gestaltet: ein flutendes Helldunkel, in dem Staubkörner flimmern, erfüllt den
Raum. Der erwachende Impressionismus verschleiert Kontrastwirkungen.
Die weiche Modeliierung eines Pfostens mit seinen leuchtenden Konturen
schimmert auf, wie ein kostbares lkon dringt durch das unbestimmte Däm-
mern das Gebilde eines Portals, dessen bunte Verziertheft seltsam fühlbar wird.
Der Panzerschale eines Seegeschöpfes vergleichbar, erstarrt gleißend ein
Prunkbett

Besondere Details in diesen beiden Episoden zeigen zudem Lenis

114

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Dekorationstalent: die Rundheit der Kuppeln wird von den zahllosen Run-
dungen aufgequollener Thrbane aufgenommen; die Stadt Bagdad erstrahlt in
durchsichtigen Kurven (im Grunde wirkt sie indes nicht weniger schematisch
expressionistisch als die kleine CALIGARI-Stadt, die man oft mit Lyonel
Feiningers belebteren Architekturbildern verglichen hat). Auch die russischen
Zwiebelkuppeln in der Episode von Iwan dem Schrecklichen sind in ihrer
Strukturlosigkeit lediglich omamental eingesetzte Gebilde; sie fmden sich
überall, flankieren ein Palastportal oder verbergen halb den Eingang ge-
heimer Gänge.

Leni spielt mit einer Gedankenassoziatiqn - der russischen Bauernhütte


mit niedrigen, schwer herabhängenden Deckenbalken - bei dem gesamten
Dekor dieser Episode. So muß man sich in dem Palast des Zaren überall
bücken, die Portale wirken kurzbeinig, Bogengänge lasten. Und in seiner
gedrungenen Massigkeit erstickt der Woiwoden-Saal fast die Schar der
Hochzeitsgäste.

Überdies wird hier eine bewußte Stiltendenz offenbar: diese tieflastenden


Decken, niedrigen Gewölbe zwingen die Körper, sich zu bücken, einzu-
knicken, nötigen die Darsteller zu brüsken Bewegungen, zu sich gleichsam
zerreißenden Gesten, zu Kurven, jähen Diagonalen, wie sie die Expressio-
nisten verlangen. In der Episode von Harun al Raschid beschränkt sich der
Expressionismus hauptsächlich auf die Formgebung der Architektur; in der
Episode vom Zaren wird vor allem die expressionistische Körperhaltung
betont. So schleichen zum Beispiel der Zar und sein Ratgeber mit seltsam
vorgeworfenen Oberkörpern, eingeknickter Taille eine Wand entlang; sie sind
also in einer stilisiert linear verzerrten Manier gesehen, und die strikte Paral-
lelität dieser beiden erstarrten Körper bekommt etwas unsagbar Ein-
dringliches.

Ein paar Jahre später bringt Leni bei seinem amerikanischen Film
DER MANN, DER LACHT ftir den englischen König, der mit .seinem
Narren heranschleicht, genau die gleiche verbogene Haltung; denn Leni ge-
hört zu den wenigen expressionistischen Künstlern, die sich nie ganz von
diesem Stil befreien können, weil sie von Anfang an im Expressionismus
nur das rein Dekorative gesehen haben.

In seiner ganzen russischen Episode bringt Leni Architektulformen, die


den Körper an seiner natürlichen Entfaltung hindem und in denen sich die
Gesten verzerren müssen. Wenn er von tiefen Gewölben, niedrigen Portalen
genug hat, verlegt er den Schauplatz in einen engen Treppenschacht, der die
Körper bedrohlich einzwängt. So wird die Marterkammer des weiträumigen
Palastes zu einer steilen Treppe, auf deren Stufen die Opfer angekettet sind;
von Stufe zu Stufe kann sich der Zar an ihrem Anbijck weiden und seinen
Körper in Verzückung winden.
Eisensteins IWAN DER SCHRECKI.,.ICHE zeigt deutlich den Einfluß
dieser extremen Stilisierung: der große russische Regisseur läßt die Körper
in ähnlicher Weise dekorativ in der Fläche erstarren und ihre Gesten sich
arabeskenhart ausbreiten.


Es ließe sich viel über die Vorliebe der Deutschen flir ~nd ihr
Einbeziehen in der Handlung sagen. Vielleicht ist die Faszu1ation, die das
Mysterium dunkler Korridore in all ihrer Verlassenheit immer wieder aus-
zuüben scheint, eher zu erklären. Wir finden solche Korridore in vielen
deutschen klassischen Stummftlmen. Artbur von Gerlach läßt sie in seiner
VANINA zum unheimlichen Labyrinth werden, das die Liebenden auf ihrer
Flucht vergeblich zu durchqueren trachten; Paul Leni bringt solche Gänge
in seinen amerikanischen Gruselfilmen, um die schaurige Atmosphäre noch
zu verstärken. Lange düstere Gänge sind auf alle Fälle ideale Gelegenheiten
für das berühmte Helldunkel. "Es ging fort", so schreibt E. T. A. Hoffmann
in seinem "Majorat", "durch lange, hochgewölbte Korridore, Franzens flak-
kemdes Licht warf einen wunderlichen Schimmer in die dicke Finsternis;
Säulen, Kapitäle und bunte Bogen zeigten sich oft wie in der Luft schwebend,
riesengroß schritten unsere Schatten neben uns her, und die seltsamen
Gebilde an den Wänden, über die sie hinwegschlüpften, schienen zu zittern
und zu schwanken."

Die Psychoanalytiker mögen in jener Sucht nach Treppen und Korridoren


allerlei sexuelle Verdrängungen erblicken. Aber ließe sich nicht auch sagen,
daß jene Treppen für die deutsche Mentalität,. die das "Werden" über das
"Sein" stellt, eine Art von Aufstieg bedeuten und daß Stufen als Gradmesser
einer Entwicklung erscheinen? Oder ist es lediglich der den Deutschen
innewohnende Respekt vor Harmonie und Gleichgewicht, der ihnen gleich-
sam als Sinnbild dieses Verlangens die Symmetrie eines Treppenaufbaus
aufzwingt? ·

Es kann allerdings auch sein, daß die Tragweite dieser Bilder nif;:ht über .
das rein Dekorative hinausgeht. So verwertet Robert Wiene seine unheim-
liche Wendeltreppe aus CALIGARI ftir das geheimnisvolle Haus von
GENUINE, wo die Zuschauer unzählige Treppenstufen bis in alle Ewigkeit
hinaufzuklimmen vermeinen.

Auf der anderen Seite können Treppen in manchen deutschen Filmen


die gleiche Bedeutung gewinnen wie jene, die die Kosaken im PANZER-
KREUZER POTEMKIN herunterstampfen - man denke nur an SIEG-

116
~~~ :.... :._· ~- -:
FRIEDS TOD, wo der Vorrangstreit der Königinnen auf den DomstUfen
entfacht wird, oder an jenen für den Selbstmordversuch..~uelas9so not-
wendigen Treppenschacht in Leontine Sagans MÄDCHEN IN UNIFORM,
auch an jenen anderen, über den sich q.. Fritz Langs M die Mutter beugt,
um vergeblich ihr Kind zu rufen.

Ist indes noch eine szenische Notwendigkeit zu erkennen, wenn die


ziemlich langen Verfolgungsszenen in der Orient-Episode vom MÜDEN
TOD sich auf einer Flucht von Treppen abspielen (Leni ahmt diese Szenen
in seiner Harun al Raschid-Folge getreuliehst nach) - wenn Lang Gunther
und Hagen, die Oberlebenden in KRIEMHILDS RACHE, Treppenstufen
hinabtaumeln läßt, .auf denen die Toten sich häufen? Und will Mumau
nur das Pittoreske seiner mittelalterlichen Stadt betonen, wenn er eine der .
Hauptszenen ·der von der Pest :Betroffenen sich aufdem endlosen::Gewinde.
einer Treppe abspielen läßt? :. · · ·

In seiner "Aktuellen Dramaturgie" vom Jlihre ·1924 sucht Herbert Ihering ·. ·


den Sinn der berühmt gewordenen "Jeßnertreppen" zu analysieren; jener' ·
stilisierten Treppenbauten, die Leopold Jeßner auf der Bühne errichten ließ 4
und die er geradezu tm Übermaß für die Inszenierung seines "Faust" ver-
wendet hatte, was Mumau wohl beeinflußte. Ihering führt aus, daß die
rationalistischen Einwände gegen die Unmöglichkeit von Treppen, Podesten
oder Bögen als Schauplätze sinnlos seien, weil es sich hier nur darum handle,
die Raumteilung der Bühne als "dramaturgische Funktion" zu betrachten
und nicht als Bild. Es sei selbstverständlich, daß weder die Hohle Gasse
im "Tell" eine Treppe bedeute, noch daß die Handlung von "Richard m."
sich auf Stufen abspiele. Wenn Jeßner sie dennoch einführe, so geschehe
dies, weil er hier neue Möglichkeiten für das Bewegungsspiel der Körper,
fiir die Gliederung der Szenen und Gruppen sehe, weil er wolle, daß Wort
und Gebärde raumbildend werden.

Bei den Deutschen wie bei den Russen baut gewissermaßen der Körper
des Darstellers den Raum. Kurtz erinnert, daß schon für den russischen
Theaterregisseur Tairow ein gebrochener Boden, verschieden hohe Flächen,
die gewissermaßen als "eine unendliche Treppe" wirken, die "entfesselte
Dynamik" des Schauspielers ermöglichen. ·

Die Deutschen haben von dem russischen Theater bekanntlieb jene :


Treppenbauten übernommen, aber bei den Russen· tritt das mechanisch
KonstruktivistiSche weit mehr in den Vordergrund, während beim deutschen
Theater und Film eine gewisse metaphysische, symbolische. Konzeption ,
vorherrscht. Jeßner, so erklärt im Jahr 1924 Ren6 Louret in eilier überaus
gescheiten Studie "Le th6atre allemand d'aujourd'hui", verwendet diese
Treppenanlagen nicht nur, um die einzelnen Gruppierungen seiner Darsteller

11'7
~ ··~--~--~------------------------

...... -----

variieren zu können. Er versucht gleichsam in symbolischer Weise den seelischen


Zustand seiner Helden zu charakterisieren, Exaltation wie Depression visuell
wiederzugeben. Treppen bieten ihm die Möglichkeit, im Verlauf eines Dialogs
die soziale oder psychische Überlegenheit von Personen, die auf verschie-
denem Niveau stehen, erkennen zu lassen und ihre seelische Entfernung
voneinander scharf zu kennzeichnen.

Immer wieder wertet der Film bestimmte psychologische Momente dieser


Art aus: schon Paul Rotha und Kracauer weisen darauf hin, daß der über-
höhte Schemel des Stadtsekretärs in CALIGARI dessen Unnahbarkeit
charakterisieren soll und nicht nur eine expressionistische Verzerrung be-
deutet In MENSCH OHNE NAMEN findet sich eine ähnliche symbolische
Szene: man sieht von den steilen Wänden unzähliger Kartotheken wie in
einen Schacht hinunter auf einen winzig erscheinenden Menschen, auf
Wemer Krauss, der bei dem Bürokraten seine verlorengegangene Identität
vergeblich reklamiert.

*
Reinsten Expressionismus bietet im WACHSFIGURENKABINETT zwei-
fellos jene letzte Folge von Jack dem Bauchaufschlitzcr. Hier brechen sich
jähe Winkel, verbiegen sich, Flächen gleiten ineinander, Dt:eiecke wachsen
steil auf, Rhomben durchbohren den Raum wie bei einem Riesen-Kalei-
doskop. Schiefe Wandungen geben einem unsichtbaren Druck nach, ohne
je ihr Geheimnis zu offenbaren. Es ist ein wahres Chaos von Formen, die
sich ergießen, Lichtkaskaden zerreißen ein höllisches Dunkel, die Gegen-
stände haben jede Beziehung zueinander, alle logischen Zusammenhänge
verloren, jede Relativität scheint aufgehoben; nirgends bietet sich dem Auge
ein Halt. In dem Maelström allen Geschehens wird gespenstig die Gestalt
des Bauchaufschlitzers, fahl und gedunsen in seiner scheinbaren Knochen-
losigkeit, herangeschwemmt: Werner Krauss, der unheimliche Jack the
Ripper, droht von allen Seiten her. Wie der Raum, so erscheint der Boden
durchlässig, lockert sich, gleitet unter irren FUßen hinweg, wird irreal. Das
Riesenrad, das Karussell eines infernalischen Jahrmarkttreibens nimmt fiir
Augenblicke Form an, wirft schauerliche, lastende Schatten.

Trotz aller technischen Fortschritte zeigt jedoch gerade diese Folge den
)cünstlerischen Rückschritt dieses Films, etwa einem GOLEM gegenüber,
an: eine eigentliChe Tiefenwirkung ist nicht vorhanden, sie fehlt sogar noch
da, wo Jack der Bauchaufschlitzer drohend vorschnellt und wo die Dekors
wie Schiebetüren auseinandergleiten. CAJ..IGARI ist im Grunde nicht
überflügelt worden. Eine erstarrte Vollkommenheit, eine allzu rafrmierte
KompoSiTiöil, die mitunter etwas von einer Schaufensterdekoration bat,
schadet heute der Wirkung des W ACHSFIGURENKABINEITS. Der nur
auf dekorativen Expressionismus eingestellte Film endet in der gleichen
Sackgasse wie GENUINE.
Die Faszination der Treppen

RASKOLNIKOW von Robert Wier


""
~ Faszination der Treppen

RGOLEM von Wegener und Boese

-5 WACHSFIGURENKABINEn von Paul Leni {Modell von Ernst Stern)


l?n
Die Faszination der•Treppe

HINTERTREPPE von Leopold Jeßner und Paul Ler

DIE BOCHSE DER PANDORA von G. W. Pab~


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J Faszination der Treppen

STRASSE von Kerl Grune

WEBER von F. Zelnik


Die Faszination der Treppe

DER VERLORENE von Peter Lorr

ASPHALT von Joe Mo


!utsche Finsternis

WEBER von F. Zelnik


124
Der dämonische Bourgeo

CALIGARI von Robert Wien,

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NARKOSE von Alfred Abe


er dämonische Bourgeois
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RSTUDENT VON PRAG von Galeen

nälde von Caspar David Friedrich (ln4-1840)


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Der dämonische Bourgeol:

DER MODE TOD von Fritz Lan~

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128
VIII.

Die Welt der Spiegel und Schatten


"Schatten" (1923) von Robison- Der expressionistische Schauspieler

"Aber als ich in den Spiegel schaute, da


schrie ich atif und mein Herz war erschüttert:
denn nicht mich sah ich darin, sondern eines
Tetifels Fratze und Hohnlachen ... "

"Mein Schatten ruft mich? Was liegt an


meinem Schatten I Mag er mir nachlaufen I
Ich - laufe ihm davon ... "Aber der, welcher
hinter ihm war, folgte ihm nach ...

Friedrich Nietzsche: Also sprach


Zarathustra.

129
einem Programmheft für Conradt Veidts WAHNSINN
130
1t der Schatten ein seltsamer Doppelgänger, der wie ein Vampir die Kraft
und das Begehren jener verzehrt, denen er angehört und deren Identität er
sich bemächtigt, wenn sie, gleich Peter Schlemihl, seine 4ünne Haut ver-
kaufen? Dieses unheimliche alter ego wird stets zum erbarmungslosen Feind
desjenigen, der sich von ihm trennt Als der STUDENT VON PRAG auf
den Doppelgänger, sein Spiegelbild, schießt, auf jenen Bruder des Schattens,
der flir alle romantischen Gemüter das im Spiegel reflektierte Bild bedeutet,
zerstört er sich selbst

Denn Portraits, Spiegelbilder, Schatten gleiten in den Visionen· der


Romantiker immer wieder ineinander über. Für Jean Paul bedeutet ein
Spiegelkabinett zugleich ein Bilderkabinett E. T. A. Hoffmann läßt in seinem
"Abenteuer einer Sylvestemacht" seinen Erasmus Spfklier;'Oen Mann ohne]
Spiegemua, mlf Chamissos Peter Schlemihl, dem Mann ohne Schatten,
reisen. Schlemihl drückt sich auf eine eigene Weise an der Wand entlang,
rasch vorbei an den Kerzen, damit man den Verlust seines Schattens nicht
bemerkt, und für Spikher muß der Wirt alle Spiegel verhängen.

Ewig unheimliche Faszination der Lichter: derjenige, der den von Spikher
verhängten Spiegel enthüllt, erblickt sich selbst zunächst bleich und entstellt,
erkennt sich kaum wieder; dann ist ihm, als schwebe aus des Spiegels
tiefstem Hintergrund eine dunkle Gestalt hervor, die sich in seltsam ma-
gischem Schimmer zu einem holden Frauenbild entwickelt Ähnlich ist die
Wirkung in de Ia Motte Fouques "Undine": hier sieht der ungetreue Ritter
im Spiegel, vor dem eine Kerze unruhig flackert, die Tür sich öffnen und
die mit weißen Schleiern Umhüllte sich ihm zum verhängnisvollen Todes-
kuß nahen.

131
Welch wunderbare Gelegenheit, den Doppelgänger zu vervielfältigen, wenn
man Spiegel gegen Spiegel stellt: in dem verlassenen Spiegelkabinett sieht
der Titularbibliothekar Schoppe, jene pathologischste Figur, die Jean Paul
ersonnen hat, sich viermal entgegengrinsen. Erschreckt von den vielen "Ichs",
die ihn stören, will der wahnsinnig Gewordene die Spiegel zerschlagen.

Aber ist ein Spiegel immer nur ein Spiegel? Man weiß kaum mehr, ob
der Zauberspiegel, auf dem Hoffmanns Prosper Alpanus Erscheinungen herauf-
beschwört, nicht vielmehr der Kristallknopf ist, der seinen Spazierstock ziert.
Und im "Goldenen Topr' weben glitzernde Strahlen einen Spiegel, der sich
alsbald wieder zum Smaragden wandelt, den der Archivar Lindhorst an
seinem Finger trägt.

In den deutschen Filmen spiegeln immer wieder Fensterscheiben, Vitri-


nen, Glastüren, Regenpfützen Figuren und Objekte wider. Auf den vielfältigen
Facetten eines Edelsteins reflektiert das Gesicht des Bäckers Assad in Lenis
W ACHSFIGURENKABINETI. Und in Duporits VARIETE sieht man auf
den Linsen zahlreicher Operngläser die weiße Gruppe eines Akrobaten-·
paares sich widerspiegeln. Selbst Pabst läßt ·Seine Jeanne Ney in. dem
wiedergewonnenen schillemden Diamanten das Bild des freigelassenen Ge-
liebten erblicken.

Jenseits der Spiegelfläche sucht der deutsche Film in seinem Hang zum
Metaphysischen weit mehr als Alice im Wunderland, die kleine, im Grunde
materiell gesinnte Angelsächsin. Er jongliert allzugern mit dem ihm will-
kommenen Zufall eines Reims, mit der Doppeldeutigkeit von "Sein" und
"Schein". Und wie Tieck in seinem "Phantasus", sucht er mit der Wirklich-
keit wie mit Träumen zu spielen, bis ftir ihn die Geburten der Dunkelheit
als die einzig wahren erscheinen.

Für Jean Paul bedeuten die Menschen, das Leben und seine mannig-
faltigen Formen, wie er wiederholt betont, nichts anderes als jene schwan-
kenden Figuren auf Latema magica-Platten, die scharf erscheineq, wenn sie
klein sind, und verschwimmen, wenn sie größer werden. lrgendwo in einer
klareren Welt existiert für ihn eine große Zauberlaterne, auf deren Platten
Länder, Frühling, menschliche Figuren gemalt sind, die als "wir" bezeichnet
werden und die wohl im Grunde nichts anderes als verwischt hüpfende
Schattenbilder sind.

Und in dem expressionistischen Drama "Der Spiegelmensch" von Pranz


Werfe! kämpft der Held voller Verzweiflung - er will dieser Spiegelwelt
und ihren Fratzen entrinnen, um zur "Morgenwirklichkeit" hindurchzu-
gelangen.

132
·~ : ;,. _,, ···.:
Ist es der Hang zum Omamentalen oder zum Geheimnisvollen, der
Eichendorff in seinem Roman "Ahnung und Gegenwart" zu folgenden Wor-
ten treibt: " ... zuletzt sah er einen Schatten fort längs der Mauer gehen.
Der Schatten wuchs beim Mondenschein und mitjedem Schritt immer höher
und größer, bis er sich endlich in Riesengröße in den Wald hinein verlor."

Max Reinhardt hat die Macht des Schattens erkannt, die das Dekorative ·
und Rätselhafte mit dem Symbolischen vermengt In seiner frühesten In-
szenierung in den Kammerspielen, im Jahr 1906, ließ er, wie Julius Bab
sich erinnert, für jene Szene in Ibsens "Gespenster", wo die Mutter dem
wahnsinnig gewordenen Sohn nacheilt, die beiden Darsteller vor einer er-
leuchteten Lampe vorbeistürzen; sie warfen dadurch ungeheure Schatten auf
die Hinterwand, es war, als verfolgten sich Dämonen (11).

In den deutschen Filmen wird der Schatten auf ähnliche Weise zum
Ebenbild des Schicksals, dem niemand entrinnt: Cesare, der grausige
Somnambule, wirft, als er seine Mörderhände ausstreckt, seinen riesenhaften
Schatten auf die Wand. Es ist Nosferatus;des Vampirs Schatten, den wir die
Treppe hinaufsteigen sehen, oder er hängt sich einem Aasgeier vergleichbar
über den Schlafenden.

An der Öffnung des Saals, in dem Siegfried aufgebahrt liegt, ist dem
finsteren Hagen, dem Mörder, sein Schatten vorausgeeilt Auf der hohen
Wandung einer Terrasse, auf der sich die Liebenden im STUDENT VON
PRAG umarmen, droht der Riesenschatten von Scapinelli, dem Teufel.
In M sieht man den Schatten des Lustmörders auf dem Plakat, das vor dem
· Ungreifbaren warnt, und dieser Schatten schwebt über dem ahnungslosen
kleinen Mädchen, seinem nächsten Opfer.

Mitunter wird der Schatten von der nachtdunklen Form einer Figur, die
gegen das Licht aufgenommen wird, ersetzt, wie in der BÜCHSE DER
PANDORA von Pabst, wo wir Jack den Bauchaufschlitzer vor dem Plakat
sehen, das seine Verbrechen kündet Oder wir fmden in METROPOLIS die
dunklen Gestalten gigantischer Träger, die Verunglückte fortschaffen, und
durch die schwelenden Nebeldünste der Fabrik ragen ihre Silhouetten. In
Lupu Picks SYLVESTER starrt die junge Ehefrau auf die Silhouette ihrer
Schwiegermutter, die, als künde sie bereits Unheil, durch die vereiste Fenster-
scheibe sichtbar wird. In Mumaus TABU naht das Verhängnis auf gleiche
Weise: der Schatten des strengen Priesters, der das verbotene Liebesglück
zerstören kommt, gleitet über den Sand, spitzt sich zu wie eine bedrohliche
Lanze, kriecht wie ein Reptil über das schlafende Paar in der Bambushütte.
Mumau liebt diese Erklärung durch Schatten: in VIER TEUFEL sind der
Zirkusdirektor und der Clown, die sich um die Kinder streiten, nur als un-
geheure Schatten über den erschrockenen Kleinen sichtbar (12).

133
Die Filmschaffenden deutschen Ursprungs vergessen diese Vorliebe nie
ganz: es ist gewiß kein Zufall, daß Stroheim in seinem erschütternden Film
GREED (Gier) auf den Glasfüllungen einer Tür den Kopf des Mannes,
der eintreten wird, um einen Mord zu begehen, als Silhouette zeigt (13).

Man findet die beunruhigende Vielfalt dieser Phänomene in dem Film


SCHATTEN wieder, den Arthur Robison gedreht hat, ein in Deutschland
erzogener Amerikaner. Er handhabt seine Schatten ebenso geschickt wie der
kleine Illusionist des Films. Suggestiv werfen dessen flinke Hände im Kerzen-
licht Schattenspiele an die Wand, Fratzen verzerren sich, hinter erleuchteten
Fenstern huschen Silhouetten, wie sie auch Murnau im LETZTEN MANN
zeigt. Aber hier droht vor allem jener Schatten, der das nahende Unheil,
den noch unsichtbaren Feind ankündet und der sein Opfer noch vor diesem
erreicht. Angstvoll wartet die junge Frau in ihrer Nische, und der Schatten
des nahenden Dieners, der sie fesseln soll, kriecht vor, triffi jäh ihre weiße
Gestalt.

Jene Schatten wissen auch das Auge zu täuschen: hinter den durch-
sichtigen Vorhängen einer Glastür belauert der eifersüchtige Gatte gierige
Schattenhände, die nach seiner Frau greifen. Eine neue Einstellung zeigt
uns die Kehrseite der Situation - die junge Frau dreht sich vor ihrem Spiegel
hin und her, während hinter ihr ihre Anbeter mit den Händen die Rundungen
ihres Körpers in der leeren Luft nachzeichnen. Ein anderes Mal glaubt der
Eifersüchtige, das geheimnisvolle Einverständnis schuldiger Hände, die sich
halten, zu überraschen; und wieder sind es nur die Schatten getrennter
Hände, die ineinandergleiten.

Die Zweideutigkeit der Schatten hat in diesem Film einen Feeudsehen


Sinn: der kleine Taschenspieler läßt die Schatten der Handelnden ver-
schwinden und öffnet so die Schleusen all ihrer geheimsten Begierden. Jene
Phantasmagorie wird bedeutungsschwer: die Schatten treten an die Stelle
der Lebenden, die während des Schauspiels zu leblos erstarrten Zuschauern
ihres eigenen Geschicks werden; die Phasen ihrer Existenz, die sich zu
Beginn des Films mit einem schweren Ritardando abgerollt haben, scheinen
sich zu überhasten, einem tödlich verlaufenden Bode zuzustürzen.

Den Vexierbildern der Einbildung gesellt sich das Spiel der Spiegel zu.
Robison weiß meisterhaft mit den einander gegenüberstehenden Spiegeln zu
spielen, die in einem dunklen Gang aufgestellt sind. Fritz Arno Wagners
Kamera fiingt auf ihrer Oberfläche das Bild der jungen Frau ein, die sich in
ihr Zimmer begibt, und in einem dieser Spiegel sieht man die Tür sich
öffnen und schließen, durch die sich ihr Liebhaber zu ihr schleicht. Im
gleichen Spiegel erblickt danach der betrogene Gatte den Kuß der Ehe-
brecher, und es ist voll Bedeutung, daß er zuerst nur ihre Schatten hinter

134
der verhängten Glastür widergespiegelt sieht. Danach wird der Liebhaber
das Bild des lauemden Gatten im selben Spiegel gewahr. Und nach dem
Mord kehrt der Gatte zu dem Spiegel zurück, dessen betrügerisch glatte
Oberfläche nichts von dem empörenden Bild bewahrt hat. Im flackernden
Kerzenlicht - die zitternde Hand hält unsicher den Kandelaber - sieht er
sein Ebenbild seltsam verzerrt widergespiegelt. Er dreht sich wild im Kreise,
und von allen Seiten grinst ihm sein zerquältes Antlitz entgegen. Wohin soll
er flüchten? Wie sich entgehen? Um sich selbst zu zerstören, will er wie
der Titularbibliothekar Schoppe die Spiegelbilder zerschmettern, die ihn zu
verhöhnen scheinen. Doch das halb zerstörte Glas spiegelt noch das Bild
aus dem intakt gebliebenen gegenüberstehenden Spiegel wider.

*
SCHATTEN ist ein Film voller Erotik. Aber Robison verwendet das
Kerzenlicht, das den in ein leichtes Directoiregewand gehüllten Körper der
jungen Frau durchschimmern läßt, niemals vulgär, selbst dann noch, wenn
er den Kandelaber von dem diesmal ahnungslosen Gatten halten läßt.
Robison hat die enganliegende Tracht der "Merveilleuses" und "Incroyables"
sichtlich gewählt, um die erotische Atmosphäre des Films zu intensivieren.

Dank einer fast animalisch anmutenden Vitalität sind die Gestalten


seines Films weit entfernt von der abstrakten Konvention, die der Expressio-
nismus auferlegt hat. Die junge Frau wirkt mit jedem Biegen ihrer Hüften,
der gerundeten Gebärde ihres Arms als die personifizierte Versuchung und
Hingabe, als eine ewige Eva.

Aber das Spiel der Darsteller bedarf einer gewissen Erklärung und viel-
leicht gerade deshalb, weil hier in der Charakterisierung absoluter vorgegangen
worden ist als in anderen Filmen dieser Zeit.

Wir haben bei der Vorführung in retrospektiven Veranstaltungen mancher


Stummfilme feststellen können, daß allzu brüske Gesten und übertrieben
emotionelles Spiel bisweilen im Zuschauerraum unmäßiges Gelächter aus-
lösen. Nicht etwa, weil Tonfilmapparaturen die Vorführungsgeschwindigkeit
des Stummfilms verfälschen. Selbst dann, wenn Stummfilme im Tempo von
16 Bildern pro Sekunde vorgeführt werden anstatt mit den 24 Bildern des
Tonfilms, fühlt sich der normale Zuschauer verwirrt Sogar bei Filmen, die
durchaus keinen expressionistischen Stil zeigen, wie etwa Dellucs LA
FEMME DE NULLE PART (1922) oder LA DONNA NUDA, einem
italienischen Film, erscheinen uns heute die Gefühlsausbrüche der Dar-
steller recht übertrieben. Die theatralische Ekstase, jenes äußerliche Pathos,
die feierlich gefühlvollen, floskelreichen Zwischentitel wirken auf uns peinlich
und lächerlich. Sie gehören einer vergangeneo Epoche an, in der man be-

135
strebt war, dem bürgerlichen Konformismus noble Seelen-Impulse ent-
gegenzustellen.

Dem Seelen-Exhibitionismus, der dieser Epoche gemäß war, gesellt sich


in Deutschland die Exaltiertheit des Expressionismus hinzu, die jene den
Deutschen angeborene Unruhe zum Paroxysmus gesteigert hatte.

Man muß sich die zur Weißglut erhitzte Mentalität der Inflationszeit
vorstellen, in der man um jeden Preis leben und genießen, jedes Vergnügen
bis zur Hefe auskosten wollte und sich nicht von der Angst vor dem Morgen
befreien konnte; in einer Welt voller Trümmer, in der sich ein normales
Leben nicht aufbauen ließ, wo die Unkosten für alles in jeder Minute aufs
neue stiegen und Millionen von Mark zu wertlosen Papierlappen wurden.

Auf den privaten Kostümbällen in Berlin W versteckten sich in dunklen


Ecken unter roten Lampions die Matratzen, die zu billigem Vergessen, zu
ephemeren Liebesabenteuern einluden. Heinrich Manns "Venus" aus der
Roman-Trilogie "Die drei Göttinnen" bietet ein lebendiges Zeugnis dieser
Epoche, der gegenüber Victor Marguerites "Gar~onne" harmlos erscheint.
Das Absteigequartier aus der FREUDLOSEN GASSE oder das eindeutigere
Bordell aus dem TAGEBUCH EINER VERLORENEN, den beiden Filmen
von G. W. Pabst, zeigten den Abglanz einer sich zersetzenden Gesellschafts-
klasse zur Genüge.

Lange noch trägt der deutsche Film das Stigma der Inflations-Mentalität:
in der BÜCHSE DER PANDORA lockt die Lesbierin Gräfin Geschwitz
den dicken Artisten zu sich in die Schiffskabine, um Lulu zu retten. Sie tut
das mit den brüsken, zusammenhanglosen Gesten eines Automaten, den
Oberkörper wirft sie in wilder Verkrampfung zurück. In HEIMKEHR er-
starrt Dita Parlo in expressionistischer Verzerrtheit, während sie Lars Hanson,
der rechtmäßige Gatte, umarmt. Selbst noch in SUNRISE, seinem amerika-
nischen Film, läßt F. W. Mumau in der Liebesszene den Vamp sich in
expressionistischen Zuckungen winden.

Wie Edschmid erklärt, ist der expressionistische Mensch so "~bsolut, so


von großen direkten Empfindungen durchschauert, daß "er erscheint, als
trüge er sein Herz auf der Brust gemalt". Diese Formel gilt fUr eine gesamte
Schauspieler-Generation, die ihre Emotionen zu veräußerlichen bestrebt war
und psychische Reaktionen ins Unmäßige outrierte.

Hamlet ermahnt seine Schauspieler, nicht übertrieben zu deklamieren,


nicht mit den Armen durch die Luft zu rudern, nicht ihte Sätze und Leiden-
schaften zu zerstückeln, sondern ihr Wort «ter Handlung anzupassen, kurz,
natürlich zu agieren, weil das Spiel lediglich ein Spiegel der Natur sei.

136

- ··::>
Die Forderungen eines expressionistischen Dramatikers, Paul Kornfeld, sind \
geradezu entgegengesetzt. Der Schauspieler soll keineswegs das Geflihl auf-
kommen lassen, daß die Idee und das Wort in ihm in dem gleichen Moment
entstanden sind, in dem er sie ausspricht. ·Der Schauspieler darf es wagen,
die Arme großartig auszubreiten und einem Satz voll Emphase und voll
Pathos Ausdruck zu geben, kurz, zu deklamieren, wie er es nie im wirklichen
Leben tun würde. Der Schauspieler soll kein Nachahmer sein - es ist keines-
wegs nötig, sich im Hospital Sterbende oder in der Kneipe Betrunkene
anzusehen, um sie auf der Bühne zu kopieren. Der Rhythmus einer großen
Geste hat, laut Kornfeld, weit mehr Sinn und ist weit mehr von tragender
Wirkung, als der naturgemäße Habitus es je sein könnte.

Manche Expressionisten empfehlen, die Worte auf der Bühne mit einer
leichten Verzögerung auszusprechen, sich also von jeder naturalistischen
Diktion zu entfernen. Andere betonen, daß es nur auf eine "Wortmusik"
ankomme, daß die absolute, direkte Stoßkraft der einzelnen Silben gesucht
werden müsse und das Wort aus jedem logischen grammatikalischen Zu-
sammenhang gerissen werden sollte.

Wenn wir das Wort durch die Gebärde, durch die Mimik des Stummfilm-
Schauspielers ersetzen, so muß dies jene zusammenhanglosen Gesichts-
ausdrücke und Gesten zur Folge haben, jene abrupten Bewegungen, die wie
halbwegs entzweigebrochen erscheinen und die ein Hauptrequisit expressio-
nistischer Schauspielkunst sind. Die Deutschen, die einen so ausgesprochenen
Hang zum Ausrufungszeichen haben (dies zeigen auch die Dichter des
Sturm und Drangs), lieben jene nicht zum Ausreifen gelangten Gesten. Die
Film-Pantomime büßt so die commedia dell' arte-Gelenkigkeit ein, sie behält
lediglich die Fähigkeit zum kaleidoskopischen Impromptu. Daher geht der
expressionistische Stummfilm über das ekstatische Theater hinaus: die auf
den Filmstreifen fixierten Gesten bekommen etwas Endgültiges, Absolutes.

Ein Darsteller wie Veidt, der dem Cesare Ausdruck zu geben verstanden
hat, der eine langjährige expressionistische Schulung besaß, vermag immer-
hin diese abgerissenen Gesten abzurunden. In dem flinf Jahre nach CALI-
GARI gleichfalls von Robert Wiene gedrehten Film, ORLACS HÄNDE,
erreicht er die intensivste Expression des Unheimlichen: der langsam zum
Wahnsinn getriebene Orlac, der sich vor seinen ihm seltsam entfremdeten
Händen fürchtet, weil er glaubt, daß man ihm die Hände eines Raubmörders
gegeben hat, vollführt mit einem Messer, dem diese Hände nicht entrinnen
können, zuckende Bewegungen. Die arabeskenhaften Körperwindungen von
Veidt nehmen eine unerhörte Vehemenz an, das expressionistisch Tänzerische
übersteigert sich. Von CALIGARI führt der Weg hinüber zu ORLACS
HÄNDEN, nur ist es merkwürdig zu konstatieren, daß selbst bei einem
sensiblen Darsteller wie Veidt Habitus und Geste bei dem späteren Film

1~7
weit outrierter geworden sind. Und bei weniger disziplinierten Darstellern
wird der expressionistische Körperausdruck immer stärker veräußerlicht.

!: So kann es geschehen, daß noch im JahtJ926 als &iqb der enpressie


ni~tiscbe Filmstjl dem EndLZJ.!.p~dolf Klein-Rogge in Fritz Langs
METROPOLIS seinen Hexenmeister-Erfmder mit den abgebrochenen Be-
wegungen eines Hampelmanns verkörpert. Das geschieht keineswegs, um
den Wahnsinn eines Exaltierten greifbar vor Augen zu n.lhren. Denn Brigitte
Helm zeigt als echte Maria die gleiche Tendenz, den Körper jäh herum-
zuwerfen, in mechanischer Weise von einem Gesichtsausdruck zu einem
völlig entgegengesetzten hinüberzuwechseln und nicht anders zu agieren als
ftir ihre falsche Maria, den Automaten-Menschen. In ähnlicher Weise gri-
massieren die zur Revolte aufgehetzten Arbeitermassen. Ihre Gesichter sind
wild verzogen, der Mund ist in ihren unheimlich erstarrten, jedes natürlichen
Ausdrucks baren Masken klaffend aufgerissen. (Schon im Jahr 1916 zeigt
Homunculus, das Laboratoriumsgeschöpf, die gleiche verkrampfte Mimik,
seine irren Hände agieren mit denselben fahrig zuckenden Gesten.)

Die seltsamen Kreaturen der Romantiker zeigen bereits die gleiche


ewige Aufgeregtheit: das Gesicht des Kahlkopfes im "Titan"verzieht sich
unaufhörlich, auch Spikher, der Mann ohne Spiegelbild, scheint wie von
einer Sprungfeder angetrieben, nicht anders als der kleine zapplige skurrile
Mann, den Paul Leni in seinem amerikanischen FilmTHELAST WARNING
(1928) bringt.

Bei expressionistischen Regisseuren wie Karl Heinz Martin, so erklärt


Kurtz, wird die Forderung der Raumgestaltung auch am menschlichen
Körper durchgeführt. Das Leidenschaftliche einer Situation wird durch eine
intensive Beweglichkeit ausgedrückt, betonen die Expressionisten immer
wieder. Man muß daher Bewegungen erfmden, die über die Wirklichkeit
hinausgehen. Denn der innere Rhythmus einer Existenz ist in ihre Gebärde
gelegt, muß durch diese Gebärde interpretiert werden. In diesen Fällen ist,
wie Kurtz schreibt, die Darstellung aus der Dynamik der Handlung kon-
struktiv gestaltet.

"Der Bewegungsschauspieler", sagt Herbert Ihering in seinem "Kampf


um das Theater", "drängt die Rolle zusammen." Deshalb kennt er keine
Zwischentöne.

Diese Formulierungen machen das Spiel von Kortner in Paul Lenis und
Jeßners HINTERTREPPE verständlich und vielleicht noch mehr seinen so
brüsk anmutenden Körperhabitus in SCHATTEN, sein verzerrtes Gesicht,
das in Großaufnahme mitunter wie die Fratze eines Neaerc:Ulmons erscheint.
So bekommen auch das überraschend wilde Hin· und Herschwenken seines
Körpers vor den Spiegeln, seine Art, Oberkörper und Arme von sich zu
· werfen, als seien sie kein Teil von ihm, einen Sinn: es handelt sich. hier um
eine auf den Höhepunkt getriebene absolute Abstraktion.

Die expressive Deformierung der Gesten bedeutet somit das Gegenspiel


zu der Verzerrung des Objektes.

139
'r expressionistische Schauspieler

rner Krauss in CALIGAR'l·

Kortner in SCHATIEN von Arthur Robison


140
Expresslonlstlscher Alptraum und Tod

CALIGARI

SYLVESTER von Lupu Pick


141
r expressionistische Schauspieler

erner Krauss in GEHEIMNISSE EINER SEELE von Pabst


142
Der expresslonlstlsche Sch~usp\e\er

FRAU IM MOND von Frit:zlang

METROPOLIS von Fritz lang


143
)er expresslonlstlsche Schauspieler

1ETROPOLIS von Fritz Lang

\DAME DUBARRY von Ernst Lubitsch


144
HINTERTREPPE von Jeßner und Len

METROPOLIS von Lan~

145
Expressionistische Haltung

)RLACS HÄNDE von Robert Wiene

-I INTERTREPPE
146
-----------
Expresslonlstlsche l.~taw-~~9 .- .

ASPHALT von Joe May

HEIMKEHR von Joe May


147
ie Spiegelungen und Schatten

:HATIEN von Arthur Robison

iCHATIEN
148
- - - - - - - - - -----

Dle Welt del' $chatt~n ,",.

NOSFERATU von Murnau

SCHATTEN
149
;, Welt der Schatten

-lATTEN

~ATIEN
1('f'l
Die Welt der Schatte

DER STUDENT VON PRAG von Henrik Galee.


~atten und Gegenlicht

NIBELUNGEN von Fritz Lang

on Fritz Lang
152
Schatten und Gegen\\ct

DIE BOCHSE DER PANDORA von G. W. Pob

METROPOLIS von lor


153
IX.

Atelier-Landschaft und Atelier-Architektur


Fritz Langs "Nibelungen" (1923124) - Geometrische Gruppenbildung

. . . Jedenfalls ist aber dieses Nibelungen-


lied von großer gewaltiger Kraft ... Es ist eine
Sprache von Stein, und die Verse sind gleich-
sam gereimte Quadern. Hie und da aus den
Spalten quellen rote Blumen hervor wie Bluts-
tropfen . . . Denkt Euch, es wäre eine helle
Sommernacht, die Sterne bleich wie Silber, aber
groß wie Sonnen, träten hervor am blauen
Himmel, und alle gotischen Dome von Europa
hätten sich ein Rendezvous gegeben atif einer
ungeheuer weiten Ebene ... Es ist wahr, daß
ihr Gang ein bißchen unbeholfen ist, daß
einige sich darunter sehr linkisch ben~hmen,
und daß man über ihr verliebtes Wackeln
manchmallachen könnte. Aber dieses Lachen
hätte doch ein Ende, sobald man sähe, wie
sie in Wut geraten, wie sie sich untereinander
würgen • • . kein 1Urm ist so hoch, und kein
Stein ist so hart wie der grimme Hagen und die
rachgierige Kriemhilde ...

Heinrich Heine: Die romantische


Schule, 1833.
Wenn Balazs oder Kaibus von den deutschen Filmen sprechen, wenden
sie immer wieder Ausdrücke an wie "beseelte Landschaft" oder "Landschaft
mit Seele". Andere Völker sehen hier lediglich Staffagen, im Atelier oder
auf dem Gelände künstlich aufgebaute Stuck- und Papiermache-Massen.
Die Franzosen schreiben von dem "renferme", der Stickigkeit dieser Land-
schaften, obwohl auch sie zugeben, daß diesen Atelierkonstruktionen dank
des berühmten deutschen Helldunkels eine gewisse Atmosphäre, eine Art
von intensiver Stimmung eigen ist

In dieser Epoche etwa ist übrigens nicht nur der expressionistische Stil-
wille, jene Tendenz, sich von der sogenannten "falschen Realität" der Natur
zu entfernen, der Anlaß zu solchen Atelierlandschaften gewesen. Die Seele
einer Landschaft, erklärt Bela Balazs in seinem Buch "Der sichtbare Mensch",
zeigt sich nicht an jeder Stelle gleich. Es ist die Aufgabe des Regisseurs, die
"Augen" einer Landschaft zu suchen: die schwarze Silhouette einer Brücke
mit einer schwankenden Gondel darunter, Stufen, die sich in das dunkle
Wasser versenken, in dem sich eine Laterne widerspiegelt, geben mehr
Venedig-Stimmung - auch wenn sie im Atelier aufgenommen sind - als die
Originalaufnahme des Markusplatzes. (Man denke nur - und Balazs scheint
dies gleichfalls vor Augen gehabt zu haben - an gewisse Szenen in Fritz
Langs Venedig-Folge vom MÜDEN TOD.)

Damit ein Film zum Kunstwerk werde, erklärt seinerseits auch Rudolf
Kurtz, muß man die Natur stilisieren. Das Menschenschicksal im Film paßt
nicht immer als neutrale Wirklichkeit in die Natur, es verlangt Stimmungs-
bilder. Nur wenn der Regisseur seine Landschaft selbst bauen kann, vermag
er ihr eine lebendige Seele einzuhauchen, die im Drama mitspielt

157
Wie die Ausleuchtungen den Personen .und Gegenständen gewisser-
maßen erst ein Relief geben, so bekommt also auch die Landschaft im deut-
schen Film eine "dramatische, dramaturgische Funktion". Es gibt, so erklärt
weiterhin Balazs, eine tiefe und geheimnisvolle Beziehung zwischen Mensch
und Landschaft: das Gesicht einer Landschaft kann die Spannung einer
Situation unterstreichen, sie intensivieren. Der Expressionismus will, so
schreibt auch Kurtz, nicht passiv hinnehmen, nicht nachschaffen, er will sein
Weltbild konstruktiv gestalten. (Schon Novalis behauptet, daß jede. Land-
schaft ein "idealischer Körper ftir eine besondere Art des Geistes" sei.)

Der Schleier, der, wie Worringer erklärt, den nordischen Menschen von
der Natur entfernt, kann nicht leicht zerrissen werden; so bauen sich die
deutschen FilmschafTenden im Atelier die Landschaft, die ihnen gemäß ist.

Betrachten wir von diesem Standpunkt aus die Atelierlandschaften von


) Fritz Langs NIBELUNGEN, so begreifen wir, daß diejenigen am gelungen-
sten sind, die dem germanischen Walhall-Ideal entsprechen. Eine Steinwüste,
aus der das Flammenschloß Brunhilds wie eine Klippe aufstellt, ein kalter
Horizont hinter dunklen Felsmassen, wo sich der Kampf mit dem Mannweib
abspielt, sind Visionen, die dem Düsteren wilder Legenden völlig naturgemäß
entsprechen. Von Geheimnis umwoben ist auch jene Nebelwelt, in der
Alberieb dem lichten Helden auflauert und zwischen dem Filigran dürrer
Äste die Spinnenfinger zum Würgen ausstreckt.

In Fritz Lang steckt ein Maler, und so versucht er mitunter, berühmte


Bilder für seine Atelierlandschaften zu beleben. Arnold Böcklins Nymphe
auf dem Einhorn inmitten dunkler Baumstämme, durch die Lichtnebel
flutet, wird ftir jene Szene verwendet, in der Siegfried auf dem weißen Zelter
durch den flimmernden Zauberwald reitet. Jupiterlampen ergießen ihr strö-
mendes Licht über Atelierbäume, Nebelschwaden steigen zwischen den
Stämmen auf, verweben sich dem flutenden Leuchten. Und die blumen-
übersäte Wiese, die vor dunklen Felsen weiße Birkenstämmchen umsäumen,
ist lediglich die Synthese zweier beliebter Böcklin-Bilder. Auch Attila in
schwarzer Rüstung auf seinem Streitroß vor einem blühenden Baum, den
nackte girlandengeschmückte Kinder umringen, geht, so weit ich mich ent-
sinne, auf eine bekannte Radierung von Klinger zurück.

Der Zauberwald Siegfrieds mit seinen grandiosen Ausmaßen hat die


Schranken des Ateliers durchbrochen: Karl Vollbrecht, der erfindungsreiche
Konstrukteur des Drachens, der für Otto Hunte und Brich Kettelhut den
großangelegten Dekor baute, errichtete enorme künstliche Stämme aus Gips
und Mörtel auf dem Ateliergelände und schloß den Wald mit einer Art von
Rundhorizont ab, dem Drahtgeflecht und Sackleinwand als Decke dienten.
Durch Öffnungen strahlte echte Sonne hinunter, vermengte sich mit dem
--------

Schein der Projektoren, während aus Öffnungen unter den Rasenstücken


eines wellig aufgebauten Bodens Dämpfe stiegen. So mischte sich echte
Natur mit Ateliematur, wie denn auch von Vollbrecht natürliche Blumen auf
der Wiese im Gelände als kleine Setzlinge angepflanzt worden waren und
I
man monatelang auf ihr Blühen wartete. Man hatte damals Zeit genug für
einen Film, gingen doch schon drei bis vier Wochen über die ersten Regie-
sitzungen hin. Auch der Schnee im zweiten Teil der Nibelungen war echt;
man geduldete sich lange, bis er endlich zwischen den künstlich angepflanzten
Birkenbäumen fiel. Und ähnlich verhielt es sich mit den Eismassen im Rhein-
Bassin, in das Hagen-Schlettow den Nibelungenschatz zu schleudern hatte.
Nur die Blütenbäume sind "Ersatz" gewesen.

Der Dekor jener Blumenwiese, auf der Siegfried-Baldur dem finsteren


Hagen-Loki zum Opfer fallt, hat die gleiche Süße wie der des Blütenbaums,
unter dem sich Siegfried und Kriemhilde in Liebe ergehen. Der Hang zu
künstlichen Blumen, dem sich sogar ein Stroheim trotz aller bissigen Ironie
hingibt, verleitet die deutschen Filmregisseure oft zu einem hemmungslosen
"Edelkitsch", zum "Sinnig, Innig, Minnigen" einer Butzenscheiben-Romantik.
Man denke nur an Mumaus süßliches Ansichtskartendorf bei seinem Oster-
spaziergang im FAUST oder an seinen Kinderreigen auf der blumenbesäten
Atelierwiese.

Wegener verfallt diesem Hang zum Ed.elkitscUiemals, vielleicht weil er


einst seine Märchenftlme in der echten Naturlandschaft gedreht hat So schuf
er Bilder reinster Poesie, wie jenes von der Bürgermeisters-Tochter in dem
RATTENFÄNGER VON HAMELN, diesem kleinen Jungfräulein mit dem
gotisch vorgestreckten Leib, das sich auf einem lichtüberfluteten Hang zum
Klang der Zauberflöte dem Tanz hingibt, während auf der echten Rasen-
fläche Sonnenstrahlen ihr goldenes Netz weben. Selbst Wegencrs Szene der
girlandengeschmückten Kinder, die im GOLEM vor dem Ghetto-Portal
spielen, hat trotz der Atelierbauten den gleichen natürlichen Aspekt

Als der E~us mit seiner absoluten Stilisierung ein Ende ge-
nommen hat, ~enteten siiNich-natllrali§yscbe Atc:ljer!andschalleP die Sf')ße
!
G~ ist sich dessen bewußt gewesen, und so sucht er für den Garten
der Reichen in METROPOLIS einen arabe~nba[ten..Dekor. Aber expres•
sionistische Landschaften sind weit schwieriger zu gestalten als eine expressio-
nistische Architektur. So ist der Garten in METROPOLIS, den Langs Archi-
tekten errichtet haben, in recht verhängnisvoller Weise dem schnecken-
förmigen Garten von GENUINE verwandt Niemals wieder wird der konzen-
trierte Stilwille erreicht, der sich in den Landschaften von CALIGARI aus-
drückte, wo die platt ausgestanzten Bäume mit ihren Domen, die Steilpfade
mit ihren farbig anmutenden Zickzacklinien ein so eindringliches Leben
gewinnen.
*
Fritz Langs Helldunkel-Effekte sind ungemein plastisch gestaltet: auf der
Zugbrücke bringen Krieger in dunkler Nacht die Bahre des Ermordeten
zurück. Den Trauerzug zerreißen Fackellichter, Lichtfetzen zucken auf wie
hreie; fahl wie ein Gespenst bäumt sich Siegfrieds weißer Zelter, der
ielt mit den Locken des lichten Helden, während Schatten über sein
ec Antlitz geistern. Der verhängnisvolle Wind, der zuvor den Staub
über die Zugbrücke wehte, bläht die Vorhänge in der Schlafkammer von
Kriemhild. Immer wieder lauert Zerstörung im Unorganischen, in den Gegen-
ständen. So flattern beim Nahen von Nosferatu die Gardinen, so bewegt sie
ein diabolischer Wind, wenn Gretchen in den Armen Fausts ihre Unschuld
verliert. Selbst Pabst, dieser Champion des Realismus, kann sich jenem psy-
chologischen Effekt nicht ganz entziehen: in der LIEBE DER JEANNE NEY
flattern die Vorhänge im Arbeitszimmer des Toten - hier allerdings motiviert
eine offene Tür den Vorgang. Kein Wunder, daß Paul Leni einen so wirkungs-
vollen Moment flir einen seiner amerikanischen GruselfJ.lme aufnimmt: ein
gespenstiger Wind bewegt die dichten Vorhänge des dunklen, langen
Korridors.

Der Natur wird die gleiche dramaturgische Funktion zuteil wie den Ob-
jekten: der Wind fegt auf einem mageren Hang Staubkörner auf, bevor der
"müde Tod" vor der Postkutsche auftaucht.

Die abgewogene, großflächige Architektur der NIBELUNGEN ist keines-


wegs rein expressionistisch. Aber gewisse expressionistische Grundforde-
rungen sind zu spüren: die ausdrucksvolle Stilisierung, das Bemühen um
starke Konturen, die Kondensation abstrakter Formen. Das Sujet nötigt Lang
zu gigantischen Fresken, er sucht das Monumentale, das der deutschen Men-
talität entspricht. Die deutsche Kultur, so erklärt ja bereits der "Rembrandt-
Deutsche", Julius Langbehn, muß aus Granit sein, und Granit bedingt ein
Menumentalisieren der Formen.

Die ungeheuren Architekturmassen bilden einen idealen Rahmen für die


machtvollen Gestalten des Nibelungen-Epos. Lang strebt nach dem Groß-
artigen, er versteht es, die riesigen Flächen durch subtile Ausleuchtungen zu
beleben. Er zeigt eine ausgesprochene Vorliebe für das Spiel der Symmetrie
und für Kontrapunkte: das schwere Portal vor der Schatzkammer der Nibe-
lungen ist von zwei hohen Gestalten flankiert - Kriemhild und Hagen. Mit-
unter wird eine einzige Gestalt von einem Bogen sinnvoll umrahmt Mit be-
wußter Absicht werden Figuren in die Landschaft gestellt, als seien sie ledig-
lich Ornamentalformen. Siegfried kniet an der Quelle nieder, und seine
Gestalt hebt sich genau von dem mitleisten der Birkenstämme ab. (Von
zwei dieser Birkenstämme wird auch in KRIEMHILDS RACHE die im
Schnee kniende Witwe Siegfrieds omamental eingerahmt)

160
---------------------------
Nichts wird dem Zufall überlassen. Hagen lauert zum Beispiel auf das
Kommen von Kriemhild. Lang zeigt den Sitzenden bewegungslos wie eine
Statue, das Schwert, einer Drohung gleich, quer über die Knie gelegt. Oder
Brunhild erspäht inmitten von Felsmassen die Ankunft der Helden, und ihre
Silhouette legt sich als Diagonale über den kaltgrauen Horizont, durch den
das Nordlicht flackert. Wenn Lang ftir seine Einstellungen einerseits berühmte
Bilder heranzieht, so könnte man andererseits den Film jeden Augenblick
anhalten, um Szenen zu finden, die in ihrer ausgewogenen Statik völlig bild-
mäßig gesehen sind.

Deutsche Filmregisseure dieser Zeit haben immer wieder das Ornamen-


tale gesucht. So gruppieren sie um ein mächtiges Zentrum oft zwei Flügel:
CALIGARI hockt an seinem Schreibtisch wie eine unheimliche Riesen-
spinne und stützt seine Arme auf zwei gleich hohe Bücherhaufen. Oder: im
MÜDEN TOD ragt der geheimnisvolle Wanderer vor der Maue_r genau in
der Mitte auf, während zu beiden Seiten je zwei der Honoratioren des
Stammtisches vorstoßen und im geichen Rhythmus wieder zurückweichen.
(Hier vermittelt übrigens nur die geschickte Montage diesen Eindruck von
Symmetrie.)

Noch expressiver wirkt eine heraldisch gehaltene Gruppenbildung: Sieg-


fried und Gunther trinken nach dem uralten Ritus unter einer germanischen
Eiche Blutsbrüderschaft. Zu beiden Seiten werden sie von zwei Figuren, den
beiden Brüdern des Königs und Siegfrieds Waffengefährten, eingerahmt,
während im Zentrum Hagens hohe Gestalt den Akzent gibt, der die methodi-
sche Verteilung der Formen im Raum noch verstärkt.

Obschon L~]fr beit mehr als Max Reinhardt eine dekorativ stilisierte
Komposition ans re t, spürt man den Einfluß des großen Theaterregisseurs.
So etwa bei dem Zusammenstoß der beiden Königinnen auf den Domstufen,
wor der dunkle Zug von Brunhilds Dienerinnen in einer Keilbewegung auf
die Gruppe des hell gekleideten Gefolges von Kriemhild vorstürzt (Diese
Bewegung erinnert an das Dirigieren von Massen auf der Arena des Großen
Schauspielhauses.) Aber jene Rechtecke, die von Siegfrieds Kriegern geformt
werden, stammen von einer anderen Anregung her, von der Massenführung
expressionistischer Sprechchöre.

Auch der einzelne Körper wird in den NIBELUNGEN wie ein Dekor-
Element behandelt. So heben sich in ihrer starren Statik Hornbläser von
einem klaren Himmel ebenso architektonisch profiliert ab wie die Zugbrücke,
die sich über den Raum spannt. Und in gleicher Weise sind die Filmkomparsen
aller Individualität beraubt. Pfeilern gleich ragen in genauen Abständen
Krieger auf, sie sind identisch in ihrer Haltung, gleichmäßig werden sie von
Speer und Schild flankiert. Ein Zickzack-Ornament auf ihrem Waffenrock

1"1
läßt sie in der Fläche erstarren, der Waffenrock scheint kaum mehr einen
wirklichen Körper zu umschließen. Und der Helm mit dem geschlossenen
Visier entpersönlicht sie völlig. Diese Krieger-Pfeiler scheinen den Ausblick
auf den zum Dom schreitenden Zug in gleicher Weise zu hindem wie die
Raumwirkung zu vertiefen. Oder Brunhild schreitet auf einer improvisierten
Schiffsbrücke zum Land, und jene Schiffsbrücke ist aus Kriegern gebildet,
die bis zum Hals im Wasser stehen und ihre Schilde aneinanderhalten; ihre
Helme wirken wie eine ornamentale Bordüre. Andere Figuren am Gestade
sehen wiederum wie ausgestanztes Gitterwerk aus.
Wir Iinden eine ähnliche Entpersönlichung bei KRIEMHILDS RACHE:
in Siegfrieds Grabgewölbe umringen Dienerinnen Kriemhild; sie wirken unter
ihren Kopfhüllen mit den geometrischen Ornamenten, in den schweren
Falten ihrer Mäntel geradezu körper- und gesichtslos. Sie biegen sich vor und
werden eins mit den Gewölbekurven, bis sie eine Art von Absis bilden und
nichts anderes darstellen als die Rundung schmückende Mosaiken.
/; Mitunter scheinen Langs Filme in ihrer extremen dekorativen Stilisierung
~~~O_'!!_!~s2!uten Fifm";"d~_!lbSl!',!.~!Cn ~~.. ~p~erp~~ Sö Ist esbedeut-
r sam, daß Lang a·n ·stelle "des herif<hsch stthsterten Trtckfilms von Lotte
Reinigereine absolute Filmschöpfung Ruttmanns gewihlt hat, um Kriemhilds
Traum zu interpretieren: vage, vogelähnliche, dunkle Flächen zerreißen eine
helle Vogelform. Nicht umsonst hat auch Moholy-Nagy in seinem Bauhaus-
buch "Malerei, Fotografie, Film" (München 1927) eine Einstellung aus Fritz
Langs DR. MABUSE, DER SPIELER wiedergegeben: das Bild des Tisch-
rückens, in dem man lediglich weiße Hände auf dem grauen Tischrund in
einem fast abstrakt wirkenden Ornamentenkreis verflochten sieht - die Fi-
guren selbst sind vom Dunkel wie verschluckt -, wirkt kaum anders als die
Röntgen-Großaufnahme einer Muschel.

