Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 588

Erland Erdmann (Hrsg.

Klinische Kardiologie

Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße

7., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage


Erland Erdmann (Hrsg.)

Klinische
Kardiologie
Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs
und der herznahen Gefäße

7., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Mit 249 Abbildungen, 169 Tabellen und 106 Übersichten

123
Professor Dr. Erland Erdmann
Herzzentrum der Universität zu Köln
Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin
Kerpener Str. 62
50937 Köln

ISBN 978-3-540-79010-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung
oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch
bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist
auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig.
Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer Medizin Verlag


springer.de

© Springer Medizin Verlag Heidelberg 1975, 1982, 1991, 1996, 2000, 2006, 2009

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch
ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken-
schutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr
übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literatur-
stellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Planung: Hinrich Küster


Projektmanagement: Meike Seeker
Lektorat: Petra Rand, Münster
Einbandgestaltung und Layout: deblik Berlin
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg

SPIN: 12049721

Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0


Meinem Lehrer der Inneren Medizin,

Herrn Professor Dr. med. Gerhard Riecker,

gewidmet, der die »Klinische Kardiologie« 1975 begründete und dem


ich die Freude an wissenschaftlicher Arbeit verdanke.
VII

Vorwort zur 7. Auflage


Als Gerhard Riecker die erste Auflage der Klinischen Kardiologie 1975 herausgab, umfasste das Werk auf
455 Seiten alle damals bekannten kardiologischen Untersuchungsmethoden und Herzkrankheiten. Die Grund-
lagen der Echokardiographie wurden auf weniger als einer Seite beschrieben, da diese heute wohl wichtigste
Untersuchungsmethode damals noch in den Kinderschuhen steckte. Hingegen erhielt die Sphygmographie,
heute mehr oder weniger obsolet, fast vier Druckseiten. Die Thrombolysetherapie beim akuten Herzinfarkt
hatte gerade erst begonnen. Der unglaubliche Wissenszuwachs der letzten 40 Jahre gerade in der inneren
Medizin und besonders in der Kardiologie machte jetzt schon wieder eine Neuauflage dieses Standardbuches,
die siebte (!), notwendig. Schweren Herzens entschlossen wir uns erneut, alle für eine gute Diagnostik eigent-
lich so wesentlichen Untersuchungsmethoden fortzulassen bzw. nur indikationsentsprechend zu erwähnen.
Hier soll auf die vielen guten Lehrbücher der Elektrokardiographie, der Echokardiographie oder der Herzkathe-
teruntersuchungen verwiesen werden. Trotz aller Kürzungsversuche der Autoren ist das Buch nicht viel dünner
geworden. Manches eigentlich interessante kardiovaskuläre Wissen musste der übersichtlichen Lesbarkeit
wegen dem unbarmherzigen Kürzungsrotstift zum Opfer fallen. Deshalb wurde auch weitgehend auf die Auf-
listung der Originalliteratur verzichtet. Stattdessen wurden die entsprechenden Guidelines/Leitlinien aufge-
führt. Tatsächlich ist im Google-Zeitalter und bei der heutigen ubiquitären Internetverfügbarkeit ein »Hand-
buch« wohl nicht mehr notwendig. Seltene Syndrome und Krankheiten, ebenso wie die international akzep-
tierten Leitlinien sind über den Internetzugang besser und in der Regel auch aktueller abrufbar. Trotzdem bleibt
aus unserer Sicht das gedruckte wesentliche kardiologische Facharztwissen für den schnellen täglichen Zugriff
wertvoll. Mögen unsere Leser das ebenso sehen!

Köln, im Sommer 2008


Erland Erdmann
für die Autoren
Evidenzbasierte Therapieempfehlungen
In diesem Buch finden Sie die Angaben zu den Evidenzgraden Evidenzgrad A
der einzelnen Diagnostik- und Therapieempfehlungen darge- 4 Positive Aussage gestützt durch mehrere randomisierte kont-
stellt, z. B. als EG IA oder EG IIaB oder EG C – in Anlehnung an rollierte klinische Studien. Positive Aussage sehr gut belegt
die Leitlinien der European Society of Cardiology, der American
Heart Association (ACC/AHA) und der Deutschen Gesellschaft Evidenzgrad B
für Kardiologie/Herz- und Kreislaufforschung (DGK). In einigen 4 Positive Aussage gestützt durch eine randomisierte kontrol-
Kapiteln gibt es keine speziellen Leitlinien bzw. evidenzbasierte lierte klinische Studie oder durch klinische Erfahrung. Posi-
Daten. Meist handelt es sich um kleine Kollektive, nichtrandomi- tive Aussage gut belegt
sierte Studien mit historischen Kontrollkollektiven oder »case
series« ohne Kontrolle. Somit fallen diese Angaben zum großen Evidenzgrad C
Teil in die Gruppe Evidenzgrad C. 4 Es liegen keine sicheren Studienergebnisse vor, die eine güns-
In dem Kap. 6 »Schock« wird die von den intensivmedizi- tige oder schädigende Wirkung belegen (positive Experten-
nischen Gesellschaften vorgeschlagene Klassifikation zugrunde meinung)
gelegt.
Evidenzgrad D
Empfehlungsgrade (EG) der Therapie nach Indikationsklas- 4 Negative Aussage gestützt durch eine oder mehrere klinische
sen und Evidenzgraden Studien
Klasse-I-Indikation
4 Evidenz und/oder Konsens spricht dafür, dass Therapie/
Maßnahme nützlich und effektiv ist

Klasse-II-Indikation
4 Widersprüchliche Evidenz und/oder divergierende Exper-
tenmeinungen, ob Therapie/Maßnahme nützlich und effek-
tiv ist

Klasse-IIa-Indikation
4 Evidenz/Expertenmeinung spricht eher dafür, dass Therapie/
Maßnahme nützlich und effektiv ist

Klasse-IIb-Indikation
4 Nutzen und Effektivität der Therapie/Maßnahme ist weniger
gut durch Evidenz oder Expertenmeinung etabliert

Klasse-III-Indikation
4 Evidenz und/oder Konsens spricht dafür, dass Therapie/Maß-
nahme nicht nützlich ist und in einigen Fällen sogar schäd-
lich ist
IX

Inhaltsübersicht
1 Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische C.A. Schneider 1
Beeinflussung

2 Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom F.M. Baer, S. Rosenkranz 13

3 Rhythmusstörungen des Herzens U.C. Hoppe 73

4 Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem M. Flesch 111

5 Chronische Herzinsuffizienz U.C. Hoppe, E. Erdmann 121

6 Schock U. Müller-Werdan, M. Buerke, G. Söffker, M. Ruß, 177


H. Loppnow, H. Schmidt, K. Werdan

7 Arterielle Hypertonie F.M. Baer 241

8 Orthostatische Hypotonie W. von Scheidt 255

9 Synkope W. von Scheidt 263

10 Lungenembolie und akutes Cor pulmonale S. Rosenkranz 271

11 Chronische pulmonale Hypertonie S. Rosenkranz 291

12 Kardiomyopathien H. Kilter, M. Böhm 305

13 Rheumatisches Fieber und rheumatische Karditis R. Pfister, M. Flesch 327

14 Immunologische Herzerkrankungen C. Zobel, J. Müller-Ehmsen 333

15 Erregerbedingte Endokarditiden M. Flesch 343

16 Virale Myokarditis H. Reuter, J. Müller-Ehmsen 351

17 Erkrankungen des Perikards K. La Rosée, F.M. Baer 361

18 Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter K. Brockmeier, U.C. Hoppe 373

19 Erworbene Herzklappenfehler M. Flesch 397

20 Erkrankungen der thorakalen Aorta C.A. Schneider, D. Beuckelmann 425

21 Kardiale und perikardiale Tumoren U.C. Hoppe, E. Erdmann 433

22 Schwangerschaft und Herzerkrankungen U. Laufs, M. Böhm 439

23 Das Herz im Alter M. Kindermann, M. Böhm 453

24 Kardiale perioperative Risikobeurteilung C. Maack, B. Cremers, M. Böhm 465

25 Kardiales Trauma U.C. Hoppe, E. Erdmann 477

26 Funktionelle Herzbeschwerden D. Skowasch, G. Nickenig 483

27 Seltene Herzerkrankungen K. Frank, J. Müller-Ehmsen 489

28 Herztransplantation H. Diedrichs, J. Müller-Ehmsen 499

29 Begutachtung in der Kardiologie C.A. Schneider, F.M. Baer 515

30 Diabetes und Herz R. Pfister, C.A. Schneider 525

31 Niere und Herz V. Burst, J. Müller-Ehmsen 529

32 Herz und Sport H. ten Freyhaus, S. Rosenkranz 533

33 Komplementäre Therapie bei Herzerkrankungen C.A. Schneider 545

34 Regenerative Therapieoptionen bei Herzerkrankungen J. Müller-Ehmsen 547


XI

Inhaltsverzeichnis
1 Kardiovaskuläre Risikofaktoren 5.9 Mechanische Kreislaufunterstützung . . . . . . . . . . . . 170
und deren therapeutische Beeinflussung . . . . . . 1 5.10 Operative Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
C.A. Schneider Literatur/Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
1.1 Hierarchie der kardiovaskulären Risikofaktoren . . . . . 1
1.2 Klasse-I-Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 6 Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
1.3 Klasse-II-Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 U. Müller-Werdan, M. Buerke, G. Söffker, M. Ruß,
1.4 Klasse-III-Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 H. Loppnow, H. Schmidt, K. Werdan
1.5 Klasse-IV-Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 6.1 Schockdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 6.2 Pathophysiologie des Schocks . . . . . . . . . . . . . . . . 183
6.3 Diagnostik und Monitoring des Schocks . . . . . . . . . . 194
2 Koronare Herzkrankheit 6.4 Therapieprinzipien bei Schock . . . . . . . . . . . . . . . . 199
und akutes Koronarsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . 13 6.5 Multiorgandysfunktionssyndrom . . . . . . . . . . . . . . 212
F.M. Baer, S. Rosenkranz 6.6 Spezifische Schockformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
2.1 Anatomie, Epidemiologie und Pathogenese Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
der koronaren Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2 Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen 7 Arterielle Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
koronaren Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 F.M. Baer
2.3 Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit . . . . . 29 7.1 Definition und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
2.4 Akutes Koronarsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 7.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2.5 Therapie der instabilen Angina pectoris und 7.3 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
des Nicht-ST-Hebungsinfarkts . . . . . . . . . . . . . . . . 48 7.4 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2.6 ST-Hebungs-Infarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 7.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
2.7 Risikostratifikation und präventive Maßnahmen . . . . 66 7.6 Therapieindikation und kardiovaskuläres Risiko . . . . . 245
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 7.7 Auswahl der Antihypertensiva . . . . . . . . . . . . . . . . 249
7.8 Differenzialtherapeutische Aspekte . . . . . . . . . . . . . 250
3 Rhythmusstörungen des Herzens . . . . . . . . . . . . 73 7.9 Langzeitbetreuung und Therapie begleitender
U.C. Hoppe Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
3.1 Elektrophysiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 73 7.10 Pharmakoökonomische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 254
3.2 Prinzipien der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
3.3 Bradykarde Rhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . . . 84
3.4 Supraventrikuläre Tachykardien . . . . . . . . . . . . . . . 92 8 Orthostatische Hypotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
3.5 Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher Herztod . . . . . 103 W. von Scheidt
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 8.1 Mechanismen der Kreislaufregulation . . . . . . . . . . . 255
8.2 Formen der orthostatischen Hypotonie . . . . . . . . . . 255
4 Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem . . . . . . 111 8.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
M. Flesch 8.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
4.1 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 8.5 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
4.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
4.3 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4.4 Einteilung der akuten Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . 112 9 Synkope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
4.5 Klinische Symptome der akuten Herzinsuffizienz . . . . 113 W. von Scheidt
4.6 Spezielle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 9.1 Bedeutung und Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
4.7 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 9.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
4.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 9.3 Therapie der neurokardiogenen und anderer
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 vasovagaler Synkopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
9.4 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
5 Chronische Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . 121 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
U.C. Hoppe, E. Erdmann
5.1 Definition und Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . 121 10 Lungenembolie und akutes Cor pulmonale . . . . . 271
5.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 S. Rosenkranz
5.3 Klinische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
5.4 Diagnose und Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . 140 10.2 Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
5.5 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz . . . . . . . . 146 10.3 Pathophysiologische Konsequenzen
5.6 Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen der Lungenembolie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 10.4 Klinisches Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
5.7 Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz . . . . . . . 165 10.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
5.8 Elektrostimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 10.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
XII Inhaltsverzeichnis

10.7 Differenzialtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 16.3 Beispiele viraler Erreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352


10.8 Lungeninfarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 16.4 Klinische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
10.9 Besondere Formen der Lungenembolie . . . . . . . . . . 289 16.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
10.10 Prophylaxe der Lungenembolie . . . . . . . . . . . . . . . 289 16.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

11 Chronische pulmonale Hypertonie . . . . . . . . . . . 291 17 Erkrankungen des Perikards . . . . . . . . . . . . . . . 361


S. Rosenkranz K. La Rosée, F.M. Baer
11.1 Hämodynamik des Lungenkreislaufs . . . . . . . . . . . . 291 17.1 Akute Perikarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
11.2 Definition und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 17.2 Perikarderguss und Perikardtamponade . . . . . . . . . 363
11.3 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 17.3 Pericarditis constrictiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
11.4 Ätiologie und Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
11.5 Klinisches Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
11.6 Nichtinvasive Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 18 Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter . . . 373
11.7 Invasive Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 K. Brockmeier, U.C. Hoppe
11.8 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 18.1 Daten und Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 18.2 Ventrikelseptumdefekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
18.3 Vorhofseptumdefekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
12 Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 18.4 Valvuläre Pulmonalstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
H. Kilter, M. Böhm 18.5 Persistierender Ductus arteriosus . . . . . . . . . . . . . . 381
12.1 Dilatative Kardiomyopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 18.6 Koarktation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
12.2 Hypertrophe Kardiomyopathie . . . . . . . . . . . . . . . 307 18.7 Atrioventrikulärer Septumdefekt . . . . . . . . . . . . . . 385
12.3 Restriktive Kardiomyopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 18.8 Fallot-Tetralogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
12.4 Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie . 317 18.9 Transposition der großen Arterien . . . . . . . . . . . . . 389
12.5 Endokrin bedingte Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . 318 18.10 Fontan-Zirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
12.6 Toxische Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 18.11 Eisenmenger-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
12.7 Sonstige Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 18.12 Internetadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

13 Rheumatisches Fieber und rheumatische Karditis 327 19 Erworbene Herzklappenfehler . . . . . . . . . . . . . . 397


R. Pfister, M. Flesch M. Flesch
13.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 19.1 Mitralstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
13.2 Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 19.2 Mitralinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
13.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 19.3 Mitralklappenprolapssyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . 405
13.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 19.4 Aortenstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
13.5 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 19.5 Aorteninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 19.6 Trikuspidalklappenstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
19.7 Trikuspidalklappeninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . 418
14 Immunologische Herzerkrankungen . . . . . . . . . 333 19.8 Pulmonalstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
C. Zobel, J. Müller-Ehmsen 19.9 Pulmonalklappeninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . 420
14.1 Ätiologie und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . 333 19.10 Prothetischer Herzklappenersatz . . . . . . . . . . . . . . 421
14.2 Rheumatische Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 333 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
14.3 Restriktive und infiltrative Kardiomyopathien . . . . . . . 340
14.4 Reaktive Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 20 Erkrankungen der thorakalen Aorta . . . . . . . . . . 425
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 C.A. Schneider, D. Beuckelmann
20.1 Akutes dissezierendes Aortenaneurysma . . . . . . . . . 425
15 Erregerbedingte Endokarditiden . . . . . . . . . . . . 343 20.2 Chronisches thorakales Aortenaneurysma . . . . . . . . 429
M. Flesch 20.3 Entzündliche Erkrankungen der Aorta . . . . . . . . . . . 430
15.1 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
15.2 Antimikrobielle Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
15.3 Operative Therapie der Endokarditis . . . . . . . . . . . . 348 21 Kardiale und perikardiale Tumoren . . . . . . . . . . 433
15.4 Antikoagulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 U.C. Hoppe, E. Erdmann
15.5 Nachsorge bei ausgeheilter Endokarditis . . . . . . . . . 349 21.1 Primäre benigne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
15.6 Prävention der Endokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 21.2 Primäre maligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 21.3 Sekundäre maligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 21.4 Klinische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
21.5 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
16 Virale Myokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 21.6 Therapie und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
H. Reuter, J. Müller-Ehmsen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
16.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
16.2 Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
XIII
Inhaltsverzeichnis

22 Schwangerschaft und Herzerkrankungen . . . . . . 439 27 Seltene Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 489


U. Laufs, M. Böhm K. Frank, J. Müller-Ehmsen
22.1 Hämodynamische Veränderungen 27.1 Seltene Kardiomyopathien und Myokarditiden . . . . . 489
in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 27.2 Kardiale Mitbeteiligung bei Infektionserkrankungen . . 491
22.2 Risikobeurteilung und Kontraindikationen 27.3 Kardiale Manifestation bei neurologischen
für eine Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
22.3 Diagnostische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 27.4 Seltene angeborene Syndrome mit kardialer
22.4 Erworbene Klappenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
22.5 Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
22.6 Medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz
in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 28 Herztransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
22.7 Arterielle Hypertonie in der Schwangerschaft . . . . . . 446 H. Diedrichs, J. Müller-Ehmsen
22.8 Koronare Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 28.1 Evaluation vor Herztransplantationen . . . . . . . . . . . 499
22.9 Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 28.2 Das transplantierte Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
22.10 Thromboembolieprophylaxe und Antikoagulation 28.3 Immunsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 28.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 28.5 Lebensqualität nach Herztransplantation . . . . . . . . . 513
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
23 Das Herz im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
M. Kindermann, M. Böhm 29 Begutachtung in der Kardiologie . . . . . . . . . . . . 515
23.1 Alterungsprozess und körperliche Leistungsfähigkeit . 453 C.A. Schneider, F.M. Baer
23.2 Morphologische und funktionelle Veränderungen 29.1 Rechtsgrundlagen der gutachtlichen Tätigkeit . . . . . . 515
von Herz, Gefäßen und Skelettmuskulatur . . . . . . . . 454 29.2 Aufgaben und Pflichten des Gutachters . . . . . . . . . . 516
23.3 Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter . . . . . . . . . . . 458 29.3 Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten . . . . . 516
23.4 Das Altersherz als Krankheitsbegriff . . . . . . . . . . . . 461 29.4 Sozialversicherungsspezifische Grundbegriffe
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 der gutachterlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
29.5 Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit/Grad
24 Kardiale perioperative Risikobeurteilung . . . . . . 465 der Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
C. Maack, B. Cremers, M. Böhm 29.6 Schwerbehinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
24.1 Wirtschaftliche und prognostische Aspekte . . . . . . . 465 29.7 Kausalitätsbegriff in Unfallversicherung und sozialem
24.2 Risikoevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Entschädigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
24.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 29.8 Form und Inhalt des kardiologischen Gutachtens . . . . 520
24.4 Therapeutische Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 29.9 Gutachterliche kardiologische Untersuchung . . . . . . 521
24.5 Praktisches Vorgehen zur perioperativen 29.10 Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
Risikoevaluierung und -reduktion . . . . . . . . . . . . . . 475 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
30 Diabetes und Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
25 Kardiales Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 R. Pfister, C.A. Schneider
U.C. Hoppe, E. Erdmann 30.1 Stabile koronare Herzerkrankung . . . . . . . . . . . . . . 525
25.1 Ätiologie und Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 30.2 Akutes Koronarsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
25.2 Morphologie und Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . 477 30.3 Chronische Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
25.3 Klinische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 30.4 Diabetische Kardiomyopathie . . . . . . . . . . . . . . . . 527
25.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
25.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
25.6 Verlauf und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 31 Niere und Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
25.7 Elektrotrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 V. Burst, J. Müller-Ehmsen
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 31.1 Nierenerkrankungen und kardiovaskuläres Risiko . . . 529
31.2 Weitere renal bedingte Herzerkrankungen . . . . . . . . 531
26 Funktionelle Herzbeschwerden . . . . . . . . . . . . . 483 31.3 Nierenfunktion bei Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . 532
D. Skowasch, G. Nickenig Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
26.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
26.2 Funktionelle Herzbeschwerden bei somatischer 32 Herz und Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
Grunderkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 H. ten Freyhaus, S. Rosenkranz
26.3 Extrakardiale Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 32.1 Plötzlicher Herztod bei Sportlern . . . . . . . . . . . . . . 533
26.4 Funktionelle Herzbeschwerden ohne somatische 32.2 Myokardiale Veränderungen bei Sportlern
Grunderkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (»Sportherz«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 32.3 Screening von Sportlern vor Teilnahme
am Leistungssport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
32.4 Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen . . . . . . . . 538
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544
XIV Inhaltsverzeichnis

33 Komplementäre Therapie bei Herzerkrankungen 545 Zeittafel zur Geschichte der Kardiologie . . . . . . . . . . . 553
C.A. Schneider
33.1 Methodik und Datenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Umrechnungstabelle zwischen SI-Einheiten
33.2 Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 und konventionellen Einheiten der am häufigsten
33.3 Arterielle Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 verwendeten Laborparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
33.4 Koronare Herzerkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

34 Regenerative Therapieoptionen Medikamentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579


bei Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
J. Müller-Ehmsen
34.1 Zelltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
34.2 »Tissue engineering« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
XV

Mitarbeiterverzeichnis
Baer, F.M., Prof. Dr. med. Kilter, H., Dr. med. Rosenkranz, S., Priv-Doz. Dr. med.
Klinik III für Innere Medizin, Klinik für Innere Medizin III, Klinik III für Innere Medizin,
Herzzentrum der Universität zu Köln Universitätsklinikum des Saarlandes Herzzentrum der Universität zu Köln
Kerpenerstr. 62, 50937 Köln Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar Kerpener Str. 62, 50937 Köln

Beuckelmann, D., Prof. Dr. med. Kindermann, M., Priv.-Doz. Dr. med. Ruß, M., Dr. med.
Interne Klinik Dr. Argirov Klinik für Innere Medizin III, Universitätsklinik und Poliklinik
Münchner Str. 23–29, 82335 Berg Universitätsklinikum des Saarlandes für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar der Martin-Luther-Universität
Böhm, M., Prof. Dr. med. Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale)
Klinik für Innere Medizin III, La Rosée, K., Dr. med.
Universitätsklinikum des Saarlandes Kardiologische Gemeinschaftspraxis Scheidt von, W., Prof. Dr. med.
Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar Baumschulallee 1, 53115 Bonn I. Medizinische Klinik, Klinikum Augsburg,
Ludwig-Maximilians-Universität München
Brockmeier, K., Prof. Dr. med. Laufs, U., Priv.-Doz. Dr. med. Stenglinstr. 2, 86156 Augsburg
Klinik für Kinderkardiologie, Klinik für Innere Medizin III,
Herzzentrum der Universität zu Köln Universitätsklinikum des Saarlandes Schmidt, H., Dr. med.
Kerpenerstr. 62, 50937 Köln Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar Universitätsklinik und Poliklinik
für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
Buerke, M., Priv.-Doz. Dr. med. Loppnow, H., Priv.-Doz. Dr. med. der Martin-Luther-Universität
Universitätsklinik und Poliklinik Universitätsklinik und Poliklinik Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale)
für Innere Medizin III, Universitätsklinikum für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
der Martin-Luther-Universität der Martin-Luther-Universität Schneider, C.A., Prof. Dr. med.
Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale) Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale) Klinik III für Innere Medizin,
Herzzentrum der Universität zu Köln
Burst, V., Dr. med. Maack, C., Dr. med. Kerpener Str. 62, 50937 Köln
Klinik IV für Innere Medizin, Klinik für Innere Medizin III,
Klinikum der Universität zu Köln Universitätsklinikum des Saarlandes Skowasch, D., Priv.-Doz. Dr. med.
Kerpener Str. 62, 50937 Köln Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar Med. Klinik und Poliklinik II,
Universitätsklinikum Bonn
Cremers, B., Dr. med. Müller-Ehmsen, J., Priv.-Doz. Dr. med. Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn
Klinik für Innere Medizin III, Klinik III für Innere Medizin,
Universitätsklinikum des Saarlandes Herzzentrum der Universität zu Köln Söffker, G., Dr. med.
Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar Kerpener Str. 62, 50937 Köln Universitätsklinik und Poliklinik
für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
Diedrichs, H., Dr. med. Müller-Werdan, U., Prof. Dr. med. der Martin-Luther-Universität
Klinik III für Innere Medizin, Universitätsklinik und Poliklinik Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale)
Herzzentrum der Universität zu Köln für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
Kerpener Str. 62, 50937 Köln der Martin-Luther-Universität ten Freyhaus, H., Dr. med.
Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale) Klinik III für Innere Medizin,
Erdmann, E., Prof. Dr. med. Herzzentrum der Universität zu Köln
Klinik III für Innere Medizin, Nickenig, G., Prof. Dr. med. Kerpener Str. 62, 50937 Köln
Herzzentrum der Universität zu Köln Klinik für Innere Medizin II,
Kerpener Str. 62, 50937 Köln Universitätsklinikum Bonn Werdan, K., Prof. Dr. med.
Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn Universitätsklinik und Poliklinik
Flesch, M., Priv.-Doz. Dr. med. für Innere Medizin III, Universitätsklinikum
Klinik III für Innere Medizin, Pfister, R., Dr. med. der Martin-Luther-Universität
Herzzentrum der Universität zu Köln Klinik III für Innere Medizin, Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale)
Kerpener Str. 62, 50937 Köln Herzzentrum der Universität zu Köln
Kerpener Str. 62, 50937 Köln Zobel, C., Priv.-Doz. Dr. med.
Frank, K., Dr. med. Klinik III für Innere Medizin,
Klinik III für Innere Medizin, Reuter, H., Dr. med. Herzzentrum der Universität zu Köln
Herzzentrum der Universität zu Köln Klinik III für Innere Medizin, Kerpener Str. 62, 50937 Köln
Kerpener Str. 62, 50937 Köln Herzzentrum der Universität zu Köln
Kerpener Str. 62, 50937 Köln
Hoppe, U.C., Prof. Dr. med.
Klinik III für Innere Medizin,
Herzzentrum der Universität zu Köln
Kerpener Str. 62, 50937 Köln
XVII

Abkürzungsverzeichnis
AAl atrial inhibierte Stimulation ASS Azetylsalizylsäure
ABDM ambulante 24-h-Blutdruckmessung AT Angiotensin
ABG »arterial blood gas« ATG Antithymozytenglobulin
ACB »coronary artery bypass« (aortokoronarer Bypass) ATP Adenosintriphosphat
ACC American College of Cardiology AUC »Area under the curve«
ACD-CPR aktive Kompressions-Dekompressions-Pumpe AV atrioventrikulär
(»active compression-decompression cardio- AVNRT »atrioventricular nodal reentry« (AV-Knoten-
pulmonary resuscitation«) Reentrytachykardie)
ACE »angiotensin-converting enzyme« AVSD atrioventrikulärer Septumdefekt
(Angiotensinkonversionsenzym) BAG Bundesarbeitsgericht
ACE-l Angiotensin-converting-Enzym-l BAS Ballonatrioseptostomie
ACh Azetylcholin bFGF »basic fibroblast growth factor«
ACLA Antikardiolipinantikörper BiVAD biventrikulärer Assist-Device
ACR American College of Rheumatology BLS »basic life support«
Acre kardiales Aktin BMI Body-Mass-Index
ACS akutes Koronarsyndrom BMPR2 »bone morphogenic protein receptor 2«
ACT »activated clotting time« BMS »bare metal stents«
ACTC kardiales Aktin BNP »brain natriuretic peptide«
ACTH »adrenocorticotropic hormone« BPEG British Pacing and Electrophysiology Group
ACVB aortokoronarer Venen-Bypass BSG Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit
ADH Vasopressin, antidiuretische Hormon BSG Bundessozialgericht
ADP Adenosindiphosphat BVG Bundesversorgungsgesetz
AGE »advanced glycosylation endproducts« CAB koronararterielle Bypass-Operation
AH Atrium-His CAM-ICU Confusion Assessment Method for the Intensive
AHA American Heart Association Care Unit
AICD automatischer, implantierbarer Defibrillator cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat
(Kardioverter) cANCA antineutrophile zytoplasmatische Antikörper
Aids »acquired immune deficiency syndrome« CAR Coxsackie-und-Adenovirus-Rezeptor
ALKK Arbeitsgemeinschaft leitender Krankenhaus- CARS »compensatory antiinflammatory response
kardiologen syndrome«
All »acute lung injury« CCM »cardiac contractility modulation« (kardiale Kontra
AMI »acute myocardial infarction« ktilitätsmodulation)
AMPK AMP-aktivierte Proteinkinase CCS Canadian Cardiovascular Society
ANA antinukleäre Antikörper CC-TGA kongenital korrigierte Transposition großer Arterien
ANCA Antizentromerantikörper CCU Coronary Care Unit
ANF atrialer natriuretischer Faktor CDF »cardiodepressant factor(s)«
ANP atriales natriuretisches Peptid cGMP zyklisches GMP
ANS autonomes Nervensystem cGMP zyklisches Guanosinmonophosphat
ANV akutes Nierenversagen CK Kreatinkinase
AP alkalische Phosphatase CMR kardiale Magnetresonanztomographie
APAH assoziierte pulmonalarterielle Hypertonie CMV Zytomegalieviren
APC aktiviertes Protein C CMV »controlled mechanical ventilation«
AP1 Activator-Protein 1 CoA Aortenisthmusstenose (Coarctatio aortae)
APSAC anisoylierter Plasminogen-Streptokinase COLD chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
Aktivator-Komplex COPD »chronic obstructive pulmonary disease«
aPTT aktivierte partielle Thromboplastinzeit (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung)
ARDS »acute respiratory distress syndrome« CPAP kontinuierlich positiver Überdruck
ARVC »arrhythmogenic right ventricular cardiomyo- CPB kardiopulmonaler Bypass
pathy« (arrhythmogene rechtsventrikuläre Cpi »cardiac power index«
Kardiomyopathie) Cpo »cardiac power output«
ARVCM »arrhythmogenic right ventricular cardiomyo- CPR kardiopulmonale Reanimation
pathy« (arrhythmogene rechtsventrikuläre CPVT »catecholaminergic polymorphic ventricular
Kardiomyopathie) tachycardia« (katecholaminerge polymorphe
ARVD »arrhythmogenic right ventricular dysplasia« ventrikuläre Tachykardie)
(arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie) CRP C-reaktives Protein
ASD »atrial septal defect« (Vorhofseptumdefekt) CRT »cardiac resynchronization therapy«
ASD I: Primumtyp; ASD II: Sekundumtyp (kardiale Resynchronisationstherapie)
XVIII Abkürzungsverzeichnis

CSE-Hemmer HMG-CoA-Reduktaseinhibitor FDG-PET »positron emission tomography-fluorodesoxy-


CSF »colony stimulating factor« glucose imaging« (Positronen-Emissions-Tomo-
CSNRT korrigierte Sinusknotenerholungszeit (abzgl. SCL) graphie mit 18F-markierter Fluorodesoxyglukose)
CTEPH »chronic thromboembolic pulmonary hyperten- FEV1 »forced expiratory volume in one second«
sion« (pulmonale Hypertonie bei chronisch throm- (Einsekundenausatemkapazität)
botischen und/oder embolischen Erkrankungen) FFP »fresh frozen plasma«
CTG Kardiotokographie FGF Fibroblastenwachstumsfaktoren
cTnT, cTnl FHC familiäre hypertrophe Kardiomyopathie
cTnT, cTnl kardiales Troponin T bzw.1 FPAH familiäre pulmonalarterielle Hypertonie
CVVH kontinuierliche venovenöse Hämofiltration FP-Technik First-pass-Technik
CX A. circumflexa FS »fractional shortening« (beim UKG)
DAF »decay accelerating factor« FTHA Fluoro-6-Thia-Heptadekansäure
DAG dystrophinassoziiertes Glykoprotein GdB Grad der Behinderung
DAP dystrophinassoziiertes Protein Gd-DTP Gadoliniumdiethylentriaminpentaessigsäure
DASH »dietary approaches to stop hypertension« GEDV Gesamtenddiastolisches Volumen
DCA direktionale Atherektomie GFR glomeruläre Filtrationsrate
DCM dilatative Kardiomyopathie GH Wachstumshormon
DES »drug eluting stent« GH-BP GH-bindendes Protein
DIC disseminierte intravaskuläre Gerinnung Giα G-Protein-Untereinheit α
DLCO »carbon monoxide lung diffusion capacity« GLUTl Glukosecarrier
(Diffusionskapazität der Lungen für Kohlen- GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
monoxid) GP IIb Glykoprotein IIb
DORV »double outlet right ventricle« G-Protein guaninnukleotidbindendes Protein (Gi, Gs)
DO2 O2-Angebot (»delivery of oxygen«) GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase
DPG 2,3-Diphosphoglycerat γ-GT γ-Glutamyl-Transferase
DSA digitale Subtraktionsangiographie HAART »highly active anti-retroviral therapy«
DSE Dobutamin-Stress-Echokardiographie HACEK Haemopilus parainfluenza, H. aphrophilus,
d-TGA TGA mit parallel verlaufenden großen Gefäßen H. influenza, H. paraphrophilus, H. actinomyce-
DTI direkte Thrombininhibitoren temcomitans, Cardiobacterium hominis, Eikenella
DXA »dual X-ray absorptiometry« corrodens und Kingella kingae
EBCT Elektronenstrahlcomputertomographie Hb Hämoglobin
EBV Epstein-Barr-Virus HB-EGF »heparin binding epidermal growth factor«
ECDF »early lipid-soluble cardiodepressant factor« HCM »hypertrophic cardiomyopathy« (hypertrophe
ECHO virus »enteric cytopathogenic human orphan virus« Kardiomyopathie)
ECM »extracellular matrix« (Extrazellulärmatrix) HDL High-density-Lipoprotein
EDHF »endothelium derived hyperpolarizing factor« HDM Herzdruckmassage
EDRF »endothelium derived relaxing factor« = NO HELLP-Syndrom »haemolysis, elevated liver function tests,
EF Ejektionsfraktion low platelet count«
EG Empfehlungsgrad (s. Übersicht am Buchanfang) HES Hydroxyäthylstärke
EKG Elektrokardiogramm HFNEF Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion
ELC essenzielle leichte Ketten (des Myosins) HFREF Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion
ELISA »enzyme-linked immunosorbent assay« HI Herzindex
EMCV Enzephalomyokarditisvirus HIF-1 hypoxieinduzierbarer (-induzierter) Faktor
EMEA European Medicines Agency HIS Hannover-Intensiv-Score
EMG Elektromyographie HIT heparininduzierte Thrombozytopenie
ENA extrahierbare antinukleäre Antigene HIV »human immunodeficiency virus«
EPH-Gestose »Endema-proteinuria-hypertensive«-Gestose HKT Hämatokrit
EPO Erythropoetin HLA »human leucocyte antigen«
EPU elektrophysiologische Untersuchung HLM Herz-Lungen-Maschine
ERA Endothelinrezeptorantagonist HMG-CoA 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Koenzym-A
ESC European Society of Cardiology HOCM hypertrophe (obstruktive) Kardiomyopathie
ETA, ETB Endothelinrezeptoren HPA-Achse Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse
ET-1 Endothelin-1 (»Hypothalamo-pituitary-adrenal axis«)
FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion HR-CT »high resolution computertomography«
FACS »Fluorescence Activated Cell Sorter« HRV »heart rate variability« (Herzfrequenzvariabilität)
FADH Flavin-Adenin-Dinukleotid-Dihydroeen HSP Heat-shock-Proteine (Hitzeschockproteine)
FC »functional capacity« 5-HTT 5-Hydroxitryptamin-Transporter
FDA Food and Drug Administration HTX Herztransplantation
FDG 18F-Fluorodesoxyglukose HV His-Ventrikel
HVL Hypophysenvorderlappen
HZV Herzzeitvolumen
XIX
Abkürzungsverzeichnis

IABP intraaortale Ballongegenpulsation LVEDV linksventrikuläres enddiastolisches Volumen


IAC interponierte abdominelle Kompression (»inter- LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion
posed abdominal compression cardiopulmonary LVESV linksventrikuläres endsystolisches Volumen
resuscitation«) LVH linksventrikuläre Hypertrophie
IAP instabile Angina pectoris LVOTO Obstruktion des linksventrikulären,
ICAM »intracellular adhesion molecule« subpulmonalen Ausflusstraktes
ICD Kardioverterdefibrillator MAK minimale alveoläre Konzentration
ICR Interkostalraum MAP arterieller Mitteldruck
IFN-β Interferon-β MAPCA »main aorto-pulmonary collateral arteries«
IFT Immunfluoreszenztest MARS »mixed antagonistic response syndrome«
Ig Immunglobuline MAST Antischockhosen, »medical/military anti-shock
IGF-I Insulin-like-growth-Faktor I trousers«
IL-1 Interleukin-1 MCP-1 »monocyte chemoattractant protein-1«
IMV »intermittent mandatory ventilation« MCTD »mixed connective tissue disease«
iNOS induzierbare Stickoxidsynthase (NOS II) MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit
INR »International Normalized Ratio« MDF »myocardial depressant factor(s)«, »pancreatic
IOH idiopathische orthostatische Hypotonie cardiodepressant factor«
IP3 Inositol-1,4,5-Trisphosphat MDS »myocardial depressant substance«
IPAH idiopathische pulmonalarterielle Hypertonie MET metabolische Äquivalente
IPPA lodophenylpentadekansäure MG Molekulargewicht
ISA intrinsisch sympathomimetische Aktivität MHC »major histocompatibility complex«
ISDN Isosorbitdinitrat α-MHC »α-myosin heavy chain«
ISHLT »International Society for Heart and Lung β-MHC »β-myosin heavy chain«
Transplantation« MIBG 131J-Methyl-Iodobenzylguanidin

5-ISMN Isosorbit-5’-mononitrat MIBI Methoxy-Iso-Butyl-Isonitril


IUD »intra uterine device« (= IUP Intrauterinpessar, MIC minimale Hemmkonzentration
Spirale) MIDCAB »minimal invasive direct coronary artery bypass«
ivlg intravenöse Immunglobuline MMF Mycophenolat-Mofetil
IVRT isovolumetrische Relaxationszeit MMP Matrixmetalloproteinase
IVUS intravaskulärer Ultraschall MODS Multiorgandysfunktionssyndrom
KHK koronare Herzkrankheit MÖT Mitralöffnungston
KOD kolloidosmotischer Druck MOV Multiorganversagen
KOF Körperoberfläche MPM Mortality Predicting Model
KÖF Klappenöffnungsfläche MRSA methicillinresistenter Staphylococcus aureus
KP Kreatinphosphats MRT Magnetresonanztomographie
KSKEZ korrigierte Sinusknotenerholungszeit MSA multiple Systematrophie
Kv hydraulische Leitfähigkeit MSCT Mehrschichtspiralcomputertomographie
LA Lupusantikoagulans MSNA »muscle sympathetic nerve activity«
LAD links-anteriore deszendierende Koronararterie MTHFR-TT Methylentetrahydrofolatreduktase
LAO links-anterior-obliquer Strahlengang mTOR »mammalian target of rapamycin«
LBP Lipoproteinbindungsproteinmolekül MVO2 »mixed venous oxygen«
LCA »left coronary artery« (linke Herzkranzarterie) MYBPC Myosinbindungsprotein C
LCAT Lecithincholesterolacyltransferase NANC nonadrenergen, noncholinergen (Nerven)
LDH Laktatdehydrogenase NASPE North American Society of Pacing and Electro-
LDL »low-density lipoprotein« physiology
L-DOPS L-Dihydroxyphenylserin NFκB »nuclear factor Kappa B«
LGL-Syndrom Lown-Ganong-Levine-Syndrom NIPPV »nasal intermittent positive pressure ventilation«
LIMA »left internal mammary artery« NMH niedermolekulares Heparin
LMW »Iow molecular weight« NMR »nuclear magnetic resonance«
L-NAME Stickoxidsynthaseinhibitor NNT »number needed to treat«
L-NMMA NG-Monomethyl-L-Arginin NO Stickstoffmonoxid
lnVLF natürlicher Logarithmus (ln) von »very low NOS Stickoxidsynthase, verschiedene Isoformen
frequency« (cNOS, eNOS, nNOS)
LOD-Score »Iogarithm of the odds« NSAID nichtsteroidale Antiphlogistika
Lp(a) Lipoprotein (a) NSTEM I Nicht-ST-Strecken-Hebungs-{Elevations-)
LPA linke Pulmonalarterie Myokardinfarkt
LPS Lipopolysaccharid NT-proBNP N-terminales proBNP
LVAD linksventrikulärer Assist-Device NYHA New York Heart Association
LVEDD linksventrikulärer enddiastolischer Diameter OPCAB »off-pump coronary artery bypass«
LVEDP »left ventricular end-diastolic pressure« (links- OPS orthogonale Polarisations-Spektral-Bildgebung
ventrikulärer enddiastolischer Druck) oxLDL oxidiertes Low-density-Lipoprotein
XX Abkürzungsverzeichnis

PA Pulmonalarterie PTT partielle Thromboplastinzeit


PAF »progressive autonomic failure« PVO pulmonalvenöse Obstruktion
PAH pulmonalarterielle Hypertonie PVOD pulmonale venookklusive Erkrankung
PAI-I »plasminogen activator inhibitor I« PVR »pulmonary vascular resistance« (Lungen-
PAK Pulmonalarterienkatheter gefäßwiderstand)
paO2 arterieller Sauerstoffdruck QCA quantitative Koronaranalyse
PAOP pulmonalarterieller Okklusionsdruck QTc frequenzkorrigierten QT-Zeit
PAP »pulmonary arterial pressure« (pulmonalarterieller RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
Druck) RAO rechts-anterior-obliquer Strahlengang
PAPd diastolischer pulmonalarterieller Druck RAP »right atrial pressure« (rechtsatrialer Druck)
PAPm pulmonalarterielle Mitteldruck RAS Renin-Angiotensin-System
PAPs systolischer pulmonalarterieller Druck RASS Richmond Agitation Sedation Scale
PARP Poly-ADP-Ribose-Polymerase RCA »right coronary artery« (rechte Herzkranz-
PARS Poly-(ADP-Ribose)-Synthetase arterie)
pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit RCA rechte Koronararterie
PCH pulmonalkapilläre Hämangiomatose RCX R. circumflexus
PCI perkutane Koronarintervention REF »right ventricular ejection fraction«
pcm mittlerer Zirkulationsdruck (intravasaler Venen- RES retikuloendotheliales System
druck bei ruhendem Herzen) RFLP Restriktionsfragmentlängenpolymorphismen
PCP primäre chronische Polyarthritis rhAPC rekombinantes humanes aktiviertes Protein C
»pulmonary capillary pressure« (pulmonal- RIA Radioimmunassay
kapillärer Druck) RIM Ramus intermedius
PCPC partielle kavopulmonale Anastomose RIMA »right internal mammary artery«
PCPS perkutanes kardiopulmonales Bypass-System RIVA R. interventricularis anterior bzw. R. descendens
PCR »polymerase chain reaction«, Polymerase-Ketten- anterior
reaktion RIVP Ramus interventricularis posterior
PCR Polymerasekettenreaktion RLC regulatorische leichten Ketten (des Myosins)
PCWP »pulmonary capillary wedge pressure« (pulmonal- RNOS reaktive Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen
kapillärer Verschlussdruck) RNV Radionuklidventrikulographie
PDA persistierender Ductus arteriosus ROS »reactive oxygen species« (reaktive Sauerstoff-
PDE Phosphodiesterase spezies)
PDGF »platelet derived growth factor« RSV respiratorisches Synzytialvirus
PDH Pyruvatdehydrogenasekomplex rtPA rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator
PEA pulmonale Thrombendarterektomie Rv venöser Widerstand
PECAM-1 »platelet/endothelial cell adhesion molecule-1« RVEDD »right ventricular end-diastolic diameter«
PEEP »positive end-expiratory pressure« (positiver (rechtsventrikulärer enddiastolischer Diameter)
endexspiratorischer Druck) RVOT rechtsventrikulärer Ausflusstrakt
PET Positronenemissionstomographie RVOTO Hypoplasie (Obstruktion) des rechtsventrikulären
PETN Pentaerythretyltetranitrat Ausflusstraktes
PFO persistierendes Foramen ovale RVp Druck im rechten Ventrikel
PGE2 Prostagliandin E2 RVSP »right ventricular systolic pressure« (systolischer
PGI2 Prostazyklin rechtsventrikulärer Druck)
PH pulmonale Hypertonie SA-Block sinuatrialer Block
Pi anorganisches Phosphat SAM »systolic anterior movement«, systolische Vor-
PiCCO »pulscontour continuous cardiac output« wärtsbewegung des anterioren Mitralsegels
PiGF »placenta growth factor« (auch »placental SAPS Simplified Acute Physiology Score
growth factor«, PGF) SCD »sudden cardiac death«
PJRT permanent junktionale Reentrytachykardie SchwbG Schwerbehindertengesetz
POP Pulmonalkapillarokklusionsdruck SCL Sinusknotenzykluslänge
POTS »postural orthostatic tachycardia syndrome« ScI-70 Autoantikörper gegen nukleäres Protein
pp67-Antigen Phosphoprotein-67-Antigen (+pp65-A. = bei (Topoisomerase 1)
CMV-Infektion) SCS »spinal cord stimulation« (spinale Neuro-
PPAR »peroxisome proliferator-activated receptor« stimulation)
PPHN persistierende pulmonale Hypertonie des Neu- ScvO2 zentralvenöse Sauerstoffsättigung
geborenen SDD selektive Darmdekontamination
PPSB Prothrombinkomplex SDNN Standardabweichung aller NN-Intervalle
PRA rechtsatrialer Mitteldruck bei Herzfrequenzmessung
PS Pulmonalstenose SGB Sozialgesetzbuch
PSS progressive systemische Sklerose SGC »soluble guanylate cyclase«
PTCA perkutane transluminale Koronarangioplastie SIH schwangerschaftsinduzierte Hypertonie
PT-LPD »posttransplantation lymphoproliferative disorder« SIRS systemisch-entzündliche Reaktion
XXI
Abkürzungsverzeichnis

SKEZ (SNRT) Sinusknotenerholungszeit (»sinus node TNF-α Tumornekrosefaktor α


recovery time«) Tnl, TnT Troponin-I, Troponin-T
SLE Lupus erythematodes disseminatus TOF Fallot-Tetralogie
α-SMA α-glattmuskuläres Aktin t-PA »tissue plasminogen activator«, Gewebe-
SOFA-Score »sepsis-related organ failure assessment score« plasminogenaktivator
SPE Streptococcus-pyogenes-Exotoxin TSH thyreoideastimulierendes Hormon
SPECT »single photon emission computed tomography« TSST-1 Toxinschocksyndromtoxin 1
SSPE subakute sklerosierende Panenzephalitis TTE transthorakale Echokardiographie
SSW Schwangerschaftswoche TxA2 Thromboxan
STEMI ST-Strecken-Elevations-Myokardinfarkt TZ Thrombinzeit
STH somatotropes Hormon UFH unfraktioniertes Heparin
SvO2 gemischt-venöse O2-Sättigung UKG Echokardiographie
SVR »systemic vascular resistance« (systemischer UVR Unverträglichkeitsreaktionen
Gefäßwiderstand) VO2 O2-Aufnahme (»volume of oxygen«)
T3 Trijodthyronin VCAM »vascular cell adhesion molecule«
T4 Thyroxin VCO2 »volume of carbon dioxide production«
TAH »total artificial heart« VDRL Luestest (»Veneral Diseases Research Laboratories«)
TAPSE »tricuspid annular plane systolic excursion« VE »ventilatory equivalent«
TCPC totale kavopulmonale Anastomose VEGF vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor
TEE transösophageale Echokardiographie VF ventrikuläre Fibrillation (Kammerflimmern)
TENS transkutane elektrische Nervenstimulation VKA Vitamin-K-Antagonist
TF Tissue factor VLDL »very-low-density lipoprotein«
TFPI Tissue-factor-pathway-Inhibitor VSD Ventrikelseptumdefekt
TGA Transposition der großen Gefäße VSMC »vascular smooth museIe cells«
TGF-β »transforming growth factor β« VT ventrikuläre Tachykardie
TI Trikuspidalklappeninsuffizienz WHF World Heart Federation
TIA transitorische ischämische Attacke WHO World Health Organization
TIMI »thrombolysis in myocardial infarction« WPW-Syndrom Wolff-Parkinson-White-Syndrom
TIMP »tissue inhibitor of matrix metalloproteinases« ZNS zentrales Nervensystem
TK Trikuspidalklappe ZPO Zivilprozessordnung
TnC, TnI, TnT Troponin C, Troponin I, Troponin T ZVD zentraler Venendruck
XXIII

Verzeichnis der Studien1


Im Folgenden findet sich eine Auflistung der in diesem Buch zitierten BICC (Betaferon® In Chronic Viral Cardiomyopathy) Study
Studien (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Schering AG, Berlin
ACUITY (Acute Catheterization and Urgent Intervention Triage strat- BOOST (BOne marrOw transfer to enhance ST-elevation infarct regen-
egY) eration)
Stone GW, McLaurin BT, Cox DA et al. (2006) Bivalirudin for patients Wollert KC, Meyer GP, Lotz J et al. (2004) Intracoronary autologous
with acute coronary syndromes. N Engl J Med 355: 2203–2216 bone-marrow cell transfer after myocardial infarction: the BOOST
AFCAPS (Air Force Coronary Atherosclerosis Prevention Study) randomised controlled clinical trial. Lancet 364: 141–148
Downs JS, Clearfield M, Weis S et al. (1998) Primary prevention of acute CAPPP (Captopril Prevention Project)
coronary events with lovastatin in men and women with average Hansson L, Lindholm LH, Niskanen L et al. (1999 b) Effect of angio-
cholesterol levels: results of AFCAPS/TexCAPS. Air Force/Texas tensinconverting-enzyme inhibition compared with convention-
Coronary Atherosclerosis Prevention Study. JAMA 279: 1615–1622 al therapy on cardiovascular morbidity and mortality in hyperten-
AIRE (Acute Infarction Ramipril Efficacy Study) sion: the Captopril Prevention Project (CAPPP) randomised trial.
AIRE Study Group. Effect of ramipril on mortality and morbidity of Lancet 353: 611–616
survivors of acute myocardial infarction with clinical evidence of CAPTIM (Comparison of Angioplasty and Prehospital Thrombolysis in
heart failure. The Acute Infarction Ramipril Efficacy (AIRE) Study Acute Myocardial Infarction)
Investigators. Lancet. 1993;342:821-828 Bonnefoy E, Lapostolle F, Leizorovicz A et al. (2002) Primary angio-
ALLHAT (Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent plasty versus prehospital fibrinolysis in acute myocardial infarc-
Heart Attack Trial) tion: a randomised study. Lancet 360: 825–829
ALLHAT Collaborative Research Group (2000) Major cardiovascular CARE (Cholesterol and Recurrent Events trial)
events in hypertensive patients randomized to doxazosin vs Sacks FM, Pfeffer MA, Moye LA et al. (1996) The effect of pravastatin on
chlorthalidone: the antihypertensive and lipid-lowering treat- coronary events after myocardial infarction in patients with aver-
ment to prevent heart attack trial (ALLHAT). ALLHAT Collaborative age cholesterol levels. N Engl J Med 331: 1005–1009
Research Group. JAMA. 283:1967-1975 CARE-HF (Cardiac resynchronization in heart failure Study)
Pasternak RC (2002) The ALLHAT lipid lowering trial – less is less. JAMA Cleland JG, Daubert JC, Erdmann E, Freemantle N, Gras D, Kappen-
288: 3042–3044 berger L, et al. The effect of cardiac resynchronization on morbidity
Appel LJ (2002) The verdict from ALLHAT – Thiazide diuretics are the and mortality in heart failure. N Engl J Med. 2005;352:1539-1549
preferred initial therapy for hypertension. JAMA 288: 3039–3042 CARP- (Coronary Artery Revascularization Prophylaxis-)Trial
ALLHAT Officers and Coordinators for the ALLHAT Collaborative Re- McFalls EO, Ward HB, Moritz TE et al. (2004) Coronary-artery revascu-
search Group (2002) Major outcomes in moderately hypercholes- larization before elective major vascular surgery. N Engl J Med
terolemic, hypertensive patients randomized to pravastatin vs 351: 2795–2804
usual care: The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to CASS (Coronary Artery Surgery Study)
Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT-LLT). JAMA 288: 2998–3007 Foster ED, Davis KB, Carpenter JA, et al. (1986) Risk of noncardiac op-
AMIOVERT (Amiodarone versus implantable cardioverter-defibrilla- eration in patients with defined coronary disease: The Coronary
tor:randomized trial in patients with nonischemic dilated cardio- Artery Surgery Study (CASS) registry experience. Ann Thorac Surg
myopathy and asymptomatic nonsustained ventricular tachycar- 41(1): 42–50
dia) CAT (Cardiomyopathy Trial)
Strickberger SA, Hummel JD, Bartlett TG, Frumin HI, Schuger CD, Bansch D, Antz M, Boczor S et al. (2002) Primary prevention of sudden
Beau SL, et al. Amiodarone versus implantable cardioverter-defi- cardiac death in idiopathic dilated cardiomyopathy: the Cardio-
brillator: randomized trial in patients with nonischemic dilated myopathy Trial (CAT). Circulation 105: 1453–1458
cardiomyopathy and asymptomatic nonsustained ventricular CHARM-Added [Candesartan in heart failure assessment of reduction
tachycardia--AMIOVIRT. J Am Coll Cardiol. 2003;41:1707-1712 in mortality and morbidity trial (added)]
ARCH (Aortic Related Cerebral Hazard Trial) McMurray JJ, Ostergren J, Swedberg K, Granger CB, Held P, Michelson
http://www. clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00235248 EL, et al. Effects of candesartan in patients with chronic heart fail-
ASTAMI (Autologous Stem cell Transplantation in Acute Myocardial ure and reduced left-ventricular systolic function taking angi-
Infarction) otensin-converting-enzyme inhibitors: the CHARM-Added trial.
Lunde K, Solheim S, Aakhus S et al. (2006) Intracoronary injection of Lancet. 2003;362:767-771
mononuclear bone marrow cells in acute myocardial infarction. CHARM-Alternative [Candesartan in heart failure assessment of re-
N Engl J Med 355: 1199–1209 duction in mortality and morbidity trial (alternative)]
ATTACH (Anti-TNF Therapy Against Congestive Heart Failure) Granger CB, McMurray JJ, Yusuf S, Held P, Michelson EL, Olofsson B, et
Chung ES, Packer M, Lo KH et al. (2003) Randomized, double-blind, al. Effects of candesartan in patients with chronic heart failure and
placebo-controlled, pilot trial of infliximab, a chimeric mono- reduced left-ventricular systolic function intolerant to angio-
clonal antibody to tumor-necrosis factor-alpha, in patients with tensin-converting-enzyme inhibitors: the CHARM-Alternative
moderate-to-severe heart failure: results of the Anti-TNF Therapy trial. Lancet. 2003;362:772-776
Against Congestive Heart Failure (ATTACH) Trial. Circulation 107: CHARM-Preserved [Candesartan in heart failure assessment of reduc-
3133–3140 tion in mortality and morbidity trial (preserved)]
Yusuf S, Pfeffer MA, Swedberg K, Granger CB, Held P, McMurray JJ, et
1 ohne Anspruch auf Vollständigkeit. al. Effects of candesartan in patients with chronic heart failure and
XXIV Verzeichnis der Studien

preserved left-ventricular ejection fraction: the CHARM-Preserved Pitt B, Segal R, Martinez FA et al. (1997) Randomised trial of losartan
Trial. Lancet. 2003;362:777-781 versus captopril in patients over 65 with heart failure (Evaluation
CIBIS II (Cardiac Insufficiency Bisoprolol Study II) of Losartan in the Elderly Study, ELITE). Lancet 349: 747–752
CIBIS-II Investigators and Committees. The Cardiac Insufficiency ELITE II (Evaluation of Losartan in the Elderly Study II)
Bisoprolol Study II (CIBIS-II): a randomised trial. Lancet. 1999;353:9- Pitt B, Poole-Wilson PA, Segal R et al. (2000) Effect of losartan com-
13 pared with captopril on mortality in patients with symptomatic
CIBIS III (Cardiac Insufficiency Bisoprolol Study III) heart failure: randomised trial – the Losartan Heart Failure Sur-
Willenheimer R, van Veldhuisen DJ, Silke B, Erdmann E, Follath F, vival Study ELITE II. Lancet 355:1582–1587
Krum H, et al. Effect on survival and hospitalization of initiating EPHESUS (Eplerenone Post-Acute Myocardial Infarction Heart Failure
treatment for chronic heart failure with bisoprolol followed by Efficacy and Survival Study)
enalapril, as compared with the opposite sequence: results of Pitt B, Remme W, Zannad F et al. (2003) Eplerenone, a selective aldos-
the randomized Cardiac Insufficiency Bisoprolol Study (CIBIS) III. terone blocker, in patients with left ventricular dysfunction after
Circulation. 2005;112:2426-2435 myocardial infarction. N Engl J Med 348: 1309–1321
COMPANION (Comparison of Medical Therapy, Pacing, and Defibrilla- ESETCID (European Study of Epidemiology and Treatment of Cardiac
tion in Heart Failure trial) Inflammatory Diseases)
Bristow MR, Saxon LA, Boehmer J, Krueger S, Kass DA, De Marco T, et Hufnagel G, Pankuweit S, Richter A et al. (2000) The European Study of
al. Cardiac-resynchronization therapy with or without an implant- Epidemiology and Treatment of Cardiac Inflammatory Diseases
able defibrillator in advanced chronic heart failure. N Engl J Med. (ESETCID). First epidemiological results. Herz 25: 279–285
2004;350:2140-2150 EUROPA (European Trial on Reduction of Cardiac Events with Perindo-
CONSENSUS I (Cooperative North Scandinavian Enalapril Survival pril in Stable Coronary Artery Disease)
Study I) Fox KM, for the European Trial on Reduction of Cardiac Events with
CONSENSUS Trail Study Group. Effects of enalapril on mortality in se- Perindopril in Stable Coronary Artery Disease (EUROPA) Investi-
vere congestive heart failure: results of the Cooperative North gators (2003) Efficacy of perindopril in reduction of cardiovascu-
Scandinavian Enalapril Survival Study (CONSENSUS). N Engl J lar events among patients with stable coronary artery disease:
Med. 1987;316:1429-1435 randomized, double-blind, placebo-controlled, multicentre trial
CONSENSUS II (Cooperative North Scandinavian Enalapril Survival (the EUROPA study). Lancet 362: 782–788
Study II) EVAR (Endovascular aneurysm repair)
Swedberg K, Held P, Kjekshus J, Rasmussen K, Ryden L, Wedel H. Effects EVAR trial participants (2005) Endovascular aneurysm repair versus
of the early administration of enalapril on mortality in patients open repair in patients with abdominal aortic aneurysm (EVAR
with acute myocardial infarction. Results of the Cooperative New trial 1): randomised controlled trial. Lancet 365: 2179–2186
Scandinavian Enalapril Survival Study II (CONSENSUS II). N Engl J EVEREST (Efficacy of Vasopressin Antagonism in Heart Failure Out-
Med. 1992;327:678-684 come Study With Tolvaptan)
CURE (Clopidogrel in Unstable angina to prevent Recurrent Events) Konstam MA, Gheorghiade M, Burnett JC Jr et al. (2007) Effects of oral
Mehta SR, Yusuf S (2000) The Clopidogrel in Unstable angina to pre- tolvaptan in patients hospitalized for worsening heart failure: the
vent Recurrent Events (CURE) trial programme; rationale, design EVEREST Outcome Trial. JAMA 297: 1319–1331
and baseline characteristics including a meta-analysis of the FIX-CHF-4 (Optimizer system with active fixation leads in chronic
effects of thienopyridines in vascular disease. Eur Heart J 21: heart failure trial 4)
2033–2041 Borggrefe MM, Lawo T, Butter C et al. (2008) Randomized, double blind
DECREASE (Dutch Echocardiographic Cardiac Risk Evaluation Apply- study of non-excitatory, cardiac contractility modulation electri-
ing Stress Echocardiography) cal impulses for symptomatic heart failure. Eur Heart J (in press)
Poldermans D, Boersma E, Bax JJ et al. (1999) The effect of bisoprolol FTT (Fibrinolytic Therapy Trialists)
on perioperative mortality and myocardial infarction in high-risk Fibrinolytic Therapy Trialists’ Collaborative Group (1994) Indications
patients undergoing vascular surgery. Dutch Echocardiographic for fibrinolytic therapy in suspected acute myocardial infarction:
Cardiac Risk Evaluation Applying Stress Echocardiography Study collaborative overview of early mortality and major morbidity
Group. N Engl J Med 341: 1789–1794 results from all randomized trials of more than 1 000 patients.
DECREASE V (Dutch Echocardiographic Cardiac Risk Evaluation Apply- Lancet 343: 311–322
ing Stress Echocardiography V) GISSI-3 (Gruppo Italiano per lo Studio della Sopravvivenza nell’infarto
Poldermans D, Schouten O, Vidakovic R et al. (2007) A clinical rand- Miocardico-3)
omized trial to evaluate the safety of a noninvasive approach Gruppo Italiano per lo Studio della Sopravvivenza nell‘infarto Mio-
in high-risk patients undergoing major vascular surgery: the cardico (1994) GISSI-3: effects of lisinopril and transdermal glyc-
DECREASE-V Pilot Study. J Am Coll Cardiol 49: 1763–1769 eryl trinitrate singly and together on 6-week mortality and ven-
DEFINITE (Defibrillators in Non-Ischemic Cardiomyopathy Treatment tricular function after acute myocardial infarction. Lancet 343:
Evaluation) 1115–1122
Kadish A, Dyer A, Daubert JP et al. (2004) Prophylactic defibrillator GUSTO (Global Use of Strategies To improve Outcomes)
implantation in patients with nonischemic dilated cardiomyo- Hasdai D, Topol EJ, Califf RM et al. (2000a) Cardiogenic shock compli-
pathy.N Engl J Med 350: 2151–2158 cating acute coronary syndromes. Lancet 356: 749–756
DIG (Digitalis Investigation Group) Hasdai D, Califf RM, Thompson TD et al. (2000b) Predictors of cardio-
Digitalis Investigation Group (1997) The effect of digoxin on mortality genic shock after thrombolytic therapy for acute myocardial inf-
and morbidity in patients with heart failure. N Engl J Med 336: arction. J Am Coll Cardiol 35: 136–143
525–533 Hasdai D, Harrington RA, Hochman JS et al. (2000c) Platelet glycopro-
ELITE I (Evaluation of Losartan in the Elderly Study I) tein IIb/IIIa blockade and outcome of cardiogenic shock compli-
XXV
Verzeichnis der Studien

cating acute coronary syndromes without persistent ST-segment nesium sulphate in 58 050 patients with suspected acute myocar-
elevation. J Am Coll Cardiol 36: 685–692 dial infaarction. Lancet 345: 669–685
HERS-I-Study (Heart and Östrogen/Progestin Replacement I Study) LIDO (Levosimendan infusion versus dobutamine trial)
Hulley S, Grady D, Bush T et al. (1998) Randomized trial of estrogen plus Follath F, Cleland JG, Just H et al. (2002) Efficacy and safety of intrave-
progestin for secondary prevention of coronary heart disease in nous levosimendan compared with dobutamine in severe low-
postmenopausal women. Heart and Estrogen/progestin Replace- output heart failure (the LIDO study): a randomised double-blind
ment Study (HERS) Research Group. JAMA 280(7): 605–613 trial. Lancet 360: 196–202
HERS-II-Study (Heart and Östrogen/Progestin Replacement II Study) LIFE (Losartan Intervention for Endpoint Reduction in Hypertension)
HOPE- (Heart Outcoumes Prevention Evaluation-)Study Dahlöf B, Deveraux RB, Kjeldsen SE (2002) Cardiovascular morbidity
Yusuf S, Sleight P, Pogue J et al. (2000) Effects of an angiotensin-con- and mortality the Losartan Intervention for Endpoint Reduction
verting-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in in Hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol.
high-risk patients. The Heart Outcomes Prevention Evaluation Lancet 359: 995–1003
Study Investigators. N Engl J Med 342: 145–153 LIPID (Long-Term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease
Mann JF, Gerstein HC, Pogue J et al. (2001) Renal insufficiency as a Study)
predictor of cardiovascular outcomes and the impact of ramipril: The Long-Term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease
the HOPE randomized trial. Ann Intern Med 134: 629–636 (LIPID) Study Group (1998) Prevention of cardiovascular events
HOT (Hypertension Optimal Treatment) and death with pravastatin in patients with coronary heart dis-
Hansson L, Zanchetti A, Carruthers SG et al. (1998) Effects of intensive ease and a broad range of initial cholesterol levels. N Engl J Med
blood-pressure lowering and low-dose aspirin in patients with 339: 1349–1357
hypertension: principal results of the Hypertension Optimal MAGIC (Myoblast Autologous Grafting in Ischemic Cardiomyopathy)
Treatment (HOT) randomised trial. HOT Study Group. Lancet Menasche P, Alfieri O, Janssens S, et al. (2008)The Myoblast Autolo-
351:1755–1762 gous Grafting in Ischemic Cardiomyopathy (MAGIC) trial: first
HPS (Heart Protection Study) randomized placebo-controlled study of myoblast transplanta-
Collins R, Armitage J, Parish S et al. (2004) Effects of cholesterol-lower- tion. Circulation 117: 1189–200
ing with simvastatin on stroke and other major vascular events in MADIT II (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial II)
20536 people with cerebrovascular disease or other high-risk Moss AJ, Zareba W, Hall WJ et al. (2002) Prophylactic implantation of a
conditions. Lancet 363: 757–767 defibrillator in patients with myocardial infarction and reduced
ICTUS (Invasive versus Conservative Treatment in Unstable Coronary ejection fraction. N Engl J Med 346: 877–883
Syndromes) MDRD (Modification of Diet in Renal Disease)
Hirsch A; Windhausen F; Tijssen JG et al. 2007) Long-term outcome Peterson JC, Adler S, Burkart JM et al. (1995) Blood pressure control,
after an early invasive versus selective invasive treatment strategy proteinuria, and the progression of renal disease. The Modifica-
in patients with non-ST-elevation acute coronary syndrome and tion of Diet in Renal Disease Study. Ann Intern Med 123:754–762
elevated cardiac troponin T (the ICTUS trial): a follow-up study. MERIT-HF (Metoprolol CR/XL Randomised Intervention Trial in Con-
Lancet 369(9564): 827–835 gestive Heart Failure)
INTERHEART MERIT-HF Study Group (1999) Effect of metoprolol CR/XL in chronic
Yusuf S, Hawken S, Ounpuu S et al. for the INTERHEART Study Investi- heart failure: Metoprolol CR/XL Randomised Intervention Trial in
gators (2004) Effect of potentially modifiable risk factors associ- Congestive Heart Failure (MERIT-HF). Lancet 353: 2001–2007
ated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART MRC (Medical Research Council trial of treatment of hypertension in
Study): a case control study. Lancet 364: 937–952 older adults)
INSTEAD (INvestigation of STEnt Grafts in Patients With Type B Aortic MRC Working Party (1992) Medical Research Council trial of treatment of
Dissection) hypertension in older adults: principal results. BMI 304: 405–412
Nienaber CA, Zannetti S, Barbieri B et al. (2005) INvestigation of STEnt MTT (Myocarditis Treatment Trial)
grafts in patients with type B Aortic Dissection: design of the Mason JW, O‘Connell JB, Herskowitz A (1995) A clinical trial of immu-
INSTEAD trial – a prospective, multicenter, European randomized nosuppressive therapy for myocarditis: the Myocarditis Treat-
trial. Am Heart J 149(4): 592–599 ment Trial Investigators. N Engl J Med 333: 269–275
INVEST (International Verapamil-Trandolapril Study) NHANES II (National Health and Nutrition Survey II)
Pepine CJ, Handberg EM, Cooper-De Hoff RM et al. (2003) A calcium Muntner P, He J, Hamm L et al. (2002) Renal insufficiency and subse-
antagonist vs a non-calcium antagonist hypertension treatment quent death resulting from cardiovascular disease in the United
strategy for patients with coronary artery disease. The Interna- States. J Am Soc Nephrol 13: 745–753
tional Verapamil-Trandolapril Study (INVEST): a randomized con- OASIS (Organisation to Assess Strategies for Ischemic Syndromes)
trolled trial. JAMA 290: 2805–2816 Yusuf S, Mehta SR, Chrolavicius S et al. (2006b) Comparison of fonda-
ISAR-COOL (Intracoronary Stenting with Antithrombotic Regimen parinux and enoxaparin in acute coronary syndromes. N Engl J
Cooling-Off ) Med 354: 1464–1476
Neumann FJ, Kastrati A, Pogatsa-Murray G et al. (2003) Evaluation Yusuf S, Mehta SR, Chrolavicius S et al. (2006) Effects of fondaparinux
of prolonged antithrombotic pretreatment (»cooling-off« strat- on mortality and reinfarction in patients with acute ST-segment
egy) before intervention in patients with unstable coronary elevation myocardial infarction: the OASIS-6 randomized trial.
syndromesa randomized controlled trial. JAMA 290: 1593- JAMA 295: 1519–1530
1599 OPTIMAAL (Optimal Trial in Myocardial Infarction with Angiotensin II
ISIS-4 (Fourth International Study of Infarct Survival-4) Antagonist Losartan)
ISIS-4 Collaborative Group (1995) A randomised factorial trial assess- Dickstein K, Kjekshus J (2002) Effects of losartan and captopril on mor-
ing early oral captopril, oral mononitrate, and intravenous mag- tality and morbidity in high-risk patients after acute myocardial
XXVI Verzeichnis der Studien

infarction: the OPTIMAAL randomised trial. Optimal Trial in Myo- Packer M, Carver JR, Rodeheffer RJ et al. (1991) Effect of oral milrinone
cardial Infarction with Angiotensin II Antagonist Losartan. Lancet on mortality in severe chronic heart failure. The PROMISE Study
360: 752–760 Research Group. N Engl J Med 325: 1468–1475
PEACE (Prevention of Events with Angiotensin Converting Enzyme PROSPECT (Predictors of Response to CRT trial)
Inhibition) Ghio S (2007) Results of the predictors of response to CRT (PROSPECT)
Braunwald E, Domanski MJ, Fowler SE et al. for the PEACE trial Investi- trial. European Society of Cardiology Congress 2007, Vienna,
gators (2004) Angiotensin-converting-enzyme inhibition in Austria
stable coronary artery disease. N Engl J Med 351: 2058–2068 RALES (Randomized aldactone evaluation) Study
PEP-CHF- (Perindopril in elderly people with chronic heart failure-) Pitt B, Zannad F, Remme WJ et al. (1999) The effect of spironolactone
Study on morbidity and mortality in patients with severe heart failure.
Cleland JG, Tendera M, Adamus J et al. (2006) The perindopril in eld- Randomized Aldactone Evaluation Study Investigators. N Engl J
erly people with chronic heart failure (PEP-CHF) study. Eur Heart Med 341: 709–717
J 27: 2338–2345 REPAIR-AMI (Reinfusion of Enriched Progenitor and Infarct Remode-
PIOPED (prospective investigation of pulmonary embolism diagnosis) ling in Acute Myocardial Infarction)
PIOPED Investigators (1990) Value of the ventilation/perfusion scan in Schächinger V, Erbs S, Elsasser A et al. (2006) Intracoronary bone
acute pulmonary embolism. Results of the prospective investiga- marrow-derived progenitor cells in acute myocardial infarction.
tion of pulmonary embolism diagnosis (PIOPED). JAMA 263: N Engl J Med 355: 1210–1221
2753–2759 SALT (Study of Ascending Levels of Tolvaptan)
Stein PD, Fowler SE, Goodman LR et al., PIOPED II Investigators (2006) Schrier RW, Gross P, Gheorghiade M et al.; SALT Investigators (2006)
Multidetector computed tomography for acute pulmonary em- Tolvaptan, a selective oral vasopressin V2-receptor antagonist, for
bolism. N Engl J Med 354: 2317–2327 hyponatremia. N Engl J Med 355: 2099–2112
POST (Prevention of Syncope Trial) SAVE (Survival and ventricular enlargement trial)
Sheldon RS, Connolly SJ, Rose S et al. (2006) Prevention of Syncope Pfeffer MA, Braunwald E, Moye LA et al. (1992) Effect of captopril on
Trial (POST): a randomized, placebo-controlled study of metopro- mortality and morbidity in patients with left ventricular dysfunc-
lol in the prevention of vasovagal syncope. Circulation 113: 1164– tion after myocardial infarction. Results of the survival and ven-
1170 tricular enlargement trial. The SAVE Investigators. N Engl J Med
PRAISE (Prospective Randomized Amlodipine Survival Evaluation 327: 669–677
Study) SCD-HeFT (Sudden Cardiac Death in Heart Failure Trial)
Packer M, O’Connor CM, Ghali JK et al. (1996) Effect of amlodipine on Bardy GH, Lee KL, Mark DB et al. (2005) Amiodarone or an implantable
morbidity and mortality in severe chronic heart failure. N Engl J cardioverter-defibrillator for congestive heart failure. N Engl J
Med 335:1107–1114 Med 352: 225–237
PREVEND- (Prevention of Renal and Vascular End-Stage Disease-) SCORE-Projekt
Study Keil U. Fitzgerald AP, Gohlke H et al. (2005) Risikoabschätzung töd-
Hillege HL, Janssen WM, Bak AA et al. (2001) Microalbuminuria is com- licher Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Die neuen SCORE-Deutsch-
mon, also in a nondiabetic, nonhypertensive population, and an land-Tabellen für die Primärprävention. Dtsch Arztebl 102(25):
independent indicator of cardiovascular risk factors and cardio- A-1808/B-1526/C-1441
vascular morbidity. J Intern Med 249: 519–526 SENIORS (Study of the Effects of Nebivolol Intervention on Outcomes
PROactive (PROspective pioglitAzone Clinical Trial In macroVascular and Rehospitalisation in Seniors With Heart Failure)
Events) Flather MD, Shibata MC, Coats AJ et al. (2005) Randomized trial to de-
Dormandy JA, Charbonnel B, Eckland DJ et al. for the PROactive inves- termine the effect of nebivolol on mortality and cardiovascular
tigators (2005) Secondary prevention of macrovascular events in hospital admission in elderly patients with heart failure (SENIORS).
patients with type 2 diabetes in the PROactive Study (PROspec- Eur Heart J 26: 215–225
tive pioglitAzone Clinical Trial In macroVascular Events): a ran- SHEP (Systolic Hypertension in the Elderly Program)
domised controlled trial. Lancet 366:1279–1289 SHEP Cooperative Research Group (1991) Prevention of stroke by
PROCAM (Prospective Cardiovascular Münster Study) antihypertensive drug treatment in older persons with isolated
Assmann G, Cullen P, Schulte H (2002) Simple scoring scheme for cal- systolic hypertension. Final results of the Systolic Hypertension in
culating the risk of acute coronary events based on the 10-year Elderly Program (SHEP). JAMA 265: 3255–3264
follow-up of the prospective cardiovascular Munster (PROCAM) SHOCK (Should We Emergently Revascularize Occluded Coronaries
study. Circulation 105: 310–315 for Cardiogenic Shock)
PROGRESS (Perindopril Protection Against Recurrent Stroke Study) Hochman JS, Sleeper LA, Webb JG et al. for the SHOCK Investigators
PROGRESS Collaborative Group (2001) Randomized trial of a perindo- (1999) Early revascularization in acute myocardial infarctions
prilbased blood-pressure-lowering regimen among 6.105 indi- complicated by cardiogenic shock. N Engl J Med 341: 625–634
viduals with previous stroke or transient ischaemic attack. Lancet SOLVD prevention [Study of left ventricular dysfunction (prevention)]
358:1033–1041 The SOLVD Investigators (1992) Effect of enalapril on mortality and the
PROPHET (Prostaglandin E1 testing in heart failure-associated pulmo- development of heart failure in asymptomatic patients with reduced
nary hypertension enables transplantation) left ventricular ejection fractions. N Engl J Med 327: 685–691
4 Scheidt W von, Costard-Jaeckle A, Stempfle HU et al. (2006) Pros- SOLVD treatment [Study of left ventricular dysfunction (treatment)]
taglandin E1 testing in heart failure-associated pulmonary hyper- The SOLVD Investigators (1991) Effect of enalapril on survival in pa-
tension enables transplantation: the PROPHET study. J Heart tients with reduced left ventricular ejection fractions and conges-
Lung Transplant 25: 1070–1076 tive heart failure. N Engl J Med 325: 293–302
PROMISE (Prospective Randomized Milrinon Survival Evaluation) SPAF III (Stroke Prevention in atrial Fibrillation trial III)
XXVII
Verzeichnis der Studien

The Stroke Prevention in Atrial Fibrillation Investigators Committee on weight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34) Lancet 352:854–
Echocardiography (1998) Transesophageal echocardiographic 865
correlates of thromboembolism in high-risk patients with nonval- Stratton IM, Adler AI, Neil HA et al. (2000) Association of glycaemia
vular atrial fibrillation. Ann Intern Med 128(8): 639–647 with macrovascular and microvascular complications of type 2
STENO (»Nils Steensen«) diabetes (UKPDS 35): prospective observational study. BMJ 321:
Gaude P, Vedel P, Larsen N et al. (2003) Multifactorial interventions and 405–412
cardiovascular disease in patients with type 2 diabetes. N Engl J US-CARVEDILOL (US Carvedilol heart failure program)
Med 348: 383–393 Packer M, Bristow MR, Cohn JN et al. (1996) The effect of carvedilol on
STOP-Hypertension (Swedish Trial in Old Patients with Hyperten- morbidity and mortality in patients with chronic heart failure. U.
sion) S. Carvedilol Heart Failure Study Group. N Engl J Med 334: 1349–
Dahlöf B, Lindholm LH, Hansson L et al. (1991) Morbidity and mortality 1355
in the Swedish trial in older patients with hypertension (STOP- Val-HeFT (Valsartan Heart Failure Trial)
Hypertension). Lancet 338: 1281–1285 Cohn JN, Tognoni G (2001) A randomized trial of the angiotensin-
STOPP-2 (Swedish Trial in Old Patients with Hypertension-2) receptor blocker valsartan in chronic heart failure. N Engl J Med
Hansson L, Lindholm LH, Ekbom T et al. (1999) Randomised trial of old 345: 1667–1675
and new antihypertensive drugs in elderly patients: cardiovascu- VALIANT (VALsartan In Acute myocardial iNfarcTion trial)
lar mortality and morbidity the Swedish Trial in Old Patients with Pfeffer MA, McMurray JJ, Velazquez EJ et al. (2003) Valsartan, capto-
Hypertension-2 study. Lancet 354:1751–1756 pril, or both in myocardial infarction complicated by heart
SURVIVE (Survival of Patients With Acute Heart Failure in Need of failure, left ventricular dysfunction, or both. N Engl J Med
Intravenous Inotropic Support) 349: 1893–1906
Mebazaa A, Nieminen M, Packer M et al, SURVIVE Investigators (2007) V-HeFT I (Vasodilator heart failure trial I)
Levosimendan vs dobutamine for patients with acute decompen- Cohn JN, Archibald GD, Ziesche S et al. (1986) Effect of vasodilator
sated heart failure: the SURVIVE Randomized Trial. JAMA 297: therapy on mortality in chronic congestive heart failure. Results
1883–1891 of a Veterans Administration Cooperative Study. N Engl J Med
SUPER 1 (Sildenafil Use in Pulmonary Arterial Hypertension STEP – 314: 1547–1552
Safety and pilot efficacy trial in combination with bosentan for V-HeFT II (Vasodilator heart failure trial II)
evaluation in pulmonary arterial hypertension) Cohn J, Johnson G, Ziesche S et al. (1991) A comparison of enalapril
Galié N, Ghofrani HA, Torbicki A et al. for the Sildenafil Use in Pulmo- with hydralazine-isosorbide dinitrate in treatment of chronic con-
nary Arterial Hypertension (SUPER) Study Group (2005) Sildenafil gestive heart failure: V-HeFT II. N Engl J Med 325: 303–310
citrate therapy for pulmonary arterial hypertension. N Engl J Med VISEP (Volume Substitution and Insulin Therapy in Severe Sepsis)
353: 2148–2157 Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al, for the German Competence
SYNERGY (Superior Yield of the New Strategy of Enoxaparin, Revascu- Network Sepsis (2008) Intensive insulin therapy and pentastarch
larization and GlYcoprotein IIb/IIIa Inhibitors) resuscitation in severe sepsis. N Engl J Med 358: 125–139
Ferguson JJ, Califf RM, Antman EM et al. (2004) Enoxaparin vs unfrac- WASH (Warfarin/Aspirin Study in Heart Failure)
tionated heparin in high-risk patients with non-ST-segment Cleland JG, Findlay I, Jafri S et al. (2004) The Warfarin/Aspirin Study
elevation acute coronary syndromes managed with an intended in Heart failure (WASH): a randomized trial comparing antithrom-
early invasive strategy: primary results of the SYNERGY rand- botic strategies for patients with heart failure. Am Heart J 148:
omized trial. JAMA 292: 45–54 157–164
TOPCARE-AMI (Transplantation of Progenitor Cells and Regeneration WATCH (Warfarin and Antiplatelet Therapy in Heart Failure trial)
Enhancement in Acute Myocardial Infarction) Cleland JG, Ghosh J, Freemantle N et al. (2004) Clinical trials update
Assmus B, Schächinger V, Teupe C et al. (2002) Transplantation of and cumulative meta-analyses from the American College of
Progenitor Cells and Regeneration Enhancement in Acute Myo- Cardiology: WATCH, SCD-HeFT, DINAMIT, CASINO, INSPIRE,
cardial Infarction (TOPCARE-AMI). Circulation 106: 3009–3017 STRATUS-US, RIO-Lipids and cardiac resynchronisation therapy in
TOPCARE-CHD (Transplantation of Progenitor Cells and Regeneration heart failure. Eur J Heart Fail 6: 501–508
Enhancement) WHI (Women’s Health Initiative Study)
Meyer GP; Wollert KC; Drexler H (2006) Stem cell therapy: a new Rossouw JE, Anderson GL, Prentice RL et al. (2002) Risks and benefits
perspective in the treatment of patients with acute myocardial of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women:
infarction. Eur J Med Res 11(10):439–446 principal results from the Women’s Health Initiative randomized
TRIUMPH (Translational Research Investigating Underlying disparities controlled trial. JAMA 288: 321–333
in recovery from acute Myocardial infarction) WISE (Women’s Ischaemia Syndrome Evaluation)
Alexander JH, Reynolds HR, Stebbins AL et al. (2007) Effect of tilarginine Johnson BD, Shaw LJ, Pepine CJ et al. (2006) Persistent chest pain
acetate in patients with acute myocardial infarction and cardio- predicts cardiovascular events in women without obstructive
genic shock: the TRIUMPH randomized controlled trial. JAMA coronary artery disease. Eur Heart J 27: 1408–1415
297: 1657–1666 WOSCOPS (West of Scotland Coronary Prevention Study)
UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) West of Scotland Coronary Prevention Study Group (1992) A coronary
UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group (1998) Intensive blood- primary prevention study of Scottish men aged 45-64 years: trial
glucose control with sulphonylureas or insulin compared with design. J Clin Epidemiol 45: 849–860
conventional treatment and risk of complications in patients with 4S (Scandinavian Simvastatin Survival Study)
type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 352: 837–853 No authors listed (1994) Randomised trial of cholesterol lowering in
UK Prospective Diabetes Study Group (1998) Effect of intensive 4,444 patients with coronary heart disease: the Scandinavian Sim-
blood-glucose control with metformin on complications in over- vastatin Survival Study (4S). Lancet 334: 1383–1389
1 1

Kardiovaskuläre Risikofaktoren
und deren therapeutische Beeinflussung
C.A. Schneider

1.1 Hierarchie der kardiovaskulären Risiko- 1.3.4 Erniedrigtes »High-density-lipoprotein«-


faktoren – 1 Cholesterin – 7
1.1.1 Scoresysteme zur Abschätzung des kardiovaskulären 1.3.5 Körperliche Inaktivität – 7
Risikos – 1 1.3.6 Adipositas – 7
1.1.2 Klassifikation der Risikofaktoren – 2
1.4 Klasse-III-Risikofaktoren – 8
1.2 Klasse-I-Risikofaktoren – 2 1.4.1 Hypertriglyzeridämie – 8
1.2.1 Nikotinkonsum – 2 1.4.2 Alkoholabstinenz oder geringer Alkoholkonsum –9
1.2.2 Arterielle Hypertonie – 2 1.4.3 Homocystein – 9
1.2.3 Hypercholesterinämie/»Low-density-lipoprotein«- 1.4.4 C-reaktives Protein – 9
Erhöhung – 3 1.4.5 Depression – 10

1.3 Klasse-II-Risikofaktoren – 4 1.5 Klasse-IV-Risikofaktoren – 10


1.3.1 Diabetes mellitus – 5 1.5.1 Alter und Geschlecht – 10
1.3.2 Linksventrikuläre Hypertrophie bei arterieller 1.5.2 Hormonsubstitution der postmenopausalen Frau – 10
Hypertonie – 5 1.5.3 Familiäre Disposition – 11
1.3.3 Pathologische Glukosetoleranz, pathologischer
Nüchternblutzucker – 6 Literatur – 11

)) Zur Bestimmung eines individuellen kardiovaskulären Risikos


müssen Methoden angewandt werden, die der Vielzahl der Risiko-
Aktuelle Daten des Gesundheitsberichtes für Deutschland wei- faktoren Rechnung tragen und die das Risiko als kontinuierliche
sen Folgeerkrankungen der Atherosklerose wie z. B. Herzinfarkt Größe quantifizieren. Dazu sind sogenannte Scoresysteme ge-
und Schlaganfall als die führenden Todesursachen in Deutsch- eignet.
land aus. In Anbetracht der alternden Gesellschaft wird das Po-
tenzial präventivmedizinischer Maßnahmen unmittelbar sicht-
bar. Um dieses Potenzial auszuschöpfen und die limitierten Res- 1.1.1 Scoresysteme zur Abschätzung
sourcen mit maximaler Effizienz einzusetzen, ist es notwendig,
die Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen hierarchisch
des kardiovaskulären Risikos
und in ihrer Interaktion zu verstehen.
Scoresysteme errechnen ein individuelles Gesamtrisiko für kar-
diovaskuläre Ereignisse aus klassischen Risikofaktoren. Scoresys-
1.1 Hierarchie der kardiovaskulären teme quantifizieren nicht nur das individuelle Risiko, sondern sie
Risikofaktoren bieten Entscheidungshilfe bei der Frage einer medikamentösen
Therapie und stellen eine anschauliche Aufklärungshilfe für Pa-
Eine nahe liegende Hierarchie der Risikofaktoren umfasst als ers- tienten dar.
te Komponente die Stärke des Risikofaktors für die Induktion
atherosklerotischer Veränderungen und als zweite Komponente > Im Idealfall sollten Scoresysteme verwandt werden, die im be-
die Effizienz der Beeinflussung des Risikofaktors. Präventivme- treffenden Land entwickelt und validiert wurden.
dizinische Bemühungen sollten sich zunächst auf die stärksten
Risikofaktoren konzentrieren, deren Beeinflussung zu einer ein- Da es landesspezifische Unterschiede im Risikoprofil gibt,
deutigen Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führt. Zu diesen empfiehlt es sich nationale Scoresysteme einzusetzen. Für
klassischen, modifizierbaren Risikofaktoren, deren Beeinflus- Deutschland existiert der Prospective Cardiovascular Münster
sung prognostisch relevant ist, gehören: (PROCAM-)Score (. Tab. 1.1; Assmann et al. 2002; http://www.
4 arterielle Hypertonie, chd-taskforce.de). Zu beachten ist, dass der PROCAM-Score
4 Rauchen und entwickelt wurde, um das kardiovaskuläre Risiko von Männern
4 pathologisch erhöhte Cholesterinwerte. zu berechnen, bei denen eine KHK noch nicht bekannt ist. Da nur
wenige kardiovaskuläre Ereignisse bei Frauen dokumentiert wur-
> Kardiovaskuläre Risikofaktoren existieren nicht unabhängig von- den, ist die Übertragbarkeit des Scores auf Frauen nur ein-
einander, sondern verstärken sich synergistisch und erhöhen geschränkt möglich. Für Frauen nach den Wechseljahren (Alter
das kardiovaskuläre Risiko kontinuierlich und ohne erkennbaren 45–65 Jahre) beträgt das Risiko ein Viertel des Risikos eines
Schwelleneffekt. gleichaltrigen Mannes.
2 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

Dieses Klassifikationssystem spiegelt die Hierarchie der Risiko-


1 . Tab. 1.1. PROCAM-Score. (Nach Assmann et al. 2002)
faktoren wider und stellt eine klare evidenzbasierte Grundlage
Risikopunktesystem Risikoberechnung für individuelle Therapieentscheidungen dar.
Risiko Punkte Punkte Herzinfarkt-
risiko
[% in 1.2 Klasse-I-Risikofaktoren
10 Jahren]
Alter [Jahre] 35–39 0 0–13 <0,5 Eine Beeinflussung der Klasse-I-Risikofaktoren vermindert das
40–44 6 14–19 0,5–1 Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen eindeutig.
45–49 11 20–26 1–1,7
50–54 16 27–35 1,8–4,0
55–59 21 36–41 4,2–7,0 1.2.1 Nikotinkonsum
60–65 26 42–50 7,4–15,5
51–58 16,8–28 Epidemiologie und assoziiertes Risiko
Positive Familien- Ja 4
>58 >28
anamnese Nein 0 Rauchen erhöht nicht nur das Risiko für den kardialen Tod um
Zigaretten Ja 8 das 2- bis 4-Fache und vermindert die mittlere Lebenserwartung
rauchen Nein 0 um ca. 6 Jahre; Rauchen gilt auch als führender Risikofaktor für
Diabetes Ja 6 eine Vielzahl von Krebs- und Lungenerkrankungen. Auch Passiv-
Nein 0 rauchen ist schädlich; es erhöht nämlich das Risiko für Krebs-
und kardiovaskuläre Erkrankungen um ca. 25%. Zigarren rauchen
Systolischer <120 0
Blutdruck 120–129 2
ist ähnlich schädlich wie Zigaretten rauchen.
[mmHg] 130–139 3
140–159 5
Therapie
>160 8 Der Rauchverzicht führt zu einer Verbesserung der Prognose und
HDL-Cholesterin <0,9 11
wird von allen Leitlinien empfohlen. Das Risiko kardiovaskulärer
[mmol/l] 0,9–1,15 8 Ereignisse halbiert sich innerhalb der ersten 2–4 Jahre, nachdem
1,16–1,4 5 mit dem Rauchen aufgehört wurde. Insgesamt ist jedoch das
>1,4 0 Risiko für die nächsten 10–20 Jahre höher als bei Menschen, die
LDL-Cholesterin <100 0
nie geraucht haben.
[mg/dl] 100–129 5 Eine Nikotinersatztherapie erhöht die Wahrscheinlichkeit,
130–159 10 Nichtraucher zu werden (de Backer et al. 2003); die Wahrschein-
160–189 14 lichkeit des dauerhaften Rauchverzichtes gegenüber Placebo ver-
>189 20 doppelt sich. Vergleichsstudien der verschiedenen Nikotinersatz-
Triglyzeride <100 0 therapien untereinander konnten keinen eindeutigen Vorteil für
[mg/dl] 100–149 2 eine der möglichen Nikotinersatztherapien ergeben. Eine Niko-
150–199 3 tinersatztherapie kann auch bei Patienten mit bekannter KHK
>199 4 eingesetzt werden. Eine Kombination verschiedener Nikotin-
ersatztherapien (z. B. Nikotinpflaster und Nikotinkaugummi)
erhöht die Wahrscheinlichkeit der Rauchabstinenz im Vergleich
1.1.2 Klassifikation der Risikofaktoren mit einer Monotherapie, allerdings auch die Wahrscheinlichkeit
einer Nikotinüberdosierung.
Die Vielzahl bekannter Risikofaktoren für kardiovaskuläre Er- Eine Bupropiontherapie ist, neben Nikotinersatzpräparaten,
krankungen macht es nötig, ein einfaches Klassifikationsschema für den primären Nikotinentzug zugelassen. Randomisierte, place-
zu verwenden. Es ist daher sinnvoll, Risikofaktoren in verschie- bokontrollierte Studien haben gezeigt, dass die Therapie mit Bupro-
dene Klassen einzuteilen. pion (2-mal 150 mg/Tag) die Wahrscheinlichkeit der Rauchabsti-
Klasse I: Risikofaktoren, deren therapeutische Beeinflussung nenz gegenüber Placebo verdoppelt. Auch Vareniclin, ein partieller
zu einer prognostischen Verbesserung führt oder die für die Agonist des Nikotinrezeptors α4/β2, ist seit 2007 für den Nikotin-
epidemiologischen Untersuchungen wiederholt einen kausa- entzug zugelassen. Langzeitdaten liegen jedoch bislang nicht vor.
len Zusammenhang gezeigt haben (Nikotinkonsum, arteriel-
le Hypertonie, Hypercholesterinämie). Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Jedem Patienten sollte
Klasse II: Risikofaktoren, deren Behandlung mit hoher ein Rauchverzicht empfohlen werden (de Backer et al. 2003).
Wahrscheinlichkeit zu einer Reduktion kardiovaskulärer Er- Nikotinersatzpäparate (Evidenzgrad IA; Silagy et al. 2002), Bu-
eignisse führt (z. B. Diabetes mellitus, niedrige HDL-Choles- propion oder Vareniclin (Evidenzgrad IB) sind beim Rauchent-
terin-Werte, erhöhte Triglyzeridwerte und mangelnde körper- zug unterstützend wirksam.
liche Bewegung).
Klasse III: Risikofaktoren, deren Modifikation möglich ist,
für die jedoch kein prognoseverbessernder Effekt dokumen- 1.2.2 Arterielle Hypertonie
tiert ist [z. B. Homocystein- und Lp(a)-Erhöhung].
Klasse IV: Risikofaktoren, die entweder nicht beeinflussbar Epidemiologie und assoziiertes Risiko
sind (Alter/Geschlecht) oder deren Behandlung schädlich ist In Deutschland leiden ca. 20% der Bevölkerung unter einer arte-
(z. B. postmenopausale Hormonsubstitution). riellen Hypertonie. Mit zunehmendem Alter nimmt die Präva-
1.2 · Klasse-I-Risikofaktoren
3 1

. Abb. 1.1. Kardiovaskuläre Sterb-


lichkeit in Abhängigkeit von Alter und
Blutdruck. Für jede Altersdekade findet
sich eine hochsignifikante Korrelation
von (a) systolischem und (b) diastoli-
schem Blutdruck mit dem kardiovasku-
lärem Risiko; CI Konfidenzintervall, KHK
koronare Herzkrankheit. (Nach Lewing-
ton et al. 2002)

lenz der arteriellen Hypertonie zu. Es wird geschätzt, dass ca. 70% definiert (. Abb. 1.2; Stamler et al. 1986). Epidemiologische Un-
der über 70-Jährigen Hypertoniker sind. tersuchungen und prospektive Interventionsstudien belegen den
Die arterielle Hypertonie erhöht das Risiko für kardiovas- Zusammenhang zwischen der Höhe des Gesamtcholesterins/
kuläre Erkrankungen. Dabei besteht für jede Lebensdekade eine LDL-Cholesterins und kardiovaskulären Erkrankungen ein-
enge, kontinuierliche positive Korrelation zwischen der Höhe des deutig. Ein um 10% höheres Serumcholesterin führt zu einer
Blutdrucks und dem Entstehen atherosklerotischer Erkrankun- Erhöhung des Risikos für eine kardiovaskuläre Erkrankungen
gen wie z. B. dem Myokardinfarkt (. Abb. 1.1 a,b; Lewington et al. um 20–30%.
2002). Für eine detaillierte Darstellung wird auf das 7 Kap. 7 »Ar-
terielle Hypertonie« verwiesen. Therapie
Die Therapieempfehlungen für die Behandlung einer Hypercho-
lesterinämie sind in . Tab. 1.2 zusammengefasst (http://www.
1.2.3 Hypercholesterinämie/»Low-density- nhlbi.nih.gov/guidelines/cholesterol/index.htm). Dieses Schema
lipoprotein«-Erhöhung systematisiert die Behandlung der Hypercholesterinämie, indem
es zusätzlich zu den Cholesterinwerten weitere Begleiterkran-
Epidemiologie und assoziiertes Risiko kungen und Risikofaktoren analysiert. Patienten mit bekannter
Erhöhte Cholesterinwerte werden als Gesamtcholesterinwerte KHK oder mit Erkrankungen, die als KHK-Äquivalente ange-
von >240 mg/dl und LDL-Cholesterin-Werte von >160 mg/dl sehen werden (Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschluss-

. Tab. 1.2. Therapie der »Low-density-lipoprotein«- (LDL-)Choles-


terin-Erhöhung in Abhängigkeit von Risikofaktoren. (Expert Panel
on Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in
Adults 2001)

Risiko- LDL-Cholesterin-Werte
kategorie
Beginn der Erwägung einer medikamentösen
Lebensstil- Therapie
änderung
KHK oder ≥100 mg/dl ≥130 mg/dl
KHK-Risiko- (100–120 mg/dl: medikamentöse
äquivalente Therapie optional)

≥2 Risiko- ≥130 mg/dl 10-Jahres-Risiko 10–20%: ≥130 mg/dl


faktoren
10-Jahres-Risiko <10%: ≥160 mg/dl

0–1 Risiko- ≥160 mg/dl ≥190 mg/dl (160–189 mg/dl:


. Abb. 1.2. Cholesterin und kardiovaskuläre Ereignisse. Es findet sich faktoren LDL-Cholesterin-senkende Therapie
eine kontinuierliche Zunahme des kardiovaskulären Risikos in Abhängig- optional)
keit vom Gesamtcholesterinspiegel. (Nach Stamler et al. 1986)
4 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

krankheit, Bauchaortenaneurysma, symptomatische Karotis-


1 stenosen) haben mit 2% pro Jahr das höchste kardiovaskuläre
. Tab. 1.3. Vergleich verschiedener Präventionsstudien mit Statinen

Risiko. Dementsprechend niedrig sind die Cholesterinwerte, ab Studie Statin Inzidenz kar- ARR RRR NNT/5 a
denen eine Lebensstiländerung oder eine medikamentöse The- diovaskulärer
Ereignisse
rapie begonnen werden soll. Für diese Patienten gilt ein LDL-
der Placebo-
Zielwert von unter 100 mg/dl. gruppe [%]
Für Patienten ohne KHK oder KHK-Äquivalente ergeben
4S Simvastatin 28 –8,6 –34 12
sich in Abhängigkeit von vorhandenen Risikofaktoren (Zigaret-
ten rauchen, arterielle Hypertonie, HDL-Cholesterin <1 mmol/l, CARE Pravastatin 13 –3,0 –24 34
positive Familienanamnese, Alter ≥45 Jahre für Männer, ≥55 Jah- LIPID Pravastatin 15,9 –3,6 –24 28
re für Frauen) andere Therapiekonzepte.
HPS Simvastatin 26 –5,5 –24 18
Die Behandlung der Hypercholesterinämie umfasst die
Änderung des Lebensstils und ggf. eine medikamentöse The- WOSCOPS Pravastatin 7,5 –2,2 –29 46
rapie. Eine Lebensstiländerung kann die Cholesterinwerte um AFCAPS Lovastatin 5,5 –2,0 –37 50
ca. 5–10% reduzieren. Sollten sie durch diese Maßnahmen nicht ARR Absolute Risikoreduktion, RRR relative Riskoreduktion; NNT/5 a
unter die Zielwerte sinken, ist eine medikamentöse Therapie mit »number needed to treat« für 5 Jahre.
dem Patienten zu diskutieren. Motivierend für eine intensive,
lipidsenkende Therapie sind die Ergebnisse einer Metaanalyse
von 38 Studien zur Primär- und Sekundärprävention (Gould et
al. 1998). Diese Analyse zeigt, dass bei einer Cholesterinsenkung Simvastatintherapie eindeutig profitierten (absolute Risikore-
um je 10% das kardiovaskuläre Sterblichkeitsrisiko um je 15% duktion 5,1%; . Abb. 1.3).
und das Gesamtsterblichkeitsrisiko um je 10% sinken.
Patienten ohne koronare Herzerkrankung
Medikamentöse Therapie oder KHK äquivalente Erkrankungen
Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder KHK Daten der WOSCOPS-Studie mit Pravastatin und der AFCAPS/
äquivalenten Erkrankungen TexCAPS-Studie mit Lovastatin zeigen, dass die Statintherapie zu
Patienten dieser Gruppe haben ein Risiko für kardiovaskuläre einer signifikanten Senkung kardialer Ereignisse in der Primär-
Komplikationen (Tod oder Myokardinfarkt) von mehr als 2% pro prävention führt. Wenngleich die relative Risikoreduktion von
Jahr. Eine Vielzahl randomisierter Studien hat gezeigt, dass eine Hoch- und Niedrigrisikopatienten ähnlich ist, unterscheiden sich
cholesterinsenkende Therapie mit Simvastatin oder Pravastatin die absolute Risikoreduktion und damit die »number needed to
die Prognose dieser Patienten verbessert (Gould et al. 1998). Die treat« (NNT) erheblich. So wird in der HPS-Studie eine NNT von
Prognoseverbesserung wird über das gesamte Spektrum der ini- 18/5 Jahre erreicht, in der WOSCOPS-Studie jedoch 46/5 Jahre
tialen Cholesterinwerte gesehen. So wurde z. B. in der Heart Pro- (. Tab. 1.3).
tection Study (Heart Protection Collaborative Group 2002) ge-
zeigt, dass die Prognose von Hochrisikopatienten durch eine Cholesterinabsorptionshemmer. Ezetimib ist die erste Substanz
Simvastatintherapie sogar dann verbessert wird, wenn der initiale einer neuen Substanzklasse, die die Resorption von Cholesterin
LDL-Cholesterin-Wert niedrig war (<116 mg/dl). In dieser Stu- im Bereich des Darmbürstensaums vermindert. Die Resorption
die konnte auch gezeigt werden, dass Typ-2-Diabetiker von einer von Triglyzeriden oder fettlöslichen Vitaminen wird nicht behin-
dert. Ezetimib (10 mg) reduziert den LDL-Cholesterin-Spiegel
um ca. 17%, ein Effekt, der zusätzlich erhalten bleibt, wenn mit
Statinen kombiniert wird. Das bedeutet, dass mit niedrigeren
Statindosen eine gleiche LDL-Senkung erreicht werden kann
oder dass bei einer volldosierten Statintherapie ein zusätzlicher
Effekt zu erreichen ist. Daten zur Beeinflussung kardiovaskulärer
Ereignisse liegen für Ezetimib bislang nicht vor.

Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Eine Vielzahl von Stu-


dien belegt eindeutig den Zusammenhang zwischen einer Erhö-
hung des Gesamtcholesterins/LDL-Cholesterins und dem kardi-
ovaskulären Risiko (Evidenzgrad IA; Collins et al. 2003). Eine
Reihe von Interventionsstudien weist darüber hinaus die Effi-
zienz einer lipidsenkenden Therapie nach (Evidenzgrad IA). Zu-
sätzlich zu Allgemeinmaßnahmen ist insbesondere für eine
Statintherapie eine Prognoseverbesserung nachgewiesen worden
(Evidenzgrad IA; Law et al. 2003).

1.3 Klasse-II-Risikofaktoren
. Abb. 1.3. Heart Protection Study mit Diabetikern. Unter Simvastatin-
therapie kommt es zu einer signifikanten Abnahme kardiovaskulärer Er- Eine Beeinflussung der Klasse-II-Risikofaktoren vermindert das
eignisse. (Collins et al. 2003) Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen sehr wahrscheinlich.
1.3 · Klasse-II-Risikofaktoren
5 1
1.3.1 Diabetes mellitus mit einer Sulfonylharnstoff- oder Insulintherapie (n=951) ver-
glichen. Es zeigte sich, dass im Vergleich zur konventionellen
Epidemiologie und assoziiertes Risiko Therapie die Metformintherapie zu signifikant weniger Diabetes-
In Deutschland haben ca. 6–8% der Bevölkerung einen Diabetes komplikationen (–32%, p=0,002) und einer niedrigeren Gesamt-
mellitus, von denen nur ca. 60% um ihre Diagnose wissen. Die sterblichkeit (–36%, p=0,01) führte.
Bedeutung des Diabetes mellitus als Risikofaktor für kardiovasku- Zur oralen blutzuckersenkenden Behandlung steht außer-
läre Ereignisse ist seit Jahren etabliert, selbst wenn eine KHK nicht dem Acarbose zur Verfügung. Eine Metaanalyse von Acarbose-
bekannt ist (Haffner et al. 1998; . Abb. 1.4). Zusätzlich haben Dia- studien bei Typ-2-Diabetikern beschreibt eine Reduktion kardi-
betiker häufiger Komplikationen nach Herzinfarkt (Postinfarkt- ovaskulärer Todesfälle im Vergleich zu Placebogruppen. Die
angina und Herzinsuffizienz); Frauen mit Diabetes mellitus haben Proactive-Studie mit Pioglitazon zeigt eine Reduktion kardio-
eine besonders schlechte Prognose. Dieses hohe Risiko rechtfertigt vaskulärer Endpunkte; für Rosiglitazon weisen erste Analysen auf
die Einstufung des Diabetes mellitus als KHK-Äquivalent und eine Risikoerhöhung hin.
macht eine intensive, risikomodifizierende Therapie notwendig.
> Ein pragmatischer Ansatz zur Vermeidung kardiovaskulärer Er-
eignisse bei Diabetikern ist eine intensive, integrative Therapie
Therapie
aller Risikofaktoren.
Die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei Diabetikern er-
fordert eine umfassende Therapie aller vorhandenen Risiko- Insbesondere die Therapie von Lipidabnormalitäten, die strikte
faktoren (arterielle Hypertonie, Dyslipidämien etc.). Ein Teilas- Therapie einer arteriellen Hypertonie und die niedrig dosierte
pekt dieses umfassenden Konzeptes ist die Therapie der Hyper- Acetylsalicylsäuretherapie sind wichtige Bausteine einer solchen
glykämie. Therapie. Ein integrativer Ansatz reduziert kardiovaskuläre Er-
Daten der United Kingdom Prospective Diabetes Study eignisse nachhaltig (STENO-Studie). Ein solcher multimodaler
(UKPDS) zeigen, dass eine intensive Blutzuckertherapie mit ora- Therapieansatz reduzierte nach ca. 8 Jahren signifikant das Risiko
len blutzuckersenkenden Medikamenten oder Insulin (mittlerer kardiovaskulärer Ereignisse absolut um 20%.
HbA1c 7%) v. a. die Inzidenz mikrovaskulärer Komplikationen
im Vergleich zu einer Standardtherapie (mittlerer HbA1c 7,9%) Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Diabetiker haben ein
vermindert. Der Effekt wurde jedoch erst nach ca. 9 Jahren ein- hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Evidenzgrad III;
deutig nachweisbar. Eine Reduktion des HbA1c um 1% war mit Haffner et al. 1998). Obwohl die Inzidenz mikrovaskulärer Ereig-
einer signifikanten Reduktion mikrovaskulärer Ereignisse um nisse unter einer intensiv blutzuckersenkenden Therapie nied-
35%, einer reduzierten Herzinfarktinzidenz (ca. 18%) und einer riger ist (Evidenzgrad IB), sind die optimale blutzuckersenkende
reduzierten Gesamtsterblichkeit (ca. 17%) assoziiert. Therapie und der optimale HbA1c-Wert zur Verhütung kardio-
Die optimale blutzuckersenkende Therapie für Patienten mit vaskulärer Ereignisse nicht eindeutig definiert.
Typ-2-Diabetes mellitus zur Verhinderung kardiovaskulärer Er-
eignisse ist nicht klar charakterisiert. Neben den Sulfonylharnstof-
fen stehen u. a. Metformin, Glinide, Glitazone, Acarbose, Gliptine 1.3.2 Linksventrikuläre Hypertrophie
und Insulin zur Therapie zur Verfügung. Nach Ausschöpfen von bei arterieller Hypertonie
Allgemeinmaßnahmen wird mit einer Monotherapie begonnen
und bei Ineffektivität eine Kombinationstherapie angestrebt. Epidemiologie und assoziiertes Risiko
In einer weiteren UKPDS mit 1700 übergewichtigen Diabe- Wenngleich das EKG für die Diagnose einer LVH relativ insen-
tikern wurde die intensivierte Therapie mit Metformin (n=342) sitiv ist, hat der elektrokardiographische Nachweis einer LVH

. Abb. 1.4. Letalitätsrisiko für Dia-


betiker und Nichtdiabetiker mit und
ohne Myokardinfarkt. Diabetische
Patienten nach Myokardinfarkt haben
die schlechteste Prognose. Die Prog-
nose von diabetischen Patienten ohne
Myokardinfarkt entspricht dem Risiko
von nichtdiabetischen Patienten
nach Myokardinfarkt. (Aus Haffner et
al. 1998)
6 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

prognostische Bedeutung, insbesondere wenn Schädigungszei- definiert. In Hochrisikogruppen findet sich eine Prävalenz dieses
1 chen im EKG nachweisbar sind. Risikofaktors von bis zu 25%; in der Allgemeinbevölkerung wird
eine Prävalenz von ca. 8% angenommen. Übergewichtige Men-
> Da die Sensitivität und die Spezifität von elektrokardiographi-
schen haben häufiger eine pathologische Glukosetoleranz. Eine
schen Parametern nicht sehr gut sind, sollte eine Echokardio-
aktuelle Metaanalyse von 7 prospektiven Studien (Nachbeobach-
graphie zum Nachweis einer Myokardhypertrophie durchge-
tungszeitraum 6–13 Jahre) zeigt, dass das relative Risiko eines
führt werden.
kardialen Todes ca. 40% höher ist, wenn Patienten einen patho-
Echokardiographisch konnte eine LVH in der Treatment of Mild logischen Glukosetoleranztest aufweisen als bei Nichtvorliegen
Hypertension Study bei 13% der Männer und bei 20% der Frauen dieses Faktors. Die Rate, Diabetes mellitus zu entwickeln, beträgt
mit arterieller Hypertonie nachgewiesen werden, obwohl elektro- für diese Risikogruppe zwischen 36 und 87 pro 1000 Personen-
kardiographisch bei keinem dieser Patienten eine Hypertrophie jahre (Gerstein 2002).
diagnostiziert wurde. In Abhängigkeit von den echokardiogra- Als Alternative zum oralen Glukosetoleranztest wird die
phischen Grenzwerten für eine Myokardhypertrophie variiert die Analyse des HbA1c-Wertes oder des Nüchternblutzuckers disku-
Prävalenz der Myokardhypertrophie bei Hypertonikern zwi- tiert. Eine Metaanalyse von 18 Studien mit über 11.000 Proban-
schen ca. 15 und 40%. Auch nach Korrektur für andere kardio- den fand heraus, dass ein HbA1c-Wert >7% in der Regel bei Dia-
vaskuläre Risikofaktoren erhöht die Myokardhypertrophie das betikern zu finden war (Peters et al. 1996). Ein Wert zwischen
Risiko kardiovaskulärer Ereignisse (Myokardinfarkt, Herzinsuffi- 6 und 7% fand sich häufig bei Patienten mit einem pathologischen
zienz, Niereninsuffizienz, Gesamtsterblichkeit, plötzlicher Herz- Glukosetoleranztest. Nüchternblutzuckerwerte zwischen 110 und
tod oder Schlaganfall) um das 2- bis 3-Fache. 125 mg/dl gelten als pathologisch. Sie haben einen, wenn auch
geringen, prädiktiven Wert für kardiovaskuläre Ereignisse. Da
Therapie der orale Glukosetoleranztest dem Nüchternblutzuckerwert in
In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse (Klingbeil et al. der Prädiktion kardiovaskulärer Ereignisse überlegen ist, sollte
2003) wurde gezeigt, dass eine Therapie mit ACE-Hemmern, dieser nach Möglichkeit vorgezogen werden.
AT1-Rezeptorantagonisten und Kalziumantagonisten eher zu
einer Regression der Myokardhypertrophie führt als mit Diure- Therapie
tika und β-Blockern. Die Regression der Myokardhypertrophie Die Behandlung der pathologischen Glukosetoleranz ist zurzeit
kann Jahre beanspruchen, kann aber letztlich zu einer Norma- noch nicht Gegenstand von Leitlinienempfehlungen. Die Thera-
lisierung der linksatrialen Dilatation oder der diastolischen Rela- pie von Patienten mit pathologischer Glukosetoleranz hat zwei
xationsstörung führen. Ziele:
Die Überlegenheit einer antihypertensiven Therapie mit 4 das Verhindern der Entwicklung von Diabetes mellitus und
einem AT1-Rezeptorantagonisten gegenüber einer β-Blocker- 4 das Vermeiden kardiovaskulärer Ereignisse.
Therapie bei Patienten mit Myokardhypertrophie hat die LIFE-
> Das Fortschreiten einer pathologischen Glukosetoleranz zum
Studie gezeigt (Dahlof et al. 2002). In diese Studie wurden 9193 Pa-
Diabetes mellitus lässt sich durch unterschiedliche Maßnahmen
tienten mit einer arteriellen Hypertonie und einer Myokardhyper-
verlangsamen. Gewichtsreduktion und vermehrte körperliche
trophie eingeschlossen und doppelblind, randomisiert mit Ateno-
Aktivität reduzieren signifikant die Wahrscheinlichkeit, einen
lol oder Losartan behandelt. Bei vergleichbarer Blutdrucksenkung
Diabetes mellitus zu entwickeln.
kam es unter Losartan häufiger zu einer Regression der Myokard-
hypertrophie als unter Atenolol und einer Reduktion der Schlag- Ein kombinierter Ansatz (7% Gewichtsverlust, 150 min Sport/
anfallinzidenz. Woche) reduzierte die Inzidenz des Diabetes mellitus in einer
Insgesamt scheint daher die Rückbildung der Myokardhyper- randomisierten Studie. Auch eine medikamentöse Therapie mit
trophie zu einer Verbesserung der Prognose zu führen. Metformin oder Orlistat vermindert die Inzidenz des Diabetes
mellitus bei Patienten mit pathologischer Glukosetoleranz. Eine
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Die Myokardhypertro- Reduktion kardialer Ereignisse ist für diese Therapien nicht be-
phie stellt einen eigenständigen kardiovaskulären Risikofaktor schrieben. In kardiovaskulären Hochrisikogruppen verringert
bei Patienten mit arterieller Hypertonie dar (Evidenzgrad III; die Therapie mit ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptorantagonis-
European Society of Hypertension-European Society of Cardio- ten die Inzidenz des Diabetes mellitus. Acarbose vermindert
logy Guidelines Committee 2003). Bei diesen Patienten empfiehlt nicht nur die Inzidenz des Diabetes mellitus, sondern reduziert
sich eine antihypertensive Therapie, die zu einer Reduktion der signifikant auch die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in
Myokardhypertrophie führt. Etabliert sind dafür ACE-Hemmer, dieser Patientengruppe (Chiasson et al. 2003).
Kalziumantagonisten und AT1-Rezeptorantagonisten (Evidenz-
grad IA). Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Der Nachweis einer
pathologischen Glukosetoleranz erhöht das kardiovaskuläre
Risiko signifikant (Evidenzgrad III). Unter den möglichen Thera-
1.3.3 Pathologische Glukosetoleranz, piealternativen ist bislang nur für die Therapie mit Acarbose eine
pathologischer Nüchternblutzucker Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse nachgewiesen (Evidenz-
grad IB; Chiasson et al. 2003).
Epidemiologie und assoziiertes Risiko
Die pathologische Glukosetoleranz gilt als Vorläuferstadium des
Diabetes mellitus und eigenständiger kardiovaskulärer Risikofak-
tor. Sie wird als ein Blutzuckerwert zwischen 126 und 200 mg/dl
in der zweiten Stunde nach einer oralen Gabe von 75 g Glukose
1.3 · Klasse-II-Risikofaktoren
7 1
1.3.4 Erniedrigtes »High-density-lipoprotein«- Gesamtsterblichkeit mit Zunahme der körperlichen Aktivität in
Cholesterin der Freizeit. Dabei wird eine regelmäßige körperliche Aktivität
von ca. 30 min an den meisten Tagen der Woche empfohlen. Es
Epidemiologie und assoziiertes Risiko ist keine spezielle Belastungsart als überlegen dokumentiert, auch
Das nationale Cholesterinerziehungsprogramm (Collins et al. Gartenarbeit oder rasches Spazierengehen wirken z. B. protektiv.
2003) definiert ein HDL-Cholesterin <1 mmol/l als kardiovasku- Insgesamt scheinen der zusätzliche Kalorienverbrauch und das
lären Risikofaktor. HDL-Cholesterin ist ein unabhängiger Risiko- Ausmaß der körperlichen Fitness die entscheidenden Faktoren
faktor für kardiovaskuläre Ereignisse, der mit der Inzidenz kardio- für die Prognoseverbesserung zu sein: Ein zusätzlicher Verbrauch
vaskulärer Ereignisse negativ korreliert. Daten der Framingham- von ca. 1000 kcal/Woche senkt die Sterblichkeit um ca. 20%.
Studie zeigen, dass eine Abnahme des HDL-Cholesterins um je
0,13 mmol/l mit einer Zunahme der Infarktinzidenz von je 25%
assoziiert ist. . Übersicht 1.1. Günstige Effekte eines regelmäßigen
körperlichen Trainings
Therapie
Bei der isolierten Erniedrigung des HDL-Cholesterins sollten 4 Verminderung des Risikos
zunächst Allgemeinmaßnahmen empfohlen werden (Gewichts- – eines frühen Herztodes
normalisierung, vermehrte körperliche Betätigung). Eine Erhö- – an koronarer Herzerkrankung zu versterben
hung des HDL-Cholesterins von 0,026 mmol/l wird durch eine – Diabetes mellitus zu entwickeln
Gewichtsreduktion um 3,5 kg oder eine Ausdauerbelastung von – eine arterielle Hypertonie zu entwickeln
ca. 5 km/Woche erreicht. Andere Maßnahmen umfassen Niko- 4 Reduzierung
tinabstinenz oder moderaten Alkoholkonsum. Ein Alkoholkon- – des Blutdruck bei hypertonen Patienten
sum von 2 Glas Wein pro Tag erhöht das HDL-Cholesterin um – des Risikos von Brust- und Darmkrebs
ca. 5–10%. Beim Fehlen von positiven Endpunktstudien kann die – von Fibromyalgiebeschwerden, Depression und
medikamentöse Therapie (Gemfibrozil, Nikotinsäure) zur Erhö- Ängstlichkeit
hung von HDL-Werten zurzeit nicht generell empfohlen werden. – der Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden
Eine Statintherapie erhöht das HDL-Cholesterin um ca. 5–10%. 4 Unterstützung der Gewichtsabnahme
Daten der LIPID- und CARE-Studien zeigen, dass eine Zunahme 4 Verminderung der Sturzgefahr bei älteren Menschen
des HDL-Cholesterin-Wertes um 0,26 mmol/l das kardiovasku-
läre Risiko um 29% senkt.
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Bewegungsarmut er-
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Niedrige HDL-Werte höht das Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen (Evidenz-
stellen einen kardiovaskulären Risikofaktor dar (Evidenzgrad III; grad III; Blair et al. 2001). Grundsätzlich ist daher eine regel-
Collins et al. 2003). Die Therapie wird sich primär auf die be- mäßige körperliche Aktivität für Patienten ohne und mit be-
gleitenden Lipidabnormalitäten konzentrieren. Neben Allgemein- kannten kardiovaskulären Erkrankungen zu empfehlen (30 min
maßnahmen erhöhen eine Statintherapie, eine Therapie mit an den meisten Tagen der Woche; Evidenzgrad IB; Thompson et
Gemfibrozil oder Nikotinsäure die HDL-Werte (Evidenzgrad IB; al. 2003).
Collins et al. 2003).

1.3.6 Adipositas
1.3.5 Körperliche Inaktivität
Epidemiologie und assoziiertes Risiko
Epidemiologie und assoziiertes Risiko In den letzten 20 Jahren haben Inzidenz und Prävalenz des Über-
Nach Angaben des Bundesgesundheitssurveys von 1998 sind gewichts in allen industrialisierten Ländern signifikant zugenom-
ca. 50% der deutschen Bevölkerung weniger als 1 h/Woche sport- men. Nach Angaben des Gesundheitssurveys von 1998 findet sich
lich aktiv. Nur ca. 15% der Männer und 10% der Frauen belasten in Westdeutschland ein Übergewicht (BMI ≥25–29 kg/m2) bei
sich mehr als 30 min an den meisten Tagen der Woche. Die An- 52% der Frauen und bei 67% der Männer. Starkes Übergewicht
zahl der Inaktiven nimmt mit dem Alter signifikant zu. So betäti- oder Adipositas (BMI 30 kg/m2) findet sich bei ca. 20% der Bevöl-
gen sich nur noch ca. 20% der Männern und Frauen, die älter als kerung. Mit steigendem Alter nimmt die Prävalenz des Über-
70 Jahre sind, mehr als 1 h/Woche sportlich. gewichts kontinuierlich zu. Der höchste mittlere BMI wurde in der
Eine Vielzahl internationaler epidemiologischer Untersu- Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen gefunden. In dieser Alters-
chungen hat dokumentiert, dass körperliche Inaktivität mit einer gruppe beträgt der mittlere BMI für Männer 28,1 kg/m2 und für
Vielzahl von Erkrankungen assoziiert ist (z. B. Diabetes mellitus, Frauen 29,0 kg/m2. Aber auch in jüngeren Altersklassen findet sich
Hypertonie). So ist körperliche Inaktivität selbst nach Korrektur eine relevante Prävalenz der Adipositas. So sind ca. 10% der 18- bis
für traditionelle Risikofaktoren mit einem doppelt so hohen 39-Jährigen adipös und weisen einen BMI von 30 kg/m2 auf.
Risiko kardiovaskulärer Ereignisse assoziiert.
Therapie
Therapie Gewichtsreduktion. Prospektive Studien haben gezeigt, dass eine
Eine große Anzahl epidemiologischer Untersuchungen zeigt, bewusste Gewichtsabnahme eine Vielzahl von Parametern güns-
dass regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko für eine Reihe tig beeinflusst (Blutdruck, HDL-Cholesterin, Blutzucker). In epi-
von Erkrankungen signifikant senkt und die Prognose verbessert demiologischen Studien wurde auch eine verbesserte Prognose
(7 Übersicht 1.1). Auch für Patienten mit KHK verbessert sich die dieser Patienten festgestellt. Es fehlen jedoch prospektiv rando-
8 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

misierte Studien, die zeigen, dass eine dauerhafte Gewichtsreduk- 1.4.1 Hypertriglyzeridämie
1 tion adipöser Menschen nicht nur möglich ist, sondern auch
tatsächlich zu einer Verminderung der Sterblichkeit führt. Epidemiologie und assoziiertes Risiko
Die gewichtsreduzierende Therapie adipöser Patienten ist Die isolierte Erhöhung von Triglyzeriden als alleiniger Risiko-
eine lebenslange Aufgabe. Ziele der Gewichtsreduktionstherapie faktor ist selten. In der Regel finden sich erhöhte Triglyzeridwerte
sollten sein: in der Kombination mit anderen Risikofaktoren wie z. B. Dia-
4 Verhindern weiterer Gewichtszunahme, betes mellitus und Übergewicht. Neuere Analysen zeigen, dass
4 Identifikation mit einem realistischen Ziel für die Gewichts- erhöhte Triglyzeridspiegel mit einem erhöhten kardiovaskulären
reduktion (die Reduktion soll 5–15% des initialen Gewichts Risiko assoziiert sind. In einer Metaanalyse von 17 prospektiven
betragen), Studien mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 8,4 Jah-
4 ein Ziel-BMI von ca. 25 kg/m2. ren bei Männern und 11,4 Jahren bei Frauen wurde dokumen-
tiert, dass ein Anstieg der Triglyzeride im Nüchternblut um
In der Regel müssen kombinierte Therapieansätze zum Einsatz 88,5 mg/dl signifikant mit einem erhöhten kardiovaskulären
kommen. Diese Ansätze umfassen eine Reduktion der täglichen Risiko von 14 resp. 37% (Männer resp. Frauen) assoziiert war
Kalorienzufuhr und eine Zunahme der körperlichen Bewegung (Hokanson u. Austin 1996).
(zusätzlicher Verbrauch von ca. 1500 kcal/Woche) und werden
mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen verknüpft. Therapie
Im Vordergrund steht zunächst die Therapie der evtl. vorliegen-
Medikamentöse Therapie. Eine aktuelle Metaanalyse (Rucker et al. den sekundären Ursache einer Hypertriglyzeridämie wie diä-
2007) zeigt, dass Orilstat das Körpergewicht im Mittel um 2,9 kg, tetische Ursachen, Diabetes mellitus, medikamenteninduziert
Sibutramin um 4,2 kg und Rimonabant um 4,7 kg reduziert. Ob (Kortikosteroide, β-Blocker, synthetische Östrogene etc.). Da-
die Prognose der Patienten günstig beeinflusst wird, ist unbekannt. rüber hinaus umfasst die Therapie eine Reduktion des Körper-
Indiziert ist die medikamentöse Therapie für übergewichtige Pa- gewichts, vermehrte körperliche Aktivität, Verminderung des
tienten (BMI >27 kg/m2), bei denen gleichzeitig schwere Begleit- Alkoholkonsums und die Vermeidung von kohlenhydratreichen
erkrankungen (KHK, Diabetes mellitus) bestehen, oder für solche, Mahlzeiten. Die spezifisch medikamentöse Therapie hängt von
die sehr stark übergewichtig sind (BMI >30 kg/m2) und die trotz der Höhe der Triglyzeridspiegel ab. Dafür stehen verschiedene
diätetischer und sportlicher Maßnahmen kein Gewicht verlieren. Medikamente zur Verfügung (. Tab. 1.4).
Chirurgische Maßnahmen sollten mit dem schwer übergewich- Patienten mit Triglyzeridwerten zwischen 115 und 199 mg/dl
tigen Patienten (BMI >40 kg/m2) ohne Begleiterkrankungen oder werden in der Regel nicht spezifisch medikamentös behandelt.
mit übergewichtigen Patienten mit Begleiterkrankungen ab einem Bei Patienten mit erhöhten Triglyzeridwerten (200–490 mg/dl)
BMI >35 kg/m2 diskutiert werden. sollte zunächst das LDL-Cholesterin normalisiert werden.
Bei Patienten mit sehr hohen Triglyzeridwerten (>500 mg/dl)
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Übergewicht und Adi- sollten zunächst die sekundären Ursachen (Hyperglykämie) aus-
positas begünstigen die Entstehung einer Vielzahl von Erkran- geschlossen und ggf. behandelt werden. Liegen die Triglyzerid-
kungen (Evidenzgrad III). Eine gewichtsreduzierende Therapie werte deutlich über 1000 mg/dl sollte eine Niedrigfettdiät (<15%
umfasst eine kalorienreduzierte Diät sowie vermehrte Bewegung der Kalorien in Form von Fett) begonnen werden, um die Chylomi-
(Evidenzgrad IA; Expert Panel 1998). In Einzelfällen kann diese kronenkonzentration zu reduzieren. Fibrate oder Nikotinsäuren
Therapie durch Medikamente und Verhaltenstherapie unterstützt werden bei diesen Patienten eingesetzt und verhindern häufig eine
werden (Evidenzgrad IB; Hauner et al. 2002). triglyzeridinduzierte Pankreatitis.

Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Erhöhte Triglyzerid-


1.4 Klasse-III-Risikofaktoren werte begleiten häufig andere Lipidabnormalitäten oder Störun-
gen des Glukosestoffwechsels. Eine Therapie wird sich primär
Unter Klasse-III-Risikofaktoren versteht man beeinflussbare Risi- gegen diese anderen Störungen richten (Evidenzgrad III; Collins
kofaktoren ohne sicheren Effizienznachweis. et al. 2003). Zur spezifisch medikamentösen Therapie stehen

. Tab. 1.4. Mittlere Effekte verschiedener lipidsenkender Therapien auf Blutfette


Medikamentenklasse Serum-LDL-Cholesterin [%] Serum-HDL-Cholesterin [%] Serumtriglyzeride [%]
Gallensäureresorptionshemmer –15 bis –30 Keine oder geringe Zunahme Keine Änderung
Nikotinsäure –10 bis –25 +15 bis +35 –25 bis 30
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer –20 bis –40 +5 bis +10 –10 bis –30
Gallensäureresorptionshemmer –15 bis –30 +5 Keine Änderung
Gemfibrozil –10 bis –15 +15 bis +25 –35 bis –50
Cholesterolresorptionshemmer –17 Keine Änderung Keine Änderung
Probucol –10 bis –15 –20 bis –25 Keine Änderung
Neomycin –20 bis –25 Keine Änderung Keine Änderung
Fenofibrate –6 bis –20 +18 bis +33 –41 bis –53
1.4 · Klasse-III-Risikofaktoren
9 1

Statine, Fibrate oder Nikotinsäure zur Verfügung (Evidenz- Allgemeinbevölkerung als auch bei Patienten mit bekannten kar-
grad IB; Collins et al. 2003). Eine Verbesserung der Prognose diovaskulären Erkrankungen beschrieben.
durch einen Senkung der Triglyzeride ist jedoch umstritten. Eine Metaanalyse von Daten aus 30 prospektiven und retros-
pektiven Studien untersuchte den Zusammenhang zwischen
Homocystein und dem Risiko für Schlaganfall und KHK (Homo-
1.4.2 Alkoholabstinenz oder geringer cysteine Studies Collaboration 2002). In dieser Metaanalyse
Alkoholkonsum konnte gezeigt werden, dass eine 25% niedrigere Homocystein-
konzentration (ca. 3 μmol/l) mit einem um ca. 11% niedrigerem
Epidemiologie und assoziiertes Risiko KHK-Risiko und ca. 19% niedrigerem Schlaganfallrisiko einher-
Unter den Genussmitteln nimmt Alkohol einen besonderen Stel- ging. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine weitere Metaanalyse,
lenwert ein, da er sowohl gesundheitsfördernde als auch gesund- die u. a. nachwies, dass Patienten mit einem speziellen Poly-
heitsschädliche Effekte hat. Dies wurde in einer 490.000 Personen morphismus der thermolabilen MTHFR-TT nicht nur höhere
umfassenden Studie demonstriert, die zeigte, dass Menschen, die Homocysteinspiegel hatten, sie hatten auch ein ca. 40–60% höhe-
mehr als ein alkoholisches Getränk/Tag zu sich nehmen, ein um res Risiko für eine KHK oder einen Schlaganfall pro 5-μmol-
ca. 40% niedrigeres kardiales Risiko haben. Das relative Risiko Homocysteinerhöhung.
zu versterben ist bei einem täglichen Alkoholkonsum zwischen
1 und 55 g/Tag am niedrigsten. Dabei findet sich eine typische Therapie
J-förmige Korrelation: das Risiko zu versterben ist bei Menschen, Eine Therapie mit Vitamin B6 (10 mg/Tag), B12 (0,4 mg/Tag) und
die nie Alkohol trinken, und bei Menschen, die mehr als 55 g Folsäure (1 mg/Tag) vermindert die Homocysteinspiegel signi-
Alkohol pro Tag trinken, höher als bei Menschen mit geringem fikant und verbessert die endotheliale Dysfunktion. Bislang gibt
Alkoholkonsum. es jedoch keine Endpunktdaten, die belegen, dass eine kontinuier-
liche Substitution dieser Vitamine und Kofaktoren die Prognose
> Während Alkohol bei Männern koronarprotektiv wirkt, sind die
von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verbessert.
Daten für Frauen widersprüchlich.
Metaanalysen randomisierter Studien fanden keine signifikante
Dies kann durch drei Faktoren erklärt werden: Die Prävalenz für Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (Bazzano 2006), jedoch
KHK und die Schwelle für alkoholinduzierte Lebererkrankungen eine Reduktion der Inzidenz von Schlaganfällen (Wang et al.
sind bei Frauen niedriger; andrerseits ist die Inzidenz von Brust- 2007).
krebs bei Frauen, die Alkohol trinken, höher. Diese Faktoren
können einen sterblichkeitssenkenden Effekt des Alkohols bei Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Homocystein spielt
Frauen maskieren. Bei postmenopausalen Frauen findet sich eine eine Rolle in der Atherogenese (Homocysteine Studies Collabora-
Reduktion des Gesamtsterblichkeitsrisikos bei einem Alkohol- tion 2002). Für eine allgemeine Behandlungsempfehlung besteht
konsum zwischen 0,1 und 20,9 g/Tag. Der protektive Effekt von zurzeit keine ausreichende Datengrundlage (Collins et al. 2003).
Alkohol findet sich insbesondere bei Frauen mit erhöhtem kardio-
vaskulären Risiko wie z. B. bei Diabetikerinnen.
1.4.4 C-reaktives Protein
Therapie
Leitlinien empfehlen nicht den Genuss des Alkohols, um das Epidemiologie und assoziiertes Risiko
Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen zu senken. Es ergibt sich Serumkonzentrationen von C-reaktivem Protein (CRP) haben
jedoch aus den oben genannten Daten, dass ein moderater Al- einen guten prädiktiven Wert für das Risiko eines Myokard-
koholkonsum bei Männern und bei postmenopausalen Frauen infarkts. Das Risiko eines Myokardinfarkts steigt konzentra-
(3–5 Portionen Alkohol/Woche) das kardiovaskuläre Risiko er- tionsabhängig um das bis zu 2,5-Fache. Dieser Zusammenhang
niedrigt. Prospektiv randomisierte Studien zu diesem Thema bleibt auch nach Korrektur für Alter, Rauchen, Blutlipidspie-
liegen nicht vor. Zusätzlich muss das individuelle Risiko des Pa- gel, Blutdruck und Diabetes erhalten. Unter Frauen findet
tienten für ungünstige Effekte des Alkohols mitberücksichtigt sich eine konzentrationsabhängige Zunahme des Risikos einer
werden. Zu diesen Patienten gehören naturgemäß alkoholkranke KHK. Daten der Women’s Health Study zeigten, dass das Risiko
Patienten oder solche, die von einer Alkoholkrankheit gefährdet für kardiovaskuläre Ereignisse in der höchsten Quartile 5,6-fach
sind, schwangere Patienten und Patienten, die Verkehrsmittel höher war als in der niedrigsten Quartile. Unter Frauen war
führen. der prädiktive Wert des CRP sogar stärker als der des LDL-Cho-
lesterins. Die Analyse von CRP-Werten hat, insbesondere in
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Eine Alkoholabstinenz den unteren Quintilen, eine bessere Trennschärfe für das kar-
ist in epidemiologischen Untersuchungen besonders bei Män- diovaskuläre Risiko als die LDL-Werte (Ridker et al. 2002;
nern mit einer erhöhten Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse . Abb. 1.5 a,b).
vergesellschaftet (Evidenzgrad III). Ein sehr moderater Alkohol- Leitlinien empfehlen zurzeit keine CRP vermindernde The-
genuss scheint kardioprotektiv zu sein (Evidenzgrad III; Collins rapie. Eine Statintherapie vermindert sowohl in der Primär- als
et al. 2003). auch in der Sekundärprävention CRP-Spiegel signifikant.

Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Erhöhte CRP-Spiegel


1.4.3 Homocystein sind mit atherosklerotischen Erkrankungen assoziiert (Evidenz-
grad III). Für eine allgemeine Behandlungsempfehlung besteht
Beobachtungsstudien haben einen Zusammenhang zwischen zurzeit jedoch keine ausreichende Datengrundlage (Evidenz-
Homocysteinspiegeln und dem vaskulären Risiko sowohl in der grad IV).
10 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

. Abb. 1.5. Prädiktion kardiovasku-


1 lärer Sterblichkeit durch (a) C-reak-
tives-Protein- (CRP-) und (b) »Low-
density-lipoprotein«- (LDL-)Spiegel.
CRP bietet in den beiden untersten
Quintilen eine bessere Analysekraft
als der LDL-Cholesterin-Spiegel. (Nach
Ridker et al. 2002)

1.4.5 Depression prämenopausale Frauen im Vergleich zu gleich alten Männern


ein niedrigeres KHK-Risiko haben. Postmenopausal steigt das
Epidemiologie und assoziiertes Risiko Risiko jedoch steil an. Zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr – die
Der ursächliche Zusammenhang zwischen Depression und kar- Grenze zwischen dem späten perimenopausalen und dem frühen
diovaskulären Ereignissen wird widersprüchlich diskutiert. So postmenopausalen Zeitraum – ist die Inzidenz der KHK bei
konnte z. B. die Cardiovascular Health Study mit 4493 älteren Männern und Frauen ähnlich. Im späteren Zeitraum nimmt sie
Patienten zeigen, dass die Zunahme einer Depressionskala bei Frauen rasch zu und übertrifft dann sogar die der Männer.
um 5 Einheiten das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen Berücksichtigt man zusätzlich die höhere Lebenserwartung von
und die Gesamtsterblichkeit um 15% erhöht. Patienten mit der Frauen, so übersteigt die Prävalenz der KHK von älteren Frauen
schwersten Depression hatten ein ca. 60% erhöhtes Risiko für die der älteren Männer.
eine KHK (Ariyo et al. 2000). Eine interessante Beobachtung
wurde im Kollektiv der SHEP-Studie gemacht. In dieser Studie Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Höheres Lebensalter,
konnte gezeigt werden, dass eine Zunahme des Depressions- männliches Geschlecht sowie postmenopausaler Lebensabschnitt
scores unmittelbar vor Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Tod zu sind Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse.
verzeichnen war. Auch scheint das Risiko für kardiovaskuläre
Ereignisse unmittelbar nach Beginn einer Depression deutlich
erhöht zu sein. In der internationalen INTERHEART-Studie 1.5.2 Hormonsubstitution der postmenopausalen
(Rosengren 2004), eine Fall-Kontroll-Studie, wurde bei Patienten Frau
mit Myokardinfarkt häufiger die Begleitdiagnose Depression ge-
stellt als in der Vergleichsgruppe (24 vs. 18%) Die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse nimmt bei Frauen nach
der Menopause zu. Große randomisierte Studien der letzten Jahre
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Eine kausale Ursache zeigen jedoch, dass eine Hormonersatztherapie nicht die Progno-
von Depression für kardiovaskuläre Ereignisse wird kontrovers se von postmenopausalen Frauen verbessert. Der WHI-Studien-
diskutiert (Evidenzgrad III). Für eine allgemeine Behandlungs- komplex untersuchte die Frage, ob die Hormonsubstitution
empfehlung der Depression zur Verminderung kardiovaskulärer (Östrogen/Gestagen) für postmenopausale Frauen zwischen 50
Ereignisse besteht zurzeit jedoch keine ausreichende Daten- und 79 Jahren kardiovaskulärer Ereignisse reduziert. Eine dieser
grundlage (Evidenzgrad IV). Studien mit insgesamt 16.000 Frauen wurde frühzeitig abge-
brochen, da sich unter einer Hormontherapie das Risiko für
Brustkrebs, Schlaganfall, KHK und tiefe Beinvenenthrombosen
1.5 Klasse-IV-Risikofaktoren erhöhte. Obwohl es signifikante Verbesserungen gab (Risikoreduk-
tion von Frakturen und Darmkrebs), überwog die Einschätzung,
Unter Klasse-IV-Risikofaktoren versteht man Risikofaktoren, die dass eine kombinierte Östrogen-/Gestagengabe mehr schadet als
nicht beeinflusst werden können, oder deren Beeinflussung nutzt. Unklar ist, ob eine alleinige Östrogentherapie auch zu diesen
schädlich sein könnte. negativen Ergebnissen führen wird. Der Studienarm in der WHI-
Studie, der diese Frage untersucht, wird weitergeführt.

1.5.1 Alter und Geschlecht ! Cave


Unter dem Gesichtspunkt der Primärprävention ist eine kombi-
Das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen nimmt mit dem Alter nierte Östrogen-/Gestagentherapie nach der Menopause nicht
signifikant zu. Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass indiziert und kann sogar schaden.
Literatur
11 1

Auch in Sekundärpräventionsarbeiten konnte kein günstiger Ef- Literatur


fekt einer Hormontherapie gefunden werden. In der HERS-I-Stu-
die (Heart and Östrogen/Progestin Replacement Study) wurden Ariyo AA, Haan M, Tangen CM et al. (2000) Depressive symptoms and risks
randomisiert doppelblind placebokontrolliert 2763 postmeno- of coronary heart disease and mortality in elderly Americans. Cardio-
vascular Health Study Collaborative Research Group. Circulation 102:
pausale Frauen mit einer bekannten KHK mit 0,625 mg Östrogen
1773–1779
und 2,5 mg Mitroxiprogesteron behandelt. Es fand sich kein sig-
Assmann G, Cullen P, Schulte H (2002) Simple scoring scheme for calculat-
nifikanter Unterschied bezüglich der Prognose zwischen aktiver ing the risk of acute coronary events based on the 10-year follow-up
Therapie und Placebo, obwohl es zu einer Reduktion des LDL- of the prospective cardiovascular Munster (PROCAM) study. Circula-
Cholesterins um 11% und einer Zunahme des HDL-Cholesterins tion 105: 310–315
um 10% kam. Auch in der Nachfolgeuntersuchung (HERS-II-Stu- Backer G de, Ambrosioni E, Borch-Johnsen K et al. (2003) European guide-
die) wurden ebenfalls keine günstigen Effekte über einen längeren lines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Third
Nachbeobachtungsraum dokumentiert. Eine Metaanalyse bestä- Joint Task Force of European and Other Societies on Cardiovascular
tigt diese negativen Ergebnisse: Eine Hormontherapie postmeno- Disease Prevention in Clinical Practice. Eur Heart J 24: 1601–1610
pausaler Frauen mit Östrogen-/Gestagenpräparaten beeinflusst Bazzano LA, Reynolds K, Holder KN, He J (2006) Effect of folic acid supple-
mentation on risk of cardiovascular diseases: a meta-analysis of rand-
weder in der Primär- noch in der Sekundärprävention die Inzi-
omized controlled trials. JAMA 296: 2720–2766
denz kardiovaskulärer Ereignisse (Humphrey et al. 2002).
Blair SN, Jackson AS (2001) Physical fitness and activity as separate heart
disease risk factors: a meta-analysis. Med Sci Sports Exerc 33: 762–764
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Obwohl der postmeno- Chiasson JL, Josse RG, Gomis R and the STOP-NIDDM Trial Research Group
pausale Lebensabschnitt mit einer höheren Inzidenz kardiovas- (2003) Acarbose treatment and the risk of cardiovascular disease
kulärer Ereignisse assoziiert ist, verringert eine Hormonsubstitu- and hypertension in patients with impaired glucose tolerance: the
tion diese Inzidenz nicht (Evidenzgrad IA). STOP-NIDDM trial. JAMA 290: 486–494
Collins R, Armitage J, Parish S et al. and the Heart Protection Study Col-
laborative Group (2003) MRC/BHF Heart Protection Study of choles-
1.5.3 Familiäre Disposition terol-lowering with simvastatin in 5963 people with diabetes: a ran-
domised placebo-controlled trial. Lancet 361: 2005–2016
Dahlof B, Devereux RB, Kjeldsen SE et al. (2002) Cardiovascular morbidity
Kardiovaskuläre Erkrankungen in der eigenen Familiengeschich-
and mortality in the Losartan Intervention For Endpoint reduction in
te sind ein Risikofaktor für die KHK. Prospektiv wurde die Fami- hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol. Lancet
lienanamnese in der Physician’s Health Study und in der Women’s 359: 995–1003
Health Study untersucht. Im Vergleich zu einer unauffälligen Fa- Expert Panel on the Identification, Evaluation, and Treatment of Over-
milienanamnese war ein mütterlicher Herzinfarkt, ein väterlicher weight in Adults (1998) Clinical guidelines on the identification, eval-
Herzinfarkt oder Infarkte auf beiden Seiten der Eltern mit einer uation, and treatment of overweight and obesity in adults: executive
Risikoerhöhung um 40–85% für Männer und um 10–15% für summary. Am J Clin Nutr 68: 899–917
Frauen assoziiert. Insbesondere wenn der Vater einen Infarkt vor Expert Panel on Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood
dem 60. Lebensjahr erlitten hatte, war das Risiko stärker erhöht Cholesterol in Adults (2001) Executive Summary of The Third Report
of The National Cholesterol Education Program (NCEP) Expert Panel
als bei einem Infarkt in einem späteren Lebensalter. Bei der Fa-
on Detection, Evaluation, And Treatment of High Blood Cholesterol In
milienanamnese eines mütterlichen Infarkts spielte das Alter der
Adults (Adult Treatment Panel III). JAMA 285: 2486–2497
Mutter zum Zeitpunkt des Infarkts keine Rolle. Gerstein HC (2002) Dysglycemia: a key cardiovascular risk factor. Semin
Diese Daten werden von einer italienischen Fallkontroll- Vasc Med 2: 165–174
studie unterstützt, in der gezeigt wurde, dass das Risiko bis zu Gould AL, Rossouw JE, Santanello NC et al. (1998) Cholesterol reduction
20-fach erhöht ist, wenn zwei oder mehr Verwandte vor dem yields clinical benefit: impact of statin trials. Circulation 97: 946–952
55. Lebensjahr einen Infarkt erlitten hatten. Die Ursache dieser European Society of Hypertension-European Society of Cardiology Guide-
familiären Häufung ist unklar. Es konnte jedoch gezeigt werden, lines Committee (2003) European Society of Hypertension-European
dass sogar asymptomatische Personen, deren Eltern oder Ge- Society of Cardiology guidelines for the management of arterial hy-
schwister eine KHK hatten, Perfusionsauffälligkeiten in der Di- pertension. J Hypertens 21: 1011–1053
Haffner SM, Lehto S, Ronnemaa T et al. (1998) Mortality from coronary
pyridamolszintigraphie hatten. Offensichtlich wird die Dispo-
heart disease in subjects with type 2 diabetes and in nondiabetic sub-
sition nicht nur für arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus oder
jects with and without prior myocardial infarction. N Engl J Med 339:
Hypercholesterinämie, sondern auch für die endotheliale Dys- 229–234
funktion weiter vererbt. Diese Daten begründen die Suche nach Hauner H, Hamann A, Husemann B et al. (2002) Evidenzbasierte Leitlinie
spezifischen Genloci zur optimalen Prädiktion kardiovaskulärer – Adipositas. Prävention und Therapie der Adipositas. http://www.
Ereignisse. Die Effizienz eines solchen Screeningkonzeptes lässt adipositas-gesellschaft.de/Leitlinien/Evidenzbasierte-Leitlinien-
sich zurzeit nicht abschließend beurteilen. Adipositas.pdf. Gesehen 27 Jan 2008
Heart Protection Study Collaborative Group (2002) MRC/BHF Heart
Leitlinienorientierte Zusammenfassung. Eine familiäre Disposi- Protection Study of cholesterol lowering with simvastatin in 20,536
tion ist ein wesentlicher kardiovaskulärer Risikofaktor (Evidenz- high-risk individuals: a randomised placebo-controlled trial. Lancet
360: 7–22
grad III). Bei einer positiven Familienanamnese empfiehlt sich
Hokanson JE, Austin MA (1996) Plasma triglyceride level is a risk factor
eine intensive Risikoabklärung.
for cardiovascular disease independent of high-density lipoprotein
cholesterol level: a meta-analysis of population-based prospective
studies. J Cardiovasc Risk 3: 213–219
Homocysteine Studies Collaboration (2002) Homocysteine and risk of
ischemic heart disease and stroke: a meta-analysis. JAMA 288: 2015–
2022
12 Kapitel 1 · Kardiovaskuläre Risikofaktoren und deren therapeutische Beeinflussung

Humphrey LL, Chan BK, Sox HC (2002) Postmenopausal hormone replace- Rosengren A, Hawken S, Ounpuu S et al. (2004) Association of psychosocial
1 ment therapy and the primary prevention of cardiovascular disease. risk factors with risk of acute myocardial infarction in 11119 cases and
Ann Intern Med 137: 273–284 13648 controls from 52 countries (the INTERHEART study). Lancet 364:
Klingbeil AU, Schneider M, Martus P et al. (2003) A meta-analysis of the 953–962
effects of treatment on left ventricular mass in essential hypertension. Rucker D, Padwal R, Li SK et al (2007) Long term pharmacotherapy for obes-
Am J Med 115:41–46 ity and overweight: updated meta-analysis. BMJ 335: 1194-1199
Law MR, Wald NJ, Rudnicka AR (2003) Quantifying effect of statins on low Silagy C, Lancaster T, Stead L et al. (2002) Nicotine replacement therapy for
density lipoprotein cholesterol, ischaemic heart disease, and stroke: smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 4:CD000146
systematic review and meta-analysis. BMJ 326:1423–1430 Stamler J, Wentworth D, Neaton JD (1986) Is relationship between serum
Lewington S, Clarke R, Qizilbash N et al. (2002) Age-specific relevance cholesterol and risk of premature death from coronary heart disease
of usual blood pressure to vascular mortality: a meta-analysis of indi- continuous and graded? Findings in 356,222 primary screenees of
vidual data for one million adults in 61 prospective studies. Lancet the Multiple Risk Factor Intervention Trial (MRFIT). JAMA 256: 2823–
360: 1903–1913 2828
Peters AL, Davidson MB, Schriger DL, Hasselblad VA (1996) A clinical Thompson PD, Buchner D, Pina IL et al. (2003) Exercise and physical activity
approach for the diagnosis of diabetes mellitus: an analysis using in the prevention and treatment of atherosclerotic cardiovascular
glycosylated hemoglobin levels. Meta-analysis Research Group on the disease: a statement from the Council on Clinical Cardiology (Subcom-
Diagnosis of Diabetes Using Glycated Hemoglobin Levels. JAMA 276: mittee on Exercise, Rehabilitation, and Prevention) and the Council on
1246–1252 Nutrition, Physical Activity, and Metabolism (Subcommittee on Physi-
Ridker PM, Rifai N, Rose L, et al. (2002) Comparison of C-reactive protein cal Activity). Circulation 107: 3109–3116
and low-density lipoprotein cholesterol levels in the prediction of first Wang X, Qin X, Demirtas H et al. (2007) Efficacy of folic acid supplementa-
cardiovascular events. N Engl J Med 347: 1557–1565 tion in stroke prevention: a meta-analysis. Lancet, 369(9576): 1876-
Rifai N, Buring JE, Lee IM et al. (2002) Is C-reactive protein specific for 1882
vascular disease in women? Ann Intern Med 136: 529–533
13 2

Koronare Herzkrankheit
und akutes Koronarsyndrom
F.M. Baer, S. Rosenkranz

2.1 Anatomie, Epidemiologie und Pathogenese 2.5 Therapie der instabilen Angina pectoris und des
der koronaren Herzkrankheit – 13 Nicht-ST-Hebungsinfarkts – 48
2.1.1 Anatomie des Koronargefäßsystems – 13 2.5.1 Prästationäre Therapiemaßnahmen – 48
2.1.2 Epidemiologie – 14 2.5.2 Stationäre Therapiemaßnahmen – 49
2.1.3 Pathogenese – 15
2.6 ST-Hebungs-Infarkt – 55
2.2 Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen 2.6.1 Klinische Symptome und Diagnostik – 56
koronaren Herzkrankheit – 19 2.6.2 Therapie des ST-Hebungs-Infarkts – 56
2.2.1 Klinische Symptome – 19 2.6.3 Therapie von Infarktkomplikationen – 63
2.2.2 Nichtinvasive Diagnostik – 21 2.6.4 Postinfarktphase – 65
2.2.3 Invasive diagnostische Herzkatheter-
untersuchung – 25 2.7 Risikostratifikation und präventive
Maßnahmen – 66
2.3 Therapie der stabilen koronaren 2.7.1 Instrumente zur Risikostratifizierung bei Patienten
Herzkrankheit – 29 ohne bekannte koronare Herzkrankheit – 66
2.3.1 Allgemeinmaßnahmen – 29 2.7.2 Risikostratifizierung bei Patienten mit bekannter
2.3.2 Medikamentöse Therapie – 31 koronarer Herzkrankheit – 68
2.3.3 Interventionelle Therapie – 36 2.7.3 Primärprävention der koronaren Herzkrankheit – 68
2.3.4 Operative Therapie – 42 2.7.4 Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit – 68
2.7.5 Kardiologische Rehabilitation – 68
2.4 Akutes Koronarsyndrom – 43 2.7.6 Koronarsport – 69
2.4.1 Definitionen, Epidemiologie und
Pathophysiologie – 43 Literatur – 69
2.4.2 Klinische Symptome und Diagnostik – 44
2.4.3 Risikostratifizierung – 47

)) dender Bedeutung. Die großen Koronararterien verlaufen epi-


kardial und geben transmyokardiale Äste ab, sodass die Perfusion
Die KHK ist durch atherosklerotische Veränderungen der epikardia- des Myokards von außen nach innen erfolgt. In der Regel besteht
len Koronararterie(n) charakterisiert, die zu einer regionalen Minder- das Koronarsystem aus 3 großen Gefäßen, die sich in ihrem Ver-
perfusion der durch die betroffene Koronararterie versorgten Myo- lauf weiter aufzweigen und zahlreiche Seitenäste abgeben
kardabschnitte führen. Folge ist ein lokales Missverhältnis zwischen (. Abb. 2.1). In Abhängigkeit vom individuellen Versorgungstyp
Sauerstoffbedarf und -angebot, dass zu regionalen myokardialen weist das menschliche Koronararteriensystem jedoch vielfältige
Ischämien führt. Die klinischen Manifestationen reichen von der Variationsmöglichkeiten auf, sodass z. T. erhebliche Unterschiede
aymptomatischen Ischämie über die stabile Angina pectoris bis zu in der Koronarversorgung bestehen. Dies muss bei der Beurtei-
den akuten Koronarsyndromen. Der Begriff »akutes Koronarsyn- lung von Koronarstenosen bzw. der betroffenen Versorgungsge-
drom (ACS)« fasst die unmittelbar lebensbedrohlichen Phasen der biete berücksichtigt werden.
KHK zusammen, zu denen die instabile Angina pectoris (IAP), der Die linke Herzkranzarterie (LCA) entspringt aus dem lin-
akute Myokardinfarkt und der plötzliche Herztod zählen. Aufgrund ken Sinus valsalva. Der relativ kurze Hauptstamm (1–3 cm) teilt
unterschiedlicher Therapiekonzepte wird der akute Myokardinfarkt sich normalerweise in den R. interventricularis anterior (RIVA);
in Abhängigkeit vom EKG-Befund in den Nicht-ST-Hebungs-Infarkt auch »left anterior descending (LAD) coronary artery«, und den
(NSTEMI) und den ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) unterteilt. R. circumflexus (RCX). Der RIVA verläuft in der vorderen intra-
ventrikulären Grube bis zur Herzspitze bzw. um diese herum und
versorgt neben der Vorderwand auch die spitzennahen Anteile
2.1 Anatomie, Epidemiologie und Pathogenese der diaphragmalen Wand. Er gibt in seinem Verlauf mehrere Di-
der koronaren Herzkrankheit agonaläste, die die Anterolateralwand versorgen, sowie mehrere
Septaläste, die die vorderen und oberen zwei Drittel des Septums
2.1.1 Anatomie des Koronargefäßsystems versorgen, ab. Der RCX verläuft entlang der linken Atrioventri-
kulargrube parallel zum Koronarsinus. Er gibt mehrere Marginal-
Die Koronarien versorgen den Herzmuskel mit Blut und Sauer- äste ab, die die Lateralwand des linken Ventrikels versorgen. Ne-
stoff und sind daher für dessen normale Funktion von entschei- ben RIVA und RCX kann aus dem linkskoronaren Hauptstamm
14 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Übersicht 2.1. Koronaranomalien mit und ohne


hämodynamische Relevanz
2 Koronaranomalien ohne funktionelle Bedeutung
4 Ursprung des RCX aus dem rechten Koronarsinus
4 Ursprung des RIVA aus dem rechten Koronarsinus
4 Ursprung der LCA aus dem rechten Sinus valsalvae
(benigne Form: Verlauf vor dem RVOT oder nach posterior
hinter der Aortenwurzel)
Hämodynamisch bedeutsame Koronaranomalien
4 Ursprung der LCA aus dem rechten Sinus valsalvae
(maligne Form: Verlauf zwischen Aorta und RVOT)
4 Koronarfisteln (mit Links-rechts-Shunt)
4 Ursprung der LCA aus der A. pulmonalis (Bland-White-
Garland-Syndrom)
4 Ursprung der RCA aus dem linken Sinus valsalvae
. Abb. 2.1. Anatomie des Koronargefäßsystems

ein dritter großer Ast hervorgehen, der dann als R. intermedius rose und ihre Folgeerscheinungen wie KHK/Myokardinfarkt,
(RIM) bezeichnet wird und über die freie Wand des linken Vent- Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit von
rikels bis zur Apex zieht. Bedeutung. Die Atherosklerose ist somit die häufigste zum Tod
Die rechte Herzkranzarterie (RCA) entspringt aus dem führende Erkrankung in den westlichen Industriestaaten (Ame-
rechten Sinus valsalva, verläuft entlang der rechten Atrioventri- rican Heart Association 2005; Statistisches Bundesamt 2004).
kulargrube, wo sie mehrere rechtsventrikuläre Äste abgibt, bis zur Ihre Prävalenz steigt derzeit nicht zuletzt aufgrund einer Zunah-
Crux cordis. Dort teilt sie sich in den R. interventricularis poste- me der kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes
rior (RIVP), der in der posterioren Interventrikulargrube verläuft mellitus, Dyslipoproteinämie, Rauchen, Adipositas, Bewegungs-
und septale Äste abgibt, die den diaphragmalen Teil des Septums mangel) weiter an. Somit zeichnen die Atherosklerose und ihre
versorgen, und den R. posterolateralis dexter, der von der Crux Folgeerkrankungen für einen erheblichen Teil der Morbidität
cordis nach links verläuft und die diaphragmale Wand des linken und der Mortalität sowie der Kosten im Gesundheitswesen ver-
Ventrikels versorgt. Aus dem proximalen Abschnitt der RCA ent- antwortlich.
springen die Konusarterie, die zum Conus pulmonalis zieht (sie Die Prävalenz der KHK ist vom Geschlecht abhängig und
kann auch ein eigenes Ostium oberhalb des RCA-Ostiums be- nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Sie beträgt bei Männern
sitzen), und die Sinusknotenarterie, die meist ostiumnah ent- (Frauen) in der Altersgruppe 55–64 Jahre 13,1% (8,4%), in der
springt und sich in mehrere Endäste zum Sinusknoten sowie zum Altersgruppe 65–74 Jahre 17,7% (11,1%) und in der Altersgruppe
rechten und linken Vorhof aufzweigt. Als Normvariante ent- >75 Jahre 18,6% (16,1%; American Heart Association 2005). Bei
springt die Sinusknotenarterie nicht selten (in ca. 40% der Fälle) Patienten mit chronischer, stabiler Angina-pectoris-Symptoma-
aus dem RCX. tik beträgt die Sterblichkeit 2–3% pro Jahr (European Society of
Je nach individueller Ausprägung der großen Koronargefäße Cardiology 1997). Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom
lassen sich verschiedene Versorgungstypen unterscheiden: Man (IAP, NSTEMI), die zumeist durch eine Plaqueruptur und throm-
spricht vom Normal-, Rechts- oder Linksversorgungstyp. Die botische Auflagerungen ausgelöst werden, beträgt die Ereignis-
größte Variabilität weisen dabei die RCA und der RCX auf, die sich rate (Tod, Myokardinfarkt) innerhalb der ersten 72 h 2–4% und
hinsichtlich Größe und Länge meist umgekehrt zueinander ver- innerhalb der ersten 35 Tage 6–8% (OASIS-2 Investigators
halten. Dies gilt prinzipiell auch für den RIVA und den RIVP. 1999).
Von den genannten Normvarianten sind die relativ selten
> Als schwerwiegendste Folge der Atherosklerose erleiden in
vorkommenden Koronaranomalien abzugrenzen, von denen
Deutschland jährlich ca. 300.000 Personen einen transmuralen
einige keine funktionelle Bedeutung haben, während andere hä-
Myokardinfarkt, von denen auch heute noch jeder zweite töd-
modynamisch bedeutsam sein können und daher eine Indikation
lich verläuft (Tunstall-Pedoe et al. 1999).
für interventionelle oder operative Eingriffe darstellen. Verschie-
dene Koronaranomalien sind in 7 Übersicht. 2.1 zusammenge- Da einem Großteil der betroffenen Patienten aufgrund der oft
fasst. plötzlich einsetzenden Symptomatik und der gravierenden Fol-
gen situationsbedingt nicht zu helfen ist (35% der Betroffenen
erreichen nicht das Krankenhaus), kommt neben der Akutver-
2.1.2 Epidemiologie sorgung insbesondere der rechtzeitigen Identifizierung gefähr-
deter Personen und präventiven Maßnahmen eine überragende
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems führen die Todes- Bedeutung zu. Hierzu ist jedoch die detaillierte Kenntnis der pa-
ursachenstatistik in westlichen Ländern nach wie vor deutlich an. thogenetischen Zusammenhänge essenziell.
Im Jahr 2003 zeichneten kardiovaskuläre Erkrankungen für
46,4% der Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Unter den
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind insbesondere die Atheroskle-
2.1 · Anatomie, Epidemiologie und Pathogenese der koronaren Herzkrankheit
15 2

. Abb. 2.2. Pathogenese der Atherosklerose. Einfluss vaskulärer Risikofaktoren auf Entstehung und Progression atherosklerotischer Plaques.
(Mod. nach Libby 2002)

2.1.3 Pathogenese ten Risiko für die Entwicklung einer koronaren Atherosklerose,
eines Myokardinfakts oder Schlaganfalls sowie mit der kardiovas-
Die Atherosklerose ist in den westlichen Industrienationen eine kulären Mortalität assoziiert ist. Die klassischen kardiovaskulären
Volkskrankheit, die das gemeinsame Korrelat einer Reihe ischä- Risikofaktoren sind:
mischer Erkrankungen wie KHK/Myokardinfarkt, Schlaganfall 4 arterielle Hypertonie,
und periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) darstellt 4 Dyslipidämie,
und somit für einen erheblichen Teil der Morbidität und der 4 Diabetes mellitus,
Mortalität verantwortlich ist. Obgleich eine Reihe beeinflussba- 4 Rauchen,
rer (Dyslipidämie, Rauchen, Diabetes mellitus, arterielle Hyper- 4 Übergewicht und
tonie, Adipositas, Bewegungsmangel) und nichtbeeinflussbarer 4 genetische Disposition.
(Alter, männliches Geschlecht, genetische Disposition) kardio-
vaskulärer Risikofaktoren identifiziert werden konnte (7 Kap. 1), Darüber hinaus existieren möglicherweise weitere Faktoren, die
sind die pathogenetischen Grundlagen atherosklerotischer Ge- mit einer Beeinflussung des kardiovaskulären Risikos einher-
fäßveränderungen bis heute nur unzulänglich bekannt. Insbeson- gehen. Nach therapeutischen bzw. präventiven Gesichtspunkten
dere bleibt weitgehend unbekannt, wie die genannten Risiko- lassen sich die kardiovaskulären Risikofaktoren nach ihrer Wer-
faktoren zur Bildung und zur Progression atherosklerotischer tigkeit für die Induktion atherosklerotischer Veränderungen so-
Läsionen beitragen. Jedoch gibt es zahlreiche Hinweise darauf, wie nach der Möglichkeit und dem Nutzen ihrer Beeinflussung
dass sie sich im Sinne des »metabolischen Syndroms« gegenseitig in 4 Gruppen unterteilen (. Tab. 2.1). Bezüglich der detaillierten
bedingen und durch zusammenhängende Mechanismen über Beschreibung der einzelnen Risikofaktoren wird auf 7 Kap. 1 ver-
einen Zeitraum von Jahren bis Jahrzehnten Veränderungen an wiesen.
der Gefäßwand hervorrufen (. Abb. 2.2). Für den chronischen
Prozess der Atherogenese scheint insbesondere eine Imbalance Zelluläre Mechanismen der Atherogenese
pro- und antiinflammatorischer Mechanismen von Bedeutung Ätiologisch wird die Atherosklerose heute als multifaktorielles,
zu sein (Faxon et al. 2004; Libby u. Theroux 2005). Während man chronisch-inflammatorisches Geschehen angesehen, an dem
früher von einer reinen vaskulären »Lipidspeicherkrankheit« eine Reihe von Zelltypen wie Makrophagen, T-Lymphozyten,
ausging, hat das Verständnis der Pathophysiologie der Athero- Thrombozyten, Endothelzellen und glatte Gefäßmuskelzellen,
sklerose während der letzten 10 Jahre somit einen bemerkens- die auf molekularer Ebene miteinander kommunizieren, beteiligt
werten Wandel erfahren. ist (Libby 2002; Libby u. Theroux 2005). Die initialen Verände-
rungen, die der Bildung atherosklerotischer Läsionen voraus-
Risikofaktoren gehen, sind durch eine Funktionsstörung des Endothels mit Ver-
Verschiedene epidemiologische Untersuchungen, insbesondere änderungen seiner Eigenschaften charakterisiert. Kardiovaskulä-
die Framingham-Studie und die INTERHEART-Studie, haben re Risikofaktoren wie Dyslipidämie, hypertonieassoziierte vaso-
eindeutig gezeigt, dass eine Reihe von Faktoren mit einem erhöh- konstriktorische Mediatoren und proinflammatorische Zytokine,
16 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

ECM induzieren. Einzelne Matrixbestandteile – insbesondere


. Tab. 2.1. Klassifikation der klassischen kardiovaskulären Risiko-
faktoren Proteoglykane – binden Lipoproteine, verlängern somit ihre Ver-
weildauer in der Intima und machen sie empfindlicher für Oxi-
Klasse Risikofaktoren
2 dation und Glykosilierung. Die so entstehenden oxidierten Phos-
I Risikofaktoren, deren Beeinflussung das kardiovaskuläre pholipide und Glykosilierungsendprodukte unterhalten und
Risiko eindeutig vermindert verstärken den inflammatorischen Prozess.
4 Rauchen
4 Arterielle Hypertonie > Die Vorhersagekraft der Serumwerte einzelner Entzündungs-
4 Hypercholesterinämie/LDL-Erhöhung marker bzw. -mediatoren (CRP, CD-40-Ligand, PlGF, IL-6) für
kardiovaskuläre Erstereignisse sowie deren Präsenz in athero-
II Risikofaktoren, deren Beeinflussung das kardiovaskuläre
Risiko wahrscheinlich vermindert sklerotischen Plaques weist darauf hin, dass diese Mediatoren
4 Diabetes mellitus eine bedeutende Rolle für die Atherogenese spielen könnten.
4 Linksventrikuläre Hypertrophie bei arterieller Hypertonie
Den genannten Mechanismen wird eine bedeutende Rolle für die
4 Pathologische Glukosetoleranz
4 Erniedrigtes HDL-Cholesterin
Entstehung und die Progression neointimaler Läsionen zuge-
4 Körperliche Inaktivität schrieben (Libby u. Theroux, 2005).
4 (Intaraabdominelle) Adipositas Im weiteren Verlauf der Erkrankung kann sich durch den pro-
grammierten Zelltod (Apoptose) von Makrophagen und glatten
III Beeinflussbare Risikofaktoren ohne sicheren Effizienz-
nachweis
Gefäßmuskelzellen ein nekrotischer, lipidreicher Kern ausbilden,
4 Hypertriglyzeridämie der von einer fibrösen Membran überdeckt wird (»komplizierte
4 Alkoholabstinenz/geringer Alkoholkonsum Läsion«). Schließlich kann es im Rahmen des fortlaufenden Ent-
4 Lp(a) zündungsprozesses durch apoptotische Vorgänge und durch die
4 Homocystein Aktivierung von MMP, die insbesondere durch aktivierte T-Lym-
4 Infektionen phozyten induziert werden, zur Degradation von Matrixproteinen
4 C-reaktives Protein (Kollagen) und zur Ausdünnung der fibrösen Membran mit der
IV Risikofaktoren, die nicht beeinflusst werden können oder Folge der Plaqueinstabilität und schließlich der Plaqueruptur
deren Beeinflussung schädlich sein könnte kommen (Libby 2002). Dieses akute Ereignis führt durch den
4 Alter und Geschlecht Kontakt von Kollagen, Von-Willebrand-Faktor und des im Lipid-
4 Hormonsubstitution der postmenopausalen Frau kern befindlichen prothrombotischen »tissue factor« mit den
4 Familiäre Disposition koagulatorischen Proteinen des Blutes zur raschen Bildung throm-
HDL »high-density lipoprotein«, LDL »low-density lipoprotein«, Lp(a) botischer Auflagerungen, die klinisch mit dem Bild des ACS asso-
Lipoprotein (a). ziiert sind und bei einer kompletten Okklusion durch die Minder-
durchblutung der distal gelegenen Organabschnitte je nach Ver-
sorgungsgebiet zu den dramatischen Folgen wie Myokardinfarkt
die in übermäßigem Fettgewebe synthetisiert werden, führen ins- und plötzlichem Herztod führen können.
besondere zu einer erhöhten Permeabilität für Lipoproteine, zur
Hyperkoagulabilität und zur Induktion leukozytärer (L-Selektin, Klassifikation von Koronarstenosen
Integrine, PECAM-1) und endothelialer (E-Selektin, P-Selektin, Der KHK liegen atherosklerotische Veränderungen der Koronar-
ICAM-1, VCAM-1) Adhäsionsmoleküle. Folgen dieser Verände- arterien zugrunde, die zu einer mehr oder weniger ausgeprägten
rungen sind die Adhäsion und die Einwanderung von Entzün- Stenosierung mit der Folge einer verminderten Koronarperfu-
dungszellen (Monozyten, Makrophagen, T-Lymphozyten) in sion führen.
die Gefäßwand, die u. a. durch die Interaktion von MCP-1 mit
> Koronarstenosen werden neben dem durch sie hervorgerufe-
seinem Rezeptor CCR2 sowie durch IL-8 und Interferon-γ ver-
nen Grad der Stenosierung in Abhängigkeit von Lokalisation,
mittelt wird und zur Akkumulation von Lipiden führt (»fatty
Länge, Kontur und Grad der Kalzifizierung nach ihrer Morpho-
streak«).
logie unterteilt. Darüber hinaus wird – insbesondere im Zu-
Die beteiligten Zelltypen produzieren und sezernieren zahl-
sammenhang mit Revaskularisierungsmaßnahmen – der Koro-
reiche vasoaktive Substanzen, Zytokine und Wachstumsfaktoren,
narfluss angegeben.
die auto-/parakrin auf das umliegende Gewebe einwirken und
v. a. durch chemotaktische und mitogene Effekte, Regulation der
Apoptose, ROS-Bildung und ECM-Veränderungen die Progres- Stenosegrad. Der Stenosegrad wird als prozentuale Reduktion
sion atheromatöser Plaques induzieren (Faxon et al. 2004; Libby des Gefäßlumens im Vergleich zu den angrenzenden Gefäßab-
2002). Im weiteren Verlauf dieser chronisch-entzündlichen Ge- schnitten angegeben. Im Rahmen der Koronarangiographie kann
fäßerkrankung kommt es durch die Wirkungen der genannten die Messung des Stenosegrades mithilfe integrierter Mess- und
Mediatoren zur weiteren chemotaktisch induzierten Einwande- Auswertesysteme (automatische Konturerkennung) quantitativ
rung von Entzündungszellen und zur Migration glatter Gefäß- erfolgen. Der erfahrene Untersucher ist jedoch in der Lage, eine
muskelzellen aus der Gefäßmedia in die Intima; hier proliferieren visuelle, semiquantitative Einschätzung des Stenosegrades vor-
diese Zellen und tragen so zur Fibrosierung und Verdickung der zunehmen, die vergleichbare Ergebnisse zeigt wie die rechner-
Gefäßwand bei. Des Weiteren induzieren sie die Bildung einer gestützte, quantitative Messung. Während punktgenaue Angaben
komplexen ECM und sezernieren gemeinsam mit Endothelzellen (z. B. 67%) z. B. für wissenschaftliche Fragestellungen wichtig
und Monozyten sog. Matrixmetalloproteinasen (MMP), die eine sein können, sind sie im Rahmen der klinischen Routinediagnos-
Reihe zellulärer Reaktionen wie Aktivierung, Proliferation, Che- tik nicht zweckmäßig. Unter therapeutischen und prognostischen
motaxis und Apoptose modulieren und die Destruktion von Gesichtspunkten ist vielmehr eine graduelle Einteilung des Ste-
2.1 · Anatomie, Epidemiologie und Pathogenese der koronaren Herzkrankheit
17 2

. Tab. 2.2. Graduelle Einteilung von Koronarstenosen. (American . Tab. 2.3. Stenosemorphologie nach den Kriterien der AHA/ACC
Heart Association)
Stenosetyp Charakteristika
Stenosegrad [%] Schweregrad
A Länge ≤1 cm
≤25 Wandunregelmäßigkeit Konzentrisch
Gut erreichbar
25–50 Leichtgradig
Stenose in Krümmung <45°
50–75 Mittelgradig Glatte Konturen
75–90 Höhergradig Kein/wenig Kalk
Kein kompletter Verschluss
>90 Hochgradig Keine Ostiumstenose
100 Kompletter Verschluss Kein Seitenast mitbetroffen
Kein Thrombus
Ba Länge 1–2 cm
nosegrades sinnvoll, wie sie von der American Heart Association Exzentrisch
(AHA) empfohlen wird (. Tab. 2.2). Geschlängeltes Gefäß
! Cave Stenose in Krümmung 45–90°
Wird der Gefäßdurchmesser beurteilt, so muss sich der Unter- Unregelmäßige Kontur
Deutlich verkalkt
sucher stets darüber bewusst sein, dass eine gewisse Reduktion
Kompletter Verschluss, nicht älter als 3 Monate
des Diameters eine sehr viel ausgeprägtere Verminderung des
Ostiumstenose
Gefäßquerschnitts zur Folge hat (. Abb. 2.3). Bi- oder Trifurkationsstenose
So bedingt ein angiographischer Stenosegrad von 70% eine Quer- Thrombus
schnittsverminderung um 90%, die meist bereits in Ruhe eine Cb Länge >2 cm
Einschränkung der Perfusion zur Folge hat. Stark geschlängeltes Gefäß
Stenose in Krümmung >90°
Stenosemorphologie. Für Therapieentscheidungen (Indikation Kompletter Verschluss, älter als 3 Monate
Bedeutsamer, nicht zu schützender Seitenast
zur Revaskularisation; PCI vs. operative Myokardrevaskularisa-
in der Stenose
tion) sind neben dem Stenosegrad insbesondere die Stenosemor-
Degenerierter Venenbypass
phologie und -lokalisation von Bedeutung. Je nach Lokalisation,
a B1: ein Kriterium erfüllt; B2: 2 oder mehr Kriterien erfüllt.
Länge und Kontur der Stenose, der Kalzifizierung, dem Bezug zu b C1: ein Kriterium erfüllt; C2: 2 oder mehr Kriterien erfüllt.
Seitenästen sowie dem Vorhandensein intravasaler Thromben
wird zwischen Typ-A-, Typ-B- und Typ-C-Stenosen unterschie-
den (. Tab. 2.3).
. Tab. 2.4. Thrombolysis-in-Myocardial-Infarction- (TIMI-)Klassifika-
> Die morphologische Beurteilung von Koronarstenosen bildet tion des Koronarflusses
die Grundlage für die Entscheidung über das therapeutische
Vorgehen, die Risikoeinschätzung von Koronarinterventionen Klasse Koronarfluss
und die Auswahl des interventionellen Verfahrens. 0 Keine Perfusion
1 Passage des Kontrastmittels an der Stenose/Verschlussstelle
ohne vollständige Anfärbung der distalen Gefäßanteile
Koronarfluss. Höhergradige Stenosen haben eine Verminderung
des Koronarflusses bis hin zum kompletten Gefäßverschluss 2 Partielle Perfusion mit verzögerter, jedoch vollständiger
ohne Restperfusion zur Folge. Ab einem gewissen Stenosegrad Anfärbung der distalen Gefäßanteile
3 Prompte, vollständige Perfusion des Gefäßes

kommt es durch die Lumenreduktion zu einer Flussverzögerung


in dem distalen Gefäßabschnitt, die im Rahmen der Koronar-
angiographie als verzögerter Kontrastmittelabstrom imponiert.
Zur Beurteilung des Koronarflusses hat sich v. a. bei Patienten mit
ACS oder Myokardinfarkt die TIMI-Klassifikation (Thrombo-
lysis in Myocardial Infarction) bewährt, die ursprünglich zur
Beurteilung des Therapieerfolges nach einer Thrombolyse einge-
führt wurde (. Tab. 2.4). Zumindest bei höhergradigen Koronar-
stenosen sollte stets der Koronarfluss angegeben werden.

Regulation der Koronardurchblutung


Die Koronarperfusion wird im Wesentlichen durch die Koro-
narmorphologie (Stenosen, Kollateralen, Koronarkompression
bei Koronaranomalien, Shunts bei Koronarfisteln) und durch
. Abb. 2.3. Einschätzung des Stenosegrades. Vergleich der Verminde- funktionelle Faktoren (Vasokonstriktion bei Koronarspasmen,
rung von Durchmesser und Querschnitt Perfusionsdruck, diastolischer Aortendruck, diastolischer Vent-
18 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

rikeldruck, Sauerstoffbindungskapazität des Blutes, Sauerstoff-


sättigung, Viskosität des Blutes) reguliert. Darüber hinaus können
metabolische Faktoren und – insbesondere beim ACS – die Ak-
2 tivierung des Gerinnungssystems bedeutsam sein. Das normale
Koronarsystem ist in der Lage, die in Ruhe ausreichende Koro-
narperfusion in Belastungssituationen bis auf das 4-Fache zu
steigern und so das Sauerstoffangebot dem erhöhten Sauerstoff-
bedarf anzupassen (Koronarreserve). Dies geschieht normaler-
weise durch eine aktive Dilatation der koronaren Widerstands-
gefäße. Die Koronarinsuffizienz ist durch die Unfähigkeit des
Koronarsystems charakterisiert, die Perfusion in Situationen
eines erhöhten Sauerstoffbedarfs adäquat zu steigern; dies führt
zu einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und -angebot
mit der Folge einer myokardialen Ischäme. Liegt eine Koronar-
stenose vor, so führt diese ab einem gewissen Grad der Stenosie-
rung zu einer Abnahme des Pefusionsdruckes distal der Stenose.
Bis zu einem Stenosegrad von etwa 50% kann dies durch eine
Dilatation der nachgeschalteten Arteriolen mit konsekutiver Ab-
nahme des poststenotischen Gefäßwiderstands kompensiert
werden. Liegt jedoch eine höhergradige Stenose vor, so ist die
Koronarreserve eingeschränkt, was ab einer bestimmten Belas-
tungsstufe zu myokardialer Ischämie und Angina pectoris führt
(Ischämieschwelle). Die Ischämieschwelle wird jedoch nicht nur
durch den Grad der Stenosierung, der zu einer Abnahme des
Sauerstoffangebots führt, sondern auch durch Faktoren, die eine . Abb. 2.4. Unterschiedliche Formen atherosklerotischer Plaques. Dar-
Steigerung des Sauerstoffbedarfs zur Folge haben, determiniert. gestellt sind die Extremformen einer nach intraluminal wachsenden, ste-
nosierenden Läsion, die zu Ischämie und Angina pectoris führt, und einer
> Die Myokardhypertophie (erhöhtes Herzgewicht), eine Erhö- nach abluminal wachsenden, primär nichtstenosierenden Läsion (»vul-
hung der Herzfrequenz, eine Steigerung der Kontraktilität oder nerable Plaque«), die durch Einriss der fibrösen Deckmembran und kon-
eine Erhöhung der myokardialen Wandspannung (Hypertro- sekutive Thrombusbildung zum Gefäßverschluss und Infarkt führt. (Mod.
phie, Dilatation) können mit einer Verminderung der Ischämie- nach Libby u.Theroux 2005)
toleranz assoziiert sein.

Stabile versus instabile Plaque ! Cave


Instabile Plaques rufen keine Symptome hervor, bis sie rupturie-
Entgegen der früheren Annahme, dass die Stenosierung eines
ren, und führen dann direkt zum akuten Koronarsyndrom.
atherosklerotisch veränderten Gefäßes durch progredientes
Plaquewachstum langsam bis hin zur vollständigen Okklusion
zunimmt, geht man nach heutigem Kenntnisstand davon aus, dass Diese Form atherosklerotischer Plaques, die in der Koronarangio-
die Mehrzahl der akuten ischämischen Ereignisse durch die Rup- graphie nicht als relevante Stenosen zu erkennen sind, ist weitaus
tur eines meist nicht höhergradig okkludierenden Plaques und häufiger als stenosierende Läsionen. Demnach repräsentieren
eine konsekutive Thrombusbildung ausgelöst wird (Falk et al. Koronarstenosen lediglich die »Spitze eines Eisbergs«, da fluss-
1995). Autoptische Befunde und mithilfe des IVUS erzielte Beob- behindernde Stenosen meist von diffusen atherosklerotischen
achtungen zeigten übereinstimmend, dass atherosklerotische Lä- Gefäßveränderungen begleitet sind (Libby u. Theroux 2005). Die
sionen sich nicht nur nach intraluminal ausbilden, sondern weit- Erkenntnis der weiten Verbreitung fortgeschrittener, jedoch nicht
aus häufiger nach »außen« wachsen und sich somit v. a. nach ab- flussbehindernder Koronarstenosen hat erhebliche Konsequen-
luminal ausbreiten (◉ Abb. 2.4). Stenosierende Plaques sind meist zen für das heutige Verständnis der ACS. Atherosklerose und
durch einen relativ kleinen Lipidkern, der von einer dicken memb- KHK sind nicht als segmentale bzw. lokalisierte Erkrankung ein-
ranösen Deckplatte überdeckt wird, gekennzeichnet. zelner Gefäßabschnitte, sondern als generalisierte, chronisch-
entzündliche Gefäßerkrankung anzusehen. Das Konzept der
> Die flussbehindernden Läsionen schreiten nicht langsam konti-
»interventionellen Kardiologie« darf demnach nicht auf die me-
nuierlich, sondern in plötzlichen Schritten fort, die wahrschein-
chanische Wiedereröffnung stenosierter Gefäßabschnitte be-
lich durch akute, subklinisch verlaufende Plaqueerosionen
schränkt sein, sondern muss darüber hinaus die Stabilisierung
bzw. -rupturen, In-situ-Thrombosen und spezifische Heilungs-
und Regression gleichzeitig bestehender, vulnerabler Plaques
prozesse hervorgerufen werden.
zum Ziel haben.
Sie sind das typische Korrelat der belastungsinduzierten Angina
pectoris. Pathophysiologie der akuten Koronarsyndrome
Nach abluminal wachsende, vulnerable Plaques sind durch Nahezu alle ACS (IAP, NSTEMI, STEMI) werden durch die Rup-
eine dünne fibröse Membran und einen lipidreichen Kern ge- tur atherosklerotischer Plaques und die konsekutive intrakoro-
kennzeichnet und neigen zur Ruptur, produzieren jedoch keine nare Thrombenbildung hervorgerufen. Für die Bildung von Ko-
relevanten Stenosen. Sie werden daher auch als »instabile Plaques« ronarthromben ist eine Reihe mikroanatomischer Mechanismen
bezeichnet. verantwortlich. Autoptische Studien zeigten, das die komplette
2.2 · Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
19 2

Ruptur der fibrösen Plaquemembran für die Mehrzahl letal ver- > Eine Stenose ist in der Regel hämodynamisch bedeutsam, wenn
laufender Koronarthrombosen ursächlich ist (Falk et al. 1995). das Gefäßlumen um mehr als 70% eingeengt ist.
Darüber hinaus sind auch oberflächliche Erosionen und Hämor-
rhagien innerhalb von Plaques von Bedeutung. Die überragende Diagnostisch wegweisend sind die oft typische klinische Sympto-
Bedeutung der Thrombenbildung für die Pathogenese der ACS matik mit belastungsabhängigen pektanginösen Beschwerden,
ist heute gut belegt und wird u. a. durch bildgebende Verfahren ischämietypische Veränderungen im Ruhe-EKG (T-Negativie-
sowie durch den Erfolg antithrombotischer bzw. fibrinolytischer rung, ST-Strecken-Senkung) und eine pathologische Ergometrie
Therapien verdeutlicht. oder ein Ischämienachweis mit anderen Belastungsutersuchungen
Rupturierte Plaques können die Thrombusbildung durch (Myokardszintigraphie, Stressechokardiographie, Stress-MRT).
zahlreiche Mechanismen provozieren. So führt der Kontakt von Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch die direkte Darstellung
Kollagen mit Extrazellulärmatrix zur Thrombozytenaktivierung. der Koronararterien mithilfe der Koronarangiographie oder an-
Darüber hinaus aktiviert Tissue factor, der von Makrophagen derer bildgebender Verfahren.
und glatten Gefäßmuskelzellen produziert und sezerniert wird,
die Gerinnungskaskade. Diese in der rupturierten Plaque statt-
findenden Mechanismen amplifizieren sich gegenseitig, da die 2.2.1 Klinische Symptome
Thrombinbildung ihrerseits die Aktivierung von Thrombozyten
und anderen Zelltypen innerhalb atherosklerotischer Läsionen Die KHK kann sich klinisch durch zahlreiche verschiedene Symp-
verstärkt. Die Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin und die tome bemerkbar machen oder durch pathologische Untersuchungs-
Freisetzung von Von-Willebrand-Faktor aus aktivierten Throm- befunde aufgedeckt werden. Als typisches Symptom der KHK gilt
bozyten führt durch die Brückenbildung zwischen Thrombo- die Angina pectoris. Darüber hinaus wird häufig über eine Dys-
zyten zur Ausbildung jenes dichten, dreidimensionalen Netz- pnoesymptomatik geklagt, weitere Symptome sind Zeichen der
werks aus Thrombozyten und Fibrin, das für »weiße« arterielle Herzinsuffizienz und von Herzrhythmusstörungen. Jedoch kann
Thromben charakteristisch ist. Neben atherosklerotischen der Krankheitsprozess auch klinisch asymptomatisch voranschrei-
Plaques selbst können auch Veränderungen der flüssigen Blutbe- ten (stumme Ischämien), sodass die dramatischen Folgen der KHK
standteile zu Koronarthrombosen prädisponieren. »Plasminogen wie Myokardinfarkt oder plötzlicher Herztod auch als Erstmani-
activator inhibitor-1« (PAI-1) wirkt den natürlichen fibrino- festation ohne vorherige Symptomatik auftreten können.
lytischen Mechanismen des Körpers entgegen, indem er die uro-
> Eine detaillierte Anamnese (genaue Erfassung der Beschwer-
kinaseähnlichen (u-PA) und gewebsständigen (»tissue-type«)
den, der körperlichen Belastbarkeit und der kardiovaskulären
Plasminogenaktivatoren (t-PA) inhibiert und somit die Throm-
Risikofaktoren) ist für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit
benentstehung begünstigt. Diabetes und Adipositas sind mit
einer relevanten KHK und somit für das diagnostische sowie
erhöhten PAI-1-Serumspiegeln assoziiert, und hypertonieasso-
therapeutische Vorgehen von entscheidender Bedeutung.
ziierte Faktoren wie Angiotensin-II induzieren die PAI-1-Expres-
sion in zahlreichen Zelltypen. Darüber hinaus können rupturier-
te Plaques Tissue factor freisetzen, der die Thrombogenität des Angina pectoris
Blutes erhöht. Die Angina pectoris ist durch linksthorakale Schmerzen oder
ein retrosternales Druck- bzw. Engegefühl mit Ausstrahlung in
> Neben der »instabilen Plaque« wird das Risiko für akute ischä-
Arme, Kiefer, Schultern oder Rücken gekennzeichnet. Sie tritt
mische Ereignisse auch wesentlich durch Veränderungen des
typischerweise in Situationen körperlicher und/oder psychischer
Blutes determiniert.
Belastung auf, die zu einer Erhöhung des myokardialen Sauer-
Im Rahmen von ACS kann die Embolisation Tissue-factor- stoffbedarfs führen, kann jedoch auch durch andere Trigger (z. B.
reicher Debride aus den Kernen akut rupturierter Plaques in den Kälteexposition) ausgelöst werden. Grundsätzlich muss zwischen
Blutstrom zu distalen Thrombosierungen in der Mikrozirkula- stabiler und instabiler Angina pectoris unterschieden werden.
tion führen. Solche distalen Embolisationen könnten ursächlich Bei der stabilen Angina pectoris treten die Beschwerden repro-
für das »No-reflow«-Phänomen sein, das sowohl iatrogene duzierbar unter körperlicher oder psychischer Belastung auf, und
(Angioplastie) als auch spontane Plaquerupturen komplizieren nach Beendigung der Belastung oder nach sublingualer Nitro-
kann und eine effektive Reperfusion der distalen Mikrozirkula- glyzeringabe kommt es innerhalb kurzer Zeit (2–3 min) zu einer
tion verhindert (Libby u. Theroux 2005). Linderung der Beschwerden. Als instabile Angina pectoris wird
jede neu auftretende oder an Häufigkeit und Intensität zuneh-
mende oder in Ruhe auftretende Angina bezeichnet. Sie spricht
2.2 Klinische Symptome und Diagnostik häufig erst verzögert auf eine sublinguale Nitroglyzeringabe
der stabilen koronaren Herzkrankheit an und kann von einer vegetativen Symptomatik begleitet sein.
Die Klassifikation der Angina pectoris erfolgt nach der Canadian
Die KHK ist die Manifestation atherosklerotischer Gefäßverän- Cardiovascular Society (CCS), ähnlich der NYHA-Klassifika-
derungen an den Koronararterien. Durch die Entstehung athero- tion bei Herzinsuffizienz, in 4 Schweregrade (Goldman 1981;
sklerotischer Plaques kommt es zu mehr oder weniger ausge- . Tab. 2.5). Jedoch kann die Ischämieschwelle variieren, und die
prägten, akut auftretenden oder langsam progredienten Okklu- Schwere der Angina pectoris korreliert nicht linear mit dem
sionen der epikardialen Koronargefäße mit der Folge der myo- Ausmaß des Gefäßbefalls oder der Prognose. Pektanginöse Be-
kardialen Ischämie. Dabei muss klinisch grundsätzlich zwischen schwerden bei stabiler KHK sind in der Regel nicht akut lebens-
der stabilen KHK und den ACS unterschieden werden. Morpho- bedrohlich. Die jährliche Sterblichkeit von Patienten mit chro-
logisches Korrelat der stabilen KHK ist eine hämodynamisch nischer, stabiler Angina-pectoris-Symptomatik beträgt 2–3%
relevante Stenosierung in einer oder mehreren Koronararterien. (European Society of Cardiology 1997).
20 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.5. Funktionelle Klassifikation des klinischen Schweregrades kardiovaskulärer Erkrankungen. (Mod. nach Goldman et al 1981)
Klasse New York Heart Association (NYHA) Canadian Cardiovascular Society (CCS)

2 I Keine Einschränkung der körperlichen Aktivität. Normale körperliche


Belastungen führen nicht zu vermehrter Dyspnoe oder Müdigkeit,
Normale körperliche Aktivitäten, wie Gehen und Treppensteigen,
rufen keine Angina hervor. Angina tritt bei starken, schnellen oder
thorakalen Schmerzen oder Schwächeanfällen (asymptomatisch) anhaltenden Belastungen während der Arbeit oder Freizeit auf
II Leichte Einschränkung der körperlichen Aktivität. Keine Beschwer- Leichte Einschränkung der körperlichen Aktivität. Angina bei
den in Ruhe. Normale körperliche Aktivität führt zu vermehrter Dys- schnellem Gehen oder Treppensteigen, Bergauf gehen, Gehen
pnoe oder Müdigkeit, thorakalen Schmerzen oder Schwächeanfällen oder Treppensteigen nach Mahlzeiten, bei Kälte oder bei emotio-
nalem Stress sowie kurz nach dem Aufstehen. Angina beim Gehen
von mittleren Strecken (>100 m) auf ebener Erde sowie beim
Treppensteigen nach mehr als einer Etage bei normaler Ge-
schwindigkeit und unter normalen Bedingungen
III Deutliche Einschränkung der körperlichen Aktivität. Keine Be- Deutliche Einschränkung der körperlichen Aktivität. Angina beim
schwerden in Ruhe. Bereits leichtere als normale Belastungen Gehen von kurzen Strecken (<100 m) auf ebener Erde sowie beim
führen zu Dyspnoe oder Müdigkeit, thorakalen Schmerzen oder Treppensteigen nach einer Etage unter normalen Bedingungen
Schwächeanfällen
IV Unfähigkeit, irgendwelche körperlichen Belastungen ohne Beschwer- Unfähigkeit, irgendwelche körperliche Belastungen ohne
den auszuführen. Zeichen der manifesten Rechtsherzinsuffizienz. Beschwerden auszuführen, Angina kann bereits in Ruhe vor-
Dyspnoe und/oder Müdigkeit können bereits in Ruhe vorhanden handen sein
sein. Bei geringster Aktivität werden die Beschwerden verstärkt

Dyspnoe > Vor Einleitung therapeutischer (z. B. Kardioversion) oder präven-


Neben der Angina pectoris ist auch Luftnot (Dyspnoe) ein ty- tiver Maßnahmen (z. B. ICD-Implantation) ist in jedem Fall eine
pisches Symptom der stenosierenden KHK. Sie wird daher auch detaillierte Diagnostik zur Ermittlung therapierbarer Ursachen
als Anginaäquivalent bezeichnet. Eine aktuelle Arbeit zeigte, dass (KHK, hypertensive Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Elektrolyt-
anamnestisch angegebene Dyspnoe bei Patienten, die einer kar- störungen) anzustreben.
diologischen Belastungsuntersuchung unterzogen wurden, sogar
eine größere prognostische Wertigkeit besitzt als Angina pectoris Weitere Symptome
(Abidov et al. 2005). Die Einteilung erfolgt nach der NYHA- Die KHK kann sich auch in Form von atypischen Beschwerden
Klassifikation (. Tab. 2.5). bemerkbar machen. So müssen sich myokardiale Ischämien
keineswegs immer als typische Angina pectoris äußern, sondern
Herzinsuffizienz können z. B. als Zahn- oder Bauchschmerzen empfunden werden.
Nicht selten äußert sich eine KHK primär nicht durch Angina- Ein belastungsabhängiger Schmerzcharakter bei Vorliegen kardio-
pectoris-Beschwerden, sondern durch Zeichen einer Herzinsuf- vaskulärer Risikofaktoren sollte immer auch an eine KHK denken
fizienz (ischämische Kardiomyopathie). Diese kann Folge eines lassen. Seltenere Folgen myokardialer Ischämien sind Schwindel
stattgehabten, stummen Myokardinfarkts sein. Andererseits und Synkopen (bei belastungsinduzierten Rhythmusstörungen).
können regionale Kontraktionsstörungen auch durch chronische
Minderperfusion noch vitaler Myokardabschnitte bei höher- Stumme Myokardischämien
gradigen Koronarstenosen bedingt sein (»hibernating myo- Postmortale Untersuchungen z. B. an Verkehrsopfern haben ge-
cardium«). zeigt, dass sich atherosklerotische Veränderungen an den Korona-
rien in westlichen Ländern häufig bereits im Jugendalter entwickeln
> Bei jeder neu diagnostizierten Herzinsuffizienz sollte auch eine
und unter Erwachsenen, auch wenn sie während ihres Lebens
invasive Darstellung der Koronarien erfolgen.
asymptomatisch waren, weit verbreitet sind. Stumme Ischämien
Zu den klinischen Zeichen der Herzinsuffizienz gehören neben treten relativ häufig als zusätzliche Episoden bei zumeist sympto-
Dyspnoe und eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit insbe- matischen Patienten auf. Jedoch kann es – insbesondere bei Diabe-
sondere Zeichen der pulmonalvenösen Stauung, Hepatomegalie, tikern und älteren Patienten – trotz des Vorliegens einer relevanten
Einflussstauung und periphere Ödeme. KHK auch ausschließlich oder ganz überwiegend zu stummen
Ischämien ohne klinische Symptomatik kommen. Belastungstests
Rhythmusstörungen bei asymptomatischen Patienten können stumme Myokardischä-
Herzrhythmusstörungen können Folge einer akuten Myokard- mien aufdecken (z. B. belastungsinduzierte EKG-Veränderungen),
ischämie oder einer anschließenden Reperfusion im Rahmen die nicht von einer Angina pectoris begleitet sind. Koronarangio-
eines ACS bzw. eines Myokardinfarkts sein. Darüber hinaus graphische Untersuchungen derartiger Personen zeigen häufig
können auch rezidivierend auftretende Myokardischämien bei mehr oder weniger okkludierende atherosklerotische Plaques.
Überschreiten der Ischämieschwelle zum Auftreten von Arrhyth-
mien führen (z. B. intermittierendes Vorhofflimmern). Schließ- Differenzialdiagnosen
lich können chronisch-ischämische Myokardschädigungen Angina pectoris ähnliche thorakale Beschwerden können durch
neben einer Beeinträchtigung der Pumpfunktion (ischämisch zahlreiche kardiale oder nichtkardiale Erkrankungen ausgelöst
bedingte Herzinsuffizienz) ebenfalls Herzrhythmusstörungen werden. Die Differenzialdiagnose umfasst eine Reihe kardio-
zur Folge haben. vaskulärer, mediastinaler, pulmonaler, gastrointestinaler und
2.2 · Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
21 2

. Tab. 2.6. Differenzialdiagnose thorakaler Beschwerden. (Nach Dietz u. Rauch 2003)


Organsysteme Erkrankungen
Kardiovaskuläre Erkrankungen Akuter oder subakuter Myokardinfarkt, Myokarditis, Perikarditis, Aortendissektion, Kardio-
myopathie, Vitien (insbesondere Aortenstenose), Mitralklappenprolaps, hypertensive Krisen,
(supra)ventrikuläre Tachykardien, Postkardiotomiesyndrom (Dressler-Syndrom)
Mediastinale Erkrankungen Tumor, Raumforderungen, Mediastinitis, Aortenaneurysma
Pulmonale Erkrankungen Lungenembolie, Pleuritis, Pneumonie, Pneumothorax, Tumor, Metastasen, Raumforderungen
Erkrankungen des Nerven- und Bewegungs- HWS-BWS-Syndrome, Interkostalneuralgien, Tietze-Syndrom (schmerzhafte Sternalansätze der
apparates zweiten und dritten Rippe), M. Zoster, Myopathien, Metastasen
Gastrointestinale Erkrankungen Refluxösophagitis, Hiatushernie, Ösophagusdivertikel, Ösophagusspasmen, Achalasie, Gastritis,
Ulkuskrankheit, Gallen-, Pankreas- und Milzerkrankungen, Roemheld-Syndrom
Vegetative und psychische Erkrankungen Funktionelle Herzbeschwerden, Panikattacken, latente Depressionen, Hyperventilationssyndrom
BWS Brustwirbelsäule, HWS Halswirbelsäule.

vegetativ-pychischer Erkrankungen sowie Erkrankungen des Differenzialblutbild) und der Bestimmung der Serumelektrolyte
Nerven- und Bewegungsapparates (. Tab. 2.6). Zur Abgrenzung (Natrium, Kalium) sollten Serum und Urin auf Zeichen eines
der einzelnen Erkrankungen sind die anamnestischen Angaben Diabetes mellitus (Nüchternblutzucker, ggf. oraler Glucosetole-
des Patienten (z. B. Schmerzcharakter, Risikofaktoren) wichtig. ranztest, ggf. HbA1c, ggf. Glucose im Urin), einer Nierenerkran-
Darüber hinaus liefern die körperliche Untersuchung und die kung (einschließlich Mikroalbuminurie) oder einer Fettstoff-
Befunde der Basisdiagnostik (z. B. Ruhe-EKG, Echokardio- wechselstörung [Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-
graphie) wichtige differenzialdiagnostische Hinweise, die eine Cholesterin, Triglyzeride, ggf. Lp(a)] untersucht werden, da diese
gezielte weiterführende Diagnostik ermöglichen. Im Zweifelsfall Erkrankungen die Atherogenese beschleunigen. Ebenso sollten,
sollten Belastungsuntersuchungen oder bildgebende Verfahren falls auf Grundlage der Untersuchungsbefunde oder vor weiter-
(Koronarangiographie) veranlasst werden. gehenden diagnostischen Maßnahmen (Katheteruntersuchung)
indiziert, die Parameter der Schilddrüsenfunktion bestimmt wer-
den. Zum Ausschluss eines ACS kann die Bestimmung myo-
2.2.2 Nichtinvasive Diagnostik kardialer Marker wie cTnT bzw. cTnI, Kreatinkinase (CK) und
der CK-MB-Isoform notwendig sein (7 Abschn. 2.4).
Körperliche Untersuchung
Thoraxröntgen
> Bei jedem Verdacht auf eine KHK sollte ein gründlicher inter-
Eine Thoraxröntgenaufnahme ist bei Patienten mit pektanginö-
nistischer Status mit Untersuchung aller Organsysteme erhoben
sen Beschwerden meist indiziert, da sie andere Ursachen (z. B.
werden.
Erkrankungen der Thoraxwand, der Lunge oder anderer thoraka-
Die körperliche Untersuchung ist bei Patienten mit stabiler An- ler Organe, Herzklappenfehler) sowie die Folgen einer KHK (z. B.
gina häufig normal, kann aber Manifestationen einer Athero- Kardiomegalie, ventrikuläres Aneurysma, Zeichen der Herz-
sklerose an anderer Stelle aufdecken, wie ein abdominelles Aorten- insuffizienz wie pulmonalvenöse Stauung) aufdecken kann. Die
aneurysma, Strömungsgeräusche über den Karotiden oder abge- letztgenannten Zeichen machen die Diagnose einer ischämischen
schwächte arterielle Pulse an den unteren Extremitäten. Darüber Herzerkrankung wahrscheinlich und sind für die Beurteilung des
hinaus können direkte (Größe, Gewicht, Body-Mass-Index bzw. Ausmaßes der myokardialen Schädigung wichtig.
Taillenumfang bei Adipositas) oder indirekte Zeichen kardio-
vaskulärer Risikofaktoren (z. B. Xanthelasmen und Xanthome Ruheelektrokardiographie
bei Dyslipidämie) bestehen. Das 12-Kanal-EKG in Ruhe ist bei etwa der Hälfte der Patienten
Bei der Auskultation können Gefäßgeräusche, ein dritter und/ mit typischer Angina pectoris normal (. Abb. 2.5). Bei der ande-
oder vierter Herzton und ggf. auch Herzgeräusche wie ein apikales ren Hälfte bestehen mehr oder weniger charakteristische Verän-
Systolikum (z. B. bei Mitralklappeninsuffizienz infolge eines statt- derungen, die auf eine KHK hindeuten können. Je nach Lokali-
gehabten Myokardinfarkts mit Papillarmuskeldysfunktion) oder sation der EKG-Veränderungen lassen sich bereits Rückschlüsse
ein aortales Systolikum mit Fortleitung in die Karotiden (bei Aor- auf das betroffene Myokardareal bzw. Koronargefäß ziehen: Die
tenklappenstenose als alternative Ursache für pektanginöse Be- Ableitungen II, III und aVF repräsentieren die inferiore Wand
schwerden) auffallen. Ebenso müssen eine HCM und eine pulmo- (beim Normalversorgungstyp Versorgungsgebiet der RCA), Ab-
nale Hypertonie diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. leitungen V1–V4 die Vorderwand (Versorgungsgebiet der LAD)
und Ableitungen V5–V6 die laterale Wand des linken Ventrikels
Labordiagnostik (Versorgungsgebiet des RCX).
Die Diagnose einer stabilen KHK wird primär nicht anhand von Zeichen eines alten Myokardinfarkts (Pardée-Q, R-Verlust)
Laborparametern, sondern anhand von Anamnese, klinischer können auf eine KHK hinweisen. Ebenso können in Ruhe vor-
Untersuchung, Belastungstests und bildgebender Verfahren ge- handene Repolarisationsstörungen (ST-Strecken- und T-Wellen-
stellt. Dennoch sind einige Laboruntersuchungen hilfreich, um Veränderungen), Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie
Risikofaktoren zu detektieren und das Risiko für koronare Ereig- (positiver Sokolow-Lyon-Index) und intraventrikuläre Leitungs-
nisse einschätzen zu können. Neben einem kleinen Blutbild (ggf. störungen auf eine KHK hindeuten, sind jedoch als unspezifisch
22 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Abb. 2.5. 12-Kanal-EKG in Ruhe: Normalbefund

anzusehen, da sie auch bei perikardialen, myokardialen und val- Belastungselektrokardiographie


vulären Herzerkrankungen sowie vorübergehend bei Angst, Lage- Das Belastungs-EKG dient der Identifizierung von Myokard-
wechsel, unter dem Einfluss bestimmter Arzneimittel und ischämien, die während körperlicher Belastung bei Über-
bei Ösophaguserkrankungen auftreten können. Dynamische schreiten der Ischämieschwelle, nicht jedoch in Ruhe auftre-
ST-Strecken- und T-Wellen-Veränderungen, die parallel zu pekt- ten. Es ist bei Patienten mit Verdacht auf eine KHK, die ein
anginösen Beschwerden auftreten, sind als spezifischer für eine normales Ruhe-EKG oder unspezifische EKG-Veränderungen
KHK anzusehen. Ebenso können intermittierend oder perma- aufweisen, indiziert. Indikationen, Kontraindikationen und
nent auftretende Herzrhythmusstörungen (z. B. Vorhofflim- Abbruchkriterien des Belastungs-EKG sind in 7 Übersicht 2.2 auf-
mern) auf eine KHK hinweisen. geführt.

. Übersicht 2.2. Belastungs-EKG

Indikationen Abbruchkriterien
4 Symptomatische Patienten mit Verdacht auf KHK (stabile 4 Signifikante ST-Strecken-Veränderungen
Angina pectoris) 4 Angina pectoris
4 Asymptomatische Patienten mit hohem Risiko für eine KHK 4 Komplexe ventrikuläre Rhythmusstörungen (≥3er Salve)
(ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil) 4 Höhergradiger SA-Block, AV-Block, Schenkelblock
4 Patienten mit bekannter KHK und signifikanter Verände- 4 Übermäßiger Blutdruckanstieg (RRsyst >220 mmHg, RRdiast
rung des klinischen Bildes >120 mmHg)
Kontraindikationen 4 Blutdruckabfall unter Belastung
4 IAP oder ACS 4 Herzfrequenzabfall unter Belastung bzw. fehlender Herzfre-
4 Frischer (akuter) Myokardinfarkt quenzanstieg
4 Aortenklappenstenose 4 Erreichen der Ausbelastungsherzfrequenz (submaximale
4 HOCM Herzfrequenz)a
4 Dekompensierte oder schwere Herzinsuffizienz (NYHA-Klas- 4 Signifikante Dyspnoe
se III–IV) 4 Periphere Erschöpfung
4 Unkontrollierte arterielle Hypertonie
4 Begleiterkrankungen des Bewegungsapparates, die eine
körperliche Belastung unmöglich machen
4 Schwere Begleiterkrankungen mit eingeschränkter Lebens- a Die Ausbelastungsherzfrequenz (submaximale Herzfrequenz)
erwartung ist definiert als 220 – Lebensalter × 0,85.
2.2 · Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
23 2

Signifikante Stenosen (in der Regel >70%ige Lumenredukti- Kontraktionsstörungen (Hypokinesie, Akinesie, Dyskinesie) zei-
on) epikardialer Koronararterien führen zu einer Einschränkung gen. Diese können Folge eines Myokardinfarkts (meist akine-
der Koronarreserve bei in Ruhe noch ausreichender Perfusion, tische oder dyskinetische Areale, häufig verbunden mit einer
mit der Folge einer belastungsinduzierten myokardialen Ischä- narbenbedingten Wandverdünnung) oder Folge einer chroni-
mie. Da die intramyokardialen Gefäße von epikardial nach sub- schen Ischämie vitaler Myokardabschnitte bei hochgradiger
endokardial verlaufen, treten myokardiale Ischämien zuerst in Koronarstenose sein (Hibernating myocardium). Des Weiteren
den subendokardialen Abschnitten auf. Diese intramuralen Isch- dient die Echokardiographie der differenzialdiagnostischen Ab-
ämien verursachen im Oberflächen-EKG charakteristische klärung bei Dyspnoe und/oder thorakalen Beschwerden unklarer
Repolarisationsstörungen, die als T-Negativierungen bzw. ST- Genese. So können valvuläre und myokardiale Erkrankungen
Strecken-Senkungen sichtbar sind. Demgegenüber führen trans- diagnostiziert oder ausgeschlossen und die links- sowie rechts-
murale Ischämien klassischerweise zu ST-Strecken-Hebungen, ventrikuläre Funktion beurteilt und quantifiziert werden. Bei Pa-
die als typische EKG-Veränderungen des akuten STEMI anzuse- tienten nach Myokardinfarkt kann im Rahmen der Infarkt-
hen sind. Als Zeichen einer myokardialen Ischämie sind nur ho- nachsorge eine Prognose- bzw. Risikoabschätzung erfolgen.
rizontale oder deszendierende ST-Strecken-Senkungen >0,2 mV
anzusehen, während aszendierende ST-Strecken-Senkungen Stressechokardiographie
nicht beweisend für eine Myokardischämie sind. Die Stressechokardiographie kann zum Vitalitätsnachweis in min-
derperfundiertem Myokard oder zur Detektion myokardialer
> Voraussetzung für die Verwertbarkeit des Belastungs-EKG ist,
Ischämien eingesetzt werden. Sie wird entweder mithilfe konven-
dass die altersspezifische Ausbelastungsherzfrequenz (7 Über-
tioneller dynamischer (Ergometer) oder mithilfe pharmakolo-
sicht 2.2) erreicht wird.
gischer (Dobutamin, Dipyridamol) Belastung durchgeführt. Liegt
Dies ist jedoch nur bei 36% der Patienten zu erwarten (Gauri et al. eine segmentale Kontraktionsstörung vor, so kann mit der »Low-
2001). Bei folgenden Befunden im Ruhe-EKG sind ST-Strecken- dose«-Dobutamin-Echokardiographie (5–10 μg/kgKG/min) zwi-
Veränderungen im Belastungs-EKG nicht verwertbar: schen einer Infarktnarbe nach abgelaufenem Myokardinfarkt und
4 ST-Strecken-Senkung >1 mV, Hibernating myocardium bei chronischer Myokardischämie diffe-
4 kompletter Linksschenkelblock (QRS-Breite >120 ms), renziert werden. Bei erhaltener Vitalität kommt es durch die posi-
4 Schrittmacherstimulation (Kammerstimulation), tiv-inotrope Wirkung zu einer Verbesserung der in Ruhe gestörten
4 Präexzitationssyndrome und Kontraktilität. Ein solcher Befund besitzt therapeutische Konse-
4 digitalisbedingte Repolarisationsstörungen. quenz, da sich durch eine Revaskularisation eine Verbesserung der
Pumpfunktion erzielen lässt. Ist die Kontraktilität in Ruhe normal,
In diesen Fällen können jedoch andere Zeichen myokardialer so sind zur Detektion myokardialer Ischämien höhere Belastungs-
Ischämien wie pektanginöse Beschwerden, Rhythmusstörungen stufen (Ergometrie, Dobutamin 20–40 μg/kgKG/min) bis zum
oder Blutdruckabfall auftreten bzw. sind alternative Belastungs- Erreichen der submaximalen Herzfrequenz notwendig. Der unter
untersuchungen (Myokardszintigraphie, Stressechokardiogra- Belastung bzw. pharmakologischer Stimulation erhöhte myo-
phie, MRT; Gibbons et al. 2002a) indiziert. kardiale O2-Verbrauch führt bei unzureichender Bedarfsanpas-
Die Sensitivität des Belastungs-EKG hinsichtlich der Identi- sung der Koronarperfusion zur lokalisierten Myokardischämie,
fizierung einer relevanten Koronarstenose beträgt unter Ausbe- die wiederum eine segmentale Kontraktionsstörung zur Folge hat.
lastungsbedingungen ca. 70%, die Spezifität liegt bei 70–85%, der Die Stressechokardiographie bietet im Vergleich zum alleinigen
positiv-prädiktive Wert beträgt 70%. Belastungs-EKG eine höhere Sensitivität (83–95%) und Spezifität
(82–91%).
! Cave
Eine KHK kann durch ein negatives Belastungs-EKG nicht aus- > Abbruchkriterien bei Stressechokardiographie sind neu auf-
geschlossen werden. tretende Wandbewegungsstörungen, signifikante ST-Strecken-
Senkungen und ventrikuläre Arrhythmien.
Insbesondere bei Patienten, die nicht hinreichend belastet wer-
den können, und solchen, die ein ausgeprägtes kardiovaskuläres
Risikoprofil aufweisen, ist eine weiterführende Diagnostik ange- Myokardszintigraphie
zeigt (Baer 2007; Dietz u. Rauch 2003; Gibbons et al. 2002b). Die Myokardszintigraphie in SPECT-Technik dient der Darstel-
lung der Myokardperfusion in Ruhe und unter Belastung (ergo-
Langzeitelektrokardiographie metrisch oder pharmakologisch). Etwa eine Minute vor Beendi-
Im Rahmen der myokardialen Ischämiediagnostik ist das Lang- gung der Belastung wird ein Radiotracer [z. B. Thallium-201
zeit-EKG primär nicht indiziert. Jedoch kann die EKG-Registrie- (201Tl) oder Methoxysobutylisonitril (MIBI)] injiziert, dessen
rung für 24 h bei Verdacht auf arrhythmiebedingte Angina pec- Aktivität sich entsprechend des Durchblutungsmusters im Myo-
toris, bei Verdacht auf Prinzmetal-Angina sowie zur Identifizie- kard anreichert und in der anschließenden Szintigraphie sichtbar
rung ischämiebedingter, intermittierend auftretender Rhythmus- gemacht wird. Anschließend erfolgt die Ruheuntersuchung nach
störungen hilfreich sein. erneuter Injektion des Radiotracers unter Ruhebedingungen. Zur
Beurteilung der Untersuchung werden alle Schnittbilder ausge-
Echokardiographie wertet, die in den Ebenen parallel zu den Hauptachsen des linken
Mit Hilfe der Echokardiographie können myokardiale Struktu- Ventrikels (transversal, sagittal) rekonstruiert wurden. Der Ver-
ren, Herzklappen und Kavitäten, nicht jedoch die Koronargefäße gleich zwischen den Befunden der Belastungs- und der Ruhe-
sichtbar gemacht werden. Daher ist die direkte Detektion von untersuchung erlaubt die Differenzierung zwischen Myokard-
Gefäßstenosen mit dieser Methode nicht möglich. Jedoch kön- narbe (irreversibler Defekt) und reversibler belastungsinduzierter
nen sich indirekte Zeichen einer KHK im Sinne von segmentalen Ischämie (. Abb. 2.6).
24 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

a c

. Abb. 2.6a–c. Ischämiediagnostik mit Myokardszintigraphie (Perfu-


sionsstörung) und Magnetresonanztomographie (Wandbewegungsstö-
rung). Durch Vergleich von Ruhe und Belastungsuntersuchungen lassen
sich ischämische Myokardareale identifizieren. a Die Myokardszintigra-
phie zeigt unter pharmakologischer Belastung in der kurzen Achse eine
Minderbelegung (Pfeil) im Bereich des Septums und der Vorderwand.
b In kongruenten Kurzachsenschnitten findet sich in der Dobutamin-
Magnetresonanztomographie eine Wandbewegungsstörung antero-
septal (Pfeil), der eine (c) hochgradige Stenose der linken Herzkranzar-
b terie zugrunde liegt (Pfeile)

Im Rahmen der Primärdiagnostik bei Verdacht auf eine KHK zeit noch keine zuverlässige Alternative zur invasiven Koronaran-
kann die Myokardszintigraphie bei Patienten mit mäßigem Ri- giographie dar. Während die proximalen Gefäßabschnitte meist
siko indiziert sein, wenn alle vorangehenden Untersuchungen es detailgenau dargestellt werden können, ist die Beurteilung der
nicht erlauben, eine KHK mit ausreichender Sicherheit nach- distaleren Abschnitte und der Seitenäste weiterhin nur mit Ein-
zuweisen oder auszuschließen (z. B. nichtinterpretierbares Belas- schränkungen möglich.
tungs-EKG), oder bei einer Diskrepanz zwischen den klinischen
Symptomen und dem angiographischen Befund. Bei Patienten Computertomographie. Die computertomographische Darstel-
mit gesicherter KHK dient sie der Beantwortung spezieller Frage- lung der Koronararterien verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele:
stellungen (z. B. funktionelle Bedeutung einer Koronarstenose 4 Detektion und Quantifizierung von Koronarkalk (z. B. Agat-
bei unklarem Angiographiebefund oder Vitalitätsnachweis vor ston-Kalk-Score) sowie
Revaskularisationsmaßnahmen). Sensitivität und Spezifität für 4 angiographische Darstellung der proximalen Koronargefäße
den Nachweis einer relevanten KHK betragen jeweils ca. 90%. und der Bypassgefäße.
Für den Vitalitätsnachweis stellt die FDG-PET den Goldstandard
dar, da sie sensitiv zwischen Hibernating myocardium und Myo- Mithilfe des »Kalk-Scoring« soll das Ausmaß einer koronaren
kardnarbe differenzieren kann. Die RNV kann zur Analyse der Verkalkung quantifiziert werden, das mit einer gewissen Wahr-
globalen Pumpfunktion (EF) und zur Detektion regionaler Wand- scheinlichkeit mit dem Vorliegen relevanter Koronarstenosen
bewegungsstörungen eingesetzt werden. korreliert.
> Während die Spezifität des Kalk-Scoring als gering anzusehen
Nichtinvasive Darstellung der Koronarien
ist, hat ein fehlender Nachweis von Koronarkalk einen hohen
Die Koronarmorphologie kann grundsätzlich auch mit nichtin-
negativ-prädiktiven Wert für den Ausschluss einer KHK.
vasiven Methoden wie CT und MRT dargestellt werden. Obgleich
diese neuen bildgebenden Verfahren zur Beurteilung der epikar- Moderne Verfahren wie EBCT und MSCT, mit denen sich eine
dialen Koronargefäße bereits eine hohe räumliche Auflösung höhere zeitliche und räumliche Auflösung erzielen lässt, erlauben
erreicht haben, stellen sie im Rahmen der Routinediagnostik der- bei ausgewählten Patienten durch dreidimensionale Rekonstruk-
2.2 · Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
25 2

a b
. Abb. 2.7a,b. Verkalkungen in den Koronararterien sind nicht gleich- übereinstimmend massive Verkalkungen (Pfeil) der linken Koronararterie.
bedeutend mit dem Nachweis von bedeutsamen Koronarstenosen. b zeigt dagegen ein weitgehend unauffälliges Koronarangiogramm trotz
a zeigt in der Röntgendurchleuchtung Kalk in Projektion auf die zentra- der ausgedehnten Verkalkungen und dem Nachweis einer Kalksichel im
len Abschnitte der linken Koronararterie. In der CT-Diagnostik finden sich intravaskulären Ultraschall (IVUS) bei noch weitem Gefäßlumen

tion eine angiographische Darstellung der proximalen Koronarien nik, über die die einzelnen Katheter in das arterielle System ein-
(. Abb. 2.7a). Limitierende Faktoren sind jedoch weiterhin Be- gebracht und retrograd zum Herzen vorgeschoben werden.
wegungsartefakte (trotz EKG-Triggerung), Unsicherheit bei der
Beurteilung verkalkter Gefäßregionen und Stent-Gefäßabschnitte, Ventrikulographie (Lävokardiographie)
ein relativ hoher Kontrastmittelverbrauch und die erheblich Die Darstellung des linken Ventrikels mit Kontrastmittel dient im
höhere Strahlenbelastung der MSCT-Angiographie im Vergleich Wesentlichen der Beurteilung der Größe (LVEDV und LVESV)
zur konventionellen diagnostischen Koronarangiographie. sowie Funktion (LVEF) des linken Herzens. Neben der globalen
Pumpfunktion können regionale Wandbewegungsstörungen so-
Magnetresonanztomographie. Ähnlich der CT-Angiographie wie der Funktionszustand der Mitral- und Aortenklappe beurteilt
lassen sich mithilfe moderner MRT-Technologien die proxima- werden. Als Standardkatheter für die Ventrikulographie findet der
len Abschnitte der Koronarien, nicht jedoch distale Abschnitte Pigtail-Katheter Verwendung, der nach retrograder Sondierung
und Seitenäste, zuverlässig darstellen (. Abb. 2.7b). Im Vergleich des linken Ventrikels mittkavitär platziert wird. Anschließend er-
zur konventionellen Koronarangiographie werden zur Detektion folgt die Registrierung der linksventrikulären Druckkurve mit
einer KHK derzeit nur eine Sensitivität von 63–90% und eine Bestimmung des LVEDP. Nach korrekter Positionierung wird
Spezifität von 71–90% erreicht. Limitiert ist die kardiale MRT der Katheter an eine Hochdruckinjektionspumpe angeschlossen,
durch die in Kombination mit der schnellen zyklusabhängigen über die unter laufender Durchleuchtung 20–40 ml Kontrastmittel
Eigenbewegung der Koronarien nicht ausreichende räumliche mit einer Injektionsgeschwindigkeit von 10–15 ml/s injiziert wer-
Auflösung. Nach Bypassoperationen kann die Beurteilbarkeit den. Für die Routinediagnostik wird das Lävokardiogramm in den
durch Artefakte im Bereich von Sternalzerklagen oder hämosta- 2 Projektionsebenen 30°RAO und 60°LAO aufgezeichnet. Jeweils
tischen Clips erschwert werden. Vorteile der Kardio-MRT beste- enddiastolisch und endsystolisch erfolgt nach Markierung der
hen in der Möglichkeit, gleichzeitig mit der Koronardarstellung Aortenklappenebene und des Apex die semiautomatische Erken-
auch funktionelle Untersuchungen (z. B. Myokardperfusion und nung der Ventrikelkontur, über die das LVEDV und das LVESV
Koronarfluss) durchführen zu können, sowie die Verwendung sowie die EF berechnet werden (. Abb. 2.8). Bei einem nor-
nichtjodhaltiger Kontrastmittel bei Patienten mit eingeschränkter malen linken Ventrikel beträgt der enddiastolische Volumenindex
Nierenfunktion. 75–100 ml/m2, der endsystolische Volumenindex 25–45 ml/m2,
der Schlagvolumenindex 40–70 ml/m2 und die EF 55–65%.

2.2.3 Invasive diagnostische Herzkatheter- ! Cave


Bei mechanischen Klappenprothesen in Aortenposition, bei
untersuchung
florider Aortenklappenendokarditis sowie bei Verdacht auf eine
Perforation oder gedeckte Ruptur der freien Wand nach akutem
Die diagnostische Linksherzkatheteruntersuchung umfasst die
Myokardinfarkt ist die retrograde Linksherzsondierung streng
Darstellung des linken Ventrikels (Lävokardiographie), die Dar-
kontraindiziert.
stellung der Koronararterien (selektive Koronarangiographie)
sowie die Registrierung der Druckwerte in Aorta und linkem Ebenso muss berücksichtigt werden, dass die Kontrastmittelgabe
Ventrikel. Routinezugang für die Linksherzkatheteruntersu- im Rahmen der Ventrikulographie eine Volumenbelastung dar-
chung ist die A. femoralis communis (nach Judkins), alternativ stellt, die bei Patienten mit eingeschränkter Ventrikelfunktion
kann auch die A. brachialis (nach Sones) oder die A. radialis zur kardialen Dekompensation führen kann. Liegt der LVEDP
punktiert werden (z. B. bei pAVK oder entzündlichen Hautver- >25 mmHg, so muss die Kontrastmittelmenge möglichst gering
änderungen im Bereich der Leiste). Nach arterieller Gefäßpunk- gehalten und die Indikation zur Ventrikulographie besonders
tion erfolgt die Anlage einer Katheterschleuse in Seldinger-Tech- kritisch geprüft werden.
26 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Übersicht 2.3. Indikationen zur Koronarangiographie.


(Mod. nach Dietz u. Rauch 2003; Scanlon et al. 1999)
2 Indikationen mit hohem Evidenzgrad
4 Patienten mit stabiler Angina pectoris der CCS-Klasse III
oder IV oder Patienten mit ACS bzw. Myokardinfarkt
4 Patienten mit Hochrisikomerkmalena bei der nicht-
invasiven Vortestung, unabhängig von der Schwere der
Angina pectoris
4 Patienten mit Hochrisikomerkmalena und typischen
Beschwerden, trotz einer antianginösen Therapie
4 Patienten mit Hochrisikomerkmalena und positivem
Ischämienachweis, trotz einer antianginösen Medikation
(CCS-Klasse II), auch bei fehlenden Beschwerden
. Abb. 2.8. Ventrikulographie (Lävokardiographie). Ermittlung des 4 Patienten nach einem überlebten plötzlichen Herztod
enddiastolischen und endsystolischen linsventrikulären Volumens sowie oder mit malignen ventrikulären Herzrhythmusstörungen
der Ejektionsfraktion (LVEF). LVEDV enddiastolisches Volumen, LVESV 4 Patienten mit einer ungeklärten Herzinsuffizienz
endsystolische Volumen 4 Patienten mit einer hohen Vortestwahrscheinlichkeit,
bei denen die nichtinvasive Diagnostik keinen zuverläs-
sigen Ausschluss ergeben hat
Selektive Koronarangiographie 4 Männer ab dem 45. und Frauen ab dem 55. Lebensjahr,
Die selektive Koronarangiographie ist nach wie vor der Gold- die sich einer Herzoperation unterziehen müssen (z. B.
standard in der Diagnostik der KHK. Mithilfe dieses Verfahrens Klappenersatz), unabhängig davon, ob sie Symptome
werden alle epikardialen Herzkranzgefäße einschließlich der einer Myokardischämie aufweisen oder nicht
Kollateralen sowie ggf. koronarer Bypassgefäße bei Patienten Indikationen mit mittlerem Evidenzgrad
nach Bypassoperation selektiv dargestellt, sodass eine obstruktive 4 Patienten mit einer niedrigen oder mittleren Vortest-
koronare Atherosklerose bildlich nachgewiesen oder ausgeschlos- wahrscheinlichkeit, bei denen die nichtinvasive Diagnos-
sen werden kann. Des Weiteren lassen sich Schweregrad und tik keinen zuverlässigen Ausschluss ergeben hat
Lokalisation obstruktiver Läsionen ermitteln, die für die Ent- 4 Patienten mit einer mittleren oder hohen Vortestwahr-
scheidung über das therapeutische Vorgehen (PCI, operative scheinlichkeit, bei denen eine nichtinvasive Testung auf-
Myokardrevaskularisation, konservativ-medikamentöse Thera- grund von Behinderung oder Krankheit nicht möglich ist
pie) von entscheidender Bedeutung sind. 4 Patienten, bei denen berufsbedingt ein sicherer Aus-
schluss einer KHK bei entsprechendem Verdacht unab-
Indikationen. Die Indikationen für eine Koronarangiographie dingbar ist (z. B. Piloten, Feuerwehr)
sind in Übersicht 2.3 dargestellt. Bei begründetem Verdacht auf Indikation im Einzelfall
das Vorliegen einer KHK oder bei klinisch gesicherter KHK ist 4 Patienten mit stabiler Angina (CCS-Klasse I oder II) mit
eine Koronarangiographie zur Evaluation des Risikos und zur gutem Ansprechen auf medikamentöse Behandlung
Planung des therapeutischen Vorgehens nahezu immer indiziert. und fehlendem Ischämienachweis
Die Dringlichkeit und der Zeitpunkt der Untersuchung richten Keine Indikation
sich nach der klinischen Manifestationsform der KHK (stabile 4 Nach Intervention (CABG PCI) ohne wieder aufgetretene
Angina pectoris, IAP, Myokardinfarkt) und den Befunden von Angina pectoris oder anderen Ischämienachweisen oder
Voruntersuchungen (EKG-Veränderungen, Laborparameter). Zusatzindikationen
Bei Patienten mit stabiler Angina pectoris sollte die Herz- 4 Bei fehlender Bereitschaft des Patienten zu einer weiter-
katheteruntersuchung erst nach Abschluss der kardialen Funk- führenden Therapie (PCI oder CABG)
tionsdiagnostik und nach Minimierung des Untersuchungsri- 4 Bei fehlender therapeutischer Konsequenz
sikos erfolgen (Kontrolle der Nierenfunktion, der Gerinnungs- 4 Bei Patienten mit einer hohen Komorbidität, bei denen
situation und der Schilddrüsenfunktion). Patienten mit ACS das Risiko der Koronarangiographie größer ist als der
(IAP und NSTEMI) bedürfen nach medikamentöser Stabilisie- Nutzen durch die Sicherung der Diagnose
rung innerhalb von 48 h einer invasiven Diagnostik (bei therapie-
refraktären Beschwerden sofort; 7 Abschn. 2.5.2). Ebenso ist beim a Patienten mit Hochrisikomerkmalen sind als solche mit
STEMI eine umgehende Herzkatheteruntersuchung mit revasku- einem zukünftigen Risiko für schwerwiegende kardiovas-
larisierender Therapie indiziert (7 Abschn. 2.6.2). kuläre Ereignisse (Tod, Myokardinfarkt) innerhalb der nächs-
ten 10 Jahre von mehr als 20% (summierter PROCAM-Score:
Durchführung und Darstellung des Koronarsystems. Die selek- >53) definiert.
tive Sondierung der rechten und der linken Koronararterie sowie
von aortokoronaren Venenbypasses und der A. mammaria inter-
na erfolgt mithilfe verschiedener, vorgeformter Katheter, die
jeweils in unterschiedlichen Größen zur Verfügung stehen
(. Abb. 2.9). Nach arterieller Punktion und Anlage der Kathe-
terschleuse werden die verschiedenen Katheter zusammen mit
2.2 · Klinische Symptome und Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
27 2

b
. Abb. 2.10a,b. Koronarangiographische Darstellung der rechten (RCA)
und der linken Koronararterie (LCA) in den wichtigsten Standardprojek-
tionen. RAO »right anterior oblique« (rechte vordere Schrägposition);
LAO »left anterior oblique« (linke vordere Schrägposition)

teilen zu können. Jedoch sollte die Anzahl der Injektionen bzw.


Projektionen aufgrund der Strahlenbelastung und der appli-
zierten Kontrastmittelmenge auf das Notwendigste begrenzt
. Abb. 2.9. Übersicht über die am häufigsten verwendeten Koronar-
angiographiekatheter
werden.
> Neben der Beschreibung der individuellen Ausprägung des
Koronarsystems (Versorgungstyp, dominante bzw. klein ange-
einem Führungsdraht, der etwa 10 cm aus dem Katheter he-
legte Gefäße, Anomalien) muss bei pathologischen Befunden
rausragt, unter Durchleuchtungskontrolle retrograd bis in die
neben dem Stenosegrad und der Lokalisation auch der Grad
Aorta ascendens vorgeschoben und nach Zurückziehen des
der Kollateralisierung, die Stenosemorphologie sowie – insbe-
Führungsdrahtes das Koronarostium sondiert. Standardtechnik
sondere im Zusammenhang mit Koronarinterventionen – der
zur Sondierung der Koronarostien ist bei femoralem Zugangs-
Koronarfluss angegeben werden (7 Abschn. 2.1.3 »Klassifkation
weg die Judkins-Technik, alternativ kann die Amplatz-Technik
von Koronarstenosen«).
oder bei brachialem Zugangsweg die Sones-Technik ange-
wendet werden. Um einen Druckabfall oder Rhythmusstörun-
gen rechtzeitig erkennen zu können, müssen kontinuierlich Intrakoronare Flussmessung
während der gesamten Untersuchung der arterieller Druck und Mithilfe der intrakoronaren Doppleruntersuchung kann die
das EKG registriert werden. Nach Sondierung der jeweiligen koronare Flussgeschwindigkeit und über deren Zusammenhang
Koronarostien werden die rechte und die linke Koronararterie mit der Gefäßfläche auch der intrakoronare Blutfluss ermittelt
selektiv dargestellt. Dazu wird über den liegenden Koronarka- werden:
theter Kontrastmittel injiziert, und gleichzeitig werden die Ge-
fäße stets in mehreren Projektionsebenen angiographisch sicht- Koronarer Blutfluss [ml/s]
bar gemacht. Kontrastmittelmenge und Injektionsgeschwindig- = mittlere Blutflussgeschwindigkeit [cm/s]
keit müssen dabei so dem Koronarfluss angepasst werden, dass × Gefäßquerschnittsfläche [cm2]
mit der geringsten möglichen Kontrastmittelmenge kurzzeitig
eine komplette Füllung der darzustellenden Koronararterie er- Die Gefäßquerschnittsfläche wird biplan aus dem Koronarangio-
reicht wird. gramm oder mithilfe des intravaskulären Ultraschalls bestimmt.
Die angiographische Darstellung der rechten und der linken Die intrakoronare Flussmessung dient der Erfassung der hämo-
Herzkranzarterie in den wichtigsten Standardprojektionen ist in dynamischen Bedeutsamkeit von Koronarstenosen, der Kontrol-
. Abb. 2.10 dargestellt (Normalbefunde; zur Koronaranatomie le interventioneller Therapieverfahren (Bestimmung der Fluss-
7 Abschn. 2.1.1). Darüber hinaus können häufig weitere Pro- geschwindigkeit und Flussreserve vor und nach PCI), der Be-
jektionen erforderlich sein, um die Koronargefäße in Abhängig- stimmung der Flussreserve bei Patienten mit normalem Koronar-
keit von der individuellen Koronaranatomie zuverlässig beur- angiogramm und pathologischer Ergometrie (Syndrom X) und
28 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

der funktionellen Untersuchung der Koronarphysiologie (z. B. > Obgleich die Methode meist für wissenschaftliche Fragestellun-
Erfassung der Endothelfunktion). Hämodynamisch wirksame gen eingesetzt wird, kann sie im Rahmen der klinischen Routine-
Koronarstenosen sind durch 3 Veränderungen im Dopplerprofil tätigkeit in Ausnahmefällen für spezielle Fragestellungen (z. B.
2 gekennzeichnet: Beurteilung der Plaquemorphologie, Einbeziehung von Seiten-
4 Reduktion des Verhältnisses von mittlerer diastolischer zu ästen im Stenosebereich, zur Therapieentscheidung bei Ostium-
mittlerer systolischer Flussgeschwindigkeit (normal ca. 2,5) stenosen sowie bei Grenzbefunden insbesondere im Haupt-
distal einer Koronarstenose, stammbereich, Beurteilung nach Koronarintervention, Detektion
4 erhöhtes Verhältnis aus mittlerer proximaler zu mittlerer dis- einer Transplantatvaskulopathie) indiziert sein.
taler Flussgeschwindigkeit auf >2, da es distal der Stenose zu
einer Flussverlangsamung kommt, Über einen an der Katheterspitze befindlichen Schallkopf werden
4 Verminderung der koronare Flussreserve: Distal der Stenose Ultraschallsignale registriert, die Schallfrequenz beträgt 20–
ist der Anstieg der Flussgeschwindigkeit nach Gabe eines 30 MHz, das Auflösungsvermögen liegt bei 150–250 μm. Wäh-
Vasodilatators wie Adenosin abgeschwächt. rend ursprünglich nur zweidimensionale Schnittbilder der Arte-
rienwand möglich waren, wurden kürzlich auch dreidimensio-
Eine hämodynamische Verbesserung nach PCI lässt sich anhand nale Rekonstruktionsverfahren entwickelt.
einer Erhöhung des koronaren Blutflusses distal der Stenose nach Die Durchführung des IVUS erfolgt meist gezielt im Rahmen
dem Eingriff dokumentieren. einer Koronarintervention mit bereits liegendem Führungsdraht
zur Evaluation einer bestimmten Läsion oder zur Untersuchung
Intravaskulärer Ultraschall der proximalen Gefäßsegmente auf angiographisch nichterkenn-
Während sich die Lumina der Koronararterien mithilfe der Ko- bare, stabile oder instabile Atherome. Beim Erwachsenen zeigt
ronarangiographie meist zuverlässig beurteilen lassen, kann an- sich im Ultraschallbild eine physiologische Dreischichtung der
hand dieser Untersuchungsmethode keine Aussage über die Ge- Gefäßwand, bei der Intima, Media und Adventitia abgegrenzt
fäßwand gemacht werden. So können Läsionen, die nicht zu einer werden können (. Abb. 2.11a). Atherosklerotische Plaques kön-
Obstruktion des Lumens führen, unentdeckt bleiben. Dies ist von nen hinsichtlich der Stenosemorphologie und Plaquekomposition
Bedeutung, da atherosklerotische Plaques primär nach abluminal beurteilt werden (. Abb. 2.11b–d). Trotz seiner wissenschaftlichen
fortscheiten können und so zu einer Wölbung des Gefäßes nach Bedeutung zählt der IVUS nicht zu den klinischen Routinemetho-
außen führen (»negatives Remodeling«; 7 Abschn. 2.1.3 »Stabile den, da nur in Ausnahmefällen therapierelevante Zusatzinforma-
versus instabile Plaque«). Solche primär nichtstenosierenden tionen erwartet werden können.
Plaques haben mindestens dasselbe Risiko zu rupturieren wie
stenosierende Plaques. Der IVUS erlaubt neben der Darstellung Komplikationen und Risiken
des Gefäßlumens auch die morphologische Beurteilung der Ge- der Herzkatheteruntersuchung
fäßwand und somit die differenzierte Darstellung atherosklero- Die Linksherzkatheteruntersuchung ist eine invasive Untersu-
tischer Plaques. chungsmethode, die einer strengen Indikationsstellung bedarf. Die

a b

c d
. Abb. 2.11a–d. Intravaskulärer Ultraschall (IVUS). a Darstellung der einer harten (stabilen) Plaque mit ausgedehnter Kalkspange und da-
normalen Koronararterienwand mit IVUS. b Darstellung einer weichen durch bedingtem Schallschatten. d Darstellung einer fibrotischen und
(vulnerablen) Plaque mit hochgradiger Lumeneinengung. c Darstellung exzentrischen Mischplaque
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
29 2

Komplikationen der diagnostischen Herzkatheteruntersuchung ßigem Alkoholkonsum, unkontrollierten Risikofaktoren (Hyper-


können in punktionsbedingte, ventrikulographieassoziierte, koro- tonie, Insulinresistenz) und medikamentöser Incompliance ins-
narangiographieassoziierte und kontrastmittelassoziierte Komplika- besondere auch Essgewohnheiten und Übergewicht beinhaltet,
tionen unterteilt werden (7 Übersicht 2.4). Während leichtere Kom- für einen Großteil der kardiovaskulären Ereignisse verantwort-
plikationen (z. B. Hämatom nach arterieller Punktion, ventrikuläre lich (Yusuf et al. 2004). Gleichzeitig kann durch die Modifikation
Extrasystolie bei Sondierung des linken Ventrikels) häufig auftre- der »Lifestyle«-Faktoren und die konsequente Kontrolle der be-
ten, sind schwerwiegende Komplikationen selten. Die mit einer kannten und beeinflussbaren Risikofaktoren eine signifikante
Koronarangiographie assoziierte Mortalität liegt bei 0,03–0,11%. Reduktion des kardiovaskulären Risikos erzielt werden (Dietz u.
Zur Minimierung des Risikos sind bei stabilen Patienten vor einer Rauch 2003; Rosenkranz u. Schneider 2006).
Herzkatheteruntersuchung die Kontrolle des Gerinnungsstatus
(Blutbild, Quick-Wert/INR), der Nierenfunktion (Kreatinin, GFR) Lebensstiländerungen
sowie der Schilddrüsenparameter (TSH, ggf. T3/T4) unerlässlich. Körperliche Aktivität. Körperliche Inaktivität ist ein eigenständi-
ger Risikofaktor, dessen Bedeutung diejenige anderer Risikofak-
toren wie Hypercholesterinämie und Bluthochdruck wahrschein-
. Übersicht 2.4 Komplikationen der diagnostischen lich übersteigt. Personen, die pro Woche etwa 1,5×107 J (3500 kcal)
Herzkatheteruntersuchung in Form von sportlicher Aktivität umsetzen, weisen im Vergleich
zu sportlich inaktiven Personen ein um 50% niedrigeres kardio-
Punktionsbedingte Komplikationen vaskuläres Risiko auf. Dementsprechend ist regelmäßige körper-
4 Lokales Hämatom liche Betätigung mit einer signifikanten Senkung des vaskulären
4 Nachblutung Risikos assoziiert. Grundsätzlich besteht eine lineare, inverse
4 Retroperitoneales Hämatom Korrelation zwischen körperlicher Leistungsfähigkeit und kardio-
4 Falsches Aneurysma/Aneurysma spurium vaskulärer Sterblichkeit. Jede Zunahme der körperlichen Leis-
4 Arteriovenöse Fistel tungsfähigkeit um eine MET ist mit einer Reduktion der Morta-
4 Gefäßwanddissektion (A. femoralis, A. iliaca, Aorta) lität um 12% assoziiert. Basierend auf diesen und anderen Stu-
4 Arterielle Embolie dien wird sportliche Aktivität zur Reduktion des kardiovasku-
4 Bein-/Beckenvenenthrombose lären Risikos allgemein empfohlen. Als Richtwert wird tägliches
Ventrikulographieassoziierte Komplikationen Training auf mittlerem bis hohen Niveau über 30–45 min/Tag
4 Ventrikuläre Tachyarrhythmien (Erwachsene) bzw. 60 min/Tag (Kinder und Jugendliche) an
4 Intramyokardiale Kontrastmittelapplikation mindestens 5 Tagen der Woche empfohlen. Die Art der sport-
4 Ventrikelperforation/Perikardtamponade lichen Betätigung hängt von der individuellen Präferenz ab,
4 Luftembolie jedoch sind insbesondere Ausdauersportarten (z. B. Joggen,
Koronarangiographieassoziierte Komplikationen Schwimmen, Radfahren) empfehlenswert. Die Intensität richtet
4 Myokardinfarkt sich nach dem Trainingszustand bzw. der individuellen Leis-
4 Zerebrale Embolien tungsfähigkeit. Als Orientierungshilfe für den günstigsten Trai-
4 Herzrhythmusstörungen/Kammerflimmern ningseffekt kann das Erreichen von 80% der maximalen Herzfre-
4 Bradykardie/Asystolie quenz (220–Lebensalter) angegeben werden.
Kontrastmittelassoziierte Komplikationen
4 Kontrastmittelallergie/Anaphylaxie Rauchen. Einer der bedeutendsten Risikofaktoren für das Auftre-
4 Beeinträchtigung der Nierenfunktion ten atherosklerotischer Gefäßveränderungen ist das Rauchen,
4 Hämodynamische Effekte/Kardiale Dekompensation das mit einer erheblichen Erhöhung des kardiovaskulären Risikos
4 Herzryhthmusstörungen auf das 2- bis 4-Fache assoziiert ist. Dementsprechend ist bei Rau-
4 Rheologische Veränderungen/thrombotische Komplika- chern das Einstellen des Zigarettenkonsums insbesondere beim
tionen Vorliegen weiterer Risikofaktoren von immenser Bedeutung.
4 Hyperthyreose/thyreotoxische Krise (bei latenter/mani- Nach Einstellung des Rauchens geht das Risiko kardiovaskulärer
fester Hyperthyreose) Ereignisse innerhalb von 3 Jahren auf ca. 50% zurück, bleibt je-
4 Laktatacidose (bei Nichtabsetzen von Biguaniden) doch weiterhin gegenüber Nichtrauchern erhöht. Erfahrungs-
gemäß fällt den meisten Patienten trotz harter Aufklärung eine
plötzliche Umstellung der Lebensgewohnheiten mit Nikotin-
abstinenz jedoch sehr schwer. Eine Verdopplung der Erfolgsaus-
2.3 Therapie der stabilen koronaren sichten, mit dem Rauchen aufzuhören, bietet die Nikotinersatz-
Herzkrankheit therapie (z. B. Nikotinpflaster), die auch bei Patienten mit Herz-
infarkt einsetzbar ist. Akupunktur oder Hypnosetherapie der
2.3.1 Allgemeinmaßnahmen Nikotinabhängigkeit haben keinen größeren Effekt als Placebo-
therapie. Jedoch verdoppelt Bupropion (2-mal 150 mg/Tag), das
> Im Gegensatz zu vielen anderen Erkrankungen spielen die für den primären Nikotinentzug zugelassen ist, die Wahrschein-
Lebensgewohnheiten und die Ernährung eine entscheidende lichkeit der Nikotinabstinenz gegenüber Placebo.
Rolle in der Pathogenese atherosklerotisch bedingter Gefäßer-
krankungen wie KHK, Schlaganfall und pAVK. Alkoholkonsum. Moderater Alkoholkonsum ist nicht mit einer
Erhöhung des kardiovaskulären Risikos assoziiert. Zahlreiche
Dementsprechend zeichnen ein unbewusster bzw. ungesunder Studien weisen sogar darauf hin, dass der regelmäßige Genuss
Lebensstil, der neben körperlicher Inaktivität, Rauchen, übermä- geringer Mengen Alkohol mit einer Senkung der Herzinfarktrate
30 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

assoziiert ist. Die empfohlene Obergrenze der täglichen Alkohol- direkt mit der Rate kardiovaskulärer Ereignisse, sodass der Kon-
aufnahme liegt bei 20–30 g/Tag (entsprechend 2–3 Gläsern Bier trolle des Blutdrucks eine wichtige Rolle für die Reduktion des
oder Wein) für Männer und 10–20 g/Tag (entsprechend 1–2 Glä- kardiovaskulären Risikos zukommt. Minimalziel einer blut-
2 sern Bier oder Wein) für Frauen. Wein – insbesondere Rotwein drucksenkenden Therapie ist die Normalisierung des Blutdrucks
– scheint diesbezüglich Vorteile gegenüber anderen alkoholi- (<140/90 mmHg). Dabei muss berücksichtigt werden, dass bei
schen Getränken zu besitzen. Auch bei Patienten nach Myokard- Vorliegen von Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes) andere Ziel-
infarkt ist moderater Weingenuss mit einer Verminderung des werte gelten, sodass der Blutdruck z. T. sehr stark gesenkt werden
Risikos für kardiovaskuläre Komplikationen assoziiert. Demnach muss (<130/80 mmHg). Eine effektive, blutdrucksenkende The-
ist nach einem Herzinfarkt der mäßige Konsum von Alkohol bis rapie vermindert unabhängig vom Lebensalter die Morbidität
zu den oben genannten Grenzwerten erlaubt, jedoch sollte exzes- hypertoner Patienten. So kann durch eine suffiziente antihyper-
siver Alkoholkonsum in jedem Fall vermieden werden. Zudem tensive Therapie die Inzidenz des Schlaganfalls (40%), des Myo-
sollte bei höhergradig eingeschränkter Pumpfunktion wegen der kardinfarkts (20–25%) und der Herzinsuffizienz (>50%) signi-
Gefahr der alkoholischen Kardiomyopathie gänzlich auf den Ge- fikant gesenkt werden. Die Reduktion des systolischen Blutdrucks
nuss von Alkohol verzichtet werden. um 12 mmHg bei einer Hypertonie im Stadium I (140–159 mmHg
systolisch und/oder 90–99 mmHg diastolisch) mit weiteren vor-
Kontrolle des Körpergewichts. Übergewicht wird in der Bevölke- handenen Risikofaktoren kann einen Todesfall pro 16 Patienten
rung in zunehmendem Maß beobachtet und ist ein eigenständiger und 10 Behandlungsjahren verhindern (»number needed to
und unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse. treat«). Bezüglich KHK beträgt die »number needed to treat« für
Ursächlich für Übergewicht ist neben einer genetischen Disposi- eine Hypertonie im Stadium I mit weiteren Risikofaktoren 11 Pa-
tion v. a. der individuelle Lebensstil. Da die Adipositas nicht nur tienten pro 10 Behandlungsjahre. Für die Behandlung der arte-
mit dem Vorhandensein weiterer Risikofaktoren wie Diabetes riellen Hypertonie stehen unterschiedliche Medikamentenklas-
mellitus, arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörungen as- sen zur Verfügung. Die Auswahl orientiert sich an Begleiterkran-
soziiert ist, sondern insbesondere viszerales Fettgewebe auch kungen und individueller Verträglichkeit. Neben der Pharmako-
selbst endokrin aktiv ist, ist das Risiko für die Entwicklung athe- therapie können eine Gewichtsreduktion/-normalisierung und
rosklerotischer Gefäßveränderungen bei übergewichtigen Per- regelmäßige körperliche Aktivität bei Hypertonikern zu einer
sonen deutlich erhöht. Durch eine Reduktion des Körpergewichts signifikanten Reduktion des Blutdrucks beitragen.
können bei Übergewichtigen fast alle beeinflussbaren Risikofak-
toren positiv beeinflusst werden; dies hat eine deutliche Reduktion Hypercholesterinämie. Epidemiologische Untersuchungen und
des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse zur Folge. So führte die prospektive Interventionsstudien haben den Zusammenhang zwi-
Reduktion des BMI von >32,5 kg/m2 auf 20–22,5 kg/m2 zu einer schen der Höhe insbesondere des LDL-Cholesterins und kardio-
Senkung des kardiovaskulären Risikos um 50%. Als Richtwert vaskulären Ereignissen klar belegt. Dabei existiert ein linearer
für ein anzustrebendes Körpergewicht [kg] kann die Größe [cm] Zusammenhang zwischen dem LDL-C-Wert und dem relativen
minus100 gelten. Ziel sollte jedoch eine genauere Definition des KHK-Risiko. In der 4S-Studie hatte eine Senkung des LDL-C-
Zielgewichts mit Senkung des BMI auf <25 kg/m2 und Reduktion Spiegels um 35% eine Risikoreduktion für die Gesamtsterblichkeit
des Taillenumfangs auf <94 cm (Männer) bzw. <80 cm (Frauen) um 30% und für die kardiovaskuläre Sterblichkeit um 42% zur
sein. Mittel zur Gewichtsabnahme sind neben einer bewussten Folge. Übereinstimmend zeigte eine aktuelle Metaanalyse von
Ernährung (Kalorienreduktion, ausgewogene Zusammenstellung 38 Studien zur Primär- und Sekundärprävention, dass eine Cho-
der Nahrung) insbesondere auch regelmäßige körperliche Akti- lesterinsenkung um 10% das kardiovaskuläre Sterblichkeitsrisiko
vität und die Beseitigung sozialer Konflikte. Eine aktuelle Studie um je 15% und das Gesamtsterblichkeitsrisiko um je 10% senkt.
zeigte, dass eine Pharmakotherapie der Adipositas mit Sibutramin Die Therapieempfehlungen für die Behandlung einer Hypercho-
nur bei gleichzeitiger Anpassung des Lebensstils eine ausgeprägte lesterinämie sind in . Tab. 2.7 zusammengefasst. Dieses Schema
Wirkung zeigte. integriert LDL-Cholesterin-Werte und weitere Begleiterkrankun-
Nach den Ernährungsleitlinien der AHA werden neben einer gen sowie Risikofaktoren. In Abhängigkeit von diesen zusätzlichen
Beschränkung der Fettaufnahme auf <30% (gesättigte Fette Faktoren werden LDL-Cholesterin-Werte angegeben, ab denen
<15%), der totalen Kalorienaufnahme und der Cholesterinauf- Lebensstiländerungen oder eine medikamentöse Therapie indi-
nahme auf <300 mg/Tag insbesondere Maßnahmen empfohlen, ziert sind. In der Primärprävention reicht eine risikofaktoradap-
die zur Normalisierung des Körpergewichts, der Cholesterin- so- tierte Senkung des LDL-Werts auf unter 160 bzw. 130 mg/dl (4,16
wie der Blutdruckwerte führen. Hierzu zählen die Anpassung der bzw. 3,38 mmol/l) aus. Patienten mit bekannter KHK oder Patien-
Energieaufnahme an den Energiebedarf, die Limitation gesät- ten mit Erkrankungen, die als KHK-Äquivalente angesehen wer-
tigter Fette und deren Ersatz durch ungesättigte Fette (Gemüse, den (z. B. Diabetes mellitus), haben das höchste kardiovaskuläre
Obst, Fisch, Nüsse), die Kontrolle des Blutdrucks durch eine Risiko, sodass niedrigere Grenzwerte gelten [LDL-C <100 mg/dl
Reduktion der täglichen Salzaufnahme (<6 g/Tag) und die Be- (<2,6 mmol/l); optional <70 mg/dl <1,82 mmol)].
schränkung des Alkoholkonsums. Für spezifische Hochrisiko-
> Können die Zielwerte nicht durch Allgemeinmaßnahmen er-
gruppen werden individualisierte Empfehlungen mit strengeren
reicht werden, muss eine LDL-senkende medikamentöse The-
Grenzwerten empfohlen. So soll die maximale Aufnahme gesät-
rapie mit HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (Statinen) eingeleitet
tigter Fette bei Hochrisikopatienten <10% der Energieaufnahme
werden. Auch eine Therapie mit Fibraten oder Nicotinsäure
und die maximale Cholesterinaufnahme <200 mg/Tag betragen.
senkt den LDL-C-Wert.
Reduktion der Risikofaktoren
Arterielle Hypertonie. Der systolische sowie auch der diastolische Diabetes mellitus. Eine optimale Einstellung des Diabetes melli-
Blutdruck korrelieren über das gesamte Blutdruckspektrum tus ist essenziell für eine suffiziente Reduktion des kardiovas-
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
31 2

. Tab. 2.7. Therapieempfehlungen für die Behandlung einer Hypercholesterinämie in Abhängigkeit vom LDL-C-Wert und dem Vorhandensein
einer koronaren Herzkrankheit (KHK) bzw. kardiovaskulärer Risikofaktoren. (National Cholesterol Education Program Expert Panel on Detection,
Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in Adults, Adult Treatment Panel III 2001)
Risikokategorie LDL-C-Wert
Beginn der Lebensstiländerung Medikamentöse Therapie in Betracht ziehen
KHK oder KHK-Risikoäquivalente ≥100 mg/dl (≥2,6 mmol/l) ≥130 mg/dl (100–129 mg/dl), ≥3,38 mol/l (2,6–3,35 mmol/l):
medikamentöse Therapie optional)
≥2 Risikofaktoren ≥130 mg/dl (≥3,38 mmol/l) Zehnjahresrisiko:
10–20%: ≥130 mg/dl (≥3,38 mmol/l)
<10%: ≥160 mg/dl (≥4,16 mmol/l)
0–1 Risikofaktoren ≥160 mg/dl (≥4,16 mmol) ≥190 mg/dl (160–189 mg), ≥4,94 mmol/l (4,16–4,91 mmol/l):
LDL-C-senkende Therapie optional)

kulären Risikos. Die Therapie erfolgt nach einem Stufenschema, die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in dieser Patienten-
zur Therapiekontrolle eignet sich der HbA1c-Wert (Normwert gruppe.
<7%). Daten der United Kingdom Prospective Diabetes Study
(UKPDS) zeigen, dass eine intensive, blutzuckersenkende Thera-
pie (mittlerer HbA1c 7%) die Inzidenz mikrovaskulärer Kompli- 2.3.2 Medikamentöse Therapie
kationen im Vergleich zu einer Standardtherapie (mittlerer HbA1c
7,9%) vermindert. Eine Reduktion des HbA1c um 1% war mit Die medikamentöse Therapie der stabilen KHK verfolgt im We-
einer signifikanten Reduktion mikrovaskulärer Ereignisse um sentlichen 3 Ziele:
35%, einer reduzierten Herzinfarktinzidenz (ca. 18%) und einer 4 Reduktion der kardiovaskulären Morbidität, insbesondere
reduzierten Gesamtsterblichkeit (ca. 17%) assoziiert. Ein prag- durch Vermeidung von Myokardinfarkten und der Entwick-
matischer Ansatz zur Vermeidung kardiovaskulärer Ereignisse lung einer Herzinsuffizienz,
bei Diabetikern stellt eine intensive, integrative Therapie aller 4 Erhalt bzw. Verbesserung der Lebensqualität, insbesondere
Risikofaktoren dar. In der STENO-Studie wurde gezeigt, dass durch Reduktion/Vermeidung pektanginöser Beschwerden
eine intensivierte Therapie einer Standardtherapie überlegen ist. und Erhalt der Belastungsfähigkeit sowie
Die intensivierte Therapie umfasste folgende Konzepte: 4 Reduktion der (kardiovaskulären) Sterblichkeit.
4 fettarme Kost,
4 regelmäßig Sport, Die am häufigsten eingesetzten antianginösen Medikamente, die
4 Rauchstopp, durch Beeinflussung der Ischämieschwelle insbesondere die Be-
4 intensivierte, blutzuckersenkende Therapie, lastungstoleranz verbessern, sind in den . Tab. 2.8–2.10 zusam-
4 intensive Behandlung der arteriellen Hypertonie, mengefasst. Des Weiteren dient die konsequente Behandlung von
4 Therapie mit einem ACE-Hemmer, unabhängig von Blut- Patienten mit bekannter KHK oder hohem atherogenen Risiko
druckwerten, mit Thrombozytenaggregationshemmern der Vermeidung kar-
4 medikamentöse Therapie zur Behandlung von Lipidabnor- diovaskulärer Ereignisse.
malitäten,
4 Acetylsalicylsäuregabe und β-Rezeptorenblocker
4 Vitamin-C-, Vitamin-D-, Folsäure- sowie Chrompicolinat- β-Rezeptorenblocker werden bei der Behandlung der stabilen
gabe. Angina pectoris als Arzneimittel der ersten Wahl angesehen. Sie
reduzieren den myokardialen Sauerstoffbedarf durch Vermin-
Diese Therapie reduzierte nach ca. 8 Jahren signifikant den kom- derung der sympathoadrenerg vermittelten Zunahme von Herz-
binierten kardiovaskulären Endpunkt von 38 auf 18%. frequenz, Blutdruck und myokardialer Kontraktilität und wirken
Die pathologische Glucosetoleranz ist ein Vorläuferstadium daher antianginös. Bei Patienten mit stabiler KHK vermindern
des Diabetes mellitus und gilt bereits als eigenständiger kardio- β-Blocker Anzahl und Dauer belastungsinduzierter Myokard-
vaskulärer Risikofaktor. Patienten mit einer pathologischen ischämien, erhöhen die Anginaschwelle und verbessern die Belas-
Glucosetoleranz haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre tungstoleranz. Im Gegensatz zu Nitraten oder Kalziumantagonis-
Ereignisse oder für Diabetes mellitus. Gewichtsreduktion und ten senken sie die kardiovaskuläre Ereignisrate.
vermehrte körperliche Aktivität reduziert bei diesen Patienten Nach Herzinfarkt führt die Therapie mit β-Blockern wie
signifikant die Wahrscheinlichkeit, einen Diabetes mellitus zu Atenolol, Bisoprolol, Carvedilol und Metoprolol zu einer signi-
entwickeln. Die Inzidenz des Diabetes mellitus wurde in einer fikanten Verbesserung der Prognose (Fox et al. 2006). Daher sind
randomisierten Studie durch Gewichtsverlust (7%) und Sport β-Blocker bei Patienten nach Myokardinfarkt im Rahmen der
(150 min/Woche) halbiert. Auch Metformin, Orlistat oder Trogli- Sekundärprävention eindeutig indiziert. Sie führen sowohl zu
tazon vermindern die Inzidenz des Diabetes mellitus. In kar- einer Verminderung der Reinfarktrate als auch zu einem Erhalt
diovaskulären Hochrisikogruppen verringert die Therapie mit bzw. einer Verbesserung der myokardialen Pumpfunktion bei
ACE-Hemmern oder AT1–Rezeptorantagonisten die Inzidenz einer resultierenden ischämischen Herzmuskelschädigung. Subs-
des Diabetes mellitus. Acarbose vermindert als einzige Subs- tanzen mit intrinsischer sympathomimetischer Aktivität (ISA)
tanz nicht nur die Inzidenz des Diabetes mellitus, sondern auch wirken weniger protektiv und sollten daher nicht eingesetzt wer-
32 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

Diabetes mellitus oder einer Claudicatio intermittens sind β-Blo-


. Tab. 2.8. Eigenschaften verschiedener β-Blocker, die bei stabiler
koronarer Herzerkrankung eingesetzt werden können cker mit einer relativen β1–Selektivität, wie Atenolol, Bisoprolol
und Metoprolol, besser geeignet.
Wirkstoff Selek- Intrinsische Empfohlene Dosierung
2 tivität sympatho- bei Angina pectoris Organische Nitrate
mimetische
Aktivität (ISA)
Organische Nitrate sind wertvolle Medikamente in der Therapie
der Angina pectoris, die seit über 100 Jahren klinisch eingesetzt
Acebutolol β1 Ja 200–600 mg 2-mal täglich
werden. Wesentliche Wirkmechanismen sind:
Atenolol β1 Nein 50–200 mg/Tag 4 systemische Venodilation mit resultierender Reduktion von
Betaxolol β1 Nein 10–20 mg/Tag LVEDV und LVEDP, Verminderung der myokardialen Wand-
spannung und des Sauerstoffbedarfs;
Bisoprolol β1 Nein 5–10 mg/Tag
4 Dilatation epikardialer Koronargefäße und
Carvedilola Keine Nein 12,5–50 mg 2-mal täglich 4 Steigerung des Blutflusses in Kollateralgefäßen.
Esmolol (i.v.)b β1 Nein 50–300 μg/kgKG/min
Labetalola Keine Ja 200–600 mg 2-mal täglich
Nach Metabolisierung führen organische Nitrate zur Freisetzung
von NO, das über die Bindung und die Aktivierung der Guany-
Metoprolol β1 Nein 50–200 mg 2-mal täglich
latzyklase in glatten Gefäßmuskelzellen zur Bildung von cGMP
Nadolol Keine Nein 40–80 mg/Tag führt, das dann eine Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur aus-
Pindolol Keine Nein 2,5–7,5 mg 3-mal täglich löst. Darüber hinaus vermitteln Nitrate auch antithrombotische
Effekte, indem sie die NO-abhängige Aktivierung der Guanylat-
Propranolol Keine Nein 80–120 mg 2-mal täglich
zyklase in Thrombozyten induzieren und so den intrathrom-
Timolol Keine Nein 10 mg 2-mal täglich bozytären Kalziumfluss und die Thrombozytenaktivierung ver-
a Carvedilol und Labetolol sind kombinierte α- und β-Blocker. mindern. Die oben genannten Wirkmechanismen, insbesondere
b Esmolol ist ein ultrakurz wirksamer β-Blocker, der kontinuierlich i.v. die Reduktion des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch
appliziert wird. Sein rascher Wirkungsverlust macht ihn zu einer at- Senkung von Vor- und Nachlast sowie die gefäßerweiternden
traktiven Alternative bei Patienten mit relativen Kontraindikationen Effekte an den Koronarien erklären die günstige Wirkung der
gegen β-Blocker. Nitrate auf Symptomatik und Belastungstoleranz bei Angina
pectoris. Jedoch ist eine Senkung der kardiovaskulären Morbi-
dität und Letalität durch Nitrate in randomisierten Studien nicht
den. Obwohl speziell für Patienten mit stabiler Angina pectoris hinreichend belegt. Daher werden Nitrate und deren Analoga zur
keine Mortalitätsdaten aus kontrollierten Studien vorliegen, wer- symptomatischen Behandlung der Angina pectoris eingesetzt.
den die Daten der Postinfarktstudien als klare Indikatoren für Hierbei muss zwischen kurz wirksamen und lang wirksamen Prä-
eine vorteilhafte Wirksamkeit auch bei diesen Patienten allge- paraten unterschieden werden (. Tab. 2.9).
mein akzeptiert (Dietz u. Rauch 2003; Fox et al. 2006). Die für
diese Indikation empfohlenen Präparate sind in . Tab. 2.8 zusam- Kurz wirksame Nitrate. Die Absorption dieser Wirkstoffe ge-
mengefasst. Die Wirkstoffe, für die die beste Studienlage und schieht sehr rasch über die Schleimhäute, sodass kurz wirksame
zugleich die größte klinische Erfahrung besteht, sind Atenolol, Nitrate zur Kupierung oder Verhinderung von Angina-pectoris-
Bisoprolol und Metoprolol. Anfällen eingesetzt werden. Aus diesem Grund wird Nitroglyzerin
meist sublingual in Tablettenform oder als Spray (0,4 oder 0,6 mg)
> Vorzugsweise sollten lang wirksame β-Blocker oder Formulatio-
verabreicht. Patienten mit Angina pectoris sollten angewiesen
nen mit verzögerter Freisetzungskinetik angewendet werden,
werden, ihre Nitromedikation symptomabhängig bei pektangi-
die den Vorteil einer täglichen Einmalgabe besitzen und da-
nösen Beschwerden sowie etwa 5 min vor Belastungssitua-
durch eine verbesserte Patienten-Compliance gewährleisten.
tionen einzunehmen, die wahrscheinlich eine ischämische Epi-
sode auslösen. Falls 2–3 min nach der ersten Nitroglyzerin-
Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Als Nebenwirkungen dosis keine Erleichterung eintritt, kann in jeweils fünfminü-
können Müdigkeit, reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit, tigen Intervallen eine zweite und dritte Dosis gegeben werden.
Impotenz, Albträume, kalte Extremitäten, Claudicatio inter- Persistieren die Beschwerden dennoch, so sollte der Patient an-
mittens, symptomatische Bradykardien, Verzögerungen der atrio- gehalten werden, umgehend einen Arzt zu konsultieren oder
ventrikulären Überleitung (AV-Block), kardiale Dekompensa- die Notfallambulanz eines Krankenhauses aufzusuchen, um
tion, die Triggerung eines Asthmaanfalls und die Verstärkung eine instabile Angina oder einen akuten Myokardinfarkt auszu-
einer durch orale Antidiabetika und Insulingabe hervorgerufe- schließen.
nen Hypoglykämie auftreten. Relative Kontraindikationen für
den Einsatz von β-Blockern sind Asthma bronchiale und rever- Lang wirksame Nitrate. Durch die Behandlung mit lang wirk-
sible obstruktive Ventilationsstörungen bei Patienten mit chro- samen Nitraten sollen die Frequenz und die Schwere pektangi-
nisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), präexistente nöser Attacken reduziert und die Belastungstoleranz gesteigert
atrioventrikuläre Erregungsleitungsstörungen, ausgeprägte Brady- werden. Lang wirksame Präparationen können in Tablettenform
kardien, ein Raynaud-Syndrom und ein anamnestisches depres- geschluckt, als Kapseln zerkaut oder als Pflaster bzw. Salbe trans-
sives Syndrom. Da ein plötzliches Absetzen von β-Rezeptoren- dermal angewendet werden (. Tab. 2.9). Studien zur Behandlung
blockern myokardiale Ischämien verstärken kann, sollten die mit lang wirksamen Nitraten nach Myokardinfarkt konnten
Dosierungen über 2 Wochen ausgeschlichen werden. Bei Patien- keinen prognostischen Benefit zeigen, sodass die Therapie rein
ten mit leichter bronchialer Obstruktion, insulinabhängigem symptomatisch ist. Obgleich wirksame Plasmaspiegel für bis zu
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
33 2

. Tab. 2.9. Eigenschaften verschiedener Nitropräparate, die bei stabiler koronarer Herzerkrankung eingesetzt werden können
Wirkstoff Applikationsform Dosierung Dauer der Wirkamkeit
Nitroglyzerin Sublinguale Tabletten 0,3–0,6 mg–1,5 mg Ca. 10 min
Spray 0,4 mg nach Bedarf Wie sublinguale Tabletten
Salbe, 2%ig 7,5–40 mg Bis 7 h
Transdermal 0,2–0,8 mg/h alle 12 h 8–12 h während intermittender Therapie
Oral (verzögerte Freisetzung) 2,5–13 mg 4–8 h
i.v. 5–200 μg/min Toleranzentwicklung kann innerhalb von 7–8 h auftreten
Isosorbiddinitrat Sublingual 2,5–10 mg Bis 60 min
Oral 5–80 mg, 2- bis 3-mal täglich Bis 8 h
Spray 1,25 mg täglich 2–3 min
Kautablette 5 mg 2–2,5 h
Oral (verzögerte Freisetzung) 40 mg 1- bis 2-mal täglich Bis 8 h
i.v. 1,25–5,0 mg/h Toleranzentwicklung kann innerhalb von 7–8 h auftreten
Salbe 100 mg/24 h Nicht effektiv
Isosorbid- Oral 20 mg 2-mal täglich 12–24 h
mononitrat 60–240 mg 1-mal täglich
Pentaerithrityl- Oral 50–80 mg 2– bis 3-mal täglich 2–4 h
tetranitrat

24 h erzielt werden, ist die therapeutische Wirksamkeit sehr torenblockern zu keiner Verbesserung der Prognose bei Patien-
variabel. ten nach Myokardinfarkt. Da Kalziumantagonisten somit rein
antianginös und nicht kardioprotektiv wirken, werden bei allen
> Eine individuelle Dosistitrierung muss erfolgen, um uner-
Patienten mit chronischer KHK bevorzugt β-Rezeptorenblocker
wünschte Nebenwirkungen zu verhindern.
eingesetzt.
Gebräuchliche Präparationen sind Isosorbiddinitrat oder -mono-
> Kalziumantagonisten sind primär immer dann indiziert, wenn
nitrat, Nitroglyzerinsalbe, transdermale Pflaster mit verzögerter
β-Rezeptorenblocker kontraindiziert sind, schlecht vertragen
Freisetzung sowie Pentaerithrityltetranitrat. Gegen alle lang wirk-
werden oder unwirksam bleiben.
samen Nitrate erfolgt bei kontinuierlicher Gabe innerhalb von
12–24 h eine Toleranzentwicklung mit Wirksamkeitsverlust. Um Es muss zwischen den Dihydropyridinen und den Nichtdihydro-
diese Toleranz zu minimieren, sollte die minimal wirksame Dosis pyridinen unterschieden werden (. Tab. 2.10).
eingesetzt und ein nitratfreies Intervall von wenigstens 8 h täglich Amlodipin und andere Kalziumantagonisten der zweiten Ge-
eingehalten werden, sodass die therapeutische Wirksamkeit wie- neration vom Dihydropyridintyp (z. B. Nicardipin, Isradipin,
der hergestellt werden kann. Felodipin) sind hochwirksame Vasodilatatoren und zur gleich-
zeitigen Behandlung von Angina und arterieller Hypertonie ge-
Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Kopfschmerzen und eignet. Amlodipin und β-Blocker wirken komplementär auf die
ein pochendes Gefühl im Kopf sind die häufigsten Nebenwir- koronare Blutversorgung und den myokardialen Sauerstoffbe-
kungen organischer Nitrate, die jedoch relativ selten auftreten. darf. Während Amlodipin zu einer Blutdrucksenkung und zu
Nitroglyzerin kann seine Wirkung verlieren, wenn es Luft, Feuch- einer Koronardilatation führt, reduzieren β-Blocker die Herzfre-
tigkeit oder Sonnenlicht ausgesetzt wird. Bei Obstruktionen des quenz und vermindern die Kontraktilität. Darüber hinaus wirken
linksventrikulären Ausflusstrakts (z. B. Aortenstenose, HOCM) β-Blocker einer unter Dihydropyridinen häufig zu beobachten-
sind Nitrate kontraindiziert, ebenso ist bei Volumenmangel Vor- den Sympathikusaktivierung entgegen.
sicht geboten. Die Kombination mit PDE-5-Hemmern (z. B. Sil-
> Obwohl normalerweise günstige Effekte erzielt werden, wenn
denafil) ist absolut kontraindiziert, da dies zu lebensbedrohlichen
Kalziumantagonisten mit β-Blockern und Nitraten kombi-
Blutdruckabfällen führen kann.
niert werden, ist eine sorgfältige individuelle Dosistitration er-
forderlich.
Kalziumantagonisten
Kalziumantagonisten sind Vasodilatatoren, die dosisabhängig zu Eine Prinzmetal-Angina (Koronarspasmen) spricht besonders
einer Abnahme des myokardialen Sauerstoffverbrauchs, der gut auf Kalziumantagonisten an (insbesondere auf solche vom
Kontraktilität und des arteriellen Blutdrucks führen. Ihre antian- Dihydropyridintyp), u. U. kann die Therapie durch Nitrate er-
ginöse Wirkung beruht insbesondere auf einer Verminderung gänzt werden. Nichtdihydropyridine (z. B. Verapamil, Diltiazem)
der Nachlast sowie der Kontraktilität. Aufgrund der Kombina- führen zusätzlich zu ihren vasodilatativen Eigenschaften zu einer
tion dieser pharmakologischen Effekte sind Kalziumantagonisten Verminderung der Herzfrequenz und zu einer Verzögerung der
hinsichtlich der Therapie der stabilen Angina pectoris ebenso AV-Überleitung. Zudem wirken sie negativ-inotrop und können
effektiv wie β-Blocker, führen jedoch im Gegensatz zu β-Rezep- daher eine Herzinsuffizienz verschlechtern.
34 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.10. Kalziumantagonisten in der Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit


Wirkstoff Empfohlene Dosierung Wirksamkeits- Nebenwirkungen
dauer
2 Dihydropyridine
Amlodipin 5–10 mg/Tag Lang Kopfschmerzen, Ödeme
Felodipin 5–10 mg/Tag Lang Kopfschmerzen, Ödeme
Isradipin 2,5–10 mg 2-mal täglich Mittel Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit
Nicardipin 20–40 mg 3-mal täglich Kurz Kopfschmerzen, Schwindel, Flush, Ödeme
Nifedipin Rasche Freisetzung 30–90 mg/Tag oral Kurz Hypotonie, Schwindel, Flush, Übelkeit, Obstipation,
Verzögerte Freisetzung: 30–180 mg oral Ödeme
Nisoldipin 20–40 mg/Tag Kurz Siehe Nifedipin
Nichtdihydropyridine
Diltiazem Rasche Freisetzung: 30–80 mg 4-mal täglich Kurz Hypotonie, Schwindel, Flush, Bradykardie, Ödeme
Verzögerte Freisetzung: 120–320 mg/Tag Lang
Verapamil Rasche Freisetzung: 80–160 mg 3-mal täglich Kurz Hypotonie, myokardiale Depression, Herzinsuffizienz,
Ödeme, Bradykardie
Verzögerte Freisetzung: 120–480 mg/Tag Lang

Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Typische Nebenwir- ringe Blutdruckreduktion zu beobachten war, dürften direkte
kungen von Kalziumantagonisten wie Kopfschmerzen, Flush- zelluläre Effekte in der Gefäßwand für die Risikoreduktion zu-
Symptomatik und Knöchelödeme treten dosisabhängig auf und mindest mitverantwortlich sein. Im Gegensatz dazu zeigte die
sind auf die vasodilatativen Eigenschaften zurückzuführen. Eine PEACE-Studie bei KHK-Patienten keine Senkung des kardiovas-
manifeste Herzinsuffizienz ist i. Allg. als Kontraindikation für kulären Risikos durch den ACE-Hemmer Trandolapril (7 Studien-
Kalziumantagonisten zu beachten. Des Weiteren sind Dihydro- verzeichnis). Dies dürfte auf das deutlich niedrigere Risiko-
pyridine innerhalb der ersten 4 Wochen nach Myokardinfarkt profil und die aggressivere Standardtherapie der Patienten in der
und bei instabiler Angina pectoris kontraindiziert. Nichtdihydro- PEACE-Studie zurückzuführen sein. Somit ist der Nutzen einer
pyridine dürfen aufgrund ihrer bradykardisierenden Eigenschaf- ACE-Hemmer-Therapie bei KHK-Patienten mit hohem Risiko,
ten nicht bei vorbestehenden Bradykardien, Sick-Sinus-Syndrom insbesondere wenn ein Diabetes mellitus oder eine linksventri-
oder AV-Überleitungsstörungen eingesetzt werden. Wegen der kuläre Dysfunktion vorliegt, belegt. Darüber hinaus können
Gefahr lebensbedrohlicher bradykarder Rhythmusstörungen ACE-Hemmer bei KHK-Patienten eingesetzt werden, wenn un-
darf Verapamil keinesfalls gleichzeitig mit β-Blockern verabreicht ter einer β-Blocker- und Statintherapie keine befriedigende Ein-
werden. Diltiazem kann vorsichtig mit β-Blockern kombiniert stellung des Blutdrucks und des LDL-Cholesterins gelingt. Dem-
werden, sofern eine normale Ventrikelfunktion und keine Erre- gegenüber führt die routinemäßige Gabe von ACE-Hemmern
gungsleitungsstörungen bestehen. bei Patienten mit ischämischer Herzerkrankung und normaler

Angiotensinkonversionsenzymhemmer
und AT1-Rezeptorantagonisten
Angiotensinkonversionsenzymhemmer gehören zur Standard-
therapie von Patienten mit arterieller Hypertonie, Herzinsuffi-
zienz und solchen mit überlebtem Myokardinfarkt sowie einge-
schränkter LV-Funktion. Darüber hinaus verbessern sie auch die
Prognose bei Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre
Ereignisse ohne Zeichen der Herzinsuffizienz.
Vaskuläre Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie, Insulin-
resistenz/Hyperinsulinismus und Östrogendefizienz induzieren
die Expression des Angiotensin-AT1-Rezeptors, dessen Signale
durch verschiedene Mechanismen die Endothelfunktion beein-
trächtigen und so zur Pathogenese der arteriellen Hypertonie
und der Atherosklerose beitragen (. Abb. 2.12). Die pathophysio-
logische Bedeutung des RAS für die Genese der Atherosklerose
wurde in den letzten Jahren in zahlreichen experimentellen und
klinischen Studien untermauert.
Dementsprechend zeigten die HOPE- und EUROPA-Studien
übereinstimmend, dass die Therapie mit Ramipril bzw. Perindo-
pril zusätzlich zur Standardtherapie bei Risikopatienten zu einer . Abb. 2.12. Interaktion kardiovaskulärer Risikofaktoren und des Angio-
signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte führt tensin-AT1-Rezeptors im Rahmen der Atherogenese. (Mod. nach Nickenig
(7 Studienverzeichnis). Obgleich in beiden Studien auch eine ge- 2002)
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
35 2

LV-Funktion, bei denen die angestrebten Zielwerte für Blut- Thrombozytenaggregationshemmer


druck und LDL-Cholesterin mithilfe anderer Therapien erreicht Thrombozyten (Blutplättchen) nehmen eine wichtige Rolle in
werden, zu keiner zusätzlichen Reduktion kardiovaskulärer Er- der Atheroskleroseentstehung und in der akuten Manifestation
eignisse. von atherosklerotischen Komplikationen ein. Die Therapie mit
Da die meisten pathogentisch bedeutsamen Effekte von Thrombozytenaggregationshemmern besitzt daher besondere
Angiotensin II über AT1-Rezeptoren vermittelt werden, lassen Bedeutung in der Prävention und der Therapie atherosklero-
sich mit AT1-Rezeptorantagonisten ähnliche Effekte erzeugen tischer Erkrankungen.
wie mit ACE-Hemmern. Jedoch ist deren klinische Wirksamkeit Acetylsalicylsäure ist ein irreversibler Inhibitor der throm-
bisher nur für die Blutdrucksenkung, nicht jedoch für die Thera- bozytären Zyklooxygenaseaktivität und beeinträchtigt somit die
pie der Herzinsuffizienz oder für die Prävention kardiovaskulärer Plättchenaktivierung. Die Antiplatelet Trialists’ Collaboration hat
Ereignisse nachgewiesen. Bei der Behandlung der Herzinsuffizi- eine umfassende Metaanalyse der zahlreichen Studien mit Daten
enz scheinen sie als Monotherapie ACE-Hemmern unterlegen zu von mehr als 70.000 Patienten über die Rolle von ASS in der
sein und sollten daher nur bei einer ACE-Hemmer-Unverträg- Sekundärprävention veröffentlicht (Antithrombotic Trialists’
lichkeit eingesetzt werden. Collaboration 2002). Hierbei zeigt sich eindeutig ein günstiger
Effekt von ASS bei Patienten mit einer symptomatischen KHK.
Ionenkanalmodulatoren Sowohl die kardiovaskuläre Ereignisrate (nichttödlicher Myo-
Nicorandil (Dancor) ist ein Kaliumkanalaktivator mit zusätzli- kardinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskuläre Mortalität) als
chen nitratähnlichen Eigenschaften, der aufgrund einer Verminde- auch die Gesamtsterblichkeit ist insbesondere bei Patienten
rung der Vor- und Nachlast zur Prävention der Angina pectoris mittleren und hohen Alters unter ASS signifikant erniedrigt. Ein
eingesetzt werden kann. Außerdem werden Nicorandil kardiopro- schützender Effekt ist bei Patienten mit PCI und stabiler Angina
tektive Eigenschaften zugeschrieben. In der IONA-Studie (Impact pectoris infolge einer KHK, nicht jedoch bei Patienten mit Herz-
of Nicorandil in Angina) führte die Gabe von Nicorandil zusätz- insuffizienz und nach aortokoronarer Bypassoperation gesichert.
lich zur medikamentösen Standardtherapie bei Patienten mit sta- Eine 24%ige Risikoreduktion der kardiovaskulären Ereignisrate
biler KHK zu einer Senkung der kardiovaskulären Ereignisrate. zeigt sich auch nach langjähriger Therapie, sodass eine antiaggre-
Ivabradin (Procoralan) ist der Prototyp einer neuen Subs- gatorische Therapie für diese Patienten lebenslang zu empfehlen
tanzklasse (If-Kanal-Blocker), die selektiv und spezifisch den ist. Derzeitige Evidenz aus klinischen Studien zeigt den größten
If-Ionenstrom inhibiert, der als intrinsischer Schrittmacher im Nutzen bei geringsten unerwünschten Wirkungen (Blutungs-
Herzen die spontane diastolische Depolarisation im Sinusknoten komplikationen dosisabhängig!), wenn ASS in einer Dosierung
und somit die Herzfrequenz kontrolliert. If-Kanal-Blocker wir- zwischen 75 und 150 mg/Tag verabreicht wird. Im Rahmen der
ken daher selektiv bradykardisierend auf den Sinusknoten, ohne Primärprävention ist der Nutzen von ASS umstritten und nicht
das Erregungsleitungssystem, die myokardiale Kontraktilität eindeutig belegt. Obwohl einige randomisierte Studien über signi-
oder den Blutdruck zu beeinflussen. Es wird zur Behandlung der fikante Vorteile mit reduzierten Raten von nichttödlichen Myo-
chronischen stabilen Angina pectoris bei Patienten mit Sinus- kardinfarkten berichteten, fehlt weiterhin die Evidenz, dass ASS
rhythmus eingesetzt, bei denen β-Rezeptorenblocker kontraindi- die kardiovaskuläre und die Gesamtsterblichkeit senkt.
ziert sind oder eine Unverträglichkeit für β-Rezeptorenblocker
> Eine ASS-Therapie zur kardiovaskulären Primärprävention sollte
vorliegt. Eine Wirkung auf harte klinische Endpunkte, wie Sterb-
nur nach entsprechender Risikostratifizierung bei Hochrisiko-
lichkeit oder Myokardinfarkt, ist im Gegensatz zu β-Rezeptoren-
patienten erfolgen (. Abb. 2.13).
blockern bislang nicht belegt.
Das Thienopyridinderivat Clopidogrel hemmt die Thrombo-
> Bei akutem Myokardinfarkt, Bradykardie, Sick-Sinus-Syndrom, zytenaggregation durch irreversible Bindung an ADP-Rezeptoren
höhergradigen AV-Blockierungen und schwerer Herzinsuffizienz an der Thrombozytenoberfläche. Über diesen Wirkmechanis-
ist Ivabradin kontraindiziert. mus wird die ADP-induzierte Fibrinogenbindung an Thrombo-

. Abb. 2.13. Algorithmus zur Therapieent-


scheidung über die Anwendung von Acetyl-
salicylsäure (ASS) in der Primärprävention der
koronaren Herzerkrankung. (Aus Lauer 2002)
36 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

zyten verhindert, während die Expression von Fibrinogenre- »Peroxisome-proliferator-activated-receptor-


zeptoren nicht beeinflusst wird. Clopidogrel hat im Gegensatz zu Liganden
ASS keinen inhibitorischen Effekt auf die Zyklooxygenase und Der »peroxisome proliferator-activated receptor γ« gehört zur
2 beeinflusst somit nicht die Synthese von Prostazyklinen oder Gruppe der nukleären Hormonrezeptoren. Nach Ligandenak-
Thromboxan A2. Clopidogrel (300–600 mg »loading dose« und tivierung reguliert PPAR als Transkriptionsfaktor wichtige Gene
75 mg/Tag Erhaltungsdosis) ist bei Patienten mit stabiler KHK im Insulin-/Glucose- und Fettstoffwechsel. Durch die Aktivie-
ebenso wirksam wie Aspirin und kann bei ASS-Unverträglichkeit rung von PPAR in Fettgewebe und anderen metabolischen Orga-
als Alternative eingesetzt werden. In Kombination mit ASS ist es nen kommt es zur signifikanten Verbesserung der Insulinsensi-
bei ACS für 12 Monate indiziert, da es bei diesen Patienten die tivität mit Senkung der Glucose- und Insulinplasmaspiegel. Zu-
Rate ischämischer Koronarereignisse und die Gesamtsterblich- sätzlich wird PPAR in allen kardiovaskulären Geweben expri-
keit reduziert. Nach PCI mit Stent-Implantation (BMS) ist die miert und vermittelt dort direkte kardio-/vaskuloprotektive
kombinierte Thrombozytenaggregationshemmung mit Clopi- Wirkungen über die Blockade proinflammatorischer/proathero-
dogrel und ASS für eine Dauer von 4–6 Wochen und nach Im- sklerotischer Stimulatoren. Vor diesem Hintergrund stellt PPAR
pantation eines DES für eine Dauer von mindestens 12 Monaten zum einen über eine Verbesserung der Insulinsensitivität, zum
obligat, da sie die Bildung intravasaler Thromben wirkungsvoll anderen jedoch auch durch direkte atheroprotektive Effekte ein
verhindern kann. Nach erfolgter Reendothelialisierung, die bei vielversprechendes Zielmolekül für pharmakologische Therapien
DES deutlich langsamer verläuft, kann Clopidogrel abgesetzt von adipositasvermittelten kardiovaskulären Endorganschäden
werden. Um die Gefahr gastrointestinaler Blutungen zu vermin- wie der KHK dar.
dern, wird bei Patienten, die eine Kombination aus Aspirin und Orale Antidiabetika aus der Gruppe der Thiazolidindione,
Clopidogrel einnehmen, die zusätzliche Gabe eines Protonen- die sog. Glitazone (Pioglitazon, Rosiglitazon) konnten als volle
pumpenhemmers empfohlen. Bei Patienten mit stabiler KHK PPAR-Agonisten identifiziert werden und vermitteln potente in-
haben klinische Studien keinen Benefit der kombinierten An- sulinsensitivierende Effekte über die Regulation PPAR-abhängi-
wendung von Clopidogrel und ASS gezeigt. ger Gene im Insulin- und Glucosestoffwechsel. In der kürzlich
publizierten PROactive-Studie, in die 5238 Hochrisikopatienten
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statine) mit Typ 2–Diabetes eingeschlossen wurden, führte die Therapie
Statine vermögen insbesondere das LDL-Cholesterin zu senken mit Pioglitazon über 36 Monate im Vergleich zu Plazebo zu einer
und stellen bei Patienten mit KHK eine gesicherte Therapie signifikanten Reduktion des kombinierten Endpunktes Gesamt-
zur Reduktion ischämischer kardiovaskulärer Ereignisse sowie sterblichkeit, nicht-tödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall
zur Senkung der Gesamtmortalität dar. In der CARE-, LIPID-, (7 Studienverzeichnis; . Abb. 2.14). Auch bei Nichtdiabetikern
WOSCOPS-, und AFAPSC/TexCAPS-Studie führte die Statinbe- konnte kürzlich ein möglicherweise direkter Effekt von Pioglita-
handlung insbesondere bei älteren Patienten zu einer drastischen zon auf die Gefäßwand gezeigt werden. So führte eine 6-monatige
Reduktion der Myokardinfarktrate um bis zu 50 %. Die günstigen Behandlung mit Pioglitazon zu einer signifikanten Reduktion der
Effekte von Statinen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind pri- Neointimabildung nach koronarer Stent-Implantation (Marx et
mär auf deren cholesterinsenkende Wirkung zurückzuführen. al. 2005). Diese Daten bieten einen Hinweis darauf, dass Thiazo-
Unabhängig von der Reduktion des LDL-Cholesterins üben lidindione zusätzlich zu ihren metabolischen Effekten auch di-
Statine jedoch auch »pleiotrope Effekte« aus, die bei den athero- rekte, antiatherogene Wirkungen in der Gefäßwand entfalten.
protektiven Eigenschaften dieser Substanzen von Bedeutung sind
(7 Übersicht 2.5). Sie führen u. a. zu einer Verbesserung der Endo-
thelfunktion und zur Stabilisierung atherosklerotischer Plaques. 2.3.3 Interventionelle Therapie

> Statine werden in Abhängigkeit vom individuellen koronaren


Die Myokardrevaskularisation hat zum Ziel, die myokardiale Per-
Gesamtrisikoprofil auch unabhängig von einer Hyperlipopro-
fusion wiederherzustellen. Dies kann entweder durch eine PCI an
teinämie zur Reduktion akuter Koronarereignisse empfohlen
den nativen Koronargefäßen oder durch Überbrückung steno-
(National Cholesterol Education Program Expert Panel on Detec-
sierter bzw. verschlossener Gefäßsegmente durch eine koronare
tion, Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in
Bypassoperation erreicht werden. Während Patienten mit einer
Adults, Adult Treatment Panel III 2001).
Stenose des linken Hauptstamms und solche mit einer Dreige-
fäßerkrankung (insbesondere bei gleichzeitig vorliegendem Dia-
. Übersicht 2.5. Lipidunabhängige pleiotrope Effekte betes mellitus und/oder eingeschränkter linksventrikulärer
von HMG-CoA-Reduktase-Hemmern (Statinen) Pumpfunktion), die einer revaskularisierenden Therapie bedür-
fen, am besten mit einer Bypassoperation zu behandeln sind, wird
4 Verminderung der O2-Radikal-Bildung die PCI weithin bei Patienten mit Symptomen und Nachweis einer
4 Herabregulation des Angiotensin AT1-Rezeptors Ischämie bei Ein- oder Zweigefäßerkrankung sowie bei ausge-
4 Einfluss auf die Endothelfunktion, Heraufregulation der eNOS wählten Patienten auch mit Dreigefäßerkrankung eingesetzt.
4 Induktion der Neoangiogenese > Ausschlaggebend für die Wahl des Revaskularisationsverfahrens
4 Mobilisation von EPC sind neben dem Anginastatus und der Ausprägung der Myo-
4 Restoration der autonomen Funktion (Sympathikusaktivität) kardischämie insbesondere Begleiterkrankungen und opera-
4 Hemmung proinflammatorischer Zytokine
tives Risiko, der koronarangiographische Befund und die Vent-
4 Verminderung des LV-Remodeling, Prävention der Kardio-
rikelfunktion.
myozytenhypertrophie
4 Reduktion der Myokardfibrose Grundsätzlich sollte unabhängig von der Reperfusionsstrategie
eine komplette Revaskularisation ischämischer Areale angestrebt
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
37 2

. Abb. 2.14. Ereigniswahrscheinlichkeit für den kombinierten Endpunkt Tod, nichttödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall in der PROactive-
Studie. (Aus Dormandy et al. 2005)

werden. Als Entscheidungshilfe für das individuelle therapeu- technischen Möglichkeiten, die Einführung von Stent-Systemen
tische Vorgehen kann der in . Abb. 2.15 dargestellte Algorithmus und die erhöhte Sicherheit von PCI haben dazu geführt, dass
dienen. mittlerweile auch sehr komplexe und anatomisch schwer zugäng-
liche Koronarstenosen sicher und mit hoher Erfolgsrate interven-
Perkutane transluminale Koronarangioplastie tionell angegangen werden können, sodass sich die Indikations-
Die Einführung der PTCA durch Andreas Grüntzig im Jahr 1977 stellung erheblich ausgeweitet hat.
gilt als Meilenstein in der modernen Medizin. Die PTCA ist heute
eine weit verbreitete Methode zur Revaskularisierung des Myo- Indikationen. Die häufigste klinische Indikation für eine PCI ist
kards von Patienten mit symptomatischer KHK und dafür geeig- die Angina pectoris trotz optimaler Therapie bei gleichzeitigem
neten Stenosen der epikardialen Koronararterien. Die erweiterten Ischämienachweis für ein bedeutsames Perfusionsareal. Weitere

. Abb. 2.15. Algorithmus zum therapeutischen Vorgehen bei Patienten mit symptomatischer koronarer Herzerkrankung. (Nach Dietz u. Rauch 2003)
38 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

Indikationen sind eine manifeste Herzinsuffizienz bei ischämi- pectoris-Beschwerden, ST-Senkungen/-Hebungen, ventrikuläre
scher Kardiomyopathie mit Ischämienachweis und maligne Tachyarrhythmien (ventrikuläre Extrasystolie bis zur ventriku-
Rhythmusstörungen ischämischer Genese. Während eine PCI lären Tachykardie/Kammerflimmern), höhergradige AV-Blo-
2 die Langzeitergebnisse von Patienten mit ACS und Myokardin- ckierungen und Blutdruckabfall bemerkbar machen. Nach er-
farkt zu verbessern vermag, konnte bei Patienten mit chronisch folgter Dilatation wird der Ballonkatheter in den Führungska-
stabiler Angina pectoris kein prognostischer Vorteil (kardio- theter zurückgezogen, und das Primärergebnis wird bei noch lie-
vaskuläre und Gesamtsterblichkeit, Myokardinfarkt) gegenüber gendem Intrakoronardraht angiographisch kontrolliert. Je nach
einer optimierten medikamentösen Therapie gezeigt werden Resultat kann eine erneute Dilatation mit demselben Ballon, der
(Boden et al. 2007). Die PCI kann sowohl zur Behandlung signi- Wechsel auf einen größeren Ballon oder eine Stent-Implantation
fikanter Stenosen in nativen Konararterien als auch zur Dilata- erforderlich sein. Der Wechsel erfolgt dann jeweils über den lie-
tion von Bypassstenosen eingesetzt werden, wenn Patienten nach genden Führungsdraht, der so lange platziert bleibt, bis das end-
operativer Myokardrevaskularisation wiederkehrende Symptome gültige Ergebnis erzielt ist. Angestrebt wird eine Residualstenose
aufweisen. –20% ohne Dissektion bei TIMI-3-Fluss (. Tab. 2.4). Am Ende
Wenn Koronararterienstenosen umschrieben und symmet- der Intervention erfolgt die Dokumentation des Dilatations-
risch sind, können 2 oder sogar 3 Gefäße sequenziell dilatiert ergebnisses durch angiographische Darstellung ohne Draht
werden. Jedoch ist eine sorgfältige Patientenauswahl unerlässlich, (. Abb. 2.16d).
um das Risiko schwerwiegender Komplikationen (Dissektion
oder Thrombose mit Gefäßverschluss, unkontrollierbare Ischä- Erfolgsrate und Komplikationen. Mithilfe der PCI lässt sich bei
mie, Herzversagen) zu minimieren. Eine Hauptstammstenose korrekter Indikationsstellung und Beachtung der Kontraindika-
der linken Herzkranzarterie wird prinzipiell noch als Kontra- tionen (▶ Übersicht 2.6) bei Patienten mit stabiler KHK heut-
indikation für eine PCI angesehen. Solche Patienten sollten prä- zutage in über 95% der Fälle ein angiographisch gutes Primär-
ferenziell mithilfe der Bypassoperation versorgt werden. In Ein- ergebnis (Residualstenose ≤20%, keine Dissektion, TIMI-3-Fluss;
zelfällen (z. B. nicht zu vertretendes Operationsrisiko) kann die . Tab. 2.4) erzielen, das mit einem Verschwinden der Angina-
PCI eines ungeschützten linken Hauptstamms, z. B. unter Einsatz pectoris-Beschwerden einhergeht. Eine Restenose, die meist
medikamentenbeschichteter Stents erwogen werden. Jedoch innerhalb der ersten 3–6 Monate auftritt, ist nach PTCA bei
sollten solche Prozeduren nur von erfahrenen Untersuchern in 30–50% der Patienten und nach Stent-Implantation (BMS) bei
Abhängigkeit von der Stenosemorphologie des Haupstamms 15–30% bzw. 5–15% (medikamentenbeschichteter Stent) der Pa-
durchgeführt werden. tienten zu beobachten.

