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Ego States und Traumatherapie

Luise Reddemann1)

In mir selbst einen Staat gründen, mit Politik, Parteien


und Revolutionen, und dies alles selbst sein, Gott im
wirklichen Pantheismus dieses Ich-Volkes
Wesen und Handeln seiner Körper ... Alles sein, sie
sein und nicht sie sein
(Fernando Pessoa)

Einleitung
Fernando Pessoa beschreibt auf eindrucksvolle Weise, was es bedeuten kann, sich als
viele zu erleben. Ich schätze dieses Gedicht deshalb, weil deutlich wird, dass es nicht
etwas Pathologisches sein muss, sich als viele zu erleben. Künstler haben das vermut-
lich schon immer gewusst. Wenn wir an polyphone Musik denken, wie z.B. an Bachs
„Kunst der Fuge“ oder seine Kantaten, dann können wir uns daran erinnern, dass da
immer gleichzeitig und gleichberechtigt viele Stimmen erklingen. Es hat mich immer
wieder verwundert, dass in der Zeit des späten Bach und nach ihm eher Musik als
schön galt, in der eine Stimme führt. (Selbstverständlich gab es auch nach Bach noch
polyphone Musik, z.B. die „Große Fuge“ von Beethoven). Der geistesgeschichtliche
und kulturhistorische Prozess hat sich im philosophischen Denken des 19. Jahrhun-
derts niedergeschlagen, so dass die Idee eines konsistenten Ich immer wichtiger und
„wahrer“ zu werden schien. Tatsächlich ist natürlich sowohl das eine wie auch das an-
dere nur eine Sichtweise und eine jede hat ihre Berechtigung. Man kann auch an Frida
Kahlos Bilder von den zwei Fridas denken: immer wieder hat sie diese Bilder gemalt,
in denen sie ihre beiden Seiten darstellt, unabhängig davon, ob das dem Zeitgeist ent-
sprach oder nicht. Es war Frida Kahlo durch diese Gestaltbildung möglich, ihre see-
lisch schwer verletzte Seite mit anderen, weniger verletzten, hoffnungsvolleren gleich-
zeitig darzustellen und sie macht uns damit darauf aufmerksam, dass wir mehr sind als
eine bestimmte Seite unserer selbst.
In jüngerer Zeit hat der Komponist Conlon Nancarrow Werke geschaffen, in denen

Hypnose, 2 (1+2), Oktober 2007 101


Hypnose 2007, 2(1+2), 101-115 Zusammenfassung, Abstract, Résumé

Theorie-Artikel / Discussion Article

Luise Reddemann, Universität Klagenfurt

Ego States und Traumatherapie


These: Ego State Therapie eignet sich sehr gut in der Traumatherapie. Darlegung der
These: Es wird dargelegt, wie sich Ego State Konzepte in die Behandlung von Menschen mit
Traumafolgestörungen integrieren lassen und wie sehr dieses Konzept den Bewältigungsver-
suchen der PatientInnen nahe kommen kann, so dass ihre Selbststeuerungskompetenzen ge-
stärkt werden. Schlussfolgerung: Das Ego State Modell scheint sich besonders für die Arbeit
mit kindlichen Anteilen zu bewähren sowie in der Arbeit mit als störend und destruktiv erleb-
ten Teilen. Es wird besonders Wert darauf gelegt, dass diese Form des therapeutischen Zu-
gangs für die Affektsteuerung der PatientInnen von Gewinn sein kann.
Schlüsselwörter: Ego State Therapie, Traumatherapie, inneres Kind, Dissoziation,
Affektregualtion

Ego states and trauma therapy


Thesis: Ego state therapy is very useful in trauma therapy. Development of the theme: It
is shown how ego state approaches can be integrated into treatment of post traumatic stress
disorder patients, and how well these approaches match the coping strategies of such patients
in order that their self regulative skills can be improved. Conclusion: The ego state model
seems to be useful especially for dealing with child parts as well as with disturbing and
destructive parts. It is emphasized that this kind of therapy is especially useful for affect regu-
lation of traumatized patients.
Key Words: Ego state therapy, trauma therapy, inner child, dissociation, affect regulation

Ego state et la thérapie de traumatismes


Thèse: L’ „ego state therapy“ se prête très bien au traitement des traumatismes. Exposé
de la thèse: L’auteur démontre comment les concepts de l’ «ego state therapy» se laissent inté-
grer dans le traitement de personnes affectées de troubles post-traumatiques et combien ce
concept peut se rapprocher des tentatives que font les patients pour gérer eux-mêmes leur pro-
blème, de sorte qu’ils voient leurs compétences d’auto-régulation renforcées. Conclusion: Le
modèle de l’ «ego state» semble particulièrement adapté au travail avec les instances infanti-
les ainsi qu’au travail avec les vécus perturbants et destructeurs. L’accent est mis sur le fait
que cette forme d’accès thérapeutique peut être un bénéfice pour le contrôle des affects.
Mots-clé: ego state therapy, thérapie de traumatismes, enfant intérieur, dissociation, régu-
lation des affects (Philip Zindel et Eric Bovin)