Im zweiten Teil der NIBELUNGEN, der ein Jahr später gedreht worden
ist, wird ein völliger Stilwandel offenbar. KRIEMHILDS RACHE ist weit
weniger statisch. Das Thema ist wilder, dynamischer, es verlangt mehr Bewe-
gung. Die epische Schwere von SIEGFRIEDS TOD, sein langsamer Rhyth-
mus, die volksliedhaft ausgesponnene Idylle von Liebe und Hinsterben sind
einem prestissimo, einem jähen crescendo gewichen, das die am Mord Sieg-
frieds Beteiligten in ihr Verhängnis reißt
Dieser neue Rhythmus löst die Starre der GruppenbUdung auf, lockert
die bewußte Komposition von Formen. Lang kommtjedochjedesmal, wenn
das burgundische Element das der Hunnen überwiegt, auf dekorativ stilisierte
Bildungen zurück: so zeigt er zum Beispiel vor einer fast farbig wirkenden

162
Teppichwand drei Prunkbetten sarkophag-starr aufgebahrt. Aber je mehr man
·sich von Worms entfernt, um so stärker verliert sich das gefroren Monu-
mentale, es wird vermenschlicht: Hagen sitzt auf der Zugbrücke, er. hat
nichts feierlich Statuenhaftes mehr, baumelt lässig die Beine, als ironisch
lächelnder Zuschauer sieht er Kriemhilds Abreise nach dem Hunnenland.

Die "steinernen Türme", von denen Heine sprach, haben, wenn sie
übereinander herfallen, ihre Schwerfalligkeit verloren, und die. Helden· er-
scheinen in ihrem Todeskampf weniger voller Pathos als damals, wo sie an
den Kriegern vorbei im feierlichen Zug dem Dom zuschritten.

Die Hunnen werden dagegen als eine Art von Höhlenmenschen, eine
Kreuzung von Hottentotten und Rothäuten dargestellt Sie halten niemals
ihren Kopf aufrecht wie die germanischen . Helden, sondern kriechen wie
schleimige Reptilien über den Lehmboden hin oder hüpfen, den Körper
seltsam verrenkt, mit eingeknickten Beinen im Kannibalentanz einher. Es
genügt, daß Hagen sich zu seiner ganzen Höhe erhebt, um die Abkömmlinge
einer "Minderrasse" wie Ratten zu scheuchen.

Das Buntfarbene der Folklore, das sich ihm hier bietet, erfreut Lang.
Sein Stil, alle Effekte der Ausleuchtung werden flüssiger, beschwingter; das
Helldunkel belebt sich, flammt auf, wogt umher. Die Bewegung wird fre-
netisch, Schatten bohren sich in Lichtzonen ein, verfließen, eine kaleidosko-
pische Wandlungsfahigkeit tritt an die Stelle des bewegungslos Kolossalen
und bekommt etwas atemlos Spannendes wie die Helden in ihrem Todes-
kampf. Prerde mit wehenden Mähnen sausen über Steppen hin, aus unter-
irdischen Höhlen dringt ein wildes Gewimmel von Dämonen, die den Kriegs-
pfad zu einem kannibalischen Gemetzel beschreiten. Überall droht Hinterhalt,
lauert Verrat, ein Geruch von Blut, von Zerstörung erfüllt die Luft, Waffen
blitzen, Mauem stürzen in Staubwolken zusammen, Flammen zucken auf,
und dichte Rauchschwaden winden sich wie Schlangen, um die Überlebenden
zu ersticken.

163
eoel und Er&cllelnungen

:GFRIEDS TOD von Fritz Lang

:GFRIEDS TOD
164
SIEGFRIEDS TO

Ausschnitt aus Arnold Böcklins Gemälde SCHWEIGEN IM WAU


165
JR CHRONIK VON GRIESHUUS von Arthurvon Gerlach

rnold Böcklins Gemälde DIE TOTENINSEL


166
SIEGFRIEDS TC

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SIEGFRIEDS TC
167
EMHILDS RACHE von Fritz Lang

GFRIEDS TOD
168
- . :.·,.. :,.,_
.. ;~-.~J~);jtLid;~:'~·.· ·-1~ :
SIEGFRIEDS TO

KRIEMHILDS RACH
169
X.

Expressionistisches
Debüt eines "realistischen" Regisseurs
"Der Schatzn (1923) von Georg Wilhelm Pabst

Von Anfang an habe ich für meine Filme


sogenannte realistische Sujets gewählt, um azif
diese Weise in entschiedener Form stilisieren zu
können. Denn der Realismus ist nichts weiter
als ein Ausdrucksmittel, er ist keineswegs ein
Endziel, er bedeutet lediglich einen Weg, durch
den man hindurchgeht.

G. W. Pabst in einem Interview


für die Revue du Cinema, Nr. 18
vom Jahre 1948.

171
...
:~L,- .. ;·,..·:
Deser Film ist überreich an schönen Bildern, die das Licht im Dunkel
zu modellieren scheint. Jedoch wirkt seine Beleuchtungskunst nicht direkt
der von Max Reinhardt verwandt, wie es etwa bei den aus der gleichen Zeit
stammenden Filmen von Oswald oder Buchowetzki der Fall ist. Anklänge
an Wegeners GOLEM vom Jahr 1920 sind dagegen unverkennbar, und wenn
der Glockengießer aus dem SCHATZ dem Rabbi aus dem Wegener-Film
so ähnlich sieht, so keineswegs nur deshalb, weil die Rollen beide vom
gleichen Darsteller, von Albert Steinrück, gespielt wurden.

Pabst hat hier noch die Freude deutscher Regisseure am expressionistisch


Omamentalen: die Frau des Glockengießers, die eilig einherkommt, trägt
dicht unter dem Kopf ein ungeheures Tablett, der Oberkörper verschwindet;
mit ihren aufgeblähten Röcken wirkt sie geradezu wie eine jener bauchigen
Glocken, die ihr Mann gießt. Und über den beiden Ehebetten erhebt sich
ein Pfeiler wie ein Baumstamm, seine Rippen breiten sich Zweigen ver-
gleichbar aus - Pabst läßt in solchen Einstellungen die Kamera lange
verweilen.

Es wirkt überraschend, daß ein Künstler wie Pabst auf diese Weise
beginnt. Man spürt hier noch keineswegs seinen persönlichen Stil; jeder dem
Expressionismus zugewandte Regisseur, der schöne Bildwirkung sucht, hätte
diesen Film drehen können. Was jedoch noch mehr autrant, ist, daß Pabst,
der später die Montage so ungemein subtil beherrscht, hier Einstellung an
Einstellung ziemlich monoton aneinanderreiht Jede Einstellung ist überdies
zu langatmig, zu schwerfailig. Jede Situation wird zu ausführlich behandelt.
Denn Pabst sucht die psychische Reaktion seiner Figuren genau zu sondieren;
das steht zudem völlig im Widerspruch zu den expressionistischen Forderun-

173

----------------------- - - - - - - - -
gen, die jede Psychologie verdammen. So kommt es hier zu einem besonders
fühlbaren Kontrast mit dem sonst expressionistisch gehaltenen Stil des Films.
Indes spüren wir auf der anderen Seite in der naturalistischen Führung der
Schauspieler bereits c,iie analytische Arbeitsweise, die Pabst sich später zu
eigen machen wird. Er braucht allerdings noch Zeit, um zu jener scharf-
sinnigen Wahl von Einstellungen und mit ihnen zu der intensiven Durch-
ftihrung psychischer Reflexe zu gelangen, die seine BÜCHSE DER PAN-
DORA auszeichnen.

Hier und da allerdings haben wir fast eine Vorahnung des Regisseurs,
der die Orgie der russischen Offiziere in der LIEBE DER JEANNE NEY
drehen wird: so, wenn die drei Schatzfmder die Entdeckung feiern wollen
und zu trinken beginnen. Pabst malt jedes Detail aus, er genießt die Situation
in ihrer ganzen trunkenen Erbärmlichkeit. Aber noch ist sein Naturalismus
- sieht man von den expressionistischen Allgemeintendenzen dieses Films
ab - in eigenartiger Weise stilisiert. Wie Lang in seinen NIBELUNGEN,
so hat auch Pabst bestimmte Bilder im Sinn, nur hält er sich nicht an die
Komposition selbst, sondern sucht lediglich Modelle rür seine Figuren. So
stammen seine Bauern mit den grob verquolleneo Gesiebtem seiner Trunken-
heitsszenen direkt von Ostade oder Teniers, und die Schablonenhaftigkeit
der Anwendung verstimmt. (In GREED weiß Stroheim, ohne Vorbilder
nötig zu haben, weit erbarmungsloser Gier und Gemeinheit anzuprangern.)

Pabst macht sich im SCHATZ alle expressionistischen Formelemente


zunutze: das Haus des Glockengießers ist niedrig, aufgedunsen, strukturlos,
eine lehmartige Masse. Tief lastet die Decke, die Halle ist unheimlich dumpf
wie ein Grabgewölbe; hier fühlt man das Vorbild des GOLE~ am stärk-
sten durch. ,

Solche aufgeraubten Mauern bekommt man in vielen deutschen Filmen


dieser Zeit zu sehen. Sie werden zu Fallen des Verhängnisses, ihrem Moder
entströmt ein unheimliches Eigenleben. Und überall gähnen dunkle labyrinth-
artige Gänge, Treppen führen ins Nichts, jähe Kurven drohen dem Fuß.
Aus engen Fensterschlitzen sickert Licht, das über den Fußboden in Streifen
gleitet und den Raum, hier und da auch eine menschliche Gestalt halb im
Dunkeln läßt. Werner Krauss, der bizarre Schatzsucher, geht in die Nacht
hinaus, er hält eine Laterne unter der Weste versteckt; ihr fahles Licht
geistert über sein gedunsenes, visionäres Gesicht Dem Gießofen entströmen
Feuerdünste, aufsteigende Dampfschwaden lassen Raum und Menschen
verschwimmen, ein schillerndes Leuchten blüht auf im Dunkel, ergießt sich
wie tanzende Funken von vielen Raketen. Und am Schluß des Films ver-
zehrt ein ungeheurer Brand das expressionistische Glockengleßerhaus.

Überall sucht Pabst das Pittoreske in der Ausleuchtung, das Dekorative.

174
•.."".

Helldunkel bedeutet fllr ihn alles: in der Wirtsstube flimmert das Licht d~r
· Hängelampe gedämpft über den Tisch, holt hier und da ein Gesicht aus
dem Dunkel. Wenn Krauss sich in die Nacht hinauswagt, um eine Wünschel-
rute zu schneiden, leuchten Weidenstümpfe fahl auf, Gestrüpp wird von einem
Atelier-Mondschein übergossen, Äste werden in den Konturen überscbai:f
akzentuiert, scheinen weiße Knochenarme gespenstig zu recken. (Dies wirkt
gemdezu wie ein Auftakt f\lr die berühmte Beschwörungsszene in Murnaus
FAUST.) ..

Kein Wunder, daß Pabst auch das Spiel unheimlicher Schatten sucht.
Über die alten Mauem geistert seltsam verkrümmt, fratzenhaft der ungeheure
Schatten von Kmuss, der mit seiner Wünschelrute die Wände abtastet, in
alle Winkel dringt Und wenn im Weinberg das junge Liebespaar sich in die
Arme sinkt, so zeigt Pabst einen Augenblick den Liebhaber in der Tür-
öffnung als Silhouette gegen die Sonnenklarheit So fmden sich hier ·alle
klassischen Stilformen des deutschen Films dieser Zeit, aber noch wenig
deutet darauf hin, daß Pabst einmal eigene, andere Wege gehen wird.

175
~SCHATZ von G. W. Pabst

SCHATZ: ein stilisierter Naturalismus


116
:Ai. .: ;~ ,.,
DER SCHATZ: ein stilisierter Naturalismu:

177
XI.

Der Kammerspielfilm und die Stimmung


"Sylvester" (1924) - Optische Manifestation der Seele
Ein deutsches Filmmanuskript

Im Untertitel nennt Carl Mayer "Sylvester"


ein "Lichtspiel". Es wird ihm nicht nur daran
gelegen haben, durch diesen Untertitel auf den
rein technischen Vorgang des Wechsels, der
Bewegungen von Lichtem, hinzuweisen. Er wird
wohl auch das Hell und Dunkel im Menschen
selbst, in seiner Seele haben aufzeigen wollen.
Den ewigen Wechsel von Licht und Schatten in
den seelischen Beziehungen der Menschen zu-
einander. So wenigstens wirkte der Untertitel
auf mich.
Lupu Pick: Vo1Wort zu dem ge-
druckten Drehbuch "Sylvester".

179
,_;t _ ,,__._, __ ,_·~----
Wenn wir uns fragent woher der Begriff "Kammerspielftlm" stammt, müs-
sen wir wieder einmal auf Max Reinhardt zurückgreifen. Eines Tages, auf
der Probe eines äußerst subtilen Stückes, bei dem die seelischen Beziehungen
der Personen diskret aufzuzeigen waren, meinte Reinhardt, ·daß er zwar die
Geste gesehen und den Blick verstanden habe, weil er so nahe dabei sei;
er seufzte: "Leider aber sitzen die Zuschauer nicht wie ich auf der Bühne ...",
und er meinte damit, daß den Zuschauern in den Rängen und vor allem
jenen auf dem "Olymp" notgedrungen alle psychologischen Finessen ent-
gehen würden.

So kam er dazu, ein intimes kleines Theater zu schaffen - die "Kammer-


spiele", wo einer sogenannten Elite (nicht mehr als dreihundert Personen)
inmitten eines Raums mit warmer, dunkler Holztäfelung, roten weichen
Sesseln und gedämpftem Licht der psychische Wert eines Lächelns, einer
zögernden Bewegung, die abbrach,. oder eines beredten Schweigens intensiv
bewußt werden konnte. Wenn auf der Arena des Großen Schauspielhauses
ein Darsteller den ganzen Arm heben muß, berichtet ein Mitarbeiter Rein-
hardts, Heinz Herald, so braucht er im Deutschen Theater nur die Hand zu
bewege~, und in den Kammerspielen genügt die Geste eines Fingers.

Der Karnmers~ielftlm, den Lupu Pick mit seinem Film SCHERBEN im (


Jahr 1921 ins Le en gerufen hat, ist also vor al~em ein psychologischer
Film. Vorzugsweise ist er auf wenige, sich in einem Alltagsmilieu bewegende
Personen beschränkt, er beruht auch meistens auf einer Einheit von Ort,
Zeit und Handlung, weil dies vereinfachen soll.

Mit solchen Gegebenheiten gerät demnach Pick völlig bewußt in Wider-

181
streit mit allen expressionistischen Prinzipien. Denn bekanntlich verdammen
die Expressionisten immer wieder die erklärende Psychologie, jede individu·
elle, kleinbürgerliche Tragödie, jede intime Seelenanalyse.

Lupu Picks anti-expressionistische Haltung überdauert sogar jahrelang


die Herrschaft des expressionistischen Stils. Dies kommt in einem Interview,
das Cinemonde im Jahr 1930 veröffentlichte, deutlich zum Ausdruck. Hier
erinnert Pick an Carl Boeses im Jahr 1926 gedrehten Film DIE LETZTE
DROSCHKE VON BERLIN, wo er die sentimentale Rolle eines Droschken-
kutschers verkörpert, der vergeblich gegen den Fortschritt, das Auto, an-
kämpft Pick sieht nur seine eigene "weltanschauliche" Absicht, wenn er dem
französischen Journalisten gegenüber erkärt: "Dieser Film bedeutet eine
naturalistische Ohrfeige für expressionistische Snobs." (Der stets auf Zugkraft
bedachte Carl Boese hatte nämlich lediglich ein derbes Volksstück drehen
wollen, zu dem Picks feierlich pathetischer Droschkenkutscher im Kontrast
stand.)

Der große Autor von SCHERBEN, Carl Mayer, dem auch das Manu-
skript von CALIGARI zu verdanken ist, hat für den Kammerspielfilm
SCHERBEN eine weittragende Erfmdung ersonnen: er läßt die Zwischen-
titel fort, und dies nicht nur, weil sie den Fluß einer visuell erfaßten Hand-
lung stören und beschweren. Er will auserwählten Zuschauern, die flihig
sind, Seelenregungen mitzuempfmden, die Gelegenheit geben, allein durch
das Bild zu erraten, was in der Seele, ja sogar im Unterbewußtsein seiner
Helden vor sich geht.

Das Interview mit Lupu Pick in Cinemonde ist noch in weiterer Hinsicht
bezeichnend: Pick erklärt, er habe sich stets gegen die Tagesmode gewendet.
Mit SCHERBEN habe er "die Lawine der psychologischen Filme" ausgelöst.
Mit SYLVESTER dagegen habe er den Versuch gemacht, über die Psycho-
logie hinauszugehen, um zur Metaphysik zu gelangen.

So ist Lupu Pick, obwohl er der Tagesmode zu entgehen glaubte, von


dem vagen Wogen deutscher "Weltanschauung" mitgerissen worden.

"Ich war'', so erklärt er im Vorwort für SYLVESTER, "als ich das Manu-
skript Jas, ergriffen von der Ewigkeit der Motive. Und ich wollte die Empfm-
dungen, die ich beim Lesen hatte, auf den Zuschauer übertragen. Aber im
Verlauf der Herstellungszeit öffneten sich immer mehr Ausblicke, erkannte
ich immer mehr, daß hier ein Stoff, der ewig ist und weit wie die Welt, meister-
haft eingefangen ist in das Geschehen einer einzigen Stunde. Einer Stunde,
die seltsamerweise entgegen ihrer sinngemäßen Bestimmung von der Mensch-
heit weniger dazu benutzt wird, um über sich nachzudenken, als um sinnlos
zu jubeln." (14)

182
Wir erfassen hier völlig eindeutig die ideologischen Ziele jener deutschen
Filmregisseure, denen das Schaffen künstlerischer Filme wirklich am H~rzen
liegt. "Dieses Buch", so fährt Lupu Pick fort, "erfullt schon deswegen die Vor-
bedingungen eines Filmmanuskriptes, weil-es - bei der Lektüre - nicht nur
rein optische Vorstellungsreihen vermittelt. Es löst in stärkerem Maße noch
rein geflihlsmäßig Empfindungen aus, die uns alle bewegen. Indem man also
die drei Menschen in ihrem engen Bezirk sich seelisch zerfleischen sieht,
fühlt man mit jedem einzelnen aen Schmerz, aaß er tn Wahrheit gut zu dem
anderen sein möchte - und es doch nicht vermag. Indem man das Prostevn·,
Jubeln und Feiern der Umwelt sieht, fühlt man, wie sehr alle diese Menschen
aneinander vobei rennen, jagen, irren. Fühlt man mit einem Wort den F1uch,
der auf der Menschheit lastet: Beschaffen zu sein wie ein Tier und denke
zu können - wie eben ein Mensch. Notabene, wenn man flihlen will un
nicht nur sehen."

Mit Ausnahme der Küche, Wohnstube, der Hinterstube und auch der
lkskonditorei, fUhrt Carl Mayer aus, sind alle sonstigen Schauplätze nur
"Umwe . ie fast magisch anmutende Umwelt, von der Carl Mayer spricht,
· gedeutet: "Neuartig erscheint mir die Komposition des Licht-
spiels auch", so schreibt Lupu Pick, "weil sie das Geschehen selbst im eng-
sten Rahmen hält, der Umwelt aber eine bedeutende, ja beinahe die Haupt-
rolle im Rahmen des Ganzen zuteilt, ohne diese Umwelt- was ja banal wäre -
mit der Handlung selbst zu verquicken. Sie soll den sinfonischen Unter- und
Hintergrund bilden für das herausgegriffene Einzelschicksal, das so am besten
zur Versinnbildlichung des Grundgedankens wird."

Viele Einstellungen dieser Umwelt sind in den heute im Ausland erhal-


tenen Kopien verlorengegangen, und dies wohl zum Teil, weil ihre meta-
---
physische Bedeutung den anderen Nationen fremdartig erscheinen muß.
Es sind das ewige, endlose Meer, der grenzenlose Himmel, ein Friedhof, bei
dem skeletthafte Zweige und ragende Kreuze, die expressionistisch grell
beleuchtet werden, sich scharf von einem dunklen Horizont abheben. Es
sind eine einsame Heide in der Nacht, ein dumpfer Wald, wo unermeßlich
viele Stämme einen schwarzen, lähmenden Schatten werfen. Und wenn die
Kamera zurückrollt, um diese Umwelt in der Totale zu erfassen, erscheint
alles noch grenzenloser.
j

Es lohnt sich, Carl Mayers Manuskript näher zu betrachten, weil hier
vieles gefunden werden kann, das Z\101 Verständnis des klassischen deutschen
Stummfilms beiträgt In den 54 "Bildern", die das Drehbuch mit seinen oft
wechselnden Einstellungen enthält, existiert sozusagen kein einziges Bild, ftir
das Carl Mayer nicht ganz ausfUhrlieh die Ausleuchtung angibt, die eine
bestimmte Stimmung hervorrufen soll.
streit mit allen expressionistischen Prinzipien. Denn bekanntlich verdammen
die Expressionisten immer wieder die erklärende Psychologie, jede individu-
elle, kleinbürgerliche Tragödie, jede intime Seelenanalyse.

Lupu Picks anti-expressionistische Haltung überdauert sogar jahrelang


die Herrschaft des expressionistischen Stils. Dies kommt in einem Interview,
das Cinemonde im Jahr 1930 veröffentlichte, deutlich zum Ausdruck. Hier
erinnert Pick an Carl Boeses im Jahr 1926 gedrehten Film DIE LETZTE
DROSCHKE VON BERLIN, wo er die sentimentale Rolle eines Droschken-
kutschers verkörpert, der vergeblich gegen den Fortschritt, das Auto, an-
kämpft. Pick sieht nur seine eigene "weltanschauliche" Absicht, wenn er dem
französischen Journalisten gegenüber erkärt: "Dieser Film bedeutet eine
naturalistische Ohrfeige für expressionistische· Snobs... (Der stets auf Zugkraft
bedachte Carl Boese hatte nämlich lediglich ein derbes Volksstück drehen
wollen, zu dem Picks feierlich pathetischer Droschkenkutscher im Kontrast
stand.)

Der große Autor von SCHERBEN, Carl Mayer, dem auch das Manu-
skript von CALIGARI zu verdanken ist, hat fiir den Kammerspielftlm
SCHERBEN eine weittragende Erfmdung ersonnen: er läßt die Zwischen-
titel fort, und dies nicht nur, weil sie den Fluß einer visuell erfaßten Hand-
lung stören und beschweren. Er will auserwählten Zuschauern, die fabig
sind, Seelenregungen mitzuempfmden, die Gelegenheit geben, allein durch
das Bild zu erraten, was in der Seele, ja sogar im Unterbewußtsein seiner
Helden vor sich geht.

Das Interview mit Lupu Pick in Cinemonde ist noch in weiterer Hinsicht
bezeichnend: Pick erklärt, er habe sich stets gegen die Tagesmode gewendet.
Mit SCHERBEN habe er "die Lawine der psychologischen Filme" ausgelöst.
Mit SYLVESTER dagegen habe er den Versuch gemacht, über die Psycho-
logie hinauszugehen, um zur Metaphysik zu gelangen.

So ist Lupu Pick, obwohl er der Tagesmode zu entgehen glaubte, von


dem vagen Wogen deutscher "Weltanschauung" mitgerissen worden.