Durchführung. Nach angiographischer Darstellung der Korona-


rien wird beim Vorliegen einer interventionsbedürftigen Stenose . Übersicht 2.6. Absolute und relative Kontraindika-
ein Führungskatheter in dem Koronarostium platziert, über tionen für die Durchführung einer perkutanen
den nach i.v.-Gabe von Heparin (70–100 IE/kgKG; Ziel-ACT Koronarintervention
200–300 s) unter Durchleuchtung ein flexibler und steuerbarer
Intrakoronardraht in das betroffene Gefäßsegment eingeführt 4 Stenosen mit anatomisch bedingtem hohen interventio-
und die Stenose passiert wird. Die Darstellung der Zielstenose nellen Risiko (Hauptstammstenose oder Hauptstamm-
muss dabei jeweils in der günstigsten RAO- und LAO-Projektion äquivalent
erfolgen (. Abb. 2.16a). Über den liegenden Intrakoronardraht 4 Typ-C-Stenosen mit zu erwartender Erfolgswahrschein-
wird der Ballonkatheter (bei primärem Stenting das Stent-Sys- lichkeit <60%
tem) bis in die Stenose vorgebracht und anhand seiner Markie- 4 Koronarstenosen <50%
rungen so platziert, dass das stenosierte Segment voll abgedeckt 4 Fehlende klinische Symptomatik und/oder fehlender
ist (. Abb. 2.16b). Die Länge des Ballons bzw. Stents richtet sich Ischämienachweis
nach der Länge des stenosierten Gefäßabschnitts, der Ballon-/ 4 Fehlendes operatives Stand-by
Stent-Durchmesser sollte dem nichterkrankten Gefäßdurch-
messer im zu dilatierenden Segment möglichst genau angepasst
werden. Dies kann entweder mithilfe der QCA oder durch visu- Manche klinischen und angiographischen Faktoren gehen mit
elle Abschätzung anhand der Größe des Führungskatheters einem erhöhten Risiko für die PCI einher (7 Übersicht 2.7). Wei-
geschehen. Nach optimaler Platzierung wird der PTCA-Ballon tere problematische Befunde sind beispielsweise Ostium- oder
unter Sicht langsam aufgedehnt (. Abb. 2.16c). Häufig zeigt sich Bifurkationsstenosen, die ein besonderes Vorgehen erfordern
zu Beginn eine stenosebedingte Taillierung des Ballons, die sich und nur durch erfahrene Untersucher angegangen werden sollten.
während der Dilatation unter steigendem Dilatationsdruck dem Neben den oben beschriebenen möglichen Folgen von Ischämie-
Gefäßdurchmesser anpassen sollte. Der Dilatationsdruck (meist reaktionen sind die schwerwiegendsten prozeduralen Komplika-
zwischen 8 und 14 bar) richtet sich nach dem Compliance-Ver- tionen der PCI die Dissektion der Gefäßwand (Häufigkeit 2–5%),
halten des Ballons, die Dilatationszeit (meist 15 s bis 2 min) rich- der akute Gefäßverschluss (Häufigkeit <1%; durch Dissekat oder
tet sich nach den Beschwerden des Patienten, EKG-Verände- thrombotisch) und die Koronarperforation (Häufigkeit 0,2%),
rungen und hämodynamischen Auswirkungen der Dilatation. die zur Perikardtamponade führen kann. Risikofaktoren für das
Bei proximal gelegenen Stenosen, eingeschränkter Ventrikel- Auftreten von PCI-bedingten Gefäßverschlüssen sind in 7 Über-
funktion oder bei Interventionen an der letzten offenen Koro- sicht 2.8 aufgelistet.
nararterie müssen die Dilatationszeiten kurz gehalten werden,
um die resultierende Ischämiereaktion zu minimieren. Diese
variiert im Einzelfall erheblich und kann sich durch Angina-
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
39 2

a b

c d
. Abb. 2.16a–d. Serielle Darstellung einer perkutanen Koronarinter- den liegenden Intrakoronardraht; c Freisetzung des Stents in der Stenose
vention (PCI). Primäres Stenting einer Stenose im mittleren Abschnitt. durch Aufdehnung des Ballonkatheters; d Interventionsergebnis. LAO-
a Zielstenose in der mittleren RCA vor Intervention; b Platzierung eines Projektion 60°
Stents (Markierungen, Pfeile) in dem stenosierten Gefäßabschnitt über

. Übersicht 2.7. Risikofaktoren für eine erhöhte . Übersicht 2.8. Risikofaktoren für einen akuten Ge-
Morbidität und Mortalität bei perkutanen Koronar- fäßverschluss bei perkutanen Koronarinterventionen
interventionen
Klinische Faktoren
Klinische Faktoren 4 Weibliches Geschlecht
4 Weibliches Geschlecht 4 IAP/ACS
4 IAP/ACS 4 Unzureichende Thrombozytenaggregationshemmung
4 Hohes Lebensalter 4 Diabetes mellitus
4 Manifeste Herzinsuffizienz Angiographische Faktoren
4 Chronische Niereninsuffizienz 4 Typ-B2- und Typ-C-Stenosen (Biegung ≥45°, Bifurkations-
Angiographische Faktoren stenosen, verkalkte Stenosen, langstreckige Stenosen)
4 Hauptstammstenose oder Haupstammäquivalent 4 Intrakoronarer Thrombus
4 Proximale Stenose der rechten Koronararterie 4 Weicher Atheromkern
4 Koronare Dreigefäßerkrankung 4 Stenosen der rechten Koronararterie
4 Eingeschränkte LV-Funktion (EF <30%) 4 Degenerierter Venenbypass
4 Kontralaterale Akinesie Prozedurale Faktoren
4 Stenose im kollateraltragenden Gefäß 4 >50% Residualstenose
4 Letzte offene Koronararterie 4 Verbleibende Dissektion >10 mm
4 Überdimensionierter Ballonkatheter
4 Verbleibender transstenotischer Druckgradient
>20 mmHg
40 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

Stent-Implantation
Durch Implantation koronarer Stents kann im Vergleich zur
alleinigen PTCA die Restenoserate vermindert und das Risiko
2 schwerer Dissektionen reduziert werden. Koronarstents sind
gitterartige Metallgerüste, die über einen Ballonkatheter in die
Gefäßwand eingebracht werden und dort verbleiben (. Abb. 2.17).
Stents verbessern die Ergebnisse von Koronarinterventionen, da
sie durch Verhinderung von Dissektionen und des Gefäß-Re- a
modelings (Abnahme des Außendurchmessers) sowie durch
Blockierung der akuten elastischen Rückstellkräfte (»recoil«) die
Erzielung eines größeren und glattbegrenzteren Gefäßlumens
gewährleisten. Ein Stent kann entweder direkt als erste Interven-
tionsmaßnahme (»Primär-Stenting«) oder nach Vordilatation
sekundär implantiert werden (»additives Stenting«). Das inter-
ventionelle Vorgehen hängt von der Stenosemorphologie ab.
Stark verkalkte Stenosen oder solche im Bifurkationsbereich
sollten vordilatiert werden, um eine optimale Entfaltung des
b
Stents zu gewährleisten. Im Rahmen von PCI werden heute in
über 80% der Fälle Stents implantiert. Prinzipiell unterscheidet
sich das Vorgehen nicht von demjenigen der PTCA. Jedoch müs-
sen folgende Besonderheiten beachtet werden:
4 Aufgrund eines im Vergleich zum Ballon stärkeren Profils
und einer geringeren Flexibilität kann das Überwinden hoch-
gradiger, kalzifizierter sowie stark angulierter Stenosen
schwierig bis unmöglich sein.
4 Werden Seitenäste »überstentet«, so können sich diese ver- c
schließen.
. Abb. 2.17a–c. Koronarstent. a Nahezu unentfaltet, b teilweise ent-
4 Sind mehrere Stents in einem Gefäß erforderlich, so wird an faltet, c vollständig entfaltet
der am weitesten distal gelegenen Stelle begonnen (»distal
first«).
4 Die Cross-over-Rate zur Vordilatation beträgt beim primären Reendothelialisierung in der Region von DES, sodass die Gefahr
Stenting ca. 5–10%. subakuter oder späterer Stent-Thrombosen für einen derzeit
nicht genau zu beziffernden Zeitraum persistiert.
Grundsätzlich stehen mittlerweile zahlreiche unbeschichtete
> Aktuell wird empfohlen, nach Implantation eines DES Aspirin
Stents (BMS) und medikamentenbeschichtete Stents (DES) zur
dauerhaft (lebenslang) und Clopidogrel für einen Zeitraum von
Verfügung, die gewisse Vor- und Nachteile aufweisen.
mindestens 6 Monaten, bei Patienten ohne erhöhtes Blutungs-
risiko 12 Monate einzunehmen (Baer u. Erdmann 2007; Silber et
Unbeschichtete Stents (Bare metal stents). Seit Einführung der
al. 2007).
Stent-Technologie wurden zahlreiche Stent-Systeme entwickelt,
die sich hinsichtlich Aufbau, Applikationsart und Material unter- Zu bedenken ist, dass für die Dauer der kombinierten Thrombo-
scheiden. Grundsätzlich handelt es sich um Metallgerüste (z. B. zytenaggregationshemmung aufgrund des erhöhten Blutungs-
aus Edelstahl, Kobalt-Chrom- oder Kobalt-Nickel-Legierungen, risikos keine elektiven Operationen durchgeführt werden kön-
Nitinol), die im Rahmen einer Ballondilatation in die Gefäßwand nen. In Notfallsituationen (z. B. Unfälle, dringliche Operationen),
gedrückt werden und dort verbleiben. Bei unbeschichteten Stents die eine temporäre Unterbrechung der antithrombozytären The-
kommt es innerhalb von 4 Wochen zu einer Reendothelialisie- rapie erfordern, ist ein interdisziplinäres Handeln unter Ein-
rung der Stent-Oberfläche. Bis zu diesem Zeitpunkt ist wegen der schluss eines interventionellen Kardiologen erforderlich, um ein
Gefahr von Stent-Thrombosen eine kombinierte Thrombozyten- koordiniertes Prozedere mit dem Ziel, die Gefahr einer späten
aggregationshemmung mit Aspirin und Clopidogrel obligat. Um In-Stent-Thrombose zu minimieren, festlegen zu können. In je-
die Gefahr von akuten Stent-Thrombosen zu minimieren, sollten dem Fall sollte die Unterbrechung der antithrombozytären The-
Patienten bereits vor oder unmittelbar nach einer Stent-Implan- rapie für den kürzesten zu vertretenden Zeitraum erfolgen. Auf-
tation mit Clopidogrel aufgesättigt werden (Loading dose 300– grund dieser ungelösten Problematik sollte die Indikation für die
600 mg). Nach 4–6 Wochen kann Clopidogrel abgesetzt werden, Implantation von DES derzeit kritisch gestellt werden (Baer u.
die Therapie mit Aspirin sollte jedoch lebenslang fortgeführt Erdmann 2007).
werden. Alle Stents sind nicht ferromagnetisch und daher un-
problematisch bei MRT-Untersuchungen. Restenose
In Abhängigkeit von klinischen oder wissenschaftlichen Frage-
Medikamentenbeschichtete Stents (Drug eluting stents). Durch stellungen existieren zahlreiche unterschiedliche Definitionen
Verwendung von DES, die lokal antiproliferative Medikamente der Restenose. Für klinische Belange hat sich die Definition einer
wie Sirolimus oder Paclitaxel freisetzen, kann die Restenoserate angiographisch mehr als 50%igen Reduktion des Gefäßdurch-
innerhalb des Stents nahezu komplett und in den Randbereichen messers etabliert. Wird diese Definition zugrunde gelegt, so be-
auf ca. 3–7% gesenkt werden. Nachteilig ist jedoch die verzögerte trägt die Restenoserate nach PTCA etwa 30–50% und nach Stent-
2.3 · Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
41 2

Implantation etwa 15–30%. Warum manche Patienten zur Bil- Thrombosen die kombinierte Thrombozytenaggregationshem-
dung von Restenosen neigen, andere jedoch nicht, ist letztlich mung mit ASS und Clopidogrel für mindestens 6 Monate obligat
nicht geklärt. Jedoch treten Restenosen häufiger bei Diabetikern, (7 Abschn. »Stent-Implantation«). Therapeutische Optionen zur
bei Gefäßen mit geringem Durchmesser, bei inkompletter Besei- Beseitigung von In-Stent-Restenosen sind die erneute konventio-
tigung der Stenose, bei ursprünglich verschlossenen Gefäßen, bei nelle Ballonangioplastie oder die erneute Stent-Implantation
Bypassgrafts und bei intrakoronaren Thromben auf (7 Über- (»Stent-in-Stent«) mit einem BMS oder DES. Alternative Verfah-
sicht 2.9). Pathogenetisch spielen bei der Restenosebildung nach ren wie Rotablation oder Brachytherapie wurden mittlerweile
Ballondilatation ein Lumenverlust innerhalb der ersten Minuten wieder verlassen. Dagegen könnte der Einsatz von beschichteten
nach Dilatation (sog. elastischer Recoil), die Thrombusbildung Ballons zukünftig ein vielversprechendes Verfahren zur Behand-
an der Dilatationsstelle und die Intimahyperplasie eine wichtige lung von In-Stent-Restenosen darstellen (Scheller et al. 2006).
Rolle. Diese Prozesse beginnen unmittelbar nach der Interven-
tion und sind innerhalb weniger Monate abgeschlossen. Daher
entstehen Restenosen typischerweise innerhalb der ersten 3–6 Mo- . Übersicht 2.10. Faktoren, die mit einem erhöhten
nate nach Intervention und sind anschließend eine Rarität. Die Risiko für das Auftreten von In-Stent-Restenosen ein-
Therapie besteht in einer erneuten Intervention. Bei konventio- hergehen
neller Ballondilatation einer Restenose entwickelt sich in etwa
30% der Fälle ein erneutes Rezidiv, bei der Stent-Implantation liegt Klinische Faktoren
die Rezidivrate niedriger. 4 Vorangegangene Restenose
4 IAP/ACS
4 Diabetes mellitus
. Übersicht 2.9. Faktoren, die mit einem erhöhten Angiographische Faktoren
Risiko für das Auftreten von Restenosen nach perku- 4 Geringer Gefäßdurchmesser (<25 mm)
tanen Koronarinterventionen einhergehen 4 Langstreckige Stenosen (>20 mm)
4 Proximale LAD
Klinische Faktoren 4 Venen-Grafts
4 IAP/ACS 4 Rekanalisierter chronischer Verschluss
4 Kurz andauernde Angina pectoris (2–6 Monate) Prozedurale Faktoren
4 Diabetes mellitus 4 Unvollständige Stent-Entfaltung
4 Dialysepflichtige Niereninsuffizienz 4 Ausgedehnte Dissektionen
Angiographische Faktoren 4 Implantation mehrerer Stents
4 Langstreckige Stenosen (>20 mm)
4 Ostiumstenosen
4 Bifurkationsstenosen Medikamentöse Therapie nach perkutaner
4 Stenosen in einer Biegung (>45°) Koronarintervention
4 Hochgradige Stenose vor PCI Mithilfe der PCI können bedeutsame Koronarstenosen mit hoher
4 Geringer Durchmesser der stenosierten Koronararterie Erfolgsrate beseitigt werden. Jedoch müssen Arzt und Patient
4 Venen-Grafts sich dessen bewusst sein, dass dieses Therapieverfahren bei Pa-
4 Rekanalisierter chronischer Verschluss tienten mit stabiler KHK lediglich eine symptomatische Behand-
Prozedurale Faktoren lung der Angina pectoris darstellt, während die zugrunde liegen-
4 >30%ige Residualstenose de Atherosklerose unbeeinflusst bleibt. Daher ist nach einer PCI
4 Verbleibender transstenotischer Druckgradient in Abhängigkeit von individuell vorhandenen Risikofaktoren
> 20 mmHg eine konsequente Reduktion des Risikoprofils mithilfe medika-
mentöser Maßnahmen, aber auch durch eine Anpassung des Le-
bensstils des Patienten anzustreben (7 Abschn. 2.3.1).
In-Stent-Restenose
> Nach intrakoronarer Stent-Implantation sind zur Vermeidung
Die In-Stent-Restenose, die nach Implantation von BMS in ca.
von thrombotischen Stent-Verschlüssen spezielle medika-
15–30% der Fälle zu beobachten ist, weist im Vergleich zur Re-
mentöse Therapiestrategien (ASS in Kombination mit Thieno-
stenose nach konventioneller PTCA einige Besonderheiten auf.
pyridinen, z. B. Clopidogrel) zwingend erforderlich.
Risikofaktoren für eine Rezidivstenose nach Stent-Implantation
sind in 7 Übersicht 2.10 aufgeführt. Pathogenetisch ist nahezu Nach Implantation von BMS muss diese kombinierte Thrombo-
ausnahmslos die Neointimabildung bedeutsam, die durch Proli- zytenaggregationshemmung für mindestens 4 Wochen erfolgen,
feration und Migration glatter Gefäßmuskelzellen hervorgerufen nach Implantation von DES ist sie wegen der Gefahr von Spät-
wird. Diese Prozesse sollen durch die Beschichtung von Stents thrombosen nach heutigem Kenntnisstand für mindestens 6 Mo-
mit antiproliferativen Substanzen wie Paclitaxel oder Sirolimus nate erforderlich (Silber et al. 2007). Abhängig vom individuellen
inhibiert werden. Obgleich diese Wirkstoffe tatsächlich zu einer Risiko sollte eine weitere Gabe für bis zu 12 Monate oder darüber
deutlichen Reduktion der Neointimabildung und somit zu einer hinaus erfolgen. Im Zweifelsfall muss die Absprache mit einem
Verminderung der In-Stent-Restenose-Rate führen, hemmen sie interventionellen Kardiologen getroffen werden.
gleichzeitig auch die Reendothelialisierung im Stentbereich; dies
geht für einen derzeit nicht genau zu beziffernden Zeitraum
mit einem erhöhten Risiko für Stent-Thrombosen einher. Daher
ist nach Implantation von DES zur Vermeidung von Stent-
42 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

2.3.4 Operative Therapie larisierung erreichen. Dies geht in der Regel mit einer Verbesse-
rung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Lebensqualität
Koronare Bypassoperation sowie einer Abnahme des Medikamentenbedarfs einher. Eine
2 Die koronare Bypassoperation dient der Überbrückung signifi- erneute Revaskularisation (erneute Bypassoperation oder PCI)
kanter Koronarstenosen durch die Anlage von Umgehungskreis- ist innerhalb von 3 Jahren bei ca. 5% und innerhalb von 10 Jahren
läufen (Bypasses), die die Perfusion und die Sauerstoffversorgung bei 6–8% erforderlich (Hannan et al. 2005).
von distal der Stenose gelegenen Myokardarealen gewährleisten Eine Prognoseverbesserung konnte für Patienten mit Steno-
sollen. Dies kann durch Verwendung arterieller oder venöser Ge- sen des linken Hauptstamms oder einer Drei- bzw. Zweigefäßer-
fäße erfolgen. krankung mit signifikanter Stenose der proximalen LAD gezeigt
Die konventionelle Bypassoperation wird am nichtschlagen- werden. Der Überlebensvorteil ist bei eingeschränkter linksvent-
den Herzen unter HLM-Einsatz durchgeführt. Nach medianer rikulärer Funktion (EF <50%) ausgeprägter. Des Weiteren kann
Sternotomie wird die Aorta abgeklemmt, die obere und untere die Überlebensrate bei Patienten mit KHK und überlebtem plötz-
Hohlvene kanüliert und das Herz mithilfe der kardioplegischen lichen Herztod oder anhaltender Kammertachykardie sowie bei
Lösung temporär stillgestellt und zugleich vor Ischämie-/Reperfu- voroperierten Patienten und mehreren Venengraftstenosen (ins-
sionsschäden geschützt. Routinemäßig wird die linke A. thoracica besondere LAD-Bypasses) verbessert werden.
interna (LIMA) zur Versorgung des LAD-Stromgebietes verwen-
> Der dauerhafte Erfolg einer Bypassoperation wird wesentlich
det. Sie wird aus ihrem Gefäßbett mobilisiert, und das distale
durch die Offenheit der angelegten Bypasses determiniert.
Ende wird vorzugsweise mit dem RIVA (LAD) anastomosiert.
Alternative arterielle Bypassgefäße sind die rechte A. thoracica Die Langzeitoffenheitsrate von arteriellen Bypasses ist deutlich
interna (RIMA), die A. radialis, die A. gastroepiploica und die höher als die von venösen Bypasses. Sie beträgt bei Anlage eines
A. epigastrica (jeweils als freie Transplantate). Zur Revaskularisa- IMA-Bypasses auf die LAD nach einem Jahr 98% und nach
tion mit venösen Bypasses wird meist die V. saphena magna ver- 20 Jahren 90% (Sabik u. Lytle 2008). Dies geht mit einer Verbes-
wendet, um eine Verbindung zwischen der Aorta und der betrof- serung der Prognose im Vergleich zu venösen LAD-Bypasses
fenen Koronararterie distal der Stenose herzustellen. einher. Bei Verwendung anderer arterieller Bypassgefäße liegen
die Offenheitsraten etwas niedriger. Bei venösen Bypasses (in der
Indikationen. Die Indikationen für eine koronare Bypassopera- Regel V. saphena magna) kann es bereits während der Hospital-
tion basieren üblicherweise auf der Schwere der Symptomatik, phase zu thrombotisch bedingten Frühverschlüssen kommen. Im
der Koronaranatomie, der Ventrikelfunktion und Begleiterkran- ersten Jahr muss in 10–20% mit Bypassverschlüssen gerechnet
kungen bzw. dem Operationsrisiko. Die Entscheidung über ein werden, anschließend beträgt die jährliche Verschlussrate 2–5%
primär interventionelles oder operatives Vorgehen muss in jedem (Sabik u. Lytle 2008). Nach 15 Jahren ist etwa die Hälfte der ve-
Einzelfall kritisch abgewogen werden. Klassische Indikationen nösen Bypasses verschlossen. Begünstigende Faktoren für By-
zur operativen Myokardrevaskularisation, für die eine Verbesse- passverschlüsse sind ein geringer Durchmesser des Nativgefäßes
rung der Prognose belegt ist, sind die Hauptstammstenose (Lu- (<1,5 mm), ausgeprägte Atherosklerose distal der Insertionsstel-
menreduktion >50%), die Mehrgefäßerkrankung mit proximaler le und langsamer distaler Blutfluss. Für die höhere Verschlussrate
LAD-Stenose und eingeschränkter LV-Funktion beim Nicht- venöser Bypasses sind die Intimahyperplasie und Neointima-
diabetiker und die Mehrgefäßerkrankung beim Diatetiker. Eine bildung sowie thrombembolische Ereignisse verantwortlich. Die
große Beobachtungsstudie konnte an mehr als 59.000 Patienten Bypassatherosklerose, die in arteriellen Bypassgefäßen praktisch
zeigen, dass die Bypassoperation im Vergleich zur PCI bei Patien- nicht vorkommt, kann über die gesamte Länge von Venenby-
ten mit Mehrgefäßerkrankung hinsichtlich Sterblichkeit und passes auftreten. Durch die postoperative medikamentöse The-
Notwendigkeit zur erneuten Revaskularisation zu besseren Lang- rapie mit Thrombozytenaggregationshemmern und HMG-CoA-
zeitergebnissen führt (Hannan et al. 2005). Dieser Vorteil blieb Reduktase-Hemmern (Statinen) können die Bypassatherosklero-
selbst bestehen, wenn im Rahmen der PCI DES implantiert se vermindert und somit die postoperative Myokardinfarkt- und
wurden (Hannan et al. 2008). Andererseits ist die PCI das weitaus Sterblichkeitsrate reduziert werden.
weniger invasive Verfahren und wird daher von den meisten
Patienten bevorzugt. Ebenso sprechen Begleiterkrankungen und Komplikationen und Risiken. Erfolg und Risiko einer koronaren
ein erhöhtes Operationsrisiko für ein interventionelles Vor- Bypassoperation sind in hohem Maß von der Fallselektion und
gehen. der Erfahrung des Operationsteams abhängig. Das Operations-
risiko steigt mit dem Grad der ventrikulären Dysfunktion, der
> Unabhängig von der ausgewählten Methode ist immer eine
Anzahl von Begleiterkrankungen, dem Lebensalter und der chi-
komplette Revaskularisierung anzustreben.

Die Auswahl des Revaskularisierungsverfahrens basiert letztlich


auf der Koronaranatomie, der Wahrscheinlichkeit einer kom- . Tab. 2.11. Perioperative Komplikationen und deren Häufigkeit bei
pletten Revaskularisierung mithilfe der PCI, dem Diabetesstatus der Bypassoperation
und der Präferenz seitens des Patienten. Komplikationen Häufigkeit [%]
Perioperativer Myokardinfarkt 2–5
Operationserfolg und Offenheitsrate. Durch die operative Myo-
kardrevaskularisation kann bei den meisten Patienten eine deut- Neurologische Komplikationen 4–6
liche Symptomverbesserung erzielt werden. Eine Beseitigung Rhythmusstörungen 10–30
oder erhebliche Besserung der Angina-pectoris-Symptomatik Wundheilungsstörungen/Sternumdehiszenz 0,5–4
lässt sich bei 90% der Patienten innerhalb der ersten 5 Jahre und
Dressler-Syndrom 2–5
bei 50% innerhalb der ersten 10 Jahre nach kompletter Revasku-
2.4 · Akutes Koronarsyndrom
43 2

rurgischen Unerfahrenheit. Perioperative Komplikationen und (»minimal invasive direct CAB«)-Verfahren kann die LIMA am
deren Häufigkeit sind in . Tab. 2.11 aufgelistet. schlagenden Herzen ohne Einsatz der HLM meist mit der LAD
Eine Reihe von Faktoren ist mit einem erhöhten Operations- anastomosiert werden. Um eine komplette Revaskularisierung bei
risiko assoziiert (7 Übersicht 2.11). Bei Patienten ohne schwer- Mehrgefäßerkrankung zu erreichen, kann die MIDCAB-Opera-
wiegende Begleiterkrankungen mit normaler linksventrikulärer tion mit PCI-Verfahren (z. B. Stenting der RCA und/oder RCX,
Funktion beträgt die perioperative Letalität weniger als 1% und Hybridverfahren) kombiniert werden.
steigt mit Anzahl und Schwere der Risikofaktoren an. Insbeson- Ein zunehmend häufig eingesetztes Verfahren ist die Bypass-
dere bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren kann das Operations- operation mit Sternotomie, jedoch ohne Einsatz der HLM. Mit
risiko deutlich erhöht sein. diesem als »off-pump« CAB bezeichneten Verfahren können alle
Gefäßprovinzen unter Verwendung arterieller und/oder venöser
Bypasses am schlagenden Herzen versorgt werden. Obgleich die
. Übersicht 2.11. Faktoren, die mit einem erhöhten Komplikationen, die im Zusammenhang mit dem Einsatz der
Operationsrisiko bei der Bypassoperation assoziiert HLM auftreten können, mithilfe des OPCAB minimiert werden,
sind weisen die Bypassgefäße nach 3 Monaten eine geringere Offen-
heitsrate auf als nach konventioneller Bypassoperation. Bei man-
4 Hauptstammstenose chen Hochrisikopatienten (z. B. ausgeprägte Atherosklerose der
4 Hohes Lebensalter (>80 Jahre) Aorta ascendens, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Störungen des
4 Diabetes mellitus Gerinnungssystems) ist das OPCAB-Verfahren vorteilhaft, da es
4 Manifeste Herzinsuffizienz die Rate nichtkardialer Komplikationen vermindert. Für Patien-
4 Reduzierte inksventrikuläre Pumpfunktion (EF <40%) ten mit normalem Risiko ist der Stellenwert dieses Verfahrens
4 Notfalloperation bisher nicht klar.
4 Reoperation
Herztransplantation
Bei einzelnen Patienten mit schwerster KHK, bei denen nach
Krankenhausletalität und Langzeitüberleben. Bei elektiven Ein- dem angiographischen Befund weder interventionell noch opera-
griffen beträgt die perioperative Letalität ohne schwerwiegende tiv eine sinnvolle Revaskularisierungsmöglichkeit besteht, kann
Begleiterkrankungen weniger als 1%. Insgesamt wird die Kran- als Ultima Ratio eine Herztransplantation erwogen werden. Diese
kenhausletalität bei der Bypassoperation mit 1–4% angegeben. Option besteht insbesondere bei jüngeren Patienten und bei
Wesentliche Ursachen für die perioperative Sterblichkeit sind das intraktablen Angina-pectoris-Beschwerden. Zu den Einzelheiten
Auftreten eines Myokardinfarkts und postoperatives Pumpver- der Herztransplantation 7 Kap. 28.
sagen insbesondere bei Patienten, die bereits präoperativ eine
eingeschränkte Pumpfunktion aufwiesen.
2.4 Akutes Koronarsyndrom
> Das langfristige Überleben nach Bypassoperation hängt vom
kardialen Status des Patienten zum Zeitpunkt der Operation, 2.4.1 Definitionen, Epidemiologie
nichtkardialen Begleiterkrankungen, dem Operationsergebnis und Pathophysiologie
und dem Fortschreiten der Atherosklerose ab.

In der CASS-Studie betrugen die Ein-, Fünf-, Zehn- und Fünf- Definitionen
zehnjahresüberlebensraten nach operativer Myokardrevaskula- Die akut lebensbedrohlichen Formen der KHK werden unter
risation 96, 90, 74 resp. 56 %. Die Zehnjahresüberlebensrate von dem Begriff akutes Koronarsyndrom (ACS) zusammengefasst.
Patienten mit Dreigefäßerkrankung betrug bei Verwendung von Unter klinischem Aspekt sind dies die IAP, der akute Myokard-
LIMA-LAD-Bypasses 89% gegenüber 71% bei Verwendung von infarkt und der plötzliche Herztod. Die Übergänge zwischen
LAD-Venen-Bypasses. Die Langzeitprognose wird entscheidend diesen klinischen Formen sind so variabel, dass sich in den letz-
durch die Kontrolle der vaskulären Risikofaktoren beeinflusst. ten Jahren eine Einteilung der Patienten anhand des EKG in die
Neben Thrombozytenaggregationshemmern wird – unabhängig Gruppen STEMI und NSTEMI und/oder IAP als klinisch prak-
vom Lipidstatus – die lebenslange Therapie mit Statinen empfoh- tikabel erwiesen hat. Mit dieser Differenzierung ist ein unter-
len. Durch Rauchstopp kann nach einer Bypassoperation die schiedliches diagnostisches und therapeutisches Vorgehen ver-
Prognose eines Nichtrauchers erzielt werden. bunden.
> Das ACS stellt besonders hohe Anforderungen an eine schnelle
Minimal-invasive Bypasschirurgie
sowie zielgerichtete Diagnostik und eine konsequente Therapie.
und Off-pump-Verfahren
So genannte minimal-invasive Bypassverfahren und/oder Ein- Dies spiegelt sich in den qualitätssichernden Maßnahmen der wis-
griffe ohne HLM (»off-pump surgery«) zeichnen sich durch ihre senschaftlichen Fachgesellschaften wider, die bei der Behandlung
geringe Invasivität aus und können die Morbidität reduzieren des ACS einen besonders hohen Stellenwert haben. Den aktuellen
sowie die Erholungsphase bei geeigneten Patienten verkürzen. Leitlinien kommt dabei die Aufgabe zu, in standardisierter Weise
Demgegenüber scheinen solche Eingriffe im Vergleich zur kon- zu der praktischen Umsetzung des medizinischen Kenntnisstands
ventionellen Operation nicht zu einer geringeren Rate an post- beizutragen. Die Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie be-
operativen neurokognitiven Dysfunktionen zu führen. ziehen sich auf die 2007 publizierten Leitlinien der European
Bei minimal-invasiven Eingriffen wird statt der Sternotomie Society of Cardiology (ESC; Bassand et al. 2007), der American
ein linksthorakaler interkostaler Zugang gewählt, der nur einen Heart Association (AHA) und des American College of Cardio-
relativ kleinen Schnitt erforderlich macht. Mit diesem MIDCAB logy (ACC; Antmann et al. 2008). Empfehlungsstärke und Evi-
44 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

denzgrad für diagnostische und therapeutische Maßnahmen sind stress) zu einer mechanischen Ermüdung der fibrösen Kappe und
im Text fett hinterlegt und beziehen sich auf die Definitionen begünstigen deren Ruptur.
7 »Evidenzbasierte Empfehlungen« am Buchanfang.
2 Epidemiologie
Kurz gefasst. Ursache des ACS ist in der Regel die Ruptur einer
artherosklerotischen Plaque mit nachfolgender Thrombusbil-
Kardiovaskuläre Erkrankungen stehen an erster Stelle der Todes- dung. Eine solche Plaqueruptur mit der klinischen Symptomatik
ursachenstatistik in Europa. Klassisches Leitsymptom bei Patien- einer IAP oder eines akuten Myokardinfarkts bzw. plötzlichen
ten mit Verdacht auf ein ACS ist der akute thorakale Schmerz, Herztodes ist umso wahrscheinlicher, je größer der Lipidkern des
hinter dem sich ein großes Spektrum von funktionellen Be- Atheroms und je geringer der Anteil glatter Muskelzellen in der
schwerden bis hin zur akut lebensbedrohlichen Myokardischä- fibrösen Kappe ist. Weitere Risikofaktoren sind Entzündungsvor-
mie verbirgt. In Deutschland sterben jährlich ca. 300.000 Men- gänge mit Makrophagenaktivierung und Freisetzung lytischer
schen an einer akuten Myokardischämie. Stationär werden in Enzyme. Neu im pathogenetischem Ansatz ist die zunehmende
Deutschland jährlich ca. 300.000 Patienten mit NSTEMI/IAP Kenntnis über die Schlüsselfunktion entzündlicher Vorgänge als
und ca. 200.000 mit STEMI behandelt. wesentliche Determinanten der Plaqueinstabililtät.

Pathophysiologie
Dem pathomorphologischen und pathofunktionellen Konzept 2.4.2 Klinische Symptome und Diagnostik
des ACS liegen nach heutigem Verständnis 3 gut voneinander
abgrenzbare Komponenten zugrunde: Klinisches Beschwerdebild und Befund
4 Die Atherogenese, ein über viele Jahrzehnte ablaufender
> Der in seiner Intensität sehr variable, meist retrosternale
Prozess, der zu einem allmählichen Gefäßumbau als unab-
Schmerz ist das Leitsymptom des ACS.
dingbarer Voraussetzung für das ACS gilt.
4 Die Plaqueerosion und/oder Plaquefissur als pathomor- Im Gegensatz zur IAP ist der thorakale Schmerz bei NSTEMI und
phologische Weichenstellung zwischen dem ungefährlichen, STEMI trotz häufig gleicher Lokalisation und Ausstrahlung meist
stabilen artherosklerotischen Gefäßumbau und der vulne- wesentlich stärker und länger anhaltend. In der Regel dauert er
rablen Plaque als chronisch-morphologischem Korrelat des über 30 min an und ist oft von Angst, Schweißausbruch, Luftnot
klinisch manifesten ACS. und allgemeinem Schwächegefühl begleitet. Atypische Beschwer-
4 Die Thrombose im Bereich der vulnerablen Plaque als akutes den wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder plötzlicher Stuhl-
funktionelles Korrelat der klinischen Symptomatik. drang kommen besonders bei Frauen und Hinterwandinfarkten
vor und werden über eine Vagusaktivierung ausgelöst.
Als pathophysiologisches Substrat des ACS gilt die instabile ar- Bei etwa der Hälfte der Patienten geht dem eigentlichen
therosklerotische Plaque. Diese Plaque besteht aus 2 Hauptkom- Infarktereignis einige Stunden oder Tage eine Phase starker, in
ponenten: kurzen Abständen aufeinanderfolgender Angina-pectoris-Anfälle
4 einer fibrösen Kappe von glatten Muskelzellen und extrazel- voraus. In großen Studien wurde gezeigt, dass etwa die Hälfte der
lulären Matrixzellen sowie nichttödlichen Herzinfarkte, besonders bei Diabetikern, Hyperto-
4 einem lipidreichen Kern mit Makrophagen und nekrotischen nikern und alten Menschen, stumm und für Patienten und Arzt
Arealen. unbemerkt verlaufen. In der Akutphase variiert der klinische Be-
fund der Patienten mit ACS sehr stark. Bei großen Infarkten mit
Die Plaqueoberfläche, insbesondere beim Vorhandensein eines gestörter Pumpfunktion finden sich über den Unter- und Mittel-
größeren atheromatösen Lipidkerns, ist stark thrombogen. Dies feldern der Lungen feinblasige, im kardiogenen Schock grobbla-
wird evident, wenn die Plaque rupturiert. Eine Plaqueruptur sige Rasselgeräusche. Die einfache Klasseneinteilung nach Killip
erfolgt vorzugsweise in der Schulterregion, da sie die Stelle der hat sich für die klinische Beurteilung am Krankenbett bewährt. Sie
größten mechanischen Belastung darstellt. Nachfolgend kommt erlaubt eine näherungsweise Risikoeinschätzung (. Tab. 2.12).
es zum Einströmen von Blut in den Plaquekern mit Aktivierung
von Thrombozyten und der Koagulationskaskade. Häufig kommt Differenzialdiagnosen
es dann zur Bildung eines Intraplaquethrombus, der einen weite- Ausgeprägte thorakale Schmerzen können auch durch eine akute
ren Zutritt von Blut verhindert und die Rupturstelle abdeckt. Perimyokarditis oder Pleuritis, die bei tiefer Inspiration und
Aufgrund der Thrombogenität der Plaqueoberfläche bildet sich lageabhängig noch zunehmen, ausgelöst werden. Es fehlen jedoch
ein muraler Thrombus variabler Größe, der in das Gefäßlumen die infarkttypischen Laborwert- und EKG-Veränderungen. Der
ragt und dort den Fluss- und Scherkräften des Blutes ausgesetzt Schmerz der akuten Aortendissektion ist retrosternal und wird
wird. Dies kann zur Absprengung von Thrombusteilen mit Mikro- typischerweise als »Vernichtungsschmerz«, oft zwischen den
embolien in die periphere Gefäßbahn führen. Schließlich kann Schulterblättern, charakterisiert. Er ist nicht selten von einer
ein okkludierender Thrombus resultieren, der das Gefäß voll- Schocksymptomatik mit Luftnot, Schweißausbruch und Blutdruck-
ständig verschließt. Die Wahrscheinlichkeit einer Plaqueruptur abfall begleitet. Auch die fulminante Lungenarterienembolie kann
wird durch die intrinsische Vulnerabilität der Plaque, d. h. die einen schweren Thoraxschmerz verursachen. Die zahlreichen an-
Plaquezusammensetzung, und die mechanischen Kräfte, die auf deren bei Thoraxschmerz differenzialdiagnostisch infrage kom-
die Plaque einwirken, bestimmt. Weitere Variablen sind der in menden Krankheitsbilder sind in . Tab. 2.13 aufgeführt.
der Plaque ablaufende Entzündungsprozess und in diesem Zu-
sammenhang das Vorhandensein und die Aktivierung von Ma- Diagnostik
krophagen und T-Lymphozyten. Schließlich führen wiederholte Elektrokardiogramm. Die im Verlauf typischen EKG-Verände-
mechanische Reize (zyklische Dehnung der Gefäßwand, Scher- rungen beim Herzinfarkt erlauben eine Einschätzung der Infarkt-
2.4 · Akutes Koronarsyndrom
45 2

. Tab. 2.12. Killip-Klassifikation


Klasse Klinische Zeichen Beurteilung
I Keine Lungen- oder Halsvenenstauung Keine Herzinsuffizienz, Letalität <5%
II Basale Rasselgeräusche, dritter Herzton, Tachypnoe, Halsvenen- und/oder Leberstau Mäßige Herzinsuffizienz, Letalität 10–20%
III Stauungsrasselgeräusche bis zu den Lungenoberfeldern Schwere Herzinsuffizienz, Letalität 30–40%
IV Lungenödem, Schockzeichen, Blutdruck <90 mmHg, Schweißausbruch, periphere Kardiogener Schock, Letalität 70–90%
Zyanose, Oligurie, Verwirrtheit

. Tab. 2.13. Differenzialdiagnosen bei Thoraxschmerz Das EKG-Bild eines NSTEMI ist meist durch spitz negative,
koronare T-Wellen gekennzeichnet. Der QRS-Komplex bleibt
Organsystem Krankheit
unverändert. Die Dauer der T-Wellenveränderungen ist mit we-
Kardiovaskuläre Rhythmusstörungen nigen Tagen bis hin zu Monaten sehr variabel. Eine regionale
Erkrankung Perikarditis Perikarditis kann zu Abweichungen vom typischen EKG-Verlauf
Myokarditis führen. Man findet dann eine verspätete T-Wellen-Inversion oder
Aortendissektion
eine erneute Positivierung von bereits negativen T-Wellen.
Pulmonale Erkrankung Lungenembolie Infarkttypische Veränderungen der QRS-Gruppe sind die
Pneumothorax Reduktion der R-Amplitude bis hin zum R-Verlust und die Aus-
Skeletterkrankung Rippenfraktur/Prellungen bildung pathologischer Q-Zacken. Pathologisch sind Q-Zacken
BWS-Erkrankungen in den Extremitätenableitungen, wenn ihre Dauer mehr als
Tieze-Syndrom 0,04 s beträgt und der Betrag der Amplitude der Q-Zacke mehr
Gastrointestinale Ösophagusruptur/Ösophagitis als 25% der R-Amplitude der betroffenen QRS-Gruppe ausmacht,
Erkrankung Ulkus/Perforation sog. Pardée-Q. Die R-Zackenreduktion und die pathologische
Akute Pankreatitis Q-Zacke sind Zeichen der Myokardnekrose.
Gallenkolik Der Zeitpunkt des Auftretens von Q-Zacken variiert erheb-
Weitere Krankheitsbilder Herpes zoster lich. Sie können bereits im initialen EKG nachweisbar sein, aber
Tumorerkrankungen des Skeletts/ auch erst nach Tagen auftreten. In etwa 70% der Fälle bleiben
der Thoraxwand sie bestehen und ermöglichen auch nach langer Zeit noch die
BWS Brustwirbelsäule. Diagnose eines abgelaufenen Infarkts. Bei einer Septuminfarzie-
rung sind häufig komplette Rechts- oder Linksschenkelblöcke zu
sehen. Ebenso wie beim vorbestehenden Schenkelblock kann
dadurch die elektrokardiographische Infarktdiagnose erschwert
dauer. Außerdem lässt sich anhand der veränderten Ableitungen oder unmöglich werden. Ein neu aufgetretener Linksschenkel-
die Lokalisation und näherungsweise auch die Größe des Infarkts
bestimmen.
> Beim akuten Herzinfarkt zeigt das Aufnahme-EKG in 60% der
Fälle Zeichen eines Infarkts.

In 25% der Fälle sind EKG-Veränderungen vorhanden, durch die


jedoch die Diagnose »ACS« nicht allein gestellt werden kann. Bei
15% der Patienten ist das EKG normal. In der Regel findet sich
ein typischer Stadienablauf. Die initialen T-Wellen-Veränderun-
gen sind Ausdruck der von subendokardial nach subepikardial
fortschreitenden Ischämie. Betrifft die Ischämie die gesamte
Myokardwand (transmurale Ischämie), so ist in der frühen Phase
eine T-Wellen-Überhöhung, das »Erstickungs-T« zu beobachten.
Bei prolongierter transmuraler Ischämie entwickelt sich die ty-
pische monophasische ST-Strecken-Hebung (STEMI) in den Ab-
leitungen, die das ischämische Gebiet repräsentieren (. Abb. 2.18).
Als indirektes Zeichen für die Infarktentwicklung zeigen sich
ST-Strecken-Senkungen in den Ableitungen, die dem Läsions-
gebiet gegenüberliegen. Das subakute Stadium des Infarkts wird
durch die Inversion der T-Welle eingeleitet, bei der die ST-Strecke
anfänglich noch erhoben ist. Im weiteren Verlauf kehrt die
ST-Strecke auf das Niveau der isoelektrischen Linie zurück. Die . Abb. 2.18. Infarkt-EKG. Typisches Zeichen der transmuralen Ischämie
T-Welle bleibt zunächst negativ. Im chronischen Stadium kann ist die ST-Hebung. Die Zuordnung der ST-Hebungen (Abl. III; Kreis) im
sie gering negativ bleiben oder sich vollständig normalisieren. EKG gibt Aufschluss über die Lokalisation der Ischämie. Betroffen sind
Als Zeichen des abgelaufenen Infarkts bleibt eine Q-Zacke be- hier die Ableitungen II, III,aVF und V5,V6 als Zeichen des ausgedehnten
stehen. Hinterwandinfarkts
46 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.14. Versorgungsgebiete, EKG-Ableitungen und Infarktlokalisation


Koronararterie Infarktlokalisation Betroffene Ableitungen Indirekte Zeichen

2 RIVA proximal Großer Vorderwandinfarkt V1–V6, aVL, I (II), III, aVF


RIVA nach Abgang der Diagonaläste Anteroseptaler Infarkt V1–V4, aVL, I (II), III, aVF
Diagonalast/Posterolateralast Lateralwand aVL, I, V5–V7 –
RCX Posteriorer Hinterwandinfarkt V7–V9, aVF, III V1–V3
RCA Inferiorer Hinterwandinfarkt II, III, aVF V2–V4
Rechtsventrikulärer Infarkt V3r–V6r, V1
RCA »right coronary artery«, RCX Ramus circumflexus, RIVA Ramus interventricularis anterior.

block ist hinweisend für einen großen Vorderwandinfarkt und Dies gründet sich auf eine Reihe von Studien, deren Ergebnisse
eine eingeschränkte Prognose. Lokalisation und Größe eines auch die therapeutischen Konsequenzen beim ACS maßgeblich
Herzinfarkts sind vom Versorgungsgebiet der verschlossenen beeinflusst haben. Erhöhte Troponinwerte finden sich bei etwa
Koronararterie und von der Kollateralversorgung abhängig. Ana- einem Drittel der Patienten mit NSTEMI und bei nahezu allen
tomische Besonderheiten der Koronarversorgung müssen dabei Patienten mit STEMI.
berücksichtigt werden (. Tab. 2.14). So kann es beim koronaren
> Die Troponinbestimmung hat die höchste prognostische Aus-
Rechtsversorgungstyp und proximalen Verschluss der RCA zu
sagekraft für das Infarktrisiko und den Dreißigtageverlauf und
einem ausgedehnten Hinterwandinfarkt mit Beteiligung der in-
ist heute Standard in der Notfalldiagnostik des ACS (I-A).
ferioren, posterioren und lateralen Wand des linken Ventrikels
sowie von Teilen des rechten Ventrikels kommen. Grundsätzlich besteht kein Unterschied in der diagnostischen
Liegt hingegen ein koronarer Linksversorgungstyp vor, wird Wertigkeit zwischen TnT und TnI. Erhöhte Troponinwerte fin-
der Verschluss einer kleinen rechten Kranzarterie nur einen um- den sich frühestens 3–4 h nach dem Ischämieereignis. Dies be-
schriebenen inferioren Infarkt verursachen. deutet, dass ein einzelner negativer Messwert bei Aufnahme des
Um die Infarktausdehnung besser erfassen zu können, wer- Patienten in der Regel zur Beurteilung nicht ausreicht. Deshalb
den bei Verdacht auf einen posterioren Infarkt die Ableitungen sollte eine zweite Messung im Zeitfenster 6–12 h nach der Auf-
V7–V9, wenn eine rechtsventrikuläre Beteiligung beim Hinter- nahme erfolgen (I-A/C). Nach einem Infarkt können die Tro-
wandinfarkt vermutet wird, die rechtspräkordialen Ableitungen poninwerte bis zu 3 Wochen erhöht bleiben. Zur laboranalyti-
V3R–V6R geschrieben. schen Sicherung eines frühen Infarktrezidivs sind CK-MB-Be-
Bei ca. 20% der Hinterwandinfarkte kommt es zur rechtsvent- stimmungen aufgrund der Freisetzungskinetik deshalb besser
rikulären Mitbeteiligung (7 rechtsventrikulärer Infarkt). Direkte geeignet (. Abb. 2.19).
Infarktzeichen mit ST-Strecken-Hebung können in den rechts-
! Cave
präkordialen Ableitungen, V1 und V3R–V6R, auftreten. Selten
Falsch-positive Erhöhungen von TnT und TnI finden sich
kann es auch zu ST-Strecken-Hebungen in V2 und V3 kommen.
bei Patienten mit Niereninsuffizienz [Kreatinin >2,5 mg/dl
Bei einem proximalen Verschluss des RIVA sind die Ablei-
(>220 μmol/l)].
tungen V1–V6, I und aVL verändert. Man spricht dann von einem
großen Vorderwandinfarkt oder einem Vorderwandspitzeninfarkt Ein Anstieg der Troponinwerte ist auch bei anderen Erkrankun-
mit Beteiligung der gesamten Vorderwand, der Lateralwand und gen, die mit einer Myokardzellschädigung einhergehen, möglich:
der anterioren Anteile des Septums. Im akuten Stadium sind spie- wie z. B. bei Myokarditis, Lungenembolie und dekompensierter
gelbildliche Veränderungen in III und aVF zu sehen. Beim Late- Herzinsuffizienz. Grundsätzlich ist das Ergebnis der Tn-Bestim-
ralwandinfarkt ermöglichen die Ableitungen I, aVL und V5–V7 mung immer im Zusammenhang mit den klinischen Befunden
die Diagnose. Koronarmorphologisch findet man beim Lateral- und dem EKG zu interpretieren (I-C).
infarkt meist den Verschluss eines Diagonalasts, wenn die ante-
riore Lateralwand betroffen ist und den Verschluss eines Postero- Andere diagnostische Methoden. Wichtige differenzialdiagnos-
lateralasts, wenn die posteriore Lateralwand betroffen ist. tische Informationen (z. B. regionale Wandbewegungsstörungen)
Der Hinterwandinfarkt wird durch Verschluss der RCA oder kann die Echokardiographie liefern. Die Durchführung eines
des RCX verursacht. Die inferiore und die posteriore Hinter- Belastungs-EKG ist kontraindiziert beim nichtbeschwerdefreien
wand, die posterioren Anteile des Septums, das rechtsventriku- Patienten. Bei fehlenden Risikomerkmalen in der Beobachtungs-
läre Myokard und die posteriore Lateralwand können betroffen periode und unauffälligem Ruhe-EKG kann eine Ergometrie
sein. Beim inferioren Infarkt zeigen sich die direkten EKG-Zei- oder eine andere Untersuchugsmethode zum Ischämienachweis
chen in den Ableitungen II, III und aVF. Indirekte EKG-Zeichen (Stressechokardiographie, Myokardszintigraphie, Stressmagnet-
sind in den Ableitungen I und aVL, seltener in V2–V4 zu sehen. resonanztomographie) bei der Indikationsstellung zur Koronar-
angiographie genutzt werden.
Biochemische Marker. Als Marker der akuten Zellnekrose haben
> Die Koronarangiographie ist derzeit der Goldstandard zur
TnT und TnI aufgrund ihrer hohen Sensitivität und Spezifität die
Diagnose- und Schweregradbeurteilung der KHK.
Bestimmung der Kreatinkinase (CK und ihres Isoenzyms MB)
weitgehend abgelöst. Die aktuellen Infarktdefinitionen der ESC Der angiographische Befund bildet die Basis für die Indikation
basieren deshalb auf diesen neuen biochemischen Parametern. zur interventionellen Therapie (PCI) oder operativen Revaskula-
2.4 · Akutes Koronarsyndrom
47 2

. Abb. 2.19. Freisetzungskinetik der Infarkt-Marker. Troponine und die kards positiv. Ein noch früherer Nachweis einer myokardialen Schädigung
CK-MB werden frühestens 3-4 h nach ischämischer Schädigung des Myo- gelingt nur mit der Myoglobinbestimmung. (Zimmermann et al. 1999)

risation. Außerdem erlaubt die Koronarangiographie eine weiter- Verfahren, wie die Mehrschichtcomputertomographie oder die
gehende Risikostratifizierung. Patienten mit Hauptstammsteno- kardiale Magnetresonanztomographie, die eine nichtinvasive
sen (. Abb. 2.20), schwerer Dreigefäßerkrankung und sichtbarem Darstellung der Koronargefäße erlauben, sind noch nicht für die
intrakoronaren Thrombus (. Abb. 2.21) haben ein erhöhtes Risi- klinische Routinediagnostik beim ACS validiert.
ko. Bis zu einem Viertel der Patienten mit Verdacht auf ACS
haben einen normalen koronarangiographischen Befund oder
nur geringgradige Wandveränderungen. Andere bildgebende 2.4.3 Risikostratifizierung

Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines ACS lässt sich


anhand der . Tab. 2.15 erfassen.
Das akute Risiko bei ACS ist durch das Ausmaß und die
Dynamik der EKG-Veränderungen und den Schweregrad der
Ischämie, der sich in serologischen Veränderungen, z. B. Tropo-
ninanstieg widerspiegelt, bestimmt. Folgende Variablen können
ebenfalls herangezogen werden (I-A): Lebensalter, anamnesti-
sche Daten, wie z. B. frühere Myokardinfarkte, Diabetes, Herz-
insuffizienz und revaskularisierende Maßnahmen. Außerdem
biologische Parameter, wie z. B. inflammatorische Marker (CRP),
Kreatinin-Clerance, NTpro-BNP, eine bereits eingeschränkte
linksventrikuläre Funktion, und angiographische Befunde, wie
z. B. Hauptstammstenose, schwere Dreigefäßerkrankungen und
intrakoronare Thromben.
. Abb. 2.20. Hochgradige Hauptstammstenose
Kurz gefasst: Empfehlung zur Diagnostik/Risikostratifizierung
bei ACS.
4 Patienten mit Verdacht auf ACS müssen überwacht und un-
verzüglich stationär weiter diagnostisch abgeklärt werden.
4 Bei persistierenden typischen Ruheschmerzen >20 min muss
der Krankentransport in ärztlicher Begleitung erfolgen (I-C).
4 Der Patient muss in der Klinik unverzüglich von einem Arzt
gesehen und untersucht werden (I-C).
4 Ein 12-Kanal-EKG ist vom Notarzt prästationär, spätestens
10 min nach stationärer Aufnahme zu schreiben und von
einem qualifizierten Arzt zu beurteilen (I-A/C).

Bei Nachweis einer ST-Strecken-Hebung >0,1 mV in mindestens


2 zusammenhängenden Extremitätenableitungen, einer ST-Stre-
cken-Hebung >0,2 mV in mindestens 2 zusammenhängenden
Brustwandableitungen oder einem Linksschenkelblock mit in-
farkttypischer Symptomatik liegt definitionsgemäß ein STEMI
. Abb. 2.21. Großer hauptstammnaher intrakoronarer Thrombus im mit der Indikation zur unverzüglichen Reperfusionstherapie vor
Ramus interventrikularis anterior (RIVA) (I-A; . Abb. 2.22).
48 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.15. Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines aktuen Koronarsyndroms


Kriterien Wahrscheinlichkeit

2 Hoch Mittel Gering


Anamnese Typische AP, KHK, ACVB-Operation Typische AP, DM, Alter >70 Jahre Atypische AP, typische AP mit Fehlen
begleitender RF
Untersuchung Hypotonie, Herzinsuffizienz, Lungen- Zeichen der generalisierten Arterio- Thoraxschmerz, palpatorisch reprodu-
ödem sklerose zierbar
EKG ST-Senkung, T-Negativierung Q-Zacken, ST/T-Veränderungen ohne EKG unauffällig, T-Abflachung
Dynamik
Nekrosemarker TnI, TnT, CK-MB erhöht Normal Normal
ACVB aortokoronarer Venenbypass, AP Angina pectoris, CK Kreatinkinase, DM Diabetes mellitus, KHK koronare Herzkrankheit, RF Risikofaktor,
Tn Troponin.

peutischen Maßnahmen sind in den 7 Übersichten 2.12 und 2.13


zusammengefasst.

. Übersicht 2.12. Prästationäre Allgemeinmaßnah-


men beim akuten Koronarsyndrom

4 Lagerung mit 30° angehobenem Oberkörper


4 Herzlungenauskultation
4 Periphere Verweilkanüle
4 Blutdruckmessung
4 12-Kanal-EKG
Rhythmusstörungen
. Abb. 2.22. Diagnostischer Algorithmus bei ACS nach den aktuellen
Leitlinien der ESC (Bassand et al. 2007)

. Übersicht 2.13. Primäre therapeutische Massnah-


In allen anderen Fällen liegt ein NSTEMI/IAP vor. Bei die- men beim akuten Koronarsyndrom
sen Patienten ist eine erneute EKG-Registrierung bei jeder
neuen Schmerzepisode und nach 6–12 Stunden zu wiederholen 4 Sauerstoff über Nasensonde/Maske 4–8 l/min
(I-A/C). Blutentnahmen zur Messung von Troponin T und -I 4 Nitrate, sublingual als Kapsel (1–2 Kaps.), als Spray
haben sofort zu erfolgen (. Abb. 2.22). Das Ergebnis sollte (2–3 Hübe in wiederholten Dosen bis zum Therapieeffekt;
spätestens 60 min nach Aufnahme vorliegen (I-C). Bei nega- Cave: Einnahme von PDE-5-Hemmern), 3–5 mg Morphin
tivem ersten Testergebnis muss eine zweite Messung in einem i.v., ggf. wiederholt bis Schmerzfreiheit
Zeitfenster von 6–12 h nach der Aufnahme erfolgen (I-A). 4 Bei vagaler Reaktion 0,5 mg Atropin i.v, ggf. wieder-
Bei persistierenden oder rezidivierenden Beschwerden kann holen, bei Übelkeit/ Erbrechen Antiemetika (z. B. Meto-
es auch erforderlich werden, weitere Messungen durchzu- clopramid)
führen. 4 Bei Tachykardien trotz Schmerzfreiheit und fehlenden
Patienten mit ACS und folgenden Merkmalen sind als Risi- Zeichen der Linksherzinsuffizienz lang wirksame β-Re-
kopatienten für Tod/Myokardinfarkt innerhalb von 30 Tagen zeptorenblocker, z. B. 5 mg Metoprolol langsam i.v.
einzustufen und erfordern eine invasive Abklärung (I-A): TnT 4 Acetylsalicylsäure (>250 mg i.v.), Clopidogrel
oder TnI-Erhöhung, ST-Senkung (über 0,1 mV), hämodyna- (300/600 mg p.o.), Heparin (70 IE/kgKG i.v. maximal
mische Instabilität (z. B. Schock, Rhythmusinstabilität, Kammer- 5000 IE oder 30 mg Enoxaparin i.v. und 1 mg/kgKG s.c)
flimmern/-Flattern, ventrikuläre Tachykardien) und Diabetes
mellitus.

Empfehlung für die antiischämische Medikation.


2.5 Therapie der instabilen Angina pectoris 4 β-Rezeptorenblocker bei fehlenden Kontraindikationen, ins-
und des Nicht-ST-Hebungsinfarkts besondere bei Patienten mit Hypertonie und Tachykardie
(I-B);
2.5.1 Prästationäre Therapiemaßnahmen 4 intravenöse oder orale Nitrate zur Behandlung der Angina
pectoris (I-C);
Die prästationären Therapiemaßnahmen entsprechen denen 4 Kalziumkanalblocker zur additiven Therapie bei Patienten,
bei Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt. Die wichtigsten die bereits Nitrate und β-Rezeptorenblocker erhalten oder bei
prästationären Allgemeinmaßnahmen und die primären thera- denen β-Rezeptorenblocker kontraindiziert sind (IIa-B/C);
2.5 · Therapie der instabilen Angina pectoris und des Nicht-ST-Hebungsinfarkts
49 2

! Cave 4 unfraktioniertes Heparin (UFH),


Nifidipin und andere Dihydropiridine sind außer in Kombination 4 niedermolekulares Heparin (NMH),
mit β-Rezeptorenblockern kontraindiziert (III-B). 4 Fondaparinux,
4 direkte Thrombininhibitoren (DTI) und
4 Vitamin-K-Antagonisten (VKA).
2.5.2 Stationäre Therapiemaßnahmen
Unfraktioniertes Heparin. Unfraktioniertes Heparin ist ein Ge-
Die stationäre Behandlung des NSTEMI/IAP basiert prinzipiell misch aus Polysaccacharidmolekülen mit einem MG zwischen
auf 4 Komponenten: 2000 und 30.000. Aufgrund der starken Plasmaproteinbindung
4 antiischämische Medikation, ist die Steuerung der antithrombotischen Therapie schwierig.
4 Antikoagulation, Trotzdem wird die PTT-gesteuerte Heparintherapie allgemein als
4 Thombozytenaggregationshemmug und pragmatisches Behandlungskonzept empfohlen. Nach einem an-
4 revaskularisierende Therapie. fänglichen Bolus von maximal 5000 IE, gefolgt von einer Infusion
von 1000 IE/h sollte nach 6 h die erste Kontrolle erfolgen (Ziel-
> In Abhängigkeit vom klinischen Verlauf und vom Risikoprofil
wert a PTT 1,5- bis 2-fache Norm, 60–70 s; I-C).
des Patienten muss individuell zwischen einem rein konservativ
medikamentösen Vorgehen oder der Durchführung einer
Niedermolekulares Heparin. Während UFH Faktor Xa und
zusätzlichen Koronarangiographie mit eventuell daraus resul-
Thrombin gleichermaßen hemmt, inhibieren NMH überwie-
tierenden revaskularisierenden Maßnahmen entschieden
gend Faktor Xa und sind damit pharmakologisch günstiger als
werden.
UFH. Darüber hinaus besteht bei NMH ein geringeres Risiko für
die HIT sowie eine geringere Thrombozytenaktivierung. Die Do-
Antiischämische Therapie sierungen für NMH erfolgen körpergewichtsbezogen, üblicher-
Die antiischämische Therapie hat zum Ziel, die Beschwerden des weise subkutan 2-mal täglich mit additiver i.v.-Gabe in Akutsitua-
Patienten zu lindern. Eine deutliche Reduktion der Schmerz- tionen bzw. bei geplanter invasiver Diagnostik. Die Wirksamkeit
symptomatik lässt sich etwa bei 80% der Patienten mit Angina verschiedener NMH in der Therapie des ACS wurde in mehreren
pectoris erreichen. Zur Verfügung stehen Nitrate, β-Rezeptoren- großen Studien überprüft (SYNERGY; 7 »Studienverzeichnis«).
blocker und ggf. Kalziumantagonisten (7 Abschn. 2.5.1). Bisher konnte nicht eindeutig gezeigt werden, dass NMH in
einem Behandlungskonzept frühzeitiger Revaskularisation effek-
Antikoagulation tiver sind als UFH. Ihr Vorteil liegt v. a. in einer leichteren
Bei NSTEMI/IAP werden Antikoagulanzien eingesetzt, um die Anwendbarkeit mit zuverlässiger vorhersagbarer Wirkung nach
Thrombinbildung sowie die Thrombinaktivität und damit asso- subkutaner Gabe, die eine Dosisanpassung nach Gerinnungs-
ziierte thrombotische Ereignisse zu reduzieren. Die Wirksamkeit kontrolle wie bei UFH überflüssig macht.
der Antikoagulation ist in großen Studien nachgewiesen worden.
! Cave
Die Kombination einer antikoagulativen Therapie mit einer
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist eine Dosisanpassung der
Thrombozytenaggregationshemmung ist effektiver als die allei-
NMH notwendig, bei einer Kreatinin-Clearance <30 ml/min sind
nige Therapie mit einem der beiden Medikamente. Der Einsatz
NMH kontraindiziert.
von Antikoagulanzien bedingt allerdings ein erhöhtes Blutungs-
risiko. Die zur Verfügung stehenden Antikoagulanzien greifen
an unterschiedlichen Punkten in der Gerinnungskaskade ein Faktor-Xa-Inhibitoren. Als selektiver Faktor-Xa-Inhibitor ist
(. Abb. 2.23). Folgende Antikoagulanzien werden beim NSTEMI Fondaparinux, ein synthetisches Pentasaccharid für die Behand-
eingesetzt: lung des ACS zugelassen. Es führt zu einer selektiven Inhibiton

. Abb. 2.23. Spektrum und Substanzgrup-


pen der antikoagulativen Therapie bei ACS.
DTI direkte Thrombininhibitoren, NMH nie-
dermolekulare Heparine, UFH unfraktionier-
tes Heparin
50 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

von Faktor Xa und zu einer dosisabhängigen Inhibition der stehenden Antikoagulation mit VKA führt zu einem deutlich
Thrombinbildung ohne direkte Hemmung des Thrombinmole- erhöhten Blutungsrisiko, während die reduzierte Gabe oder der
küls. Nach subkutaner Gabe hat es eine 100%ige Bioverfügbarkeit Verzicht auf Thrombozytenaggregationshemmer das Risiko für
2 und eine Eliminationshalbwertzeit von 17 h; dies ermöglicht eine thrombotische Ereignisse erhöht, insbesondere dann, wenn ein
einmal tägliche Gabe. Stent implantiert wurde. Daten aus randomisierten Studien, die
eine klare Definition der optimalen Behandlungsstrategie erlau-
! Cave
ben, liegen zurzeit nicht vor, sodass die Therapie auf individueller
Wichtigste Kontraindikation ist eine Nierenfunktionseinschrän-
Basis mit einem Abwägen von Blutungsrisiken auf der einen und
kung mit einer Kreatinin-Clearance <30 ml/min.
thrombembolischen Risiken auf der anderen Seite erfolgen muss
In der OASIS-5-Studie wurden 20078 Patienten mit NSTEMI (Baer u. Erdmann 2007).
randomisiert mit 2,5 mg Fondaparinux oder 1 mg/kgKG Enoxa-
parin 2-mal täglich subkutan über maximal 8 Tage behandelt. Antikoagulation bei PCI. Die Thrombozytenaggregationshem-
Der primäre kombinierte Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt und mung mit Aspirin und eine begleitende antikoagulative Therapie
refraktäre Ischämie) am Tag 9 war mit 5,7 vs. 5,8% für Enoxapa- mit UFH stellen die Standardtherapie der interventionelle Thera-
rin/Fondaparinux nahezu identisch, während schwere Blutungs- pie dar. Alternativ ist der Einsatz von NMH im Rahmen der inter-
komplikationen unter Fondaparinux mit 2,2 vs. 4,1% unter Eno- ventionellen Therapie untersucht worden. Die meisten Erfah-
xaparin um nahezu die Hälfte reduziert werden konnten. Schwe- rungen liegen mit Enoxaparin vor. Bis zu 8 h nach der letzten
re Blutungen waren darüber hinaus ein unabhängiger Prädiktor s.c.-Gabe von Enoxaparin muss bei geplanter PCI keine zusätzliche
für die Sterblichkeit nach 30 Tagen, die unter Fondaparinux sig- Gabe erfolgen. In einem Zeitraum zwischen 8 und 12 h sollte zu-
nifikant niedriger war (2,9 vs. 3,5%, p=0,02) als unter Enoxaparin. sätzliche 0,3 mg/kgKG i.v. gegeben werden. Im direkten Vergleich
Nachteilig im Vergleich zu Enoxaparin war die Beobachtung von mit Fondaparinux traten bei gleicher Wirksamkeit auf ischämische
Thrombusbildungen an Koronarkathetern unter Fondaparinux- Endpunkte unter der Gabe von Enoxaparin signifikant mehr Blu-
gabe. tungskomplikationen nach einem Beobachtungszeitraum von
9 Tagen auf, während ein signifikant vermehrtes Auftreten von
Direkte Thrombininhibitoren. Direkte Thrombininhibitoren Katheterthromben unter Fondaparinux beobachtet wurde.
binden direkt an Thrombin (Faktor Xa) und führen damit zu
einer Inhibition der thrombininduzierten Umwandlung von Kurz gefasst: Antikoagulative Therapie.
Fibrinogen zu Fibrin. Im Gegensatz zu Heparin führen die DTI 4 Eine antikoagulative Therapie wird für alle Patienten zusätz-
nicht zu einer Interaktion mit Plättchenfaktor 4. Zur Verfügung lich zur thrombozytenaggregationshemmenden Therapie
stehen Hirudin, Agatroban und Bivalirudin. Hirudin und seine empfohlen (I-A).
Abkömmlinge werden renal eliminiert und führen zu einer Ver- 4 Die Auswahl sollte unter Abwägung ischämischer Risiken
längerung von PTT und ACT. Beide Gerinnungstests korrelieren und Blutungsrisiken erfolgen (I-B) und sich nach der initial
gut mit den Plamakonzentrationen von Hirudin und Bivalirudin geplanten Therapiestrategie richten, die entweder dringend
und können deshalb zur Therapiekontrolle eingesetzt werden. invasiv, frühzeitig invasiv oder medikamentös konservativ
Die i.v.-Gabe von DTI ist in mehreren großen Studien mit der sein kann (I-B).
Gabe von UFH und NMH verglichen worden. Kürzlich konnte 4 Bei einer dringlich invasiven Strategie sollte sofort mit einer
gezeigt werden, dass Bivalirudin mit zusätzlicher Gabe von Therapie mit Standardheparin (I-C), Enoxaparin (IIa-B)
GP-IIb/IIIa-Inhibitoren einer Kombination aus Standardheparin oder Bivalirudin (I-B) begonnen werden.
und GP-IIb/IIIa-Inhibitoren in Bezug auf ischämische End- 4 Bei stabilen Patienten im Rahmen des NSTEMI und noch
punkte nicht unterlegen war, aber eine signifikant niedrige Rate offener Entscheidung über ein frühinvasives oder konser-
an schweren Blutungskomplikationen aufwies (ACUITY-Studie). vativ medikamentöses Vorgehen soll Fondaparinux aufgrund
Aktuell wird Bivalirudin als alternative Therapie für dringliche des besten Wirksamkeits-/Sicherheitsprofils eingesetzt wer-
und elektive interventionelle Therapiestrategien empfohlen. Wei- den (I-A).
terhin werden Hirudin, Bivalirudin und Agatroban zur antikoa- 4 Alternativ kann Enoxaparin mit einem ungünstigeren Wirk-
gulativen Therapie bei Patienten mit HIT eingesetzt. samkeits-/Sicherheitsprofil dann eingesetzt werden, wenn
das Blutungsrisiko als gering bewertet wird (IIa-B).
Vitamin-K-Antagonisten. Der antikoagulative Effekt der VKA 4 Bei PCI sollte das initial eingesetzte Antikoagulans konsequent
beruht auf einer Hemmung der hepatischen Metabolisierung von beibehalten werden, unabhängig davon, ob es sich um UFH
Vitamin K, die wiederum zu einer Bildung partiell carboxylierter (I-C), Enoxaparin (IIa-B) oder Bivalirudin (I-B) handelt.
und decarboxylierter Proteine mit reduzierter Gerinnungsaktivi- 4 Nur bei einer Vorbehandlung mit Fondaparinux sollte zu-
tät führt. Da der therapeutische Effekt der VKA erst nach 3–5 Ta- sätzlich UFH (50–100 IE/kgKG als Bolus) gegeben werden
gen eintritt, kommt diese Medikamentengruppe nicht für die (IIa-C).
Akutphase des NSTEMI in Betracht. 4 Die Antikoagulation kann 24 h nach einer Intervention (IIa-C)
beendet werden.
> Vitamin-K-Antagonisten werden nur dann eingesetzt, wenn die
4 Im Fall einer konservativen Therapiestrategie können die
Indikation zur Antikoagulation aufgrund anderer Krankheits-
Fondaparinux- oder Enoxaparingaben bis zur Entlassung
entitäten, z. B. Vorhofflimmern oder Zustand nach Implantation
fortgesetzt werden (I-B).
einer Herzklappenprothese besteht.

Die optimale antithrombotische Therapie bei NSTEMI mit Thrombozytenaggregationshemmung


begleitendem Vorhofflimmern ist noch nicht klar definiert. Die Das kardiale Risiko kann bei der IAP durch die Thrombozyten-
additive Gabe von Aspirin und Clopidogrel zu einer bereits be- aggregationshemmung mit ASS auf etwa die Hälfte gesenkt wer-
2.5 · Therapie der instabilen Angina pectoris und des Nicht-ST-Hebungsinfarkts
51 2

. Abb. 2.24. Angriffspunkte der Thrombo-


zytenaggregationshemmer

den (Antiplatelet Trialists Collaboration 2002). Zwischenzeitlich ! Cave


konnte die antithrombozytäre Therapie bei ACS um weitere Clopidogrel sollte mindestens 5 Tage präoperativ pausiert
wirksame Thrombozytenaggregationshemmer erweitert werden werden, sofern dies klinisch zu vertreten ist (I-C).
(. Abb. 2.24).
Einige Studien empfehlen höhere Initialdosen von Clopidogrel
Acetylsalicylsäure. Die Gabe von ASS ist eine hochwirksame (600 mg), um eine schnellere Thrombozytenaggregationshem-
und kosteneffektive Standardtherapie. Die in Deutschland mung zu erreichen. Endpunktstudien liegen bei Patienten mit
verbreitete Dosierung von 100 mg/täglich ist als ausreichend NSTEMI dazu noch nicht vor. Ungeachtet dessen zeigen Erfah-
anzusehen (I-A/C). Bei Patienten, die bisher kein Aspirin ein- rungen aus anderen klinischen Situationen, dass eine schnellere
genommen haben, ist eine Sättigungsdosis von 250–500 mg, Plättcheninhibition zu einer effektiveren Reduktion klinischer
am besten i.v. (Wirkungseintritt nach ca. 3 min) zu emp- Endpunkte beitragen kann.
fehlen.
Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten. Glykoprotein-IIb/IIIa-An-
Thienopyridine. Beide Vertreter der Thienopyridine (Ticlopidin tagonisten blockieren die Bindung von Fibrinogen an Glykopro-
und Clopidogrel) sind ADP-Rezeptorantagonisten. Ticlopidin tein-IIb/IIIa-Rezeptoren und damit die Ausbildung von Fibrino-
ist im Rahmen des NSTEMI in einer Studie untersucht worden, genbrücken zu Thromboyzten. Bei entsprechender Dosierung
in der eine signifikante, 46%ige Risikoreduktion für den kom- lässt sich die Thrombozytenaggregation über 90% inhibieren.
binierten Endpunkt Tod und Myokardinfarkt nach 6 Monaten Für die Thrombozytenaggregationshemmung bei ACS sind
im Vergleich zu einer Monotherapie mit ASS gezeigt werden Abciximab, Eptifibatid und Tirofiban zugelasssen. Bei Patienten,
konnte. Aufgrund potenziell schwerwiegender Nebenwirkungen die einer konservativen Therapiestrategie folgten, konnte im
wird die Therapie mit Ticlopidin heute nur noch bei Clopidogrel- Rahmen einer Metanalayse eine 9%ige signifikante Risikoreduk-
unverträglichkeit oder -unwirksamkeit empfohlen. Etabliert ist tion für Tod und Myokardinfarkt nach 30 Tagen unter Gabe von
die Kombination von ASS und Clopidogrel bei koronarer Stent- Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorblockern nachgewiesen werden
Implantation zur Verhinderung einer Stent-Thrombose. Bei Pa- (Boersma et al. 2002). Dieser günstige Effekt ging mit einer
tienten mit NSTEMI erwies sich in der CURE-Studie die Kom- erhöhten Rate schwerer Blutungen einher. In einer weiteren Meta-
binationstherapie aus ASS und Clopidogrel einer alleinigen analyse wurden klinische Endpunkte bei Patienten erfasst, die
Therapie mit ASS als signifikant überlegen. Der primäre End- primär medikamentös konservativ behandelt wurden und im
punkt, definiert als Kombination aus kardiovaskulärem Tod, weiteren Verlauf aber einer zusätzlichen invasiven Diagnostik
Myokardinfarkt und Schlaganfall im Verlauf von 9 Monaten und PCI unterzogen wurden. In diesem Patientenkollektiv konn-
konnte um 2,2% im Vergleich zur Monotherapie mit ASS gesenkt te die 9%ige Risikoreduktion bestätigt werden, aber der Vorteil
werden (9,3 vs. 11,5%, p<0,01). Die protektive Wirkung der anti- war in der Untergruppe derjenigen Patienten, die nur medika-
thrombozytären Kombinationstherapie war bereits am Ende mentös konservativ behandelt wurden, nicht mehr signifikant.
der Hospitalphase statistisch nachweisbar (CURE-Studie). Eine Dagegen zeigte eine weitere Metaanalyse bei Patienten mit Dia-
Behandlung mit Clopidogrel ist deshalb über mindestens 9 Mo- betes mellitus eine hochsignifikante Sterblichkeitsreduktion nach
nate zu empfehlen (I-B). Dies gilt nicht für Patienten, bei 30 Tagen, insbesondere bei Diabetikern, die einer interventionel-
denen angiographisch eine KHK ausgeschlossen wurde (I-C). len Therapie unterzogen wurden (Bassand et al. 2007).
Zu beachten ist, dass das absolute Risiko schwerer Blutungen
durch die zusätzliche Gabe von Clopidogrel in der gesamten Kurz gefasst: Thrombozytenaggregationshemmung.
Population um 1% steigt (2,7 vs. 3,7%, p=0,01). Bei Patienten, 4 Acetylsalicylsäure wird für alle Patienten mit NSTEMI/IAP
die sich einer koronaren Bypassoperation unterziehen mussten, in Form einer oralen Gabe von 160–325 mg und einer Erhal-
lag das absolute Risiko schwerer Blutungen in der Verumgruppe tungstherapie mit 75–100 mg empfohlen, solange keine Kon-
bei 3,3%. traindikationen vorliegen (I-A).
52 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

4 Für alle Patienten wird eine initiale Aufsättigungsdosis mit 0,62–0,91) in einem Beobachtungszeitraum von 2–5 Jahren ver-
300 mg Clopidogrel empfohlen, gefolgt von einer Erhaltungs- bunden war.
therapie mit 75 mg (I-A).
2 4 Die Clopidogrelgabe sollte für 12 Monate weitergeführt Zeitpunkt der invasiven Diagnostik. Mit Ausnahme der Indikati-
werden, wenn kein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko besteht onen für die Notfallangiographie und die Revaskularisation bleibt
(I-A). die Wahl des optimalen Zeitpunks zwischen Krankenhausaufnah-
4 Bei allen Patienten, bei denen eine Kontraindikation für As- me, Beginn der medikamentösen Therapie und Einleitung einer
pirin vorliegt, sollte alternativ Clopidogrel gegeben werden invasiven Diagnostik kontrovers. In der ISAR-COOL-Studie mit
(I-B). Einschluss von Hochrisikopatienten, die entweder eine ST-Stre-
4 Um eine schnellere Thrombozyteninhibition zu erreichen, cken-Senkung (65%) oder einen erhöhten Tn-Wert (67%) aufwie-
kann bei Patienten, bei denen eine PCI geplant ist, eine Auf- sen, führte eine Verzögerung der invasiven Diagnostik (2–3 Tage)
sättigungsdosis von 600 mg Clopidogrel gegeben werden nicht zu einer Verbesserung des Krankheitsverlaufs. Im Gegenteil,
(IIa-B). Patienten, die zu einer sofortigen interventionellen Therapie ran-
4 Bei Patienten mit intermediärem bis hohem Risiko wird die domisiert wurden (im Mittel 2,4 h nach Krankenhausaufnahme),
additive Gabe von Eptifibatid oder Tirofiban empfohlen hatten eine geringere Inzidenz für Tod und Myokardinfarkt nach
(IIa-B). 30 Tagen, verglichen mit Patienten, bei denen die interventionelle
4 Auswahl und Dosierung der Kombinationstherapie mit Throm- Therapie verzögert wurde (im Mittel 86 h nach Aufnahme und
bozytenaggregationshemmern sollten auf einer kritischen eingeleiteter medikamentöser Therapie). Im Gegensatz dazu tra-
Nutzen-Risko-Abwägung (Verhinderung thrombotischer ten in der ICTUS-Studie bei Patienten, die einer frühen routine-
Komplikationen vs. Blutungskomplikationen, I-B) basieren. mäßigen invasiven Diagnostik unterzogen wurden, signifikant
4 Bei Hochrisikopatienten ohne Vorbehandlung mit Glyko- mehr Herzinfarkte auf als bei Patienten mit einer primär konser-
protein-IIb/IIIa-Rezeptorblockern sollte vor der PCI Abcixi- vativen Therapiestrategie (15 vs. 10%, p=0,05).
mab gegeben werden (I-A).
> Aufgrund der aktuellen Datenlage kann ein routinemäßiges
4 Die i.v.-Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorblockern
frühinvasives Vorgehen, vorausgesetzt die Patienten sind me-
muss mit Antikoagulanziengabe (UFH, NMH) kombiniert
dikamentös stabilisierbar, nicht generell empfohlen werden
werden (I-A).
(Bassand et al. 2007).
4 Bivaliridin kann als Alternative zu Glykoprotein-IIb/IIIa-Re-
zeptorblockern plus UFH/NMH eingesetzt werden (IIa-B).
Interventionelle Therapiestrategien. Der klinische Verlauf bei
Revaskularisierende Therapie Patienten mit NSTEMI und IAP nach interventioneller Therapie
Durch Fortschritte der Kathetertechnik und der adjuvanten anti- konnte durch Stent-Implantation mit additiver antithromboti-
thrombotischen Therapie hat sich die interventionelle Therapie scher und thrombozytenaggregationshemmender Therapie signi-
des ACS in den letzten Jahren wesentlich ausgeweitet. Prinzipiell fikant verbessert werden. Dabei muss immer das Blutungsrisiko
bestehen aber in der Therapie des NSTEMI/IAP 2 konkurrieren- gegenüber dem Schweregrad der ischämischen Komplikationen
de Behandlungsstrategien. Die früh invasive Strategie strebt in und dem Risikoprofil des Patienten abgewogen werden. Die
Anbetracht des hohen Risikos einer ausgedehnten Myokardisch- Stent-Implantation reduziert die Gefahr des akuten Gefäßver-
ämie unmittelbar nach Aufnahme in die Klinik bei allen Patien- schlusses und der Restenose. Ungeklärt ist, ob DES bei Patienten
ten eine angiographische Diagnostik und, soweit indiziert, eine mit ACS zu einer weiteren Verbesserung der Prognose führen,
Revaskularisation an. Im Gegensatz dazu versucht die konser- denn Sicherheit und Effizienz von DES sind in dieser spezifischen
vative Strategie primär eine medikamentöse Stabilisierung und Patientenpopulation noch nicht prospektiv untersucht. Register-
beschränkt die angiographische Diagnostik auf Patienten mit daten zeigen aber, dass zugelassene DES auch bei Patienten mit
spontaner oder durch Belastung induzierbarer Ischämie trotz ACS zu einer Reduktion der Restenoserate beitragen. Obwohl
maximaler konservativer Therapie. die Häufigkeit von akuten und subakuten Stent-Thrombosen bei
Die konservative Behandlungsstrategie geht dabei davon aus, Patienten mit NSTEMI höher ist als bei Patienten mit stabiler
dass die Beeinträchtigung der Koronardurchblutung durch Bil- KHK, die einer interventionellen Therapie unterzogen wurden,
dung temporärer intrakoronarer Thromben auf dem Boden von führt die Verwendung von DES nicht zu einem höheren Risiko
Plaquerupturen oder Plaqueerosionen hervorgerufen wird, wäh- von Stent-Thrombosen im Rahmen des ACS. Im Hinblick auf die
rend die zugrunde liegende Gefäßstenosierung nicht in jedem potenziell letalen Konsequenzen einer akuten oder subakuten
Fall höhergradig ist. Stent-Thrombose ist es unabhängig davon ratsam, bei Patienten,
Inzwischen liegen mehrere klinische Studien vor, die bei ACS die möglicherweise chirurgischen Eingriffen unterzogen werden
die konservative mit der invasiven Strategie verglichen haben. In müssen, auf Standardstents (BMS) zurückzugreifen. Ein zurück-
diesen Studien wurde ein großer Teil der Patienten, die primär haltender Einsatz von DES empfiehlt sich auch bei Patienten, die
konservativ behandelt wurden, später doch noch einer revas- eine langfristige Therapie mit VKA benötigen.
kularisierenden Therapie (»cross over«) unterzogen, sodass der
tatsächliche klinische Nutzen der Revaskularisierung soger eher Operative Revaskularisation. Etwa 10% der Patienten mit
unterschätzt wurde. Eine Metaanalyse der Cochrane Collabora- NSTEMI/IAP benötigen eine operative Revaskularisation. Bei
tion (Hoenig 2006) zeigt zwar einen Trend zu einer erhöhten diesen Patienten ist das Blutungsrisiko besonders zu beachten, da
Sterblichkeit in der Frühphase nach PCI [ein Monat, relatives sie üblicherweise aggressiv mit Thrombozytenaggregationshem-
Risiko (RR) 1,59; 95%-Konfindenzintervall (95%-CI) 0,96–2,54), mern vorbehandelt wurden. Nach Möglichkeit sollte eine Opera-
der jedoch mit einer signifikanten Senkung der Sterblichkeit (RR tion erst 5 Tage nach Absetzen der Thrombozytenaggregations-
0,75, 95%-CI 0,62–0,92) und der Reinfarktrate (RR 0,75, 95%-CI hemmer erfolgen.
2.5 · Therapie der instabilen Angina pectoris und des Nicht-ST-Hebungsinfarkts
53 2

Kurz gefasst: Revaskularisation. risiko sind Alter, weibliches Geschlecht, Niereninsuffizienz, vor-
4 Eine dringliche Koronarangiographie wird bei Patienten mit bekannte Blutungsneigung, Diuretikatherapie sowie die Gabe
refraktärer oder rekurrierender Angina-pectoris-Sympto- von Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorenblockern und Thromboly-
matik, verbunden mit dynamischen ST-Strecken-Verände- tika. Blutungskomplikationen haben einen ungünstigen Einfluss
rungen, Herzinsuffizienzsymptomen, schweren Herzrhyth- auf die Prognose. Schwere Blutungen erhöhen das Sterblichkeits-
musstörungen oder hämodynamischer Instabilität empfoh- risiko um den Faktor 4 und das Risiko eines erneuten Myokard-
len (I-C). infarkts um den Faktor 5.
4 Eine frühinvasive Diagnostik (<72 h) wird bei Patienten mit
intermediärem Risikoprofil empfohlen (I-A). Management von Blutungskomplikationen. Die Prävention von
4 Eine routinemäßig invasive Diagnostik bei Patienten, bei de- Blutungskomplikationen hat denselben therapeutischen Stellen-
nen kein intermediäres oder hochgradiges Risikoprofil vor- wert wie die Prävention von erneuten ischämischen Ereignissen.
liegt, wird nicht empfohlen (III-C). Eine invasive Diagnostik In der OASIS-5-Studie konnte gezeigt werden, dass die reduzierte
bei diesem Patientenkollektiv sollte nur bei induzierbarer Sterblichkeit der mit Fondaparinux behandelten Patienten nahe-
Myokardischämie erfolgen (I-C). zu ausschließlich auf der im Vergleich zum Enoxaparin signifi-
4 Eine interventionelle Therapie nichtsignifikanter Koronar- kant niedrigeren Rate an Blutungskomplikationen beruht (7 »Stu-
stenosen wird nicht empfohlen (III-C). dienverzeichnis«). Das Blutungsrisiko steigt mit der Dosis anti-
4 Nach kritischer Bewertung der Nutzen-Risiko-Relation im thrombotischer Medikamente, der Dauer der Behandlung, der
Zusammenhang mit bekannten Komorbiditäten und poten- Kombination verschiedener antithrombotischer Medikamente
zieller Notwendigkeit operativer Eingriffe, die ein zumindest sowie dem Wechsel zwischen unterschiedlichen antikoagulativen
temporäres Absetzen der dualen thromboztytenaggrega- Therapiemaßnahmen. Das Blutungsrisiko steigt ebenfalls mit
tionshemmenden Therapie notwendig machen, sollte indivi- zunehmendem Lebensalter, reduzierter Nierenfunktion, gerin-
duell über den zu implantierenden Stenttyp (BMS oder DES) gem Körpergewicht, weiblichem Geschlecht, erniedrigtem Hä-
entschieden werden (I-C). moglobinwert und der Durchführung invasiver Therapiestra-
tegien (I-B). Bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko sollten
Blutungskomplikationen Medikamente, Medikamentenkombinationen und Gefäßzugän-
Die häufigsten nichtischämischen Komplikationen bei Patienten ge gewählt werden, die mit einem besonders geringen Blutungs-
mit NSTEMI/IAP sind Blutungen unterschiedlichen Schwere- risiko verbunden sind (I-B). Geringe Blutungen sollten vorzugs-
grads. Es liegen verschiedene Definitionen für den Schweregrad weise behandelt werden, ohne die aktive Therapie zu unterbre-
von Blutungskomplikationen vor, die sowohl klinische Aspekte chen (I-C). Schwere Blutungen erfordern eine Unterbrechung
(Lokalisation und hämodynamische Bedeutsamkeit) und/oder oder Neutralisierung der aktiven antithrombozytären oder anti-
die Notwendigkeit für Bluttransfusionen sowie das Ausmaß koagulativen Therapie, bis die Blutung adäquat gestillt werden
des Hämoglobinabfalls zur Einschätzung des Schweregrades he- kann (I-C). Bluttransfusionen können die Prognose der betrof-
ranziehen. Eine Einteilung der Blutungskomplikationen ist in fenen Patienten weiter verschlechtern und sollten bei hämodyna-
. Tab. 2.16 angeben. misch stabilen Patienten zurückhaltend eingesetzt werden, bis zu
Die Tabelle verdeutlicht, dass Häufigkeit und Schweregrad einem Hämatokrit <25% und einem Hämoglobinwert <8 g/dl
von Blutungen je nach Definition in den vorliegenden Studien (<5 mmol/l; I-C).
schwer zu vergleichen sind. Unter Beachtung dieser Limita-
tion muss mit einem Auftreten schwerer Blutungen bei 2–8% der Managementstrategien
NSTEMI/IAP-Patienten gerechnet werden, in Abhängigkeit von Das Spektrum der Patienten mit NSTEMI/IAP ist sehr heterogen.
der eingesetzten Antikoagulation und antithrombozytären The- Die ESC-Leitlinien schlagen deshalb eine stufenweise Diagnostik,
rapie, der Durchführung invasiver Prozeduren und vorbeste- Risikostratifizierung und Therapie dieses heterogenen Patienten-
hender Komorbiditäten. Prädiktoren für ein erhöhtes Blutungs- kollektivs vor (Bassand et al. 2007; Übersicht 2.14; . Abb. 2.25).

. Tab. 2.16. Definition der Blutungskomplikation nach »Thrombolysis In Myocardial Infarction« (TIMI) und »Global Use of Strategies
To improve Outcomes« (GUSTO)
Einteilung Symptome
TIMI-Blutungsklassifikation
Schwere Blutung Intrakranielle Blutung, Hb-Abfall >5 g/dl (3,1 mmol/l)
Moderate Blutung Klinisch eindeutige Blutung mit einem
Hb-Abfall von 3–5 g/dl (1,86–3,1 mmol/l)
Geringe Blutung Klinisch eindeutige Blutung mit einem
Hb-Abfall <3 g/dl (1,86 mmol/l)
GUSTO-Blutungsklassifikation
Schwere oder lebensbedrohliche Blutung Intrakranielle Blutung oder Blutung, die zu hämodynamischer Instabilität führt
Moderate Blutung Blutung, die eine Bluttransfusion notwendig macht, aber nicht zu einer hämodynamischen
Instabilität führt
Milde Blutung Blutung, die weder die Kriterien für schwere noch für moderate Blutungen erfüllt
Hb Hämoglobin.
54 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Übersicht 2.14. Diagnostik, Risikostratifizierung und Therapie nach ESC-Leitlinien

2 1. Stufe: Initiale Bewertung 3. Keine Veränderung im Aufnahme-EKG und im Verlaufs-EKG


a) Beurteilung der Brustschmerzsymptomatik und symptomo- 4. Keine Erhöhung des Troponinwerts
rientierte körperliche Untersuchung Die weitere Therapiestrategie bei diesen Patienten entspricht der bei
b) Risikostratifizierung in Bezug auf das Vorliegen einer KHK stabiler KHK (7 Abschn. 2.3). Vor Entlassung aus dem Krankenhaus
(z. B. Alter, Risikofaktoren, vorbekannte Myokardinfarkte, sollte eine belastungsinduzierbare Myokardischämie ausgeschlos-
Bypassoperation, bereits durchgeführte PCI) sen werden. Nur bei Nachweis einer relevanten induzierbaren Myo-
c) EKG-Beurteilung. ST-Dynamik oder andere EKG-Abnormali- kardischämie sollte eine invasive Diagnostik durchgeführt werden
täten Dringliche invasive Strategie. Eine dringliche invasive Strategie
d) Basierend auf dieser ersten Beurteilung kann der Patient ei- sollte Patienten vorbehalten bleiben, die ein hohes Risiko für
ner der 3 folgenden Arbeitsdiagnosen zugeordnet werden einen akuten Gefäßverschluss haben. Diese Patienten sind cha-
1. STEMI mit der Notwendigkeit einer sofortigen Reper- rakterisiert durch
fusionstherapie 4 Therapierefraktäre Angina
2. NSTEMI/IAP 4 Rezidivierende Angina trotz maximaler antianginöser Thera-
3. ACS eher unwahrscheinlich pie verbunden mit ST-Strecken-Senkung >2 mm oder tief
2. Stufe: Validierung der Diagnose und Risikostratifizierung negativen T-Wellen
Nachdem der Patient der Arbeitsdiagnose NSTEMI/IAP zugeord- 4 Zeichen der Herzinsuffizienz oder der hämodynamischen
net wurde, sollte eine intravenöse und orale medikamentöse Instabilität (kardiogener Schock)
Therapie beginnen. Die Primärbehandlung sollte aus der Gabe 4 Lebensbedrohliche Arrhythmien (z. B. Kammerflimmern
von Nitraten, β-Rezeptorenblockern, ASS, Clopidogrel und Anti- oder VT)
koagulanzien bestehen. Das weitere therapeutische Manage- Additiv zur Standardmedikation sollten diese Patienten zusätzlich
ment basiert auf zusätzlichen Informationen/Untersuchungs- mit Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorenblockern behandelt werden
ergebnissen Frühinvasive Therapiestrategie. Die meisten Patienten können
1. Laborkontrollen, insbesondere Troponine mithilfe der medikamentösen Therapie primär stabilisiert werden,
2. Wiederholte EKG-Analysen, insbesondere Beobachtungen haben aber ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und
des ST-Strecken-Verlaufs benötigen deshalb eine frühzeitige Koronarangiographie. Der
3. Bildgebende Diagnostik mit Echokardiographie, MRT, CT Zeitpunkt für die Koronarangiographie hängt von den örtlichen
oder Myokardszintigraphie zur Beurteilung wichtiger Diffe- Gegebenheiten ab, sollte aber innerhalb eines 72-h-Intervalls lie-
renzialdiagnosen (z. B. Aortendissektion, Lungenembolie) gen bei Patienten, die folgende Merkmale aufweisen:
4. Reaktion des Patienten auf die antianginöse Therapie 4 Erhöhtes Troponin
5. Risikokalkulation (Scoresysteme) 4 Dynamische ST- oder T-Wellen-Veränderungen, >0,5 mm
6. Erfassung des Blutungsrisikos 4 Diabetes mellitus
Die zuverlässige Risikostratifizierung ist eine wichtige Kompo- 4 Eingeschränkte Nierenfunktion (GFR <60 ml/min/1,73 m2
nente für weitere therapeutische Entscheidungen und muss so- 4 Reduzierte LVEF (<40%)
wohl das ischämische Risiko als auch das Blutungsrisiko des Pa- 4 Frühe Postinfarktangina
tienten beinhalten. Da Risikofaktoren für Blutungen und ischä- 4 Interventionelle Therapie innerhalb der letzten 6 Monate
mische Ereignisse sich in vielen Bereichen überlappen, was mit 4 Frühere Bypassoperation
der Koinzidenz eines hohen ischämischen Risikos und eines er- 4 Intermediäres oder hohes kardiovaskuläres Risiko nach Risiko-
höhten Blutungsrisikos gleichbedeutend ist, wird die Auswahl score
der medikamentösen Therapiestrategie und die Auswahl der Die Festlegung des Zeitpunkts für die invasive Diagnostik muss
adäquaten Dosierung besonders bedeutsam bei diesen Patienten kontinuierlich geprüft und in Abhängigkeit
3. Stufe: Invasive Therapiestrategie von der Veränderung der klinischen Beschwerdesymptomatik
Die invasive Diagnostik sollte durchgeführt werden, um frühe oder Laborparametern reevaluiert werden
Komplikationen zu vermeiden oder langfristig die Prognose des 4. Stufe: Konsequenzen nach invasiver Diagnostik
Patienten zu verbessern. Folglich müssen die Notwendigkeit für Sind angiographisch keine kritischen Koronarstenosen nachweis-
die Durchführung und der optimale Zeitpunkt für die invasive bar, erfolgt eine medikamentös konservative Therapie unter Be-
Diagnostik vom akuten Risiko des Patienten mit NSTEMI/IAP ab- achtung sekundärpräventiver Gesichtspunkte. Die Arbeitsdiagno-
hängig gemacht werden. Dabei sind 3 Kategorien nach zeit- se NSTEMI/IAP muss bei diesen Patienten erneut geprüft werden.
licher Dringlichkeit zu unterschieden Die Empfehlungen für die Auswahl revaskularisierender Maß-
4 Konservativ nahmen bei Patienten mit NSTEMI/IAP sind ähnlich denen für die
4 Frühinvasiv elektive Revaskularisation. Bei Patienten mit Eingefäßerkrankun-
4 Dringend invasiv gen ist eine Stent-Versorgung der kritischen Läsion die Therapie
Konservative Therapiestrategie. Darunter fallen Patienten, der ersten Wahl. Bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankungen muss
die ein geringes kardiovaskuläres Risiko haben und nicht für zwischen einer interventionellen Therapiestrategie oder einer
eine frühinvasive Diagnostik in Betracht kommen Bypassoperation abgewogen werden. Die Antikoagulanzienthe-
1. Kein erneutes Auftreten von Angina pectoris rapie sollte im Rahmen der interventionellen Therapiestrategie
2. Keine Zeichen einer Herzinsuffizienz nicht gewechselt werden.
6
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
55 2

5. Stufe: Entlassung und weiterführende Therapie treten. Aus diesem Grund ist ein Monitoring dieser Patienten
Obwohl bei Patienten mit NSTEMI/IAP die meisten kardiovasku- über einen Zeitraum von 24–48 h hinaus nicht erforderlich. Die
lären Ereignisse in der Frühphase auftreten, bleibt das Risiko für Entlassung hängt von klinischen und angiographischen Parame-
Myokardinfarkt und das Sterblichkeitsrisiko über mehrere Mo- tern ab. Patienten mit NSTEMI/IAP sollten mindestens 24 h nach
nate erhöht. Patienten, die einer frühen interventionellen Thera- erfolgreicher Gefäßversorgung (Stenting) im Krankenhaus ver-
pie unterzogen wurden, haben ein geringes Risiko für die Ent- bleiben. Darüber hinaus ist eine intensive Risikofaktormodifi-
wicklung lebensbedrohlicher Arrhythmien (ca. 2,5%), von kation bei allen Patienten mit der Diagnose NSTEMI/IAP not-
denen 80% während der ersten 12 h nach Symptombeginn auf- wendig

. Abb. 2.25. Managementstrategien bei NSTEMI/IAP nach den aktu- die Notfallversorgung, frühinvasive Versorgung und den konservativen
ellen Leilinien der ESC (Bassand et al. 2007). Differenzierungskriterien für Therapieansatz bei Patienten mit »acute coronary syndrome« (ACS)

2.6 ST-Hebungs-Infarkt Dauer des Zeitintervalls zwischen dem Auftreten der ersten
Symptome und der Einleitung einer definitiven Behand-
Die Behandlung des akuten Myokardinfarkts mit persistierender lung (. Abb. 2.26). Von größter Bedeutung für die Verkür-
ST-Hebung (STEMI) hat in den letzten Jahren erhebliche konzep- zung dieses Intervalls ist die Patientenentscheidungszeit bis
tionelle Veränderungen erfahren, die dazu geführt haben, dass zur Anforderung des Rettungsdienstes. Die Öffentlichkeits-
die Krankenhaussterblichkeit deutlich reduziert werden konnte. arbeit im Sinne einer gezielten Information von Patienten
Zwei Drittel der Gesamtsterblichkeit bei STEMI entfallen aber und Angehörigen zum folgerichtigen Verhalten (Basisreanima-
auf die Prähospitalphase, und davon fällt über die Hälfte in die tion) in kardialen Notsituationen, insbesondere beim Auf-
erste Stunde nach Symptombeginn. treten von Angina pectoris, ist deshalb von entscheidender Be-
deutung.
> Das größte Potenzial zur weiteren Sterblichkeitssenkung bei
STEMI liegt in der Prähospitalphase.

Darüber hinaus besteht eine enge zeitliche Abhängigkeit


zwischen der Effizienz der Reperfusionstherapie und der
56 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Abb. 2.26. Abhängigkeit zwischen Dauer der Ischämiephase und Wirksamkeit der Reperfusion. (Jennings et al. 1983)

2.6.1 Klinische Symptome und Diagnostik nach Infarktbeginn deren Anstieg nicht abgewartet werden. Im
Verlauf des Infarktes kann die Messung der CK-MB hilfreich
Klinischer Befund sein, ein Rezidiv oder einen Zweitinfarkt zu erkennen. Die In-
In der klinischen Symptomatik besteht zwischen NSTEMI/IAP farktgröße lässt sich grob aus der maximalen CK, CK-MB und
und STEMI ein fließender Übergang. Leitsymptom für das ACS dem Troponinwert abschätzen (I-A).
ist der retrosternal betonte Brustschmerz mit Ausstrahlung in
Nacken, Hals, Kiefer, Arme und Oberbauch. Häufig ist diese Bildgebende Verfahren
Beschwerdesymptomatik mit vegetativen Symptomen wie Luft- Prinzipiell sind weitere Verfahren zur Diagnosestellung bei
not, Schweißausbruch, Übelkeit und einem diffusen Gefühl der STEMI in der Akutphase nicht erforderlich. Bei Diskrepanz
Lebensbedrohung verbunden. Bei älteren Patienten, bei Frauen zwischen EKG-Befund und klinischer Symptomatik kann die
und bei Diabetikern kann die Symptomatik auch maskiert sein Echokardiographie zur Entscheidungsfindung hinzugezogen
bzw. atypisch verlaufen. werden. Szintigraphische Verfahren sind in der Routinediagnos-
tik nicht angebracht, da dann besser eine invasive Diagnostik
> Charakteristisch für den Verlauf des STEMI ist eine länger anhal-
erfolgen sollte, an die gleich ein therapeutischer Eingriff ange-
tende (>20 min) nitrorefraktäre Angina-pectoris-Symptomatik.
schlossen werden kann (I-C). In der subakuten und chronischen
Zu den Differenzialdiagnosen des Thoraxschmerzes . Tab. 2.13. Phase kann mithilfe nicht invasiver bildgebender Verfahren, ins-
besondere der MRT, irreversibel geschädigtes Narbengewebe von
Elektrokardiographie noch vitalem, aber ischämischen Myokard differenziert werden.
Das EKG mit den 12 Standardableitungen ist definitionsge-
mäß das Schlüsselinstrument zur Abgrenzung des STEMI vom Kurz gefasst
NSTEMI/IAP (. Abb. 2.18, 7 Abschn. 2.4.2). Die Arbeitsdiagnose 4 Die Diagnose eines STEMI ist möglichst schon prästationär
»STEMI« und damit die Indikationsstellung zur Reperfusions- durch ein 12-Kanalableitungs-EKG zu stellen (I-A).
therapie basiert auf folgenden EKG-Kriterien: 4 Ein STEMI liegt vor bei ST-Strecken-Hebung >0,1 mV in
4 ST-Strecken-Hebung >0,1 mV in mindestens 2 zusammen- mindesten 2 zusammenhängenden Extremitätenableitungen
hängenden Extremitätenableitungen, oder ST-Strecken-Hebungen >0,2 mV in mehr als 2 zusam-
4 ST-Strecken-Hebungen >0,2 mV in mindestens 2 zusam- menhängenden Brustwandableitungen oder Linksschenkel-
menhängenden Brustwandableitungen oder block mit infarkttypischer Symptomatik.
4 Linksschenkelblock mit infarkttypischer Symptomatik. 4 Die Messung von Biomarkern darf die Therapieentscheidung
nicht verzögern (I-C).
> Ein 12-Kanalableitungs-EKG ist vom Notarzt prästationär bzw.
spätestens 10 min nach Ankunft im Krankenhaus zu schreiben
und von einem geschulten Arzt zu beurteilen (I-A/C). 2.6.2 Therapie des ST-Hebungs-Infarkts
Der EKG-Verlauf bleibt nach erfolgter Reperfusionstherapie
durch PCI oder Fibrinolyse ein Schlüsselinstrument zur Beurtei- Prästationäre Therapiemaßnahmen
lung der Prognose. Die prästationären Therapiemaßnahmen bei STEMI entsprechen
denen bei NSTEMI/IAP (. Tab. 2.2 und 2.3). Bei Patienten, die vor
Biochemische Marker dem Infarkt regelmäßig NSAID (sowohl nichtselektive als auch
Bei Patienten mit STEMI und typischen klinischen Symptomen COX-2-Hemmer) eingenommen haben, sollte diese Medikation
darf aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit der Reperfusionsmaß- sofort abgesetzt werden, da ein erhöhtes Risiko bezüglich Sterb-
nahmen und des fehlenden Nachweises spezifischer biochemi- lichkeit, Reinfarkt, Hypertonie, Herzinsuffizienz und Myokard-
scher Marker (Troponine, CK-MB) innerhalb der ersten 2–4 h ruptur besteht (I-C).
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
57 2

> Grundsätzlich sollten NSAID im Rahmen eines Infarktgesche- Der durch die prähospitale Lyse erreichbare Zeitgewinn liegt
hens nicht eingesetzt werden (I-C; Antmann et al. 2008). zwischen 30 und 130 min, im Mittel sind es 60 min. Besonders
wirksam ist die prästationäre Lyse in den ersten 3 h nach Schmerz-
β-Rezeptorenblocker. Eine orale β-Rezeptorenblocker-Therapie beginn und in diesem Zeitintervall einer PCI bezüglich Reduk-
sollte bei Patienten mit Herzinfarkt innerhalb von 24 h begonnen tion der Letalität gleichwertig. Allerdings ist bei prähospitaler
werden, wenn keine Zeichen einer Herzinsuffizienz bzw. die Ge- Lyse eine geringe Häufung prähospitalen Kammerflimmerns
fahr eines kardiogenen Schocks besteht. Weiterhin sollten Kon- beobachtet worden (Reperfusionsarrhythmie). Metaanalysen
traindikationen, insbesondere AV-Blockierungen und Asthma ergeben eine signifikant niedrigere Dreißigtagesterblichkeit bei
beachtet werden (I-B). Patienten mit mittelgradiger und hoch- prähospitaler Lyse bis zur sechsten Stunde nach Symptombeginn
gradiger linksventrikulärer Pumpfunktionsstörung sollten β-Re- im Vergleich zum späteren Lysebeginn im Krankenhaus. Liegt
zeptorenblocker in Form einer langsamen Dosissteigerung der Zeitgewinn durch die prähospitale Lyse über 90 min, so hat
im Rahmen der Sekundärprävention erhalten (I-B; Smith et al. sich auch in Einzelstudien die Überlegenheit dieses Therapiekon-
2006b). Eine i.v.-Gabe von β-Rezeptorenblockern kommt bei zeptes erwiesen. Notarztwagen sollten deshalb die Möglichkeit
Patienten, die im Rahmen des Infarktes hypertensiv sind und der Lysetherapie am besten mit bolusinduzierbaren Fibrinolytika
keine Zeichen einer Herzinsuffizienz oder eines kardiogenen vorhalten (I-C). Für die sog. Notfalllyse (Ultima-Ratio-Lyse) bei
Schocks aufweisen, in Betracht. therapierefraktärem Reanimationsversuch liegen beschränkte
Hinweise auf deren Wirksamkeit vor.
Prästationäre Fibrinolyse. Die Effizienz der Fibrinolyse bei Die Kombination aus Fibrinolytika und Glykoprotein-IIb/
STEMI ist bis zu 1 h nach Symptombeginn belegt und zeitab- IIIa-Rezeptorenblockern hat sich nicht als vorteilhaft erwiesen.
hängig (I-A). In den ersten 2–4 h nach Symptombeginn beginnt Ebenso kann eine »facilitated PCI« mit Fibrinolyse vor geplanter
ein exponentieller Wirksamkeitsverlust der Lysetherapie, danach PCI nicht empfohlen werden, da signifikante höhere Raten für
fällt die Wirksamkeit linear ab. Für die Prognose des Patienten ist die Sterblichkeit, nichtfatale Reinfarkte und nichtnotfallmäßige
deshalb jeder Zeitgewinn in den ersten Stunden nach Symptom- Reinterventionen sowie schwere Blutungen im Vergleich zur pri-
beginn von erheblicher Bedeutung. Patienten, die sich primär an mären PCI auftraten (Bassand et al. 2007).
den Rettungsdienst wenden, haben in der Regel die kürzeste
Symptomdauer und sind deshalb meist noch im idealen therapeu- Stationäre Therapie
tischen Zeitfenster (»golden hour«). Es ist deshalb nahe liegend, Nach der stationären Aufnahme muss der Infarktpatient sofort
eine geplante Fibrinolyse auf den Zeitpunkt des ersten prähospi- von einem qualifizierten Arzt gesehen werden. Dieser prüft,
talen Patientenkontaktes vorzuverlegen (I-A). Indikation und welche Form der Reperfusionstherapie unter Beachtung des All-
Kontraindikation der fibrinolytischen Therapie entsprechenden gemeinzustands (Schock), des Zeitfensters und der logistischen
denen unter Krankenhausbedingungen (7 Übersicht 2.15). Möglichkeiten optimal ist. Die Einleitung einer Fibrinolyse darf
nicht länger als 30 min benötigen. Bei geplanter primärer PCI
darf die »Door-to-balloon«-Zeit nicht mehr als 60 min betragen
. Übersicht 2.15. Indikationen/Kontraindikationen (1-C). Der Patient muss auf einer Intensivstation mit kontinuier-
der Lysetherapie licher Monitorüberwachung und allen Möglichkeiten der kardio-
pulmonalen Reanimationsversorgung aufgenommen werden.
Indikationen
4 ST-Strecken-Hebungen über 0,1 mV in mehr als 2 zusam- Thrombolyse
menhängenden Extremitätenableitungen und um Bei Patienten mit einem Symptombeginn von weniger als 12 h im
4 >0,2 mV in mehr als 2 zusammenhängenden Brust- Rahmen des Infarktgeschehens ist die Thrombolyse zur Reper-
wandableitungen oder fusionstherapie etabliert (I-A). Dasselbe gilt für Patienten mit
4 Linksschenkelblock mit infarkttypischer Symptomatik Linksschenkelblock und mit für einen akuten Myokardinfarkt
Absolute Kontraindikationen typischer Symptomatik und Anamnese (I-A).
4 Schlaganfall in den letzten 6 Monaten
! Cave
4 Trauma, Operation
Hauptrisiko der Fibrinolyse sind Blutungen, insbesondere intra-
4 Kopfverletzung innerhalb der letzten 3 Wochen
kranielle Blutungen am ersten Tag.
4 Neoplasma oder neurologische ZNS-Erkrankung
4 Magen-Darm-Blutung innerhalb des letzten Monats Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für eine thrombolytische Therapie
4 Bekanntes Blutungsleiden ist bei Patienten über 75 Jahre umstritten. Daten aus randomi-
4 Dissezierendes Aortenaneurysma sierten Studien rechtfertigen die Fibrinolyse aber auch in dieser
Relative Kontraindikationen Altersgruppe. Die absoluten und relativen Kontraindikationen
4 TIA , in den letzten 6 Monaten für die Lysetherapie sind in 7 Übersicht 2.15 dargestellt. Die zur
4 Orale Antikoagulanzientherapie Verfügung stehen Fibrinolytika und deren Dosierung sind in
4 Schwangerschaft . Tab. 2.17 zusammengefasst.
4 Nichtkomprimierbare Gefäßpunktion Bei einer früheren Streptokinasebehandlung sollte Strepto-
4 Therapierefraktäre Hypertonie (systolische >180 mmHg) kinase wegen möglicher Antikörperbildung nicht erneut gegeben
4 Aktives Ulkusleiden werden (I-C). Für Alteplase in der akzelerierten Dosierung
4 Floride Endokarditis (. Tab. 2.17) mit einer PTT-wirksamen Heparinbegleittherapie
4 Fortgeschrittene Lebererkrankung spricht die im Vergleich zur Streptokinase geringere Letalität
4 Traumatische Reanimationsmaßnahmen nach 30 Tagen. Nach der GUSTO-Studie überleben zusätzlich
10 von 1000 Patienten mit akutem Myokardinfarkt, wenn sie mit
58 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.17. Fibrinolytika


Medikation Dosierung Heparinbegleittherapie

2 Streptokinase (SK) 1,5 Mio. IE über 30–60 min Keine Initialgabe


Alteplase (tPA) 15 mg i.v.-Bolus i.v.-Bolus 60 IE/kgKG maximal 4000 IE
0,75 mg/kgKG über 30 min i.v. Infusion:
0,5 mg/kgKG über 60 min iv.-Gesamtdosis 12 IE/kgKG/h über 48 h
<100 mg Maximal 1000 IE/h
Ziel: aPTT 50–70 s
Reteplase (r-PA) 10 U+10 IE .i.v.-Bolus im Abstand von 30 min iv.-Bolus 60 IE/kgKG
Maximal 5000 IE i.v.-Infusion
12 IE/kgKG/h über 48 h
Maximal 1000 IE/h
Ziel:aPTT 50–75 s
Tenecteplase (TNK-tPA) i.v.-Bolus: iv.-Bolus 60 IE/kgKG
30 mg <60 kgKG Maximal 5000 IE. i.v.-Infusion
35–60 mg <70 kgKG 12 IE/kgKG/h über 48 h
40–70 mg <80 kgKG Maximal 1000 IE/h
45–80 mg <90 kgKG Ziel: aPTT 50–75 s
50 mg >90 kgKG
aPTT aktivierte partielle Thromboplastinzeit.

Alteplase statt mit Streptokinase behandelt werden. Reteplase Das Ausmaß der Restitution des Blutflusses (ungehindert, zöger-
und Tenecteplase haben gegenüber Alteplase den zusätzlichen lich oder gar nicht) wird nach der TIMI-Studie in 4 Stufen
Vorteil einer verlängerten Halbwertszeit mit der Option einer (TIMI 0–3; . Tab. 2.4) eingeteilt.
Doppel- bzw. Einzelbolusgabe, die die Durchführung der fibrino- Die PCI kann bei der Behandlung des STEMI in unterschied-
lytischen Therapie im klinischen Alltag, insbesondere im prästa- licher Weise eingesetzt werden. Man unterscheidet:
tionären Bereich, erleichtert. 4 primäre PCI: interventionelle Therapie ohne zusätzliche
Lysetherapie,
Perkutane Koronarintervention 4 Rescue-PCI: bei ineffektiver Lysetherapie und
Beim akuten STEMI kann in mehr als 90% der Fälle ein throm- 4 »facilated« PCI: Kombination aus primärer Thrombolyse
botisch verschlossenes Koronargefäß dargestellt werden. In diesen mit nachfolgender PCI.
Fällen wird versucht, den subtotalen oder kompletten Gefäßver-
schluss mithilfe eines Führungsdrahts zu passieren, um anschlie- Die primäre PCI ist die einzige Option zur Revaskularisation bei
ßend eine Ballondilatation in Kombination mit einer Stent-Im- einer unklaren diagnostischen Situation (I-C) und bei Kontra-
plantation durchzuführen. Dadurch werden eine Fragmentierung indikation zur Fibrinolyse (I-B). Bei Patienten mit kardiogenem
des Thrombus und eine Beseitigung der präexistenten Gefäßste- Schock sind die Ergebnisse mit der Fibrinolyse schlecht, sodass
nose erreicht (. Abb. 2.27). In mehr als 90% der Fälle gelingt es, auch hier die Katheterintervention vorrangig empfohlen wird
den Blutfluss im zuvor verschlossenen Gefäß wieder herzustellen. (I-B). Für die Fibrinolyse ist eine Senkung der Sterblichkeit nur

a b

. Abb. 2.27a,b. Subtotale proximale RCA-Stenose und thrombotischer »stenting« der RCA zeitgerechte Kontrastierung des Gefäßes bis in die
Gefäßverschluss im mittleren RCA-Drittel (a). Nach Rekanalisation und Peripherie (b)
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
59 2

. Tab. 2.18. STEMI-Therapieempfehlung bei Schmerzbeginn < 12 h. . Tab. 2.19. Zeitlimits der Perfusionstherapie. (Hamm 2004b)
(Hamm 2004b)
Erstkontakt bis prä- »Contact to needle« <30 min
Rang Maßnahme Evidenz Empfeh- stationäre Fibrinolyse
lungsstärke/ Einleitung der stationären »Door to needle« <30 min
Evidenz Fibrinolyse Maximaler tole-
1 Primäre PCI innerhalb 2 h Mehrere rando- I-A rabler Zeitverlust
(»contact to balloon«) misierte Studien PCI vs. Lyse 90 min
2 Prästationäre Lyse mit Randomisierte I-B Erstkontakt bis zur PCI »Contact <120 min
anschließender Verbrin- Studien to balloon«
gung in ein Krankenhaus
Einleitung der primären »Door to balloon« <30 min
mit PCI
PCI mit Ankündigung
3 Prästationäre Lyse Mehrere rando- I-A
Einleitung der primären »Door to balloon« <60 min
und Verbringung in ein misierte Studien
PCI ohne Ankündigung
Krankenhaus ohne PCI
4 Stationäre Lyse Viele randomi- I-A
sierte Studien
STEMI-Patienten, die in einem Krankenhaus ohne PCI-Mög-
lichkeit aufgenommen werden und nicht innerhalb eines
für einen Zeitraum von 12 h nach primärem Symptombeginn Zeitraums von 90 min einer PCI zugeführt werden können,
nachgewiesen. Ob dieses generelle Zeitlimit von 12 h auch für sollten fibrinolytisch behandelt werden (I-C). Die Fibrinolyse
die Primär-PCI gilt, ist unklar. Generelle Empfehlung für eine sollte innerhalb von 30 min nach Krankenhausaufnahme durch-
Primär-PCI jenseits der 12-h-Grenze können zum jetzigen Zeit- geführt werden, wenn keine Kontraindikation vorliegt (I-B;
punkt nicht abgegeben werden. Allerdings ist die Indikation bei . Tab. 2.19).
persistierenden Beschwerden und/oder ST-Streckenhebungen Die primäre PCI sollte von erfahrenen Untersuchern einer
und beim kardiogenen Schock auch nach diesem Zeitintervall Klinik mit mindestens 40 Infarktinterventionen/Jahr und mit
großzügig zu stellen. guter intrahospitaler Logistik, d. h. kurze Zeitintervalle von der
stationären Aufnahme des Patienten bis hin zur Katheterinter-
Primäre PCI als Routinestrategie. Der Vorteil der primären PCI vention durchgeführt werden. Krankenhäuser ohne Möglichkeit
als routinemäßige Reperfusionsstrategie im Vergleich zur Fibri- zur Katheterintervention sollten sich an einem Netzwerk zur
nolyse konnte in den letzten Jahren durch eine Reihe von Studien Herzinfarktversorgung beteiligen bzw. eine entsprechende Logis-
belegt werden (. Tab. 2.18). Die Metaanalyse der verfügbaren Da- tik aufbauen. Dazu sind lokale Bedingungen zu schaffen, die eine
ten aus randomisierten Studien zeigt eine Reduktion der Infarkt- optimale Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst (Notärzte),
sterblichkeit durch die PCI im Vergleich zur Fibrinolyse um 25%, Leitzentralen, nichtinvasiven Krankenhäusern und einem quali-
die im Langzeitverlauf erhalten bleibt. Dieses Ergebnis wird fizierten Katheterlabor gewährleisten (. Abb. 2.28; Kölner Infarkt-
durch randomisierte Studienregisterdaten mit über 100.000 Pa- modell).
tienten bestätigt. Die Behandlungsabläufe sind eindeutig festzulegen, damit
Zusätzlich zur Verbesserung der Überlebensrate reduziert keine Zeit durch Unsicherheiten in der Organisation verloren
die primäre PCI im Vergleich zur Fibrinolyse das absolute geht. Dieser Algorithmus muss die verschiedenen Zeitlimits be-
Schlaganfallrisiko um 1%; dies beruht auf einer Reduktion von rücksichtigen und ein unkompliziertes Meldesystem beinhalten.
Hirnblutungen. Auch das Reinfarktrisiko wird durch die PCI im Der maximale Zeitverlust im Vergleich zum Beginn der Fibrino-
Vergleich zur Fibrinolyse um ca. die Hälfte gesenkt. Die posi- lyse (Nettozeitverlust) darf 90 min nicht übersteigen (I-C). Das
tiven Effekte der primären PCI bleiben im Langzeitverlauf er- Interventionszentrum muss direkt unter Umgehung des nächst-
halten. gelegenen Krankenhauses angefahren werden und die Katheter-
bereitschaft durch den primär versorgenden Notarzt vorab akti-
Auswahl der Reperfusionstherapie. Unabhängig von der gewähl- viert werden. Bei schlechten Transportbedingungen und man-
ten Reperfusionsstrategie ist das entscheidende Konzept bei Pa- gelnder Transportkapazität können die erwarteten Zeitverluste
tienten mit STEMI die Zeit von Symptombeginn bis zum Beginn durch den Transport und die Vorbereitungen der PCI 90 min im
der Reperfusionstherapie (totale Ischämiezeit) zu reduzieren. Vergleich zum Beginn der Fibrinolyse überschreiten. In diesem
Prinzipiell ist bei der Wahl der Reperfusionsstrategie zwischen Fall ist die Fibrinolyse dem Transport zur PCI vorzuziehen. Ge-
2 Krankenhaustypen zu unterscheiden, solchen, die eine Notfall- nerell sollte dann die Fibrinolyse so früh wie möglich, d. h. durch
PCI anbieten können, und solchen, die keinen Zugang zu kathe- den Notarzt erfolgen. Individuell ist trotz Lysetherapie eine Ver-
terinterventionellen Therapiemöglichkeiten haben. bringung in ein interventionelles Zentrum zu erwägen, da bei bis
Wenn eine Notfall-PCI möglich ist, dann sind die besten Er- zu 25% der Patienten eine »Rescue-PCI« notwendig wird. Wird
gebnisse zu erwarten, wenn diese im Rahmen einer 24-h-Bereit- primär eine Fibrinolyse durchgeführt, so sollten die Patienten ca.
schaft angeboten werden kann. 90 min nach Beginn erneut über ihre Beschwerden befragt wer-
den und ein Kontroll-EKG erhalten (I-C). Bei Hinweisen auf eine
> Ziel des Versorgungssystems sollte es sein, die Logistik so zu nichterfolgreiche Fibrinolyse (persistierende Beschwerden, in-
optimieren, dass zwischen dem ersten Kontakt mit dem Ret- komplette oder fehlende ST-Resolution, hämodynamische Ver-
tungsystem und der Balloninflation in der Koronararterie nicht schlechterung) sollte die sofortige Verlegung zu einer »Rescue-
mehr als 120 min vergehen (I-A). PCI« geprüft werden (I-B/C).
60 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Abb. 2.28. Kölner Infarktmodell – 12-Kanal-EKG im Notarztwagen gebiet verbracht und innerhalb von 48 h nach erfolgter Intervention in
und Risikostratifizierung durch den Notarzt. Patienten mit ST-Hebungs- das zuständige Heimatkrankenhaus verlegt. Patienten mit NSTEMI/IAP
infarkt werden direkt in eine von 5 Interventionskliniken im Kölner Stadt- werden primär in das zuständige Heimatkrankenhaus gebracht

Operative Myokardrevaskularisation grund einer diffusen KHK und einer reduzierten linksventriku-
Die Bypasschirurgie besitzt als Alternative zur frühen Reperfu- lären Funktion, die prinzipielle Indikation zu einer chirurgischen
sionsstrategie beim STEMI keine Bedeutung. Revaskularisation besteht (I-C).
Die Gründe dafür sind die beträchtliche Zeitverzögerung bis
zum Beginn einer Operation und die hohe Komplikationsrate Stammzelltherapie
von Akuteingriffen. Die Langzeitmortalität nach akutem Myokardinfarkt ist trotz
Eine Bypassoperation kann unter folgenden Umständen optimaler Therapie (Akut-PTCA/Stent, ACE-Hemmer, β-Rezep-
beim STEMI in Betracht gezogen werden (I-C): torenblocker, Statine) weiterhin hoch. Die Limitierung der etab-
4 Sofortige Bypassoperation nach diagnostischer Herzkathe- lierten Herzinfarkttherapie besteht darin, dass lediglich eine
teruntersuchung: Schadensbegrenzung hinsichtlich der Verschlechterung der
5 erfolglose PCI mit persistierendem Verschluss eines Ge- linksventikulären Funktion möglich ist.
fäßes, wenn eine hämodynamische Instabilität vorliegt
> Die Stammzelltherapie nach akutem Myokardinfarkt stellt zum
oder die erwartete Letalität des chirurgischen Eingriffs
ersten Mal eine Behandlung dar, die eine Regeneration des Myo-
kleiner ist als die einer rein medikamentösen Therapie;
kards zum Ziel hat.
5 Koronarmorphologie, die ungeeignet für eine PCI ist
(z. B. Hauptstammstenose oder schwere diffuse Dreige- Stamm- und Progenotorzellen sind unreife Vorläuferzellen, die in
fäßerkrankung) ohne klar zu identifizierende »führende der Lage sind, in verschiedene Zelltypen auszudifferenzieren, d. h.
Stenose«; verschiedene Ausreifungswege einzuschlagen. Sie werden vom
5 Komplikationen nach PCI, (z. B. Perforation eines Koro- Knochenmark in die Blutbahn freigesetzt und bilden ein von der
nargefäßes). Natur angelegtes Reparatursystem für geschädigte Organe. Für
4 Schwere Infarktkomplikationen (mit begleitender Koronar- therapeutische Anwendungen in der Kardiologie werden heute
revaskularisation): v. a. autologe adulte Stammzellen oder Progenitorzellen einge-
5 schwere Mitralklappeninsuffizienz durch Kapillarmus- setzt, die intrakoronar appliziert werden können (. Abb. 2.29).
keldysfunktion oder -abriss, Trotz aller initialen Erfolge der kardialen Stammzelltherapie
5 Ventrikelperforation, sind die Mechanismen, über die eine günstige Wirkung bei einem
5 Ventrikelseptumdefekt. Herzinfarkt ausgelöst wird, weitgehend unklar. Dies betrifft zu-
nächst die Frage, welche Zellen im Einzelnen aus dem komplexen
Bestehen bezüglich der Indikation im Rahmen der schweren In- Gemisch der transplantierten Zellen für die Wirkung verant-
farktkomplikationen keine zwingenden Gründe zur sofortigen wortlich sind. Auch ist unbekannt, wie viele der transplantierten
Intervention nach der diagnostischen Koronarangiographie, wie Zellen tatsächlich im Herzen verbleiben und ob es überhaupt in
persistierende Beschwerden oder kardiogener Schock, sollte eine ausreichendem Maß zu einer Differenzierung in kontraktile Myo-
Operation erst nach einem zeitlichen Intervall (mehr als 2 Wo- zyten kommt.
chen) durchgeführt werden. Ähnliches gilt für Patienten mit kar- Über erste klinische Erfolge bei Patienten mit linksventriku-
diogenem Schock, bei denen mithilfe der PCI eine hämodyna- lärer Dysfunktion nach einem Herzinfarkt (mindestens 3 Mona-
mische Stabilisierung erreicht werden kann, aber dennoch auf- te zurückliegend) berichtet (TOPCARE-[Transplantation of Pro-
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
61 2

. Abb. 2.29. Stammzelltherapie nach Herzinfarkt. a Ablauf der Stamm- derung von Stammzellen in die Infarktzone, wird erleichtert durch
zelltherapie nach Herzinfarkt. In das durch den Ballonkatheter temporär den unterbrochenen Blutstrom. LAD »left anterior descending artery«.
verschlossene Gefäß wird eine Stammzellsuspension injiziert. b Einwan- (Strauer et al. 2002)

genitor Cells and Regeneration Enhancement]-CHD-Studie). Kurz gefasst. Die Verwendung von Stamm- oder Progenitor-
Globale und regionale linksventrikuläre Funktion verbesserten zellen zur Prävention des Remodelings nach akutem Myokard-
sich deutlich, wenn aus dem Knochenmark stammende Zellen infarkt stellt ein neues Therapiekonzept dar, das erstmals die
injiziert worden waren. Bei zirkulierenden Progenitorzellen war Perspektive eröffnet, die Herzfunktion wieder zu regenerieren.
der Effekt geringer; in der Kontrollgruppe wurde gar keine Ver- Bisherige Studien haben gezeigt, dass die intrakoronare Progeni-
besserung gemessen. Außerdem konnte mit den beiden Zellthe- torzelltherapie nach akutem Myokardinfarkt klinisch praktikabel
rapien der Prognosemarker BNP signifikant günstiger beeinflusst ist und in vielen klinischen Studien mit einer Verbesserung der
werden als in der Kontrollgruppe. Die erste randomisierte Studie linksventrikulären Funktion assoziiert ist. Widersprüchliche Be-
zur intrakoronaren Transplantation von Knochenmarkprogeni- funde bezüglich der Effektivität der Therapie resultieren mög-
torzellen, die eine Kontrollgruppe beinhaltete, ist die BOOST- licherweise aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Therapie so-
Studie (7 »Studienverzeichnis«). Hier wurden 60 Patienten nach wie aus einer bisher fehlenden Qualitätssicherung der transplan-
akutem, optimal behandeltem Myokardinfarkt mit intrakorona- tierten Zellen. Eine Intensivierung der Grundlagenforschung
rer Zelltherapie innerhalb von 5 Tagen nach akutem Myokard- und klinische Studien spezialisierter Zentren sind notwendig um
infarkt aufgenommen und die linksventrikuläre Funktion ver- die Indikationen der »regenerativen Postinfarkttherapie« zu prä-
blindet mithilfe der MRT untersucht. Es zeigte sich eine signi- zisieren und ihren Wert in Bezug auf harte klinische Endpunkte
fikant stärkere Verbesserung der globalen EF der mit Zellen be- zu beurteilen.
handelten Patienten (+6,7%) im Vergleich zum randomisierten
Kontrollkollektiv (+0,7%), allerdings war dieser Unterschied Begleittherapie zur Reperfusion
nach 18 Monaten nicht mehr nachweisbar (Meyer et al. 2006). Antikoagulanzien. Patienten, die eine Fibrinolysetherapie be-
Dies lag jedoch nicht an einer Verschlechterung der LV-Funk- kommen, sollten eine antikoagulative Therapie für mindestens
tion der Zelltherapiegruppe, sondern an einer Verbesserung der 48 h erhalten (I-C; Übersicht 2.16; . Tab. 2.20). Die Therapie
LV-Funktion in der Kontrollgruppe. Im Gegensatz zu den zuvor kann während des gesamten Krankenhausaufenthalts bis zu
aufgeführten Studien zeigte die doppelblinde, randomisierte 8 Tage fortgesetzt werden. Bei längerer Therapiedauer sollten we-
placebokontrollierte Studie von Janssens et al. (2006), dass eine gen des Risikos einer HIT andere Antikoagulanzien bevorzugt
intrakoronare Infusion von Knochenmarkprogenitorzellen inner- werden (I-A; Collet et al. 2006; Giraldez et al. 2007).
halb von 24 h nach dem akuten, erfolgreich reperfundierten
Infarkt keine Verbesserung der linksventrikulären Funktion nach Thrombozytenaggregationshemmer. Acetylsalicylsäure sollte
4 Monaten bewirkt, jedoch ist die Infarktnarbe, gemessen als bei allen Infarktpatienten unter Beachtung der absoluten Kontra-
»late enhancement« im MRT, nach 4 Monaten bei den mit indikation (z. B. blutendes Ulkus, bekannte Allergie) so früh wie
Stammzellen behandelten Patienten kleiner. In der ASTAMI-Stu- möglich (250–500 mg i. v.) gegeben werden. Bei Fibrinolyse führt
die wurden 100 Patienten nach akutem Vorderwandinfarkt 1:1 in ASS additiv zu einer Reduktion der Sterblichkeit (I-A; Bhatt et al.
eine Gruppe, die Knochenmarkzellen erhielt und eine Vergleichs- 2006).
gruppe ohne erneute koronare Intervention/Zelltherapie rando- Zusätzlich zu ASS sollte bei Patienten mit STEMI 75 mg
misiert (7 »Studienverzeichnis«). In dieser Studie zeigte sich nach Clopidogrel/Tag gegeben werden, unabhängig davon, ob eine
6 Monaten keine Verbesserung der linksventrikulären Funktion, fibrinolytische Therapie durchgeführt wird oder nicht (I-A). Die
gemessen mit verschiedenen Methoden wie SPECT, Echokardio- Behandlung mit Clopidogrel sollte mindestens 14 Tage andauern
graphie oder MRT. (I-B).
62 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

! Cave
. Übersicht 2.16. Antikoagulanzien mit etablierter Bei Patienten, die Clopidogrel einnehmen und einer Bypass-
klinischer Wirksamkeit operation unterzogen werden müssen, sollte Clopidogrel für
2 4 Unfraktioniertes Heparin (initialer Bolus 60 IE/kg KG,
mindestens 5 Tage, besser 7 Tage vor der Operation abgesetzt
werden, mit Ausnahme von Notfalloperationen, wenn das kar-
maximal 4000 IE), gefolgt von einer i.v.-Infusion mit diovaskuläre Risiko das Blutungsrisiko überwiegt (I-B; Sabatine
12 IE/kg/h, maximal 1000 IE/h (aPTT von 1,5–2,0, ent- et al. 2005a,b).
sprechend ca. 50–70 s des Kontrollwerts; I-C)
4 Enoxaparin (vorausgesetzt, dass der Serumkreatinin- Eine orale Aufsättigung mit 300 mg Clopidogrel ist bei Patienten
wert < als 2,5 mg/dl (<220 μmol/l) bei Männern und im Alter unter 75 Jahren empfehlenswert. Dies gilt unabhängig
< als 2 mg/dl (<177 μmol/l) bei Frauen beträgt) davon, ob sie eine fibrinolytische Therapie oder keine Reperfu-
– Patienten, <75 Jahre: initialer Bolus von 30 mg i.v., sionstherapie erhalten (I-C). Für ältere Patienten liegen keine
gefolgt von einer s.c.-Gabe 15 min später mit Daten vor (Weiner u. O’Donoghue 2007). Eine Langzeittherapie
1,0 mg/kgKG/12 h mit Clopidogrel 75 mg/täglich ist bei Patienten mit STEMI sinn-
– Patienten, >75 Jahre: keine i.v.-Bolusgabe; s.c.-Gabe voll, unabhängig davon, ob sie eine Reperfusionstherapie mit
wird auf 0,75 mg/kgKG alle 12 h reduziert Fibrinolytika erhalten oder nicht (I-C).
– Bei einer Kreatinin-Clearance <30 ml/min wird die
s.c.-Gabe auf 1 mg/kgKG/24 h reduziert. Die Therapie ACE-Hemmer/AT1-Blocker/Aldosteronantagonisten und andere
mit Enoxaparin sollte vom Aufnahmezeitpunkt bis Substanzen. Patienten mit STEMI, bei denen eine reduzierte
maximal 8 Tage fortgesetzt werden (I-A) LVEF nachgewiesen wurde oder es zur Ausbildung von Herzin-
4 Fondaparinux [vorausgesetzt, dass das Serumkreatinin- suffizienzzeichen kommt, sollten ACE-Hemmer bereits in den
wert <3 mg/dl (<265 μmol/l) beträgt] wird in einer initi- ersten Tagen erhalten (I-A). Dies führt zu einer geringen, aber
alen Dosis von 2,5 mg s.c gegeben, gefolgt von s.c.-Ga- signifikanten Reduktion der Dreißigtagesterblichkeit. Die Gabe
ben mit 2,5 mg/täglich. Die Therapie mit Fondaparinux innerhalb der ersten 24 h nach Infarkt ist nicht zwingend not-
kann bis maximal 8 Tage fortgeführt werden (I-B) wendig. Patienten mit STEMI und einer EF ≤40% sollte dauerhaft
Bei Patienten, die einer PCI unterzogen werden, werden die ein ACE-Hemmer gegeben werden. Dies gilt auch für Patienten
folgenden Dosierung für Antikoagulanzien empfohlen mit Hypertonie, Diabetes und chronischen Nierenerkrankungen
4 Bei primärer Behandlung mit UFH sollte zusätzlich ein (I-A). Angiotensinkonversionsenzymhemmer sollten auch Pa-
UFH-Bolus gegeben werden; hierbei ist die zusätzliche tienten mit niedrigem Risiko nach STEMI, normaler LVEF, wenn
Gabe von GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten zu beachten keine Kontraindikationen bestehen, verabreicht werden (I-B).
(I-C). Bivalirudin kann ebenfalls bei Patienten, die mit Die Gabe von ACE-Hemmern wird auch bei Patienten mit gerin-
UFH vorbehandelt wurden, eingesetzt werden (I-C) gem Risiko, normaler EF nach STEMI und erfolgreicher Revas-
4 Bei Patienten, die mit Enoxaparin vorbehandelt wurden, kularisation empfohlen (IIa-B).
besteht bis zu 8 h nach der letzten s.c.-Injektion keine Die Gabe von Angiotensinrezeptorblockern (AT1-Blockern)
Notwendigkeit einer additiven Gabe. Liegt die letzte wird bei Patienten, die eine ACE-Hemmer-Unverträglichkeit,
s.c.-Dosis 8–12 h zurück, wird eine zusätzliche i.v.-Gabe Zeichen einer Herzinsuffizienz oder eine EF ≤40% aufweisen,
von 0,3 mg/kgKG empfohlen (I-B) empfohlen (I-A). Es ist vorteilhaft, AT1-Blocker bei Patienten, die
4 Bei Patienten, die mit Fondaparinux vorbehandelt wur- eine ACE-Hemmer-Intoleranz aufweisen und eine arterielle Hy-
den, sollte zusätzlich eine antikoagulative Therapie mit pertonie haben, zu geben (I-B). Eine Kombination von AT1-Blo-
UFH oder NMH unter zusätzlicher Beachtung einer Gabe ckern und ACE-Hemmern kann bei systolischer Dysfunktion
von GP-IIb/IIIa-Rezeporblockern vorgenommen werden nach STEMI sinnvoll sein (IIa-B). Die Gabe von Aldosteronan-
(I-C) tagonisten bei STEMI-Patienten wird empfohlen, wenn keine
signifikante Nierenfunktionsstörung und keine Hyperkaliämie

. Tab. 2.20. Antikoagulative Begleittherapie bei STEMI


Antikoagulans Effektivität über 30 Tage Sicherheit Nutzen bei PCI
Reviparin bei Fibrinolyse: wahrscheinlich besser Erhöhtes Risiko schwerer Daten zu Reviparin allein bei PCI liegen nicht vor
als Placebo Blutungen
Fondaparinux bei Fibrinolyse: erscheint besser als die Stan- Tendenziell reduziertes Erhöhtes Risiko von katheterassoziierten
dardbegleittherapie (Placebo/UFH). Der rela- Risiko schwerer Blutungen Thrombosen bei Gabe von Fondaparinux allein,
tive Nutzen gegenüber Placebo und UFH zusätzliche Antikoagulanziengabe wie UFH
kann, basierend auf den zur Verfügung oder Bivalirudin empfohlen. Primäre PCI: hat
stehenden Daten, nicht definitiv bestimmt bei alleiniger Verwendung keinen Vorteil
werden gegenüber UFH
Enoxaparin bei Fibrinolyse: erscheint UFH-Gabe überlegen Erhöhtes Risiko schwerer Enoxaparin kann zur Unterstützung der PCI
Blutungen nach Fibrinolyse eingesetzt werden, keine
Notwendigkeit einer additiven antikoagulativen
Therapie
PCI perkutane Koronarintervention, UFH unfraktioniertes Heparin.
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
63 2

vorliegen und die LVEF ≤40% beträgt bzw. ein Diabetes oder Nur bei tachyarrhythmischem Vorhofflimmern ist eine The-
Herzklappenfehler vorliegt. rapie mit β-Rezeptorenblockern und Digitalis notwendig, um die
Kammerfrequenz zu verlangsamen. Mit Amiodaron (i.v.-Bolus)
Andere Substanzen. Der routinemäßige Langzeiteinsatz von Nit- oder Kurzinfusion gelingt es häufig, das Vorhofflimmern in einen
raten bei STEMI führt nicht zu einer signifikanten Sterblich- stabilen Sinusrhythmus zu überführen. Eine elektrische Kardio-
keitsreduktion, sodass keine generelle Empfehlung ausgesprochen version muss aber in der Akutphase aufgrund der hohen Rezidiv-
werden kann. Der individuelle Einsatz in der Akutphase zur Be- quote nicht erzwungen werden. Vorhofflattern sollte bei hohen
handlung von Angina pectoris oder zur Blutdruckregulation Ventrikelfrequenzen durch Überstimmulation bzw. externe Kar-
bleibt bestehen (I-C). Metaanalysen zum Einsatz von Kalzium- dioversion in den Sinusrhythmus konvertiert werden (I-C). Sinus-
antagonisten in der akuten Infarktphase zeigen ebenfalls keinen bradykardien und AV-Blockierungen, die sich bei Bedarf durch
Vorteil, sodass diese Substanzgruppe für diese Indikation nicht die i.v.-Gabe von 0,5 mg Atropin auf normale Herzfrequenzen
empfohlen werden kann. In den beiden großen randomisierten anheben lassen, finden sich insbesondere beim Hinterwandin-
Studien zum Einsatz von Magnesium bei Patienten mit STEMI farkt. Nur bei nicht ausreichender Ansprechbarkeit und gleich-
(ISIS-4 und MAGIC) konnte kein Vorteil nachgewiesen werden. zeitiger Hypotension ist eine passagere Schrittmachersonde indi-
Auch für die routinemäßige Glucose-Insulin-Kalium-Therapie ziert. Bei höhergradigen AV-Blockierungen sollte frühzeitig eine
gibt es keine ausreichende Evidenz. Patienten mit einer kardio- temporäre Schrittmachersonde platziert werden. AV-Blockie-
vaskulären Grunderkrankung (z. B. nach STEMI) sollten eine rungen als Folge von Hinterwandinfarkten sind meist innerhalb
Grippeschutzimpfung erhalten (I-B). von 48 h reversibel und bilden dann keine Indikation zur Versor-
gung mit einem permanenten Schrittmacher (I-C).

2.6.3 Therapie von Infarktkomplikationen Rechtsventrikulärer Infarkt


Der rechtsventrikuläre Infarkt ist durch die klinische Trias Hypo-
Rhythmusstörungen tension, fehlende Lungenstauung und erhöhter Jugularvenen-
Rhythmusstörungen und Reizleistungsstörungen sind typische druck charakterisiert. Die Diagnose kann durch ST-Strecken-He-
Phänomene in der Frühphase des ACS und häufig lebensbe- bung in den rechtspräkordialen Ableitungen und/oder die Kom-
drohlich. Die Notwendigkeit einer speziellen Therapie ist in bination der Zeichen eines inferioren Infarkts mit ST-Elevation
erster Linie von der hämodynamischen Auswirkung der Rhyth- in V1 wahrscheinlich gemacht werden. Im Echokardiogramm
musstörungen abhängig. Ektope ventrikuläre Arrhythmien tre- finden sich folgende Zeichen:
ten innerhalb der ersten Infarkttage als multiforme komplexe 4 dilatierter rechter Ventrikel mit Hypo- bzw. Akinesie und
Extrasystolen oder kurze selbstterminierende Salven auf. Ihre 4 Dilatation des rechten Vorhofs und Ausbildung einer Triku-
prognostische Bedeutung wird unterschiedlich diskutiert. Eine spidalklappeninsuffizienz.
spezielle antiarrhythmische Therapie ist in der Regel nicht not-
wendig. Aber hochnormale Kaliumspiegel sollten angestrebt Therapeutisch sollten Vasodilatatoren (z. B. Nitrate, Diruetika,
werden. ACE-Hemmer) vermieden werden. Stattdessen ist eine i.v.-Flüs-
Nichtanhaltende VT sind bei hämodynamischer Stabilität sigkeitsgabe unter hämodynamischem Monitoring notwendig.
nicht zwingend therapiebedürftig. Erst wenn diese hämodyna- Das häufig auftretende Vorhofflimmern sollte frühzeitig durch
misch wirksam sind, sollten sie mit β-Rezeptorenblockern be- medikamentöse oder elektrische Kardioversion in den Sinus-
handelt werden (I-C) bzw. die β-Rezeptorenblocker-Dosierung rhythmus überführt werden.
gesteigert werden. Abzugrenzen davon sind die meist harmlosen
> Die Prognose des Rechtsherzinfarkts ist schlecht.
supraventrikulären Rhythmusstörungen nach erfolgreicher Re-
perfusion mit Frequenzen von mehr als 120/min, die in der Regel
nicht behandlungsbedürftig sind. Kardiogener Schock
Die Charakteristika typischer hämodynamischer Zustände bei
> Eine elektrische Kardioversion bzw. Defibrillation ist indiziert,
akutem Myokardinfarkt sind in . Tab. 2.21 zusammengefasst.
wenn der Patient als Folge der VT hämodynamisch instabil wird
oder Kammerflimmern auftritt. > Patienten, die in der Akutphase des Myokardinfarkts eine Links-
herzinsuffizienz entwickeln, haben eine deutlich schlechtere
Bei anhaltenden VT und bei refraktärem Kammerflimmern trotz
Kurz- und Langzeitprognose.
Defibrillation ist die i.v.-Gabe von Amiodaron (300–900 mg
i.v.-Bolus) die effektivste und darum bevorzugte Substanz (I-C). Deshalb sollte in der Akutphase regelmäßig eine Auskultation
Rhythmusstörungen in der Akutphase des Infarkts (<48 h) haben von Herz und Lunge, zusammen mit der Feststellung der anderen
im Gegensatz zu später auftretenden Rhythmusstörungen keine Vitalzeichen, durchgeführt werden. Der Schweregrad der Herz-
eigenständige prognostische Bedeutung. Sind wiederholt lebens- insuffizienz kann mithilfe der Killip-Klassifikation (. Tab. 2.12)
bedrohliche ventrikuläre Arrhythmien aufgetreten, sollte in der dokumentiert werden. Der kardiogene Schock stellt eine hoch-
weiteren Postinfarktphase eine Abklärung durch eine Langzeit- komplexe Regulationsstörung dar, bei der neben dem Verlust
EKG-Registrierung, ggf. auch durch eine EPU, erfolgen (I-C). kontraktilen Myokards, die Mikrozirkulationsstörung und die
Supraventrikuläre Tachykardien sind seltener und können Aktivierung von Entzündungsprozessen über Zytokine zu einer
bei hämodynamischer Beeinträchtigung meist durch die i.v.- irreversiblen Organschädigung beitragen (. Abb. 2.30).
Adenosin-Gabe unter Monitorkontrolle terminiert werden (I-C). Hämodynamisch ist der kardiogene Schock durch einen
Vorhofflimmern tritt bei 15–20% der Patienten mit akutem Myo- systolischen Blutdruck unter 90 mmHg, einen linksventrikulä-
kardinfarkt auf und wird bei noch normalen Kammerfrequenzen ren Füllungsdruck über 20 mmHg und einem Herzindex unter
in der Regel gut toleriert. 1,8 l/min/m2 definiert.
64 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

. Tab. 2.21. Hämodynamische Zustände bei akutem Myokardinfarkt


Zustand Klinisches Bild Therapie

2 Normal Normaler Blutdruck, HF und Atemfrequenz. Ungestörte periphere


Durchblutung

Hyperdynamischer Zustand Tachykardie, laute Herztöne, normale periphere Durchblutung β-Rezeptorenblocker


Bradykardie/Hypotonie Normaler zentraler Venendruck, reduzierte periphere Durchblutung Atropin, passagerer Schrittmacher
häufig bei Hinterwandinfarkt
Hypovolämie Niedriger zentraler Venendruck, reduzierte periphere Durchblutung Flüssigkeit
Rechtsventrikulärer Infarkt Niedriger zentraler Venendruck, schlechte periphere Durchblutung, Flüssigkeit
Schock, Bradykardie, Hypotonie
Zustand nach Linksherzin- Tachykardie, Tachypneu, Hypoxie, schlechte periphere Durchblutung, Positiv-inotrop wirksame Substanzen
suffizienz Lungenödem
Kardiogener Schock Hypotonie, Oligurie, Tachykardie, schlechte periphere Durchblutung, Positiv-inotrope Substanzen, mechanische
Lungenödem Herzkreislaufunterstützung, ggf. maschinel-
le Beatmung, Kühlung, Revaskularisation
HF Herzfrequenz.

. Abb. 2.30. Pathophysiologie des kardiogenen Schocks. (Prondzinsky et al. 2004)

> Vom kardiogenen Schock sollte nur dann gesprochen werden, Ausschöpfung interventioneller (PCI) und intensivmedizinischer
wenn andere Ursachen für eine Hypotension, wie z. B. Hypovolä- Maßnahmen (IABP, Kühlung) bei Infarktpatienten mit kardio-
mie, vasovagale Reaktion usw. ausgeschlossen sind (. Abb. 2.31). genem Schock hoch.

Die typischerweise erheblich reduzierte linksventrikuläre Funk- Tako-Tsubo-Syndrom (7 Abschn. 12.7.1)


tion (z. B. großer Vorderwandinfarkt) kann mit der Echokardio- Diese Patienten kommen mit dem typischen klinischen Bild
graphie beurteilt werden. Eine frühzeitige Reperfusionstherapie eines ACS. In der Koronarangiographie zeigt sich aber ein völlig
verringert die Häufigkeit von kardiogenen Schockzuständen bei normales Koronarsystem mit einer ausgeprägten apikal beton-
STEMI (I-C) und verbessert die Prognose von Patienten im kar- ten Kontraktionsstörung des linken Ventrikels. Beim ACS muss
diogenen Schock. Die PCI sollte von einer Kreislaufunterstüt- besonders bei älteren Patientinnen nach vorausgegangenem
zung z. B. mithilfe der IABP begleitet sein, um den arteriellen Stress das Tako-Tsubo-Syndrom differenzialdiagnostisch in Er-
Mitteldruck anzuheben und den Katecholaminbedarf zu reduzie- wägung gezogen werden. Die Ursache dieser Erkrankung ist
ren (I-C). Trotzdem ist die Sterblichkeit mit ca. 50% auch bei möglicherweise eine passagere exzessive Katecholaminüberflu-
2.6 · ST-Hebungs-Infarkt
65 2

. Abb. 2.31. Ursachen des kardiogenen Schocks (Hochmann et al. 2000)

tung, die durch verschiedene somatische Erkrankungen aber Die Entwicklung einer akuten Mitralklappeninsuffizienz ist
v. a. durch psychische Stressoren ausgelöst sein kann. Durch die nach Myokardinfarkt eher häufig und beruht auf folgenden Me-
hohen Katecholaminspiegel kommt es zu einer diffusen mikro- chanismen:
vaskulären Spastik mit passagerer Minderdurchblutung des 4 Dilatation des Mitralklappenrings aufgrund der postinfarzi-
Myokards und apikal betonter Akinesie, ähnlich einer Tinten- ellen rechtsventrikulären Dilatation und Dysfunktion,
fischfalle in Form eines Kruges (Tako-Tsubo). Von der passa- 4 Papillarmuskeldysfunktion, insbesondere beim Hinterwand-
geren Ischämie erholt sich der Herzmuskel meist vollständig, infarkt und
da er nicht infarziert ist, innerhalb von 1–2 Wochen. Die Letali- 4 Papillarmuskelabriss.
tät dieser Erkrankung ist minimal. Die Häufigkeit dieser
»neuen« ischämischen Kardiomyopathie wird auf 2–5% aller Bei höhergradiger Mitralinsuffizienz kommt es zum kardiogenen
unter dem Bild eines ACS eingelieferten Patienten geschätzt Schock mit Lungenödem. Bei Papillarmuskelabriss kommt the-
(Sharkey et al. 2005) rapeutisch nur eine sofortige Mitralklappenersatz- oder eine Re-
konstruktionsoperation infrage (I-C). Präoperativ ist der Einsatz
Mechanische Infarktkomplikationen der IABP oder anderer Herzunterstützungssysteme zur Kreis-
Die Ruptur der freien Myokardwand führt innerhalb weniger laufstabilisierung (Linksherzbypass) zu empfehlen.
Minuten zum Pumpversagen mit elektromechanischer Ent-
koppelung. Reanimationsmaßnahmen sind erfolglos, und nur
in einigen Fällen gelingt es eine kardiochirurgische Operation 2.6.4 Postinfarktphase
vorzunehmen. Eine subakute freie Wandruptur (gedeckte Rup-
tur) ist durch einen hämorrhagischen Perikarderguss mit kli- Bei unkompliziertem Herzinfarkt mit erfolgreicher Reperfusion
nischen Zeichen eines Reinfarktes mit erneuten ST-Strecken- reicht eine Überwachung mit Monitormöglichkeit über 48 h.
Hebungen im EKG gekennzeichnet und kann zur Perikardtam- Bettruhe ist für die ersten 24 h zu empfehlen. Bei Komplika-
ponade führen. tionen, insbesondere Rhythmusstörungen, kann eine längere
Überwachungszeit und Bettruhe notwendig werden. Nach Ver-
! Cave
legung von der Intensivstation (»intermediate care«) kann rasch
Bei Zeichen der Füllungsbehinderung ist zur Entlastung eine so-
eine vollständige Mobilisierung erfolgen. Eine Entlassung ist
fortige Perikardpunktion, gefolgt von einer chirurgischen Sanie-
beim unkomplizierten Infarkt frühestens nach 4–5 Tagen zu
rung notwendig (I-C).
empfehlen (I-C). Nach erfolgreicher medikamentöser Fibrino-
Der postinfarzielle Septumdefekt (VSD) tritt innerhalb der ersten lyse ist vor Entlassung die Indikation zur Koronarangiographie
Woche bei 1–2% aller Infarktpatienten auf und hat ohne chi- zu prüfen. Bei Ischämienachweis oder typischer Postinfarkt-
rurgische oder in Einzelfällen interventionelle Therapie durch angina sollte eine invasive Abklärung erfolgen (I-B). Verschie-
Schirmchenimplantation eine Einjahressterblichkeit von über dene ältere Analysen haben gezeigt, dass Patienten mit offener
90%. Die Diagnose wird durch ein neues systolisches Herzge- Infarktarterie eine bessere Prognose haben. Aktuelle Studien zei-
räusch und durch die Echokardiographie gestellt. Neben phar- gen dagegen, dass die elektive PCI eines verschlossenen Infarkt-
makologischen Therapieversuchen mit Vasodilatatoren ist die gefäßes 1–28 Tage nach Myokardinfarkt beim stabilen Patienten
IABP insbesondere bei Schockzuständen als Kreislaufunterstüt- nicht zu einer Verbesserung der Prognose im Vergleich zu einer
zung das effektivste Therapieverfahren bis zur notfallmäßigen rein medikamentösen Therapie führt und keine bessere Präven-
Operation (I-C). Die Krankenhaussterblichkeit des postinfarzi- tion kardiovaskulärer Ereignisse bedingt (I-B; Hochmann et al.
ellen VSD liegt zwischen 25 und 60%. 2006). Eine Rehabilitation ist nicht bei allen Patienten erforder-
66 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

lich. Die Indikation zu einer ambulanten oder stationären Reha- spezifische Besonderheiten berücksichtigen und auf Daten von
bilitationsmaßnahme ist individuell nach Infarktgröße, Folge- Einwohnern der entsprechenden Gebiete basieren: Framingham-
schäden oder Reanimationsmaßnahmen sowie Risikokonstella- Score, ESC-SCORE, Procam-Score und New Zealand Score
2 tion zu stellen (I-C). (. Abb. 2.32).

Komplikationen der Postinfarktphase


Postinfarktperikarditis. Eine Perikarditis tritt typischerweise 2.7.1 Instrumente zur Risikostratifizierung
innerhalb der ersten Woche nach dem Infarktereignis auf und bei Patienten ohne bekannte koronare
ist prognostisch ungünstig. Differenzialdiagnostisch ist ein Re- Herzkrankheit
infarkt auszuschließen. Für eine Perikarditis sprechen der lage-
und atemabhängige Schmerz und der Auskultationsbefund Framingham-Score. Die genannten Score-Systeme ziehen z. T.
eines Perikardreibens. Im EKG finden sich häufig ubiquitäre unterschiedliche Risikofaktoren heran und gewichten sie diffe-
ST-Strecken-Hebungen, konkavförmig aus dem aufsteigenden rent. Der Framingham-Score basiert auf Daten von ca. 5000 Ein-
Schenkel der S-Zacke. wohnern von Framingham im US-Bundesstaat Massachussetts.
Er schätzt das kardiovaskuläre Risiko auf der Basis von Alter,
! Cave
Geschlecht, Gesamtcholesterinwert, HDL-Cholesterin-Wert,
Zur Behandlung sollte zuerst die ASS-Dosierung erhöht werden,
systolischem Blutdruck, Raucherstatus, Diabetesstatus und den
NSAID und Steroide sind zurückhaltend einzusetzen (I-C).
EKG-Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie (. Abb. 2.32).
Ein Perikarderguss ist selten; ein hämorrhagischer Perikarder- Der Framingham-Score beurteilt die individuelle kardiovasku-
guss kann im Rahmen der Antikoagulation auftreten. Eine Peri- läre Morbidität und Mortalität: Als Hochrisikopatienten werden
kardpunktion ist nur bei echokardiographisch erwiesener hämo- solche mit einem Ereignisrisiko >20% pro 10 Jahre definiert.
dynamischer Relevanz des Perikardergusses notwendig.
> Die Übertragbarkeit der Daten auf die deutsche Bevölkerung
gilt als eingeschränkt.
Linksventrikuläre Thromben. Echokardiographisch lassen sich
bei bis zu 20% der Patienten insbesondere nach großem Vorder-
wandinfarkt linksventrikuläre wandständige Thromben doku- ESC-SCORE. Da die Risikofunktionen der Framingham-Studie
mentieren. Das Embolierisiko ist gering, sofern keine mobilen nicht uneingeschränkt auf europäische Länder übertragbar sind
Anteile vorliegen. Die Gabe von Fibrinolytika kann Embolien und z. B. in Deutschland zu einer Überschätzung des KHK-Ri-
auslösen. Deshalb ist therapeutisch eine Antikoagulation mit sikos für Männer und Frauen um ca. 50–100% führten, wurde ein
Heparin und ein Überlappen mit oraler Antikoagulation über europäisches Scoresystem etabliert, das die regionale Variabilität
3–6 Monate vorzuziehen (I-C). der KHK-Risiken in den einzelnen europäischen Ländern be-
rücksichtigt. Es wurden zunächst getrennte Risikotabellen für
Ventrikuläre Arrhythmien. Ventrikuläre Tachykardien oder europäische Regionen mit hohem oder niedrigem Grundrisiko
Kammerflimmern nach dem zweiten Infarkttag sind meist Aus- für kardiovaskuläre Erkrankungen entwickelt, die in ein com-
druck einer ausgedehnten Infarzierung und prognostisch puterbasiertes Programm zur Betreuung von Risikopatienten in
ungünstig. Diese Ereignisse erfordern weitere invasive Abklärung einem bestimmten Land bzw. einer bestimmten Region integriert
der Koronaranatomie und ggf. Revaskularisation (I-C). Außer- werden sollen (HEART-SCORE-Programm). Der ESC-SCORE
dem ist die Indikation zur ICD-Versorgung zu prüfen. basiert auf Daten von ca. 205.000 Menschen (Beobachtungszeit
2,7 Mio. Personenjahre, in denen 7934 tödliche kardiovaskuläre
Ereignisse eintraten) aus ganz Europa und schätzt auf der Basis
2.7 Risikostratifikation und präventive von Alter, Geschlecht, Gesamt-Cholesterin-Wert, HDL-Choles-
Maßnahmen terin-Wert, systolischem Blutdruck und Raucherstatus die Wahr-
scheinlichkeit ab, innerhalb der nächsten 10 Jahre an einer Herz-
Präventivmedizinische Bemühungen müssen sich zunächst auf Kreislauf-Erkrankung zu versterben (. Abb. 2.32). Er beurteilt
die Risikofaktoren konzentrieren, deren Beeinflussung zu einer somit die kardiovaskuläre Letalität: Als Hochrisikopatienten wer-
eindeutigen Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führt (z. B. den solche mit einem Sterblichkeitsrisiko >5% pro 10 Jahre de-
Rauchen oder arterielle Hypertonie). Kardiovaskuläre Risikofak- finiert. Seit Kurzem ist aus dem SCORE-Projekt eine spezielle
toren existieren nicht unabhängig voneinander, sondern verstär- Tabelle zur Risikostratifikation der deutschen Bevölkerung –
ken sich synergistisch und erhöhen das kardiovaskuläre Risiko SCORE-Deutschland – verfügbar. Verglichen mit anderen Risiko-
kontinuierlich und ohne erkennbaren Schwelleneffekt. Zur Be- tabellen (Framingham, PROCAM, s. unten) bietet der ESC-
stimmung des individuellen kardiovaskulären Risikos ist es daher SCORE den Vorteil, dass er nicht nur das Risiko für die koronare
nicht ausreichend, einzelne Risikofaktoren zu analysieren. Es Sterblichkeit, sondern auch für andere vaskulär bedingte Todes-
müssen vielmehr Methoden angewandt werden, die der Vielzahl fälle (Schlaganfall, pAVK) abschätzt. Darüber hinaus gilt er im
der Risikofaktoren Rechnung tragen und die das individuelle Ri- Gegensatz zum PROCAM-Score auch für Frauen.
siko als kontinuierliche Größe quantifizieren. Erst nach Defini-
> Ein Nachteil des ESC-SCORE besteht darin, dass die Risiken
tion des individuellen Risikos kann ein individueller Therapie-
für nichttödlich verlaufende Herz-Kreislauf-Erkrankungen un-
plan (Modifikation der Risikofaktoren) erarbeitet werden. Eine
berücksichtigt bleiben.
solche integrative Sicht wird durch Scoresysteme ermöglicht, die
eine rasche Abschätzung des individuellen Risikos gewährleisten.
Zur Abschätzung des individuellen Risikos wurden verschiedene PROCAM-Score. Zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos
Bewertungssysteme entwickelt, die regionale und bevölkerungs- speziell in Deutschland wurde der Procam-Score entwickelt und
2.7 · Risikostratifikation und präventive Maßnahmen
67 2

. Abb. 2.32. Risiko-Scores


68 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

validiert (. Abb. 2.32). Er basiert auf Daten von ca. 5000 Indus- 2.7.3 Primärprävention der koronaren
triearbeitern aus Münster und ermittelt das individuelle Risiko Herzkrankheit
für kardiovaskuläre Ereignisse auf der Basis von Alter, LDL-Cho-
2 lesterin-Wert, HDL-Cholesterin-Wert, Triglyzeriden, systoli- Der Stellenwert der Primärprävention der KHK ist umstrit-
schem Blutdruck, Raucherstatus, Diabetesstatus und der Famili- ten und hängt von dem individuellen Risiko ab (zur Risiko-
enanamnese. abschätzung 7 Abschn. 2.7.1). Die »number needed to treat«
(NNT) liegt für die einzelnen präventiven Maßnahmen wesent-
> Zu beachten ist, dass der Procam-Score für die Risiko-Abschät-
lich höher als bei der Sekundärprävention. Grundsätzlich muss
zung von Männern ohne KHK entwickelt wurde.
der Nutzen das potenzielle Risiko übersteigen. Dies ist meist
Da nur wenige kardiovaskuläre Ereignisse bei Frauen do- gegeben, wenn das ermittelte Risiko für kardiovaskuläre Er-
kumentiert wurden, ist die Übertragbarkeit des Procam-Scores eignisse bzw. Tod bei mehr als 2% pro Jahr (Framingham,
auf Frauen nur sehr eingeschränkt möglich. Für Frauen nach PROCAM) bzw. das Risiko für den kardiovaskulären Tod bei
den Wechseljahren (Alter 45–65 Jahre) wird näherungsweise mehr als 0,5% pro Jahr (ESC-SCORE) liegt. Diese Patienten
angenommen, dass das Risiko etwa ein Viertel des Risikos eines sollten primärpräventiven Maßnahmen (Modifikation des Le-
gleichaltrigen Mannes beträgt. Im Gegensatz zum ESC-SCORE, bensstils, konsequente Reduktion der Risikofaktoren, medi-
der ausschließlich die Wahrscheinlichkeit für die kardiale kamentöse Therapie) zugeführt werden, da für diese Patienten
Sterblichkeit ermittelt, lässt sich anhand des Procam-Score auch ein präventiver Nutzen belegt ist. Dies gilt beispielsweise für die
das individuelle Risiko für nichttödliche kardiovaskuläre Er- Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS oder eine Statin-
eignisse (Herzinfarkt) voraussagen. Der Procam-Score kann therapie.
im Internet unter http://www.chd-task-force.de ermittelt
werden.
2.7.4 Sekundärprävention der koronaren
New Zealand Score. Der New Zealand Score hat in Europa keine Herzkrankheit
wesentliche Bedeutung und soll daher hier nicht näher erläutert
werden. Bei allen Patienten mit bekannter KHK, stattgehabtem Myokard-
Alle genannten »Risk-score-Systeme« bedienen sich aus- infarkt sowie Zustand nach PCI oder Bypassoperation sind se-
schließlich der »konventionellen Risikofaktoren« und dienen kundärpräventive Maßnahmen angezeigt. Dies gilt auch für Dia-
der Abschätzung des kardiovaskulären Risikos im Rahmen der betiker ohne nachgewiesene KHK, da sie das gleiche Myokard-
Primärprävention. Patienten mit bereits manifester KHK, pAVK infarktrisiko aufweisen wie Patienten, die bereits einen Infarkt
oder zerebraler Atherosklerose [sowie auch Patienten mit Dia- erlitten haben (KHK-Äquivalent). Um dem Fortschreiten der
betes mellitus (»KHK-Äquivalent«)] müssen im Rahmen der atherosklerotischen Gefäßveränderungen entgegenzuwirken, ist
Sekundärprävention therapeutischen Maßnahmen zugeführt eine konsequente medikamentöse Einstellung der Risikofaktoren,
werden und bedürfen daher keiner Ermittlung des Gesamtri- insbesondere des Blutdrucks (Zielwert <140/90 mmHg, bei Dia-
sikos. Gleiches gilt für Patienten mit exzessiv ausgebildeten betikern <130/85 mmHg), des LDL-Cholesterin-Werts [Zielwert
singulären Risikofaktoren (z. B. familiäre Hypercholesterinämie). <100 mg/dl (<2,6 mmol/l); optional <70 mg/dl (<1,8 mmol/l)]
Zur primären Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind und – bei Diabetikern – des Blutzuckers bzw. HbA1c-Werts (Ziel-
Risikotabellen in der klinischen Praxis – trotz gewisser Ein- wert <7%) anzustreben. Der Blutdruck sollte primär mit einer
schränkungen – ein wichtiges Hilfsmittel für die Ermittlung des Kombinationstherapie bestehend aus Diuretikum plus ACE-
individuellen Risikos. Hemmer und/oder β-Blocker eingestellt werden. Das LDL-Cho-
Übersteigt das ermittelte Risiko für kardiovaskuläre Ereignis- lesterin kann durch CSE-Hemmer (Statinen) meist suffizient
se bzw. Tod einen Schwellenwert von 2% pro Jahr (Framingham, gesenkt werden. Positiver Nebeneffekt der Statintherapie ist eine
PROCAM) bzw. ist das Risiko für den kardiovaskulären Tod entzündungshemmende und gefäßprotektive Wirkung durch
≥0,5% pro Jahr (ESC-SCORE), sollten die Patienten primär- die »pleiotropen Effekte« der Statine. Auch für ACE-Hemmer
präventiven Maßnahmen (Modifikation des Lebensstils, konse- konnten gefäßschützende Effekte gezeigt werden. Neuere Studien
quente Reduktion der Risikofaktoren, medikamentöse Therapie) zeigen, dass das kardiovaskuläre Risiko auch mit einem LDL-
zugeführt werden, da für diese Patienten ein präventiver Nutzen Wert von <100 mg/dl (<2,6 mmol/l) nicht maximal gesenkt wird.
belegt ist. Es wird daher als optionales Therapieziel ein LDL-Wert von
<70 mg/dl (<1,8 mmol/l) angegeben. Jedoch sollte eine Reduk-
tion um mindestens 30–40% angestrebt werden. Um der Throm-
2.7.2 Risikostratifizierung bei Patienten benbildung entgegenzuwirken, ist die Hemmung der Thrombo-
mit bekannter koronarer Herzkrankheit zytenaggregation mit ASS (100 mg) eine etablierte Maßnahme
bei Patienten mit nachgewiesener KHK.
Bei Patienten mit bekannter KHK erfolgt die Risikostratifizie-
rung anhand der Anzahl und des Ausmaßes stattgehabter kardio-
vaskulärer Ereignisse, der Beeinträchtigung der myokardialen 2.7.5 Kardiologische Rehabilitation
Pumpfunktion und der Ausprägung der kardiovaskulären Risiko-
faktoren. Eine Sekundärprävention unter Einbeziehung von Le- Die Rehabilitation nach einem Herzinfarkt beginnt bereits mit
bensstiländerungen und medikamentöser Maßnahmen wird für der Frühmobilisation auf der Intensivstation (Phase I nach
alle Patienten mit bekannter KHK empfohlen. Bei pektanginösen WHO) und findet in der Phase II entweder ambulant oder statio-
Beschwerden und/oder positivem Ischämienachweis ist eine in- när als sog. Anschlussheilbehandlung (AHB) bzw. Anschlussre-
vasive Diagnostik und ggf. Therapie angezeigt. habilitation (AR), die sich unmittelbar an die stationäre Akutbe-
Literatur
69 2

handlung anschließen sollte, ihre Fortsetzung. Als Phase III wird 2.7.6 Koronarsport
die lebenslange Nachsorge bzw. Betreuung durch niedergelassene
Ärzte sowie im Rahmen von ambulanten Herzgruppen (Koro- Zur dauerhaften Fortsetzung eines kontrollierten, regelmäßigen
narsportgruppe) bezeichnet. Trainings ist die Teilnahme an ambulanten Herzgruppen bzw.
Bezüglich der körperlichen Belastbarkeit nach einem Myo- »Koronarsportgruppen« zu empfehlen, von denen in Deutsch-
kardinfarkt herrscht oft große Verunsicherung. land derzeit etwa 5000 existieren. Je nach individueller Leistungs-
fähigkeit erfolgt eine Einteilung in Trainings- (>1 W/kgKG) oder
> Neben der medikamentösen Therapie ist es wichtig, dass die
Übungsgruppen (<1 W/kgKG). Das Risiko kardiovaskulärer
betroffenen Patienten über Charakter und Prognose ihrer Er-
Komplikationen ist bei dosiertem und kontrolliertem Training
krankung informiert werden und bezüglich ihrer körperlichen
sehr gering. Mindestvoraussetzung zur Aufnahme in eine Herz-
Leistungsfähigkeit und einer möglichen Gefährdung durch All-
sportgruppe ist jedoch eine Belastbarkeit von 0,3 W/kgKG.
tagsbelastungen eine ausreichende Sicherheit erlangen.
Neben der Förderung eines regelmäßigen körperlichen Trainings
Während die Maßnahmen zur Sekundärprävention der KHK für und der Reduktion des kardiovaskulären Risikoprofils durch ge-
alle Patienten mit Myokardinfarkt gelten, richten sich die Emp- eignete Lebensstiländerungen sollte eine kontinuierliche und
fehlungen zu körperlicher Aktivität und Training in jedem Ein- individuelle Beratung hinsichtlich der Maßnahmen zur Sekun-
zelfall nach dem Ausmaß der Herzmuskelschädigung und der därprävention erfolgen.
individuellen Leistungsfähigkeit.
Nach einem STEMI und nach einer Bypassoperation senken
Rehabilitationsprogramme die Letalität und verbessern die Lang- Literatur
zeitprognose. Darüber hinaus können das kardiovaskuläre Risiko-
profil, die körperliche Belastbarkeit, die Lebensqualität und die Abidov A, Rozanski A, Hachamovitch R et al. (2005) Prognostic significance
berufliche Wiedereingliederung positiv beeinflusst werden. Inter- of dyspnea in patients referred for cardiac stress testing. N Engl J Med
disziplinäre Rehabilitationsmaßnahmen dienen u. a. dazu, die 353: 1889–1898
individuelle körperliche Leistungsfähigkeit zu erfassen, um den American Heart Association (2005) 2005 Heart and stroke statistical update.
American Heart Association, Dallas, Texas. http//www.americanheart.
Patienten bezüglich seiner Leistungsgrenzen zu beraten und mit
org/statistics/othercvd.htm1
einem individuell wohl dosierten körperlichen Training zu be-
Antithrombotic Trialists’ Collaboration (2002) Collaborative meta-analysis
ginnen. Nach einem unkomplizierten Herzinfarkt ist bei stabilen of randomised trials of antiplatelet therapy for prevention of death,
Patienten Spazierengehen sofort möglich, normale tägliche kör- myocardial infarction, and stroke in high risk patients. BMJ 324:
perliche Aktivitäten (Treppensteigen, Büroarbeit, Autofahren) 71–86
können nach einer Woche ausgeführt werden. Ebenso kann se- Antman EM, Morrow DA, McCabe CH et al. (2006) Enoxaparin vs. unfrac-
xuelle Aktivität innerhalb weniger Wochen wieder aufgenom- tionated heparin with fibrinolysis for ST-elevation myocardial infarc-
men werden, wenn keine Anzeichen für eine persistierende Min- tion. N Engl J Med 2006; 354: 1477–1488.
derdurchblutung des Herzmuskels bestehen (normales Belas- Antman EM, Bennett JS, Daugherty A et al. (2007) Use of nonsteroidal anti-
tungs-EKG). Ist der Patient weiterhin stabil und über 2–3 Wo- inflammatory drugs: an update for clinicians: a scientific statement
from the American Heart Association. Circulation 115: 1634–1642
chen beschwerdefrei, so können auch Flugreisen wieder
Antmann ME, Hand M, Armstrong PW et al. (2008) 2007 focused update of
angetreten werden. Vorsicht ist hingegen bei Patienten mit aus-
the ACC/AHA 2004 guidelines for the management of patients with
geprägter Luftnot oder solchen, die zu komplexen Rhythmus- ST-elevation myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 51: 210–257
störungen neigen, geboten. Assessment of the Safety and Efficacy of a New Treatment Strategy with
Körperliches Training im Rahmen von Rehabilitationsmaß- Percutaneous Coronary Intervention (ASSENT-4 PCI) investigators
nahmen dient im wesentlichen 2 Zielen: (2006) Primary vs. tenecteplase-facilitated percutaneous coronary
4 Der Patienten mit weitgehend erhaltener Pumpfunktion des intervention in patients with ST-segment elevation acute myocardial
Herzens soll lernen, wie er durch regelmäßige körperliche infarction (ASSENT-4 PCI): randomised trial. Lancet 367: 569–578
Aktivität seine Fitness steigern, sein Körpergewicht kontrol- Baer FM (2007) Stress-ECG is adequate to detect myocardial ischemia:
lieren/reduzieren und somit auch das Ausmaß der vaskulären when are additonal diagnostic tets needed? Dtsch Med Wochenschr
39: 2026–2030
Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes, Dyslipoproteinämie)
Baer FM, Erdmann E (2007) Duale Thrombozytenaggregationshemmung
vermindern kann.
bei koronarer Stent-Implantation – Was ist gesichert? Dtsch Med
4 Bei Patienten mit höhergradig eingeschränkter Pumpfunk- Wochenschr 23: 1275–1280
tion hat individuell dosiertes (Pulsfrequenz bzw. Herz- Bassand JP, Hamm CW, Ardissino D et al. (2007) Guidelines for the diagnosis
frequenzreserve) körperliches Training außerdem zum Ziel, and treatment of non-ST-segment elevation acute coronary syndroms.
eine Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme Eur Heart J 28: 1598–1660
(VO2max) und damit eine Steigerung der individuellen Leis- Bhatt DL, Fox KA, Hacke W et al. (2006) Clopidogrel and aspirin vs. aspirin
tungsfähigkeit herbeizuführen. alone for the prevention of atherothrombotic events. N Engl J Med
354: 1706–1717
> Hinsichtlich der körperlichen Betätigung bei Herzinsuffizienz Boden WE, O’Rourke RA, Teo KK et al. for the COURAGE Trial Research Group
(2007) Optimal medical therapy with or without PCI for stable coro-
gilt, dass insbesondere Ausdauertraining (z. B. Laufen, Schwim-
nary disease. N Engl J Med 35: 1503–1516
men, Aerobic) zu empfehlen ist, während anstrengendes kör-
Boersma E, Harrington RA, Moliterno DJ et al. (2002) Platelet glycopro-
perliches Training (z. B. Krafttraining; isometrische Belastung) tein IIb/IIIa inhibitors in acute coronary syndromes: a meta-analysis of
nicht empfohlen werden kann. Durch diese Maßnahmen lässt all major randomised clinical trials. Lancet 359: 189–198
sich eine Verbesserung der Durchblutung des Herzmuskels und Chen ZM, Jiang LX, Chen YP et al. (2005) Addition of clopidogrel to aspirin
wahrscheinlich auch eine Verbesserung der Überlebensrate er- in 45,852 patients with acute myocardial infarction: randomised
zielen. placebo-controlled trial. Lancet 366: 1607–1621
70 Kapitel 2 · Koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom

Collet JP, Montalescot G, May M le et al. (2006) Percutaneous coronary in- Hoenig MR, Doust JA, Aroney CN et al. (2006) Early invasive versus con-
tervention after fibrinolysis: a multiple meta-analyses approach servative strategies for unstable angina and non-ST-elevation myo-
according to the type of strategy. J Am Coll Cardiol 48: 1326–1335 cardial infarction in the stent era. Cochrane Database Syst Rev 3:
Dietz R, Rauch B (2003) Leitlinie zur Diagnose und Behandlung der chro- CD004815
2 nischen koronaren Herzerkrankung der Deutschen Gesellschaft Janssens S, Dubois C, Bogaert J et al. (2006) Autologous bone marrow-
für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK). Z Kardiol 92: derived stem-cell transfer in patients with ST-segment elevation myo-
501–521 cardial infarction: double-blind, randomised controlled trial. Lancet
Dormandy JA, Charbonnel B, Eckland DJ et al. for the PROactive investigators 367: 113–121
(2005) Secondary prevention of macrovascular events in patients with Jennings RB; Reimer KA (1983) Factors involved in salvaging ischemic
type 2 diabetes in the PROactive Study (PROspective pioglitAzone myocardium: effect of reperfusion of arterial blood. Circulation 68:
Clinical Trial In macroVascular Events): a randomised controlled trial. I25–36
Lancet 366:1279–1289 Keeley EC, Boura JA, Grines CL (2006) Comparison of primary and facili-
European Society of Cardiology (1997) Management of stable angina tated percutaneous coronary interventions for ST-elevation myocar-
pectoris. Recommendations of the Task Force of the European Society dial infarction: quantitative review of randomised trials. Lancet 367:
of Cardiology. Eur Heart J 18: 394–413 579–588
Falk E, Shah P, Fuster V (1995) Coronary plaque disruption. Circulation 92: Lauer MS (2002) Clinical practice. Aspirin for primary prevention of coro-
657–671 nary events. N Engl J Med 346:1468–1474
Faxon DP, Fuster V, Libby P et al. (2004) Atherosclerotic vascular disease Libby P (2002) Inflammation in atherosclerosis. Nature 420: 868–874
conference. Writing group III: pathophysiology. Circulation 109: 2617– Libby P, Theroux P (2005) Pathophysiology of coronary artery disease.
2625 Circulation 111: 3481–3488
Ferguson JJ, Califf RM, Antman EM et al. (2004) Enoxaparin vs unfractionated Marx N, Wohrle J, Nusser T et al. (2005) Pioglitazone reduces neointima
heparin in high-risk patients with non-ST-segment elevation acute volume after coronary stent implantation: a randomized, placebo-
coronary syndromes managed with an intended early invasive strategy: controlled, double-blind trial in nondiabetic patients. Circulation 112:
primary results of the SYNERGY randomized trial. JAMA 292: 45–54 2792–2798
Fox K, Garcia MA, Ardissino D et al. Task Force on the Management of Stable Nallamothu BK, Wang Y, Magid DJ et al. (2006) Relation between hospital
Angina Pectoris of the European Society of Cardiology; ESC Commit- specialization with primary percutaneous coronary intervention
tee for Practice Guidelines (CPG) (2006) Guidelines on the manage- and clinical outcomes in ST-segment elevation myocardial infarction:
ment of stable angina pectoris: executive summary: the Task Force on National Registry of Myocardial Infarction-4 analysis. Circulation 113:
the Management of Stable Angina Pectoris of the European Society 222–229
of Cardiology. Eur Heart J 27: 1341–1381 National Cholesterol Education Program Expert Panel on Detection, Evalua-
Gauri AJ, Raxwal VK, Roux L (2001) Effects of chronotropic incompetence tion, and Treatment of High Blood Cholesterol in Adults (Adult Treat-
and beta-blocker use on the exercise treadmill test in men. Am Heart ment Panel III) (2001) Executive summary of the third report of the Na-
J 142: 136–141 tional Cholesterol Education Program (NCEP). JAMA 285: 2486–2497
Gibbons RJ, Balady GJ, Bricker JT et al. (2002a) ACC/AHA 2002 guideline Nickenig G (2002) Central role of the AT1–receptor in atherosclerosis.
update for the management of patients with chronic stable angina: J Hum Hypertens 16: S26–S33
a report of the American College of Cardiology/American Heart OASIS-2 Investigators (1999) Effects of recombinant hirudin (lepirudin)
Association Task Force on Practice Guidelines (Committee to Update compared with heparin on death, myocardial infarction, refractory
the 1999 Guidelines for the Management of Patients with Chronic angina, and revascularisation procedures in patients with acute myo-
Stable Angina), 2002. http://www.acc.org/qualityandscience/clinical/ cardial ischaemia without ST elevation: a randomised trial. Organisa-
guidelines/ stable/update_index.htm tion to Assess Strategies for Ischemic Syndromes (OASIS-2) Investiga-
Gibbons RJ, Balady GJ, Bricker JT et al. (2002b) ACC/AHA 2002 guideline tors. Lancet 353: 429–438
update for exercise testing: summary article. A report of the American Prondzinsky R, Werdan K, Buerke M (2004) Kardiogener Schock. Pathome-
College of Cardiology/American Heart Association Task Force on chanismen, klinischer Verlauf, therapeutische Ansatze und Perspek-
Practice Guidelines (Committee to Update the 1997 Exercise Testing tiven. Internist 45: 284–295
Guidelines). Circulation 106: 1883–1892 Rosenkranz S, Schneider CA (2006) Relative Wertigkeit und Nutzen der
Giraldez RR, Nicolau JC, Corbalan R et al. (2007) Enoxaparin is superior Beeinflussung einzelner Risikofaktoren. In: Rosenkranz S, Schneider
to unfractionated heparin in patients with ST elevation myocardial CA, Erdmann E (Hrsg) Prävention atherosklerotischer Erkrankungen,
infarction undergoing fibrinolysis regardless of the choice of lytic: an 1. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 43–55
ExTRACT-TIMI 25 analysis. Eur Heart J 28: 1566–1573 Sabatine MS, Cannon CP, Gibson CM et al. (2005a) Addition of clopidogrel
Goldman et al. (1981) . Circulation 64:1227 to aspirin and fibrinolytic therapy for myocardial infarction with
Hamm CW (2004a) Leitlinien: akutes Koronarsndrom (ACS) Teil 1: Akutes ST-segment elevation. N Engl J Med 352: 1179–1189
Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Hebung. Z Kardiol 93: 72–90 Sabatine MS, Cannon CP, Gibson CM et al. (2005b) Effect of clopidogrel
Hamm CW (2004b) Leitlinien: akutes Koronarsndrom (ACS) Teil 2: Akutes pretreatment before percutaneous coronary intervention in patients
Koronarsyndrom mit ST-Hebung. Z Kardiol 93: 324–341 with ST-elevation myocardial infarction treated with fibrinolytics: the
Hannan EL, Racz MJ, Walford G et al. (2005) Lonf-term outcomes of coro- PCI-CLARITY study. JAMA 294: 1224–1232
nary-artery bypass grafting vs. stent implantation. N Engl J Med 352: Sabik JF, Lytle BW (2008) Coronary bypass surgery. In: Fuster V, O’Rourke R,
2174–2183 Walsh RA, Poole-Wilson P (eds) Hurst’s The Heart, 12th edn. McGraw
Hannan EL, Wu C, Walford G et al. (2008) Drug-eluting stents vs. coronary- Hill, New York, pp 1504–1518
artery bypass grafting in multivessel disease. N Engl J Med 358: 331– Scanlon PJ, Faxon DP, Audet AM et al. (1999) ACC/AHA guidelines for
341 coronary angiography: executive summary and recommendations.
Hochman JS, Buller CE, Sleeper LA et al. for the SHOCK Investigators (2000) A report of the American College of Cardiology/American Heart
Cardiogenic shock complicating acute myocardial infarction – etiolo- Association Task Force on Practice Guidelines (committee on coronary
gies, management and outcome: a report from the SHOCK Trial Reg- angiography) developed in collaboration with the society for cardiac
istry. J Am Coll Cardiol 36: 1063–1070 angiography and interventions. Circulation 99: 2345–2357
Hochman JS, Lamas GA, Buller CE et al. (2006) Coronary intervention for Scheller B, Hehrlein C, Bocksch W et al. (2006) Treatment of coronary
persistent occlusion after myocardial infarction. N Engl J Med 355: in-stent restenosis with a paclitaxel-coated balloon catheter. N Engl J
2395–2407 Med 355: 2113–2124
Literatur
71 2

Sharkey SW, Lesser JR, Zenovich AG et al. (2005) Acute and reversible car- Tunstall-Pedoe H, Kulaasma K, Mahonen M et al. (1999) Contribution of
diomyopathy provoked by stress in women from the United States. trends in survival and coronary-event rates to changes in coronary
Circulation 111: 472–479 heart disease mortality: 10–year results from 37 WHO MONICA project
Silber S, Borggrefe M, Böhm M et al. (2007) Positionspapier der DGK zur populations. Monitoring trends and determinants in cardiovascular
Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamente freisetzenden Koronar- disease. Lancet 353: 1547–1557
stents (DES). Eine evidenzbasierte Analyse von 71 randomisierten Weiner RB, O’Donoghue M (2007) Thienopyridines and the management
Studien mit 28.984 Patienten. Kardiologe 1: 84–111 of ST-segment elevation myocardial infarction. Acute Coronary Syn-
Smith SC Jr, Feldman TE, Hirshfeld JW Jr et al. (2006a) ACC/AHA/SCAI 2005 dromes 8: 42–48
guideline update for percutaneous coronary intervention: A report of Winter RJ de, Windhausen F, Cornel JH et al. (2005) Early invasive vs. selec-
the American College of Cardiology/American Heart Association Task tively invasive management for acute coronary syndromes. N Engl J
Force on Practice Guidelines (ACC/AHA/SCAI Writing Committee to Med 353: 1095–1104
Update the 2001 Guidelines for Percutaneous Coronary Intervention). Wollert KC, Meyer GP, Lotz J et al. (2004) Intracoronary autologous bone-
American College of Cardiology http://www.acc.org/qualityand- marrow cell transfer after myocardial infarction: the BOOST ran-
science/ clinical/guidelines/percutaneous/update/index.pdf domised controlled clinical trial. Lancet 364:141–148
Smith SC Jr, Allen J, Blair SN et al. (2006b) AHA/ACC guidelines for second- Yusuf S, Sleight P, Pogue J et al. (2000) Effects of an angiotensin-convert-
ary prevention for patients with coronary and other atherosclerotic ing-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk
vascular disease: 2006 update: endorsed by the National Heart, Lung, patients. N Engl J Med 342: 145–153
and Blood Institute. J Am Coll Cardiol 47: 2130–2139 Yusuf S, Zhao F, Mehta SR et al. (2001) Effects of clopidogrel in addition to
Statistisches Bundesamt Deutschland (2004) Sterbefälle nach den 10 häu- aspirin in patients with acute coronary syndromes without ST-seg-
figsten Todesursachen insgesamt und nach Geschlecht 2002. Aktuali- ment elevation. N Engl J Med 345: 494–502
siert 16.09.2004. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden Zimmerman J, Fromm R, Meyer D et al. (1999) Diagnostic Marker Coopera-
Stone GW, McLaurin BT, Cox DA et al. (2006) Bivalirudin for patients with tive Study for the Diagnosis of Myocardial Infarction. Circulation 99:
acute coronary syndromes. N Engl J Med 355: 2203–2216 1671–1677
Strauer BE, Brehm M, Zeus T, et al. (2002) Repair of infarcted myocardium
by autologous intracoronary mononuclear bone marrow cell trans-
plantation in humans. Circulation 106: 1913–1918
73 3

Rhythmusstörungen des Herzens


U.C. Hoppe

3.1 Elektrophysiologische Grundlagen – 73 3.4 Supraventrikuläre Tachykardien – 92


3.1.1 Physiologie der Erregungsbildung und 3.4.1 Sinustachyarrhythmien – 92
-ausbreitung – 73 3.4.2 Atriale Extrasystolie/fokal atriale Tachykardie – 93
3.1.2 Pathophysiologie der Arrhythmieentstehung – 74 3.4.3 AV-Knoten-Reentrytachykardie – 94
3.4.4 AV-junktionale Tachykardie – 96
3.2 Prinzipien der Therapie – 77 3.4.5 Wolff-Parkinson-White-Syndrom/AV-Reentrytachy-
3.2.1 Pharmakotherapie – 77 kardie – 96
3.2.2 Elektrische Kardioversion/Defibrillation – 78 3.4.6 Atriale Makro-Reentrytachykardie – 99
3.2.3 Invasive elektrophysiologische Untersuchung 3.4.7 Vorhofflimmern – 100
und Katheterablation – 78
3.2.4 Chirurgische Therapie – 80 3.5 Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher
3.2.5 Schrittmachertherapie – 80 Herztod – 103
3.2.6 Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren – 83 3.5.1 Klassifikation – 103
3.5.2 Epidemiologie und Pathophysiologie – 103
3.3 Bradykarde Rhythmusstörungen – 84 3.5.3 Klinische Präsentation – 105
3.3.1 Sinusknotendysfunktion – 84 3.5.4 Diagnostik – 105
3.3.2 Karotissinussyndrom – 86 3.5.5 Akutes Management – 107
3.3.3 Atrioventrikuläre Blockbilder – 87 3.5.6 Langzeittherapie – 107
3.3.4 Intraventrikuläre Leitungsverzögerung – 90
3.3.5 Bradyarrhythmia absoluta – 91 Literatur – 110

)) Der Sinusknoten sowie auch der AV-Knoten und das His-


Bündel werden von einem dichten cholinergen und adrenergen
Physiologischerweise ist die spontane Schrittmacherfunktion im nervalen Netz innerviert. Eine sympathische Stimulation führt zu
Sinusknoten lokalisiert. Der Sinusknoten befindet sich im Bereich einer beschleunigten Depolarisation der Sinusknotenzellen, zu
des Sulcus terminalis an der Mündungsstelle der V. cava superior einer Beschleunigung der Erregungsleitung (positiv-chronotrop)
in den rechten Vorhof. Die Blutversorgung erfolgt bei 55–60% der und einer Verkürzung der Refraktärzeit. Eine vagale Aktivierung
Patienten über die rechte Herzkranzarterie. Histologisch sind ne- hat den entgegengesetzten Effekt.
ben atrialen Muskelzellen und Transitionalzellen spezielle nodale
> Charakteristischerweise führt eine vagale Reizung bei gleich-
Zellen (auch Pacemakerzellen genannt) im Sinusknoten nach-
zeitiger Hintergrundaktivierung des sympathischen Systems zu
weisbar. Diese »P-Zellen« stellen die eigentlichen Impulsgeber
einer verstärkten Reduktion der Sinusknotenfrequenz (akzentu-
dar. Zum AV-Knoten erfolgt die Erregungsausbreitung über 3 in-
ierter Antagonismus).
ternodale Leitungsbahnen zum linken Vorhof über das Bach-
mann-Bündel.
Aktionspotenzial
Auf zellulärer Ebene basiert die elektrische Erregung des Herzens
3.1 Elektrophysiologische Grundlagen auf Ionenströmen durch die Zellmembran der Kardiomyozyten.
Ein elektrischer Stimulus, der einen bestimmten Schwellenwert
3.1.1 Physiologie der Erregungsbildung erreicht, initiiert in erregbarem Gewebe ein Aktionspotenzial,
und -ausbreitung das durch eine schnelle Depolarisation und nachfolgende Repo-
larisation gekennzeichnet ist. Eine enge Balance verschiedener
Anatomie Ionenströme, die durch spezielle Ionenkanäle und Ionenpumpen
Der AV-Knoten liegt direkt subendokardial an der Spitze des fließen, ist die Grundlage des kardialen Aktionspotenzials. Das
Koch-Dreiecks. Bei 85–90% der Menschen wird der AV-Knoten Aktionspotenzial wird von Zelle zu Zelle weitergeleitet. Die Mor-
arteriell durch Seitenäste der rechten Herzkranzarterie versorgt. phologie des Aktionspotenzials variiert in verschiedenen Regio-
Distal geht der AV-Knoten in das His-Bündel über. Das His-Bün- nen des Herzens (. Abb. 3.1).
del teilt sich weiter in einen rechten Tawara-Schenkel sowie einen Das Aktionspotenzial wird in 5 Phasen unterteilt:
linken Tawara-Schenkel mit einem links-anterioren und links- Phase 0: rasche Depolarisation,
posterioren Bündel auf. Diese Anatomie ist beim Menschen vari- Phase 1: frühe schnelle Repolarisation,
abel. Trotzdem erscheint aus klinischer und elektrophysiologischer Phase 2: Plateau,
Sicht das Konzept dieses trifaszikulären Systems hilfreich. Die Phase 3: späte Repolarisation sowie
Purkinje-Fasern stellen den Übergang zwischen dem spezifischen Phase 4: Ruhemembranpotenzial und diastolische Depolari-
Reizleitungssystem und dem ventrikulären Arbeitsmyokard dar. sation.
74 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Abb. 3.1. Schematische Darstellung der verschiedenen


Aktionspotenzialmorphologien in unterschiedlichen Regio-
nen des Herzens

. Tab. 3.1. Phasen des Aktionspotenzials


Phase Funktion Ionenströme (Ionenkanal)
0 Schnelle Depolarisation Schnelle Na+-Ioneneinwärtsströme: INa (Nav 1.5)
1 Frühe oder schnelle Repolarisation Transiente K+-Ionenauswärtsströme: Ito (Kv4.3, Kv1.x, KChIP2)
2 Plateauphase (elektromechanische L-Typ Ca2+-Ioneneinwärtsströme: ICa, L (Cav1.2); Na+-Ca2+-Austauscherströme: ICa-Na (NCX1)
Kopplung)
3 Späte oder terminale Repolarisation Verzögerte K+-Ionenauswärtsströme: IKs (slow) (KvLQT1 plus MinK), IKr (rapid) (hERG plus MiRP1)
4 Ruhepotenzial bzw. langsame diasto- Einwärtsgleichrichtende K+-Ionenströme: IK1 (Kir2.x); Schrittmacherströme: If (HCN)
lische Depolarisation

Während jeder Phase besteht eine variierende Leitfähigkeit für 4 Erregungsausbreitung


eines oder mehrere Ionen (. Tab. 3.1). 5 Kreiserregungen (Reentrymechanismen) sowie
5 Leitungsblockierungen.
Erregungsfortleitung
Die elektrische Erregung wird im Herzen von einer Zelle zur Gestörte Automatie
nächsten übertragen. Die Depolarisation einer Zelle erfolgt Physiologischerweise besteht die höchste Automatie im Sinus-
dabei nach dem »Alles-oder-Nichts-Prinzip«, d. h. bei einem knoten. Bei einer Abnahme der Sinusknotenfrequenz können
Impuls, der einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, sekundäre Schrittmacherzellen eine Ersatzschrittmacherfunk-
wird in einer Zelle ein Aktionspotenzial initiiert, bei unter- tion übernehmen. In diesem Fall spricht man von einer norma-
schwelligem Impuls nicht. Die Erregungsausbreitungsgeschwin- len ektopen Automatie, die keine pathologische Bedeutung hat.
digkeit ist von diesem Schwellenpotenzial, der Aktionspoten- Auch eine vermehrte Sympathikusaktivierung kann zu einer er-
zialamplitude und der Geschwindigkeit der Depolarisation höhten Automatie sekundärer Schrittmacherzellen wie z. B. einer
abhängig. Darüber hinaus spielt der Zell-Zell-Kontakt (über erhöhten junktionalen Automatie Jugendlicher führen.
»gap junctions«) bei der Erregungsfortleitung eine wesentliche Eine abnorme Automatie liegt vor, wenn Zellen, die sonst
Rolle. keine Schrittmacherfunktion haben, spontan depolarisieren. Der
Pathomechanismus ist nicht vollständig geklärt. Nach bisherigen
Erkenntnissen weisen diese spontan aktiven Zellen ein vermin-
3.1.2 Pathophysiologie der Arrhythmie- dertes Ruhemembranpotenzial von etwa -40 bis -50 mV auf; die
entstehung Depolarisation erfolgt über einen Kalziumeinstrom. Als klinisch
relevante Arrhythmien basieren wahrscheinlich ektop-atriale
Herzrhythmusstörungen können durch verschiedene Patho- Tachykardien und fokale VT auf einer abnormen Automatie.
mechanismen verursacht werden. Bei strukturellen Herzerkran-
kungen wie z. B. der Herzinsuffizienz oder dem Postinfarktsta- Getriggerte Aktivität
dium liegt oft eine Kombination mehrerer Mechanismen der Eine getriggerte Aktivität kann durch frühe Nachdepolarisation
Arrhythmogenese zugrunde. Auf zellulärer Ebene unterscheidet oder späte Nachdepolarisationen verursacht werden.
man eine Störung der Von einer frühen Nachdepolarisation spricht man, wenn eine
4 Erregungsbildung, gestörte Automatie, erneute Depolarisation während der Repolarisationsphase eines
4 Erregungsrückbildung, getriggerte Aktivität und Aktionspotenzials auftritt. Erreicht diese Depolarisation das
3.1 · Elektrophysiologische Grundlagen
75 3

Schwellenpotenzial, kann ein zweites Aktionspotenzial induziert Spezielle Pathophysiologie


werden. Zur frühen Nachdepolarisationen kommt es bevorzugt Hypertrophie und Herzinsuffizienz
bei einer Verlängerung des Aktionspotenzials. Während der ver- Bei der Hypertrophie und Herzinsuffizienz können mehrere Pa-
längerten Plateauphase kann der Kalziumstrom reaktiviert wer- thomechanismen zu Arrhythmien führen. Die Mehrzahl rhyth-
den und so ein kalziuminduziertes Aktionspotenzial entstehen. mogener plötzlicher Herztodesfälle basiert entsprechend bis-
Es wird angenommen, dass die für das Long-QT-Syndrom typi- heriger Studien auf tachykarden ventrikulären Herzrhythmus-
schen Torsades-de-pointes-Tachykardien auf zellulärer Ebene auf störungen, ein geringerer Anteil auf primären bradykarden und
frühen Nachdepolarisationen basieren. Frühe Nachdepolarisa- asystolischen Formen oder einer elektromechanischen Entkopp-
tionen werden durch eine Bradykardie begünstigt. lung. Da nur ein Teil der Patienten in ihrer Vorgeschichte einen
Späte Nachdepolarisationen treten nach vollständiger Re- ausgedehnten Myokardinfarkt erlitten hat, stellen klassische
polarisation des vorausgegangenen Aktionspotenzials auf. Er- Makro-Reentrymechanismen mit Ausbildung von VT um große
reichen diese Nachdepolarisationen das Schwellenpotenzial und Infarktnarben wahrscheinlich nicht den Hauptmechanismus des
induzieren ein neues Aktionspotenzial, resultiert eine getriggerte plötzlichen Herztodes bei diesen Patienten dar. Wesentliche pa-
Aktivität. thophysiologische Ursachen werden heutzutage in zellulären
elektrophysiologischen Veränderungen gesehen (u. a. Verlänge-
> Späte Nachdepolarisationen werden durch Herzglykoside be-
rung des Aktionspotenzials, Reduktion der Ionenstromdichte des
günstigt und treten besonders bei höherer Herzfrequenz auf.
transienten Auswärtsstroms Ito und des Einwärtsgleichrichter-
Darüber hinaus basieren wahrscheinlich akzelerierte junktionale stroms IK1, Vergrößerung des Schrittmacherstroms If, Verände-
Rhythmen z. T. auf späten Nachdepolarisationen. rungen der intrazellulären Kalziumhomöostase). Neben den
zellulären Veränderungen der einzelnen Kardiomyozyten kön-
Störungen der Erregungsausbreitung nen bei Hypertrophie und Herzinsuffizienz auch Störungen des
Störungen der Erregungsausbreitung können zu bradykarden Zellkontaktes und der Struktur des kardialen Interstitiums durch
und tachykarden Herzrhythmusstörungen führen. eine gestörte Erregungsausbreitung zu Entstehung und Aufrecht-
erhaltung von Reentrytachyarrhythmien führen. Insgesamt re-
Kreiserregungen/Reentrymechanismus sultiert aus dem kardialen Remodeling bei Hypertrophie und
Tachykarde Rhythmusstörungen auf dem Boden einer Kreiserre- Herzinsuffizienz ein komplexes arrhythmogenes Substrat.
gung können durch eine Verlangsamung der Erregungsleitung in
einem Myokardbereich, eine unidirektionale Erregungsblockie- Akute Myokardischämie
rung und letztlich einen Wiedereintritt der Erregungswelle in Im Rahmen einer akuten Myokardischämie vermindert sich das
ursprünglich refraktäres Myokard bedingt werden. Arrhythmien, Ruhemembranpotenzial. Darüber hinaus nimmt die Aufstrich-
die auf einem Makro-Reentrymechanismus basieren, sind z. B. geschwindigkeit des Aktionspotenzials ab. Dies ist mit einer
AV-Reentrytachykardien bei akzessorischen Leitungsbahnen. Reduktion der Erregungsleitungsgeschwindigkeit assoziiert. Ur-
Weitere Beispiele für Makro-Reentrytachykardien sind VT nach sächlich hat hierfür ein Anstieg der extrazellulären Kaliumkon-
Myokardinfarkt, die um eine Myokardnarbe verlaufen, atriale zentration wahrscheinlich u. a. durch Aktivierung des ATP-ab-
Reentrytachykardien um Operationsnarben im Vorhof, typisches hängigen Kaliumstroms IKATP eine Bedeutung. Insgesamt be-
Vorhofflattern mit einer Kreiserregung um den Trikuspidaklap- wirken die ischämiebedingten Veränderungen eine Störung der
penanulus sowie die AVNRT mit einer Kreiserregung im Be- Homogenität der Erregungsausbreitung und der Repolarisation
reich des AV-Knotens. Diesen Makro-Reentrytachykardien lie- des Myokards. In den Randzonen zwischen ischämischem und
gen somit jeweils anatomische Strukturen bzw. Hindernisse normalperfundiertem Gewebe können hierdurch Tachyarrhyth-
zugrunde. mien induziert werden.
Darüber hinaus können auch Mikro-Reentrymechanismen
bei funktionellen Hindernissen durch eine verlangsamte Erre- Ionenkanaldefekte
gung in einem bestimmten Myokardabschnitt zu tachykarden Mutationen von Ionenkanälen können zu einem Funktionsver-
Arrhythmien führen. Dieser Pathomechanismus wird z. B. bei lust, zu einer Modifikation der Kanalfunktion (z. B. verzögerter
lokalen Leitungsverzögerungen im Rahmen einer Ischämie ange- Inaktivierung) oder auch zu einer Störung der Proteinkomplex-
nommen, wodurch VT induziert werden können. Darüber hi- bildung und Proteinintegration in die Zellmembran führen
naus basiert Vorhofflimmern auf mehreren funktionellen Kreis- (Lehnart et al. 2007). Dabei sind nicht nur Ionenkanalunterein-
erregungen in den Vorkammern. Mit der Zeit resultiert hieraus heiten, sondern z. T. assoziierte Proteine funktionsgestört. Durch
jedoch auch eine strukturelle Veränderung des Vorhofmyokards Ionenkanaldefekte können verschiedene Arrhythmien induziert
(atriales »remodeling«). werden, wie in . Tab. 3.2 zusammengefasst.
> Ein wesentliches Beispiel für klinisch relevante Ionenkanal-
Leitungsblockierungen
defekte ist das Long-QT-Syndrom.
Eine Störung der Erregungsausbreitung durch eine morpholo-
gische oder funktionelle Blockade des spezifischen Leitungssys- Beim Long-QT-Syndrom werden eine autosomal-dominate Form
tems kann zu bradykarden Herzrhythmusstörungen und Block- (Romano-Ward-Syndrom) und eine autosomal-rezessive Form
bildern im Oberflächen-EKG führen. Strukturelle Verände- (Jervell-Lange-Nielson-Syndrom) unterschieden. Bei Patienten
rungen können dabei z. B. durch Fibrosierung, Narbenbildung mit Long-QT-Syndrom finden sich meist Mutationen repolarisie-
oder Traumatisierung entstehen. Kommt es zu Störungen der render Kaliumkanäle, die zu einer Funktionsminderung führen,
Leitung im Bereich des AV-Knotens, resultiert ein AV-Block und Mutationen des kardialen Natriumkanals, die in einer Funk-
I.–III. Grades (7 Abschn. 3.3.3). Periphere Leitungsstörungen tionssteigerung oft mit verzögerter Ionenkanalinaktivierung re-
können zu typischen Schenkelblockkonfigurationen führen. sultieren. Allen diesen Mutationen ist gemeinsam, dass sie eine
76 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Tab. 3.2. Monogenetische Arrhythmien


Syndrom Mutiertes Gen Ionenkanal/Protein Funktion/Anomalität
Long-QT-Syndrom 1 KCNQ1 Kv7.1 α, KvLQT1 Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↓
Long QT-Syndrom 2 KCNH2 Kv11.1 α, hERG Verzögerter Gleichrichterstrom, IKr ↓

3 Long-QT-Syndrom 3 SCN5A Nav1.5 α Natriumstrom, INa ↑


Long-QT-Syndrom 4 ANK2 Ankyrin-B INa,K ↓, INCX ↓
Long-QT-Syndrom 5 KCNE1 mink β Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↓
Long-QT-Syndrom 6 KCNE2 MiRP1 β Verzögerter Gleichrichterstrom, IKr ↓
Long-QT-Syndrom 7/Andersen-Syndrom KCNJ2 Kir2.1 α Einwärtsgleichrichterstrom, IK1 ↓
Long-QT-Syndrom 8 CACNA1C Cav1.2 α1c L-Typ-Kalziumstrom, ICa,L ↑
Long-QT-Syndrom 9 CAV3 Caveolin-3 Natriumstrom, INa ↑
Long-QT-Syndrom 10 SCN4B Nav1.5 β4 Natriumstrom, INa ↑
Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom 1 KCNQ1 Kv7.1 α, KvLQT1 Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↓
Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom 2 KCNE1 mink β Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↓
Short-QT-Syndrom 1 KCNH2 Kv11.1 α, hERG Verzögerter Gleichrichterstrom, IKr ↑
Short-QT-Syndrom 2 KCNQ1 Kv7.1 α, KvLQT1 Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↑
Short-QT-Syndrom 3 KCNJ2 Kir2.1 α Einwärtsgleichrichterstrom, IK1 ↑
Brugada-Syndrom 1 SCN5A Nav1.5 Natriumstrom, INa ↓
Brugada-Syndrom 2 G3PD1L G3PD1L Natriumstrom, INa ↓
Idiopathisches Kammerflimmern SCN5A Nav1.5 Natriumstrom, INa ↓
Timothy-Syndrom CACNA1C Cav1.2 α1c L-Typ-Kalziumstrom, ICa,L ↑
CPVT 1 RYR2 Ryanodin-2-Rezeptor α SR Ca2+ Leck ↑
CPVT 2 CASQ2 Calsequestrin-2 SR Ca2+ Leck ↑
CPVT 3 KCNJ2 Kir2.1 α Einwärtsgleichrichterstrom, IK1 ↑
CPVT ANK2 Ankyrin-B SR Ca2+ Leck ↑
Vorhofflimmern 1 KCNQ1 Kv7.1 α, KvLQT1 Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↑
Vorhofflimmern 2 KCNE2 MiRP1 β Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↑
Vorhofflimmern 3 KCNJ2 Kir2.1 α Einwärtsgleichrichterstrom, IK1 ↑
Vorhofflimmern 4 GJA5 Connexin 40 Zellkopplung ↓
Vorhofflimmern 5 KCNE1 mink β Verzögerter Gleichrichterstrom, IKs ↓
Vorhofflimmern 6 KCNA5 Kv1.5 α Verzögerter Gleichrichterstrom, IKur ↓
Vorhofflimmern 7 ANK2 Ankyrin-B INa,K ↓, INCX ↓
Vorhofflimmern 8 KCNH2 Kv11.1 α, hERG Verzögerter Gleichrichterstrom, IKr ↑
Vorhofflimmern 9 ABCC9 SUR2A β Ca2+ Überladung ↑
Sick-Sinus-Syndrom 1 HCN4 HCN4 α Schrittmacherstrom, If ↓
Sick-Sinus-Syndrom 2 SCN5A Nav1.5 α Natriumstrom, INa ↓
Sick-Sinus-Syndrom 3 GJA5 Connexin 40 Zellkopplung ↓
Kardiale Leitungsdefekte SCN5A Nav1.5 Natriumstrom, INa ↓

Verlängerung des Aktionspotenzials bewirken und damit frühe diale Aktionspotenzial durch Ionenströme getragen wird, kön-
Nachdepolarisationen und Torsade-de-pointes-Tachykardien be- nen Störungen der Elektrolyte zu erheblichen Veränderungen der
günstigen. Die häufigste Form ist das Long-QT-Syndrom 1. Erregungsausbreitung und -bildung führen.
Auch das Short-QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom oder
beispielsweise die CPVT stellen heriditäre Erkrankungen mit ei- Hyperkaliämie. Eine Hyperkaliämie vermindert das Ruhememb-
ner erhöhten Inzidenz plötzlicher Herztodesfälle dar. ranpotenzial. Elektrokardiographisch finden sich eine Zunahme
der QRS-Komplexbreite und eine Verkürzung der QT-Dauer.
Elektrolytstörungen Eine Hyperkaliämie begünstigt durch Verkürzung des Aktions-
Da das Ruhemembranpotenzial auf den unterschiedlichen intra- potenzials und der Refraktärzeit die Entstehung von Kreiserre-
und extrazellulären Ionenkonzentrationen beruht und das kar- gungen und hierauf basierender Tachykardien. Durch Reduktion
3.2 · Prinzipien der Therapie
77 3

des Ruhemembranpotenzials kann andererseits bei steigenden


. Tab. 3.3. Antiarrhythmikaeinteilung nach Vaughan Williams
extrazellulären Kaliumkonzentrationen die Sinusknotenautoma-
tie bis hin zur Asystolie unterdrückt werden. Wirkstoff Klasse Substanzen
Natriumkanalblocker IA Chinidin, Disopyramid u. a.
Hypokaliämie. Eine Hypokaliämie führt zu einer Hyperpolarisa- IB Lidocain, Mexilitin u. a.
tion des Ruhemembranpotenzials. Hieraus resultiert eine Verlän-
IC Ajmalin, Flecainid, Propafenon u. a.
gerung der Aktionspotenzialdauer. Elektrokardiographisch korre-
lieren damit eine Senkung der ST-Strecke, eine Verlängerung β-Rezeptorenblocker II Bisoprolol, Metoprolol, Atenolol u. a.
der QT-Dauer sowie gelegentlich die Ausbildung von U- bzw. Kaliumkanalblocker III Amiodaron, Sotalol u. a.
TU-Verschmelzungswellen.
Kalziumantagonisten IV Verapamil, Gallopamil, Diltiazem
> Durch eine Hypokaliämie werden digitalisinduzierte Rhythmus-
störungen und proarrhythmische Effekte von Klasse-III-Anti-
arrhythmika begünstigt.
teilung jedoch nicht berücksichtigt. Eine aktuellere Antiarrhyth-
mikaeinteilung »Sicilian Gambit« versucht, neben den Hauptwir-
Hyperkalzämie. Eine Hyperkalzämie führt zu einer Verlängerung kungen einzelner Substanzen auch das Ausmaß der Wirkung und
des Aktionspotenzials sowie der QT-Zeit und einer Verlang- der Nebeneffekte auf andere Ionenkanäle oder Rezeptoren zu be-
samung der Erregungsleitung. Vereinzelt können paroxysmale rücksichtigen. Darüber hinaus wurden in diese Einteilung Ein-
Tachykardien entstehen. flüsse auf die kardiale Funktion und das Oberflächen-EKG auf-
genommen. Für den Einsatz von Antiarrhythmika bei speziellen
Hypokalzämie. Die Bedeutung einer Hypokalzämie für die Ar- Herzrhythmusstörungen soll auf die Abschn. »Bradykarde bzw.
rhythmogenese wird kontrovers beurteilt. Eine Hypokalzämie tachykarde Rhythmusstörungen« (7 Abschn. 3.3–3.5), für detail-
kann zu einer Verlängerung des Aktionspotenzials und der lierte Fragen der Pharmakologie auf entsprechende pharmakolo-
QT-Zeit führen. Wahrscheinlich wird die Hypokalzämie nur in gische Lehrbücher verwiesen werden.
Kombination mit einer Hyperkaliämie und dadurch bedingten
Leitungsstörungen relevant. Proarrhythmische Effekte
Antiarrhythmika können nicht nur Herzrhythmusstörungen
Hypernatriämie/Hyponatriämie. Prinzipiell kann eine Hypernat- unterdrücken, sondern zu neuen Arrhythmien führen oder be-
riämie zu einer Beschleunigung der Anstiegsgeschwindigkeit des stehende Arrhythmien aggravieren. Alle Antiarrhythmika der
Aktionspotenzials führen, während die Hyponatriämie diese ver- Klasse I–IV können bradykarde Herzrhythmusstörungen indu-
mindert. Im Rahmen lebensfähiger Natriumkonzentrationen hat zieren. Diese können nicht nur bei Überdosierung auftreten,
dies jedoch klinisch für die Arrhythmogenese keine Bedeutung. sondern sich auch bei einer latent vorbestehenden Funktionsstö-
rung in therapeutischen Dosisbereichen zeigen. Manifestieren
sich unter Antiarrhythmikagabe symptomatische Bradykardien,
3.2 Prinzipien der Therapie muss die Dosis reduziert, das Medikament abgesetzt oder unter
Schrittmacherschutz therapiert werden.
3.2.1 Pharmakotherapie
! Cave
Besonders gefährlich ist das Auftreten neuer ventrikulärer
Für die pharmakologische Therapie von Herzrhythmusstörungen
Rhythmusstörungen nach Antiarrhythmikagabe.
werden sog. membranwirksame Antiarrhythmika (Klasse-I- bzw.
Klasse-III-Antiarrhythmika), aber auch β-Rezeptorenblocker, Das Risiko ist wesentlich von der eingesetzten Substanz und dem
herzwirksame Kalziumantagonisten, Herzglykoside, Adenosin, Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung abhängig. Für
Vagolytika, Katecholamine und Magnesium eingesetzt. Der Stel- Klasse-I-Antiarrhythmika liegt das Proarrhythmierisiko bei
lenwert einer antiarrhythmischen Behandlung hat sich seit der eingeschränkter linksventrikulärer Funktion mindestens 2- bis
Verfügbarkeit der Katheterablation und der ICD geändert. Nach 3-fach höher als bei Herzgesunden. Klasse-I-Antiarrhythmika
wie vor sind Antiarrhythmika jedoch bei der Akuttherapie der sollten somit bei Patienten mit eingeschränkter systolischer
meisten tachykarden und bradykarden Rhythmusstörungen un- Funktion vermieden werden.
verzichtbar und kommen zur Rezidivprophylaxe von Herzrhyth- Prinzipiell können Arrhythmien auch bei Herzgesunden in-
musstörungen, für die derzeit keine alternativen Therapieverfah- duziert werden, das Risiko ist jedoch als wesentlich geringer ein-
ren zur Verfügung stehen, zum Einsatz. Zudem kann eine Phar- zustufen. Die besondere Form der Torsade-de-pointes-Tachykar-
makotherapie die Häufigkeit von Tachyarrhythmien bei Patienten dien kann durch Antiarrhythmika provoziert werden, die das
mit ICD vermindern. β-Rezeptorenblocker sind zur Primärpro- Aktionspotenzial verlängern. Zu diesen repolarisationsverzö-
phylaxe des plötzlichen Herztodes bei allen Patienten (ohne Kon- gernden Medikamenten gehören z. B. die Substanzen der Klas-
traindikationen) mit systolischer Dysfunktion indiziert. se IA und der Klasse III. Unter Sotalol werden in 2–4% der Fälle
Torsade-de-pointes-Tachykardien beobachtet.
Klassifizierung von Antiarrhythmika
Traditionell werden Antiarrhythmika meist entsprechend der > Faktoren, die zusätzlich die Repolarisation verlängern, begüns-
Einteilung nach Vaughan Williams eingruppiert (. Tab. 3.3). tigen eine Induktion von Torsade-de-pointes-Tachykardien.
Grundlage dieser Klassifizierung stellt die Wirkung der verschie- Hierzu zählen niedrige Herzfrequenz, Hypokaliämie oder Hypo-
denen Pharmaka auf Ionenkanäle und Rezeptoren dar. Komplexe magnesiämie und verschiedene Pharmaka (z. B. Makrolidanti-
Wirkmechanismen einzelner Substanzen werden in dieser Ein- biotika, Antihistaminika, trizyklische Antidepressiva).
78 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

3.2.2 Elektrische Kardioversion/Defibrillation länger als 24–48 h angedauert hat. Zur Verhinderung von Throm-
boembolien ist eine 3- bis 4-wöchige systemische Antikoagula-
Eine elektrische Kardioversion bzw. Defibrillation kann Tachy- tion oder ein Thrombusausschluss mithilfe der TEE vor Kardio-
kardien effektiver terminieren als eine medikamentöse Therapie. version erforderlich. Darüber hinaus muss sich nach Kardio-
Durch eine kurze kontrollierte Gleichstromimpulsabgabe kann version für 4 Wochen eine Antikoagulation anschließen, bis
ein Sinusrhythmus schnell und sicher erzielt werden. die Vorhöfe wieder ihre normale Kontraktion aufgenommen
3 haben.
Indikationen Eine Myokardschädigung durch eine Kardioversion ist äußerst
Eine Kardioversion bzw. Defibrillation kann notfallmäßig erfor- selten. Falls sich ein Anstieg der Kreatininkinase findet, stammt
derlich werden oder elektiv erfolgen. Notfallmäßig muss eine diese zumeist aus der Skelettmuskulatur.
Kardioversion bzw. Defibrillation bei hämodynamisch relevan-
ten Tachykardien wie z. B. Kammerflimmern, schnellen VT oder Kardioversion bei implantierten Schrittmachern/
tachysystolischem Vorhofflimmern im Rahmen eines WPW-Syn- Defibrillatoren
droms oder einer schweren Herzinsuffizienz durchgeführt wer- Auch bei Schrittmacherträgern kann eine elektrische Kardiover-
den. Elektiv kann eine Kardioversion bei stabilen Patienten z. B. sion meist sicher durchgeführt werden. Vor der Energieabgabe
mit Vorhofflattern, Vorhofflimmern oder medikamentenrefrak- sollte die Wahrnehmung der Schrittmachersonden wenn mög-
tären, langsamen VT geplant werden. lich auf »bipolar sensing« programmiert werden. Die Positio-
nierung der externen Elektroden ist so weit wie möglich vom
> Generell sollte jede Tachykardie, die zu einer Hypotension,
implantierten Aggregat entfernt anterior-posterior zu wählen.
Herzinsuffizienz oder Angina führt und nicht schnell auf eine
Bei einem ICD ist meist eine Kardioversion mit dem eigenen,
pharmakologische Behandlung anspricht, elektrisch terminiert
implantierten Gerät sinnvoll.
werden.

Technische Durchführung 3.2.3 Invasive elektrophysiologische


Wenn möglich sollte vor und nach einer Kardioversion ein 12-Ka- Untersuchung und Katheterablation
nal-EKG und während der Schockabgabe ein Rhythmusstreifen
registriert werden. Außer bei sehr schnellen VT bzw. Kammer- Technische Durchführung einer invasiven
flimmern sollte eine Kardioversion, d. h. eine R-Zacken syn- elektrophysiologischen Untersuchung
chrone Schockabgabe erfolgen. Der Elektroschock wird mit dem Eine invasive EPU wird zur Diagnostik von Herzrhythmus-
QRS-Komplex synchronisiert, um ein Einfallen in die T-Welle störungen und ggf. Lokalisation eines für eine Arrhythmie rele-
und damit eine Akzeleration der Tachykardie zu vermeiden. vanten Myokardareals (»mapping«) durchgeführt. Für eine EPU
Eine elektrische Kardioversion bzw. Defibrillation sollte nur muss die Möglichkeit einer kontinuierlichen Registrierung des
bei Patienten ohne Bewusstsein durchgeführt werden (meist Oberflächen-EKG sowie intrakardial abgeleiteter Elektrogramme
Kurznarkose). Am effektivsten kann eine Kardioversion mit einer bestehen (Willems et al. 2007). Elektrodenkatheter werden zu-
anterior-posterioren Elektrodenpositionierung durchgeführt meist über die V. femoralis, seltener über die V. jugularis,
werden. V. subclavia oder V. basilica platziert.
Außer bei Vorhofflimmern beenden Elektroschocks mit Für eine Standarddiagnostik erfolgt die Positionierung eines
50 J die meisten supraventrikulären Tachykardien. Ist eine erste Elektrodenkatheters im rechten oberen Vorhof, im Bereich des
Schockabgabe nicht effektiv, sollte eine höhere Energiestufe ge- His-Bündels und der rechtsventrikulären Spitze/dem rechtsventri-
wählt werden. Bei Vorhofflimmern sind für die erste Schock- kulären Ausflusstrakt (. Abb. 3.2). Darüber hinaus erfolgt bei spe-
abgabe 200 J, bei biphasischer Schockabgabe 100 J sinnvoll. Die zieller Fragestellung besonders beim Mapping und bei einer Abla-
Energie sollte ggf. bis 360 J gesteigert werden. Auch wenn stabile
VT oft mit 50 J terminiert werden können, ist in Notfallsituatio-
nen zur Steigerung der Sicherheit mit 200–360 J zu beginnen.
> Während einer Kardioversion müssen alle Möglichkeiten einer
kardiopulmonalen Reanimation (Intubation, externe oder trans-
venöse Stimulation, Notfallmedikation) zur Verfügung stehen.

Komplikationen
Ventrikuläre Tachykardien können bei Intoxikationen bzw. Über-
dosierung von Herzglykosiden oder anderen Antiarrhythmika
induziert werden. Normal dosierte Herzglykoside müssen jedoch
vor einer Kardioversion nicht pausiert werden.
Gelegentlich kommt es nach einer Kardioversion vorüberge-
hend zu Bradykardien (Sinusarrest, Sinusbradykardie, AV-Blo-
ckierung). Diese Bradykardien sprechen gut auf Atropin an, be-
dürfen jedoch meist keiner spezifischen Therapie.
Bei Vorhofflimmern, aber auch bei Vorhofflattern und Vor- . Abb. 3.2. Elektrodenkatheterposition bei einer elektrophysiologischen
hoftachykardien bei Vitien, kann eine Kardioversion zu thromb- Untersuchung (anterior-posterior). HRA hoher rechter Vorhof, HIS His-Posi-
embolischen Komplikationen führen, wenn die Arrhythmie tion, RVA rechtsventrikulärer Apex
3.2 · Prinzipien der Therapie
79 3

. Abb. 3.3. Oberflächenelektrokardiogramm und intrakardiale Elektrogramme. HRA hoher rechter Vorhof, HIS His-Position, RVA rechtsventrikulärer
Apex, A atriales Signal, V ventrikuläres Signal, H His-Potenzial

tion in Abhängigkeit von der Rhythmusstörung die Positionierung der letzten stimulationsinduzierten Vorhoferregung und der-
weiterer Elektrodenkatheter z. B. im Bereich des Koronarsinus. ersten vom Sinusknoten induzierten spontanen Vorhoferregung
Über die Elektrodenkatheter wird einerseits das intrakardiale gemessen. Um die gemessenen Parameter besser vergleichen zu
Elektrogramm abgeleitet, andererseits erfolgt hierüber die Stimu- können, erfolgt die Angabe der korrigierten SKEZ, die sich als
lation (. Abb. 3.3). Üblicherweise werden bei EPU nicht die Fre- Differenz aus der SKEZ und der spontanen Zykluslänge bei
quenzen, sondern die Zykluslängen, d. h. die Intervalle zwischen Sinusrhythmus vor der Stimulation ergibt. Die korrigierte SKEZ
2 Aktionen, angegeben (. Tab. 3.4). sollte unter 550 ms liegen. Eine pathologisch verlängerte SKEZ
weist mit einer Sensitivität von 65% und Spezifität von etwa 90%
Sinusknotenfunktion auf eine Sinusknotenerkrankung hin. Eine normale SKEZ schließt
Zur Beurteilung der Sinusknotenfunktion kann die SKEZ be- diese jedoch nicht aus.
stimmt werden. Hierzu wird die Sinusknotenautomatie durch
schnelle atriale Stimulation inhibiert und das Intervall zwischen Programmierte atriale Stimulation
Eine programmierte Vorhofstimulation wird durchgeführt, um
. Tab. 3.4. Normalwerte elektrophysiologischer Parameter die atriale Refraktärzeit und die AV-Leitung zu beurteilen. Da-
Parameter Werte [ms] rüber hinaus besteht ein wesentliches Ziel in der Induktion supra-
ventrikulärer Rhythmusstörungen, um anhand des intrakardia-
Sinusknotenerholungszeit <1500
len Elektrogramms den zugrunde liegenden Mechanismus zu
Korrigierte Sinusknotenerholungszeit <550 diagnostizieren.
Atriale effektive Refraktärzeit 170–300
Atrioventrikuläre Überleitung
Effektive Refraktärzeit des AV-Knotens 230–425
Die Überleitung im Bereich des AV-Knotens wird bei Spontan-
AH-Intervall 60–130 rhythmus und bei atrialer Stimulation beurteilt. Die Ableitung
HV-Intervall 30–55 des His-Elektrogramms ermöglicht dabei die Lokalisation even-
Ventrikuläre effektive Refraktärzeit 170–290 tueller Leitungsstörungen. Das AH-Intervall repräsentiert die
Leitung zwischen basalem Vorhof und His-Bündel, das HV-In-
AH Atrium-His, HV His-Ventrikel.
tervall zwischen His-Bündel und ventrikulärem Septum. Physio-
80 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

logischerweise tritt bei abnehmender Zykluslänge eine Leitungs- linken Herzen (bei langer Dauer auch im rechten Herzen) eine
blockierung oberhalb des His-Bündels (Wenckebach-Punkt) auf. Heparinisierung (Scheinman et al. 2003).
Bei etwa 20% der Patienten tritt bei vorzeitig angekoppelten Ex-
trastimuli plötzlich eine sprunghafte Verlängerung des AH-In- Komplikationen
tervalls auf (AH-Sprung). Insgesamt stellen die EPU und die Katheterablation sichere Ver-
Hieran können sich bei einem Teil der Patienten junktionale fahren mit niedrigen Komplikationsraten dar. Prinzipiell können
3 Echoschläge anschließen oder AVNRT induziert werden. Dem Komplikationen wie bei jeder invasiven transvenösen bzw. trans-
AH-Sprung liegt eine funktionelle Längsdissoziation des AV- arteriellen Katheteruntersuchung auftreten. Hierzu zählen mög-
Knotens mit Blockierung der schnellen Leitungsbahn und Über- liche Gefäßkomplikationen wie Hämatome, Verletzungen oder
gang der AV-Leitung auf die langsame Bahn zugrunde (7 Ab- Thrombosen.
schn. 3.4.3). Selten kann durch die Elektrodenpositionierung oder wäh-
rend der Ablation eine Perforation des Myokards entstehen (Peri-
Programmierte Ventrikelstimulation karderguss, Perikardtamponade). In Abhängigkeit vom Ort der
Im Rahmen einer programmierten Ventrikelstimulation werden Ablation kann bei bis zu 1% der Patienten eine Schrittmacherver-
die Refraktärzeiten bestimmt, die ventrikuloatriale Überleitung sorgung wegen kompletter AV-Blockierung erforderlich werden
getestet und die Auslösbarkeit ventrikulärer Arrhythmien über- (AV-Knotenmodulation, anteroseptale akzessorische Leitungs-
prüft. Zumeist wird in der rechtsventrikulären Spitze und im bahn). In Einzelfällen wurde bei linksventrikulärer oder links-
rechtsventrikulären Ausflusstrakt stimuliert. atrialer Ablation von thrombembolischen Komplikationen be-
Liegt eine retrograde Leitung zu den Vorkammern vor, richtet. Diesen wird jedoch durch eine Antikoagulation während
spricht eine Verlängerung des VA-Intervalls bei Verkürzung des der Intervention vorgebeugt. Bei Vorhofflimmerablationen wur-
Stimulationsintervalls für eine Leitung über den AV-Knoten. den selten Pulmonalvenenstenosen, sehr selten Ösophagusfisteln
Eine retrograde Leitung mit fixem VA-Intervall deutet auf das beschrieben.
Vorliegen einer akzessorischen Bahn hin. Findet sich keine vent-
rikuloatriale Erregungsleitung, sind AV-Reentrytachykardien
und AVNRT unwahrscheinlich. 3.2.4 Chirurgische Therapie
Bei klinischen Tachykardien, die während körperlicher Be-
lastung oder sonstiger sympathischer Stimulation aufgetreten Seit Verfügbarkeit von Katheterablation und ICD ist eine chi-
sind, sollte die programmierte Stimulation auch unter Kate- rurgische Behandlung von Herzrhythmusstörungen mit Aus-
cholaminprovokation (z. B. i.v.-Gabe von Orciprenalin) erfolgen. nahme des Vorhofflimmerns fast völlig verlassen worden. Die
Ventrikuläre Tachykardien können zumeist durch Überstimula- Maze-Operation wird zur Therapie von Vorhofflimmern ein-
tion beendet werden. gesetzt. Hierbei wird die atriale Gewebemasse durch Radio-
frequenzablationen (früher durch Inzisionen) reduziert, sodass
Katheterablation die Kreiserregungen des Vorhofflimmerns nicht mehr persis-
tieren können. Zumeist wird die Maze-Operation mit einer
> Die Katheterablation stellt die Therapie der ersten Wahl bei
Mitralklappen- oder Bypassoperation kombiniert. Nach einer
AV-Reentrytachykardien und AVNRT dar (Kuck et al. 2007).
Maze-Operation haben in erfahrenen Zentren nach 3 Monaten
Darüber hinaus wird sie erfolgreich bei typischem Vohofflat- über 90% der Patienten einen Sinusrhythmus. Bei der Mehrzahl
tern, atrialen Tachykardien, Vorhofflimmern und VT einge- der Patienten nehmen die Vorhöfe ihre kontraktile Funktion
setzt (7 Abschn. 3.4). Die akute Erfolgsrate der Katheterablation wieder auf. Etwa 10% der Patienten benötigen nach einer Maze-
liegt teilweise über 95%. Bei der Katheterablation wird die Re- Operation jedoch aufgrund einer chronotropen Inkompetenz
gion lokalisiert (Mapping), die dem Tachykardieursprung ent- einen Schrittmacher.
spricht oder für eine Kreiserregung essenziell ist. Diese Loka- Neben chirurgischen Ansätzen, die eine direkte Behebung
lisation erfolgt mithilfe des intrakardial abgeleiteten Elektro- von Arrhythmien zum Ziel haben, können zahlreiche andere kar-
gramms an der Spitze des Ablationskatheters und der radiolo- diochirurgische Operationen wie beispielsweise eine Aneurysm-
gischen Orientierung. Darüber hinaus stehen dreidimensionale ektomie, koronare Bypassversorgung und Ventrikelentlastung
Mappingverfahren zur Verfügung (z. B. elektroanatomisches durch Korrektur von Vitien indirekt über eine hämodynamische
»Punkt-für-Punkt«-Mapping mit Carto, kontaktloses Mapping Verbesserung und Steigerung der myokardialen Perfusion zu
mit Ensite, anatomisches Navigationssystem LocaLise), die einer Abnahme von Rhythmusstörungen führen.
besonders bei der Lokalisation und der Ablation komplexer
Arrhythmien (VT, atriale Tachykardie, Vorhofflimmern) hilf-
reich sind. Eine Verknüpfung mit dreidimensionalen CT- bzw. 3.2.5 Schrittmachertherapie
MR-Bildern ist für einige Mappingsysteme bereits realisiert
(Carto, NavX). Die erste Schrittmacherimplantation erfolgte 1958. Seither stellt
Zumeist wird mit Hochfrequenzstrom (350–700 kHz) abla- die Schrittmachertherapie die wesentlichste Behandlungsform
diert. Bei Gewebetemperaturen >50°C kommt es zu einer irrever- bradykarder Rhythmusstörungen dar. Kurzfristig kann eine pas-
siblen thermischen Läsion mit initialer Nekrose und langfris- sagere Schrittmacherstimulation erfolgen. Für die chronische
tigem fibrotischen Umbau. »Gekühlte« (offene oder geschlossene Behandlung stehen hoch spezialisierte Aggregate zur Verfügung,
Kochsalzkühlung) oder größere Ablationselektroden erlauben die sich u. a. aktivitätsgesteuert an die Leistung des Patienten an-
die Induktion einer größeren und tieferen Läsion. Seltener wird passen können. Darüber hinaus kann zwischen Einkammer- und
als alternative Energieform die Kryothermie eingesetzt. Zur Ver- Zweikammersystemen sowie bei speziellen Indikationen (schwe-
hinderung von Thromboembolien erfolgt bei Ablationen im re systolische Herzinsuffizienz) biventrikulären Schrittmachern
3.2 · Prinzipien der Therapie
81 3

. Tab. 3.5. Revidierte NASPE/BPEG-Kodierung der Herzschrittmacher


Buchstabenfolge Bedeutung Abkürzungen
1. Position Ort der Stimulation 0: keine, A: Atrium, V: Ventrikel, D: dual (A+V)
2. Position Ort der Detektion 0: keine, A: Atrium, V: Ventrikel, D: dual (A+V)
3. Position Betriebsart 0: keine spezielle Betriebsart, I: Inhibition, T: Triggerung, D: V-Signal inhibiert, A-Signal
getriggert auf den Ventrikel, A-Signal inhibiert im Vorhof
4. Position Programmierbarkeit, 0: nicht programmierbar, R: Frequenzadaptation
Frequenzadaptation
5. Position Multifokale Stimulation 0: keine, A: Atrium, V: Ventrikel, D: dual (A+V)

gewählt werden. Für die Indikationsstellung von Schrittmacher- ! Cave


systemen 7 Abschn. 3.3. Bei Patienten mit Sinusknotendysfunktion sollte darauf geach-
tet werden, dass die rechte Kammer so selten wie möglich
Schrittmachernomenklatur stimuliert wird, da sich mit zunehmender Häufigkeit einer
Die derzeit etablierte Nomenklatur besteht aus einem 5-stelligen rechtsventrikulären Stimulation die Pumpfunktion des rechten
Buchstabenkode (revidierter NASPE/BPEG-Kode; . Tab. 3.5). Ventrikels verschlechtert.
Dabei wird an der dritten Stelle die Art der Wahrnehmung
bzw. die Schrittmacherantwort kodiert. »I« bedeutet, dass ein Selten kann bei retrograd leitendem AV-Knoten eine schrittma-
wahrgenommenes Ereignis die Impulsabgabe des Schritt- cherinduzierte Reentrytachykardie entstehen. Diese ist jedoch
machers inhibiert. »T« bedeutet, dass ein Stimulationsimpuls durch Umprogrammierung des Schrittmachers meist zu unter-
durch ein wahrgenommenes Ereignis getriggert wird. »D« steht brechen. Eine Änderung des Stimulationsmodus (VVI) beim
für die Kombination beider zuvor genannter Funktionen. Die Auftreten von Vorhofflimmern (»mode switch«) ist standard-
fünfte Position gibt eine multifokale Stimualtion z. B. bei der mäßig in aktuellen Schrittmachern integriert. Bei Patienten mit
CRT an. chronotroper Inkompetenz sollten frequenzadaptierte Systeme
(DDD-R) bevorzugt werden.
Wesentliche Stimulationsarten
Ventrikulär inhibierte Stimulation (VVI). Diese Stimulationsart Frequenzadaptierte Stimulation. Frequenzadaptierte Schritt-
ermöglicht eine Wahrnehmung von Ereignissen im Ventrikel, die machersysteme können die Aktivität des Patienten über verschie-
eine Schrittmacherstimulation inhibieren (bei Sinusrhythmus, dene Sensoren überwachen und die Herzfrequenz möglichst
ventrikulären Extrasystolen). Wird eine programmierte Grenz- physiologisch anpassen. Am weitesten verbreitert sind Aktivitäts-
frequenz im rechten Ventrikel unterschritten, erfolgt die Abgabe sensoren, die durch Muskelaktivität erzeugte Vibrationen wahr-
eines elektrischen Impulses. Ein VVI-Schrittmacher ist bei Pa- nehmen (piezoelektrische Kristalle oder Akzelerometer).
tienten indiziert, bei denen keine physiologische sequenzielle
Stimulation (erst Vorhof, dann Ventrikel) möglich ist, oder bei Wesentliche Parameter der Programmierung
solchen, die nur sehr selten einer Schrittmacherstimulation be- Impulsamplitude und -dauer
dürfen. Somit ist ein VVI-Schrittmacher für Patienten mit chro- Die Programmierung von Impulsamplitude und Impulsdauer
nischem Vorhofflimmern geeignet. ermöglicht eine Anpassung an die Reizschwelle der Elektroden.
Nach Implantation erfolgt zunächst eine Einstellung mit hoher
Atrial inhibierte Stimulation (AAI). Bei einem AAI-Schrittmacher Impulsamplitude bei zumeist einer Impulsdauer von etwa 0,4 ms.
erfolgt eine Stimulation im rechten Vorhof, wenn eine program- Nach Erreichen der chronischen Reizschwelle können die Impuls-
mierte Grenzfrequenz unterschritten wird. Eigenaktionen im amplitude und ggf. die Impulsbreite individuell eingestellt
Vorhof inhibieren die Impulsabgabe. Durch einen AAI-Schritt- werden, um den Energieverbrauch zu minimieren und so die
macher wird eine vorhofsynchrone Kammererregung erhalten. Lebensdauer der Batterie maximal auszunutzen.
Die Implantation eines AAI-Schrittmachers kann bei isolierter
Sinusknotendysfunktion in Erwägung gezogen werden, wenn Sensitivität
eine normale AV-Überleitung besteht. Die Empfindlichkeit entspricht der R-/P-Amplitude [mV], die
als intrakardiales Signal erkannt wird. Dabei wird zusätzlich die
AV-sequenzielle DDD-Stimulation. Die DDD-Stimulation er- Anstiegssteilheit des Signals analysiert, um Interferenzen z. B.
möglicht eine physiologische AV-sequenzielle Stimulation des mit der T-Welle oder einer U-Welle zu verhindern. Bei einem
Herzens. Der rechte Vorhof und die rechte Kammer werden hin- »undersensing« werden intrakardiale Signale nicht wahrgenom-
tereinander mit einem programmierten AV-Intervall stimuliert. men. Hieraus kann eine vom Eigenrhythmus unabhängige
Eigenaktionen im Vorhof inhibieren die Schrittmacherstimula- Schrittmacherstimulation (Parasystolie) resultieren. Teilweise
tion in der Vorkammer und triggern eine Impulsabgabe im rech- kann ein Undersensing durch Erhöhung der Empfindlichkeit
ten Ventrikel. Kammereigenaktionen wiederum unterdrücken behoben werden. Darüber hinaus kann jedoch auch ein Sonden-
die ventrikuläre Stimulation. Ein DDD-Schrittmacher ist bei defekt bestehen.
allen Patienten sinnvoll, die häufig eine Schrittmacherstimula- Bei einem »oversensing« werden zusätzliche Signale wie bei-
tion benötigen und bei denen eine AV-sequenzielle Stimulation spielsweise Muskelpotenziale vom Schrittmacher wahrgenom-
möglich ist. men und hierdurch die Stimulation inhibiert. Ein Oversensing
82 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

tritt wesentlich häufiger bei unipolarem Sensing der Elektroden > Zur Ausheilung einer Schrittmacherinfektion muss eine Explan-
auf und kann durch Umprogrammierung auf eine bipolare Wahr- tation des Fremdmaterials erfolgen.
nehmung oft beseitigt werden (s. unten).
Schrittmachersyndrom
Hysterese und Stimulationsfrequenz Unter einem Schrittmachersyndrom wird ein Symptomkomplex
Bei jedem Schrittmacher kann die Frequenz, mit der stimuliert aus Palpitationen, Synkopen bzw. Präsynkopen und Hypotonie
3 werden soll, programmiert werden. Die Hysteresefunktion er- nach Implantation eines ventrikulären Schrittmachers verstan-
möglicht eine Stimulation beim Absinken der Eigenfrequenz den. Ursächlich führt eine ventrikuloatriale Leitung bei Schritt-
unter eine programmierte Basisfrequenz mit jedoch höherer Sti- macherstimulation zu einer Vorhofkontraktion nach der Ventri-
mulationsfrequenz. Hierdurch wird eine Interaktion zwischen kelerregung. Hierdurch kontrahieren sich die Vorkammern gegen
Eigenrhythmus und stimulierten Herzaktionen vermieden. die geschlossen AV-Klappen (Vorhofpfropfung). Das Herzzeitvo-
lumen nimmt ab; der Vorhofdruck steigt. Die Symptomatik kann
AV-Intervall und Refraktärzeiten bei DDD-Schrittmachern durch eine Verkürzung des AV-Inter-
Eine VA-Leitung stellt meist die Ursache für eine schrittmacher- valls und bei VVI-Systemen durch eine Umrüstung auf ein physio-
induzierte Reentrytachykardie und das Schrittmachersyndrom logisches AV-sequenzielles System meist behoben werden.
dar. Durch Verkürzung des AV-Intervalls (100–150 ms) kann
dies oft behoben werden. Die Refraktärzeit stellt das Intervall dar, Schrittmacherkontrolle
in dem nach einer wahrgenommenen Herzaktion oder einer Im- Die Schrittmacherfunktion muss regelmäßig verlaufskontrolliert
pulsabgabe des Schrittmachers weder ein Signal wahrgenommen werden. Eine Schrittmacherfunktionsprüfung umfasst die Regis-
werden noch eine Stimulation erfolgen kann. Die atriale Refrak- trierung eines 12-Kanal-Oberflächen-EKG, die Messung der Im-
tärzeit sollte an das AV-Intervall angepasst werden, um störende pulsbreite, Impulsamplitude und Reizschwelle, die Analyse der
ventrikuläre Signale auszublenden. Eine schrittmacherinduzierte Vorhof- und Ventrikelwahrnehmung sowie die Prüfung der Bat-
Reentrytachykardie kann teilweise auch durch Verlängerung der teriespannung. Individuell müssen spezielle Funktionsparameter
Refraktärzeit behoben werden. abgefragt und ggf. umprogrammiert werden. Darüber hinaus
sollte stets eine Inspektion der Schrittmachertasche erfolgen.
Unipolare/bipolare Elektrodenfunktion
Sowohl die Stimulation als auch die Wahrnehmung der Sonden Temporäre Schrittmacherstimulation
können uni- oder bipolar erfolgen. Bei unipolarer Funktion stellt Transvenöses System
die Elektrodenspitze den einen Pol und das Schrittmacheraggre- Am leichtesten ist eine Schrittmachersondenplatzierung im rech-
gat den Gegenpol dar. Bei bipolarer Einstellung funktionieren die ten Ventrikel über die V. jugularis oder V. subclavia durchzu-
Schrittmacherspitze und der Ring als Gegenpole. Eine bipolare führen. Alternativ sind Sondierungen über die V. femoralis oder
Wahrnehmung ist wesentlich weniger störanfällig, z. B. gegen- eine Armvene möglich. Im Notfall kann die Elektrodenplatzie-
über Muskelpotenzialen. Darüber hinaus sollte diese Program- rung allein unter EKG-Kontrolle erfolgen. Sicherer ist jedoch,
mierung bei externer elektrischer Kardioversion oder auch bei wenn verfügbar, eine Positionierung unter Röntgendurchleuch-
einer Katheterablation gewählt werden. tung. Als potenzielle Komplikationen können eine Infektion (be-
sonders bei wiederholten Replatzierungsversuchen), eine Per-
Mode switch foration oder venöse Thrombosen und Komplikationen der zen-
Tritt eine atriale Tachyarrhythmie auf, ändert sich bei einem DDD- tralen Venenpunktion/-kanülierung auftreten. Vorsicht ist bei
Schrittmacher automatisch der Stimulationsmodus in eine vorhof- instabiler Elektrodenlage wegen einer möglichen ineffektiven
unabhängige Stimulation (VVI). Nach Terminierung der atrialen Stimulation, aber auch der Induktion ventrikulärer Arrhythmien
Tachyarrhythmie erfolgt wieder eine Stimulation entsprechend des geboten. Generell sollte ein transvenöses Schrittmachersystem
ursprünglich programmierten AV-sequenziellen Modus. wegen der potenziellen Infektionsgefahr nur so kurz wie nötig
verwandt werden.
Schrittmacherkomplikationen
Komplikationen können direkt im Zusammenhang mit der Ope- Externe temporäre Stimulation
ration stehen oder nach der Schrittmacherimplantation auftreten Im Notfall besteht darüber hinaus die Möglichkeit, eine kardiale
(. Tab. 3.6). Da es zu schwerwiegenden Komplikationen kom- Stimulation über externe thorakale, ggf. auch ösophageale Elek-
men kann, muss die Indikation für eine Schrittmacherimplanta- troden zu erzielen, obwohl dies nicht bei jedem Patienten effektiv
tion immer streng gestellt werden. möglich ist. Aufgrund meist ausgeprägter Schmerzen ist eine ex-

. Tab. 3.6. Schrittmacherkomplikationen


Art der Komplikation Beispiele
Perioperative Komplikationen Myokardperforation, Pneumo-/Hämatothorax, Embolien
Schrittmachersysteminfektion Schrittmacheraggregat, Tasche, Sonden
Sondenbedingte Komplikationen Zwerchfellstimulation, Elektrodendislokationen, Sondenbrüche, Isolationsdefekte,
Venenthrombosen
Komplikationen durch das Schrittmacheraggregat Druckbedingte Nekrosen, Aggregatperforation/-wanderung, technische Fehler
Schrittmachersyndrom Palpitationen, Synkopen/Präsynkopen, Hypotonie
3.2 · Prinzipien der Therapie
83 3

terne Stimulation bei bewusstseinsklaren Patienten nicht länger kann eine Diskriminierung zwischen supraventrikulären und
durchführbar. ventrikulären Tachykardien durch eine Registrierung von atria-
len und ventrikulären Aktionen erfolgen. Vor Therapieabgabe
muss die detektierte Arrhythmie eine bestimmte Dauer (z. B. 10
3.2.6 Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren konsekutive Aktionen) anhalten.

Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren sind effektiver als ICD-Komplikationen


eine antiarrhythmische Therapie für eine Sekundärprävention Mögliche Komplikationen, die bei einem ICD vorkommen kön-
und bei speziellen Indikationen für die Primärprävention eines nen, umfassen alle Komplikationen eines Schrittmachersystems
plötzlichen Herztodes. Die Indikationen für eine ICD-Implanta- (. Tab. 3.6). Darüber hinaus können ICD-spezifische Komplika-
tion finden sich im 7 Abschn. 3.5.6. tionen auftreten. Ein Verlust der Defibrillationsfunktion kann auf
Elektrodendislokation, Elektrodenbruch, Isolationsdefekt oder
ICD-Systeme Störung des ICD-Aggregats beruhen.
Defibrillatorsysteme werden, vergleichbar mit Schrittmachern, Zudem können für den Patienten sehr belastende inadäquate
als Ein- oder Zweikammersystem sowie als biventrikuläres Sys- Schockabgaben auftreten. Zumeist basieren diese auf einer
tem implantiert. Der im rechten Ventrikel liegende Anteil der Detektion supraventrikulärer Tachykardien, können aber auch
Defibrillationselektrode funktioniert als Kathode bei der De- durch eine Wahrnehmung von Muskelpotenzialen oder externen
fibrillation. Als Gegenpol können entweder das Aggregat (»active Störquellen auftreten. Häufig ist eine Umprogrammierung der
can«) und/oder der proximale Anteil der Defibrillationselektrode ICD-Parameter bzw. eine medikamentöse Therapie von Vorhof-
dienen. Wird so keine effektive Defibrillationsschwelle erzielt, rhythmusstörungen hilfreich. Um inadäquate Schockabgabe z. B.
kann es erforderlich sein, eine weitere Elektrode als Anode zu bei einer Elektrotherapie zu verhindern, kann ein Magnet auf
platzieren. Über die Spitze der Defibrillationselektrode erfolgen dem Aggregat platziert werden.
wie bei einer normalen Schrittmacherelektrode Signalwahrneh-
mung und antibradykarde Stimulation. ICD-Kontrollen
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen von Patienten mit ICD
Wesentliche Parameter der Programmierung sind meist in 3- bis 6-monatigen Abständen erforderlich, um die
Arrhythmieterminierung Funktion des Gerätes, die Batteriespannung und evtl. Rhythmus-
Zur Terminierung tachykarder Rhythmusstörungen besteht zum ereignisse zu überprüfen.
einen die Möglichkeit einer antitachykarden Stimulation und
> Eine unmittelbare Verlaufskontrolle des ICD sollte bei häufigen
zum anderen die Elektroschockabgabe. Die Energie der Defibrilla-
Schockabgaben, rezidivierenden Synkopen oder bei Verdacht
torschockabgabe kann programmiert werden, sollte auf jeden
auf Infektionen des Defibrillatorsystems erfolgen.
Fall jedoch eine ausreichende Sicherheitszone, meist 10 J ober-
halb der Defibrillationsschwelle, beinhalten.
Fahrtüchtigkeit
Therapiezonen In die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit müssen das Risiko für tachy-
Die verschiedenen Modi der Terminierung einer VT bzw. von arrhythmische Ereignisse, ggf. der zeitliche Abstand und ein Auf-
Kammerflimmern können in verschiedenen Therapiezonen treten arrhythmiebedingter Synkopen einbezogen werden. Derzei-
programmiert werden. Eine antitachykarde Stimulation ist nur in tige Empfehlungen gruppieren Patienten in 3 Kategorien ein:
VT-Frequenzbereichen sinnvoll. Zumeist werden die ersten 2 Kategorie I: Keine eindeutige Einschränkung der Fahrerlaub-
oder 3 ICD-Therapien mit verschiedenen antitachykarden nis, da das Risiko einer ICD-Entladung mit relevanter hämo-
Stimulationsprotokollen programmiert, die Letzten mit Schock- dynamischer Beeinträchtigung als gering eingestuft wird
abgaben. Beim Auftreten sehr schneller VT oder von Kammer- (ICD als Primärprophylaxe). Nach Erholung vom operativen
flimmern sollte primär eine Defibrillation programmiert werden, Eingriff (in der Regel 3 Monate) ist die Fahrtüchtigkeit wie-
da hier antitachykarde Stimulationen ineffektiv sind. Zur optima- der gegeben.
len, individuellen Einstellung eines ICD sollten, wenn möglich, Kategorie II: Fahrverbot für einen bestimmten Zeitraum:
Ergebnisse einer vorausgegangenen programmierten Ventrikel- Kategorie IIA: niedriges Risiko; beim Fehlen von Ar-
stimulation berücksichtigt werden. rhythmierezidiven besteht ein Fahrverbot für 6 Monate.
Kategorie IIB: mittleres Risiko; Fahrverbot besteht bis
Detektion ventrikulärer Tachyarrhythmien zum Nachweis der Symptomfreiheit, d. h. z. B. von Prä-
Eine zuverlässige Detektion ist zur Erkennung aller therapie- synkopen oder Synkopen unter der ICD-Therapie.
bedürftiger Tachyarrhythmien und zur Vermeidung inadäquater Kategorie III: Patient mit einem sehr hohen Risiko für hämo-
Schockabgaben essenziell. Hierbei werden mehrere Parameter dynamisch instabile tachykarde Rhythmusstörungen. Es gilt
berücksichtigt. Eine VT bzw. ein Kammerflimmern wird auf- ein generelles Fahrverbot.
grund der schnellen Herzfrequenz (Therapiezonen, s. oben) und
bei Kammerflimmern anhand des Fehlens eines isoelektrischen Darüber hinaus sollten Patienten, die in die Kategorien II und III
Anteils im Elektrogramm erkannt. Als Stabilitätsfaktor wird die fallen, vom Personen- und Güterverkehr ausgeschlossen werden.
Variabilität konsekutiver RR-Abstände analysiert (Abgrenzung
von tachyarrhythmischem Vorhofflimmern).
Zudem spricht ein plötzlicher Beginn eher für VT, während
sich bei Vorhofflimmern und besonders bei Sinustachykardien
die Herzfrequenz progredient steigert. Bei Zweikammersystemen
84 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

3.3 Bradykarde Rhythmusstörungen gehende Sinusbradykardie auf. Zumeist handelt es sich um einen
Hinterwandinfarkt. In der Regel erholt sich die Sinusknotenfunk-
3.3.1 Sinusknotendysfunktion tion wieder spontan.

Epidemiologie Klassifikation
Der Sinusknoten ist der physiologische Schrittmacher des Her- Sinusbradykardie
3 zens. Vorübergehende Bradykardien, einschließlich intermittie- In Ruhe liegt die mittlere Sinusknotenfrequenz zumeist bei
render Sinuspausen, können bei erhöhtem Vagotonus auch bei 50–60/min. Physiologischerweise treten bei Gesunden, be-
Herzgesunden auftreten. Diese klinisch bedeutungslosen Brady- sonders bei Sportlern, jedoch auch asymptomatische Ruhefre-
kardien finden sich besonders häufig im Schlaf und bei trainier- quenzen von 35–40/min auf. Die übliche Definition einer Sinus-
ten Personen. Pathologische Störungen der Sinusknotenfunktion bradykardie bei einer Frequenz unter 60/min wurde willkürlich
treten meist im fortgeschrittenen Lebensalter auf. gewählt und hat somit meist keine klinische Relevanz. Wesent-
Nach Schätzungen entwickeln 150–200 Patienten/1000 Mio. licher ist die Korrelation einer Sinusbradykardie (in der Regel
Einwohner jährlich ein symptomatisches Sinusknotensyndrom. <40/min im Wachzustand; s. unten) mit Symptomen. Eine aus-
Die Sinusknotendysfunktion stellt die häufigste Indikation für geprägte Sinusbradykardie kann eine ventrikuläre Extrasystolie
eine permanente Schrittmacherversorgung dar. begünstigen.

Pathophysiologie Sinuspause/Sinusarrest
Wenn die normale Schrittmacherfunktion des Sinusknotens
Definition
sistiert, resultiert ein Sinusarrest. Die Dauer einer pathologisch
Die Sinusknotendysfunktion (Syndrom des kranken Sinus-
verlängerten Sinuspause ist nicht klar definiert. Asymptomatische
knotens, »sick sinus syndrome«) umfasst verschiedene elek-
Pausen länger als 2 s werden im Langzeit-EKG bei etwa 11% der
trophysiologische Störungen der Generation und der Aus-
Patienten registriert, bei trainierten Athleten noch deutlich häu-
breitung des Sinusimpulses in das umliegende atriale Gewe-
figer (ca. 35%). Beschwerden manifestieren sich nur bei einem
be sowie der Erregungsfortleitung in den Vorhöfen und in
Teil der Patienten, dann meist ab Sinuspausen >3 s. Aber auch bei
dem spezifischen Reizleitungssystem.
Gesunden können besonders nachts noch längere Pausen ohne
jegliche Symptomatik auftreten. Bei einem dokumentierten Sinus-
Zudem besteht bei der Sinusknotendysfunktion eine erhöhte An- arrest, der länger als 3 s andauert, sollte eine Korrelation mit kli-
fälligkeit für Vorhofflimmern, Vorhofflattern und atriale Tachy- nischen Beschwerden angestrebt werden.
kardien. Treten bei einem Patienten tachykarde und bradykarde
Arrhythmien auf, so spricht man von einem Bradykardie-Tachy- Sinuatrialer Block
kardie-Syndrom. Beim SA-Block vermag ein normal generierter Sinusimpuls
Die Sinusknotenfunktion kann durch eine direkte Schädi- das umgebende atriale Gewebe nur verzögert oder gar nicht zu
gung des Sinusknotens und/oder des umgebenden atrialen Myo- depolarisieren. Der SA-Block wird analog zum AV-Block in die
kards beeinträchtigt sein (intrinsische Sinusknotendysfunktion). Grade I–III eingeteilt. Ein erstgradiger SA-Block ist im Ober-
Darüber hinaus können funktionelle Störungen (extrinsische flächen-EKG nicht erkennbar. Bei einem SA-Block II. Grades mit
Sinusknotendysfunktion) ohne strukturelle SA-Veränderung Wenckebach-Periodik findet sich eine progrediente PP-Intervall-
(Störung der autonom-nervalen Kontrolle, Pharmakawirkungen; Verkürzung, bis eine Vorhofaktion ausfällt. Der zweitgradige
7 Übersicht 3.1) auftreten. SA-Block Typ II (Mobitz) ist durch eine Pause der atrialen Erre-
gung (fehlende P-Welle), die dem doppelten oder vielfachen der
vorhergehenden PP-Intervalle entspricht, gekennzeichnet.
Übersicht 3.1. Ätiologie bradykarder Herzrhythmus- Bei einer regelmäßigen 2:1-Blockierung ist die differenzial-
störungen diagnostische Abgrenzung einer Sinusbradykardie schwierig und
kann oft nur durch pharmakologische Provokation möglich sein.
4 Ischämisch Nach Atropingabe (1 mg i.v.) resultiert bei einer Sinusbradykardie
4 Degenerativ ein progredienter Frequenzanstieg, bei einem SA-Block Grad II
4 Pharmakainduziert hingegen keine oder eine sprunghafte Frequenzzunahme.
4 Infektiös
! Cave
4 Rheumatisch
Ein SA-Block III. Grades kann im EKG nicht von einem Sinusarrest
4 Neuromyopathisch
differenziert werden.
4 Infiltrativ
4 Hypothyreose
4 Elektrolytstörung Bradykardie-Tachykardie-Syndrom
4 Andere Ursachen Häufig findet sich bei der Sinusknotendysfunktion ein Wechsel
zwischen bradykarden und tachykarden Phasen. Während der
langsamen Episoden besteht vorwiegend eine Sinusbradykardie,
Mit dem seltenen kongenitalen Sick-Sinus-Syndrom wurden Mu- z. T. auch eine junktionale Bradykardie oder Bradyarrhythmie
tationen des SCN5A-Gens, das den kardialen Natriumkanal ko- bei Vorhofflimmern. Die intermittierenden tachykarden Phasen
diert, des HCN4-Gens, das dem Schrittmacherstrom If unterliegt, basieren auf tachysystolischem Vorhofflimmern, seltener auf
und von Connexin 40 assoziiert (. Tab. 3.2). In 10–15% der Fälle tachykardem Vorhofflattern oder atrialen Tachykardien. Eine
tritt im Frühstadium eines akuten Myokardinfarkts eine vorüber- medikamentöse Frequenzkontrolle der paroxysmalen Tachykar-
3.3 · Bradykarde Rhythmusstörungen
85 3

dien kann symptomatische Bradykardien weiter aggravieren und Durchführung von 24-h-EKG-Registrierungen erforderlich sein.
eine Schrittmachertherapie erforderlich machen. Vom Patienten sollte stets ein Protokoll über die Beschwerden
geführt werden.
Bradyarrhythmia absoluta
Während chronischen Vorhofflimmerns kann eine bradykarde Ereignisrekorder. Ist das Langzeit-EKG zur Erfassung einer
Ventrikelfrequenz bei gleichzeitig verzögerter AV-Überleitung Arrhythmie nicht ausreichend, kann es sinnvoll sein, den Patien-
im Rahmen einer binodalen Erkrankung oder bei begleitender ten mit einem tragbaren Ereignisrekorder (»Event-Rekorder«) zu
negativ-chronotroper Medikation auftreten. Eine Bradyarrhyth- versorgen. Der Patient kann die EKG-Aufzeichnung beim Auf-
mia absoluta kann Teil eines Bradykardie-Tachykardie-Syndroms treten der Beschwerden durch Knopfdruck oder Magnetauflage
sein (7 Abschn. 3.3.5). aktivieren und bei einigen Systemen dem betreuenden Zentrum
über die Telefonleitung direkt übermitteln. Bei hohem Leidens-
Chronotrope Inkompetenz druck, aber nur sehr seltenen Ereignissen kann darüber hinaus
Eine Sinusknotenfunktionsstörung kann in einem überschießen- ein Ereignisrekorder subkutan infraklavikulär implantiert wer-
den oder einem verminderten Herzfrequenzanstieg unter Belas- den. Die EKG-Aufzeichnung erfolgt bei neueren Geräten entwe-
tung Ausdruck finden. Steigt unter Belastung ohne kardiale, bra- der spontan durch Arrhythmieerkennung oder durch externe
dykardisierende Medikation die Herzfrequenz nicht über 90/min, Magnetaktivierung des Patienten.
ist von einer chronotropen Inkompetenz auszugehen. Hierdurch
kann die Leistungsfähigkeit eines Patienten erheblich einge- Belastungs-EKG. Bei zahlreichen Patienten mit Sinusknotendys-
schränkt werden. funktion kommt es unter Belastung zu einem verminderten
Herzfrequenzanstieg. Von einer chronotropen Inkompetenz ist
Symptomatik auszugehen, wenn unter Ausbelastung eine Frequenz von 90/min
Viele Patienten mit Zeichen einer Sinusknotendysfunktion im nicht überschritten wird.
Oberflächen-EKG sind asymptomatisch. Ausgeprägte Brady-
kardie und höhergradige SA-Blockierung hingegen verursachen Pharmakologische Provokation. Zur Demaskierung einer la-
durch eine permanente oder intermittierend verminderte Blut- tenten Sinusknotendysfunktion kann eine pharmakologische
versorgung essenzieller Organe Beschwerden. Die Symptome Provokation mit Atropin (Atropintest) oder ggf. kombiniert mit
umfassen Schwindel, Dyspnoe, Müdigkeit, Angina pectoris, Prä- Atropin und einem β-Blocker (z. B. Propranolol) erfolgen. Hier-
synkopen und Synkopen. Darüber hinaus können eine Leistungs- zu werden 0,04 mg/kgKG Atropin unter EKG-Kontrolle i.v. inji-
minderung und Herzinsuffizienzzeichen auftreten. Patienten mit ziert. Im Laufe der folgenden 5 min steigt im Normalfall die
Bradykardie-Tachykardie-Syndrom beklagen zudem oft Palpita- Sinusfrequenz um mehr als 15%, jedoch auf mindestens eine Fre-
tionen oder einen unregelmäßigen Puls. Bei einer intermittie- quenz >90/min an. Im klinischen Alltag hat sich bisher jedoch
renden oder permanenten Bradyarrhythmia bei Vorhofflimmern keiner dieser Tests durchgesetzt, da der prädiktive Wert relativ
können embolische Ereignisse das klinische Bild prägen. Da die gering ist.
Symptomatik oft sehr variabel ist, ergibt sich die Diagnose nur
selten allein aufgrund des Beschwerdebildes. Aufschluss liefert in Elektrophysiologische Untersuchung. Bei einer Sinusknoten-
der Regel die Korrelation der Symptome mit einem entspre- dysfunktion ist nur selten eine invasive EPU erforderlich. Ent-
chenden EKG-Befund. sprechend internationaler Leitlinien besteht eine Indikation zur
invasiven Abklärung bei Verdacht auf eine Sinusknotendysfunk-
Diagnostik tion als kausale Ursache für klinische Symptome, wenn bisher
Laboruntersuchungen noch keine Korrelation zwischen einer Arrhythmie und den Be-
Bei bradykarden Rhythmusstörungen sollten stets die Elektrolyte schwerden möglich war. Bei unklaren Beschwerden sollte die
(Kaliumspiegel) und die Schilddrüsenfunktion (Hypothyreose?) Abklärung eine programmierte atriale und ventrikuläre Stimula-
überprüft werden. Besteht die Möglichkeit einer Überdosierung tion beinhalten, um nicht nur Bradykardien, sondern auch eine
bradykardisierender Pharmaka, ist eine Bestimmung entspre- Neigung zu Tachyarrhythmien zu erfassen. Zur Prüfung der
chender Plasmaspiegel (z. B. von Herzglykosiden, Antiarrhyth- Sinusknotenfunktion kann die SKEZ (SNRT) bestimmt werden.
mika) sinnvoll. Darüber hinaus ist eine übliche Standarddiagnos- Darüber hinaus kann durch programmierte Vorhofstimulation
tik bei Verdacht auf eine ursächliche Grunderkrankung (z. B. und Messung des Poststimulationsintervalls in Abhängigkeit von
akuter Myokardinfarkt) begleitend durchzuführen. der Vorzeitigkeit der Extrastimuli indirekt die SA-Leitung ab-
geschätzt werden. Die SKEZ und die SA-Leitung sind meist bei
Oberflächen-EKG Patienten mit struktureller Sinusknotenerkrankung verlängert,
Störungen der Sinusknotenfunktion stellen in der Regel eine bei Patienten mit intermittierenden funktionellen Störungen
EKG-Diagnose dar. Tritt eine Sinusknotendysfunktion häufig auf (z. B. autonom-nerval) jedoch oft normal.
oder besteht sie permanent (z. B. Sinusbradykardie), so kann dies
bereits anhand des typischen Bildes im Oberflächen-EKG erfasst Therapie
werden (s. oben). Für eine Diagnosesicherung ist der Bezug zur Akuttherapie
klinischen Symptomatik von wesentlicher Bedeutung. Akut symptomatische Patienten müssen pharmakologisch mit
Parasympathikolytika (Vagolytika) oder Sympathikomimetika
Langzeit-EKG therapiert werden (. Tab. 3.7). Atropin hat bei der antibradykar-
Das Langzeit-EKG steht bei der Erfassung einer Sinusknoten- den Behandlung die wesentlichste Bedeutung. Selten kann eine
dysfunktion ganz im Vordergrund. Aufgrund der oft intermittie- temporäre Schrittmacherstimulation bei Sinusknotendysfunk-
renden, unregelmäßigen Beschwerden kann eine wiederholte tion als vorübergehende Versorgung akuter Bradykardien, die
86 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

Die Indikationen für eine permanente Schrittmachertherapie bei


. Tab. 3.7. Akute medikamentöse Therapie bradykarder Herzrhyth-
musstörungen Sinusknotendysfunktion entsprechend internationaler Leitlinien
sind . Tab. 3.8 zu entnehmen.
Medikamente Dosis
> Eine niedrige Herzfrequenz (auch <40/min) und Pausen (auch
Parasympathikolytika
>3 s) bei asymptomatischen Herzgesunden sind keine prophy-
Atropin 0,5–1,0 mg i.v.
3 Ipratropiumbromid 0,5–1,0 mg i.v.; ggf. 3-mal 10 mg oral
laktische Schrittmacherindikation.

Bei erhaltenem Sinusrhythmus sollten physiologische Schritt-


Sympathikomimetika machersysteme mit atrial basierter Stimulation (AAI, DDD) ge-
Orciprenalin (Alupent) 0,25–0,5 mg i.v. wählt werden. Besteht eine chronotrope Inkompetenz, ist ein
ggf. Perfuser 10–30 μg/min frequenzvariables System (AAIR, DDDR) vorzuziehen. Ein atria-
les Einkammersystem (AAI) ist nur bei normaler Funktion des
AV-Knotens geeignet.
nicht ausreichend auf eine medikamentöse Therapie ansprechen,
! Cave
bis zur Einleitung des definitiven therapeutischen Vorgehens
Da mit steigender Häufigkeit einer rechtsventrikulären Stimula-
(permanente Schrittmacherimplantation) oder als passagere
tion die Inzidenz einer Herzinsuffizienz zunimmt, sollte die ventri-
Therapie bei reversiblen bradykarden Störungen (z. B. Intoxika-
kuläre Stimulationsrate so niedrig wie möglich gehalten werden.
tion) erforderlich sein (7 Abschn. 3.2.5).
Besteht permanentes Vorhofflimmern, ist die Implantation eines
Medikamentöse Langzeittherapie VVI-Schrittmachers mit niedriger Interventionsfrequenz ge-
Wenn möglich, sollten bradykardisierende und leitungsverzö- eignet. Bei nur seltener Schrittmacherbedürftigkeit erscheint die
gernde Medikamente (z. B. Herzglykoside, β-Rezeptorenblocker, Wahl des Schrittmachersystems von untergeordneter Bedeutung.
Verapamil, Antiarrhythmika) abgesetzt werden. Zu berücksichti-
gen sind hierbei u. a. auch β-Blocker- oder clonidinhaltige Augen- Prognose
tropfen. Die Prognose bei Sinusknotendysfunktion wird vorwiegend
Eine langfristige medikamentöse Stabilisierung bradykarder durch die kardiale Grunderkrankung und das Alter bestimmt.
Rhythmusstörungen durch Vagolytika oder Sympathikomime- Bei Patienten mit intermittierendem oder permanentem brady-
tika ist in der Regel nicht möglich, da die Langzeitbehandlung karden Vorhofflimmern stellen darüber hinaus thrombembo-
durch Ineffektivität, Tachyphylaxie, Induktion supraventrikulä- lische Komplikationen eine der wesentlichsten Todesursachen
rer oder ventrikulärer Arrhythmien sowie durch systemische Ne- dar. Die Implantation eines Schrittmachers vermindert bei Sinus-
benwirkungen limitiert wird. Eine Ausnahme stellen seltene knotendysfunktion nicht die Sterblichkeit.
Sinusknotendysfunktionen bei jungen Patienten dar, die auf lang
wirksame Theophyllinpräparate ansprechen.
3.3.2 Karotissinussyndrom
Permanente Schrittmacherstimulation
Bei der Entscheidung über eine definitive Behandlung und ggf. Epidemiologie und Pathophysiologie
permanente Schrittmacherimplantation sind zunächst mögliche
Definition
kausale Therapieoptionen zu berücksichtigen. Diese umfassen
Die Stimulation der Barorezeptoren des Karotissinus, die in
u. a. eine Revaskularisation bei Myokardinfarkt oder Myokard-
der A. carotis interna direkt oberhalb der Bifurkation lokali-
ischämie, eine Schilddrüsenhormonsubstitution bei Hypothyre-
siert sind, führt bei Gesunden zu einem geringen Herzfre-
ose, einen Elektrolytausgleich, die Behandlung einer eventuellen
quenzabfall und einer leichtgradigen Vasodilatation. Bei
Medikamentenüberdosierung oder auch eine Antibiotikathera-
einem hypersensitiven Karotissinus sind diese reflektorischen
pie bei Lyme-Borreliose.
Antworten verstärkt. Ist ein hypersensitiver Karotissinusreflex
mit Symptomen assoziiert, liegt ein Karotissinussyndrom vor.
> Generell ist eine permanente Schrittmacherversorgung bei
symptomatischen Patienten mit Bradykardien nach Ausschluss
behandelbarer reversibler Ursachen oder bei der Notwendigkeit Das Karotissinussyndrom ist eine Erkrankung des älteren Men-
einer antitachykarden Therapie erforderlich. schen. Das männliche Geschlecht dominiert. Gehäuft finden sich

. Tab. 3.8. Indikationen zur permanenten Schrittmacherimplantation bei Sinusknotendysfunktion. (Nach Lemke et al. 2005; Vardas et al. 2007)
Indikation Empfehlungs- Evidenz-
grad grad
Symptomatische Bradykardie (z. B. <40/min) oder Asystolie (z. B. >3 s), auch als Folge einer essenziellen I C
medikamentösen Langzeittherapie
Symptomatische chronotrope Inkompetenz I C
Sinusknotendysfunktion (z. B. Herzfrequenz <40/min oder Asystolie >3 s) mit vermutetem Zusammenhang IIa C
zur klinischen Symptomatik (z. B. Synkopen)
Chronische Herzfrequenz <40/min oder Asystolie >3 s im Wachzustand, auch wenn kein direkter Bezug zu IIb C
den klinischen Symptomen dokumentiert werden konnte oder der Patient nur minimal symptomatisch ist
3.3 · Bradykarde Rhythmusstörungen
87 3

bei Patienten eine KHK, eine arterielle Hypertonie und ein Dia- doch berücksichtigt werden, dass bei älteren Patienten in etwa
betes mellitus. Darüber hinaus sind im Bereich des Karotissinus 30% der Fälle eine pathologisch verstärkte Reflexantwort provo-
meist eine Arteriosklerose, jedoch selten höhergradige Stenosen ziert werden kann. Ist diese klinisch stumm, so liegen ein hyper-
nachweisbar. sensitiver Karotissinus, jedoch kein Karotissinussyndrom und
damit keine Therapieindikation vor. Wesentlich ist somit, durch
Klassifikation den Karotisdruck die spontan aufgetretenen Symptome des Pa-
Kardioinhibitorische Form. Sie ist durch eine ventrikuläre Asys- tienten zu reproduzieren.
tolie ≥3 s auf dem Boden eines Sinusarrestes bzw. SA-Blocks, selte-
! Cave
ner aufgrund eines AV-Blocks bei Kopfdrehung oder Kompres-
Ein Karotisdruckversuch sollte erst nach einer Digitalispause er-
sion des Karotissinus charakterisiert.
folgen, da Herzglykoside die Reflexantwort verstärken können.

Vasodepressorische Form. Nach Stimulation des Karotissinus


dominiert eine Hypotension mit systolischem Blutdruckabfall Therapie
≥50 mmHg ohne gleichzeitige Asystolie oder Frequenzverlang- Akuttherapie
samung. Zur akuten Behandlung des kardioinhibitorischen Typs des
Karotissinussyndroms ist die i.v.-Gabe von Atropin (0,5–1 mg)
Gemischter Typ. Variable Mischformen beider oben genannten gut geeignet. Die vasodepressorische Form spricht nur variabel
Subtypen werden in 20–25% der Fälle beobachtet. und teilweise unzureichend auf Vagolytika und Sympathikomi-
metika an.
Symptomatik
Beim Karotissinussyndrom treten typischerweise Schwindel, Langzeittherapie
Präsynkopen oder Synkopen durch charakteristische Situationen Bei rezidivierenden Synkopen, die im Zusammenhang mit einer
und Bewegungen (z. B. Kopfdrehen, Rasieren, enger Kragen) auf Reizung des Karotissinus stehen, und Nachweis einer kardioinhi-
und können hierdurch provoziert werden. bitorischen Form vermindert die Implantation eines Schritt-
machers weitere klinische Ereignisse deutlich (. Tab. 3.9). Ent-
Diagnostik sprechend internationaler Leitlinien besteht eine relative Indika-
Oberflächen-EKG tion zur Schrittmacherimplantation bei Patienten, die wiederholt
Während der EKG-Registrierung muss der Patient aufgefordert Synkopen erleiden, einen hypersensitiven Karotissinusreflex vom
werden, charakteristische, auslösende Bewegungen durch- kardioinhibitorischen Typ aufweisen, hierdurch jedoch die kli-
zuführen. Wird hierdurch eine Asystolie oder ein Blutdruckabfall nische Symptomatik nicht provoziert werden kann.
mit gleichzeitiger klinischer Symptomatik provoziert, ist das Vor- Das alleinige Vorliegen eines hypersensitiven Karotissinus-
liegen eines Karotissinussyndroms sehr wahrscheinlich. reflexes hingegen ergibt keine Indikation für eine Schrittmacher-
implantation. Die vasodepressorische Form des Karotissinus-
Karotissinusmassage syndroms spricht nicht auf eine Schrittmachertherapie an. Bei
Bei Verdacht auf ein Karotissinussyndrom kann eine Karotis- Patienten mit gemischtem Typ ist die Indikation zur Schrittmacher-
sinusmassage (im Liegen und Stehen) zur Erfassung und zur Ob- implantation in Abhängigkeit von der dominierenden Variante
jektivierung zugrunde liegender Arrhythmien herangezogen individuell zu stellen.
werden.
! Cave 3.3.3 Atrioventrikuläre Blockbilder
Zunächst muss eine Auskultation der Karotiden erfolgen; bei
Verdacht auf ipsilaterale Karotisstenose ist ein Karotisdruckver- Epidemiologie und Pathophysiologie
such kontraindiziert.
Definition
Darüber hinaus sollte als Notfallmedikation Atropin (1 mg) be-
Atrioventrikuläre Blockierungen treten auf, wenn die Vorhof-
reitgehalten werden. Unter EKG-Kontrolle und Blutdruckmes-
erregung nicht oder nur verzögert auf die Ventrikel überge-
sung wird der Karotissinus mit mäßigem Druck für 5 bis maximal
leitet wird. Definitionsgemäß werden AV-Blockierungen in
10 s massiert. Physiologischerweise treten ein Herzfrequenz-
Grad I–III eingeteilt.
abfall von maximal 25% der Ausgangsfrequenz oder eine geringe
PQ-Verlängerung (maximal AV-Block I. Grades) sowie ein ge-
ringer Blutdruckabfall auf. Sie müssen von einer physiologischen Unerregbarkeit des refrak-
Ein pathologischer Befund liegt bei einer Asystolie ≥3 s oder tären Leitungssystems nach einem vorausgegangenen Impuls
einem systolischen Blutdruckabfall ≥50 mmHg vor. Es muss je- abgegrenzt werden (z. B. im Rahmen atrialer Tachykardien). Lei-

. Tab. 3.9. Indikationen zur permanenten Schrittmacherimplantation bei Karotissinussyndrom. (Nach Lemke et al. 2005; Vardas et al. 2007)
Indikation Empfehlungs- Evidenz-
grad grad
Rezidivierende Synkopen bei Stimulation des Karotissinus mit Asystolie >3 s I C
Rezidivierende Synkopen ohne direkte Provokation der Ereignisse, aber mit hypersensitivem kardioinhibitorischen IIa C
Karotissinusreflex
88 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

tungsverzögerungen bzw. -blockierungen im Bereich der Vor- regung entspricht dem doppelten vorhergehenden PP-Intervall.
höfe, des AV-Knotens und/oder des His-Purkinje-Systems kön- Die anatomische Lokalisation des Mobitz- (Typ-II-)Blocks befin-
nen zum Bild eines AV-Blocks führen. det sich zumeist im oder unterhalb des His-Bündels und geht häu-
Ein AV-Block Grad I und Grad II Typ Wenckebach kann bei fig im weiteren Verlauf in einen kompletten AV-Block über.
Herzgesunden mit erhöhtem Vagotonus auftreten. Höhergradige
AV-Blockierungen sind meist erworben und manifestieren sich 2:1-AV-Blockierung. Bei einer 2:1-AV-Blockierung kann entwe-
3 besonders in fortgeschrittenem Lebensalter. Sie stellen etwa 50% der ein zweitgradiger AV-Block Typ I (Wenckebach) oder Typ II
der Schrittmacherindikation dar. In 10% der Fälle treten AV-Blo- (Mobitz) vorliegen; die Differenzierung aus dem Oberflächen-
ckierungen bei Patienten mit Sinusknotendysfunktion auf. Ur- EKG ist schwierig oder unmöglich. Eine längere EKG-Regis-
sächlich können verschiedene strukturelle Herzerkrankungen trierung mit Übergang in eine 3:2- oder 3:1-Blockierung kann
oder AV-verzögernde Medikamente (z. B. β-Blocker, Herzglyko- Aufschluss geben; ggf. ist eine Klärung nur durch eine intrakar-
side, herzwirksame Kalziumantagonisten, Antiarrhythmika) zu diale Ableitung möglich.
einem AV-Block führen. Chronische AV-Blockierungen treten
meist durch degenerative Veränderungen mit Kalzifizierung und Höhergradige AV-Blockierung
Fibrosierung des spezifischen Leitungssystems auf. Häufig wird Von einigen Autoren wird der Begriff der höhergradigen AV-Blo-
ein AV-Block bei kalzifizierender Aortenklappenstenose beob- ckierung für Leitungsstörungen empfohlen, bei denen mehreren
achtet. konsekutiven P-Wellen kein QRS-Komplex folgt, jedoch keine
Eine besondere Stellung kommt der AV-Blockierung wäh- vollständige AV-Dissoziation (wie beim AV-Block III. Grades)
rend des akuten Myokardinfarktes zu. Ein AV-Block kann bei vorliegt.
inferioren Myokardinfarkten, aber auch bei ausgedehnten ante-
rioren Infarkten auftreten. Ein AV-Block I. Grades ist oft tran- AV-Block III. Grades
sient durch einen erhöhten Vagotonus bedingt. Höhergradige Bei einem AV-Block III. Grades wird keine Vorhoferregung auf die
AV-Blockierungen beruhen auf einer Hypoxie, ischämievermit- Ventrikel übergeleitet. Es resultiert eine vollständige Dissoziation
telten Adenosinausschüttung oder einem Gewebeuntergang. zwischen P-Wellen und QRS-Komplexen. Der Kammerrhythmus
Angaben über die Inzidenz periinfarzieller AV-Blockierungen kann auf einem junktionalen Ersatzrhythmus mit einer Frequenz
II.–III. Grades schwanken erheblich (4–30%). von etwa 40–60/min und schmalem Kammerkomplex (bei fehlen-
Darüber hinaus können akute AV-Blockierungen durch Ent- dem Schenkelblock) bzw. auf einem ventrikulären Ersatzrhythmus
zündungen (z. B. Endokarditis, Myokarditis) entstehen. Im Rah- mit breitem Kammerkomplex und einer Frequenz von 20–40/min
men einer Sarkoidose werden in bis zu 30% der Fälle Störungen basieren. Ein angeborener kompletter AV-Block ist meist im AV-
der AV-Überleitung beobachtet. Seltenere Ursachen sind tumo- Knoten lokalisiert und hat einen junktionalen Ersatzrhythmus. Der
röse Infiltrationen oder neuromuskuläre Erkrankungen (7 Über- erworbene AV-Block tritt in der Regel im His-Purkinje-System auf.
sicht 3.1). Vom kompletten AV-Block muss differenzialdiagnostisch eine AV-
Dissoziation bei Sinusbradykardie mit akzeleriertem idioventriku-
Klassifikation lären Rhythmus abgegrenzt werden; hierbei ist im Unterschied der
AV-Block I. Grades Kammerrhythmus schneller als der Vorhofrhythmus.
Beim AV-Block I. Grades wird jede atriale Erregung mit konstan-
tem, jedoch verlängertem PQ-Intervall (>200 ms) auf die Ventri- Symptomatik
kel übergeleitet. Der ventrikuläre Rhythmus ist somit regelmäßig. Bei höhergradigen AV-Blockierungen bestehen ähnliche Symp-
Bei Patienten mit normaler QRS-Breite liegt in mehr als 90% tome wie bei anderen bradykarden Rhythmusstörungen. In Ab-
der Fälle die Leitungsverzögerung im AV-Knoten (verlängertes hängigkeit von der Kammerfrequenz können Schwindel, Dys-
AH-Intervall) und nur selten im Bereich der Vorhöfe, des His- pnoe oder eine Leistungsminderung resultieren. Darüber hinaus
Bündels oder der Tawara-Schenkel. Bei Patienten mit Schenkel- sind bei plötzlichem hochgradigen AV-Block Synkopen (Adam-
block findet sich die Leitungsverzögerung in etwa 60% der Fälle Stokes-Anfall) charakteristisch.
im Bereich des AV-Knotens, bei den übrigen Patienten im His-
Purkinje-System. Diagnostik
Laboruntersuchungen
AV-Block II. Grades Bei der Einnahme AV-verzögernder Medikamente und Verdacht
AV-Block II. Grades Typ I (Wenckebach). Das PQ-Intervall verlän- auf Überdosierung ist die Bestimmung von Serumspiegeln (z. B.
gert sich progredient bis zu einem plötzlichen Block der AV-Über- Herzglykoside) sinnvoll. Zudem sind eine Kontrolle der Elektro-
leitung (Ausfall eines QRS-Komplexes). Beim typischen AV-Block lyte und bei Verdacht auf eine ursächliche Grunderkrankung eine
Wenckebach verkürzen sich dabei die RR-Intervalle bis zur Blo- spezifische Labordiagnostik indiziert.
ckierung. Die Länge der Wenckebach-Periodik kann variieren.
Bei normaler QRS-Komplexbreite ist der AV-Block Typ Wencke- EKG-Registrierung
bach zumeist im AV-Knoten lokalisiert und kann physiologisch Die EKG-Registrierung stellt die Methode der Wahl zur Dokumen-
bei Vagotonus auftreten. Bei gleichzeitiger Verlängerung der tation von AV-Blockierungen dar. In Abhängigkeit von der Häu-
QRS-Dauer kann die Blockierung im AV-Knoten, im His-Bündel figkeit können typische Blockbilder (7 Abschn. »Klassifikation«)
(»intra-Hisian block«) oder unterhalb des His-Bündels liegen. bereits im Ruhe-EKG oder im Langzeit-EKG erfasst werden. Kann
bei unklaren rezidivierenden Synkopen kein pathologischer Be-
AV-Block II. Grades Typ II (Mobitz). Es bestehen konstante PP-In- fund in der Langzeit-EKG-Registrierung erhoben werden, ist bei
tervalle und konstante PR-Intervalle bis zu einer nichtübergeleite- einigen Patienten die Implantation eines Ereignisrekorders (7 Ab-
ten atrialen Erregung. Die Pause nach einer blockierten Vorhofer- schn. 3.3.1) sinnvoll.
3.3 · Bradykarde Rhythmusstörungen
89 3

tionsintervalls der Wenckebach-Punkt des AV-Knotens und da-


mit die Leitfähigkeit bestimmen.

Therapie
Akuttherapie
Bei akuten symptomatischen AV-Blockierungen besteht die Indi-
kation zu einer intravenösen medikamentösen Beschleunigung
der AV-Überleitung, vorzugsweise mit Atropin (. Tab. 3.7). Ist
keine medikamentöse Stabilisierung des Patienten akut möglich,
so muss eine passagere Schrittmacherstimulation erfolgen (7 Ab-
schn. 3.2.5).
Darüber hinaus besteht eine Indikation zur temporären
Schrittmacherstimulation bei postoperativ neu aufgetretenem
AV-Block Grad III auch im asymptomatischen Stadium sowie
periinfarziell bei Patienten mit AV-Block Grad II Typ II (Mobitz)
oder AV-Block Grad III.

Langzeittherapie
. Abb. 3.4. Schema des spezifischen intraventrikulären Reizleitungssys- Nach Möglichkeit sollten alle AV-verzögernden Medikamente
tems (oben), der im His-Bündel-Elektrogramm (HBE) ableitbaren Signale abgesetzt werden. Ist eine Therapie mit bradykardisierenden
(Mitte, A A-Potenzial, H H-Potenzial, V V-Potenzial) sowie die zeitliche Pharmaka unumgänglich, kann sich bei höhergradiger AV-Blo-
Beziehung zum Oberflächen-EKG (unten). Normalwerte für das P-A-, A-H-
ckierung hieraus eine Schrittmacherindikation ergeben. Ins-
und H-V-Intervall sind rechts oben angegeben
gesamt richtet sich die Entscheidung, einen Schrittmacher bei
AV-Blockierungen zu implantieren, nach der Symptomatik und
der Prognose (. Tab. 3.10).
Elektrophysiologische Untersuchung Nach abgelaufenem Myokardinfarkt sollten Patienten mit
Bei einem dokumentierten symptomatischen AV-Block besteht persistierendem AV-Block II. oder III. Grades mit einem Schritt-
keine Indikation zu einer invasiven EPU. Nur selten ist bei un- macher versorgt werden. Das Zeitintervall wird dabei variabel
klaren Beschwerden und Verdacht auf eine ursächliche AV-Über- mit 2–4 Wochen angegeben (. Tab. 3.11). Generell sind bei
leitungsstörung die Durchführung einer invasiven Abklärung AV-Blockierungen Zweikammerschrittmacher (DDD) vorzuzie-
sinnvoll. hen, um einen physiologischen Kontraktionsablauf zwischen
Durch eine invasive, intrakardiale His-Bündel-Ableitung Vorhöfen und Ventrikeln zu gewährleisten. Lediglich bei sehr
lassen sich die intraatriale Leitung, die AV-nodale Leitung sowie seltener Schrittmacherpflichtigkeit erscheint die Wahl des Schritt-
die Leitung des His-Purkinje-Systems differenzieren (. Abb. 3.4). machersystems von untergeordneter Bedeutung.
Dies ermöglicht die Lokalisation eines AV-Blocks im Bereich des
AV-Knotens (verlängertes AH-Intervall), im His-Bündel (His Prognose
>25 ms oder Split-His >20 ms) oder unterhalb des His-Bündels AV-Blockierungen I. Grades sowie II. Grades Typ Wenckebach
(verlängertes HV-Intervall). Zudem lassen sich durch eine pro- sind prognostisch günstig und treten häufig physiologisch bei
grammierte atriale Stimulation mit Verkürzung des Stimula- Herzgesunden mit erhöhtem Vagotonus auf. Nur in Ausnahme-

. Tab. 3.10. Indikationen zur permanenten Schrittmacherimplantation bei erworbenen AV-Blockierungen. (Nach Lemke et al. 2005; Vardas et al.
2007)
Indikation Empfeh- Evidenz-
lungsgrad grad
Permanenter AV-Block Grad III I C
AV-Block Grad III und Grad II mit bradykardieassoziierten Symptomen I C
Intermittierender AV-Block Grad III und Grad II Typ II (Mobitz) mit breitem QRS-Komplex I B
AV-Block Grad III im Zusammhang mit AV-Knoten-Ablation oder Klappenoperation I C
AV-Block Grad III und Grad II bei neuromuskulären Erkrankungen wie z. B. myotone muskuläre Dystrophie, Kearns- I B
Sayre-Syndrom, Erb-Dystrophie, wegen unvorhersehbarer Progression der AV-Überleitungsstörung
Asymptomatischer AV-Block Grad III und Grad II Typ II (Mobitz) intermittierend im Wachzustand oder bei linksventri- IIa C
kulärer Dysfunktion
Asymptomatischer AV-Block Grad II mit intra- oder infra-His-Lokalisation IIa B
AV-Block Grad I >300 ms bei symptomatischer systolischer Herzinsuffizienz IIb C
Asymptomatischer AV-Block Grad II Typ Weckebach bei älteren Patienten >70 Jahre oder bei systolischer Dysfunktion IIb C
Neuromuskuläre Erkrankungen (s. oben) mit AV-Block Grad I wegen unvorhersehbarer Progression der AV-Über- IIb B
leitungsstörung
90 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Tab. 3.11. Indikationen zur permanenten Schrittmacherimplantation bei AV-Blockierungen im Rahmen eines Myokardinfarkts. (Nach Lemke et
al. 2005; Vardas et al. 2007)
Indikation Empfehlungsgrad Evidenzgrad
Persistierender (>2 Wochen) AV-Block Grad II Typ II (Mobitz) oder Grad III I C
Transienter infranodaler AV-Block mit begleitendem Schenkelblock IIa B
3 Vorbestehender Schenkelblock und transienter AV-Block Grad II Typ II (Mobitz) oder Grad III IIb B

fällen kommt es bei einem AV-Block Grad II Typ Wenckebach, Diagnostik


besonders in höherem Alter (>70 Jahre) mit infranodaler Lokali- Da bei Patienten mit intraventrikulären Leitungsstörungen
sation zu Symptomen einschließlich synkopaler Anfälle. meist eine strukturelle Herzerkrankung zugrunde liegt, sollte bei
vorher nichtbekannten Schenkelblockbildern nach einer kar-
> Der AV-Block II. Grades Typ II (Mobitz) geht nicht selten im wei-
dialen Grunderkrankung gefahndet werden. Dies schließt spe-
teren Verlauf in einen kompletten AV-Block über und birgt die
ziell die Abklärung einer möglichen KHK oder Kardiomyo-
Gefahr eines Adam-Stokes-Anfalls. Bei natürlichem Verlauf liegt
pathie ein.
die Einjahresletalität des kompletten AV-Blocks bei etwa 50%.

Durch eine Schrittmacherimplantation kann die Überlebensrate EKG-Registrierung


dieser Patienten signifikant verbessert werden, die Prognose ist Entsprechend der strukturellen Aufzweigung des spezifischen
in Abhängigkeit von der Grunderkrankung aber schlechter als in Leitungssystems im Bereich der Ventrikel in 3 Faszikeln (7 Ab-
der Normalbevölkerung. schn. 3.1.1), besteht ein monofaszikulärer intraventrikulärer
Bei periinfarziellen Leitungsstörungen und Bradykardien Block bei einem kompletten Rechtsschenkelblock, einem
wird die Prognose wesentlich durch die Infarktgröße beeinflusst. linksanterioren Hemiblock oder einem linksposterioren Hemi-
block (. Abb. 3.5). Ein bifaszikulärer Block liegt bei einem
kompletten Linksschenkelblock oder bei einem Rechtsschenkel-
3.3.4 Intraventrikuläre Leitungsverzögerung block in Kombination mit einem linksanterioren bzw. einem
linksposterioren Hemiblock vor. (Bezüglich der genauen EKG-
Epidemiologie und Pathophysiologie Definitionen soll auf EKG-Lehrbücher verwiesen werden.) Bei
Intraventrikuläre Leitungsstörungen und Schenkelblöcke sind symptomatischen Patienten ist die Durchführung eines Lang-
häufig und treten besonders in höherem Lebensalter auf. Links- zeit-EKG zur Dokumentation kompletter AV-Blockierungen
schenkelblöcke sind oft mit einer fortgeschrittenen dilatativen hilfreich.
oder ischämischen Kardiomyopathie verbunden und stellen
bei diesen Patienten einen unabhängigen Risikofaktor dar. Kom- Elektrophysiologische Untersuchung
plette Rechtsschenkelblöcke finden sich gehäuft bei Rechtsherz- Treten bei einem Patienten mit bifaszikulärem Block Symptome
belastung (z. B. Cor pulmonale) sowie nach kardiochirurgischen auf, für die es im Langzeit-EKG kein Korrelat gibt, so kann eine
Korrekturoperationen (z. B. Fontaine-Operation). Darüber hi- EPU erforderlich werden. Bei dem zusätzlichen Nachweis einer
naus können intraventrikuläre Leitungsstörungen intermit- infranodalen AV-Leitungsstörung mit einem langen HV-Inter-
tierend frequenzabhängig bei Überschreiten der Refraktärzeit vall (>100 ms) kann sich eine Schrittmacherindikation er-
des entsprechenden Faszikels auftreten (besonders funktioneller geben.
Rechtsschenkelblock).
Intraventrikuläre Blockierungen bergen die potenzielle Ge- Therapie
fahr, in einen trifaszikulären Block und damit funktionell kom- Akuttherapie
pletten AV-Block überzugehen. Das Risiko ist bei verschiedenen Geht ein bifaszikulärer Block akut in eine komplette AV-Blockie-
Leitungsstörungen unterschiedlich hoch. rung über, sollten intravenös Vagolytika oder Sympathikomime-
> Eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines trifaszi-
kulären Blocks besteht bei dem Wechsel zwischen verschie-
denen bifaszikulären Blockierungen, da dies Ausdruck einer
Erkrankung aller 3 Faszikel ist.

Bei einem isolierten asymptomatischen bifaszikulären Block, auch


bei begleitendem AV-Block Grad I, wird das Risiko eines kom-
pletten AV-Blocks hingegen als relativ gering eingeschätzt. Eine
Ausnahme stellen Patienten mit bifaszikulärem Block und sehr
langem AV-Block I. Grades mit einem HV-Intervall >100 ms sowie
Patienten mit bifaszikulärem Block und ungeklärter Synkope dar.

Symptomatik
Beschwerden von Patienten mit intraventrikulären Leitungs- . Abb. 3.5. Schema des spezifischen intraventrikulären Reizleitungssys-
störungen sind zumeist durch die kardiale Grunderkrankung tems. LAH linksanteriorer Hemiblock, LPH linksposteriorer Hemiblock, RSB
bedingt. Rechtsschenkelblock, LSB Linksschenkelblock. (Nach Rosenbaum 1968)
3.3 · Bradykarde Rhythmusstörungen
91 3

. Tab. 3.12. Indikationen zur permanenten Schrittmacherimplantation bei chronischem bi-/trifaszikulären Block. (Nach Lemke et al. 2005; Vardas
et al. 2007)
Indikation Empfehlungs- Evidenz-
grad grad
Zusätzlicher AV-Block Grad II Typ II (Mobitz) oder intermittierender AV-Block Grad III I B
Wechsel zwischen unterschiedlichen Schenkelblockbildern I C
Unklare Synkopen nach Ausschluss anderer Ursachen IIa B
Zufällige Dokumentation einer Verlängerung des HV-Intervalls >100 ms oder eines stimulationsinduzierten IIa B
Blocks unterhalb des His-Bündels in einer EPU
Jeglicher faszikuläre Block bei neuromuskulären Erkrankungen (s. oben) wegen unvorhersehbarer Progression IIb B

tika (. Tab. 3.7) verabreicht werden. Häufig sind diese Medika- Symptomatik
mente jedoch unwirksam. Mit Orciprenalin können jedoch se- Bei einer ausgeprägten Bradyarrhythmie bei Vorhofflimmern
kundäre Schrittmacherzentren akzeleriert werden. Durch diesen können, in Abhängigkeit von der Kammerfrequenz, Schwindel,
schnelleren Ersatzrhythmus kann ggf. die Zeit bis zur temporären Leistungsminderung sowie klinische Zeichen einer Herzinsuffi-
Schrittmacherimplantation überbrückt werden, die bei diesen zienz auftreten.
Patienten meist erforderlich wird (7 Abschn. 3.2.5).
Diagnostik
Langzeittherapie EKG-Registrierung
Zur Langzeitbehandlung kann entsprechend internationa- Im Oberflächen-EKG oder im Langzeit-EKG sind keine P-Wel-
ler Leitlinien (. Tab. 3.12) die Implantation eines Schrittmachers len, sondern Vorhofflimmerwellen erkennbar. Eine Bradyarrhy-
bei trifaszikulärem Block, bifaszikulärem Block und AV-Block thmia absoluta wird klinisch meist erst bei einer mittleren Kam-
II. Grades Typ II (Mobitz) sowie bei symptomatischen Pa- merfrequenz unter 40/min symptomatisch. Darüber hinaus kön-
tienten mit bifaszikulärem Block und AV-Verzögerung mit nen variable Pausen auftreten. Bei Vorhofflimmern gelten jedoch
verlängertem HV-Intervall (>100 ms) gegeben sein. Bei symp- Pausen bis 2,8 s tagsüber und bis 4 s nachts als Normalbefund.
tomatischen Patienten mit isoliertem bifaszikulären Block be-
> Bei Vorhofflimmern mit langsamer regelmäßiger Kammerfre-
steht eine relative Indikation zu einer Schrittmacherversor-
quenz (meist Frequenzschwankung <10%) ist von einem totalen
gung. Darüber hinaus sollte bei Patienten mit Schenkelblock
AV-Block auszugehen.
und periinfarziellem transienten kompletten AV-Block auf-
grund eines erhöhten Risikos eine Schrittmachertherapie er-
folgen. Belastungs-EKG
Das Belastungs-EKG eignet sich zur Beurteilung des Herzfre-
Prognose quenzanstiegs unter körperlicher Anstrengung. Bei Patienten mit
Bei Patienten mit wechselnden Blockbildern besteht eine erhöhte bradykardem Vorhofflimmern liegt nicht selten eine chronotrope
Inzidenz kompletter AV-Blockierungen. Bei Patienten mit Syn- Inkompetenz vor, die zu einer Leistungseinschränkung führen
kopen, bifaszikulärem Block und unauffälliger EPU konnte im kann.
Langzeitverlauf gezeigt werden, dass in 42% der Fälle paroxys-
male AV-Blockierungen und Asystolien auftraten. Insgesamt Therapie
wird die Prognose von Patienten mit intraventrikulären Leitungs- Akuttherapie
störungen jedoch entscheidend von der kardialen Grunderkran- Bei akut sympotmatischen Bradykardien mit Schwindel oder
kung bestimmt. Herzinsuffizienz sollten Medikamente (zumeist Atropin; . Tab. 3.7)
zur Beschleunigung der AV-Überleitung intravenös appliziert
werden.
3.3.5 Bradyarrhythmia absoluta
Langzeittherapie
Epidemiologie und Pathophysiologie Da eine Bradyarrhythmie bei Vorhofflimmern oft auf AV-ver-
zögernden Medikamenten beruht, sollte überprüft werden, ob
Definition
diese Medikamente abgesetzt werden können. Häufig ist eine
Eine Bradyarrhythmie bei Vorhofflimmern liegt bei einer mitt-
Fortführung bradykardisierender Pharmaka jedoch aufgrund
leren Kammerfrequenz unter 60/min vor.
intermittierender tachykarder Phasen (Bradykardie-/Tachykar-
diesyndrom) erforderlich. Eine Indikation zur Schrittmacher-
Zumeist basiert das Vorhofflimmern bei diesen Patienten auf implantation besteht bei einer langsamen Kammerfrequenz und
einer strukturellen Herzerkrankung (7 Abschn. 3.4.7). Darüber einer langen Pause, die eindeutig im Zusammenhang mit Symp-
hinaus besteht eine Verzögerung der AV-Überleitung, die nicht tomen stehen, auch unter unverzichtbar bradykardisierender
selten medikamentös bedingt ist (z. B. Herzglykoside, β-Blocker, Medikation (. Tab. 3.13).
Kalziumantagonisten). Aufgrund häufiger intermittierender ta-
chykarder Phasen kann auf die bradykardisierende Medikation
jedoch oft nicht verzichtet werden.
92 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Tab. 3.13. Indikation zur permanenten Schrittmacherimplantation bei Bradyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern (Nach Lemke et al. 2005;
Vardas et al. 2007)
Indikation Empfehlungs- Evidenz-
grad grad
Bradykardes Vorhofflimmern (z. B. <40/min) oder lange Pausen (z. B. tagsüber >3 s, nachts >4 s) mit sicherer I C
3 Korrelation zu Symptomen
Vorhofflimmern mit langsamer regelmäßiger Kammerfrequenz und breitem QRS-Komplex I C
Vorhofflimmern mit langsamer Kammerfrequenz (z. B. <40/min) oder langen Pausen (z. B. tagsüber >3 s, IIa C
nachts >4 s) mit wahrscheinlichem Zusammenhang zu klinischen Symptomen
Vorhofflimmern mit langsamer regelmäßiger Kammerfrequenz und schmalem QRS-Komplex IIa C
Vorhofflimmern mit langsamer unregelmäßiger Kammerfrequenz und breitem QRS-Komplex IIa C
Vorhofflimmern mit langsamer unregelmäßiger Kammerfrequenz und schmalem QRS-Komplex IIb C

3.4 Supraventrikuläre Tachykardien des Sinusknotens bzw. eine abnorme autonome Regulation ange-
nommen. Häufig handelt es sich aber auch um fokale atriale Ta-
Supraventrikuläre Tachykardien können auf das Vorhofmyokard chykardien aus der Region des Sinusknotens.
beschränkt sein (inadäquate Sinustachykardie, Sinusknoten- Zudem liegt selten eine Sinusknoten-Reentrytachykardie
Reentrytachykardie, ektope atriale Tachykardie, atriale Makro- vor, die zumeist als kurze abrupte Salven auftritt. Die Tachykardie
Reentrytachykardien, ektope junktionale tachykardie, AVNRT) basiert auf einer Kreiserregung im Sinusknotenareal. Ungeklärt
oder auf einer akzessorischen Leitungsbahn (sog. vorhofasso- ist, ob zusätzlich paranodales Myokard (z. B. Crista terminalis)
ziierte Tachykardie) beruhen. Supraventrikuläre Tachykardien involviert ist.
haben meist einen schmalen QRS-Komplex, können aber auch
mit einem breiten QRS-Komplex (Aberration, vorbestehender Symptomatik
Schenkelblock, Leitung über akzessorische Bahn) einhergehen. Eine physiologische Sinustachykardie bereitet in der Regel keine
Beschwerden. Eine Bedarfstachykardie bei anderen Grunder-
krankungen wird von einigen Patienten als Palpitation oder
3.4.1 Sinustachyarrhythmien Herzrasen verspürt. Oft stehen jedoch Symptome der Grunder-
krankung im Vordergrund. Die inadäquate Sinustachykardie
Epidemiologie und Pathophysiologie verursacht bei einem Teil der Patienten Palpitationen bzw. Herz-
rasen. Die Sinusknoten-Reentrytachykardie kann mit ähnlichen
Definition
Symptomen (Herzjagen, Schwindel, Harndrang) und anderen
Eine Sinustachykardie besteht bei einem Sinusrhythmus mit
Formen paroxysmaler Tachykardien (z. B. AVNRT) verbunden
einer Herzfrequenz, die höher als 100/min ist.
sein.

Die häufigste Form einer Sinustachykardie stellt die physiolo- Diagnostik


gische Belastungstachykardie dar. Unter körperlicher oder emo- Umfelddiagnostik
tionaler Belastung kann die Herzfrequenz je nach Alter auf bis zu Bei einer persistierenden Sinustachykardie, die nicht durch eine
180/min, selten 200/min ansteigen. Darüber hinaus können ver- emotionale oder eine körperliche Belastung erklärbar ist, sollte
schiedene Grunderkrankungen sekundär zu einer Sinustachy- zunächst nach einer auslösenden Ursache und möglichen Grund-
kardie bereits in Ruhe führen (7 Übersicht 3.2). erkrankung gesucht werden (7 Übersicht 3.2).

EKG-Registrierung
Übersicht 3.2. Ursachen einer Sinustachykardie Im Oberflächen-EKG ist die Sinustachykardie durch eine Schmal-
kammerkomplextachykardie charakterisiert; hierbei geht jedem
4 Hyperthyreose QRS-Komplex eine P-Welle mit gleicher Morphologie wie bei
4 Fieber normofrequentem Sinusrhythmus voraus. Die Langzeit-EKG-
4 Anämie Registrierung ist gut geeignet, um den Beginn und das Ende zu
4 Herzinsuffizienz dokumentieren. Die Sinusknoten-Reentrytachykardie fängt,
4 Tumorerkrankungen anders als die Sinustachykardie, plötzlich an und endet ebenso
4 Medikamentöse Therapie (z. B. Sympathomimetika, abrupt. Die Frequenz der Sinusknoten-Reentrytachykardie liegt
Theophylline) meist bei 130–140/min. Bei der inadäquaten Sinustachykardie ist
4 Genussmittel (z. B. Kaffee, Nikotin, Alkohol) häufig die physiologische Tag-Nacht-Rhythmik der Herzfre-
4 Andere Ursachen quenz vermindert oder aufgehoben.

Elektrophysiologische Untersuchung
Bei einer inadäquaten Sinustachykardie besteht eine permanent Die Indikation zur EPU besteht bei unklarer supraventrikulärer
erhöhte Grundfrequenz ohne die oben genannten auslösenden Tachykardie. Die endokardiale Aktivierungssequenz ist identisch
Ursachen. Pathophysiologisch wird eine gesteigerte Automatie zum Sinusrhythmus. Nicht selten ergibt sich die Diagnose einer
3.4 · Supraventrikuläre Tachykardien
93 3

ektop-atrialen Tachykardie mit einem Fokus nahe dem Sinus- Vorhoftachykardien zeigen typischerweise einen langsamen Be-
knoten. ginn und ein langsames Ende (»worming up«, »cooling down«).
Die Patienten geben Herzrasen, Schwindel oder Dyspnoe an. Bei
Therapie permanenten Tachykardien mit schneller Frequenz (>120/min)
Eine physiologische Sinustachykardie stellt selbstverständlich kann eine reversible tachykardieinduzierte Kardiomyopathie mit
keine Indikation für eine Behandlung dar. Bei einem gesteigerten Herzinsuffizienzbeschwerden resultieren.
Sympathikotonus bzw. einer Bedarfstachykardie auf dem Boden
einer anderen Grunderkrankung steht die Behandlung dieser Er- Diagnostik
krankung, wenn möglich, ganz im Vordergrund. Symptomatisch EKG-Registrierung
kann zur Beschwerdebesserung eine β-Blocker-Medikation sinn- Bei atrialen Extrasystolen finden sich im Oberflächen-EKG vor-
voll sein. zeitige P-Wellen mit einer anderen Morphologie als während
Eine Sinusknoten-Reentrytachykardie kann oft durch ein des Sinusrhythmus. Fallen die P-Wellen so früh ein, dass der
Valsalva-Manöver terminiert werden. Bei einer inadäquaten Si- AV-Knoten noch refraktär ist, findet sich hinter der P-Welle kein
nustachykardie und Sinusknoten-Reentrytachykardie mit the- QRS-Komplex.
rapiebedürftigen Symptomen sollte präferenziell ebenfalls eine Bei der fokalen atrialen Tachykardie unterscheidet sich
β-Blocker-Medikation initiiert werden. In medikamentös thera- ebenfalls die Morphologie der P-Welle vom Sinusrhythmus
pierefraktären Fällen kann eine Sinusknotenmodulation mithilfe und kann bei multifokaler Ektopie von Schlag zu Schlag variie-
der Katheterablation erwogen werden (akuter Erfolg 76%). Mög- ren. Die Frequenz einer atrialen Tachykardie liegt typischerweise
liche Komplikationen umfassen eine Phrenikusparese, Stenose zwischen 150–250/min. Im Langzeit-EKG lassen sich speziell der
der V. cava superior oder Schrittmacherpflicht bei komplettem Beginn und das Ende der Tachykardie beurteilen.
Sinusarrest.
Elektrophysiologische Untersuchung
Bei einer atrialen Extrasystolie besteht keine Indikation zur inva-
3.4.2 Atriale Extrasystolie/fokal atriale siven EPU. Bei atrialer Tachykardie ist eine EPU oft zur differen-
Tachykardie zialdiagnostischen Abgrenzung von anderen paroxysmalen supra-
ventrikulären Tachykardien sinnvoll.
Epidemiologie und Pathophysiologie
Therapie
Definition
Eine atriale Extrasystolie bedarf in der Regel keiner Therapie. Im
Atriale Extrasystolen treten oft bei Herzgesunden auf und
Vordergrund steht die Aufklärung des Patienten über die Harm-
sind prognostisch ohne Bedeutung. Sie werden durch eine
losigkeit der Herzrhythmusstörungen. Bei ausgeprägten Palpita-
Steigerung des Sympathikotonus z. B. durch Genussmittel
tionen kann ggf. eine symptomatische Therapie, präferenziell mit
(Koffein, Nikotin, Alkohol), eine Hyperthyreose oder sympa-
einem β-Blocker, eingeleitet werden.
thikomimetische Medikamente (z. B. Theophyllin) provoziert.
Bei fokal atrialen Tachykardien besteht die Indikation zu
Fokal atriale Tachykardien machen 10–15% aller paroxys-
einer Therapie bei symptomatischen Patienten sowie bei perma-
malen supraventrikulären Tachykardien aus. Sie können ir-
nenten Formen mit der potenziellen Gefahr einer tachykardiein-
gendwo im Vorhofmyokard induziert werden, meist im Be-
duzierten Kardiomyopathie.
reich der Crista terminalis, der AV-Klappen oder der Pulmonal-
venenostien.
Akuttherapie (7 Übersicht 3.3)
In der Akutsituation können β-Blocker oder Kalziumantagonis-
Gehäuft findet sich eine supraventrikuläre Extrasystolie bei ten vom Verapamiltyp die AV-Überleitung verzögern. Bei einigen
strukturellen Herzerkrankungen (z. B. Cor pulmonale). Atriale
Salven können Vorläufer von atrialen Tachykardien oder auch
von fokalem Vorhofflimmern sein. Prinzipiell können atriale Ex- Übersicht 3.3. Akuttherapie paroxysmaler supraventri-
trasystolen überall im Vorhofmyokard entstehen. kulärer Tachkardien
Hinsichtlich der Pathomechanismen lassen sich unifokale
oder multifokale ektope Vorhoftachykardien unterscheiden. 4 Vagale Manöver (unwirksam bei atrialer Tachykardie)
Pathophysiologisch basieren sie wahrscheinlich auf einer gestei- 4 Adenosin 8–16 mg i.v. (unwirksam bei atrialer Tachy-
gerten Automatie bzw. getriggerten Aktivität. Die Tachykardien kardie)
können paroxysmal plötzlich auftreten oder permanent anhalten. 4 β-Blocker i.v. (z. B. Metoprolol 5 mg)
Multifokale atriale Tachykardien werden gehäuft bei einer Digi- 4 Verapamil 5–10 mg i.v. (nicht bei WPW-Syndrom mit
talisüberdosierung oder bei schweren kardialen Erkrankungen Vorhofflimmern)
(z. B. akutes/chronisches Cor pulmonale, Myokardinfarkt) beob- 4 Propafenon (1–2 mg/kgKG), Flecainid (1 mg/kgKG),
achtet. Ajmalin (1 mg/kgKG) i.v.
4 Digitoxin 0,25–1,0 mg i.v., Digoxin 0,4–0,6 mg i.v.
Symptomatik (geringe Akutwirkung; nicht bei WPW-Syndrom mit
Eine supraventrikuläre Extrasystolie ist häufig asymptomatisch, Vorhofflimmern)
kann aber auch mit Palpitationen einhergehen. Atriale Tachy- 4 Amiodaron 5 mg/kgKG i.v.
kardien treten meist paroxysmal auf und sind oft nur von kurzer 4 Überstimulation
Dauer. Gelegentlich können sie jedoch über Stunden persistieren 4 Elektrische Kardioversion
oder als permanente (»incessant«) Tachykardien anhalten. Fokale
94 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

Patienten kann eine atriale Tachykardie durch Klasse-I- oder


Klasse-III-Antiarrhythmika terminiert werden.
! Cave
Klasse-I-Antiarrhythmika sollten nur nach Gabe einer AV-ver-
zögernden Medikation eingesetzt werden, da sonst durch Ver-
3 langsamung der atrialen Tachykardie im Vorhof eine 1:1-Über-
leitung mit schneller Kammerfrequenz induziert werden kann.

Eine elektrische Kardioversion ist akut selten erforderlich.


Da der AV-Knoten nicht in den arrhythmogenen Mechanis-
mus einbezogen ist, können Valsalva-Manöver atriale Tachykar-
dien nicht terminieren.

Langzeittherapie
Wenn möglich, sollte speziell bei multifokalen Tachykardien die
Behandlung einer ursächlichen Grunderkrankung (besonders
Lungenerkrankungen) im Vordergrund stehen. Gegebenenfalls
kann die Reduktion einer Theophyllinmedikation hilfreich sein.
Eine antiarrhythmische Langzeittherapie bei atrialer Tachy-
kardie ist entweder medikamentös oder durch Katheterablation
möglich. Eine medikamentöse Behandlung kann mit β-Blockern,
Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp sowie mit Klasse-I-
(Cave: nicht bei struktureller Herzerkrankung) oder Klasse-III-
Antiarrhythmika erfolgen.
Die Hochfrequenzkatheterablation stellt eine sinnvolle The-
rapiealternative zumeist nach Versagen eines medikamentösen
Behandlungsversuches dar. Als hilfreich haben sich dreidimen-
sionale Mappingverfahren erwiesen. Die Erfolgsrate einer Ab-
lation liegt bei etwa 86%, die Rezidivhäufigkeit bei ca. 8% (Kuck
et al. 2007).