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Reddemann

die verschiedenen Stimmen, die von einem speziell präparierten Klavier gespielt wer-
den, also nicht mehr von menschlicher Hand, völlig getrennt von den jeweils anderen
erklingen, d.h. die Rhythmen und die Zeiten der einzelnen Stimmen gehen gänzlich
voneinander getrennte Wege, sie begegnen sich nur noch zufällig. Ich höre diese Mu-
sik, die mir übrigens gut gefällt - auch wenn manch einer sie für verrückt halten mag,
insbesondere wegen ihres irrwitzigen Tempos -, auch unter Ego State Gesichtspunkten
und empfinde sie als eine Art Auseinandersetzungen mit den Traumata des 20. Jahr-
hunderts: Das völlige Auseinanderfallen verschiedener Anteile, dennoch zusammen-
gehalten in dem einen Stück und durch seinen Schöpfer.
Nach den Vorstellungen von C.G. Jung sind alle Gestalten, die in einem Traum auf-
tauchen, letztlich wir selbst, schon allein deshalb, weil wir SchöpferIn unserer Träume
sind. Die Beispiele wären beliebig fortzusetzen. Sie zeigen, dass es diese Vielfalt in
einem selbst gibt, und wir wissen heute, dass traumatische Erfahrungen begünstigen,
dass jemand unbewusst sich selbst als viele konstruiert.
Nehmen wir zunächst ein alltägliches Beispiel: Eine Managerin, die tagsüber im
Kostüm in die Firma geht und sich dort sehr korrekt verhält, spielt abends mit ihren
Kindern und tobt mit ihnen herum; hat sie zwei oder mehrere Kinder, richtet sie sich
auf die verschiedenen Altersstufen ganz selbstverständlich ein. Man könnte sagen, die
Berufsfrau befindet sich in einem anderen State als die Mutter und diese noch einmal
in verschiedenen States, je nach dem, mit welchem Kind sie gerade zusammen ist. Es
kann sich um energetisch völlig verschiedene Zustände handeln. Es gelingt dieser
Frau, diese Zustände gut getrennt zu halten, obwohl ihr sowohl der eine wie die ande-
ren bewusst sind. Das wären dann im Ego State Modell zwei oder mehr Ego States,
die mit Pathologie nichts zu tun haben.
Anders wäre es, wenn diese Frau von ihren verschiedenartigen Existenzen nichts
oder kaum etwas wüsste, wenn sie also abends nicht mehr wüsste, was sie tagsüber
getan hat. Das haben wir früher nicht für möglich gehalten und die Patienten beschul-
digt, sie würden lügen, oder wir haben von ihnen zu früh gefordert, sie müssten die
Verantwortung für dieses Verhalten übernehmen. Heute wissen wir, dass Patienten
durchaus nicht lügen, wenn sie über bestimmte Zeiten ihres Lebens nichts sagen kön-
nen und sich nicht erinnern. Diesen PatientInnen können wir mit herkömmlichen
Konzepten nicht unbedingt verständnisvoll begegnen. Da finde ich das Ego State Mo-
dell erheblich hilfreicher.
Hier ein klinisches Beispiel: Frau X. berichtet, dass ihr gestern im Aufzug schlecht
geworden sei. Sie verstehe das überhaupt nicht. Die Therapeutin fragt, ob es sein kön-
ne, dass ein anderer Teil von ihr darüber Bescheid wisse. (Die Patientin ist bereits mit
dem Ego State Modell vertraut.) Die Patientin wird still und scheint nach innen zu
schauen, nach etwa einer Minute wird sie sehr unruhig. Die Therapeutin vergewissert
sich zunächst, ob die Patientin noch sicher im Hier und Jetzt verankert ist. Nein, das
sei sie nicht, aber jetzt gehe es wieder. Sie habe ein kleines Mädchen, vielleicht 6-
oder 7-jährig wahrgenommen und dem gehe es schlecht. Therapeutin: „Können Sie

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Ego States und Traumatherapie

mit der Kleinen sprechen, wenn Sie sich vorstellen, sie sei etwas weiter entfernt von
Ihnen oder möchten Sie sich vorstellen, dass Sie sie auf einem Bildschirm nur von
ferne sehen?“ Pat.: “Wenn ich mir vorstelle, sie ist ein bisschen weiter weg, geht es.
Sie sagt, gestern im Aufzug sei jemand gewesen, der ihr Angst gemacht habe.“ Th.:
„Können Sie ihr versichern, dass Sie auf sie aufpassen und dass ihr jetzt nichts
Schlimmes passieren kann, weil Sie da sind und erwachsen sind?“ Pat. „Ja, das hilft
ihr.“ Weiter unten werde ich diese Situation weiter ausführen.
Im Folgenden will ich kurz das theoretische Modell der Ego States und verwand-
ter Konzepte darstellen. Danach soll das Thema der Gefühlsüberflutung, mit der wir
es häufig bei traumatisierten PatientInnen zu tun haben, besprochen werden und wie
das Ego State Vorgehen helfen kann, dieser Problematik zu begegnen. Schließlich
werde ich anhand der Konzepte des „inneren Kindes“ und der „malignen Introjekte“
die Nützlichkeit des Ego State Modells darlegen.

Was beinhaltet die Theorie der Ego States


und die daraus abgeleitete Therapie?
Die Ego State Therapie wird in den USA seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet, ins-
besondere in der Behandlung von (schwer) traumatisierten Patientinnen und Patien-
ten. Sie fußt auf den Konzepten von Paul Federn (1952), der den Begriff Ego State
eingeführt hat, da für ihn das Konzept der drei seelischen Instanzen - Ich, Es und Übe-
rich - die Komplexität der Persönlichkeit nicht ausreichend zu erfassen schien. Es
kommt auf das Grundprinzip an: Verschiedene Aufgaben werden verschiedenen States
zugeordnet. Das heisst, das Prinzip der inneren „Vielheit“ ist leitend und Ressourcen
generierend. Watkins, der bei Federns Lehranalysand Edoardo Weiss in Analyse war,
hat dann die Ego State Therapie ausformuliert. Nach ihm steht sie auf „drei Beinen“:
der Psychoanalyse, der Hypnose und den Erkenntnissen über dissoziatives Verhalten
von Janet (Watkins & Watkins, 2003).
Als wesentlich an der Ego State Arbeit wird hervorgehoben, dass das Übertra-
gungs- und Gegenübertragungsgeschehen auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen
und genutzt wird: Auf der Ebene der Beziehung der Patientin zur Therapeutin und auf
der Ebene der Beziehung der einzelnen Ego States zur Therapeutin. So kann man sich
vorstellen, dass die erwachsene Patientin eine gänzlich andere Beziehung zur Thera-
peutin pflegen möchte als ein kindlicher Ego State. Im Unterschied zu traditioneller
Therapie wird man nun aber die kindlichen Ansprüche und Wünsche eher mit dem
kindlichen Ego State bearbeiten und nicht in erster Linie mit der Erwachsenen. Bei
diesem Vorgehen ist es mir wichtig, dies - wo immer möglich - mit Hilfe des oder der
erwachsenen States zu machen, darauf komme ich noch zurück. Schließlich gilt es
auch, die Beziehung des erwachsenen Ich zu den Teilen zu berücksichtigen sowie die
Beziehung der Teile untereinander.
Die Ego State Arbeit ermöglicht zudem, nicht formelle traditionelle Hypnose als