"Ich war'', so erklärt er im Vorwort ftir SYLVESTER, "als ich das Manu-
skript las, ergriffen von der Ewigkeit der Motive. Und ich wollte die Empfm-
dungen, die ich beim Lesen hatte, auf den Zuschauer übertragen. Aber im
Verlauf der Herstellungszeit öffneten sich immer mehr Ausblicke, erkannte
ich immer mehr, daß hier ein Stoff, der ewig ist und weit wie die Welt, meister-
haft eingefangen ist in das Geschehen einer einzigen Stunde. Einer Stunde,
die seltsamerweise entgegen ihrer sinngemäßen Bestimmung von der Mensch·
heit weniger dazu benutzt wird, um über sich nachzudenken, als um sinnlos
zu jubeln." (14)

182
Wir erfassen hier völlig eindeutig die ideologischen Ziele jener deutschen
Filmregisseure, denen das Schaffen künstlerischer Filme wirklich am Herzen
liegt "Dieses Buch", so fährt Lupu Pick fort, "erfüllt schon deswegen die Vor-
bedingungen eines Filmmanuskriptes, weil es - bei der Lektüre - nicht nur
rein optische Vorstellungsreihen vermittelt Es löst in stärkerem Maße noch
rein gefühlsmäßig Empfmdungen aus, die uns alle bewegen. Indem man also
die drei Menschen in ihrem engen Bezirk sich seelisch zerfleischen sieht,
fühlt man mit jedem einzelnen aen Schmerz, aaß er m Wahihelt gut zu dem
anderen sein möchte - und es doch nicht vermag. Indem man das Prostenf'
Jubeln und Feiern der Umwelt sieht, fühlt man, wie sehr alle diese Menschen
aneinander vobei rennen, jagen, irren. Fühlt man mit einem Wort den Fluch,
der auf der Menschheit lastet: Beschaffen zu sein wie ein Tier und denke
zu können - wie eben ein Mensch. Notabene, wenn man fühlen will un
nicht nur sehen."

Mit Ausnahme der Küche, Wohnstube, der Hinterstube und auch der
lkskonditorei, führt Carl Mayer aus, sind alle sonstigen Schauplätze nur
"Umwe . ie fast magisch anmutende Umwelt, von der Carl Mayer spricht,
· am gedeutet: "Neuartig erscheint mir die Komposition des Licht-
spiels auch", so schreibt Lupu Pick, "weil sie das Geschehen selbst im eng-
sten Rahmen hält, der Umwelt aber eine bedeutende, ja beinahe die Haupt-
rolle im Rahmen des Ganzen zuteilt, ohne diese Umwelt - was ja banal wäre -
mit der Handlung selbst zu verquicken. Sie soll den sinfonischen Unter- und
Hintergrund bilden fUr das herausgegriffene Einzelschicksal, das so am besten
zur Versinnbildlichung des Grundgedankens wird."

Viele Einstellungen dieser Umwelt sind in. den heute im Ausland erhal·
tenen Kopien verlorengegangen, und dies wohl zum Teil, weil ihre meta-
-
physische Bedeutung den anderen Nationen fremdartig erscheinen muß.
Es sind das ewige, endlose Meer, der grenzenlose Himmel, ein Friedhof, bei
dem skeletthafte Zweige und ragende Kreuze, die expressionistisch grell
beleuchtet werden, sich scharf von einem dunklen Horizont abheben. Es
sind eine einsame Heide in der Nacht, ein dumpfer Wald, wo unermeßlich
viele Stämme einen schwarzen, lähmenden Schatten werfen. Und wenn die
Kamera zurückrollt, um diese Umwelt in der Totale zu erfassen, erscheint
alles noch grenzenloser.
j

Es lohnt sich, Carl Mayers Manuskript näher zu betrachten, weil hier
vieles gefunden werden kann, das zum Verständnis des klassischen deutschen
Stummfilms beiträgt In den 54 "Bildern", die das Drehbuch mit. seinen oft
wechselnden Einstellungen enthält, existiert sozusagen kein einziges Bild, flir
das Carl Mayer nicht ganz ausfiihrlich die Ausleuchtung angibt, die eine
bestimmte Stimmung hervorrufen soll.

183
Zu Beginn, wenn das Innere der Konditorei aufblendet, finden wir die
Angaben:

"Klein. Nieder. Verqualmt.


Und!
Im eiflackernden Lipht: Tische!"

Dann am Ende des gleichen Bildes, als ein Gast die junge Frau necki:

"Da lacht sie noch mehr. Und alle mit ihr.


Im Rauch und trüben Licht."

Oft, wenn Carl Mayer Gesten seiner Personen beschreibt, schiebt er eine
solche Angabe dazwischen:

.,Der Mann. Er schafft jetzt dort. Rehende


umher. In des trüben Lichtes wogendem Be-
trieb. n

Immer wieder, wenn die Konditorei aufblendet, heißt es: "Qualm. Rauch.
Trübes Licht. Betrieb. Es klimpert das Klavier." Während das vornehme
Lokal von gegenüber mit seinem feierlich gastlichen Getriebe "in Glanz und
Licht" nicht allzusehr charakterisiert erscheint Denn die dumpfe Verquollen-
heit der Atmosphäre aus Schweiß, Rauch, Alkohol, die Mayers "Volks-
konditorei" erflillt, wird weit IJiastischer vor Augen gefdhrt. ~t doch schon
MadamedeStael in ihrem Buch über Deutschland zu Recht: "Öfen, Bier und
Tabaksqualm umhüllen das einfache Volk in Deutschland mit einer Art
warmen, schweren Dunstatmosphäre, aus der es nur ungern herausgeht"

Die Küche, in der von dem Ehemann der Silvesterpunsch bereitet wird,
ist "in grellendem Gaslicht" gehalten; die Wohnstube ist halbdunkel, weil die
Gaslampe he~~bgedre~.t ist, oder ein.andel'Il)a~.,.veil die.junge Frau mit einem
Blatt Papier d<'!rl,.icbrdämpft, daniit .es·.nJcht den ScblUmtJler des Kindes in
seinem Wageil ~tqrt .Pl~' l'üt -?:W~schen .'WaluisiJ,tb~Jinci~c!te hat eine Fül-
lung aus mattem Glas; damit man sich ·währena··des Kaihpfes der beiden
Frauen fragen kann "Verlöschte das Licht darin? Es scheint ...", und damit
Lupu Pick die beiden Körper gegen das Mattglas gedrückt als Silhouetten
zeigen kann. Und die erste Gebärde des Mannes, als er eintritt, um Frieden
zu schaffen, ist, daß er die Lampe wieder empordreht: "So daß Licht wieder
fallt." . .
... ';~ 1·.:· · .. ·.·~ ·~ .·.' .. ·.• . .. ·• · .. ·.
Für die Fassaden gili diet~l~iclie.~~iigabe :· di~ ·.Fäss.ade der Konditorei ist
"abendlich schwarz" und zeigt ;,\iöö:.:i.nn~n.: w.~~bes ·'tic&t, das" durch
erfrorene Fenster sich zeichnet". Die:.Fassade. des vornehmen Lokals sieht

184
.?•
~·· •.
völlig anders aus: "Aus hohen Fenstern im Parterre: Grellendes Licht Ein
vornehmes Lokal also sichtlich." Näher beranrollend, erfaßt die Kamera eine
Drehtür: "Die sich immer dreht in Licht." Die Kamera folgt der Drehtür~
bewegung. "Wodurch ein Foyer sich zeichnet In Licht.";.. Im Foyer zeigen
hohe Spiegel "in Glanz" die eleganten Herren und Damen - eine Glastür läßt
den Saal erahnen, und wiederum heißt es: "in Glanz und Licht".

Und in gleicher Weise erscheint auch die Straße, die wie die symbol-
schwere Straße von Grune jene immer wieder erstrebte "metaphysische
Funktion" erfüllt. Carl Mayers Angaben könnten ftir alle jene Filme gelten,
in denen die Straße eine tragende urid tragische Rolle spielt:

.,Ein Platz zeichnet sich. Schattenhaft! In vieler


Lichter Rtif/ex.

Und Verkehr! Autos I Straßenbahnen I Wagen I Fuhr-


werke! Menschen! Leuchtreklamen! Autos. Ein einziges
Gewirr. Das schwer ist zu unterscheiden."

Auf diesem Platz leuchtet das Zifferblatt einer großen Standuhr, das, als
die Kamera heranrolit, sich immer mehr vergrößert und schließlich ein paar
Minuten vor Mitternacht "schicksalhaft groß" wird, "fast zersprengend des
Bildes Rahmen", wie Mayer betont

Eine Pendeluhr im Zimmet des Erhängten ·.bekommt eine ähnliche


"dramatische Funktion".: der, Pendel geht hin ,und 'h.er; schließlich schlägt
neben dem Bewegungslosen der Hammer auf den Gong ftir die zwölf letzten
Schläge des Jahres und gewinnt so neben dem Leblosen ein unheimlich
pulsierendes Leben.

Je mehr sich Mittemacht nähert, steigert sich auf Straße und Platz der
Glanz der Lichter:

.,Feuerwerk prasselt arif am Platz. Wo Menschen


silhouettenhqft stehen arif Wagen . . . Während man
hoch die Hüte schwenkt empor:
Rammen beider Häuser Stockwerke arif in Licht."

Symbolisch ebbt nach dem Selbstmord nach Mittemacht die Beleuchtung


ab. Auf dem Kirchhof in der Heide flackert zuerst noch die Laterne im
Sturm - weithin p~itscht das Meer. Bis auch hier allmählich eine.große Ruhe
einsetzt. Fern und vage erscheint die Straße, auf dem Platzjst der Betrieb
verstummt, Lichter verlöschen langsam. Die Drehtür steht still, ist dunkel,

185
aus den hochstrebenden Fenstern dringt nur noch matter Schein. Tisch unci
Stühle sind übereinandergestellt, Tand und Flitter bewegen sich schwach im
Wind.

Dann erlöschen die letzten Lichter des Platzes, bis alles "schwarz ruht"
und nur das Zifferblatt leuchtet Die Kamern rollt zurück, das Zifferblatt wird
kleiner, bis nur noch ein winziger Punkt durch das Dunkel schimmert

Bei der Lektüre erkennt man weit eher als beim Sehen des Films die
Funktion der fahrenden Karnern. Das Manuskript enthält unzählige vari-
ierende Angaben, wie zum Beispiel "langsam panommahaft zurückdrehend",
"immer mehr drehend nach links", "langsam zurUckrollend in einem Bogen
nach rechts", "wieder heranrollend" usw. Diese umständlichen Angaben wer-
den hauptsächlich flir die "Umwelt" angewendet, während Carl Mayer sich
ftir die Haupthandlung mit allgemeiner gehaltenen Angaben wie Totale und
Großaufnahme begnügt. Denn wie Mayer, der Autor, in seinen technischen
Vorbemerkungen schreibt, soll nur das Umwelthafte durch bestimmte, stetig
gegensätzliche, wandemde Bewegungen der Kamern gesteigert werden, um
dadurch das Gedankliche des "Gleichsam-eine-Welt-Aufzeigens" zum Aus-
druck zu bringen. Mit den fortschreitenden Begebenheiten sollen diese Bewe-
gungen auch in Tiefen und Höhen geführt werden, um den inmitten der
Natur alle Welt erfassenden Taumel bildhaft wiederzugeben.

In seinem LETZTEN MANN versteht Murnau, weit mehr als Lupu Pick
es für SYLVESTER getan hat, die Angaben Carl Mayers für die Kamern aus-
zuwerten; sie .werden zur Basis seiner hinreißenden optischen Wagnisse.
Ihm genügt die rollende Kamera nicht mehr, er schnallt sie auf den Leib
seines Kameramannes, zwingt ihn, Jannings übemll hin zu folgen, sich über
ihn zu beugen, sich zu verbiegen, zu winden, um die kompliziertesten Ein-
stellungen zu gewinnen.
'
Immerhin ist sich Lupu Pick der Trngweite von Carl Mayers technischen
Anweisungen einigermaßen bewußt So schreibt er: "Die neuartigen Bild-
bewegungen wie ,vor und zurück' oder ,seitwärts' usw. sind bedeutungsvoll
und untrennbar von diesem Manuskript. Sollte der Film, an und für sich
schon seinem Wesen nach, nur bewegtes Bild sein, so ist hier die Anregung
des Autors um so bemerkenswerter, als dadurch die Vision ausgelöst wird, daß
die Umwelt den engen Schauplatz des Geschehens gleichsam umfließt ...
Wie das Meer eine Insel." (Schuld mag gernde Lupu Picks übermäßiger
Hang zum Symbolhaften sein, daß er die bewegte Kamern nicht so souverän
wie Mumau zu meistem verstanden hat)

186
Mayers expressionistisch abgehackte Sprache mit den vielen Ausrufungs-
zeichen, mit den umgestellten Verben, ist, wie selbst der antiexpressionisti•
· sehe Pick gemerkt hat, dank ihrer Zäsuren, dank ihres Skandierens bewegt
wie das Bild selbst und macht das Tempo des Spiels fühlbar. Denn jene allein
auf eine Zeile gestellten "Jetzt", "Und!", "poch!", "Denn:" oder "Dann:",
"Und da!", die wie zufallig eingestreut erscheinen, die sich wiederholen,
kreuzen, sind in Wirklichkeit da, um die Handlung zu beschleunigen oder
aufzuhalten; vor allem aber enthüllen sie Carl Mayers wachen Sinn für
Rhythmus.

In seinem "Expressionismus und Film" deckt Kurtz den Widerspruch


zwischen zwei künstlerischen Bestrebungen auf: Pick sucht mit seinen For-
mulierungen "die klargefühlte expressionistische Haltung des Werkes mit
psychologischen Mitteln zu erklären". Ein expressionistischer Dichter indes,
der lediglich Bewegungswerte sucht, kann mit einem wenn auch noch so
stilvoll komponierenden, psychologisch eingestellten Regisseur, der ein bür-
gerliches Milieu seelisch vertiefen will, nicht zu einem Verstehen kommen.
So ist ein Konflikt unvermeidlich gewesen, und gleich zu Beginn der Gemein-
schaftsarbeit für den LETZTEN MANN erfolgte der definitive Bruch zwi-
schen Carl Mayer und Lupu Pick.

Im übrigen liegt es nicht allein an Carl Mayers Sprache, daß SYLVESTER


weit weniger von der expressionistischen Ideologie entfernt erscheint, als Pick
vermeinte. Bekanntlich verfällt der Expressionismus, der bestrebt ist, den
Versuchungen und Fallen des naturalistischen Details zu entgehen, einer
neuen Gefahr, dem Herrschen des Objekts. Wir fmden bei Mayer wie auch
bei Lupu Pickjene Übersteigerung des Objekts, das im Getriebe des Schicksals
zum wesentlichen und wesenhaften Element wird. So zeigen uns die beiden
mit größter Eindringlichkeit den T.isch mit dem schmalen Tischtuch und den
zwei Gedecken. Wenn Lang in M für einen Augenblick, kurz einmontiert, den
leeren Stuhl, den leeren Teller der kleinen Ermordeten vor Augen führt, so
fühlt der Zuschauer den Schock unmittelbar.

Lupu Picks langatmiges Verfahren in SYLVESTER verlangt von dem


Zuschauer mehr Aufmerksamkeit: er muß mit der jungen Ehefrau den Tisch
mit den beiden Gedecken lange betrachten, um zu verstehen, daß, wie ja be-
reits die Silhouette der Schwiegermutter auf der gefrorenen Fensterscheibe
angekündigt hat, diese intime Zweisamkeit gestört werden wird. Dann wird
die junge Frau langsam, widerstrebend, zögernd den dritten Teller dort hin-
stellen, wo das Tischtuch nicht mehr ausreicht Carl.Mayer und Lupu Pick
nehmen sich Zeit; die junge Frau geht hin und her. Schließlich zeigt man
uns, nach einer umständlichen Einblendung der Umwelt und der Konditorei,
die vorübergehende Aussöhnung der beiden Frauen, die in übertrieben glück-
licher Hast aufs neue den Tisch - und diesmal für drei - decken.

187
Mit Carl Mayer, der im Grunde nur formal ein Expressionistgewesen ist,
gibt sich Lupu Pick allen Umwegen des Seelischen hin: während die Schwie-
gertochter schläft, geht die kleine Alte schüchtern benommen umher, bleibt
müßig beim Kinderwagen stehen, den sie nicht anzufassen wagt, hantiert
mechanisch am Ofen. "Pick dreht viele, viele Meter, bevor er den Höhepunkt
seiner kleinbürgerlichen Tragödie enthüllt. Zwei Familienportraits- das erste
eine vergilbte Fotografie der stolzen Mutter mit dem ihr zärtlich zugewandten
Sohn, das andere neuer, goldgerahmt, mit dem glücklichen Brautpaar - sind
der Anlaß zu einer furchtbaren Eifersuchtsszene zwischen Schwiegermutter
und Schwiegertochter. Und der zwischen den zwei egoistisch um ihn ringen-
den Frauen hin- und hergerissene Mann, dessen Hirn der Silvesterpunsch
vernebelt, stürzt wegen dieser zwei Fotos hinaus zu einem sinnlosen Selbst-
mord.

Überall in diesem Film herrscht das Objekt: der Ofen, an den sich die
Alte festklammert, als der Sohn sich genötigt sieht, sie fortzujagen, wird zum
Symbol des heimischen Herds. Die Alte hetzt im Raum umher, in dem schon
die Leere, die der Tote läßt, fühlbar wird, sie dreht sinnlos den Kinderwagen
im Kreise, und dieses Kreisen des Kinderwagens wird unerträglich in seiner
Bedeutungsschwere. Die Papierschlangen, auf die man tritt, die man in den
Straßen am aufdämmemden Morgen schließlich wegfegt oder die wie verfilzt,
verwickelt, zerrissen auf Tischen und Stühlen der leeren Konditorei hängen,
das letzte Kalenderblatt, das ein Betrunkener über seiner Pappnase lange
beschaut, bevor er sich endlich entschließt, es abzureißen und zu zerknüllen
(eine Szene, die Mayers Manuskript übrigens nicht enthält)- alle diese Züge
sind ein Teil der Symbolhaftigkeit seelischer Beziehungen, die Pick aufzu-
decken bemüht ist.

Die festlichen Straßenszenen, die Feier im Luxus-Etablissement mit


seinen eleganten Gästen, die naiven Trinkgelage in der volkstümlichen Kon-
ditorei, der Einbruch torkelnder Masken in die Stube des Gehenkten oder der
Betrunkene, der nächtlich vergebens an der verschlossenen Tür, hinter der
sich Verzweiflung herabgesenkt hat, rüttelt - alle diese Passagen, die einen
jämmerlich unnötigen Selbstmord symbolisch begleiten, sind in Drehbuch
und Schnitt scharf gegeneinander abgesetzt, akzentuiert Sie verraten den
Hang zu outrierten Kontrasten, wie sie die Expressionisten suchen. Es ist
indes vor allem die außergewöhnliche Abstraktion, das Entäußern aller per-
sönlicher, aller individueller Regungen der Figuranten um die gleichfalls
abstrakt gesehenen Hauptpersonen dieser Tragödie, die in typischer Form den
Forderungen des Expressionismus entspricht.

Man weiß, für den Expressionisten bedeuten Personen nichts anderes als
die Verkörperung von "Prinzipien". Selbst die Hauptpersonen nennt Carl
Mayer immer nur "Gestalten". Er sieht sie lediglich als Vertreter ihrer Gattung

188
an, gibt ihnen keine Eigennamen, bezeichnet sie nur noch als "den Mann";
"seine" Frau, "seine" Mutter und nimmt so den beiden Frauen durch dieses
besitzanzeigende Fürwort noch jede persönliche Existenz. Andererseits· er-
klärt er in seinen technischen Anweisungen,. daß allein diese Hauptgestalten
in größerer oder großer Einstellung zu erschauen sein sollen, niemals aber die
Nebengestalten, "da die handlunggemäßen Vorgänge sich hier aus dem Hinter-
grund allgemeiner Neujahrsatmosphäre herausheben". Küche und Wohn-
stube, aber auch die Hinterstube sollen, so erklärt er ferner, von ganz kleinen
Ausmaßen sein, "damit anläßtich der hier oft gegebenen Gesamteinstellungen
die Gestalten dennoch intensiv im Raume stehen."

Der Widerstreit zwischen dem expressionistischen Autor und dem psycho-


logisch ausdeutenden Regisseur offenbart sich überall: so zeigt Klöpfers
Spiel eine merkwürdige Rückkehr zu einem überholten Naturalismus, durch
den plötzlich expressionistische Momente durchbrechen. Charakteristisch
ist seine Art, den Oberkörper outriert zurückzuwerfen, sich in die Schräge
zu biegen. Starr und zugleich schlaffwindet er den schweren Körper zwischen
den beiden Frauen, die sich an ihn klammern. ·

Echt expressionistisch heißt es in Mayers Manuskript:

"Er taumelt. "

"Vor!
Und zurück/

Und reckender noch vor! Ein Vulkan! So steht er da."

Er erscheint hier aufgedunsen und bereits vage, unpersönlich wie nachher


in den Einstellungen, wo uns das Gesicht des Gehenkten starr und ver-
quollen fahl entgegengrinst

Die ausdeutende Langatmigkeil des Kammerspiels steigert noch die


Schwerfalligkeit der Handlung. Es ist möglich, daß die Schwiegertochter, als
sie die Silhouette der Alten durch die gefrorene Scheibe erblickt, zögert,
bevor sie ihren Mann aufmerksam macht; aber daß der Mann, selbst wenn
sein Hirn von Alkohol umnebelt ist und dies seine Reflexe lähmt, endlose
Zeit vergehen läßt, bevor er die Mutter aus der Kälte hereinholt, ist wenig
überzeugend. Und Lupu Pick verlangsamt noch völlig bewußt diese schwere
Pause des Drehbuches durch umständliches Ausspielen.

Lupu Pick ist, das muß immer wieder betont werden, keineswegs ein
Regisseur, der dem deutschen Film einen neuen Realismus gegeben hat.

189
Er komplizielt lediglich durch eine "tiefgründige" Psychologie die geistige
Haltung und den schauspielerischen Habitus seiner Personen, die indes im
Grunde genau so nebelhaft vage im Raum verbleiben wie alle jene Gestalten,
die von der expressionistischen Ideologie geschaffen worden sind. Und wenn
er auch hier und da echte Bettler als Komparsen zugezogen hat, so sind sie
in gebührender Weise schablonisiert, verschminkt, bis sie schließlich nicht
anders aussehen als später einmal in der DREIGROSCHENOPER von Pabst
die von Peachum fabrizierten Bettler. Denn Lupu Pick, der schlichte Alltags-
figuren schaffen möchte, kann sich niemals naiven Symbolen, niemals dem
lannoyant Sentimentalen entziehen, so sehr er auch ehrlich um eine tiefe
Menschlichkeit bemüht gewesen ist

Vielleicht sieht man nirgends seine künstlerische Unzulänglichkeit so


genau wie an einer Stelle: jener Szene mit der Drehtür des Luxus-Etablisse-
ments. Hier fmden wir bereits im Drehbuch von Cad Mayer den Auftakt zu
wichtigen Szenen des Murnau-Films DER LETZTE MANN. Carl Mayer,
der ja der Autor beider Filme war, ist sich sicher bereits bei SYLVESTER be-
wußt gewesen, welche optischen Möglichkeiten die im Drehbuch vermerkten
Einstellungen bieten konnten. Man lese nur jene Andeutungen:

.,Die Drehtür. Sie steht wieder still.

Doch!

Durch ihr Glas wird jetzt deutlich sichtbar: Jenes


Foyer."

Und im Foyer ragen hohe Spiegel, in denen sich die Gäste spiegeln,
Grooms öffnen eine Doppeltür aus Glas.

• Die in einen Saal vielleicht führt."


Während die Kamera ein wenig nach rechts dreht, heißt es:

.,Und da!
Zeichnet deutlicher sich diese Tilr aus Glas. Die
den Saal läßt erahnen. In Glanz und licht.
Denn: (Immer gesehen durch der Türe Glas:) TI-
sche I Dicht besetzt. Mit reichen Gästen viel.

Und!

lQO
- -------------------.....

Kellner. Latifend I Rennend I Mit Schüsseln hoch


dahin I So deutet sich dieser Saal. In Glanz und Licht/"

Wir wissen, was ein genialer Regisseur wie. Mumau aus solchen Einblicken
in Räume voll hastender Bewegung, voll schwirrenden Lichts in dem LETZ-
TEN MANN gemacht hat Man denke nur an seine Drehtür, an das Hotel-
foyer, den Blick vom Fahrstuhl aus: Mumau bringt hier ein souveränes
Fließen von Visionen zuwege, in denen Licht und Bewegung alles bedeuten.
Und wir verstehen, daß Lupu Pick, dem Carl Mayer schon in SYLVESTER
die Möglichkeit zu überraschenden optischen Wirbel-Effekten geboten hat,
niemals, wenn er den LETZTEN MANN gedreht hätte, Murnaus überragende
Leistung erreicht haben würde.

Hier zeigen sich deutlich die Grenzen eines ehrlich bemühten Regisseurs
wie Lupu Pick, der nicht Murnaus Begabung gehabt hat
I
*
Paul Czinner hat die fließende Zwiespältigkeit des Kammerspielftlms
subtiler zu gestalten gewußt. Zudem war seine Lebensgefährtin Elisabeth
Bergner für solche seltsamen Zwischenspiele des Seelischen die ideale Dar-
stellerin. So zeigt Czinner zum Beispiel in NJU seine Menschen schweigsam
nebeneinander, einander zugewandt, oft ohne Bewegung. Er bringt Pausen,
die beredt wirken, die keinerlei erklärender Zwischentitel bedürfen, und die
ganze Atmosphäre vibriert von dieser schweigenden Beredsamkeit, die hier
vom Stummfüm auszuströmen scheint Sein Ausspielen hat niemals die
Schwere, die Lupu Picks Symbolik hervorruft, Psychologisches wird nur er-
ahnt, niemals übertrieben akzentuiert. Und Czinners Kammerspiel gewinnt,
als er in seinen späteren Filmen Großaufnahmen einschneidet: die latente
Stimmung wird sichtbar auf den nahe gesehenen Gesichtern, auf denen sich
jetzt für Momente jede Regung, jeder Seelenreflex widerspiegeln kann,
Wolken vergleichbar, die über einen klaren Himmel hinwegziehen.

Allerdings muß man Einschränkungen machen: Czinner gibt oft seinem


Hang zur sentimentalen Routine nach. In LIEBE (Die Herzogiri von Langeais)
wird zudem die Bergner, die ja eine sehr nervöse, jeder plötzlichen seelischen
Einwirkung exaltiert hingegebene Schauspielerio gewesen ist, wenig gefl.ihrt;
sie wirkt verkrampft, outriert - überall da, wo sie heiter sein soll, ist sie unecht,
ohne Gestaltungskraft Und sobald Czinner aus der Treibhaus-Atmosphäre
des Kammerspiels, aus einem engen intimen Rahmen hinausstrebt, wird er
selbst mittelmäßig.

In einem künstlerischen deutschen Film wird stets das Bestreben durch-


schimmern, Atmosphäre, "Vibrationen des Seelischen" erstehen zu lassen,

191
sie der als metaphysisch empfundenen Ausleuchtung, dem geheimnisvollen
Helldunkel zuzugesellen. Im Grunde umfließt die Stimmung Personen wie
Gegenstände. Sie bedeutet einen langaushallenden Akkord - nicht umsonst
spricht ja schon Novalis von dem "musikalischen Seelenverhältnis" der Stim-
mung, von der "Akustik der Seele" -, sie ist eine mystische Harmonie im
fließenden Chaos der Dinge, eine schmerzliche Sehnsucht, eine Art von
Wollust, die fUr den Deutschen immer dem Sterben verwandt scheint

Oft ist es eine verschleierte melancholische Landschaft, der mit dem auf-
steigenden Nebel Stimmung entströmt, oder es ist ein Interieur, wo das ge-
dämpfte Licht einer Hängelampe, das Flackern von Kerzen, eine Ölfunzel
jenes so willkommene Halbdämmern erstehen läßt Immer wieder finden
wir solche durch Lichtwirkungen geschaffenen Stimmungsbilder. Man
denke nn die abendliche Szene in Frttz Langs Altersheim aus dem MÜDEN
TOD. Noch in M suggeriert er eine gewisse Stimmung im Salon seiner Diebes-
bande, wo der Zigarrenrauch sich in das Leuchten der Hängelampe drängt

In dem LETZTEN MANN verdichtet Murnau eine lähmende Atmo-


sphäre, wenn er seinen armseligen, degradierten Helden im Waschraum der
Herrentoilette mit dem Suppentopf zeigt: in das Blitzen der Silberbürsten,
ihren Widerschein in der hohen Spiegelwand unter elektrischen Lampen
mischt sich der aufsteigende Dampf der heißen Suppe. Und vom Fenster her,
spiegeln sich dunkle Latten von einer Art Pergola wider. Auch Artbur von
Gerlach weiß in der CHRONIK VON GRIESHUUS die Intensität einer
drückenden Atmosphäre durch das Verweben blasser Lichter der Kandelaber
mit dem Halbdunkel verlassener Schloßräume, den Samtfalten von Ge-
wändern, der reichen Täfelung einer Tür und dem Aufsteigen einer Phantom-
Erscheinung vor Augen zu fUhren und fühlbar zu machen.

Vielleicht erinnern sich einige wenige noch an eine wundervolle Szene


aus Murnaus verlorenem Film DER BRENNENDE ACKER: In einen
Raum, durch den das Halbdunkel fließt, dringen zwei Lichtstreifen durch die
Fenster, aus d~m Hintergrund und von vom rechts. Sie gleiteQ. vorbei an zwei
dunklen, bewegungslosen Gestalten - eineni Mann und einer Frau -, als
wagten sie nicht, sie zu berühren, und einer dieser Lichtstreifen, der dicht
am Fuße des Mannes vorbeifällt, scheint das dramatisch mysteriöse Schweigen
noch schmerzvoller zu verstärken.

Oder durch die Spalten einer nur halb geschlossenen Jalousie, die man
hinter einem Gazevorhang ahnt, fällt vom Fenster her Licht ein und sickert
in leuchtenden Strähnen über den Boden des verdunkelten Raums. Wie ein
undeutliches Netzwerk reflektiert die durch die Gaze schimmernde Fenster-
rahmung in einem hohen Spiegel. In diesem stimmungsvollen Dämmern
kniet zum letztenmal der Student von Prag bei seiner Geliebten - und einen
Augenblick später wird der Spiegel sein unseliges Geheimnis verraten, der·
Liebenden offenbaren, daß er sein Spiegelbild verloren hat. :.... •..,...... ....:
Stimmungen heraufzubeschwören, vages Gefühl durch Vtsionen zu inter-
pretieren, langsam durch Ausspielen, Auskosten von Szenen die Geheimnisse
der Seelen zu enthüllen, ist an sich sehr deutsch. Lang hat in SIE(7FRIEDS
TOD ein typisches Beispiel eines solchen Ritardando gebracht: Siegfried und
Kriemhild nähern sich einander zum ersten Male, sie schreiten in hieratisch
starrer Haltung. Kriemhild trägt den Willkommenstrank wie den heiligen
Gral. Schritt fUr Schritt kommen sie sich entgegen, versenken die Blicke in-
einander, als existiere für sie sonst nichts auf der Welt. Schwere, endlose
Minuten verstreichen; das Kammerspiel wird zur Wagner-Oper.
Dieses langsame Zueinanderstreben zweier Liebender nimmt in expres-
sionistischen Filmen fast etwas stilisiert Balletthaftes an: so etwa in ORLACS
HÄNDEN, wo Gatte und Frau wiederholt in völlig verkrampfter Haltung
zögernd aufeinander zustreben. Veidt will die Gattin nicht mit seinen Mörder-
händen berühren. Bei der Frau ist es lediglich der mißverstandene expressio-
nistische Habitus einer an sich naturalistischen Darstellerin.
Die Stimmung kann sich allerdings plötzlich zum Grauen wandeln: In
dem STUDENT VON PRAG bricht jäh der Sturm aus, Wolken fegen über
den Himmel, Dunkelheit zerfetzt ihn, Bäume biegen sich im Unwetter - der
Aufruhr der Natur entspricht der inneren Zerrissenheit des fl~lden. Und die
Verzweiflung von Faust, der den Dämon beschwört, offenbaren Blitze, die
über einen· schwarzen Himmel· zucken; über weiße, Skelett-gleiche Äste, die
der Wind zu zerreißen scheint, prasselt Regen nieder, als sich die kleine zer-
brechliche Nju im weiten, flatternden Gewand in den Freitod stürzt. ·
Solche Stimmungen beschwören bereits die Romantiker immer wieder
herauf. Man denke nur an Stellen bei Jean Paul oder bei Büchnei:'. Und es
sind diese ererbten Erinn~~eö~ .{tic:., ·iQ, ~ine~ so leicQ.t iP.s ()~dru~~ ...·.
verfallenden Sujet wie ~~e~f~J~~~}~·ß:J: d~~ .Pl!~~~bp,l~. ~~~~-~~p.n~·. ;~~:,
Golgatha gestalten helfen . . .... ~'··· \.'!: r' ·I . . . . ~ ·.• '-·. •• :-~-~ ... ;· -,. ...... ,..,
·-·.' !' -·:.:·-.. '"· .. ~~.- -~--~:~ "'t.!' :'' • :. -~·-. ·-~~-:~.. :·_·::~''~:~ ~\.;..\:- ..~'.:'. ':.·:~: .. .

Aber der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen ist immer 81Izu rasch .
getan; denn Visionen, denen die Romantiker den ·dramatischeii Aufruhr
ihrer belebten Sprache zu verleihen gewüßt haben, werden im· Filmbild oft
zu lange festgehalten. Wenn heute gewisse Passagen der klassischen deuts~hen .
Filme den ausländischen Zuschauern in ihrem· langatmigen Ausspiel~ri.Atjs­
kosten einer Situation unerträglich schwerfällig ersch~1nen,.s.oJJegtda:.üi891:ri.~ :·: ,
daß die deutschen Regisseure danach streben, letzte Seelet®iitlde·.zu·:ey..: :? .
forschen. =·'7.. :::: \ ~: .· ' )'.

101
"Die Deutschen lieben es", so schreibt schon Madame de StaSI über das
damalige Theater in Deutschland, "sich langsam dem Genuß des Schauspiels
zu überlassen und dem Dichter alle Zeit zu geben, die er brautht, um die
Ereignisse vorzubereiten. und die Seelenentwicklung der Personen aufzu-
bauen; unsere französische Ungeduld duldet diese Langsamkeit keineswegs."

Es sind das bleierne Gewicht der stummen Seelendialoge, die dumpf-


stickige Atmosphäre des Kammerspiels; die uns heute oft lähmen.

194
:- ' : .:.;;. ,',;~ '
Mag~ache S.l"ache\nungen·

DER GOLEM von Wegener. und Boese

DER GOLEM von Wegener und Boes1


195
ragfe des Lichts

:R MODE TOD von Lang

:R GOLEM von Wegener und Boese


196
Mag\e des \.\cht:

DER GOLEM von Paul Wegener und Carl Boes

DER GOLEM von Wegener und Boes


197
rkes Helldunkel bei Lang: DR. MABUSE, DER SPI'ELER

rkes Helldunkel bei Lang: DR. MABUSE, DER SPIELER


198
VARIETE von E. A; Dupon

199
GOLEM von Wegener und Boese
200
Deutsche Poesle
... ·. ·.
· .. ·_

DER RATTENFÄNGER VON HAMElN von Wegene


?01
IJtsche Poesie

3FRIEDS TOD von Fritz Lang

3FRIEDS TOD
202
Deutsche. Poes\t

FAUST von F. W. Murna

DER GOLEM von Paul Wegener und Carl Boe!


203
• deut•che Sentimentalität

u Pick in DIE LETZTE DROSCHKE VON BERLIN

: WEISSE HOLLE VOM PIZ PAUJ von Arnold Fanck und G. W. Pabst
204
XII.

Mumau und der Kammerspielfilm


"Der letzte Mann" (1924)- Die "entfesselte" Kamera

Eine Drehtüre. Die sich immer dreht in


Licht.
Und!
Davor:
Ein Portier! Hoch von Gestalt. Lakaien-
hqft sta".
Und jetzt: Sta" grüßt er so.
Denn:
Ein Auto. Eben wieder fahrend vor. -. - -

Carl Mayer: "Sylvester" (Dreh-


buch, Potsdam 1924)

Da ich an Dir vorüberlid' als Knabe


Wuchsest Du ins Tor unendlich aufgehoben
Dein Dreispitz rührte Wappensterne oben
Allmächtig sank Dein Bart, Mann mit dem
[Stabe!
Weife/: Der göttliche Portier.

205
;.
..
Wie in SYLVESTER ermöglicht auch im LETZTEN MANN das Fehlen
von Zwischentiteln ein Übergleiten von einer Einstellung in die andere, die
Handlung fließt nur von rein visuellen Elementen getragen weiter. Und
wiederum ist hier, und sogar noch mehr als bei den Filmen von Lupu Pick,
der Widerstreit zu allen expressionistischen Formulierungen zu spüren. Hat
nicht Edschmid ausdrücklich die kleinbürgerliche individuelle Tragödie und
jene lächerlichen Dramen sozialen Ehrgeizes mit ihrem jämmerlichen "Leid
der Attrappe, des Kleides" - also der Uniform - verdammt?

Carl Mayer und F. W. Murnau zeigen hier die Tragikomödie eines Hotel-
portiers, der stolz auf seine goldstrotzende Livree ist, den seine Familie und
die Nachbarn aus dem Hinterhaus andächtig bewundern, als sei er ein groß-
mächtiger General in seiner Uniform. Der Portier ist zu alt geworden, um wie
einst schwere Koffer zu handhaben; so wird er "abgesetzt" und bekommt
zur Überwachung die Herrentoilette. Als letzter Mann muß er seinen Uniform-
prunk gegen eine schlichte, weiße Leinenjacke eintauschen. Seine Familie
kommt sich entehrt vor, die Nachbarn, die ·ftir ihre einstige Bewunderung
Rache nehmen, verhöhnen ihn. Diese kleinbürgerliche Tragödie ist im Aus-
land kaum mehr verständlich; sie kommt aus einem Land, in dem die Uniform
zuzeiten leider gottähnlich war.

Mumaus großes Können durchbricht die Grenzen des Kammerspiels;


nicht etwa, weil der Film mehr Personen enthält als sonst Filme dieser Art.
Denn im Grunde bleiben die anderen Figuren um den Portier herum ohne
Relief, wirken konturlos. Sie sind scheinbar nur da, um dem pathetisch
agierenden Hotelportier (den Lupu Pick spielen sollte und dessen überbetonte
Rolle Emil Jannings übernommen hat) das Stichwort zu geben. Haben wir es

207
hier etwa mit den letzten Spuren einer expressionistischen AUffassung zu
tun, wie etwa in Haseneievers Drama "Der Sohn", wo alle übrigen Figuren,
mit denen der Held in Konflikt gerät, schattenhafte Schemen bleiben, weil
sie lediglich "Ausstrahlungen seiner Innerlichkeit" bedeuten? Die Nachbarn
des "letzten Mannes" -sind ebenso wie die anonymen Gäste des Hotels Scha-
blonenwesen; sie beginnen nur zu existieren, wenn sie ihren großen Mann
im Hinterhof erwarten können, sie agieren nur, wenn er in seinem Glanz
erscheint. Ist der Portier (lie Treppe hinaufgestiegen, so kann hier das Gaslicht
gelöscht werden. Und wenn alle diese Schattenkreaturen sich des Morgens
an Fenstern und auf Balkonen zu schaffen machen, um Plumeaus zu klopfen
und Laken lüften, so geschieht dies gewissermaßen nur als recht bescheidene
Begleiterscheinung für die feierliche Hauptaktion: das Bürsten der sakro-
sankten Livree.
Es gefiillt Murnau, diesen Eindruck durch seine Einstellungen zu ver-
tiefen: er läßt den Portier, der in seiner Uniform stolz zum Hotel schreitet, so
aufnehmen, daß er weit größer erscheint als die Passanten, die ihm begegnen.
Und bei der Hochzeitsfeier überragt er wiederum, in die Mitte gestellt, alle
anderen, wirkt plastisch hervorgehoben, während die Gäste durch einen
Kameratrick verflaut, verschwommen aufgenommen sind.
Trotz solcher Momente kann man kaum behaupten, daß sich hier noch
viele expressionistische Tendenzen fmden. Wenn Murnau gewisse Form-
elemente des Expressionismus für seine Traumvisionen verwertet, so ge-
schieht das lediglich, weil er gefühlt hat, daß er Irreales auf diese Weise besser
gestalten konnte. Gewiß hat auch er einen Hang zum Symbolhaften, das ja
Carl Mayer besonders liegt, und so betonen beide, wo es angeht, die "meta-
physische Bedeutung" des Objektes. Der Riesenschirm des Hotelportiers
wird gleichsam zu seinem Szepter, und wenn er ihn für Augenblicke einem
Pagen überläßt, so geschieht das, als sei es eine königliche Gunstbezeugung.
Und wenn dem Hotelportier die Livree ausgezogen wird und dabei ein Knopf
abreißt, so bedeutet das Detail des fallenden Knopfes, das die Kamera um-
ständlich einfängt, geradewegs eine militärische Degradation. Aber bei
Mumau bekommt das Symbolhafte nie etwas Pomphaft-Leeres, nichts von
der sogenannten metaphysischen Grundlosigkeit eines Lupu Pick. Wenn
Carl Mayer mit Murnau arbeitet •. wächst das Symbol organisch aus der Hand-
lung heraus: nach dem Triumphtraum mahntgerade das Fehlen des·Knopfes
den Hotelportier wieder an die traurige Wirklichkeit
Mitunter wird das Symbol völlig schicksalhaft ausgewertet: wenn der Hotel-
portier die Stufen zur Herrentoilette hinuntergeht, so bedeutet das gleichsam
den Abstieg zur Vorhölle; erbarmungslos schlagen die Türflügel hinter ihm
zu - es gibt kein Zurück mehr. Lubitschs Vaudeville-Mentalität gefällt sich im
mannigfaltigen Spiel von Türen, die sich öffnen und schließen, aber nie bat

208
dieses Wechselspiel etwas von der Tragweite, die es bei Murnau annimmt.
Wenn in NOSFERATU, von unsichtbaren Händen gestoßen, das schwere
Portal zufällt, so bedeutet dies, daß der junge Mann nicht mehr dem Ver-
hängnis entrinnen kann. ·

Das ewige Karussell der Drehtür, das der Hotelportier mit soviel Stolz
dirigiert, und durch das er das Treiben' der Ein- und Ausgehenden be-
herrscht, wird zum Sinnbild des verrinnenden und sich erneuernden I,.ebens.
Und wiederum ist dem anorganischen Objekt, das der Handlung verquickt
wird, eine transzendentale Bedeutung verliehen. Wertet Murnau das auch
feierliehst aus, so bleibt er nicht im Schablonenhaften stecken: er weiß der
dominierenden Macht seiner Drehtür Plastik zu verleihen.