3.4.3 AV-Knoten-Reentrytachykardie

Epidemiologie und Pathophysiologie


Definition
Die AVNRT stellt die häufigste Form einer paroxysmalen
supraventrikulären Tachykardie dar. Zumeist manifestiert sie
sich im jugendlichen Alter. Frauen sind häufiger betroffen
als Männer. Pathophysiologisch geht man von einer funktio- . Abb. 3.6. Mechanismus einer AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT)
nellen Längsdissoziation im Bereich des AV-Knotens aus vom gewöhnlichen Typ. a Im Bereich des Koch-Dreiecks findet sich eine
(. Abb. 3.6 a–c). superior-anteriore schnelle Leitungsbahn sowie eine inferiore-posteriore
langsame Leitungsbahn. b Durch Blockade der antegraden Leitung in
der schnellen Bahn können eine Kreiserregung (c) und damit eine AVNRT
Hierdurch resultieren im Bereich des Koch-Dreiecks eine supe- entstehen
rior-anteriore Bahn mit zumeist schneller Leitungsfähigkeit
und langer Refraktärzeit sowie eine inferior-posteriore Leitungs-
bahn mit zumeist langsamer Leitungsfähigkeit und relativ kurzer später als die der Kammer. Diese Form tritt in etwa 10% der Fälle
Refraktärzeit. auf. Selten sind 2 langsam leitende Regionen in den Tachykardie-
Bei der AVNRT vom gewöhnlichen Typ (typische Form, mechanismus einbezogen (»Slow-slow-Form«).
»Slow-fast-Form«) kommt es, z. B. durch eine atriale Extrasys-
tole, aufgrund der langen Refraktärzeit zu einer Blockade der Symptomatik
antegraden Leitung in der schnellen Bahn. Die Erregungsausbrei- AV-Knoten-Reentrytachykardien treten plötzlich mit abruptem
tung läuft stattdessen antegrad über die langsame Bahn und kann Beginn und abruptem Ende auf. Die Herzfrequenz liegt zumeist
nach Erholung der schnellen Bahn über diese retrograd den Vor- zwischen 160–220/min. Die Beschwerden sind im Wesentlichen
hof wieder erreichen. Hierdurch resultiert eine Kreiserregung. von der Frequenz und der Dauer der Rhythmusstörung abhän-
Vorhöfe und Ventrikel werden nahezu gleichzeitig erregt. gig. Typischerweise wird über Palpitationen, Herzrasen, Schwin-
Bei der AVNRT vom ungewöhnlichen Typ (untypische Form, del und eine Belastungseinschränkung geklagt. Nach Tachykar-
»Fast-slow-Form«) erfolgt die Kreiserregung in umgekehrter dieende setzt ein vermehrter Harndrang ein. Da bei der typischen
Richtung. Die retrograde Leitung läuft über die langsame Bahn, AVNRT Vorhöfe und Kammern gleichzeitig gegen die geschlos-
die eine längere Refraktärzeit hat. Die Vorhoferregung ist somit senen AV-Klappen kontrahieren, kann diese Vorhofpfropfung
3.4 · Supraventrikuläre Tachykardien
95 3

. Abb. 3.7. Induktion einer typischen AV-Knoten-Reentrytachykardie atrialen Stimuli tritt ein AH-Sprung auf, und die Tachykardie wird in-
durch atriale Stimulation. Bei Verkürzung des Kopplungsintervalls der duziert

von Patienten als verstärkter Pulsschlag im Hals verspürt werden. Elektrophysiologische Untersuchung
Klinisch kann ein prominenter Jugularvenenpuls nachweisbar Eine Indikation zur invasiven EPU besteht bei symptomatischen
sein. Tachykardien unbekannter Ätiologie zur Klärung des Arrhyth-
miemechanismus in Ablationsbereitschaft.
Diagnostik Bei der typischen AVNRT findet sich charakteristischerweise
Anamnese bei atrialer Stimulation mit Verkürzung des Kopplungsintervalls
Durch Schilderung typischer Tachykardien mit abruptem Beginn ein plötzlicher AH-Sprung, wenn die schnelle Leitungsbahn
und plötzlichem Ende sowie charakteristischer Symptome kann refraktär wird und die antegrade Leitung auf die langsame Bahn
häufig bereits anamnestisch ein wesentlicher Hinweis auf das Vor- übergeht (. Abb. 3.7). Dieser AH-Sprung geht der Induktion der
liegen einer AVNRT gewonnen werden. Eine klare Abgrenzung AVNRT meist voraus. Während laufender Tachykardie zeigt sich
gegenüber einer AV-Reentrytachykardie bei akzessorischer Lei- in der His-Bündel-Registrierung ein fast gleichzeitiges Potenzial
tungsbahn ist jedoch nicht möglich. Zur weiteren Therapiepla- von Vorhof und Kammer (VA-Intervall <60 ms).
nung sind Häufigkeit und Dauer der Arrhythmien zu erfragen. Die Tachykardie kann z. T. auch durch schnelle atriale Sti-
mulation nahe des Wenckebach-Punktes induziert werden. Bei
EKG-Registrierung einigen Patienten ist ein Auslösen nur nach Parasympathikolyse
Es zeigt sich eine Tachykardie mit schmalem Kammerkomplex (Atropin 0,5–1,0 mg i.v.) oder Sympathikomimetikagabe (Isopro-
(Ausnahme bei Schenkelblock). Aufgrund der fast gleichzeiti- teronol 0,2–0,5 mg i.v.) möglich. Eine Terminierung kann durch
gen Erregung von Vorhof und Kammer sind bei der typischen atriale oder ventrikuläre Stimulation erfolgen.
AVNRT P-Wellen oft nicht nachweisbar oder liegen unmittelbar Bei der atypischen AVNRT lässt sich die duale Leitungsfähig-
vor bzw. hinter dem QRS-Komplex. keit des AV-Knotens retrograd durch ventrikuläre Stimulation
Bei der atypischen AVNRT ist der RP-Abstand zumeist belegen.
größer als der PR-Abstand. Während des Sinusrhythmus zeigt
sich bei einigen Patienten mit AVNRT ein verkürztes PQ-Inter-
vall (<0,12 s). Somit besteht formal ein LGL-Syndrom. Mithilfe
des Langzeit-EKG oder des Event-Rekorders (7 Abschn. 3.3.1)
können akuter Beginn und Ende beurteilt werden.
96 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Tab. 3.14. Langzeittherapie paroxysmaler supraventrikulärer


Beginn und das Ende der AV-junktionalen Tachykardie sind
Tachykardien langsam (»worming-up«, »cooling-down«). Erfolgt eine retro-
Therapie Dosis
grade Leitung zu den Vorhöfen, so finden sich negative P-Wellen
in den inferioren Ableitungen (Ableitung II, III, aVF). Bei feh-
Katheterablation (Therapie der Wahl bei AVNRT und AV-Reentry-
tachykardie) lender retrograder Leitung können die Vorhöfe aber auch un-
β-Blocker (z. B. Bisoprolol) 5–10 mg
abhängig von den Kammern schlagen; es zeigt sich eine AV-Dis-
3 Verapamil (Cave: nicht bei WPW-Syndrom) 3-mal 80–120 mg soziation. Im Gegensatz zum AV-Block III. Grades ist jedoch die
Selten Amiodaron 1-mal 200 mg Vorhoffrequenz langsamer als die Kammerfrequenz.
Bei Herzgesunden
Elektrophysiologische Untersuchung
Sotalol 2-mal 80–160 mg Die Indikation zu einer invasiven Diagnostik ist bei häufigem
Flecainid 2-mal 100 mg
Auftreten und permanent anhaltender Arrhythmie zur differen-
Propafenon 2-mal 300–450 g
zialdiagnostischen Abgrenzung gegenüber anderen supraventri-
kulären Tachykardieformen gegeben.
Therapie
Akuttherapie Therapie
Aufgrund der eher langsamen Frequenz AV-junktionaler Tachy-
> Die Unterbrechung einer AVNRT wird durch eine Leitungsver-
kardien ist eine Akutintervention zumeist nicht erforderlich. Zur
zögerung im Bereich des AV-Knotens möglich. Dies kann durch
Langzeitbehandlung kann eine Therapie mit Verapamil oder
vagale Manöver (Valsalva-Manöver, kaltes Wasser trinken, Karo-
β-Blocker versucht werden. Bei unaufhörlichen Tachykardie-
tisdruck) erzielt werden.
formen und häufigen Rezidiven kann der Fokus katheterinter-
Sind diese Maßnahmen ineffektiv, so gilt als Medikament der ventionell abladiert werden (Erfolgsrate 90%, in 5–10% der Fälle
ersten Wahl die rasche i.v.-Gabe von Adenosin (8–16 mg). Hie- totaler AV-Block).
runter ist eine Terminierung fast immer möglich (alternative
Medikation 7 Übersicht 3.3). Nur in Ausnahmefällen wird eine
atriale Überstimulation oder eine elektrische Kardioversion zur 3.4.5 Wolff-Parkinson-White-Syndrom/
akuten Terminierung erforderlich. AV-Reentrytachykardie

Langzeittherapie Epidemiologie und Pathophysiologie


Die Indikation zu einer Dauertherapie bei AVNRT (. Tab. 3.14) AV-Reentrytachykardien basieren auf angeborenen akzesso-
muss in Abhängigkeit von der Symptomatik sowie der Häufigkeit rischen AV-Leitungsbahnen (Kent-Bündel). Die Inzidenz in
und der Dauer der Tachykardieepisoden gestellt werden. Bei der Gesamtbevölkerung wird mit 1–4 pro 1000 angegeben. Die
kurzen, seltenen und oligosymptomatischen Tachykardien kann Mehrzahl der Patienten ist herzgesund. Einige kongenitale Herz-
auf eine Rezidivprophylaxe verzichtet werden. Diese Patienten soll- fehler (z. B. Epstein-Anomalie, Vorhofseptumdefekt, Ventri-
ten über die Durchführung vagaler Manöver aufgeklärt werden. kelseptumdefekt) sind jedoch gehäuft mit Kent-Bündeln asso-
Bei symptomatischen Patienten besteht prinzipiell die Mög- ziiert.
lichkeit einer medikamentösen AV-verzögernden Behandlung Die meisten akzessorischen Bahnen leiten antegrad. Bei
oder Katheterablation. Aufgrund der hohen Erfolgsraten (>95%) diesen Patienten findet sich ein typisches Präexzitationssyn-
und niedrigen Komplikationen (AV-Block in <1%) steht die ku- drom mit einer δ-Welle und einer verkürzten PQ-Zeit im Ober-
rative Katheterablation der langsamen Leitungsbahn heutzutage flächen-EKG. Tritt zusätzlich symptomatisches Herzrasen auf,
im Vordergrund (Kuck et al. 2007). so spricht man von einem WPW-Syndrom. Kent-Bündel können
auch nur intermittierend antegrad leiten. In 20–30% der Fälle
weisen die akzessorischen Bahnen ausschließlich eine retrograde
3.4.4 AV-junktionale Tachykardie Leitfähigkeit auf (verborgene Leitungsbahn). Nur 8% der akzes-
sorischen Leitungsbahnen haben dekrementale Leitungseigen-
Epidemiologie und Pathophysiologie schaften.
Bei Erwachsenen ist eine AV-junktionale Tachykardie sehr selten. Pathophysiologisch liegt den Tachykardien beim WPW-Syn-
Pathophysiologisch geht man von einer gesteigerten Automatie drom zumeist ein Makro-Reentrymechanismus mit antegrader
oder einer getriggerten Aktivität im Bereich des AV-Knotens aus. Leitung über den AV-Knoten und retrograder Leitung über die
akzessorische Leitungsbahn zugrunde (orthodrome AV-Reent-
Symptomatik rytachykardie, ca. 90–95%; . Abb. 3.8). Bei der selteneren anti-
Wie bei anderen supraventrikulären Tachykardien ist die Symp- dromen AV-Reentrytachykardie (ca. 5%) läuft die Kreiserregung
tomatik der Patienten von der Häufigkeit und der Dauer arrhyth- in entgegengesetzter Richtung.
mischer Episoden abhängig. Bei permanenten Formen können
Herzinsuffizienzzeichen (tachykardieinduzierte Kardiomyo- > Bei einer antegrad leitenden akzessorischen Bahn mit kurzer
pathie) auftreten. Refraktärzeit (guter Leitfähigkeit, RR-Intervall <250 ms) besteht
beim Auftreten von Vorhofflimmern/Vorhoftachykardie die
Diagnostik Gefahr einer schnellen Überleitung auf die Ventrikel und damit
EKG-Registrierung der Induktion von Kammerflimmern. Somit ist bei diesen Patien-
Im EKG findet sich eine Tachykardie mit schmalem Kammer- ten nicht die AV-Reentrytachykardie, sondern das Vorhofflim-
komplex und einer Frequenz meist zwischen 70–130/min. Der mern potenziell lebensbedrohlich.
3.4 · Supraventrikuläre Tachykardien
97 3

. Abb. 3.8. Schematische Darstellung der Mechanismen supraventri- drome Tachykardie mit breitem QRS-Komplex, c Vorhofflimmern mit
kulärer Tachykardien beim Wolff-Parkinson-White- (WPW-)Syndrom. schneller Leitung zu den Ventrikeln über die akzessorische Leitungsbahn.
a Orthodrome Reentrytachykardie mit schmalem QRS-Komplex, b anti- SK Sinusknoten

Die Mehrzahl akzessorischer Leitungsbahnen sind links lateral leitende akzessorische Bahn ist bei Sinusrhythmus nicht er-
(links posterior, 50–60%) lokalisiert. Einige Patienten können kennbar.
mehrere Kent-Bündel haben. Die Morphologie der δ-Welle gibt bereits einen Anhalt für
Selten liegen ausschließlich antegrad leitende Bahnen mit de- die Lokalisation einer antegrad leitenden Bahn. Bei rechtsseitiger
krementeller Eigenschaft vor, die rechtsseitig atriofaszikulär, selten Bahn ist die δ-Welle meist ausgeprägter, bei linksseitiger Bahn
atrioventrikulär, nodofaszikulär verlaufen (Mahaim-Bahn). Bei die- kann der QRS-Komplex relativ schmal sein und z. T. nur das Feh-
sen Bahnen treten rezidivierende antidrome Tachykardien auf. len einer Q-Zacke in den Ableitungen V5/V6 auf eine akzes-
Während des Sinusrhythmus findet man meist keine oder nur eine sorische Bahn hindeuten. Es wurden mehrere Algorithmen zur
gering ausgeprägte Präexzitation. In 5% der Fälle finden sich ledig- Lokalisation des Kent-Bündels entsprechend des Oberflächen-
lich retrograd leitende dekrementelle akzessorische Bahnen, die in EKG beschrieben (. Abb. 3.9).
der Regel rechts posteroseptal (inferoparaseptal) lokalisiert sind, mit
Gefahr einer tachykardieinduzierten Kardiomyopathie (PJRT). Orthodrome AV-Reentrytachykardien. Bei einer orthodromen
AV-Reentrytachykardie finden sich schmale QRS-Komplexe
Symptomatik (außer beim Schenkelblock). Die Tachykardiefrequenz liegt meist
Beim WPW-Syndrom wird über typische paroxysmale Tachykar- zwischen 150–220/min. Die P-Welle ist hinter dem QRS-Kom-
die geklagt (Palpitationen, Schwindel, verminderte Leistungs- plex oft in der ST-Strecke erkennbar. Tritt während einer ortho-
fähigkeit, Harndrang). Die Herzrhythmusstörungen beginnen dromen AV-Reentrytachykardie ein funktioneller Schenkelblock
und enden abrupt. Darüber hinaus kann unregelmäßiges Herz- auf, so kann eine Verlangsamung der Tachykardie (Zunahme der
rasen beschrieben werden, das auf das Vorliegen von Vorhof- Zykluslänge) resultieren; dies deutet auf eine ipsilaterale akzesso-
flimmern hindeutet. Bei Vorhofflimmern und schnell antegrad rische Bahn hin. Bei kontralateraler akzessorischer Bahn hinge-
leitender Bahn können Synkopen oder ein plötzlicher Herztod gen bleibt die Tachykardiefrequenz konstant.
auftreten.
Antidrome AV-Reentrytachykardien. Antidrome AV-Reentryta-
Diagnostik chykardien sind durch verbreiterte QRS-Komplexe mit maxima-
Anamnese ler Präexzitation gekennzeichnet. Diese Tachykardieform kann
Aufgrund der Vorgeschichte mit Angabe von rezidivierenden auch bei einem Mahaim-Bündel auftreten.
paroxysmalen Tachykardien mit abruptem Beginn und Ende
kann nicht zwischen AV-Reentrytachykardie und AVNRT unter- Vorhoftachykardie bei WPW-Syndrom. Bei Vorhoftachykardien
schieden werden. Wesentlich ist die Erfragung von Häufigkeit (z. B. Vorhofflattern, Vorhofflimmern) kann die akzessorische Lei-
und Dauer der Beschwerden. Darüber hinaus weist die Angabe tungsbahn als »bystander« fungieren. Bei Vorhofflimmern finden
von intermittierendem unregelmäßigem Herzrasen auf das Vor- sich typische unregelmäßige Abstände zwischen den Kammerkom-
liegen von potenziell lebensbedrohlichem Vorhofflimmern hin. plexen; die Kammerkomplexe sind aufgrund einer variablen Erre-
gung über die akzessorische Bahn unterschiedlich konfiguriert.
Oberflächen-EKG
Bei antegrad leitender akzessorischer Bahn finden sich typischer- > Anhand des kürzesten RR-Intervalls im EKG kann auf die Leit-
weise eine δ-Welle und eine verkürzte PQ- bzw. P-δ-Zeit (<0,12 s). fähigkeit der akzessorischen Bahn geschlossen werden. Bei gut
Eine Ausnahme stellt das Mahaim-Bündel dar, bei dem die leitenden Bahnen können eine schnelle Überleitung auf die
PQ-Dauer nur gering verkürzt oder normal ist; eine Präexzitation Ventrikel (bis 300/min) und damit die Induktion von Kammer-
ist kaum nachweisbar. Eine verborgene, lediglich retrograd flimmern resultieren.
98 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Abb. 3.9. Schrittweiser EKG-Algorithmus zur Bestimmung der Loka- lateral, RPL rechts posterolateral, RP rechts posterior, PSTA posteroseptaler
lisation einer akzessorischen Leitungsbahn anhand der Polarität der Trikuspidalanulus, PSMA posteroseptaler Mitralanulus, MS mittseptal,
δ-Welle (initial 20 ms: + positiv; - negativ; ± isoelektrisch) und Verhältnis AS anteroseptal, LPL links posterolateral, LL links lateral, LAL links antero-
der R/S-Amplituden. RA rechts anterior, RAL rechts anterolateral, RL rechts lateral, LP links posterior. (Nach Arruda et al. 1998)

Belastungs-EKG Therapie
Unter Belastung ergibt ein Verschwinden der Präexzitation Rück- Akuttherapie
schlüsse auf die Leitfähigkeit der akzessorischen Bahn. AV-Reentrytachykardien können durch vagale Manöver (Val-
salva-Manöver, Karotisdruck, kaltes Wasser trinken) teilweise
Elektrophysiologische Untersuchung terminiert werden. Darüber hinaus kann eine medikamentöse
Bei offener, antegrad leitender akzessorischer Bahn besteht die Beendigung durch Verzögerung im Bereich des AV-Knotens er-
Indikation zu einer EPU nur bei gleichzeitiger Katheterablation. zielt werden (7 Übersicht 3.3).
Bei unklaren Tachykardien hingegen kann durch die EPU die
! Cave
Diagnose gesichert werden.
Kontraindiziert bei der AV-Reentrytachykardie sind Verapamil
Bei antegrad leitender akzessorischer Bahn nimmt unter pro-
und Digitalis, da beide Medikamente zwar zu einer Verzögerung
grammierter atrialer Stimulation mit zunehmender Frequenz-
der Leitung im AV-Knoten führen, jedoch die Leitungsfähigkeit
steigerung entweder die δ-Welle zu (frequenzabhängige Verzöge-
der akzessorischen Bahn beschleunigen können. Hierdurch
rung der Leitung über den AV-Knoten) oder der QRS-Komplex
kann Kammerflimmern induziert werden.
normalisiert sich, wenn die akzessorische Leitungsbahn eine län-
gere Refraktärzeit als der AV-Knoten hat. Eine retrograd leitende Bei hämodynamisch relevanten Tachykardien kann selten eine
akzessorische Bahn kann durch ventrikuläre Stimulation auf- elektrische Kardioversion erforderlich werden.
gedeckt werden. Bei Leitung über den AV-Knoten nimmt mit
steigender Frequenz der ventrikulären Stimuli das retrograde Langzeittherapie
ventrikuloatriale Intervall zu. Bei einer akzessorischen Bahn hin- Katheterablation.
gegen ist die Leitungsgeschwindkeit frequenzunabhängig; das
> Bei Patienten mit symptomatischen Tachykardien oder Vorhof-
VA-Intervall bleibt konstant. Darüber hinaus kann die Bahn
flimmern bei antegrad leitender Bahn gilt die Katheterablation
durch Analyse des kürzesten VA-Intervalls unter ventrikulärer
als Therapie der ersten Wahl (Erfolgsrate >95%; Kuck et al. 2007).
Stimulation lokalisiert werden.
AV-Reentrytachykardien können durch programmierte Sti- Bei asymptomatischen Patienten wird eine prophylaktische Ab-
mulation induziert und terminiert werden. Typischerweise ist lation der akzessorischen Bahn nicht generell empfohlen. Eine
das VA-Intervall länger als bei einer AVNRT (>60 ms). Bei einer Ausnahme stellen Patienten mit erhöhtem Berufs- bzw. Sport-
orthodromen Tachykardie bei Mahaim-Bündel findet sich im risiko dar (z. B. Piloten, Hochleistungssportler). Zudem sind fol-
Gegensatz zu anderen akzessorischen Bahnen die früheste vent- gende Risikofaktoren für einen plötzlichen Herztod und damit
rikuläre Erregung nicht nahe dem AV-Klappenanulus, sondern eine prophylaktische Ablation akzeptiert:
wegen der weiter distalen Insertion des Bündels nahe dem rechts- 4 RR-Intervall <250 ms bei Vorhofflimmern,
ventrikulären Apex. 4 symptomatische Tachykardie in der Anamnese,
4 multiple akzessorische Leitungsbahnen,
4 Ebstein-Anomalie.
3.4 · Supraventrikuläre Tachykardien
99 3

Offene, antegrad leitende akzessorische Bahnen werden bei Sinus- ralen Vorhofwand von oben nach unten, kann aber auch in ent-
rhythmus bzw. unter atrialer Stimulation abladiert. Retrograd gegengesetzter Richtung erfolgen.
leitende akzessorische Bahnen werden während orthodromer Nichtisthmusabhängige Makro-Reentrytachykardien sind
Reentrytachykardie oder ventrikulärer Stimulation lokalisiert. seltener als typisches Vorhofflattern. Sie treten besonders nach
Komplikationen treten in etwa 2% der Ablationen auf (AV-Block vorausgegangenen Herzoperationen (z. B. ASD-Verschluss, An-
<1%, Perikarderguss <1%). Ist eine akzessorische Leitungsbahn satz einer Herz-Lungen-Maschine, Fontaine-Operation) oder
durch Hochfrequenzstrom von endokardial nicht zu erreichen, nach interventionellen Maßnahmen (z. B. Vorhofflimmerabla-
sollte eine epikardiale Ablation erwogen werden. tion) um die resultierende Narbe auf.

Medikamentöse Langzeittherapie. Die Indikation zu einer Symptomatik


medikamentösen antiarrhythmischen Behandlung besteht nur, Die Beschwerden sind von der resultierenden Kammerfrequenz
wenn eine Katheterablation vom Patienten abgelehnt wird, in- abhängig. Oft klagen Patienten über einen inadäquat sprung-
effektiv war oder lediglich seltene Tachykardieepisoden bei aus- haften Herzfrequenzanstieg unter Belastung, der durch einen
schließlich retrograd leitender Bahn auftreten (. Tab. 3.14). abrupten Übergang z. B. einer 4:1- in eine 2:1-Überleitung be-
gründet ist. Potenziell besteht die Gefahr einer 1:1-Überleitung
mit Induktion von Kammerflimmern und einem plötzlichen
3.4.6 Atriale Makro-Reentrytachykardie Herztod.

Epidemiologie und Pathophysiologie Diagnostik


Atriale Makro-Reentrytachykardien schließen oft große Teile des Oberflächen-EKG
rechten und/oder linken Vorhofs in ihre Kreiserregung ein. Es Bei typischem Vorhofflattern finden sich charakteristische säge-
wird in isthmusabhängiges typisches Vorhofflattern und nicht- zahnartige Flatterwellen in den inferioren Ableitungen II, III und
isthmusabhängige Tachykardien (linksatrial, narbenassoziiert) aVF. Die Vorhoffrequenz liegt zumeist bei 250–350/min. Bei der
unterschieden. reverstypischen Form zeigen sich in den inferioren Ableitungen
Typisches isthmusabhängiges Vorhofflattern ist seltener positive Flatterwellen. Bei nichtisthmusabhängiger Makro-Re-
als Vorhofflimmern. Die Prävalenz bei hospitalisierten Patien- entrytachykardie findet sich eine variable P-Morphologie. Je nach
ten wird mit 0,4–1,2% angegeben. Im Gegensatz zu einer Vorhof- Leitfähigkeit des AV-Knotens entsteht eine variable Überlei-
tachykardie liegt die Vorhoffrequenz über 250/min. Vorhof- tungsrate auf die Kammern.
flattern tritt oft paroxysmal auf, kann aber auch permanent Bei einer 2:1-Überleitung kann ein vagaler Reiz, z. B. Valsal-
vorliegen. Bei struktureller Herzerkrankung ist Vorhofflattern va-Manöver oder Karotisdruck bzw. i.v.-Adenosin-Gabe durch
häufiger. eine Blockierung der AV-Überleitung die Erkennung der Flatter-
Beim typischen Vorhofflattern besteht ein Makro-Reentry- wellen erleichtern. Eine Langzeit-EKG-Registrierung kann bei
kreis im Bereich des rechten Vorhofs um den Trikuspidalklappen- entsprechender Symptomatik helfen die Rhythmusstörung zu
anulus herum (. Abb. 3.10). Kritischer Bestandteil ist der sog. erfassen.
inferiore Isthmus zwischen unterer Hohlvene und Trikuspidal-
klappe. Zumeist verläuft die Erregung im Bereich der rechtslate- Elektrophysiologische Untersuchung
Die Indikation zu einer invasiven EPU besteht zur Klärung
des Mechanismus in der Regel in Verbindung mit einer Katheter-
ablation. Darüber hinaus können atriale Makro-Reentryta-
chykardien invasiv durch atriale Überstimulation terminiert
werden.

Therapie (. Tab. 3.15)


Akuttherapie
> Bei neu aufgetretenem Vorhofflattern mit schneller Überleitung
auf die Ventrikel und hämodynamischer Einschränkung kann
eine akute elektrische Kardioversion (50 J) in Kurznarkose indi-
ziert sein.

Bei kreislaufstabilen Patienten kann alternativ bei typischem Vor-


hofflattern eine atriale Überstimulation erwogen werden. Zum
Teil wird zunächst Vorhofflimmern erzielt, das jedoch zumeist im
Weiteren spontan in einen Sinusrhythmus konvertiert.
Zur akuten Senkung der Kammerfrequenz eignen sich Me-
dikamente, die die AV-Überleitung verzögern. Eine Konversion
kann akut mit Klasse-I-Antiarrhythmika (z. B. Flecainid, Propa-
fenon) erzielt werden. Diese dürfen aber nur nach vorheriger
. Abb. 3.10. Schematische Darstellung des Mechanismus bei typi- Gabe der oben erwähnten AV-verzögernden Medikamente ap-
schem Vorhofflattern. Es liegt eine Kreiserregung im Bereich des rechten pliziert werden, da andernfalls durch eine Verlangsamung der
Vorhofs um den Trikuspidalklappenanulus vor. (Nach Haverkamp u. Breit- Flatterfrequenz eine atrioventrikuläre 2:1- oder 1:1-Überleitung
hardt 2003) induziert werden kann.
100 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

. Tab. 3.15. Therapie bei Vorhofflattern/Vorhofflimmern


Ziel Maßnahme
Akute Kammerfrequenzsenkung β-Blocker i.v. (z. B. Metoprolol 5 mg)
Verapamil 5–10 mg i.v.
Digoxin 0,4–0,6 mg i.v.; Digitoxin 0,25–1,0 mg i.v.

3 Kardioversion Elektrische Überstimulation (nicht bei Vorhofflimmern)


Elektrische Kardioversion
Nach AV-Verzögerung Flecainid oder Propafenon 1–2 mg/kgKG i.v.
Amiodaron 5 mg/kgKG i.v.
Langfristige Frequenzkontrolle Herzglykoside
(selten bei Vorhofflattern) β-Blocker
Verapamil
Palliative AV-Knoten-Ablation (selten AV-Knoten-Modulation)
Langfristige Rhythmuskontrolle Katheterablation
Amiodaron
Propafenon oder Flecainid nur bei Herzgesunden unter gleichzeitiger AV-verzögernder Medikation

Langzeittherapie
Eine Langzeittherapie ist bei gehäuften Rezidiven oder persis- Übersicht 3.4. Ursachen von Vorhofflimmern
tierendem Vorhofflattern und symptomatischen Patienten indi-
ziert. 4 Arterielle Hypertonie
Bei typischem Vorhofflattern stellt die Katheterablation ein 4 KHK
kuratives Verfahren dar, das primär oder nach medikamentösem 4 Herzinsuffizienz
Therapieversagen zum Einsatz kommen sollte. Durch Unterbre- 4 Kardiomyopathien
chung der Kreiserregung, die als kritische Stelle den sogenannten 4 Klappenvitien (besonders Mitralvitien)
Isthmus zwischen Trikuspidalklappenanulus, Mündung des Ko- 4 Myokarditiden
ronarsinus und der V. cava inferior passiert, lässt sich typisches 4 Hyperthyreose
Vorhofflattern in >90% der Fälle primär erfolgreich abladieren. 4 Alkohol
Die Rezidivrate liegt langfristig bei etwa 10–15%. Bei atrialen 4 Andere Ursachen
Makro-Reentrytachykardien mit variablen Kreiserregungen ist
die Erfolgsrate niedriger. Die Ablation erfordert in der Regel ein
genaues atriales Mapping mit spezialisierten dreidimensionalen Pathophysiologie
Lokalisationsverfahren zur Beurteilung der Reentrykreise. Pathophysiologisch kommt es beim Vorhofflimmern zu chaotischen
Medikamentös kann wie beim Vorhofflimmern nach Termi- Kreiserregungen im Bereich der Vorhöfe. Diese werden durch eine
nierung des Vorhofflatterns eine Rezidivprophylaxe mit Klasse- Fibrosierung des Myokards und Vorhofdilatation begünstigt. Mit
I-Antiarrhythmika (nur bei gleichzeitiger AV-verzögernder Me- zunehmender Dauer des Vorhofflimmerns tritt ein elektrisches und
dikation und strukturell gesunden Herzen) bzw. Klasse-III-Anti- sturkturelles »atriales Remodeling« (Verkürzung der Aktionspoten-
arrhythmia erfolgen. Darüber hinaus kann eine Kontrolle der zialdauer und Refraktärzeit, Fibrose) ein. Hierdurch wird eine Kon-
Kammerfrequenz durch AV-verzögernde Pharmaka erzielt wer- version in einen Sinusrhythmus zunehmend erschwert, und Rezi-
den. Aufgrund der potenziellen Gefahr einer 1:1-Überleitung dive werden begünstigt. Bei einigen Patienten geht man primär von
sollte jedoch angestrebt werden, einen Sinusrhythmus zu er- fokalem Vorhofflimmern mit einem ektop-atrialen Ursprung im
halten. Bereich der Lungenvenenmündungen, seltener im Bereich der Cris-
Obwohl keine randomisierten größeren Studien vorliegen, ist ta terminalis, aus. Histologisch konnte bei diesen Patienten atriales
bei Vorhofflattern von einem erhöhten Thromboembolierisiko Gewebe in den Pulmonalvenen nachgewiesen werden.
auszugehen. Daher wird eine Thromboembolieprophylaxe Vorhofflimmern kann in Ruhephasen, u. a. beim Schlafen,
durch Antikoagulation wie beim Vorhofflimmern empfohlen. induziert werden (vagales Vorhofflimmern), bei anderen Patien-
ten tritt es vorzugsweise unter Belastung auf (adrenerges Vorhof-
flimmern). Die resultierende Kammerfrequenz bei Vorhof-
3.4.7 Vorhofflimmern flimmern ist von der Leitfähigkeit des AV-Knotens abhängig. Bei
einigen Patienten kommt es zu einer Bradyarrhythmie, bei ande-
Epidemiologie ren zu einer Tachyarrhythmie.
Vorhofflimmern stellt die häufigste Rhythmusstörung dar. Inzi-
denz und Prävalenz nehmen mit dem Lebensalter zu. Bei über ! Cave
80-Jährigen haben etwa 9% der Gesamtbevölkerung Vorhofflim- Eine besondere Gefahr des Vorhofflimmerns besteht bei Patien-
mern. Als Ursachen für Vorhofflimmern besteht besonders oft ten mit akzessorischen Bahnen (WPW-Syndrom), da diese bei
eine arterielle Hypertonie, eine KHK, eine Herzinsuffizienz oder guter Leitfähigkeit zu einer hohen Kammerfrequenz und sogar
Mitralklappenvitien (7 Übersicht 3.4). zu Kammerflimmern führen können. AV-verzögernde Medika-
Sind keine kardialen Erkrankungen oder andere auslösende mente wirken nicht verlangsamend auf diese akzessorischen
Ursachen nachweisbar, spricht man von idiopathischem Vorhof- Bahnen, sondern können ihre Leitfähigkeit z. T. noch beschleu-
flimmern (»lone atrial fibrillation«). nigen. (Digitalis oder Verapamil ist kontraindiziert.)
3.4 · Supraventrikuläre Tachykardien
101 3

Episoden. Darüber hinaus sollten kardiale und auch nichtkardi-


. Tab. 3.16. Schlaganfallsrisiko bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern
entsprechend des CHADS2-Index (Fuster et al. 2006) ale Vorerkrankungen (z. B. Hyperthyreose) sowie Alkoholkon-
sum erfragt werden.
CHADS2-Risikofaktoren Score CHADS2- Relatives Risiko
Index [%/Jahr] Laboruntersuchungen
Stattgehabte TIA/Insult 2 0 1,9 Bei jedem erstmalig aufgetretenen Vorhofflimmern sollten die
Alter >75 Jahre 1 1 2,8 Schilddrüsenfunktion und die Kaliumwerte überprüft werden.
Diabetes mellitus 1 2 4,0
Die Indikation zu eventuellen weiteren Blutuntersuchungen er-
Arterielle Hypertonie 1 3 5,9
gibt sich aus der Anamnese.
Herzinsuffizienz 1 4 8,5
5 12,5
6 18,5
EKG-Registrierung
Im EKG findet sich eine absolute Arrhythmie der Kammerkom-
plexe. P-Wellen sind nicht nachweisbar, dafür kommt eine un-
regelmäßige Vorhoferregung als Flimmerwellen zur Darstellung.
Durch eine schnelle Kammerfrequenz, aber auch durch den Weg- Im Langzeit-EKG und/oder Belastungs-EKG kann die Herzfre-
fall der atrialen Systole kann bei Patienten mit struktureller Herz- quenzkontrolle (z. B. unter Pharmaka) beurteilt werden.
erkrankung eine hämodynamische Verschlechterung und akute
kardiale Dekompensation resultieren. Besonders relevant ist die Echokardiographie
atriale Kontraktion für Patienten mit gestörter diastolischer Fül- Die Durchführung einer Echokardiographie kann Anhalte für
lung der Ventrikel (Myokardhypertrophie, restriktive Kardio- Klappenvitien, die Vorhofgröße, die linksventrikuläre Funktion
myopathie, Mitralstenose). und eine eventuelle Myokardhypertrophie ergeben. Vor einer Kar-
dioversion kann der Ausschluss linksatrialer Thromben, speziell
Thromboembolierisiko im linken Vorhofohr, mithilfe der TEE erfolgen (s. unten).
Ein wesentlicher Faktor hinsichtlich der Prognose von Patienten
mit Vorhofflimmern ist das Auftreten thrombembolischer Kom- Weiterführende Untersuchungen
plikationen. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls ist im Weitere apparative Diagnostik sollte zum Ausschluss einer struk-
Vergleich zu einem altersentsprechenden Kontrollkollektiv bei turellen Herzerkrankung oder einer Lungenembolie erwogen
nichtrheumatischem Vorhofflimmern 2- bis 7-fach, bei rheuma- werden.
tischem Vorhofflimmern 17-fach erhöht. Das individuelle Risiko
wird meist anhand des CHADS2-Index (. Tab. 3.16; Fuster et al. Therapie
2006) abgeschätzt. Die Therapie von Vorhofflimmern umfasst entweder eine Rhyth-
Mit einer Thrombenbildung vorwiegend im linken Vorhof- muskontrolle, d. h. Wiederherstellung und Erhaltung des Sinus-
ohr ist nach einer Dauer des Vorhofflimmerns von etwa 48 h zu rhythmus, oder eine Herzfrequenzkontrolle. Darüber hinaus
rechnen. muss stets die Indikation zu einer Thromboembolieprophylaxe
überprüft werden.
Klassifikation
4 Paroxysmales Vorhofflimmern: terminiert spontan nach Akuttherapie (. Tab. 3.15)
weniger als 7 Tagen. Die Dringlichkeit einer Behandlung richtet sich nach der hämo-
4 Persistierendes Vorhofflimmern: konvertiert nicht spontan dynamischen Einschränkung und somit vorwiegend nach der
in einen Sinusrhythmus, kann jedoch durch pharmakolo- resultierenden Kammerfrequenz sowie der Pumpfunktion des
gische oder elektrische Kardioversion in einen Sinusrhyth- Herzens. Bei hochgradiger systolischer, aber auch diastolischer
mus überführt werden. Dysfunktion kann eine sofortige medikamentöse oder elektrische
4 Permanentes Vorhofflimmern: dauert an, da kein Kardiover- Kardioversion erforderlich werden (7 Abschn. 3.2.2). Zumeist ist
sionsversuch unternommen wird oder ein Kardioversions- jedoch bereits eine Frequenzkontrolle der Überleitung auf die
versuch erfolglos war. Kammer hilfreich.

Symptomatik Langzeittherapie
Vorhofflimmern kann symptomatisch oder asymptomatisch Bei paroxysmalem und persistierendem Vorhofflimmern ergibt
sein. Die Beschwerden variieren mit der Kammerfrequenz, der sich kein signifikanter Sterblichkeits- und Morbiditätsunterschied
zugrunde liegenden kardialen Funktion, der Dauer des Vorhof- zwischen einer langfristigen Herzfrequenzkontrolle und einer
flimmerns und der Empfindsamkeit des individuellen Patienten. wiederholten Rhythmisierung. Thrombembolische Komplika-
Die meisten Patienten klagen über Palpitationen, Luftnot, ver- tionen traten in beiden Gruppen bei unzureichender Antikoagu-
minderte Belastbarkeit oder Herzrasen. Darüber hinaus können lation auf. Trotzdem erscheint bei Patienten mit erstmalig auf-
thrombembolische Ereignisse oder eine kardiale Dekompensa- getretenem Vorhofflimmern und ggf. auch bei einem ersten oder
tion Erstmanifestation von Vorhofflimmern sein. zweiten Rezidiv ein Rhythmisierungsversuch gerechtfertigt und
sinnvoll. Dies gilt speziell für symptomatische Patienten und ge-
Diagnostik rade auch für Patienten mit deutlicher Herzinsuffizienz, die hämo-
Anamnese dynamisch besonders von einem Sinusrhythmus profitieren. Die
Die genaue Erhebung der Vorgeschichte der Patienten ergibt häu- Entscheidung muss jedoch stets individuell getroffen werden. Bei
fig Aufschluss über typische Symptome (s. oben), den Beginn der permanentem Vorhofflimmern steht die Kontrolle der Herzfre-
Arrhythmie sowie Häufigkeit und Dauer der arrhythmischen quenz im Vordergrund.
102 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

Herzfrequenzkontrolle. Zur Kontrolle der Ruheherzfrequenz Embolien, Pulmonalvenenstenosen, Perikardergüsse, atrioöso-


eignen sich Herzglykoside besonders in Kombination mit einem phageale Fisteln und Phrenikuslähmungen auftreten (Calkins et
β-Blocker oder mit Verapamil (. Tab. 3.15). Andere Antiar- al. 2007; Kuck et al. 2007).
rhythmika sollten zur alleinigen Herzfrequenzkontrolle lang- Nach Ablation sollte grundsätzlich eine Antikoagulation für
fristig nicht eingesetzt werden. Bei einigen Patienten, die eine mindestens 2 Monate erfolgen. Danach kann über ein Absetzen
medikamentöse Einstellung tachykarder Phasen benötigen, der Antikoagulation individuell entschieden werden; dieses wird
3 kann es intermittierend zu symptomatischen Bradyarrhythmien aber bei einem CHADS-Score ≥2 nicht empfohlen (. Tab. 3.16;
kommen, die eine Schrittmacherimplantation erforderlich Calkins et al. 2007).
machen. Eine chirurgische lineare Ablation des atrialen Myokards
Bei therapierefraktärem tachysystolischem Vorhofflimmern im Rahmen einer Maze-Operation kann bei ausgewählten Pa-
kann die Ablation des AV-Knotens (Erfolgsrate >97%, Komplika- tienten in mehr als 80% der Fälle Vorhofflimmern in einen Sinus-
tionsrate ca. 0,8%) mit nachfolgender Schrittmacherimplantation rhythmus überführen. Die Durchführung einer Maze-Operation
zu einer deutlichen symptomatischen Verbesserung ohne Än- erscheint sinnvoll, wenn ohnehin eine Bypassoperation oder ein
derung der Prognose führen. Eine AV-Knoten-Modulation Klappenersatz erfolgt. In etwa 80% der Fälle bleibt postinterven-
(>15%iges Risiko höhergradiger AV-Blockierungen) ist nur selten tionell die atriale Kontraktilität erhalten.
indiziert (Kuck et al. 2007). Interne atriale Defibrillatoren oder eine prophylaktische
Schrittmacherstimulation haben bei der Therapie bzw. der Prä-
Rhythmuskontrolle. vention von Vorhofflimmern bisher nur einen untergeordneten
Stellenwert erlangt.
> Bei Vorhofflimmern, das länger als 48 h persistiert, besteht ein
erhöhtes Thromboembolierisiko.
Thromboembolieprophylaxe. Bei jungen Patienten ohne zusätz-
Vor einer medikamentösen oder elektrischen Kardioversion liche Risikofaktoren ist das Thromboembolierisiko bei Vorhof-
muss bei diesen Patienten eine dreiwöchige systemische Anti- flimmern gering. Diese Patienten müssen nicht antikoaguliert
koagulation durchgeführt werden. Alternativ kann ein Throm- werden. Bei älteren Patienten und bei Patieten mit zusätzlichen
busausschluss durch eine TEE mit unmittelbar anschließender Risikofaktoren besteht hingegen die Indikation zu einer medika-
Heparinisierung (unfraktioniertes oder niedermolekulares mentösen Thromboembolieprophylaxe (. Tab. 3.17 und 3.18;
Heparin) und Kardioversion erfolgen. Wird echokardiogra- Fuster et al. 2006).
phisch ein Thrombus nachgewiesen, muss vor einer elektiven Der Zielwert sollte bei Patienten ohne Klappenersatz bei
Kardioversion zunächst ebenfalls eine Antikoagulation bis zur einem INR von 2–3 (Ziel 2,5) liegen, nach Klappenersatz jedoch
Thrombusauflösung durchgeführt werden. Vorhofflimmern, >2,5.
das kürzer als 48 h andauert, kann unmittelbar kardiovertiert Das Risiko für thrombembolische Komplikationen ist bei
werden. permanentem Vorhofflimmern und paroxysmalem Vorhof-
Eine medikamentöse Kardioversion kann durch Klasse- flimmern vergleichbar. Es besteht Konsens, dass die Antikoagu-
IC-Antiarrhythmika oder auch Amiodaron erzielt werden lation bei Patienten mit Vorhofflimmern, die keinen mecha-
(. Tab. 3.15). nischen Klappenersatz haben, für die Durchführung von Inter-
Die elektrische Kardioversion sollte in Kurznarkose durch- ventionen mit Blutungsrisiko bis zur Dauer von einer Woche
geführt werden (7 Abschn. 3.2.2). Ist eine Kardioversion nicht ohne Heparinsubstitution unterbrochen werden kann (Fuster
erfolgreich, kann die Effektivität durch eine antiarrhythmische et al. 2006).
Vormedikation gesteigert werden.
Bei einer ersten Episode von Vorhofflimmern ist nach Kardio-
. Tab. 3.17. Risikofaktoren für eine Thromboembolie bei Vorhof-
version zumeist keine medikamentöse Rezidivprophylaxe er-
flimmern
forderlich. Bei wiederholt auftretendem Vorhofflimmern kann in
Abhängigkeit von der Symptomatik und der Häufigkeit der Epi- Wenig belegte/ Moderate Hochrisikofaktoren
soden eine medikamentöse Rezidivprophylaxe mit β-Blockern, schwache Risiko- Risikofaktoren
Klasse-IC-Antiarrhythmikum oder Amiodaron (am effektivsten; faktoren
Fuster et al. 2006) erfolgen. Weibliches Geschlecht Alter ≥75 Jahre Stattgehabter Insult/
Die primäre Katheterablation hat das Ziel, Vorhofflimmern Alter 65–75 Jahre Hypertonie TIA/Embolie
zu verhindern. Sie stellt eine »Second-line«-Therapie bei symp- KHK Herzinsuffizienz Mitralstenose
tomatischem Vorhofflimmern und Versagen oder Unverträglich- Thyreotoxikose LV-EF ≤35% Prothetische Herzklappe
Diabetes mellitus
keit von mindestens einem Klasse-I- oder Klasse-III-Antiarrhyth-
mikum dar (Calkins et al. 2007; Fuster et al. 2006). Eine einheit-
liche Vorgehensweise gibt es insbesondere bei chronischem
Vorhofflimmern noch nicht. . Tab. 3.18. Antithrombotische Therapie bei Vorhofflimmern. (Fuster
et al. 2006)
Eine isolierte rechtsatriale Ablation ist bis auf Ausnahmen
(rechtsatrialer Trigger) nicht sinnvoll. Derzeit werden verschie- Risikokategorie Therapieempfehlung
dene linksatriale Ablationstechniken (segmentale/zirkumferen- Kein Risikofaktor Aspirin (81–325 mg/Tag)
zielle Pulmonalvenenisolation und/oder linksatriale lineare Lä-
1 moderater Risikofaktor Aspirin (81–325 mg/Tag) oder Cumarin-
sionen) angewandt. Erfolgsraten werden sehr variabel zwischen
derivat (INR 2,0–3,0; Ziel 2,5)
70 und 97% angegeben. Dabei müssen sich jedoch 25–30% der
Patienten einem Zweiteingriff unterziehen. Als potenzielle Kom- Hochrisikofaktor oder Cumarinderivat (INR 2,0–3,0; Ziel 2,5)
>1 moderater Risikofaktor
plikationen können iatrogene Narbentachykardien, systemische
3.5 · Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher Herztod
103 3
3.5 Ventrikuläre Tachykardien/ Plötzlicher Herztod
plötzlicher Herztod
Definition
Ein plötzlicher Herztod (SCD) liegt bei einem natürlichen Tod
Ventrikuläre Arrhythmien treten sowohl bei Herzgesunden als
kardialer Genese mit abruptem Bewusstseinsverlust ≤1 h nach
auch bei Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen auf. Sie
Symptombeginn vor.
reichen von ventrikulären Extrasystolen und nichtanhaltenden
Kammertachykardien bis zum plötzlichen Herztod.
In Deutschland versterben ungefähr 150.000 Menschen/Jahr an
einem unklaren Herztod. Die Inzidenz des plötzlichen Herztodes
3.5.1 Klassifikation ist deutlich altersabhängig. Bei Adoleszenten und jungen Er-
wachsenen unter dem 35. Lebensjahr liegt sie bei etwa 0,001%/
Definition Jahr und steigt bei Erwachsenen im Alter über 35 Jahren auf ca.
Eine VT liegt bei mehr als 3 konsekutiven ventrikulären Aktio- 0,1–0,2%/Jahr. Männer sind häufiger als Frauen betroffen.
nen vor. Dauert die VT weniger als 30 s, handelt es sich um
> Ein besonders hohes Risiko für einen unerwarteten Herztod
eine nichtanhaltende Kammertachykardie. Persistiert die
haben Patienten, die bereits einen plötzlichen Herztod überlebt
Rhythmusstörung länger als 30 s, liegt eine anhaltende VT vor.
haben. Die Rezidivwahrscheinlichkeit ohne Therapie liegt bei
etwa 30% im ersten Jahr.

Eine monomorphe Tachykardie weist eine konstante QRS-Mor-


phologie auf. Bei wechselnder Konfiguration des QRS-Komplexes Ätiologie. Die Ätiologie des plötzlichen Herztodes ändert sich
handelt es sich um eine polymorphe VT. mit dem Lebensalter. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Eine Sonderform stellt die Torsade-de-pointes-Tachykardie dominieren genetische Ursachen wie eine hypertrophe Kardio-
dar, bei der der elektrische Vektor kontinuierlich wechselt. Diese myopathie oder ein Long-QT-Syndrom (7 Abschn. 3.5.2 »Spezielle
Tachykardieform ist typisch für das Long-QT-Syndrom. Kammer- Krankheitsbilder«). Darüber hinaus finden sich häufig Myokardi-
flattern ist regelmäßig, monomorph mit einer Zykluslänge von tiden oder Koronaranomalien.
etwa 200 ms (300/min). Ventrikuläre Tachykardien können in Im Erwachsenenalter hingegen steht die KHK mit etwa 80%
Kammerflimmern (Zykluslänge <180 ms) mit nicht mehr ab- an erster Stelle. Plötzliche Herztodesfälle können entweder im
grenzbaren QRS-Komplexen im Oberflächen-EKG übergehen. Rahmen einer akuten Ischämie bzw. Reperfusion oder im chro-
Kammerflimmern ist unbehandelt immer tödlich. nischen Stadium zumeist nach abgelaufenem Myokardinfarkt
mit Narbenbildung und konsekutiven Reentrytachykardien auf-
treten. Am zweithäufigsten sind dilatative oder hypertrophe Kar-
3.5.2 Epidemiologie und Pathophysiologie diomyopathien für einen unerwarteten Herztod bei Erwachse-
nen verantwortlich.
Ventrikuläre Extrasystolie bei Herzgesunden Neben strukturellen kardialen Veränderungen spielen funk-
Ventrikuläre Extrasystolen werden zu ca. 0,8% im Ruhe-EKG von tionelle Störungen entweder als primäre Ursache oder als sekun-
Herzgesunden registriert. Einige extrakardiale Erkrankungen därer auslösender Faktor bei der Induktion eines plötzlichen
(z. B. Hyperthyreose, Elektrolytstörungen, Infektionserkrankun- Herztodes eine wesentliche Rolle (7 Übersicht 3.5). Von zentraler
gen) können ventrikuläre Extrasystolen begünstigen. Bei Herz- Bedeutung sind Elektrolytverschiebungen (besonders Hypokali-
gesunden kommt ventrikulären Extrasystolen in Ruhe keine ämie), Acidose oder Ischämie.
prognostische Bedeutung zu. Während Belastung bzw. in der
Erholungsphase scheinen sie auf ein erhöhtes Langzeitrisiko
hinzudeuten, sind aber außer ggf. mit β-Blockern nicht behand- Übersicht 3.5. Funktionelle Ursachen des plötzlichen
lungspflichtig. Herztodes

Ventrikuläre Extrasystolie bei struktureller 4 Akute Ischämie/Reperfusion


Herzerkrankung 4 Hämodynamische Insuffizienz
Liegt eine strukturelle Herzerkrankung vor, so sind komplexe 4 Elektrolytstörung (v. a. Hypokaliämie)
ventrikuläre Extrasystolen mit einer erhöhten Sterblichkeit asso- 4 Hypoxämie
ziiert. Dies korreliert aber wesentlich mit der Schwere der kardi- 4 Acidose
alen Dysfunktion. 4 Proarrhythmische Medikamente
4 Andere Ursachen
Kammertachykardie/-flimmern
Ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern treten am
häufigsten bei ausgeprägter struktureller Herzerkrankung, be- Pathogenese. Wegen der unterschiedlichen Grunderkrankun-
sonders oft nach durchgemachtem Myokardinfarkt, auf. Darüber gen, die zu einem plötzlichen Herztod führen können, sind auch
hinaus können verschiedene andere Ursachen wie z. B. mono- die Pathomechanismen bei einzelnen Patienten verschieden.
genetische Herzerkrankungen zu VT führen. Liegt keine kardiale Meist ist es nicht möglich zu erfassen, welches rhythmogene
Grunderkrankung vor, handelt es sich um eine idiopathische VT Ereignis primär einem plötzlichen Herztod zugrunde liegt. Ein
(7 Abschn. 3.5.2 »Spezielle Krankheitsbilder«). Die Prognose wird Notarzt registriert in mehr als 60% der Fälle Kammerflimmern
entscheidend von der zugrunde liegenden Herzerkrankung be- und in etwa 30% eine Bradykardie oder Asystolie. Nur bei ca. 7%
einflusst. der Betroffenen wird eine VT dokumentiert. Hingegen fand sich
104 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

in Langzeit-EKG-Registrierungen, die während eines plötzlichen


. Tab. 3.19. Risikofaktoren für einen plötzlichen Herztod bei hyper-
Herztodes bei Patienten erfolgten, in mehr als 60% der Fälle eine tropher Kardiomyopathie. (Zipes et al. 2006)
VT, die im weiteren Verlauf jedoch in Kammerflimmern und
schließlich in eine Asystolie degenerierte. Hochrisikofaktor Möglicher Risikofaktor
Dies ist insofern von Bedeutung, da Patienten mit Kammer- Herzstillstand (Kammerflimmern) Vorhofflimmern
flimmern oder gar einer Asystolie eine wesentlich schlechtere Spontane anhaltende VT Myokardischämie
3 weitere Prognose im Vergleich zu Patienten mit primär doku- Familienanamnese für plötzlichen Linksventrikuläre Ausfluss-
Herztod traktobstruktion
mentierter VT haben. Aus diesem Grund könnten sich, wie be-
Unklare Synkope Hochrisikomutation
reits an Flughäfen belegt, eine frühzeitige Reanimation und ent-
Linksventrikuläre Myokarddicke ≥30 mm Intensive (kompetetive)
sprechende Defibrillation auch durch Laien für viele Patienten als Anomaler Blutdruck unter Belastung körperliche Anstrengung
sinnvoll erweisen. Nichtanhaltende spontane VT

Spezielle Krankheitsbilder
Ischämische Kardiomyopathie/Postinfarktphase ist zudem bei ausgeprägter Myokardhypertrophie und einer po-
Im Rahmen eines akuten Myokardinfarktes kommt es in ca. 10% sitiven Familienanamnese für einen plötzlichen Herztod hoch
der Fälle zu primärem Kammerflimmern. In etwa 60% der Fälle (. Tab. 3.19). Fehlen jegliche ventrikuläre Rhythmusstörungen,
tritt dieses innerhalb der ersten 6 h nach Symptombeginn ein. ist eher von einer günstigen Prognose auszugehen.
Mit weiterem Abstand vom Infarktbeginn nimmt die Häufigkeit
progredient ab. Kammerflimmern ist wahrscheinlich die wesent- Arrhythmogene rechtsventrikuläre
lichste akute Todesursache im Rahmen des Infarktgeschehens. Kardiomyopathie
Als Pathomechanismus wird eine Kreiserregung im linken Vent- Bei der ARVC kommt es gehäuft zu VT und einem plötz-
rikel postuliert. Ventrikuläre Tachyarrhythmien in den ersten lichen Herztod. Ein ε-Potenzial (niedriges Potenzial am Ende
24–48 h eines Myokardinfarktes implizieren aber kein erhöhtes des QRS-Komplexes) im Ruhe-EKG ist charakteristisch, aber
Langzeitrisiko. selten. Als arrhythmogenes Substrat findet sich ein Ersatz des
Monomorphe VT treten besonders häufig im chronischen rechtsventrikulären Myokards durch fibrolipomatöses Gewebe
Infarktstadium auf. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich meist (besonders rechtsventrikulärer Ausflusstrakt, Subtrikuspi-
um Kreiserregungen um eine Myokardnarbe. Die Prognose von dalregion, freie rechtsventrikuläre Wand). Dementsprechend
Postinfarktpatienten verschlechtert sich mit abnehmender haben VT typischerweise eine Linksschenkelblockkonfigura-
Pumpfunktion. tion. Pathophysiologisch wird ein Reentrymechanismus ange-
nommen, da die Tachykardien meist durch programmierte
> Postinfarktpatienten mit nichtanhaltenden oder gar anhalten-
Elektrostimulation induziert und terminiert werden können.
den VT und reduzierter EF haben ein hohes plötzliches Herz-
Prognostisch sind das Ausmaß der rechtsventrikulären Dilata-
todesrisiko.
tion und eine linksventrikuläre Beteiligung von wesentlicher
Bedeutung.
Dilatative Kardiomyopathie
Auch bei dilatativer Kardiomyopathie finden sich nichtanhal- Genetische Arrhythmiesyndrome
tende VT, die an Häufigkeit mit progredienter linksventrikulärer Genetische Arrhythmiesyndrome sind mit einer geschätzten
Funktionsstörung und Verschlechterung der Symptomatik zu- Prävalenz von 5/10.000 in der Bevölkerung selten. Angeborene
nehmen. Anhaltende VT werden nur relativ selten dokumentiert, Erkrankungen von Ionenkanälen oder assoziierter Proteine
sind jedoch bei dilatativer Kardiomyopathie ebenfalls mit einem (. Tab. 3.2) wie das Long-QT-Syndrom, Short-QT-Syndrom,
hohen plötzlichen Herztodesrisiko assoziiert. Zudem haben Pa- Brugada-Syndrom oder die CPVT-Mutationen gehen mit einem
tienten mit unklarer Synkope eine ungünstige Prognose. Da VT erhöhten Risiko für VT und einen plötzlichen Herztod einher.
bei dilatativer Kardiomyopathie in der EPU nur selten induziert Beim Long-QT-Syndrom (LQTS) können Synkopen, Tor-
werden können, geht man pathophysiologisch nicht von ursäch- sade-de-pointes-Tachykardien und plötzliche Herztodesfälle auf-
lichen stabilen Kreiserregungen aus. Wahrscheinlich spielt eine treten. Ursächlich wurden 10 verschiedene Gendefekte identi-
gesteigerte Automatie oder eine getriggerte Aktivität ebenfalls fiziert (. Tab. 3.2). Funktionell resultiert eine Verlängerung des
eine wesentliche Rolle. Aktionspotenzials und damit der QT-Zeit im Oberflächen-EKG.
Die Genotyp-Phänotyp-Korrelation des Long-QT-Syndroms ist
Bundle-Branch-Reentrytachykardie. Eine VT-Sonderform stellt sehr variabel.
die Bundle-Branch-Reentrytachykardie dar. Der Arrhythmie Ein besonders hohes Arrhythmierisiko haben Patienten nach
liegt eine Kreiserregung im Bereich des ventrikulären Reizlei- erfolgreicher Reanimation (Rezidiv ca. 13%), LQTS-1- und
tungssystems und Myokards zugrunde. Zumeist findet sich diese LQTS-2-Patienten mit einer QTc-Zeit >500 ms sowie Männer
Tachykardieform bei Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie. mit LQTS 3 unabhängig von der QT-Dauer. Für die 3 häufigsten
Bundle-Branch-Reentrytachykardien können zu Synkopen und Varianten wurden zudem genspezifische Trigger für kardiale Er-
unerwarteten Herztodesfällen führen. eignisse identifiziert:
4 LQTS 1: Belastung (besonders schwimmen),
Hypertrophe Kardiomyopathie 4 LQTS 2: akustische Stimuli und
Bei der hypertrophen Kardiomyopathie können gehäuft ventri- 4 LQTS 3: Ruhe, Schlaf.
kuläre Salven und nichtanhaltende VT registriert werden, die mit
einem erhöhten plötzlichen Herztodesrisiko verbunden sind. Die Familienanamnese ist für die Risikoabschätzung nicht hilf-
Anhaltende VT werden relativ selten dokumentiert. Das Risiko reich.
3.5 · Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher Herztod
105 3

Darüber hinaus wurde ein Short-QT-Syndrom identifiziert,


das ebenfalls mit einer erhöhten Inzidenz plötzlicher Herztodes- Übersicht 3.6. Klinische Präsentation von Patienten mit
fälle, besonders bei Kindern und jungen Erwachsenen, assoziiert ventrikulären Arrhythmien und plötzlichem Herztod
ist. Das QT-Intervall der Betroffenen lag zwischen 210 und 270 ms.
Als diagnostisch wurde eine QT-Dauer <300 ms vorgeschlagen. 4 Asymptomatisch
Ätiologisch wurden Mutationen von Kaliumkanälen, die an der 4 Symptome mit potenziellem Zusammenhang zu ventri-
späten Repolarisation beteiligt sind, gefunden (. Tab. 3.2). Spezi- kulärer Arrhythmie
fische Trigger für Arrhythmien sind bisher nicht bekannt. – Palpitationen
Beim Brugada-Syndrom können VT mit Degeneration in – Dyspnoe
Kammerflimmern und plötzliche Herztodesfälle auftreten. Es – Angina pectoris
wurden Gendefekte, die zu einer Verminderung des Natrium- – Synkope/Präsynkope
stroms führen, identifiziert (. Tab. 3.2). Typisch sind rechtsprä- 4 Hämodynamisch stabile VT (u. a. Herzrasen)
kordiale bogenförmige ST-Hebungen mit begleitender T-Nega- 4 Hämodynamisch instabile VT (u. a. Hypotension, Gewebe-
tivierung (Typ-1-EKG). Sattelförmige rechtspräkordiale ST-He- minderperfusion)
bungen und eine alleinige Erhöhung des J-Punkts (Typ-2- und 4 Herzstillstand (u. a. Bewusstlosigkeit, Gewebeminder-
Typ-3-EKG) sind unspezifisch und weisen in der Regel nur dann perfusion, plötzlicher Herztod)
auf ein Brugada-Syndrom hin, wenn sie durch Klasse-IC-Anti- – Asystolie
arrhythmika in ein Typ-1-EKG überführt werden könnnen. Synko- – VT
pen und ein spontanes Typ-1-EKG gelten als Risiko. Man nimmt – Kammerflimmern
an, dass bei etwa 10–20% der Patienten mit idiopathischem Kam- – Pulslose elektrische Aktivität
merflimmern ein Brugada-Syndrom zugrunde liegt. Zusätzlich
können supraventrikuläre Tachykardien auftreten.
Die CPVT tritt typischerweise bei körperlichem oder emo-
tionalem Stress auf. Verschiedene Gendefekte kalziumregu- 3.5.4 Diagnostik
lierender Proteine, aber auch des einwärtsgleichrichtenden
Kaliumkanals wurden identifiziert (. Tab. 3.2). Als hohes Risiko Anamnese
für einen unerwarteten Herztod gelten hämodynamisch rele- Bereits die Anamnese kann auf ein erhöhtes Risiko für einen
vante Tachykardien, besonders, wenn diese unter β-Blocker- plötzlichen Herztod hindeuten. Bei Jugendlichen und jungen Er-
Gabe auftreten. Als typische Morphologie wird die bidirektio- wachsenen können plötzliche Herztodesfälle in der Familie, aber
nale VT mit alternierender Rotation der QRS-Achse um 180° auch vorausgegangene Synkopen und Präsynkopen wegweisend
beobachtet. für eine genetische Erkrankung (»genetic susceptibility factor«)
sein. In der erwachsenen Allgemeinbevölkerung ist ein gesteiger-
Idiopathische ventrikuläre Tachykardien tes plötzliches Herztodesrisiko mit den »klassischen« koronarvas-
Ventrikuläre Tachykardien werden als idiopathisch bezeichnet, kulären Risikofaktoren (Hyperlipoproteinämie, Rauchen, Diabe-
wenn eine strukturelle Herzerkrankung ausgeschlossen wurde. tes mellitus, arterielle Hypertonie; 7 Übersicht 3.7) eng verknüpft.
Die Prognose ist meist gut; selten treten Synkopen auf. Bei
rechtsventrikulärem Ursprung, zumeist im Bereich des Aus-
flusstrakts finden sich eine linksschenkelblockartige Konfi- Übersicht 3.7. Risikofaktoren für einen plötzlichen
guration und oft ein Steil- oder Rechtstyp. Die Tachykardien Herztod in der erwachsenen Bevölkerung
manifestieren sich bevorzugt unter körperlicher Belastung oder
sympathischer Stimulation. Häufig finden sich ventrikuläre 4 Eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion
Extrasystolen oder nichtanhaltende Tachykardien mit gleicher 4 Steigendes Lebensalter
QRS-Morphologie. 4 Männliches Geschlecht
Bei linksventrikulären idiopathischen Tachykardien zeigt 4 Rauchen
sich im EKG eine rechtsschenkelblockartige Konfiguration 4 Hyperlipidämie
oft mit Linkslagetyp. Es werden die Ausflusstrakttachykardien 4 Diabetes mellitus
(Automatie, getriggerte Aktivität im linksventrikulären Ausfluss- 4 Arterielle Hypertonie (speziell mit linksventrikulärer Hy-
trakt, Pulmonalarterienhauptstamm oder Aortenbulbus) und pertrophie)
die idiopathische verapamilsensitive linksventrikuläre Tachy- 4 Schwerer Alkoholkonsum (»binge drinking«)
kardie (Reentry unter Beteiligung des Purkinje-Systems) unter- 4 Bewegungsmangel (Cave: Sport bei Trainingsmangel)
schieden. 4 Depression (»worrier«)
4 Medikation (»QT-Verlängerung«)
Speziell nach Myokardinfarkt bzw. bei Herzinsuffizienz
3.5.3 Klinische Präsentation 4 Erhöhte Frequenz in Ruhe
4 Früh einfallende ventrikuläre Extrasystolen >10/h
Die Symptomatik hängt von der Art der Arrhythmie (Dauer, Fre- 4 VT
quenz) und dem Vorliegen bzw. dem Schweregrad einer Herz- 4 Spätpotenziale
erkrankung ab. Beschwerden können von milden Palpitationen 4 QT-Dispersion
über Herzrasen bis zum funktionellen Herzstillstand reichen 4 Reduzierte Herzfrequenzvariabilität (SDNN <70 ms)
(7 Übersicht 3.6). Ventrikuläre Tachykardien können Ursache un- 4 Reduzierte Baroreflexsensitivität
klarer Synkopen sein.
106 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

Eine Einschränkung dieser Parameter besteht jedoch darin, haben Spätpotenziale jedoch nur eine geringe positiv prädiktive
dass sie eher auf das Vorliegen einer strukturellen Herzerkran- Genauigkeit, sodass ihnen in der klinischen Praxis keine Bedeu-
kung hinweisen, die häufig mit einem plötzlichen Herztod einher- tung zukommt.
geht, jedoch weniger das Risiko für das exakte Todesereignis iden-
tifizieren. QT-Intervall-Dispersion/T-Wellen-Alternans
Als Marker einer gestörten kardialen Repolarisation scheint eine
3 Elektrokardiogramm erhöhte QT-Intervall-Dispersion (die Differenz zwischen der
Oberflächen-EKG maximalen und der minimalen QT-Intervall-Dauer in verschie-
denen Standard-EKG-Ableitungen) auf ein gesteigertes Arrhyth-
> Bei jedem Patienten, bei dem eine ventrikuläre Tachyarrhythmie
mierisiko hinzudeuten. Aufgrund der Schwierigkeit einer akku-
abgeklärt wird, muss ein Ruhe-EKG geschrieben werden (Emp-
raten Bestimmung der QT-Intervall-Dispersion sind Daten über
fehlungsgrad I, Evidenzgrad A).
den prädiktiven Wert bisher jedoch noch widersprüchlich.
Meist finden sich nur unspezifische Hinweise für eine strukturelle Ähnliches gilt für den T-Wellen-Alternans, eine variierende
Herzerkrankung, wie z. B. ST-Strecken-Veränderungen, Myokard- T-Wellen-Amplitude, die nur mit speziellen EKG-Registriertech-
hypertrophiezeichen, Zeichen eines abgelaufenen Herzinfarktes. niken erfasst werden kann. Randomisierte Studien deuten eher
Nur selten werden spezifische Veränderungen bei Ionen- auf einen untergeordneten Stellenwert hin.
kanaldefekten (z. B. Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom), bei
WPW-Syndrom oder bei rechtsventrikulärer Dysplasie (ε-Poten- Langzeit-EKG
zial) registriert (. Abb. 3.11; 7 Abschn. 3.5.2 »Spezielle Krankheits- Im Langzeit-EKG können nichtanhaltende und anhaltende VT
bilder«). Stets sollte die QT-Dauer bestimmt werden. Die Normal- registriert werden. Wegen des unregelmäßigen Auftretens vent-
werte der frequenzkorrigierten QT-Zeit (QTc) liegen für Männer rikulärer Arrhythmien schließt ein Normalbefund bei klinischem
bei <430 ms und für Frauen bei <450 ms. Ein QTc-Intervall Verdacht auf ventrikuläre Rhythmusstörungen diese jedoch kei-
<300 ms wird meist als Hinweis für ein Short-QT-Syndrom ge- nesfalls aus.
wertet.
Zudem muss auf rechtspräkordiale ST-Hebungen mit T-Nega- Belastungs-EKG
tivierung in V1–V3 im Sinne eines Typ-1-Brugada-EKG geachtet Das Belastungs-EKG hat eine wesentliche Bedeutung bei der Do-
werden. Bei einem Typ-2- und Typ-3-Brugada-EKG sollte durch kumentation belastungsinduzierter Arrythmien, u. a. der CPVT,
Klasse-IC-Antiarrhythmika-Gabe (z. B. Ajmalin 1 mg/kgKG) ge- sowie zur Detektion von Myokardischämien. Die CPVT kann oft
testet werden, ob ein Typ-1-EKG provoziert werden kann (7 Ab- beim Überschreiten einer Grenzfrequenz von 120–130/min in-
schn. 3.5.2 »Genetische Arrhythmiesyndrome«). duziert werden.

Hochverstärktes EKG Echokardiographie/Herzkatheteruntersuchung


Spätpotenziale im hochverstärkten EKG, besonders beim Postin-
> Eine eingeschränkte EF (linksventrikuläre systolische Dysfunk-
farktpatienten, sind mit einem erhöhten plötzlichen Herztodes-
tion) ist der wesentlichste unabhängige Risikofaktor für einen
risiko verbunden. Trotz eines hohen negativ prädiktiven Wertes
plötzlichen Herztod.

Die linksventrikuläre Pumpfunktion kann gut durch die Echo-


kardiographie beurteilt und verlaufskontrolliert werden. Echo-
kardiographisch können zudem wesentliche Anhalte über regio-
nale Wandbewegungsstörungen, die Myokarddicke oder Klappen-
vitien erhoben werden.
Bei unklaren VT bzw. Kammerflimmern ist meist die Indika-
tion für eine Koronarangiographie gegeben. Im Rahmen der Herz-
katheteruntersuchung können ebenfalls die linksventrikuläre und
ggf. die rechtsventrikuläre Pumpfunktion beurteilt werden.

Elektrophysiologische Untersuchung
Die EPU wird meist bei ventrikulärer Arrhythmie und unklarem
Mechanismus eingesetzt (Willems et al. 2007).

Ischämische Kardiomyopathie/Postinfarktphase
> Bei Patienten mit koronarer Makroangiopathie besteht bei
regelmäßigen Tachykardien mit breitem Kammerkomplex und
unklarem Mechanismus die Indikation zur EPU (Empfehlungs-
grad I, Evidenzgrad B).

a b Zur Risikostratifizierung hat die EPU nur eine sehr einge-


. Abb. 3.11. Oberflächen-EKG bei a Brugada-Syndrom mit typischer schränkte Bedeutung. Der stärkste unabhängige Prädiktor für
ST-Strecken-Hebung und Rechtsschenkelblockkonfiguration in den Ab- das Auftreten eines plötzlichen Herztodes bei Patienten mit KHK
leitungen V1–V3. b Typisches ε-Potenzial (Pfeil) in den Ableitungen V1–V3 ist die Einschränkung der Pumpfunktion. In der chronischen
bei arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie (ARVC) Postinfarktphase sollte eine EPU nur im Grenzbereich der Ent-
3.5 · Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher Herztod
107 3

scheidungsfindung bei moderat reduzierter EF (30–40%) als zu- flimmern bei unklarem Mechanismus und sonst nur mit Ziel der
sätzlicher Parameter zur Identifikation von Risikopatienten er- Katheterablation indiziert.
wogen werden (Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad B).
Nach überlebtem plötzlichen Herztod aufgrund von Kam-
merflimmern oder einer VT (ohnehin ICD-Indikation) sowie 3.5.5 Akutes Management
bei ventrikulären Arrhythmien im Rahmen einer Ischämie oder
akuten Infarktphase (<48 h, reversible Ursache) ergibt sich keine Bei hämodynamisch relevanten VT und Kammerflimmern sollte
Notwendigkeit für eine EPU. möglichst schnell eine Defibrillation (biphasisch 120–200 J,
monophasisch 360 J) erfolgen. Kann diese die Arrhythmie nicht
Dilatative Kardiomyopathie terminieren, ist die Defibrillation nach Suprareningabe zu wieder-
Die prognostische Aussagekraft einer programmierten Kammer- holen. Parallel muss, falls nötig, die Zirkulation durch eine me-
stimulation ist äußerst begrenzt. Auch die Nichtauslösbarkeit von chanische Reanimation aufrechterhalten werden.
VT ist im Hinblick auf das Auftreten zukünftiger Rhythmus-
> Kommt es zu Akutrezidiven der VT oder ist eine Defibrillation
störungen nur von geringer Bedeutung. Als Sonderform findet
auch unter Suprarenin nicht erfolgreich, stellt die i.v.-Gabe von
sich bei 20–40% mit anhaltender monomorpher VT eine Bundle-
Amiodaron (5 mg/kgKG) vor einer erneuten Defibrillation die
Branch-Reentrytachykardie, die gut abladiert werden kann. Die
Therapie der Wahl dar.
Indikation zu einer EPU besteht somit nur bei dokumentierter
regelmäßiger Tachykardie mit breitem QRS-Komplex zur Klä- Bei hämodynamisch tolerierten Tachykardien kann zunächst
rung des Mechanismus (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C). eine medikamentöse Terminierung versucht werden. Hierzu
eignen sich Amiodaron oder Ajmalin. Im Rahmen einer akuten
Hypertrophe Kardiomyopathie Myokardischämie kann ggf. auch Lidocain zum Einsatz kom-
Zur Bedeutung einer EPU für die Risikostratifizierung bei hyper- men. Sind diese Medikamente nicht erfolgreich, sollte eine Defib-
tropher Kardiomyopathie liegen widersprüchliche Daten vor rillation in Kurznarkose durchgeführt werden.
(ca. 30% mit überlebtem Herztod nicht induzierbar; 92% nicht- Bei Torsade-de-pointes-Tachykardien, die durch einen SA-/
induzierbare Patienten ereignisfrei über 5 Jahre). Eine EPU kann AV-Block bzw. symptomatische Bradykardien bedingt sind,
bei Synkopen, positiver Familienanamnese oder nichtanhalten- sollte akut eine Stimulation erfolgen. Zudem kann bei Torsade-
den VT im Langzeit-EKG als additiver Parameter für die Risiko- de-pointes-Tachykardien und auch digitalisinduzierter VT die
abschätzung erwogen werden (Empfehlungsgrad IIb, Evidenz- Gabe von Magnesium hilfreich sein. Ein präkordialer Faustschlag
grad C). vermag nur selten eine VT zu terminieren.
Neben einer akuten Therapie und Terminierung der ventri-
Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie kulären Tachyarrhythmie sollte immer angestrebt werden, evtl.
Neben der klinischen VT können meist durch eine Kammer- auslösende Ursachen zeitnah zu korrigieren (z. B. Myokardischä-
stimulation noch weitere VT-Morphologien induziert werden. mie, Elektrolyte, proarrhythmische Pharmaka).
Eine programmierte Kammerstimulation ist zur Identifizierung
von Risikopatienten nur von begrenztem Wert (Empfehlungs-
grad IIb, Evidenzgrad C). 3.5.6 Langzeittherapie

Genetische Arrhythmiesyndrome Bei Patienten mit ventrikulären Tachyarrhythmien steht zunächst


Eine EPU hat keinen Stellenwert beim Long-QT-Syndrom. die Behandlung möglicher kausaler Ursachen im Vordergrund.
Die Erfahrungen mit einer EPU beim Short-QT-Syndrom Dies umfasst u. a. einen Ausgleich von Elektrolytstörungen, Ver-
sind begrenzt. Es finden sich meist eine sehr kurze atriale und zicht auf proarrhythmische Pharmaka, eine kardiale Rekompen-
ventrikuläre Refraktärzeit und hohe Induktionsrate anhaltender sation und eine adäquate Myokardrevaskularisation. Beim Aus-
VT; dies kann zur Diagnosesicherung und zur Risikoabschät- schluss kausaltherapierbarer Ursachen besteht die Option einer
zung beitragen (Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad C). medikamentösen Behandlung, der Implantation eines ICD, der
Die prognostische Bedeutung einer EPU beim Brugada-Sy- Katheterablation oder selten einer antitachykarden Operation
drom ist umstritten, wahrscheinlich eher gering. Nur bei asymp- (Zipes et al. 2006).
tomatischen Patienten (symptomatisches Brugarda-Syndrom
ohnehin ICD-Indikation) mit Typ-1-Brugada-EKG oder Typ- Nichtmedikamentöse Maßnahmen
2/3-Brugada-EKG, das mit Antiarrhythmika in Typ 1 überführt Die Auswirkungen von Sport auf die Inzidenz des plötzlichen
werden kann, ist eine EPU zu erwägen (Empfehlungsgrad IIb, Herztodes sind seit Langem in der Diskussion. In der »Physicians
Evidenzgrad C). Health Study« kam es innerhalb von 12 Jahren bei 21.481 subjek-
Bei CPVT kann eine VT oft schon durch das Belastungs- tiv gesunden Männern zu 122 plötzlichen Todesfällen. Zwar stieg
EKG provoziert werden. Bei einer EPU sind VT meist nicht durch das relative Risiko eines unerwarteten Todes während und bis zu
Stimulation, aber durch Orciprenalin induzierbar. 30 min nach sportlicher Betätigung etwas an, durch ein regel-
mäßiges moderates Ausdauertraining (1-mal/Woche, ca. 6 MET,
Idiopathische ventrikuläre Tachykardien >30 min) ließ sich das Gesamtrisiko eines plötzlichen Herztodes
Die Mehrzahl idiopathischer VT zeigt ein charakteristisches hingegen reduzieren.
Oberflächen-EKG (meist Linksschenkelblock und inferiore
Achse bei Ursprung im rechtsventrikulären Ausflusstrakt). Bei > Die primärprophylaktische Wirkung des Sports wird über
Patienten ohne kardiale Grunderkrankung ist eine EPU nach eine Vagusaktivierung erklärt, die mit einer ventrikulären elek-
symptomatischer Tachykardie oder idiopathischem Kammer- trischen Stabilisierung einhergeht.
108 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

Bei Arrhythmien, die durch Katecholamine begünstigt werden ren, basierend auf einer niedrigeren plötzlichen Herztodesrate.
(z. B. Long-QT-Syndrom), sollten kompetitive Belastungen ver- Klinische Studien sind derzeit widersprüchlich.
mieden werden.
Statine. Es gibt Anhalte, dass Statine das Auftreten lebensbedroh-
Medikamentöse Therapie licher ventrikulärer Arrhythmien bei Patienten mit hohem kar-
Antiarrhythmika diovaskulären Risiko reduzieren. Man postuliert einen stabilisie-
3 Antiarrhythmika, außer β-Blocker, sollten nicht primär zur The- renden Effekt auf die Zellmembran von Kardiomyozyten.
rapie ventrikulärer Arrhythmien oder zur Verhinderung eines
plötzlichen Herztodes eingesetzt werden. Für kein Antiarrhyth- Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator
mikum (außer β-Blocker) wurde eine Senkung akuter Herztode Grundsätzlich muss die Primärprävention eines plötzlichen
belegt. Sie haben vielmehr potenzielle proarrhythmische Effekte. Herztodes von der Sekundärprophylaxe nach vorausgegangenem
Generell sollte keine reine EKG-Kosmetik mit einer Suppres- symptomatischen Arrhythmieereignis oder »überlebtem plötz-
sion ventrikulärer Extrasystolen betrieben werden. Eine serielle lichen Herztod« abgegrenzt werden.
Antiarrhythmikatestung durch wiederholte EPU hat heutzutage
> Zur Sekundärprävention nach überlebtem plötzlichen Herztod
keinen Stellenwert mehr bei der VT-Behandlung.
sowie bei hämodynamisch relevanten anhaltenden VT (ohne
reversible Ursache) besteht in der Regel die Indikation zur
β-Blocker. In mehreren randomisierten prospektiven Studien
Implantation eines ICD (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A).
wurde klar belegt, dass eine β-Blocker-Therapie bei Postinfarkt-
patienten die plötzliche Herztodesrate um 30–40% mindert; dies Hierdurch kann im Vergleich zu keiner Medikation oder einer
gilt auch bei vorbestehender ACE-Hemmer-Medikation (Emp- antiarrhythmischen Therapie auch mit Amiodaron eine deut-
fehlungsgrad I, Evidenzgrad A). liche Prognoseverbesserung erzielt werden. Diese ist besonders
Zudem wird bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz ausgeprägt bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer
(EF≤35%) im NYHA-Stadium II–IV unabhängig von der zu- Pumpfunktion (EF ≤35%).
grunde liegenden Ätiologie der Herzinsuffizienz durch β-Blocker Zur Primärprävention eines plötzlichen Herztodes kann da-
die Inzidenz plötzlicher Herztodesfälle um etwa 40% reduziert rüber hinaus entsprechend der Ergebnisse der MADIT-II- und
(Hoppe et al. 2005; Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A). SCD-HeFT-Studie bei Patienten mit postinfarziell höchstgradig
β-Blocker können beim Long-QT-Syndrom und bei der eingeschränkter Pumpfunktion (EF <30%) oder ischämischer/
CPVT zur Suppression von Arrhythmien eingesetzt werden. Ein nichtischämischer Kardiomyopathie im NYHA-Stadium II–III
günstiger prognostischer Effekt ist aber nicht sicher belegt. ohne vorausgegangenes Arrhythmieereignis eine ICD-Implan-
tation erwogen werden (7 Abschn. »Therapie bei speziellen Krank-
Amiodaron. Seit der Verfügbarkeit von ICD hat eine medika- heitsbildern«). Die Indikation zur ICD-Implantation muss selbst-
mentöse antiarrhythmische Therapie bei Patienten mit ventriku- verständlich unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen
lären Tachyarrhythmien oder überlebtem plötzlichen Herztod und des Patientenwunsches individuell gestellt werden.
einen untergeordneten Stellenwert. Das derzeit effektivste Antiar- Bei monogenetischen Erkrankungen zumeist im jüngeren
rhythmikum Amiodaron ist prognostisch jedoch einer ICD-Ver- Alter kann individuell bei Hochrisikopatienten z. B. mit voraus-
sorgung unterlegen. Somit besteht die Indikation zu einer anti- gegangenen Synkopen und dokumentierten VT die Indikation zu
arrhythmischen Medikation lediglich bei Patienten, die Kontra- einer ICD-Implantation gestellt werden (7 Abschn. »Therapie bei
indikationen gegen eine ICD-Implantation vorweisen oder diese speziellen Krankheitsbildern«). Hierbei handelt es sich jedoch stets
ablehnen (in der Regel mit Amiodaron in Kombination mit um eine klinische Entscheidung. Randomisierte kontrollierte
einem β-Blocker). Zudem kann diese Medikation zur Vermei- Studien liegen nicht vor.
dung häufiger Schockabgaben zum Einsatz kommen.
Katheterablation
Nichtantiarrhythmische Medikamente Die Katheterablation hat bei idiopathischen Tachykardien und
ACE-Hemmer. Nach abgelaufenem Myokardinfarkt senkt eine der Bundle-Branch-Reentrytachykardie einen wesentlichen
ACE-Hemmer-Therapie bei Patienten mit und ohne Herzinsuffi- Stellenwert (Kuck et al. 2007). Diese Tachykardien können
zienzzeichen die Rate plötzlicher Herztodesfälle. bei mehr als 90% der Betroffenen mit nur niedriger Rezidivrate
von etwa 10% effektiv abladiert werden. Bei struktureller Herz-
Aldosteronantagonisten. Bei schwerst herzinsuffizienten Patien- erkrankung hingegen kommt der Katheterablation nur eine
ten im NYHA-Stadium III–IV mit einer EF ≤35% kann eine untergeordnete Bedeutung zu. Auch bei primärem Erfolg ist die
niedrig dosierte Aldosteronblockade (Spironolacton 12,5–50 mg/ Rezidivrate mit 20–40% sehr hoch, wahrscheinlich aufgrund der
Tag) im Vergleich zu Placebo signifikant die Gesamtsterblichkeit Progression der Grunderkrankung und damit des arrhythmo-
und speziell die plötzlichen Herztodesfälle reduzieren. Dieser genen Substrats (7 Abschn. »Therapie bei speziellen Krankheits-
Effekt wird zusätzlich zu ACE-Hemmern und β-Blockern beob- bildern«). Bei unaufhörlichen (»incessant«) VT kann eine Kathe-
achtet. Auch beim Postinfarktpatienten mit symptomatischer terablation meist in Kombination mit einer pharmakologischen
systolischer Kontraktionsstörung (EF≤35%) fand sich unter Behandlung und oft bereits nach ICD-Implantation indiziert
niedrig dosiertem Aldosteronantagonist (Eplerenon 12,5–50 mg/ sein.
Tag) eine Senkung der unerwarteten Herztode.
Antitachykarde Operation
Omega-3-Fettsäuren. Epidemiologische Untersuchungen und Die chirurgische Behandlung ventrikulärer Arrhythmien um-
Observationsstudien zeigen eine reduzierte kardiovaskuläre fasst die Ablation oder gezielte, elektrophysiologisch gesteuerte
Sterblichkeit bei der Einnahme mehrfach ungesättigter Fettsäu- Exzision eines arrhythmogenen Herdes, eine kardiale Sympath-
3.5 · Ventrikuläre Tachykardien/plötzlicher Herztod
109 3

ektomie oder Aneurysmaresektion. Diese Prozeduren haben Stadium III–IV Aldosteronantagonist, die Basis dar. Hierdurch
aber nur einen untergeordneten Stellenwert. kann das Risiko für einen plötzlichen Herztod deutlich gesenkt
werden (Hoppe et al. 2005).
Therapie bei speziellen Krankheitsbildern Sind bei Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie bereits
Ischämische Kardiomyopathie/Postinfarktphase symptomatische ventrikuläre Arrhythmien aufgetreten, so kön-
Im Vordergrund steht zunächst eine optimale Revaskularisation; nen Rezidive am effektivsten durch eine ICD-Implantation ver-
hierdurch können oft ischämieinduzierte Tachykardien vermie- mieden werden (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A).
den werden. Nach Myokardinfarkt und bei systolischer ischämi- Zur Primärprävention wurde in früheren Untersuchungen bei
scher Herzinsuffizienz kann das Risiko für ventrikuläre Arrhyth- dilatativer Kardiomyopathie kein Überlebensvorteil durch eine
mien durch ACE-Hemmer- und β-Blocker-Gabe reduziert wer- ICD-Implantation erzielt (CAT-, AMIOVIRT-, DEFINITE-Stu-
den (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A). die). In der SCD-HeFT-Studie konnte jedoch ein ICD bei einer EF
Ein Aldosteronantagonist in niedriger Dosis (25 mg/Tag) ≤35% auch bei nichtischämischer Kardiomyopathie im NYHA-
vermindert zusätzlich bei schwerer systolischer Herzinsuffizienz Stadium II–III die Sterblichkeit reduzieren. Die relative Risiko-
im NYHA-Stadium III–IV und bei Patienten nach Myokard- reduktion war vergleichbar, die absolute Risikoreduktion aufgrund
infarkt mit symptomatischer systolischer Dysfunktion (EF ≤35%) eines geringeren Gesamtrisikos aber niedriger als bei ischämischer
die Rate plötzlicher Herztode (Hoppe et al. 2005). Kardiomyopathie (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B).
Bei Patienten mit symptomatischen ventrikulären Tachyar- Die Indikation zur Resynchronisationstherapie entspricht
rhythmien oder überlebtem plötzlichen Herztod konnte in meh- der bei ischämischer Herzinsuffizienz (s. oben).
reren Studien gezeigt werden, dass durch die Implantation eines Amiodaron kann bei anhaltender VT meist in Kombina-
ICD die Rezidivrate signifikant gesenkt werden kann. Ein ICD ist tion mit einem ICD zur Vermeidung von Schocks zum Einsatz
prognostisch besonders günstig bei Patienten mit eingeschränkter kommen.
linskventrikulärer Pumpfunktion (EF ≤35%; Empfehlungsgrad I, Eine Ablation ist in der Regel nur bei Bundle-Branch-Tachy-
Evidenzgrad A). kardie und selten bei sonst therapierefraktärer VT angezeigt. Ein
Ein ICD scheint bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter Ablationserfolg ist aber zur Verhinderung eines plötzlichen Herz-
systolischer Pumpfunktion bei ischämischer Kardiomyopathie todes nicht ausreichend.
die Überlebensrate unabhängig von Ergebnissen einer EPU zu
verlängern und kann bei diesen Patienten zur Primärprävention Hypertrophe Kardiomyopathie
erwogen werden. Bei der Primärprävention ist der Zeitabstand Für eine antiarrhythmische Medikation ist keine Senkung der
seit dem Infarkt wesentlich. Eine ICD-Implantation sollte nur im Sterblichkeit bei hypertropher Kardiomyopathie belegt. Bei Pa-
chronischen Stadium (mindestens 40 Tage nach Infarkt) erfol- tienten mit anhaltenden VT oder Kammerflimmern sollte ein
gen. Bei deutlich eingeschränkter Auswurfleistung ≤30–35% im ICD implantiert werden, da dieses Kollektiv in 11% der Fälle ad-
NYHA-Stadium II–III führt ein ICD zur Reduktion der Sterb- äquate Schocks pro Jahr erhielt (Empfehlungsgrad I, Evidenz-
lichkeit (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A), bei geringerer grad B).
Evidenz im NYHA-Stadium I (Empfehlungsgrad IIa, Evidenz- Amiodaron stellt bei diesen Patienten mit stattgehabten vent-
grad B). rikulären Arrhythmien nur dann eine Alternative dar, wenn ein
Zudem kann die biventrikuläre Stimulation (CRT) bei ICD nicht implantiert werden kann (Empfehlungsgrad IIa, Evi-
schwerer systolischer Herzinsuffizienz (EF ≤35%) im NYHA-Sta- denzgrad C).
dium III–IV mit Linksschenkelblock (QRS>120 ms) und Sinus- Zur Primärprävention sollte ein ICD bei Patienten mit hohem
rhythmus die Rate plötzlicher Herztode reduzieren (Empfeh- Risiko erwogen werden. Obwohl die Risikostratifizierung nicht
lungsgrad I, Evidenzgrad A). Das Ausmaß eines zusätzlichen prospektiv validiert wurde, erscheint ein ICD bei mehr als einem
Benefits durch einen ICD ist nicht abschließend geklärt. Hochrisikofaktor (. Tab. 3.18), besonders bei exzessiver Myokard-
Amiodaron ist meist nur zusätzlich zu einem ICD oder, wenn hypertrophie >30 mm und plötzlichen Todesfällen von Angehö-
keine ICD-Implantation erfolgen kann, zur Suppression ventri- rigen gerechtfertigt (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C).
kulärer Tachyarrhythmien angezeigt. Eine prophylaktische Gabe
von Antiarrhythmika (außer β-Blocker) ist nicht indiziert. Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie
Eine Prognoseverbesserung durch Medikation ist nicht belegt.
! Cave
Amiodaron oder Sotalol können aber bei Patienten, für die eine
Klasse-IC-Antiarrhythmika sind nach Myokardinfarkt kontra-
ICD-Implantation nicht infrage kommt, zur Verhinderung vent-
indiziert.
rikulärer Tachyarrhythmien eingesetzt werden (Empfehlungs-
Eine Katheterablation ist nach Myokardinfarkt bei häufigen VT, grad IIa, Evidenzgrad C).
die nicht auf Medikamente ansprechen, additiv zu einem ICD Es liegen keine prospektiv randomisierten Studien zur ICD-
sinnvoll. Die alleinige Ablation reicht besonders bei einge- Therapie vor. Bei Patienten, die einen ICD wegen anhaltender
schränkter Pumpfunktion zur Prognoseverbesserung nicht aus. VT oder Kammerflimmern erhalten hatten, fand sich jedoch eine
Die Ablation kann meist im Sinusrhythmus erfolgen. Bei epi- hohe Rate adäquater Schocks (Empfehlungsgrad I, Evidenz-
kardialer Ablation ist eine begleitende Koronarangiographie er- grad B). Eine ICD-Implantation erscheint zudem bei Patienten
forderlich. mit ausgeprägter ARVC und unklaren Synkopen oder plötzlichen
Herztodesfällen in der Familie sinnvoll, ist durch prospektive Stu-
Dilatative Kardiomyopathie dien aber nicht belegt (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C).
Bei einer dilatativen Kardiomyopathie mit systolischer Herzin- Eine Katheterablation kann mit einer akuten Erfolgsrate von
suffizienz (EF ≤35%) stellt eine optimale medikamentöse The- 66–71% klinisch relevante VT eliminieren, bei jedoch einer Re-
rapie, einschließlich ACE-Hemmer, β-Blocker und im NYHA- zidivhäufigkeit von ca. 48%. Sie eignet sich somit zur sympto-
110 Kapitel 3 · Rhythmusstörungen des Herzens

matischen Behandlung, ist aber nicht ausreichend zur Verhinde- Idiopathische ventrikuläre Tachykardien
rung eines plötzlichen Herztodes (Empfehlungsgrad IIa, Evi- Rechtsventrikulärer Ausflusstrakttachykardien sprechen oft gut
denzgrad C). auf ein Valsalva-Manöver an und bedürfen bei sehr seltenen
Episoden keiner weiteren Therapie. Zur medikamentösen Be-
Genetische Arrhythmiesyndrome handlung von symptomatischen Patienten mit idiopathischer VT
Long-QT-Syndrom (LQTS). Beim Long-QT-Syndrom wird allge- eignen sich β-Blocker oder Kalziumantagonisten, bei rechtsvent-
3 mein ein Vermeiden kompetitiver Belastungen empfohlen, rikulärer Ausflusstrakttachykardie ggf. auch Klasse-IC-Antiar-
speziell für das LQTS 1 das Schwimmen. Beim LQTS 2 sollten rhythmika.
akustische Stimuli im Schlaf (z. B. Wecker, Telefon) verhindert Aufgrund einer hohen Erfolgsrate (ca. 90%) und geringer
werden. Zudem sind alle Medikamente, die zu einer QT-Verlän- Risiken kann primär aber auch eine Katheterablation bei rechts-
gerung oder einem Kalium-/Magnesiumverlust führen können, ventrikulärer Ausflusstrakt- und idiopathischer linksventriku-
zu meiden. lärer Tachykardie durchgeführt werden. Die Ablation einer links-
Da kardiale Ereignisse vorwiegend stress- bzw. belastungs- ventrikulären Ausflusstrakttachykardie sollte erst nach einem
induziert sind, ist die Gabe eines β-Blockers bei allen Patienten medikamentösen antiarrhythmischen Therapieversuch erwogen
mit LQTS und verlängertem QT-Intervall sinnvoll (Empfehlungs- werden.
grad I, Evidenzgrad B) und sollte zudem auch bei Genträgern mit
normalem QT-Intervall erwogen werden (Empfehlungsgrad IIa,
Evidenzgrad B). Daher ist eine Genanalyse der Angehörigen rat- Literatur
sam.
Ein ICD in Kombination mit einem β-Blocker ist nach Herz- Arruda MS, McClelland JH, Wang X et al. (1998) Development and valida-
stillstand indiziert (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A), scheint tion of an ECG algorithm for identifying accessory pathway ablation
aber auch beim Auftreten von Synkopen oder VT unter β-Blo- site in Wolff-Parkinson-White syndrome. J Cardiovasc Electrophysiol
cker-Therapie sinnvoll (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad B). 9: 2–12
Calkins H, Brugada J, Packer DL et al. (2007) HRS/EHRA/ECAS Expert
Short-QT-Syndrom (SQTS). Die Therapie von Patienten mit SQTS Consensus Statement on catheter and surgical ablation of atrial
ist aufgrund geringer Erfahrung noch unklar. Bei einer EPU kann fibrillation: recommendations for personnel, policy, procedures and
die VT-Induktion beim SQTS 1 durch Quinidin supprimiert follow-up. Heart Rhythm 4: 816–861
Fuster V, Ryden LE, Cannom DS et al. (2006) ACC/AHA/ESC 2006 guidelines
werden. Inwieweit dies auch einen plötzlichen Herztod verhin-
for the management of patients with atrial fibrillation – executive
dern kann, ist offen, sodass ggf. eine ICD-Implantation erwogen
summary. Eur Heart J 27: 1979–2030
werden muss. Haverkamp H, Breithardt G (2003) Moderne Herzrhythmustherapie.
Thieme, Stuttgart
Brugada-Syndrom. Die Risikostratifizierung ist bei Patienten mit Hoppe UC, Böhm M, Dietz R et al. (2005) Leitlinien zur Therapie der chro-
Brugada-Syndrom entscheidend, da zur Verhinderung eines un- nischen Herzinsuffizienz. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für
erwarteten Todes nur die ICD-Implantation zur Verfügung steht. Kardiologie. Z Kardiol 94: 488–509
Ein ICD ist zur Sekundärprävention nach Herzstillstand indiziert Kuck KH, Ernst S, Dorwarth U et al. (2007) Leitlinien zur Katheterablation.
(Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C). Zudem sollte ein ICD auf- Clin Res Cardiol 96: 833–849
grund des erhöhten Risikos für kardiale Ereignisse bei einem Lehnart SE, Ackerman MJ, Benson DW Jr et al. (2007) Inherited arrhythmias:
a National Heart, Lung, and Blood Institute and Office of Rare Diseases
Brugada-Syndrom und dokumentierter VT sowei bei Typ-1-
workshop consensus report about the diagnosis, phenotyping,
EKG und Synkopen erwogen werden (Empfehlungsgrad IIa,
molecular mechanisms, and therapeutic approaches for primary car-
Evidenzgrad C). diomyopathies of gene mutations affecting ion channel function.
Circulation 116: 2325–2345
Katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie. Da Lemke B, Nowak B, Pfeiffer D (2005) Leitlinien zur Herzschrittmacherthe-
VT typischerweise stressinduziert sind, ist eine Therapie mit rapie. Z Kardiol 94: 704–720
β-Blockern bei allen Patienten mit dokumentierter CPVT sinn- Rosenbaum MB (1968) Types of right bundles branch block and their
voll (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C) und sollte auch bei ge- clinical significance. J Electrocardiol 1: 221–232
netischer Diagnose ohne bisherige Symptomatik erwogen wer- Scheinman M, Calkins H, Gillette P et al. (2003) NASPE policy statement
den (Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad C). on catheter ablation: personnel, policy, procedures, and therapeutic
recommendations. Pacing Clin Electrophysiol 26: 789–799
Zur Rezidivprophylaxe nach überlebtem Herzstillstand ist
Vardas PE, Auricchio A, Blanc JJ et al. (2007) Guidelines for cardiac pacing
ein alleinige β-Blocker-Therapie jedoch nicht ausreichend und
and cardiac resynchronization therapy. Eur Heart J 28: 2256–2295
sollte mit einem ICD kombiniert werden (Empfehlungsgrad I, Willems S, Eckardt L, Hoffmann E et al. (2007) Leitlinie invasive elektro-
Evidenzgrad C). Zudem ist eine ICD-Implantation bei Patienten physiologische Diagnostik. Clin Res Cardiol 96: 634–651
mit CPVT, die unter β-Blocker-Gabe Synkopen oder anhaltende Zipes DP, Camm AJ, Borggrefe M et al. (2006) ACC/AHA/ESC 2006 Guide-
Tachykardien haben, zu erwägen (Empfehlungsgrad IIa, Evi- lines for management of patients with ventricular arrhythmias and
denzgrad C). the prevention of sudden cardiac death. Circulation 114: e385–484
111 4

Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem


M. Flesch

4.1 Pathophysiologie – 111 4.6.3 Laboruntersuchungen – 114


4.6.4 Echokardiographie – 115
4.2 Ätiologie – 111 4.6.5 Rechtsherzkatheteruntersuchung
und PiCCO-Messung – 115
4.3 Prognose – 111
4.7 Therapie – 115
4.4 Einteilung der akuten Herzinsuffizienz – 112 4.7.1 Medikamentöse Therapie – 115
4.7.2 Atmungsunterstützende Therapie – 118
4.5 Klinische Symptome der akuten 4.7.3 Mechanische Kreislaufunterstützung – 119
Herzinsuffizienz – 113
4.8 Zusammenfassung – 119
4.6 Spezielle Diagnostik – 113
4.6.1 Elektrokardiogramm – 113 Literatur – 119
4.6.2 Röntgenaufnahme des Thorax – 113

)) xischen Lungengefäßschädigung (Gasinhalation, Urämie u. a.),


auch als »fluid lung« bezeichnet.
Die akute Herzinsuffizienz ist der häufigste Grund für Kranken- Besonders dramatisch verläuft das Lungenödem, wenn das
hauseinweisungen bei Patienten über 65 Jahre. Die Inzidenz pulmonale Gefäßbett auf die Drucksteigerung nicht vorbereitet
nimmt mit der Überalterung der Bevölkerung sowie der besseren ist. Besteht eine Lungenvenendruckerhöhung über längere Zeit,
Überlebenschance nach akutem Myokardinfarkt und der daraus kommt es zu Anpassungen von Gefäßwand und Lymphdrainage
resultierenden steigenden Zahl von Patienten mit chronischer der Lungen. Unter diesen Umständen können auch höhere Drü-
Herzinsuffizienz weiter zu. cke ohne Ödem toleriert werden. Dies findet man z. B. bei der
lange bestehenden Mitralstenose. Ein Lungenödem bleibt bei
Linksherzinsuffizienz auch dann aus, wenn bei gleichzeitigem
4.1 Pathophysiologie Rechtsherzversagen der Pulmonalisdruck nicht mehr ansteigen
kann (Myokarditis, rechtsventrikuläre Infarzierung bei Hinter-
Definition wandinfarkt).
Beim Lungenödem handelt es sich um einen Zustand, in dem
Blutplasma und meistens auch Erythrozyten aus dem Lungen-
kapillarbett in das interstitielle Gewebe der Lungen und/oder 4.2 Ätiologie
Alveolarlumen gelangen und Gasaustausch sowie Atmung
behindern. Die akute Herzinsuffizienz wird durch eine Vielzahl von Grund-
erkrankungen hervorgerufen, die in 7 Übersicht 4.1 zusammen-
gefasst sind. Die häufigste Ursache ist die KHK, die in etwa 60–
Interstitielle Flüssigkeitsvermehrung bzw. Transsudat von Plas- 70% der Fälle einer akuten Herzinsuffizienz zugrunde liegt. Dies
ma tritt in den Alveolarraum ein, wenn gilt insbesondere für ältere Patienten. Bei jüngeren Patienten sind
1. entweder bei intakter Gefäß- und Alveolarwand der Druck häufige Gründe für eine akute Herzinsuffizienz die DCM, Herz-
im Kapillarsystem durch erhöhten Lungenvenendruck den rhythmusstörungen, kongenitale oder valvuläre Vitien oder eine
kolloidosmotischen Druck des Blutes übersteigt (mittlerer fulminant verlaufende Myokarditis. Die wichtigsten Ursachen für
Lungenvenendruck >23 mmHg), wobei es dann auch meis- die häufige kardiale Dekompensation bei Patienten mit einer
tens zu Gefäßeinrissen mit Übertritt von Erythrozyten chronischen Herzinsuffizienz sind in 7 Übersicht 4.2 zusammen-
kommt, oder gefasst (Swedberg et al. 2005).
2. bei normalem Lungenvenen- und Kapillardruck die Gefäß-
und/oder die Alveolarwandung pathologisch verändert, d. h.
durchlässig, ist. 4.3 Prognose

Im ersten Fall entwickelt sich das Lungenödem als Folge einer Symptomatik und Gefährdung für den Kranken werden durch
Linksherzinsuffizienz bei Hypertonie, Myokardinfarkt, Myokar- die Grundkrankheit, ferner durch den erschwerten Gaswechsel
ditis, Kardiomyopathie, Aortenklappenfehlern oder Mitralinsuf- infolge der intraalveolären Flüssigkeitsansammlung, die ödema-
fizienz bzw. bei Mitralstenose und – seltener – Lungenvenen- tös verdickten Alveolarmembranen, die verdickte Bronchial-
thrombose. Im zweiten Fall entwickelt sich das Lungenödem schleimhaut und die begleitende Bronchospastik bestimmt. Die
ohne Pulmonalvenendruckerhöhung auf dem Boden einer to- Hypoxämie wird durch intrapulmonale Shunts, Ventilations-Per-
112 Kapitel 4 · Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem

Übersicht 4.1. Auslösende Faktoren für die akute Herz- Übersicht 4.2. Auslösende Faktoren für die Verschlech-
insuffizienz terung einer chronischen Herzinsuffizienz

4 Dekompensation einer vorbestehenden Herzinsuffizienz Nichtkardial


4 Akutes Koronarsyndrom 4 Mangelnde Compliance (Kochsalz, Flüssigkeit, Medika-
– Myokardinfarkt/instabile Angina mit ausgeprägter mente)
myokardialer Ischämie und ischämiebedingter kardia- 4 Zusätzliche Medikamente (Antiarrhythmika außer
ler Funktionsstörung Amiodaron, β-Rezeptorenblocker, NSAID, Verapamil,
4 – Mechanische Komplikationen des akuten Myokard- Diltiazem)
infarkts 4 Infektion
– Rechtsherzinfarkt 4 Alkoholmissbrauch
4 Hypertensive Krise 4 Nierenfunktionsstörung (auch exzessiver Gebrauch
4 Akute Rhythmusstörungen (VT, Kammerflimmern, von Diuretika)
Vorhofflimmern oder -flattern, andere supraventrikuläre 4 Lungenembolie
Tachykardien) 4 Hypertonie
4 Klappeninsuffizienzen, insbesondere schwere Mitral- 4 Hyper- und Hypothyreose
klappeninsuffizienz (Endokarditis, Abriss der Chordae 4 Anämie
tendineae, Verschlechterung einer vorbestehenden Kardial
Klappeninsuffizienz) 4 Vorhofflimmern
4 Dekompensierte Aortenklappenstenose 4 Andere supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardien
4 Akute Myokarditis 4 Bradykardie
4 Herztamponade 4 Myokardischämie (häufig asymptomatisch), Myokard-
4 Aortendissektion infarkt
4 Schwangerschaftskardiomyopathie 4 Verschlechterung einer Mitral- oder Trikuspidalklappen-
4 Nichtkardiovaskuläre auslösende Faktoren insuffizienz
– Fehlerhafte Medikamenteneinnahme 4 Exzessive Vorlastreduktion (z. B. durch Diuretika +
– Flüssigkeitsüberladung bei Niereninsuffizienz ACE-Inhibitor/Nitrat)
– Infektionen, insbesondere Pneumonie und Sepsis
– Schlaganfall
– Nach größeren Operationen
– Asthma bronchiale 4.4 Einteilung der akuten Herzinsuffizienz
– Phäochromozytom
4 Herzversagen mit gesteigerter Pumpleistung Definition
– Sepsis Die akute Herzinsuffizienz ist als das plötzliche Auftreten
– Thyreotoxische Krise von Symptomen und Zeichen einer gestörten Herzfunktion
– Anämie definiert.
– Shunt-Vitien

Die akute Herzinsuffizienz kann mit und ohne vorangegange


kardiale Erkrankung auftreten, als Folge einer systolischen oder
fusions-Störungen und die insgesamt erschwerte Atemarbeit ver- einer diastolischen Pumpfunktionsstörung, von Herzrhythmus-
stärkt. Liegt ursächlich eine KHK zugrunde, ist die resultierende störungen, einer Steigerung der kardialen Nachlast oder einer
Hypoxie besonders nachteilig. Trotz aller Verbesserungen bei der unzureichenden oder zu starken Vorlast des Herzens. Die Vielfalt
Therapie der akuten Herzinsuffizienz ist die Krankenhaussterb- dieser pathophysiologischen Ursachen führte im angelsächsischen
lichkeit hoch. Bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz und kar- Sprachraum zum Begriff des »acute heart failure syndrome«, der
diogenem Schock bei der Krankenhausaufnahme liegt die Kran- deutlich zum Ausdruck bringt, dass die akute Herzinsuffizienz
kenhaussterblichkeitsrate innerhalb von 4 Wochen bei 58%, bei kein einheitliches Krankheitsbild ist und dementsprechend die
Patienten ohne kardiogenen Schock bei 15%. Für Patienten mit Therapie auch sehr differenziert durchgeführt werden muss.
einer akuten Herzinsuffizienz im Zusammenhang mit einem Zum besseren Verständnis haben sich verschiedene Eintei-
Myokardinfarkt wird die Letalitätsrate im ersten Jahr mit 30% lungen und Klassifizierungen der akuten Herzinsuffizienz durch-
angegeben. Von den Patienten mit einer akuten Herzinsuffizienz gesetzt. So unterscheidet die European Society of Cardiology in
werden 45% innerhalb eines Jahres erneut krankenhauspflichtig. ihren Leitlinien (Nieminen et al. 2005) die in 7 Übersicht 4.3 zu-
Das kombinierte Risiko für Tod oder Rehospitalisierung bei Pa- sammengestellten akuten Herzinsuffizienzformen.
tienten mit akuter Herzinsuffizienz liegt je nach Patientenkollek- Auf Intensiv- und Coronary-Care-Stationen wird außerdem
tiv bei 30–60% (Swedberg et al. 2005). eine Reihe anderer Klassifikationen benutzt. Eine klassische Ein-
teilung ist die nach Killip, die ursprünglich zur Einteilung des
Schweregrads der kardialen Dekompensation bei akutem Myo-
kardinfarkt konzipiert wurde (. Tab. 2.12).
Klinisch hat sich auch eine Einteilung entsprechend der peri-
pheren Durchblutung und dem Auskultationsbefund der Lungen
4.6 · Spezielle Diagnostik
113 4

Herzens können eine Verlagerung des Herzspitzenstoßes nach


Übersicht 4.3. Herzinsuffizienzformen links sowie pathologische Herzgeräusche als Hinweis auf ein
kardiales Vitium sowie ein dritter und ein vierter Herzton auf-
4 Akut dekompensierte Herzinsuffizienz (neu aufgetreten fallen.
oder Dekompensation einer vorbestehenden Herzinsuf- Typische Zeichen und Symptome des akuten Rückwärtsver-
fizienz) mit Zeichen und Symptomen der akuten Herz- sagens des rechten Ventrikels als Folge einer rechtsmyokardialen
insuffizienz, die mild sind und nicht die Kriterien eines Funktionsstörung oder auch einer Erhöhung der pulmonalen Wi-
kardiogenen Schocks, eines Lungenödems oder einer derstands sind Müdigkeit, Unterschenkelödeme, Druckschmerz-
hypertensiven Krise erfüllen haftigkeit des oberen Abdomens als Folge einer Leberstauung
4 Hypertensive akute Herzinsuffizienz mit Zeichen und sowie Kurzatmigkeit als Folge von Pleuraergüssen und Aszites. Als
Symptomen der Herzinsuffizienz, begleitet von erhöh- klassisches klinisches Zeichen wird die Jugularvenenstauung an-
tem arteriellen Blutdruck und relativ erhaltener links- gegeben. Im fortgeschrittensten Stadium kommt es zu Anasarka
ventrikulärer Funktion sowie einem Thoraxröntgenbild und Oligurie.
mit Zeichen des akuten Lungenödems Zeichen und Symptome des rechts- oder linksventrikulären
4 Lungenödem (nachgewiesen im Röntgenbild des Thorax) Vorwärtsversagens sind im fortgeschrittenen Stadium körperliche
mit starker Luftnot, Rasselgeräuschen über den Lungen, Schwäche, geistige Verwirrung, Schwindel, Blässe oder Zyanose,
Orthopnoe und einer Sauerstoffsättigung <90% bei kalt-feuchte Haut, niedriger Blutdruck, schwacher Puls und Olig-
Raumluft urie. Im Endstadium präsentieren sich die Patienten mit dem
4 Kardiogener Schock, definiert als verminderter arterieller Vollbild des kardiogenen Schocks.
Blutdruck (systolischer Blutdruck <90 mmHg oder Abfall
des systolischen Blutdrucks >30 mmHg) und/oder ver-
minderte Urinausscheidung (<0,5 ml/kgKG/h) mit einer 4.6 Spezielle Diagnostik
Herzfrequenz >60/min mit oder ohne Nachweis einer
Organstauung Die Diagnostik einer akuten Herzinsuffizienz beruht zunächst
4 Herzinsuffizienz mit gesteigertem kardialen Auswurf, in auf der Anamnese und auf den beschriebenen klinischen Zeichen
der Regel mit gesteigerter Herzfrequenz (Herzrhythmus- und Symptomen. Im weiteren Verlauf wird die Diagnosestellung
störugen, Thyreotoxikose, Anämie etc.) mit einer warmen durch EKG, Röntgenaufnahme des Thorax, klinisch-chemische
Peripherie, Lungenstauung und bisweilen auch mit nied- Biomarker und die Echokardiographie unterstützt. Das folgende
rigem Blutdruck wie im septischen Schock Flussdiagramm gibt eine Übersicht der wichtigsten Untersu-
4 Rechtsherzinsuffizienz mit niedrigem kardialen Auswurf chungsschritte (. Abb. 4.1).
und sichtbarem Jugularvenenpuls, vergrößerter Leber
und Hypotension
4.6.1 Elektrokardiogramm

bewährt. Die Patienten können in folgende Klassen eingeteilt Entsprechend der ätiologischen Vielfalt der akuten Herzinsuffi-
werden (Nieminen et al. 2005): zienz gibt es keine klassischen elektrokardiographischen Zeichen.
Klasse I: warm und trocken, Das Elektrokardiogramm ist dennoch entscheidend für die diffe-
Klasse II: warm und feucht, renzialdiagnostische Abklärung der einer kardialen Dekompen-
Klasse III: kalt und trocken und sation zugrunde liegenden Ursachen wie supraventrikulären
Klasse IV: kalt und feucht. und ventrikulären Rhythmusstörungen mit der Tachyarrhythmia
absoluta als der häufigsten zur kardialen Dekompensation füh-
renden Herzrhythmusstörung, der myokardialen Ischämie, der
4.5 Klinische Symptome der akuten Rechts- oder Linksherzbelastung, der Myokardhypertrophie,
Herzinsuffizienz einer Perikarditis oder eines Perikardergusses. Ergänzt wird die
Diagnostik sinnvollerweise durch eine kontinuierliche Rhyth-
> Die klinischen Zeichen der akuten Herzinsuffizienz variieren musüberwachung am Monitorelektrokardiogramm.
in Abhängigkeit von der auslösenden Grunderkrankung. Als
klassisch und in der Regel für den Patienten subjektiv auch
am dramatischsten gelten die Zeichen des Rückwärtsversagens 4.6.2 Röntgenaufnahme des Thorax
des linken Ventrikels.
Die Röntgenaufnahme des Thorax dient zur Berurteilung von
Hier klagt der Patient im milden Stadium über Belastungsdyspnoe, Herzgröße und -form sowie der Evaluation vorbestehender Lun-
im fortgeschrittenen Stadium mit Lungenödem über schwerste generkrankungen. Ein Lungenödem zeigt sich durch transiente
Ruhedyspnoe, mit trockenem bis feuchtem, schaumigem Husten, Linien, die durch eine ödematöse Erweiterung von Bindege-
kalt-feuchte Haut, Blässe oder auch Zyanose. Der Blutdruck ist webssepten entstehen, den sog. Kerley-A-, -B- und -C-Linien. Als
normal oder häufig auch stark erhöht. Bei der Auskultation finden Kerley-B-Linien werden horizontale Linien bezeichnet, die im
sich feinblassige Rasselgeräusche über den Lungen. lateralen Lungenbereich bis an die Pleuragrenze heranreichen
Teilweise kommen auch trockene Nebengeräusche als Aus- und meistens in den Lungenunterfeldern nachzuweisen sind.
druck eines „Asthma cardiale» hinzu, die die differenzialdiagnos- Kerley-A-Linien sind seltener anzutreffende Linien, die vom
tische Abgrenzung zur exazerbierten obstruktiven Atemwegs- Lungenoberlappen zu den Lungenhili ziehen. Selten findet man
erkrankung schwer machen können. Bei der Untersuchung des Kerley-B-Linien in Form einer feinen retikulären Zeichnungs-
114 Kapitel 4 · Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem

. Abb. 4.1. Diagnostik bei akuter Herzinsuffizienz. BNP natriuretisches Peptid Typ B, EKG Elektrokardiogramm

vermehrung über den Lungen. Kerley-Linien sind Zeichen des Eine Blutgasanalyse ist bei allen Patienten mit Luftnot oder
interstitiellen Lungenödems. Kommt es zum alveolären Lungen- schwerer dekompensierter Herzinsuffizienz erforderlich. Beim
ödem, zeigt sich meist eine diffuse Verschattung der Lunge mit interstitiellen Lungenödem kommt es typischerweise zu einer
konfluierenden, schlecht abgrenzbaren Arealen erhöhter Röntgen- Abnahme des pO2 und gleichzeitig zu einer Abnahme des pCO2
dichte. Die Röntgenaufname des Thorax erlaubt zudem die Diag- mit respiratorischer Alkalose als Folge der Hyperventilation beim
nose eines Pleuraergusses als Folge einer Rechtsherzdekompen- Lungenödem. Beim alveolären Lungenödem kann der pCO2-
sation und die differenzialdiagnostische Abklärung von entzünd- Wert sowohl erhöht als auch normal oder erniedrigt sein. Eine
lich-infektiösen Infiltraten. Entzündliche pulmonale Verände- Korrelation zum radiologischen Schweregrad des Lungenödems
rungen können auch gut durch ein Lungen-CT abgeklärt werden. gibt es nicht. Bei erhaltener peripherer Durchblutung kann sie
Die computertomographische Kontrastmittelangiographie er- zur kontinuierlichen Überwachung auch durch eine Pulsoxymet-
möglicht den Nachweis einer Lungenembolie als Grund für ein rie ersetzt oder ergänzt werden.
akutes Rechtsherzversagen.
Biomarker/Natriuretisches Peptid Typ B
Das zunächst im Gehirn (»brain«) nachgewiesene natriuretische
4.6.3 Laboruntersuchungen Peptid Typ B (BNP) wird von Herzmuskelzellen bei erhöhter
Wandspannung oder Volumenbelastung des Myokards synthe-
Zu den Standardlaboruntersuchungen bei der akuten Herzinsuf- tisiert und freigesetzt. Bei der Sekretion aus der Herzmuskelzelle
fizienz gehören immer: Blutbildanalyse, Bestimmung der Throm- wird eine Vorstufe dieses myozytären Hormons in das aktive BNP
bozytenzahl, insbesondere bei Rechtsherzinsuffizienzzeichen und in ein hormonell inaktives Fragment, das NT-proBNP,
Analyse des INR- bzw. Quick-Wertes, Bestimmung der Entzün- gespalten. Beide Spaltprodukte sind im Blut nachweisbar. Unter-
dungsparameter CRP oder Blutsenkungsgeschwindigkeit, Be- suchungen haben gezeigt, dass die Bestimmungen sowohl von
stimmung der D-Dimere zum Ausschluss einer Lungenembolie BNP als auch NT-proBNP geeignet sind, eine Herzinsuffizienz als
als Ursache der akuten Kreislaufdekompensation, Bestimmung Ursache bei Patienten mit akuter Luftnot differenzialdiagnostisch
von Harnstoff, Kreatinin, Natrium, Kalium, Blutglucosekonzent- abzuklären. Eine systolische Herzinsuffizienz als Ursache der aku-
ration, kardialen Ischämiemarkern wie CK und CK-MB sowie ten Luftnot ist demnach unwahrscheinlich, wenn NT-proBNP-
TnI oder TnT. Die Transaminasenbestimmung kann zur Beurtei- Serumspiegel <300 ng/l und BNP-Spiegel <100 ng/l liegen. Die
lung der Leberbelastung bei Rechtsherzversagen hinzugezogen Grenzen verändern sich in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht
werden. Eine Bestimmung der Schilddrüsenhormone sollte zum und Nierenfunktion. Auch das Vorliegen einer Sepsis oder die
Ausschluss einer Hyperthyreose als Ursache des akuten Herzver- Therapie mit Diuretika, ACE-Hemmern und AT1-Rezeptoran-
sagens erfolgen (Nieminen et al. 2005). tagonisten hat Einfluss auf BNP-Serumspiegel. Sind BNP- oder
4.7 · Therapie
115 4

NT-proBNP-Spiegel erhöht, ist eine weitergehende kardiale Ab- des intrathorakalen Blutvolumens bestimmt werden; außerdem
klärung erforderlich. Auch eine diastolische Herzinsuffizienz das extravasale Lungenwasser, ein Parameter für ein drohendes
führt zu einer BNP-Werterhöhung (Nieminen et al. 2005). Lungenödem. Nach der Kalibrierung kann das HZV kontinuier-
lich in Echtzeit durch eine Pulskonturanalyse verfolgt werden.
Das Schlagvolumen ist proportional zu der Fläche unter dem
4.6.4 Echokardiographie systolischen Teil der Druckkurve; multipliziert mit der Schlag-
frequenz ergibt sich das HZV. Größere Studien zum Einfluss der
Die Echokardiographie gehört zu den wichtigsten Untersuchun- PiCCO-Messung auf die Prognose von Patienten mit einer aku-
gen bei der akuten Herzinsuffizienz, da sie eine zuverlässige ten Herzinsuffizienz liegen bislang nicht vor.
Diagnose der zugrunde liegenden Herzerkrankung erlaubt.
Im M-Mode lassen sich Größe und Pumpfunktion des linken
Ventrikels gut beschreiben. Der zweidimensionale Vierkammer- 4.7 Therapie
blick erlaubt ebenfalls eine Beurteilung der Pumpfunktion des
linken, aber auch des rechten Ventrikels. Herzklappenfehler > Ziele einer Therapie der akuten Herzinsuffizienz sind eine
lassen sich präzise evaluieren, ebenso wie eine HOCM. Wichtig möglichst rasche Beschwerdelinderung und eine Stabilisierung
ist v. a. der Ausschluss einer schweren Mitralinsuffizienz als der hämodynamischen Situation des Patienten.
Ursache der kardialen Dekompensation. Die Echodoppler-
untersuchung erlaubt Aussagen zum pulmonalarteriellen Druck Beides erfolgt mit dem weitergehenden Ziel, die langfristige Prog-
und gibt Hinweise auf eine Relaxationsstörung des Herzens. nose des Patienten zu verbessern. Eine hierarchische Auflistung
Insbesondere bei der Rechtsherzinsuffizienz muss auf Zeichen der therapeutischen Schritte bei akuter Herzinsuffizienz wird in
der restriktiven Kardiomyopathie geachtet werden. Typisch sind den aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology
hier dilatierte Vorhöfe bei normal großen oder im Volumen (Nieminen et al. 2005) vorgegeben. Die nachfolgenden Aus-
verkleinerten Ventrikeln und im Mitralklappenflussprofil führungen geben im Wesentlichen die Empfehlungen dieser Leit-
eine Aufhebung der a-Welle, d. h. der atrialen Füllung in der linien wieder.
Diastole.

4.7.1 Medikamentöse Therapie


4.6.5 Rechtsherzkatheteruntersuchung
und PiCCO-Messung Opiate
Zur akuten Stressminderung sind Opiate die Mittel der Wahl bei
Die Messung des pulmonalen Drucks sowie des pulmonalen der akuten Herzinsuffizienz. Die langsame i.v.-Gabe von Mor-
Verschlussdrucks mithilfe eines Swan-Ganz-Katheters erlaubt in phium in einer Dosierung von 10 mg führt zu einer Venodilata-
der Regel eine Differenzierung zwischen einem kardialen und tion sowie milden arteriellen Dilatation und bewirkt einen Abfall
einem nichtkardialen Lungenödem. Wenn der pulmonale Kapil- der Herzfrequenz. Die Dosierung kann im Bedarfsfall wiederholt
lardruck über 20–25 mmHg erhöht ist, ist die Wahrscheinlich- werden. Als Nebenwirkung ist bei höheren Dosierungen v. a.die
keit sehr groß, dass es sich um ein kardial bedingtes Lungen- Atemdepression zu nennen.
ödem handelt. Der Einfluss der Rechtsherzkatheteruntersuchung
ist umstritten, da auch bei kurz liegendem Pulmonaliskatheter Antikoagulation
eine erhöhte Sterblichkeit beobachtet wurde. Die Indikation Eine Antikoagulation ist Standard bei allen Patienten mit akutem
zum Einsatz des Rechtsherzkatheters ist daher sehr kritisch zu Koronarsyndrom mit und ohne Herzinsuffizienz. Das Gleiche
stellen. gilt für Patienten mit Vorhofflimmern. Für die reine akute Herz-
Eine moderne Alternative zum Rechtsherzkatheter stellt die insuffizienz gibt es keine direkte Evidenz für die Wirksamkeit
PiCCO-Messung dar. Hierbei handelt es sich um eine gering von unfraktioniertem oder fraktioniertem Heparin. Auch hier
invasive Methode zum Monitoring wichtiger Kreislaufdaten von gilt aber, dass eine prophylaktische Antikoagulation wahrschein-
Patienten auf Intensivstationen. Auch die angebotenen Geräte lich zu weniger venösen Thrombosen führt.
tragen den Markennamen PiCCO.
! Cave
Über zwei Katheter, die in eine herznahe Vene sowie in eine
Fraktioniertes Heparin ist bei gleichzeitiger Niereninsuffizienz
Arm- oder Beinarterie des Patienten plaziert werden, können
kontraindiziert.
HZV und weitere volumetrische Parameter für Vorlast und Lun-
genödem gemessen werden. Ein Katheter mit Drucksensor in der Insbesondere bei einer Rechtsherzinsuffizienz muss beachtet
A. pulmonalis (Swan-Ganz-Katheter) ist nicht erforderlich. Die werden, dass eine stauungsbedingte Beeinträchtigung der Leber-
Methode bedient sich der Thermodilution nach der Stewart- funktion zu einer Störung der humoralen Gerinnung führen
Hamilton-Methode zur Kalibrierung. Dabei wird ein festgelegtes kann.
Volumen einer unter 10°C gekühlten isotonischen Kochsalz-
oder Glucoselösung schnell i.v. injiziert. Die kalte Flüssigkeit Vasodilatoren
durchläuft den rechten Herzvorhof und die rechte Herzkammer, Vasodilatoren gelten als Mittel der ersten Wahl bei der Therapie
dann die Lungengefäße und das linke Herz. Am Messpunkt, z. B. der akuten Herzinsuffizienz, insbesondere bei Patienten mit nor-
der Femoralarterie, wird eine sog. Thermodilutionskurve aufge- malen oder der überwiegenden Zahl von Patienten mit erhöhtem
zeichnet. Sie ist von der Herzleistung, dem Blutfluss und den be- arteriellen Blutdruck. Nitrate sind die klassischen bei der akuten
teiligten Flüssigkeitsmengen abhängig. Die Vorlast für das Herz Herzinsuffizienz eingesetzten Vasodilatoren. Sie vermindern die
kann in Form des globalen endddiastolischen Volumens oder pulmonale Stauung, ohne das Schlagvolumen zu vermindern
116 Kapitel 4 · Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem

oder den Sauerstoffbedarf des Herzens zu steigern. In niedriger Studien zeigen, dass Nesiritide die Hämodynamik effektiver als
Dosierung führen sie zu einer reinen Dilatation der Venen, nur i.v. gegebenes Nitroglyzerin verbessert. Ein günstiger Einfluss
bei steigender Dosierung kommt es auch zu arterieller und koro- auf das Überleben konnte bislang jedoch nicht nachgewiesen
nararterieller Dilatation. Abhängig von der Dosierung sind Nitra- werden. Im Gegenteil legt eine Metaanalyse der bisherigen Daten
te somit Vorlast- und Nachlastsenker. Die Wirkung der Nitrate nahe, dass es unter Nesiritidegabe häufiger zu einem Nierenver-
auf HZV und Blutdruck hängt wesentlich von der vorbestehen- sagen kommt und die Letalität zunimmt. Ergebnisse einer pros-
den Vor- und Nachlast sowie der Fähigkeit des Herzens ab, auf pektiven Letalitätsstudie zum Einsatz von Neseritide bei akuter
eine barorezeptorvermittelte Zunahme des Sympathikotonus zu Herzinsuffizienz stehen bislang aus.
reagieren. Langfristig wirkende Vasodilatoren wie die ACE-Hemmer
4 und AT1-Rezeptorantagonisten spielen bei der Therapie der aku-
! Cave
ten Herzinsuffizienz zumindest im Initialstadium der Behand-
Die Nitratgabe erfordert eine engmaschige Kontrolle der
lung keine Rolle. Eine Ausnahme stellt hier allenfalls die akute
Kreislaufparameter, insbesondere des arteriellen Blutdrucks,
kardiale Dekompensation nach einem Myokardinfarkt dar. Kal-
und sollte vorsichtig einschleichend erfolgen.
ziumantagonisten sind kontraindiziert.
Der Effekt folgt häufig einer U-förmigen Kurve mit initialer Ab-
nahme von Blutdruck und HZV und anschließender Zunahme Diuretika
beider Parameter. Eine Reduktion der Nitratdosis ist erforderlich,
> Die sofortige Gabe von Schleifendiuretika ist v. a. bei Patienten
wenn der systolische arterielle Blutdruck unter 90–100 mmHg
mit schwerer symptomatischer kardialer Dekompensation und
sinkt, und muss abgebrochen werden, wenn der systolische Blut-
vorherrschender Flüssigkeitseinlagerung indiziert.
druck noch weiter abnimmt. Grundsätzlich kann die Medikamen-
tengabe oral oder i.v. erfolgen; erfahrungsgemäß ist die i.v.-Gabe Diuretika bewirken eine gesteigerte Natriurese sowie Diurese und
besser zu titrieren. Die Entscheidung für Glyceroltrinitrat, Iso- vermindern hierüber das Volumen von Plasma und interstitieller
sorbidmononitrat oder Natriumnitroprussid kann von persönli- Flüssigkeit. Es kommt zu einer Abnahme der rechtsventrikulären
chen Erfahrungen mit den unterschiedlichen Substanzen abhän- und der linksventrikulären Füllungsdrücke und hierüber zu einer
gig gemacht werden. Natriumnitroprussid sollte v. a. Patienten Abnahme der peripheren Wassereinlagerungen und des Lungen-
mit schwerster Herzinsuffizienz und Patienten mit Nachlasterhö- ödems. Die besten Induktoren einer schnellen Diurese sind
hung wie bei der hypertensiven Entgleisung vorbehalten bleiben. Schleifendiuretika. Die i.v.-Gabe führt innerhalb von 5–30 min zu
Der Einsatz von Natriumnitroprussid erfordert mehr noch als die einer Abnahme der kardialen Füllungsdrücke und des pulmona-
Verwendung anderer Nitrate eine invasive hämodynamische len Widerstands.
Überwachung. Insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffi- Hohe Dosen können jedoch reflektorisch zu einer Vasokons-
zienz kann es zu einer Vergiftung mit Zyanid und Thiozyanid als triktion führen. Anders als bei der chronischen Anwendung führt
Metaboliten von Natriumnitroprussid kommen. Bei Patienten mit die akute Gabe von Diuretika nicht zu einer vermehrten, sondern
akutem Koronarsyndrom kann Natriumnitroprussid zu einem eher zu einer verminderten neurohumoralen Aktivierung. Dosie-
»Coronary-steal«-Phänomen führen. Alle Substanzen haben in rungen und Verabreichungsformen für einzelne Diuretika wer-
ähnlicher Weise den Nachteil, dass es auch bei i.v.-Gabe sehr den in der . Tab. 4.2 genannt.
schnell zu einer Toleranzentwicklung kommt. Dennoch gilt, dass Insbesondere bei Patienten mit lange bestehender Herzin-
die titrierende Gabe von Nitraten in Kombination mit einer nied- suffizienz und längerer chronischer Diuretikatherapie kann eine
rigen Dosierung von Diuretika der alleinigen Gabe von hochdo- Diuretikaresistenz ein großes Problem darstellen. Hilfreiche
sierten Diuretika überlegen ist. Insbesondere wurde dies für das Maßnahmen sind hier die kombinierte Gabe von Schleifendiu-
akute Lungenödem gezeigt. Deshalb sollten Nitrate auch immer retika mit einem Tubulusdiuretikum, die zusätzliche Gabe eines
am Anfang der Therapie der akuten Herzinsuffizienz stehen inotrop wirkenden Katecholamins oder auch die rasche Hämo-
(. Tab. 4.1). dialyse oder Ultrafiltration. In der Tat stellt die chronische veno-
Einen neuen Vasodilator stellt Nesiritide dar. Nesiritide ist venöse Hämofiltration die Therapie der Wahl dar. Durch einen
ein rekombinantes BNP, das identisch mit dem natürlich vor- frühen Einsatz kann eine schwere kardiale Dekompensation
kommenden Hormon ist. Nesiritide und BNP haben venöse, nicht nur vermieden, sondern können auch Nebenwirkungen
arterielle und koronararterielle dilatierende Eigenschaften, wir- höherer Diuretikadosierungen wie Hypokaliämie, Nierenversa-
ken diuretisch sowie natriuretisch und hemmen das RAS und den gen oder Ototoxizität vermieden werden. Darüber hinaus gibt es
Sympathikotonus. Nesiritide wirkt somit bei der Therapie der Hinweise, dass die Hämofiltration die Letalitätsrate insbesondere
Herzinsuffizinez als Vor- und Nachlastsenker und steigert die bei Patienten mit bereits erhöhtem Kreatininspiegel im Vergleich
kardiale Auswurfleistung ohne direkte inotrope Effekte. Mehrere zur konservativen Diuretikatherapie senkt.

. Tab. 4.1. Vasodilatanzien und ihre Dosierung bei akuter Herzinsuffizienz


Substanz Dosierung Nebenwirkung
Glyceroltrinitrat Beginn mit 20 μg/min, Steigerung bis 200 μg/min
Glycerol-5-mononitrat
Isosorbiddinitrat Beginn mit 1 mg/h, Steigerung bis 10 mg/h
Nitroprussidnatrium 0,3–5 μg/kgKG/min Isozyanatvergiftung
Cave: Zur Vermeidung von Hypotonien langsame Gabe!
Invasive Blutdrucküberwachung!
4.7 · Therapie
117 4

. Tab. 4.2. Diuretika und Nierenersatztherapie bei akuter Herzinsuffizienz


Wirkstoff Dosis
Primär zu gebende Schleifendiuretika Furosemid 20–120 mg i.v. bei mäßiger Flüssigkeitseinlagerung
5–40 mg/h i.v. bei schwerer Flüssigkeitseinlagerung
Bumetanid 0,5–1,0 mg bei mäßiger Flüssigkeitseinlagerung
Torasemid 10–20 mg p.o. bei mäßiger Flüssigkeitseinlagerung
Zusätzlich bei Schleifendiuretikaresistenz Hydrochlorothiazid 25–50 mg 2-mal täglich
Zusätzlich bei Diuretikaresistenz und Alkalose Acetazolamid 0,5 mg
ggf. Carboanhydrasehemmer
Bei Diuretikaresistenz unter sequenzieller Tu- Dobutamin als Inotropikum Dosierung nach Blutdruck
bulusblockade und niedrigem Blutdruck Hämodialyse/Chronische venovenöse
Hämofiltration

Vasopressinantagonisten Hypotonie oder Nierenversagen eingesetzt werden. Ihre Schäd-


Die Therapie mit Vasopressinantagonisten stellt einen neuen An- lichkeit beruht auf einer Steigerung des myokardialen Sauer-
satz bei der dekompensierten Herzinsuffizienz dar. Das antidiu- stoffbedarfs und ihrer proarrhythmischen Wirkung. Zudem be-
retische Hormon Arginin-Vasopressin verursacht via Stimulation wirken Katecholamine dosisabhängig eine periphere Vasokons-
von V1a-Rezeptoren Vasokonstriktion und bewirkt über Stimula- triktion. Diese Nachlasterhöhung kann die Herzleistung ver-
tion von V2-Rezeptoren eine Wasserretention sowie Hyponatriä- schlechtern.
mie. Klinisch einsetzbare V2-Antagonisten stehen in Form der
beiden Substanzen Lixivaptan and Tolvaptan zur Verfügung. In Katecholamine und Inotropika
der placebokontrollierten SALT-Studie wurde an 450 Patienten Das klassische, bei der Therapie der akuten Herzinsuffizienz ein-
mit normovolämischer oder hypervolämischer Hyponatriämie gesetzte Katecholamin ist Dobutamin. Dobutamin wirkt sich
nachgewiesen, dass Tolvaptan die Serumnatriumkonzentration durch einen positiv-inotropen und einen weniger stark ausge-
über 30 Tage effektiv erhöht. Der primäre Effekt dieser Substanz prägten positiv-chronotropen Effekt über Bindung an den β1-
ist somit Wasserausscheidung ohne Ausscheidung von Elektro- bzw. den β2-Rezeptor aus. Indirekt kann Dobutamin in nied-
lyten; dies macht Tolvaptan zu einer neuen Klasse von Diuretika. rigeren Dosierungen über eine reflektorische Abnahme des
In 2 placebokontrollieren Studien an Patienten mit dekompen- Sympathikotonus auch eine periphere Vasodilatation bewirken.
sierter Herzinsuffizienz und einer EF <40% wurde durch die In hohen Dosierungen wirkt Dobutamin vasokonstriktorisch.
Gabe von Tolvaptan eine größere Gewichtsreduktion in der Tol- Die verschiedenen Intropika werden nachfolgend beschrieben.
vaptangruppe erreicht als mit der Standardtherapie inklusive der Ihre Dosierungen sind in . Tab. 4.3 aufgeführt.
Gabe von Diuretika, ohne dass es zu nennenswert mehr Neben- Dopamin wirkt über Bindung an periphere Dopaminrezep-
wirkungen wie Verschlechterung der Herz-Kreislauf-Parameter, toren in niedriger Dosierung zunächst vasodilatorisch. Die Vaso-
Hypokaliämie oder Verschlechterung der Nierenfunktion kam. dilatation erfolgt primär in den renalen, splanchnischen, koro-
Leider konnte in der daraufhin an über 4000 Patienten durchge- naren und zerebralen Gefäßbetten. Erst in höherer Dosierung
führten EVEREST-Studie in einem mittleren Beobachtungszeit- stimuliert Dopamin auch β-adrenerge Rezeptoren und vermittelt
raum von 9 Monaten kein Überlebensvorteil durch Tolvaptanga- hierüber eine Steigerung der myokardialen Kontraktilität und der
be bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz festgestellt werden. Herzleistung. In noch höheren Dosierungen bewirkt Dopamin
schließlich über eine α-adrenerge Stimulation eine Vasokonstrik-
Positiv-inotrope Substanzen tion. Diese dosisabhängige unterschiedliche Wirkung von Dopa-
Positiv-inotrope Substanzen sollten bei der Therapie der chro- min macht es in der praktischen Anwendung bei akuter Herzin-
nischen Herzinsuffizienz nur bei peripherer Hypoperfusion mit suffizienz schwer steuerbar.

. Tab. 4.3. Inotropika und Vasokonstriktiva und Dosierung bei Herzinsuffizienz


Bolus Infusionsgeschwindigkeit
Dobutamin Nein 2–20 μg/kgKG/min (β+)
Dopamin Nein <3 μg/kgKG/min: fragliche renale Effekte (Dopaminrezepor+)
3–5 μg/kgKG/min: positiv-inotrope Effekte (β+) >5 μg/kgKG/min: (β+), Vasokonstriktion (α+)
Milrinon 25–75 μg/kgKG über 10–20 min 0,375–0,75 μg/kgKG/min
Enoximon 0,25–0,75 mg/kgKG 1,25–7,5 μg/kgKG/min
Levosimendan 12–24 μg/kgKG über 10 min 0,1 μg/kgKG/min, ggf. Erniedrigung auf 0,05 oder Erhöhung auf 0,2 μg/kgKG/min
Noradrenalin Nein 0,2–1,0 μg/kgKG/min
Adrenalin Bolus: 1 mg i.v. bei Reanimation, 0,05–0,5 μg/kgKG/min
Wiederholung nach 3–5 min
118 Kapitel 4 · Akute Herzinsuffizienz und Lungenödem

! Cave Adrenalin
Insbesondere die Zunahmen des peripheren und auch des pul- Adrenalin bindet hoch affin an β1-, β2- und α-Rezeptoren und
monalen Widerstands können bei akuter kardialer Dekompen- bewirkt so neben einem positiv-inotropen Effekt v. a. eine Vaso-
sation deletäre Auswirkungen haben. konstriktion. Eine Indikation zum Einsatz von Adrenalin besteht
bei dobutaminrefraktärer Hypotension. Eine invasive Blutdruck-
Phosphodiesterasehemmer überwachung ist sinnvoll.
Die in der klinischen Praxis eingesetzten PDE-Hemmer Milrinon
und Enoximon üben β-Rezeptor-unabhängig durch eine Hem- Noradrenalin
mung des Abbaus von cAMP einen positiv-inotropen, chro- Noradrenalin bindet hoch affin an α-Rezeptoren und wird einge-
4 notropen und lusitropen Effekt aus und bewirken eine periphere setzt, um den peripheren Gefäßwiderstand zu erhöhen. Es findet
Vasodilatation mit entsprechendem Anstieg des ventrikulären klassisch in der Therapie der Sepsis seinen Einsatz. Bei der akuten
Schlagvolumens, des HZV und einer Abnahme von pulmonal- Herzinsuffizienz kann es mit Dobutamin kombiniert werden,
arteriellem Druck und pulmonalem Widerstand. Phosphodiestera- wenn der alleinige Einsatz von Dobutamin nicht ausreicht, um
sehemmer vereinigen somit Eigenschaften von Vasodilatoren einen adäquaten Blutdruck aufrechtzuerhalten.
und positiv-inotropen Substanzen. Ihr Einsatz ist indiziert, wenn
Zeichen der peripheren Hypoperfusion vorliegen, möglicherwei- Innovative Medikamente
se Wassereinlagerungen, die diuretikarefraktär sind, und wenn In klinischer Erprobung befindet sich derzeit ein Aktivator der
der systemische Blutdruck nicht erniedrigt ist. Die gefährlichste löslichen Guanylatzyklase, Bay 58-2667. In bisherigen präkli-
Nebenwirkung ist eine ausgeprägte Hypotonie aufgrund einer nischen und klinischen Studien hat Bay 58-2667 Wirksamkeit
starken peripheren Vasodilatation. Eine Möglichkeit, diese zu und Verträglichkeit gezeigt. Im Juni 2007 wurden die Ergebnisse
vermeiden, ist die langsame Verabreichung statt Bolusgabe von einer Phase-II-Studie veröffentlicht, die an Patienten mit akuter
Milrinon oder Enoximon am Beginn der Infusionstherapie. Herzinsuffizienz durchgeführt wurden. Die Studie zeigte, dass
die Therapie mit dem Guanylatzyklaseaktivator zu einer Vor-
> Eine Verbesserung der Prognose wurde durch Behandlung
sowie Nachlastsenkung führt und effektiv den pulmonalen Wi-
mit PDE-Hemmern trotz gelegentlicher günstiger hämodynami-
derstand senkt. Eine Phase-IIb-Studie wurde im Dezember 2007
scher Effekte nicht erzielt.
begonnen.

Levosimendan
Kalziumsensitizer stellen eine neue Gruppe von Substanzen dar, 4.7.2 Atmungsunterstützende Therapie
die über eine Erhöhung der Kalziumsensitivität der kontraktilen
Proteine die myokardiale Kontraktilität erhöhen, ohne die Kal- > Eine der wesentlichsten Maßnahmen, um beim Patienten mit
ziumkonzentration in den Herzmuskelzellen zu erhöhen. Durch akuter Herzinsuffizienz die Oxygenation zu verbessern, ist die
eine Öffnung von Kaliumkanälen in Gefäßmuskelzellen wirken Gabe von Sauerstoff über eine Nasensonde oder eine Maske.
sie zusätzlich vasodilatierend. Möglicherweise besteht auch eine
schwache PDE-hemmende Wirkung. Die am besten untersuchte Angestrebtes Ziel ist eine Sauerstoffsättigung im Normbereich,
Substanz ist Levosimendan. Levosimendan bewirkt bei Patienten d. h. zwischen 95–97%. Primär wird der Sauerstoff über eine
mit akuter Herzinsuffizienz einen Anstieg des Schlagvolumens, Nasensonde gegeben. Eine mechanische Beatmung ist nur bei
des Herzindex und verringert den pulmonalarteriellen Druck unzureichendem Erfolg indiziert. In diesem Zusammenhang soll
sowie den pulmonalen Widerstand. Die wichtigste, da erste darauf hingewiesen werden, dass eine zu hohe Sauerstoffkon-
doppelblinde randomisierte Studie zur Evaluation von Levo- zentration in der Atemluft durchaus auch negative Effekte haben
simendan, die die Letalität als primären Endpunkt hatte, war die kann. Hierzu gehören verminderte Koronarperfusion, vermin-
SURVIVE-Studie, in der die Wirksamkeit von Levosimendan mit derter kardialer Auswurf, Blutdruckerhöhung und kardiale Ar-
der von Dobutamin verglichen wurde. Diese Studie an 1327 Pa- rhythmien, Erhöhung des peripheren Widerstands und im Trend
tienten mit schwerer dekompensierter Herzinsuffizienz und eine Erhöhung der Letalitätsrate.
einer LVEF ≤30% zeigte keinen Unterschied bezüglich der Leta-
litätsrate in den ersten 180 Tagen zwischen levosimendan- und Nichtinvasive Ventilation
dobutaminbehandelten Patienten. Diese Studie hat den früheren Für die nichtinvasive Ventilation stehen 2 Techniken zur Verfü-
Enthusiasmus sehr relativiert. Wahrscheinlich bleiben somit Kal- gung: CPAP und die nichtinvasive positive Druckbeatmung
ziumsensitizer lediglich hämodynamisch nützliche Medikamente (NIPPV). Eine kontinuierliche Druckerhöhung in den Atem-
in der Akutsitutation, wenn andere Möglichkeiten, das HZV zu wegen (PEEP) durch eine CPAP-Maske führt zu einer Verbesse-
steigern, nicht mehr greifen. rung der pulmonalen Compliance, zu verminderten transdia-
phragmalen Druckbewegungen und zu verminderter diaphrag-
Vasokonstriktoren maler Atemarbeit. Hieraus resultieren eine erleichterte Atem-
Vasokonstriktorisch wirkende Medikamente sollten bei der aku- arbeit und ein geringerer Energieverbrauch. »Nasal intermittent
ten Herzinsuffizienz nur eingesetzt werden, wenn durch andere positive pressure ventilation« ist eine technische Weiterentwick-
genannte Substanzen kein adäquater arterieller Blutdruck und lung, für deren Anwendung es jedoch einer Beatmungsmaschine
keine adäquate Organperfusion erreicht werden können. Durch bedarf. Letztlich wird bei der NIPPV inspiratorische Atemunter-
ihre die kardiale Nachlast erhöhende Wirkung führen sie zu einer stützung mit PEEP kombiniert. Beide Techniken, CPAP und
zusätzlichen Belastung des Herzens. Deshalb sollte ihr Einsatz NIPPV, führen zu einer Abnahme der Intubationsnotwendigkeit.
auch nur unter Vorsicht und so kurz wie möglich erfolgen. Kont- Für die frühe Anwendung der CPAP-Beatmung bei Patienten mit
rollierte Studien hinsichtlich der Prognose gibt es nicht. akutem Lungenödem wurde darüber hinaus in kleineren Einzel-
Literatur
119 4

studien auch eine Abnahme der Krankenhaussterblichkeitsrate 4.8 Zusammenfassung


berichtet.
Eine akute Herzinsuffizienz tritt als Folge einer dekompensierten
Invasive Ventilation chronischen Herzinsuffizienz oder als Neumanifestation auf.
Intubation und mechanische Beatmung sollten nur dann erfol- Sie erfordert eine sofortige Evaluation und Behandlung. Zur Di-
gen, wenn durch Sauerstoffgabe oder nichtinvasive Atmungs- agnose gehören Anamneseerhebnung, EKG und Laborunter-
unterstüzung eine ausreichende Oxygenierung erreicht werden suchungen, einschließlich BNP/proBNP-Bestimmung. Eine
kann. Grund ist meist eine Erschöpfung der Atmungsmuskula- Echokardiographie sollte so schnell wie möglich erfolgen.
tur, die an einer Zunahme der Atemfrequenz und einer Hyper- Die Behandlung besteht aus:
kapnie erkennbar wird. 4 Verbesserung der Oxygenierung durch Verwendung einer
Sowohl für die Einleitung einer nichtinvasiven als auch einer Gesichtsmaske oder mithilfe der CPAP- oder der NIPPV-
invasiven Beatmung gelten konkret folgende Kriterien: Unterstützung,
4 pO2 trotz O2-Maskenbeatmung <55 mmHg, 4 Gabe von Vasodilatoren,
4 pCO2 >50–55 mmHg, 4 Diuretikatherapie, intial mit Furosemid, ggf. auch Nierener-
4 Atemfrequenz >30/min und satzverfahren,
4 Atemzugvolumen <7 ml/kgKG. 4 Opiatgabe zur symptomatischen Verbesserung, Reduktion
des pulmonalen Widerstands und Anxiolyse,
4 i.v.-Flüssigkeitsgabe bei vorlastabhängigem Pumpversagen
4.7.3 Mechanische Kreislaufunterstützung oder Zeichen eines unzureichenden Füllungsdruckes,
4 schnelle Behandlung metabolischer oder organspezifischer
Eine mechanische Kreislaufunterstützung ist indiziert, wenn der Komplikationen,
Patient auf die konservativen Therapiemaßnahmen nicht aus- 4 sofortige Behandlung eines akuten Koronarsyndroms oder
reichend anspricht, potenziell eine Stabilisierung möglich ist oder anderer zugrunde liegender kardialer Erkrankungen sowie
die Zeit bis zu einer Notfalltransplantation überbrückt werden 4 rascher Einleitung der Therapie einer chronischen Herzin-
soll. suffizienz nach Stabilisierung des Patienten.

Intraaortale Ballongegenpulsation Abhängig von der Hämodynamik sind zusätzlich Katecholamine


Eine IABP-Behandlung ist heute Standard bei der Behandlung oder alternative positiv-intrope Substanzen wie Kalziumsensiti-
des kardiogenen Schocks, wenn der Patient nicht ausreichend zer einzusetzen. Bei unzureichender Kreislaufstabilität stellt die
schnell auf Flüssigkeitsgabe, Vasodilatation oder inotrope Subs- IABP-oder Assist-device-Implantation eine sinnvolle Therapie-
tanzen anspricht, wenn die kardiale Dekompensation durch eine eskalation dar.
schwere Mitralinsuffizienz oder eine Septumruptur hervorge-
rufen wird oder wenn eine ausgeprägte myokardiale Minderper-
fusion vorliegt. Durch die synchonisierte Inflation eines 30- bis Literatur
50-ml-Ballons in der Aorta descendens während der Diastole
werden eine Erhöhung des diastolischen Blutdrucks und damit Heart Failure Society of America (2006) Evaluation and management
eine Verbesserung der Koronarperfusion erreicht. Kontraindika- of patients with acute decompensated heart failure. J Card Fail 12:
tion stellt eine Aortendissektion oder eine höhergradige Aorten- e86–e103. http://www.heartfailureguideline.org/document/2006_
insuffizienz dar. heart_failure_guideline_sec_121.pdf. Cited 03 March 2008
Mehta R, Feldman D (2005) Acute decompensated heart failure: best evi-
»Ventricular assist devices« dence and current practice. Minerva Cardioangiol 53: 537–547
Nieminen MS, Böhm M, Cowie MR et al.; ESC Committe for Practice Guide-
Ventricular assist devices sind mechanische Pumpen, die teil-
line (CPG) (2005) Executive summary of the guidelines on the diagno-
weise oder ganz die mechanische Tätigkeit eines oder beider sis and treatment of acute heart failure: the Task Force on Acute Heart
Ventrikel ersetzen. Sie liegen als intrakorporal implantierbare Failure of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 26: 384–416.
oder extrakorporale Pumpen vor. Einige Geräte ermöglichen die http://www.escardio.org/knowledge/guidelines/ACUTE_HEART_
extrakorporale Oxygenierung. Neben Pumpen, die eine opera- FAILURE.htm?escid=44618. Cited 03 March 2008
tive Implantation erfordern, gibt es mittlerweile auch trans- Sharma M, Teerlink JR (2004) Rational approach for the treatment of acute
femoral zu applizierende Untersützungssysteme, die zumindest heart failure: current strategies and future options. Curr Opin Cardiol
eine kurzfristige Kreislaufstabilisierung ermöglichen. Bei Patien- 19: 254–263
ten mit terminaler Herzinsuffizienz kann die Prognose durch die Swedberg K, Cleland J, Dargie H et al.; Task Force for the Diagnosis and Treat-
ment of Chronic Heart Failure of the European Society of Cardiology
Überbrückung mit einem Assist device verbessert werden. Kom-
(2005) Guidelines for the diagnosis and treatment of chronic heart fail-
plikations- und Infektionsraten sind jedoch hoch.
ure: executive summary (update 2005). The Task Force for the Diagnosis
and Treatment of Chronic Heart Failure of the European Society of Car-
Herztransplantation diology. Eur Heart J 26: 1115–1140, http://www.escardio.org/knowledge/
Die notfallmäßige Herztransplantation stellt sich als extrem sel- guidelines/Chronic_Heart_Failure.htm. Cited 03 March 2008
tene therapeutische Maßnahme dar. Über die Indikation wird im Zannad F, Adamopoulos C, Mebazaa A, Gheorghiade M (2006) The chal-
7 Kap. 28 berichtet. lenge of acute decompensated heart failure. Heart Fail Rev 11: 35–39
121 5

Chronische Herzinsuffizienz
U.C. Hoppe, E. Erdmann

5.1 Definition und Epidemiologie – 121 5.6.2 β-Rezeptorenblocker – 150


5.1.1 Definition – 122 5.6.3 Diuretika – 153
5.1.2 Epidemiologie – 122 5.6.4 Aldosteronantagonisten – 155
5.6.5 AT1-Rezeptorantagonisten – 157
5.2 Pathophysiologie – 123 5.6.6 Herzglykoside – 158
5.2.1 Morphologische Grundlagen – 123 5.6.7 Kalziumantagonisten – 160
5.2.2 Molekulare Mechanismen der Kontraktion – 124 5.6.8 Vasodilatanzien (außer ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten
5.2.3 Regulation der Kontraktionskraft – 126 und Kalziumantagonisten) – 161
5.2.4 Pathophysiologische Regulationsmechanismen – 127 5.6.9 Antikoagulation – 163
5.2.5 Determinanten und Beurteilung der 5.6.10 Antiarrhythmische Therapie – 164
Herzfunktion – 133 5.6.11 Andere Substanzen – 165
5.2.6 Organdurchblutung und Herzauswurfleistung – 134
5.2.7 Skelettmuskelstoffwechsel bei Herzinsuffizienz – 136 5.7 Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz – 165
5.2.8 Gefäßperipherie bei Herzinsuffizienz – 136 5.7.1 Therapie der Grunderkrankung – 165
5.2.9 Pathogenese des kardialen Ödems – 137 5.7.2 Diuretika/Nitrate – 166
5.7.3 ACE-Hemmer – 166
5.3 Klinische Symptome – 138 5.7.4 AT1-Antagonisten – 166
5.3.1 Vorwärts- und Rückwärtsversagen – 138 5.7.5 β-Rezeptorenblocker – 166
5.3.2 Systolische und diastolische Herzinsuffizienz – 139 5.7.6 Herzglykoside – 166
5.3.3 »Low-output«- und »High-output«- 5.7.7 Kalziumantagonisten – 167
Herzinsuffizienz – 139 5.7.8 Erhaltung des Sinusrhythmus bei diastolischer
5.3.4 Akute und chronische Herzinsuffizienz – 139 Herzinsuffizienz – 167
5.3.5 Klassifikationskriterien
(revidierte NYHA-Klassifikation) – 139 5.8 Elektrostimulation – 167
5.8.1 Schrittmachertherapie – 167
5.4 Diagnose und Differenzialdiagnose – 140 5.8.2 Kardiale Resynchronisationstherapie – 167
5.4.1 Grundlagen der Diagnostik – 140 5.8.3 Implantierbare Kardioverter/Defibrillatoren – 169
5.4.2 Nachweis- und Ausschlussdiagnostik – 140 5.8.4 Kardiale Kontraktilitätsmodulation – 169
5.4.3 Differenzialdiagnostik – 141
5.4.4 Diagnostische Verfahren – 141 5.9 Mechanische Kreislaufunterstützung – 170

5.5 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz – 146 5.10 Operative Verfahren – 171
5.5.1 Therapieziele – 146 5.10.1 Andere interventionelle Verfahren – 171
5.5.2 Nichtpharmakologische Behandlung – 147 5.10.2 Akut verschlechterte und therapieresistente
Herzinsuffizienz – 171
5.6 Medikamentöse Therapie der chronischen
systolischen Herzinsuffizienz – 148 Literatur/Leitlinien – 175
5.6.1 ACE-Hemmer – 148

5.1 Definition und Epidemiologie Die beiden wichtigsten Leitlinien zur Diagnostik und Therapie
der chronischen Herzinsuffizienz sind im Internet unter folgen-
)) den Adressen abrufbar:
4 http://www.dgk.org/leitlinien und
Unter Herzinsuffizienz versteht man üblicherweise ein kardial be- 4 http://www.escardio.org/guidelines.
dingtes, unter Ruhe- oder Belastungsbedingungen absolut oder
relativ vermindertes Herzminutenvolumen. Die Herzinsuffizienz Diese Leitlinien werden regelmäßig aktualisiert.
muss von der Kreislaufinsuffizienz abgegrenzt werden, deren Ur-
sachen mehr im Bereich des peripheren Gefäßsystems (Vasodila-
tation bei Sepsis, vagovasale Reaktion) oder des zirkulierenden
Blutvolumens (Entblutungsschock, Leber- oder Nierenerkrankung
mit Wasserretention), der Herzklappen und des Perikards liegen.
122 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

5.1.1 Definition
Übersicht 5.1. Pathogenese des Kontraktilitätsver-
Definition sagens (Einteilung nach zellphysiologischen Gesichts-
Pathophysiologisch stellt die Herzinsuffizienz ein Syndrom punkten)
aus kardial bedingter Minderperfusion, lebenswichtiger
Organe mit sekundärer neurohumoraler Aktivierung und 1. Beeinflussung zellmembranständiger Rezeptoren für
Schädigung dieser Organe (z. B. Nieren) dar. Hormone oder Pharmaka (z. B. Schilddrüsenhormone,
STH, β-Adrenozeptorantagonisten, Herzglykoside, Anti-
arrhythmika) und des cAMP-Systems
Klinisch liegt dann eine Herzinsuffizienz vor, wenn typische Symp- 2. Beeinflussung der passiven Permeabilität der Zell-
tome wie z. B. Dyspnoe, Müdigkeit (Leistungsminderung) und/ membran für Ionen (z. B. Lidocain, Anticholinergika,
5 oder Flüssigkeitsretention auf dem Boden einer kardialen Funk- Kalziumantagonisten, Urämietoxine, Nickel, Saponine,
tionsstörung bestehen. Bei einer asymptomatischen linksventriku- diverse Schlangengifte, Bakterientoxine)
lären Dysfunktion besteht eine objektivierbare kardiale Dysfunk- 3. Beeinflussung des aktiven Ionentransports (z. B. Glyko-
tion, der Patient ist jedoch unter Therapie beschwerdefrei. side, Lithium, Kalium)
4. Funktionsänderungen des sarkoplasmatischen Retiku-
Herzmuskelmechanische Gesichtspunkte lums (z. B. durch Senkung der extrazellulären Kalzium-
Nach herzmuskelmechanischen Gesichtspunkten lässt sich folgen- konzentration, nach Blockierung der oxidativen Phos-
de Einteilung zur Pathogenese des Myokardversagens treffen: phorylierung, nach Freisetzen membranschädigender
4 Veränderung der Vorlast: Volumenbelastungen und -entlas- Enzyme aus Lysosomen, Membranschädigung durch
tungen (z. B. Hypervolämie, Aorteninsuffizienz, Mitralinsuf- Schlangengifte
fizienz; vermindertes venöses Angebot), 5. Störungen der oxidativen Phosphorylierung (O2-Mangel,
4 Veränderung der Nachlast: Druckbelastungen und -entlas- Dinitrophenol, Oligomycin, Kobalt, Blei, Thallium, Zyanid,
tungen (z. B. arterielle Hypertonie, pulmonale Hypertonie, Kohlenmonoxid, Halothan)
arterioläre Vasodilatation), 6. Regulatorische und kontraktile Proteine: Veränderungen
4 Veränderungen der Kontraktilität: ischämische Herzerkran- der Sarkomere (z. B. Vorlast), anomales Myofibrillen-
kung, negativ-inotrop wirkende Pharmaka, Myokarditis, pri- wachstum (z. B. hypertrophische obstruktive Kardio-
märe Kardiomyopathien, myopathie)
4 Veränderung der Ventrikeldehnbarkeit: diastolische Dysfunk- 7. Verminderung der kalziumabhängigen ATPase-Aktivität
tion, Myokardhypertrophie, restriktive Kardiomyopathie, (Acidose, Kobalt, Nickel, Chlorpromazin, Halothan)
Speicherkrankheiten, konstriktive Perikarditis, 8. Schädigung der Lysosomen mit Freisetzung Iysosomaler
4 Veränderungen der Herzfrequenz: bradykarde oder tachy- Enzyme (Blei, Schlangengifte, Viren)
karde Herzrhythmusstörungen (unterhalb und oberhalb der 9. Änderungen der Proteinsynthese (Antimetaboliten,
sog. kritischen Herzfrequenz). Viren, Alkohol, Diphtherietoxin, ionisierende Strahlen)
10. Störungen des mitochondrialen ATP-/ADP-Transports
Zellphysiologische Gesichtspunkte (durch Autoantikörper, Toxine)
Bei der spezifischeren Einteilung nach zellphysiologischen Ge-
sichtspunkten wird die Pathogenese des Kontraktionsversagens
beschrieben. Die in 7 Übersicht 5.1 zusammengefassten Mecha-
nismen können beteiligt sein. enthalt ist die Prognose der systolischen (verminderte Pump-
Makroskopisch lassen sich kardiale lokale Pumpfunktions- kraft) und diastolischen (erhöhte Ventrikelsteifigkeit) Herzinsuf-
störungen und die generalisierte Einschränkung der Pumpfunk- fizienz vergleichbar schlecht.
tion als Ursache einer Herzinsuffizienz differenzieren:
4 umschriebene Kontraktionsstörung: Inzidenz
5 KHK mit umschriebenen Infarkten und/oder Aneu- Die Herzinsuffizienz stellt eine der häufigsten internistischen Er-
rysmen, krankungen dar. Die Prävalenz der symptomatischen Herzinsuf-
5 Traumen, fizienz wird in der europäischen Gesamtbevölkerung auf 0,4–2%
5 Chagas-Erkrankung; geschätzt. In wesentlichen Ländern treten pro Jahr 1–4/1000 Neu-
4 globale Kontraktionsstörung: erkrankungen auf. Häufigkeit und Inzidenz sind dabei mit
5 DCM, einem mittleren Lebensalter herzinsuffizienter Patienten von
5 Myokarditis, etwa 74 Jahren deutlich altersabhängig. Im Alter zwischen 45 und
5 toxische Ursachen, 55 Jahren leiden weniger als 1% der Bevölkerung an einer Herz-
5 langjährige Druckbelastung. insuffizienz, zwischen dem 65. und 75. Jahr bereits 2–5% und bei
über 80-Jährigen fast 10%. Männer sind dabei mit einer Ge-
schlechterrelation von etwa 1,5:1 häufiger betroffen als gleich-
5.1.2 Epidemiologie altrige Frauen. Etwa 30–40% herzinsuffizienter Patienten haben
eine erhaltene linksventrikuläre systolische Pumpfunktion, und
Sterblichkeit man geht davon aus, dass ihre Symptomatik primär durch eine
Die chronische Herzinsuffizienz hat stadienabhängig nach einem ventrikuläre Relaxations- und Compliance-Störung und damit
Krankheitsverlauf über Wochen und Monate eine hohe Sterblich- eine diastolische Herzinsuffizienz bedingt ist. Hiervon sind be-
keit von 20–30% pro Jahr. Nach erstmaligem Krankenhausauf- sonders ältere Frauen betroffen.
5.2 · Pathophysiologie
123 5

Beim Cor pulmonale ist primär der rechte Ventrikel be-


troffen. Makroskopisch zeichnet sich ein chronisch insuffizi-
entes Herz durch eine abgerundete Spitze und eine Vergröße-
rung seines Querdurchmessers aus. Es nähert sich so einer
Kugelform an. Die Gewichtsvermehrung des insuffizienten Her-
zens beruht im Wesentlichen auf einer Zunahme der Muskel-
masse, zu der allerdings auch eine vermehrte Einlagerung von
Kollagen beiträgt.

Makroskopische Untersuchungen
Das Herzgewicht liegt beim normalgewichtigen erwachsenen
Mann bei 300–350 g. Eine Myokardhypertrophie kann durch
schwere körperliche Arbeit oder durch Hochleistungssport ent-
stehen. Auch hier nehmen die Herzmuskelfasern wie beim phy-
. Abb. 5.1. Einfluss von Alter und Herzfrequenz auf die Inzidenz der
siologischen Wachstum an Länge und Breite zu. Dieser Vorgang
Herzinsuffizienz (Daten der Framingham-Studie, 30 Jahre) kann bis zu einem kritischen Herzgewicht von 500 g statt-
finden.
In seltenen Fällen kann dieses kritische Gewicht über-
Ätiologische Aspekte schritten werden. Bei der pathologischen Myokardhypertrophie
Chronische Drucküberlastung nehmen auch die Herzmuskelzellkerne an Größe zu. Häufig
Die chronische Drucküberlastung des linken Ventrikels ist ein treten polyploide Kerne auf. Da das Kernvolumen hinter
entscheidender ätiologischer Faktor bei der Entwicklung sowohl der Vergrößerung der Herzmuskelzellen zurückbleibt, wird
einer systolischen als auch einer diastolischen Herzinsuffizienz. die Kern-Plasma-Relation zugunsten des Plasmas verschoben.
Die Höhe des Blutdrucks korrelierte unmittelbar mit der Inzidenz Die Anzahl der Myofibrillen und der Mitochondrien nimmt
einer Herzinsuffizienz. Inwieweit die diastolische Dysfunktion im zu.
Weiteren in eine systolische Herzinsuffizienz übergeht oder ein Limitierender Faktor für die Myokardhypertrophie ist u. a.
eigenständiges Krankheitsbild darstellt, ist zurzeit nicht geklärt. die Blutversorgung. Beim Erwachsenen kommt auf eine Kapillare
etwa eine Herzmuskelfaser. Beim Neugeborenen mit kleineren
Koronare Herzkrankheit Herzmuskelfasern ist die Kapillardichte etwa so groß wie beim
Die KHK ist neben der chronischen Drucküberlastung die wich- Erwachsenen. Bei einer pathologischen Hypertrophie kommt es
tigste Ursache für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz, be- begleitend in gewissem Rahmen zu einer Vermehrung der Kapil-
sonders nach durchgemachtem Myokardinfarkt. In einer epi- laren. Eine Einschränkung der relativen Myokarddurchblutung
demiologischen Studie aus Finnland zeigte sich, dass in 80% der tritt durch den erhöhten Sauerstoff- und Substratbedarf des hy-
Fälle mit Herzinsuffizienz entweder eine Hypertonie oder eine pertrophierten Herzens bei einer relativ konstanten Perfusion
KHK vorliegt. durch epikardiale Koronargefäße auf.
Eine koronare Makroangiopathie, aber auch eine Hyalinose
Herzfrequenz kleiner Gefäße (Diabetes, Hypertonie) können zusätzlich eine
Als myokardialer Risikofaktor bei der Entwicklung einer Herz- Koronarminderperfusion bedingen und Symptome einer koro-
insuffizienz ist außerdem die Höhe der Herzfrequenz zu werten. naren Ischämie entstehen lassen.
Die Korrelation zwischen dem beobachteten Auftreten der Herz-
> Die chronische Herzinsuffizienz lässt typische pathomorpho-
insuffizienz und der Herzfrequenz bei Patienten, die jünger bzw.
logische Veränderungen vermissen. Beim dilatierten Herzen
älter als 64 Jahre sind, ist in . Abb. 5.1 dargestellt. Man sieht, dass
kommt es allerdings nicht selten zu kleinen fleckförmigen
die Inzidenz der Herzinsuffizienz in Abhängigkeit von der Herz-
Narben und Nekrosen, die insbesondere subendokardial auf-
frequenz ansteigt.
treten.

5.2 Pathophysiologie Mikroskopische Untersuchungen


Quantitative Untersuchungen haben ergeben, dass chronisch
5.2.1 Morphologische Grundlagen dilatierte Herzen einen vermehrten Gehalt an kollagenen Fasern
aufweisen. Bei der chronischen Dilatation lässt sich der Deh-
Trotz vieler möglicher Entstehungsursachen finden sich bei der nungsgrad grob an den Querstreifenabständen der Herzmuskel-
Herzinsuffizienz typischerweise eine Dilatation der Herzhöhlen fasern ermitteln.
und eine Hypertrophie der einzelnen Myokardfasern. Ausnah- Mikroskopische Untersuchungen haben allerdings gezeigt,
men sind hier Speicherkrankheiten (Amyloidose, Glykogenspei- dass die einzelne Herzmuskelfaser bei stark dilatierten, chronisch
cherkrankheiten), die verdickte Herzwände aufweisen können. insuffizienten Herzen nicht überdehnt ist. Die Sarkomerlänge ist
Beim dekompensierten Hochdruckherzen kommt es zu- bei einem normalgewichtigen Herzen mit normaler Ventrikel-
nächst zu einer linksventrikulären Hypertrophie und später zu größe und im chronisch insuffizienten Herzen mit großen dila-
einer Dilatation. Die Erhöhung der diastolischen Füllungsdrücke tierten Ventrikeln ähnlich (ca. 2,2 μm). Dies spricht dafür, dass es
und die hierdurch entstehende postkapilläre pulmonale Hyper- zu einer Gefügedilatation mit Veränderungen des Längenwachs-
tonie ziehen häufig auch eine rechtsventrikuläre Hypertrophie tums der Myofibrillen und einer Dilatation im Interstitium der
und später eine rechtsventrikuläre Dilatation nach sich. kollagenen Matrix kommt.
124 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

> Charakteristisch für die pathologisch anatomischen Befunde bei dige Kalziumkanäle vom L-Typ und möglicherweise auch T-Typ
der Herzinsuffizienz ist die ausgeprägte Diskrepanz zwischen (wahrscheinlich nur am Erregungsleitungsgewebe) mit der damit
der makroskopisch beeindruckenden Myokarddilatation und verbundenen kalziuminduzierten Kalziumfreisetzung aus dem
den fehlenden typischen lichtmikroskopischen Veränderungen. sarkoplasmatischen Retikulum abhängig.
Weitere Einflussfaktoren sind das Natrium-Kalzium-Austau-
Elektronenmikroskopische und immunhisto- schersystem. Darüber hinaus wird Kalzium über die Kalzium-
chemische Untersuchungen ATPase aktiv aus der Zelle heraustransportiert oder durch die
Elektronenmikroskopische und immunhistochemische Unter- kalziumabhängige ATPase des sarkoplasmatischen Retikulums
suchungen zeigen, dass es zu einer deutlichen Zunahme von Kol- wieder in die intrazellulären Speicher aufgenommen.
lagen-Typ I und III kommt. Die vermehrte Ablagerung von Kol- Weiterhin sorgen eine ganze Anzahl von Proteinen wie z. B.
lagen geht mit erhöhten m-RNA-Konzentrationen dieser Pro- Calmodulin und Troponin C für eine Pufferkapazität des Intra-
5 teine einher; dies deutet auf eine vermehrte Neubildung dieser zellulärraums für Kalzium. Während der schnellen Depolarisa-
Kollagensubtypen hin. tion (Phase I) des Aktionspotenzials kommt es außerdem zu
Außerdem ist die Quervernetzung der Kollagene erhöht, was einem schnellen Einstrom von Natrium. Kalzium wird im Aus-
eine vermehrte Steifigkeit des Herzens erzeugt und zu der häufig tausch gegen Natrium durch ein spezifisches Natrium-Kalzium-
beobachteten diastolischen Dysfunktion beiträgt. Änderungen der Austauschersystem aus der Zelle transportiert.
Zellmatrixproteine Desmin, Vimentin und Titin werden mit einer
Veränderung der geometrischen Anordnung von Myofilamenten Intrazelluläre Natriumhomöostase
und Myokardfasern in Verbindung gebracht und sind ebenfalls Die intrazelluläre Natriumhomöostase (normale Konzentration
Faktoren, die eine Einschränkung der Kontraktilität mit sich 8 mmol/l) wird wiederum durch die Natrium-Kalium-ATPase
bringen können. Die Myokardhypertrophie und die interstitielle der Zellmembran hergestellt. Eine Hemmung der Natrium-Ka-
Fibrose spielen wahrscheinlich eine wichtige Rolle beim Pumpver- lium-ATPase, z. B. durch Herzglykoside, führt zu einer erhöhten
sagen des Herzens. Matrixmetallproteinasen und deren endogene intrazellulären Natriumkonzentration. Dieses akkumulierte
Inhibitoren (TIMPS) sind pathophysiologisch bedeutsam. Natrium steht dann dem Natrium-Kalzium-Austauscher ver-
mehrt zur Verfügung.
Dadurch erhöht sich systolisch die intrazelluläre Kalzium-
5.2.2 Molekulare Mechanismen der Kontraktion konzentration, die im sarkoplasmatischen Retikulum gespeichert
werden kann und dann vermehrt für die nächste Kontraktion
Elektromechanische Kopplung nach Aktivierung der kalziumgetriggerten Kalziumfreisetzung
zur Verfügung steht. Ein Schema des Natrium-Kalzium-Austau-
> Die gemeinsame Endstrecke aller Mechanismen, die an der
schersystems zeigt . Abb. 5.2.
Regulation der myokardialen Kontraktionskraft beteiligt sind,
ist die Modulation der intrazellulären Kalziumkonzentration und
Langsamer Kalziumeinstrom
der Empfindlichkeit der kontraktilen Proteine für Kalzium.
Die Regulation der Kontraktionskraft am normalen Herzen ge-
Unter der elektromechanischen Kopplung der Myokardzelle ver- schieht in erster Linie durch Veränderungen der Größe des sog.
steht man biophysikalische und biochemische Vorgänge, die zwi- langsamen Kalziumeinstroms.
schen der elektrischen Erregung der Zellmembran und der Kon- Durch eine Erhöhung desselben kommt es zu einer vermehr-
traktion der einzelnen Herzmuskelzelle ablaufen. Ausgehend ten Aktivierung der kalziuminduzierten Kalziumfreisetzung und
von einem Ruhepotenzial von ca. -90 mV depolarisiert die Herz- außerdem zu einer vermehrten Beladung des sarkoplasmatischen
muskelzelle nach Aktivierung durch ein Aktionspotenzial, und es Retikulums mit Kalzium. Die wichtigste Regulation dieses Kal-
öffnen sich spannungsabhängige Kalziumkanäle. Ionenkanäle ziumstroms erfolgt durch eine Aktivierung des sympathischen
wie der Kalziumkanal sind spezifische Proteine, die die Membran Nervensystems über β-Adrenozeptoren und eine vermehrte Bil-
durchspannen, Poren bilden und im geöffneten Zustand be- dung des Botenstoffes cAMP.
stimmten Ionen selektiv den Eintritt in das Zellinnere erlauben. Im Gegensatz zur Kontraktion in der Systole benötigt die
Relaxation einen aktiven Rücktransport von Kalzium in das sarko-
Kalziumeinstrom plasmatische Retikulum. Es handelt sich hierbei um einen ener-
Die Öffnung der Kanäle erfolgt durch einen Spannungssensor, gieverbrauchenden Prozess, der ATP-abhängig ist, da dieser
der bei bestimmten Membranpotenzialen zu Konformations- Transport durch die Kalzium-ATPase des sarkoplasmatischen
änderungen des Proteins führt, das hierdurch für Ionen durchläs- Retikulums gegen einen starken Konzentrationsgradienten er-
sig wird. Diese Ionen strömen dann entlang eines elektrischen folgen muss. Dieser Transportmechanismus muss so schnell sein,
Gradienten aus dem Extrazellulärraum in die Zelle ein. Die ein- dass Kalzium vom Troponin C abdiffundieren kann und somit
strömenden Kalziumionen führen zur weiteren Freisetzung von die Relaxation des Muskels ermöglicht wird. Dabei wird für die
Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Durch diese Rückaufnahme von 2 Kalziumionen in das sarkoplasmatische
kalziuminduzierte Kalziumfreisetzung aus sog. ryanodinsensi- Retikulum 1 ATP-Molekül benötigt.
tiven Ca2+-Freisetzungskanälen kommt es zum Anstieg der freien
Kalziumkonzentration, die daraufhin die Kontraktion der Myo- Beschleunigte Kalziumrückaufnahme
kardzelle initiiert. Die Feinregulation der beschleunigten Kalziumrückaufnahme in
das sarkoplasmatische Retikulum wird über das Protein Phos-
Natrium-Kalzium-Austauschersystem pholamban vermittelt. Unter basalen Bedingungen hemmt Phos-
Die intrazelluläre Kalziumverfügbarkeit der Myokardzelle ist pholamban die Wiederaufnahme von Kalzium durch die Kal-
allerdings nicht nur vom Kalziumeinstrom durch membranstän- zium-ATPase in das sarkoplasmatische Retikulum. Nach Phos-
5.2 · Pathophysiologie
125 5

. Abb. 5.2. Schema der intrazellulären Natrium-Kalzium-Homöostase. potenzials, findet der umgekehrte Prozess statt: Kalziumionen werden
Durch Natrium-Kalzium-Austauscher werden transmembranär 3 Natrium- in die Zelle, Natriumionen aus der Zelle transportiert. Die intrazelluläre
ionen gegen 1 Kalziumion ausgetauscht. Während des Ruhemembran- Natrium-Kalium-Homöostase wird durch die Natrium-Kalium-ATPase
potenzials wird Kalzium aus der Zelle und Natrium in die Zelle trans- der Zellmembran hergestellt, durch die ATP-abhängig 3 Natrium- gegen
portiert. Während der Depolarisation, und zwar am Beginn des Aktions- 2 Kaliumionen ausgetauscht werden

phorylierung durch verschiedene Proteinkinasen (insbesondere Dieser letztgenannte Befund erklärt, warum in der Dias-
die cAMP-abhängige Proteinkinase) vermindert sich diese in- tole nicht nur die zytoplasmatische Kalziumkonzentration
hibierende Wirkung von Phospholamban, die das Protein nur in schneller fällt, sondern auch, warum die diastolischen Kal-
seiner dephosphorylierten Form ausüben kann. Dementspre- ziumkonzentrationen absolut gesenkt werden können. Ein
chend zeigt sich nach der Phosphorylierung von Phospholamban Schema des sarkoplasmatischen Kalziumionentransports zeigt
eine Stimulation der Kalziumtransportrate in das sarkoplasma- . Abb. 5.3.
tische Retikulum.
> Veränderungen aller einzelnen Schritte der elektromechani-
schen Kopplung können als pathophysiologisch relevante
Kalziumhomöostase
Faktoren für eine veränderte intrazelluläre Kalziumhomöostase
Dieser Mechanismus ist für den positiv-lusitropen Effekt nach
verantwortlich sein.
einer β-adrenergen Stimulation mit einer Erhöhung des zellulä-
ren cAMP-Gehaltes verantwortlich. Die Phosphorylierung von
Phospholamban führt nicht nur zu einer erhöhten Pumprate der Aktivierung der kontraktilen Proteine
Kalzium-ATPase (gleichbedeutend mit einer schnelleren Wieder- Struktur des kontraktilen Apparates
aufnahme von Kalzium), sondern auch zu einer erhöhten Kal- Die Myofibrillen als kontraktile Strukturen der Herzmuskelzelle
ziumsensitivität der Kalzium-ATPase. bestehen aus sich überlappenden dicken Myosin- und dünnen

. Abb. 5.3. Schema des sarkoplasmatischen Kalziumtransportes der phorylierten Form die sarkoplasmatische Kalzium-ATPase und führt so zu
Myokardzelle. Während der Diastole wird Kalzium durch die sarkoplasma- einer verminderten Pumprate dieses Enzyms. Wird Phospholamban durch
tische Kalzium-ATPase aus dem Zytosol in das sarkoplasmatische Retiku- die cAMP-abhängige Proteinkinase phosphoryliert, so wird die Hemmung
lum gepumpt. Dieser Prozess ist energieabhängig. Das sarkoplasmatische aufgehoben; dies resultiert in einer erhöhten Kalziumtransportrate
Protein Phospholamban (MG 22.000–28.000) hemmt in seiner nichtphos- (rechts). PL Phospholamban, P PL phosphoryliertes Phospholamban
126 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

Aktinfilamenten, die zu hintereinander geschalteten Sarkomeren tionsfrequenz zu einem deutlichen Anstieg der Kontraktions-
angeordnet sind. kraft. Dieses wahrscheinlich auf einer Änderung der intrazellulä-
ren Kalziumhomöostase beruhende Prinzip ist auch als Bowditch-
Myosin. Das Myosinmolekül ist ein Hexamer mit einem MG von Effekt bekannt.
500.000. Es besteht aus 2 schweren Ketten (HC) von je 200.000
und 2 Paaren leichter Ketten (LC) von 28.000 (LC 1) bzw. 18.000 Sympathoadrenerge Aktivierung
(LC 2). Es existieren im menschlichen Myokard 2 Isoformen der Die Anpassung des HZV und der Kontraktionskraft an einen
schweren Myosinketten: die α-Form mit hoher und die β-Form gesteigerten peripheren Bedarf, z. B. bei körperlicher Belastung
mit niedriger ATPase-Aktivität. oder in Stresssituationen, wird durch eine Aktivierung des sym-
pathischen Nervensystems vermittelt.
Aktin. Das Aktinmolekül ist ein globuläres Protein (G-Aktin)
5 mit einem MG von 42.000, das in Form einer Doppelhelix mit β1- und β2-Adrenozeptoren
18–24 Monomeren pro halber Windung zu dünnen Filamenten Auf zellulärer Ebene erfolgt die Steigerung der Kontraktionskraft
(F-Aktin) polymerisiert ist. Im Herzen liegt Aktin in einer skelet- durch eine Aktivierung von adenylatzyklasegekoppelten β1- und
talen und einer kardialen Isoform vor. β2-Adrenozeptoren. β1- sowie auch β2-Adrenozeptoren koppeln
über ein stimulatorisches guaninnukleotidbindendes Protein
Troponin und Tropomyosin. Troponin und Tropomyosin sind (Gs) an die Adenylatzyklase, die dann vermehrt cAMP aus ATP
auf den Aktinfilamenten lokalisiert. Das globuläre Protein Tropo- bildet.
nin besteht aus folgenden 3 Untereinheiten: Zyklisches AMP erhöht als intrazellulärer Botenstoff (»second
4 kalziumbindendes Troponin C (TnC), messenger«) über eine Aktivierung von cAMP-abhängigen Pro-
4 regulatorisches Troponin I (TnI) und teinkinasen die Kalziumkonzentration der Myokardzelle und so-
4 mit Tropomyosin interagierendes Troponin T (TnT). mit die Kontraktionskraft. Die Adenylatzyklase wird außerdem
durch inhibitorische A1-Adenosinrezeptoren und M2-Cholino-
Funktion des regulierenden Apparates zeptoren reguliert. Diese Rezeptoren koppeln über ein inhibito-
Die regulierende Funktion des TnI besteht darin, dass es zusam- risches guaninnukleotidbindendes Protein (Gi) und vermitteln
men mit Tropomyosin die Myosin-ATPase bei niedrigen Kalzium- antiadrenerge Effekte auf die Adenylatzyklase.
konzentrationen am TnC hemmt. Außerdem ist TnI cAMP-ab-
hängig phosphorylierbar. Diese Phosphorylierung bewirkt eine β3-Adrenozeptoren
Verminderung der Kalziumaffinität des TnC. Troponin C hat die Weiterhin finden sich β3-Adrenozeptoren im menschlichen Her-
Aufgabe der Kalziumbindung. Strömt systolisch Kalzium in die zen. Sie vermitteln antiadrenerge Effekte auf die Kontraktions-
Myokardzelle ein, binden Kalziumionen an das TnC, das darauf- kraft.
hin seine Konformation ändert und über die Wechselwirkung
mit TnI und TnT bewirkt, dass das Tropomyosin tiefer in die Phosphorylierung des Kalziumkanals
Rinne der Aktindoppelhelix gleitet. und des Transportmoleküls
Das diastolische Absinken der Kalziumkonzentration führt Das nach Stimulation der membranständigen Adenylatzyklase
zu einer Dissoziation des an TnC gebundenen Kalziums und da- durch Katecholamine vermehrt gebildete cAMP aktiviert eine
mit zu einer Rückführung des Tn-Komplexes in die alte Kon- zytosolische cAMP-abhängige Proteinkinase, die ihrerseits eine
formation mit einer erneuten Behinderung der Aktin-Myosin- Phosphorylierung des Kalziumkanals in der Myokardzellmemb-
Interaktion und damit zur Erschlaffung. ran und die Phosphorylierung eines Kalziumtransportmoleküls
(Phospholamban) in der Membran des sarkoplasmatischen Reti-
kulums bewirkt.
5.2.3 Regulation der Kontraktionskraft Der phosphorylierte Kalziumkanal erhöht seine Öffnungs-
wahrscheinlichkeit; dies schlägt sich in einer Aktivierung des
> Das Herz hat die Fähigkeit, seine Kontraktionskraft über ver- langsamen Kalziumeinwärtsstroms nieder. Das vermehrt ein-
schiedene Mechanismen dem peripheren Bedarf anzupassen. strömende Kalzium trägt in verstärkter Weise zu einer Aktivie-
Im Wesentlichen kommen 3 Mechanismen infrage: die positive rung der kalziuminduzierten Kalziumfreisetzung aus dem sarko-
Kraft-Längen-Beziehung (Frank-Starling-Mechanismus), die po- plasmatischen Retikulum und daher zum positiv-inotropen Ef-
sitive Kraft-Frequenz-Beziehung (Bowditch-Effekt) und die neu- fekt bei.
rohumorale Aktivierung durch das sympathische Nervensystem. Diastolisch kommt es über eine Stimulation der Kalzium-
sequestrierung in das sarkoplasmatische Retikulum durch eine
Kraft-Längen-Beziehung cAMP-abhängige Phosphorylierung von Phospholamban zur
(Frank-Starling-Mechanismus) Initiierung der Relaxation. Außerdem führt eine cAMP-abhän-
Nach der von Frank und Starling beschriebenen positiven Kraft- gige Phosphorylierung von TnI zu einer Verminderung der Sen-
Längen-Beziehung führt eine Dehnung der Herzmuskelfaser zu sibilität der kontraktilen Proteine für Kalzium. Die letztgenann-
einer Zunahme der entwickelten Kontraktionskraft. ten Mechanismen ziehen eine beschleunigte Relaxation des Myo-
kards, d. h. einen positiv-lusitropen Effekt nach sich.
Kraft-Frequenz-Beziehung (Bowditch-Effekt)
Die positive Kraft-Frequenz-Beziehung wird für die Anpassung Kardiale α1-Adrenozeptoren
der Kontraktionskraft während eines Anstiegs der Herzfrequenz, Aus den sympathischen Nervenendigungen freigesetztes Norad-
z. B. bei körperlicher Belastung, mitverantwortlich gemacht. Bei renalin stimuliert außerdem kardiale α1-Adrenozeptoren an der
Warmblüterherzen kommt es bei einer Zunahme der Stimula- Myokardmembran. Auch α1-Adrenozeptoren vermitteln einen
5.2 · Pathophysiologie
127 5

positiv-inotropen Effekt am menschlichen Myokard, der aller- eine schwere Systemerkrankung handelt. Bei längerem Bestehen
dings geringer ausgeprägt ist als der einer Stimulation kardialer haben diese »Kompensationsmechanismen« somit durchaus
β-Adrenozeptoren. Da eine vermehrte Bildung von Inositoltri- auch nachteilige Wirkungen auf die Herz-Kreislauf-Funktion.
phosphat der Entwicklung des positiv-inotropen Effekts voraus- Auf diese pathophysiologischen Zusammenhänge soll im
geht, sind kardiale α-Adrenozeptoren an die Phospholipase C des Folgenden eingegangen werden.
Herzens gekoppelt und vermitteln über diesen Mechanismus den
positiv-inotropen Effekt. Hypertrophie
Bei einer vermehrten Druck- oder Volumenbelastung des Her-
zens und bei einem Verlust an kontraktiler Masse nach Myokard-
5.2.4 Pathophysiologische Regulations- infarkt mit einer in ihren Mechanismen nicht vollständig auf-
mechanismen geklärten Aktivierung von Wachstumsprozessen in nichtinfar-
zierten Bereichen des Herzens kommt es zur Herzmuskelhyper-
> Die Herzinsuffizienz entsteht dann, wenn das Herz trotz norma- trophie. Der Zuwachs an kontraktilen Elementen führt zunächst
len Blutangebots nicht mehr in der Lage ist, die Versorgung der zur Steigerung der Kontraktionskraft.
Peripherie mit Sauerstoff und Substraten sicherzustellen. Nach dem Gesetz von Laplace ist die Wandspannung propor-
tional zum Druck und zum Radius sowie umgekehrt proportio-
Zu den pathophysiologischen Mechanismen zählen nal zur Wanddicke. Der Zusammenhang lässt sich folgenderma-
4 Myokardhypertrophie, ßen beschreiben:
4 veränderte myokardiale Kalziumhomöostase,
4 Einflüsse auf die Energetik und σ = p × r/2 h
4 myokardiale Baroreflexe.
4 Außerdem kommt es zu einer neurohumoralen Aktivierung. σ Wandspannung, p Druck, r Radius, h Wanddicke.

Es erfolgt die Aktivierung des sympathischen Nervensystems, des Wanddicke und Wandspannung
RAAS sowie eine vermehrte Freisetzung von humanem natriure- Aus dieser Beziehung wird verständlich, dass eine Wanddicken-
tischem Faktor, Vasopressin, Endothelin und offensichtlich auch zunahme durch eine Myokardhypertrophie die Wandspannung
von Zytokinen. senkt. Die Kontraktilität ist umgekehrt proportional zur vorlie-
Diese Faktoren entfalten ausgeprägte Wirkungen in der Kör- genden systolischen Wandspannung. Dementsprechend führt
perperipherie, haben allerdings auch Konsequenzen für das Herz die Wanddickenzunahme zunächst zu einer Aufrechterhaltung
selbst. Hierzu zählen insbesondere eine veränderte Besetzung der systolischen Myokardfunktion und einer Herabsetzung der
β-adrenerger Rezeptoren mit Katecholaminresistenz und die Wandspannung.
Initiierung kardialer Umbauprozesse (Myokardfibrose und Myo- Chronische Druckbelastung bzw. Nachlasterhöhungen z. B.
kardhypertrophie). bei der arteriellen Hypertonie, der Aortenstenose und patholo-
Darüber hinaus führen die neurohumoralen Veränderungen gischen Zuständen, die mit einer vermehrten Vasokonstriktion
zu funktionellen Auswirkungen am Herzen selber und können einhergehen (wie die Herzinsuffizienz), bei denen aber noch
über eine erhöhte Nachlast sowie Wasser- und Natriumretention keine kompensatorische Myokardhypertrophie vorliegt, führen
die myokardiale Dysfunktion aggravieren. Diese Zusammen- zu einer Erhöhung der Wandspannung. Gleiches tritt bei Volu-
hänge zwischen der Körperperipherie und dem Myokard zeigen menbelastung bzw. bei einer Dilatation des linken Ventrikels
deutlich (. Abb. 5.4), dass es sich bei der chronischen Herzinsuf- durch Insuffizienzvitien oder Ventrikeldilatation bei Herzinsuf-
fizienz nicht allein um eine Erkrankung des Herzens, sondern um fizienz auf. Die Wandspannung nimmt inadäquat zu, die Hyper-
trophiereaktion reicht nicht aus, und es entsteht eine systolische
Funktionsstörung.
Verschiedene Stimuli wie beispielsweise Noradrenalin oder
Angiotensin können eine Myokardhypertrophie induzieren.

Interstitielle Veränderungen
Neben dieser myozytären Hypertrophie entstehen bei der patho-
logischen Hypertrophie auch Veränderungen im Interstitium.
Bei chronischer Drucküberlastung, z. B. bei der essenziellen
Hypertonie, kommt es zu einer Zunahme des Kollagenvolumens
im linken Ventrikel. Die Einlagerung des sehr zugfesten und
wenig dehnbaren Kollagens wirkt einer weiteren Ventrikeldilata-
tion und somit nach dem Laplace-Gesetz einer weiteren Erhö-
hung der Wandspannung entgegen. Eine Kontraktilitätsminde-
rung tritt dann ein, wenn der Kollagengehalt 20% V/V (normal
2–4% V/V) erreicht.

Einschränkung der Koronarreserve


Aufgrund des Missverhältnisses zwischen Kapillarquerschnitt
. Abb. 5.4. Neurohumorale Aktivierung und deren Folgen bei der Herz- und Myozytendichte kommt es zu einer Einschränkung der Ko-
insuffizienz des Menschen ronarreserve des hypertrophierten Myokards, die bereits in Ruhe
128 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

teilweise ausgeschöpft ist. Entstehen dann durch die Druckbe- beeinträchtigt. Der Bowditch-Effekt ist bei Patienten mit termi-
lastung zusätzlich eine Mediaverdickung der intramyokardialen naler Herzinsuffizienz nicht mehr nachweisbar.
Koronararterien und eine perivaskuläre Fibrose, kann dies zu
Myokardischämien führen, die einen weiteren Myozytenunter- Veränderung der Energetik
gang zur Folge haben und somit ebenfalls zur Herzinsuffizienz- Neben einer Veränderung der myokardialen Durchblutung
progression beitragen können. haben Veränderungen der Energieproduktion oder der Energie-
versorgung der Kardiomyozyten des insuffizienten Herzens selbst
Diastolische Dysfunktion für die kontraktile Dysfunktion eine Bedeutung.
So wie die kompensatorische Myokardhypertrophie dem physio-
logischen Zweck dienen kann, die systolische Funktion sicher- Substratverbrauch
zustellen, so führt sie durch eine Störung der Relaxation und der Die Datenlage ist nicht ganz einheitlich. Die meisten Studien deuten
5 Kammersteifigkeit zu einer diastolischen Dysfunktion. Die hyper- jedoch daraufhin, dass die Energiegewinnung aus freien Fettsäuren
trophiebedingte Verzögerung der aktiven Relaxation des Ventri- bei leichter Herzinsuffizienz unverändert, bei schwerer Herzinsuf-
kels bedingt einen verspäteten isovolumetrischen frühdiasto- fizienz jedoch deutlich reduziert ist. Der Glucosestoffwechsel ist
lischen Druckabfall und somit eine Verzögerung des Beginns der zunächst verstärkt. Bei schwerer Herzinsuffizienz resultiert jedoch
passiven frühdiastolischen Ventrikelfüllung. eine Insulinresistenz mit Abnahme der Glucoseverwertung.
Neben dieser Relaxationsstörung entwickelt sich eine diasto-
lische Funktionsstörung, die in einer verminderten Compliance, Energiereiche Phosphate
d. h. einer erhöhten Ventrikelsteifigkeit, besteht. Die resultieren- Bei der Herzinsuffizienz sind die Mitochondrien strukturell ver-
de Erhöhung der linksventrikulären Füllungsdrücke kann die ändert und ihre ATP-Synthesekapazität ist reduziert. Während
Symptomatik der Herzinsuffizienz ebenfalls aggravieren und sich der gesamte Gehalt an ATP aber erst bei schwerster Herzinsuf-
über eine weitere Aktivierung neurohumoraler Kompensations- fizienz abfällt, finden sich bereits in frühen Stadien erhebliche
bzw. Dekompensationsvorgänge nachteilig auswirken. Veränderungen des Transports energiereicher Phosphate von
den Mitochondrien zu den Myofilamenten. Dieser Mechanismus
Kalziumhomöostase trägt wahrscheinlich wesentlich zur kontraktilen Dysfunktion
Der Kontraktionszustand der Myokardzelle ist von dem systo- und besonders zur verminderten Kontraktionsreserve bei.
lischen und dem diastolischen Verlauf der zytosolischen Kalzium-
konzentration abhängig. Weil diese durch eine ganze Anzahl von Neurohumorale Aktivierung
subzellulären Komponenten reguliert wird, kann auch jede dieser
> Viele Symptome der Herzinsuffizienz entstehen durch Verände-
einzelnen Komponenten an der myokardialen Dysfunktion infol-
rungen in der Körperperipherie. Sie beruhen darauf, dass eine
ge einer gestörten Kalziumhomöostase der Zelle beteiligt sein.
Aktivierung des sympathischen Nervensystems und eine Aus-
Obwohl der Kalziumeinwärtsstrom an isolierten Kardiomyo-
schüttung von vasoaktiven Substanzen initiert werden, was
zyten von Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz unverändert
strukturelle und funktionelle Veränderungen einzelner Organe
ist, kommt es zu einem verzögerten und geringeren systolischen
nach sich zieht.
Kalziumkonzentrationsanstieg. Der diastolische Abfall der intra-
zellulären Kalziumkonzentration ist deutlich vermindert. Es per-
sistiert außerdem eine erhöhte intrazelluläre diastolische Kalzium- Barorezeptorenreflexe
ruhekonzentration. Barorezeptoren sind Sensoren, die Druck-, Volumen- oder Fre-
Die zugrunde liegenden molekularen Änderungen umfassen quenzänderungen in den großen Gefäßen oder im Herzen detek-
u. a. die reduzierte Kalziumelimination aus dem Zytosol durch tieren und über afferente nervale Impulse an das zentrale Ner-
eine verminderte Aktivität bzw. verringerte Expression der sarko- vensystem mitteilen.
plasmatischen Kalzium-ATPase, ein Leck des Kalziumfreiset- Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Druckände-
zungskanals (Ryanodinrezeptors) und eine Verlängerung des rungen, wobei allerdings Änderungen der vaskulären Dehnbar-
Aktionspotenzials mit vermehrtem Kalziumeinstrom über den keit oder des glatten Gefäßmuskeltonus die Aktivität dieser Ner-
Natrium-Kalzium-Austauscher. venendigungen beeinflussen können.

Funktionelle Bedeutung Wirkungsmechanismus. Neben den arteriellen (Karotissinus,


Sowohl die verzögerte Kalziumsequestrierung aus dem Zytosol Aorta ascendens, Aortenbogen) existieren sog. kardiopulmonale
in das sarkoplasmatische Retikulum als auch die Aktionspoten- und ventrikuläre Barorezeptoren, deren sensorische Afferenzen
zialverbreiterung können deutliche Veränderungen für die Kon- im gesamten kardiopulmonalen Gefäßbaum lokalisiert sein
traktilität und die Relaxation des Herzens bei Herzinsuffizienz können. Diese auf niedrigen Druck ansprechenden Barorezep-
mit sich bringen. Bei einer Steigerung der Kontraktionskraft toren sind vor allen Dingen für die Regulation des Füllungsdrucks
durch eine Erhöhung der extrazellulären Konzentration von Kal- des Herzens verantwortlich.
zium oder durch positiv-inotrope Substanzen, die die intrazellu- Die Aktivierung von Barorezeptoren erfolgt pulssynchron. Es
läre Kalziumkonzentration erhöhen (z. B. Herzglykoside), kommt wird angenommen, dass sie ein wichtiger Regulator des auto-
es zu einer progredienten Verlängerung der Kontraktion und so- nomen Nervensystems sind. Die arteriellen Barorezeptoren sind
mit zur diastolischen Dysfunktion. in der Lage, von Schlag zu Schlag, also sehr schnell, die Herzfre-
Die intrazelluläre Kalziumhomöostase ist wesentlich für die quenz und den Tonus von Blutgefäßen zu verändern.
Kontraktionskrafterhöhung nach Steigerung der Frequenz ver-
antwortlich (Bowditch-Effekt). Die positive Kraft-Frequenz- Barorezeptorendysregulation bei Herzinsuffizienz. Bei der Herz-
Beziehung ist abhängig vom Schweregrad der Herzinsuffizienz insuffizienz kommt es zu einer neurohumoralen Aktivierung,
5.2 · Pathophysiologie
129 5

die sich in einer erhöhten sympathischen Nervenaktivität, in er- der Prognose der Herzinsuffizienz korrelieren. Die Überlebens-
höhten Konzentrationen an zirkulierendem Noradrenalin und in wahrscheinlichkeit von Patienten, deren Katecholaminspiegel
einer gesteigerten Plasmareninaktivität äußert. größer als 800 pg/ml, 400–800 pg/ml und kleiner als 400 pg/ml
Interessanterweise führt auch die Denervierung von Baro- waren, ist in . Abb. 5.5 gezeigt. Es ist zu erkennen, dass die Pa-
rezeptoren zu einer Sympathikusaktivierung. Bei Herzinsuffizi- tienten mit höheren Noradrenalinkonzentrationen im Serum
enz findet sich eine Einschränkung der Barorezeptorenfunktion. eine deutlich schlechtere Prognose hatten. Dies wurde in späteren
Es ist wahrscheinlich, dass eine Dysregulation kardiopulmonaler Untersuchungen bestätigt.
Barorezeptoren zu einer generalisierten Sympathikusaktivierung
> Höhere Noradrenalinkonzentrationen sind ein Indikator der
bei Herzinsuffizienz beiträgt.
Sympathikusaktivierung und somit ein Maß für die Schwere
Nach einer Herztransplantation, also nach Beheben der kon-
der Erkrankung.
traktilen Dysfunktion, sind die Veränderungen der Barorezeptor-
ansprechbarkeit vollständig reversibel.
Myokardstimulation durch sympathische
Sympathisches Nervensystem Nervenfasern
Als stärkster Stimulus für die Aktivierung des sympathischen Es wirken nun nicht nur die erhöhten zirkulierenden Noradre-
Nervensystems gilt die körperliche Anstrengung. Bei gesunden nalinspiegel auf das Myokard, sondern das Myokard selbst wird
Kontrollpersonen, die sich einer niedriggradigen Belastung unter- ebenfalls durch kardiale sympathische Nervenfasern direkt sti-
ziehen, wird die Adaptation des Herz-Kreislauf-Systems in erster muliert.
Linie durch die Reduktion des Vagotonus herbeigeführt. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass die koronarvenöse
Bei Erreichen der anaeroben Schwelle wird die Sympathikus- Konzentrationsdifferenz für Noradrenalin, nicht aber für Adre-
aktivierung stärker und gewinnt überhand; dies macht sich nalin am insuffizienten Herzen deutlich erhöht ist. Das bedeutet,
in einer Erhöhung der Plasmanoradrenalinspiegel bemerkbar. dass das Herz selbst vermehrt Noradrenalin bei Herzinsuffizienz
Dieser Punkt ist bei Normalpersonen etwa bei einer O2-Aufnah- freisetzt und somit als endokrines Organ zu den erhöhten Nor-
me von 15 ml/kgKG/min erreicht. Bei Patienten mit Herzinsuffi- adrenalinkonzentrationen im Plasma beiträgt. Dieser Mechanis-
zienz kommt es bereits bei sehr geringgradigen Belastungen zu mus führt zur Verminderung kardialer Noradrenalinspeicher bei
einem Anstieg der zirkulierenden Katecholaminspiegel. gleichzeitiger Erhöhung der zirkulierenden Katecholaminkon-
In der Regel wird durch die eingeschränkte kardiale Kom- zentrationen.
pensationsbreite bei Funktionstests die Belastung wesentlich frü-
her als bei Normalpersonen beendet. An den für den herzinsuf- β-Rezeptordichte und -funktion
fizienten Patienten maximalen Belastungsstufen werden aller- Bei exzessiver Stimulation mit einem Agonisten kann das β-Adre-
dings deutlich niedrigere Anstiege der Plasmanoradrenalinspiegel nozeptor-Adenylatzyklase-System desensibilisiert werden. Bei
im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen erreicht. Dies spricht einer Besetzung des β-Adrenozeptors durch einen Agonisten wird
dafür, dass das sympathische Nervensystem bei Herzinsuffizienz dieser durch eine β-adrenozeptorspezifische Kinase (β-Adreno-
sensitiver auf körperliche Belastungen reagiert, aber seine maxi- zeptorkinase) und durch die cAMP-abhängige Proteinkinase
male Stimulierbarkeit deutlich eingeschränkt ist. phosphoryliert. Die Phosphorylierung erlaubt die Bindung eines
zytosolischen Proteins (β-Arrestin) an den β-Adrenorezeptor.
Katecholamine Dieser wird dadurch von dem stimulatorischen G-Protein
Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass erhöhte Konzentrati- entkoppelt und kann dann die Adenylatzyklase nicht mehr stimu-
onen der zirkulierenden Katecholamine bei Herzinsuffizienz mit lieren. Nachfolgend kommt es zu einer Sequestrierung des Re-
zeptors von der Zellmembranoberfläche in leichte Vesikel, sodass
er für Agonisten nicht mehr zugänglich ist. Bei lang dauernder
Exposition des Rezeptors gegenüber hohen Agonistenkonzent-
rationen erfolgt der proteolytische Abbau des Rezeptorproteins
(β-Adrenozeptor-Downregulation) neben einer verminderten
Bereitstellung von β-Adrenozeptor-mRNA. Die Folge ist eine
verminderte Zahl von Adrenozeptoren der Zelle.
Bei der Herzinsuffizienz nimmt die β-Adrenozeptordichte
ab. Hiervon ist immer der β1-Adrenozeptor-Subtyp betroffen.
Die Dichte von β2-Adrenozeptoren ist bei der DCM unverändert,
kann aber bei anderen zugrunde liegenden Ursachen der Herz-
insuffizienz (wie ischämischer Kardiomyopathie oder Mitral-
klappenerkrankungen) vermindert sein. β2-Adrenozeptoren sind
aber wahrscheinlich durch eine vermehrte Phosphorylierung
infolge einer erhöhten Aktivität der β-Adrenozeptorkinase ent-
koppelt. Als zusätzlicher Postrezeptordefekt findet sich eine ver-
mehrte Zunahme von Giα-Proteinen; dies beruht auf einer Zu-
. Abb. 5.5. Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von den nahme der Giα-mRNA, möglicherweise durch eine erhöhte
Plasmanoradrenalinkonzentrationen (PN) bei Patienten mit Herzinsuffi- transkriptionale Aktivität des Giα2-Gens.
zienz. Je höher die Plasmanoradrenalinkonzentration ist, desto geringer Die funktionelle Konsequenz ist eine Abnahme der positiv-
ist die Überlebenswahrscheinlichkeit während des Beobachtungszeit- inotropen Wirksamkeit von β-Adrenozeptoragonisten und
raums. (Mod. nach Cohn et al. 1984) cAMP-PDE-Hemmstoffen. Biochemische und funktionelle Un-
130 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

tersuchungen zeigen, dass die katalytische Untereinheit der Ade-


nylatzyklase, das Gsα und an Giα gekoppelte M-Cholinozeptoren
und A1-Adenosinrezeptoren sowie deren antiadrenergen Effekte
unverändert sind.

Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
Grundlagen
Seit 1898 ist bekannt, dass Extrakte, die man aus Nieren herstell-
te, einen blutdrucksteigernden Effekt aufweisen. Diesen ersten
Beobachtungen von Tigerstedt folgten 1934 die Erkenntnisse von
Goldblatt, dass die Verminderung der Nierendurchblutung die
5 Entwicklung eines Bluthochdrucks verursacht. Kurz darauf zeigte
sich, dass es sich beim Renin um ein Enzym handelt, das für die
Bildung des vasokonstriktorischen Peptids Angiotensin (Wort-
schöpfung aus Angiotonin und Hypertensin) verantwortlich ist.
Die Aktivierung des RAAS hat neben der Stimulation ande-
rer Systeme, wie der des sympathischen Nervensystems und des
Vasopressinsystems, die Aufgabe, bei Dehydratation und trauma-
tischen Blutverlusten den Perfusionsdruck lebenswichtiger Or-
gane sicherzustellen.
Es wird allerdings auch bei einer Abnahme der Herzauswurf-
leistung aktiviert und führt bei Herzinsuffizienz zu einer peri-
. Abb. 5.6. Mechanismen der Renin-Angiotensin-Aktivierung
pheren Vasokonstriktion einerseits und einer Wasserretention
andererseits. Es kann außerdem morphologische Veränderungen
an verschiedenen Organen hervorrufen.

Aktivierung
Renin ist eine spezifische Protease für das in der Leber synthe-
tisierte Angiotensinogen. Es handelt sich um ein Glykoprotein,
das in verschiedenen Geweben, v. a. aber in der Niere gebildet
wird. Das primäre Genprodukt, aus dem die Protease Renin ge-
bildet wird, ist Präprorenin, das über proteolytische Abspaltung
von Peptidketten über inaktives Prorenin zum Renin aktiviert
wird. Die posttranslationalen Modifizierungen des Moleküls
werden im Golgi-Apparat vorgenommen.
Ein geschwindigkeitsbestimmender Schritt bei der Bildung
von Angiotensin II ist die zirkulierende Menge von Renin im
Plasma. . Abb. 5.7. Wirkungen der Angiotensinkonversionsenzyme
Die Reninsekretion aus juxtaglomerulären Zellen wird durch
3 Mechanismen reguliert: Beim ACE handelt es sich um ein großes Protein mit
4 Ein intrarenaler Mechanismus ist der Abfall des intrarenalen 1278 Aminosäuren. Dieses Enzym ist nicht spezifisch für Angio-
Perfusionsdrucks. tensin I. Bradykinin und andere vasoaktive Peptide werden durch
4 Ein zweiter ebenfalls renaler Mechanismus ist die Reduktion ACE inaktiviert (. Abb. 5.7).
der Natriumkonzentration in den proximalen Anteilen des Nach Bildung von Angiotensin II aus Angiotensin I durch
distalen Tubulus. Beide renalen Mechanismen führen zu Abspaltung zweier Aminosäuren erfolgt schließlich durch die
einer erhöhten Reninfreisetzung. Aminopeptidase A die Bildung von Angiotensin III. Angioten-
4 Der dritte Mechanismus erfolgt über eine Stimulation von sin I entfaltet bei i.v.-Applikation eine ca. 100-fach geringere Wir-
β1-Adrenozeptoren der juxtaglomerulären Zellen. Diese β1- kung an peripheren Gefäßen als Angiotensin II.
Adrenozeptoren werden durch neuronal freigesetztes Norad- Angiotensin III teilt die meisten pharmakologischen Wir-
renalin stimuliert. Durch diesen neuronalen Mechanismus kungen mit Angiotensin II, hat allerdings eine kürzere Plasma-
erfolgt die Reninsekretion auch für Stimuli wie Schmerz, halbwertszeit (<120 s). Der endgültige Abbau der Angiotensine I–
emotionalen Stress und Kälte. III erfolgt durch sog. Angiotensinasen. Es handelt sich um ver-
schiedene Peptidasen, die die zirkulierenden Hormone in inaktive
Das Substrat für Renin ist Angiotensinogen. Es handelt sich um Peptidbruchstücke oder weniger aktive Metaboliten (Ang IV,
ein β2-Globulin mit einem MG von ca. 55.000. Dieses Protein wird Ang I–VII) spalten (. Abb. 5.6).
vorwiegend in der Leber synthetisiert, obwohl auch RNA von An- Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Angiotensin II auch
giotensin im zentralen Nervensystem, in den Nieren und im Her- über einen alternativen Weg gebildet werden kann. Die Chymase
zen nachgewiesen wurde. Angiotensinogen wird durch Renin in ist ein in vielen Organen charakterisiertes Enzym, das unabhän-
Angiotensin I umgesetzt. Angiotensin I wird durch das »angio- gig von ACE zur Angiotensin-II-Bildung beiträgt. Seine biolo-
tensin-converting enzyme« (Synonyme: ACE, Kininase II, Dipep- gische und pathophysiologische Bedeutung ist zurzeit allerdings
tidylcarboxypeptidase; . Abb. 5.6) proteolytisch gespalten. noch nicht vollständig geklärt.
5.2 · Pathophysiologie
131 5

derungen von Herz-Kreislauf-Geweben. So ist für die Stimulation


durch Angiotensin belegt, dass sich eine Myokardhypertrophie,
eine Mediahypertrophie der Gefäße und eine Mesangiumhyper-
trophie in den Nieren entwickeln (. Abb. 5.8). Auch direkte kar-
diotoxische Wirkungen wurden für Angiotensin II beschrieben.

Zirkulierendes Renin-Angiotensin-System
bei Herzinsuffizienz
Eine Aktivierung des RAS, die an einer Erhöhung der Plasmaren-
inaktivität messbar wird, kommt v. a. bei Patienten mit einer aku-
ten oder akut dekompensierten Herzinsuffizienz vor. In dieser
Situation ist es wichtig, die akuten Wirkungen von Angiotensin II
durch pharmakologische Maßnahmen zu antagonisieren
(. Abb. 5.9).
Bei der mäßiggradigen kompensierten Herzinsuffizienz kön-
. Abb. 5.8. Funktionelle und strukturelle Störungen, die Angiotensin II nen eine erhöhte Natrium- und Wasseraufnahme sogar die Plas-
bei Herzinsuffizienz hervorrufen kann
mareninaktivität vermindern. In entgegengesetzter Weise kann
eine Therapie mit Diuretika zu einer Erhöhung der Plasmarenin-
Angiotensin wirkt als parakriner oder autokriner Botenstoff. aktivität führen.
Die Wirkung von Angiotensin II wird über spezifische membran-
ständige Rezeptoren vermittelt. Es existieren 2 Angiotensinrezep- Kardiales Renin-Angiotensin-System
torsubtypen (AT1- und AT2-Rezeptoren). An den meisten Or- Es gibt verschiedene Hinweise für die Existenz eines lokalen RAS
ganen findet sich der AT1-Rezeptor. in solitären Geweben. Am Herzen findet sich eine homogen ver-
Die Stimulation von Angiotensinrezeptoren kann die Ade- teilte ACE-Aktivität in Herzklappen, Vorhöfen, Koronararterien
nylatzyklase aktivieren oder hemmen und dadurch die zelluläre und in den Ventrikeln. Eine Konversion von Angiotensin I zu
cAMP-Bildung steigern oder vermindern. In anderen Zellen ver- Angiotensin II wurde am isolierten Rattenherzen nachgewiesen.
mitteln AT1-Rezeptoren eine Stimulation der Phospholipase C Bei der Druckbelastung durch Aortenkonstriktion als Modell für
durch ein pertussistoxinunempfindliches G-Protein und erhöhen die frühe Herzinsuffizienz im Stadium der Myokardhypertrophie
die Bildung der Botenstoffe (»second messenger«) Inositoltri- fand sich eine lokale Erhöhung von ACE.
phosphat und Diacylglycerol. Dadurch kommt es am Gefäßsys- Die funktionellen Konsequenzen aus einer vermehrten Bil-
tem zu einer Vasokonstriktion und zu einer Mesangiumkontrak- dung von Angiotensin II könnten eine Erhöhung der linksvent-
tion an den Nieren. rikulären Füllungsdrücke und eine Verminderung der diasto-
In den Nebennieren wird die Aldosteronfreisetzung aktiviert. lischen Funktion sein (. Abb. 5.10). Darüber hinaus gibt es di-
Am Herzen – v. a. am Vorhofmyokard – entsteht ein positiv-ino- rekte positiv-inotrope Effekte von Angiotensin II. Diese Effekte
troper Effekt. Neben diesen Änderungen von Zellfunktionen sind z. T. durch eine erleichterte Freisetzung von Noradrenalin
kommt es durch Angiotensin II auch zu morphologischen Verän- aus sympathischen Nervenendigungen mitbedingt.

. Abb. 5.9. Wirkungen von Angiotensin II auf den glatten Gefäßmuskel, diale β-adrenerge Desensibilisierung negativ beeinflusst. In der Patho-
das zentrale und das periphere (autonome) Nervensystem, die Neben- genese kardialer Ödeme spielen Wirkungen auf die Aldosteronfreiset-
nierenrinde, die Nieren und das Hirn. Die Herzauswurfleistung wird zung in der Nebennierenrinde und die Natrium-Wasser-Homöostase
durch Angiotensin II über eine vasokonstriktorische Wirkung auf glatte in den Arterioli und Tubuli sowie eine direkte Wirkung auf das Durst-
Gefäßmuskelzellen sowie über die direkte Katecholaminfreisetzung mit zentrum und die ADH-Freisetzung im Gehirn eine Rolle. GFR glomeruläre
der Folge einer Vasokonstriktion (über α-Adrenozeptoren) und eine kar- Filtrationsrate, ADH antidiuretisches Hormon
132 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

Darüber hinaus kommt es zu einem lang anhaltenden hypo-


tensiven Effekt nach einer chronischen Verabfolgung von ACE-
Hemmstoffen, obwohl die Plasma-ACE-Aktivität sich rasch nor-
malisiert. Ähnliche Befunde gibt es bei Patienten mit Herzinsuf-
fizienz.

Konsequenzen des lokalen Renin-Angiotensin-


Systems
Die Existenz eines lokalen Gewebe-RAS erklärt therapeutische
Effekte von ACE-Hemmstoffen und evtl. von AT1-Agonisten bei
der chronischen stabilen Herzinsuffizienz, die ohne eine Aktivie-
5 rung der Plasmareninaktivität auftreten.
Neben der systemischen ACE-Hemmung kommt der Hem-
mung des lokalen Gewebs-ACE eine besondere pathophysiolo-
gische Bedeutung zu.

. Abb. 5.10. Bildung von Angiotensin II und dessen Interaktion mit Vasopressin
spezifischen AT1-Rezeptoren, AT2-Rezeptoren sowie die Wirkung auf bisher
Neben einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems und
nichtcharakterisierte Angiotensinrezeptoren oder Bindungsstelle durch
Antiotensin II oder seine Peptidbruchstücke. Der AT1-Rezeptor vermittelt
des RAS besitzt Vasopressin eine Rolle bei der Erhöhung des peri-
die Wirkungen auf Gefäße und neuroendokrine Aktivierung (unten) pheren Widerstands.
Vasopressin ist ein Peptidhormon, das aus 9 Aminosäuren
besteht und im Hypothalamus in den supraoptischen und para-
Letztlich kommt es durch eine erhöhte Angiotensin-II-Expo- ventrikulären Kernen synthetisiert wird. Es wird vom hinteren
sition des Myokards zu einer Protoonkogenexpression, die mit Hypophysenlappen (Neurohypophyse) sezerniert. Es gibt osmo-
einer vermehrten Kollageneinlagerung und einer Myokardhy- tische und nichtosmotische Stimuli der Vasopressinbildung und
pertrophie einhergeht (. Tab. 5.1). -ausschüttung. Hyperosmolarität erhöht die Vasopressinfreiset-
zung. Eventuell hat auch Angiotensin II eine stimulierende Be-
Vaskuläres Renin-Angiotensin-System deutung.
Die Expression von Angiotensinogen, Angiotensin und Renin im Eine Volumendepletion oder Hypotension (evtl. auch durch
Gefäßbett ist gut untersucht. Die arteriovenöse Konzentrations- Barorezeptorsignale vermittelt) führt ebenfalls zu einer Stimula-
differenz von Angiotensin I und Angiotensin II liefert weitere tion der Vasopressinausschüttung, die ihrerseits in einer renalen
Hinweise für das Vorliegen eines lokalen RAS. Wasserretention und Vasokonstriktion resultiert. Dementspre-
chend sind die Wirkorte des Vasopressins die Nieren und das
Gefäßsystem.
. Tab. 5.1. Lokales Renin-Angiotensin-System und Pathophysiologie Am Gefäßsystem wird der Effekt über V1-Vasopressinrezep-
der Herzinsuffizienz toren auf die glatte Muskelzelle vermittelt. Der vasokonstrik-
Lokalisation Pathophysiologische Konsequenz torische Effekt ist unabhängig von einem intakten Endothel,
von α-Adrenozeptoren oder der Innervation des Gefäßes. An
Vaskuläres RAS Arterielle Vasokonstriktion
den Nieren wirkt Vasopressin über adenylatzyklasegekoppelte
Nachlasterhöhung
Venokonstriktion
V2-Rezeptoren. Diese bewirken eine Wasserrückresorption in
Vorlasterhöhung der Tubulusepithelzelle. Der vasokonstriktorische Effekt tritt
Konstriktion im Gefäßgebiet des Splanchnikus erst bei höheren Konzentrationen auf als der antidiuretische
und den Nierengefäßen Effekt.
Regionale Perfusionsstörung
Kardiales RAS Direkte zelluläre AT2–Effekte
Vasopressin und Herzinsuffizienz
Positive Inotropie (Vorhof ) Bei Patienten mit höhergradiger Herzinsuffizienz (NYHA-Klas-
Sympathikusaktivierung sifikation III–IV), nicht aber bei Patienten mit geringgradigen
Diastolische Dysfunktion NYHA-Klassifizierungen, zeigte sich eine Zunahme der Vasopres-
Koronare Vasokonstriktion sinkonzentrationen auf etwa das Doppelte. Trotz niedriger Plas-
Positive Inotropie mit Erhöhung des O2-Bedarfs maosmolarität wurde eine Erhöhung der Vasopressinkonzentra-
Protoonkogenexpression tionen beobachtet.
Arrhythmien Dies spricht dafür, dass es sich um eine primär nichtos-
Ischämie
motische Vasopressinfreisetzung in Kombination mit einer
Myokardhypertrophie
Myokardfibrose
Aktivierung des sympathischen Nervensystems und des RAS
handelt. Dementsprechend ist wahrscheinlich eine Vermin-
Renales RAS Natriumrückresorption im proximalen Tubulus derung des effektiven arteriellen Blutvolumens die Hauptur-
Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens
sache für die erhöhte Vasopressinsekretion. Eine vermehrte
Arterioläre Konstriktion
sympathische Aktivierung verstärkt die Vasopressinausschüt-
Abnahme des renalen Blutflusses und der
glomerulären Filtrationsrate tung bei Herzinsuffizienz. Ebenso spielt wahrscheinlich die
verminderte Sensitivität kardiopulmonaler Barorezeptoren eine
AT Angiotensin, RAS Renin-Angiotensin-System.
Rolle.
5.2 · Pathophysiologie
133 5
Aktivierung weiterer regulatorischer Systeme
Neben der neurohumoralen Aktivierung und der Aktivierung Übersicht 5.2. Quantitative Beurteilung der Herz-
des RAS werden bei der Herzinsuffizienz verschiedene weitere funktion
regulatorische Systeme verändert. Es finden sich u. a. eine gestei-
gerte Synthese und Ausschüttung natriuretischer Peptide (7 Ab- 4 Diastole: diastolische Dimensionen, Druck-Volumen-
schn. 5.2.9), von Zytokinen (u. a. TNF, IL) und von Endothelin. Beziehungen und Dehnbarkeit, bewertet durch
Alle diese Faktoren unterstützen zunächst, eine Organpefusion – Diastolische Volumina und Volumenänderungen
aufrechtzuerhalten, sind langfristig jedoch maladaptiv, d. h. sie (EDV, DV)
führen zu einer weiteren Progression der kardialen Dysfunktion – Diastolische Drücke und Druckänderungen (pLVED, Dp)
und der systemischen Veränderungen. – Diastolische Wanddicke und Masse (d, LVMM)
– Diastolische Masse-Volumen-Relation (LVMM/EDV)
– Diastolische Dehnbarkeitsindizes (dp/dV, dp/dtdiast u. a.)
5.2.5 Determinanten und Beurteilung 4 Systole: globale Kontraktionsstörungen des linken
der Herzfunktion Ventrikels, bewertet durch
– Pumpgrößen (Herzindex, Schlagindex u. a.)
Man spricht von einer Herzinsuffizienz, wenn die Auswurfleis- – Isovolumetrische Geschwindigkeitsindizes
tung des Herzens in einem Missverhältnis zu den Bedürfnissen (dp/dtmax u. a.)
der Organperipherie steht. – Auxotone Parameter (Auswurffraktion, VCF u. a.)
– Endsystolische Druck-Volumen-Beziehungen
> Der Schweregrad des Myokardversagens kann durch die Diffe-
4 Regionale Kontraktionsstörungen (Hypokinesie,
renz zwischen Auswurfsoll und tatsächlicher Herzauswurfleis-
Akinesie, Dyskinesie), bewertet durch
tung gemessen werden (. Tab. 5.2).
– Länge des akinetischen Segments
Die konventionellen Messgrößen wie HZV, Schlagvolumen, – Regionale Wandmotilität
Herzarbeit, enddiastolischer Druck und enddiastolisches Volu- – Regionale Auswurffraktion
men, Auswurffraktion etc. sowie die daraus resultierenden Funk- – Abnorme diastolische Relaxation u. a.
tionskurven zwischen enddiastolischem Druck bzw. Volumen EDV enddiastolisches Volumen; pLVED linksventrikulärer end-
und der Herzarbeit bzw. Schlagarbeit werden zur Ermittlung der diastolischer Druck; LVMM linksventrikuläre Volumenmasse;
Pumpfunktion unter pharmakologischen Eingriffen bei patho- dp/dtmax maximale Druckanstiegsgeschwindigkeit;
logischen Funktionszuständen herangezogen (7 Übersicht 5.2). dp/dV Druckabfallsgeschwindigkeit; dp/dtdiast Relaxations-
Außerdem werden die Druckanstiegsgeschwindigkeit und die geschwindigkeit; VCF zirkumferenzielle Faserverkürzungs-
Faserverkürzungsgeschwindigkeit verwendet, um quantitative geschwindigkeit.
Anhaltspunkte für den Kontraktilitätszustand des Herzens zu
gewinnen. Die quantitative Erfassung dieser Messgrößen am in-
takten Kreislauf trifft allerdings auf beträchtliche Schwierig- tigkeit des Herzens mit dem Energiestoffwechsel in Beziehung
keiten. gesetzt.
Die funktionelle Störung bei systolisch dilatierender Herz-
Systolische Dysfunktion insuffizienz im Vergleich zu einem gesunden Herzen ist in
Bei der systolischen Herzinsuffizienz steht eine Reduktion der . Abb. 5.11 verdeutlicht.
Auswurffraktion im Vordergrund. Es resultiert eine Zunahme
der ventrikulären Diameter und Volumina. Oft ist die systolische Diastolische Ventrikelfunktionsstörungen
Herzinsuffizienz von einer unterschiedlich ausgeprägten diasto- Diastolische Funktionsstörungen werden sowohl bei akuter Koro-
lischen Funktionsstörung begleitet. narischämie als auch bei chronischer Herzinsuffizienz, linksvent-
Setzt man Druck und Volumen in einem Diagramm zueinan- rikulärer Hypertrophie und verschiedenen restriktiven Funktions-
der in Beziehung, so erhält man auf überschaubare Weise Auskunft störungen des linken Ventrikels beobachtet (7 Übersicht 5.3).
über das Zusammenwirken beider Größen während des Herzzyk- Eine verminderte Compliance des linken Ventrikels (erhöhte
lus. So ist es Frank im Jahr 1895 gelungen, die wesentlichen Prin- Steifigkeit) bedeutet, dass die diastolische Druck-Volumen-Kur-
zipien der Herzmechanik zu formulieren. Später hat dann Starling ve nach links verschoben wird. Bei gleichem diastolischen Volu-
das Herz-Lungen-Präparat entwickelt und die mechanische Tä- men sind die diastolischen Füllungsdrücke erhöht. Derartige

. Tab. 5.2. Physiologische Messgrößen in der Herzmechanik


Physiologische Größe Primäre Messgröße (in vitro) Abgeleitete Messgröße (in vitro)
Vorlast (»preload«) Präsystologische Länge bzw. Längenzunahme, Enddiastolisches Volumen (V)
bezogen auf die Ausgangslänge (l/l0) bzw. (Δl/l0) ΔVdiast/V0 enddiastolischer Druck dp/dtdiast
Nachlast (»afterload«) Systolisches Wandspannungsintegral Maximale systolische Wandspannung, mittlere systolische Wand-
spannung, mittleres systolisches Wandspannungs-Zeit-Integral
Kontraktilität Geschwindigkeits- oder Spannungs-Geschwindig- Isovolumetrisches Geschwindigkeitsindizes, auxotone Para-
keits-Indizes, auxotone oder Längenänderung meter (Auswurffraktion, zeitnormierte Auswurfparameter)
Kontraktilitätsreserve Änderung der Kontraktilität Maximale körperliche Belastung
Unter maximaler β-adrenerger Stimulation
134 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

5
. Abb. 5.11a,b. Schematische Darstellung einer gestörten systolischen schobene Druck-Volumen-Beziehung) charakterisiert. Die primär diasto-
Funktion (a) und einer gestörten diastolischen Funktion (b) des linken lische Kontraktionsstörung zeigt normale enddiastolische Volumina und
Ventrikels. Die systolische Kontraktionsstörung ist durch einen Anstieg normale Auswurffraktionen. Trotzdem sind die diastolischen Drücke er-
des linksventrikulären enddiastolischen Drucks im Gefolge des erhöhten höht (b)
Ventrikelvolumens und der verminderten Auswurffraktion (rechtsver-

achtet werden kann (Diastase). Nur ca. 5% des gesamten diasto-


Übersicht 5.3. Ursachen einer diastolischen Dysfunk- lischen Einstroms finden während dieser Phase statt. Die End-
tion phase der Diastole wird durch die atriale Systole gekennzeichnet,
die physiologischerweise ca. 20% zur Ventrikelfüllung beiträgt.
4 Überwiegende Compliance-Störung
– Infiltrative Kardiomyopathie (z. B. Amyloidose, Hämo- Charakteristika der diastolischen Dysfunktion. Die isolierte
chromatose) diastolische Dysfunktion ist dadurch gekennzeichnet, dass bei
– Restriktive Kardiomyopathie einem normalen enddiastolischen Füllungsvolumen, einer
– Konstriktive Perikarditis normalen Auswurffraktion und normalem oder erniedrigtem
– Transplantatabstoßung (akut: Ödem, chronisch: Fibrose) Schlagvolumen ein erhöhter diastolischer ventrikulärer Fül-
4 Überwiegende Relaxationsstörung lungsdruck besteht. Der Anstieg der diastolischen Druck-Vo-
– Arterielle Hypertonie lumen-Kurve ist somit steiler als im Rahmen einer systolischen
– Hypertrophische Kardiomyopathie Herzinsuffizienz sowie unter Normalbedingungen und reflek-
– KHK tiert damit eine Behinderung der diastolischen Ventrikelfüllung
– HOCM (. Abb. 5.11).
– Aortenklappenstenose (Hypertrophie) Die linksventrikulären Füllungseigenschaften werden von
4 Compliance- und Relaxationsstörung folgenden 2 prinzipiell unterschiedlichen Mechanismen direkt
– Rechtsventrikuläre Druck- und Volumenbelastung beeinflusst:
4 Diastolische Störung bei erhaltener diastolischer 4 aktive, energieabhängige Relaxation und
Dehnbarkeit 4 Compliance als Maß der druckpassiven elastischen Eigen-
– Mitralklappenstenose schaften des Herzmuskels.

Hinzu treten extrakardiale Einflüsse wie Perikarddehnbarkeit


Linksverschiebungen der Druck-Volumen-Kurve können durch und Herzfrequenz (7 Übersicht 5.4).
eine Änderung der Herzmuskelmasse, der Eigenschaften der
Kardiomyozyten, des Interstitiums des Herzens, aber auch durch
extramyokardiale Faktoren (Endokard, Perikard) hervorgerufen 5.2.6 Organdurchblutung und Herzauswurf-
werden (. Abb. 5.11). leistung
Die Diastole ist durch 4 verschiedene Phasen gekennzeich-
net. Die isovolämische Relaxationsperiode beginnt direkt nach Physiologische Organdurchblutung
dem Schluss der Aortenklappe und endet, wenn der intraventri- Die Normalwerte des Herzschlag- und Herzminutenvolumens
kuläre Druck unter den atrialen Druck absinkt. Die Öffnung der gesunder Personen streuen beträchtlich und sind vom O2-Ver-
Mitralklappe markiert den Beginn der schnellen ventrikulären brauch, vom Trainingszustand, von der Körpergröße und vom
Füllungsphase, die durch eine rasche Volumenzunahme und Grad der sympathischen Aktivierung abhängig.
einen langsamen Druckanstieg gekennzeichnet ist. Bei Herzinsuffizienz finden sich in Ruhe häufig normale
Unter physiologischen Bedingungen macht sie etwa ein Drit- Herzminuten- und Herzschlagvolumina. Unter Belastungsbe-
tel der gesamten Diastolendauer aus. Während dieses Zeitraums dingungen allerdings sind Auswurffraktion und HZV gegen-
finden 70–80% der gesamten diastolischen Ventrikelfüllung statt. über den individuellen Sollwerten erniedrigt. Man spricht dann
Es folgt eine sehr kurze Phase, während deren, infolge des Druck- vom »low output failure«. Belastungstests sind deshalb geeig-
ausgleichs zwischen Vorhof und Ventrikel, keine wesentliche Zu- nete Verfahren, um die Leistungsreserve eines Herzens einzu-
nahme des diastolischen ventrikulären Füllungsvolumens beob- schätzen.
5.2 · Pathophysiologie
135 5
Arbeitsbelastung
Übersicht 5.4. Einflussfaktoren der diastolischen Eigen- Besonders ausgeprägt manifestiert sich die Steigerung des peri-
schaften des linken Ventrikels pheren Widerstands unter den Bedingungen der Arbeitsbelas-
tung. Folge des verminderten Herzminutenvolumens und der
4 Ventrikelunabhängige Faktoren peripheren Vasokonstriktion ist eine verringerte Blutversorgung
– Perikardeigenschaften in bestimmten Teilkreisläufen. Dieses Strömungsdefizit der Or-
– Füllungszustand und -druck des rechten Ventrikels ganperipherie, das durch eine Umverteilung der Herzauswurfleis-
– Atriale Kontraktion und Füllung tung in bestimmte Organsysteme bedingt ist, lässt sich durch die
– Vermehrter diastolischer Einstrom (z. B. Shunts, Messung der arteriovenösen Sauerstoffdifferenzen gut erfassen.
Klappeninsuffizienz) Verlangsamt sich bei chronischer Herzinsuffizienz der Blutum-
– Koronarvaskulärer Turgor lauf, d. h. sinkt das Herzminutenvolumen, so steigt die O2-Aus-
– Kompression (z. B. durch Tumoren, erhöhten intra- schöpfung in der Gewebsperipherie; dies führt zu einer Erhö-
pleuralen Druck) hung der arteriovenösen O2-Konzentrationsdifferenz.
– Herzfrequenz
4 Ventrikelabhängige Faktoren Durchblutungsverminderung weiterer Organe
– Passiv elastische Eigenschaften der Ventrikelwand Von der peripheren Durchblutungsreduktion werden in erster
(Compliance) Linie die Nieren und der Mesenterialkreislauf, ferner die Haut-
– Wanddicke durchblutung und schließlich die Muskeldurchblutung betroffen.
– Wandzusammensetzung (Narben, Amyloid, Eisen, Die Durchblutung des Gehirns ist weniger eingeschränkt. Die
Muskelmasse, Altersfibrose u. a.) Verminderung der Nieren- und Abdominaldurchblutung ist so-
– Aktiv elastische Eigenschaften der Ventrikelwand gar stärker, als es die Reduktion des Herzminutenvolumens er-
(Aktin-Myosin-Brücken-Inaktivierung, Kalziumionen- warten ließe. Dieser Effekt tritt insbesondere unter körperlicher
homöostase) verlangsamte oder unvollständige Belastung in Erscheinung. Man muss dies als einen Vorgang be-
Relaxation (Hypertrophie, Ischämie, Alter) trachten, der das Herzminutenvolumen zugunsten der arbeiten-
– Erhöhter diastolischer Wandtonus, Nachlast- den Körpermuskulatur umverteilt.
zunahme
Koronargefäße
Koronardurchblutung und O2-Verbrauch des insuffizienten Her-
zens, bezogen auf das Herzgewicht, sind normal oder erhöht und
Organdurchblutung bei Herzinsuffizienz werden im Einzelfall von der Ursache der Herzinsuffizienz
Höhere Grade von chronischer Herzinsuffizienz weisen während (Druck- oder Volumenbelastung des Herzens) und damit von der
der körperlichen Belastung nur einen geringen Anstieg des Herz- Herzmuskelmasse, ferner von der Herzfrequenz und vom Grad
auswurfs auf. Dabei sind die enddiastolischen Kammerfüllungs- der Dilatation (Zunahme der intramyokardialen Wandspan-
drücke erhöht. nung) bestimmt. Absolut bedingen diese Komponenten eine Stei-
gerung des Gesamt-O2-Verbrauches des Herzens, der überwie-
> Die im Vergleich zu Normalpersonen mangelhafte Steigerung
gend durch eine Erhöhung der Koronardurchblutung oder durch
des Herzschlagvolumens wird zu einem gewissen Grad durch
eine vermehrte O2-Extraktion gedeckt wird. Demzufolge ist die
die gleichzeitige Frequenzsteigerung ausgeglichen.
arteriokoronarvenöse O2-Sättigungsdifferenz erhöht.
Hieraus erklärt sich die klinische Erfahrung, dass Herzkranke bei
Arbeitsbelastung einen ungleich stärkeren Frequenzanstieg im Nieren
Vergleich zu trainierten oder untrainierten Normalpersonen zei- Die Abnahme der Nierendurchblutung führt zu einer Abnahme
gen. Die Erniedrigung des Herzminutenvolumens bei der chro- des Glomerulumfiltrats, weniger stark zur Verminderung des
nischen Herzinsuffizienz führt im Rahmen der normalen Blut- renalen Plasmaflusses. Dementsprechend nimmt die Filtrations-
druckregulation zu einer generalisierten arteriolären Vasokons- fraktion ab.
triktion mit Erhöhung des gesamten peripheren Kreislaufwider-
stands (7 Abschn. 5.2.8). Mesenterialkreislauf
Die verminderte Durchblutung im Mesenterialkreislauf wird z. T.
Strömungswiderstand durch eine arterioläre Vasokonstriktion, zum anderen durch die
Bei gesunden Menschen beträgt der mittlere periphere Abflachung des Druckgefälles zwischen Pfortader und Leber-
Strömungswiderstand um 1100–1600 dyn×s×cm-5. Im Zustand venen infolge des erhöhten zentralen Venendruckes hervorge-
der Herzinsuffizienz werden bei der Mehrzahl der Patienten rufen. Unter den Bedingungen der körperlichen Belastung kann
Steigerungen des Gesamtwiderstands auf mehr als das Doppel- der Mesenterialfluss auf weniger als 25% seines Normalwerts ab-
te dieses Wertes beobachtet, und zwar in umgekehrter Kor- sinken. Die O2-Extraktion des Lebervenenblutes ist dann nahezu
relation zur Herzauswurfleistung. Peripherer Widerstand und komplett; dies macht die hypoxiebedingten Leberzellschäden
Herzauswurfleistung bleiben im Zustand der kompensierten und Nekrosen besonders in den zentrilobulären Abschnitten der
chronischen Herzinsuffizienz so fein aufeinanderabgestimmt, Leber verständlich.
dass größere Blutdruckabweichungen nicht beobachtet wer-
den. Erst hochgradige Formen und ein akutes Herzversagen
werden durch die periphere Vasokonstriktion nicht mehr kom-
pensiert, wodurch es dann zu einer Abnahme des Blutdrucks
kommt.
136 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

5.2.7 Skelettmuskelstoffwechsel 4 Ödeme haben einen zusätzlichen Einfluss auf die metabo-
bei Herzinsuffizienz lisch induzierte Muskeldurchblutungssteigerung.
4 Das Verteilungsmuster des regionalen Blutflusses ist bei
> Die reduzierte muskuläre Leistungsfähigkeit und die dadurch Herzinsuffizienz deutlich zugunsten der arbeitenden Mus-
entstehende schnelle körperliche Ermüdbarkeit des Patienten kulatur auf Kosten der Durchblutung von Nieren und Haut
mit manifester Herzinsuffizienz sind wesentlich durch die ver- verändert.
minderte Skelettmuskelperfusion (sowie durch eine gewisse In- 4 Bei der chronischen Herzinsuffizienz ist die Durchblutungs-
aktivitätsatrophie) bedingt. zunahme in der arbeitsbelasteten Extremität geringer, ebenso
bei erhöhter arteriovenöser O2-Differenz die O2-Aufnahme.
Als Ursache hierfür werden erhöhte Plasmakonzentrationen von 4 Unter Muskelarbeit ist der Anteil des anaeroben Stoffwechsels
vasokonstriktorischen Katecholaminen ebenso wie von Angio- bei Herzinsuffizienz vergleichsweise höher. Jedoch reflektie-
5 tensin II angegeben. ren die registrierten Veränderungen des Säure-Basen-Haus-
Ein zusätzlich vorliegender Defekt besteht in einer vermin- halts unter den Bedingungen einer eingeschränkten peri-
derten Compliance der muskulären Gefäße (erhöhte interstitielle pheren Zirkulation nicht verlässlich den tatsächlichen Anteil
Natrium- und Wasserretention), die dazu beiträgt, dass die des anaeroben Stoffwechsels am Gesamtenergieumsatz.
Gefäßdilatation bei körperlicher Aktivität bei diesen Patienten
vermindert ist. Während körperlicher Belastung findet man ab-
norm hohe Blutlaktatspiegel und im Skelettmuskel einen signifi- 5.2.8 Gefäßperipherie bei Herzinsuffizienz
kanten Abfall des Kreatinphosphats und des pH-Werts.
Bei Herzinsuffizienz kommt es zu einer ausgeprägten sympatho-
> Vor allem die rote Muskulatur mit vorwiegend oxidativem
adrenergen Aktivierung, die neben Veränderungen des Kontrak-
Stoffwechsel ist von dem verminderten Blutfluss betroffen,
tilitätsstatus des Herzens auch Veränderungen im peripheren
während die Durchblutung des weißen Muskels mit vorwie-
Vasomotorentonus nach sich zieht.
gend glykolytischem Stoffwechsel bei Herzinsuffizienz kaum
Diese Veränderungen resultieren in einem erhöhten periphe-
reduziert ist.
ren Widerstand bei Herzinsuffizienz, der dem klinisch tätigen
Kardiologen an einer kühlen, blassen und feuchten Haut auffällt.
Abnahme der Muskelmasse Da es am Herzen unter diesem exzessiven Katecholamineinfluss
Bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz wird außerdem eine zu Veränderungen des Rezeptorenbesatzes kommt, wäre anzu-
Abnahme der Muskelmasse des Körpers beobachtet. Diese mus- nehmen, dass dies auch am Gefäßsystem der Fall ist.
kuläre Atrophie kann etwa 10% betragen und ist auch durch die
reduzierte körperliche Aktivität infolge der Grunderkrankung Tonisierung durch Adrenorezeptoren
bedingt. Die vasokonstriktorischen Eigenschaften der Katecholamine wer-
Die beschriebenen metabolischen Alterationen des Skelett- den über vaskuläre α1- und α2-Adrenozeptoren vermittelt – in der
muskels bei Herzinsuffizienz können das Ergebnis eines vermin- Körperperipherie etwa jeweils 50% der Vasokonstriktion durch
derten O2-Angebots oder einer reduzierten mitochondrialen Adrenalin. Studien haben gezeigt, dass bei Herzinsuffizienz die
oxidativen Kapazität sein. Es fällt auf, dass die körperliche Aktivi- Funktionen der α1- und α2-Adrenozeptoren in der Körperperipherie
tät von Patienten häufig kaum verbessert ist, obwohl das Herz- in gleicher Weise erhalten bleiben. Ähnliches wurde für die α-re-
minutenvolumen durch eine Vasodilatatorentherapie wesentlich zeptorvermittelte Tonisierung von Venen nachgewiesen.
gesteigert ist. Zu den vasodilatatorischen Wirkungen von Katecholaminen
zählen die am Gefäß durch β2-Adrenozeptoren vermittelten Wir-
Ventrikelfunktion, Blutdruck kungen von Adrenalin. Diese Effekte der vermittelten Vasodila-
und Gefäßwiderstand tation sind in der Gefäßperipherie bei Patienten mit Herzinsuffi-
Die Beziehungen zwischen Ventrikelfunktion, arteriellem Blut- zienz ebenfalls unverändert.
druck und peripherem Gefäßwiderstand lassen sich im Arbeits-
versuch darstellen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Tonusregulation durch Stickstoffmonoxid
vermehrte Nachbelastung infolge überhöhter Belastungsblut- Die Regulation des Tonus der Gefäße ist unter physiologischen
druckwerte (die dazu führt, dass die maximale Herzarbeit schon Bedingungen von dem Funktionszustand des Endothels abhän-
bei wesentlich geringeren Leistungsstufen erbracht wird) und gig. Nach Stimulation von Rezeptoren, die auf dem Endothel lo-
zum anderen um die Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands kalisiert sind, kommt es zu einer Aktivierung der konstitutiven
bei eingeschränkter Pumpfunktion. NO-Synthaseaktivität, die vermehrt NO aus L-Arginin bildet.
In diesem Zusammenhang sind folgende Befunde hervorzu- Das vermehrt gebildete NO diffundiert zu den glatten musku-
heben: lären Zellen und führt dort unter Aktivierung einer zytosolischen
4 Es werden unter submaximaler Belastung relativ höhere Guanylatzyklase zu der vermehrten Bildung von cGMP.
Plasmakatecholaminkonzentrationen bei Herzinsuffizienz Zu den endothelialen Rezeptoren gehören muskarinerge
gemessen. Rezeptoren, die durch Acetylcholin stimuliert werden. Es konnte
4 Im Vergleich zu gesunden Probanden ist bei Patienten mit gezeigt werden, dass die endotheliale, durch Acetylcholin in-
Herzinsuffizienz die relative Zunahme des peripheren Ge- duzierte Vasodilatation bei Herzinsuffizienz an morphologisch
fäßwiderstands nach äquivalenten Noradrenalindosen gleich intakten Koronargefäßen vermindert ist. Dementsprechend
groß, nach Tyramin jedoch signifikant höher. scheint es bei der Herzinsuffizienz eine die Koronargefäße, aber
4 Der Natrium- und Wassergehalt der Gefäßwände ist bei auch die Körperperipherie betreffende endotheliale Dysfunktion
Herzinsuffizienz vermehrt, die Gefäßelastizität reduziert. zu geben.
5.2 · Pathophysiologie
137 5
5.2.9 Pathogenese des kardialen Ödems Bei der chronischen Herzinsuffizienz wirkt sich in erster Linie die
Erhöhung des Venendrucks proportional auf den Filtrations-
Venenmechanik und Rückstautheorie druck der kapillaren Strombahn, dort vornehmlich an den ab-
Bei der akuten Insuffizienz des linken Ventrikels wirft dieser vor- hängigen Partien, aus. Die Steigerung des intrahepatischen Ka-
übergehend weniger Blut aus als der noch suffiziente rechte Vent- pillardrucks führt zur Aszitesbildung, diejenige im Thoraxraum
rikel. Hierdurch wird eine bestimmte Menge Blut aus dem syste- zur Flüssigkeitsansammlung in den vorwiegend rechten Pleura-
mischen Kreislauf in die Lungenstrombahn verlagert. Das zentra- höhlen.
le Blutvolumen steigt somit an.
Da die Volumenkapazität des Lungenkreislaufs wesentlich Extrazelluläre Flüssigkeitsvolumina
kleiner ist als die des Körperkreislaufs, kommt es dabei (beson- Die klassische Auffassung des kardialen Ödems geht dahin, dass
ders unter Belastung) zu einer Steigerung der Blutdrücke in den die frei verschiebliche interstitielle Flüssigkeit und auch das ex-
Lungengefäßen und im rechten Herzen. Orthopnoe, Asthma trazelluläre Flüssigkeitsvolumen vergrößert sind. Die extrazellu-
cardiale und Lungenödem sind die klinischen Erscheinungs- läre Flüssigkeit besteht erstens aus dem Plasmavolumen, zweitens
bilder dieser pulmonalen Hypertonie im Gefolge einer Links- aus der interstitiellen Flüssigkeit und drittens aus dem Lymph-
herzinsuffizienz. volumen. Die Vergrößerung des Plasma- und des Lymphvolu-
Bei vorbestehenden Zunahmen der Gesamtblutmenge und mens tritt beim kardialen Ödem gegenüber der Erhöhung des
damit des Lungenblutvolumens und begünstigt durch hydrosta- Volumens der interstitiellen Flüssigkeit zurück.
tische Einflüsse (z. B. Horizontallagerung, Natrium- und Wasser-
retention) ist die Dehnbarkeit des Lungengefäßsystems bereits Intrazelluläres Flüssigkeitsvolumen
herabgesetzt. Es genügt dann schon ein sehr kleiner zusätzlicher Aus Untersuchungen über die intrazelluläre Wasser- und Elektro-
Blutvolumenzuwachs in diesem Gefäßbett, um eine klinisch ma- lytbilanz kann man entnehmen, dass an den Wasser- und Mine-
nifeste Lungenblutüberfüllung hervorzurufen. ralstoffwechselstörungen des kardialen Ödems auch der intrazel-
luläre Raum beteiligt ist. Im Stadium der Ödembildung finden
> Am Krankenbett kann durch hydrostatische Verlagerung einer
sich übereinstimmend auch eine Zunahme des intrazellulären
kleinen Blutmenge aus dem Lungenkreislauf in die unteren
Flüssigkeitsvolumens und eine Abnahme der intrazellulären Ka-
Köperabschnitte (z. B. durch Nitroglyzerin, aufrechte Körper-
liumkonzentration. Beide Veränderungen kehren sich im Sta-
haltung, heiße Fußbäder, Anlegung venöser Staubinden
dium der Ödemausschwemmung um.
oder Pressdruckatmung) das lebensbedrohliche Syndrom eines
Asthma-cardiale-Anfalls beseitigt werden.
Renale Salz- und Wasserretention
Nach diesen klinischen Erfahrungen und pathophysiologischen Im Stadium der Ödembildung besteht eine positive Bilanz für
Gegebenheiten muss man daran festhalten, dass die klassische das ödembildende Material, nämlich für Wasser und Elektrolyte
Rückstautheorie für den Fall einer Linksherzinsuffizienz auch (vorwiegend für Natrium und Chlorid), und zwar als Folge einer
heute noch zu Recht besteht. verminderten Natriumausscheidung der Nieren.
Bei chronischer Rechtsherzinsuffizienz erklärt sich die ve- Bei der chronischen Herzinsuffizienz sind die Nierendurch-
nöse Hypertonie während körperlicher Belastung und bei höhe- blutung und im geringen Maß auch die Menge des Glomerulum-
rem Insuffizienzgrad auch in Ruhe durch pathologisch anato- filtrats erniedrigt, was unter körperlicher Belastung verstärkt in
mische Venenwandveränderungen, durch eine gesteigerte veno- Erscheinung tritt. Allerdings gehen das Ausmaß der renalen Na-
motorische Aktivität und durch einen vermehrten Gefäßinhalt triumretention, der Verminderung des Glomerulumfiltrats und
(Blut) mit dem Ergebnis einer nachweislich verminderten Dehn- der Nierendurchblutung nicht immer parallel; dies legt zwingend
barkeit des gesamten Niederdrucksystems. zusätzlich eine gesteigerte tubuläre Natriumrückresorption nahe.
Einen dominierenden Einfluss auf die venöse Hypertonie bei Für die gesteigerte tubuläre Rückresorption von Natrium
chronischer Herzinsuffizienz übt die vergrößerte Blutmenge aus. sind mehrere Faktoren im Spiel:
In den meisten Fällen herrscht dabei eine Erhöhung des Plasma- 4 verminderte mittlere Durchflusszeit im Nierentubulus mit
volumens gegenüber dem Erythrozytenvolumen vor. Bei Zustän- gesteigerter fraktioneller Rückresorption,
den schwerer Hypoxie (Emphysem, kongenitale Herzfehler mit 4 Erhöhung des kolloidosmotischen Drucks in der peritubu-
Rechts-links-Shunt) kann dagegen das Erythrozytenvolumen lären Flüssigkeit,
stärker vergrößert sein als das Plasmavolumen. Ferner bestehen 4 verminderte Markdurchblutung mit Erhöhung des Konzent-
Beziehungen zu den Herzvolumina, zum Geschlecht, zur körper- rationsgradienten im Gegenstromprinzip von der Nieren-
lichen Aktivität und zum klinischen Schweregrad der Herzinsuf- basis zur Papillenspitze hin mit sekundärem Anstieg der os-
fizienz. motischen Endharnkonzentration,
4 gesteigerte Aktivität des ADH und der Katecholamine,
Gesteigerte Kapillarfiltration 4 intrarenale Wirkung von Angiotensin II,
Das kardiale Ödem ist gleichbedeutend mit der Ansammlung frei 4 möglicherweise eine Mitwirkung der PGE2 und PGA2,
verschieblicher eiweißarmer Flüssigkeit im interstitiellen Ge- 4 wichtig: die Auswirkung eines vornehmlich unter körper-
websraum. Pathophysiologisch müssen hierfür folgende Faktoren licher Belastung bzw. im Stadium der Ruheinsuffizienz sti-
in Betracht gezogen werden: mulierten RAAS mit den Auswirkungen eines sekundären
4 Erhöhung des effektiven Filtrationsdrucks an der Kapillar- Hyperaldosteronismus.
membran,
4 Verminderung des effektiven kolloidosmotischen Druckes, Antidiuretisches Hormon
4 gesteigerte Eiweißdurchlässigkeit der Kapillarwand und Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind theoretisch
4 verminderter Lymphtransport. supprimierte ADH-Spiegel zu erwarten. In der Tat finden sich
138 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

aber häufig normale oder gering bis mäßig erhöhte Plasma- 5.3 Klinische Symptome
ADH-Spiegel. Diese Erhöhung dürfte, zumindest teilweise, das
Unvermögen mancher Patienten erklären, vermehrt Flüssigkeit Die Symptome der Herzinsuffizienz sind vielfältig; sie reichen
auszuscheiden, sodass die bekannte Verdünnungshypoosmolari- von körperlicher Schwäche und Dyspnoe bis zu Ödemen und
tät entsteht oder unterhalten wird. Der Befund dieser inadäqua- Organversagen. Die pathophysiologischen Ursachen dieser
ten Höhe des ADH-Spiegels ist mit der Reset-Osmostat-Theorie Symptome sind ebenfalls oft unterschiedlich. Im Folgenden soll
vereinbar, die eine Sensitivitätsänderung der Osmorezeptoren auf einige übliche Begriffe eingegangen werden.
annimmt.

Natriuretische Peptide 5.3.1 Vorwärts- und Rückwärtsversagen


Die Charakterisierung der beiden natriuretischen Peptide ANP
5 und BNP etablierte das Dogma des Herzens als endokrines Or- Das Pumpversagen des Herzens ist dadurch charakterisiert, dass
gan. Wegweisend dabei waren Versuche, bei denen die Infusion das Herz entweder zu wenig Blut in die arterielle Strombahn aus-
von Vorhofextrakten in Ratten zu einer raschen Natriurese und wirft (Vorwärtsversagen) oder dass es dem venösen Zustrom durch
Diurese verbunden mit einer Vasodilatation führten. Als auslö- eine inadäquate Auswurfleistung nicht gerecht wird und dies zu
sende Substanz wurde ANP identifiziert. Stauungssymptomen in dem zum betroffenen Ventrikel proximal
Die beiden Peptidhormone ANP und BNP werden als befindlichen Kreislaufsystem führt (Rückwärtsversagen).
längerkettige Vorstufen synthetisiert (Prä-pro-ANP/BNP) und Eine sich manifestierende Herzinsuffizienz kann durch beide
durch proteolytische Spaltung modifiziert. In den Blutkreislauf klinische Erscheinungsbilder auffallen. Das Rückwärtsversagen
werden die biologisch aktiven Hormone ANP und BNP (28 resp. führt dazu, dass in den Vorhöfen Druck und Volumen ansteigen
32 Aminosäuren umfassend) sowie die längerkettigen amino- und sich dieser Rückstau bis in die pulmonale Strombahn (beim
terminalen Abschnitte (NT-pro-ANP/BNP) des Prohormons linken Ventrikel) oder in die venöse Strombahn (beim rechten
freigesetzt. Freisetzungsstimulus für ANP und BNP ist neben Ventrikel) fortsetzt.
einer direkten Aktivierung durch Hormone wie Endothelin,
Vasopressin und Katecholamine eine Dehnung der Myozyten. Vorwärtsversagen
Die Regulation der ANP-Sekretion erfolgt auf der Ebene der Das Vorwärtsversagen bedeutet, dass durch eine insuffiziente
Freisetzung aus Speichergranula, die unter physiologischen Be- Pumpleistung zu wenig Blut in das arterielle Gefäßsystem ausge-
dingungen vorwiegend in atrialen Myozyten zu finden sind. worfen wird.
Natriuretisches Peptid Typ B wird unter physiologischen Bedin-
> Beim Vorwärtsversagen stehen ein niedriger Druck und die aku-
gungen nur gering sezerniert. Bei Aktivierung kommt es ähnlich
ten Folgen einer verminderten Organperfusion wie Schwäche,
einer »Akuten-Phase-Reaktion« zu einer Steigerung der BNP-
prärenales Nierenversagen, periphere Zyanose und Symptome
Gen-Expression und darüber zu einer erhöhten Sekretion, die
einer zerebralen Minderdurchblutung im Vordergrund.
führend im linksventrikulären Myokard stattfindet. Der Name
BNP resultiert aus dem erstmaligen Nachweis des Peptids in Natürlich kommt es auch hier durch die komplexen kompensa-
Schweinehirnen. Aufgrund des Syntheseortes im Herzen kor- torischen Vorgänge in späteren Stadien zu einer Natrium- und
relieren die ANP-Plasma-Spiegel führend mit der atrialen Wand- Wasserretention mit der Ausbildung von entsprechenden Symp-
spannung und damit dem intravasalen Volumen, während die tomen. Ebenso wie beim Rückwärtsversagen des Herzens, bei
BNP-Spiegel mit dem linksventrikulären Druck und Volumen dem die Herzauswurfleistung nach längerem Bestehen ebenfalls
und damit indirekt mit der linksventrikulären Funktion assozi- vermindert ist, führt auch das Vorwärtsversagen bei längerem
iert sind. Bestehen zu Symptomen der Stauung, die denen des Rückwärts-
Die biologischen Effekte der natriuretischen Peptide werden versagens sehr ähnlich sein können.
über die membranständigen Typ-A- und -B-Rezeptoren mit dem Die Therapie des Vorwärtsversagens wäre demnach eine
Second-messenger-cGMP vermittelt. Neben den renalen Effek- arterielle Nachlastsenkung (wenn dies der Blutdruck erlaubt)
ten wie Natriurese und Diurese führen ANP und BNP zu einer oder eine Stimulation der Kontraktionskraft, z. B. durch positiv-
Inhibition des zentralen und des peripheren sympathischen Ner- inotrope Substanzen. Veränderungen der Hämodynamik und die
vensystems sowie der Renin-Angiotensin-Achse an mehreren möglichen therapeutischen Eingriffe sind in . Abb. 5.12 zusam-
Angriffspunkten. Über eine Relaxierung an vaskulären glatten mengefasst.
Muskelzellen kommt es zur Senkung von Vor- und Nachlast.
Daneben weisen die natriuretischen Peptide antiproliferative Rückwärtsversagen
and antifibrotische Effekte auf und beeinflussen so das kardiale Beim Rückwärtsversagen wird durch Überdehnung der Ventrikel-
und das vaskuläre Remodeling günstig. Das heute bekannte Wir- muskulatur bei erhöhten diastolischen Drücken Flüssigkeit in
kungsspektrum der natriuretischen Peptide geht weit über die den interstitiellen Raum filtriert und die Stauungssymptome
initial beschriebene Blutdruck- und Flüssigkeitsregulation hi- manifestieren sich (Lungenödem bei Linksherzinsuffizienz; Stau-
naus. Der Abbau der natriuretischen Peptide erfolgt über spe- ungsleber, periphere Ödeme, Aszites, Pleuraergüsse bei vor-
zielle Clearence-Rezeptoren (Typ C) und über membranständige wiegender Rechtsherzinsuffizienz). Dementsprechend sind eine
neutrale Endopeptidasen. Dilatation der Kapazitätsgefäße oder ein Flüssigkeitsentzug durch
Neben ANP und BNP sind noch das natriuretische Peptid z. B. Diuretika therapeutisch geeignete Maßnahmen.
Typ C und Urodilatin als Vertreter der natriuretischen Peptide
bekannt. Diese wirken lokal im zentralen Nervensystem, an Ge-
fäßen sowie in den Nieren und haben, soweit bekannt, keinen
Einfluss auf systemische Regulationsprozesse.
5.3 · Klinische Symptome
139 5

Bedarfs nicht sicherstellen kann. Die eher seltene Form der


»High-output«-Herzinsuffizienz beschreibt die Situation eines
gesteigerten peripheren Bedarfs durch eine Änderung der Stoff-
wechselaktivität und eine gesteigerte periphere Zirkulation durch
arteriovenöse Shunts in der Körperperipherie. Dies kann dazu
führen, dass das Herz den Blutdruck nicht mehr über eine Erhö-
hung der Herzauswurfleistung aufrechterhalten kann.
Die häufigere Form der »Low-output«-Herzinsuffizienz ist in
a ihrem Verlauf und in ihrer Symptomatik durch die neurohumo-
ralen Gegenregulationsmechanismen bestimmt. Das bedeutet,
die Peripherie ist kühl, blass und eher kaltschweißig.
> Beim High-output-Versagen, das bei der Thyreotoxikose, der
Paget-Erkrankung, bei Anämie, Beriberi, Leberzirrhose, Sepsis
und gelegentlich auch bei Schwangerschaft vorkommt, findet
sich eine warme Peripherie.

b
. Abb. 5.12a,b. Beziehung zwischen Schlagvolumen und linksventri- 5.3.4 Akute und chronische Herzinsuffizienz
kulärem enddiastolischem Druck (a) und zwischen Schlagvolumen und
Aortendruck (b). Die Situation des Vorwärtsversagens (Unterperfusion)
Die akute Herzinsuffizienz entsteht häufig durch ausgedehnte
ist durch offene und die des Rückwärtsversagens (Stauung) durch gefüllte
Flächen gekennzeichnet. Steigt bei Herzinsuffizienz der enddiastolische
Myokardinfarkte, durch Rhythmusstörungen und durch akut
Druck inadäquat an (Ausnutzung des Frank-Starling-Mechanismus), auftretende hypertensive Krisen bei einer vorbestehenden einge-
können Stauungssymptome im Sinne eines Rückwärtsversagens auf- schränkten kardialen Auswurfreserve.
treten. Wird der enddiastolische Druck (z. B. durch Volumenentzug) in- Auch eine chronische Herzinsuffizienz kann akut dekom-
adäquat gesenkt, so nimmt das Schlagvolumen ab und es entwickelt pensieren und ein ähnliches klinisches Bild wie die akute Herz-
sich eine Unterperfusion lebenswichtiger Organe (Vorwärtsversagen). insuffizienz aufweisen.
Als Folge der Abnahme des Schlagvolumens (Vorwärtsversagen) sinkt Insofern ist die akute Herzinsuffizienz von der akuten De-
der Aortendruck (b). Beim Rückwärtsversagen ist es das therapeutische kompensation einer chronischen Herzinsuffizienz häufig nicht
Ziel, die enddiastolischen Drücke zu reduzieren (v →). Beim Vorwärts-
zu unterscheiden. Eine akut dekompensierte chronische Herzin-
versagen muss das Schlagvolumen durch eine Kontraktilitätssteigerung
suffizienz wird wie eine akute Herzinsuffizienz behandelt.
oder durch eine Minderung der Nachlast (wenn möglich) erhöht werden
(a →)
Ursachen, die zu einer akuten Verschlechterung einer vorbe-
stehenden Herzinsuffizienz führen können, sind:
4 nicht ausreichend behandelte Hypertonie,
4 Absetzen von benötigten Medikamenten (Diuretika),
5.3.2 Systolische und diastolische 4 zusätzliche Infekte (z. B. Pneumonie),
Herzinsuffizienz 4 pulmonale Embolie,
4 Myokarditis,
Eine Herzinsuffizienz kann auf einer Pumpfunktionsstörung 4 Vaskulitis (Lupus erythematodes etc.),
oder einer Füllungsstörung des Herzens beruhen. Die systolische 4 akute Ischämie,
Herzinsuffizienz basiert auf einer eingeschränkten Auswurfleis- 4 Rhythmusstörungen (Tachyarrhythmie),
tung und einer Dilatation des Herzens. Bei der mehr diastolischen 4 Viskositätsänderungen,
Herzinsuffizienz ist die Pumpfunktion des Herzens weniger ge- 4 Überwässerung bei Niereninsuffizienz,
stört (häufig normale Auswurffraktion), dafür sind die Ventrikel- 4 Anämie, Blutungen,
wände hypertrophiert und steif. Dies resultiert in einer besonders 4 zusätzliche Therapie mit Na+- und Wasserretinierenden
ausgeprägten Erhöhung der diastolischen (Füllungs-)Drücke. Substanzen (NSAR, Glitazone),
Während die systolische Herzinsuffizienz zu einem Vor- 4 negativ-inotrope Pharmaka (Kalziumantagonisten, Anäs-
wärtsversagen neigt, ist bei der diastolischen Herzinsuffizienz das thetika).
sog. Rückwärtsversagen häufiger.
> Oft kommt es zu einer Kombination von systolischer und diasto- 5.3.5 Klassifikationskriterien
lischer Dysfunktion bei Herzinsuffizienz. Dies erklärt meist die (revidierte NYHA-Klassifikation)
Kombination der Symptome des Rückwärts- und Vorwärtsver-
sagen.
Die Symptomatologie und der klinische Verlauf der Herzinsuffi-
zienz sind von Art und Ausmaß des Grundleidens sowie durch
den klinischen Schweregrad und das eventuelle Auftreten von
5.3.3 »Low-output«- und »High-output«- Komplikationen (Thromboembolien, Lungenödeme, zerebrovas-
Herzinsuffizienz kuläre Insulte, Infektionen, Herzrhythmusstörungen) bestimmt.
Die Schweregrade der funktionellen Leistungseinschränkung
Die häufigste Form der Herzinsuffizienz ist sicherlich eine ver- werden nach der revidierten Fassung der NYHA, wie in 7 Über-
minderte Herzauswurfleistung, die die Deckung des peripheren sicht 5.5 dargestellt, unterteilt.
140 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

5.4 Diagnose und Differenzialdiagnose


Übersicht 5.5. Revidierte NYHA-Klassifikation bei Herz-
insuffizienz 5.4.1 Grundlagen der Diagnostik

Klasse I: Herzerkrankung ohne körperliche Limitation. Alltäg- Wegen der zahlreichen auslösenden Faktoren und der individu-
liche körperliche Belastung verursacht keine inadäquate Er- ellen Vielseitigkeit von Manifestation und differenzialtherapeu-
schöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris tischen Konsequenzen erfordert die eingehende Diagnostik des
Klasse II: Patienten mit Herzerkrankungen und leichter Ein- Syndroms Herzinsuffizienz eine genaue Kenntnis der zugrunde
schränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Keine Be- liegenden Ursachen.
schwerden in Ruhe; alltägliche körperliche Belastung verur-
sacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina
5 pectoris 5.4.2 Nachweis- und Ausschlussdiagnostik
Klasse III: Patienten mit Herzerkrankungen und höhergradi-
ger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Keine Die Diagnosestellung stützt sich auf eine Nachweisdiagnostik und
Beschwerden in Ruhe; geringe körperliche Belastung verur- eine Ausschlussdiagnostik anderer Erkrankungen. Nur so lässt
sacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina sich der diagnostische Aufwand in Grenzen halten.
pectoris
Klasse IV: Patienten mit Herzerkrankung. Beschwerden bei Ausschlussdiagnostik. Es müssen Erkrankungen ausgeschlossen
allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe werden, die zur Stauungssymptomatik, Natrium- und Wasser-
retention führen, wie Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen,
venöse Abflussstörungen, Veränderungen der Kapillarpermeabi-
Die Einschätzung wird nach wie vor in die Stadien I–IV einge- lität, Veränderungen der Blutzusammensetzung (z. B. Hypo-
teilt; jedes Stadium kann durch eine weitere Angabe der objek- proteinämie), zur Luftnot führende Lungenerkrankungen oder
tiven Diagnostik (A–D) präzisiert werden. Niereninsuffizienz.
Ein Patient, der eine geringgradige Einschränkung der kör-
perlichen Leistungsfähigkeit (Klasse II) und eine hochgradige Nachweisdiagnostik. Anamnese, klinische und technische Unter-
Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion mit links- suchungen haben das Ziel, die den klinischen Symptomen der
ventrikulärer Dilatation (die ventrikulographisch oder echokar- Herzinsuffizienz zugrunde liegenden Herzerkrankungen zu cha-
diographisch objektiviert wurde) besitzt, wäre so nach der neuen rakterisieren. Eine Herzinsuffizienz auslösende und aggravie-
Klassifikation als NYHA funktionelle Klasse II, objektive Ein- rende Veränderungen anderer Organsysteme müssen erkannt
schätzung D einzuordnen. werden.
Darüberhinaus wurde eine Stadieneinteilung unter stärkerer
Berücksichtigung der Entstehung und der Progression der Herz- Myokardiale Ursachen
insuffizienz vorgeschlagen (7 Übersicht 5.6). Diese Einteilung Primär myokardiale Ursachen sind Dysfunktionen des linken
hebt zudem die steigende Bedeutung der Prävention, die bereits und des rechten Ventrikels, z. B. durch Myokarditis, KHK oder
beim Risikopatienten eingeleitet werden sollte, hervor. chronische Drucküberlastungen (Hochdruckherz oder Cor
pulmonale). Die letztgenannten Ursachen führen zu der klas-
sischen sekundären Herzinsuffizienz, die aufgrund von Verän-
Übersicht 5.6. Stadieneinteilung der Herzinsuffizienz derungen der nachgeschalteten Strombahn zustande kommt.
unter Berücksichtigung der Progression der Erkrankung Die hierbei entstehende Dysfunktion des linken Ventrikels kann
sich im Sinne einer systolischen Dysfunktion, aber auch im
Stadium A: Patienten mit hohem Risiko (z. B. Hypertonie, Sinne einer diastolischen Funktionseinschränkung manifes-
Diabetes mellitus), eine Herzinsuffizienz zu entwickeln, da tieren.
Faktoren vorliegen, die stark mit der Entstehung einer Herz- Als häufigste kardiale Ursachen einer diastolischen Dysfunk-
insuffizienz assoziiert sind. Diese Patienten haben keine tion gelten die Myokardhypertrophie bei der idiopathischen hy-
strukturelle oder funktionelle Störung des Perikards, Myo- pertrophischen Kardiomyopathie, die sekundäre Hypertrophie
kards oder der Herzklappen und hatten noch nie Herzinsuffi- bei Hochdruckherz, die kompensatorische Hypertrophie ver-
zienzzeichen oder Symptome bliebener Herzmuskelzellen oder eine Hypertrophie bei der KHK
Stadium B: Patienten, die eine strukturelle Herzerkrankung mit zusätzlicher Myokardfibrosierung.
entwickelt haben, die eng mit der Entstehung einer Herz- Außerdem finden sich in dieser Gruppe infiltrative Kardio-
insuffizienz assoziiert ist, aber bisher noch zu keinen Herzin- myopathien wie u. a. die Amyloidose, Glykogenspeicherkrankhei-
suffizienzzeichen oder Symptomen geführt hat ten oder Morbus Fabry. Da ca. 30–40% aller Patienten mit Herz-
Stadium C: Patienten, die Herzinsuffizienzsymptome haben insuffizienz an einer diastolischen Dysfunktion leiden, muss die
oder hatten, die durch eine zugrunde liegende strukturelle Differenzialdiagnostik das Wesen der zugrunde liegenden vent-
Herzerkrankung verursacht werden/wurden (entspricht rikulären Dysfunktion aufdecken können.
NYHA-Klasse I–III)
Stadium D: Patienten mit fortgeschrittener struktureller Herz- Nichtmyokardiale Ursachen
erkrankung und schweren Herzinsuffizienzsymptomen in Ruhe Kardiale Erkrankungen ohne myokardiale Ursache erfassen in
trotz maximaler medikamentöser Therapie (Patienten, die spe- der Regel alle angeborenen und erworbenen Vitien; hierbei kann
zieller Interventionen bedürfen; entspricht NYHA-Klasse IV) z. B. die Aortenstenose als eine der häufigsten Ursachen der
Herzinsuffizienz sekundär auch das Myokard mitbeeinträch-
5.4 · Diagnose und Differenzialdiagnose
141 5

tigen. Eine Herzinsuffizienz, beruhend auf einer extramyokardia- Anamnese


len Ursache, beinhaltet auch Perikarderkrankungen, insbesonde- Meistens gibt die Anamnese des herzinsuffizienten Patienten
re die Pericarditis constrictiva. Hier liegt häufig eine diastolische bereits die wesentlichen Hinweise auf Ursachen, klinischen
Funktionsstörung vor. Schweregrad und Prognose.
> Bei Erwachsenen, insbesondere des höheren Lebensalters, sind
Extrakardiale Erkrankungen
Hochdruckkrankheit und KHK als häufigste Vorerkrankungen
Extrakardiale Erkrankungen, die zur Manifestation der sekun-
der chronischen Herzinsuffizienz anzusehen.
dären Herzinsuffizienz bei kardialen Erkrankungen oder bei pri-
märer Myokardinsuffizienz beitragen können, sind beispielsweise Dementsprechend lassen sich praktisch immer die typischen Risi-
arteriovenöse Fisteln, die zur Manifestation der eher selteneren kofaktoren für eine KHK (Rauchen, Hypertonie, Hypercholeste-
High-output-Herzinsuffizienz beitragen können. Ebenso kann rinämie, Diabetes mellitus, familiäre Belastung oder Überge-
eine arterielle Hypertonie über die Druckbelastung des linken wicht) auch bei der dann später auftretenden chronischen Herz-
Ventrikels zu einer Dekompensation mit Manifestation der Myo- insuffizienz erheben.
kardinsuffizienz führen. Eine Rechtsherzinsuffizienz kann durch Der Schweregrad der KHK muss nach den NYHA-Kriterien
zusätzliche Lungenembolien oder Hypoxämien verstärkt oder erfragt und beurteilt werden. Die genauere Klassifizierung hat nach
manifest werden. heutigem Stand mit der Angabe der objektiven diagnostischen
Hinweise auf eine Herz-Kreislauf-Dysfunktion zu erfolgen.
Eines der Leitsymptome, die Dyspnoe, bedarf der differen-
5.4.3 Differenzialdiagnostik zialdiagnostischen Abgrenzung von nichtkardialen Erkrankun-
gen, insbesondere der obstruktiven Bronchopneumopathie oder
Zusätzlich zu den in . Abb. 5.13 aufgeführten differenzialdiag- von restriktiven Ventilationsstörungen.
nostischen Aspekten des Syndroms der chronischen Herzinsuf- Weitere Symptome der Herzinsuffizienz können (neben der
fizienz sind Faktoren zu nennen, die eine akute Herzinsuffizienz Angina pectoris bei ischämischer Genese) sein: Hustenreiz, Völle-
oder die akute Dekompensation der chronischen Herzinsuffi- gefühl, Meteorismus und Ödembildung als Zeichen des links-
zienz herbeiführen können. Hierzu zählt insbesondere der akute und des rechtsventrikulären Rückwärtsversagens sowie hypotone
Myokardinfarkt. Beschwerden inklusive Schwindel als Zeichen des Vorwärtsver-
sagens. Weitere unspezifische Zeichen sind Nykturie, Orthopnoe
und Schlaflosigkeit. Die Häufung von Infekten (auch Nagelmy-
5.4.4 Diagnostische Verfahren kosen) kann auf eine allgemeine Immunschwäche bei höhergra-
diger Herzinsuffizienz und niedrigem HZV hinweisen.
Zur Abklärung der Herzinsuffizienz sind die folgenden Verfah-
ren geeignet: Körperliche Untersuchung und Auskultation
4 Anamnese, Periphere Zyanose, arterielle Hypotonie, feuchte pulmonale Ras-
4 körperliche Untersuchung, Auskultation, selgeräusche, Tachypnoe, Halsvenenstauung, Aszites, Pleuraer-
4 EKG, güsse und periphere Ödeme können als mögliche Zeichen einer
4 Laborbestimmungen, Links- und/oder einer Rechtsherzinsuffizienz gewertet werden.
4 Echokardiographie mit Dopplerechokardiographie, Die kardiale Auskultation kann einen dritten oder vierten
4 Thoraxröntgenuntersuchung, Herzton aufweisen. Der früh diastolische dritte Herzton ist Kenn-
4 Belastungsuntersuchungen, zeichen des dilatierten, kontraktionsgestörten Ventrikels mit ver-
4 Herzkatheteruntersuchung, größerten diastolischen Volumina. Er kann außerdem bei hoch-
4 Myokardbiopsie, gradiger sekundärer Mitralinsuffizienz oder bei pathologischer
4 Computertomographie/Magnetreonanztomographie, Dehnbarkeit (Compliance) des linken Ventrikels protodiastolisch
4 nuklearmedizinische Verfahren und mit seinem dumpfen Klangcharakter auftreten. Der präsysto-
4 neuere hämodynamische Monitoringverfahren. lische vierte Herzton ist für eine kontraktile Beanspruchung des

. Abb. 5.13. Differenzialdiagnostik der Ursachen des heterogenen Herzinsuffizienzsyndroms


142 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

Vorhofs kennzeichnend. Sie tritt dann auf, wenn die linksventri- nicht sinnvoll, da sich aus der Aufzeichnung asymptomatischer
kuläre Füllung im Rahmen einer arteriellen Hypertonie, einer ventrikulärer Arrhythmien keine spezifische antiarrhythmische
Aortenstenose oder einer myokardialen Ischämie erschwert wird Therapie ableitet.
und der Vorhof vermehrt Kraft aufbringen muss, um den Vent-
rikel diastolisch ausreichend mit Blut zu füllen. Laboruntersuchungen
Rechtsseitig kann der vierte Herzton bei einer Pulmonal- Laborchemische Basisdiagnostik
stenose oder einer pulmonalen Hypertonie auftreten. Weitere Bei jedem Patienten mit Herzinsuffizienz sollte eine laborche-
vitiumtypische Herzgeräusche können auf eine spezifische Ur- mische Basisdiagnostik mit Bestimmung der Serumelektrolyte,
sache der Herzinsuffizienz hinweisen. der Retentionswerte, eines Blutbilds, der Leberfunktionsparame-
ter und eines Urinstatus erfolgen (7 Übersicht 5.7). Bei unbehan-
! Cave
delter und milder Herzinsuffizienz sind die Nierenfunktions-
Eine degenerative Aortenstenose im höheren Lebensalter ist
5 in der Regel auskultierbar. Es ist aber darauf zu achten, dass
und Serumelektrolytwerte meist normal. Bei schwerer Herzin-
suffizienz kommt es durch eine intensivierte Diuretikatherapie
diese bei sinkender Auswurfleistung des linken Ventrikels sehr
und eine renale Minderperfusion oft zu einer Erhöhung der Re-
leise oder kaum noch hörbar sein kann.
tentionswerte. Zudem findet sich unter Diuretikagabe häufig eine
Bei der Inspektion kann ein systolischer Venenpuls zusammen Hypokaliämie; die wegen einer erhöhten Anfälligkeit für poten-
mit einer palpablen Leberpulsation auf eine zusätzliche, meist ziell maligne ventrikuläre Rhyhtmusstörungen von wesentlicher
relative Trikuspidalinsuffizienz hinweisen. Auskultatorisch klinischer Relevanz ist.
findet man hier ein leises Systolikum am rechten unteren Ster-
nalrand.
Bei Kompressionen der Leber tritt ein hepatojugularer Reflux Übersicht 5.7. Labordiagnostik bei der Herzinsuffizienz
mit sichtbarer praller Füllung der Jugularvenen auf. Auf eine be-
ginnende Dekompensation weisen vorwiegend basale feuchte Basisparameter
Rasselgeräusche hin. Eine bronchospastische Komponente mit 4 Serum-Natrium/-Kalium
verlängertem Exspirium und giemenden Rasselgeräuschen ist 4 Serum-Kreatinin, Harnstoff
beim Asthma cardiale die Regel. Der Stauungserguss des Pleura- 4 Blutbild
raums ist meist auf der rechten Seite beschrieben, tritt nach neue- 4 Leberparameter
ren Untersuchungen aber auf beiden Seiten gleich häufig auf. 4 Serum-Glucose
4 Urinstatus
Elektrokardiogramm Spezielle Parameter
Ruheelektrokardiogramm 4 Natriuretische Peptide (z. B. BNP)
Das EKG lässt bei der chronischen Herzinsuffizienz häufig keine 4 Schilddrüsenfunktion
spezifischen Veränderungen erkennen. Gelegentlich kann es 4 TnT
trotzdem erste Hinweise auf die Genese einer Herzinsuffizienz 4 CRP
geben. Wegweisend sind insbesondere das Vorliegen von Infarkt- 4 Serumlipide
narben oder bleibenden ST-Hebungen als Zeichen einer Aneurys- 4 Ferritin, Transferrin
mabildung. 4 Albumin
Repolarisationsstörungen weisen außerdem auf eine chro- 4 Weitere
nische Ischämie des Herzens hin. Elektrokardiographische Zei-
chen einer ausgeprägten linksventrikulären Hypertrophie (Soko-
low-Index, Lewis-Index) machen das Vorliegen einer ausgepräg- Eine Hyponatriämie, ebenfalls Zeichen der schweren Herzinsuf-
ten linksventrikulären Hypertrophie beim Hypertonikerherzen fizienz, ist mit einer schlechten Prognose behaftet. Steigt der zent-
und bei der Aortenstenose wahrscheinlich. rale Venendruck über 10 mmHg an und fällt der Herzindex unter
Ein Linksschenkelblock ist immer Ausdruck einer mor- 1,5 l/min×m2 ab, resultiert eine Erhöhung der Leberparameter
phologischen Myokarderkrankung und kann als unspezifisches (AP, γ-GT, GOT, GPT, LDH, Bilirubin) durch eine hepatische
Zeichen einer linksventrikulären Schädigung angesehen wer- Stauung. Eine Anämie kann primär Ursache für eine Leistungs-
den. Zeichen der Rechtsherzbelastung (pathologischer Rechts- minderung und Dyspnoe sein. Häufig findet sich jedoch auch bei
lagetyp, kompletter oder inkompletter Rechtsschenkelblock) schwerster Herzinsuffizienz begleitend zur kardialen Funktions-
deuten auf das Vorliegen eines Cor pulmonale hin. Von größerer störung ein verminderter Hb- und HKT-Wert; dies kann zu einer
Wichtigkeit ist das EKG in der Diagnostik einer rhythmogenen Verschlechterung der Symptomatik beitragen und stellt einen
Herzinsuffizienz, z. B. bei AV-Block III. Grades mit langsamem unabhängigen Risikofaktor für eine erhöhte Letalität dar. Eine
Ersatzrhythmus, bei ausgeprägter Tachyarrhythmia absoluta Polyglobulie kann auf eine pulmonale Funktionsstörung oder ein
oder auch bei VT. zyanotisches Vitium hinweisen.
Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung hypalbumä-
Langzeit-EKG-Registrierung nischer, onkotischer Ödeme, wie sie bei Leberzirrhose, nephro-
Zur primären Diagnostik einer chronischen Herzinsuffizienz ist tischem Syndrom oder exudativer Enteropathie auftreten, ist eine
die Langzeit-EKG-Registrierung nicht hilfreich. Sie kann jedoch Serumalbuminbestimmung sinnvoll. Darüber hinaus sollte bei
Aufschluss über Häufigkeit und Dauer atrialer sowie auch vent- neu aufgetretenem Vorhofflimmern die Schilddrüsenfunktion
rikulärer Arrhythmien geben. Eine Langzeit-EKG-Registrierung kontrolliert werden, da sich hierdurch eine Hyperthyreose ma-
sollte jedoch nur bei Patienten mit entsprechender Symptomatik nifestieren kann. Auch eine Hypothyreose kann selten Ursache
durchgeführt werden. Eine routinemäßige Durchführung ist einer Herzinsuffizienz sein.
5.4 · Diagnose und Differenzialdiagnose
143 5
Biomarker insuffizienz). Biomarker müssen immer im Zusammenhang mit
Eine Vielzahl verschiedener Risiko- und Biomarker wird bei der anderen Befunden und der klinischen Untersuchung bewertet
Herzinsuffizienz eingesetzt. Hiervon haben die natriuretischen werden.
Peptide derzeit die größte klinische Bedeutung. Die meiste Er- Bei einigen Patienten ist die BNP-Bestimmung zur Verlaufs-
fahrung besteht für BNP und NT-proBNP. Es handelt sich um kontrolle sinnvoll. Bisher liegen jedoch keine Daten vor, die eine
neuroendokrine Hormone, die hauptsächlich vom linken und Therapie entsprechend der BNP-Werte unterstützt. Eine biomar-
vom rechten Ventrikel als Antwort auf eine Volumen- oder eine kergesteuerte Therapie-/Dosisanpassung bei der chronischen
Druckbelastung ausgeschüttet werden. Herzinsuffizienz ist zurzeit aber nicht gerechtfertigt. Patienten
Es besteht eine gute Korrelation zwischen BNP und hämo- sollten unabhängig von BNP-Werten entsprechend der aktuellen
dynamischen Parametern der linksventrikulären Funktion wie Leitlinien unter Berücksichtigung der Zieldosis mit lebensverlän-
dem linksventrikulär enddiastolischen Druck, dem PCWP und gernden Medikamenten behandelt werden.
der EF. Eine Erhöhung der BNP-Spiegel findet sich sowohl bei
systolischer wie auch bei diastolischer Herzinsuffizienz, kann je- Neuroendokrine Marker
doch nicht zur Differenzierung beider Funktionsstörungen he- Die Bestimmung weiterer neuroendokriner Parameter zu Diag-
rangezogen werden. BNP-Werte korrelieren gut mit der Prognose nostik und Prognoseabschätzung individueller Patienten mit
der chronischen Herzinsuffizienz. Wegen meist fehlender thera- Herzinsuffizienz ist in der Routine nicht sinnvoll. Es gibt zwar
peutischer Konsequenzen sollte BNP jedoch nicht routinemäßig keinen Zweifel über die Relevanz verschiedener neuroendokriner
zur Prognoseabschätzung bestimmt werden. Faktoren für die Progression und die Pathogenese der Herzinsuf-
Bei der Bestimmung von BNP sind mögliche Einflussfaktoren fizienz. So finden sich mit zunehmendem Herzinsuffizienz-
zu berücksichtigen. So steigt das BNP z. B. mit dem Alter, aber schweregrad eine Erhöhung von Noradrenalin, Renin, Angioten-
auch bei jeder Situation einer Hypervolämie und bei einer Reihe sin II, Aldosteron, Endothelin I und anderen Mediatoren. Beim
pulmonaler Erkrankungen (7 Übersicht 5.8). Aufgrund der ver- einzelnen Patienten sind die Werte jedoch oft inakkurat und wer-
schiedenen Einflussfaktoren hat BNP in einem unselektionierten den in komplexer Weise durch eine Behandlung mit Diuretika,
Krankenkollektiv einen geringen positiv prädiktiven Wert. Eine ACE-Hemmern und β-Rezeptorenblockern moduliert.
BNP-Bestimmung sollte nicht zum allgemeinen Screening einge-
setzt werden. Echokardiographie und Dopplerechokardiographie
> Die wichtigsten Untersuchungen in der differenzialdiagnos-
tischen Abklärung der Herzinsuffizienz sind die Echokardio-
Übersicht 5.8. Potenzielle Ursachen einer Erhöhung
graphie und die Dopplerechokardiographie. Sie erlauben Aus-
von natriuretischen Peptiden
sagen über die Morphologie und die Funktion des Herzens und
ermöglichen so die ätiologische Abklärung valvulärer, myokar-
Kardiale Ursachen
dialer oder perikardialer Ursachen.
4 Herzinsuffizienz
4 Diastolische Dysfunktion Ein einfaches Maß für die linksventrikuläre Kontraktilität ist die
4 Akutes Koronarsyndrom Verkürzungsfraktion, die in der M-Mode-Echokardiographie ge-
4 Arterielle Hypertonie mit linksventrikulärer Hypertrophie messen werden kann [Normalwert >30%; Verkürzungsfraktion
4 Herzklappenerkrankungen (Aortenstenose, Mitralin- FS=(enddiastolischer Durchmesser-endsystolischer Durchmes-
suffizienz) ser)/enddiastolischer Durchmesser]. Bei regionalen Wandbewe-
4 Vorhofflimmern gungsstörungen im Rahmen einer ischämischen Kardiomyo-
4 Entzündliche Herzerkrankungen: Endokarditis, Myokarditis pathie oder bei abgelaufenem Myokardinfarkt kann jedoch die
Nichtkardiale Ursachen Verkürzungsfraktion trotz erheblicher Kontraktionseinschrän-
4 Alter kung normal sein. Hier ist die planimetrische Bestimmung der EF
4 Weibliches Geschlecht nach der modifizierten Simpson-Methode erforderlich, deren Va-
4 Niereninsuffizienz lidität jedoch auf einer akkuraten Endokarderkennung basiert.
4 Leberzirrhose mit Aszites Mithilfe der Dopplerechokardiographie können zudem be-
4 Anämie gleitende oder ursächliche Klappenvitien erkannt und beurteilt
4 Rechtsherzbelastung bei akuter Lungenembolie, werden. Besonders häufig finden sich bei ausgeprägter Ventrikel-
pulmonalarterieller Hypertonie oder chronisch obstruk- dilatation eine relative Mitralklappen- und Trikuspidalklappen-
tiver Lungenerkrankung insuffizienz. Dopplerechokardiographisch kann über die Regur-
4 Sepsis gitation an der Trikuspidalklappe der systolische pulmonalarte-
4 Endokrine Erkrankungen: z. B. Hyperthyreose, Morbus rielle Druck abgeschätzt werden.
Cushing, Hyperaldosteronismus Darüber hinaus ist echokardiographisch meist die Diagnose
4 Zentrale Erkrankungen: z. B. intrazerebrale Blutung einer diastolischen Herzinsuffizienz möglich. Wesentliche echo-
kardiographische Parameter der diastolischen Funktion sind die
IVRT zwischen Aortenklappenschluss und Mitralklappenöff-
Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung von unklarer akuter nung, das Verhältnis aus früher (E) und atrialer (A) Mitralein-
Dyspnoe auf dem Boden einer kardialen Erkrankung oder einer stromgeschwindigkeit, die Dezelerationszeit (DZ) der E-Welle,
exazerbierten Lungenfunktionsstörung kann BNP/NT-proBNP das Verhältnis der systolischen und der diastolischen Pulmonal-
jedoch hilfreich sein. In der Hausarztpraxis ist der negativ-prä- venenflussgeschwindigkeit sowie die reverse atriale Fluss-
diktive Wert (Ausschluss einer Herzinsuffizienz) hoch, bei einge- geschwindigkeit in der Pulmonalvenendopplersonographie. Die
schränkter positiver Aussagekraft (richtige Diagnose einer Herz- Normalwerte sind altersabhängig. Dopplersonographisch findet
144 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

sich bei der ersten Form der diastolischen Dysfunktion, der kungen erkennen. Ein vergrößertes Herz – als Herz-Thorax-
Relaxationsstörung, eine Umkehr des Verhältnisses der E- und Quotient einfach zu messen – spricht für eine Einschränkung der
A-Wellenflussgeschwindigkeit (E/A<1) im Mitralklappenfluss- linksventrikulären Pumpfunktion.
profil. Tritt ein weiterer linksventrikulärer und -atrialer Druckan-
! Cave
stieg ein, resultiert eine Pseudonormalisierung des Mitralklap-
Ein normal großes Herz schließt eine Herzinsuffizienz nicht aus
penflussprofils. Diese kann jedoch durch einen pathologisch er-
(geringe Sensitivität).
höhten diastolischen Fluss im Pulmonalvenendopplersonogra-
phieprofil (S/D<1) und durch eine erhöhte reverse atriale
Flussgeschwindigkeit (>35 cm/s) diagnostiziert werden. Bei eini- Belastungstests
gen Patienten lässt sich ein pseudonormales Mitralflussprofil Ergometrie
auch im Rahmen eines Valsalva-Manövers demaskieren und In der klinischen Praxis hat die Ergometrie nur eine einge-
5 durch den intermittierend verminderten venösen Rückfluss vo- schränkte Bedeutung für die Diagnose einer Herzinsuffizienz.
rübergehend in das Bild einer Relaxationsstörung mit umgekehr- Andererseits schließt ein normaler Belastungstest bei Patienten,
tem E/A-Verhältnis überführen. Schließlich findet sich bei der die keine Herzinsuffizienzmedikation erhalten, eine solche weit-
schwersten Form der diastolischen Dysfunktion, der Restriktion, gehend aus. Eine Bedeutung kommt der Ergometrie bei der chro-
eine überhöhte E-Welle mit schneller Dezeleration (normal nischen Herzinsuffizienz zur Beurteilung der funktionellen Ka-
>220 ms im Alter 30–50 Jahre; >280 ms im Alter >50 Jahre) bei pazität des Patienten und des Erfolgs einer Behandlung zu. Idea-
persistierend pathologischem Flussprofil in den Pulmonalve- lerweise sollte ein Belastungstest individualisiert werden, sodass
nen. der Endpunkt nach etwa 8–12 min erreicht wird. Hierzu sind
Bei Verfügbarkeit der Gewebedopplerechokardiographie bei herzinsuffizienten Patienten oft nur sehr geringe Anstiege
kann zudem der linksventrikuläre diastolische Druck abgeschätzt der Belastungsstufen erforderlich und möglich. Bei einigen
werden: Ist zum Zeitpunkt der E-Welle der Quotient aus Mitral- schwerst herzinsuffizienten Patienten kann keine Ergometrie
flussgeschwindigkeit und Mitralklappenringbewegungsge- durchgeführt werden. Hier haben sich der Sechsminutengehtest
schwindigkeit E/E’>15, ist von einer diastolischen Druckerhö- und die Beurteilung der dabei zurückgelegten Strecke als sinnvoll
hung über 15 mmHg auszugehen (. Abb. 5.14). erwiesen.
Gelegentlich findet sich bei herzinsuffizienten Patienten
echokardiographisch ein Anhalt für seltene Ursachen der kardi- Stressechokardiographie
alen Dysfunktion wie eine Amyloidose oder kardiale Tumoren Eine Stressechokardiographie durch körperliche oder pharma-
(z. B. in eine Herzklappe prolabierendes Vorhofmyxom). kologische Belastung kann bei der Detektion einer Ischämie als
Als nichtinvasive Methode eignet sich die Echokardiographie Ursache für eine reversible oder eine persistierende kardiale Dys-
hervorragend zur Verlaufskontrolle, wenn eine wesentliche symp- funktion herangezogen werden. Darüber hinaus kann die Vitalität
tomatische Veränderung auf eine Verbesserung oder eine Ver- akinetischer Myokardareale überprüft werden. Eine graduelle Do-
schlechterung der kardialen Funktion hindeutet. Bei schlechten butamininfusion kann zur Beurteilung der kontraktilen Reserve
transthorakalen Schallbedingungen (z. B. Lungenemphysem) herangezogen werden. Die Stressechokardigoraphie stellt jedoch
kann oft eine bessere Bildqualität durch die TEE erzielt werden. kein Routineverfahren bei der Herzinsuffizienzdiagnostik dar.