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Reddemann

„Bein“ zu nutzen, sondern Alltagstrance und suggestive Interventionen i. S. von Für-


stenau (2001). Hier gibt es allerdings Unterschiede, da manche Ego State Therapeut-
Innen auch gerne mit traditionellen hypnotischen Techniken arbeiten, während ich
eher mit Alltagstrance vorgehe. Dies bezieht sich vor allem auf traumatisierte Patient-
Innen, für die es wichtig ist, möglichst viel bewusste Kontrolle zu behalten.
Bei traumatisierten Patienten lässt sich die Schutzfunktion der States oft besonders
gut erkennen und benennen. Das gilt sogar, wenn das manifeste Verhalten eines States
destruktiv oder dysfunktional erscheint (z.B. bei Täterintrojekten; vgl. weiter unten).
Das wichtigste Ziel der Ego State Therapie ist es, dass verschiedene Teile der "inne-
ren Familie" zu konstruktiver Kommunikation und Kooperation angeregt werden.
Nach unserem heutigen Wissensstand „entstehen“ Ego States besonders häufig in
belastenden oder gar traumatischen Situationen. Forscher wie Myers und Nijenhuis
sprechen in diesem Kontext von der strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit (vgl.
dazu z.B. Nijenhuis et al., 2004 [vgl. auch van der Hart & Nijenhuis, 1995; Anm.
Hrsg.]).
Was heißt das? Aufgrund der überwältigenden Erfahrung durch das Trauma kann
sich die Persönlichkeit in wenigstens zwei Teile spalten, einen quasi normal funktio-
nierenden Teil, der „anscheinend normale Persönlichkeit, ANP“, genannt wird und ei-
nen dem Trauma verhafteten Teil, der als „emotionale Persönlichkeit, EP,“ bezeichnet
wird. Finden vielfältige Traumatisierungen statt, können sich sowohl mehrere ANPs
wie auch EPs entwickeln. Der heute gebräuchliche Begriff der strukturellen Disso-
ziation hat m.E. sehr viel gemeinsam mit dem Ego State Konzept, geht aber mehr von
einem neurobiologischen Verständnis traumatischer Prozesse aus. Klinisch jedenfalls
scheinen die beiden Konzepte weitgehend identisch.
Sehr eindrucksvoll hat das die Kinderbuchautorin Jutta Bauer (2000) dargestellt.
In dem kleinen bebilderten Text „Schreimutter“ heißt es vom kleinen Pinguin: „Heute
hat Mutter so geschrieen, dass ich auseinander geflogen bin. Mein Kopf flog ins Welt-
all. Mein Körper flog ins Meer. Meine Flügel verirrten sich im Dschungel. Mein
Schnabel landete in den Bergen. Mein Po verschwand in der Stadt. Meine Füße blie-
ben stehen, aber dann rannten sie und rannten. Ich wollte suchen, aber die Augen
waren im Weltall ... wollte schreien, aber der Schnabel war in den Bergen ... wollte
flattern, aber die Flügel waren im Dschungel.“
Das Wissen um dissoziative Prozesse als Schutz hilft, die Notwendigkeit von von-
einander mehr oder weniger getrennten Teilen - States - anzuerkennen und sie nicht
vorschnell beseitigen zu wollen. Aus meiner Sicht handelt es sich um Phänomene, die
uns darauf hinweisen, dass wir i.S. von Erickson nutzen - utilisieren - und würdigen
sollten, was bereits da ist.
Prinzipiell kann man verschiedenen Erlebnisinhalten, Gefühlen und Aufgaben ver-
schiedene States zuordnen. Das heißt, das Prinzip der inneren „Vielheit“ ist grundle-
gend und, wie schon erwähnt, auch Ressourcen generierend. Je nach Notwendigkeit
kann die Therapeutin neben dem erwachsenen Ich, das ich stets zunächst anzuspre-

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Ego States und Traumatherapie

chen versuche, auch fürsorgliche, beelternde oder andere hilfreiche Teile einladen.
Vermittelnde Aufgaben können dann beispielsweise auch von der „inneren Weisheit“
bzw. dem imaginierten weisen alten Menschen wahrgenommen werden.
Janet ging davon aus, dass verschiedene Aspekte der Persönlichkeit, die verschie-
dene Muster von Gefühlen und Kognitionen enthalten, nur durch Hypnose aktiviert
werden können, eine Vorstellung, die man heute so nicht mehr unbedingt teilen würde.
Es genügt fast immer, eine Patientin einzuladen, sich „ihr jüngeres Ich“ vorzustellen
und damit in Kontakt zu gehen.
C.G. Jung sah die Persönlichkeit ebenfalls als etwas Vielfältiges mit verschiedenen
Teilen (Archetypen, Komplexen), die sowohl bewusst wie unbewusst sein können. So
gibt es das Konzept des ewigen Jünglings, des göttlichen Kindes usw. Auf diese kann
man, wenn man die „innere Kind“-Arbeit einer Patientin näher bringen will, ebenfalls
gut zurückgreifen.
Es sei betont, Ego States sind ein Konzept. Der Wert des Konzeptes liegt in seiner
klinischen Stimmigkeit, Handhabbarkeit und Einfachheit.
Eine der mir am wichtigsten erscheinenden Prämissen der Ego State Arbeit ist,
dass jeder State eine adaptive Funktion hat bzw. hatte. States sind in unterschiedlicher
Weise voneinander getrennt. Die Dissoziation mag schwächer oder stärker sein. Man-
che Autoren sprechen auch von einer "Membran" zwischen den States, die ganz
durchlässig bis völlig undurchlässig sein kann, dann könnte man auch von einer
Mauer sprechen [vgl. Frederick in diesem Heft; Anm. Hrsg.]. Probleme können da-
durch entstehen, dass verschiedene States verschiedene Interessen, Bedürfnisse, Ent-
wicklungsstadien (das würde dann bedeuten, es gibt viele verschiedene kindliche Ego
States) etc. aufweisen, die miteinander in Konflikt sind. So könnte z.B. ein jugendli-
cher State gänzlich andere Bedürfnisse haben als der State eines kleinen Kindes. Sym-
ptome wie Angst, Panik, PTSD u.v a m. lassen sich häufig als Ausdruck verschiede-
ner Ego States und deren Probleme verstehen. Oft handelt es sich um sog. kindliche
States, die in der Zeit der Traumatisierung/Verletzung wie eingefroren sind.
Wenn man die verschiedenen States willkommen heißen und nutzen kann, hat man
einen großen Reichtum zur Verfügung, der anders oft gar nicht zum Tragen kommt.

Zum Umgang mit Gefühlen


Leider wird auch heute noch in vielen Therapien mit Traumatisierten zu wenig darauf
Rücksicht genommen, dass Gefühlsüberflutung häufig ist und dass es sich dabei um
eine Art Retraumatisierung handeln kann. Dabei wird übersehen, dass das, was man
als „emotiozentrisch“ bezeichnet, keine Aussage über ein therapeutisches Vorgehen
bedeuten muss, sondern dass wir emotionsgetragen lernen. Nun gibt es aber Men-
schen, die fürchten sich bewusst oder unbewusst so sehr, von ihren Emotionen über-
rollt zu werden - Nijenhuis beschreibt das als Phobie vor der eigenen Emotionalität -,
dass sie sich auf emotiozentrische Arbeit nicht einlassen können; ich meine, sie kön-