Der entscheidende Wendepunkt tragischer Momente wird gleichfalls vom


Objekt aus erfaßt: das Hin- und Herschwingen der Tür, die zur Herrentoilette
führt, zeigt für Augenblicke der Nachbarin den Abstieg des einstmaligen .
Hotelportiers. Und zuvor schwangen die Türflügel hin und her, als der unge-
duldige Gast, verärgert, weil man ihn nicht bedient hat, durch diese Tür heraus-
gestürzt war, um sich beim Manager zu beschweren. Sorgsam fängt die
Kamera die hinfällige Gestalt des Hotelportiers ein, bis plötzlich die Türflügel
zufallen, sich dann wieder öffnen. (Diese schwingenden Türflügel erinnern
an das leichte Hin- und Herpendeln der Hängelampe im Geisterschiff von
NOSFERATU.)

Murnau vertieft die symbolischen Kontrapunkte, und hier spüren wir am


intensivsten den Einfluß von Carl Mayer. Der reiche Gast streicht sich im
Waschraum vor dem Spiegel den Schnurrbart zurecht, er bürstet sich wohl-
gefällig das pomadisierte Haar zu Schnörkeln und Schnecken und vollführt
dabei die gleichen eitlen Gesten wie einst der Hotelportier in seiner Glanzzeit
Mayer und Murnau suchen den seelischen Zustand auch durch eine der
Stimmung entsprechende Atmosphäre zu beleuchten: der degradierte Portier,
den alle ausgelacht haben, tritt in das unaufgeräumte Zimmer, in dem eine
desolate Unordnung an den Festtag von gestern gemahnt - am geöffneten
Fenster flattern armselig Gardinen, Stühle sind umgeworfen; schmutzige
Gläser und Teller stehen nutzlos herum. Der bittere Nachgeschmack des
Hochzeitsmahles wird hier zur sichtbaren Paraphrase seiner dumpfen Ver-
zweiflung. (Pabst hat in elliptisch verkürzter Weise ein solches Moment zu
verwerten verstanden: in seiner LIEBE DER JEANNE NEY sieht am näch-
sten Morgen das illegitime junge Paar vom Hotelfenster aus die traurige Kehr-
seite einer Hochzeitsfeier, die es am Abend zuvor fast neidvoll bewundert
hatte.) .

Durch seine vielfachen Einstellungen entwickelt Murnau die Tragik seiner


Symbole: der im Glanz seiner Uniform erstrahlende, vor Stolz aufgedunsene

209
Hotelportier wird von unten her aufgenommen. So schiebt er stolz den Bauch
vor sich her und wird zu einer unförmig lächerlichen Masse, in der Art wie
Sowjet-Regisseure einen zaristischen General oder einen fetten Kapitalisten
fotografieren. Im Gegensatz dazu wird der seiner Pracht Beraubte von oben
her aufgenommen - erscheint in seinem Niedergang erbärmlich klein,
hinfallig. ·

Kar! Freunds Kamera folgt diesem Niedergang unablässig, dringt überall


ein, schl1ingelt sich durch die Hotelkorridore, verwertet die Lichteffekte einer
Nachtwächter-Lampe, die über dunkle Wände gleiten, wenn der Wächter
näherkommt Die deutschen Filmregisseure lieben jenes Gleiten leuchtender
Lichtllccke auf dunklem Hintergrund, der dem Raum Tiefe verleihen kann.

In ähnlicher Weise hält Rothwang, der Erfinder aus METROPOLIS, in


den Katakomben Maria durch einen Lichtkegel gebannt. In der LIEBE DER
JEANNE NEY wird das Vordringen des Mörders in den verdunkelten Räumen
durch das Auffiackern von Lichtflecken auf Wänden und Möbeln spürbar.
Und im BLAUEN ENGEL sehen wir in einem schwarzen Treppenhaus die
Lichtreflexe einer Laterne über die Mauem gleiten.

Unter Murnaus einfühlender Leitung wird die "entfesselte" Kamera nie-


mals ftir rein äußerliche Effekte verwandt. Jede Bewegung hat ein bestimmtes
Ziel, selbst wenn wir immer wieder die Freude spüren, die sein Kameramann
und er darüber empfinden, daß sie die Kamera aller Fesseln entledigt haben.
So vervielfaltigt Murnau zum Beispiel in TABU die Ausfahrt zahlloser
Eingeborenen-Kanus, sie schnellen vor, um das Segelschiff zu erreichen: er
wechselt die Richtungen, schneidet Einstellungen aller Art ein, läßt die schlan-
ken Boote einander kreuzen, durcheinandergleiten,läßt seinen Helden durch
ihr buntes Gewimmel wieder zurückfahren mit dem Vorwand, den kleinen
Bruder, der sich verspätet hat, zu holen. Dies bietet Mumau willkommene
Gelegenheit, das Hin und Her schmaler Kanus auszukosten, die Fisch-gleich
durch die klaren Fluten gleiten.

Mumau, für den BewegunHlies bedeutet, ist der einzige deutsche Regis-
seur, der die Bewegtheit der Montage zu meistem verstanden hat Denn Fritz
Lang und andere haben das lange Ausspielen einer Szene bevorzugt, an die
eine andere sich ebenso ausführlich im langsamen Rhythmus anfügt. Pabst
seinerseits sucht das Ineinandergleiten von Szenen und tut alles, um den
Schnitt unmerklich zu machen.

Murnau dagegen kennt ftir NOSFERA TU bereits die Spannung, die der
Schock zwei er entgegengesetzter Passagen der Handlung zuwege bringen kann.

Der Erfolg des hinreißenden Auftaktes des LETZTEN MANNES ist völlig

210
auf die souveräne Handhabung der entfesselten Kamera aufgebaut Wir er-.
fassen mit einem einzigen Blick den gesamten Komplex - das Hotelvestibül
und das Bollwerk von Etagen - durch die Glastür eines Iangsani he~b­
gleitenden Lifts. Wir spüren sofort die Besonderheit der Hotel-Atmosphäre,
das Hin- und Herströmen der Gäste, die durch die Drehtür eintreten oder
hinausgehen, diese unaufhörlich flimmernde Wandlungsfahigkeit, diese Mi-
schung von Licht und Bewegung, die sich hier bietet Konturen zerreißen,
bilden sich aufs neue, gleiten ineinander, und diese Kette optischer Eindrücke
nimmt uns in ihrem grandiosen Fluß den Atem.

Wenn Murnau die Kamera überwacht, so werden alle visuellen Möglich-


keiten ausgekostet. Zentimeter um Zentimeter enthüllt die Kamera die ganze
Armseligkeit des Hotelportiers, den man einen Augenblick zuvor noch in
dem sicheren Glanz seiner Uniform erblickt hat. Unbarmherzig entblößt sie
ihn jetzt, zeigt den abgeriebenen Kragen seiner elenden Jacke, die gestopfte
Wollweste und gleitet langsam herunter, damit uns nichts entgeht, damit wir
die knickenden 0-Beine in der Ziehharmonikahose zu sehen bekommen.

Murnau gesellt der Beweglichkeit der Kamera gern noch Impressionen


aller Art zu, läßt Aufnahmen durch Glaswände machen, wie er ja schon im
Anfang das Vestibül durch die Glastür (15) des Fahrstuhls gezeigt hat. Die
Szene, in der dem Hotelportier vom Manager seine Degradation angekündigt
wird, ist von weitem her durch eine Glaswand beobachtet. Die Kamera gleitet
langsam näher, offenbart in jedem Detail immer deutlicher den Rücken des
gleichgültigen Managers, den zusammengeknickten Hotelportier. Wir sehen
dann durch die gegenüberliegende Glaswand das unerbittliche Schicksal in
der Gestalt der Beschließerin nahen, die ihn zu seinem neuen Posten flihren
soll, während ihm im nahen Schrank die verlorene Uniform in all ihrem uner-
reichbaren Glanz voll Symbolik entgegenleuchtet

Entscheidende Szenen durch Glaswände aufnehmen zu lassen, ist ein


Vergnügen, das die Regisseure sich damals nicht gern entgehen ließen. Ähn-
lich zeigt Pabst die Verführungsszene zwischen Louise Brooks und Fritz Rasp
in dem TAGEBUCH EINER VERLORENEN durch die Glastür der Apo-
theke;. auch in der DREIGROSCHENOPER ist die Szene, in der Mackie
Messer Polly Peachum bittet, ihm fürs Leben zu folgen, durch eine Glas-
füllung in der Wand gedreht worden.

Murnaus Künstlerauge liebt das opalisierende Schimmern von Glas-


wänden, diese Widerspiegeln von Fensterscheiben, das so oft die geheimnis-
volle Fläche der Spiegel ersetzt Feinftihliger noch als andere Regisseure weiß
er hier die Vermählung von Licht, Schatten und Bewegung einzufangen. Glas-
flächen schimmern im Regen, der in glitzernden Tropfen über sie rieselt,
Lichter gießen ihr Schimmern hinein, bis die Durchsichtigkeit zu phosphores-

211
zieren scheint. Autoscheiben, die gläserne Drehtür spiegeln die Silhouette
des Hotelportiers in seinem gleißend nassen·schwarzen Ölzeug wider, oder in
dunklen Häusermassen leuchten helle Fenster im Schachbrettmuster auf.
Fftitzen werden zu Spiegeln, das Halbdämmer der Straße durchfluten glit-
zernde Staubkörner, leuchtender Dunst fällt gedämpft von Straßenlaternen.
Fast impressionistisch werden Licht, Regen, Nachtstimmung in ihrem glei-
tenden Wandel wiedergegeben.

Den Höhepunkt solcher Visionen, in denen das wirbelnd leuchtende


Treiben hinter scqijnmemden...Giaswänden den Hintergrund für die eigent-
liche Handlung gibt, bietet Mlli'llaUJ...;rster in Amerika gedre_hter Film
SUNRlSE. Eine belebte, lichte Atelierstadt erwächst hinter den Scheiben der
vorbeigleitenden Straßenbahn; hier hat Mumau außerdem der Kontrapunkt
verschiedener und konträrer Bewegungen gereizt. Als das junge Paar in der
Konditorei tragisch erstarrt auf den Stühlen kauert, hasten hinter den Scheiben
unbeteiligt Passanten, von Licht überflutet, vorbei. Oder die Ausgesöhnten
stehen bewundernd vor einer großen Glaswand, hinter der Tanzende sich
im Glanz der Kronleuchter bewegen. Dann sitzen die beiden vor dieser Glas-
wand, und als sie Champagner trinken, wird hinter ihnen die Glaswand zu
einer sich drehenden Scheibe, wo Licht und Bewegung zu einem tollen
Wirbel zusammenfließen. Der Zuschauer sieht, was das junge, Champagner
nicht gewöhnte Paar in seinem trunkenen Glück sehen könnte, wenn es sich
umdrehen würde.

Der Traum des trunkenen Hotelportiers ist das Resultat aller Eindrücke
seines bewußten Wachlebens. Die Flügel der Drehtür drehen sich, werden
ungeheuer langgestreckt, sie spalten das Hirn des Schlafenden und werden
so zu konkreten Visionen eines schizoiden Traumes. Die Umrisse der Tür-
flügel bekommen in dem Maße Akzente, in dem sich ihre eigentliche Form
verwischt. Schließlich bleibt nur noch ihr Rahmenwerk übrig, urplötzlich
sind es lediglich Ecken, die in einer unaufhörlichen Bewegung hin- und her-
gleiten. Sind diese Ecken graphische Zeichen, sind sie Sinnbild einer idealen
Drehtür? Gleitet das Hin und Her der Tür der Herrentoilette in sie über,
überschattet sie die Drehtür, ersetzt sie jene? Murnaus große Kunst vermischt
die Bewegungen, läßt die Visionen übereinandergreifen, den Anfang und das
Ende eines Geschickes übergleiten, wie er auch in dem Hotelvestibül durch
abflauende Einblendungen, durch phantomhartes Auf- und Niedersteigen
eines unwirklich durchsichtigen Fahrstuhls den Eindruck von sinnloser Hast,
von Unpersönlichem, von unaufhörlichem Wechsel, von Vorübergehen, das
keine Spur hinterläßt, intensiviert, die ja das Hotelvestibül bereits in der Wirk-
lichkeit gekennzeichnet haben.

Die Bedeutung der undeutlich gehaltenen Komparsen um Jannings, der

212
--~·
schon in der realen Handlung stets als einziger plastisch herausgeholt worden
ist, erscheint in dieser Traumwelt in ihrer ganzen Endgültigkeit: vo·n Alifang
an ist ja die Tragödie des Hotelportiers nur durch seine Augen gesehen und
dargestellt worden.

Murnau hat den HotelpoJ:tjer im Büro des Managers in jenem kritischen


Augenblick gezeigt, als dieser den schweren Koffer nicht mehr auf seine
schwach gewordenen Schultern heben kann, und in einer raschen Montage
läßt er uns den neuen, jüngeren Hotelportier erblicken, der souverän einen
wuchtigen Koffer handhabt In seinem Wunschtraum jongliert jetzt Jannings
mit einem Riesenkoffer, den ein ganzes Heer von Hotelbediensteten nicht
zu heben vermochte. Diese Szene ist völlig expressionistisch gehalten: kahl-
köpfige, bleiche Larven, die alle identisch sind, umringen den Koffer, ihre
gespenstigen Formen erscheinen ebenso substanzlos, knochenlos wie einst
Jack der Bauchaufschlitzerinden letzten Szenen vom WACHSFIGUREN-
KABINETT.

Die entfesselte Kamera beherrscht den trunkeilen Traum in vollendeter


Weise. Bewegung und Vision gleiten hemmungslos ineinander, werden zu
dramatischen Faktoren, beschleunigen die Handlung, die sonst überall statisch
bleibt Zu Beginn des Traums weiß der Hotelportier nicht, ob der Stuhl, auf
dem er sitzt, in den Raum geschleudert wird oder ob der Raum sich um ihn
dreht. Die Kontrapunkte der Bewegungen, der Richtungen fließen über, die
Kamera folgt dem schwindelhaften Hin und Her des Sitzenden, wie sie auch
in dem Wirbel die Deformierung der Gegenstände durch die Augen des
Hotelportiers einzufangen scheint Murnau hat in seinen Filmenjede optische
Möglichkeit, alle Arten der Einstellungen voll Wollust ausgekostet, aber hier
ist die Kamera wie noch nie Ausgangspunkt des außergewöhnlichen Mael-
ströms von Visionen geworden, ohne daß je die Einheit der Bildkomposition
gestört wird. Er verstrickt Einstellungen, wechselt durch Montage von einer
Richtung zu anderen, jongliert mit den Proportionen, bis der Schwindel des
Helden auch uns erfaßt und wir uns mit in den Wirbel gerissen flihlen.
Niemals mehr ist das Unterbewußtsein mit einer so konstruktiv durchge-
führten Kraft sichtbar gestaltet worden.

Mumau hat, wie Balazs betont, bereits in seinem Film PHANTOM die
"vom Traum überschwemmte Wirklichkeit" aufzuzeigen versucht: in dem
Chaos der Objekte beginnt eine Tischplatte sich zu drehen, für einen "schwan-
kenden Tag" ziehen Straßen in einem phantastischen Maelström unheimlich
rasch vorüber, Stufen heben sich und senken sich unter Füßen, die trotz
ihrer Regungslosigkeit entwurzelt zu sein scheinen.

Bei einigen Stellen des Films, die nichts mit dem Traum zu tun haben,
finden sich noch Spuren eines gewissen entwickelten Expressionismus.

')1'2
Um den damals an die Exaltation des ekstatischen Theaters gewöhnten Zu-
schauern die Verzweiflung seines Hotelportiers verständlich zu machen, zelgt
Murnau seinen Helden, zur Flucht bereit, mit der gestohlenen Livree unter
dem Arm einen Augenblick wie erstarrt, schief zur Seite geneigt wie ein
Schiff, das untergeht Seine tragisch-pathetische SUhouette breitet sich schräg
über die Leinwand aus, gerade vor jener Mauer, die er jeden Tag in der Selbst-
zufriedenheit des Mannes in Uniform hochaufgerichtet entlanggeschritten ist

Die Expressionisten haben jene beredte Körperschräge bereits ausge-


beutet, um den exaltierten Dynamismus zu betonen, der sich stets den brüs-
ken Bewegungen zugesellen soll. So zelgt zum Beispiel Wiene seinen diabo-
lischen Dr. Caligari voll Ekstase angesichts des Buches, das ihm das Geheimnis
der Hypnose enthüllt · Dank der Einstellung ragt catlgari in gigantischer
Schräge über die Fläche hin, er ist in jener Art von Paroxysmus erstarrt, den
wir in Inszenierungen von Karl Heinz Martin, Jürgen Fehling, Piscalor immer
wieder beobachten konnten. Ähnlich sehen wir auch Nosferatu, den Ober-
körper weit zurückgeworfen, seinen letzten Lebensatem tun. Und genau so
wirft sich der Mann in SYLVESTER zurück, als er die Mutter vom schützen-
den Ofen hinwegzerren will.

Die Einstellung auf die Diagonalen, sagt Hans Richter, unterstreicht das
Erregende. Und ähnlich hat schon Rudolf Kurtz gesehen, daß die schräge
Linie andere seelische Empfmdungen auslöst als etwa die gerade Linie.

Vom Expressionismus her stammt auch das gargantuaische Gelächter


jener enormen, verzerrt offenen Münder, rieslg aufgerissene schwarze Rachen,
die wie in höllischer Grimasse erstarrt wirken. Dies Gelächter scheint den
Hinterhof wie. eine Wirbelflut zu verschlingen.

*
Heute wirft man Murnaus LETZTEM MANN seinen langsamen Rhyth-
us, die Schwerfälligkeit, das Ritardando seiner Handlung vor. Aber Murnau
stet jedes Detail aus, und wenn er mit übertriebener Gründlichkeit jede
· Phase des Gesichtsausdruckes seines Helden sondiert, so liegt das nicht an
dem naturalistischen Ausspielen, dem Bestreben von Jannings, sich an die
Rampe zu spielen. An der Überbetonung jeglichen Details ist weit mehr die
Stimmung des Kammerspiels schuld, die eben Pausen, Zäsuren verlangt
Und es ist auch- so widerspruchsvoll dies erscheinen mag- gerade die ent-
fesselte Karnern, die der Anlaß zu einem so langsamen Ausspielen wird.
Denn während die Kamera der von Zwischentiteln befreiten Handlung einer-
seits eine größere Beschwingtheit, ein optisches Ineinanderfließen verleiht; so
erlaubt sie andererseits, Personen und Gegenstände gründlich zu sondieren.
Zudem verlangt das Thema, jene kleine Lokalnotiz menschlicher Eitelkeiten,

214
.' · ... --.·-'it~: ..

eine gewisse rhythmische Schwere, eine Statik, die ihm erst den eigentlichen
sinn zu geben vermag. •·· ....~~ . .
R LETZTE MANN: Emil Jannings
· .. .,.

DER LETZTE MANN von Murnc

DER LETZTE MANN: Reflexe in den Spiegeln, Schatten von der Straf
217
~LETZTE

.. ,
MANN: Verzerrung

•• .
.. ,
.....
.I

.····....
''·
..
..
•.

.
·

R LETZTE MANN
218
OBERFALL von Ernö Metznt

OBERFAI
219
:RFALL

220
XIII.

Geometrie der Massen


"Metropolis" (1926) - Piscator- Der Einfluß der Sprechchöre

Daß diefaustische Kultur Willenskultur ist,


ist nur ein anderer Ausdruck für die eminent
historische Veranlagung ihrer Seele. Das "Ich"
im Sprachgebrauch, der dynamische Satzbau
also gibt durchaus den Stil des Handeins wie-
der ... Dieses "Ich" steigt in der gotischen Ar-
chitektur empor; die Thrmspitzen und Strebe-
pfeiler sind "Ich~ und deshalb ist die gesamte
faustische Ethik ein "Empor".
Oswald Spengler: Untergang des
Abendlandes.

221
Manche Passagen aus METROPOLIS kommen uns heute recht veraltet
vor, sie wirken mitunter lächerlich, vor allem dort, wo das Sentimentale, für
das sich vor allem Thea von Harbou einsetzt, sich dem Monumentalen zu-
gesellt ~at noch nicht die große Einfachheit von M erreicht, wo die
Wirklic~anz naturgemäß Seltsames mitklingen läßt

Um die plastische, leuchtende Schönheit bestimmter Einstellungen von


METROPOLIS fmden zu können, müssen wir - wie bei vielen deutschen
Filmen -verstehen, über die Schlacken, die sie verschütten, hinauszugelangen.

*
Die statische Symmetrie von SIEGFRIEDS TOD löste einen langsamen
Rhythmus aus, der erbarmungslos schien wie das Fatum, das über dem
barbarischen Epos lastel In METROPOLIS, wo Massen zu dirigieren sind,
wird dieser Rhythmus dynamischer. Lang trafman damals in jeder Uraufllih-
rung; er verstand es, zu beobachten und alles Gesehene auf eigene Weise
umzuformen, sich wirklich zu eigen zu machen. Er hatte Max Reinhardts
Massenfl.ihrung auf der weiten Bühne des Großen Schauspielhauses • oft
gesehen, er karinte die Ballung der Körper in den expressionistischen Sprech-
chören, Statistengruppierungen auf den gestaffelten Podesten, Gerüsten und
Treppenbauten.

Die Menge der Sprechchöre schien eine dichte, dunkle Masse, oft wirkte
sie völlig amorph, sie war einer langsamen, automatisch-schweren Bewegung
unterworfen. Nur von Zeit zu Zeit lösten sich aus ihr Chorftihrer in rhyth-
mischen Intervallen wie in der antiken Tragödie. Für Piscator war die anonyme

223
Kreatur der Expressionisten bewußter Teil eines Kollektivs geworden: der
Körper konnte einen vorschnellenden Willen, eine gebändigte Aktivität aus-
drücken. Als Regisseur eines technischen Zeitalters war Piscators Konzeption
vor allem konstruktiv. Er konnte daher den Menschen der Masse zum
Architekturelement erstarren lassen, er warf ihn herum zu einer keilf6rrnigen
Bewegtheit, als einzelnen oder eingemauert in die Menge. Schräg wie zu·m
Stoß fl.ihrte er seine Darsteller, hielt sie fest in einer intensiven Gespanntheit,
die fast an jene erinnert, die der Expressionismus erstrebte, von dem sich
Piscalors Stil insoweit unterschied, als er keine Übergangsbewegungen
vermied.

Sein 1934 in Rußland gedrehter Film DIE REVOLTE DER FISCHER


zeigt noch Spuren dieses expressiven Pathos. Wenn sein Held mit der Streik-
mannschaft den Schiffssteg heruntersteigt, bleibt er einen Augenblick stehen,
wie mit erstarrten Schultern, den Oberkörper verbogen, die Beine auseinander-
gespreizt, in jener typisch heroischen Ruhepose, die man heute noch auf deut-
schen Plakaten findet, die irgendein prqbates Stärkungsmittel ftir Neu-
rastheniker anpreisen. Kurtz sagt einmal: die Gestalten der deutschen Filme,
deren Manuskripte stets auf Katastrophen zugespitzt werden, sind "immer
in geistiger Fechterstellung". Diese Haltung, zu der die allgemeine Grund-
forderung, der Schauspieler müsse "mit seinem Körper den Raum bauen",
beigetragen hat, drückt sich auch noch lange in den aus dem Expressionismus
herausgelösten Filmen aus.

Piscalor behauptet heute, er habe nicht stilisiert, sondern lediglich versucht,


den Schauspielern das alte Hoftheater-Pathos abzugewöhnen. Er habe reali-
stisch Regie geführt. Heute negiert er, von den Russen beeinflußt worden zu
sein. Die "konstruktivistischen Elemente", den "gebrochenen", gestaffelten
Bühnenboden, den ·zum Beispiel Tairow flir die Dynamik seines "Emotions"-
Schauspielers ftir notwendig hielt, will Piscator aus eigenen Erkenntnissen
heraus angewendet haben.

I In bezug auf die Massenbewegungen hatte Lang bereits einen Vorgänger


gehabt: Otto Rippert, den Regisseur der 1916 gedrehten HOMUNCULUS-
Filme. Heüterrril3riüan diesen Filmen zu wenig Bedeutung bei und glaubt
allgemein, der klassische deutsche Film setze erst mit CALIGARI ein. Und
doch enthalten diese Filme bereits alle Ansätze des berühmten Helldunkel,
das für den deutschen Film charakteristisch wird. Mitunter ist es noch unge-
schickt gehandhabt, so wenn zum Beispiel in einer der Episoden - HOMUN-
CULUS ALS RICHTER - sich eine Art von Licht- bzw. Schattenfläche Uber
eine Seite der Leinwand legt, um die Aufmerksamkeit einmal auf Homun-
culus, das andere Mal auf sein Opfer zu richten. Doch die Helldunkel-Wirkung
wird trotz der Tönungen in diesem Film. bereits intensiv bemerkbar. Aus

224
dunklem Cape, vom schwarzen Krawattenkragen, unter dem Zylinderhut .
wächst bleich wie eine Totenmaske das Gesicht des Laboratoriumsgeschöpfes,
aus dem Dunkel des Hintergrundes krampfen sich die. weißen Hände, es ist ·
gleichsam ein Auftakt flir Wienes ORLAC. Alle Elemente der deutschen
Filmkunst, wie sie sich in den nächsten zehn, zwölf Jahren entwickeln wird,
sind in den HOMUNCULUS-Filmen bereits angedeutet: die brüsken Gesten,
die wildwechselnde Mimik künden Kortners Spiel in HINTERTREPPE, in·.
SCHATTEN an oder den bizarren Erfinder, den Klein-Rogge in METRO-
POLIS verkörpert.

Vor allem zeigen jedoch die Massenbewegungen, wie die Verbindungs-


fäden von HOMUNCULUS zu METROPOLIS hinüberfl.ihren: die von
Homunculus als Arbeiter-Führer gegen Homunculus, den Diktator, aufge-
reizte Menge stürzt vor; dringt eine Treppe hinauf, und diese Bewegung ist
keilförmig zugespitzt, in ein Dreieck eingeschlossen, wie wir es immer wieder
bei den vorwärtsstoßenden Massen in METROPOLIS beobachten können.
Lang hat übrigens eine geraume Zeit mit Rippert gearbeitet und ihm die
Filmmanuskripte geschrieben, bevor er selbst Filme drehte.

In einer glücklichen Weise hat Lang eine expressionistische Stilisierung


für die anonymen Massen seiner Arbeiter-Unterwelt verwendet: er zeigt
Wesen, die, aller Persönlichkeit bar, es gewohnt sind, den Kopf zu senken,
deren Schultern müde erscheinen, die unterlegen sind, bevor sie zu kämpfen
begonnen haben. Es sind Sklaven, deren Gewand zeitlos bleibt Die Stilisie-
rung steigert sich bis ins Äußerste, wenn die Mannschaften einander ab-
wechseln, wenn sich zwei Kolonnen begegnen, die im taktmäßigen Rhythmus
marschieren, je eine Rechteck-Masse bilden, aus der der einzelne nicht mehr
herauszulösen ist und in der er existenzlos wirkt

Die Kubenhäuser mit den gleichmäßig geordneten Fensterreihen und


ihren schief eingesetzten Türen, vor denen stets die gleiche Anzahl von
Stufen aufsteigt, intensivieren noch die Monotonie der Unterweltstadt Diese
Mietskasernen sind der adäquate Hintergrund flir die mechanisierte Verteilung
der individualitätslosen Massen. (1st das noch expressionistisch gesehen oder
mischen sich hier nicht vielmehr schon Elemente einer "neuen Sachlichkeit"
ein? Lang hat ja bekanntlich auch Erinnerungen an die Wolkenkratzer New
Yorks mit verwendet)

In Rechtecken, in Rbo;nboiden durchqueren Kolonnen den Platz, wo


später die berühmt gewo~dene Überschwemmung stattfmden wird. Hier spü-
ren wir den Einfluß expressionistischer Sprechchöre am stärksten - diese
entpersönlichten Figuranten sind alle in diese geometrischen Formen einge:
bunden, nicht eine einzelne, individuelle Bewegung durchbricht die präzisen
Linienführungen. ·

225
Mit der gleichen mechanischen Vollkommenheit marschiert in der Fieber-
vision der Zug der Moloch-Opfer in den aufglühenden Rachen hinein. Die
riesige Fassade der Maschinenzentrale wandelt sich filr einen Augenblick
in die barbarische Maske des alles verschlingenden Gottes. Lang erinnert
sich hier an CABIRIA: rechteckig geformte Kolonnen, die in genau einge-
haltenen Abständen marschieren, werden in den Feuerrachen hineinge-
trieben. (In ähnlich regelmäßigen Kolonnen sind bereits in dem Königssaal
von Worms Siegfrieds Krieger aufgereiht, und ebenso stilisiert in der Form
werden später einmal, von Leni Riefenstahls Kameraleuten aufgenommen,
von oben her die namenlos Marschierenden im TRIUMPH DES WILLENS
gezeigt werden. Nicht umsonst haben Fritz Langs NIBELUNGEN den
damaligen Machthabern so zugesagt)

Die Bewohner der unterirdischen Stadt sind fast noch mehr Automaten
als jener Automatenmensch, den der Erfmder Rothwang geschaffen hat; sie
sind dem Rhythmus komplizierter Maschinen völlig eingeordnet. Ihre Arme
werden zu Strahlen eines Riesenrades, ihre in den Nischen der Maschinen-
zentrale eingebetteten Körper wirken wie die Zeiger von Uhren und werden
wie diese mechanisch-rhythmisch bewegt Die extreme Stilisierung ver-
wandelt den Menschen in ein Objekt: in den beiden Etagen strebt die Dia-
gonale eines jeden dieser mechanisierten Körper automatisch in die entgegen-
gesetzte Richtung des Nachbarkörpers.

Die Forderung der Raumgestaltung, so betont Kurtz, wird auch am


menschlichen Körper durchgesetzt, und so sind es die Figuren, die der szeni-
schen Struktur im Film wie im Theater die Plastik verleihen.

In METROPOLIS sind nicht nur die Maschinenmenschen mechanisiert


worden: Lang versucht immer intensiver, Komparsen-Gruppen in geometri-
sche Formen einzuschließen. Schon in SIEGFRffiDS TOD war der mensch-
liche Körper oft ein Element des Dekors; in METROPOLIS wird er ein
wesentlicher Faktor der Architektur selbst und verbindet sich mit anderen
Körpern zu einem Dreieck, einer Ellipse oder einem Halbkreis.

Diese geometrische Stilisierung, die aus der expressionistischen Stilkon-


zeption stammt, verleitet Lang jedoch niemals zu einer billigen Routine.
Seine zur Architektur gewordene Menge bleibt trotzdem lebendig, wie etwa
jene Gruppe von Kindern, die sich in der Überschwemmungsszene an den
letzten Betonpodest hängen und deren flehend erhobene Arme eine Pyramide
bilden. Diese Gruppierung in einer aufsteigenden Pyramide sehen wir noch
deutlicher in der Galanacht, wenn sich von allen Seiten her gierige Hände
der falschen Maria entgegenstrecken, oder wenn die Arbeiter diese falsche
Maria, den Automatenmenschen, an dem Autodaf6 umringen. Die Gruppie-
rung in vorst~ßende Dreiecke findet sich immer dort, wo die Arbeiter vor-

226
stoßen, wenn sie z. B~ vorstürzen, um die Maschinenzentrale zu zerstören,
·oder wenn sie am Ende des Films zum Tor der Kathedrale schreiten. A:uch
die Bewegung der Kinder zur rettenden Betoninsel vollzieht sich in Keilform.
(Jene vorstoßenden Dreiecksbewegungen von Massen sind, wie bereits er-
wähnt, schon in den HOMUNCULUS-Filmen zu fmden. Lang allerdings
intensiviert das Geometrische, bindet die Figuren noch stärker ein, so daß sie
den Raum tatsächlich mit formen helfen.)

Mitunter lockert sich diese extreme Stilisierung: Wenn in der Katakomben-


kirche die falsche Maria die Arbeiter aufwiegelt, zeigen ihre Körper eine
individuellere Haltung, die stumpf unpersönlichen Gesichter wandeln sich
trotz der expressionistischen Verzerrung ihres Mienenspiels. Die geballten
Gruppen beleben sich mitunter auch, um Teil der Handlung zu werden, so
etwa, wenn die Arbeiter für den Thrmbau zu Babel von allen Richtungen
auf Pfaden herankommen, die die Strahlen eines halben Sterns bilden. In ·
dieser Episode von Babel sind auch die Arbeitermassen, die eine Freitreppe
hinaufstürzen, weit weniger geometrisch gesehen; sie erinnern eher an
Massenbewegungen, wie sie Piscator zu dirigieren pflegte. (Interessant ist
hier die expressionistisch scharfe Ausleuchtung der Figuren, um die Schein-
werfer und Lampen eine Art von Phosphorkontur gelegt haben.)

*
Wie in allen seinen Filmen handhabt Lang in METROPOLIS das Licht
mit einer bewundernswerten Meisterschaft: die Stadt der Herrenmenschen
erhebt sich als leuchtende Pyramide der Wolkenkratzer, umgeben von einem
Strahlenbündel. Modellbauten sind so beleuchtet worden, daß aus ihren
angeblichen Riesenmassen, wo schachbrettartig leuchtende Fenster und
dunkle Mauem wechseln, Kaskaden.von Licht- und Dampfschwaden hinunter-
fluten und wie in einem leuchtenden Staubregen auseinanderstieben; hän-
gende Straßen und Brücken wirken gigantisch übersteigert. ln dieser Sym-
phonie des Lichts spürt man kaum mehr den Trick. Durch Schüfftans Spiegel-
technik ragen auch die Mietskasernen der Unterweltstadt, die nur zum Teil
wirklich gebaut waren, riesenhaft und drohend empor. ··

Mit Licht scheint sogar der Ton erzeugt zu werden: das Pfeifen der Fabrik-
sirenen wird durch vier grelle Strahlenbündel, die in vier Richtungen vor-
stoßen, anschaulich zum Ausdruck gebracht, und man glaubt sie fast zu hören.
(In ähnlicher Weise wird übrigens in Grunes SCHLAGENDE WETTER das
Heulen von Sirenen durch strömende Dampfsäulen veranschaulicht) Jene
Lichtbündel der Fabriksirenen in METROPOLIS sind übrigens auf das
Negativ gemalt worden.

Überall flutet in Fritz Langs Film das Licht - in der Symphonie der

227
Maschinen, deren Konturen phosphorhart verfließen, Wie auch in dem Labo-
ratorium, wo der Automatenmensch geheimnisvoll gebaut wird. Hier füllen
sich Retorten mit einem opalisierenden Licht, plötzlich gleißen Glasröhren
auf, Zickzack-Blitze fahren über die Leinwand, Funken sprühen, Flammen-
kreise steigen, das RäCiergetriebe mit seinen Hebeln scheint sich in glitzerndes
Gestrüpp zu verwandeln. Durch Ausleuchtung, durch Einblendungen mischt
sich der Strudel der Maschinen mit den Phantom-Formen langverzogener
Wolkenkratzer und reißt in einem Fieber-Alptraum Fröhlich hinein, der sein
Bewußtsein verliert, ins Endlose hinabzustürzen scheint.

Die seltenen Augenblicke, in denen Fritz Lang den Lichteffekten nicht


völlig sein Augenmerk leiht, machen dann plötzlich deutlich, daß im Grunde
das Maschinengetriebe nichts weiter bedeutet als einen bewegten Hinter-
grund, eine Art von sichtbarer Lautkulisse; bei der meisterhaften Instrumen-
tierung von METROPOLIS glaubt man in diesem Stummftlm Geräusche
fast ebenso zu hören wie die Sirenen.

Ein leuchtender Rauch steigt von dem Scheiterhaufen des Automaten-


menschen auf, Lohe lodert über den zerstörten Maschinen, hohe Spring-
quellen ergießen ihre Kaskaden über Eisengerüste, in die Licht sickert. Durch
Nebeldämpfe schimmern vage die Silhouetten der Arbeitssklaven, um star-
rende Kreuze flimmert der Perlmuttschein· zahlloser Kerzen im Dämmern
der Unterweltkirche. In den halbdunklen KatakombengUngen bannt der
Lampenschein, der über die zerfressenen Wände gleitet, die flüchtende
Maria, hält sie in jenen Höhlen, wo fahl ein Totenschädel grinst, gefangen.
Lang bedient sich dieser Beleuchtungseffekte, um die Atmosphäre zu inten-
sivieren, das Bildhafte wird durch sie ins Dramatische gesteigert.

228
StUlalerung bel llrlu ~an~

DER MODE TOD von Fritz Lan~

SIEGFRIEDS TOD von Fritz Lanr


229
tlflslerung bel Frltz Lang

>ER MODE TOD

IEGFRIEDS TOD
230
Statisterle als "Architektur'·

SIEGFRIEDS TOC

SIEGFRIEDS TOD
231
'nge als "Architektur"

:TROPOLIS von Fritz Lang (Arbeitsphoto)

\ETROPOLIS
232
...·.«•;_!
!!! . .· ·.: ... ·;
'~~1·Mrt .. ·,.
Menge als "Architektur·

SAPPHO von Dimitri Buchowetzk


233
1nge als "Arc:hirekrur"

MABUSE, DER SPIELER von Fritz Lang

TROPOLIS
234
METRO PO LI

METRO PO LI
235
fROPOLIS

fROPOLIS
236
METROPOLIS

METROPOLIS
237
:TROPOLIS

238
Baumstämme aus Zement: der Wald aus SIEGFRIEDS TOD
239
XN.

Fritz Langs Abenteuerfilme


"Di'e Spinnen" (1919)- "Dr. Mabuse, der Spieler" (1922)- "Spione" (1927)
"Frau im Mond" (1929)

Als der Detektivfilm den Feuilletonroman-


Stil atifgab, mußte er eine Formel finden, die
einem kultivierten Publikum wie auch Zu-
schauern, die lediglich von der Spannung der
Handlung angezogen waren, gefallen konnte.
Atif diese Weise ist die kriminelle Psychologie
in den Detektivfilm eingeführt worden.

Fritz Lang bei Luc Mou//et: Fr/tz


Lang, Verlag Seghers.

241
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Abenteuer-Filme von Fritz Lang
in dem einstigen Lande des wilhelminischen "Kadavergehorsams" und der
"Herren- und Sldavenmoral" Nietzsches der Mythos des dämonischen ~­
menscheD, der die Weltordnung umzuwerfen trachtet

Noch ist dies nicht so völlig sichtbar in Langs Episodenftlm DIE SPINNEN
(1919). Von diesem Filme sind anstelle der vier geplanten Episoden nur zwei,
DER GOLDENE SEE und DAS BRILLANTENSCHIFF, gedreht worden.
In der ÜberfOlie ihrer Ereignisse, die fast die Handlung selbst überwuchern,
spürt man bereits Langs Sinn flir Spannung.

Es ist zudem erstaunlich, daß ein so junger Regisseur schon bei seinem
dritten Film - die anderen beiden frühen sind verloren gegangen - solch eine
Meisterschaft in der "mise en scene" bestimmter Sequenzen zeigt Szenen,
die wirklich in einem Aussichtswagen geftlmt worden sind - man kannte
damals in Deutschland noch nicht das Verwerten von Transparenten - geben
dem Abenteuer etwas Sachlich-Dokumentarisches. Daneben offenbaren eine
subtile Ausleuehrung und ein reicher Dekor Langs Freude am Phantastischen.

Hier sind bereits alle jene Elemente zu fmden, die Langs spätere deut-
sche Filme aufweisen: Geheime Falltüren, kompliziert geführte Aufzüge,
die ein ungeheurer Chinese mit großem Krummschwert zu bewachen hat,
unheimliche Kellergewölbe, in denen mysteriöse Zylinderherren gefährliche
Beratungen abhalten, Panzergewölbe, doppelte Wände, die ineinandergleiten,
Verschläge und Zimmer, die sich mit Gas füllen oder unter Wasser gesetzt
werden - alle jene Spannungsmomente sind bereits hier vorhanden. Lang
wird schon hier, wie in Alberichs Nibelungenschatz-Höhle bis hinüber zu der

243
Tempelgrotte seiner späten Indien-Filme und den Katakomben, aus denen
die Schar der Leprakranken quillt, eine Vorliebe f'tlr das Mysteriöse unter-
irdischer Gewölbe zeigen: so die unter der Erde versteckte Inkastadt oder
die Opiumhöhle des Chinesenviertels tief unten und die Schatzhöhlen der
Piraten.

Für Augenblicke nähert sich der Episodenfilm fast dem Wildwestfilm.


(Lang hat, wie alle damals, in seiner Jugend Karl-May-Romane verschlungen.)
Kühl wie ein William S. Hart gelingt es Kay Hoog, Langs Helden, sich bei
der Attacke um das Blockhaus aufs Dach zu schwingen und von da an einem
Baumstamm gleitend aufs Pferd zu springen, derweil die "Spinnen" hinter
ihm herhetzen und er in letzter Minute das rettende Seil des Luftballons
ergreifen kann.