Thoraxröntgenuntersuchung Ergospirometrie
Seit guter Verfügbarkeit der Echokardiographie ist der Stellen- Die Sauerstoffaufnahme ist ein reproduzierbareres und aussage-
wert einer Thoraxröntgenuntersuchung eingeschränkt. Röntge- kräftigeres Maß für die Belastungstoleranz herzinsuffizienter
nologisch lassen sich eine pulmonale Stauung und manchmal Patienten als die Belastungszeit. Die Ergospirometrie hat sich zur
typische Konstellationen für zugrunde liegende kardiale Erkran- Abschätzung der Prognose herzinsuffizienter Patienten bewährt.

a b
. Abb. 5.14a,b. Doppler- bzw. gewebedopplerechokardiographische sungen erfolgten im Sinusrhythmus. a Mitralflussprofil bei Pseudonor-
Registrierungen der Flussgeschwindigkeiten über der Mitralklappe und malisierung: Die E-Welle ist größer als die A-Welle. b Demaskierung der
der Bewegungsgeschwindigkeit des Mitralklappenanulus. Die Regist- Pseudonormalisierung durch zusätzliche Gewebedopplersonographie
rierung erfolgte jeweils im apikalen Vierkammerblick. Sämtliche Mes- des Mitralanulus mit resultierendem Quotienten E/E’>15
5.4 · Diagnose und Differenzialdiagnose
145 5

Eine maximale Sauerstoffaufnahme <10 ml/kgKG/min deutet Hämochromatosen, Kearns-Sayre-Syndrom und Toxoplasmose.
auf ein sehr hohes Risiko hin; eine maximale Sauerstoffaufnahme Eine weitere Domäne der Myokardbiopsie ist die Diagnostik der
>18 ml/kgKG/min hingegen findet sich bei Patienten mit nied- Abstoßungsreaktion bei Patienten nach einer Herztransplan-
rigem Risiko. Die Ergospirometrie wird als wesentlicher Para- tation.
meter bei der Indikationsstellung zur Herztransplantation heran-
gezogen. Darüber hinaus kann eine Differenzierung zwischen Computertomographie/Magnetresonanz-
einer primär kardialen oder einer pulmonalen Leistungslimita- tomographie
tion erfolgen. Da die CT wenig zur Früherkennung der Herzinsuffizienz bei-
trägt, handelt es sich bei ihr nicht um ein Standardverfahren in
Herzkatheteruntersuchung der Diagnostik der Herzinsuffizienz. Der Informationswert liegt
Eine invasive Abklärung ist in der Regel nicht erforderlich, um primär im Nachweis bzw. Ausschluss perikardialer oder para-
die Diagnose einer chronischen Herzinsuffizienz zu stellen, kann kardialer Prozesse, die eine diastolische Funktionsstörung bewir-
aber für die Feststellung der zugrunde liegenden Ursache oder für ken können (z. B. Pericarditis constrictiva, parakardiale Raum-
die weitere Therapieplanung entscheidend sein. Eine Herzkathe- forderungen).
teruntersuchung sollte daher bei allen Patienten mit unklarer Die MRT erlaubt auch ohne Kontrastmittelapplikation die
Herzinsuffizienz zum Nachweis oder zum Ausschluss einer ko- Bestimmung funktioneller Parameter. Ein besonderer Vorteil des
ronaren Makroangiopathie erfolgen, bei denen prinzipiell die ultraschnellen CT und der MRT liegt in der Bestimmung der
Option einer interventionellen oder einer operativen Myokard- linksventrikulären Muskelmasse sowie der Messung der globalen
revaskularisation besteht. Dies ist besonders bei akuter Dekom- und regionalen Wanddickenänderungen während des Herz-
pensation und kardiogenem Schock sinnvoll, wenn der Verdacht zyklus. Hierbei kann zwischen diastolischen und systolischen
auf ein akutes Koronarsyndrom besteht. Darüber hinaus ist eine Funktionsveränderungen des linksventrikulären Myokards diffe-
erneute Koronarangiographie bei Patienten mit bekannter ischä- renziert werden.
mischer Kardiomyopathie und progredienten Angina-pectoris- Zudem können sich in der MRT Hinweise auf eine Myo-
Beschwerden oder objektivem Ischämienachweis zu erwägen. karditis finden. Bezüglich des Stellenwerts von CT/MRT bei der
KHK-Diagnostik 7 Kap. 2.
> Bei Verdacht auf ein relevantes Herzklappenvitium, z. B. eine
Aortenklappenstenose oder Mitralklappeninsuffizienz, muss vor Nuklearmedizinische Verfahren
einem operativen Herzklappenersatz bzw. einer Klappenrekons-
Die Radionuklidventrikulographie ermöglicht eine Abschätzung
truktion eine invasive Diagnostik erfolgen.
sowohl der rechtsventrikulären wie auch der linksventrikulären
Diese sollte stets eine Rechtsherzkatheteruntersuchung mit EF und der kardialen Volumina. Die linksventrikuläre diasto-
Messung der pulmonalvaskulären Drücke und Widerstände ein- lische Füllungskinetik kann ebenfalls beurteilt werden.
schließen.
! Cave
Im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung lässt sich zu-
Bei Patienten mit Vorhofflimmern sind die Messungen jedoch
dem eine diastolische Funktionsstörung durch folgende Befunde
meist nicht zuverlässig und nicht verwertbar.
belegen:
4 erhöhter linksventrikulärer enddiastolischer Druck >16 mmHg Darüber hinaus können myokardszintigraphische Verfahren zur
und/oder erhöhter PCWP >12 mmHg und/oder Beurteilung ischämischer und vitaler bzw. avitaler Myokardare-
4 verminderte Druckabfallsgeschwindigkeit ale herangezogen werden.
(dp/dt <1100 mmHg/s) und/oder
4 verminderte schnelle frühdiastolische Füllungsgeschwindig- Neuere hämodynamische Monitoringverfahren
keit (PFR <1,6 ml/s) und/oder Zur Überwachung der Hämodynamik und zur möglichen frühen
4 Zunahme der myokardialen Steifheit (Steifheitskonstante Erfassung einer kardialen Dekompensation wurden verschiedene
b>0,27). Monitorsysteme entwickelt, die z. T. noch in klinischer Erpro-
bung sind. So können ambulant die thorakale Impedanz (integ-
> Vor jeder Herztransplantation wird eine Bestimmung des pul-
riert in ICD-Geräte), der linksatriale bzw. rechtsventrikuläre
monalen Widerstands gefordert.
Druck (schrittmacherähnliche Geräte) oder der pulmonalarteri-
elle Druck (implantierte Stents; . Abb. 5.15) überwacht werden.
Myokardbiopsie Inwieweit die Rate an Krankenhauseinweisungen und ggf. die
Die Myokardbiopsie stellt kein Routineverfahren zur Diagnostik Sterblichkeit durch diese Systeme reduziert werden können, und
der Herzinsuffizienz dar. Bei akut aufgetretener Herzinsuffizienz welcher Patient besonders geeignet ist, ist Gegenstand laufender
mit Dilatation und ausgeprägter Pumpfunktionsstörung des lin- Untersuchungen.
ken Ventrikels sowie dem Auftreten von Entzündungszeichen
kann mit begrenzter Sensitivität histologisch eine akute Myo- Fazit der Diagnostik
karditis nachweisbar sein. Mit einer höheren Sensitivität kann der
> Die Prognose der Herzinsuffizienz ist insbesondere dann relativ
Nachweis von Virus-DNA/-RNA durch die PCR oder die In-situ-
günstig, wenn die Grundkrankheit zu einem möglichst frühen
Hybridisierung erfolgen.
Zeitpunkt erkannt, differenzialdiagnostisch abgegrenzt und
Außerdem ist die Myokardbiopsie in der Diagnosesiche-
kausaltherapeutisch angegangen werden kann.
rung sekundärer Kardiomyopathien und von infiltrativen Pro-
zessen sinnvoll. Hierzu zählen kardiale Amyloidose, Sarkoidose, Dementsprechend sind die Differenzialdiagnose extrakardialer
Morbus Fabry, hypereosinophiles Syndrom, Endocarditis fibro- Ursachen einer chronischen Herzinsuffizienz und das Vorliegen
plastica (Löffler-Endokarditis), Fibroelastose, Kollagenosen, von Vitien oder perikardialen Prozessen besonders wichtig.
146 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

a b
. Abb. 5.15. Ambulante Überwachung des pulmonalarteriellen Drucks kadosis ambulant erhöht (1) und der PA-Druck erfolgreich reduziert (2).
eines 53-jährigen Patienten mit einem Sensor, der direkt in die Pulmo- b Eine komplette PA-Druckkurve kann drahtlos mit einem Handgerät
nalarterie (PA) implantiert wurde (ImPressureTM, Bosten Scientific). registriert werden: (1) Erhöhter PA-Druck, diastolisch 48 mmHg, (2) ge-
a Wegen eines asymptomatischen PA-Druckanstiegs wurde die Diureti- senkter PA-Druck nach Diuretikagabe

Weitere Konsequenzen im Verlauf einer Differenzialtherapie


sind das Erkennen und das Überwachen von Folgen, die durch Übersicht 5.9. Therapieziele bei chronischer Herzinsuf-
Kompensations- bzw. Dekompensationsmechanismen entstehen. fizienz
Der Einsatz von in diesen Circulus vitiosus eingreifenden Subs-
tanzen ist in der Therapie der Herzinsuffizienz etabliert. Prävention
4 Prävention und/oder effektive Behandlung von Erkran-
kungen, die zu einer kardialen Dysfunktion und Herz-
5.5 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz insuffizienz führen können
4 Prävention der Progression zu einer symptomatischen
5.5.1 Therapieziele Herzinsuffizienz bei bestehender kardialer Dysfunktion
Morbidität
Die Zielsetzung bei der Behandlung der chronischen Herzin- 4 Beschwerdebesserung, Steigerung der Lebensqualität,
suffizienz ist mehrschichtig. Es wird vorrangig angestrebt, die Senkung der Hospitalisationsrate
Symptome eines Patienten und damit die Lebensqualität zu Mortalität
verbessern. Zudem gelten eine Senkung der Sterblichkeit, der 4 Verlängerung der Überlebenszeit
Hospitalisationsrate und eine Verbesserung hämodynamischer
Parameter als wesentliche Therapieziele (7 Übersicht 5.9). Hier-
zu stehen medikamentöse, nichtpharmakologische (7 Ab- und die arterielle Hypertonie Hauptrisikofaktoren für eine Herz-
schn. 5.5.2) und operative therapeutische Maßnahmen (7 Ab- insuffizienz darstellen, ist die effektive Behandlung dieser Er-
schn. 5.9) zur Verfügung. Liegt eine behebbare Herzinsuffizien- krankungen vorrangig. Durch eine gute Hypertonieeinstellung,
zursache vor, ist die kausale Therapie vordringlich auszuschöp- speziell auch des isoliert systolischen Hypertonus, und durch eine
fen (. Tab. 5.3). effektive Behandlung einer Hypercholesterinämie konnte die
Darüber hinaus gewinnt die Prävention einer initialen oder Inzidenz einer Herzinsuffizienz signifikant reduziert werden. Bei
einer weiteren Myokardschädigung bei Patienten mit erhöhtem KHK kann zudem eine Therapie mit ASS und postinfarziell eine
Herzinsuffizienzrisiko zunehmend an Bedeutung. Da die KHK β-Rezeptorenblocker- sowie ACE-Hemmer-Medikation das Risi-

. Tab. 5.3. Mögliche kausale Therapieansätze bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz
Ätiologie der Herzinsuffizienz Kausale Therapie
Arterielle Hypertonie Antihypertensive Therapie
KHK mit Myokardischämie (»hibernating myocard«) Myokardrevaskularisation (Bypassoperation, Angioplastie)
Statine
Erworbene/kongenitale Vitien Operation, Ballonvalvuloplastie
Perikarderguss, Perikardkonstriktion Perikardpunktion, Ballonperikardiotomie, operative Perikardektomie
Tachykardieinduziert Katheterablation, Kardioversion, Antiarrhythmika
Bradykardieinduziert Schrittmacher
Metabolisch bedingt (z. B. Schilddrüsenfunktionsstörung, Beriberi) Ausgleich hormoneller und metabolischer Faktoren
5.5 · Therapie der chronischen Herzinsuffizienz
147 5

ko für Koronarereignisse und damit für eine linksventrikuläre beschränkt werden. Bei Verdacht auf eine alkoholinduzierte Kar-
Dysfunktion mindern. Die Ausdehnung eines Myokardinfarkts diomyopathie ist jeder Alkoholkonsum zu unterlassen.
kann durch eine frühzeitige thrombolytische Therapie oder An-
gioplastie begrenzt werden. Darüber hinaus kommt auch einer Rauchen
Behandlung anderer Erkrankungen, wie z. B. der rechtzeitigen Rauchen sollte von allen Patienten unterlassen werden. Hierzu
Operation hämodynamisch relevanter Vitien, eine Bedeutung bei kann ggf. eine Nikotinersatztherapie eingeleitet werden.
der Prävention einer Herzinsuffizienz zu. Die Therapie dieser
potenziell ursächlichen Faktoren und Erkrankungen für eine Reisen
spätere Herzinsuffizienz sollte entsprechend der internationalen Für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ist es nicht ratsam,
Leitlinien erfolgen (7 jeweils spezielles Kapitel). sich in sehr große Höhe oder in sehr heißes oder feuchtes Klima
zu begeben. Generell sind kurze Flüge langen Reisen mit anderen
Transportmitteln vorzuziehen. Bei Patienten mit schwerer Herz-
5.5.2 Nichtpharmakologische Behandlung insuffizienz können jedoch lange Flugreisen zu Dehydratation,
ausgeprägten Ödemen in den Beinen oder tiefen Beinvenenthrom-
Patientenschulung/-motivation bosen führen. Lange Flugreisen sollten daher gemieden werden.
Patienten und deren Familienangehörige sollten über die Symp- Darüber hinaus ist bei klimatischen Wechseln und Aufenthalt in
tomatik, mögliche Ursachen einer Herzinsuffizienz und die Ra- wärmeren Gegenden ggf. eine Anpassung der Vasodilatanzien-
tionale der Therapie aufgeklärt werden. Darüber hinaus ist die und Diuretikamedikation besonders bei ausgeprägtem Salz- und
Motivation zu einer eigenen Gewichtskontrolle, einer moderaten Flüssigkeitsverlust zu beachten.
körperlichen Belastung sowie zu einer Salz- und Flüssigkeits-
restriktion sinnvoll. Die Information über Zeichen und Verhal- Körperliche Bewegung
tensmaßnahmen bei symptomatischer Verschlechterung kann Eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit von Patien-
hilfreich sein. ten mit Herzinsuffizienz ist nicht nur durch die verminderte kar-
diale Auswurfleistung bedingt. Bei der Mehrzahl der Patienten
Gewichtskontrolle wird die Leistung zudem durch Störungen der Ventilation, der
Eine regelmäßige Gewichtskontrolle durch den Patienten selbst peripheren Zirkulation und des Skelettmuskelmetabolismus li-
kann die Häufigkeit kardialer Dekompensationen mindern. Bei mitiert. Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz sollten angehalten
schwerer Herzinsuffizienz ist dies täglich morgens empfehlens- werden, sich täglich ohne Induktion von Symptomen körperlich
wert, bei mäßig- bis mittelgradiger Herzinsuffizienz mindestens zu belasten, damit es zu keinem Muskelabbau kommt. Kompeti-
zweimal wöchentlich. Tritt eine unerwartete Gewichtszunahme tive sportliche Betätigungen sind jedoch ungeeignet.
von mehr als 2 kg in 3 Tagen ein, sollte der Patient angehalten In mehreren klinischen und randomisierten Studien konnte
werden, seinen Arzt zu kontaktieren oder die Diuretikadosierung gezeigt werden, dass ein regelmäßiges moderates dynamisches
selbstständig zu erhöhen. Training (z. B. gehen, Rad fahren) bei Patienten im NYHA-Stadi-
Bei schwerster Herzinsuffizienz findet sich in bis zu 50% der um II–III sicher ist und die körperliche Leistungsfähigkeit um
Fälle eine kardiale Kachexie. Die kardiale Kachexie stellt einen 15–25% verbessert, die Symptomatik vermindert, die Lebensqua-
wesentlichen Prädiktor für eine reduzierte Überlebenswahr- lität steigert und wahrscheinlich die Sterblichkeit senkt. Darüber
scheinlichkeit dar. Bei einem Body-Mass-Index <20 kg/m2 sollte hinaus konnten eine Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnah-
angestrebt werden, das nichtödematöse Körpergewicht, präfe- me, der oxidativen Kapazität der Skelettmuskulatur, eine Verbes-
renziell die Muskelmasse durch adäquate körperliche Belastung serung der endothelialen Funktion und eine Abnahme der auto-
zu erhöhen. Bei vermindertem Appetit, Übelkeitsgefühl, Dys- nomen Dysregulation nachgewiesen werden.
pnoe beim Essen und Völlegefühl können häufige kleine Mahl- Ein Belastungstraining kann als Dauertätigkeit oder Inter-
zeiten hilfreich sein. valltätigkeit bis zu einer Intensität von 60–80% der maximalen
Herzfrequenz bzw. Sauerstoffaufnahme durchgeführt werden.
Ernährung Bei schwererer Herzinsuffizienz sollten multiple kurze Trainings-
Eine Kontrolle der Salzzufuhr auf ≤3 g/Tag gilt als sinnvoll. Bei einheiten von 5–10 min erfolgen, bei besserer Belastungskapa-
normaler Ernährung bedeutet dies, dass Speisen nicht nachge- zität sind längere Einheiten von 20–30 min 3- bis 5-mal/Woche
salzen werden sollten. Vorsicht ist bei einigen Salzersatzstoffen sinnvoll. Eine Verbesserung der aeroben Kapazität ist nach etwa
geboten, da sie z. T. Kalium enthalten und in Kombination mit 4 Wochen zu erwarten, die maximale Belastbarkeit nach 16–
ACE-Hemmern zu einer Hyperkaliämie führen können. 26 Wochen, danach tritt eine Erhaltungsphase ein. Bei einem
Die Flüssigkeitszufuhr sollte bei Patienten mit fortgeschritte- Intervalltraining, z. B. einem Ergometrietraining, können Belas-
ner Herzinsuffizienz mit und ohne Hyponatriämie eingeschränkt tungs- und Ruhephasen von jeweils 60 s abgewechselt werden.
werden. Die ideale Flüssigkeitsmenge ist nicht abschließend ge- Zur Dyspnoe führende körperliche Anstrengungen sind ge-
klärt. In der Regel sollten 2 l/Tag, bei schwerer Herzinsuffizienz nerell zu vermeiden. Strenge körperliche Schonung und Bettruhe
1–1,5 l/Tag nicht überschritten werden. In besonderen Situatio- sind nur bei akuter bzw. dekompensierter chronischer Herzinsuf-
nen (Wärme, Erbrechen, Diarrhö, Fieber etc.) ist die Flüssigkeits- fizienz indiziert. Bei diesen Patienten sollten passive Bewegungs-
zufuhr bzw. die Diuretikadosis entsprechend des Salz-/Flüssig- übungen und, wenn möglich, ein Atemtraining durchgeführt
keitsverlustes anzupassen. werden.
Ein moderater Alkoholkonsum ist erlaubt. Alkohol kann je-
doch das Myokard schädigen und Arrhythmien begünstigen. Da- Versorgungsprogramme/Telemonitoring
her sollte der Alkoholkonsum beim Mann auf maximal 30 g/Tag, In mehreren randomisierten Studien konnte belegt werden, dass
bei der Frau auf 20 g/Tag (0,5/0,33 l Bier oder 0,25/0,2 l Wein) durch eine Einbindung herzinsuffizienter Patienten in Versor-
148 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

gungsprogramme Morbidität und Mortalität gesenkt werden 4 β-Rezeptorenblocker,


können. Diese Programme sollten als wesentlichen Schwerpunkt 4 Spironolacton oder Eplerenon und
die Betreuung durch ausgebildete Fachkräfte beinhalten. Ähnlich 4 Digitalis (niedrige Dosierung).
gute Ergebnisse konnten durch Telemonitoring erzielt werden.
Bisher ist jedoch noch nicht abschließend klar, welche Parameter
(z. B. Gewicht, Herzfrequenz, Blutdruck, Bewegungsaktivität, 5.6.1 ACE-Hemmer
hämodynamische Parmeter) am sensitivsten für eine Verschlech-
terung eines Patienten sind. Im Rahmen dieser Programme muss Wirkmechanismus
für jeden individuellen Patienten ein Therapiekonzept bei kli- Bei der chronischen Herzinsuffizienz kommt es zu einer Aktivie-
nischer Befundänderung vorliegen. rung des RAAS. Angiotensinogen wird vermehrt durch Renin in
Angiotensin I überführt. Angiotensin I wiederum wird durch
5 ACE und gewebeständige Chymasen in Angiotensin II umge-
5.6 Medikamentöse Therapie der chronischen wandelt. Angiotensin II weist wesentliche pathophysiologische
systolischen Herzinsuffizienz Wirkungen bei der Herzinsuffizienz auf, wie Vasokonstriktion,
Sympatikusaktivierung, Zellproliferation und Volumenretention
Bei der chronischen Herzinsuffizienz werden die therapeutischen (. Abb. 5.16). Inhibitoren des ACE hemmen dieses kompetitiv
Strategien durch pathophysiologische Vorstellen geprägt. Zum und vermindern somit die ungünstigen Wirkungen von Angio-
jetzigen Zeitpunkt besteht die Hypothese, dass die chronische tensin II. Da das ACE identisch mit dem bradykininabbauenden
Herzinsuffizienz auf einer primären Myokardschädigung beruht, Enzym Kinase II ist, führt eine ACE-Inhibition darüber hinaus
die durch gegenregulatorische Mechanismen des Körpers weiter zu einer Aktivierung des Kallikreinkininsystems (Erhöhung der
verschlimmert wird. Das Behandlungsziel liegt heutzutage in Bradykininspiegel). Bradykinin werden positive Effekte bei der
einer möglichst vollständigen Blockade dieser körpereigenen Ge- Herzinsuffizienz zugeschrieben, wie eine Vasodilatation und Na-
genregulation durch eine »Add-on«-Therapie mit 4–6 Medika- triumexkretion.
menten. Hierdurch erhofft man sich, die Progression der Erkran- Es wird angenommen, dass ACE-Hemmer zudem einen Ein-
kung zu mindern, eine symptomatische Verbesserung des Patien- fluss auf das lokale RAS im Herzen, im Gehirn und in den Ge-
ten zu erzielen sowie die Überlebensrate zu steigern. Für folgende fäßen haben. Unklar ist bisher jedoch, ob dies nur durch die in
Pharmaka sind diesbezüglich in den letzten Jahren deutliche Er- den internationalen Studien verwandten sehr hohen ACE-Hem-
folge bei der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz erzielt mer-Dosen erzielt werden kann und inwieweit die unterschied-
worden: liche Gewebegängigkeit von ACE-Hemmern hierauf einen Ein-
4 Diuretika, fluss hat. Insgesamt führen sowohl die Hemmung der Bildung
4 ACE-Hemmer oder/und AT1-Rezeptorantagonisten, von Angiotensin II wie auch die Kininaktivierung zu einer Ab-

. Abb. 5.16. Pathophysiologie der Entwicklung einer Herzinsuffizienz demonstrieren. Die AIRE-Studie nimmt eine Sonderstellung ein, da sie
nach aufgetretenem Myokardschaden über das Kompensationsstadium zwar nach akutem Myokardinfarkt begonnen wurde, allerdings nur Pa-
zur symptomatischen Herzinsuffizienz. Mittlerweile existieren zu jedem tienten mit der Manifestation einer Herzinsuffizienz untersuchte. Einzel-
Stadium große Studien, die günstige Wirkungen von ACE-Hemmstoffen heiten 7 Text
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
149 5

nahme des peripheren Widerstands, einer Reduktion der sympa- eine alleinige ACE-Hemmer-Medikation beim asymptomati-
thischen Aktivität mit Minderung des zirkulierenden Noradre- schen Patienten bisher nicht nachgewiesen werden (SOLVD-Prä-
nalins sowie einer Reduktion der linksventrikulären Hypertro- ventionsstudie). Bei beschwerdefreien Patienten zeigte sich je-
phie und interstitiellen myokardialen Fibrosierung. Es ist unum- doch in einer retrospektiven Analyse unter kombinierter Be-
stritten, dass die Hemmung der Angiotensin-II-Bildung eine handlung mit einem ACE-Hemmer und β-β-Rezeptorenblocker
wesentliche Bedeutung für die prognostisch günstigen Effekte auch eine Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit im
von ACE-Hemmern bei der chronischen Herzinsuffizienz hat. Vergleich zu den Einzelsubstanzen und Placebo.
Der genaue prognostische Stellenwert der Steigerung der Brady- Bei Patienten mit Myokardinfarkt, die periinfarziell Herzin-
kininspiegel ist bisher offen. suffizienzzeichen aufwiesen oder eine eingeschränkte EF hatten,
führten ACE-Hemmer ebenfalls zu einer Verminderung der
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik Herzinsuffizienzprogression und zu einer Besserung der Progno-
Alle ACE-Hemmer inhibieren das Angiotensinkonversionsen- se. Eine einmal begonnene Behandlung mit ACE-Hemmern soll-
zym. Sie lassen sich in Substanzen mit kurzer (Captopril) oder te bei herzinsuffizienten Patienten mit und ohne Myokardinfarkt
langer Wirkdauer (übrige ACE-Hemmer) unterteilen. Einige unbedingt beibehalten werden, da auch langfristig (Studiener-
Pharmaka stellen »prodrugs« (z. B. Enalapril, Ramipril, Quinapril) gebnisse über 5–12 Jahre) eine Verbesserung der Überlebensrate
dar und werden erst im Organismus in die aktive Form umge- nachweisbar ist.
wandelt. Der Wirkungseintritt verschiedener ACE-Hemmer va- ACE-Hemmer sind anderen Vasodilatanzien, wie z. B. der
riiert zwischen 0,5 und 2 h. Bei Captopril beginnt die Wirkung Kombinationstherapie mit Hydralazin und Isosorbiddinitrat,
am frühesten, Captopril hat aber auch die kürzeste Wirkdauer überlegen. Dies spricht für die prognostische Bedeutung des über
von etwa 8–12 h und muss daher 3-mal täglich eingenommen. die Vasodilatation hinausgehenden Effektes der Inhibition der
Die übrigen ACE-Hemmer weisen eine Wirksamkeit über 24– Angiotensin-II-Wirkung.
48 h auf und können 2-mal (z. B. Enalapril) oder nur einmal (z. B.
Ramipril) täglich verordnet werden. Bis auf Fosinopril und Bena- Dosierung
zipril erfolgt die Elimination ausschließlich renal; Fosinopril Die ACE-Hemmer-Therapie sollte mit der niedrigsten Dosie-
und Benazipril werden zudem hepatisch eliminiert. Bei einge- rung beginnen. Dies ist besonders bei Patienten mit höhergra-
schränkter Nierenfunktion ist somit für die meisten ACE-Hem- diger Pumpfunktionsstörung von Bedeutung. Vor Einleitung der
mer eine Anpassung der Dosierung erforderlich. Dies gilt jedoch ACE-Hemmer-Behandlung muss der Flüssigkeitshaushalt ausge-
auch bei schwerer Niereninsuffizienz für die zusätzlich hepatisch glichen sein. Gegebenenfalls ist eine vorübergehende Verminde-
eliminierten Substanzen. rung der Diuretikadosierung erforderlich. Unter den in . Tab. 5.4
aufgeführten Anfangsdosisierungen ist in der Regel mit keiner
Indikation/klinische Studien ausgeprägten hypotonen Kreislaufdysregulation zu rechnen. Indi-
viduell kann die Dosierung im Abstand von 1–2 Wochen verdop-
> Die Indikation für eine Therapie mit ACE-Hemmern besteht als
pelt werden (bei geringer Herzinsuffizienz schneller, bei schwers-
»First-line«-Medikation bei jedem Patienten mit systolischer
ter Herzinsuffizienz langsamer).
Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse I–IV; Empfehlungsgrad I, Evidenz-
grad A). Dies gilt auch jeweils für Patienten mit abgelaufenem ! Cave
Myokardinfarkt (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A). Die ACE-Hemmer-Dosis darf beim Auftreten einer Hyperkaliämie
(>5,5 mmol/l), einer symptomatischen Hypotonie oder einem
Es ist klar belegt, dass die Gabe von ACE-Hemmern bei sympto-
Kreatininanstieg auf >265,2 μmol/l nicht gesteigert werden.
matischen Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz (EF <40%)
zu einer deutlichen Reduktion der Beschwerden und einer Bes- In den großen Interventionsstudien wurden hohe Zieldosie-
serung der Lebensqualität führt. Dies ist mit einer signifikanten rungen von z. B. 3-mal 50 mg Captopril, 2-mal 10 mg Enalapril
Verlängerung der Lebenszeit verbunden. Als erste große rando- bzw. 2-mal 5 mg Ramipril verwandt. In einer randomisierten Un-
misierte Untersuchung konnte die CONSENSUS-I-Studie bei tersuchung, die den Effekt einer niedrig dosierten ACE-Hem-
Patienten mit schwerster Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium IV
durch den ACE-Hemmer Enalapril eine Mortalitätssenkung um
40% belegen. Nachfolgend fand sich auch bei mäßig- bis mittel- . Tab. 5.4. ACE-Hemmer-Dosierung bei systolischer Herzinsuffizienz
gradiger systolischer Herzinsuffizienz (SOLVD-Treatment-Stu- ACE-Hemmer Handelsname Initiale Zieldosis
die) unter einer Enalaprilmedikation von 2-mal 10 mg/Tag im Einzeldosis [mg]
Laufe von etwa 4 Jahren eine Abnahme der Sterblichkeit um 16%. [mg]
Der positive Effekt auf die Überlebenszeit beruht dabei im We- Benazepril Cibacen, Dynacil 2,5 2–mal 5–10
sentlichen auf einer Abnahme der Häufigkeit des terminalen
Captopril Lopirin, Tensobon 3–mal 6,25 3–mal 25–50
Herzversagens. Es konnte hingegen kein wesentlicher Einfluss
auf die Inzidenz arrhythmischer Ereignisse und plötzlicher Herz- Enalapril Pres, Xanef 2,5 2–mal 10
todesfälle nachgewiesen werden. Zudem vermindert sich unter Fosinopril Fosinorm 10 20
ACE-Hemmer-Medikation die Rate von Krankenhauseinwei-
Lisinopril Acerbon, Coric 2,5 5–20
sungen.
Auch beim asymptomatischen Patienten vermindert eine Perindopril Coversum 2 4
ACE-Hemmer-Therapie mit eingeschränkter linksventrikulärer Quinapril Accupro 2,5–5 5–10
Pumpfunktion (EF<40%) die Progression zu einer symptomati- Ramipril Delix, Vesdil 1,25–2,5 10
schen Herzinsuffizienz. Hiermit ist eine niedrigere Hospitalisa-
Trandolapril Gopten 1 4
tionsrate assoziiert. Ein Einfluss auf die Letalität konnte durch
150 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

mer-Therapie vs. einer Hochdosismedikation bei Herzinsuffizi- Bei schwerster Herzinsuffizienz hingegen ist die Kombination
enz untersuchte, zeigte sich unter einer täglichen Lisinoprilgabe eines ACE-Hemmers mit einem niedrig dosierten Aldosteron-
von 2,5–5 mg im Vergleich zu 32,5–35 mg kein Unterschied hin- antagonisten (Spironolacton 12,5–50 mg) wegen der diuretika-
sichtlich der Überlebensrate. Durch die hochdosierte ACE-Hem- induzierten Hypokaliämie in der Regel sicher und sogar lebens-
mer-Gabe konnte aber die Häufigkeit einer Verschlechterung der verlängernd (RALES-Studie). In jedem Fall sollte bei Kombina-
Herzinsuffizienz und damit verbundenen Krankenhausaufnah- tion eines ACE-Hemmers mit kaliumsparenden Diuretika eine
men signifikant reduziert werden. Die Inzidenz von Nebenwir- regelmäßige Kontrolle der Serumkalium- und Serumkreatinin-
kungen war erstaunlicherweise in beiden Therapiearmen ver- werte erfolgen.
gleichbar. Somit sollte, wenn möglich, eine hochdosierte ACE- Folgende ACE-Hemmer-Interaktionen sind bekannt:
Hemmer-Therapie angestrebt werden. Ist dies beim individuellen 4 ASS (Abschwächung der Wirkung),
Patienten jedoch nicht erreichbar, kann durch eine niedrige Do- 4 K+-sparende Diuretika (Hyperkaliämie),
5 sierung bereits eine Senkung der Sterblichkeit erzielt werden. 4 Lithium (Zunahme der Lithiumspiegel) und
Bisher gibt es keinen Anhalt dafür, dass verschiedene ACE- 4 Allopurinol (Leukopenie).
Hemmer einen unterschiedlichen Effekt bei der chronischen
Herzinsuffizienz haben. Derzeit ist von einem »Klasseneffekt« Durch eine gleichzeitige Behandlung mit ASS wird die Wirkung
auszugehen, obwohl nicht mit allen Substanzen große kontrol- von ACE-Hemmern gering abgeschwächt. Es kommt jedoch zu
lierte prospektive Untersuchungen zum Wirksamkeitsnachweis keiner Aufhebung der prognostisch günstigen Effekte. Auch bei
durchgeführt wurden. Patienten, die aufgrund einer KHK mit ASS behandelt wurden,
zeigte sich bei systolischer Herzinsuffizienz eine Letalitätssen-
Nebenwirkungen/Interaktionen kung durch eine ACE-Hemmer-Therapie.
Folgende ACE-Hemmer-Nebenwirkungen wurden beobachtet:
4 Hypotonie (besonders bei Erstgabe), Kontraindikationen
4 Zunahme einer vorbestehenden Niereninsuffizienz, Folgende Kontraindikationen einer ACE-Hemmstoff-Therapie
4 trockener Reizhusten, sind zu nennen:
4 angioneurotisches Ödem, 4 Überempfindlichkeit,
4 Exanthem, 4 bekanntes angioneurotisches Ödem,
4 Geschmacksveränderungen und 4 Nierenarterienstenose (beidseitig oder bei Einzelniere),
4 Leuko-, Thrombopenie. 4 höhergradige Klappenstenose,
4 HCOM,
Die häufigste Nebenwirkung ist das Auftreten einer symptoma- 4 Leber- und Niereninsuffizienz,
tischen Hypotonie. Zu einer Blutdruckreduktion kommt es zu- 4 Schwangerschaft und Stillzeit,
meist bei Einleitung der Medikation, ggf. auch bei Dosissteige- 4 Hyperkaliämie,
rung. Besonders gefährdet sind Patienten mit vorbestehend nied- 4 Behandlung mit Immunsuppressiva.
rigen Blutdruckwerten, dehydrierte Patienten unter hochdosierter
Diuretikatherapie sowie Patienten mit schwerster Herzinsuffi-
zienz. In Einzelfällen muss bei diesem Patientenkollektiv die Ein- 5.6.2 β-Rezeptorenblocker
leitung der ACE-Hemmer-Therapie unter stationärer Betreuung
erfolgen. Die zweithäufigste unerwünschte Wirkung von ACE- Wirkmechanismus
Hemmern ist eine Verschlechterung der Nierenfunktion. Eine eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion führt zu
einer Aktivierung des Sympathikus. Die gesteigerte Katecholamin-
> Die Kreatininwerte sollten besonders nach Beginn der Medika-
freisetzung bei Patienten mit Herzinsuffizienz resultiert initial
tion, aber auch bei jeder Dosissteigerung nach 3–5 Tagen kont-
über eine Vasokonstriktion, verminderte renale Natrium-/Flüs-
rolliert werden.
sigkeitsausscheidung, Steigerung der Herzfrequenz und Kont-
Unabhängig vom Ausgangswert (jedoch ≤265,2 μmol/l) steigt raktionskraft in einer kompensatorischen Aufrechterhaltung des
das Kreatinin unter einer ACE-Hemmer-Therapie auch bei Blutdrucks. Langfristig begünstigen Katecholamine am Myokard
schwerer Herzinsuffizienz initial bei den meisten Patienten um jedoch einen pathophysiologischen Umbauprozess, der die Pump-
10–15%, bleibt dann aber in der Regel konstant. funktionsstörung weiter verschlechtert und das Auftreten von
Darüber hinaus tritt in 5–10% der Fälle ein störender trocke- Arrhythmien begünstigt. Die Sympathikusaktivierung bewirkt
ner Reizhusten auf. Die meisten der betroffenen Patienten kön- am Myokard eine Herabregulation der β1-Rezeptoren, eine Zu-
nen alternativ mit einem AT1-Antagonisten behandelt werden. nahme inhibitorischer G-Proteine und eine verminderte An-
Als seltene Nebenwirkungen werden Geschmacksstörungen, sprechbarkeit auf intrazelluläres cAMP. Darüber hinaus induzie-
eine Leuko-/Thrombopenie, Exantheme oder das lebensbedroh- ren Katecholamine eine Myozytenhypertrophie, Apoptose, eine
liche angioneurotische Ödem (<0,1%) beobachtet. Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration und führen
Eine ACE-Hemmer-Gabe führt über eine Abnahme der Al- zu einem gesteigerten Sauerstoffverbrauch sowie zu verschiede-
dosteronkonzentration zu einer geringen Steigerung der Serum- nen Veränderungen der Proteinexpression. Sehr hohe Katecho-
kaliumwerte. laminkonzentrationen wirken direkt kardiotoxisch.
In epidemiologischen Untersuchungen wurde belegt, dass stei-
! Cave gende Plasmanoradrenalinkonzentrationen mit einer Verschlech-
Bei einer Kombinationstherapie mit einem ACE-Hemmer und terung der Prognose korrelieren. Eine Erhöhung der Katechola-
einem kaliumsparenden Diuretikum ist wegen der potenziellen mine im Serum findet sich bereits beim beschwerdefreien Pati-
Gefahr einer Hyperkaliämie Vorsicht geboten. enten mit eingeschränkter EF und ist mit einer Häufung kardiovas-
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
151 5

kulärer Ereignisse assoziiert (SOLVD-Präventionsstudie). Initial dilol 2-mal täglich appliziert werden muss. Die unterschiedliche
kann es nach Gabe eines β-Rezeptorenblockers bei herzinsuffizi- Lipophilie einzelner β-Rezeptorenblocker hat nach bisheriger
enten Patienten durch die Verhinderung der Noradrenalinwirkung Studienlage keine Effekte auf die mortalitäts- und die morbidi-
an den β1-Rezeptoren zu einer Reduktion der EF kommen. tätssenkende Wirkung nach Myokardinfarkt bzw. bei Herzinsuf-
fizienz.
> Eine sehr niedrige, einschleichende β-Rezeptorenblocker-Dosie-
rung ist bei herzinsuffizienten Patienten essentiell. Indikationen/klinische Studien
Erst die Dauerbehandlung führt zu einer Zunahme myokardialer
> Die Indikation zu einer β-Rezeptorenblocker-Therapie besteht
β1-Adrenozeptoren, einer Steigerung der Kontraktionskraft und
bei allen Patienten mit symptomatischer systolischer Herzin-
einer Reduktion der Plasmanoradrenalinspiegel. Darüber hinaus
suffizienz im NYHA-Stadium II–IV (Empfehlungsgrad I, Evidenz-
werden eine Senkung der Herzfrequenz, eine Abnahme der Nach-
grad A). Darüber hinaus ist sie bei Patienten mit Pumpfunktions-
last sowie die Hemmung der präganglionären Noradrenalinfrei-
störung und arterieller Hypertonie sowie abgelaufenem Myo-
setzung beobachtet.
kardinfarkt indiziert (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A).
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik Bei chronisch symptomatischer systolischer Herzinsuffizienz
Es liegen selektive β-Rezeptorenblocker vor, die nur den β1-Re- führt eine extrem langsam einschleichende β-Rezeptorenblocker-
zeptor inhibieren (z. B. Bisoprolol, Metoprolol, Nebivolol), und Therapie zu einer Verbesserung der Auswurffraktion und der
unselektive β-Rezeptorenblocker, die sowohl den β1- wie auch Belastbarkeit sowie einer Abnahme der Herzfrequenz und der
β2-Rezeptor hemmen (z. B. Carvedilol). Einige β-Rezeptoren- Herzgröße. Diese Effekte werden meist erst im Verlauf von
blocker weisen zusätzlich eine α1-blockierende und damit vaso- 3–6 Monaten beobachtet. Initial kann es sogar zu einer Ver-
dilatierende Wirkung auf (z. B. Carvedilol). Carvedilol besitzt schlechterung der Symptomatik und der EF aufgrund der Herab-
darüber hinaus antioxidative Eigenschaften, durch die bei Hyper- regulation der β1-Rezeptoren am Myokard kommen. Daher ist
tonikern u. a. eine Reduktion der LDL-Oxidation erzielt werden eine anfänglich sehr niedrige β-Rezeptorenblocker-Dosierung
konnte. von zentraler Bedeutung. Eine β-Rezeptorenblocker-Therapie
darf nur bei stabilen Patienten eingeleitet werden.
! Cave
In großen doppelblind randomisierten Studien fand sich un-
β-Rezeptorenblocker, die selbst eine ISA haben, sind bei der
ter den β-Rezeptorenblockern Bisoprolol (10 mg; CIBIS II), Car-
chronischen Herzinsuffizienz aufgrund der möglichen Induktion
vedilol (2-mal 25 mg; US CARVEDILOL-Programm) sowie retar-
einer Übersterblichkeit kontraindiziert (z. B. Xamoterol).
diertem Metoprolol (Metoprololsuccinat; 200 mg; MERIT-HF)
Pharmakokinetisch ist bei β-Rezeptorenblockern der Ausschei- bei Patienten mit dilatativer oder ischämischer Kardiomyopathie
dungsweg relevant. Die für die Herzinsuffizienztherapie rele- (EF<35–40%) und vorwiegend mäßig- bis mittelgradiger Symp-
vanten β-Rezeptorenblocker (Bisoprolol, Carvedilol, Metoprolol, tomatik eine signifikante Verbesserung der Überlebensrate
Nebivolol) werden überwiegend hepatisch abgebaut. Dies führt (. Abb. 5.17). Die Abnahme der Gesamtsterblichkeit beruhte zu
teilweise zu ausgeprägten First-pass-Effekten mit nur niedriger einem wesentlichen Teil auf einer signifikanten Verminderung
Bioverfügbarkeit zwischen 20 und 50%. Lediglich Bisoprolol er- der plötzlichen Herztodesfälle um etwa 40%. Darüber hinaus kam
reicht eine Bioverfügbarkeit von 80–90%. Auch die Halbwertszeit es zu selteneren Krankenhauseinweisungen aufgrund einer Ver-
schwankt zwischen einzelnen β-Rezeptorenblockern. Dies be- schlechterung der Herzinsuffizienz. Auch bei stabilen Patienten
stimmt die Häufigkeit der Einnahme. So können z. B. Bisoprolol mit schwerster Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium IV konnten
und Nebivolol einmal täglich verordnet werden, während Carve- ähnlich günstige prognostische Effekte belegt werden. Die letali-

. Abb. 5.17. β-Rezeptorenblocker bei


Herzinsuffizienz. Letalität bei Therapie mit
Bisoprolol, Carvedilol und Metoprolol im
Vergleich zu Placebogruppen
152 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

täts- und morbiditätssenkenden Effekte einer β-Rezeptoren-


. Tab. 5.6. Praktische Hinweise zur Anwendung von β-Rezeptoren-
blocker-Therapie sind unabhängig von der Begleitmedikation, blockern bei Herzinsuffizienz
dem Vorliegen eines Diabetes sowie der Nierenfunktion und wer-
Voraus- Stabile chronische Herzinsuffizienz
den auch in höherem Alter und nach Myokardinfarkt beobachtet.
setzungen Kein akut gestiegener Diuretikabedarf in den letzten
Absolut gesehen, ist der größte Vorteil einer β-Rezeptorenblocker-
14 Tagen
Medikation bei Hochrisikopatienten, d. h. im hohen Alter bei In Zweifelsfällen stationäre Einstellung (NYHA-Klasse IV)
schwerer Herzinsuffizienz, nachweisbar.
Dosierung Startdosis: 3,25 mg Carvedilol, 1,25 mg Bisoprolol, 10 mg
Es ist egal, ob eine Therapie mit einem ACE-Hemmer oder
Metoprolol oder 1,25 mg Nebivolol
β-Rezeptorenblocker gestartet wird. Frühzeitig sollte jedoch die
Einstellungsphase: Verdoppelung der Dosis etwa alle
Kombination beider Substanzgruppen angestrebt und auf die 14 Tage, Dosiserhöhung nur unter ärztlicher Kontrolle
Dosissteigerung geachtet werden (CIBIS-III-Studie). Zieldosis: 2–mal 25 mg Carvedilol, einmal 10 mg Bisopro-
5 Da bereits bei Patienten mit asymptomatischer systolischer lol, 200 mg (Metoprolol retardiert) oder 10 mg Nebivolol
Pumpfunktionsstörung die Katecholaminwerte erhöht sind und, bzw. höchste tolerierte Dosis
hiermit verbunden, vermehrt kardiale Ereignisse auftreten, ist Komplika- Herzinsuffizienz: Verlangsamung der Dosiserhöhung,
wahrscheinlich eine β-Rezeptorenblocker-Therapie schon früh- tionen Erhöhung der Diuretika, Fahndung nach anderen
zeitig sinnvoll. Ursachen (Schilddrüse, Infekt, Medikamenten-Compli-
ance ↓, Flüssigkeitszufuhr ↑)
> β-Rezeptorenblocker düfen nur bei Patienten eingesetzt wer-
Blutdruckabfall: Verlangsamung der Dosiserhöhung,
den, die seit mehr als 2 Wochen stabil sind, und sollten in
Fahndung nach anderen Ursachen (Übertherapie mit
Kombination mit einem ACE-Hemmer verordnet werden. Diuretika, Hyponatriämie)
Entsprechend den internationalen Leitlinien sollte einer der Bradykardie: Verlangsamung der Dosiserhöhung,
β-Rezeptorenblocker (Bisoprolol, Carvedilol, Metoprololsuccinat Therapieabbruch nur bei hämodynamisch wirksamer
bzw. bei einem Patientenalter >70 Jahre Nebivolol), für die Bradykardie
eine Prognoseverbesserung nachgewiesen wurde, eingesetzt Bronchialobstruktion: Fahndung nach hyperreagiblem
werden. Bronchialsystem bei subakuter Überwässerung, Infekten
Bei Ausschluss anderer Ursachen: Dosisreduktion oder
Kontraindiziert sind β-Rezeptorenblocker mit intrinsischer sym- Therapieabbruch
pathomimetischer Wirkung.

Dosierung
β-Rezeptorenblocker sollten bei chronischer Herzinsuffizienz der β1-Rezeptoren. Die maximal tolerierte Dosis resultierte je-
sehr niedrig und einschleichend dosiert werden. In der Regel gilt weils in einer signifikanten Senkung der Sterblichkeit, der plötz-
als Initialdosis 10% der Zieldosierung. Je höhergradiger die lichen Herztodesrate und der Häufigkeit einer Herzinsuffizienz-
Pumpfunktionseinschränkung und je schwerer die Sympto- verschlechterung (. Tab. 5.6).
matik, desto niedriger ist die Anfangsdosierung zu wählen. Bei
stabilen Patienten kann in der Regel eine Dosisverdopplung Nebenwirkungen/Interaktionen
nach 1–2 Wochen erzielt werden. Dies sollte von Blutdruck- und Der häufigste Grund dafür, dass die Zieldosis eines β-Rezeptoren-
Herzfrequenzkontrollen begleitet werden. Wenn möglich, ist die blockers nicht erreicht werden kann, ist eine Bradykardie (10%
hohe Dosis, die in den großen Mortalitätsstudien zu einer effek- der Fälle in Interventionsstudien). Kommt es zu symptomati-
tiven Prognoseverbesserung führte, als Zieldosierung anzustre- schen Bradykardien bzw. längeren Pausen, kann eine Reduktion
ben (. Tab. 5.5). der β-Rezeptorenblocker-Medikation erforderlich werden. Bleibt
Wird eine Steigerung des β-Rezeptorenblockers bis zur Ziel- der Patient asymptomatisch, sind jedoch auch Herzfrequenzen
dosis seitens des Patienten nicht toleriert, sollte eine niedrig do- bis 40/min tolerabel. Darüber hinaus kann bei Patienten mit
sierte Medikation fortgeführt werden. In retrospektiven Analy- chronischer Herzinsuffizienz eine Hypotonie auftreten. Gege-
sen führte die maximal tolerierte β-Rezeptorenblocker-Dosis zu benenfalls muss intermittierend die Dosis des β-Rezeptoren-
einer vergleichbaren Herzfrequenzsenkung und somit beim in- blockers oder der Begleitmedikation (z. B. Diuretikadosis) ver-
dividuellen Patienten scheinbar zu einer vergleichbaren Blockade mindert werden. β-Rezeptorenblocker der ersten und zweiten
Generation führen zu einer Verschlechterung der Insulinresistenz
und des Lipidstoffwechsels. β-Rezeptorenblocker können zu de-
. Tab. 5.5. β-Rezeptorenblocker-Dosierung bei stabiler chronischer pressiven Verstimmungen, Müdigkeit, Raynaud-Phänomen und
systolischer Herzinsuffizienz Bronchialobstruktion führen. β1-selektive Rezeptorenblocker
sind jedoch zumeist bei chronisch obstruktiver Ventilationsstö-
β-Rezeptorenblocker Handels- Startdosisa Zieldosis
name [mg/Tag] [mg/Tag]
rung einsetzbar. β-Rezeptorenblocker können eine Psoriasis in-
duzieren oder verschlechtern.
Metoprolol(-succinat) Beloc Zok 2–mal 10 1–mal 200
Bisoprolol Concor 1–mal 1,25 1–mal 10 Kontraindikationen
Carvedilol Dilatrend, 2–mal 3.125 2–mal 25 β-Rezeptorenblocker sind bei Asthma bronchiale, AV-Block II.
Querto und III. Grades, Bradykardie <50/min, Sinusknotensyndrom so-
wie ausgeprägten Hypotonien kontraindiziert. Darüber hinaus
Nebivolol b Nebivolol 1–mal 1,25 1–mal 10
sollten β-Rezeptorenblocker wegen der Verschleierung einer hy-
a Dosisverdoppelung alle 14 Tage, wenn toleriert.
b
poglykämischen Symptomatik beim insulinpflichtigen Diabeti-
Bei einem Patientenalter >70 Jahre.
ker nicht eingesetzt werden.
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
153 5

Carboanhydrasehemmer wie z. B. Acetazolamid wirken vor-


wiegend über die Inhibition der Carboanhydrase am proximalen
Tubulus. Sie induzieren lediglich eine schwache Salurese und
Diurese. Schleifendiuretika (z. B. Furosemid, Piretanid, Torase-
mid) hemmen das Na+2Cl-K+-Transportsystem der aufsteigen-
den Henle-Schleife. Schleifendiuretika haben den ausgeprägtes-
ten saluretischen und diuretischen Effekt, da im Bereich dieses
Nephronsegments ca. 20–30% der filtrierten Natriumchlorid-
menge rückresorbiert werden.
Der hauptsächliche Angriffsort der Thiaziddiuretika ist am
frühdistalen Tubulus (z. B. Hydrochlorothiazid). Thiazide besit-
zen eine natriuretische Wirksamkeit von 5–10% des filtrierten
Natriums. Der spätdistale Tubulus und das Sammelrohr stellen
den Angriffsort kaliumsparender Diuretika (z. B. Amilorid,
Triamteren, Aldosteronantagonisten) dar. Kaliumsparende Diure-
tika weisen nur eine geringe saluretische und diuretische Wirkung
auf. Neben dem Angriffsort ist auch die Wirkdauer der Diuretika
. Abb. 5.18. Angriffsorte wichtiger Diuretika am Nephron
für das Ausmaß der Salz- und der sekundären Wasserausschei-
dung relevant.

5.6.3 Diuretika Pharmakodynamik und Pharmakokinetik


Bei Thiaziddiuretika tritt die Wirkung zumeist etwa 1 h nach der
Wirkmechanismus Einnahme ein; die Wirkungsdauer liegt zwischen 6 und 24 h
Eine pulmonale oder eine periphere Ödembildung stellt den häu- (. Tab. 5.7). Eine Ausnahme stellt Chlortalidon mit einem spä-
figsten stationären Aufnahmegrund herzinsuffizienter Patienten teren Wirkungsbeginn nach etwa 2 h und einer deutlich längeren
dar. Im Rahmen der chronischen Herzinsuffizienz kommt es vor- Wirkdauer von 48–72 h dar.
wiegend durch eine RAAS-Aktivierung zu einer Flüssigkeitsreten- Bei oraler Gabe von Schleifendiuretika kann nach etwa
tion. Die Hypervolämie bewirkt über eine Vor- und Nachlasterhö- 30 min mit der ersten Flüssigkeitsausscheidung gerechnet wer-
hung eine weitere Verschlechterung der kardialen Pumpfunktion. den, nach i.v.-Applikation von Furosemid tritt der diuretische
Verschiedene Diuretika führen an unterschiedlichen Angriffs- Effekt unmittelbar ein. Hinsichtlich der Wirkdauer unterschei-
orten des Nephrons zu einer verstärkten Salz- und Flüssigkeitsaus- den sich die Schleifendiuretika jedoch erheblich. Furosemid,
scheidung (. Abb. 5.18). Durch eine vermehrte Rückresorption Etacrynsäure und Peritanid wirken für etwa 6–8 h, Torasemid
von Natrium, Chlorid und sekundär Wasser im proximalen Tubu- hingegen hat eine Wirkdauer von bis zu 12 h. Daher muss z. B.
lus ist das Angebot von Natrium in der Henle-Schleife und im Furosemid stets 2-mal täglich verordnet oder mit einem Thiazid-
distalen Tubulus bei chronischer Herzinsuffizienz vermindert; dies diuretikum kombiniert werden. Darüber hinaus unterscheiden
kann auch eine Bedeutung für die Diuretikatherapie haben. sich die Schleifendiuretika deutlich hinsichtlich ihrer Biover-

. Tab. 5.7. Dosierung und Wirkdauer wichtiger Diuretika


Chemische Kurzbezeichnung Dosierunga Dosisbereich Beginn Wirkungs- Dauer
Einzeldosis [mg] [h] maximum [h]
[mg] [h]
Thiazide
Chlorothiazid 500 500–2000 1–2 4 6–12
Hydrochlorothiazid 12,5–25 12,5–100 1–2 4 6–12
Chlortalidon 100 50–200 2 8–9 47–72
Schleifendiuretika
Furosemid 40 40–500 0,5 1–2 6–8
20 i. v. Sofort i.v. 4–6
Torasemid 10 10–200 1 1–2 6–12
Etacrynsäure 50 50–150 0,5 1–2 6–8
Piretanid 6 3–12 1 2 4–6
Antikaliuretische Diuretika
Spironolacton 12,5–100 12,5–100 48–72 48–72 24–36
Triamteren 50 50–100 2 4–6 8–16
Amilorid 5 5–10 2 4–6 10–24
a Dosierung bezogen auf normale Nierenfunktion und orale Applikation, wenn nicht anders angegeben.
154 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

fügbarkeit, die bei Furosemid erheblich zwischen 10 und 100% werte >160 μmol/l bzw. Kreatinin-Clearance <30 ml/min) ist die
schwanken kann, bei Peritanid und Torasemid hingegen sehr Gabe von Schleifendiuretika erforderlich. Patienten mit schwerer
konstant zwischen 80 und 100% liegt. Herzinsuffizienz benötigen häufig erhöhte Dosen von Schleifen-
Bei kaliumsparenden Diuretika findet sich unter Spirono- diuretika. Dies kann auf einer Verschlechterung der Nierenfunk-
lacton erst ein sehr verzögerter Wirkbeginn nach etwa 48–72 h tion, einer verminderten gastrointestinalen Absorption oder
(orale Applikation). Triamteren und Amilorid hingegen wirken auch der erhöhten Natriumresorption im proximalen Tubulus
bereits nach etwa 2 h mit einer mittleren Wirkdauer zwischen 8 mit vermindertem Substratangebot in der Henle-Schleife beru-
und 24 h. hen. Aufgrund der sehr variablen Resorptionsrate von Furosemid
kann besonders bei Patienten mit schwerster Herzinsuffizienz die
Indikationen/klinische Studien Therapie mit solchen Schleifendiuretika, die wie Peritanid oder
Torasemid eine stabilere, fast vollständige Resorption haben,
> Die Indikation für eine Diuretikatherapie besteht bei jedem
5 herzinsuffizienten Patienten mit Zeichen der Flüssigkeitsreten-
günstiger sein.
Bei einer Diuretikaresistenz unter Schleifendiuretikum-
tion und ausreichender Nierenfunktion (Lungenstauung, peri-
monotherapie hat sich die Kombination mit einem Thiazid oder
phere Ödeme) (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C).
einem thiazidähnlichen Diuretikum als effektiv erwiesen. Durch
Diuretika führen bei Patienten mit Flüssigkeitsretention zu einer das Schleifendiuretikum, das die Natrium-Wasser-Rückresorp-
schnellen symptomatischen Besserung mit Abnahme der pulmo- tion in der Henle-Schleife blockiert, wird mehr Natrium im dista-
nalen Stauung und damit der Dyspnoe sowie einer Ausschwem- len Tubulus angeboten. Eine zusätzliche Blockade der Resorption
mung peripherer Ödeme. Dies ist mit einer Steigerung der Belast- dieses erhöhten Natriumangebots im distalen Tubulus durch Thi-
barkeit assoziiert. Hämodynamisch resultieren eine Senkung der azide kann die Effektivität der Diurese potenzieren (. Abb. 5.19).
Vorlast und damit des enddiastolischen ventrikulären Drucks Die Thiaziddiuretikatherapie im Rahmen dieser sequenziellen
sowie eine Nachlastreduktion. Hierdurch bleibt das HZV in der Nephronblockade ist auch bei einer GFR<30 ml/min wirksam.
Regel konstant. Gegebenenfalls kann die weitere Gabe von Spironolacton einen
Gründe für eine Diuretikatherapie bei chronischer Herzin- zusätzlichen diuretischen Effekt im Rahmen der sequenziellen
suffizienz sind: Nephronblockade erzielen. Ist dies nicht erfolgreich, sind eine
4 Flüssigkeitsretention, Steigerung des Natriumangebots in der Henle-Schleife und damit
4 Verminderung einer erhöhten Vorlast und/oder Nachlast, eine Erhöhung der Schleifendiuretikawirkung durch die Kombi-
4 Reduktion des intrakardialen Volumens und damit der nation mit einem Carboanhydrasehemmer (z. B. Acetazolamid)
Wandspannung bei asymptomatischer ventrikulärer Dys- zu versuchen. Bei einigen Patienten muss auch eine intermittie-
funktion, rende i.v.-Diuretikaapplikation erfolgen. Als Ultima Ratio kann
4 Reduktion einer belastungsabhängigen pulmonalen Hyper- eine extrakorporale Flüssigkeitsextraktion mithilfe der Hämo-
tonie, filtration erforderlich werden (7 Übersicht 5.10).
4 Steigerung des Schlagvolumens bei chronischer Gabe und
> Kaliumsparende Diuretika sind bei persistierender Hypokaliä-
4 symptomatische Verbesserung (weniger Dyspnoe).
mie trotz ACE-Hemmer-Therapie indiziert (Empfehlungsgrad I,
Evidenzgrad C).
Bei einer milden bis mäßiggradigen Flüssigkeitseinlagerung
können Thiazide mit Erfolg eingesetzt werden. Bei schwerer Herz- Kaliumsparende Diuretika werden zum Ausgleich einer Hypo-
insuffizienz oder eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin- kaliämie unter Saluretika eingesetzt. Bei begleitender ACE-Hem-

. Abb. 5.19. Schematische Darstellung eines Nephrons unter Kontroll- den Faktor 8 erhöht werden. Dies liegt an einer Hemmung des in distalen
bedingungen nach Gabe eines Schleifendiuretikums und nach Gabe der Tubulusabschnitten nach Gabe eines Schleifendiuretikums kompensa-
Kombination von Schleifendiuretika und Thiaziden. Durch die Thiazid- torischen Auftretens einer vermehrten Rückresorption von Natrium und
gabe zum Schleifendiuretikum kann die Natriumausscheidung etwa um Wasser
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
155 5

Übersicht 5.10. Behandlungsprinzipien zur Elimina- Übersicht 5.11. Klinische Auswirkungen des allgemei-
tion retinierter Flüssigkeit bei dekompensierter Herz- nen Kaliummangels
insuffizienz
4 Neuromuskuläre Substrate
4 Allgemein – Herabgesetzte Erregbarkeit von Nerven und Muskeln,
– Körperliche Schonung (Bettruhe) Adynamie
– Bilanzierte Flüssigkeitszufuhr 4 Nierenfunktion
– Kochsalzrestriktion – Gestörte Harnkonzentrierung mit Polyurie
4 Medikamentös – Gesteigerte Ausscheidung von Wasserstoffionen
– Vor- und Nachlastreduktion (metabolische Alkalose)
– Diuretika im engeren Sinn 4 Herz
– Ggf. inotropisierende Maßnahmen – EKG-Veränderungen: PQ, St-T, QT, TU
4 Extrakorporaler Flüssigkeitsentzug – Gesteigerte Glykosidempfindlichkeit, Herzdilatation
– Hämofiltration 4 Gastrointestinaltrakt
– Darmparalyse
4 Weitere Auswirkungen
mer-Medikation ist wegen der Gefahr einer Hyperkaliämie mit – Beeinflussung der Kohlenhydrattoleranz
einer einschleichenden niedrigen Dosierung unter regelmäßigen – Beeinflussung des Säuren-Basen-Gleichgewichts
Kaliumkontrollen zu beginnen. Aldosteronantagonisten senken – Beeinflussung des allgemeinen Zellstoffwechsels
darüber hinaus in niedriger Dosierung (12,5–50 mg/Tag) bei Pa- (Elektrolyte, aktiver Stofftransport)
tienten mit schwerster systolischer Herzinsuffizienz (Spirono- – Einfluss auf den arteriolären Gefäßtonus
lacton, RALES-Studie) sowie bei Postinfarktpatienten mit symp- – Hemmung der Aldosteronproduktion u. a.
tomatischer systolischer Dysfunktion (EF<40%, Eplerenon,
EPHESUS-Studie) die Sterblichkeit (7 Abschn. 5.6.4).
LDL-Cholesterin-Werte auftreten. Als seltenere Nebenwirkungen
Dosierung werden allergische Reaktionen besonders auf Sulfonamidderi-
Die Dosierung von Diuretika richtet sich nach der symptoma- vate beobachtet. Unter Thiazidgabe wurden Pankreatitiden, unter
tischen Besserung und dem Rückgang der Flüssigkeitsansamm- Furosemid- und Thiazidgabe Nephritiden beschrieben. Schleifen-
lung. Bei milden Ödemen sollte sie zunächst niedrig gewählt diuretika können ototoxisch wirken.
werden, um Hypotonien zu vermeiden (. Tab. 5.7). Bei dekom- Die gleichzeitige Gabe von Diuretika und NSAID ist zu ver-
pensierten Patienten hingegen wird initial meist hochdosiert mit meiden. Nichtsteroidale Antirheumatika können über die Hem-
Schleifendiuretika begonnen und die Medikation im Weiteren mung der Prostaglandinsynthese und damit eine verminderte
reduziert. Im Rahmen der Rekompensation sollte der tägliche präglomeruläre Vasodilatation die natriuretischen Effekte von
Gewichtsverlust bei etwa 500 mg liegen, jedoch 1 kg/Tag nicht Diuretika abschwächen bzw. aufheben. Hierdurch können
überschreiten. Da die Flüssigkeitsausschwemmung mit einem bei herzinsuffizienten Patienten unter Diuretikatherapie eine
erhöhten Thromboembolierisiko assoziiert ist, sollte eine prophy- Flüssigkeitsretention und Nierenfunktionsstörung induziert
laktische Heparinisierung erwogen werden. Die Diuretikathera- werden.
pie sollte von einer Einschränkung der Trinkmenge und einer
täglichen Gewichtskontrolle begleitet werden.
Kaliumsparende Diuretika werden speziell bei einer beglei- 5.6.4 Aldosteronantagonisten
tenden ACE-Hemmer-Medikation niedrig dosiert begonnen. Die
Dosis sollte unter regelmäßiger Kaliumkontrolle langsam ange- Wirkmechanismus
passt werden. Produktion und Sekretion von Aldosteron werden in den Ne-
bennieren durch Angiotensin II stimuliert. Außerdem wird
Nebenwirkungen/Interaktionen Aldosteron beim Menschen auch in vaskulären Zellen synthe-
Die häufigsten Nebenwirkungen einer Diuretikatherapie beste- tisiert. Im Rahmen der RAAS-Aktivierung bei der chronischen
hen in Veränderungen des Elektrolythaushalts. Von besonderer Herzinsuffizienz kommt es zu einem Anstieg von Aldosteron.
Bedeutung ist eine Hypokaliämie unter Thiazid- und Schleifen- Die Plasmaaldosteronkonzentration herzinsuffizienter Patien-
diuretikagabe (7 Übersicht 5.11). ten kann dabei das 20-Fache von normalen gesunden Kontroll-
Da bei allen Diuretika das Wirkprinzip auf der Natriurese be- personen erreichen, zum einen aufgrund der erhöhten Produk-
ruht, werden speziell bei mangelnder Therapiekontrolle häufig tion, zum anderen durch eine verminderte hepatische Clearance.
Hyponatriämien beobachtet. Die diuretikainduzierte Abnahme Darüber hinaus stellt Kalium einen wesentlichen physiologi-
des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens verstärkt die Hyponat- schen Stimulator für die Aldosteronsynthese dar. In einem Re-
riämie zusätzlich über eine Stimulation der ADH-Sekretion. Zu- gelmechanismus steigert Aldosteron die Sekretion von Kalium
meist besteht bei der Herzinsuffizienz jedoch kein absoluter Nat- im Urin, Stuhl und Schweiß und wirkt hierdurch einer Hyper-
riummangel, sondern eher eine Verdünnungshyponatriämie. kaliämie entgegen.
Unter einer Langzeitbehandlung mit Thiazid- und Schleifen- Zunächst wurde die pathophysiologische Bedeutung von
diuretika können Stoffwechselstörungen im Sinne einer vermin- Aldosteron bei der Herzinsuffizienz in einer verstärkten Natrium-
derten Glucosetoleranz, einer Hyperurikämie und einer Erhö- retention sowie Kalium- und auch Magnesiumausscheidung ge-
hung der Serumtriglyzeridkonzentrationen sowie der VLDL- und sehen. Hierdurch kann eine Überwässerung und Ödembildung
156 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

resultieren. Die Elektrolytstörungen begünstigen potenziell ma-


ligne Herzrhythmusstörungen. Darüber hinaus wurde zunächst
angenommen, dass eine optimal dosierte ACE-Hemmer-The-
rapie zu einer Normalisierung der Aldosteronspiegel führt. Tat-
sächlich aber findet sich unter einer Langzeitbehandlung mit
ACE-Hemmern keine vollständige Suppression von Angioten-
sin II und Aldosteron; bei einigen Patienten steigen mit der Zeit
die Aldosteronwerte sogar wieder an. Neben der natriumretinie-
renden Wirkung hat Aldosteron jedoch zudem, besonders zu-
sammen mit Angiotensin II, wesentliche pathophysiologische
Effekte auf das kardiovaskuläre System. So führt es zu einer endo-
5 thelialen Dysfunktion und Fibrosierung des ventrikulären Myo-
kards und der Gefäße. Dementsprechend wirkt die Antagonisie-
rung von Aldosteron bei chronischer Herzinsuffizienz diuretisch.
Darüber hinaus inhibieren Aldosteronantagonisten das kardiale . Abb. 5.20. Spironolacton reduziert bei schwerer systolischer Herz-
und das vaskuläre Remodeling. insuffizienz im Vergleich zu Placebo die Sterblichkeit (RALES-Studie)

Indikationen/klinische Studien
Bei therapierefraktären Ödemen hat sich die Gabe des Aldoste- Effekt des Aldosteronantagonisten Eplerenon im Vergleich zu
ronantagonisten Spironolacton zusätzlich zu einem Schleifen- Placebo analysiert (EPHESUS-Studie). Auch in diesem Patien-
diuretikum und einem Thiazid im Rahmen einer sequenziellen tenkollektiv fand sich eine signifikante Mortalitätssenkung mit
Nephronblockade als effektiv erwiesen. Darüber hinaus kommt Reduktion der plötzlichen Herztodesrate durch die Aldosteron-
Spironolacton bei einer diuretikainduzierten Hypokaliämie zum blockade. Relevante Hyperkaliämien traten bei 5,5% der Patien-
Ausgleich der Serumkaliumwerte eine Bedeutung bei der Herz- ten unter Eplerenongabe im Vergleich zu 3,9% in der Placebo-
insuffizienz zu (7 Abschn. 5.6.3). gruppe auf. Da Eplerenon selektiv den Mineralokortikoidrezep-
tor blockiert und keinen Effekt auf den Glukokortikoid-, Proges-
> Die Indikation zu einer niedrig dosierten Aldosteronantago-
teron- oder Androgenrezeptor ausübt, traten keine gehäuften
nistentherapie (12,5–50 mg/Tag) besteht bei Patienten mit
Gynäkomastien auf.
schwerster systolischer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse III–IV;
Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B) sowie bei Postinfarkt- Dosierung
patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion (EF≤40%) und
Zur diuretischen Wirkung oder zum Ausgleich einer Hypo-
Herzinsuffizienzzeichen (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B).
kaliämie wird Spironolacton in einer initialen Dosierung von
Neben der diuretischen Wirkung wurde in zwei großen pros- 100–200 mg/Tag, zur Erhaltung nach zumeist 6 Tagen in einer
pektiv randomisierten Studien der Effekt einer Aldosteronrezep- Dosierung von 50 bis maximal 200 mg/Tag verordnet . Tab. 5.8).
torblockade in niedriger Dosierung auf die Prognose und die Wenn gleichzeitig eine ACE-Hemmer-Therapie durchgeführt
Morbidität herzinsuffizienter Patienten untersucht. Man geht wird, wie dies bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz in
davon aus, dass Aldosteronantagonisten im Niedrigdosisbereich der Regel der Fall sein sollte, ist zunächst eine niedrige Dosierung
eine dominierende hemmende Wirkung auf die unerwünschten zu wählen, und regelmäßige Kontrollen der Kalium- und Reten-
Aldosteroneffekte im Rahmen des kardialen und des vaskulären tionswerte sind durchzuführen.
Remodeling haben. In der RALES-Studie wurden schwerst Zur Prognoseverbesserung sollten bei schwerst herzinsuffi-
herzinsuffiziente Patienten mit einer EF≤35% im NYHA-Sta- zienten Patienten sowie beim Postinfarktpatienten mit systoli-
dium III oder IV zwischen niedrig dosiertem Spironolacton scher Kontraktionsstörung und Herzinsuffizienzbeschwerden
(25–50 mg/Tag) und Placebo randomisiert. Spironolacton ver- einschleichend eine niedrig dosierte Aldosteronantagonistenthe-
minderte die Gesamtmortalität um etwa 30% (. Abb. 5.20). Dies rapie durchgeführt werden. Zunächst ist meist eine Dosierung
beruhte u. a. auf einer Reduktion der plötzlichen Herztodesrate. von 25 mg/Tag sinnvoll (. Tab. 5.8). Liegt jedoch eine chronische
Darüber hinaus führte Spironolacton zu einer Abnahme der Niereninsuffizienz mit Serumkreatininwerten >130 μmol/l vor,
Krankenhauseinweisungen, einer Verbesserung der linksventri- sollte die Initialdosierung nicht über 12,5 mg am Tag liegen; ggf.
kulären EF sowie einer Zunahme der maximalen Sauerstoffauf- ist unter Kontrolle der Nierenfunktions- und der Kaliumwerte
nahme und der Belastbarkeit der Patienten. Relevante Hyperka- dann eine schrittweise Dosissteigerung bis maximal 50 mg sinn-
liämien waren in beiden Therapiegruppen selten und nicht sig- voll.
nifikant unterschiedlich. Jedoch traten unter Spironolactongabe
bei etwa 10% der männlichen Patienten Veränderungen der . Tab. 5.8. Aldosteronantagonistendosierung bei Herzinsuffizienz
Stimmlage, eine teilweise schmerzhafte Gynäkomastie oder ein
Brustschmerz auf. Als Anhalt dafür, dass Spironolacton tatsäch- Therapieziel Dosis [mg/Tag]
lich die kardiale und die vaskuläre Fibrosierung hemmt, fand Diuretische Therapie 50–200
sich eine signifikante Abnahme von Kollagenspaltprodukten Therapie einer Hypokaliämie 50–200
unter Spironolacton- im Vergleich zur Placebogabe, ein Marker
Prognoseverbesserung bei schwerer systolischer 12,5–50
für den »collagen turnover«.
Herzinsuffizienz (Spironolacton)
In einem anderen Patientenkollektiv, bei Postinfarktpatienten
(3–14 Tage nach Myokardinfarkt) mit systolischer Kontraktions- Postinfarziell bei systolischer symptomatischer 12,5–50
Herzinsuffizienz (Eplerenon)
störung (EF≤40%) und Herzinsuffizienzsymptomen, wurde der
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
157 5
Nebenwirkungen/Interaktionen therapie aus einem ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorblocker
Die wesentlichste Nebenwirkung von Aldosteronantagonisten wären beide Mechanismen zu berücksichtigen.
speziell in Kombination mit ACE-Hemmern stellt eine Hyper-
kaliämie dar. Diese kann besonders bei eingeschränkter Nieren- Pharmakodynamik und Pharmakokinetik
funktion auch bei niedrig dosierter Therapie auftreten. In der Die Mehrzahl der AT1-Antagonisten wirkt über eine direkte
EPHESUS-Studie wurde daher auch niedrig dosiertes Eplerenon kompetitive Bindung an die Angiotensin-II-Bindungsstelle. Die
nicht oberhalb eines Serumkreatininwertes von 220 μmol/l ver- Selektivität aller AT1-Antagonisten für den AT1-Rezeptor vs. den
ordnet. Bei schwerster Herzinsuffizienz ist das Risiko für eine AT2-Rezeptor ist sehr hoch (>10.000). Die Substanzen weisen
Kaliumerhöhung häufig durch die begleitende hochdosierte Furo- jedoch gewisse Unterschiede hinsichtlich ihrer Pharmakokinetik
semidgabe gering. und ihrer Pharmakodynamik auf. Einige AT1-Antagonisten wie
Eprosartan, Irbesartan und Telmisartan werden als aktive Subs-
> In jedem Fall und besonders bei initialer Einleitung der Therapie
tanzen verabreicht. Candesartan und Olmesartan hingegen sind
muss eine regelmäßige Kontrolle der Kreatinin- und der Kalium-
Prodrugs, die bei der gastrointestinalen Absorption in die aktive
werte erfolgen.
Substanz metabolisiert werden. Losartan wird in der Leber in den
Neben den oben beschriebenen Nebenwirkungen können unter aktiven Metaboliten (EXP 3171) überführt.
Aldosteronantagonistengabe eine Hypotonie und eine Hypovo- Auch hinsichtlich der Gewebegängigkeit unterscheiden sich
lämie induziert werden. Zur Behandlung potentieller Intoxika- die einzelnen AT1-Antagonisten. So liegt z. B. für Candesartan
tionen mit Aldosteronantagonisten steht ein Ausgleich der Elekt- und Telmisartan eine höhere Gewebepenetranz im Vergleich zu
rolytstörungen ganz im Vordergrund. Losartan und Irbesartan vor. Inwieweit dies jedoch klinische Re-
Aldosteronntagonisten sollten wegen der erhöhten Gefahr levanz hat, ist derzeit unbekannt. Die Halbwertszeit der AT1-Anta-
einer Hyperkaliämie nicht mit anderen kaliumsparenden Diure- gonisten schwankt zwischen 5 h (z. B. Eprosartan) und >20 h
tika gemeinsam verordnet werden. Darüber hinaus verstärkten (Telmisartan). AT1-Antagonisten werden zu variablen Anteilen
NSAID das Hyperkaliämierisiko. Aldosteronantagonisten erhö- renal und hepatisch eliminiert. Telmisartan weist die geringste
hen Digoxinserumspiegel. renale Ausscheidung (<2%) auf.

Kontraindikationen Indikationen/klinische Studien


Als wesentliche Kontraindikationen sind Folgende zu nennen:
> Die Indikation für eine Therapie mit AT1-Rezeptorantagonisten
4 Hyperkaliämie bzw. Hyponatriämie,
bei chronischer systolischer Herzinsuffizienz besteht als »Second-
4 akutes Nierenversagen oder Anurie und
line«-Medikation bei Patienten, die keine ACE-Hemmer vertragen
4 fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz (Kreatinin-
oder wegen Kontraindikationen nicht erhalten können (Empfeh-
Clearance <30 ml/min).
lungsgrad I, Evidenzgrad A).

In einer ersten Herzinsuffizienzstudie mit AT1-Antagonisten


5.6.5 AT1-Rezeptorantagonisten (ELITE-1-Studie) wurde als primärer Endpunkt eine Änderung
des Serumkreatininwerts um 26,5 μmol/l unter Losartan im Ver-
Wirkmechanismus gleich zu dem ACE-Hemmer Captopril untersucht. Bei 722 Pa-
Wie bereits dargestellt, kommt es bei der chronischen Herzinsuf- tienten im Alter >65 Jahre mit systolischer Herzinsuffizienz im
fizienz zu einer RAAS-Aktivierung. Angiotensin II führt über NYHA-Stadium II–IV ergab sich kein signifikanter Unterschied.
eine Stimulation des AT1-Rezeptors zu zahlreichen pathophysio- In dieser Untersuchung fand sich ein Anhalt für eine verminder-
logischen Mechanismen (7 Abschn. 5.6.1). Demgegenüber schei- te Gesamtsterblichkeit unter Losartan; dies stellte jedoch keinen
nen über den AT2-Rezeptor günstige, antiproliferative und vaso- primären Endpunkt in dieser Studie dar und konnte in weiteren
dilatierende Effekte gesteuert zu werden. AT1-Antagonisten blo- Studien nicht bestätigt werden. In der ELITE-2-Studie fand
ckieren selektiv den AT1-Rezeptor und hemmen damit die über sich kein signifikanter Überlebensunterschied zwischen dem
diesen Rezeptor vermittelten ungünstigen pathophysiologischen AT1-Antagonisten Losartan (50 mg/Tag) im Vergleich zum
Wirkungen. Möglicherweise führt dies indirekt zu einer ver- ACE-Hemmer Captopril (3-mal 50 mg/Tag) bei systolischer
mehrten Stimulation des AT2-Rezeptors. symptomatischer Herzinsuffizienz (EF≤40%); tendentiell war
Angiotensin II wird zu einem großen Teil über das ACE aus der ACE-Hemmer etwas besser. Unter AT1-Antagonistenthe-
Angiotensin I gebildet. Dieser Anteil kann durch ACE-Hemmer rapie kam es jedoch zu weniger Nebenwirkungen (besonders
inhibiert werden. Es gibt Anhalte dafür, dass des Weiteren bis zu Husten), was zu einer geringeren Therapieabbruchrate führte.
85% des Angiotensin II durch gewebeständige Chymasen lokal Bei einem anderen Patientenkollektiv (Postinfarktpatienten mit
am menschlichen Herzen entstehen. Daher wurde postuliert, Herzinsuffizienz oder linksventrikulärer systolischer Dysfunk-
dass durch AT1-Rezeptorantagnonisten im Vergleich zu ACE- tion, EF≤40%) wurde ein ähnliches Studiendesign vorfolgt
Hemmern evtl. eine effektivere Blockade des RAAS erzielt wer- (OPTIMAAL-Studie). Auch hier fand sich eine geringfügige Un-
den könne. terlegenheit des AT1-Antagonisten Losartan (12,5–50 mg/Tag)
Im Gegensatz zu ACE-Hemmern führen AT1-Antagonisten vs. Captopril (3-mal 12,5 mg/Tag bis 3-mal 50 mg/Tag) bezüg-
zu keiner relevanten Veränderung und damit zu keiner Steige- lich der Gesamtsterblichkeit; dies war jedoch ebenfalls nicht
rung der Bradykinine. Bradykinine haben bei der Herzinsuffi- statistisch signifikant.
zienz wahrscheinlich günstige Wirkungen durch eine gesteigerte Im Vergleich zu Placebo konnte der AT1-Antagonist Can-
Produktion von NO und anderen vasoaktiven Substanzen. Ande- desartan in hoher Zieldosis von 32 mg/Tag bei 2028 Patienten
rerseits wird über Bradykinine die Entstehung des angioneuro- mit systolischer Herzinsuffizienz (EF≤40%) und ACE-Hemmer-
tischen Ödems vermittelt. Bei einer möglichen Kombinations- Unverträglichkeit (meist Husten) den kombinierten Endpunkt
158 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

aus Sterblichkeit und Krankenhauseinweisungen signifikant re- Herzinsuffizienz oder intravaskulärem Volumenmangel das Auf-
duzieren (CHARM-Alternative-Studie). treten symptomatischer Hypotonien möglich. Vor der Therapie-
einleitung kann eine Reduktion der Diuretikadosierung sinnvoll
> Die additive Gabe eines AT1-Antagonisten zu einem ACE-Hem-
sein. Auch bei AT1-Antagonisten kann in Einzelfällen ein poten-
mer und β-Rezeptorenblocker bei systolischer Herzinsuffizienz
ziell lebensbedrohliches Angioödem auftreten.
hat keinen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit, senkt aber
die Rate an Krankenhausaufnahmen (Empfehlungsgrad IIb, Kontraindikationen
Evidenzgrad A).
AT1-Antagonisten sollten nicht bei der Anamnese eines Angio-
Hierzu sind zwei Studien mit jeweils hochdosiertem AT1-Anta- ödems unter AT1-Antagonisten- oder ACE-Hemmer-Gabe ver-
gonisten durchgeführt worden (Val-Heft-Studie Valsartan ordnet werden. Darüber hinaus besteht eine Kontraindikation
160 mg/Tag; CHARM-Added-Studie Candesartan 32 mg/Tag), gegen AT1-Antagonisten bei schwerer Niereninsuffizienz,
5 die ähnliche Ergebnisse erbrachten. Subgruppenanalysen ent- schwerer Leberschädigung oder Cholestase sowie bei Hyperka-
sprechend profitieren wahrscheinlich besonders die Patienten, liämie.
die bereits mit einer optimalen ACE-Hemmer- und β-Rezep-
torenblocker-Dosis behandelt werden, von der additiven Gabe
eines AT1-Antagonisten. Dies sollte auch Grundvoraussetzung 5.6.6 Herzglykoside
für diese Kombinationstherapie sein. Die Kombination eines
AT1-Antagonisten mit einem ACE-Hemmer birgt natürlich das Wirkmechanismus
Risiko vermehrter Hyperkaliämien. Daher ist eine regelmäßige Herzglykoside sind Naturstoffe verschiedener Pflanzen. Sie kom-
Kontrolle der Kaliumwerte im Serum und der Nierenfunktion men z. B. im Roten oder im Wolligen Fingerhut, in der Meerzwie-
erforderlich. Nach akutem Myokardinfarkt mit schlechter Pump- bel oder in Maiglöckchen vor. In der Pharmakotherapie werden
funktion hat es sich generell nicht bewährt, zu einem ACE-Hem- zumeist methylierte oder acetylierte Glykosidderivate verwandt.
mer einen AT1-Antagonisten zu geben. Bei diesen Postinfarkt- Herzglykoside binden an die zellmembranständige Natrium-Ka-
patienten wurde kein Vorteil erzielt, es traten aber mehr Neben- lium-ATPase. Die Natrium-Kalium-ATPase tauscht in einem Ma-
wirkungen auf (VALIANT-Studie). gnesium- und ATP-abhängigen Prozess intrazelluläre Natrium-
ionen gegen Kaliumionen in einem Verhältnis von 3:2 aus. Die
Dosierung spezifische Hemmung der Natrium-Kalium-ATPase durch Herzgly-
Wie ACE-Hemmer sollten auch AT1-Antagonisten bei Patienten koside bewirkt einen Anstieg der intrazellulären Natriumkonzent-
mit systolischer Herzinsuffizienz langsam und einschleichend ration. Dies aktiviert das Natrium-Kalzium-Gegentransportsys-
dosiert werden (. Tab. 5.9). Eine niedrige initiale Einstiegsdosis tem, das die Natriumionen aus der Zelle und im Gegenzug Kal-
sollte je nach subjektivem Befinden des Patienten in ein- bis zwei- ziumionen in die Zelle transportiert. Insgesamt resuliert eine erhöh-
wöchigen Abständen verdoppelt werden, bis die Zieldosierung te intrazelluläre Kalziumaktivität, die eine verstärkte Kontraktion
erreicht ist. Einige Tage nach Dosiserhöhung sollten die Reten- der kontraktilen Proteine in der Herzmuskelzelle vermittelt.
tionswerte überprüft werden. Dieser positiv-inotrope Effekt scheint jedoch nicht allein für
Die Zieldosen der AT1-Antagonisten in der Herzinsuffizienz- die Glykosidwirkung bei Herzinsuffizienz verantwortlich zu sein.
therapie sind höher als die Dosierungen, die in der Hypertonie- Es gibt Anhalte dafür, dass ein wesentlicher Effekt der Digitalis-
behandlung zum Einsatz kommen. Diese hohen Dosen sind für glykoside darüber hinaus auf einer Enzyminhibition in nicht-
einen positiven Effekt bei der Herzinsuffizienz wahrscheinlich kardialem Gewebe beruht (. Abb. 5.21). Die Hemmung der Nat-
erforderlich. rium-Kalium-ATPase in basalen afferenten Nervenfasern führt
zu einer Sensibilisierung kardialer Barorezeptoren; dies resultiert
Nebenwirkungen/Interaktionen in einer Abnahme der sympathischen Aktivität des zentralen
Die Nebenwirkungen von AT1-Rezeptorantagonisten ähneln Nervensystems. Zudem vermindert Digitalis die renal tubuläre
denen der ACE-Hemmer, treten jedoch seltener auf. Speziell Natriumrückresorption durch eine Hemmung der Natrium-Ka-
Husten, der bei ACE-Hemmern oft sehr störend sein kann, wird lium-ATPase in den Nieren. Hierdurch steigt das Natriumange-
nur in Einzelfällen durch AT1-Antagonisten ausgelöst. Anderer- bot im distalen Tubulus, was zu einer Suppression der Reninaus-
seits kann es, wie bei ACE-Hemmern, besonders bei einge- schüttung der Niere führt. Diese pathophysiologischen Beobach-
schränkter Nierenfunktion zu einer Hyperkaliämie kommen. tungen sprechen dafür, dass Herzglykoside bei der Herzinsuffizi-
Eine regelmäßige Kontrolle der Serumkalium- und Serumkrea- enz über ihren positiv-inotropen Effekt hinaus wahrscheinlich
tininspiegel ist empfehlenswert. Darüber hinaus ist bei schwerer

. Tab. 5.9. Dosierung von AT1-Antagonisten bei systolischer Herzin-


suffizienz
AT1-Antagonist Handels- Einstiegsdosis Zieldosis
name [mg/Tag] [mg/Tag]
Candedsartan Atacand, 1–mal 4 1–mal 32
Blopress
Lorsartan Lorzaar 1–mal 12,5 1–mal 50
Valsartan Diovan, 2–mal 40 2–mal 160
. Abb. 5.21. Wirkmechanismen von Digitalis bei chronischer Herz-
Provas
insuffizienz
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
159 5

durch eine Modulation der neurohumoralen Dysregulation Darüber hinaus liegt eine große prospektiv randomisierte
günstig wirken. Studie (DIG-Studie) vor, in der die zusätzliche Gabe von Herzgly-
Die Affinität der Herzglykoside an die Natrium-Kalium- kosiden zu einer Basismedikation mit Diuretika und ACE-Hem-
ATPase wird durch vorhandene Elektrolytkonzentrationen be- mern untersucht wurde. In der Gesamtpopulation ergab sich kein
einflusst und wesentlich durch eine Hypokaliämie oder Hyper- Einfluss der Herzglykoside auf die Überlebensrate. Der kom-
kalzämie gesteigert. binierte Endpunkt aus Tod und Krankenhausaufnahme wegen
zunehmender Herzinsuffizienzbeschwerden trat hingegen unter
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik Digitalis signifikant seltener auf. Der Vorteil der Herzglykoside
Verschiedene Herzglykoside unterscheiden sich nicht hinsichtlich war besonders bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter
ihrer Pharmakodynamik, haben aber deutlich unterschiedliche linksventrikulärer Pumpfunktion (EF <25%) und bei schwerster
pharmakokinetische Eigenschaften. In Deutschland werden am Herzinsuffizienzsymptomatik im NYHA-Stadium III–IV ausge-
häufigsten Digoxin, Digitoxin und halbsynthetische Glykoside prägt. Einschränkend muss zu den Ergebnissen der DIG-Studie
(β-Acetyldigoxin, β-Methyldigoxin etc.) eingesetzt. Der Wir- erwähnt werden, dass keine Angaben über die Häufigkeit einer
kungseintritt der Herzglykoside nach i.v.-Gabe beträgt 10–40 min, β-Rezeptorenblocker-Medikation gegeben wurden.
das Maximum der Wirkung wird erst nach einigen Stunden er- In retrospektiven Analysen der DIG-Studie fand sich, dass
reicht. Nach oraler Einnahme von Digoxin oder Digitoxin ist erst Patienten mit einem niedrigen Digoxinspiegel im Serum von
nach mehreren Stunden mit einer messbaren Wirkung zu rech- 0,5–0,8 ng/ml eine um 6,3% verminderte Sterblichkeit im Ver-
nen. Digoxinpräparate haben eine Bioverfügbarkeit von 50–90%; gleich zu Patienten der Placebogruppe hatten. Kein Effekt auf
die Bioverfügbarkeit von Digitoxin liegt hingegen bei fast 100%. die Mortalität wurde bei einem mittleren Digoxinspiegel von
Digoxin hat bei normaler Nierenfunktion eine Halbwertszeit für 0,9–1,1 ng/ml beobachtet, während Patienten mit hohen Digoxin-
die Elimination von 40–45 h; für Digitoxin liegt die Halbwertszeit konzentrationen über 1,1 ng/ml, die aber ebenfalls außerhalb des
unabhängig von der Nierenfunktion bei 7–9 Tagen. Strophanthin toxischen Bereiches lagen, eine Übersterblichkeit (11,8%) auf-
hat wegen unzuverlässiger und geringer oraler Resorption und wiesen. Dies spricht noch nicht generell gegen den Einsatz von
auch bei i.v.-Gabe unvorhersehbarer, variabler Abklingquote keine Herzglykosiden bei der chronischen systolischen Herzinsuffi-
klinische Bedeutung. zienz. Auf dem Boden dieser Post-hoc-Analysen sollten jedoch
nur zurückhaltend bei herzinsuffizienten Patienten mit persistie-
Indikationen/klinische Studien renden Symptomen unter ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker
Vorhofflimmern. Bei tachyarrhythmischem Vorhofflimmern oder und Diuretikum (in der Regel NYHA-Stadium III–IV) Herzgly-
-flattern eignen sich Herzglykoside zur Kontrolle der AV-Überlei- koside gegeben werden und niedrige Digoxinspiegel angestrebt
tung und damit der Kammerfrequenz. Digitalis vermindert die werden.
Herzfrequenz in Ruhe, hat jedoch keinen wesentlichen Einfluss Bei asymtpomatischen Patienten mit Sinusrhythmus sollten
auf einen belastungsinduzierten Herzfrequenzanstieg. Hierzu bie- Herzglykoside selbst bei eingeschränkter Pumpfunktion auf-
tet sich eine Kombinationstherapie aus einem Herzglykosid mit grund ihrer potenziell proarrhythmischen Wirkung nicht ein-
einem β-Rezeptorenblocker (z. B. Bisoprolol, Carvedilol, Meto- gesetzt werden. Herzglykoside eignen sich zudem nicht zur Sta-
prolol) an. Bei chronischer Herzinsuffizienz muss die β-Rezep- bilisierung des akut dekompensierten Patienten. Diese Patienten
torenblocker-Medikation selbstverständlich niedrig dosiert und bedürfen primär einer meist diuretischen und ggf. sogar inotro-
langsam einschleichend eingeleitet werden (7 Abschn. 5.6.2). pen i.v.-Therapie.
Eine Kontrolle der Kammerfrequenz kann prinzipiell auch
durch Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp erreicht werden. Dosierung
Da diese jedoch eine ausgeprägte negativ-inotrope Wirkung Bei Digoxinderivaten kann mit der Erhaltungsdosierung (z. B.
haben und bei chronischer Herzinsuffizienz zu einer Übersterb- Lanicor 0,25 mg, Novodigal 0,20 mg, Digacin 0,25 mg; . Tab. 5.10)
lichkeit führen können, sind β-Rezeptorenblocker bei systolischer begonnen werden. Hierunter wird in 5–10 Tagen ein effektiver
Herzinsuffizienz, wenn möglich, vorzuziehen. Wirkspiegel erreicht. Eine Ausnahme stellt tachykardes Vorhof-
flimmern dar, bei dem eine raschere Aufsättigung angestrebt
> Herzglykoside begünstigen nicht die Konversion in einen Sinus-
werden sollte. In diesen Fällen ist eine langsame i.v.-Gabe von
rhythmus.
0,5 mg Digoxin und nach etwa 2 h eine weitere Gabe von 0,25 mg
Bei paroxysmalem Vorhofflimmern sind Herzglykoside ebenfalls sinnvoll.
nur zur Reduktion der Kammerfrequenz geeignet; sie haben kei-
! Cave
nen Einfluss auf die Häufigkeit der Arrhythmieepisoden.
Entscheidend ist die Dosisreduktion bei Patienten mit einge-
schränkter Nierenfunktion.
Sinusrhythmus. In mehreren kurz angelegten placebokontrol-
lierten Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Herzglyko- Dies ist besonders beim älteren Patienten zu berücksichtigen, bei
side über eine Zeit von 1–3 Monaten Symptomatik, Lebens- denen häufig bereits bei normalen Serumkreatininwerten eine
qualität und Belastbarkeit von Patienten mit milder und mode- reduzierte Kreatinin-Clearance vorliegt. Keine toxischen Neben-
rater Herzinsuffizienz verbessern können. In »Auslassuntersu- wirkungen werden für Digoxin bei Plasmaspiegeln zwischen
chungen« wurde belegt, dass bei Patienten, die Herzglykoside, 0,5 und 2,0 ng/ml erwartet. Bei Sinusrhythmus sollten jedoch
Diuretika und ACE-Hemmer als Grundmedikation erhielten, niedrige Serumkonzentrationen (etwa 0,5–0,8 ng/ml) angestrebt
nach randomisiertem Absetzen der Herzglykosidmedikation werden, da es bei höheren Dosierungen wahrscheinlich zu einer
eine signifikant häufigere Verschlechterung der Herzinsuffizi- Übersterblichkeit kommen kann (s. oben).
enzsymptomatik im Vergleich zu der Gruppe mit fortgeführter Bei Digitoxin empfiehlt sich eine Gabe von 1,0–1,5 mg in
Digitalistherapie auftrat. 3–4 Tagen und dann eine Fortführung mit einer Erhaltungsdosis
160 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

. Tab. 5.10. Herzglykosidtherapie bei Herzinsuffizienz mit normaler Nierenfunktion


Herzglykosid Langsame Sättigung Erhaltungs- Elimination Tägliche Toxische Wesentliche Nebenwir-
(Gesamtdosis [mg]) dosis Abklingquote Plasmaspiegel kungena
über 2–5 Tage [mg] [%] [ng/ml]
Digitoxin 1,0–1,5 0,07 Hepatisch/ 7 >25 (Digitoxin) AV-Blockierung
renal Ventrikuläre Tachykardien
Farbsehstörungen
Digoxin 1,0–1,5 0,25–0,5 Renal 20 >2,0 (Digoxin)
Übelkeit
β-Acetyldigoxin 1,0–1,5 0,2–0,4 Renal 20 >2,0 (Digoxin)
β-Methyldigoxin 0,8–1,6 0,1–0,3 Renal 15–20 >2,0 (Digoxin)

5 a Gilt für alle Herzglykoside; erhöhtes Nebenwirkungsrisiko bei Hypokaliämie.

von in der Regel 0,07 mg (z. B. Digimerck minor) täglich. Auch von Digoxinantikörpern erforderlich (Digitalis-Antidot BM
bei Nieren- oder Leberfunktionsstörungen braucht keine Do- 160 mg i.v. über 15 min, ggf. weitere Infusion von 160 mg kon-
sisangleichung vorgenommen werden. Bei Serumspiegeln von tinuierlich über 2 h). Die FAB-Fragmente der Digoxinantikörper
10–25 ng/ml Digitoxin sind keine toxischen Wirkungen zu erwar- (IgG-Klasse) binden Digoxin bzw. Digitoxin oder direkt den
ten. Bisher gibt es für Digitoxin jedoch keine Angaben hinsicht- Herzglykosidrezeptor. Etwa 80 mg FAB-Fragmente neutralisie-
lich therapeutischer Zieldosierungen. Diese sollten jedoch auf ren 1 mg Digoxin oder Digitoxin im Körper.
der Basis pathophysiologischer Überlegungen im unteren oben
genannten Serumspiegelbereich liegen.
Übersicht 5.12. Maßnahmen bei Digitalisintoxikation
Nebenwirkungen/Interaktionen
Generell werden Herzglykoside meist gut toleriert. Nebenwir- 4 Absetzen der Herzglykosidtherapie
kungen werden in der Regel nur bei hoher Dosierung beobachtet. 4 Kaliumsubstitution (nach Serumwert)
Als wesentlichste Nebenwirkungen sind zu nennen: 4 i.v.-Gabe von Magnesium
4 verschiedenste Herzrhythmusstörungen (z. B. AV-Blockie- 4 Amiodaron oder Lidocain bei VT
rung, VT, paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie mit 4 Atropin bei Bradykardie
Block), 4 Defibrillation bei Kammerflimmern
4 gastrointestinale Beschwerden (z. B. Übelkeit, Erbrechen, 4 Schrittmacher
Appetitlosigkeit) und 4 Digitalis-Antidot BM
4 neurologische Symptome (Sehstörungen, Desorientierung,
Verwirrtheit).
Kontraindikationen
Zumeist manifestieren sich Nebenwirkungen erst bei einem Als wesentliche Kontraindikationen der Herzglykoside sind zu
Digoxinspiegel oberhalb von 2 ng/ml bzw. Digitoxinspiegeln nennen:
oberhalb von 25 ng/ml. Bei Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, 4 AV-Blockierungen II. oder III. Grades,
Hyperkalzämie und Hypothyreose können sich aber Symptome 4 Bradykardien im Rahmen eines Sick-Sinus-Syndrom oder
auch bereits bei niedrigeren Serumspiegeln zeigen. Eine Begleit- Karotissinussyndroms ohne Schrittmacherschutz,
medikation mit Chinidin, Verapamil, Diltiazem, Spironolacton, 4 Elektrolytstörungen (Kalium, Kalzium, Magnesium),
Propaphenon oder Amiodaron kann die Herzglykosidspiegel er- 4 akzessorische Leitungsbahnen (WPW-Syndrom) und
höhen. Bei einer gleichzeitigen Verordnung dieser Medikation 4 obstruktive Kardiomyopathien mit Sinusrhythmus.
muss die Digitalisdosierung entsprechend angepasst werden.

Vorgehen bei Digitalisintoxikation 5.6.7 Kalziumantagonisten


Zumeist ist beim Auftreten von Digitalisnebenwirkungen das
Absetzen der Herzglykosidmedikation ausreichend (7 Über- Wirkmechanismus
sicht 5.12). Steht eine Extrasystolie im Vordergrund, hat sich eine Die Mehrzahl der Kalziumantagonisten wirkt über eine Blockade
Kaliumsubstitution als effektiv erwiesen, da hierdurch die Glyko- der L-Typ-Kalziumkanäle an den Gefäßen vasodilatierend, am
sidrezeptoraffinität reduziert wird. Zudem hat sich bei einigen Myokard negativ-inotrop. Reflektorisch kommt es zu einer sym-
Patienten mit Arrhythmien eine i.v.-Magnesium-Therapie be- pathoadrenergen Aktivierung. Der relative kardiale bzw. vasku-
währt. Bei höhergradigen ventrikulären Rhythmusstörungen läre Effekt variiert zwischen verschiedenen Kalziumantagonisten
erfolgt eine antiarrhythmische Therapie in üblicher Weise mit [vorwiegend vaskulärer Effekt: Dihydropyridine; vorwiegend
Amiodaron (z. B. Cordarex 5 mg/kgKG i.v.) oder mit Lidocain kardialer Effekt: Phenylalkylamine (Verapamil) und Benzothia-
(z. B. Xylocain 100 mg i.v.) bzw. durch elektrische Defibrillation. zepine (Diltiazem)]. Darüber hinaus liegen Substanzen vor, die
Bei Bradykardien oder AV-Blockierungen kann die i.v.-Gabe von die T-Typ-Kalziumkanäle blockieren. Seit der T-Kanalblocker
0,5–2 mg Atropin erfolgreich sein. Persistiert eine Bradykardie Mibefradil vom Markt genommen wurde, stehen diese jedoch
oder ein AV-Block unter dieser Medikation, besteht die Indika- klinisch nicht mehr zur Verfügung.
tion zu einer temporären Schrittmacherversorgung. Bei schweren Die vasodilatierenden Effekte der Kalziumantagonisten wer-
Herzglykosidintoxikationen wird die Antagonisierung mithilfe den mit Erfolg bei der Behandlung der arteriellen Hypertonie
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
161 5

keit und die Prognose im Vergleich zu Placebo nicht. Für die


additive Gabe von Amlodipin (10 mg/Tag) zu einer Basismedika-
tion mit ACE-Hemmer, Diuretikum und Digitalis fand sich in
der PRAISE-I-Studie bei schwerst herzinsuffizienten Patienten
ebenfalls keine Übersterblichkeit. Unter Amlodipin traten im
Vergleich zu Placebo symptomatische kardiale Ischämien und
unkontrollierte Hypertensionen zwar seltener auf, Herzinsuffi-
zienzzeichen wie periphere und pulmonale Ödeme waren unter
Amlodipin jedoch häufiger. Amlodipin führte zu keiner Ände-
rung der Belastungstoleranz. In der Subgruppe von Patienten
mit DCM traten in der PRAISE-I-Studie im Vergleich zu Place-
bo seltener plötzliche Herztodesfälle auf. Dieser prognostisch
günstige Effekt bei DCM konnte jedoch in der nachfolgenden
PRAISE-II-Studie bei 1650 Patienten im Laufe von 4 Jahren nicht
bestätigt werden. In dieser zweiten Untersuchung fand sich im
Vergleich zu Placebo auch bei DCM keine Änderung der Ge-
samtsterblichkeit.

. Abb. 5.22. Schematische Darstellung der hämodynamischen Wirkun- > Insgesamt besteht somit für Kalziumantagonisten bei der The-
gen von Kalziumantagonisten rapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz in der Regel
keine Indikation.

Lediglich bei therapierefraktärer Angina pectoris oder arteriel-


und Angina pectoris eingesetzt. Bei Patienten mit erhaltener ler Hypertonie kann eine zusätzliche Medikation mit den lang
Pumpfunktion wird die negativ-inotrope Wirkung der Kalzium- wirksamen Dihydropyridinkalziumantagonisten Amlodipin oder
antagonisten durch die Sympathikusaktivierung kompensiert. Felodipin erwogen werden. Andere Kalziumantagonisten sollten
Bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz hingegen sind jedoch aufgrund ihrer negativ-inotropen Wirkung und der poten-
Regulationsmechanismen aufgrund einer Barorezeptordysfunk- ziellen Verschlechterung der Überlebensrate bei chronischer
tion vermindert. Zudem erscheint eine weitere sympathoadre- Herzinsuffizienz vermieden werden.
nerge und neurohumorale Aktivierung bei chronischer Herzin-
suffizienz, die hier eine wesentliche Bedeutung für die Progres-
sion und die Pathophysiologie der Erkrankung hat, als ungünstig 5.6.8 Vasodilatanzien (außer ACE-Hemmer,
(. Abb. 5.22). AT1-Antagonisten und Kalziumantagonisten)

Indikationen/klinische Studien Die Auswurfleistung des Herzens wird durch Vor- und Nachlast,
Bei Patienten mit linksventrikulärer systolischer Kontraktions- Kontraktilität und Herzfrequenz beeinflusst. Bei der Herzinsuf-
störung konnte in Akutuntersuchungen durch die Gabe von Kal- fizienz kommt es zu einer Volumenretention und somit zu einer
ziumantagonisten eine kurzfristige hämodynamische Verbesse- Erhöhung der Vorlast durch die RAS-Aktivierung. Über die Sym-
rung mit Abnahme des linksventrikulären Füllungsdrucks und pathikusaktivierung kommt es über periphere α-Adrenozeptoren
Zunahme des Herzminutenvolumens gezeigt werden. Diese Akut- zu einer Vasokonstriktion mit der Konsequenz einer Erhöhung
effekte wurden jedoch in kontrollierten Langzeituntersuchungen der Nachlast. Im Sinne eines Circulus vitiosus führen diese bei-
keinesfalls bestätigt. Unter Nifedipin kam es bei Patienten im den Mechanismen zu einer kardialen Mehrbelastung und kom-
NYHA-Stadium II–III nach einer 8-wöchigen Behandlungsdauer promittieren die myokardiale Auswurfleistung (7 Abschn. 5.2).
zu einem signifikant häufigeren Auftreten eines Lungenödems Diese Zusammenhänge bilden die pathophysiologische Grund-
und von Krankenhausaufnahmen. Ähnliche ungünstige Effekte lage, um eine hämodynamische Besserung mithilfe einer reinen
wurden bei Patienten mit chronischer systolischer Herzinsuffi- Vasodilatanzientherapie ohne Beeinflussung der Kontraktilität
zienz auch für die neueren Dihydropyridinderivate Nicardipin, zu erzeugen. Bei deutlich erhöhten linksventrikulären Füllungs-
Nisoldipin, Nitrendipin und Isradipin sowie für Verapamil und drücken führt die kombinierte arterielle und venöse Vasodilatation
Diltiazem gefunden. Im Gegensatz zu Patienten mit postinfarziell zu einer Vorlastsenkung mit Minderung der Luftnot und gleich-
erhaltener und nur leichtgradig eingeschränkter Pumpfunktion zeitig einer Zunahme der Auswurfleistung des Herzens. Bei Vor-
wurde für Diltiazem beispielsweise im Laufe von 12–52 Monaten liegen einer Myokardinsuffizienz mit nur leicht erhöhtem Fül-
bei Herzinfarktpatienten mit einer Auswurffraktion unter 40% lungsdruck wird der Nutzen der Vasodilatanzientherapie deutlich
eine signifikante Zunahme kardialer Dekompensation beobach- geringer; die Risiken können überwiegen. Die Konsequenz ist, dass
tet. Der ungünstige Effekt nahm mit dem Grad der Pumpfunk- die Auswurfleistung des Ventrikels sinken statt zunehmen kann.
tionseinschränkung zu. Hieraus ergeben sich einige Risiken und Nachteile einer Vasodila-
Lediglich für die lang wirksamen Dihydropyridinderivate tanzientherapie.
Amlodipin und Felodipin wurde in doppelblinden randomisier- Neben ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorantagonisten und Kal-
ten Studien keine Prognoseverschlechterung bei chronischer ziumantagonisten wurden zur Therapie der chronischen Herz-
Herzinsuffizienz nachgewiesen. In der V-HeFT-III-Studie ver- insuffizienz weitere Vasodilatanzien mit unterschiedlichen Wirk-
änderten sich bei 450 männlichen Patienten mit Herzinsuffi- mechanismen eingesetzt (. Tab. 5.11). Insgesamt liegen nur we-
zienz im NYHA-Stadium II–III unter Felodipin (2-mal 5 mg/Tag) nige klinische Studien vor; die Ergebnisse sind bei einigen Subs-
zusätzlich zu ACE-Hemmer und Diuretikum die Belastbar- tanzen enttäuschend.
162 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

. Tab. 5.11. Wirkmechanismen unterschiedlicher Vasodilatanzien (außer ACE-Hemmer/AT1–Antagonisten)


Stoffgruppe Wirkungsmechanismus Effekt
Nitrate SH-gruppenabhängige EDRF/NO-Bildung, Aktivierung Guanylatzyklase, Anstieg Venöse Vasodilatation
cGMP, Abnahme zytosolischer Ca2+, Dephosphorylierung Myosinleichtkette Arterielle Vasodilatation
Koronardilatation
Molsidomin SH-gruppenabhängige EDRF/NO-Bildung, Anstieg cGMP Wie Nitrate
α1-Antagonisten Blockade der α1-adrenozeptorvermittelten, inositoltriphosphatinduzierten Arterielle und venöse Vasodilatation
sarkoplasmatischen Ca2+-Freisetzung
Ca2+-Antagonisten Blockade spannungsabhängiger langsamer Ca2+-Kanäle vom L-Typ, Hemmung Arterielle Vasodilatation
der Ca2+-Aufnahme in die Zelle, Blockade der Ca2+-Freisetzung aus sarkoplas- Koronardilatation
5 matischem Retikulum  Senkung des zytosolischen Ca2+ Negativ-inotrope, z. T. negativchrono-
und negativdromotrope Wirkung
Hihydralazin EDRF-abhängige direkte Vasodilatation Arterielle Vasodilatation
Koronardilatation
cGMP zyklisches Guanosinmonophosphat, EDRF »endothelium derived relaxing factor«, NO Stickstoffmonoxid.

Hydralazin/Dihydralazin Nitrate besteht in einer von der Anwesenheit von SH-Gruppen


Der Wirkmechanismus des Dihydralazins ist noch nicht voll- abhängigen EDRF/NO-Bildung. Hierdurch wird die lösliche
ständig aufgeklärt. Bei der Relaxation der arteriellen glatten Mus- Guanylatzyklase aktiviert. Es kommt zu einem Anstieg der intra-
kelzellen sollen ursächlich ein Effekt auf die NO-Bildung und zellulären cGMP-Konzentration, zu einer Dephosphorylierung
eine Verhinderung der intrazellulären Kalziummobilisation be- der Myosinleichtkette und über eine Abnahme der zytosolischen
teiligt sein. Kalziumkonzentration zu einer Vasodilatation.
Bei einer Monotherapie mit Dihydralazin kommt es zu einer Durch die Vasodilatation werden Kompensationsmechanis-
starken Aktivierung kompensatorischer Gegenregulationssys- men aktiviert, die den Nitrateffekt weiter einschränken können.
teme wie der Stimulation des sympathischen Nervensystems und So wurden eine erhöhte Radikalbildung und eine vermehrte Bil-
einer Aktivierung des RAAS. Hierdurch ist bei alleiniger Gabe dung von Endothelin-1 mit einer daraus resultierenden Aktivie-
eine rasche Toleranzentwicklung im Sinne einer Tachyphylaxie rung der Proteinkinase C beschrieben.
gegenüber der Substanz erklärt. Weiterhin ist die Induktion von
> Die Nitrattoleranzentwicklung ist durch das Einhalten eines
Autoimmunphänomenen (Lupussyndrom, hämolytische Anämie,
10- bis 12-stündigen nitratfreien Intervalls zu vermeiden. Falls
Vaskulitis, Glomerulonephritis) in der Therapie mit Dihydralazin
ein rascher Wirkungseintritt innerhalb weniger Minuten er-
einschränkend zu beachten.
wünscht ist (z. B. bei Lungenödem), ist die sublinguale Gabe
Hydralazin als Nachlastsenker in Kombination mit Iso-
von Nitroglyzerin bzw. 5 mg ISDN sinnvoll.
sorbiddinitrat zur Vorlastsenkung führte im Vergleich zu dem
α1-Adrenozeptorantagonisten Prazosin oder Placebo bei Patien- Der Stellenwert für eine Dauertherapie ist noch unklar. In mehre-
ten mit systolischer Herzinsuffizienz zusätzlich zu einer Diure- ren großen Studien erhielten Patienten bei chronischer systoli-
tika- und Digitalismedikation zu einer Beschwerdeabnahme und scher Herzinsuffizienz zusätzlich Nitrate (CIBIS II 58%, DIG-Stu-
einer Mortalitätssenkung. Die Verbesserung der Prognose war die 43%, SOLVD-Therapiestudie 40%). In kleinen placebokon-
geringfügig höher bei Patienten mit ischämischer Kardiomyo- trollierten Untersuchungen fanden sich bei Patienten im NYHA-
pathie als bei DCM. Nebenwirkungen traten jedoch unter Hydra- Stadium II–III unter einer Nitratmedikation zusätzlich zu
lazin häufig auf, sodass es in bis zu 20% der Fälle zu Therapie- ACE-Hemmern eine Verbesserung der Belastungskapazität, eine
abbrüchen kam. Im Vergleich zu einer ACE-Hemmertherapie Abnahme der linksventrikulären Dilatation und eine Steigerung
(Enalapril 20 mg/Tag) war die Kombination aus Hydralazin/ der Kontraktilität. Morbiditäts- und Mortalitätsstudien über den
Nitraten prognostisch jedoch klar unterlegen und stellt somit Effekt von Nitraten bei einer optimalen Basistherapie mit ACE-
keine gleichwertige Alternative dar, sodass diese Therapie heute Hemmer, β-Blocker und Diuretikum stehen jedoch nicht zur Ver-
zugunsten der Gabe von AT1-Antagonisten bei Unverträglichkeit fügung. Bisher ist auch ungeklärt, ob verschiedene Nitrate (z. B.
der ACE-Hemmer völlig verlassen wurde. durch eine geringere Toleranzentwicklung bei PETN) unter-
In kleinen Untersuchungen konnte bei schwerster Herzinsuf- schiedliche Effekte bei chronischer Herzinsuffizienz bewirken.
fizienz (NYHA-Stadium III–IV) unter ACE-Hemmer-Therapie Auch für Molsidomin fehlen derartige kontrollierte Studiener-
durch eine additive Gabe der Kombination Hydralazin/Nitrate gebnisse.
ein zusätzlich symptomatischer Effekt erzielt werden. Bei Afro- Insgesamt können Nitrate zusätzlich zu einer optimalen Be-
amerikanern wurde durch diese Kombination in der A-HeFT- handlung mit ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker und Diure-
Studie zudem eine Prognoseverbesserung erzielt. Es liegen bisher tika aus symptomatischer Indikation verabreicht werden. We-
aber keine Studienergebnissse vor, die eine Übertragung auf Kau- gen möglicher hypotoner Blutdruckreaktionen ist eine einschlei-
kasier oder andere ethnische Gruppen rechtfertigen. chende Dosierung empfehlenswert.

Nitrate/Molsidomin α-Rezeptorenblocker
Nitrate und Molsidomin führen vornehmlich zu einer starken Aus sympathischen Nervenendigungen freigesetztes Noradrena-
Dilatation der venösen Kapazitätsgefäße. Der Mechanismus der lin vermittelt über vaskuläre α-Adrenozeptoren eine Gefäßkont-
5.6 · Medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz
163 5

raktion. Die Wirkung in der Körperperipherie wird gleicher- gesteigerte Stase des intrakardialen Blutflusses zu thrombembo-
maßen über α1- und α2-Adrenozeptoren vermittelt. Neben den lischen Ereignissen prädisponieren (7 Übersicht 5.13). Die jähr-
postsynaptischen α1- und α2-Rezeptoren existieren präsynap- liche Inzidenz von Thromboembolien wird mit 1,5–3,5% ange-
tische α2-Adrenozeptoren auf sympathischen Nervenendigungen, geben; die höchste Rate findet sich in der Population mit schwerer
deren Stimulation eine Hemmung (Selbstlimitierung) der neuro- Herzinsuffizienz. Die Häufigkeit von Schlaganfällen liegt dabei
nalen Noradrenalinfreisetzung bewirkt. Dementsprechend ist höher als die pulmonaler oder peripherarterieller Embolien.
eine α1-Blockade (Verminderung der α-adrenozeptorvermittel-
ten Vasokonstriktion) ohne eine Hemmung von α2-Rezeptoren
(die Folge einer Blockierung wäre eine vermehrte Noradrenalin- Übersicht 5.13. Risikofaktoren für thrombembolische
ausschüttung) ein sinnvoller therapeutischer Ansatz zur Erzie- Ereignisse bei Herzinsuffizienz
lung einer Vasodilatation.
Die Vasodilatation durch α-Adrenozeptorantagonisten wird 4 Vorhofflimmern
(wahrscheinlich über Barorezeptoren) durch eine Sympathikus- 4 Schweregrad der Herzinsuffizienz/Pumpfunktionsstörung
aktivierung gegenreguliert. Die Folge einer generellen Sympathi- 4 Weibliches Geschlecht
kusaktivierung ist außerdem eine vermehrte β-adrenozeptorver- 4 DCM
mittelte Stimulation der Kontraktilität mit einer Verminderung 4 Ventrikuläre Aneurysmen/Thromben
kardialer β-Adrenozeptoren. 4 Vorausgegangene thrombembolische Ereignisse
Eine weitere Zunahme der Katecholaminatausschüttung in
den Gefäßen mit einer Vasokonstriktion ist eine weitere Folge.
Darüber hinaus kommt es zu einer Aktivierung des RAAS mit Thrombembolische Risikofaktoren
Natrium- und Wasserretention. Diese Mechanismen erklären Patienten mit Vorhofflimmern haben im Mittel ein etwa 6-fach
die beobachtete Toleranzentwicklung mit den α1-Adrenozeptor- erhöhtes Schlaganfallrisiko im Vergleich zu Patienten im Sinus-
antagonisten Prazosin. Weitere verwendete α-Adrenozeptor- rhythmus. In mehreren Studien wurde eine linksventrikuläre
antagonisten sind Terazosin, Doxazosin und der α2-Agonist und Dysfunktion oder Anamnese einer Herzinsuffizienz als unab-
α1-Antagonist Urapidil. hängiger Risikofaktor für einen Apoplex bei Patienten mit Vor-
In klinischen Studien ergab sich durch den α1-Antagonisten hofflimmern identifiziert (. Tab. 3.16). In diesem Patientenkol-
Prazosin im Vergleich zu Placebo bei chronischer systoli- lektiv liegt das jährliche Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse bei
scher Herzinsuffizienz kein Einfluss auf die Belastbarkeit. In der 8–12%. Der Benefit einer oralen Antikoagulation bei herzinsuf-
ALLHAT-Studie bei Patienten mit arterieller Hypertonie und fizienten Patienten mit Vorhofflimmern ist gut dokumentiert; die
einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor fand sich ein etwa Risikoreduktion für einen Schlaganfall liegt bei etwa 68%.
2-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffi- Das Thromboembolierisiko scheint bei herzinsuffizienten
zienz unter Doxazosin im Vergleich zu einer Diuretikatherapie. Frauen im Vergleich zu Männern erhöht zu sein. In einer retros-
pektiven Analyse von Patienten der SOLVD-Studie mit links-
> Für α-Antagonisten besteht kein Stellenwert bei der Behand-
ventrikulärer systolischer Dysfunktion und Sinusrhythmus zum
lung der chronischen Herzinsuffizienz.
Zeitpunkt der Randomisierung war der Schweregrad der links-
ventrikulären EF bei Frauen, nicht jedoch bei Männern, unab-
Direkte Renininhibitoren hängig mit dem Thromboembolierisiko assoziiert. Die jährliche
Wie ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten greifen auch direkte Inzidenz thrombembolischer Ereignisse betrug bei Frauen 2,4%
Renininhibitoren in das bei der Herzinsuffizienz aktivierte RAS und bei Männern 1,8% (p=0,04). Der Unterschied beruhte vor-
ein. Klinisch verfügbar ist bisher Aliskiren, das eine Zulassung für wiegend auf einer höheren Rate pulmonaler Embolien in der
die Therapie der arteriellen Hypertonie hat. Während unter einer weiblichen (24%) vs. der männlichen (14%) Population (p=0,01).
Behandlung mit ACE-Hemmer oder AT1-Antagonist die Plasma- Schlaganfälle und periphere Embolien traten etwa gleich häufig
Renin-Aktivität steigt, nimmt diese unter Aliskiren ab. Zudem in beiden Subgruppen auf.
sinken die Spiegel von Angiotensin I und Angiotensin II, wo- Die Thromboemboliehäufigkeit korreliert mit der maxima-
durch der vasodilatierende Effekt vermittelt wird. len Sauerstoffaufnahme unter Belastung, einem Marker für den
Bei Herzinsuffizienz liegt bisher nur eine Studie vor, die pri- Schweregrad der Herzinsuffizienz. In der V-HeFT-Studie lag
mär die Verträglichkeit von Aliskiren zusätzlich zu einer Stan- die maximale Sauerstoffaufnahme bei Patienten mit Thrombo-
dardtherapie bei 302 Patienten belegte. Als sekundärer Endpunkt embolie signifikant niedriger als bei Patienten ohne thrombem-
zeigte sich darüber hinaus eine signifikante Senkung der BNP- bolisches Ereignis. Zudem steigt das Thromboembolierisiko in
Plasma-Spiegel und Aldosteronausscheidung im Urin. Diese den meisten retrospektiven Analysen großer Interventionsstudi-
ersten Ergebnisse rechtfertigen weitere Studien zur Analyse eines en kontinuierlich mit abnehmender Auswurffraktion. In einigen
potenziellen Stellenwerts der direkten Renininhibition bei chro- Untersuchungen, wie z. B. der V-HeFT-Studie, fand sich hin-
nischer Herzinsuffizienz. gegen keine unterschiedliche Inzidenz von Schlaganfällen oder
Thromboembolien in Abhängigkeit des Schweregrades der links-
ventrikulären Dysfunktion. Da die Daten nicht prospektiv erfasst
5.6.9 Antikoagulation wurden, bleibt letztlich unklar, inwieweit Patienten mit schwererer
Kontraktionsstörung im Verlauf Vorhofflimmern entwickelten
Das Risiko thrombembolischer Komplikationen ist bei Patienten und die erhöhte Thromboembolierate hierdurch bedingt wurde.
mit Herzinsuffizienz erhöht. Die Dilatation der Herzkammern, Intrakavitäre Thromben treten nach akutem Myokardin-
die eingeschränkte Kontraktilität, regionale Wandbewegungs- farkt, bei chronischen linksventrikulären Aneurysmen sowie bei
störungen und begleitendes Vorhofflimmern können über eine schwerstgradiger ventrikulärer Dysfunktion auf. Die Prävalenz
164 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

linksventrikulärer Thromben bei Patienten mit chronisch einge- werden, dass WASH nur eine Pilotstudie war und WATCH wegen
schränkter Kontraktionsstörung wird in einigen Autopsieberich- schwieriger Rekrutierung vorzeitig abgebrochen wurde. Derzeit
ten mit bis zu 50% angegeben, liegt nach neueren Daten jedoch gilt aber in den meisten Leitlinien, dass nicht nur aufgrund einer
unter 10%. Nach akutem Myokardinfarkt mit Aneurysmabildung hochgradigen Einschränkung der Pumpfunktion eine Anti-
wurde in Operations- und Obduktionsberichten thrombotisches koagulation erfolgen sollte. Beim Vorliegen frischer intrakavitä-
Material in etwa 50% der Fälle gefunden. Das Risiko für Throm- rer Thromben und nach vorausgegangenen systemischen bzw.
boembolien ist bei Postinfarktpatienten in den ersten 3 Monaten pulmonalen Embolien ist eine Antikoagulation jedoch zu emp-
deutlich erhöht. Bei chronischen linksventrikulären Aneurys- fehlen.
men fand sich hingegen eine jährliche Thromboembolieinzidenz
von 0,35% pro Jahr; dies spricht nicht für ein wesentlich erhöhtes
Thromboembolierisiko in dieser Population. 5.6.10 Antiarrhythmische Therapie
5 Bei DCM entstehen im Vergleich zu ischämischer Kardio-
myopathie kleinere intrakavitäre Thromben mit diffuserer Vertei- ! Cave
lung, die mit einem erhöhten Thromboembolierisiko assoziiert Etwa die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz stirbt an
zu sein scheinen. Es liegen keine Studien bei herzinsuffizienten einem plötzlichen Herztod.
Patienten vor, die das Rezidivrisiko bei vorausgegangenem
thrombembolischen Ereignis prospektiv untersucht haben. Antiarrhythmika, außer β-Rezeptorenblocker, sollten nicht pri-
mär zur Therapie ventrikulärer Arrhythmien oder zur Verhinde-
Thrombozytenaggregationshemmung rung eines plötzlichen Herztodes eingesetzt werden. Für kein
Eine ASS-Therapie wird bei der Mehrzahl von KHK-Patien- Antiarrhythmikum (außer β-Rezeptorenblocker) wurde eine
ten eingesetzt und vermindert postinfarziell und bei instabiler Senkung akuter Herztode belegt. Sie haben vielmehr potenzielle
Angina pectoris Sterblichkeit und Morbidität. Es liegen bisher arrhythmogene Effekte (7 Abschn. 3.5).
jedoch keine randomisierten prospektiven Untersuchungen vor,
die bei stabiler ischämischer oder nichtischämischer systolischer β-Rezeptorenblocker
Herzinsuffizienz einen prognostischen Vorteil durch ASS bele- In mehreren randomisierten prospektiven Studien wurde klar be-
gen. In der einzigen randomisierten Pilotstudie (WASH-Studie) legt, dass eine β-Rezeptorenblocker-Therapie bei Patienten mit
fand sich kein Unterschied zwischen den Placebo-, ASS- und systolischer Herzinsuffizienz (EF ≤35%) im NYHA-Stadium II–IV
Warfaringruppen hinsichtlich des kombinierten Endpunkts aus unabhängig von der zugrunde liegenden Ätiologie der Herzinsuf-
Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall. Unklar ist, ob die beob- fizienz die Inzidenz plötzlicher Herztodesfälle um etwa 40% redu-
achtete höhere Rate an Hospitalisationen unter ASS auf einer ziert (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A).
Abschwächung der ACE-Hemmer-Wirkung, gastrointestinalen
Blutungen oder sonstigen Effekten beruhte. Antiarrhythmika (außer β-Rezeptorenblocker)
Bei Herzinsuffizienz besteht für Klasse-I-Antiarrhythmika ein
Systemische Antikoagulation erhöhtes Arrhythmierisiko. Diese Substanzen sollten daher ver-
Eine orale Antikoagulation ist bei Patienten mit Vorhofflimmern mieden werden, da sie die Prognose verschlechtern können (7 Ab-
und Herzinsuffizienz bzw. linksventrikulärer Kontraktionsstö- schn. 3.5). Das effektivste Antiarrhytmikum ist derzeit Amiodaron.
rung zur Verminderung thrombembolischer Ereignisse sinnvoll, Es führt bei Herzinsuffizienz nicht zu einer Übersterblichkeit,
da hierdurch die Häufigkeit von Schlaganfällen reduziert werden konnte aber trotz Minderung ventrikulärer Extrasystolen im EKG
kann. die Sterblichkeit nicht positiv beeinflussen (. Abb. 5.24). Amio-
Bei Patienten mit Sinusrhythmus und chronischer systo- daron ist einer ICD-Therapie sowohl in der Sekundär- als auch der
lischer Herzinsuffizienz fand sich in der WASH-Studie und in Primärprävention plötzlicher Herztode klar unterlegen. Daher
der WATCH-Studie keine Überlegenheit einer Antikoagulation sollte Amiodaron nur zur Behandlung symptomatischer und
im Vergleich zu Placebo, ASS bzw. Clopidogrel (. Abb. 5.23). Ein- hämodynamisch wirksamer Arrhythmien oft zusätzlich zum ICD
schränkend muss zu diesen Untersuchungen jedoch bemerkt eingesetzt werden.

. Abb. 5.23. Effekt einer Therapie mit Aspirin, Clopido-


grel oder Warfarin auf den kombinierten primären
Endpunkt Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall sowie
auf die Rate an Krankenhauseinweisungen wegen einer
Herzinsuffizienz (WATCH-Studie)
5.7 · Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz
165 5

β-Rezeptorenblockern, Spironolacton und Digitalis erreicht. In


diesem Sinne sind auch die wesentlichen Leitlinien der kardiolo-
gischen Fachgesellschaften abgefasst (. Tab. 5.12).

5.7 Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz

5.7.1 Therapie der Grunderkrankung

Bei der Behandlung der diastolischen Herzinsuffizienz steht


ebenfalls zunächst die kausale Therapie bzw. die Therapie der
Grunderkrankung im Vordergrund. In multiplen Interventions-
studien konnte gezeigt werden, dass durch eine effektive Einstel-
. Abb. 5.24. Amiodaroneffekt auf die Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz lung einer arteriellen Hypertonie Häufigkeit und Progression
(SCD-HeFT-Studie) einer Herzinsuffizienz vermindert werden können.
> Die konsequente Blutdruckeinstellung stellt das oberste Ziel bei
der Behandlung der diastolischen Herzinsuffizienz dar.
5.6.11 Andere Substanzen
Hier scheinen besonders solche Substanzen sinnvoll, die die Myo-
In der Vergangenheit sind sehr viele Substanzen getestet worden, kardhypertrophie zur Regression bringen. Am ausgeprägtesten ist
die sich wegen positiv-inotroper, vasodilatatorischer oder anti- dieser Effekt bei RAS-Inhibitoren, d. h. ACE-Hemmern und AT1-
inflamatorischer Effekte aus theoretischen Gesichtspunkten für Antagonisten. Neben einer Regression bzw. einer verminderten
die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz eignen sollten. Es Progression der Myokardhypertrophie führt die Blutdruckein-
handelt sich um Statine, Kalziumsensitizer (Sulmazol, Pimoben- stellung auch zu einem verminderten myokardialen Sauerstoff-
dan), Natriumkanalagonisten, Vesnarinon, Endothelinantagonis- bedarf. Darüber hinaus konnte in Myokardbiopsien unter ACE-
ten, Wachstumshormon, Dopaminagonisten, Endopetidase- Hemmer- und AT1-Antagonisten-Gabe bei Patienten mit hyper-
inhibitoren u.v.a.m. Alle in kontrollierten, prospektiven Studien tensiver Herzerkrankung eine Regression der myokardialen
durchgeführten Untersuchungen haben entweder ein neutrales Fibrose dokumentiert werden. Die Abnahme des ventrikulären
oder ein negatives Ergebnis zur Folge gehabt. Deshalb kann man Kollagengehalts war mit einer Verbesserung der diastolischen
heute zusammenfassen, dass alle diese Substanzen nicht mehr zur Funktion assoziiert. Zu Aldosteronantagonisten liegen bisher
Therapie der chronischen Herzinsuffizienz geeignet sind. keine prospektiven Studienergebnisse bei der diastolischen Herz-
Diese Situation hat dazu geführt, dass sogar davon gespro- insuffizienz vor. Aus einer Subgruppenanalyse der RALES-Studie
chen wurde, das »Ende der Fahnenstange« sei mit der Gabe von bei schwerster systolischer Herzinsuffizienz geht jedoch auch für
Diuretika, ACE-Hemmern oder/und AT1-Rezeptorantagonisten, Aldosteronantagonisten eine fibrosehemmende Wirkung hervor.

. Tab. 5.12. Medikamentöse Stufentherapie bei systolischer linksventrikulärer Dysfunktion; EF<40%. (DGK-Leitlinien 2005)
Medikament Asymptomatische LV-Dysfunktion/ NYHA-Stadium II NYHA-Stadium III NYHA-Stadium IV
NYHA-Stadium I
ACE-Hemmer Indiziert Indiziert Indiziert Indiziert
β-Rezeptorenblocker Nach Myokardinfarkt Indizierta Indizierta Indizierta
(ohne ISA) Bei Hypertonie
Diuretika
Thiazide Bei Hypertonie Bei Flüssigkeitsretention Indiziert zur Poten- Indiziert zur Poten-
zierung der Schleifen- zierung der Schleifen-
diuretikawirkung diuretikawirkung
Schleifendiuretika Bei Zustand nach Flüssigkeitsretention Bei Flüssigkeitsretention Indiziert Indiziert
Aldosteronantagoni- Bei Hypokaliämie Nach Myokardinfarkt Indiziert Indiziert
sten
AT1-Rezeptorblocker Bei ACE-Hemmer-Intoleranz Bei ACE-Hemmer-Intoleranz Bei ACE-Hemmer- Bei ACE-Hemmer-
Intoleranz Intoleranz
Herzglykoside Bei tachysystolischem Vorhofflimmern Bei tachysystolischem Indiziertb Indiziertb
Vorhofflimmern
Im Sinusrhythmus nach
Besserung von schwerer
Symptomatikb
ISA intrinsische sympathomimetische Aktivität; EF Ejektionsfraktion.
a Nur bei stabilen Patienten, langsam einschleichend unter engmaschiger Kontrolle.
b Mit niedrigen Zielserumspiegeln.
166 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

Zudem sollte bei KHK-Patienten eine adäquate Revaskulari- sekundären Endpunkte wurden nicht signifikant durch den AT1-
sation oder medikamentöse antianginöse Therapie durchgeführt Antagonisten reduziert. Einschränkend muss zu dieser Unter-
werden, da eine Myokardischämie zu einer ventrikulären Relaxa- suchung vermerkt werden, dass keine echokardiographische
tions- und Compliance-Störung führen kann. Objektivierung einer diastolischen Dysfunktion erfolgte. AT1-An-
Im Übrigen liegen nur sehr wenige prospektive Studiendaten tagonisten können somit alternativ zu einem ACE-Hemmer zur
zur Behandlung der diastolischen Herzinsuffizienz vor. Die The- symptomatischen Therapie und besonders zur Blutdruckeinstel-
rapie basiert im Wesentlichen auf einer empirischen symptoma- lung bei diastolischer Herzinsuffizienz eingesetzt werden.
tischen Behandlung und auf pathophysiologischen Überle-
gungen:
4 antihypertensive Therapie (besonders Pharmaka, die eine 5.7.5 β-Rezeptorenblocker
Regression der Myokardhypertrophie begünstigen),
5 4 Erhaltung des Sinusrhythmus Die Diastolendauer ist besonders frequenzabhängig. Daher
4 β-Rezeptorenblocker-Gabe zur Senkung der Herzfrequenz kommt es im Rahmen einer Tachykardie bei Patienten mit dias-
und zur Verlängerung der Diastolendauer sowie tolischer Dysfunktion häufig zu einer deutlichen Beschwerde-
4 Diuretika- und/oder Nitratgabe zur Vorlastsenkung (vorsich- progredienz oder sogar kardialen Dekompensation. Dies basiert
tig dosiert). auf einer tachykardieinduzierten Verkürzung der diastolischen
Füllungszeit, einer verminderten Koronarperfusionszeit, einem
erhöhten diastolischen Ventrikeldruck und einem vermehrten
5.7.2 Diuretika/Nitrate Sauerstoffbedarf.
> Für Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz ist eine Kont-
Zur Reduktion der ventrikulären Füllungsdrücke und der sekun-
rolle der Herzfrequenz, die im Normbereich liegen sollte,
dären pulmonalen Stauung können Diuretika und Venodilatoren,
wesentlich.
besonders Nitrate, eingesetzt werden. Hierbei ist stets auf die
steile Druck-Volumen-Beziehung in der Diastole zu achten. Bei Bei einer Sinustachykardie eignet sich hierfür besonders eine
zu hoher Medikamentendosierung können ein zu ausgeprägter β-Rezeptorenblocker-Medikation. Es liegen jedoch keine rando-
diastolischer Druckabfall und damit ein vermindertes Schlag- misierten β-Rezeptorenblocker-Studien vor, die ausschließlich
volumen resultieren. bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz durchgeführt
wurden. In die SENIORS-Studie wurde jedoch ein Drittel von
Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Pumpfunktion
5.7.3 ACE-Hemmer aufgenommen. Es zeigte sich unter dem β-Rezeptorenblocker
Nebivolol im Vergleich zu Placebo im Gesamtkollektiv eine Ver-
Auch bei diastolischer Herzinsuffizienz ist das RAAS aktiviert. minderung des kombinierten Endpunkts aus Tod und Kran-
Bisher liegt nur eine größere Studie bei 852 Patienten im Alter kenhauseinweisungen. Die Subgruppe von Patienten mit einer
≥70 Jahre mit klinischer Diagnose einer Herzinsuffizienz und EF>35% hatte eine vergleichbare relative Risikoreduktion wie
echokardiographischem Nachweis einer diastolischen Dysfunk- Patienten mit niedrigerer Auswurffraktion. Letztlich stehen aller-
tion vor (PEP-CHF-Studie) vor. Die Patienten wurden zwischen dings noch größere Studien aus, die die prognostische Bedeutung
Placebo und dem ACE-Hemmer Perindopril mit Zieldosis 4 mg/ von β-Rezeptorenblockern primär bei einem Patientenkollektiv
Tag randomisiert. Nach einem Jahr, d. h. etwa der Hälfte der Be- mit diastolischer Herzinsuffizienz analysieren. Zurzeit kann ein
obachtungszeit, schien Perindopril im Vergleich zu Placebo hin- β-Rezeptorenblocker empirisch bei diastolischer Herzinsuffi-
sichtlich der Senkung des primären Endpunkts aus Tod und un- zienz zur Hypertonieeinstellung und besonders zur Kontrolle der
geplanter herzinsuffizienzassoziierter Krankenhauseinweisung Herzfrequenz und damit zur möglichen Verbesserung der Symp-
überlegen. Dieser Effekt verschwand jedoch nach dem gesamten tomatik eingesetzt werden.
Beobachtungszeitraum von im Mittel 26 Monaten. Als wesent-
liche Einschränkung bei dieser Studie ist zu erwähnen, dass nach
18 Monaten 40% der Patienten offen einen ACE-Hemmer erhiel- 5.7.6 Herzglykoside
ten; dies hebt die Aussagekraft der Studie praktisch auf. Zur end-
gültigen Beurteilung der möglichen prognostischen Bedeutung Bei diastolischer Herzinsuffizienz bleibt die systolische Auswurf-
von ACE-Hemmern bei diastolischer Herzinsuffizienz müssen leistung erhalten. Daher bedarf es keiner kontraktionssteigernden
somit weitere derzeit laufende Studien abgewartet werden. Medikamente. Andererseits findet sich wie bei systolischer Herz-
insuffizienz eine neurohumorale Aktivierung. Somit könnten
theoretisch zwar nicht die positiv-inotropen Effekte, aber die
5.7.4 AT1-Antagonisten Hemmung der neurohumoralen Aktivierung durch Herzglyko-
side hilfreich sein. In einer Subgruppe der DIG-Studie bei weni-
Zur Behandlung einer Herzinsuffizienz bei erhaltener links- gen Patienten mit erhaltener systolischer Funktion und Herzin-
ventrikulärer Pumpfunktion mit AT1-Antagonisten liegt eine suffizienz ergab sich jedoch keine Überlegenheit von Digitalis-
randomisierte kontrollierte Studie vor (CHARM-Preserved). Bei glykosiden im Vergleich zu Placebo. Somit haben Herzglykoside
3024 Patienten mit einer EF >40% wurde Candesartan mit einer bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz und Sinusrhyth-
Zieldosierung von 32 mg/Tag gegen Placebo getestet. Es fand sich mus keinen Stellenwert. Nur bei tachyarrhythmischem Vorhof-
keine signifikante Änderung des kombinierten Endpunkts aus flimmern sind sie zur Herzfrequenzkontrolle in der Regel additiv
kardiovaskulärem Tod oder Krankenhausaufnahmen wegen einer zu einem β-Rezeptorenblocker (ggf. Kalziumantagonist vom Ver-
Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Auch die verschiedenen apamiltyp) sinnvoll.
5.8 · Elektrostimulation
167 5
5.7.7 Kalziumantagonisten 5.8.2 Kardiale Resynchronisationstherapie

Es liegen keine randomisierten Studien zur Behandlung der dias- Obwohl in den letzten Jahren die Morbidität und die Sterblich-
tolischen Herzinsuffizienz mit Kalziumantagonisten vor. Diese keit von Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz durch Fort-
können aber zur Hypertonieeinstellung eingesetzt werden. Kal- schritte der Pharmakotherapie reduziert werden konnte, bleibt
ziumantagonisten führen zu einer Regression der Myokard- die Mehrzahl der Patienten trotz maximal tolerierter Medika-
hypertrophie. Das Ausmaß ist allerdings etwas geringer als unter mentendosierungen symptomatisch. Nach aktuellen Schätzungen
RAAS-Blockade. Zudem gibt es Anhalte für eine mögliche Bes- könnte bei 5–15% schwerst herzinsuffizienter Patienten im
serung der Relaxation. Endpunktstudien stehen aber aus. NYHA-Stadium III–IV eine CRT Beschwerdesymptomatik, Hä-
modynamik und Prognose weiter verbessern.

5.7.8 Erhaltung des Sinusrhythmus Linksschenkelblock bei Herzinsuffizienz


bei diastolischer Herzinsuffizienz Eine Vielzahl herzinsuffizienter Patienten weist Veränderungen
im Oberflächen-EKG im Sinne inter- bzw. intraventrikulärer Lei-
Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz haben wie solche mit tungsstörung auf. Eine Verbreiterung des QRS-Komplexes auf
systolischer Dysfunktion eine erhöhte Inzidenz von Vorhofflim- mehr als 120 ms wird in Studien bei 27–45% der Patienten gefun-
mern. Beim Auftreten von Vorhofflimmern können Patienten den. Die Häufigkeit steigt mit einer Verschlechterung des Herz-
mit diastolischer Herzinsuffizienz zum einen aufgrund der oft insuffizienzschweregrads. Zumeist handelt es sich um eine Links-
tachykarden Überleitung auf die Kammer und zum anderen we- schenkelblockkonfiguration. Mit zunehmender Breite des QRS-
gen des Verlustes der atrialen Füllungskomponente akut dekom- Komplexes nimmt die Prognose bei chronischer Herzinsuffizienz
pensieren. Dies ist bei diastolischer Dysfunktion hämodynamisch unabhängig von anderen Risikofaktoren ab.
besonders relevant, da die atriale Füllung bis zu 25% des Schlag- Hämodynamisch resultieren bei Patienten mit Linksschenkel-
volumens ausmachen kann. Nach Kardioversion in einen Sinus- block asynchrone Kontraktionen zwischen rechtem und linkem
rhythmus fand sich bei herzinsuffizienten Patienten eine signifi- Ventrikel (intraventrikuläre Dyssynchronie) sowie zwischen Sep-
kante Zunahme der linksventrikulären EF und der Belastbarkeit. tum und linksventrikulärer Lateralwand (intraventrikuläre Dys-
Diese tritt zumeist nicht spontan ein, da sich zunächst das »atrial synkronie) mit Verzögerung der linksventrikulären Ejektion. Der
stunning« über etwa 4 Wochen wieder erholen muss. Aus hämo- verspätete Aortenklappenschluss führt zu einer relativen Ab-
dynamischen und, damit verbunden, symptomatischen Gründen nahme der diastolischen linksventrikulären Füllungszeit, die ver-
sollte bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz, solange längerte isovolometrische linksventrikuläre Kontraktion zu einer
wie möglich, ein Sinusrhythmus erhalten werden. Mortalitäts- relativen Zunahme der Mitralregurgitationszeit. Durch die gestör-
daten liegen diesbezüglich jedoch nicht vor. te Erregungsausbreitung weisen die meisten Patienten mit Links-
schenkelblock eine Dyskinesie des Septums auf. Eine regionale
Kontraktionsminderung und/oder eine zeitlich gestörte Kontrak-
5.8 Elektrostimulation tionssequenz können bei Herzinsuffizienz nur unzureichend
durch eine Hyperkontraktilität anderer Myokardabschnitte kom-
5.8.1 Schrittmachertherapie pensiert werden. In hämodynamischen Untersuchungen von Pa-
tienten mit intermittierendem Linksschenkelblock wurde gezeigt,
Bei deutlicher Verlängerung des AV-Intervalls kann die Vorhof- dass die globale linksventrikuläre Auswurfleistung durch den
kontraktion so früh erfolgen, dass die atriale Füllungskomponen- anomalen Kontraktionsablauf um 10–15% vermindert wird.
te des linken Ventrikels verloren geht. Dopplerechokardio-
graphisch wird dies anhand einer Verschmelzung der E- und Technische Aspekte
A-Welle des Mitralklappenflussprofils deutlich. Einige herzin- Eine Verbesserung der beschriebenen Erregungsausbreitungs-
suffiziente Patienten mit AV-Block I. Grades profitieren daher und Kontraktionsstörungen bei Patienten mit schwerer symp-
symptomatisch von einer Optimierung des AV-Intervalls mit- tomatischer linksventrikulärer Dysfunktion und intraventriku-
hilfe der rechtsseitigen AV-sequenziellen (Zweikammer-)DDD- lärer Leitungsstörung bzw. Linksschenkelblock wird durch eine
Schrittmacher-Stimulation. In größeren Studien konnte dieser linksventrikuläre bzw. simultane biventrikuläre Stimulation des
positive Effekt jedoch nicht generell verifiziert werden. Ein we- rechten und des linken Ventrikels angestrebt. Die erste biventri-
sentlicher Grund liegt wahrscheinlich darin, dass durch die kuläre Stimulation erfolgte 1994 mithilfe epikardialer linksvent-
rechtsventrikuläre Stimulation »iatrogen« ein Linksschenkel- rikulärer Patch-Elektroden. Dieser Zugang erfordert jedoch eine
block induziert wird. Die resultierende Störung des ventrikulären belastende Thorakotomie oder Thorakoskopie und birgt im Ver-
Kontraktionsablaufs und der Hämodynamik scheint den Nutzen lauf ein erhöhtes Risiko für einen »Exit«-Block.
einer AV-Intervall-Optimierung bei der Mehrzahl herzinsuffi- Heute ist eine linksventrikuläre Stimulation über eine trans-
zienter Patienten zu überwiegen. venöse Sondierung des Koronarsinus in eine kardiale Vene mit
speziellen Koronarsinuselektroden Standard. Als optimale links-
> Für eine konventionelle Ein- oder Zweikammerstimulation
ventrikuläre Stimulationsregion gelten laterale oder posterolate-
gelten bei Herzinsuffizienz übliche Indikationen wie bei Pa-
rale Venen. Aufgrund der sehr variablen Koronarvenenanatomie
tienten ohne Herzinsuffizienz (7 Abschn. 3.3).
muss jedoch bei einigen Patienten auf ungünstigere Venenlokali-
sationen zurückgegriffen werden.
Die Erfolgsrate einer effektiven transvenösen Sondenplatzie-
rung liegt bei etwa 95%. Die Dislokationsrate wird sehr variabel
mit 1–12,5% angegeben, sollte aber in erfahrenen Zentren im
168 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

unteren Bereich liegen. Andere spezifische Früh- und Spät- QRS-Breite. In einer Verlaufsbeobachtung an 190 Patienten pro-
komplikationen (z. B. Perikarderguss, Koronarsinusverletzung, fitierten am meisten diejenigen mit schwerer Herzinsuffizienz
Phrenikusstimulation) treten nur selten auf (<1%). Bei biventri- (NHYA-Stadium ≥III) und initial ausgeprägter QRS-Verlänge-
kulären Systemen werden neben der linksventrikulären Elektro- rung (>150 ms).
de in üblicher Weise eine atriale und eine rechtsventrikuläre Son- Neben einer isolierten Bewertung des Oberflächen-EKG
de plaziert. Außer reinen Schrittmachersystemen (CRT-P) stehen scheint die direkte Beurteilung der Dyssynchronie mithilfe der
kombinierte ICD/biventrikuläre Schrittmachersysteme (CRT-D) Echokardiographie hilfreich. Verschiedene Parameter u. a. mit
zur Verfügung, die bei herzinsuffizienten Patienten zur Primär- Gewebedopplertechnik (»tissue Doppler imaging«) wurden vor-
oder zur Sekundärprävention maligner Tachyarrhythmien einge- geschlagen. In einer Studie, die 12 dieser Parameter prospektiv
setzt werden können. analysierte, konnte jedoch kein einzelner prädiktiver Marker
gefunden werden (PROSPECT-Studie). Patienten mit einer
5 Akute hämodynamische Effekte QRS-Dauer <120 ms profitieren auch bei echokardiographischen
In mehreren Studien wurde der akute hämodynamische Effekt Hinweisen für eine Dyssynchronie nicht von der CRT (Rethin-
einer linksventrikulären bzw. einer biventrikulären Stimulation Q-Studie).
bei Patienten mit schwerster systolischer Kontraktionsstörung Von besonderer Wichtigkeit scheint zudem, dass bei Patien-
und breitem Kammerkomplex untersucht. Unter Stimulation ten mit ischämischer Kardiomyopathie die linksposteriore Wand
konnten eine sofortige Zunahme des invasiv gemessenen Schlag- nicht narbig umgebaut ist, da durch eine anteriore Stimulation in
volumens und des HZV, der linksventrikulären Druckanstiegs- der Regel kein Benefit erzielt werden kann.
geschwindigkeit und des systolischen Blutdrucks sowie eine Re-
duktion des PCWP und der V-Welle (als Zeichen einer Abnahme Prognose
der Mitralregurgitation) demonstriert werden. Die hämody- Neben einer symptomatischen Verbesserung konnte in der CARE-
namische Verbesserung ist dabei bei Patienten mit initial sehr HF-Studie bei 813 Patienten mit einer EF ≤35%, NYHA-Sta-
weitem QRS-Komplex (>150 ms) deutlich ausgeprägter und bei dium III/IV und einer QRS-Dauer ≥120 ms (zusätzliche echokar-
grenzwertiger QRS-Breite bzw. inkomplettem Linksschenkel- diographische Dokumentation einer Dyssynchronie, falls QRS
block eher nicht zu erwarten. Eine isolierte linksventrikuläre 120–149 ms) eine signifikante Senkung der Gesamtsterblichkeit
Stimulation führte akut zu vergleichbaren Ergebnissen wie eine (relative Reduktion um 40%), der Todesrate durch Verschlech-
biventrikuläre Stimulation. terung der Herzinsuffizienz und der plötzlichen Herztode belegt
Entsprechend den invasive Messungen und Untersuchungen werden. Die absolute Risikoreduktion lag bei 13,4%, d. h. nur
mit der PET scheint die systolische Funktionssteigerung unter bi- 8 Patienten mussten einer CRT zugeführt werden, um einen Tod
ventrikulärer Stimulation bei DCM mit einer Abnahme des myo- zu verhindern (. Abb. 5.25).
kardialen Sauerstoffverbrauchs und somit einer Ökonomisierung Darüber hinaus wurde eine große randomisierte Letalitäts-
der Herzarbeit vergesellschaftet zu sein. Dies ist insofern von beson- studie vorzeitig abgebrochen (COMPANION-Studie). In dieser
derem Interesse, da Therapiestrategien zur Pumpfunktionssteige- Untersuchung wurden 1600 herzinsuffiziente Patienten zwischen
rung, die mit einer Zunahme des Energiebedarfs verbunden sind, einer pharmakologischen Therapie, einer optimalen medika-
zu einer Übersterblichkeit bei chronischer Herzinsuffizienz führ- mentösen Therapie plus biventrikulärer Stimulation sowie einer
ten. Die positiven hämodynamischen Effekte lassen sich auch echo- optimalen medikamentösen Therapie plus biventrikulärer Stimu-
kardiographisch anhand einer Abnahme der Mitralinsuffizienz lation einschließlich eines Defibrillators randomisiert. Bei diesen
und der Septumdyskinesie sowie Zunahme der diastolischen links- Patienten waren keine rhythmogenen Ereignisse vorausgegan-
ventrikulären Füllungszeit (erkennbar an einer Separation der gen. Der primäre kombinierte Endpunkt aus Gesamtsterblichkeit
E- und A-Welle im Mitralflussprofil) demonstrieren. Neben akuten und Häufigkeit einer Krankenhauseinweisung innerhalb von
Veränderungen der Hämodynamik fand sich eine sekundäre Re- 12 Monaten wurde in beiden Gruppen mit biventrikulärem
duktion der sympathischen neuronalen Aktivität und der Norad- Schrittmachersystem signifikant um 19% reduziert. Darüber hi-
renalinspiegel im Serum während kardialer Resynchronisation. naus fand sich in der kombinierten Schrittmacher- und Defibril-
latorgruppe eine signifikante Reduktion der Gesamtsterblichkeit
Symptomatische Verbesserung um 43,4%. Da die Studie vorzeitig abgebrochen wurde, ist derzeit
In kontrollierten, randomisierten Studien verbesserten sich unter
einer aktiven atriobiventrikulären Stimulation bei Patienten
mit einer EF ≤35% im NYHA-Stadium III–IV und mit Sinus-
rhythmus nach 6 Monaten die Symptomatik (im Mittel um eine
NYHA-Klasse), die Belastbarkeit im Sechsminutengehtest und
die maximale Sauerstoffaufnahme. Die Hospitalisationsrate ver-
minderte sich signifikant. Trotz eines Placeboeffektes bei den
Kontrollpatienten kam es zu einer signifikant ausgeprägteren
Steigerung der Lebensqualität in der biventrikulären Resynchro-
nisationsgruppe. Die klinischen Effekte sind mit einer Abnahme
der linksventrikulären Dilatation und mit einer Zunahme der EF
(»reverse remodeling«) assoziiert. . Abb. 5.25. Die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) vermindert
bei Patienten mit schwerer systolischer Herzinsuffizienz im NYHA-Sta-
Ansprechen auf die Therapie dium III–IV, Linksschenkelblock und Sinusrhythmus die Sterblichkeit
Jedoch nicht alle Patienten mit den oben genannten Kriterien (CARE-HF-Studie); ARR absolute Risikoreduktion; NNT »number needed
sprechen auf die CRT an. Von Bedeutung erscheint die initiale to treat«
5.8 · Elektrostimulation
169 5

der tatsächliche Unterschied zwischen CRT-P (reine biventriku- Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um einen eventuellen
läre Stimulation) und CRT-D (integrierter Defibrillator) zur Prog- symptomatischen bzw. prognostischen Nutzen der bivent-
noseverbesserung nicht abschließend beurteilbar. rikulären Stimulation bei Rechtsschenkelblock und Herzinsuf-
fizienz im NHYA-Stadium II zu definieren sowie individuell die
Kardiale Resynchronisationstherapie beste Sondenposition voraussagen zu können.
und Vorhofflimmern
Bisher liegen nur wenige Studien zur Beurteilung der CRT im
Zusammenhang mit Vorhofflimmern vor. Verfügbare Daten 5.8.3 Implantierbare Kardioverter/Defibrillatoren
weisen jedoch daraufhin, dass die CRT das Auftreten von Vorhof- (7 Abschn. 3.5)
flimmern weder verhindert noch begünstigt. Kommt es jedoch
zu neu aufgetretenem Vorhofflimmern können die günstigen Bei Patienten mit symptomatischen ventrikulären Tachyarrhyth-
Effekte der CRT auf die Beschwerdesymptomatik, die Pumpfunk- mien oder überlebtem plötzlichen Herztod konnte in mehreren
tion und die Überlebenswahrscheinlichkeit erhalten bleiben. Studien gezeigt werden, dass durch die Implantation eines ICD
Voraussetzung ist hierfür jedoch eine adäquate Kontrolle der die Rezidivrate signifikant gesenkt werden kann. Ein ICD ist bei
ventrikulären Frequenz durch β-Rezeptorenblocker und Herz- Patienten mit eingeschränkter linskventrikulärer Pumpfunktion
glykoside. (EF ≤35%) prognostisch besonders günstig (Empfehlungsgrad I,
Bei schwerst herzinsuffizienten Patienten mit chronischem Evidenzgrad A).
Vorhofflimmern deuten erste Ergebnisse ebenfalls auf mögliche Ein ICD scheint bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter
günstige Wirkungen der CRT hin. Speziell erscheint die biventri- systolischer Pumpfunktion und chronischem Myokardinfarkt
kuläre Stimulation einer konventionellen rechtsventrikulären oder ischämischer Kardiomyopathie die Überlebensrate unab-
Stimulation überlegen und sollte bei Patienten mit hochgradiger hängig von Ergebnissen einer EPU zu verlängern und kann bei
Pumpfunktionsstörung und Schrittmacherindikation erwogen diesen Patienten zur Primärprävention erwogen werden.
werden. Während eine pharmakologische Therapie zur Kontrol-
> Bei der Primärprävention ist der Zeitabstand seit dem Infarkt
le der Kammerfrequenz bei Patienten mit paroxysmalem Vorhof-
wesentlich.
flimmern und Vorhofflimmern von kurzer Dauer oft ausreichend
ist, weisen aktuelle Ergebnisse daraufhin, dass bei permanentem Eine ICD-Implantation sollte nur im chronischen Stadium (min-
Vorhofflimmern in der Regel eine AV-Knoten-Ablation erforder- destens 40 Tage nach Infarkt) erfolgen. Bei deutlich eingeschränk-
lich ist. Die Ablation des AV-Knotens sichert eine perfekte und ter Auswurfleistung ≤30–35% im NYHA-Stadium II–III führt
komplette biventrikuläre Stimulation und damit kardiale Resyn- ein ICD zur Reduktion der Sterblichkeit (Empfehlungsgrad I,
chronisation, macht den Patienten aber schrittmacherabhängig. Evidenzgrad A), bei geringerer Evidenz im NYHA-Stadium I
Daher sollten vor einem generellen Einsatz der CRT bei chro- (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad B).
nischem Vorhofflimmern weitere randomisierte Studien abge- Zur Primärprävention wurde in früheren Untersuchungen
wartet werden. bei DCM kein Überlebensvorteil durch eine ICD-Implantation
erzielt (CAT-, AMIOVIRT-, DEFINITE-Studie). In der SCD-
Indikation HeFT-Studie konnte jedoch ein ICD die Sterblichkeit bei einer EF
Die kardiale Resynchronisation durch biventrikuläre Schritt- ≤35% auch bei nichtischämischer Kardiomyopathie im NYHA-
macherstimulation stellt somit eine sinnvolle additive Therapie- Stadium II–III reduzieren. Die relative Risikoreduktion war ver-
option für symptomatische Patienten mit schwerer systoli- gleichbar; die absolute Risikoreduktion aufgrund eines geringe-
scher linksventrikulärer Dysfunktion im NYHA-Stadium III–IV ren Gesamtrisikos aber niedriger als bei ischämischer Kardio-
unter optimaler Herzinsuffizienzmedikation einschließlich myopathie (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B).
ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker und Aldactone dar (7 Über-
sicht 5.14). Durch die kardiale Resynchronisation können Symp-
tomatik, Belastbarkeit und Lebensqualität dieser Patienten ver- 5.8.4 Kardiale Kontraktilitätsmodulation
bessert werden. Besonders scheinen Patienten mit breitem QRS-
Komplex (≥150 ms) und erhaltenem Sinusrhythmus zu profitie- Das Prinzip der CCM basiert auf einer nichtexzitatorischen
ren. Impulsabgabe während der Refraktärzeit des Herzens. Hier-
durch wird das Aktionspotenzial verlängert, der Ca2+-Einstrom
über L-Typ-Kalziumkanäle vermehrt und hierüber die sys-
Übersicht 5.14. Indikationen für die kardiale Resyn- tolische Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplas-
chronisationstherapie matischen Retikulum erhöht. Hämodynamisch resultiert eine
Steigerung der linksventrikulären Druckanstiegsgeschwin-
4 CRT-P bei NYHA-Stadium III–IV, EF ≤35%, LV-Dilatation, digkeit.
Sinusrhythmus, QRS-Dauer >120 ms (Empfehlungsgrad I, Um dies zu erzielen, wird ein schrittmacherähnliches Ge-
Evidenzgrad A) rät mit einer atrialen und 2 linksventrikulären Sonden implan-
4 CRT-D und CRT-P mit zusätzlich Klasse-I-Indikation für tiert. Erste Ergebnisse einer randomisierten Cross-over-Studie
einen ICD (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B) (FIX-CHF-4-Studie) ergaben bei Patienten mit systolischer Herz-
4 CRT bei NYHA-Stadium III–IV, EF ≤35%, LV-Dilatation, insuffizienz (EF ≤35%), NYHA-Stadium II–III und Sinusrhyth-
QRS-Dauer >120 ms mus, die keine CRT-Kriterien erfüllten, eine Verbesserung der
4 Permanentes Vorhofflimmern und Indikation für AV-Kno- Belastbarkeit und der Lebensqualität, die denen der CRT ver-
ten-Ablation (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C) gleichbar waren. Mortalitäts-/Morbiditätsstudien stehen aber
noch aus.
170 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

5.9 Mechanische Kreislaufunterstützung


Übersicht 5.15. Mechanische Kreislaufunterstützung
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen
> Der akute kardiogene Schock weist eine Sterblichkeit von
4 Kardiogener Schock trotz optimaler Pharmakotherapie,
80–90% auf; die chronische terminale Herzinsuffizienz geht
optimierter Vorlast und fehlender Acidose, aber mit
mit einer Einjahresletalität von bis zu 50% einher.
potenzieller Reversibilität oder Transplantabilität
Aus diesem Grund wurden mechanische Kreislaufunterstüt- 4 Hämodynamik
zungssysteme sowohl für die akute Überbrückung eines poten- – Herzindex <1,5 l/min×m2, systemischera Gefäßwider-
ziell reversiblen kardiogenen Schocks als auch zur längerfristigen stand >2100 dyn×s×cm-5
Therapie im Sinne eines »Bridge-to-transplantation« oder »Des- – Refraktäre Hypotonie/Oligurie
5 tination«-Verfahrens entwickelt. Kontraindikationen
Der Einsatz eines mechanischen Kreislaufunterstützungs- 4 Sepsis/Verbrauchskoagulopathie
verfahrens muss in enger Absprache zwischen Kardiologen und 4 Kardiogener Schock >12–18 h mit irreversiblem Organ-
Kardiochirurgen entschieden werden, wenn ein kardiogener versagen (Nieren, Leber, Hirn)
Schock bzw. eine schwere Organminderperfusion trotz opti- 4 Keine potenzielle Reversibilität bzw. keine Transplanta-
maler Pharmakotherapie und optimierter Vorlast persistie- tionsperspektive
ren. Prinzipiell sollte eine potenzielle Reversibilität des kar- 4 Ausgeprägte generalisierte Arteriosklerose
diogenen Schocks oder eine potenzielle Indikation zur Herz-
a 1 dyn×cm-2=0,1 Pa.
transplantation, d. h. eine prognostische Perspektive, gegeben
sein.
Indikation und Kontraindikationen zur mechanischen Kreis-
laufunterstützung sind in der 7 Übersicht 5.15 aufgeführt. Als Pulsatile Systeme
Kontraindikationen sind insbesondere eine bestehende Sepsis Die pulsatilen »ventricular assist devices« können mittelfristig
oder ein längerfristig vorbestehender kardiogener Schock mit über Wochen, z. T. bis zu Monaten eingesetzt werden und sind
bereits irreversiblen Organausfällen zu erwähnen. typischerweise als »Bridge-to-transplantation«-Verfahren indi-
ziert. Sie bedürfen einer aufwendigen chirurgischen Implanta-
Verfahren tionstechnik mit Thorakotomie, sind jedoch teilweise (z. B. No-
Die unterschiedlichen Verfahren zur mechanischen Kreislauf- vacor) komplett intrakorporal implantierbar mit extrakorporaler,
unterstützung unterscheiden sich durch ihre potenzielle Einsatz- tragbarer Energiequelle. Hierdurch ermöglichen sie eine Mobili-
dauer, das unterschiedliche Ausmaß der zu erzielenden Perfu- sation des Patienten zur Verhinderung einer Muskelatrophie vor
sionssteigerung, den Implantationsmodus und die Mobilisierbar- geplanter Transplantation.
keit des Patienten (. Tab. 5.13).
Nichtpulsatile Systeme
Intraaortale Gegenpulsation Die nichtpulsatilen Ventricular assist devices werden ebenfalls im
Das einfachste Verfahren einer mechanischen Kreislaufunter- Rahmen einer akuten kardiogenen Kreislaufinsuffizienz und im
stützung stellt die intraaortale Gegenpulsation mithilfe der Bal- Rahmen der kardiopulmonalen Reanimation eingesetzt. Sie sind
lonpumpe dar. Sie wird perkutan in die Aorta eingeführt, erreicht z. T. perkutan platzierbar und erreichen eine deutliche Steigerung
durch systolische Entlastung und diastolische Augmentation ins- des Herzminutenvolumens. Die Einsatzdauer ist auf wenige Tage
besondere eine verbesserte Koronarperfusion (bei nur geringer befristet.
Steigerung des Herzminutenvolumens um ca. 10–20%). Ihre Ein-
satzdauer ist auf wenige Tage begrenzt. Die intraaortale Gegen- Kunstherz
pulsation wird üblicherweise als erstes Verfahren bei akutem Das Verfahren des sog. Kunstherzens (»total artificial heart«)
kardiogenen Kreislaufversagen verwendet, z. B. bei akutem Myo- wird bis zu einer Herztransplantation und in Einzelfällen bei Pa-
kardinfarkt oder in der direkt postoperativen Periode nach herz- tienten, die nicht transplantiert werden können, als »Destina-
chirurgischen Operationen. tion«-Therapie dauerhaft implantiert.

. Tab. 5.13. Auswahl von Verfahren zur mechanischen Kreislaufunterstützung

Verfahren Einsatzdauer HZV-Steigerung Implantation Patient mobil


Intraaortale Gegenpulsation Stunden/Tage (+) Perkutan Nein
Ventricular assist devices a
Nonpulsatil Stunden/Tage + Perkutan/chirurgisch Nein
Pulsatil, pneumatisch Wochen/Monate ++ Chirurgisch (Ja)
Pulsatil, elektromechanisch Wochen/Monate ++ Chirurgisch Ja
»Total artificial heart« Monate/Jahre ++ Chirurgisch Ja
(+) gering; + mäßig; ++ deutlich; HZV Herzzeitvolumen.
a Isolierte Unterstützung des linken Ventrikels.
5.10 · Operative Verfahren
171 5
Prognose Als Komplikationen nach Herztransplantation sind Absto-
Durch Einsatz einer mechanischen Kreislaufunterstützung bei ßungsreaktionen besonders im ersten postoperativen Jahr von
therapierefraktärem kardiogenen Schock kann eine Prognose- Bedeutung. Es kann eine Transplantationsvaskulopathie auf-
verbesserung erzielt werden, insbesondere dann, wenn durch treten, die auf Grund der kardialen Denervierung meist asymp-
zeitliche Überbrückung weiterreichende, definitive Therapiever- tomatisch bleibt. Die Immunsuppression begünstigt Infektionen
fahren, seien sie interventionell kardiologisch oder kardiochirur- und langfristig die Entstehung von Malignomen. Als Nebenwir-
gisch, erreicht werden können. kung der Immunsuppressiva kann sich eine Hypertonie oder eine
Der Einsatz mechanischer Kreislaufunterstützungsverfahren Niereninsuffizienz manifestieren bzw. verschlechtern.
zur Überbrückung bis zur Herztransplantation vermag in geeig-
neten Fällen die Erfolgsaussichten zu verbessern. Nach erfolgter Weitere operative Verfahren
Transplantation ist die Einjahressterblichkeit der Patienten mit Die dynamische Kardiomyoplastie hat sich nicht bewährt und
präoperativ notwendiger mechanischer Kreislaufunterstützung ist verlassen worden. Andere operative Verfahren, die eine Vent-
um den Faktor 1,8 höher als die der Patienten, die einer solchen rikelverkleinerung bei exzessiver linksventrikulärer Dilatation
Unterstützung nicht bedürfen. (Batista-Verfahren) zum Ziel haben, sind inzwischen ebenfalls
Die wesentlichen Komplikationen der mechanischen Kreis- wieder verlassen worden, weil bei hoher operativer Letalität
laufunterstützung, insbesondere im längerfristigen Einsatz, sind ein prognostischer Erfolg sehr zweifelhaft war. An einigen Zent-
Blutung, Thromboembolie und Infektion. ren wird noch das Acorn-Verfahren durchgeführt, bei dem
um das Herz ein wenig elastisches Netz gelegt wird, um die wei-
tere Dilatation des linken Ventrikels zu begrenzen. Aus kardio-
5.10 Operative Verfahren logischer Sicht muss kritisch angemerkt werden, dass man
hier künstlich ein Panzerherz mit Compliance-Störung schafft.
Revaskularisation Eine kontrollierte Studie an 300 Patienten mit zumeist gleich-
Voraussetzung einer Myokardrevaskularisation wegen Herzinsuf- zeitiger Mitralklappenrekonstruktion zeigte keine Verbesserung
fizienz ist der Nachweis des ischämischen, vitalen Myokards und der Prognose.
bypassfähiger Koronarien. Trotz schwerer symptomatischer
Herzinsuffizienz (NYHA-Stadium III–IV) kann auch bei aus-
gewählten Patienten mit Ischämienachweis (»hibernating myo- 5.10.1 Andere interventionelle Verfahren
card« in mindestens 2 Hauptgefäßregionen, ≥50% vitales Myo-
kard, EF mindestens 20%, enddiastolischer linksventrikulärer Stammzelltherapie
Durchmesser <70–75 mm) eine Bypassoperation zu einer Ver- Der Stellenwert einer Stammzelltherapie im chronischen Stadium
besserung der Beschwerden und der Auswurffraktion führen. einer systolischen Herzinsuffizienz zur Verbesserung der Pump-
funktion ist derzeit nicht geklärt. Auch der Effekt auf die Prognose
Aneurysmaresektion ist noch offen. Daher stellt die Stammzelltherapie bei chronischer
Bei ausgewählten Patienten mit großem, abgrenzbarem Aneurys- Herzinsuffizienz ein experimentelles Verfahren dar, das allenfalls
ma kann eine Aneurysmaresektion die EF und die Herzinsuffi- im Rahmen von Studien durchgeführt werden sollte.
zienzsymptomatik verbessern. Voraussetzung ist ausreichendes
Restmyokard. Die Indikation wird im Einzelfall in enger Abspra- Perkutane Mitralanuloplastie
che mit der Kardiochirurgie gestellt. Da der Koronarsinus in anatomischer Nähe des Mitralklappen-
anulus verläuft, wurden verschiedene Devices zur katheterinter-
Mitralrekonstruktion ventionellen Implantation in den Koronarsinus entwickelt, um
Patienten mit funktioneller Mitralinsuffizienz, die sekundär durch eine funktionelle Mitralinsuffizienz bei schwerer systolischer
die Dilatation des linken Ventrikels bei schwerer systolischer Herzinsuffizienz zu vermindern. Hierbei wird der Durchmesser
Herzinsuffizienz entsteht, haben eine ungünstigere Prognose als des Mitralanulus im Sinne einer Anuloplastie verringert und da-
Patienten ohne Mitralinsuffizienz. Eine Mitralklappenrekons- mit das Regurgitationsvolumen reduziert. Langzeitverläufe und
truktion kann bei diesen Patienten die EF verbessern. Die peri- randomisierte Ergebnisse stehen aber noch aus.
operative Sterblichkeit bei Patienten mit einer mittleren EF von
23% lag bei etwa 5%. Bei isolierter Anuloplastie ist in etwa einem
Drittel mit einem Rezidiv der Mitralinsuffizienz zu rechnen. Bis- 5.10.2 Akut verschlechterte und therapieresistente
her ist unklar, ob durch eine Mitralklappenrekonstruktion die Herzinsuffizienz
langfristige Prognose günstig beeinflusst werden kann.
Ursachen und Symptomatik
Herztransplantation (7 Kap. 28)
! Cave
Bei Patienten mit schwerer therapieresistenter Herzinsuffizienz
Viele Patienten mit kompensierter Herzinsuffizienz in klinisch
ist eine Herztransplantation prinzipiell indiziert. In den meisten
relativ stabilem Zustand können unter zusätzlicher körperlicher
Zentren gelten Drogen-/Alkoholabusus, fehlende Compliance,
Belastung, im Rahmen eines Infekts oder nach Weglassen wich-
schwere andere Grunderkrankungen (z. B. Malignome mit <5-Jah-
tiger Medikamente (Diuretika, Antihypertensiva) eine akute Ver-
ren-Remission, systemische Infektionen, schwere Nieren-/Leber-
schlechterung ihres Befindens mit Lungenstauung und Atem-
funktionsstörung etc.) und eine fixierte pulmonale Hypertonie als
not erfahren.
Kontraindikationen für eine Transplantation. Die Altersgrenze
wird variabel gehandhabt. Die Fünfjahresüberlebensrate nach Besonders häufig tritt eine derartige Dekompensation auf, wenn
Herztransplantation liegt bei etwa 70–80%. der Sinusrhythmus in tachyarrhythmisches Vorhofflimmern um-
172 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

schlägt. Die hervorstechenden Symptome sind dann Dyspnoe bei Patienten stiegen unter Vasopressinantagonisten im Vergleich zu
geringster Belastung und psychische Unruhe. Placebo.
Die häufigsten Ursachen einer akuten Verschlechterung der Für den Vasopressionentagonisten Tolvaptan liegt eine
chronischen Herzinsuffizienz sind im 7 Abschn. 5.3.4 dargestellt. erste randomisierte placebokontrollierte Langzeitstudie vor. Bei
Der Luftnot liegt am häufigsten ein Anstieg des linksventriku- 4133 Patienten mit akut dekompensierter Herzinsuffizienz im
lären enddiastolischen Drucks zugrunde, ohne dass das Schlag- NYHA-Stadium III–IV und einer EF ≤40% fanden sich unter
volumen gesteigert wird. Bei der Tachyarrhythmia absoluta ist die Tolvaptan zwar eine schnellere Gewichtsreduktion und stärkere
Diastolendauer zu kurz, sodass der Ventrikel nicht entsprechend Flüssigkeitsausschwemmung nach einem kurzen Beobachtungs-
gefüllt wird (mangelnde Vordehnung) mit der Folge eines vermin- interval von 7 Tagen. Sterblichkeit und Hospitalisationsrate wurden
derten Herzminutenvolumens. Das Erreichen einer normalen jedoch nicht günstig beeinflusst (EVEREST-Studie). Es ist derzeit
Kammerfrequenz ist hier das primäre therapeutische Ziel. offen, ob Vasopressinantagonisten in Subgruppen mit besonders
5 ausgeprägter Hyponatriämie einen Stellenwert erhalten werden.
Kausale Therapie
Die Therapie einer akuten Verschlechterung der chronischen Nitrate/Nitroprussid
Herzinsuffizienz liegt in erster Linie im Erkennen der auslösen- Neben der Diuretikamedikation können auch Nitrate oder Nitro-
den Ursache. Hierzu zählen u. a. die Wiederherstellung einer prussid zur Vorlastsenkung eingesetzt werden (. Tab. 5.14). Ni-
ausreichenden Koronarperfusion bei akutem Myokardinfarkt, trate wirken vorwiegend über eine Dilatation der venösen Kapa-
eine Blutdrucksenkung bei hypertensiver Krise, die Terminie- zitätsgefäße. Ihr Einsatz muss von dem systolischen Blutdruck
rung tachykarder Rhythmusstörungen, die Operation akut auf- abhängig gemacht werden.
getretener Klappenvitien bzw. die Entlastung eines hämodyna-
misch relevanten Perikardergusses. Katecholamine
Steht ein Vorwärtsversagen mit persistierender Hypotonie nach
Vor- und Nachlastsenkung Volumengabe im Vordergrund, so wird die Therapie mit positiv-
Die symptomatische Therapie der akuten Herzinsuffizienz um- inotropen Substanzen erforderlich. Als Katecholamine kommen
fasst Allgemeinmaßnahmen wie Sauerstoffgabe, Sedierung des bei der Therapie der akut verschlechterten Herzinsuffizienz das
Patienten und bei pulmonaler Stauung Hochlagerung des Ober- synthetische Katecholamin Dobutamin und ggf. Adrenalin, Nor-
körpers. adrenalin sowie die Vorläufersubstanz Dopamin zum Einsatz
(. Tab. 5.15).
Diuretika Die Stimulation von β-Adrenorezeptoren führt über eine Ak-
Bei gesteigerter Vorlast, speziell beim Auftreten einer Dyspnoe tivierung der Adenylatzyklase zu einer Steigerung des zellulären
im Rahmen eines Lungenödems, ist die Gabe von schnell wirk- cAMP-Gehaltes (. Abb. 5.26). Die positiv-inotropen Effekte wer-
samen Diuretika induziert. Die i.v.-Applikation von Schleifen- den vornehmlich durch β1-Agonisten (z. B. Dobutamin) bewirkt;
diuretika führt innerhalb von 10–15 min zu einer Senkung der dagegen kommt es nach Gabe von β2-Sympathomimetika beson-
Vorlast. Da die Senkung des Lungengefäßdrucks vor der mess- ders zu einem vasodilatierenden, aber auch zu einem positiv-ino-
baren diuretischen Wirkung einsetzt, wird ein venendilatieren- tropen Effekt (z. B. Dopexamin).
der Effekt der Schleifendiuretika angenommen. Diese frühe Wir-
> Die Gabe von β-Sympathomimetika bewirkt akut eine Zunahme
kung ist aber an eine funktionstüchtige Niere, ein aktiviertes RAS
der Herzauswurfleistung über eine Erhöhung des Schlagvo-
sowie die renale Prostaglandinsynthese gebunden. Die etwas
lumens, eine Zunahme der Herzfrequenz und eine Abnahme
später einsetzende Diurese führt zu einer Verminderung des zir-
der Nachlast (besonders bei β2-Adrenozeptoragonisten).
kulierenden Blutvolumens und damit zu einer Besserung der
Hämodynamik. Die Wahl der verschiedenen Katecholamine erfolgt entsprechend
weiterer sympathomimetischer Wirkungen auf α-Rezeptoren der
Vasopressinantagonisten Gefäße sowie auf Dopaminrezeptoren der Nierenarteriolen.
Eine Hyponatriämie bei Herzinsuffizienz ist in der Regel eine
Verdünnungshyponatriämie und gilt als unabhängiger Risikofak- Dobutamin
tor. Die Konzentration von Vasopressin, das zur Resorption von Therapeutische Erfahrungen bei der chronischen Herzinsuffizi-
freiem Wasser führt, ist bei der Herzinsuffizienz erhöht. Durch enz bestehen v. a. mit dem synthetischen β-Adrenozeptoragonis-
Vasopressinantagonisten konnte bei Patienten mit dekompen- ten Dobutamin. Dobutamin besitzt vorwiegende Wirkungen auf
sierter Herzinsuffizienz und Flüssigkeitsretention die Wirkung β1-Adrenozeptoren. Nach der Stimulation resultiert ein positiv-
von Diuretika deutlich verstärkt werden, ohne negativen Effekt inotroper Effekt, der durch eine Erhöhung des zellulären cAMP-
auf die Nierenfunktion (Kreatininwerte) oder die Serumkalium- Gehalts entsteht. Die Substanz hat in therapeutischer Dosierung
konzentration. Die Natriumspiegel initial hyponatriämischer geringe Nebenwirkungen und führt trotz ausgeprägter Wirkun-

. Tab. 5.14. Vasodilatoren bei akut verschlechterter Herzinsuffizienz


Substanz Klinische Voraussetzung Dosierung Evidenz
Glyceryltrinitrat, 5-Mononitrat Adäquater Blutdruck 20–200 mg/min Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B
ISDN Adäquater Blutdruck 1–10 mg/h Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B
Na-Nitroprussid Dominierende Nachlasterhöhung 0,3–5 mg/kgKG/min Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C
(z. B. hypertensive Krise)
5.10 · Operative Verfahren
173 5

. Tab. 5.15. Inotropika bei akut verschlechterter Herzinsuffizienz


Substanz Vorwiegender Wirkmechanismus Dosierung [μg/kgKG/min] Evidenz
Dobutamin β1-Rezeptorstimulation 2–10 Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C
Dopamin Dopaminrezeptorstimulation <3 Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad C
β1-/β2-Rezeptorstimulation 3–5
α-/(β1-)Rezeptorstimulation >5
Milrinon PDE-III-Hemmung 0,375–0,75 Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad C
Enoximon 1,25–7,5
Levosimendan Ca2+-Sensitizer 0,05–0,2 Empfehlungsgrad IIb, Evidenzgrad C
Noradrenalin α-Rezeptorstimulation 0,2–1,0 »Reservemittel«
Adrenalin α/β1-Rezeptorstimulation 0,05–0,5

. Abb. 5.26. Zelluläre Mechanismen, die am Myokard und am glatten Gs stimulatorisches G-Protein, C katalytische Untereinheit der Adenylat-
Gefäßmuskel zu einem positiv-inotropen bzw. vasodilatativen Effekt zyklase, PDE Phosphodiesterase, PDE-I Phosphodiesterasehemmstoff,
über cAMP führen. Einzelheiten s. Text. Ag Agonist, βAR β-Adrenozeptor, SR sarkoplasmatisches Retikulum, MLCK Myosinleichtkettenkinase

gen auf die myokardiale Kontraktilität nur zu einer mäßiggradi- β-Adrenozeptoragonisten einer Toleranzentwicklung. Diese To-
gen Frequenzsteigerung. leranzentwicklung beruht wahrscheinlich auf einer Desensibi-
Dobutamin hat ausgeprägte Akutwirkungen. Die Zunahme lisierung des β-Adrenozeptor-Adenylatzyklase-Systems.
des Herzminutenvolumens, die Zunahme der Herzfrequenz und Zur Umgehung der Toleranzentwicklung wurde die intermit-
der kardialen Kontraktilität nehmen jedoch innerhalb von 72 h tierende Therapie mit Dobutamin bei schwerer Herzinsuffizienz
stetig ab. Nach einer Zeit von 96 h verschwinden der positiv-ino- (NYHA-Stadium III–IV) in 48-h-Intervallen untersucht. Es ver-
trope und der positiv-chronotrope Effekt von Dobutamin vollstän- besserte sich zwar die Belastungstoleranz in der Verumgruppe,
dig. Dementsprechend unterliegt die kontinuierliche Gabe von allerdings auf Kosten einer deutlichen Übersterblichkeit der Pa-
174 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

tienten, die Dobutamin erhielten. Daraus folgt, dass wohl selbst Daraus resultieren systolisch eine vermehrte Freisetzung von
bei intermittierender Gabe die Steigerung der Herzauswurfleis- Kalzium und diastolisch eine beschleunigte Kalziumwiederauf-
tung durch Stimulation kardialer β-Adrenozeptoren nicht von nahme. Diese Mechanismen führen daher systolisch zu einer
einer lebensverlängernden Wirkung begleitet ist. erhöhten zellulären Kalziumkonzentration, die die Kontraktions-
kraftsteigerung bewirkt (positiv-inotroper Effekt). Die beschleu-
Weitere Katecholamine nigte Wiederaufnahme von Kalzium in das sarkoplasmatische
Dopamin stimuliert in niedriger Dosis vorwiegend Dopamin- Retikulum (gemeinsam mit dieser cAMP-abhängigen Phospho-
rezeptoren. Eine Steigerung der Dopamindosis führt zu einer rylierung von TnI) führt zu einer Relaxationsbeschleunigung des
zusätzlichen β1-Rezeptorstimulation und schließlich α-Stimula- Herzmuskels (positiv-lusitroper Effekt). Wesentlich zur Kontrak-
tion mit peripherer Vasokonstriktion. Im Gegensatz zu Dobuta- tionssteigerung am Herzen ist die Phosphodiesterase (PDE) III.
min steigert Dopamin in höherer Dosierung deutlich die Herz-
5 frequenz. Wirkung auf die Gefäßmuskulatur. Am glatten Gefäßmuskel
Sind die positiv-inotropen Effekte von Dobutamin oder Do- führt die Aktivierung der Proteinkinase A durch cAMP ebenfalls
pamin nicht ausreichend zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks, zu einer beschleunigten Sequestrierung von Kalzium in das sar-
kann Adrenalin mit seiner ausgeprägteren vasokonstriktorischen koplasmatische Retikulum (durch die Phosphorylierung einer
Wirkung kurzfristig eingesetzt werden. Besteht eine deutliche kalziumabhängigen ATPase).
Vasodilatation, z. B. bei zusätzlich septischem Kreislaufgesche- Darüber hinaus wird durch cAMP die regulatorische »Myo-
hen (peripherer Widerstand <800 dyn×s×cm-5), ist die Gabe von sin-light-chain«-Kinase phosphoryliert. Dieses Enzym wird durch
Noradrenalin mit der stärksten vasokonstriktorischen Wirkung die Phosphorylierungsreaktion in seiner Aktivierung gehemmt.
sinnvoll. Die Dosierung der Katecholamine richtet sich nach dem Der letztgenannte Schritt verschiebt das Gleichgewicht von der
klinischen Effekt. Alle Katecholamine sollten nur vorübergehend phosphorylierten zur dephosphorylierten Form von Myosin, was
bis zu einer kausalen Therapie eingesetzt werden; eine Langzeit- zu einer Relaxation der glatten Gefäßmuskelzelle beiträgt.
behandlung führt zu einer Übersterblichkeit der Patienten. Neben der PDE-III-Hemmung wurden für einige PDE-
Hemmstoffe weitere Mechanismen beobachtet, die an einem po-
! Cave
sitiv-inotropen Effekt beteiligt sein könnten (7 Übersicht 5.16).
β-Agonisten sind nur bei der akuten oder dekompensierten,
nicht bei der chronischen stabilen Herzinsuffizienz anwendbar.
Übersicht 5.16. Phosphodiesterasehemmstoffe
Inodilatatoren (cAMP-Phosphodiesterase-
Hemmstoffe) Mechanismen
Bei der akuten Herzinsuffizienz können cAMP-PDE-Hemmstoffe 4 Phosphodiesteraseisoenzym-III-Hemmung
die Hämodynamik verbessern und damit indiziert sein. 4 Erhöhung des zellulären cAMP-Gehalts
4 Sensibilisierung der kontraktilen Proteine für Kalzium
> Bei der chronischen Herzinsuffizienz werden PDE-Hemmstoffe (Pimobendan, Sulmazol)
nur zur Behandlung der exazerbierten, sonst therapierefrak- 4 Aktionspotenzialverlängerung (Pimobendan)
tären Herzinsuffizienz und zur Überbrückung bis zu einer Herz- 4 Funktionshemmung von Giα-Proteinen (Amrinon,
transplantation eingesetzt. Milrinon, Piroximon, Sulmazol)
4 Adenosin-α1-Rezeptorantagonismus (UDCG212-CI,
Wirkmechanismus Saterinon, Amrinon, Enoximon, Milrinon, Piroximon)
Der Mechanismus, mit dem eine Kontraktionskraftsteigerung 4 Hemmung der Na+/K+-ATPase (Enoximon)
am Herzen und eine Relaxation im Sinne einer Nachlastsenkung 4 Noradrenalinfreisetzung (Milrinon)
am glatten Gefäßmuskel erreicht werden kann, ist eine Akku- 4 α1-Adrenozeptorantagonismus (Saterinon)
mulation von zellulärem cAMP. Somit bewirken Substanzen, die Wirkungen
die zytosolische cAMP-Konzentration durch Stimulation der 4 Positive Inotropie (Zunahme der Kontraktionskraft)
Synthese oder der Hemmung des Abbaus erhöhen, sowohl eine 4 Positive Chronotropie (Zunahme der Herzfrequenz)
Relaxation der Gefäße als auch eine Kontraktionskraftsteigerung 4 Positive Dromotropie (Zunahme der AV-Überleitung)
des Herzmuskels. 4 Positive Bathmotropie (Zunahme der intraventrikulären
Phosphodiesterasehemmstoffe führen über eine Hemmung Leitungsgeschwindigkeit)
der Hydrolyse von cAMP zu 5’-AMP zu einer Steigerung des 4 Vasodilatation
zellulären cAMP-Gehalts. Da sowohl die Wirkung am glatten
Muskel als auch an der Herzmuskulatur sehr ausgeprägt ist,
spricht man auch von Inodilatatoren. Klinische Studien
Die positiv-inotrope Wirkung von PDE-Hemmstoffen, die unter
Wirkung auf den Herzmuskel. Am Herzmuskel führt cAMP zu Umgehung von β-Adrenozeptoren den zellulären cAMP-Gehalt
einer Aktivierung der cAMP-abhängigen Proteinkinase A, die erhöhen, war bei Herzinsuffizienz vermindert. Da die kardialen
über eine Phosphorylierung von Kalziumkanälen den langsamen cAMP-PDE-Isoenzyme bei Herzinsuffizienz unverändert sind,
Kalziumeinwärtsstrom erhöht. Das über die Zellmembran ein- sprechen diese Ergebnisse dafür, dass nicht nur die Abnahme
strömende Kalzium triggert eine Kalziumfreisetzung aus dem kardialer β-Adrenozeptoren, sondern auch die Verminderung
sarkoplasmatischen Retikulum. Das sarkoplasmatische Retiku- der basalen cAMP-Bildung bei der Abnahme der positiv-ino-
lum (Phospholamban) wird durch die Proteinkinase A allerdings tropen Wirkungen sowohl von β-Sympathomimetika als auch
auch selbst phosphoryliert. von PDE-Hemmstoffen eine Bedeutung hat.
Literatur/Leitlinien
175 5

Klinisch stehen Amrinon, Enoximon und Milrinon zur 180 Tagen zu einer signifikant niedrigeren Sterblichkeit, was aber
Verfügung. Die akute Verbesserung der Hämodynamik durch kein vordefinierter Studienendpunkt war. Darüber hinaus fanden
PDE-III-Hemmer basiert auf der peripheren Vasodilatation und sich unter Levosimendan deutlich seltener Arrhythmien. In der
der positiv-inotropen Wirkung. Es kommt zu einer Steigerung des größeren SURVIVE-Studie konnte diese Überlegenheit von Le-
HZV und zu einer Abnahme der pulmonalarteriellen Drücke. Der vosimendan im Vergleich zu Placebo bei 1327 Patienten mit akut
günstige akute Effekt ist bei längerer Gabe aber transient. So konn- verschlechterter systolischer Herzinsuffizienz jedoch nicht be-
te beobachtet werden, dass nach einer oralen Gabe von 600 mg stätigt werden. Die Gesamtsterblichkeit nach 180 Tagen und die
Amrinon täglich der günstige Effekt auf die kardiale Auswurfleis- Häufigkeit von Nebenwirkungen, auch Rhythmusstörungen,
tung sein Maximum nach 48 h erreichte. Diese verbesserten hämo- waren in beiden Therapiegruppen nicht unterschiedlich.
dynamischen Parameter waren allerdings nach 2–10 Wochen
unter Therapie wieder auf die Kontrollwerte abgesunken. Nach Rekombinantes BNP
Absetzen von Amrinon verschlechterte sich sogar die kardiale Nesiritide, ein humanes rekombinantes BNP, dessen Amino-
Auswurfleistung gegenüber der Situation vor Therapiebeginn. säuresequenz mit der des endogenen BNP identisch ist, bindet an
Dieses Fortschreiten der linksventrikulären Dysfunktion wurde Rezeptoren der vaskulären glatten Muskelzellen und führt zur
von einer Zunahme der Herzfrequenz und einer Aktivierung des venösen Relaxation vorwiegend über eine Stimulation von cGMP.
Plasmarenins begleitet. Darüber hinaus weist Nesiritide natriuretische und diuretische
Zudem wurde wie für Katecholamine gezeigt, dass eine län- Wirkungen auf, die unabhängig von den hämodynamischen Ef-
gerfristige Gabe von PDE-Hemmstoffen bei Patienten mit höher- fekten sind. Zentral inhibiert Nesiritide den Sympathikotonus
gradiger Herzinsuffizienz (u. a. PROMISE-Studie, NYHA-Sta- und reduziert die systemischen Neurohormonspiegel von Endo-
dium III–IV) eine Übersterblichkeit bedingt. Die chronische thelin I und Aldosteron.
Verabfolgung dieser Substanzen führt auch nicht zu einer dauer- Hämodynamisch führt Nesiritide zu einer Abnahme des
haften klinischen Verbesserung dieser Patienten. PCWP, des pulmonalarteriellen Drucks, des rechtsatrialen Drucks
Über die Mechanismen dieser fehlenden Langzeitwirkung und zu einer Verminderung des systemvaskulären Widerstands.
kann spekuliert werden. Es kann durch die Potenzierung der Sekundär resultiert ein Anstieg des kardialen Schlagvolumens
cAMP-abhängigen Effekte endogener Katecholamine und durch und Herzindex. Diese positiven hämodynamischen Effekte wer-
die Hemmung der cAMP-PDE ein proarrhythmischer Effekt aus- den ohne eine Veränderung der Herzfrequenz erzielt. Während
gelöst werden, der sich nachteilig auf die Überlebenszeit auswirkt. erste Studien eine hämodynamische Gleichwertigkeit mit Dobu-
Bemerkenswert ist die Zunahme kompensatorischer Gegenregu- tamin, aber geringere arrhythmogene Effekte andeuteten, ergab
lationsmechanismen, die bei Herzinsuffizienz ein Fortschreiten eine Metaanalyse eine mögliche Übersterblichkeit unter Neseri-
der Erkrankung mitbedingen können. So wurde eine Zunahme tide. In Deutschland hat Neseritide bei der Therapie der akut ver-
der Plasmareninaktivität beobachtet. schlechterten Herzinsuffizienz derzeit keinen Stellenwert.
Ob sich im Verlauf einer längeren Therapie mit PDE-Hemm-
stoffen auch die Aktivität des sympathischen Nervensystems Weitere Therapieoptionen
steigert, ist nicht hinreichend untersucht. Die ausgeprägten Bei rezidivierenden Dekompensationen ist es selbstverständlich,
nachlastsenkenden Effekte durch PDE-Hemmstoffe machen die Vorbereitung zur Herztransplantation rasch anzustreben
eine reflektorische Aktivierung des Sympathikus aber wahr- (7 Kap. 28). Gegebenenfalls müssen überbrückend mechanische
scheinlich. Letztlich erhöht sich durch den positiv-chronotro- Kreislaufunterstützungsverfahren zum Einsatz kommen (7 Ab-
pen und den positiv-inotropen Effekt der Energiebedarf des schn. 5.9).
Herzens; dies könnte ebenfalls zu einer Progression der Erkran-
kung führen.
Wie Katecholamine, so sollten PDE-Inhibitoren nur vorüber- Literatur/Leitlinien
gehend zur Stabilisierung einer akuten Situation eingesetzt wer-
den. In der Akuttherapie kann der Effekt bei gemeinsamer Gabe Hoppe UC, Böhm M, Dietz R et al. (2005) Leitlinien zur Therapie der chroni-
mit einem β-Adrenozeptoragonisten wie Dobutamin deutlich schen Herzinsuffizienz. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für
Kardiologie. Z Kardiol 94: 488–509
verstärkt werden.
Hunt SA, Abraham WT, Chin MH et al. (2005) ACC/AHA 2005 guideline
update for the diagnosis and management of chronic heart failure in
Ca2+-Sensitizer
the adult: a report of the American College of Cardiology/American
Ca2+-Sensitizer wurden von den PDE-Hemmstoffen abgeleitet. Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Commit-
Klinisch steht zurzeit Levosimendan zur Verfügung. Im Gegen- tee to Update the 2001 Guidelines for the Evaluation and Manage-
satz zu früheren Ca2+-Sensitizern weist Levosimendan nur unter ment of Heart Failure): developed in collaboration with the American
experimentellen Bedingungen PDE-inhibitorische Wirkungen College of Chest Physicians and the International Society for Heart
auf, die in klinischen Dosierungen jedoch unbedeutsam erschei- and Lung Transplantation: endorsed by the Heart Rhythm Society.
nen. Levosimendan führt über eine Stabilisierung des Ca2+/TnC- Circulation 112: e154–235
Komplexes zu einer Steigerung der myokardialen Kontraktilität Jung W, Andresen D, Block M et al. (2006) Leitlinie zur Implantation von
Defibrillatoren. Clin Res Cardiol 95: 696–708
ohne negativen Einfluss auf die Relaxation. Darüber hinaus re-
Nieminen MS, Bohm M, Cowie MR et al. (2005) Executive summary of
sultiert eine Vasodilatation durch Öffnung ATP-abhängiger Ka-
the guidelines on the diagnosis and treatment of acute heart failure:
lium-Kanäle. the Task Force on Acute Heart Failure of the European Society of
In der LIDO-Studie war die i.v.-Gabe von Levosimendan Cardiology. Eur Heart J 26: 384–416
einer Dobutamintherapie bei schwerster dekompensierter Herz- Paulus WJ, Tschope C, Sanderson JE et al. (2007) How to diagnose diastolic
insuffizienz überlegen. Unter Levosimendan kam es häufiger zu heart failure: a consensus statement on the diagnosis of heart failure
einer Verbesserung der Hämodynamik und im Verlauf von with normal left ventricular ejection fraction by the Heart Failure and
176 Kapitel 5 · Chronische Herzinsuffizienz

Echocardiography Associations of the European Society of Cardiolo- Zipes DP, Camm AJ, Borggrefe M et al. (2006) ACC/AHA/ESC 2006 Guide-
gy. Eur Heart J 28: 2539–2550 lines for management of patients with ventricular arrhythmias and
Swedberg K, Cleland J, Dargie H et al. (2005) Guidelines for the diagnosis and the prevention of sudden cardiac death: a report of the American
treatment of chronic heart failure: executive summary (update 2005): College of Cardiology/American Heart Association Task Force and the
the Task Force for the Diagnosis and Treatment of Chronic Heart Failure European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines
of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 26: 1115–1140 (Writing Committee to develop Guidelines for Management of Pa-
Tang WH, Francis GS, Morrow DA et al. (2007) National Academy of Clinical tients With Ventricular Arrhythmias and the Prevention of Sudden
Biochemistry Laboratory Medicine practice guidelines: clinical utiliza- Cardiac Death): developed in collaboration with the European Heart
tion of cardiac biomarker testing in heart failure. Circulation 116: Rhythm Association and the Heart Rhythm Society. Circulation 114:
e99–109 e385–484

5
177 6

Schock
U. Müller-Werdan, M. Buerke, G. Söffker, M. Ruß, H. Loppnow, H. Schmidt, K. Werdan

6.1 Schockdefinitionen – 177 6.3.4 Monitoring – 196


6.1.1 Hypovolämischer Schock – 178 6.3.5 Prädiktoren des kardiogenen Schocks – 199
6.1.2 Kardiogener Schock – 180
6.1.3 Extrakardial-obstruktiver Schock – 181 6.4 Therapieprinzipien bei Schock – 199
6.1.4 Verteilungsschock – 181 6.4.1 Therapieziele – 199
6.1.5 Septischer Schock – 181 6.4.2 Kardiopulmonale Reanimation – 199
6.1.6 Anaphylaktischer Schock – 182 6.4.3 Stabilisierung von Herz-Kreislauf-System und Lungen-
6.1.7 Neurogener Schock – 182 funktion – 203
6.1.8 Nebennierenkrise – 183 6.4.4 Stress- und Schmerzbekämpfung – 204
6.1.9 Seltene Schockformen – 183 6.4.5 Therapie der metabolischen Acidose – 204
6.4.6 Volumentherapie – 204
6.2 Pathophysiologie des Schocks – 183 6.4.7 Inotrope und vasoaktive Substanzen – 207
6.2.1 Störung der Makrozirkulation – 183 6.4.8 Optimierung des Intravasalvolumens – 210
6.2.2 Störung der Mikrozirkulation – 184 6.4.9 Neue Therapieansätze zur Schockbehandlung – 210
6.2.3 Störung der Organperfusion – 185 6.4.10 Gerinnungsaktive Substanzen – 211
6.2.4 Sauerstoffmangel – 186 6.4.11 Hypothermie/»cooling« – 211
6.2.5 Toxine – 187 6.4.12 Pharmakotherapie des kritisch Kranken – 211
6.2.6 Mediatoren – 188
6.2.7 Zellstoffwechsel und Apoptose im septischen 6.5 Multiorgandysfunktionssyndrom – 212
Schock – 190 6.5.1 Einführung – 212
6.2.8 Zelluläre Mechanismen der akuten septischen Kardio- 6.5.2 Schweregradeinteilung durch Score-Systeme – 213
myopathie – 190
6.2.9 Reperfusionsschaden – 191 6.6 Spezifische Schockformen – 215
6.2.10 Neurohumorale und para-/autokrine Adaptation – 191 6.6.1 Kardiogener Schock – 215
6.2.11 Autonome Dysfunktion – 193 6.6.2 Septischer Schock – 224
6.6.3 Hypovolämischer Schock – 232
6.3 Diagnostik und Monitoring des Schocks – 194 6.6.4 Traumatischer Schock – 233
6.3.1 Klinische Diagnostik – 194 6.6.5 Anaphylaktischer Schock – 234
6.3.2 Labordiagnostik – 195
6.3.3 Technisch gestützte Diagnostik – 196 Literatur – 235

)) Die Reduktion der effektiven Gewebeperfusion kann dabei


durch eine Abnahme der Herzleistung, durch Störungen der Ma-
Schock bezeichnet die gemeinsame Endstrecke unterschied- kro- sowie Mikrozirkulation mit verminderter Perfusion, durch
licher Erkrankungen, charakterisiert durch ein Herz-Kreislauf-Ver- eine kritische Abnahme des Blutvolumens, eine Beeinträchtigung
sagen mit vielfältigen Ursachen und Angriffspunkten, häufig mit der O2-Aufnahme in der Lunge und der O2-Abgabe im Gewebe
letalem Ausgang. Schockfolge ist eine tief greifende und ausge- hervorgerufen werden. Zur Beeinträchtigung essenzieller Zell-
dehnte Reduktion der effektiven Durchblutung und/oder eine funktionen kommt es im Gefolge einer exogenen Intoxikation,
schwere Beeinträchtigung essenzieller Zellfunktionen lebens- einer endogenen Überschwemmung mit Mediatoren (7 Ab-
wichtiger Organe, zunächst reversibel (MODS) und schließlich schn. 6.2.6) oder endokrin/metabolischer Krisen.
mit irreversibler Zellschädigung. Klar zu trennen vom Schockbegriff sind die Synkope
(7 Kap. 9) und der Kollaps. Eine passagere kritische Herabsetzung
der Gehirndurchblutung mit gleichzeitiger Bewusstlosigkeit wird
6.1 Schockdefinitionen als Synkope bezeichnet. Nicht immer ist damit eine allgemeine
Kreislaufinsuffizienz vergesellschaftet. Bei einem Kollaps über-
Die Definition des Schocks hat seit der Erstbeschreibung des Be- wiegen vagale Reaktionen, das Ereignis ist von kurzer Dauer, und
griffes »choc« durch den französischen Chirurgen Le Dran 1737 Organschäden infolge O2-Mangels treten nicht auf.
einen steten Wandel erfahren. Neben den allen Schockformen Von den publizierten Schockklassifikationsversuchen er-
gemeinsamen klinischen Charakteristika (arterielle Hypotonie, scheint die Schockeinteilung nach hämodynamischen Gesichts-
Tachypnoe, Tachykardie, Bewusstseinsstörung und Oligo- bis punkten für den Kliniker am hilfreichsten (Adams et al. 2001;
Anurie) finden sich entsprechend den unterschiedlichen Ursa- Kumar u. Parrillo 2001; . Tab. 6.1 und 6.2). Diese Klassifizierung
chen auch schockformenspezifische Befunde. darf jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass es sich bei den
178 Kapitel 6 · Schock

verschiedenen Formen immer um hämodynamisch klar um- 6.1.1 Hypovolämischer Schock


schriebene Schockentitäten handelt: So steht beim septischen
Schock zwar das Bild des Verteilungsschocks im Vordergrund, Klassifikation
vor der Volumensubstitution findet sich jedoch regelhaft eine Aufgrund der verminderten Vorlast sind die diastolischen Vent-
Hypovolämiekomponente, und bei vielen Sepsispatienten lässt rikeldrücke und -volumina sowie der Herzindex und der Schlag-
sich darüber hinaus auch eine Myokarddepression nachweisen. volumenindex reduziert; die gemischtvenöse O2-Sättigung kann
Weiterhin kann jede Form des Schocks zu einer kritischen Re- erniedrigt und die arteriovenöse O2-Differenz erhöht sein
duktion des Koronarperfusionsdrucks führen und damit eine (. Tab. 6.2). Das klinische Erscheinungsbild wird vom Ausmaß
ischämiebedingte Pumpfunktionseinschränkung herbeiführen. des Volumenverlustes bestimmt (Christ u. Lackner 2004).

. Tab. 6.1. Schockklassifikationen


Schockklassifikation Ursachen Auslöser
6 Hypovolämischer Blutverlust Blutungen (gastrointestinal, retroperitoneal), Trauma
Schock
Plasmaverlust/ Verbrennungen
-umverteilung Anaphylaxie
Flüssigkeits-/ Dehydratation
Wasserverlust Erbrechen
Diarrhö
Polyurie
Diabetische Entgleisung
Gesteigerte Sepsis
Gefäßkapazität Anaphylaxie
(Vasodilatation) Toxine
Pharmaka
Kardiogener Schock Myogen Myokardinfarkt (linker Ventrikel, rechter Ventrikel)
Kardiomyopathien (ischämisch, hypertensiv, dilatativ, restriktiv, septisch, endokrin-metabolisch u. a.)
Myokarditis
Myokardkontusion
Pharmakonkardiotoxizität/Intoxikationen (Zytostatika – speziell Anthrazykline –, Kalziumanta-
gonisten, β-Rezeptorenblocker, Antiarrhythmika)
Hypoxie
Mechanisch Herzklappenerkrankung (Stenose, Insuffizienz)
Hypertrophische Kardiomyopathie
(Ventrikel-)Septumdefekt
Intrakavitäre Flussbehinderung (Vorhofthromben, Myxom, andere Herztumoren)
Rhythmogen Bradykardie schweren Ausmaßes
Tachykardie schweren Ausmaßes

Extrakardial- Gestörte diasto- Direkte Venenobstruktion (V. cava superior, inferior) durch Kompression, Infiltration, Thrombus
obstruktiver Schock lische Füllungs- Erhöhter intrathorakaler Druck (verminderter transmuraler Druckgradient) durch Spannungspneumo-
funktion thorax, infolge Asthma, bei mechanischer Beatmung
Verminderte Dehnbarkeit des Herzens
Konstriktive Perikarditis
Perikardtamponade durch akute Ventrikelruptur bei Herzinfarkt, Trauma, Hämorrhagie (nach Antikoa-
gulation, Fibrinolyse) oder chronisch maligner, urämischer, entzündlicher Genese, idiopathisch
Gestörte systo- Rechter Ventrikel
lische Funktion Lungenembolie
(Nachlasterhö- Akute und exazerbierte chronische pulmonale Hypertonie
hung) Linker Ventrikel
Aortendissektion
Sattelembolus
Verteilungsschock Septisch Bakterien, Pilze, Viren, Rickettsien
(distributiver Schock) Toxisches
Schocksyndrom
Anaphylaktisch/
anaphylaktoid
Neurogen
Endokrin Phäochromozytom, thyreotoxische Krise
Toxisch
6.1 · Schockdefinitionen
179 6

. Tab. 6.2. Hämodynamische Schockprofile. (Mod. nach Kumar u. Parrillo 2001)


Schock- Ursache HI SVR PCD ZVD MVO2 Bemerkungen/Pulmonalarterienkatheter-/PiCCO-/
klassifikation Doppelerechokardiographie(DE)-Diagnostik
Hypovolämi- Blutung ↓↓ ↑↑ ↓↓ ↓↓ ↓
scher Schock ↓↓ ↑↑ ↓↓ ↓↓ ↓
Plasmaflüssigkeits-
verlust
Kardiogener Pumpversagen ↓↓ ↑↑ ↑↑ ↑↑ ↓ Funktionsverlust >40% des LV
Schock
Mechanische Dysfunktion
Akuter Ventrikelsep- ↓↓ ↑ n/↑ ↑↑ ↑/↑↑ O2-Sättigungssprung auf RV-Ebene
tumdefekt RV-HI (PA)
RV-HI>LV-HI bei Links-rechts-Shunt
>LV-HI
DE: Shunt-Nachweis
Akute Mitralinsuffizi- ↓↓ ↑↑ ↑↑ ↑/↑↑ ↓ Hohe v-Welle in PCD-Position
enz
DE: Mitralinsuffizienznachweis
Rechtsherzinfarkt ↓↓ ↑↑ ↓/n/↑ ↑↑ ↓ Hohe RA- und RV-Drücke bei niedrigem oder normalem
PCD
PCD mäßig erhöht bei großem LV-Hinterwandinfarkt
Extrakardial- Perikardtamponade ↓/↓↓ ↑ ↑↑ ↑↑ ↓ Dip-Plateau-Phänomen bei RV- und LV-Druckregistrie-
obstruktiver rungen
Schock Druckangleich (<5 mmHg Differenzen) RA, RVEDP,
PA diast., PCD, LVEDP
DE: Perikarderguss
Lungenembolie ↓↓ ↑ n/↓ ↑↑ ↓ EKG und DE diagnostisch hilfreich
Hohe Rechtsherz-/Pulmonalisdrücke bei normalem oder
niedrigem PCD
Aortendissektion ↓/↓↓ ↑ ↑ ↑ ↓ DE: Diagnose-weisend
Verteilungs- Sepsis ↑↑/↑/n ↓/↓↓ ↓/n ↓/n ↑/↑↑ »Hyperdynamer Schock« (HI ↑, SGW ↓) nur nach ad-
schock äquater Flüssigkeitssubstitution, zuvor »hypodynamer
Schock«
Anaphylaxie ↑↑/n ↓/↓↓ ↓/n ↓/n ↑↑/↑
selten
Die hämodynamischen Profile gelten für Patienten im Schock (mittlerer Blutdruck <60–65 mmHg) mit den genannten Diagnosen (»Ursache«).
HI Herzindex; SVR systemischer Gefäßwiderstand; PCD Pulmonalkapillardruck; ZVD zentraler Venendruck; MVO2 gemischtvenöse O2-Sättigung; PA
Pulmonalarterie; RA rechter Vorhof; RV rechter Ventrikel; LV linker Ventrikel; RVEDP rechtsventrikulär-enddiastolischer Druck; LVEDP linksventrikulär-
enddiastolischer Druck; DE Dopplerechokardiographie; ↑↑ bzw. ↓↓ mäßige bis ausgeprägte Zunahme bzw. Abnahme; ↑ bzw. ↓ geringe bis mäßige
Zunahme bzw. Abnahme

Ein Verlust von 15% (Stadium I) des zirkulierenden Blutvo- kündigt eine ungünstige Prognose mit in der Regel irreversiblem
lumens wird in der Regel gut toleriert; lediglich die auftretende hämorrhagischen Schock an. Besteht ein Blutverlust von 40%
Tachykardie kann auffällig sein. Trotz einer kompensatorischen oder mehr über einen Zeitraum von 2 h oder sogar länger, muss
Steigerung der Myokardkontraktilität kann hämodynamisch ein bereits mit der Erfolglosigkeit der dann eingeleiteten Maßnah-
geringer Abfall des Herzindex resultieren, verbunden mit einer men gerechnet werden.
leichten Zunahme des SVR, insbesondere dann, wenn der Blut-
> Prognostisch ungünstige Faktoren beim hypovolämischen
druck durch Sympathikusaktivierung konstant gehalten wird.
Schock sind die Geschwindigkeit des Auftretens des Volumen-
Bei einem Volumenverlust von 15–35% (Stadium II) begin-
verlustes (je rascher, desto ungünstiger) und eine vorbestehen-
nen die Kompensationsmechanismen zu versagen, es treten eine
de Einschränkung der Herzfunktionsreserve (z. B. bei Zustand
milde bis mäßige Hypotonie, eine Abnahme des Herzindex und
nach Herzinfarkt).
eine Orthostase auf. Der SVR nimmt beträchtlich zu, und die
Serumlaktatkonzentration kann ansteigen. Traumapatienten, die Der hypovolämische Schock ist mehr als nur eine mechanische,
35–40% ihres Blutvolumens verloren haben (Stadium III), weisen adaptativ-kompensatorische Reaktion auf den eingetretenen Ver-
eine ausgeprägte Tachykardie, eine Hypotension und Bewusst- lust des zirkulierenden Blutvolumens. Er beinhaltet auch das In-
seinsstörungen auf. gangsetzen fehllaufender, überschießender Antworten des Orga-
Ein hypovolämischer Schock manifestiert sich bei einem nismus im Sinne einer SIRS (. Tab. 6.3). Letzteres dürfte entschei-
Verlust von über 40% (Stadium IV) des zirkulierenden Volu- dend dazu beitragen, dass bei einem prolongierten hypovolä-
mens, es resultiert ein Abfall des Herzindex und der Gewebeper- mischen Schock die eingeleitete Therapie trotz adäquater
fusion auf weniger als die Hälfte. Die auftretende Laktatacidose Volumensubstitution nicht mehr erfolgreich ist.
180 Kapitel 6 · Schock

. Tab. 6.3. Sepsis und SIRS-Terminologie. (Nach Müller-Werdan u. Werdan 2005)


Begriff Definition/Charakteristika
Infektion Entzündliche Gewebereaktion auf Mikroorganismen oder Invasion von Mikroorganismen in normalerweise steriles Gewebe
Bakteriämie Vorhandensein vitaler Bakterien im Blut
SIRS Systemisch-entzündliche Reaktion auf verschiedene schwere klinische Insulte, charakterisiert durch 2 oder mehr der folgen-
den Symptome:
Körpertemperatur >38°C oder <36°C
Herzfrequenz >90/min
Atemfrequenz >20/min oder paCO2 <32 mmHg
Leukozyten >12.000/mm3 oder <4000/mm3 oder >10% unreife Stabkernige
Sepsis Systemische Reaktion auf eine Infektion, charakterisiert durch 2 oder mehr der folgenden, durch die Infektion hervorgeru-
fenen Symptome:
6 Körpertemperatur >38°C oder <36°C
Herzfrequenz >90/min
Atemfrequenz >20/min oder paCO2 <32 mmHg
Leukozyten >12.000/mm3 oder <4000/mm3 oder >10% unreife Stabkernige
Schwere Sepsis Sepsis, assoziiert mit Organdysfunktion, Minderperfusion oder Hypotonie. Minderdurchblutung und Durchblutungsstörun-
gen können beinhalten, sind aber nicht beschränkt auf: Laktatacidose, Oligurie oder eine akute Änderung der Bewusst-
seinslage
MODS Vorhandensein einer dermaßen geänderten Organfunktion bei Akutkranken, dass die Homöostase ohne Intervention nicht
mehr aufrechterhalten werden kann
Sepsisinduzierte Systolischer Blutdruck <90 mmHg oder Reduktion um ≥40 mmHg des Ausgangswerts bei Fehlen anderer Hypotonieursa-
Hypotonie chen
Septischer Schock Sepsisinduzierter Schock mit Hypotonie trotz adäquater Volumensubstitution, einhergehend mit Durchblutungsstörungen;
Letztere können beinhalten, sind aber nicht beschränkt auf: Laktatacidose, Oligurie oder eine akute Änderung der Bewusst-
seinslage. Die Behandlung mit inotropen oder vasokonstriktorischen Substanzen kann zur Maskierung der Hypotonie zum
Zeitpunkt der Feststellung von Durchblutungsstörungen führen
Refraktärer septi- Septischer Schock ohne rasches Ansprechen auf Volumengabe (z. B. 500 ml NaCl in 30 min) und Vasopressoren (z. B. Dopa-
scher Schock min >10 μg/kgKG/min)
Akute septische Myokardschädigung im Rahmen einer Sepsis mit der Folge einer im Verhältnis zum SVR verminderten Pumpfunktion des
Kardiomyopathie Herzens
CARS Kompensatorisches antiinflammatorisches Reaktionssyndrom, das sich – im Anschluss an die proinflammatorische Phase –
als Anergie, als erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Infektionen oder als beides manifestiert
MARS Antagonistisches Reaktionssyndrom, das sich aus mehreren SIRS- und CARS-Phasen zusammensetzt
PIRO P: »predisposition«, I: »insult/infection«, R: »response«, O: »organ dysfunction«; developing a staging system for sepsisa
MODS »multiple organ dysfunction syndrome«; CARS »compensatory antiinflammatory response syndrome«; MARS »mixed antagonistic response
syndrome«.
a Levy et al. 2003.

Ätiologie Aufgrund der verminderten Organdurchblutung und O2-


Blutverluste, Plasmaverluste und exogene Flüssigkeits-/Wasser- Anlieferung ist die O2-Ausschöpfung erhöht (Erniedrigung der
verluste zählen zu den häufigsten Ursachen dessen, was sich in gemischtvenösen O2-Sättigung, Zunahme der arteriovenösen
komplizierter Verkettung der sekundären Reaktionen und Regu- O2-Extraktion), und es kommt zum Laktatanstieg.
lationen klinisch-symptomatologisch als »hypovolämischer
Schock« manifestiert. Ätiologie
Die häufigste Ursache eines kardiogenen Schocks (. Tab. 6.1) ist ein
mindestens 40%iger Myokardfunktionsverlust im Rahmen einer
6.1.2 Kardiogener Schock KHK: beim akuten, großen Myokardinfarkt – häufig bei proxima-
lem Verschluss des RIVA der linken Koronararterie oder der LAD
Klassifikation –, aber auch bei Rezidivinfarkten und in der »Stunned-myocardi-
Der kardiogene Schock ist die häufigste Todesursache von In- um«-Phase. Weitere Ursachen sind akute Mitralinsuffizienz (Herz-
farktpatienten in der Krankenhausphase (Werdan 2007b). Hä- infarkt), akute Aorteninsuffizienz (Endokarditis), Ventrikelseptum-
modynamisch imponieren die Zunahme der Vorlast (Zunahme defekt und Ventrikelruptur (Herzinfarkt), akute Myokarditis, Ter-
von Ventrikelvolumina, linksventrikulärem Füllungsdruck, Pul- minalstadien von Kardiomyopathien, dekompensiertes Hochdruck-
monalkapillardruck und zentralem Venendruck) sowie eine Ab- herz und Vitien, maligne brady- und tachykarde Rhythmusstörungen
nahme von Herzindex, Schlagvolumenindex und Schlagarbeits- sowie traumatisch bedingte Myokardkontusionen und Intoxikati-
index, verbunden mit einem Anstieg des SVR (. Tab. 6.2). onen mit negativ-inotropen Pharmaka (. Tab. 6.1 und 6.4).
6.1 · Schockdefinitionen
181 6
6.1.5 Septischer Schock
. Tab. 6.4. Ursachen des infarktbedingten kardiogenen Schocks.a
(Hochman et al. 2000; mod. nach Prondzinsky et al. 2004)
Klassifikation
Schockursache Auswirkung Häufigkeit [%]
Definition
Myokardiale Linksventrikuläres 78,5 Der septische Schock, die häufigste Todesursache auf der In-
Pumpfunktionsein- Pumpversagen
tensivstation, ist Folge einer Toxin-/Mediatorkaskade, die so-
schränkung
Rechtsventrikuläres 2,8 wohl durch gramnegative als auch grampositive Bakterien,
Pumpversagen ebenso polymikrobiell und in seltenen Fällen auch durch
Mechanische In- Schwerwiegende 6,9 Pilze oder Viren ausgelöst werden kann (7 Abschn. 6.2.6).
farktkomplikatio- Mitralinsuffizienz
nen
Ventrikelseptumruptur 3,9
Die Letalität der Sepsis (ca. 10–15%) steigt bei der schweren Sep-
Tamponade der freien Wand 1,4 sis auf ca. 30% und beim septischen Schock auf 50–60% an. Zirka
Andere Ursachen 6,7 50% aller Sepsistodesfälle sind auf ein intraktables MODS zu-
Gesamtsterblichkeit aller infarktbedingten Schock- 60
rückzuführen, 40% auf ein therapierefraktäres Kreislaufversagen,
patienten und bei 10% ist eine nichtbeherrschbare septische Kardiomyopa-
thie die Ursache (7 Abschn. 6.6.2).
Sterblichkeit bei Vorliegen eines Infarkt-VSD 87,3
a Daten von 1422 > Von den Sepsispatienten entwickeln 64% innerhalb von 24 h
Patienten des Shock Trial und Shock Registry: Die
Mehrzahl der Patienten entwickelte den kardiogenen Schock infolge (Median) eine schwere Verlaufsform, und 23% der Patienten mit
eines STEMI. Sechs Patienten fielen in mehrere Kategorien, und wei- schwerer Sepsis erleiden innerhalb der nächsten 28 Tage (Medi-
tere 4 Patienten waren nicht eindeutig zu klassifizieren. an) einen septischen Schock (Moerer et al. 2005).

Ätiologie
Vom kardiogenen Schock ist das perakute Kreislaufversagen Führende Erreger sind Escherichia coli, Klebsiella, Bacterioides,
zu trennen: Ein perakutes Kreislaufversagen mit plötzlich auftre- Aerobacter aerogenes, Pseudomonas aeruginosa, Proteus, Sal-
tender Bewusstlosigkeit (Synkope, synkopale Anfälle) kann monellen, koliforme Keime und grampositive Bakterien (Entero-
durch einen akuten Herzstillstand (z. B. präautomatische Pause kokken, hämolysierende Streptokokken, Staphylococcus aureus
beim totalen AV-Block), durch eine extreme Verlangsamung der und S. albus), Anaerobier und Candida.
Herzschlagfolge (z. B. beim Karotissinussyndrom), durch eine
> Während in früheren Jahren der gramnegative septische Schock
plötzliche Verlegung der Hauptstrombahn (z. B. bei massiver
dominierte, wird heutzutage bereits jeder zweite septische
Lungenembolie, beim seltenen Vorhofmyxom), durch ein unzu-
Schock durch grampositive Kokken (vorwiegend Staphylokok-
reichendes Herzminutenvolumen während körperlicher Belas-
ken) hervorgerufen.
tung (z. B. bei hochgradiger Aortenstenose) oder beim Stehen
(z. B. infolge orthostatischer Fehlregulation) verursacht sein. Im Verständnis der Sepsis und des septischen Schocks ist aller-
dings in den letzten Jahren ein erheblicher Wandel eingetreten
(. Abb. 6.1). Stand früher die bakterielle oder die Pilzinfektion
6.1.3 Extrakardial-obstruktiver Schock mit Einschwemmung von Keimen in die Blutbahn ganz im Vor-
dergrund der Betrachtungsweise, so sind es heute vielmehr die
Beim extrakardial-obstruktiven Schock (. Tab. 6.1) sind klinische durch die mikrobiellen Toxine via Aktivierung von Mediatorzel-
Symptomatik und hämodynamische Befunde durch die Kombi- len induzierten Zytokin- und Mediatorkaskaden, die für das
nation krankheitsspezifischer Befunde mit einem »Low-output«- MODS und den septischen Schock verantwortlich gemacht wer-
Syndrom geprägt. den (7 Abschn. 6.2.6). Diese Einschätzung wird durch die Tatsa-
che unterstützt, dass nur bei jedem zweiten oder dritten Patienten
mit Sepsis eine positive Kultur gefunden wird und diese auch
6.1.4 Verteilungsschock nicht prognosebestimmend ist.
Auch dass nichtinfektiöse Noxen (Trauma, Pankreatitis,
Der gemeinsame Nenner des Verteilungsschocks ist der Verlust herzchirurgische Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine)
an peripherem Gefäßwiderstand (. Tab. 6.1). Neben den allge- zu einem ganz ähnlichen klinischen Bild wie bei bakteriell
meinen Schockzeichen mit arterieller Hypotonie, Tachykardie, ausgelöster Sepsis und septischem Schock führen können,
Tachypnoe, Oligurie und Bewusstseinsstörung imponieren spricht für eine mehr oder weniger gemeinsame Zytokin-/Medi-
warme, relativ gut durchblutete Extremitäten und ein ernied- atorendstrecke als verantwortliche Schädigungskaskade sowohl
rigter diastolischer Blutdruck. Hämodynamisch imponiert bei infektiösen als auch bei nichtinfektiösen SIRS-Formen
beim Verteilungsschock eine ausgeprägte Erniedrigung des (. Tab. 6.3).
SVR, jedoch kann der Widerstand in den einzelnen Organgefäß-
betten erniedrigt, unverändert und auch erhöht sein. Initial (vor
Volumentherapie) können Herzindex und ventrikuläre Fül-
lungsdrücke erniedrigt sein, danach sind sie in der Regel erhöht
(. Tab. 6.2).
182 Kapitel 6 · Schock

. Abb. 6.1. Pathophysiologieschema des Multior-


gandysfunktionssyndroms bei Sepsis und SIRS. Aus-
gehend von der lokalen bakteriellen Infektion kommt
es zur Einschwemmung von Bakterientoxinen in den
Kreislauf. Die Toxine können einerseits direkt zur
Organschädigung führen, andererseits aktivieren sie
Mediatorzellen [Makrophagen (Ma.), Granulozyten
(Gr.)] zur Freisetzung von Mediatoren (Zytokine, reak-
tive O2-Verbindungen u. a.). Die freigesetzten Media-
toren sollen die Bakterien zerstören und Toxine inak-
tivieren. Eine überschießende Mediatorfreisetzung
führt allerdings auch zur Organschädigung mit Aus-
bildung eines MODS. Auch nichtinfektiöse Insulte
führen zur Aktivierung dieser Mediatorkaskade und
zur Ausbildung eines MODS; das klinische Erschei-
6 nungsbild dieses eskalierenden SIRS ist dem der
Sepsis ähnlich

6.1.6 Anaphylaktischer Schock Der Begriff »anaphylaktoide Reaktion« kann auch als Über-
begriff für akute Unverträglichkeitsreaktionen mit den Symp-
Klassifikation tomen einer Anaphylaxie verwandt werden, ohne damit eine
Aussage zum Pathomechanismus zu implizieren (Müller-Wer-
Definition
dan u. Werdan 2000; Walther u. Böttiger 2004).
Der anaphylaktische Schock ist ein akut eintretender Schock-
zustand, der durch anaphylaktische und anaphylaktoide Re-
Kumulativer Mediatoreneffekt. Der kumulative Effekt der
aktionen ausgelöst wird: Der Blutdruckabfall infolge Vasodila-
freigesetzten Mediatoren besteht im Wesentlichen in einer
tation mit relativer Hypovolämie kann mit Larynxödem, Bron-
erhöhten Gefäßpermeabilität, einer ausgeprägten Vasodilatation
chospasmus, Angioödem, Urtikaria, Erythemen und Myo-
und einem Bronchospasmus. Autoptisch wurde bei tödlich
karddepression einhergehen.
verlaufender Anaphylaxie ein Ödem der Lungen mit oftmals
flüssigkeitsgefüllten Alveolen, ein Ödem der oberen Atemwege,
Klassische anaphylaktische Reaktionen sind IgE-vermittelte al- einschließlich des Larynx und der Epiglottis, der Haut und
lergische Ereignisse in Reaktion auf ein Antigen, entsprechend der viszeralen Organe gefunden. Im Zusammenhang mit Öde-
einer Typ-I-Reaktion nach Gell und Coombs, die perakut und men der oberen Atemwege kommt es oft zu einer pulmonalen
generalisiert systemisch ablaufen. Überblähung oder auch zu einer ausgeprägten Bronchokons-
Antibiotika, Insekten- und Schlangengifte, Impfstoffe, Seren, triktion.
jodhaltige Kontrastmittel und Nahrungsmittel gehören zu den
typischen auslösenden Allergenen. IgE-spezifische Effektorzellen
der Immunantwort sind im Wesentlichen Mastzellen und Baso- 6.1.7 Neurogener Schock
phile, die nach Stimulation eine Vielzahl proinflammatorischer
Mediatoren freisetzen und damit das klinische Erscheinungsbild Definition
der Anaphylaxie hervorrufen. Der neurogene Schock wird durch einen Verlust der peri-
Davon abzugrenzen sind IgE-unabhängige Unverträglich- pheren Vasomotorenkontrolle infolge einer Dysfunktion oder
keitsreaktionen ohne vorausgehende Sensibilisierung mit einem einer Verletzung des Nervensystems hervorgerufen.
sehr ähnlichen oder identischen klinischen Erscheinungsbild:
Bei anaphylaktoiden Reaktionen (typischerweise ausgelöst z. B.
durch Röntgenkontrastmittel, Salicylate und Opiate) kommt es Das klassische Beispiel dafür ist der meist mit einer Rückenmark-
durch chemische, physikalische oder osmotische Stimuli zur Me- verletzung assoziierte spinale Schock (Hund u. Abel 2002). Dem
diatorfreisetzung aus Mastzellen und Basophilen. Verlust des Venentonus mit erhöhter venöser Kapazität scheint
Daneben wurden auch Immunreaktionen vom Typ III nach hier die entscheidende Bedeutung zuzukommen, wobei auch der
Gell und Coombs bei anaphylaktischen Reaktionen beschrieben, Arteriolentonus reduziert sein kann. In letzterem Fall kommt es
bei denen Komplexe aus IgG und spezifischem Antigenkomple- nach Flüssigkeitssubstitution zu einer Steigerung des Herzindex.
ment Komplement aktivieren und über die Anaphylatoxine C3 a Eine – allerdings selbstlimitierende und vorübergehende –
und C5 a die Mediatorfreisetzung aus Mastzellen und Basophilen neurale Fehlregulation findet sich auch als Ursache der vasovaga-
stimulieren. Charakteristischerweise tritt diese Reaktion bei Pa- len Synkope und bei der Spinalanästhesie.
tienten mit hereditärem IgA-Mangel, dem häufigsten angebore-
nen Defekt des Immunsystems (1:500–700), im Rahmen von
Bluttransfusionen auf: Präformierte Antikörper gegen IgA im
Serum dieser Patienten können die Mediatorkaskaden auslösen.
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
183 6
6.1.8 Nebennierenkrise
Übersicht 6.1. Ursachen für seltene Schock- und
Klassifikation Synkopenformen

Definition
4 Intoxikationen, z. B. durch Barbiturate, Narkotika, Tran-
Die Addison-Krise kündigt sich mit unspezifischen Symp-
quilizer
tomen wie Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöen, abdomi-
4 Zentralnervöse Läsionen, z. B. Hirntrauma, Sonnenstich
nellen Schmerzen, Myalgien, Gelenkschmerzen, Kopf-
4 Endokrine Krisen, z. B. Nebennierenrindeninsuffizienz,
schmerzen, Schwäche, Verwirrtheit und Agitation oder Delir
thyreotoxische Krise, Coma diabeticum
an. Bei Exsikkose kann es zu hohem Fieber kommen.
4 Fettemboliesyndrom
4 Miktionssynkope
Das initiale hämodynamische Profil ähnelt dem des hypovolä- 4 Hustenschlag
mischen Schocks; nach adäquater Volumensubstitution demas- 4 Kollapszustände
kiert sich ein hyperdynamer, vasopressorrefraktärer Schock 4 Menière-Syndrom
(Parkar u. Taylor 2001), der einem septischen Schock ähneln 4 Bauchtraumen
kann. Überlagern sich beide Schockformen, so sind das Erken- 4 Magensaftaspiration
nen der Nebenniereninsuffizienz (Kortisolbestimmung, ACTH- 4 Schmerz
Test) und die eingeleitete Kortikoidbehandlung oft lebens- 4 Wärmestau (Hitzschlag) oder Unterkühlung
rettend. 4 Extreme psychische Reaktion (»Ohnmacht«)

Ätiologie
Zur Addison-Krise (Parkar u. Taylor 2001) kann es einerseits bei
Patienten mit chronischer, substituierter Nebennierenrinden- 6.2 Pathophysiologie des Schocks
insuffizienz bei besonderen Krankheits- oder Operationsbelas-
tungen ohne ausreichende Steigerung der Kortikoidmedikation Die Komplexität des Schockgeschehens wird in . Abb. 6.2 deutlich.
kommen; andererseits kann auch eine beidseitige Nebennieren- Die folgende auszugsweise Besprechung einzelner Schockkompo-
blutung im Gefolge einer Sepsis (Meningokokken, gramnegative nenten kann demzufolge immer nur einen Teilaspekt beleuchten.
Bakterien), einer HIV-Infektion, einer Pilzinfektion, einer malig-
nen Infiltration, eines anaphylaktischen Schocks (Lefevre et al.
1996) oder auch eine Einblutung unter Antikoagulation zur aku- 6.2.1 Störung der Makrozirkulation
ten Nebenniereninsuffizienz führen (Rao et al. 1989).
> Die Betrachtung der hämodynamischen Schockauswirkungen
muss neben dem arteriellen Schenkel und der Mikrozirkulation
6.1.9 Seltene Schockformen auch den venösen Schenkel des Kreislaufsystems miteinbe-
ziehen.
Seltene Schock- und Synkopenformen sind in der 7 Übersicht 6.1
aufgeführt. In einem geschlossenen Kreislaufsystem ist der Herzauswurf
Mit dem Begriff »vasalperipherer Schock« werden jene aku- (HZV, determiniert durch Herzfrequenz, Vorlast, Nachlast und
ten Zustände von Kreislaufinsuffizienz bezeichnet, deren Ursa- Kontraktilität) mit dem venösen Rückstrom (venöses Minuten-
chen direkt auf die Funktion der peripheren Widerstandsgefäße volumen, determiniert durch mittleren Zirkulationsdruck (pcm),
und auf die Gefäßkapazität einwirken. rechtsatrialen Druck und venösen Gefäßwiderstand) identisch.

. Abb. 6.2. Pathogenese und Pathophysiologie des Schocks. MODS »multiple organ dysfunction syndrome«, SIRS »systemic inflammatory response
syndrome«
184 Kapitel 6 · Schock

Kardiogener Schock
Der Verlust von Myokardmasse beim akuten Herzinfarkt mit
Minderung der Kontraktilität führt zur Abflachung der Frank-
Starling-Kurve und zur Zunahme des Vorhofdrucks. Durch das
positiv-inotrop wirkende Dobutamin (ohne wesentlichen Ein-
fluss auf den venösen Rückfluss) können die Kontraktionskraft
des Herzens gesteigert und damit der Herzauswurf erhöht wer-
den. Im Gegensatz zum Dobutamin würden die Katecholamine
Noradrenalin und Dopamin nicht nur positiv-inotrop wirken,
sondern auch die venöse Kapazität reduzieren und damit den
mittleren Zirkulationsdruck erhöhen.

Hypovolämischer Schock
Hypovolämie vermindert das zirkulierende Blutvolumen und
6 damit auch den pcm. Die resultierende Abnahme des venösen
Rückstroms und damit des Herzauswurfs kann durch Volumen-
substitution ausgeglichen werden. . Abb. 6.3. Sichtbarmachung der sublingualen Mikrozirkulation mit
Das hämodynamische Bild des hämorrhagischen hypovolä- der orthogonalen Polarisationsspektralbildgebung bei einem Patienten
mischen Schocks ist nicht nur durch den Blutvolumenverlust mit Schock. (Weitere Erläuterungen s. Text)
geprägt, sondern auch durch eine initiale kompensatorische Va-
sokonstriktion, die im weiteren Verlauf von einer therapeutisch
schwer beeinflussbaren Vasodilatation gefolgt wird. Für Letztere Die regionale Durchblutung auf Mikrozirkulationsebene wird
wird zum einen eine Hochregulation der spinalen NO-Synthase durch lokale intrinsische (Autoregulation) und durch extrin-
verantwortlich gemacht (Lu et al. 1999; 7 Abschn. 6.2.6), zum an- sische Faktoren (autonomes Nervensystem und humorale Fak-
deren eine Aktivierung der PARS, einem Schlüsselenzym der toren) geregelt (Holtz 2000). Der Blutfluss zu den einzelnen Or-
Apoptose (7 Abschn. 6.2.7). ganen wird durch den Tonus der präkapillären Arteriolen, der
prä- und postkapillären Sphinktergefäße sowie durch lokale Ver-
Septischer Schock änderungen der metabolischen Aktivität gesteuert.
Der septische Schock (Thiemermann 2000a) beeinflusst das ve-
nöse System in zweierlei Hinsicht: Einerseits führen die aktive Kapillargefäßtonus
Dilatation kleiner Venen und Venolen sowie der Plasmaabfluss Prä- und postkapilläre Gefäßregionen sprechen auf intrinsische
ins Interstitium zur Steigerung der Venenkapazität bei gleichzei- und extrinsische Kontrollmechanismen an. Änderungen des To-
tiger Abnahme des Blutvolumens; eine Abnahme des pcm und nus dieser Gefäßregionen sind insofern bedeutungsvoll, als zwi-
damit des venösen Rückstroms und konsekutiv des Herzauswurfs schen diesen beiden Gefäßregionen (auf der Kapillarebene) ein
ist die Folge. Andererseits finden sich im septischen Schock auch aktiver Stoffwechsel und die Flüssigkeitsregulation über die Ka-
eine Dilatation der großen Venen und ein arteriovenöses »shun- pillarwand stattfinden. Das Öffnen mikroanatomischer oder
ting«, beides mit der Folge einer Verminderung des Rv und damit funktioneller Shunts führt zu einem Mismatch von Stoffwechsel
einem verstärkten venösen Rückstrom zum Herzen. und O2-Versorgung; das Nichtöffnen von Gefäßsphinktern me-
Vor adäquater Volumensubstitution reicht die Abnahme des Rv tabolisch aktiver Regionen führt zu Ischämie und zum anaero-
allerdings nicht aus, um die Reduktion des pcm auszugleichen: Der ben Stoffwechsel mit Laktatproduktion.
Herzauswurf bleibt vermindert. Durch eine adäquate Volumen- Ein erhöhter präkapillärer Tonus (wie bei Sympathikus-
substitution lässt sich der pcm normalisieren; aufgrund des weiter- stimulation) bewirkt eine Erhöhung des systemischen Blut-
hin erniedrigten Rv führt dies, bei Fehlen einer Myokarddepressi- drucks und eine Senkung des lokalen hydrostatischen Drucks.
on, dann sogar zu einem supranormalen venösen Rückstrom und Der erniedrigte hydrostatische Druck favorisiert die Volumen-
einem supranormalen HZV. Die Rv-Abnahme kann bis zu einem umverteilung aus dem Interstitium zurück in den Kreislauf. Ein
gewissen Grad eine meist vorhandene mäßige Myokarddepression relativ zum präkapillären Tonus erhöhter postkapillärer Tonus
maskieren. Erst bei einer ausgeprägten Kontraktilitätsminderung führt zum Gefäßpooling von Blut und zum Verlust von Flüssig-
wird diese als Einschränkung des Herzauswurfs manifest; dies trifft keit ins Interstitium infolge des erhöhten hydrostatischen
bei ca. 20% aller Sepsispatienten zu (Kumar u. Parrillo 2001). Drucks.
Die Störung der Mikrozirkulation ist ein wesentliches Cha-
rakteristikum des Schocks. Die diesen Störungen zugrunde lie-
6.2.2 Störung der Mikrozirkulation genden, bei den einzelnen Schockformen qualitativ und quanti-
tativ unterschiedlich relevanten Mechanismen sind in der
Die Mikrozirkulation und deren erkrankungsbedingte Störungen 7 Übersicht 6.2 aufgeführt.
können heutzutage beim Patienten mit der OPS sichtbar gemacht Mit der OPS-Methode (Groner et al. 1999) lässt sich bei
werden (Groner et al. 1999; . Abb. 6.3). schwerer Sepsis zeigen, dass die sublinguale Mikrozirkulation in
ihrer Gefäßdichte reduziert [4,5(4,2–5,2)/mm bei Sepsis vs.
> Eine regelrechte Durchblutung auf Mikrozirkulationsebene (Ge- 5,4(5,4–6,3)/mm bei Gesunden] und der Anteil der perfun-
fäße bis 100–150 μm Durchmesser) ist Voraussetzung für eine dierten kleinen Gefäße (<20 μm) vermindert ist [48(33–61)% bei
adäquate Gewebeperfusion; ein normales HZV und ein norma- Sepsis vs. 90(89–92)% bei Gesunden]. Diese Veränderungen sind
ler Blutdruck sind dafür noch nicht ausreichend. bei Versterbenden ausgeprägter als bei Überlebenden. Die to-
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
185 6
Hypovolämischer Schock und andere hypodyname
Übersicht 6.2. Vasomotorenstörung und Mikrozirkula- Schockformen
tionsschädigung im Schock Bei Hypovolämie und anderen hypodynamen Schockformen
wird der Blutfluss in Gehirn und Herz autoregulatorisch auf-
4 Verlust der Vasomotorenregulation mit Mismatch von rechterhalten. In allen anderen Organgefäßbetten ist er jedoch
Gewebedurchblutung und metabolischer Aktivität durch teilweise erheblich eingeschränkt, damit der systemische Blut-
– Gewebeacidose druck möglichst stabil gehalten werden kann. Für diese Vaso-
– Gewebekatecholaminverarmung konstriktion sind v. a. ein erhöhter Sympathikotonus und die
– Mediatorinduzierte Katecholaminresistenz der Gefäß- Freisetzung von Katecholaminen aus der Nebenniere verant-
muskulatur wortlich.
– Freisetzung von vasodilatierenden und vasokonstrin- Diese adaptativen Mechanismen reichen aus, um bei gering
gierenden Prostaglandinmetaboliten bis mäßig eingeschränktem HZV lebenswichtige Organe adäquat
– Verminderter Sympathikotonus infolge zerebraler zu perfundieren; bei ausgeprägter Hypotonie kommt es jedoch
Durchblutungsstörungen zur Organischämie und zum Organversagen. Selbst nach Wie-
– Mediatorinduzierte Bildung von NO in Gefäßmuskel- derherstellung stabiler Herz-Kreislauf-Verhältnisse können die
zellen Störungen auf Mikrozirkulationsebene über Tage persistieren,
4 Verlust der Endothelintegrität durch v. a. im Gehirn, in den Nieren, in der Leber und in anderen
– Reaktive O2-Verbindungen, gebildet von aktivierten Splanchnikusorganen (Wang et al. 1990). Die irreversible Phase
neutrophilen Granulozyten und während der Reperfu- eines schweren hämorrhagischen Schocks ist aufgrund experi-
sion menteller Befunde durch die Vasodilatation präkapillärer Sphink-
– Freisetzung vasoaktiver Faktoren wie Histamin, Brady- ter charakterisiert.
kinin, plättchenaktivierendem Faktor, Leukotriene, Tu- Die Splanchnikusperfusion beim kritisch Kranken variiert
mor-Nekrose-Faktor sehr stark in Abhängigkeit von der Grunderkrankung, kompen-
– Leukozyten-Endothel-Interaktion via Adhäsionsmole- satorischen Mechanismen und therapeutischen Interventionen
küle (Integrine, Selektine) (Jakob u. Takala 2000): Im Fall einer systemischen Hypoperfusi-
4 Folgen des Verlustes der Endothelintegrität on oder Hypoxämie wird die Splanchnikusperfusion reduziert;
– Erhöhte Kapillarpermeabilität hierbei wird der Leberblutfluss auch unter diesen Bedingungen
– Exsudation von Plasmaproteinen ins Gewebe aufgrund intrinsischer Kontrollmechanismen relativ hoch gehal-
– Abfall des plasmaonkotischen Drucks ten (Jakob et al. 2002).
– Entwicklung eines interstitiellen Ödems
– Abnahme des zirkulierenden Blutvolumens Sepsis und septischer Schock
4 Intravasales »clotting« von Erythrozyten, Leukozyten und
> Bei Sepsis und septischem Schock finden sich bereits bei noch
Thrombozyten mit Verstärkung der Endothelschädigung
relativ adäquaten Blutdruckwerten Störungen der Organdurch-
und Verschlimmerung des Mismatches durch
blutung, die eine primäre Schädigung auf Mikrozirkulationsebe-
– Mikrothromben
ne nahe legen (Thiemermann 2000a).
– Primäre Endothelschädigung durch zirkulierende Zy-
tokine Mit Ausnahme der Hirnstrombahn zeigen alle anderen Strom-
– Reaktive O2-Verbindungen, generiert durch neutrophi- bahngebiete (Splanchnikusbereiche, Niere, Skelettmuskel, Haut)
le Granulozyten und während der Reperfusion eine starke Abnahme des Gefäßwiderstands. Sie beruht auf einer
– Komplementaktivierung sepsisinduzierten aktiven Vasodilatation und dem Verlust der
4 Verminderte Erythrozytendeformierbarkeit infolge durch extrinsischen Vasomotorenkontrolle (Bond 1993), wodurch die
reaktive O2-Verbindungen hervorgerufener Membran- Durchblutung ausschließlich vom HZV abhängig wird.
schäden Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Hirndurchblutung
dar, die in der Sepsis weiterhin die Fähigkeit zur Autoregulation
beibehält: Bei Patienten mit Sepsis ist die Hirndurchblutung be-
reits vor der Ausbildung des Schockzustands um ein Drittel redu-
pische Applikation von Acetylcholin kann diese Veränderungen ziert, jedoch wird diese Durchblutungseinschränkung nicht als
wieder rückgängig machen (de Backer et al. 2002; Ince 2002). Ursache der septischen Enzephalopathie angesehen. Im Koronar-
gefäßsystem fällt dagegen der Widerstand noch stärker als in den
anderen Organen ab, und demzufolge ist die Koronarperfusion
6.2.3 Störung der Organperfusion bei Patienten mit septischem Schock sogar häufig erhöht (Dhai-
naut et al. 1993).
> Die Durchblutung der einzelnen Organe kann über einen wei- Die Splanchnikusperfusion ist bei Patienten mit schwerem
ten Blutdruckbereich organspezifisch konstant gehalten wer- SIRS, Sepsis und septischem Schock relativ erhöht, jedoch immer
den; für den Menschen wird diese Autoregulation für einen Be- noch inadäquat im Verhältnis zum gesteigerten regionalen O2-
reich von 60–100 mmHg angegeben (Bond 1993). Verbrauch, sodass die O2-Extraktionsrate hoch sein muss. Eine
adäquate Flüssigkeitssubstitution sowie Katecholamingabe mit
Außerhalb dieses Bereiches müssen extrinsische Adaptationsme- β-Adrenozeptor-stimulierender Wirkung steigern die Splanchni-
chanismen einsetzen, soll es nicht durch ein Mismatch von kusperfusion und das regionale O2-Angebot, nicht jedoch den
Durchblutung und metabolischer Aktivität zu Organversagen regionalen O2-Verbrauch; NO-Hemmer dagegen wirken auf die
und Schock kommen. Splanchnikusregion ungünstig (Jakob u. Takala 2000).
186 Kapitel 6 · Schock

6.2.4 Sauerstoffmangel folgen, in der Glukose über Pyruvat zu Laktat umgewandelt wird.
Dabei können pro Molekül Glukose nur 2 Moleküle ATP gebildet
Die Schädigung der Zellfunktion kommt durch ein komplexes werden, im Gegensatz zu den 38 Molekülen ATP, die bei voller
Wechselspiel verschiedener auslösender Noxen und gehemmter/ oxidativer Verstoffwechslung pro Glukosemolekül anfallen.
geschädigter Zellfunktionen zustande (. Abb. 6.2). Die einzelnen Der Gehalt an energiereichen Phosphaten im Herzen lässt
Komponenten besitzen je nach Schockform unterschiedliche Re- sich in vivo mit der NMR-Spektroskopie bestimmen.
levanz.
Ischämiebedingte Zellfunktionsschädigung
> Zentrale Bedeutung bei der Zellschädigung haben der O2-Man-
Die systemische und die regionale Minderperfusion spielen als
gel, Toxine und Mediatoren sowie reaktive O2-Verbindungen.
Verursacher der ischämisch bedingten Zellschädigung bei den
Letztere entfalten ihre schädliche Wirkung auch in der Reperfu-
meisten Schockformen eine prägende Rolle. Sind die neurohu-
sionsphase nach adäquater initialer Schockbehandlung.
moralen Adaptationsmechanismen (. Abb. 6.4) nicht mehr in
Hypoxie führt zur Induktion des HIF, der eine Reihe kompensa- der Lage, die schockinduzierte Organischämie und Hypoxie zu
torischer Mechanismen auslöst. Zu den geschädigten Zellfunkti- kompensieren, so sind die Hemmung des aeroben Zellstoff-
6 onen zählen: Energiestoffwechsel, Zellmembranfunktionen, wechsels, die Abhängigkeit der Energieproduktion von der allein
Zellkernprozesse einschließlich Genexpression und Apoptose, nicht ausreichenden anaeroben Glykolyse, die daraus resultie-
Zellmetabolismus und (in der Herzmuskelzelle) die Beeinträch- rende zelluläre Energieverarmung mit Laktatanstieg und Acido-
tigung inotroper Mechanismen. Letztere können, wie beim sep- se die Folge.
tischen Schock, das Schockgeschehen mitauslösen und im wei- Diese schwerwiegende ischämisch bedingte Zellschädigung
teren Verlauf auch perpetuieren. Die folgende Darstellung kon- ist jedoch keine simple Hypoxiefolge auf die mitochondriale
zentriert sich auf die schockbedingte Schädigung der Herzmus- ATP-Produktion allein: Die Mitochondrien zeigen auch noch bei
kelzelle. sehr niedrigem O2-Partialdruck (Michaelis-Konstante <1 μM)
eine adäquate ATP-Produktion. Demzufolge garantiert diese
Energiestoffwechsel unter Hypoxie und Anoxie hohe O2-Affinität auch eine regelrechte Funktion der Atmungs-
Bei Hypoxie oder milder Ischämie akkumulieren ADP und kette, selbst in der Hypoxie, sieht man von Extrembedingungen
NADH+H+. Unter diesen Bedingungen scheint der erhöhte zel- einmal ab.
luläre ADP-Spiegel die treibende Kraft für die mitochondriale Aber nicht nur Ischämie und Hypoxie können zur Beein-
ATP-Produktion darzustellen. Bei schwerer Ischämie oder Koro- trächtigung der mitochondrialen Funktion und ATP-Produktion
narverschluss akkumulieren NADH+H+ und FADH2 und kom- führen, sondern auch Mediatoren, insbesondere Zytokine
men damit als Regulatoren nicht mehr infrage. Auch das ange- (7 Übersicht 6.3). Der erhöhte Blutlaktatspiegel bei Patienten in
stiegene ADP bestimmt unter diesen Bedingungen nicht mehr Schock und Sepsis wird häufig ausschließlich als Ausdruck einer
die Geschwindigkeit der ATP-Produktion, weil nun der sehr lokalen Hypoxie und Ischämie angesehen. Bei vergleichbarer
niedrige O2-Partialdruck zum geschwindigkeitsbestimmenden Einschränkung des O2-Metabolismus (O2-Transport, O2-Ver-
Schritt wird. Da die mitochondrialen O2-Reserven nur sehr klein brauch, Skelettmuskel-pO2) finden sich im Tierexperiment je-
sind, stirbt der Kardiomyozyt nach Erreichen dieses Zustands doch bei septischem Schock höhere arterielle Laktatspiegel als bei
rasch ab. kardial-obstruktivem Schock. Dies lässt vermuten, dass die Lak-
Bei Hypoxie und experimenteller Anoxie ist die Atmungsket- tatproduktion in der Sepsis nicht nur Folge der eingeschränkten
te gehemmt. Bei einer vollständigen Blockade der Atmungskette O2-Versorgung ist, sondern auch andere Ursachen haben kann
kann die ATP-Produktion nur noch via anaerobe Glykolyse er- (de Backer 2003).

. Abb. 6.4. Toxin- und Mediatornetzwerke bei


Sepsis und SIRS. TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor-α;
IL-1 Interleukin 1; IL-6 Interleukin 6; IFN-γ Interfe-
ron γ; Neutrophile neutrophile Granulozyten; O2-
Superoxidanion; HOCI hypochlorige Säure; PAF
plättchenaktivierender Faktor; PG Prostaglandi-
ne; NO Stickstoffmonoxid; ELAM Adhäsionsmole-
kül ELAM; MODS Multiorgandysfunktionssyn-
drom; SIRS systemisches Inflammations-Reakti-
ons-Syndrom (»systemic inflammatory response
syndrome«)
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
187 6

Übersicht 6.3. Sepsis- und schockrelevante Substanzen/Faktoren mit kardiodepressiven Wirkungen

4 Mikrobielle Toxine – Eikosanoide (Thromboxane, Prostaglandine, Leukotriene)


– Endotoxin – Komplementfaktoren
– Pseudomonas-Exotoxin A – Endorphine
– Streptolysin O – Renin/Angiotensin
– Staphylokokken-α-Toxin 4 Toxin-/mediatoraktivierte Blutzellen
– Toxinschocksyndromtoxin 1 – Neutrophile Granulozyten
– Clostridium-perfringens-α-Toxin – Eosinophile Granulozyten
– Fusarium-T-2-Toxin – T-Lymphozyten
4 Katecholamine (Exzess) – Thrombozyten
4 Zytokine 4 Gestörte Myokardfunktion durch
– TNF-α – Energieverarmung
– IL-1 – Hypoxie, Ischämie, Reperfusion
– IL-2 4 Kardiodepressive Faktoren mit noch nicht geklärter Struktur
– IL-6 (Übersicht in Hallström et al. 1993)
– IL-8 – »Myocardial depressant factor(s)« (MDF)
– IFN-γ – »Pancreatic cardiodepressant factor« (MDF)
4 Andere Mediatoren: – »Early lipid-soluble cardiodepressant factor« (ECDF)
– NO – »Myocardial depressant substance« (MDS)
– Reaktive O2-Verbindungen (einschließlich Peroxinitrit) – »Cardiodepressant factor(s)« (CDF)
– Plättchenaktivierender Faktor 4 »Low molecular weight peptide in cardiogenic shock«

6.2.5 Toxine Die Folge der Endotoxinrezeptorbindung in den Monozyten/


Makrophagen ist eine Zytokininduktion und -freisetzung; in den
Endotoxin Endothelzellen führt dies zur Expression von Adhäsionsmole-
külen, was wiederum Voraussetzung für die Anlagerung von
> Von den zahlreichen Toxinen menschenpathogener Bakterien
Blutzellen an das Endothel ist.
kommen in der Sepsis sowie im septischen Schock dem Endoto-
Endotoxin ist entscheidend für die schlechte Prognose bei
xin gramnegativer Keime, den Superantigenen und den Poren-
gramnegativem Schock mitverantwortlich. Darüber sollte jedoch
bildnern grampositiver Erreger die größte Bedeutung zu.
nicht vergessen werden, dass es in niedrigen Konzentrationen
Endotoxin ist ein in der äußeren Zellmembran gramnegativer Bak- über eine nur moderate Mediatorfreisetzung bei der Infektab-
terien lokalisiertes LPS. Es gelangt entweder durch Zerfall von wehr durchaus günstig wirken kann (mäßiges Fieber, Steigerung
Bakterien im Intravasalraum (auch nach Gabe von Antibiotika in der Immunabwehr, Abtötung der Keime). Die durch Endotoxin
unterschiedlichem Ausmaß) oder durch Translokation von Bak- induzierte Hypotension scheint mit der Zeit eine Abschwächung
terien und Endotoxin aus dem primären Infektionsherd oder aus zu erfahren (Mailman et al. 1999).
dem Darm in die Blutbahn. Es kann quantitativ im peripheren Blut Auch bei der Entstehung und bei der Perpetuierung der Herz-
nachgewiesen werden, sobald die Clearancekapazität des RES für insuffizienz scheint Endotoxin eine Rolle zu spielen (Rauchhaus
Endotoxin erschöpft ist (»spill over«). Bei Patienten mit gram- u. Müller-Werdan 2001). Aus kardiologischer Sicht bietet das En-
negativem septischem Schock finden sich Endotoxinplasmaspiegel dotoxin aber auch Überraschungen: Neben der deletären direkten
in der Größenordnung von 10–200 pg/ml. Dennoch ist der quanti- und indirekten kardiodepressiven Wirkung (7 Abschn. 6.2.8) las-
tative Nachweis von Endotoxin zurzeit noch mehr von wissenschaft- sen sich auch protektive Effekte auf das Herz nachweisen (McDo-
lichem als von praktisch-klinischem Interesse (Cohen 2000). nough et al. 1995; Song et al. 1994; Yao et al. 1993).
Zum Zeitpunkt einer systemischen Endotoxinämie haben die
Endotoxine verschiedene Reaktionen in Gang gesetzt, nämlich Superantigene, porenbildende und weitere Toxine
die pyrogene Reaktion, die Stimulation der humoralen Immun-
> Grampositive Erreger verursachen mindestens ebenso viele
antwort, die Aktivierung des Gerinnungs-, Komplement- und
Sepsiserkrankungen wie gramnegative Keime.
Kallikrein-Kinin-Systems sowie verschiedene Freisetzungsreak-
tionen im Gewebe (biogene Amine, Proteasen und Peptide, Eiko- Da grampositive Bakterien keine LPS synthetisieren und in ihre
sanoide), z. T. vermittelt durch die Zytokine, TNF-α und IL-1, -6, Zellwand integrieren, scheidet Endotoxin als Induktor einer
-8 (. Abb. 6.4). grampositiven Sepsis aus. Hierfür kommen einerseits Peptido-
Diese Wirkungen entfaltet das Endotoxinmolekül durch eine glykane (. Abb. 6.4), die wie Endotoxin an CD14 binden können,
rezeptorvermittelte Bindung an Zielzellen mit Auslösung zellspe- und die Lipoteichonsäuren der Zellmembran sowie andererseits
zifischer Proteinexpressionen. Die Bindung an die Zielzelle er- Toxine, die entweder als Superantigene, als Porenbildner oder als
folgt über den »toll-like receptor 4« (Read u. Wyllie 2001), mit ADP-ribosylierende Toxine ihre zytotoxische Wirkung entfalten,
Unterstützung weiterer Moleküle wie zirkulierendes LBP, – je infrage.
nach Zellart – membrangebundenes oder zirkulierendes CD14- Peptidoglykane und Lipoteichonsäuren wirken pyrogen und
Molekül, Adapterprotein MD2 und ein Kaliumkanalmolekül. aktivieren Komplement sowie B-Lymphozyten. Dabei werden die
188 Kapitel 6 · Schock

Makrophagen aktiviert und sezernieren Zytokine, teils in größe- falls über einen CD14- und Toll-like-Rezeptor-abhängigen Weg
ren Mengen als nach Endotoxinstimulation. zur Aktivierung von Leukozyten.

Superantigene Immunstimulatorische DNA


Bestimmte bakterielle DNA-Sequenzen sind in der Lage, antigen-
Definition
präsentierende Zellen (Monozyten) zu aktivieren. Diese DNA-
Toxine mit Superantigeneigenschaften wie z. B. das Toxin-
Abschnitte sind reich an nichtmethylierten CpG-Motiven. Oligo-
schocksyndromtoxin 1 bestimmter Staphylokokken besitzen
desoxynukleotide mit CpG-Motiven werden von Toll-like-Re-
wie konventionelle Antigene die Fähigkeit, T-Lymphozyten zu
zeptoren 9 erkannt; diese DNA-Abschnitte werden in die Zellen
aktivieren. Unter Umgehung bestimmter Kontrollmechanis-
aufgenommen und führen nach einer Acidifizierung in den En-
men stimulieren sie jedoch nicht nur 0,01% der Zellen, wie
dosomen zu einer Aktivierung sowohl von mitogen aktivierten
konventionelle Antigene, sondern 2–10–25% aller T-Lympho-
Proteinkinasen als auch des Transkriptionsfaktors NF-κB.
zyten gleichzeitig.

6 Die Folge ist eine Überaktivierung der T-Zellen mit massiver Zy- 6.2.6 Mediatoren
tokinfreisetzung, insbesondere TNF-α, und evtl. letalem Schock-
verlauf. Die Bedeutung der Superantigene bei der Pathogenese Das Verständnis um die Bedeutung von Toxinen und Mediatoren
der Sepsis kann gegenwärtig noch nicht ausreichend abgeschätzt im Schockgeschehen fußte zunächst auf Erkenntnissen, die bei
werden (Visvanathan u. Zabriskie 2000). der Aufklärung der Pathogenese des septischen Schocks gewon-
Endotoxin und Toxine grampositiver Keime können sich in nen wurden (. Abb. 6.4). Heutzutage kann jedoch davon ausge-
ihrer Wirkung verstärken und über die Toll-like-Rezeptoren mit- gangen werden, dass die Mediatorkaskade die gemeinsame End-
einander kommunizieren (Li et al. 2003): Bei gleichzeitigem Vor- strecke nicht nur des septischen Schocks darstellt (. Abb. 6.4),
handensein beider Toxinklassen reicht die Kombination bereits sondern dass auch ein hypovolämischer, traumatischer, anaphy-
sehr geringer Toxinmengen zur Schockauslösung bei Tieren aus. laktischer und sogar der kardiogene Schock Komponenten dieser
Da es auch bei grampositiver Sepsis und bei nichtinfektiösen Kaskade als auslösende oder unterhaltende Ursachen beinhal-
Schockformen infolge einer bakteriellen Translokation im Darm ten.
zur Endotoxinämie kommen kann, besitzt diese Toxininteraktion Dieses Konzept spiegelt sich auch in der Terminologie von
möglicherweise auch eine klinische Bedeutung. Sepsis und SIRS (. Tab. 6.3) wider: Ausgehend von infektiösen
oder nichtinfektiösen Stimuli (. Abb. 6.4) kommt es zur Aktivie-
Porenbildende Toxine (»Porenbildner«) rung von Mediatorzellen, die primäre Mediatoren wie TNF-α
freisetzen. Diese primären Mediatoren beeinflussen weitere Ziel-
Definition
zellen, die einerseits geschädigt werden können, andererseits (wie
Porenbildende Toxine (»Porenbildner«) sind von Bakterien se-
z. B. die neutrophilen Granulozyten) finale Mediatoren auf die-
zernierte Proteintoxine, die an Zellmembrankomponenten
sen Stimulus (wie z. B. reaktive O2-Verbindungen oder NO) frei-
(vorwiegend Lipide) binden und auf diese Weise die Zell-
setzen. Die Mediatorfreisetzung soll zwar eigentlich zur Bekämp-
membran mit der Ausbildung von 1–30 nm großen Löchern
fung der Bakterien, zur Neutralisierung von Bakterientoxinen
schädigen.
und zur Schadensbegrenzung nichtinfektiöser Insulte dienen, die
aggressiven Verbindungen schädigen dabei jedoch auch das
Prototypen dieser Toxinklassen sind das α-Toxin des Staphylococ- Herz-Kreislauf-System und weitere vitale Organe; eine Ver-
cus aureus, das Streptolysin-O des Staphylococcus pyogenes schlimmerung der Schocksymptomatik und die Ausbildung
(Gruppe A) und das E.-coli-Hämolysin. Ihre klinische Relevanz, eines MODS sind die Folgen.
v. a. bei grampositiven Infektionen, wird zurzeit wahrscheinlich
noch unterschätzt. Insbesondere die prokoagulatorische Wir- Zytokine
kung auf das Gerinnungssystem und die Endothelzellschädigung
> Zytokine, insbesondere TNF-α und IL-1, stehen am Anfang des
mit der Ausbildung einer pulmonalen Hypertonie scheinen we-
Mediatornetzwerks von Schock und Sepsis.
sentliche Komponenten der Schockauslösung durch die Poren-
bildner zu sein. Bakterielle Toxine, aber auch SIRS-Stimuli, können Monozyten
und Makrophagen zur Bildung und zur Freisetzung insbesonde-
Pseudomonas-Exotoxin A, Peptidoglykan re von TNF-α aktivieren (. Abb. 6.4; Loppnow 2001). Als Resul-
und weitere Toxine tat der direkten und der indirekten Zytokinwirkungen stehen
Das Pseudomonas-aeruginosa-Exotoxin A ist ein ADP-ribosylie- beim septischen Schock die häufig irreversible Herz-Kreislauf-
rendes Toxin, das hochselektiv den ribosomalen Elongationsfak- Schädigung und das MODS.
tor 2 der Proteinsynthese ADP-ribosyliert und damit inaktiviert. Die Bedeutung der Zytokine beschränkt sich jedoch nicht
Das Toxin stellt einen wesentlichen Virulenzfaktor der Pseudo- nur auf den septischen Schock: Auch beim hämorrhagischen
monas-Sepsis dar. Schock finden sich erhöhte TNF-Serum-Spiegel; beim kardio-
Das Peptidoglykan ist Hauptbestandteil der Zellwand gram- genen Schock sind die IL-6-Spiegel vergleichbar hoch wie beim
positiver Bakterien. Es wird ebenso wie Endotoxin von CD14- septischen Schock (Prondzinsky et al. 2004), und das akute Lun-
und Toll-like-Rezeptoren gebunden; die Bindung an Letztere genversagen bei hypovolämischem und traumatischem Schock
bewirkt eine Zellaktivierung. lässt sich durch den Einsatz von Anti-TNF-α-Antikörpern bes-
Weitere bakerielle Toxine wie Lipoteichonsäure, Lipoarabi- sern. Erhöhte Zytokinserum- und Zytokinplasmaspiegel finden
nomannan von Mykobakterien oder Nannuronan führen eben- sich darüber hinaus auch bei zahlreichen infektiösen und nicht-
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
189 6

infektiösen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Derzeit muss aller- nötigen, und eine induzierbare, Ca2+-unabhängige Form, die
dings noch häufig die Frage offenbleiben, ob Zytokine dabei kau- permanent Calmodulin gebunden hat (iNOS; Holtz 2000; Thie-
sale Bedeutung haben, ein sekundäres Phänomen von Krank- mermann 2000b).
heitswert oder nur ein unwichtiges Epiphänomen darstellen Die cNOS-Isoformen sind ständig vorhanden. Sie können
(ausführliche Diskussion in Müller-Werdan et al. 2006). sofort aktiviert werden und produzieren geringe Mengen an NO,
das dann zahlreiche physiologische Funktionen erfüllt. Die
> Die Tatsache, dass niedrige Zytokinkonzentrationen (z. B. TNF-α)
cNOS-Isoenzyme können weiterhin in die neuronale Form
bei Sepsis durchaus zur Abwehrreaktion in protektiver Weise
(nNOS oder NOS I, lokalisiert im Zytosol von zentralen und pe-
beitragen können, belastet das kausale Therapiekonzept der
ripheren Neuronen) und in die endotheliale Form (eNOS oder
Unterbrechung dieser Zytokin-/Mediatorkaskade.
NOS III, überwiegend membrangebunden) eingeteilt werden.
Die eNOS-Isoform besitzt sowohl parakrine als auch autokrine
Zytokine und Gerinnung Aktivität; sie wird überwiegend durch den Scherstress der Gefäße
Bei schwerer Sepsis und bei septischem Schock kommt es regel- aktiviert, das gebildete NO diffundiert in die glatten Gefäßmus-
haft auf Endothelzellebene zu Störungen der Gerinnung und der kelzellen und führt zur Erschlaffung. Die eNOS ist nötig, um die
Fibrinolyse im Sinne einer DIC (Verbrauchskoagulopathie), al- Gefäße in einem partiell relaxierten Zustand zu halten, der durch
lerdings individuell in jeweils sehr unterschiedlichem Ausmaß. Noradrenalin und Endothelin antagonisiert wird. Sie reguliert
damit Gefäßtonus, Organperfusion und Blutdruck. Weiterhin
Zytokingenpolymorphismen hemmt das von der eNOS produzierte NO die Adhäsion von
Die Prognose eines Schockpatienten hängt wahrscheinlich nicht Thrombozyten und Neutrophilen an Endothelzellen und mögli-
nur von seinem Phänotyp, sondern auch von seinem Genotyp ab, cherweise auch die Proliferation von Gefäßmuskelzellen.
wie bisher v. a. für Patienten mit Sepsis und septischem Schock Ein dritter, für das Schockgeschehen möglicherweise sehr
gezeigt worden ist. bedeutungsvoller Bildungsweg ist die nichtenzymatische Re-
duktion von Nitrit zu NO in minderdurchblutetem Gewebe. Im
Reaktive Sauerstoffverbindungen ischämischen, acidotischen Myokard findet sich Nitrit in mikro-
> Reaktive O2-Verbindungen stellen im Schockgeschehen eine molaren Konzentrationen. Mithilfe der Elektronenspinresonanz-
wichtige Gruppe terminaler Mediatoren dar (de Vega et al. 2002; spektren ließ sich nachweisen, dass in diesem hochreduktiven
Motoyama et al. 2003). Stoffwechselmilieu Nitrit in großen Mengen nichtenzymatisch zu
NO reduziert wird (Zweier et al. 1995).
Dabei handelt es sich um Moleküle mit einem ungepaarten Elek- Das entstandene NO kann entweder am Ort der Bildung re-
tron in der äußeren Hülle. Ursprungsort von freien Radikalen agieren (autokrine Wirkung) oder in benachbarte Zellen diffun-
sind zum einen aktivierte Mediatorzellen wie neutrophile Granu- dieren (parakrine Wirkung).
lozyten, Makrophagen und Endothelzellen sowie andererseits (in
> Ein Großteil der NO-Wirkungen (Vasodilatation, Kardiodepressi-
der Reperfusionsphase der Schockbehandlung) das Hypoxanthin
on) beruht auf der Aktivierung der löslichen Guanylatzyklase
als Abbauprodukt des ATP. Das Superoxidanion (O2-), das Hy-
durch NO mit Bildung des cGMP (Gegenspieler des cAMP).
droxylradikal (OH-), das Wasserstoffperoxidmolekül (H2O2), die
hypochlorige Säure (HOCl) neutrophiler Granulozyten und das Bildung und Wirkung von NO können auf verschiedenen Stufen
Peroxinitritradikal (ONOO-) sind dabei die wichtigsten Verbin- blockiert werden: Die Induktion der iNOS kann durch Glukokor-
dungen. tikoide unterdrückt werden; die NO-Synthasen lassen sich durch
Peroxinitrit – gebildet aus dem NO- und dem Superoxidra- Argininanaloga wie L-NMMA (Thiemermann 2000b) hemmen,
dikal – ist ein potentes und hochreaktives Oxidans mit ausge- und die Aktivität der Guanylatzyklase kann durch Methylenblau
prägter zytotoxischer Wirkung, das besonders zur Endothelschä- blockiert werden.
digung führen kann, die Thrombozytenaggregation steigert und In der Schockauslösung und der Schocktherapie ist NO ein
die Ansprechbarkeit der Koronargefäße auf Vasodilatatoren ver- entscheidender Mediator. Die Hemmung der zellulären O2-Ver-
mindert (Lamy et al. 2001). wertungsstörung in den Organen durch NO-Inhibition einer
Treten die so entstandenen Sauerstoffradikale bzw. reaktiven Reihe mitochondrialer Enzyme (Aconitase, NADH-Ubichinon-
Verbindungen in Kontakt mit einer Zielzelle, so können sie auf Reduktase, Succinat-Ubichinon-Oxidoreduktase; Brealey et al.
verschiedene zelluläre Strukturen wirken: Zellmembran, Zytosol, 2002; Thiemermann 2000a) könnte dabei eine Ursache für die
Zellkern und Mitochondrien. Schließlich wird durch diesen oxi- erhöht gefundenen O2-Partialdrücke im Skelettmuskel von Sep-
dativen Stress eine Reihe von Genen aktiviert (»stress-response sispatienten sein.
genes«), die zur Bildung von Antioxidanzien, O2-radikalabbau-
enden Enzymen, Zytokinen und Transkriptionsfaktoren führen. Weitere Hormone und Mediatoren
Sie dienen einerseits der Reparatur von Zellschäden durch die Natriuretische Peptide wie ANP und BNP sind Indikatoren ei-
Sauerstoffradikale und bewirken, falls dies nicht möglich ist, den ner mit einer ungünstigen Prognose gekoppelten Herzfunkti-
gerichteten Zelltod (Apoptose). onseinschränkung. Darüber hinaus können Zytokine der IL-6-
Familie die Sekretion von ANP und BNP induzieren.
Stickstoffmonoxid In die Schockpathogenese sind noch zahlreiche weitere
Das zunächst als »endothelial-derived relaxing factor« klassifi- Hormone und Mediatoren – Endothelin, Vasopressin (7 Ab-
zierte NO wird enzymatisch aus Arginin gebildet. Drei Isoen- schn. 6.4.7), Adrenomedullin, Adhäsionsmoleküle, Hitzeschock-
zymformen der NO-Synthase sind dazu in der Lage: 2 konstitu- proteine, Arachidonsäurederivate u. a. – involviert (Thiemer-
tive Formen (cNOS), die zur Aktivierung die Bindung von Cal- mann 2000a; Müller-Werdan et al. 2006; Müller-Werdan u. Wer-
modulin an das Enzym nach einer Anhebung des Zell-Ca2+ be- dan 2005; Schlag u. Redl 1993).
190 Kapitel 6 · Schock

. Abb. 6.5. Kardiodepression in der Sepsis – Resultat der Beeinträch- stoffmonoxid; cGMP zyklisches Guanosinmonophosphat; IP3 Inositoltri-
tigung mehrerer inotroper Signaltransduktionswege. IL-1 Interleukin 1; phosphat; If Schrittmacherstrom (Zorn-Pauly et al. 2007); Complement
TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor-α; CDF kardiodepressiver Faktor; NO Stick- (cf. Müller-Werdan et al. 2006)

6.2.7 Zellstoffwechsel und Apoptose im 6.2.8 Zelluläre Mechanismen der akuten


septischen Schock septischen Kardiomyopathie

Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel sind im septischen Zahlreiche der im Schock und in der Sepsis gebildeten Media-
Schock in charakteristischer Weise verändert (Müller-Werdan et toren (Übersicht und Literaturangaben Müller-Werdan et al.
al. 2006; Werdan et al. 2005): Für die gesteigerte Proteolyse wird 2006) können eine Myokarddepression hervorrufen und damit
IL-1, zusammen mit der Wirkung erhöhter Glukagon- und Kor- zum Bild der akuten septischen Kardiomyopathie beitragen. Wel-
tisolspiegel, verantwortlich gemacht. Dieser gesteigerte Protein- che von den zahlreichen beschriebenen Wirkungen auf die Herz-
katabolismus betrifft zwar vorwiegend den Skelettmuskel (und muskelzelle jedoch tatsächlich klinische Relevanz besitzen, ist
damit auch die Atemmuskulatur), er dürfte jedoch auch für den bisher nur mit Einschränkung zu beantworten.
Herzmuskel nicht ohne Folgen sein. Die anfallenden Aminosäu- Die zurzeit am meisten favorisierte »negativ-inotrope Kaska-
ren werden einerseits zur Synthese von Akute-Phase-Proteinen de« ist die Endotoxin-TNF-α/IL-1-NO-cGMP-Kaskade (. Abb. 6.5;
in der Leber und andererseits für die Glukoneogenese genutzt. Müller-Werdan et al. 2006). Zirkulierendes Endotoxin stimuliert
Die erhöhten Glukosespiegel könnten in ausreichender Menge Mediatorzellen zur systemischen und myokardialen Freisetzung
das Substrat für glukoseabhängige Zellen zur Verfügung stellen. von TNF-α und IL-1. Tumor-Nekrose-Faktor-α und (wohl von
Allerdings wird die Glukoseaufnahme des wesentlichen gluko- geringerer Bedeutung) IL-1 induzieren dann die Bildung der iNOS
severbrauchenden Körperkompartiments, des Skelettmuskels, in im Herzen. Das von ihr gebildete NO stimuliert die lösliche Gua-
der Sepsis zunehmend gehemmt. Ein entscheidender Grund dafür nylatzyklase des Kardiomyozyten, und der daraus resultierende
ist die verminderte Aktivität des PDH-Komplexes des Skelettmus- cGMP-Anstieg führt schließlich über eine Hemmung des Ca2+-
kels bereits in der frühen Sepsisphase, während die Aktivität der Einstroms in die Zelle oder über eine Desensibilisierung der Myo-
Leber-PDH erst bei höheren Sepsisschweregraden gehemmt wird. filamente gegenüber Ca2+ zur Kardiodepression.
Die Hemmung der Pyruvatoxidation im Skelettmuskel führt Alle Einzelschritte sind weitgehend belegt. Die Gabe von En-
zur Freisetzung von Pyruvat und Laktat, das in der Leber zur dotoxin führt bei Probanden zur hyperdynamischen Herz-Kreis-
Glukoneogenese verwendet wird. Die gesteigerte Lipolyse ist im lauf-Situation mit Blutdrucksenkung, Vasodilatation und Steige-
septischen Schock überwiegend die Folge der erhöhten Katecho- rung des Herzindex bei gleichzeitiger Abnahme des Schlagarbeit-
lamin-, Kortisol- und Glukagonspiegel. Tumor-Nekrose-Faktor sindex als klinischem Inotropieparameter (Suffredini et al. 1989).
hemmt die endotheliale Lipoproteinlipase und trägt dadurch zur Auch der Anstieg des zirkulierenden TNF-α nach Endoto-
Erhöhung der Triglyzeridspiegel bei. xinapplikation ist bei Probanden gezeigt worden (Michie et al.
1988), und erhöhte TNF-α-Plasma-Spiegel finden sich auch im
> Ein Beispiel für die dramatischen Stoffwechselveränderungen septischen Schock. Bei therapeutisch mit TNF behandelten Tu-
im septischen Schock liefert die Substratutilisation des Herzens: morpatienten kann es zur ausgeprägten Myokarddepression
Während das gesunde Herz überwiegend Fettsäuren zur Ener- kommen. Im Tierexperiment führt die Gabe von TNF-α zu einer
gieproduktion verbrennt, schrumpft deren Anteil im septischen bis mehrere Tage anhaltenden Myokarddepression.
Schock auf 12% (Dhainaut et al. 1993). Es spricht also vieles dafür, dass die diskutierte »negativ-ino-
trope« Kaskade für die Myokarddepression in der Sepsis und im
septischen Schock wesentlich mitverantwortlich ist. Dennoch
scheint dies nicht der einzige kardiodepressive Mechanismus zu
sein:
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
191 6

4 Einerseits kann TNF-α im Experiment auch NO-unabhängig le Peroxinitrit, Wasserstoffperoxid und Hydroxylradikale gebil-
negativ-inotrop wirken. det, durch Interaktion von Superoxidanionen, NO und der eisen-
4 Andererseits wird durch TNF-α nicht nur die positiv-inotro- katalysierten Oxidation von Superoxidanionen.
pe Wirkung von β-Adrenozeptoragonisten, sondern auch die Der so entstehende oxidative Zellstress induziert die Bildung
von α-Adrenozeptoragonisten gehemmt. des Transkriptionsfaktors AP-1 und löst DNA-Einzelstrangbrüche
aus. Die DNA-Schäden aktivieren die PARP. Die PARP-Aktivierung
Aufbauend auf experimentellen Befunden dieser Art kann davon verbraucht ATP und Redoxäquivalente (NADPH), induziert damit
ausgegangen werden, dass neben der NO-cGMP-Kaskade auch eine Endothelzellschädigung sowie den Zelltod und potenziert die
noch andere Mechanismen für die negativ-inotrope Wirkung Aktivierung der Transkriptionsfaktoren AP-1 und NFκB.
von TNF-α verantwortlich sein müssen (. Abb. 6.5). Die belegte Letzteres hat die verstärkte Transkription und Translation der
Hemmung des Phosphoinositolstoffwechsels durch dieses Zyto- AP-1- und NFκB-abhängigen Gene für iNOS, ICAM, MIP-1 α,
kin erklärt die Hemmung der positiv-inotropen Wirkung von TNF-α und Komplement C3 zur Folge. Das aus C3 gebildete C5
α-Adrenozeptoragonisten, und die ebenfalls dokumentierte Ab- und die gesteigerte endotheliale Expression des Adhäsionsmole-
schwächung des Ca2+-Transients durch TNF schwächt alle ino- küls ICAM-1 führen zu einer verstärkten Einwanderung von ak-
tropen Effekte ab. Ebenfalls belegt ist die Hemmung des Ca2+- tivierten Leukoyzten in den inflammatorischen Fokus und bewir-
Einwärtsstroms durch einen kardiodepressiven Peptidfaktor, der ken damit eine Intensivierung der Bildung reaktiver Sauerstoff-
sich in Hämofiltraten von Patienten mit kardiogenem und sep- verbindungen. Der Teufelskreis wird mit der Triggerung weiterer
tischem Schock in Konzentrationen nachweisen lässt, die diese DNA-Strangbrüche durch den oxidativen Stress geschlossen.
Hemmwirkung in humanen Herzmuskelzellen hervorrufen Da natürliche Schutzstoffe gegen die Effekte der Sauerstoff-
(Hallström et al. 1993). radikale [Scavenger-Substanzen, Superoxiddismutase (Elsakka et
Endotoxin wirkt nicht nur kardiodepressiv, es hemmt auch al. 2001), Glutathion, Glutathionperoxidase, Katalase] im Intra-
den Schrittmacherstrom If und moduliert dessen Regulation zellularraum nur in geringer Konzentration vorliegen, können sie
durch den Sympathikotonus (Zorn-Pauly et al. 2007). Diese En- den als Folge der Reperfusion und Reoxygenation eintretenden
dotoxin-induzierte If-Hemmung könnte für die hochgradige Ein- Reperfusionsschaden, der durch Endothelläsion, intrazelluläres
schränkung der Herzfrequenzvariabilität, wie sie bei Schock, Ödem und letztlich deletären Einstrom von Kalziumionen in die
Sepsis und MODS gesehen wird, mitverantwortlich sein. Zellen charakterisiert ist, nicht verhindern.
> Der Reperfusionsschaden wird als wichtiger pathogenetischer
6.2.9 Reperfusionsschaden Faktor bei der Entwicklung des MODS im Schock gesehen.

Noch ausstehend ist der Nachweis der klinischen Wirksamkeit


Die Gewebeschäden sind nicht allein durch den Mangel an Sau- einer Antioxidanzientherapie (Mullan u. McCloskey 2002), der
erstoff während der Ischämiephase, sondern auch durch Reper- in zahlreichen Studien für folgende Substanzen nicht erbracht
fusion und Reoxygenation der ischämischen Organe bedingt werden konnte: Superoxiddismutase, Katalase, Glutathionpero-
(Abella u. Becker 2002). Bei der enzymatischen Reaktion der in xidase, Ascorbinsäure, Glutathion, Harnsäure, α-Tocopherol,
der Ischämiephase akkumulierten ATP-Abbauprodukte Hypo- Karotinoide, der Xanthinoxidasehemmer Allopurinol, Lazaroi-
xanthin und Xanthin mit Sauerstoff kommt es zur Bildung freier de, Pyruvat (Fink 2003), der Hemmung der Komplementaktivie-
Sauerstoffradikale (Wasserstoffperoxid, Superoxidradikal, Hy- rung (Ciurana u. Hack 2002), von PARP-Inhibitoren (Szabó u.
droxylradikal), die durch Lipidperoxidation die Aktivierung des Liaudet 2002; Liaudet et al. 2001) oder der Inhibition der MAP-
Prostaglandinsystems und eine Denaturierung von Zellmemb- Kinasen (Tulleken et al. 2001).
ranproteinen bewirken.
Freie Sauerstoffradikale rufen darüber hinaus eine verstärkte
Akkumulation polymorphkerniger Leukozyten hervor, begüns- 6.2.10 Neurohumorale und para-/autokrine
tigen das Leukozytensticking sowie über den »respiratory burst« Adaptation
die Bildung weiterer Sauerstoffradikale aus polymorphkernigen
Leukozyten. Demzufolge kommt der Leukozyten-Endothel-Inter- Zur Kompensation der schockbedingten Kreislaufveränderungen
aktion – Leukozyteneinwanderung, -rollen, feste Adhäsion, Ge- stehen dem Organismus verschiedene Sensoren des kardiovasku-
fäßtransmigration – via Adhäsionsmoleküle – Selektine, Integrine, lären Systems zur Verfügung, die ihre Information zentralnervös
Immunglobulinsuperfamilie, Cadherine – bei dem Ischämiereper- gesteuert an die Regelsysteme des Sympathikus und des Endokri-
fusionsschaden eine große Bedeutung zu (Finney et al. 2002). Ex- niums weiterleiten (. Abb. 6.6; Bond 1993; Kumar u. Parrillo
zessive NO- und damit Peroxinitritbildung, Komplementaktivie- 2001; Schmidt et al. 2005). Die einzelnen Sensoren und Regelsys-
rung (Ciurana u. Hack 2002) und Apoptoseinduktion (Abella u. teme werden dabei in unterschiedlichen Schockphasen aktiv.
Becker 2002) tragen wahrscheinlich ebenfalls entscheidend zum In der Präschockphase (Tachykardie, Oligurie; noch keine
komplexen Ischämiereperfusionsschädigungsmuster bei. Hypotonie, getrübtes Sensorium, Acidose) werden v. a. die Deh-
Ein weiterer Kandidat ist das Kernenzym PARP (Synonym: nungsrezeptoren des Niederdrucksystems (rechter Vorhof, Pul-
PAR-Synthetase, PARS; Liaudet et al. 2001; Szabo u. Liaudet monalarterien) aktiviert, sodass bei einer Abnahme des Intrava-
2002): Proinflammatorische Zytokine im Kreislaufschock produ- salvolumens oder einer Zunahme der venösen Kapazität eine
zieren reaktive Sauerstoffverbindungen via Stimulation der Xan- Sympathikusaktivierung des medullären Vasomotorenzentrums
thinoxidase, De-novo-Expression der induzierbaren NO-Syntha- resultiert. Auch die Barorezeptoren des Aortenbogens, des Karo-
se, Induktion einer mitochondrialen Dysfunktion und Rekru- tissinus und der Splanchnikusgefäße zeigen bereits einen gerin-
tierung von neutrophilen Granuloyzten mit Expression der gen Blutdruckabfall an und aktivieren damit ebenso Sympathi-
NADPH-Oxidase. Als Folge davon werden die Sauerstoffradika- kusfasern des medullären Vasomotorenzentrums.
192 Kapitel 6 · Schock

. Abb. 6.6. Neurohumorale Schockadaptation. In der frühen kardio- sowie ADH und einer intensiven Sympathikusstimulation durch das
vaskulären Stressphase kann die neurohumorale Adaptation auf die medulläre Kreislaufzentrum mit dem Ziel einer Volumenretention, einer
gesteigerte Aktivität des juxtaglomerulären Apparates sowie die Nieder- Anhebung des Venentonus, einer Steigerung der Herzfunktion und einer
druckmechanorezeptoren des rechten Vorhofs und der Lungenarterien Blutflussumverteilung zugunsten der Vitalorgane. MAP mittlerer arte-
limitiert sein. Bei Schockprogression kommt es zu einer sequenziellen rieller Blutdruck; ZNS Zentralnervensystem; ACTH adrenokortikotropes
Stimulation der Hochdruckbarorezeptoren sowie der vaskulären und der Hormon; ADH antidiuretisches Hormon; HRV Herzfrequenzvariabilität;
medullären Chemorezeptoren. Folge davon ist eine verstärkte neuro- weitere Erläuterungen s. Text. (In Anlehnung an Kumar u. Parrillo 2001)
humorale Aktivität mit Steigerung der Hypophysensekretion von ACTH

Sinkt der mittlere Blutdruck auf Werte unter 80–90 mmHg, > Der stärkste Stimulus für die Sympathikusaktivierung des
so kommt die Aktivität der Barorezeptoren des Aortenbogens medullären Vasomotorenzentrums sind jedoch bei mittleren
zum Erliegen, ebenso die des Karotissinus bei Druckwerten unter Blutdruckwerten unter 60 mmHg die medullären Chemo-
60 mmHg. Ab diesem Bereich tragen die vaskulären Chemore- rezeptoren: Sie werden bei einer Zunahme des pCO2 in
zeptoren, die unter physiologischen Bedingungen eher im Hin- Kombination mit einer zerebralen Ischämie aktiv und
tergrund stehen, entscheidend zur zentralen Sympathikusakti- stimulieren das Herz-Kreislauf-System maximal im Sinne
vierung bei: Abnahme des pO2, Zunahme des pCO2 und Abfall der Aufrechterhaltung eines ausreichenden Blut-
des pH-Werts sind ihre Aktivatoren. drucks.
6.2 · Pathophysiologie des Schocks
193 6

Auch das ADH (Vasopressin) spielt hierbei eine entscheidende sitivität und ebenso die Herzfrequenzvariabilität zeigen bei kri-
Rolle. Während die ADH-Freisetzung aus der Hypophyse unter tisch Kranken im schockbedingten MODS ausgeprägte, progno-
physiologischen Bedingungen der Regulation hypothalamischer sebestimmende Einschränkungen (7 Abschn. 6.5.1).
Kerne auf Änderungen der Serumosmolarität folgt, dominiert bei Auf welcher Ebene Toxine und Mediatoren diese autonome
extensiver Hypovolämie die Stimulation von Dehnungsrezep- Dysfunktion bewirken – Zentralnervensystem, autonomes Ner-
toren die ADH-Freisetzung und führt damit zur Wasserretenti- vensystem, Zielzelle (. Abb. 6.7) – bleibt noch zu klären; experi-
on. Der juxtaglomeruläre Apparat der Niere reagiert auf seine mentell ist bei spontan schlagenden neonatalen Kardiomyozyten
Minderperfusion bei Hypovolämie und Schock mit einer Freiset- (»Schrittmacherzellen«) durch Züchtung der Zellen in Endoto-
zung von Renin. xin eine Einschränkung der Schlagfrequenzvariabilität zu erzie-
Die Kompensationsmechanismen im Schock dienen dazu, len, ohne dass dabei das autonome Nervensystem involviert ist
den O2-Transport zu lebenswichtigen Organen sicherzustellen. Sie (Schmidt et al. 2007, 2008).
laufen bei verschiedenen Schockstadien und Schockformen in qua-
litativ ähnlicher Weise, quantitativ aber unterschiedlichem Aus- Hypothese der gestörten Organinteraktion
maß ab und lassen sich jeweils einer der 4 Kategorien zuordnen: Bei Patienten mit septischem und nichtseptischem MODS findet
4 Aufrechterhaltung des venösen Zirkulationsdrucks, sich eine erhebliche autonome Dysfunktion (»uncoupling of bio-
4 Optimierung der Herzfunktion, logical oscillators«; Godin u. Buchman 1996), die sich z. B. als Ein-
4 Blutumverteilung zur Aufrechterhaltung der adäquaten schränkung der Herzfrequenzvariabilität messen lässt. Im Gegen-
Durchblutung der Vitalorgane, satz zur autonomen Dysfunktion Herzkranker mit gesteigerter
4 Erleichterung der O2-Abgabe im Gewebe. Sympathikusaktivierung scheint diejenige des MODS-Patienten
von einer Abschwächung sowohl der Sympathikus- als auch der
Parasympathikusaktivität geprägt zu sein (Schmidt et al. 2008).
6.2.11 Autonome Dysfunktion Auch bei Gesunden kann durch Endotoxinabgabe eine Herzfre-
quenzstarre ausgelöst werden. Die Hypothese des »uncoupling of
Zusätzlich zu den intrinischen Anpassungsmechanismen der biological oscillators« bei MODS (Godin u. Buchman 1996) geht
neurohumoralen und auto-/parakrinen Regelkreise im Schock davon aus, dass Bakterientoxine und Zytokine eine autonome Dys-
können Bakterientoxine (Endotoxin) und möglicherweise auch funktion hervorrufen können. Die daraus resultierende Störung
Mediatoren eine Fehlstellung der Stellglieder induzieren (Schmidt der Organinteraktion und der bedarfsorientierten Organfunkti-
et al. 2005, 2006): Sowohl die Baro- als auch die Chemoreflexsen- onen könnte zur ungünstigen Prognose des MODS beitragen.

. Abb. 6.7. Extrinsische und intrinsische Modulatoren der Herzfrequenz- mit Schock, Sepsis und MODS können Bakterientoxine und möglicherwei-
variabilität bei Patienten mit Schock, Sepsis und Multiorgandysfunktions- se auch Mediatoren modulierend auf die Signale des autonomen Nerven-
syndrom (MODS). Die sympathovagale Modulation der Herzfrequenz und systems eingreifen. Diese Modulation kann sowohl auf der Ebene von
der Herzfrequenzvariabilität auf der Ebene des Sinusknotens ist das Ergeb- Sympathikus und Parasympathikus, auf der Ebene des Zentralnervensys-
nis mehrerer Reflexmechanismen. Zu den kardiovaskulären Kontrollstatio- tems als auch auf der Ebene der Zielzelle (Schrittmacherzellen im Sinus-
nen zählen die depressorische Region der Medulla oblangata, der dorsale knoten) erfolgen. In letzterem Fall modulieren Toxine und Mediatoren die
Vaguskern, pressorische Sympathikusneurone und der arterielle Barore- rezeptorvermittelte Sympathikus-/Parasympathikussignalübertragung bis
flex. Zu den respiratorischen Kontrollstationen zählen die Atemzentren im hin zur Beeinflussung der an der Schrittmacherfunktion beteiligten Ionen-
Bereich der Pons und der Medualla oblangata, die pulmonalen Dehnungs- kanäle. Eine Einschränkung der Herzfrequenzvariabilität im Sinne eines
rezeptoren und die peripheren/zentralen Chemorezeptoren. Bei Patienten »uncoupling of biological oscillators« ist die Folge
194 Kapitel 6 · Schock

Übersicht 6.4. Schockerstversorgung – Richtwerte für MAP, PAOP und HI. (Nach Kumar u. Parrillo 2001)

4 Schockdiagnose und Schockschweregradeinschätzung – HI >4,0–4,5 l/min×m2 (septischer Schock, erstversorgter


– Klinische Diagnose traumatischer/hämorrhagischer Schock)
Tachykardie, Tachypnoe, Zyanose, Oligurie, Enzephalo- – Optimierung der O2-Versorgung
pathie (Verwirrtheit), Hypotension (systolischer Blut- – ggf. Intubation, Atemunterstützung und maschinelle
druck <90 mmHg), Zentralisierung (kalte Peripherie) Beatmung nach Standardkriterien
vs. Hyperzirkulation (warme Peripherie), Anamnese! – Hämoglobin 5–6,2 mmol/l
– Technische Untersuchungen – Arterielle O2-Sättigung >92%
Blutbild, Thrombozyten, Quick-Wert, PTT, Kreatinin, Na, – Gemischtvenöse O2-Sättigung >60%
K, Ca, CK-MB, Troponin, D-Dimere, arterielle Blutgase, – Versuch der Serumlaktatnormalisierung (Werte
Laktat, EKG, Thoraxröntgenaufnahme, evtl. bildgebende <2,2 mmol/l anstreben)
Verfahren, evtl. Herzkatheter 4 Behandlung einer Multiorgandysfunktion
4 Basistherapie
6 – Herz-Kreislauf-Stabilisierung
– Beseitigung der Enzephalopathie
– Aufrechterhaltung einer Urinausscheidung >0,5–0,7 ml/
– MAP>60–65 mmHg; höhere Werte bei KHK kgKG/h
– PAOP=10–15 mmHg (bei kardiogenem Schock müssen 4 Schockformenspezifische Versorgung (7 Abschn. 6.4)
ggf. höhere Werte akzeptiert werden; ein 4 Diagnosesicherung der vorliegenden Schockform, möglichst
PAOP<10 mmHg zeigt beim septischen Schock eine weitgehende ätiologische Abklärung
Hypovolämie an, ein oberer Zielwert ist nicht aus- 4 Beginn und Durchführung der schockformspezifischen, mög-
reichend validiert) lichst kausalen Therapie
– HI >2,1 l/min×m2 (kardiogener, obstruktiver Schock)

6.3 Diagnostik und Monitoring des Schocks unabhängige Notfallkrankheitsbilder mit möglicher kausaler The-
rapie können klinisch die Schockdiagnose erschweren.
Schock bedeutet für den Patienten immer eine lebensbedrohliche Im Schock machen die Patienten in der Regel einen schwer-
Notfallsituation. Er erfordert ein sofortiges Handeln, beginnend kranken Eindruck. Sie sind apathisch oder verwirrt, somnolent
in der Prähospitalphase (Christ u. Lackner 2004), fortgesetzt in oder gar bewusstlos. Im hypodynamen Schock ist die Haut blass,
der Notaufnahme (Laggner 2004) und schließlich auf der Inten- die Akren fühlen sich kühl an und sind von kaltem Schweiß be-
sivstation. deckt. Die arteriellen Pulse sind weich, die Extremitätenvenen
Bei der Erstversorgung müssen Basisdiagnostik und -thera- (Jugularvenen) sind im hypovolämischen Schock fast blutleer;
pie zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen werden. Diese beim akuten Rechtsherzversagen erscheinen die Halsvenen prall
Basisversorgung dient primär der Kreislaufstabilisierung und gilt gefüllt. Muskeltonus und Reflexerregbarkeit sind herabgesetzt.
für alle Schockformen. Sie mündet nach Feststellung der Schock- Meist klagen die Kranken über starken Durst. Beschleunigte At-
form in eine schockformspezifische Behandlung. mung, Abfall des Blutdrucks, Tachykardie und periphere Zyanose
sind häufige Begleitsymptome. Schmerzen, Bluterbrechen, Mete-
> Je kürzer die Schockdauer ist, je schneller die Stabilisierung des
orismus, erhöhte Bauchdeckenspannung, Fieber, Herzrhythmus-
Kreislaufs erreicht wird und je früher die schockformspezifische
störungen und Orthopnoe weisen auf spezielle Ursachen oder auf
Behandlung begonnen werden kann, umso günstiger ist die
Komplikationen, eine warme, trockene Haut auf ein septisches
Prognose.
Geschehen, ein Laryngospasmus auf eine Anaphylaxie hin.
Patienten, bei denen ein Kreislaufschock vermutet wird, sollten Eigen- und Fremdanamnese, falls verfügbar, können durch
auf der Intensivstation weiter betreut und behandelt werden. Die Hinweise auf die Schockentstehung und Schockursache die kli-
in der 7 Übersicht 6.4 aufgeführten technischen Untersuchungen nische Untersuchung komplettieren.
schließen sich an. Auch der zeitliche Verlauf erlaubt oft wertvolle Rückschlüsse
Patienten mit unklarer Schockätiologie oder mit einer sich auf die Ursache. Geläufig sind:
nach Volumensubstitution nicht rasch stabilisierenden Kreislauf- 4 dramatischer Beginn bei:
labilität sollten baldmöglichst einem invasiven hämodyna- 5 plötzlichem Herzstillstand (Adams-Stokes-Anfall),
mischen Monitoring unterzogen werden (7 Abschn. 6.3.4). 5 massiver Lungenembolie,
5 Anaphylaxie;
4 subakuter Beginn bei:
6.3.1 Klinische Diagnostik 5 Myokardinfarkt,
5 larviert verlaufenden inneren Blutungen,
Die Symptome einer akuten Kreislaufinsuffizienz können alle Gra- 5 starker Schmerzeinwirkung,
de von vorübergehendem Schwindel bis zum Vollbild eines Kreis- 5 Verlauf einer Peritonitis;
laufschocks mit Bewusstlosigkeit und Krämpfen durchlaufen und 4 schleichender Beginn des Volumenmangelsyndroms bei:
werden zusätzlich durch die Eigenart der Schockursache (Verbren- 5 allgemeiner Dehydratation, z. B. im Gefolge anhaltenden
nung, Blutung, Herzinfarkt, Sepsis etc.) geprägt. Der Blutdruck Erbrechens,
kann dabei initial noch normal oder durch die maximale Sympa- 5 diabetischem Koma,
thikusaktivierung sogar leicht angehoben sein. Zahlreiche, schock- 5 polyurischen Nierenerkrankungen.
6.3 · Diagnostik und Monitoring des Schocks
195 6

Übersicht 6.5. Klinisch-hämodynamische Basisdiagnostik des kardiogenen Schocks

Klinische Zeichen der Kreislaufzentralisationa und – Aktuelle Medikation


Organdysfunktion – Allgemeinzustand, Bewusstsein (Eintrübung, Unruhe)
4 Agitiertheit – Inspektion
4 Blasse, kühle, schweißige Haut – Hautzustand
4 Zyanose – Operationsnarben (Thorakatomie, Venenentnahmen)
4 Oligurie (Urinvolumen <20 ml/h) – Klinische Zeichen der Hypoperfusion
Hämodynamische Zeichen – Hautperfusion und Hautkolorit (blass, marmoriert)
4 Systolischer Blutdruck <90 mmHgb oder Blutdruckabfall um – Hauttemperatur (kühl, kalt-schweißig)
mindestens 30 mmHg vom Ausgangswert für mindestens – Pulsqualität und Herzrhythmus
30 minc – Tachykard/bradykard
4 Systolischer Blutdruck >90 mmHg, aber Notwendigkeit ei- – Regulär/irregulär
ner Katecholamingabe und/oder einer IABP zur Stabilisie- – Peripheres Pulsdefizit
rung des Blutdrucks, mit entsprechenden klinischen Zei- – Auskultation der Lunge
chenc – Lungenödem, Pleuraergüsse
Parameter des erweiterten invasiven hämodynamischen – Auskultation des Herzens
Monitoring, wie in Studien für den infarktbedingten kardio- – Abgeschwächte Herztöne
genen Schock eingesetztd (nicht zwingend erforderlich) – Dritter und vierter Herzton, Galopprhythmus
4 MAP<65 mmHg – Systolische Geräusche (Aortenklappenstenose, Mitralin-
4 HI<2,2 l/min×m2 b suffizienz, Ventrikelseptumdefekt)
4 Pulmonalkapillardruck >15 mmHg – Diastolische Geräusche (Aorteninsuffizienz, Mitralklap-
4 Zeichen der Endorganhypoperfusion: kühle Extremitäten penstenose)
oder Diurese <30 ml/h – Zeichen des Linksherzinsuffizienz
4 Herzfrequenz >60/min – Lungenödem
Anamnese und körperliche Untersuchung – Zeichen der Rechtsherzinsuffzienz
4 Genaue Erhebung der Krankenvorgeschichte (Patienten, – Gestaute Halsvenen (Beobachtung in 15- bis 30°-Ober-
Angehörige oder mitbehandelnde Ärzte) ist unverzichtbar köperhochlagerung)
4 Aktuelle Anamnese, Medikamenteneinnahme sowie kör- – Periphere Ödeme/Anasarka
perliche Inspektion und Untersuchunge mit besonderer Be- – Abgeschwächtes Atemgeräusch basal (Pleuraergüsse)
achtung der folgenden Punkte: – Hepatomegalie/Aszites
– Vorgeschichte
– Kardiale Vorerkrankungen a Adams et al. 2001; b Hasdai et al. 2000a (7 »Studienverzeich-
– Interventionen (periphere Gefäße, Karotiden, Korona- nis«); Hollenberg 2001; Menon et al. 2000a; c Califf u. Bengtson
rarterien) 1994; d Hochman et al. 1999; e Alpert u. Becker 1993; Califf u.
– Kardiochirurgische Eingriffe Bengtson 1994.

Die Entwicklung eines septischen Schocks kann foudroyant oder > Das klinische Bild des Schockpatienten ändert sich mit der Be-
protrahiert einsetzen. handlung (Laggner 2004): Der unbehandelte Patient mit sep-
Mit zunehmendem Blutdruckabfall vermindert sich auch die tischem Schock in der Notaufnahme ist ein Patient mit zentrali-
Blutdruckamplitude, von den verschiedenen Formen des Vertei- siertem, »kühlem« Schock, der behandelte Patient mit sep-
lungsschocks abgesehen. Auch der reguläre Blutdruck des Pati- tischem Schock auf der Intensivstation zeigt das »klassische«
enten muss bedacht werden: Bei einem Hypertoniker kann ein Bild des »warmen«, hyperzirkulatorischen Schocks.
aktuell normaler Blutdruck bereits eine erhebliche Minderperfu-
sion anzeigen. Ein dritter und vierter Herzton, ein Vitiumge- Das Vorgehen bei klinischem Schockverdacht im Rahmen der
räusch, prall gefüllte Jugularvenen und ein hepatojugulärer Re- Erstversorgung zeigt die 7 Übersicht 6.4. Empfehlungen zur kli-
flux können den kardiogenen Schock anzeigen. nisch-hämodynamischen Basisdiagnostik bei kardiogenem
Beim obstruktiven Schock variieren die Symptome. Die Schock sind der 7 Übersicht 6.5 zu entnehmen.
Lungenembolie manifestiert sich durch relativ akut auftretende
Dyspnoe und Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz. Die Peri-
kardtamponade kann sich durch das Kussmaul-Zeichen, einen 6.3.2 Labordiagnostik
Pulsus paradoxus und sehr leise Herztöne äußern. Der septische
Schock ohne Neutropenie manifestiert sich in der Regel mit In der frühen Schockphase besteht häufig eine mäßige Leukozy-
einem Fokus, mit Fieber, Schüttelfrost und warmen Extremi- tose; in der späten Schockphase und auch bei Sepsis kann eine
täten. Blutungen und thrombembolische Komplikationen kön- Leukopenie auftreten. Die Beeinflussung des roten Blutbilds
nen bei diesen Patienten auf eine Verbrauchskoagulopathie hin- hängt von der Schockursache ab. Eine scheinbare Polyglobulie
weisen. Kranke mit septischem Fieber und Neutropenie weisen mit Hämatokritanstieg kann bei nichthämorrhagischem hypo-
häufig keinen Fokus auf; der septische Schock kann sowohl mit volämischem Schock und beim septischen Schock mit Extra-
hohem Fieber als auch mit Hypothermie einhergehen. vasation gefunden werden. In der Stressphase des Kreislauf-
196 Kapitel 6 · Schock

schocks findet sich initial eine Thrombozytose, die jedoch bei tigere Prognose (Spies et al. 1998). Ursache für diese Herzschädi-
zunehmender Sepsis rasch in eine Thrombozytopenie und nach gung sind neben sepsisverursachten Gerinnungsstörungen im
adäquater Volumensubstitution eines massiven hämorrha- Bereich der Koronarzirkulation v. a. auch Myokardischämien bei
gischen Schocks in eine Verdünnungsthrombozytopenie über- Patienten mit vorbestehender KHK.
gehen kann.
! Cave
Blutgas- und Elektrolytanalyse können bei hypovolämischem
Das Auftreten von Herzinfarkten bei Sepsispatienten ist zumin-
Schock mit exzessiven Durchfällen eine metabolische Acidose
dest häufiger als angenommen und wird nicht selten übersehen
ohne Anionenlücke anzeigen, bei hypovolämischem Schock mit
(Hoffmann u. Welte 2002).
Erbrechen eine metabolische Alkalose. Eine metabolische Acido-
se mit Anionenlücke (meist infolge erhöhter Laktatspiegel) weist Eine engmaschige Kontrolle von EKG, Troponinspiegel und
häufig auf eine prolongierte Gewebeminderperfusion hin. Krea- Herzfunktion (z. B. echokardiographisch) bei Herzpatienten in
tinin und Harnstoffstickstoff zeigen zu Schockbeginn in der Re- der schweren Sepsis ist auf jeden Fall empfehlenswert.
gel keine Veränderungen. Ein Anstieg des Harnstoffstickstoffs bei
normalem Kreatinin kann bei Anämie ein Hinweis auf eine gas- ANP, NT-proBNP und NBP. BNP und die Vorstufe NT-proBNP
6 trointestinale Blutung sein. Die Blutgasanalyse überwacht die sind bei Herzinsuffizienz und akutem Koronarsyndrom erhöht.
adäquate Oxygenierung und weist auf Störungen des Säure-Ba- Ein eindeutiger Cut-off-Wert für den kardiogenen Schock ist al-
sen-Haushalts im Schock hin. lerdings nicht definiert.
Bei schwerer Sepsis und septischem Schock scheint das seri-
Laktat. Erhöhte arterielle Serumlaktatspiegel, besonders seriell elle NT-proBNP-Monitorig innerhalb der ersten 7 Tage nach Di-
gemessen, weisen auf eine ausgeprägte O2-Gewebeminderversor- agnosestellung prognostische Bedeutung zu haben: Während bei
gung hin; Werte über 1 mmol/l sprechen für eine Zunahme des den später Versterbenden die NT-proBNP-Spiegel stark erhöht
Letalitätsrisikos, das bei einem Laktatanstieg von 1 auf 4 mol/l bleiben oder sogar weiter ansteigen, sinken sie bei den Überle-
etwa von 10 auf 90% ansteigt. Die Wertigkeit des Laktats als benden signifikant ab.
prognostischer Marker ist jedoch aus einigen Gründen einge-
schränkt: Gerinnungsparameter. Da Patienten mit akuten kardialen Er-
4 Es ist ein relativ später Marker der Minderperfusion. krankungen in der Regel antithrombotische, antithrombozytäre
4 Da das Laktat von der Leber verstoffwechselt wird, können ein und fibrinolytische Substanzen singulär oder in Kombination
Leberversagen zu »falsch-hohen« und eine besonders aktive erhalten, ist die standardmäßige Bestimmung von Parametern
Leberfunktion zu »falsch-niedrigen« Laktatspiegeln führen. der Blutgerinnung obligat:
4 Glykolyse und Alkalose können ischämieunabhängig eben- 4 Thrombozyten,
falls einen Laktatanstieg hervorrufen. 4 aPTT,
4 Prothrombinzeit,
Ungeachtet dieser Einschränkungen kann ein erhöhter Laktat- 4 Fibrinogenkonzentration,
spiegel als Ausdruck einer ausgeprägten Gewebeminderperfusi- 4 D-Dimere (bei Verdacht auf Beinvenenthrombose, Lungen-
on angesehen werden; serielle Messungen können die Effektivität embolie).
der Schockbehandlung belegen.

Prokalzitonin. Ein erhöhter Serumprokalzitoninwert spricht für 6.3.3 Technisch gestützte Diagnostik
eine schwere mikrobielle Infektion bzw. Sepsis (de Werra et al.
1997: Bei Werten bis 0,5 μg/l ist eine schwere mikrobielle Infekti- Sobald die Umstände dies gestatten, sollten vorrangig ein EKG
on unwahrscheinlich, bei Werten über 0,5 μg/l wahrscheinlich, und eine Thoraxröntgenaufnahme angefertigt werden. Bildge-
mit Spitzenwerten bei Sepsis von 30 μg/l und darüber). bende (Janssens u. Werdan 2006; Müller-Werdan u. Werdan
2005) und invasive Verfahren (s. unten), evtl. kombiniert mit in-
Troponine und CK-MB. Die Marker des myokardialen Zellscha- terventionellen Maßnahmen, ergänzen die Diagnostik und bie-
dens haben eine zentrale Bedeutung für Diagnose, Differenzial- ten erste therapeutische Ansätze.
diagnose und Therapie des kardiogenen Schocks. Mit einer Er-
höhung der kardialen Troponine T und I (cTnT, cTnI) ist ab 2 h
nach Eintritt des Myokardschadens im Sinne eines Non-ST- bzw. 6.3.4 Monitoring
ST-Segment-Hebungsinfarkts zu rechnen. Ein Anstieg der CK-
MB (normal 6–10% der gesamten CK) ist nach 4–6 h zu erwar- Das Monitoring und entsprechende therapeutische Konse-
ten. Die CK-MB ist weiterhin ein wichtiger Marker in der Diag- quenzen sind in den 7 Übersichten 6.4 und 6.6 wiedergegeben
nositk des Reinfarkts und der Infarktausdehnung. (Müller-Werdan u. Werdan 2005). Fortlaufend registriertes EKG-
und Pulsmonitoring sind selbstverständlich.
> Die Höhe der Troponin- sowie CK-MB-Anstiege und das Flächen-
Das Basismonitoring für den Patienten mit kardiogenem
integral korrelieren zwar mit der Infarktausdehnung und der un-
Schock zeigt 7 Übersicht 6.7.
günstigen Prognose, ein Cut-off-Wert für den infarktbedingten
kardiogenen Schock kann allerdings nicht angegeben werden.
Invasives hämodynamisches Monitoring
Ein nicht unerheblicher Anteil (>50%) der Patienten mit schwerer Arterielle Druckmessung. Bei allen Patienten mit Kreislaufschock
Sepsis und septischem Schock zeigt erhöhte Troponinserumspie- sollte eine kontinuierliche, blutige arterielle Druckmessung er-
gel und weist damit auf eine Myokardschädigung in der Sepsis folgen, da die manuelle Messung mit der Manschette oder mit
hin. Patienten mit erhöhten Troponinwerten haben eine ungüns- nichtinvasiven oszillometrischen Techniken aufgrund der Zent-
6.3 · Diagnostik und Monitoring des Schocks
197 6

Übersicht 6.6. Monitoring des Schockpatienten als Basis einer kontrollierten und optimierten Therapie

a) Bestätigung der korrekten Schockdiagnose – Monitoring der Urinausscheidung


– Differenzialdiagnose des Schocks: Rechtsherzkathete- – Maximierung des HZV/HI mithilfe der Volumensubs-
risierung (. Tab. 6.2) titution
– Intraarterielle Druckmessung: Ungenauigkeit der – Pulmonale Shunts: Cave: mögliche Zunahme durch
nichtinvasiven Blutdruckmessung mit Manschette Pharmaka
im Schock – Eingeschränkte Hirndurchblutung: Herz-Kreislauf-
– Quantifizierung von Schweregrad und funktioneller Re- Stabilisierung, Vorliegen von Karotisstenosen?
levanz der Herzfunktionseinschränkung (. Tab. 6.2) – Eingeschränkte Gastrointestinaltraktdurchblutung:
b) Gewährleistung des sofortigen Erkennens und der raschen Monitoring mit Magenmukosa-pH-Tonometrie(??)
Behandlung von Blutdruckänderungen – Pulsoxymetrie: Cave: in der Frühphase des Schocks nur
– Blutdruckinstabilität im Schock bedingt verwertbar
c) Elimination von Ursachen, die zu Myokarddepression, – Magenmukosa-pH-Tonometrie bzw. -pCO2: weitere Vali-
Gefäßdysregulation und Stoffwechselentgleisung führen dierung vor genereller Empfehlung erforderlich
– Korrektur einer Hypoxie e) Rhythmusmonitoring
– Korrektur einer Acidose – Antiarrhythmika nur bei eindeutiger Indikation
– Korrektur von Hypophosphatämie und Hypokalzämie – Elektrische Kardioversion
– Korrektur von sonstigen Elektrolytstörungen f ) Optimierung der Atmung/Beatmung und Reduktion der
d) Hämodynamisches Monitoring zur Therapieoptimierung Herzarbeit
– Volumensubstitution: Optimierung der Vorlast – Optimierung der Oxygenierung; Kontrollparameter: paO2
– Pulmonalkapillardruck (arterieller O2-Partialdruck); SaO2 (arterielle O2-Sättigung)
– Rechtsatrialer Druck – Erhöhte Atemarbeit durch Atemunterstützung reduzieren
– Substitution großer Flüssigkeitsmengen. (v. a. bei eingeschränktem HZV/HI)
Cave: Lungenödem – Belastung des Herzens durch PEEP, CMV, IMV u. a. Beat-
– Therapie mit inotropen und vasoaktiven Substanzen mungsformen bedenken
– Optimierung des HZV/HI – Anxiolyse, Analgesie, Fiebersenkung
– Nach Erzielen des optimalen HZV/HI: pharmakolo- – Cave: myokarddepressive Medikation: Anästhetika,
gische Blutdrucksteigerung mit Nachlasterhöhung, Barbiturate, Meperiden, Kombination von Opioiden und
falls erforderlich Benzodiazepinen
– Gewährleistung der exakten Infusionsgeschwindigkeit g) Fokussanierung, Antibiotika bei Infektion/Sepsis
– Optimierung der Organdurchblutung h) Kausale Therapie: soweit möglich, der rein symptomatischen
– Bei Oligurie Behandlung vorziehen

Übersicht 6.7. Basismonitoring bei Patienten mit kardiogenem Schock – zwingend erforderliche apparative Untersu-
chungen

1. Aufgrund der hohen Sterblichkeit des kardiogenen Schocks – Körpertemperatur


sind diagnostische und therapeutische Maßnahmen unver- – Röntgenübersichtsaufnahme der Thoraxorgane
züglich und – in Abhängigkeit von der Akuität des Krank- – 12-Ableitungs-EKG
heitsbilds – simultan durchzuführen – Echokardiographie
2. Basismonitoring (zwingend bei allen Patienten) – Labor (TnT/TnI, CK-MB, Laktat, Gerinnung, u. a.)
– Kontinuierlich oder – Blutgasanalysen
– Verlaufsorientiert/diskontinuierlich Ad 3. Erweitertes hämodynamisches Monitoring
3. Erweitertes hämodynamisches Monitoring (bis zur hämo- 4 Bei jedem Patienten mit kardiogenem Schock und insbeson-
dynamischen Stabilisierung) dere bei jedem Patienten mit infarktbedingtem kardiogenen
– HZV als wichtigste Regelgröße Schock sollte baldmöglichst ein PAK-Monitoring zur Verlaufs-
4. »Cardiac power output« (Cpo)/»cardiac power index« (Cpi) kontrolle und Therapiesteuerung bis zur hämodynamischen
Ad 2. Basismonitoring Stabilisierung durchgeführt werden
4 Kontinuierlich 4 Eine zunehmend genutzte Alternative zum PAK-Monitoring
– EKG-Monitoring von Herzfrequenz und -rhythmus ist die arterielle Pulskonturanalyse mittels »PiCCO«, mit »Vor-
– Invasive arterielle Blutdruckmessung! last-Parametern ITBV und GEDV (besser als PAOP)
– Atemfrequenz – Die klinische Validierung und Wertung bei Patienten mit
– Pulsoxymetrie kardiogenem Schock wurde aber bisher noch nicht durch-
– Urinvolumen (Blasenverweilkatheter) geführt
4 Verlaufsorientiert/diskontinuierlich – Cave: Bei Patienten mit IABP ist PiCCO aufgrund der verän-
– ZVD (etwa die Hälfte der Experten ist dafür) derten Pulskontur nicht zuverlässig
198 Kapitel 6 · Schock

ralisierung und der Vasokonstriktion unzuverlässig ist. In der > Bei Patienten mit infarktbedingtem kardiogenen Schock ist der
Regel wird hierfür die A. radialis kanüliert; bei schwerster Zent- Cpi der beste unabhängige Prädiktor der Krankenhaussterblich-
ralisation sollte allerdings die A. femoralis bevorzugt werden. keit (Fincke et al. 2004).

Zentraler Venendruck. Die Messung des ZVD ist bei kritisch Die Kombination aus Echokardiographie, HZV/HI-Messung
Kranken, insbesondere Schockpatienten, für das hämodyna- und Bestimmung des Cpo (Cpi) stellt derzeit das verlässlichste
mische Monitoring normalerweise nicht genügend, eine Ab- und prognostisch wohl relevanteste Monitoringkonzept dar
schätzung der linksventrikulären Vorlast kann damit nicht aus- (. Abb. 6.8).
reichend sicher durchgeführt werden, ebenso wenig wie mit der
klinischen Einschätzung allein. Pulmonalarterienkatheter. Der PAK ist nach wie vor ein
Grundpfeiler der erweiterten hämodynamischen Überwachung
Herzzeitvolumen. bei Patienten mit kardiogenem Schock (Janssens u. Werdan
2006).
> Für die Therapieoptimierung des Patienten im kardiogenen
Der Einsatz des PAK wird von den intensivmedizinischen
6 Shock ist die Kenntnis des HZV zwingend erforderlich. Das HZV
Gesellschaften bei Patienten mit Schock bei folgenden Indika-
ist die Regelgröße des Herz-Kreislauf-Systems und wird im We-
tionen empfohlen, meist allerdings nur mit dem niedrigen Evi-
sentlichen durch Vorlast, Nachlast und Kontraktilität sowie Herz-
denzgrad der Expertenmeinung (Pulmonary Artery Consensus
frequenz bestimmt.
Conference Participants 1997; Mueller et al. 1998):
Klassische klinische Zeichen wie Blutdruck, Urinausscheidung, 4 akuter Myokardinfarkt mit progressiver Hypotension, kardio-
Halsvenenfüllung, Hautperfusion und Hautturgor erlauben kei- genem Schock oder mechanischen Infarktkomplikationen,
ne zuverlässige Einschätzung der Hämodynamik beim schwer- 4 (»kompliziert verlaufender Linksherzinfarkt«),
kranken Intensivpatienten (Eisenberg et al. 1984). 4 Rechtsherzinfarkt mit Hypotension,
Als neuer Monitoringparameter bieten sich Cpo und Cpi an 4 schwere oder progressive kongestive Herzinsuffizienz: Vor-
(Cotter et al. 2003a,b): wärtsversagen mit Hypotonie und Oligurie sowie
4 Rückwärtsversagen mit Dyspnoe und Hypoxämie (Lungen-
Cpi (Cp) = HI(HZV) × MAP × 0,0022 [W/m2] [W] ödem),
4 Schock, bei ausbleibender Besserung auf die Gabe von Volu-
Cp und Cpi repräsentieren die zur Aufrechterhaltung des Kreis- men oder Vasopressoren,
laufs zu erbringende Leistung des Herzens, die sich aus einer dy- 4 septischer Schock, ohne Ansprechen auf Volumengabe und
namischen (Blutfluss) und einer statischen Komponente (Blut- niedrig dosierte Gabe von inotropen/vasopressorischen
druck) zusammensetzt. Patienten mit kardiogenem Schock besit- Pharmaka,
zen einen Cpi von 0,1–0,4 W/m2; dagegen liegt der Normalbe- 4 Unterscheidung von kardiogenem und nichtkardiogenem
reich bei 0,5–0,7 W/m2. Schock, falls anderweitig keine Differenzierung möglich.