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Reddemann

nen sie sich einfach zum gegebenen Zeitpunkt nicht leisten. Und sie haben dafür eine
Lösung gefunden: sie verteilen ihre Emotionen auf verschiedenste Ego States. Ihre all-
tagstauglichen States sind hingegen relativ weit entfernt von den Emotionen, so dass
sie relativ „normal“, aber auch oft gefühlskalt erscheinen.
Mich beeindruckt an dieser menschlichen Möglichkeit, sich als viele zu begreifen
und zu definieren, vor allem dass sich hier eine enorme Ressource auftut, die gerade
Menschen nach traumatischen Erfahrungen spontan für sich nutzen. Unter anderem
beinhaltet das Viele-sein – und damit meine ich keinesfalls nur die sog. multiple Per-
sönlichkeit –, dass emotionale Inhalte, die belastend sind, so weit vom Alltagsbewuss-
tsein ferngehalten werden können, dass ein alltägliches Funktionieren überhaupt erst
möglich ist.
Dazu schreibt der portugiesische Dichter Fernando Pessoa: „Die großen Ängste
unserer Seele sind immer kosmische Katastrophen. Wenn sie über uns hereinbrechen,
geraten um uns herum Sonne und Sterne aus ihrer Bahn. In jeder fühlenden Seele wird
das Schicksal früher oder später zu einer Apokalypse übergroßer Angst, und Himmel
und Welten brechen herein über ihre Untröstlichkeit“ (Pessoa, 2006, S. 164; Hervor-
hebungen L.R.).
Natürlich gibt es traumatisierte PatientInnen, die von einer gefühlsbetonten Arbeit
profitieren, dann sollte man sie ihnen nicht vorenthalten. Aber viele verschlechtern
sich durch stark gefühlsorientierte Arbeit, weil sie den damit verbundenen Kontroll-
verlust schlecht verkraften. Bei Pessoa habe ich den Eindruck, dass er durch sein
Schreibenkönnen einen Weg gefunden haben könnte, sich zu entlasten, auch dadurch,
dass er sich selbst als Viele definiert. Er hatte eine ganze Reihe unterschiedlicher Iden-
titäten und schrieb unter verschiedenen Heteronymen. In „metaphysische Gedanken“
stellt Pessoa tiefgründige Überlegungen an: „Die einzige Wirklichkeit sind für mich
meine Wahrnehmungen. Ich bin eine Wahrnehmung von mir. Dennoch bin ich mir
nicht einmal meiner eigenen Existenz gewiß ...“ (S. 553) - weil er sich seiner Wahr-
nehmungen nicht sicher ist oder sein kann. Daraus leitet Pessoa u.a. seine Vielheit ab
und die Imagination: „Ich vergolde mich mit vorgestellten Sonnenuntergängen, aber
auch das Vorgestellte ist in der Vorstellung lebendig. Ich freue mich über imaginäre
Brisen, das Imaginäre aber lebt, wenn man es sich vorstellt. Verschiedenen Hypothe-
sen zufolge habe ich eine Seele, aber diese Hypothesen haben ihre eigene Seele, und
die schenken sie mir. Das einzige Problem ist das Realitätsproblem, es ist so unlösbar
wie lebendig“ (S. 259). Wenn man Pessoa nicht pathologisieren will, was aus meiner
Sicht vorschnell wäre, kommt man nicht umhin, das Viele-Sein als eine kreative Form
des In-der-Welt-Seins anzuerkennen.
Die Traumaforschung hat uns darüber belehrt, dass Menschen nach einem Trauma
„dicht machen“, ihre Gefühle nicht mehr spüren können, und dass das ein Schutz ist.
Andererseits leiden viele auch oder ausschließlich an der Überflutung durch Gefühle.
Wie bekannt sein dürfte, reagiert dann der Mandelkern im Gehirn wie ein überemp-
findlicher Feuermelder, der schon auf eine brennende Zigarette hin Alarm schlagen

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Ego States und Traumatherapie

würde. Wir wissen auch, dass wir insbesondere bei in der frühen Kindheit traumati-
sierten PatientInnen mit einer ineffizienten dämpfenden und modulierenden Funktion
der orbitofrontalen Region auf den Mandelkern zu rechnen haben (Schore, 2002), was
dazu führt, dass der betroffene Mensch sich schlecht oder gar nicht selbst beruhigen
kann.
Zu intensiver Ausdruck von Gefühlen ist in der Regel mit einer Überidentifikati-
on mit dem Gefühlszustand verbunden. Dies aber fürchten die Menschen, die dicht
machen und wahrscheinlich haben sie zuvor irgendwann erlebt, wie schrecklich es ist,
von einem oder mehreren Gefühlen überwältigt zu sein. Nicht selten werden ja in die-
sem Zusammenhang auch Metaphern benutzt wie „in den Gefühlen ertrinken“, oder
„Dammbruch der Gefühle“. Ein Ausweg scheint mir daher ein Umgang mit Gefühlen
zu sein, der Schutzmechanismen aufgreift und diese Schutzmechanismen als Ressour-
ce nutzt.
Fähigkeiten zur Distanzierung von Gefühlen werden daher ausdrücklich gefördert.
Und damit sind wir dann bei vielen unserer PatientInnen bei dem Respekt vor ihren
Ego States, auf die sie ihre Gefühle verteilen. Besonders wirksam hat sich dabei die
Arbeit an der Fähigkeit herausgestellt, sich selbst beobachtend wahrzunehmen. Man
kann daher den beobachtenden Teil als eigenen Ego State konzeptualisieren.
Menschen mit Traumafolgestörungen können z.B. Elemente der Emotionalen
Intelligenz (EI) erlernen (Goleman et al., 2003), für sie scheint mir das sogar beson-
ders wichtig. EI beinhaltet die Kompetenzen der Selbstwahrnehmung, des Selbstma-
nagements, des sozialen Bewusstseins und des Beziehungsmanagements. Ego States,
die über einzelne dieser Fähigkeiten in unterschiedlichem Maße verfügen, können an-
hand dieses Konzepts erkannt und beschrieben werden. Die therapeutische Aufgabe
besteht darin, die verschiedenen Anteile einander begegnen zu lassen, sie miteinander
bekannt zu machen und oft erst einmal um die Bereitschaft zur Koexistenz zu werben;
ist diese erreicht, geht es darum, Kommunikation und schließlich Kooperation anzu-
regen. Ich nenne es auch „Brücken bauen“ zwischen einzelnen States; so beschreibt
denn auch der Ausdruck „Psychotherapie mit der inneren Familie“ diese Art der Ar-
beit sehr plastisch.
Es sei erwähnt, dass Menschen mit einer Traumafolgestörung ihrem oft gewohn-
heitsmäßigen Dissoziieren, d.h. dem Auseinanderhalten von verschiedenen Bewusst-
seinsinhalten, mit der „Übung in Achtsamkeit“ wirksam begegnen können. Damit
können dann auch die verschiedensten States genauer wahrgenommen werden.
Wird das Wahrgenommene als zu schmerzhaft empfunden, z.B. Gefühle bzw.
Gefühle der States oder auch Körperempfindungen, nutzen wir die Fähigkeit vieler
Menschen zur Separation, wie ich das lieber nenne als Spaltung, indem wir dazu ein-
laden, dass die Patientin bewusst mit der Vorstellung ihrer „inneren Beobachterin“ ar-
beitet und sich dadurch wiederum vom Wahrgenommenen distanzieren kann.
Wenn Achtsamkeit bewusst verwendet wird, hat dies andere Auswirkungen, als
wenn die Patientin unbewusst „neben sich steht“, obwohl der Mechanismus vermut-

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Reddemann

lich ein ähnlicher, wenn nicht der gleiche ist.