Wie in Feuillade-Filmen tauchen, aus dem Gitterwerk der Rampe der.


exotischen Wohndiele Kay Hoogs herausquillend, schwarze Trikotfiguren mit
Kopfmasken und treiben ihr unheimliches Ränkespiel. Lio Sha, die An-
ftihrerin der "Spinnen", eine heute zu vollbusige Cleo-de-Merode·Schönheit,
Ressei Orla benannt, verfolgt das KonziliabUl der Zylinderherren bereits in
einer Art von Televisions-Spiegel, der, weil bei L&ngs Logik und Präzision
kein Element verloren geht, in METROPOLIS wieder auftauchen wird, als
der Herr von Metropolis sich von dem Werkf'tlhrer über die Revolte Bericht
erstatten läßt. Von hier zu Langs letztem Film DIE TAUSEND AUGEN DES
DR. MABUSE mit seinen vielfältigen Televisionsschirmen geht konsequent
eine ganze Entwicklung.

Der genial durchgeführte Einbruch in die Bank nimmt bereits Motive


vorweg, die wir in M wiederfinden werden, wenn die Ganoven den Kinds·
mörder zu fangen trachten. Es fehlt in dem frühen SPINNEN-Film selbst der
geknebelte und gefesselte Wächter nicht, der sich zu befreien sucht.

Schon spüren wir Langs Sinn flir Humor in seinem Lebendigmachen von
Nebenfiguren: so im Zug, der hundert Abenteuern entgegenfahrt, der kleine
Neger-Groom, der behaglich in seine Banane beißt. Mitunter geht die Komik
einer Situation bereits ins Phantastische: der kleine bizarre Professor, der
inmitten von staubigen Folianten mit seiner zahmen Elster haust und den
der Held über die geheimnisvolle Inschrift befragen kommt, hat bereits etwas
von dem kleinen fadenscheinigen Apotheker im MÜDEN TOD und gleicht
fast schon dem verrückten Gelehrten in der FRAU IM MOND. Nichts geht
bei Lang verloren.

Typische Lang-Elemente also, denn Lang hat diesen Film noch ohne Thea
von Harbou geschrieben.
*

244
Der rätselhafte Vamp Lio Sha spinnt sein unheimliches Ränkespiel;
ohne daß wir die Motivierung erraten können. Ist es Abenteuerlust oder
Gewinnsucht? · ·

In DR. MABUSE, DER SPIELER sind bereits die psychologischen Gründe


vertieft: diesen "mastennind of crime" - damals lasen wir alle, und Brecht als
erster, die Romane von Edgar Wallace- treiben Machtgier und die Spannung,
mit Menschenleben wie mit Schachfiguren sein Spiel zu treiben.

Dieser Dr. Mabuse verfällt einer Depression, wenn ihm seine Anschläge
fehl gehen; er betrinkt sich, wenn er triumphiert. Kurz, er ist kein bloßes
Ungeheuer. (Bei Dr. Caligari in all seiner expressionistischen Stilisierung
bleiben die Motive seiner Machtgier seltsam abstrakt.)

Alle Beweggründe sind bei Dr. Mabuse, der von seinen Launen abhängig
ist, wohl definiert und aus den Zeitgeschehnissen verständlich.

"Ein Bild der Zeit" heißt der erste Teil dieses Films und der zweite "Inferno
- Menschen der Zeit" - das haben sogar die damaligen Besprecher der beiden
Filmteile begriffen. Jene wirre Epoche der Nachkriegszeit, der Depression
des verlorenen Krieges, der im Keim erstickten Revolution, der Misere der
Inflation, die alle Werte zunichte gemacht hat, der hoffnungslosen Arbeits-
losigkeit und ihren Gegensätzen - der hemmungslosen Genußsucht, der Gier
der Kriegsgewinnler und Spekulanten - ist hier eindringlich aufgezeigt. Nach
Tod und Entbehrungen will man das Leben genießen, sich allen Freuden
und Perversionen hingeben. Sex, Opium, Kokain, Spielhöllen, um zu ver-
gessen.

Man hat den Dekor der beiden MABUSE-Episoden als expressionistisch


empfunden; noch heute wehrt sich Lang dagegen. Expressionistisch sind
ganz wenige Sequenzen und zwar die Szenen, die in dem Restaurant spielen.
Langs Architekt Hennann Wann, Architekt und Bauftihrer von CALIGARI,.
hat sich ftir MABUSE mehr dem Kunstgewerbe der Wiener und Münchner
Sezession zugewandt, das mit seinen Verschnörkelungen fast noch an den
Jugendstil anklingt.

Expressionistisch sind nur gewisse kontrastreiche Ausleuchtungen: eine


nachtdunkle Gasse, wo sich der Mord an dem jungen Millionär Hull vollzieht.
Oder Graf Told wankt mit einem brennenden Kandelaber durch die Säle
seiner exotischen und expressionistischen Kunstsammlung bis zu der Frei-
treppe, und urplötzlich prallt auf Augenblicke eine Skulptur, eine riesige
Maske aus dem Dunkel. Vor dem Kaminfeuer unter dem Bild des Lucifer
sinnt der dämonische Doktor, selbst dem Lucifer gleich. Dokumentarisch
wie eine Lokalnotiz wird der Raubüberfall eines Dokuments wegen geschil-

245
dert, präzis mit der Uhr in der Hand dirigiert Mabuse ihn. Und daneben
immer wieder das Fantastische: der willenlose Graf, der durch Hypnose im
Kartenspiel betrügen mußte, wiederholt sein Spiel mit den Proloplasmen
seiner Ebenbilder; ft!r den wahnsinnig werdenden Mabuse wird die Falsch-
münzer-Druckpresse zu einem Ungeheuer mit Riesenkrallen. Doppelbelich-
tungen - die weiße Magie der surimpression - lassen seine Opfer drohend auf
ihn zuschreiten wie aus einer dritten Dimension heraus.

Das Dokumentarische aber wird dramatischer Höhepunkt, wenn Mabuse


sich gegen die Attacke der Polizei verbarrikadiert.

*
SPIONE (1927) hat nicht ganz die rigorose Struktur der MABUSE-Epi-
soden, doch dominieren gewisse wesensverwandte Züge: auch hier treibt
die Machtgier einen dämonischen Menschen, Leiter einer Spionenzentrale
und großer Bankier, mit Menschenleben zu spielen.

Großartig wiederum die großangelegte Spionenzentrale; vor allem überall


dort, wo die Spannung dokumentarisch unterstützt wird. Spionageverfahren,
wo Telegramme durch unterlegte Karbonblätter für den Gegner lesbar sind,
unsichtbar werdende Tinteninschriften dem Detektiv umsonst in die Hand
geraten; wo eine schöne Spionin den japanischen Diplomaten zum Harakiri
zwingt, wo in der Nacht vom fahrenden Zug ein Wagen gelöst wird, um einen
Eisenbahnunfall im Thnnel zu verursachen. Hier packt die Präzision, aber
gewisse Geftihlsübersteigerungen, die auf das Konto von Thea von Harbou
zu setzen sind, hemmen mitunter die Spannung.

Lang weist darauf hin, daß jene chaotische Epoche sich nach den gefühl-
losen Kriegsjahren in allen Ländern allzusehr Gefllhlen hingab, und in der
Tat auch in Frankreich sind Filme von Abel Gance und Marcel L'Herbier fast
ebenso gefühlsüberschwänglich geraten. ·

Man muß sich hier an das Sachlich-Dokumentarische halten, bewundern,


wie gut orchestriert das Eindringen der Polizei in die Hagbi-Bank ist oder das
Zwischenspiel in der Art des Clowns Orock, bei dem Haghi den Tod fmdel

*
Es geht um Ähnliches bei dem Zukunftsfilm FRAU IM MOND
(1929). Atemberaubend der Start der Mondrakete, fi1r den Lang das Rück-
zählen aus Spannungsgründen erfunden hat und der uns ungemein modern
und wirklich wie von heute vorkommt Großartig schon der Bau, das Heraus-
rollen aus der Halle und die Reportage, die wartenden Menschenmassen.

246
Auch die luminösen Mondlandschaften haben Stimmungsgehalt Nur
wo Gefühlsüberschwang einsetzt, Privates überwuchert, wirkt der Film ftir
uns heute veraltet

Atempause ftir ein Meisterwerk? M wird ohne Schlacken sein - das·


Humanitäre dieses Films läßt nur wahre Geflihlsregungen und tiefes· Ver-
ständnis f~ psychopathische Reaktionen zu.

"M'7
MABUSE, DER SPIELER: EIN BILD DER ZEIT von Fritz Lang

IONE von Fritz Lang


248
FRAU IM MOND (Arbeitsphotc

FRAU IM MOND (Arbeitsphoto


249
XV.

Tragödien der Straße


Die Filme von Jeßner/Leni (1921), von Grune (1923),
von Pabst (1925), von Bruno Rahn (1927) und Joe May (1928)

What need is therefor romantic treatment?


Real l(fe is too romantic, too ghost/y.
G. W. Pabst in einem Interview
von "Close Up", Dezember 1927.

251
:Oe metaphysische Weltanschauung von Künstlern deutscher Sprache
- mag es sich um Ludwig Tieck, Kubin oder Meyrink handeln - bringt es mit
sich, daß die Straße, die ihnen voller Hinterhalt, voller Versuchungen erscheint,
keinerlei Beziehungen zur Wirklichkeit hat. In deutschen Filmen wird die
Straße vor allem des Nachts mit ihren abrupt tief erscheinenden dunklen
Ecken, ihrem aufgleißenden Betrieb, den Lichtnebel ergießenden Straßen-
laternen, mit den flammenden Leuchtreklamen, Scheinwerfern von Autos,
mit dem von Regen oder Abnutzung glänzend gewordenen Asphalt, den
beleuchteten Fenstern geheimnisvoller Häuser, dem Lächeln geschminkter
Dirnengesichter zum Schicksal, das ruft und verlockt. Die Straße ist rätsel-
voller Anreiz, wollüstige Verführung für jene annseligen Teufel, die der
Monotonie ihres nüchternen kleinbürgerlichen Daseins müde, ihres engen,
dumpfen Heims überdrüssig sind und die Abenteuer, Flucht vor sich selber
suchen.

Für Kurtz bedeutet die Strahe entweder eine kahle Strecke mit Häusern
rechts und links oder einen dunklen "gebrochenen" Fleck, umrahmt von steil
aufmgenden Silhouetten, voll rasender Lichter, mit schattenhaft verschwim-
menden Gestalten, wo demnach auch die Figur "Fonnelement des dekora-
tiven Gedankens" wird und den Bildraum mitgestaltet Oder man kann eine
Art von Teilausschnitt dieser nicht existierenden S~ße wiedergeben, um
ihn durch gellende Lichtakzente und scharfe Schatten zu fonnen, so daß er
durch das Dunkel prallt. Man kann aber auch die verkürzten Führungs-
linien der Architektur grell aufhellen und so ihr leuchtendes Netzwerk ein-
fangen. ·

Die kleine Straße in HINTERTREPPE, dem Film von Leopold Jeßiler

253
und Paul Leni, entspricht diesem kontrastierten Teilausschnitt, obwohl
hier gewisse neue Architektur-Elemente mitspielen. Kurtz erklärt, daß diese
Architektur gewiß nicht expressionistisch sei, jedoch nicht ohne den Expres-
sionismus zu schaffen gewesen wäre. Er weist auf die Art der Lichtverteilung
hin, die den Raum in-abrupt willkürliche Flächen teile, auf das "Zueinander
und Auseinanderstrebende des Gemäuers", das ihm noch den Einfluß des
Expressionismus verrät.

Im übrigen zeigt auch die Magie gewisser symbolisch verwandter Kontra-


punkte in der Ausleuchtung von Innenräumen diesen Einfluß: in einer Ein-
stellung sehen wir die verzweifelte Henny Porten im Dämmern des Treppen-
schachts, während oben auf dem Treppenabsatz die Tugendheuchelei der
empörten Bürgersfrauen im grellsten Licht aufgezeigt wird.

*
Für Grunes STRASSE spielt die Straße eine vielfaltig schimmernde RoHe,
wird gewissermaßen zum Hauptdarsteller. In dem kleinbürgerlichen Wohn-
raum erscheint sie zuerst nur als gleißende Verlockung, als Ruf des glanz-
vollen Lebens, der durch das Fenster dringt: Lichtflecke gleiten und zucken
über die Zimmerdecke, weben ihr leuchtendes Netz. Sie werden für den
braven Bürger, den Eugen Klöpfer spielt, zur geheimniserfü11ten Verheißung,
treiben ihn hinaus auf die Straße seiner Sehnsucht.

Und auf dieser Straße ergreift ihn der Strudel von Eindrücken, entwurzelt
seinen zögernden Fuß nicht anders, als es in Mumaus PHANTOM gesche-
hen ist, wo der Tag zu taumeln scheint. Das lockende Abenteuer entgleitet
ungeschickten Händen. Wieder verlebendigen sich die Objekte, lauem
tückisch: das Reklameschild des Optikerladens wandelt sich, wird zu den
Augelf eines Dämonen, das Schaufenster spiegelt neben dem Ozeandampfer,
der anlockenden Reise ins Unbekannte zugleich die verführerische Silhouette
einer Frau wider, der man folgen kann. Dieses ewig spielerische Widerspiegeln
von begehrten Gegenständen oder Personen auf Glasflächen fmdet sich oft
in deutschen Filmen: man denke nur an Fritz Langs M. Auch Pabst ver-
schmäht in seiner DREIGROSCHENOPER ein solches opalisierendes
Widerspiel nicht.

Laut Kurtz setzt Meidner, der Architekt von Grunes STRASSE, die
Dynamik einer nächtlichen Großstadtstraße in eine Lichtvision um, in der
malerische Mittel die Akz'ente verteilen. Hier fmdet sich, so erklärt er, die dem
Expressionismus eigentümliche, stilisierte Raumgliederung durch Lichtver-
teilung, Fronten zerreißen unregelmäßig, dunkle Kernschatten bohren sich
in die Häuser, helle Lichtkegel blähen die Atmosphäre künstlich leuchtend auf.
So wird also die unwirkliche Intensität, das Nachtgefühl, erzeugt.

254
"Der Geist einer beleuchteten Weltstadt", der für das Objektiv unfaßbar·
sein würde, wird durch stimmunggebende Formen, wird durch einen "kon-
struktiven Willen" bewußt gestaltet Man bedient sich überall dort des Expres-
sionismus, wo es sich um Wirkungen handelt, die im Naturobjekt nicht greif-
bar gegeben werden, sondern die nur ,,geistig erlebbar" sind.

Indes sieht Kurtz vielleicht nicht ganz, wie der Expressionismus sich in
der STRASSE gewandelt hat, wie fast impressionistische Momente hinein-
gleiten, die im Grunde die Atmosphäre geben, und das, obwohl hier die
Bilder einer Stadt als innere Vision eines Lebenshungrigen auftauchen, wie
Bahizs betont, also Vorstellungsbilder im Sinne der Expressionisten nach außen
projiziert werden. In den Interieurs wird der expressionistische Stil besser ge-
wahrt: den Spielsalon erfullt ein drohendes Dunkel, das der Schein der Hänge-
lampe zerreißt und so die Figuren scharf vom Hintergrund abhebt. Typisch
ist auch ein Treppenaufgang, den Schatten überfluten, dessen abgerissene
Zweideutigkeit nur eine gespenstig flackernde Gasflamme unter der schmie-
rigen Wölbung ahnen läßt. Pabst übrigens variiert einen solchen dämmerigen,
halb verlockenden, halb abstoßenden Treppenaufgang in dem Absteige-
quartier seiner FREUDLOSEN GASSE.

Der brave Spießer mit dem traditionellen Regenschirm, den Bugen Klöpfer
mit seiner schweren Massigkeit und weichlich haltlosen Gesten spielt, wankt
über die Straße, von der er dumpf und wirr hofft, daß sie ihn der langweiligen
Ehrlichkeit seines geregelten Daseins, der Monotonie seiner Ehe ftir immer
entreißen wird. Wie der Bankkassierer in Georg Kaisers "Von morgens bis
Mitternacht" fühlt er, daß er fortgegangen ist, etwas Unbestimmbares zu
suchen.

Die Flucht des Bankkassierers ist endgültig, hinter ihr steht ganz selbstver-
ständlich der Tod, während der brave Bürger der STRASSE sich aus dem
trügerischen Abenteuer, das im Grunde nur Schmutz und Mord bedeutet,
ins Bürgerlich-Sichere zurückretten kann. Die nächtlich gleißende Straße
gibt ihn frei. Ist das bereits ein Zeichen, daß sich der Expressionismus seinem
Ende zuneigt? Jedenfalls ist hier zum erstenmal die Tragödie nicht endgültig,
das Schicksal behält nicht mehr das letzte Wort - die Straßen münden nicht,
wie Georg Trakl glaubte, in Verwesung.

DIE FREUDLOSE GASSE bedeutet die Quintessenz germanischer An-


schauungen, wie sie sich in geheimnisschweren Straßen, Gängen und Treppen,
die in Halbdunkel gehüllt bleiben, widerspiegeln.

Hier wirken sich übrigens im Atelier erbaute Ersatz-Architektur und ex-


pressionistische Beleuchtungsweise, die die Kontraste grell akzentuiert, nach-
teilig aus. In den Elendsszenen herrscht die Schablone - alles ist gekünstelt,

255
zu sehr komponiert, zu symbolhaft betont. Die Gassen sind zu verdächtig,
der Treppenflur zu geheimnisvoll, der Zusammenprall von Licht und Schatten
zu jäh. Das Gesicht von Werner Krauss, dem Fleischermeister, ist mit dem
gezwirbelten Schnauzbart übertrieben charakterisiert, der Haarscheitel wie
seine Gier zu ölig, seine Brutalität zu outriert. Die Dirnen an den Straßen-
ecken, der edel heruntergekommene Beamte, selbst die Kupplerin - obwohl
die gescheite Valeska Gert durch ihre expressive Geschmeidigkeit Bücklingen
und Körperwindungen ein prägnantes Gepräge zu geben weiß - sind zu sehr
in Bilderbogenmanier herausgestellt. Sie scheinen in knalligen Buchstaben
die Unterschrift zu tragen: "Menschliches Elend und menschliche Gemein-
heit." Das Pittoreske überwiegt das Tragische, schaltet es aus; daher ent-
täuschen heute viele Passagen dieses Films. Und so berührt uns das Pathe-
tische der Inflationsepoche, das alle Geschicke zertritt, kaum mehr.

Wie viel menschlich einfacher kommt das Nachkriegselend in einem


wenig bekannten Griffith-Film ISN'T LIFE WONDERFUL zum Ausdruck.
Der große amerikanische Filmregisseur zeigt hier im Berlin der Inflations-
zeit Verzweiflung und Hunger. Selbst dann, wenn ihn Hollywood zwingt;
einen optimistischen Ausblick anzuhängen, verfallt er nie ins billig Senti-
mentale. (Man vergleiche einmal das heitere Kindermärchen von diesem
Glück in der Cottage mit dem schwer ausgespielten Happy-End des LETZTEN
MANNES, das Mumau aufgezwungen wurde.) Griffith zeigt den Kampf um
ein paar Kartoffeln in all seiner Schonungslosigkeit; er bringt das endlose
"Anstellen" in einer Reihe von Hungernden, die das Elend zum Kauf treibt,
bevor alles noch teurer wird, bevor die Ware ausgeht: diese Leute, die sich
stoßen, die vordrängeln, einander bewachen, damit der Nachbar nicht einen
besseren Platz erschleicht, sind weit lebensechter a,lsjene dekorativ gehaltenen
Lebensmittelschlangen bei Pabst, wo jeder Figurant sich seines symbolischen
Werts so bewußt scheint. Man verstehe es recht: es sind nicht Erdmanns ein-
dringliche Dekors nachtschwerer Gassen, die im Pabst-Film den Eindruck
des Gekünstelten vermitteln; sie wirken Stimmunghaft genug. Weit mehr als
jene der LIEBE DER JEANNE NEY, wo gerade durch den Hang des
Regisseurs, Akzente zu outrieren, die Atelierbauten nicht in Einklang mit den
echten Straßenbauten zu bringen waren.

In der FREUDLOSEN GASSE zeigt der Kontrast zwischen den recht


theatralisch ausgespielten Aufruhrszenen der Masse, die vorstürzt, um das
Bordell, in dem die Kriegsgewinnler prassen, zu zerstören, und jenen Ein-
stellungen, die uns die zum Ausgang flüchtenden Schieber sehen lassen,
bereits ein fur Pabst überaus charakteristisches Montage-Verfahren. In einem
oft zitierten Interview, das "Close Up", jene ausgezeichnete englische Film-
zeitschrift, im Jahre 1927 veröffentlicht hat, erklärt Pabst zu seiner LIEBE
DER JEANNE NEY: "Every shot is made on some movement, at the end of
one cut somebody is moving, at the beginning of the adjoining one the

256
movement continues." Das bedeutet also, daß er eine Einstellung dort schnei-
det, wo eine seiner Personen in Bewegung ist, um eine andere Einstellung
dort einzukleben, in der diese Bewegung oder eine andere aufgenommen
und fortgeführt wird. So sieht das Auge, das beschäftigt ist, der Bewegung
zu folgen, nicht den Schnitt. Es ist Pabsts Absicht, den Schock von aufeinander
prallenden Montagen zu vermeiden - man weiß, daß die Russen ihrerseits
die Wirkung dieses Schocks geradezu· suchen. Aber im Gegensatz dazu will
Pabst den vollkommenen Fluß einer Handlung erreichen.

Wie so viele deutschsprachige Filmregisseure zeigt Pabst gern Einstel-


lungen, in denen die Handlung nur im Spiegel reflektiert wird. Die Gehilfm
der Kupplerin zwingt Greta Garbo, ein allzu ausgeschnittenes Kleid, das sie
halb entblößt, anzuziehen, und wir sehen lediglich Greta Garbo vor dem
Spiegel, der sonst die Gestalt der Frau widerspiegelt, die sie bedroht Und
danach,als die Garbo das Abendkleid angezogen hat, wird sie in einem drei-
teiligen Spiegel dreifach widergespiegelt, und zugleich mit ihr erscheint ein
Betrunkener, von dessen wirklicher Gegenwart nichts weiter zu sehen ist als
eine sich gierig vorstreckende Hand am Rande der Einstellung. (Pabst zeigt
in seinen Filmen gern Hände nur am Rande der Leinwand: wenn der reiche
Schieber sich der armen Dirne, die Asta Nietsen spielt, nähert, so sieht man
zunächst nichts weiter als eine fette Hand. Und wenn Asta Nietsen dem
erschrockenen Schieber den Mordvorgang schildert, so zeigt Pabst einen
Augenblick nur die flatternden Gesten ihrer müden Hände. Der Mordvor-
gang wird dem Polizeibeamten lediglich durch Asta Nietsens Hände, die wie
irre Vögel über die Leinwand zittern, vor Augen geführt.)

In der LIEBE DER JEANNE NEY weiß Pabst die Spiegelungs-Einstel-


Jungen raffinierter auszugestalten: man erinnere sich nur an die Orgie der rus-
sischen Offiziere, die lediglich im Spiegel gezeigt wird. Dieser Spiegel, vom
Wurf einer Flasche zertrümmert, reflektiert in einem großen Splitter das
Gedränge von Körpern und Bewegungen wider. Und jene Szene, in der die
Liebenden beschließen, die Nacht im Hotel zu verbringen, wird nur in der
Scheibe des Autos, das sie angehalten haben, aber leer wieder abfahren lassen,
eingefangen.

Pabst bringt auch gern jene Dämmerungsstimmung, in der zwischen halb


geschlossenen Jalousien das Licht zerfließend in ein dunkles Zimmer dringt:
auf dem Fußboden liegt in der FREUDLOSEN GASSE die Leiche der Er-
mordeten; sie ist gleichsam zu einer "Lokalnotiz" geworden. In der BÜCHSE
DER PANDORA sehen wir einen Augenblick die aus dem Gerichtssaal
geflüchtete, schuldig gesprochene Lulu in dem halbdunklen Raum stehen.

So spielt er bewußt mit Licht- und Schattenwerten, mit Widerspiegelungen,


die ihm helfen, Stimmungen zu steigern oder dramatische, zugespitzte

251
Momente zu verstärken.
*
DIE FREUDLOSE GASSE verrät bereits, daß Pabst Schauspielerinnen
besser zu führen verstand als Schauspieler. Allerdings hat er in diesem Film
zwei außerordentliche Schauspielerinnen zu leiten gehabt: Greta Garbo, die
noch Anfangerio war, spielte zuvor in vollendeter Weise unter Stillers leiten-
der Hand die Gräfin in GÖSTA BERLINGS SAGA. Hier in der FREUD-
LOSEN GASSE kommt das edle Oval ihres Antlitzes, über das Furcht und
Trauer gleiten, vollkommen zur Geltung. Wenn sie einmal ein schüchternes
Lächeln versucht, erscheint sie unendlich bezwingender als in NINOTSCH-
KA, wo ein Slogan "Die Garbo lacht!" sie lancieren soll. Das Zögernde ihres
Spiels, das zum Teil ihre Angst vor der Kamera, vor den Scheinwerfern, das
Lampenfieber im wahrsten Sinn, bewirkt hat, gibt ihrer Rolle eine wunder-
volle Resonanz. Sie wirkt, wie sie immer sein wird, unendlich einfach; die
leidvolle Vollkommenheit ihrer Melancholie hat etwas von einer Ballade.
Und wenn Bahizs einmal von ihr sagt, daß in ihrer Schönheit alle Trauer der
Reinheit einer in sich selbst verkapselten inneren Schönheit, der fröstelnden
Empfindsamkeit des "noli me tangere" läge, so kommt dies in keiner Rolle
so zum Ausdruck wie hier.

Greta Garbos Spiel harmoniert in vollkommenster Weise mit der reifen


Kunst Asta Nielsens, die vor dem Mord fast kindhaft scheu wirkt, kaum belebt
von einem armseligen Verlangen nach einem bißeben Glück. Nach und nach
aber wird ihre schmerzliche Passivität von einem tragischen Pathos erfullt
Ihre Maske eines sterbenden Pierrots bekommt einen unsagbaren Ausdruck,
verstärkt eine gleichsam gefrorene Leidenschaftlichkeit. Wenn sich ihre
schweren Lider ftir einen Augenblick schließen, wenn ihre Hand über die
Leinwand irrt, so benimmt uns ihr unseliges Geschick den Atem. Ihr Gang ist
unendlich müde, ungeschickt, als seien ihre Beine aus Holz; sie scheint von
Anfang an besiegt, zertreten, auserwähltes Opfer für alles Elend auf Erden.
Viele Szenen, die sonst nichts als hohle Sentimentalität und Kitsch-Schablone
sein würden, gewinnen durch ihre Gegenwart Leben.

lm Grunde weiß Pabst das Milieu der Schieber und ihrer teuren Vergnü-
gungen weit geschickter wiederzugeben als das graue Elend der hungrigen
Leute. Er kann kaum der Versuchung widerstehen, dieses Elend pittoresk zu
verschminken. (Man denke nur an jene Einstellung im Absteigequartier, wo
der amerikanische Offizier ausruft, er sei gekommen, Elend zu konstatieren,
konstatiere aber nur Ausschweifungen - und Pabst läßt ihn eine falsche Tür
beim Weggehen aufreißen: dabei präsentiert sich ihm, als sozusagen leben-
diges Bild, ein recht kitschiges Klischee vom "Elend in der Hinterstube".)

Für die LIEBE DER JEANNE NEY verzichtet Pabst in einigen Szenen

258
auf das allzu betonte Halbdunkel einer Atelier-Architektur und dreht eine
Reihe von Einstellungen in Pariser Straßen. Aber ftir die nächtliche Straße
mit dem Stundenhotel greift er genau wie ftir die Russenstadt wieder auf
Atelierbauten zurück, weil er ihrer romantischen Stimmung bedarf. Vielleicht
zeigt gerade diese Zwiespältigkeit, dieses Schwanken zwischen Stimmung und
Realismus, das in der Architektur der immer als realistisch gerühmten LIEBE
DER JEANNE NEY zum Ausdruck kommt, daß Pabst im Grunde kein
Realist ist Betont er doch selbst einmal, daß er realistische Sujets immer zu
stilisieren bemüht sei. Iris Barry hat das erfaßt, wenn sie in ihren "Footnotes
to Films" schreibt, daß Pabst seine Einstellungen so montiere, daß ihre An-
ordnung eine "realistische IDusion" verstärke.

Wenn demnach Pabst das Verlangen zeigt, eher "wie wahr" als "wie schön"
zu sagen, so wird er niemals eine Einstellung verwerfen, in der das Pittoreske
sich dem Dynamischen beigesellt

Vielleicht erklärt dies auch zum Teil, warum Pabst in seiner BÜCHSE
DER PANDORA ganz bewußt Atelierbauten verwendet Es ist nicht Wede-
kinds expressionistisch kontrastierter Stil - den man hier im übrigen kaum
mehr durchspürt -, der ihn dazu veranlaßt hat Pabst sieht im Sujet nur das
Phantastisch-Malerische, das Symbolhafte, das sagt ihm zu. Andrej Andrejew
schuf ftir ihn ein aus Nebeln gebautes London, ähnlich wie wir später bei
Fords INFORMER ein nebliges, verschwimmendes Dublin fmden werden.
Immerhin zeigen gerade jene London-Szenen, daß Pabst zuvor Teile von der
LIEBE DER JEANNE NEY in wirklichen Straßen gedreht hat Nichts ist hier
allzu pointiert Gleißende Profile, denen Pabst in der Schiffsszene nicht ganz
widerstehen kann, sind ftir die atmosphärisch gestalteten Visionen als unnötig
erachtet worden. Es mag allerdings sein, daß die Nebeljene Schleier bedeuten,
die der nordische Mensch, laut Warringer, so gern zwischen sich und der
Natur bestehen läßt Auf alle Fälle sind weder Lupu Pick noch Pabst die
"Champions des Realismus", für die sie das Ausland so oft ausgibt Und bei
Pabst bestätigt ein Film wie der PROZESS die Tendenz, über den Realismus
hinauszugelangen. ·
*
DIRNENTRAGÖDIE ist ein Film von Bruno Rahn, einem Regisseur,
der sich als sehr ungleichmäßig erwiesen hat. Rahn hat eine Reihe von soge-
nannten "Sittenfilmen" und ein paar recht kommerzielle Lustspiele gedreht.
Schon die Titel verraten, daß es sich um wenig Qualitätvolles handelt. Und
wenn sich in seinem Schaffen DIRNENTRAGÖDIE als etwas Ungewöhn-
liches erweist, so liegt das zum großen Teil an Asta Nielsen und dem echten
Pathos ihrer Rolle. Wenn sie den Mann anschaut, der ihr so unendliches Leid
zufügt, wenn sie sich mit müder, schwerer Hand schminkt, als wüßte sie,
alles sei vergeblich, so ist sie unvergleichlich. Es ist der einzige Film von Wert,

259
den Bruno Rahn geschaffen hat (belanglos erscheinen daneben seine KLEIN-
ST ADTSÜNDER, die Filmbücher des Auslands immer wieder hervorheben,
weil man gerade diesen Film als Werk des Regisseurs der DIRNEN-
TRAGÖDIE außerhalb Deutschlands zu sehen bekommen hat) Das istseine
Tragödie gewesen. V~rbittert ist Rahn vorzeitig gestorben.

Die DIRNENTRAGÖDIE steht am Übergang zwischen dem "phantasti-


schen Sozialen", wie Pierre MacOrlan es nennt, und einem neu erstrebten
Realismus, der im deutschen Film nicht von einer gewissen Stilisierung los-
kommt. Im Gegensatz zu der FREUDLOSEN GASSE spielt die Straße nicht
mehr die entscheidende Rolle, wird zur Staffage, obschon auch hier wiederum
Laternenlicht von düsteren Ecken herströmt, halbdunkle Hausflure sich
geheimnisschwer auftun. Aber es fehlt der fahle Phosphorglanz der Nacht-
szenen, in denen Verwesung zu schimmern scheint, der die FREUDLOSE
GASSE erfüllt, es fehlt der Schock zwischen Licht und Schatten wie im
Pabst-Film. ·

Mitunter- und das ist neu - ist die Straße jetzt nur ein Stück Holperpflaster
voller Löcher, über das Füße auf zu hohen, schiefgetretenen Absätzen hüp-
fen, auf dem schwere Stiefel des Zuhälters stampfen, Iauemd anhalten oder
Pantoffeln träge schlürfen. Füße, Beine allein drücken die Müdigkeit des
Straßenmädchens aus, das den Kunden erwartet Denn die Straße und ihr
Pflaster haben längst die Seelen verschlungen. So bringt Rahn Meter auf
Meter nichts als Füße, immer nur Füße auf dem Trottoir, Füße auf schmut-
zigen, abgenutzten Treppenstufen. Und wenn er schließlich diesen anonymen
Füßen Körper und Gesicht verleiht, so bleiben seine Geschöpfe noch auto-
matenhaft, sie sind vom Schicksal Getriebene. Denn selbst als der Expressio-
nismus sich seinem Ende zuneigt, liebt es der deutsche Film, Symbole und
Prinzipien agieren zu lassen an Stelle menschlicher Wesen.

Hat Bruno Rahn diesen ungemein eindringlichen Effekt aus den Filmen
der deutschen Avantgardisten übernommen? Walter Ruttmanns BERLIN,
SYMPHONIE EINER GROSSSTADT mit ihren verfließenden Stimmungs-
impressionen, Hans Richters INFLATION und VORMITTAGSSPUK stam-
men aus dem gleichen Jahr wie die DIRNENTRAGÖDIE. Oder ist es ledig-
lich eine Erinnerung an die sich endlos dahinschleppenden Soldatenstiefel
in der Schneewüste aus Joe Mays HEIMKEHR?


Vielleicht ist es hier am Platz, einiges über den deutschen Avantgarde-
film, den sogenannten ,,absoluten" Film, zu sagen.

Für Viking Eggeling, der in Deutschland als erster absolute Filme zeich-

260
nete, bedeutet der Film nur eine Weiterführung seiner abstrakten Bildtafeln .
und ihre Transponierung auf Rollen. Ihn interessierte das Verhalten gewisser
Formelemente zueinander, ihre Anziehungs- und Abstoßungskraft, ihr Kon-
trast und ihre Analogie. In dieser Weise ist die Abwandlung seiner abstrakten
Figuren in DIAGONALSYMPHONIE zu verstehen.
Hans Richter geht über die Suche nach einer Gesetzmäßigkeit des Rhyth-
mus hinaus. Zeit-, Raum-, Farb- und Lichtprobleme werden weltanschaulich
mit einbezogen. Er will plastische Formen in Bewegung, ihre Dynamik und
Simultaneität einfangen. Der Rhythmus eines Objekts soll innerhalb von
Raum und Zeit veranschaulicht werden. Kurtz erkennt folgerichtig, daß es
Richter um die "rhythmische Urfunktion der Bewegung" zu tun war. Man
warf Ruttmann damals vor, "feuilletonistisch" zu arbeiten. Richter erklärt, daß
Ruttmann lediglich "Improvisationen mit Formen" gesucht habe, die unter-
einander durch Zufallsrhythmen verbunden seien. Im Gegensatz dazu hätten
seine und Eggelings Formen einen tieferen Sinn. Kurtz spricht geradezu von
den "wogenden, schwellenden Impulsen" der Ruttmann-Formen; man habe
den Eindruck, daß sich "organisch heranwogende Gebilde fressen, kämpfend
aufeinander stürzen, liebend umfangen". Das heißt also, Ruttmann bringt
gefühlsmäßige Momente, ein gewisses Erlebnis hinein. Nur so konnte er den
Traum Kriemhilds in den NIBELUNGEN ohne Stilbruch gestalten.

Der Einfluß der Avantgardisten auf ASPHALT, einen Film, den Joe May
im Jahr 1928 gedreht hat, ist unbestreitbar. Hier haben wir eines der charakte-
ristischen Beispiele dafdr, daß die UFA immer wieder bemüht war, flir ihre
Kassenfilme alle technischen Errungenschaften des künstlerischen Films zu
verwerten. Joe May läßt nichts aus: er profitiert vom Helldunkel, zeigt in einer
recht suggestiven Beleuchtung im Morgendämmern die Asphaltarbeiter aus
Ruttmanns Film BERLIN, bringt kühne Einstellungen, in denen man nichts
als ihre Beine sieht und die Werkzeuge, um den Asphalt glattzus1Bm:l'fen.
Dampf steigt, die Riesenwalze mit ihrem Rädergetriebe löst sich auf in Ober-
blendungen, Einblendungen. Es ist, als sähen wir eine Symphonie der Ma-
schinen, wie sie die französische Avantgarde schuf. Von allen Seiten her
kommen gleichzeitig wiedergegebene Einblendungen, die sich in der Schräge
verquicken, wandeln, zu wechselvollen Visionen steigern. Zwischendurch
wiederum fegt die Kamera wie in einem sachlich gehaltenen Dokumentarftlm
in großzügigem Panorama über die Straßen und ihre Marktkarren. Wir kennen
alle diese Bilder bereits, und wenn hier die Straße im Wirbel des Getriebes
gezeigt werden soll, so wissen wir, daß Ruttmanns BERLIN und Richters
RENNSYMPHONIE den Weg gezeigt haben.
Aber May hält nicht durch: er will einerseits das Lied der Lieder der un-
barmherzigen, gleichgültigen Straße zeigen, wo sich Beziehungen anknüpfen
und lösen, wo tragisches Begegnen stattfmdet, das von der Straße ignoriert

261
wird, wo brausender Autoverkehr wie eine Dampfwalze Zärtlichkeit zennalmt,
und so bringt er solche zerfließenden Impressionen immer wieder. Aber
andererseits schneidet er Einstellungen ein, in denen die übliche Luxus-
straße des UFA-Ateliers gezeigt wird, wo sogar ein paar echte Autobusse und
zahlreiche Komparsen agieren. Die sogenannten avantgardistischen Kühn-
heilen wirken daher recht oberflächlich und haben im Grunde in dieser recht
konventionell und banal gehandhabten Liebesgeschichte .keinerlei Berech-
tigung.

Aber wie schon in seinem überschätzten Film HEIMKEHR erinnert sich


Joe May, dieser geschickte Routinier, von Zeit zu Zeit daran, daß' er künst-
lerischen Ehrgeiz zeigen muß. Dann bringt er urplötzlich in dieser Luxus-
straße eine Einstellung von oben her, in der man auf den jungen Schupo
Gustav Fröhlich, der den Verkehr regelt, blickt, und diese Einstellung zeigt
dann seine Freude an einer wohlgeordneten Ornamentik des Bildes.

Andererseits benutzt May alle bereits zum Klischee gewordenen Errungen-


schaften des klassischen Films: in der Pariser Kaschemme verkleidet sich der
Gentleman-Einbrecher zum Angestellten des Gaswerkes; er wird dabei
lediglich als Schatten auf der Wand gezeigt In ebenso billiger Weise werden
geheimnisvolle Schattenspiele mit herangezogen, als der junge Schupo nach
dem Totschlag die Treppe zur Wohnung der Eltern hinaufwankt Und selbst
der Totschlag wird auf die beliebte Weise gezeigt: im Spiegel.

Im Grunde sind also Joe Mays avantgardistische Prätentionen recht äußer-


lich; seine routinierte Imitation ist, ohne daß er es gemerkt hat, in einer seiner
symbolischen Einstellungen recht gut charakterisiert: ähnlich wie hier von
allen vier Ecken Straßenbahnen in Einblendungen auf den Vogelkäfig in der
Mitte zustoßen, ist sein geschicktes Regietalent von den von ihm herbei-
zitierten Avantgarde-Elementen überrannt worden. (Joe May spielt mit dem
Symbol des Vogelkäfigs als Sinnbild bürgerlichen Lebens, des Familien-
friedens. Aber wir erinnern uns nur zu gut, wie Stroheim in GREED das
gleiche Motiv vom Vogelkäfig mit seiner scharfsichtigen Grausamkeit weit
eindringlicher auszuwerten verstanden hat.)

Joe May kann nicht die letzte Konsequenz ziehen: so wird ein sogenannter
"schwarzer" Film lediglich verspielt und gerät mit seinen recht beliebig behan-
delten Kontrastwirkungen völlig ins dekorativ Schwarz-Weiße.

262
...... 8 ............... ---· - · · ..... .,.

DIE STRASSE von Karl Grun

DIE. FREUDLOSE GASSE von G. W. Pab!


263
izze von Otto Hasler für M

kizze von Alfred Kubin (1877-1959)


264
Asta Nielsen als HAMLE

265
XVI.

Die Entwicklung des Kostümfilms


"Tart41f'' (1925) von F. W. Mumau

Wirkliche Kunst ist eirifach. Aber Eirifach-


heit verlangt die größte Kunst. Die Kamera ist
des Regisseurs Zeichenstift. Sie sollte so beweg-
lich wie möglich sein, um jede flüchtige Stim-
mung einzr.ifangen, und es ist wichtig, dqß die
Mechanik des Films nicht zwischen den Zu-
schauer und den Fzlm gebracht wird.

F. W. Mumau im Jahr 1930 (nach


Ludwig Gesek: Gestalter der
Filmkunst, 1948).

267
De Transponierung einer Moliere-Komödie, die so charakteristisch franzö-
sisch erscheint, in ein deutsches Filmlustspiel mag ausländische Zuschauer,
vor allem Franzosen, schrecken. Dorine, die graziöse Kammerjungfer, hat die
imposante Statur von Lucie Höflich; die umfangreiche Taillenweite dieser
Schauspielerio wirkt ein wenig befremdend.
Ein moralisierender Prolog und ein im gleichen Ton gehaltener Epilog
sind gleichfalls etwas verwunderlich: es ist die Geschichte einer heuchleri·
schen Haushälterin, die einen armen Trottel, dessen Erbschaft sie erschleichen
will, langsam vergiftet Der Neffe führt dem senilen Onkel den Film TARTÜFF
vor und enthüllt damit die Heuchelei der Erbschleicherin. Auftakt und Ende
sind also im Grunde unnötige Anfügungen, aber unerhört schöne, kühne
Einstellungen lassen uns ihre Nutzlosigkeit vergessen.
Für Murnau wird, wie später in der BÜCHSE DER PANDORA von
Pabst, das Gesicht eines Darstellers gleichsam zu einer Art Landschaft, die
von der Kamera bis in ihre kleinsten Winkel unablässig erforscht und durch·
forscht wird. Das Kamera-Auge fmdet immer wieder neue Einstellungen, die
unvorhergesehen und überraschend erscheinen. Immer wieder Iieue Flächen,
die zu konfrontieren sind. Karl Freunds Kamera-Linse scheint alle Vertie-
fungen, Krümmungen, Ungleichheiten dieser ungeschminkten, in Groß-
aufnahme festgehaltenen Gesichter zu durchwühlen, alle Falten, jede Mund-
bewegung,jedes Augenzwinkern aufzufangen. Sie bringt mit Sommersprossen
und faulen Zähnen alle Laster zutage, die sich verstecken; Höhen und Tiefen
eines Antlitzes bekommen im Halbdämmer ein bewußtes Relief, Licht model-
liert Kurven und Kanten.