. Abb. 6.8. Monitoringkonzept bei kardiogenem Schock. Erläuterung s. Text. (Aus Janssens u. Werdan 2006)
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
199 6

Weiterentwicklungen des Pulmonaliskatheters ermöglichen die 6.3.5 Prädiktoren des kardiogenen Schocks
Messung der rechtsventrikulären Auswurffraktion und der
rechtsventrikulären Volumina (hilfreich z. B. bei Rechtsherzin- Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom wurden klinische Mo-
farkt zur Diagnosesicherung und Therapiesteuerung; z. B. REF- delle entwickelt, die zuverlässig das Auftreten eines kardiogenen
Katheter) sowie die kontinuierliche Bestimmung der gemischtve- Schocks im weiteren Verlauf vorhersagen können. Für den Patien-
nösen O2-Sättigung und des HZV (z. B. Vigilance-System). ten mit STEMI erfolgte dies auf der Grundlage der GUSTO-I- und
GUSTO-III-Studiendaten. Dieser Risiko-Score, der innerhalb we-
PiCCO-System. Eine zunehmend genutzte Alternative zum PAK niger Minuten in der Notaufnahme erhoben werden kann, erlaubt
ist die arterielle Pulskonturanalyse mithilfe des PiCCO-Systems auf schnelle und unkomplizierte Weise, eine frühzeitige Abschät-
(Janssens u. Werdan 2006). Mit dieser Methode ist zwar keine zung des Risikos einer Schockentstehung im weiteren klinischen
Bestimmung der Drücke im kleinen Kreislauf sowie des pulmo- Verlauf (Hasdai et al. 2000b, 2000c; 7 »Studienverzeichnis«).
nalen Gefäßwiderstands möglich, wohl aber neben der HZV-
Quantifizierung die Bestimmung des intrathorakalen Blutvolu-
mens, des extravasalen Lungenwassers sowie des GEDV. Diese 6.4 Therapieprinzipien bei Schock
Volumenparameter scheinen besser mit der kardialen Vorlast zu
korrelieren als der mithilfe des PAK erhebbare PAOP (Janssens u. Die Behandlung (7 Übersicht 6.4) zielt einerseits auf die vorherr-
Werdan 2006). Für das Monitoring von Patienten im Schock be- schenden Allgemeinsymptome des Schocksyndroms, anderer-
darf diese Methode allerdings noch der weiteren Validierung. seits auf kausale, auslösende Faktoren.
Grundsätzliches Ziel der symptomatischen Schocktherapie
Messung von Sauerstofftransport und ist die Wiederherstellung einer suffizienten Durchblutung der
-verwertung, Kapnometrie Vitalorgane und der Gewebe, ehe sich ein Zellschaden ausbilden
Die gemischtvenöse O2-Sättigung (SvO2, Normwert 65–75%) kann. Dies erfordert einen ausreichenden HI und Blutdruck.
kann durch eine entsprechende Zu- oder Abnahme eine Über- Kurze Perioden einer ausgeprägten Minderperfusion werden
oder Minderperfusion des Gewebes anzeigen, eine nicht gestörte besser toleriert als gravierende Blutdruckabfälle.
zelluläre O2-Verwertung vorausgesetzt. Bei einem Herzinfarkt mit
Ausbildung einer Herzinsuffizienz werden SvO2-Werte <60% ge-
funden, im kardiogenen Schock <40%. Zur Laktatakkumulation 6.4.1 Therapieziele
kommt es, wenn der SvO2 auf Werte zwischen 30 und 40% fällt.
Beim septischen Schock mit seiner gestörten zellulären O2- > Die Aufrechterhaltung eines MAP von mehr als 60–65 mmHg
Verwertung ist die Messung des SvO2 nur von eingeschränktem hat initial Priorität vor dem Anheben des HI auf Werte von
Wert, ebenso beim kardiogenen Schock mit Links-rechts-Shunt >2,1 l/min×m2 im Fall des kardiogenen und des obstruktiven
infolge eines Ventrikelseptumdefektes. bzw. >4,0–4,5 l/min×m2 beim septischen und beim volumen-
O2-Aufnahme (VO2) und O2-Angebot (DO2) können mit den substituierten hämorrhagischen Schock.
PAK-/PiCCO-Messdaten ebenfalls berechnet werden. Ihre Wertig-
keit für die individuelle Therapieentscheidung ist noch Gegen- Die Durchblutung sollte zumindest so gesteigert werden, dass der
stand der Diskussion, ebenso wie die Messung der kontinuier- arterielle Laktatspiegel unter 1,1 mmol/l verbleibt; dies ist eine weit-
lichen SvO2-Registrierung mit speziellen Rechtsherzkathetern. gehende Garantie dafür, dass der Stoffwechsel weiter aerob abläuft
Die Messung der zentralvenösen O2-Sättigung bei Patienten mit und eine ischämische Gewebeschädigung verhindert wird.
schwerer Sepsis und septischem Schock in den ersten 6 h auf der Die Basistherapie besteht aus:
Notaufnahme ist bereits Bestandteil eines evidenzbasierten, erfolg- 4 kardiopulmonaler Reanimation,
reichen Monitoringkonzeptes (Rivers et al. 2001; 7 Abschn. 6.6.2). 4 Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems und der Lungen-
Die Pulsoxymetrie registriert kontinuierlich die arterielle O2- funktion,
Sättigung an der Fingerbeere. Neben technischen Störfaktoren 4 Stress- und Schmerzbekämpfung,
und Bewegungsartefakten erschwert die schockinduzierte Vaso- 4 Therapie der metabolischen Acidose.
konstriktion die Signalakquisition, besonders bei HI-Werten von
<2,4 l/min×m2. Nach Stabilisierung des Schockzustands mithilfe dieser Basisthe-
Zwei neuere Monitoringverfahren – die transkutane/trans- rapie beginnt bereits parallel dazu die schockspezifische, mög-
konjunktivale pO2-Messung (Referenzen in Kumar u. Parrillo lichst kausale Therapie. Es gilt, die Besonderheiten der Pharma-
2001) und die Magenmukosa-pCO2-Tonometrie – scheinen für kotherapie beim kritisch Kranken zu beachten.
das prognoserelevante Monitoring weniger geeignet (Müller-
Werdan u. Werdan 2005) als anfangs gedacht.
Der Grad der regionalen Gewebeoxygenierung im Schock ist 6.4.2 Kardiopulmonale Reanimation
spektroskopisch durch Messung der Hämoglobin-O2-Sättigung
und des Zytochrom-aa3-Redoxstatus möglich. Die Leitlinien zur CPR beinhalten Basismaßnahmen (Herzdruck-
Während die kontinuierliche Messung der CO2-Atemgaskon- massage, Atemspende ohne technische Hilfsmittel) und erwei-
zentration (Kapnographie) v. a. in der Notfallmedizin und in der terte Maßnahmen (Beatmung mit technischen Hilfsmitteln, Elek-
kardiopulmonalen Reanimation zur Beurteilung von Kreislauf- trotherapie des Herzens, Medikamentengabe, prästationäre Ver-
und respiratorischer Funktion zum Einsatz kommt, ist die sublingu- sorgung des akuten Myokardinfarkts). Kardiopulmonale Reani-
ale Kapnometrie (Messung des sublingualen CO2-Partialdrucks) mationsmaßnahmen laufen nach bestimmten Algorithmen ab
ein neues, nichtinvasives Verfahren zur Beurteilung des Schweregra- (. Abb. 6.9 und 6.10), die sich nach sofort begonnenen Basismaß-
des und der Prognose von Schockzuständen (Weil et al. 1999). nahmen (Notruf, Klärung der Fragen: Bewusstlosigkeit? Atemstill-
200 Kapitel 6 · Schock

. Abb. 6.9. Algorithmus der erweiterten Reanimations-


maßnahmen. (Aus Dirks u. Baubin 2006)

. Abb. 6.10. Algorithmus der innerklinischen Reanima-


tion. (Aus Dirks u. Baubin 2006)
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
201 6

stand? Pulslosigkeit?, Herzdruckmassage und Atemspende) bei fähig oder unwillig sind, eine künstliche Beatmung anzuwenden,
den erweiterten Maßnahmen aufspalten in: obwohl die Kombination von Thoraxkompressionen und Ventila-
4 Algorithmus bei pulsloser VT bzw. Kammerflimmern, tion die bessere Reanimationsmethode darstellt.
4 Algorithmus bei Asystolie und bei elektromechanischer Ent-
kopplung. Technik der Herzdruckmassage. Nicht ruckartig, sondern kont-
rolliert und mit einer Eindrücktiefe von 4–5 cm erfolgen Kom-
Die europäischen und US-amerikanischen Leitlinien zur Reani- pression und Relaxation der 100 Massagestöße/min. Der Hand-
mation sind in den ILCOR-Empfehlungen (International Liaison ballen liegt dabei auf der Mitte der Brust des Patienten über dem
Committee On Resuscitation 2005) und in den »ECC Commit- Brustbein, ohne Druck auf den Oberbauch oder das untere Ende
tee, Subcommittees and Task Force of the American Heart Asso- des Brustbeins auszuüben.
ciation: 2005 American Heart Association guidelines for cardio-
pulmonary resuscitation and emergency cardiovascular care« Neue Methoden zur Optimierung der Herzdruckmassage. Mit
zusammengefasst worden (AHA-ECC 2005). Diese Empfeh- sehr gut durchgeführter manueller CPR können ca. 30% der nor-
lungen gehen auch auf spezielle Reanimationssituationen ein. malen koronaren und zerebralen Durchblutung erreicht werden.
Eine aktuelle Übersicht zur kardiopulmonalen Reanimation fin- Einzelne CPR-Techniken bzw. -Geräte (Dirks u. Baubin 2006)
det sich in (Dirks u. Baubin 2006). können mögllicherweise die Hämodynamik bzw. das Kurzzeit-
überleben steigern, wenn sie von besonders gut ausgebildeten
Basismaßnahmen (ECC 2005) Helfern in Einzelfällen angewendet werden. Bisher konnte keine
Basisdiagnostik. Sofort nach Feststellung der Bewusstlosigkeit dieser Modifikationen zeigen, dass sie der konventionellen ma-
(Reaktionslosigkeit auf Anruf) wird der Rettungsdienst alar- nuellen CPR gleichbleibend überlegen sind.
miert. Nach Alarmierung des Rettungsdienstes (in Deutschland
in der Regel über Telefon 112) erfolgt die Feststellung des Erweiterte Maßnahmen
Atemstillstands (bei überstrecktem Kopf und angehobenem Kinn Rettungskette
zum Öffnen der Atemwege) sowie des Kreislaufstillstands (feh- Sie setzt sich zusammen aus:
lender Karotispuls). Danach beginnen sofort Herzdruckmassage 4 Leichtem Zugang zum Rettungssystem mit einer einheit-
und Atemspende, sowohl bei der Einhelfer- als auch der Zweihel- lichen Notrufnummer.
fermethode im Verhältnis 30:2. 4 Laienreanimation: Sie ist Bestandteil des Erste-Hilfe-Kurses
für Führerscheinkandidaten. Anzustreben ist das Erlernen
Faustschlag. Der präkordiale Faustschlag (Faustschlag mit ul- der Laienreanimation durch Angehörige der Hochrisiko-
narer Seite aus einer Entfernung von ungefähr 20 cm auf die un- gruppen, z. B. Koronarkranke.
tere Hälfte des Sternums mit raschem Zurückziehen der Faust, 4 Frühestmöglicher Defibrillation, wo immer möglich, auch
um impulsähnlichen Stimulus zu induzieren) sollte von einem in durch nichtärztliche Rettungskräfte mithilfe der halbautoma-
dieser Technik ausgebildeten Helfer erwogen werden, wenn der tischen Defibrillatoren (»Frühdefibrillation«) vor Eintreffen
Kreislaufstillstand nach einem beobachteten Kollaps schnell be- des Notarztes. Die bisherigen Ergebnisse im Flugverkehr und
stätigt wird und nicht sofort ein Defibrillator verfügbar ist. Dies in Kasinos sind ermutigend und weiter verfolgungswürdig
ist am wahrscheinlichsten, wenn der Patient mit einem Monitor (ECC 2005; Priori et al. 2004)
überwacht wird. Am ehesten dürften VT darauf ansprechen. 4 Frühe Durchführung der Gesamtheit erweiterter Maß-
nahmen: Dazu ist die Vervollständigung des Notarztret-
Lagerung. Ein bewusstloser Patient mit Spontanatmung soll in tungssystems anzustreben mit dem Ziel, in zweireihigen
die stabile Seitenlage gebracht werden, soweit kein HWS-Trauma (Rendezvous-)Systemen Notarzteintreffintervalle von 10–
befürchtet werden muss. 15 min, in einreihigen (Stationierungssystemen) noch kürze-
re Intervalle zu erreichen.
Technik und Notwendigkeit der Atemspende. Die Atemspende
lässt sich als Mund-zu-Mund-, Mund-zu-Nase- oder Mund-zu- Defibrillation
Tracheostoma-Technik durchführen: Aus hygienischen Gründen Sobald ein Defibrillator verfügbar ist, sollte bei sicherem Vorlie-
und bei Gesichtsverletzungen erscheint die Mund-zu-Nase-Beat- gen von Kammerflimmern/VT eine Defibrillation (150–200 J,
mung als das zu bevorzugende Verfahren. Bei rekliniertem Kopf biphasisch, oder 300 J, monophasisch) abgegeben werden. Nach
und angehobenem Kinn soll das Atemzugvolumen (Tidalvolu- einer zweiminütigen Reanimationsphase (. Abb. 6.9) erfolgt die
men) von annähernd 500–600 ml (6–7 ml/kgKG) unter Ver- EKG-Analyse. Bei Persistenz von Kammerflimmern/VT erfolgt
schluss des jeweiligen alternativen Atemwegs in 1 s ohne Kraftauf- eine zweite Defibrillation (150–360 J, biphasisch, oder 360 J,
wand insuffliert werden. Die Notwendigkeit der Atemspende bei monphasisch), ggf. mit Wiederholung dieses Zyklus. Bei Thera-
der CPR wird – obwohl zurzeit Standard (ECC 2005) – durchaus pierefraktärität sollte vor der vierten Defibrillation Amiodaron
hinterfragt, dabei postulierend, dass die ausschließliche Thorax- (300 mg, i.v.) appliziert werden. Durch den Einsatz (semi-)auto-
kompression zur Oxygenierung des Blutes in der frühen Phase des matischer externer Defibrillatoren durch medizinisches Hilfsper-
Herzstillstands ausreichen sollte (Eisenberg u. Mengert 2001). Die sonal und trainierte Laien (Priori et al. 2004; Trappe et al. 2005)
Ergebnisse einer Studie mit Patienten mit Herz-Kreislauf-Still- soll die Zeit bis zur meist prognosebestimmenden erfolgreichen
stand in der Prähospitalphase unterstützen dieses Konzept: Die Defibrillation weiter verkürzt werden.
Krankenhausüberlebensrate der mit und ohne Atemspende rea-
nimierten Patienten war nicht unterschiedlich (Hallstrom et al. Beatmung
2000). Laienhelfer sollten daher ermutigt werden, die CPR aus- Die Intubation als sicherste Beatmungsmethode sollte nicht
schließlich mit Herzdruckmassage durchzuführen, falls sie un- mehr als 30 s in Anspruch nehmen. Die Intubation (Klasse-I-
202 Kapitel 6 · Schock

Empfehlung) sollte nur durch sehr gut trainierte Personen prak- versuchen persistiert. Bei fortbestehender Therapierefraktarität
tiziert werden. kann eine weitere Dosis von 150 mg Amiodaron gegeben werden,
gefolgt von einer Infusion von 900 mg Amiodaron über 24 h.
> Im Zweifelsfall ist (auch aus juristischen Gründen) die leichter
zu beherrschende Maskenatmung (Beatmung immer mit
Lidocain.
100%igem Sauerstoff ) anzuwenden.
> Die Gabe von Lidocain ist generell nicht als Routinemaßnahme
Larynxmaske, ProSeal-Larynxmaske oder Larynxtubus sind
zu sehen, auch nicht bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt.
akzeptable Alternativen, falls keine endotracheale Intubation
möglich ist. Lidocain (100 mg, 1,0–1,5 mg/kgKG) kann bei therapierefrak-
tärem Kammerflimmern/VT anstelle des Amiodaron eingesetzt
Applikation von Medikamenten werden, wenn dies nicht verfügbar ist. Falls nötig, kann ein wei-
Die Anlage eines peripher-venösen Zugangs ist einfach, schnell terer Bolus von 50 mg gegeben werden; die Gesamtdosis sollte
und sicher möglich. Die Anflutzeit der Medikamente beträgt 1– 3 mg/kgKG während der ersten Stunde nicht überschreiten.
2 min. Der Injektion müssen eine Bolusgabe von mindestens
6 20 ml Flüssigkeit und ein Anheben der betreffenden Extremität ! Cave
für etwa 10–20 s folgen, um das Einschwemmen des Medikaments Lidocain sollte nicht injiziert werden, wenn bereits Amiodaron
in die zentrale Zirkulation sicherzustellen. Aufgrund vielfältiger gegeben worden ist.
Komplikationsmöglichkeiten wird die Anlage eines zentralve-
nösen Zugangs nur in Ausnahmefällen als indiziert angesehen. Natriumbikarbonat. Da eine bedeutsame arterielle Acidose
Alternativ besteht insbesondere bei Kindern, aber auch bei Er- während der kardiopulmonalen Reanimationssituation in der
wachsenen die Möglichkeit, Medikamente über eine intraossäre Regel durch eine unzureichende Ventilation begründet ist und
Kanüle zu applizieren; diese wird unterhalb der Tuberositas tibiae NaHCO3 selbst zu einem paradoxen intrazellulären CO2-An-
in der Markhöhle platziert und ermöglicht neben der Gabe von stieg führen kann, ist die Gabe von Natriumbikarbonat üblicher-
Medikamenten auch die Infusion von Flüssigkeit. Aufgrund der weise nicht indiziert.
unsicheren Resorption der Medikamente wird die endotracheale In speziellen Situationen kann die Gabe von Bikarbonat aller-
Gabe von Adrenalin (3 ml auf 10 ml mit Aqua ad injectabilia ver- dings hilfreich sein: bei vorbestehender metabolischer Acidose,
dünnt oder vorgefertigte Lösungen) oder Atropin (doppelte bis bei Hyperkaliämie und bei Intoxikationen mit trizyklischen Anti-
dreifache i.v.-Dosis) nur noch als dritte Wahl empfunden. depressiva oder Phenobarbital. Nach protrahiertem Herz-Kreis-
lauf-Stillstand oder lang dauernden Wiederbelebungsbemühun-
> Adrenalin ist das einzige routinemäßig empfohlene Medika-
gen – nach ineffektiver Defibrillation, Herzmassage, Intubation,
ment, alle anderen, z. B. Antiarrhythmika, Natriumbikarbonat,
Beatmung und Vasopressorentherapie – kann Bikarbonat
Kalzium- und Magnesiumzubereitungen, sind speziellen Reani-
(50 mmol=500 ml einer 8,4%igen Lösung) von Nutzen sein.
mationssituationen vorbehalten.
Andere Puffersubstanzen haben bisher keinen Eingang in die
offizielle Empfehlung gefunden.
Adrenalin. Standarddosis ist 1 mg i.v. alle 3–5 min bis zur Kreis-
laufstabilisierung, gefolgt von jeweils 20 ml i.v.-Spülvolumen. Elektrolyte (Kalzium, Magnesium). Eine Kalziumgabe als
Dosen über 1 mg haben bestenfalls den primären, nicht jedoch Routinemaßnahme kann nicht empfohlen werden. Nur im
den langfristigen Reanimationserfolg verbessern können Fall einer Hypokalzämie, einer Hyperkaliämie oder einer
(Gueugniaud et al. 1998). Höhere Adrenalindosen korrelieren Intoxikation mit Kalziumantagonisten ist die Gabe von Kalzium
sogar mit einem ungünstigen neurologischen Defizit (Behringer bedingt indiziert. Die initiale Dosis von 10 ml 10%igem
et al. 1998). Kalziumchlorid (6,8 mmol Ca2+) kann, wenn nötig, wieder-
holt werden. Bei Kreislaufstillstand sollte Kalzium schnell
Vasopressin. Ermutigend, aber noch nicht Standardempfehlung, i.v. appliziert werden, bei Vorliegen eines Spontankreislaufs
ist die Wirkung von Vasopressin (40 IE, i.v.), das in Vergleichsstu- langsam.
dien mit Adrenalin zumindest gleichwertig, bei Nachweis einer
! Cave
Asystolie sogar vorteilhaft war (Wenzel et al. 2004). Eine aktuelle
Wegen der Gefahr der Ausfällung sollten Kalzium- und Natrium-
Metaanalyse (Aung u. Htay 2005) zeigte keinen signifikanten Un-
bikarbonatlösungen nicht über denselben Zugang infundiert
terschied zwischen Vasopressin und Adrenalin bezogen auf das
werden.
Wiedererlangen eines Spontankreislaufs, das 24-h-Überleben
oder die Entlassungsrate. Adrenalin bleibt weiterhin der primäre Die Applikation von Magnesium (i.v.-Gabe von 1–2 g Magnesi-
Vasopressor bei der Behandlung aller EKG-Rhythmusformen des umsulfat in 1–2 min) ist bei bestätigter Hypomagnesiämie indi-
Kreislaufstillstands. ziert. Ebenfalls indiziert ist die i.v.-Gabe von 1–2 g Magnesium-
sulfat bei Torsade-de-pointes-Tachykardien.
Atropin. Die empfohlene Atropindosis für den Erwachsenen bei
Asystolie oder pulsloser elektrischer Aktivität mit einer Frequenz Elektrostimulation
<60/min beträgt 3 mg in einer i.v.-Einzeldosis. Bei symptoma- Der Einsatz der transkutanen antibradykarden Stimulation in
tischen Bradykardien tritt die Atropingabe hinter die transvenöse einer Studie mit 1056 Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand war
oder behelfsweise transkutane Stimulation zurück. enttäuschend. Weder bei Asystolie noch überbrückend nach De-
fibrillation mit nachfolgender Asystolie konnte dadurch der Aus-
Amiodaron. Die Bolusinjektion von 300 mg Amiodaron wird gang der prähospitalen CPR entscheidend effizienter gestaltet
empfohlen, falls Kammerflimmern/VT nach 3 Defibrillations- werden (Literatur in Werdan et al. 2005).
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
203 6
Hypothermie/»cooling« 6.4.3 Stabilisierung von Herz-Kreislauf-System
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass nach CPR und Lungenfunktion
durch die unverzügliche Induktion einer milden Hypothermie
mit Temperaturen zwischen 32 und 34°C für 12–24 h eine Ver- Nach eventueller Durchführung von Reanimationsmaßnahmen
besserung des Überlebens und der neurologischen Funktion er- erfolgt die Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems und der
reicht werden kann (Bernard et al. 2002; Hypothermia after Car- Lungenfunktion. Zur Herz-Kreislauf-Stabilisierung dienen kris-
diac Arrest Study Group 2002). talloide und kolloide Plasmaersatzlösungen sowie der Einsatz
von Katecholaminen (7 Abschn. 6.4.6 und 6.4.7).
Thrombolytische Therapie
Bei bis zu 70% aller Patienten mit Kreislaufstillstand liegt patho- Intubation und Beatmung. Da nicht wenige Schockpatienten ein
genetisch ein akuter Myokardinfarkt oder eine Lungenembolie begleitendes Trauma haben oder bewusstseinsgetrübt sind, muss
vor. Der Kreislaufstillstand geht mit einer starken Aktivierung eine ausreichende Ventilation gesichert werden. Dies kann die
der Gerinnung einher, die die Mikrozirkulation in der Reperfu- tracheale Intubation und die mechanische Beatmung erforder-
sionsphase beeinträchtigen kann. lich machen. Die Indikation zur Beatmung richtet sich nach den
Die »Thrombolysis-in-Cardiac-Arrest«-(TROICA-)Studie un- Standardkriterien. Intubierte Patienten sollten initial mechanisch
tersuchte in den vergangenen Jahren Wirksamkeit und Sicherheit beatmet werden, um den peripheren O2-Verbrauch, z. B. der
der Thrombolyse mit Tenecteplase ohne zusätzliche Antikoagu- Atemmuskulatur, so niedrig wie möglich zu halten.
lation nach außerklinischem Kreislaufstillstand (Spöhr et al. 2005).
> Da Lungeninfiltrate und Lungenödem häufig sind, ist der Ein-
Die Studie wurde nach Einschluss von 1050 Patienten vorzeitig be-
satz einer Überdruckbeatmung (PEEP) zur Erzielung einer aus-
endet, da keine weitere Verbesserung der Prognose durch die Thera-
reichenden Oxygenierung erforderlich.
pie mit Tenecteplase erreicht werden konnte. Endgültige Ergebnisse
werden in Kürze erwartet. Bis dahin kann die Thrombolyse bei Hypoxämie und eine übermäßige Atemarbeit können zur Ver-
Kreislaufstillstand nicht empfohlen werden. Dagegen sollte bei Pa- schlimmerung der Herzinsuffizienz beitragen. Eine gemessene
tienten, die einen Kreislaufstillstand nachweislich oder wahrschein- arterielle O2-Sättigung von >92% und ein arterieller O2-Partial-
lich auf dem Boden einer fulminanten Lungenembolie erleiden, die druck von mindestens 60 mmHg können als Kontrollparameter
thrombolytische Therapie während CPR erwogen werden. herangezogen werden. Die aktive Atemarbeit ist am gesamten
O2-Verbrauch mit einem hohen Anteil beteiligt; bei bestimmten
Innerklinische Reanimation Lungen-Thorax-Traumen und Multiorganversagen kann dieser
Bei der Behandlung eines Patienten mit innerklinischem Kreis- bis zu 50% betragen (Seige et al. 2001).
laufstillstand (. Abb. 6.10; Dirks u. Baubin 2006) ist der Über-
> Bereits bei den ersten Hinweisen auf eine erhöhte Atemarbeit
gang von Basisreanimationsmaßnahmen zu erweiterten Reani-
sollte eine Atemunterstützung vorgenommen werden, um zur
mationsmaßnahmen fließend. In der Praxis werden beide Strate-
Entlastung des Herzens beizutragen (Lehmann et al. 2003; Seige
gien je nach Erfordernis parallel durchgeführt.
et al. 2001).
Bei monitorüberwachten Patienten wird der Kreislaufstill-
stand in der Regel sehr schnell diagnostiziert. Im Gegensatz dazu Dazu dienen auch Anxiolyse und Analgesie, Relaxierung zur Ein-
hatten Patienten auf Bettenstationen möglicherweise eine Phase sparung von Sedativa und die Beseitigung von Fieber (Hyper-
von sich akut verschlechternden Vitalparametern mit einem dar- thermie steigert den O2-Verbrauch um 7%/°C).
auffolgenden, nichtbeobachteten Kreislaufstillstand. Idealerwei- Ebenfalls beachtet werden müssen die negativen Auswir-
se sollten gefährdete Patienten in einer Einheit betreut werden, in kungen der PEEP-Beatmung auf die Herzfunktion (Zunahme der
denen ihre Vitalparameter kontinuierlich überwacht werden rechtsventrikulären Nachlast, Zunahme des rechtsventrikulären
können, um im Bedarfsfall eine sofortige Reanimation einleiten Durchmessers und Abnahme der linksventrikulären diasto-
zu können (7 Übersicht 6.8). lischen Dehnbarkeit, direkte myokarddepressive Wirkung),
ebenso bei CMV oder IMV. Die langwierige und schwierige Wea-
ning-off-Phase gerade bei herzkranken und Schockpatienten
Übersicht 6.8. Monitorüberwachter und beobachteter kann durch Einhalten standardisierter Protokolle erleichtert wer-
Kreislaufstillstand den (Lehmann et al. 2003; Seige et al. 2001).
Die Myokarddepression kann weiterhin durch Anästhetika
Bei einem Patienten, bei dem es während der Monitorüber- und Barbiturate verstärkt werden.
wachung zu einem beobachteten Kreislaufstillstand kommt,
! Cave
sollte folgendermaßen vorgegangen werden:
Während Benzodiazepine und Opioide für sich keine relevante
4 Verifizieren Sie den Kreislaufstillstand und rufen Sie Hilfe
Myokarddepression hervorrufen (mit Ausnahme von Meperi-
herbei
den), können sie in Kombination einen additiven negativ-ino-
4 Erwägen Sie einen präkordialen Faustschlag, wenn Kam-
tropen Effekt induzieren.
merflimmern oder eine pulslose VT vorliegt und ein De-
fibrillator nicht sofort verfügbar ist
4 Bei initialem Kammerflimmern oder pulsloser VT und so- Antiarrhythmische Therapie. Ein spezifisches Muster an Rhyth-
fort verfügbarem Defibrillator, defibrillieren Sie sofort. musstörungen ist für den Schockpatienten nicht dokumentiert.
Die Verwendung von selbstklebenden Pads kann helfen, Dennoch muss häufig mit potenziell malignen Rhythmusstörun-
den EKG-Rhythmus schneller festzustellen als mit her- gen gerechnet und entsprechend behandelt werden. Die im kar-
kömmlichen EKG-Elektroden diogenen Schock meist vorhandene hochgradige Pumpfunkti-
onseinschränkung reduziert die Frequenztoleranz des Patienten
204 Kapitel 6 · Schock

beträchtlich und birgt so die Gefahr einer weiteren Verschlechte- Der therapeutische Einsatz von Bikarbonat sollte auf pH-
rung des Schockzustands, falls die hämodynamisch relevante Werte von 7,10–7,15 beschränkt bleiben. Klinisch wurde die Hä-
Rhythmusstörung nicht rasch beseitigt wird. modynamik von Schockpatienten durch Bikarbonat auch bei
ausgeprägter Acidose nicht verbessert (Cooper et al. 1990); eine
isolierte Stimulation der Pyruvatdehydrogenase mit Dichlorace-
6.4.4 Stress- und Schmerzbekämpfung tat senkte bei Laktatacidose die hohe Letalität von 70% nicht
(Stacpoole et al. 1992).
Abhängig von der klinischen Situation (z. B. kardiogener Schock
bei Herzinfarkt) können eine Schmerzbehandlung und eine
Analgosedierung erforderlich werden (Ruß et al. 2005). Mor- 6.4.6 Volumentherapie
phinbolusgaben (2–5 mg i.v. alle 5–30 min bis zu einer Gesamt-
dosis von 2–3 mg/kgKG) sind z. B. in den ersten Stunden eines Kristalloide und kolloidale Plasmaersatzlösungen
Herzinfarkts das Mittel der Wahl. Auf eine mögliche Blutdruck- Ob kollodiale oder kristalloide Lösungen zur Volumensubstitu-
senkung infolge einer direkten und einer indirekten Hemmung tion besser geeignet sind, wird seit Langem kontrovers diskutiert;
6 des Sympathikus muss geachtet werden, v. a. bei relativer Hypo- die Art der Lösung scheint allerdings für den Therapieerfolg nur
volämie. Im Kreislaufschock kann die Morphinclearance durch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Unterschiede bezüglich
die Minderperfusion der Leber eingeschränkt sein. Morphin Morbidität und Letalität konnten für verschiedene Flüssigkeits-
hemmt nicht nur den Schmerz, sondern trägt auch zur Senkung regimes bisher nicht eindeutig gezeigt werden (Kreimeier u.
des O2-Verbrauches bei. Prückner 1998; Müller-Werdan u. Werdan 2005; Task Force of
the American College of Critical Care Medicine, Society of Criti-
cal Care Medicine 1999). In einer aktuellen Studie mit septischen
6.4.5 Therapie der metabolischen Acidose Patienten war jedoch Volumenersatz mit Hydroxyäthylstärke mit
einer höheren Rate an Nierenversagen belastet als mit Ringer-
Der wichtigste Parameter der metabolischen Acidose ist der Lak- Laktat-Lösung (Brunkhorst et al. 2008).
tatanstieg. Die Anhebung des extrazellulären pH-Werts mit Bikar-
bonat führt nicht immer zum gewünschten Erfolg des intrazellu- Kristalloide Lösungen
lären pH-Anstiegs, der zudem eine Linksverschiebung der Hämo- Kristalloide Lösungen sind kostengünstig, leicht zu lagern, stei-
globindissoziationskurve und damit eine erschwerte O2-Abgabe an gern die Diurese ausreichend und können zusätzlich extravasale
das Gewebe bewirkt. Die Therapie der Laktatacidose kann aber zu Flüssigkeitsverluste bei Dehydratationszuständen ersetzen. Nach-
einer Besserung der systemischen und der hepatischen Zirkulation teilig sind das Auftreten ausgeprägter peripherer Ödeme und die
führen, die ihrerseits zum Abbau verbleibenden Laktats beiträgt. relativ kurze hämodynamische Wirksamkeit (. Tab. 6.5).

. Tab. 6.5. Charakteristika von Volumenersatzlösungen


Kolloide
Substanz Mittleres Moleku- Initialer plasmaex- Wasserbindungs- Wirkdauer Anaphylaktoide
largewicht pandierender Effekt kapazität Reaktionen
[%] [ml/g] [h] [%]
Dextran, 6%ig 70.000 ca. 130 ca. 20 ca. 5–6 0,069
HES450/0,7, 6%ig a 450.000 ca. 100 14 ca. 5–6 0,085
HES 200, 10%ig 200.000 ca. 130–150 14 ca. 3–4 0,085
HES 200/0,5, 6%ig a 200.000 ca. 100 3–4
HES 200/0,62, 6%ig a 200.000 ca. 100 5–6
HES 70/0,5, 6%ig a 70.000 ca. 80 1–2
HES 130/0,4, 6%ig a 130.000 ca. 100 2–3
Gelatine 3%ig 35.000 ca. 70 40–50 ca. 1–2 0,066–0,146
Albumin, 5%ig 69.000 ca. 100 14 ca. 3–4 0,011
Kristalloide
0,9%ige Kochsalzlösung, Ringer-Laktat-Lösung
Geeignet für kurzzeitige Plasmaexpansion
Ungefähr 25% des Volumens verweilen für 1 h im Intravasalraum
5%ige Glukoselösung
Intravasale Verweildauer deutlich kürzer
Sollte nicht zum Zweck der Plasmaexpansion benutzt werden
a Substitutionsgrad. (Nach Boldt 2003)
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
205 6

Am häufigsten kommen physiologische (0,9%ige) Kochsalz- kolloidosmotischen Drucks hat sich als Parameter zur Albumin-
lösung und Vollelektrolyte (z. B. Ringer-Laktat-Lösung) zum substitution nicht durchgesetzt. Unerwünschte, in der Regel milde
Einsatz, die sich beide gleichermaßen im Intravasalraum und im Nebenwirkungen (Fieber, Schüttelfrost, Urtikaria) treten mit einer
Interstitium verteilen. Nach 1 h finden sich aber nur noch weni- Häufigkeit von ca. 0,5% auf; die Blutgerinnung wird nicht beein-
ger als 25% des infundierten Volumens in der Zirkulation. Beide trächtigt. Bei der Infusion großer Albuminmengen kann es zu ei-
Lösungen senken den kolloidosmotischen Druck. Im Vergleich ner Senkung des ionisierten Plasmakalziumspiegels kommen.
zu kolloidalen Lösungen muss etwa das 2- bis 4-Fache des intra-
vasalen Flüssigkeitsdefizits an kristalloider Flüssigkeit zur Erzie- Dextrane. Dextrane sind hochmolekulare lineare Polysaccharide
lung einer vorübergehenden Normovolämie infundiert werden. mit vereinzelten Seitenketten, gelöst in physiologischer Kochsalz-
lösung. Sie werden entsprechend ihrer Molekularmasse entweder
! Cave
direkt (MG <50.000) oder nach Enzymdegradation, bevorzugt
5%ige Glukoselösung findet sich 1 h nach Infusion nur noch zu
renal, eliminiert. Durch den hohen kolloidosmotischen Druck
8% im Intravasalraum; sie erhöht neben dem Volumen des Ex-
füllt die 10%ige Dextran-40-Lösung den Intravasalraum durch
trazellularraums unerwünschterweise auch das des Intrazellu-
einen ausgeprägten Einstrom aus dem Interstitium auf; dies ist im
larraums (infolge des Wassereinstroms in die Zellen zum Aus-
Schock mit gestörter Mikrozirkulation erwünscht, bei einem de-
gleich des infusionsbedingten osmotischen Gradienten). Sie
pletierten Extrazellulärraum jedoch eher unerwünscht.
sollte deshalb zur Volumentherapie nicht verwendet werden.
Dextran 40 reduziert die Geldrollenbildung der Erythro-
zyten, und es soll auch die Gewebeoxygenierung verbessern.
Kollodiale Lösungen
Zu den kollodialen Lösungen zählen Albumin, HES, Dextran und HES-Präparationen. Im deutschsprachigen Raum ist HES sicher-
Gelatine (. Tab. 6.5). Diese verbleiben zunächst vorwiegend im In- lich die am häufigsten eingesetzte Substanz zur Therapie der Hy-
travasalraum und stellen dort den plasmaonkotischen Druck wie- povolämie. HES-Lösungen werden aus Kartoffel- oder Maisstär-
der her. Sie führen demzufolge in geringerem Ausmaß zu periphe- ke produziert. Innerhalb der letzten Jahre ist es zur Entwicklung
ren Ödemen, und es genügen kleinere Volumina zur Substitution deutlich verbesserter HES-Präparationen (erste Generation:
als beim Einsatz von kristalloiden Lösungen. Nachteile sind neben 450/07; zweite Generation: 70/05, 200/05, 200/0,62; dritte Gene-
den hohen Kosten die bekannten, substanzeigenen Nebenwirkun- ration: 130/04; . Tab. 6.5) hinsichtlich intravasalem HES-Abbau
gen (s. unten). Dass kolloidale Lösungen v. a. bei der Sepsis mit ihrer und Nebenwirkungsprofil – RES-Speicherung oder Nephrotoxi-
erhöhten Kapillarpermeabilität das Auftreten eines Lungenödems tät (s. unten; Boldt 2003) – gekommen.
fördern, ist viel diskutiert, aber bisher nicht gesichert worden. Je höher das Molekulargewicht und der durchschnittliche
Von den kolloidalen Substanzen wird in Deutschland am Substitutionsgrad mit Hydroxyäthylgruppen, umso länger sind
häufigsten HES eingesetzt. Für die initiale Volumentherapie mit die Verweildauer im Organismus und die Volumenwirkung. Das
kolloidalen Lösungen erscheinen 6%ige Lösungen von mittelmo- Ausmaß der Substitution der Glukose mit Hydroxyäthylgruppen
lekularer HES (200.000/0,5 oder 200.000/0,62) sowie die 6%ige bestimmt die Degradierbarkeit der HES-Moleküle durch plasma-
Dextran-60-Lösung (Macrodex) am besten geeignet. Nicht nur tische (α-Amylase) und v. a. lysosomale Glykosidasen. Kleinere
wegen der limitierten Tagesdosen können die kolloidalen Lö- Bruchstücke werden über die Nieren ausgeschieden, größere im
sungen mit Kristalloiden (z. B. im Verhältnis 1:1) kombiniert RES phagozytiert. Mit Ausnahme des niedermolekularen HES
werden. Die derzeitige Datenlage spricht dafür, dass das Kolloid 40/0,5 rekrutieren die anderen HES-Lösungen Flüssigkeit aus
der Zukunft eine Stärkepräparation der dritten Generation dem Extrazellularraum (Volumenfülleffekt >1). Der Volu-
(HES 130/04; . Tab. 6.5; Boldt 2003; Dieterich 2001) sein wird. menzweiteffekt beruht auf einer Zunahme onkotisch wirksamer
Teilchen infolge intravasaler Degradation höhermolekularer
Albumin. Albumin findet als 5%ige (kolloidosmotischer Druck HES-Anteile durch Glykosidasen zu kleineren Bruchstücken; er
ca. 20 mmHg) und als 20- bis 25%ige Lösung (kolloidosmotischer erreicht ca. 60 min nach Infusion sein Maximum.
Druck ca. 80–100 mmHg) Verwendung und verbleibt relativ lan-
! Cave
ge im Intravasalraum (>90% nach 2 h). Bei Hypovolämie ist ini-
Bei Patienten mit schwerer Sepsis muss bei der Anwendung von
tial eher die 5%ige Lösung angebracht; bei ödematösen Patienten
HES 200/05 (. Tab. 6.5) im Vergleich zu Ringer-Laktat-Lösung
kann die Verwendung der hyperonkotischen Albuminlösung
mit einer höheren Rate an akutem Nierenversagen und Nieren-
eine erwünschte Flüssigkeitsverschiebung aus dem Interstitium
ersatztherapie gerechnet werden; diese Toxizität ist dosisabhän-
in den Intravasalraum bewirken.
gig (Brunkhorst et al. 2008). Die Autoren schlussfolgern aus ih-
Beim direkten Studienvergleich der Volumensubstitution
ren Befunden, dass HES-Lösungen bei kritisch kranken Pati-
kritisch Kranker erbrachten die Gabe von Albumin im Vergleich
enten nicht eingesetzt werden sollten.
zu Kochsalzlösung keine Unterschiede hinsichtlich Letalität und
Morbidität (SAFE Study Investigators 2004).
Gelatinelösungen. Verwendet werden Oxypolygelatine, modifi-
> Kristalloide und synthetische kolloidale Lösungen haben das
zierte Gelatine und harnstoffvernetzte Gelatine. Sie werden auf-
Humanalbumin in der Volumentherapie weitgehend ersetzt; ge-
grund ihrer verhältnismäßig niedrigen Molmassen relativ rasch
blieben ist beim Erwachsenen als Indikation eine Hypalbuminä-
renal eliminiert und steigern die Diurese, sind fast isoonkotisch
mie 25 g/l bzw. ein Gesamteiwei <40–45 g/l.
zu Plasma und bewirken deswegen trotz des hohen Wasserbin-
Es ist jedoch nicht sinnvoll, eine Hypalbuminämie als Folge eines dungsvermögens keine Volumenexpansion. Zur Erzielung und
kapillären Lecks (wie bei der Sepsis) vollständig mit Albumin aus- zum Erhalt einer Normovolämie muss daher beim Einsatz von
zugleichen, da dieses mit einer Halbwertszeit von 1–6 h aus dem Gelatinepräparaten im Vergleich zu Dextran- und HES-Lösungen
Intravasal- in den Extravasalraum abwandert. Der Absolutwert des primär höher dosiert und häufiger nachinfundiert werden.
206 Kapitel 6 · Schock

Unerwünschte Nebenwirkungen Bezüglich der Nierenfunktionsbeeinträchtigung durch HES


Anaphylaktische/anaphylaktoide UVR. In 0,1–2% der Fälle (bei gibt es unterschiedliche Befunde (Boldt 2003). Unter Berücksich-
bereits bestehender sympathoadrenerger und Stressreaktion ver- tigung von Vorsichtsmaßnahmen (Ausgleich eines Flüssigkeits-
mutlich deutlich niedriger) sind UVR mit Symptomen harmloser mangels mit Kristalloiden) bzw. Ausschlusskriterien (vorbe-
kutaner Reaktionen über Kreislaufreaktionen und Bronchospas- stehend deutlich eingeschränkte Nierenfunktion) scheint ein
mus bis zu lebensbedrohlichen Herz-Kreislauf- und Atemstill- Volumenersatz mit nieder- (MG 70.000) bzw. mittelmolekularer
ständen für alle im Handel befindlichen künstlichen Kolloide (MG 130.000, 200.000), niedrig substituierter (DS 0,4;05) HES in
beschrieben (. Tab. 6.5). Bezug auf die Nierenfunktion auch bei Intensivpatienten sicher
möglich. Die Drittgenerationsstärke könnte aufgrund der güns-
Dextran-UVR. Die Dextran-UVR beruht auf einer Immunkom- tigen physikochemischen Eigenschaften auch beim Patienten
plexanaphylaxie infolge präexistenter, mit Dextran kreuzreagie- mit bereits vorbestehender Nierendysfunktion in dieser Situation
render Antikörper, vornehmlich IgGd2-Antikörper in hohen Ti- einsetzbar sein (Boldt 2003). Ernst zu nehmen sind die aktu-
terstufen. Nach Vorgabe von 20 ml Dextran mit einem MG von ellen Befunde einer Nephrotoxizität bei der Anwendung von HES
1000 (z. B. Promit; Prinzip der Haptenhemmung) treten Dextran- 200/05 bei Patienten mit schwerer Sepsis (s. oben; Brunkhorst et
6 UVR nicht wesentlich häufiger auf als andere Kolloid-UVR. al. 2008).

Gelatine-UVR. Bei Gelatine-UVR konnte eine direkte Histamin- RES-Speicherung. HES und Dextran werden zusätzlich zu ihrer
ausschüttung nachgewiesen werden (zumindest mitbedingt renalen sowie gastrointestinalen Ausscheidung und ihrem enzy-
durch einen vom Hersteller zwischenzeitlich beseitigten Über- matischen Abbau (Amylase, Dextranase) zu einem kleinen Pro-
schuss an Vernetzungsmittel). Sowohl Häufigkeit als auch zentsatz in den RES-Zellen von Leber, Lunge, Milz und den
Schweregrad dieser UVR lassen sich durch Vorbehandlung mit Lymphknoten gespeichert. Diese Speicherung ist zeitlich be-
Histamin-H1- und Histamin-H2-Rezeptorenblockern senken. grenzt, von der verwendeten Lösung und individuellen Faktoren
abhängig und klinisch i. Allg. ohne Relevanz. Kasuistisch wird
HES-UVR. HES-UVR sind in ihrer Ursache bisher nicht geklärt. von einer exzessiven RES-Überladung mit potenzieller respirato-
Höhergradige Reaktionen konnten bislang nicht auf die alleinige rischer, Leber- und Niereninsuffizienz berichtet, v. a. beim Ein-
Verabreichung, insbesondere von neueren HES-Präparationen satz von hochmolekularem Dextran und HES (450/0,7; Ginz et
(HES 200), zurückgeführt werden. Die im Vergleich sehr gute Ver- al. 1998). Die nach dem Einsatz von HES 200/05 bei Patienten mit
träglichkeit beruht möglicherweise auf der molekularen Struktur- schwerer Sepsis beobachteten ungünstigen Effekte werden zu-
ähnlichkeit mit Glykogen. Auf die kürzlich in einer Studie gezeigte mindest teilweise auf die RES-Speicherung zurückgeführt
höhere Rate von Nierenversagen bei HES-Volumenersatz bei schwe- (Brunkhorst et al. 2008).
rer Sepsis wurde bereits hingeweisen (Brunkhorst et al. 2008).
Vergleich kristalloider und kolloidaler Lösungen
Gerinnungsstörungen. Diese können bei allen künstlichen Kol- Hierbei sind folgende Aspekte von Interesse:
loiden nach hohen Dosen als Dilutionskoagulopathie auftreten. 4 Hämodynamik,
Spezifische, qualitativ gleichsinnige inhibitorische Wirkungen auf 4 Lungenfunktion,
die Hämostase verursachen aber nur Dextran und HES, Erstere 4 Organperfusion.
wesentlich ausgeprägter: Dämpfung der primären Hämostase
durch Coating-Effekte auf Endothel und Thrombozyten; dosisab- Hämodynamik. Zweifellos lässt sich mit beiden Lösungen eine
hängige Inhibierung der plasmatischen Gerinnung durch Interak- adäquate Volumensubstitution erzielen, allerdings werden mit
tion mit Gerinnungsfaktoren, insbesondere mit sämtlichen Fak- kristalloiden Lösungen beim Sepsispatienten 2- bis 4-mal größe-
tor-VIII-Qualitäten sowie Erleichterung der Gerinnselauflösung re Volumina benötigt (stärkere Gewichtszunahme und Ödem-
durch die endogene Fibrinolyse infolge einer veränderten Fibrin- neigung der Kranken) als mit kolloidalen, und es dauert länger
polymerisation. Demzufolge wird zurzeit eine Dosislimitierung bis zur Erzielung der hämodynamischen Stabilität.
von 1,5 g/kgKG Dextran/Tag empfohlen. Für HES werden 2 g/
kgKG (HES 200/0,5) bzw. 1,2 g/kgKG (HES 450/0,7) angegeben; Lungenfunktion. Bei der Diskussion um die ideale Volumener-
für Gelatinepräparate gelten keine Dosisbeschränkungen. satzlösung spielt die potenzielle Gefahr der Auslösung eines
Lungenödems eine entscheidende Rolle. Verfechter des Ein-
Beeinflussung der Nierenfunktion. Eine ausreichende Flüssig- satzes kolloidaler Lösungen führen an, dass kristalloide Flüssig-
keitssubstitution mit Kristalloiden ist zur Vermeidung von Nie- keiten den KOD nachhaltig erniedrigen und damit diese Gefahr
renfunktionsstörungen von besonderer Bedeutung. hervorrufen. Befürworter des Einsatzes kristalloider Lösungen
fürchten dagegen bei der Anwendung kolloidaler Lösungen ei-
! Cave
nen verstärkten Abstrom kolloidosmotisch wirksamer Moleküle
Bei Vorliegen eines Flüssigkeitsmangels kann es durch die Zu-
durch die geschädigte alveolokapilläre Membran ins Interstiti-
fuhr von Lösungen mit hohem kolloidonkotischen Druck zu
um, verbunden mit einem Anstieg des extravaskulären KOD
einem Hyperviskositätssyndrom mit fatalen Folgen für die Nie-
und damit der Gefahr der Ausbildung oder Verstärkung eines
renfunktion (»hyperoncotic acute renal failure«) kommen.
Lungenödems.
Dies fand sich bei der Gabe von HES, Dextranen, vornehmlich des
hyperonkotischen Dextran 40 und auch von hochkonzentrierten Organperfusion. Eindeutige Vorteile hinsichtlich der Organper-
Humanalbuminlösungen (20%ig). Durch Verabreichung von fusion sind weder für kristalloide noch für kolloidale Lösungen
Elektrolytlösungen lässt sich bei dieser reversiblen Nierenfunkti- bei der Volumensubstitution kritisch Kranker überzeugend be-
onseinschränkung eine adäquate Diurese wiederherstellen. legt (Müller-Werdan u. Werdan 2005).
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
207 6
Vergleich von Letalität und Morbidität aber auch eine ungünstige 15%ige Zunahme des pulmonalvas-
In der ersten randomisierten und kontrollierten Studie zum Ver- kulären Widerstands (Fernandes et al. 2001).
gleich von HES 200/05 und Ringer-Laktat-Lösung bei Patienten Bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock mit
mit schwerer Sepsis (Brunkhorst et al. 2008) zeigten die mit HES einem Hämatokrit <30% und gleichzeitig einer auf <70% erniedri-
behandelten Patienten eine im Trend höhere 90-Tage-Letalität, gten ScvO2 wird die Gabe von Erythrozytenkonzentraten zur Anhe-
eine signifikant erhöhte Inzidenz an akutem Nierenversagen und bung des Hämatokrits auf ≥30% empfohlen, zumindest in der
erforderlicher Nierenersatztherapie, niedrigere Thrombozyten- Frühphase der Sepsis innerhalb der ersten 6 h auf der Notaufnahme
werte, und sie mussten häufiger transfundiert werden. (Rivers et al. 2001). Ansonsten gilt die Empfehlung, Erythrozyten-
konzentrate bei einem Hämoglobinwert <4,3 mmol/l zu geben und
Zielkriterien das Hämoglobin auf einen Wert zwischen 4,3 und 5,6 mmol/l an-
Als Zielkriterien einer adäquaten Flüssigkeitssubstitution des zuheben (Dellinger et al. 2008; Reinhart et al. 2006).
Schocks dienen zunächst klinische Parameter wie Herzfrequenz,
Diurese und Blutdruck, die sich in den physiologischen Berei- Erythropoetingabe
chen bewegen sollten. Beim Ausbleiben einer raschen hämody- Kritisch Kranke. Die verminderte Erythropoetinbildung beim an-
namischen Stabilisierung und bei Patienten mit bereits vorbeste- ämischen kritisch Kranken und der hohe Anteil von knapp 40%
hender eingeschränkter Herzfunktion empfiehlt sich das invasive transfundierten Intensivpatienten bilden die Rationale für die Er-
Monitoring mithilfe des PAK (7 Abschn. 6.3.4). probung einer EPO-Gabe bei Intensivpatienten: Im Rahmen einer
Während der Volumensubstitution muss mit dilutions- Studie mit 1300 Intensivpatienten wurden wöchentlich – bis zu
bedingtem Abfallen von Hämatokrit und Hämoglobin (0,62– 4-mal – 40.000 E rHuEPO bzw. Placebo gegeben. Die EPO-Gabe
1,86 mmol/l) gerechnet werden, die in der Regel auch akzep- reduzierte den Prozentsatz transfusionspflichtiger Patienten von
tiert werden können: Bei einem Hämatokritwert von 30% liegt 60,4 auf 50,5% und die Zahl der Transfusionen um 19%; hierbei
eine maximale O2-Transportkapazität ohne Gefahr einer Ge- fiel der Hämoglobinanstieg mit 0,82 mmol/l stärker aus als in der
webehypoxie vor. Während der primären Volumentherapie – in Placebogruppe (0,58 mmol/l). Die Letalität der EPO-Gruppe war
der initialen Phase der Hypovolämie – ist aus diesem Grund ein mit 14% nicht unterschiedlich im Vergleich zur Placebogruppe
Hämoglobinwert von 6,2–7,1 mmol/l bzw. ein Hämatokrit von (Corwin et al. 2002). Der Nutzen dieser EPO-Gabe bei Intensiv-
30–35% als ausreichend anzusehen. Nachfolgend – bei Normo- patienten wird zurzeit kritisch gesehen (Eckardt 2003).
volämie, erzielt durch Volumengabe – ist eine Substitution
von Erythrozytenkonzentraten erst ab Hämoglobinwerten <5– Sepsispatienten. Bei Patienten mit schwerer Sepsis wird Eryth-
6,2 mmol/l indiziert. ropoetin zur Behandlung einer Anämie nicht empfohlen (Dellin-
ger et al. 2008).
Erythrozytentransfusion und Erythropoetingabe
Erythrozytentransfusion Hyperton-onkotische Lösungen
Kritisch Kranke. Bei kritisch Kranken ist eine mäßige Anämie Mit Ausnahme des hypovolämisch-traumatischen Schocks mit
infolge eines okkulten Blutverlustes und einer supprimierten Versorgungsengpässen gibt es bei allen anderen Schockformen
Erythropoese nicht selten. Übereinstimmung besteht darin, dass zurzeit für den Einsatz hyperton-onkotischer Lösungen keine
Patienten mit akuter Anämie und einem Hämoglobinwert von Indikation (Meier-Hellman u. Burgard 2004).
≤4,3 mmol/l und darunter entsprechend den allgemeinen Emp-
fehlungen (Simon et al. 1998) mit Erythrozytentransfusionen
substituiert werden sollten. 6.4.7 Inotrope und vasoaktive Substanzen
Dagegen konnte die Prognose bei kritisch Kranken mit Hä-
moglobinwerten von 4,3–6,2 mmol/l durch Erythrozytentrans- > Im Wesentlichen sind es die Katecholamine Dobutamin, Dopa-
fusionen nicht verbessert werden (Hebert et al. 1999). Mögliche min, Noradrenalin und Adrenalin sowie die Phosphodiesterase-
günstige Effekte der Transfusion könnten durch ungünstige Re- hemmstoffe Amrinon, Milrinon und Enoximon, deren positiv-in-
aktionen – wie rheologische Störungen gealterter transfundierter otrope Wirkung ausgenutzt werden kann (. Tab. 6.6; Müller-
Erythrozyten, Störungen der Immunfunktion infolge der Trans- Werdan u. Werdan 2005).
fusion nicht leukozytengefilterter Erythrozyten (Blumberg u.
Heal 1998) – wieder zunichte gemacht werden. Sie werden eingesetzt, um die Herz-Kreislauf-Schädigung zu
Bei Patienten mit infarktbedingtem kardiogenen Schock ist kompensieren und damit die Durchblutung sowie die O2-Versor-
es vertretbar, bei einem Abfall des Hämoglobinwertes unter gung der Vitalorgane sicherzustellen.
4,3 mmol/l bzw. bei einem Hämatokritwert unter 25% Erthrozy-
tenkonzentrate zu geben und den Hämoglobinwert auf 4,3–5,6 Katecholamine und -derivate
mmol/l bzw. den Hämatokritwert ≥25% zu halten (Hebert et al. Bei den klinischen Symptomen eines kardiogenen Schocks ist
1999; Rao et al. 2004). Insbesondere bei älteren Patienten Dobutamin (positiv-inotrope Wirkung, Mittel der ersten Wahl
(≥65 Jahre) sollte ein Abfall des Hämatokrits auf Werte unter 30% bei akutem Myokardinfarkt; 2–20 μg/kgKG/min) und ggf. zu-
vermieden werden (Wu et al. 2001). sätzlich Noradrenalin (positiv-inotrope und vasokonstriktorische
Wirkung; 0,05–0,3 μg/kgKG/min) indiziert (Müller-Werdan u.
Sepsispatienten. Die Gabe eines Erythrozytenkonzentrats er- Werdan 2005; Werdan 2007b). Es handelt sich dabei um eine
brachte bei anämischen Sepsispatienten (Hämoglobinwert symptomatische, nicht um eine kausale Therapie.
<6,2 mmol/l) keine Verbesserung der O2-Utilisation, weder glo- Bei vergleichbarer positiv-inotroper Wirkung beeinflussen
bal (VO2) noch regional (Magentonometrie). Beobachtet wurde Katecholamine Herzfrequenz, Blutdruck und Gefäßwiderstand
eine 10%ige Zunahme des linskventrikulären Schlagarbeitsindex, sowie den linksventrikulär-enddiastolischen Füllungsdruck am
208 Kapitel 6 · Schock

. Tab. 6.6. Dosierung inotroper und vasoaktiver Pharmaka beim kardiogenen Schock
Pharmaka Dosierung
Katecholamine und Katecholaminderivate
Dobutamin Beginn mit 2–3 μg/kgKG/min; Dosis-Wirkungs-Beziehung im Bereich 2,5–10 μg/kgKG; zusätzliche Wirksteigerung von Dosen
>20 μg/kgKG erscheint fraglich
Noradrenalin i.v.-Infusionen von 0,1–1 μg/kgKG/min: meist effektive Anhebung des MAP (Ausnahme: unkorrigierte Acidose)
Dopamin 5–30–55 μg/kgKG/min: inotrope und vasopressorische Wirkungen; die in niedrigeren Dosierungen postulierte nephroprotektive
Wirkung ist eindeutig widerlegt
Adrenalin 0,005–0,02 μg/kgKG/min: überwiegend β-mimetische Wirkung mit Steigerung des HZV
0,03–0,15–0,3–0,5 μg/kgKG/min: mit steigender Konzentration zunehmende Dominanz der α-adrenergen vasokonstriktorischen
Effekte
Levosimendan Loading-Dosis 12–24 μg/kgKG über 10 min vor der üblichen 24 h dauernden Infusion mit 0,05–0,2 μg/kgKG/min

6 Phosphodiesterase- (PDE-)3-Hemmstoffea
Milrinon Kontinuierliche Infusion in einer Dosierung von 0,375–0,75 μg/kgKG/min
Enoximon Kontinuierliche Infusion in einer Dosierung von 1,25–7,5 μg/kgKG/min
Nitroprussid- Startdosis 0,1 μg/kgKG/min, Steigerung der Dosis – z. B. alle 2–3–5 min – bis 5(10) μg/kgKG/min unter Kontrolle von SVR und MAP
natrium
a Cave: Auf die Bolusgabe von PDE-Hemmern sollte wegen der ausgeprägten Hypotoniegefahr verzichtet werden.

gesunden Herzen in unterschiedlicher Weise (. Tab. 6.6; Müller- et al. 2006) Dobutamin als Inotropikum und Noradrenalin als
Werdan u. Werdan 2005; Werdan 2007b): Adrenalin wirkt am Vasopressor einzusetzen. Allerdings scheint Adrenalin zumindest
stärksten, Noradrenalin am wenigsten positiv-chronotrop. Vor beim septischen Schock der Kombination von Dobutamin und
allem Noradrenalin erhöht den Gefäßwiderstand und damit den Noradrenalin ebenbürtig zu sein (Annane et al. 2005).
Blutdruck; in höheren Konzentrationen tun dies allerdings auch
! Cave
Dopamin und Adrenalin.
Wegen der potenziell unerwünschten und gefährlichen Neben-
! Cave wirkungen der Katecholamintherapie – wie die Inflammations-
Bei Sepsis und Schock können Desensibilisierungsprozesse so- induktion sowohl systemisch als auch im Herzen selbst (Werdan
wie Toxin- und Mediatorschädigungen das Ansprechen auf 2007b) – sollte man beim Einsatz von Katecholaminen im
Katecholamine ganz erheblich beeinträchtigen (7Abschn. 6.4.8). Schock eher zurückhaltend sein.

Senken Katecholamine im Schock die Sterblichkeit? Dobutamin und Dopamin im Vergleich


Katecholamine werden wie selbstverständlich zur Behandlung Während Dobutamin den linksventrikulär-enddiastolischen
des Schocks eingesetzt: Im infarktbedingten kardiogenen Schock Druck entweder unbeeinflusst lässt oder ihn sogar geringfügig
werden 95,1% der Patienten mit Vasopressoren behandelt – 89,3% senkt, wird er durch Dopamin meistens etwas gesteigert. Die Ur-
mit Dopamin, 31,6% mit Noradrenalin und 41,9% mit Adrenalin sache dafür dürfte ein erhöhter venöser Rückstrom durch eine
– und 70,1% mit oder zusätzlich mit dem positiv-inotropen Do- α-adrenozeptorvermittelte Venokonstriktion sein. Bei der Volu-
butamin (Hochman et al. 2000). mensubstitution des septischen Schocks mit Dobutamin können
Dennoch ist die Wirksamkeit der Katecholamintherapie deshalb größere Flüssigkeitsmengen erforderlich werden als beim
nicht gesichert: Weder für den kardiogenen noch für den sep- Einsatz von Dopamin (Task Force of the American College of
tischen Schock gibt es hinsichtlich einer möglichen Letalitätssen- Critical Care Medicine, Society of Critical Care Medicine 1999).
kung evidenzbasierte Daten! Lediglich für die Behandlung der
> Dobutamin ist das Katecholamin der Wahl zur Therapie der ein-
akuten Herzinsuffizienz findet sich in der Literatur eine Metaa-
geschränkten Pumpfunktion der septischen Kardiomyopathie.
nalyse, die sich mit der Wirksamkeit von i.v.-applizierbaren, über
den adrenergen Signalweg wirksamen inotropen Substanzen – Darüber hinaus wurde eine günstigere Wirkung des Dobutamins
vorwiegend Dobutamin, Dopamin, Dopexamin und PDE-Hem- als die des Dopamins auf die rechtsventrikuläre Funktion kritisch
mer – beschäftigt (Thackray et al. 2002). Das Ergebnis der kleinen Kranker berichtet, ebenso eine geringere Beeinflussung des pul-
Studien mit geringer statistischer Aussagekraft (21 Studien mit monalen Gasaustausches und ein schwächerer Anstieg der links-
insgesamt 632 Patienten) ist enttäuschend: Nicht eine Letalitäts- ventrikulären Wandspannung. Letzteres könnte durch eine Sen-
senkung, sondern eine im Trend höhere Sterblichkeit wurde bei kung des myokardialen O2-Verbrauches einen Vorteil des Dobu-
dem Einsatz der inotropen Substanzen gefunden (Odd-Ratio tamins im Vergleich zum Dopamin v. a. bei Koronarkranken
1,50; 95%-Konfidenzintervall 0,51–3,92). bedeuten. Die klinische Relevanz dieses Befundes ist jedoch noch
Hinsichtlich des ernst zu nehmenden Risikopotenzials scheint Gegenstand der Diskussion.
es bei den einzelnen Katecholaminen Unterschiede zu geben: In
einer europäischen Studie (Sakr et al. 2006) zeigten nur Dopamin Dopamin in »Nierendosis« nicht zu empfehen!
und Adrenalin eine Übersterblichkeit, nicht aber Dobutamin und In kontrollierten Studien konnte durch Dopamin in »Nierendo-
Noradrenalin. Daraus resultiert die Empfehlung, zumindest bei sis« (0,5–2–3 μg/kgKG/min) keinerlei nephroprotektiver Effekt
kardiogenem (Werdan 2007b) und septischem Schock (Reinhart und auch keine Prognoseverbesserung dokumentiert werden.
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
209 6

Der routinemäßige Einsatz von niedrig dosiertem Dopamin zur bewerten Levosimendan mit einer Klasse-IIa-Empfehlung. Eine
Nephroprotektion bei Schock-, MODS- und Sepsispatienten letalitätssenkende Wirkung von Levosimendan bei kardiogenem
kann demzufolge nicht empfohlen werden (Dellinger et al. 2008; Schock ist allerdings bisher nicht gezeigt worden; bei Patien-
Müller-Werdan u. Werdan 2005, Reinhart et al. 2006). ten mit akuter dekompensierter Herzinsuffizienz konnte die
SURVIVE-Studie zwar initial einen stärkeren Abfall des kardia-
Toleranzentwicklung bei Katecholamintherapie len Schädigungsmarkers BNP aufzeigen, ein Überlebensvorteil
Bei Patienten mit septischem Schock zeigen Katecholamine (Do- durch die Gabe von Levosimendan im Vergleich zu Dobutamin
butamin) eine geringere positiv-inotrope Wirkung als bei Pati- ließ sich jedoch nicht belegen (Mebazaa et al. 2007).
enten mit Sepsis ohne Schock (Silverman et al. 1993).
Diese Katecholamintoleranz ist zumindest partiell auf eine Phosphodiesterasehemmstoffe
Dysregulation des β-Adrenozeptor-Adenylatzyklase-Systems zu-
> Insbesondere bei kardiogenem Schock nach Herzoperationen
rückzuführen (Down-Regulation der β1-Adrenozeptoren; Hoch-
scheinen sich PDE-Hemmstoffe als Katecholaminbegleit-
regulation der inhibitorischen G-Proteine), die durch endogene
therapie zu bewähren (Müller-Werdan u. Werdan 2005; Werdan
und pharmakologisch applizierte Katecholamine, sowie durch
2007b).
Zytokine u. a. Sepsismediatoren hervorgerufen wird (Reithmann
et al. 1993; Silverman et al. 1993). Sie lässt sich zumindest partiell Der Einsatz von PDE-Hemmern sollte bei mit β-Blockern vorbe-
durch eine Steigerung der Katecholamindosis ausgleichen. handelten Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und akuter
Da diese β1-Adrenozeptor-Adenylatzyklase-Desensibilisie- kardialer Dekompensation erwogen werden. Bei diesen Patienten
rung jedoch alle am myokardialen β1-Adrenozeptor angreifen- sind die über den myokardialen β-Adrenozeptor angreifenden
den Katecholamine in gleichem Maße betrifft, resultieren hieraus Katecholamine infolge der mit β-Blockern besetzten Rezeptoren
keine differenzialtherapeutischen Konsequenzen. Über den er- in ihrer inotropen Wirkung abgeschwächt, bei Vorbehandlung
folgreichen Einsatz von β-Rezeptorenblockern zur Verbesserung mit Carvedilol stärker als bei Metoprolol. Phosphodiesterase-
der Katecholaminansprechbarkeit wurde bisher beim Patienten hemmer wie Enoximon behalten dagegen ihre Wirkung bei (Me-
mit Schock noch nicht berichtet. tra et al. 2002). Bei mit β-Blockern vorbehandelten Patienten
Auch die Gefäße zeigen im septischen Schock eine Katecho- geben die europäischen Leitlinien zur Therapie der akuten Herz-
lamintoleranz mit einer abgeschwächten bis fehlenden Vaso- insuffizeinz (The Task Force on Acute Heart Failure of the Euro-
konstriktion auf α-Adrenozeptoragonisten. In diesem Fall pean Society of Cardiology 2005) den PDE-Hemmern eine Klas-
scheint jedoch nicht die im Tierexperiment bei Sepsis und En- se-IIa-Empfehlung, ansonsten nur eine Klasse-IIb-Empfehlung.
dotoxinämie gefundene Abnahme der Zahl der Gefäß-α-Adre- Lediglich bei Patienten mit akuter nichtischämischer Herzinsuf-
nozeptoren die entscheidende Rolle zu spielen, sondern viel- fizienz, nicht jedoch im Gesamtkollektiv konnte der PDE-Hem-
mehr das vermehrt gebildete NO. Durch Hemmstoffe der NO- mer Milrinon in einer randomisierten Studie eine Letalitätssen-
Synthase lässt sich im Sepsis- und Endotoxintiermodell die stark kung erzielen; bei Patienten mit akuter ischämischer Herzinsuf-
abgeschwächte vasokonstriktorische Katecholaminwirkung wie- fizienz muss dagegen sogar eine Letalitätserhöhung erwartet
der restaurieren. Die Zahl der Gefäß-β2-Adrenozeptoren ist im werden (Cuffe et al. 2002).
Tierexperiment bei Sepsis und Endotoxinämie als nicht verän-
dert beschrieben. Digitalis
Digitalis spielt bei Sinusrhythmus in der Therapie des kardio-
Levosimendan genen Schocks als Inotropikum keine wesentliche Rolle; dagegen
Levosimendan (in Deutschland nicht zugelassen) wirkt als Kalzi- ist es bei tachykardem Vorhofflimmern und Vorhofflattern zur
um-Sensitizer positiv-inotrop und senkt infolge einer K+-Kanal Frequenznormalisierung bei Schockpatienten das Antiarrhyth-
vermittelten Vasodilatation den Blutdruck. mikum der Wahl.
Da die Wirkung von Levosimendan nicht so rasch eintritt wie
bei Katecholaminen, kann die Gabe einer »Loading«-Dose Nitroglyzerin und Nitroprussidnatrium
(. Tab. 6.6) versucht werden. Der bei einigen Patienten zu beob- Zur Senkung der Vor- und Nachlast dienen bei akutem Herzin-
achtende Druckabfall nach Bolusgabe lässt sich durch Steigerung farkt in erster Linie Nitroglyzerin sowie in zweiter Linie Nitro-
der Vasopressordosis und durch Volumengabe auffangen. Von prussidnatrium. Nitroglyzerin wird in einer Infusionsdosierung
Vorteil dürfte neben der geringeren Arrhythmieneigung die lang von 0,3–0,5–4 μg/kgKG/min gegeben. Die Nitroprussidnatrium-
anhaltende Wirkung nach einer einmaligen 24-h-Infusion als infusion wird mit 0,3 μg/kgKG/min begonnen und bis zum ma-
Folge der Bildung aktiver Metaboliten mit langer Halbwertszeit ximal erwünschten Effekt alle 2 min bis zu einer Dosis von 1–
sein. Bei mit Dobutamin, Noradrenalin und IABP nicht aus- 6 μg/kgKG/min gesteigert; sie kann mit positiv-inotropen Phar-
reichend hämodynamisch stabilisierbaren Patienten mit infarkt- maka kombiniert werden (Alpert u. Becker 1993).
bedingtem kardiogenen Schock lässt sich durch Levosimendan
dennoch ein HI-Anstieg und der erwünschte Abfall des erhöhten Nesiritide
SVR bei nichtsignifikant verändertem Blutdruck beobachten; der Nesiritide, das endogene BNP (in Deutschland nicht zugelassen),
Cpi steigt dabei (Russ et al. 2007). Ein HI-Anstieg nach Levosi- senkt bei dekompensierter Herzinsuffizienz den Pulmonarkapil-
mendangabe findet sich bei Patienten mit infarktbedingtem kar- lardruck rascher und effektiver als Nitroglyzerin. Im Vergleich
diogenen Schock bereits nach 3 h; dagegen nimmt die Verbesse- zur Behandlung mit Dobutamin scheint Nesiritide (i.v.-Bolus
rung der Herzleistung durch die IABP-Implantation längere Zeit 0,3 μg/kgKG, anschließend Infusion mit 0,015 μg/kgKG/min
in Anspruch (Christoph et al. 2007). Die europäischen Leitlinien bzw. i.v.-Bolus 0,6 μg/kgKG, anschließend Infusion mit 0,030 μg/
zur Behandlung der akuten Herzinsuffizienz (Task Force on kgKG/min) rascher eine Rekompensation zu bewirken und mög-
Acute Heart Failure of the European Society of Cardiology 2005) licherweise sogar die Prognose zu verbessern (Silver et al. 2002).
210 Kapitel 6 · Schock

Vasopressin Beim septischen Schock besteht ein Vasopressinmangel. In


Arginin-Vasopressin wird im Hypophysenhinterlappen gespei- mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Vaso-
chert und von dort durch verschiedene Reize wie verminderte pressin sowohl in niedriger als auch in hoher Dosierung bei sep-
Vorhoffüllung, erniedrigter arterieller Blutdruck und hohe Angi- tischen Patienten zu einer deutlichen Stabilisierung der Hämody-
otensinspiegel in das Gefäßsystem sezerniert. Vasopressin stimu- namik führt. Signifikante Nebenwirkungen traten dabei nicht
liert vaskuläre V1a-Rezeptoren und führt über die Aktivierung auf. Allerdings gibt es andere Untersuchungen, in denen Stö-
von Phospholipase C und Erhöhung der intraarteriellen Kalzi- rungen der intestinalen und der hepatischen Perfusion sowie der
umkonzentration zu einer arteriellen Vasokonstriktion. Dieser generellen Mikrozirkulation nach Vasopressininfusion nachge-
Mechanismus scheint auch während Hypoxie, Acidose oder in wiesen wurden. Solange es so deutlich widersprüchliche Erkennt-
der Sepsis nicht abgeschwächt zu sein, sodass die Wirkung von nisse gibt, kann u. E. die Gabe von Vasopressin im septischen
Vasopressin erhalten bleibt (Meier-Hellman u. Burgard 2004). Schock nicht generell empfohlen werden, auch wenn die Survi-
ving Sepsis Campaign (Dellinger et al. 2008) bei therapierefrak-
Terlipressin. Terlipressin ist ein synthetisches Analogon von Va- tärem septischen Schock die zusätzliche Gabe von Vasopressin
sopressin. Nach Injektion wird es rasch zum aktiven Lysin-Vaso- (0,01–0,04 U/ml) für vertretbar ansieht.
6 pressin metabolisiert. Es hat zwar eine höhere Affinität zu vasku-
lären Rezeptoren als Vasopressin, seine vasopressorische Wir-
kung ist aber niedriger als die von Arginin-Vasopressin. Etabliert 6.4.8 Optimierung des Intravasalvolumens
ist es bereits in der Therapie blutender Ösophagusvarizen. Aus-
geprägte perioperative Hypotensionen unter chronischer ACE- Der kardiogene Schock führt häufig zu Lungenstauung/Lungen-
Hemmer-Therapie können erfolgreich mit Terlipressin behandelt ödem sowie zum prärenalen Nierenversagen und damit zur Olig-
werden (Meier-Hellman u. Burgard 2004). urie. Neben der Kreislaufstabilisierung können Diuretika und
Hämofiltration erforderlich werden (7 Abschn. 6.5.4).
Hämorrhagischer Schock
Vasopressin bei unkontrollierter abdomineller Blutung. Experi-
mentelle Untersuchungen, die potenzielle Vorteile einer frühen 6.4.9 Neue Therapieansätze zur
Therapie mit Vasopressin zumindest bei der unkontrollierten Schockbehandlung
abdominellen Blutung aufzeigen, sollten in klinischen Arbeiten
geprüft werden. Neue Therapieansätze fokussieren v. a. auf die Dämpfung der
überschießenden Inflammation im Schock durch Begrenzung
Septischer Schock der inflammatorisch wirksamen Katecholamingabe auf das un-
Relativer Vasopressinmangel. Neben dem hämorragischen bedingt Notwendige (Werdan 2007b) sowie auf den Einsatz anti-
Schock ist der therapierefraktäre vasodilatatorische Schock eine inflammatorischer Substanzen.
mögliche Indikation für Vasopressin und sein Analogon. Zwar ist
der endogene Vasopressinspiegel im Tierversuch bei beiden Hemmer der Stickoxidsynthase
Schockformen signifikant erhöht, doch scheint beim Menschen Das im Schock via Induktion der iNOS überschießend produzierte
zumindest im septischen Schock ein relativer Vasopressinmangel NO zeigt neben seinen erwünschten Wirkungen im Rahmen der
zu bestehen. So konnten bei verschiedenen Formen des vasodila- Infektabwehr unerwünschte deletäre Effekte (7 Abschn. 6.2.6). In-
tatorischen Schocks signifikant niedrigere Vasopressinspiegel als sofern erscheint die Blockade der überschießenden NO-Produkti-
beim kardiogenen Schock nachgewiesen werden. Der Vasopres- on mithilfe eines iNOS-Hemmers (Argininanaloga wie L-NAME)
sinmangel im septischen Schock und die Tatsache, dass Vasopres- sinnvoll. Klinische Ergebnisse zu diesem Therapieprinzip liegen
sin per se ein potenter Vasopressor ist, führen zu 2 prinzipiell für den septischen und den kardiogenen Schock vor.
unterschiedlichen Indikationen:
4 Hochdosiertes Vasopressin kann beim septischen Schock als Septischer Schock. Eine große kontrollierte Studie (Lopez et al.
Vasopressor zur Aufrechterhaltung eines adäquaten Perfusi- 2004) mit einem nichtselektiven NOS-Inhibitor konnte bei
onsdruckes und Patienten im septischen Schock keinen Überlebensvorteil,
4 in deutlich niedrigeren Dosierungen im Sinne einer Substitu- wohl aber ungünstige, potenziell letale Wirkungen wie Druckan-
tionstherapie eingesetzt werden (Meier-Hellman u. Burgard stiege im kleinen Kreislauf nachweisen. Diese werden mögli-
2004). cherweise durch die Nichtselektivität des NOS-Hemmers mit
Blockade nicht nur der iNOS, wie erwünscht, sondern auch der
! Cave
eNOS hervorgerufen. Vielleicht bietet demzufolge die Entwick-
Auch eine niedrigdosierte Vasopressintherapie kann mit einer
lung selektiver iNOS-Hemmer einen neuen kontrollierten The-
bedeutsamen gastrointestinalen Minderperfusion einhergehen.
rapieansatz.

Fazit für die Praxis Kardiogener Schock. Der Einsatz des nichtselektiven NOS-Hem-
Es gibt Hinweise darauf, dass eine restriktive Flüssigkeitstherapie, mers (L-NG-Monomethyl-Arginin, L-NMMA) bei Patienten im
kombiniert mit der Infusion von Vasopressin, bei der Behand- infarktbedingten kardiogenen Schock zeigte in der TRIUMPH-
lung einer unkontrollierbaren intraabdominellen Blutung zu ei- Studie (398 Patienten) weder eine Senkung der 30-Tage-Letalität
ner Verbesserung der Überlebensrate führt. Wer dieses – im Tier- noch der 6-Monate-Sterblichkeit noch des Schock-Schwere-
experiment überaus erfolgreiche – Konzept in die Praxis einfüh- grades (TRIUMPH Investigators 2007).
ren will, muss jedoch wissen, dass es zurzeit noch keine klinischen
Beweise seiner Wirksamkeit gibt.
6.4 · Therapieprinzipien bei Schock
211 6
Toxin-, Mediator- sowie insbesondere 6.4.10 Gerinnungsaktive Substanzen
Zytokinblockade und Zytokinelimination
Septischer Schock. Bei septischem Schock lässt sich die über- Gesicherte Relevanz besitzen diese Substanzen bei kardiogenem
schießende Entzündungsreaktion nicht durch eine punktu- und bei septischem Schock.
elle Blockade und Elimination eines einzelnen Toxins (z. B.
Endotoxin) oder Mediators stoppen. In zahlreichen kontrol- Kardiogener Schock. Der Einsatz von Thrombolytika und wei-
lierten Studien mit Endotoxinantikörpern und Endotoxin- teren gerinnungsaktiven Substanzen im kardiogenen Schock
adsorption, TNF-Antikörpern und löslichen TNF-Rezeptoren, wird im 7 Abschn. 6.6.1 besprochen.
IL-1-Rezeptorantagonist, Plättchen-aktiverender-Faktor-Anta-
gonist und weiteren Substanzen dieser Art konnte die Letali- Septischer Schock. Die enge Verknüpfung von Inflammation
tät nicht gesenkt werden (Dellinger et al. 2008; Werdan et al. und Gerinnung (7 Abschn. 6.2.6) bildet die Rationale für Thera-
2005). pieansätze im septischen Schock mit gerinnungsaktiven Substan-
zen (7 Abschn. 6.6.2).
Kardiogener Schock. Ob im kardiogenen Schock eine Blockade
des TNF-α mit Antikörpern oder löslichen Rezeptoren eine güns-
tige Wirkung zeigt, ist nicht untersucht; bei stabiler chronischer 6.4.11 Hypothermie/»cooling«
Herzinsuffizienz war dieser Therapieansatz jedoch nicht erfolg-
reich (Übersicht in Rauchhaus u. Müller-Werdan 2001). Möglicherweise verbessert die gezielte therapeutische Herbei-
führung einer milden Hypothermie – Körperkerntemperatur
Komplementaktivierung/-inhibierung um 32°C – bei Schockpatienten die Prognose. Als Ursachen
Die Ischämie-Reperfusions-Schäden bei kardiogenem Schock werden die Verlangsamung pathologischer Stoffwechselpro-
führen zur Aktivierung sowohl des klassischen als auch des alter- zesse, der SIRS und andere Vorgänge diskutiert (Bernard u.
nativen Weges der Komplementkaskade. Inflammation, Nekrose Buist 2003).
und Apoptose sind die Folgen dieser Komplementaktivierung.
Tierexperimentell zeigt die Blockade des Komplementsystems Kardiopulmonale Reanimation. 7 Abschn. 6.4.2.
sowohl mit dem endogenen C1-Esterase-Inhibitor, mit synthe-
tischen Komplementinhibitoren sowie Antikörpern gegen C3 Kardiogener Schock. Die milde Hypothermie könnte sich in Zukunft
und C5 bei Ischämie-Reperfusions-Schäden protektive Effekte auch als eine Therapieoption im ischämischen und nichtischä-
(Buerke et al. 2007). Die klinischen Infarktstudien (COMPLY, mischen kardiogenen Schock herausstellen. Mit milder Hypother-
COMMA und APEX AMI) mit dem C5-Antikörper Pexelizumab mie lässt sich möglicherweise nicht nur eine Neuroprotektion, son-
verliefen enttäuschend. Lediglich in der COMMA-Studie, nicht dern auch eine Nephro- und Myokardprotektion erzielen. Sowohl in
aber in der nachfolgenden APEX-AMI-Studie, zeigte sich in der vitro als auch tierexperimentell kann milde Hypothermie die myo-
Pexelizumabgruppe eine geringere Schockinzidenz (2,5 vs. 5,2%; kardiale Kontraktilität steigern. In einer ersten prospektiven Studie
nicht signifikant). an 15 Patienten im akuten kardiogenen Schock konnte mithilfe der
invasiven Kühlung auf 33°C ein positiver Effekt auf hämodyna-
Statine. Statine wirken nicht nur cholesterinsenkend, sie besitzen mische Parameter (signifikante Zunahme des Schlagvolumenindex
auch eine antiinflammatorische Wirkung und verbessern bei Pa- um 29% und des HI um 21%, Abnahme der Herzfrequenz um 19%;
tienten mit Herzerkrankungen auch die eingeschränkte HRV. Schmidt-Schweda et al. 2004) nachgewiesen werden. Da es unter
Eine retrospektive Auswertung von MODS-Patienten (Schmidt milder Hypothermie zu einer verlangsamten Relaxation kommt,
et al. 2006) hat gezeigt, dass die mit Statin zur Cholesterinsen- erscheint die Kontrolle von Herzfrequenz und Herzrhythmus wich-
kung vor und während des Intensivstationsaufenthalts weiterbe- tig. Relevante kardiale Nebenwirkungen sind – bei Einhaltung der
handelten Patienten eine signifikant bessere Überlebenschance Zieltemperatur – aus der Anwendung der milden Hypothermie zur
hatten als vergleichbar kranke MODS-Patienten ohne Statinme- Neuroprotektion nicht bekannt. Allerdings liegen derzeit noch keine
dikation. Bezeichnenderweise waren die Cholesterinspiegel der klinischen Endpunktstudien zum Einsatz der milden Hypothermie
beiden Gruppen im Mittel nicht signifikant unterschiedlich, wohl im kardiogenen Schock vor. Die Daten zeigen aber, dass bei Patien-
aber die Werte für lnVLF, einem HRV-Marker der Parasympathi- ten, bei denen milde Hypothermie nach kardiopulmonaler Reani-
kusaktivität: Der lnVLF-Wert der Statingruppe war weit weniger mation zur Neuroprotektion eingesetzt wird, zumindest keine nach-
eingeschränkt als der der Nichtstatingruppe; dies wäre zumindest teiligen hämodynamischen Auswirkungen zu befürchten sind
mit dem Konzept einer günstigen Wirkung der Statine bei MODS (Hovdenes et al. 2007).
als Folge einer Verbesserung der eingeschränkten Parasympa-
thikusaktivität vereinbar (7 Abschn. 6.2.11. und 6.5.1.) Obwohl Septischer Schock. Die viel diskutierte »induzierte Hypother-
(noch?) nicht Leitlinienempfehlung, ist bei Patienten mit sep- mie« wird bei der Sepsis skeptisch betrachtet (Bernard u. Buist
tischem und nichtseptischem MODS die Fortführung einer vor- 2003).
bestehenden Statinmedikation auch in der MODS-Krankheits-
phase zu überlegen.
6.4.12 Pharmakotherapie des kritisch Kranken
β-Blocker. Tierexperimentelle Untersuchungen berichten bei
septischem Schock über eine letalitätssenkende Wirkung (Suzuki Die Pharmakologie der auf der Intensivstation eingesetzten
et al. 2005) bzw. eine Verbesserung der septischen Kardiomyo- Arzneimittel ist in der Regel an gesunden Probanden und Pa-
pathie (Dimopoulos et al. 2008) durch den kurz wirksamen tienten mit stabilen chronischen Erkrankungen ermittelt
β-Blocker Esmolol. worden.
212 Kapitel 6 · Schock

! Cave 6.5 Multiorgandysfunktionssyndrom


Schock, (Multi-)Organversagen und Sepsis des schwerkranken
Intensivpatienten können Pharmakokinetik und Pharmako- 6.5.1 Einführung
dynamik der häufig notwendigen medikamentösen Poly-
pragmasie inter- und sogar intraindividuell während des Krank- Definition
heitsverlaufs in einer oft noch nicht überschaubaren Weise Unter dem Begriff Multiorgandysfunktionssyndrom (»multiple
beeinflussen. organ dysfunction syndrome«, MODS) werden die komplexen
Organfunktionseinschränkungen, -fehlfunktionen und -aus-
Der intensivmedizinisch Tätige benötigt deshalb einen hohen fälle zusammengefasst, die infolge eines Schocks, einer Sepsis
Grad an Wachsamkeit, um bekannte und unbekannte, potenziell oder eines systemisch-entzündlichen, nichtinfektiösen Syn-
droms (SIRS, z. B. Trauma; 7 Abschn. 6.2) auftreten können.
gefährliche Nebenwirkungen sowie Interaktionen möglichst
Dabei sind die Anzahl der betroffenen Organe und das Aus-
frühzeitig zu erkennen, Schaden vom Patienten abzuwenden und
maß der Funktionseinschränkung sehr variabel.
den Behandlungserfolg nicht zu gefährden.
Für die Schocktherapie relevante Aspekte der allgemeinen
6 und der speziellen Pharmakotherapie des kritisch Kranken fin- Das MODS (. Tab. 6.7) entwickelt sich häufig im Zusammenhang
den sich bei Ruß et al. (2005). mit einem Schock, einer Sepsis oder eines schweren SIRS (. Abb. 6.1);

. Tab. 6.7. Formen und diagnostische Kriterien des Multiorgandysfunktionssyndroms. Übersicht über klinische Zeichen und Laborparameter
Organ Dysfunktion Diagnose und Differenzialdiagnose
Lunge Lungenödem mit erhöhtem Kapillardruck (kardiales Hypoxämie (paO2 unter der Altersnorm bei Atmung von
Lungenödem, Lungenödem mit erhöhter Kapillar- Raumluft), pathologisch-radiologischer Befund im Thorax-
permeabilität) röntgenbild, Respiratortherapie erforderlich
ALI: paO2/FlO2<300 mmHg
ARDS: paO2/FIO2<200 mmHg
Niere Prärenales Nierenversagen, akute Tubulusnekrose Anstieg des Serumkreatinins >265 μmol/l, Urinausschei-
dung <20 ml/h, Kreatininclearance <15 ml/min×1,73 m3
trotz Normalisierung von Blutdruck und Flüssigkeitshaus-
halt, Nierenersatzverfahren erforderlich
Gehirn Enzephalopathie: ischämisch, septisch, hepatisch; Neurologischer Status, CCT, EEG, Glasgow-Koma-Skala,
Rindennekrose Ammoniak
Peripheres Nerven- Polyneuropathie des Schwerstkranken, Myopathie des Neurologischer Status, EMG, Muskelbiopsie, Glasgow-
system, Skelettmuskel Schwerstkranken Koma-Skala
Herz Myokardischämie, septische Kardiomyopathie, Myokard- Blutdruckmessung, PAK, PiCCO; Herzindex, linksventri-
depression bei SIRS (SIRS-Kardiomyopathie), suprav- kulärer Schlagarbeitsindex, Cardiac power output,
entrikuläre und ventrikuläre, bradykarde und tachykarde Cardiac power index
Arrythmien
Kreislauf Sepsis, Anaphylaxie SVR
Gastrointestinaltrakt Bakterielle bzw. Endotoxintranslokation, Ileus, submuköse Enzymdiagnostik, Endoskopie, Sonographie, CT
Darmblutung, erosive Gastritis, Stressulkus, akalkulöse
Cholezystitis, Pankreatitis, »Schockpankreas«
Leber Ischämische Hepatitis, intrahepatische Cholestase, Anstieg Serumbilirubin >34 μmol/l, Erhöhung Transamina-
»Schockleber« sen >2-Faches der Norm
Gerinnungssystem DIC, Verdünnungsthrombozytopenie Abfall der Thrombozytenzahl (Thrombopenie und rascher
Abfall um 150.000/mm3), Abfall der Fibrinogenkonzentra-
tion (Hypofibrinogenämie oder rascher Abfall um 1,5 g/l),
mindestens 2 pathologische plasmatische Gerinnungs-
tests (Quick-Wert, PTT, Faktor II, V oder X)
Immunsystem Suppression der lokalen Darmimmunbarriere, Störung der Immunglobuline, Differenzialblutbild, monozytäre
zellulären Immunantwort (sekundäres Antikörpermangel- HLA-DR-Expression
syndrom), Immunparalyse
Stoffwechsel Zu niedriges Sauerstoffangebot, gehemmter zellulärer Blutzucker, Blutfette
Sauerstoffverbrauch, Proteolyse, Lipolyse, Hyperglykämie:
gestörte Glukoseaufnahme und -verwertung
Endokrinium Gestörte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse; ACTH-Test zur Objektivierung der relativen Nebennieren-
relative Nebennierenrindeninsuffizienz rindeninsuffizienz
Organinteraktion Autonome Dysfunktion (Schmidt et al. 2008) Herzfrequenzvariabilität
paO2/FIO2 pulmonaler Gasaustausch (arterieller Sauerstoffdruck/inspiratorische Sauerstofffraktion).
6.5 · Multiorgandysfunktionssyndrom
213 6

im weiteren Verlauf kann dieses Krankheitsbild dominieren. Organ- 6.5.2 Schweregradeinteilung durch
beteiligung, Zahl der betroffenen Organe und Dauer des MODS Score-Systeme
können erheblich variieren und bestimmen die Prognose.
Die Komplexität des MODS macht es verständlicherweise schwie-
! Cave
rig, den prognosebestimmenden Schweregrad dieses Krankheits-
Das erfolgreiche Behandeln eines Schockzustands ist noch kei-
syndroms zu beschreiben. Score-Systeme stellen eine Möglich-
ne Garantie für das Überleben des Patienten und für seine Ge-
keit dazu dar (Graf et al. 2003). Zwei Versuche dieser Art sollen
nesung ohne Residualdefekte; das im Rahmen eines Schockge-
hier vorgestellt werden:
schehens sich entwickelnde MODS besitzt eine hohe Letalität.

Nach größeren Notfalloperationen muss in ca. 8% der Fälle mit Acute Physiology and Chronic Health Evaluation
dem Auftreten eines Einorganversagens, in 4% mit einem Zwei- (APACHE) II: Score für den Schweregrad der Erkrankung
organversagen, in 2% mit einem Dreiorganversagen und in 1% und
mit einem Vierorganversagen gerechnet werden; Lungen-, Nie- Sepsis-related Organ Failure Assessment (SOFA): Score für
ren- und Leberversagen sind dabei mit 7–9% etwa gleich häufig. das sepsisbezogene Organversagen.
Die Prognose der Patienten mit MODS ist umso ungünstiger,
je mehr Organe geschädigt sind und je länger das Organversagen In verschiedenen Bereichen der Medizin werden Score-Systeme
anhält. Die Sterblichkeit nach 1-, 3- und 7-tägiger Dauer eines seit Längerem zur quantitativen Erfassung von Befunden einge-
Einorganversagens liegt bei 20, 30 resp. 40%, im Fall eines Zwei- setzt. So dient z. B. die Glasgow-Koma-Skala (. Tab. 6.8) zur Ab-
organversagens bei 50, 60 resp. 70%, und bei einem Dreiorgan- schätzung des Schweregrades einer Bewusstseinstrübung.
versagen bei 80, 90 resp. fast 100%. Die aufgeführten Zahlen ge-
hen auf Untersuchungen zurück, die vor 25 Jahren durchgeführt Zielsetzungen
worden sind. Bei der ungünstigen Prognose des MODS hat sich Bei Patienten einer Intensivstation können Score-Systeme einge-
seit 1973 mit einer berichteten Letalität von 94% bis 1994 mit 60% setzt werden, um objektive, quantifizierbare Parameter zu gewin-
zwar eine Verbesserung gezeigt, die Sterblichkeit ist jedoch nen zur (Graf et al. 2003):
weiterhin sehr hoch und weitgehend unabhängig von der Art des 4 Schweregradklassifikation (z. B. bei MODS),
geschädigten Vitalorgans. Ein Lebensalter >65 Jahre erhöht die 4 Prognoseeinschätzung,
Letalität auf das Doppelte. 4 Diagnosesicherung (z. B. Sepsis),

. Tab. 6.8. Schweregradklassifizierung des MODS-SOFA-Scores. (Nach Vincent et al. 1996)


Parameter Punktzahl
1 2 3 4
Atmung
paO2/FIO2 [mmHg] <400 <300 <200 mit Atemunterstützung <100
Gerinnung
[Thrombozyten×103/mm3] <150 <100 <50 <20
Leber
Bilirubin
[mg/dl] 1,2–1,9 2,0–5,9 6,0–11,9 >12
[μmol/l] 20–32 33–101 102–204 >204
Herz-Kreislauf-System
Hypotension MAP <70 mmHg Dopamin ≤5a oder Dobu- Dopamin >5a oder Adrenalin Dopamin >5a oder Adrenalin
(volumenreagibel) tamin (beliebige Dosis) ≤0,1a oder Noradrenalin ≤0,1a >0,1a oder Noradrenalin >0,1a
Zentralnervensystem
Glasgow-Koma-Skalab 13–14 10–12 6–9 <6
Niere
Kreatinin
[mg/dl] 1,2–1,9 2,0–3,4 3,5–4,9 >5,0
[μmol/l] 100–170 171–299 300–440 (>440
Oder Urinfluss [ml/Tag] <500 ml/Tag <200 ml/Tag
MODS Multiorgandysfunktionssyndrom; SOFA »sepsis-related organ failure assessment«; MAP mittlerer arterieller Blutdruck [mmHg], errechenbar
aus: systolischer Blutdruck [mmHg] +2×diastolischer Blutdruck [mmHg]:3.
a Für >1 h Dosierung [μg/kgKG/min].
b Berechnung der Glasgow-Koma-Skala: Summe der Punkte aus: Augen öffnen: 4 (spontan), 3 (bei Aufforderung), 2 (bei Schmerz), 1 (nicht); beste

motorische Antwort: 6 (gezielt nach Aufforderung), 5 (gezielt nach Schmerz), 4 (ungezielt nach Schmerz), 3 (Beugemechanismen), 2 (Streckmecha-
nismen), 1 (keine); verbale Antwort: 5 (orientiert), 4 (verwirrt), 3 (inadäquat), 2 (unverständlich), 1 (keine).
214 Kapitel 6 · Schock

4 Verlaufsbeurteilung, Sepsisbezogener Organversagen-Score


4 Therapiekontrolle und Zusätzlich zu den bereits bestehenden Organversagen-Scores
4 Qualitätskontrolle. wurde von der Europäischen Intensivmedizinischen Gesellschaft
der SOFA-Score entwickelt (. Tab. 6.8). Er erfasst die wichtigsten
Methodik Organdysfunktionen mit jeweils einem einzelnen Parameter und
Scores versuchen, leicht erfassbare Patientenparameter zu wer- teilt den Schweregrad der Organdysfunktion entsprechend der
ten. Je »pathologischer« die Ausprägung eines Befundes ist, desto Abweichung dieses Parameters von der Norm ein. Der SOFA-
mehr Punkte werden unter der Hypothese vergeben, dass eine Score wird zunehmend bei Nichtsepsispatienten zur Abschät-
stärkere Abweichung von der Norm mit einem höheren Schwe- zung des MOV-Schweregrades eingesetzt, auch bei kardiolo-
regrad und somit einer schlechteren Prognose einhergeht gischen Patienten.
(. Abb. 6.11). Hier gehen folgende Parametergruppen ein:
4 Abweichung physiologisch-biochemischer Befunde und Scoring bei Patienten auf der Coronary Care Unit
Kenngrößen, und nach Herzoperationen
4 Vorhandensein und Ausmaß morphologischer Läsionen, Auch die Prognose von Patienten mit Herzerkrankungen auf ei-
6 4 Komplexität und Aggressivität der notwendigen Therapie- ner CCU kann mit Score-Systemen erstellt werden: Die Aussage-
maßnahmen sowie kraft des initial erhobenen SAPS-II-Scores ist bei CCU-Patienten
4 Auftreten von Komplikationen. mindestens so prägnant wie bei Patienten auf einer Intensivstati-
on (Schuster et al. 1997). Dies unterstreicht eindrücklich, dass
Zusätzlich werden in einigen Scores auch Daten wie Alter oder nicht nur die Schwere der Herzerkrankung, sondern v. a. das da-
Vorerkrankungen herangezogen. Aufgrund der unterschied- raus resultierende MODS über das Überleben des Herzpatienten
lichen Auswahl und Wertung von Patientenparametern können entscheidet.
die einzelnen Scores z. B. als MOV-Score (u. a. APACHE II, III, Bei Patienten nach Herzoperationen erlaubt der APACHE-
SAPS II, HIS) oder als Sepsis-Score (z. B. nach Elebute u. Stoner) II-Score die Identifizierung der Patienten mit eskalierendem
klassifiziert werden. systemischen Inflammationsreaktionssyndrom nach kardiopul-
Scores (wie der Schweregrad-der-Erkrankung-Score APA- monalem Bypass (eskalierendes CPB-SIRS; . Tab. 6.4). Es ist cha-
CHE II oder der Sepsis-Score nach Elebute u. Stoner) können am rakterisiert durch eine – im Vergleich zum unkomplizierten post-
Patientenbett innerhalb von 5–10 min mit einem auf einem Mi- operativen Verlauf – überschießende systemische Entzündungs-
krocomputer installierten Programm einfach bestimmt und do- reaktion infolge des Operationstraumas und des Einsatzes des
kumentiert werden. Fortentwicklungen mit noch besserer pro- kardiopulmonalen Bypass, mit hohen TNF-α- und TNF-Rezep-
gnostischer Aussagekraft wie der MPM-Score, der APACHE-III- tor-, Leukozytenelastase- und Neopterinplasmaspiegeln als Aus-
Score und das Supportsystem bedürfen noch der Praktikabili- druck einer Leukozyten-/Makrophagenaktivierung, einem sepsis-
tätsumsetzung und haben noch keine sehr weite Verbreitung ähnlichen MODS mit Myokarddepression und hoher Letalität
(Graf et al. 2003). (Müller-Werdan u. Werdan 2005).
Dieses nur bei wenigen Patienten (<10%) auftretende es-
Score-Höhe kalierende CPB-SIRS kann bereits am ersten postoperativen
Bei dem APACHE-II-Score (. Abb. 6.11) korreliert die Score- Tag anhand eines APACHE-II-Scores ≥24 identifiziert werden.
Höhe mit der Letalität, und zwar sowohl des Gesamtkollektivs Aufgrund der Ergebnisse von Beobachtungsstudien in den
kritisch Kranker als auch bestimmter Subkollektive (z. B. Pati- Zeiträumen 1988–1990 und 1996 scheint der Prozentsatz der
enten mit Sepsis). Ein mögliches Problem bei der Anwendung Patienten mit eskalierendem CPB-SIRS zuzunehmen (2,4 vs.
von Score-Systemen stellt jedoch die Abhängigkeit der Score- 8,8%), die Letalität aber abzunehmen (76,0 vs. 30,1%; Kuhn et
Werte von der Grundkrankheit dar. al. 2000).

. Abb. 6.11. APACHE-II-Score. Zusätzlich


werden berücksichtigt: Alter (maximal 6 Punk-
te) und Vorerkrankung (maximal 5 Punkte).
paO2 arterieller O2-Partialdruck; DAaO2 alveo-
loarterielle O2-Partialdruckdifferenz
6.6 · Spezifische Schockformen
215 6
6.6 Spezifische Schockformen

6.6.1 Kardiogener Schock

Unabhängig von der Art des kardiogenen Schocks (. Tab. 6.1


und 6.2) besteht die Initialbetreuung des betroffenen Patienten
(7 Übersicht 6.9) zunächst in der hämodynamischen Stabilisie-
rung und der ausreichenden Oxygenierung, dem adäquaten hä-
modynamischen Monitoring und der möglichst raschen Klärung
der Schockursache. Anschließend lassen sich, soweit möglich,
kausale Behandlungsmaßnahmen einleiten, die im infarktbe-
dingten myogenen Pumpversagen ischämischer Genese in der
möglichst raschen Wiedereröffnung des verschlossenen Infarkt-
gefäßes besteht.
! Cave
Die Schockbehandlung ist ein Wettlauf mit der Zeit. Jede
»Schockminute« erhöht das Risiko des Auftretens des prognose-
bestimmenden MODS (7 Abschn. 6.5).

Therapiekonzept des (infarktbedingten)


kardiogenen Schocks
Die Therapieprinzipien des infarktbedingten kardiogenen
Schocks sind unter allen kardiogenen Schockformen am besten
untersucht und validiert, sodass daran die Therapiekonzepte des
kardiogenen Schocks aufgezeigt werden sollen. Die Behand-
lungsziele des kardiogenen Schock sind (. Abb. 6.12):
4 bei infarktbedingtem kardiogenen Schock:
5 frühestmögliche koronare Reperfusion (Wiedereröff-
nung des verschlossenen Infarktgefäßes),
5 frühzeitige Versorgung mechanischer Infarktkomplika-
tionen;

Übersicht 6.9. Basisbehandlungskonzept des


kardiogenen Schocks

4 Hämodynamische Stabilisierung
– Katecholamine, (PDE-Hemmer)
– Ggf. Ca++-Sensitizer vom Typ des Levosimendan
– Vor- und Nachlastsenkung (Cave: Hypovolämie)
– Vorlast: Nitrate (0,3–0,5–4 μg/kgKG/min bzw.
0,3–6,0 mg/h)
– Vorlast und Nachlast: Nitroprussidnatrium . Abb. 6.12. Therapiekonzept bei infarktbedingtem kardiogenem
Schock. (Aus Buerke et al. 2006)
(0,1–1–6 μg/kgKG/min)
– Diuretika, Hämofiltration
4 Oxygenierung
– O2-Gabe, ggf. maschinelle Beatmung 4 bei allen kardiogenen Schockformen:
4 Bei Schmerzen, Angina pectoris und »Stress«: Morphin, 5 Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung einer adä-
Nitrate quaten Perfusion und Oxygenierung der vitalen Organe
4 Hämodynamisches Monitoring mit PAK einschließlich mit Pharmaka (Inotropika, Vasopressoren und Vasodila-
HZV-Messung tatoren) sowie IABP,
4 Differenzialdiagnose des kardiogenen Schocks 5 Prävention und Begrenzung von MODS und MOV und
4 Wiederherstellung des Sinusrhythmus, Zurückhaltung supportive Unterstützung der Organdysfunktionen.
mit Antiarrhythmika
4 Nach Indikation: IABP Im Fall eines infarktbedingten kardiogenen Schocks erfolgt die
Bei Myokardinfarkt: möglichst rasch Koronardiagnostik initiale Stabilisierung von Herz, Kreislauf und Lungenfunktion
und Wiedereröffnung des verschlossenen Koronarge- des Patienten, um die Koronarintervention effizient und sicher
fäßes mithilfe der PCI gestalten zu können. Neben der Gabe von Katecholaminen ist
dies v. a. die Einleitung einer maschinellen Beatmung bei respi-
216 Kapitel 6 · Schock

ratorischer Insuffizienz und – bei nachgewiesener Infarzierung Die PCI der »Infarktarterie« erfolgt in aller Regel als Stentim-
des rechten Ventrikels im Rahmen eines Hinterwandinfarkts – plantation unter intensiver Thrombozytenaggregationshem-
die ausreichende Volumengabe. mung, mit anschließender IABP-Implantation noch im Herzka-
Während in der Notfallversorgung häufig Dopamin ein- theterlabor. Gelingt keine interventionelle Revaskularisation,
gesetzt wird, sollte in der Klinik die Katecholamintherapie sollte schnellstmöglich die operative Versorgung durchgeführt
mit Dobutamin (positiv-inotrope Wirkung) und Noradrenalin werden. Liegen mehrere signifikante Stenosierungen vor, muss
(vasopressorische Wirkung) erfolgen, da sich so Inotropie und im Einzelfall entschieden werden, ob neben der »Infarktarterie«
Vasomotion differenzierter steuern lassen. auch andere Gefäße revaskularisiert werden oder ob dies im In-
Ist der Patient auf diese Weise nicht ausreichend hämodyna- tervall interventionell oder operativ durchgeführt werden kann.
misch stabilisierbar, ist insbesondere bei einem Hinterwandin- Bei Vorliegen mechanischer Infarktkomplikationen: s. unten.
farkt an eine rechtskardiale Infarzierung zu denken, die sich als Ziel der hämodynamischen Steuerung bei persistierender
ST-Strecken-Hebung in (V3R)/V4R) und durch den charakteris- Schocksymptomatik ist die Blutdruckstabilisierung zur Sicher-
tischen echokardiographischen Befund zu erkennen gibt. In die- stellung einer ausreichenden Perfusion der vitalen Organe. Um
sem Fall sollte eine Volumengabe durchgeführt und der Patient dieses Ziel bei ausreichender Vorlast und mit möglichst geringem
6 bei fortbestehender Instabilität intubiert sowie schnellstmöglich Katecholamineinsatz zu erreichen, ist meist ein engmaschiges
einer Koronarrevaskularisation zugeführt werden. invasives hämodynamisches Monitoring sinnvoll. Nicht verges-
sen werden sollte die nicht seltene (relative) Hypovolämie v. a.
! Cave
älterer Patienten (Testbolus 500 ml kristalloide Lösung). Empfeh-
Der medikamentöse Therapieversuch einer hämodynamischen
lungen und Zielparameter der . Abb. 6.13b beruhen v. a. auf Ex-
Stabilisierung darf die nachfolgende Koronarrevaskularisation
pertenkonsens und sind nicht oder nur mit geringem Evidenz-
nicht unverhältnismäßig lange prolongieren.
grad prognosevalidiert (7 Kap. 4 und Abschn 6.1).
Insbesondere bei schwieriger medikamentöser Stabilisierung er- Die in . Abb. 6.13a dargelegte Reihenfolge der Hämodyna-
weist sich die Koronarrevaskularisation als einzige lebensrettende miksteuerung (MAP, SVR, HI) orientiert sich an der klinischen
Maßnahme. Praxis, zunächst einen ausreichenden Blutdruck zu gewährleisten
Die Evaluation der respiratorischen Situation orientiert sich bzw. bei relativ erhöhten Blutdruckwerten das geschädigte Herz
v. a. an klinischen Parametern wie Atemfrequenz und subjektiver durch Nachlastsenkung zu entlasten. Der Zielkorridor für den
Einschätzung der Atemarbeit (Atemhilfsmuskulatur). Erscheint MAP wurde zwischen 65 und 75 mmHg gewählt, da in diesem
hierbei eine ausreichende Stabilität des Patienten für die Durch- Bereich bei dem Großteil der Patienten ein ausreichender Perfu-
führung der Herzkatheteruntersuchung bzw. Revaskularisation sionsdruck zur Verfügung steht: Zwar können auch in diesem
nicht gegeben, sollte die Intubation mit nachfolgender kontrol- Bereich bei einzelnen Patienten mit renalen oder zerebrovasku-
lierter Beatmung durchgeführt werden. Auch in der Phase der lären Vorerkrankungen Minderdurchblutungen erfolgen, ande-
initialen Stabilisierung ist eine »lungenprotektive Beatmung« mit rerseits reichen bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizi-
einem maximalen Atemzugvolumen von 6 ml/kg prädiktivem enz häufig deutlich niedrigere MAP-Werte für eine suffiziente
Körpergewicht anzustreben. Zirkulation aus. Die Einstellung des MAP zwischen 65 und
Die möglichst rasche Wiedereröffnung des verschlossenen 75 mmHg stellt damit für die meisten Patienten einen guten Aus-
Infarktgefäßes erfolgt in der Regel mithilfe der PCI. Steht diese gangswert dar.
Möglichkeit initial nicht zur Verfügung, so sollte im Fall eines Mittel der Wahl zur Anhebung des MAP bei Werten unter
STEMI möglichst rasch eine Thrombolyse initiiert und der Pati- 65 mmHg ist Noradrenalin; Dopamin sollte allenfalls noch prä-
ent – unterstützt mithilfe der IABP – in ein Zentrum mit der klinisch eingesetzt werden.
Möglichkeit zur Akut-PCI transportiert werden. Bei einem NS- Bei MAP-Werten oberhalb von 80 mmHg ist der erste Schritt
TEMI kann im Vorfeld der PCI ein GPIIb/IIIa-Rezeptorantago- die Reduktion der Katecholamine, insbesondere des Noradrena-
nist gegeben und die IABP implantiert werden. lins; bei weiterhin erhöhten Werten des MAP nach Beendigung

a b
. Abb. 6.13. a Hämdoynamische Zielkriterien bei kardiogenem Schock. nöse Sauerstoffsättigung, Cpo »cardiac power output«; Cpi »cardiac power
MAP mittlerer arterieller Blutdruck (»mean arterial pressure«), SVR systemi- index«; b Leitlinien der Amerikanischen Kardiologischen Gesellschaften
scher Gefäßwiderstand (»systemic vascular resistance«), SvO2 gemischtve- zum infarktbedingten kardiogenen Schock. (Antman et al. 2004, 2008)
6.6 · Spezifische Schockformen
217 6

der Therapie mit Noradrenalin und (evtl. auch mit Dobutamin) Antiarrhythmische Therapie
sollte eine Nachlastsenkung durch Nitroprussidnatrium erfolgen 7 Kap. 3.
(7 Abschn. 6.1). Nach der Justierung des Blutdrucks wird die
Nachlast durch Bestimmung des SVR geprüft. Bei einer relativ Herzchirurgische Maßnahmen
erhöhten Nachlast (SVR >800–1000 dyn×s×cm-5) sollte ein vor- Die konservativ nichtbeherrschbare Schocksymptomatik kann
sichtiger Versuch der Reduktion des Noradrenalins erfolgen bzw. ein chirurgisches Eingreifen erforderlich machen. Die Akutherz-
die Nachlast durch Nitroprussidnatrium gesenkt werden. Bei sys- transplantation dieser Patienten wird zwar weiterhin die Ausnah-
temischen Widerständen von <800–1000 dyn×s×cm-5 wird die me bleiben, mit den ventrikulären Assist-Systemen (wie z. B. dem
Medikation zunächst belassen. In beiden Fällen wird als weitere Novacor) stehen dem Chirurgen jedoch über Wochen einsetz-
Maßnahme der HI evaluiert. bare »Bridging«-Maßnahmen zur Verfügung, die auch dem Pati-
Liegt der HI bei einem MAP zwischen 65 und 80 mmHg und enten mit kardiogenem Schock zugute kommen könnten.
einem SVR um 900 dyn×s×cm-5 bei etwa 2,5 l/min×m2, so ist von Bei kardiogenem Schock infolge eines Myokardinfarkts ist
einer ausreichenden Inotropie auszugehen. Problematisch ist jedoch aufgrund der guten Erfolge der Akut-PCI eine aortokoronare By-
die Konstellation, bei der zur Aufrechterhaltung eines MAP von passnotfalloperation nur noch selten nötig. Als mögliche Indika-
65 mmHg ein niedriger HI vorliegt und sich somit ein hoher syste- tionen gelten hierfür:
mischer Widerstand errechnet. In diesem Fall (in der Regel sind hier 4 fortbestehende Ischämie bei koronarographisch nachgewie-
bereits hohe Noradrenalindosierungen notwendig) ist eine Reduk- sener Mehrgefäßerkrankung und/oder LCA-Hauptstamms-
tion der Nordrenalindosis meist nicht möglich bzw. würde zu einem tenose,
deutlichen MAP-Abfall führen. Bei dieser Konstellation ist die Gabe 4 nach PCI-Komplikationen bzw. nichterfolgreicher PCI.
weiterer inotroper Substanzen mit vasodilatierender Wirkung, wie
z. B. Levosimendan oder PDE-Hemmer, zu erwägen. Die Operation sollte dann aber notfallmäßig erfolgen, da die prä-
operative Ischämiedauer der entscheidende Prädiktor der peri-
! Cave
operativen Letalität ist.
Nach der Etablierung des hämodynamischen Zielkorridors ist
eine regelmäßige Reevaluation der Hämodynamik notwendig; Perkutane Koronarintervention
hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass nach Senkung
Auch bei der PCI muss mit einem akuten Koronarverschluss und
der Nachlast häufig ein Volumenbedarf besteht, der ausge-
einer Letalität von 0,4–1,0% gerechnet werden, vorwiegend als
glichen werden muss.
Folge eines sich entwickelnden kardiogenen Schocks. Vor allem
Nach der hämodynamischen Stabilisierung wird die Indikation bei der Hochrisiko-PCI (hochgradig eingeschränkte linksventri-
zur Beatmung erneut evaluiert. Auch im kardiogenen Schock kuläre Pumpfunktion, Dreigefäßkrankheit, das zu dehnende Ge-
kann zunächst eine nichtinvasive assistierte Maskenbeatmung fäß als das einzige noch perfundierte Koronargefäß) kann das
versucht werden. Ist nach einem Zeitintervall von 20 min–2 h Risiko der Koronardehnung durch prophylaktisch oder im »stand
keine Verbesserung der Atmung erzielt worden, besteht die Indi- by« genutzte mechanische Unterstützungssysteme reduziert wer-
kation zur maschinellen Beatmung. Diese sollte von Beginn an den (7 Übersicht 6.10; Ferrari u. Figulla 2005). In der Wartephase
entsprechend den Kriterien einer lungenprotektiven Beatmung, auf die Herztransplantation können auch hier ventrikuläre As-
d. h. mit einem Atemzugvolumen von max. 6 ml/kg prädiktivem sist-Systeme als Bridging-Verfahren eingesetzt werden. Bezüg-
Körpergewicht und einem Spitzendruck von max. 30 mbar erfol- lich der PCI bei Myokardinfarkt s. unten.
gen; hierbei kann eine permissive Hyperkapnie toleriert werden.
Sowohl für den spontan atmenden als auch den beatmeten Pati-
enten im kardiogenen Schock ist die adäquate Therapie einer Übersicht 6.10. Mechanische Unterstützungssysteme
eventuellen Agitation, von Schmerzen und ggf. einer psycho- im kardiogenen Schock
tischen Bewusstseinslage im Rahmen eines hirnorganischen Psy-
chosyndroms notwendig. Hierbei sind eine Schmerzskala, der 4 Koronare Perfusionssysteme
RASS-Score sowie der CAM-ICU-Score zur Diagnostik wertvolle – Koronare Stents
Instrumente. Im Rahmen des MODS wird eine Hyperglykämie – Koronarsinusretroperfusionskatheter
mit einer intensiven Insulintherapie behandelt (Zielwert des Blut- 4 Kreislaufunterstützungssysteme
zuckers <150 mg% bzw. <8,3 mmol/l). Bei einem akuten Nieren- – Kardiopulmonale Reanimation und deren Optimierung
versagen als Folge des kardiogenen Schocks sollte frühzeitg ein – IABP
Nierenersatzverfahren eingesetzt werden (kontinuierliche veno- – Perkutaner kardiopulmonaler Bypass
venöse Hämodialyse/Hämofiltration bzw. tägliche Dialyse). 4 Ventrikuläre Unterstützungssysteme
Generell sollte auch beim Patienten im infarktbedingten kardi-
ogenen Schock der Weaning-Prozess nach einem standardisierten
und etablierten Weaningprotokoll erfolgen (Werdan 2007b). Unterstützungssysteme
Nach überstandener Akutphase ist der Patient mit infarktbe- Die mechanischen Unterstützungssysteme im kardiogenen
dingtem kardiogenen Schock in der nachfolgenden Rehabilitati- Schock reichen von der CPR (7 Abschn. 6.4.2) über die Wieder-
onsphase einer sorgfältigen kardiovaskulären Risikostratifizie- herstellung einer suffizienten Koronarperfusion bis hin zu mehr
rung mit Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Präventi- oder weniger komplexen Kreislaufunterstützungssystemen. Die
onsmaßnahmen zuzuführen. Nicht wenige der Patienten profi- jährlich 270.000 Patienten mit einem akuten Herzinfarkt in
tieren in erheblichem Maß von diesem Gesamtkonzept und Deutschland, von denen ca. 5–10% einen kardiogenen Schock
zeigen im weiteren Verlauf bei guter Lebensqualität eine nur we- entwickeln, unterstreichen das quantitative Ausmaß, das solche
nig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion. Verfahren bereits haben oder haben könnten.
218 Kapitel 6 · Schock

Mechanische Kreislaufunterstützungssysteme finden beim vorzeitige Beendigung der IABP-Therapie ist bei etwa 2% der
akuten Herzstillstand, im kardiogenen Schock und bei der Hoch- Patienten erforderlich (Gregg et al. 2003).
risiko-PCI Anwendung. Beim Herzstillstand wird ein komplettes
! Cave
Kreislaufunterstützungssystem benötigt, das in 15 min unter
Kontraindikationen zur IABP sind schwere iliofemorale Gefäß-
fortlaufender CPR möglichst unter Röntgenkontrolle installiert
veränderungen, Aortendissektion, höhergradige Aortenklap-
werden kann. Im kardiogenen Schock ist eine partielle Kreislauf-
peninsuffizienz und eine Blutungsdiathese.
unterstützung mitthilfe der IABP für einen Zeitraum bis zu etwa
10 Tagen möglich. Bei der Hochrisiko-PCI kommt die mecha- Wirkprinzip und erzielbare Wirkungen. Durch das streng auf die
nische Kreislaufunterstützung mithilfe der IABP oder des kardi- Diastole beschränkte Aufblasen des Ballons nimmt der Aorten-
opulmonalen Bypasses je nach Befundkonstellation auf der druck phasisch zu (diastolische Augmentierung; »Kamelhöcker-
Stand-by-Basis im Bedarfsfall oder elektiv vor Beginn der PCI form« der Blutdruckkurve; . Abb. 6.14 a) und bewirkt damit eine
zum Einsatz. Da 90% der akuten Reokklusionen innerhalb der Zunahme der Koronarperfusion. Die abrupte Desufflierung des
ersten 6 h nach PCI auftreten, sollten diese Verfahren zumindest Ballons am Beginn der Systole führt über eine Sogwirkung zur
für diese Zeit sofort verfügbar sein (Ferrari u. Figulla 2005). Absenkung des bei Pumpversagen erhöhten diastolischen Vent-
6 rikeldrucks (Vorlastsenkung) sowie des systolischen Aorten-
Intraaortale Ballongegenpulsation drucks (Nachlastsenkung) und damit zu einer, allerdings nicht
Methodik, Komplikationen, Kontraindikationen. Ein 8-F-Bal- sehr ausgeprägten Senkung des myokardialen O2-Verbrauchs. In
lonkatheter von ca. 70 cm Länge (z. B. Ballonlänge 26 cm, In- der TEE zeigte sich eine Verbesserung der linksventrikulären
sufflationsvolumen 40 ml) wird perkutan transfemoral über eine Pumpfunktion, und bei der dopplersonographischen Koronar-
Schleuse (z. B. 9 F) eingeführt und so platziert, dass der Ballon in flussmessung steigerten sich die maximale sowie die integrale
der thorakalen Aorta distal des Abgangs der linken A. subclavia Flussgeschwindigkeit um ca. 115% resp. ca. 80%.
zum Liegen kommt. Mit einem EKG-gesteuerten Augmentie- Hypotensive Patienten mit einem systolischen Blutdruck
rungsmodus von 1:1–1:4 wird der Ballon in der Diastole aufge- ≤90 mmHg zeigen dabei den größten Anstieg der koronaren Fluss-
blasen (Füllung mit Heliumgas) und am Beginn der Systole ab- geschwindigkeit. Der Fluss im poststenotischen Anteil des Koro-
rupt desuffliert (. Abb. 6.14 a–c). Die Komplikationsrate (zumeist nargefäßes wird durch die IABP nur nach erfolgter Aufdehnung
Ischämie der unteren Extremität, arterielle Thrombose, Infekti- gesteigert. Es kommt im Mittel zu einem HI-Anstieg um 20–30%.
on, persistierende inguinale Blutung; bei längerer Anwendung
> Die Überlebenswahrscheinlichkeit nimmt umso mehr ab, je län-
gelegentlich beeinträchtigte Leber- und Nierenfunktion) liegt
ger die Ballongegenpulsation erforderlich ist.
aktuell bei 2,7% bei einer mittleren Liegezeit von 3 Tagen; eine

Indikationen. Für den IABP-Einsatz gibt es eindeutige Empfeh-


lungen:
4 Infarktbedingter kardiogener Schock ohne und mit mecha-
nischen Infarktkomplikationen (Klasse-I-Empfehlung der
amerikanischen Herzinfarktleitlinien). Hierzu muss aller-
dings angefügt werden, dass es sich hier um eine konsens-
und weniger um eine evidenzbasierte Empfehlung handelt.
4 Therapierefraktäres Pumpversagen oder anhaltende myokar-
diale Ischämie, in Vorbereitung auf eine Herzkatheterunter-
suchung und ggf. PCI.
4 Zur Überbrückung der Zeitspanne bis zur notfallmäßigen
Operation bei instabilen Patienten mit einer mechanischen
Komplikation (akute Mitralinsuffizienz, Ventrikelseptum-
ruptur).
a 4 Ausgewählte Patienten mit irreversiblem Schock zur Über-
brückung bis zur Herztransplantation.
4 Einsatz bei Hochrisiko-PCI.

Nach der Benchmark-Registry (Cohen et al. 2003) verteilen sich


die Indikationen bei akutem Myokardinfarkt wie folgt:
4 kardiogener Schock: 27,3%,
4 hämodynamische Unterstützung während diagnostischer
Herzkatheteruntersuchung oder PCI: 27,2%,
4 unmittelbar vor der Durchführung von herzchirurgischen
Hochrisikoeingriffen: 11,2%,
4 mechanische Infarktkomplikationen: 11,7% und
4 refraktäre instabile Postinfarktangina 10%.

Die Sterblichkeit bei den so behandelten Patienten mit akutem


b c
Myokardinfarkt betrug 20%, bei kardiogenem Schock 30,7%
. Abb. 6.14. Schema der IABP-Wirkweise (Cohen et al. 2003).
6.6 · Spezifische Schockformen
219 6

Bei akutem Koronarverschluss nach PCI und bei PCI-Hoch- gesetzt werden und nicht nur den irreversiblen Schockzustand
risikopatienten mit Mehrgefäßerkrankung und erheblich einge- und damit das Leiden des Patienten verlängern. Als Richtlinien
schränkter Pumpfunktion (im Mittel 10% aller Patienten) lässt können gelten (Ferrari u. Figulla 2005):
sich die IABP mit gutem Primärergebnis und ausreichend sicher 4 keine Spontanzirkulation trotz optimaler Reanimation über
einsetzen. Bei Patienten mit kardiogenem Schock kann der IABP- 5 min bei Patienten unter 60 Jahren mit dokumentiertem
Einsatz bereits in der Notaufnahme sicher durchgeführt werden plötzlichen Herzstillstand, sofort eingeleiteter Reanimation
(Bur et al. 2002). Ein früher Einsatz der IABP bei nichtherzchi- und ohne neurologische Defizite,
rurgischen Krankheitsbildern scheint nach den Daten der Bench- 4 Einsatz der perkutanen Kreislaufunterstützungssysteme als
mark-Registry mit weltweit über 19.636 Patienten die Prognose Überbrückung:
zu senken (Cohen et al. 2003). 5 bis zur Diagnostik,
5 bis zur Koronarrevaskularisation (PCI),
> Limitationen der IABP-Anwendung sind die Notwendigkeit
5 bis zur Implantation eines biventrikulären Unterstüt-
eines Mindest-HI von 1,3 I/min×m2 und eines weitgehend sta-
zungssystems (»bridging to bridging«),
bilen Rhythmus sowie der eher bescheidene Erfolg mit einer
4 bei Hochrisiko-PCI.
Einsparung des myokardialen O2-Verbrauchs um nur 10–20%.

Bei herzchirurgischen Patienten mit »Low-output«-Syndrom Ventrikuläre Unterstützungssysteme


kommt die IABP häufig zum Einsatz. Ein prädiktiver Score er- Die bisher beschriebenen mechanischen Unterstützungssysteme
laubt die Identifizierung derjenigen Patienten, bei denen die sind für den Einsatz von Stunden bis Tagen gedacht; sie sind geeig-
IABP-Behandlung des Low-output-Syndroms nicht ausreicht net, eine akute Schockphase zu überwinden. Jüngst konnte auch
und ein Wechsel auf ein Herzunterstützungssystem notwendig mithilfe eines perkutan einsetzbaren mechanischen Unterstützungs-
wird (Hausmann et al. 2002). systems (TANDEM-Heart; Thiele et al. 2001) ein günstiger Verlauf
für Patienten im protrahierten kardiogenen Schock aufgezeigt wer-
Perkutanes kardiopulmonales Bypasssystem den, ebenso wie für das Impella-System (Ferrari u. Figulla 2005).
Das PCPS erlaubt die Unterstützung bzw. den Ersatz der Herz- Komplexere ventrikuläre Unterstützungssysteme, wie z. B.
Lungen-Funktion für Stunden. Das PCPS besteht aus einer Zent- das linksventrikuläre System Novacor oder biventrikuläre künst-
rifugalpumpe und dem dazugehörigen Kontrollsystem, einem liche Herzen, dienen terminal herzinsuffizienten Patienten zur
Membranoxygenator, einem Messsystem für Blutfluss und Blut- Langzeitbehandlung und zur Überbrückung der Wartephase auf
druck, einem Wärmeaustauscher sowie zuführendem und abfüh- ein Spenderherz (Blom u. Acker 2007).
rendem Katheter (18 F), die über die Femoralvene in der V. cava
inferior am Übergang zum rechten Vorhof und über die Femoral- Infarktbedingter kardiogener Schock
arterie platziert sind. Das venöse Blut wird dabei pumpengetrie- Während in den vergangenen Jahren die dokumentierte Infarkt-
ben im Oxygenator mit Sauerstoff angereichert, mit Kohlendioxid sterblichkeit seit der Einführung der Intensivüberwachung, der
abgereichert und danach aufgewärmt wieder in die Aorta geleitet. Thrombolyse, effektiver antithrombotischer Therapien sowie der
Mit diesem Verfahren sind Blutflüsse bis zu 6 l/min möglich. PCI von ca. 30% um 1960 auf zwischenzeitlich 6–7% deutlich
Die Katheter können entweder perkutan oder nach chirur- gesenkt werden konnte, ist die historisch zwischen 70 und 80%
gischer Gefäßeröffnung in die Femoralgefäße eingeführt werden. angesiedelte Sterblichkeit bei kardiogenem Schock infolge eines
Bei der »supported angioplasty« bevorzugen die Autoren als An- akuten Myokardinfarkts trotz moderner Therapiemaßnahmen
ästhesieverfahren die elektive Intubationsnarkose. Das System nicht in diesem Ausmaß verbessert worden. Unverändert stellt
kann von einem erfahrenen Team innerhalb von 15 min instal- der kardiogene Schock die Hauptursache der Infarktsterblichkeit
liert werden. im Krankenhaus dar.
> Die frühestmögliche Revaskularisation durch PCI oder ggf. eine
Indikationen. Indikationen sind die Überbrückung akut vital
notfallmäßige koronare Bypassoperation stellt heute die beste
bedrohlicher mechanischer Infarktkomplikationen wie Ventri-
Voraussetzung für eine Senkung der hohen Sterblichkeit bei
kelruptur, Herzstillstand und Hochrisiko-PCI. In den USA er-
kardiogenem Schock dar.
leiden jährlich 70.000–100.000 Patienten einen Herzstillstand im
Krankenhaus; diese Patienten könnten somit möglicherweise Die »facilitated PCI« umfasst – begleitend zur PCI – die Gabe von
ohne zeitlichen Verzug wiederbelebt werden. Bei erfolgloser Glykoproteinrezeptorantagonisten (GP IIb/IIIa-RA), während
konventioneller Reanimation wären diese Patienten Kandidaten sich die »adjunctive PCI« an eine bereits erfolgreiche Wiederer-
für eine Notfall-PCPS (Ferrari u. Figulla 2005). Die zu erwar- öffnung des Infarktgefäßes durch initiale, z. B. prähospital durch-
tenden Ergebnisse wären günstig, wenn man die Resultate einer geführte Thrombolyse anschließt. Neben den bekannten medi-
multizentrischen Studie mit 218 PCPS-reanimierten Patienten kamentös-therapeutischen Maßnahmen (Inotropika, Vasopres-
zugrunde legt: Es konnten 34% der mit PCPS reanimierten Pa- soren, Nachlastsenker) sollte bereits frühzeitig die flankierende
tienten im Vergleich zu 14% der konventionell Reanimierten Entlastung des ischämischen Myokards durch die IABP in Be-
eines historischen Kontrollkollektivs aus dem Krankenhaus ent- tracht gezogen werden.
lassen werden. Das bisher rein hämodynamisch orientierte pathophysiolo-
Sieben von 9 Patienten mit fulminanter Myokarditis und gische Konzept des Circulus vitiosus einer systemischen Hypoto-
kardiogenem Schock überlebten bei vorübergehendem PCPS- nie mit konsekutiver koronarer Minderperfusion sowie sekun-
Einsatz für 3–10 Tage ohne nachfolgende Transplantation (Kato därer neurohumoraler Aktivierung (RAAS) und daraus resultie-
et al. 1999). render weiterer Pumpfunktionseinschränkung wird zunehmend
Natürlich müssen PCPS-Indikationsrichtlinien vorliegen, um den prognoserelevanten Aspekt der SIRS sowie des beglei-
soll dieses Verfahren mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg ein- tenden MODS bzw. des MOV erweitert.
220 Kapitel 6 · Schock

Hieraus leiten sich die entsprechenden Behandlungsziele ab


(. Abb. 6.12 und 6.13): Übersicht 6.11. Differenzialdiagnose des kardiogenen
4 Basisbehandlung, wie in . Abb. 6.12 und im Abschn. »Thera- Schocks bei akutem Herzinfarkt
piekonzept des infarktbedingten kardiogenen Schocks« auf-
gezeigt, Erhöhter Pulmonalkapillardruck
4 frühestmögliche koronare Reperfusion, 4 Primäre Pumpstörung bei ausgedehntem Infarkt
4 frühzeitige chirurgische Versorgung mechanischer Infarkt- – Schocksymptomatik bereits bei Aufnahme vorhanden
komplikationen, oder Entwicklung in den folgenden Tagen
4 Aufrechterhaltung einer adäquaten systemischen Organper- – Fakultativ (neu auftretender) dritter/vierter Herzton
fusion bzw. – Häufigste Schockursache
4 Beseitigung der systemischen Hypoperfusion, – Andere Schockursachen ausgeschlossen
4 Verhinderung/Begrenzung der systemischen Inflammation, 4 Akuter Ventrikelseptumdefekt durch Septumruptur
4 Verhinderung/Begrenzung von MODS/MOV bzw. – Lautes Systolikum (oft mit Schwirren)
4 Therapie des MODS/MOV. – O2-Sprung im rechten Ventrikel
6 – Dopplersonographie: Links-rechts-Shunt
Zum Basisbehandlungskonzept des infarktbedingten kardio- – Ventrikulographie: Links-rechts-Shunt
genen Schocks gehören: 4 Akute Mitralinsuffizienz durch Papillarmuskelischämie,
4 möglichst rasche Koronardiagnostik und Wiedereröffnung -ruptur
des verschlossenen Koronargefäßes mithilfe der PCI, – Variables Systolikum, teils in die Karotiden ausstrahlend
4 bei zu erwartendem Zeitverzug bis zur PCI die prähospitale – Erhöhte v-Welle in der Pulmonalkapillare
Thrombolyse, – Dopplersonographie: Mitralinsuffizienz
4 Basisbehandlung (wie in . Abb. 6.12). – Ventrikulographie: Mitralinsuffizienz
4 Perikardtamponade durch Ruptur der freien Ventrikel-
Ein kardiogener Schock entwickelt sich bei 5–10% aller Pa- wand
tienten mit akutem Herzinfarkt (Hochman et al. 1999; Menon – Massiver Druckabfall oder elektromechanische Ent-
et al. 2000c), und zwar am häufigsten dann, wenn mindestens kopplung
35% der linksventrikulären Muskelmasse akut oder sukzessive – Leise Herztöne
infarziert (Menon et al. 2000a; Prondzinsky et al. 2004) oder – Echokardiogramm: Perikarderguss, Kollaps des rech-
funktionsunfähig geworden sind (primäre Pumpstörung bei ten Ventrikels
ausgedehntem oder Rezidivinfarkt). Nicht nur ein bestehender – Diastolischer Druckangleich in den Herzhöhlen und
Diabetes mellitus, sondern bereits ein leicht erhöhter Nüchtern- der Pulmonalarterie
blutzucker [110–126 mg/dl bzw. 6,1–7,0 mmol/l (Normalwert Erniedrigter Pulmonalkapillardruck
<6,1 mmol/l), Diabetes mellitus ≥7,0 mmol/l] verdoppelt das 4 Rechtsventrikulärer Infarkt
Risiko des Auftretens eines kardiogenen Schocks bei akutem 4 Hypovolämie
Herzinfarkt von 6 auf 12% (zur Differenzialdiagnose beim kar- – Medikamente (Nitroglyzerin, Streptokinase)
diogenen Schock 7 Übersicht 6.11). – Blutverlust
Therapiekonzept und medikamentöse Therapie sind be- – Sepsis
reits im 7 Abschn. »Therapiekonzept des (infarktbedingten) kardio- – Dehydratation
genen Schocks« vorgestellt worden. Die amerikanischen Leitlinien-
empfehlungen zum Therapiekonzept beim infarktbedingten
kardiogenen Schock finden sich in . Abb. 6.12. 75 mg/Tag. Die Gabe speziell des GPIIb/III-Antagonisten
Abciximab scheint bei Patienten im kardiogenen Schock
Perkutane Koronarintervention einen deutlichen Vorteil zu haben (Zeymer et al. 2003).
Die mittlere Zeitdauer vom Symptomenbeginn des Infarkts bis 4 Bei LCA-Hauptstammstenose und koronarer Dreigefäßer-
zum Auftreten eines kardiogenen Schocks liegt bei 6,2 h und hängt krankung sowie bei Erfolglosigkeit der PCI ist die aortokoro-
vom betroffenen Gefäßsegement ab (1,7 h bei Verschluss des links- nare Bypassoperation (ACB) in Erwägung zu ziehen
koronaren Hauptstamms). Patienten mit infarktbedingtem kardi- 4 Die Thrombolyse bleibt wenigen speziellen Konstellationen
ogenen Schock haben häufiger eine schwere Koronarsklerose (hö- vorbehalten:
here Prävalenz der koronaren Dreigefäßerkrankung). a) Patienten mit Schock, bei denen eine frühe invasive Dia-
gnostik und Revaskularisation aus logistischen, organisa-
> Prognoseentscheidend ist die möglichst frühzeitige Wiederer-
torischen, anatomischen oder sonstigen Gründen keine
öffnung des verschlossenen Koronargefäßes.
Therapieoption darstellt,
b) Patienten mit STEMI und Schock, die innerhalb von
Vorgehen 3 h nach Symptombeginn erstversorgt werden und bei
4 Methode der ersten Wahl der Reperfusion/Revaskularisation denen eine PCI nicht innerhalb von 90 min begonnen
ist die PCI mit Stentimplantation [(Antoniucci et al. 1998): werden kann.
primäre Erfolgsrate 94%, optimales angiographisches Ergeb- 4 Unabhängig von der durchgeführten Reperfusionstherapie
nis 85%, 6-Monats-Überlebensrate 71%, NYHA-Herzinsuf- (PCI, ACB, i.v.-Thrombolyse) soll ASS (Initial-Dosis 250–
fizienz-Schweregrad »nur« I/II nach 6 Monaten: 80%] sowie 500 mg i.v., gefolgt von einer Dauertherapie von 100 (75–
Gabe des GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten Abciximab und 325) mg/Tag und unfraktioniertes Heparin (initial 60 IU/
von Clopidogrel (»loading dose« 600 mg p.o., anschließend kgKG als i.v.-Bolus, maximal 4000 IU; Dauerinfusion 12 IU/
6.6 · Spezifische Schockformen
221 6

kgKG/h, mit aPTT von 50–70 s) gegeben werden. Aufgrund Während im SHOCK Trial (Hochman et al. 1999) der ein-
der im infarktbedingten kardiogenen Schock nicht vorher- deutige Behandlungsvorteil auf die Altersgruppe der unter 75-Jäh-
sagbaren subkutanen Resorption sollte bei fehlender Daten- rigen begrenzt war, konnten weitere Arbeiten den Behandlungs-
lage auf den Einsatz von subkutan zu applizierendem nieder- vorteil der PCI auch für Patienten im höheren Alter aufzeigen
molekularem Heparin verzichtet werden. (Antoniucci et al. 2003; Dzavik et al. 2003). Das Alter stellt zwar
bei kardiogenem Schock einen eigenständigen Risikoprädiktor
Ergebnisse dar; bei frühzeitiger und technisch erfolgreicher Intervention ist
Akutrevaskularisation (PCI/ACB). Die SHOCK-Studie (Hochman allerdings der relative Nutzen vergleichbar.
et al. 1999, 2006; Ryan 1999) prüfte die Wirksamkeit der Akutre- Demzufolge empfiehlt sich auch bei über 75 Jahre alten Pa-
vaskularisation (64% Koronarangioplastie, 36% aortokoronarer tienten bei infarktbedingtem kardiogenen Schock nach individu-
Bypass) im Vergleich zur medikamentös-konservativen Akut- eller Abwägung eine frühzeitige PCI.
behandlung im Sinne der evidenbasierten Medizin bei 302 Patien- Überraschenderweise ist bei überlebenden Patienten nach
ten mit kardiogenem Schock nach Herzinfarkt (. Tab. 6.9). infarktbedingtem kardiogenen Schock bei der Mehrzahl der Pa-
Primäres Zielkriterium war dabei die Senkung der 30-Tage-Leta- tienten die Herzinsuffizienz nicht so schwerwiegend, wie erwar-
lität, eines der senkundären Zielkriterien die Senkung der 6-Mo- tet. Auch hier ergibt sich ein Vorteil für die revaskularisierten
nate-Letalität. Patienten: 83% der Einjahresüberlebenden zeigten nur ein leich-
Die um 17% geringere Letalität in der Akutrevaskularisations- tes bzw. ein mäßiges Herzinsuffizienzstadium entsprechend der
gruppe war nicht signifikant unterschiedlich gegenüber der Letali- NYHA-Klasse I oder II (Hochman et al. 2001; Sleeper et al. 2005).
tät der Gruppe ohne Revaskularisation, wohl aber die um 12,8% Dies könnte dafür sprechen, dass es im akuten Schockgeschehen
bzw. 13,2% niedrigere Sterblichkeit nach 6 Monaten und nach neben einer irreversiblen Myokardschädigung durch Infarzie-
6 Jahren (. Tab. 6.9). Besonders die Patienten <75 Jahre (nach rung auch noch eine funktionelle, potenziell reversible Myokard-
6 Jahren auch die über 75-Jährigen; Hochman et al. 2006) profitier- depression – z. B. inflammatorischer Natur – gibt.
ten von der Akutrevaskularisation, ebenso die Patienten mit einem
Zeitintervall <6 h von Schmerzbeginn bis Randomisierung und die Thrombolyse zur Schockprophylaxe. In den placebokontrollier-
mit einem Zweitinfarkt, weiterhin Männer mehr als Frauen. ten randomisierten Studien führt der frühzeitige Einsatz der fib-
Zu ähnlichen Aussagen kommt das ALKK-Schockregister in rinolytischen Therapie zu einer signifikanten Verringerung des
Deutschland (Zeymer et al. 2004). Hier fand sich bei der im kar- Auftretens eines kardiogenen Schocks bei Patienten mit ST-He-
diogenen Schock ausgeführten PCI bei 1333 Patienten eine Kran- bungsinfarkt. In einer größeren Studie (CAPTIM) haben sich
kenhaussterblichkeit von 46,1%, in Abhängigkeit vom TIMI-Ko- Hinweise für eine Reduzierung der Schockinzidenz bei sehr früh-
ronarfluss nach PCI (TIMI 0/1: Letalität 78,2%; TIMI 2: 66,1%; zeitiger prähospitaler Einleitung der Fibrinolyse im Vergleich zur
TIMI 3: 37,4%). Primär-PCI ergeben.

. Tab. 6.9. SHOCK-Studie: Akutrevaskularisation bei Patienten mit kardiogenem Schock nach Herzinfarkt. (Nach Hochman et al. 1999, 2006)
1. Akutrevaskulari- 2. Medikamentöse Relatives Risiko 95%-Konfidenz p-Wert
sation Therapie 1. vs. 2.
30-Tage-Letalität
Gesamtkollektiv
Letalität [%] 46,7 56,0 0,83 0,67–1,04 0,11
n 152 150
Alter <75 Jahre
Letalität [%] 41,4 56,8 0,73 0,56–0,95 0,01
n 128 118
6-Monate-Letalität
Gesamtkollektiv
Letalität [%] 50,3 63,1 0,80 0,65–0,98 0,02
n 151 149
Alter <75 Jahre
Letalität [%] 44,9 65,0 0,70 0,56–0,89 0,003
n 127 117
6-Jahres-Letalität
Gesamtkollektiv
Letalität [%] 67,2 80,4 0,74a 0,57–0,97 0,03
n 152 150
Günstiger Akutrevaskularisationseffekt gilt sowohl für Alter <75/≥75 Jahre.
a Risikoadjustiertes relatives Risiko.
222 Kapitel 6 · Schock

Thrombolyse bei manifestem Schock. Zur fibrinolytischen The- 4 Stressulkusprophylaxe: Patienten mit kardiogenen Schock
rapie bei Patienten mit bereits eingetretenem Schock gibt es nur sollen eine Stressulkusprophylaxe erhalten. H2-Rezeptoren-
wenige Daten, da diese Patienten in den meisten placebokont- blocker und Protonenpumpenhemmer scheinen hinsichtlich
rollierten Lysestudien ausgeschlossen worden sind. Der Erfolg der der Anhebung des Magen-pH äquipotent.
fibrinolytischen Therapie bezüglich der Wiedereröffnung des In- 4 Therapie der (Laktat-)Acidose: Bikarbonat sollte nicht zur
farktgefäßes und der myokardialen Reperfusion bei Patienten mit Behandlung der hypoperfusionsinduzierten Laktatacidose
kardiogenem Schock ist geringer als bei Patienten ohne Schock. mit einem pH ≥7,15 in der Absicht eingesetzt werden, die
Bei Patienten mit akutem Herzinfarkt und protrahiertem Herzkreislaufsituation zu stabilisieren oder Vasopressoren
Schock mit Beginn mehr als 6 h nach Symptombeginn erscheint einzusparen. Für niedrigere pH-Werte gibt es zum Einsatz
eine Fibrinolyse wegen der nachlassenden Effektivität mit von Bikarbonat keine Studiendaten. Für den gesamten pH-
zunehmender Ischämiedauer nicht empfehlenswert (Zeymer et Bereich ließ sich bisher weder eine hämodynamische noch
al. 1999). eine Prognoseverbesserung aufzeigen.
Zur Thrombolyse bei infarktbedingtem kardiogenen Schock 4 Kontrollierte milde Hypothermie (Absenkung der Körper-
mit kardiopulmonaler Reanimation 7 »Thrombolytische Therapie« kerntemperatur auf 32–34°C für mindestens 12–24 h) wird
6 Abschn. 6.4.2. zur Neuroprotektion komatöser Patienten nach CPR bei Kam-
merflimmern empfohlen; sie dürfte auch nach erfolgreicher
Prophylaxe und Therapie von MODS und Reanimation wegen Asystolie oder nach kardialem Arrest im
überschießender Inflammation Krankenhaus vorteilhaft sein. Speziell für den kardiogenen
7 Abschn. 6.4. Schock liegen bisher noch keine Endpunktstudien vor.
Das MODS und das SIRS tragen zumindest ebenso entscheidend 4 Der Einsatz des nichtselektiven NO-Synthase-Hemmers (L-
zur ungünstigen Prognose des infarktbedingten kardiogenen NG-Monomethyl-Arginin, L-NMMA) kann die Letalität bei
Schocks bei wie die Pumpfunktionseinschränkung des Herzens Patienten im infarktbedingten kardiogenen Schock nicht
infolge der Infarzierung (Werdan 2007b). Dementsprechend senken (7 Abschn. 6.4.9; TRIUMPH Investigators 2007).
hoch ist auch das Potenzial der Prophylaxe und Therapie von
MODS und SIRS (Werdan 2007b): Mechanische Komplikationen des kardiogenen
4 Atemunterstützung: Bei jedem Patienten mit kardiogenem Schocks
Schock ist die Indikation zur Intubation und maschinellen Akute Mitralinsuffizienz
Beatmung zu überlegen: Bei kardiogenem Schock mit Rück-
Definition
wärtsversagen ist die Indikation in jedem Fall gegeben, bei
Die akute Mitralinsuffizienz (bei 1% aller Infarktpatienten;
kardiogenem Schock mit Vorwärtsversagen hängt die Indi-
0,4–5% aller Infarkttodesfälle; 2–7 Tage, im Mittel 4 Tage nach
kation vom Anteil der respiratorischen Insuffizienz an der
Hinterwandinfarkt) kann entweder als Folge einer Papillar-
instabilen klinischen Situation ab. Baldmöglichst ist eine lun-
muskeldysfunktion oder einer Papillarmuskelruptur entste-
genprotektive Beatmung mit 6 ml/kg prädiktivem Körperge-
hen. Meistens ist die Papillarmuskeldysfunktion von transi-
wicht anzustreben. Die invasive Beatmung ist der nichtinva-
enter Natur und führt nur zu einer milden Mitralinsuffizienz,
siven Beatmung bei diesen Patienten eindeutig vorzuziehen.
während der Papillarmuskelabriss in der Regel ein refraktäres
4 Die enterale Ernährung ist die bevorzugte Form der Ernäh-
Lungenödem und eine schwere Beeinträchtigung des Kreis-
rung kritisch kranker Patienten (20–25 kcal/kgKG/Tag). Pa-
laufs hervorruft.
tienten, die eine enterale Ernährung auch unter Verwendung
eines jejunalen Zugangs nicht tolerieren oder bei denen Kon-
traindikationen bestehen, sollten parenteral ernährt werden. Die Mitralinsuffizienz infolge eines Papillarmuskelabrisses findet
4 Mithilfe der intensivierten Insulintherapie sollten Blutzu- sich typischerweise bei älteren Patienten mit erstmaligem, oft-
ckerspiegel von <150 mg/dl bzw. <8,3 mmol/l erzielt werden. mals eher kleinem Infarkt und nur leicht eingeschränkter Aus-
Erhöhte Blutzuckerspiegel korrelieren bei Intensivpatienten wurffraktion; eine Insuffizienz infolge Dysfunktion des Halteap-
mit mehrtägiger Behandlungsdauer mit einer ungünstigen parates – ohne Papillarmuskelabriss – tritt eher bei jüngeren Pa-
Prognose. Allerdings darf die Gefahr von Hypoglykämien tienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung und eingeschränkter
nicht unterschätzt werden (Brunkhorst et al. 2008). Auswurffraktion auf (Calvo et al. 1997).
4 Die Glukose-Insulin-Kalium-Infusion kann aufgrund der Frauen und ältere Infarktpatienten sind von der akuten Mi-
derzeitigen Studienlage nicht empfohlen werden. tralinsuffizienz, die gemeinsam mit der Ruptur des Ventrikelsep-
4 Behandlung der Anämie: Bei einem Abfall des Hämoglobin- tums etwa 8% aller Schockinfarktpatienten ausmacht, häufiger
werts <4,3 mmol/l bzw. bei einem Hämatokritwert <25% betroffen. Möglicherweise führt die i.v.-Thrombolyse zu einem
sollten Erthrozytenkonzentrate gegeben werden, um den Hä- früheren Auftreten dieser Komplikation (Hochman et al. 2000).
moglobinwert bei 4,3–5,6 mmol/l bzw. den Hämatokritwert Bei der Mehrzahl der Patienten ist die rechte Kranzarterie oder
auf ≥25% zu halten. Insbesondere bei älteren Patienten der R. circumflexus das Infarktgefäß.
(≥65 Jahre) ist ein Abfall des Hämatokrits auf Werte unter Bei bis zu 50% aller Patienten mit akutem Myokardinfarkt
30% zu vermeiden. lässt sich auskultatorisch oder echokardiographisch eine Mi-
4 Prophylaxe der tiefen Beinvenenthrombose: In der Phase der tralinsuffizienz nachweisen. Eine höhergradige Mitralinsuffizi-
Immobilisierung soll eine Thromboseprophylaxe mit nied- enz findet sich hingegen nur bei 3% aller Infarktpatienten; die
rig-dosierten Heparininfusionen (unfraktioniertes Heparin) Hälfte dieser Patienten entwickelt ein Lungenödem oder einen
durchgeführt werden. Die Resorption subkutan injizierten manifesten kardiogenen Schock (Tcheng et al. 1992).
niedermolekularen Heparins erscheint bei kardiogenem Das Systolikum – in typischer Weise holosystolisch über dem
Schock zu unsicher. Apex zu auskultieren und in die Axilla ausstrahlend – ist sehr
6.6 · Spezifische Schockformen
223 6

variabel. Es ist häufiger in der Mitt- oder Spätsystole zu hören, Shunt-Reduktion, ggf. in Kombination mit Katecholaminen)
und in 38% der Fälle fehlt es. Das EKG kann neben den Infarkt- Aussicht auf Erfolg. Aber selbst bei frühzeitiger Operation muss
zeichen einen Rechtsschenkelblock oder laterale T-Wellen-Ver- mit einer Sterblichkeit von 73% im Vergleich zur Sterblichkeit
änderungen aufweisen. von 95% bei abwartender Haltung gerechnet werden (Hochman
Die Dopplerechokardiographie sichert die Diagnose der Mi- et al. 1997). Der perkutane transluminale Verschluss einer Sep-
tralinsuffizienz und kann häufig die Differenzierung zwischen tumruptur gilt vorerst als experimentelle Methode.
der ischämischen Papillarmuskeldysfunktion und der Papillar-
muskelnekrose vornehmen (Zotz et al. 1993). Das hämodyna- Ventrikelruptur
mische Monitoring zeigt eine Abnahme des HZV und das Auf- Die Ruptur der freien Ventrikelwand (Figueras et al. 2001; Slater
treten einer v-Welle in der Pulmonalkapillare (. Tab. 6.2). et al. 2000) geht mit einer Letalität von 90% einher. Sie tritt am
häufigsten zwischen dem zweiten und achten Tag nach Infarkt
> Beim Auftreten einer infarktbedingten akuten Mitralinsuffizienz
auf, aber jede dritte Ruptur findet bereits innerhalb der ersten
soll nach hämodynamischer Stabilisierung mit einem kreislaufun-
24 h statt. Sie betrifft häufiger Frauen, den Erstinfarkt, den Vor-
terstützenden System (z. B. IABP), das die Koronarperfusion ver-
derwandinfarkt, den älteren Patienten und diejenigen mit Hoch-
bessert, eine rasche operative Versorgung angestrebt werden.
druck. Sie wird gehäuft bei vorausgegangener Medikation mit
Die Letalität innerhalb der ersten 24 h kann bis zu 50% betragen. Kortikoiden und Antiphlogistika gesehen. Der frühzeitige Ein-
Nach initialer Stabilisierung mit Vasopressoren, Nachlastsenkung satz von Thrombolytika scheint die Inzidenz zu senken, der späte
(typischerweise mit dem gut steuerbaren Nitroprussidnatrium) Einsatz sie zu erhöhen.
und Implantation der IABP muss bei der Papillarmuskelruptur Die Ruptur der freien Wand führt zum Hämoperikard und
zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Klappenersatz (ggf. mit An- zur raschen Perikardtamponade. Oft kommt es zu neuerlichen
legen eines aortokoronaren Bypasses) durchgeführt werden. starken Herzschmerzen mit sofortiger elektromechanischer Ent-
Die Ergebnisse der Frühoperation (The Task Force on Acute kopplung. Am häufigsten führt der einseitige Einriss zum Tod;
Heart Failure of the European Society of Cardiology 2005; Tava- subakute Einrisse können jedoch ebenfalls als akute Tamponade,
koli et al. 2002) sind mit einer Letalität von 44% deutlich besser als großer Perikarderguss oder als chronisches Pseudoaneurysma
als die der Spätoperation (Letalität 78%; Thompson et al. 2000). imponieren.
Falls eine Papillarmuskelruptur sicher auszuschließen ist und
> Der akute Schock nach Infarkt muss immer an die Diagnose einer
»nur« eine Papillarmuskelischämie vorliegt, kann eine PCI des
Ventrikelruptur denken lassen. Eine sofortige Perikardpunktion
den betroffenen Papillarmuskel versorgenden Koronargefäßes in
kann zur vorübergehenden Stabilisierung führen, die zur zügigs-
Betracht gezogen werden.
ten Diagnostik (Echokardiographie: Perikarderguss) und Opera-
tion genutzt werden muss.
Ventrikelseptumruptur
Eine Ventrikelseptumruptur (Birnbaum et al. 2002; Menon et al. Sehr selten wird eine Ventrikelruptur überlebt, nur dann, wenn der
2000 b) tritt bei 1–3% aller Infarkte innerhalb der ersten Woche auf Patient schnellstens (Richtwert: 1 h) an die Herz-Lungen-Maschine
und ist etwa gleich auf alle Infarktlokalisationen verteilt. Die Ruptur angeschlossen wird und der Einriss erfolgreich übernäht werden
kann mit neuerlichen Herzschmerzen einhergehen. Typisch dafür kann (The Task Force on Acute Heart Failure of the European So-
ist das laute Holosystolikum mit Punctum maximum am linken ciety of Cardiology 2005; Antman et al. 2004, 2008). Das geronnene
Sternalrand, gelegentlich vergesellschaftet mit einem Schwirren. Blut im Perikardbeutel verstopft sehr schnell eine Perikarddrainage;
Die Diagnose lässt sich echokardiographisch stellen (Ballal et dies spricht für die Reanimation am offenen Thorax.
al. 1993), der O2-Sättigungssprung zwischen rechtem Vorhof und
rechtem Ventrikel lässt eine quantitative Shunt-Abschätzung zu. Extrakardial-obstruktive Schockformen
Neben der Shunt-Größe ist prognostisch auch die Lokalisation Zahlreiche Erkrankungen sehr unterschiedlicher Ätiologie kön-
wichtig: Die hämodynamische Beeinträchtigung durch den Shunt nen in einen kardiogenen oder einen extrakardial-obstruktiven
wird v. a. durch die gestörte Compliance des rechten Ventrikels Schock münden (. Tab. 6.1). Nach entsprechender Diagnostik
geprägt, wenn dieser, wie bei einem Hinterwandinfarkt, ebenfalls wird sich die Therapie zunächst einerseits darauf konzentrieren,
infarziert ist (Held et al. 1988). eine Besserung der Pumpfunktion des Herzens zu erzielen, sowie
Die Hälfte der Patienten entwickelt einen kardiogenen andererseits versuchen, kardiale und extrakardiale Obstruktionen
Schock. Die Prognose wird in erster Linie vom Ausmaß der links- zu beseitigen (z. B. Punktion eines tamponierenden Perikarder-
und rechtsventrikulären Infarzierung und weniger von der Größe gusses, Thrombolyse bei massiver Lungenembolie) oder schock-
des Defektes bestimmt (Cummings et al. 1997). auslösende Rhythmusstörungen zu beherrschen (z. B. kardiopul-
monale Reanimation). Man wird dann bestrebt sein, die Therapie
! Cave
in eine kausale münden zu lassen, soweit dies möglich ist.
Bei hämodynamischer Instabilität besteht nach Ansicht der
meisten Autoren eine dringliche bzw. notfallmäßige Operati-
Dekompensierte Aortenklappenstenose
onsindikation, da sich unter konservativer Therapie bei diesen
Bei aktueller Inoperabilität eines Patienten mit dekompensierter
Patienten häufig ein MODS entwickelt (Lemery et al. 1992; Cox
Aortenklappenstenose und Schock kann auf der Intensivstation
et al. 1996; Killen et al. 1997).
bei sorgfältigem invasiven hämodynamischen Monitoring eine
Therapeutisch bietet nur die rasche operative Deckung des De- Nachlastsenkung mit Nitroprussidnatrium zur Entlastung des
fektes nach vorheriger IABP-Implantation (Mantovani et al. 2006; Ventrikels versucht werden (Khot et al. 2003), und auch die Aor-
The Task Force on Acute Heart Failure of the European Society tenklappenvalvuloplastie kann im Einzelfall zur Rekompensation
of Cardiology 2005; Thiele et al. 2003) und medikamentöser Sta- beitragen und damit die Voraussetzungen für den späteren Klap-
bilisierung (Nachlastsenkung mit Nitroprussidnatrium zur penersatz schaffen (Melzer et al. 2001).
224 Kapitel 6 · Schock

Sonderformen des kardiogenen Schocks satz von inhalativem NO bei akuten koronaren Syndromen be-
Intoxikationen mit kardiodepressiven und vasotoxischen Subs- stehen nicht (Lindenfeld 1998).
tanzen. Trotz der potenziell akut lebensbedrohlichen Situation ist
> Zunehmend setzt sich zur intraoperativen Anwendung neben
die Langzeitprognose dieser Patienten nach erfolgreicher Akut-
inhalativem NO das inhalativ applizierbare, stabile PGI2-Analo-
behandlung in der Regel sehr günstig. Dies rechtfertigt auch den
gon Iloprost (Ilomedin) aufgrund seiner längeren HWZ und sei-
Einsatz eines kardiopulmonalen Bypasses für einige Stunden,
ner technisch einfacheren Anwendbarkeit durch (Rinne u.
falls die konventionellen Detoxikationsmaßnahmen und die
Zwissler 2004).
symptomatische Therapie zu keiner Herz-Kreislauf-Stabilisie-
rung führen (Schmidt et al. 1998). Untersuchungen an Patienten mit ARDS zeigten, dass inhalierte
Prostanoide (1–25 ng/kgKG/min) und inhaliertes NO (1–8 ppm)
Herzverletzungen. Offene, aber auch stumpfe Thoraxtraumen den pulmonalarteriellen Druck konzentrationsabhängig repro-
mit Schockentwicklung sollten immer an eine Herzverletzung duzierbar senken und den pulmonalen Gasaustausch (paO2/FIO2)
denken lassen. Nach rascher Diagnosestellung ist hier die sofor- verbessern.
tige Herzoperation häufig lebensrettend. Systemische Nebenwirkungen inhalierter Prostanoide sind
6 selten; toxische Nebenwirkungen konnten im Gegensatz zu inha-
Perioperativer Herzinfarkt mit Schockentwicklung. Wegen der lativem NO bislang nicht nachgewiesen werden. Durch die
häufig nur kurz zurückliegenden Operation muss bei Auftreten Kombination unterschiedlicher inhalativer Wirkstoffgruppen
eines Herzinfarkts häufig auf die i.v.-Thrombolyse verzichtet wer- scheint sich ein additiver Effekt erzielen zu lassen, wie durch
den, obwohl die Erfolgschancen wegen des meist kurzen Zeitinter- die kombinierte Anwendung von inhaliertem Prostazyklin und
valls zwischen Infarktbeginn und Infarktdiagnostik günstig wären. dem PDE-Hemmer Milrinon gezeigt werden konnte (Rinne u.
In solchen Fällen sollte – wann immer möglich – die Akut-PCI Zwissler 2004).
auch des beatmeten Patienten in Erwägung gezogen werden.
Akute Rechtsherzinsuffizienz bei Lungenembolie
Schock während der perkutanen 7 Kap. 10; Konstantinides u. Hasenfuß 2004.
Koronarintervention
7 Abschn. »Intraaortale Ballongegenpulsation« und »Perkutanes kar- Schock bei Rechtsherzinfarkt
diopulmonales Bypasssystem«. Entgegen der sonst erforderlichen Volumenrestriktion bei kardi-
ogenem Schock ist bei den Patienten mit rechtsventrikulärem
Schock nach Herz-Lungen-Maschine Infarkt (7 Kap. 2) und Hypotonie die Gabe von Volumen erfor-
7 Abschn. »Intraaortale Ballongegenpulsation«; Hausmann et al. derlich, um eine ausreichende Füllung und Vorlast des stark vor-
2002. lastabhängigen rechten Ventrikels zu erzielen. Auf diese Weise
kann – unter adäquatem hämodynamischen Monitoring mit dem
»Rechtsherzschock« Pulmonaliskatheter – der erniedrigte Füllungsdruck des linken
Akute Dekompensation einer chronischen Rechts- Ventrikels angehoben werden.
herzinsuffizienz infolge eines Vitiums oder einer Bei etwa 50% der hypotonen Patienten ist die alleinige Volu-
pulmonalen Hypertonie unterschiedlicher Ursachen mengabe jedoch nicht ausreichend, sie benötigen zusätzlich noch
Die Möglichkeiten einer positiv-inotropen Intervention sind Dobutamin oder Noradrenalin.
bei dem muskelschwachen rechten Ventrikel relativ begrenzt
! Cave
(Maisch u. Christ 2004). Insbesondere Digitalis sollte vorsichtig
Eine Vasodilatation v. a. des venösen Gefäßbettes sollte bei
dosiert werden, um Intoxikationen zu vermeiden. Die Senkung
Rechtsherzinfarkt vermieden werden (Cave: Nitroglyzerin), da
der zur Dekompensation führenden pulmonalen Hypertonie
ein weiterer Abfall des rechtsventrikulären Füllungsdrucks die
steht im Vordergrund.
Hypotonie verschlimmern würde.

Rechtsherzdekompensation bei »acute respiratory


distress syndrome« und Sepsis
7 Abschn. 6.6.2. 6.6.2 Septischer Schock

Rechtsherzdekompensation während operativer Der septische Schock (Müller-Werdan u. Werdan 2005) ist von
Eingriffe allen Schockformen wahrscheinlich das komplexeste Krank-
In der Therapie des Rechtsherzversagens und der pulmonalen heitsbild. Es ist initial vom bakteriellen Erreger und seiner Toxin-
Hypertonie nach operativen, insbesondere herzchirurgischen ausschüttung geprägt. Mit zunehmender Krankheitsdauer tritt
Eingriffen, bewirkt inhalativ appliziertes NO (0,5–40 ppm) eine jedoch der Keim zurück, und die Krankheitssymptome spiegeln
selektive pulmonale Vasodilatation ohne systemvaskuläre Ne- die inadäquate, übermäßig gesteigerte, den Patienten selbst schä-
benwirkungen (Rinne u. Zwissler 2004). Die pulmonale Vasodi- digende Abwehrreaktion des Kranken wider, die letztlich zum
latation geschieht ohne Beeinträchtigung der hypoxischen pul- MODS führt (. Abb. 6.4), und häufig mit letalem Ausgang.
monalen Vasokonstriktion, sodass es weder zu einer Erhöhung Trotz des gewachsenen Verständnisses des Krankheitsablaufs
des intrapulmonalen Shunts noch zu einer Reduktion der arteri- und neuer Therapieansätze konnte die hohe Letalität des sep-
ellen Oxygenierung kommt. Die Wirkung von inhalativ appli- tischen Schocks von 40–60% bisher noch nicht wesentlich ge-
ziertem NO kann jedoch variieren. Prinzipiell denkbare Effekte senkt werden. Die Sepsishäufigkeit ist zunehmend. In Deutsch-
auf Koronarien und Myokard scheinen nicht sehr ausgeprägt bis land erkranken jährlich etwa 154.000 Patienten an einer Sepsis,
fehlend zu sein (Cheifetz et al. 1996). Bedenken gegen den Ein- und 66.000 Patienten versterben daran.
6.6 · Spezifische Schockformen
225 6

Wesentliches zur Klassifikation und Ätiologie 7 Abschn. 6.1.5, 4 Flankenschmerzen und Dysurie: Pyelonephritis und
zur Pathophysiologie 7 Abschn. 6.2.3, zur Basisdiagnostik 7 Ab- 4 Brustschmerzen und Auswurf: Pneumonie (. Abb. 6.16 a,b).
schn. 6.3.2 und Basistherapie 7 Abschn. 6.4 und zum MODS 7 Ab-
schn. 6.5. Durch die früh einsetzende Therapie mit Volumensubstitution,
Vasopressoren, inotropen Substanzen und Antibiotika lässt sich
Hämodynamik die im Spontanverlauf auftretende Vasomotoren- und Kreislauf-
Die typischen Herz-Kreislauf-Veränderungen bei gramnega- instabilität initial meist rasch beherrschen und innerhalb von
tivem und grampositivem septischen Schock sind: 24–96 h unter adäquater Volumentherapie normalisieren. In die-
4 Blutdruckabfall infolge der ausgeprägten Vasodilatation, ser Frühphase können die klinischen Symptome von kalter zya-
4 Erniedrigung des SVR bis auf 30% der Norm, notischer Haut bis zur warmen, gut durchbluteten Haut wech-
4 kompensatorische Zunahme von HZV, Schlagvolumenindex seln. Jedes Organsystem kann in dieser Phase der Kreislaufinsta-
und Schlagarbeitsindex. bilität betroffen sein und bei stärkerer Einschränkung der Durch-
blutung eine Dysfunktion entwickeln (Ikterus, Hypoxie, Oligurie,
Fehlt eine relative kardiale Vorschädigung, so liegen die gemes- Verwirrtheit). Das Auftreten dieser Symptome in der Frühphase
senen Herzfunktionsparameter dabei auch beträchtlich höher als muss als ungünstiges Zeichen gewertet werden; es kann die Ent-
die gesunder Probanden mit einem normalen SVR um wicklung eines MODS anzeigen.
1100 dyn×s×cm-5 (. Abb. 6.15). Unter Fortführung der adäquaten Substitution mit den not-
wendigen Volumina wird es in wenigen Tagen durch die Gefäß-
Ätiologie schädigung zu einer massiven Exsudation und Ödembildung
Nur noch bei ca. 30% der Patienten mit Sepsis und septischem kommen, mit leicht verletzbarer, prall gespannter Haut und
Schock finden sich positive Blutkulturen, und die Prognose dieser warmer Peripherie, wie es für den hyperzirkulatorischen, adäquat
Patienten ist weder günstiger noch ungünstiger als die der Pati- volumensubstituierten Patienten charakteristisch ist.
enten mit negativer Blutkultur.
> Die typische Sepsissymptomatik kann in der Frühphase auch
Ein Wandel hat sich im Erregerspektrum der Sepsis und des
fehlen (z. B. bei der Betreuung in der Notaufnahme; Donnino et
septischen Schocks ergeben: Neben gramnegativen Keimen fin-
al. 2002; Rivers et al. 2001).
den sich zunehmend (ca. 50%) grampositive Keime als Sepsiser-
reger; hierbei stellen Staphylococcus aureus, Staphylococcus epi- Alkoholkranke, Diabetiker, ältere Patienten, Neugeborene, Pati-
dermidis und Streptokokken die wesentlichen pathogenen Keime enten mit Neutropenie, Urämie, Leberzirrhose, Lymphom, Leuk-
dar (7 Abschn. 6.1.5). ämie oder mit einer Glukokortikoidtherapie sowie Unterernährte
können bei manifester Sepsis nur ganz geringe Zeichen einer In-
Klinische Symptome fektion aufweisen; dies kann die Diagnostik sehr erschweren.
Das initiale Bild des floriden septischen Schocks mit Fieber, Schüt- Beim Auftreten von Kreislaufinstabilität und Hypotonie bei die-
telfrost, Tachykardie, Hypotension, Tachypnoe und getrübtem sen Patienten wird man üblicherweise nicht zuerst an eine Sepsis
Sensorium bereitet bei der Erkennung keine Schwierigkeiten. als Ursache denken. Fieber kann fehlen, oder es kann sogar eine
Weitere Symptome können auf den Infektionsort hinweisen: Hypothermie vorliegen. Hyperventilation und Vigilanzstörun-
4 steifer Hals und Kopfschmerzen: Meningismus, gen können die einzigen frühen, wenig auffälligen Zeichen einer
4 abdominelle Schmerzen und Abwehrspannung: Peritonitis, Sepsis sein.

. Abb. 6.15. Myokarddepression in der Sepsis. Zur Aufrechterhaltung HZV [l/min]:80. Die tatsächlich in der Sepsis gemessenen Herzzeitvolu-
eines MAP von 90 mmHg (bei einem rechtsatrialen Mitteldruck von mina liegen jedoch in der Regel niedriger (–); mögliche Erklärungen
10 mmHg) wäre bei zunehmender Vasodilatation (Abfall des systemi- dafür sind kardiodepressive Effekte durch Katecholamine, Bakterien-
schen Gefäßwiderstands) der errechnete Anstieg des HZV (offener Kreis– toxine, Sepsismediatoren und den kardiodepressiven Faktor (CDF),
offener Kreis) erforderlich; MAP [mmHg]-rechtsatrialer Druck [mmHg]= 7 Abschn. 6.2.8. HZV Herzzeitvolumen, K Katecholamintherapie zur Blut-
systemischer Gefäßwiderstand (Normwert 1100±200 dyn×s×cm-5)× druckstabilisierung
226 Kapitel 6 · Schock

a b
. Abb. 6.16. Thoraxröntgenaufnahme eines 40-jährigen Patienten mit tutio ad integrum. (Aus König et al. 1996; mit freundlicher Genehmigung
ARDS infolge einer Pneumokokkensepsis. a Bilaterale, zentral betonte In- von Priv.-Doz. Dr. Wetzel, Memmingen)
filtrate bei Klinikaufnahme; b Kontrollaufnahme bei Entlassung mit Resti-

Bei infektionsgefährdeten Patienten muss man an diese Mög- gleich zu gesunden Probanden mit normalem SVR meist nicht
lichkeit auch bei untypischem und abgeschwächtem Verlauf den- erniedrigt oder sogar leicht erhöht, berücksichtigt man jedoch
ken: Übelkeit, Erbrechen, geänderter Appetit, Hyperventilation, die inverse Korrelation mit dem SVR (. Abb. 6.15), so wird die
Lethargie, Verwirrtheit und Änderungen der Körpertemperatur eingeschränkte Pumpleistung des Herzens bei vielen Patienten
gehören dazu. Besonders bei infektionsgefährdeten Patienten bereits in der hyperdynamen Phase des septischen Schocks und
muss man darauf immer gefasst sein. Eine vollständige Anamne- sogar bereits bei septischen Patienten mit noch normalem Blut-
se und körperliche Untersuchung kann wertvolle Hinweise lie- druck rasch evident.
fern: Pustulöse Läsionen können auf eine bakterielle oder Pilz- Die Erklärung für die nur inadäquate Steigerung der Herz-
invasion der Haut hinweisen; nekrotisierende oder bullöse Haut- förderleistung ist eine potenziell reversible, multifaktorielle Herz-
läsionen (Ecthyma gangraenosum) finden sich bei gramne- schädigung in der Sepsis, die durch klinische Befunde belegt
gativen, insbesondere Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen. Bei werden kann.
Fungämie kann die Spiegelung des Augenhintergrunds Retina- Als Charakteristika der akuten septischen Kardiomyopathie
läsionen aufdecken. (Müller-Werdan u. Werdan 2005) sollen hier die Folgenden ge-
nannt werden:
> Foudroyant verlaufende septische Schockerkrankungen sind
4 HI, bezogen auf den erniedrigten SVR, nur inadäquat gestei-
das Toxinschocksyndrom, das toxinschockähnliche Syndrom,
gert,
die Meningokokkensepsis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom)
4 Schlagvolumen nicht adäquat gesteigert,
und die Pneumokokkensepsis (. Abb. 6.16 a,b).
4 links- und rechtsventrikuläre Auswurffraktion vermindert,
Die beiden Toxinschocksyndrome werden durch das TSST-1 von 4 regionale und globale Kontraktionsstörungen,
Staphylococcus aureus bzw. durch das SPE von Streptokokken 4 Herz erheblich dilatiert (. Abb. 16a,b),
produziert. Beide Toxine haben Superantigeneigenschaften 4 Zunahme der Ventrikel-Compliance,
(7 Abschn. 6.2.5); dies könnte den dramatischen klinischen Ver- 4 Kontraktions- und Relaxationsstörung,
lauf über eine massive Zytokinfreisetzung erklären. Beim Ver- 4 Koronararterien dilatiert, hoher Koronarsinusfluss,
dacht auf eine der genannten Erkrankungen müssen die Erkrank- 4 kardiale Funktionsstörungen, potenziell reversibel
ten auf die Intensivstation gebracht werden. Hier muss schnellst- 4 ausgeprägte kardiale autonome Dysfunktion mit prognosti-
möglich mit der Antibiotika- und der symptomatischen Schock- scher Relevanz (Schmidt et al. 2008).
therapie sowie einer engmaschigen Überwachung begonnen
werden, da sich sehr rasch ein Schock entwickeln kann. Für diese potenziell reversible Myokarddepression kommt ur-
sächlich nicht nur eine katecholaminbedingte Schädigung in-
Akute septische Kardiomyopathie frage, sondern auch eine Inotropiebeeinträchtigung durch Bak-
Die toxische Vasodilatation mit massivem Blutdruckabfall könnte terientoxine, Sepsismediatoren und kardiodepressive Faktoren.
ein gesundes Herz durch einen drastischen HZV-Anstieg kom- Der Begriff der sekundären Kardiomyopathie beinhaltet eine
pensieren (. Abb. 6.15). Eine so weitgehende Kompensation der Myokardschädigung im Rahmen einer Systemerkrankung. Dem-
erniedrigten Nachlast, d. h. ein wesentlicher Anstieg des HZV zufolge ist die septische Herzschädigung in die Gruppe der se-
wie in . Abb. 6.15 beschrieben, wird im septischen Schock nur kundären Kardiomyopathien einzuordnen: Das Bild dieser aku-
selten beobachtet, v. a. nicht bei protrahierten Verläufen: Die ten septischen Kardiomyopathie wird klinisch und experimentell
Pumpfunktionsparameter des Herzens sind dabei zwar im Ver- zunehmend offenkundig (Müller-Werdan u. Werdan 2005). Sie
6.6 · Spezifische Schockformen
227 6

findet sich in vergleichbarem Schweregrad bei verschiedenen Persistieren Hypotonie und Schock nach der Volumenkor-
Formen der gramnegativen, der grampositiven Sepsis und der rektur, so wird als nächster Schritt der differenzialdiagnostische
Pilzsepsis. Bei jedem Patienten mit drohendem oder manifestem Einsatz von Katecholaminen empfohlen: bei normaler rechts-
septischen Schock sollte die akute septische Kardiomyopathie in ventrikulärer Auswurffraktion Noradrenalin; bei erniedrigter
dreierlei Weise zum frühestmöglichen Zeitpunkt charakterisiert rechtsventrikulärer Auswurffraktion die Kombination von Nor-
werden, und zwar nach: adrenalin und Dobutamin.
4 Schweregrad,
4 funktioneller Relevanz und Therapie
4 Vorliegen kardialer Begleiterkrankungen.
! Cave
Der septische Schock stellt ein bereits weit fortgeschrittenes
Schweregrad
Krankheitsstadium dar.
Die Beurteilung der Herzfunktionsparameter (Müller-Werdan
u. Werdan 2005) erfolgt in Abhängigkeit vom SVR mithilfe von Er ist in der Regel hyperdynam (HI >5,5 l/min×m2; SVR ≤600 dyn
PAK oder PiCCO; echokardiographisch (transthorakal, trans- × s×cm-5) und nur in der Spätphase oder bei nichtausreichender
ösophageal) wird der Schweregrad bei Nichtbeachtung der Volumensubstitution hypodynam (HI <2,5 l/min×m2, SVR
erniedrigten Nachlast (. Abb. 6.15) häufig unterschätzt. Eine ≥1200 dyn×s×cm-5). Die zurzeit noch weitgehend symptoma-
Quantifizierung der septischen Kardiomyopathie ist als HZV tische Behandlung beinhaltet zunächst die rasche und adäquate
in Relation zum systemischen Gefäßwiderstand (. Abb. 6.15) Volumensubstitution, ggf. gefolgt und unterstützt durch den Ein-
möglich. satz von Katecholaminen.
Die mikrobielle Diagnostik (Blutkulturen und organbezo-
Funktionelle Relevanz gener Keimnachweis), die Fokuselimination und der Beginn ei-
Die funktionelle Relevanz ist umso bedeutungsvoller, je ausge- ner antibiotischen Therapie leiten bereits zu den kausalen Maß-
prägter die Organperfusion und damit die Organfunktion in der nahmen über. Sepsis und septischer Schock können ein facetten-
Sepsis und im MODS bereits beeinträchtigt sind: SIRS – Sepsis reiches MODS induzieren, das die Prognose des Patienten ent-
– sepsisinduzierte Hypotonie/MODS/schwere Sepsis – septischer scheidend prägt.
Schock – refraktärer septischer Schock. Die kardiale autonome Das Konzept der Therapie des septischen Schocks besitzt
Dysfunktion vermindert weiterhin die Funktionalität der Herz- mehrere Eckpfeiler (Dellinger et al. 2008; Werdan et al. 2005;
funktion: Sie lässt sich im 24-h-Langzeit-EKG als Einschränkung Reinhart et al. 2006):
der HRV messen. Insbesondere die hochgradige Reduktion des Va- 4 Beherrschung der Schocksymptomatik,
gusaktivitätmarkers »very low frequency« (VLF) auf Werte <lnVLF 4 Fokuselimination und Behandlung der Grundkrankheit,
3,9 zeigt eine sehr ungünstige Prognose an (Schmidt et al. 2008). 4 antiinfektiöse Therapie, in den meisten Fällen Antibiotika,
4 supportive Therapie des MODS,
Vorliegen kardialer Begleiterkrankungen 4 generelle Intensivmaßnahmen und Ernährung,
Die kardialen Begleiterkrankungen können sich zusätzlich auf 4 adjunktive Therapie: Versuche, in das Toxin-/Mediatornetz-
die Herzfunktion ungünstig auswirken. Quantitativ dürfte das werk modulierend einzugreifen, und
Zusammentreffen einer septischen Herzschädigung mit einer 4 Sepsisprophylaxe bei gefährdeten Patienten.
KHK die größte Rolle spielen (Raper u. Sibbald 1988); hierbei
kommt es zu einer Überlagerung der septisch bedingten Myo- Standardisierte internationale Empfehlungen der Survival Sepsis
karddepression mit der Myokardischämie. Campaign mit Leitliniencharakter – allerdings noch häufig »nur«
Das bei Vasodilatation gesteigerte HZV erfordert einen hö- auf Expertenmeinung basierend – finden sich bei Dellinger et al.
heren myokardialen O2-Verbrauch, der bei fixierten Koronarste- 2008. Die wesentlichen Empfehlungen sind . Tab. 6.10 in zusam-
nosen zur Verstärkung einer regionalen Myokardischämie füh- mengefasst. Auch die deutsche Sepsis-Gesellschaft hat – darauf
ren kann. Eine laufende antianginöse Therapie mit β-Rezepto- aufbauend – entsprechende Empfehlungen verfasst (http://www.
renblockern, Nitraten und Kalziumantagonisten kann wiederum sepsis-gesellschaft.de; Reinhart et al. 2006).
die labile Herz-Kreislauf-Situation des Septikers verschlechtern.
Auf die erhöhte Volumenempfindlichkeit dieser »steifen Ventri- Fokussanierung und antiinfektiöse Maßnahmen
kel« ebenso wie auf die Bevorzugung des Dobutamins gegenüber
> Wann immer möglich, stellt die rasche chirurgische Fokussanie-
dem Dopamin wurde bereits hingewiesen.
rung die effektivste Behandlung des septischen Schocks dar.
Rechtsventrikuläre Dysfunktion Zur Diagnostik sollten rasch mindestens 2 getrennt gezogene
Zur Identifizierung dieser Zielgruppe mit rechtsventrikulärer Blutkulturen und entsprechende andere Keimproben abgenom-
Dysfunktion (in einer Untersuchung 40% aller Patienten mit sep- men werden.
tischem Schock; Redl et al. 1993) dient die auf <45% reduzierte Die sofort danach, innerhalb der ersten Stunde nach Diagno-
rechtsventrikuläre Auswurffraktion. Diese kann mithilfe eines sestellung der schweren Sepsis bzw. des septischen Schocks be-
modifizierten PAK, des REF-Katheters, gemessen werden. Bei gonnene Antibiotikatherapie hat, in Unkenntnis des Erregers,
Patienten mit einer rechtsventrikulären Auswurffraktion von we- meist »kalkuliert« zu beginnen: Sie muss den pathogenen Keim
niger als 45% ließ sich der Blutdruck durch alleinige Flüssigkeits- unter Einbeziehung anamnestischer Daten, des klinischen Be-
substitution nicht stabilisieren; positiv-inotrope und/oder vaso- fundes und der geographischen Antibiotikaresistenzlage mit aus-
aktive Pharmaka waren obligat, um einen ausreichenden Perfu- reichender Wahrscheinlichkeit erfassen, obwohl eine klinische
sionsdruck (MAP>60 mmHg) nach der Flüssigkeitsgabe zu er- Unterscheidung von gramnegativem und grampositivem Schock
zielen und aufrechtzuerhalten. nur in seltenen Fällen möglich sein dürfte.
228 Kapitel 6 · Schock

. Tab. 6.10 Leitlinienorientierte Empfehlungen zur Diagnose und Therapie von schwerer Sepsis und septischem Schock. Kurzfassung der Empfeh-
lungen der Surviving Sepsis Campaign (Dellinger et al 2008) und – soweit abweichend bzw. ergänzend – die der Deutschen Sepsis-Gesellschaft
(Reinhart et al. 2006)
Empfehlungs- Empfehlungsgrade
grade (Gradu- Empfehlungsgrad 1: starke Empfehlung »wir empfehlen« (gefüllter Kreis)
ierung nach Empfehlungsgrad 2: schwache Empfehlung, »wir schlagen vor« (offener Kreis)
(Dellinger et al. Evidenzgrade
2008) Evidenzgrad A: Evidenz »hoch«
Evidenzgrad B: Evidenz »mäßig«
Evidenzgrad C: Evidenz »gering«
Evidenzgrad D: Evidenz »sehr gering«
Erstversorgung/ • Beginnen Sie bei Patienten mit Hypotonie oder erhöhten Laktatspiegeln (>4 mmol/l) unmittelbar die Behandlung und
»Resuscitation«- verzögern Sie den Therapiebeginn nicht bis zur Aufnahme des Patienten auf die Intensivstation! Alle der folgenden Be-
Behandlung
6 handlungsziele sollten innerhalb der ersten 6 h erreicht werden (1C)
4 Zentraler Venendruck 8–12 mmHg
4 MAP ≥65 mmHg
4 Diurese ≥0,5 ml/kgKG/h
4 Zentralvenöse (V.-cava-superior-)Sauerstoffsättigung (ScvO2)≥70% oder gemischtvenöse (SvO2)≥65%
o Falls Sie innerhalb der ersten 6 h das Ziel » zentralvenöse bzw. gemischtvenöse O2-Sättigung von ≥70% bzw. ≥65%« nicht
mit der Einstellung des zentralvenösen Venendrucks auf 8–12 mmHg durch Flüssigkeitsgabe erreichen, sollten Sie Ery-
throzytenkonzentrate transfundieren und damit einen Hämatokrit von ≥30% erzielen und/oder Dobutamin bis zu einem
Maximum von 20 μg/kgKG/min infundieren (2C)
Diagnose • Nehmen Sie 2 oder mehr Blutkulturen ab, ehe Sie mit der Antibiotikabehandlung beginnen. Wenigstens eine Blutkultur
sollten Sie perkutan entnehmen und jeweils eine aus jedem länger als 48 h liegenden Gefäßkatheter (1C).
• Entnehmen Sie auch Kulturen aus anderen Körperregionen: Liquor, Atemwegssekrete, Urin, Wunden und andere Körper-
flüssigkeiten (1C)
Antibiotika- • Beginnen Sie die i.v.-Antibiotikagabe innerhalb der ersten Stunde nach Feststellung der schweren Sepsis (1D) und
therapie des septischen Schocks (1B)!
• Applizieren Sie eine oder mehrere Antiinfektiva, die gegen wahrscheinliche bakterielle oder Pilzerreger aktiv sind
und eine gute Penetration in das infizierte Gewebe zeigen (1B)
• Überprüfen Sie täglich Ihr antimikrobielles Regime, um die Wirksamkeit zu optimieren, Resistenzen und Toxizität zu
vermeiden und Kosten zu minimieren (1C)
• Die Dauer der Therapie ist üblicherweise auf 7–10 Tage beschränkt; längere Zeiten sind bei langsamem Ansprechen
oder bei nichtdrainierbaren Infektionsfokussen oder immunologischen Defizienzen erforderlich (1D).
o Überprüfen Sie Ihr Antibiotikaregime nach Beginn im Hinblick darauf, ob Sie auf ein Antibiotikum mit einem engen
Wirkspektrum umsetzen können (2D)
o Ziehen Sie bei neutropenischen Patienten und bei Pseudomonasinfektionen ein Kombinationsregime in Betracht (2D)
• Beenden Sie die Antibiotikabehandlung umgehend, sobald sich eine nichtinfektiöse Ursache des Krankheitszustands
herausstellt (1D)
Fokuskontrolle • Der Infektionsfokus sollte schnellstmöglich innerhalb der ersten 6 h (1D) identifiziert werden (1C)
• Untersuchen Sie den Patienten auf Möglichkeiten der Infektionskontrolle (z. B. Abszessdrainage, Gewebe-Debridement);
(1C)
• Maßnahmen zur Infektionskontrolle sollten nach der erfolgreichen Erstversorgung schnellstmöglich eingeleitet werden
(1C); (Ausnahme: infizierte Pankreasnekrosen, bei der chirurgische Interventionen am besten verschoben werden
sollten); (2B)
• Wählen Sie diejenige Fokussanierungsmethode, die die höchste Wirksamkeit und die geringste physiologische Beein-
trächtigung hat (1D)
• Entfernen Sie potenziell infizierte intravasale Katheter und Gerätschaften (1C)
Flüssigkeits- • Die Volumensubstitution kann mit Kristalloiden oder Kolloiden erfolgen (1B)a
therapie • Als Zielkriterium dient ein ZVD von ≥8 mmHg (bei beatmeten Patienten von ≥12 mm Hg); (1C)
• Testen Sie das hämodynamische Ansprechen mit einem Flüssigkeitsbolus (1D)
• Geben Sie einen Flüssigkeitsbolus innerhalb von 30 min von 1000 ml kristalloider Lösung oder 300–500 ml einer
kolloidalen Lösung. Bei sepsisinduzierter Gewebehypoperfusion können auch raschere Gaben und größere Volumina
erforderlich sein (1D)
• Die Geschwindigkeit der Volumensubstitution sollte reduziert werden, falls die kardialen Füllungsdrücke ansteigen,
ohne dass es zu einer gleichzeitigen Verbesserung der Hämodynamik kommt (1D)

6
6.6 · Spezifische Schockformen
229 6

. Tab. 6.10 (Fortsetzung)


Vasopressoren • Erreichen Sie einen MAP ≥65 mmHg (1C)
• Die Vasopressoren der Wahl sind Noradrenalin und Dopamin, gegeben über einen zentralen Venenkatheter (1C) b
o Adrenalin, Phenyephrin oder Vasopressin sollten nicht als initiale Vasopressoren bei septischem Schock zur Anwendung
kommen (2C). Vasopressin (0,03 U/min) kann nachfolgend dem Noradrenalin beigegeben werden; hierbei kann als
Wirkung der Kombination eine vergleichbare wie die der alleinigen Noradrenalingabe erwartet werden (2B)
o Bei ungenügendem Ansprechen des Blutdrucks auf Noradrenalin oder Dopamin kann bei septischem Schock Adrenalin
als erste Alternative zum Einsatz gelangen (2B) c
• Niedrig dosiertes Dopamin zur Nierenprotektion sollte nicht angewandt werden (1A)
• Bei vasopressorpflichtigen Patienten sollte der Blutdruck, sobald möglich, invasiv gemessen werden (1D)
Inotrope Therapie • Verwenden Sie Dobutamin bei Patienten mit myokardialer Dysfunktion, erkennbar als erhöhte kardiale Füllungsdrucke
und niedrigem HI (1C)
• Steigern Sie den HI nicht auf einen vorgegebenen supranormalen Wert (1B)
Steroide o Ziehen Sie die i.v.-Hydrokortisongabe bei erwachsenen Patienten mit septischem Schock in Erwägung, wenn die Hypo-
tension ungenügend auf eine adäquate Volumen- und Vasopressorgabe anspricht (2C)
o Ein ACTH-Stimulationstest zur Identifizierung derjenigen Patienten, die Hydrokortison bekommen sollten, wird nicht
empfohlen (2B)
o Hydrokortison wird dem Dexamethason vorgezogen (2B)
o Fludrocortison (50 μg oral einmal täglich) kann in die Behandlung einbezogen werden, falls ein Alternativkortikosteorid
zur Anwendung kommt, das keine signifikante Mineralokortikoidwirkung besitzt. Im Fall der Hydrokortisongabe ist
Fludrocortison optional (2C)
o Die Steroidgabe kann ausgeschlichen werden, sobald Vasopressoren nicht länger erforderlich sind (2D)
• Die Hydrokortisondosis sollte 300 mg/Tag betragen (1A)
• Ohne Schocksymptomatik sollten Kortikosteroide bei Sepsis nicht eingesetzt werden, außer bei Erfordernis infolge einer
sepsisunabhängigen endokrinen Ursache oder Kortikosteroid-Pflichtigkeit (1D) d
Rekombinantes o rhAPC kann bei Patienten mit sepsisinduzierter Organdysfunktion – typischwerweise APACHE-II-Score ≥25 oder Mehr-
humanes akti- organversagen – und damit klinisch hohem Letalitätsrisiko in Erwägung gezogen werden, falls keine Kontraindikationen
viertes Protein C bestehen (2B), für postoperative Patienten (2C)
(rhAPC) • Bei Patienten mit schwerer Sepsis und niedrigem Letalitätsrisiko (typischerweise APACHE-II-Score <20 oder Einorgan-
versagen) sollte rhAPC nicht eingesetzt werden (1A)
Immunglobuline Die Surviving Sepsis Campaign schlägt den Einsatz von Immunglobulinen nur bei Kindern mit schwerer Sepsis vor (2C);
bei den Empfehlungen zur Behandlung der Erwachsenensepsis wird zu den Immunglobulinen nicht Stellung genommen
Die Leitlinien der Deutschen Sepsisgesellschaft (Reinhart et al 2006) differenzieren zwischen Immunglobulin G(ivIgG)- und
Immunglobulin GMA(ivIgGMA)-Präparaten:
4 Der Einsatz von ivIgG kann in der Behandlung von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock nicht empfoh-
len werden
4 Der Einsatz von ivIgGMA bei schwerer Sepsis und septischem Schock wird von zwei Dritteln der Experten nicht empfoh-
len, von einem Drittel der Experten empfohlen
Die Datenlage zu ivIgG und ivIgGMA fasst eine aktuelle Metaanalyse zusammen (Kreymann et al 2007; Editorial dazu Werdan
2007a)
Gabe von Blutpro- • Erythrozytenkonzentrate sind bei einem Hämoglobinwert <4,3 mmol/l indiziert, um bei Erwachsenen einen Hämoglobin-
dukten wert von 4,3–5,6 mmol/l zu erzielen (1B). Ein höherer Hämoglobinwert kann unter besonderen Umständen erforderlich
werden (z. B. Myokardischämie, schwere Hypoxämie, akute Blutung, zyanotische Herzerkrankungen oder Laktatacidose)
• Erythropoietin sollte zur Behandlung der sepsisbedingten Anämie nicht eingesetzt werden. Erythropoietin kann bei Sep-
sispatienten aufgrund sepsisunabhängiger Indikationen angebracht sein (1B)
o Frisch gefrorenes Plasma sollte zur Korrektur von laborchemischen Gerinnungsanomalien nur dann eingesetzt werden,
wenn eine Blutung vorliegt oder eine invasive Prozedur geplant ist (2D)
• Antithrombin soll nicht verwandt werden (1B)
o Thrombozytenkonzentrate sind indiziert (2D)
4 bei Thrombozytenwerten <5×109/l) unabhängig davon, ob eine Blutung vorliegt oder nicht
4 bei Thrombozytenwerten von 5–30×109/l) bei Vorliegen eines signifikanten Blutungsrisikos
4 Höhere Thromboyztenwerte (≥50×109/l) sind bei einer Operation oder einer invasiven Prozedur erforderlich

6
230 Kapitel 6 · Schock

. Tab. 6.10 (Fortsetzung)


Maschinelle • Bei Patienten mit ALI/ARDS ist ein Atemzugvolumen (Tidalvolumen) von 6 ml/kgKG prädiktiveme Körpergewicht an-
Beatmung bei zustreben (1B).
sepsisinduziertem • Anzustreben ist eine initiale obere Grenze des Plateaudrucks von ≤30 cm H2O. Bei der Einstellung des Plateaudrucks
Lungenschaden ist die Thoraxwand-Compliance zu berücksichtigen (IC)
(ALI/ARDS) • Falls zur Minimierung von Plateaudruck und Atemzugvolumen erforderlich, können Sie supranormale paCO2-Werte
akzeptieren (IC)
• Setzen Sie zur Verhinderung eines endexspiratorischen Lungenkollapses ein Minimum an PEEP ein (IC)
o Erwägen Sie die Bauchlagerung bei ARDS-Patienten, bei denen potenziell schädliche FIO2-Einstellungen oder Plateau-
drücke notwendig sind, vorausgesetzt der Lagewechsel birgt kein Risiko (2C)
• Lagern Sie maschinell beatmete Patienten in einer halb liegenden Stellung (Kopfende des Bettes um 45° angehoben),
falls nicht kontraindiziert (1B), ansonsten zwischen 30 und 45° (2C)
o Nichtinvasive Beatmung kann bei einer Minorität von ALI-/ARDS-Patienten mit mild- bis mäßiggradig hypxämischer re-
spiratorischer Insuffizienz in Betracht gezogen werden. Die Patienten müssen dazu hämodynamisch stabil sein, sich da-
mit wohl fühlen, leicht erweckbar und in der Lage sein, die Atemwege zu schützen, abzuhusten sowie erwartungsgemäß
6 •
sich rasch zu erholen (2B)
Verwenden Sie regelhaft ein Atementwöhnungs- (Weaning-)Protokoll und Spontanatmungsversuche, um die Möglich-
keit der Beendigung der maschinellen Beatmung zu überprüfen (1A)
 Spontanatmungsversuche sollten eine geringe Druckunterstützung mit CPAP von 5 cm H2O oder T-Stück einschließen
 Vor Einleitung der Spontanatmungsversuche sollte der Patient
4 erweckbar sein
4 hämodynamisch stabil ohne Vasopressoren sein
4 keine potenziell ernsten Probleme im Rahmen des Weaning erwarten lassen
4 nur eine geringe Atemunterstützung und einen niedrigen end-exspiratorischen Druck benötigen
4 nur FIO2-Werte benötigen, die sicher mit einer Atemmaske oder einer Nasensonde gewährleistet werden können
• Für das Routine-Monitoring des Patienten mit ALI/ARDS ist kein PAK erforderlich (1A)
• Fahren Sie bei Patienten mit gesichertem ALI ohne Evidenz einer Gewebehypoperfusion eine konservative Volumenthe-
rapie (1C)
Sedierung, • Verwenden Sie bei kritisch kranken beatmeten Patienten ein zielorientiertes Sedierungsprotokoll (1B)
Analgesie und • Verwenden Sie entweder eine intermittierende Bolusinjektion oder eine kontinuierliche Infusion zur Sedierung mit vor-
neuromuskuläre gegebenen Endpunkten (Sedierungsskala), mit täglichen Unterbrechungen/Dosisreduktionen um ein Aufwachen zu pro-
Blockade vozieren. Retitrieren Sie falls notwendig (1B)
• Vermeiden Sie Muskelrelaxanzien, wann immer möglich. Bei kontinuierlicher Infusion sollten Sie ein Monitoring der Rela-
xierungstiefe mit dem »train of four« vornehmen
Glukosekontrolle • Verwenden Sie i.v.-Insulin, um die Hyperglykämie bei Patienten mit schwerer Sepsis und nachfolgender Stabilisierungs-
phase auf der Intensivstation zu kontrollieren (1B)
• Mit einem validierten Protokoll zur Insulindosisanpassung sollte der Blutzuckerspiegel <150 mg/dl (<8,3 mmol/l) ge-
halten werden (2C)
o Bei Patienten mit i.v. appliziertem Insulin sind eine Glukosekalorienquelle und regelhafte Blutzuckerkontrollen alle 1–2 h
(4-stündlich bei stabilen Verhältnissen) sicherzustellen (IC)
o Interpretieren Sie mit »point of care testing« gemessene Blutzuckerspiegel mit Zurückhaltung, insbesondere im nied-
rigen Bereich, da diese Techniken arterielle oder Plasmablutzuckerwerte überschätzen können (1B)
Nierenersatz- o Die intermittierende Hämodialyse und die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration sind gleichwertige Verfahren (2B)
verfahren o Bei hämodynamisch instabilen Patienten bietet die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration ein einfacheres Manage-
ment (2D)
Bikarbonat- • Bei der Behandlung der hypoperfusionsinduzierten Laktatacidose mit einem pH≥7,15 soll Bikarbonat nicht mit dem Ziel
therapie der Verbesserung der Hämodynamik oder der Reduktion der Vasopressorendosierung eingesetzt werden (1B)
Prophylaxe der • Verwenden Sie entweder niedrig dosiertes unfraktioniertes Heparin oder niedermolekulares Heparin, falls keine Kontra-
tiefen Venen- indikationen vorliegen (1A)
thrombose • Bei Heparinkontraindikation sollen Sie mechanische Prophylaxemaßnahmen wie Kompressionsstrümpfe oder ein inter-
mittierendes Kompressionsgerät verwenden (1A)
o Für Patienten mit einem sehr hohen Risiko für das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose ist eine Kombination von
pharmakologischer und mechanischer Prophylaxe angezeigt (2C)
o Bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko empfiehlt sich die Gabe von niedermolekularem Heparin anstelle von unfrak-
tioniertem Heparin (2C)
Stressulkus- • Zur Stressulkusprophylaxe können H2-Blocker (1A) oder Protonenpumpenhemmer (1B) eingesetzt werden. Der Nutzen
prophylaxe einer Prävention einer gastrointestinalen Blutung ist gegen das Potenzial einer Beförderung einer Beatmungspneumonie
abzuwägen
Betrachtungen • Diskutieren Sie Ihre Behandlungsplanung mit Patient und Familie. Beschreiben Sie die Prognose und setzen Sie realisti-
zur Therapiebe- sche Erwartungen (1D)
grenzung
a Für den Einsatz von HES wurden erhebliche Nebenwirkungen berichtet (7 Abschn 6.4.6; Brunkhorst et al 2008).
b Die Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft empfiehlt Noradrenalin als Vasopressor der ersten Wahl (Reinhart et al 2006; 7 Abschn. 6.4.7).
c Die Adrenalingabe erzielte in einer kontrollierten Studie bei Patienten mit septischem Schock vergleichbare Ergebnisse wie die Kombination von
Noradrenalin und Dobutamin (Annane et al 2007; 7 Abschn. 6.4.7.
d Die CORTICUS-Studie (Sprung et al 2008) konnte bei Patienten mit septischem Schock keinen Überlebensvorteil und keine höhere Schockrever-
sibilität bei Hydrokortisongabe aufzeigen, wohl aber mehr Episoden von Superinfektionen einschließlich Sepsis und septischem Schock.
e Berechnung des prädiktiven Körpergewichts. Siehe Buchtabelle.
6.6 · Spezifische Schockformen
231 6

der Behandlung. Dennoch darf dieses »Erfolgsrezept« nicht


kritiklos von der Notaufnahme auf die Intensivstation übertra-
gen werden: Der noch nicht anbehandelte »Notfallsepsispa-
tient« unterscheidet sich hämodynamisch beträchtlich von dem
klassischen »Intensivstationsepsispatienten« (Müller-Werdan
u. Werdan 2005). Einen die Früh- und die stabile Sepsisphase
integrierenden Vorschlag zur Herz-Kreislauf-Therapie gibt
. Abb. 6.18.

Flüssigkeitstherapie
> Sepsispatienten sind durch ein absolutes und ein relatives intra-
vasales Volumendefizit charakterisiert. Die sofortige und adä-
quate Flüssigkeitstherapie ist der entscheidende erste Schritt
zur Behandlung des septischen Schocks (. Tab. 6.10; Müller-
. Abb. 6.17. Zielorientierte Herz-Kreislauf-Therapie der schweren Sep- Werdan u. Werdan 2005).
sis und des septischen Schocks in der Notaufnahme innerhalb der ersten
6 h. ZVD zentraler Venendruck, MAP mittlerer arterieller Blutdruck, ScvO2 Hydroxyäthylstärke sollte aufgrund der negativen Ergebnisse der
zentralvenöse Sauerstoffsättigung. (Nach Rivers et al. 2001) VISEP-Studie (Brunkhorst et al. 2008) nicht mehr angewendet
werden.

Erythrozytentransfusion
Bei einem Hämatokrit <30% und gleichzeitig einer auf <70% er-
niedrigten ScvO2 wird die Gabe von Erythrozytenkonzentraten
zur Anhebung des Hämatokrits auf ≥30%, zumindest in der
Frühphase der Sepsis innerhalb der ersten 6 h auf der Notaufnah-
me, empfohlen (Rivers et al. 2001; . Abb. 6.17). Ansonsten gilt die
Empfehlung, Erythrozytenkonzentrate bei einem Hämoglobin-
wert <4,3 mmol/l zu geben und das Hb auf einen Wert von 4,3–
5,6 mmol/l anzuheben. Eythropoetin wird nicht zur Behandlung
der Anämie im Rahmen einer schweren Sepsis empfohlen
(. Tab. 6.10; Dellinger et al. 2008).

Therapie mit vasoaktiven Pharmaka


Grundsätzlich ist bei der Therapie mit vasoaktiven Pharmaka
(7 Abschn. 6.4.7) Folgendes zu beachten:
4 Die Behandlung mit vasoaktiven Pharmaka sollte denjenigen
Patienten vorbehalten bleiben, bei denen mit alleiniger Volu-
mensubstitution kein ausreichender Perfusionsdruck erzielt
werden kann, um eine adäquate Nieren-, Herz- und Hirn-
durchblutung zu gewährleisten.
4 Bei den Sympathomimetika sind inotrop-wirksame den
reinen Vasopressoren vorzuziehen; Adrenalin ist dabei kein
bevorzugtes Pharmakon.
. Abb. 6.18. Herz-Kreislauf-Therapie der schweren Sepsis und des sep-
4 Phosphodiesterasehemmer werden nicht als Pharmaka der
tischen Schocks in den ersten Stunden auf der Notaufnahme und in
der nachfolgenden Behandlungsphase auf der Intensivstation. ZVD zent- ersten Wahl zur Behandlung der hämodynamischen Instabi-
raler Venendruck, MAP mittlerer arterieller Blutdruck, ScvO2 zentralvenöse lität empfohlen.
Sauerstoffsättigung; pgCO2 Magenmukosatonometrie: gastraler pCO2-Wert, 4 Es gibt keine überzeugenden Befunde, um den Routineein-
SBP systolischer Blutdruck, PCWP Pulmonalkapillardruck, Diurese: Angabe satz von niedrig dosiertem Dopamin (Nierendosis) zu emp-
in ml/kgKG/h. Weitere Erläuterungen s. Text. (Müller-Werdan u. Werdan fehlen.
2005) 4 Für den Kalzium-Sensitizer Levosimendan liegen für den
septischen Schock bisher noch keine ausreichenden Informa-
tionen vor (7 Abschn. 6.4).
Zielorientierte frühzeitige Herz-Kreislauf-Therapie
Mit einer innerhalb der ersten 6 h auf der Notaufnahme be- Die Schocksymptomatik in der Sepsis kann 2 Ursachen haben:
gonnenen, an hämodynamischen Zielkriterien orientierten 4 Die septische Vaskulopathie führt zum Blutdruckabfall infol-
Volumen- und Katecholamintherapie (. Abb. 6.17) lässt sich ge Vasodilatation.
bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock die 4 Die septische Kardiomyopathie bewirkt einen Blutflussabfall
28-Tage-Sterblichkeit im Vergleich zur »konventionellen Inten- infolge verminderter Herzauswurfleistung.
sivtherapie« von 49 auf 33% senken (Rivers et al. 2001). Neu an
diesem im Vergleich zu früheren »sauerstoffzielorientierten«, Beides muss durch Volumensubstitution und Katecholamine
bisher erfolglos gewesenen Ansätzen ist der sehr frühe Beginn bestmöglichst ausgeglichen werden.
232 Kapitel 6 · Schock

> Für die Differenzialtherapie mit Katecholaminen ist es hilfreich, 6.6.3 Hypovolämischer Schock
sich das quantitative Ausmaß der Vasodilatation (Nachlastsen-
kung) anhand des erniedrigten SVR (. Abb. 6.15) und das Aus- Klinische Symptome
maß der Myokarddepression anhand des nachlastbezogenen
> Blasse, schweißige Haut, Tachykardie und Tachypnoe, Olig-/Anu-
HZV (. Abb. 6.15) vor Augen zu führen.
rie und Vigilanzstörung gehören zu den typischen Zeichen eines
hypovolämischen Schocks (Groeneveld 2001).
Dominiert die Vasodilatation (niedriger Blutdruck, SVR stark
erniedrigt) bei relativ wenig eingeschränkter Pumpfunktion (HI Die peripheren Venen sind kollabiert, und der Jugularvenen-
>4,0 l/min×m2), so ist ein primär vasopressorisches Katechola- druck ist niedrig, es sei denn, der hypovolämische Schock ist mit
min wie Noradrenalin angezeigt. Steht die Myokarddepression einer Einflussstauung, z. B. durch myokardiales Pumpversagen,
im Vordergrund (niedriger HI <4,0 l/min×m2, SVR normal oder Perikardtamponade oder Pneumothorax, assoziiert. Die Akren
erniedrigt), so empfiehlt sich primär der Einsatz des inotropen sind kühl, und v. a. bei älteren Patienten kann es zum Absinken
Dobutamins (Müller-Werdan u. Werdan 2005). der Körpertemperatur kommen. Die kapilläre Füllung ist ver-
Berücksichtigt man weiterhin die Auswirkungen der Ka- mindert.
6 techolaminbehandlung auf die Leber-Splanchnikus-Perfu- Weitere klinische Zeichen des hypovolämischen Schocks
sion, den Magenmukosa-pH und den Laktatspiegel, so schnei- sind periphere Zyanose, verminderter Hautturgor und trockene
den Dobutamin und Noradrenalin hinsichtlich unerwünsch- Schleimhäute. Die Patienten klagen über Durst, Schwitzen und
ter Wirkungen günstiger als Dopamin und günstiger als Adre- Kurzatmigkeit; sie sind ängstlich. Im schweren Schock werden
nalin ab (Müller-Werdan u. Werdan 2005), sodass auch aus die Patienten zunehmend apathisch oder verwirrt. Der Blutdruck
diesen Gründen der Einsatz von Noradrenalin und Dobuta- kann nichtinvasiv nicht mehr messbar sein, oder es kann ein
min empfohlen werden kann. Allerdings wurde kürzlich auch großer Gradient zwischen blutig und unblutig gemessenem Blut-
über die Gleichwertigkeit von Adrenalin und Noradrenalin+ druck nachweisbar sein. Die Hypotension kann im Sitzen oder
Dobutamin beim septischen Schock berichtet (Annane et al. orthostatisch verstärkt sein. Die atemabhängigen Schwankungen
2007). des systolischen arteriellen Blutdrucks sind intensiviert. Die typi-
Phosphodiesterasehemmstoffe, Dopexamin und Levosimen- scherweise zu beobachtende Tachykardie kann durch die voraus-
dan sind im septischen Schock eher Pharmaka der zweiten Wahl. gegangene Einnahme von β-Rezeptorenblockern ausbleiben.
Digitalis ist bei tachykardem Vorhofflimmern und bei Vorhof- Gelegentlich kommt es zu einer Bradykardie.
flattern indiziert, bei Sinusrhythmus ist seine Bedeutung als po- Der zur Abschätzung des Volumen-/Blutverlustes berechen-
sitiv-inotrope Substanz eher gering einzustufen. bare Schockindex [Quotient aus Puls und systolischem Blut-
Selten kommen Vasopressin sowie – noch wesentlich seltener druck; normal 0,5 (Blutverlust <10%), drohender Schock 1 (Blut-
– Angiotensin, Vasodilatatoren, N-Acetylcystein, Glukagon und verlust <20–30%), manifester Schock 1,5 (Blutverlust >30–50%)]
Kalzium als positiv-inotrope und direkt sowie indirekt vasoaktiv ist keine große Hilfe und kann zu Fehleinschätzungen führen
wirkende Pharmaka bei Patienten mit septischem Schock zum (große Variabilität; Interferenz mit Vormedikation (β-Blocker)
Einsatz (Dellinger et al. 2008; Müller-Werdan u. Werdan 2005). und Begleiterkrankungen (arterielle Hypertonie).
Eine Prognosebesserung ist nicht belegt.
Diagnostik
Ernährung und Stoffwechsel
> Sind Trauma und äußerliche Blutung die Ursache des Schocks,
Zu Ernährung und Stoffwechsel . Tab. 6.10.
so haben die Kontrolle des Blutverlustes, die Bereitstellung von
gekreuzten Blutkonserven und die Infusion von Flüssigkeit so-
Hydrokortisonstressdosen
wie Blutprodukten eine höhere Priorität als weitergehende dia-
Die Gabe von Hydrokortison (≤300 mg p.o./Tag) hat Eingang in
gnostische Maßnahmen (Groneveld 2001).
die offiziellen Therapieempfehlungen gefunden (. Tab. 6.10;
Sprung et al. 2008). Nach stumpfem abdominellen Trauma sollte eine diagnostische
Peritoneallavage durchgeführt werden. Eine Computertomogra-
Aktiviertes Protein C phie des Abdomens gehört zur weiterführenden Diagnostik; di-
Auch die Gabe von aktiviertem Protein C (Drotrecogin alfa akti- ese ist zwar zeitaufwendiger und weniger sensitiv als die Perito-
viert, Xigris) ist Bestandteil der offiziellen Therapieempfehlung neallavage und nur bei relativ stabilen Patienten durchführbar, sie
bei schwerer Sepsis in der Frühphase (. Tab. 6.10). ist aber diagnostisch spezifischer.
Ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma kann sonogra-
Therapien zur Modifikation exzessiver phisch oder, falls der Zustand des Patienten es erlaubt, angiogra-
Mediatorbildung phisch erfasst werden. Ein stumpfes Thoraxtrauma kann durch
Derzeit ist der Einsatz von Antiendotoxintherapien, von Steroi- Aortenruptur, Spannungspneumothorax, Hämatothorax, Hä-
den in hoher Dosierung und PGE, von Anti-TNF-α-Antikör- moperikard oder Tamponade kompliziert sein. Eine Thorax-
pern, IL-1-Rezeptorantagonisten, PAF-Antagonisten, N-Acetyl- röntgenaufnahme kann hier diagnostisch weiterführen. Bei gas-
cystein und Antioxidanzien nicht zu empfehlen. trointestinalen Blutungen sollten weiterführende endoskopisch-
Bezüglich des Einsatzes von Immunglobulinen bei schwerer diagnostische Maßnahmen auch erst nach der initialen Flüssig-
Sepsis und septischem Schock muss die Gabe von ivIgG als un- keitstherapie erfolgen. Eine Magensonde sollte gelegt werden,
wirksam angesehen werden; dagegen wird der Einsatz von ivIg- um die Aspiration von Mageninhalt bei Erbrechen zu verhin-
GMA von den Leitlinienexperten unterschiedlich bewertet: ein dern und um eine Magenblutung erkennen zu können.
Drittel ist dafür, zwei Drittel sind dagegen (Reinhart et al. 2006; Laboruntersuchungen umfassen neben der Blutgruppenana-
Kreymann et al. 2007; Werdan 2006, 2007a). lyse und Bereitstellung gekreuzter Blutkonserven die Bestim-
6.6 · Spezifische Schockformen
233 6

mung des Blutbildes, der Elektrolyte, der Laktatkonzentration, 6.6.4 Traumatischer Schock
des Serumkreatininwerts, der Blutgase einschließlich des pH-
Werts und der Glukosekonzentration. Unmittelbar nach einer Inzidenz
Blutung können der Hämoglobingehalt und der Hämatokrit Nach wie vor ist ein Trauma die häufigste Todesursache bei Per-
noch normal sein. Ein akuter hypovolämischer Schock kann mit sonen im Alter von 2–40 Jahren. Verkehrsunfälle sind die häu-
einer leichten Leukopenie und einer anschließenden Leukozyto- figste Ursache des stumpfen Traumas.
se einhergehen. Statistisch sind in der Frühphase nach einem Trauma Verblu-
Die Überwachung der Patienten erfordert neben einer Kon- ten oder schwere Schädelverletzungen die häufigsten Todesursa-
trolle des arteriellen Blutdrucks und der Urinausscheidung ggf. chen; einige Tage nach dem Ereignis kommt es zu einer Häufung
die Messung des zentralen Venendrucks und ein hämodyna- von Todesfällen durch schwere Schädel-Hirn-Traumen; im Ab-
misches Monitoring mithilfe des PAK zur Überwachung der stand von mehreren Wochen zum Trauma sind Sepsis und MOV
Flüssigkeitstherapie. Die Messung des pulmonalkapillären Ver- die häufigsten Todesursachen.
schlussdrucks ist besonders wichtig bei Funktions- und Compli-
ance-Störungen des linken Ventrikels, etwa bei einer vorbeste- Pathogenese
henden Herzerkrankung. Umgekehrt kann bei schwerer pulmo- Die traumatische Verletzung ist ein komplexes, multifaktorielles
naler Hypertonie und Rechtsherzinsuffizienz der Druck im lin- Geschehen, das ein weites Spektrum an verschiedenen auto-
ken Herzen anhand des zentralen Venendrucks unterschätzt nomen endokrinen und zellulären Reaktionen auslöst. Schmerz,
werden. Durch Kontrolle der kardialen Füllungsdrücke kann die Angst, Blutverlust, Gewebeverletzung, Hypoxie und bakterielle
Entstehung eines Lungenödems bei der Flüssigkeitssubstitution Kontamination wirken als neuroendokrine Stimuli. Zusätzliche
vermieden werden. Einflussfaktoren sind der individuelle Bewusstseinszustand und
die Gabe von Medikamenten, v. a. Anästhetika. Meist handelt es
Therapie sich beim traumatischen Schock jedoch um die pathogenetische
Therapieziel ist neben der Substitution des verloren gegangenen Konstellation eines hypovolämischen Schocks, der durch wieder-
Volumens die Optimierung der O2-Zufuhr an die peripheren Ge- holte Blutverluste aggraviert verlaufen kann (Shapiro 2001).
webe (Christ u. Lackner 2004; Groeneveld 2001).
Der Therapieplan beim hypovolämischen Schock erfolgt Klinische Symptome
nach den aufgeführten Gesichtspunkten: Beim hämorrhagischen Schock finden sich die klinischen Zei-
4 Lagerung und Schmerzstillung, chen der Hypovolämie (7 Abschn. 6.6.3) und das Bild der äußeren
4 Volumenersatz, oder der inneren Blutung oder andere Zeichen der Gewalteinwir-
4 Kausaltherapie, kung (Shapiro 2001). Der traumatische Schock ist nicht immer
4 zusätzliche (fakultative) Maßnahmen und ein Blutungsschock. Viele weitere Ursachen sind zu nennen und
4 Prophylaxe. bestimmen das klinische Bild, z. B. spinaler Schock (Hund u.
Abel 2002), Hirnödem, kardiale Kontusion, Herztamponade,
> Aufgrund der Mikrozirkulationsstörung und der sekundären Vo-
Spannungspneumothorax, Hypothermie, Flüssigkeitsverluste
lumenverluste sind oft weit höhere Volumina erforderlich, um
durch Verbrennungen und Crush-Verletzungen mit einer mas-
die Makro- und Mikroperfusion sicherzustellen, als aufgrund
siven Freisetzung von Myoglobin.
des initialen Volumenverlustes bzw. Schockereignisses zu er-
warten wäre.
Diagnostik
Seit Jahrzehnten ist Gegenstand der Diskussion, ob die Volumen- Bei allen Patienten, die ein Trauma erlitten haben, ist nach Zei-
ersatztherapie mit kristalloiden oder kolloiden Lösungen erfol- chen des Schocks zu fahnden. Der genaue Unfallhergang ist eben-
gen soll (7 Abschn. 6.4.6). In der Regel werden bei der Behand- so wie eventuelle internistische Vorerkrankungen zu erfragen.
lung des hypovolämischen Schocks Kolloide und Kristalloide in Gerade bei älteren Patienten können auch scheinbar geringfügige
einem fixen Verhältnis (z. B. 1 Teil Kolloid:2, evtl. 3 Teile Kristal- Gewalteinwirkungen, etwa aufgrund einer Osteoporose, zu
loid) verabreicht. Hyperton-onkotische Lösungen zeigen beim schweren Verletzungen führen.
hypovolämischen Schock keine medizinischen Vorteile (Meier-
! Cave
Hellman u. Burgard 2004).
Der vollständig entkleidete Traumapatient sollte nach Überprü-
Vasoaktive Pharmaka werden im hypovolämischen Schock
fung der Vitalfunktionen mit größter Sorgfalt körperlich unter-
dann eingesetzt, wenn die Therapieziele mit adäquater Volumen-
sucht werden.
substitution nicht zu erreichen waren, oder als überbrückende
Maßnahme bis zur Einleitung der Volumentherapie. In Abhän- Da das Ausmaß der Verletzungen oftmals anatomisch nicht ge-
gigkeit vom klinischen Bild sind begleitende Therapiemaßnah- nau feststellbar ist, kommen zur Objektivierung des Traumasch-
men wie Sedierung, Analgesie und frühzeitige Beatmung anzu- weregrades Score-Systeme zur Anwendung, häufig wird der »Re-
streben. vised Trauma Score« genutzt (zur weiterführenden Diagnostik
Zur Beherrschung schwerster hypovolämischer Schockzu- 7 Abschn. 6.3.3).
stände kann der Einsatz von Antischockhosen (MAST) hilfreich
sein. Dabei werden Unterschenkel, Oberschenkel und Abdomen Therapie
durch getrennte pneumatische Kammern mit zentripedal abfal- Parallel zur Überprüfung der Vitalfunktionen (Atemwege, At-
lenden Drücken komprimiert. mung, Herz-Kreislauf-Funktion) sollte sofort eine rasche Volu-
mensubstitution erfolgen. Bleibt der Patient trotz Volumengabe
hypotensiv, so können zusätzlich Erythrozytenkonzentrate trans-
fundiert werden. Die zentrale Frage bei der weiteren Behandlung
234 Kapitel 6 · Schock

des Traumapatienten ist, ob eine sofortige operative Therapie er- al. 1981; Hamberger et al. 1980). Im weiteren Verlauf sinkt das
forderlich ist. HZV bei einem erniedrigten venösen Rückstrom ab.
Ein fehlendes Ansprechen der Schocksymptomatik auf die Niedrige pulmonalkapilläre Verschlussdrücke, wie sie im
Flüssigkeitsverabreichung ist verdächtig auf eine andauernde anaphylaktischen Schock gefunden werden, sprechen gegen eine
Blutung. Aktive externe Blutungen können oft schon durch di- kardiale Verursachung des häufig gefundenen Lungenödems;
rekten Druck unterbrochen werden. Sind äußere Blutungen vielmehr ist dies am ehesten die Folge der erhöhten Gefäßper-
kontrolliert, muss nach versteckten Blutungsursachen gefahndet meabilität (Carlson et al. 1981). Jedoch wurden im anaphylak-
und diese müssen ggf. operativ angegangen werden. tischen Schock EKG-Veränderungen im Sinne von Ischämiezei-
chen und Arrhythmien gefunden (Booth u. Patterson 1970;
! Cave
Sullivan 1982; Austin et al. 1984). Auch über eine reversible My-
Gerade in Notaufnahmen muss darauf geachtet werden, dass
okarddepression wurde bereits berichtet (Raper u. Fisher 1988),
die Patienten im traumatischen Schock nicht außerdem noch in
wenn auch ältere Studien nur eine geringe Beeinträchtigung der
eine Hypothermie geraten, die sie zusätzlich gefährdet und die
Herzfunktion fanden.
Gerinnung beeinträchtigen kann.
6 Eine massive Transfusion von Erythrozytenkonzentraten kann Therapie
durch den prozentual zu geringen Anteil an Gerinnungsfaktoren Für die Notfalltherapie (Haupt 2001; Müller-Werdan u. Werdan
im Vergleich zu den Blutzellen, durch Hypothermie und durch 2000; Walther u. Böttiger 2004; Adams et al. 2005) spielt die Un-
die sekundäre Gerinnungsstörung im Schock zu einer schweren terscheidung zwischen anaphylaktischer und anaphylaktoider
Koagulopathie führen. Die Koagulopathie wird durch Gabe von Reaktion keine Rolle. Im Folgenden ist daher nur von der Ana-
FFP und Thrombozytenkonzentraten behandelt. phylaxie als Überbegriff die Rede.
Bei Verdacht auf eine Anaphylaxie ist sofortiges Handeln
erforderlich, sodass eine rasche Evaluation der Situation un-
6.6.5 Anaphylaktischer Schock ter Berücksichtigung möglicher Differenzialdiagnosen erfolgen
muss (Haupt 2001). Schwere anaphylaktische Reaktionen kön-
Klinische Symptome nen auch unter adäquater Therapie progredient verlaufen, oder
Eine klinische Unterscheidung zwischen anaphylaktischer und es kann nach einer vorübergehenden Besserung zu einem er-
anaphylaktoider Reaktion gelingt nicht. Das klinische Erschei- neuten Einbruch der Symptomatik kommen. Daher ist oftmals
nungsbild (Haupt 2001; Müller-Werdan u. Werdan 2000; Walther eine intensivmedizinische Überwachung dieser Patienten an-
u. Böttiger 2004; Adams et al. 2001) variiert interindividuell stark, gezeigt.
auch in Abhängigkeit vom Antigeneintrittsort, der Absorptions- Grundpfeiler der Sofortbehandlung bei Hypotension und
rate und dem Ausmaß der Sensibilisierung. Initial können daher Hypoxie sind:
gastrointestinale Symptome, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, 4 Ausschalten des mutmaßlichen Auslösers,
kolikartige Beschwerden, unwillkürlicher Abgang von Stuhl und 4 Offenhalten der Atemwege,
Harn, selten Darmblutungen, Hauterscheinungen oder Be- 4 100%ige O2-Zufuhr,
schwerden vonseiten des Respirationstraktes im Vordergrund 4 intravaskuläre Volumenexpansion und
stehen. Das zeitliche Intervall bis zum Auftreten von Beschwer- 4 Katecholamingabe.
den kann Minuten bis mehrere Stunden betragen; ganz überwie-
gend treten die Symptome innerhalb der ersten Stunde nach An- Differenzierte Empfehlungen zur schweregradabhängigen (Sta-
tigenexposition auf. dium 0–IV) Akuttherapie anaphylaktoider Reaktionen unter Be-
Die sich meist rapide entwickelnde systemische Reaktion rücksichtigung der führenden klinischen Symptomatik (kutan,
geht sehr oft (in mehr als 90% der Fälle) mit Hauterscheinungen pulmonal oder kardiovaskulär) wurden in interdisziplinären
wie Pruritus, Flush, Erythem, Urtikaria und in schweren Fällen Konsensuskonferenzen erarbeitet (Ahnefeld et al. 1994; Adams et
Angioödem einher. Häufig sind Juckreiz und Schwellungen der al. 2005). Hinsichtlich der Differenzialtherapie mit Volumener-
Nasen-, Augen- und Mundschleimhaut sowie Ödeme der Lip- satz, Katecholaminen, Histaminantagonisten, Glukokortikoiden
pen, der Augenlider und der Zunge. Häufig und bedrohlich sind und Theophyllin wird auf die detaillierte Abhandlung der Kon-
Atemwegsobstruktionen, extrathorakal durch Ödeme im La- sensuskonferenzen verwiesen.
rynx- und Pharynxbereich, intrathorakal durch Bronchialobs-
truktion. Oft kommt es zum Lungenödem. In schweren Fällen Allgemeine Therapiemaßnahmen und -prinzipien
einer Anaphylaxie, etwa bei i.v.-Antigenexposition, kann es ohne Entfernung des auslösenden Agens. Das auslösende Agens
Hauterscheinungen und Atembeschwerden unmittelbar zum muss an der Eintrittspforte entfernt (z. B. Insektenstachel) oder
Schock kommen. die weitere systemische Absorption vermindert (z. B. Anlegen
Die hämodynamischen Veränderungen des anaphylaktischen eines Tourniquets bei Eintrittspforte an einer Extremität) bzw.
Schocks sind aus kasuistischen Beschreibungen bekannt (Ha- die Antigenzufuhr gestoppt werden. In bestimmten Situationen
nashiro u Weil 1967). Im Vordergrund stehen Hypovolämie auf- (z. B. Insektenstich) kann die subkutane Injektion von Adrenalin
grund von Flüssigkeitsverschiebungen ins Interstitium bei er- (0,1–0,2 mg) – möglichst in Nähe der Einstichstelle – sinnvoll
höhter Gefäßpermeabilität und peripherer Vasodilatation, Ta- sein.
chykardie und erniedrigte kardiale Füllungsdrücke (Carlson et al.
1981; Silverman et al. 1984). Initial im Verlauf einer Anaphylaxie Freie Atemwege. Freie Atemwege müssen sichergestellt sein –
wurden erhöhte HZV beobachtet, die einerseits durch die erhöh- schon ab Stadium I (leichte Allgemeinreaktion) O2-Zufuhr über
ten Katecholamin- und Histaminspiegel zustande kommen, an- eine Maske, bei bedrohlicher Hypotension und/oder Dyspnoe
dererseits die Folge des erniedrigten SVR sein könnten (Moss et endotracheale Intubation und 100%ige O2-Beatmung.
Literatur
235 6

! Cave Die Wirkung von Adrenalin hält bei endobronchialer Gabe


Ein Larynxödem kann die Intubation erschweren oder sogar un- länger an als bei i.v.-Verabreichung. Eine pulmonale Symptomatik
möglich machen. In solchen Fällen kann die Koniotomie lebens- (Bronchospasmus) im Stadium II oder III kann durch inhalative
rettend sein. Applikation von Adrenalin oder – bei Nichtverfügbarkeit – mit den
zur Asthmatherapie verwandten β2-Sympathomimetika wirksam
Entwickelt sich eine Obstruktion der oberen Atemwege, so wird behandelt werden; die Dosierung richtet sich nach den Nebenwir-
eine Intubation des Patienten erforderlich, die dann meist schwie- kungen. Die Maximaldosis ist erreicht, wenn Tachykardie und
rig ist. Eine kontrollierte mechanische Beatmung mit PEEP wird etwas später Tremor auftreten. Die Therapie kardiovaskulärer Re-
häufig notwendig, wenn sich Hypoxie und Lungenödem entwi- aktionen mithilfe von Adrenalininhalationen ist jedoch nicht ge-
ckelt haben. sichert. Man sollte jedoch an diese Möglichkeit denken, wenn keine
parenteral applizierbaren Katecholamine zur Verfügung stehen.
Lagerung. Die Flachlagerung des Patienten, möglichst Trende-
! Cave
lenburg-Lagerung (Ausnahme: Lungenödem) wird empfohlen.
Besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert der Einsatz
von Adrenalin bei Patienten mit KHK oder Arrhythmien. In die-
Volumen. Schon ab Stadium I (leichte Allgemeinreaktion) sollte
sen Fällen kann Adrenalin zu einer akuten Koronarinsuffizienz
über einen zuverlässigen, möglichst großlumigen venösen Zu-
bis hin zum Myokardinfarkt bzw. Kammerflimmern führen.
gang, möglichst rasch Volumen (Elektrolyt- und kolloidale Lö-
sungen) substituiert werden. Die kausale Therapie der relativen Andererseits muss gerade bei Patienten mit KHK der Perfusions-
Hypovolämie ist die adäquate Volumensubstitution. Schwere druck ausreichend hoch gehalten werden. Dies gelingt im Stadi-
anaphylaktoide Reaktionen erfordern nicht selten die Zufuhr um III häufig nur durch gleichzeitige Gabe von Volumen und
größerer Flüssigkeitsmengen innerhalb kurzer Zeit (2–3 l in 20– einem Vasokonstriktor in ausreichender Dosierung.
30 min). Dies ist nur über einen großlumigen Zugang möglich.
Auch nach primärer Kreislaufstabilisierung können im Ver- Stationäre Aufnahme. Alle Patienten mit einer anaphylaktischen
lauf der nächsten Stunden Infusionen von mehreren Litern erfor- Reaktion müssen stationär aufgenommen und kontinuierlich
derlich werden. Gelingt die Zufuhr ausreichender Volumina in überwacht werden, auch dann, wenn sie rasch auf eine adäquate
kürzester Zeit, sind häufig keine weiteren therapeutischen Maß- Therapie ansprechen, da die Symptomatik rekurrieren kann und
nahmen erforderlich. Dies gilt offenbar v. a. für anaphylaktoide sich Spätreaktionen bis 12 h nach dem initialen Ereignis manifes-
Reaktionen in der perioperativen Phase, die sich primär oder tieren können. Das EKG und die Vitalfunktionen müssen über-
ausschließlich am kardiovaskulären System manifestieren. wacht und ein Pulsoxymeter muss angeschlossen werden, da es
Bei kardial grenzwertig kompensierten Patienten sollte die zum Auftreten von Arrhythmien, myokardialen Ischämien, respi-
Zufuhr großer Volumina unter erhöhter Vorsicht erfolgen, um ratorischer Insuffizienz und Gewebehypoperfusion kommen
eine akute kardiale Dekompensation zu vermeiden. kann. Stellen sich Zeichen eines Kreislaufschocks und eines beein-
trächtigten Gasaustausches ein, ist ein hämodynamisches Monito-
Adrenalin. Die pharmakologische Behandlung der Anaphylaxie ring mit intraarterieller Blutdruckmessung und PAK angezeigt.
beruht in erster Linie auf dem Einsatz von Adrenalin, womit so-
wohl die Hypotension als auch die Bronchokonstriktion wirksam Stadium IV. Die Therapie des Stadiums IV (vitales Organversa-
bekämpft werden können. Adrenalin kann i.v., i.m. [sofortige gen) richtet sich nach der jeweiligen Organinsuffizienz und dem
Selbsttherapie von Patienten mit bekannter Allergie nach Aller- ggf. eingetretenen Herz-Kreislauf-Stillstand.
genexposition im Stadium II (ausgeprägte Allgemeinreaktion)
mit kommerziell erhältlichen Fertigspritzen, Fastjekt], sublingu-
al, endotracheal oder als Dosieraerosol verabreicht werden. Literatur
Eine eindeutige Indikation zur parenteralen Verabreichung
von Adrenalin besteht im Stadium III (bedrohliche Allgemeinre- Abella BS, Becker LB (2002) Ischemia-reperfusion and acute apoptotic cell
aktion: Schock), jedoch kann der Einsatz bei zunehmender Hy- death. In: Vincent JL (ed) Yearbook of intensive care and emergency
medicine. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 3–11
potension trotz adäquater Volumengabe schon im späten Stadi-
Adams HA, Baumann G, Gänsslen A et al.; IAG Schock (2001) Die Definiti-
um II erwogen werden.
onen der Schockformen. Intensivmedizin 38: 541–553
! Cave Adams HA, Baumann G, Cascorbi I et al. (2005) Empfehlungen zur Diagnos-
Die i.v.-Verabreichung darf nur fraktioniert in kleinen Dosen (ca. tik und Therapie der Schockformen der IAG Schock der DIVI. Deut-
0,1 mg/min) sehr langsam unter Puls- und Blutdruckkontrolle scher Ärzte-Verlag, Köln
Ahnefeld FW, Barth J, Dick W et al. (1994) Akuttherapie anaphylaktoider
appliziert werden (kardiale Nebenwirkungen).
Reaktionen. Anaesthesist 43: 211–222
Um eine ausreichend genaue Dosierung zu erreichen, wird hierbei Alpert JS, Becker RC (1993) Cardiogenic shock: elements of etiology, dia-
1 mg (1 ml) Adrenalin in einer 10-ml-Spritze mit 9 ml 0,9%iger gnosis, and therapy. Clin Cardiol 16(3): 182–190
NaCl-Lösung aufgezogen. Die Maximaldosis von 1 mg Adrenalin Annane D, Vignon P, Renault A et al. (2007) Norepinephrine plus dobutamine
versus epinephrine alone for management in septic shock: a randomi-
(MED nach DAB) sollte in der Regel nicht überschritten werden.
sed trial. Lancet 370(9588): 676–684; Erratum 370(9592): 1034
Steht kein i.v.-Zugang zur Verfügung, kann Adrenalin en-
Antman EM, Anbe DT, Armstrong PW et al. (2004) ACC/AHA guidelines for
dobronchial appliziert werden. In diesem Fall sollte es etwa 2- bis the management of patients with ST-elevation myocardial infarction:
3-mal höher als bei i.v.-Gabe dosiert werden (ca. 0,3 mg) und mit executive summary. A report of the ACC/AHA Task Force on Practice
0,9%iger NaCl-Lösung oder Aqua bidest. auf ein Volumen von Guidelines (Committee to Revise the 1999 Guidelines on the Manage-
etwa 5 ml verdünnt werden; evtl. erforderliche Wiederholungs- ment of Patients With Acute Myocardial Infarction). J Am Coll Cardiol
gaben sollten möglichst i.v. erfolgen. 44: 671–719
236 Kapitel 6 · Schock

Antman EM, Hand M, Armstrong PW et al. (2008) 2007 focused update of Califf RM, Bengtson JR (1994) Cardiogenic shock. N Engl J Med 330: 1724–
the ACC/AHA guidelines 2004 guidelines for the management of pa- 1730
tients with ST-elevation myocardial infarction: a report of the Ameri- Calvo FE, Figueras J, Cortadellas J, Soler JS (1997) Severe mitral regurgita-
can College of Cardiology/American Heart Association Task Force on tion complicating acute myocardial infarction. Clinical and angiogra-
Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 51: 210–247 phic differences between patients with and without papillary muscle
Antoniucci D, Valenti R, Migliorini A et al. (2003) Comparison of impact of rupture. Eur Heart J 18: 1606–1610
emergency percutaneous revascularization on outcome of patients > Carlson RW, Schaeffer RC, Puri VK et al. (1981) Hypovolemia and permeability
or = 75 to those <75 years of age with acute myocardial infarction pulmonary edema associated with anaphylaxis. Crit Care Med 9: 883
complicated by cardiogenic shock. Am J Cardiol 91(12): 1458–1461 Cheifetz IM, Craig DM, Kern FH et al. (1996) Nitric oxide improves transpul-
Aung K, Htay T (2005) Vasopressin for cardiac arrest: a systematic review monary vascular mechanics but does not change intrinsic right vent-
and meta-analysis. Arch Intern Med 165: 17–24 ricular contractility in an acute respiratory distress syndrome model
Austin SM, Barooah B, Kim CS (1984) Reversible acute cardiac injury during with permissive hypercapnia. Crit Care Med 24: 1554–1561
cefoxitin-induced anaphylaxis in a patient with normal coronary arte- Christ F, Lackner CK (2004) Präklinische Versorgung des Patienten im
ries. Am J Med 77: 729–732 Schock. Internist 45: 267–276
Backer D de, Creteur J, Preiser JC et al. (2002) Microvascular blood flow is alte- Christoph A, Prondzinsky R, Russ M et al. (2007) Early and sustained hae-
6 red in patients with sepsis. Am J Respir Crit Care Med 166: 98–104 modynamic improvement with levosimendan compared to intraaor-
Ballal RS, Sanyal RS, Nanda NC, Mahan EF III (1993) Usefulness of transesopha- tic balloon counterpulsation (IABP) in cardiogenic shock complicating
geal echocardiography in the diagnosis of ventricular septal rupture se- acute myocardial infarction. Acute Cardiac Care: 1–9
condary to acute myocardial infarction. Am J Cardiol 71: 367–370 Ciurana CLF, Hack CE (2002) Molecular mechanisms of complement activa-
Behringer W, Kittler H, Sterz F et al. (1998) Cumulative epinephrine dose tion during ischemia and reperfusion. In: Vincent JL (ed) 2002 Year-
during cardiopulmonary resuscitation and neurologic outcome. Ann book of intensive care and emergency medicine. Springer, Berlin
Intern Med 129: 450–456. Editorial: Cummins RO, Hazinski MF (1998) Heidelberg New York Tokio, pp 39–49
Ann Intern Med 129: 501–502 Cobb LA, Killip T, Lambrew CT et al. (2005) Glucose-insulin-potassium infu-
Berghe G van den, Wouters P, Weekers F et al. (2001) Intensive insulin thera- sion and mortality in the CREATE-ECLA trial. JAMA 293: 2597–2598
py in critically ill patients. N Engl J Med 345: 1359–1367, Editorial: Cohen J (2000) The detection and interpretation of endotoxaemia (2000)
Evans TW (2001) Hemodynamic and metabolic therapy in critically ill Intensive Care Med 26: S52–S56
patients. 345: 1417–1418 Cohen M, Urban P, Christenson JT et al. (2003) Intra-aortic ballon counter-
Berghe G van den, Wouters PJ, Bouillon R et al. (2003) Outcome benefit of pulsation in US and non-US centers: results of Benchmark Registry. Eur
intensive insulin therapy in the critically ill: insulin dose versus glyce- Heart J 24: 1763–1770
mic control. Crit Care Med 31: 359–366 Cooper DJ, Walley KR, Wiggs BR, Russell JA (1990) Bicarbonate does
Bernard GR, Vincent JL, Laterne PF et al. (2001) Efficacy and safety of recom- not improve hemodynamics in critically ill patients who have lactic
binant human activated protein C for severe sepsis. N Engl J Med acidosis: a prospective, controlled clinical study. Ann Intern Med
344: 699–709 112: 492–498
Bernard SA, Buist M (2003) Induced hypothermia in critical care medicine: Corwin HL, Gettinger A, Pearl RG (2002) Efficacy of recombinant human
a review. Crit Care Med 31: 2041–2051 erythropoietin in critically ill patients: a randomized controlled trial.
Bernard SA, Gray TW, Buist MD et al. (2002) Treatment of comatose survi- JAMA 288: 2827–2835
vors of out-of-hospital cardiac arrest with induced hypothermia. N Cotter G, Moshkovitz Y, Kaluski E et al. (2003a) The role of cardiac power
Engl J Med 346: 557–563 and systemic vascular resistance in the pathopyhsiology and diagno-
Birnbaum Y, Fishbein MC, Blanche C, Siegel RJ (2002) Ventricular septal sis of patients with acute congestive heart failure. Eur J Heart Fail
rupture after acute myocardial infarction. N Engl J Med 347: 1426– 5: 443–451
1432 Cotter G, Williams SG, Vered Z, Tan LB (2003b) Role of cardiac power in heart
Blom AS, Acker MA (2007) The surgical treatment of end stage heart failure. failure. Curr Opin Cardiol 18: 215–222
Curr Probl Cardiol 32: 553–599 Cox FF, Morshuis WJ, Plokker HWT et al. (1996) Early mortality after surgical
Blumberg N, Heal JM (1998) Blood transfusion immunomodulation – the repair of postinfarction ventricular septal rupture: importance of rup-
silent epidemic. Arch Pathol Lab Med 122: 117–119 ture location. Ann Thorac Surg 61: 1752–1758
Bodmann KF, Vogel F (2001) Antimikrobielle Therapie der Sepsis – Empfeh- Cuffe MS, Califf RM, Adams KF et al. (2002) Short-term intravenous milrino-
lungen einer Arbeitsgruppe der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemo- ne for acute exacerbation of chronic heart failure – a randomized con-
therapie e. V. Chemotherapie J 10: 43–55 trolled trial. JAMA 287: 1541–1547
Boldt J (2003) Verursacht Hydroxethylstärke (HES) ein Nierenversagen? Cummings RG, Califf R, Jones RN et al. (1997) Correlates of survival in pati-
Intensiv News 7: 17–19 ents with postinfarction ventricular septal defect. Ann Thorac Surg
Bond RF (1993) Peripheral macro- and microcirculation. In: Schlag G, Redl 63: 1508–1509
H (eds) Pathophysiology of shock, sepsis and organ failure. Springer, Dellinger RP, Levy MM, Carlet JM et al. (2008) Surviving Sepsis Campaign:
Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 893–907 international guidelines for management of severe sepsis and septic
Booth BH, Patterson R (1970) Electrocardiographic changes in human ana- shock: 2008. Crit Care Med 36: 296–327, Intensive Care Med 34: 17–60
phylaxis. JAMA 211: 627 Dhainaut JF, Dall’Ava J, Mira JP (1993) Coronary hemodynamics and myo-
Brealey D, Brand M, Hargreaves I (2002) Association between mitochond- cardial metabolism in sepsis and septic shock. In: Schlag G, Redl H
rial dysfunction and severity and outcome of septic shock. Lancet (eds) Pathophysiology of shock, sepsis and organ failure. Springer,
360: 219–223 Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 882–892
Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al, for the German Competence Network Diaz R, Goyal A, Mehta SR et al. (2007) Glucose-insulin-potassium therapy
Sepsis (2008) Intensive insulin therapy and pentastarch resuscitation in patients with ST-segment elevation myocardial infarction. JAMA
in severe sepsis. N Engl J Med 358: 125–139 298: 2399–2405
Buerke M, Pruefer D, Sankat D et al. (2007) Effects of aprotinin on gene Dieterich HJ (2001) Kristalloide versus Kolloide – A never ending story?
expression and protein synthesis after ischemia and reperfusion in Anaesthesist 50: 432–435
rats. Circulation 116 [Suppl 11]: I121–126 Dimopoulos G , Tsaganos T, Theodorakopoulou M et al. (2008) Immunomo-
Bur A, Bayegan K, Holzer M et al. (2002) Intra-aortic balloon counterpulsa- dulatory effects of esmolol in a septic animal model due to multidrug-
tion in the emergency department: a 7–year review and analysis of resistant Pseudomonas aeruginosa pyelonephritis. Crit Care 12 [Suppl
predictors of survival. Resuscitation 53: 259–264 2]: P379, S148–149
Literatur
237 6

Dirks B, Baubin M (2006) Kardiopulmonale Reanimation – Aktuelle Leitlinien Hallstrom A, Cobb L, Johnson E, Copass M (2000) Cardiopulmonary resusci-
des European Resuscitation Council. Notfall Rettungsmed 9: 4–170 tation by chest compression alone or with mouth-to-mouth ventilati-
Donnino M, Nguyen B, Rivers E (2002) Hemodynamic comparison of early on. N Engl J Med 342: 1546–1553
and late phase severe sepsis and septic shock. Chest 122: 5S Hallström S, Koidl B, Müller U et al. (1993) Cardiodepressant factors. In:
Dzavik V, Sleeper LA, Cocke TP et al. (2003) Early revascularization is asso- Schlag G, Redl H (eds) Pathophysiology of shock, sepsis and organ
ciated with improved survival in elderly patients with acute myocar- failure. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 200–214
dial infarction complicated by cardiogenic shock: a report from the Hamberger B, Fredholm BB, Farnebo LO (1980) Anaphylaxis and plasma
SHOCK Trial Registry. Eur Heart J 24: 828–837 catecholamines. Life Sci 26: 1465–1471
ECC Committee, Subcommittees and Task Force of the American Heart Hanashiro PK, Weil MH (1967) Anaphylactic shock in man: report of two
Association (2005) 2005 American Heart Association guidelines for cases with detailed hemodynamic and metabolic studies. Arch Intern
cardiopulmonary resuscitation and emergency cardiovascular care. Med 119: 129–140
Circulation 112 [Suppl 4]: 1–211 Hamm CW (2004) Akutes Koronarsyndrom (ACS) Teil 1: ACS ohne persistie-
Eckardt KU (2003) Das Ende der Blutkonserven? Intensiv News 7: 24–25 rende ST-Hebung; Teil 2: Akutes Koronarsyndrom mit ST-Hebung (My-
Eisenberg MS, Mengert TJ (2001) Cardiac resuscitation. N Engl J Med okardinfarkt). Herausgegeben vom Vorstand der Deutschen Gesell-
344: 1304–1313 schaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung. Bearbeitet im
Eisenberg PR, Jaffe AS, Schuster DP (1984) Clinical evaluation compared to Auftrag der Kommission für Klinische Kardiologie Leitlinien. Z Kardiol
pulmonary artery catheterization in the hemodynamic assessment of 93: Teil 1: 72–90 und Teil 2: 324–341
critically ill patients. Crit Care Med 12: 549–553 Haupt MT (2001) Anaphylaxis and anaphylactic shock. In: Parrillo JE, Dellin-
Elsakka N, Galley HF, Webster NR (2001) Mitochondrial antioxidant activity ger RP (eds) Critical care medicine – principles of diagnosis and ma-
and disease processes. In: Vincent JL (ed) Yearbook of intensive care nagement in the adult, 2nd edn. Mosby, St. Louis, MO, pp 513–526
and emergency medicine. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, Hausmann H, Potapov EV, Koster A et al. (2002) Prognosis after the implan-
pp 278–283 tation of an intra-aortic balloon pump in cardiac surgery calculated
Fernandes CJ Jr, Akamine N, Marco FV de (2001) Red blood cell transfusion with a new score. Circulation 106 [Suppl I]: 1203–1206
does not increase oxygen consumption in criticaly ill septic patients. Hebert P, Wells G, Blajchman MA et al. (1999) A multicenter, randomized,
Crit Care Med 5: 362–367 controlled clinical trial of transfusion requirements in critical care. N
Ferrari M, Figulla HR (2005) Mechanische Herz-Kreislaufunterstützung in Engl J Med 340: 409–417
der Kardiologie. Dtsch Med Wochenschr 130: 652–656 Held AC, Cole PL, Lipton B et al. (1988) Rupture of the interventricular sep-
Figueras J, Cortadellas J, Domingo E, Soler-Soler J (2001) Survival following tum complicating acute myocardial infarction: a multicenter analysis
self-limited left ventricular free wall rupture during myocardial infarc- of clinical findings and outcome. Am Heart J 116: 1330–1336
tion. Management differences between patients with or without Hochman JS, Talley JD, Webb JC et al. (1997) Ventricular septal rupture
pseudoaneurysm formation. Int J Cardiol 79: 103–111. Letter to the causing cardiogenic shock: clinical profile, timing and outcome. Cir-
Editor: Beranek JT (2002) Pathogenesis of postinfarction free wall rup- culation 96: I-749
ture. 84: 91–92 Hochman JS, Sleeper LA, Webb JG et al. for the SHOCK Investigators (1999)
Fincke R, Hochman JS, Lowe AM et al. (2004) Cardiac power is the strongest Early revascularization in acute myocardial infarctions complicated by
hemodynamic correlate of mortality in cardiogenic shock: a report cardiogenic shock. N Engl J Med 341: 625–634
from the SHOCK trial registry. J Am Coll Cardiol 44: 340–348 Hochman JS, Buller CE, Sleeper LA et al. (2000) Cardiogenic shock compli-
Fink MP (2003) Ethyl pyruvate: a novel anti-inflammatory agent. In: Vincent cating acute myocardial infarction – etiologies, management and
JL (ed) Yearbook of intensive care and emergency medicine. Springer, outcome: a report from the SHOCK Trial Registry. Should we emer-
Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 604–614 gently revascularize occluded coronaries for cardiogenic shock? J Am
Finney SJ, Evans TW, Burke-Gaffney A (2002) Cell adhesion molecules and Coll Cardiol 36: 1063–1070
leucocyte trafficking in sepsis. In: Vincent JL (ed) Yearbook of intensive Hochman JS, Sleeper LA, White HD et al. (2001) One-year survival following
care and emergency medicine. Springer, Berlin Heidelberg New York early revascularization for cardiogenic shock. JAMA 285: 190–192
Tokio, pp 23–38 Hochman JS, Sleeper LA, Webb JG et al. (2006) Early revascularization and
Ginz HF, Gottschall V, Schwarzkopf G, Walter K (1998) Exzessive Gewebe- long-term survival in cardiogenic shock complicating acute myocar-
speicherung von Kolloiden im retikuloendothelialen System. Anaes- dial infarction. JAMA 295: 2511–2515
thesist 47: 330–334 Hoffmann B, Welte T (2002) Der akute Myokardinfarkt – ein unterschätzter
Godin PJ, Buchman TG (1996) Uncoupling of biological oscillators: a com- und oft unerkannter Mortalitätsfaktor bei septischen Patienten? In-
plementary hypothesis concerning the pathogenesis of multiple or- tensivmedizin 39: 677–681
gan dysfunction syndrome. Crit Care Med 24: 1107–1116 Hollenberg SM (2001) Cardiogenic shock. Crit Care Clin 17(2): 391–410
Graf J, Graf C, Janssens U (2003) Nutzen intensivmedizinischer Scoring- Holtz J (2000) Physiologische Wirkprinzipien. In: Burchardi H, Briegel J,
Systeme zur Beurteilung der Ergebnisqualität, Prognoseabschätzung Eckart J et al. (Hrsg) Expertenforum: Hämodynamisch aktive Substan-
und Kostenanalyse internistischer Intensivpatienten. Intensiv Notfall- zen in der Intensivmedizin. Anaesthesiol Intensivmed 41: 562–568
behandl 28: 158–164 Hovdenes J, Laake JH, Aaberge L et al. (2007) Therapeutic hypothermia
Gregg W, Stone E, Ohman M et al. (2003) Contemporary utilization and after out-of-hospital cardiac arrest: experiences with patients treated
outcomes of intra-aortic balloon counterpulsation in acute myocardi- with percutaneous coronary intervention and cardiogenic shock.
al infarction. J Am Coll Cardiol 41: 1940–1945 Acta Anaesthesiol Scand 51: 137–142
Groeneveld ABJ (2001) Hypovolemic shock. In: Parrillo JE, Dellinger RP Hund E, Abel R (2002) Spinaler Schock. Intensiv Notfallbehandl 27: 131–136
(eds) Critical care medicine – principles of diagnosis and management Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group (2002) Mild therapeutic
in the adult, 2nd edn. Mosby, St. Louis, MO, pp 465–500 hypothermia to improve the neurologic outcome after cardiac arrest.
Groner W, Winkelman JW, Harris AG et al. (1999) Orthogonal polarization N Engl J Med 346: 549–556
spectral imaging: a new method for study of the microcirculation. Nat Ince C (2002) The microcirculation unveiled. Am J Resp Crit Care Med
Med 5: 1209–1213 166: 1–4
Gueugniaud PY, Mols P, Goldstein P et al. for the European Epinephrine International Liaison Committee on Resuscitation, American Heart Associ-
Study Group (1998) A comparison of repeated high doses and ation, and European Resuscitation Council (2005) 2005 International
repeated standard doses of epinephrine for cardiac arrest outside the Consensus Conference on Cardiopulmonary Resuscitation and Emer-
hospital. N Engl J Med 339: 1595–1601, 340: 1763–1765 (correspond- gency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommenda-
ence 1999) tions. Circulation 112 [Suppl 3]: III-1–III-136 und B1–B18
238 Kapitel 6 · Schock

Jakob SM, Takala J (2000) Splanchnic hemodynamics in critical illness. Curr inhibitor 546C88: effect on survival in patients with septic shock. Crit
Opin Crit Care 6: 123–129 Care Med 32: 21–30
Jakob SM, Tenhunen JJ, Heino A et al. (2002) Splanchnic vasoregulation du- Loppnow H (2001) Zytokine: Klassifikation, Rezeptoren, Wirkungsmecha-
ring mesenteric ischemia and reperfusion in pigs. Shock 18: 142–147 nismen. Internist 42: 13–27
Janssens U, Werdan K (2006) Erforderliches Monitoring auf der Intensivsta- Lu PP, Shee JJ, Chen HM et al. (1999) Spinal nitric oxide participates in the
tion. Herz 31: 749–770 control of the blood pressure during graded hemorrhage in the con-
Kato S, Morimoto S-I, Hiramitsu S et al. (1999) Use of percutaneous scious rat. Shock 12: 222–226
cardiopulmonary support of patients with fulminant myocarditis Mailman D, Self A, Henry M (1999) Time- and surgery-dependent effects of
and cardiogenic shock for improving prognosis. Am J Cardiol 83: lipopolysaccharide on gut, cardiovascular and nitric oxide functions.
623–625 Shock 12: 208–214
Killen DA, Piehler JM, Borkon AM et al. (1997) Early repair of postinfarction Maisch B, Christ M (2004) Extrakardiale Ursachen der Rechtsherzinsuffizi-
ventricular septal rupture. Ann Thorac Surg 63: 138–142 enz. Internist 45: 1136–1146
Khot UM, Novaro GM, Popovic ZB et al. (2003) Nitroprusside in critically ill Mantovani V, Mariscalco G, Leva C et al. (2006) Surgical repair of post-in-
patients with left ventricular dysfunction and aortic stenosis. N Engl J farction ventricular septal defect: 19 years of experience. Int J Cardiol
Med 348: 1756–1763 108: 202–206
6 König G, Guggenberger M, Bommersbach B (1996) 40jähriger Patient ohne McDonough KH, Giaimo ME, Miller HI (1995) Effects of endotoxin on the
Vorerkrankung mit akuter Schocksymptomatik und schwerer Ver- guinea pig heart response to ischemia reperfusion injury. Shock
brauchskoagulopathie. Internist 37: 74–77 4: 139–142
Konstantinides S, Hasenfuß G (2004) Akutes Cor Pulmonale bei Lungen- Mebazaa A, Nieminen M, Packer M et al, SURVIVE Investigators (2007) Le-
embolie – Entscheidender prognostischer Faktor und kritischer Para- vosimendan vs dobutamine for patients with acute decompensated
meter für die Auswahl der therapeutischen Strategie. Internist heart failure: the SURVIVE Randomized Trial. JAMA 297: 1883–1891
45: 1155–1162 Mehta L, Pascual MT, Soroko S (2002) Diuretics, mortality and nonrecovery
Kreimeier U, Prückner S (1998) Volumentherapie bei Hypovolämie und of renal function in acute renal failure. JAMA 288: 2547–2553
Schock. Notfall Rettungsmed 1: 119–129 Meier-Hellman A, Burgard G (2004) Neue Therapieansätze bei der prähos-
Kreymann KG, Heer G de, Nierhaus A, Kluge S (2007) Use of polyclonal pitalen und hospitalen Schockbehandlung – Hyperton-onkotische
immunoglobulins as adjunctive therapy for sepsis or septic shock. Crit Lösungen und Vasopressin. Internist 45: 305–314
Care Med 35: 2677–2685 Melzer C, Gliech A von, Baumann G, Theres H (2001) Severe aortic stenosis
Kuhn C, Müller-Werdan U, Schmitt DV et al. (2000) Improved outcome of and reduced ejection fraction: intensive care treatment. Intensive
APACHE II score-defined escalating systemic inflammatory response Care Med 27: 617
syndrome in patients post cardiac surgery in 1996 compared to 1988– Menon V, White H, Jemtel T le et al. for the SHOCK Investigators (2000a) The
1990. Eur J Cardiothorac Surg 17: 30–37 clinical profile of patients with suspected cardiogenic shock due to
Kumar A, Parrillo JE (2001) Shock: classification, pathophysiology and ap- predominant left ventricular failure: a report from the SHOCK Trial
proach to management. In: Parrillo JE, Dellinger RP (eds) Critical care Registry. J Am Coll Cardiol 36: 1071–1076
medicine – Principles of diagnosis and management in the adult, 2nd Menon V, Webb JG, Hillis LD et al. for the SHOCK Investigators (2000b)
edn. Mosby, St. Louis, MO, pp 371–420 Outcome and profile of ventricular septal rupture with cardiogenic
Laggner AN (2004) Der Schockpatient auf der Notaufnahme und der Inten- shock after myocardial infarction: a report from the SHOCK Trial Re-
sivstation. Internist 45: 277–283 gistry. J Am Coll Cardiol 36: 1110–1116
Lamy M, Nys M, Deby-Dupont G (2001) Reactive nitrogen and oxygen spe- Menon V, Slater JN, White HD et al. (2000c) Acute myocardial infarction
cies: role and evidence of their production in humans. In: Vincent JL complicated by systemic hypoperfusion without hypotension: report
(ed) 2001 Yearbook of intensive care and emergency medicine. Sprin- of the SHOCK Trial Registry. Am J Med 108: 374–380
ger, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 284–301 Metra M, Nodari S, Aloia A (2002) Beta blocker therapy influences the he-
Lefevre N, Delaunay L, Hingot JL, Bonnet F (1996) Bilateral massive adrenal modynamic response to inotropic agents in patients with heart failu-
haemorrhage complicating anaphylactic shock: a case report. Inten- re: a randomized comparison of dobutamine and enoximone before
sive Care Med 22: 447–449 and after chronic treatment with metoprolol or carvedilol. J Am Coll
Lehmann D, Radke J, Werdan K (2003) Beatmung beim Herzkranken. In: Cardiol 40: 1248–1258
Werdan K, Trappe HJ, Zerkowski HR (Hrsg) Das Herzbuch – Praktische Michie HR, Manogue KR, Spriggs DR et al. (1988) Detection of circulating
Herz-Kreislauf-Medizin. Urban & Fischer, München Jena, S 309–326 tumor necrosis factor after endotoxin administration. N Engl J Med
Lemery R, Smith HC, Fiuliani ER, Gersh BJ (1992) Prognosis in rupture of the 318: 1481–1486
ventricular septum after acute myocardial infarction and role of early Moerer O, Rossi L de, Roissant R, Burchardi H (2005) Sepsis – Epidemiologie
surgical intervention. Am J Cardiol 70: 147–151 und ökonomische Aspekte. In: Werdan K, Schuster HP, Müller-Werdan
Levy M, Fink MP, Marshall JC et al. for the International Sepsis Definition U (Hrsg) Intensivtherapie bei Sepsis und MODS, 4. Aufl. Springer, Ber-
Conference (2003) 2001 SCCM/ESICM/ACCP/ATS/SIS International lin Heidelberg New York Tokio
Sepsis Definition Conference. Intensive Care Med 29: 530–538, Crit Moss J, Fahmy NR, Sunder N, Beaven MA (1981) Hormonal and hemodynamic
Care Med 31: 1250–1256 profile of an anaphylactic reaction in man. Circulation 63: 210–213
Li L, Jacinto R, Yoza B, McCall CE (2003) Distinct post-receptor alterations Motoyama T, Okamoto K, Kukita I et al. (2003) Possible role of increased
generate gene- and signal-selective adaptation and cross-adaptation oxidant stress in multiple organ failure after systemic inflammatory
of TLR4 and TLR2 in human leukocytes. J Endotoxin Res 9: 39 response syndrome: Crit Care Med 31: 1048–1052
Liaudet L, Soriano FG, Szabó C (2001) Poly(ADP-Ribose) synthetase as a Mullan BA, McCloskey BV (2002) Antioxidants and endothelial function. In:
novel therapeutic target for circulatory shock. In: Vincent JL (ed) 2002 Vincent JL (ed) 2002 Yearbook of intensive care and emergency medi-
Yearbook of intensive care and emergency medicine. Springer, Berlin cine. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 113–120
Heidelberg New York Tokio, pp 78–89 Mueller HS, Chatterjee K, Davis KB et al. (1998) ACC expert consensus do-
Lindenfeld JA (1998) Safety and effectiveness of inhaled nitric oxide and cument. Present use of bedside right heart catheterisation in patients
tirofiban for acute coronary syndromes – a report from the Cardiovas- with cardiac disease. J Am Coll Cardiol 32: 840–864
cular and Renal Advisory Panel of the Food and Drug Administration. Müller-Werdan U, Werdan K (2000) Anaphylaxie und Allergie – Empfeh-
Circulation 98: 1829–1830 lungen für die Notfalltherapie. Internist 41: 363–373
Lopez A, Lorente JA, Steingrub J et al. (2004) Multiple-center, randomized, Müller-Werdan U, Werdan K (2005) Septischer Kreislaufschock und sep-
placebo-controlled, double-blind study of the nitric oxide synthase tische Kardiomyopathie. In: Werdan K, Schuster HP, Müller-Werdan U
Literatur
239 6

(Hrsg) Sepsis und MODS, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Schmidt H, Müller-Werdan U, Hoffmann T et al. (2005) Autonomic dysfunc-
Tokio, S 277–358 tion predicts mortality in patients with multiple organ dysfunction
Müller-Werdan U, Buerke M, Christoph A et al. (2006) Septische Kardiomy- syndrome of different age groups. Crit Care Med 33: 1994–2002
opathie. Intensivmedizin 43: 486–497 Schmidt H, Hennen R, Keller A et al. (2006) Association of statin therapy and
Nolan JP, Morley PT, Hoek TL, Hickey RW (2003) Therapeutic hypothermia increased survival in patients with multiple organ dysfunction syn-
after cardiac arrest. An advisory statement by the Advancement Life drome. Intensive Care Med 32: 1248–1251
Support Task Force of the International Liaison Committee on Resusci- Schmidt H, Saworski J, Werdan K, Müller-Werdan U (2007) Decreased bea-
tation. Resuscitation 57: 231–235 ting rate variability of spontaneously contracting cardiomyocytes af-
Parkar N, Taylor RW (2001) Adrenal insufficiency in the critically ill patient. ter co-incubation with endotoxin. J Endotoxin Res 13: 339–342
In: Parrillo JE, Dellinger RP (eds) Critical care medicine – Principles of Schmidt H, Müller-Werdan U, Werdan K (2008) The consequences of car-
diagnosis and management in the adult, 2nd edn. Mosby, St. Louis, diac autonomic dysfunction in multiple organ dysfunction syndrome.
MO, pp 1225–1234 In: Vincent JL (ed) 2008 Yearbook of intensive care and emergency
Priori SG, Bossaert LL, Chamberlain DA et al. (2004) ESC-ERC recommenda- medicine. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 55–64
tions for the use of automated external defibrillators (AEDs) in Europe. Schmidt W, Nottrott M, Desel H (1998) Lebensbedrohliche akute Intoxika-
Eur Heart J 25: 437–445 tionen durch kardio- und vasotoxisch wirkende Medikamente und
Prondzinsky R, Werdan K, Buerke M (2004) Kardiogener Schock: Pathome- Drogen. Intensiv Notfallbehandl 23: 27–49
chanismen, klinischer Verlauf, therapeutische Ansätze und Perspekti- Schmidt-Schweda S, Ohler A, Grothe A et al. (2004) Cool-Shock I Study:
ven. Internist 45: 284–295 mild hypothermias positive inotropic intervention in cardiogenic
Pulmonary artery catheter consensus conference (1997) Chicago, Illinois, shock. Circulation 110 [Suppl]: A1639
December 6–8, 1996. New Horiz 5(3): 173–296 Schuster HP, Schuster FP, Ritschel P et al. (1997) The ability of the simplified
Rao RH, Vagnucci AH, Amico JH (1989) Bilateral massive adrenal hemorrha- acute physiology score (SAPS II) to predict outcome in coronary care
ge: early recognition and treatment. Ann Intern Med 110: 227–235 patients. Intens Care Med 23: 381–384
Rao SV, Jollis JG, Harrington RA et al. (2004) Relationship of blood transfu- Seige M, Werdan K, Prondzinsky R (2001) Beatmung bei Herzkranken. In-
sion and clinical outcome in patients with acute coronary syndromes. tensivmedizin 38: 299–313
JAMA 292: 1555–1562 Shapiro MJ (2001) Traumatic shock: nonsurgical management. In: Parrillo
Raper RF, Fisher MM (1988) Profound reversible myocardial depression JE, Dellinger RP (eds) Critical care medicine – Principles of diagnosis
after anaphylaxis. Lancet I: 386–388 and management in the adult, 2nd edn. Mosby, St. Louis, MO,
Raper RF, Sibbald WJ (1988) The effects of coronary artery disease on car- pp 501–512
diac function in nonhypotensive sepsis. Chest 94: 507–511 Silver MA, Horton DP, Ghali JK, Elkayam U (2002) Effect of nesiritide versus
Rauchhaus M, Müller-Werdan U (2001) Zytokine bei Herzerkrankungen. dobutamine on short-term outcomes in the treatment of patients with
Internist 42: 75–84 acutely decompensated heart failure. J Am Coll Cardiol 39: 798–803
Read RC, Wyllie DH (2001) Toll receptors and sepsis. Curr Opin Crit Care Silverman HJ, Hook C van, Haponik EF (1984) Hemodynamic changes in
7: 371–375 human anaphylaxis. Am J Med 77: 341–343
Redl G, Germann P, Plattner H, Hammerle A (1993) Right ventricular func- Silverman HJ, Penaranda R, Orens JB, Lee NH (1993) Impaired β-adrenergic
tion in early septic shock states. Intensive Care Med 19: 3–7 receptor stimulation of cyclic adenosine monophosphate in human
Reinhart K, Brunkhorst FM, Bone H-G et al. (2006) Diagnose und Therapie septic shock: association with myocardial hyporesponsiveness to ca-
der Sepsis – S2-Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) techolamines. Crit Care Med 21: 31–39
und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Simon TL, Alverson DC, Au Buchon J et al. (1998) Practice parameter for the
Notfallmedizin (DIVI). Intensiv News 10 [Suppl 2]: 3–33 use of red blood cell transfusions – developed by the red blood cell
Reithmann C, Hallstrom S, Pilz G et al. (1993) Desensitization of rat cardio- administration practice guidelines development task force of the Col-
myocyte adenylyl cyclase stimulation by plasma of noradrenaline- lege of American Pathologists. Arch Pathol Lab Med 122: 130–138
treated patients with septic shock. Circ Shock 41: 48–59 Slater J, Brown RJ, Antonelli TA et al. for the SHOCK Investigators (2000)
Rinne T, Zwissler B (2004) Intraoperatives anästhesiologisches Manage- Cardiogenic shock due to cardiac free-wall rupture or tamponade af-
ment bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie. Intensiv Notfallbe- ter acute myocardial infarction: a report from the SHOCK Trial Registry.
handl 29: 4–13 J Am Coll Cardiol 36: 1117–1122
Rivers E, Nguyen B, Havstad S et al. for the Early Goal-Directed Therapy Sleeper LA, Ramanathan K, Picard MH et al. (2005) Functional status and qua-
Collaborative Group (2001) Early goal-directed therapy in the treat- lity of life after emergency revascularization for cardiogenic shock com-
ment of severe sepsis and septic shock. N Engl J Med 345: 1368–1377; plicating acute myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 46: 266–273
Editorial: Evans TW (2001) Hemodynamic and metabolic therapy in Song W, Furman BL, Parratt JR (1994) Attenuation by dexamethasone of
critically ill patients. N Engl J Med 345 1417–1418 endotoxin protection against ischaemia-induced ventricular arrhyth-
Ruß M, Seige M, Werdan K (2005) Allgemeine Intensivtherapie. In: Paum- mias. Br J Pharmacol 113: 1083–1084
gartner G (Hrsg) Therapie innerer Krankheiten, 11. Aufl. Springer, Ber- Spies C, Haude V, Fitzner R et al. (1998) Serum cardiac troponin T as a pro-
lin Heidelberg New York Tokio gnostic marker in early sepsis. Chest 113: 1055–1063
Russ M, Prondzinsky R, Christoph A et al. (2007) Hemodynamic improve- Spöhr F, Arntz HR, Bluhmki E et al. (2005) International multicentre trial
ment following levosimendan treatment in patients with acute protocol to assess the efficacy and safety of tenecteplase during car-
myocardial infarction and cardiogenic shock. Crit Care Med 35: 2732– diopulmonary resuscitation in patients with out-of-hospital cardiac
2739 arrest: the Thrombolysis in Cardiac Arrest (TROICA) study. Eur J Clin
Ryan TJ (1999) Early revascularization in cardiogenic shock – a positive Invest 35: 315–323
view of a negative trial. N Engl J Med 341: 687–688 Spöhr F, Schneider A, Böttiger BW (2007) Aktueller Stand und zukünftige
SAFE Study Investigators (2004) A comparison of albumin and saline for fluid Entwicklung bei der kardiopulmonalen Reanimation. Intensiv Notfall-
resuscitation in the intensive care unit. N Engl J Med 350: 2247–2256; behandl 32: 114–120
Editorial: Cook D (2004) Is albumin safe? N Engl J Med 350: 2294–2296 Sprung CL, Annane D, Keh D et al., for the CORTICUS Study Group (2008)
Sakr Y, Reinhart K, Vincent JL et al. (2006) Does dopamine administration Hydrocortisone therapy for patients with septic shock. N Engl J Med
in shock influence outcome? Results of the Sepsis Occurrence in Acu- 358: 111–124
tely Ill Patients (SOAP) study. Crit Care Med 34: 589–597 Stacpoole PW, Wright EC, Baumgartner TG et al. (1992) A controlled trial of
Schlag G, Redl H (eds) (1993) Pathophysiology of shock, sepsis and organ- dichloroacetate for treatment of lactic acidosis in adults. N Engl J Med
failure. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio 327: 1564–1569
240 Kapitel 6 · Schock

Suffredini AF, Fromm RE, Parker MM et al. (1989) The cardiovascular re- Vincent JL, Moreno R, Takala J et al. on behalf of the Working Group on
sponse of normal humans to the administration of endotoxin. N Engl Sepsis-Related Problems of the European Society of Intensive Care
J Med 321: 280–287 Medicine (1996) The SOFA (sepsis-related organ failure assessment)
Sullivan TJ (1982) Cardiac disorders in penicillin-induced anaphylaxis. score to describe organ dysfunction. Intensive Care Med 22:
JAMA 248: 2161–2162 707–710
Szabó C, Liaudet L (2002) Myocardial ischemia-reperfusion injury: role of Visvanathan K, Zabriskie JB (2000) The role of bacterial superantigens in
the peroxynitrite-poly(ADP-ribose) polymerase pathway. In: Vincent sepsis and treatment implications. Curr Opin Crit Care 6: 312–316
JL (ed) 2002 Yearbook of intensive care and emergency medicine. Walther A, Böttiger BW (2004) Anaphylaktoide Reaktionen in der Prähos-
Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 165–176 pitalphase. Internist 45: 296–304
Suzuki T, Morisaki H, Serita R et al. (2005) Infusion of the beta-adrenergic Wang P, Hauptman JG, Chaudry IH (1990) Hemorrhage produces depressi-
blocker esmolol attenuates myocardial dysfunction in septic rats. Crit on in microvascular blood flow which persists despite fluid resuscita-
Care Med 33: 2294–2301. Editorial: Meldrum DR: Beta-blockade du- tion. Circ Shock 32: 307–318
ring sepsis: inspired or insane? Crit Care Med 33: 2433–2434 Weil MH, Nakagawa Y, Tang W et al. (1999) Sublingual capnometry: a new
Task Force of the American College of Critical Care Medicine, Society of Cri- noninvasive measurement for diagnosis and quantitation of severity
tical Care Medicine (1999) Practice parameters for hemodynamic sup- of circulatory shock. Crit Care Med 27: 1225–1229
6 port of sepsis in adult patients in sepsis. Crit Care Med 27: 639–660 Wenzel V, Krismer AC, Arntz HR et al. (2004) A comparison of vasopressin
Task Force on Acute Heart Failure of the European Society of Cardiology and epinephrine for out-of-hospital cardiopulmonary resuscitation. N
(2005) Executive summary of the guidelines on the diagnosis and Engl J Med 350: 105–113
treatment of acute heart failure. Eur Heart J 26: 384–416 Werdan K (2006) Immunoglobulin treatment in sepsis – Is the answer »no«?
Tavakoli R, Weber A, Brunner-La Rocca H et al. (2002) Results of surgery for Crit Care Med 34: 1542–1544
irreversible moderate to severe mitral valve regurgitation secondary Werdan K (2007a) Mirror, mirror on the wall, which is the fairest meta-ana-
to myocardial infarction. Eur J Cardiothorac Surg 21: 818–824 lysis of all? Crit Care Med 35: 2852–2854
Tcheng JE, Jackman JD, Nelson CL et al. (1992) Outcome of patients sustai- Werdan K (2007b) Pathophysiologie und medikamentöse Behandlung des
ning acute ischemic mitral regurgitation during myocardial infarction. kardiogenen Schocks. Intensiv Notfallbehandl 32: 177–194
Ann Intern Med 117: 18–24 Werdan K, Schuster HP, Müller-Werdan U (Hrsg) (2005) Sepsis und MODS,
Thackray S, Easthaugh J, Freemantle N, Cleland JGF (2002) The effec- 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
tiveness and relative effectiveness of intravenous inotropic drugs ac- Werra I de, Jaccard C, Betz Corradin S et al. (1997) Cytokines, nitrite/nitrate,
ting through the adrenergic pathway in patients with heart failure – a soluble tumor factor receptors, and procalcitonin concentrations:
meta-regression analysis. Eur Heart Fail 4: 515–529 comparison in patients with septic shock, cardiogenic shock, and
Thiele H, Lauer L, Hambrecht R et al. (2001) Reversal of cardiogenic shock bacterial pneumonia. Crit Care Med 25: 607–613
by percutaneous left atrial to femoral atrial bypass-systems. Circulati- Wu WC, Rathore SS, Wang Y et al. (2001) Blood transfusion in the elderly
on 104: 2917–2922 patients with acute myocardial infarction. N Engl J Med 345: 1230–
Thiele H, Lauer B, Hambrecht R et al. (2003) Short- and long-term hemody- 1236
namic effects of intra-aortic balloon support in ventricular septal defect Yancy CW, Krum H, Massie BM et al. (2007) The Second Follow-up Serial
complicating acute myocardial infarction. Am J Cardiol 92: 450–454 Infusions of Nesiritide (FUSION II) trial for advanced heart failure: stu-
Thiemermann C (2000a) Globale und regionale Zirkulationsstörungen bei dy rationale and design. Am Heart J 153: 478–484
Sepsis. In: Burchardi H, Briegel J, Eckart J et al. (Hrsg) Expertenforum: Yao Z, Auchampach JA, Pieper GM, Gross GJ (1993) Cardioprotective ef-
Hämodynamisch aktive Substanzen in der Intensivmedizin. Anaes- fects of monophosphoryl lipid A, a novel endotoxin analogue in the
thesiol Intensivmed 41: 585–592 dog. Cardiovasc Res 27: 832–838
Thiemermann C (2000b) NOS-Inhibitoren. In: Burchardi H, Briegel J, Eckart Zeymer U, Tebbe U, Essen R et al. (1999) Influence of time to treatment on
J et al. (Hrsg) Expertenforum: Hämodynamisch aktive Substanzen in early infarct-related artery patency after different thrombolytic regi-
der Intensivmedizin. Anaesthesiol Intensivmed 41: 614–615 mens. ALKK-Study Group. Am Heart J 137: 34–38
Thompson CR, Buller CE, Sleeper LA et al. (2000) Cardiogenic shock due to Zeymer U, Tebbe U, Weber M et al. (2003) Prospective evaluation of early
acute severe mitral regurgitation complicating acute myocardial in- abciximab and primary percutaneous intervention for patients with
farction: a report from the SHOCK Trial Registry. J Am Coll Cardiol 36 ST elevation myocardial infarction complicated by cardiogenic shock:
[3 Suppl A]: 1104–1109 results of the REO-SHOCK Trial. J Invasive Cardiol 15: 385–389
Trappe H-J, Andresen D, Arntz et al. (2005) Positionspapier zur »Automati- Zeymer U, Vogt A, Zahn R (2004) Predictors of in-hospital mortality in 1,333
sierten Externen Defibrillation«. Z Kardiol 942: 287–295 patients with acute myocardial infarction complicated by cardiogenic
TRIUMPH Investigators, Alexander JH, Reynolds HR, Stebbins AL, Dzavik V, shock treated with primary percutaneous coronary intervention (PCI)
Harrington RA, Van de Werf F, Hochman JS (2007) Effect of tilarginine – Results of the primary PCI registry of the Arbeitsgemeinschaft
acetate in patients with acute myocardial infarction and cardiogenic Leitende Kardiologische Krankenhausärzte (ALKK). Eur Heart J
shock: the TRIUMPH randomized controlled trial. JAMA 297: 1657–1666 25: 322–328
Tulleken JE, Fijen JW, Zijlstra JG (2001) Inhibition of 38 mitogen activated Zorn-Pauly, Pelzmann B, Lang P et al. (2007) Endotoxin impairs the human
protein kinase: a novel strategy in sepsis? In: Vincent JL (ed) 2001 Year- pacemaker current If. Shock 28: 655–661.
book of intensive care and emergency medicine. Springer, Berlin Hei- Zotz RJ, Dohmen G, Genth S et al. (1993) Diagnosis of papillary muscle
delberg New York Tokio, pp 90–99 rupture after acute myocardial infarction by transthoracic and transe-
Vega JMA de, Diaz J, Serrano E, Carbonelli LF (2002) Oxidative stress in sophageal echocardiography. Clin Cardiol 16: 665–670
critically ill patients with systemic inflammatory response syndrome. Zweier JL, Wang P, Samouilov A, Kuppusamy P (1995) Enzyme-independent
Crit Care Med 30: 1782–1786 formation of nitric oxide in biological tissues. Nat Med 1: 804–809
241 7

Arterielle Hypertonie
F.M. Baer

7.1 Definition und Klassifikation – 241 7.8 Differenzialtherapeutische Aspekte – 250


7.8.1 Therapieresistente Hypertonie – 250
7.2 Epidemiologie – 242 7.8.2 Nierenerkrankungen – 251
7.8.3 Diabetes mellitus – 251
7.3 Pathophysiologie – 242 7.8.4 Koronare Herzkrankheit und Linksherz-
insuffizienz – 251
7.4 Formen – 242 7.8.5 Linksherzhypertrophie – 252
7.8.6 Hypertonie und zerebrovaskuläre
7.5 Diagnostik – 243 Komplikationen – 252
7.5.1 Blutdruckmessung – 243 7.8.7 Hypertonie im Alter – 253
7.5.2 Blutdruckselbstmessung – 244 7.8.8 Hypertensiver Notfall und hypertensive Krise – 253
7.5.3 Ambulante 24-h-Messung – 244
7.5.4 Messung unter ergometrischer Belastung – 244 7.9 Langzeitbetreuung und Therapie begleitender
7.5.5 Spezielle Diagnostik – 244 Risikofaktoren – 253

7.6 Therapieindikation und kardiovaskuläres 7.10 Pharmakoökonomische Aspekte – 254


Risiko – 245
7.6.1 Nichtmedikamentöse Maßnahmen – 247 Literatur – 254
7.6.2 Medikamentöse Therapie – 248

7.7 Auswahl der Antihypertensiva – 249


7.7.1 Monotherapie – 249
7.7.2 Kombinationstherapie – 250

)) hen bleibt, sprechen die amerikanischen Leitlinien bei Werten


zwischen 120–139/80–89 mmHg bereits von »Prähypertonie«
Die arterielle Hypertonie mit ihren vielfältigen Folgeerschei- und empfehlen Lebensstiländerungen bzw. nichtmedikamentöse
nungen in Form sekundärer Organbeteiligungen ist von weitrei- Allgemeinmaßnahmen (2003; . Tab. 7.1). Diesem Kapitel sollen
chender gesundheitsökonomischer Bedeutung. Große epidemio- die Empfehlungen der ESH-ESC zugrunde liegen, die die Schwel-
logische Studien haben gezeigt, dass das Risiko kardiovaskulärer lenwerte der Hypertonie als flexible Richtwerte betrachtet. Die
Erkrankungen wie Herzinfarkt, plötzlicher Herztod, Schlaganfall Klassifikation nach diesen Empfehlungen ist in . Tab. 7.2 darge-
und Herzinsuffizienz sowie die Entstehung eines chronischen Nie- stellt. Fällt der systolische oder der diastolische Blutdruck in un-
renversagens und peripherer Durchblutungsstörungen mit stei- terschiedliche Kategorien, erfolgt die Einordnung der Hypertonie
gendem Blutdruck zunehmen. Die Ziele der antihypertensiven in die jeweils höhere Kategorie.
Therapie bestehen daher in einer maximalen Reduktion des kar-
> Die Höhe des Blutdrucks allein ist nach heutiger Ansicht nicht
diovaskulären Gesamtrisikos einschließlich aller reversiblen Risi-
mehr ausreichend für die therapeutische Entscheidung, son-
kofaktoren und Begleiterkrankungen (Mancia et al. 2007).
dern das kardiovaskuläre Gesamtrisiko muss in den therapeu-
tischen Entscheidungsprozess einbezogen werden (Mancia et
al. 2007).
7.1 Definition und Klassifikation
Nach der Blutdruckklassifikation der ESH-ESC hat ein »Schwel-
Für die Festlegung des »normalen Blutdruckwerts« gibt es keinen lenblutdruck« von >140/90 mmHg weiterhin praktische Rele-
definitiven Schwellenwert, ab dem das kardiovaskuläre Risiko vanz, da er Anlass für eine Stufendiagnostik der Hypertonie und
sprunghaft ansteigt. Vielmehr scheint das kardiovaskuläre Risi- daraus resultierenden therapeutischen Konsequenzen ist. Die für
ko schon ab einem Blutdruck von 120 mmHg systolisch und diagnostische und therapeutische Maßnahmen angegebenen
80 mmHg diastolisch kontinuierlich anzusteigen (. Abb. 7.1). Evidenzklassen richten sich nach den Empfehlungen der Deut-
Die von den Fachgesellschaften vorgeschlagenen Definitionen schen Hochdruckliga und der Deutschen Hypertonie Gesell-
der Hypertonie und die Angabe von Grenzwerten sind deshalb schaft (Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der arteriellen
primär an praktischen Gesichtspunkten orientiert. Hypertonie, 2005, und den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft
Während in den aktuellen ESH-ESC-Leitlinien die alte Klas- der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften AWMF
sifikation der WHO-ISH mit Einteilung in »normaler Blutdruck« Stand 11/2003, Entwicklungsstufe 2 unter Einbeziehung aktueller
bei Werten zwischen 120–129/80–84 mmHg und »hochnormaler Studienergebnisse; Definition 7 Kap. »Evidenzbasierte Empfeh-
Blutdruck« bei Werten zwischen 130–139/85–89 mmHg beste- lungen«).
242 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

. Abb. 7.1. Zusammenhang zwischen der Höhe des


mittleren diastolischen Blutdrucks und a dem relati-
ven Schlaganfallrisiko sowie b dem relativen Risiko,
eine KHK zu entwickeln. Mit zunehmendem diastoli-
schen Blutdruck steigt das Risiko für Schlaganfall und
KHK nahezu linear an, während die Häufigkeit des
Auftretens einer hypertonieassoziierten kardiovasku-
lären Komplikation (Größe der Quadrate) von der Ver-
teilung der Blutdruckwerte im beobachteten Kollek-
tiv abhängig ist. (Nach MacMahon et al. 1990)

. Tab. 7.1. Definition und Klassifikation der arteriellen Hypertonie Therapie den damals noch empfohlenen Zielblutdruckwert von
nach den JNC-7-Empfehlungen. (Aus Joint National Committee 2003) 160/95 mmHg. Deutlich weniger Patienten (10–15%) erreichten
den aktuell empfohlenen Zielblutdruckwert von 140/90 mmHg.
Blutdruckklassifikation Systolisch Diastolisch
Der noch unbefriedigende Entdeckungs-, Behandlungs- und
Normal <120 <80 Kontrollgrad der Hypertonie hat weitreichende Bedeutung für die
Prähypertensives Stadium 120–139 80–89 Gesundheit der gesamten Bevölkerung, da die Hypertonie ein
Hypertoniestadium 1 140–159 90–99
wichtiger Risikofaktor für Erkrankungen des zerebralen Gefäß-
systems, für die KHK und die chronische Herzinsuffizienz sowie
Hypertoniestadium 2 ≥160 ≥100
für die Entstehung eines chronischen Nierenversagens und peri-
pherer Durchblutungsstörungen ist (. Abb. 7.2).

. Tab. 7.2. Definition und Klassifikation der arteriellen Hypertonie


nach den ESH-ESC-Empfehlungen. (Mancia et al. 2007) 7.3 Pathophysiologie
Blutdruckklassifikation Systolisch Diastolisch
Optimal <120 <80 Die Regulation des Blutdrucks ist eine der wichtigsten homöosta-
tischen Funktionen des Körpers. Sie muss die Aufrechterhaltung
Normal 120–129 80–84
des zerebralen Perfusionsdrucks bei schnellen Änderungen von
Hochnormal 130–139 85–89 Körperlage, des peripheren Widerstands oder der Auswurfleis-
Milde Hypertonie 140–159 90–99 tung des Herzens gewährleisten und gleichzeitig eine langfristige
(Schweregrad 1) Konstanz des mittleren Blutdrucks erzielen. Die Pressorezeptoren
Mittelschwere Hypertonie 160–179 100–109 des Karotissinus und die von ihnen gesteuerte Aktivität des vege-
(Schweregrad 2) tativen Nervensystems dienen v. a. der kurzfristigen Blutdruckre-
gulation. Werden die Pressorezeptoren ausgeschaltet, ist der Blut-
Schwere Hypertonie ≥180 ≥110
(Schweregrad 3)
druck größeren Schwankungen unterworfen. Langfristig bleibt er
jedoch weitgehend konstant, da die langfristige Regulation des
Isolierte systolische Hypertonie ≥140 <90 Blutdrucks in erster Linie eine Aufgabe der Nieren ist. Eine Man-
geldurchblutung der Nieren stimuliert den RAA-Mechanismus,
der über Angiotensin II zu einer massiven Vasokonstriktion führt
7.2 Epidemiologie sowie über Angiotensin II und Aldosteron eine renale Retention
von Kochsalz (NaCl) und über das ADH eine renale Retention
Die Prävalenz der Hypertonie, d. h. die Häufigkeit von Personen von Wasser bewirkt. Retiniertes NaCl und Wasser verbleiben teil-
mit einem Blutdruck von 140/90 mmHg oder höher bzw. mit Ein- weise im Plasmaraum und steigern somit das Blutvolumen. Über
nahme von Antihypertensiva, kann in Deutschland durch Daten eine vermehrte Füllung des Herzens kommt es zu einer Zunahme
aus dem WHO-MONICA-Projekt belegt werden. Die zwischen des HZV und damit auch zu einem Blutdruckanstieg.
1984/1985 und 1994/1995 durchgeführten Untersuchungen an
repräsentativen Stichproben der Augsburger Wohnbevölkerung
zeigen sehr deutlich, dass sich die Prävalenz der Hypertonie in der 7.4 Formen
Bevölkerung seit Mitte der 1980er-Jahre nicht verringert hat. Ab
dem 50. Lebensjahr ist fast jeder zweite Deutsche hyperton. Den- Die primäre Hypertonie (mehr als 90% aller Hochdruckerkran-
noch wurden weniger als die Hälfte aller Hypertoniker antihyper- kungen) tritt in der Regel erst jenseits des 30. Lebensjahres auf und
tensiv behandelt, und nur knapp 40% der männlichen bzw. 24% ist eine multifaktoriell bedingte Störung der Blutdruckregulation.
der weiblichen Hypertoniker erreichten unter der verordneten Die Prävalenz in den westlichen Industrienationen beträgt ca. 20%.
7.5 · Diagnostik
243 7

. Abb. 7.2. Risiko kardiovaskulärer Ereignisse nach Hypertoniestatus in ko, während die geschlechtsspezifische Risikorelation für Männer bei
einem Beobachtungszeitraum von 36 Jahren für Männer und Frauen in Schlaganfall und für Frauen bei der peripheren Arterienerkrankung un-
einem Altersbereich zwischen 35 und 64 Jahren. Auffällig ist das bei Hy- günstiger ist. (Nach Kannel 1996)
pertonie besonders für die KHK und den Schlaganfall erhöhte Exzessrisi-

pertonie bei Nierentumoren und renovaskuläre Hypertonie


durch Nierenarterienstenosen (1–2%), endokrine Hypertonie
(<1%: Phäochromozytom, Cushing-Syndrom, Conn-Syndrom,
adrenogenitales Syndrom, Akromegalie) und Aortenisthmusste-
nosen (<1%).
Nicht zum Krankheitsbild der arteriellen Hypertonie zählen
temporäre Blutdrucksteigerungen z. B. bei Erkrankungen des
ZNS, systolische Blutdruckerhöhungen aufgrund eines erhöhten
Schlagvolumens (z. B. bei Aorteninsuffizienz), Blutdrucksteige-
rungen durch Pharmaka (Ovulationshemmer, Kortikosteroide,
Drogenmissbrauch) und die schwangerschaftsinduzierte Hyper-
tonie (SIH) mit ihren Unterformen:
4 isolierte SIH (Gestationshypertonie) sowie
4 SIH mit Proteinurie und Ödemen (EPH-Gestose, Präeklamp-
sie, HELLP-Syndrom).

7.5 Diagnostik
. Abb. 7.3. Schematische Darstellung der Regulationssysteme des arte-
riellen Blutdrucks
7.5.1 Blutdruckmessung

Die indirekte Messung des Blutdrucks durch den Arzt ist die Ba-
> Die Hypertonie ist Folge eines erhöhten HZV, eines erhöhten sisdiagnostik zur Erfassung einer arteriellen Hypertonie. Die
peripheren Widerstands oder einer Kombination beider Fak- Blutdruckmessung erfolgt prinzipiell in sitzender Position nach
toren. einer 5-minütigen Ruhephase. Die Manschette sollte sich auf
Herzhöhe befinden und die Ablassgeschwindigkeit nicht mehr
Häufig ist sie mit weiteren Erkrankungen des sog. metabolischen als 2–3 mmHg/s bzw. pro Herzschlag betragen. Der systolische
Syndroms (diabetische Stoffwechsellage, Dyslipidämie, Adiposi- Blutdruck entspricht dem Manschettendruck beim ersten Korot-
tas) assoziiert, das durch eine zunehmende Insulinresistenz der kow-Geräusch; der diastolische Blutdruck wird beim Verschwin-
Skelettmuskulatur mit konsekutiver Hyperinsulinämie, Endot- den des Korotkow-Geräusches bestimmt. Beim ersten Arztbe-
helfunktionsstörung und Entwicklung einer vorzeitigen Arterio- such sollte der Blutdruck prinzipiell an beiden Armen gemessen
sklerose gekennzeichnet ist. Im Frühstadium der primären Hy- werden.
pertonie ist das HZV leicht erhöht. Im weiteren Verlauf findet
sich eine Erhöhung des peripheren Widerstands. > Neben der klassischen Praxismessung (Gelegenheitsmessung)
Die sekundäre Hypertonie umfasst sehr unterschiedliche haben sich die ABDM und die Messung unter ergometrischer
Formen: renale Hypertonie (ca. 8%), renoparenchymatöse Hy- Belastung zu einer wichtigen Ergänzung der Praxismessung bei
pertonie und parenchymatöse Nierenerkrankungen (5%), Hy- therapeutischen Entscheidungsprozessen entwickelt.
244 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

7.5.2 Blutdruckselbstmessung zur Gelegenheitsmessung auch eine größere prognostische Be-


deutung mit einer im Vergleich zum Ruheblutdruck engeren
Die Blutdruckselbstmessung erlaubt zahlreiche Messungen an Korrelation zur linksventrikulären Hypertrophie (Evidenzgrad B)
verschiedenen Tagen, die dem »realen« Blutdruck des täglichen und zur kardiovaskulären Mortalität (Evidenzgrad A) zu.
Lebens mehr entsprechen dürften als die Gelegenheitsmessung
> Bei der Erstuntersuchung sollte der Gelegenheitsblutdruck an
in der Praxis. Als weitere Vorteile gelten die Aufdeckung einer
beiden Armen ermittelt werden. Diese Untersuchung sollte an
Praxishypertonie bei erhöhten ärztlichen Messwerten sowie die
verschiedenen Tagen wiederholt werden; sie stellt die Grundla-
bessere Reproduzierbarkeit der Messwerte (geringere Schwan-
ge für das weitere ärztliche Vorgehen dar.
kung) und damit eine exaktere Klassifizierung der Hypertonie.
Verschiedene Studien zeigen, dass die Selbstmessung im Ver- Blutdruckselbstmessung, ABDM und Messung unter ergomet-
gleich zur Praxismessung eine engere Beziehung zu Organkom- rischer Belastung stellen ergänzende Maßnahmen dar, die zur
plikationen aufweist (Evidenzgrad B). Sicherung der Diagnose Hypertonie und zur weiteren Differen-
zierung (sekundäre Hypertonie, Belastungshypertonie) oder
Therapiekontrolle geeignet sind.
7.5.3 Ambulante 24-h-Messung

7 Durch die hohe Messdichte über den Tag (alle 15 min) und die 7.5.5 Spezielle Diagnostik
Nacht (alle 30 min) ermöglicht die ABDM die Aufdeckung einer
Praxishypertonie und eines gestörten Tag-Nacht-Rhythmus ver- Nach Sicherung der Diagnose »Hypertonie« sind weitere Unter-
bunden mit einem verbesserten Screening auf sekundäre Hyper- suchungen notwendig, um folgende Parameter zu erfassen:
tonieformen. Die Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen 4 Schweregrad und Dauer der Hypertonie,
Blutdrucks (2005) hat als obere Normgrenze für den Tagesmittel- 4 eventuelle Hypertoniefolgen und kardiovaskuläre Komplika-
wert (z. B. 7–22 Uhr) 135/85 mmHg definiert. Für den 24-h-Mit- tionen,
telwert gilt 130/80 mmHg, für den Nachtmittelwert 120/70 mmHg 4 Ursachen der Hypertonie,
als obere Normgrenze (Evidenzgrad C). Normalerweise zeigt der 4 zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren und
Blutdruck eine zirkadiane Rhythmik mit den höchsten Werten 4 prognostisch oder therapeutisch relevante Begleiterkran-
am Vormittag und am späten Nachmittag sowie einem Abfall der kungen.
systolischen Mittelwerte um 10–15% und der diastolischen um
15–20% während der Schlafphase. Diese Rhythmik ist auf einem Eine nach den Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga und der
höheren Niveau auch bei den meisten Patienten mit primärer Deutschen Hypertonie Gesellschaft modifizierte möglichst kos-
Hypertonie erhalten, während ein fehlender Blutdruckabfall teneffiziente Basisdiagnostik der wesentlichen Organsysteme ist
während des Nachtschlafes oder sogar ein Blutdruckanstieg bei in . Tab. 7.3 dargestellt.
Patienten mit sekundären Hypertonieformen vermehrt beobach- Darüber hinaus lässt sich mithilfe nichtinvasiver bildge-
tet wird (Sensitivität ca. 70%; Evidenzgrad C). bender Verfahren wie der Echokardiographie oder der MRT die
linksventrikuläre Hypertrophie als Folge einer chronischen Blut-
> Ein Absinken um weniger als 10% (»Non-Dipper«) oder ein
druckerhöhung dokumentieren.
nächtlicher Blutdruckanstieg ist auffällig und sollte daher auch
im Hinblick auf eine renovaskuläre Hypertonie weiter abgeklärt > Zum Ausschluss einer malignen (oder akzelerierten) Hypertonie
werden. sollte bei konstant erhöhtem diastolischen Blutdruck
(>110 mmHg) auch der Augenhintergrund untersucht werden.
Der ABDM kommt im Vergleich zur Gelegenheitsmessung auch
eine größere prognostische Bedeutung zu, da eine engere Korre- Der Einsatz von gefäßsonographischen Methoden gibt Auskunft
lation der Messergebnisse zur linksventrikulären Hypertrophie über Endothelfunktionsstörungen und arteriosklerotische Wand-
und anderen kardiovaskulären Komplikationen besteht (Evi- veränderungen. Der Nachweis einer Mikroalbuminurie spricht
denzgrad B). Neben einer gegenüber dem Ruheblutdruck verbes- bereits für eine Schädigung des Nierenparenchyms. Da eine ex-
serten Bestimmung des individuellen kardiovaskulären Risikos akte Differenzialdiagnose zwischen primärer und sekundärer
hilft der ABDM auch bei der Vermeidung von Über- bzw. Unter- Hypertonie auch mit der Basisdiagnostik (. Tab. 7.3) nicht immer
behandlung der Hypertonie. möglich ist, sollten eine plötzlich auftretende Hypertonie, eine
maligne Hypertonie, ein therapieresistenter Hochdruck oder
aber Hinweise auf eine sekundäre Hypertonie aus der Basisdi-
7.5.4 Messung unter ergometrischer Belastung agnostik Anlass für eine intensivierte Suche nach dem Vorliegen
einer sekundären Hypertonie sein.
Mithilfe der standardisierten ergometrischen Belastung lässt sich Ergänzende Untersuchungsmethoden für die renoparenchy-
ein überschießender Belastungsblutdruck aufdecken und damit matöse Hypertonie umfassen die Bestimmung der Kreatinin-
das individuelle kardiovaskuläre Risiko besser einschätzen. Trotz Clearance, Phasenkontrastmikroskopie und die perkutane Nie-
Normotonie in Ruhe ist ein erhöhter systolischer Belastungsblut- renbiopsie. Für die Diagnose der renovaskulären Hypertonie
druck ein guter Indikator für eine spätere Hochdruckentwick- können außerdem zusätzliche bildgebende Verfahren (MRT, Spi-
lung, während ein normaler Belastungsblutdruck gegen eine ral-CT, Duplexsonographie) eingesetzt werden.
spätere Hochdruckerkrankung spricht (Evidenzgrad B). Für 20- Die Differenzialdiagnose endokriner Hochdruckformen
bis 50-jährige Männer und Frauen gilt als oberer normaler (primärer Aldosteronismus, Phäochromozytom, Cushing-Syn-
Grenzwert bei 100 W ein Blutdruck von 200/100 mmHg. Der drom) ist komplex und kann hier nur kursorisch angesprochen
ergometrischen Kontrolle des Blutdrucks kommt im Vergleich werden. Das Leitsymptom des primären Aldosteronismus ist die
7.6 · Therapieindikation und kardiovaskuläres Risiko
245 7

tionen und Schweißausbrüchen führen. Entscheidend ist der


. Tab. 7.3. Hochdruckbasisdiagnostik
Nachweis einer vermehrten Ausscheidung von Katecholaminen
Hochdruck- Untersuchung Kardiovasku- oder ihrer Metaboliten. Für die Tumorlokalisation bietet die
ursachen läre Kompli- MRT eine hohe Sensitivität, der Methyliodobenzylguanidinscan
kationen
eine hohe Spezifität.
Anamnese Weiterführende Untersuchungen bei klinischem Verdacht
Dauer des Hochdrucks auf ein Cushing-Syndrom sind die Ausscheidung des freien Kor-
Höhe der Blutdruckwerte tisols im 24-h-Urin und der Dexamethasontest. Sehr selten ba-
Genetische Familiärer Hochdruck siert eine Hypertonie auf einer magnetresonanztomographisch
Belastung Krisenhafte Blutdruckanstiege nachweisbaren neurovaskulären Kompression der ventrolate-
Phäochromozytom Nierenkrankheiten ralen Medulla.
Renale Hypertonie (selbst, familiär)
> Bei klinischen oder diagnostischen Hinweisen auf eine sekun-
Diabetische Ne- Diabetes mellitus
däre Hypertonie muss eine weiterführende Diagnostik einge-
phropathie
leitet werden.
TIA, PRIND, Schlaganfall Zerebro-
KHK vaskulär
Belastungsdyspnoe Kardial
Claudicatio intermittens
7.6 Therapieindikation und kardiovaskuläres
Gewichtsverlauf, körperliche Risiko
Aktivität
Rauchgewohnheiten, pAVK Die Leitlinien für einen Beginn der Behandlung bei arterieller
Schlafapnoe Schnarchen Hypertonie basieren auf:
Bisher verordnete 4 dem kardiovaskulären Gesamtrisiko des Patienten, das sich
Antihypertensiva aus Risikofaktoren (z. B. Hypercholesterinämie), Folge- und
Therapieerfolg, Nebenwir- Begleiterkrankungen (z. B. KHK) und manifester Endorgan-
kungen schädigungen (z. B. Mikroalbuminurie) ergibt sowie
»Begleiterkrankungen« und 4 der Höhe des systolischen und des diastolischen Blutdrucks.
deren Therapie
Alkohol, Steroide, Antirheu-
Große epidemiologische Studien haben gezeigt, dass mithilfe ei-
matika
ner individuellen Risikostratifizierung (. Tab. 7.4) die Wahr-
Temporäre Blut- Psychosoziale Belastungen scheinlichkeit, in einem Zeitraum von 10 Jahren ein kardiovas-
drucksteigerung kuläres Ereignis (kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall oder Myo-
Körperliche Untersuchung kardinfarkt) zu erleiden, abgeschätzt werden kann (. Tab. 7.5).
Aortenisthmusste- Blutdruck an beiden Armen Berücksichtigt man den Schweregrad der Hypertonie und die
nose Blutdruck im Stehen in . Tab. 7.4 zusammengefassten Begleiterkrankungen und End-
organschäden, können nach den WHO/ISH-Empfehlungen von
Morbus Cushing, Habitus
Hypothyreose Gewicht, Größe
1999 3 Risikoklassen differenziert werden (WHO/ISH-Guide-
lines-Subcommittee; . Tab. 7.5), die nach den aktuellen Leitlinien
Aortenisthmusste- Herz, Lunge Herzinsuffi- der Deutschen Hochdruckliga noch um Patienten mit normalem
nose zienz
und noch normalem Blutdruck erweitert wurden. Grundlage für
Karotiden Karotisstenose, diese Differenzierung ist die Prognose, die aufgrund großer epi-
-verschluss demiologischer Studien als absolutes Zehnjahresrisiko hinsicht-
Nierenarterienste- Abdomen (Auskultation) lich kardiovaskulär bedingtem Tod, nichttödlichem Schlaganfall
nose Palpation und Myokardinfarkt kalkuliert wurde. Die Wahrscheinlichkeit,
Zystennieren, Nierenlager, Blase, Prostata eines dieser Ereignisse in den folgenden 10 Jahren zu erleiden,
Harnstauung beträgt bei gering erhöhtem Risiko <15%, bei mittlerem Risiko
etwa 15–20%, bei hohem Risiko etwa 20–30% und bei sehr ho-
Aorta Aorten-
aneurysma
hem Risiko 30% und mehr. Alternativ kann zur Risikostratifizie-
rung auch das Auftreten eines tödlichen kardiovaskulären Ereig-
Aortenisthmusste- Leisten-, Fußpulse pAVK
nisses nach dem SCORE-Projekt abgeschätzt werden. Die Wahr-
nose
scheinlichkeit eines tödlichen Ereignisses in den folgenden
KHK koronare Herzkrankheit, TIA transitorische ischämische Attacke, 10 Jahren beträgt bei nur gering erhöhtem Risiko <4%, bei mitt-
PRIND progressiver reversibler ischämiebedingter neurologischer De- lerem Risiko etwa 4–5%, bei hohem Risiko etwa 5–8% und bei
fekt, pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit.
sehr hohem Risiko >8%.
> Bei hohem oder sehr hohem Risiko (>20%iges Zehnjahresrisiko
für kardiovaskuläre Ereignisse) sollte ohne Verzögerung eine an-
Hypokaliämie nach Ausschluss häufiger Ursachen wie Salureti-
tihypertensive Therapie eingeleitet werden.
kagebrauch und Laxanzienabusus. Die Plasmaaldosteronkon-
zentration ist erhöht, die Plasmareninaktivität erniedrigt. Bei mittlerem Risiko kann über einen Zeitraum von 3–6 Mona-
Ein Phäochromozytom kann zu chronischen oder zu an- ten mit Allgemeinmaßnahmen und Therapie der begleitenden
fallsweisen Blutdrucksteigerungen mit Kopfschmerzen, Palpita- Risikofaktoren versucht werden, den Blutdruck und die Risiko-
246 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

stufe zu senken. Gelingt dies nicht, ist eine pharmakologische


. Tab. 7.4. Kardiovaskuläre Risikofaktoren, Begleiterkrankungen und
Endorganschäden zur Bestimmung des kardiovaskulären Risikos Therapie zur Senkung des Blutdrucks auf den Zielwert
<140/90 mmHg oder niedriger in Abhängigkeit von Begleiter-
Kardiovaskuläre Risikofaktoren
krankungen (z. B. Diabetes mellitus) indiziert. Diese Empfeh-
Beeinflussbare Risikofaktoren lungen gelten auch für die häufig bei älteren Menschen auftre-
Schweregrad der Hypertonie tende isolierte systolische Hypertonie (Evidenzgrad A), da eine
Senkung isoliert systolisch erhöhter Blutdruckwerte zu einer
Rauchen
deutlichen Verminderung der hypertoniebedingten Morbiditäts-
Dyslipoproteinämie und Mortalitätsrate führt (. Tab. 7.6).
Diabetes mellitus
> Die Therapieindikation bei systolisch-diastolischer Hypertonie
Bauchfettleibigkeit und isolierter systolischer Hypertonie wird individuell nach ei-
Männer; Bauchumfang >102 cm ner Risikostratifikation bezüglich der Blutdruckhöhe, kardiovas-
kulärer Risikofaktoren, Begleiterkrankungen und vorliegender
Frauen: Bauchumfang >88 cm
Endorganschäden gestellt.
Nichtbeeinflussbare Risikofaktoren
Für alle Schweregrade der Hypertonie wird die Anwendung
Positive Familienanamnese
7 Alter
nichtmedikamentöser Maßnahmen empfohlen. Die Evidenz für
den Nutzen einer medikamentösen Blutdrucksenkung für Pa-
Männer >55 Jahre tienten mit »noch normalem Blutdruck« (>130/85 mmHg, aber
Frauen >65 Jahre <140/90 mmHg) ist bislang nur für Patienten mit hohem kardio-
vaskulären Risiko (KHK, Zustand nach Schlaganfall, Diabets)
C-reaktives Protein
gegeben. Eine Pharmakotherapie ist in jedem Fall beim Schwere-
Parameter für Endorganschäden grad 3 (systolischer Blutdruck >180 mmHg oder diastolischer
Linksherzhypertrophie Blutdruck >110 mmHg; Evidenzgrad A) indiziert. Liegt der sys-
tolische Blutdruckwert bei 210 mmHg bzw. der diastolische Wert
Sonographischer oder radiologischer Nachweis arteriosklerotischer
Plaques an den großen Gefäßen
bei 115 mmHg, ist in der Regel der sofortige Beginn der medika-
mentösen Therapie angezeigt. Bei maligner oder akzelerierter
Mikroalbuminurie
Hypertonie (diastolischer Blutdruck über 120 mmHg bzw. schnel-
Proteinurie oder leichte Kreatininerhöhung ler Blutdruckanstieg mit Blutungen, Exsudaten und/oder Papil-
Folge- und Begleitkrankheiten lenödem am Augenhintergrund oder progredienter Einschrän-
kung der Nierenfunktion) muss die Therapie unmittelbar statio-
KHK
när erfolgen. Bei den Schweregraden 1 (systolischer Blutdruck
Herzinsuffizienz 140–159 mmHg oder diastolischer Blutdruck 90–99 mmHg) und
Periphere arterielle Verschlusskrankheit 2 (systolischer Blutdruck 160–179 mmHg oder diastolischer Blut-
Schlaganfall oder TIA
druck 100–109 mmHg) ist die Indikation zur Pharmakotherapie
vom Verlauf und von weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren
Chronische Nierenerkrankung, Proteinurie
sowie von dem Vorhandensein von Endorganschäden, Folge- und
Hypertensive Retinopathie Begleitkrankheiten abhängig (Evidenzgrad B).

. Tab.7.5. Risikostratifizierung nach Blutdruckhöhe, Zahl der kardiovaskulären Risikofaktoren und Vorliegen einer subklinischen oder manifesten
kardiovaskulären Erkrankung
Andere Risikofakto- Normal Hochnormal Grad-1-Hypertonie Grad-2-Hypertonie Grad-3-Hypertonie
ren, kardiovaskuläre
SBP 120–129 mmHg SBP 130–139 mmHg SBP 140–159 mmHg SBP 160–179 mmHg SBP >180 mmHg
Erkrankung oder
oder oder oder oder oder
Krankheit
DBP 80–84 mmHg DBP 85–89 mmHg DBP 90–99 mmHg DBP 100–109 mmHg DBP >110 mmHg
Keine anderen Risiko- Durchschnittliches Durchschnittliches Niedriges zusätzliches Mittleres zusätzliches Hohes zusätzliches
faktoren Risiko Risiko Risiko Risiko Risiko
1–2 Risikofaktoren Niedriges zusätzliches Niedriges zusätzliches Mittleres zusätzliches Mittleres zusätzliches Sehr hohes
Risiko Risiko Risiko Risiko zusätzliches Risiko
3 oder mehr Risikofak- Mittleres zusätzliches Hohes zusätzliches Hohes zusätzliches Hohes zusätzliches Sehr hohes
toren MS, subklinische Risiko Risiko Risiko Risiko zusätzliches Risiko
KE oder Diabetes
Manifeste KE oder Sehr hohes Sehr hohes Sehr hohes Sehr hohes Sehr hohes
Nierenkrankheit zusätzliches Risiko zusätzliches Risiko zusätzliches Risiko zusätzliches Risiko zusätzliches Risiko
Niedrige, mittlere, hohe und sehr hohe Risiken beziehen sich auf das Zehnjahresrisiko eines fatalen oder nichtfatalen kardiovaskulären Ereignisses.
Der Begriff „zusätzlich“ bedeutet, dass das kardiovaskuläre Risiko in allen Kategorien größer als durchschnittlich ist.
DBP: diastolischer Blutdruck, MS metabolisches Syndrom, KE kardiovaskuläre Erkrankung, SBP systolischer Blutdruck.
7.6 · Therapieindikation und kardiovaskuläres Risiko
247 7

. Tab. 7.6. Relative Risikoreduktion durch antihypertensive Therapie bei Patienten mit systolisch-diastolischer und isolierter systolischer Hyperto-
nie im Vergleich zu unbehandelten Patienten. (Mancia et al. 2003)
Systolisch-diastolische Hypertonie Isolierte systolische Hypertonie
Relative Risikoreduktion p Relative Risikoreduktion p
Sterblichkeit
Gesamt –14% <0,01 –13% <0,02
Kardiovaskulär –21% <0,001 –18% <0,01
Nichtkardiovaskulär –1% n.s. n.s. n.s.
Schwere kardiovaskuläre Ereignisse
Schlaganfall –42% <0,001 –30% <0,001
Akutes Koronarsyndrom –14% <0,01 –23% <0,001
n.s. nicht signifikant.