In meinem therapeutischen Ansatz, ähnlich wie in der Gestalttherapie oder z.B. im
Konzept von Virginia Satir vom „inneren Theater“, oder in der Teilearbeit in der Hyp-
notherapie, um nur einige zu nennen, kann mit Gefühlen auch spielerisch umgegan-
gen werden, indem man ihnen z.B. eine Gestalt gibt, mit ihnen spricht etc. Dies ist
eine Art des Tagträumens. Wenn wir träumen, ist es für uns natürlich, dass verschie-
denste menschliche und nicht-menschliche Wesen unseren Innenraum bevölkern. Ich
verwende gerne das Bild eines Hauses mit vielen Zimmern. Jedes Zimmer wird von
einem State bewohnt, gelegentlich treffen sich alle BewohnerInnen des Hauses für
gemeinsame Konferenzen oder gemeinsame Aktivitäten. Jede/r Bewohner/in hat das
Recht, so zu leben, wie es ihr entspricht, so lange sie anderen damit nicht schadet. Da-
mit sind die Grenzen abgesteckt. Schadet ein Bewohner den anderen, so gilt es nach
dem Ego State Modell herauszufinden, inwieweit dieser Bewohner sein Verhalten als
Schutz (miss-)versteht. Dies ist zunächst zu würdigen, um dann für eine besser gelin-
gende Kommunikation zu sorgen. Wir schauen auch mit einem psychodynamischen
Blick des Verstehen-Wollens. Die Interventionen allerdings entsprechen eher Fürste-
naus Idee vom suggestivem, sprich Ressourcen orientierten Intervenieren, gepaart mit
psychoanalytischem Verstehen sowie systemischem, also Selbstorganisation berück-
sichtigendem Denken, oder auch der Progressionsorientierung; hier erfüllt sich also
Watkins´ Forderung nach den verschiedenen Beinen.

Arbeit mit kindlichen Anteilen


Schon seit längerer Zeit arbeitet man in der Psychotherapie mit einem Konzept des
sog. inneren Kindes. Diese Arbeit mit dem „inneren Kind“ lässt sich sehr gut als Ego
State Arbeit konzeptualisieren, ja, nach meinem heutigen Wissen tun wir gut daran, sie
so zu konzeptualisieren, denn aus Sicht der Ego State Therapie sind in einem
Menschen mehr Teile präsent als das innere Kind, nämlich mindestens der Erwachse-
ne und das Eltern-Ich, wie es in der Tranksaktionsanalyse früher hieß. Wenn man da-
ran denkt, dass gerade extrem belastende Situationen die Bildung von Ego States för-
dern, so lässt sich vorstellen, dass es z.B. bei frühkindlicher Traumatisierung sehr vie-
le kindliche States gibt. Aber eben auch noch andere „HausbewohnerInnen“, z.B. sog.
Täterintrojekte.
Eine gute Übung, um sich mit diesen verschiedenen States vertraut zu machen, ist
das „innere Team“ (Reddemann, 1998, 2001). Bei dieser Übung wird rasch ersicht-
lich, wie die verschiedenen Teile dem Selbst dienen und wie die angeregte Kommu-
nikation zu mehr Vollständigkeit führen kann. Ich empfehle TherapeutInnen diese
Übung, um sie mit dem Konzept der Ego States vertraut zu machen. Bei PatientInnen
ist darauf zu achten, dass sie jeweils zunächst - wenn möglich - gute Momente für ihre
jüngeren Ichs finden, also z.B. den Teenager in guter Verfassung. Erst wenn sie mit
der Übung vertraut sind und sich in der therapeutischen Beziehung sicher aufgehoben
fühlen, sollte man diese Übung auch mit belasteten Teilen erwägen.
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Ego States und Traumatherapie

Kommunikation mit dem kindlichen Anteil


Eine Patientin berichtet, sie kümmere sich ganz viel um ihr inneres Kind. Als ich sie
frage, wie sie das macht, berichtet sie, sie mache für es „Tonglen“, eine spezielle bud-
dhistische Mitgefühlsübung. Ich frage sie, ob sie ihr Kind denn schon einmal gefragt
habe, was es von ihr wolle. Sie schaut mich verblüfft an, nein, das habe sie nicht ge-
macht.
Ich nenne dies einen „dialogischen Kontakt“ mit dem inneren Kind. Und es macht
eben einen Unterschied, ob man diesen mit dem Kind herstellt oder ob man irgend et-
was tut, von dem man nur annimmt, dass es gut für das Kind sei (ganz wie im „rich-
tigen Leben“).
Eine Voraussetzung für Ego State Arbeit ist ein stabiles Arbeitsbündnis mit dem
Gesamtsystem, d.h. man braucht die Zustimmung aller Teile zur Psychotherapie wie
auch zur Ego State Arbeit. Geht das nicht, so kann man mit ablehnenden Teilen versu-
chen, Stillhalteabkommen zu schließen, was meist gelingt.
Erst danach kann man anstreben, dass man Ego State Arbeit mit dem inneren Kind
zur Stabilisierung bzw. Ich-Stärkung und für mehr innere Sicherheit durchführt, und
dass man mit Ego States arbeitet, die mit Symptomen belastet sind. Das bedeutet in
der Phase der Stabilisierung vor allem, diesen States ein Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit zu vermitteln, häufig kann dies mittels der Imagination des „sicheren
Ortes“ und durch hilfreiche Wesen geschehen.
Die Lösung von Symptomen und die Neubewertung von traumatischen Erfahrun-
gen mit einzelnen Ego States gehört im allgemeinen der Traumakonfrontationsphase
an und erfordert besonders viel Interesse an den einzelnen States und deren spezifi-
schen Bedürfnissen. Wichtig erscheint mir, dass in der Phase der stabilisierenden
Arbeit jeder traumatisierte State lernt, dass er jetzt in Sicherheit ist. Früher beschränk-
te man sich darauf, dieses Wissen der Alltagspersönlichkeit zu vermitteln, und wun-
derte sich dann, wenn während der Traumakonfrontation andere, verängstigte Teile
zum Vorschein kamen, die nicht zu beruhigen waren. Warum? Weil man sie zuvor
nicht zur Kenntnis genommen und ihnen damit auch keine Sicherheit vermittelt hatte.
Ich komme auf den Fall der Patientin zurück, der im Aufzug schlecht wurde. In
sicherem Abstand beruhigt sie ihr kleines Mädchen und lädt es dann ein, mit ihr an
einen schönen Ort zu gehen. Dort finden sie gemeinsam ein Helferwesen, so dass sich
das Kind sicher und geborgen fühlen kann. Die Information, dass das Kind im Aufzug
vor jemand Angst hatte, genügt der Patientin vorerst. Erst zu einem späteren
Zeitpunkt, wenn sie noch mehr ihrer kindlichen Anteile am guten Ort geborgen hat,
wird sie an traumatischen Situationen arbeiten, die diese Erfahrung genau erklären,
denn sie erinnert sich vage, dass sie im Alter des Kindes, das sie entdeckte, mehrfach
zu Operationen „mutterseelenallein“ im Krankenhaus war. Aber sie verspürt kein
Bedürfnis, dies jetzt genauer zu ergründen. Das so gewonnene Verständnis ihrer Angst
genügt ihr.