269
Später, im Jahr 1928, hat Kar! Freund in einem Interview für "Close Up"
erklärt: "Die Kamera-Arbeit ftir TARTÜFF war äußerst interessant. Ich habe
den Prolog wie den Epilog in einem modernen Stil fotografiert und den Schau-
spielern jedes Schmin.~en verboten; ich habe sie in den unerwartetsten Ein-
stellungen aufgenommen, dagegen die eigentliche Handlung der Film-
komödie selbst künstlerisch verflaut, wie durch eine Gaze hindurch foto-
grafiert."

Dieses Verfahren kündet bereits gewisse halb verschwommen gehaltene


Einstellungen im FAUST an, wo F. W. Mumau die neuen plastischen Werte,
die er im Prolog und Epilog des TARTÜFF gewonnen hatte, weiterentwickelt.

Es ist interessant, die Beweglichkeit der Kamera zu verfolgen, die in der


Haupthandlung dem Darsteller nachspürt, ihm nachrollt: Tartüffs Rücken
erscheint immer größer, füllt schließlich völlig den Türrahmen, während wir
ihn langsam gegen den Hintergrund vorschreiten sehen. Dieser Rücken be-
kommt durch das Heranfahren der Kamera gigantische Ausmaße. Man be-
obachte die Begegnung von Orgon-Krauss und Tartüff-Jannings auf den
Treppenstufen, jenen Zusammenprall zweier Bewegungen, die von der Ka-
mera meisterhaft aufgenommen werden. Zuerst sehen wir nur zwei parallele
Figuren: Tartüff belauert Orgon, der ihn nicht bemerkt; plötzlich wird eine
Großaufnahme des riesigen Gesichts von Tartüffwie eine Drohung einmon-
tiert, dann sieht der Zuschauer in einer neuen Einstellung Orgon vor dieser
Drohung zurückweichen, danach, in einer weiteren Einstellung, den Rücken
von Tartüff, der gegen den wieder zurückweichenden Orgon vordringt.

Diese beiden Einstellungen, die in einem Verfahren, das die Franzosen


als "champ" und "contrechamp" bezeichnen, gehalten sind, bedeuten die
optische Ankündigung eines Umschwunges von besonderer Eindringlichkeit:
die Faszination, die der falsche Fromme auf den gläubigen Orgon ausübt,
seine Herrschaft über ihn wird in schreiender Deutlichkeit vor Augen geführt.
Eine weitere Großaufnahme, die uns jetzt das ungeheure Gesicht von Tartüff
zeigt, das in einer Schräge die ganze Leinwand fiillt und das sich über einen
Organ beugt, von dem gerade nur noch das Proru am Rande der Leinwand
sichtbar wird, bestätigt diese Hörigkeit intensiv. So sindjede Einstellung,jeder
Kontrapunkt der Aufnahmen ausgewogen, um an der Handlung selbst teilzu-
nehmen. Hier bedeutet die erste Großaufnahme gewissermaßen eine Art von
Präludium, und die letzte ist die endgültige Schlußfolgerungjener Szene.

Und wie im Prolog und Epilog kann eine einzige Großaufnahme alles
über den Charakter einer Figur aussagen; die Kamera bringt die Heuchelei
Tartüffs ans Licht, als sie seine spitz wie ein Zuckerhut zulaufende Schädel-
form mit den, angeklebten spärlichen Haaren zeigt, die zu seiner Erbärmlich-
keit passen. ·
*

270
Die edlen Konturen einer schlicht und sparsam gehaltenen Architektur,
die Herlth mit der Hilfe von Röhrig geschaffen hat, fügen sich dem Spiel der
Kamera ungezwungen ein; die schwingenden Kurven von Kannelüren, das
elegante Profil eines Halbpilasters, da~ Spitzenfilet einer Treppenbalu-
strade in graziöser Ziselierung, die im Kerzenschein auf die Wand belebte
Schatten wirft, erhöhen den Reiz der Atmosphäre des Dixhuiti~me. Murnau
versteht es, Nuancen von Schwarz, Grau und perlmuttfarbenem Weiß zu ver-
schmelzen. Jedes Architektur-Element bekommt seine Rolle in der bewegten
Handlung: ein ungeheurer Leuchter vor einer glatten Mauer bildet den
Kontrapunkt zu der starren, dunklen Form Tartüffs, der in dürrem Sektierer-
eifer hin- und herschreitet Die Voluten einer Freitreppe nehmen den grazilen
Fluß eines Reifrocks, der die Stufen hinunterhuscht, auf.

Einen Augenblick fangt die Kamera die anmutsvolle Architektur von drei
Etagen ein: auf der obersten öffnet sich eine Tür gerade so weit, um Tartüff
durchzulassen, der einer ungeheuren Fledermaus gleich hinunter zum Parterre
flattert. Alsbald öffnet sich eine andere Tür, und die Kamera beugt sich mit
Dorine über die Treppenrampe: wir sehen mit ihr auf den Fliesen der Halle
einen hellen Lichtstreifen unter der kaum geöffneten Tür. Murnau und Carl
Mayer wollen damit lediglich zu verstehen geben, daß Tartüff in die Falle geht,
wenn et in Elviras Schlafzimmer eindringt Und jetzt steigt Dorine ihrerseits
hinunter, sie hält eine Kerze, deren Flackern durch das Treppenhaus geistert.
Die Kammerjungfer eilt, um Orgon zu warnen. Wiederum lassen sich Mayer
und Murnau nicht die Gelegenheit entgehen, noch eine Tür zu einem Zimmer
zu öffnen, durch die hier ein stärkeres Licht strahlt. Diese an sich nicht allzu
lange Passage wird also zu einer wahren Beleuchtungssymphonie. Sie offen-
bart zugleich das geheime Leitmotiv des ganzen Films: als Allegretto öffnen
und schließen sich im rhythmischen Schwunge Türen; wie bei einem Andan-
tino gleiten Ober die Tonleiter der Treppenstufen immer wieder im bewegten
Hinauf und Hinab die Hauptpersonen. Vorhänge werden auf- und zuge-
schwungen, halb verstecken oder zeigen sie eine Gestalt. Stores, hinter deren
Transparenz sich das Fensterkreuz verschwimmend abzeichnet, werden
hinuntergezogen, um stimmungsvolles Dämmern zu verbreiten.

Und plötzlich bekommt die Filmkomödie, die uns noch eben eine Art
von "Minna von Barnhelm" schien, das Duftige eines Mozart-Intermezzos;
die dicke Dorine erscheint weniger schwerfallig, weniger preußisch, sie
nimmt, man weiß kaum wie, Züge einer Chardin-Figur an.

Bewundernswert ist in diesem Mumau-Film der Gleichklang von Kostüm


und Umgebung. Mitunter sieht man den schwarzen Asketenrock von Tartüff
sich scharf von dem weiten, glatten Hintergrund abheben, oder vor diesem
Fond schimmert ein Atlaskleid, dem dunkle Spitzen die Form geben. Vor dem
Samtglanz eines weitfallenden, weitfaltigen Vorhangs hebt sich das Filigran

271
I einer Bettdecke ab und bringt die Zartheit eines Deshabilles zur Geltung. Und
I
alljene Duftigkeit tritt noch mehr in Augenschein, wenn die bäurische Tölpel-
haftigkeit des Tartüff-Jannings sie jäh durchbricht und sich auf dem Spitzen-
I
bett räkelt. Schlank, höchmütig verschlossen steht vor dem trunkenen Flegel
I
die schöne Elvira-Lil Dagover.
I

I Wie ein Echo Watteaus sucht F. W. Murnau das Perlmutt eines wollüstig
I gebeugten Frauennackens wiederzugeben, spielt mit den Nuancen einer
I
Seidenrobe, auf der sich Licht und Schatten spiegeln. Bei den deutschen Film-
regisseuren hat sich mehr und mehr ein Fingerspitzengefühl ftir die Kostüm-
I
frage ergeben. Jeglicher Verismus einstigen Theater-Requisitenkrams ist seit
I langem verschwunden. Robison und Ludwig Derger schwelgen in MANON
I LESCAUT und im VERLORENEN SCHUH im Aufzeigen gedämpfter
I Samtreflexe, lassen rieselnde, halbgeknitterte Seidenflächen aufleuchten.
Lubitsch wird keine Gelegenheit verpassen, seidige Flächen zu beleben, sie
I vibrieren zu lassen, verschwenderische Draperien über spiegelndem Parkett
I
aufzubauschen. Die deutschen Filmkünstler, die bestrebt sind, die Tiefen
der Leinwand zu durchdringen und mit Schattendunkel zu manipulieren,
I sind zugleich dazu gelangt, Oberflächen spielerisch zu beleben.

Formen bilden sich und verschwimmen: in der schimmernden Biegung


einer Silberkanne erblickt Tartüff beim Stelldichein mit Elvira das Antlitz
des hinter dem Vorhang versteckten Orgon im Zerrbild. Wir finden einen
ähnlichen· Vorgang in Emö Metzners Kurzfilm ÜBERFALL, und hier
können wir die völlig andere Absicht konstatieren. Wie Abel Gance in seiner
FOLIE DU DR. TUBE, sucht Metzner mehr den Zufall einer seltsamen
Verzerrung. Für Mumau bedeutet eine spiegelnde Wandung willkommene
Gelegenheit, im impressionistisch bewegten Spiel den Wandel von Formen,
ihr Ineinandergleiten und Verschwimmen wie bei Anamorphosen einzu-
fangen.

Die Transponierung von Moliere-Komödien, ihr Übertragen ins Deutsche,


zeitigt seltsame Resultate. Heinrich von Kielst hat bei seiner A~tierung
"Amphitryon" in eigenwilliger Weise vertieft, ins 'Iiagische umgebogen: die
geistvolle Komödie von dem Ehebruch eines Gottes wird zu der zerquälten
Geschichte einer Frau, die zwischen zwei Liebenden hin· und hergerissen
wird, und zu der von einem Gott, der im Grunde mit a11 seinem Sehnen nach
einer Menschen-Existenz ein armer Teufel ist und der Amphitfyon beneidet,
den keineswegs lächerlich gesehenen Hahnrei.

Mit TARTÜFF verhält es sich ähnlich: der F'llm mag die Komödie be-
schwert haben, aber man spürt eine merkwürdig schmerzliche Unrast; wir
ftihlen, daß selbst ohne Tarti.iff die Ehekonflikte tllr Orgon und Elvira nicht
besser werden können. Es gibt in Wirklichkeit kein eigentliches "happy
ending" für diese Tragikomödie von F. W. Mumau.
Grabbe,jener deutsche Dichter mit der zerrissenen Seele, hat eines seiner
Stücke einmal "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" genannt "Tiefere
Bedeutung" könnte der Titel für so manches Werk eines deutschen Künstlers
sein, mag es sich um einen Diqhter wie Heinrich von K.leist oder um einen
Filmschaffenden wie Mumau_.handeln.
Es ist stets die andere Seite der Dinge, die ihre Verzweiflung aufzu-
i suchen strebt
!

273
.RTOFF von F. W. Murnou

\RTOFF
274

.~·
XVII.

Das Kamera-Auge E. A. Duponts


,.Das alte Gesetz" (1924)- ,.Variete" (1925)

Die Menschen, die löffelweise, keiner wußte


vom anderen, in den Zirkus geflattert waren,
eine kolossalische Rotunde des Staunens,
saßen zu Massen verkeilt ... An den Rang-
geländern liefen Ornamente erregter Hände
entlang, Bogenlampen schwangen ihre ener-
getischen Milchkübel.
Carl Einstein: Bebuquin oder die
Wunder.des Dilettanten (Expres-
sionistischer Roman).

275
Nicht ganz ohne Grund haben uns die Tonfilme von Ewald Andre Dupont,
angefangen beim ersten Film ATLANTIK, enttäuscht. Die EinfUhrung des
Wortes trifft Dupont schmerzlicher als viele andere Filmschaffende. Er ist
ein Augenmensch, er versteht es, seine Darsteller dekorativ im Raum zu ver-
teilen, aber er vermag ihnen keine Ausdruckswerte zu verleihen, wenn sie
diese nicht selbst besitzen. Seine Stärke liegt auf einer anderen Ebene.

Eine Kopie des ALTEN GESETZES, die von Henri Langlois, dem Schöp-
fer der Cinematheque Franyaise, aufgefunden wurde, kann uns die wirklichen
Eigenschaften Duponts vor Augen führen: er weiß Nuancen bewegt wieder-
zugeben, sie schimmernd zu beleben, seine Licht- und Schatten-Palette un-
endlich reizvoll zu variieren. Er sucht nicht die Reglosigkeit der nur orna-
mental gesehenen Form, nicht, wie manche deutsche Filmregisseure, eine
dekorativ-geometrisch fixierte Stilisierung. Er bringt Valeur gegen Valeur,
strebt danach, das Fluten des Helldunkels durch Aufsetzen von in Schwarz-
Weiß-Kopien noch fl.ihlbaren Farbmomenten zu beleben. Hier ist es eine
karierte Weste, dort ein gestreifter Rockkragen oder eine buntverzierte
Blumenvase, ein GoJWID.-die diese Rolle übernehmen. Die Interieurs durch-
flimmert stimmÜng.svolles Dämmern, das sich der Situation anpaßt, der sam-
tige Schatten mischt sich mit dem seidigen Schimmern von Kerzenlichtem.

Vor einem Fenster komponiert Dupont ein Kammerspiel: Ernst Deutsch


steht in scheuer "Seelensprache" neben Henny Porten, und die Schottenseide
ihrer Krinoline spiegelt sich sanft in der Fensterscheibe wider, während den
dämmerigen Salon Schweigen umhüllt. Oder: das junge Mädchen, das um
den fortgegangenen Geliebten trauert, verbirgt verzweifelt ihr Antlitz in den
Kissen ihres Bettes, um sie herum hat Dupont die Falten ihres Kleides

277
behutsam anordnen Jassen, damit wir der ganzen blütenhaften Biegsamkeit
ihrer Haltung gewahr werden.

Das Zeitkostüm .hat nichts mehr von einer Verkleidung, Daguerrotypien


sind lebendig geworden; Krinolinen gleiten über das Parkett, schwingen über
frische Rasenflächen. Der leuchtende Reichtum von sich wandelnden, ver-
fließenden Impressionen entzückt das Auge.

Und selbst in den ländlichen Ghetto-Szenen weiß Dupont mit unend-


lichem Feingefühl die dunklen Töne zu beleben, mit Hilfe seines Kamera-
mannes Theodor Sparkuhl Kontrast-Härten zu vermeiden. Das Verschwim-
mende einer Radierung aus der Rembrandt-Schule scheint auszuströmen.
Es genügt, diese Passagen mit ähnlichen Szenen im PROZESS von G. W. Pabst
zu vergleichen, jenem Film, der im gleichen orthodoxen Milieu spielt, um
den Takt und das außergewöhnliche Feingefilhl von Dupontzu ermessen.

*
In VARIETf: geht die rein ästhetische Intuition Duponts noch weiter.
Er bedient sich der letzten Elemente eines ersterbenden Expressionismus:
finstere Gefängnismauem bekommen eine steile Schräge, die noch unerträg-
licher lastet als die der Mauem der Mietskasernen von METROPOLIS. Der
Gefängnishof wirkt wie ein Grubenschacht, auf dem sich weiß auf.schwarz
die Runde von heilgekleideten Sträflingen abhebt, die sich unaufhörlich im
Kreise dreht.

Oder Dupont zeigt uns lediglich den unpersönlichen Rücken eines


anonymen Sträflings, der nichts als die Nummer 28 ist; dieser Rücken füllt
fast die ganze Fläche aus, und nur links von diesem Rücken, der geradezu
die Fläche zu sprengen scheint, erblickt man sehr weit hinten, einen Augen-
blick völlig verschwimmend, die winzige Figur des Strafanstalt-Direktors, der
teils wie ein braver Weihnachtsmann, teils wie der liebe Gott in Bilderbogen-
manier wirkt. Schließlich bleibt dank der Abblendung nichts weiter von dem
Riesenrücken übrig als der abstrakte Kreis mit der enormen Ziffer 28.

Dupont variiert dieses Verfahren, wenn er zeigt, wie Jannings am Rivalen


Rache nimmt: ganz vom sehen wir nur, von rückwärts aufgenommen, eine
massige Schulter, einen Hut, und über die Schulter hinweg, fern im Hinter-
grund, ganz klein den unterliegenden Verführer, dervor Furcht und Trunken-
heit zittert. Vor der Elementarleidenschaft des Rächers, den nur die macht-
volle Schulter in Rückansicht versinnbildlicht, erscheint der Rivale durch die
Einstellung erbärmlich klein, als er sich bückt, um mit unsicherer Hand das
Messer fUr den ungleichen Zweikampf aufzunehmen.

278
Dupont zeigt uns taktvoll nicht die einzelnen Phasen dieses Zweik8lllpfes,
deren schauerliche Details so manchen Regisseur erfreut haben würden.
Die Kamera fixiert lediglich einen Augenblick, ohne dabei allzusehr Gewicht
darauf zu legen, das Bett, auf das der Verführer die Ha1bwillige gezogen haben
muß, zu zeigen. Dann sehen wir lediglich das Ende: ein erhobener Arm hält
einen Augenblick das Messer hoch, eine Hand öffnet sich, erschlafft, läßt die
Waffe zu Boden fallen, sinkt hinunter.

In ähnlicher Weise wird Pabst ein paar Jahre später in der BÜCHSE DER
PANDORA verfahren: hier sieht man als einziges Zeichen des Hinsterbens,
wie die Hand der Lulu aus der mörderischen Umarmung von Jack dem Bauch-
aufschiitzer langsam schlaff heruntergleitet

Kritiker der Zeit haben oft die überzeugende Weise gerühmt, mit der
Jannings "mit seinem Rücken voll Dramatik das Spiel ausdrückt". Aber ob-
wohl Jannings - soweit es seine naturalistische Konzeption zuläßt - den von
dem Vamp betrogenen Artisten mit einer für ihn seltenen Einfachheit ver-
körpert, bekommt der Zuschauer nach einer Weile ein wenig zu viel von
diesem "Spiel mit dem Rücken". Man sieht nur den Rücken von Jannings,
wenn er in der Strafanstalt durch einen jener typisch halbdunkel gehaltenen
Korridore zu der große Szene im Sprechzimmer des Direktors schreitet, wo
er wiederum nur von rückwärts gezeigt wird. Und man blickt auf Jannings'
kraftstrotzenden Rücken, wenn er im Lunapark den Anpreiser macht Nach
der ersten Szene, in der der Vamp - Lya de Putti - in den Wohnwagen ein-
dringt, ist es wieder nur der Rücken von JanD.ings, den man zu sehen bekommt,
wenn er sich schwerfällig und schon seiner sexuellen Hörigkeit bewußt zum
Ehebett in der Schlafecke hinter der Gardine begibt Und wenn Jannings in
dem Cafe lange auf die ihm den Betrug verratende Karikatur auf der Marmor-
tischplatte starrt, zeigt Dupont wiederum nichts als dessen breiten, an sich
regungslosen Rücken und die von rückwärts gesehenen, sich einkrallenden
Hände. Schließlich geht Jannings nach dem Mord durch den Hotelkorridor,
und wieder bringt ihn Dupont nur von hinten, zeigt, wie der Vamp, der sich
an ihn klammem will, von dem Vorschreitenden mit fortgeschleift wird. Diese
Einstellungen auf Jannings' Rücken, die in den verschiedensten Situationen
immer wieder gebracht werden, nutzen in ihrer stereotypen Wiederholung
die optische Intensität des Bildeffekts ab. (Wie weit eindringlicher weiß
Murnau den von rückwärts aufgenommenen Tartüff, dem die Kamera gleich-
sam auf den Hacken folgt, der Handlung einzugliedern; hier überzeugt diese
nur sparsam verwendete Einstellung, sie bekommt für den Zuschauer etwas
Überraschendes, Einmaliges.)
*
· Wenn wir die Atmosphäre des Lunaparks in VARIETE mit dem Jahr-
marktsgetriebe in CALIGARI vergleichen oder mit jener noch stilisierteren,

279
stark gekünstelten Jahrmarktsbuden-Nachtstimmung in dem WACHSFIGU-
RENKABINETT, so erkennen wir, worin Duponts Begabung besteht: er
versteht es, fließende Formen einzufangen, die sich unaufhörlich in Licht
I und Bewegung wandeJn. Überall sucht er leuchtende, wirbelnde Bewegung -
I er läßt hinter einem sich drehenden Ventilator ein kleines improvisiertes
I
Tanzfest der Artisten aufnehmen; das Wirbeln der Drehscheibe, Flackern
der Luft vermischt sich mit den sich windenden Leibern auf dem Tische
I
tanzender Frauen. Oder Dupont zeigt flir Augenblicke das Gesiebt von Jan-
I nings hinter der kreisenden Bewegung eines Thchs, mit dem der Artist seiner
erhitzten Partnerin Luft zufächelt
I
I
Dupont sucht also Impressionen einzufangen. Jedoch handelt es sich
I hier um einen Impressionismus, der im Grunde auf der expressionistischen
I
Abstraktion basiert. So läßt er einmal von oben her, über den verkürzt er-
scheinenden Körper eines auf seinem Trapez hin- und herschwingenden Ar-
I tisten die Zuschauer aufnehmen. Die Menge wird in diesem Schwarz-Weiß-
I Film fast zu einem buntscheckigen Etwas und wandelt sich zu verfließenden
Flecken, zu einer Art von bewegtem Mosaik. (Denn wir sehen die Zuschauer,
I
wie sie der hin- und herschwingende Artist erblickt.) Die sternenbesäte Decke
I des Berliner Wintergartens wird zu einem Sprühregen von Funken. Oder
Jannings auf seinem Trapez wird beim Anblick des Rivalen vom Schwindel
gepackt. Um ihn herum drehen sich trichterförmig blitzartig vorüberziehende
I Eindrücke. Rein optisch wird also offenbart, was in ihm vorgehl

Um die Erregung von Jannings bildlich auszudrUcken, läßt Dupont auch


Visionen, wie von einem Strudel weggerissen, vorübergleiten. Als Jannings
auf der Tischplatte die Karikatur entdeckt, die ihm verrät, daß er betrogen
wurde, bleibt er regungslos. Es ist die Umwelt, die um ihn zu wanken beginnt

Alle jene optischen Impressionen stammen noch vom Chaos eines


absoluten Expressionismus. Sie haben aber an Kraft und Eindringlichkeit
gewonnen, weil sie vom rein expressionistisch Schematischen befreit wurden.
Die Atmosphäre einer nächtlichen Großstadtstraße,in die man von der Music-
hall gerät, bekommt etwas besonders Faszinierendes, gerade weil jetzt nicht
mehr der forcierte Kontrast der vorangegangenen expressionistischen Stil-
Epoche erstrebt wird. Hier haben die Leuchtreklamen, die auftlammen und
sich verdunkeln, das Bogenlampenlicht, dessen Ausstrahlungen die Nacht
vibrieren lassen, nichts mehr gemein mit dem abstrakten Labyrinth gleißender,
geometrisch komplizierter Linien, die sich Ober dunkle Kubenformen legen.
Auch die Lunapark-Stimmung, jenes wirre Takelwerk von Stangen, Quer-
balken, Stricken, schwingenden Trapezen, Schaukeln, Riesenrad· und Karus-
sellschiffchen, behält das impressionistische Fluten und Fließen bei, das
rasche Bewegungs-Übergänge hervorrufen.

280
Aus solchen Gründen bekommt das Schwarz und Weiß von Duponts
VARIETE eine ungemein optische Eindringlichkeit und Lebendigkeit, die
einem farbigen Eindruck nahekommen. So gleiten die weißen Figuren der
drei Akrobaten, bevor sie die Luftnummer beginnen, im verdunkelten Raum
an der bewegten Masse der Zuschauer vorüber, deren Reihen in der Ver-
schwommenheit der Impression im Dunst der Scheinwerfer etwas von einem
wogenden phosphorglänzenden Meer bekommen. Vom schwarzen Hinter-
grund heben sich die weißen Trikots, die bleichgepuderten Gesichter gespen-
sterhaft ab, die Körper werden von den Lichtkegeln der mächtigen Scheinwer. \
fer erfaßt, erhalten eine leuchtende Plastik, werden dreidimensional;· neue ·
Lichtkegel gesellen sich hinzu, durchbohren den dunklen Raum, verstreuen
sich, um dem jeweiligen Aufstieg dieser Luftkreaturen auf ihren Leitern zu
folgen. Einen Augenblick wird die Kamera unter einem dieser aufsteigenden
Körper eingestellt, als fange sie in liebevollen Details jede Bewegungsphase
ein, sie fixiert den verbogenen Körper in einer fantastischen Verkürzung, bis
er sozusagen nur noch als eine weiße, rein omamentale Krabbe erscheint.
Man spürt die Massenerregung, die die Zuschauermenge beim Salto
mortale ergreift, die Blutgier des Ungeheuers mit den tausend Köpfen. (Sobald
sich jedoch die Kamera nähert und die Menge sich in Einzelpersonen auflöst,
endet die halluzinierende Wirkung: Dupont bringt weiter nichts als banal
naturalistisch gesehene Karikaturen.)
Aber einen Augenblick wird die Menge unter dem Netz eines Funken- '
regens zu einem Fluten aufquellender unzähliger Augen, zu einer Art von
Morast, aus dem wie aus einem Lavaboden Blasen aufsteigen. Hier noch ist
für Dupont die Bewegung alles. Wenn Lang einmal bei der Galavorstellung
der falschen Maria ein solches Meer von gierig starrenden Augen bringt, bleibt
die Vision eine statische, wird zum fixierten Ornament.
Kar! Freunds Kamera folgt voller Bewegung den sich durch den Raum
schwingenden Körpern, die einander zuschnellen, aneinander vorbeigleiten,
sich kühn überschlagen oder jäh hinunterzustürzen scheinen, in ein Filigran \
von Kabelwerk und Seilen hinabtauchen, hochschnellen. Selbst die Luft-
akrobaten-Nummern, die Mumau ein paar Jahre später in seinem amerika-
nischen Film DIE VIER TEUFEL mit all seiner optischen Magie gestaltet,
haben diese unnachahmliche Virtuosität nicht aufzuweisen.

In dem Strudel von Licht und Bewegung bleibt die Liebespassion ein
wenig im Hintergrund: es ist die alte Geschichte vom trivial üblichen Dreieck,
dem sich das Leierkastenlied vom .,kühnen jungen Mann auf dem fliegenden
Trapez" zugesellt

281
Gelegentlich versucht Dupont, dem Akrobatenmilieu eine Kammerspiel·
stimmung unterzumischen: so zeigt er uns Janni!'lgs in Gedanken versunken,
im Schein einer einzigen elektrischen Birne am Sehminktisch. Und im Caf6·
I haus spiegeln sich Lichter in opalisierenden Gläsern wider.
I -
Dupont weiß, welches Spannungsmoment das Hervorheben eines Ob·
I jektes bringen kann, wie es eine Atmosphäre verdichtet, eine Situation pathe-
I tisch verschärft. Jannings' derbe Finger krampfen sich in Großaufnahme um
I
ein kleines Likörglas; in regelmäßigen und darum so enervierenden Abstän-
den fällt vom Ausgußhahn im Wohnwagen ein Wassertropfen, fällt und fällt
I Aber Dupont hat nicht die gleiche Ausdruckskraft, die Pudowkin eigen ist,
I der in MUTTER einen solchen grausig regelmäßig fallenden Tropfen auf-
nimmt und im Stummfilm allein durch das Bild sein Fallen hörbar macht.
I Dupont will die Monotonie des Daseins im Wohnwagen klar machen, aber
I er bringt sich um diesen Effekt, weil er eine schwerflillig-komische Analogie
I
herbeiholt: von der Wiege des Babies fallen, als der Hahn zugedreht ist, jetzt
auf einmal im gleichen regelmäßigen Abstand Tropfen.
I
I Dupont hat besondere Freude an lang ausgespielten symbolisch-kontra-
stierenden Situationen: Jannings starrt zum Beispiel fasziniert auf den Rücken
der tanzenden Lya de Putti auf dem Podium, um daM müde und wie ange-
ekelt einen Augenblick die Augen auf den gebeugten, im alten faltenreichen
Kleid unförmig erscheinenden Rücken seiner Frau am Klavier zu richten.
Seine Augen ziehen auch den Vergleich zwischen den wohlgeformten Beinen
der Tänzerin und den herabhängenden gestopften Wollstrümpfen der Klavier-
spielerin.

Hier verstehen wir, warum in Duponts Film DAS ALTE GESETZjene in


manchen Filmgeschichten gerühmte Szene zwischen dem Theaterdirektor
Heinrich Laube und dem jungen Schauspiel-Eleven nicht mehr so wirkt,
wie es einst der Fall gewesen ist: Dupont sucht dort das Vorsprechen ellipsen-
artig zu gestalten, indem er die Kamera lediglich auf den Theaterdirektor
richten läßt und zuerst nur die Gleichgültigkeit des kaum Zuhörenden auf-
zeigt. Plötzlich horcht Laube auf, hält mit dem Essen inne, sein Gesicht be-
kommt einen gespannten Ausdruck. Dupont zeigt also nicht den deklamie-
renden Debütanten, sondern nur den Eindruck, den sein Deklamieren auf
den Direktor macht. Ein damals neues Verfahren. Aber auch hier wird alles
zu umständlich ausgespielt; Dupont erreicht deshalb nicht die gleiche Wir-
kung, wie sie zum Beispiel Lubitsch mit seinen berllhmten, rasch montierten
Einstellungen zuwege bringt, die blitzartig Situationen interpretieren und in
elliptischer Verkürzung Bildeffekte akzentuieren.

Mitunter zeigt jedoch VARIETE, daß sich Duponts Montagetechnik, ge-


messen am ALTEN GESETZ, weiterentwickelt hat, daß gewisse Szenentrotz

282
ihrer Symbolhaftigkeit diskreter werden, nicht etwa nur vom Manuskript her.
. So öffnet der Verführer, der auf das Kommen der jungen Frau lauert, das
Fenster, um dann, als er sie ins Zimmer gezogen hat, einen Vorwand zu
haben, die Tür des Zugs wegen schließen zu können; er läßt die Jalousie
herunter, um sie nachher, als die Frau gegangen ist, wieder- und hier wird
das Schweigen und das Ellipseverfahren unendlich beredt - hinaufzuziehen.

Doch meistens kann Dupont dem Auskosten symbolischer Bildwirkungen


nicht widerstehen: als der Vamp in den Wohnwagen hineinsteigt, ist es gleich-
sam das Schicksal, das eindringt. Dupont zeigt von Lya de Putti zuerst nur die
Stirn und zwei große Augen; dann erscheint langsam, als erhöbe sich die
Sonne, ihr ganzes Gesicht. Eine banale Szene aus dem Jahrmarkttreiben wird
zu einer pathetisch gestalteten Metapher umgewandelt.

Vielleicht ist die schwerflillige Symbolik, zu der Dupont neigt, mit ein
Grund dafür, daß er in der Tonfilm-Ära nicht mehr Filme von der Qualität
des ALTEN GESETZES oder VARIETE drehen konnte. Obwohl er als
erster erkannt hat, was die Lautkulisse dem Bild zu geben vermag und sie in
ATLANTIK recht geschickt verwertet, offenbart der Dialog jedoch die Um-
ständlichkeit, zu der Dupont neigt, wenn er sich nicht völlig allein der Bild-
wirkung überläßt, sondern Sinnbilder sucht. Schon der Stummfilm MOULIN
ROUGE hat nicht mehr die visuelle Magie, die VARIETE ausströmt. Dupont
bringt allzuviel Detail, der Vorgang zerflattert in Regie-Einfällen, die sich
nicht organisch einfügen. Und SALTO MORTALE erscheint nur noch ein
schwacher Aufguß von alljenen Elementen, die VARIETE Leben gegeben
haben, Duponts optische Vutuosität gerät in einen Leerlauf.

Und so fragt man sich, ob man .es bedauern muß, daß Dupont, der heute
in Hollywood ein Lokal besitzen soll, nicht mehr Filme dreht.

283
e Natur Im Studio •••

SIEGFRIEDS TOD von Fritz lang


• und die wirkliche Natur

ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS von Arthur von Gerlach


284
,,_········-··;:»

WAHNSINN von Conrad Veidt

DER STUDENT VON PRAG von Galeen


285
, •••••••• .., •• 1::1 .., .................... ,.,""

R MODE TOD von Lang

)RGUS von Hans Kobe


286
":»tammung· · unter der Lampe

SYLVESTER von Lupu Pick

DIE STRASSE von Karl Grune


287
:rflnmung"

: BUDDENBROOKS von G. Lamprecht

U von Paul Czinner


288
"Stimmung"

VARIETE von E. A. Dupont

DER STUDENT VON PRAG von Henrik Goleen


289
itlmmung"

AS ALTE GESETZ MUTTER UND KIND von C. Froelich

/ARIETI~
290
Dramatasche Atmospnare

DIE LIEBE DER JEANNE NEY von Pabst

ALRAUNE von Galeen


291
rmosphärlsche Dichte

E MACHT DER FINSTERNIS von Conrad Wiene

:HERBEN von Lupu Pick


292
tchte "Stlmmung"

DAS ALTE GESETZ von E. A. Dupont

Falsche "Stimmung"

HEIMKEHR von Joe May


293
XVIII.

Höhepunkt des Helldunkels


"Faust" (1926) von Friedrich Wilhelm Murnau

Ein leicht begreifliches Zagnis überfiel mich,


als ich bedachte, daß ich zu meinem Ballett
einen Stoff gewählt, den bereits unser großer
Wolfgang Goethe und gar in einem Meister·
werk behandelt hat. Wäre es aber schon gtifähr·
lieh genug, bei gleichen Mitteln der Darstellung
mit einem solchen Dichter zu wetteifern, wieviel
halsbrecherischer m4ßte das Unternehmen
sein, wenn man mit ungleichen Wqffen in die.
Schranken treten wollte. In der Tat, Wolfgang
Goethe hatte, um seine Gedanken auszuspre.
chen, das ganze Arsenal der redenden Künste
zur Verfügung ... Ich wirke nur durch ein ma·
geres Libretto, worin ich in aller Kürze andeute,
wie Tänzer und Tänzerinnen sich ·gebärden
sollen ...

Briif Heinrich Heines zu seinem


Ballett "Dr. Faust".

295
···----·----

.. ...'·
~.

-.:-;~.::.
Der Auftakt dieses Films bedeutet den Höhepunkt, den die Verwendung des
Helldunkels in deutschen Filmen erreicht hat. Die chaotischen Dunst-
schwaden der ersten Einstellungen, das Licht, das aus Nebeln geboren wird,
die Strahlen, die hier eine Luftwand durchdringen, diese brausende, optische
Fuge, die durch die Weite des Himmels zu hallen scheint - das alles benimmt
uns den Atem.

Die leuchtende Fonn eines fast die Sinne verwirrenden Erzengels stellt
sich dem Dämon entgegen, dessen Konturen, obwohl sie wie aus Nacht ge-
fonnt wirken, ein grandioses Relief bekommen. Jannings, der den Dämon
verkörpert, verzichtet hier endlich einmal auf alle naturalistischen Mätzchen,
er erscheint gebändigt, ursprünglich wie am ersten Tag. (Doch kaum zur Erde
zurückgekehrt, wird Jannings als spanischer Kavalier wieder in naturalistische
Details verfallen und sich an die Rampe spielen.)

Kein Filmregisseur, nicht einmal Lang hat das Übernatürliche so eindring-


lich im Atelier erstehen lassen: ist es noch der Mantel des Dämons, der mit
seinen ungeheuren Falten eine ganze Stadt bedeckt, oder ist es nicht vielmehr
eine gigantische Wolke, die über ihr lastet? Wird die teuflische Dunkelheit
die göttliche Helle verschlingen? Wo sind die Grenzen dieser großartigen
Visionen?

In Fausts Studierstube setzt sich das nebelhaft fließende Licht dieses


schwelenden Auftakts fort. Nirgends sind willkürliche Kontraste zu sehen,
nirgends allzu scharfe Konturen, künstlich zerfetzte Schatten. Fonneoblühen
opalisierend aus dem Dunkel heraus. Und wenn Mumau sich vage an Rem-
brandts Faust-Radierung erinnert haben mag, so transponiert er doch die

297
Stimmung auf eigene \l{eise. Im quellenden Lichtdunst steigen Konturen auf,
und wie von einem unsichtbaren Pedal getreten, scheinen Akkorde vibrierend
nachzuhallen. Riesengroß steht der alte Faust im Auditorium vor dem Halb-
kreis der Schüler. Und wieder strömen Licht und Nebel. Hier wird Masse
gegen Masse, Valeur .gegen Valeur abgewogen, Formen wandeln sich, ver-
wischen sich, ein Bart, den Lichtstrahlen treffen, wird leuchtender Schaum,
Retorten spiegeln sanft auf bauchigen Rundungen vielfaltiges Schimmern
wider.

Ein Jahrmarktsbetrieb, der aller Heiterkeit beraubt zu sein scheint, zeich-


net sich nur matt im Nebel, bekommt etwas Gespenstiges; kein Sonnenstrahl
sickert durch die Buden. Die Purzelbäume und Sprünge des Hanswursts sind
wie eingefroren, Alles ist nur Vorahnung ftir das Unheil, das hereinbrechen
wird. Und plötzlich bricht Panik aus. Die Pestram alles hinweg, ein Sturm-
wind wirft die Gerüste um, zerreißt das armselige Zeltwerk. Parallel zu einem
Zeltfetzen, den der Wind einen Augenblick bläht, liegt schräg in die Tiefe der
verzerrte Leichnam des Spaßmachers. (Wenn Hans Kobe in TORGUS die
junge Tote auf der Treppe zeigt, so ist alles wohlgeordnet: der starre Körper
mit den ausgebreiteten Armen bildet ein Kreuz, die Locken sind gleichmäßig
verteilt, die Beine sorgfaltig zusammengelegt Auch Mumaus toter Spaß-
macher ist in den Bildeffekt wohlübetlegt hineinkomponiert, aber wir spüren
nichts von .Absicht, so organisch geht alles ineinander über. Die dekorative
Arabeske einer einstudierten Haltung ist durch den Vorgang selbst ersetzt,
der sich dynamisch in die Handlung einfugt Das wird noch deutlicher in jener
Einstellung, in der der Mönch, der sich vergeblich dem Zug der Genießer
entgegenstellt, von der Pest getroffen zusammenstürzt)

Wenn Nebel weichen, finden wir in diesem Film eine schwellende Plastik,
die aus Mumaus Liebe zum Visuellen geboren ist: wie Marmor leuchtet die
Maske der sterbenden Mutter, die Pestleichen auf den Treppen werden zu
gemeißelten Sarkophag-Figuren, ungeheuer prallen die Fußsohlen des Toten
aus der Fläche heraus. Köpfe werden unvergeßlich in ihrer fast dreidimensio-
nalen Eindringlichkeit, so der Tölpel mit der dumpf-frechen Fratze, der
schmatzend Gretchen am Schandpfahl begam, so die Köpfe der Chorkinder
mit den weitgeöffneten Mündern, voll unbewußter Unschuld und schön wie
zweideutige Botticelli-Engel. (Dreyer, der Murnau schon mit seinem VAMPYR
nahekommt, hat sich dieser Chorkinder-Antlitze fUr seinen DIES IRAE er-
innert.) Und der Plastik dieser kindlich vollen Gesichter steht Gretchens
Antlitz gegenüber, seltsam flächig-leer, von Schneeflocken wie geschlagen-
hier denken wir fast an das Antlitz von Lillian Oish im Schneetreiben von
WAY DOWN EAST.