7.6.1 Nichtmedikamentöse Maßnahmen 20 g/Tag kann der Blutdruck bei 90% der Patienten mit einer
alkoholbedingten Hypertonie normalisiert werden (Evidenz-
Bisher sind folgende wirksame nichtmedikamentöse Maßnah- grad A).
men zur Blutdrucksenkung allgemein akzeptiert: Der Zusammenhang zwischen Kochsalzverbrauch und Blut-
4 Gewichtsnormalisierung, druckhöhe in Populationen kann als gesichert angenommen wer-
4 Reduktion oder besser Vermeidung von Alkoholkonsum den, obwohl die Bedeutung des Kochsalzes für die Hyperto-
und nieentstehung auch heute noch kontrovers diskutiert wird. Die
4 Kochsalzrestriktion (. Tab. 7.7). vorliegenden Studien lassen aber den Schluss zu, dass eine Sen-
kung der Natriumchloridzufuhr auf etwa 70–100 mmol, d. h. ca.
Eine konsequente Gewichtsreduktion ist für alle übergewichtigen 4–6 g/Tag, zu einer therapeutisch nutzbaren Blutdrucksenkung
Hypertoniker vordringlich zu empfehlen; selbst eine moderate führt (Evidenzgrad A).
Verminderung des Körpergewichts kann den Blutdruck senken Nikotinkonsum erhöht das kardiovaskuläre Risiko bei mil-
(ca. 1,5–2,5 mmHg/kg Gewichtsabnahme; Evidenzgrad A). den und bei schwereren Hochdruckformen erheblich, sowohl bei
Chronischer Alkoholmissbrauch führt zur Blutdrucker- unbehandelten als auch bei behandelten Hypertonikern. Obwohl
höhung. Durch Abstinenz bzw. Reduktion auf Mengen unter das Rauchen keinen direkten hypertonieauslösenden Effekt hat,

. Abb. 7.4. Indikationsstellung zur Therapie der Hypertonie in Abhän- druck; DBD diastolischer Blutdruck; RF Risikofaktoren. (Mod. nach den
gigkeit von Blutdruck und kardiovaskulärem Risiko. SBD systolischer Blut- Empfehlungen der Deutschen Hochdruckliga)
248 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

. Tab. 7.7. Beeinflussung des systolischen Blutdrucks durch nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen. (Aus Joint National Committee 2003)
Modifikation Empfehlung Blutdrucksenkender Effekt
Gewichtsreduktion Erhalt eines normalen Gewichts (BMI 18,5–24,9 kg/m2) 5–20 mmHg/10 kg Gewichtsverlust
DASH-Ernährungsplan Eine Diät reich an Früchten, Gemüse und fettarmen Milchprodukten mit 8–14 mmHg
einem geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren und Gesamtfett
Natriumreduktion Reduktion der Natriumaufnahme auf nicht mehr als 100 mmol/l (2,4 g 2–8 mmHg
Natrium oder 6 g Natriumchlorid)
Körperliche Aktivität Regelmäßige aerobe körperliche Aktivität z. B. flottes Gehen (mindestens 4–9 mmHg
30 min/Tag an fast allen Wochentagen)
Moderater Alkoholkonsum Konsum beschränken: nicht mehr als 2 Drinks/Tag für Männer und 2–4 mmHg
1 Drink/Tag für Frauen und sehr leichte Personen
BMI Body-Mass-Index, DASH »dietary approaches to stop hypertension«.

7 ist die Vermeidung des Zigarettenrauchens eine besonders wirk- den Blutdruck unter 130 mmHg zu senken, um Schlaganfälle zu
same Möglichkeit, die Lebenserwartung des Hypertonikers zu vermeiden, die Nierenfunktion zu erhalten und die Entwick-
erhöhen. lung einer Herzinsuffizienz zu vermeiden oder zumindest zu
Weitere Möglichkeiten der nichtmedikamentösen Blutdruck- verzögern.
senkung sind physisches Training, Erhöhung des Anteils mehr-
fach ungesättigter Fettsäuren in der Ernährung und Entspan- Therapiestrategien
nungsübungen. Da die Hypertonie eine multifaktorielle Erkrankung ist und die
Regulation des Blutdrucks über verschiedene neurale und humo-
> Grundsätzlich sollte bei allen Schweregraden der Hypertonie
rale Regulationssysteme erfolgt, ist die Ansprechrate auf ein An-
versucht werden, den Blutdruck mit nichtmedikamentösen
tihypertensivum von Patient zu Patient unterschiedlich und nicht
Maßnahmen zu senken und das kardiovaskuläre Risiko zu redu-
sicher vorhersagbar. Prinzipiell wird die medikamentöse Thera-
zieren. Eine besondere Schulung der Patienten sollte die ärzt-
pie mit einer niedrigen Dosis in Form einer Monotherapie oder
lichen Empfehlungen ergänzen.
einer niedrig dosierten Kombinationstherapie oder in Ausnah-
mefällen mit einer Monotherapie begonnen (. Abb. 7.5).
Vorteil der Monotherapie ist die Möglichkeit, das am besten
7.6.2 Medikamentöse Therapie wirksame und individuell nebenwirkungsärmste Antihyperten-
sivum zu finden. Häufig erfordert dieses Vorgehen zu Therapie-
Therapieprinzipien beginn aber ein mehrmaliges Wechseln der Medikation – ver-
Durch die Pharmakotherapie soll begleitend zu den Allgemein- bunden mit einer schwierigen Motivation des Patienten und
maßnahmen der Ruheblutdruck normalisiert, d. h. zuverlässig einer Reduktion der Patientenzuverlässigkeit (Compliance).
systolisch unter 140 mmHg und diastolisch unter 90 mmHg Darüber hinaus lässt sich in Abhängigkeit vom Ausgangsblut-
gesenkt werden (Evidenzgrad A). Andere Therapieziele gelten druck nur bei etwa 25 bis maximal 40% der Hypertoniker der
für Patienten mit hohem kardiovaskulären Gesamtrisiko und Blutdruck mit einer Monotherapie ausreichend kontrollieren.
für Diabetiker insbesondere bei Nachweis einer Mikroal- Deshalb empfehlen die Leitlinien der JNC 7 (Joint National
buminurie oder manifester diabetischer Nephropathie. Bei Committee 2003) bei einem Ausgangsblutdruck, der 20 mmHg
diesen Patienten ist die konsequente Senkung des Blutdrucks systolisch oder 10 mmHg diastolisch über dem Zielwert liegt,
auf Werte unter 130/80 mmHg zu empfehlen (Evidenzgrad A). grundsätzlich den Behandlungsbeginn mit einer Kombinations-
Weiter gibt es gute Hinweise dafür, dass es von Vorteil ist, therapie.

. Abb. 7.5. Monotherapie vs. niedrig dosierte


Kombinationstherapie zur Initialbehandlung
der Hypertonie. (Mod. nach Mancia et al. 2007)
7.7 · Auswahl der Antihypertensiva
249 7

> Vorteile des Therapiebeginns mit einer niedrig dosierten Kombi- aufgeführt. Wahrscheinlich ist es klug, die antihypertensive The-
nation von 2 Antihypertensivaklassen sind die geringere Neben- rapie grundsätzlich mit einer niedrig dosierten Kombinationsthe-
wirkungswahrscheinlichkeit und eine bessere Blutdruckkontrol- rapie, die immer auch ein Diuretikum enthalten sollte, zu begin-
le durch unterschiedliche Wirkmechanismen der Einzelsubstan- nen. Die Ergebnisse der ALLHAT-Studie betonen den Wert der
zen mit additiven oder sogar synergistischen Effekten. Diuretika (Chlortalidon) als Antihypertensiva der ersten Wahl
und haben auch die lang wirksamen Kalziumantagonisten vom
Der offenkundige Nachteil dieses Therapieansatzes ist die mögli- Dihydroperidintyp als Basisantihypertensiva bestätigt (ALLHAT
cherweise unnötige Behandlung mit einer der Wirksubstanzen – 2002; Evidenzgrad A). Nach den Ergebnissen der LIFE-Studie gibt
wenn auch in sehr niedriger Dosierung. Eine Kombinationsthera- es neben den ACE-Hemmern (Evidenzgrad A) nun auch klare
pie mit 2 Antihypertensiva muss eingeleitet werden, wenn der Evidenz für den Einsatz von AT1-Blockern (Losartan; Evidenz-
Zielblutdruck mit der Monotherapie nicht erreicht wird. Bei initi- grad A) in der Basistherapie der Hypertonie, die im Vergleich zu
al niedrig dosierter Kombinationstherapie wird bei Nichterreichen β-Rezeptorenblockern (Atenolol) im Beobachtungszeitraum von
des Zielblutdrucks die Dosierung der Kombination erhöht. Wirkt 5 Jahren zu einer signifikanten Reduktion der Schlaganfallhäufig-
keine der angegebenen Zweifachkombinationen ausreichend, keit und der Diabetesneuerkrankungen führte.
müssen stufenweise weitere Antihypertensiva addiert werden.
> Die postsynaptischen α1-Blocker werden aufgrund der im Rah-
Um die Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme zu er-
men der ALLHAT-Studie beobachteten häufigeren Entwicklung
höhen, sollten vorzugsweise Antihypertensiva mit gesicherter
einer Herzinsuffizienz unter Doxazosin von der Deutschen
Wirkung über 24 h (Einmalgabe) verordnet werden. Die Behand-
Hochdruckliga nicht mehr für die Monotherapie der Hypertonie
lungsschemata sollten möglichst einfach sein (z. B. Fixkombina-
empfohlen.
tionen). Daneben müssen Begleiterkrankungen, Zusatzkriterien,
zu erwartende Nebenwirkungen und Befindlichkeitsstörungen Können die Antihypertensiva der ersten Wahl aufgrund von Kon-
sowie Kosten bei der Wahl der Antihypertensiva berücksichtigt traindikationen oder Unverträglichkeiten nicht eingesetzt wer-
werden. Potenzielle Risiken der Therapie dürfen den möglichen den, kommen alternativ neben α1-Blockern auch zentrale Anti-
Nutzen nicht überschreiten. sympathotonika in Betracht. Die lange geführte Diskussion, wel-
che der 5 Substanzklassen sich am besten für die Initialtherapie
der Hypertonie eignet, ist aus verschiedenen Gründen überholt.
7.7 Auswahl der Antihypertensiva Zum einen benötigen die meisten Patienten eine Kombinati-
onstherapie zur Kontrolle des Blutdrucks und zum anderen ist in
7.7.1 Monotherapie Abhängigkeit von Endorganschäden und Begleiterkrankungen
sowie möglichen Unverträglichkeiten immer eine individuelle
Für die von der Deutschen Hochdruckliga zur primären Mono- Therapieentscheidung notwendig. Darüber hinaus zeigen große
therapie der Hypertonie empfohlenen Substanzen (β-Rezeptoren- Metaanalysen (Mancia et al. 2007), dass nicht das eingesetzte An-
blocker, Diuretika, ACE-Hemmer, Kalziumantagonisten und tihypertensivum, sondern die erreichte Blutdrucksenkung per se
AT1-Rezeptorblocker) konnte in großen Studien eine Senkung zur Mortalitäts- und Morbiditätsreduktion führt. In . Tab. 7.9
der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität nachgewiesen sind die wesentlichen Indikationen und Kontraindikationen für
werden. Eine Synopsis der wichtigsten Studien ist in . Tab. 7.8 die wichtigsten Antihypertensivaklassen zusammengefasst.

. Tab. 7.8. Synopsis aktueller Mortalitätsstudien zum Vergleich unterschiedlicher antihypertensiver Therapiestrategien
Studie Fragestellung Medikation Ergebnisse
CAPPP 1999 Therapie mit ACE-Hemmer vs. Diuretika+β-Re- Captopril 50–200 mg vs. Atenolol oder Kein signifikanter Unterschied in Be-
n=10985 zeptorenblocker Metoprolol + Thiaziddiuretikum zug auf den primären Endpunkt
Primärer Endpunkt: Myokardinfarkt, Schlagan-
fall, kardiovaskulärer Tod
ALLHAT 2002 Therapie mit Thiaziden, Kalziumantagonisten Chlortalidon 12,5–25 mg vs. Amlodipin Kein signifikanter Unterschied in Be-
n=42418 und ACE-Hemmern 2,5–10 mg vs. Lisinopril 10–40 mg zug auf den primären Endpunkt
Primärer Endpunkt: kardiovaskulärer Tod, nicht-
tödlicher Myokardinfarkt
LIFE 2002 Therapie mit AT1-Blockern im Vergleich zu β-Re- Losartan 50–100 mg (+12,5 mg Hydro- Unter Losartan vs. Atenolol:
n=9163 zeptorenblockern chlorothiazid) vs. Atenolol 50–100 mg RR Schlaganfall: 25%
Primärer Endpunkt: kardiovaskuläre Komplika- (+12,5 mg Hydrochlorothiazid) RR Diabetes: 25%
tionen RR Primärer Endpunkt: 13%
(p<0,021)
HOPE 2000 Einfluss einer additiven Therapie mit ACE-Hem- Ramipril 10 mg zusätzlich zu einer Ba- Unter Enalapril vs. Placebo:
n=9541 mern auf kardiovaskuläre Komplikationen sistherapie mit Diuretika und β-Rezep- RR Myokardinfarkt: 19%
Primärer Endpunkt: Myokardinfarkt, Schlagan- torenblockern RR Schlaganfall: 30%
fall und kardiovaskulärer Tod RR kardiovaskulärer Tod: 25%
RR Primärer Endpunkt: 21%
(p<0,001)
RR Risikoreduktion.
250 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

. Tab. 7.9. Indikationen und Kontraindikationen für die wichtigsten Antihypertensivaklassen


Klasse Indikation Kontraindikation

Absolut Relativ

Thiaziddiuretika Herzinsuffizienz, ältere Hypertoniker, isolierte systoli- Kropf Schwangerschaft


sche Hypertonie
Schleifendiuretika Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz n.b. n.b.
Aldosteronantagonisten Herzinsuffizienz, Postinfarkttherapie Niereninsuffizienz, Hyperkaliämie n.b.
β-Rezeptorenblocker KHK, Postinfarkttherapie, Herzinsuffizienz, Schwanger- Asthma, AV-Block II und III Periphere arterielle
schaft, Tachyarrhythmie Verschlusskrankheit
Kalziumantagonisten Ältere Hypertoniker, isolierte systolische Hypertonie, n.b. Tachyarrhythmie,
vom Dihydroperidintyp stabile Angina pectoris, Atherosklerose der Karotiden Herzinsuffizienz
Kalziumantagonisten Stabile Angina pectoris, Atherosklerose der Karotiden, AV-Block II und III, Herzinsuffizienz n.b.
(Verapamil, Diltiazem) supraventrikuläre Tachykardie
ACE-Hemmer Herzinsuffizienz, Postinfarkttherapie, diabetische Ne- Schwangerschaft, Hyperkaliämie, n.b.
7 phropathie, Proteinurie bilaterale Nierenarterienstenose
AT1-Blocker Diabetische Nephropathie, Proteinurie, linksventrikulä- Schwangerschaft, Hyperkaliämie, n.b.
re Hypertrophie bilaterale Nierenarterienstenose
α-Blocker Prostatahyperplasie, Hyperlipidämie Orthostatische Hypotension Herzinsuffizienz
n.b. nicht bestimmt.

7.7.2 Kombinationstherapie 4 Diuretikum + β-Rezeptorenblocker + ACE-Hemmer,


4 Diuretikum + Kalziumantagonist + ACE-Hemmer oder AT1-
Eine Kombinationstherapie mit 2 Antihypertensiva ist indiziert, Blocker oder
wenn mit einer effektiv, aber normal dosierten Monotherapie 4 Diuretikum + Vasodilatator + zentrales Antisympathotoni-
Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg nicht erreicht werden. Die kum oder Kalziumantagonist.
Kombinationstherapie enthält in der Regel ein Diuretikum. Nach
Möglichkeit sollte dabei auf Fixkombinationen mit einmal täg- Bei Kombination von Kalziumantagonisten mit β-Rezeptoren-
licher Einnahme zurückgegriffen werden, um die Anzahl der blockern sollten Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp
einzunehmenden Tabletten zu reduzieren, die Compliance der bevorzugt werden. Als weitere Therapieoptionen sind Kombina-
Patienten zu verbessern und die Therapiekosten zu minimieren. tionen eines Diuretikums mit AT1-Antagonisten, zentralen Anti-
Die folgenden Kombinationen haben sich als effektiv und gut sympathotonika oder β-Rezeptorenblockern möglich.
verträglich erwiesen (. Abb. 7.6):
> Da der Erfolg einer antihypertensiven Therapie nicht von der aus-
4 Diuretikum + ACE-Hemmer oder AT1-Blocker,
gewählten Substanzklasse, sondern von der erreichten Blutdruck-
4 Kalziumantagonist + β-Rezeptorenblocker,
senkung per se abhängig ist, richtet sich die Auswahl der Antihy-
4 Kalziumantagonist + ACE-Hemmer oder AT1-Blocker,
pertensiva primär nach den Begleiterkrankungen des Patienten
4 Kalziumantagonist + Diuretikum.
sowie Nebenwirkungen und potenziellen Kontraindikationen.

Wirkt keine der angegebenen Zweifachkombinationen ausrei-


chend, kann eine der folgenden Dreifachkombinationen ange-
wandt werden: 7.8 Differenzialtherapeutische Aspekte

7.8.1 Therapieresistente Hypertonie

Wenn es trotz einer ausreichend dosierten und in Bezug auf un-


terschiedliche Angriffspunkte der Antihypertensiva optimierten
Dreifachtherapie nicht gelingt, den Blutdruck unter 140/90 mmHg
(systolisch-diastolische Hypertonie) bzw. unter 140 mmHg zu
senken (isolierte systolische Hypertonie), spricht man von einer
therapieresistenten Hypertonie (Joint National Committee 2003;
Mancia et al. 2007).
In den wenigsten Fällen (2–5%), in denen es nicht gelingt, das
Blutdruckziel zu erreichen, liegt tatsächlich eine Therapieresis-
. Abb. 7.6. Mögliche Kombinationen unterschiedlicher Antihyperten- tenz vor.
sivaklassen, die sich in großen Interventionsstudien als wirksam heraus- Ursächlich für die vermeintliche Therapieresistenz ist oft:
gestellt haben. Die sinnvollsten Kombinationen (synergistische Wirkme- 4 fehlerhafte Blutdruckmessung (z. B bei Arteriosklerose, in-
chanismen) sind durch durchgezogene Verbindungslinien gekennzeich- adäquate Manschettengröße) bzw. fehlerhafte Bewertung der
net (Mancia et al. 2007) Blutdruckmessung (Weißkitteleffekt, Praxishochdruck),
7.8 · Differenzialtherapeutische Aspekte
251 7

4 ungenügende diagnostische Hochdruckabklärung (Vorlie- Thiazide sind nur effektiv, solange die Kreatinin-Clearance
gen einer sekundären Hypertonie), 30 ml/min oder mehr beträgt. Bei schlechterer Nierenfunktion
4 unzureichende Therapie (Hypervolämie) oder sind daher primär Schleifendiuretika einzusetzen. Wird mit
4 wahrscheinlich am häufigsten: mangelnde Zuverlässigkeit Schleifendiuretika allein keine ausreichende Diurese mehr er-
der Medikamenteneinnahme und der nichtmedikamentösen zielt, kann durch Zugabe eines Thiaziddiuretikums eine weitere
Therapie (Gewichtszunahme, Alkoholkonsum, hoher Koch- Steigerung der Natriumausscheidung erreicht werden. Günstig
salzverbrauch) vonseiten des Patienten. bei fortgeschrittener Nephrosklerose kann auch eine duale RAS-
Blockade durch eine Kombination von ACE-Hemmer und AT1-
Diese kann nur durch eine gute Information und Motivation des Blocker sein. β-Rezeptorenblocker kommen als weitere Kombi-
Patienten, z. B. durch Einzel- und Gruppengespräche, sowie nationspartner der ACE-Hemmer und AT1-Blocker in Betracht,
durch Arzt-Patienten-Seminare verbessert werden. insbesondere bei begleitender KHK oder Herzinsuffizienz (Evi-
denzgrad A; MERIT-HF 1999).

7.8.2 Nierenerkrankungen
7.8.3 Diabetes mellitus
Die renoparenchymale Hypertonie ist als Hypertonie bei zugrun-
de liegender Nierenerkrankung definiert. Unter den häufigsten Die Kombination von Diabetes und Hypertonie macht den be-
Ursachen befinden sich die Glomerulonephritiden, die interstiti- troffenen Patienten zu einem »High-risk-Kandidaten« mit einer
ellen Nephritiden, die erblichen Nierenerkrankungen sowie die über 20%igen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines kardio-
diabetische Nephropathie (Evidenzgrad A). Für Typ-1- und Typ- vaskulären Ereignisses in einem Zeitraum von 10 Jahren. Weiter-
2-Diabetiker zeigt sich ein etwa 50%iges Risiko, im Verlauf von hin entspricht das kumulative Risiko der Entwicklung einer Pro-
25 Jahren eine diabetische Nephropathie zu entwickeln (Evidenz- teinurie und einer Niereninsuffizienz bei Typ-2-Diabetikern dem
grad B). Es besteht dabei eine enge Beziehung zwischen der Höhe Risiko des Typ-1-Diabetikers (Evidenzgrad A). Die Bedeutung
des Blutdrucks und dem Auftreten und der Progression der Pro- einer effizienten Blutdruckeinstellung für den diabetischen Pa-
teinurie sowie der Abnahme der glomerulären Filtrationsrate tienten wurde durch die Daten der HOT- und der UKPDS-38-
(Evidenzgrad A). Zusätzlich sind sowohl die Hypertonie als auch Studie eindrücklich belegt. Im Vergleich zu den nichtdiabetischen
die Proteinurie bei Diabetikern mit einer schlechten kardiovas- Hypertonikern profitierten die Diabetiker in der HOT-Studie
kulären Prognose verbunden (Evidenzgrad A). eindeutig von einer strengen Blutdruckeinstellung in Form einer
Die Therapie der renoparenchymalen Hypertonie unter- Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeit.
scheidet sich von der Therapie der primären Hypertonie im We-
> Der Blutdruck bei Diabetikern sollte zuverlässig auf
sentlichen dadurch, dass nicht nur kardiovaskuläre Ereignisse,
<130/80 mmHg gesenkt werden, dies gilt insbesondere beim
sondern auch das Auftreten und die Progression der chronischen
Nachweis einer Mikroalbuminurie bzw. bei manifester Nephro-
Niereninsuffizienz zu verhindern sind. Der Nutzen einer antihy-
pathie, da diese Patienten ein Kollektiv mit besonders hohem
pertensiven Therapie für den Verlauf von Nierenerkrankungen
Risiko darstellen.
ist für die diabetische und auch für die nichtdiabetische Nephro-
pathie nachgewiesen (Evidenzgrad A). Unter dem Gesichtspunkt, Diabetiker nicht nur kardioprotektiv,
sondern auch nephroprotektiv zu behandeln, werden in erster
> Eine effiziente Nephroprotektion erfordert eine strikte Blockade
Linie ACE-Hemmer oder AT1-Blocker empfohlen (Evidenz-
des RAS durch ACE-Hemmer oder AT1-Blocker.
grad A). Bei notwendig werdender Kombinationstherapie kann
Im Hinblick auf den anzustrebenden Blutdruck bei renoparen- zunächst mit Diuretika in niedriger Dosierung kombiniert wer-
chymaler Hypertonie leitet sich aus der Modification-of-diet-in- den. Als weitere Kombinationspartner bieten sich dann Kalzi-
renal-disease-Studie (ein Zielblutdruck von <130/80 mmHg ab, umantagonisten und niedrig dosierte β1-selektive Blocker an.
also ein Wert deutlich unterhalb der oberen Normgrenzen (Evi-
> Der Zielblutdruck von 130/80 mmHg bei Diabetikern wird in
denzgrad A). Bei einer Proteinurie >1 g/Tag wird eine noch kon-
den meisten Fällen nur durch eine Kombinationstherapie zu er-
sequentere Blutdrucksenkung unter 125/75 mmHg empfohlen
reichen sein, die aufgrund der Nephroprotektion einen ACE-
(Evidenzgrad A).
Hemmer oder AT1-Blocker enthalten sollte.
Wenn eine Monotherapie in Betracht kommt, ist bei Nie-
renerkrankungen mit einer Proteinurie >1 g/Tag, bei chronischer
Niereninsuffizienz und beim Typ-1-Diabetiker schon zu Beginn
der Mikroalbuminurie (selbst bei normotonen Blutdruckwerten) 7.8.4 Koronare Herzkrankheit und
die Gabe eines ACE-Hemmers indiziert (Evidenzgrad A). Bei Linksherzinsuffizienz
mikroalbuminurischen, normotonen Typ-2-Diabetikern lässt
sich die Progression der Albuminurie durch Gabe eines AT1-Re- Bei Patienten mit Hypertonie und KHK ist das Risiko zu verster-
zeptorblockers verzögern (Evidenzgrad A). Meist sind jedoch ben oder einen Myokardinfarkt zu erleiden größer als 5% pro
Mehrfachkombinationen erforderlich, um die strengen Zielblut- Jahr. Schon eine diastolische Blutdrucksenkung von 5–6 mmHg
druckwerte zu erreichen. führt zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos um 16%. In
vielen Interventionsstudien wurden Hypertoniker mit KHK un-
> Bei unzureichender Blutdrucksenkung ist es empfehlenswert, tersucht, doch nur wenige Studien behandelten gezielt die Aus-
den ACE-Hemmer oder AT1-Blocker mit einem Diuretikum zu wirkungen einer Blutdrucksenkung bei Patienten mit KHK oder
kombinieren, da die Hypervolämie eine der Hauptursachen der Linksherzinsuffizienz. In der HOT-Studie zeigte sich eine signi-
Hypertonie bei chronischer Niereninsuffizienz ist. fikante Reduktion von Schlaganfällen in Abhängigkeit von der
252 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

Reduktion des diastolischen Zielblutdrucks bei Patienten mit konzentrischer Hypertrophie 24%. Bei einer Hypertonie tritt
KHK. In der kürzlich publizierten INVEST-Studie wurde gezeigt, eine signifikante linksventrikuläre Hypertrophie v. a. dann
dass die Inzidenz erneuter kardiovaskulärer Ereignisse bei Pati- auf, wenn die zirkadiane Blutdruckvariabilität gestört ist. Die
enten mit bekannter KHK unter einer antihypertensiven Medi- Folge ist eine Relaxations- und Compliance-Störung, die häufig
kation mit dem Kalziumantagonisten Verapamil (evtl. mit ACE- zu einer diastolischen Herzinsuffizienz führt und etwa 30%
Hemmer) und einem β-Rezeptorenblocker (evtl. mit Diureti- aller Patienten mit Herzinsuffizienz betrifft. Die Therapieziele
kum) sich nicht wesentlich unterschied. Unabhängig von der einer effizienten antihypertensiven Therapie sind die Abnah-
INVEST-Studie sind viele der zur antihypertensiven Therapie me der linksventrikulären Muskelmasse, die Reduktion der
verwendeten Substanzklassen unter anderen Aspekten unter- Myokardfibrose sowie die Verbesserung der koronaren Mikro-
sucht worden. zirkulation. Hierdurch soll verhindert werden, dass es bei
langjährigem Verlauf zu einer Einschränkung der systolischen
> β-Rezeptorenblocker, ACE-Hemmer, AT1-Blocker und Aldostero-
Myokardfunktion sowie zu Ischämien und Arrhythmien kommt.
nantagonisten sind in der Prävention kardiovaskulärer Ereig-
Eine deutliche Regression der Linksherzhypertrophie wurde
nisse etabliert und führen zu einer Verbesserung der Prognose
unter ACE-Hemmern und Kalziumantagonisten sowie unter
bei Patienten nach Myokardinfarkt oder mit manifester Links-
dem Thiazidanalogon Indapamid gezeigt. Günstige Effekte
herzinsuffizienz.
ließen sich auch unter Gabe von β-Rezeptorenblockern, Diure-
7 Allerdings ist bis heute ungeklärt, inwieweit der nachgewiesene tika und AT1-Blockern nachweisen. Ein eindeutiger Nachweis,
Effekt substanzspezifisch oder auf eine Blutdrucksenkung zu- dass die Hypertrophieregression über die Blutdrucksenkung
rückzuführen ist. Auch in der HOPE-Studie, deren Teilnehmer hinaus die Prognose verbessert, liegt noch nicht vor (Mancia et
zu 80% eine KHK hatten und die von der additiven Gabe eines al. 2007).
ACE-Hemmers zusätzlich zu einer Standardmedikation (β-Re-
zeptorenblocker, Diuretika) im Vergleich zur Placebogruppe mit
signifikant weniger kardiovaskulären Ereignissen profitierten, 7.8.6 Hypertonie und zerebrovaskuläre
könnte die begleitende Blutdrucksenkung eine bedeutende Rolle Komplikationen
gespielt haben. Diese Vermutung wird durch die Ergebnisse der
ALLHAT-Studie gestützt, in der ca. 50% der Teilnehmer Zeichen Zur Verhinderung zerebrovaskulärer Komplikationen im Rah-
einer KHK aufwiesen (ALLHAT 2002). Unter einer Medikation men der Primärprävention ist die frühzeitige und konsequente
mit Thiaziddiuretika, Kalziumantagonisten oder ACE-Hemmern Behandlung einer arteriellen Hypertonie – als dem mit Abstand
konnte keine signifikant unterschiedliche Inzidenz kardiovasku- wichtigsten Risikofaktor – von ganz entscheidender Bedeutung.
lärer Endpunkte beobachtet werden. Die ALLHAT-Studie hat In allen bisherigen Interventionsstudien, zuletzt in der ALL-
darüber hinaus gezeigt, dass Thiaziddiuretika einer Therapie mit HAT-Studie, wurde eine deutliche Senkung der Schlaganfallrate
Dihydroperidinkalziumantagonisten und ACE-Hemmern hin- nicht nur bei Patienten mit schwerer und mittelschwerer Hyper-
sichtlich einer Prävention der Linksherzinsuffizienz überlegen tonie, sondern auch bei leichter und isolierter systolischer Hy-
sind. Möglicherweise ist aber die festgestellte Überlegenheit des pertonie sowie bei älteren Hypertonikern nachgewiesen. Die
Thiaziddiuretikums gegenüber dem ACE-Hemmer durch die Zahl der tödlichen und der nichttödlichen Schlaganfälle lässt
Zusammensetzung der Studienpopulation (Anteil afroamerika- sich bei wirksamer Blutdrucksenkung über 2 Jahre um etwa 40%
nischer Patienten mit geringer Ansprechrate auf ACE-Hemmer) senken. Die überwiegende Zahl der Studien wurde primärthera-
und den studienbedingten Ausschluss einer ACE-Hemmer-Diu- peutisch mit Thiaziddiuretika und β-Rezeptorenblockern
retika-Kombinationstherapie bedingt. durchgeführt. In weiteren Studien konnten Kalziumantagonis-
ten und ACE-Hemmer zumindest eine den β-Rezeptorenblo-
> Bei Hypertonie und KHK kann eine Initialtherapie mit β-Rezep-
ckern und Diuretika vergleichbare Senkung der Schlaganfallrate
torenblockern, die sowohl antihypertensiv als auch antiarrhyth-
erreichen.
misch und antianginös wirken, eingeleitet werden.
> Nach derzeitiger Studienlage kann die Wirkung von β-Rezepto-
Als Kombinationspartner kommen Diuretika, ACE-Hemmer,
renblockern, Diuretika, Kalziumantagonisten und ACE-Hem-
AT1-Blocker und, abgesehen von einer instabilen Angina pecto-
mern in der Primärprävention des Schlaganfalls beim Hyperto-
ris, auch Kalziumantagonisten in Betracht. Bei Koinzidenz
niker als belegt angesehen werden, sodass in Abhängigkeit von
von Hypertonie und Linksherzinsuffizienz ist grundsätzlich
Begleiterkrankungen primär ein Präparat aus diesen 4 Gruppen
eine Kombinationstherapie unter Einschluss von Diuretika,
gewählt werden sollte.
β-Rezeptorenblockern (Auftitration) und ACE-Hemmern an-
zustreben. Der Zielblutdruck sollte unter 140/90 mmHg, bei Patienten
mit Diabetes mellitus und Hypertonie unter 130/80 mmHg
betragen (WHO/ISH-Guidelines-Subcommittee 1999; Mancia
7.8.5 Linksherzhypertrophie et al. 2007).
Auch in der Sekundärprävention zerebrovaskulärer Ereig-
Das Vorliegen einer Linksherzhypertrophie ist nach den Daten nisse steht die antihypertensive Behandlung im Vordergrund, da
der Framingham-Studie ein unabhängiger Prädiktor für die Patienten mit einem abgelaufenen zerebralen Insult ein in Ab-
Entwicklung einer Herzinsuffizienz. Die Zehnjahressterblich- hängigkeit von der Hypertonie erhöhtes Reinsultrisiko haben
keit beträgt bei Hypertonikern ohne Myokardhypertrophie (Evidenzgrad A). Die häufig diskutierte Annahme, dass eine
1%, bei Wandverdickungen ohne signifikante Erhöhung der konsequente Blutdrucksenkung ein erhöhtes Ischämierisiko für
Myokardmasse 6%, bei Myokardhypertrophie und Zunahme Patienten nach Schlaganfall bedeuten könnte, wurde anhand
der linksventrikulären Masse 10% und bei exzentrischer sowie einer Metaanalyse aus 4 Studien widerlegt, da hier eine Blut-
7.9 · Langzeitbetreuung und Therapie begleitender Risikofaktoren
253 7

drucksenkung um 6–8 mmHg systolisch und um 3–4 mmHg sowie der Herzinsuffizienz (Evidenzgrad A). Moderne Antihy-
diastolisch das Risiko für einen Reinsult um 20% senkte. In der pertensiva wie Kalziumantagonisten und ACE-Hemmer sind
PROGRESS-Studie konnte nachgewiesen werden, dass durch ebenfalls zur Therapie der Hypertonie des alten Menschen geeig-
eine auf dem ACE-Hemmer Perindopril basierte Behandlung net, ohne dass in den vorliegenden Studien (STONE, STOPP-2,
das Auftreten eines weiteren Schlaganfalls unabhängig von der HOPE, CAPPP) eine klare Überlegenheit gegenüber Diuretika
Blutdruckausgangshöhe um 28% hochsignifikant (p<0,001) ge- oder β-Rezeptorenblockern nachweisbar war (Evidenzgrad A).
senkt werden konnte. Die zusammengenommenen Daten ande-
> Ältere Hypertoniker profitieren von einer antihypertensiven
rer Studien deuten ebenfalls auf einen der Primärprävention
Therapie, die vorsichtig eingeleitet werden muss (»start low, go
vergleichbaren Therapieerfolg in der Verhinderung von erneu-
slow«) und deren Auswahl sich nach Verträglichkeit und Beglei-
ten Schlaganfällen bei Patienten mit abgelaufenen zerebralen
terkrankungen richten sollte.
Ereignissen hin.
Vor Beginn einer antihypertensiven Therapie sollten hoch-
gradige Stenosen der supraaortalen Gefäße ausgeschlossen wer-
den. Ebenso ist bei Auswahl und Dosierung von Antihyperten- 7.8.8 Hypertensiver Notfall und hypertensive Krise
siva zu berücksichtigen, dass es nicht zu orthostatischen Regu-
lationsstörungen kommt und eine häufig vorhandene nächtliche Ein hypertensiver Notfall liegt nur dann vor, wenn Hinweise auf
Blutdruckerhöhung ausreichend behandelt wird (Evidenz- Folgeerscheinungen wie Hochdruckenzephalopathie (klinische
grad B). Durch eine 24-h-Blutdruckmessung können nach Symptome: Sehstörungen, Schwindel, Bewusstseinsstörungen,
einem Schlaganfall auftretende Veränderungen in der Nacht- neurologische Ausfallserscheinungen; z. T. differenzialdiagnos-
phase erkannt werden. Bei der Auswahl der Antihypertensiva tisch schwer abgrenzbar von einem Schlaganfall), intrakranielle
nach zerebralem Insult kommen alle Basisantihypertensiva nach Blutungen, frische Blutungen und Papillenödem am Augenhin-
differenzialtherapeutischen Gesichtspunkten in Betracht (Evi- tergrund, Lungenödem, instabile Angina pectoris, Myokardin-
denzgrad A). farkt oder ein dissezierendes Aortenaneurysma vorliegen. In
diesen Fällen eines hypertensiven Notfalls muss die Behandlung
> Problematisch ist das optimale therapeutische Vorgehen bei hy-
auch außerhalb der Klinik sofort begonnen werden, gefolgt von
pertoner Blutdrucklage in der akuten Phase des Schlaganfalls,
einer unverzüglichen Klinikeinweisung. Da überzeugende Daten
da wegen fehlender Studiendaten nur auf Empfehlungen zu-
für die Überlegenheit einer bestimmten Substanz in der Akutbe-
rückgegriffen werden kann.
handlung des hohen Blutdrucks fehlen, richtet sich die Auswahl
Von der Deutschen Hochdruckliga wird empfohlen, den Blut- in erster Linie nach dem klinischen Bild, den bekannten Indika-
druck nur zu senken, wenn die Blutdruckwerte länger als 2–3 Tage tionseinschränkungen, den Begleitumständen und der persön-
über 200/110 mmHg erhöht bleiben (Evidenzgrad C). Unabhän- lichen Erfahrung des Arztes.
gig davon sollte eine antihypertensive Therapie eingeleitet wer-
> Für die Notfallbehandlung kommen in erster Linie i.v. applizier-
den, wenn eine hypertensive Krise mit diastolischen Blutdruck-
bare Vasodilatanzien, Schleifendiuretika und β-Rezeptorenblo-
werten über 120 mmHg und eine Stauungspapille vorliegen
cker in Betracht.
(Evidenzgrad C). Eine Blutdrucksenkung ist auch zu erwägen,
wenn es einige Stunden nach dem Beginn des Schlaganfalls zu Bei der Behandlung durch den Hausarzt kann eine schnelle Blut-
einem progredienten Anstieg des Blutdrucks kommt. Eine wei- drucksenkung durch die Gabe von Nitroglyzerin in Form eines
tere Indikation zur Hochdruckbehandlung besteht, wenn blut- Sprays oder einer Kapsel erreicht werden. Intravenös kommt die
druckbedingte kardiale Komplikationen auftreten. langsame Injektion von 25 mg Urapidil oder 0,075 mg Clonidin
Bei gegebener Indikation sollte eine Blutdrucksenkung nur in Betracht. Sofern keine Kontraindikationen vorliegen (z. B. De-
sehr langsam und um nicht mehr als 20% der Ausgangswerte hydratation), empfiehlt sich die zusätzliche Gabe von 20–40 mg
vorgenommen werden. eines Schleifendiuretikums (z. B. Furosemid i.v.). In der Klinik
erfolgt in der Regel eine Therapie mit i.v.-Dauerinfusionen von
Nitroglyzerin, Uradipil, Clonidin oder Dihydralazin, kombiniert
7.8.7 Hypertonie im Alter mit einer der klinischen Situation angepassten zusätzlichen Gabe
von Schleifendiuretika (z. B. Furosemid, Torasemid).
Bei älteren Patienten hat der systolische Blutdruck einen höheren
Vorhersagewert für kardio- und zerebrovaskuläre Komplikati-
onen sowie für die Gesamtmortalität als der diastolische Blut- 7.9 Langzeitbetreuung und Therapie
druck (Evidenzgrad A). Dabei ist ein erhöhter Pulsdruck (systo- begleitender Risikofaktoren
lischer minus diastolischer Blutdruck) als Indikator für die Steif-
heit der arteriellen Gefäße ein vom MAP unabhängiger prognos- Bei Behandlungsbeginn sind die Intervalle für Blutdruckkontrol-
tischer Prädiktor in Bezug auf Schlaganfall, kardiovaskuläre len individuell festzulegen. Nach guter Blutdruckeinstellung ge-
Ereignisse und Gesamtmortalität (Evidenzgrad B). Mit der Sen- nügen in der Regel bei hohem kardiovaskulären Risiko Kontrol-
kung erhöhter Blutdruckwerte ist bis zu einem Alter von 80 Jah- len alle 2–3 Monate, bei niedrigem und mittlerem Risiko alle 4–
ren eine Lebensverlängerung durch eine Reduktion kardiovasku- 6 Monate. Die Blutdruckselbstmessung ist für viele, die ABDM
lärer Komplikationen sowie der Herzinsuffizienz verbunden für ausgewählte Patienten zu empfehlen.
(Evidenzgrad A). Diuretika und β-Rezeptorenblocker sind die in Bei langfristig guter Blutdruckeinstellung (<140/80 mmHg)
Interventionsstudien des alten Patienten am häufigsten einge- ist versuchsweise eine Dosisreduktion und evtl. das Absetzen der
setzten Antihypertensiva mit nachgewieser eindrucksvoller Re- Antihypertensiva (Auslassversuch) unter häufiger Blutdruck-
duktion der zerebrovaskulären Komplikationen und Todesfälle kontrolle, evtl. einschließlich ABDM, gerechtfertigt. Bei den
254 Kapitel 7 · Arterielle Hypertonie

meisten Patienten ist mit einem Wiederanstieg des Blutdrucks Literatur


nach 1–6 Monaten zu rechnen. Dann sollte die vorhergehende
Therapie wieder aufgenommen werden. ALLHAT (2002) The ALLHAT Officers and Coordinators for the ALLHAT Col-
Begleitende Risikofaktoren (Hypercholesterinämie) sollten laborative Research Group. Major outcomes in high risc hypertensive
entsprechend den Leitlinien behandelt werden. patients randomized to angiotensin-converting enzyme inhibitor or
calcium channel blocker vs diuretic: the Antihypertensive and Lipid
> Hypertoniker mit bekannter KHK oder Zustand nach Insult soll- Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT). JAMA 288:
ten bei guter Blutdruckkontrolle Thrombozytenaggregations- 2981–2997
hemmer (z. B. 100 mg ASS täglich) erhalten. Deutsche Hypertonie Gesellschaft (2005) Leitlinien zur Diagnostik und
Behandlung der arteriellen Hypertonie. Nieren Hochdruckkrankh 34:
Dies gilt auch für ältere Hypertoniker (>50 Jahre) mit einem kar- 481–493; http://www.hochdruckliga.de/guidline.htm. Gesehen 07
diovaskulären Risiko >20% in 10 Jahren ohne manifeste kardio- März 2008
vaskuläre Ereignisse und Hypertoniker mit einem Serumkreati- Mancia G, Backer G de, Dominiczak A et al. (2007) 2007 Guidelines for the
ninwert >115 μmol/l. management of arterial hypertension: The Task Force for the Manage-
ment of Arterial Hypertension of the European Society of Hyperten-
sion (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart
7.10 Pharmakoökonomische Aspekte J 28(12): 1462–1536
Joint National Committee (2003) The 7th report of the Joint National Com-
7 mittee on prevention, detection, evaluation, and treatment of high
Durch Vermeidung von Herz- und Kreislaufkomplikationen und blood pressure. JAMA 289: 2560–2572
den damit verbundenen Behandlungskosten kann die Therapie Kannel WB (1996) Blood pressure as a cardiovascular risk factor. JAMA 275:
von Hypertonikern mit hohem Risiko (z. B. junge Diabetiker mit 1571–1576
Hypertonus) kostenneutral oder sogar kostensparend sein. Bei MacMahon S, Peto R, Cutler J et al. (1990) Blood pressure, stroke, and coro-
Hypertonikern ohne wesentliche Begleitrisiken ist das Kosten- nary heart disease. Part 1, Prolonged differences in blood pressure:
Nutzen-Verhältnis jedoch wesentlich ungünstiger, da bei leichter prospective observational studies corrected for the regression diluti-
bis mittelschwerer Hypertonie eine jahrelange Behandlung großer on bias. Lancet 335: 765–774
Kollektive notwendig ist, bis die gewonnenen Lebenszeiten der Staessen JA, Thijs L, Fagard R et al. (1999) Predicting cardiovascular risk
using conventional vs ambulatory blood pressure in older patients
Einzelnen zusammen ein Jahr betragen. Die Kosten pro gewon-
with systolic hypertension. Systolic Hypertension in Europe Trial In-
nenes Lebensjahr können in einem Bereich liegen, der mit
vestigators. JAMA 282: 539–546
EUR 60.000–100.000 z. B. denen einer Dialysebehandlung ent- Staessen JA, Wang J, Thijs L (2003) Cardiovascular prevention and blood
spricht. Sparpotenziale ergeben sich bei der oft lebenslang not- pressure reduction: a qualitative overview updated until 1 March
wendigen Kombinationstherapie der Hypertonie v. a. bei den Ta- 2003. J Hypertens 21: 1055–1076
gestherapiekosten im Sinne einer Auswahl kostengünstiger Anti- UKPDS (1998) UK Prospective Diabetes Study Group. Effect of intensive
hypertensiva (Generika, Großpackungen, Fixkombinationen) blood-glucose control with metformin on complications in over-
unter Beachtung differenzialtherapeutischer Aspekte und indivi- weight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet 352:
dueller Verträglichkeit. Kosten-Effizienz-Analysen liegen für die 854–865
Hochdruckbehandlung in Deutschland bisher ebenso wenig vor WHO-ISH-Guidelines-Subcommittee (1999) World Health Organization-
International Society of Hypertension Guidelines for the Management
wie Kosten-Wirksamkeits-Berechnungen von Screening, Diag-
of Hypertension. J Hypertens 17:151–183
nostik und Beseitigung von Hochdruckursachen. Unabhängig
davon scheint es bei unkomplizierter Hypertonie ökonomisch
sinnvoll zu sein, initial diejenigen Substanzklassen zu verordnen,
die das Arzneimittelbudget am wenigsten belasten. Darüber hin-
aus sollten Patientenschulungen mit Compliance-Förderung und
Einübung nichtmedikamentöser, blutdrucksenkender Allgemein-
maßnahmen konsequent eine medikamentöse antihypertensive
Therapie begleiten und deren Wirksamkeit unterstützen.
255 8

Orthostatische Hypotonie
W. von Scheidt

8.1 Mechanismen der Kreislaufregulation – 255 8.4 Therapie – 258


8.4.1 Nichtmedikamentöse Maßnahmen – 258
8.2 Formen der orthostatischen Hypotonie – 255 8.4.2 Medikamentöse Therapie – 259
8.2.1 Sympathikotone orthostatische Hypotonie – 255
8.2.2 Asympathikotone orthostatische Hypotonie – 256 8.5 Prognose – 261

8.3 Diagnostik – 257 Literatur – 261


8.3.1 Symptome – 257
8.3.2 Stehtest nach Schellong – 257
8.3.3 Testverfahren der autonomen Funktion – 257

)) 8.2 Formen der orthostatischen Hypotonie

Im Gegensatz zur arteriellen Hypertonie ist die chronische arteri- Die verschiedenen Formen der orthostatischen Hypotonie sind
elle Hypotonie unschärfer definiert. Im Allgemeinen werden sys- in der 7 Übersicht 8.1 dargestellt.
tolische Blutdruckwerte unter 100 mmHg als hypoton bezeich-
net. Der chronischen Hypotonie kommt nur im Zusammenhang
mit Symptomen der zerebralen Minderperfusion bzw. deutlicher 8.2.1 Sympathikotone orthostatische Hypotonie
Leistungsminderung ein Krankheitswert zu.
Als Synonyme der sympathikotonen orthostatischen Hypotonie
werden z. T. verwendet: orthostatische Dysregulation oder
8.1 Mechanismen der Kreislaufregulation »postural orthostatic tachycardia syndrome« (POTS). Ursäch-
lich ist von einer unzureichenden venösen und/oder arteriellen
Bei Lageänderung vom Liegen zum Stehen sinkt beim Gesunden Vasokonstriktion sowie einer relativen Hypovolämie auszuge-
der systolische Blutdruck um 10 mmHg, der diastolische Blut- hen. Die Genese ist ungeklärt, jedoch sicherlich heterogen.
druck steigt um ca. 5 mmHg, die Herzfrequenz steigt um ca. 5– Möglicherweise besteht eine partielle sympathische Denervation
20 Schläge/min. der Nieren und der unteren Extremität mit hierdurch bedingter
Die 4 Determinanten der Kreislaufregulation im Stehen Regulationsstörung des peripheren Gefäßwiderstands (Jacob et
sind: al. 1997a).
4 venöser Rückstrom, Folgen sind eine inadäquat geringe Vasokonstriktion der Ex-
4 ausreichendes effektives Blutvolumen, tremitäten und eine Hyporeninämie mit relativer Hypovolämie
4 normale Funktion der Reflexbögen, d. h. Intaktheit der Baro- (Jacob et al. 1997b). Eine mögliche weitere Ursache einer sympa-
rezeptoren, der parasympathischen Afferenzen, des Hirn- thikotonen orthostatischen Hypotonie ist eine gestörte neuronale
stamms, der sympathischen und parasympathischen Efferen- Noradrenalinwiederaufnahme infolge einer Mutation im Norad-
zen sowie der α- und β-Adrenorezeptoren der Effektororgane renalin-Transporter-Gen (Shannon et al. 2000).
Herz und Gefäße und Die konstitutionelle Hypotonie ist von geringem Krankheits-
4 intakte kardiale Funktion. wert und tritt üblicherweise bei jungen Menschen (überwiegend
Frauen) mit schlankem Körperbau auf.
Bei der orthostatischen Hypotonie sinkt im Stehen der systo-
> Typische Symptome der sympathikotonen orthostatischen Hy-
lische Blutdruck üblicherweise um 20–30 mmHg, der diasto-
potonie sind Blutdruckabfall mit Tachykardie (typischerweise
lische Blutdruck um 10 mmHg. Bei den sympathikotonen For-
Anstieg der Herzfrequenz 30 Schläge/min oder maximale Herz-
men der orthostatischen Hypotonie kommt es zu einem deut-
frequenz >120 Schläge/min) im Stehen sowie Zeichen der zere-
lichen Frequenzanstieg, bei den asympathikotonen Formen bleibt
bralen Minderperfusion wie Schwindel, Benommenheit,
die Frequenz unverändert (Freeman u. Miyawaki 1993).
Schwarz werden vor den Augen oder »Tunnel sehen«, Kopf-
Eine lageunabhängige Hypotonie tritt typischerweise bei
schmerzen, Ohrensausen und sekundär Zeichen der Sympathi-
chronischen Volumenmangelzuständen wie Diarrhö, verminder-
kusaktivierung mit Schwitzen, Blässe und kalten Extremitäten.
tem Durstgefühl bei älteren Menschen, Diabetes insipidus, pri-
märer und sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz oder Hy- Begleitende Symptome können Konzentrationsstörungen, Leis-
pothyreose auf. tungsminderung, Müdigkeit, Schlafstörungen und Wetterfühlig-
keit umfassen.
Das Auftreten eines POTS nach viralen Infekten wird disku-
tiert. Es ist ungeklärt, ob es sich bei dieser postinfektiösen ortho-
statischen Hypotonie um eine verminderte Sensitivität der vas-
256 Kapitel 8 · Orthostatische Hypotonie

Übersicht 8.1. Formen der orthostatischen Hypotonie. (Nach Freeman u. Miyawaki 1993)

Nichtautonom-neurogene orthostatische Hypotonie – Dopamin-β-Hydroxylase-Defizienz


4 Sympathikotone orthostatische Hypotonie – Barorezeptordysfunktion
4 Medikamentös induzierte orthostatische Hypotonie 4 Zentrales ANS
4 Vermindertes effektives Blutvolumen (venöses »pooling« – Shy-Drager-Syndrom (multiple Systematrophie)
vergrößert, Volumenmangel) – Autonome Dysfunktion bei Morbus Parkinson, zerebrovas-
– Varikose, Schwangerschaft, lange Bettlägerigkeit kulären Erkrankungen, Hirnstammläsionen, Rückenmarklä-
– Volumendepletion bei Diarrhö, Erbrechen, vermindertem sionen, Wernicke-Enzephalopathie, multipler Sklerose,
Durstgefühl, Hämodialyse, Diabetes mellitus, Anorexie, Adie-Syndrom u. a.
Dumping-Syndrom 4 Peripheres ANS ohne sensomotorische Polyneuropathie
– Hormonelle Ursachen: Nebennierenrindeninsuffizienz, – Akute und subakute autonome Neuropathie (Pandysauto-
HVL-Insuffizienz, Diabetes insipidus, Hypothyreose, Bart- nomie, cholinerge Dysautonomie)
ter-Syndrom 4 Peripheres ANS mit sensomotorischer Polyneuropathie
4 Vasodilatierende Mediatoren: Karzinoid, Mastozytose, Hy- – Autonome Dysfunktion klinisch bedeutsam: Diabetes mel-
perbradykininismus litus, Urämie, Amyloidose, akut entzündliche Neuropathie,
4 Kardiogene orthostatische Hypotonie akute intermittierende Porphyrie, Riley-Day-Syndrom (fa-
– Brady-, Tachyarrhythmie miliäre Dysautonomie), chronisch sensorische und autono-
8 – Vorhofmyxom me Neuropathie
– Diastolische Dysfunktion – Autonome Dysfunktion wenig bedeutsam: Alkoholpolyn-
Autonom-neurogene orthostatische Hypotonie (Synonyme: europathie, toxische Neuropathien (Schwermetalle, Vin-
asympathikotone orthostatische Hypotonie, autonome cristin, Tetanus), paraneoplastische Neuropathien, Vitamin-
Dysfunktion) B12- und Vitamin-B6-Mangel, Polyneuropathie bei Kollage-
4 Peripheres und zentrales ANS nosen, Morbus Fabry, chronisch entzündliche Polyneuro-
– Bradbury-Egglestone-Syndrom [Synonyme: »progressive pathie, Tabes dorsalis
autonomic failure« (PAF), idiopathische orthostatische 4 Postprandiale Hypotonie
Hypotonie, »idiopathic postural hypotension«]

kulären α-Adrenozeptoren oder um eine nicht näher definierte Bradbury-Egglestone-Syndrom


Maladaptation des Reflexbogens handelt.
Definition
Insbesondere bei älteren Menschen ist die orthostatische
Beim Bradbury-Egglestone-Syndrom (IOH, PAF) findet sich re-
Hypotonie häufig durch Medikamente ausgelöst, wie z. B. arte-
gelhaft eine Degeneration der postganglionären zweiten effe-
rielle und/oder venöse Vasodilatanzien, Diuretika, trizyklische
renten autonomen Neurone. Zusätzlich wurde jedoch auch
Antidepressiva, Insulin, Tranquilizer oder dopaminerge Subs-
ein präganglionärer Zellverlust im Bereich der intermediolate-
tanzen. Die vasodilatierende Wirkung von Alkohol muss beach-
ralen Säulen sowie der dorsalen vagalen Nuklei beschrieben.
tet werden.

Die Erkrankung befällt überwiegend Männer des mittleren und


8.2.2 Asympathikotone orthostatische Hypotonie des höheren Lebensalters (jenseits des 40. Lebensjahres). Auf-
grund einer Degeneration des zweiten Neurons findet sich in
Eine asympathikotone orthostatische Hypotonie – auch als neu- Ruhe ein stark erniedrigter Plasmanoradrenalinspiegel, der im
rogene orthostatische Hypotonie bei autonomer Dysfunktion Stehen nicht ansteigt. Die Empfindlichkeit der Erfolgsorgane ge-
bezeichnet – findet sich bei Erkrankungen des peripheren und/ genüber exogen zugeführten α- und β-Sympathomimetika ist
oder des zentralen autonomen Nervensystems mit oder ohne Be- erhöht. Als Zeichen intakter parasympathischer Afferenzen und
teiligung anderer zentralvenöser Systeme oder des peripheren zentraler autonomer Bahnen findet sich bei der idiopathischen
somatischen Nervensystems. orthostatischen Hypotonie typischerweise ein Anstieg des Vaso-
Die idiopathische orthostatische Hypotonie (Bradbury-Eg- pressinplasmaspiegels im Stehen.
glestone-Syndrom, PAF) und die multiple Systematrophie (Shy- Als Symptome der autonomen Dysfunktion treten Impotenz,
Drager-Syndrom) sind klassische Ursachen einer neurogenen Hypo- bis Anhidrose, neurogene Blasenentleerungsstörungen
orthostatischen Hypotonie. Zahlenmäßig häufiger tritt jedoch sowie Sphinkterinkontinenz mit Obstipation oder Diarrhö auf.
eine autonome Dysfunktion im Rahmen zerebraler Erkran-
kungen (z. B. Morbus Parkinson, zerebrovaskuläre Insuffizienz, Shy-Drager-Syndrom
Hirnstammläsionen, multiple Sklerose) oder peripherer soma-
tischer und autonomer Neuropathien (z. B. Diabetes mellitus, Definition
Urämie, Amyloidose, Toxine) auf. Beim Shy-Drager-Syndrom (MSA) handelt es sich um eine De-
generation autonomer und nichtautonomer Strukturen des
zentralen Nervensystems.
8.3 · Diagnostik
257 8

Infolge der Beteiligung zerebellärer, extrapyramidaler, kortikospi- Eine postprandiale Hypotonie wird durch Nahrungsauf-
naler und kortikobulbärer Strukturen finden sich zusätzlich zu nahme, insbesondere kohlenhydratreiche Mahlzeiten, ausgelöst.
den Symptomen der autonomen Dysfunktion Zeichen eines Mor- Zugrunde liegend ist wahrscheinlich eine für das Ausmaß des
bus Parkinson, einer Ataxie, Pyramidenbahnzeichen, Schluckbe- venösen Poolings im Splanchnikusgebiet sowie für die durch
schwerden und Laryngospasmus. Bisweilen ist jedoch die autono- Freisetzung vasoaktiver gastrointestinaler Peptide induzierte Va-
me Dysfunktion alleiniges Erstsymptom. Das postganglionäre sodilatation inadäquat niedrige kompensatorische Sympathikus-
autonome Nervensystem ist intakt, jedoch dezentralisiert. aktivierung im Sinne einer unzureichenden peripheren Vaso-
Die Plasmanoradrenalinspiegel sind typischerweise in Ruhe konstriktion.
normal oder weniger vermindert als bei dem Bradbury-Eggle-
stone-Syndrom. Aufgrund der defekten zentralen autonomen
Bahnen ist im Stehen kein Anstieg des Vasopressinplasmaspiegels 8.3 Diagnostik
zu verzeichnen. Es besteht auch hier eine Hypersensitivität der
Erfolgsorgane gegenüber Sympathomimetika. 8.3.1 Symptome
Die Erkrankung tritt typischerweise im mittleren und im hö-
heren Lebensalter gehäuft bei Männern auf. Der Verlauf ist lang- Patienten mit orthostatischer Hypotonie berichten über Symp-
sam progredient mit sehr ernster Prognose. tome der zerebralen Minderperfusion im Stehen wie Schwindel,
Zum Teil werden unterschiedliche Formen der multiplen Sehstörungen (Schwarz werden vor den Augen, »Tunnel sehen«),
Systematrophie je nach schwerpunktmäßiger Beteiligung der Kopf- und Nackenschmerzen, Präsynkope bis hin zur Synkope.
entsprechenden Systeme voneinander abgegrenzt. Laryngospas- Die Beschwerden sind v. a. bei längerem Stehen, nach Mahlzeiten
mus, Aspirationspneumonie oder Atemregulationsstörungen sowie bei heißer Umgebungstemperatur aggraviert.
sind häufige Todesursachen. Patienten mit sympathikotoner orthostatischer Hypotonie
weisen Symptome der sympathischen Gegenregulation wie
Baroreflexversagen (»baroreflex failure«) Schwitzen, kalte Extremitäten, Übelkeit und Blässe auf.
Patienten mit asympathikotoner orthostatischer Hypotonie
Definition
zeigen typischerweise autonom-nervale Symptome. Kennzeich-
Beim Baroreflexversagen, das nicht mit der autonomen Dys-
nend sind eine maximale Ausprägung der Hypotonie in den frü-
funktion verwechselt werden darf, handelt es sich um ex-
hen Morgenstunden, häufig eine Hypertonie im Liegen und eine
treme, gleichsinnige Blutdruck- und Herzfrequenzschwan-
inverse Tag-Nacht-Rhythmik der Blutdruckregulation mit nächt-
kungen infolge einer ungedämpften efferenten sympa-
licher Hypertonie und Hypotonie im Tagesverlauf.
thischen autonomen Aktivität (Robertson et al. 1993).

Pathogenetisch werden defekte inhibitorische Barorezeptoraffe- 8.3.2 Stehtest nach Schellong


renzen sämtlicher Barorezeptoren bei völlig erhaltenen Barore-
flexefferenzen angenommen. Krankheitsbilder, bei denen eine Die wichtigste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf ortho-
Baroreflexdysfunktion beobachtet wurde, umfassen eine beidsei- statische Hypotonie ist die Durchführung des Stehversuches nach
tige Halsradiatio bei Pharynxkarzinom, bilaterale Läsionen des Schellong (Empfehlungsgrad IC). Nach 5- bis 10-minütigem Lie-
Nucleus tractus solitarii im Hirnstamm (z. B. bei Insult, Trauma gen mit insgesamt 3-maliger Blutdruck- und Frequenzmessung
oder Tumor) sowie beidseitige N.-glossopharyngeus- und N.- schließt sich ein 7- bis 10-minütiges Stehen mit Blutdruck- und
vagus-Läsionen. Frequenzmessung in einminütigen Abständen, gefolgt von einem
Führende Symptome der Patienten sind simultane, schwers- erneuten Liegen über 3 min mit jeweils Blutdruck- und Fre-
te, krisenhafte Blutdruck- und Frequenzanstiege im Wechsel mit quenzmessung in einminütigen Abständen an.
simultaner Hypotonie und Bradykardie. Als therapeutisch hilf- Die normale Blutdruckantwort besteht im Absinken des sys-
reich gilt der zentrale α-Adrenozeptoragonist Clonidin aufgrund tolischen Blutdrucks um weniger als 10 mmHg und im Gleich-
seines dämpfenden Effektes auf die Sympathikusaktivität. bleiben oder leichten Ansteigen des diastolischen Blutdrucks. Die
Herzfrequenz steigt um mindestens 10–20 Schläge/min an.
Erkrankungen mit autonomer und Eindeutig pathologisch sind ein systolischer Blutdruckabfall
sensomotorischer Polyneuropathie von mehr als 20–30 mmHg und ein diastolischer Blutdruckabfall
Die orthostatische Hypotonie ist eine Spätmanifestation bei Dia- von mehr als 10–15 mmHg. Bei pathologischem Blutdruckabfall
betes mellitus. Häufiger finden sich Gastroparese, Diarrhö, Hy- ist je nach Frequenzverhalten in eine sympathikotone Form der
pohidrose, fehlende Herzfrequenzvariabilität, Impotenz und orthostatischen Hypotonie mit Tachykardie und eine asympathi-
Blasenfunktionsstörungen als Zeichen der autonomen Neuro- kotone Form mit fehlendem Frequenzanstieg zu differenzieren.
pathie. Zusätzlich besteht obligat eine sensomotorische Poly- Die weitere Differenzialdiagnostik ergibt sich aus dem Flussdia-
neuropathie. Eine orthostatische Hypotonie beim Diabetiker gramm in . Abb. 8.1. Die neurokardiogene Synkope zählt nicht
muss als prognostisch sehr ernst gewertet werden. zur orthostatischen Hypotonie im engeren Sinne. Ihre Diagnos-
Bei der primären oder der sekundären Amyloidose geht der tik erfolgt mithilfe des Kipptischversuches (7 Abschn. 9.2).
Entwicklung der sensomotorischen Polyneuropathie häufig eine
autonome Neuropathie mit entsprechender Symptomatik voraus.
Im Rahmen der chronischen Niereninsuffizienz kann 8.3.3 Testverfahren der autonomen Funktion
neben der sensomotorischen eine autonome Neuropathie mit
entsprechender Symptomatik in den Vordergrund treten Bei Vorliegen einer asympathikotonen orthostatischen Hypoto-
(7 Übersicht 8.1). nie empfiehlt sich neben einer umfassenden neurologischen Di-
258 Kapitel 8 · Orthostatische Hypotonie

. Abb. 8.1. Flussdiagramm zur Differenzialdiagnostik der orthostatischen Hypotonie. POTS »postural orthostatic tachycardia syndrome«

agnostik die Durchführung nichtinvasiver, ggf. invasiver autono-


mer Funktionstests (Empfehlungsgrad IC; . Tab. 8.1). Hierbei Übersicht 8.2. Nichtmedikamentöse Therapie der
werden Teile oder die Gesamtheit der Baroreflexfunktion und orthostatischen Hypotonie
anderer autonomer Funktionen geprüft (Wieling u. van Lieshout
1993). Zielgrößen sind zumeist die Blutdruck- oder die Fre- 4 Training der Gefäßregulation: Radfahren, Schwimmen,
quenzregulation. Bewegungsbad, Wechselduschen, Bürstenmassagen,
Kneipp-Anwendungen (Empfehlungsgrad IC)
4 Langsames Aufstehen (Empfehlungsgrad IC)
8.4 Therapie 4 Schlafen mit erhöhtem Oberkörper: um 10–30° erhöhtes
Kopfteil (Empfehlungsgrad IC)
Eine spezifische Therapie der sympathikotonen Formen der or- 4 Kompressionsstrumpfhosen, Antigravitationsanzug
thostatischen Hypotonie ist häufig unnötig, eine Therapie der (Empfehlungsgrad IC)
asympathikotonen Formen oft nur unzureichend möglich. Prin- 4 Mechanische Manöver im Stehen: Beine kreuzen, Vorn-
zipiell kann eine Besserung der Hypotonie durch Zunahme des überbeugen (auf Stuhllehne aufstützen), Fuß auf Sitz-
effektiven Blutvolumens mit konsekutiver Vorlasterhöhung in- fläche eines Stuhles stellen, Hinhocken (»squatting«)
folge eines verbesserten venösen Rückstroms oder einer Volu- (Empfehlungsgrad IC)
menretention induziert werden, durch Erhöhung des peripheren 4 Salzreiche Kost (Empfehlungsgrad IC)
Gefäßwiderstands infolge arterieller Vasokonstriktion oder Blo- 4 Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (Empfehlungsgrad IC)
ckade vasodilatierender Effekte sowie durch positive Inotropie 4 Postprandiale Hypotonie: kleine Mahlzeiten, kein Alko-
oder Chronotropie. hol, Kaffee nach Mahlzeit (Empfehlungsgrad IC)
4 Meiden hypotonieverstärkender Situationen: große
Mahlzeiten, Alkohol, lange Bettlägerigkeit, bewe-
8.4.1 Nichtmedikamentöse Maßnahmen gungsloses Stehen, Arbeiten mit erhobenen Armen,
Pressen (z. B. Heben schwerer Gegenstände), Hitze,
Die nichtmedikamentösen Therapiemaßnahmen zeigt 7 Über- Fieber (Empfehlungsgrad IC)
sicht 8.2. Patienten mit sympathikotoner orthostatischer Hypoto-
nie sollten über die Harmlosigkeit der Blutdruckregulationsstö-
8.4 · Therapie
259 8

. Tab. 8.1. Testverfahren der autonomen Funktion. (Auswahl nach Wieling u. van Lieshout 1993)

Testverfahren Normale Antwort Getesteter Teil des autonomen Nervensystems


Nichtinvasiv Blutdruck in Orthostase Abfall RRsyst≤10 mmHg Sympathische und parasympathische afferente,
RRdiast gleich bleibend zentrale und efferente Neurone
Herzfrequenz in Orthostase Anstieg 10–20/min Sympathische und parasympathische afferente,
zentrale und efferente Neurone
Stehzeit >10 min Sympathische und parasympathische afferente,
zentrale und efferente Neurone
Plasmanoradrenalin Anstieg im Stehen >2-fach Sympathische und parasympathische afferente,
zentrale und efferente Neurone
Plasmavasopressin Anstieg im Stehen Parasympathische Afferenzen und zentrale Neurone
Valsalva-Quotienta >1,4 Sympathische und parasympathische afferente,
zentrale und efferente Neurone

Atemvariabilität der Herzfre- >1,2 Parasympathische Afferenzen und Efferenzen


quenz (QRS-Intervall Exspi-
ration/Inspiration)
Herzfrequenzvariabilität Spezielle Auswertung erforderlich Parasympathische Afferenzen und Efferenzen
»Handgrip«-, »Cold-pressu- RR-Anstieg >10–15 mmHg Sympathische Efferenzen
re«-, »Mental-arithmetic«-
Tests
Schweißtest Diffuses Schwitzen Sympathische cholinerge Efferenzen
Pupillomotorik In Abhängigkeit von Substanz Sympathische und parasympathische Innervation
MIBG-Szintigraphie des Homogener Nachweis Sympathische Innervation
Herzens sympathischer Neurone
Invasiv Valsalva-Manöver mit intra- Phase I: RR-Anstieg Sympathische und parasympathische Afferenzen
arterieller RR-Messung Phase 2: sinkender RR bis Plateau, Tachykardie und Efferenzen, zentrale Neurone
Phase 3: RR-Abfall
Phase 4: überschießender RR-Anstieg, Brady-
kardie
MSNA Aktivitätsanstieg bei Provokationsverfahren (Parasympathische Afferenzen), zentrale Neurone,
für sympathische Efferenzen sympathische Efferenzen
Baroreflexsensitivität Bradykardie bei medikamenteninduziertem Parasympathische Afferenzen und Efferenzen
RR-Anstieg
Infusion von α-Sympatho- Nicht überschießender RR-Anstieg α-Adrenozeptorsensitivität, Afferenzen und
mimetika Efferenzen
MSNA »muscle sympathetic nerve activity«.
a Verhältnis zwischen längstem und kürzestem QRS-Intervall.

rung informiert sowie zu vermehrter Flüssigkeitszufuhr und zu 8.4.2 Medikamentöse Therapie


einem Training der Gefäßregulation (körperliche Bewegung,
Wechselduschen, Bürstenmassagen) angehalten werden. Allge- Die medikamentöse Therapie zielt auf arterielle sowie venöse Va-
meine Verhaltensmaßregeln (z. B. langsames, nichtabruptes Auf- sokonstriktion und Volumenretention ab (. Tab. 8.2).
stehen) sollten erteilt werden. Vor allem Patienten mit autonomer Durch das Mineralokortikoid 9-Fludrocortison wird eine
Dysfunktion, aber auch solche mit sympathikotoner orthosta- Natrium- und Wasserretention induziert und zusätzlich durch
tischer Hypotonie, profitieren von einer nächtlich erhöhten Erhöhung des perivaskulären hydrostatischen Drucks in den un-
Oberkörperlage um ca. 10–30° (Freeman u. Miyawaki 1993; Wie- teren Extremitäten (Ödembildung) der venöse Rückstrom ver-
ling u. van Lieshout 1993). Durch Aktivierung des RAAS wird größert. 9-Fludrocortison steigert die vasokonstriktorischen Ef-
eine Abnahme der nächtlichen Diurese mit konsekutiver Volu- fekte von α-Adrenozeptoragonisten und führt zu einer Erhöhung
menretention ausgelöst. Das Tragen von Kompressionsstrumpf- der Noradrenalinfreisetzung.
hosen, einschließich abdomineller Kompression, kann hilfreich
sein. Mechanische Manöver zur Verbesserung des venösen Rück- ! Cave
stroms aus den unteren Extremitäten (Überkreuzen und Anei- Bei einer täglichen Dosierung >0,1 mg ist mit Nebenwirkungen
nanderpressen der Beine im Stehen, Vornüberbeugen im Stehen wie Ödemen, Verstärkung einer Herzinsuffizienz, Hypertonie im
mit Aufstützen auf eine Stuhllehne, Hinhocken bei drohendem Liegen, Schwindel, Alkalose oder substitutionsbedürftiger Hy-
Bewusstseinsverlust) sind nützlich. pokaliämie zu rechnen.
260 Kapitel 8 · Orthostatische Hypotonie

. Tab. 8.2 Medikamentöse Therapie der orthostatischen Hypotonie


Nichtautonom-neurogene Autonom-neurogene orthostatische Hypotonie
orthostatische Hypotonie
Standardtherapie Individueller Nutzen möglich
1. Dihydroergotamin (z. B. 2-mal 1 mg/Tag, 5. FC (0,1–0,2 mg/Tag, Initialdo- Bei defektem postganglionären sympathischen Neuron
retard 2-mal 2,5 mg/Tag) sis bis 0,5 mg/Tag) (Bradbury-Egglestone-Syndrom)
2. Norfenefrin (z. B. 3-mal 15–45 mg/Tag), 6. FC + Midodrin Clonidin (z. B. 0,15–0,3–0,6 mg/Tag)
Midodrin (z. B. 2-mal 1,25–2,5 mg/Tag) (2-mal 2,5–10 mg/Tag)
Bei (teil)intaktem postganglionären sympathischen Neuron
Etilefrina (z. B. 3-mal 5–10 mg/Tag, retard 7. FC + Dihydroergotamin (2-
Amezinium (z. B. 1- bis 3-mal 10–30 mg/Tag)
1- bis 2-mal 25 mg/Tag) mal 1 mg/Tag, retard 2-mal
Midodrin (z. B. 2-mal 1,25 bis 2-mal 10 mg/Tag)
3. FC (z. B. 0,1–0,2 mg/Tag, kurzfristig maxi- 2,5 mg/Tag)
Tyramin + MAO-Hemmer (z. B. Amezinium)
mal 0,5 mg/Tag) 8. FC + Midodrin + Dihydroer-
4. Kombinationen von 1.+2., z. B. 2 mg Di- gotamin L-Dihydroxyphenylserinb (L-DOPS, 800–1200 mg/Tag)
hydroergotamin + 20 mg Etilefrin: 2- bis Prostaglandinsynthesehemmerc
3-mal/Tag oder Indometacin (z. B. 2- bis 3-mal 50 mg/Tag)
2,5 mg Dihydroergotamin + 25 mg Etile-
frin: 1- bis 2-mal/Tag Vasopressinanaloga
1+3 oder 2+3 V2-Antagonist Desmopressin
V1-Antagonist Lysinvasopressin
Somatostatinanalogac
8 Dopaminantagonisten
Noradrenalinpumpe
Empfehlungsgrad IIaB/C oder IIbB/C, s. Text.
FC 9-Fludrocortison, MAO Monoaminooxidase.
a Wegen zusätzlicher β-Stimulation bei tachykarden Formen ungünstig.
b Kausaltherapie bei Dopamin-β-Hydroxylasedefizienz.
c Insbesondere bei postprandialer Hypotonie.

Es wurde vermutet, dass sich im längerfristigen Verlauf die Natri- Applikation von Noradrenalin über eine Pumpe mit Katheter-
um- und Wasserretention unter 9-Fludrocortison wieder norma- system versucht werden (Oldenburg et al. 1999).
lisiert, die Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands jedoch Die nichtphysiologische Aminosäure L-threo-Dihydroxy-
bestehen bleibt (Freeman u. Miyawaki 1993). phenylserin ist ein synthetischer Noradrenalinvorläufer, der
Hydrierte Mutterkornalkaloide wie z. B. Dihydroergotamin durch die ubiquitäre L-Aminosäuredecarboxylase in Noradre-
sind je nach Ausgangstonus der Gefäßmuskulatur partielle α- nalin umgewandelt wird und oral applizierbar ist. Bei einer Ta-
Adrenozeptoragonisten oder -antagonisten. Ihr Wirkort ist fast gesdosis von 800–1200 mg ist eine Verbesserung der Orthos-
ausschließlich auf die venösen Kapazitätsgefäße begrenzt, in ho- tasesymptomatik möglich. L-DOPS ist eine kausale Therapie bei
her Dosis steigt jedoch auch der systemische Gefäßwiderstand der Dopamin-β-Hydroxylase-Defizienz. Darüber hinaus kann
an. Niedrige Bioverfügbarkeit und geringe therapeutische Breite L-DOPS jedoch auch bei anderen, häufigeren Formen der auto-
begrenzen die Einsatzmöglichkeiten dieser Substanzklasse. nomen Dysfunktion eingesetzt werden. Positive Berichte liegen
über die autonome Neuropathie bei Amyloidose, bei Morbus
! Cave
Parkinson sowie bei Shy-Drager- und Bradbury-Egglestone-
Es besteht die Gefahr ernsthafter Nebenwirkungen wie Herzin-
Syndrom vor (Freeman u. Miyawaki 1993).
farkt, Extremitätenverschluss, Mesenterialarterienverschluss.
Clonidin ist ein zentraler, prä- und postsynaptischer par-
α-Adrenozeptoragonisten führen zu einer arteriellen Vasokons- tieller α2-Adrenozeptoragonist. Bei intaktem sympathischen
triktion. Bei sympathikotoner orthostatischer Hypotonie mit aus- Nervensystem besteht die Hauptwirkung des Clonidins in
geprägter Tachykardie erscheinen Sympathomimetika mit zusätz- einer Hemmung der Noradrenalinfreisetzung mit konseku-
licher β-Adrenozeptorstimulation, wie z. B. Etilefrin, ungünstig. tiver Vasodilatation durch Stimulation präsynaptischer und
Hier sollten reine α-Agonisten wie Norfenefrin oder Midodrin ver- zentraler α2-Rezeptoren. Bei komplettem Funktionsverlust
wendet oder auf Sympathomimetika gänzlich verzichtet werden. zentraler und efferenter sympathischer Strukturen wirkt Cloni-
Midodrin ist ein selektiver peripherer α-Adrenozeptorago- din infolge der Stimulation postsynaptischer, vaskulärer α2-Re-
nist ohne zentrale Wirkung. Die Wirkung von Midodrin ist mög- zeptoren vasokonstringierend, venös mehr als arteriell. Cloni-
licherweise neben der arteriellen Vasokonstriktion eine Zunah- din ist somit bei komplettem, d. h. prä- und postganglionä-
me der Extrazellularflüssigkeit infolge Natrium- und Wasserre- rem Funktionsverlust sympathischer Efferenzen, wie er für das
tention. Midodrin ist wirksam bei sympathikotoner orthosta- Bradbury-Egglestone-Syndrom kennzeichnend ist, einsetzbar
tischer Hypotonie (Jacob et al. 1997a). Bei leichten Formen einer (. Tab. 8.2).
autonomen Dysfunktion mit erhaltener Restaktivität wird Midro- Prostaglandinsynthesehemmer oder Somatostatinana-
din mit Erfolg eingesetzt und gilt neben 9-Fludrocortison als loga können bei postprandialer Hypotonie versucht werden
Mittel der Wahl (Riley 2000). (Kaufmann 2002). Weitere, z. T. experimentelle Optionen umfas-
Als experimentelles Therapieverfahren kann bei refraktären sen Yohimbin, β-Adrenozeptorenblocker sowie Vasopressin-
Fällen einer asympathikotonen orthostatischen Hypotonie eine analoga.
Literatur
261 8
8.5 Prognose Literatur

Sympathikotone orthostatische Formen der orthostatischen Hy- Freeman R, Miyawaki E (1993) The treatment of autonomic dysfunction. J
potonie sind prognostisch fast immer irrelevant. Für die zumeist Clin Neurophysiol 10: 61–82
ausgeprägt beeinträchtigten Patienten mit asympathikotonen Jacob G, Robertson D, Mosqueda-Garcia R et al. (1997a) Hypovolemia in
syncope and orthostatic intolerance role of the renin-angiotensin sys-
Formen der orthostatischen Hypotonie sollte ein umfassender,
tem. Am J Med 103: 128–133
alle potenziell vorliegenden neurologischen Störungen berück-
Jacob G, Shannon JR, Black B et al. (1997b) Effects of volume loading and
sichtigender Behandlungsplan erstellt, individuell bezüglich sei- pressor agents in idiopathic orthostatic tachycardia. Circulation 96:
ner Effektivität regelmäßig geprüft und an den Verlauf angepasst 575–580
werden. Die häufig sehr ernste Prognose asympathikotoner Hy- Kaufmann H (2002) Treatment of patients with orthostatic hypotension
potonien ist üblicherweise jedoch nicht durch die Kreislaufregu- and syncope. Clin Neuropharmacol 25: 133–141
lationsstörung limitiert. Oldenburg O, Karliova M, Koeppen S et al. (1999) Das Shy Drager Syndrom.
Seltene Ursache einer Orthostatischen Hypotonie. Dtsch Med Wo-
chenschr 124: 8–12
Riley DE (2000) Orthostatic hypotension in multiple system atrophy. Curr
Treat Options Neurol 2: 225–230
Robertson D, Hollister AS, Biaggioni I et al. (1993) The diagnosis and treat-
ment of baroreflex failure. N Engl J Med 329: 1449–1455
Shannon JR, Flattem NL, Jordan J et al. (2000) Orthostatic intolerance and
tachycardia associated with norepinephrine-transporter deficiency. N
Engl J Med 342: 541–549
Wieling W, Lieshout JJ van (1993) Investigation and treatment of autono-
mic circulatory failure. Curr Opin Neurol Neurosurg 6: 537–543
263 9

Synkope
W. von Scheidt

9.1 Bedeutung und Einteilung – 263 9.2.3 Strukturelle Herzerkrankung? – 267


9.1.1 Autonom-nerval vermittelte Synkopen 9.2.4 Autonom-nervale Diagnostik – 267
(vasovagale Synkopen) – 263 9.2.5 Rhythmologische Diagnostik – 268
9.1.2 Kardiogene Synkopen – 265
9.1.3 Zerebrovaskuläre Synkopen – 265 9.3 Therapie der neurokardiogenen und
anderer vasovagaler Synkopen – 269
9.2 Diagnostik – 265
9.2.1 Anamnese (Empfehlungsgrad IC) – 266 9.4 Prognose – 270
9.2.2 Körperliche Untersuchung
(Empfehlungsgrad IC) – 267 Literatur – 270

)) Reflexbögen involvierenden Synkopen ist die Aktivierung einer


vasodepressorischen und einer kardioinhibitorischen Efferenz.
Synkope ist ein plötzlich oder rasch einsetzender, spontan rever- Die Vasodilatation überwiegt meistens; Ausnahme ist die Karo-
sibler Bewusstseins- und Tonusverlust infolge einer zerebralen tissinussynkope. Die Afferenzen des Reflexbogens sind unter-
Minderperfusion. Andere Ursachen eines kurzfristigen, spontan schiedlicher Herkunft (z. B. urogenitale, gastrointestinale, kardi-
reversiblen Bewusstseinsverlustes, wie z. B. Epilepsie oder Hypo- opulmonale, ventrikuläre oder Karotissinusafferenzen) und cha-
glykämie, sind keine Synkope. rakterisieren die verschiedenen Synkopenformen.
Die präsynkopale Phase der vasovagalen Reaktion ist über-
wiegend durch das Auftreten klassischer Prodromi wie Benom-
9.1 Bedeutung und Einteilung menheit, Blässe, Übelkeit, Schwächegefühl, kalter Schweißaus-
bruch, Sehstörungen, seltener Übelkeit, Kopfschmerzen, Gähnen
Bewusstlosigkeit infolge zerebraler Minderperfusion tritt ca. 10 s und langsame, tiefe Atmung gekennzeichnet. Die Prodromalpha-
nach Unterschreiten des für die zerebrale Autoregulation kri- se kann wenige Sekunden bis zu Minuten dauern; hierdurch wird
tischen systolischen Perfusionsdruckes von 70 mmHg ein. den Betroffenen häufig das Vermeiden des Synkopeneintritts
Pathogenetisch können Synkopen differenziert werden in: durch Hinlegen ermöglicht.
4 unzureichende Vasokonstriktion (inadäquat niedriger syste- Das Auftreten vagaler Prodromi ermöglicht die wichtige Ab-
mischer Gefäßwiderstand) oder grenzung von rhythmogenen Synkopen, die typischerweise ohne
4 unzureichende kardiale Auswurfleistung infolge Prodromalphase einsetzen. Eine Minderheit der Patienten mit
5 Flussobstruktion, autonom-nerval vermittelten Synkopen erfährt jedoch keinerlei
5 exzessiv erniedrigter Vorlast oder Prodromalphase und synkopiert plötzlich. Dies betrifft v. a. ältere
5 tachykarder bzw. bradykarder Rhythmusstörungen. Patienten. Das Eintreten der Synkope ist durch den Bewusst-
seins- und Tonusverlust gekennzeichnet. Kurz anhaltende, asym-
Die unzureichende Vasokonstriktion ist Kennzeichen der auto- metrische myoklonische Krämpfe als Ausdruck der zerebralen
nom-nerval vermittelten, vasovagalen Synkopen. Unzureichende Hypoxie mit passagerer kortikaler Desinhibition sind nicht un-
Auswurfleistung kennzeichnet die Synkope bei kardialer Grund- gewöhnlich. Ebenso ist Einnässen möglich; dagegen ist Stuhlab-
erkrankung. Synkopen sind ein häufiges medizinisches Problem. gang ungewöhnlich.
Die Inzidenz einer ersten Synkope liegt bei 6,2/1000 Personen- Die postsynkopale Phase im Liegen ist durch eine rasche Bes-
jahre (Soteriades et al. 2002). Synkopen stellen eine große diag- serung mit Rückkehr des Bewusstseins und des Wohlbefindens
nostische Herausforderung dar, da es sich sowohl um eine »ba- charakterisiert. Retrograde Amnesie und postiktaler Dämmerzu-
nale Ohnmacht« wie auch um die Abortivform eines plötzlichen stand treten nicht auf. Manchmal bestehen jedoch Benommenheit,
Herztodes handeln kann. Übelkeit und Kopfschmerzen über Stunden abklingend fort.
Eine Einteilung der Synkopen gemäß den aufgeführten patho- Die neurokardiogene Synkope stellt die häufigste vasova-
genetischen Mechanismen ist in 7 Übersicht 9.1 wiedergegeben. gale Synkopenform dar. Der arterielle Baroreflex als physiolo-
gische Adaptation an die Orthostase wird nach einer Stehzeit von
minimal wenigen Minuten bis zu einer Stunde unterbrochen,
9.1.1 Autonom-nerval vermittelte Synkopen ausgelöst durch die Reizung eines hypersensitiven ventrikulären
(vasovagale Synkopen) Barorezeptors in Verbindung mit anderen Triggerfaktoren infol-
ge einer Sympathikusexzitation mit verstärkter Kontraktion eines
Autonom-nerval vermittelte Synkopen sind die häufigste Synko- ausgeprägt vorlastgeminderten unterfüllten Ventrikels. Die plötz-
penform bei Patienten ohne kardiale Erkrankung. Zu vasova- liche Zunahme inhibitorischer Afferenzimpulse an den
galen Reaktionen neigen schätzungsweise 20% der Allgemein- Hirnstamm induziert einen akuten Verlust des vaskulären Sym-
bevölkerung. Gemeinsames Kennzeichen dieser physiologische pathikotonus mit Vasodilatation und Blutdruckabfall, fakultativ
264 Kapitel 9 · Synkope

Übersicht 9.1. Einteilung der Synkopen

1. Autonom-nerval vermittelte Synkopen (Reflexsyn- –Perikardtamponade


kopen, vasovagale Synkopen) –Lungenembolie
4 Neurokardiogene Synkopen (vasovagale Synkopen mit –Pulmonale Hypertonie
ventrikulärer Afferenz) –Eisenmenger-Syndrom/-Reaktion
4 Karotissinussynkopen –Fallot-Tetralogie
4 Viszerale Reflexsynkopen (situative Synkopen) wie z. B. –Pulmonalstenose
Miktionssynkopen, Schlucksynkopen, postprandiale –Aortendissektion
Synkopen, Defäkationssynkopen, Hustensynkopen, –Aortokavale Kompression während der
Synkopen bei endoskopischen Eingriffen Schwangerschaft
4 Synkopen bei anderen Manövern: Bulbuskompression, 4 Rhythmogene Synkopen
Niesen, Tauchen, übersteigerte Valsalva-Manöver – Sinusknotensyndrom
(Gewichtheben, Trompete blasen etc.) – AV-Block II. oder III. Grades
4 Schmerzsynkopen (z. B. N.-glossopharyngeus- – Kammertachykardie
Neuralgie) – Torsade-de-pointes-Tachykardien bei Long-QT-
4 Zentral induzierte Synkopen (Emotionssynkopen) bei Syndrom (angeboren, erworben)
Schreck, Furcht etc. – Supraventrikuläre Tachykardie
4 Reflexsynkopen bei Aortenstenose – Präexzitationssyndrome
2. Orthostatische Hypotonie mit Synkopen – Schrittmacherassoziierte Synkopen
4 Sympathikotone orthostatische Hypotonie
9 4 Asympathikotone orthostatische Hypotonie
4. Zerebrovaskuläre Synkopen
4 Vertebrobasiläre TIA (embolisch, mechanisch)
4 Medikamentös induzierte orthostatische Hypotonie 4 Basilarismigräne
3. Kardiogene Synkopen 4 »Subclavian steal syndrome«
4 Mechanische Obstruktion 4 Takayasu-Arteriitis
– Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie 5. Medikamentös induzierte Synkopen
– Aortenstenose 4 Medikamentöse Vasodilatation
– Mitralstenose 4 Bradykardie
– Kunstklappenobstruktion 4 Torsade-de-pointes Tachykardien
– Vorhofmyxom 6. Ungeklärte Synkopen

begleitet von einer Bradykardie bis hin zur Asystolie. Die neuro- 4 Miktionssynkope (Männer, im Stehen),
kardiogene Synkope tritt klassischerweise im Stehen oder im 4 Schlucksynkope,
Gehen, auch unter oder nach körperlicher Belastung (z. B. Rad 4 postprandiale Synkope,
fahren) auf, seltener im Sitzen. Prädisponierend sind Erschöp- 4 Defäkationssynkope,
fung, Aufenthalt in überfüllten, stickigen Räumen, Hitze, Infekte 4 Hustensynkopen.
und Vasodilatanzien.
Bei der Karotissinussynkope werden afferente Signale der Durch kortikohypothalamische Zentren kann im Sinne eines
Karotisbarorezeptoren über den N. glossopharyngeus zum »central command« eine Aktivierung vagaler und eine Inhibition
Hirnstamm vermittelt und können eine Herzfrequenzverlang- sympathischer Hirnstammzentren induziert werden. Typische
samung und Vasodilatation induzieren. Von einer Karotissinus- Auslöser dieser Emotionssynkopen sind akute emotionale Be-
synkope kann nur ausgegangen werden, wenn die Synkope lastungen wie Schreck, Angst oder körperliche Bedrohung.
spontan infolge Kopfdrehung oder beengender Kleidung in- Die belastungsinduzierte Synkope bei Aortenstenose tritt ein
duziert wird. Der kausale Zusammenhang ist hierbei häufig infolge eines Barorezeptor-»Mismatch« zwischen dem unter ho-
sehr schwer beweisbar. Der kardioinhibitorische Typ mit Sinus- hem Druck stehenden ventrikulären Barorezeptor und den unter
bradykardie, SA-Block oder AV-Block ist mit ca. 70% der häu- geringerem Druck stehenden sinuaortalen Barorezeptoren. Auf-
figste, ein rein vasodepressorischer Typ wird bei 5–10% der Pa- grund einer Steigerung afferenter inhibitorischer Signale des
tienten gesehen. Es handelt sich in der Regel um ältere Patien- ventrikulären Barorezeptors resultiert eine paradoxe Vasodilata-
ten mit arterieller Hypertonie und/oder Arteriosklerosemani- tion der nicht arbeitenden Muskulatur unter körperlicher Belas-
festation. tung mit konsekutiver Hypotension und Synkope.
Als situative Synkopen bezeichnet man autonom-nerval Autonom-nerval vermittelte Hypotonien bzw. Synkopen in-
vermittelte Synkopen mit einer viszeralen Afferenz. Gemeinsame folge Mechano- oder Chemorezeptoraktivierung können eben-
Kennzeichen sind ihr seltenes Auftreten und ihre sofortige diag- falls auftreten, u. a. bei endoskopischen Eingriffen, hämorrha-
nostische Klärung aufgrund der klaren Auslösesituation. Bei den gischem Schock, akutem Myokardinfarkt, Koronarangiographie,
meisten dieser autonom-nerval vermittelten Synkopen wird als Ischämie-Reperfusions-Schaden, akuter Lungenembolie, hyper-
Auslösemechanismus zusätzlich zu der Aktivierung einer vis- tropher obstruktiver Kardiomyopathie sowie Hämodialyse.
zeralen vagalen Afferenz eine exzessive Vorlastminderung durch Die orthostatische Hypotonie mit ihren Unterformen kann
Valsalva-Manöver (Pressor-Postpressor-Synkope) gefordert. Bei- im Rahmen eines Schellong-Tests bzw. eines Kipptischversuchs
spiele sind: von der neurokardiogenen Synkope abgegrenzt werden. Zur
9.2 · Diagnostik
265 9

Differenzialdiagnostik und Therapie der orthostatischen Hypo- 9.1.3 Zerebrovaskuläre Synkopen


tonie 7 Kap. 8.
Synkopen sind ein seltenes und nahezu nie isoliert auftretendes
Symptom einer zerebrovaskulären Erkrankung. Die vertebroba-
9.1.2 Kardiogene Synkopen siläre Insuffizienz ist gekennzeichnet durch Schwindel, Dysarth-
rie, Ataxie und Doppelbilder. »Drop attacks« ohne Bewusstseins-
Als kardiogene Synkope kann eine inadäquat verminderte zere- verlust sind weitaus häufiger als Synkopen. Ein primärer Be-
brale Perfusion aufgrund einer Einschränkung der kardialen wusstseinsverlust kann Zeichen einer Hirnstammembolie sein.
Pumpleistung verstanden werden. Bei normaler Frequenz ist die Das Vorliegen einer zerebralen Arteriosklerose schränkt die au-
verminderte Pumpleistung auf ein zu niedriges Schlagvolumen, toregulative Toleranzbreite gegenüber passageren zerebralen
klassischerweise als Folge einer mechanischen Flussobstruktion Minderperfusionen unterschiedlicher Ursache generell ein.
(wie z. B. bei der hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie, Bei der Takayasu-Arteriitis sind neben vielfältigen herd-
bei primär pulmonaler Hypertonie etc.) zurückzuführen. Mecha- neurologischen Zeichen Synkopen nicht selten. Beim »Sub-
nische kardiogene Synkopen treten unter körperlicher Belastung clavian-steal«-Syndrom wird infolge eines Verschlusses der lin-
auf. Die belastungsinduzierte Minderung des systemischen Ge- ken A. subclavia vor Abgabe der Vertebralarterie unter kör-
fäßwiderstands kann nicht durch einen adäquaten Anstieg des perlicher Belastung des linken Arms im Bereich der Vertebral-
Herzzeitvolumens ausgeglichen werden. Bei der rhythmogenen arterie ein umgekehrter Fluss mit zerebraler Minderperfusion
Synkope ist durch eine ausgeprägte bradykarde oder tachykarde induziert.
Rhythmusstörung eine adäquate Auswurfleistung des linken Die Basilarismigräne weist typischerweise weitere Zeichen
Ventrikels nicht mehr gegeben. Eine Kombination beider Mög- der Hirnstammischämie auf. Bei ausgeprägten Migräneattacken
lichkeiten ist nicht ungewöhnlich. kann eine schmerzinduzierte vasovagale Synkope auftreten.
> Die rhythmogene Synkope zeichnet sich in der Regel durch ihr
plötzliches, schlagartiges Einsetzen ohne Prodromi, ihre Positi- 9.2 Diagnostik
onsunabhängigkeit und zumeist ihre Unabhängigkeit von kör-
perlicher Belastung aus.
Die Diagnostik der Synkope wird durch die transiente Natur des
Mit Eintreten der Synkope werden die Patienten blass bzw. asch- Problems und durch das Fehlen eines diagnostischen Goldstan-
grau, kurze tonisch-klonische Krämpfe treten zumeist auf, gefolgt dards erschwert. Sie erfolgt häufig nicht standardisiert, ineffizient
von zyanotischem Hautkolorit, Pupillenstarre und Inkontinenz. und kostenintensiv (Kapoor 2002; Santini u. Colivicchi 2002).
Die einzelnen Rhythmusstörungen sind im Detail in 7 Kap. 3 Die 3 häufigsten Synkopenursachen sind autonom-nerval ver-
aufgeführt. Großes Augenmerk muss bei Synkopenpatienten ins- mittelte Synkopen, Arrhythmien bei struktureller Herzkrankheit
besondere auch auf die Erkennung eines medikamentenindu- und orthostatische Hypotonie (Soteriades et al. 2002). Für fast
zierten erworbenen Long-QT-Syndroms gelegt werden (http:// jeden Synkopenpatienten kann man nach guter Anamnese, Un-
www.qtdrugs.org, http://www.torsades.com). tersuchung und EKG eine Verdachtsdiagnose generieren, die den

. Abb. 9.1. Diagnostisches Vorgehen bei Synkope. Kardiale Tests umfas- sowie externen oder implantierbaren Loop-Rekorder. (Nach Task Force
sen Echokardiographie, verlängertes EKG-Monitoring, Ergometrie, EPU on Syncope 2004)
266 Kapitel 9 · Synkope

. Tab. 9.1. Diagnostische Ausbeute unterschiedlicher Untersu-


Übersicht 9.2. Anamnestische Fragen zur Synkope
chungsverfahren bei Patienten mit Synkope. (Mod. nach Linzer et al.
1997)
4 Vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen
Verfahren Nachweis der Synkopenursache [%]
4 Position (stehend, sitzend, liegend)
Anamnese, Untersuchung ≤50 4 Aktivität (Ruhe, während oder nach körperlicher Belas-
EKG ≤5 tung, spezifische Situationen wie Miktion etc.)
4 Prädispositionen (langes Stehen, postprandial, über-
Langzeit-EKG <4
füllter, stickiger Raum etc.)
Echokardiographie <5–10 4 Vorangehende Ereignisse (Angst, Schmerz, Kopfdrehung)
Ergometrie <1–2 4 Zeitlicher Verlauf und Häufigkeit
EPU 11 falls herzgesund, 55 falls herzkrank 4 Assoziierte Symptome
– Vagale Symptome: Blässe, Übelkeit, Kaltschweißigkeit,
»Memory-loop«-Rekorder 40–50
Benommenheit, Gähnen, Sehstörung
Kipptisch 50–60 – Kardiale Symptome: Palpitationen, Herzjagen, Blässe,
Psychiatrische Evaluation ≤25 Zyanose, Angina, Dyspnoe
– Epilepsieassoziierte Symptome: Aura, postiktaler Däm-
merzustand, Zungenbiss, nicht spezifisch: Krampfan-
diagnostischen Pfad vorgibt. Bei strukturierter Anwendung einer fall, Urin- oder Stuhlabgang
leitlinienempfohlenen Diagnostik liegt die Aufklärungsrate von 4 Medikamenteneinnahme, Alkohol
Synkopen über 90% (Brignole et al. 2006). 4 Fremdanamnese (Art des Fallens, Gesichtsfarbe, Dauer, At-
9 Die beiden Grundziele der Synkopenabklärung sind die Er-
kennung eines erhöhten Risikos für den plötzlichen Herztod bei
mungsmuster, evtl. symmetrische oder asymmetrische
Krämpfe, vor oder nach Eintritt des Bewusstseinsverlustes?)
struktureller Herzerkrankung einerseits sowie die Verbesserung
der Lebensqualität und die Senkung eines Verletzungsrisikos bei
prognostisch harmlosen Synkopen herzgesunder Patienten ande-
rerseits (Strickberger et al. 2006). Ein mögliches diagnostisches Übersicht 9.3. Calgary Syncope Score zur Diagnosestel-
Vorgehen bei Synkope ist in . Abb. 9.1 wiedergegeben. lung einer vasovagalen Synkope. (Sheldon 2006a)
Wenn die Synkopenursache nach genauer Anamnese und
körperlicher Untersuchung ungeklärt bleibt, sollten Echokardio- Frage Punkte
graphie und, zumindest ab einem mittleren Lebensalter des Pati- Gibt es eine Vorgeschichte von bifaszikulärem –5
enten, Ischämiediagnostik erfolgen. Danach kommt in Abhän- Block, Asystolie, supraventrikulärer Tachykar-
gigkeit vom Fehlen oder Vorliegen einer zugrunde liegenden die oder Diabetes?
Herzerkrankung der Kipptischuntersuchung, der EPU bzw. der
Haben Augenzeugen eine blaue Gesichtsfarbe –4
»Memory-loop«-EKG-Aufzeichnung die höchste diagnostische
berichtet?
Bedeutung zu.
Als diagnostisch wenig hilfreich in der Synkopenabklärung Trat die erste Synkope jenseits des 35. Lebens- –3
gelten Röntgenthoraxuntersuchung, zerebrale Computertomo- jahres auf?
graphie oder Magnetresonanztomographie und EEG, Letztere Erinnern Sie irgendetwas über die Bewusst- –2
mit Ausnahme eines begründeten Verdachts auf das Vorliegen losigkeit?
einer Epilepsie. Eine neurologische und/oder psychiatrische Eva-
Haben Sie Anfälle von Benommenheit +1
luation ist nicht routinemäßig indiziert (Empfehlungsgrad IIIC),
oder Bewusstlosigkeit bei längerem Sitzen
sondern bei Verdacht auf nichtsynkopalen Bewusstseinsverlust,
oder Stehen?
Verdacht auf autonome Dysfunktion oder zerebrales Steal-Phä-
nomen sowie bei Verdacht auf psychogene Synkope (jeweils Schwitzen Sie oder haben ein Wärmegefühl +2
Empfehlungsgrad IC). Die diagnostische Ausbeute einzelner Un- vor Eintreten der Bewusstlosigkeit?
tersuchungsverfahren ist in . Tab. 9.1 dargestellt. Haben Sie Anfälle von Benommenheit +3
oder Bewusstlosigkeit im Zusammenhang mit
Schmerz oder in medizinischer Umgebung?
9.2.1 Anamnese (Empfehlungsgrad IC)
Eine vasovagale Synkope gilt als extrem wahrscheinlich
(Sensitivität 89%, Spezifität 91%) bei einer addierten Ge-
Die entscheidenden anamnestischen Fragen sind in der 7 Über-
samtpunktzahl von –2 oder höher. Punktzahlen von –3 und
sicht 9.2 wiedergegeben.
tiefer sprechen gegen eine vasovagale Synkope.
Positionsunabhängige, plötzlich einsetzende Synkopen sind
klassischerweise rhythmogen; im Stehen nach einer Prodromal-
phase einsetzende Synkopen sind typischerweise vasovagale Syn-
kopen. Mithilfe des einfachen Calgary Syncope Score (7 Über- ischämischer oder nichtischämischer Genese oder selten auch bei
sicht 9.3) lässt sich eine vasovagale von anderen Synkopenursa- autonom-nervaler Reflexaktivierung auftreten. Letztere führt
chen mit hoher Genauigkeit abgrenzen. eher zum Synkopeneintritt direkt nach Belastung.
Synkopen während körperlicher Belastung können infolge Wichtig ist die genaue Abgrenzung von synkopenähnlichen
einer Flussobstruktion, einer tachykarden Rhythmusstörung Beschwerden wie Schwindel, Hyperventilation, Panikattacken,
9.2 · Diagnostik
267 9

vertebrobasiläre Insuffizienz mit Drop attacks und Hypoglykä-


. Tab. 9.2. Wahl des diagnostischen Vorgehens in Abhängigkeit von
miephasen. Anamnestische Hinweise für die z. T. nur schwer der klinischen Ausgangssituation. (Mod. nach Task Force on Syncope
abzugrenzende Epilepsie sind das Fehlen eines blassen Hautko- 2004)
lorits während des Anfalls, Zungenbiss, postiktaler Dämmerzu-
Ausgangssituation Vorgehen
stand, das mögliche Auftreten aus dem Schlaf heraus, das Vorlie-
gen lang anhaltender tonisch-klonischer, symmetrischer, rhyth- Vermutete kardiale Erkrankung Echokardiographie, verlängertes
mischer Krämpfe mit asynchronem Ausklang. EKG-Monitoring, EPU
Angina und Synkope oder Ischämiediagnostik, Echokardio-
Synkope unter Belastung graphie, EKG-Monitoring
9.2.2 Körperliche Untersuchung Jung, herzgesund, rezidivieren- Kipptischuntersuchung (falls
(Empfehlungsgrad IC) de Synkopen Anamnese nicht bereits eindeutig)
Alt, herzgesund, rezidivierende Karotisdruckversuch (Cave: niedrige
Eine internistische, kardiologische und neurologische Untersu- Synkopen Spezifität)
chung ist bei Synkopenpatienten unabdingbar. Es sollten Blut-
Autonome Dysfunktion/neuro- Vertiefte neurologische Diagnostik
druck- und Herzfrequenzverhalten im Liegen sowie Stehen im
logische Erkrankung
Rahmen eines Schellong-Tests geprüft werden. Kardiale Auskul-
tationsphänomene sind hinweisend auf Synkopen infolge mecha-
nischer Obstruktion. Laboruntersuchungen sind in der Synko-
penabklärung üblicherweise nicht weiterführend, sollten jedoch Übersicht 9.4. Indikationen zur Kipptischuntersuchung.
zum Ausschluss einer Anämie, einer Hypoglykämie sowie einer (Mod. nach Task Force on Syncope 2004)
Hyonatriämie durchgeführt werden.
Erste weiterführende diagnostische Maßnahmen je nach kli-
Eindeutig (Empfehlungsgrad IC)
nischer Ausgangssituation sind in . Tab. 9.2 dargestellt.
4 Ungeklärte einmalige Synkope mit hoher Gefährdungs-
gefahr
4 Rezidivierende Synkope ohne organische Herzerkran-
9.2.3 Strukturelle Herzerkrankung?
kung
4 Rezidivierende Synkope mit Herzerkrankung nach Aus-
Diese Frage wird üblicherweise mithilfe der Echokardiographie
schluss kardialer Ursachen
(Empfehlungsgrad IC bei vermuteter kardialer Erkrankung) und
4 Nachweis der neurokardiogenen Genese ist von Nutzen
der Ischämiediagnostik (zumeist Ergometrie, Empfehlungs-
für den Patienten
grad IC bei Synkopen während oder direkt nach Belastung) ge-
Möglich/sinnvoll (Empfehlungsgrad IIaC)
klärt. Mit Echokardiographie und Dopplerechokardiographie
4 Bei eventueller Therapiekonsequenz
können praktisch alle Ursachen einer mechanisch bedingten kar-
4 Differenzierung Synkope mit Myoklonien von Epilepsie
diogenen Synkope sensitiv erfasst werden. Die Ergometrie dient
4 Rezidivierende unerklärte Stürze, rezidivierende Präsyn-
im Wesentlichen zum Nachweis einer Koronarkrankheit als po-
kopen
tenzielles Substrat einer ischämisch induzierten Rhythmusstö-
Nichtindiziert (Empfehlungsgrad IIIC)
rung. In Abhängigkeit hiervon sollte über eine weiterführende
4 Therapiekontrolle
invasive Diagnostik mithilfe der Koronarangiographie entschie-
4 Einmalige Synkope ohne Verletzung oder Gefährdung
den werden. Selten benötigt werden kardiales MRT (z. B. bei Ver-
4 Eindeutige klinische Diagnose ohne Änderung der Thera-
dacht auf rechtsventrikuläre Dysplasie) oder kardiales CT (z. B.
pie durch positiven Kipptisch
bei Verdacht auf Koronaranomalie).

9.2.4 Autonom-nervale Diagnostik Der gemischte Reaktionstyp (Typ 1) zeigt einen Blutdruckabfall
vor dem Herzfrequenzabfall. Die Frequenz fällt entweder nicht
Kipptischuntersuchung oder für weniger als 10 s unter 40/min. Beim kardioinhibito-
Die Kipptischuntersuchung ist die wichtigste diagnostische Un- rischen Typ ohne Asystolie (Typ 2a) fällt der Blutdruck vor der
tersuchung für Patienten mit Synkopen ohne erkennbare kardiale Frequenz, Letztere für mehr als 10 s unter 40/min, aber ohne
Grunderkrankung. Indikationen zur Kipptischuntersuchung Asystolie >3 s. Der kardioinhibitorische Typ mit Asystolie (Typ 2b)
sind in 7 Übersicht 9.4 aufgeführt. weist eine Asystolie von mehr als 3 s auf, der Blutdruckabfall geht
Es sind unterschiedliche Durchführungsprotokolle in Ge- dem Frequenzabfall voraus oder tritt gleichzeitig ein. Der rein
brauch: vasodepressorische Typ (Typ 3) zeigt einen Frequenzabfall von
4 Westminster-Protokoll: passives Stehen für 45 min, Steh- weniger als 10% des Ausgangswertes. Der gemischte Reaktionstyp
winkel 60–70°, ist mit zwei Dritteln aller Fälle der häufigste.
4 Italienisches Protokoll: passives Stehen für 20 min, Stehwin- Sensitivität und Spezifität des Kipptischversuches bezüglich
kel 60–70°, dann im Stehen sublinguale Applikation von der neurokardiogenen Synkope sind bei einem fehlenden Gold-
0,4 mg Nitroglyzerin, weiteres Stehen für maximal 20 min, standard schwierig zu definieren. Die Spezifität wird um 90%
4 Isoprenalin-Protokoll: passives Stehen für 20 min, Stehwin- angegeben (Strickberger et al. 2006). Ein positiver Kipptischver-
kel 60–70°, dann im Stehen i.v.-Gabe von 1–3 μg/min Isopre- such wird daher als zuverlässiger Nachweis einer neurokardio-
nalin, mit dem Ziel einer Frequenzsteigerung um 20–25%, genen Synkope gewertet. Spontansynkopen sind möglicherweise
weiteres Stehen für maximal 20 min. jedoch häufiger kardioinhibitorisch als Kipptischsynkopen
268 Kapitel 9 · Synkope

(Moya et al. 2001). Die Sensitivität liegt deutlich niedriger, je nach mit Synkopen pathologisch; in einem Viertel dieser Fälle gelingt
Kollektiv zwischen 26 und 80% (Strickberger et al. 2006). Für der direkte Nachweis der Synkopenursache (Linzer et al. 1997).
einen herzgesunden Synkopenpatienten bleibt daher auch nach
> Ein völlig normales EKG kann als Prädiktor einer guten Prognose
negativem Kipptischtest eine neurokardiogene Ursache am wahr-
und einer geringen Wahrscheinlichkeit einer rhythmogenen
scheinlichsten. Hierin sehen manche Autoren eine gravierende
Synkope gelten.
diagnostische Limitation der Kipptischuntersuchung.

Karotisdruckversuch Langzeit-EKG (Empfehlungsgrad IC–IIC)


Die Task Force on Syncope empfiehlt den Karotisdruckversuch am Das Langzeit-EKG ist üblich, zumeist aber diagnostisch nicht
liegenden und stehenden, auf dem Kipptisch festgeschnallten Pa- weiterführend. In 8 Studien mit insgesamt über 2600 Patienten
tienten über 40 Jahre mit »ungeklärter« Synkopenätiologie nach mit Synkopen korrelierten Symptome und mithilfe des Langzeit-
Basisdiagnostik (Empfehlungsgrad IC). Das Ergebnis wird bei EKG erfasste Rhythmusstörungen in 4% der Fälle (Linzer et al.
Symptomreproduktion und Asystolie >3 s und/oder systolischem 1997).
Blutdruckabfall >50 mmHg als diagnostisch beweisend gewertet,
sofern keine andere Synkopenursache gefunden werden kann. »Memory-loop«-EKG-Rekorder
Bis zu 20% älterer Patienten mit kardiovaskulären Erkran- Bei hochgradigem Verdacht auf eine rhythmogene Synkope, aber
kungen weisen eine pathologische Antwort auf, ohne je eine aufgrund der Seltenheit des Ereignisses fehlender Erfassbarkeit im
Synkope gehabt zu haben. Der positive prädiktive Wert des Ka- Langzeit-EKG ist der patientenaktivierbare Memory-loop-Rekor-
rotisdruckversuchs ist unbekannt; mit therapeutischen Schluss- der aufgrund der retrograden Rhythmusabfragemöglichkeit sinn-
folgerungen sollte man sehr vorsichtig sein. Einige Autoren sug- voll. Neben extern tragbaren ist auch ein kleiner subkutan implan-
gerieren allerdings einen Nutzen der Schrittmacherimplantation tierbarer Memory-loop-Rekorder verfügbar. Er ermöglicht ein
9 bei älteren Patienten mit positivem Karotisduckversuch und
anderweitig ungeklärter Synkope (Task Force on Syncope 2004;
retrogrades Einfrieren einer EKG-Schleife nach stattgehabter Syn-
kope durch externe Aktivierung seitens des Patienten.
Kenny 2002). In einer Studie an Patienten mit rezidivierenden, ungeklärten
Synkopen, ließ sich in 52% der Fälle eine Diagnose (zumeist eine
bradykarde Rhythmusstörung; Krahn et al. 2001) mithilfe des
9.2.5 Rhythmologische Diagnostik Loop-Rekorders stellen.
Bei ausgeprägter struktureller Herzkrankheit (z. B. ischä-
12-Kanal-EKG (Empfehlungsgrad IC) mische Kardiomyopathie), aber noch nicht gegebener primärer
Das EKG kann eine rhythmogene Synkopenursache entweder ICD-Indikation nach Auswurffraktionskriterien sollte zunächst
direkt nachweisen (z. B. kompletter AV-Block) oder eine synko- eine EPU unter der Fragestellung einer ventrikulären Tachyar-
penassoziierte Anomalie zeigen (z. B. Long-QT-Syndrom; rhythmie erfolgen. Bei negativer EPU (häufig falsch-negativ in
7 Übersicht 9.5). Ein 12-Kanal-EKG ist bei ca. 5% aller Patienten der Erkennung bradykarder Rhythmusstörungen) erscheint eine
Loop-Rekorder-Überwachung sinnvoll (Menozzi et al. 2002).
Weitere Indikationen umfassen einen begründeten Verdacht auf
Übersicht 9.5. Pathologische EKG-Befunde. eine bradykarde Rhythmusstörung und seltenes Auftreten der
(Mod. nach Task Force on Syncope 2004) Synkope, z. B. bei intermittierendem AV-Block III. Grades, sowie
ungeklärte rezidivierende Synkopen mit Verletzung (Empfeh-
»Beweisend« für eine rhythmogene Synkopenursache lungsgrad IC).
4 AV-Block II. Grades, Typ Mobitz,
4 AV-Block III. Grades, Elektrophysiologische Untersuchung
4 Sinusbradykardie <40/min oder repetitive SA-Blockie- Die EPU dient der Prüfung des Reizbildungs- und Leitungssys-
rung oder Pause >3 s, tems sowie der Frage der Induzierbarkeit supraventrikulärer oder
4 Alternierender Schenkelblock ventrikulärer Tachyarrhythmien (7 Kap. 3).
4 Schnelle paroxysmale supraventrikuläre oder ventriku- Patienten ohne strukturelle Herzkrankheit und mit norma-
läre Tachykardien lem EKG haben nur sehr selten ein pathologisches Ergebnis in
4 Pausen/Bradykardien bei Schrittmacherträgern der EPU.
»Hinweisend« auf eine rhythmogene Synkopenursache Bei Vorliegen einer organischen Herzerkrankung, insbeson-
4 QRS-Dauer >120 ms dere einer Koronarkrankheit, sowie bei bereits vordokumen-
4 Bifaszikulärer Block tierter v. a. tachykarder Rhythmusstörung, d. h. hoher Vortest-
4 AV-Block II. Grades Typ Wenckebach wahrscheinlichkeit, ist in einem hohen Prozentsatz der Fälle mit
4 Asymptomatische Sinusbradykardien <50/min einem positiven Untersuchungsergebnis zu rechnen. Dieses Pati-
4 SA-Block oder Pause <3 s entenkollektiv sollte daher nach stattgehabter positionsunabhän-
4 δ-Welle giger, d. h. mutmaßlich nichtvasovagaler Synkope einer EPU
4 QT-Zeit-Verlängerung (QTc >440 ms) zugeführt werden. Zu beachten ist die begrenzte Sensitivität der
4 QT-Zeit-Verkürzung (QTc <320 ms) EPU bei bradykarden Rhythmusstörungen.
4 Brugada-EKG (RSB+spezifische ST-Hebung V1–V3) Indikationen zur EPU, verwertbare Ergebnisse und Indikati-
4 AVRD (negative T-Wellen präkordial, ε-Welle) onen zur ICD-Implantation bei Patienten mit Synkope sind in
4 Q-Zacken nach Myokardinfarkt den 7 Übersichten 9.6, 9.7 und 9.8 aufgeführt (bezüglich der jewei-
4 Linkshypertrophie mit Pseudo-Q-Zacken (HCM/HOCM) ligen antiarrhythmischen Therapie in Abhängigkeit von der do-
kumentierten Rhythmusstörung 7 Kap. 3).
9.3 · Therapie der neurokardiogenen und anderer vasovagaler Synkopen
269 9
9.3 Therapie der neurokardiogenen und
Übersicht 9.6. Indikationen zur EPU bei Patienten mit anderer vasovagaler Synkopen
Synkope. (Mod. nach Task Force on Syncope 2004)
Im Vordergrund steht die nichtmedikamentöse Therapie. Ge-
Eindeutig (Empfehlungsgrad IC) naue, beruhigende Patienteninformation und Meiden von Aus-
4 Verdacht auf rhythmogene Ursache: z. B. pathologisches lösesituationen reduzieren die Häufigkeit deutlich.
EKG und/oder strukturelle Herzerkrankung, Synkope mit
> Bei beginnenden Prodromi sind der Jendrassik-Handgriff (Hän-
Palpitationen, familiäre Belastung mit plötzlichem Herztod
de verschränken und Unterarmzug gegeneinander; Brignole et
Sinnvoll (Empfehlungsgrad IIC)
al. 2002) sowie Beine überkreuzen mit gleichzeitiger Anspan-
4 Exakte Identifizierung einer bereits dokumentierten
nung der Bein-, Gesäß- und Abdominalmuskeln (Krediet et al.
Rhythmusstörung
2002) geeignet, den Synkopeneintritt zu verhindern.
4 Hochrisikobeschäftigungsbereiche
Nichtindiziert (Empfehlungsgrad IIIC) Als sehr effektiv im Sinne einer Rekonditionierung bzw. Desensi-
4 Normales EKG, keine Herzerkrankung und keine Palpitati- bilisierung der Mechanorezeptorantwort hat sich das Stehtraining
onen erwiesen. Zweimal tägliches bis zu 40-minütiges schräges Anleh-
nen an eine Wand (Fersen ca. 20 cm von der Wand entfernt,
Wandkontakt lediglich mit den Schultern) führt bei regelmäßiger,
langfristiger Durchführung zu einem praktisch vollständigen Ver-
Übersicht 9.7. Diagnostisch eindeutige Ergebnisse einer
schwinden von neurokardiogenen Synkopen (Reybrouck 2002).
EPU. (Mod. nach Task Force on Syncope 2004)
Das Tragen von Kompressionsstrümpfen und eine erhöhte täg-
liche Flüssigkeitsaufnahme sollten empfohlen werden.
Eine generelle medikamentöse Therapie wird in den aktu-
4 Sinusbradykardie und sehr lange SKEZ (>2 s) bzw.
ellen Leitlinien der Europäischen Fachgesellschaft nicht empfoh-
KSKEZ (>1 s)
len. Dies beruht auf dem Fehlen von randomisierten Studien oder
4 Bifaszikulärer Block und
der widersprüchlichen Datenlage. Als effektiv können sich indi-
– Ruhe-HV-Intervall >100 ms oder
viduell jedoch der α-Adrenozeptoragonist Midodrin (Kaufmann
– AV-Block II/III. Grades bei atrialem Pacing oder höher-
et al. 2002; Perez-Lugones et al. 2001), β-Rezeptorenblocker (Kre-
gradiger Block nach Ajmalin i.v., Procainamid oder
diet et al. 2002; Sheldon et al. 2001), der Serotonin-Reuptake-
Disopyramid
Hemmer Fluoxetin (Task Force on Syncope 2004) sowie das Mi-
4 Induktion einer anhaltenden monomorphen VT
neralokortikoid 9-Fludrocortison (Task Force on Syncope 2004)
4 Induktion einer supraventrikulären Arrhythmie mit Syn-
erweisen. Midodrin war in einer täglichen Dosierung von 2-mal
kope oder Hypotonie
2,5–5 mg sowohl kurz- als auch langfristig in 2 Studien effektiv.
Seine Wirksamkeit beruht am ehesten auf einer verstärkten Aus-
gangsvasokonstriktion; die einsetzende, autonom-nerval vermit-
telte Vasodilatation fällt dann geringer aus. β-Rezeptorenblocker
Übersicht 9.8. Indikationen für eine ICD-Implantation sollen die initiale sympathikusvermittelte Reizung des hypersen-
bei Patienten mit stattgehabter Synkope. (Nach Task sitiven ventrikulären Barorezeptors mildern. Neben positiven,
Force on Syncope 2004) zumeist nichtrandomisierten Studien liegen auch Nachweise feh-
lender Effektivität vor. In der größten randomisierten, dop-
4 Dokumentierte VT/VF mit Synkope ohne korrigierbare pelblinden β-Blocker-Studie bei neurokardiogener Synkope
Ursache (Empfehlungsgrad IA) (POST-Studie) erhielten Patienten mit anamnestisch mehr als
4 Synkope ohne Rhythmusdokumentation mit hoher VT/ 2 Synkopen und einem positiven Kipptischtest Metoprolol
VF-Wahrscheinlichkeit (n=108, im Mittel 122 mg Metoprolol/Tag) oder Placebo (n=100).
– Induzierbare, anhaltende, monomorphe VT mit hämo- Die Patienten erhielten allgemeine Verhaltensmaßregeln; ein
dynamischer Beeinträchtigung, bei Fehlen einer ande- Stehtraining erfolgte nicht. Es ergab sich mit 37,5% Rezidiven in
ren Erklärung (Empfehlungsgrad IB) einem Jahr in beiden Studiengruppen kein Unterschied in der
– Ungeklärte Synkope bei ausgeprägter LV-Dysfunktion, Häufigkeit von Präsynkopen oder Synkopen (Sheldon 2006b).
bei Fehlen einer anderen Erklärung (Empfehlungs- Als nichtgesicherte, ineffektive oder unverträgliche Medikamente
grad IIB) gelten inzwischen Disopyramid, Etilefrin, Verapamil, Scopola-
– Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom, ARVD, HOCM min und Theophyllin (Task Force on Syncope 2004).
plus familiäre SD-Häufung, keine andere Ursache Zwei randomisierte Multizenterstudien belegen eine Teilef-
(Empfehlungsgrad II) fektivität einer sequenziellen Schrittmacherimplantation in ei-
– Brugada-Syndrom oder ARVD und induzierbare ventri- ner selektierten Patientengruppe mit ausgeprägter Kardioinhibi-
kuläre Tachyarrhythmien mit hämodynamischer Beein- tion. Die Synkopenrezidive, nicht jedoch die Häufigkeit von
trächtigung, keine andere Ursache (Empfehlungs- Präsynkopen wurde gesenkt (Connolly et al. 1999; Sutton et al.
grad II) 2000). In einer dritten Studie wurde 100 Patienten mit kardioin-
hibitorischer Synkope ein Zweikammerschrittmachersystem im-
plantiert, das bei 52 Patienten eine stillgelegte Stimulationsfunk-
tion hatte. In einem Sechsmonatsverlauf war das kumulative
Rezidivrisiko in beiden Gruppen nicht unterschiedlich (Connol-
ly et al. 2003). Eine Schrittmachertherapie beeinflusst natürlich
270 Kapitel 9 · Synkope

nicht die zumeist betont vorliegende vasodepressorische Kompo- Literatur


nente der neurokardiogenen Synkope. Gemäß den aktuellen
Empfehlungen sollte eine Schrittmacherimplantation nur bei Pa- Brignole M, Croci F, Menozzi C et al. (2002) Isometric arm-counterpressure
tienten mit kardioinhibitorischer Synkope und einer Frequenz maneuvers to abort impending vasovagal syncope. J Am Coll Cardiol
von mehr als 5 Synkopen/Jahr oder ausgeprägter Verletzung und 40: 2053–2059
Brignole M, Menozzi C, Bartoletti A et al. (2006) A new management
Alter über 40 Jahren erwogen werden (Task Force on Syncope
of syncope: prospective systematic guideline-based evaluation of
2004). Die Schrittmacherimplantation stellt somit eine nur ex-
patients referred urgently to general hospitals. Eur Heart J 27: 76–82
trem selten indizierte Therapiemaßnahme dar. Connolly SJ, Sheldon R, Roberts RS, Gent M (1999) The North American
Therapie der Wahl der Karotissinussynkope ist hingegen die Vasovagal Pacemaker Study (VPS). J Am Coll Cardiol 33: 16–20
sequenzielle Schrittmacherimplantation beim kardioinhibito- Connolly SJ, Sheldon R, Thorpe KE et al. for the VPS II Investigators (2003)
rischen Typ (Empfehlungsgrad IC; 7 Übersicht 9.9). Pacemaker therapy for prevention of syncope in patients with recur-
rent severe vasovagal syncope: Second Vasovagal Pacemaker Study
(VPS II). JAMA 289: 2224–2229
Übersicht 9.9. Therapie der neurokardiogenen Synkope. Kapoor WN (2002) Current evaluation and management of syncope. Circu-
(Mod. nach Task Force on Syncope 2004) lation 106: 1606–1609
Kaufmann H, Saadia D, Voustianiouk A (2002) Midodrine in neurally medi-
Prävention ated syncope. Ann Neurol 52: 342–345
Kenny RA (2002) Neurally mediated syncope. Clin Geriatr Med 18: 191–210
4 Aufklärung und Vermeiden von Auslösesituationen
Krahn AD, Klein GJ, Yee R, Skanes AC (2001) Randomized Assessment of
(Empfehlungsgrad IC), Flüssigkeitszufuhr und Tragen von
syncope trial: conventional diagnostic testing versus a prolonged mo-
Kompressionsstrümpfen (Empfehlungsgrad IIC)
nitoring strategy. Circulation 104: 46–51
4 Stehtraining: 2-mal täglich 30–40 min Anlehnen mit den Krediet CTP, Dijk N van, Linzer M (2002) Management of vasovagal syn-
Schultern an eine Wand, Füße in 20 cm Abstand von der
9 Wand (Empfehlungsgrad IIC)
cope. Circulation 106: 1684–1689
Linzer M, Yang EH, Estes NA et al. (1997) Diagnosing syncope. Part 1: Value
Mechanische Manöver beim Einsetzen der Prodromi of history, physical examination, and electrocardiography. Ann Intern
4 Hinlegen, wenn möglich Med 126: 989–996
4 Jendrassik-Griff (Finger verschränken und Unterarmzug Menozzi C, Brignole M, Garcia-Civera R et al. (2002) Mechanism of syncope
gegeneinander, Empfehlungsgrad IIC) in patients with heart disease and negative electrophysiologic test.
Circulation 105: 2741–2745
4 Beine überkreuzen und Anspannen der Bein-, Gesäß-
Moya A, Brignole M, Menozzi C et al. (2001) Mechanism of syncope in pa-
und Abdominalmuskulatur (Empfehlungsgrad IIC)
tients with isolated syncope and in patients with tilt-positive syncope.
Medikamentöse Prävention (individuell, keine generellen
Circulation 104: 1261–1267
Empfehlungen) Perez-Lugones A, Schweikert R, Pavia S et al. (2001) Usefulness of midodri-
4 Midodrin 2-mal 2,5–10 mg/Tag, β-Blocker, Fluoxetin, pas- ne in patients with severely symptomatic neurocardiogenic syncope:
sager 9-Fludrocortison 0,1–0,3 mg/Tag (für alle Medika- a randomized control study. J Cardiovasc Electrophysiol 12: 935–938
mente Empfehlungsgrad IIIC) Reybrouck T, Heidbuchel H, Werf F van de, Ector H (2002) Long-term follow-
Schrittmacherimplantation (sequenzielles System) up results of tilt training therapy in patients with recurrent neurocar-
4 Bei kardioinhibitorischer Synkope mit einer Frequenz diogenic syncope. Pacing Clin Electrophysiol 25: 1441–1446
>5/Jahr oder ausgeprägter Verletzung und Alter Santini M, Colivicchi F (2002) In-hospital management of syncope: the eu-
ropean perspective. Eur Heart J 23: 767–768
>40 Jahre, sorgfältige Einzelfallentscheidung (Empfeh-
Sheldon RS, Raj SR, Rose S, Connolly SJ (2001) Beta-blockers in syncope:
lungsgrad IIC)
the jury is still out. J Am Coll Cardiol 38: 2135–2136
Sheldon RS, Rose S, Connolly SJ et al. (2006a) Diagnostic criteria for vasova-
gal syncope based on a quantitative history. Eur Heart J 27: 344–350
Sheldon RS, Connolly SJ, Rose S et al. (2006b) Prevention of Syncope Trial
9.4 Prognose (POST): a randomized, placebo-controlled study of metoprolol in the
prevention of vasovagal syncope. Circulation 113: 1164–1170
Nicht die Synkope per se, sondern Art und Ausmaß einer zu- Soteriades ES, Evans JC, Larson MG et al. (2002) Incidence and prognosis of
syncope. N Engl J Med 347: 878–885
grunde liegenden Herzkrankheit sind prognosebestimmend.
Strickberger SA, Benson DW, Biaggioni I, et al. (2006) AHA/ACCF Scientific
Synkopen infolge einer strukturellen Herzerkrankung, z. B. VT
Statement on the evaluation of syncope: from the American Heart
bei ischämischer Kardiomyopathie, sind mit einer Einjahresleta- Association Councils on Clinical Cardiology, Cardiovascular Nursing,
lität von bis zu 20–30% verbunden. Bei kardiogener Synkope Cardiovascular Disease in the Young, and Stroke, and the Quality of
bestehen ein 2-fach erhöhtes Risiko für Tod oder Schlaganfall Care and Outcomes Research Interdisciplinary Working Group; and
und ein 2,66-fach erhöhtes Risiko für Myokardinfarkt (Soteriades the American College of Cardiology Foundation: in collaboration with
et al. 2002). the Heart Rhythm Society: endorsed by the American Autonomic So-
Insbesondere vasovagale Synkopen haben eine exzellente ciety. Circulation 113: 316–327
Prognose und weisen keine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität Sutton R, Brignole M, Menozzi C et al. (2000) Dual-chamber pacing in treat-
und Letalität auf (Soteriades et al. 2002). Selbstverständlich kön- ment of neurally-mediated tilt-positive cardioinhibitory syncope.
Pacemaker versus no therapy: a multicentre randomised study (VASIS
nen auch prognostisch eigentlich harmlose Synkopen bei plötz-
trial). Circulation 102: 294–299
lichem Eintritt ohne Prodromi schwerwiegende oder gar lebens-
Task Force on Syncope (2004) Guidelines on management (diagnosis and
bedrohliche Verletzungsfolgen haben. treatment) of syncope. Update 2004. Europace 6: 467–537
Zu Indikationen zur stationären Aufnahme eines Patienten
mit stattgehabter Synkope und zur Frage der Fahrtauglichkeit
s. Task Force on Syncope 2004.
271 10

Lungenembolie und akutes Cor pulmonale


S. Rosenkranz

10.1 Epidemiologie – 271 10.6 Therapie – 283


10.6.1 Therapieprinzipien – 283
10.2 Risikofaktoren – 272 10.6.2 Antikoagulation – 284
10.2.1 Beinvenenthrombose – 272 10.6.3 Thrombolyse – 286
10.2.2 Risikofaktoren internistischer Patienten – 273 10.6.4 Chirurgische Therapiemaßnahmen – 287
10.2.3 Risikofaktoren chirurgischer Patienten – 274 10.6.5 Katheterinterventionelle Therapieverfahren – 288

10.3 Pathophysiologische Konsequenzen der 10.7 Differenzialtherapie – 288


Lungenembolie – 275
10.3.1 Rechtsventrikuläre Dysfunktion – 275 10.8 Lungeninfarkt – 288
10.3.2 Störung des Gasaustauschs – 276
10.9 Besondere Formen der Lungenembolie – 289
10.4 Klinisches Erscheinungsbild – 277 10.9.1 Fettembolien – 289
10.4.1 Symptomatik – 277 10.9.2 Luftembolie – 289
10.4.2 Differenzialdiagnose – 277 10.9.3 Fruchtwasserembolie – 289

10.5 Diagnostik – 278 10.10 Prophylaxe der Lungenembolie – 289


10.5.1 Stufendiagnostik – 278
10.5.2 Diagnostische Methoden – 278 Literatur – 290
10.5.3 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf
Lungenembolie – 282

)) 10.1 Epidemiologie

Die Lungenembolie ist als meist thrombembolisch bedingte Ver- > Die Lungenembolie ist nach dem Myokardinfarkt und dem
legung einer oder mehrerer Pulmonalarterien mit der Folge einer Schlaganfall die dritthäufigste kardiovaskuläre Todesursache.
plötzlich einsetzenden Gasaustauschstörung und einer akuten
Druckbelastung des rechten Ventrikels definiert. Steigt der systo- Die Inzidenz diagnostizierter venöser Thromboembolien beträgt
lische Druck in der A. pulmonalis auf über 30 mmHg oder der etwa 150/100.000 Einwohner/Jahr und hat sich seit den frühen
Mitteldruck auf über 20 mmHg an, so spricht man vom akuten 80er Jahren kaum verändert. Bis zu 50% der Patienten mit tiefer
Cor pulmonale. Beinvenenthrombose entwickeln Lungenembolien, die jedoch kli-
nisch meist inapparent verlaufen. Die Inzidenz der Lungenembolie
In über 95% aller Fälle ist die akute Lungenembolie thrombem- beträgt in der Gesamtbevölkerung ca. 70/100.000/Jahr. Insgesamt
bolisch bedingt. Kann eine Thrombusquelle identifiziert wer- versterben in den USA jedes Jahr bis zu 300.000 Patienten und in
den, so findet sich in 70–90% der Fälle eine tiefe Beinve- Deutschland bis zu 50.000 Patienten an einer Lungenembolie, und
nenthrombose, 10–20% der Patienten mit Lungenembolie wei- die Diagnose wird häufig erst autoptisch gestellt (Tapson 2008).
sen eine Thrombose im Bereich der oberen Extremitäten auf Die Gefährdung durch Thromboembolien, insbesondere
(Tapson 2008). In seltenen Fällen kann es zur De-novo-Throm- Lungenembolien, nimmt im Alter deutlich zu, zudem sind Män-
bose im Zusammenhang mit schweren Thoraxtraumen oder ner häufiger betroffen als Frauen. Bei über 85-Jährigen ist die
einer Sichelzellenanämie kommen. Seltene Ursachen von nicht- jährliche Inzidenz gegenüber 15- bis 19-Jährigen nahezu 80-fach
thrombembolisch bedingten Lungenembolien sind Fettembo- erhöht (Silverstein et al. 1998). Die Inzidenz der Lungenembolie
lien im Rahmen ausgedehnter Frakturen der langen Röhrenkno- beträgt im höheren Lebensalter etwa 1–2 Fälle/1000 Patienten-
chen, peripartale Fruchtwasserembolien und meist iatrogen ver- jahre (Kniffen et al. 1994).
ursachte Luftembolien. Bei etwa einem Drittel der Patienten ist die Lungenembolie
Selten kann einem akuten Cor pulmonale eine Druckerhö- sofort tödlich. Die übrigen Patienten versterben häufig trotz bzw.
hung im kleinen Kreislauf im Rahmen eines Status asthmaticus, während medizinischer Behandlung, da die Diagnosestellung
eines Spannungspneumothorax oder schwerer hypoxischer Zu- und die Einleitung einer Therapie verspätet oder insuffizient er-
stände anderer Genese zugrunde liegen. folgen. Demgegenüber ist die Sterblichkeit nach Einleitung einer
adäquaten Therapie deutlich geringer. Hieraus ergibt sich die Be-
deutung der raschen und präzisen Diagnose des Krankheitsbilds,
um erneute und potenziell tödliche Rezidive einer Lungenembo-
lie zu verhindern.
272 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

10.2 Risikofaktoren nungsfaktoren aus dem Blut und begünstigt somit die Thrombus-
formation, insbesondere im Waden- und Kniekehlenbereich.
Die Risikofaktoren für die Entwicklung einer Lungenembolie Auch eine Vollnarkose führt durch Erschlaffung der glatten Mus-
entsprechen denen der tiefen Beinvenenthrombose. Grundsätz- kulatur zur venösen Dilatation und fördert die Blutstase in den
lich sind für die Entstehung von Thrombosen bzw. Lungenembo- Extremitäten.
lien Interaktionen zwischen hereditären und umweltbedingten/
erworbenen Faktoren von entscheidender Bedeutung. Es muss Hyperkoagulabilität
zwischen Risikofaktoren internistischer Patienten und solchen Der dritte Risikofaktor der Virchow-Trias, die Hyperkoagulabili-
Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko zur Entwicklung einer tät, wird in der Regel durch die Freisetzung von Thromboplasmin
Lungenembolie bei chirurgischen Patienten einhergehen, unter- aus verletztem Gewebe und die Aktivierung gerinnungsför-
schieden werden. dernder Faktoren durch Trauma, Schock, Geburt oder chirur-
gische Eingriffe vermittelt. Daneben kann es durch eine vermin-
derte Fähigkeit der Leber zur Inaktivierung von Gerinnungsfak-
10.2.1 Beinvenenthrombose toren ebenfalls zu einer Hyperkoagulabilität kommen. Zahlreiche
weitere Faktoren wie z. B. die Einnahme von Östrogenen können
Die Beinvenenthrombose entsteht auf dem Boden der vor fast ebenfalls zu einer Erhöhung der Gerinnbarkeit beitragen.
150 Jahren beschriebenen Virchow-Trias (Virchow 1862):
4 Endothelschädigung der Vene, Hereditäre Thrombophilien. Klassische hereditäre Defekte, die
4 Stase des Blutes und mit einer Thrombophilie einhergehen, sind in der Gesamtbevöl-
4 Hyperkoagulabilität des Blutes. kerung selten, können jedoch in bis zu 50% der Fälle bei jungen
Patienten mit nichterklärbarer Lungenembolie und positiver Fa-
Endothelschädigung der Vene milienanamnese gefunden werden. Sie können durch eine er-
Endotheliale Schädigungen führen u. a. zur Freilegung von Kolla- höhte Aktivität von Gerinnungsfaktoren und/oder eine vermin-
gen; hierdurch kommt es über die Vermittlung von Faktor VI–II derte Aktivität von Hämostaseinhibitoren zur Hyperkoagulabili-
10 und Von-Willebrand-Faktor zur Thrombozytenaggregation. tät führen. Gesichert ist der Zusammenhang mit einem Anti-
Adenosinphosphat und Thromboxan A2 werden freigesetzt, die thrombin-, Protein-C- oder Protein-S-Mangel sowie mit der
wiederum eine Plättchenaggregation und eine Aktivierung des Faktor-V-Leiden-Mutation (G1691→A; APC-Resistenz) und der
extrinsischen Gerinnungssystems initiieren bzw. perpetuieren. Prothrombinmutation (G20210→A). Die Prävalenz dieser De-
Hierdurch kommt es zur Bildung und Vernetzung von Fibrin. Die fekte ist relativ gering (. Tab. 10.1). So wird lediglich bei 2–3%
kontinuierlich fortschreitende Koagulation des Blutes wird durch aller Patienten mit venösen Thrombosen ein Protein-C-Mangel,
Fibrinabbau mithilfe von Plasmin, Antithrombin und Protein C bei etwa 2% ein Protein-S-Mangel und lediglich bei 1% ein Anti-
verhindert. Zusätzlich verursachen vasoaktive Mediatoren (z. B. thrombinmangel gefunden. Damit konnte für nur 10–15% der
Serotonin, Bradykinin), die aus verletztem Gewebe freigesetzt ungeklärten Thrombosen eine hereditäre Ursache gefunden wer-
werden, eine Vasodilatation, die zur intimalen Lazeration und den. Gleichsam ist das Risiko, eine venöse Thromboembolie zu
zur Freilegung von Kollagen führen kann, wodurch wiederum entwickeln, bei den meisten genetischen Defekten zumindest in
eine Thrombusformation begünstigt wird. der heterozygoten Form nur mäßig erhöht (. Tab. 10.1). Jedoch
ist das Thromboembolierisiko bei homozygoten Trägern der Fak-
> Obgleich traumabedingte Endothelverletzungen bei manchen
tor-V-Leiden-Mutation 30- bis 80-mal und bei homozygoten
Formen der tiefen Beinvenenthrombose, insbesondere nach
Trägern der Prothrombinmutation 10- bis 20-mal erhöht (Rosen-
Hüftfrakturen oder Hüftoperationen, Bedeutung haben können,
daal et al. 1995).
entstehen Thromben in der Regel jedoch im tiefen Venensystem
ohne endotheliale Verletzung. > Die Koexistenz von mindestens 2 Defekten kann zu einer dra-
matischen Erhöhung des Thromboembolierisikos führen.
Verlangsamter Blutfluss (Stase) Die Wertigkeit des Thrombophilie-Screenings bei Patienten mit
Ein verlangsamter Blutfluss ist seit Langem als wesentlicher Fak- thrombembolischen Ereignissen ist angesichts der niedrigen Prä-
tor einer venösen Thrombusentstehung anerkannt. Normaler- valenz und des meist nur mäßig erhöhten Risikos umstritten,
weise sind immer kleine Mengen aktivierter Gerinnungsfaktoren zumal die therapeurischen Konsequenzen eines positiven Be-
(ATP, Faktor X, Thrombin, Fibrin) im Blut vorhanden, die jedoch fundes im Hinblick auf die Dauer der Sekundärprophylaxe (the-
durch die Leber abgebaut werden. Ein verlangsamter Blutfluss rapeutische Antikoagulation) weitgehend unklar sind. Ebenso ist
führt zu einer Verlängerung der Kontaktzeit dieser Faktoren mit nicht belegt, ob der Nachweis einer Thrombophilie bei asympto-
Thrombozyten; hierdurch können Plättchenaggregation und matischen Verwandten eines Patienten mit stattgehabter Lungen-
Thrombusbildung initiiert werden. embolie eine Primärprophylaxe rechtfertigt. Die derzeitigen
Empfehlungen zur Prophylaxe thrombembolischer Ereignisse
> Verschiedene Situationen wie Bettlägerigkeit, Immobilisation
bei Patienten mit Faktor-V-Mutation sind in . Tab. 10.2 zusam-
oder Flugreisen führen zum verlangsamten Blufluss und gelten
mengefasst.
als wesentliche prädisponierende Faktoren für eine tiefe Beinve-
nenthrombose und Lungenembolie.

Die Immobilisation in liegender oder sitzender Position führt zu


einer verminderten Drainage aus den Venen des Unterschenkels
und somit zu einer Stase von Blut in diesem Bereich. Diese be-
dingt eine Verlängerung der Clearance-Rate aktivierter Gerin-
10.2 · Risikofaktoren
273 10

. Tab. 10.1. Prävalenz und relatives Thromboembolierisiko bei hereditären Thrombophilien


Genetischer Defekt Prävalenz [%] Inzidenz [%] Relatives Risiko venöser
(Kaukasische Bevölkerung) (Angehörige von Patienten mit VTE) Thromboembolien
Antithrombinmangel, heterozygot <0,1 <5 8–12
Protein-C-Mangel, heterozygot <0,5 <5 5–10
Protein-S-Mangel, heterozygot <0,5 <5 2–8
Faktor-V-Leiden-Mutation (G1691→A)
Heterozygot ca. 5 <50 2–8
Homozygot <0,02 <2 30–80
Prothrombinmutation (G20210→A)
Heterozygot <3 <20 2–5
Homozygot <0,01 <1 10–20
MTHFR (C677T), homozygot <5 <20 1,5–3
MTHFR 5-,10-Methylentetrahydrofolatreduktase, VTE venöse Thromboembolie.

. Tab. 10.2. Prophylaxe thrombembolischer Komplikationen bei


Hohes Alter
APC-Resistenz Fortgeschrittenes Lebensalter ist ein unabhängiger Risikofaktor
für thrombembolische Ereignisse. Eine Differenzierung von Be-
Thromboselokalisation Dauer der oralen Antikoagulation
und Häufigkeit
gleiterkrankungen ist durch die erhöhte Inzidenz derartiger Er-
Heterozygote Homozygote krankungen im höheren Lebensalter schwierig. Auch ohne Be-
Mutation Mutation gleiterkrankungen kommt es im Alter >50 Jahren zu einer erhöh-
Kein thrombembolisches Keine orale Anti- Keine orale Anti- ten Inzidenz tödlicher Lungenembolien. Da die Altersabhängig-
Ereignis koagulation koagulation keit sowohl bei der idiopathischen als auch bei sekundären
Erstmals isolierte Bein- 1 Jahr Dauerhaft Lungenembolien (z. B. postoperativ, bei Immobilisierung oder
venenthrombose Trauma) zu beobachten ist, spiegelt sie einerseits die altersbe-
Bein- und Beckenvenen- 5 Jahre Dauerhaft
dingte Zunahme an Risikofaktoren, andererseits jedoch auch den
thrombose biologischen Prozess des Alterns selbst wider.
Lungenembolie 5 Jahre Dauerhaft Herzinsuffizienz
Zweitthrombose Dauerhaft Dauerhaft Die Herzinsuffizienz ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Ent-
APC aktiviertes Protein C. wicklung einer Lungenembolie. Bei dieser Erkrankung besteht
zudem eine deutliche Altersabhängigkeit. So weisen Patienten
unter 30 Jahren mit Herzinsuffizienz eine ca. 5%ige Inzidenz von
Lungenembolien auf (vergleichbar mit gleich alten, nichtherzin-
10.2.2 Risikofaktoren internistischer Patienten suffizienten Patienten), während Patienten über 30 Jahre eine
Thromboembolieinzidenz von 18,6% aufwiesen. Einen zusätz-
Hospitalisation lichen Risikofaktor stellt das Vorhofflimmern dar.
Hospitalisierte Patienten weisen im Vergleich zu ambulanten Pa-
tienten ein bis zu 150-fach erhöhtes Risiko für Lungenembolien Maligne Erkrankungen
auf, und Lungenembolien zeichnen für 5–10% der Todesfälle im Patienten mit malignen Erkrankungen weisen ein erhöhtes Risiko
Krankenhaus verantwortlich. Bei internistischen Patienten mit zur Entwicklung einer Lungenembolie auf. Bis zu 15% aller Pati-
plötzlich einsetzenden Erkrankungen ist das Risiko besonders enten mit Tumoren entwickeln klinisch manifeste Thromboembo-
hoch (Francis 2007). Daher wurden in den vergangenen Jahren lien, und Lungenembolien sind die zweithäufigste Todesursache bei
sowohl im chirurgischen wie auch im internistischen Bereich ef- Patienten mit Krebserkrankungen. Es zeigen sich jedoch Unter-
fektive Prophylaxeregime entwickelt. schiede zwischen den einzelnen Tumorformen. Das höchste Risiko
haben Patienten mit Pankreaskarzinomen (35%), gefolgt von Lun-
Bettlägerigkeit gen- oder Urogenitaltumoren (ca. 20%) und Mamma-, Magen-
Internistische Patienten mit hohem Lungenembolierisiko sind oder Prostatakarzinomen (ca. 16%). Umgekehrt können Lungen-
solche mit langer Bettlägerigkeit, z. B. bei Paraplegie, Guillain- embolien auch als Erstmanifestation maligner Erkrankungen auf-
Barré-Syndrom, schwerer Herzinsuffizienz usw. Der venöse Blut- treten. Der prothrombotische Effekt von Malignomen kann durch
fluss erreicht ab dem siebten Tag der Bettlägerigkeit ein Mini- verschiedene Faktoren erklärt werden. Neben einer mechanischen
mum. Entsprechend muss mit einer kontinuierlichen Zunahme Kompression oder Infiltration venöser Gefäße können Tumoren
der Thrombose- und Embolieinzidenz innerhalb der ersten durch Bildung und Freisetzung von Zytokinen sowie prothrombo-
7 Tage einer Bettruhe gerechnet werden. In einer großen Autop- tischen (»tissue factor«) oder antifibrinolytischen Faktoren (PAI-1)
siestudie hatten Patienten mit Querschnittslähmung eine Lun- zur Hyperkoagulabilität beitragen. Auch Chemotherapien sind mit
genembolieinzidenz von bis zu 30%. einem erhöhten Thromboembolierisiko assoziiert.
274 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

Adipositas Bei der postmenopausalen Hormonersatztherapie ist das


Ähnlich den Malignomen lässt sich auch die erhöhte Thrombo- Lungenembolierisiko 2- bis 4-fach erhöht (Grady et al. 2000).
embolieneigung bei adipösen Menschen durch mechanische Da die Frauen jedoch beträchtlich älter sind, sind die Absolut-
Kompression der Venen und durch direkte Freisetzung von zahlen höher. So wurden in Studien bis zu 80 tödliche
proinflammatorischen Zytokinen (Adipokinen) sowie von pro- Lungenembolien/100.000 Frauen/Jahr registriert (Rossouw et
thrombotischen/antifibrinolytischen Faktoren aus dem Fettge- al. 2002), bei gleichzeitig nicht gesichertem Nutzen der Hor-
webe erklären. monersatztherapie.

Diabetes mellitus Offenes Foramen ovale


Diabetes mellitus ist ein weiterer Risikofaktor für die Entwick- Bei 17% aller Erwachsenen besteht ein offenes Foramen ovale,
lung einer Lungenembolie, wenngleich das exakte Risiko schwer das bei Patienten mit Lungenembolie einen unabhängigen un-
von dem etwaiger Begleiterkrankungen zu trennen ist. Autopsie- günstigen prognostischen Faktor darstellt. Durch die Lungen-
studien zeigen eine ca. 20%ige Lungenembolieinzidenz. embolie kommt es zu einer Erhöhung des rechtsatrialen Drucks,
der den linksatrialen Druck übersteigen kann. Dies führt zu einer
Flugreisen und langes Sitzen Öffnung des interatrialen Ventils mit Rechts-links-Shunt und
Anamnestisch können langes Sitzen im Rahmen einer kurz zu- konsekutiver systemischer O2-Entsättigung. Diese arterielle Hy-
rückliegenden Flugreise (»Economy class-Syndrom«) oder Bahn- oxämie ist therapierefraktär und verschlechtert sich nach Intuba-
reise sowie berufliche Tätigkeiten mit vorwiegend sitzender Tä- tion und Beatmung mit PEEP weiter. Darüber hinaus können
tigkeit wie langes Sitzen vor dem Computer (»eThrombosis«) auf paradoxe Embolien in dieser Situation zu lebensbedrohlichen
ein erhöhtes Thromboserisiko hinweisen (Beasley et al. 2003), da Schlaganfällen und arteriellen Embolien führen.
es durch langes Sitzen zu einer Behinderung des venösen Rück-
stroms mit Stase in den unteren Extremitäten sowie zu einer Er-
höhung des Hämatokrits und der Blutviskosität kommen kann. 10.2.3 Risikofaktoren chirurgischer Patienten
Nach Flugreisen über 5000 km ist das Lungenembolierisiko ge-
10 genüber kürzeren Flügen etwa 11-fach erhöht, und bei Langstre- Abhängig vom Eingriff lassen sich chirurgische Patienten prä-
ckenflügen (>7500 km) beträgt die Inzidenz 4,8 Fälle/1 Mio. operativ durch eine Risikostratifikation in solche mit hohem,
Passagiere (Lapostolle et al. 2001). Jedoch kann das individuelle mittlerem und geringerem Risiko für eine Lungenembolie ein-
Risiko je nach Vorliegen hereditärer oder erworbener Risikofak- teilen (. Tab. 10.3). Entsprechend können prophylaktische Maß-
toren beträchtlich höher liegen. nahmen an diesem Risiko orientiert werden.

Schwangerschaft Niedriges Risiko


Die Schwangerschaft führt aus einer Reihe von Gründen (Behinde- Patienten haben ein niedriges Thromboembolierisiko, wenn sie
rung des venösen Blutflusses aus den unteren Extremitäten durch jünger als 40 Jahre alt sind und sich einer unkomplizierten Ope-
Kompression der V. cava inferior, erhöhte Östrogenspiegel, Erhö- ration unterziehen müssen. Patienten über 40 Jahre mit unkom-
hung aller Gerinnungsfaktoren außer Faktor XI und XIII) zu einer plizierter Operation und ohne zusätzliche Risikofaktoren haben
erhöhten Prädisposition für thrombembolische Ereignisse. Die In- ebenfalls ein geringes Thromboembolierisiko, wenn die Opera-
zidenz tiefer Venenthrombosen und pulmonaler Embolien wäh- tionsdauer <30 min beträgt. Das Risiko dieser Patientengruppe
rend der Spätschwangerschaft und in zeitlichem Zusammenhang ist <10%, eine Unterschenkelthrombose zu entwickeln, und <1%
mit der Geburt ist im Vergleich zu gleichaltrigen nichtschwangeren für eine ileofemorale Thrombose. Weniger als 0,01% aller Pati-
Frauen um das 5- bis 10-Fache erhöht (0,6–1,3 Ereignisse/1000 Ge- enten mit niedrigem Risiko erleiden ohne Prophylaxe eine töd-
burten). Eine aktuelle epidemiologische Studie zeigte, dass das re- liche Lungenembolie.
lative Risiko für venöse Thromboembolien während Schwanger-
schaft und Postpartalphase um den Faktor 4,3 erhöht ist, mit einer Mittleres Risiko
Indizenz von 199,7 Ereignissen/100.000 Frauenjahre. Besonders Ein mittleres Risiko weisen Patienten über 40 Jahre auf, die sich
gefährdet sind die Frauen kurz nach der Geburt. So ist das Risiko einer Operation über 30-min-Dauer unterziehen müssen. Dieses
für eine tiefe Venenthrombose während der Postpartalphase im Risiko wird durch Adipositas, Operationen am Dickdarm, ausge-
Vergleich zur Schwangerschaft 5-fach und das Risiko für eine Lun- dehnte Dissektionen, Operationen wegen eines malignen Tu-
genembolie sogar 15-fach erhöht. mors, durch fortgeschrittenes Lebensalter sowie lange Phasen
einer postoperativen Bettruhe erhöht. Diese Gruppe von Pati-
Kontrazeptiva und Hormonersatztherapie enten hat ein 10- bis 40%iges Risiko für die Entwicklung einer
Die Einnahme oraler Kontrazeptiva ist mit einer 2- bis 5-fachen Unterschenkelthrombose und ein 2- bis 10%iges Risiko für die
Erhöhung des Lungenembolierisikos assoziiert (Rosendaal et al. Entwicklung einer proximalen Venenthrombose. Von allen Pati-
2002). Jedoch ist das absolute Risiko der oralen Kontrazeption mit enten in dieser Gruppe erleiden 0,1–0,7% eine tödliche Lungen-
10 venösen Thromboembolien und einer tödlichen Lungenembo- embolie, falls keine Prophylaxe durchgeführt wird.
lie pro 100.000 behandelten Frauen pro Jahr niedrig, sodass diese
Verhütungsform als sicher anzusehen ist (Parkin et al. 2000). Hohes Risiko
Die Hochrisikogruppe umfasst die Patienten über 40 Jahre, die
! Cave bereits eine tiefe Beinvenenthrombose oder Lungenembolie erlit-
Die orale Kontrazeption ist bei hereditärer Thrombophilie oder ten haben.
positiver Familienanamnese relativ und bei stattgehabter Ve-
nenthrombose oder Lungenembolie absolut kontraindiziert.
10.3 · Pathophysiologische Konsequenzen der Lungenembolie
275 10

Die Risikofaktoren zur Entwicklung einer tiefen Beinve-


. Tab. 10.3. Risikofaktoren zur Entwicklung einer Lungenembolie
nenthrombose und einer Lungenembolie bei internistischen und
Bereich Risiko chirurgischen Patienten sind in . Tab. 10.3 zusammengefasst.
Internistische Über 7-tägige Immobilisation Die Inzidenz thrombembolischer Komplikationen bei Pati-
Patienten Paraplegie und Paraparese enten mit tiefer Venenthrombose beträgt etwa 50% (Tapson
Herzinsuffizienz NYHA-Klasse III–IV
2008). So konnte in einem Patientenkollektiv mit dokumentierter
tiefer Beinvenenthrombose meist ohne klinische Symptomatik in
Adipositas
der Perfusionsszintigraphie eine 51%ige Embolierate nachgewie-
Fortgeschrittenes Lebensalter sen werden. Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose der Ober-
Bösartige Erkrankungen: schenkel- oder Beckenvenen wiesen sogar in 73% Zeichen einer
Pankreaskarzinom abgelaufenen Lungenembolie auf (Huisman et al. 1989).
Kolonkarzinom
Karzinome des Urogenitaltrakts
Bronchialkarzinom 10.3 Pathophysiologische Konsequenzen der
Mammakarzinom Lungenembolie
Magenkarzinom
Prostatakarzinom
Die pathophysiologischen Veränderungen nach einer Lungen-
Schwangerschaft und Geburt embolie lassen sich im Wesentlichen 2 Grundmechanismen zu-
Kritische Allgemeinerkrankungen ordnen, die sich gegenseitig verstärken. Einerseits kommt es zu
Schock Störungen der Hämodynamik durch akute Belastung des rechten
Lungenversagen (ARDS) Herzens und rechtsventrikulärer Dysfunktion bis hin zum kardi-
Pankreatitis ogenen Schock. Andererseits führt die Thromboembolie zu einer
Gerinnungsstörungen: akut einsetzenden Gasaustauschstörung mit Hypoxämie bis hin
APC-Resistenz zur Beatmungspflichtigkeit.
AT-Mangel
Protein-C-/Protein-S-Mangel
Cardiolipinantikörper 10.3.1 Rechtsventrikuläre Dysfunktion
HIT-II
Chirurgische Niedriges Risiko: > Der Grad der pulmonalvaskulären Obstruktion determiniert das
Patienten Alter <40 Jahre Ausmaß der rechtsventrikulären Dysfunktion, die den entschei-
Unkomplizierte chirurgische Eingriffe denden pathophysiologischen Faktor für den klinischen Schwere-
Alter >40 Jahre mit chirurgischem Eingriff <30 min grad der akuten Lungenembolie und die Prognose darstellt.
und fehlenden Begleitrisiken
Mittleres Risiko: Mit zunehmender Obstruktion kommt es einerseits zur Erhö-
Alter >40 Jahre mit chirurgischem Eingriff >30 min hung des pulmonalarteriellen Drucks. Darüber hinaus werden
Adipositas vasokonstriktorische Substanzen freigesetzt, die reflektorisch zu
Kolonchirurgie
einer weiteren pulmonalarteriellen Vasokonstriktion führen.
Ausgedehnte Dissektionen
Fortgeschrittenes Lebensalter
Dies führt in Verbindung mit der Shunt-bedingten Hypoxämie
Operation bösartiger Tumoren (7 Abschn. 10.3.2) zu einer weiteren Erhöhung des pulmonalvas-
Varizenoperationen kulären Widerstands und hat so erheblichen Anteil an der Ent-
stehung der akuten pulmonalen Druckerhöhung. Folge ist eine
Hohes Risiko:
Patienten >40 Jahre bei Zustand nach tiefer Bein-
rechtsventrikuläre Dysfunktion, die eine sich selbst amplifizie-
venenthrombose/Lungenembolie rende Kaskade aus erhöhtem myokardialen O2-Bedarf, Myokard-
Ausgedehnte Tumorchirurgie im Bereich des ischämie, Reduktion der linksventrikulären Vorlast und Abfall
Beckens oder des Abdomens des HZV bis hin zum kardiogenen Schock auslöst.
Orthopädisch-chirurgischer Eingriff an der unteren Die akute, druckanstiegsbedingte rechtsventrikuläre Dilata-
Extremität tion kann auch zu einer deutlichen Beeinflussung des linken
APC aktiviertes Protein C, ARDS »acute respiratory distress syndrome«, Ventrikels mit Veränderung der Druck-Volumen-Kurve führen.
AT Angiotensin, HIT heparininduzierte Thrombozytopenie, NYHA New Durch die Dilatation des rechten Ventrikels im Perikardsack
York Heart Association. kann es zu einem Pulsus paradoxus, also zu einem inspirato-
rischen Abfall des systolischen Blutdrucks um mindestens
15 mmHg kommen. Diesem Phänomen liegt eine erhöhte Fül-
> In die Hochrisikogruppe fallen ebenfalls Patienten, bei denen lung des rechten Ventrikels während der Inspiration durch den
ausgedehnte Becken- oder Abdominaleingriffe wegen bösar- vermehrten venösen Rückstrom zum rechten Herzen zugrunde.
tiger Erkrankungen oder orthopädische Operationen an der un- Dies bewirkt eine weitere Dilatation des bereits vergrößerten
teren Extremität durchgeführt werden müssen. rechten Ventrikels mit Verschiebung des Interventrikularsep-
tums nach links und konsekutiver verminderter Füllung des lin-
Diese Patienten entwickeln in 40–80% der Fälle eine Thrombose ken Ventrikels. Durch diese verminderte linksventrikuläre Fül-
des Unterschenkels und in 10–20% eine proximale Venenthrom- lung erklärt sich der inspiratorische Blutdruckabfall. Die Interak-
bose. Ohne Prophylaxe erleiden 1–5% von ihnen eine tödliche tion zwischen linkem und rechtem Ventrikel ist in . Abb. 10.1
Lungenembolie. schematisch dargestellt. Eine akute Druckerhöhung im pulmo-
276 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

. Abb. 10.1. Pathophysiologie der Dysfunktion


des rechten (RV) und des linken Ventrikels (LV)
bei akuter rechtsventrikulärer Druckbelastung.
EF Ejektionsfraktion, PA Pulmonalarterie

10

. Tab. 10.4. Schweregradeinteilung der Lungenembolie bozyten gespeichert wird und gleichzeitig durch direkte Stimula-
tion einen Bronchospasmus verursachen kann. Aktivierte
Ausmaß der Lungengefäßbettverlegung [%] Schweregrad Thrombozyten setzen Thromboxan A2 frei, das ebenfalls ein po-
<25 Geringgradig tenter Vasokonstriktor und Mediator einer Bronchospastik ist.
25–50 Mittelgradig Darüber hinaus kommt es im Rahmen der Lungenembolie zu
einer Abnahme des »Surfactant«-Faktors mit konsekutivem alve-
50–60 Massiv
olären Kollaps und Ausbildung von Mikroatelektasen. Dies führt
>60 Fulminant zu einer Verminderung der Gasaustauschfläche für Sauerstoff
und zur Öffnung intrapulmonaler Shunts. Daraus resultiert in
Kombination mit Vasokonstriktion und Bronchokonstriktion
nalarteriellen Kreislauf kann bis auf maximal 40 mmHg erfolgen. und der hieraus entstehenden Totraumventilation mit »Perfusi-
Weitere Widerstandserhöhungen führen dann nicht zu einer wei- ons-Ventilations-Mismatch« eine für die Lungenembolie typische
teren Druckerhöhung, sondern zum akuten rechtsventrikulären Hypoxämie. Zusätzlich kommt es im Rahmen dieser Hypoxämie
Versagen, das schließlich im kardiogenen Schock endet. und der Stimulation pulmonaler Barorezeptoren zur Hyperven-
Das akute, dekompensierte Cor pulmonale, die dramatischs- tilation mit konsekutiver Hypokapnie. Die Pathophysiologie der
te Form der akuten Lungenembolie, tritt auf, wenn der pulmona- Gasaustauschstörung ist in . Abb. 10.2 dargestellt.
le Embolus groß genug ist, um mehr als 60–65% der pulmonalen
Strombahn zu verschließen. Der Schweregrad der Einteilung der
Lungenembolie nach dem Ausmaß der pulmonalarteriellen Ge-
fäßbettverlegung ist in . Tab. 10.4 widergegeben.

10.3.2 Störung des Gasaustauschs

Verschiedene Mechanismen sind für die akut auftretende Gas-


austauschstörung bei einer akuten Lungenembolie verantwort-
lich. Ursächlich für die häufig bestehende Diskrepanz zwischen
verlegtem Lungengefäßbett und kardiopulmonalen Verände-
rungen ist die Freisetzung neurohumoraler Faktoren wie Sero-
tonin und Thromboxan A2, die eine pulmonale Vasokonstriktion
und Bronchospasmen verursachen können. Serotonin ist ein po- . Abb. 10.2. Pathophysiologie der Gasaustauschstörung bei akuter
tenter Agonist der glatten Gefäßmuskulatur, der in den Throm- Lungenembolie. Re-li-Shunt Rechts-links-Shunt
10.4 · Klinisches Erscheinungsbild
277 10

. Tab. 10.5. Pathophysiologie der Lungenembolie . Tab. 10.6. Klinische Symptome bei Verdacht auf Lungenembolie.
(Nach Stein et al. 1991)
Auswirkung Pathophysiologische Veränderung
Symptom/Befund Lungenembolie [%]
Erhöhung des pul- Vaskuläre Obstruktion
monalvaskulären Neurohumoral vermittelte Vasokonstriktion Nachgewiesen Ausgeschlossen
Widerstands Hypoxie vermittelte Vasokonstriktion
(n=117) (n=248)
Verschlechterung Erhöhte alveoläre Totraumventilation durch
Dyspnoe 73 72
des Gasaustauschs vaskuläre Obstruktion
Hypoxämie durch alveoläre Hypoventilation Pleuraschmerz 66 59
Rechts-links-Shunt durch neurohumoral vermit- Husten 37 36
telte Shunt-Eröffnung
Diffusionsstörung durch Verminderung der Beinschwellungen 28 22
Gasaustauschfläche Beinschmerzen 26 24
Erhöhter Atemwe- Neurohumoral vermittelte Bronchokonstriktion Hämoptysen 13 8
gswiderstand
Palpitationen 10 18
Verminderte Lun- Surfactant-Verminderung
Angina pectoris 4 6
gendehnbarkeit Interstitielles Ödem
Tachypnoe 70 68
Rasselgeräusche 51 40*
Zusammenfassend führt die Lungenembolie zu den in Tachykardie über 100/min 30 24
. Tab. 10.5 aufgeführten pathophysiologischen Veränderungen.
Betonter zweiter Herzton 23 13*
Thrombosezeichen 11 11
10.4 Klinisches Erscheinungsbild Fieber über 38,5°C 7 12

10.4.1 Symptomatik Pleurareiben 3 2


Dritter Herzton 3 4
Die Diagnose einer Lungenembolie ist häufig schwierig, da klas- Zyanose 1 2
sische Zeichen und Symptome bei der Mehrzahl der Patienten *p>0,05.
nicht auftreten. Häufige, jedoch unspezifische Symptome einer
Lungenembolie sind:
4 plötzlich auftretender pleuritischer Thoraxschmerz,
4 Dyspnoe mit plötzlichem Beginn, Übersicht 10.1. Differenzialdiagnose der Lungenembolie
4 Hämoptysen,
4 Synkopen bzw. Präsynkopen,
4 Myokardinfarkt
4 hämodynamische Instabilität (Hypotonie, Tachykardie) und
4 Pneumonie
4 Tachypnoe.
4 Akute Herzinsuffizienz
4 Asthma bronchiale
Weitere wegweisende klinische Zeichen können Husten, assozi-
4 Chronisch obstruktive Bronchopneumopathie
ierte Beinschwellungen oder Beinschmerzen, Palpitationen und
4 Pneumothorax
pektanginöse Beschwerden sein. Bei der klinischen Untersu-
4 Perikarditis
chung lassen sich am häufigsten Tachykardie, Tachypnoe, basale
4 Rippenfrakturen
Rasselgeräusche über den Lungen, ein betonter zweiter Herzton,
4 Lungentumoren
aber auch Fieber nachweisen.
4 Muskuloskeletale Schmerzen
4 Hyperventilationstetanie
10.4.2 Differenzialdiagnose

! Cave
Eine umfangreiche Untersuchung an 365 Patienten mit Verdacht
Der Myokardinfarkt ist eine der wesentlichen Differenzialdiag-
auf Lungenembolie zeigte, dass sich die klinischen Symptome
nosen der Lungenembolie, da die Symptomkonstellation von
nur unwesentlich zwischen den Gruppen mit schließlich bewie-
akutem Thoraxschmerz, Dyspnoe und hämodynamischer Insta-
sener oder ausgeschlossener Lungenembolie unterscheiden
bilität auf beide Krankheitsbilder zutreffen kann.
(Stein et al. 1991). Diese Ergebnisse, die in . Tab. 10.6 zusam-
mengefasst sind, zeigen, dass die Symptome der Lungenembolie Wenn Patienten mit einer fraglichen Pneumonie, einer Herzin-
sehr unspezifisch sind. suffizienz oder einem Myokardinfarkt nicht auf die übliche The-
Aus diesen unspezifischen Krankheitssymptomen ergibt rapie ansprechen, sollte immer an eine gleichzeitig bestehende
sich, dass bei Verdacht auf Lungenembolie eine Vielzahl anderer Lungenembolie gedacht werden.
Erkrankungen in die Differenzialdiagnose einbezogen werden
muss (7 Übersicht 10.1).
278 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

10.5 Diagnostik
Übersicht 10.2. Stufendiagnostik der Lungenembolie
Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Lungenembolie erfolgt die
diagnostische Abklärung in Abhängigkeit des klinischen Schwere- 4 Stufe-I-Basisdiagnostik
grads. Bei Patienten mit stabilen Kreislaufverhältnissen wird eine – Klinische Untersuchung
Basisdiagnostik, einschließlich Laborparameter (D-Dimere), – Elektrokardiographie
vorgenommen; das weitere Vorgehen richtet sich nach der kli- – Blutgasanalyse
nischen Wahrscheinlichkeit. Bei instabilen Patienten ist aufgrund – D-Dimer-Bestimmung
der hohen Letalität eine rasche Diagnosesicherung von essen- 4 Stufe II
zieller Bedeutung, da die häufig fatalen Konsequenzen nur durch – Transthorakale Echokardiographie
eine rasche Reperfusion der verlegten Lungenstrombahn abge- – (Perfusions-/Ventilationsszintigraphie der Lunge)
wendet werden können. 4 Stufe III
– (Transösophageale Echokardiographie)
– Computertomographie
10.5.1 Stufendiagnostik – Magnetresonanztomographie
4 Stufe IV
Die Diagnostik lässt sich grundsätzlich in 4 Stufen einteilen; hier- – Pulmonalisangiographie
bei liegt der Wert der verschiedenen Verfahren nicht allein im – Pulmonalisdruckmessung
Beweis einer Lungenembolie, sondern auch im Ausschluss wich-
tiger differenzialdiagnostischer Erkrankungen (7 Übersicht 10.2).
Je schwerer das klinische Krankheitsbild, um so eher wird man
die Diagnostik bei Stufe III oder IV beginnen (7 Abschn. 10.5.3). EKG-Veränderungen einer Lungenembolie sind durch Dehnung
Demgegenüber stehen bei hämodynamisch stabilen Patienten und Druckbelastung des rechten Vorhofs und Ventrikels mit ent-
mit Verdacht auf Lungenembolie zunächst nichtinvasive und we- sprechenden Änderungen der elektrischen Herzachse, der Erre-
10 niger belastende diagnostische Verfahren der Stufe I und II im gungsausbreitung und -rückbildung sowie dem Vorliegen einer
Vordergrund. Tachykardie und ggf. Vorhofrhythmusstörungen bedingt (Daniel
et al. 2001). Beim akuten Cor pulmonale finden sich im klas-
sischen Fall eine S-Zacke in Ableitung I und eine Q-Zacke in
10.5.2 Diagnostische Methoden Ableitung III (SI/QIII-Typ), ein neu auftretender (in)kompletter
Rechtsschenkelblock oder die Zeichen der rechtsventrikulären
Elektrokardiographie Ischämie. Zusätzlich weisen Patienten mit ausgedehnten Lungen-
> Bei der Lungenembolie können sich im EKG Zeichen der embolien in der Regel ein P-pulmonale und eine Abweichung der
Rechtsherzbelastung zeigen. Darüber hinaus dient das EKG Herzachse nach rechts auf. Intermittierendes Vorhofflimmern
differenzialdiagnostisch dem Ausschluss eines akuten Myokard- oder -flattern kann Folge oder Ursache rezidivierender Lungen-
infarkts. embolien sein.
Die EKG-Zeichen einer Lungenembolie sind häufig transi-
Mithilfe des EKG kann eine Lungenembolie weder gesichert ent, die klassischen Veränderungen treten in der Regel nur
noch ausgeschlossen werden. Jedoch kann das EKG im Rahmen bei massiven oder fulminanten Embolien auf. Das EKG eines
der Basisdiagnostik zur Einschätzung der klinischen Wahr- Patienten mit akuter Lungenembolie und Verschluss von ca. 50%
scheinlichkeit (»pretest probability«) hilfreich sein. Typische des Lungengefäßquerschnitts wird in . Abb. 10.3 gezeigt.

. Abb. 10.3. Elektrokardiogramm bei akuter


Lungenembolie. Typische S-Zacke in I und Q-
Zacke in III (SI/QIII-Typ), inkompletter Rechts-
schenkelblock
10.5 · Diagnostik
279 10

Auch wenn die EKG-Veränderungen in der Regel nicht spe-


. Tab. 10.7. Zeichen der Lungenembolie im Thoraxröntgenbild
zifisch sind, weisen lediglich 30% aller Patienten mit gesicherter
Lungenembolie ein völlig unauffälliges EKG auf. 7 Übersicht 10.3 Zeichen Häufigkeit [%]
fasst die typischen EKG-Veränderungen einer Lungenembolie Atelektase 20
zusammen, die nach dem MAPPET-Register (Management Infiltrate 40–50
Strategies and Prognosis in Pulmonary Embolism; Geibel et al.
Pleuraerguss 30–40
2005) für die Diagnostik und die Einschätzung des Schwere-
grades der Lungenembolie hilfreich sein können. Gefäßrarefizierung 15
Prominente zentrale Pulmonalarterien 25–40

Übersicht 10.3. EKG-Veränderungen einer Lungen- Zwerchfellhochstand 40–60


embolie Rechtsherzvergrößerung 5–10

4 Vorhofrhythmusstörungen
4 Inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock Die Thoraxröntgenaufnahme kann insbesondere bei der dif-
4 SI/QIII-Typ ferenzialdiagnostischen Abgrenzung anderer Erkrankungen, die
4 Q in III und aVF, nicht jedoch in II Symptome einer Lungenembolie zeigen können, wie des Pneu-
4 S in Ableitung I und aVL >0,15 mV mothorax oder einer ausgedehnten Pneumonie hilfreich sein.
4 RS-Übergang linksverschoben Die radiologisch wichtigsten Zeichen einer Lungenembolie im
4 Periphere Niedervoltage Thoraxröntgenbild sind in . Tab. 10.7 zusammengefasst.
4 Altersabweichender Steiltyp oder Rechtstyp
4 T-Negativierung in den Ableitungen III und aVF oder in Laborparameter
V1–V4 Laborparameter können zum Ausschluss einer Lungenembolie
und zur Einschätzung des Schweregrads einer Lungenembolie
bzw. der rechtsventrikulären Kompromittierung hilfreich sein.
Röntgen des Thorax Einen die Lungenembolie beweisenden klinisch-chemischen Be-
Die Thoraxröntgenübersichtsaufnahme ist in der Diagnostik der fund gibt es jedoch nicht.
Lungenembolie meist wenig hilfreich, da die radiologischen Hin- D-Dimere, die als Fibrinspaltprodukte bei endogener Fibri-
weise auf eine Lungenembolie spärlich sind. Überdurchschnitt- nolyse entstehen und im Blut nachweisbar sind, können mit einer
lich häufig finden sich Atelektasen oder Infiltrate, Pleuraergüsse, hohen Sensitivität auf frische thrombembolische Ereignisse hin-
pleuranahe Verschattungen und Gefäßrarefizierungen. Andere weisen. Sie sind jedoch wenig spezifisch, da erhöhte D-Dimer-
Hinweise auf das Vorliegen einer Lungenembolie wie Zwerchfell- Konzentrationen auch bei Patienten, die innerhalb der letzten
hochstand, prominente zentrale Pulmonalarterien und Gefäßka- 7 Tage operiert wurden oder einen Myokardinfarkt, eine Sepsis,
libersprünge finden sich häufig auch bei Patienten, die letztlich ein Malignom, ein Trauma oder andere mit einer systemischen
keine Lungenembolie aufweisen. Nur bei massiven Lungenembo- Entzündungsreaktion einhergehende Erkrankungen aufweisen,
lien ist das typische röntgenologische Zeichen der regionalen vorkommen. Eine normale D-Dimer-Konzentration schließt je-
Minderperfusion mit Hyperperfusion der nichtbetroffenen Are- doch eine Lungenembolie mit großer, wenn auch nicht absoluter
ale (Westermark-Zeichen; . Abb. 10.4) zu erwarten. Wahrscheinlichkeit aus. Der negativ-prädiktive Wert zum Aus-
schluss einer Lungenembolie beträgt bei Verwendung von quali-
tativen Latex-Tests 92–98% und bei Verwendung quantitativer
Tests (ELISA) 99–100% (Stein et al. 2004; van Belle et al. 2006). In
den aktuellen diagnostischen Algorithmen für stabile Patienten
wird der D-Dimer-Test nicht als eigenständiger Parameter, son-
dern in Kombination mit der klinischen Wahrscheinlichkeit an-
gewendet (. Tab. 10.9). Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit
ist die Bestimmung der D-Dimere nicht indiziert, vielmehr sollte
direkt ein bildgebendes Verfahren angewendet werden. Bei nied-
riger klinischer Wahrscheinlichkeit kann eine Lungenembolie bei
negativen D-Dimeren weitgehend ausgeschlossen werden.
! Cave
Bei instabilen Patienten dürfen die D-Dimere nicht abgewartet
werden.

Kardiale Biomarker wie TnI oder TnT sowie natriuretische Pep-


tide (BNP, NTproBNP) können das Ausmaß der kardialen Beein-
trächtigung im Rahmen von fulminanten Lungenembolien an-
zeigen. Sie zeigen eine gute Korrelation mit der echokardiogra-
phisch ermittelten RV-Dysfunktion. Ein negativer TnT-Test und
. Abb. 10.4. Thoraxübersichtsaufnahme einer Patientin mit massiver normale BNP- bzw. NTproBNP-Werte können aufgrund ihrer
linksseitiger Lungenembolie. Typische Gefäßrarefizierung links (Wester- hohen negativ-prädiktiven Werte (>95%) einen ungünstigen Ver-
mark-Zeichen) lauf (schwere Komplikationen oder Tod) in der Akutphase prak-
280 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

tisch ausschließen. Jedoch sind die positiv-prädiktiven Werte


dieser Biomarker mit 12–44% sehr niedrig, sodass sie zur Identi- Übersicht 10.4. Echokardiographische Kriterien für
fizierung von Hochrisikopatienten mit Lungenembolie allein das Vorliegen einer Rechtsherzbelastung und/oder
nicht ausreichen. RV-Dysfunktion bei Lungenembolie. (Interdisziplinäre
Leitlinie 2005)
Arterielle Blutgasanalyse
In der arteriellen Blutgasanalyse gilt die Kombination aus Hy- 4 Hypokinesie der freien RV-Wand
poxämie und Hypokapnie als typisch für die akute Lungenembo- 4 RV-Dilatation (definiert als RVEDD >30 mm in der para-
lie. Eine schwere Hypoxämie mit einem pO2 unter 50 mmHg ist sternalen kurzen Achse oder RVEDD/LVEDD >0,9 im api-
bei fehlenden Vorerkrankungen jedoch nur bei massiven oder kalen oder subkostalen Vierkammerblick)
fulminanten Lungenembolien zu erwarten. Häufig finden sich 4 Paradoxe Bewegung des interventrikulären Septums
vollkommen normale Blutgaswerte. Zudem vermag der Sauer- 4 Erhöhung des systolischen pulmonalarteriellen Drucks
stoffpartialdruck Patienten mit und ohne Lungenembolie nicht (Vmax×TK-Insuffizienzjet >2,6 m/s)
sicher zu diskriminieren. So wiesen Patienten mit und ohne 4 Erweiterung der V. cava inferior (als Hinweis auf eine
Lungenembolie einen durchschnittlichen pO2 von 70 mmHg Druckerhöhung im rechten Vorhof und somit auf eine
resp. 72 mmHg auf (Stein et al. 1991; Stein u. Henry 1995). Da die Erhöhung des RVEDP)
Blutgasanalyse somit keinen wesentlichen differenzialdiagnosti-
schen Wert in der diagnostischen Evaluation von Patienten mit
Verdacht auf Lungenembolie besitzt, steht sie im diagnostischen
Ablauf im Hintergrund. Zu bedenken ist, dass arterielle Punk- TEE ein semiinvasives Verfahren, das von nichtsedierten Pati-
tionen nur an gut komprimierbaren Stellen (z. B. A. radialis) erfol- enten mit erheblicher Dyspnoe meist schlecht toleriert wird und
gen sollten, um eine evtl. notwendige Thrombolysetherapie nicht daher als Routinemaßnahme nicht zu empfehlen ist. Jedoch kann
durch eine unstillbare Blutung zu komplizieren. es z. B. bei intubierten und beatmeten Patienten zur Diagnose-
stellung und zur Risikostratifikation sehr wertvoll sein, zumal
10 Echokardiographie wichtige Differenzialdiagnosen, einschließlich der akuten Aor-
tendissektion, mit hoher Sicherheit nachgewiesen bzw. ausge-
> Die Echokardiographie ist eine schnelle, praktische und relativ
schlossen werden können. Es können jedoch nur die zentralen
sensitive Methode zur Diagnose einer rechtsventrikulären
Abschnitte eingesehen werden. Periphere Embolien lassen sich
Druckbelastung, die insbesondere im Rahmen der Notfalldi-
nicht nachweisen, selbst wenn sie zu einer Verlegung größerer
agnostik bei hämodynamisch instabilen Patienten wertvoll ist.
Querschnittsareale führen. Das Beispiel eines zentralen Embolus
Bei stabilen Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie ist die in der A. pulmonalis ist . Abb. 10.5 zu entnehmen.
TTE kein Verfahren der ersten Wahl. Jedoch dient sie bei Pati-
enten mit nachgewiesener Lungenembolie als wertvolle Methode Perfusions-Ventilations-Szintigraphie
zur prognostischen Evaluation, da schwerwiegende hämodyna- Die Perfusionsszintigraphie ist eine häufig eingesetzte Methode
mische Folgen der Lungenembolie wie akute Rechtsherzbelastung zur nichtinvasiven Diagnostik der Lungenembolie. Hierbei wer-
und RV-Dysfunktion, die mit einer schlechten Prognose assozi- den i.v. 99Tc-markierte Mikrosphären mit einem Durchmesser
iert sind, detektiert werden können. Umgekehrt lässt sich eine von 20–50 μm injiziert, mit deren Hilfe sich die Lungenperfusion
fulminante, hämodynamisch wirksame und somit potenziell le- durch eine γ-Kamera darstellen lässt. Üblicherweise werden
bensbedrohliche Lungenembolie bei einem normalen echokadio- 6 Registrierungen vorgenommen (von anterior, posterior, von
graphischen Befund praktisch ausschließen. Daher wird die
Echokardiographie als primäres diagnostisches Verfahren insbe-
sondere bei hämodynamisch instabilen Patienten mit Verdacht
auf eine fulminante Lungenembolie eingesetzt, um rasche Thera-
pieentscheidungen treffen zu können (Indikation für eine Lyse-
therapie oder operative Intervention). Bei Anstieg des systolischen
Drucks im kleinen Kreislauf kommt es in der Regel zu einer Tri-
kuspidalklappeninsuffizienz, durch die der systolische Druckgra-
dient an der Trikuspidalklappe messbar und somit durch Additi-
on des rechtsatrialen Drucks der systolische Pulmonalarterien-
druck abschätzbar wird. Zusätzlich bietet die TTE die Möglichkeit
zum Ausschluss anderer differenzialdiagnostisch wichtiger Er-
krankungen, wie des akuten Myokardinfarkts oder eines Perikard-
ergusses. Die echokardiographischen Kriterien für das Vorliegen
einer akuten Rechtsherzbelastung oder RV-Dysfunktion infolge
einer Lungenembolie sind in Übersicht 10.4 genannt.
Die TEE bietet im Vergleich zur transthorakalen Untersu-
chung eine bessere örtliche Auflösung insbesondere der zentra-
len Abschnitte der A. pulmonalis sowie kardialer Strukturen. . Abb. 10.5. Transösophageale Echokardiographie mit Darstellung des
Somit können mitunter zentrale pulmonalarterielle Thrombem- Pulmonalishauptstamms (PA). Deutlich sichtbare echoreiche Thrombus-
boli oder auch intrakardiale Thromben als echoreiche Strukturen struktur in der A. pulmonalis vor Aufzweigung in deren rechten und lin-
im echoarmen Gefäßlumen dargestellt werden. Jedoch ist die ken Hauptast. Ao Aorta ascendens
10.5 · Diagnostik
281 10

beiden lateralen Seiten sowie schräg anterior und schräg posteri- gesellschaften nur im Rahmen von diagnostischen Algorith-
or). Bei Vorliegen einer Lungenembolie zeigt sich typischerweise men empfohlen, die neben dem szintigraphischen Befund auch
ein segmentförmiger Ausfall der Lungenperfusion, der anato- die klinische Wahrscheinlichkeit und den D-Dimer-Test berück-
misch dem Versorgungsgebiet einer Lungenarterie oder Arterio- sichtigen.
le entspricht. Perfusionsdefekte mit einer minimalen Größe von
2 mm können durch diese Methode erfasst werden. Der szinti- Computertomographie
graphische Befund einer normalen Lungenperfusion schließt Die Computertomographie mit Kontrastmittel ist eine Methode,
eine Lungenembolie mit großer Sicherheit aus. mit der Thromboembolien sowohl in den zentralen als auch den
Zeigt sich ein Perfusionsdefizit, so ist eine Lungenembolie peripheren Abschnitten der Pulmonalarterien bis in die Subseg-
keineswegs bewiesen. Verschiedene Faktoren können Ursache mentebene als Kontrastmittelaussparungen gut nachweisbar
eines pathologischen Perfusionsszintigramms ohne Lungen- sind. Die CT hat die Perfusionsszintigraphie inzwischen in vielen
embolie sein. Hierzu gehören v. a. Erkrankungen, bei denen es zu Institutionen als primäre diagnostische Methode abgelöst. Sie
einer Minderventilation einzelner Lungenareale kommt (z. B. weist die höchste Sensitivität (83%) und Spezifität (96%) bei Pa-
Atelektasen, Emphysem, Asthma bronchiale, chronisch obstruk- tienten mit Verdacht auf Lungenembolie auf (Stein et al. 2006).
tive Bronchopneumopathie). Durch die regionale, hypoxämiebe- Neben der diagnostischen Genauigkeit bietet die CT die Vorteile,
dingte Vasokonstriktion (Von-Euler-Liljestrand-Mechanismus) dass in komplexen Fällen die proximalen Beinvenen direkt mit-
wird in den minderventilierten Arealen auch die Perfusion ge- dargestellt werden können, dass durch Beurteilung der Dimensi-
drosselt; dies kann szintigraphisch als Perfusionsausfall imponie- onen des rechten Herzens eine Risikostratifizierung erfolgen
ren (verminderte Perfusion und Ventilation: »Match-Befund«). kann und dass alternative Ursachen einer Dyspnoesymptomatik
Daher ist bei einem pathologischen Perfusionsszintigramm diagnostiziert bzw. ausgeschlossen werden können. In einer Stu-
immer auch eine Ventilationsszintigraphie indiziert, um Ventila- die von Perrier et al. (1999) konnte gezeigt werden, dass der Aus-
tionsstörungen erkennen zu können. Isolierte Perfusionsstörun- schluss einer Lungenembolie und damit die Entscheidung gegen
gen bei normaler Ventilation (»Mismatch-Befund«) weisen auf eine Antikoagulation mithilfe des Multidetektor-CT in Kombina-
eine Lungenembolie hin. Demgegenüber sind kombinierte Ven- tion mit der klinischen Wahrscheinlichkeit und dem D-Dimer-
tilations- und Perfusionsdefizite diagnostisch nicht wegweisend Test ohne weitere bildgebende Verfahren eine Rezidivrate (die als
und machen eine weitere Abklärung mit einem zweiten bildge- Surrogatparameter für falsch-negative Befunde akzeptiert wird)
benden Verfahren notwendig. von lediglich 1,5% innerhalb von 3 Monaten zur Folge gehabt
Die diagnostische Wertigkeit der Lungenszintigraphie in Ab- hätte. Somit entspricht die Sensitivität derjenigen der Pulmona-
hängigkeit von der klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorlie- lisangiographie. Beispielhaft ist ein Spiral-CT mit ausgedehnten
gen einer Lungenembolie wurde in der PIOPED-Studie (PIOPED Thromben im rechten und linken Pulmonalishauptstamm in
Investigators 1990) und in prospektiven Managementstudien . Abb. 10.6 dargestellt.
(Perrier et al. 1999) systematisch untersucht. Die Wahrscheinlich-
keit des Vorliegens einer angiographisch nachgewiesenen Lun- Magnetresonanztomographie
genembolie in Abhängigkeit von der klinischen und der szintigra- In mehreren Arbeiten konnte gezeigt werden, dass die MRT in
phischen Wahrscheinlichkeit zeigt . Tab. 10.8. Aus diesen Studien Verbindung mit dem Kontrastmittel Gadolinium als weiteres
kann gefolgert werden, dass eine weitere Diagnostik bei Patienten Schichtbildverfahren in der Lage ist, Lungenembolien mit hoher
mit klinisch hochwahrscheinlichem Vorliegen und hochwahr-
scheinlichem Szintigramm nicht notwendig ist, da eine Lungen-
embolie in diesem Fall mit 96%iger Wahrscheinlichkeit tat-
sächlich vorliegt. Ebenso ist eine weitere Diagnostik bezüglich
des Vorliegens einer Lungenembolie nicht sinnvoll, wenn die kli-
nische Wahrscheinlichkeit unter 20% liegt und die Szintigraphie
einen Normalbefund aufweist. Die Wahrscheinlichkeit, dass
dennoch eine Lungenembolie vorliegt, beträgt lediglich 2%. Je-
doch weisen weniger als die Hälfte aller untersuchten Patienten
derartig konkordante Befunde auf. Dementsprechend wird die
Szintigraphie in der Lungenemboliediagnostik von den Fach-

. Tab. 10.8. Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie in Abhängig-


keit von klinischer und szintigraphischer Wahrscheinlichkeit. (Nach
PIOPED-Investigators 1990)
Szintigraphische Klinische Wahrscheinlichkeit [%]
Wahrscheinlichkeit
80–100 20–79 0–19 Alle
Hoch 96 88 56 97
Mittel 66 28 16 30
Niedrig 40 16 4 14
Nahezu normal/normal 0 6 2 4
. Abb. 10.6. Spiral-CT mit ausgedehnten Thromben im rechten und im
Alles 68 30 9 28
linken Pulmonalishauptstamm
282 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

Sensitivität und Spezifität nachzuweisen. Jedoch existieren bisher


nur wenige Studien zur diagnostischen Wertigkeit der MRT bei
Lungenembolie. Die Sensitivität liegt bei 77–87%, die Spezifität
bei 95–98% (Meaney et al. 1997; Oudkerk et al. 2002). Aufgrund
der begrenzten Datenlage ist die MRT bisher keine etablierte Me-
thode in der Diagnostik der Lungenembolie. Nachteil der Unter-
suchungstechnik ist, dass hämodynamisch instabile Patienten in
der Regel nicht untersucht werden können, da in der engen MRT-
Röhre der Zugang für notfallmäßige Akutmaßnahmen nur un-
zureichend möglich ist. Auch beatmete Patienten können zurzeit
noch nicht untersucht werden.

Pulmonalisangiographie
> Die Pulmonalisangiographie war lange Zeit der Goldstandard in
der Diagnostik der Lungenembolie und wurde mittlerweile weit-
gehend durch andere bildgebende Verfahren wie die CT ersetzt.

. Abb. 10.7. Pulmonalisangiographie in DSA-Technik. Nachweis einer


Als gesichert wird eine Lungenembolie dann angesehen, wenn
kompletten Verlegung der rechten A. pulmonalis mit Abbruch des Gefä-
ein intraluminaler Füllungsdefekt in mindestens 2 Ebenen nach-
ßes und fehlender Perfusion der gesamten rechten Lunge
weisbar ist oder wenn ein abrupter Verschluss eines Gefäßes mit
einem mehr als 2,5 mm messenden Durchmesser sichtbar wird.
Die Pulmonalisangiographie in Standardtechnik kann Embolien lige Messung erlaubt eine Differenzierung zwischen einer akuten
bis zu einer Größe von 1–2 mm nachweisen. Indirekte Zeichen Lungenembolie und einer chronischen Druckerhöhung im klei-
sind darüber hinaus eine verminderte Perfusion durch plötz- nen Kreislauf allein aufgrund der Hämodynamik nicht.
10 lichen Verschluss eines Gefäßes. Die Angiographie ist in der Re-
gel mit einer Druckmessung verbunden, die eine Aussage über Zentrale Venendruckmessung
die hämodynamische Situation des Patienten erlaubt. Der zentrale Venendruck ist durch die Rechtsherzbelastung bei
Die Pulmonalisangiographie hat ihre Bedeutung heutzutage der akuten Lungenembolie in der Regel erhöht. Aufgrund der
weitgehend verloren und ist nur noch bei Patienten mit unklaren Fülle anderer Ursachen und der bei einer massiven oder fulmi-
oder diskrepanten Befunden indiziert. Jedoch bleibt sie eine nanten Lungenembolie meist nicht möglichen flachen Ruheposi-
wertvolle Methode, wenn gefäßrekanalisierende Maßnahmen tion des Patienten mit flacher Atmung ist eine korrekte Bestim-
erwogen werden und zur Planung der pulmonalen Thrombend- mung häufig nicht möglich. Der zentralen Venendruckmessung
arteriektomie bei Patienten mit CTEPH. Eine Pulmonalisangio- kommt daher nur eine untergeordnete Bedeutung im diagnosti-
graphie in DSA-Technik mit kompletter Verlegung der rechten schen Ablauf zu.
A. pulmonalis ist in . Abb. 10.7 gezeigt.

Pulmonalisdruckmessung 10.5.3 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf


Bei hämodynamisch instabilen Patienten auf der Intensivstation Lungenembolie
vermag die Pulmonalisdruckmessung im Rahmen einer Rechts-
herzkatheteruntersuchung mit Bestimmung von kapillärem Ver- Bei bestimmten klinischen und anamnestischen Befunden muss
schlussdruck, Pulmonalisdruck und HZV wichtige differenzial- der Verdacht auf eine Lungenembolie erhoben werden. Die Auf-
diagnostische Hinweise zu liefern. Das Ausmaß einer pulmona- listung der verschiedenen diagnostischen Verfahren zeigt, dass
len Hypertonie kann hierdurch verifiziert und im Zusammen- ein großes Arsenal unterschiedlich sensitiver und spezifischer
hang mit dem HZV der hämodynamische Schweregrad diagnostischer Methoden zur Verfügung steht. EKG (SIQIII-Typ:
abgeschätzt werden. Die Messung der pulmonalkapillären Ver- McGinn-White-Syndrom, SISIISIII-Typ, Rechtsschenkelblock)
schlussdrücke erlaubt es, sekundäre Formen einer PH im Rah- und Echokardiographie (Rechtsherzdilatation, rechtsventriku-
men einer Linksherzinsuffizienz abzugrenzen. Pulmonalarteriel- läre Dysfunktion, Trikuspidalinsuffizienz, erhöhter pulmonal-
le Mitteldrücke unter 20 mmHg machen eine signifikante Verle- arterieller Druck) können im Rahmen der Notfalldiagnostik
gung der pulmonalen Strombahn unwahrscheinlich. Druckwerte wichtige Hinweise auf das Vorliegen einer Lungenembolie lie-
zwischen 30 und 40 mmHg weisen – wenn sie akut auftreten – auf fern. Jedoch schließen negative Befunde eine Lungenembolie
ein akutes Cor pulmonale hin. Druckwerte über 40 mmHg sind keineswegs aus. Der diagnostische Ablauf wird sich im Wesent-
in der Regel nur bei vorbestehenden kardialen oder pulmonalen lichen am Schweregrad der Lungenembolie orientieren. Ent-
Erkrankungen und bei chronisch rezidivierenden Lungenembo- scheidend ist die hämodynamische Stabilität bzw. Instabilität des
lien nachweisbar. Typischerweise findet sich ein Drucksprung Patienten. Je instabiler und dramatischer die klinische Situation
zwischen pulmonalkapillärem Verschlussdruck und diasto- ist, umso eher werden die nichtinvasiven Untersuchungsme-
lischem Druck in der A. pulmonalis. thoden zugunsten einer definitiven diagnostischen Methodik
Zusätzlich zur Erhöhung des mittleren Pulmonalisdrucks zurücktreten.
kommt es zu einem Anstieg der systolisch-diastolischen Druck-
differenz. Diagnostisch wegweisend sind die Daten jedoch nur Hämodynamisch stabiler Patient
dann, wenn eine signifikante Änderung zu Vorbefunden nachge- Bei Patienten mit stabilen Kreislaufverhältnissen richtet sich
wiesen oder wahrscheinlich gemacht werden kann. Eine einma- das Vorgehen nach der klinischen Wahrscheinlichkeit, die an-
10.6 · Therapie
283 10

. Tab. 10.9. Wells-Score zur Abschätzung der klinischen Wahr-


scheinlichkeit auf das Vorliegen einer Lungenembolie. (Nach Wells et
al. 2000)

Variable Punkte
Klinische Zeichen/Symptome einer tiefen Venenthrombose 3,0

Alternative Diagnose unwahrscheinlicher als Lungenembolie 3,0

Herzfrequenz >100/min 1,5

Immobilisation (>3 Tage) oder Operation (<4 Wochen) 1,5

Anamnestisch Lungenembolie oder tiefe Venenthrombose 1,5

Hämoptysen 1,0 . Abb. 10.8. Empfohlenes Prozedere bei klinisch stabilen Patienten mit
Verdacht auf Lungenembolie. #Score zur Abschätzung der klinischen
Malignom (therapiert innerhalb der letzten 6 Monate oder 1,0 Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer Lungenembolie (. Tab. 10.9;
palliativ) nach Wells et al. 2000). §Negativ-prädiktiver Wert der D-Dimere zum Aus-
>4 Punkte: Lungenembolie wahrscheinlich; ≤4 Punkte: Lungenembo- schluss einer Lungenembolie 99–100%. **Die Computertomographie
lie unwahrscheinlich. (CT) weist insbesondere im Rahmen des dargestellten Algorithmus eine
hohe diagnostische Zuverlässigkeit auf. (Van Belle et al. 2006)

hand des vereinfachten Wells-Scores abgeschätzt werden kann


(. Tab. 10.9; Wells et al. 2000).
Ist der ermittelte Wells-Score >4, so ist bei dann hochgradi-
gem Verdacht auf eine Lungenembolie ohne weitere Diagnostik
eine CT der Lunge (Goldstandard) indiziert, mit der pulmonale
Embolien als Kontrastmittelaussparungen bis in den Subseg-
mentbereich direkt abgebildet werden. Ist der Wells-Score ≤4,
sollten die D-Dimere bestimmt werden (. Abb. 10.8). Sind diese
nicht erhöht, ist eine Lungenembolie mit großer Wahrscheinlich-
keit ausgeschlossen: Der negativ-prädiktive Wert zum Ausschluss
einer Lungenembolie beträgt bei Verwendung zuverlässiger Tests
(ELISA) 99–100% (Stein et al. 2004; van Belle et al. 2006). Sind
die D-Dimere erhöht, wird der Patient einer CT zugeführt, in der
die Lungenembolie entweder bestätigt oder ausgeschlossen wird.
Die diagnostische Zuverlässigkeit der CT in Kombination mit der . Abb. 10.9. Empfohlenes Prozedere bei hämodynamisch instabilen
Patienten mit Verdacht auf fulminante Lungenembolie (LE)
klinischen Wahrscheinlichkeit (Wells-Score; . Tab. 10.9) und der
D-Dimer-Bestimmung wurde kürzlich in einer großen, prospek-
tiven Studien nachgewiesen (van Belle et al. 2006; Evidence- höhlen zur Darstellung kommen. Darüber hinaus können echo-
based-medicine-Level 2). Ist die Diagnose Lungenembolie ge- kardiographisch auch wichtige Differenzialdiagnosen der hämo-
stellt, ist es wichtig, die zugrunde liegende Ursache (tiefe Venen- dynamischen Instabilität (linksventrikuläres Pumpversagen,
thrombose, rechtsventrikulärer Thrombus, Thrombophilie, ggf. Aortendissektion, Perikardtamponade, Klappenvitien) ausge-
Tumorsuche) zu identifizieren. Darüber hinaus muss an mög- schlossen werden. Zeigt sich echokardiographisch eine akute
liche Folgen wie die Entwicklung einer CTEPH gedacht werden, rechtsventrikuläre Dysfunktion mit drohendem Rechtsherzver-
die mit einer schlechten Prognose behaftet ist und eine entspre- sagen, müssen umgehend gefäßrekanalisierende Maßnahmen
chende Therapie erfordert (Pengo et al. 2004; Rosenkranz 2007). (Thrombolyse, interventionelle Therapie, Notfallembolektomie;
Diesbezüglich wird ein echokardiographisches Screening nach Kasper et al. 1997) eingeleitet werden.
ca. 6 Wochen empfohlen.

Hämodynamisch instabiler Patient 10.6 Therapie


Bei hämodynamisch instabilen Patienten (kardiogener Schock,
Reanimationsbedarf), die bereits innerhalb der ersten 1–2 h eine 10.6.1 Therapieprinzipien
hohe Krankenhausletalitätsrate von bis zu 65% aufweisen (Kas-
per et al. 1997; Stein u. Henry 1995) und bei massiver Lungen- Die therapeutischen Maßnahmen müssen sich wie die Diagnos-
embolie einer sofortigen Therapie (Thrombolyse, Embolekto- tik an der Schwere der Erkrankung orientieren und werden in
mie) bedürfen, kann das Ergebnis des D-Dimer-Tests oder einer allgemeine und spezifische Maßnahmen unterteilt.
CT nicht abgewartet werden. Hier ist die TTE (bei beatmeten
Patienten TEE) die entscheidende diagnostische Maßnahme Allgemeine Therapiemaßnahmen
(. Abb. 10.9). Bei einer fulminanten Lungenembolie zeigen sich
vergrößerte rechte Herzhöhlen mit Beeinträchtigung der rechts- > Allgemeine Therapiemaßnahmen bei Lungenembolie beinhal-
ventrikulären Funktion, ferner können Thromben in den proxi- ten die Analgesie, die Zufuhr von Sauerstoff und eine schnellst-
malen Abschnitten der Pulmonalarterie oder den rechten Herz- mögliche Einweisung bzw. Verlegung auf eine Intensivstation.
284 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

Zeitweilig muss eine künstliche Ventilation schwer hypoxischer überlappend eine Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antago-
Patienten initiiert werden. Ist eine kreislaufunterstützende Ka- nisten (Phenprocoumon, Warfarin) eingeleitet werden.
techolamintherapie bei Rechtsherzversagen mit kardiogenem
Schock notwendig, sollte vorzugsweise Dobutamin eingesetzt Dosierung. Die Dosierung der Heparintherapie sollte gewichtsad-
werden, da Dopamin und andere β-Sympathomimetika den aptiert erfolgen. Nach einem initialen Bolus von 80 IE/kgKG soll-
Druck im Lungenkreislauf weiter erhöhen können. ten mindestens 18 IE/kgKG/h infundiert werden. Niedrigere Do-
sierungen führen zu einer höheren Rezidivrate (Raschke et al.
! Cave
1993). Die Dosierung sollte dann entsprechend der aPTT ange-
Eine Volumengabe sollte nur sehr vorsichtig erfolgen, da auf-
passt werden. Angestrebt wird eine Erhöhung des aPTT-Werts auf
grund der Verschiebung des Interventrikularseptums und Kom-
mindestens das 2,0- bis 2,5-Fache der Norm. Patienten unter He-
pression des linken Ventrikels eine Volumenbelastung des rech-
parintherapie mit subtherapeutischen PTT-Werten innerhalb der
ten Herzens zu einer zusätzlichen Verminderung des linksventri-
ersten 24 h haben bis zu 15-fach höhere Rezidivraten als Pati-
kulären Schlagvolumens führen kann.
enten, die adäquat antikoaguliert werden. Andererseits führt eine
Bei Patienten mit offenem Foramen ovale und PH vermag die Verlängerung der PTT auf mehr als das 3-Fache der Norm zu
Inhalation von NO oder Iloprost in Einzelfällen die Oxygenierung einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko auf das 8-Fache (Hull et
durch Verminderung des Rechts-links-Shunts zu verbessern. al. 1982). Andere Faktoren eines erhöhten Blutungsrisikos sind:
4 akute Rechtsherzdekompensation mit Blutdruckwerten
Spezifische Therapiemaßnahmen <90 mmHg,
Die spezifischen therapeutischen Maßnahmen bei Patienten mit 4 Niereninsuffizienz,
nachgewiesener Lungenembolie lassen sich in prophylaktische 4 Leberinsuffizienz und
und definitive Therapieformen unterteilen. 4 maligne Grunderkrankungen.

Prophylaxe. Die prophylaktische Therapie basiert auf dem Kon- Zur praktischen Handhabung der Antikoagulation mit Heparin
zept, dass das intrinsische fibrinolytische System des Körpers das hat sich die gewichtsadaptierte Dosierung nach Raschke et al.
10 thrombembolische Material auflösen wird. Eine derartige Auflö- (1993; . Tab. 10.10) bewährt.
sung erfordert in der Regel einen Zeitraum von 7–10 Tagen. Die
prophylaktische Therapie zielt daher auf die Prävention zusätz- Niedermolekulare Heparine
licher thrombembolischer Episoden, um dem körpereigenen fi- > Niedermolekulare Heparine haben verschiedene pharmakoki-
brinolytischen System ausreichend Zeit zu gewähren, den Embo- netische Vorteile gegenüber UFH. Die Halbwertszeit ist länger,
lus aufzulösen. Beispiele einer derartigen prophylaktischen The- und die dosisbezogene Wirkung ist besser voraussehbar, sodass
rapie sind Antikoagulation mit Heparin, NMH und oralen Anti- die Gabe in definierter Dosierung ohne Laborüberwachung er-
koagulanzien sowie die Ligatur der V. cava inferior bzw. das folgen kann.
Platzieren eines V.-cava-Schirms.
Niedermolekulares Heparin hat eine höhere Aktivität, den Ge-
Definitive Therapie. Die definitive Therapie hat zum Ziel, die rinnungsfaktor Xa zu hemmen. Grundlage für die Entwicklung
Auswirkung einer Thromboembolie auf das pulmonalvaskuläre war die Überlegung, dass die Faktor-Xa-Hemmung möglicher-
Gefäßbett zu beseitigen oder zu verbessern. Beispiele einer der- weise eher als die Thrombininhibition mit der thrombosehem-
artigen definitiven Therapie sind die Thrombolyse sowie die Pul- menden Wirkung des Heparins korreliert. Deshalb wurden
monalisthrombembolektomie oder katheterinterventionelle Ver- NMH mit einem mittleren MG zwischen 2000 und 4000 ent-
fahren zur Thrombusentfernung. wickelt, die kaum Thrombin, aber relativ stark Faktor Xa
hemmen.

10.6.2 Antikoagulation
. Tab. 10.10. Gewichtsadaptierte Heparindosierung
Heparintherapie (Evidenzgrad B)
Aktivierte partielle Throm- Heparindosierung
Unfraktioniertes Heparin
boplastinzeit (aPTT)
> Gemäß internationaler Leitlinien sollte bereits der Verdacht auf
das Vorliegen einer Lungenembolie bei Fehlen von Kontraindi- Initialer Bolus 80 IE/kgKG, anschließend 18 IE/
kationen zur Gabe von UFH führen (European Society of Cardio- kgKG/h
logy 2000). <35 s (<1,2-Faches der Norm) 80 IE/kgKG Bolus, dann Infusions-
steigerung um 4 IE/h
Können die weiteren diagnostischen Untersuchungsmethoden 35–45 s (1,2- bis 1,5-Faches 40 IE/kgKG Bolus, dann Infusions-
diesen Verdacht nicht bestätigen, so wird die Antikoagulation der Norm) steigerung um 2 IE/kgKG/h
beendet. 46–70 s (1,5- bis 2,3-Faches Keine Änderung
Der Sinn einer frühzeitigen Heparintherapie liegt in der signi- der Norm)
fikanten Abnahme von Embolierezidiven. Darüber hinaus führt
71–90 s (2,3- bis 3-Faches der Verminderung der Infusion um
die Antikoagulation zur Verhütung von Appositionsthromben.
Norm) 2 IE/kgKG/h
Die Verbesserung der Prognose von Patienten mit Lungenembolie
durch die Gabe von Heparin ist durch viele Studien belegt. Wenn >90 s (>3-Faches der Norm) Infusionspause 1. Stunde, dann Ver-
die Thromboembolie diagnostiziert wurde, sollte Heparin für ei- minderung der Infusionsrate um
3 IE/kgKG/h
nen Zeitraum von mindestens 4–7 Tagen gegeben werden und
10.6 · Therapie
285 10

Patienten mit Antiphospholipidantikörpersyndrom, die eine


. Tab. 10.11. Niedermolekulare Heparine
noch schärfere Antikoagulation (INR >3,0) benötigen.
Arzneistoff Handelsname Durch Vitamin-K-Antagonisten fallen die Plasmakonzentra-
Enoxaparin Clexane tionen des Gerinnungsfaktors VII und von Protein C rasch ab,
Fondaparinux Arixtra während die anderen Gerinnungsfaktoren erst nach 1–2 Tagen
absinken. Die Quick-Wertbestimmung bzw. die Veränderung des
Dalteparin Fragmin
INR-Werts ist v. a. vom Faktor VII abhängig, der antithrombo-
Nadroparin Fraxiparin tische Effekt jedoch von der Verminderung der Prothrombin-
Tinzaparin Innohep konzentration. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Patient
somit in einer Übergangsphase, während bereits eine Antikoagu-
Certoparin Mono-Embolex
lation angezeigt wird (INR erhöht). Durch die kombinierte Ver-
minderung des Protein C und noch nicht ausreichende Vermin-
derung von Prothrombin befindet sich der Patient jedoch in
Die verschiedenen NMH besitzen unterschiedliche Struktu- einem Zustand erhöhter Gerinnungsneigung. Wegen dieser er-
ren und sind somit als jeweils eigenständiges Medikament zu be- höhten Gerinnungsneigung sollte die Antikoagulation mit Hepa-
trachten. Vorteilhaft scheint zusätzlich zu sein, dass eine geringe- rin überlappend erfolgen und erst frühestens 2 Tage nach Errei-
re Blutungsneigung besteht und die zwar seltene, aber gefährliche chen des angestrebten INR-Werts abgesetzt werden.
Komplikation einer HIT II mit arteriellen und venösen Thrombo-
sen (»White-clot-Syndrom«) unter NMH seltener auftritt. Dauer einer Antikoagulation
In mehreren Studien wurde die Dauer der Antikoagulation nach
Studienergebnisse. Es wurden zahlreiche randomisierte Studien Lungenembolie untersucht. So fanden Schulman et al. (1995),
durchgeführt, die die subkutane, gewichtsadaptierte Gabe von dass bei Patienten unter oraler Antikoagulation mit INR-Werten
NMH mit UFH-Gabe bei Patienten mit tiefer Beinvenenthrom- zwischen 2,0 und 2,85 die Patientengruppe, die lediglich 6 Wo-
bose bzw. Lungenembolie verglichen haben. In einer Metaanaly- chen behandelt wurde, ein 2,1-fach höheres Risiko für eine er-
ase konnte gezeigt werden, dass die NMH hinsichtlich der Ver- neute Embolie hatte als Patienten, die über 6 Monate therapiert
hinderung symptomatischer Rezidivthrombosen oder Lungen- wurden. Eine 6-monatige Therapie sollte daher als Standard ein-
embolien mindestens ebenso effektiv und sicher sind wie das gehalten werden.
UFH (Quinlan et al. 2004). Lungenembolierezidive traten bei Eine dauerhafte Antikoagulationstherapie sollte dann erwo-
1,4% der Patienten unter NMH gegenüber 1,7% unter UFH auf; gen werden, wenn Tumorpatienten eine Chemotherapie erhalten,
die Todesrate betrug 1,4 resp. 1,2%. Auch hinsichtlich des Auftre- da diese häufig zu einer Hyperkoagulabilität führt. Darüber hi-
tens kleinerer Blutungen oder größerer Blutungskomplikationen naus besteht eine Indikation zur Dauertherapie bei Rezidivthrom-
zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Ähnliche Effekti- bosen oder Thromboembolien sowie bei hereditären Störungen
vität und Sicherheit konnten auch für Fondaparinux gezeigt wer- des Gerinnungssystems (Protein-C-Mangel, Protein-S-Mangel,
den (Buller et al. 2003). Die zurzeit in Deutschland zugelassenen AT-Mangel, homozygote Mutation der APC-Resistenz).
NMH sind in . Tab. 10.11 aufgeführt.
Zur Therapie der akuten Lungenembolie sind Fondaparinux Kontraindikationen gegen eine Heparintherapie
und Tinzaparin zugelassen, zur Behandlung der tiefen Ve- ! Cave
nenthrombose mit oder ohne Lungenembolie auch Enoxaparin. Einige absolute Kontraindikationen müssen beachtet werden,
Die anderen Substanzen sind lediglich zur Therapie der tiefen hierzu zählen: unkontrollierte Blutungen (insbesondere gastro-
Venenthrombose zugelassen. intestinale), intrakranielle Blutungen und HIT II.

! Cave
Bei bekannten gastrointestinalen Ulzera ohne Blutung ist das Ri-
Niedermolekulare Heparine können bei kompensierter Nieren-
siko einer Antikoagulation gegen das Risiko einer Rezidivembo-
insuffizienz kumulieren.
lie im individuellen Fall abzuwägen.
Bei instabilen Patienten mit fulminanter Lungenembolie sind
NMH kontraindiziert. Des Weiteren sollten sie nicht mit Throm- Heparininduzierte Thrombozytopenie
bolytika kombiniert werden. ! Cave
Die HIT II ist neben der Blutung eine der gefährlichsten Kompli-
Orale Antikoagulanzien (Evidenzgrad B) kationen einer Heparintherapie.
Vitamin-K-Antagonisten vom Typ des Phenprocoumon (Marcu-
mar) oder Warfarin (Cumarin) werden für die Langzeittherapie Bei der HIT II handelt es sich um eine immunologisch ver-
von Patienten mit Thromboembolien eingesetzt. mittelte Zerstörung von Thrombozyten, die mit einem ausge-
prägten Thrombozytenabfall auf häufig bis unter 60.000/μl ein-
> Nach Beginn der Antikoagulation mit UFH oder NMH und Diagno-
hergeht. Die Thrombozytopenie beginnt 5–14 Tage nach Expo-
sesicherung sollte – wenn eine Thrombolyse oder eine chirurgische
sition und ist von Dosierung und Art der Applikation unabhän-
Therapie nicht infrage kommt – bereits nach 1–2 Tagen mit der Ein-
gig. Sie tritt bei UFH wie auch bei NMH auf, ist bei letzteren
leitung einer oralen Antikoagulation begonnen werden.
Präparaten jedoch seltener. Die Ursache liegt in einem Verbrauch
Es wird eine Blutverdünnung entsprechend eines INR-Werts von antikörperaktivierter Thrombozyten, wobei das Antigen in
2,0–3,0 angestrebt. Eine aggressivere Blutverdünnung ist mit hö- Komplexen von Plättchenfaktor IV mit Heparin liegt. Die
heren Blutungskomplikationen, nicht jedoch mit höherer Wirk- Labortests auf Heparinantikörper sind spezifisch, aber relativ
samkeit assoziiert. Ausnahmen hiervon sind möglicherweise insensitiv.
286 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

! Cave Verschiedene Autoren konnten jedoch Hinweise dafür fin-


In Assoziation mit der Thrombozytopenie kann es zum Auftre- den, dass die Letalität in bestimmten Kollektiven durch die
ten sowohl venöser als auch arterieller Thromben kommen Thrombolyse verbessert wird. So konnten Jerjes-Sanchez et al.
(White-clot-Syndrom), die zu multiplen Ischämien führen. Wird (1995) zeigen, dass die Letalitätsrate in der Thrombolysegruppe
die Erkrankung spät erkannt, so ist die Letalität hoch. bei Patienten mit massiver Lungenembolie signifikant geringer
war als bei einer alleinigen Antikoagulation. Die Studie musste
Therapeutisch besteht die wichtigste Maßnahme im Absetzen der wegen des ausgeprägten Vorteils zugunsten der Thrombolyse vor-
Heparintherapie. Alternativ muss dann eine Antikoagulation mit zeitig abgebrochen werden. Die Indikation zur thrombolytischen
Danaparoid (Orgaran) in einer Dosierung von 2-mal 750 Anti- Therapie bei Patienten mit submassiver Lungenembolie, d. h. ei-
faktor-Xa-Einheiten/Tag gegeben werden. Kreuzreaktionen mit ner Einschränkung der rechtsventrikulären Funktion ohne syste-
Heparin kommen vor, sind aber selten. mische Schocksymptome, wurde bisher nicht in einer randomi-
Besser ist die Antikoagulation in diesem Fall mit Hirudin sierten Studie überprüft. Jedoch fanden Konstantinidis et al.
(Refludan), das für diese spezifische Indikation zugelassen ist. (1997) in einer retrospektiven Analyse, dass die Letalitätsrate bei
Die Dosierung beträgt 0,4 mg/kgKG als Bolus, gefolgt von mit einem Thrombolytikum behandelten Patienten mit 4,7%
0,15 mg/kgKG/h als Dauerinfusion. Die Antikoagulations- niedriger war als bei Patienten, die allein mit Heparin antikoagu-
kontrolle erfolgt wiederum durch die PTT, die auf das 1,5- bis liert wurden (11,1%). Auch die Rezidivrate war nach Thromboly-
3-Fache der Norm erhöht werden sollte. Wichtig ist eine strikte se mit 7,7% deutlich geringer als unter alleiniger Heparintherapie
Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz. Nachteil der Alternativ- (18,7%), während die Inzidenz zerebraler Blutungen leicht erhöht
therapien ist der sehr hohe Preis. war (1,2 vs. 0,5%).
Aus diesen Daten lässt sich folgern, dass die Thrombolyse
angesichts des beträchtlichen Risikos lebensbedrohlicher Blu-
10.6.3 Thrombolyse tungen nur für die Behandlung von Hochrisikopatienten mit
Lungenembolie infrage kommt. Dazu gehören hämodynamisch
! Cave instabile Patienten mit fulminanter Lungenembolie sowie ggf.
10 Bei der massiven oder fulminanten Lungenembolie ist aufgrund auch Patienten mit RV-Dysfunktion, flottierenden rechtskardi-
der hohen Letalität die rasche Wiederherstellung des Gefäß- alen Thromben oder offenem Foramen ovale. Neben dem thera-
strombettes primäres Ziel, um den belasteten rechten Ventrikel peutischen Benefit müssen die Kontraindikationen gegen eine
zu entlasten. Ansonsten kann es innerhalb weniger Stunden Thrombolysetherapie beachtet werden. Diese sind in . Tab. 10.12
zum Tod durch ein akutes oder ein subakutes Rechtsherzversa- zusammengefasst.
gen kommen.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine komplette Wiederherstellung


. Tab. 10.12. Kontraindikation gegen eine Thrombolysetherapie
der Lungengefäßbahn nicht notwendig, vielmehr ist eine partielle
Thrombolyse ausreichend (Evidenzgrad B). Grad Kontraindikation
Absolut Hämorrhagische Diathese
Thrombusauflösung Manifeste oder zurückliegende schwere Blutungen
Die Thrombolyse mit Urokinase, Streptokinase und Alteplase Zerebrale Blutungen
(rekombinanter Plasminogenaktivator) wird seit mehr als 20 Jah- Intrazerebrale bzw. intraspinale Operation innerhalb der
ren zur Therapie der akuten massiven oder fulminanten Lungen- letzten 3–6 Monate
embolie eingesetzt. Mehrere randomisierte Studien konnten zei- Ischämischer Hirninfarkt innerhalb der letzten 3–6 Monate
gen, dass eine thrombolytische Therapie im Vergleich zu einer Intrakranielle Neoplasie
alleinigen Heparininfusion günstige Auswirkungen bezüglich Hämorrhagische diabetische Retinopathie
der Thrombusauflösung in der Frühphase hat. <10 Tage zurückliegendes schweres Trauma
Bei der submassiven Lungenembolie wurde in den letzten Entbindung oder größere Operationen in den vergan-
Jahren nachgewiesen, dass Patienten, die trotz ausgeprägter kli- genen Tagen
nischer Symptomatik stabile Kreislaufverhältnisse aufwiesen, Bakterielle Endokarditis
eine raschere Senkung des Drucks in der A. pulmonalis erreich- Akute Pankreatitis
ten als solche, die lediglich antikoaguliert wurden. Auch die an- Nachgewiesenes Ulcus duodeni oder Ulcus ventriculi
giographisch oder szintigraphisch nachgewiesene Gefäßokklusi- Neoplasie mit erhöhtem Blutungsrisiko
Schwere Lebererkrankung und Ösophagusvarizen
on wurde schneller gebessert.
Unkontrollierte arterielle Hypertonie
Einfluss auf die Letalität Kurz zurückliegende Punktion eines nichtkomprimier-
baren Gefäßes
Eine Verminderung der Letalität konnte in diesen Kollektiven hin-
gegen nicht gezeigt werden. Metaanalysen zeigten hinsichtlich der Relativ Kleine, frische Traumen wie Biopsien oder intramuskuläre
Überlebensrate keinen Vorteil der Thrombolyse im Vergleich zur Injektionen
alleinigen Antikoagulation mit Heparin (Wan et al. 2004). Vielmehr Frühere Erkrankungen mit erhöhtem Blutungsrisiko
kam es im weiteren Verlauf zu einer zeitabhängigen Angleichung der Vorausgegangene Gabe von Antikoagulanzien
hämodynamischen Parameter zwischen Thrombolyse- und Antiko- Schwangerschaft und Stillzeit
Lebensalter >70 Jahre
agulationsgruppe. Ferner bleibt unklar, ob durch die Thrombolyse
Ulcus duodeni oder Ulcus ventriculi in der Anamnese nach
die Ausbildung einer CTEPH verhindert werden kann, die sekundär
Therapie ohne endoskopische Kontrolle
mit einer schlechten Prognose behaftet ist (Rosenkranz 2007).
10.6 · Therapie
287 10
Risikoabwägung Die Schemata 1, 3 und 5 (. Tab. 10.13) sind von der amerika-
Hinsichtlich der relativen Kontraindikationen muss in jedem nischen Zulassungsbehörde Food and Drug Administration zur
Einzelfall eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung einer Therapie der Lungenembolie zugelassen.
Thrombolysetherapie im Vergleich zur alleinigen Antikoagulati- Im Gegensatz zu Patienten mit akutem Myokardinfarkt ist das
on oder Operation vorgenommen werden. Hierbei ist auch zu therapeutische Zeitfenster für einen effektiven Einsatz der Throm-
berücksichtigen, dass Modifikationen der Dosierungen und An- bolyse wesentlich länger. So kann bis zu einer Woche nach dem
wendungsschemata verschiedener Thrombolytika das Risiko ei- Auftreten von Symptomen mit einer thrombolytischen Aktivität
ner intrazerebralen Blutung von etwa 1% nicht wesentlich senken und somit von einem sinnvollen Einsatz ausgegangen werden. Die
können. regionale Applikation des Thrombolytikums über einen liegenden
Katheter in der A. pulmonalis scheint gegenüber der systemischen
Praktische Durchführung der thrombolytischen Gabe, außer in Kombination mit einer Katheterfragmentation
Therapie (7 Abschn. 10.6.5), keinen wesentlichen Vorteil aufzuweisen.
Zur Therapie der Lungenembolie sind Streptokinase, Urokinase
und Alteplase (r-tPA) zugelassen. Zwar fanden sich in verschie-
denen Untersuchungen Vorteile für das rascher wirksame rt-PA 10.6.4 Chirurgische Therapiemaßnahmen
hinsichtlich einer rascheren Verbesserung der rechtsventrikulären
Auswurffraktion und der Verminderung des Lungengefäßwider- Die pulmonale Embolektomie (Trendelenburg-Operation) wur-
stands, Unterschiede in der Überlebensrate konnten jedoch nicht de bereits vor Jahrzehnten zur Therapie der fulminanten Lungen-
nachgewiesen werden. Die Dosierungsempfehlungen der ver- embolie eingesetzt. Sie hat eine hohe Operationsletalität, die je-
schiedenen Thrombolytika sind in . Tab. 10.13 zusammengefasst. doch durch die Einführung der HLM gesenkt werden konnte.
Der chirurgische Eingriff bei Patienten mit fulminanter Lungen-
! Cave
embolie, die aufgrund ihrer hämodynamischen Auswirkung
Während Urokinase- und rt-PA-Therapie und nach Ende einer
hohe Dosen von Katecholaminen zur Aufrechterhaltung des
Streptokinaseinfusion sollte eine begleitende Antikoagulation
Blutdrucks benötigten und bei denen durch ein bildgebendes
mit Heparin durchgeführt werden.
Verfahren ein oder mehrere Thromben im Pulmonalis-
hauptstamm oder den beiden proximalen Pulmonalarterienästen
nachweisbar sind, indiziert. Die Embolektomie sollte insbeson-
. Tab. 10.13. Dosierung verschiedener Thrombolytika zur Therapie dere bei absoluten Kontraindikationen gegen die Thrombolyse-
der fulminanten Lungenembolie therapie, bei erfolgloser Thrombolysetherapie sowie bei großen,
Thrombolytikum Dosis flottierenden rechtskardialen Thromben erwogen werden. Die
Embolektomie unter Verwendung der HLM ermöglicht es, die
1. Streptokinase Initial 250.000 IE über 30 min i. v., Pulmonalarterie während der extrakorporalen Zirkulation in
dann 100.000 IE/h über 24 h Ruhe von allen erreichbaren Thromben zu befreien. Ein entspre-
2. Streptokinase, Kurzzeitlyse 1,5 Mio. IE i. v. über 30 min chendes Präparat zeigt . Abb. 10.10.
3. Urokinase 4400 IE/kgKG über 10 min i. v., dann > Bei hämodynamischer Stabilität ist eine chirurgische Thrombek-
4400 IE/kgKG/h über 24 h tomie nicht indiziert, selbst wenn angiographisch ausgedehnte
4. Urokinase, Kurzzeitlyse 1,5 Mio. E i. v. über 1 h Embolien nachweisbar sind. Diese Patienten überleben ohne
Embolektomie unter einer suffizienten Antikoagulation bzw.
5. Alteplase (rt-PA) 100 mg über 2 h Thrombolyse.

. Abb. 10.10. Chirurgisch entfernte Thrombem-


boli bei fulminanter Lungenembolie. (Bild: Prof. Dr.
T. Wahlers, Köln)
288 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

10.6.5 Katheterinterventionelle Therapieverfahren 10.7 Differenzialtherapie

Eine Reihe perkutaner, katheterinterventioneller Verfahren ist Das differenzialtherapeutische Vorgehen bei der akuten Lungen-
beschrieben worden (Evidenzgrad C). Mithilfe der derzeit ver- embolie ist in . Abb. 10.11 schematisch dargestellt. Wesentlich
fügbaren Katheter (Greenfield Suction Catheter, Pigtail Rotation für die Entscheidungsfindung ist, ob der Patient hämodynamisch
Catheter, Amplatz Thrombectomy Device, Angiojet Xpeedior stabil oder instabil ist. Bei hämodynamisch instabilen Patienten
etc.) können zentral gelegene Thromben mitunter effektiv ent- gelten in Abhängigkeit vom Ausmaß der Instabilität solche Kont-
fernt und die Hämodynamik verbessert werden. Der Einsatz sol- raindikationen, die bei elektivem Einsatz streng beachtet werden
cher Verfahren kann u. U. mit einer lokalen Thrombolysethera- müssen, nur relativ.
pie kombiniert werden.

Vena-cava-inferior-Sperrung 10.8 Lungeninfarkt


Bei Patienten, die Kontraindikationen gegen eine Antikoagulati-
on aufweisen, ist in Einzelfällen die chirurgische Sperrung der Bei mehr als 50% aller Patienten mit akuter Lungenembolie las-
V. cava inferior unterhalb der Nierenvenen indiziert. Diese Maß- sen sich radiologisch Zeichen eines Lungeninfarkts, d. h. eine
nahme ist hocheffektiv zur Verhinderung weiterer Embolien. dem verschlossenen Gefäß entsprechende Verschattung nach-
Allerdings beträgt das Operationsrisiko 2–5%, bei Patienten mit weisen. Das klassische Zeichen des Lungeninfarkts ist der
Herzinsuffizienz sogar über 20%. Dagegen ist die Ligatur beider plötzlich auftretende pleuritische Schmerz mit oder ohne Dys-
Femoralvenen, die in Lokalänasthesie durchgeführt werden pnoe. Hämoptysen treten jedoch nur selten auf. Pulmonale Blu-
kann, deutlich risikoärmer. Hierbei kann es jedoch in bis zu 10% tungen entstehen durch Versorgung des okkludierten Lungen-
aller Fälle zu einem Rezidiv kommen. gewebes über kollateralisierende Bronchialarterien. Das gleich-
zeitige Vorliegen einer Linksherzinsuffizienz mit Erhöhung
Vena-cava-Filter des pulmonalvenösen Drucks fördert das Auftreten von Hämop-
Der Einsatz von V.-cava-Filtern, die perkutan über die V. jugula- tysen.
10 ris in die V. cava inferior eingeführt werden, weist in einem hohen
! Cave
Prozentsatz Komplikationen auf, insbesondere durch Mobilisa-
Wesentliche Differenzialdiagnose eines Lungeninfarkts ist eine
tion und Verschleppung des V.-cava-Schirms. Decousus et al.
virale oder bakterielle Pneumonie.
(1998) untersuchten die Wirksamkeit von V.-cava-Filtern zur
Prävention einer Lungenembolie bei Patienten mit tiefer Bein- Da Lungeninfarkte in der Regel nur bei Patienten mit kleine-
venenthrombose. Der initiale Vorteil bezüglich der Prävention ren Lungenembolien auftreten, bei denen eine Kollateralver-
einer Lungenembolie wurde hierbei durch ein übermäßiges Auf- sorgung des Lungengefäßareals möglich ist, ist der O2-Partial-
treten rezidivierender tiefer Beinvenenthrombosen aufgewogen. druck meist nicht erniedrigt und kann zur Differenzialdiagnose
So ist der Einsatz eines V.-cava-Filters lediglich bei den Patien- nicht herangezogen werden. Letztlich hilft nur die Beurtei-
ten indiziert, die eine absolute Kontraindikation gegen eine Anti- lung weiterer Parameter wie Leukozytose, Sputumkultur bzw.
koagulation aufweisen oder bei denen es unter korrekter und suf- das assoziierte Vorliegen einer tiefen Beinvenenthrombose
fizienter Antikoagulation zu einer Rezidivembolie gekommen ist. weiter.

. Abb. 10.11. Flussdiagramm des therapeutischen Vorgehens bei gesicherter Lungenembolie; NMH niedermolekulare Heparine; RV rechter Ventrikel
10.10 · Prophylaxe der Lungenembolie
289 10
10.9 Besondere Formen der Lungenembolie Die Amnionflüssigkeit mit ihren Inhaltsstoffen Mekonium, epi-
thelialen Abscheidungen, Muzinen, Lipiden und Pigmenten tritt
10.9.1 Fettembolien in die mütterliche Zirkulation über die venösen Sinus auf der
uteroplazentaren Seite oder über endozervikale Venen ein.
Fettembolien treten im Zusammenhang mit ausgedehnten Frak- Die Manifestation einer Fruchtwasserembolie ist durch die
turen, v. a. der langen Röhrenknochen auf. Klassischerweise sind zellulären Bestandteile der Amnionflüssigkeit bedingt, da expe-
sie durch respiratorische Insuffizienz mit Dyspnoe, Verwirrung rimentelle Untersuchungen zeigen konnten, dass filtrierte Amni-
durch ZNS-Beteiligung und Nachweis von petechialen Blutungen onflüssigkeit kaum eine Reaktion auf das pulmonale Gefäßbett
charakterisiert. Ein Teil der Pathophysiologie wird sicher durch verursacht. Die meisten Patienten entwickeln eine ausgeprägte
die mechanische Obstruktion der Lungenstrombahn verursacht, DIC mit Verbrauchskoagulopathie und deren Folgen. Daneben
daneben kommt es jedoch durch Freisetzung von Gerinnungs- kommt es zum plötzlichen Auftreten hochgradiger Dyspnoe,
faktoren zur Plättchenaggregation, und toxische freie Fettsäuren Schocksymptomatik, Zyanose und Zeichen des akuten Cor pul-
in der Lunge führen zur Ausbildung von Kapillarlecks bis hin monale oder des Lungenödems. Zusätzlich führen die zentralen
zum ARDS. Durch die ausgedehnte Plättchenaggregation und Auswirkungen zu Koma, Krämpfen und schließlich zum Herz-
Sequestration in den Fetttröpfchen in der Lunge entwickelt sich stillstand. Laborchemisch finden sich in der Regel die Zeichen
häufig eine begleitende Thrombozytopenie. Die Prognose dieser einer Verbrauchskoagulopathie.
Patienten ist schlecht. Therapeutisch werden neben symptoma- Therapeutisch wird neben allgemeinen intensivmedizi-
tischen Maßnahmen eine hochdosierte Gabe von Kortikosteroi- nischen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Kreislaufs und
den und niedrig dosierte Heparintherapie empfohlen. ausreichender Oxygenation die möglichst rasche Hysterektomie
durchgeführt, um die Ursache der diffusen intravaskulären Ge-
rinnung zu entfernen. Daneben werden entsprechend des Aus-
10.9.2 Luftembolie maßes der Verbrauchskoagulopathie Plasma- und Gerinnungs-
faktoren substituiert.
Luftembolien sind in der Regel iatrogen bedingte Komplikati-
onen nach Eingriffen im Hals- und Hirnbereich, Herz-Lungen-
Bypass, Komplikation eines Pneumoperitoneums oder Diskon- 10.10 Prophylaxe der Lungenembolie
nektion eines zentralen Venenkatheters. Die letale Luftmenge ist
von Alter und Vorerkrankungen des Patienten sowie von der > Die perioperative Thrombose- und Thromboembolieprophylaxe
Schnelligkeit des Lufteintritts abhängig, beträgt jedoch zwischen hat in den chirurgischen Disziplinen eine besondere Bedeutung,
5 und 15 ml/kgKG. Der Tod tritt durch Luftverschluss des rech- da ein erheblicher Teil der Hospitalletalität und -morbidität
ten Ventrikels und Obstruktion des pulmonalen Gefäßbettes nicht durch den operativen Eingriff selbst, sondern durch eine
durch sekundäre pulmonale Vasokonstriktion ein. perioperativ auftretende tiefe Beinvenenthrombose und Lun-
Klinisch ist die Luftembolie durch das Auftreten von Dys- genembolie bedingt ist.
pnoe, Schock und Zyanose charakterisiert. Darüber hinaus ist in
der Regel ein lautes systolisch-diastolisches Rauschen und Die übliche Prophylaxe besteht heute in der täglich 3-maligen
Brummen über dem Herzen auskultierbar. Bei überlebter Luft- Gabe von 5000 IE Heparin s.c. Viele Studien konnten nachwei-
embolie kann es zur Entwicklung eines ARDS kommen. Ein sen, dass eine derartige Prophylaxe einer Placebotherapie signifi-
Patient mit Luftembolie wird durch Drehen auf seine linke Seite kant überlegen ist, wenngleich die partielle Thromboplastinzeit
in Kopftieflage behandelt, um den Luftembolus vom rechtsvent- hierdurch nicht beeinflusst wird.
rikulären Ausflusstrakt in den rechtsventrikulären Apex und das Ebenso wirksam wie die 3-mal tägliche Gabe von UFH ist die
rechte Atrium zu leiten. Daneben sollte versucht werden, die Gabe eines NMH. Der Vorteil liegt in der einfacheren, nur einmal
Luft soweit wie möglich mithilfe eines Katheters zu aspirieren. täglichen Anwendung. Dem steht jedoch der Nachteil des höhe-
Kommt es im Rahmen der Luftembolie zu zentralnervösen ren Preises gegenüber. Ausnahmen hiervon sind orthopädische
Symptomen wie Verwirrung bis hin zu Krampfanfällen und Operationen an der unteren Extremität. Hier wird empfohlen,
Koma, scheint eine O2-Überdruckbeatmung in einer Über- NMH 2-mal täglich zu geben.
druckkammer sinnvoll zu sein.
! Cave
Acetylsalicylsäure ist zur perioperativen Thrombose- und
10.9.3 Fruchtwasserembolie Thromboembolieprophylaxe nicht geeignet.

Die prophylaktische Wirkung einer Low-dose-Heparinprophylaxe


Die Inzidenz einer Fruchtwasserembolie wird mit 1:8000 bis bei nichtchirurgischen, z. B. bettlägrigen Patienten auf internisti-
1:80.000 Lebendgeburten angegeben. Durch die moderne Ge- schen oder neurologischen Stationen ist weniger gut etabliert. Ne-
burtshilfe hat sie sich deutlich vermindern lassen. ben angepassten Kompressionsstrümpfen wird dennoch die 2- bis
Prädisponierende Faktoren sind: 3-mal tägliche Gabe von 5000 IE Heparin s.c. oder die einmalige
4 erhöhtes Alter der Schwangeren, Gabe eines NMH empfohlen. Zu beachten ist, dass niedermoleku-
4 Pluripara, lare Heparine bei Niereninsuffizienz kumulieren und daher kont-
4 Plazentaseparation, raindiziert sind. Die insbesondere im amerikanischen Schrifttum
4 intrauteriner Fruchttod, empfohlene intermittierende pneumatische Kompression der Bei-
4 sehr lange Wehenperioden und ne hochgefährdeter Patienten (Paraplegie, Hüftgelenkfraktur) ist
4 Mekoniumkontamination der Amnionflüssigkeit. zwar effektiv, wegen des hohen apparativen Aufwands jedoch in
der Regel nur im Einzelfall praktikabel und indiziert.
290 Kapitel 10 · Lungenembolie und akutes Cor pulmonale

Literatur Pengo V, Lensing AW, Prins MH et al. (2004) Incidence of chronic thrombo-
embolic pulmonary hypertension after pulmonary embolism. N Engl
Beasley R, Raymond N, Hill S et al. (2003) eThrombosis: the 21st century J Med 350: 2257–2264
variant of venous thromboembolism associated with immobility. Eur Perrier A, Desmarais S, Miron MJ et al. (1999) Non-invasive diagnosis of
Respir J 21: 374–376 venous thromboembolism in outpatients. Lancet 353: 190-195
Belle A van, Buller HR, Huisman MV et al. for the Christopher Study Investi- PIOPED Investigators (1990) Value of the ventilation/perfusion scan in
gators (2006) Effectiveness of managing suspected pulmonary embo- acute pulmonary embolism. Results of the prospective investigation
lism using an algorithm combining clinical probability, D-dimer tes- of pulmonary embolism diagnosis (PIOPED). JAMA 263: 2753–2759
ting, and computed tomography. JAMA 295: 172–179 Quinlan DJ, McQuillan A, Eikelboom JW (2004) Low-molecular-weight he-
Buller HR, Davidson BL, Decousus H et al. (2003) Subcutaneous fondapari- parin compared with intravenous unfractionated heparin for treat-
nux versus intravenous unfractionated heparin in the initial treatment ment of pulmonary embolism: a meta-analysis of randomized, con-
of pulmonary embolism. N Engl J Med 349: 1695–1702 trolled trials. Ann Intern Med 140: 175-183
Daniel KR, Courtney DM, Kline JA (2001) Assessment of cardiac stress from Raschke RA, Reilly BM, Guidry JR et al. (1993) The weight-based heparin
massive pulmonary embolism with 12-lead ECG. Chest 120: 474–481 dosing nomogram compared with a »standard care« nomogram. A
Decousus H, Leizorovicz A, Parent F et al. (1998) A clinical trial of vena caval randomized controlled trial. Ann Intern Med 119: 874–881
filters in the prevention of pulmonary embolism in patients with pro- Rosendaal FR, Koster T, Vandenbroucke JP, Reitsma PH (1995) High risk of
ximal deep-vein thrombosis. N Engl J Med 338: 409–415 thrombosis in patients homozygous for factor V Leiden (activated
European Society of Cardiology, Task Force on Pulmonary Embolism (TFo- protein C resistance). Blood 85: 1504–1508
PE) (2000) Guidelines on diagnosis and management of acute pul- Rosendaal FR, Helmerhorst FM, Vandenbroucke JP (2002) Female hor-
monary embolism. Eur Heart J 21: 1301–1336 mones and thrombosis. Arterioscler Thromb Vasc Biol 22: 201–210
Francis CW (2007) Clinical practice. Prophylaxis for thromboembolism in Rosenkranz S (2007) Pulmonary hypertension: current diagnosis and treat-
hospitalized medical patients. N Engl J Med 356: 1438–1444 ment. Clin Res Cardiol 96: 527–541
Geibel A, Zehender M, Kasper W et al. (2005) Prognostic value of the ECG Rossouw JE, Anderson GL, Prentice RL et al. (2002) Risks and benefits of
on admission in patients with acute major pulmonary embolism. Eur estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal
Respir J 25: 843–848 results from the Women’s Health Initiative randomized controlled trial.
Grady D, Wenger NK, Herrington D et al. (2000) Postmenopausal hormone JAMA 288: 321–333
10 therapy increases risk for venous thromboembolic disease. The Heart Schulman S, Rhedin AS, Lindmarker P et al. (1995) A comparison of six
weeks with six months of oral anticoagulant therapy after a first epi-
and Estrogen/progestin Replacement Study. Ann Intern Med 132:
689–696 sode of venous thromboembolism. Duration of Anticoagulation Trial
Huisman MV, Buller HR, ten Cate JW et al. (1989) Unexpected high preva- Study Group. N Engl J Med 332:1661–1665
lence of silent pulmonary embolism in patients with deep venous Silverstein MD, Heit JA, Mohr DN et al. (1998) Trends in the incidence of
thrombosis. Chest 95: 498–502 deep vein thrombosis and pulmonary embolism: a 25-year popula-
Hull R, Hirsh J, Jay R et al. (1982) Different intensities of oral anticoagulant tion-based study. Arch Intern Med 158: 585–593
therapy in the treatment of proximal-vein thrombosis. N Engl J Med Stein PD, Henry JW (1995) Prevalence of acute pulmonary embolism among
307:1676–1681 patients in a general hospital and at autopsy. Chest 108: 978–981
Interdisziplinäre S2-Leitlinie. Diagnostik und Therapie der Bein- und Becken- Stein PD, Terrin ML, Hales CA et al. (1991) Clinical, laboratory, roentgeno-
venenthrombose und der Lungenembolie. Vasa 2005; 34(S66): 15-24 graphic, and electrocardiographic findings in patients with acute pul-
Jerjes-Sanchez C, Ramirez-Rivera A, Lourdes Garcia M de (1995) Streptoki- monary embolism and no pre-existing cardiac or pulmonary disease.
nase and heparin vs. heparin alone in massive pulmonary embolism: Chest 100: 598–603
a randomized controlled trial. J Thromb Thrombolysis 2: 227–229 Stein PD, Hull RD, Patel KC (2004) D-dimer for the exclusion of acute venous
Kasper W, Konstantinides S, Geibel A et al. (1997) Management strategies thrombosis and pulmonary embolism: a systematic review. Ann In-
and determinants of outcome in acute major pulmonary embolism: tern Med 140: 589–602
results of a multicenter registry. J Am Coll Cardiol 30: 1165–1171 Stein PD, Fowler SE, Goodman LR et al., PIOPED II Investigators (2006) Mul-
Kniffin WD, Baron JA, Barett J et al. (1994) The epidemiology of diagnosed tidetector computed tomography for acute pulmonary embolism. N
pulmonary embolism and deep venous thrombosis in the elderly. Engl J Med 354: 2317–2327
Arch Intern Med 154:861–866 Tapson VF (2008) Acute pulmonary embolism. N Engl J Med 358:
Konstantinidis S, Geibel A, Olschewski M et al. (1997) Association between 1037–1052
thrombolytic treatment and the prognosis of hemodynamically stab- Virchow R (1862) Gesammelte Abhandlungen zur Wissenschaftlichen Me-
le patients with major pulmonary embolism: results of a multicenter dizin, Bd IV: Thrombose und Embolie. G-Hamm-Grotesche Buchhand-
registry. Circulation 96: 882–888 lung, Berlin, S 219
Lapostolle F, Surget V, Borron SW et al. (2001) Severe pulmonary embolism Wan S, Quinlan DJ, Agnelli G, Eikelboom JW (2004) Thrombolysis compared
associated with air travel. N Engl J Med 345: 779–783 with heparin for the initial treatment of pulmonary embolism: a
Meaney JF, Weg JG, Chenevert TL et al. (1997) Diagnosis of pulmonary meta-analysis of the randomized controlled trials. Circulation 110:
embolism with magnetic resonance angiography. N Engl J Med 336: 744–749
1422–1427 Wells PS, Anderson DR, Rodger M et al. (2000) Derivation of a simple clinical
Oudkerk M, Beek EJ van, Wielopolski P et al. (2002) Comparison of contrast- model to categorize patients probability of pulmonary embolism: in-
enhanced magnetic resonance angiography and conventional pul- creasing the models utility with the SimpliRED D-dimer. Thromb Hae-
monary angiography for the diagnosis of pulmonary embolism: a most 83: 416–420
prospective study. Lancet 359: 1643–1647
Parkin L, Skegg DC, Wilson M et al. (2000) Oral contraceptives and fatal
pulmonary embolism. Lancet 355: 2133–2134
291 11

Chronische pulmonale Hypertonie


S. Rosenkranz

11.1 Hämodynamik des Lungenkreislaufs – 291 11.6.4 Spiroergometrie – 297


11.1.1 Pulmonale Zirkulation – 291 11.6.5 Sechsminutengehtest – 297
11.1.2 Vasokonstriktion und Vasodilatation – 292 11.6.6 Laborparameter – 298
11.1.3 Pulmonaler Gefäßwiderstand – 292 11.6.7 Detektion oder Ausschluss relevanter
Grunderkrankungen – 298
11.2 Definition und Klassifikation – 292
11.7 Invasive Diagnostik – 298
11.3 Epidemiologie – 292 11.7.1 Rechtsherzkatheteruntersuchung – 298
11.7.2 Vasoreaktivitätstest – 298
11.4 Ätiologie und Pathogenese – 293
11.4.1 Erkrankungsformen – 293 11.8 Therapie – 299
11.4.2 Genetische Veränderungen – 293 11.8.1 Basistherapie und supportive Therapie der
11.4.3 Vasokonstriktion und alveoläre Hypoxie – 293 pulmonalarteriellen Hypertonie – 299
11.4.4 Vaskuläres Remodeling – 294 11.8.2 Spezifische medikamentöseTherapie der
pulmonalarteriellen Hypertonie – 300
11.5 Klinisches Erscheinungsbild – 295 11.8.3 Weitere Therapiemöglichkeiten der
pulmonalarteriellen Hypertonie – 302
11.6 Nichtinvasive Diagnostik – 295 11.8.4 Behandlung anderer Formen der pulmonalen
11.6.1 Elektrokardiographie und Thoraxröntgen – 295 Hypertonie – 302
11.6.2 Echokardiographie – 296
11.6.3 Lungenfunktionsuntersuchung – 296 Literatur – 303

)) durch die Rekrutierung von unter Ruhebedingungen nur mini-


mal perfundierten Gefäßarealen, insbesondere in den Lungen-
Die PH ist durch eine Erhöhung des arteriellen Drucks und des oberfeldern (»Volumenspeicher« der Lunge), zum anderen durch
Gefäßwiderstands in der pulmonalen Strombahn gekennzeich- eine aktive Vasodilatation pulmonaler Gefäße erzielt. Eine wei-
net. Dabei wird die präkapilläre Form der PH von der postkapil- tere Besonderheit des Lungenkreislaufs ist, dass es sowohl bei
lären PH abgegrenzt (. Abb. 11.1). Bei Patienten mit postkapil- arterieller Hypoxämie als auch bei alveolärer Hypoxie lokal zu
lärer PH kommt es durch eine Linksherzerkrankung (atrial, ventri- einer Erhöhung des PVR kommt (Von-Euler-Liljestrand-Mecha-
kulär, valvulär) zu einer pulmonalvenösen Stauung mit sekundä- nismus). Hierdurch können durch eine Umverteilung der Perfu-
rer Erhöhung des PCP und des PAP. Im Gegensatz dazu ist die sion von schlecht ventilierten Arealen (z. B. Atelektase) in normal
präkapilläre PH durch eine isolierte Erhöhung des PAP bei norma- ventilierte Lungenabschnitte pulmonale Shunt-Flüsse und eine
lem PCP charakterisiert. Da die PH im letzteren Fall auf den arte-
riellen Schenkel der pulmonalen Strombahn beschränkt ist, wird
diese PAH von anderen Formen der PH abgegrenzt. Schwerwie-
gendste Folge der PAH ist die chronische Rechtsherzbelastung,
die zur Ausbildung eines Cor pulmonale bis hin zum Rechtsherz-
versagen führen kann und daher für die schlechte Prognose von
Patienten mit schwerer PAH verantwortlich zeichnet.

11.1 Hämodynamik des Lungenkreislaufs

11.1.1 Pulmonale Zirkulation

Die pulmonale Strombahn, das »Niederdrucksystem«, ist im Ver-


gleich zur systemischen Zirkulation durch einige Besonderheiten
gekennzeichnet. Der normale PAPs beträgt 15–30 mmHg, der
PAPm 12–20 mmHg und der PCP <12 mmHg. Im Gegensatz zur
systemischen Zirkulation ist die pulmonale Gefäßstrombahn
durch die Fähigkeit charakterisiert, den Druck in der A. pul- . Abb. 11.1. Pathogenese der pulmonalen Hypertonie. LVEDP »left vent-
monalis unter körperlicher Belastung trotz einer Steigerung des ricular end-diastolic pressure«, PAP pulmonalarterieller Druck, PCP plumo-
Blutflusses weitgehend konstant zu halten. Dies wird zum einen nalkapillärer Druck
292 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

systemische O2-Entsättigung verhindert und somit eine Opti-


mierung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses sowie eine
Ökonomisierung des Gasaustausches erzielt werden.

11.1.2 Vasokonstriktion und Vasodilatation

Der Gefäßtonus der Lungengefäße wird sowohl durch vasokons-


triktorische als auch durch vasodilatative Mediatoren reguliert.
Zu den Mediatoren der pulmonalen Vasokonstriktion gehören
u. a. α1-Adrenozeptoragonisten, Thromboxan A2, Serotonin und
Endothelin-1. Die aktive Vasodilatation der Lungengefäße wird
insbesondere durch die NO-vermittelte Bildung von cGMP sowie
die prostazyklinvermittelte Bildung von cAMP reguliert. Weitere,
bisher noch nicht bekannte Mediatoren sind wahrscheinlich. . Abb. 11.2. Zusammenhang zwischen Herzzeitvolumen (HZV) und
Der Mechanismus der durch den Von-Euler-Liljestrand-Re- pulmonalarteriellem Druck (PAP). Dargestellt ist der Zusammenhang von
flex bedingten pulmonalen Vasokonstriktion ist bis heute nicht HZV und PAP beim Gesunden sowie bei latenter bzw. manifester pulmo-
bekannt. Jedoch ist dieser Reflex auch an isolierten Organen in- nalarterieller Hypertonie
duzierbar und scheint mit einer NAD(P)H-Oxidase im Zusam-
menhang zu stehen. Darüber hinaus wurde ein nicht durch 4-
Aminopyridin blockierbarer, O2-abhängiger Kaliumkanal be- meist anhand nichtinvasiver Verfahren wie der Echokardio-
schrieben, der über hypoxiebedingte Blockade zu einer pulmo- graphie. Es sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen der echo-
nalen Vasokonstriktion führen kann. kardiographischen Routinediagnostik nicht der PAPm, sondern
der PAPs bestimmt wird. Nach echokardiographischen Kriterien
ist die PH als Erhöhung des PAPs auf über 35 mmHg in Ruhe
11.1.3 Pulmonaler Gefäßwiderstand definiert (Barst et al. 2004).
Klassifikation und Nomenklatur der PH wurden auf der
11 Der PVR ergibt sich aus dem Druckabfall über die Gefäßwider- Dritten Weltkonferenz für Pulmonale Hypertonie, die im Jahr
stände der gesamten pulmonalen Strombahn (arteriell, kapillär, 2003 in Venedig stattfand, grundlegend revidiert (Simonneau et
venös). Er berechnet sich nach der Formel: al. 2004). Nach dieser Klassifikation wird die PAH von anderen
Formen der PH abgegrenzt, die als Folge von Linksherzerkran-
PVR=80×(PAPm–PCP)/HZV
kungen, chronischen Lungenerkrankungen, thrombembolischen
Der Normwert des PVR beträgt 70±30 dyn×s×cm-5 (entsprechend Ereignissen oder anderen Erkrankungen auftreten können
0,9±0,37 mmHg/l/min=WE). Präkapillärer (60%) und postkapil- (7 Übersicht 11.1). Die PAH wird weiter in die idiopathische Form
lärer (40%) Widerstand sind etwa gleich, während das Kapillarbett (IPAH), die familiäre Form (FPAH), die PAH assoziiert mit an-
als wesentlicher Volumenspeicher der Lungenstrombahn dient. deren Erkrankungen (APAH) wie Kollagenosen, kongenitale
Dies ist für die Konstanthaltung des PAP unter Belastungsbedin- Shunt-Vitien, portale Hypertonie, HIV-Infektion oder Einnahme
gungen von enormer Bedeutung. So kann der pulmonale Blutfluss bestimmter Medikamente (z. B. Appetitzügler, Amphetamine),
in Belastungssituationen durch die Rekrutierung von Kapillarab- die PAH mit einer venösen/kapillären Beteiligung und die PPHN
schnitten insbesondere in den Lungenoberfeldern mit resultieren- unterteilt. Die korrekte Diagnosestellung und eine exakte Klassi-
der Abnahme des PVR gesteigert werden, ohne dass es zum An- fikation sind für die Planung des therapeutischen Vorgehens ent-
stieg des PAP kommt. Demgegenüber führt eine Steigerung des scheidend.
HZV bei der latenten PH zu einem Anstieg des in Ruhe noch nor-
malen PAP, während der PAP bei der manifesten PH bereits in
Ruhe erhöht ist und unter Belastung weiter ansteigt (. Abb. 11.2). 11.3 Epidemiologie

Die PAH ist eine relativ seltene Erkrankung, die häufig erst in
11.2 Definition und Klassifikation fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert wird. Nach aktuellen
Daten aus dem nationalen französischen PAH-Register beträgt
Definition die Prävalenz der PAH in der europäischen Bevölkerung
Die PAH ist als Erhöhung des PAPm in Ruhe auf >20 mmHg 15 Fälle/1 Mio. Einwohner; die Inzidenz liegt bei 2,4 Fällen/
(Borderline-PAH) bzw. >25 mmHg (manifeste PAH) und/oder 1 Mio. Einwohner/Jahr (Humbert et al. 2006). Die Prävalenz der
>30 mmHg unter Belastung (50 W), bei gleichzeitigem Vor- IPAH (früher als »primäre pulmonale Hypertonie« bezeichnet)
liegen eines normalen oder reduzierten HZV und normalem beträgt 5,9 Fälle/1 Mio. Einwohner. Frauen sind etwa doppelt so
PCP (<15 mmHg) definiert (Barst et al. 2004; Galié et al. 2004). häufig betroffen wie Männer (Verhältnis 1,9:1). In dieser Kohor-
Der PVR ist auf über 240 dyn×s×cm-5 (entsprechend te betrug die Latenzzeit zwischen dem Beginn der Symptomatik
>3 mmHg/l/min=WE) erhöht. und der Diagnosestellung im Mittel 27 Monate, und 75% der
Patienten befanden sich bei Diagnosestellung in einem fortge-
schrittenen Stadium (NYHA/WHO-Klasse III oder IV). Die
Diese Definition basiert auf invasiven Messungen mithilfe des relative Häufigkeit der einzelnen PAH-Formen ist in . Tab. 11.1
Rechtsherzkatheters. Jedoch erfolgt die initiale Diagnose der PH dargestellt.
11.4 · Ätiologie und Pathogenese
293 11
11.4 Ätiologie und Pathogenese
Übersicht 11.1. Aktuelle Klassifikation der pulmonalen
Hypertonie nach der PH-Weltkonferenz in Venedig (2003) 11.4.1 Erkrankungsformen

1. PAH Die PH ist eine heterogene Erkrankung, bei der kardiale (Links-
1. IPAH, Ursache unbekannt herzinsuffizienz, Klappenvitien) und/oder pulmonale Erkran-
2. FPAH, genetischer Hintergrund kungen (COPD, Lungenfibrose, chronische Hypoxie, Lungen-
3. APAH, assoziiert mit Kollagenosen, kongenitalen embolie) sowie primäre pathologische Veränderungen der pul-
Links-Rechts-Shunts, portaler Hypertonie, HIV-Infek- monalen Gefäße zu einer Erhöhung des PVR und des PAP führen
tion, Medikamenten und Toxinen etc. können. Die Pathogenese der PAH ist multifaktoriell. Zahlreiche
4. PAH mit venöser/kapillärer Manifestation, PVOD, PCH Mechanismen wie Vasokonstriktion, vaskuläres Remodeling und
5. PPHN In-situ-Thrombosen können zu einer Erhöhung des PVR führen.
2. Pulmonale Hypertonie bei Linksherzerkrankungen Aktuelle genetische und pathophysiologische Untersuchungen
1. Linksseitige ventrikuläre oder atriale Herzerkrankung implizieren, dass die Kombination genetischer Faktoren, assozi-
2. Linksseitige Klappenerkrankung ierter Erkrankungen und/oder Triggermechanismen zur Mani-
3. Pulmonale Hypertonie bei Lungenerkrankungen/ festation der Erkrankung führen.
Hypoxie
1. COPD
2. Interstitielle Lungenerkrankungen 11.4.2 Genetische Veränderungen
3. Schlafapnoesyndrom
4. Alveoläre Hypoventilation Genetische Varianten, die insbesondere bei der FPAH, aber auch
5. Höhenbewohner bei der sporadisch auftretenden IPAH zu finden sind, betreffen
6. Entwicklungsanomalien die Signaltransduktionswege von TGF-β (BMPR2) und Serotonin
4. CTEPH (5-HTT). Da die Mutationen der BMPR2- und 5-HTT-Gene je-
1. Thrombembolische Obstruktion der proximalen/ doch nur eine geringe Penetranz von 15–20% aufweisen, sind sie
distalen Pulmonalarterien lediglich als prädisponierende Faktoren anzusehen, und Gen-
2. Nichtthrombotische Lungenembolie (Tumor, Gen-Interaktionen und/oder Gen-Umwelt-Interaktionen (Risi-
Parasiten, Fremdmaterial) kofaktoren, assoziierte Erkrankungen) scheinen sowohl bei der
5. PH aufrund anderer Erkrankungen FPAH als auch bei der sporadischen IPAH für die Ausbildung der
1. Sarkoidose, Langhans-Histiozytose, Lymphangioleio- Erkrankung verantwortlich zu sein.
matose, Kompression der Pulmonalgefäße (Adeno-
pathie, Tumor, fibrosierende Mediastinitis etc.)
11.4.3 Vasokonstriktion und alveoläre Hypoxie

Die frühen Stadien der PAH sind durch primär funktionelle Verän-
. Tab. 11.1. Relative Häufigkeit der einzelnen Formen der pulmo-
derungen der pulmonalen Strombahn im Sinne einer überschießen-
nalarteriellen Hypertonie (PAH) im nationalen französischen PAH-Re- den Vasokonstriktion gekennzeichnet. Ursächlich hierfür ist eine
gister. (Nach Humbert et al. 2006) Funktionsstörung des pulmonalen Gefäßendothels, die zu einer Im-
balance des normalerweise ausgeglichenen Verhältnisses vasokons-
Form Relative Häufigkeit [%]
triktorischer und vasodilatativer Mediatorsysteme führt. So lässt
Idiopathische PAH (IPAH) 39,2 sich in den pulmonalen Gefäßen von PAH-Patienten u. a. eine ge-
PAH bei Kollagenosen (APAH-CTD) 15,3 steigerte Proteinexpression des Vasokonstriktors ET-1 und eine ver-
PAH bei portaler Hypertension (APAH-PH) 10,4
änderte Dichte und Lokalisation der ETA- und ETB-Rezeptorsub-
typen beobachten. Bei Patienten mit IPAH korrelieren die ET-1-
PAH bei kongenitalem Vitium (APAH-CHD) 11,3
Plasmaspiegel direkt mit dem PVR. Gleichzeitig kommt es zu einer
PAH bei Appetitzüglereinnahme 9,5 verminderten Effizienz endothelabhängiger vasodilatativer Mecha-
PAH bei HIV-Infektion (APAH-HIV) 6,2 nismen wie der prostazyklinvermittelten cAMP- und der NO-ver-
mittelten cGMP-Bildung (McLaughlin u. McGoon 2006). Letztere
Familiäre PAH (FPAH) 3,9
ist sowohl durch eine verminderte Bioverfügbarkeit von NO als auch
durch eine gesteigerte Expression und Aktivität des cGMP-abbau-
enden Enzyms PDE-5 bedingt. Die genannten Mediatorsysteme
Unbehandelt ist die PH mit einer schlechten Prognose behaf- (ET-1-, Prostazyklin-, NO-vermittelte Signalwege) stellen zugleich
tet. Entsprechend ist der natürliche Verlauf der Erkrankung ohne die therapeutischen Angriffspunkte der derzeit zugelassenen medi-
effiziente Therapie durch eine hohe Letalität und eine begrenzte kamentösen Therapieoptionen der PAH dar (. Abb. 11.3).
Lebenserwartung gekennzeichnet. Bei Patienten mit IPAH be- Im Fall einer generellen alveolären Hypoxie kommt es über
trägt die mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung lediglich den Von-Euler-Liljestrand-Mechanismus zu einer generellen Va-
2,8 Jahre (D’Alonzo et al. 1991). Diese Daten, die vor der Verfüg- sokonstriktion in der pulmonalen Gefäßstrombahn mit konseku-
barkeit wirksamer Therapieoptionen erhoben wurden, zeigen tiver Erhöhung des PAP. Fällt der alveoläre pO2 auf unter
eine Einjahresüberlebensrate von 68% und eine Fünfjahresüber- 55 mmHg ab, lässt sich ein steiler Anstieg des PAP beobachten.
lebensrate von 34%. Das Überleben korreliert invers mit hämo- Diese vasokonstriktorische Reaktion wird durch Acidose ver-
dynamischen Parametern wie PVR, RAP und HZV. stärkt und durch Alkalose abgeschwächt.
294 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

11

. Abb. 11.3. Pathogenese der pulmonalen Hypertonie. Pathophysiolo- rezeptorantagonisten; 2 Prostazyklinanaloga; 3 Phosphodiesterase-5-In-
gisch relevante Signalwege, die die therapeutischen Ziele der derzeit zu- hibitoren. (Mod. nach Humbert et al. 2004)
gelassenen therapeutischen Optionen bei PAH darstellen: 1 Endothelin-

11.4.4 Vaskuläres Remodeling Mediatoren, denen insbesondere eine Bedeutung für das vaskuläre
Remodeling zugeschrieben wird. Neben Zytokinen spielen Wachs-
Mit fortschreitender Progression der Erkrankung lassen sich tumsfaktoren wie bFGF, TGF-β und PDGF, die insbesondere die
morphologische Veränderungen insbesondere der kleinen pul- Proliferation und die Migration glatter Gefäßmuskelzellen und
monalen Gefäße (»vaskuläres Remodeling«) beobachten, die ein Fibroblasten sowie die Bildung von Extrazellulärmatrix induzie-
relativ einheitliches histomorphologisches Bild ergeben. Dieser ren, eine wichtige Rolle. Die Inhibition entsprechender Signalwege
Prozess des pulmonalen vaskulären Remodelings umfasst alle mit dem Ziel der Verhinderung oder der Rückbildung des Gefäß-
Schichten der Gefäßwand und wird in jedem Kompartiment remodelings stellt daher einen vielversprechenden Ansatz für wei-
durch eine zelluläre Heterogenität kompliziert. Alle in der Gefäß- tere therapeutische Interventionen bei Patienten mit PAH dar.
wand befindlichen Zelltypen (Endothelzellen, glatte Gefäßmus-
> Da Patienten mit funktionellen vaskulären Veränderungen und
kelzellen, Fibroblasten) sowie Entzündungszellen und Thrombo-
moderat erhöhtem PAP häufig asymptomatisch sind oder nur
zyten spielen bei diesen Veränderungen eine bedeutende Rolle.
eine geringe Symptomatik aufweisen, die strukturellen Verände-
So kommt es zur Bildung von charakteristischen, plexiformen
rungen in den fortgeschrittenen Stadien jedoch deutlich schwie-
endothelialen Läsionen, zur progressiven Mediahypertrophie so-
riger zu therapieren sind, kommt der rechtzeitigen Diagnosestel-
wie zur Zunahme des Bindegewebes, was insgesamt zu einer
lung insbesondere aufgrund der sich stetig verbessernden The-
Querschnittsverminderung mit Einengung des Gefäßlumens
rapiemöglichkeiten eine zunehmend wichtige Bedeutung zu.
und zum Elastizitätsverlust der pulmonalen Gefäße führt.
Neben den oben genannten Signalwegen (ET-1, NO, Prosta- Aktuelle Daten weisen auf einen therapeutischen Nutzen auch
zyklin), die einen gewissen Beitrag zu den vaskulären Umbauvor- bei Patienten mit milder Symptomatik (NTHA/WHO-Klasse II)
gängen zu leisten vermögen, existieren zahlreiche weitere zelluläre hin (z. B. EARLY-Studie).
11.6 · Nichtinvasive Diagnostik
295 11
11.5 Klinisches Erscheinungsbild
Übersicht 11.2. Diagnostische Verfahren bei Patienten
Die Diagnosestellung der PH erfolgt nicht selten mit einer Ver- mit pulmonaler Hypertonie
zögerung von einigen Monaten bis Jahren oder unterbleibt gänz-
lich. Bei Patienten mit Dyspnoe sollte die PH daher immer in die Klinische Präsentation
differenzialdiagnostischen Überlegungen eingeschlossen wer- 4 Belastungsdyspnoe, Stadium (WHO/NYHA), Schweregrad
den, und es sollte eine entsprechende diagnostische Abklärung Nichtinvasive Diagnostik
erfolgen (McGoon et al. 2004; Olschewski et al. 2007). Zu den 4 Echokardiographie: Größe der rechten Herzhöhlen,
Symptomen, die auf eine PH hinweisen können, gehören Belas- Trikuspidalinsuffizienz, PAPs, rechtsventrikuläre Funktion
tungsdyspnoe, Abnahme der körperlichen Belastbarkeit, Mü- (Tei-Index, TAPSE), Perikarderguss
digkeit, körperliche Schwäche, Angina pectoris, Synkopen, peri- 4 Sechsminutengehtest: verlässlicher Parameter hinsicht-
phere Ödeme und abdominelle Spannung. Die Einschränkung lich Schweregrad, Beurteilung der Therapieeffizienz und
der körperlichen Belastbarkeit (Schweregrad) wird nach der der Prognose
Klassifikation der WHO semiquantitativ erfasst (. Tab. 11.2). 4 Lungenfunktion: FC, FEV1, FEV1/FC, DLCO, ABG
Bei der Evaluation der Patienten muss hinsichtlich anamnesti- 4 Laborparameter: BNP/NT-ProBNP, TnT
scher Angaben und körperlicher Untersuchung auf weitere Hin- 4 Spiroergometrie: peak VO2, VE/VCO2
weise und Symptome (z. B. Medikamentenanamnese, Ortho- 4 Ventilations-Perfusions-Szintigraphie: Lungenembolie?
pnoe, Nykturie, Raynaud-Phänomen, Arthralgien, Schnarchen, 4 HR-CT der Lunge: interstitielle Lungenerkrankung?
Schlafapnoesyndrom) besonders geachtet werden, da diese be- 4 Detektion oder Ausschluss relevanter Grunderkran-
reits wichtige Hinweise auf Grunderkrankungen, die die Ur- kungen: Kollagenosen, systemischer Lupus erythema-
sache für die PH darstellen können, geben können. Wenn todes, HIV, kongenitale Vitien etc.
sich durch den klinischen Befund (Belastungsdyspnoe, ein- Invasive Diagnostik
geschränkte Leistungsfähigkeit, körperliche Schwäche), die 4 Rechtsherzkatheter: PAPs, PAPm, PCP, PVR, HZV etc.
körperliche Untersuchung (z. B. prominente Pulmonaliskom- 4 Vasoreaktivitätstest: NO, Iloprost, Prostanoide
ponente des zweiten Herztons, pansystolisches Geräusch
einer Trikuspidalinsuffizienz, Jugularvenenstauung, periphere
Ödeme, Hepatomegalie, Aszites) und unspezifische Untersu-
chungen wie EKG (z. B. rechtsventrikuläre Hypertrophie) oder 11.6 Nichtinvasive Diagnostik
Thoraxröntgen (z. B. Erweiterung der zentralen Pulmonalarte-
rien und/oder rechtsventrikuläre Dilatation) der Verdacht 11.6.1 Elektrokardiographie und Thoraxröntgen
auf eine PH ergibt, können zur weiteren Abklärung sowohl
nichtinvasive als auch invasive Verfahren Anwendung finden Diagnostische Routineverfahren wie EKG und Thoraxröntgen
(7 Übersicht 11.2). können Hinweise auf eine PH liefern, weisen jedoch eine unzu-
reichende Sensitivität auf und sind daher insbesondere für die
frühzeitige Diagnosestellung von untergeordneter Bedeutung.
Im Ruhe-EKG können sich bei fortgeschrittener Erkrankung die
. Tab. 11.2. WHO-Klassifikation der klinischen Symptomatik von Pa- Zeichen der rechtsventrikulären Hypertrophie zeigen (7 Über-
tienten mit pulmonaler Hypertonie. (In Anlehnung an die NYHA-Klas-
sicht 11.3).
sifikation der Dyspnoe bei chronischer Herzinsuffizienz)

WHO-/ Symptomatik
NYHA- Übersicht 11.3. EKG-Kriterien der rechtsventrikulären
Klasse Hypertrophie
I Keine Einschränkung der körperlichen Aktivität. Normale
körperliche Belastungen führen nicht zu vermehrter Dys- 4 Steil- bis Rechtstyp
pnoe oder Müdigkeit, thorakalen Schmerzen oder Schwä- 4 SI/SII/SIII-Typ
cheanfällen (asymptomatisch) 4 Positiver Sokolow-Index (RV1+SV5≥1,05 mV)
4 QRS 0,11 s, oberer Umschlagspunkt >0,03 s (V1-V2)
II Leichte Einschränkung der körperlichen Aktivität. Keine
4 Konvexbogige ST-Strecken-Senkung
Beschwerden in Ruhe. Normale körperliche Aktivität
führt zu vermehrter Dyspnoe oder Müdigkeit, thorakalen 4 Biphasisches bis präterminal negatives T (V1-V3)
Schmerzen oder Schwächeanfällen 4 P-dextroatriale

III Deutliche Einschränkung der körperlichen Aktivität. Keine


Beschwerden in Ruhe. Bereits leichtere als normale Belas-
tungen führen zu Dyspnoe oder Müdigkeit, thorakalen In der Röntgenuntersuchung des Thorax können sich als Zeichen
Schmerzen oder Schwächeanfällen einer PH Kalibersprünge verbreiterter Lungenarterien zur Peri-
pherie hin, eine Verbreitung der transhilären Dehiszenz (>13 cm)
IV Unfähigkeit, irgendwelche körperliche Belastung ohne Be-
und eine verstärkte Gefäßzeichnung in den Lungenoberfeldern
schwerden auszuführen. Zeichen der manifesten Rechts-
herzinsuffizienz. Dyspnoe und/oder Müdigkeit können be-
(Ausdruck der Rekrutierung der apikalen Gefäßregionen) zei-
reits in Ruhe vorhanden sein. Bei geringster Aktivität wer- gen. Ein typisches Zeichen ist die Vergrößerung des Durchmes-
den die Beschwerden verstärkt sers der rechten absteigenden Pulmonalarterie in Höhe des Zwi-
schenbronchus (<16 mm: normal; 16–18 mm: PH möglich;
WHO World Health Organization, NYHA New York Heart Association.
>18 mm: PH wahrscheinlich). Amputierte Hili gelten als typisch
296 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

für abgelaufene Lungenembolien (Westermark-Zeichen) und Bei Patienten mit relevanter PAH zeigt sich in der Farbdopp-
können somit auf die Ursache einer PH hinweisen. lerechokardiographie fast regelhaft eine Trikuspidalklappenin-
suffizienz. Dopplerechokardiographisch kann dann näherungs-
weise der RVSP ermittelt werden, der in der Regel (wenn keine
11.6.2 Echokardiographie Pulmonalstenose bzw. Obstruktion des rechtsventrikulären Aus-
flusstrakts vorliegt) dem PAPs entspricht (. Abb. 11.4). Der RVSP
Die wichtigste nichtinvasive Methode in der Diagnostik der PH ergibt sich aus der Summe von transtrikuspidalem Druckgra-
ist die TTE. Bei vergrößerten rechten Herzhöhlen (größer als dienten (ΔPmaxTK) und RAP. Der ΔPmaxTK wird durch Bestim-
linke Herzhöhlen; RVEDD >30 mm) muss an eine PH gedacht mung der maximalen Refluxgeschwindigkeit des Trikuspidal-
werden. Mithilfe der TTE kann der PAPs abgeschätzt werden insuffizienzjets (normal: <2,8 m/s; leichte PH: 2,8–3,4 m/s; mit-
(. Abb. 11.4). Zudem bietet die Untersuchung häufig zusätzliche telgradige PH: >3,4 m/s) mithilfe der Bernoulli-Gleichung
Informationen über mögliche Ursachen und Folgen der PH (Δp=4×v2) errechnet. Der RAP entspricht dem ZVD und beträgt
(Linksherzerkrankungen, Shunt-Vitien, rechtsventrikuläre Grö- im Normalfall 5–10 mmHg. Da der RAP bei Rechtsherzbelastung
ße und Funktion). Indirekte Zeichen der schweren PH sind eine deutlich erhöht sein kann, lässt sich die Abschätzung durch Dar-
paradoxe Septumbewegung mit diastolischer Wölbung und als stellung der Weite und der Atemvariabilität der V. cava inferior
Folge der Rechtsherzbelastung ein verminderter oder fehlender verbessern (. Tab. 11.3). Die meisten Studien zeigen eine gute
Kollaps der V. cava inferior. Auch ein Perikarderguss kann auf- Korrelation zwischen echokardiographisch ermitteltem RVSP
treten. und dem invasiv gemessenen PAPs. Der normale RVSP beträgt
in Ruhe 28±5 mmHg und steigt bei Belastung nicht signifi-
kant an. Patienten mit milder PH weisen Ruhewerte zwischen
a 35–50 mmHg auf, während ein RVSP >50 mmHg auf eine schwe-
re PH hinweist. Sensitivität und Spezifität des echokardiogra-
phisch ermittelten PAPs zur Detektion der PH betragen 79−100%
resp. 60–98%. Wird ein RVSP>35–50 mmHg gemessen und/oder
ist der Patient symptomatisch, sollte eine invasive Messung der
hämodynamischen Parameter mithilfe der Rechtsherzkatheter-
untersuchung erfolgen.
11 Zusätzlich zur echokardiographischen Standarduntersuchung
können erfahrene Untersucher durch die Doppler-Untersuchung
der Pulmonalklappe auch den PAPm bestimmen. Darüber hinaus
ist die Messung indirekter Parameter der rechtsventrikulären
Funktion wie rechtsventrikulärer Tei-Index (RV-Index) und
b TAPSE (Übersicht in Rosenkranz 2007) von enormer Bedeutung.
> Zusammen mit der Größe des rechten Vorhofs (RA-Fläche) so-
wie dem Vorhandensein und der Größe eines Perikardergusses
sind Tei-Index und TAPSE wertvolle, prognostisch bedeutsame
Parameter bei Patienten mit PAH, während der RVSP nicht mit
dem Überleben korreliert.

11.6.3 Lungenfunktionsuntersuchung

c Die Lungenfunktionsuntersuchung dient der Diagnostik und der


Therapiekontrolle von zugrunde liegenden Lungenerkran-
kungen, spielt für die initiale Diagnostik und Stadieneinteilung
der PH jedoch keine wesentliche Rolle. Dabei können mithilfe

. Tab. 11.3. Echokardiographische Bestimmung des rechtsatrialen


Druckes (RAP) durch Messung des Diameters und der Atemvariabilität
der V. cava inferior (VCI)
VCI-Diameter [cm] Atemvariabilität [%] mRAP [mmHg]
. Abb. 11.4a–c. Transthorakale Echokardiographie. a Bestimmung des
systolischen pulmonalarteriellen Druckes (PAPs) anhand des »Conti- <1,5 100 <5
nuous-wave«- (CW-)Doppler-Signals bei Trikuspidalklappeninsuffizienz. b
1,5–2,5 >50 5–10
Vergrößerte rechte Herzhöhlen in der parasternalen langen Achse (links)
und im apikalen Vierkammerblick (rechts). c Mithilfe der CW-Doppler- 1,5–2,5 <50 10–15
Echokardiographie wird der systolische rechtsventrikuläre Druck (RVSP) >2,5 <50 15–20
abgeschätzt, der dem PAPs entspricht und als Summe aus transtrikuspi-
dalem Druckgradienten und rechtsatrialem Druck ermittelt wird. TK Tri- >2,5 und dilatierte 0 >20
kuspidalklappe, PA Pulmonalarterie, RAP »right atrial pressure« Lebervenen
11.6 · Nichtinvasive Diagnostik
297 11

der Spirometrie und der Bodyplethysmographie Hinweise auf assoziiert; dies geht mit einem steileren Anstieg der Beziehung
obstruktive oder restriktive Ventilationsstörungen erlangt wer- zwischen Ventilation und CO2-Abgabe (VE/VCO2-Slope) einher.
den. Eine Einschränkung der Diffusionskapazität, gemessen als Diese Korrelationen weisen darauf hin, dass die reduzierte Belast-
CO-Transferfaktor, vermag Hinweise auf eine interstitielle Lun- barkeit von Patienten mit PAH durch einen Ventilations-Perfu-
generkrankung oder abgelaufene Lungenembolien zu geben. sions-Mismatch, eine Laktatacidose bereits bei niedriger Belastung,
Schließlich erlaubt die Blutgasanalyse die Differenzierung zwi- eine arterielle Hypoxämie und durch das Unvermögen, Schlag-
schen einer respiratorischen Partialinsuffizienz (pO2 erniedrigt, volumen und HZV adäquat steigern zu können, bedingt ist. Die
pCO2 normal oder erniedrigt) und einer respiratorischen Glo- wichtigsten Parameter, die mit der Prognose korrelieren, sind peak
balinsuffizienz (pO2 erniedrigt, pCO2 erhöht). VO2 und VE/VCO2. Ein peak VO2<10,4 l/min/kgKG und ein maxi-
maler systolischer Blutdruck <120 mmHg weisen auf ein hohes
Risiko mit reduzierter Lebenserwartung hin (Olschewskiet al.
11.6.4 Spiroergometrie 2007). Werden diese Parameter bei behandelten Patienten nicht
erreicht, sollte eine Eskalation der Therapie erwogen werden.
Obgleich die Spiroergometrie für die initiale Detektion der PH ver-
zichtbar ist, leistet sie einen wichtigen Beitrag in der differenzialdi-
agnostischen Abklärung und der Verlaufskontrolle von Patienten 11.6.5 Sechsminutengehtest
mit PH. Insbesondere kann mithilfe der Spiroergometrie die zu-
grunde liegende Ursache einer PH wie COPD, Lungenfibrose, Ei- Die Sechsminutengehstrecke stellt bei Patienten mit PH einen
senmenger-Syndrom etc. identifiziert werden. Die PH ist meist mit einfachen, verlässlichen und preiswerten Parameter dar, mit dem
einer Reduktion der maximalen Sauerstoffaufnahme (peak VO2), Schweregrad und Krankheitsprogression bzw. therapeutische Ef-
einem verminderten Anstieg des Sauerstoffpulses (VO2/HR) und fizienz beurteilt werden können und der zudem prognostische
einem ebenfalls verminderten Abfall des VE/VCO2-Quotienten Bedeutung besitzt (. Abb. 11.5a). Die Patienten werden angehal-

. Abb. 11.5a,b. Prognostische Wertigkeit des Sechsminutengehtests Serumspiegel bei Diagnosestellung einer pulmonalen Hypertonie (links)
und der NT-ProBNP-Serumspiegel bei Patienten mit pulmonaler Hyper- bzw. IPAH (rechts). Dargestellt sind jeweils die kumulativen Überlebens-
tonie. a Korrelation der Sechsminutengehstrecke mit dem klinischen raten. (Mod. nach Fijalkowska et al. 2006). Neben den Absolutwerten bei
Schweregrad (links) und der kumulativen Überlebensrate (rechts) bei Pa- Diagnosestellung ist insbesondere auch der Verlauf der gemessenen Pa-
tienten mit idiopathischer pulmonalarterieller Hypertonie (IPAH). (Mod. rameter von Bedeutung. NYHA New York Heart Association
nach Miyamoto et al. 2000). b Prognostische Wertigkeit der NT-ProBNP-
298 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

ten, auf ebener Strecke ohne vorgegebene Geschwindigkeit über 11.7 Invasive Diagnostik
eine Zeit von 6 min so weit zu gehen, wie sie können. Es wird die
Strecke notiert, die ein Patient innerhalb von 6 min ohne fremde 11.7.1 Rechtsherzkatheteruntersuchung
Hilfe zurücklegen kann. Distanzen >500 m gelten als normal; da-
gegen sind Distanzen <330 m mit einer schlechten Prognose asso- Die Rechtsherzkatheteruntersuchung wird zur Bestätigung der
ziiert. Die Sechsminutengehstrecke korreliert mit dem klinischen Diagnose einer PH bzw. PAH durchgeführt. Im Rahmen dieser
Schweregrad der Erkrankung und mit der Prognose (Miyamoto et Untersuchung werden zahlreiche hämodynamische Parameter
al. 2000). Um eine semiquantitative Aussage über das subjektive bestimmt, die z. T. prognostische Relevanz besitzen (7 Über-
Symptom Dyspnoe machen zu können, wird zusätzlich der Borg- sicht 11.4). Zusätzlich können wichtige Erkenntnisse über den
Dyspnoe-Index registriert. Die Sechsminutengehstrecke korreliert Funktionszustand des linken und des rechten Herzens gewonnen
bei Patienten mit IPAH invers mit dem NYHA/WHO-Stadium, werden. Die PAH ist als Erhöhung des PAPm auf >25 mmHg in
dem HZV, dem pulmonalen Gesamtwiderstand sowie mit der VO- Ruhe und/oder auf >30 mmHg unter Belastung definiert
2max, dem peak VO2 und dem VE/VCO2-Slope. (. Tab. 11.4, . Abb. 11.6). Das HZV ist normal oder vermindert,
der PCWP liegt bei <15 mmHg, und der PVR, der aus pulmonal-
vaskulärem Druck und HZV (gemessen per Thermodilution
11.6.6 Laborparameter oder nach dem Fick-Prinzip) ermittelt wird, ist auf >3 WE erhöht
(Barst et al. 2004; Galié et al. 2004). Im Rahmen der Rechtsherz-
Die Bestimmung gezielter, prognostisch relevanter Laborpara- katheteruntersuchung können auch intrakardiale Shunts diag-
meter, die das Ausmaß der Rechtsherzbelastung anzeigen kön- nostiziert werden, ebenso wird der pulmonalvenöse Druck ge-
nen, wie kardiales TnT und/oder BNP bzw. NT-ProBNP, kann messen. Eine Erhöhung des PCWP resultiert meist aus dem Vor-
während der diagnostischen Evaluation sowie der Beurteilung handensein einer Linksherzerkrankung mit konsekutiver pul-
des Therapieerfolgs hilfreich sein. Sowohl BNP- als auch NT- monaler Stauung, kann jedoch auch durch eine Obstruktion der
ProBNP-Spiegel korrelieren bei Patienten mit PAH mit dem Pulmonalvenen bedingt sein. Die wichtigsten invasiv ermittelten
Überleben (. Abb. 11.5b) und können daher zur Identifizierung Parameter, die mit der Überlebensrate korrelieren, sind RAP,
besonders gefährdeter Patienten sowie zum Monitoring der Be- HZV und SvO2.
handlungseffizienz eingesetzt werden (Fijalkowska et al. 2006).
Zusätzlich stellen erhöhte Werte des kardialen TnT einen unab-
11 hängigen, prognoserelevanten Risikomarker bei Patienten mit Übersicht 11.4. Prognostische Relevanz echokardiogra-
PAH dar, da sie bei eingeschränkter rechtsventrikulärer Funktion phisch und invasiv gemessener Parameter bei Patienten
eine Beeinträchtigung der Myozytenintegrität anzeigen. mit pulmonalarterieller Hypertonie

Parameter, die mit der Prognose korrelieren


11.6.7 Detektion oder Ausschluss relevanter 4 Rechtsherzkatheter
Grunderkrankungen – HZV/HI
– RAP
Ist die Diagnose der PH gestellt, so ist die präzise ätiologische – SvO2
Klassifikation enorm wichtig, da sie das therapeutische Vorgehen – PVR
im Sinne einer gezielten PAH-Therapie oder aber der Behand- 4 Echokardiographie
lung der zugrunde liegenden Erkrankung bestimmt. Daher müs- – Größe des rechten Vorhofs (RA-Fläche)
sen Grunderkrankungen, die die Ursache für eine PH darstellen – Perikarderguss
können, diagnostiziert oder konsequent ausgeschlossen werden. – Rechtsventrikulärer Tei-Index (RV-Index)
Neben einer detaillierten Familien- (FPAH) und Medikamenten- – TAPSE
anamnese (z. B. Appetitzügler, Amphetamine) müssen die Pati- Parameter, die nicht mit der Prognose korrelieren
enten hinsichtlich Kollagenosen (z. B. Sklerodermie), HIV-Infek- 4 Rechtsventrikuläre Drücke (RVSP, RVEDP)
tion, Lungenembolie, interstitieller Lungenerkrankung, Links- 4 Pulmonalarterielle Drücke (PAPs, PAPd, PAPm)
herzerkrankungen, CTEPH, portaler Hypertonie sowie seltener 4 PCWP
Ursachen (z. B. Sarkoidose) untersucht werden. Dies verlangt den 4 SVR
individuellen Einsatz zahlreicher diagnostischer Maßnahmen
wie Lungenfunktionsuntersuchung, Ventilations-Perfusions-
Szintigraphie und HR-CT der Lungen sowie Pulmonalisangiogra-
phie. Zusätzlich zu den Laborparametern, die eine Rechtsherz- 11.7.2 Vasoreaktivitätstest
belastung anzeigen können (kardiales TnT, BNP, NT-ProBNP)
und der HIV-Serologie sowie einem Screening für ANA sollte Der Vasoreaktivitätstest wird bei allen Patienten mit IPAH oder
auch eine Untersuchung auf spezifische Marker wie Scl-70, SSA-, FPAH empfohlen, bei denen eine PAH im Rahmen der Rechts-
Zentromer- und dsDNA-Antikörper erfolgen, um Kollagenosen herzkatheteruntersuchung diagnostiziert oder bestätigt wird.
frühzeitig zu erkennen oder auszuschließen. Dieser Test dient der Identifizierung derjenigen Patienten mit
IPAH/FPAH, die von einer dauerhaften Behandlung mit hoch
> Bei Patienten mit Hinweisen auf das Vorliegen einer PH ist die inva- dosierten Kalziumantagonisten profitieren können. Des Wei-
sive Messung der hämodynamischen Parameter in der pulmonalen teren ist die Reversibilität einer PVR-Erhöhung bei Patienten mit
Strombahn (Rechtherzkatheter) indiziert, um die Diagnose zu be- pulmonalvenöser Hypertonie, bei denen eine Herztransplantati-
stätigen und differenzialdiagnostische Erkenntnisse zu erhalten. on geplant ist, von Relevanz. Eine akute Vasoreagilibitätstestung
11.8 · Therapie
299 11

. Abb. 11.6. Mithilfe der Rechtsherzkatheterun-


tersuchung ermittelte hämodynamische Parameter
bei einem Patienten mit pulmonalarterieller Hyper-
tonie. Links Pulmonalkapillärer Verschlussdruck
(PCWP) <15 mmHg. Rechts Der systolische pulmo-
nalarterielle Druck (PAP) ist mit ca. 100 mmHg deut-
lich erhöht, ebenso ist der pulmonalarterielle Mit-
teldruck (PAPm) mit 52 mmHg deutlich erhöht

. Tab. 11.4. Definition und Klassifikation der pulmonalen Hypertonie


lung ausschließlich auf der Beurteilung klinischer Symptome
basiert (modifizierte NYHA/WHO-Klassifikation), kann auch
Grad WHO/ Echokardio- Rechtsherzkatheter die Berücksichtigung weiterer Parameter wie hämodynamische
NYHA graphie
Messwerte und rechtsventrikuläre Funktion hilfreich sein. Wäh-
Moderat I PAPs 35– PAPm >25 mmHg in Ruhe rend sich bei einigen Patienten eine gute Korrelation zwischen
50 mmHg >30 mmHg unter Belastung klinischer Symptomatik und hämodynamischen Messparame-
PVR >3 mmHg/l/min (WE) tern zeigt, kann die Korrelation bei anderen Individuen erstaun-
Mittel II PAPs PAPm >35 mmHg lich niedrig sein.
>50 mmHg
Schwer III Rechtsventriku- SvO2<60%
läre Funktion ↓ PAR >1000 dyn×s/cm2 11.8 Therapie
Sehr IV Rechtsventriku- SvO2<50%
schwer läre Funktion ↓↓ RAP >15 mmHg Die Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit PAH haben
PAR/SVR>1 sich während der letzten Jahre deutlich verbessert. Die individu-
elle Therapiestrategie richtet sich jedoch nach der präzisen Zu-
PAPs systolischer pulmonalarterieller Druck, PAPm pulmonalarterieller
Mitteldruck, PVR pulmonaler Gefäßwiderstand, SvO2 gemischt-venöse
ordnung und Klassifikation der PH. Bei PH als Folge einer ur-
Sauerstoffsättigung, PAR pulmonalarteriolärer Widerstand, RAP rechts- sächlichen Grunderkrankung muss primär die zugrunde liegen-
atrialer Druck, SVR systemischer Gefäßwiderstand. de Ursache behandelt werden. Bei symptomatischen Patienten
mit PAH im NYHA/WHO-Stadium III oder IV ist eine spezi-
fische medikamentöse Therapie indiziert. Therapiealgorithmen
sollte nur mit sicheren, potenten und kurz wirksamen Substanzen für Patienten mit PAH wurden kürzlich vom American College
erfolgen. Als solche werden inhaliertes NO, i.v. verabreichte Pros- of Chest Physicians (Badesh et al. 2004), der European Society
tanoide (Epoprostenol, Iloprost) und inhaliertes Iloprost emp- of Cardiology (Galié et al. 2004) sowie der Deutschen Gesell-
fohlen. Ein positiver Vasoreaktivitätstest ist als Abfall des PAPm schaft für Kardiologie, Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
um mindestens 10 mmHg auf unter 40 mmHg, bei normalem und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie
oder erhöhtem HZV definiert. Bei der Durchführung des Vaso- (Olschewski et al. 2007) publiziert. Ein aktualisierter Algorithmus,
reaktivitätstests muss bedacht werden, dass nur ein kleiner Teil der auch neu zugelassene Substanzen wie Sildenafil, Sitaxsentan
(ca. 7%) der Patienten mit IPAH oder FPAH dauerhaft von einer und Ambrisentan berücksichtigt, ist in . Abb. 11.7 gezeigt.
Therapie mit hoch dosierten Kalziumantagonisten profitiert (Sit-
bon et al. 2005), während bei allen anderen Formen der PAH kein
therapeutischer Effekt gezeigt wurde. Angesichts der Tatsache, 11.8.1 Basistherapie und supportive Therapie der
dass mittlerweile eine Reihe moderner Medikamente zur Be- pulmonalarteriellen Hypertonie
handlung der PAH zur Verfügung steht (Endothelinrezeptorant-
agonistsen, PDE-5-Inhibitoren, Prostanoide), die sowohl vasodi- Unabhängig von der Ätiologie der PH sollten alle Patienten mit
latative als auch antiproliferative Eigenschaften besitzen und für dieser Erkrankung körperliche Aktivitäten meiden, die Symp-
deren Einsatz der Vasoreaktivitätstest nicht notwendig ist, muss tome wie Dyspnoe oder Angina auslösen (Evidenzgrad C, Emp-
dessen Nutzen zunehmend kritisch hinterfragt werden. fehlungsgrad I). Diese Empfehlung beruht darauf, dass aufgrund
In Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik und den der fehlenden Möglichkeit einer suffizienten pulmonalen Vaso-
hämodynamischen Parametern wird die PH in 4 Schweregrade dilatation jeder Anstieg des HZV zu einer Erhöhung des PAP und
unterteilt (. Tab. 11.4). Obgleich die offizielle Schweregradeintei- des PVR führt, was im Extremfall in einer Rechtsherzdekompen-
300 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

. Abb. 11.7. Therapiealgorithmus bei Patienten mit pulmonalarterieller Heart Association, WHO World Health Organization, HDCAA hoch dosierte
Hypertonie (PAH). Der Evidenzgrad für jede Substanz ist für den jeweili- Kalziumantagonisten, PDE Phosphodiesterase. (Mod. nach Galié et al.
11 gen klinischen Schweregrad in Klammern angegeben. NYHA New York 2004)

sation resultieren kann. Jedoch lässt sich bei Patienten mit eingestellt werden (Humbert et al. 2004). Bei Eisenmenger-Syn-
schwerer PAH durch moderates körperliches Training und Atem- drom und portopulmonaler Hypertonie ist die Antikoagulation
training zusätzlich zur medikamentösen Therapie eine Verbesse- optional; bei der PH als Folge von chronischen Lungenerkran-
rung der körperlichen Belastbarkeit und der Lebensqualität er- kungen/Hypoxie wird sie in aller Regel nicht empfohlen (Evi-
zielen, sodass bei diesen Patienten im Rahmen von Rehabilitati- denzgrad C, Empfehlungsgrad III).
onsprogrammen ein wohl dosiertes Training erwogen werden
kann (Mereles et al. 2006; Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad IIa). Diuretika
Aufgrund des niedrigen Sauerstoffpartialdrucks (pO2) in Höhen Diuretika sind ein integraler Bestandteil der medikamentösen
über 1400 m, der sogar bei Gesunden eine Hypoxämie hervor- Therapie bei Patienten mit PH (Evidenzgrad C, Empfehlungs-
ruft, sollten Patienten mit schwerer PH den Aufenthalt in solchen grad I). Der eindeutige symptomatische und klinische Benefit bei
Höhen meiden. Ebenso sollten keine Flugreisen ohne eine ausrei- Patienten mit Rechtsherzinsuffizienz macht die Durchführung
chende Sauerstoffversorgung angetreten werden (Evidenzgrad C, kontrollierter Studien überflüssig und ethisch nicht vertretbar.
Empfehlungsgrad I). Die Auswahl der einzelnen Präparate bzw. Substanzklassen hängt
von der individuellen Ansprechbarkeit und von den Erfahrungen
Chronische Sauerstofftherapie des behandelnden Arztes ab. Zur optimierten Therapiesteuerung
Obgleich bei einigen PAH-Patienten positive Effekte durch eine werden tägliche Gewichtskontrollen empfohlen.
Sauerstofftherapie beschrieben sind, wurde der Nutzen dieser
Therapie in keiner kontrollierten Studie untersucht. Dennoch
wird eine chronische Sauerstofftherapie (>15 h/Tag) empfohlen, 11.8.2 Spezifische medikamentöseTherapie der
wenn der pO2 in Ruhe <60 mmHg beträgt und ein Cor pulmona- pulmonalarteriellen Hypertonie
le vorliegt. Patienten mit Eisenmenger-Syndrom sollten nicht mit
Sauerstoff therapiert werden (Evidenzgrad B, Empfehlungs- Kalziumantagonisten
grad IIb). Für lange Zeit waren Kalziumantagonisten die einzige medika-
mentöse Therapieoption bei Patienten mit PAH. In nichtkontrol-
Therapeutische Antikoagulation lierten, nichtrandomisierten Studien konnten Hinweise auf die
Die Wirksamkeit einer therapeutischen Antikoagulation hin- Wirksamkeit hinsichtlich klinischer Symptomatik und Prognose
sichtlich einer Verbesserung der Überlebensrate wurde nur für erbracht werden. Hoch dosierte Kalziumantagonisten werden bei
Patienten mit IPAH gezeigt. Dennoch wird sie für nahezu alle Patienten mit IPAH und FPAH empfohlen, wenn sie die Respon-
Formen der PAH (IPAH, FPAH, APAH-CVD, APAH-HIV, der-Kriterien im invasiv durchgeführten Vasoreaktivitätstest er-
PVOD, PCH) sowie für die CTEPH empfohlen (Olschewski et al. füllen (Reduktion des PAPm um>10 mmHg und auf <40 mmHg;
2007; Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad I). Die INR sollte auf Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad I). Jedoch erreichen lediglich
Werte zwischen 1,5 und 2,5, bei der CTEPH zwischen 2,5 und 3,5 10–15% der Patienten mit IPAH/FPAH diese Kriterien, und nur
11.8 · Therapie
301 11

ca. die Hälfte dieser Patienten profitiert von einer dauerhaften (EMEA, FDA) und IV (FDA) zugelassen (Evidenzgrad A, Emp-
Therapie mit hoch dosierten Kalziumantagonisten, definiert als fehlungsgrad I).
dauerhafte Verbesserung hämodynamischer und funktioneller
! Cave
Parameter (Sitbon et al. 2005). Kalziumantagonisten werden bei
Zu beachten ist die Hepatotoxizität, die bei ca. 10% der behan-
Patienten mit APAH oder anderen Formen der PH sowie bei
delten Patienten auftritt und bei 3–5% zum Therapieabbruch
Patienten mit IPAH/FPAH, die nicht die Responder-Kriterien des
zwingt.
Vasoreaktivitätstests erfüllen oder bei denen der Test nicht durch-
geführt wurde (Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad III), nicht Daher sind für die Dauer der Therapie mit Bosentan monatliche
empfohlen. Demnach sollten Kalziumantagonisten nur bei den Kontrollen der Leberwerte erforderlich. Eine Alternative zu Bo-
wenigen Patienten mit IPAH/FPAH und positivem Vasoreaktivi- sentan sind die ETA-selektiven Antagonisten Sitaxsentan [Thelin
tätstest eingesetzt werden, und die Erfolgsrate einer Dauerthera- 100 mg 1-mal täglich und Ambrisentan (Volibris) 5–10 mg 1-mal
pie bei IPAH-Patienten beträgt lediglich 7–10%. Die am meisten täglich], die in placebokontrollierten Studien untersucht und kürz-
verwendeten Substanzen sind Amlodipin (15–30 mg/Tag), Dilti- lich von der EMEA zur Therapie der PAH im WHO/NYHA-Sta-
azem (360–900 mg/Tag) und Nifedipin (120–240 mg/Tag). dium III (Ambrisentan auch WHO/NTHA-Stadium II; Evidenz-
grad A, Empfehlungsgrad I) zugelassen wurden.
Prostazyklinanaloga
Prostanoide führen durch die adenylatzyklaseabhängige Bildung Phosphodiesterase-5-Inhibitoren
von cAMP zu einer Vasodilatation. Darüber hinaus vermitteln sie Für den PDE-5-Inhibitor Sildenafil, der ursprünglich zur medi-
antiproliferative Effekte auf Fibroblasten und glatte Gefäßmuskel- kamentösen Therapie der erektilen Dysfunktion des Mannes
zellen. Für die medikamentöse Therapie der PAH wurden ver- zugelassen wurde, konnten in zahlreichen klinischen Studien po-
schiedene Analoga des PGI2, das selbst sehr instabil ist, entwickelt sitive Effekte (Reduktion des PAP und PVR) bei Patienten mit
(Epoprostenol, Iloprost, Treprostinil, Beraprost). Epoprostenol PAH gezeigt werden. Kürzlich wurde in einer randomisierten,
(Flolan) und Treprostinil (Remodulin) können i.v. oder s.c. verab- placebokontrollierten Multizenterstudie (SUPER-1) bei 278 PAH-
reicht werden und gehören in zahlreichen Ländern zur Standard- Patienten in den Stadien II–IV gezeigt, dass Sildenafil im Ver-
therapie der schweren PAH. Epoprostenol wurde in einigen euro- gleich zu Placebo zu einer signifikanten Verbesserung der kör-
päischen Ländern (nicht in Deutschland) für die Therapie der perlichen Belastbarkeit (Sechsminutengehtest), des Schweregrads
IPAH in den Stadien III und IV zugelassen; in den USA (FDA) und der hämodynamischen Parameter führte (Galié et al. 2005).
besteht die Zulassung für die PAH-Stadien III und IV (Evidenz- Basierend auf diesen Ergebnissen wurde Sildenafil (Revatio) in
grad A, Empfehlungsgrad I). Eine Zulassung für Treprostinil der Dosierung 3-mal täglich 20 mg kürzlich für die Therapie der
(PAH-Stadien II-IV) besteht in Übersee und in einigen euro- PAH im NYHA/WHO-Stadium III (EMEA) bzw. der PAH (FDA)
päischen Ländern (Evidenzgrad B, Empfehlungsgrad IIa). Intra- zugelassen (Evidenzgrad A, Empfehlungsgrad I). Experten sind
venös verabreichtes Iloprost ist eine in Europa häufig eingesetzte, sich jedoch einig, dass die zugelassene Dosierung in Einzelfällen
wertvolle Alternative zu Epoprostenol, da es billiger ist und prak- nicht ausreicht und dass gelegentlich höhere Dosierungen not-
tische Vorteile gegenüber Epoprostenol bietet. Jedoch ist der Evi- wendig sind.
denzgrad niedriger (Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad IIa), und es
besteht für die Indikation PAH keine Zulassung. Beraprost, ein oral Kombinationstherapie
verfügbares Prostanoid, wurde in zwei klinischen Studien unter- Derzeit wird eine zunehmende Anzahl von PAH-Patienten mit
sucht. Es ist in Japan, nicht jedoch in den USA oder in Europa einer Kombination aus zwei oder mehr Präparaten der oben ge-
verfügbar, und seine therapeutische Effizienz ist begrenzt. Für in- nannten Substanzklassen therapiert. Die Rationale dieser Kom-
haliertes Iloprost (Ventavis) wurde in randomisierten, placebo- binationstherapie liegt darin, dass die verschiedenen Substanz-
kontrollierten Studien gezeigt, dass es bei IPAH zu einer signifi- klassen unterschiedliche Pathomechanismen bzw. Signalwege
kanten Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Sechs- beeinflussen, sodass additive Effekte zu erwarten sind. Wenn po-
minutengehtest), des Schweregrads und des ereignisfreien Überle- tenzielle Interaktionen zwischen verschiedenen Wirkstoffen be-
bens führt (Olschewski et al. 2002). Es ist zur Therapie der IPAH rücksichtigt werden, scheinen Kombinationstherapien sicher zu
im NYHA/WHO-Stadium III (EMEA) bzw. der PAH-Stadien III sein, und in kleineren Studien konnten für alle möglichen Kom-
und IV (FDA) zugelassen (Evidenzgrad A, Empfehlungsgrad I). binationen tatsächlich additive Effekte gezeigt werden. Jedoch
sind weitere Studien notwendig, um die Überlegenheit bestimm-
Endothelinrezeptorantagonisten ter Kombinationen im Vergleich zur Monotherapie zu belegen.
Endothelin-1 ist ein starker Vasokonstriktor und induziert die Kürzlich wurden die Ergebnisse der randomisierten STEP-Studie
Proliferation von Fibroblasten und glatten Gefäßmuskelzellen. publiziert, in der die Wirksamkeit von inhaliertem Iloprost zu-
Seine biologischen Effekte werden durch Aktivierung der ETA- sätzlich zu einer bereits bestehenden Bosentantherapie unter-
und ETB-Rezeptorsubtypen vermittelt. Der duale ERA Bosentan sucht wurde (McLaughlin et al. 2006). Die Ergebnisse zeigen, dass
(Tracleer) wurde in zwei randomisierten, kontrollierten Studien die zusätzliche Gabe von Iloprost im Vergleich zur Monotherapie
hinsichtlich seiner Wirksamkeit bei PAH untersucht. Diese Stu- mit Bosentan zu einer signifikanten Verbesserung der körper-
dien zeigten, dass Bosentan zu einer Verbesserung der körper- lichen Belastbarkeit, des Schweregrads und der hämodyna-
lichen Belastbarkeit, des Schweregrads und der hämodyna- mischen Parameter sowie zudem zu einer Verzögerung der
mischen Parameter sowie zu einer Verzögerung der Krankheits- Krankheitsprogression führte. Außerdem wurde die Kombinati-
progression führt (Channick et al. 2001; Rubin et al. 2002). Zu- on aus Iloprost und Bosentan von allen Patienten gut toleriert.
sätzlich konnte eine Verbesserung der Überlebensrate gezeigt Zahlreiche weitere Studien, in denen Sicherheit und Effizienz
werden (McLaughlin et al. 2005). Bosentan (125 mg 2-mal täg- verschiedener Kombinationen untersucht werden, werden der-
lich) ist zur Therapie der PAH in den NYHA/WHO-Stadien III zeit durchgeführt (z. B. COMPASS-1/2).
302 Kapitel 11 · Chronische pulmonale Hypertonie

Neue Therapieoptionen und Zukunftsaussichten > Da die Langzeitresultate von SLTx und DLTx schlechter sind
Zusätzlich zu den Signalwegen, die die Angriffspunkte der aktuell als die der modernen medikamentösen Therapie bei stabilen
zugelassenen PAH-Medikamente darstellen (ERA, PDE-5-Inhi- Patienten, muss die Indikation zur LTX sehr kritisch gestellt
bitoren, Prostanoide), existieren zahlreiche weitere Pathomecha- werden.
nismen und Mediatoren, denen eine wichtige Rolle in der Patho-
genese der PAH zugeschrieben wird und deren Beeinflussung Zudem dürfte die Notwendigkeit der LTX bei Patienten mit PAH
daher zu einer Verhinderung der Krankheitsprogression bei Pa- aufgrund der drastischen Verbesserung der medikamentösen
tienten mit PAH führen könnte. Neue Therapiestrategien und Therapie zukünftig seltener bestehen.
Substanzen, die sich derzeit in Erprobung befinden, sind z. B.
gentherapeutische Ansätze, sGC-Aktivatoren/-Stimulatoren, Elas-
taseinhibitoren, Kaliumkanalmodulatoren, ρ-Kinaseinhibitoren, 11.8.4 Behandlung anderer Formen der
Angiopoietin-1, Serotoninrezeptorinhibitoren, Tetrahydrobiop- pulmonalen Hypertonie
terin und Tyrosinkinaseinhibitoren(z. B. Imatinib).
Pulmonale Hypertonie bei Linksherzerkrankungen
Verlaufskontrollen Bei Patienten mit Linksherzerkrankungen (chronische Herzin-
Betreuung und Behandlung von Patienten mit PAH sollten in suffizienz, Klappenfehler) resultiert die PH, die häufig mit einer
Zentren mit entsprechender Expertise erfolgen. Es sollten regel- schlechten Prognose einhergeht, typischerweise aus einer pul-
mäßige Verlaufskontrollen erfolgen, die neben der körperlichen monalvenösen Stauung und einer sekundären Erhöhung des PAP.
Untersuchung und der Ermittlung des Schweregrads eine echo- Eine persistierende pulmonalvenöse Hypertonie kann jedoch
kardiographische Untersuchung, eine Lungenfunktionsuntersu- auch zu einer adaptiven Erhöhung des pulmonalarteriolären Wi-
chung, den Sechsminutengehtest, die Bestimmung von Laborpa- derstands führen. Bei Patienten mit Linksherzinsuffizienz und
rametern (BNP/NTproBNP, kardiales TnT, Leberwerte etc.) und PH wird eine spezielle medikamentöse Therapie der PH nicht
ggf. eine spiroergometrische Untersuchung beinhalten sollten. empfohlen (Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad III). Stattdessen
Repetitive Rechtsherzkatheteruntersuchungen sind meist ver- steht die Optimierung der Herzinsuffizienztherapie im Vorder-
zichtbar und können bei erheblichen Veränderungen des Zu- grund (ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker, Diuretika, Digita-
stands und in bestimmten Fällen zur Therapiekontrolle in größe- lis). Therapeutisches Ziel ist ein Absinken des LVEDP auf
ren Abständen erfolgen. <15 mmHg. In Einzelfällen (mäßige Linksherzerkrankung, ho-
11 her transpulmonaler Gradient) kann eine spezielle Therapie der
> Zu den prognostisch bedeutsamen Parametern, die zur Beur-
dann als PAH einzustufenden Widerstandserhöhung im kleinen
teilung der Therapieeffizienz genutzt werden können, gehören
Kreislauf indiziert sein. Ebenso gibt es kleinere Studien, die auf
die Sechsminutengehstrecke, der BNP- bzw. NT-ProBNP-Spiegel
eine Wirksamkeit von Sildenafil bei austherapierten Patienten
sowie Parameter der rechtsventrikulären Funktion (Tei-Index,
mit Linksherzinsuffizienz und PH hinweisen.
TAPSE), RAP, HZV und SvO2.
Pulmonale Hypertonie bei chronischen
Lungenerkrankungen
11.8.3 Weitere Therapiemöglichkeiten der Auch wenn bei einem Großteil der Patienten mit chronischen
pulmonalarteriellen Hypertonie Lungenkrankheiten eine PH zu beobachten ist, sind die Verlaufs-
formen meist milder Natur, sodass eine spezifische medika-
Ballonatrioseptostomie mentöse Therapie nicht indiziert ist. Bei Patienten mit COPD-
Die BAS kann bei schwer kranken Patienten erwogen werden assoziierter PH tritt die schwere PH nur selten auf, und der PAPm
und dient meist als »bridging« bis zu einer Lungentransplantati- liegt meist <40 mmHg. In dieser Situation wird der Einsatz vaso-
on. Mithilfe der BAS wird ein interatrialer Rechts-links-Shunt aktiver PAH-Medikamente wie Kalziumantagonisten, Prostano-
herbeigeführt, der einen Anstieg des HZV ermöglichen soll. Bei ide, ERA oder PDE-5-Inhibitoren in der Regel nicht empfohlen
gleichzeitiger Reduktion der systemischen O2-Sättigung kann so (Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad IIb). Stattdessen stellen die
der systemische Sauerstofftransport verbessert werden. Die Leta- suffiziente Therapie der COPD sowie die supportive Sauerstoff-
lität dieses Eingriffs ist jedoch mit 5–15% hoch, sodass die BAS therapie (>16 h/Tag) die primären Therapiestrateien dar (Evi-
nur bei Patienten im NYHA/WHO-Stadium IV mit den Zeichen denzgrad A, Empfehlungsgrad I). Patienten mit COPD und
der Rechtsherzdekompensation indiziert ist, die bezüglich aller schwerer PH (PAPm >40 mmHg) sind selten (2,7% der Patienten
verfügbaren medikamentösen Behandlungsoptionen therapiere- mit COPD-assoziierter PH), und die PH mag dann durch andere
fraktär und für die anderen Optionen nicht verfügbar sind (Evi- Ursachen als die COPD hervorgerufen sein, oder es muss an eine
denzgrad C, Empfehlungsgrad IIa). Koexistenz von COPD und IPAH gedacht werden. Bei diesen
ausgewählten Patienten kann eine spezifische Therapie der PAH
Lungentransplantation indiziert sein. Jedoch sind engmaschige Verlaufskontrollen ange-
Für Patienten mit schwerer PAH im NYHA/WHO-Stadium III zeigt. Bei Patienten mit interstitieller Lungenerkrankung und PH
oder IV, die auf eine medikamentöse Maximaltherapie (d. h. i. ist die spezifische PH-Therapie nicht etabliert. Bei milder PH
v.-Prostanoid-Therapie) nicht suffizient ansprechen, steht die (PAPm <40 mmHg, normale RV-Funktion) sollte die Grunder-
einseitige (SLTx) oder die doppelseitige Lungentransplantation krankung therapiert werden. Wird ein PAPm >40 mmHg gemes-
(DLTx) zur Verfügung (Evidenzgrad C, Empfehlungsgrad I). sen und/oder besteht eine Rechtsherzinsuffizienz, kann eine spe-
Bei PAH-Patienten beträgt die Drei- bzw. Fünfjahresüberlebens- zifische Therapie der PH mit Prostanoiden, ERA oder einem
rate nach Lungentransplantation 55 resp. 45% (Hertz et al. PDE-5-Inhibitor erwogen werden, obgleich der Evidenzgrad bei
2002). diesen Patienten niedrig ist (Evidenzgrad C, Empfehlungs-
Literatur
303 11

grad IIb). Die Behandlung der PH bei Patienten mit chronischen Fijalkowska A, Kurzyna M, Torbicki A et al. (2006) Serum N-terminal brain
Lungenerkrankungen erfordert engmaschige Verlaufskontrollen natriuretic peptide as a prognostic parameter in patients with pul-
und sollte nur in spezialisierten Zentren erfolgen. monary hypertension. Chest 129: 1313–1321
Galié N, Torbicki A, Barst R et al. (2004) Guidelines on diagnosis and treat-
Chronisch-thrombembolische pulmonale Hypertonie ment of pulmonary arterial hypertension. ESC Task Force on Diagnosis
and Treatment of Pulmonary Arterial Hypertension of the European
Eine CTEPH lässt sich bei ca. 3% der Patienten beobachten, die
Society of Cardiology. Eur Heart J 25: 2243–2278
eine akute Lungenembolie überlebt haben, kann jedoch auch Galié N, Ghofrani HA, Torbicki A et al. for the Sildenafil Use in Pulmonary Arte-
ohne anamnestisch eruierbare Lungenembolie vorliegen. Unbe- rial Hypertension (SUPER) Study Group (2005) Sildenafil citrate therapy
handelte Patienten mit CTEPH und einem PAPm >40 mmHg for pulmonary arterial hypertension. N Engl J Med 353: 2148–2157
weisen eine sehr schlechte Prognose mit einer Fünfjahresüber- Hertz MI, Taylor DO, Trulock EP et al. (2002) The registry of the International
lebensrate von lediglich 30% auf. Bei Patienten mit CTEPH be- Society for Heart and Lung Transplantation: nineteenth official report
steht eine absolute Indikation zur therapeutischen Antikoagula- 2002. J Heart Lung Transplant 21: 950–970
tion, der INR-Wert sollte zwischen 2,5 und 3,5 liegen (Evidenz- Humbert M, Sitbon O, Simonneau G (2004) Treatment of pulmonary arte-
grad C, Empfehlungsgrad I). Detektion und Klassifikation einer rial arterial hypertension. N Engl J Med 351: 1425–1436
CTEPH während der Evaluation bei PH (Ventilations-Perfusi- Humbert M, Sitbon O, Chaouat A et al. (2006) Pulmonary arterial hyperten-
sion in France. Results from a national registry. Am J Respir Crit Care
ons-Szintigraphie, ggf. Angio-CT der Lunge, Pulmonalisangio-
Med 173: 1023–1030
graphie) sind von enormer Bedeutung, da ausgewählte Patienten McGoon M, Gutterman D, Steen V et al.; American College of Chest Physi-
einer PEA zugeführt werden können, die einen kausalen Thera- cians (2004) Screening, early detection, and diagnosis of pulmonary
pieansatz darstellt. Kandidaten für einen solchen Eingriff sind arterial hypertension: ACCP evidence-based clinical practice guide-
Individuen, bei denen die Gefäßobstruktion proximal genug ge- lines. Chest 126 [Suppl 1]: 14S–34S
legen ist, um chirurgisch erreichbar zu sein. Die PEA desoblite- McLaughlin VV, McGoon MD (2006) Pulmonary arterial hypertension. Cir-
riert proximale und periphere Gefäße und führt daher in aller culation 114: 1417–1431
Regel zu einer signifikanten Verbesserung der hämodyna- McLaughlin VV, Sitbon O, Badesch DB et al. (2005) Survival with first-line
mischen Parameter, der klinischen Symptomatik und wahr- bosentan in patients with primary pulmonary hypertension. Eur Re-
scheinlich auch der Prognose (Evidenzgrad C, Empfehlungs- spir J 25: 244–249
McLaughlin VV, Oudiz RJ, Frost A et al. (2006) Randomized study of adding
grad I). In erfahrenen Zentren liegt die Letalitätsrate dieses Ein-
inhaled iloprost to existing bosentan in pulmonary arterial hyperten-
griffs bei <10%. Bei Patienten mit CTEPH, bei denen eine PEA sion. Am J Resp Crit Care Med 174: 1257–1263
nicht möglich ist, kann eine medikamentöse Therapie wie bei Mereles D, Ehlken N, Kreuscher S, et al. (2006) Exercise and respiratory
der PAH häufig zu einer Verbesserung der Hämodynamik und training improve exercise capacity and quality of life in patients with
der klinischen Symptomatik führen, obwohl die Effektivität der severe chronic pulmonary hypertension. Circulation 114: 1482–1489
Behandlung mit den einzelnen Substanzen in diesem Kollektiv Miyamoto S, Nagaya N, Satoh T et al. (2000) Clinical correlates and pro-
bisher nicht hinlänglich belegt ist. gnostic significance of six-minute walk test in patients with primary
pulmonary hypertension. Comparison with cardiopulmonary exer-
cise testing. Am J Respir Crit Care Med 161: 487–492
Olschewski H, Simmoneau G, Galié N et al. (2002) Aerosolized Iloprost Ran-
Literatur domized Study Group. Inhaled iloprost for severe pulmonary hyper-
tension. N Engl J Med 347: 322–329
Badesch DB, Abman SH, Ahearn GS et al. (2004) American College of Chest Olschewski H, Höper MM, Borst MM et al. (2007) Diagnostik und Therapie
Physicians. Medical therapy for pulmonary arterial hypertension: der chronischen pulmonalen Hypertonie. Leitlinien der Deutschen
ACCP evidence-based clinical practice guidelines. Chest 126 [Suppl 1]: Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Kardio-
35S–S62 logie und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie.
Barst RJ, McGoon M, Torbicki A et al. (2004) Diagnosis and differential as- Clin Res Cardiol 96(5): 301–330
sessment of pulmonary arterial hypertension. J Am Coll Cardiol 43: Rosenkranz S (2007) Pulmonary hypertension: current diagnosis and treat-
40S–47S ment. Clin Res Cardiol 96: 527–541
Channick RN, Simmoneau G, Sitbon O et al. (2001) Effects of the dual en- Rubin LJ, Badesh DB, Barst RJ et al. (2002) Bosentan therapy for pulmonary
dothelin-receptor antagonist bosentan in patients with pulmonary arterial hypertension. N Engl J Med 346: 896–903
hypertension: a randomized, placebo-controlled study. Lancet 358: Simonneau G, Galié N, Rubin L et al. (2004) Clinical classification of pul-
1119–1123 monary hypertension. J Am Coll Cardiol 43 [Suppl 1]: 5S–12S
D’Alonzo GE, Barst RJ, Ayres SM et al. (1991) Survival in patients with prima- Sitbon O, Humbert M, Jais X et al. (2005) Long-term response to calcium
ry pulmonary hypertension. Results from a national prospective re- channel blockers in idiopathic pulmonary arterial hypertension. Cir-
gistry. Ann Intern Med 115: 343–349 culation 111: 3105–3111
305 12

Kardiomyopathien
H. Kilter, M. Böhm

12.1 Dilatative Kardiomyopathie – 305 12.4 Arrhythmogene rechtsventrikuläre


12.1.1 Epidemiologie – 306 Kardiomyopathie – 317
12.1.2 Ätiologie – 306 12.4.1 Ätiologie und Molekulargenetik – 317
12.1.3 Molekulargenetik – 306 12.4.2 Pathomorphologie und Pathophysiologie – 317
12.1.4 Pathomorphologie – 306 12.4.3 Klinische Symptome – 317
12.1.5 Klinische Symptome – 306 12.4.4 Diagnostik – 318
12.1.6 Diagnostik – 307 12.4.5 Therapie – 318
12.1.7 Therapie – 307 12.4.6 Uhl-Erkrankung – 318

12.2 Hypertrophe Kardiomyopathie – 307 12.5 Endokrin bedingte Kardiomyopathien – 318


12.2.1 Ätiologie und Pathogenese – 307 12.5.1 Schilddrüsenhormone – 318
12.2.2 Molekulargenetik – 308 12.5.2 Wachstumshormon – 319
12.2.3 Pathomorphologie – 308 12.5.3 Nebennierenhormone – 319
12.2.4 Pathophysiologie – 308 12.5.4 Serotonin und Karzinoiderkrankung – 320
12.2.5 Klinische Symptome – 309 12.5.5 Insulin und Diabetes mellitus – 321
12.2.6 Technisch gestützte Diagnostik – 309
12.2.7 Therapie – 311 12.6 Toxische Kardiomyopathien – 321
12.6.1 Kardiomyopathie durch Zytostatika – 321
12.3 Restriktive Kardiomyopathie – 312 12.6.2 Kardiomyopathie durch chronischen
12.3.1 Funktionelle Charakteristika – 312 Alkoholismus – 322
12.3.2 Basisdiagnostik – 313
12.3.3 Einteilungskriterien – 313 12.7 Sonstige Kardiomyopathien – 323
12.3.4 Primäre restriktive Kardiomyopathien – 314 12.7.1 Tako-Tsubo-Kardiomyopathie – 323
12.3.5 Infiltrative Formen der sekundären restriktiven 12.7.2 Non-Compaction-Kardiomyopathie – 323
Kardiomyopathien – 315
12.3.6 Speichererkrankungen bei sekundären restriktiven Literatur – 324
Kardiomyopathien – 316

)) Einteilung der Kardiomyopathien vorbereitet. In der WHO-Klas-


sifiaktion werden hierbei folgende Formen unterschieden:
Nach der WHO-Einteilung (Richardson et al. 1996) werden Kardi- 4 dilatative Kardiomyopathie,
omyopathien als Erkrankungen des Myokards, die mit einer kar- 4 hypertrophe Kardiomyopathie,
dialen Dysfunktion einhergehen, definiert. In den letzten Jahren 4 restriktive Kardiomyopathie,
wurde zunehmend deutlich, dass die Ursachen von Kardiomyo- 4 arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie und
pathien sehr vielfältig sein können. Es hat sich dabei insbesonde- 4 verschiedene nicht weiter klassifizierte Kardiomyopathien.
re eine erhebliche Bedeutung genetischer Störungen gezeigt.
Dementsprechend wurde kürzlich eine neue Definition und Ein- Hiervon werden spezifische Kardiomyopathien abgegrenzt, zu
teilung der Kardiomyopathien von der American Heart Associati- denen u. a. die Folgenden zählen:
on empfohlen (Maron et al. 2006). Hier werden Kardiomyopa- 4 hypertensive Kardiomyopathie,
thien als eine heterogene Gruppe von Erkrankungen des Myo- 4 inflammatorische Kardiomyopathie sowie
kards definiert, die mit einer mechanischen und/oder elektrischen 4 durch eine KHK oder durch Vitien induzierte Kardiomyo-
Dysfunktion assoziiert sind, häufig eine genetische Ursache ha- pathien.
ben und mit einer Hypertrophie oder Dilatation des Herzens ein-
hergehen können.
12.1 Dilatative Kardiomyopathie
Die Klassifikation der American Heart Association ist in 7 Über-
sicht 12.1 dargestellt. Definition
Die Ausführungen in diesem Kapitel folgen der Klassifikati- Die DCM ist durch eine Dilatation und eine eingeschränkte sys-
on der WHO (Richardson et al. 1996), da diese aufgrund der v. a. tolische Funktion eines oder beider Ventrikel gekennzeichnet.
anatomischen und funktionellen Einteilung und der geringeren Meistens finden sich auch dilatierte Vorhöfe. In fortgeschritte-
Komplexität für den klinischen Alltag nützlicher ist. Gegenwärtig nen Stadien kann es zu einer Verdünnung der Herzwände kom-
wird von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) men. Die gesamte Herzmuskelmasse ist allerdings oft erhöht.
eine aktualisierte und für den klinischen Alltag gebräuchlichere
306 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

on der linksventrikulären Dilatation begünstigen können, zählen


Übersicht 12.1. Empfehlungen der American Heart As- ein schlecht eingestellter Blutdruck, Alkoholabusus und andere
sociation einer aktualisierten Klassifikation der Kardio- infektiöse oder immunologische Mechanismen, die in ihrer Be-
myopathien. (Nach Maron et al. 2006) deutung noch nicht vollständig aufgeklärt sind.