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Reddemann

Welche Indikationen für Ego State orientierte „innere Kind“-Arbeit sind denkbar:
1. Die Patientin spricht von sich aus von verschiedenen Teilen und/oder von einem
Kind.
2. Länger dauernde oder mehrere erfolglose Therapien laden geradezu dazu ein, das
Konzept der Ego States und des inneren Kindes anzubieten, ebenso wie auffälli-
ges widersprüchliches Verhalten, das auf "innere Kämpfe" hindeutet.
3. Schwere oder komplexe PTSD und/oder dissoziative Symptome sind eine wichti-
ge Domäne für Ego State Arbeit allgemein und für die Arbeit mit dem inneren
Kind im speziellen.
Als Kontraindikation gilt es zu berücksichtigen:
1. Der Patient lehnt die angebotene Sichtweise ab.
2. Wenn die Ego State orientierte Arbeit mit dem inneren Kind mehr Fragmentierung
schafft als vorher vorhanden, bzw. wenn mehr Ganzheitlichkeit nicht in Sicht zu
sein scheint, sollte man auf Ego State Arbeit eher verzichten.
Ohne ein stabiles erwachsenes Ich bzw. genauer: ohne einen stabilen erwachsenen
State kann aus meiner Sicht „innere Kind“-Arbeit nicht gelingen. Das bedeutet nicht,
dass der erwachsene Teil fähig sein muss, sich um das innere Kind selbst zu kümmern,
denn das kann er auf der inneren Bühne auch idealen Eltern oder Helferwesen über-
lassen. Aber er muss im Alltag einigermaßen kompetent als Erwachsener agieren kön-
nen. Ist das nicht der Fall, sollte immer erst an erwachsenen Alltagskompetenzen gear-
beitet werden.
Die Trennung zwischen der Erwachsenen und ihrem inneren Kind entlastet Pati-
entinnen deutlich. Nach und nach können dann Probleme der Erwachsenen, z.B. mit
ihrem Partner oder als Mutter, von denen des Kindes immer genauer unterschieden
werden. Dadurch kann dann die Erwachsene sich zunehmend kompetent fühlen, weil
sie merkt, dass sie als Erwachsene über sehr viel Kompetenz in vielen schwierigen Si-
tuationen verfügt, ohne zu sehr von den kindlichen Anteilen verunsichert zu werden.
Im Weiteren kann es wichtig sein, dass sich der Therapeut immer wieder von sich
aus nach dem Wohlergehen des Kindes/der Kinder erkundigt. So könnte eine Stan-
dardfrage sein: Wie geht es Ihrem kleinen Mädchen? Und wie geht es Ihnen? Das
heißt: in der Ego State Therapie müssen wir eine Art Allparteilichkeit für alle Anteile
aufbringen ähnlich wie in der Familientherapie. PatientInnen lernen dadurch mehr
und mehr, selbst ihr Kind zunehmend wahrzunehmen und es zu schützen.
In der Kindheit vernachlässigte PatientInnen brauchen in der Regel auch aktive
Zuwendung durch vermehrtes Verständnis und Freundlichkeit, ein falsch verstandener
Abstinenzbegriff führt da leider eher zu schädlichem Verhalten von Seiten der
Therapeutin. TherapeutInnen sind also AnwältInnen der Erwachsenen wie des Kindes
und vermitteln zwischen beiden.
Eine Patientin hat es so formuliert: „Wenn ich jetzt merke, dass ich klein werde,
dann sage ich mir, dass ich beides bin, die Große und die Kleine, und dass ich, die
Grosse, der Kleinen helfen kann. Dann geht es mir besser.“ Selbsttröstende Maßnah-

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Ego States und Traumatherapie

men, wie sie die Arbeit mit dem „inneren Kind“ beinhalten, sind sehr häufig zu
machen. „1000 Mal“ ist vermutlich eine gute Metapher. Freude, Humor und Lachen
sind dabei sehr hilfreich.
Es kann vorkommen, dass bei der Arbeit mit dem inneren Kind eine starke Erre-
gung, Panik, oder ein freezing auftreten. Dies weist darauf hin, dass es eine Affekt-
brücke zu einer traumatischen Situation gibt, bzw. dass die angedeutete Situation trau-
matischen Charakter hat. Dann sind distanzierende Techniken erforderlich, wie z.B.
„stellen Sie sich vor, dass Sie sich die Szene von Weitem betrachten“. Auch das
Wahrnehmen des Hier und Jetzt und Grounding sind dann notwendig. „Sie sind jetzt
hier in meiner Praxis, heute ist der so und so vielte 2006, Sie sind hier sicher, können
Sie das wahrnehmen?“
Bei stärker dissoziativen PatientInnen sind zwar einige Modifikationen der Arbeit
mit dem inneren Kind erforderlich, aber grade bei diesen PatientInnen ist das Konzept
der Ego States besonders erfolgreich. Es geht zunächst darum, dass die jüngeren Ichs
sozusagen lernen, dass sie heute in Sicherheit sind. Das weiß zwar die erwachsene
Person und Patienten sagen dann, „im Kopf weiß ich das“, aber die jüngeren Ichs wis-
sen eben nicht, dass sie in Sicherheit sind, denn es handelt sich ja um traumatisierte
Ichs, die im Trauma wie eingefroren sind. Es hat sich bewährt, wenn Patienten sich
konsequent darin üben, ihren jüngeren Ichs zu erklären, dass sie jetzt an einem ande-
ren Ort, in einer anderen Zeit und in einer anderen Situation sind. Manche Patienten
finden diese Idee etwas seltsam. Es ist daran zu erinnern, dass dies alles nur Bilder,
Metaphern sind, man kann sie verwenden, muss das aber nicht.
In Zukunft wird sich möglicherweise zeigen lassen, dass dissoziierte Ego States
mit der Aktivierung anderer Gehirnregionen zu tun haben als der Ego State des „er-
wachsenen Ichs“. Da davon auszugehen ist, dass Verbindungen zwischen diesen ver-
schiedenen Regionen bestehen, werden durch die Ego State Arbeit vermutlich derar-
tige neuronale Netzwerke verstärkt.