Für Augenblicke gießt Licht Wellen auf die Gesichter. Über dem Antlitz
des sterbenden Mönches geistern die Schatten von Fliehenden, die selbst un-

~'"'
sichtbar bleiben. Licht strömt von überall her: auf Faust, der riesige staubige
·Kodexe verbrennt, auf die geschwärzte Gestalt von Mephisto, der mit dem
Feuer Zwiesprache hält, auf den Dunst eines Kreuzweges, dem in der Be-
schwörungsszene Flammenkreise entsteigen. Feuerlettern ziehen sich über
die Fläche hin und versprechen Faust, wie einst Caligari, Größe und Macht.
Aus dem Kirchenionern schwillt sanftes Leuchten, das zuvor mit dem
Andachtslied hoch ins Gewölbe gedrungen ist, zu einer dichten Mauer an,
vor der diejenigen, die der Finsternis geweiht sind, zurückweichen. So nehmen
Beleuchtungseffekte an der Handlung teil: als der wieder zum Dämon gewor-
dene Mephisto sich riesenhaft erhebt, um "Mord" zu schreien (wieder weiß
Murnau dem stummen Bild Klang zu verleihen), irren plötzlich Fackellichter
durch die Nacht, die diesen bildhaften Schrei aufzunehmen scheinen. Gret-
chen beugt sich aus den Feuerdämpfen hinab zu Faust, den die Sinnverstörte
unter den altgewordenen Zügen erkannt hat. Die Scheiterhaufenflammen
lohen zum Himmel empor, ein leuchtend ft.ir die Ewigkeit aufstrahlender
Sonnenball wird zum Symbol göttlicher Gnade, ist Auftakt der Apotheose
einer sich erfüllenden Erlösung. ·

In allen späteren Filmen von Murnau begegnen wir immer wieder solchen
Lichtsymphonien: in SUNRISE, seinem amerikanischen Film, spielt er mit
allen denkbaren Nuancen: Lichtschein von Laternen huscht über die Fenster-
scheiben eines dunklen Raums, wenn die Fischer nach der Verunglückten
suchen, und reflektiert sich auf dem Gesicht der spähenden jungen Frau;
als sie von einem Baumast heruntersieht, gleitet der Lichtschein von Fackeln
über das Gesicht der Versteckten, während im Hintergrund andere Lichter
auftauchen.
*
Wir spüren in FAUST die Bewegung der entfesselten Kamera weniger
als im LETZTEN MANN. Murnau hat gelernt, seine Freude an Bewegung
dem Gesamtrhythmus einzuordnen, der die Einstellungen beherrscht. Die
Hänge seiner mittelalterlichen Stadt, seiner tiefen Treppen hätten zu Einstel-
lungen von oben her verführen können, aber er treibt keinerlei artistischen
Mißbrauch mit ihnen. Wenn Carl Hoffmanns Kamera das tiefe Einschneiden
einer Treppengasse zwischen Häusern einfängt, die nur noch wie scharf ge-
schnittene Steildächer aussehen, so geschieht das nicht ohne Grund. Die Ein-
stellung fügt sich dramaturgisch der Handlung ein: von hier aus naht sich
Gretchen das Schicksal in der Gestalt ihres Liebhabers und seines Ratgebers,
des Teufels. Und wenn Mumau das berühmte Panorama der Luftreise in
allen EinZelheiten auskostet, so tut er das, weil er Zeit- und Ortswechsel sicht-
bar vor Augen führen will. Eindringlicher erscheint uns im übrigen jener
eingeblendete optisch gestaltete Angstschrei, der über weite Strecken aus
Gretchens angstvoll geöffnetem Mund dringt, um den fernen Faust herbei-
zubeschwören.

-,no
Dupont soll als erster daran gedacht haben, eb,1e Szene so. einzufangen,
als sei sie vom Darsteller aus gesehen. Er hat deshalb die Einstellurlg über
dessen Schulter hinweg aufgenommen. Murnau jedenfalls bedurfte Duponts
Beispiel nicht Schoq in NOSFERATU sieht die Kamera und damit der Zu-
schauer mit den Augen des kleinen verrückten Häusermaklers, der sich auf
dem Dachfirst festklammert, die winzigen Gestälten der Verfolger tief unten
in der schmal eingeschnittenen Gasse.
In FAUST ist das gleiche Verfahren so diskret angewendet, daß es kaum
bemerkt werden kann. Trotzdem hat ein amerikaDiseher Kritiker bereits
seinerzeit darauf hingewiesen, daß die Szene, in der Gretchen auf der Blüten-
wiese von Faust verfolgt wird, gewissermaßen so eingefangen wurde, als ob
der unsichtbare Mephisto ein ironischer Zuschauer sei.
Die Bewegung der Bilder wird von rhythmischen Kontrapunkten aufge-
nommen und weitergeführt: langsam steigt der helle Zug der Kinder die Dom-
treppen hinauf, sie tragen weiße Lilien wie Kerzen in den Händen. In der
Montage steht diesem Aufwärtssteigen das Vordringen der Landsknechte
mit ihren spitzen Hellebarden, aufgesteilten Fahnen gegenüber.
Mumau weiß Einstellungen der Straßentreppen immer wieder zu vari-
ieren, ihnen neue Aspekte abzuzwingen. In der Nacht, aus der Verwesung
dumpf zu schwelen scheint, tragen vermummte Kuttenmänner einen Sarg
hinauf, drängt sich die Menge mit ihren Sterbenden. Wenn wir die fließende
Bewegung dieser vorströmenden Körper genau betrachten, erkennen wir, wie
mechanisch die Massenbewegungen bei Lubitscb im Grunde sind; hier bei
Mumau stößt die Menge rhythmisch gegliedert vor, hier entwickelt sich alles
organisch, nichts wirkt einstudiert
Die stilisierten Steildächer, auf denen die Ziegel ein abstraktes Linear-
muster bilden, erscheinen als Überreste eines verklingenden Expressionismus.
·Herlths und Röbrigs Architektur ist weit entfernt von jener wirklichen Stadt,
die Murnau einst für NOSFERATU als Schauplatz wählte, und den Giebel-
häusern aus dem GOLEM näher. Herlth und Röhiig haben ihren Architektur-
stil entwickelt. Von der Nürnberger Spielzeugart der kleinen Stadt aus dem
MÜDEN TOD ist nichts mehr zu spüren. Vielleicht zeigt der Platz, auf dem
das nächtliche Duell stattfmdet, am besten, was damals deutsche Fümarchi- .
tektur, die sieb aus dem starren Expressionismus herausgelöst hat, im Verein
mit dem Regisseur und dem Kameramann zuweaebracbte. Hier wird nichts
mehr übertrieben. Fassaden werden nicht mehr von Schatten zerfressen.
Aber eine. subtile Beleuchtung gibt dem mittelalterHeben Vonchrägen des
Oberstocks Relief, einem Türflur geheimnisvolle Tiefe. Mumaus Rhythmus,
der so oft vom Ausland als langsam, als schwer empfunden wird, kommt in
einer solchen Szene zum AQsdruck. ·Mari:.spürt das Fließende seiner Kamera-
. Direktiven, erkennt, wie er in Zusanimenarbeit mit hochwertigen Architekten·
sich in das Bildhafte einerEinstellung eiilfühlt,"wie er Statisches zu beleben
weiß.

Als FAUST im Jahr 1926 seine Uraufflihrung erlebte;wat dieser heute so


stark wirkende Film durch schwerfällige Knittelverse (Zwischentitel) ·von
Gerhart Hauptmann, der die lebensprallen Verse des "Urfaust" vergeblich
nachzuahmen suchte, beeinträchtigt Kritiker, die bereits Hans Kysers
Manuskript als Frevel an Goethe ansahen, haben oft das Süßliche vom .
Osterspaziergang und von der Blumenwiese oder den befremdenden Aspekt ·
eines recht femininen jungen Faust als· störend empfunden. Man denke auch
an das recht peinliche Marthe-YVette-Guilbert und Mephisto-Jannings "Liebes-
.. duett", um zu verstehen, daß uns damals Mumaus FAUST fast ebenso trivial
wie das Opernlibretto von Gounod erschien.

Heute wirkt der Film ohne die Hauptmann-Titel wie von Schlackenbe-
freit, man vergißt das Süßliche arigesichts der großartigen Orchestrierung des
Optisch-Magischen, angesichts der reich hinströmenden Visionen.
!r Monepunkr aes heuaunkel

,UST von F. W." Murneu

<\UST von F. W. Murneu


.,,.,.,
FAUST von F. W. Murnau

REMBRANDTS FAUST
agfe des Lichts

E STRASSE von Karl Grune

IE STRASSE

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.. . ".

.-.-.1-: ~;;~i:~;-~fd.,;~;p;:, >~-


Asta Nielsen in DIE FREUDLOSE GASSE

MAN ON LESCAUT von Robison


.,,.,,..
tzte Spuren des Express•onlsmus

'RIETE von E. A. Dupont

ARIETE
VARIETE

VARIETE
XIX.

Pabst und das Mirakel von Louise Brooks


"Die Büchse der Pandor.a" (1928)- "Tagebuch einer Verlorenen" (1929)

Dem Aufkommen des Tonfilms zum '!rotz,


bleibe ich überzeugt, daß im Film der Text
selbst nicht allzuviel Bedeutung hat. Was zählt,
ist der Bildeindruck. Deshalb behaupte ich
noch heute, daß der Filmregisseur weit mehr
der Schöpfer des Films ist als der Manuskript-
autor oder die Darsteller.

G. W. Pabst in "Le roJe intellec-


tuel du Cinema", Paris 1937.

309
.. ·· ... ~ ,...;:.-: .
Der Fall Pabst ist äußerst eigenartig. Er ist zugleich ein erstaunlicher und
enttäuschender Filmregisseur. Man wundert sich, wie der Schöpfer· von der
BÜCHSE DER PANDORA oder der DREIGROSCHENOPER einen so
peirilichen Film wie den PROZESS hat drehen können.

Pabst ist voller Widersprüche; das haben zeitgenössische· Kritiker. bereits


vor 1930 wiederholt feststellen können. Die einen rühmen seine Intuition,
seinen Scharfsinn, sein vollendetes Verständnis flir psychologische Faktoren
. und für das Unterbewußte, wodurch er sich der Kamera bedient, als handle
es sich um Röntgenstrahlen. Manche Kritiker betrachten ihn als leidenschaft-
lichen Forscher aller Seelenregungen, der von seinen Entdeckungen hinge-
rissen wird, andere ~agegen, wie zum Beispiel Pasinetti, sehen fn ihm lediglich
einen kalt berechnenden Beobachter.

In "Close Up" bedauert seinerseits Potamkin, daß Pabst fllmische Pro-


bleme nicht vertiefe, daß er nur gerade die Oberfläche seiner Sujets streife.
Was ist wahr an all diesen einander widersprechenden Behauptungen?
In einer Nummer der italienischen Filmzeitschrift "Cinema" aus dem
Jahr 1937 erklärt ein Kritiker, daß Pabst es liebe, psychologische Themen zu
behandeln, er trachte jedoch immer danach, sie so populär wie möglich zu
drehen. Das scheint die beste Erklärung flir seine Methode. Sie zeigt uns auch,
warum uns manches an der Art, wie er zum Beispielinflationsszenen in der
FREUDLOSEN GASSE behandelt, so billig vorkommt, und warum trotz
seiner großen optischen Begabung psychoanalytische Probleme in den
GEHEIMNISSEN EINER SEELE so oberflächlich gesehen wirken.

311
Welch neuer Faktor ist für die LIEBE DER JEANNE NEY hinzugekom-
men und woran liegt es, daß er mit der BÜCHSE DER PANDORA zu einer
intensiv gestalteten Konzeption gelangt? In ,.Close Up", dieser Monats-
schrift (16), die sich so angelegentlich mit den Pabst-Filmen befaßt hat, erklärt
ein Kritiker: "Pabst finds the other side of each woman", das bedeutet, daß er
auf ungemein überzeugende Weise das latente Leben, das in jeder Frau exi-
stiert, herauszuholen und zu entwickeln weiß. Daß dies mitunter der Fall ge-
wesen ist, zeigt zum Beispiel seine Führung von Brigitte Helm, die in der
Doppelrolle der echten und falschen Maria in METROPOLIS steif und kalt
erscheint und so rührend als blindes Mädchen in der LIEBE DER JEANNE
NEY wirkt. Wie kommt es jedoch, daß Pabst die statuenhafte Schönheit
dieser Darstellerio ftir ABWEGE oder D!E HERRIN VON ATLANTIS
nicht zu beleben verstanden hat und daß sie in diesen beiden Filmen ebenso
gefühllos unbeweglich wie in den beiden ALRAUNE-Filmen bleibt?

Sind die BÜCHSE DER PANDORA und TAGEBUCH EINER VER-


LORENEN nicht durch eine Art Mirakel, nämlich das der Anwesenheit von
Louise Brooks, zu erklären? Unbefangene Zuschauer mögen ihre intuitive
Begabung als rein passiv ansehen, aber selbst das mag einem sonst so un-
gleichen Regisseur eine außerordentliche und überraschende Anregung ge-
geben haben. In diesemFalle würde sich die bemerkenswerte Stilentwicklung
von Pabst auf die glückliche Begegnung mit einer Darstellerio beschränken,
deren Dasein allein schon für den künstlerischen Gesamteindruck wesentlich
geworden ist, ohne daß es nötig war, sie besonders zu dirigieren. Louise
Brooks existiert nämlich mit einer erschütternden Eindringlichkeit, sie wan-
delt durch diese beiden Filme mit einer rätselvollen Unpersönlichkeil (Ist sie
wirklich eine große Schauspielerio oder ist sie lediglich ein blendendes Ge-
schöpf, dessen Schönheit den Zuschauer verführt, ihr vielfaltige Eigenschaften
zu verleihen, denen sie im Grunde fremd bleibt?)

In der LIEBE DER JEANNE NEY erforscht die Kamera langsam eine
Szene, beginnt bei den spitzen Schuhen des kleinen Schurken, den Rasp
spielt, um dann die Beine entlang zu streifen, die unmittelbare Umgebung
einzufangen: schmutzige Papierfetzen, Zigarettenstummel, die sich häufen,
zeigen bereits die Erbärmlichkeit eines Hotelzimmers dritter Ordnung und
die elende Existenz eines Gauners ohne Format an.

Für das TAGEBUCH EINER VERLORENEN erstrebt Pabst' schärfere


Akzente und eine direktere Methode. Er konzentriert zum Beispiel die Auf-
merksamkeit auf das harte, gierig-duckmäuserische Gesicht der neuen Haus-
hälterin, die sich nicht wie die vorangegangene verfUhren lassen wird. Eine
neue Einstellung zeigt sie uns dann in einer demütigen Haltung vor dem
Hausherm, aber der Zuschauer weiß schon aus der vorhergehenden Einstel-
lung, was er davon zu halten hat Oder man blickt auf das grausame Antlitz

. ,,~
von Valeska Gert, der Aufseherin in der Fürsorgeanstalt, man sieht, wie sie
auf einen Gong schlägt- die Kamera rollt langsam zurück und zeigtjetzt den
langen Tisch, an dem zu beiden Seiten die Zöglinge sitzen und im Takt ihre
magere Suppe essen.
Die Montage der BÜCHSE DER PANDORA erscheint flüssiger. Viel-
leicht, weil hier die Freude Pabsts an einer fließenden Atmosphäre, für
Helldunkel-Kontraste - man denke an das beleuchtete Spielhöllenboot in der
Nacht - die Oberhand behält. Das Verschmelzen zweier Theaterstücke in
einen Film bringt es jedoch mit sich, daß trotz des fluktuierenden Stils sich
gewisse Passagen vom Ganzen abheben. So bilden sich Einzeldramen heraus,
bei denen ein jedes seinen eigenen Rhythmus und Stil besitzt. So sind zum
Beispiel die Revue-Szenen in einem völlig impressionistisch gestalteten Flim-
mern gehalten, das Spielhöllen-Schiff in der Nacht wird expressionistisch
kontrastscharf beleuchtet, und die letzte Episode der Slums von London ist
in Nebel gehüllt - expressionistische Stilfaktoren verschmelzen hier mit einer
impressionistisch gefaßten Atmosphäre.

*
Niemand weiß so subtil wie Pabst das Fieber einzufangen, das während
der Premiere in den Kulissen einer großen Revue herrscht, jene verwirrende
Hast, das Hin und Her, das keinen eigentlichen Zweck zu haben scheint, das
Durcheinander von schwitzenden Leibern, während Dekors von einer Seite
zur anderen geschleppt werden. Für Augenblicke wird ein Teilausschnitt der
Bühne in seiner Schräge sichtbar, Fragmente einer Schaunummer werden
gezeigt. Das Auftreten, das Abtreten von Darstellern, ihre Verbeugung fUr
den Applaus des Publikums, dumpfe Rivalität, Selbstgefälligkeit, Humor
mischen sich dem verblüffenden Betrieb von Requisiteuren, Bühnenarbeitern,
Gard~robieren bei. Sogar die berühmte 42nd Street hat nicht diese dunst-
warme, atemberaubende Atmosphäre, diese schwüle Sinnlichkeit einer
Bühnenwelt, über die sich Lichter ergießen, die sich im Lame der Vorhänge
und auf den Helmen und Brustpanzern von Statisten spiegeln.

Pabst dirigiert diesen Wirrwarr mit erstaunlichem Geschick. Alles ist vor-
gesehen: in genau berechneten Intervallen durchqueren Figuranten den hin-
teren Bühnenraum, werden Kulissenstücke vobeigetragen, einmal vor den
Hauptpersonen, ein anderes Mal hinter ihnen, so daß auf diese Weise der
Eindruck dynamischer Bewegung hervorgerufen wird. Im flimmernden
Hintergrund Lulu, verftihrerisch in ihrem glitzernden Paillettentand; mitihren
wallenden Straußenfedern wird sie gleichsam zu einem heidnischen Götzen-
bild. .

Oft fiXiert die Kamera das schräg gesehene Antlitz Lulus: der Ausdruck
erscheint dann so animalisch wollüstig, so losgelöst vonjedem Gedanklichen,
daß es fastjeder Individualität beraubt wirkt In der Szene mit Jack dem Bauch-
aufschiitzer verwischt das Gesicht, wird zu einer glatten, schtilg über die
Leinwand hin reichenden Scheibe, die schimmernde Oberfläche verblaßt Die
Kamera beugt sich gleichsam über eine Mondlandschaft, deren Kurven sie
erfassen will. Ist es noch ein menschliches Wesen, eine Frau? Und nicht viel-
mehr die Blüte irgendeiner geheimnisvollen Giftpflanze?- Oder Pabst zeigt am
Rande der Einstellung nur das Kinn, einen Teil der Wange des Mannes, dem
sie gegenübersteht, und der Zuschauer identifiZiert sich mit diesem Partner.

Schließlich zeigt uns Pabst Lulu in der Londoner Dachkammer, wie sie
sich im Reflektor einer armseligen Lampe spiegelt, um sich mit einem Rest
von Lippenstift den Mund zu schminken. Der Schimmer dieser Lampe wird
sich kurz danach auf der Klinge des Brotmessers spiegeln und Jack dem
Bauchaufschlitzer die Waffe verraten. So verschmelzen von Bild zu Bild
Beleuchtungseffekte mit einer Person, einem Gegenstand. (Wir denken
zurück an die FREUDLOSE GASSE, an Asta Nielsen, die mit mechanischer
Geste einen Spiegel hochnimmt, als ihr der Juwelier eilfertig das Brillanten-
halsband umgelegt hat - das helle Lichtrund zeichnet sich auf ihrer starren
Maske.)

Das Gesicht Jacks taucht aus der Dämmerung, nimmt im Kontrast zu der
zerfließenden Oberfläche von Lulus hingegebenem Antlitz eine unheimliche
Plastik an. Einen Augenblick lächelt der Mund des gehetzten Mannes. Das
Lächeln scheint die Verzweiflung der verzerrten Züge auszuwischen, sie zu
glätten. Dann wiederum offenbart die Kamera alle Ungleichheiten seiner
Haut, jede schwitzende Pore über den verkrampften Muskeln.

Die Großaufnahmen bestimmen den Charakter dieses Films, die der


Plastik des Ganzen gleichermaßen Akzente aufsetzen. Die flimmernde oder
phosphoreszierende Atmosphäre, die leuchtenden Nebel von London schei-
nen eine Art visueller Begleitmusik dieser Großaufnahmen zu sein, deren
Bedeutung sie intensivieren.

Bei der Einftihrung einer Person weiß Pabst mit einer einzigen Einstellung
deren Charakter zu erklären: die Kamera fixiert den Akrobaten Rodrigo, der
unten auf der Straße wartet, umreißt seine breiten Schultern, den wohlgefällig
herausgepreßten Brustkasten. In dieser Einstellung wird der Kopf gleichsam
zum Beiwerk; und wir merken sofort, daß der Kerl nichts weiter als Mus-
keln hat. ·

Um Lulus abgründige Schönheit wiederzugeben, läßt sie Pabst sehr oft


in Einstellungen von oben her aufnehmen. Es gefällt ihm dagegen, die männ-
lichen Darsteller oft von unten her fotografieren zu lassen und so von der
Untersicht her bei ihren Gesiebtem Hals und Kinn zu.vergröbem, unförmig.
werden zu lassen, bis diese Gesichtsteile das Bild beherrschen. So bekommt
das zurückgeworfene Gesicht des sterbenden Dr. Schön-Kortner bereits '
etwas Leichenhaftes, Unpersönliches, wird zu einem Gegenstand ver- ·
quollen.

Durch diese Einstellung variiert Pabst Bild~ wie Situations-Effekte: wenn


Lulus schlanke Gestalt an dem ausgestreckten Arm von Rodrigo hin und her
balanciert, so wird die dumme Selbstgefälligkeit des Kraftmenschen, der auf
seine Muskeln stolz ist, durch die Untersicht seines Kinns noch augenfälliger.
Und in der gleichen Einstellung sieht man den betrunkenen Rodrigo, wie er
einen Stuhl h9c1ihebt, um Dr. Schön totzuschlagen. Mitunter wird eine ähn-
liche Wirkung auch durch die Einstellung von oben her erreicht: so erscheint
das Gesicht des ermordeten Rodrigo in der Schiffskabine in der Aufsicht wie
eine formlose. Masse, als die Polizisten auf ihn hinabblicken.

Pabst geht demnach auf folgende Weise vor: ex: erstrebt sogenannte
"psychologische oder dramatische Einstellungen", die beim ersten Blick be-
reits die seelischen Beziehungen der Personen, eine Situation, die Verdichtung
einer Stimmung, die Spannung der Aktion, den tragischen Moment vor
Augen führen. Meistenteils zieht er solches Vorgehen einer Technik vor, die
Murnau vor allem zu eigen gewesen ist und bei der die Gleitkamera es erlaubt,
eine Szene lange zu verfolgen und auszuspielen. Für Pabst, der stets beim
Schneiden den Übergang von einer Bewegung zur anderen berücksichtigt,
ist es die Montage, die eine Handlung baut und ihre Kontinuität entscheidet -
in dieser Zeit übrigens ein überaus seltenes Vorgeben im deutschen Film, wo
allgemein das langsame Auskosten einer Bildwirkung und einer Situation
beliebt gewesen ist

Schon in der FREUDLOSEN GASSE überrasch! Pabst mit Einstellungen,


die seine spätere Entwicklung ankündigen. Eine Großaufnahme zeigt einmal·
nur die linke untere Hälfte des Gesichts von Wemer Krauss, dem Fleischer-
meister. Die fette Hand der Kupplerin, die selbst unsichtbar bleibt, steckt ihm
eine Nelke in das Knopfloch.
Damals jedoch verstand es Pabst noch nicht, solche raffinierten Einstel-
lungen der Handlung durch Montage einzugliedern. 'Erst in den beiden
Louise Brooks-Filmen wer~en Großaufnahmen von ihm bewußt dramatur-
gisch verwendet
DIE BÜCHSE DER PANDORA bedeutet einen Höhepunkt im Film-
schaffen von G. W. Pabst. In dem realistischer gesehenen TAGEBUCH
EINER VERLORENEN holt Pabst vielleicht die.Lokalfarbe lebendiger her-
aus. Jedoch fmden wir hier nicht mehr die fast beunruhigend reich variierte

')1<'
Atmosphäre, das vielfältige Schimmern, das der BÜCHSE DER PANDORA
den besonderen Reiz gibt. Mit dem TAGEBUCH EINER VERLORENEN
beginnt Pabst eine neue Phase, von nun an wird seine Arbeitsweise sachlicher.
louise Brooks in DIEBOCHSE DER PANDÖRA von Pabst

DIE BOCHSE DER PANDORA


317
EBOCHSEDERPANDORA
"\1R
Louise Brooks in DIE BüCHSE DER PANDORA von Pabst

Louise Brooks in TAGEBUCH EINER VERLORENEN von Pabst


319
XX.

Veifall der deutschen Filmkunst


Ein kurzer Ausblick

Die neue Jugend gehört der Macht ... Die


Kunst kommt nach dem Sieg, kommt immer
erst am Abend des Sieges ...

Gottfried Benn
in Kunst und Macht, 1934.

321
Die Dekadenz der deutschen Filmkunst, die sich in der ausgehenden
Stummfilm-Ära bemerkbar gern.acht hat, ist nicht ohne weiteres zu erklären)
Zu Beginn der Tonftlmzeit verstärken sich diese Merkmale - Filme wie DER
BLAUE ENGEL, DIE DREIGROSCHENOPER, MÄDCHEN IN UNI-
FORM und M bilden lediglich Ausnahmen.

Man kann nicht alle Schuld auf Hollywood schieben und auf das amerika-
nische Kapital, das, um in Deutschland Boden zu fassen, die UFA zu sanieren
versucht Selbst wenn das Gegengeschenk - das Engagement wichtiger deut-
scher Filmregisseure wie Mumau, Dupont und Paul Leni nach Hollywood -
für den deutschen Film eine erhebliche Einbuße bedeutete, so waren doch
noch Regisseure von Format wie Lang oder Pabst in Deutschland am Werk.
Auch Lamprecht, Froelich und Grune drehten in deutschen Ateliers. (Froe-
lich allerdings war immer mehr zum Regisseur sentimentaler Publikums-
Filme mit Henny Porten geworden und sollte zu Beginn der Tonfilm-Ära
rasch zum kommerziellen Film gelangen. Und Grune wird in der Film-
geschichte stets der Regisseur eines einzigen klassischen Films, DIE
STRASSE, bleiben, obwohl gewisse Ansätze zu Bildvisionen in SCHLA-
GENDE WETTER zeigen, daß er mehr gekonnt hat, als z. B. der MARQUIS
D'EON [1928], ein nur pittoreske Kostümwirkung erstrebender Film, er-
raten läßt)
Heute ist man sich nur selten darüber klar, daß die deutschen Filme, die
wir jetzt als klassisch bezeichnen, zur Zeit ihrer Entstehung Ausnahmen
waren, daß sie damals bereits von der Flut der publikumswirksamen Filme,
den Kassenfilmen vom Rhein, der schönen blauen Donau, vom Herz, das
man in Heidelberg verlor, den hurra-patriotischen Filmen über Friedrich den

323
Großen, die elf Schillsehen Offiziere, des Königs Grenadiere und den Ersten
Weltkrieg überschwemmt worden sind. Zu diesen Kassenrekordfilmen kamen
natürlich noch allerhand recht ordinäre Kasernenfilme und die Fülle der soge-
nannten "Aufklärungsfilme", die Bordell- und Geschlechtskrankheit-Melo-
dramen auf angeblich wissenschaftlicher Basis behandelten und lediglich auf ·
die Lüsternheit des Publikums spekulierten.

In den Jahren 1926 und 1927 wurden 185 bzw. 243 deutsche lange Spiel-
. filme zur öffentlichen Vorführung in Deutschland zugelassen. Zurückblickend
läßt sich heute feststellen, daß die Zahl der Qualitätsfilme in dieser Periode
äußerst gering war - es handelte sich höchstens um vier oder ftinf Filme pro
Jahr. Auch die Zahl der halbwegs annehmbaren Filme ist nicht allzu hoch
gewesen (kaum mehr als zehn bis zwölf im Jahr). Und wenn auch die Filme
der Jahre 1919 bis 1926 ein besseres Niveau gehabt haben, so ist die Anzahl
der wirklich guten Filme nicht allzu groß.

Zudem darf nie außer acht gelassen werden, daß einerseits das Hell-
dunkel, jenes Erbe Max Reinhardts und des Expressionismus, vielen Filmen
einen scheinbaren künstlerischen Wert verliehen hat; im übrigen ist dies oft
weit mehr auf das Konto der Dekor-Skizzen und auf das Talent der Kamera-
leute zu setzen als auf die Begabung der Regisseure. Andererseits gibt heute
eine Art von Patina, vielleicht auch das Zeitdokumentarische, manchen Fil-
men von einst bereits einen gewissen Reiz.

Weiter muß betont werden, daß eine Reihe von Filmregisseuren nach-
Ende des ...expressionistischen Stils, der ihren älteren Filmen interessante
Bildeffekte ermöglicht häüe",-nTclii& Gleichwertiges mehr drehte. Darum ist es
keineswegs verwunderlich, daß ein Robert Wiene, derminterben Film-
komödien wie DIE KONSERVENBRAUT (1915) begonnen hat, sich nach
den expressionistischen Filmen wie CALIGARI, GENUINE, RASKOLNI-
KOW und ORLACS HÄNDE populären Filmstoffen zuwendet, daß Zelnik
) nach DIE WEBER, einem ziemlich .~hrgeizigen, aber recht überschätzten
Gerhart Hauptmann-Film,. die SCHONE BLAUE DONAU und Richard
Oswald WIR SIND VOM K. UND K. INFANTERIE-REGIMENT drehen.

Ist es überdies nicht eigenartig, daß deutsche Filmregisseure von Niveau


fast immer nur tragi~~QQ,,Fjlwc,,geschaffen haben und daß ihre wenigen Film-
komödien meisT;in paar überraschend vulgäre Passagen aufweisen? Man
begreift, daß Lubitschs derbe Filmgrotesken wie ROMEO UND JULIA
IM SCHNEE oder KOHLHIESELS TÖCHTER Einsichtigen wenig zU-
gesagt haben. Aber was erstaunt, ist, daß ein Regisseur wie Mumau oder
daß Ludwig Berger, der immerhin den VERLORENEN SCHUH gedreht hat,
in FINANZEN DES GROSSHERZOGS oder WALZERTRAUM gewisse
Geschmacklosigkeiten nicht ganz vermieden haben. Im Grunde hat der

324
deutsche Film keine eigentlichen Komödien von Niveau hervorgebracht;
denn TARTÜFF ist weit mehr eine Tragikomödie und Ludwig Bergers
VERLORENER SCHUH ein Märchenftlm. Andererseits hat Lubitsch ;
LADY WINDERMERE'S FAN erst in Amerika drehen können, nachdem [
er, wie er selbst erklärt, "good bye slapstick and hello nonchalance" gesagt hat, i
also sich ganz bewuloit von seiner derbgrotesken Manier losgesagt hat.
-, 1

*
Es ist nicht leicht, einen Traum wiederzufmden, wenn man einmal aus
dessen Bann entkommen ist. Nach 1925 war mit der Stabilisierung die "pros-
perity" für Deutschland wiedergekommen, das Kriegsschuldgefühl der ersten
Nachkriegsjahre hatte sich verwischt. In den Kreisen der Schwerindustrie
strebte man nach reellen Gütern, nach der Rückerstattung der verlorenge-
gangenen Kolonien, und gerade die Schwerindustrie war es ja, die sich der
wichtigsten Filmproduktion bemächtigt hatte.

Die amerikanischen Erfolgsfilme haben in den deutschen Filmkreisen


den Begriff des "box office" als einzig ausschlaggebend eingefl.ihrt. "Eine
sehr beachtliche Rolle in der Entwicklung", so erklärt 1926 ~
einem "Perspektiven" betitelten Endkapitel seines Buches "Expressionismus
und Film", "spielt der Einfluß des amerikanischen Films. Der deutsche Film
ist auf inhaltliche Dramatik, auf starke Charaktere, auf leidenschaftliche Vor-
gänge angelegt . . . Das deutsche Manuskript spitzt sich auf Katastrophen
zu ... in Amerika fließt die Handlung kontinuierlich, es wirkt mehr die Nuance
als das gefühlsbetonte Ereignis. Von weitem gesehen, wirken die amerikani-
schen Filme abgeschliffen ... Daher ihre widerspruchslose Aufnahme durch
das Publikum, während im Ausland das Schlagwort ,analytisch' gegen den
deutschen Film mobilisiert worden ist. Die Berührun~ der beiden Kontinente
hat sichtbare Wirkung gehabt ... Der deutsche Film versucht aus dem Prestis-
simo der Vorgangsfolge herauszukommen und Charakter und Handlung in
ein harmonisches Verhältnis zu bringen."

Darf man aus diesen Formulierungen von Kurtz schließen, daß der künst-
lerische deutsche Film freiwillig auf all das verzichtete, was einst seinen Wert
ausmachte?

In den letzten Stummftlmjahren kann das Bild, das noch immer das
Helldunkel-Verfahren zeigt, weiter den Anschein erwecken, als sei nichts
verändert, aber die Tonftlmperiode enthüllt bald die Mittelmäßigkeit der
landläufigen Produktion, die zuvor von den Errungenschaften des stummen
Qualitätsfilmes mit profitierte. Denn das Wort muß das Mysterium pantomi-
mischer Gesten herabmindem. Liegt es an der absoluten Stilisierung, die der
expressionistische Stilwille erreicht hatte, daß die Filmkunst in Deutschland

325
weit mehr als die der anderen Länder durch den aufkommenden Sprechfilm
beeinträchtigt worden ist? Wird der Schleier der Stimmung unwiderruflich
zerrissen?

Wenn der StummfÜm ALRAUNE (Henrik Galeen, 1928) der ALRAUNE


von 1930, dem Sprechfilm von Richard Oswald, so sehr überlegen ist, so liegt
es nicht nur daran, daß Galeen weit mehr Talentals Oswald besessen hat Dem
Stummfilm ALRAUNE kommt das Schweigen zugute, daß die Spannung
und Stimmung eines phantastischen Sujets nicht verletzt. Trotzdem weist be-
reits die ALRAUNE von Galeen nicht mehr die gleiche Qualität auf, die
seinem im Jahre 1926 gedrehten STUDENTEN VON PRAG eigen war, dem
noch viele Elemente des Expressionismus zugrunde liegen. Denn im Jahr
1928 wagen die deutschen Filmschaffenden nicht mehr, sich völlig dem
Phantastischen hinzugeben, und die "neue Sachlichkeit" schadet der künst-
lerischen Einheit eines Films wie Galeens ALRAUNE. (Gewiß, selbst Oswalds
schwache ALRAUNE steht noch turmhoch über der dritten Fassung der
ALRAUNE [1952] von Artbur Marin Rabenalt.)

Unüberbrückbar scheint vor allem die Kluft zwischen einer stummen


Fassung und einer Tonfassung des gleichen Themas; selbst ein Regisseur von
Niveau wie Artbur Robison versagt, als er im Jahr 1936 die dritte Fassung des
STUDENTEN VON PRAG zu drehen hat.

Nationen lateinischer Sprachherkunft haben gewisse technische Schwierig-


keiten, die sich ftir den deutschen Sprechfilm ergaben, nicht gekannt. Die
vielen Zischlaute und doppelten Konsonanten haben in Deutschland anfangs
zu Ton-Deformierungen geführt, die man damals flir unüberbrückbar hielt.
Als Dita Parlo in einem der frühesten Tonfllme, MELODIE DES HERZENS
von Hanns Schwarz, das Wort "Pferd" auszusprechen hatte, lachten die Zu-
schauer, und die Kritiker gingen nach Haus, um lange Artikel gegen den Ton-
ftlm zu schreiben. Auch als die ersten Unzulänglichkeiten ausgemerzt waren,
wirkte die Sprache Hölderlins und Rilkes noch immer seltsam hart, und nur
der weichere, breitere süddeutsche oder Österreichische Dialekt konnte diese
Härten etwas mildern. (Der Erfolg Wiener Filme im Ausland, wie MASKE-
RADE [1934], EPISODE [1935] oder OPERETTE [1940], ist im großen ganzen
darauf zurückzuführen; das ist natürlich noch mehr bei den Wiener Operetten-
filmen wie LEISE FLEHEN MEINE LIEDER [1933) oder dem - nebenbei in
Deutschland gedrehten - DREIMÄDERLHAUS [1936] der Fall gewesen.)

Wie stark im übrigen die nachträgliche Synchronisation einen Film be-


einträchtigen kann, zeigt die WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ, ein Fllm,
den Arnold Fanck mit G. W. Pabst im Jahre 1929 gedreht hat und dem 1935
Ton beigegeben wurde. Indes wirkt hier der Ton nicht einmal viel inkongruen-
. ter als in den Bergftlmen der frühen Tonfllm-Ära. Liegt es daran·, daß die
Außenaufnahmen in diesen Filmen fast alle noch stumm gedreht worden sind,
weil die technischen Schwierigkeiten anfangs besonders groß waren? Oder
empfmden wir "sprechende" Bergfilme als ungemein peinlich, weil der gespro-
chene Dialog weit mehr als die gedruckten Zwischentitel Ungereimtheiten
offenbart und vor allem jenen Abstand, der stets zwischen echten Natur-
aufnahmen und dem von den Produzenten als notwendig erachteten Melo-
drama besteht? Das ist sogar bei einem Autor vom Niveau eines Bela Balazs
noch der Fall, der das Manuskript von Leni Riefenstahls BLAUEM LICHT
geschrieben hat Gerade in diesem Film, der 1932 gedreht worden ist, scheint
der Ton oft die schönen Bildeffekte herabzumindern, die Schneeberger, dem
einstigen Kameramann von Fanck, zu verdanken sind. Die blökenden Schafe
und meckernden Ziegen stören erheblich.

Andererseits ist es dem Film von Leni Riefenstahl wie manchen anderen
Bergfilmen ergangen: die Frische und Unmittelbarkeit des Eindrucks von
Freilichtaufnahmen wird durch Einstellungen abgeschwächt, die im Atelier
aufgenommen worden sind. Für besonders romantische Gletscherspalten,
kühnen Abstieg und gewagte Sprünge wurden von Leopold Blonder, einem
recht geschickten Filmarchitekten, mitunter sogar Schneeberge im Atelier
aufgebaut

Im Grunde hat die berühmte wundersame Grotte im BLAUEN LICHT,


die den Modellbauten von Fancks HEILIGEM BERG (1926) ähnelt, in diesem
Freiluftfilm weit weniger Existenzberechtigung als die Tropfsteinhöhle von
Alberieb in dem legendenhaften Rahmen der NIBELUNGEN.

Fancks Bergfilme stehen im übrigen - soweit es sich um das erfühlte


Landschaftsbild handelt- hoch über dem Leni Riefenstahl-Film. Das erkennt
man besonders deutlich, wenn man heute EWIGER TRAUM wiedersieht.
Diese Visionen von Bergmassen, von Schneehängen, die im Sturm vei'Wehen,
die gleichsam in der Wucht ihrer Montage gewaltig brausende Fugen einer
gigantischen Orchestrierung sind, hat Leni Riefenstahl, obwohl sie Fancks
Kameramänner übernahm, nicht erreichen können.

Fanck selbst erklärt, daß er mit seinen Naturvisionen niemals eine Spiel-
handlung "illustrieren" wollte. Er ist vom rein Visuellen ausgegangen und hat
die Handlung Schritt für Schritt aus der Fülle der gewonnenen Bilder. heraus
entwickelt und, wie er betont, "in Bildern gedichtet". Gerade weil er die Hand-
lung nicht mit dem sogenannten "schönen" Bild untermalt, hat er das kulissen-
haft Starre vermeiden können, das zuweilen im BLAUEN LICHT stört.

*
Rasch haben sich die deutschen Filmleute an das Wunder des Tons
gewöhnt und somit kaum mehr noch Tonexperimente vorgenommen. Wir
finden solche Versuche daher nur in der ersten Zeit; so vermischten sich in
Duponts in England gedrehtem Tonfilm ATLANTIK (1929) während der
Schiffskatastrophe Wortfetzen in allerhand Sprachen mit den Sirenen, dem
Weiterspielenden Orchester, Warnglocken, und man merkt deutlich, wie das
Stampfen der Maschinen auf einmal verstummt Im gleichen Jahr hat
Walter Ruttmann den Versuch gemacht, in seiner MELODIE DER WELT
die Plastik seiner Bildeffekte durch den Kontrapunkt des Tons sowie durch
Tonassoziationen zu unterstützen; aber sieht man näher hin, so ist bei diesem
Film trotz Hilfe von Wolfgang Zellers Musik und durch einige echte Ge-
räusche lediglich eine recht äußerliche Synchronisierung zustande gebracht
worden. Obwohl gerade Ruttmann interessante Tonexperimente gemacht
hat - man denke an seinen Film WOCHENENDE, eine ausgezeichnete
reine Tonmontage ohne Bilder.

Im Jahr 1931 hat Kurt Bemhardt in seinem Film DER MANN, DER
DEN MORD BEGING, nach dem Claude Farrere-Roman, ein Stück Straße
aufnehmen lassen, wo in schwelender Tropennacht sich die verklingenden
Schritte eines Passanten mit Worten vermischen, die auf einer Terrasse
gewechselt werden. Das Publikum im Kino konnte gleichzeitig mit den
verklingenden Schritten des Passanten das Abebben der Worte hören. Auch
Robert Siodmak brachte im gleichen Jahr in ABSCHIED einen originellen
Toneffekt zuwege: er stellte die Kamera auf die Ecke eines Zimmers ein,
wo die Anwesenheit eines unsichtbar bleibenden Liebespaares in einem Bett
sich nur durch ein paar geflüsterte Worte verriet

Sternberg hatte nur einen einzigen Sprechfilm vor dem BLAUEN


ENGEL gedreht, aber er scheint im amerikanischen Filmatelier bereits ge-
lernt zu haben, wie man sich des Tons wirksam bedienen konnte, und so
bringt er Lauteffekte, zu denen die deutschen Filmschaffenden damals noch
nicht durchgedrungen waren: man erinnere sich zum Beispiel, wie Sternberg
das so beliebte Auf und Zu von Türen in seinem Wechselspiel mit dem
Ton zu verbinden verstanden hat, wie, wenn diese Türen geöffnet werden,
Liedfetzen und Gelächter herausschallen. Er ist noch nicht ganz so geschickt,
beim Schließen der Türen den Ton abebben zu lassen und ein akustisches
Übergleiten zu erreichen. Aber ihm gelingt es, dem deutschen Helldunkel
einen vielfach schillernden, verführerisch virtuosen Impressionismus zu
verschmelzen, der zum Höhepunkt optischer Erotik fUhrt, sobald die Ram-
penlichter aufglühen und Marlenes dunkellockende Stimme die lastende
Schwüle einer Tingeltangel-Atmosphäre heraufbeschwört

Pabst ist zu sehr an der Bildeinstellung und an der Übergänge vermitteln-


den Montage ·von Bildeffekten interessiert, um gleich anfangs zu begreifen,

-<.':."
welche Bedeutung dem neuen Ton beizumessen ist. Die Dialoge in seinem
· Kriegsfilm WESTFRONT 1918 (VIER VON DER INFANTERIE) (1930)
oder seinem Bergwerksftlm KAMERADSCHAFT (1931) sind so banal
geführt, daß selbst eindringliche Lauteffekt~ wie Trommelfeuer und schla-
gende Wetter kaum zur Gelturig kommen, wodurch gute Bildeinsteilungen
abgeschwächt werden. Vielleicht zeigt die HERRIN VON ATLANTIS
(1932) am stärksten, wo die Fehler in der Tonftlmregie von Pabst gelegen
haben. Wenn in Jacques Feyders ATLANTIDE vom Jahr 1921 die Sturnm-
filmfassung dem phantastischen Sujet eine Art von Existenzberechtigung
gab, so bringt sich Pabst mit der ungeschickten Handhabung eines schwer-
fälligen Dialogs selbst um die Wirkung ausgezeichneter Wüstenaufnahmen
und optischer Tricks, die der Kamera Schüfftans zu verdanken sind. Es ist
vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung, daß Pabst noch im Jahre 1937 erklärt,
daß trotz des Aufkommens des Tonftlms dem Text in einem Film nur
wenig Bedeutung beizumessen sei.