4 Primäre Kardiomyopathien
– Genetisch 12.1.3 Molekulargenetik
– Hypertrophe Kardiomyopathie
– Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie Während lange Zeit erbliche Formen der idiopathischen DCM
– Non-Compaction-Kardiomyopathie als eine Rarität angesehen wurden, haben mittlerweile systemati-
– Mitochondropathien sche Familienuntersuchungen und prospektive Studien gezeigt,
– Ionenkanaldefekte dass in ca. 20–35% der Fälle eine familiäre Häufung vorliegt
– Gemischt (Dansky u. Buttrick 1994; Maron et al. 2006). Von den asysmpto-
– Dilatative Kardiomyopathie matischen Verwandten der Patienten mit DCM haben bereits
– Restriktive Kardiomyopathie (nichthypertrophiert 20% einen echokardiographisch nachweisbaren vergrößerten lin-
und nichtdilatiert) ken Ventrikel, 27% davon entwickeln innerhalb von 39 Monaten
– Erworben eine symptomatische DCM (Baig et al. 1998). Patienten mit fami-
– Inflammatorisch liärer DCM sind dabei oft jünger und haben bei Diagnosestellung
– Stressinduziert (Tako-Tsubo-Kardiomyopathie) meist noch eine bessere systolische linksventrikuläre Funktion als
– Peripartal Patienten mit sporadischer DCM (Mestroni et al. 1999a).
– Tachykardieinduziert Mittlerweile konnten mehr als 20 Genorte nachgewiesen
4 Sekundäre Kardiomyopathien werden, die mit einer DCM assoziiert sind. Bei der Mehrzahl der
– Infiltrativ (u. a. Amyloidose) untersuchten Familien wird ein autosomal-dominanter Erbgang
– Speicherkrankheiten (u. a. Hämochromatose, Morbus mit unvollständiger Penetranz beobachtet. Mutationen finden
Fabry) sich dabei in Genen von Sarkomerproteinen, Proteinen des Zy-
– Toxisch toskleletts sowie in Strukturproteinen der inneren Kernmemb-
– Endomyokardial (u. a. endomyokardiale Fibrose, Hy- ran. Allerdings finden sich auch Familien mit autosomal-rezes-
pereosinophiliesyndrom) sivem Vererbungsmodus, die meist eine deutlich schlechtere
– Inflammatorisch-granulomatös (u. a. Sarkoidose) Prognose haben (Übersicht in Mestroni et al. 1999a,b). Ein X-
12 – Endokrin (u. a. Hyperthyreose, Diabetes mellitus) chromosomal-dominanter Vererbungsmodus findet sich in ca.
– Neuromuskulär 10% der Fälle. Während es bei den männlichen Betroffenen die-
– Autoimmun (u. a. systemischer Lupus erythematodes) ser Familien zu früher und schwerer Manifestation der Erkran-
– Chemotherapieinduziert kung mit Tod oder Herztransplantation innerhalb von 1–2 Jah-
– Andere ren kommt, zeigen die weiblichen Betroffenen wesentlich milde-
re Symptome einer Herzinsuffizienz, üblicherweise nicht vor
dem fünften Lebensjahrzehnt (Thierfelder 1998).

Bei Zunahme der Herzmuskelmasse und nichtveränderter, nur ge-


ring verdickter oder sogar verminderter Wanddicke spricht man 12.1.4 Pathomorphologie
von einer exzentrischen Myokardhypertrophie. Diese ist nicht
spezifisch für die DCM, sondern kann auch bei spezifischen Kardi- Die makroskopische Pathologie zeigt in der Regel eine Dilatation
omyopathien mit sekundär entstandener Dilatation vorkommen. aller 4 Herzkammern. Hiervon sind insbesondere die Ventrikel
zuerst und ausgeprägter betroffen als die Vorhöfe. Die ventrikuläre
Wanddicke kann mild hypertrophiert, normal oder sogar redu-
12.1.1 Epidemiologie ziert sein. Dies entspricht einer Erhöhung des Volumen-Wand-
Index. Hinweise für eine bedeutsame Beteiligung von Klappenlä-
Das typische Alter, in dem sich die DCM manifestiert, liegt zwi- sionen einer KHK oder von Perikarderkrankungen finden sich
schen 20 und 50 Jahren. Es können allerdings auch ältere Men- nicht. Histologisch zeigt sich eine ausgeprägte interstitielle und
schen oder Kinder betroffen sein. Die Inzidenz liegt zwischen 5 perivaskuläre Fibrose. Vereinzelt können entzündliche Zellen vor-
und 10 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Aufgrund der zu- handen sein. Die histologischen Veränderungen sind jedoch eher
nächst milden Symptomatik bei morphologisch bereits vorlie- unspezifisch und können sich auch bei ischämischer Kardiomyo-
gender DCM ist die Dunkelziffer hoch, und man muss von hö- pathie mit langjährigen Minderperfusionen und diffuser Koronar-
heren Erkrankungszahlen ausgehen. sklerose finden. Eine spezifische morphologische Diagnose ist
aufgrund einer Myokardbiopsie deshalb nur selten zu stellen.

12.1.2 Ätiologie
12.1.5 Klinische Symptome
Die eigentliche Ursache der DCM ist oft nicht geklärt. Man muss
allerdings davon ausgehen, dass genetische und/oder exogene Auf dem Boden einer systolischen Funktionsstörung bei dilatier-
Kofaktoren beim Entstehen und beim Voranschreiten der Er- tem linken Ventrikel finden sich in der Regel die Symptome einer
krankung zusammenwirken. Zu den Faktoren, die die Progressi- chronischen Herzinsuffizienz.
12.2 · Hypertrophe Kardiomyopathie
307 12

> Die Erstmanifestation der dilatativen Kardiomyopathie zeigt 12.1.7 Therapie


sich häufig an einer links-, rechts- oder biventrikulären Dekom-
pensation mit Lungenödem und/oder peripheren Ödemen. Die medikamentöse Therapie der DCM entspricht der der chro-
nischen Herzinsuffizienz. Sie ist entsprechend stadiengerecht
Der plötzliche Herztod kann das Erstsymptom einer DCM mit durchzuführen (7 Kap. 5).
höhergradiger Einschränkung der systolischen Funktion sein. Die Basistherapie besteht dabei aus einer Therapie mit:
Auch thrombembolische Komplikationen sind häufig. Diese ent- 4 ACE-Hemmstoffen bzw. AT1-Antagonisten,
stehen durch ventrikuläre Thromben oder durch das häufige 4 β-Blockern,
Auftreten eines intermittierenden Vorhofflimmerns. 4 Diuretika und
Akute Dekompensationen bei bekannter DCM und chro- 4 Aldosteronantagonisten.
nischer Herzinsuffizienz kommen häufig durch eine nichtzuver-
lässige Medikamenteneinnahme oder durch andere Komorbidi- Digitalis ist nur in Ausnahmefällen im NYHA-Stadium III–IV bei
tätsfaktoren wie Anämie, Infektionen, Hyperthyreose oder nut- ausgeprägter systolischer Pumpfunktionsstörung mit Jugularve-
ritiv-toxische Faktoren, z. B. übermäßigen Alkoholabusus, zu- nenstauung und Vorliegen eines dritten Herztons indiziert, kann
stande. jedoch zur Frequenzlimitierung bei gleichzeitig vorliegender Ta-
Da eine interstitielle Myokardfibrose vorliegt, ist nicht nur chyarrythmia absoluta hilfreich sein. Kalziumantagonisten sind
die systolische Funktionsstörung, sondern auch die Compliance- nicht indiziert. Die Anwendung eines ICD wird mittlerweile nicht
Störung (restriktive Komponente), insbesondere im Fall eines nur zur Sekundärprophylaxe bei malignen Rhythmusstörungen
Rückwärtsversagens mit Ödemen, bedeutsam (7 Kap. 5). empfohlen, sondern sollte auch aus primärprophylaktischer Indi-
kation bei Vorliegen einer hochgradig eingeschränkten systo-
lischen LV-Funktion (EF <35%; 7 Kap. 5) erwogen werden. Ami-
12.1.6 Diagnostik odaron führt bei malignen Arrhythmien nicht zu einem ver-
gleichbaren Überlebensvorteil der Patienten. Bei Vorliegen von
Die Diagnostik der DCM ist im Wesentlichen eine Ausschlussdi- Vorhofflimmern ist eine therapeutische Antikoagulation indi-
agnostik. Grundsätzlich wird nach akuter Dekompensation die ziert, bei Patienten im Sinusrhythmus konnte jedoch bisher kein
Ausschluss- und Nachweisdiagnostik der chronischen Herzin- Vorteil einer Antikoagulation gezeigt werden.
suffizienz angewandt (7 Kap. 5).

Echokardiographie 12.2 Hypertrophe Kardiomyopathie


Die Echokardiographie hat einen besonders hohen Stellenwert,
da nicht nur die linksventrikuläre Funktion bestimmt, sondern Definition
auch die Ventrikeldilatation sowie die Dilatation der Vorhöfe Die HCM ist als eine Kardiomyopathie mit ungeklärter Genese
direkt nachgewiesen werden können. Relative Klappeninsuffizi- der Hypertrophie definiert (Richardson et al. 1996). Die Häu-
enzen (insbesondere die relative Mitralinsuffizienz) können fung in Familien, bei denen der plötzliche Herztod vermehrt
leicht und schnell dopplerechokardiographisch diagnostiziert auftritt, legte nahe, dass der genetischen Prädisposition eine
werden. zentrale Bedeutung bei der Erkrankung zukommt.

Herzkatheteruntersuchung
Diese Herzkatheteruntersuchung schließt insbesondere bei Pati-
enten mit typischen oder untypischen Thoraxschmerzen eine 12.2.1 Ätiologie und Pathogenese
KHK als Ursache der linksventrikulären Dilatation und Funkti-
onsstörung aus. Mindestens 50% der an HCM erkrankten Patienten haben Ver-
wandte ersten Grades, die ebenfalls erkrankt sind. Diese, auch als
> Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion sollten sich einer
»familiäre hypertrophe Kardiomyopathie« (FHC) bezeichnete
Koronarangiographie unterziehen, um die Möglichkeit nicht zu
Erkrankung wird dementsprechend mittlerweile als eine primäre
verpassen, durch eine Revaskularisierung eine Verbesserung der
Kardiomyopathie mit genetischer Ursache angesehen (Maron et
systolischen Pumpfunktion zu erreichen.
al. 2006). Es findet sich dabei einheitlich ein autosomal-domi-
nanter Vererbungsmodus. Die Penetranz ist bei jungen Patienten
Myokardbiopsie inkomplett, erreicht aber mit zunehmendem Alter der Patienten
Eine Myokardbiopsie hat v. a. dann Sinn, wenn Speichererkran- nahezu 100%. Die Prävalenz der Erkrankung liegt bei ca. 1:500 Er-
kungen oder entzündliche Erkrankungen vermutet werden. Wie wachsenen. Die HCM ist dabei die häufigste Ursache für plötz-
bereits beschrieben, trägt die klassische histomorphologische liche Todesfälle bei Jugendlichen und Sportlern.
Untersuchung der Myokardbiopsie zur spezifischen Diagnose Der klinische Schweregrad der Erkrankung ist sehr variabel,
der DCM nicht bei. sowohl beim Vergleich verschiedener Familien als auch beim
Neuere morphologische Methoden (In-situ-Hybridisierung, Vergleich betroffener Patienten derselben Familie. Dies kann ei-
Immunhistochemie) können jedoch zur Entdeckung von Virus- nerseits als Hinweis für eine genetische Heterogenität der Erkran-
persistenz und akuten entzündlichen Infiltraten nützlich sein. Ob kung im Sinne verschiedener Gendefekte gewertet werden, ande-
sich aus diesen Befunden therapeutische Konsequenzen ergeben, rerseits spricht es für den Einfluss zusätzlicher Faktoren bei der
wird kritisch diskutiert und gegenwärtig in klinischen Studien Ausprägung der Erkrankung.
untersucht. Bei der anderen Hälfte der Patienten mit HCM handelt es
sich um »sporadische« Fälle. In welchem Maß spontane Neumu-
308 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

tationen, ein rezessiver Erbgang oder andere, nichtgenetische zierten Hypertrophie abgegrenzt, die auch bei Sportlern vorkom-
Ursachen verantwortlich sind, kann zurzeit noch nicht entschie- men können (Lever et al. 1989; Lewis u. Maron 1989). Es ist hier-
den werden; möglicherweise sind alle 3 Faktoren zutreffend (Kel- bei wichtig zu erwähnen, dass die seltene physiologische Myo-
ly u. Strauss 1994; Maron 1997). kardhypertrophie, die durch starke und regelmäßige körperliche
Aktivität bei Leistungssportlern induziert werden kann, als ein-
zige dieser Formen nicht mit einer ungünstigen Prognose assozi-
12.2.2 Molekulargenetik iert ist.
Weiterhin ist eine sekundäre Myokardhypertrophie ab-
Gegenwärtig sind über 400 Mutationen an 11 Genen mit einer zugrenzen. Diese findet sich bei:
HCM assoziiert. Die Mutationen betreffen mit 2 Ausnahmen den 4 Hyperparathyreoidismus,
kontraktilen Apparat der Myokardzelle. Es handelt sich dabei um 4 Neurofibromatose,
die schwere Kette des β-Myosins, das Myosinbindungsprotein C, 4 Lipodystrophie,
Troponin T, Troponin I, die essenzielle und regulatorische leichte 4 Lentiginose,
Myosinketten, Titin , α-Tropomyosin, die kardiale Isoform von 4 Phäochromozytom,
Aktin, die schwere Kette des α-Myosins und das Muskel-LIM- 4 Friedreich-Ataxie und
Protein. Die Ausnahmen bilden Mutationen in den Genen der 4 Noonan-Syndrom.
γ2-Untereinheit der AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK)
sowie des lysosomassoziierten Membranproteins-2 (LAMP-2). Makroskopisch können ähnliche Bilder bei Glykogenspeicher-
Die Mutationen an diesen Proteinen, die für den kardialen Meta- krankheiten oder tumorösen Infiltrationen des Septums auftre-
bolismus von Bedeutung sind, induzieren einen Phänotyp, der ten.
durch eine ausgeprägte Myokardhypertrophie und eine Präexzi-
tation gekennzeichnet ist. Mikroskopischer Befund
Mikroskopisch finden sich typische Zeichen einer HCM. Eine
> Mutationen an der schweren Kette des β-Myosins, am Myosin-
Desorganisierung von Myokardfibrillen führt zum »fiber disar-
bindungsprotein C und an Troponin T sind für mehr als 60–70%
ray«. Die Kardiomyozyten sind z. T. nicht in Bündeln, sondern
der Fälle von FHC verantwortlich.
sternförmig angeordnet. Sie haben einen stark variierenden
Mutationen des β-MHC-Gens liegen in mehr als einem Drittel Quer- und Längsdurchmesser sowie große Variabilitäten in un-
der Fälle einer HCM zugrunde. Während einige Mutationen des terschiedlichen Bereichen der Ventrikel. Es kommt zu einer Ver-
Myosingens leichte klinische Verläufe bedingen, führen andere mehrung der interstitiellen Masse im Sinne einer Fibrose und zu
12 zu schwerer Myokardhypertrophie und einer um bis zu 50% re- einer Veränderung der interzellulären Kontakte (Maron et al.
duzierten Lebenserwartung (Anan et al. 1994). 1986; Factor et al. 1991).
Patienten mit Mutationen im Gen des Myosinbindungsprote- Die intramyokardialen Arterien weisen eine verminderte
in C erkranken häufig erst im mittleren oder höheren Lebensalter, Dichte auf und sind manchmal hyalinisiert. Diese Veränderungen
und der klinische Verlauf ist meistens mild (Niimura et al. 1998). sollen gelegentlich auftretende pektangiforme Beschwerden
Im Gegensatz dazu haben Patienten mit Mutationen des Tropo- durch eine myokardiale Ischämie erklären.
nin-T-Gens häufig keine oder eine nur gering ausgeprägte Myo-
> Interessanterweise kommt die ausgeprägteste Veränderung in
kardhypertrophie, erleiden aber häufig schon im frühen Lebens-
der Anordnung von Kardiomyozyten im Zentrum des Septums
alter einen plötzlichen Herztod. Die Molekulargenetik könnte
vor. In den äußeren Septumschichten findet man meistens eine
dementsprechend in Zukunft eine wichtige Bedeutung für die in-
Myokardhypertrophie ohne besondere Auffälligkeiten. Dement-
dividuelle Risikostratifizierung bei HCM-Patienten bekommen.
sprechend kann der »Fiber-disarray«-Phänotyp in endomyokar-
dialen Myokardbiopsien vom Septum verborgen bleiben.
12.2.3 Pathomorphologie

Makroskopischer Befund 12.2.4 Pathophysiologie


Makroskopisch findet sich eine Hypertrophie des linken und/
oder rechten Ventrikels, die bei zwei Dritteln der Patienten septal Systolische Dysfunktion
betont ist (Davies u. McKenna 1995; Maron u. Roberts 1979) und Während der Systole und der Kontraktion des basisnahen Sep-
während der Systole zu einer Obstruktion des aortalen Ausfluss- tums kann der aortale Ausflusstrakt eingeengt werden, sodass
traktes mit der Ausbildung eines systolischen Druckgradienten systolisch ein »dynamischer Ausflusstraktgradient« resultieren
im Ausflusstrakt führen kann. Eine mitventrikuläre Hypertro- kann (. Abb. 12.1). Physiologische Manöver wie Hocken oder
phie kann vorkommen. Bei Japanern findet sich gelegentlich eine Valsalva verändern die linksventrikuläre Füllung, den Inotropie-
spitzenbetonte Hypertrophie (Yamaguchi et al. 1979). zustand des Myokards und somit den Druckgradienten.
! Cave Diastolische Dysfunktion
Bei länger bestehender HCM kann der linke Ventrikel durch eine
Durch die Myokardhypertrophie und eine Versteifung des lin-
Ausflusstraktobstruktion mit konsekutiver Drucküberlastung se-
ken Ventrikels entsteht eine diastolische Funktionsstörung. Die
kundär dilatieren. Dieser Zustand zeichnet sich durch eine sehr
Myozytenhypertrophie bewirkt eine frühdiastolische Relaxati-
schlechte Prognose aus.
onsstörung. Die Vermehrung der interstitiellen Substanz
Von der HCM werden die Myokardhypertrophie bei Hypertonie (im Wesentlichen Kollagen) resultiert in einer Compliance-
oder einem Aortenvitium sowie Formen der belastungsindu- Störung.
12.2 · Hypertrophe Kardiomyopathie
309 12

4 Synkopen,
4 inadäquater Blutdruckanstieg (<25 mmHg) unter Belas-
tung,
4 massive linksventrikuläre Myokardhypertrophie (>30 mm).

Befund
Die körperliche Untersuchung ist meist unergiebig. Ein verstärk-
ter Herzspitzenstoß kann gelegentlich getastet werden. Ein vierter
Herzton kann vorkommen, da die atriale Systole durch die er-
schwerte Füllung des steifen linken Ventrikels vermehrt ist. Ein
systolisches Austreibungsgeräusch wird in der Regel über dem
Aortenareal gehört. Da häufig eine Mitralinsuffizienz vorliegt,
kommt es in diesen Fällen zu einem Holosystolikum mit Aus-
. Abb. 12.1. Schematische Darstellung des linken Ventrikels während strahlung in die Axilla.
der Diastole und der Systole bei HCM mit Ausflusstraktobstruktion. Es ist Plötzliches Aufstehen (d. h. orthostatische Belastung) und
zu erkennen, dass es während der Systole durch das hypertrophierte ein Valsalva-Manöver reduzieren Vorlast bzw. Nachlast. Dies
Septum zu einer Verlegung der aortalen Ausflussbahn kommt. Im Zent- führt zu einer relativen Verkleinerung des Ventrikels und zu einer
rum des Septums kommt es außerdem zu einer pathologischen Anord- Zunahme des Ausflusstraktgradienten und kann in einer Inten-
nung von einzelnen Myofibrillen (»fiber disarray«). AO Aorta, LA linker sivierung des systolischen Geräusches hörbar werden. Positiv-
Vorhof, LV linker Ventrikel
inotrope Substanzen wie Isoprenalin erhöhen den Druckgradien-
ten durch eine gesteigerte Kontraktilität und eine relative Ver-
minderung der enddiastolischen Volumina.
12.2.5 Klinische Symptome Nitrate bzw. Amylnitrit (Cave: Blutdruckabfälle) können den
Geräuschcharakter im Sinne einer Verstärkung variieren. Eine
Epidemiologie Tachykardie sowie eine Hypovolämie führen zu einer Abnahme
Die Häufigkeit der HCM beträgt etwa 0,02–0,2% in der Normal- der Ventrikelgröße und damit zu einer Zunahme der Intensität
bevölkerung (Codd et al. 1989). Die Häufigkeit in medizinischen des Geräusches. Eine Nachlasterhöhung, z. B. durch ein Hock-
Zentren, die in Verdachtsfällen Zuweisungen erhalten, ist deut- manöver oder durch vasokonstriktive Substanzen (α-Adrenozep-
lich höher (Maron et al. 1994). Da der plötzliche Herztod häufig toragonisten), reduziert das Geräusch. Ebenso führt eine Ver-
eine Erstmanifestation der HCM ist, existiert eine hohe Dunkel- minderung der Inotropie durch negativ-inotrope Substanzen
ziffer. (β-Blocker, Inhalationsanästhetika, Antiarrhythmika) zu einer
Abnahme des Geräusches.
Letalität
Die Prognose der HCM ist von der zugrunde liegenden Mutation
abhängig. Die Sterblichkeit wird insgesamt auf etwa 2% pro Jahr 12.2.6 Technisch gestützte Diagnostik
bei Erwachsenen geschätzt. Bei Kindern kann sie 4–6% errei-
chen. Insbesondere wenn eine linksventrikuläre Dilatation vor- Elektrokardiographie
liegt, ist die Prognose schlecht (McKenna et al. 1981; Spirito et al. Das Elektrokardiogramm ist bei über 85% der Patienten patholo-
1989; Cannan et al. 1995). gisch verändert. Diese Veränderungen sind allerdings nicht spe-
zifisch.
Symptomatik
> Die EKG-Diagnose der HCM spielt besonders bei Kindern eine
Häufig handelt es sich bei der Diagnose der HCM um einen Zu-
Rolle, da die Interpretation des Echokardiogramms aufgrund star-
fallsbefund, da ein Großteil der Patienten ohne Symptome bleibt
ker wachstumsbedingter Schwankungen oft problematisch ist.
oder nur eine milde Symptomatik aufweist. Wird die Diagnose
bei älteren Patienten gestellt, ist eine diastolische Herzinsuffizi- Es können dabei die typischen elektrokardiographischen Hyper-
enz mit Belastungsluftnot und belastungsabhängigen Tachykar- trophiezeichen hinweisend auf eine HCM sein. Der Sokolow-
dien am häufigsten. Bei jüngeren Patienten können insbesondere Index ist in der Regel positiv. Repolarisationsstörungen können
bei sportlicher Betätigung Rhythmusstörung auftreten. vorkommen. Pathologische Q-Zacken treten bei 25–50% der Pa-
Typische bzw. atypische Angina pectoris, besonders bei jun- tienten auf. Man spricht in diesem Fall von einem sog. Pseudoin-
gen Patienten, kann zur Diagnose führen. Es erleben 15–25% der farkt-EKG.
Patienten eine Synkope oder eine Präsynkope. Treten die Synko- Das Auftreten von pathologischen Q-Zacken in den Vorder-
pen in jungen Jahren auf, ist der Phänotyp der HCM mit einer wandableitungen ist mit einer besonders ausgeprägten septalen
gesteigerten Inzidenz des plötzlichen Herztodes assoziiert (Spiri- Hypertrophie assoziiert. Hohe T-Wellen können bei allen For-
to et al. 1997). Gelegentlich finden sich auch harmlosere supra- men der HCM auftreten. Besonders häufig sind sie bei der japa-
ventrikuläre Rhythmusstörungen. nischen Form der spitzenbetonten HCM.
Als Risikoprädiktoren, an einem plötzlichen Herztod bei
HCM zu versterben, sind nach McKenna u. Behr (2002) anzuse- Langzeit-EKG
hen: Von den erkrankten Erwachsenen haben 25% nichtanhaltende
4 überlebter Herz-Kreislauf-Stillstand, VT (McKenna et al. 1981; Maron et al. 1981). Vorhofrhythmus-
4 plötzliche Herztode in der Familie, störungen finden sich bei bis zu 50% der Patienten. Bei Diagno-
4 ventrikuläre Tachykardien, sestellung findet sich Vorhofflimmern in 5% der Fälle, weitere
310 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

10% kommen in den nachfolgenden 5 Jahren hinzu (Robinson et Die meisten Patienten mit HCM weisen einen Ruhegradien-
al. 1990). Bei höhergradigen Formen einer HCM kann das Auf- ten im Ausflusstrakt auf. Der Gradient kann entsprechend dem
treten eines Vorhofflimmerns durch den Wegfall der atrialen Auskultationsphänomen durch
Systole akut zu hämodynamischen Dekompensationen bis hin 4 positiv-inotrope Substanzen (β-Adrenozeptoragonisten,
zur Reanimationspflichtigkeit führen (Stafford et al. 1986). PDE-Hemmstoffe),
4 Vasodilatatoren (Nitrate) oder
Echokardiographie 4 das Valsalva-Manöver
Echokardiographische Kriterien zur Diagnose einer HCM sind
die ausgeprägte und gelegentlich isolierte Septumhypertrophie, verstärkt werden. Hieraus wird ersichtlich, dass der variable Aus-
die systolische Vorwärtsbewegung des anterioren Mitralsegels flusstraktgradient nicht nur durch die Obstruktion, sondern auch
(SAM), ein mittsystolischer Schluss der Aortenklappe, eine häu- durch den Kontraktionszustand und die Größe des linken Vent-
fig vorliegende Mitralinsuffizienz sowie eine Hypokontraktilität rikels zustande kommt.
des steifen und wandstarken Septums. Die Ventrikeldimensionen
> Der Ruhedruckgradient spiegelt die Gefährdung und die Beein-
sind häufig verkleinert.
trächtigung des Patienten im täglichen Leben (z. B. bei körper-
In der 2D-Echokardiographie kann das Septum im Längsschnitt
licher Belastung) nur ungenau wider.
dargestellt werden. Eine Ausflusstraktobstruktion kann hierdurch
direkt gezeigt werden. Die systolische Vorwärtsbewegung des Sep- Darüber hinaus können mithilfe der Doppler- und Gewebedopp-
tums kommt durch ein »Ansaugen« des vorderen Mitralsegels durch lerechokardiographie Zeichen einer diastolischen Funktionsstö-
den scharfen Jet im Ausflusstrakt zustande. Man spricht auch vom rung untersucht werden.
Venturi-Effekt (Spirito u. Maron 1984; . Abb. 12.2). Der das vorde-
re Mitralsegel haltende Papillarmuskel kann einen pathologischen Herzkatheteruntersuchung
Ansatz in der Ventrikelspitze aufweisen. Die Herzkatheteruntersuchung dient der genauen Messung der
Dopplerechokardiographisch ist es möglich den Druckgradi- Hämodynamik und der Planung einer Intervention. Eine Koro-
enten zu bestimmen. Die Berechnung des Druckgradienten er- narangiographie ist insbesondere bei Vorliegen von pektangif-
folgt nach der Bernoulli-Gleichung, wonach der Druckgradient ormen Beschwerden durchzuführen. Bei einem Ausflusstrakt-
4×Vmax2 beträgt. (Vmax ist die maximale dopplerechokardiogra- gradienten lässt sich durch Zurückziehen eines Katheters von der
phisch bestimmte Flussgeschwindigkeit im Ausflusstrakt.) Ventrikelspitze in den Ausflusstrakt häufig ein Druckgradient
nachweisen (. Abb. 12.3). Der Druckgradient kann durch Provo-
kationsmanöver (Katecholamine, Valsalva-Manöver) variiert
12 werden. Ein typisches Beispiel ist in . Abb. 12.4 gezeigt.
Bei Auftreten von Extrasystolen kommt es zu einem Anstieg
des Druckgradienten. Dieser entsteht durch eine postextrasysto-
lische Potenzierung der linksventrikulären Kontraktion mit
einem deutlichen Anstieg des intraventrikulären Druckes proxi-
mal der Ausflussbahnobstruktion. Die aortale Druckkurve zeigt
einen Abfall des Druckes; dies kommt durch die Zunahme der
Obstruktion bei gesteigerter Kontraktilität des linken Ventrikels
zustande. Dieses Phänomen wird auch Brockenbrough-Zeichen
genannt (. Abb. 12.4).
Aufgrund der starken Hypertrophie sowie der Relaxations-
und Compliance-Störung steigt häufig der diastolische Druck im
linken Ventrikel bis hin zu einem diastolischen Druckangleich im
Sinne einer restriktiven Füllungsstörung. Der pulmonale Kapil-
. Abb. 12.2. Echokardiographische Darstellung (M-Mode-Echokardio- lardruck kann erhöht sein. Bei Vorliegen einer höhergradigen
graphie, kurze Achse) eines Herzens mit HCM. Es bestehen eine Septum- Mitralinsuffizienz kann eine prominente v-Welle in der pul-
hypertrophie und eine SAM monalkapillären Druckkurve registriert werden.

. Abb. 12.3. Rückzug eines druck-


registrierenden Herzkatheters aus der
Herzspitze in den linksventrikulären
Ausflusstrakt (distal der Obstruktion).
Es ist zu sehen, dass es zu einem
Drucksprung mit Angleich an die
simultan registrierten aortalen Drücke
kommt
12.2 · Hypertrophe Kardiomyopathie
311 12

. Abb. 12.4. Druckgradient zwischen


der Ventrikelspitze und der Aorta in
Ruhe (oben) und während Gabe von
0,5 mg Orciprenalin (Alupent) i. v. Es
kommt zu einem Anstieg des Druckgra-
dienten von 22 mmHg auf 102 mmHg.
Nach Auslösung einer Extrasystole
steigt der Druckgradient beim postex-
trasystolischen Schlag signifikant an
(Brockenbrough-Phänomen)

In der 90°-LAO-Darstellung (links-anterior-obliquer Strah-


lengang, . Abb. 12.5) der LV-Angiographie zeigt sich eine subval-
vuläre Einschnürung des Ventrikels. Mittventrikuläre Obstrukti-
onen können am besten in der 30°-RAO (rechtsanterior-obli-
quer)-Projektion dargestellt werden.
In der Koronarangiographie finden sich häufig normal große
Arterien. Die intrakoronare Dopplerflussmessung belegt häufig eine
eingeschränkte Koronarreserve. In schweren Fällen kann eine systo-
lische Flusssistierung beobachtet werden (Akasaka et al. 1994).

Thoraxröntgenaufnahme
Die Thoraxröntgenuntersuchung eignet sich nicht für die primä-
re Diagnostik. Das Herz kann normal groß sein. Gelegentlich
findet sich eine rechts- bzw. linksventrikuläre oder auch bivent-
rikuläre Vergrößerung des Herzschattens. Eine zentralvenöse
oder pulmonalvenöse Stauung kann in Abhängigkeit vom Kom-
pensationsgrad auftreten.
. Abb. 12.5. LV-Angiographie (90°-LAO) bei einem 64-jährigen männli-
Magnetresonanztomographie chen Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie. Unter-
halb des Ausflusstraktes ist eine systolische Einschnürung des Ventrikels
In der Regel reicht eine Echokardiographie zur Diagnosestellung zu beobachten
aus. Bei komplexeren Fällen (z. B. Beteiligung der Herzspitze)
kann ein MRT geeignet sein, die Kardiomyopathie morpholo-
gisch genauer darzustellen. Klare Hinweise für eine prognostisch günstige Wirkung dieser
Therapien existieren nicht. Beim Auftreten von potenziell malig-
nen Rhythmusstörungen ist eine Therapie mit Amiodaron nur
12.2.7 Therapie im Ausnahmefall ausreichend. Hier ist die Implantation eines
ICD das Mittel der Wahl (7 Kap. 3). Diese ist bei Risikopatienten
Medikamentöse Therapie (s. oben) auch als Primärprophylaxe zu diskutieren. Amiodaron
Die β-Blocker-Therapie vermindert über ihre negativ-inotropen kann jedoch als Rezidivprophylaxe bei Vorhofflimmern von Be-
Wirkungen den Ausflusstraktgradienten. Bei Kontraindikationen deutung sein.
können Kalziumantagonisten mit frequenzverlangsamender und
negativ-inotroper Wirkung (typischerweise Verapamil) gegeben Operative Therapie
werden. Bei beiden Substanzklassen führt die Verminderung der Als Methode der Wahl bei hochsymptomatischen und auf eine
Herzfrequenz zu einer Verlängerung der Diastole und kann somit medikamentöse nicht ansprechenden Patienten mit HCM und
die durch die diastolische Dysfunktion entstehende Symptomatik hohem Ausflusstraktgradienten ist mittlerweile die katheterin-
mildern. terventionelle transkutane myokardiale Septumablation (s. un-
ten) etabliert. Die Indikation zur operativen Therapie ist nur
! Cave noch in Ausnahmefällen gegeben, z. B. bei gleichzeitig erforder-
Die Nachlastsenkung durch Kalziumantagonisten kann bei fi- licher operativer Myokardrevaskularisation oder Klappenopera-
xierter Ausflusstraktobstruktion gefährlich sein, da sie zu unvor- tion. Die Myektomie-Myotomie-Prozedur führt dabei in 95% der
hersehbaren Blutdruckabfällen führen kann. Fälle zu einer signifikanten Reduktion des Ausflusstraktgradien-
312 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

. Abb. 12.6. Schrittmachertherapie bei


HCM. Bei Umstellen des Schrittmachers
auf AV-sequenzielle Stimulation ausge-
hend von einer Vorhofstimulation mit
identischer Frequenz (120 Schläge/min)
fällt der Druckgradienten signifikant ab

ten. Die Mitralinsuffizienz verbessert sich bei 70% der Patienten. tenzierung wesentlich deutlicher reduziert. Idealerweise wird die
Gelegentlich kann allerdings eine Mitralklappenrekonstruktion Durchblutung der subvalvulären Obstruktion durch den entspre-
bzw. -ersatzoperation notwendig werden. Die operative Mortali- chenden Septalast echokardiographisch vor Einbringen des Al-
tät ist hoch und wird mit 2–5% in erfahrenen operativen Zentren kohols kontrolliert, indem Echokontrastmittel selektiv in den
beziffert. Septalast injiziert wird. Die erste Langzeitnachbeobachtung wur-
de 2002 publiziert. Nach 3,0±1,3 Jahren wurde durch die Sep-
Schrittmachertherapie tumablation eine nachhaltige Reduktion des Druckgradienten
Die Implantation eines DDD-Schrittmachers kann über eine Op- mit einer deutlichen Verbesserung der Belastbarkeit und der
timierung der atrialen Füllung und über eine Veränderung der Symptomatik erzielt (Shamim et al. 2002). Nach der Intervention
12 Erregung des linken Ventrikels (von apikal nach basal) eine deut- benötigten 27% der Patienten eine dauerhafte Schrittmacherver-
liche Abnahme des linksventrikulären Druckgradienten herbei- sorgung. Mit zunehmender Erfahrung mit dieser Methode in
führen. Diese Effekte können akut auftreten (. Abb. 12.6; Fana- spezialisierten Zentren und unter Verwendung von Echokon-
napazir et al. 1994) und zu einer Verbesserung der klinischen trastmittel sollte eine dauerhafte Schrittmacherversorgung je-
Symptomatik führen. doch in weniger als 10% der Fälle erforderlich sein.
Weitere prospektive Studien sind allerdings notwendig, um Prospektive und randomisierte Studien, die insbesondere die
die Bedeutung dieser Therapieform sicherzustellen, da mehrere Prognose einzelner Therapieverfahren vergleichen, sind für die
Studien den Stellenwert einer primären Schrittmacherimplanta- Zukunft erforderlich.
tion infrage stellen (Maron et al. 1999).

Transkutane myokardiale Septumablation 12.3 Restriktive Kardiomyopathie


Die transkutane myokardiale Septumablation stellt heute bei in-
effektiver medikamentöser Therapie die Methode der Wahl dar. Definition
Bei dieser interventionell durchgeführten kardiologischen The- Die restriktive Kardiomyopathie ist selten und zeichnet sich
rapie werden der erste oder die nachgeordneten kräftigen Septal- durch eine zunehmende Steifigkeit des Herzens mit Beteili-
äste sondiert und durch Injektion von hochprozentigem Alkohol gung des Myokards, des Interstitiums und des Endokards aus
verschlossen (Sigwart 1995; Gleichmann et al. 1996). Die resul- (Kushawa et al. 1997). Die Steifigkeit kann durch eine ver-
tierende Infarzierung des septalen Myokards kann zu einer deut- mehrte endomyokardiale Fibrosierung, aber auch durch Ein-
lichen Abnahme der septalen Wanddicke und im weiteren Ver- lagerung von Proteinen (z. B. Amyloid) bedingt sein. Das Aus-
lauf des dynamischen Ausflusstraktgradienten führen. maß der hämodynamischen Beeinträchtigung korreliert da-
Deutliche symptomatische Verbesserungen durch eine Ab- bei nicht zwingend mit den histopathologischen Verände-
nahme des Druckgradienten und eine Verminderung des links- rungen (Keren u. Popp 1992).
ventrikulären Remodeling im Langzeitverlauf wurden berichtet.
Daten zur prognostischen Wirkung dieser Prozedur stehen aller-
dings aus. Mittlerweile sind viele Patienten mit dieser Methode
behandelt worden. In Deutschland besteht ein Register zur Über- 12.3.1 Funktionelle Charakteristika
wachung der Patienten und zur endgültigen Beurteilung der
Langzeitergebnisse. Die Herzinsuffizienz durch eine diastolische Funktionsstörung,
Eine HCM vor und nach septaler Ablation ist in . Abb. 12.7 die auf einer eingeschränkten Compliance (Dehnbarkeit) des lin-
dargestellt. Der Ruhedruckgradient änderte sich um 8 mmHg; ken Ventrikels beruht, steht als klinische Symtomatik im Vorder-
dagegen waren die stimulierten Druckgradienten durch Valsalva- grund. Die Folge ist ein rascher frühdiastolischer Druckabfall,
Manöver, Katecholamininjektion und postextrasystolische Po- der von einem schnellen mitt- bis enddiastolischen Druckanstieg
12.3 · Restriktive Kardiomyopathie
313 12

. Abb. 12.7. Septalastokklusion mit Alkohol bei HCM: Ein kräftiger Sep- bleibt der Septalast verschlossen. Es kommt zu einer signifikanten Ver-
talast wird mit einem Draht sondiert. Nach Inflation eines kleinen Ballons minderung der unter Valsalva und Orciprenalin (Alupent) sowie der post-
wird Alkohol injiziert. Nach Zurückziehen des Katheters und des Ballons extrasystolisch verstärkten Druckgradienten

auf ein diastolisches Druckplateau gefolgt ist. In den Druckkur- 12.3.2 Basisdiagnostik
ven resultiert ein charakteristischer Verlauf, den man auch als
»Dip-plateau«-Phänomen« oder »Square-root«-Zeichen be- Die invasive Druckmessung im Rahmen einer Rechts- und Links-
zeichnet (Abelmann u. Lorell 1989; Shabetai 1992). Differenzi- herzkatheteruntersuchung und ggf. eine Myokardbiopsie sind
aldiagnostisch ist hier die Pericarditis constrictiva auszuschlie- wegweisend für die Diagnostik einer restriktiven Kardiomyopa-
ßen, bei der der systolische Pulmonalarteriendruck normal oder thie. Die Diagnose kann in der Regel jedoch bereits durch die
nur gering erhöht ist (i. Allg. PAPsys <50 mmHg), während der transthorakale Echokardiographie mit transmitralem Doppler-
diastolische Plateaudruck im rechten Ventrikel deutlich erhöht fluss und Gewebedoppler gestellt werden. Der transmitrale Fluss
ist (mehr als ein Drittel des systolischen rechtsventrikulären zeigt im Sinusrhythmus eine Reduktion der A-Welle, d. h. der
Drucks). atrialen Füllung in der Spätdiastole bei betonter E-Welle und ver-
Im Sinusrhythmus muss bei restriktiver Kardiomyopathie kürzter Dezelerationszeit sowie isovolumetrischer Relaxations-
eine vermehrte Vorhoftätigkeit die eingeschränkte ventrikuläre zeit. Ein typisches Zeichen in der 2D-Echokardiographie sind die
Füllung kompensieren, sodass sich eine ausgeprägte Dilatation dilatierten Vorhöfe bei normal großen oder im Volumen sogar
der Vorhöfe entwickelt (Child u. Perloff 1988). Bei körperlicher verkleinerten Ventrikeln. Diese können eine Zunahme der
Belastung oder beim Auftreten von tachykardem Vorhofflim- Wanddicken aufweisen. Die systolische Funktion ist dabei lange
mern kommt es zu einer zusätzlichen Erhöhung der diasto- erhalten, kann jedoch im Spätstadium der Erkrankung auch ein-
lischen Füllungsdrücke und häufig zu einem Rückstau in die geschränkt sein. Im EKG finden sich im Gegensatz zur HCM oft
Lunge, der klinisch als Belastungs- oder auch Ruhedyspnoe eine periphere Niedervoltage sowie uncharakteristische Repola-
imponiert. risationsstörungen. Vorhofflimmern ist aufgrund der atrialen
Dilatation häufig.
> Tritt Vorhofflimmern auf, fehlt die Ventrikelfüllung durch die at-
riale Systole. Dies führt bei Patienten mit restriktiver Kardiomyo-
pathie klinisch häufig zu einem Leistungsknick oder sogar zu 12.3.3 Einteilungskriterien
einem akuten Lungenödem.

Der zentrale Venendruck ist erhöht. Im fortgeschrittenen Stadi- Eine Gliederung verschiedener Typen der restriktiven Kardiomy-
um findet sich häufig ein Pulsus paradoxus oder sog. Kussmaul- opathie kann pathogenetisch erfolgen. Zu den primären restrik-
Zeichen, bei dem der Venendruck bei Inspiration ansteigt. tiven Kardiomyopathien zählen dabei:
314 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

4 idiopathische restriktive Kardiomyopathie, Löffler-Endomyokardfibrose


4 Löffler-Kardiomyopathie, Definition
4 Endomyokardfibrose und Die Löffler-Endomyokardfibrose (Endocarditis parietalis fi-
4 hypereosinophiles Syndrom. broplastica) ist durch eine ausgedehnte Verdickung und Fi-
brosierung des linksventrikulären Endokards charakterisiert.
Bei den sekundären Formen unterscheidet man infiltrative Herz- Oft tritt sie mit einer Prädilektionsstelle an der Herzspitze auf.
erkrankungen sowie Speichererkrankungen des Herzens: Sie wird als eine Untergruppe des hypereosinophilen Syn-
4 infiltrative Herzerkrankungen: droms angesehen.
5 Amyloidose,
5 Sarkoidose und
5 Bestrahlungskardiomyopathie als Folge einer Strahlen- Symptomatik
perimyokarditis durch hohe Strahlendosen, wie sie frü- Die klinische Symptomatik zeichnet sich durch die einer Stau-
her in der Onkologie verwandt wurden. ungsherzinsuffizienz aus. Das klinische Bild weist dabei große
4 Speichererkrankungen: Überschneidungen zu anderen Formen der restriktiven Kardio-
5 Hämochromatose, myopathie bzw. der konstriktiven Perikarditis mit Tachykardie
5 Glykogenspeichererkrankungen und und Stauung der Leber, Milzvergrößerung sowie serösen Pleura-
5 Morbus Fabry. ergüssen und peripheren Ödemen auf. Häufig ist die Entwick-
lung parietaler Thromben, die Ursache für thrombembolische
Komplikationen sein können.
12.3.4 Primäre restriktive Kardiomyopathien
> Charakteristisch für die Löffler-Endomyokardfibrose ist eine
konstante Erhöhung der Eosinophilen im Blut (1500 Eosinophi-
Idiopathische restriktive Kardiomyopathie
le/mm3).
Definition
Die primäre, idiopathische restriktive Kardiomyopathie ist Andere Ursachen der Eosinophilie müssen ausgeschlossen wer-
durch eine normale systolische Pumpfunktion mit normaler
den.
Größe der Ventrikel, eine Dilatation der Vorhöfe und ein res-
triktives Füllungsmuster charakterisiert, das nicht durch infilt-
Pathogenese
rative Prozesse verursacht ist. Pathogenetisch wird die Eosinophilie mit einer Protozoen- oder
Parasiteninfektion, mit Malignomen (insbesondere Leukämien)
12 oder allergischen Erkrankungen und Autoimmunprozessen in
In der Lichtmikroskopie zeigt sich oft eine ausgeprägte interstiti- Verbindung gebracht. Dies spricht für eine pathogenetische Rol-
elle Fibrose (McManus et al. 1981). Diese kann ubiquitär im My- le der Eosinophilen und den aus ihnen freigesetzten Mediatoren
okard, aber auch fokal auftreten. bei der Entstehung dieser Erkrankung. Histologisch lassen sich
endomyokardiale Infiltrationen von Eosinophilen sowie Nekro-
Vorkommen sen und Vernarbungen nachweisen.
In der Regel handelt es sich bei der idiopathischen restriktiven
Kardiomyopathie um eine sporadische Erkrankung. Es ist aller- Vorkommen
dings auch eine familiäre Häufung beschrieben. Kürzlich konnte Die Löffler-Endokarditis kommt weltweit vor. Sie ist bei Männern
beispielsweise eine »Missense«-Mutation im Gen von Troponin I häufiger und kann bereits bei unter 50-Jährigen auftreten.
bei Patienten mit restriktiver Kardiomyopathie gezeigt werden.
Molekulargenetisch findet sich hierbei eine Überlappung zur Therapie
HCM, die jedoch nicht durch ein restriktives Füllungsmuster ge- Im Vordergrund stehen eine symptomatische Behandlung der
kennzeichnet ist. Eine Assoziation zu einer Myopathie mit AV- diastolischen Herzinsuffizienz sowie die Prophylaxe kardialer
Blockierung wurde in 5 Generationen einer italienischen Familie Embolien durch eine therapeutische Antikoagulation. Steroide
beschrieben (Kushawa et al. 1997; Katritsis et al. 1991; Fitzpatrick können wirksam sein, ggf. auch in Kombination mit Hydroxy-
et al. 1990). carbamid oder Vinca-Alkaloiden. Bei Therapieversagern kann
eine Kombination mit Cytarabin und 6-Thioguanin erfolgen.
Diagnostik Therapieversuche mit Sulfonylharnstoff und Interferon sowie
Die Diagnose wird durch die Dopplerechokardiographie und die mithilfe der Plasma- und Leukapharese wurden bei geringen Pa-
Herzkatheteruntersuchung gestellt. Die Dopplerechokardiogra- tientenzahlen durchgeführt (Berger et al. 1994; Weller u. Bubley
phie ergibt ein restriktives Füllungsmuster im transmitralen 1994; Felice et al. 1993). Eine chirurgische Therapie ist den spä-
Dopplerflussprofil und im Gewebedoppler. Die Herzkatheterun- teren Stadien vorbehalten, die mit schweren fibrotischen Verän-
tersuchung ist durch einen diastolischen Druckangleich in allen derungen einhergehen.
Herzhöhlen mit einem typischen Dip-Plateau-Phänomen ge-
kennzeichnet. Die Myokardbiopsie zeigt häufig eine Myokardhy- Hypereosinophiles Syndrom
pertrophie und eine interstitielle Fibrose. Dieser Befund kann Während die Löffler-Endokarditis weltweit vorkommt, ist das
variabel sein. Dementsprechend dient die Myokardbiopsie eher hypereosinophile Syndrom insbesondere in Afrika und in äqua-
dem Ausschluss anderer Erkrankungen, insbesondere von Spei- torialen Ländern verbreitet. Es handelt sich dabei um ein mit der
chererkrankungen, als dass sie in der primären Diagnostik der Löffler-Endokarditis verwandtes Krankheitsbild und zeichnet
restriktiven Kardiomyopathie hilfreich wäre. sich ebenfalls durch eine persistierende Eosinophilie, durch
die endomyokardiale Fibrose sowie den Ausschluss anderer die
12.3 · Restriktive Kardiomyopathie
315 12

pathie. Die primäre kardiale Amyloidose (AL-Typ) bildet Fibril-


. Tab. 12.1. Häufigkeit des Organbefalls beim hypereosinophilen
Syndrom len, die aus κ- oder λ-Immunoglobulinleichtketten zusammen-
gesetzt sind.
Organ Häufigkeit [%]
> Bei der primären kardialen Amyloidose sterben 50% der Pati-
Herz 93
enten durch eine Herzinsuffizienz oder Arrhythmien.
Haut, Muskulatur 64
Bei der autosomal-dominant vererbten familiären Amyloidose
Nervensystem 54
finden sich Mutationen eines Präalbuminproteins (Transthyre-
Leber, Lunge, Magen-Darm-Trakt 43 tin). Die kardiale Beteiligung wird hierbei klinisch spät apparent.
Nieren 36 Häufig ist dann auch das Reizleitungssystem betroffen.
Eine kardiale Beteiligung bei sekundärer Amyloidose (AA-
Typ) ist selten.

Eosinophilie verursachenden Erkrankungen (z. B. Aspergillose, Klinische Symptome


Churg-Strauss-Syndrom) aus. Andere Organmanifestationen Am häufigsten ist als Erstmanifestation eine diastolische Herzin-
kommen vor (. Tab. 12.1). suffizienz nachweisbar, die durch die myokardiale Einlagerung
von Amyloid hervorgerufen wird. Die Diagnose wird dabei durch
Pathogenese das gestörte Füllungsmuster des linken Ventrikels in der Dopp-
Sowohl die Endomyokarderkrankung beim hypereosinophilen ler- und Gewebedopplerechokardiographie gestellt. In der Herz-
Syndrom wie auch die Löffler-Endokarditis sind wahrscheinlich katheteruntersuchung zeigt sich ein typisches Dip-Plateau-Phä-
Unterformen einer gleichen oder sehr ähnlichen Erkrankung. nomen. Im Spätstadium kann auch eine systolische Funktions-
Die Eosinophilen scheinen dabei toxische Produkte freizusetzen, störung auftreten.
die möglicherweise den Endokardschaden hervorrufen. Insge- Pektangiforme Beschwerden können durch eine Verlegung
samt ist gegenwärtig wenig über die Pathogenese dieser Erkran- distaler Koronararterien durch Amyloid auftreten. Die orthosta-
kungen bekannt. tische Hypotonie, die in 10–15% der Fälle beobachtet wird, ent-
steht einerseits durch die Unfähigkeit des Herzens, bei Abnahme
Vorkommen von Vor- und Nachlast das Schlagvolumen zu steigern und an-
Die Erkrankung ist bei Männern häufiger als bei Frauen (9:1). Sie dererseits durch eine oft vorliegende autonome Neuropathie.
kommt auch bei Kindern vor und ist im fünften Lebensjahrzehnt Das Auftreten belastungsabhängiger Synkopen ist prognostisch
am häufigsten. ungünstig.

Klinische Symptome Diagnostik


Beim hypereosinophilen Syndrom sind die Organe in der in Neben der Primärdiagnostik kann die Dopplerechokardiogra-
. Tab. 12.1 genannten Häufigkeit betroffen. phie auch Hinweise auf die Prognose liefern. Bei einer frühdias-
In etwa 75% der Fälle kommt es zum Bild einer restriktiven tolischen Füllungszeit <150 ms ist die Prognose schlechter als bei
Kardiomyopathie. Klappeninsuffizienz wie Mitralinsuffizienzen einem Wert von >150 ms (Einjahresüberlebenswahrscheinlich-
und gelegentlich eine Trikuspidalinsuffizienz sind häufig. Neben keit 49% gegenüber 92%, p<0,01; Klein et al. 1991). Diese Werte
der Endokardfibrose liegen häufig thrombotische Auflagerungen spiegeln möglicherweise die Erhöhung des Füllungsdruckes und
an den Herzinnenwänden vor. Diese betreffen sowohl den Vor- somit die Steifigkeit des Ventrikels wider.
hof als auch den Ventrikel und können zu peripheren Embolien Durch die Myokardbiopsie kann der Amyloidtyp genau klas-
führen. sifiziert und die Diagnose morphologisch objektiviert werden.
Die MRT kann bei der Beurteilung der Wanddicken und der Dif-
ferenzialdiagnose zur Endomyokardfibrose hilfreich sein.
12.3.5 Infiltrative Formen der sekundären
restriktiven Kardiomyopathien Therapie
Die Therapie basiert auf einer optimalen Behandlung der diasto-
Amyloidose lischen Herzinsuffizienz. Weitere Therapieversuche wurden mit
Definition Melphalan, Prednison und Kolchizin durchgeführt (Skinner et al.
Bei der kardialen Amyloidose handelt es sich um eine restrik-
1996; Kyle et al. 1997); hierbei führte die Therapie mit Melphalan
tive Erkrankung des Herzens, die im Zusammenhang mit ei-
plus Prednison zu einer Verlängerung der Überlebenszeit (Kyle
ner immunologisch-onkologischen Grunderkrankung ge-
et al. 1997). Interferon zeigte keine Wirkung (Kyle et al. 1993).
häuft vorkommt.
Gegenwärtig wird der Nutzen einer autologen Stammzelltherapie
nach myeloablativer Chemotherapie untersucht.
Die Herztransplantation ist generell nicht empfohlen, da eine
Ätiologie und Pathogenese Amyloidose eine Systemerkrankung ist, die auch nach erfolgter
Bei den systemischen Amyloidosen ist das Herz in der patholo- Herztransplantation in anderen Organen fortschreiten kann. Eini-
gischen Untersuchung fast immer betroffen, obwohl eine klinisch ge Fallberichte mit gutem klinischen Erfolg liegen allerdings vor.
manifeste Kardiomyopathie nur bei einem Drittel der Patienten Bei der familiären Amyloidose, die durch einen Transthyretinde-
in Erscheinung tritt (Gertz u. Kyle 1991). Andere Manifestatio- fekt hervorgerufen wird, kann bei schweren Verläufen eine Leber-
nen finden sich an den Nieren im Sinne eines nephrotischen Syn- transplantation erwogen werden, in Einzelfällen bei kardialer Be-
droms sowie im peripheren Nervensystem als periphere Neuro- teiligung ggf. auch eine kombinierte Herz-Leber-Transplantation.
316 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

Klinisch interessant ist die erhöhte Sensitivität des Herzens 12.3.6 Speichererkrankungen bei sekundären
bei Amyloidose für Digoxin. Es wurde angenommen, dass die restriktiven Kardiomyopathien
Digoxinbindung an Amyloidfibrillen verstärkt ist. Darüber hin-
aus wird eine ausgeprägte negativ-inotrope Wirkung von Kalzi- Hämochromatose
umkanalblockern (Verapamil, Nifedipin) beobachtet. Definition
! Cave Die Eisenspeichererkrankung betrifft Herz, Pankreas, Leber,
Eine Nachlastsenkung kann zu starken Blutdruckabfällen füh- Keimzellen und Haut. Eisen wird im gesamten Herzen ein-
ren, da durch die Füllungsbehinderung der versteiften Ventrikel schließlich der Vorhöfe gespeichert. Dadurch kommt es ne-
in der Situation der peripheren Vasodilatation das Schlagvolu- ben einer restriktiven Füllungsstörung häufig zu einer dilata-
men nicht adäquat gesteigert werden kann. tiven Kardiomyopathie, oft mit Zunahme der Wanddicke. Das
Ausmaß der kardialen Beteiligung korreliert unmittelbar mit
Der Erhalt des Sinusrhythmus ist wichtig, um eine optimale Fül- der Menge des eingelagerten Eisens (Cecchetti et al. 1991).
lung des versteiften linken Ventrikels durch die Vorhofkontrakti-
on zu ermöglichen.
Die primäre idiopathische Hämochromatose ist eine autosomal-
Kardiale Sarkoidose rezessiv vererbte Erkrankung mit einer Mutation des mensch-
Definition lichen Leukozytenantigens auf Chromosom 6. Sekundäre Hämo-
Beim Morbus Boeck finden sich in etwa 20% der Fälle epithe-
chromatoseformen entstehen durch eine exogene Eisenüberla-
loidzellige Granulome im Herzen. Die klinische Manifestation
dung, z. B. durch multiple Bluttransfusionen mit erheblich gestei-
ist vom Ausmaß des granulomatösen Umbaus des Herzens
gertem Umsatz von Erythrozyten (z. B. bei Thalassämie), eine
abhängig.
ineffektive Erythropoese und seltene Hämoglobinsynthesestö-
rungen. Klinisch imponiert eine Trias aus Leberzirrhose, Diabe-
tes mellitus und verstärkter Hautpigmentierung.
Eine Herzinsuffizienz ist eher in seltenen Fällen die Todesursache Die myokardiale Beteiligung bei Hämochromatose beinhal-
einer Sarkoidose. Häufiger sind dagegen Rhythmusstörungen wie tet die Symptome einer Kardiomyopathie mit den entsprechenden
VT oder AV-Blockierungen. Bei ausgeprägter Myokardbeteili- Veränderungen in der Echokardiographie und im EKG.
gung kann es in etwa 17% der Fälle zu einem plötzlichen Herztod Bei Auftreten einer ausgeprägten systolischen Dysfunktion
durch ein Rhythmusereignis kommen. ist die Prognose meist schlecht. Im Labor fällt ein erhöhtes Ferri-
tin sowie ein erhöhtes Verhältnis zwischen den Plasmaeisenkon-
12 Diagnostik zentrationen und der Gesamteisenbindungskapazität auf. Die
Dementsprechend zeigen sich im EKG: Ausscheidung von Eisen im Urin ist erhöht.
4 Verlängerung des AV-Intervalls, Die Therapie der Wahl besteht neben eisenarmer Diät und
4 variable AV-Blockierungen und Schenkelblöcke, Alkoholkarenz aus Aderlässen (Cave: Vorliegen einer manifesten
4 T-Negativierungen (oft mit einem Myokardinfarkt im Über- Herzinsuffizienz) und der Gabe von Desferrioxamin (bei Unver-
gangsstadium zu verwechseln), träglichkeit Deferiprone). Die Eisenausscheidung kann im Urin
4 Vorhofflimmern oder pathologische Q-Zacken (Sharma gemessen werden. Interessanterweise kann die Pumpfunktions-
1994). störung partiell und manchmal auch komplett durch eine nega-
tive Eisenbilanz verbessert werden (Ruvers et al. 1987). Bei Vor-
Neben dem EKG kann die Echokardiographie Hinweise auf das liegen einer Herzinsuffizienz ist selbstverständlich die leitlinien-
Vorliegen einer kardialen Beteiligung beim Morbus Boeck lie- gerechte medikamentöse Therapie indiziert. Eine Herztransplan-
fern. Gelegentlich kann eine granulär-feinfleckige Myokardtex- tation oder auch eine kombinierte Herz-Leber-Transplantation
tur nachgewiesen werden. Häufig ist auch eine Einschränkung ist in Einzelfällen beschrieben.
der systolischen Funktion, z. T mit regionalen Wandbewegungs- Die betroffenen Patienten versterben meist an einem Leber-
störungen. Perikardergüsse können auftreten. Bei ausgedehnter versagen oder einem hepatozellulären Karzinom.
pulmonaler Sarkoidose mit interstitieller Fibrose und Rechts-
herzbelastung ist der rechte Ventrikel meist dilatiert. Glykogenspeichererkrankungen
Durch die MRT können gelegentlich Myokardareale mit grö- Definition
ßerer Dichte (granulomatöser Umbau) diagnostiziert werden. In Glykogenspeichererkrankungen sind seltene Erkrankungen,
der Thalliummyokardszintigraphie zeigt sich ein fleckhaftes Auf- die in der Regel autosomal-rezessiv vererbt werden und bei
nahmemuster des Radiopharmazeutikums. denen es zu einer Ablagerung von Glykogen im Herzen und
Die endgültige Diagnose kann durch die Endomyokardbiop- im Skelettmuskel kommt.
sie gestellt werden. Ist diese negativ, schließt der Befund aller-
dings eine kardiale Sarkoidose nicht aus, da die Biopsie in einem
nichtbetroffenen Myokardareal entnommen sein könnte. Bei der Pompe-Erkrankung (Glykogenose-Typ II) und der Cori-
Erkrankung (Glykogenose-Typ III) kommt es zu einer kardialen
Therapie Beteiligung mit einer Ablagerung von Glykogen im Herzen. Die
Der Nachweis einer kardialen Beteiligung einer Sarkoidose sollte Echokardiographie zeigt verdickte Wände, die einer HCM sehr
die aggressive Therapie der Grunderkrankung nach sich ziehen. ähnlich sein können. Eine Myokardbiopsie mit Bestimmung von
Eine eventuelle Herzinsuffizienz ist leitliniengerecht zu behan- Enzymaktivitäten kann die Diagnose sichern, insofern sie nicht
deln. Die Implantation eines ICD kann darüber hinaus zur Ver- bereits aus der quergestreiften Muskulatur bzw. Skelettmuskula-
hinderung des plötzlichen Herztodes sinnvoll sein. tur gestellt wurde.
12.4 · Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie
317 12

Die Therapie entspricht der üblichen medikamentösen Herz- Niedervoltage bei echokardiographisch zu diagnostizierenden
insuffizienztherapie. verdickten Wänden. Eine vorzeitige Neigung zur KHK wurde
beschrieben.
Fabry-Erkrankung
Definition
12.4 Arrhythmogene rechtsventrikuläre
Der Morbus Fabry ist eine Glykolipidspeicherkrankheit, die
Kardiomyopathie
auf dem Mangel des Enzyms α-Galaktosidase A beruht.

Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (früher:


Es handelt sich um eine X-chromosomal-rezessiv vererbte Er- »rechtsventrikuläre Dysplasie«) ist ein seltenes Syndrom, das v. a.
krankung. Dementsprechend ist die Erkrankung besonders häu- in der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter auftritt
fig und stark ausgeprägt bei Männern, während Frauen nur mil- (Marcus et al. 1982).
dere Symptome erleiden oder klinische unauffällige Träger der
Mutation sind. Es sind über 160 verschiedene Mutationen be-
schrieben. 12.4.1 Ätiologie und Molekulargenetik
Ursache ist die Speicherung eines in Zellmembranen vor-
kommenden Strukturlipoids (Ceramidtrihexoid) zunächst in Die Inzidenz der arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardio-
Lysosomen und später im Zytoplasma. Diese Substanz kann als myopathie wird auf ca. 1:5000 geschätzt. Es sind hierbei regionale
pathologische Glykosphingolipidablagerung im Herzen, in der Häufungen beschrieben, z. B. in Italien in der Region um Venedig
Haut, in den Nieren sowie in glatten Muskelzellen anderer Or- sowie auf der griechischen Insel Naxos. Analysen von Familien-
gane nachgewiesen werden. An der Haut zeigt sich ein sog. An- stammbäumen ergaben, dass die Erkrankung einem autosomal-
giokeratoma corporis diffusum. Am Auge kann mithilfe der dominanten Vererbungsmodus mit unvollständiger Penetranz
Spaltlampe eine Cornea verticillata diagnostiziert werden. Iso- unterliegt (Marcus et al. 1982; Ruder et al. 1985). Durch moleku-
lierte Beteiligungen des Herzens sind beschrieben. largenetische Analysen wurden mittlerweile 8 chromosomale
Eine kardiale Manifestation kann als restriktive Kardiomyo- Loci in 4 verschiedenen Genen entdeckt.
pathie, aber auch als Myokardhypertrophie apparent werden. Es handelt sich dabei um Mutationen in den Genen des Ry-
Vitien sowie gehäufte Myokardinfarkte sind zudem beschrieben anodinrezeptor-Typ 2, Desmoplakin, Plakophillin-2 sowie in der
(Perrot et al. 2002). regulatorischen Untereinheit des TGF-β-Gens. Eine gesteigerte
Eine Myokardbiopsie beweist die kardiale Beteiligung. Eine Häufigkeit des Vorkommens kardiotroper Viren wurde ebenfalls
verminderte Aktivität der Plasma-α-Galaktosidase-A-Aktivität beschrieben (Bowles et al. 2002); die arrhythmogene rechtsvent-
kann insbesondere bei den Formen mit ausschließlicher Beteili- rikuläre Kardiomyopathie ist jedoch nicht als eine primär in-
gung des Herzens gemessen werden (von Scheidt et al. 1991). flammatorische Erkrankung anzusehen.
Mittlerweile steht eine effektive Therapie durch eine Emzym-
substitution zur Verfügung, die auch zu einer funktionellen Ver-
besserung der Myokardfunktion führt. 12.4.2 Pathomorphologie und Pathophysiologie

Gaucher-Erkrankung Makroskopisch kommt es zu einer Dilatation des rechten Ventri-


Definition kels. Der linke Ventrikel kann allerdings mitbetroffen sein, ob-
Beim Morbus Gaucher handelt es sich um eine seltene Defizi-
wohl dies klinisch meist inapparent verläuft. Die rechtsventriku-
enz der β-Glykosidase.
läre Wand ist in der Regel verdünnt. Histopathologisch finden
sich charakteristische fokale und nichtentzündliche Zellunter-
gänge. Die Kardiomyozyten sind durch Binde- und v. a. Fettge-
Die Folge ist eine Speicherung von Zerebrosiden im Herzen, in webe ersetzt. Darüber hinaus finden sich in betroffenen Regionen
Leber, Milz, Knochenmark, Lymphknoten und Gehirn. Myokardi- lymphozytäre Infiltrate (Thiene et al. 1990). Es sind dabei gehäuft
ale interstitielle Ablagerung des Zerebrosids führen zu einer dias- der Ausflusstrakt, die inferobasalen und die apikalen Segmente
tolischen Dysfunktion. Auch Herzklappen können beteiligt sein. des rechten Ventrikels betroffen.

Hoyer-Erkrankung
12.4.3 Klinische Symptome
Definition
Bei der Hoyer-Erkrankung liegt eine autosomal-rezessiv ver-
erbte Erkrankung des Mukopolysaccharidstoffwechsels vor. Rhythmusstörungen und Synkopen sind häufig Erstsymptom
einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie.
Neben ventrikulären kommen seltener auch supraventrikuläre
Das Enzym α-Iduronidase in den Lysosomen verschiedener Zel- Rhythmusstörungen vor. Die oft beträchtliche Einschränkung
len ist nur in verminderter Aktivität vorhanden. Dementspre- der rechtsventrikulären Pumpfunktion kann zur Rechtsherzin-
chend füllen sich diese Zellen mit Mukopolysacchariden. suffizienz führen. Häufiger ist allerdings eine milde und klinisch
Das typische Hoyer-Syndrom zeigt Kleinwüchsigkeit, Kor- inapparente Vergrößerung und Funktionsstörung des rechten
neatrübungen, eine typische Gesichtsstruktur sowie eine kardi- Ventrikels. Das Krankheitsbild kann dabei in seiner Ausprägung
ale Beteiligung. Letztere besteht in Klappeninsuffizienzen, ins- sehr stark variieren (Hamid et al. 2002).
besondere der Mitral- und Aortenklappe, und einer einge- Die Prognose der rechtsventrikulären Kardiomyopathie ist
schränkten systolischen Pumpfunktion. Im EKG findet sich eine aufgrund der hohen Dunkelziffer nicht genau bekannt. Es sind
318 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

Fälle bei älteren Patienten beschrieben, bei denen die Erkrankung Obwohl die morphologischen Veränderungen des Morbus
über viele Jahre asymptomatisch verlaufen ist. Uhl ähnlich einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardio-
myopathie sind, scheint es sich doch um eine eigenständige Er-
krankung zu handeln (Marcus 1997). Anders als bei der arrhyth-
12.4.4 Diagnostik mogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie kommt es zu
keiner fokalen Degeneration, sondern zu einer vollständigen
Eine wichtige Rolle in der Diagnostik einer rechtsventrikulären fettigen Degeneration der gesamten rechtsventrikulären Wand.
Kardiomyopathie spielt die Anamnese, bei der gelegentlich eine Diese Wand kann sich papierdünn darstellen. Auch hier gibt es
familiäre Häufung des plötzlichen Herztodes erfragt werden Hinweise für eine gesteigerte apoptotische Aktivität, die sich
kann (McKenna et al. 1994). nicht unbedingt auf das Herz beschränken muss, sondern auch
am Knochenmark und an anderen Organen vorkommen kann
Elektrokardiogramm (James 1994; Gerlis et al. 1993).
Im EKG zeigen sich häufig ein Rechts- oder Linksschenkelblock Die klinische Symptomatik der Uhl-Erkrankung ist durch
sowie eine Abweichung der Herzachse nach rechts, negative T- eine ausgeprägte und häufig therapieresistente Rechtsherzinsuf-
Wellen in den rechtspräkordialen Ableitungen, ε-Wellen sowie fizienz gekennzeichnet. Eine Herztransplantation stellt dabei oft
ventrikuläre und supraventrikuläre Rhythmusstörungen (Fon- die einzige Therapieoption dar. Maligne Rhythmusstörungen
taine et al. 1994). Reentry-Mechanismen können anhaltende sind im Vergleich zur arrhythmogenen rechtsventrikulären Kar-
ventrikuläre Arrhythmien auslösen (Yamabe et al. 1994). Bei kli- diomyopathie eher selten.
nischem Verdacht sind deshalb ggf. wiederholte Langzeit-EKG-
Registrierungen sinnvoll.
12.5 Endokrin bedingte Kardiomyopathien
Bildgebende Verfahren
Die rechtsventrikuläre Vergrößerung und oft auch Funktionsein- 12.5.1 Schilddrüsenhormone
schränkung kann durch die üblichen Verfahren wie Echokardio-
graphie, MRT und ggf. eine rechtsventrikuläre Angiographie Die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin
objektiviert werden. (T3) üben wichtige regulatorische Funktionen auf die Herzfunk-
Die Biopsie kann die fettige Degeneration und Fibrose der tion aus. Dementsprechend können Veränderungen im Schild-
rechtsventrikulären Wand belegen. Da die Erkrankung allerdings drüsenstoffwechsel im Sinne einer Hypo- oder Hyperthyreose
häufig fokal auftritt, ist die Sensitivität dieser Methode einge- ausgeprägte und z. T. lebensbedrohliche Veränderungen des
12 schränkt. Herzrhythmus und der Kontraktilität hervorrufen.

Klinische Symptome
12.4.5 Therapie Hyperthyreose
Typische Symptome der Hyperthyreose neben Tremor, gesteiger-
Bei positiver Familienanamnese für plötzliche Herztode oder ter psychischer Erregbarkeit, Hitzeintoleranz und vermehrtem
dem Nachweis maligner ventrikulärer Arrhythmien besteht die Appetit, assoziiert mit Gewichtsverlust und Durchfällen, können
Indikation zur Implantation eines ICD. Da die ventrikulären Ta- kardiale Beschwerden im Sinne von Herzklopfen, Luftnot, Angi-
chyarrhythmien und der plötzliche Herztod z. T. belastungsindu- na-pectoris-Anfällen sowie Tachykardien und eine erhöhte Blut-
ziert ist, sollten Leistungssport und kompetitive Wettkampfsport- druckamplitude bis hin zu einem v. a. systolischen Bluthochdruck
arten vermieden werden. sein. Vorhofflimmern ist häufig und kann auch ohne vorbeste-
Insbesondere Patienten mit VT sollten zur weiteren Thera- hende Herzerkrankung auftreten. Auch eine Dekompensation
pieplanung elektrophysiologisch untersucht werden. Eine erfolg- einer Herzinsuffizienz kann ein Erstsymptom einer Hyperthyre-
reiche elektrophysiologische Ablationsbehandlung der ventriku- ose darstellen.
lären Rhythmusstörungen ist möglich, allerdings sind die Rezi- Die Tachykardien und das vom Patienten geschilderte sub-
divraten hoch und liegen in Langzeitbeobachtungen bei über jektive »Herzklopfen« sind durch eine gesteigerte Ansprechbar-
50% nach 3 Jahren. Ansonsten können antiarrhythmisch wirk- keit des Herzens auf Katecholamine bedingt. Die Dichte kardialer
same Medikamente wie Sotalol, Amiodaron und β-Blocker ein- β-Rezeptoren ist bei Hyperthyreose erhöht, obgleich es nicht zu
gesetzt werden. Bei der rechtsventrikulären Herzinsuffizienz einer Erhöhung zirkulierender Katecholamine kommt (Polikar et
besteht bei Vorliegen von Stauungszeichen natürlich die Diureti- al. 1993; Fagius et al. 1990).
kabehandlung im Vordergrund.
Hypothyreose
Die Hypothyreose ist durch die klinischen Zeichen einer adre-
12.4.6 Uhl-Erkrankung nergen Hyposensitivität charakterisiert. Dies sind Schwäche,
Energiemangel, Kälteintoleranz, Gewichtszunahme, trockene
Diese Erkrankung wurde erstmalig 1972 von Uhl beschrieben. Haut, Veränderungen der Stimme, das typische Myxödem und
Kennzeichnend ist eine ausgeprägte Verdünnung der Wand des eine Bradykardie. Am Tiermodell wird auch die Kontraktionsge-
rechten Ventrikels. Diese führt zu einer schweren rechtsventriku- schwindigkeit des Herzens langsamer.
lären Dilatation mit resultierender Rechtsherzinsuffizienz. Die Im Thoraxröntgenbild kann die Herzsilhouette breiter wer-
Erkrankung kann sich bereits im Säuglingsalter manifestieren. den; dies kann Ausdruck einer myogenen Dilatation oder aber
Männern und Frauen sind ähnlich häufig betroffen. Die Progno- auch eines Perikardergusses sein. Eine chronische Hypothyreose
se ist ungünstig. erhöht darüber hinaus das Risiko eine KHK zu entwickeln.
12.5 · Endokrin bedingte Kardiomyopathien
319 12
Therapie 12.5.2 Wachstumshormon
Hyperthyreose
Die Therapie der Herzinsuffizienz und der oft bedrohlichen Ta- Das Wachstumshormon (GH) ist ein physiologischer Regulator
chykardie sollte akut durch die Gabe von β-Rezeptorenblockern des Körperwachstums und des Metabolismus. Die Sekretion von
erfolgen. Durch die Gabe des nichtselektiven β-Rezeptorenblo- GH erfolgt pulsatil mit einem Maximum in den frühen Morgen-
ckers Propranolol wird nicht nur die kardiale, durch β1-Adreno- stunden. Die meisten physiologischen Wirkungen werden von
zeptoren vermittelte Symptomatik, sondern auch der durch β2- GH über IGF-1 vermittelt. »Insulin-like growth factor-1« wird in
Adrenozeptoren bedingte Tremor behandelt. Möglicherweise der Leber, aber auch in anderen Organen, wie z. B. im Herzen,
kommt es auch über das biologisch inaktive reverse T3 zu einem direkt synthetisiert und zeigt konstantere, nicht der zirkadianen
direkten Effekt von Propranolol auf die Konversion von T3 in T4. Rhythmik unterworfene Werte.
Thyreostatika sollten sofort angewandt werden, um die Stoff-
> Klinische Beobachtungen bei Patienten mit Akromegalie haben
wechselsituation zu normalisieren.
eine erhöhte kardiovaskuläre Letalität aufgewiesen.
Im Fall einer β-Blocker-Unverträglichkeit (Asthma bronchi-
ale) können frequenzwirksame Kalziumantagonisten (z. B. Vera- Patienten mit einem Hypopituitarismus und daraus resultie-
pamil) die Symptome lindern. Eine Kardioversion kann bei per- renden Wachstumshormonstörungen zeigen häufig Symptome
sistierender Thyreotoxikose mit Vorhofflimmern versucht wer- einer Herzinsuffizienz. Dies verdeutlicht, dass Wachstumshor-
den. Sie ist allerdings von geringen Erfolgsaussichten begleitet. mone regulatorische Funktionen auf die Myokardfunktion aus-
Eine Rückführung in den Sinusrhythmus gelingt insbesondere üben.
beim jüngeren Patienten meist erst nach Normalisierung der
Stoffwechselsituation. Klinische Symptome und Therapie
Wachstumshormonüberproduktion und Akromegalie
! Cave
Eine arterielle Hypertonie kann bei 25–30% der Patienten nach-
Auf thrombembolische Komplikationen ist zu achten. Dies ist
gewiesen werden. Die resultierende Druckbelastung des Herzens
insbesondere bei der thyreotoxischen Krise der Fall; hier kommt
führt zu einer Myokardhypertrophie mit einer deutlichen Zunah-
es durch eine Veränderung der Proteinbiosynthese auch zu ei-
me der Myokardmasse.
ner Dysregulation der Gerinnungsfaktorensynthese.
Weitere Veränderungen bestehen in Fettsucht und Diabetes
Problematisch kann möglicherweise die notwendige medika- mellitus. Aus diesen beiden Risikofaktoren entwickelt sich eine
mentöse Antikoagulation sein, da es auch durch einen schnellen akzelerierte Atherosklerose.
Abbau von Gerinnungsfaktoren sehr leicht zu Blutungskompli-
> Die Kardiomyopathie bei Akromegalie ist durch eine ausge-
kationen kommen kann.
prägte konzentrische Myokardhypertrophie gekennzeichnet,
Die zugrunde liegende Ursache der Schilddrüsenfunktions-
die beide Ventrikel betrifft. Eine asymmetrische Septumhyper-
störung muss erkannt und therapiert werden (z. B. Radiojodthe-
trophie kann vorkommen.
rapie beim dekompensierten autonomen Adenom).
Bemerkenswert ist außerdem das Auftreten von ventrikulären
Hypothyreose Arrhythmien. Nahezu die Hälfte aller Patienten mit akromegaler
In der Therapie ist die langsame einschleichende Substitution mit Kardiomyopathie weist EKG-Veränderungen im Sinne von Erre-
T3 und T4 zu beachten. Eine zu schnelle Therapie kann Kompli- gungsrückbildungsstörungen auf (Jonkman et al. 1997).
kationen auslösen, die einer Hyperthyreose ähnlich sind und Bei Vorliegen einer Kardiomyopathie und dem klinischen
sogar Myokardinfarkte induzieren können. Deshalb sollte die Verdacht auf eine Akromegalie sind GH- und IGF-1-Spiegel-
Substitutionstherapie nur mit 25 μg/Tag begonnen werden. Messungen hilfreich. Glukoseexposition führt zu keiner Suppres-
sion der Plasmakonzentrationen.
Effekte von Amiodaron auf die Schilddrüsenfunktion
> Amiodaron ist eine stark jodhaltige Substanz, die dadurch er- Therapie. Bei hypophysären Ursachen ist eine chirurgische The-
hebliche Effekte auf die Funktion der Schilddrüse haben kann. rapie angezeigt. Der Dopaminagonist Bromokryptin ist in der
Lage, die GH-Konzentrationen zu senken bzw. bei etwa 70% der
Es sind 2 Mechanismen bekannt: Patienten zu einer symptomatischen Linderung zu führen (Kaha-
4 Amiodaron hemmt die Umwandlung von T4 zu T3. Dement- ly et al. 1992; Maugans u. Coates 1995).
sprechend findet man eine Reduktion der Serum-T3-Spiegel
mit einem vorübergehenden Anstieg von TSH. Innerhalb
einiger Tage oder Wochen wird ein Anstieg des T4-Spiegels 12.5.3 Nebennierenhormone
beobachtet, gefolgt von einer Rückbildung des TSH-Werts
zur Norm. Diese Patienten sind euthyreot, obwohl die T4- Hyperaldosteronismus
Spiegel erhöht sind. Aldosteron wird in der Zona glomerulosa der Nebennierenrin-
4 Amiodaron kann aber auch eine jodinduzierte Hyperthyreo- den synthetisiert. Die primäre Funktion ist die Aufrechterhaltung
se hervorrufen. Weniger bekannt ist, dass bei einer akuten der Elektrolytbalance mit einer Sekretion von Kalium und einer
Erhöhung des anorganischen Jods über die Inhibition der Reabsorption von Natrium im distalen Tubulus.
Schilddrüsenhormonbildung auch eine Hypothyreose ent- Eine Erhöhung der Aldosteronkonzentration führt zunächst
stehen kann. Diese Effekte können nicht nur verzögert auf- zu einer deutlichen Erhöhung des Blutdrucks. Diese ist von einer
treten, sondern durch die lange Halbwertszeit von Amioda- Hypokaliämie und einer metabolischen Alkalose begleitet. Im
ron persistiert das Risiko von jodinduzierten Schilddrüsen- EKG können Zeichen einer linksventrikulären Hypertrophie als
funktionsstörungen über einen langen Zeitraum. Folge der Blutdruckerhöhung und T-Wellen-Abflachungen bzw.
320 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

prominente U-Wellen als Ausdruck der Hypokaliämie beobach- Die Folge ist eine vermehrte Sekretion von Adrenalin oder Nor-
tet werden (White 1994). adrenalin.
Aldosteron selbst hat zudem direkte Effekte auf das Herz. Es Die meisten Phäochromozytome sind im Nebennierenmark
aktiviert z. B. in Tiermodellen das Wachstum von Fibroblasten. lokalisiert, sie können in 5–15% der Fälle aber auch in extrame-
Dies führt zu einer Versteifung der linksventrikulären Wand. Der dullären Geweben gefunden werden (Werbel u. Ober 1995).
Hyperaldosteronismus ist darüber hinaus bei Herzinsuffizienz Zehn Prozent aller Phäochromozytome sind maligne und neigen
ein prognostischer Marker (7 Kap. 5). Es zeigte sich, dass die zur Metastasierung.
Wanddicke bzw. die Myokardhypertrophie bei Conn-Syndrom-
Patienten mit vergleichbaren Blutdruckwerten deutlich ausge- Klinische Symptome
prägter ist als bei vergleichbaren Kontrollpatienten mit ähnlichen Leitsymptom ist eine schwere Hypertonie, die anfallsartig auftre-
Blutdruckwerten und einer essenziellen Hypertonie (Lombes et ten kann, sich allerdings ebenso häufig durch eine konstante Blut-
al. 1995; Rossi et al. 1997). Diese Veränderungen gingen mit einer druckerhöhung auszeichnet. Paroxysmale Symptome sind häufig
deutlichen diastolischen Dysfunktion einher (Rossi et al. 1997). und durch die akute Ausschüttung von Katecholaminen bedingt.
Die Symptome sind Tachykardie, plötzliches Erblassen, Schmer-
Therapie zen oder auch maligne Rhythmusstörungen bis hin zu Synkopen.
Die Therapie konzentriert sich auf eine Behandlung der Grund- Ein Gewichtsverlust kann v. a. bei großen Tumoren auftreten. Ein
erkrankung. Elektrolytstörungen sollten ausgeglichen werden. Diabetes mellitus kann manifest werden, es kann jedoch auch zu
Die Gabe von Spironolactonantagonisten ist sinnvoll. Zusätzlich Hypoglykämien kommen.
muss bei nichtausreichender Blutdruckeinstellung mit Spirono-
! Cave
lacton mit anderen antihypertensiven Substanzen der Blutdruck
In schweren Fällen können beim Phäochromozytom Schock-
optimal eingestellt werden.
symptomatiken mit DIC, Krampfanfällen, Nierenversagen und
plötzlichem Herztod auftreten.
Morbus Cushing
Definition
Diagnostik
Dem Morbus Cushing bzw. dem Cushing-Syndrom liegt eine
Zu den EKG-Veränderungen gehören T-Negativierungen, ver-
Überproduktion von Glukokortikoiden und Androgenen zu-
längerte QT-Intervalle, Tachykardien, Spitzentorsaden oder
grunde.
Kammerflimmern. Veränderungen, die auf eine Myokardischä-
mie hindeuten, sind typisch, da Katecholamine sehr ausgeprägt
12 Diese kann aufgrund einer Nebennierenrindenhyperplasie (z. B. den myokardialen O2-Verbrauch erhöhen (Werbel u. Ober 1995;
hypophysärer Cushing, Morbus Cushing) oder durch eine ektope Cheng 1997).
Kortikotropinproduktion (paraneoplastisch) oder bei einer pri- Die Herzfrequenzvariabilität ist vermindert. Begleitend zu
mären Nebennierenrindenhyperplasie entstehen. der Erhöhung der Katecholaminkonzentration kommt es zu ei-
Klinische Zeichen bestehen in abdominalen Striae, Stamm- ner Steigerung des vagalen Tonus (Dabrowska et al. 1995). Eine
fettsucht, Osteoporose, Bluthochdruck, Ödemen, proximaler linksventrikuläre Dilatation, die potenziell reversibel ist, kann
Muskelschwäche, Abgeschlagenheit und Diabetes mellitus mit auftreten. Akute Myokardinfarkte können sie begleiten (McMa-
Glukosurie und Hyperglykämie. Amenorrhö und Hirsutismus nus et al. 1981; Scott et al. 1988).
können bestehen. Eine Hypokaliämie kann durch die mineralo- Zur Diagnosestellung und zur Operationsplanung sind die
kortikoiden Effekte des Kortisols auftreten. bildgebenden Verfahren wegweisend. Angewandt werden CT,
Die pathophysiologischen Veränderungen – insbesondere MRT oder szintigraphische Verfahren wie die 131J-Methyl-Jodo-
das Auftreten von Bluthochdruck, Hyperglykämie oder Diabetes benzylguanidin- (MIBG-)Szintigraphie. Eine Erhöhung der re-
mellitus und einer Hyperlipoproteinämie – führen zu einer ak- nalen Ausscheidung von Katecholaminen bzw. seiner Metabo-
zelerierten Arteriosklerose. Dementsprechend findet man am liten Metanephrin und Normetanephrin sowie Vanillinmandel-
Herzen häufig Myokardinfarkte oder Myokardischämien. Eine säure kann häufig beobachtet werden.
linksventrikuläre Myokardhypertrophie entsteht durch die be-
kannte Aktivierung des Fibroblastenwachstums und die myo- Therapie
zytäre Hypertrophie durch eine gesteigerte Druckbelastung des In der medikamentösen Therapie kann mit α-Rezeptorblockern
Herzens. (z. B. Phenoxybenzamin, irreversibel) die krisenhafte Blutdruck-
steigerung beherrscht werden. β-Blocker oder Kalziumantago-
Therapie nisten können ebenfalls Blutdruck und Tachyarrhythmien be-
Die Therapie besteht in einer Behandlung der zugrunde liegen- herrschen. Eine alleinige Gabe von β-Blockern führt zur sog.
den Ursache und symptomatisch in der Einstellung des Diabetes Adrenalinumkehr und zu hypertensiven Krisen durch eine exzes-
mellitus bzw. der medikamentösen Normalisierung des Blut- sive Aktivierung von α-Rezeptoren.
drucks.

Phäochromozytom 12.5.4 Serotonin und Karzinoiderkrankung


Definition
Das Phäochromozytom ist eine Tumorerkrankung der chrom- Das metastasierte Karzinoid führt zu einer Erhöhung der zirkulie-
affinen Zellen des Nebennierenmarks, die Katecholamine renden Konzentrationen von Serotonin und Peptidmediatoren. Bei
synthetisieren. nichtmetastasierenden Karzinoidformen kommt es über den hohen
First-pass-Effekt in der Leber zu einer geringen Wirksamkeit dieser
12.6 · Toxische Kardiomyopathien
321 12

Mediatoren auf die generelle Zirkulation und das rechte Herz. Ist Die Reaktion vom Spättyp ist durch die Ausbildung einer Kar-
die Tumorerkrankung metastasiert, kommt es bei etwa zwei Drit- diomyopathie mit deutlicher Einschränkung der systolischen
teln der Patienten zu einer Induktion von Endomyokardfibrosen im Pumpfunktion charakterisiert. Diese ist häufig und entwickelt sich
Bereich des rechten Vorhofs und des rechten Ventrikels. oft erst viele Jahre nach Beendigung der Therapie. Das Risiko einer
Die Fibrosierung kann die Klappen mitbetreffen; dies kann anthrazyklininduzierten Kardiomyopathie wird daher häufig un-
sich in einer Pulmonal- und Trikuspidalinsuffizienz bzw. -steno- terschätzt. In einer neueren Arbeit wiesen 22 Jahre nach einer Che-
se äußern. Liegt ein Bronchialkarzinoid vor, können auch Struk- motherapie mit Anthrazyklinen 27% der Patienten, die als Kinder
turen des linken Herzens betroffen sein. Bei kardialer Beteiligung oder Jugendliche behandelt worden waren, eine systolische und
ist die Prognose des Karzinoids deutlich reduziert. sogar 45% eine diastolische Dysfunktion auf (Brouwer et al. 2006).

Risikofaktoren
12.5.5 Insulin und Diabetes mellitus Risikofaktoren für die Entwicklung einer Kardiomyopathie sind:
4 Gesamtmenge der Substanz,
Der Diabetes mellitus ist ein Risikofaktor zur Entwicklung einer 4 hohe Serumkonzentrationen,
Arteriosklerose. Durch rezidivierende Myokardinfarkte kann das 4 mediastinale Bestrahlung,
Auftreten einer Kardiomyopathie im Sinne einer ischämischen 4 zusätzliche Gabe anderer kardiotoxischer Substanzen (z. B.
Kardiomyopathie beeinflusst werden. Zusätzlich kann die Myo- Cyclophosphamid, Tyrosinkinaseinhibitoren),
kardfunktion durch eine autonome Dysfunktion im Sinne einer 4 vorbestehende Pumpfunktionsstörung,
Neuropathie parasympathischer und sympathischer Nerven be- 4 Vorliegen einer anderen kardialen Grunderkrankung (Viti-
einflusst werden. um, KHK),
Typische Veränderungen, die bei Diabetes mellitus gefunden 4 sehr hohes und sehr junges Alter,
werden, sind: 4 weibliches Geschlecht.
4 eingeschränkte Herzfrequenzvariabilität,
4 relative Tachykardie, Weiterhin können andere Ursachen einer Kardiomyopathie
4 eingeschränkte Frequenzantwort auf Valsalva-Manöver, tiefe selbstverständlich zur Manifestation einer Antrazyklinkardiomy-
Inspiration oder i.v.-Gabe von Atropin. opathie beitragen. Hierzu zählt z. B. eine schlecht eingestellte
arterielle Hypertonie.
Die Prävalenz, eine Herzinsuffizienz zu erleiden, ist bei Diabetes
mellitus erhöht. Die Ursache ist nicht nur auf eine KHK zurück- Pathogenese
zuführen, denn auch Patienten ohne koronare Makroangiopathie Gegenwärtig ist es noch nicht gelungen, den Schlüsselmechanismus
können eine Kardiomyopathie, ggf. auch eine manifeste Herzin- der anthrazyklininduzierten Kardiomyopathie zu identifizieren. Es
suffizienz, entwickeln. Bei diesen Formen der diabetischen Kar- wird jedoch diskutiert, dass der Freisetzung von reaktiven Sauer-
diomyopathie kommt es zu einer arteriolären Hyalinisierung und stoffradikalen mit nachfolgenden Zellschädigungen eine wesent-
interstitiellen Fibrosen (7 Abschn. 30.5). liche Bedeutung zukommt. Seit mehreren Jahren ist ein Eisenchelat-
Die Kontrolle der Stoffwechselfunktion korreliert mit den bildner (Dexrazoxan) bekannt, der mittlerweile in mehreren kli-
kardialen Veränderungen (Hausdorf et al. 1988). Hinsichtlich des nischen Studien das Risiko einer anthrazyklininduzierten Herzin-
Diabetes mellitus als Risikofaktor kardialer Erkrankungen wird suffizienz reduzierte. Diese Substanz ist seit Juni 2006 auch in
auf 7 Kap. 1 verwiesen. Deutschland (Cardioxane) für bestimmte Indikationen zugelassen.
In . Tab. 12.2 sind wichtige Chemotherapeutika genannt, die
kardiopulmonale Nebenwirkungen hervorrufen können. Es han-
12.6 Toxische Kardiomyopathien delt sich dabei nicht nur um Anthrazykline, obwohl deren Be-
deutung durch die weite Verbreitung dieser Zytostatika und
12.6.1 Kardiomyopathie durch Zytostatika durch ihre erheblichen kardiotoxischen Wirkungen am besten
bekannt ist. In den vergangenen Jahren konnten mit der Ein-
Die wesentliche Limitation verschiedener Chemotherapeutika ist führung neuerer Tyrosinkinaseinhibitoren erhebliche Erfolge bei
die Kardiotoxozität der Substanzen. Dies gilt insbesondere für der Therapie verschiedener Malignome erzielt werden. Da Tyro-
Anthrazykline, die zu den wirksamsten Chemotherapeutika ge- sinkinasen bzw. durch diese aktivierte Signaltransduktionswege
hören und deshalb wesentlicher Bestandteil vieler Therapiepro- jedoch wichtige Funktionen im Herzen haben, gehen diese Subs-
tokolle bei Erwachsenen und Kindern sind. Es handelt sich hier- tanzen auch mit einem deutlich erhöhten Risiko für die Entwick-
bei um interkalierende Substanzen, die mit der DNA-Replikation lung einer Herzinsuffizienz einher (Force et al. 2007). Dieses
und auch mit der RNA-Polymeraseaktivität interferieren. steigt insbesondere bei der gleichzeitigen Therapie mit Anthra-
zyklinen, sodass diese Kombination vermieden werden sollte.
Verlaufsformen
> Man unterscheidet bei den Zytostatika eine Reaktion vom Sofort- Diagnostik
und vom Spättyp. Bei Gabe hoher Dosen von Antrazyklinen kann Es ist gegenwärtig kein guter Parameter bekannt, um die Entwick-
es akut zu Arrhythmien, wie z. B. Vorhofflimmern, ventrikulären lung einer Herzinsuffizienz nach Chemotherapie vorhersagen zu
Extrasystolen und Erregungsrückbildungsstörungen kommen. können. Lediglich bei myeloablativen Hochdosisprotokollen konn-
te durch eine wiederholte quantitative Bestimmung von Troponin
Diese akuten Veränderungen können in 10–30% der Fälle auftre- ein Risikokollektiv erkannt werden (Cardinale et al. 2004). Die Be-
ten. Es handelt sich hierbei in der Regel um passagere und voll- stimmung natriuretischer Peptide hat im Gegensatz dazu keinen
ständig reversible Veränderungen. zuverlässigen prädiktiven Wert. Wiederholte bildgebende Verfah-
322 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

. Tab. 12.2. Chemotherapeutika und ihre möglichen Nebenwirkun-


Es ist davon auszugehen, dass bei sonst gesunden chronischen Al-
gen. (Nach Schulman u. Braunwald 1997) koholikern die Prävalenz der reinen alkoholischen Kardiomyopa-
thie selten ist. Die Kardiomyopathie manifestiert sich in der Regel
Therapeutikum Kardiale Komplikationen
erst durch zusätzliche Komorbiditätsfaktoren wie eine vorbeste-
Amsacrin Arrhythmien, Kardiomyopathie hende Pumpfunktionsstörung, eine unzureichend behandelte Hy-
Bulsulfan Pulmonale Fibrose, pulmonale Hyper- pertonie oder einen Diabetes mellitus (Cerqueira et al. 1991).
tonie, Endomyokardfibrose
Cysplatin EKG-Veränderungen, Vasospasmen Klinische Verlaufsformen
und Gefäßverschlüsse Wirkungen auf die Kontraktilität
Cyclophosphamid Kardiale Nekrosen, Kardiomyopathie Akut führt Alkohol zu einer Zunahme der echokardiographisch
Zytosinarabinosid Herzinsuffizienz, Perikarditis
gemessenen EF. Wahrscheinlich ist die Vasodilatation mit Nach-
lastsenkung, aber auch die direkte Freisetzung von Katecholami-
Diäthylstilbestrol Kardiovaskuläre Todesfälle
nen im Herzen selber für diese Zunahme verantwortlich. Im
Doxorubincin (Adriamycin) EKG-Veränderungen; Kardiomyopa- Verlauf über Jahre kommt es dann jedoch zu einer Abnahme der
thie und ggf. Herzinsuffizienz systolischen LV-Funktion. Diese korreliert mit der Gesamtmenge
Ethoprusid Myokardinfarkte des eingenommenen Alkohols, den kardialen Begleiterkrankung
5-Fluorouracil Gefäßverschlüsse, Myokarditis und dem Alter. Häufig steht bei chronischem Alkoholismus je-
Methotrexat EKG-Veränderungen doch eine asymptomatische Kontraktionsstörung im Vorder-
grund. Mechanismen der alkoholinduzierten Kardiomyopathie
Mitromycin Myokardschäden
sind in . Abb. 12.8 dargestellt.
Mitoxanthrome Kardiomyopathie
Tyrosinkinaseinhibitoren Herzinsuffizienz Bluthochdruck
Vincristin Hypertension Seit Langem ist bekannt, dass Alkohol zu einer Erhöhung des
systolischen Blutdrucks führt. Hierbei scheint die Menge des ein-
genommenen Alkohols streng mit dem Blutdruck assoziiert zu
ren, insbesondere die Echokardiographie und in Einzelfällen die sein (Manolio et al. 1991; Regan 1990). Diese Blutdruckerhöhung
Radionuklidventrikulographie sind erforderlich, um eine eventuelle scheint die z. T. günstigen Effekte, die durch einen mäßigen Al-
Myokardschädigung möglichst frühzeitig zu erkennen und behan- koholgenuss auf die Entwicklung einer KHK beobachtet wurden,
deln zu können und ggf. die weitere Chemotherapie anzupassen. wieder zu antagonisieren.
12 Die Folge ist außerdem eine Erhöhung der linksventrikulären
Prognose Masse im Sinne einer Myokardhypertrophie. Die Myokardhyper-
trophie stellt einen unabhängigen Risikofaktor für kardiale Kom-
! Cave
plikationen wie Myokardinfarkt und Herzinsuffizienz dar. Selbst
Aufgrund der schlechten Prognose der Anthrazyklinkardiomyo-
bei noch normotensiven Alkoholikern wurde eine Myokardhy-
pathie muss das Risiko einer toxischen Nebenwirkung möglichst
pertrophie beobachtet (Kupari et al. 1990).
reduziert werden. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu er-
wähnen, dass eine Gesamtdosis von mehr als 500 mg/m2KOF mit
Arrhythmien
einem stark erhöhten Risiko einer kardialen Toxizität assoziiert ist.
Die Wirkung des Alkohols auf die Katecholaminbalance des
Ein unterer Schwellenwert existiert jedoch nicht. Das Risiko va- Herzens und möglicherweise alkoholbedingte Elektrolytstörun-
riiert zwischen einzelnen Individuen stark; dies lässt eine zusätz- gen können zur Entwicklung von Herzrhythmusstörungen bei-
liche Bedeutung genetischer Faktoren vermuten. tragen. Interessanterweise findet sich bei chronischen Alkoholi-
kern mit Leberzirrhose eine hohe Rate des plötzlichen Herztodes
(Kramer et al. 1968).
12.6.2 Kardiomyopathie durch chronischen
Alkoholismus

Epidemiologie
Die alkoholische Kardiomyopathie tritt häufiger bei Männern als
bei Frauen auf. Man geht jedoch davon aus, dass Frauen empfind-
licher auf Alkohol reagieren. Dies gilt sowohl für Leber- als auch
für Myokardschädigungen (Urbano-Marquez et al. 1995).

Toxizität
Die Determinanten der alkoholischen Kardiomyopathie sind:
4 80–120 g Alkohol pro Tag oder in Exzessen,
4 mehr als 10 Jahre,
4 Kofaktoren: . Abb. 12.8. Schematische Darstellung der Effekte von Alkohol auf die
5 männliches Geschlecht, Kontraktilität. Früh kommt es zu einer Zunahme der EF, die möglicher-
5 Hypertonus, weise durch eine Freisetzung von Katecholaminen und eine Nachlastsen-
5 Rauchen, kung durch Vasodilatation bedingt ist. Im weiteren Verlauf nimmt die
5 Alter. Kontraktilität ab
12.7 · Sonstige Kardiomyopathien
323 12

! Cave ten Myokardinfakt durchzuführen. Eine Therapie mit β-Blockern


Selbst beim Alkoholentzug, d. h. in den eher »trockenen Pha- erscheint pathophysiologisch auch für die Langzeitbehandlung
sen«, kann die Katecholaminausschüttung schwere Herzrhyth- sinnvoll. Darüber hinaus werden von einigen Autoren Anxiolyti-
musstörungen hervorrufen (Koskinen u. Kupari 1992). ka empfohlen. Die Krankenhaussterblichkeit der Tako-Tsubo-
Kardiomyopathie liegt bei 0–8% und ist damit deutlich niedriger
Nach Alkoholexzessen tritt Vorhofflimmern häufig auf. Da dies als bei einem Myokardinfarkt.
vermehrt nach den Wochenenden bzw. nach den Ferien der Fall
ist, hat sich der Begriff des »holiday heart« geprägt. Alkoholabu-
sus ist außerdem ein unabhängiger Prädiktor für Rezidive von 12.7.2 Non-Compaction-Kardiomyopathie
Vorhofflimmern.
Die potenziell günstigen Wirkungen des Alkohols werden an Definition
anderer Stelle diskutiert (7 Kap. 1). Die Non-Compaction-Kardiomyopathie ist eine seltene ange-
borene Erkrankung des linksventrikulären Myokards, die ver-
mutlich auf eine gestörte myokardiale Morphogenese zu-
12.7 Sonstige Kardiomyopathien rückzuführen ist.

12.7.1 Tako-Tsubo-Kardiomyopathie
Diese ist oft familiär gehäuft, kann aber auch sporadisch auftre-
Definition ten. Die Erkrankung wird dabei in ca. 40–50% der Fälle autoso-
Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie ist ein als akuter Myokard- mal-dominant, autosomal-rezessiv oder X-chromosomal-rezes-
infarkt imponierendes Syndrom, das mit heftigen Thorax- siv vererbt und kann mit anderen kardialen Anomalitäten asso-
schmerzen, ST-Hebungen oder T-Inversionen in den anteri- ziiert sein. Morphologisch zeigt sich eine aufgelockerte, schwamm-
oren Ableitungen im EKG und einer Freisetzung von kardialen artige Myokardtextur mit einer ausgeprägten linksventrikulären
Nekrosemarkern imponiert. Charakteristisch ist eine vollstän- Trabekularisierung und tiefen intertrabekulären Recessus, die in
dig reversible apikale und mittventrikuläre Akinesie des lin- Verbindung mit dem linksventrikulären Kavum stehen. Die Ver-
ken Ventrikels bei hyperkontraktilen basalen Anteilen und an- änderungen können den linken oder beide Ventrikel betreffen.
giographisch glattwandigen Koronararterien. Die systolische
LV-Funktion ist dabei häufig hochgradig eingeschränkt. Epidemiologie
Die exakte Prävalenz der Erkrankung ist weitgehend unbekannt;
sie wird anhand der wenigen publizierten Fälle auf ca. 0,05%
Epidemiologie geschätzt (Baumhäkel et al. 2003). Es ist zudem von einer hohen
Die Inzidenz der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie liegt bei etwa 1–2 % Anzahl nichterkannter bzw. fehldiagnostizierter Fälle auszu-
aller Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (Nef et al. 2007). gehen.
Frauen nach der Menopause sind besonders häufig betroffen. Männer sind etwa 3-mal häufiger betroffen als Frauen. Die
Auslöser einer Tako-Tsubo-Kardiomyopathie ist meist eine Erkrankung kann sich in der frühen Kindheit, aber auch erst im
heftige emotionale oder seltener auch physische Stresssituation. Erwachsenenalter manifestieren.
Die zugrunde liegenden Mechanismen sind jedoch noch weitge-
hend unklar. Es werden hier sowohl Vasospasmen der epikardi- Klinische Symptome und Diagnostik
alen Koronararterien, Störungen der Mikrozirkulation sowie eine Patienten mit einer Non-Compaction-Kardiomyopathie fallen
überschießende sympathische Stimulation mit lokalem Katecho- oft durch eine Herzinsuffizienzsymptomatik, ventrikuläre Ar-
laminexzess diskutiert. Interessanterweise sind die Plasmaka- rhythmien oder thrombembolische Ereignisse auf. Darüber hi-
techolaminspiegel bei Patienten mit Tako-Tsubo-Kardiomyopa- naus werden Angina pectoris, Palpitationen und Synkopen be-
thie 2- bis 3-fach höher als bei einem Vergleichskollektiv mit richtet (Baumhäkel et al. 2003). Die EKG-Veränderungen sind
einem akuten Myokardinfarkt und 7- bis 34-fach höher als bei ebenfalls sehr variabel und können neben unspezifischen Er-
Normalpersonen (Wittstein et al. 2005). regungsrückbildungsstörungen AV-Blockierungen, tachykarde
supraventrikuläre oder selten ventrikuläre Rhythmusstörungen
Klinische Symptome sowie Präexitationssysndrome umfassen. Bei Kindern lassen sich
Die Komplikationsrate bei Tako-Tsubo-Kardiomyopathie ist der häufig unspezifische Herzgeräusche nachweisen. Die Diagnose
von Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt vergleichbar. kann durch die üblichen bildgebenden Verfahren wie Echokar-
Arrhythmien, ein Lungenödem oder auch ein kardiogener diographie, Lävokardiographie und MRT gestellt und ggf. durch
Schock können auftreten. Interessanterweise ist die linksventri- eine Myokardbiopsie bestätigt werden.
kuläre Funktionsstörung in der Regel nach durchschnittlich 6 Ta-
gen vollständig reversibel. Therapie
Die Therapie einer Non-Compaction-Kardiomyopathie basiert
Therapie und Prognose auf einer leitliniengerechten Herzinsuffizienztherapie. Als Ultima
Da es sich bei der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie um eine Erkran- Ratio ist in bis zu 12% der Fälle im Verlauf eine Herztransplantati-
kung handelt, deren Bedeutung erst in den letzten Jahren erkannt on erforderlich. Aufgrund des hohen Risikos für thrombembo-
wurde, existieren gegenwärtig keine evidenzbasierten Therapie- lische Komplikationen durch das aufgelockerte myokardiale Netz-
empfehlungen. Die Akutbehandlung, insbesondere die Therapie werk ist eine therapeutische Antikoagulation indiziert. Die Indika-
der Komplikationen und die hämodynamische Stabilisierung bei tion zur primärprophylaktischen Implantation eines ICD ist im
einem kardiogenen Schock, ist daher in Analogie zu einem aku- Einzelfall zu stellen; hierzu liegen keine gesicherten Daten vor.
324 Kapitel 12 · Kardiomyopathien

Literatur Fontaine G, Fontaliran F, Lascault G et al. (1994) Arrhythmogenic right vent-


ricular dysplasia. In: Zipes DP, Jalife J (eds) Cardiac electrophysiology:
Abelmann WH, Lorell BH (1989) The challenge of cardiomyopathy. J Am from cell to bedside. Saunders, Philadelphia, p 754
Coll Cardiol 13: 1219–1239 Force T, Krause DS, Etten RA van (2007) Molecular mechanisms of cardio-
Akasaka T, Yoshikawa J, Yoshida K (1994) Phasic coronary flow characteris- toxicity of tyrosine kinase inhibition. Nat Rev Cancer 7(5): 332–344
tics in patients with hypertrophic cardiomyopathy: a study by corona- Gerlis LM, Schmit-Ott SC, Ho SY, Anderson RH (1993) Dysplastic conditions
ry doppler catheter. J Am Soc Echocardiogr 7: 9–19 of the right ventricular myocardium: Uhls anomaly vs. arrhythmoge-
Anan R, Greve G, Thierfelder L et al. (1994) Prognostic implications of novel nic right ventricular dysplasia. Br Heart J 69: 142–150
β-myosin heavy chain gene mutations that cause familial hypertro- Gertz MA, Kyle RA (1991) Secondary systemic amyloidosis: response and
phic cardiomyopathy. J Clin Invest 93: 280–285 survival in 64 patients. Medicine 70: 246–252
Baumhäkel M, Kindermann I, Kindermann M et al. (2003) Isolated noncom- Gleichmann U, Seggewiss H, Faber L (1996) Catheter treatment of hyper-
paction of ventricular myocardium syndrome – a rare structural heart trophic cardiomyopathy. Dtsch Med Wochenschr 121: 679–685
disease. Dtsch Med Wochenschr 128(11): 562–567 Hamid MS, Norman M, Quraishi A et al. (2002) Prospective evaluation of
Baig MK, Goldman JH, Caforio AL et al. (1998) Familial dilated cardiomyo- relatives for familial arrhythmogen right ventricular cardiomyopathy/
pathy: cardiac abnormalities are common in asymptomatic relatives dysplasia reveals a need to broaden diagnostic criteria. J Am Coll Car-
and may represent early disease. J Am Coll Cardiol 31: 195–201 diol 40: 1445–1450
Berger PB, Duffy J, Reeder GS et al. (1994) Restrictive cardiomyopathy as- Hausdorf G, Rieger U, Koepp P (1988) Cardiomyopathy in childhood diabe-
sociated with the eosinophilia-myalgia syndrome. Mayo Clin Proc 69: tes mellitus: incidence, time of onset, and relation to metabolic cont-
162–165 rol. Int J Cardiol 19: 225–333
Bowles NE, Ni J, Marcus F, Towbin JA (2002) The detection of cardiotropic James TN (1994) Normal and abnormal consequences of apoptosis as a
viruses in the myocardium of patients with arrhythmogenic right possible cause of gradual development of complete heart block and
ventricular dysplasia/cardiomyopathy. J Am Coll Cardiol 39: fatal arrhythmias associated with absence of the AV mode, the sinus
892–895 node and the internodal pathways. Circulation 90: 556–573
Brouwer CA, Gietema JA, Berg MP van den et al. (2006) Long-term cardiac Jonkman FAM, Jong G de, Fioretti PM (1997) Growth hormone in the treat-
follow-up in survivors of a malignant bone tumour. Ann Oncol 17(10): ment of heart failure: a new tool for the future? Eur Heart J 18: 181–184
1586–1591 Kahaly G, Stover C, Beyer J, Mohr-Kahaly S (1992) Relation of endocrine and
Cannan CR, Reeder GS, Bailey KR (1995) Natural history of hypertrophic cardiac findings in acromegalics. J Endocrinol Invest 15: 13–18
cardiomyopathy: a population based study, 1976 through 1990. Cir- Katritsis D, Wilmshurst PT, Wendon JA et al. (1991) Primary restrictive car-
culation 92: 2488–2495 diomyopathy: clinical and pathologic characteristics. J Am Coll Cardi-
Cardinale D, Sandri MT, Colombo A et al. (2004) Prognostic value of tropo- ol 18: 1230–1235
nin I in cardiac risk stratification of cancer patients undergoing high- Kelly DP, Strauss AW (1994) Inherited cardiomyopathies. N Engl J Med 330:
dose chemotherapy. Circulation 109(22): 2749–2754 930–932
12 Cecchetti G, Binda A, Piperno A et al. (1991) Cardiac alterations in 36 con- Keren A, Popp RL (1992) Assignment of patients into the classification of
secutive patients with idiopathic hemochromatosis: polygraphic and cardiomyopathies. Circulation 86: 1622–1633
echocardiographic evaluation. Eur Heart J 12: 224–230 Klein AL, Hatle LK, Taliercio CP et al. (1991) Prognostic significance of dopp-
Cerqueira MD, Harp GD, Ritchie JL (1991) Rarity of preclinical alcoholic ler measures of diastolic function in cardiac amyloidosis. A doppler
cardiomyopathy in chronic alcoholics <40 years of age. Am J Cardiol echocardiography study. Circulation 83: 808–816
67: 183–187 Koskinen P, Kupari M (1992) Alcohol and cardiac arrhythmicas. BMJ 304:
Cheng TO (1997) Another cause for deep T-wave inversion. ACC Curr J Rev 1394–1395
6: 116 Kramer K, Kuller L, Fisker R (1968) The increasing mortality attributed to
Child JS, Perloff JK (1988) The restrictive cardiomyopathies. Cardiol Clin 6: cirrhosis and fatty liver, in Baltimore (1957–1966). Ann Int Med 69:
289–316 273–282
Codd MB, Sugrue DD, Gersh BJ, Melton LJ (1989) Epidemiology of idiopa- Kupari M, Koskinen P, Suokas A, Ventila M (1990) Left ventricular filling
thic dilated and hypertrophic cardiomyopathy: a population based impairment in asymptomatic chronic alcoholics. Am J Cardiol 66:
study in Olmsted County, Minnesota. Circulation 80: 564–572 1473–1477
Dabrowska B, Dabrowski A, Pruszczy KP (1995) Heart rate variability in Kushawa SS, Fallon JT, Fuster V (1997) Restrictive cardiomyopathy. N Engl
pheochromocytoma. Am J Cardiol 76: 1202–1204 J Med 336: 267–276
Dansky HM, Buttrick PM (1994) Unravelling the genetic basis of dilated Kyle RA, Gertz MA, Greipp PR et al. (1993) Phase II trial of recombinant in-
cardiomyopathy. Heart Fail 10: 5–10 terferon alfa-2 in the treatment of primary systemic amyloidosis. Am
Davies MJ, McKenna WJ (1995) Hypertrophic cardiomyopathy: pathology J Hematol 44: 125–128
and pathogenesis. Histopathology 26: 493–500 Kyle RA, Gertz MA, Greipp PR et al. (1997) A trial of three regimens for pri-
Factor SM, Butany J, Sole MJ (1991) Pathological fibrosis and matric con- mary amyloidosis: colchicine alone, melphalan and prednisone, and
nective tissue in the subaortic myocardium of patients with hypertro- melphalan, prednisone and colchicine. N Engl J Med 336: 1202–1207
phic cardiomyopathy. J Am Coll Cardiol 17: 1343–1351 Lever HM, Karam RF, Currie PJ, Healy BP (1989) Hypertrophic cardiomyopa-
Fagius J, Westermark K, Karlsson A (1990) Baroreflex-governed sympathe- thy in the elderly. Distinctions from the young based on cardiac shape.
tic outflow to muscle vasculature is increased in hypothyroidism. Clin Circulation 79: 580–588
Endocrinol 33: 177–185 Lewis JF, Maron BJ (1989) Elderly patients with hypertrophic cardiomyopa-
Fananapazir L, Epstein ND, Curiel RV (1994) Long-term results of dual thy: a subset with distinctive left ventricular morphology and progres-
chamber (DDD) pacing in obstructive hypertrophic cardiomyopathy: sive clinical course late in life. J Am Coll Cardiol 13: 36–42
evidence for progressive symptomatic and hemodynamic improve- Lombes M, Alfaidy N, Eugene E (1995) Prerequisite for cardiac aldosterone
ment and reduction of left ventricular hypertrophy. Circulation 90: action. Mineralocorticoid receptor and 11 beta-hydroxysteroid dehy-
2731–2742 drogenase in the human heart. Circulation 92: 175–182
Felice PV, Sawicki J, Anto J (1993) Endomyocardial disease and eosinophi- Manolio TA, Levy D, Garrison RJ (1991) Relation of alcohol intake to left vent-
lia. Angiology 44: 869–874 ricular mass: the Framingham study. J Am Coll Cardiol 17: 717–721
Fitzpatrick AP, Shapiro LM, Richards AF, Poole-Wilson PA (1990) Familial Marcus FI (1997) Is arrhythmogenic right ventricular dysplasia, Uhls ano-
restrictive cardiomyopathy with atrioventricular block and skeletal maly, and right ventricular outflow tract tachycardia a spectrum of the
myopathy. Br Heart J 63: 114–118 same disease? Cardiol Rev 5: 25–29
Literatur
325 12

Marcus FI, Fontaine GH, Guiraudon G (1982) Right ventricular dysplasia: a Ruder MA, Winston SA, Davis JC et al. (1985) Arrhythmogenic right ventri-
report of 24 adult cases. Circulation 65: 384–398 cular dysplasia in a family. Am J Cardiol 59: 799–803
Maron BJ (1997) Hypertrophic cardiomyopathy. Lancet 350: 127–133 Ruvers H, Garrahy P, Robinson W, Murphy A (1987) Reversible cardiac dys-
Maron BJ, Roberts WC (1979) Quantitative analysis of cardiac muscle cell function in hemochromatosis. Am Heart J 113: 216–217
disorganisation in the ventricular septum of patients with hypertro- Scheidt W von, Eng CM, Fitzmaurice TF et al. (1991) An atypical variant of
phic cardiomyopathy. Circulation 59: 689–706 Fabrys disease with manifestation confined to the myocardium. N
Maron BJ, Savage DD, Wolfson JK, Epstein SE (1981) Prognosis significance Engl J Med 324: 395–399
of 24 hour ambulatory electrocardiographic monitoring in patients Schulman LN, Braunwald E (1997) Hematological-oncological disorders
with hypertrophic cardiomyopathy: a prospective study. Am J Cardiol and heart disease. In: Braunwald E (ed) Heart disease. A textbook of
48: 252–257 cardiovascular medicine. Saunders, Philadelphia, pp 1786–1808
Maron BJ, Wolfson JK, Epstein SE, Roberts WC (1986) Intramural (»small Scott I, Parkes R, Cameron DP (1988) Pheochromocytoma and cardiomyo-
vessel«) coronary artery disease in hypertrophic cardiomyopathy. J pathy. Med J Aust 148: 94–99
Am Coll Cardiol 8: 545 Shabetai R (1992) Controversial issues in restrictive cardiomyopathy. Post-
Maron BJ, Peterson EE, Maron MS, Peterson JE (1994) Prevalence of hyper- grad Med J 68: 47–51
trophic cardiomyopathy in an outpatient referred for echocardiogra- Shamim W, Yousufuddin M, Wang D et al. (2002) Nonsurgical reduction of
phic study. Am J Cardiol 73: 577–580 the interventricular septum in patients with hypertrophic cardiomy-
Maron BJ, Nishimura RA, McKenna WJ et al. (1999) Assessment of perma- pathy. N Engl J Med 347: 1326–1333
nent dual-chamber pacing as a treatment for drug-refractory symp- Sharma OP (1994) Myocardial sarcoidosis. A wolf in sheeps clothing. Chest
tomatic patients with obstructive hypertrophic cardiomyopathy. Cir- 106: 988–990
culation 99: 2927–2933 Sigwart U (1995) Non-surgical myocardial reduction for hypertrophic obs-
Maron BJ, Towbin JA, Thiene G et al. (2006) Contemporary definitions and tructive cardiomyopathy. Lancet 346: 211–214
classification of the cardiomyopathies. Circulation 113: 1807–1816 Skinner M, Anderson JJ, Simms R et al. (1996) Treatment of 100 patients
Maugans TA, Coates ML (1995) Diagnosis and treatment of acromegaly. Am with primary amyloidisis; a randomized trial of melphalan, predniso-
Fam Physician 52: 207–214 ne, and colchicine vs. colchicine alone. Am J Med 100: 290–298
McManus BM, Bren GB, Robertson EA (1981) Hemodynamic cardiac cons- Spirito P, Maron BJ (1984) Patterns of systolic anterior motion of the mitral
triction without anatomic myocardial restriction or pericardial cons- valve in hypertrophic cardiomyopathy: assessment by two-dimensio-
triction. Am Heart J 102: 134–136 nal echocardiography. Am J Cardiol 54: 1039–1046
McKenna WJ, Behr ER (2002) Hypertrophic cardiomyopathy: manage- Spirito P, Chiarella F, Carratino L (1989) Clinical course and prognosis of
ment, risk stratification and prevention of sudden death. Heart 87: hypertrophic cardiomyopathy in an outpatients population. N Engl J
169–176 Med 320: 749–755
McKenna WJ, Deanfield J, Faruqui A (1981) Prognosis in hypertrophic car- Spirito P, Seidman CE, McKenna WJ, Maron BJ (1997) The management of
diomyopathy: role of age and clinical, electrocardiographic and hae- hypertrophic cardiomyopathy. N Engl J Med 336(11): 775–785
modynamic features. Am J Cardiol 47: 532–538 Stafford WJ, Trohman RG, Bilsker M (1986) Cardiac arrest in an adolescent
McKenna WJ, Thiene G, Nava A et al. (1994) Diagnosis of arrhythmogenic with atrial fibrillation and hypertrophic cardiomyopathy. J Am Coll
right ventricular dysplasia/cardiomyopathy. Br Heart J 71: 215–218 Cardiol 7: 701–704
McManus BM, Fleury TA, Roberts WC (1981) Fatal catecholamine crisis in Thiene G, Nava AM, Abgekubu A et al. (1990) Anatomoclinical aspects of
pheochromocytoma. Am Heart J 102: 930 arrhythmogenic right ventricular cardiomyopathy. In: Baroldi G, Ca-
Mestroni L, Maisch B, McKenna WJ et al. on behalf of the Collaborative merini F, Goodwin FJ (eds) Advances in cardiomyopathies. Springer,
Research Group of the European Human and Capital Mobility Project Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 397–408
on Familial Dilated Cardiomyopathy (1999a) Guidelines for the study Thierfelder L (1998) Genetics of dilated cardiomyopathy. Med Klin 93:
of familial dilated cardiomyopathies. Eur Heart J 20: 93–102 210–214
Mestroni L, Rocco C, Gregori D et al. (1999b) Familial dilated cardiomyopa- Uhl HSM (1972) A previously undescribed congenital malformation of the
thy: evidence for genetic and phenotypic heterogeneity. J Am Coll heart: almost total absence of the myocardium of the right ventricle.
Cardiol 34: 181–190 Bull Johns Hopkins Hos 91: 197–209
Nef HM, Möllmann H, Elsässer A (2007) Tako-tsubo cardiomyopathy (apical Urbano-Marquez A, Estruch R, Fernandez Sola J (1995) The greater risk of
ballooning). Heart 93: 1309–1315 alcoholic cardiomyopathy and myopathy in women compared to
Niimura H, Bachinski LL, Sangwatanaroj S et al. (1998) Mutations in the men. J Am Coll Cardiol 274: 149–154
gene for cardiac myosin-bindin protein C and late-onset familial hy- Weller PF, Bubley GJ (1994) The idiopathic hypereosinophilic syndrome.
pertrophic cardiomyopathy. N Engl J Med 338: 1248–1257 Blood 83: 2759–2779
Perrot A, Osterziel KJ, Beck M et al. (2002) Fabry disease: focus on cardiac Werbel SS, Ober KP (1995) Pheochromocytoma: update on diagnosis, lo-
manifestations and molecular mechanisms. Herz 27(7): 699–702 calization, and management. Med Clin North Am 79: 131–153
Polikar R, Burger AG, Scherrer U, Nicod P (1993) The thyroid and the heart. White PC (1994) Disorders of aldosterone biosynthesis and action. N Engl
Circulation 87: 1435–1441 J Med 331: 250–258
Regan TJ (1990) Alcohol and the cardiovascular system. JAMA 264: 377–381 Wittstein IS, Thiemann DR, Lima JA, et al. (2005) Neurohumoral features of
Richardson P, McKenna W, Bristow W et al. (1996) Report of the 1995 World myocardial stunning due to sudden emotional stress. N Engl J Med
Health Organization/International Society and Feration of Cardiology 352: 539–548
Task Force on the Definition and Classification of Cardiomyopathies. Yamabe H, Okumura K, Tsuchiya T (1994) Demonstration of entrainment
Circulation 93: 841–842 and presence of slow conduction during ventricular tachycardia in
Robinson K, Frenneaux MP, Stockins B (1990) Atrial fibrillation in hypertro- arrhythmogenic right ventricular dysplasia. Pacing Clin Electrophysiol
phic cardiomyopathy: a longitudinal study. J Am Coll Cardiol 15: 17: 172–178
1279–1285 Yamaguchi H, Ishimura T, Nishiyam S (1979) Hypertrophic nonobstructive
Rossi GP, Sacchetto A, Pavan E (1997) Remodeling of the left ventricle in cardiomyopathy with giant negative T-waves (apical hypertrophy):
primary aldosteronism due to Conns adenoma. Circulation 95: 1471– ventriculographic and echocardiographic features in 30 patients. Am
1478 J Cardiol 44: 401–423
327 13

Rheumatisches Fieber und rheumatische Karditis


R. Pfister, M. Flesch

13.1 Epidemiologie – 327 13.4 Therapie – 330

13.2 Pathogenese – 327 13.5 Prävention – 330


13.5.1 Primärprävention – 330
13.3 Diagnostik – 328 13.5.2 Sekundärprävention – 331
13.3.1 Diagnose der Karditis – 328 13.5.1 Streptokokkenimpfung – 331
13.3.2 Echokardiographie bei der Beurteilung einer
rheumatischen Herzerkrankung und residueller Literatur – 331
Klappenläsionen – 329
13.3.3 Diagnose der extrakardialen Manifestation des
rheumatischen Fiebers – 329
13.3.4 Labordiagnostik – 330

)) nahmen bei nachgewiesenem rheumatischen Fieber zurückzu-


führen. In den Industrieländern sinkt die Inzidenz des rheuma-
Das rheumatische Fieber und die rheumatische Herzerkrankung tischen Fiebers seit den 50er Jahren des 20. Jh.s und wird auf
stellen eine autoimmunologisch vermittelte Folgeerkrankung 1/100.000 geschätzt. Untersuchungen an Schulkindern schätzen
einer Streptokokken-Serogruppe-A-Infektion dar. Obwohl in den die Inzidenz in Entwicklungsländern Afrikas oder Südostasiens
letzten 50 Jahren die Prävalenz des rheumatischen Fiebers und auf 70–150/100.000, wenngleich gerade hier häufig keine pros-
der rheumatischen Herzerkrankung in den Industrieländern pektiven Erhebungen existieren. Auch die Prävalenz der rheu-
deutlich gesunken ist, spielen beide Erkrankungen weltweit noch matischen Herzerkrankung schwankt sehr mit 1–3/1000 in In-
eine bedeutende medizinische und gesundheitsökonomische dien, Nepal, Kenia und Saudi-Arabien sowie 10–80/1000 in
Rolle, nicht zuletzt weil v. a. Kinder und junge Erwachsene befal- Kongo, Sudan und Samoa. Basierend auf Dokumentationen von
len werden. Obwohl der genaue Pathomechanismus noch nicht Krankenhäusern in Entwicklungsländern, ist die rheumatische
bekannt ist, zeigen insbesondere präventive Therapieansätze Herzerkrankung für 12–65% aller kardiovaskulär bedingten
gute Erfolge. Hospitalisierungen und für 2–10% aller Krankenhausaufent-
halte verantwortlich (World Health Organization 2004). Die
Mortalität der rheumatischen Herzerkrankung wird auf
13.1 Epidemiologie 5,5/100.000 weltweit geschätzt, wobei sich noch viel schwerwie-
gender der Verlust an lebensqualitätadjustierten Lebensjahren
> Das rheumatische Fieber und die rheumatische Herzerkrankung auswirkt. Dieser wird in Amerika und Europa auf 27–56/100.000
werden auf eine Infektion des oberen Respirationstraktes mit β- und in Südostasien auf 173/100.000 geschätzt.
hämolysierenden Steptokokken der Gruppe A zurückgeführt.

Diese Bakterien sind für verschiedene Infektionskrankheiten 13.2 Pathogenese


beim Menschen verantwortlich und sind mit ca. 20% die häufigs-
te Ursache für eine bakterielle Pharyngitis. Der Häufigkeitsgipfel Der Zusammenhang zwischen Gruppe-A-Streptokokken-In-
für eine Gruppe-A-Streptokokken-Pharyngitis liegt bei Patienten fekten des oberen Respirationstraktes und dem rheumatischen
im Alter von 5–15 Jahren; hier sind bei bis zu 70% der Kinder Fieber ist epidemiologisch klar gezeigt, und man geht von einer
Antikörpertiter gegen Streptokokken nachweisbar. Ein asympto- verzögerten Autoimmunreaktion aus. Entscheidend für die kli-
matischer Trägerstatus von Gruppe-A-Streptokokken, andere nische Manifestation sind die genetisch bedingte Empfindlich-
Infektherde von Gruppe-A-Streptokokken und andere Strepto- keit des Empfängers, die Virulenz des Erregers und externe Um-
kokkengruppen scheinen für die Entwicklung des rheumatischen welteinflüsse. Der genaue pathogenetische Mechanismus für das
Fiebers nicht relevant zu sein. rheumatische Fieber und die rheumatische Herzerkrankung
Weltweit wird die Zahl an Erkrankten mit rheumatischem sind immer noch unbekannt. Eine herausragende Rolle wurde
Fieber auf 12 Mio. geschätzt, von denen ca. 3 Mio. an symptoma- bisher dem M-Protein der Streptokokken zugeschrieben. Dieses
tischer Herzinsuffizienz leiden. Die Prävalenz der Erkrankung ist ein Oberflächenprotein, das strukturell kardialen Proteinen
variiert sehr stark zwischen verschiedenen Ländern und ist in- wie Myosin, Tropomyosin oder Laminin ähnlich ist. Einige hoch
nerhalb eines Landes vom Entwicklungsstand und auch von konservierte Epitope des M-Proteins kreuzreagieren mit Be-
unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen abhängig. Dies ist auf standteilen des Myokardiums, der Synovia und des Gehirns. Des
eine unterschiedlich starke Ausbreitung, Diagnose und Therapie Weiteren weisen verschiedene Proteine der Streptokokken, u. a.
von Streptokokkeninfektionen, aber auch auf eine unterschied- auch das M-Protein, Superantigeneigenschaft auf, d. h. sie kön-
liche Compliance und auf unterschiedliche Präventionsmaß- nen T- und B-Zellen ohne spezifische Antigeneigenschaft akti-
328 Kapitel 13 · Rheumatisches Fieber und rheumatische Karditis

vieren und führen so zu einer autoreaktiven zellulären und


. Tab. 13.1. Diagnose des rheumatischen Fiebers und der rheumati-
humoralen Immunaktivierung. Das zunehmende Verständnis schen Herzerkrankung nach WHO 2002–2003, basierend auf den mo-
der Streptokokkenphysiologie offenbart neben dem M-Protein difizierten Jones-Kriterien. (World Health Organization 2004; Shulman
weitere Faktoren, die bei der Entstehung des rheumatischen et al. 1984)
Fiebers mitverantwortlich sind und so eine komplexe Erreger-
Diagnostische Kriterien
Empfänger-Interaktion als Genese des rheumatischen Fiebers Kategorien
anzeigen.
Erste Episode 2 Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium
Dass nur 0,3–3% der Patienten nach einer akuten Strepto-
und 2 Nebenkriterien plus Zeichen einer
kokkenpharyngitis ein rheumatisches Fieber entwickeln, erklärt,
Gruppe-A-Streptokokken-Infektion
dass auch Eigenschaften des Empfängerorganismus bei der Pa-
thogenese wichtig sind. Es konnte gezeigt werden, dass das Aus- Wiederkehrende Episo- 2 Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium
maß der Immunreaktion gegen Streptokokken von den HLA- den ohne nachgewiese- und 2 Nebenkriterien plus Zeichen einer
nes rheumatisches Fiebera Gruppe-A-Streptokokken-Infektion
Eigenschaften abhängt und verschiedene Typen stark mit dem
Auftreten des rheumatischen Fiebers assoziiert sind. Aktuell Wiederkehrende Episo- 2 Nebenkriterien plus Zeichen einer
wird die Rolle von Alloantigenen auf B-Lymphozyten als weitere den mit nachgewiesenem Gruppe-A-Streptokokken-Infektion
genetische Prädisposition untersucht (World Health Organiza- rheumatischen Fieber
tion 2004). Die Relevanz von Umweltfaktoren bei der Entste- Rheumatische Chorea/ Keine weiteren Kriterien oder eine Grup-
hung des rheumatischen Fiebers spiegelt sich in dem Einfluss Karditisa pe-A-Streptokokken-Infektion notwendig
von sozioökonomischen Voraussetzungen und der jahreszeit- Chronischer Klappenscha- Keine weiteren Kriterien für rheumati-
lichen Abhängigkeit des rheumatischen Fiebers mit Zunahme den bei rheumatischer sche Herzerkrankung nötig
im Frühherbst, Spätwinter und Frühling wider. Herzerkrankung (isoliert
Die rheumatische Herzerkrankung wird vermutlich durch Mitralklappen- oder
eine Autoimmunreaktion gegen Myozyten und valvuläre Aortenklappenläsionen)b
Endothelzellen initiiert. Durch die Endothelschädigung wird Hauptkriterien Karditis
subendotheliale Matrix wie Laminin exponiert, und Entzün- Polyarthritis
dungszellen können einwandern. Im Rahmen der Entzündungs- Chorea
reaktion kommt es zu einer Vaskularisation, die als Kettenreak- Erythema migrans
tion ein weiteres Einströmen von entzündlichen T-Zellen er- Subkutane Knoten
möglicht. Nebenkriterien Fieber, Polyarthralgien
Insgesamt sind die mechanistischen Zusammenhänge noch Erhöhung CRP, BSG, Leukozyten
sehr lückenhaft bekannt; dies lässt insbesondere den Erfolg einer Verlängerte PQ-Zeit
Streptokokkenimpfung unklar erscheinen. Gerade die konkrete Zeichen einer Gruppe-A- Erhöhter/steigender Antistreptolysin-O-
13 Rolle von Autoimmunantikörpern ist noch nicht schlüssig doku- Streptokokken-Infektion Titer oder andere Streptokokkentiter
mentiert. Außerdem scheint der Erfolg einer Vakzinierung frag- Positive Rachenkultur
lich, da beim Menschen nur eine Immunität gegen verschiedene Positiver Gruppe-A-Streptokokken-
hochvariable M-Protein-Epitope ausgebildet wird, allerdings kei- Schnelltest
Scharlach
ne Immunität gegen die hoch konservierten Homologieepitope
besteht. CRP C-reaktives Protein, BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit.
a Eine infektiöse Endokarditis sollte ausgeschlossen werden.
b Kongenitale Vitien sollten ausgeschlossen werden.

13.3 Diagnostik

Die Jones-Kriterien wurden bereits 1944 als klinische Richtlinien 13.3.1 Diagnose der Karditis
für die Diagnose des rheumatischen Fiebers veröffentlicht. Seit-
dem wurden die Originalkriterien mehrfach modifiziert, um die > Die Valvulitis ist die prognosebestimmende Organmanifestation
Spezifität zu optimieren. des rheumatischen Fiebers und zählt deshalb als essenzielles
Kriterium für eine rheumatische Karditis.
> Obwohl die gesicherte Vorgeschichte von rheumatischem Fie-
ber oder rheumatischer Herzerkrankung in der aktuellen Emp- Bei einer ersten Krankheitsepisode bei rheumatischem Fieber
fehlung nicht mehr zu den klassischen Hauptkriterien zählt, ist muss bei einem neuen Herzgeräusch im Sinne einer Mitral- oder
sie von diagnoseweisender Bedeutung, da rheumatisches Fie- Aorteninsuffizienz immer eine kardiale Beteiligung vermutet
ber eine hohe Rezidivneigung hat. Ein zweites wichtiges Kriteri- werden. Schwieriger ist die Diagnose bei rezidivierenden Verläu-
um ist der Nachweis eines vorausgegangen Gruppe-A-Strepto- fen; hier muss eine Veränderung in Intensität oder Qualität des
kokken-Infektes. Dieses Kriterium erhöht die Spezifität der Diag- Herzgeräusches ebenfalls an eine kardiale Mitbeteiligung den-
nostik deutlich. ken lassen.
Eine isolierte Myokarditis ohne Valvulitis ist selten auf eine
Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass bei chronischen rheumatische Genese zurückzuführen. Im Rahmen einer pri-
Verläufen oder verzögerter klinischer Manifestation dieses Krite- mären Episode bei rheumatischem Fieber ist die symptomatische
rium häufig nicht mehr nachzuweisen ist. Entsprechend Herzinsuffizienz ein zuverlässiges Zeichen einer kardialen Betei-
. Tab. 13.1 wurden diese Ergebnisse in der aktuellen Empfehlung ligung. Bei rezidivierenden Verläufen ist die Diagnose der rheu-
der WHO berücksichtigt. matischen Myokarditis ähnlich wie die der Valvulitis schwer, da
13.3 · Diagnostik
329 13

eine Herzinsuffizienz auch häufig durch vorgeschädigte Klappen 13.3.3 Diagnose der extrakardialen Manifestation
bedingt ist. Unterstützt wird eine akute rheumatische Myokardits des rheumatischen Fiebers
in diesem Fall durch die Nebenkriterien und einen vorausgegan-
genen Streptokokkeninfekt. Eine invasive Diagnostik mit Endo- > Wenngleich unter prognostischen Gesichtspunkten die Karditis
myokardbiopsie hat keinen Stellenwert in der Routinediagnostik. alleinig entscheidend ist, können extrakardiale Manifestationen
In nur 30% der Fälle finden sich typische histologische Verände- bei der Diagnosestellung sehr hilfreich sein, da die Karditis akut
rungen mit Nachweis von perivaskulären, mononukleären Infilt- häufig asymptomatisch sein kann.
raten, histiozytären Aggregationen und Aschoff-Knoten. Die
klassischen Myokarditiszeichen entsprechend den Dallas-Krite- Die Arthritis ist mit 75% die häufigste klinische Manifestation
rien werden bei der rheumatischen Karditis nicht gefunden. einer ersten Episode von rheumatischem Fieber. Notwendig für
Eine Perikarditis ist ebenfalls nur im Zusammenhang mit das Hauptkriterium Arthritis ist nicht nur Gelenkschmerz, son-
einer Valvulitis diagnoseweisend für eine rheumatische Karditis. dern auch lokale Entzündungszeichen wie Rötung, Schmerz,
Sie kann zu thorakalen Schmerzen und einem auskultierbaren Überwärmung oder ein Gelenkerguss mit typischerweise hohem
Perikardreiben führen. Teilweise ist echokardiographisch ein Pe- Leukozytengehalt. Typisch, aber nicht zwingend notwendig, ma-
rikarderguss nachweisbar. nifestiert sich die Arthritis wandernd in den großen Gelenken
wie Knie oder Knöchel. Eine Arthritis kann mit einer Karditis
einhergehen; eine inverse Korrelation in der Schwere der beiden
13.3.2 Echokardiographie bei der Beurteilung Organbeteiligungen ist beschrieben. Eine Komanifestation mit
einer rheumatischen Herzerkrankung und der Chorea besteht nicht, da die Chorea mit einer deutlich länge-
residueller Klappenläsionen ren Latenz zum Streptokokkeninfekt auftritt. Die Prognose der
Arthritis ist sehr gut, da sie ohne pathologische oder funktionelle
Die moderne Echokardiographie erlaubt eine detailierte Beurtei- Residuen ausheilt.
lung der kardialen Dimensionen, sowie struktureller und funkti- Die Chorea minor (Sydenham-Chorea) tritt v. a. bei Jugend-
oneller Veränderungen an Klappen und Muskel. Im Rahmen der lichen mit Überwiegen des weiblichen Geschlechts auf. Bei post-
akuten rheumatischen Karditis sind in 25% der Fälle Knötchen pubertären Männern findet man sie so gut wie nicht. Sie wird in
an den Klappen oder Klappenrändern nachweisbar. Untersu- 5–36% der Fälle von rheumatischem Fieber beschrieben. Charak-
chungen an Patienten mit akutem rheumatischen Fieber und terisiert ist die Chorea durch Gefühlslabilität, unkoordinierte Be-
symptomatischer Herzinsuffizienz zeigen, dass ursächlich v. a. wegungen und Muskelschwäche. Der Beginn ist oft schleichend
eine höhergradige Funktionsstörung der Aorten- oder Mitral- mit Unruhe, Ungeschicktheit und Unaufmerksamkeiten bei der
klappe ist, während die myokardiale Pumpfunktion nicht rele- schulischen Aktivität. Es folgen Koordinationsstörungen mit dem
vant gestört ist. Die Mitralklappeninsuffizienz entwickelt sich Fallen lassen von Gegenständen. Auffallend sind arrhythmisch
durch eine Kombination aus Valvulitis, Dilatation des Mitralklap- zuckende Bewegungen. Es können alle Muskelgruppen betroffen
penrings sowie einem Prolaps der Segel bei elongierten Sehnen. sein, häufig sind aber Hände, Füsse und der Gesichts-Hals-Be-
reich befallen. Die Bewegungen sistieren im Schlaf und sind unter
> Eine wichtige Aufgabe der Echokardiographie ist die Quantifi-
Sedierung oder für kurze Zeit willentlich supprimierbar.
zierung der valvulären Dysfunktion, die für die weitere Therapie
und den Zeitpunkt einer Operation entscheidend ist. > Chorea tritt ca. 1–7 Monate nach der Streptokokkeninfektion
auf und ist aufgrund dieser langen Latenz selten mit Arthritis
Umstritten ist die Rolle der Echokardiographie bei der Diagno-
oder Karditis vergesellschaftet.
sefindung des rheumatischen Fiebers, wenn extrakardiale Mani-
festationen auf die Erkrankung hinweisen, aber kardial keine Außerdem lässt sich deshalb nur in zwei Drittel der Fälle eine
klinischen oder symptomatischen Zeichen zu finden sind, die vorausgegangene Streptokokkeninfektion eruieren; dies er-
die Diagnose endgültig bestätigen würden. So konnte gezeigt schwert die Diagnose des rheumatischen Fiebers. Die Prognose
werden, dass bei 38–45% »gesunder Kinder« und in noch hö- der Chorea ist gut. Im Mittel dauern die Beschwerden 15 Wochen
herem Maß bei fieberhaft erkrankten Kindern echokardiogra- an, können aber auch bis zu 2 Jahre anhalten.
phisch morphologische Veränderungen nachweisbar waren. Die Inzidenz der subkutanen Rheumaknoten ist sehr variabel
Unklar ist die prognostische Bedeutung dieser subklinischen und wird mit bis zu 20% beschrieben. Sie sind derb, schmerzlos,
Karditis. Bis dies in prospektiven Studien geklärt wird, ist eine frei beweglich und ca. 0,5–2 cm groß. Da die Haut darüber reizlos
Erweiterung der Jones-Kriterien um die Echokardiographie ist, werden die Knoten häufig übersehen, wenn man nicht gezielt
nicht gerechtfertigt. danach sucht. Sie treten v. a. über Knochenvorsprüngen oder an
Bei atypischen Krankheitsverläufen kann die Echokardiogra- Strecksehnen wie Ellbogen, Knie, Knöchel, Achillessehne, am
phie hilfreich sein, eine rheumatische Herzerkrankung zu diag- Handgelenk oder am Hinterkopf auf. Die Läsionen bestehen 1–
nostizieren, indem die entsprechenden Klappenveränderungen 4 Wochen. Sie sind nicht spezifisch für das rheumatische Fieber,
dokumentiert werden und andere Ursachen wie kongenitale oder sondern treten auch beim Lupus erythematodes oder bei der
infektiös bedingte Klappenschäden ausgeschlossen werden kön- rheumatoiden Arthritis auf. Die Knoten treten sehr selten als so-
nen. Wichtig ist hier auch eine regelmäßige Verlaufskontrolle, da litäres Hauptkriterium auf und sind besonders häufig mit einer
die Klappenschäden progredient und z. T. auch regredient sein schweren Karditis assoziiert.
können. Auch bei rezidivierenden Erkrankungsverläufen kann Das Erythema migrans tritt in 4 bis maximal 20% der Fälle
die Echokardiographie hilfreich sein, da diese fast immer mit ei- von rheumatischem Fieber auf. Es beginnt als rosa Makel oder
ner Karditis einhergehen. Hier können ein Perikarderguss, eine Papel und breitet sich zirkulär oder serpingiös aus. Wie die Rheu-
Progredienz der Klappenläsionen oder eine ventrikuläre Dilata- maknoten ist es asymptomatisch, und man sollte aktiv danach
tion hinweisend für ein Rezidiv sein. suchen. Das Erythem erscheint v. a. am Stamm und an den pro-
330 Kapitel 13 · Rheumatisches Fieber und rheumatische Karditis

ximalen Extremitäten. Die einzelnen Läsionen können innerhalb langsam ausgeschlichen werden. Bisher existieren keine Untersu-
weniger Minuten oder Stunden entstehen und wieder verschwin- chungen, die einen Nutzen dieser antiinflammatorischen Thera-
den. Das Erythema migrans tritt häufig sehr früh im Verlauf des pie bezüglich des Verlaufes der Karditis oder der kardialen Spät-
rheumatischen Fiebers auf und kann über Monte und Jahre per- folgen zeigen. Die Therapiedauer richtet sich dementsprechend
sistieren, unabhängig von anderen Krankheitsmanifestationen nach dem klinischen Verlauf bzw. den Entzündungsmarkern.
oder einer antiinflammatorischen Therapie. Eine Assoziation Nur selten dauert die entzündliche Aktivität länger als 6 Monate.
wird meistens mit einer Karditis und rheumatischen Knoten be- Gelegentlich kann es 2–3 Wochen nach Absetzen der Therapie zu
richtet. Genauso wenig wie die Knoten ist das Erythem spezifisch einem leichten Rebound-Phänomen kommen, das aber nur bei
für das rheumatische Fieber und tritt auch bei Sepsis, medika- schwersten Symptomen eine erneute Therapie nötig macht.
mentenbedingt oder bei einer Glomerulonephritis auf.
> Die operative Klappensanierung ist die wichtigste Therapie v. a.
der chronischen Klappenerkrankung nach rheumatischem Fieber.
13.3.4 Labordiagnostik Aber auch in der akuten Phase des rheumatischen Fiebers kann es
zu einer schwer symptomatischen Herzinsuffizienz kommen. In
> Entsprechend den Jones-Kriterien ist der Nachweis eines echokardiographischen und histologischen Untersuchungen
vorausgegangenen Infektes mit Gruppe-A-Streptokokken ent- konnte gezeigt werden, dass in dieser Situation die Myokarditis mit
scheidend für die Diagnose des rheumatischen Fiebers. Gewebeuntergang und möglicher ventrikulärer Dysfunktion keine
Rolle spielt. Alleinig ausschlaggebend auch in der akuten Phase ist
Ein möglicher Nachweis besteht in der kulturellen Anzucht der die Dysfunktion der Klappen (World Health Organization 1999).
Streptokokken aus einem Rachenabstrich. Alternativ existieren Es galt lange Zeit als gefährlich, eine akut rheumatisch entzündete
Schnelltests, die spezifische Oberflächenantigene der Gruppe-A- Klappe zu operieren. Diese historische Ansicht konnte in 2 Studien
Streptokokken nachweisen. Die Sensitivität dieser Tests variiert widerlegt werden; hier konnte die Operation akut entzündeter
sehr stark und ist schlechter als der Kulturnachweis. Problema- Klappen mit niedriger Mortalität durchgeführt werden. Die z. T.
tisch bei beiden Verfahren ist, dass nicht zwischen einer tatsäch- therapierefraktäre Herzinsuffizienz bestand postoperativ nicht
lichen Infektion und einem harmlosen Trägerstatus unterschie- mehr. Auffallend war allerdings, dass eine Klappenrekonstruktion
den werden kann. bei akuter Entzündung häufig eine Reoperation notwendig mach-
Hierfür eignen sich die Antikörpernachweise für Streptokok- te, sodass hier ein primärer Klappenersatz anzustreben ist.
ken. Am gebräuchlichsten sind der Anti-Streptolysin-O-Test
oder der Anti-DNAse-B-Test. Die Titer steigen 3–4 Wochen nach
der Infektion an und bleiben für 3–4 Wochen erhöht. In der Rou- 13.5 Prävention
tine sollte also eine Wiederholung des Tests nach 3 Wochen er-
folgen. Mindestens einer der beiden Tests sollte signifikant er- 13.5.1 Primärprävention
13 höhte Titerwerte ergeben.
Definition
Die Primärprävention ist als die antibiotische Therapie eines
13.4 Therapie Infektes des oberen Respirationstraktes mit Gruppe-A-Strep-
tokokken definiert.
Fast alle Therapieoptionen des akuten rheumatischen Fiebers
sind gar nicht oder schlecht durch Studien belegt. Grundsätzliche
Empfehlung ist eingeschränkte Bettruhe während der akuten Um eine Prävention des rheumatischen Fiebers zu gewährleisten,
Entzündungsreaktion. Beim Nachweis einer Karditis sollte diese sollte die Streptokokkenpharyngitis innerhalb von 9 Tagen nach
mindestens 4 Wochen eingehalten werden. Um eine längere An- Symptombeginn therapiert werden. Entsprechend einer aktu-
tigenexposition der Streptokokken zu vermeiden, sollte eine an- ellen Metaanalyse kann das Auftreten des rheumatischen Fiebers
tibiotische Eradikation angestrebt werden. Diese beeinflusst al- so um 70–80% reduziert werden (Robertson et al. 2005). Mittel
lerdings nicht den Verlauf, die Häufigkeit oder die Schwere der der ersten Wahl sind Penizilline, da bisher so gut wie keine Resis-
kardialen Beteiligung. tenzen bekannt sind (. Tab. 13.2). Eine orale Therapie sollte für
> Bei eindeutig gesicherter Diagnose eines rheumatischen Fiebers
wird eine antiinflammatorische Therapie mit ASS empfohlen. . Tab. 13.2. Empfehlungen für die Primärprävention des rheumati-
schen Fiebers in Form der Therapie der Streptokokkenpharyngitis bei
Initial wird über 2 Wochen mit einer Dosis von 100 mg/kgKG/ Erwachsenen. (World Health Organization 1999)
Tag in 4–5 Einzeldosen begonnen, die für weitere 3–6 Wochen
Antibiotikum Verabreichung Dosis
auf 60–70 mg/kgKG/Tag reduziert werden kann. Zu achten ist bei
diesen hohen Dosierungen auf Intoxikationssymptome (Thatai Benzylpenicillin Einmal i.m. 1.200.000 Einheiten
u. Turi 1999). Im Fall einer Unverträglichkeit kann auf andere Penicillin V 2- bis 4-mal/Tag, 2-mal 500 mg, 3- bis 4-
NSAID wie z. B. Naproxen gewechselt werden. Der Einsatz von 10 Tage mal 250 mg
Steroiden ist strittig. Eine große Metaanalyse zeigte keinen Un- Amoxicillin 2- bis 3-mal/Tag, 25–50 mg/kgKG/Tag auf
terschied zwischen ASS und Steroiden, bezogen auf die Häufig- 10 Tage 3 Dosen verteilt
keit einer späteren rheumatischen Klappenerkrankung (Alber et
Cephalosporin, 2- bis 3-mal/Tag, Wirkstoffabhängig
al. 1995). Der Einsatz bei Herzinsuffizienz, Perikarderguss oder 1. Generation 10 Tage
ASS-refraktärer Erkrankung ist mit einer Prednisondosis von
Erythromycin 4-mal/Tag, 10 Tage Galenikabhängig
1–2 mg/kgKG/Tag möglich. Die Dosis sollte nach 2–3 Wochen
Literatur
331 13

10 Tage verabreicht werden, um eine Eradikation sicherzustellen. 13.5.1 Streptokokkenimpfung


Bei Penizillinallergie können alternativ Makrolide eingesetzt
werden; hierbei muss eine zunehmende Resistenzentwicklung Schon seit vielen Jahren wird eine Impfung gegen Streptokokken-
v. a. gegen Erythromycin beachtet werden. infekte angestrebt, in der Hoffnung, damit den Auslöser des rheu-
matischen Fiebers zu verhindern. Hauptziel der Impfbemü-
hungen war eine Immunisierung gegen das M-Protein, das viele
13.5.2 Sekundärprävention Jahre als Hauptursache für die Autoimmunreaktion beim rheu-
matischen Fieber galt. Problematisch dabei war, dass es über
Definition 130 Typen des M-Proteins gibt. Außerdem führten die konser-
Unter der Sekundärprävention versteht man die Antibiotika- vierten Anteile des M-Proteins, die für die Kreuzreaktion verant-
therapie nach durchgemachtem rheumatischen Fieber oder wortlich sind, anscheinend zu keiner natürlichen Immunität ge-
rheumatischer Herzerkrankung mit dem Ziel, einen erneuten gen die Infektion. Des Weiteren besteht bei einer Immunisierung
Streptokokkeninfekt und damit das Risiko eines erneuten gegen diese Epitope die Gefahr, durch die Impfung selbst eine
rheumatischen Fiebers zu verhindern. Autoimmunantwort zu provozieren. Immunisierungsversuche
mit Epitopen aus den hypervariablen Regionen des M-Proteins,
die keine kreuzreagierenden Antikörper induzieren, laufen gera-
Es wird eine Sekundärprophylaxe für jeden Betroffenen mit de als Phase-I-Studie am Menschen. Für andere Streptokok-
durchgemachtem rheumatischen Fieber oder rheumatischer kenantigene wie beispielsweise die C5a-Esterase konnte im Tier-
Herzerkrankung empfohlen. versuch gezeigt werden, dass eine nasale Impfung die Koloniali-
Mittel der ersten Wahl sind Penizilline. Empfohlen wird eine sierungsrate für Streptokokken senkt. Praxistaugliche Impfstoffe
i.m.-Injektion, die gegenüber einer oralen Applikation bezüglich werden in frühestens 5 Jahren erwartet.
Compliance und Wirkstoffspiegeln vorteilhafter ist. Eine i.m.-
Injektion alle 3 Wochen scheint des Weiteren effektiver zu sein als
alle 4 Wochen, sodass Erstere besonders in Risikogebieten oder Literatur
für Hochrisikopatienten empfohlen wird. Im Fall einer Penizillin-
allergie werden Sulfadiazin und als zweite Wahl Erythromycin Albert DA, Harel L, Karrison T (1995) The treatment of rheumatic carditis: a
empfohlen (. Tab. 13.3). review and meta-analysis. Medicine 74(1): 1–12
Robertson KA, Volmink JA, Mayosi BM (2005) Antibiotics for the primary
Die Dauer der Sekundärprophylaxe muss häufig individuell
prevention of acute rheumatic fever: a meta-analysis. BMC Cardiovasc
angepasst werden, da das Rezidivrisiko von verschiedenen Fak-
Disord 5: 11
toren abhängt. Grundsätzliche Empfehlung für die Dauer der Shulman ST et al. Committee on Rheumatic Fever, Endocarditis and Ka-
Sekundärprophylaxe ist: wasaki Disease of the American Heart Association (1984) Jones criteria
4 Patienten ohne nachgewiesene Karditis 5 Jahre oder bis zum (Revised) for guidance in the diagnosis of rheumatic fever. Circulation,
18. Lebensjahr, 70: 204A–208A
4 Patienten mit Karditis und leichten Residuen 10 Jahre oder Thatai D, Turi ZG (1999) Current guidelines for the treatment of patients
bis zum 25. Lebensjahr und with rheumatic fever. Drugs 57(4): 545–555
4 Patienten mit schweren Klappenschäden oder nach Klappen- World Health Organization (1999) Model prescribing information. Drugs
ersatz lebenslang. used in the treatment of streptococcal pharyngitis and prevention of
rheumatic fever. World Health Organization, Geneva (WHO/EDM/
PAR/99.1) http://www.who.int/druginformation/vol14num2_2000/
volume14-2.pdf. Cited 03 March 2008
. Tab. 13.3. Empfehlungen für die Sekundärprävention des rheuma- World Health Organization (2004) Rheumatic fever and rheumatic heart
tischen Fiebers beim Erwachsenen. (World Health Organization 1999) disease. Report of a WHO Expert Consultation. World Health Organi-
zation, Geneva 2004 (Technical Report Series No. 923). http://www.
Antibiotikum Verabreichung Dosis
who.int/cardiovascular_diseases/media/en/cvd_trs923_flyer.pdf.
Benzylpenicillin i.m., alle 3–4 Wochen 1.200.000 Einheiten Cited 03 March 2008
Penicillin V Oral 250 mg 2-mal täglich
Sulfonamid (z. B. Oral 1 g täglich
Sulfadiazin)
Erythromycin Oral 250 mg 2-mal täglich
333 14

Immunologische Herzerkrankungen
C. Zobel, J. Müller-Ehmsen

14.1 Ätiologie und Pathophysiologie – 333 14.3 Restriktive und infiltrative Kardiomyopathien – 340
14.3.1 Löffler-Endokarditis – 340
14.2 Rheumatische Herzerkrankungen – 333 14.3.2 Endomyokardfibrose – 340
14.2.1 Rheumatoide Arthritis – 333 14.3.3 Endokardiale Fibroelastose – 341
14.2.2 Spondylitis ankylosans – 335 14.3.4 Hypersensitivitätssyndrom – 341
14.2.3 Reiter-Syndrom – 335
14.2.4 Morbus Still – 335 14.4 Reaktive Herzerkrankungen – 341
14.2.5 Kollagenosen – 335 14.4.1 Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom) – 341
14.2.6 Vaskulitiden – 338 14.4.2 Postperikardiotomiesyndrom – 342

Literatur – 342

)) aktiven Herzerkrankungen (z. B. Postkardiotomiesyndrom, Post-


myokardinfarktsyndrom; . Abb. 14.1) diskutiert. Reaktive Herz-
Von entzündlichen Herzkrankheiten, die durch Bakterien oder erkrankungen können hierbei auch chronische Verlaufsformen
Viren hervorgerufen werden oder von genetisch determinierten nach Virusmyokarditiden mit chronisch erhöhten immunolo-
Herzerkrankungen, zu denen auch bestimmte Formen der Kardi- gischen Aktivitätsmarkern darstellen.
omyopathie gehören, werden solche abgegrenzt, die vorherr-
schend auf immunologische Störungen im engeren Sinne zu-
rückzuführen sind (. Tab. 14.1). 14.2 Rheumatische Herzerkrankungen

14.2.1 Rheumatoide Arthritis


14.1 Ätiologie und Pathophysiologie
Die rheumatoide Arthritis ist eine chronisch entzündliche System-
Die Erkrankungen aus dem allergischen/rheumatischen Formen- erkrankung, die durch Synovialitis zu Arthritis, Bursitis und
kreis gehen mit einer Vielzahl von fassbaren immunologischen Tendovaginitis führen kann. Bei dieser Erkrankung kann es auch
Störungen einher, die meist durch serologische Untersuchungen zu extraartikulären Organmanifestationen kommen.
erkennbar sind. Die systemischen Erkrankungen des rheuma-
> Typisch für die rheumatoide Arthritis, die zu Gelenkdestrukti-
tischen Formenkreises können aber auch kardiale Manifestatio-
onen und Invalidität führt, ist der schubweise progrediente Ver-
nen aufweisen. Im weiteren Sinne werden immunologische Pro-
lauf der Erkrankung.
zesse für Herzerkrankungen bei rheumatischen Erkrankungen
(z. B. Kollagenosen), bei restriktiven und infiltrativen Kardiomy- Der Erkrankung wird eine genetische Prädisposition und als
opathieformen (z. B. Amyloidose; 7 Abschn. 12.3.5) sowie bei re- krankheitserhaltende Reaktion eine Autoimmunerkrankung zu-

. Tab. 14.1. Ursachen von Herzmuskelerkrankungen


Entzündlich Viren, Bakterien (Rickettsien, Mykobakterien, Spirochäten), Pilze, Parasiten. Nichtinfektös: Kollagenosen, Granulomatosen, Ka-
wasaki-Syndrom
Metabolisch Mangel an Thiamin, Selen, Carnitin, Hypo-/Hyperkalzämie, Hypophosphatämie, Hypervitaminose D; Akromegalie, Thyreotoxiko-
se, Hypothyreose, Urämie, Cushing-Syndrom, Phäochromozytom, Diabetes mellitus; Gicht, Oxalose, Porphyrie, Elektrolytstörung
Toxisch Alkohol, Kobalt, Zytostatika, Blei, CO, Lithium; Katecholamine, Quecksilber, Schlangengift, Paracetamol, Steroide, Kokain, Methysergid
Infiltrativ Amyloidose, Hämochromatose, Glykogenspeicherkrankheiten, Sarkoidose, Morbus Fabry, Morbus Whipple, Morbus Gaucher
Fibroblastisch Endomyokardfibrose, Löffler-Syndrom, Karzinoid
Hämatologisch Sichelzellenanämie, Polyzythämie, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, Leukämien
Hypersensitivi- Antibiotika, Sulfonamide, Antikonvulsiva, Tuberkulostatika, Antiphlogistika, Diuretika, Methyldopa, Tetanusoxid, Amitriptylin,
tät bei kardiale Abstoßung, Riesenzellmyokarditis
Genetisch Hypertrophe dilatative, restriktive und hypertrophe rechtsventrikuläre Kardiomyopathie
Idiopathisch Idiopathische dilatative, restriktive und hypertrophe rechtsventrikuläre Kardiomyopathie
Andere Postpartale/peripartale Kardiomyopathie; abnorme Hitzeeinwirkung, Hypothermie, Röntgenbestrahlung, Tachykardie, Vasospasmen
der Mikrozirkulation, Einschränkung der Koronarreserve, Degeneration kardialer Ganglien, Alteration des kardialen Zytoskeletts
334 Kapitel 14 · Immunologische Herzerkrankungen

. Abb. 14.1. Immunologische Herzerkrankungen. SLE systemischer Lupus Erythematodes, PSS progressive systemische Sklerose

geschrieben, induziert durch entzündliche Infiltrationen mit au- Diagnose. Die Diagnose wird nach den Richtlinien des ACR ge-
toreaktiven T-Helfer-Lymphozyten, Plasmazellen und »dendritic stellt, nach denen zur Diagnosestellung mindestens 4 der fol-
cells« (Zellen, die sich von Makrophagen ableiten). genden 7 Zeichen und Symptomen vorhanden sein müssen:
Im Mittelpunkt der immunologischen Reaktionsformen 4 Morgensteifigkeit,
steht die Interaktion von Lymphozyten und Monozyten mit Pro- 4 Arthritis in 3 oder mehr Gelenkregionen,
duktion von proinflammatorischen Zytotoxinen (z. B. IL-1, IL-6, 4 Arthritis an den Hand oder an den Fingergelenken,
TNF-α), Immunglobulinen und Autoantikörpern gegen das Fc- 4 symmetrische Arthritis,
Fragment des IgG (Rheumafaktoren). Die Patienten zeigen un- 4 subkutane Rheumaknoten,
14 spezifische Entzündungszeichen wie Fieber, BSG- und CRP-Er- 4 Rheumafaktornachweis,
höhung, Anämie und in 70–80% der Fälle positive Rheumafak- 4 radiologische Veränderungen.
toren. In 30–40% der Fälle sind ANA und zirkulierende Immun-
> Für die verminderte Lebenserwartung von Patienten mit rheu-
komplexe positiv.
matoider Arthritis sind überwiegend kardiovaskuläre Ursachen
Aufgrund von autoptischen Untersuchungen hat man eine
verantwortlich.
Prävalenz der rheumatoiden Arthritis von 3–5% herausgefunden.
Histopathologisch entsprechen die kardiologischen Verände- Patienten mit Perikarditis zeigen häufig thorakale Schmerzen,
rungen den Veränderungen bei Rheumaknötchen. Auch entzünd- gelegentlich einen Perikarderguss. Das klinische Erscheinungs-
liche Veränderungen ohne Granulomnachweis v. a. mit Fibrosie- bild entspricht dem anderer Perikarditisformen. Die Echokardi-
rungen und Verdickungen der Segel wurden berichtet. Die ver- ographie ist hier wegweisend. Häufiger kommt es jedoch zur
schiedenen Herzklappen waren dabei etwa gleich häufig befallen. Perikarditis constrictiva im Rahmen der rheumatischen Arthri-
In einzelnen Fällen waren auch die Koronararterien, vornehmlich tis. Die Veränderungen im Bereich der Perikardblätter bzw. des
die kleineren intramyokardial verlaufenden Arterien, betroffen. Perikardergusses ähneln den Veränderungen, die auch bei der
Patienten mit rheumatoider Arthritis weisen eine gesteigerte kar- rheumatoiden Synovitis und rheumatoider Granulombildung zu
diovaskuläre Morbidität und Mortalität auf, die durch eine erhöhte sehen sind.
Inzidenz von Herzinsuffizienz, stummen Myokardinfarkten bei
KHK und plötzlichen Herztodesfällen bedingt sind. Die kardio- Therapie. Die Therapie der Myokardbeteiligung im Rahmen ei-
vaskuläre Mortalitätsrate ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung ner rheumatoiden Arthritis fordert ein aggressives Angehen der
um den Faktor 1,3–2,4 erhöht (Maradit-Kremers et al. 2005). zugrunde liegenden Erkrankung. Neben NSAID und Kortikoste-
roiden werden sog. Basistherapeutika wie Methotrexat, Lefluno-
Klinsche Symptome. Die rheumatoide Arthritis ist eine der häu- mid, Sulfasalazin oder Ciclosporin A eingesetzt, die als Immun-
figsten Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis und suppressiva das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen
kann in ihrer kardialen Manifestation zu Perikarditis, zu Klap- (Empfehlungsgrad Ib). Dabei besteht die täglich zu verabrei-
penveränderungen, zur koronaren Arteriitis, zur Myokarditis, zu chende Kortikosteroidmedikation zur Behandlung einer Serositis
verschiedenen Formen der intraventrikulären Leitungsstörun- (Pleuritis, Perikarditis etc.) aus ca. 0,5 mg/kgKG Prednison. Bei
gen, zu Erkrankungen des Aortenbogens und zur pulmonalarte- lebensbedrohenden Zuständen ist eine hochdosierte Kortikoste-
riellen Hypertension führen. roidmedikation von 1–2 mg/kgKG Prednison induziert. Eine
14.2 · Rheumatische Herzerkrankungen
335 14

Therapie mit NSAID ist bei Patienten mit kardiovaskulären Er- 14.2.3 Reiter-Syndrom
krankungen problematisch. Es gilt auf jeden Fall, dass diese
Substanzgruppe die Nierenfunktion beeinträchtigt und die An- Hierbei finden sich ähnliche kardiale Beteiligungsformen wie bei
wendung daher zu kardialen Dekompensationen bei herzinsuf- der ankylosierenden Spondylarthritis. Allerdings sind nur sehr
fizienten Patienten führen kann. In einer großen Metaanalyse selten die großen Gefäße bzw. das Herzen betroffen.
ergab sich jedoch nur für Diclofenac (relatives Risiko: 1,4), nicht
aber für Naproxen, Piroxicam und Ibuprofen ein signifikant er-
höhtes kardiovaskuläres Risiko (McGettigan u. Henry 2006). Die 14.2.4 Morbus Still
neuere Substanzgruppe der spezifischen COX-2-Inhibitoren ist
aus kardiovaskulärer Sicht ebenfalls nicht unbedenklich. Zum Der Morbus Still ist die systemische Manifestation der juvenilen
Beispiel wurde Rofecoxib aufgrund seiner kardiovaskulären Ne- rheumatoiden Arthritis oder der juvenilen chronischen Arthritis
benwirkungen (Erhöhung des Herzinfarktrisikos) vom Markt oder Polyarthritis. Es bestehen Allgemeinsymptome wie Fieber,
genommen. Wahrscheinlich liegt hierbei ein Klasseneffekt vor, Polyarthritis, Exantheme sowie Polyserositis von Perikard und
sodass generell eine Kontraindikation bei manifester ischä- Pleura. Die Erkrankung ist Rheumafaktor-negativ. Bei Erwachse-
mischer Herzerkrankung und nach Schlaganfall besteht, und nen können sich kardiale Manifestationen mit Perikarditis und
eine Anwendung bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulären Tamponade ausbilden.
Risiko nur erfolgen sollte, wenn klassische NSAID nicht vertra-
gen werden.
Zytokininhibitoren wie TNF-α-Antagonisten (z. B. Etaner- 14.2.5 Kollagenosen
cept, Adalimumab oder Infliximab) und IL-1-Rezeptorantago-
nisten (Anakinra) stellen im Moment die neueste und am stärks- Lupus erythematodes disseminatus
ten antiinflammatorisch wirksame Medikamentengruppe dar, Definition
und es ist zu hoffen, dass sich durch ihren Einsatz eine Vermin- Der SLE bezeichnet eine Systemerkrankung der Haut und des
derung der kardiovaskulären Morbidität und Letalität der rheu- Gefäßbindegewebes sowie zahlreicher Organe mit Vaskulitis,
matoiden Arthritis erreichen lässt (Empfehlungsgrad IIaB). Perivaskulitis der kleinen Arterien und Arteriolen, verbunden
mit Ablagerungen von Immunkomplexen, die aus DNA, Anti-
DNA, Komplement und Fibrin bestehen.
14.2.2 Spondylitis ankylosans

Die Spondylitis ankylosans (ankylosierende Spondylarthritis, Pathogenetisch wird eine Störung bei der Beseitigung von Zell-
Spondylitis ankylopoetica) wird auch als Morbus Bechterew und Zellkernbestandteilen diskutiert. Hierbei wird bei der Pro-
bezeichnet. Die Erkrankung zeigt eine genetische Disposition; zessierung von Kernmaterial über antigenpräsentierende Zellen
ca. 90% der Patienten sind Träger des HLA-B27-Antigens. Je eine Immunantwort gegen nukleäre Proteine und doppelsträn-
nach Aktivität der oft schubweise verlaufenden Erkrankung fin- gige DNA (dsDNA) induziert. Krankheitsspezifische immunolo-
den sich laborchemisch erhöhte Entzündungsparameter (z. B. gische Befunde beinhalten daher v. a. den Nachweis von ANA mit
BSG, CRP). hohem Titer (95%) und einen Antikörpernachweis gegen dsDNA
(60–90%).
Klinische Symptome. Neben der zunehmenden Versteifung der
Wirbelsäule und des Thorax kommt es häufig zur einer fixierten Diagnose. Die Diagnose wird nach den Leitlinien des ACR gestellt,
Kyphose. Nur sehr selten ist das kardiovaskuläre System beteiligt. wenn mindestens 4 der folgenden 11 Kriterien vorhanden sind:
Häufig betroffen sind dabei die Aorta sowie die Aortenklappe. 4 Schmetterlingserythem,
Bei Herzbefall treten Rhythmusstörungen und Blockbilder auf. 4 diskoider Lupus erythematodes,
Histologisch zeigen sich eine Intimaproliferation sowie narbige 4 Fotosensibilität,
Veränderungen im Bereich der Adventitia und der Media. Das 4 orale oder nasale Schleimhautulzera,
Lumen der Vasa vasorum ist häufig verkleinert und von Lympho- 4 nichterosive Arthritis von 2 oder mehr Gelenken,
zyten- sowie Plasmazellinfiltraten umgeben. Oft bildet sich eine 4 Serositis,
Aorteninsuffizienz aufgrund einer Verdickung und einer Verkür- 4 Nierenbeteiligung,
zung der Aortenklappenränder aus. Zudem kommt es neben der 4 ZNS-Beteiligung,
Aorteninsuffizienz (bis zu 10%) zu intraventrikulären Leitungs- 4 hämatolgische Befunde (hämolytische Anämie, Thrombope-
störungen (12%) und Perikarderguss (4%). nie, Leukopenie),
4 immunologische Befunde (Anti-dsDNA, Anti-Sm, Anti-
Therapie. Kurzfristig erscheint bei schweren entzündlichen Schü- phospholipidantikörper),
ben eine Kortikosteroidtherapie angebracht (Empfehlungs- 4 ANA.
grad IIaC). Immunhistologische Untersuchungen konnten eine
vermehrte Expression von TNF-α im Iliosakralgelenk nachwei- Kardiale Manifestation. Kardiale Manifestationen einer SLE-Er-
sen. Basierend auf diesen Befunden haben auch TNF-α-Inhibi- krankung sind oft klinisch stumm und finden sich dann nur in
toren Eingang in die Therapie der Spondylitis ankylosans gefun- autoptischen Untersuchungen. Im Vordergrund stehen die syste-
den. Die kardiale oder die vaskuläre Beteiligung führt oft zu einer mischen Manifestationen des SLE mit Fieber, Abgeschlagenheit,
symptomatischen Therapie (ACE-Hemmer, Diuretika bei Klap- Arthritis, Hautsymptomen, Nierensymptomen, hämatologischen
peninsuffizienz) bzw. zum Klappenersatz. Befunden und ggf. psychischen Veränderungen. Eine Herzbetei-
ligung ist als akute, subakute oder chronische Perikarditis oder
336 Kapitel 14 · Immunologische Herzerkrankungen

> Die häufigsten kardialen Manifestationsformen des SLE sind die


Perikarditis und die Myokarditis.

Die Symptome sind meist unspezifischer Natur und gehen mit


Thoraxschmerzen, Perikardreiben, Tachykardie sowie EKG-Ver-
änderungen mit diffuser ST-Strecken-Erhöhung, vereinzelt mit
Sinustachykardie oder Rhythmusstörungen einher. Zur exsuda-
tiven Perikarditis mit Perikarderguss kommt es meist bei Pati-
enten mit immunologisch aktiver Lupuserkrankung. Das Auftre-
ten einer Myokarditis wird bei autoptischen Untersuchungen in
bis zu 40% der Fälle angegeben. In Myokardbiopsien können
lymphozytäre Infiltrate im Interstitium und Fibrosierungen im
Bereich der Blutgefäße nachgewiesen werden. Diese Beteiligung
findet sich in einer hohen Anzahl und widerspricht der nur selten
. Abb. 14.2. Myokarditis bei SLE. Herdförmige dichte interstitielle In-
klinisch feststellbaren Manifestation einer Endokarditis bei SLE-
filtration durch eine lymphozytäre, perivaskulär betonte Entzündung. Patienten. Es kommt zu einer atypischen Endokarditis mit kno-
44-jährige Frau, Tod im biventrikulären Herzversagen (HE-Färbung; Vergr. tigen Vegetationen, die sowohl die Ober- wie auch die Unterseite
200:1). (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. J.W.U. Fries, Institut für der verschiedenen Klappen befallen. Am häufigsten ist das hin-
Pathologie, Universität Köln) tere Segel der Mitralklappe beteiligt.
> Charakteristisch für die Libman-Sacks-Endokarditis ist der kno-
tige Befall mehrerer Klappen und häufig die Beteiligung des
Perimyokarditis mit Ergussbildung, Kardiomegalie und den Zei-
rechten Herzens.
chen der Rechtsherzinsuffizienz (10% der Fälle) fassbar. Ent-
zündliche Veränderungen können das Myokard, das Endokard Selten entwickelt sich eine hämodynamisch bedeutende Insuffi-
und die Koronararterien betreffen. Funktionell kann sich dies in zienz, hier vornehmlich der Mitral- und der Aortenklappe, oder
einer Beeinträchtigung der Pumpfunktion, in einer Endokarditis eine Stenosenkomponente. Embolische Ereignisse ins Gehirn
mit Klappenfehlfunktion und in einer Koronararterienverkal- oder in die Koronararterien sind eine Rarität. Mikroskopisch fin-
kung zeigen. den sich in den Klappen ein herdförmiges Ödem, fibrinoid dege-
Die kardialen Manifestationsformen werden pathologisch nerierte kollagene Fasern sowie Ansammlungen von Histiozyten,
oder immunpathologisch als Immunkomplexablagerungen im Lymphozyten und Plasmazellen. Charakteristische Hämatoxy-
Bereich der Gefäßwände des Myokards oder des Perikards linkörperchen (»purple bodies«) entsprechen Einschlüssen in
angenommen (. Abb. 14.2). Die Diagnose einer SLE geht mit LE-Zellen aus Kernresten. Die knotigen oder warzenartigen Ver-
einer deutlich erhöhten kardialen Morbidität und Letalität ein- änderungen auf den Klappen oder im Bereich des Endokards, der
her. Klappenränder und des Halteapparates bestehen aus Fibrin, Blut-
14 > Kardiovaskuläre Ursachen stellen mit 37% die häufigste Todes-
plättchen und nekrotisierenden Klappenanteilen. Auch sie kön-
nen Purple bodies enthalten.
ursache bei SLE-Patienten dar (Manger et al. 2002).

Weiterhin konnten Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Alter Therapie. Bei SLE mit Beteiligung des Herzens wird eine Pred-
von 35–44 Jahren mit SLE ein 50-fach erhöhtes Risiko haben, nisolonstoßtherapie in Kombination mit Immunsuppressiva
einen Myokardinfarkt zu erleiden (Sander u. Giles 2002). Die durchgeführt. Je nach Schwere des Befalls wird Azathioprin oder
genauen Ursachen hierfür sind nicht geklärt. Es wird jedoch eine eine Cyclophosphamidbolustherapie angewendet. Als Dauerbe-
vorzeitige Atherosklerose, hervorgerufen durch die inflammato- handlung wird Mycofenolat oder Azathioprin in Kombination
rische Aktivität der Erkrankung, vermutet. mit Glukokortikoiden empfohlen. Eine optimale antihyperten-
Die fibrinoiden Nekrosen im Rahmen der SLE-Erkrankung sive Therapie ist für die Erhaltung der Nierenfunktion sehr
können prinzipiell in allen Regionen des Herzens vorkommen. wichtig.
Meist findet sich eine Endothelschädigung an den Unterseiten
> Ab der 18.–24. Schwangerschaftswoche muss der Fetus einer
der Klappen. An diesen Nekrosen lagern sich Thromben an, die
SLE-Patientin engmaschig sonographisch überwacht werden,
durch Granulationsgewebe organisiert werden. Es kommt zu ei-
da es durch die Antikörper zu einer fetalen Myokarditis kommen
ner Verdickung des Endokards, die an einzelnen Klappen oder
kann, die dann mit systemischen Dexamethasongaben behan-
multipel an verschiedenen Klappen gleichzeitig auftreten und
delt werden sollte.
mehrere Millimeter groß werden kann. Die Verdickungen wer-
den auch als Wärzchen (Verrucae) bezeichnet und finden sich an
den Unterseiten der AV-Klappen als Prädilektionsstellen. Diese, Antiphospholipidsyndrom
bei einer Libman-Sacks-Endokarditis häufig post mortem gefun- Definition
denen Wärzchen, haben hämodynamisch meist keine Bedeutung. Das Antiphospholipidsyndrom kann auch unabhängig von
Im Myokard finden sich Infiltrate aus Histiozyten, Lymphozyten der klinischen Symptomatik eines Lupus erythematodes auf-
und Plasmazellen. Sind Sinus- oder AV-Knoten bzw. Anteile des treten und beinhaltet thrombotische Verschlüsse der ve-
Reizleitungssystems befallen, kommt es zu Blockbildern. Die Di- nösen sowie auch der arteriellen Gefäße, eine Thrombozyto-
agnose des Endokardbefalls kann mit standardechokardiogra- penie, eine hohe Abortrate und häufig falsch-positive Lues-
phischen Untersuchungen bei ca. 18% der Patienten, mit der TEE tests (VDRL).
bei 74% gestellt werden.
14.2 · Rheumatische Herzerkrankungen
337 14

Antiphospholipidantikörper finden sich bei 20–50% der SLE- Therapie. Die symptomatische Therapie entspricht der Behand-
Patienten und können durch 2 Testmethoden differenziert wer- lung der Herzinsuffizienz. Niedrig dosierte Steroide und Immun-
den: mit dem ACLA und dem LA. Bei den Patienten kommt es suppressiva sind bei schwerem Verlauf indiziert (Empfehlungs-
zu tiefen Beinvenenthrombosen, arteriellen Embolien und grad IIaC). Eine konsequente antihypertensive Therapie mit
Schlaganfällen. Im Bereich des Herzens findet man häufig Klap- ACE-Hemmern kann das Auftreten kardialer Funktionsstörun-
penerkrankungen. Die Klappen zeigen warzenähnliche Läsionen gen reduzieren. Die pulmonale Hypertonie ist möglicherweise
und Auflagerungen sowie einen fibrokalzifizierenden Umbau einer Therapie mit inhalativen Prostazyklinanaloga (z. B. Ilo-
und sind meist verdickt. Es sollte eine Antikoagulation mit einer prost; Empfehlungsgrad IIaB) zugängig; neuere Ergebnisse wei-
Ziel-INR um 3,0 durchgeführt werden (Empfehlungsgrad IIaB). sen auch auf günstige Einflüsse des Endothelinantagonisten
Bosentan (Empfehlungsgrad IIaB) hin. Auch konnten erste
Progressive systemische Sklerose kleinere Studien positive Ergebnisse mit Sildenafil (Ghofrani et
Definition al. 2002; Empfehlungsgrad IIaB) aufzeigen. Lungentransplantati-
Die PSS wird auch als systemische Sklerodermie oder syste-
onen sind ebenfalls erfolgreich durchgeführt worden.
mische Sklerose bezeichnet. Es handelt sich um eine System-
Sharp-Syndrom (»mixed connective tissue disease«)
erkrankung des Bindegewebes mit Kollagenanhäufung und
Fibrose von Haut sowie inneren Organen, die mit einer oblite- Definition
rierenden Angiopathie einhergeht. Beim Sharp-Syndrom (MCTD) handelt es sich um eine Kolla-
genose, die eine Überlappungssymptomatik aus SLE, Sklero-
dermie, Polymyositis und rheumatoider Arthritis als klinisches
Histologisch findet sich eine Zwiebelschalenangiopathie mit Bild zeigt.
Intimaproliferation, die zu Haut- und Organinfarkten führt.
Die Ätiologie ist unbekannt. Pathogenetisch besteht eine Regu-
lationsstörung der Fibroblasten, die übermäßig Kollagen produ- Eine Beteiligung von Nieren, Herz bzw. ZNS gibt es eher selten.
zieren. Dadurch kommt es zu einer obliterierenden Angiopathie. Obligat wird eine Raynaud-Symptomatik oft in Verbindung mit
Die PSS ist eine systemische Erkrankung, deren Hautver- sklerodermieartigen Hautveränderungen beobachtet. Diagnos-
änderungen das äußere klinische Bild (90% Sklerodermie, 78% tisch wegweisend ist der Nachweis von ANA. Allein die klinisch
Raynaud-Phänomen) bestimmen. Diagnostische Marker sind häufige Überlappung mit sklerodermieartigen Hautverände-
Antikörper gegen ENA. Antinukleäre Antikörper sind bis zu rungen und entsprechenden Veränderungen der inneren Organe
95% positiv. zeigt, dass die kardiale Manifestation ähnlich verläuft wie bei
Es werden im Wesentlichen zwei Verlaufsformen unterschie- Sklerodermie. Häufig entsteht aufgrund der Gefäßveränderungen
den: In 40% der Fälle kommt es zu einem diffusen Verlauf mit eine deutliche pulmonalarterielle Hypertonie als Folge der Vas-
generalisierten Ödemen, Sklerose sowie Beteiligung der inneren kulopathie mit einhergehender Intimaproliferation und vermin-
Organe mit Nachweis von Scl-70 (Anti-Topoisomerase-1). Dane- dertem Gefäßlumen der pulmonalen Arteriolen. In Einzelfällen
ben findet sich eine akrale, limitierte Verlaufsform als sog. wurde auch über Perikarditis, Pleuritis, Perikarderguss, Myokar-
CREST-Syndrom mit Nachweis von Calcinosis cutis, Raynaud- ditis oder Rhythmusstörungen berichtet.
Syndrom, Ösophagusmotilitätsstörung, Sklerodaktylie und Tele- Insgesamt zeigt diese Erkrankung eine günstige Prognose,
angiektasien. Hierbei können in 70% der Fälle Antizentromeran- sodass oft keine Immunsuppressiva notwendig werden, sondern
tikörper (ACA), aber kein Scl-70 nachgewiesen werden. NSAID und Steroide in niedriger Dosierung ausreichen.
> Bei Sklerodermie ist das Herz in etwa einem Drittel der Fälle mit-
Sjögren-Syndrom
erkrankt.
Definition
Es werden interstitielle Infiltrate im Herzmuskel beobachtet, die Das Sjögren-Syndrom besteht aus der Trias Keratoconjuncti-
fibrös umgewandelt werden und verkalken können. Koronarar- vitis sicca mit Xerophthalmie (Augentrockenheit), Xerostomie
terien sind nicht befallen. Klinisch imponieren Herzrhythmus- (Mundtrockenheit) und lymphozytärer Infiltration der Spei-
störungen, insbesondere Überleitungsstörungen sowie uncha- cheldrüse.
rakteristische elektrokardiographische Befunde. Auch Zeichen
einer muskulären Herzinsuffizienz wurden beobachtet. Es kann
sich ein Cor pulmonale entwickeln, das im Rahmen der CREST- Es wird zwischen einer primären und einer sekundären Form
Form meist auf dem Boden einer primären pulmonalarteriellen unterschieden; Letztere tritt bei rheumatoider Arthritis, anderen
Hypertonie entsteht. Dagegen wird das Cor pulmonale bei der Kollagenosen oder bei chronischer Hepatitis C auf. Nur sehr sel-
diffusen Form der Sklerodermie sekundär durch eine Lungen- ten ist das Myokard oder das Perikard betroffen. Dann können
fibrose hervorgerufen. sich histopathologisch im Bereich des Perikards warzenähnliche
Verknotungen, ähnlich denen bei SLE, zeigen.
> Bei der diffusen Sklerodermie können die Veränderungen im
Bereich der Lunge zur Lungenfibrose und zu restriktiven Ventila-
Dermatomyositis
tionsstörungen mit einer verminderten CO2-Diffusionskapazität
Bei der Polymyositis handelt es sich um eine seltene entzündliche
führen.
Systemerkrankung der Skelettmuskulatur mit lymphozytärer In-
Es kann zur Beteiligung des Perikards (fibrinoide Entzündung), filtration, die insbesondere perivaskulär auftritt. Ist die Haut be-
des Myokards und des Reizleitungssystems kommen. Auch eine teiligt, spricht man von einer Dermatomyositis. Es gibt idiopa-
Herzbeteiligung mit diffuser Vernarbung ist möglich, die zu einer thische Formen, aber auch Assoziationen mit malignen Tumoren
vorwiegend diastolischen Funktionsstörung des Herzens führt. oder anderen Vaskulitiden oder Kollagenosen.
338 Kapitel 14 · Immunologische Herzerkrankungen

Klinsche Symptome. Die Patienten zeigen Symptome einer My- (z. B. HIV-Infektion) von primären Vaskulitiden unterschieden.
ositis der proximalen Extremitätenmuskulatur mit Muskelschwä- Zu diesen gehören zum einen die systemische nekrotisierende
che im Schulter- und Beckengürtel. Ist die Haut zusätzlich betrof- Vaskulitis (klassische Panarteriitis nodosa), das Churg-Strauss-
fen, finden sich auch lividrote, ödematöse Erytheme des Gesichts Syndrom, verschiedene Formen der Hypersensitivitätsvaskuliti-
sowie weißliche bis blassrote Papeln der Fingerstreckseiten und den, die Wegener-Granulomatose, die Riesenzellarteriitis [Poly-
Nagelfalzhyperkeratosen. Eine Beteiligung des Herzens wird in myalgia rheumatica, Arteriitis temporalis (Morbus Horton), Ta-
ca. 30% der Fälle in Form einer interstitiellen Myokarditis beob- kayasu-Arteriitis] sowie nicht näher klassifizierbare Vaskulitis-
achtet. Dann können sich Rhythmusstörungen und eine Pump- formen, wie z. B. die Thrombangiitis obliterans (Morbus
funktionsstörung ausbilden. Winiwater-Buerger) oder das Kawasaki-Syndrom.

Diagnose. Zur Diagnosestelllung sind die klinischen Symptome, Riesenzellarteriitis


eine Kreatinkinaseerhöhung, ein pathologisches Stimulationse- Definition
lektromyogramm sowie eine Muskelbiopsie wegweisend. Eine Die Riesenzellarteriitis ist eine der häufigsten Formen der Vas-
Tumorsuche sollte in jedem Fall durchgeführt werden. Bei der kulitiden, die vornehmlich bei älteren Patienten zu finden ist.
labordiagnostischen Untersuchung sind erhöhte Entzündungs- Sie befällt gehäuft die mittelgroßen Arterien.
parameter und erhöhte Muskelenzyme nachweisbar. Es finden
sich in 50% der Fälle ANA.
Die Aorta und ihre abgehenden Gefäße sind bei ca. 15% der Pa-
Therapie. Bei tumorassoziierten Formen kann die Tumorentfer- tienten befallen. Etwa 50% der Patienten leiden auch an Polymy-
nung zu einer Besserung führen. Ansonsten empfiehlt sich eine algia rheumatica. Die Ätiologie der Erkrankung ist weitgehend
immunsuppressive Therapie mit Steroiden und eventuell Me- unklar; eine Häufung findet sich nach viralen Infekten oder Im-
thotrexat, Azathioprin oder Ciclosporin A. munisierung. Dies gilt als Hinweis für eine mögliche infektiöse
oder autoimmuninduzierte Genese. Ebenfalls wird eine gene-
tische Prädisposition diskutiert.
14.2.6 Vaskulitiden Histopathologisch zeigt sich eine granulomatöse Infiltration
der Media mittelgroßer und großer Arterien. Vornehmlich sind
Vaskulitiden bezeichnen immunoreaktiv ausgelöste Gefäßent- die proximalen Abgänge der Aorta, besonders die extrakraniellen
zündungen mit Schädigung der betroffenen Organe (. Tab. 14.2, Gefäße sowie Gefäße der oberen Extremitäten befallen. Ist die Aor-
. Abb. 14.3). Ausmaß und Spektrum der klinischen Symptome ta selbst beteiligt, kann es infolge der entzündlichen Prozesse zu
hängen ganz entscheidend von der Lokalisation der Gefäßverän- einer Aufweichung der Aortenwand und in dessen Folge zu loka-
derungen bzw. deren Veränderungen in den Zielorganen ab. Es lisierten Aneurysmata, ringförmigen Dilatationen und Aortenin-
werden sekundäre Vaskulitiden z. B. infolge eines Befalls bei suffizienz kommen. Die Erkrankung befällt vornehmlich Frauen.
rheumatoider Arthritis, verschiedenen Formen der Kollagenosen Symptomatisch wird die Erkrankung häufig durch klopfen-
und Autoimmunerkrankungen sowie Infektionserkrankungen de, temporal betonte Kopfschmerzen. Die betroffene Region ist
14
. Tab. 14.2. Kardiale Beteiligung bei Vaskulitis
Art der Vaskulitis Perikarditis Arteriitis Myokarditis Endokarditis Klappenbeteiligunga Reizleitungssystem Aortitis
Polyarteriitis nodosa + ++ + – – + –
Morbus Kawasaki + ++ + ++ – + –
Churg-Strauss-Syndrom + +++ + + ++ + ++
Wegener-Granulomatose ++ + + – + + –
Riesenzellarteriitis + + + – + – +++
Morbus Takayasu – + – – + – +++
Morbus Behçet – + + – + – ++
a Klappenbeteiligung aufgrund eines Befalls der Klappen oder nach Dilatation der Aorta ascendens; Vorkommen: + <1%, ++ =1,5%, +++ >5%.

. Abb. 14.3. Einteilung der Vas-


kulitis nach Befallsmuster
14.2 · Rheumatische Herzerkrankungen
339 14

dabei hochempfindlich auf Druck; manchmal zeigen sich auch im Bereich des Abdomens befallen sein. Der Erkrankungsbeginn
Schmerzen bei heftigen Kaubewegungen. Die körperliche Unter- liegt meist um das 30. Lebensjahr.
suchung zeigt häufig Patienten mit fieberhafter Erkrankung, Ab- Die Patienten zeigen Allgemeinsymptome mit generalisier-
geschlagenheit, Gewichtsverlust und depressiver Verstimmung. tem Krankheitsgefühl, ggf. Fieber, Gewichtsverlust sowie gele-
Diese klinischen Symptome gehen mit unspezifischen Entzün- gentlich Schwindel und Sehstörungen. Entsprechend dem Be-
dungsreaktionen wie BSG- und CRP-Erhöhung sowie einer fallsmuster kann es zu Claudicatio-intermittens-Beschwerden im
leichten Leukozytose und Anämie einher. Bereich der Extremitäten, zu Puls- bzw. Blutdruckdifferenzen
Die Sicherung der Diagnose kann mithilfe einer Biopsie be- zwischen oberer und unterer Extremität kommen. Die BSG ist
fallener Areale geschehen (meist Biopsie der Temporalarterien). meist deutlich erhöht. Neben einer Anämie findet sich eine dis-
Diese ist in ca. 30% der Fälle falsch-negativ. krete Leukozytose. Oft zeigen die Patienten eine arterielle Hyper-
tension, v. a. bei Befall der Nierenarterien. Diese kann bei Fort-
> Nach länger durchgeführter Therapie (Kortikosteroide) findet
bestehen Ursache einer sekundären Herzinsuffizienz sein.
sich meist kein positiver bioptischer Nachweis mehr. Bei Ver-
dacht auf eine Temporalisarteriitis sollte daher umgehend eine
Therapie. Wie bei der Riesenzellarteriitis vom Temporalistyp be-
Biopsie entnommen werden.
steht die Therapie aus hochdosierten Glukokortikoiden (Pred-
Eine wichtige Rolle bei der initialen Diagnostik spielt die Farb- nisolon 1 mg/kgKG/Tag). Alternativ kann Cyclophosphamid
dopplersonographie. Hier findet sich bei einem befallenen Gefäß (2 mg/kgKG/Tag), Methotrexat (0,3 mg/kgKG/Woche) oder
typischerweise ein perivaskuläres »Halosignal«. Azathioprin (1–2 mg/kgKG/Tag) versucht werden. Bei fortge-
schrittenen Stadien kann eine Besserung der Symptome durch
! Cave
bypasschirurgische Eingriffe oder PTA erreicht werden.
Betrifft die Riesenzellarteriitis die Aa. centrales retinae, besteht
Erblindungsgefahr.
Vaskulitiden mit Befall der mittelgroßen Arterien
Sehstörungen, Amaurosis fugax und Störungen des Farbsehens und Arteriolen
sind häufige Symptome. Kommt es zum Verschluss großer, von Der Befall mittelgroßer Arterien findet sich bei der Polyarteriitis
der Aorta abgehender Gefäße, zeigen sich meist, ähnlich wie bei nodosa, dem Churg-Strauss-Syndrom und der Wegener-Granu-
der Takayasu-Arteriitis, ein verminderter Puls und ein vermin- lomatose.
derter Blutdruck im Bereich der oberen Extremitäten. Das kli-
nische Erscheinungsbild kann durch den Befall unterschiedlicher Panarteriitis nodosa
Gefäßsysteme sehr mannigfaltig sein. Im Gegensatz zur Takaya- Definition
su-Arteriitis sind fast nie die Nierenarterien beteiligt. Die Panarteriitis nodosa (Periarteriitis nodosa, Polyarteriitis
nodosa) bezeichnet eine nekrotisierende Entzündung der
Therapie. Therapeutisch werden hochdosiert Glukokortikoide mittelgroßen und der kleinen Arterien im Bereich der inneren
eingesetzt (z. B. Prednisolon 20–50 mg/Tag); nach klinischer Organe sowie auch der Waden und der Unterarmmuskeln.
Besserung kann eine stufenweise Reduktion auf 5–10 mg/Tag
Erhaltungstherapie über mindestens 2 Jahre durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad IB). Die BSG dient dabei als guter Makroskopisch imponieren kleine knötchenförmige Verdickun-
Parameter für das Ansprechen der Therapie. In steroidrefrak- gen in perlschnurartiger Anordnung. Histologisch entspricht die
tären Fällen kann eine Methotrexatbehandlung versucht wer- knötchenförmige Verdickung einer fibrinoiden Verquellung aller
den. Bei Patienten mit thorakalem Aortenaneurysma kann eine Wandschichten der Gefäße mit Medianekrose und Intimaproli-
chirurgische Therapie indiziert sein; diese sollte, wenn möglich, feration. Insgesamt handelt es sich um eine seltene Erkrankung;
nach Einleitung einer immunsuppressiven Therapie durchge- häufig sind die Nieren oder die Koronararterien beteiligt. Auf der
führt werden. entzündeten Intima können sich Thromben entwickeln, die bei
einer kritischen Einengung oder bei Verschluss des Lumens zu
Takayasu-Arteriitis einer Ischämie führen. Meist sind dabei nicht die Hauptstämme
Diese Form der Riesenzellarteriitis führt meist zum Verschluss beteiligt, sodass es häufig nur zu fleckförmigen und kleineren
der vom Aortenbogen ausgehenden großen Arterien und wird Nekrosearealen kommt. Als Rarität wurden entzündliche Wand-
auch als entzündliche Form des Aortenbogensyndroms bezeich- veränderungen mit der Ausbildung von Koronararterienaneu-
net. Auch hier ist die Ätiologie weitgehend unklar, und meist sind rysmata und Perforation berichtet. Insgesamt wird die Beteili-
jüngere Frauen betroffen. Während die Riesenzellarteriitis im gung der Koronararterien mit ca. 50% angegeben. Wie bei allen
Versorgungsbereich der A. carotis bzw. A. temporalis vorwie- Vaskulitiden finden sich auch bei dieser Form unspezifische Ent-
gend in den Vereinigten Staaten und Europa auftritt, kommt die zündungszeichen, Nachweis von ANA und cANCA (10%).
Takayasu-Erkrankung meist bei Patientinnen in Asien und Afri-
ka vor. Histopathologisch findet sich häufig während der aktiven Therapie. Die Therapie der Hepatitis-B-assoziierten Panarteriitis
Form der Erkrankung eine granulomatöse Entzündung der Aor- nodosa entspricht der der chronischen Hepatitis (α-Interferon,
ta und ihrer Äste mit Einbeziehung der Media und der Adventitia ggf. in Kombination mit Lamivudin), ansonsten wird mit Gluko-
in den Entzündungsprozess. In späteren Phasen finden sich eine kortikoiden behandelt. Eine Behandlung führt zu einer langfris-
Sklerose, eine Intimahyperplasie und eine Mediadegeneration. tigen Remission bei ca. 90% der Erkrankten. Die Einführung der
Diese Erkrankung führt letzten Endes zu einem Verschluss des Kortikosteroidtherapie und der immunsuppressiven Thera-
Gefäßlumens. Neben entzündlich veränderten Segmenten kön- pieformen sowie die Behandlung der Herzinsuffizienz, der arte-
nen sich auch nichtbefallene Abschnitte präsentieren. Es können riellen Hypertonie und der beeinträchtigten Nierenfunktion ha-
Pulmonalgefäße, Aorta, Aortenbogen sowie auch Aortenabgänge ben die Prognose dieser Patienten deutlich verbessert.
340 Kapitel 14 · Immunologische Herzerkrankungen

Churg-Strauss-Syndrom ren. Im Rahmen der Erkrankung kann es aber auch zu Perikardi-


Definition tis, Myokarditis, Beeinträchtigung des Reizleitungssystems, sel-
Das Churg-Strauss-Syndrom – histopathologisch eine der
ten zur Ausbildung arterieller Aneurysmata, auch der Koronarar-
Panarteriitis nodosa sehr ähnliche Form der Vaskulitis – zeigt
terien, kommen. Die Erkrankung kann sich auch durch intra-
überwiegend Beteiligungen im Bereich der Lunge. Häufig be-
ventrikuläre Thromben manifestieren. Wie häufig bei Morbus
troffen sind Allergiker mit bestehendem Bronchialasthma
Behçet auch kardiale Manifestationsformen auftreten, ist derzeit
oder allergischer Rhinitis.
nicht eindeutig geklärt.

Überwiegend sind kleine Arterien, aber auch Venolen befallen. 14.3 Restriktive und infiltrative Kardiomyopathien
Die entzündlichen Granulome der Gefäße enthalten meist reich-
lich eosinophile Granulozyten. Gelegentlich sind auch die Koro- Neben den immunologisch bedingten Herzerkrankungen des
nararterien betroffen. Die kardiale Manifestation kann sich dabei rheumatischen Formenkreises sind restriktive und infiltrative
in einer akuten Perikarditis, Perimyokarditis, chronisch kons- Kardiomyopathien zu nennen. Zu ihnen gehört die Amyloidose
truktiven Perikarditis, Herztamponade, Herzinsuffizienz und im und die Sarkoidose (7 Abschn. 12.3.5) sowie die Speichererkran-
Auftreten von verschiedenartigen Rhythmusstörungen zeigen. kungen Morbus Fabry, Glykogenspeichererkrankungen und die
Die Häufigkeit kardialer Manifestationen liegt bei ca. 50%. Auch Hämochromatose (7 Abschn. 12.3.6).
sind eosinophile Infiltrate und Fibrosierungen perivaskulär be- Unter den verschiedenen Formen der Kardiomyopathie (di-
schrieben worden. Eine Endomyokardbiopsie kann für die Zu- latative, restriktive, hyperthrophe) ist die restriktive am seltens-
ordnung zu einem mehr entzündlichen oder fibrosierenden Pro- ten. Wesentliches Zeichen dieser Kardiomyopathie ist die ab-
zess hilfreich sein. norme, deutlich eingeschränkte diastolische Funktion bei nor-
maler systolischer Funktion. Dies kann z. B. mit der Echokardio-
Therapie. Die Therapie ist stadienabhängig: Im generalisierten graphie oder mithilfe der Ventrikulographie nachgewiesen
Stadium wird zur Remissionsinduktion mit Prednisolon (1 mg/ werden.
kgKG/Tag) und Cyclophosphamid (2 mg/kgKG/Tag) behandelt.
> Die funktionelle Unterscheidung zwischen restriktiver Kardio-
Im Rahmen der Erhaltungstherapie kann Cyclophosphamid ge-
myopathie und konstriktiver Perikarditis ist v. a. deshalb wichtig,
gen Methotrexat, Ciclosporin A oder Azathioprin ausgetauscht
weil die konstriktive Perikarditis einer chirurgischen Therapie
werden (Empfehlungsgrad IB). In Einzelfällen wurde auch über
zugeführt werden kann und damit ein kausaler Therapieansatz
eine erfolgreiche Behandlung mit Interferon-α bei Patienten, die
besteht.
nicht auf Steroide oder Cyclophosphamid ansprachen, berichtet.

Wegener-Granulomatose
14.3.1 Löffler-Endokarditis
Definition
Bei der Wegener-Granulomatose handelt es sich um eine Vas-
14 kulitis mit ulzerierenden Granulomen, meist im Bereich des 7 Abschn. 12.3.4.
Kopfes (z. B. Nasennebenhöhlen), der Lunge und einer be-
gleitenden Glomerulonephritis.
14.3.2 Endomyokardfibrose

Neben unspezifischen Entzündungszeichen wie Fieber und BSG- Definition


Erhöhung ist häufig ein Anstieg des Serumkreatinins zu verzeich- Die Endomyokardfibrose ist eine Erkrankung, die vornehm-
nen. Die Krankheitsaktivität beim Morbus Wegener korreliert lich im tropischen Afrika (Uganda, Nigeria) sowie in subtro-
mit dem cANCA-Spiegel. Eine Beteiligung des Herzens kommt pischen Regionen und selten in Europa auftritt. Sie ist durch
selten vor. In ca. 6% der Fälle entwickelt sich eine Perikarditis; eine fibrinöse Umwandlung des Endokards, meist im Bereich
eine Perikardiozentese oder eine Perikardpunktion ist aber nur der Einflusstrakte des rechten, des linken oder beider Ventri-
selten nötig. Es sind aber auch Entzündungsreaktionen in Form kel, gekennzeichnet.
einer Koronararteriitis, einer Myokarditis oder einer Valvulitis
mit der Folge von Angina pectoris ähnlichen Symptomen, einer
Beeinträchtigung der Funktion des linken Ventrikels, Klappen- Sind die Klappen beteiligt, kann es zur Klappeninsuffizienz kom-
funktionsstörungen sowie im Gefolge der entzündlichen Zellin- men. Meist liegt ein sehr ausgeprägter Perikarderguss vor. Die
filtrate Rhythmusstörungen denkbar. Die Therapie entspricht Erkrankung ist in den oben angegebenen Regionen eine häufige
weitgehend der des Churg-Strauss-Syndroms. Ursache für das Auftreten von Herzinsuffizienz. Die Genese ist
unbekannt; sie ist fraglich genetisch bedingt. Betroffen sind alle
Morbus Behçet Altersgruppen. Die pathologischen Veränderungen führen zu
Bei einer Beteiligung des kardiovaskulären Systems beim Morbus einer Verdickung und zu einer Verkürzung der Chordae im Be-
Behçet kommt es klassischerweise zu einem Verschluss der reich der Trikuspidal- oder Mitralklappe sowie zu einer Verdi-
A. subclavia, zu aneurysmatischen Aussackungen der A. carotis ckung der Segel; hierbei bleibt meist das vordere Mitralsegel aus-
communis sowie zum Befall des Aortenbogens und der abdomi- gespart. Aufgrund der Lokalisation der Fibrinablagerungen
nalen Aorta. Entzündliche Veränderungen, v. a. im Bereich der kommt es nicht zu einer deutlichen Vergrößerung des Myokards,
Aorta ascendens, können hierbei zu einer Dilatation der Aorta, allerdings können rechter und auch linker Vorhof extrem vergrö-
einhergehend mit bedeutsamer Aortenklappeninsuffizienz, füh- ßert sein.
14.4 · Reaktive Herzerkrankungen
341 14

Das klinische Erscheinungsbild wird durch die rechts-, links-


bzw. biventrikuläre Ausprägung bestimmt. Das EKG zeigt meist eine
verminderte Amplitude, häufig aufgrund des begleitenden Perikar-
dergusses, der ST-Segmente und der T-Wellen-Veränderungen.
Diagnostisch hinweisend sind die echokardiographische Un-
tersuchung, die Herzkatheteruntersuchung sowie die Zugehörig-
keit zu einem der oben angegebenen Lebensräume. Durch eine
Myokardbiopsie ist eine Löffler-Endokarditis auszuschließen.
Eine spezifische Therapie gibt es nicht. Die Letalität der Er-
krankung innerhalb von 2 Jahren liegt zwischen 35 und 50%. Die
Therapie der Wahl ist die chirurgische Entfernung der befal-
lenen Endomyokardteile, allerdings ist die perioperative Letali-
tät mit 15–25% hoch.

14.3.3 Endokardiale Fibroelastose

Definition
Die EFE ist eine in den ersten beiden Lebensjahren auftre-
tende Erkrankung mit fleckförmiger knorpelartiger Endokard-
verdickung, vornehmlich des linken Ventrikels (. Abb. 14.4).

Neben der Bezeichnung endokardiale Fibroelastose sind auch die


Begriffe Endokardsklerose, fetale Endokarditis, fetale endomyokar-
diale Fibrose und elastische Gewebshyperplasie verwendet worden.
Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht geklärt. Vermutet wird
eine verminderte subendokardiale Blutversorgung oder eine
postinfektiöse Reaktion mit einer eigenständigen immunolo-
gischen Reaktionsform. Angenommen wird die Auslösung z. B.
durch die Mumpsmyokarditis. Diese Annahme wird dadurch
gestärkt, dass die Inzidenz in den meisten Ländern durch die
vermehrte Impfung gegen Mumps zurückgeht. . Abb. 14.4. Endokardiale Fibroelastose des Herzens. Blick in den eröff-
Klinisch wird zwischen einer primären und einer sekundären neten linken Herzventrikel in Richtung auf das Septum und die aortale
Form unterschieden. Bei der sekundären Form finden sich zusätz- Ausflussbahn. Ausgeprägte, weißlich-derbe Verdickung des auskleiden-
lich kongenitale Missbildungen des Herzens. Sie tritt v. a. bei Pati- den Endokards. Autopsiebefund bei unklarer Hypertrophie und Kontrak-
enten mit angeborener Aortenstenose oder Ausflusstraktbehinde- tionsstarre des linken Herzens. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. J.
rungen auf. Die EFE führt zu einer ausgeprägten kardialen Hyper- W.U. Fries, Institut für Pathologie, Universität Köln)
trophie mit einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und
Sauerstoffbedarf in den subendokardialen Schichten. Bei der pri- Klinisch offenbart sich eine allergisch induzierte Myokarditis, die
mären Form imponiert eine ausgeprägte Dilatation vornehmlich mit einer peripheren Eosinophilie und einer perivaskulären Infilt-
des linken Ventrikels. Infolge der Erkrankung entwickelt sich eine ration des Myokards durch eosinophile Zellen, Lymphozyten und
diffuse endokardiale Hyperplasie mit einer Verdickung des Endo- Histiozyten vergesellschaftet ist und manchmal mit auftretenden
kards bis auf mehrere Millimeter. Die Aorten- und auch die Mitral- Nekrosen einhergeht. Die Erkrankung wird oft erst post mortem
segel sind verdickt und befinden sich nicht mehr in symmetrischer diagnostiziert. Todesfälle infolge einer allergischen Myokardbe-
Position. Häufig treten Klappeninsuffizienzen auf. teiligung sind meist durch Rhythmusstörungen verursacht.
Die Therapie der Erkrankung ist symptomatisch. Der Ver- Die Therapie besteht aus dem Absetzen der allergieauslösen-
such der Perikardektomie und des chirurgischen Klappenersatzes den Substanz, dem Verabreichen von Kortikosteroiden und ggf.
ist in den meisten Fällen wenig erfolgreich. Häufig ist eine Herz- immunsuppressiven Maßnahmen.
transplantation nötig.

14.4 Reaktive Herzerkrankungen


14.3.4 Hypersensitivitätssyndrom
14.4.1 Postmyokardinfarktsyndrom
Eine Hypersensitivität mit einer allergischen Reaktion unter Ein- (Dressler-Syndrom)
beziehung des Myokards kann bei zahlreichen verschiedensten
Medikamenten auftreten. Definition
Als Dressler-Syndrom wird eine Perikarditis, ggf. Pleuritis, die
> Die häufigsten Substanzgruppen mit kardialer Manifestation Wochen bis Monate nach einem akuten Myokardinfarkt auf-
nach allergischer Reaktion sind: Sulfonamide, Penicilline, Methyl- tritt, beschrieben.
dopa, Dihydrochlorothiazide, Spironolacton und Indometacin.
342 Kapitel 14 · Immunologische Herzerkrankungen

Hierbei kann auch eine generelle Entzündungsreaktion des Kör- ! Cave


pers, einhergehend mit Fieber, bestehen. Risikofaktoren für das Orale Antikoagulanzien sollten bei der Therapie des Dressler-
Auftreten eines Postmyokardinfarktsyndroms sind ein großer Syndroms vermieden werden, um das Risiko einer hämorrha-
Myokardinfarkt und Therapie mit oralen Antikoagulanzien. gischen Perikarditis zu vermindern.
Meist wird zwischen einer akuten Postinfarktperikarditis un-
mittelbar während oder im Anschluss an das Infarktgeschehen Bei der Behandlung der Schmerzen haben sich ASS und NSAID
und dem Dressler-Syndrom, das meist 2–3 Wochen bis Monate bewährt (Diclofenac 2- bis 4-mal 50 mg/Tag; Magenschutz!).
nach dem Infarkt auftritt, unterschieden. Das Dressler-Syndrom Wenn hierdurch nur unzureichende Besserung eintritt, ist ein
findet sich bei ca. 4% der Patienten mit akutem Myokardinfarkt. Therapieversuch mit Kortikosteroiden (Prednisolon 1 mg/kgKG/
Es wurde auch über Fälle im Zusammenhang mit einer rechts- Tag über 2–3 Wochen) angezeigt. Nur selten ist eine Perikard-
ventrikulären Belastung im Rahmen einer Lungenembolie be- fensterung bei rekurrentem Perikarderguss nötig.
richtet.
> Durch die Einführung einer effektiven Reperfusionsstrategie, 14.4.2 Postperikardiotomiesyndrom
z. B. durch thrombolytische Therapie oder akute Revaskularisati-
onsmaßnahmen, scheint das Dressler-Syndrom in den letzten
Ähnlich dem Dressler-Syndrom können ca. 1 Woche nach ope-
Jahren rückläufig zu sein.
rativer Eröffnung des Perikards allgemeine Krankheitssymp-
Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht gänzlich geklärt. Auf- tomen, einhergehend mit Fieber, Perikarditis und Pleuritis, in
grund des Nachweises von Antimyokardantikörpern bei Pati- Erscheinung treten. Die Häufigkeit liegt bei ca. 10%. Ähnlich
enten mit Dressler-Syndrom wird eine autoimmuninduzierte dem Dressler-Syndrom wird eine autoimmune Reaktion gegen
Erkrankung möglicherweise auch infolge einer latenten viralen das Epikard, möglicherweise auch im Zusammenhang mit einer
Infektion angenommen. Da auch orale Antikoagulanzien bei In- viralen Infektion, angenommen. Die Perikardflüssigkeit ist dabei
farkten zunehmend weniger eingesetzt werden und dies mit einer mit einem Proteingehalt von meist über 4,5 g/10 ml häufig serös
verminderten Inzidenz des Dressler-Syndroms einhergeht, und mit einem Leukozytengehalt von 3000–8000 Zellen/mm3
könnte dies die Hypothese stützen, die eine Blutung im perikar- leicht hämorrhagisch.
dialen Raum als Ursache annimmt. Echokardiographisch kann meist ein primärer Perikarder-
Histologisch zeigt die Entzündung im Bereich des Perikards guss nachgewiesen werden; die echokardiographische Untersu-
meistens unspezifische Reaktionen mit Fibrinablagerungen. Im chung ist auch zur Verlaufsbeurteilung wesentlich. Nicht jeder
Gegensatz zu der akut, unmittelbar im Infarktgeschehen auftre- Perikarderguss ist einem Postperikardiotomiesyndrom zuzu-
tenden Perikarditis ist die Beteiligung im Rahmen des Dressler- schreiben, da er auch häufig nach Herzoperationen auftritt (mehr
Syndroms eher diffus im Myokard verteilt. als 50% innerhalb der ersten 10 Tage).
Klinisch imponieren die Patienten meist durch eine akute, oft Das Postperikardiotomiesyndrom ist meist eine selbst limitie-
auch fieberhafte Erkrankung; es zeigen sich Abgeschlagenheit, rende Erkrankung. Fieber und unspezifische Thoraxschmerzen
typische Allgemeinsymptomen und eine Perikarditis. Brust- können durch Aspirin und NSAID behandelt werden. Selten
14 schmerz mit bzw. ohne Perikardreiben kann auftreten. Häufig ist kommt es zur Perikardtamponade (ca. 1% der Patienten mit Post-
die Pleura in Form Pleuritis und Pleuraerguss beteiligt (Differen- perikardiotomiesyndrom). Orale Antikoagulanzien scheinen da-
zialdiagnose: Pleuropneumonie). bei nicht das Auftreten einer Perikardtamponade zu begünstigen.
Echokardiographisch ist der Perikarderguss zu diagnostizie-
ren. Elektrokardiographisch finden sich die typischen Verände-
rungen der akuten Perikarditis. Die EKG-Veränderungen sind Literatur
aufgrund der Repolarisationsstörungen nach Myokardinfarkt oft
schwer zu deuten. Laborchemisch stellen sich unspezifische Ent- Ghofrani HA, Wiedemann R, Rose F et al. (2002) Sildenafil for treatment of
zündungszeichen wie eine erhöhte CRP, Leukozytose und ggf. lung fibrosis and pulmonary hypertension: a randomised controlled
antimyokardiale Antikörper dar. trial. Lancet 360: 895–900
Zur Unterscheidung zwischen Reinfarkt bei Zustand nach Maradit-Kremers H, Crowson CS, Nicola PJ et al. (2005) Increased unrecog-
Myokardinfarkt und Dressler-Syndrom können die folgenden nized coronary heart disease and sudden deaths in rheumatoid arthri-
Charakteristika dienen: tis: a population-based cohort study. Arthritis Rheum 52: 402–411
4 Die thorakale Schmerzsymptomatik bessert sich beim Dress- McGettigan P, Henry D (2006) Cardiovascular risk and inhibition of cycloo-
ler-Syndrom meist nicht nach Nitrogabe. xygenase: a systematic review of the observational studies of selec-
tive and nonselective inhibitors of cyclooxygenase 2. JAMA 296:
4 Es finden sich keine neu aufgetretenen Q-Wellen im EKG.
1633–1644
4 Es fehlt eine CK-MB-Reaktion.
Manger K, Manger B, Repp R et al. (2002) Definition of risk factors for death,
end stage renal disease, and thromboembolic events in a monocen-
Meist tritt eine Spontanheilung ohne weitere Therapienotwen- tric cohort of 338 patients with systemic lupus erythematosus. Ann
digkeit ein. Es kann aber auch, v. a. bei größeren Perikardergüs- Rheum Dis 61: 1065–1070
sen, zur Perikardtamponade mit notwendig werdender Punktion Sander GE, Giles TD (2002) Cardiovascular complications of collagen vas-
kommen. cular disease. Curr Treat Options Cardiovasc Med 4: 151–159
343 15

Erregerbedingte Endokarditiden
M. Flesch

15.1 Diagnostik – 343 15.3 Operative Therapie der Endokarditis – 348


15.1.1 Anamnese – 343
15.1.2 Labordiagnostik – 343 15.4 Antikoagulation – 349
15.1.3 Echokardiographie – 343
15.1.4 Erregernachweis – 344 15.5 Nachsorge bei ausgeheilter Endokarditis – 349
15.1.5 Duke-Kriterien – 344
15.6 Prävention der Endokarditis – 349
15.2 Antimikrobielle Therapie – 344
15.2.1 Endokarditis mit Erregernachweis – 345 Zusammenfassung – 350
15.2.2 Enterokokken – 345
Literatur – 350

))
Übersicht 15.1. Hinweise auf eine Endokarditis
Mikrobiell verursachte Endokarditiden kommen in den westli-
chen Industrieländern in einer Inzidenz von 3–5/100.000 Ein- Hoher klinischer Verdacht (Notwendigkeit für Echo-
wohnern vor. Es handelt sich um endovaskuläre, vorzugsweise kardiographie und ggf. Hospitalisierung)
durch Bakterien verursachte Infektionen kardiovaskulärer Struk- 4 Neuer Herzklappenfehler/neu aufgetretenes (Insuffi-
turen, insbesondere der Herzklappen, aber auch intrakardial zienz-)Geräusch
implantierter Fremdmaterialien. Die Letalität der Endokarditis ist 4 Embolische Ereignisse unklarer Genese
unverändert hoch und beträgt bis zu 20%. Eine besonders ge- 4 Sepsis unklarer Genese
fürchtete Komplikation stellen zerebrale Embolien dar. Syste- 4 Hämaturie, Glomerulonephritis und Niereninfarkt
mische Embolien werden für 20–50% aller Endokarditiden be- 4 Fieber plus
schrieben; hierbei betreffen bis zu 65% das ZNS und über 90% – Prosthetisches Material im Herzen
das Strömungsgebiet der A. cerebri media. Erschreckend sind – Andere Prädispositionen für eine Endokarditis
auch lange mittlere stationäre Behandlungszeiten, die bei über – Neu aufgetretene ventrikuläre Arrhythmien oder Über-
40 Tagen liegen. leitungsstörungen
– Erstmanifestation einer Herzinsuffizienz
– Positive Blutkulturen von für Endokarditis typischen
Erregern
15.1 Diagnostik – Osler-Flecken
– Multifokale, rasch veränderliche Lungeninfiltrate
Konditionen, bei denen an das Vorliegen einer Endokarditis zu – Periphere Abszesse unklarer Genese
denken ist, sind in 7 Übersicht 15.1 aufgelistet. – Prädisposition und zeitlich nahe liegende diagnostische
und therapeutische Interventionen mit Bakteriämie
Niedriger klinischer Verdach
15.1.1 Anamnese 4 Fieber ohne eines der oben genannten Begleitkriterien

Wichtige anamnestische Hinweise für das Vorliegen einer


Endokarditis sind Herzklappenfehler, früheres rheumatisches
Fieber, Klappenprothesen oder Schrittmacherimplantation, i.v.- 15.1.3 Echokardiographie
Drogenabusus und unlängst zurückliegende diagnostische oder
therapeutische Maßnahmen, die mit einer Bakteriämie einher- > Die Echokardiographie ist die entscheidende bildgebende Un-
gehen. tersuchung. Grundsätzlich gilt, dass die Sensitivität der TEE der
transthorakalen Echokardiographie deutlich überlegen ist. Des-
halb sollten alle Patienten mit einem Endokarditisverdacht einer
15.1.2 Labordiagnostik TEE zugeführt werden.

Laborchemische Untersuchungen sind unspezifisch. Typisch Nur bei guter Beschallbarkeit der Herzklappen und vagem Endo-
sind eine Erhöhung von CRP oder BSG, eine Leukozytose mit karditisverdacht ist auch eine transthorakale Echokardiographie
Linksverschiebung sowie eine Anämie. Auch eine Erhöhung des ausreichend. Bei fortbestehendem klinischen Verdacht ist nach
Prokalzitoninspiegels kann auf eine Endokarditis zurückzufüh- einer nicht weiterführenden transthorakalen Echokardiographe
ren sein. immer eine TEE durchzuführen. Die TEE ist auch indiziert, wenn
344 Kapitel 15 · Erregerbedingte Endokarditiden

. Abb. 15.1. Rationale zum diagnostischen


Einsatz der Echokardiographie bei Endokarditis-
verdacht. TEE transösophageale Echokardiogra-
phie, TTE tranthorakale Echokardiographie

nach Nachweis einer endokarditischen Auflagerung von trans- zeit einstellt. Dies gilt insbesondere, wenn die Blutkulturen unter
thorakal der Verdacht auf drohende kardiale Komplikationen wie laufender antimikrobieller Therapie abgenommen wurden. Eine
Embolien oder Abszessbildung besteht (. Abb. 15.1). kulturelle Untersuchung von exzidiertem Klappenmaterial ist
Die TEE erlaubt einen Vegetationsnachweis ab einer Größe ebenfalls indiziert, auch wenn vorher bereits in der peripheren
von 2–3 mm. Es kann der Schweregrad einer endokarditisbe- Blutkultur ein Erregernachweis erfolgte.
dingten Klappeninsuffizienz beurteilt werden. Komplikationen
wie Sehnenfadenabrisse, Klappenperforationen und Abszesse
können erkannt werden. Für die Verlaufskontrolle mit der Frage 15.1.5 Duke-Kriterien
nach Regredienz der endokarditischen Auflagerungen ist die
15 Echokardiographie als Verlaufskontrolle genauso wichtig wie Um die Diagnosestellung bei einer Endokarditis zu erleichtern,
auch für die Beurteilung des Thromboembolierisikos. Dieses ist entwickelten Wissenschaftler von der Duke University 1994 Kri-
bei mobilen Vegetationen >1 cm 2- bis 3-fach erhöht. Bei intial terien, die seitdem mehrfach modiziert wurden. Diese Kriterien
negativem Ergebnis ist bei fortbestehendem Verdacht eine Kon- sind in 7 Übersicht 15.2 aufgeführt.
trolluntersuchung nach 1–10 Tagen sinnvoll. In ähnlichen Ab-
ständen sollten Verlaufskontrolluntersuchungen auch nach
Nachweis von endokarditischen Auflagerungen erfolgen. Kriteri- 15.2 Antimikrobielle Therapie
en für die echokardiographische Diagnose einer endokarditi-
schen Auflagerung sind in 7 Übersicht 15.2 genannt. > Eine antimikrobielle Therapie sollte möglichst erregerspezifisch
nach Antibiogramm erfolgen. Wenn aus klinischen Erwägungen
bei kritischem Verlauf ein Abwarten des Blutkulturergebnisses
15.1.4 Erregernachweis nicht vertretbar ist, kann nach Abnahme mehrerer Blutkulturen
auch empirisch eine Therapie ohne Kenntnis des Erregers
> Die Entnahme von Blutkulturen ist für die Diagnosestellung und durchgeführt werden.
die Therapie sehr wichtig und sollte nach Möglichkeit vor Einlei-
tung einer antimikrobiellen Therapie oder mehrere Tage nach Bei vorbestehender Antibiotikatherapie sollte überlegt werden,
Pausierung der Therapie erfolgen. ob die Antibiotikagabe vor Entnahme der Blutkulturen über
mehrere Tage pausiert werden kann. Die Therapie erfolgt nach
Mehrere Blutkulturen sollten im Abstand von 1 h unabhängig Möglichkeit stationär mithilfe der parenteralen Verabreichung
von der Körpertemperatur abgenommen werden. Die Blutkul- bakterizider Antibiotika. Nach Möglichkeit sollte die Therapie
turen sollten aus einer peripheren Vene, nicht aber aus einem bei Endokarditis über eine periphere Vene erfolgen. Ein zent-
Verweilkatheter gewonnen werden. Die Verdachtsdiagnose einer raler Venenkatheter ist zu vermeiden. Die Therapiedauer be-
Endokarditis sollte dem Mikrobiologen durch den Kliniker mit- trägt erregerabhängig 4–6 Wochen, bisweilen auch länger, bis
geteilt werden, damit dieser sich auf eine verlängerte Bebrütungs- zum Abklingen der Entzündungsparamter (Normalisierung von
15.2 · Antimikrobielle Therapie
345 15

Regelmäßig werden die Empfehlungen für die antimikro-


Übersicht 15.2. Kriterien für die echokardiographische bielle Behandlung durch die zuständigen Fachgesellschaften, in
Diagnose einer endokarditischen Auflagerung Deutschland z. B. der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und Deutsche
Gesellschaft für Kardiologie, aktualisiert und können im Internet
Modifizierte Duke-Kriterien eingesehen werden (z. B. http://www.wissenschaftliche-verlags-
4 Definitive infektive Endokarditis gesellschaft.de/CTJ/CTJ.HTM). Eine regelmäßige Anpassung
– Pathologische Kriterien eigener Therapiestandards an die neuen Empfehlungen ist sinn-
– Nachweis von Mikroorganismen durch Kultur oder voll. Im Folgenden wird auf die aktuellen Empfehlungen der
histologische Untersuchung einer Vegetation, einer Paul-Ehrlich-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für
embolisierten Vegetation oder eines intrakardialen Kardiologie Bezug genommen.
Abszessabstrichs
– Klinische Kriterien
– 2 Hauptkriterien oder 15.2.1 Endokarditis mit Erregernachweis
– 1 Hauptkriterium und 3 Nebenkriterien
– 5 Nebenkriterien Streptokokken (Streptococcus viridans, S. bovis,
4 Mögliche Endokarditis S. viridans haemolyticus, S. pneumoniae)
– 1 Hauptkriterium und 1 Nebenkriterium Viridans-Streptokokken sind beim nichtdrogenabhängigen Pati-
– 3 Nebenkriterien enten die häufigsten Erreger der bakteriellen Endokarditis an
4 Ausschluss einer Endokarditis Nativklappen. Regional unterschiedlich besteht bei 15% bis mehr
– Alternative Diagnose als 50% der Streptokokkenstämme eine relative Penicillinresis-
– Komplettheilung unter Antibiose <4 Tage tenz. β-hämolysierende Streptokokken der Gruppen A, B, C und
– Fehlender pathologischer Nachweis nach bioptischer D sind seltene Endokarditiserreger mit meist voller Empfindlich-
oder autoptischer Gewebeentnahme bei Antibiose keit für Penicillin. Bei einer Endokarditis mit Streptococcus bovis
<4 Tage wurde eine erhöhte Inzidenz von Magen-Darm-Malignomen be-
– Auschluss obiger Kriterien richtet, deshalb sind hier eine Gastroduodenoskopie und Ko-
Haupt- und Nebenkriterien in der modifizierten loskopie zur weiteren Abklärung sinnvoll.
Duke-Klassifikaton Eine Monotherapie mit Penicillin bzw. Ceftriaxon über
4 Hauptkriterien 4 Wochen geht mit einer Heilungschance bis 98% einher. Meist
– Positive Blutkultur wird jedoch eine Kombinationstherapie mit Gentamycin durch-
– 2 separate Blutkulturen positiv für: Streptococcus vi- geführt, um die Heilungszeit zu verkürzen. Wegen erschwerter
ridans, Streptococcus bovis, HACEK-Bakterien, Sta- Keimeradikation wird bei Prothesenendokarditis zu einer min-
phylococcus aureus, Enterokokken destens 6-wöchigen Therapie und hier insbesondere zu einer
– 1 positive Blutkultur für Coxiella burnetii oder Anti- Kombinationstherapie von β-Laktam-Antibiotikum mit einem
Phase-1-IgG-Antikörpertiter >1:800 Aminoglykosid geraten (. Tab. 15.1).
– Nachweis einer endokardialen Beteiligung
– Positives Echokardiogramm (TEE empfohlen für Pa-
tienten mit prothetischem Klappenmaterial mit kli- 15.2.2 Enterokokken
nisch möglicher Endokarditis oder für Patienten mit
komplizierter Endokarditis, z. B. mit paravalvulärem Bei Enterokokken besteht meist eine generelle, meist intrinsische
Abszess) mit folgenden Zeichen: oszillierende intra- Resistenz gegen β-Laktam-Antibiotika; deshalb ist auch hier eine
kardiale Masse vornehmlich an Klappen oder klap- zusätzliche Therapie mit einem Aminoglykosid indiziert. In eini-
penassoziierten Strukturen im Bereich eines Reflux- gen Fällen besteht zusätzlich eine Aminoglykosidresistenz. Hier
jets oder an implantierten Klappen ohne alternative kann bei entsprechender Sensibilität mit Vancomycin oder Teico-
anatomische Erklärung oder Nachweis eines Abs- planin behandelt werden.
zesses oder neu aufgetretenes Insuffizienzvitiums Für die Therapie ist eine Empfindlichkeitsbestimmung gegen
4 Nebenkriterien Ampicillin, Gentamicin und ggf. Vancomycin und Teicoplanin
– Prädisposition erforderlich. Bei β-Laktamase-Resistenz kann eine Therapie mit
– Fieber >38°C Ampicillin/Sulbactam sinnvoll sein. Bei Hochresistenz gegen
– Vaskuläre Phänomene, größere arterielle Thromben, Gentamicin kann eine Langzeitbehandlung mit Ampicillin über
septische pulmonale Infekte, mykotische Aneurys- minimal 8 Wochen zur Heilung führen. Bei Vancomycinresistenz
mata, intrakraniale Blutung, konjunktivale Blutung liegt als Alternative Linezolid aus der Gruppe der Oxazodilinone
– Immunologische Phänomene: Glomerulonephritis, vor (. Tab. 15.2)
Osler-Knoten, Rheumafaktor
– Mikrobiologische Evidenz: positive Blutkultur, soweit Staphylococcus aureus
sie nicht ein Hauptkriterium darstellt Staphylokokken bedingen 20–30% aller Endokarditiden. Die Be-
deutung von Staphylokokken als Endokarditiserreger nimmt ins-
besondere durch den i.v.-Drogenabusus, vermehrte Hämodialyse
CRP bzw. BSG). Weitere Kriterien für den Therapieerfolg sind und Diabeteskranke zu. Ein Problem ist die Penicillinasebildung
der klinische Verlauf, das Verschwinden nachgewiesener endo- mit entsprechender Resistenz gegenüber Penicillin, zunehmend
karditischer Auflagerungen und der Nachweis negativer Blut- aber auch eine Methicillinresistenz (10–15% der Fälle) und in
kulturen. Deutschland bislang vereinzelt auch eine Vancomycinresistenz.
346 Kapitel 15 · Erregerbedingte Endokarditiden

. Tab. 15.1. Therapieempfehlung bei Endokarditis durch Viridans-Streptokokken. (Mod. nach Naber 2004)
Konstellation Antibiotikum/Dosis Dauer Empfehlungsgrad
Erhöhtes Risiko für Nephrotoxizität Penicillin G 20 Mio. E/d, i.v. 3–4 ED 4 Wochen IB
Vorschädigung des Nervus VIII, I
MHK Penicillin ≤0,125 μg/ml
Unkomplizierter Verlauf, niedriges Alter, Penicillin G 20 Mio./ E/d, i.v. 3–4 ED 2 Wochen IB
Krankheitsdauer <3 Monate + Gentamicin 3 mg/kg/d i.v. 3 ED 2 Wochen
MHK Penicillin ≤125 μg/ml
Komplizierter Verlauf, große Vegetation, Penicillin G 20 Mio. E/d, i.v. 3–4 ED 4–6 Wochena IB
Krankheitsdauer ≥3 Monate, Prothese + Gentamicin 3 mg/kg/d i.v. 3 ED 2 Wochen
MHK >0,125 ≤0,5 μg/ml
Penicillinunverträglichkeit Vancomycinb 2 g i.v. 2–3 ED o. 4 Wochen IB
Teicoplaninc 400 mg/d i.v. 1 ED o. 4 Wochen IIa
Ceftriaxond 2 g/d 1 ED 4 Wochen IA
ED = Einzeldosis, MHK = mittlere Hemmkonzentration.
a Bei Prothesenendokarditis: 6-wöchige Behandlung mit β-Lactam-Antibiotikum, wenigstens 2 Wochen Gentamicin.
b Cave: Nephrotoxizität
c Loading dose bei Teicoplanin 800–1200 mg/d über 4–5 Tage
d Als Substitut für Penicillin in vorgenannten Therapieschemata. Bei Penicillinunverträglichkeit vom Soforttyp ist von der Gabe von Ceftriaxon al-

lerdings abzuraten
Kurzinfusion der β-Lactam-Antibiotica über ca. 60 min, der Aminoglykoside über 30–60 min, Vancomycin über mindestens 60 min.
(Cave »red man-syndrom«)
Serumspiegel: Vancomycintalspiegel <10 μg/ml, Spitzenspiegel (1 h nach Infusion) <45 μg/ml bei 1-g-Dosis, <35 μg/ml, bei 0,5-g-Dosis.
Gentamicintalspiegel <2 μg/ml, Spitzenspiegel <10 μg/ml.
Dosisanpassung der Antibiotika bei Niereninsuffizienz, bei übergewichtigen Patienten sind die Aminoglykoside und Vancomycin auf Idealgewicht
zu beziehen.

. Tab. 15.2. Therapieempfehlung bei Endokarditis durch Enterokokken. (Mod. nach Naber 2004)
Konstellation Antibiotikum/Dosisa Dauerb Empfehlungsgrad
Penicillinverträglichkeit Ampicillin 12–24 g/d i.v. 3–4 EDc 4–6 Wochen IB
+ Gentamicin 3 mg/kg/d i.v. 3 ED 4–6 Wochen
Penicillinunverträglichkeit Vancomycind 2 g i.v. 2–3 ED 4–6 Wochen IB
+ Gentamicin 3 mg/kg/d i.v. 3 ED 4–6 Wochen
a Notwendig sind der Nachweis/Ausschluss einer »high level resistence« von Gentamicin sowie einer Vancomycinresistenz (VanA) und ggf. Teico-
15 planinresistenz.
b Prothesenendokarditis: wenigstens 6-wöchige Behandlung, zumeist ist eine kombiniert chirurgisch-medikamentöse Behandlung erforderlich.
c Anstelle von Ampicillin ist auch die Mezlocillingabe (12–20 g/d in 3–4 ED) möglich.
d Anstelle von Vancomycin ist auch eine Teicoplaningabe möglich, »loading dose« bei Teicoplanin 800–1200 mg/d über 4–5 Tage.

Bei »High-level-resistance«-Stämmen sowie bei Vorliegen einer Infektion durch Enterococcus faecium ist die Beratung durch einen Infektiologen/
klinischen Mikrobiologen empfohlen.

Viele MRSA-Stämme weisen zudem eine Resistenz gegen Makroli- Wegen erhöhter Raten von Penicillinresistenz erfolgt die Pri-
de, Tetrazykline, Aminoglykoside und Fluorchinolone auf. märtherapie bei Verdacht auf eine Prothesenendokarditis mit
Die antimikrobielle Therapie erfolgt mit Isoxazolylpenicillin, einem Glykopeptid in Kombination mit einem Aminoglykosid.
z. B. Flucloxacillin. Alternativ können Cephalosporine der Grup-
pe 2 eingesetzt werden. Glykopeptide kommen bei Penicillinaller- HACEK-Erreger
gie sowie bei Methicillinresistenz (MRSA) zum Einsatz. Amino- Zur HACEK-Gruppe gehören Haemopilus parainfluenza, H. aphro-
glykoside führen auch hier in Kombination zu einer schnelleren philus, H. influenza, H. paraphrophilus, H. actinomycetemcomitans,
Entfieberung. Eine weitere Alternative ist Daptomycin. Die Effek- Cardiobacterium hominis, Eikenella corrodens und Kingella kingae.
tivität einer zusätzlichen Gabe von Rifampicin ist nur bei Kunst- Es handelt sich um langsam wachsende, gram-negative Bakterien,
klappenendokarditis gesichert, hier aber indiziert. Hier erfolgt eine die für bis zu 3% aller Endokarditiden verantwortlich sind. Die
Therapie mit Oxacillin oder Vancomycin in Kombination mit Ri- Therapie erfolgt wegen des vermehrten Auftretens von β-Laktama-
fampicin und in den ersten 2 Wochen Gentamycin (. Tab. 15.3). se-produzierenden Stämmen mit Cephalosporinen der dritten Ge-
neration oder nach Antibiogramm (. Tab. 15.4).
Koagulase-negative Staphylokokken
Koagulase-negative Staphylokokken sind häufig Erreger von Pseudomonas und Enterobacteriaceae
Prothesenendokarditiden. Bei Nativklappen beträgt der Anteil Endokarditiden mit Pseudomonaden oder Enterobacteriaceae
nur 5%. kommen selten, häufiger bei i.v.-Drogenkonsumenten, Klappen-
15.2 · Antimikrobielle Therapie
347 15

. Tab. 15.3. Therapieempfehlung bei Endokarditis durch Staphylokokken. (Mod. nach Naber 2004)

Bedingung Antibiotikum/Dosis Dauer Empfehlungsgrad


Methicillinsensibel Oxacillin o. Flucloxacillin 8–12 g 3–4 ED 4–6 Wochen IA
MHK ≤1 μg/ml + Gentamicin 3 mg/kg/d 3 ED 3–5 Tage
Methicillinresistent Vancomycin 2 g in 2–3 ED 4–6 Wochen IB
MHK ≤1 μg/ml oder + Gentamicin 3 mg/kg 3 ED 3–5 Tage
Penicillinunverträglichkeit
Prothese, methicillinsensibler Erreger Oxacillin o. Fluclaxacillin 8–12 g/d ≥ 6 Wochen IB
+ Gentamicin 3 mg/kg 3 ED 2 Wochen IIaC
+ Rifampicin 900 mg 3 ED ≥ 6 Wochen
Prothese, methicillinresistenter Erreger Vancomycin 2 g 2–3 ED ≥ 6 Wochen IB
MHK ≤1 μg/ml oder + Gentamicin 3 mg/kg 3 ED 2 Wochen
Penicillinunverträglichkeit Rifampicin 900 μg 3 ED ≥ 6 Wochen
Kurzinfusion der β-Lactam-Antibiotika über ca. 60 min, der Aminoglykoside über 30–60 min, Vancomycin über mindestens 60 min (Cave »red man-
syndrom«).
Serumspiegel: Vancomycintalspiegel <10 μg/ml, Gentamicintalspiegel <2 μg/ml.
Dosisanpassung der Antibiotika bei Niereninsuffizienz, bei übergewichtigen Patienten sind Aminoglykoside und Vancomycin auf Idealgewicht zu
beziehen
Bei Penicillinunverträglichkeit vom verzögerten Typ ist die Gabe von Cefazolin 6 g/d in 3 ED oder analoges Erstgenerationscefalosporin möglich.
MHK = mittlere Hemmkonzentration.

. Tab. 15.4. Therapieempfehlung bei Endokarditis durch gramnegative Erreger. (Mod. nach Naber 2004)

Erreger Antibiotikum Dauer Empfehlungsgrad


HACEKa Ceftriaxon 2 g/d 1 ED 4 Wochen IC
Pseudomonas aeruginosab,c Piperacillin + BU 20 g in 3–4 ED Wenigstens 6 Wochen IC
oder Ceftazidim 6–8 g/d in 3–4 ED
+ Tobramycin 3–5 mg/kg in 3 ED
Enterobacteriaceaeb,c Ceftriaxon 2 g/d 1 ED Wenigstens 4 Wochen IC
oder Cefotaxim 6–8 g/d in 3–4 ED
+ Gentamicin 3–5 mg/kg in 3 ED
a H. influenzae, H. parainfluenzae, H. aprophilus, Haemophilus (Actinobacillus) actinomy cetemcomitans, Cardiobacterium, Eikenella, Kingella
b Bei der Behandlung sind die In-vitro-Empfindlichkeiten zu berücksichtigen. Die Gabe von Chinolonen und Imipenem sind im Einzelfall zu erwä-
gen. Häufig ist ein Klappenersatz notwendig
c Bei Pseudomonas und Enterobacteriaceae ist Ciprofloxacin als Aminoglycosidalternative möglich [Empfehlungsgrad IIaC]

prothesen und katheterassoziierten Infektion vor. Die Therapie Coxiellen, Brucellen und Bartonellen
erfolgt bei Pseudomonaden mit Piperacillin+Sulbactam und bei Endokarditiden durch diese Erreger sind selten. Meist wird die
Enterobacteriaceae mit Ceftriaxon (. Tab. 15.4). Diagnose daher erst sehr spät gestellt, zumal sie im Fall von Coxi-
ellen und Bartonellen serologisch erfolgt (. Tab. 15.6).
Pilzinfektionen
Candida und Aspergillus stellen 1–10% der Endokarditiserreger. Endokarditis ohne Erregernachweis
Risikokonditionen sind Immunsupression, protrahierte antimi- Bei 4–10% aller Endokarditiden gelingt ein Erregernachweis
krobielle Therapie, Drogenkonsum, Präsenz von Fremdkörpern nicht. Grund ist häufig eine vorausgegangene Antibiotikathera-
sowie vorausgegangene herzchirurgische Eingriffe. Die Diagnose pie, seltener eine Infektion mit atpyischen Erregern oder Erre-
ist durch häufig negative Kulturen erschwert. Die Bedeutung des gern, bei denen der Nachweis erschwert ist. Die Therapie erfolgt
Nachweises von Aspergillusantigen ist nicht gesichert. Häufig empirisch, begleitet von einer im günstigen Fall von einem mi-
liegen große Klappenvegetationen vor. krobiologischen Labor beratend mitgeplanten intensivierten
Bei einer Pilzendokarditis sollte möglichst früh eine operati- Keimdiagnostik. Als Therapieempfehlung für eine Nativklappen-
ve Sanierung sowohl bei einer Nativ- als auch bei einer Kunst- endokarditis gilt die Gabe von Ampicillin in Kombination mit
klappenbesiedlung erfolgen. Danach muss die Antimykotikathe- Gentamicin und Cefotaxim. Bei einer Kunstklappenendokarditis
rapie über mindestens 6 Wochen fortgesetzt werden. Der Stellen- ohne Erregernachweis wird mit Vancomycin, Gentamcin und
wert vielversprechender moderner Antimykotika wie liposoma- Rifampicin therapiert (. Tab. 15.7).
lem Amphotericin B, Caspofungin oder Variconazol ist für die
Endokarditis nicht gesichert (. Tab. 15.5).
348 Kapitel 15 · Erregerbedingte Endokarditiden

. Tab. 15.5. Therapieempfehlung bei Pilzendokarditis. (Mod. nach Naber 2004)


Erreger Antibiotikum Dauer Empfehlungsgrad
Candida Amphotericin Ba–e 0,8–1,0 mg/kg i.v. Wenigstens 6 Wochen IC
i.v., 1 ED
+ 5 Flucytosin 150 mg/kg i.v. 3 ED Wenigstens 6 Wochen
Aspergillus5 Amphotericin Ba–e 1–1,2 mg/kg i.v. Wenigstens 6 Wochen IC
a Unter hoher Volumen- und Salzzufuhr ist die Nephrotoxizität von Amphotericin B verringert, max.-Dosierung 1,2 mg/kg/d, max. Gesamtdosis 2–5 g.
b Im Einzelfall Entscheidung über Gabe von liposomalem Amphotericin B: 3–7 mg/kg/d.
c Stets Indikation zur Frühoperation, Therapiedauer nach Klappenersatz min. 6 Wochen.
d Bei Aspergillus ggf. nach Testung zusätzliche Gabe von 5 Flucytosin und/oder Rifampicin.
e Aufgrund der geringen Fallzahlen in der Literatur können auch neuere Antimykotika mit Apergillusaktivität eingesetzt werden.

. Tab. 15.6. Therapieempfehlung bei Endokarditis durch Coxiella burnetii, Brucella und Bartonella. (Mod. nach Naber 2004)
Erreger Antibiotikum Dauer Empfhehlungsgrad
Coxiella burnettia Doxycyclin ≥ 18 Monate IIa C
+ Cotrimoxazol
o. Rifamipicin o. Chinolon
Brucella spp.a Doxycyclin+ Aminoglykosid Min. 8 Wochen–10 Mon. IIa C
+ Rifampicin o. Cotrimoxazol nach Klappenersatz
Bartonella spp.a Doxycyclin o. Erythromycin o. 4–6 Wochen IIa C
Azithromycin 8–12 Wochen
+ Gentamicin o. Ceftriaxon
Bei seltener Erkrankung und schwieriger, langwieriger Therapie empfiehlt sich die Mitbetreuung durch einen Infektiologen/klinischen Mikrobiolo-
gen. Ein rascher Klappenersatz bei Herzinsuffizienz, unkontrollierter Infektion oder Protheseninfektion ist anzustreben. Nach Prothesenersatz ist
auch eine Langzeitsuppression zu erwägen.
a Klappenersatz überwiegend erforderlich

15.3 Operative Therapie der Endokarditis . Tab. 15.7. Endokarditis durch Viridans-Streptokokken. (Mod. nach
Naber 2004)
> Bei nativen Herzklappen ist eine operative Therapie indiziert, Bedingung Antibiotikum/Dosis Dauer
wenn es zu einer akuten Aorteninsuffizienz oder Mitralinsuffizi- Nativklappena,b Ampicillin 12–24 g/d/ i.v. (3–6 ED) 4–6 Wochen
enz mit kardialer Dekompensation kommt, wenn sich Abszesse + Gentamicinc 3 mg/kg/d/i.v. (3 ED) 4–6 Wochen
oder Fisteln bilden, wenn schwer therapierbare Erreger vorliegen, + Cefotaxim 6 g/d i.v. (3 ED) 4–6 Wochen
15 es zum septischen Schock kommt, Fieber trotz antibiotischer The- oder Ceftriaxon 2 g/d i.v. (1 ED) 4–6 Wochen
rapie über 10 Tage persistiert oder trotz adäquater Therapie eine Klappenprothese Vancomycind 2 g/d 2–3 ED 6 Wochen
persistierende Bakteriämie vorliegt, es zu rezividierenden Embo- + Gentamicin 3 mg/kg/d i.v. 3 ED 2 Wochen
lien kommt, wenn insbesondere an der Mitralklappe eine frische + Rifampicin 900 mg/d i.v. 3 ED 6 Wochen
mobile Vegetation mit >1 cm Durchmesser vorliegt, Vegetati- Es empfiehlt sich die Mitbetreuung durch einen Infektiologen/kli-
onen unter Therapie an Größe zunehmen oder auf andere Klap- nischen Mikrobiologen.
a Bei mangelndem Ansprechen der Nativklappenendokarditis mit
pen übergreifen oder es zu akuten zerebralen Embolien kommt.
unbekanntem Erreger ist eine Kombinationstherapie unter Ein-
Das besondere Augenmerk auf die Mitralklappe beruht dabei auf schluss eines Carbapenems bzw. einer Kombinationstherapie aus
Vancomycin und Gentamicin [3] zu erwägen
der Tatsache, dass endokarditische Auflagerungen auf der Mitral- b Bei foudroyantem Verlauf und bei i.v.-Drogenabhängigen ist statt
klappe häufig zu zerebralen Embolien führen und das Embolie- Amicillin die gezielte Gabe eines Isoxazolylpenicillins zu erwägen
risiko bei Auflagerungen >1 cm Durchmesser und unter Thera- c Bei gutem klinischen Ansprechen kann die Behandlungsdauer von

pie an Größe zunehmenden Auflagerungen deutlich zunimmt. Gentamicin auf 2 Wochen limitiert werden
d Alternativ zu Vancomycin kann Teicoplanin mit einer Initialdosis
Wichtig ist auch die rasche operative Therapie bei Patienten mit
Endokarditis und Herzinsuffizienz. Trotz einer erhöhten perio- von 800–1200 mg/d über 4–5 Tage und einer Erhaltungsdosis von
400 mg/d eingesetzt werden
perativen Letalität bei Patienten mit Endokarditis und Herzinsuf-
fizienz gilt, dass die Prognose mit Operation deutlich besser ist
als ohne. Die Reinfektionsrate von neu implantierten Klappen-
prothesen liegt bei 2–3% und ist demnach wesentlich geringer als agulase-negativen Staphylokokken, Enterococcus faecalis und
die Letalität von bis zu 50% bei Patienten mit Endokarditis und E. faecium ist eine frühe Operation indiziert. Bei penicillinsensi-
Herzinsuffizienz. Eine Operation senkt das Sterblichkeitsrisiko tiven Keimen ist auch bei der Kunstklappenendokarditis eine
umso stärker, je früher sie durchgeführt wird. Antibiotikatherapie möglich.
Wenn eine Prothesenendokarditis vorliegt, ist der Erreger- Eine weitere häufige, eine operative Sanierung erfordernde
nachweis für die Therapiestrategie entscheidend. Bei MRSA, Ko- Komplikation stellt die Ausbildung von perianulären Abszessen
15.6 · Prävention der Endokarditis
349 15

dar. Perianuläre Abszesse bilden sich in 10–40% aller Nativklap- aktuellsten Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kardio-
penendokarditiden aus; hierbei neigen Patienten mit einer Aor- logie und der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, werden die Indikatio-
tenklappenendokarditis am ehesten zu einer Abszessbildung. nen zur Endokarditisprophylaxe mit Antibiotika jedoch sehr viel
Bei Patienten mit Herzklappenersatz führt eine Endokarditis in enger definiert. So schreibt die American Heart Association in
56–100% der Fälle zu einer perianulären Abszessbildung. Be- ihrer aktuellsten Leitlinie (Kurzfassung: http://www.american-
dingt durch den intrakardialen Druck können sich die Abszesse heart.org/downloadable/heart/117865707204850_1605_
zu Fisteln und entsprechenden Shunt-Vitien weiterentwickeln. PDF%20for%20Web%20050807.pdf), dass eine Antibiotikapro-
Klinische Anzeichen für eine Abszessbildung sind anhaltendes phylaxe bei dentalen Eingriffen nur bei Hochrisikopatienten
Fieber, ein neu auftretender AV-Block, ein neu aufgetretenes und nur dann durchgeführt werden sollte, wenn mit Gingiva-
Herzgeräusch oder Insuffizienzvitium oder eine zunehmende verletzung und Verletzungen der Mundschleimhaut zu rechnen
kardiale Dekompensation. So hat ein neuer AV-Block im EKG ist. Als Hochrisikopatienten gelten solche mit einer vorange-
einen positiv-prädiktiven Wert von 88% für eine Abszessbil- gangenen Endokarditis, mit künstlichen Herzklappen oder an-
dung. Nur wenige Patienten mit einem perianulären Abszess deren intrakardialen Fremdkörpern, nichtoperierten komplexen
können rein medikamentös ohne operative Therapie behandelt zyanotischen Vitien und pulmonal-systemischen Shunts
werden. Dies gilt gelegentlich für Patienten mit kleinen Abszes- (7 Übersicht 15.4). Ein durch ein höheres Lebensalter bedingtes
sen von <1 cm und ohne weitere oben genannte Abszesskompli- gesteigertes Endokarditisrisiko stellt keine Indikation zur Anti-
kationen. Hier ist allerdings eine engmaschige Kontrolle mithil- biotikaprophylaxe bei Zahnbehandlungen dar. Bei gastrointesti-
fe der TEE indiziert. nalen und urogenitalen Eingriffen ist keine Antibiotikaprophy-
laxe der Endokarditis mehr vorgesehen. Die zur Prophylaxe
eingesetzten Antibiotikaregime sind in 7 Übersicht 15.5 ge-
15.4 Antikoagulation nannt.

Eine systemische Antikoagulation bei Endokarditispatienten


wird immer wieder kontrovers diskutiert, insbesondere bei Pati- Übersicht 15.3. Diagnostische und therapeutische Inter-
enten nach mechanischem Klappenersatz. Generell gilt, dass Pa- ventionen mit hohem Bakteriämierisiko
tienten mit einer Nativklappenendokarditis nicht antikoaguliert
werden sollten, da hier ein Nutzen nicht nachgewiesen ist. Im 4 Bronchoskopie (insbesondere mit rigiden Instrumenten)
Gegensatz hierzu kann bei Patienten mit Klappenprothesen eine 4 Zystoskopie bei Urogenitaltraktinfekt
Antikoagulation erwogen werden. Aber auch hier gilt die Emp- 4 Biopsie im Urogenitaltrakt oder in der Prostata
fehlung, dass bei Patienten mit einer Staphylococcus-aureus-En- 4 Zahnärztliche Eingriffe mit dem Risiko einer Gingiva-
dokarditis und erfolgter zerebraler Embolie die Antikoagulation oder Schleimhautverletzung
für 2 Wochen pausiert werden sollte. Diese Zeit wird als ausrei- 4 Tonsillektomie und Polypektomie
chend für eine Thrombusorganisation und die Vermeidung aku- 4 Ösophagusdilatation
ter hämorrhagischer Komplikationen erachtet. Kritisch ist auch 4 Eingriffe an obstruierten Gallengängen
die ASS-Gabe, die ebenfalls zu einem erhöhten Thromboembo- 4 Transurethrale Prostataresektion
lierisiko beiträgt. 4 Urethrale Instrumentation/Dilatation
4 Gynäkologische Prozeduren bei Infektionen

15.5 Nachsorge bei ausgeheilter Endokarditis

Übersicht 15.4. Herzerkrankungen mit Indikation zur


! Cave
Endokarditisprophylaxe
Der Patient mit einer ausgeheilten Endokarditis bleibt ein Risi-
kopatient.
4 Künstliche Herzklappen oder Verwendung künstlichen
Daher muss er unterrichtet werden, bei Fieber oder bei Zeichen prothetischen Materials zur Herzklappenrekonstruktion
einer Herzinsuffizienz schnell einen Arzt aufzusuchen, der recht- 4 Vorangegangene infektiöse Endokarditis
zeitig und vor Einleitung einer antibiotischen Therapie Blutkul- 4 Kongenitale Herzerkrankungen
turen abnimmt und bei Bedarf eine Echokardiographie initiiert. – Unbehandelte zyanotische Vitien einschließlich
Bei selektionierten Patienten können routinemäßige echokardi- palliativer Shunts und Conduits
ographische Verlaufskontrollen erforderlich sein. Bei unklarem – Erfolgreich behandelte kongenitale Herzerkrankungen
primären Endokarditisfokus können auch eine zahnärztliche Ab- mit prothetischen Materialen oder Implantation un-
klärung und eine Unterrichtung in Mund- und Zahnhygiene abhängig von der Art der Implantation (operativ,
sinnvoll sein. katheterinterventionell) innerhalb der ersten 6 Monate
nach Intervention
– Inkomplett ausgeheilte kongentiale Vitien mit Rest-
15.6 Prävention der Endokarditis defekten angrenzend oder in der Nähe prothetischen
Materials und infolgedessen verzögerter Endothelia-
Aus prophylaktischen Gründen sollte eine Antibiotikagabe er- lisierung
folgen, bevor es zu einer Bakteriämie kommt. Konditionen, die 4 Herztransplantierte mit neu auftretender Herzklappen-
verstärkt zu einer Bakteriämie führen, sind in 7 Übersicht 15.3 erkrankung
aufgeführt. Anders als in früheren Empfehlungen, auch in der
350 Kapitel 15 · Erregerbedingte Endokarditiden

überlegen. Eine systemische Antikoagulation und auch die ASS-


Übersicht 15.5 Prophylaktische Antibiotikaregime bei Gabe sollten bei Patienten mit Nativklappenendokarditis vermie-
Zahnbehandlungen den und bei Patienten mit Kunstklappenendokarditis kritisch
bezüglich ihres Nutzens überdacht werden.
Ohne Penicillinallergie
4 Amoxillin 2,0 g (Kinder 50 mg/kgKG) p.o. 1 h vor Eingriff
Literatur
4 Bei erforderlicher i.v.-Gabe
– Amoxicillin oder Ampicillin 2,0 g (Kinder 50 mg/kgKG)
Baddour LM, Wilson WR, Bayer AS et al. (2005) Infective endocarditis: diag-
i.v.
nosis, antimicrobial therapy, and management of complications: a
– Oder
statement for healthcare professionals from the Committee on Rheu-
– Cefazolin oder Ceftriaxon 1,0 g (Kinder 50 mg/kgKG) matic Fever, Endocarditis, and Kawasaki Disease, Council on Cardio-
i.v. vascular Disease in the Young, and the Councils on Clinical Cardiology,
– 0,5–1 h vor Eingriff Stroke, and Cardiovascular Surgery and Anesthesia, American Heart
Bei Penicillinallergie Association: endorsed by the Infectious Diseases Society of America.
– Cephalexin 2 g (Kinder 50 mg/kgKG) p.o. Circulation 111: e394–434. http://circ.ahajournals.org/cgi/content/
– Oder full/111/23/e394
– Clindamycin 600 mg (Kinder 20 mg/kgKG) p.o. Hoen B (2006) Epidemiology and antibiotic treatment of infective endo-
– Oder carditis: an update. Heart 92: 1694–700
Horstkotte D, Follath F, Gutschik E et al.; Task Force Members on Infective
– Azithromycin/Clarithromycin 500 mg (Kinder 15 mg/
Endocarditis of the European Society of Cardiology; ESC Committee
kgKG) p.o.
for Practice Guidelines (CPG); Document Reviewers (2004) Guidelines
– 1 h vor Eingriff on prevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis: ex-
4 Bei erforderlicher i.v.-Gabe ecutive summary. Eur Heart J 25: 267–276. http://www.escardio.org/
– Cefazolin oder Ceftriaxon 1,0 g (Kinder 50 mg/kgKG) NR/rdonlyres/74E85ADC-75B7-4BEA-8CF4-DAD683AE191A/0/guide-
i.v. lines_IE_ES_2004.pdf
– Oder Naber CK (2004) Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der infektiösen
– Clindamycin 600 mg (Kinder 20 mg/kgKG) i.v. Endokarditis. Herausgegeben von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für
– 0,5–1 h vor Eingriff Chemotherapie (PEG) und der Deutschen Gesellschaft für Kardiolo-
gie, Herz- und Kreislaufforschung (DGKHK) in Zusammenarbeit mit
der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie
(DGHTG), der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI), der Deut-
schen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Nofallmedi-
Zusammenfassung zin (DGIIN), der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiolo-
gie (DGHM). Chemotherapie J 13: 227–237. http://www.wissenschaft-
Die infektiöse Endokarditis ist eine komplikationsträchtige und liche-verlagsgesellschaft.de/CTJ/CTJ2004/CTJ6-2004/naber-endo-
mit hoher Letalität einhergehende Erkrankung. Zu ihrer Vermei- karditis.pdf
dung ist es wichtig, bei Risikopatienten rechtzeitig eine Antibio- Wilson W, Taubert KA, Gewitz M et al. (2007) Prevention of infective endo-
tikaprophylaxe durchzuführen. Beim stabilen Patienten mit gesi- carditis: guidelines from the American Heart Association: a guideline
cherter Diagnose oder hochgradigem Endokarditisverdacht soll- from the American Heart Association Rheumatic Fever, Endocarditis,
15 te die Therapie nach Blutkulturergebnis und Antibiogramm and Kawasaki Disease Committee, Council on Cardiovascular Disease
in the Young, and the Council on Clinical Cardiology, Council on
durchgeführt werden. Nur beim Patienten mit foudroyantem
Cardiovascular Surgery and Anesthesia, and the Quality of Care and
Verlauf der Endokarditis sollte nach Abnahme von Blutkulturen Outcomes Research Interdisciplinary Working Group. Circulation 116:
eine empirische Therapie bereits ohne Kenntnis der Blutkultur- 1736–1754. http://circ.ahajournals.org/cgi/reprint/CIRCULATIO-
ergebnisse eingeleitet werden. Bei Patienten mit hohem Risiko, NAHA.106.183095, Kurzfassung: http://www.americanheart.org/
großen endokarditischen Auflagerungen oder Komplikationen downloadable/heart/117865707204850_1605_PDF%20for%
ist die operative Therapie der alleinigen konservativen Therapie 20Web%20050807.pdf
351 16

Virale Myokarditis
H. Reuter, J. Müller-Ehmsen

16.1 Ätiologie – 351 16.5 Diagnostik – 354

16.2 Pathogenese – 352 16.6 Therapie – 358

16.3 Beispiele viraler Erreger – 352 Literatur – 360

16.4 Klinische Symptome – 353

)) chen ab. Bei der seltenen fulminanten Verlaufsform kommt es


innerhalb von Stunden bis Tagen zum Pumpversagen des linken
Infektiöse Erkrankungen des Herzmuskels können in jedem Le- Ventrikels, zu bedrohlichen AV-Blockierungen oder tachykarden
bensalter auftreten. Ursächlich als Erreger kommen v. a. verschie- ventrikulären Herzrhythmusstörungen. Aber auch asymptoma-
dene Virusarten, am häufigsten Coxsackie-Virus, in Betracht. Oft- tische Patienten haben ein erhöhtes Risiko einen plötzlichen
mals führt die systemische Erkrankung mit diesen Infektionserre- Herztod zu erleiden. Schätzungen aus Autopsiestudien zufolge ist
gern auch zu einer Mitbeteiligung des Herzmuskels in Form einer bei ungeklärter Todesursache in bis zu 1% der Fälle eine asymp-
Myokarditis, häufig auch als Perimyokarditis. Der histologische tomatische Myokarditis nachzuweisen.
Nachweis der myokardialen Beteiligung hat eine nur geringe Als Folgestadium einer Myokarditis kann auch eine DCM
Sensitivität und imponiert als entzündliches Infiltrat mit Zellun- (7 Abschn. 12.1) entstehen. Diese könnte sowohl Folge einer
tergängen in einer von mindestens 3 Biopsien. Der direkte Virus- chronischen Infektion mit Virus-RNA (Viruspersistenz) sein,
nachweis kann mithilfe der In-situ-Hybridisierung oder der PCR in als auch sekundär durch autoimmunologische Prozesse ent-
Zellen aus pathologisch verändertem Gewebe geführt werden. stehen. Die zunehmende Zahl immunsuppressiv behandelter
Die viral bedingte Herzerkrankung ist in der Regel eine rein kli- Patienten und auch die steigende Anzahl immuninkompetenter
nische Diagnose, die unter symptomatischer Behandlung meist Patienten (z. B. HIV-Infektion) haben zu einem vermehrten
folgenlos ausheilt. Bei chronischen Verläufen mit eingeschränkter Auftreten viraler Herzerkrankungen, besonders der CMV-Kar-
linksventrikulärer Funktion und nachweislicher Viruspersistenz ditis, geführt.
zeigten erste kleinere Studien vielversprechende Therapieansät-
ze mit Immunglobulinen oder β-Interferon.
. Tab. 16.1. Virale Myokarditiserreger
Bedeutung Virus
16.1 Ätiologie
Erwiesene ätiologi- Coxsackieviren B1–B5
sche Bedeutung Einige Serotypen der Coxsackie-A-Viren
Die Myokarditis ist ein Entzündungsprozess im Herzen, der in Einige Serotypen der ECHO-Viren
unterschiedlichem Umfang die Kardiomyozyten, das interstitielle
Hinweis auf ätiolo- Mumpsvirus
und das perivaskuläre Bindegewebe sowie koronare Arteriolen,
gische Beteiligung Influenza-A-Viren
Kapillaren und – selten – die großen epikardialen Herzkranzar- (z. B. gut belegte Ein- Adenoviren
terien einbezieht. Überwiegend kommen Enteroviren (RNA-Vi- zelfälle mit Virusisolie- Zytomegalieviren (bei immunsupprimierten
ren, Picornaviren) als Erreger der Virusmyokarditiden in Be- rung aus dem Herzen) Patienten)
tracht, die bei einer systemischen Infektion in 0,5–1% der Fälle Varizellen-zoster-Viren
das Herz betreffen. In den letzten Jahren wurden aber auch ver- Epstein-Barr-Viren
mehrt Adenoviren, Parvoviren und Herpesviren (DNA-Viren; Respiratorische Synzytialviren
. Tab. 16.1) nachgewiesen. Je nach Lokalisation unterscheidet Flaviviren
man die reine Myokarditis von der Perikarditis oder der Perimy- Influenza-A-Viren
okarditis. Am Myokard sind die Infiltrate dabei bevorzugt im Influenza-B-Viren
Bereich der Herzhinterwände, der Vorhöfe, im Septum sowie in Masernviren
Polioviren
der Apexregion nachweisbar.
Tollwutviren
In der überwiegenden Anzahl der Fälle verlaufen diese Infek-
Togaviren (z. B. Rötelnviren)
tionen des Myokards als unauffällige, gutartige Myokarditiden, Vakzinia- und Variolaviren
die meist nur zufällig, z. B. im Rahmen einer EKG-Registrierung Parvovirus B19
oder aufgrund von Rhythmusstörungen diagnostiziert werden.
ECHO »enteric cytopathogenic human orphan«
Die Symptome klingen meist innerhalb weniger Tage oder Wo-
352 Kapitel 16 · Virale Myokarditis

16.2 Pathogenese matrixdegradierenden Enzymen (MMP) und deren Inhibitoren


(TIMP). Eine Imbalance im MMP/TIMP-Profil stellt ebenfalls
Im Wesentlichen kann eine Myokarditis durch die 3 folgenden einen relevanten Faktor für die Entwicklung einer myokardialen
Pathomechanismen erzeugt werden: Dysfunktion dar.
4 Invasion der entsprechenden Erreger in das Myokard,
> In Abhängigkeit von bislang noch unbekannten genetischen
4 Produktion von herzmuskelschädigenden Agenzien, wie z. B.
Faktoren kommt es bei über 70% der Betroffenen spontan zu ei-
bei der Diphtherie, und
ner effektiven Viruselimination und folgenlosen Abheilung der
4 immunologisch vermittelte myokardiale Schädigung.
Erkrankung.

Dabei kann zum einen die direkte zellzerstörende Wirkung man- Der Übergang in eine chronische Myokarditis ist durch die Per-
cher Virusinfektionen zu einer Schädigung des Herzmuskels und sistenz des Virus, eine virusinduzierte Immunantwort oder
damit zur Herzmuskelfehlfunktion führen. Andererseits könnte beides gekennzeichnet. Patienten mit einer chronischen Myokar-
durch eine vorangegangene Virusinfektion, z. B. durch ein Anti- ditis weisen im histologischen Bild eine fortbestehende Entzün-
genmimikry, eine Induktion eines Antigenprozesses induziert dung und progrediente Fibrose auf und entwickeln meist im
werden (. Abb. 16.1). Somit ist auch ohne Viruspersistenz eine Verlauf von 2–4 Jahren eine DCM. Neben der direkten virusto-
weitergehende Schädigung des Myokards – zumindest theore- xischen Wirkung sind humorale und zelluläre Immunmechanis-
tisch – denkbar. In einer kürzlich publizierten Untersuchung an men im Langzeitverlauf pathogenetisch bedeutsamer für die
172 Patienten mit Myokarditis und bioptisch gesicherter Virus- Entwicklung einer DCM. In 40–50% der Patienten mit DCM
infektion war die Prognose dementsprechend von der Persistenz konnte mithilfe der PCR enterovirale RNA nachgewiesen wer-
oder der Elimination des Virus abhängig (Kühl et al. 2005). In der den. Dabei scheint eine genetische Prädisposition diesen chro-
initial durchgeführten Myokardbiopsie konnten am häufigsten nischen Verlauf der Myokarditis zu begünstigen.
Enteroviren (32,6%), Adenoviren (8,1%), Parvovirus B19 (36,6%)
und humanes Herpesvirus 6 (10,5%) nachgewiesen werden. In
der Kontrolluntersuchung nach frühestens 5 Monaten zeigte sich 16.3 Beispiele viraler Erreger
nur bei den Patienten eine signifikante Verbesserung der links-
ventrikulären Funktion, bei denen das Virus nicht mehr nachzu- Coxsackie-B-Virus
weisen war; dagegen hatte sich die Pumpfunktion bei den Pati- Das Coxsackie-B-Virus ist ein humanes Enterovirus aus der Fa-
enten mit Viruspersistenz weiter verschlechtert. milie der Picornaviridae und zählt aus molekularbiologischer
Der Triggermechanismus für die Auslösung und die Entste- Sicht zu den am besten untersuchten Virussystemen. Coxsackie-
hung einer akuten Myokarditis ist eine kardiotrope Virusinfekti- Viren bilden 28–30 nm große ikosaederförmige Partikel ohne
on mit myokardialer und potenziell vaskulärer Gewebsschädi- Lipidhülle. Sie bestehen aus einem RNA-Einzelstrang, der nach
gung. Interstitiell, myozytär und/oder endozytär finden sich Infektion dem Wirt als »messenger RNA« direkt zur Translation
Immunglobulinablagerungen, Zytolysen sowie T-Lymphozyten, zur Verfügung steht. Coxsackie-Viren sind zytolytische Viren, die
Makrophagen und eine vermehrte HLA-Klasse-I- und HLA- die Wirtszellen zerstören. In der akuten Phase der Infektion
Klasse-II-Expression. Neben dem direkten Einfluss viraler Prote- kommt es entsprechend zu frischen Zellnekrosen mit begleiten-
asen und der virusbedingten Zytolyse konnte nachgewiesen wer- der Entzündungsreaktion. Aktuelle molekularbiologische Unter-
den, dass sogar mutiertes, nichtreplikationsfähiges enterovirales suchungen konnten zudem den direkten Einfluss viraler Protea-
Genom in niedriger Kopienzahl kardiomyozytopathische Effekte sen auf das myokardiale Zytoskelett zeigen. So konnte nachgewie-
ausüben kann. Darüber hinaus kommt es im Rahmen der beglei- sen werden, dass eine Protease im Genom von Coxsackie B an
16 tenden Inflammation zur Freisetzung von Zytokinen (z. B. IL-1, einer spezifischen Bruchstelle (Hinge-III-Region) das 2A-Dys-
TNF), die ebenfalls zu einer Abnahme der kardialen Kontrakti- trophin in Kardiomyozyten spaltet und hierdurch die Funktion
onskraft und zu einer Katecholaminrefraktärität führen können. und die Morphologie der Herzmuskelzelle nachhaltig verändert.
Zytokine beeinflussen wahrscheinlich auch die Expression von Wenn nach ca. 2 Wochen üblicherweise diese akute Entzündung

. Abb. 16.1. Mechanismen einer Störung der


Myokardfunktion
16.4 · Klinische Symptome
353 16

abheilt, kann das Virus mit den herkömmlichen Methoden nicht Hier kann eine echokardiographische Untersuchung schnell wei-
mehr angezüchtet werden. Der Übergang in eine chronische My- terhelfen. Die Therapie der Aids-assoziierten Myokarditis ist eine
okarditis ist im Verlauf durch die Infiltration mononukleärer symptomatische. In der Literatur finden sich Hinweise, dass Pa-
Zellen und zunehmende Fibrose mit der Folge einer ventriku- tienten mit Herzinsuffizienzsymptomatik und Aids aufgrund
lären Dilatation im Endstadium gekennzeichnet. eines sehr niedrigen peripheren vaskulären Widerstands ACE-
Eine spezifische Bindung des Virus an ein zelluläres Memb- Hemmer meist nur ungenügend tolerieren.
ranprotein wird angenommen. Ein solcher Rezeptor – auch als
Coxsackie-und-Adenovirus-Rezeptor (CAR) bezeichnet – wurde
im Bereich der Zellkontakte kardialer Myozyten nachgewiesen. 16.4 Klinische Symptome
Als gemeinsame Bindungsstelle für Coxsackie- und Adenoviren
könnte dieser Rezeptor eine Erklärung für den häufigen Nach- Die Diagnose einer viral bedingten Herzerkrankung (Myokardi-
weis dieser beiden ansonsten grundsätzlich verschiedenen Virus- tis, Perikarditis, Perimyokarditis) beim Menschen wird gewöhn-
arten bei der viralen Myokarditis des Menschen sein. Aktuelle lich anhand des klinischen Bildes gestellt. Die meisten Patienten
Untersuchungen an Rattenherzen zeigten eine hohe CAR-Ex- klagen im Akutstadium über generelle Abgeschlagenheit, eine
pression bei Neugeborenen, die im Verlauf der postnatalen Ent- Pleurodynie, Myalgien, unspezifische Entzündungsreaktionen
wicklung abnimmt. Dies könnte eine Ursache für die erhöhte im oberen Respirationstrakt, Gliederschmerzen und Temperatur.
Inzidenz viraler Myokarditiden im Säuglings- und Kleinkindalter Kardiale Leitsymptome sind dabei häufig Rhythmusstörungen,
sein. Zumindest einige Serotypen der Coxsackie-Viren benötigen die in Form von Tachykardien, Sinustachykardien oder vereinzelt
für Infektion und Zytolyse wahrscheinlich auch weitere kardiale auch als Auftreten von Tachyarrhythmia absoluta symptomatisch
Oberflächenmarker, wie z. B. DAF, CD55. werden. Auch Angina pectoris ähnliche Symptome kommen vor.
Bei der klinischen Untersuchung dominieren die Tachykardie,
»Human immunodeficiency virus« häufig eine Arrhythmie sowie meist akzidentelle Herzgeräusche.
Vor Einführung der HAART betrug die Inzidenz kardialer Betei- Bei Beteiligung des Perikards kann es zusätzlich zu einem Peri-
ligungen bei HIV-Infizierten 25–50%. Die HAART hat neben kardreiben kommen; bei ausgeprägtem Perikarderguss kann
einer Verminderung der opportunistischen Infektionen auch zu dieses fehlen. Prinzipiell sind alle Rhythmusstörungen denkbar,
einer Reduktion der Azahl an Myokarditiden um bis zu 30% ge- sowohl tachykarder wie auch bradykarder Natur bis zum Auftre-
führt. Nur ca. 10% der Betroffenen werden dabei auch klinisch ten von Blockbildern (. Tab. 16.3).
auffällig. Das histologische Bild einer Myokarditis bei HIV-Infek- Wesentliche Hinweise zur Diagnosefindung sind die Isolati-
tion unterscheidet sich nicht wesentlich von dem anderer viraler on von Viren aus Stuhl, Rachenspülwasser sowie anderen Kör-
Myokarditiden. Das entzündliche Infiltrat ist jedoch bei HIV ge- perflüssigkeiten und eine Änderung von spezifischen Antikör-
nerell geringer ausgeprägt, wahrscheinlich ist dies durch die ge- pertitern. Häufig berichten Patienten über vorausgegangene un-
schwächte zelluläre Immunität bedingt. Entsprechend besteht charakteristische fieberhafte Erkrankungen mit Beteiligung der
das entzündliche Infiltrat im Wesentlichen aus CD8+-Lympho- oberen Atemwege. Die Mehrzahl der Myokarditisfälle wird ent-
zyten. Histologische und immunhistochemische Untersuchungs- weder zufällig oder gar nicht diagnostiziert, weil sie klinisch in-
techniken führen nur selten zum Nachweis des Virus im Myo- apparent verlaufen. Nur bei einer geringen Zahl von Patienten
kard. Durch In-situ-Hybridisierung und PCR gelang bei Aids- kommt es zu klinischen Symptomen und bei einem noch gerin-
kranken mit lymphozytärer Myokarditis und stark einge- geren Teil zu einem fulminanten Verlauf mit einem innerhalb von
schränkter LV-Funktion der Nachweis von HIV-1 und/oder Stunden bis Tagen auftretenden progressiven Pumpversagen.
Zytomegalievirus im Myokard. Hingegen konnte bei HIV-infi- Anamnestisch klagen diese Patienten oft über Fieber seit 1–2 Ta-
zierten Kindern post mortem keine provirale DNA des HIV im gen, oder es besteht klinisch der Verdacht auf einen Virusinfekt
Myokard nachgewiesen werden, und auch eine Infektion fetaler seit 1–2 Wochen.
Kardiomyozyten in vitro mit HIV-1 gelang bisher nicht. Häufig
! Cave
liegt beim Erwachsenen eine Koinfektion mit Coxsackie-B3-, Ep-
Vor allem bei jugendlichen Patienten kann sich die virusbe-
stein-Barr- oder Zytomegalievirus vor. Opportunistische Pilzin-
dingte Myokarditis zu einem akuten Krankheitsbild mit rascher
fektionen sind am Herzen eher selten und treten häufig erst ab
Verschlechterung der linksventrikulären Pumpfunktion, klinisch
einer Dichte CD4-positiver Lymphozyten unter 200/mm3 und im
und röntgendiagnostisch feststellbarer Größenzunahme des
Rahmen systemischer Pilzinfektionen auf. In einer autoptischen
Herzens bis hin zum Pumpversagen ausbilden.
Studie konnte bei 12% der HIV-Erkrankten Toxoplasma gondii
nachgewiesen werden. Es wird somit vermutet, dass sowohl virale Der schwere Verlauf der fulminanten Myokarditis erfordert meist
(HIV-1, CMV) als auch nichtvirale Ursachen (Toxoplasma gondii, eine intensivmedizinische Betreuung unter hoch dosierter Gabe
Candida-Spezies) eine entzündliche Herzmuskelerkrankung bei von Katecholaminen und ggf. mechanischer Unterstützung der
HIV-Infizierten induzieren können. Pumpleistung des Herzens. Trotz des zunächst kritischen Zu-
Klinisch kommt es zum Auftreten einer kongestiven Herzin- stands der Patienten mit fulminanter Myokarditis konnte für di-
suffizienz aufgrund einer progessiven linksventrikulären Vergrö- ese Patientengruppe unter aggressiven kreislaufstabilisierenden
ßerung und Funktionseinschränkung ähnlich einer DCM. Maßnahmen eine exzellente Langzeitprognose mit einer signifi-
kant geringeren Mortalität im Vergleich zur akuten nichtfulmi-
! Cave nanten Verlaufsform oder der Borderline-Myokarditis nachge-
Da bei HIV-Patienten häufig pulmonale Infektionen mit oppor- wiesen werden.
tunistischen Keimen bestehen, wird das Frühsymptom der Dys-
pnoe meist nicht primär auf eine Beeinträchtigung der Myo-
kardfunktion zurückgeführt.
354 Kapitel 16 · Virale Myokarditis

16.5 Diagnostik
. Tab. 16.2. Indikation zur Myokardbiospie entsprechend der Emp-
fehlungen der Fachgesellschaften American Heart Association, Ameri-
Myokardbiopsie can College of Cardiology und European Society of Cardiology.
Bei Patienten mit dem klinischen Verdacht einer akuten Myokar- (Cooper et al. 2007)
ditis besteht zunächst keine Notwendigkeit Myokardbiopsien zu
Zeitraum Klinische Befunde Indikations- Evidenz-
entnehmen, da die Erkrankung eine gute Prognose hat und in ca. klasse grad
80% der (diagnostizierten) Fälle folgenlos ausheilen. Zudem lie-
Akute Herzinsuffizienz unklarer Genese
gen bislang keine eindeutigen Daten vor, die den Nutzen einer
frühzeitigen, spezifischen Therapie auf den Krankheitsverlauf <2 Wochen Fulminanter Verlauf I B
belegen. Bei Patienten, bei denen eine akute Herzinsuffizienz >2 Wochen Ventrikeldilatation IIb C
ohne erkennbare Ursache auftritt oder bei denen sich eine DCM Keine Rhythmusstörungen
unter optimaler medikamentöser Therapie weiter verschlechtert, Ansprechen auf konservative
wird eine Diagnosesicherung anhand einer Myokardbiopsie Therapie
empfohlen (. Tab. 16.2). Bei einer fulminant verlaufenden Myo- <3 Monate Ventrikeldilatation I B
karditis ist dabei u. a. differenzialdiagnostisch der Ausschluss Rhythmusstörungen,
einer akuten Riesenzellmyokarditis oder einer eosinophilen My- AV-Block II–III Grades
okarditis von prognostischer und therapeutischer Relevanz, da Kein Ansprechen auf Therapie
diese frühzeitig immunsuppressiv behandelt werden müssen. Chronische Herzinsuffizienz unklarer Genese
> Aufgrund der oftmals schwierigen differenzialdiagnostischen >3 Monate Ventrikeldilatation IIa C
Beurteilung und entsprechend hohen Interobservervariabilität Rhythmusstörungen, AV-
ist es zwingend erforderlich, dass die Auswertung der Proben Block II–III Grades
durch einen erfahrenen Untersucher unter Berücksichtigung ak- Kein Ansprechen auf Therapie
tueller histologischer, immunhistochemischer und molekularbi- Unabhän- Ventrikeldilatation und fragli- IIa C
ologischer Techniken erfolgt. gig von che allergische Ursache, Diffe-
der renzialdiagnose Eosinophilie
Die Beurteilung von Myokardbiopsien bei der chronischen My- Manifesta-
Verdacht auf antrazyklinindu- IIa C
okarditis hat zum Ziel, kausale Therapiestrategien (Immunsup- tionsdauer
zierte Kardiomyopathie
pression, Immunadsorption oder eine antivirale Therapie;
. Abb. 16.2) in Abhängigkeit von Viruspersistenz und Entzün- Verdacht auf myokardialen IIa C
dung einzuleiten. Da der Nutzen einer solchen kausalen Therapie Tumor
bislang noch nicht durch klinische Phase-III-Studien belegt wor- Unklare Restriktion IIa C
den ist, kann dieses Vorgehen zurzeit generell nur im Rahmen Unklare Hypertrophie IIb C
klinischer Studien empfohlen werden.
Verdacht auf arrhythmogene IIb C
Die Myokardbiopsie ist in den Händen eines erfahrenen Un-
rechtsventrikuläre Dysplasie
tersuchers eine sichere Methode mit einer Komplikationsrate
zwischen 1,0 und 1,7%. Die Komplikationen betreffen in erster Unklare ventrikuläre IIb C
Linie die Ventrikelperforation mit und ohne Hämoperikard (0,1– Arrhythmie
0,4%) sowie in Einzelfällen Hirnembolien, rupturierte Sehnenfä-
den, Perforation des Koronarsinus und Todesfälle (0,03%). An-
dere Ursachen, die für eine Verschlechterung der linksventriku- ! Cave
16 lären Funktion verantwortlich sein können, wie eine KHK, hö- Entgegen der häufigen Verdachtsdiagnose Myokarditis kann in
hergradige Herzklappenfehler, arterieller Bluthochdruck, eine rechtsventrikulären Myokardbiopsien nur selten der Nachweis
diabetische Kardiomyopathie u. a. müssen vor Entnahme von einer entzündlichen Herzerkrankung erbracht werden.
Herzmuskelbiopsien ausgeschlossen werden.
Dies liegt v. a.daran, dass sich die Entzündung häufig herdförmig
Histologischer Nachweis ausbreitet und dies zu falsch-negativen Diagnosen aufgrund lo-
> In ihrer aktuellen Definition von 1997 fordert die WHF für die Di- kaler Biopsien führen kann (»sampling error«). So kann zwar der
agnose »Myokarditis« histopathologisch ein Minimum von Nachweis oder der Beweis einer Myokarditis in Endomyokardbi-
14 Leukozyten/mm2, bestehend aus T-Lymphozyten (CD3) oder opsien geführt werden, aber nicht deren Ausschluss.
aktivierten T-Lymphozyten (CD45RO u. a.); hierbei dürfen bis zu Im konventionell gefärbten histologischen Präparat finden
4 Makrophagen eingeschlossen werden. sich dabei häufig entzündliche Infiltrate und Zelluntergänge, die
an eine Myokarditis denken lassen. Zur Klärung der Diagnose
Ein fokaler entzündlicher Prozess wird beschrieben, wenn sich Myokarditis sind histologische Kriterien, die sog. Dallas-Krite-
mindestens 3 Lymphozyten in einem Nest außerhalb von Ge- rien, erarbeitet worden. Danach setzt die histologische Diagnose
fäßen befinden. Wenn solche Fokusse vorhanden sind, kann eine »Myokarditis« entzündliche Infiltrate und Schädigungen an be-
Myokarditis diagnostiziert werden, auch wenn die kritische Zahl nachbarten Herzmuskelzellen voraus, die von degenerativen Ver-
von 14 Leukozyten/mm2 nicht erreicht wird (Maisch et al. 2000). änderungen mit einer veränderten Anfärbbarkeit und Vakuolen-
Im gesunden Myokard liegt weniger als 1 T-Lymphozyt/Gesichts- bildung bis hin zum Zelluntergang (Nekrose) reichen.
feld bei einer 400-fachen Vergrößerung vor; hingegen werden bei In der ersten Biopsie unterscheidet man neben der akuten
42% der Patienten mit Verdacht auf Myokarditis erhöhte Zell- Myokarditis (mit Myozytolyse) von der »Borderline-Myokardi-
zahlen mit über 2 Zellen/Gesichtsfeld gefunden. tis«, die ein Infiltrat ohne Myozytolyse beschreibt. Dabei ist nach
16.5 · Diagnostik
355 16

. Abb. 16.2. Flussdiagramm zu Diagnostik und Thera-


pie bei Myokarditis. ACE Angiotensinkonversionsenzym,
DCM dilatative Kardiomyopathie, DNA »deoxyribonucleic
acid«, Echo Echokardiographie, EKG Elektrokardiographie,
KHK koronare Herzkrankheit, RNA »ribonucleic acid«

den neueren Leitlinien der WHF (Maisch et al. 2000) auch für die erzielen. Durch beide Verfahren dürfte jedoch die Komplikati-
Diagnose der Borderline-Myokaritis neben einer ausreichend onsrate überproportional ansteigen.
großen Zahl an Biopsien der immunhistologische Nachweis von Hingegen kann eine bessere Beurteilung der Myokardbiopsie
≥14 Lymphozyten/mm2 zu fordern. Die Diagnose entzündlicher durch ergänzende immunhistochemische Verfahren, In-situ-Hy-
Infiltrate ist nicht sicher, wenn nur 1 oder 2 Lymphozyten vorhan- bridisierung und PCR erreicht werden. Diese Techniken ermög-
den sind. Das Ausmaß der entzündlichen Infiltrate sollte semi- lichen zudem Unterscheidungen hinsichtlich der Ätiologie, der
quantitaiv abgeschätzt und das Verteilungsmuster entsprechend Pathogenese und dem Krankheitsstadium der Myokarditis vor-
den Kriterien herdförmig, konfluierend oder diffus angegeben zunehmen und können zur Festlegung einer spezifischen Thera-
werden. Zur Beurteilung einer persistierenden, abheilenden oder pie hilfreich sein.
abgeheilten Myokarditis ist eine zweite Biopsie nötig. Vorausset-
zung für die histologische Sicherung der Myokarditisdiagnose ist Immunhistochemie
eine Biopsie, die eine Auswertung von 3 Partikeln mit einem Ma- Endotheliale Zelladhäsionsmoleküle (CD54, VCAM-1, ICAM-1,
ximaldurchmesser von 2–3 mm zulässt. Wünschenswert wäre HLA-Klasse-I- und II-Antigene u. a.) ermöglichen eine transen-
eine Anzahl von bis zu 6 auswertbaren Biopsien. dotheliale Migration von Immunzellen und werden unabhängig
von der fokalen Verteilung lymphozytärer Infiltrate homogen auf
Limitationen und ergänzende dem Gefäßendothel des entzündeten Myokards verstärkt expri-
Untersuchungstechniken miert.
Erfolgt die Diagnosestellung jedoch allein anhand der Dallas-
> Die immunhistochemische Anfärbung der homogen verteilten
Kriterien, ist insbesondere aufgrund des Sampling error und ei-
Antigene bietet gegenüber konventioneller histologischer Auf-
ner hohen Interobservervariabilität mit einer relativ geringen
arbeitung der Biopsie eine höhere Sensitivität bei lokalen Biop-
Sensitivität zu rechnen. In Autopsiestudien konnte bei Patienten,
sien (geringerer Sampling error).
die an einer Myokarditis verstorben waren, anhand von 4–5 Bi-
opsien nur in 50% der Fälle die Diagnose entsprechend den Dal-
las-Kriterien gestellt werden (Chow et al. 1989). Und auch nach In-situ-Hybridisierung
Beurteilung von 17 Biopsien aus einem Herzen wurde die Myo- Wesentliche Voraussetzungen für die Einführung der In-situ-Hy-
karditis anhand dieser Kriterien bei jedem fünften Patienten bridisierung zum Nachweis enteroviraler Genome waren die mo-
nicht erkannt (Chow et al. 1989). Neben einer größeren Anzahl lekulare Klonierung und die vollständige Sequenzierung des
an Biopsien konnten manche Autoren eine höhere Sensitivität Coxsackie-Virus B3, einem typischen Vertreter der kardiotropen
auch durch die Entnahme von Biopsien aus beiden Ventrikeln Enteroviren. Da eine hochgradige genetische Verwandtschaft
356 Kapitel 16 · Virale Myokarditis

verschiedener Enterovirusserotypen besteht, kann es unter Ver- durch den Erregernachweis in Myokardbiopsien geschehen
wendung der klonierten viralen cDNA als Gensonde gelingen, (7 Abschn. 16.5 »Myokardbiopsie«). Liegen keine Hinweise auf in-
wichtige Erreger der viralen Myokarditis, nämlich Coxsackie-Vi- fektiöse Ursachen vor, sollte die kardiale Symptomatik (Rhyth-
ren und ECHO-Viren, in einem einzigen diagnostischen Ansatz musstörungen, ggf. Pumpfunktionsstörungen) Anlass geben,
spezifisch nachzuweisen. Die Sensitivität der In-situ-Hybridisie- auch die Diagnostik einer Kollagenose und einer Sarkoidose zu
rung unter Verwendung radioaktiv markierter Gensonden kann berücksichtigen.
hierbei durchschnittlich bei 10–20 viralen Kopien/Zelle gelingen.
Apparative Diagnostik
Polymerase-Kettenreaktion Eine zusammenfassende Darstellung findet sich in . Tab. 16.3.
Die PCR ist eine molekularbiologische Technik mit hoher Spezi-
fität und hoher Sensitivität. Dies wird durch enzymatische Am- Elektrokardiographie
plifikation einer DNA-Sequenz unter Verwendung spezifischer Eine Sinustachykardie kann ein unspezifischer Hinweis auf das
viraler Oligonukleotide und einer hitzestabilen DNA-Polymerase Vorliegen einer myokardialen Beteiligung bei systemischen Ent-
erreicht. Liegt Virus-RNA vor, muss hierzu nach Extraktion der zündungsprozessen sein. Prinzipiell sind bei einer Myokarditis
Nukleinsäuren virale cDNA synthetisiert werden, da nur DNA jedoch alle Rhythmusstörungen denkbar, sowohl tachykarder wie
amplifiziert werden kann. Neben dem alleinigen Nachweis von auch bradykarder Natur bis zum Auftreten von Blockbildern. Zu-
Virusgenom im Myokard war es in einer Studie auch möglich, die dem zeigt das EKG häufig klassische Zeichen einer akuten Peri-
Aktivität der enteroviralen Infektion zu charakterisieren. So karditis oder unspezifische negative T-Wellen sowie Anomalien
konnte bei Patienten mit einer enteroviralen Infektion zwischen der ST-Strecke.
einer aktiven Virusreplikation und einer latenten Viruspersistenz
> Charakteristisch sind v. a. die ST-Strecken-Hebungen, die sich
differenziert werden.
ohne regionale Zuordnung im Vorderwand- und Hinterwandbe-
Heutzutage sollten beim Verdacht auf Myokarditis/Kardio-
reich finden (. Abb. 16.3).
myopathie entnommene Myokardbiopsien nach folgenden Kri-
terien beurteilt werden.
4 histologisch, Eine sichere Differenzierung zwischen einer Myokarditis und
4 immunhistologisch/immunhistochemisch und anderen Herzerkrankungen ist jedoch anhand des EKG nicht
4 molekularbiologisch. möglich; auch schließt ein unauffälliger EKG-Befund eine Myo-
karditis nicht aus.
Entscheidend für den diagnostischen Wert dieser Verfahren und
für die Vergleichbarkeit von Studienergebnissen ist jedoch die Röntgenbefund des Thorax
Standardisierung sowohl der Methodik als auch der diagnosti- Bei den meisten Formen der Myokarditis finden sich keine oder
schen Kriterien durch ein Expertengremium. Dies ist bislang nur diskrete Veränderungen der Herzgröße, und eine pulmonale
noch nicht erfolgt. Entsprechend ergaben sich in einer kürzlich
publizierten Metaanalyse aus 25 Studien mit 5635 Patienten 12
. Tab. 16.3. Manifestationsformen der Myokarditis in klinische Symp-
verschiedene diagnostische Kriterien mit diversen Kombinati- tome und Diagnostik
onen und, v. a. bezüglich der Immunhistologie, unterschiedlichen
Grenzwerten (Noutsias et al. 2004). Symptome Belastbarkeit ↓, Müdigkeit, Dyspnoe,
atypische Angina pectoris, Tachykardie,
Laborbefunde Bradykardie
Körperliche Unter- Rhythmusstörung, »Perikardreiben«, Herzver-
16 Eine typische diagnosesichernde Laborwertekonstellation für die
Myokarditis gibt es nicht. Bei allen viralen Infektionen kann eine suchung größerung, akzidentelle Herzgeräusche
(Tachykardie), Ödem, Herzinsuffizienzzeichen
Leukopenie auftreten. Zudem kommt es zu unspezifischen Entzün-
dungszeichen wie erhöhter BSG und CRP-Anstieg. Anstiege der Thoraxröntgen- Herzgröße meist normal, Lungenstauung und
CK-MB und des kardialen Troponins deuten auf eine Myozytolyse aufnahme Herzvergrößerung bei fulminantem Verlauf
hin und sind spezifische Zeichen einer Myokardbeteiligung bei Elektrokardio- ST-T-Alteration, AV-Blockierung (I. und II. Grades),
vielleicht generell vorliegender grippaler Infektion. Bei Verdacht graphie intraventrikuläre Erregungsausbreitungsstö-
auf Virusmyokarditis sind virologische Untersuchungen zum Nach- rungen (QRS), gelegentlich AV-Block III Grades,
weis einer Antikörperbewegung durchzuführen. Die jeweiligen supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien
Antikörper haben einen Titeranstieg um den Faktor 2. Diese Anti- (VT), selten Q-Zacken
körperuntersuchungen sind gegen Influenza-, Parainfluenza-, Zyto- Echokardiogra- Meist normal, regionale Kontraktions- und Rela-
megalie-, Hepatitis-, Coxsackie-B1- bis Coxsackie-B5-, ECHO-, phie xationsstörungen, Zeichen der diastolischen
Rota-, Parvo-, Herpesviren, HIV sowie gegen EBV durchführbar. Dysfunktion

> Sind nichtvirale Infektionserreger in Betracht zu ziehen, sollten Magnetresonanz- Subepikardiale und intramurale Kontrastanrei-
tomographie cherungen, Darstellung eines Gewebsödems
serologische Untersuchungen auf Chlamydien, Rickettsien, Bor-
relien, Brucellen, Korynebakterien und Toxoplasmose durchge- Nuklearmedizin Perfusionsstörungen und Nekrosezeichen (Galli-
führt werden. Ein Sonderfall ist die Diphterie, da hier das Bakte- um-67, Indium-111, Antimyosinszintigraphie u. a.)
rientoxin das eigentliche schädigende Agens darstellt. RV-/LV-Herz- Meist normal, selten erhöhte links- und rechts-
katether kardiale Füllungsdrücke, in schweren Fällen
Die serologischen Untersuchungen können nur Verdachtsdiag- Ventrikelvergrößerung
nosen erhärten, sie können weder den Ausschluss noch den Be-
VT ventrikuläre Tachykardie; RV rechter Ventrikel; LV linker Ventrikel.
weis einer erregerbedingten Myokarditis führen. Dieses kann nur
16.5 · Diagnostik
357 16

. Abb. 16.3. Elektrokardiogramm eines 25-jäh-


rigen, männlichen Patienten, der wegen akuter
retrosternaler Beschwerden durch den Notarzt
eingeliefert wurde. Der Patient war eine Woche
zuvor wegen eines akuten Infektes der oberen
Atemwege antibiotisch behandelt worden. In
der EKG-Aufzeichnung zeigt sich eine deutliche
Hebung der ST-Strecke sowohl über den anteri-
oren als auch den posterioren Ableitungen. Die
Kreatinkinase (CK) war mit 1150 U/l deutlich er-
höht (CK-MB: 11%), die Troponine waren eben-
falls positiv. In der Herzkatheteruntersuchung
konnte eine koronare Makroangiopathie ausge-
schlossen werden. Echokardiographisch zeigte
sich eine diastolische Relaxationsstörung bei gu-
ter systolischer Kontraktilität

Stauung fehlt meist. Liegt ein Perikarderguss vor, so besteht gele- Thromben. Es weisen 20–25% der Patienten einen Perikarder-
gentlich röntgendiagnostisch eine Abrundung des Herzschattens guss auf. Hierbei ist insbesondere ein gekammerter Perikarder-
im Sinne eines Boxbeutels (Perimyocarditis exsudativa). Findet guss vor dem rechten Ventrikel gefährlich, da er dort häufig einer
sich eine chronische Myokarditis mit Übergang zur DCM, sind diagnostischen/therapeutischen Punktion nicht zugänglich ist
alle Formen der linksventrikulären Herzvergrößerung zusam- und so rasch zu einer hämodynamischen Beeinträchtigung füh-
men mit pulmonalen Stauungszeichen denkbar. ren kann.