Arbeit mit malignen Introjekten


Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir es mit Modellen zu tun haben, die
sich als nützlich herausgestellt haben, es wäre absurd, davon auszugehen, dass es so
etwas wie „innere Kinder“ oder andere States gibt i.S. einer Verdinglichung. Es ist ein
Tun, als ob es diese Teile gäbe, so lange die Patientin/der Patient damit einverstanden
ist, nur deshalb kann ich mir erlauben, jetzt darüber so zu sprechen, als „gäbe“ es diese
Teile „wirklich“.
Eine weitere Domäne des Ego State Modells ist die Arbeit mit malignen - oder gar
Täterintrojekten, auch sie sind Bewohner des Hauses bzw. der inneren Bühne. Es sei
darauf hingewiesen, dass Introjektion zumindest im Verständnis psychoanalytischer
Theoriebildung ein normaler psychischer Vorgang ist.
Die deutsche Übersetzung ist Verinnerlichung. Gefühle, Gedanken und Verhalten
einer anderen Person werden ins Selbst hineingenommen. Normalerweise erfolgt eine
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Reddemann

Assimilation, so dass aus Introjekten Selbstanteile werden, die nicht als fremd erlebt
werden.
Täterintrojektion ist ein Schutzvorgang, der während traumatischer Situationen
hilft, sich vor überwältigender Ohnmacht zu schützen. Lebt der Täter im Selbst, ist die
Tat richtig und damit gibt es keine Ohnmacht. Täterintrojektion im Kindesalter schützt
das Kind außerdem vor Objektverlust. Dieser Vorgang kann sich auch in Extremsitu-
ationen bei Erwachsenen abspielen (s. dazu Reemtsma, 1997 “Im Keller“).
Identifikation ist in der psychoanalytischen Neurosenlehre eine reifere Abwehr-
form. Wenn man sich mit jemanden identifiziert, verhält man sich so wie der andere.
Auch Identifikation gehört zur normalen Entwicklung. Täteridentifikation ist eben-
falls ein Schutz, nämlich vor allem vor schmerzlichen Gefühlen. Täteridentifizierte
Teile verhalten sich also wie die Täter, während Täterintrojekte dazu führen, dass man
denkt oder fühlt wie der Täter, wobei das Eine mit dem Anderen kombiniert auftreten
kann.
Den Begriff Täterintrojekt sollte man nur verwenden, wenn eine Tat bekannt ist.
Andernfalls sollte man von malignen Introjekten sprechen, oder auch nur von malig-
nen Teilen.
Neuerdings lassen sich Introjektion sowie Imitation und Identifikation neurobio-
logisch als Niederschlag der Arbeit unserer Spiegelneurone erklären. Hierzu zitiere
ich aus dem Klappewntext zu Joachim Bauers (2005) Buch ‘Warum ich fühle, was Du
fühlst’: „Warum können Menschen sich spontan verstehen, fühlen, was andere fühlen
und sich intuitiv eine Vorstellung machen, was Andere in etwa denken? Die Erklärung
dieser Phänomene liegt in den Spiegel-Nervenzellen, einer vor kurzem entdeckten
neurobiologischen Sensation ... Spiegelzellen ... melden uns, was Menschen in unse-
rer Nähe fühlen und lassen uns deren Freude oder Schmerz mitempfinden.“ Leider
melden sie uns auch, wenn uns Menschen in unserer Nähe hassen und auch das bildet
sich dann in uns ab. Die Übernahme von Gefühlen der Täter, wie das Ferenczi (1932)
eindrücklich beschrieben hat, dürfte den Spiegelneuronen geschuldet sein. Das würde
aber auch bedeuten: besonders als kleine Kinder haben wir keine Wahl, ob wir etwas
introjizieren oder nicht, denn dazu sind wir zu sehr angewiesen auf die Bezugsper-
sonen. Biologen wie de Waal (2005) meinen, dass Spiegelung der Bindung dient. Und
damit bekommt dann auch aus biologischer Sicht die Täterintrojektion einen Sinn.
Das heißt: die Meinung der Ego State Therapeuten zur Nützlichkeit von Ego States
steht damit auch auf einer neurobiologischen Grundlage.
Es empfiehlt sich, mit Täterintrojekten nur dann zu arbeiten, wenn sie sich störend
bemerkbar machen, man sollte sie nicht aktiv hervorholen.
Während es bei der Arbeit mit dem inneren Kind um die direkte Auseinanderset-
zung mit Angst und anderen schmerzlichen Gefühlen geht, „benehmen“ sich Täterin-
trojekte wie die Täter, also scheinbar erwachsen, unangreifbar, stark. Dennoch sind sie
zum Schutz des Kindes entstanden. Der kindliche Teil in der Patientin kann Angst vor
dem Introjekt haben, während das Introjekt selbst keine Angst kennt, d.h. die Ausein-

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Ego States und Traumatherapie