Das glückliche Gelingen eines Films wie die DREIGROSCHENOPER


(1931) ist indes nicht wegzuleugnen. Auf der Bühne war dieses Bert Brecht-
Stück bemerkenswert in Szene gesetzt worden, weit eher dank Brechts
eigenwilliger Regieführung, die keinerlei Kompromisse geduldet hatte, als
durch den recht in den Schatten gerückten Regisseur Brich Engel. Brecht
hatte ja von seinen expressionistischen Erfahrungen in "Baal" die Schärfe
des Ausdrucks, die Ziselierung eines intransigenten Stilisierungswillens zu-
rückbehalten und somit die Wirkung des Bühnenwerks schon vom Sprach-
lichen, vom Rhythmus des Liedhaften her gewonnen.

In seiner filmischen Adaptierung hat Pabst die "Dreigroschenoper"


verwässert. Dies geschah einerseits, weil er das Pittoreske der Stimmung,
des Halbdunkels suchte und auch Andrejew dazu veranlaßte, das Stimmungs-
hafte in den Vordergrund zu stellen. (Der Bühnendekor von Caspar Neher
war schärfer, fast mathematisch kühl pointiert gehalten.) Andererseits hatte
Pabst sich den Wünschen eines nur Kassenerfolge suchenden Produzenten
zu fUgen; infolge der Versüßlichung des "Dreigroschenoper"-Sujets kam es
von seiten Bert Brechts und Kurt Weills zu einem damals in Deutschland
vielbesprochenen Prozeß.

Heute indes, wo wir nicht mehr unter dem Eindruck der bewunderns-
werten Inszenierung des Werks auf der Bühne stehen, hat der Film gewonnen.
Zumal ja auch die dem Original innewohnende heftige Sachlichkeit - die
einander sonst ausschließenden Begriffe sind hier im Stendhalschen Sinne
vereint - im Film nicht verwischt werden konnte und außerdem die meisten
Schauspieler, abgesehen von Mackie Messer, den Rudolf Forster jetzt statt
Harald Paulsen spielt, von der Bühnenfassung in den Film übernommen
worden sind. Die plastische Herausarbeitung der Dialoge, der dynamische
Rhythmus der Chansons waren von Brecht bereits in der TheatervorfUhrung
als Beispiel gegeben und bildeten in vollendeter Weise das Gegenspiel zu
Bildeindrücken, für die Pabst zum Suggestiven seiner BÜCHSE DER
PANDORA zurückgefunden hat.

Im Gegensatz zu-Pabst ist sein großer Rivale Fritz Lang gleich von den
Ausdrucksmöglichkeiten, die der Ton dem Bild vermitteln kann, mitgerissen
worden; er gelangt völlig naturgemäß zu optischen und akustischen Kontra-
punkten. So bleiben zum Beispiel in M, als der Schatten des ungreitbaren
Mörders auf das Plakat fällt, das ftir seine Festnahme eine Belohnung ver-
spricht, Peter Lorre wie auch das kleine Mädchen, das die Warnung des
Plakats nicht verstehen kann, unsichtbar - und man hört beide miteinander
sprechen. In ähnlicher Weise zeigt Lang auch einmal nur die Schatten der
Diebe auf der Zimmerwand, während wir ihren Dialog vernehmen. Noch
in dem in einem französischen Atelier gedrehten LILIOM (1933) wendet
er das gleiche Verfahren an: er bringt lediglich die Spiegelbilder von Liliom
und seinem Kumpan im Wasser, während ihre Stimmen den Überfall, den
sie vorhaben, besprechen.

Die Toneffekte in M sind außerordentlich variiert: man erinnere sich,


daß lediglich das Geradeschlagen eines Nagels, um eine verriegelte Tür
aufzubekommen, die Anwesenheit des Mörders verrät, daß wir kurz danach
den Atem des Gehetzten keuchen hören, als seine Verfolger im Dachboden
auf die Lattenzäune schlagen. Eindringlichst werden ein paar Noten aus
Griegs Troll-Lied des "Peer Gynt" zum Leitmotiv beim Auftauchen des
Lustmörders verwendet, ihn selbst schrecken die verräterischen Laute, er
hält sich im Cafegarten die Ohren zu - und das Publikum hört dieses Pfeifen
jetzt auch gedämpfter.

Lichteffekte und Toneffekte mischen sich in den nächtlichen Verfolgungs-


szenen im TESTAMENT DES DR. MABUSE: Scheinwerfer durchstreifen
das Dickicht, durch das gleichzeitig die Signalpfiffe von vorgehenden Poli-
zisten dringen.

Auch Paul Czinner sieht gewisse Möglichkeiten des Tons, kann durch
ihn die du~pfe Spannung des Kammerspiels verstärken: in ARIANE (1931)
wie im TRAUMENDEN MUND (1932) werden die Worte subtilstes Zwi-
schenspiel, fl.igen sich organisch ein in die langen psychologischen Pausen,
die er bereits in seinen Stummfilmen mit Erfolg angebracht hat Das
beredte Schweigen seiner Figuren wird gerade im Kontrast zu dem Dialog
in Spannungsmomenten mitunter fast schmerzhaft fühlbar. Aber Czinner
bringt sich dann wiederum durch allzu sichtliche Routine und den Hang zu
Sentimentalität um seine Wirkung.

330
Richtig angewandte Dialogfl.ihrung läßt seelische Beziehungen rein durcn
die Klangfärbung zum Ausdruck kommen: so weiß Leontine Sagan, die von
der Sprechbühne herstammt, in MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) in ftir
diese Frühzeit hervorragender Weise den Dialog zu leiten, holt die spröde,
halb zerbrochene Stimme von Hertha Thiele geschickt heraus und macht
somit die Pubertätsirrungen deutlich, ohne sie in Worten auszudrücken; wir
hören das Flüstern naiv unbewußter Pensionatskonfidenten in den Schlaf-
sälen, die ganze Atmosphäre wird uns akustisch nahegebracht Vergeblich
müht sich Frank Wysbar, zur Nazizeit die erschütternde Zwiesprache von
Hertha Thiele und Dorothea Wieck in seinem sentimental mystischen Film
ANNA UND ELISABETH wieder zu beleben, einen Angstaufschrei, der
durch die Weiten hallt, zu imitieren - es gelingt ihm nicht, das einmalig
Eindrucksvolle zu erreichen.

Ein paar heitere Intermezzi in MÄDCHEN IN UNIFORM zeigen uns


deutlich, welche Frische ein rasch und kurz geführter Dialog von jungen
Menschen, ja vor allem von Kindern, dem Film bringen kann. Gerhard
Lamprechts EMIL UND DIE DETEKTIVE (1931) sind der Beweis daftir,
wie eine phantastische Diebesverfolgung durch eine lärmende Schuljungen-
Bande vom Ton her plastischen Wert bekommen kann.

*
Der Tonfilm hat leider die erstickende Fülle der Operetten- und Musik-
filme heraufbeschworen, so zum Beispiel Wilhelm Thieles DREI VON DER
TANKSTELLE, einen Film, den man auch im Ausland als charmant
empfunden hat und der heute, wenn man ihn wiedersieht, außerordentlich
schwerfällig wirkt Schlimmer noch sind jene Musikerfilme gewesen, wo das
Liebesleben berühmter Komponisten durch den unvermeidlichen Lieder~
Regen eines gebrochenen Herzens Ausdruck findet.

Die Ausstattungsrevue des "Weißen Rössls", die von Erik Charell mit
showman-Prunk in Szene gesetzt worden war, hatte in Berlin die Massen
ins Theater gezogen. Kein Wunder, daß der geschäftskundige UFA-Konzem
die Gelegenheit ergriff, diesen recht geschickt auf Publikumswirkung be-
dachten Regisseur ftir den Tonfilm zu engagieren. So hat Charell seinen
Film DER KONGRESS TANZT in der Art seiner großen Ausstattungs-
revuen mit einem großen Aufwand an Dekors und Kostümen gedreht, und
der recht leere Prunk dieses Films, der auch im Ausland viel Erfolg hatte,
hat die gesamte kommende UFA-Produktion beeinflußt.

Indes ist DER KONGRESS TANZT nicht allein schuld daran: die
deutschen Filmschaffenden haben zu lange mit dem Helldunkel gespielt,
als daß der rein kommerzielle Unterhaltungsfilm sich nicht dieser Beleuch-

331
tungseffekte bemächtigt und sie naturgemäß versüßlicht hätte. Diese Gefahr,
die bereits den Stummfilm bedroht hat - ein frappantes Beispiel sind in Stil
und Ausleuehrung so geleckt glatte Filme wie die beiden Hanns Schwarz-
Filme DIE WUNDERBARE LÜGE DER NINA PETROWNA (1929)
und UNGARISCHE RHAPSODIE (1929) -,nimmt fUr den Tonftlm zu.
Die Tobis betreibt eifrig die Fabrikation des "day dream.", die UFA fUhrt
den ganzen Requisiten-Prunk ihrer wohlversehenen Filmateliers ins Treffen,
und dies zu einer Zeit, in der unabhängige kleinere Produzenten noch vor
den hohen Kosten des neuen Tonfilmverfahrens zurückschrecken. Für die
MELODIE DES HERZENS wertet die UFA alle Suggestion des Kitsches
in Öldruckmanier als Pendant zum Melodrama aus. Hier übrigens hat das
übliche Helldunkel einer Art von Grisaille Platz gemacht, die Reliefs be-
kommen etwas Verwischtes, jede Plastik verflacht, wodurch ein peinlicher
Eindruck von fader Süßlichkelt hervorgerufen wird. Dies ist bereits 1928 für
den Hans Kyser-Film LUTHER der Fall gewesen, in dem die Architektur
von Herlth und Röhrig die Eindringlichkeit verloren hat, die noch in den
Skizzen zu spüren war.

Die Gelecktheit des sogenannten "UFA-Stils" wird den besten Kamera-


leuten aufgezwungen; vor allem der Kostümfilm hat die Folgen zu tragen.

Viele deutsche Filmregisseure pflegten sich bereits in Kostümfilmen der


Stilisierung großer Fresken im Makartstil hinzugeben oder brachten die
kleine sentimentale Anekdote in den Vordergrund - das verraten schon
Titel wie NAPOLEON UND DIE KLEINE WÄSCHERIN, ein Ellen
Richter-Film, oder Zelniks DIE TOCHTER NAPOLEONS. Das Vorbild
der Reinhardt-Inszenierungen, an die sich Oswald oder Buchowetzki hielten,
schien vergessen.

Sogar seriösere Filme wie zum Beispiel Grunes WATERLOO (1929)


sind teils anekdotisch in Bilderbogenmanier verflacht, teils als bombastische
Heldenepen gedreht worden, und die "neue Sachlichkeit" brachte hier
keinen Ausweg. Wenn man zudem Lupu Picks NAPOLEON AUF ST.
HELENA (1928) mit dem so lebensprallen NAPOLEON von Abel Gance
aus dem Jahre 1927 vergleicht, versteht man, wie ledern, wie hölzern Lupu
Picks Figuren wirken. Und dieses Gefühl, es mit einer Art von WachsfJguren-
Museum zu tun zu haben, bleibt selten bei deutschon Historienfilmen aus.
So sind die zahlreichen Filme über Friedrich den Großen, mögen sie von
Cserepy, Froelich oder Boese sein, in diesem Klischeestil gehalten, und nur
Gerhard Lamprecht weiß seinen Alten Fritz-Filmen gewisse menschliche
Züge zu geben und allzu Stereotypes zu vermeiden.


In seinen ersten Reden aus den Jahren 1933-1934 hat Goebbels erklärt,
der deutsche Film habe die Aufgabe, die Welt zu erobern und gewissermaßen
Schrittmacher für die nationalsozialistischen Truppen zu werden. Er verlangt,
man solle Filme "mit scharfen völkischen Konturen" drehen, die ein Milieu
und Menschen zeigen, wie man sie in der Wirklichkeit fmde. '

"Kraft durch Freude" verschließt dem Phantastischen und dem Traum


die Tore, aber die Nazi-Ideologie ist keineswegs imstande, eine authentische
Wirklichkeit zu schaffen, die Ersatz für diesen Verlust bedeuten könnte.

Wie der Kostümfllm, so ist der sogenannte Sozialfilm zu sehr auf schöne
Bildwirkung aus, und außerdem hat diese Filmart sich schon vor der.Hitler-
zeit niemals von dem Sentimental-Symbolischen freimachen können, das
bereits die soziale Auswirkung von SCHERBEN und SYLVESTER ge-
hemmt hatte. Man dreht nicht ungestraft Slums-Filme, die im Atelier gebaut
worden sind. Selbst dann, wenn man sich dazu entschließt, in echte Elends-
quartiere zu gehen, hinterläßt der einmal erworbene Bildstil noch unaus-
löschliche Spuren.

So ist bereits die FREUDLOSE GASSE der Prototyp des "dekorativ


Sozialen" und aller Kaschemmen- und SittenfJ.I.me, die danach gedreht
wurden. Die Ausbeutung des Pittoresken des Elends hat allen sogenannten
Sozialfilmen unendlich geschadet, selbst solchen Filmen, die ernster zu
nehmen sind als etwa Zelniks recht theatralische WEBER. In Deutschland
werden F'1lme, die wie Grunes SCHLAGENDE WETTER oder Fritz Langs
M an der Grenze der Wirklichkeit und einer halluzinierenden Irrealität
stehen, stets mehr Ausdruckskraft besitzen als Filme, die als Folge der
"neuen Sachlichkeit" in echten Berliner Elendsquartieren oder im Hamburger
Hafenviertel gedreht worden sind, wie dies bei Phil Jutzis MUTTER
KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK (1929) oder Leo Mittlers JENSEITS
DER STRASSE der Fall gewesen ist

In Grunes SCHLAGENDEN WETTERN, wo das Symbolhafte durch


eindringliche Ausleuchtung und wirksame Kameraeinstellung niemals zum
Leerlauf kommt, spielt sich die Wirklichkeit gleichsam auf einer höheren
Ebene ab. Schon Batazs hat darauf hingewiesen, wie der Bergwerksaufzug
"ein gefabrlich unheimliches Gesicht" bekommt, wie die an Haken auf-
gehängten Zivilkleider einer Reihe erhängter Menschen gleichen, wie die
Masse der sich waschenden Grubenarbeiter zur gigantischen Fleischbank
wird. (Vielleicht begreifen wir auch gerade angesichts dieses Films, warum
Pabst für seine KAMERADSCHAFT in dem plastischen Herausholen seines
Bergwerksmilieus versagt hat)

MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK zeigt besonders deutlich


Einfluß, den Ruttmanns BERLIN auf alle Sozialfllme der Epoche aus- .
bt hat Nicht nur, weil man allzuviel Aufnahmen vom Lunapark, dem
ibad Wannsee einmontiert - Jutzi bringt auch wie Joe May für seinen
:>HALT Aufnahmen der Asphaltarbeiter, die wir aus dem Ruttmann-
o kennen-, sondern weil in diesen Filmen möglichst viel rein dokumen-
;che Passagen eingeschnitten werden. Die Kamera durchforscht die
:ichter von Leuten auf der Straße, fixiert Alltagsbegebenheiten in all
:r Unmittelbarkeit. Doch gerade darum spüren wir die Unzulänglichkeit
:her "sozialen Spielfilme" noch stärker - die dokumentarisch sachlichen
auch dokumentarisch impressionistischen Passagen lassen die übliche,
dem SittenfJ.lm-Genre herübergenommene Melodramatik noch pein-
1er zutage treten.

Selbst die Darsteller leiden unter dieser Verwirrung der Gattungen: das
el der Baranowskaja ist in dem Pudowkin-Film DIE MUTTER unend-
1 viel einfacher, unpathetischer als in SO IST DAS LEBEN (1929),
n Film, den Junghans mit ihr in Prag gedreht hat und der zu sehr
teilt, einstudiert wirkt; denn alle Situationen sind zu malerisch vorbe-
:ht. So ist das Leben gewiß nicht!

Immerhin ist der Stil des Junghans-Films weniger zwiespältig als der
:1 Phil Jutzis MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK. Man spürt,
,3 Junghans von der russischen Montage gelernt hat, auch wenn er die
Jcht gewisser Einstellungen nicht durchzuhalten versteht Vielleicht ist es
r ein einziger Film, ein KurzfJ.lm, der mehr noch als MENSCHEN AM
>NNT AG (1929), dem Film von Robert Siodmak, das Alltagsleben un-
schminkt wiedergibt: Wilfried Basses MARKT AM WITIENBERG-
,A TZ, in dem die neue Objektivität unpathetisch zum Ausdruck kommt.
lSSe bedarf nicht einmal der Kameratricks wie Ruttmann, der rur seine
tpressionen in BERLIN, SYMPHONIE EINER GROSSSTADT den
irbel von Eindrücken rhythmisch verschmilzt und der Symbole benötigt,
n sie von dem symphonischen Untergrund abzuheben. Der Basse-Film
msponiert nicht, bringt das Momentane, die Zufälligkeit des puren Da-Seins.
ier wird nichts ausgelegt, man legt auch nichts unter, und das ist etwas
1gemein Seltenes; nichts ist pittoresk gestaltet.

Scheint es nicht geradezu ftir die Vorliebe der Deutschen, soziale Sujets
1 stilisieren, bedeutsam, daß es sogar einen sogenannten ,.Paul Simmel"-
ttenfJ.lm gegeben hat? Der Fall des ,.Zille-Films" Dm VERRUFENEN
925), den seinerzeit Gerhard Lamprecht unter Mitarbeit von Heinrich Zille
:dreht hat, liegt immerhin etwas anders: Lamprechts einfache menschlich-
lUbere Konzeption ließ sich nicht allzusehr ins Schematische zwingen, wie
· denn auch nie das rein Pittoreske gesucht hat So steht sein Nacbtrlegs-
lm IRGENDWO IN BERLIN (1946) trotzmancher voft der ökonomischen

334
Situation bedingter technischer Unzulänglichkeiten weit über dem Filin
GERMANIA ANNO ZERO, der ja bereits infolge Rossellinis Unkenntnis
der deutschen Sprache und der deutschen Mentalität gehandicapt worden ist

Im Grunde ist der sogenannte Sozialfilm der Nazizeit, der angeblich


"Menschen und Milieu, wie man sie in der Wirklichkeit vorfmdet", dar-
stellen sollte, nur wenig verschieden von Filmen der Vornazi-Epoche: so
unterscheidet sich der HITLERJUNGE QUEX (1933) im Stil kaum von
seiner politischen Antithese BERLIN- ALEXANDERPLATZ (1931). Bis
heute hat der deutsche Sozialfilm noch nicht zu jener tiefen schlichten
Menschlichkeit hingefunden, die Filme wie FERN EIN SEGEL, DIE
KINDHEIT VON MAXIM GORKI oder FAHRRADDIEBE haben.

Gewiß, in SO IST DAS LEBEN bestechen bestimmte von den Russen-


fllmen übernommene Passagen, ungeschminkte Schauspielergesichter und
sozusagen ein paar "ungeschminkte" einfache Situationen, auch hier und da
eindringliche Stimmungsbilder. Aber sie sind nicht hineingearbeitet und
kontrastieren mit jenen Momenten, die eben das Dekorative hervorheben.

Vielleicht sind nur zwei Filme etwas näher an die erstrebte Wirklichkeit
herangekommen: MENSCHEN AM SONNTAG (1929) und KUHLE
WAMPE (1932).

MENSCHEN AM SONNTAG,jener Debütanten-Film Robert Siodmaks,


ft.ir den Billy Wtlder das Manuskript mitschrieb, verrät noch nicht, daß diese
beiden Filmschaffenden einmal in den USA virtuose Filme voller Schock-
wirkung drehen werden. Hier herrscht eine selbstverständliche Alltäglichkeit,
nicht-professionelle Darsteller sind herangezogen worden, man filmt in den
Straßen Berlins, am Nikolassee sonntägliche Szenen, wie der Zufall sie der
Kamera darbietet, und die Geschichte selbst, eine Liebesgeschichte, wie sie
immer wieder im Leben vorkommt, hat etwas ungemein Erfrischendes.
Trotzdem bleibt der Film im Amateurhaften stecken, und nur Schüfftans
kühne Kamera-Einstellungen helfen über diesen Eindruck hinweg. Er sucht
die heute bei den amerikanischen Filmen so vielgerühmte Tiefenwirkung,
die sogenannte "profondeur du champ", von der französische Filmkritiker
so gern sprechen, indem er folgendermaßen vorgeht: er stellt irgendein Objekt,
einen Stuhl zum Beispiel, in den Vordergrund, und nimmt an ihm vorbei
die Szene auf, die so in die Tiefe rückt, während der Gegenstand im Vorder-
grund riesengroß erscheint Dies Verfahren ist indes nicht so neu, wie es den
Ansebein bat: bereits in dem WEm DES PHARAO läßt Lubitsch Licht-
effekte so walten, ·daß ganz im Hintergrund die eigentliche Szene hinter
enormen Säulenmassen herausprallt Und Dupont läßt in VARIETE die
Kamera so einstellen, daß eine Szene wie über die riesigen Schultern von
Jannings gesehen aufgenommen wird. Was neu an Schüfftans Vorgehen

335
···------
irkt, ist vielleicht die selbstverständliche Sachlichkeit (nicht die sogenannte,
ft mißbrauchte "neue Sachlichkeit"), mit der er zu arbeiten weiß; hier ist
~in Stilisierungswille mehr am Werke, nichts ist dekorativ umgebogen.

Vielleicht war dies der Weg, den der deutsche Film hätte gehen sollen.
loch es kam der Tonfilm, die Schwierigkeit, im Freien zu arbeiten, mit
lichtschauspielem, die eine Dialogflihrung benötigten, zu drehen.

Auch Slatan Dudows Film KUHLE WAMPE, den er mit Bert Brecht
;huf, zeigt gewisse amateurhafte Elemente, die noch nicht ganz überwunden
rurden und auf das Konto eines debütierenden Regisseurs zu setzen sind.
\.ber phrasenlos sachlich wird das Elend von Arbeitslosen wiedergegeben,
1itunter erreichen die Wucht der Montage, der einhämmernde Rhythmus
ler musikalischen Untermalung einer Szene eine Dynamik, die sich man-
hen russischen Filmen annähert. Man denke nur an den radfahrenden
ungen Menschen auf der verzweifelten Suche nach Arbeit, an jene Passage,
lie sich in Schnitt und Musik chaotisch steigert.

Und wie verhält es sich mit den von russischen Regisseuren in Deutsch-
and gedrehten Filmen? In Robert Wienes RASKOLNIKOW, in Conrad
Nienes MACHT DER FINSTERNIS, den beiden frühen Stummfdmen,
1at das eingesetzte Ensemble des Moskauer Künstlertheaters immerhin
1och etwas von den nationalen Stileigenschaften durchschimmern lassen.
Dies ist jedoch in Ozeps zum Ausgang der Stummfdmzeit sedrehtem
folstoi-Film DER LEBENDE LEICHNAM kaunl mehr der Fall, hier macht
1ie Konzentriertheil des Spiels von Pudowkin und der MaretzlaYa das
imitierte Russenturn der anderen Darsteller wie auch des Milieus besonders
peinlich bemerkbar. Und die Regie-Entgleisungen Ozeps, die ein Nicht-
verarbeiten konträrer russischer und deutscher Stil-Elemente hervorruft,
verstärken sich noch in seinem .Spreclüdm DER MÖRDER DIMITRI
KARAMASOW - Anna Sten offenbart nichts mehr von der Naturhaftigkeit
ihrer Russenfllmrollen. (Nur der eigenwillig seine Rolle umschaffende Fritz
Kortner und das scharf ziselierte Episodenspiel von Fritz Rasp machen
manche Passagen erträglicher.)

Auch Granowskys KOFFER DES HERRN 0. F. kranken an den


gleichen Stilungleichheiten: ein belangloses, farblos, humorlos, unplastisch
gesehenes Spießermilieu wird durch Songs, die nichts von der Prägnanz
der DREIGROSCHENOPER-Songs haben, .noch verwässert. Daran ge-
messen wirkt heute der Stummfdm DIE HOSE, den Hans Behrendt ge-
dreht hat, fast lebensvoll - es mag vielleicht das völlige Basieren auf dem
Bildwitz sein, der diesem stummen Film eine g~ Pointenwirkung gibt

336
Was ist heute von dem ehrlich bemunten ;:,ueo~;;n c.u• ..,.. ...... .....v .. , .........
Jutzi urid Jungbans, die Wirklichkeit phrasenlos wiederzugeben, übrig-
geblieben? Im Ausland kennen wir kaum genug von der heutigen deutschen
Filmproduktion, um ein. abschließendes Urteil abgeben zu können.

Die Deutschen selbst sind mitunter nicht allzu gut auf ihre eigene Film-
produktion zu sprechen. Aber ist die Zukunft des deutschen Films wirklich
so trübe, wie manche behaupten? Hoffen wir, daß man sich in Deutschland
immer mehr auf eine große Filmvergangenheit zu besinnen beginnt.


Diese Ausführungen wurden vor circa zwanzig Jahren geschrieben.
Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, und, wenn es auch
noch nicht in Deutschland zu einer solchen Blüte der Filmkunst gekommen
ist wie in den zwanziger Jahren,. so sollte man doch einer Reihe von jungen
Filmschaffenden gedenken, die heute eine seriöse Hoffnung für den Film
bedeuten, aber leider noch nicht von den Offiziellen und dem Publikum
genug anerkannt sind. Man zeigt ihre Filme nur in spezialisiert.en Kunstkinos
und nichtkommerziellen Spielstellen, auf Festspielen oder eventuell bei dem
besseren Fernsehen.

Ich denke dabei an zwei gute Filine von Schlöndorff (DER JUNGE
. TÖRLESS, DER PLÖTZLICHE REICHTUM DER ARMEN LEUTE
VON KOMBACH), an das Gesamtwerk des sehr begabten Wemer Herzog,
an die Filme von Wim Wende(S, an zwei Filme von Fleischmann (man.
vergesse die mißlungene DOROTHEA), an Dr. Kluges drei Filme und eine
Reihe anderer etwa von Hauff, Schroeter, Fassbinder, Rosa von Praunheim,
Syberberg, Peter Lilienthai vor allem.

337
IER von Zelnik

)ÄS LEBEN von Junghans


338
SPIONE vo_~ F~itz _Lang

SPIONE von Fritz Lang


339 /
:BUCH EINER VERLORENEN von Pabst

;EBUCH EINER VERLORENEN von Pabst


"40
DIE BUCHSE DER PANDORA

VORUNTERSUCHUNG von Robert Siodmak


341
' IST DAS LEBEN von Carl Junghans

.... ALEXANDERPLATZ von Phil Jutzi


342
MUTIER KRAUSENS FAHRT INS GLOCK von Piel Jutzi

MUTIER KRAUSENS FAHRT INS GLOCK


343
gescnmlnKre "'"uuaw•

::HEN AM SONNTAG von Robert Siodmak


·MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLOCK von Piel Jutzi

JENSEITS DER STRASSE von Leo Mittler


345
Fritz Lang

n Fritz Lang
346
DIE DREIGROSCHENOPER von Pabst: Das Bordell
347
)REIGROSCHENOPER

348
OIE DREIGROSCHENOPER

DIE DREIGROSCHENOPER auf der Berliner Bühne


349
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IE DREIGROSCHENOPER auf der Berliner BOhne

·.- :~..;'..;.'

\'<350
Eine Skizze von Otto Hunte für DER BLAUE ENGEL

OLYMPIA
351
lieh-dokumentarisch: DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE

Ufo-Stil: DER KONGRESS TANZT


352
Anmerkungen
1. Die Expressionisten haben diese Verwandtschaft nie anerkennen wollen: Hermann
Bahr erklärt in seiner "Sendung des Künstlers", 1923, daß die Sturm- und Drang-
Periode, die "überreich an Einfällen" und "ohne Gestaltung" gewesen sei, lediglich
eine impressionistische Stilepoche bedeute.

2. Kasimir Edschmid: Über den Expressionismus in der Literatur und die neue
Dichtung, 1917. Wenn hier im folgenden in der Hauptsache Edschmid herangezogen
wird, obwohl es weit bessere expressionistische Schriftsteller gab, so ist dies ge-
schehen, weil so besonders starr gefaßte Theorien die damalige Geisteshaltung am
eindeutigsten vor Augen fUhren.

3. "A Tribute to Carl Mayer" (Memorial Program), London 1947.

4. Carl Hauptmann, Wegener, auch Hanns Heinz Ewers haben sich in dieser Zeit
dafUr eingesetzt, den .Film auf ein höheres Niveau zu heben und dieses Ziel in der
Hauptsache durch das Filmsujet, das Manuskript zu erreichen. So wurde 1913 der
ANDERE nach einem Paul Lindau-Stück von Max Mack als Film gedreht, und so
kam es vor allem zum STUDENTEN VON PRAG (1913) von Stellan Rye mit
Paul Wegener in der Hauptrolle und zum GOLEM (1914), den Paul Wegener mit
Henrik GaJeen drehte. Man hat oft behauptet, daß ein anderer Film von Stellan Rye,
DAS HAUS OHNE TÜR (1914), bereits expressionistische Elemente enthalten
habe. Es handelt sich aber hier um eine Verwechslung mit dem erst 1921 gedrehten
Film von Friedrich Feber DAS HAUS OHNE TÜREN UND FENSTER. Feher,
der bekanntlich im CALIGARI mitgespielt hat, war von diesem Film stark beein-
flußt worden. Man spürt diesen Einfluß noch in seinem in London gedrehten Ton-
film DIE RÄUBERSYMPHONIE. Aus Fotos des Lamprecht-Archivs ist zu ersehen,
daß der Stellan Rye-Film ein ziemlich naturalistisch gehaltener Abenteurerfilm ge-
wesen isl

5. Die Gruftszene zeigtgewisse Anklänge an die Reinhardt-Inszenierung von "Romeo


und Julia".

6. Heinz Herald: Max Reinhardt, 1915.

7. Siehe: Mario Verdonein seinem interessanten Artikel "Dei Film tedesco o il gusto
del turbamento" (Bianco e Nero, Februar 1948).

8. Siehe Theodore HufT: An Index to the Films of F. W. Murnau, London 1948.

353
Ein Bild von Caspar David Friedeich "Männer, den Mond betrachtend" zeigt die
ehe bizarre Baum-Silhouette. Lang dürfte sich an dieses Bild erinnert haben, und
een ist in dem Film DER STUDENT VON PRAG dieser Anregung gefolgt.

Ursprünglich war noch eine vierte Episode "Rinaldo Rinaldini" vorgesehen.

Julius Bab: Das Theater der Gegenwart, 1928.

In TABU wird dem jungen Mädchen der Blumenkranz entrissen, den ihm der
liebte zuwarf ·.;; einen Augenblick zeigt Murnau den Kranz auf dem Boden, ein
1atten beugt sich darüber, eine Hand ergreift den Kranz. Es genügt, um uns vor
gen zu fUhren, daß der Liebende begriffen hat.

Siehe auch Josef von Sternberg, der in UNTERWELT den Schatten des Richters
·das Paar fallen läßt, von dem der Angeklagte glaubt, daß es ihn verraten hat.

Carl Mayer: "Sylvester". Potsdam 1924.

In Wirklichkeit ist diese Lift-Szene nicht durch eine Glastür aufgenommen worden,
wohl Mumau den Anschein erwecken will. Die Vorderseite des Fahrstuhles war
en, so daß der Kameramann, der mit der festgeschnallten Kamera auf einem
hrrad saß, beim Anhalten des Lifts herausfahren und sich durch das Vestibül zur
ehtür bewegen konnte. Diese ganze Bildfolge Ist also durchgehend gefilmt worden!

Siehe "Close Up": Dezember 1927, September 1928, März und April und No-
mber 1929. .
Czinner, Paull91, 288, 330
Index Dagover, Li1101, 272
Delluc, Louis 19,135
Kursive Zahlen verweisen auf Bildseiten. de Putti, Lya 279, 282, 283
Deutsch, Ernst 277 ·
Dieterle, Wilhelm 98
Dietrich, Marlene 328
Dostojewski, Fedor Michailowitsch 29
Dowshenko,Alexander99
Dreyer, Carl Theodor 298
Dudow, Slatan 336,337
Dupont, Bwald Andr6 30, 132, 199,
211-283,293,300,307,323,328,
Personenregister 335
Eckennann, Johann Peter 13, 45, 71,
Abel, Alfred 30,102, 125 95
Andrejew, Andrej 29,259,329 Bdison, Thomas Alva 12
Ba~, Julius 133, 354 Bdschmid, Kasimir 16,17, 55, 136,
Bahr, Hennann 353 207,353
Baläzs, B61a 16, 96, 99, 157,158,213, Eggeling, Viking 260,261
255,258,327,333 Eichberg, Richard 63, 73,78
Baranowskl\ia, Wera 334 EichendorfT, Joseph Freiherr von 91,
Barlach, Ernst 77 96,133
Barryt Iris 259 Einstein, Carl 275
Basse, Wllfried 334 Eisenstein, Sergej M. 116
Bassennann, Albert 33 Engel, Brich 329
Behrendt, Hans 336 Erdmann, Otto 256
Benn, Gottfried 321 Ewers, Hanns Heinz 353
Berger, Ludwig 272, 324, 325 Fanck, Arnold 204, 326, 327
Bergner, Blisabeth 191 Farrere, Claude 328
Bernhardt, Kurt 328 Fassbinder, Rainer Werner 337
BUlinger, Richard 77 Fechter, Paull11
Blonder, Leopold 327 Feber, Friedrich 353
Böcklin, Arnold 97, 158, 165, 166 Fehling, Jürgen 214
Boese, Carl120, 182, 195-197, 200, Feininger, Lyonel 115
203,332 Feuillade, Louis 244
Botticelli, Sandro 298 Feyder, Jacques 329
Brecht, Berto1t 99, 245,329, 330, 336 Fleischmann, Peter 337
Brooks, Louise 211, 312, 315, 317, 319 Fontane,Theodor75
Büchner, Oeorg 78,193 Ford, John 259
Buchowetzki, Dimltri 64, 14, 75, 78, Forster, Rudolf 329
80, 83, 173, 233, 332 Fouqu6, Friedrich Heinrich Karl
Callot, Jacques 75 (Freiherr de Ia Motte-Fouqu6) 131
Carrick,'Bdward 24 Freud, Sigmund 134
Cassou, Jean 91 Freund, Karl24, 210, 269, 270, 281
Chamisso, Ade1bert von 131 Friedrich, Caspar David 126, 354
Chardln, Jean-Baptiste Sim6on 271 Friedrich der Große 323, 324, 332
Charell, Brik 331 Friese-Greene, William 12
Clemenceau, Oeorges 89 Froelich, Carl 290, 323, 332
C1ouzot, Henri-Oeorges 102 Fröhlich, Oustav 228, 262
Cser6py, Arz6n von 332 Gad, Urban 53

355
Hose, Die 336 Mann, der lacht, l>er 11!>
Indische Grabmal, Das 79 Manon Lescaut 272, 305
Inflation 260 Markt am Wittenbergplatz 334
Informer, The 259 Marquis d'Bon 323
I. N. R. I. 63, 193 Maskerade 326
Irgendwo in Berlin 334 Melodie der Welt 328
Isn't Life Wonderful256 Melodie des Herzens 326, 332
Iwan der Schreckliche 116 Mensch ohne Namen 118
Januskopf, Der 104 Menschen am Sonntag 334, 335, 344
Jenseits der Straße 333, 345 Metropolis 48, 61, 78, 101, 104, 133,
junge Törleß, Der 337 138, 143-145, 153, 159,210,223,
Kabinett des Dr. Caligari, Das 19, 225-228,232, 234-238, 244,278,312
21-30,.35-38, 44, 51, 54, 59, 60, 90, Monna Vanna 63, 73, 78, 79
96,101,105,113,115,116,118,125, Mörder Dimitri Karamasow, Der 336
137, 140, 141, 159, 161, 182,224. Moulin Rouge 283
245,279,324,353 müde Tod, Der 48, 73, 74, 89-91,
Kameradschaft 329, 333 101-106, 110, 113, 117, 127, 157,
Kindheit von Maxim Gorki, Die 335 161, 192, 196, 229, 230, 244, 286, 300
Kleinstadtsünder 260 Mutter, Die 282,334
Koffer des Herrn 0. F., Die 336 Mutter Krausens Fahrt ins Glück 333,
Kohlhiesels Töchter 76, 82, 97, 324 334, 343, 345
Kongreß tanzt, Der 331,352 Mutter und Kind 290
Konservenbraut, Die 324 Napoleon 332
Kriemhilds Rache 117, 160, 162, 168, Napoleon auf St. Helena 332
169 Napoleon und die kleine Wäscherin
Kuhle Wampe 335, 336 332
Lady Windermere's Fan 325 Narkose 30, 102,125 .
Landru, der Blaubart von Paris 38 Nibelungen, Die 24, 91, 152, 158, 160·
Last Warning, The 138 162,174,226,261,327
· lebende Leichnam, Der 336 Ninotschka 258
Leise flehen meine Lieder 326 Nju 191,288
letzte Droschke von Berlin, Die 182, Nosferatu - Eine Symphonie des
204 Grauens 52, 96, 98-101, 104, 105,
letzte Mann, Der 96, 97, 103, 134, 186, 107-109, 114, 149, 209, 210, 300
187' 190-192, 207' 210, 214, 216- Olympla351
218, 256, 299 Operette 326
Liebe 191 Orlacs Hände 62, 137, 146, 193, 225,
Liebe· der Jeanne Ney, Die 160, 174, 324
209,210, 256-259,291, 312 Othello 74
Liliom 330 Panzerkreuzer Poternkin 116
Love Parade, The 79 Pest in Florenz, Die 73
Lucrezia Borgia 64-66, 73,74 Peter der Große 80
Luther 332 Phantom 30, 213, 254
M 104, 105, 117, 133,152, 187, 192, plötzliche Reichtum der armen Leute
223,244,247,254,264,323,330, von Kombach, Der 337
333,346 Prozeß,Der259,278,311
Macht der Finsternis, Die 292, 336 Puppe, Die 76, 77
Madame Dubarry 68, 74,77-79, 85, Raskolnlkow 29, 35, 39, 41, 119, 324,
144 336
Mädchen in Uniform 30, 117,323,331 Rattentilnger von Hameln, Der SO,
Mann, der den Mord beging, Der 328 159,201

360
Kauoersytupuuu~<:, J..Ji~:> .>.I.> ~auu.u.~. VI, v;;, .... J.v
Rennsymphonie 261 Vari~t~ 30, 132, 199, 278,279,281-283,
Revolte der Fischer, Die 224 289, 290, 306, 307, 335
Romeo und Julia im Schnee 76, 324 Veritas vincit 79
Rübezahls Hochzeit SO Verlorene, Der 123
Salto Mortale 283 verlorene Schuh, Der 272, 324, 325
Sappho233 Verrufenen, Die 334
Schatten 40, 90, 134, 135, 138, 140, Vier Teufel133, 281
148-150,225 Von morgens bis Mittemacht 29, 30,
Schatz, Der 173,174, 176, 177 42,91
Scherben 181, 182, 292, 333 Vormittagsspuk 260
Schlagende Wetter 227, 323, 333 Voruntersuchung 341
Siegfried (Siegfrieds Tod) 116, 117, Wachsf~gurenkabinett, Das 66, 91, 102,
162, 164, 165, 167-169, 193, 202, 113,114, 118,12a 128,132,213,280
223,226,229-23423~ 284 Wahnsinn 285
So ist das Leben 334, 335, 338, 342 · Walzertraum, Ein 324
Spinnen, Die 80, 243, 244 Waterloo 332
Spione 246, 248, 339 Way Down East 298
steinerne Reiter, Der 30, 52,90 Weber, Die 122, 124, 324,333,338
Straße, Die 122, 254,255,263, 287, 304, Weib des Pharao, Das 77,335
323 weiße Hölle vom Piz Palü, Die 204,
Student von Prag, Der (1913) 23, 32, 326
50,353 Westfront 1918 329
Student von Prag, Der (1926) 62, 105, Wind, The 102
126, 131, 133, 151, 193, 285, 289, Wir sind vom K. und K. Infanterie-
326,354 Regiment324
Student von Prag, Der (1936) 326 Wochenende 328
Sumurun 74,79,84 wunderbare Lüge der Nina Petrowna,
Sunrise (Sonnenaufgang) 98, 99, 136, Die 332
212,299, Zur Chronik von Grieshuus 52, 69.
Sylvester 90, 96, 103, 133, 141, 179, 166, 192, 284
182,186,187,190,191,205,207,
214, 287, 333
Thbu 97, 100, 133, 210, 354
Tagebuch einer Verlorenen 104, 136,
211,312,315,316,31~ 340
'Thrtüß' 114, 269, 270, 272, 274, 325
tausend Augen des Dr. Mabuse, Die
244
Testament des Dr. Mabuse, Das 330,
352
Tochter Napoleons, Die 332
Torgus 29, 43, 286, 298
träumende Mund, Der 330
'IHumph des Willens 226
Th>jas Untergang 79
Überfall (Polizeibericht: Überfall) 30,
219, 220, 272
Ungarische Rhapsodie 332
Unterwelt 354
Vampyr298

361

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