andersetzung mit der Angst, die letztlich auch hier die Quelle der Existenz des Intro-
jektes darstellt, kann nicht direkt erfolgen.
Täterintrojekte kann man sich auch vorstellen „als bösartige Erwachsene, die als
Kinder verkleidet sind“, jedoch wissen diese Erwachsenen nicht, dass sie eigentlich
Kinder sind.
Immer mehr habe ich in den letzten Jahren entdeckt, dass Ego State Therapie ori-
entierte Auseinandersetzung mit malignen inneren Objekten vielen Patienten sehr ent-
spricht. Das Modell, auf der inneren Bühne als destruktiv wahrgenommene Anteile
auf die eine oder andere Weise zu vernichten, habe ich in den letzten Jahren weitge-
hend zugunsten der Ego State Arbeit verlassen. Klassisch orientierte Ego State Thera-
peuten heben mahnend den Finger und meinen, man dürfe nie das maligne Introjekt
vernichten. M.E. ist das zu einseitig, denn manchmal hilft auch dieses Vorgehen.
Ich komme zurück auf die Geschichte vom Pinguin, dessen Mutter so furchtbar
geschrieen hat, dass er auseinander flog. Es gibt wohl wenig Zweifel daran, dass in
einem lebenden Organismus alle biologischen Funktionen zutiefst beseelt sind, so hat
es Joachim Bauer (2005) ausgedrückt. Wenn wir also mit körperbezogenen Bildern
wie denen der inneren Bühne, des inneren Hauses etc. arbeiten, so hat das Wirkung
auf Körper, Geist und Seele, was nicht bedeutet, dass Imagination nicht ergänzt wer-
den kann – bzw. manchmal sogar sollte - durch direkte körpertherapeutische Arbeit.
Denn der Körper ist auch der Ort der Traumatisierung und die Verkörperung der
Traumaerinnerung (vgl. Rothschild, 2002 „Der Körper erinnert sich“).
Was tun wir also? Ich meine, dass Jutta Bauer das poetisch sehr schön ausgedrückt
hat, wenn sie in der Pinguingeschichte sagt: “Ganz müde waren die Füße abends in
der Wüste Sahara angekommen, als sich ein großer Schatten über sie legte. Schrei-
mutter hatte alles eingesammelt und zusammengenäht, nur die Füße hatten noch ge-
fehlt. Entschuldigung, sagte Schreimutter.“ Diesen Prozess versuchen wir bei unseren
„auseinander gefallenen“ Patienten nachzuholen. Für irrig halte ich die Vorstellung,
dass eine „Integration“ aller Teile zu einem einzigen Ich gelingen müsse. Diese Kon-
zept hat etwas subtil Gewaltsames. Letztlich entscheidet die Patientin selbst, wie eng
sie mit ihren Teilen verbunden sein will.

Literatur
Bauer, J. (2000). Schreimutter. Weinheim: Beltz und Gelberg.
Bauer, J. (2005). Warum ich fühle, was Du fühlst. Hamburg: Hoffmann und Campe.
De Waal, F. (2005) Der Affe und der Sushimeister. München: dtv.
Federn, P. (1952). Ego Psychology and the Psychosis. New York: Basic Books.
Ferenczi, S. (1932). Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind. In ders.: Ges. Schriften,
Band 3. Frankfurt: Fischer.
Fürstenau, P. (2001). Psychoanalytisch verstehen, systemisch denken, suggestiv intervenieren (2., erw. Aufl.
2002). Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta.
Goleman, D. (2003). Dialog mit dem Dalai Lama. Wie wir destruktive Emotionen überwinden können.
München: Hanser.

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Reddemann

Janet, P. (1901). The mental states of the hystericals. New York: Putnam’s Sons.
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traumatischer Ursprung, phobische Residuen. In Reddemann, L., Hofmann, A., & Gast, U. (Hrsg.),
Psychotherapie der dissoziativen Störungen. Stuttgart: Thieme.
Pessoa, F. (2006). Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Neuübersetzung von Ines
Koebel. Frankfurt: Fischer Taschenbuch.
Reddemann, L. (1998a). Umgang mit Täterintrojekten. In Traumazentrierte Psychotherapie, Teil II, PTT
2/98, 90–96.
Reddemann, L. (2001). Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressource-
norientierten Verfahren (9. Aufl. 2003). Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta.
Reddemann, L. (2004). Psychodynamisch imaginative Traumatherapie. PITT. Das Manual. Stuttgart: Klett-
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Rothschild, B. (2002). Der Körper erinnert sich. Essen: Synthesis.
Schore, A. N. (2002). Dysregulation of the right brain: A fundamental mechanism of traumatic attachment
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Luise Reddemann, Prof. Dr.med.


Holzgasse 4
53925 Kall
[email protected]
-------------------------------------
1) Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag auf dem 2. Weltkongress für Ego State Terapie, 22.2.-1.3..2006
in Kapstadt, Südafrika

erhalten: 30.12.2006 revidierte Version akzeptiert: 8.8.2006

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Ego States und Traumatherapie

Rezension

Integrierte Psychotherapie
Anwendungen in der Gesamtmedizin und benachbarten Sozialberufen
Barolin, Gerhard S.
2006, XIII, 521 S., mit zahlreichen Abb, Geb., ISBN: 978-3-211-25775-3

Hochkarätig liegt hier ein Lehrbuch vor, das umfassend und fundiert informiert. Nicht
nur ästhetisch von außen, auch gleich beim ersten Blick in die pralle Seitenzahl, beste-
chen die klare Gliederung der Kapitel, Hervorhebungen und liebevoll ausgewählte
Cartoons, die schon das Blättern zu einem Genuss machen.
Der Anspruch ist kein geringer: Psychotherapeutisches Denken und Handeln soll
auch das allgemeine Gesundheitssystem prägen und eine Behandlung der gesamten
somato-psycho-sozialen Einheit Mensch erlauben. Aber wie stelle ich das große Ge-
biet Psychotherapie - bis auf Verästelungen z. B. in die Hypnotherapie - für alle im
therapeutischen und beratenden Sektor Tätigen ausführlich, verständlich und lehrend
dar, mit ihrer Geschichte, Tradition und den vielfachen Möglichkeiten der Interven-
tion? Wie wirke ich erkennend, klärend und heilend in großem Rahmen und suppor-
tiv-kollegialem Netzwerk?
So ein Werk muss reifen, reifen wie ein guter Wein und das ein gut Teil des Le-
bens. Gerhard S. Barolin hat das gesammelte Wissen seiner lebenslangen Erfahrung
als Arzt, als Psychotherapeut, aber vor allem als Mensch in die Kelter gebracht und
kann nun zusammen mit hervorragenden Kollegen aus dem Fachgebiet ein Lehrbuch
der besonderen Art präsentieren. Der interessierte Leser, komme er aus der Psycho-
therapie, somatischen Medizin, Krankenpflege, Sozialarbeit und den Sozialwissen-
schaften oder der Pädagogik und Seelsorge, kann sich entspannt und sogar mit Freude
informieren, ja mit einem kleinen Schmunzeln zurückgelehnt fortbilden. Eindringlich
sind grundlegende Inhalte in Kasten gesetzt, was das Aufnehmen und Einprägen von
Inhalten begünstigt. Das Konzept der integrierenden und zugleich übergreifenden
Psychotherapie wird in all seiner Vielfalt und aus allen Perspektiven stringent ausge-
leuchtet, plausibel, didaktisch klar, aus höherer Warte, aber ohne Dünkel.
Ein sehr empfehlenswertes, da ausgereiftes Buch. Gratulation den Autoren und
Glückwunsch dem Leser, der es studiert ... vielleicht mit einem vollmundigen Roten
in der Hand!

München, Dezember 2006 Agnes Kaiser-Rekkas

116 © www.MEG-Stiftung.de, Konradstr. 16, D-80801 München

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