Echokardiographie Nuklearmedizinische Verfahren


Auch die echokardiographischen Befunde der akuten oder ak- Bei der nuklearmedizinischen Myokarditisdiagnostik kommt der
tiven Myokarditis sind meist unspezifischer Natur. Es findet sich Galliumszintigraphie und der Indium-111-Antimyosinszinti-
häufig ein normaler echokardiographischer Befund. Vereinzelt graphie aufgrund mangelnder Spezifität und der mit ihr verbun-
können Vergrößerungen oder Wandbewegungsstörungen der denen Strahlenbelastung heutzutage eine eingeschränkte Bedeu-
Ventrikel nachweisbar sein. Frühzeitig findet sich eine diasto- tung zu. Während sich Gallium-67 in chronisch entzündlichen
lische Dysfunktion mit einem dopplerechokardiographisch Geweben anreichert, wurden Indium-111-markierte Antimyosin-
nachweisbaren verminderten E/A-Verhältnis. In einzelnen Fall- antikörper zum direkten Nachweis von Myokardnekrosen ent-
berichten konnte bei Patienten mit bioptisch nachgewiesener wickelt. In einer Arbeit an 82 Patienten mit klinischem Verdacht
Myokarditis trotz unauffälligem Befund in der 2D-Echokardio- einer Myokarditis hatte die Indium-111-Antimyosin-Szintigra-
graphie und Farbdoppleruntersuchung eine deutliche Abnahme phie eine gute Sensitivität von 82% und einen negativen Vorher-
der regionalen Wandbewegungsgeschwindigkeit im »tissue sagewert von 92% bei einer Spezifität jedoch von lediglich 53%
Doppler« nachgewiesen werden. Ödematöse Veränderungen (Dec et al. 1990). Diese Ergebnisse konnten in einer späteren Ar-
des Ventrikels bei fulminanter Myokarditis wurden echokardio- beit aus der gleichen Arbeitsgruppe bestätigt werden. Die geringe
graphisch auch in Form einer Zunahme der Signalintensität und Spezifität ist dabei u. a. durch einen hohen Anteil an Patienten
der Wanddickenzunahme des Myokards beschrieben. Oft zeigen mit DCM und positiver Antimyosinszintigraphie bei jedoch feh-
sich bei Patienten mit akuter Myokarditis wandadhärente lendem histologischen Nachweis einer Myokarditis bedingt.
358 Kapitel 16 · Virale Myokarditis

Kardiale Magnetresonanztomographie cherungen entnommen wurden, zeigten bei 19 von 21 Patienten


Durch die technische Entwicklung der letzten Jahre hat die eine aktive Myokarditis; dagegen konnte anhand von Gewebe aus
CMR in der Myokarditisdiagnostik einen hohen Stellenwert Regionen ohne Kontrastanreicherung nur bei einem von 11 Pa-
erlangt und ermöglicht heutzutage eine Beurteilung von Mor- tienten eine aktive Myokarditis festgestellt werden (Mahrholdt et
phologie und Funktion des Herzens mit hoher räumlicher sowie al. 2004). Dies deutet darauf hin, dass durch CMR-gesteurte Bi-
zeitlicher Auflösung, durch die auch sehr kleine Myokardschä- opsien auch der bei der Blindbiopsie häufige Sampling error re-
den erkannt werden können. Mit der T2-gewichteten CMR- duziert werden kann.
Technik, die für die Darstellung von Gewebsödemen optimiert
ist, konnte für die Diagnose der akuten Myokarditis, die biop- Rechts-und Linksherzkatheteruntersuchung
tisch verifiziert wurde, eine bis zu 100%ige Sensitivität und
> Eine invasive Diagnostik mit Links- bzw. Links-und-Rechtsherz-
90%ige Spezifität erreicht werden. Im Vergleich zur konventio-
katheter-Untersuchung sowie Koronarangiographie ist immer
nellen Spin-Echo-CMR-Technik erreichen neue kontrastver-
dann indiziert, wenn es sich um eine neu aufgetretene unge-
stärkte Gradienten-Echo-CMR-Techniken eine noch bessere
klärte Herzinsuffizienz oder lebensbedrohliche Herzrhythmus-
Abgrenzbarkeit zwischen Kontrastanreicherung und gesundem
störungen mit dokumentierten VT, Kammerflimmern oder auch
Myokard. Die mithilfe der Gradienten-Echo-CMR dargestellten
AV-Block höheren Grades handelt, aber auch bei Zustand nach
Kontrastanreicherungen sind bei Myokarditis im Gegensatz zur
reanimationspflichtigem Herz-Kreislauf-Versagen.
Ischämie nicht subendokardial, sondern in den subepikardialen
oder intramuralen Abschnitten des Herzmuskels zu finden Patienten mit dokumentierten malignen Herzrhythmusstörun-
(. Abb. 16.4). gen und einer klinischen Symptomatik mit Synkope oder sogar
Neben der hohen Sensitivität und der hohen Spezifität neuer Reanimationssituation sollten einer katheterinterventionell pro-
CMR-Verfahren in der Diagnostik der Myokarditis konnte in ei- grammierten Vorhof- und Ventrikelstimulation zugeführt wer-
ner kürzlich veröffentlichten Studie gezeigt werden, dass diese den. In Abhängigkeit von dieser Untersuchung ist eine adäquate
Techniken auch für die Beurteilung des Krankheitsverlaufs geeig- antiarrhythmische Therapie bzw. AICD-Implantation vorzu-
net sind (Mahrholdt et al. 2004). Mithilfe der Gradienten-Echo- nehmen.
CMR ließen sich in dieser Untersuchung an 32 Patienten mit Liegt bei Viruspersistenz das Bild einer DCM vor, können
klinischem Verdacht auf akute Myokarditis bei 88% der Patienten auch hier die bekannten rechts- und linksventrikulär zu erhe-
epikardiale Kontrastanreicherungen nachweisen. Nach 3 Mona- benden Befunde wie erhöhte Füllungsdrücke, Zunahme der end-
ten verringerte sich die Fläche der linksventrikulären Kontrast- diastolischen und endsystolischen Ventrikeldurchmesser, Ein-
aufnahme im Mittel von 9% auf 3%; gleichzeitig war eine Erhö- schränkung der Ventrikelfunktion, pulmonale Hypertonie, Mi-
hung der Auswurffraktion von durchschnittlich 47 auf 60% fest- tral- und Trikuspidalklappeninsuffizienz nachgewiesen werden.
zustellen. Myokardbiopsien, die im Bereich der Kontrastanrei- Bei ausgeprägten Akutformen der Myokarditis kann in der Koro-
narangiographie ein »Slow-flow-Phänomen« – am ehesten durch
koronare Vaskulitiden und Störungen der Mikrozirkulation ver-
ursacht – beobachtet werden. Bei DCM finden sich häufig ge-
streckte, epikardiale Koronararterienverläufe. Auch ist der Koro-
narwiderstand gegenüber der Norm signifikant erhöht. Dies
kann mit ein Grund für die gesteigerte Ischämieanfälligkeit des
ohnehin strukturell geschädigten Myokards sein.

16 16.6 Therapie

Wenn immer möglich, ist eine kausale Therapie anzustreben, dies


ist aber meist nur dann möglich, wenn die infektiöse, die toxische
oder die immunologische Ursache der Myokarditis bekannt ist.
Eine gesicherte kausale Therapie mit dem Ziel der Viruselimina-
tion gibt es für die »Virusmyokarditis« nicht. In der überwie-
genden Zahl der Fälle wird es sich um eine symptomatische The-
rapie mit den folgenden Zielen handeln:
4 Verbesserung der Herzfunktion (Herzinsuffizienztherapie),
4 Einstellung der Arrhythmie sowie möglicherweise
4 Überbrückung der Reizleitungsstörungen (antiarrhyth-
mische Therapie, Schrittmachertherapie).

Weitere kardiotoxische Noxen (Nikotin, Alkohol, Medikamente


etc.) sollten dabei konsequent vermieden werden. Im Vorder-
. Abb. 16.4. Magnetresonanztomographie bei einem Patienten mit vi-
raler Myokarditis und erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion. In der
grund steht die körperliche Schonung (. Tab. 16.4). Da die Myo-
Spätphase zeigt sich eine fokal betonte intramurale Anreicherung von karditis häufig eine Erkrankung des körperlich aktiven Heran-
Kontrastmittel (Gadolinium) im Bereich der Lateralwand (»late enhance- wachsenden/jungen Erwachsenen ist, ist ausdrücklich auf eine
ment«, Pfeile) als Hinweis auf das Vorliegen von Myokardnekrosen. (Dr. A. körperliche Schonungszeit (»Sportverbot«) von wenigstens
Goßmann, Institut für Radiologische Diagnostik der Universität zu Köln) 6 Monaten hinzuweisen.
16.6 · Therapie
359 16

Immunglobuline. Die Rationale für die Behandlung der akuten


. Tab. 16.4. Therapieoptionen bei viraler Myokarditis. (Nach Maisch
et al. 2006) Myokarditis mit Immunglobulinen ergibt sich sowohl aus ihrer
antiviralen als auch aus ihrer antiinflammatorischen Wirkung. So
Therapie Indikations- Evidenz- könnten in der akut virämischen Phase mit polyklonalem Im-
klasse grad
munglobulin direkt antivirale Antikörper übertragen werden. Im
Konventionelle Therapie bei Herzinsuffizienz späteren Stadium der myokardialen Entzündung wiederum
Körperliche Schonung IIa A hemmen Immunglobuline die Produktion proinflammatorischer
β-Rezeptorenblocker I A
Zytokine und reduzieren möglicherweise die Bildung freier Ra-
dikale. Im Vergleich zu anderen Immunmodulatoren und Im-
ACE-Hemmer/AT1-Rezeptorantagonisten I A munsuppressiva ist diese Behandlung erfreulich nebenwirkungs-
Aldosteronrezeptorantagonisten I A arm, jedoch kostspielig.
Diuretika I A Eine Behandlung der akuten Myokarditis mit Immunglobu-
linen erfolgte in fast allen Studien durch die hoch dosierte paren-
Digitalis (Vorhofflimmern) I A
terale Gabe von 2 g/kgKG über 2–4 Tage. Neben zahlreichen
Prophylaxe kardialer Komplikationen Fallberichten konnten auch zwei nichtkontrollierte Studien den
Antiarrhythmische Therapie mit IIa A günstigen Einfluss einer i.v.-Gabe von Immunglobulinen auf
Amiodaron Krankheitsverlauf und Überleben sowohl bei Kindern (Drucker
ICD (EF<35%) IIa A et al. 1994) als auch bei Erwachsenen (McNamara et al. 1997)
belegen. Im Gegensatz hierzu konnte die einzige publizierte Stu-
Linksventrikuläre Unterstützungssysteme IIa B
die, die randomisiert und placebokontrolliert den Einfluss von
Antikoagulation (Vorhofflimmern, I A i.v.-γ-Globulin-Gaben bei neu aufgetretener DCM untersucht
EF<40%) hat, keinen Vorteil einer Behandlung mit Immunglobulinen hin-
Kausale Therapieoptionen sichtlich des ereignisfreien Überlebens oder einer Verbesserung
Immunglobuline IIb B
der Auswurffraktion nachweisen (McNamara et al. 2001). Ein-
schränkend muss zu dieser Studie jedoch festgestellt werden,
Immunsuppressiva IIb C
dass, im Gegensatz zu vorherigen Untersuchungen, Immunglo-
Antivirale Therapie mit β-Interferon IIa B buline nur einmalig verabreicht wurden und histologisch nur bei
ICD implantierbarer Kardioverterdefibrillator, EF Ejektionsfraktion. 10 von insgesamt 62 Patienten (16%) entzündliche zelluläre In-
filtrate nachgewiesen werden konnten. Zur abschließenden Be-
urteilung des Nutzens von Immunglobulinen in der Myokarditis-
therapie sind daher weitere Studien zu fordern, die diesen thera-
Therapie bei Herzinsuffizienz peutischen Ansatz doppelblind und randomisiert sowie mög-
Die medikamentöse Therapie einer Pumpfunktionsstörung soll- lichst unter Berücksichtigung unterschiedlicher Ätiologien
te auch bei Myokarditis unabhängig von den Biopsiebefunden untersuchen.
den Richtlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz folgen. Be-
sonders bei eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion Immunsuppressiva. Ein Triggermechanismus für den chro-
konnte für eine Behandlung mit einzelnen Substanzen aus der nischen Verlauf einer viralen Myokarditis könnte eine zelluläre
Klasse der ACE-Hemmer, der AT1-Antagonisten, der Aldoste- und humorale Immunantwort sein, aufgrund deren Inflammati-
ronrezeptorantagonisten und der β-Rezeptorenblocker ein güns- on und myokardiale Schädigung perpetuieren. Vor diesem Hin-
tiger Einfluss auf die Morbidität sowie eine Verlängerung der tergrund stellt die immunsuppressive Behandlung einer histolo-
Lebenserwartung nachgewiesen werden (Hunt et al. 2005). Je gisch validierten autoreaktiven (virusnegativen) Myokarditis ein
nach klinischer Manifestation kann ergänzend eine symptoma- pathophysiologisch gut begründbares Therapiekonzept dar
tische Behandlung mit Nitraten, Digitalisglykosiden und Diure- (. Abb. 16.2).
tika sinnvoll sein (. Tab. 16.4). Ähnliches wurde auch für die DCM postuliert, bei der Ent-
zündungsmechanismen für die Entstehung struktureller myo-
Kausale Therapieoptionen kardialer Veränderungen wahrscheinlich ebenfalls eine große
Nichtsteroidale Antiphlogistika. Die Wirkung von NSAID wie Rolle spielen und für den Progress der Erkrankung verantwort-
Salicylate, Indometacin oder Ibuprofen zur Myokarditistherapie lich sein könnten. Allerdings zeigte die ATTACH-Studie (Chung
wurde in Tiermodellen untersucht. Es zeigte sich, dass z. B. nach et al. 2003), dass eine Hemmung dieser Entzündungsreaktion
Ibuprofengabe bei Coxsackie-B3-Virus induzierten Myokarditi- nicht generell von Vorteil sein muss. Diese kontrollierte Studie,
den sowohl die im Myokard nachgewiesene Entzündungsreaktion in der herzinsuffiziente Patienten mit einem chimären (Maus/
wie auch die Nekrosen deutlich stärker ausgeprägt waren. In einer human) monoklonalen IgG-Antikörper gegen TNF-α behandelt
tierexperimentellen Untersuchung an Ratten hatte Aspirin weder wurden, musste aufgrund einer erhöhten Sterblichkeit unter die-
günstigen noch ungünstigen Einfluss auf die Symptomatik und die ser Therapie sogar vorzeitig abgebrochen werden. Die einzige
Prognose von Ratten mit autoimmuninduzierter Myokarditis. bislang veröffentlichte randomisierte Doppelblindstudie an Pa-
tienten mit histologisch nachgewiesener Myokarditis und einge-
! Cave schränkter Pumpfunktion (MTT; Mason et al. 1995) zeigte eben-
Nichtsteroidale, antiinflammatorische Substanzen ebenso wie falls keinen Nutzen einer Behandlung mit Ciclosporin/Azathi-
Ciclosporine sind während der Akutphase einer viralen Myokar- oprin und Kortikosteroiden. Einschränkend muss zu dieser
ditis (ca. 2 Wochen) kontraindiziert, da sie die myokardiale Zell- Studie jedoch angemerkt werden, dass Patienten mit viraler Äti-
schädigung begünstigen können. ologie der Myokarditis, bei denen nach heute herrschender Mei-
360 Kapitel 16 · Virale Myokarditis

nung eine immunsuppressive Therapie kontraindiziert ist, nicht Literatur


ausgeschlossen wurden.
In der europäischen Studie über Epidemiologie und Therapie Chow LH, Radio SJ, Sears TD, McManus BM (1989) Insensitivity of right
von entzündlichen Herzmuskelerkrankungen (ESETCID; Huf- ventricular endomyocardial biopsy in the diagnosis of myocarditis. J
nagel et al. 2000) werden Patienten mit akuter oder chronischer Am Coll Cardiol 14: 915–920
Chung ES, Packer M, Lo KH et al. (2003) Randomized, double-blind, place-
Myokarditis nach der Ätiologie der Erkrankung behandelt. Die
bo-controlled, pilot trial of infliximab, a chimeric monoclonal antibo-
Endomyokardbiopsien der Patienten werden nach den Kriterien
dy to tumor-necrosis factor-alpha, in patients with moderate-to-se-
der WHF Task Force (Maisch et al. 2000) nach Entzündungszel- vere heart failure: results of the anti-TNF Therapy Against Congestive
len, aber auch auf persistierendes Virusgenom untersucht. Erste Heart Failure (ATTACH) Trial. Circulation 107: 3133–3140
Zwischenergebnisse dieser Studie, die bislang nur in Form eines Cooper LT, Baughman KL, Feldman AM et al. (2007) The role of endomyo-
Abstracts vorliegen, zeigen an Patienten mit autoreaktiver (virus- cardial biopsy in the management of cardiovascular disease: a scien-
negativer) Myokarditis und eingeschränkter Pumpfunktion tific statement from the American Heart Association, the American
(EF<45%), dass unter einer Kombinationsbehandlung mit Aza- College of Cardiology and the European Society of Cardiology. Circu-
thioprin und Prednisolon bei einem signifikant höheren Anteil lation 116: 2216–2233
der Patienten (59% von insgesamt 51 Patienten) die Entzündung Dec GW, Palacios I, Yasuda T et al. (1990) Antimyosin antibody cardiac ima-
ging: its role in the diagnosis of myocarditis. J Am Coll Cardiol 16:
im Vergleich zur Placebogruppe (40% von insgesamt 37 Pati-
97–104
enten; p<0,05) abheilte.
Drucker NA, Colan SD, Lewis AB et al. (1994) Gamma-globulin treatment of
! Cave acute myocarditis in the pediatric population. Circulation 89: 252 ff.
Zum jetzigen Zeitpunkt, bei bislang nichteindeutigem Nachweis Hufnagel G, Pankuweit S, Richter A. et al. (2000) The European Study of
einer vorteilhaften Wirkung der immunsuppressiven Therapie Epidemiology and Treatment of Cardiac Inflammatory Diseases (ESET-
CID). First epidemiological results. Herz 25: 279–285
bei chronischer Myokarditis, muss von einer allgemeinen An-
Hunt SA, Abraham WT, Chin MH et al. (2005) ACC/AHA 2005 guideline update
wendung abgeraten werden. Sie ist derzeit nur bei selektio-
for the diagnosis and management of chronic heart failure in the adult: a
nierten Patienten im Rahmen kontrollierter Studien in spezi- report of the American College of Cardiology/American Heart Associati-
ellen Zentren sinnvoll (. Tab. 16.4). on task force on practice guidelines. Circulation 112: e154–235
Kühl U, Pauschinger M, Schwimmbeck PL et al. (2003) Interferon β treat-
ment eliminates cardiotropic viruses and improves left ventricular
Antivirale Therapie mit β-Interferon. In einer Phase-II-Studie an
function in patients with myocardial persistence of viral genome and
22 Patienten mit langjähriger DCM und positivem Nachweis left ventricular dysfunction. Circulation 107: 2793–2798
enteroviralen (n=14) und adenoviralen (n=8) Genoms in der Kühl U, Pauschinger M, Seeberg D et al. (2005) Viral persistence in the my-
Myokardbiopsie zeigte sich ein gutes Ansprechen auf eine The- ocardium is associated with progressive cardiac dysfunction. Circula-
rapie mit β-Interferon (Kühl et al. 2003). Das Regime bestand aus tion 112: 1965–1970
der s.c.-Gabe von 18 Mio. IE/Woche β-Interferon über 6 Mo- Mahrholdt H, Goedecke C, Wagner A et al. (2004) Cardiovascular magnetic
nate. Darunter konnte eine vollständige Viruselimination mit resonance assessment of human myocarditis. A comparison to histo-
gleichzeitiger Abnahme der Ventrikeldimensionen und signifi- logy and molecular pathology. Circulation 109: 1250–1258
kanter Verbesserung der kardialen Pumpfunktion erzielt wer- Maisch B, Portig I, Ristic A et al. (2000) Definition of inflammatory cardio-
myopathy (myocarditis): on the way to consensus. Herz 25: 200–209
den. Darüber hinaus wurde nach Elimination des viralen Ge-
Maisch B, Richter A, Kölsch S et al. (2006) Management von Myokarditis und
noms auch eine signifikante Abnahme der Lymphozyteninfiltra-
inflammatorischer dilatativer Kardiomyopathie. Herz 31: 881–890
tion festgestellt. Mason JW, O‘Connell JB, Herskowitz A (1995) A clinical trial of immunosup-
Basierend auf diesen vielversprechenden Ergebnissen wurde pressive therapy for myocarditis: the Myocarditis Treatment Trial In-
16 im Herbst 2002 die prospektive multizentrische placebokontrol- vestigators. N Engl J Med 333: 269–275
lierte BICC-Studie initiiert. Im direkten Anschluss an diese Pha- McNamara DM, Rosenblum WD, Janosko KM et al. (1997) Intravenous im-
se-II-Studie ist eine Phase-III-Studie sowohl in Europa als auch mune globulin in the therapy of myocarditis and acute cardiomyopa-
in den USA in Vorbereitung. Das Outcome dieser Studien muss thy. Circulation 95: 2476–2478
abgewartet werden, bevor eine generelle Therapieempfehlung für McNamara DM, Holubkov R, Starling RC et al. for the Intervention in Myo-
β-Interferon zur Behandlung der chronischen Myokarditis aus- carditis and Acute Cardiomyopathy (IMAC) Investigators (2001) Con-
trolled trial of intravenous immune globuline in recent-onset dilated
gesprochen werden kann.
cardiomyopathy. Circulation 103: 690–695
Noutsias M, Noutsias E, Kühl U et al. (2004) Meta-Analyse über den immun-
histologischen und histologischen Nachweis einer intramyokardialen
Entzündung bei Myokarditis und dilatativer Kardiomyopathie. Z Kar-
diol 93: 377
361 17

Erkrankungen des Perikards


K. La Rosée, F.M. Baer

17.1 Akute Perikarditis – 361 17.2.4 Diagnostik – 364


17.1.1 Ätiologie und Pathogenese – 361 17.2.5 Therapie – 366
17.1.2 Klinische Symptome – 361
17.1.3 Diagnostik – 362 17.3 Pericarditis constrictiva – 367
17.1.4 Therapie – 363 17.3.1 Ätiologie und Pathogenese – 367
17.1.5 Verlauf und Prognose – 363 17.3.2 Klinische Symptome – 368
17.3.3 Differenzialdiagnosen – 368
17.2 Perikarderguss und Perikardtamponade – 363 17.3.4 Diagnostik – 368
17.2.1 Ätiologie und Pathogenese – 363 17.3.5 Therapie – 371
17.2.2 Klinische Symptome – 364
17.2.3 Differenzialdiagnosen – 364 Literatur – 371

)) 17.1 Akute Perikarditis

Das Perikard umschließt das Herz und die Ursprünge der großen Definition
Gefäße und ist mit straffen Ligamenten an Zwerchfell, Wirbelsäu- Die akute Perikarditis ist durch thorakale Schmerzen, elektro-
le und Sternum fixiert. Die nervöse Versorgung erfolgt durch den kardiographische Veränderungen und einen typischen Aus-
N. vagus, den Plexus oesophageus, kardiale, diaphragmale und kultationsbefund charakterisiert.
aortale Nervengeflechte sowie über Fasern aus dem Ganglion
stellatum. Die Blutversorgung wird durch Äste der A. mammaria
interna, der Aorta und der das Zwerchfell versorgenden Arterien Die tatsächliche Inzidenz dieser Erkrankung liegt weitaus höher
übernommen. als die klinisch erfasste von ca. 1:1000 Patienten aufgrund von
inapparent verlaufenden Fällen.
Das Perikard besteht aus 2 Schichten: dem serösen viszeralen und
dem fibrösen parietalen Anteil. Die viszerale Schicht liegt dem
Herzen sowie dem epikardialen Fett direkt auf und besteht aus 17.1.1 Ätiologie und Pathogenese
einer einzelnen Schicht mesothelialer Zellen. Diese sorgen für die
Produktion perikardialer Flüssigkeit, die beim Gesunden bis zu Die häufigsten bekannten Ursachen einer Entzündung des Peri-
50 ml betragen kann. Die darin vorhandenen Phospholipide füh- kards sind der akute Myokardinfarkt, die Urämie, eine infektiöse
ren zu einer Reibungsminderung beider Schichten. Genese (viral, bakteriell, tuberkulös) oder Traumata (u. a. chirur-
Das Perikard hält das Herz in einer konstanten Position und gische Eingriffe am Perikard; 7 Übersicht 17.1).
verhindert dadurch Funktionseinschränkungen, z. B. bei plötz- Meist (85–90%; Zayas et al. 1995; Permanyer-Miralda et al.
lichen Lageänderungen des Körpers. Auch wird ein direkter Kon- 1985) wird keine auslösende Ursache gefunden, sodass von einer
takt des sich kontinuierlich bewegenden Herzens mit benachbar- idiopathischen Perikarditis gesprochen wird. Die Entzündungs-
ten Organen verhindert. Der vorhandene Flüssigkeitsfilm mini- reaktion kann zu einer vermehrten Exsudation von Perikardflüs-
miert Reibungsverluste. Weiterhin dient das Perikard als eine sigkeit und somit zu einer Perikardtamponade führen.
immunologische Barriere, denn es erschwert ein direktes Über-
greifen von Infektionen oder Tumoren auf das Myokard.
Der normale intraperikardiale Druck beträgt 0 mmHg bis 17.1.2 Klinische Symptome
hin zu leicht negativen Werten. Dieser Druck bleibt konstant,
solange die intraperikardiale Flüssigkeitsmenge nicht den gesam- Das klinische Bild ist durch retrosternal oder linksthorakal loka-
ten intraperikardialen Raum ausfüllt. Steigt die Flüssigkeitsmen- lisierte Schmerzen charakterisiert. Diese sind häufig in liegender
ge über das normale Maß hinaus an, so steigt der intraperikardi- Stellung ausgeprägter als in der sitzenden oder vornüber ge-
ale Druck steil an. Im Extremfall der kardialen Tamponade beugten Position. Die Schmerzsymptomatik kann leicht die kli-
kommt es zu einem Verlust des transmuralen Druckgradienten. nischen Symptome einer Angina pectoris, einer Lungenembolie
Dieser führt zu einer Verminderung der Vorlast und der diasto- oder von Oberbauchbeschwerden vortäuschen. Häufig tritt Fie-
lischen Ventrikelvolumina. Gründe hierfür sind ausgeprägte ber auf. Fieber über 38°C ist eher selten und kann ein Hinweis auf
Steifheit und fehlende Elastizität des parietalen Perikards. eine purulente Perikarditis sein.
> »Perikardreiben« ist für die akute Perikarditis pathognomonisch.

Dies ist ein lederartiges herzschlagsynchrones Geräusch, das


häufig mit dem Geräusch des Auftretens auf frisch gefallenen
Schnee verglichen wird.
362 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

Übersicht 17.1. Einteilung der entzündlichen Perikard-


erkrankungen

Ätiologie
4 Infektiöse Perikarditis
– Bakteriell
– Viral
– Tuberkulös
– Andere Erreger (Pilze, Parasiten usw.)
4 Nichtinfektiöse Perikarditis
– Idiopathisch
– Akuter Myokardinfarkt
– Neoplasie (Primärtumor oder Metastasen)
– Trauma (Penetration, Perforation, stumpfe Traumen, . Abb. 17.1. 12-Kanal-EKG eines Patienten mit akuter Perikarditis. Be-
ionisierende Strahlung) achte den angehobenen ST-Streckenabgang in den Ableitungen I, II, III,
aVF, V4–V6 und die zumindest angedeutete Absenkung des PR-Segments
– Aortenaneurysma (mit Herzbeutelbeteiligung)
in einigen Ableitungen
4 Perikarditis bei Stoffwechselerkrankungen
– Urämie
– Myxödem
– Addison-Krise Im Gegensatz dazu sieht man beim akuten Myokardinfarkt meist
– Diabetische Ketoacidose eine auf wenige Ableitungen beschränkte konvexe ST-Strecken-
4 Perikarditis mit einer Autoimmunkomponente oder auf- hebung ohne wesentliche Beeinflussung des PR-Segments.
grund einer Überempfindlichkeitsreaktion
– Rheumatisches Fieber Echokardiographie
– Medikamente Die Echokardiographie ist diagnostisch wegweisend bei Vorlie-
– Kollagenosen (systemischer Lupus erythematodes, gen eines begleitenden Perikardergusses. Bei trockener, unkom-
Dermatomyositis, Sklerodermie, Spondylarthritis anky- plizierter Perikarditis ist sie jedoch unspezifisch.
lopoetica, Panarteriitis)
– Dressler-Syndrom Thoraxröntgenaufnahme
– Serumkrankheit Eine Thoraxröntgenaufnahme erfolgt in erster Linie zum Aus-
– Postoperativ schluss mediastinaler oder pulmonaler Ursachen einer Perikar-
Klinische Symtome ditis. Gelegentlich lässt sich ein linksseitiger Pleuraerguss darstel-
4 Akute Perikarditis (bis 6 Wochen) len (Polyserositis). Eine Vergrößerung des Herzschattens weist
– Fibrinöser Erguss auf einen bedeutsamen Perikarderguss (>250 ml) hin.
– Hämorrhagischer oder exsudativer Erguss
4 Subakute Perikarditis (6 Wochen bis 6 Monate) Computertomographie und Magnetresonanzto-
– Konstriktiv mographie
– Exsudativ-konstriktiv Diese beiden bildgebenden Verfahren können ein verdicktes Pe-
4 Chronische Perikarditis rikard (>4 mm) als morphologisches Korrelat einer Perikarditis
– Konstriktiv zeigen. Bei einer unkomplizierten Perikarditis sind jedoch beide
– Exsudativ Verfahren für eine Diagnosestellung nicht notwendig.
17 – Adhäsiv
Laborparameter
Unspezifische Entzündungsparameter wie CRP, BSG, Fibrinogen
und Leukozytenzahl können erhöht sein. Kreatinkinase/CK-MB
17.1.3 Diagnostik und TnI/TnT sind bei 35–50% der Patienten mit Perikarditis er-
höht. Ursache hierfür ist eher eine epikardiale Entzündung als
Elektrokardiographie eine Nekrose von Myozyten (Newby u. Ohman 2000). Andere
Das 12-Kanal-EKG zeigt bei Patienten mit akuter Perikarditis laborchemische Untersuchungen können abhängig von dem kli-
typischerweise (> 80%) eine konkave ST-Streckenhebung in den nischen Gesamtbild des Patienten notwendig werden (Sepsis-,
meisten Ableitungen und manchmal eine Senkung des PR-Seg- Tuberkulose-, Tumordiagnostik und Suche nach einer Autoim-
ments (. Abb. 17.1). Unterschieden werden 4 Phasen im zeit- munerkrankung). Eine virologische Diagnostik (Kulturen, Anti-
lichen Verlauf: körper) wird wegen fehlender therapeutischer Konsequenzen
Stadium I: anteriore und inferiore konkave ST-Streckensen- nicht empfohlen.
kungen. PR-Segment-Abweichung gegensinning zu P-Pola-
rität, Perikardpunktion und Perikardbiopsie
Stadium II: ST-Streckennormalisierung, PR-Veränderungen Eine Perikardpunktion und -biopsie ist bei einer unkompliziert
persistieren, verlaufenden akuten Perikarditis nicht notwendig. Werden Grund-
Stadium III: generalisierte T-Negativierungen und erkrankungen (z. B. infektiöse Perikarditis, Neoplasien oder Tu-
Stadium IV: EKG-Normalisierung. berkulose), die eine weitergehende Therapie erfordern, vermutet,
17.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
363 17

ist die Klärung der Ätiologie durch eine invasive Diagnostik (z. B.
eine Perikardpunktion) sinnvoll. In einer prospektiven Studie Eine Perikardtamponade ist durch einen zunehmenden
zeigte sich ein diagnostischer Nutzen der Perikardpunktion (39%) Perikarderguss, der zu einer Erhöhung des intraperikardialen
und der Perikardbiopsie (54%), wenn diese auch therapeutisch zur Drucks, Beeinträchtigung der diastolischen Kammerfüllung
Entlastung einer Perikardtamponade erfolgten. Demgegenüber und schließlich zu einer Verminderung des Schlagvolumens
steht ein diagnostischer Erfolg von nur 14% bei Patienten, deren sowie des HZV trotz kompensatorischer Tachykardie führt,
Erkrankung mit einem Perikarderguss und einer Mindestdauer charakterisiert.
von einer Woche einhergingen (Permanyer-Miralda et al. 1985).

17.1.4 Therapie 17.2.1 Ätiologie und Pathogenese

Die Therapie der akuten Perikarditis besteht aus unspezifischen Eine Erhöhung des intraperikardialen Drucks und somit eine
und spezifischen Maßnahmen. Bettruhe und Meiden von kör- kardiale Kompression manifestieren sich in Abhängigkeit von
perlicher Anstrengung sind selbstverständlich. Ziele der medika- folgenden Faktoren:
mentösen Therapie sind Schmerzlinderung und Entzündungs- 4 Menge an zusätzlich erzeugter Flüssigkeit,
hemmung. Allerdings verhindert eine derartige Therapie nicht 4 Geschwindigkeit, mit der ein Perikarderguss entsteht, und
eine Perikardtamponade, eine Konstriktion oder eine rekurrente 4 Dehnungsfähigkeit des Perikards.
Perikarditis. Empfohlen wird in Abhängigkeit von Schwere und
Ansprechen der Symptome Ibuprofen 300–800 mg alle 6–8 h. Ein Bei langsamer Entstehung eines Perikardergusses können bis
Magenschutz darf nicht vergessen werden. Indomethacin, früher zu 2 l Flüssigkeit in den intraperikardialen Raum eingelagert
oft empfohlen, sollte wegen seiner koronarflussmindernden Wir- werden. Es reichen aber schon 80–200 ml an zusätzlicher Flüs-
kung zumindest bei älteren Patienten nicht gegeben werden. Col- sigkeit aus, die bei einem schnell entstehenden Perikarderguss
chizin (0,6 mg 2-mal täglich) scheint sowohl in der Kombination zu ausgeprägten hämodynamischen Konsequenzen führen
mit Ibuprofen oder als Monotherapie für die initiale Behandlung können.
und insbesondere bei rezidivierenden Verläufen einer Perikardi-
! Cave
tis effektiv zu sein (Adler et al. 1998). Systemische Kortikosterio-
Bis zu einem Drittel der Patienten mit asymptomatischem aus-
de sollten nur bei Kollagenosen, Autoimunerkrankungen und der
gedehntem chronischem Perikarderguss entwickelt eine Peri-
urämischen Perikarditis gegeben werden. Auch eine intraperi-
kardtamponade.
kardiale Applikation ist möglich.
Abhängig von der Grunderkrankung muss eine spezifische Zu den häufigsten Ursachen der Perikardtamponade gehören
Therapie (z. B. Antibiose bei infektiöser Perikarditis) durchge- Neoplasien, urämische sowie idiopathische Perikarditis, akuter
führt werden. Eine stationäre Überwachung des Patienten ist Herzinfarkt (bei gleichzeitiger Heparingabe) und iatrogene
häufig empfehlenswert. Besteht ein Perikarderguss, so ist eine Ursachen.
engmaschige echokardiographische Verlaufskontrolle notwen- Der normale intraperikardiale Druck ist deutlich niedriger
dig, da ca. 15% der akuten Perikarditiden in eine Perikardtampo- als der diastolische Füllungsdruck des linken und rechten Vent-
nade übergehen können (Permanyer-Miralda et al. 1985). rikels und entspricht in etwa dem intrapleuralen Druck. Bei Zu-
nahme eines Perikardergusses über die Grenzen der Dehnbarkeit
des Perikards hinweg kommt es zu einem raschen Anstieg des
17.1.5 Verlauf und Prognose intraperikardialen Drucks, der schnell die diastolischen Drücke
beider Ventrikel überschreiten kann. Der dabei entstehende
Die idiopathischen, viralen, Postinfarkt- und Postperikardioto- transmyokardiale Druck komprimiert fortschreitend den rechten
mieperikarditiden sind üblicherweise im zeitlichen Verlauf selbst Vorhof und den rechten Ventrikel. Das führt zur Tamponade,
limitierend. wenn der intraperikardiale Druck sich dem diastolischen intra-
ventrikulären Druck angleicht.
Komplikationen. Typische Komplikationen sind die Perikard- Die Folgen sind eine zunehmende Füllungsbehinderung der
tamponade, rezidivierende Episoden einer Perikarditis (20–30% Ventrikel und eine Abnahme des Schlagvolumens. Die Interakti-
der Fälle; Sagrista-Sauleda et al. 1987; Imazio et al. 2007) und onen beider Ventrikel sind in diesem Zustand erheblich verstärkt:
langfristig eine Fibrosierung oder Kalzifizierung des Perikards Die Zunahme des intraventrikulären Volumens und Drucks führt
mit konstriktiver Symptomatik. zu einer ausgesprochenen Druckzunahme und Volumenredukti-
on des jeweils anderen Ventrikels.
Der Abnahme des Schlagvolumens folgt eine adrenerge Ge-
17.2 Perikarderguss und Perikardtamponade genregulation in Form eines Herzfrequenzanstiegs und einer
Erhöhung der EF. Der peripherarterielle Widerstand steigt, so-
Definition dass der systemische Blutdruck auf Kosten der kardialen Aus-
Der Gehalt an perikardialer Flüssigkeit beträgt beim gesun- wurfleistung zunächst stabil bleibt. Bei fortschreitender Tampo-
den Menschen zwischen 15 und 50 ml. Durch Verletzung nade kommt es zu einem Versagen der Kompensationsmecha-
oder Entzündung des Perikards kann es zu einer Zunahme nismen und zu ischämischen Schädigungen minderperfun-
der perikardialen Flüssigkeit, dem Perikarderguss, kommen. dierter Organe.
6
364 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

17.2.2 Klinische Symptome

Besteht ein Perikarderguss ohne Erhöhung des intraperikardi-


alen Drucks können klinische Symptome ganz fehlen oder un-
spezifisch in Erscheinung treten. Durch Kompression der umge-
benden Strukturen können Dysphagie (Ösophagus), Schluckauf
(N. phrenicus), Heiserkeit (N. laryngeus recurrens) und Husten
(Trachea, Bronchien) auftreten.
Steigt die intraperikardiale Flüssigkeitsmenge über Stunden
oder wenige Tage auf 200 ml und mehr an, so manifestiert sich
die entstehende Perikardtamponade mit einem erhöhten zent-
ralvenösen sowie einem erniedrigten systemarteriellen Druck
(Halsvenenstauung, Hypotonie), Tachykardie, Tachypnoe und
Pulsus paradoxus.
Ist der Verlauf chronisch, ist die Dyspnoe eines der führen-
den Symptome. Tierexperimentell konnte ein interstitielles
Lungenödem als Ursache nachgewiesen werden. Der Patient bie-
tet den Eindruck eines Schwerkranken, der jedoch nicht unbe-
dingt vital bedroht wirkt. Zusätzliche Allgemeinsymptome (Ge-
wichtsverlust, allgemeine Schwäche usw.) können ebenfalls vor-
handen sein.
! Cave
Bei hypovolämischen Patienten mit einer Perikardtamponade
kann das wichtige Zeichen einer Venenstauung auch fehlen.

17.2.3 Differenzialdiagnosen

. Abb. 17.2a,b. Perikarderguss. a Elektrischer Alternans mit wechseln-


Differenzialdiagnostisch ist bei den Symptomen Pulsus parado- der Amplitude der R-Zacke im EKG bei einem »swinging heart« als Folge
xus, Halsvenenstauung und auskultatorisch unauffälliger Lunge eines zirkulären Perikardergusses. b Transthorakale Echokardiographie,
eine konstriktive Perikarditis, eine restriktive Kardiomyopathie parasternale Längsachse. Es zeigt sich ein zirkulärer Perikarderguss (PE),
und eine obstruktive Lungenerkrankung zu bedenken. Die Peri- der vor der Posterolateralwand mit etwa 4 cm vermessen wird. Die Ab-
kardtamponade kann auch der Symptomatik eines rechtsventri- grenzung zu einem etwaigen Pleuraerguss ist unproblematisch, da der
kulären Myokardinfarkts mit nachfolgendem kardiogenen Erguss eindeutig zwischen linkem Vorhof und Aorta descendens (AO)
Schock ähneln. Eine ähnliche schwerwiegende Beeinträchtigung darstellbar ist (kleiner Pfeil)
des Kreislaufs kann ein Spannungspneumoperikard verursachen.
Dieses kann bei Thoraxtraumata, bei Rupturen von Ösophagus
oder Magen, bronchoperikardialen Fisteln und iatrogen (z. B. Echokardiographie
Sternalmarkpunktion) entstehen. Die Echokardiographie ist das diagnostische Verfahren der Wahl
zur Erkennung und zur Verlaufskontrolle eines Perikardergusses.
> Charakteristischerweise ist bei der Perikardtamponade eine Ta-
Kennzeichen ist ein echofreier Raum zwischen den Perikardblät-
chykardie mit gedämpften Herztönen vorhanden.
17 tern, der auch diastolisch persistiert. Unter 25 ml Flüssigkeit
kommt es lediglich zu einer systolischen Separation von Epikard
und Perikard. Kleinere Mengen eines Ergusses lassen sich meist
17.2.4 Diagnostik nur vor der posterioren Wand des linken Ventrikels darstellen,
während größere Mengen sich meist zirkulär zeigen.
> Eine rasche bildgebende Diagnostik ist bei einem Verdacht auf
! Cave
einen Perikarderguss/eine Perikardtamponade dringend not-
Bei der echokardiographischen Diagnose eines Perikarder-
wendig. Dabei steht an erster Stelle die Echokardiographie.
gusses müssen immer 2 wichtige Differenzialdiagnosen in Erwä-
gung gezogen werden: epikardiales Fett und linksseitiger
Elektrokardiographie
Pleuraerguss.
Das EKG ist in der diagnostischen Kette das schwächste Glied,
kann jedoch durch Hinweise, wie z. B. eine Niedervoltage, die Ersteres stellt sich als echoarm und nicht als echofrei dar. Zudem
weiteren diagnostischen Bemühungen in die richtige Richtung misst es in der Regel weniger als 1 cm und variiert in seiner Dicke
lenken. Hinweisend auf eine sich entwickelnde oder manifeste nicht mit dem Herzzyklus. Meist ist Fett besonders deutlich an-
kardiale Tamponade ist neben der meist bestehenden Tachykar- terior vor der rechtsventrikulären Wand zu sehen, insbesondere
die ein elektrischer Alternans, der vorwiegend durch eine Pen- bei adipösen Patienten. Die Unterscheidung zwischen Pleuraer-
delbewegung des Herzens mit halber Herzfrequenz und damit guss und Perikarderguss kann bisweilen große Schwierigkeiten
durch eine periodische Änderung der elektrischen Herzachse machen. Wichtigstes Unterscheidungskriterium ist die Lagebe-
entsteht (. Abb. 17.2a,b). ziehung zwischem dem linken Vorhof, dem Erguss und der Aor-
17.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
365 17

ta descendens: Ein Perikarderguss ist im parasternalen Längsach- mehr zu erwarten, sodass ein unauffälliger Herzschatten einen
senschnitt zwischen der posterioren Wand des linken Vorhofs hämodynamisch relevanten Perikarderguss nicht ausschließt
und der Aorta descendens, der sogenannten AV-Grube, lokali- (. Abb. 17.3).
siert (. Abb. 17.2b), während ein Pleuraerguss diesen Bereich frei
! Cave
lässt und die Aorta descendens von dorsal/posterior umspült.
Im Fall einer akut verlaufenden Perikardtamponade kann das
Echokardiographische Kriterien für das Vorliegen eines hä-
Röntgenbild völlig unauffällig sein.
modynamisch bedeutsamen Perikardergusses bis hin zur Peri-
kardtamponade sind: Bei chronischen Verläufen fällt ein vergrößerter Herzschatten
4 diastolisches Kollabieren des rechten Ventrikels, auf, von dem man keine Informationen über die hämodyna-
4 Kompression (Inversion, Einstülpung) des rechten und/oder mische Relevanz ableiten kann (»Bocksbeutelherz«). Ist die Herz-
linken Vorhofs, tamponade durch ein Pneumoperikard verursacht, ist es möglich,
4 atemabhängige Variation der ventrikulären Diameter, Luft im Herzbeutel abzugrenzen.
4 diastolische Kompression des linken Ventrikels,
4 inspiratorischer Anstieg der transtrikuspidalen Einstromge- Computertomographie
schwindigkeiten um >40% bei gleichzeitigem Abfall der Im Gegensatz zur herkömmlichen Röntgenaufnahme kann die
transmitralen Einstromgeschwindigkeiten um >25% und CT Perikardergüsse und sie umgebende benachbarte Prozesse
4 fehlende Atemvariabilität der dilatierten V. cava inferior. mit einer hohen Auflösung darstellen. Eine Differenzierung in
hämorrhagisch bzw. serös ist durch die Messung der Hounsfield-
Darüber hinaus ermöglicht und begleitet sie ggf. auch die Peri- Einheiten möglich (. Abb. 17.4, . Abb. 17.5a,b).
kardpunktion als therapeutische Maßnahme. Eine CT-Untersuchung ist bei einem akut hämodynamisch
Inspiratorisch kommt es durch die vermehrte Füllung des beeinträchtigten Patienten aufgrund der instabilen klinischen
rechten Ventrikels und die konsekutive Verlagerung des Septums Situation meist nicht indiziert.
nach links zu einer verminderten Füllung des linken Ventrikels.
Hierdurch nimmt inspiratorisch die dopplerechokardiographisch Magnetresonanztomographie
bestimmbare transtrikuspidale Einstromgeschwindigkeit zu, Die MRT ist hervorragend geeignet, einen Perikarderguss abzu-
während gleichzeitig die transmitrale Einstromgeschwindigkeit klären (. Abb. 17.6a–c), sofern die Echokardiographie keine aus-
abnimmt. Betragen die Zunahme der transtrikuspidalen E-Welle reichende Beurteilung ermöglicht. Bei klinisch bestehender Peri-
in der Inspiration gegenüber der Exspiration mehr als 40% und kardtamponade ist sie jedoch nicht indiziert.
die Abnahme der transmitralen E-Welle gleichzeitig mehr als Mit ihrer hohen räumlichen Auflösung und ihrem hervorra-
25%, ist funktionell von dem Vorliegen einer therapiebedürftigen genden Weichteilkontrast können sowohl ein Perikarderguss mit
Perikardtamponade auszugehen (Appleton et al. 1988). Ausdehnung und Qualität (hämorrhagisch/serös) als auch alle
benachbarten Strukturen auf der Suche nach der Genese des Pe-
> Weder das Volumen bzw. die im 2D-Bild bestimmbare Breite des
rikardergusses in allen 3 Raumebenen dargestellt werden. Dabei
echofreien epikardialen Raumes noch das beeindruckende Phä-
entfällt die Gabe von Kontrastmitteln, die für eine CT-Untersu-
nomen des »tanzenden« Herzens (»swinging heart«) dürfen als
Kriterium für die hämodynamische Relevanz eines Perikarder-
gusses gewertet werden.

Thoraxröntgenaufnahme
In der Thoraxröntgenaufnahme ist eine Vergrößerung des Herz-
schattens erst ab einem Perikarderguss von ca. 250 ml und

. Abb. 17.4. Thoraxcomputertomographie eines Patienten mit einem


zirkulären hämorrhagischen Perikarderguss, der vom Myokard deutlich
abgrenzbar ist. Der rechte Vorhof (RA) zeigt eine beginnende, hämodyna-
. Abb. 17.3. Thoraxröntgenaufnahme eines Patienten mit ausgedehn- misch noch nicht bedeutsame Impression (PE*). Als Nebenbefund fällt
tem Perikarderguss. Charakteristische Befunde sind die verstrichene ein begleitender beidseitiger Pleuraerguss (PIE) auf. Ao Aorta, LA linker
Herztaille und die Verbreiterung des Herzschattens Vorhof, LV linker Ventrikel, PE Pleuraerguss, RV rechter Ventrikel
366 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

b
. Abb. 17.5a,b. Computertomographische Thoraxaufnahmen eines Pa-
tienten mit einem ausgedehnten hämorrhagischen Perikard- und Pleura-
erguss. Als Ursache konnte eine perforierende Vorhofsonde nach Implan-
tation eines DDD-Schrittmachers identifiziert werden, die operativ revi-
diert werden musste. In der »Knochenausspielung« sind die durch die
Schrittmachersonden verursachten Metallartefakte (MA) deutlicher er-
kennbar; LA linker Vorhof, RV rechter Ventrikel, LV linker Ventrikel, Ao Aor-
b
ta, PIE Pleuraerguss, PE Perikarderguss

chung notwendig ist. Die diagnostischen Kriterien für die MRT


17 und die CT sind:
4 Verdickung des Perikards (>4 mm) mit oder ohne eine Ver-
kalkung,
4 Einengung eines einzelnen oder beider Ventrikel,
4 Einengung einer oder beider AV-Gruben,
4 Dilatation einer oder beider Vorhöfe und
4 Verhältnis der V. cava superior oder inferior zum entspre-
chenden Abschnitt der Aorta descendens >1:4 bzw. 2:1.

c
17.2.5 Therapie
. Abb. 17.6a–c. Seröser Perikarderguss (PE). (a) In der transversalen
Spin-Echo-Aufnahme sind die flüssigkeitsgefüllten Räume – linker (LV)
Die Therapie eines Perikardergusses richtet sich primär nach
und rechter Ventrikel (RV), große Gefäße (Ao Aorta, VC V. cava) und der
dem Grad der hämodynamischen Beeinträchtigung und se-
intraperikardiale Raum – dunkel (signalarm) dargestellt. Deutlich sichtbar
kundär bei stabilen hämodynamischen Verhältnissen nach der ist die ausgeprägte Aufweitung (25 mm) des intraperikardialen Raumes
Grunderkrankung. Eine Perikardpunktion ist bei hämodyna- (PE) zirkulär um beide Ventrikel. Das parietale Perikardblatt (kleine Pfeile)
misch bedeutsamen Perikardergüssen und bei Verdacht auf eine ist mit ca. 2 mm nicht verdickt. Bei der transversalen (b) und der sagit-
maligne oder infektiöse Grunderkrankung zur Diagnosesiche- talen (c) Turbo-Field-Echo-Aufnahme stellen sich der seröse Erguss, die
rung und zur Festlegung der Therapie indiziert. Herzbinnenräume und die großen Gefäße hell dar
17.3 · Pericarditis constrictiva
367 17

> Ein hämodynamisch unbedeutender Perikarderguss bei feh- cherer Lage der Punktionsnadel wird über sie ein Führungsdraht
lendem Verdacht auf eine behandlungsbedürftige Grunder- vorgebracht, über den in Seldinger-Technik schließlich ein Pig-
krankung sollte nicht punktiert, sondern in regelmäßigen Ab- tail-Katheter in den perikardialen Raum platziert wird.
ständen kontrolliert werden. Zur ätiologischen Abklärung sollte die aspirierte Flüssigkeit
in ein hämatologisches Labor zur Bestimmung des Hämatokrits,
Bei einer Perikardtamponade stehen supportive Maßnahmen an der Leukozytenzahl usw., in ein mikrobiologisches Labor zur Er-
erster Stelle, bis die definitive Therapie in Form von Perikard- regerdiagnostik und in die Pathologie zum Nachweis einer ma-
punktion und -drainage erfolgen kann. Dabei ist das zeitliche lignen Erkrankung verschickt werden.
Vorgehen vom klinischen Zustand des Patienten abhängig. Je kri-
tischer dessen Zustand ist, umso dringender und schneller sollte
die Entlastung des Perikardergusses erfolgen. Zu den supportiven 17.3 Pericarditis constrictiva
Maßnahmen gehört z. B. die i.v.-Gabe von Flüssigkeit (Klopfen-
stein et al. 1985). Katecholamine können die Herzleistung bis zur Definition
definitiven Therapie steigern, während Vasodilatatoren und ne- Bei der Pericarditis constrictiva handelt es sich um einen
gativ-inotrope Substanzen (wie z. B. β-Blocker) nicht eingesetzt chronischen Krankheitsprozess, der mit einer akuten Perikar-
werden sollten (Nishikawa et al. 1994). ditis beginnt, die initial oftmals okkult verläuft. Charakteris-
tisch ist die oft schwierige differenzialdiagnostische Abgren-
> Die definitive Therapie der Perikardtamponade besteht in der
zung z. B. zur restriktiven Kardiomyopathie.
Perikardpunktion oder in der chirurgischen Perikardiotomie, je-
weils mit Drainage der Perikardflüssigkeit.

Die Perikardpunktion sollte nach echokardiographischer Lokali-


sation des Ergusses und unter deren Kontrolle erfolgen, um Kom- 17.3.1 Ätiologie und Pathogenese
plikationen, wie z. B. Verletzungen des Myokards oder einen
Pneumothorax, zu vermeiden. Selbst unter kontrollierten Bedin- Im Verlauf der Pericarditis constrictiva kommt es zu einer sym-
gungen (Durchleuchtung, EKG-Kontrolle, Echokardiographie) metrischen Fibrosierung, Verdickung und Versteifung des
ist das Risiko der Perikardpunktion (bis zu 5% lebensbedrohliche Perikards. Die beiden Anteile des Perikards verkleben in der Regel
Komplikationen) nicht gering. miteinander. Die häufigste Ursache für eine konstriktive Perikar-
Der Erfolg der Perikardpunktion hängt – außer von der tech- ditis vor der antimikrobiellen Therapie war die Tuberkulose. Heu-
nisch korrekten Durchführung – direkt von der Größe des Er- te gelten subklinisch abgelaufene Virusentzündungen des Peri-
gusses ab. So ist die Erfolgsquote bei einem Erguss, der sowohl kards als Hauptursache (Cameron et al. 1987). Jedoch bleibt die
anterior als auch posterior lokalisiert ist, deutlich höher, als bei Ätiologie meistens ungeklärt. Die wichtigsten Ursachen für die
einem Erguss mit nur einer posterioren Lokalisation. Dabei wird konstriktive Perikarditis sind (Bertog et al. 2004; Ling et al. 1999):
eine Ergussdicke im anterioren Bereich von ≥10 mm als erfolg- 4 idiopathisch oder viral: 42–49%,
versprechend für eine Punktion angesehen. Deutlich ungünstige- 4 postoperativ: 11–37%,
re Erfolgsquoten und höhere Komplikationsraten weisen hämor- 4 Strahlentherapie: 9–31% (meist M. Hodgkin oder Mamma-
rhagische Ergüsse nach einem Thoraxtrauma, kleine (<200 ml), karzinom),
thrombosierte, stark fibrinhaltige oder lokalisierte Ergüsse auf. 4 Bindegewebserkrankung: 3–7%,
Purulente Perikardergüsse sollten – bis auf eventuelle diagnosti- 4 postinfektiös: 3–6% (tuberkulöse oder eitrige Perikarditis)
sche Punktionen – der chirurgischen Sanierung mit der Möglich- und
keit der extensiven intraoperativen Spülung zugeführt werden. 4 andere Ursachen: 1–10% (Neoplasien, Trauma, medikamen-
Für eine Perikardpunktion und -drainage sollte der Oberkör- teninduziert, Asbestose, Sarkoidose, urämische Perikarditis).
per des Patienten um etwa 30–45° erhöht gelagert werden. Kon-
tinuierliches Blutdruck- und EKG-Monitoring sollten verfügbar Verklebung und Versteifung beider Perikardblätter führen zu ei-
sein. Punktionsort, -tiefe und -winkel können echokardiogra- ner diastolischen Füllungsbeeinträchtigung aller Herzkammern.
phisch festgelegt werden, die Punktion kann somit vorab »simu- Die diastolischen Drücke aller 4 Herzkammern gleichen sich auf
liert« werden. Dabei muss beachtet werden, dass die üblicherwei- einem hohen Niveau an. Die frühdiastolische Füllung der Vent-
se zur Perikardpunktion verwendeten Punktionsnadeln eine rikel ist zunächst nicht beeinträchtigt. Sie erfolgt schneller als
Länge von 7 cm haben. In aller Regel ist der zu bevorzugende normal durch den erhöhten zentralvenösen Druck. Ist das durch
Punktionsort der links subkostale/subxiphoidale Zugang. Nach die Konstriktion des Perikards vorgegebene Ventrikelvolumen
Lokalanästhesie und Probepunktion mit der Anästhesienadel, die erreicht, endet der Füllungsprozess abrupt.
flach unter dem linken Rippenbogen in Richtung etwa des linken Im Gegensatz zu den normalen Druckverläufen in Ventrikeln
Ohres des Patienten vorgeschoben wird, wird die Punktionsnadel und Vorhöfen kommt es bei der konstriktiven Perikarditis zu
unter Aspiration vorgeführt. Sobald sich Erguss punktieren lässt, keiner Übertragung respiratorisch bedingter intrathorakaler
kann das Punktat mit einer kleinen Luftblase aufgeschüttelt und Druckschwankungen in den perikardialen Raum oder in die
unter apikaler Ultraschallkontrolle reinjiziert werden. Ventrikel. Der bei Gesunden bekannte inspiratorische Druckab-
Echokardiographisch sollte sich dann der Ergussraum mit fall in den zentralen Venen und im rechten Vorhof erfolgt nicht
echogenen »bubbles« füllen. Sollte sich dagegen der rechte Vent- mehr. Es kann sogar zu einer zentralvenösen Druckerhöhung
rikel kontrastechokardiographisch füllen, liegt eine Fehlpunktion kommen, die sich klinisch mit dem Kussmaul-Zeichen manifes-
in den rechten Ventrikel vor. Alternativ kann unter Durchleuch- tiert (Meyer et al. 1989).
tungskontrolle eine kleine Menge Kontrastmittel gegeben wer- Aufgrund der begrenzten diastolischen Füllung ist das
den, um die Lage der Punktionsnadel zu kontrollieren. Bei si- Schlagvolumen relativ konstant. Deshalb kann die Herzleistung
368 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

bei einer Pericarditis constrictiva im Wesentlichen nur über die Echokardiographie


Frequenz reguliert werden. In der Regel ist es nicht sinnvoll, sich echokardiographisch auf ein
Eine kompensatorische Tachykardie zur Aufrechterhaltung verdicktes Perikard festzulegen, da durch die starke Echogenität
eines ausreichenden HZV ist häufig schon unter Ruhebedin- des Perikards dessen Dicke meist überschätzt wird. Hinweise auf
gungen nachweisbar. Während initial die systolische Pumpfunk- das Vorliegen einer Pericarditis constrictiva in der zweidimensi-
tion des Myokards noch unverändert erscheint, kommt es bei onalen Echokardiographie können sein:
ausgeprägten Verläufen zu einer zunehmenden Myokardatrophie 4 Erweiterung der V. cava inferior/der Lebervenen, Aufhebung
mit Beeinträchtigung der Pumpfunktion. der Atemvariabilität,
4 moderate biatriale Erweiterung (deutliche Vergrößerung
eher bei restriktiver Kardiomyopathie),
17.3.2 Klinische Symptome 4 plötzlicher Stopp der diastolischen Füllungsbewegung (aty-
pische Septumbewegung) und
Die klinische Manifestation ist von der Höhe der rechtsatrialen 4 hypermobile AV-Klappen.
und der rechtsventrikulären Drücke abhängig. Bei einer nur mä-
ßigen Drucksteigerung (10–15 mmHg) sind Ödembildung mit Wegweisend für die Diagnose einer Pericarditis constrictiva ist
abdominellem Aszites und Leberstauung die vorrangigen Symp- jedoch der dopplerechokardiographisch zu erfassende funktio-
tome. Orthopnoe, Husten, Ruhe- und Belastungsdyspnoe treten nelle Nachweis einer Konstriktion (Pepi u. Muratori 2006).
bei höheren Drücken (15–30 mmHg) auf. Kardiale Kachexie und Die funktionellen Kriterien entsprechen denen der Perikard-
ausgeprägte Müdigkeit weisen auf eine erniedrigte Herzaus- tamponade (erhöhte respiratorische Variabilität des transmitra-
wurfleistung hin. Durch Kompression von Koronararterien kann len und des transtrikuspidalen Flussprofils; 7 Abschn. 17.3.4
es zu pektanginösen Beschwerden kommen. »Echokardiographie«). Bei Vorliegen eines restriktiven Musters
des transmitralen Profils (hohe spitze E-Welle, E/A>2, Dezelera-
> Bei der klinischen Untersuchung sind gestaute Halsvenen das
tionszeit <160 ms) ist die wichtigste und meist schwierige Diffe-
Leitsymptom für eine Pericarditis constrictiva.
renzialdiagnose der Pericarditis constrictiva die restriktive Kar-
Differenzialdiagnostisch ist an eine Rechtsherzinsuffizienz zu diomyopathie.
denken. Der arterielle Blutdruck kann erniedrigt sein und weist Das entscheidende differenzialdiagnostische Kriterium zwi-
selten einen Pulsus paradoxus auf. Auskultatorisch ist entlang schen Pericarditis constrictiva und restriktiver Kardiomyopathie
des Sternums ein klopfähnliches diastolisches Geräusch wahrzu- ist die Atemvariabilität der transvalvulären Flussprofile. Sie liegt
nehmen. bei steifem, vermindert dehnbarem Myokard im Sinne einer res-
Aufgrund der venösen Leberstauung ist häufig eine Hepato- triktiven Kardiomyopathie meist in einem Bereich von <10%,
megalie vorhanden. Die Zeichen der Leberschädigung sind die während sie bei verdicktem, funktionell fesselndem Perikard wie
gleichen wie bei der chronischen Rechtsherzinsuffizienz. bei der Perikardtamponade bei >25% liegt (. Abb. 17.9a,b).

Thoraxröntgenaufnahme
17.3.3 Differenzialdiagnosen Der Herzschatten kann in einer Röntgenaufnahme klein, normal
groß oder vergrößert sein. Eine Vergrößerung der Herzsilhouet-
Differenzialdiagnosen, die aufgrund der oben genannten Symp- te durch eine Perikardverdickung oder einen zusätzlich vorhan-
tome in Betracht kommen, sind: denen Erguss ist möglich. Eine Kalzifizierung des Perikards ist
4 Lebererkrankungen, bei ca. 50% der Patienten sichtbar und lenkt den Verdacht auf eine
4 Neoplasien von Abdomens und Thorax, tuberkulöse Genese. Dabei ist überwiegend das Perikard über
4 Myxom des rechten Vorhofs, dem rechten Herzen und den AV-Gruben betroffen. Das rechte
4 restriktive Kardiomyopathie, obere Mediastinum kann aufgrund einer Stauung der V. cava su-
17 4 pulmonaler Hypertonus, perior betont zur Darstellung kommen. In 60% der Fälle bestehen
4 hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie, begleitende Pleuraergüsse.
4 Krankheiten mit restriktiver Komponente, die sowohl das
Myokard als auch das Perikard erfassen können, wie z. B. Computertomographie
Sarkoidose, Amyloidose, Hämochromatose und die Folgen Die CT ist in der Lage schnell und mit einer hohen räumlichen
einer Strahlentherapie. Auflösung Perikarddicke, -kalzifizierungen, Myokarddicke und
Ventrikelgröße darzustellen (Oren et al. 1993). Der Weichteilkon-
Andere Ursachen für das Kussmaul-Zeichen sind die restriktive trast ist jedoch schlechter als bei der MRT.
Kardiomyopathie und die chronische Rechtsherzinsuffizienz.
Magnetresonanztomographie
Die MRT bietet neben dem guten Weichteilkontrast die Möglich-
17.3.4 Diagnostik keit in hoher Auflösung beliebige Schnittebenen im dreidimensi-
onalen Raum darzustellen. Seit der Einführung der MR-Cine-
Elektrokardiographie Sequenzen, die es erlauben, die Herztätigkeit im bewegten Bild
Häufige EKG-Zeichen sind ein »low voltage«, P-mitrale und Vor- darzustellen, können die oben erwähnten Besonderheiten in der
hofflimmern als Ausdruck von rechtsatrialer Druckerhöhung mechanischen Herzarbeit auch mit hoher zeitlicher Auflösung
und -dilatation sowie eine generalisierte T-Wellen-Inversion. abgebildet werden (Maksimovic et al. 2006). Das große Gesichts-
Eine Tachykardie ist ein unspezifischer Hinweis. feld der MRT bietet darüber hinaus die Möglichkeit parakardiale
Strukturen (z. B. Perikardzysten), die umgebenden Organe und
17.3 · Pericarditis constrictiva
369 17

. Tab. 17.1. Zeichen der konstriktiven Perikarditis in der Magnetre-


sonanz- und in der Computertomographie
Zeichen Computer- Magnetresonanz-
tomographie tomographie
Perikardverdickung +++ +++
Perikardkalzifizierung +++ +
Verformung des rechten + +++
Ventrikels und Atriums
Dilatation der Lebervenen + +++
Dilatation der Vv. cavae +++ +++
+++ Sehr gut darstellbar , + weniger gut darstellbar.

2006). Zudem zeigt die MRT eine Dilatation der Lebervenen und
des rechten Vorhofs.
Beide Techniken sind auch gut geeignet eine Myokardatro-
a phie bei verdicktem Perikard darzustellen. Es gibt jedoch keine
direkte Korrelation zwischen Perikarddicke und dem Ausmaß
der hämodynamischen Beeinträchtigung. Eine ausgeprägte kons-
triktive Symptomatik kann auch bei einem minimal verdickten
Perikard bestehen. Im Gegensatz dazu ist der Nachweis eines ver-
dickten, kalzifizierten Perikards nicht beweisend für eine hämo-
dynamische Relevanz des Befundes. Die Hämodynamik kann in
diesen Fällen völlig unbeeinträchtigt sein.
Ein Beispiel für die häufig schwierige Differenzierung zwi-
schen der restriktiven Kardiomyopathie und der konstriktiven
Perikarditis ist in den . Abb. 17.8, 17.9a,b und 17.10a,b dargestellt:
Bei einem Patienten mit für beide Erkrankungen typischen kli-
nischen Symptomen konnte erst die Echokardiographie eine
nichtverkalkende Pericarditis constrictiva diagnostizieren, nach-
dem die Diagnose in CT oder MRT nicht mit Sicherheit zu stellen
war. Echokardiographisch stellte sich eine Atemabhängigkeit des
frühdiastolischen Einstroms über der Mitral- und der Trikuspidal-
klappe als Zeichen der hämodynamischen Beeinträchtigung dar.
Die echokardiographisch gestellte Diagnose konnte intra-
b operativ bestätigt werden. Es kam noch während des operativen
Eingriffs (Perikardektomie) zu einer Besserung der hämodyna-
. Abb. 17.7a,b. Konstriktive Perikarditis. a In der koronaren Spin-Echo-
mischen Parameter.
Aufnahme ist der muskelstarke linke Ventrikel (LV) deutlich vom rechten
(RV) abgrenzbar. Im intraperikardialen Raum stellt sich seröse Flüssigkeit
Links- und Rechtsherzkatheter
(überwiegend neben dem rechten Ventrikel) dar (PE). Das Perikard (PK)
kommt verdickt zur Darstellung. Ein lokalisierter Perikarderguss (LPE) Die Herzkatheteruntersuchung ist bei der Diagnosestellung und
scheint den Übergang zwischen linkem und rechtem Ventrikel zu impri- in der Einschätzung des Schweregrads einer konstriktiven Peri-
mieren. b In der transversalen Spin-Echo-Aufnahme kommen beide Vent- karditis hilfreich. Die erhöhten und angeglichenen diastolischen
rikel tubulär zur Darstellung. In Bezug zur Lateralwand des linken Ventri- Füllungsdrücke lassen sich genauso wie der hämodynamische
kels ist ein lokalisierter Erguss als »Ausbeulung« zu erkennen. Nach Gabe Effekt auf das Schlagvolumen und den »cardiac output« nachwei-
von Gadolinium-DTPA lässt sich eine Aufhellung des mit ca. 5 mm ver- sen (. Tab. 17.2).
dickten Perikards um den umschriebenen Erguss nachweisen – ein Zei-
chen für eine bestehende entzündliche Aktivität. Weiterhin findet sich > Für eine Pericarditis constrictiva ist bei der Herzkatheteruntersu-
ein großer rechtsseitiger Pleuraerguss (PIE); RA rechter Vorhof, LA linker chung ein frühdiastolisches Absinken des Drucks mit nachfol-
Vorhof, Ao Aorta gendem hohen diastolischen Plateau (rechter Ventrikel) charak-
teristisch (»Dip-and-plateau«-Phänomen oder »Quadratwurzel-
zeichen«; . Abb. 17.11).

Gefäße sowie deren Beziehungen zueinander zu beurteilen Die systolisch-diastolische Druckamplitude ist insgesamt ver-
(. Abb. 17.7 a,b). kleinert; der enddiastolische Druck beträgt mehr als 30% vom
Sowohl die CT als auch die MRT sind in der Lage Zeichen der systolischen Druck. Die Mitteldrücke im rechten und im linken
konstriktiven Perikarditis wie die Verdickung des Perikards, Kal- Vorhof gleichen sich an; dagegen ist der Mitteldruck des linken
zifizierungen, die Dilatation der Vv. cavae und die Verformung Vorhofs bei einer Kardiomyopathie größer als der des rechten
des rechten Ventrikels zu erfassen (. Tab. 17.1; Rienmüller et al. Vorhofs. Die für den rechten Ventrikel beschriebenen Druckphä-
370 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

. Abb. 17.8. Computertomographischer Befund einer intraoperativ ge-


sicherten nichtverkalkenden Pericarditis constrictiva. Das CT zeigte bei
diesem Patienten weder Verkalkungen noch typische Verdickungen des
Perikards. Auffällig war neben dem begleitenden Perikarderguss (PE) nur
eine verzögerte Kontrastmittelverteilung im venösen Schenkel bei mas-
siv erweiterter V. cava. Weiterhin findet sich ein großer rechtsseitiger
Pleuraerguss (PIE); RV rechter Ventrikel, LV linker Ventrikel, Ao Aorta

17

b
. Abb. 17.10a,b. Nichtverkalkende Pericarditis constrictiva bei dem
Patienten aus . Abb. 17.8. a Intraoperativer Aspekt des eröffneten Peri-
b kards. Deutlich ist das verdickte Perikard zu erkennen. b Operativ ent-
ferntes und verdicktes, in seiner Konsistenz lederartiges Perikard
. Abb. 17.9a,b. a Doppleruntersuchung des Patienten aus . Abb. 17.8
mit nichtverkalkender Pericarditis constrictiva. Diagnostisch weiterführend
ist der echokardiographische Nachweis einer Atemabhängigkeit im
atrioventrikulären Geschwindigkeitsprofil über der Mitral- und der Trikuspi-
dalklappe. Die maximale E-Geschwindigkeit (frühdiastolischer Einstrom nomene gelten in einer weniger ausgeprägten Form auch für den
über der Mitralklappe) sinkt inspiratorisch (INSP) und steigt exspiratorisch linken Ventrikel.
(EXSP). Die gemessene Dezelerationszeit ist in dem hier gezeigten Beispiel
Mit dem Nachweis einer Myokardatrophie und der Bestim-
mit 105 ms im Sinne einer schweren Compliance-Störung deutlich verkürzt.
b Transmitrales Strömungsprofil über der Mitralklappe bei einer Patientin mung der systolischen Funktion werden zusätzliche Folgen einer
mit radiogener restriktiver Kardiomyopathie: nur minimale Atemvariabilität konstriktiven Perikarderkrankung dokumentiert. Mit einer Ko-
des frühdiastolischen Einstroms (E-Welle, mit Pfeilen markiert) ronarangiographie lassen sich darüber hinaus Stenosierungen
Literatur
371 17

. Tab. 17.2. Hämodynamik der konstriktiven Perikarditis im Vergleich zur restriktiven Kardiomyopathie
Drücke Konstriktive Perikarditis Kardiomyopathie
Rechter Vorhof >15 mmHg, y-Tal betont <15 mmHg
Linker Vorhof Angleichung an rechten Vorhof 10–20 mmHg (> rechter Vorhof )
Rechte Kammer Frühdiastolischer Druckabfall obligat Frühdiastolischer Druckabfall möglich
Rechte Kammer, diastolisch >30% des systolischen Drucks >30% des systolischen Drucks
Pulmonalarterie <40 mmHg systolisch >50 mmHg systolisch
Atemabhängigkeit Meist nicht vorhanden Meist vorhanden

. Tab. 17.3. Evidenzgrade der Therapie bei Erkrankungen des Perikards


Erkrankungstyp Therapeutische Maßnahme Evidenzgrad
Akute Perikarditis Therapie des Grundleidens
Symptomatisch: NSAR oder Steroide IB

Perikarderguss Punktion in Abhängigkeit von der hämodynamischen Beeinträchtigung IA


Bei rezidivierendem Erguss Perikardfensterung zu Pleura oder Peritoneum IIb
Bei rezidivierendem Erguss Verklebung des Perikards IIb
Perikardtamponade Perikardpunktion IA
Pericarditis constrictiva Perikardektomie, Dekortikation (operative Schwielenentfernung) IB
NSAR nichtsteroidale Antiphlogistika.

zu einem »low output syndrome« nach dem Eingriff. Prädiktive


Faktoren für eine hohe Letalität oder ein Low output syndrome
sind der Grad an körperlicher Belastbarkeit und das Ausmaß der
Konstriktion, gemessen am rechtsatrialen Druck bzw. am rechts-
ventrikulären enddiastolischen Druck.
Nach erfolgter operativer Therapie erfahren 90% der Pati-
enten eine Besserung der klinischen Symptomatik, während 50%
beschwerdefrei werden (Tirilomis et al. 1994). Abhängig von den
sekundären Organschäden erfolgt die Rekonvaleszenz mit unter-
schiedlicher Geschwindigkeit.
. Abb. 17.11. Typischer Herzkatheterbefund einer Pericarditis constric-
tiva mit »Dip-and-plateau«-Phänomen« ! Cave
Rezidive der konstriktiven Symptomatik sind häufig auf eine un-
zureichende Resektion des Perikards zurückzuführen und erfor-
der Herzkranzgefäße aufgrund externer Kompression ausschlie-
dern zumeist eine risikoreiche erneute operative Therapie.
ßen bzw. nachweisen.
Die Evidenzgrade der Therapie bei Erkrankungen des Perikards
sind in . Tab. 17.3 zusammengestellt.
17.3.5 Therapie

Die unbehandelte konstriktive Perikarditis ist eine progrediente Literatur


Erkrankung. Nur ein kleiner Teil der Patienten lebt jahrelang
ohne eine höhergradige Einschränkung der körperlichen Leis- Adler Y, Finkelstein Y, Guindo J et al. (1998) Colchicine treatment for
tungsfähigkeit und ohne größere stauungsbedingte sekundäre recurrent pericarditis. A decade of experience. Circulation 97: 2183–
Organschäden. Die typischen Folgen der zentralvenösen Stauung 2185
manifestieren sich als Stauungshepatitis, Aszites und periphere Appleton CP, Hatle LK, Popp RL (1988) Cardiac tamponade and peri-
cardial effusion: Respiratory variation in transvalvular flow velocities
Ödeme. Viele Patienten leiden unter den Folgen der verminder-
studied by Doppler echocardiography. J Am Coll Cardiol 11:1020–
ten Herzleistung bis hin zur kardialen Kachexie und zum kom-
1030
pletten Verlust jeglicher körperlicher Leistungsfähigkeit. Bertog SC, Thambidorei, SK, Parakh K et al (2004) Constrictive pericarditis:
Die Therapie der Wahl ist die Perikardektomie, bei der eine etiology and cause-specific survival after pericarektomy. J Am Coll
möglichst vollständige chirurgische Abtragung des Perikards an- Cardiol 43: 1445–1452
gestrebt wird. Die postoperative Letalität beträgt zwischen 5 und Cameron J, Oesterle SN, Baldwin JC, Hancock EW (1987) The ethiologic
20% (Culliford et al. 1980). Bei 15–30% der Patienten kommt es spectrum of constrictive pericarditis. Am Heart J 113:354–360
372 Kapitel 17 · Erkrankungen des Perikards

Culliford AT, Lipton M, Spencer FC (1980) Operation for chronic constrictive Meyer TE, Sarelli P, Marcus RH et al. (1989) Mechanism underlying
pericarditis: Do the surgical approach and degree of pericardial resec- Kussmaul’s sign in chronic constrictive pericarditis. Am J Cardiol 64:
tion influence the outcome significantly? Ann Thorac Surg 29: 1069–1072
146–152 Newby LK, Ohman EM (2000) Troponins in pericarditis: implications for
Eisenberg MJ, Oken K, Guerrero S et al. (1992) Prognostic value of echocar- diagnosis and management of chest pains patients. Eur Heart J 21:
diography in hospitalized patients with pericardial effusion. Am J Car- 798–800
diol 70: 934–939 Nishikawa Y, Roberts JP, Talcott MR et al. (1994) Accelerated myocardial
Horowitz MS, Schultz CS, Stinson EB (1974) Sensitivity and specifity of relaxation in conscious dogs during acute tamponade. Am J Physiol
echocardiographic diagnosis of pericardial effusion. Circulation 50: 266: H1935–1943
239–247 Oren RM, Grover-McKay M, Stanford W, Weiss RM (1993) Accurate preope-
Imazio M, Brucato A, Adler Y et al. (2007) Prognosis of idiopathic recurrent rative diagnosis of pericardial constrictionusing cine computed tomo-
pericarditis as determined from previously published reports. Am J graphy. J Am Coll Cardiol 22:832–838
Cardiol 100: 1026–1028 Pepi M, Muratori M (2006) Echocardiography in the dignosis and manage-
Klopfenstein HS, Cogswell TL, Bernath GA et al. (1985) Alterations in intra- ment of pericardial disease. J Cardiovasc Med 7: 533–544
vascular volume affect the relation between right ventricular diastolic Permanyer-Miralda G, Sagrista-Sauleda J, Soler-Soler J (1985) Primary
collapse and the hemodynamic severity of cardiac tamponade. J Am acute pericardial disease: a prospective series of 231 consecutive pa-
Coll Cardiol 6: 1057–1063 tients. Am J Cardiol 56: 623–630
Lange RA, Hillis LD (2004) Acute pericarditis. N Engl J Med 351: 2195– Rienmuller R, Gurgan M, Erdmann E et al. (1993) CT and MR evaluation of
202 pericardial constriction: a new diagnostic and therapeutic concept. J
Ling LH, Oh JK, Schaff HV et al. (1999) Constrictive pericarditis in the mo- Thoracic Imaging 8: 108
dern era: evolving clinical spectrum and impact on outcome after Sagrista-Sauleda J, Permanyer-Miralda G, Candell-Riera J (1987) Transient
pericardektomy. Circulation 100: 1380–1386 cardiac constriction: an unrecognized pattern of evolution in effusive
Maisch B, Seferović PM, Ristić AD et al. (2004) Guidelines on the diagnosis acute idiopathic pericarditis. Am J Cardiol 59: 961–966
and management of pericardial diseases. Executive summary. The Tirilomis T, Unverdorben S, Emde J von der (1994) Pericardiectomy for
Task force on the diagnosis and management of pericardial diseases chronic constrictive pericarditis: risks and outcome. Eur J Cardiothorac
of the European society of cardiology. Eur Heart J 25: 587–610 Surg 8: 487–492
Maksimovic K, Dill T, Severovic PM et al. (2006) Magnetic resonance ima- Zayas R, Anguita M, Torres F et al. (1995) Incidence of specific etiology and
ging in pericardial disease. Indications and diagnostic value. Herz 31: role of methods for specific etiologic diagnosis of primary acute peri-
708–714 carditis. Am J Cardiol 75: 378–382

17
373 18

Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter


K. Brockmeier, U.C. Hoppe

18.1 Daten und Fakten – 374 18.7 Atrioventrikulärer Septumdefekt – 385


18.7.1 Definition und Pathologie – 385
18.2 Ventrikelseptumdefekt – 375 18.7.2 Epidemiologie – 385
18.2.1 Definition und Pathologie – 375 18.7.3 Klinische Symptome – 385
18.2.2 Epidemiologie – 375 18.7.4 Diagnose – 385
18.2.3 Klinische Symptome – 375 18.7.5 Spontanverlauf – 386
18.2.4 Diagnose – 375 18.7.6 Therapie – 386
18.2.5 Spontanverlauf – 376 18.7.7 Prognose – 386
18.2.6 Therapie – 376 18.7.8 Nachsorge – 386
18.2.7 Prognose – 376 18.7.9 Endokarditisrisiko – 386
18.2.8 Nachsorge – 377 18.7.10 Aktivitäten – 386
18.2.9 Endokarditisrisiko – 377
18.2.10 Aktivitäten – 377 18.8 Fallot-Tetralogie – 386
18.8.1 Definition und Pathologie – 386
18.3 Vorhofseptumdefekt – 377 18.8.2 Epidemiologie – 387
18.3.1 Definition und Pathophysiologie – 377 18.8.3 Klinische Symptome – 387
18.3.2 Epidemiologie – 377 18.8.4 Diagnose – 387
18.3.3 Klinische Symptome – 377 18.8.5 Spontanverlauf – 388
18.3.4 Diagnose – 377 18.8.6 Therapie – 388
18.3.5 Therapie – 378 18.8.7 Prognose – 388
18.3.6 Prognose – 379 18.8.8 Nachsorge – 389
18.3.7 Nachsorge – 379 18.8.9 Endokarditisrisiko – 389
18.3.8 Endokarditisrisiko – 380 18.8.10 Aktivitäten – 389
18.3.9 Aktivitäten – 380
18.3.10 Foramen ovale – 380 18.9 Transposition der großen Arterien – 389
18.9.1 Definition und Pathologie – 389
18.4 Valvuläre Pulmonalstenose – 380 18.9.2 Epidemiologie – 389
18.4.1 Definition und Pathologie – 380 18.9.3 Klinische Symptome – 389
18.4.2 Epidemiologie – 380 18.9.4 Diagnose – 390
18.4.3 Klinische Symptome – 380 18.9.5 Spontanverlauf – 390
18.4.4 Diagnose – 381 18.9.6 Therapie – 390
18.4.5 Spontanverlauf – 381 18.9.7 Prognose – 390
18.4.6 Therapie – 381 18.9.8 Nachsorge – 392
18.4.7 Prognose – 381 18.9.9 Endokarditisrisiko – 392
18.4.8 Nachsorge – 381 18.9.10 Aktivitäten – 392
18.4.9 Endokarditisrisiko – 381
18.4.10 Aktivitäten – 381 18.10 Fontan-Zirkulation – 392
18.10.1 Definition und Pathologie – 392
18.5 Persistierender Ductus arteriosus – 381 18.10.2 Epidemiologie – 392
18.5.1 Definition und Pathologie – 381 18.10.3 Klinische Symptome – 392
18.5.2 Epidemiologie – 382 18.10.4 Diagnose – 392
18.5.3 Klinische Symptome – 382 18.10.5 Spontanverlauf – 392
18.5.4 Diagnose – 382 18.10.6 Therapie – 392
18.5.5 Spontanverlauf – 382 18.10.7 Prognose – 393
18.5.6 Therapie – 382 18.10.8 Nachsorge – 394
18.5.7 Prognose – 382 18.10.9 Endokarditisrisiko – 394
18.5.8 Nachsorge – 383 18.10.10 Aktivitäten – 394
18.5.9 Endokarditisrisiko – 383
18.5.10 Aktivitäten – 383 18.11 Eisenmenger-Reaktion – 394
18.11.1 Definition und Pathophysiologie – 394
18.6 Koarktation – 383 18.11.2 Epidemiologie – 394
18.6.1 Definition und Pathophysiologie – 383 18.11.3 Klinische Symptome – 394
18.6.2 Epidemiologie – 383 18.11.4 Diagnose – 394
18.6.3 Klinische Symptome – 383 18.11.5 Spontanverlauf – 395
18.6.4 Diagnose – 383 18.11.6 Therapie – 395
18.6.5 Spontanverlauf – 383 18.11.7 Prognose – 395
18.6.6 Therapie – 384 18.11.8 Nachsorge – 395
18.6.7 Prognose – 384 18.11.9 Endokarditisrisiko – 395
18.6.8 Nachsorge – 384 18.11.10 Aktivitäten – 395
18.6.9 Endokarditisrisiko – 385
18.6.10 Aktivitäten – 385 18.12 Internetadressen – 395

Literatur – 396
374 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

)) Typischerweise bieten angeborene Klappendysplasien und


kleinere Septumdefekte oder kleinere Ductus in der Langzeitver-
Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter werden eine zu- sorgung eher geringe Probleme und bedürfen daher nicht so
nehmende Bedeutung für den internistisch-kardiologisch täti- dringend einer qualifizierten interdisziplinären Versorgung. Er-
gen Arzt haben. Dank eines ausgezeichneten Vorsorgeuntersu- fahrungen der Kardiologie erworbener Herzfehler sind aber nicht
chungssystems im Kindesalter werden praktisch alle angebore- direkt auf Patienten mit angeborenen Herzfehlern übertragbar.
nen Herzfehler frühzeitig diagnostiziert. Eine verschwindend Vitien aus dem Formenkreis der konotrunkalen Defekte wie z. B.
kleine Gruppe im Migrantenkontext oder Randgruppen, die sich Fallot-Tetralogie, »double outlet right ventricle«, Pulmonalatre-
den ansonsten vorgehaltenen Strukturen des Gesundheitssys- sie, Truncus arteriosus, die Transpositionen oder die Ebstein-
tems entzogen haben, bleibt zahlenmäßig unerheblich. Den Erkrankung, Lungenvenenfehlbildungen, v. a. jedoch die funkti-
jüngsten Erhebungen zufolge, basierend auf den Daten des nati- onell univentrikulären Herzen mit Langzeitpalliation, erfordern
onalen Registers des Kompetenznetzes für angeborene Herzfeh- eine obligate Betreuung durch den Spezialisten. Koarktationen
ler, finden sich bei 0,9% aller Neugeborenen angeborene Herz- werden unterschätzt. Sie gehören ebenfalls von Experten ver-
fehler. Ausgehend von etwas weniger als 700.000 Neugebore- sorgt, die mit den modernen interventionellen Behandlungstech-
nen/Jahr in Deutschland, kommen damit 6500–7000 Kinder mit niken und den Möglichkeiten der Herzchirurgie vertraut sind,
angeborenen Herzfehlern zur Welt. In diesem Kapitel wird der bevor der arterielle Hypertonus eine adäquate medikamentöse
Schwerpunkt auf der Darstellung der Vitien liegen, wie sie sich Therapie erfährt.
dem internistisch tätigen Arzt präsentieren. Auf die Beschreibung Neuigkeiten in der Langzeitbetreuung von Patienten mit an-
der primären Manifestation der angeborenen Herzfehler kann geborenen Herzfehlern bieten seit 2007 die erheblich veränderten
verzichtet werden, weil sie Materie umfangreicher kinderkardio- Richtlinien der Endokarditisprophylaxe. Nach den Vorgaben
logischer Literatur und Textbücher ist. durch die American Heart Association und das American Col-
lege of Cardiology hat auch die Deutsche Gesellschaft für Kardi-
ologie den Kreis der Patienten mit indizierter Endokarditispro-
18.1 Daten und Fakten phylaxe in ihren Richtlinien deutlich eingeschränkt. So wurde
den potenziellen Nebenwirkungen einer Antibiotikabehandlung
Die Sterbeziffer der angeborenen Fehlbildungen des Herzkreis- bei kleineren, hämodynamisch gering bedeutsamen Shunt-Viti-
laufsystems ist seit 1980 um 70% zurückgegangen. Es wurden en Rechnung getragen. Für eine Endokarditisprophylaxe mit pe-
6300 Herzoperationen in 2006, davon 630 an Patienten über riinterventioneller Antibiotikatherapie bleiben im Wesentlichen
17 Jahren gezählt, im Gegensatz dazu 4800 Herzoperationen im Zustände bei zyanotischen Vitien im Stadium der Palliation, Ver-
Jahr 1990. Es wird davon ausgegangen, dass inzwischen 95% der läufe nach Operationen mit Einsatz von Fremdmaterial, Herz-
Patienten mit angeborenem Herzfehler das zwanzigste Lebens- klappenimplantaten und Implantaten nach herzkathetergestütz-
jahr erreichen. ter Intervention bei Residualdefekten relevant.
Die Verbesserungen der medizinischen Versorgung für Pati- Da evidenzbasierte Daten für den Bereich der angeborenen
enten mit angeborenen Herzfehlern sind auf die höhere Speziali- Herzfehler praktisch nicht vorliegen, werden im Folgenden nur
sierung in den großen Herzzentren mit versierterer Herzchirur- generell akzeptierte Empfehlungen, basierend auf Studien mit
gie, Anästhesie, Intensivmedizin und immer besseren Ergebnissen vergleichsweise kleineren Fallzahlen oder Kasuistiken, weiterge-
der interventionellen Techniken im Herzkatheterlabor zurückzu- geben. Hilfreich für Therapieempfehlungen ist beispielsweise die
führen. Welchen Wert die heute wesentlich exaktere Pränataldi- Übersicht der European Society of Cardiology.
agnostik langfristig auf die Überlebenszahlen haben wird, ist der- Patienten mit angeborenem Herzfehler und unbehandeltem
zeit noch nicht klar. Vorteile der vorgeburtlichen Diagnostik zei- »natürlichen Verlauf« bei hämodynamisch relevantem Ausgangs-
gen sich bei den komplexen Herzfehlern, den sog. ductusabhän- befund sind im internistischen Krankengut zu Ausnahmen ge-
gigen Vitien. Hier konnten die hohe präoperative Sterblichkeit worden. Ebenso nehmen die Zahlen wegen der für das Kindes-
und Morbidität gesenkt werden, weil in entsprechend spezialisier- und Jugendalter so suffizienten und flächendeckenden Präven-
ten Zentren der Verschluss des Ductus arteriosus medikamentös tivmaßnahmen von Patienten mit ausschließlich über Palliativ-
inhibiert und dann elektiv operiert oder kathetergestützt inter- operationen durchgeführter Behandlung bei prinzipiell chirur-
18 ventionell therapiert werden kann. Somit werden jedoch auch gisch korrigierbaren Vitien perspektivisch zu klinisch/statistisch
zunehmend komplexere Herzfehler, beispielsweise solche mit aus- irrelevanten Größenordnungen ab.
schließlich palliativen Therapieoptionen, therapiert.
> Alle Patienten mit angeborenen Herzfehlern benötigen eine
Auch eine Verbesserung der Lebensqualität von Patienten
kompetente Langzeitbetreuung.
mit angeborenen Herzfehlern im Kindesalter ist durch eine Viel-
zahl von Studien belegt. Hier wird eine flächendeckende Versor- Aortenklappendysplasien sind zwar in der Gesamtheit führend,
gung im Bundesgebiet mit etwa 270 Kinderkardiologen, davon weil bikuspide oder »bikuspidalisierte« Aortenklappen das häu-
80 niedergelassene Kollegen, vorgehalten. Die jüngste Initiative figste angeborenene Vitium repräsentieren, werden aber als sol-
der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, der Deutschen Ge- ches nicht oder eher seltener registriert. Patienten mit VSD, dem
sellschaft für Kinderkardiologie sowie der Gesellschaft für Herz- zweithäufigsten Vitium, stellen sich dem Internisten typischerwei-
und Thoraxchirurgie stellt Weichen für eine qualifizierte Ausbil- se als klinisch nicht (mehr) beeinträchtigt vor, weil die Defektgrö-
dung von interdisziplinären Spezialisten für die Betreuung von ße keinen bedeutsamen »shunt« bedingt, der Residualbefund nach
Patienten mit angeborenen Herzfehlern im Erwachsenenalter, herzchirurgischem Eingriff typischerweise ebenfalls nur einen ge-
sodass ein Zuwachs an ärztlicher Kompetenz und letztlich Le- ringen Defektquerschnitt aufzeigt oder eine grenzwertige Volu-
bensqualität für die Patientengruppe ab dem achtzehnten Le- menbelastung ohne klinische Symptome vorherrscht. Patienten
bensjahr zu erwarten ist. mit Eisenmenger-Reaktion (7 Abschn. 18.11) werden immer sel-
18.2 · Ventrikelseptumdefekt
375 18

tener, weil unbehandelte angeborene Herzfehler rare Ausnahmen im Kindesalter verschließt), anteilsmäßig danach Lokalisation im
sind. Neueren Untersuchungen zufolge haben einige Patienten mit perimembranösen Septum und selten supracristal (»doubly com-
Eisenmenger-Reaktion mit moderneren medikamentösen Thera- mitted subarterial«) gelegen.
pieoptionen in Bezug auf ihre Lebensqualität bessere Optionen.
Wegen der zunehmenden Akzeptanz und immer ermutigenderen Pathophysiologie
mittelfristigen Ergebnissen in der Langzeitpalliation bei funktio- Relevante VSD verursachen eine Druck- und Volumenbelastung
nell univentrikulären Herzen mit sog. Fontan-Zirkulation (7 Ab- der Lungengefäße, darüber hinaus eine Volumenbelastung des
schn. 18.10) werden solche Patienten wegen der zu erwartenden linken Vorhofs und letztlich auch des linken Ventrikels. Determi-
Langzeitprobleme klinisch größere Bedeutsamkeit erlangen. nanten des Krankheitsgeschehens sind Defektgröße und Wider-
Schwangerschaften sind für einen (relativ geringen) Teil der standsverhältnisse in den beiden Kreisläufen.
Patienten problematisch. In den letzten Jahren haben auch Pati- Die im Erwachsenenalter gesehenen Defekte sind restriktiv
entinnen mit komplexeren angeborenen Herzfehlern Kinder ge- wegen eines rechtsventrikulären Drucks niedriger als linksvent-
boren. Erhebliche Probleme durch die Schwangerschaft haben rikulär (zu nichtrestriktiven VSD und entsprechender pulmona-
Patientinnen mit eben solcher Fontan-Zirkulation. Dabei kön- larterieller Vaskulopathie 7 Abschn. 18.11).
nen für sie selbst und für das Ungeborene vital bedrohliche Kom-
plikationen auftreten; dies macht eine Schwangerschaftsbetreu-
ung und die Entbindung in entsprechend kompetenten Zentren 18.2.2 Epidemiologie
zwingend. Bei kritisch pulmonalem Hochdruck, pulmonalarteri-
eller Vaskulopathie, speziell nach Eisenmenger-Reaktion, sind Ventrikelseptumdefekte werden mit einer Prävalenz von 15–20%
Schwangerschaften kontraindiziert. Frauen mit angeborenen als zweithäufigster angeborener Herzfehler angetroffen. Beide
Herzfehlern tragen grundsätzlich ein deutlich höheres Risiko, Geschlechter sind gleichmäßig betroffen.
Kinder mit angeborenen Herzfehlern zu haben. Detaillierte hu-
mangenetische Beratung und spezialisierte Pränataldiagnostik
können Klärung schaffen und präventiv sein. Einen Schwanger- 18.2.3 Klinische Symptome
schaftsabbruch wegen eines isolierten angeborenen Herzfehlers
– wenn die Kindesmutter nicht durch Schwangerschaft/Geburt Symptome und Beschwerden werden von der Defektgröße
bedroht ist – wird ein Spezialist angesichts der deutlich verbes- und den pulmonalen Perfusionswiderstandsverhältnissen be-
serten Überlebenschancen und Lebensqualität der Patienten mit stimmt. Erwachsene mit kleinem VSD sind asymptomatisch.
angeborenen Herzfehlern heute kaum mehr empfehlen. Bei mittelgroßen VSD entwickeln sich Belastungsdyspnoe,
rezidivierende bronchopulmonale Infekte, Arrhythmien oder
Herzinsuffizienz. Patienten mit Eisenmenger-VSD sind zyano-
18.2 Ventrikelseptumdefekt tisch und leiden unter einer erheblichen Leistungseinschrän-
kung mit Belastungs- und Ruhedyspnoe. Komplikationen sind
18.2.1 Definition und Pathologie Rechtsherzinsuffizienz, Hämoptysen, Synkopen und Hirnabs-
zesse.
Definition
Ein Ventrikelseptumdefekt (VSD) ist ein Defekt der Kammer-
scheidewand mit Shunt, typischerweise von linksventrikulär 18.2.4 Diagnose
nach rechtsventrikulär. Hierüber besteht eine Kurzschlussver-
bindung der beiden Kreisläufe. Körperliche Untersuchung und Auskultation. Das systolische
Herzgeräusch ist Leitsymtom. Durch den linksventrikulär-rechts-
ventrikulären Druckgradienten werden im Defekt hohe Flussge-
Ventrikelseptumdefekte werden bei verschiedenen komplexen schwindigkeiten erreicht. Primär sind Patienten mit VSD azyano-
Herzfehlern als zusätzliche Komplikation gesehen; in diesem Ka- tisch. Die Zyanose manifestiert sich bei Entwicklung einer pul-
pitel wird ausschließlich der isolierte VSD behandelt. monalarteriellen Vaskulopathie.
Der Kardiologe wird in den deutschsprachigen Ländern
heutzutage typischerweise nur kleine bis grenzwertig hämodyna- Elektrokardiogramm. Das EKG ist wenig spezifisch. Erst mittel-
misch belastende (restriktive) Defekte in der Kammerscheide- große Defekte bedingen eine linksatriale und linksventrikuläre
wand diagnostizieren. Dies sind entweder Defekte, die im Kin- Volumenbelastung. Beim pulmonalen Hochdruck werden Zei-
des- und Jugendalter als nichtrelevant eingestuft wurden, oder chen der Rechtsherzbelastung gesehen. Postoperativ besteht oft
Residualbefunde nach Operation bzw. Katheterintervention. Der ein kompletter Rechtsschenkelblock.
systolische Geräuschbefund führt bis auf seltene Ausnahmen zur
Diagnose. Große Defekte bedingen im Kindesalter eine pul- Röntgen. Grenzwertig große Defekte zeigen nur eine unwesent-
monalarterielle Vaskulopathie, die eine Eisenmenger-Reaktion liche Mediastinalverbreiterung und entsprechend ausgeprägte
(7 Abschn. 18.11) verursacht. Eisenmenger-Reaktionen sind bei Gefäßzeichnungsvermehrung. Nach einer Eisenmenger-Reakti-
Kindern und Jugendlichen in den letzten 2 Dekaden in den oben on ist die periphere Lungengefäßzeichnung rarefiziert (Kaliber-
genannten Ländern Raritäten geworden. sprung zur Peripherie, Gefäßabbrüche).

Pathologische Anatomie Echokardiographie. Die Echokardiographie ist diagnostisch. Bei


Häufigste Lokalisation des VSD ist (prinzipiell überall) im mus- der Intention, den Defekt zu verschließen, ist eine TEE erforder-
kulären Anteil des Septums (von denen ein Großteil sich spontan lich.
376 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

Herzkatheteruntersuchung. Herzkatheteruntersuchungsindikati-
on besteht bei Verdacht auf pulmonale Hypertonie, zur Abklärung
einer KHK und zum interventionellen Verschluss. Beim Vorliegen
eines pulmonalen Hochdrucks ist eine standardisierte Testung des
Ansprechens auf Dilatanzien in Einzelfällen indiziert.

18.2.5 Spontanverlauf

Eisenmenger-Reaktionen sind selten geworden. Hämodyna-


misch bedeutsame Defekte bedingen eine Eisenmenger-Reaktion
zum Ende des zweiten oder zu Beginn des dritten Lebensjahr-
zehnts. Ein direkter Zusammenhang mit der Defektgröße ist
nicht immer erkennbar.
Durch Lagebeziehung einzelner Defekte zur Aortenklappe
kann sich eine Aortenklappeninsuffizienz entwickeln. Auch die
Endokarditis wird bei VSD gesehen. (Die generelle Endokardi-
tisprophylaxe wird jedoch nicht mehr empfohlen.)

. Abb. 18.1. Röntgendokumentation im Herzkatheterlabor: 2 Okkluder


18.2.6 Therapie (Amplatzer) im interventrikulären Septum

Behandlungsindikationen
Hämodynamisch nichtrelevante Defekte sollten nicht verschlos- Praktisches Vorgehen. Von inguinal wird über einen venösen
sen werden. Die Endokarditisprophylaxe wird, außer bei Residu- und einen arteriellen Zugang eine venoarterielle Kontinuität mit-
albefunden nach interventionellem Device-Verschluss, nicht hilfe eines langen Wechseldrahts durch den Defekt hindurch
mehr empfohlen. etabliert, nachdem der Defekt von linksventrikulär sondiert, mit-
hilfe einer Fangschlaufe in der Pulmonalarterie bzw. in der obe-
> Jeder hämodynamisch relevante und/oder symptomatische
ren Hohlvene angeschlungen und vorsichtig nach inguinal her-
VSD sollte verschlossen werden.
ausgezogen wurde. Den Defekt von rechtsventrikulär direkt zu
Bei linksseitiger (beidseitiger) Kavitätenvergrößerung ist von ei- sondieren, gelingt wegen der ausgeprägten Trabekularisierung
ner Volumenbelastung auszugehen. des rechtsventrikulären Myokards nicht oder nur mit meist hö-
Eine Aortenklappeninsuffizienz kann bei Progredienz eine herem zeitlichen Aufwand. Gestützt über diese Wechseldraht-
Indikation zum Defektverschluss darstellen, auch wenn der De- führung kann das Schleusensystem mit dem Device von rechts-
fekt nicht von hämodynamisch bedeutsamer Größe ist. Der Ver- ventrikulär nach linksventrikulär vorgebracht werden. Somit
schluss ist nicht indiziert, wenn der pulmonalarterielle Druck wird der Defekt verschlossen.
zwei Drittel des Systemdrucks erreicht hat. Gegebenenfalls ist ein
Verschluss möglich, wenn ein Ansprechen auf pulmonalarteriel- Chirurgische Behandlung
le Vasodilatanzien nachgewiesen wurde. Der chirurgische Verschluss erfolgt unter Einsatz der HLM
am offenen Herzen mithilfe der Direktnaht oder durch »Patch«-
Interventionelle Behandlung Verschluss. Zur Vermeidung einer Ventrikulotomie erfolgt der
Prinzip. Seit den 1990er Jahren sind Verfahren zum interven- Eingriff präferenziell transtrikuspidal vom rechten Vorhof aus.
tionellen VSD-Verschluss verfügbar und werden bei adulten In einzelnen Zentren können Hybridverfahren angeboten
Patienten zunehmend als Behandlung der ersten Wahl einge- werden, vorzugsweise wenn im Operationssaal gleichzeitig die
stuft. Derzeit werden 2 Amplatzer-Okkluder-Systeme und ver- Möglichkeiten der Herzkatheterdiagnostik vorgehalten werden
18 einzelt auch Spiralsysteme im Herzkatheterlabor (. Abb. 18.1) können.
eingesetzt. Bei Patienten mit Eisenmenger-Reaktion ist die Herz-Lun-
Nach Vermessung in der TEE wird die Implantation im Ka- gen-Transplantation oder die Lungentransplantation mit gleich-
theterlabor unter Durchleuchtung- und Ultraschallkontrolle vor- zeitigem Defektverschluss zu erwägen.
genommen. Die Erfahrungen liegen quantitativ deutlich hinter
den interventionell durchgeführten ASD-Verschlüssen.
Die primären Verschlussraten sind hoch. Bleiben residuelle 18.2.7 Prognose
Shunts, wird fast regelhaft eine zeitlich begrenzte Hämolyse nach-
gewiesen. Bei residuellen Shunts ist eine Endokarditisprophylaxe Nach dem erfolgreichen Verschluss eines isolierten VSD ist
indiziert. die Überlebensrate meist sehr gut, insbesondere, wenn die
Perimembranöse Defekte können nach Device-Verschluss Operation innerhalb der ersten beiden Lebensjahre durchge-
einen AV-Block III. Grades aufweisen. führt wurde.
Umfassende Daten über Kosten-Nutzen-Relation, Morbidi- Die meisten Patienten sind asymptomatisch und in ihrer
tät, Langzeitverläufe [Einbau von Fremdmaterial (Nitinol), po- Lebensqualität nicht eingeschränkt. Probleme haben über-
tenzielle Gefahren der Materialermüdung, Dislokationen, wiegend solche Patienten, die in höherem Lebensalter operiert
Thrombenbildung, Rhythmusstörungen] stehen noch aus. wurden und bei denen präoperativ eine pulmonale Hypertonie,
18.3 · Vorhofseptumdefekt
377 18

eine Störung der Ventrikelfunktion oder multiple VSD be- relativen Stenose der Trikuspidal- und Pulmonalklappe (die die
standen. Auskultationsbefunde bedingt). Angeborene oder erworbene
In seltenen Fällen treten progrediente Überleitungsstörun- Compliance-Störungen des rechten Ventrikels können zur
gen bis zum totalen AV-Block (<2%) auf. Ventrikuläre Arrhyth- Minderung des Shunt-Volumens führen und bieten das Poten-
mien finden sich besonders bei Patienten, die in höherem Alter zial für eine Shunt-Umkehr auf Vorhofebene. Eine pulmonalar-
operiert wurden, und können in Einzelfällen zum plötzlichen terielle Widerstandserhöhung mit konsekutiver Druckbelastung
Herztod führen. des rechten Herzens resultiert spät durch eine sekundäre Vasku-
Eine präoperativ bestehende pulmonale Hypertonie kann lopathie.
sich zurückbilden; bei älteren Patienten sind progrediente Be-
> Die Eisenmenger-Reaktion beim ASD ist viel seltener als bei De-
funde beschrieben.
fekten auf Ventrikelebene oder auf Ebene der großen Arterien.

18.2.8 Nachsorge
18.3.2 Epidemiologie
Bei erhöhtem pulmonalarteriellen Druck oder Herzrhythmus-
störungen sind mindestens einjährige Kontrollintervalle empfeh- Vorhofseptumdefekte sind die am häufigsten erst im Erwachse-
lenswert. nenalter diagnostizierten angeborenen Herzfehler. Frauen sind
2- bis 3-mal häufiger betroffen. Familiäre Häufungen sind be-
schrieben.
18.2.9 Endokarditisrisiko

Das Endokarditisrisiko wird nach den neuen Richtlinien als ge- 18.3.3 Klinische Symptome
ring eingestuft. Sechs Monate nach »Schirmchenverschluss« wird
generell die Endokarditisprophylaxe empfohlen. Typisch für ASD ist die relativ spät einsetzende, subjektive Beein-
trächtigung der Patienten. Dies ist ein Umstand, der die gelegent-
! Cave
lich sehr späte Diagnosestellung erklärt. Häufigere Atemwegsin-
Patienten mit Rest-Shunt nach Schirmchenverschluss haben ein
fektionen, eingeschränkte Belastbarkeit und Palpitationen sind
lebenslang erhöhtes Endokarditisrisiko.
Leitsymptome. Je größer die Volumenbelastung ist, desto früher
setzen die Symptome ein.

18.2.10 Aktivitäten
18.3.4 Diagnose
Die Aktivitäten sollten jeweils nach (Residual-)Befunden ausge-
richtet werden. Meist sind die Patienten jedoch in Bezug auf Rei- Auskultation. Herzgeräusche sind in der Regel nicht sehr ausge-
se- oder Sportaktivitäten nicht eingeschränkt. prägt. Das Geräusch entsteht nicht am Defekt im Vorhofseptum;
hier entstehen praktisch keine Turbulenzen. Das auskultierbare
Systolikum entspricht einer relativen Pulmonalstenose, die durch
18.3 Vorhofseptumdefekt die Volumenbelastung bei gegebenem Querschnitt der Pulmonal-
arterie vorwiegend auf Höhe des Klappenrings verursacht wird.
18.3.1 Definition und Pathophysiologie Gelegentlich wird ein Diastolikum bei relativer Trikuspidalklap-
penenge auskultiert. Durch die Volumenbelastung kommt es zu
Definition einem zeitlich nach hinten versetzten Pulmonalklappenschluss,
Beim Vorhofseptumdefekt (ASD) besteht eine Kommunikati- der das typische Muster eines weit gespaltenen zweiten Herz-
on der beiden Vorhöfe mit Shunt, typischerweise von links- tons (nicht mehr atemabhängig variierend) bietet.
atrial nach rechtsatrial.
Elektrokardiogramm. Von den Patienten zeigen 80% eine rechts-
ventrikuläre Leitungsverzögerung in den Brustwandableitungen.
Die häufigste Lokalisation des ASD (etwa 70% der Defekte) ist Das EKG dient primär der Rhythmusanalyse. Atriale Tachykar-
relativ zentral in der Fossa ovalis, damit als ASD II bezeichnet. dien wie Vorhofflattern und Vorhofflimmern werden bei Pati-
Der ASD I ist dem wesentlich selteneren Krankheitsbild des atri- enten mit jahrzehntelanger rechtsseitiger Volumenbelastung zum
oventrikulären Defektes bzw. AV-Kanal zuzuordnen. Im Bereich Kernproblem mit hoher Morbidität. Nach dem 40. Lebensjahr
der Einmündung der oberen Hohlvene liegen 10% der ASD; die- zeigen 20% der nichtbehandelten Patienten Vorhofflattern/Vor-
se sind mit Fehlmündungen der rechtsseitigen Lungenvenen as- hofflimmern.
soziiert (oberer Sinus-venosus-Defekt). Selten sind Defekte vom Der überdrehte Linkslagetyp ist hinweisend auf einen Pri-
unteren Sinus venosus, dem Sinus-coronarius-Typ. mumdefekt bei AV-Defekt mit überwiegend atrialem Anteil.
Defekte in der Vorhofscheidewand führen zu einer Volu-
menbelastung der rechtsseitigen Kavitäten. Der obligat linksatri- Röntgen. Das Thoraxröntgenbild zeigt bei bedeutsamen Shunts
al/rechtsatriale Shunt wird durch die diastolischen Füllungsei- eine moderate Verbreiterung der rechten Seite und eine promi-
genschaften des rechten Ventrikels bestimmt. Hauptdetermi- nente Pulmonalarterie; die dilatierte linke Pulmonalarterie ist
nante des Shunt-Volumens ist die Größe des Defektes im Vor- randbildend im linken Mediastinum. Bei 30% der Patienten wird
hofseptum. Durch das erhöhte Volumen kommt es zu einer eine vermehrte Lungengefäßzeichnung diagnostiziert.
378 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

> Ein im Röntgenbild vergrößert erscheinender Mediastinalschat- Ein erhöhter Lungenperfusionswiderstand ist beim ASD sel-
ten und eine vermehrte Lungengefäßzeichnung ohne lautes ten. Eine pulmonale Hypertonie findet sich nach dem 40. Le-
Herzgeräusch sind hinweisend für einen ASD mit bedeutsamem bensjahr bei >30% aller Betroffenen mit relevantem Defekt.
Shunt.
Praktisches diagnostisches Vorgehen. Beim Verdacht auf Volu-
Echokardiographie. Die Echokardiographie (im Erwachsenenal- menbelastung der rechtsseitigen Kavitäten wird im Herzkatheter-
ter die TEE) ist zur Diagnosestellung sinnvoll. Bei der transöso- untersuchunglabor die TEE durchgeführt. Zeigt sich ein für den
phagealen Ultraschalldiagnostik können Defektgröße und Lage- interventionellen Verschluss geeigneter Defekt, wird eine kom-
beziehung exakt determiniert werden. plette hämodynamische Herzkatheteruntersuchung angeschlos-
Dopplerechokardiographisch können die Shunt-Verhältnisse sen und ggf. der Defekt temporär mithilfe eines Ballons okklu-
im Vorhofseptum, über Regurgitation an Pulmonal- und Triku- diert. Bleiben die dabei erhobenen enddiastolischen linksventri-
spidalklappe die pulmonalarteriellen Druckverhältnisse abge- kulären Druckwerte in der Norm, wird der Defekt mit einem ge-
schätzt werden. eigneten Device interventionell verschlossen. Beim Anstieg des
enddiastolischen LV-Drucks kann der Defekt z. B. zweizeitig mit-
> Ein im TTE vergrößerter rechter Ventrikel ist bis zum Gegenbe-
hilfe eines fenestrierten Device verschlossen werden (selten).
weis verdächtig auf einen bedeutsamen ASD. Paradoxe Septum-
bewegung verstärkt den Verdacht auf rechtsseitige Volumenbe- > Bei nichtoperierten Patienten können Vorhofarrhythmien, pul-
lastung. Findet sich kein Defekt in der Vorhofscheidewand, ist monalarterielle Vaskulopathie, Rechtsherzversagen, Lungen-
angiographisch eine partielle Lungenvenenfehlmündung aus- embolien, paradoxe Hirnembolien, Hirnabszesse sowie – in sel-
zuschließen. tenen Fällen – Endokarditiden Todesursachen sein.

Magnetresonanztomographie. Als für die meisten Patienten


wesentlich akzeptabler im Vergleich zur TEE kann die MRT-Diag-
nosik zur exakten Untersuchung des Vorhofseptums herange- 18.3.5 Therapie
zogen werden. Größe und Lage des Defektes können suffizient
bestimmt und damit die Chancen für einen erfolgreichen kathe- Behandlungsindikationen
tergestützten Therapieansatz beurteilt werden. Auch die Pulmo- Nur Defekte mit Volumenbelastung stellen eine Behandlungsin-
nalvenenkonnektion kann exakt determiniert werden. Ohne dikation dar. Die im Echokardiogramm messbare Kavitätenver-
Kontraindikationen für die MRT-Diagnostik ist die CT-Diagnos- größerung mit oder ohne paradoxe Septumbewegung ist Aus-
tik wegen der Strahlenbelastung nicht indiziert. druck der Volumenbelastung. Shunt-Berechnungen im Herzka-
In <10% der Fälle findet sich ein hochsitzender ASD. Hier theterlabor haben für die klinischen Entscheidungen zur Be-
sind Fehlmündungen von Lungenvenen, isoliert aus dem rechten handlung erheblich an Bedeutung verloren.
Oberfeld oder seltener mehrerer Lungenvenen typisch. Diese De-
> Behandlungsziel ist die Verhinderung der pulmonalarteriellen
fekte werden immer vom Herzchirurgen zu korrigieren sein.
Vaskulopathie und der atrialen Herzrhythmusstörungen.

Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung Kleine Defekte sind in Bezug auf das Risiko von paradoxen Em-
dient der Bestimmung des Shunts und des Lungengefäßwider- bolien eine relative Indikation (7 Abschn. 18.3.10). Die gelegent-
stands. Eine Katheterindikation besteht beim Verdacht auf eine lich zitierte Shunt-Umkehr mit Potenzial für paradoxe Embolien
pulmonale Hypertonie, zur Abklärung assoziierter Anomalien in der Schwangerschaft soll hier erwähnt werden.
oder einer KHK. In den meisten Fällen wird heute im Herzkathe- Weil die interventionellen Verschlusstechniken eine so große
teruntersuchungslabor der ASD interventionell verschlossen Akzeptanz erfahren haben (Follow-up seit Ende der 1990er Jah-
(. Abb. 18.2). re), werden zunehmend auch kleinere Defekte verschlossen. Ein-

18

a b

. Abb. 18.2a,b. Transösophageales Ultraschallbild eines ASD II: hier dem Verschluss (Pfeil), Bild rechts zeigt den Okkluder an typischer Stelle,
Verschluss mit einem Amplatzer Okkluder. Bild links zeigt den Defekt vor den Defekt verschließend. (Aus Emmel et al. 2007)
18.3 · Vorhofseptumdefekt
379 18

zelne Arbeiten verweisen auf positive Effekte des ASD-Ver- Chirurgische Behandlung
schlusses auch bei Personen über 40 Jahren. Die Herzchirurgie erfolgt am offenen Herzen mit Herz-Lungen-
Patienten mit Perfusionswiderständen von >7 WE×m2 sind Bypass. Der Verschluss gelingt durch Direktnaht oder mithilfe
Risikopatienten genauso wie Patienten mit eingeschränkter links- der Patch-Technik (Perikard, Teflon, Dacron, Gore-Tex) über
ventrikulärer Funktion. In diesem Kollektiv ist die sorgfältige eine mediane Sternotomie oder (aus kosmetischen Gründen)
Testung durch ein ausgewiesenes Expertenteam angeraten. Gege- eine laterale oder eine axilläre Thorakotomie.
benenfalls ist der Verschluss des »Überlaufventils« kontraindi- Bei Sinus-venosus-Defekten mit partieller Lungenvenenfehl-
ziert. Die Lungenbiopsie ist quasi verlassen worden. mündung wird durch das Einbringen des Patch-Materials der
Die kausale Behandlung eines ASD II kann prinzipiell chi- ASD so verschlossen, dass die fehlmündende Lungenvene in den
rurgisch oder interventionell vorgenommen werden. Die Ergeb- linken Vorhof drainieren kann.
nisse der chirurgischen Behandung haben einen Follow-up von Bei präexistenten Rhythmusstörungen in Form von Vorhof-
etwa 50 Jahren, die meisten »Schirmchen« von 10–15 Jahren. flimmern oder -flattern sollte eine ergänzende modifizierte
Wegen der Notwendigkeit des Eingriffs am offenen Herzen mit Maze-Operation oder eine Radiofrequenz- bzw. Kryoablation
Herz-Lungen-Bypass hat die interventionelle Therapie für den erwogen werden.
Verschluss von Defekten in der Fossa ovalis erdrutschartig zuge- Für Patienten mit obstruktiver Lungengefäßerkrankung, de-
nommen, sodass die ursprüngliche Einsteigeroperation für den ren Hämodynamik einen Verschluss nicht mehr zulässt (Eisen-
jungen Herzchirurgen zur Ausnahme wird. menger-Reaktion, 7 Abschn. 18.11), besteht als Ultima Ratio die
Der Verschluss eines hämodynamisch bedeutsamen Defektes Möglichkeit einer Herz-Lungen-Transplantation oder einer Lun-
ist in jedem Alter möglich – chirurgisch und in den meisten Fäl- gentransplantation mit gleichzeitigem Verschluss des ASD.
len auch interventionell (70–80%). Die meisten Defekte werden Die Operationsletalitätsrate liegt in älteren Studien beim un-
heute bei einem Patientenalter zwischen 2 und 4 Jahren ver- komplizierten ASD in den ersten beiden Dekaden <1%, kann
schlossen. aber in der dritten Dekade auf bis zu 3% und in der sechsten
Dekade auf bis zu 7,5% steigen. Risikofaktoren für die höhere
Interventionelle Behandlung Letalitätsrate bei Erwachsenen sind Alter, ein nicht adäquat ent-
Seit den 1970er Jahren sind Verfahren zum interventionellen wickelter linker Ventrikel (verminderte Compliance), ein er-
ASD-Verschluss verfügbar und werden seit 10–15 Jahren zuneh- höhter Lungengefäßwiderstand, Vorhofarrhythmien sowie eine
mend öfter als Behandlung der ersten Wahl eingestuft. Einige präoperativ bestehende Herzinsuffizienz.
Systeme sind in den letzten Jahren deutlich verbessert worden,
andere wegen geringer Effizienz, komplizierter Implantations-
technik oder Komplikationen aus dem Handel genommen wor- 18.3.6 Prognose
den. Derzeit finden v. a. Amplatzer-Okkluder, das Helex-Device
und das Starflex Anwendung. Die Behandlungen werden an eini- Postoperativ oder postinterventionell zeigt sich überwiegend
gen Stellen bereits in einem halbambulanten bzw. teilstationären kurz- bis mittelfristig ein Rückgang der Beschwerden und Symp-
Setting durchgeführt. tome. Einzelne Patienten entwickeln postoperativ einen serösen
Nach exakter Vermessung in der TEE wird die Implantation Perikarderguss (bis hin zur Tamponade) im Zuge des ätiologisch
im Katheterlabor unter Durchleuchtung- und Ultraschallkont- nicht vollständig geklärten Postperikardiotomiesyndroms.
rolle vorgenommen. Weltweit sind sicher über 20.000 Defekte Die Langzeitüberlebensraten von Patienten, die vor dem
mit »Schirmchentechnik« verschlossen worden. 25. Lebensjahr operiert wurden, sind nicht wesentlich von ge-
sunden Kontrollgruppen zu unterscheiden. Zerebrale Insulte,
! Cave
Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern traten vermehrt nach
Fünfzigjährige und ältere Patienten könnten bei technisch si-
Operationen im höheren Lebensalter und bei erhöhtem systo-
cher durchführbarer Katheterintervention mit verschlossenem
lischen Pulmonalarteriendruck auf. Die Überlebensraten jünge-
ASD nachts mit Prälungenödemsymptomatik die Intensivstati-
rer Patienten und solcher ohne pulmonale Hypertonie lagen am
on belegen, weil die linksventrikuläre Funktion überschätzt wur-
günstigsten. Bei bis zu 80% der im Erwachsenenalter behandel-
de. Immerhin hatte hier der rechte Ventrikel 50 Jahre lang oder
ten Patienten werden noch jahrelang in EKG, Röntgenbild und
länger dem linken Ventrikel möglicherweise nicht unerhebliche
Echokardiogramm Rechtsherzbelastung, systolische sowie dias-
Volumina »abgenommen«.
tolische rechtsventrikuläre Funktionsstörungen, abnormale Be-
Die primäre Verschlussrate bei Defekten der Fossa ovalis ist wegungsmuster des Kammerseptums und Störungen der links-
hoch, vergleichbar mit den Ergebnissen der Herzchirurgie. Vor- ventrikulären Funktion nachgewiesen. Ungeklärt bleibt, ob
hofseptumdefekte vom ASD-I-, Sinus-venosus- oder Koronarsi- asymptomatische Erwachsene von einem Defektverschluss pro-
nustyp sind zur interventionellen Behandlung im Katheterlabor fitieren.
nicht geeignet.
Umfassende Daten über Kosten-Nutzen-Relation, Morbidi-
tät, Langzeitverläufe [Einbau von Fremdmaterial (Nitinol), po- 18.3.7 Nachsorge
tenzielle Gefahren der Materialermüdung, Dislokationen,
Thrombenbildung, Rhythmusstörungen] stehen noch aus. Bei atrialen Tachykardien und erhöhtem pulmonalarteriellen
Patienten mit narbenassoziierten atrialen Tachykardien (Vor- Druck sind mindestens einjährige Kontrollintervalle empfeh-
hofflattern) sollten einer kathetergestützten Ablationsbehandlung lenswert. Nach erfolgreichem Verschluss kann im Langzeitver-
zugeführt werden. Moderne 3D-Mapping-Systeme bieten die lauf der Lungengefäßwiderstand sinken (überwiegend), unverän-
Chance Serien von Ablationsorten zu isolierenden Linien zu for- dert persistieren oder ansteigen. Präoperativ existierende Ar-
men, damit kausal den Reentrymechanismus zu therapieren. rhythmien persistieren häufig.
380 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

Vorhofflimmern/-flattern kann sich postoperativ/postinter-


ventionell mit der damit assoziierten hohen Morbidität und Mor- Übersicht 18.1. Richtlinien zur Sekundärprävention
talität manifestieren. Relevante postoperative Residualbefunde zerebral ischämischer Ereignisse
sind Re-/Rest-Shunts auf Vorhofebene und Obstruktionen um-
geleiteter Pulmonal- oder Hohlvenen. 4 ASS-Gabe nach erstem Ereignis bei nachgewiesenem
offenen Foramen ovale
4 Kommt es zu einem Rezidiv unter ASS oder besteht ein
18.3.8 Endokarditisrisiko PFO mit Vorhofseptumaneurysma, erfolgt eine orale
Antikoagulation mit einer INR von 2,0–3,0 (für mindes-
Das Endokarditisrisiko wird als gering eingestuft. Sechs Monate tens 2 Jahre)
nach Schirmchenverschluss wird generell die Endokarditisprophy- 4 Kommt es zu einem weiteren Rezidiv oder bestehen Kont-
laxe empfohlen. Patienten mit Rest-Shunt nach »Schirmchenver- raindikationen für eine orale Antikoagulation, wird ein in-
schluss« haben wahrscheinlich ein erhöhtes Endokarditisrisiko. terventioneller Verschluss des Foramen ovale empfohlen

18.3.9 Aktivitäten
18.4 Valvuläre Pulmonalstenose
Die Aktivitäten sollten jeweils nach (Residual-)Befunden ausge-
richtet werden. Meist sind die Patienten jedoch in Bezug auf Rei- 18.4.1 Definition und Pathologie
se- oder Sportaktivitäten nicht eingeschränkt.
Definition
Es handelt sich um eine angeborene Pulmonalklappendys-
18.3.10 Foramen ovale plasie mit Obstruktion des konsekutiv hypertrophen rechten
Ventrikels.
Das offene Foramen ovale ist eine Variante der biologischen Norm.
Aus Berichten von Rechtsmedizinern und Pathologen kann gefol-
gert werden, dass bis zu einem Viertel aller Individuen einen son- Bei der valvulären Pulmonalstenose ist eine vollständige Öffnung
dierbaren Defekt in der Fossa ovalis haben dürften. Bei etwa 15% nicht möglich, weil die Klappenanlage dysplastisch ist. Monoku-
der Patienten, die in größeren Zentren mit unterschiedlichen In- spide, häufig aber bikuspide oder bikuspidalisierte Anlagen (sehr
dikationen untersucht wurden, konnte transösophageal mithilfe selten quadrikuspide) können auch Regurgitationen verursachen.
der Farbdopplerechokardiographie oder der Echokontrastultra-
schalluntersuchung ein Shunt über das Foramen ovale nachgewie- Pathologische Anatomie
sen werden. Der Krankheitswert dieses Befundes ist eher gering. Eine Fusion der Kommissuren, die zu einer Arretierung der
Bei Patienten mit einer Apoplexie oder TIA-Anamnese und nach- Klappe in der Systole führt, ist typisch. Der Abstrom über die
weisbarem Rechts-links-Shunt wird ein Zusammenhang zwischen Klappe ist dann meist exzentrisch. Besonders ungünstige Klap-
einem offenen Foramen ovale und paradoxen Embolien postuliert. penanlagen zeigen myxomatöse Dysplasien. Auf seltene peri-
Bei gleichzeitiger Anlage eines Aneurysmas des Vorhofseptums phere Pulmonalstenosen wird im 7 Abschn. 18.8 eingegangen.
kann es zur Formation eines Blindsacks, der Thromben aufneh-
men kann, kommen. In solchen Kollektiven war das Embolisati- Pathophysiologie
onsrisiko deutlich erhöht. Die Datenlage bezüglich oben genann- Die Obstruktion bedingt eine Limitation der Steigerung des HZV
ter Kausalzusammenhänge ist bislang jedoch nicht eindeutig. und führt zu Druckbelastung und rechtsventrikulärer Hypertro-
Einen klinisch kardialen Untersuchungsbefund (Herzge- phie. In der Pulmonalarterie zeigt sich jet-bedingt eine postste-
räusch, im Muster veränderte Herztöne) gibt es beim offenen notische Dilatation. Die rechtsventrikuläre Hypertrophie kann
Foramen ovale nicht. Moderne Ultraschallgeräte lassen eine Dar- einen irreversiblen Umbau des Kammermyokards zur Folge ha-
stellung des Foramen ovale bis maximal im Teenageralter von ben, der wiederum irreversible diastolische und systolische Funk-
18 transthorakal/subkostal zu, danach ist die TEE obligat. Für einen tionsstörungen bedingen kann.
paradoxen Shunt auf Vorhofebene sind normalerweise keine
Voraussetzungen gegeben. Dazu bedarf es eines pathologischen
rechtsventrikulären diastolischen Flussverhaltens und/oder ab- 18.4.2 Epidemiologie
norm erhöhter zentralvenöser/rechtsatrialer Druckverhältnisse
(Gerätetauchen). Valvuläre Pulmonalstenosen haben eine Prävalenz von etwa 10%
Bei Indikation zur Behandlung kann der Defekt mit vertret- aller angeborenen Herzfehler. Frauen und Männer sind gleich
barem Einsatz interventionell im Herzkatheterlabor verschlossen häufig betroffen.
werden. In 2 Studien wird derzeit der Therapieeffekt von Antiko-
agulation bzw. Thrombozytenaggregationshemmung gegenüber
dem Device-Verschluss untersucht. Der Verschluss des Foramen 18.4.3 Klinische Symptome
ovale mit Bypasschirurgie am offenen Herzen durch den Chi-
rurgen verliert an Bedeutung. Die meisten Patienten sind nach Valvuloplasie symptomfrei. Das
Die Richtlinien der Neurologie zur Sekundärprävention ze- klinische Bild wird vom Schweregrad der Obstruktion und von
rebral ischämischer Ereignisse bei nachgewiesenem Foramen den Residualbefunden nach interventioneller Dilatation oder
ovale sind in 7 Übersicht 18.1 zusammengefasst. chirurgischer Behandlung bestimmt. Der Grad der Stenose limi-
18.5 · Persistierender Ductus arteriosus
381 18

tiert das Herzminutenvolumen. Mittlere bis schwere Stenosen Dilatationsversuch im Herzkatheterlabor. Patienten mit Noonan-
(Druckgradient >50 mmHg) können zu eingeschränkter Belast- Syndrom müssen in der Regel chirurgisch versorgt werden.
barkeit mit Dyspnoe und Herzinsuffizienz mit Brustschmerz und
Präsynkopen/Synkopen führen. Bedeutsame Klappeninsuffizi-
enzen bedingen Rechtherzversagen mit Gefügedilatation, Öde- 18.4.7 Prognose
men, Arrhythmien oder plötzlichem Herztod.
Die Langzeitergebnisse nach frühzeitiger Ballonvalvuloplastie
oder Operation sind bei großem Potenzial für eine Normalisie-
18.4.4 Diagnose rung des rechtsventrikulären Myokards gut. Weniger als 5% der
Patienten werden reoperiert. Je später eine bedeutsame Stenose
Körperliche Untersuchung und Auskultation. Das systolische Herz- behandelt wird, desto wahrscheinlicher ist eine dauerhafte Myo-
geräusch am oberen linken Sternalrand ist Leitsymptom. Je lang kardschädigung durch bindegewebigen Umbau.
anhaltender das Diastolikum sich präsentiert, desto ausgeprägter ist
die Klappeninsuffizienz. Der Patient zeigt – außer bei einem bedeut-
samen atrialen oder ventrikulären Defekt – keine Zyanose. 18.4.8 Nachsorge

Elektrokardiogramm. Zeichen der rechtsventrikulären Ventri- Zweijährige Wiedervorstellungsintervalle sind bei typischen Ver-
kelhypertrophie finden sich nur bei mittelschweren und schweren läufen indiziert.
Stenosen.

Echokardiographie. Die Echokardiographie ist diagnostisch. 18.4.9 Endokarditisrisiko


Klappendysplasie, Ventrikelhypertrophie und Gradienten kön-
nen quantifiziert, der Grad der Klappenregurgitation semiquan- Das Endokarditisrisiko wird nach den neuen Richtlinien als ge-
titativ abgeschätzt werden. ring eingestuft.

Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung


dient der Ballonvalvuloplastie und zur Diagnostik einer mög- 18.4.10 Aktivitäten
lichen KHK.
Die Patienten sind in Bezug auf Reise- oder Sportaktivitäten nicht
eingeschränkt. Gelegentlich werden (sportlich) aktivere Pati-
18.4.5 Spontanverlauf enten bei geringeren Ruhegradienten als 50 mmHg bei relevanten
belastungsabhängigen Symptomen einer Ballondilatation an der
Jeder Patient kann heute behandelt werden. Spontanverläufe gibt Pulmonalklappe zugeführt, um danach über eine höhere Leis-
es nur bei geringgradigen Stenosen. Die Lebenserwartung ist gut, tungsfähigkeit zu verfügen. Kinderwunsch kann ebenfalls eine
und der Patient ist wahrscheinlich nicht beeinträchtigt. Ein- Indikation für Ballondilatation bei geringeren Gradienten sein.
schränkungen der Lebensqualität hängen vom Schweregrad der
Stenose ab. Stenosen können im Verlauf zunehmen; typisch ist
der im Verlauf wenig veränderte Gradient. 18.5 Persistierender Ductus arteriosus

18.5.1 Definition und Pathologie


18.4.6 Therapie
Definition
Behandlungsindikationen Der Ductus arteriosus ist eine Kurzschlussverbindung zwi-
Indikation zur Behandlung besteht bei Patienten mit einem ma- schen Aorta und Pulmonalartrie. Defekte weisen einen Fluss
ximalen Ruhegradienten von >50 mmHg. von aortal nach pulmonalarteriell auf. Große Ductus können
zur pulmonalarteriellen Vaskulopathie und Eisenmenger-Re-
Interventionelle Behandlung aktion führen.
> Die kathetergestützte Ballondilatation ist Therapie der Wahl.

In den Anfängen wurden Klappen mit weniger geeigneten Bal- Pathologische Anatomie
lons behandelt. Die Langzeitergebnisse sind bei adäquat durch- Der Ductus arteriosus ist die pränatale »Verlängerung« des
geführter Therapie gut. Patienten mit ungünstiger Morphologie Hauptstamms der Pulmonalarterie in die Aorta am Ende des
sowie schwerer Dysplasie und bedeutsamer Regurgitation an der Aortenbogens. Der Ductus arteriosus ist ein häufiger angebore-
Pulmonalklappe müssen chirurgisch versorgt werden. ner Herzfehler, bei dem das physiologische postnatale Obliterie-
ren ausgeblieben ist (Persistenz des Ductus über den dritten Le-
Chirurgische Behandlung bensmonat hinaus: PDA). Bei Patienten mit intrauterin erwor-
Bei valvulären Stenosen mit dysplastischen Klappen kann eine bener Rötelnerkrankung ist er obligat.
offene Valvulotomie ausreichen, meist jedoch ist Klappenersatz
mit mechanischer Klappe, eine Bioprothese, ein Homograft oder Pathophysiologie
ein klappentragendes Conduit erforderlich. Fast alle Patienten Die meisten Ductus zeigen eine Kaliberreduktion auf der pul-
erhalten vor der herzchirurgischen Therapie (mindestens) einen monalarteriellen Seite, dort wo die physiologische Obliteration
382 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

startet. Je nach Restlumen kommt es zu geringer oder größerer monalarterielle Vasodilatanzien wird ein interventioneller Ver-
Volumenbelastung für das Pulmonalisstromgebiet. Patienten mit schluss durchgeführt.
Eisenmenger-Reaktion zeigen eine dissoziierte Zyanose, weil der
pulmonalarteriell-aortale Fluss erst auf Höhe der A. subclavia
einmündet und die Zyanose erst im weiter kaudalen Stromgebiet 18.5.5 Spontanverlauf
der Aorta ausgeprägt ist.
Große Variationen scheinen für den spontanen Verlauf typisch.
Die meisten Ductus werden wegen des Geräuschbefundes er-
18.5.2 Epidemiologie kannt und behandelt. Wegen des zuvor als hoch eingeschätzten
Endokarditisrisikos (Endarteriitis) wurden auch gering bedeut-
Der PDA ist im Erwachsenenalter selten. Frauen sind häufiger same Defekte mithilfe kathetergestützter Interventionsverfahren
betroffen. Der PDA war der erste chirurgisch behandelbare Herz- (»coils«, Spiralen, Okkluder) behandelt. Kasuistiken von ruptu-
fehler. Interventionelle Katheterbehandlungen sind seit den rierten Ductusaneurysmen bei älteren Patienten sind publiziert.
1980er Jahren etabliert.

18.5.6 Therapie
18.5.3 Klinische Symptome
Behandlungsindikationen
Patienten mit kleinem, hämodynamisch unbedeutendem Ductus Hämodynamisch unbedeutende Ductus (normale Blutdruckamp-
sind asymptomatisch. Der Ductus arteriosus wird zu den azyano- litude, EKG normal und Echokardiogramm ohne Kavitätenver-
tischen Herzfehlern gerechnet. Je nach Defektgröße können Prob- größerung) werden nicht mehr verschlossen. Alle anderen Duc-
leme der Rezirkulation in Erscheinung treten: Belastungsdyspnoe, tus arteriosus sollten verschlossen werden.
Palpitationen, rezidivierende bronchopulmonale Infekte oder
> Der Ductus nach Behandlung (kathetergestützte Devices) mit
Linksherzinsuffizienz.
residualem Shunt – und nur dieser – ist nach den neuen Richtli-
Patienten mit ductusbedingter Eisenmenger-Reaktion sind
nien weiterhin mit einem Endokarditisrisiko behaftet.
in der Regel weniger stark beeinträchtigt. Eine Reihe von Pa-
tienten mit großem Shunt behält über das Adoleszentenalter hi- Kontraindikation zum Ductusverschluss ist die manifeste pul-
naus pulmonalarterielle Reagibilität und kann kausalen Korrek- monalarterielle Vaskulopathie.
turmaßnahmen zugeführt werden.
Interventionelle oder chirurgische Behandlung
Quantitativ ist der chirurgische Ductusverschluss beim adulten
18.5.4 Diagnose Patienten nicht mehr relevant. Ob durch die Änderung der En-
dokarditisrichtlinien zukünftig wieder mehr Patienten operiert
Körperliche Untersuchung und Auskultation. Kleine Ductus- werden, ist Spekulation.
Shunts können gelegentlich lediglich ein Systolikum am oberen Interventionell werden kleine Defekte von aortal über einen
Sternalrand bieten. Typisch ist der Auskultationsbefund des sys- Zugang in der Femoralarterie mithilfe einer Metallspirale leicht
tolisch-diastolischen Maschinengeräusches wegen des kontinu- obliteriert. Der primäre Einsatz mehrerer Spiralen ist obsolet. Bei
ierlichen Flusses in die Pulmonalarterie. Große Ductus bedingen größeren Ductus wird von pulmonalarteriell ein geeigneteres
durch den Windkesseldefekt (»run-off« in die Pulmonalarterie) Coil-System (z. B. Nit-Okklud, Fa. PFM) oder ein Okkluder
eine große Blutdruckamplitude mit typisch hebenden Pulsen. (Amplatzer) eingebracht. Sämtliche Systeme werden in verschie-
denen Größen zum adäquaten Komplettverschluss vorgehalten.
Elektrokardiogramm. Beim mittelgroßen bis großen PDA finden Bis zum Ablösen der Systeme können bei Bedarf Repositionsma-
sich Zeichen der Linksherzbelastung. Bei pulmonaler Vaskulopa- növer durchgeführt oder die Interventionen rückgängig gemacht
thie werden Zeichen der Rechtsherzbelastung aufgezeichnet. werden. Dislozierte Systeme können mit speziellen Systemen in-
terventionell geborgen werden. Die Komplettverschlussraten
18 Röntgen. In der Thoraxröntgenaufnahme können bei hämody- liegen bei >95%.
namisch relevanten Shunts Linksverbreiterung des Mediastinal- Über eine laterale Thorakotomie kann bei Bedarf der Ductus
schattens und pulmonale Gefäßzeichnungsvermehrung gesehen chirurgisch verschlossen werden. Der Eingriff erfolgt ohne HLM-
werden. Ductus und insbesondere Ductusaneurysmen des äl- Einsatz. Rekanalisierungen nach chirurgischer Ligatur des Duc-
teren Patienten weisen Verkalkungen auf. tus arteriosus wurden publiziert.
Patienten mit Eisenmenger-Reaktion können Kandidaten für
Echokardiographie. Mithilfe der Farbdopplerechokardiographie eine Lungentransplantation werden, bei der der Ductus ver-
werden in der sog. kurzen Achse paradoxe Flüsse pulmonalklap- schlossen/durchtrennt wird.
penwärts dargestellt. Vergrößerungen des linken Vorhofs sind
hinweisend auf eine hämodynamische Bedeutsamkeit. Bei un-
günstigen Schallfenstern ist die TEE erforderlich. 18.5.7 Prognose

Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung ist Nach Verschluss eines unkomplizierten Ductus im Kindesalter ist
zur Testung der pulmonalarteriellen Reagibilität indiziert. Bei die Lebenserwartung normal. Wenn dieser erst im höheren Le-
hämodynamisch bedeutsamen Ductus mit beispielsweise links- bensalter oder bei großem Shunt erfolgte, ist die Prognose un-
seitigen Kavitätenvergrößerungen und Ansprechen auf pul- günstiger. Nach Verschluss in höherem Lebensalter können vent-
18.6 · Koarktation
383 18

rikuläre Funktionsstörungen oder eine beginnende pulmonale 18.6.3 Klinische Symptome


Vaskulopathie persistieren.
Die Patienten zeigen die Symptome des arteriellen Hypertonus.
Der Perfusionsdruck ist im Erwachsenenalter renal und intesti-
18.5.8 Nachsorge nal immer ausreichend hoch reguliert.

Bei Verschluss des Ductus im Kindesalter sind z. B. 5-jährige Un-


tersuchungsintervalle sinnvoll. Nach lateralen Thorakotomien 18.6.4 Diagnose
können leichte Skoliosen große Morbidität im Verlauf zeigen.
Patienten mit funktionellen Beschwerden/Residualbefunden Körperliche Untersuchung und Auskultation. Bei der körper-
werden jährlich nachuntersucht. lichen Untersuchung differiert in klassischer Form die Pulsqua-
lität der oberen und der unteren Extremität. Das systolische Strö-
mungsgeräusch ist links präkordial, axillär und dorsal zu auskul-
18.5.9 Endokarditisrisiko tieren. Die Manschettenbutdruckwerte an Arm und Bein diffe-
rieren.
Das Endokarditisrisiko wird nach den neuen Richtlinien als ge-
> Der systolische Gradient in Ruhe ist für therapeutische Entschei-
ring eingestuft. Sechs Monate nach dem interventionellem Ver-
dungen relevant.
schluss wird generell die Endokarditisprophylaxe empfohlen.
Patienten mit Rest-Shunt nach »Verschluss« haben ein lebenslang Elektrokardiogramm. Das EKG zeigt Befunde wie bei der pri-
erhöhtes Endokarditisrisiko. mären arteriellen Hypertonie – in Abhängigkeit vom Schwere-
grad des Hochdrucks.

18.5.10 Aktivitäten Röntgen. Die im Nativbild sichtbaren Rippenusuren sind vom


Schweregrad der Enge und der Notwendigkeit eines bedeutenden
Die Aktivitäten sollten jeweils nach (Residual-)Befunden ausge- Kollateralkreislaufs abhängig. Behandelte Koarktationen zeigen
richtet werden. Meist sind die Patienten jedoch nicht in Bezug auf keine Usuren mehr. Gelegentlich kann die Isthmusenge direkt am
Reise- oder Sportaktivitäten eingeschränkt. linkslateralen Mediastinalschatten erkannt werden.

Echokardiographie. Die Echokardiographie zeigt beim Erwach-


18.6 Koarktation senen die linksventrikuläre Hypertrophie und die fast obligate
bikuspide Aortenklappendysplasie. Viele erfolgreich im Kindes-
18.6.1 Definition und Pathophysiologie und Jugendalter behandelten CoA haben im Verlauf dort die be-
lastenderen Probleme. Die direkte Visualisierung der Isthmuss-
Definition tenose gelingt bei vielen Erwachsenen nicht (mehr). Bei ungüns-
Die Koarktation (CoA) ist durch eine Enge des Aortenrohres tigen Schallfenstern ist die TEE erforderlich.
am Ende des Aortenbogens gekennzeichnet.
Magnetresonanztomographie. Die MRT-Diagnostik ist diag-
nostisches Mittel der Wahl. Bei Patienten nach Ballon-/Stent-In-
Koarktationen können in sanduhrförmiger Morphologie, aber tervention im Isthmusbereich ist die CT-Untersuchung wegen
auch als Hypoplasie des Bogenausgangs imponieren. Gewebe der Artefakte durch den Stent ratsamer.
vom Typ des Ductus arteriosus in der Aortenwand wird als kausal
postuliert. Bei den Bogenhypoplasien sind bedeutsame VSD, die Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung ist
pränatal zu erheblichen Shunts nach rechtsventrikulär führen, heute praktisch ausschließlich für die interventionelle Behand-
meist vergesellschaftet. Bikuspide Aortenklappen sind beinahe lung vorbehalten. Die invasive Gradientenbestimmung bringt bei
obligat assoziiert. Komplexere Formen der CoA wie z. B. die Un- entsprechenden klinischen Symptomen, den unblutigen Druck-
terbrechung des Aortenbogens werden hier nicht thematisiert. messungen und der Morphologie aus den MRT-Daten wenig
Es findet sich proximal ein arterieller Hochdruck und distal zusätzliche Information.
der niedrige Druck der Stenose. Kollateralarterien können das
Überleben mit funktioneller Atresie der Aorta auch bis ins Er-
wachsenenalter ermöglichen. Diese Extremformen sind sehr sel- 18.6.5 Spontanverlauf
ten. Der anhaltende Hochdruck für Koronar- und Zerebralarte-
rien bestimmt den Langzeitverlauf. Der Spontanverlauf ist (war) durch die arterielle Hochdruck-
problematik charakterisiert. Morbidität und Letalität im Spon-
tanverlauf werden durch vorzeitiges Linksherzversagen, intrakra-
18.6.2 Epidemiologie nielle Blutungen (bei einer recht typischen Prävalenz von krani-
alen Gefäßanomalien), Gefäßruptur präformierter zerebraler
Die CoA wird den azyanotischen Herzfehlern zugerechnet. Sie ist Aneurysmen, bakterielle Endokarditiden, Aortenrupturen und
mit einer Prävalenz von etwa 10% aller Herzfehler ein häufiges frühen Beginn einer KHK bestimmt.
Vitium. Frauen sind etwas häufiger betroffen.
384 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

18.6.6 Therapie Chirurgische Behandlung


Die Diagnose der CoA wird im Säuglingsalter gestellt. Im Kindes-
Behandlungsindikationen alter sind Stent-Implantationen in Aortenposition wegen der be-
Patienten werden bei einem Gradienten von mehr als 30 mmHg, grenzten Nachdilatierbarkeit und der Komplikationen des Ge-
bei arteriellem Hypertonus der oberen Extremität oder bei patho- fäßzugangs beim Einbringen der notwendig großen Schleusen
logischer linksventrikulärer Hypertrophie behandelt. Große Kol- nicht indiziert. Die Therapie der Wahl ist dann fast immer der
lateralgefäße können den Stenosebefund kaschieren. chirurgische Ansatz.
Zeigen die morphologischen Messungen in MRT, CT oder Zu den wichtigsten Operationsverfahren gehören die Resek-
Angiographie Stenosen mit Einengung des Aortenlumens von tion und die End-zu-End-Anastomose, die Resektion und Über-
50% und mehr, ist ebenfalls eine Behandlung indiziert. brückung durch Protheseninterponat (nur noch selten), die Isth-
musplastik nach Vossschulte, die Anlage eines Prothesenbypasses
! Cave
sowie die Subklaviaplastik nach Waldhausen (bei Kindern).
Je später interveniert/operiert wird, desto wahrscheinlicher ist –
Komplikationen der Operation sind die Paraplegie infolge Rü-
auch bei Beseitigung des Gradienten im Isthmusbereich – ein
ckenmarkischämie bei Patienten ohne ausreichende Kollateralge-
bleibender Hochdruck.
fäße sowie Rekurrens- oder Phrenikusparesen.
> Der Patient mit CoA bedarf einer lebenslangen Betreuung durch
Interventionelle Behandlung
Experten. Die ausschließliche Kompetenz in der Hochdruckbe-
Die Ballondilatation bzw. die Stent-Implantation (. Abb. 18.3) ist
handlung wird der Problematik meist nicht gerecht.
Therapie der ersten Wahl bei Erwachsenen. Kontrovers ist die
Diskussion, inwieweit eine primäre Vordilatation Vorteile bringen
kann. Bei voroperierten Patienten mit Restenosen/residuellen Ste-
nosen kann so die prinzipielle Dilatierbarkeit getestet werden. 18.6.7 Prognose
Bessere Ballons mit günstigeren Inflationseigenschaften und hö-
heren Drucktoleranzen scheinen diesen Aspekt jedoch als gerin- Die Behandlung erbringt Verbesserungen für die Patienten in
ger darzustellen. Patienten mit der heute nicht mehr angewandten Bezug auf die klinische Symptomatik und, im Vergleich zu Ver-
Technik des Kunststoffinterponats sind nicht interventionell be- läufen vor 20–30 Jahren, eine deutliche Lebensverlängerung. Im
handelbar. Als Risiken der Interventionsbehandlung werden Aor- Vergleich mit der Normalbevölkerung ist die Lebenserwartung
tenrupturen und Aneurysmenbildung angeführt. Probleme berei- wegen der Bluthochdruckkomplikationen verkürzt.
teten Verletzungen oder Thrombosierungen der Femoralarterien. Probleme sind der persistierende oder sich erneut manifes-
Inzwischen kann erheblich atraumatischer behandelt werden. tierende arterielle Hypertonus, Re-/Reststenosen im Isthmusbe-
Paraplegien und paradoxe Hypertonien wurden nach der Bal- reich, eine signifikante Bogenhypoplasie des mittleren und des
lonintervention nicht berichtet. Langzeitverläufe über Angioplas- distalen Aortenbogens, Ektasien und Aneurysmen der Aorta de-
tie oder Stent-Implantation bei CoA sind noch nicht verfügbar. scendens, Hämoptysen durch rupturierende Aneurysmen, KHK,
Aortensklerose und -stenose bzw. Aorteninsuffizienz bei bikuspi-
der Aortenklappe, infektiöse Endokarditiden sowie die Ruptur
von Aorten- oder zerebralen Aneurysmen.
Aneurysmen im Isthmusbereich treten sowohl nach opera-
tiver Korrektur als auch nach Ballonangioplastie auf. Es besteht
ein Zusammenhang mit dem Alter der Patienten zum Operati-
onszeitpunkt und der angewandten Operations- oder Interventi-
onstechnik. Diese Komplikation findet sich gehäuft nach Patch-
Plastiken unter Verwendung von Dacron oder nach Prothesen-
interposition. Regelmäßige Schnittbilddiagnostik ist zur Früher-
kennung von Wandauffälligkeiten indiziert. Aneurysmen werden
vorzugsweise mit »covered stents« therapiert.
18
18.6.8 Nachsorge

Mindestens jährliche Nachuntersuchungsintervalle im Regelver-


lauf sind indiziert.
Die Echokardiographie ist nur in Bezug auf die Aortenklap-
penfunktion und die Ventrikelhypertrophie nützlich. Schnitt-
bilduntersuchungstechniken wie MRT oder bei Bedarf CT sind
erforderlich, um Re- und Reststenosen sowie Aneurysmen zu
diagnostizieren. Das Kontrollintervall richtet sich nach den kli-
nischen Gegebenheiten (spätestens alle 5 Jahre).
Patienten mit manifestem Hypertonus ohne behandelbaren
morphologischen Restbefund erhalten gemäß den Richtlinien
. Abb. 18.3. Stent im Aortenisthmus: dreidimensionale Rekonstruktion eine medikamentöse antihypertensive Therapie.
einer CT-Angiographie (»volume rendering«)
18.7 · Atrioventrikulärer Septumdefekt
385 18
18.6.9 Endokarditisrisiko ist nach anterior verlegt und elongiert. Er weist damit eine mehr
oder weniger ausgeprägte Obstruktion auf (Schwanenhals). Hier-
Eine Endokarditisprophylaxe wird gemäß den neuen Richtlinien aus können sich spontan Subaortenstenosen entwickeln.
nicht generell empfohlen. Patienten nach Stentimplantation er-
halten weiterhin die Empfehlung zur Endokarditisprophylaxe bei Pathophysiologie
den üblichen Indikationen. Bei überwiegend atrialem Defekt (ASD I) wird die Symptomatik
des ASD (7 Abschn. 18.3) vorgefunden, mit je nach Defektgröße
und pulmonalem Perfusionswiderstand ausgeprägter oder weni-
18.6.10 Aktivitäten ger bedeutsamer Hämodynamik. Erschwerend kann die Mitral-
klappendysplasie beeinträchtigend sein. Der Regurgitationsjet
Die Betroffenen sind in Bezug auf Reise- oder Sportaktivitäten kann in den rechten Vorhof gerichtet sein. Intermediärformen
nicht eingeschränkt. Das Heben von großen Gewichten wird des AVSD zeigen einen Ventrikelseptumdefekt mit restriktiven
nicht empfohlen. Vom Gerätetauchen in großer Tiefe wird abge- Eigenschaften. Beim AVSD mit großem VSD haben einzelne Pa-
raten. Es bestehen alle Einschränkungen des Hochdruckpati- tienten mit Eisenmenger-Reaktion überlebt (7 Abschn. 18.11).
enten bei entsprechenden Befunden.

18.7.2 Epidemiologie
18.7 Atrioventrikulärer Septumdefekt
Der AVSD betrifft 1–2% aller angeborenen Vitien. Frauen und
18.7.1 Definition und Pathologie Männer sind gleichmäßig betroffen. Der AVSD ist der angebore-
ne Herzfehler bei Trisomie 21.
Definition
Beim AVSD bestehen intrakardiale Shunt-Verbindungen auf
atrialer Ebene (Septum-primum-Defekt) mit AV-Klappendys- 18.7.3 Klinische Symptome
plasie und/oder auf ventrikulärer Ebene über einen Inlet-De-
fekt bei gemeinsamer AV-Klappe. Das klinische Erscheinungsbild ist vom Ausmaß der Verände-
rungen an den Septen, den AV-Klappen und von den pulmonalen
Perfusionswiderstandsverhältnissen abhängig. Bei partiellen
Der AVSD ist ein seltener angeborener Herzfehler mit z. T. erheb- oder intermediären Formen des AVSD können Patienten asymp-
licher Rezirkulation und rascher kongestiver Herzinsuffizienz im tomatisch sein.
Kindesalter. Der Herzfehler ist überproportional häufig bei Pati- Individuen mit großem Ventrikelseptumanteil weisen die
enten mit M. Down (Trisomie 21), sodass die schon in der vier- typischen Symptome der Eisenmenger-Reaktion auf. Wegen der
zehnten Gestationswoche im pränatalen Ultraschall erkennbare vormals hohen Operationsrisiken wurden Patienten nicht ope-
typische kardiale Morphologie die Untersuchung auf eine mög- riert. Das Merkmal der Trisomie 21 hat hier bei einzelnen Ent-
liche Trisomie 21 obligat erscheinen lässt. scheidungen Einfluss gegen die Operation ausgeübt. Heute liegt
Atrioventrikuläre Septumdefekte zeigen in der Majorform die Operationsletalitätsrate unter 3–5%.
große Shunt-Volumina auf Vorhof- und Ventrikelebene, die mit Operierte Patienten sind je nach Ausmaß der Residualbe-
der Druckbelastung über den Ventrikeldefekt mit meist druckan- funde an den Septen sowie den AV-Klappen und je nach den
gleichenden Verhältnissen, rasch grenzwertiger Belastung für die pulmonalen Perfusionswiderstandsverhältnissen symptomatisch
Pulmonalgefäße und einer Tendenz zur Vaskulopathie der pul- oder symptomfrei.
monalen Arteriolen kombiniert sind. Nichtoperiert finden sich
beim AVSD fast ausschließlich Patienten mit Eisenmenger-Reak-
tion (7 Abschn. 18.11). 18.7.4 Diagnose

Pathologische Anatomie Körperliche Untersuchung und Auskultation. Bei der körper-


Auf Vorhofebene imponiert ein ASD I, der obligat mit einer »Mi- lichen Untersuchung kann sich je nach morphologischem Befund
tralklappendysplasie« (und »Mitralklappeninsuffizienz«) verge- ein sehr variables Bild zeigen. Am häufigsten wird die Mitralklap-
sellschaftet ist, wenn keine Vollausprägung mit ventrikulärem peninsuffizienz mit dem entsprechenden Systolikum bei der Aus-
Defekt vorliegt und quasi 2 AV-Klappen angelegt sind (ehemals kultation imponieren. Einige Experten sind (noch) in der Lage,
partieller AV-Kanal). Das gemeinsame anteriore (»anterior brid- diesen Befund von dem Systolikum des VSD zu differenzieren.
ging leaflet«) sowie das posteriore Segel (»posterior bridging leaf-
let«) der beiden AV-Klappen weisen eine bindegewebige Verbin- Elektrokardiogramm. Das EKG ist pathognomonisch und zeigt
dung auf, sodass bei diesen Patienten beide AV-Klappen separiert einen (links)überdrehten Lagetyp durch die Septumanomalie
erscheinen. In beiden AV-Klappen besteht ein Spalt. Pathognomo- durch das nach posterior-inferior verlagerte HIS-AV-System.
nisch für den AVSD ist jedoch eine gemeinsame AV-Klappenanla- Viele Patienten sind bei AV-Block III. Grades postoperativ
ge mit einem »tief sitzenden« ASD und einem »hoch sitzenden« schrittmacherabhängig.
VSD im Inlet-Bereich des Ventrikelseptums. Die Papillarmuskeln
können Abweichungen aufweisen (singuläre oder eng beieinander Echokardiographie. Die Echokardiographie ist das diagnostisch
liegende Papillarmuskeln). Gelegentlich wird ein im kontralate- wichtigste Instrument. Für die meisten Fragestellungen ist eine
ralen Ventrikel inserierender Klappenapparat gesehen (»stradd- TEE unumgänglich. Es werden die Veränderungen an den Septen
ling« der Chordae tendineae). Der linksventrikuläre Ausflusstrakt und den AV-Klappen dargestellt.
386 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

! Cave 18.7.9 Endokarditisrisiko


Modelle zur Beschreibung der AV-Klappenfunktion lassen sich
nicht zwangsläufig aus der Kardiologie der erworbenen AV- Eine Endokarditisprophylaxe ist gemäß den neuen Richtlinien
Klappenprobleme übertragen. nicht generell empfohlen.

Dopplerechokardiographisch werden Shunt-Richtung und -Grö-


ße sowie interventrikuläre Druckgradienten ermittelt. Weiter 18.7.10 Aktivitäten
wird der rechtsventrikuläre Druck über die Trikuspidalklappen-
regurgitation abgeschätzt. Die Aktivitäten sollten jeweils nach (Residual-)Befunden ausge-
richtet werden. Meist sind die Patienten jedoch in Bezug auf Rei-
Herzkatheteruntersuchung. Eine Katheteruntersuchung ist indi- se- oder Sportaktivitäten nicht eingeschränkt.
ziert, um Shunt-Verhältnisse und die Therapierbarkeit des Lun-
gengefäßwiderstands bzw. die pharmakologische Beeinflussbar-
keit zu quantifizieren. Bei älteren Erwachsenen sollte der Koro- 18.8 Fallot-Tetralogie
narstatus erhoben werden.
18.8.1 Definition und Pathologie

18.7.5 Spontanverlauf Definition


Bei der Fallot-Tetralogie besteht eine Pulmonalstenose mit
Nichtoperiert haben Patienten mit großem Ventrikelseptuman- großem druckangleichendem VSD. Dieser erscheint wegen
teil wahrscheinlich in weniger als 5% das Kindesalter überlebt. der ungleichen Gefäßdiameter von der Aorta überritten, und
Hauptproblem ist dann die Eisenmenger-Reaktion (7 Ab- wegen der rechtsventrikulären Obstruktion ist der rechte
schn. 18.11). Bei partiellen oder intermediären Formen des AVSD Ventrikel obligat muskelhypertrophiert.
können Patienten asymptomatisch sein.

Aus pathophysiologischer Sicht stehen der große VSD sowie die


18.7.6 Therapie Stenose des rechtsventrikulären Ausflusstrakts und der Pulmonal-
arterien initial im Vordergrund. Prinzipiell ist die Tetralogie der
Alle Patienten mit messbar bedeutsamer Hämodynamik werden wichtigste und zahlenmäßig häufigste angeborene Herzfehler mit
heute im ersten Lebensjahr operiert. Eine Indikation zur Herz- Zyanose. Für den Internisten ist der Patient mit diesem Herzfeh-
chirurgie im Erwachsenenalter ist selten. Vorhofseptumdefekte ler, mit ganz seltenen Ausnahmen, nicht mehr zyanotisch. Die
vom ASD-I-Typ und Inlet-VSD können wegen der AV-Klappen- Probleme sind bei Erwachsenen mit Tetralogie gelegentlich noch
nähe nicht interventionell behandelt werden. Symptomatische zyanoseassoziiert.
Patienten mit residuellen Shunts, Einschränkungen der AV-Klap-
> Patienten mit Tetralogie sind in den letzten Jahren mit 6 Lebens-
penfunktion oder signifikante linksventrikuläre Ausflusstrakt-
monaten operiert (um sie nur kurze Zeit der Zyanose auszu-
obstruktionen werden chirurgisch versorgt. Bei Rhythmusstörun-
setzen): Der VSD ist mit Patch-Material verschlossen und die
gen kann eine Indikation zur antiarrhythmischen Behandlung,
Pulmonalklappe ist zusammen mit dem rechtsventrikulären
insbesondere Ablationsbehandlung, oder zur Schrittmacherver-
Ausflusstrakt mit Patch-Material erweitert. Dies bedingt typi-
sorgung bestehen.
scherweise eine Restpulmonalstenose und eine Pulmonalklap-
peninsuffizienz.
18.7.7 Prognose In Abhängigkeit von den Ausgangsbefunden können bei den
meisten Patienten herzchirurgisch sehr befriedigende Kompro-
Bei Patienten mit AVSD sind die Komplikations- und die Letali- misse erzielt werden. Überwiegend wird heute bis zum Errei-
tätsrate erhöht. Insbesondere Sekundäreingriffe haben eine hö- chen des Erwachsenenalters nur einmal operiert. Das individu-
18 here Letalitätsrate. Patienten mit überwiegend atrialer Defekt- elle Ausmaß der rechtsventrikulären Ausflusstraktobstruktion
komponente können eine pulmonalarterielle Vaskulopathie ent- und damit verbundenem Grad der Pulmonalklappendysplasie
wickeln. mit entsprechender Pulmonalarterienhypoplasie dominiert das
Typische Probleme bieten die Insuffizienz/die Stenose der Krankheitsbild. Die morphologische Extremvariante kann in
rekonstruierten linksseitigen AV-Klappe (häufig Klappenersatz), der Pulmonalatresie mit VSD gesehen werden. Wegen der
seltener der rechtsseitigen AV-Klappe, die Entwicklung einer besonderen Komplexität wird letztgenannte Entität auch als ei-
Subaortenstenose sowie eine Progression der obstruktiven Lun- genständiger Herzfehler angesehen. Als chirurgische Therapie
gengefäßerkrankung. Rhythmusstörungen wie supraventrikuläre kommen für diese Patienten nur klappentragende Conduits
Arrhythmien sind typisch und beeinflussen die Lebensqualität. (Homograft) in Pulmonalisposition in Betracht, die mit dem
Ventrikuläre Arrhythmien sind mit Störungen der linksventriku- Körperwachstum 2- oder 3-mal bis zum Erreichen des Erwach-
lären Funktion assoziiert. senenalters ausgetauscht werden müssen. Etwa 25% der Pati-
enten haben einen rechtsläufigen Aortenbogen mit je nach Aus-
maß der pulmonalarteriellen Hypoplasie von der Aorta ausge-
18.7.8 Nachsorge henden Kollateralen in das Pulmonalisstromgebiet. Von den
Tetralogiepatienten bieten 5% Koronaranomalien, die präopera-
Mindestens jährliche Verlaufskontrollen sind indiziert. tiv ausgeschlossen werden müssen, weil z. B. eine von der rech-
18.8 · Fallot-Tetralogie
387 18

ten Koronararterie abgehende »LAD« den zu öffnenden Aus- kind-, mit Fortschritten der Chirurgie im Säuglingsalter. Die Kor-
flusstrakt kreuzen könnte. rekturoperation der ausgeprägt zyanotischen Patienten wurde,
bedingt durch die Gegebenheiten der HLM und der Kanülen, die
Pathologische Anatomie für Erwachsene konzipiert waren, im Vorschulalter oder zuvor
Das Ausmaß der rechtsventrikulären Ausflusstraktobstruktion im Schulalter durchgeführt.
wird initial durch den Grad der Verlagerung und die Myokard-
> Physische und kognitive Entwicklung sind bei den meisten Te-
hypertrophie des Auslassseptums bestimmt. Im gleichen Maß
tralogiepatienten nicht oder nur gering verzögert, die Leis-
sind die abhängigen Pulmonalarterien betroffen, variierend mal
tungsbreite ist jedoch (v. a. durch den verminderen Pulmonalis-
mit der signifikantesten Enge im Infundibulum, also subvalvulär,
fluss) eingeschränkt. Der klinische Verlauf wird auch von Neben-
oder im Bereich der Pulmonalarterien. Diese Ausgangsbefunde
effekten der Zyanose bestimmt.
bestimmen das Vorgehen bei der chirurgischen Versorgung und
letztlich den klinischen Verlauf. Die Pulmonalklappe ist schwer Durch die lang anhaltende rechtsventrikuläre Druckbelastung
dysplastisch, oft bikuspid. Typisch ist der im Vergleich zur Aor- und die operationsbedingte Pulmonalinsuffizienz kann sich eine
tenklappe engere Pulmonalklappenring, der dann bei der Opera- Rechtsherzinsuffizienz entwickeln. Die Beschwerden sind vom
tion erweitert werden muss (und damit zwangsläufig in eine Alter des Patienten, dem Operationszeitpunkt, der Ära der chi-
Klappeninsuffizienz resultiert). Der VSD ist durch ein »malalign- rurgischen Entwicklung und v. a. vom Schweregrad des Vitiums
ment« charakterisiert, sodass er sich mehr oder weniger stark abhängig.
unter der Aortenklappe darstellt – je nach Ausmaß der Enge des
rechtsventrikulären Infundibulums (Überreiten der Aorta). Der
dann zum Defektverschluss eingebrachte Patch sollte den links- 18.8.4 Diagnose
ventrikulären Auslass nicht obstruieren und nur marginale, opti-
malerweise keine Restdefekte aufweisen. Körperliche Untersuchung und Auskultation. Eine Zyanose ist im
Erwachsenenalter die Ausnahme (deren Ursache genau abgeklärt
Pathophysiologie gehört). Ein systolisches Schwirren kann über dem Präkordium
Postnatal imponiert die Zyanose durch den Rechts-links-Shunt bestehen. Auskultatorisch imponiert das systolische Austreibungs-
über den VSD: Je mehr durch die Pulmonalstenose über den De- geräusch am oberen linken Sternalrand, bedingt durch die Pulmo-
fekt an der Lungenstrombahn vorbeigeleitet wird, desto ausge- nalstenose und das Diastolikum der Pulmonalklappeninsuffizienz.
prägter ist die Zyanose. Im natürlichen Verlauf findet ein binde- Laterale Thorakotomienarben weisen auf initial angelegte aorto-
gewebiger Umbau im Infundibulum statt, der zusammen mit pulmonale Shunts hin (Skoliose). Rest-VSD erklären das typische
dem »disarray« des Ventrikelmyokards und der obligatorischen Systolikum. Die im Verlauf sich nicht selten manifestierende Aor-
Narbe/Patch, das Substrat für später auftretende ventrikuläre tenklappeninsuffizienz bedingt ein leises Diastolikum.
Dysrhythmien darstellt.
Elektrokardiogramm. Das EKG zeigt einen kompletten
Rechtsschenkelblock mit QRS-Breiten z. T. über 180 ms; dies ist
18.8.2 Epidemiologie als Marker für das Auftreten maligner ventrikulärer Arrhythmien
alarmierend. Regelmäßige Holter- und Belastungs-EKG-Unter-
Die Fallot-Tetralogie ist mit einer Prävalenz von etwa 10% ein suchungen sind obligat.
häufiger angeborener und der häufigste zyanotische Herzfehler.
Männliche Patienten sind etwas häufiger betroffen. Etwa 15% der Echokardiographie. Die Echokardiographie erbringt im Follow-
Fallot-Patienten weisen eine Monosomie mit Mikrodeletion am up die wichtigsten Daten über die rechtsventrikuläre Ausfluss-
kurzen Arm des Chromosoms 22 (Monosomie 22q11) auf. Der bahnobstruktion (Infundibulum, Pulmonalklappenanulus, Pul-
Phänotyp dieser Monosomie ist sehr variabel. Er reicht vom Voll- monalklappe, Pulmonalarterie), die residuellen intrakardialen
bild des Di-George-Syndroms mit Immunschwäche, Hypopa- Shunt-Verhältnisse, das Ausmaß der Aortenklappeninsuffizienz
rathyreoidismus und typischer Facies mit schweren kogniti- (den potenziellen rechten Aortenbogen), die rechtsventrikuläre
ven Beeinträchtigungen bis hin zu leichten Lernschwächen und Myokardhypertrophie oder Gefügedilatation und das Maß der
Sprachentwicklungsverzögerungen (obligat). möglichen Funktionsstörung. Eine Gruppe von Patienten entwi-
ckelt wohl primär durch Imbalancen/Abnormität der Septum-
motilität ein Linksherzversagen.
18.8.3 Klinische Symptome
Magnetresonanztomographie. Die MRT-Diagnostik hat wegen
Kleinkinder, die präoperativ in Hockstellung instinktiv eine sys- der Komplexität des Herzfehlers und der im Verlauf ungünstiger
temarterielle Widerstandserhöhung produzieren, um den an- werdenden Schallfenster einen immer größeren Stellenwert er-
tegraden Pulmonalisstrom zu begünstigen, gibt es seit mehr als halten. Zur Darstellung von pulmonalarteriellen Stenosierungen
20 Jahren nicht mehr. Die heute beispielsweise vor 35–40 Jahren in der Bifurkation und weiter in der Peripherie ist die MRT-Diag-
operierten Patienten hatten lange Perioden mit schwerer Zyano- nostik ideal. Nach Einlage von Stents in das pulmonalarterielle
se, die sie meist gut kompensierten, und mehr oder weniger be- System ist die CT-Diagnostik in der Bildgebung überlegen.
deutsame krisenhafte Hypoxämien (»cyanotic spells«) durch te-
tanieartige Obstruktionen im Infundibulum, mit intermittierend Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung
dramatischer Reduktion der linksventrikulären Vorlast. Diese dient der interventionellen Behandlung von Stenosen (. Abb. 18.4)
Patienten wurden alle mindestens zweizeitig operiert: zunächst in der Pulmonalarterie mit Ballon, v. a. Ballon-/Stent-Therapien.
eine aortopulmonale Shunt-Anlage als Palliativschritt im Klein- In den letzten Jahren haben sich in spezialisierten Zentren kathe-
388 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

Funktionsstörung, den vorausgegangenen Operationen und evtl.


vorhandenen Begleiterkrankungen oder Organschäden.
Wie in den Anfängen der Tetralogiebehandlung werden auch
heute bei Bedarf Palliativschritte vorgeschaltet, um das pulmonal-
arterielle System vor der »Korrekturoperation« mithilfe eines
aortopulmonalen Shunts zu konditionieren.
Die ersten Operationen, die nach Blalock und Taussig be-
nannten Shunt-Operationen, wurden durch eine End-zu-Seit-
Anastomose zwischen der nativen A. subclavia und der Pul-
monalarterie realisiert.
Später hat man 3,5–4 mm im Diameter messenden Gore-
Tex-Röhrchen den Vorzug gegeben und die A. subclavia nicht
mehr geopfert. Die Shunt-Anlage wird zur besseren seitenglei-
chen Perfusion der Pulmonalarterie in zentraler, bifurkations-
naher Position präferiert (über eine Sternotomie und nicht mehr
von lateral-thorakal).
Wegen erheblicher Probleme im Langzeitverlauf verlassene
Palliativoperationen sind die Pott-Shunt-Operation, bei der eine
Direktanastomose zwischen Aorta descendens und linker Pul-
monalarterie angelegt wurde, und die Waterston-Cooley-Shunt-
. Abb. 18.4. Katheterinterventionelle Behandlung von Bifurkationsste- Operation, eine Direktanastomose zwischen der Aorta ascendens
nosen mithilfe des (»premounted«) Stents
und rechter Pulmonalarterie.

tergestützte Klappenersatzbehandlungen etabliert. Hierbei wird 18.8.7 Prognose


von inguinal ein klappentragender Stent in Pulmonalisposition
eingebracht. Bei älteren Erwachsenen oder entsprechender Risiko- Nach »Korrekturoperation« liegt die Überlebensrate nach 25 Jah-
konstellation ist zudem der koronararterielle Status zu erheben. ren bei 94%, nach 30 Jahren bei 89% und nach 40 Jahren bei 76%.
Die überwiegende Anzahl der Patienten fühlt sich subjektiv wohl
und ist ausreichend leistungsfähig. Nach 30 Jahren sind 95% der
18.8.5 Spontanverlauf Patienten den NYHA-Klassen I und II zuzuordnen.
Probleme boten und bieten die vormals lange (Jahre) palliativ
Spontanverläufe werden hier nicht mehr gesehen. Alle Patienten, versorgten Patienten mit repetitiven Shunt-Anlagen. Die dadurch
die dem internistischen Kardiologen vorgestellt werden, sind volumenbelasteten Myokardstrukturen sind durch einzelne Seg-
operiert. Im Alter entwickelt sich bei überproportional weitem mente überperfundierten Lungenstromgebietes mit Vaskulopa-
Aortenklappenring oft eine Aortenklappeninsuffizienz. Infolge thie und andererseits Arealen der pulmonalen Hypoperfusion
der rechtsventrikulären Erkrankung kann sich eine linksventri- charakterisiert.
kuläre Funktionsstörung manifestieren. In den Anfängen der Tetralogiekorrekturoperationen wurde
die Reststenose gefürchtet und eine Pulmonalklappenregurgita-
tion eher großzügig toleriert. Wie Langzeitverläufe zeigen, war
18.8.6 Therapie dies eine falsche Annahme.

Behandlungsindikationen ! Cave
Die richtige Balance zwischen tolerabler Reststenose und milder
Alle Patienten müssen operiert werden, weil sich fast immer eine
Pulmonalklappeninsuffizienz ist Garant für gute Langzeitergeb-
gute Lebensqualität erreichen lässt. Tetralogiepatienten werden
18 heute schon innerhalb der ersten Lebensmonate operiert. Die
nisse.

Operation wird in den allermeisten Fällen als Korrektur- und nur Die vormals über Jahrzehnte dann durch Pendelblut belasteten
in Ausnahmefällen (bei Frühgeborenen oder bei Prävalenz sehr rechten Ventrikel gingen einer rechtsventrikulären Insuffizienz
hypoplastischer Pulmonalarterien) als Palliativeingriff zweizeitig entgegen. Große Narben im Auslass des rechten Ventrikels führ-
erfolgen (aortopulmonaler Shunt). ten zu subpulmonalen Aneurysmen mit potenzieller Gefügedila-
tation für die Klappenanlage. Stenosen in der Pulmonalisbifurka-
Chirurgische Behandlung tion verstärkten den Grad der Pulmonalklappeninsuffizienz. Im
Je nach Notwendigkeit wird die rechtsventrikuläre Obstruktion Verlauf wird nicht selten eine zunehmend restriktive rechtsvent-
durch Pulmonalklappenrekonstruktion, Teilexzision der Pul- rikuläre Funktion beobachtet, die durch einen nichtturbulenten
monalklappe, Resektion der stenosierenden subvalvulären Mus- antegraden spätdiastolischen Fluss in der Pulmonalarterie und
kulatur und/oder durch eine infundibuläre bzw. transanuläre gleichzeitig einen retrograden Fluss in der V. cava superior ge-
Patch-Erweiterung verringert. Die Korrekturoperation kann kennzeichnet ist (quasi die Effekte der Vorhofkontraktion). Diese
heute mit einer niedrigen Operationsletalitätsrate unter 3% vor- restriktive Komponente des rechtsventrikulären Myokards be-
genommen werden. Reoperationen im Erwachsenenalter haben grenzt Dauer und Grad der Pulmonalklappeninsuffizienz und
eine deutlich höhere Letalität u. a. in Abhängigkeit vom Patien- weitere Ventrikeldilatation. Die Pulmonalklappeninsuffizienz
tenalter bei der Operation, von vorhandener linksventrikulärer wird damit besser toleriert.
18.9 · Transposition der großen Arterien
389 18

Residuelle Shunts über das operierte Ventrikelseptum kön- Mehr als 70% der Patienten kommen mit einer einfachen Trans-
nen eine nicht unerhebliche Volumenbelastung bedeuten. Die position zu Welt, die übrigen haben assoziert einen VSD. Koark-
Bedeutung der Shunt-Menge sollte quantifiziert und der kathe- tationen u. ä. sind damit komplexe Transpositionen.
tergestützte Verschluss mithilfe der VSD-Okkluder bei Bedarf Das völllig anders geartete, seltene Vitium der kongenital
erwogen werden. korrigierten Transposition mit ventrikuloarterieller Diskordanz
Ventrikuläre Tachykardien sind für eine erhebliche Morbidi- und atrioventrikulärer Diskordanz sowie mit meist weiteren as-
tät und für den plötzlichen Herztod (>5% der Patienten nach soziierten Defekten muss aus anderer Quelle abgerufen werden.
35 Jahren) verantwortlich. Das Substrat der ventrikulären Ar-
rhythmien ist das im rechtsventrikulären Ausflusstrakt lokalisier- Pathologische Anatomie
te Reentryphänomen. Funktionsstörungen auf dem Boden der Der Internist wird ausschließlich operierte Erwachsene mit
rechtsventrikulären Druck-/Volumenbelastung begünstigen die Transposition der großen Arterien sehen. Die Aortenwurzel
Rhythmusproblematik. Patienten mit myokardialer Einschrän- liegt rechts ventral in Bezug auf die Pulmonalarterie (daher oft
kung tolerieren auch im Adoleszenten- und jungen Erwachse- noch die Bezeichnung d-TGA, für dexter), oft findet sie sich aber
nenalter ventrikuläre Tachykardien nicht. auch in anterior-posteriorem »alignement«. Obstruktionen der
linksventrikulären Ausflussbahn bei 5–10% der Patienten bieten
> Als Marker für ein erhöhtes Risiko werden Rechtsschenkelblock-
das Bild der subpulmonalen Stenose. Die Koronargefäße ent-
bilder mit QRS-Breite über 180 ms angeführt; wahrscheinlich ist
springen »transponiert« aus dem der Pulmonalarterie gegen-
die Progression der Erregungsausbreitungsstörung von größe-
überliegenden Sinus.
rer Bedeutung.

Patienten mit symptomatischen Herzrhythmusstörungen müs- Pathophysiologie


sen einer kompletten Untersuchung unterzogen werden. Ergeb- Postnatal kann nur bei Existenz einer intrakavitären oder über den
nisse der Ablationsbehandlung sind selten anhaltend positiv. Die Ductus arteriosus sichergestellten Kommunikation der ansonsten
Behandlung mit ICD und bei Patienten mit linksventrikulären getrennten Kreisläufe überlebt werden. Hier fand die erste Kathe-
Funktionsstörungen mit CRT ist im Einzelfall zu erwägen. terintervention ihren segensreichen Nutzen: Mithilfe eines Ballons
wurde das sog. Rashkind-Manöver, die Atrioseptostomie, durch-
geführt, die eine verlässliche Vorhofkommunikation mit linksatri-
18.8.8 Nachsorge al (pulmonalvenös) nach rechtsatrialem Shunt etablierte.
Mit dieser Intervention überlebten Kinder mit ausgeprägter
Wegen der Komplexität des Herzfehlers mit sehr variablen Ver- Zyanose, bis sie anfänglich im Schulalter, später mit 6 Lebensmo-
läufen ist eine kompetente interdisziplinäre Nachsorge für Pati- naten der physiologischen Korrekturoperation (Vorhofumkehr-
enten mit Tetralogie zwingend. operation) zugeführt wurden.
Jährliche Nachuntersuchungen sind erforderlich, in Abhän-
gigkeit von den individuellen Befunden auch häufiger.
18.9.2 Epidemiologie

18.8.9 Endokarditisrisiko Die Transposition der großen Arterien ist das zweithäufigste zy-
anotische Vitium (5% aller angeborenen Herzfehler). Männer
Eine Endokarditisprophylaxe ist gemäß den neuen Richtlinien sind 3-mal häufiger betroffen.
nicht generell empfohlen. Bei Patienten nach Stent-Implantation
ist sie aber empfehlenswert.
18.9.3 Klinische Symptome

18.8.10 Aktivitäten Der Internist wird Patienten mit Transposition der großen Arte-
rien nicht (mehr) zyanotisch vorfinden. Die meisten Erwachsenen
Es bestehen keine generellen Einschränkungen in Bezug auf Rei- mit Transposition der großen Arterien haben eine Vorhofumkehr-
se- oder Sportaktivitäten. Der Aktivitätsgrad kann von den meis- operation erhalten (Typ Mustard oder Senning). Vor 25–30 Jahren
ten Patienten recht gut selbst eingeschätzt werden. Patienten mit wurden die ersten erfolgreichen anatomischen Korrekturoperati-
Rhythmusproblemen müssen bezüglich ihrer Leistungsober- onen durchgeführt (arterielle Switch-Operation).
grenzen gesondert eingestuft werden. Bei der Vorhofumkehroperation bleibt die Diskordanz der
Ventrikel in Bezug auf die großen Arterien: Der morphologisch
rechte Ventrikel bleibt Systemventrikel – mit all den potenziellen
18.9 Transposition der großen Arterien Nachteilen, die durch die andersartige Architektur bedingt sind.
Die meisten Patienten haben nach erfolgreicher Operation einen
18.9.1 Definition und Pathologie sehr erfreulichen Verlauf in der Kindes- und Adoleszentenphase,
sind gut belastbar und haben wenige Rhythmusprobleme.
Definition Mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter nehmen Rhythmus-
Die Transposition der großen Gefäße imponiert durch ventri- störungen und zunehmend Funktionsstörungen des System-
kuloarterielle Diskordanz bei atrioventrikulärer Konkordanz. ventrikels zu.
Die Aorta ist mit dem rechten Ventrikel, die Pulmonalarterie Patienten nach erfolgreich durchgeführter arterieller Switch-
mit dem linken Ventrikel konnektiert. Operation zeigen geringere Probleme im Langzeitverlauf (7 Ab-
schn. 18.9.7).
390 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

18.9.4 Diagnose > Das Prinzip der Vorhofumkehroperation nach Senning ent-
spricht funktionell dem Verfahren nach Mustard. Der Unter-
Körperliche Untersuchung und Auskultation. Der initiale Be- schied liegt in dem geringeren Einsatz von Fremdmaterial für
fund der einfachen Transposition (zyanotisch, aber ohne Herzge- das Baffle. Es kommen überwiegend Wandmaterial der eigenen
räusch) wird im Erwachsenenalter nicht mehr vorgefunden. Der Vorhöfe und Perikardflicken zur Verwendung.
systolische Geräuschbefund entsteht bei nach vorhofumkehrope-
rierten Patienten an der AV-Klappe des Systemventrikels – der »Arterial-switch«-Operation. Bei der Switch-Operation werden
Trikuspidalklappe. unter Einsatz des kardiopulmonalen Bypasses in kurzem Still-
stand bei mäßiger Hypothermie Pulmonalarterie sowie Aorta
Elektrokardiogramm. Das EKG zeigt im Erwachsenenalter einen durchtrennt und in ihre anatomisch korrekte Position umgesetzt.
langsamen Sinusrhythmus oder Ersatzrhythmus aus dem AV- Dieser vor 25–30 Jahren beginnend durchgeführte Ansatz barg
Knotenbereich nach Vorhofumkehr. Regelmäßige Holter-Unter- wegen des gleichzeitig notwendigen Umimplantierens der Koro-
suchungen müssen wegen der erhöhten Inzidenz von atrialen nararterien in den ersten Lebenstagen eine bedeutende periope-
Tachykardien (atypisches, narbenbedingtes Vorhofflattern) und rative Sterblichkeit. Die Vorhofumkehr bot wesentlich stabilere
Sinusknotendysfunktion durchgeführt werden. Sofortergebnisse; dies erklärt die nur langsame Verbreitung der
Switch-Operation.
Echokardiographie. Die Echokardiographie dokumentiert Mor-
phologie und Funktion der postoperativen Verläufe unter beson- Rastelli-Operation. Bei Transposition mit großem VSD und
derer Berücksichtigung der Ventrikel, der Vorhöfe den AV-Klap- schwerer linksventrikulärer Ausflusstraktobstruktion wird die
pen und assoziierter Anomalien. Pulmonalarterie vom linken Ventrikel abgesetzt und der große
VSD mithilfe des Patch-Materials, eingenäht in Richtung Aorten-
Herzkatheteruntersuchung. Die Herzkatheteruntersuchung wurzel, verschlossen. So entsteht ein intraventrikulärer Tunnel,
wird zunehmend zur katheterinterventionellen Behandlung ge- der den linken Ventrikel mit der Aorta verbindet. Der rechte
nutzt. Elektrophysiologische Untersuchungen mit der Möglich- Ventrikel wird dann über ein klappentragendes Conduit mit der
keit zur Ablationsbehandlung müssen vorgehalten werden. De- Pulmonalarterie konnektiert.
fekte im atrialen Tunnelsystem (»baffle«), venöse und Baffle-
Obstruktionen können vorzugsweise interventionell – bei ent-
sprechender Indikation – behandelt werden. Eine Darstellung des 18.9.7 Prognose
koronararteriellen Systems ist routinemäßig dabei mitdurchzu-
führen. Die meisten Langzeitergebnisse für Erwachsene gibt es bislang
für Patienten mit Vorhofumkehroperationen. Hier beträgt die
Überlebensrate für alle Formen der Transposition (einschließlich
18.9.5 Spontanverlauf der komplexen) nach 20 Jahren 75% und nach 25 Jahren 65%. Bei
der einfachen Transposition liegt die Überlebensrate nach 25 Jah-
Unoperiert ist die Transposition nicht mit dem Leben vereinbar. ren bei 80%.
Der Internist wird nur operierte – vorzugsweise mit Vorhofum- Den meisten Patienten nach Vorhofumkehroperation geht es
kehroperation behandelte – Patienten sehen. bis zur dritten oder vierten Dekade subjektiv gut, und die Leis-
tungsbreite ist zufrieden stellend. Die wichtigste Todesursache im
Langzeitverlauf steht im Zusammenhang mit einem plötzlichen,
18.9.6 Therapie wahrscheinlich rhythmusbedingten Herztod. Erschwerend tre-
ten Dysfunktion des (morphologisch rechten) Systemventrikels
Behandlungsindikationen und Baffle-Obstruktionen hinzu.
Die Operationsindikation ist obligat.
> Bradykarde und tachykarde Herzrhythmusstörungen
(. Abb. 18.5), »Baffle«-Lecks, system- sowie pulmonalvenöse
Chirurgische Behandlung
18 Vorhofumkehroperation. Unterschiedliche Präferenzen der
Obstruktionen, Subpulmonalstenosen, Trikuspidalklappeninsuf-
fizienz und Funktionsstörungen des Systemventrikels sind die
Herzchirurgen und der jeweiligen herzchirurgischen Ära be-
wichtigsten Komplikationen im Langzeitverlauf nach Vorhofum-
stimmen die vielfältigen Modifikationen der Vorhofumkehrope-
kehroperationen.
ration. Die häufig angewandte Mustard-Operation wird mit
kardiopulmonalem Bypass bei mäßiger Hypothermie durchge-
führt. Im Prinzip wird Patch-Material so zurechtgeschnitten und Herzrhythmusstörungen. Relevante Probleme im Langzeitver-
auf die dorsale Vorhofwand – nach Exzision des Septums – durch lauf stellen Herzrhythmusstörungen dar. Die Prävalenz eines Si-
sorgfältige Nahttechnik so angebracht, dass die obere und die nusknotensyndroms zeigt sich bei den über Zwanzigjährigen bei
untere Hohlvene quasi über das Baffle auf die gegenüberliegende 50% mit langsamem AV-Knotenersatzrhythmus, besonders im
AV-Klappe (Mitralklappe) getunnelt werden. Das pulmonalve- Schlaf. Relevant ist auch die fatale Neigung zu atrialen und vent-
nöse Blut umfließt auf der Gegenseite das Baffle und erreicht die rikulären Arrhythmien. Etwa 20% der Patienten haben nach dem
AV-Klappe des Systemventrikels (Trikuspidalklappe). Der Koro- zwanzigsten Lebensjahr nachweislich Episoden von Vorhofflat-
narsinus drainiert zumeist in den pulmonalvenösen Vorhof (ge- tern. Konsequente Untersuchungen mit den Optionen der 3D-
ringe Hypoxäme). Mapping-Dokumentation des Makroreentry für zielgenaue Ab-
lationsbehandlung sind indiziert. Anhaltende Herzfrequenzen
unter 40/min können eine Schrittmacherbehandlung erforder-
18.9 · Transposition der großen Arterien
391 18

. Abb. 18.5. Atriale Tachykardie (narbenbedingtes atypisches Vorhof-


flattern): Mithilfe der transösophagealen EKG-Ableitung kann die 2:1-
Vorhof-Ventrikelüberleitung dokumentiert werden (untere Ableitung)

lich machen. (Von den Patienten erhalten 15–20% ein Schrittma-


chersystem.)
! Cave
Patienten nach Vorhofumkehroperation mit einem Herzrhyth-
mus von 110–120/min sind hochgradig verdächtig, eine Vor-
hoftachykardie mit 2:1-Überleitung zu haben.

Aus Voruntersuchungen sollte der P-Wellen-Vektor mit der ak-


tuellen Aufzeichnung verglichen werden. Im Holter-EKG fällt die
geringe Herzfrequenzvariabilität auf. Adenosin kann die Flatter-
wellen demaskieren. Eine transösophageale EKG-Ableitung zeigt
die P-Wellen, wenn sie im Oberflächen-EKG in der T-Welle ver-
borgen sind.
Shunt-Verbindungen auf Vorhofebene (Baffle-Lecks) mit ge-
ringer hämodynamischer Bedeutung über das Baffle sind häufig;
größere Defekte mit Volumenbelastung sind selten. Die Shunt-
Richtung ist sehr variabel, aber klinisch meist irrelevant. Klinisch
lassen sich diese Shunts meist nicht erfassen. Bei genauer TEE-
Analyse oder bei der Herzkatheteruntersuchung sind sie meist
Zufallsbefunde. Relevante Shunts können mit dem interventio-
nellen Verschluss behandelt werden.

Obstruktionen des system- oder pulmonalvenösen Systems. Sie


entstehen im Verlauf durch Nahttechnik, Schrumfung des Baffle-
. Abb. 18.6. Interventionelle Eröffnung der komplett obliterierten obe-
Materials, überschießende Bindegewebsbildung und mehr. Diese
ren Hohlvene nach Mustard-Operation (oben der Angiographiebefund
Obstruktionen sind ein häufiges Problem und müssen auch im vor der Eröffnung mithilfe des Atrioseptostomiebesteckes) und Ballondi-
längeren Verlauf sorgfältig diagnostisch abgefragt werden. Pati- latation mit Wallstent-Einlage. Damit Möglichkeit zur Therapie der Brady-
enten mit einer kompletten Hohlvenenverlegung können den kardie bei Sinusknotendysfunktion mithilfe des transvenösen Schrittma-
Verschluss mithilfe eines Umgehungskreislaufs über die V. azygos chers (unten Darstellung der durch den Stent vorgebrachten Vorhofelekt-
kompensieren und klinisch unauffällig bleiben. Klinisch kann rode für den AAIR-Schrittmacher-Mode). (Aus Emmel et al. 2007)
jedoch auch ein konstantes Vorlastdefizit relevant werden. Pul-
monalvenenobstruktion kann zu einer irreversiblen Vaskulopa-
thie führen. Diagnostizierte Obstruktionen sollten primär mit- mär auf die Verbesserung der rechtsventrikulären Funktion ab.
hilfe der interventionellen Kathetertechniken angegangen wer- Die chirurgische Behandlung mit Raffung des Klappenrings,
den (. Abb. 18.6). Hämodynamisch relevante pulmonalvenöse Trikuspidalklappenrekonstruktion oder -ersatz kann erforder-
Obstruktionen erfordern meist eine Reoperation. lich werden. Bei fortgeschrittener Rechtsherzinsuffizienz führen
diese Eingriffe eher nicht zu längerfristigen Erfolgen. Seit Be-
Trikuspidalklappeninsuffizienz und ventrikuläre Dysfunktion. ginn der Vorhofumkehroperationsansätze bestand Sorge, ob
Eine Trikuspidalklappeninsuffizienz nach Vorhofumkehropera- und wie lange der rechte Ventrikel im Langzeitverlauf in
tion hat überwiegend funktionelle Ursachen. Eher sind kom- der Lage sei, adäquat als Systemventrikel zu fungieren. Ein Ver-
plexe Formen der Transposition betroffen. Gefügedilatation sagen des Systemventrikels tritt häufig erst in der dritten, vierten
bei Funktionsstörungen des Systemventrikels begünstigt eine oder fünften Dekade auf. Viele Patienten sind völlig unbeein-
Regurgitation der Trikuspidalklappe. Die Behandlung zielt pri- trächtigt.
392 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

> Das Alter der Patienten bei Operation, damit die Dauer der pri- Fontan-Zirkulation. Bis dahin imponiert eine mehr oder weniger
mären Zyanose und die Ära der Herzchiurgie sind für die Lang- ausgeprägte Zyanose als Hauptsymptom der funktionell univent-
zeitergebnisse relevant. rikulären Herzen, wie auch bei Mitralatresie, Pulmonalatresie mit
intaktem Ventrikelseptum, »double inlet left ventricle« u. a.
»Arterial-switch«-Operation. Umfangreichere Daten über Er-
wachsene mit arterieller Switch-Operation liegen noch nicht vor. Pathologische Anatomie
Zu den bekannten Problemen gehören Insuffizienz der Neoaor- Ein vollständiger Ventrikel hat 3 Untereinheiten: einen Einlass-
tenklappe, Obstruktionen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts, teil, einen trabekulierten apikalen Teil und einen Auslassanteil.
periphere Pulmonalstenosen, supravalvuläre Aortenstenosen, Ko- Bei der Trikuspidalklappenatresie fehlt beispielsweise der
ronararterienstenosen, Ventrikelfunktionsstörungen sowie Herz- rechtsventrikuläre Einflusstrakt. Anstelle der Klappe wird eine
rhythmusstörungen (AV-Blockierungen). Die meisten Patienten fibröse Membran oder ein fibromuskuläres Diaphragma (»im-
nach arterieller Switch-Operation sind wenig beeinträchtigt. perforate valve«) nachgewiesen. Der zentralvenöse Abstrom er-
folgt über den obligat weit offenen Defekt in der Fossa ovalis.
Rastelli-Operation. Die Rastelli-Operation ist wegen des Ersatzes
des klappentragenden Conduits im Laufe des Wachstums vor Pathophysiologie
Erreichen des Erwachsenenalters problematisch, aber für den Auf Ventrikelebene kommt es zur Durchmischung des pulmona-
zugrunde liegenden komplexen Herzfehler ohne Alternative. lvenösen und des systemvenösen Blutes mit konsekutiver Zyano-
se. Über den VSD gelangt das Mischblut über eine Auslasskam-
mer (»ventricular pouch«) in die Pulmonalarterie oder bei Mal-
18.9.8 Nachsorge positionsstellung der großen Arterien hierüber in die Aorta.

Jährliche Nachuntersuchungen, in Abhängigkeit von den indivi-


duellen Befunden auch häufiger, sind erforderlich. 18.10.2 Epidemiologie

Konditionen mit angeborenen funktionell univentrikulären Her-


18.9.9 Endokarditisrisiko zen sind selten; das zugrunde liegende morphologische Substrat
ist sehr heterogen. Patienten mit hypoplastischem Linksherzen
Eine Endokarditisprophylaxe ist gemäß den neuen Richtlinien werden seit den zunehmenden Behandlungserfolgen in den
nicht generell empfohlen. Bei Patienten nach Stent-Implantation großen Zentren zum zweitwichtigsten zyanotischen Herzfehler
ist sie aber empfehlenswert. der Neugeborenenphase. In Deutschland wird von ca. 130 Ge-
burten mit hypoplastischem Linksherzen pro Jahr ausgegangen.

18.9.10 Aktivitäten
18.10.3 Klinische Symptome
Es bestehen keine generellen Einschränkungen in Bezug auf Rei-
se- oder Sportaktivitäten. Patienten mit Rhythmusproblemen Die klinischen Befunde bei funktionell univentrikulären Herzen
müssen bezüglich ihrer Leistungsobergrenzen gesondert einge- hängen von der zugrunde liegenden pathologischen Anatomie ab
stuft werden. Der Aktivitätsgrad kann von den meisten Patienten und sind initial sehr variabel: Sie reichen von der primären Ab-
recht gut selbst eingeschätzt werden. hängigkeit des offenen Ductus bis zur pulmonalen Überflutung
durch Rezirkulation.

18.10 Fontan-Zirkulation
18.10.4 Diagnose
18.10.1 Definition und Pathologie
Im Zentrum der Diagnostik steht die Echokardographie. Mag-
18 Definition netresonanztomographie und Computertomographie nehmen
Imbalancen der Ventrikelproportionen und fehlende Anlage an Bedeutung bei den komplexen Vitien ständig zu.
eines vollständigen Ventrikels, die ein Leben mit einem Zwei-
kammersystem nicht ermöglichen, werden als funktionell uni-
ventrikuläre Herzen kategorisiert. Typische Beispiele sind die 18.10.5 Spontanverlauf
Trikuspidalatresie für die linksventrikuläre Dominanz und das
hypoplastische Linksherz für die rechtsventrikuläre Dominanz. Unoperiert sind diese Herzfehler nicht mit dem Leben vereinbar.
Gelegentlich bleibt bei ductusabhängigen Vitien der Ductus arte-
riosus spontan für einige Wochen offen.
Es gibt eine Reihe komplexer angeborener Herzfehler, die alle als
selten (≤1% der Herzfehler) eingestuft werden, bei denen ein bi-
ventrikuläres Kreislaufsystem nicht funktionieren kann. Funktio- 18.10.6 Therapie
nell univentrikuläre Herz-Keislauf-Verhältnisse wie das hypoplas-
tische Linksherzsyndrom können über eine Serie von abgestuften Behandlungsindikationen
operativen Eingriffen langzeitpalliiert werden. Am Ende der stu- Bis auf wenige Ausnahmen werden heute alle Kinder mit funkti-
fenweisen Therapie steht die Kreislauftrennung im Sinne der sog. onell univentrikulärem Herzen palliativ operiert.
18.10 · Fontan-Zirkulation
393 18

Der Ductus arteriosus kann über Tage, in Einzelfällen bis der die untere Hohlvene vom Vorhof abgesetzt und mit der Pul-
Wochen medikamentös mit i.v.-appliziertem Prostaglandin of- monalarterie End-zu-Seit anastomosiert wird. Von jetzt an ist der
fengehalten werden, wenn die Ductusdurchblutung erforderlich Patient nicht mehr zyanotisch. Die Pulmonalarterie wird passiv
ist. Alternativ können zum Offenhalten des Ductus arteriosus perfundiert. (Motoren sind die Atemexkursion des Thorax, die
auch Koronarstents interventionell im Herzkatheterlabor einge- Muskelpumpe zusammen mit den Venenklappen und die trans-
bracht und bei der nachfolgenden Operation durch den Herz- pulmonalkapilläre »Saugkraft« des Vorhof-/Ventrikelsystems.)
chirurgen wieder entfernt werden.
> Der Vorteil der Fontan-Zirkulation gegenüber der Shunt-Perfu-
sion der Lunge besteht in der Volumenentlastung.
Chirurgische Behandlung
Ziel der Palliativoperation ist eine ausreichende Lungenperfusion
für die ersten 4–5 Lebensmonate, die ein befriedigendes, seiten-
gleiches Wachstum der Pulmonalarterien sicherstellt. 18.10.7 Prognose
! Cave
Die postoperativen Residualbefunde sind von den jeweils durch-
Eine kritische Volumenbelastung der Pulmonalarterien, die die
geführten operativen Maßnahmen abhängig.
Neugeborenen vital bedrohen und die Fontan-Zirkulation im
weiteren Verlauf vereiteln kann, muss verhindert werden.
Grundlagen der Fontan-Operation
Bei zuvor ductusabhängiger Pulmonalperfusion wird in aller Re- Die Fontan-Operation geht auf erste Ansätze Mitte der 1970er
gel aortopulmonal ein Gore-Tex-Shunt vom Herzchirurgen in- Jahre zurück (7 Übersicht 18.2). Inzwischen werden sehr viele
stalliert. verschiedene Varianten und Modifikationen gezählt, um bei
Heute wird seit etwa 10–15 Jahren zur Kreislauftrennung im komplexen angeborenen Herzfehlern, bei denen es operativ nicht
Sinne der Fontan-Zirkulation nach dieser ersten Palliativmaß- möglich ist, ein Herz-Kreislauf-System mit 2 getrennten Ventri-
nahme, die die Veränderungen des initial hohen Lungenperfusions- keln (»biventricular repair«) zu garantieren, eine Langzeitpallia-
widerstands postpartal überbrückt, in weiteren 2 Schritten vorge- tion zu etablieren.
gangen: Im Alter von etwa 5 Monaten ist der Patient ausreichend Bei der Fontan-Operation werden Lungen- und Systemkreis-
gewachsen und insbesondere der pulmonalarterielle Perfusions- lauf getrennt und in Serie geschalten. Bei diesem Operationsprin-
widerstand abgefallen. Dann wird unter Einsatz der HLM eine zip wird das zentralvenöse Blut ohne einen zwischengeschalteten
partielle kavopulmonale Anastomose (. Abb. 18.7) angelegt. Dabei Ventrikel passiv in den Lungenkreislauf geleitet. Ein Ventrikel
wird die obere Hohlvene vom rechten Vorhof abgesetzt und End- arbeitet als Saug-Druck-Pumpe vor dem Systemkreislauf.
zu-Seit mit der linken Pulmonalarterie anastomosiert (und der
nun zu kleine Gore-Tex-Shunt oder der Stent im Ductus entfernt).
Nach 2–3 Wochen hat sich der Kreislauf adaptiert, und die ambu- Übersicht 18.2. Fontan-Operation im Original
lante Betreuung setzt wieder ein. Der Patient hat weiterhin eine
Zyanose: Das systemvenöse Blut strömt aus Kopf und Armen pas- 1. End-zu-End-Anastomose der distalen rechten Pulmonal-
siv in die Pulmonalarterie, aus Rumpf und Beinen in den gemein- arterie mit der V. cava superior
samen Vorhof; hier mischt es sich mit dem pulmonalvenösen Blut. 2. End-zu-End-Anastomose des rechten Vorhofohrs mit
Im Alter von 2–3 Jahren wird dann erneut unter Einsatz der HLM dem durchtrennten proximalen Ende der rechten
operiert. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt die Kreislauftrennung, bei Pulmonalarterie über ein klappentragendes Homograft
und Ligatur des Pulmonalarterienhauptstamms (damit
Perfusion der linken Pulmonalarterie)
3. Verschluss des Vorhofseptums
4. Zweite Homograftklappe in die V. cava inferior
(Dieses Prinzip wurde wegen der auftretenden Homograft-
Komplikationen bald verlassen und modifiziert.)

Rest- und Folgezustände nach Fontan-Operation


Viele Patienten befinden sich postoperativ in gutem klinischen
Zustand (NYHA-Klasse I–II). Erwachsene zeigen jedoch im
Langzeitverlauf eine eingeschränkte Belastbarkeit. Patienten mit
Fontan-Zirkulation können ihr Herzminutenvolumen bei Bedarf
verdoppeln, Individuen mit normaler biventrikulärer Funktion
verfünf- bis verzehnfachen. Schnelle Anpassungen an körper-
liche Leistungen gelingen nicht sehr gut. Ausdauerbelastung und
-training werden sehr empfohlen.
Für funktionell univentrikuläre Herzen ist heute eine Lang-
zeitpalliation (keine Korrekturoperation) möglich. Die ersten
nach dem Fontan-Prinzip operierten Patienten sind heute z. T.
über 40 Jahre alt. Im Verlauf der letzten 4 Jahrzehnte hat die Ope-
. Abb. 18.7. Angiographie einer kompletten kavopulmonalen Anasto- ration viele Modifikationen erfahren, und weltweit wurde ein
mose: Beide Hohlvenen sind mit der Pulmonalarterie konnektiert großer Zuwachs an Erfahrungen gesammelt. Viele der Patienten
394 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

aus der Pionierzeit haben Probleme mit der Ventrikelfunktion, mit tätsgrad kann von den meisten Patienten recht gut selbst einge-
Kollateralgefäßbildungen in der Lunge und in anderen Organen bei schätzt werden.
erhöhtem zentralvenösen Druck, Herzrhythmusstörungen und Ei-
weißverlustsyndrom. Eine direkte Vergleichbarkeit der Operations-
ergebnisse nach Änderung der Strategien mit neueren Verfahren ist 18.11 Eisenmenger-Reaktion
z. T. erheblich erschwert. Die Lebensqualität ist insgesamt nach
Umsetzung entscheidender Modifikationen deutlich gestiegen, 18.11.1 Definition und Pathophysiologie
und sportliche Betätigung nach Fontanisierung ist ausdrücklich
erwünscht. Zerebrale Beeinträchtigungen z. B. mentale Retardie- Definition
rungen sind keine typische Komplikation der dreizeitigen Operati- Bei der Eisenmenger-Reaktion handelt es sich um einen An-
on bei funktionell univentrikulärem Herz, u. a. weil größtmögliche stieg des pulmonalarteriellen Perfusionswiderstands auf Wer-
Anstrengungen für optimale zerebrale Protektion im Rahmen der te über den systemarteriellen Widerstand bei nichtoperierten
HLM-Operationen unternommen werden. Mögliche Komplikati- Patienten mit bedeutsamem Shunt-Vitium, bei denen aus
onen im Follow-up sind in der 7 Übersicht 18.3 aufgeführt. dem Shunt initial von systemarteriell nach pulmonalarteriell
die Shunt-Richtung umkehrt und eine Zyanose resultiert.

Übersicht 18.3. Mögliche Komplikationen nach


Fontan-Operation Die Gruppe der Rezirkulationsvitien, die eine Eisenmenger-Re-
aktion verursachen, ist heterogen. Die häufigsten Herzfehler mit
4 Nachlassende Ventrikelfunktion und AV-Klappeninsuffizi- primärem Links-rechts-Shunt, die zu einer Eisenmenger-Reakti-
enz (jüngere Beobachtungen zeigen, dass ein primär on führen, sind VSD, AVSD, PDA u. a.
dominant linksventrikuläres System nicht obligat gegen- Bei großen Defekten bewirkt die Dauer des nichtobstruierten
über einem morphologisch rechtsventrikulären System Einwirkens von vermehrten Blutvolumina, besonders aber die
Vorteile aufweist) Dauer von vermehrten Blutvolumina mit zusätzlicher Druckbe-
4 Pleura- und Perikardergüsse, Aszites lastung auf das pulmonale Gefäßbett einen Umbau, der in der
4 Protein-Verlust-Enteropathie irreversiblen pulmonalarteriellen Vaskulopathie kulminiert.
4 Obstruktionen im Anastomosenbereich Die Vaskulopathie bedingt eine Obstruktion, aus der sich
4 Atriale Tachykardien (Vorhofflattern/Vorhofflimmern) Pulmonalarteriendilatation, eine konzentrische rechtsventriku-
4 Pulmonale arteriovenöse, systemikohepatische oder ve- läre Hypertrophie, rechtsatriale Hypertrophie, rechtsseitige Klap-
novenöse Malformationen, Shunts auf Vorhofebene mit pendilatationen mit Fibrose bis hin zu Kalzifizierungen der Pul-
Wiederauftreten der Zyanose monalarterien entwickeln.
4 Thromboembolien (System- und Lungenembolien)
4 Obstruktion der rechtsseitigen Lungenvenen
4 »Plastik«-Bronchitis 18.11.2 Epidemiologie

Die Anzahl der Patienten mit Eisenmenger-Reaktion ist gering


und in der Tendenz noch weiter abnehmend, weil sich die Ope-
18.10.8 Nachsorge rationsmöglichkeiten für Patienten mit angeborenen Herzfehlern
deutlich verbessert haben und weil die Betroffenen im deutsch-
Patienten mit funktionell univentrikulärem Herzen mit Fontan- sprachigen Raum durch flächendeckende Kindervorsorgeunter-
Zirkulation werden zweimal jährlich nachuntersucht. Ihre Be- suchungen sehr effizient identifiziert und geeigneten Thera-
treuung erfordert ein geschultes Team mit sehr viel Erfahrung in pieformen zugeführt werden. Eine Geschlechtsprädisposition
der Langzeitbetreuung sowie in den Möglichkeiten der chirur- scheint nicht vorzuliegen.
gischen und der interventionellen herzkathetergestützten Be-
handlung. Große Bedeutung hat für diese Patientengruppe eine
18 kompetente psychosoziale Betreuung. 18.11.3 Klinische Symptome

Führend ist die Beeinträchtigung, wegen des limitierten pul-


18.10.9 Endokarditisrisiko monalarteriellen Flusses das Herzminutenvolumen bei Bedarf
adäquat zu steigern. Hinzu kommen alle Komplikationen der
Eine Endokarditisprophylaxe ist gemäß den neuen Richtlinien nicht chronischen Zyanose: Müdigkeit, Hyperviskosität durch die re-
generell empfohlen. Bei Patienten mit Zyanose wird eine Endokar- aktive Erythrozytose, Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstö-
ditisprophylaxe, ebenso nach Stent-Implantation empfohlen. rungen, Hämoptysen, zerebrale Infarkte, Hirnabszesse, Synko-
pen, Arrhythmien sowie Herzinsuffizienz.

18.10.10 Aktivitäten
18.11.4 Diagnose
Es bestehen keine generellen Einschränkungen in Bezug auf Rei-
se- oder Sportaktivitäten. Ausdauersportarten sind empfehlens- Neben den kardiovaskulären Diagnoseverfahren sind Labor-
wert. Patienten mit Rhythmusproblemen müssen bezüglich ihrer werte wie Blutbild, Gerinnungsstatus, Nierenfunktion, Eisen,
Leistungsobergrenzen gesondert eingestuft werden. Der Aktivi- Bilirubin und Harnsäure von Relevanz.
18.12 · Internetadressen
395 18

Die Herzkatheterdiagnostik ist zur Quantifizierung des Lun- Die Phlebotomie kann durch die intravasalen Volumen-
gengefäßwiderstands obligat. schwankungen zum Schock führen. Häufigere und größere Ader-
lässe können Eisenmangel hervorrufen. Der Ausgleich von Ei-
! Cave
senmangel kann einen raschen Hämatokritanstieg und Hypervis-
Die angiographische Darstellung der Lungengefäße birgt ein er-
kosität bedingen.
höhtes Risiko mit möglicher Todesfolge im Herzkatheterlabor.
Als kardiochirurgische Behandlungsoption ergibt sich
ausschließlich die Transplantation. Dies beinhaltet die Einzel-
lungentransplantation mit gleichzeitiger intrakardialer Korrek-
18.11.5 Spontanverlauf tur, die bilaterale Lungentransplantation mit gleichzeitiger intra-
kardialer Korrektur oder die kombinierte Herz-Lungen-Trans-
Die meisten Eisenmenger-Patienten leben länger als 20–30 Jahre. plantation. Der optimale Transplantationszeitpunkt ist schwierig
Nach 10 Jahren liegen die Überlebensraten bei 80%; nach 15 Jah- festzulegen.
ren bei 75% und nach 25 Jahren bei 40%. Einzelne Patienten er-
reichen die vierte oder die fünfte Dekade.
Es ist auffallend, aber nicht ursächlich geklärt, dass die Pro- 18.11.7 Prognose
gnose deutlich besser ist als bei Patienten mit primärer pulmona-
ler Hypertonie. Nach Transplantation beim Eisenmenger-Syndrom liegt die
Überlebensrate für die Lungentransplantation nach 4 Jahren un-
! Cave
ter 50%. Nach Herz-Lungen-Transplantation zeigt sich eine
Nichtkardiale, einfache chirurgische Eingriffe sind für die Pati-
Zehnjahresüberlebensrate von unter 30%.
enten lebensbedrohlich.

Dies gilt ebenso für eine Schwangerschaft. Todesursachen sind


akutes Rechtsherzversagen, ventrikuläre Tachykardien, Hämop- 18.11.8 Nachsorge
tysen bzw. intrapulmonale Blutungen, pulmonale Thromboem-
bolien, Hirnabszesse sowie zerebrale Thromboembolien. Das Kontrollintervall richtet sich nach den individuellen kli-
Die mütterliche Letalität in einer Schwangerschaft liegt bei nischen Gegebenheiten. Zumindest halbjährliche Untersu-
50%. Todesfälle treten während der Entbindung sowie in den chungen sind erforderlich.
ersten Wochen post partum auf (Thromboembolien, Hypovolä-
mie, Präeklampsie). Bei Patientinnen mit Eisenmenger-Reaktion
sind die Spontanabortrate und die Gefahr der Frühgeburt sehr 18.11.9 Endokarditisrisiko
hoch. Kontrazeption mit Östrogenen bedingt ein hohes Throm-
boserisiko. Die Endokarditisprophylaxe ist bei entsprechender Indikation
auch nach den neueren Richtlinien erforderlich.

18.11.6 Therapie
18.11.10 Aktivitäten
Die konservative Therapie besteht in Leistungsbeschränkungen
und in der Vermeidung von peripherer Vasodilatation, z. B. durch Deutliche Einschränkungen in Bezug auf Reise- oder Sportakti-
Alkohol, heiße Bäder, Sauna usw. Dehydratation, Fieber und vitäten sind erforderlich. Der eingeschränkte Aktivitätsgrad kann
Blutverluste sollten umgehend behandelt werden. Es besteht En- von den meisten Patienten recht gut selbst eingeschätzt werden.
dokarditisgefahr und daher die Notwendigkeit einer besonderen
Körperhygiene, Haut- und Zahnpflege.
Es sollte möglichst keine medikamentöse Senkung des syste- 18.12 Internetadressen
marteriellen Widerstands erfolgen, möglichst sollten keine Diu-
retika, keine Thrombozytenaggregationshemmer, keine Antiko- Canadian Cardiovascular Society http://www.cachnet.org
agulanzien und keine Östrogene wegen der Thromboemboliege- Consensus document on Adult
fahr verabreicht werden. Congenital Heart Disease

> Wichtigste Maxime: Das labile Gleichgewicht nicht beeinflussen. Adult Congenital Heart Association http://www.achaheart.org
International Society for Adult Con- http://www.isaccd.org
Über den Nutzen einer Sauerstofflangzeittherapie existieren bei
genital Heart Disease
Erwachsenen keine Daten. Subjektive Besserung durch Sauer-
stoffduschen wurde bei Patienten in schlechtem Allgemeinzu- European Society of Cardiology http://www.escardio.org
stand beobachtet. American Heart Association http://www.americanheart.org
Ob Langzeiteffekte durch Prostanoide oder Endothelin-
Deutsche Gesellschaft für http://www.dgk.org
antagonisten zu erzielen sind, ist derzeit noch unklar; kurzzei- Kardiologie
tig werden Besserungen der Lebensqualität gesehen. Derzeit
liegen nur vereinzelte Daten vor, die dafür sprechen, dass die
chronisch-kontinuierliche Gabe von Prostanoiden Überlebens-
rate, Lebensqualität und Leistungsbreite von Patienten mit pul-
monaler Hypertonie infolge angeborener Vitien verbessern
kann.
396 Kapitel 18 · Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter

Literatur Emmel M, Sreeram N, Brockmeier K et al. (2007) Superior vena cava stenting
and transvenous pacemaker implantation (stent and pace) after the
Bédard E, Shore DF, Gatzoulis MA (2008) Adult congenital heart disease: a Mustard operation. Clin Res Cardiol 96: 17–22
2008 overview. Br Med Bull 85: 151–180 Sommer RJ, Hijazi ZM, Rhodes JF Jr (2008) Pathophysiology of congenital
Canter CE, Shaddy RE, Bernstein D et al. (2007) Indications for heart trans- heart disease in the adult: part I: Shunt lesions (review). Circulation
plantation in pediatric heart disease: a scientific statement from the 117: 1090–1099
American Heart Association Council on Cardiovascular Disease in the Rhodes JF, Hijazi ZM, Sommer RJ (2008) Pathophysiology of congenital
Young; the Councils on Clinical Cardiology, Cardiovascular Nursing, heart disease in the adult, part II: Simple obstructive lesions. Circula-
and Cardiovascular Surgery and Anesthesia; and the Quality of Care tion 117: 1228–1237
and Outcomes Research Interdisciplinary Working Group. Circulation Sommer RJ, Hijazi ZM, Rhodes JF (2008) Pathophysiology of congenital
115: 658–676 heart disease in the adult: part III: Complex congenital heart disease
Deanfield J, Thaulow E, Warnes C et al. (2003) Management of grown up (review). Circulation 117: 1340–1350
congenital heart disease. Task Force on the Management of Grown Up Webb CL, Jenkins KJ, Karpawich PP et al. (2002) Collaborative care for
Congenital Heart Disease, European Society of Cardiology; ESC Com- adults with congenital heart disease. Circulation 105: 2318–2323
mittee for Practice Guidelines. Eur Heart J 24: 1035–1084

18
397 19

Erworbene Herzklappenfehler
M. Flesch

19.1 Mitralstenose – 397 19.5.5 Diagnostik – 414


19.1.1 Ätiologie und Pathologie – 397 19.5.6 Therapie – 415
19.1.2 Pathophysiologie – 398
19.1.3 Prognose – 398 19.6 Trikuspidalklappenstenose – 416
19.1.4 Klinische Symptome – 398 19.6.1 Ätiologie und Pathologie – 416
19.1.5 Diagnostik – 398 19.6.2 Pathophysiologie – 416
19.1.6 Therapie – 400 19.6.3 Prognose – 417
19.6.4 Klinische Symptome – 417
19.2 Mitralinsuffizienz – 401 19.6.5 Diagnostik – 417
19.2.1 Ätiologie und Pathologie – 401 19.6.6 Therapie – 418
19.2.2 Pathophysiologie – 402
19.2.3 Prognose – 403 19.7 Trikuspidalklappeninsuffizienz – 418
19.2.4 Klinische Symptome – 403 19.7.1 Ätiologie und Pathologie – 418
19.2.5 Diagnostik – 403 19.7.2 Pathophysiologie – 418
19.2.6 Therapie – 404 19.7.3 Prognose – 418
19.7.4 Klinische Symptome – 418
19.3 Mitralklappenprolapssyndrom – 405 19.7.5 Diagnostik – 418
19.3.1 Ätiologie und Pathologie – 405 19.7.6 Therapie – 419
19.3.2 Pathophysiologie – 405
19.3.3 Prognose – 406 19.8 Pulmonalstenose – 420
19.3.4 Klinische Symptome – 406
19.3.5 Diagnostik – 406 19.9 Pulmonalklappeninsuffizienz – 420
19.3.6 Therapie – 408 19.9.1 Ätiologie und Pathologie – 420
19.9.2 Pathophysiologie – 420
19.4 Aortenstenose – 408 19.9.3 Prognose – 420
19.4.1 Ätiologie und Pathologie – 408 19.9.4 Klinische Symptome – 420
19.4.2 Pathophysiologie – 408 19.9.5 Diagnostik – 420
19.4.3 Prognose – 409 19.9.6 Therapie – 421
19.4.4 Klinische Symptome – 409
19.4.5 Diagnostik – 410 19.10 Prothetischer Herzklappenersatz – 421
19.4.6 Therapie – 412 19.10.1 Klappenprothesentypen – 421
19.10.2 Auswahl des Prothesentyps – 422
19.5 Aorteninsuffizienz – 413 19.10.3 Antikoagulation – 422
19.5.1 Ätiologie und Pathologie – 413 19.10.4 Komplikationen – 423
19.5.2 Pathophysiologie – 413
19.5.3 Prognose – 413 Literatur – 423
19.5.4 Klinische Symptome – 414

)) 19.1 Mitralstenose

Erkrankungen der Aorten- und der Mitralklappe machen den 19.1.1 Ätiologie und Pathologie
Großteil der klinisch relevanten erworbenen Herzklappener-
krankungen aus. Während in früheren Jahren Klappenfehler in- Definition
folge eines zurückliegenden rheumatischen Fiebers oder einer Die Mitralstenose ist eine Obstruktion des linksventrikulären
infektiösen Endokarditis im Vordergrund standen, nimmt auf- Einflusstraktes auf der Höhe der Mitralklappe meist als Folge
grund einer effektiveren Antibiotikatherapie und damit einer von Veränderungen des Klappenapparates selbst.
besseren Behandlung dieser Grunderkrankungen die Inzidenz
dieser Klappenveränderungen ab. An Bedeutung gewinnen da-
gegen degenerative Klappenveränderungen aufgrund der zu- In Folge kommt es zu einer verminderten Klappenöffnung wäh-
nehmenden Lebenserwartung der Menschen in den Industrie- rend der diastolischen Füllungsphase des linken Ventrikels. Die
nationen. Hauptursache für die Mitralstenose ist das rheumatische Fieber.
Etwa 60% der Patienten mit einer isolierten Mitralstenose weisen
ein rheumatisches Fieber in ihrer Anamnese auf. Zwei Drittel der
398 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

Patienten sind weiblich. Eine Mitralstenose tritt bei rund 25% 19.1.3 Prognose
der Patienten mit rheumatischen Herzfehlern isoliert auf. In 40%
der Fälle liegt zusätzlich eine relevante Mitralklappeninsuffizi- Die Mitralstenose ist typischerweise eine langsam kontinuier-
enz vor, bei den restlichen Patienten finden sich multivalvuläre liche, oft lebenslange Erkrankung. Meist liegt zwischen einem
Vitien, am häufigsten als Kombination mit einer Aorteninsuffi- rheumatischen Fieber und der Erstmanifestation von Symp-
zienz. Kongentiale Malformationen der Mitralklappe kommen tomen eine Latenzzeit von 20–40 Jahren. Wenn Symptome auf-
selten vor und werden hauptsächlich bei Kindern sowie Jugend- treten, besteht häufig noch eine weitere Frist von 10 Jahren, bis
lichen beobachtet. Erworbene Ursachen außer der Mitralstenose diese behindernd wirken. Bei asymptomatischen oder minimal
sind selten. Hierzu gehören linksatriale Myxome, linksatriale die symptomatischen Patienten beträgt die Zehnjahresüberlebensra-
Mitralklappe verlegende Thromben, Mukopolysaccharidose te über 80%; hierbei nehmen die Symptome bei 60% der Pati-
und schwere Mitralklappenringverkalkungen. Bei Patienten mit enten nicht zu. Die Letalitätsrate steigt allerdings, wenn schwere
rheumatischem Fieber als Ursache für eine Mitralstenose kommt Symptome auftreten. Hier beträgt die Zehnjahresüberlebensrate
es zu Verdickung und Kalzifizierung der Mitralklappensegel, zur nur noch bis zu 15%. Bei Patienten mit einer schweren pulmona-
Verklebung der Komissuren sowie der Chordae und infolgedes- len Hypertonie als Folge einer Mitralstenose reduziert sich die
sen zu einer trichterförmigen Verengung und damit Verkleine- mittlere Überlebensdauer auf 3 Jahre. In Mitteleuropa und Nord-
rung der Mitralklappenöffnung. Die Verklebung der Chordae amerika ist der Verlauf meist noch schleichender, sodass die
tendineae kann zusätzlich zu einer subvalvulären Mitralklap- meisten Patienten in der fünften oder sechsten Lebensdekade
penstenose führen. symptomatisch werden. In der Regel sind Patienten, bei denen
eine Valvotomie durchgeführt werden muss, älter als 65 Jahre.

19.1.2 Pathophysiologie
19.1.4 Klinische Symptome
Die Mitralöffnungsfläche beträgt normalerweise 4–5 cm2. Bis zu
einer Reduktion der Mitralklappenöffnungsfläche (KÖF) unter Viele Patienten erinnern sich in ihrer Vorgeschichte nicht an ein
2,5 cm2 kommt es zu keiner hämodynamischen Beeinträchtigung rheumatisches Fieber. Häufig stellt der akute Verlust der Vorhof-
oder Symptomen. Fällt die KÖF unter 2,5 cm2, spricht man von kontraktion in Phasen mit paroxysmalem tachykarden Vorhofflim-
einer leichten Mitralstenose. Bei mittelschweren Stenosen liegt mern durch subjektiv empfundenes Herzklopfen das erste erkenn-
die KÖF zwischen 1,5 und 1 cm2, bei schweren Stenosen unter bare Symptom der Erkrankung dar. Als führende Symptome finden
1 cm2. Mit abnehmender KÖF vergrößert sich der Druckgradient sich meist eine Minderung der allgemeinen Leistungsfähigkeit so-
zwischen linkem Vorhof und linkem Ventrikel. Kompensatorisch wie eine Belastungsdyspnoe bis hin zur Orthopnoe als Ausdruck
nimmt die Vorhofkontraktion bei Sinusrhythmus zu, sodass der einer akuten oder akut exazerbierten chronischen Lungenstauung.
transmitrale Blutfluss gleich bleibt und damit einem Rückstau des In Abhängigkeit vom Ausmaß der pulmonalen Hypertonie
Blutes in den Pulmonalkreislauf entgegengewirkt. kommt es zu Husten, v. a. nächtlich, z. T. mit blutig tingiertem
Auswurf und selten auch zu einer Ruptur variköser Bronchialve-
> Wichtige Einflussgrößen auf den Druckgradienten sind Herzfre-
nenäste mit Blutungskomplikationen.
quenz, Schlagvolumen und Mitralregurgitation.
Etwa 25% aller Patienten mit Mitralstenose klagen über ty-
Während bei leichten bis mittelschweren Mitralstenosen lediglich pisch geschilderte pektanginöse Beschwerden. Allerdings findet
Belastungssituationen zu einer pulmonalen Druckerhöhung füh- sich nur in etwa 50% der Fälle angiographisch eine KHK.
ren, sind bei einer KÖF unter 1,0 cm2 die Drücke im Lungenkreis-
> Im Krankheitsverlauf erleiden ca. 20% aller Patienten syste-
lauf und das intrapulmonale Blutvolumen bereits in Ruhe erhöht.
mische Embolien (Inzidenz 1,5–6/100 Patientenjahre; z. B. ischä-
Dies führt über eine Zunahme der Lungensteifigkeit und konseku-
mische zerebrale Insulte, Niereninfarkte und periphere Embo-
tiv der Atemarbeit zu einer weiteren Abnahme der Belastbarkeit
lien), die in 10–15% der Fälle letal verlaufen.
bis hin zur Ruhedyspnoe und zum Lungenödem. Letzteres kann
gelegentlich auch schon in früheren Stadien der Mitralstenose, be-
sonders nach akuten Belastungssituationen mit Tachykardien oder
bei Tachyarrhythmien beobachtet werden. 19.1.5 Diagnostik
Mit zunehmender Verengung der Klappe sind höhere trans-
19 mitrale Gradienten zur Überwindung der Stenose erforderlich. Körperliche Untersuchung
Dies führt zu massiven Druckerhöhungen im kleinen Kreislauf, Bei der Inspektion des Patienten mit fortgeschrittener Mitralste-
die in Extremfällen die systemischen Drücke übersteigen nose fällt häufig eine typische, rötlich-livide Verfärbung der Wan-
können. gen (Facies mitralis) auf. Eine gleichzeitig bestehende Zyanose
Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer Erhöhung des wird sowohl durch einen gestörten pulmonalen Gasaustausch als
pulmonalvaskulären Widerstands mit morphologischem Umbau auch durch eine vermehrte O2-Ausschöpfung in der Peripherie
der Pulmonalgefäße (Mediahypertrophie und Intimafibrose). verursacht. Zeichen der Links- und der Rechtsherzinsuffizienz
Hierdurch steigt die Ödemschwelle; dies schützt den Patienten können beobachtet werden.
bis zu einem gewissen Maß vor einem Lungenödem. Charakte-
ristischerweise übersteigt der diastolische Pulmonalarterien- > Der typische Auskultationsbefund der Mitralstenose ist durch
druck zu diesem Zeitpunkt den linksatrialen Druck. einen lauten, paukenden ersten Herzton, einen hochfrequenten
Mitralöffnungston (MÖT; 0,08–0,11 s nach dem zweiten Herz-
ton) und das anschließende niederfrequente Mesodiastolikum
mit Dekrescendocharakter gekennzeichnet (. Abb. 19.1).
19.1 · Mitralstenose
399 19

. Abb. 19.1. Auskultationsbefund bei Mitralklappenstenose

Je länger das Diastolikum anhält, desto schwerwiegender ist die


Stenose; bei leichter Stenose kann es ganz fehlen.
. Abb. 19.2. Echokardiographiebefund bei rheumatisch bedingter Mit-
Ein gelegentlich auskultierbares krescendoartiges Präsystoli-
ralklappenstenose. (Dr. F. Dodos, Herzzentrum Köln)
kum findet sich nur beim Sinusrhythmus durch die verstärkte
Vorhofkontraktion. Bei einer relativen Pulmonalinsuffizienz auf-
grund pulmonalarterieller Hypertonie kann im dritten ICR links In der 2D-Echokardiographie ist die Mitralstenose durch die Di-
parasternal ein hochfrequentes Diastolikum auftreten (Graham- latation des linken Vorhofs zusammen mit verdickten und defor-
Steel-Geräusch), das nur schwer vom Geräusch einer Aortenin- mierten Mitralsegeln, einer Fusion der Kommissuren und einer
suffizienz zu unterscheiden ist. Reduktion der KÖF charakterisiert. Typisches Bewegungsmerk-
Ein linksatriales Myxom, das diastolisch in die Mitralklappe mal der stenosierten Mitralklappe ist eine eingeschränkte Exkur-
prolabiert, hat einen der Mitralstenose täuschend ähnlichen Aus- sion der Segelspitzen mit diastolischer Vorwölbung des anteri-
kultationsbefund. Mithilfe der 2D-Echokardiographie können oren Segels in den linksventrikulären Ausflusstrakt (»doming«;
beide Krankheitsbilder allerdings eindeutig differenziert wer- . Abb. 19.2).
den. In der Mehrzahl der Fälle lassen sich die KÖF und so der
Schweregrad der Mitralstenose mithilfe der 2D-Echokardiogra-
Elektrokardiogramm phie planimetrisch im angepassten parasternalen Kurzachsen-
Das Korrelat der kompensatorischen linksatrialen Hypertrophie schnitt zuverlässig bestimmen. Zur besseren Konturabgrenzung
ist das P-sinistroatriale. Im weiteren Verlauf tritt meist Vorhof- kann ggf. die Farbdopplersonographie eingesetzt werden.
flimmern auf. Erst bei fortgeschrittener Erkrankung verursacht
! Cave
die vermehrte Belastung des rechten Ventrikels eine Veränderung
Bei stark verkalkten Klappen wird die KÖF unterschätzt, bei in-
des Lagetypes in Richtung Steil- und schließlich Rechtstyp sowie
korrekter, tangentialer Wahl der Schnittebene aber möglicher-
die allmähliche Entwicklung von Rechtsherzhypertrophiezei-
weise auch überschätzt.
chen.
Neben der 2D-Echokardiographie ermöglichen insbesondere
Thoraxröntgenaufnahme Dopplersonographiemessungen eine sehr genaue Analyse des
Das Thoraxröntgenbild zeigt eine Vergrößerung des linken Vor- Schweregrads einer Mitralstenose. Durch die Abnahme der KÖF
hofs mit Spreizung der Trachealbifurkation und posteriorer Ver- erfolgen eine Zunahme des transmitralen Druckgradienten und
lagerung des Ösophagus bei Bariumkontrastmittelfüllung. Auf- damit eine Flussbeschleunigung über der Mitralklappe. Der
fällig sind als Zeichen der chronischen Lungenstauung meist transvalvuläre diastolische Gradient lässt sich aus dem Geschwin-
auch eine basoapikale Umverteilung der Lungengefäßzeichnung digkeitsprofil über der Klappe als maximaler initialer oder mitt-
und phrenikokostal erkennbare Kerley-B-Linien. Die fortge- lerer Gradient gemäß der modifizierten Bernoulli-Gleichung Δp
schrittene pulmonale Hypertonie zeichnet sich durch verbreiterte [mmHg]=4v2 [m/s] ermitteln. Besonders der mittlere Gradient
zentrale Pulmonalarterien mit Kalibersprung zur Peripherie hin korreliert gut zu invasiv ermittelten Werten.
aus. Erst bei manifester Rechtsherzhypertrophie erscheint die Je geringer die Öffnungsfläche ist, desto langsamer nimmt
Herzsilhouette insgesamt vergrößert. das Geschwindigkeitsprofil nach dem frühdiastolischen Maxi-
mum ab (verlangsamte Dezeleration). Aus der Geschwindigkeit
Echokardiographie des Druckausgleichs zwischen linkem Vorhof und linkem Vent-
Die Echokardiographie ermöglicht aufgrund gut reproduzier- rikel lässt sich die KÖF mithilfe der »Druckhalbwertszeit« (DHZ)
barer morphologischer, funktioneller und hämodynamischer abschätzen. Diese Messgröße wird allerdings durch eine gleich-
Parameter den direkten Nachweis und eine zuverlässige Gradu- zeitig vorhandene Aorteninsuffizienz verfälscht und durch die
ierung der Mitralstenose, die Beurteilung der rechtsventrikulären Dehnbarkeit des linken Vorhofs und Ventrikels sowie durch die
Größe und Funktion sowie den Nachweis begleitender Klappen- Höhe des initialen Druckgradienten beeinflusst (. Abb. 19.3).
vitien.
Herzkatheteruntersuchung
> Die TTE ist die Methode der Wahl zur Verlaufskontrolle bei Pati- Die direkte Registrierung des linksatrialen Druckes nach trans-
enten mit bekannter Mitralstenose und Änderungen der subjek- septaler Punktion oder indirekt des pulmonalkapillären Ver-
tiven Symptomatik sowie bei asymptomatischen Patienten mit schlussdruckes mit simultaner Messung des linksventrikulären
mittelgradiger bis schwerer Mitralstenose. diastolischen Druckes ermöglicht die Berechnung des transmit-
400 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

. Abb. 19.3. Dopplerechokardiographi-


sche Bestimmung der Mitralklappenöff-
nungsfläche bei Mitralklappenstenose mit-
hilfe der Druckhalbwertszeit. PHT »pressure
half time«. (Dr. F. Dodos, Herzzentrum Köln)

ralen Gradienten und der KÖF anhand der Gorlin-Formel unter rhythmus, die bei Tachykardie zu einer Verschlechterung der
Berücksichtigung des HZV. Symptomatik neigen, insbesondere aber für Patienten mit Vor-
Die Herzkatheteruntersuchung ist bei entsprechend selek- hofflimmern. Manche Patienten mit einer Mitralstenose haben
tierten Patienten vor geplanter Intervention und bei Diskre- eine gesteigerte bronchiale Reaktivität und profitieren von inha-
panzen zwischen klinischen Symptomen und echokardiogra- lierten Steroiden oder Bronchospasmolytika. Bei Patienten mit
phischen Daten indiziert, nicht aber bei konkordanten klinischen pulmonaler Stauung hilft die Gabe eines Diuretikums. Herzgly-
und echokardiographischen Befunden. koside haben keine besondere Wirkung beim Patienten mit Mi-
Als Folge der Mitralstenose sind die Drücke im linken Vorhof tralklappenstenose und Sinusrhythmus. Ein häufiges Problem bei
und – je nach Schwere des Vitiums – im Lungenkreislauf erhöht. Patienten mit Mitralstenose ist intermittierendes oder chro-
Übersteigt der diastolische pulmonalarterielle Druck den mitt- nisches Vorhofflimmern. Immerhin entwickeln 30–40% der Pa-
leren pulmonalkapillären Verschlussdruck um mindestens tienten mit symptomatischer Mitralstenose Vorhofflimmern.
5 mmHg, kann von einer pulmonalen Widerstandserhöhung Vorhofflimmern führt zu einer Verschlechterung der Prognose
(»pulmonalvaskuläre Erkrankung«) ausgegangen werden. mit einer Reduktion der Zehnjahresüberlebensrate von 40% bei
Ein Anstieg der rechtsventrikulären enddiastolischen und Patienten mit Mitralstenose ohne Vorhofflimmern zu 25% bei
der rechtsatrialen Drücke charakterisiert eine Rechtsherzinsuffi- Patienten mit Mitralstenose und Vorhofflimmern. Bei diesen Pa-
zienz, häufig mit begleitender Trikuspidalklappeninsuffizienz. tienten sind das Risiko arterieller Embolien und hier insbesonde-
Findet sich eine Diskrepanz zwischen der klinischen Sympto- re das Schlaganfallrisiko deutlich erhöht. Deshalb ist eine Anti-
matik und den in Ruhe gemessenen Druckgradienten, so ist eine koagulation klar indiziert. Eine Frequenzkontrolle erfolgt bei
Rechtsherzkatheteruntersuchung unter Belastung hilfreich, um Vorhofflimmern mit β-Rezeptorenblockern oder Kalziumanta-
die hämodynamische Relevanz des Vitiums zu demaskieren. gonisten und einem Herzglykosid. Alternativ kann auch Amio-
daron eingesetzt werden. Bei hämodynamischer Instabilität be-
> Eine bei der Katheteruntersuchung gleichzeitig durchzuführen-
steht die Indikation zur schnellen elektrischen oder auch medi-
de Koronarangiographie sollte – insbesondere vor einer ge-
kamentösen Kardioversion möglichst unter effektiver Antikoa-
planten Intervention – eine behandlungsbedürftige KHK nach-
gulation und nach Thrombenausschluss mithilfe der TEE. Ein
weisen bzw. ausschließen.
medikamentöser oder ein elektrischer Kardioversionsversuch ist
in den ersten 12 Monaten nach Manifestation des Vorhofflim-
merns erfolgversprechend, vorausgesetzt, der linke Vorhofdurch-
19.1.6 Therapie messer beträgt weniger als 50 mm und die Mitralstenose ist nicht
mehr als mittelgradig. Zur Stabilisierung des Sinusrhythmus bie-
19 Medikamentöse Therapie ten sich am ehesten Klasse-III-Antiarrhythmika wie Amiodaron
Bei Patienten mit Mitralstenose ist das Hauptproblem eine me- an. Die Antikoagulation muss wie üblich nach erfolgreicher Kar-
chanische Obstruktion des linksventrikulären Einflusstraktes auf dioversion für mindestens weitere 4 Wochen aufrechterhalten
der Höhe der Mitralklappe, das durch keine medikamentöse The- werden (7 Abschn. 3.4.7).
rapie behoben werden kann. Der asymptomatische Patient
> Eine Antikoagulation ist bei Patienten mit Mitralstenose und
braucht daher in der Regel keine medikamentöse Therapie. Bei
einem permanenten oder intermittierenden Vorhofflimmern,
mehr als milder Mitralstenose kann es hilfreich sein, dem Pati-
bei Patienten mit Mitralstenose und einem embolischen Ereig-
enten zu raten, schwere körperliche Anstrengungen, die zu
nis auch bei Sinusrhythmus und bei Patienten mit Mitralstenose
Symptomen führen, zu vermeiden. Eine Steigerung des Blut-
und einem linksatrialen Thrombus klar indiziert.
flusses und eine Verkürzung der diastolischen Füllungsphase
aufgrund einer Tachykardie führen zu einer Zunahme des links- Eine Antikoagulation kann bei Patienten mit Mitralstenose und
atrialen Drucks und zu einer Zunahme der Symptome. Hier hel- vergrößertem linken Vorhof und echokardiographisch nachweis-
fen negativ-chronotrope Substanzen wie β-Rezeptorenblocker barem Spontankontrast (>55 mm Durchmesser gemäß Empfeh-
oder Kalziumantagonisten. Dies gilt für Patienten mit Sinus- lungen der American Heart Association) erwogen werden.
19.2 · Mitralinsuffizienz
401 19
Interventionelle und operative Therapie Offene Mitralklappenkommissurotomie. Bei der offenen Mitral-
Die Indikation zur interventionellen Therapie im Sinne einer klappenkommissurotomie werden eine Inzision der Kommis-
perkutanen Valvuloplastie oder einer Operation ergibt sich bei suren, nötigenfalls eine Separation verklebter Chordaefäden und
der Mitralstenose in allererster Linie aus dem klinischen Be- ein Debridement des Klappenkalks vorgenommen. Dieser Ein-
schwerdebild des Patienten sowie aus der Klappenmorphologie griff erfolgt unter Einsatz der HLM, ermöglicht eine direkte In-
und den hämodynamischen Befunden. spektion der Klappe und des linken Vorhofs sowie die Ausräu-
mung evtl. vorhandener Thromben. Um eine potenzielle post-
> Auch die schwerste Form der pulmonalen Hypertonie bei der
operative Emboliequelle auszuschalten, wird von vielen Chirur-
Mitralstenose sollte niemals als Kontraindikation, sondern viel-
gen gleichzeitig das linke Vorhofohr reseziert.
mehr als dringliche Indikation für eine interventionelle Thera-
Die Letalitätsrate des Eingriffs beträgt 1–3%, die Zehnjahres-
pieentscheidung gewertet werden. Liegen klinische Beschwer-
überlebensrate bis zu 95%, die jährliche Restenoserate 1,7%.
den der NYHA-Klasse III oder IV sowie eine KÖF unter 1,5 cm2
vor, ist eine Intervention indiziert.
Mitralklappenersatz. Der mechanische oder der bioprothetische
Wegen der hohen Rezidivgefahr sollten u. a. auch gering sympto- Mitralklappenersatz wird seit Jahrzehnten erfolgreich durchge-
matische Patienten nach stattgehabter arterieller Embolie einer führt, bedingt jedoch durch Verlust des subvalvulären Apparates
operativen Behandlung zugeführt werden. und Veränderung der Ventrikelgeometrie häufig eine Ver-
schlechterung der Ventrikelfunktion, die den postoperativen
Perkutane Ballonvalvuloplastie Verlauf komplizieren kann. Der Mitralklappenersatz ist bei
Die perkutane Ballonvalvulopastie wird seit den 1980er Jahren symptomatischen Patienten mit mittelgradiger oder schwerer
eingesetzt. Hierbei wird ein über die Mitralklappe geführter Bal- Mitralklappenstenose indiziert, wenn zusätzlich eine signifi-
lon aufgeblasen und die Klappenkomissuren werden so gesprengt. kante Mitralklappeninsuffizienz vorliegt und eine Klappenre-
Es ist die bevorzugte Methode bei entsprechend geeigneten Pati- konstruktion in Verbindung mit der Valvuloplastie nicht mög-
enten. Die Indikation ist bei entsprechender Klappenmorpholo- lich ist. Die Akutmortalitätsrate des Klappenersatzes liegt bei
gie und symptomatischen Patienten im NYHA-Stadium II–IV jungen Patienten unter 5%. Bei älteren Patienten mit Begleiter-
gegeben, solange keine atrialen Thromben und keine Mitralin- krankungen oder schwerer pulmonaler Hypertonie kann sie bis
suffizienz vorliegen. Die Indikation besteht auch bei Patienten zu 20% betragen.
mit pulmonaler Hypertonie mit einem pulmonalarteriellen
Druck >50 mmHg in Ruhe und >60 mmHg unter Anstrengung. Behandlung nach Valvuloplastie oder
Bei kalzifizierten Klappen sollte eine perkutane Ballonvalvulo- Komissurotomie
plastie nur durchgeführt werden, wenn Kontraindikationen eine Meistens empfinden die Patienten unmittelbar nach Valvuloplas-
Operation verhindern. Normalerweise führt die Ballonvalvulo- tie oder operativer Komissurotomie eine symptomatische Er-
plastie zu einer Verdoppelung der KÖF (von 1,0 auf 2,0 cm2). Bei leichterung. Bei Patienten mit manifester Rechtsherzinsuffizienz
geeigneter Patientenwahl beträgt die Erfolgsrate 80–95%. In er- aufgrund einer pulmonalen Hypertonie kann die Inhalation von
fahrenen Zentren liegt die Letalitätsrate bei 1%. Hauptkomplika- NO, die i.v.-Gabe von Prostazyklin oder die Behandlung mit En-
tionen sind eine postinterventionelle Mitralinsuffizienz bei 2– dothelinantagonisten hilfreich sein, bis sich der pulmonalvenöse
10% der Patienten und ein Vorhofseptumdefekt in 10% der Fälle, Widerstand wieder normalisiert. Dies kann bisweilen mehrere
die sich jedoch meist innerhalb von 6 Monaten verschließen. Monate dauern. Auf die lange Sicht, d. h. über 10 Jahre treten bei
Letztlich sind die morphologische Beschaffenheit der Klappe und bis zu 60% der Patienten erneut Symptome auf, obwohl es nur bei
die Zunahme der KÖF nach der Valvuloplastie die Hauptdeter- weniger als 20% der Patienten in diesem Zeitraum zu einer erneu-
minanten für den Langzeitverlauf. Die entscheidenden echokar- ten Mitralstenose kommt. Meist sind hier eine sekundär eintre-
diographischen Parameter sind Verkalkungsgrad, Verdickung tende Mitralinsuffizienz oder andere valvuläre Probleme oder
der valvulären und subvalvulären Strukturen (Chordae) sowie eine koronare Herzerkrankung die Ursache.
die Mobilität der Segel.
> Der Echokardiographie kommt eine entscheidende Bedeutung 19.2 Mitralinsuffizienz
für die Selektion und die Beurteilung der Langzeitprognose
nach Valvuloplastie zu. 19.2.1 Ätiologie und Pathologie
Bei ähnlich günstigen akuten Ergebnissen scheint die perkutane
Ballonvalvuloplastie der offenen Komissurotomie im Langzeit- Akute Mitralinsuffizienz
verlauf überlegen zu sein; dies gilt insbesondere für jüngere Pati-
> Der akuten Mitralinsuffizienz liegen immer gravierende mor-
enten. Die chirurgische, geschlossene Mitralklappenkommissu-
phologische Veränderungen des Mitralklappenapparates zu-
rotomie hat heutzutage vor dem Hintergrund der Ballonvalvulo-
grunde.
plastie praktisch keine Bedeutung mehr.
Die akute Mitralklappeninsuffizienz entsteht im Rahmen einer
Operative Therapie der Mitralstenose bakteriellen Endokarditis durch Destruktion von Segelteilen oder
Eine Mitralklappenoperation bei Mitralstenose ist bei sympto- durch ischämische, endokarditische oder traumatische Läsionen
matischen Patienten (NYHA-Stadium III–IV) mit mittelgradi- des subvalvulären Halteapparates (Chordafadenabriss, Papillar-
ger oder schwerer Mitralstenose indiziert, wenn eine perkutane muskelruptur). Die ischämische Ruptur des (meist posteromedi-
Valvuloplastie nicht möglich oder kontraindiziert oder die Mi- alen) Papillarmuskels führt zu schwerster Insuffizienz, die ohne
tralklappenmorphologie eine Valvuloplastie nicht sinnvoll er- schnelle Operation nicht überlebt wird.
scheint lässt.
402 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

Chronische Mitralinsuffizienz
. Tab. 19.1. Ätiologie der chronischen Mitralinsuffizienz
Primäre Erkrankungen des Mitralklappenapparates umfassen
degenerative, infektiöse, entzündliche, ischämische und kongeni- Degenera- Myxomatöse Degeneration (Mitralklappenprolaps)
tiv Chordafadenabriss
tale Erkrankungen. Das ätiologische Spektrum ist in . Tab. 19.1
Mitralanulusverkalkung
zusammengefasst. Der zugrunde liegende Mechanismus der Mi-
tralinsuffizienz ist bei den einzelnen Erkrankungen unterschied- Infektiös Bakterielle Endokarditis
lich. Bei der rheumatischen Endokarditis kommt es durch Entzünd- Rheumatische Endokarditis
Schrumpfung und Deformation der Segel sowie durch Schrump- lich Löffler-Endokarditis (hypereosinophiles Syndrom)
fung, Fusion und – seltener – Abriss von Chordafäden zur Libman-Sachs-Endokarditis beim systemischen Lupus
Schlussunfähigkeit. erythematodes
Die Löffler-Endokarditis (7 Abschn. 12.3.4) führt zu einer bi- Sklerodermie
ventrikulären, restriktiven Kardiomyopathie mit Mitral- und Ischämisch Papillarmuskelabriss
Trikuspidalklappeninsuffizienz. Bei der HOCM kommt es auf- Papillarmuskeldysfunktion
grund struktureller Veränderungen des Mitralklappenapparates Kongenital Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
sowie durch die Vorwärtsbewegung von Segel und Chordafäden Marfan-Syndrom
in der Systole (SAM-Phänomen) zur Mitralinsuffizienz. Ehlers-Danlos-Syndrom
Myokardischämien oder Infarkte, insbesondere der Hinter- Fenestrierung oder Spaltbildung (»cleft«) der Mitralsegel
wand und der Posterolateralwand, führen häufig zur ischä- Malformation von Papillarmuskeln (»parachute mitral
mischen Mitralinsuffizienz. Die degenerative Verkalkung des valve«)
AV-Kanal
Mitralrings, deren Vorkommen mit steigendem Alter, Hyperto-
nie, Niereninsuffizienz und weiblichen Geschlecht assoziiert ist, Strukturell Dilatation des Mitralanulus (ischämische/nichtischä-
führt in der Regel nur zur leichten Mitralinsuffizienz. (sekundär) mische dilatative Kardiomyopathie)
Myokardiale Erkrankungen, die zu einer Dilatation des lin-
ken Ventrikels führen (ischämische oder nichtischämische DCM,
Myokarditis, chronische Druck- oder Volumenbelastung), be- vermehrte Volumenbelastung steigert bis zu einem gewissen
dingen durch eine Änderung der Geometrie des subvalvulären Grad die Vorlast und hierüber die ventrikuläre Auswurfleistung.
Mitralklappenapparates mit Verlagerung der Papillarmuskeln Bei fehlender kompensatorischer Myokardhypertrophie führt
und konsekutivem Zug an den Mitralsegeln eine funktionelle dieser Mechanismus jedoch nur begrenzt zu einer Steigerung des
Schlussunfähigkeit der morphologisch intakten Mitralklappen- Schlagvolumens und der Auswurfleistung. Gleichzeitig können
segel (sekundäre Mitralinsuffizienz). der nichtadaptierte Vorhof und der nichtadaptierte linke Ventri-
Die Unterscheidung einer primären Kardiomyopathie mit kel das Regurgitationsvolumen nicht aufnehmen, sodass eine
sekundärer Mitralinsuffizienz von einer primären Mitralinsuffi- pulmonale Druckerhöhung und ein nachfolgendes Lungenödem
zienz mit sekundärer, schwerer Myokarddysfunktion ist klinisch resultieren. In diesem Krankheitsstadium weist der Patient so-
manchmal schwierig. Die primäre Mitralinsuffizienz ist jedoch in wohl ein Vorwärtsversagen bis hin zum kardiogenen Schock als
der Regel schwerer als die sekundäre Insuffizienz. auch ein Rückwärtsversagen mit Lungenödem auf. Die hämody-
namische Überlastung kann so schwer sein, dass eine unverzüg-
liche Mitralklappenoperation lebensrettend notwendig ist.
19.2.2 Pathophysiologie
Chronische Mitralinsuffizienz
Der systolische Rückfluss von Blut in den linken Vorhof führt Während bei der akuten Mitralinsuffizienz die pulmonale Druck-
dazu, dass das Regurgitationsvolumen dem systemischen Kreis- erhöhung kritisch ist, entscheidet bei der chronischen Mitralin-
lauf verloren geht. Der linke Ventrikel muss daher die Aus- suffizienz die Adaptationsfähigkeit des linken Ventrikels über den
wurfleistung steigern, um den Volumenbedarf des Körpers zu Verlauf. Die chronische Mitralinsuffizienz bewirkt eine Dilatation
decken. Die Regurgitation beginnt unmittelbar nach Mitralklap- und Hypertrophie des linken Ventrikels und konsekutiv eine Di-
penschluss und damit früher als die Ejektion in die Aorta und hält latation des linken Vorhofs. Im kompensierten Zustand bleibt die
bis zur Mitralklappenöffnung an. Die Ejektionsphase ist verkürzt. EF lange im normalen bis hochnormalen Bereich (>60%), da sie
Physikalisch ist das Regurgitationsvolumen abhängig von der über eine erhöhte Vorlast (Frank-Starling-Mechanismus) und
19 Größe der effektiven Regurgitationsöffnung und von der ventri- durch den verminderten Auswurfwiderstand gesteigert wird.
kuloatrialen Druckdifferenz. Bei schwerer chronischer Mitralinsuffizienz ist aufgrund der
Eine Senkung der Nachlast führt zu einer Verkleinerung des Dilatation des linken Ventrikels die systolische Wandspannung
linken Ventrikels und des Mitralrings mit konsekutiver Verklei- nach dem Laplace-Gesetz erhöht und führt zu einer progressiven
nerung der Regurgitationsöffnung sowie zu einer Senkung des Schädigung des linksventrikulären Myokards. Dabei spiegelt die
ventrikuloatrialen Druckgradienten. Dadurch kommt es zu einer EF in Ruhe häufig nicht den tatsächlichen Funktionszustand des
Verminderung des Regurgitationsvolumens. Eine Erhöhung der linksventrikulären Myokards wider. Wegen des reduzierten Aus-
Nachlast (z. B. arterielle Hypertonie) bedingt dagegen durch eine wurfwiderstands wird eine Einschränkung der linksventriku-
höhere ventrikuloatriale Druckdifferenz und Vergrößerung des lären Pumpfunktion maskiert.
linken Ventrikels eine Verstärkung der Mitralinsuffizienz.
> Eine noch normale EF kann bereits eine Einschränkung der
Akute Mitralinsuffizienz linksventrikulären Funktion andeuten und eine leichte Ein-
Bei der akuten Mitralinsuffizienz werden linker Vorhof und lin- schränkung der EF (40–50%) sogar eine fortgeschrittene Schädi-
ker Ventrikel plötzlich einer Volumenbelastung ausgesetzt. Eine gung des linksventrikulären Myokards anzeigen.
19.2 · Mitralinsuffizienz
403 19

Bei fortschreitender Dekompensation nehmen die EF trotz wei-


terer Dilatation des linken Ventrikels ab und das diastolische
Druckniveau zu, mit der Folge des kombinierten Vorwärts- und
Rückwärtsversagens.

19.2.3 Prognose

Die akute, schwere Mitralinsuffizienz auf dem Boden einer Papil-


larmuskelruptur zeigt einen ausgesprochen schlechten Spontan-
verlauf und wird ohne rasche Operation in der Regel nicht über-
lebt. Die Prognose der schweren chronischen Mitralinsuffizienz
ist ebenfalls ungünstig. Im Verlauf von 10 Jahren versterben ent-
weder 90% der Patienten oder sie benötigen eine Klappenopera-
tion. Die jährliche Sterblichkeitsrate bei Patienten mit zerstörten
Mitralsegeln beträgt 6–7%. Risikopatienten sind jene mit einer
EF <0,60 oder mit Symptomen entsprechend NYHA-Klasse III–
IV. Eine schwere Symptomatik bedeutet auch eine ungünstige
Prognose bei Mitralklappenrekonstruktion oder -ersatz. Daher
sollte die Korrektur einer Mitralklappeninsuffizienz vor dem Er-
reichen dieser Phase erfolgen.
> Aufgrund der ungünstigen Langzeitergebnisse bei konservati- . Abb. 19.4. Auskultationsbefund bei Mitralklappeninsuffizienz
ver Therapie wird heute eine frühzeitige operative Therapie
auch bei nur gering symptomatischen oder bei asymptoma-
tischen Patienten mit Nachweis einer linksventrikulären Dys-
Herzton ist weit gespalten (verfrühter Aortenklappenschluss).
funktion angestrebt, v. a. wenn eine erfolgreiche Klappenre-
Häufig ist ein dritter Herzton (Galoppton) vorhanden. Bei der
konstruktion möglich ist.
dekompensierten schweren Mitralinsuffizienz finden sich alle
Die Prognose von Patienten mit einer schweren Mitralinsuffizi- Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz (. Abb. 19.4).
enz auf dem Boden einer ischämischen Kardiomyopathie ist,
bedingt durch die Grunderkrankung und die eingeschränkte Elektrokardiogramm
linksventrikuläre Pumpfunktion, deutlich schlechter im Ver- Das EKG zeigt keine spezifischen Veränderungen. Frühestes
gleich zur Mitralinsuffizienz nichtischämischer Genese. Zeichen ist ein P-sinistroatriale infolge der Volumenbelastung
und der Vergrößerung des linken Vorhofs. Im weiteren Verlauf
kann sich als Folge der Linksherzhypertrophie ein positiver So-
19.2.4 Klinische Symptome kolow-Lyon-Index entwickeln, evtl. mit Schädigungszeichen.
Häufigste Arrhythmie ist intermittierendes oder chronisches
> Die akute Mitralinsuffizienz manifestiert sich meist in einem Vorhofflimmern.
schweren Lungenödem. Führende Symptome der chronischen
Mitralinsuffizienz sind Belastungsdyspnoe und verringerte Leis- Thoraxröntgenaufnahme
tungsfähigkeit. Das Thoraxröntgenbild zeigt im späten Stadium eine Vergröße-
rung des linken Vorhofs mit Einengung des retrokardialen
Tachykardes Vorhofflimmern kann diese Symptome auslösen Raumes, Aufspreizung der Trachealbifurkation und verstrichener
oder verschlimmern. Angina pectoris gehört nicht zum kli- Herztaille. Es kommt zu einer Vergrößerung des linken Ventri-
nischen Bild, sofern eine begleitende KHK ausgeschlossen ist. kels und schließlich zur Lungenstauung bis hin zum Lungen-
Bei dekompensierter chronischer Mitralinsuffizienz können ödem. Bei rheumatischen Vitien ist oft Kalk in der Projektion auf
sich alle Zeichen der Links- und der Rechtsherzinsuffizienz ma- die Mitralklappe zu erkennen.
nifestieren.
Echokardiographie
Die 2D-Echokardiographie ist das Verfahren der Wahl zur di-
19.2.5 Diagnostik rekten Visualisierung der Mitralklappe. Durch Darstellung von
morphologischen Veränderungen des Mitralklappenapparates
Körperliche Untersuchung ist zudem eine ätiologische Einordnung des Vitiums möglich.
Der Herzspitzenstoß ist hebend und nach links sowie kaudal ver- Auch der Mechanismus der Mitralinsuffizienz lässt sich zuver-
lagert. Auskultatorisch dominiert ein hochfrequentes, unmittel- lässig erfassen.
bar an den ersten Herzton anschließendes holosystolisches, Aufgrund der besseren Bildqualität ist die TEE der TTE zur
»bandförmiges« Geräusch. Der erste Herzton ist daher oft nicht Darstellung von Morphologie und Mechanismus der Mitralin-
abgrenzbar. Das Geräusch lässt sich mit Punctum maximum über suffizienz überlegen. Sie erlaubt zudem die exakte räumliche Zu-
dem Apex und Ausstrahlung in die linke Axilla auskultieren. Eine ordnung pathologischer Veränderungen der Mitralsegel zu be-
feste Beziehung zwischen der Lautstärke des Geräusches und stimmten Segelsegmenten. Dadurch ergeben sich bereits präope-
dem Schweregrad der Insuffizienz besteht nicht. Der zweite rativ wichtige Informationen darüber, ob eine Rekonstruktion
404 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

der Klappe technisch möglich oder ob ein mechanischer Klap- > Eine Koronarangiographie ist bei Patienten mit Verdacht auf
penersatz erforderlich ist. KHK oder beim Vorliegen eines kardiovaskulären Risikofaktors
Im farbkodierten Dopplerverfahren kann die Mitralinsuffi- indiziert.
zienz direkt anhand des systolischen Blutflusses vom Ventrikel in
den Vorhof erfasst werden. Eine semiquantitative Abschätzung Keine Indikation zur Koronarangiographie besteht bei Patienten
des Schweregrads der Insuffizienz ist anhand der Farbflächengrö- ≤35 Jahre ohne klinischen Verdacht auf eine KHK. Eine invasiv-
ße im linken Vorhof in 2 aufeinander senkrecht stehenden Ebe- hämodynamische Diagnostik ist bei unklaren oder diskrepanten
nen möglich. Zudem weist die Umkehr des systolischen pul- Ergebnissen nichtinvasiver Untersuchungsverfahren und der kli-
monalvenösen Einstromprofils in der gepulsten Dopplersono- nischen Symptome indiziert.
graphie auf eine schwere Insuffizienz hin.
Eine quantitative Abschätzung des Schweregrads der Mi-
tralinsuffizienz ist durch die Bestimmung des minimalen Durch- 19.2.6 Therapie
messers des Regurgitationsjets (»V. contracta«) unmittelbar
nach seinem Durchtritt durch die Mitralklappe möglich. Die Medikamentöse Therapie
Analyse der proximalen Konvergenzzone (»PISA«) erlaubt eine Akute Mitralinsuffizienz
relativ zuverlässige Beurteilung des Schweregrads der Mitralin- Die akute, schwere Mitralinsuffizienz ist ohne operative Therapie
suffizienz, des Regurgitationsvolumens und der Regurgitations- mit einer hohen Letalitätsrate verbunden. Daher besteht die In-
öffnung. dikation zum dringlichen Klappenersatz. Die medikamentöse
Die Echokardiographie ermöglicht weiterhin eine zuverläs- präoperative Therapie besteht in der Regel aus der Gabe von Di-
sige Quantifizierung der Myokardfunktion durch Bestimmung uretika zur Senkung des linksventrikulären Füllungsdrucks und
von enddiastolischen und endsystolischen Dimensionen, Volu- zur Minderung der Lungenstauung sowie in der Gabe von Nach-
mina und EF. Weitere, prognostisch relevante Informationen er- lastssenkern wie Natriumnitroprussid zur Minderung der Regur-
geben sich aus der Größenbestimmung des linken Vorhofs und gitationsfraktion. Bei Hypotonie ist auch die Gabe von positiv-
aus der Abschätzung des pulmonalarteriellen Drucks. inotropen Substanzen, z. B. Dobutamin, indiziert. Bei Patienten
im manifesten kardiogenen Schock ist eine IABP indiziert.
> Die Echokardiographie ist das Verfahren der Wahl zur Evaluierung
von Mechanismus und Schweregrad einer Mitralinsuffizienz.
Chronische Mitralinsuffizienz
Sie ist ebenfalls zur Quantifizierung der linksventrikulären Myo- Bei Patienten mit asymptomatischer, schwerer Mitralinsuffizienz
kardfunktion indiziert. Bei asymptomatischer, schwerer Mi- und normaler Myokardfunktion gibt es keine gesicherte Indika-
tralinsuffizienz mit normaler Pumpfunktion des linken Ventri- tion für eine medikamentöse Therapie. Obwohl aus pathophysio-
kels sind echokardiographische Kontrolluntersuchungen in logischen Überlegungen eine Therapie mit Nachlastsenkern
(halb-)jährlichen Abständen zur Überwachung der Myokard- (z. B. ACE-Hemmer) sinnvoll erscheint, ist ein prognostischer
funktion indiziert. Eine Indikation zur echokardiographischen Nutzen bisher nicht bewiesen; daher wird die Gabe von Nachlast-
Verlaufskontrolle ergibt sich ebenfalls bei einer Änderung der senkern nicht empfohlen. Diese Patienten sind mindestens jähr-
klinischen Symptomatik. lich, bei grenzwertiger Ventrikelfunktion auch häufiger, klinisch
Die TEE ist zur Beurteilung von Mechanismus und Schwere- und echokardiographisch zu untersuchen.
grad einer Mitralinsuffizienz bei unzureichender transthorakaler Bei symptomatischen Patienten mit schwerer Mitralinsuffi-
Bildqualität angezeigt. Darüber hinaus liefert sie wichtige Infor- zienz konnte für ACE-Hemmer zwar ein günstiger Effekt gezeigt
mationen für die Wahl des operativen Verfahrens (Rekonstrukti- werden (Abnahme von linksventrikulären Volumina und Masse,
on und Klappenersatz). Verbesserung der klinischen Symptomatik); diese Patientengrup-
Bei Patienten mit leichter Mitralinsuffizienz und normaler pe profitiert aber mehr von einer operativen Therapie.
Myokardfunktion ergibt sich keine Indikation zur routinemä-
! Cave
ßigen echokardiographischen Verlaufskontrolle.
Eine medikamentöse Therapie sollte bei symptomatischen
Patienten nicht zu einer Verzögerung einer operativen Therapie
Herzkatheteruntersuchung
führen.
Die Druckmessung im kleinen Kreislauf weist bei hämodyna-
misch relevanter Mitralinsuffizienz eine Erhöhung des pulmonal- Der größte Nutzen einer nachlastsenkenden Therapie ergibt sich
19 arteriellen und -kapillären Drucks nach. Die pulmonalkapilläre bei Patienten mit dilatiertem linken Ventrikel und einge-
v-Welle ist bei mittelschwerer oder schwerer Mitralinsuffizienz schränkter Pumpfunktion, falls eine operative Therapie nicht in
meist deutlich überhöht, kann jedoch bei einem sehr dehnbaren Betracht kommt. Hier gilt grundsätzlich, dass die Patienten ähn-
Vorhof auch normal sein. lich zu behandeln sind wie solche mit chronischer Herzinsuffi-
Die Rechtsherzkatheteruntersuchung unter Belastung zeigt zienz ohne Mitralinsuffizienz, nämlich mit einem ACE-Hem-
einen deutlichen Anstieg der pulmonalkapillären v-Welle und mer oder β-Rezeptorenblocker oder auch mit einem biventriku-
des pulmonalarteriellen Mitteldrucks bei inadäquatem Anstieg lären Schrittmacher.
des HZV. Die linksventrikuläre Angiographie ermöglicht die vi- Aufgrund der Verschlechterung der Prognose wird neu auf-
suelle Graduierung der Mitralinsuffizienz und die gleichzeitige tretendes Vorhofflimmern heute zunehmend als eine Operati-
Beurteilung der Volumina sowie der Pumpfunktion des linken onsindikation angesehen. Bei Auftreten von Vorhofflimmern
Ventrikels. Die Koronarangiographie dient dem Nachweis oder sind daher bis zur Operation eine Kardioversion oder die medi-
dem Ausschluss einer begleitenden KHK. kamentöse Kontrolle der Herzfrequenz und eine medikamentöse
Antikoagulation (INR 2,0–3,0) indiziert.
19.3 · Mitralklappenprolapssyndrom
405 19
Operative Therapie > Die optimale chirurgische Therapie der Mitralinsuffizienz be-
Akute Mitralinsuffizienz steht in der Rekonstruktion der nativen Klappe, insbesondere
Bei Patienten mit akuter, schwerer Mitralinsuffizienz besteht die beim Mitralklappenprolaps des posterioren Klappensegels.
Indikation zum dringlichen Klappenersatz.
Die Mitralklappenrekonstruktion führt zu einer günstigeren Hä-
Chronische Mitralinsuffizienz modynamik, besseren postoperativen Pumpfunktion, geringeren
Asymptomatische Patienten profitieren von einer Operation, perioperativen Mortalität, verbesserten Langzeitprognose und
wenn Zeichen einer beginnenden Myokarddysfunktion vorlie- geringeren Langzeitmorbidität durch Vermeidung einer lebens-
gen. Zur Abschätzung der Myokardfunktion eignen sich die langen Antikoagulation im Vergleich zum mechanischen Klap-
echokardiographische Bestimmung der EF und der endsysto- penersatz.
lischen Dimensionen. Indikatoren einer beginnenden Myokard- Bei notwendigem Klappenersatz sollten Strategien, die auf
dysfunktion sind eine EF von ≤60% und/oder ein endsystolischer eine Erhaltung des subvalvulären Apparates abzielen (Erhalt der
Durchmesser des linken Ventrikels von ≥45 mm (26 mm/m2). Chordafäden), bevorzugt werden, da sich im Gegensatz zum
Sind beide Kriterien erfüllt oder zeigt sich in Verlaufskontrollen reinen Klappenersatz postoperativ die linksventrikuläre Pump-
eine progressive Verschlechterung, ist eine manifeste Myokard- funktion nicht verschlechtert.
dysfunktion wahrscheinlich.
Bei asymptomatischen Patienten mit erhaltener Myokard-
funktion sollte eine Operation beim Auftreten von Vorhofflim- 19.3 Mitralklappenprolapssyndrom
mern oder beim Nachweis einer pulmonalen Hypertonie (systo-
lisch 50 mmHg in Ruhe oder 60 mmHg unter Belastung) frühzei- 19.3.1 Ätiologie und Pathologie
tig in Betracht bezogen werden. Eine Operation ist ebenfalls bei
asymptomatischen Patienten indiziert, wenn eine erfolgreiche Definition
Rekonstruktion der Klappe möglich ist. Beim Mitralklappenprolaps wölben sich Teile der Mitralklap-
Dadurch lassen sich eine progrediente Verschlechterung der pe während der Systole vermehrt in den linken Vorhof vor. In
Myokardfunktion und die Nachteile einer mechanischen Klap- manchen Fällen geht dieser valvuläre Prolaps mit einer Mi-
penprothese (Antikoagulation) vermeiden. tralinsuffizienz einher. Während beim primären Mitralklap-
Häufig sind die anamnestischen Angaben allein nur ein penprolaps eine originäre Veränderung der Mitralklappense-
unzuverlässiger Parameter, um den wahren klinischen Status gel vorliegt, ist bei der sekundären Form primär eine Verän-
zu erfassen, da viele Patienten ihre Aktivitäten unbewusst redu- derung des Mitralklappenrings vorhanden.
zieren und so »asymptomatisch« erscheinen. In diesen Fällen
sollte eine Belastungsuntersuchung durchgeführt werden, um
die angebliche Beschwerdefreiheit des Patienten zu demas- Synonyme Bezeichnungen insbesondere im angelsächsischen
kieren. Sprachraum sind »systolic click-murmur syndrome«, »floppy
Bei symptomatischen Patienten mit schwerer Mitralinsuffi- valve syndrome« oder »Barlow’s syndrome«. Es handelt sich um
zienz wird die Prognose durch eine operative Therapie deutlich eine mit einer Inzidenz von 5% auftretende, häufige Klappenver-
verbessert. Diese Patienten sollten daher rasch einer Operation änderung. Sie ist bei Frauen häufiger als bei Männern und wird
zugeführt werden, solange die linksventrikuläre Pumpfunktion inbesondere bei jungen Menschen zwischen dem 14. und 30. Le-
nicht unter 30% abgefallen ist. bensjahr manifest. Es gibt eine familiäre Häufung, die bei einigen
Patienten mit geringen Symptomen (NYHA-Klasse I–II) ha- Subtypen eine autosomal-dominante Vererbung nahe legt.
ben aufgrund einer geringen perioperativen Mortalität und bes- Verschiedene Formen des Mitralklappenprolapssyndroms
serer Langzeitergebnisse eine günstigere Prognose als Patienten unterscheiden sich bezüglich ihrer Ätiologie und den hämodyna-
mit fortgeschrittenen Symptomen (NYHA-Klasse III–IV). Bei mischen sowie klinischen Konsequenzen. Bei der Mehrzahl der
höhergradig eingeschränkter Pumpfunktion können Patienten Patienten bleibt die Ätiologie unklar. Eine der häufigsten Ursa-
auch dann noch von einer Operation profitieren, wenn eine Klap- chen des Mitralklappenprolapses ist die myxomatöse Degenera-
penrekonstruktion möglich ist. tion des Klappenstromas. Patienten mit Marfan-Syndrom weisen
Bei ischämisch bedingter Mitralinsuffizienz sollten revasku- eine Inzidenz von 90% auf; hierbei können myxomatöse Klap-
larisierende Strategien (PTCA, Bypassoperation) zur Vermei- pendegenerationen auch ohne andere klinische Manifestationen
dung von Myokardischämien eingesetzt werden. vorkommen. Das posteriore Mitralsegel ist häufiger betroffen als
Patienten mit einer sekundären Mitralinsuffizienz auf dem das anteriore, und der Mitralklappenring ist meist erweitert. Bei
Boden einer ischämischen oder nichtischämischen DCM und vielen Patienten tragen auch verlängerte Chordae tendineae zum
gleichzeitigem Linksschenkelblock (QRS-Dauer >150 ms) kön- Klappenprolaps bei. Andere Gründe sind das akute rheumatische
nen durch eine Reduktion des Schweregrads der Mitralinsuffizi- Fieber, chronische rheumatische Herzerkrankungen, Folge einer
enz von der Implantation eines biventrikulären Schrittmacher- Mitralvalvulotomie, die ischämische Herzerkrankung und Kar-
systems profitieren. diomyopathien. Bei 20% der Patienten liegt ein Ostium secundum
(Defekt des Vorhofseptums) vor.
Operative Techniken
Die Mitralklappenchirurgie umfasst heute 3 verschiedene Tech-
niken: die Mitralklappenrekonstruktion sowie den mechanischer 19.3.2 Pathophysiologie
Mitralklappenersatz mit und ohne Erhalt des subvalvulären Mi-
tralklappenapparates. Das Mitralklappenprolapssyndrom ist normalerweise eine harm-
lose Abnormalität, das sich jedoch mit der Zeit zu einer manifes-
406 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

ten Mitralinsuffizienz und Ventrikeldilatation weiterentwickeln gen häufig triviale, intermittierend auftretende Herzrhythmus-
kann. Hierbei führt der Prolaps zu einer chronischen Belastung störungen zugrunde, die meist keiner Therapie bedürfen. Malig-
der Papillarmuskeln mit Papillarmuskelischämie und Ischämie ne ventrikuläre Arrhythmien mit Synkopen oder gar plötzlichem
des angrenzenden Myokards. Abriss der Chordae tendineae oder Herztod sind eine Rarität.
eine Dilatation des Mitralklappenringes bedingt eine Zunahme Obwohl die Mehrheit der Patienten mit primärem Mitral-
der Insuffizienz und damit der Belastung des erkrankten Mitral- klappenprolaps bei der Inspektion unauffällig ist, wird immer
klappenapparates. wieder die Assoziation mit bestimmten muskuloskeletären Ano-
malien in Form von Trichterbrust, Flachthorax oder asthe-
nischem Habitus als einer »forme fruste« eines Marfan-Syndroms
19.3.3 Prognose herausgestellt. Inwieweit es sich hier um den gemeinsamen Aus-
druck einer Bindegewebsstörung im Sinne einer Kollagen- bzw.
Im Allgemeinen hat der Prolaps eine gute Prognose mit einer Fibrillinsynthesestörung handelt, ist unklar.
Sterblichkeitsrate, die sich nicht wesentlich von der einer alters-
und geschlechtsgleichen Kontrollpopulation unterscheidet. In
der Population von Mitralklappenprolapspatienten gibt es aller- 19.3.5 Diagnostik
dings Untergruppen, die ein erhöhtes Risiko für bestimmte Kom-
plikationen wie eine progressive Mitralinsuffizienz oder eine Körperliche Untersuchung
bakterielle Endokarditis haben. Typischer Auskultationsbefund des Mitralklappenprolapses ohne
Das Fortschreiten einer bestehenden Mitralinsuffizienz bei hämodynamisch relevante Mitralinsuffizienz ist das Auftreten
Mitralklappenprolaps entwickelt sich bei ungefähr 15% der Pati- eines mesosystolischen Klicks (hochfrequenter Extraton) mit
enten über eine Zeitspanne von 10–15 Jahren. Eine Progression Punctum maximum über der Herzspitze. Er koinzidiert mit dem
wird häufig bei Patienten mit Klick und gleichzeitigem Systoli- Beginn des Prolabierens der Mitralsegel im Echokardiogramm.
kum beobachtet. Bei vielen Patienten ist eine Endokarditis oder Das zeitliche Auftreten des Klicks innerhalb der Systole ist
ein Sehnenfadenabriss die Ursache der Verschlimmerung. sehr von Volumenschwankungen des linken Ventrikels abhängig.
Die Notwendigkeit eines chirurgischen Klappenersatzes be- Jede Abnahme des linksventrikulären systolischen Volumens
trifft insbesondere männliche Patienten über 50 Jahre. Dies sind (Valsalva-Manöver, Amylnitritapplikation etc.) geht mit einer
meist Patienten mit verdickten Mitralsegeln im Sinne eines pri- zeitlichen Verschiebung des Klicks in Richtung Systolenbeginn
mären Mitralklappenprolapses, v. a. solche mit isoliertem Befall einher und wird klinisch als Provokationstest zur sicheren Erken-
des posterioren Segels. nung des charakteristischen Auskultationsbefundes genutzt
(. Abb. 19.5).
Häufig ist der mesosystolische Klick von einem spätsysto-
19.3.4 Klinische Symptome lischen Geräusch als Ausdruck einer minimalen Mitralinsuffizi-
enz begleitet. Mit zunehmender Regurgitation wandert der Klick
Die überwiegende Anzahl der Patienten mit Mitralklappenpro- in den frühen Beginn der Systole, gefolgt von einem längeren und
laps ist, wie epidemiologische Studien zeigen, weitestgehend lauteren Insuffizienzgeräusch. Liegt eine schwere Insuffizienz
ohne Symptome und hat eine gute Prognose. Von einem Teil der vor, besteht in der Regel ausschließlich ein pansystolisches Ge-
Patienten werden anamnestisch Palpitationen, uncharakteristi- räusch mit Punctum maximum über der Herzspitze und Fortlei-
sche, nicht belastungsabhängige Herzschmerzen oder -stiche, tung in die Axilla.
leichte Ermüdbarkeit und Luftnot angegeben, ohne dass eine sig-
nifikante Mitralinsuffizienz vorliegt. Die Symptome sind wenig Elektrokardiogramm
spezifisch und von funktionellen Beschwerden nur schwer ab- Bei den meisten Patienten mit asymptomatischem Mitralklap-
grenzbar. penprolaps ist das Ruhe-EKG unauffällig. Bei einem geringen
Als Ursache dieses Beschwerdekomplexes wird eine autono- Anteil zeigen sich unspezifische posterolaterale Erregungsrück-
me Dysfunktion angenommen. Den geklagten Palpitationen lie- bildungen.

19

. Abb. 19.5. Auskultationsbefund bei Mitralklappenprolapssyndrom


19.3 · Mitralklappenprolapssyndrom
407 19

Ein weites Spektrum benigner bradykarder und tachykarder eines oder beider Segel charakterisiert. In Zweifelsfällen oder zur
supraventrikulärer sowie ventrikulärer Arrhythmien findet sich Erfassung umschriebener morphologischer Veränderungen an
häufig bei Patienten mit symptomatischem Mitralklappenpro- den Klappensegeln empfiehlt sich daher aufgrund der besseren
laps. Sie erklären einen Teil der Beschwerden (Palpitationen), Bildqualität eine transösophageale multiplane Anlotung.
stehen aber meist nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit Ist der Prolaps mit einer Mitralinsuffizienz vergesellschaftet,
den atypischen linksthorakalen Schmerzen. ist typischerweise in der späten Systole farbdopplerechokardio-
Patienten mit Mitralklappenprolaps und angiographisch aus- graphisch ein minimaler Reflux fassbar.
geschlossener KHK weisen oft ein pathologisches Belastungs- Eine mittelgradige oder schwere Mitralinsuffizienz findet
EKG auf. Die Inzidenz dieser falsch-positiven Ergometrien wird sich nicht selten (ca. 10%) bei primärem oder myxomatös be-
mit über 50% angegeben und ist sogar noch höher, wenn Repo- dingtem Prolaps (meist Männer >50 Jahre) und bedarf häufig
larisationsstörungen bereits in Ruhe vorliegen. einer chirurgischen Therapie.
Aus diesem Grunde ist die Ergometrie nicht das diagnosti- Im Gegensatz dazu weist der sog. sekundäre Prolaps echokar-
sche Verfahren der Wahl zum Ausschluss bzw. Nachweis einer diographisch keine Veränderungen der Segel auf. Die relativ zur
KHK bei Mitralklappenprolapssyndrom. Ringgröße zu großen Segel prolabieren über die Ringebene in
den Vorhof.
> Myokardszintigraphie oder Stressechokardiographie ist bei Mi-
Vom Mitralklappenprolaps ist echokardiographisch der Seh-
tralklappenprolaps zum nichtinvasiven Ischämienachweis zu-
nenfadenabriss (»flail leaflet«) abzugrenzen. Durch den Abriss
verlässiger als die Ergometrie.
eines Sehnenfadens ist die normale Koaptation der Segelränder
in der Systole nicht mehr gegeben. Dieser Abriss kann entweder
Thoraxröntgenaufnahme degenerativ, wie häufig beim primären Prolaps, traumatisch oder
Beim Mitralklappenprolaps zeigt das Thoraxröntgenbild norma- entzündlich bedingt sein. Die Anzahl der abgerissenen Sehnen-
lerweise keine kardiopulmonalen Auffälligkeiten. Deformie- fäden bestimmt das Ausmaß des prolabierenden Segelanteils mit
rungen des knöchernen Thorax (z. B. Trichterbrust) werden häu- resultierendem exzentrischen Insuffizienzjet. Die in den linken
fig beobachtet. Ist der Prolaps mit einer relevanten Mitralinsuffi- Vorhof durchschlagenden Sehnenfäden beschreiben ventrikel-
zienz assoziiert, lässt sich neben den typischen radiologischen systolisch ein »peitschenschnurartiges« Bewegungsmuster. So-
Zeichen einer pulmonalvenösen Stauung auch eine Vergröße- wohl Insuffizienzjet als auch Sehnenfäden sind am besten mithil-
rung des linken Ventrikels und des Vorhofs ausmachen. fe der TEE erkennbar.
> Bei auskultatorischem Verdacht auf einen Mitralklappenprolaps
Echokardiographie
ist die 2D-Dopplerechokardiographie das Verfahren der Wahl
Diagnostisches Verfahren der Wahl ist heutzutage die 2D-Echo-
zur Diagnostik. Es erlaubt nicht nur eine detaillierte Beschrei-
kardiographie. Aufgrund der guten räumlichen Auflösung lässt
bung der Segelmorphologie, sondern auch eine quantitative
sich das systolische Prolabieren eines oder beider Segel bzw. von
Evaluierung der Mitralinsuffizienz bzw. Ventrikelfunktion.
Segelanteilen über die Ebene des Mitralklappenrings hinaus in
den linken Vorhof eindeutig erfassen. Aufgrund der Tatsache,
dass der Mitralklappenring keine plane, sondern eine sattelför- Herzkatheteruntersuchung
mig konfigurierte Struktur hat, sind die Ränder des Klappenrings Zur Diagnostik eines Mitralklappenprolapses wird die Links-
im Vierkammerblick normalerweise mehr apikal verlagert als die herzkatheterdiagnostik nicht routinemäßig eingesetzt. Sie
Klappenränder im senkrecht daraufstehenden parasternalen kann nur zur besseren Beurteilung des Schweregrads einer be-
oder apikalen Längsschnitt. Daraus leitet sich ab, dass ein Prolaps gleitenden Mitralinsuffizienz und zum präoperativen Aus-
eines oder mehrerer Segel über die Ringebene hinaus (>2 mm) schluss bzw. Nachweis einer begleitenden KHK erforderlich
nur im parasternalen oder apikalen Längsachsenschnitt sicher werden. Im linksventrikulären Angiogramm sind ein Prolaps
diagnostiziert werden kann (. Abb. 19.6). des posterioren Mitralsegels am besten in der RAO-Projektion
Der primäre oder myxomatös degenerierte Mitralklappen- und ein Prolabieren des vorderen Segels in der LAO-Projektion
prolaps ist echokardiographisch durch eine Verdickung (>5 mm) darstellbar.

. Abb. 19.6. Echokardiographiebefund bei


Mitralklappenprolaps mit Verkalkung des ante-
rioren Mitralklappensegels. (Dr. F. Dodos, Herz-
zentrum Köln)
408 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

19.3.6 Therapie ist die Kalzifizierung einer normal angelegten trikuspiden oder
einer kongential bikuspid angelegten Klappe. Die Klappenver-
Asymptomatische Patienten ohne Mitralinsuffizienz bedürfen kalkung schreitet von der Basis der Klappensegel zu den Segel-
keiner Therapie. Eine Endokarditisprophylaxe ist nicht erforder- spitzen voran und führt zu einer eingeschränkten Klappenbe-
lich, wenn keine myxödematös veränderten Klappensegel vorlie- weglichkeit sowie zu einer Reduktion der KÖF. Die kalzifizierte
gen. Kontrolluntersuchungen inklusive Echokardiographie sind Aortenstenose ist eine aktive Erkrankung, die durch Lipidabla-
in großen Zeitabständen empfehlenswert. gerungen, Enzündung und Kalzifizierung gekennzeichnet ist,
Die Therapie beim Mitralklappenprolaps zielt überwiegend und ähnelt in vielfacher Hinsicht den Vorgängen bei der Athe-
auf eine Behandlung möglicher Komplikationen ab. rosklerose. Eine rheumatische Genese ist bei der Aortenklap-
In dem ärztlich-therapeutischen Bemühen sollte stets be- penstenose eher selten.
rücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der Patienten mit Mitral-
klappenprolaps eine gute Prognose hat und während ihres Lebens Erworbene Aortenstenosen
meist ohne Symptome bleibt. Eine ausführliche Aufklärung über Es werden 3 Ätiologien der erworbenen valvulären Stenosierung
die günstige Prognose und die Harmlosigkeit der erhobenen Be- differenziert. Hierbei kommt es durch entzündliche Verände-
funde ist in aller Regel angebracht. rungen an den freien Klappensegelrändern zu Fibrosierung, Ver-
kürzung und Verklebung an den Kommissuren. Verklebt nur eine
Medikamentöse Therapie Kommissur, entsteht eine sekundär bikuspide Klappe. Häufig
> Bei Patienten mit Mitralinsuffizienz empfehlen sich wegen der verkleben jedoch 2 oder 3 Kommissuren. Die rheumatische Aor-
Endokarditisgefahr regelmäßige Kontrolluntersuchungen in tenstenose geht meist mit einer Insuffizienz und ggf. mit rheuma-
kurzen Zeitabständen von 1–2 Jahren. Eine Endokarditisprophy- tisch bedingten Veränderungen an der Mitralklappe einher.
laxe ist obligatorisch.

Bei symptomatischen Patienten mit untypischen linksthorakalen 19.4.2 Pathophysiologie


Schmerzen und Palpitationen oder im Langzeit-EKG verifizierten
supraventrikulären bzw. ventrikulären Arrhythmien ist ein The- Klappenöffnungsfläche und Klassifikation
rapieversuch mit β-Rezeptorenblockern vielfach hilfreich. Die normale Öffnungsfläche der Aortenklappe beträgt 2,6–
Die früher beschriebene häufige Assoziation zwischen Mi- 3,5 cm2. Eine Reduktion dieser Fläche hat einen Anstieg des
tralklappenprolaps und thrombembolischen Ereignissen wird in Druckgradienten über der Klappe zur Folge. Der Druckgradient
der neueren Literatur v. a. bei jüngeren Patienten aufgrund schär- wird aber nicht nur von der absoluten Größe der KÖF, sondern
ferer echokardiographischer Kriterien zunehmend infrage ge- auch entscheidend von Herzfrequenz, Schlagvolumen und damit
stellt. Eine »Low-dose«-Langzeitantikoagulationstherapie (INR von der linksventrikulären Funktion bestimmt.
2–3) mit Cumarinderivaten ist trotzdem indiziert bei: Beim Erwachsenen spricht man von einer leichten Stenosie-
4 Patienten mit Mitralklappenprolaps und rezidivierenden rung bei einer eingeschränkten Klappenöffnung mit verblei-
neurologischen Ereignissen sowie bender KÖF von etwa 1,5 cm2 bzw. einem Druckgradienten von
4 gleichzeitig bestehendem Vorhofflimmern und einem Pati- weniger als 25 mmHg oder einer Flussgeschwindigkeit von weni-
entenalter >65 Jahre. ger als 3,0 m/s, von einer mittelschweren Obstruktion bei einer
KÖF von 1,5–1,0 cm2 bzw. einem Druckgradienten von weniger
Bei Patienten mit Mitralklappenprolaps und stattgehabtem flüch- 25–40 mmHg oder einer Jetgeschwindigkeit von weniger als
tigem fokal-neurologischen Ereignis ist bei konstantem Sinusrhyth- 3,0–4,0 m/s und von einer schweren Aortenstenose, wenn die
mus eine plättchenaggregationshemmende Therapie ausreichend. KÖF weniger als 1,0 cm2 bzw. der Druckgradient mehr als
40 mmHg oder die Jetgeschwindigkeit über 4,0 m/s beträgt. Bei
Operative Therapie normalem ventrikulären Auswurf ist der Druckgradient bei der
Patienten mit symptomatischer Mitralinsuffizienz und dadurch schweren Aortenklappenstenose meist deutlich höher. Anderer-
bedingter eingeschränkter Leistungsfähigkeit sollten, wie bei je- seits kann bei stark eingeschränkter Ventrikelleistung der Druck-
der anderen Form einer Mitralinsuffizienz, medikamentös be- gradient auch deutlich geringer bzw. die Flussgeschwindigkeit
handelt werden. Gegebenenfalls muss eine klappenchirurgische niedriger sein. Sowohl bei schwerer sowie bei einer leichtgradi-
Intervention in Erwägung gezogen werden. Bei den meisten Pa- gen Aortenklappenstenose gibt es Patienten mit und ohne Symp-
19 tienten mit Mitralklappenprolaps sind rekonstruktiv-chirur- tome. Die Therapieentscheidung, insbesondere die Indikations-
gische Eingriffe ohne Klappenersatz möglich. stellung für eine operative Therapie, hängt wesentlich vom Vor-
liegen von Symptomen ab.

19.4 Aortenstenose Linksventrikuläre Hypertrophie


Folge der erhöhten Druckbelastung ist eine konzentrische Hyper-
19.4.1 Ätiologie und Pathologie trophie des linken Ventrikels ohne Kammervergrößerung. Da-
durch kann die systolische linksventrikuläre Funktion, gemessen
> Die Aortenstenose ist in Mitteleuropa heute die häufigste pri- als Herzminutenvolumen und EF, in Ruhe normal gehalten wer-
märe Klappenläsion beim Erwachsenen. den. Während körperlicher Belastung sind Patienten mit schwerer
Aortenstenose jedoch nicht in der Lage, das Herzminutenvolu-
Man unterscheidet Aortenstenosen kongenitalen und erwor- men adäquat zu steigern. Gelegentlich entwickelt sich bei Pati-
benen Ursprungs (zur kongenitalen Aortenstenose 7 Kap. 18). enten mit schwerster valvulärer Aortenstenose zusätzlich eine
Die häufigste Ursache für eine erworbene Aortenkappenstenose wulstförmig-muskuläre, subvalvuläre Obstruktion.
19.4 · Aortenstenose
409 19

Die linksventrikuläre Hypertrophie hat bereits relativ früh- treten von Symptomen den kritischen Wendepunkt im Verlauf
zeitig negative Auswirkungen auf die diastolische Funktion. Die- der Erkankung und wesentlich die Therapieentscheidungen. Die
se beinhalten eine Abnahme der Relaxationsgeschwindigkeit und meisten Ärzte behandeln demnach asymptomatische Patienten
der linksventrikulären Dehnbarkeit (Compliance) mit konseku- konservativ; dagegen sollten Patienten mit schwerer symptoma-
tiv erhöhtem linksventrikulären Füllungsdruck. Wenn die links- tischer Aortenklappenstenose operativ behandelt werden. Hierzu
ventrikuläre Hypertrophie die chronische Druckbelastung nicht muss man wissen, dass zwar auch bei asymptomatischen Pati-
mehr kompensieren kann, entwickeln sich eine linksventrikuläre enten mit Aortenklappenstenose der plötzliche Herztod eintreten
Dilatation und Abnahme der systolischen Funktion. kann, dass dieses Ereignis aber mit einer jährlichen Inzidenz von
1% selten ist. Grundsätzlich gilt, dass der asymptomatische Pati-
> In einem Circulus vitiosus kommt es zu erhöhter Wandspan-
ent mit Aortenklappenstenose eine ähnliche Prognose hat wie
nung, Anstieg des enddiastolischen Druckes und letztlich zur
altersentsprechende Menschen ohne Aortenstenose. Auf der an-
Linksherzdekompensation. Diese primär hypertrophiebedingte
deren Seite ist die Erkrankung häufig rasch progredient. So gilt
Dehnbarkeitsstörung wird mit zunehmender Dauer durch eine
für Patienten mit leichter oder höhergradiger Aortenklappenste-
fortschreitende Fibrosierung des Myokards infolge relativer Ko-
nose, dass etwa 40% pro 3 Jahre Symptome entwickeln.
ronarinsuffizienz verstärkt.

Als relative Koronarinsuffizienz bezeichnet man das Unvermö- Prognose nach Klappenersatz
gen des hypertrophierten Herzens, die Koronarperfusion ent- Die Krankenhausletalitätsrate bei isoliertem Klappenersatz wird
sprechend den Bedürfnissen der vermehrten Muskelmasse bei mit 1,5–5,6% angegeben. Hohes Alter ist keine Kontraindikation
normaler Koronarmorphologie zu steigern. gegen einen isolierten Klappenersatz, allerdings muss bei Pati-
enten über 70 Jahre mit einer Krankenhaussterblichkeit von
Störung der Vorhofkontraktion 4,3–8,8% gerechnet werden. Bei kombinierten Eingriffen (koro-
Mit der diastolischen Druckerhöhung im linken Ventrikel steigt narer Bypass, bivalvulärer Eingriff) ist die Letalitätsrate erhöht.
auch der Druck im linken Vorhof. Dies zeigt sich insbesondere in Nach erfolgreichem Aortenklappenersatz ist generell die Lebens-
einem Anstieg der präsystolischen A-Welle der Vorhofdruckkur- erwartung gut. Etwa 80% der Patienten leben noch nach 5 Jahren,
ve, die Ausdruck einer verstärkten Vorhofkontraktion bei herab- 60% nach 10 Jahren und 40% nach 15 Jahren. Dabei beträgt die
gesetzter Dehnbarkeit des linken Ventrikels ist. durch die Klappenprothese bedingte Mortalität 0,6% pro Jahr.
Die Vorhofkontraktion spielt also für die linksventrikuläre
Füllung eine entscheidende Rolle. Sie sorgt über eine ausreichende
linksventrikuläre Vordehnung für ein adäquates Schlagvolumen. 19.4.4 Klinische Symptome
Der Verlust der Vorhofkontraktion bei Vorhofflimmern kann da-
her zu einer klinischen Verschlechterung des Patienten führen. Patienten mit Aortenstenose bleiben meist so lange ohne Symp-
tome, bis die KÖF um 60–75%, entsprechend einer Öffnungsflä-
che von 1,0 cm2 oder weniger, reduziert ist.
19.4.3 Prognose
> Die klassischen Symptome einer hämodynamisch relevanten
Aortenstenose sind Angina pectoris, Synkope und Zeichen der
Patienten mit hämodynamisch signifikanter Aortenstenose kön-
Linksherzinsuffizienz. Das Auftreten dieser Leitsymptome ist
nen jahrelang symptomfrei bleiben und haben in diesem Stadium
prognostisch ungünstig.
eine gute Prognose. Dies gilt insbesondere für die rheumatisch
bedingte Aortenstenose. Patienten mit degenerativ verkalkter Angina pectoris tritt bei 50–70% der Patienten mit schwerer Ste-
Aortenstenose weisen eine stärkere Progression mit einer KÖF- nosierung auf, von denen etwa die Hälfte eine begleitende KHK
Abnahme von im Durchschnitt 0,1 cm2 oder einer Zunahme des hat. Bei fehlender KHK erklärt sich die Angina-pectoris-Symp-
Druckgradienten um 7 mmHg pro Jahr auf. Aber auch bei Pati- tomatik durch den erhöhten O2-Bedarf infolge der gesteigerten
enten mit rheumatisch bedinger Aortenklappenstenose ist ein linksventrikulären Wandspannung und der ausgeprägten Myo-
rapider Progress der Erkrankung nicht auszuschließen. kardhypertrophie. Die unzureichende Myokardperfusion kann
Auch ohne Stenosierung des Ausflusstraktes ist eine reine weiter als Ursache ischämietypischer ST-Strecken-Verände-
Aortenklappensklerose, die bei 25% der Menschen über 65 Jah- rungen im EKG und sekundärer Arrhythmien bis zum Kammer-
ren auftritt, ein bedeutender kardiovaskulärer Risikofaktor. Das flimmern angesehen werden.
Risiko eines Myokardinfarkts oder eines kardiovaskulär be- Symptome der Linksherzinsuffizienz stellen eine wesentliche
dingten Todes ist um 50% erhöht. Bei Patienten mit schwerer klinische Manifestationsform der Aortenstenose dar. Aufgrund
Aortenklappenstenose kommt es unabhängig von klassischen der diastolischen Funktionsstörung kann frühzeitig eine Belas-
Symptomen der Aortenklappenstenose zu einer Thrombozyten- tungsdyspnoe auftreten. Diese kann durch eine zusätzliche sys-
funktionsstörung und einem erworbenen Mangel an Von-Wil- tolische Dysfunktion aggraviert werden. Paroxysmale nächtliche
lebrand-Faktor. Der Schweregrad der Gerinnungsstörung korre- Dyspnoe, Orthopnoe und Hämoptysen sind Folge weiterer Ver-
liert mit dem Stenoseausmaß und ist bei 20% der Patienten mit schlechterung.
Nasenbluten oder Zahnfleischblutungen verbunden.
> Etwa 25% der Patienten mit Symptomen erleiden, gewöhnlich
In der Endphase der Erkrankung entwickelt der Patient ty-
während oder direkt nach körperlicher Belastung, eine Synkope.
pische Symptome wie Angina pectoris, Synkopen oder Zeichen
der Herzinsuffizienz. In dem Moment verändert sich die Progno- Häufigste Ursache dieser Synkope ist eine verminderte zerebrale
se dramatisch. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach dem Durchblutung bei Blutdrucksenkung infolge belastungsindu-
Auftreten von Symptomen beträgt nur noch 2–3 Jahre mit einem zierter peripherer Vasodilatation und gleichzeitig fixiertem Herz-
hohen Risiko des plötzlichen Herztods. Damit bestimmt das Auf- minutenvolumen.
410 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

Als Komplikationen einer schweren Aortenstenose sind Mi- In der Regel weisen Patienten mit signifikanter Aortensteno-
kroembolisationen ausgehend von verkalkten Aortenklappense- se keinen arteriellen Hochdruck auf. Allerdings beobachtet man
geln zu nennen. Klinisch manifest werden sie meist als neurolo- nicht selten bei älteren Patienten mit verminderter peripherer
gische Ausfallerscheinungen bzw. Gesichtsfeldausfälle. arterieller Elastizität der Gefäße erhöhte systolische Blutdruck-
Weiterhin sollen gastrointestinale Blutungen, meist Folge ei- werte trotz Vorliegens eines signifikanten Druckgradienten über
ner Angiodysplasie im Bereich des rechten Kolons, bei Patienten der Aortenklappe.
mit Aortenstenose vermehrt auftreten.
Elektrokardiogramm
Die elektrokardiographischen Veränderungen bei der Aortenste-
19.4.5 Diagnostik nose sind Ausdruck der linksventrikulären Hypertrophie. Sie
finden sich bei etwa 85% der Patienten mit schwerer Aortenste-
Körperliche Untersuchung nose. Dabei können die Zeichen der Linkshypertrophie (posi-
Patienten mit signifikanter Aortenstenose haben eine geringe tiver Sokolow-Lyon-Index, linkstypische Herzachse) bereits bei
Pulsamplitude und einen langsamen Pulsanstieg (Pulsus parvus leichten Stenosen vorhanden sein. Schädigungszeichen finden
et tardus). Der Herzspitzenstoß ist meist kräftig. Erst im fortge- sich jedoch erst bei schwerer Aortenstenose.
schrittenen Krankheitsstadium mit linksventrikulärer Dilatation Insbesondere weisen T-Wellen-Negativierungen auf eine
tritt eine Verlagerung des Herzspitzenstoßes auf. mittelschwere bzw. schwere Stenosierung hin. So haben Patienten
mit einem maximalen Druckgradienten von mehr als 100 mmHg
> Charakteristischerweise findet sich ferner ein systolisches
über der Aortenklappe meist präterminal negative T-Wellen in
Schwirren über dem Jugulum beim Vorliegen einer hämodyna-
den linkspräkordialen Brustwandableitungen.
misch signifikanten Stenose.
Bei Sinusrhythmus besteht gelegentlich ein P-sinistroatriale
Der klassische Auskultationsbefund bei der Aortenstenose ist ein als Zeichen der linksatrialen Belastung. Seltener finden sich Reiz-
lautes nieder- bis mittelfrequentes, spindelförmiges Systolikum leitungsstörungen in Form einer AV-Blockierung oder eines
mit einem typischerweise über der Herzbasis lokalisierten Punc- Linksschenkelblocks (5–10%), insbesondere bei von der Aorten-
tum maximum, zuweilen ist dies jedoch auch am linken Sternal- klappe ausgehenden Kalkinfiltrationen des Leitungssystems.
rand oder über der Herzspitze auskultierbar. Das Geräusch wird Ventrikuläre Arrhythmien treten bei zunehmender Einschrän-
in die Karotiden fortgeleitet. kung der linksventrikulären Funktion gehäuft auf.
Es besteht kein enger Zusammenhang zwischen der Lautstär-
ke des Systolikums und der Schwere der Aortenstenose. Vielmehr Thoraxröntgenaufnahme
kann eine Verminderung des Herzminutenvolumens bei kri- Radiologisch erscheint das Herz oft von normaler Größe, da es zu-
tischer Aortenstenose sogar zur deutlichen Abnahme der Laut- nächst nur zur konzentrischen Hypertrophie des linken Ventrikels
stärke des Geräusches führen. Der Beginn des Geräusches ist ohne Dilatation des Ventrikelkavums kommt. Erst bei linksventri-
meist deutlich vom normal lauten ersten Herzton abgesetzt; der kulärer Dilatation tritt eine Vergrößerung der Herzsilhouette auf.
Zeitpunkt des Geräuschmaximums tritt mit zunehmendem Die poststenotische Dilatation der aszendierenden Aorta ist
Druckgradienten später ein. ein häufiger Befund bei signifikanter Aortenstenose. Das wich-
Typische Veränderungen betreffen den zweiten Herzton. Die tigste Röntgenzeichen ist jedoch die Kalzifikation der Aorten-
physiologische Spaltung des zweiten Herztons bleibt bei leichter Aor- klappe, die am besten im Thoraxseitenbild oder unter Durch-
tenstenose erhalten. Mit zunehmender Schwere der Aortenstenose leuchtung erkennbar ist.
verlängert sich die linksventrikuläre Auswurfzeit, und die aortale
Komponente des zweiten Herztons verspätet sich; dies kann zu einer Echokardiographie
paradoxen Spaltung führen. Bei 90% der Patienten mit schwerer > Der 2D-Dopplerechokardiographie kommt eine Schlüsselfunkti-
Aortenstenose ist die aortale Komponente nicht mehr zu hören, da on in der nichtinvasiven Diagnostik der Aortenstenose zu.
die Aortenklappe durch Kalzifikation an Mobilität verliert.
Die pulmonale Komponente des zweiten Herztons kann Die 2D-Echokardiographie erlaubt die morphologische Beurtei-
durch das laute, lang andauernde systolische Geräusch überdeckt lung von Verdickung, Kalzifikation und Mobilität der Klappen-
sein. Ein vierter Herzton (atrialer Galopp) tritt erst bei schwerer segel, eine Analyse des Hypertrophiegrades, der systolischen
Aortenstenose auf und weist auf eine ausgeprägte Vorhofkontrak- Funktion sowie der Volumina des linken Ventrikels.
19 tion als Ausdruck eines erhöhten linksventrikulären Füllungs- Mithilfe der TTE oder ggf. der TEE kann zwischen bi- und
drucks hin (. Abb. 19.7). trikuspider Klappenanlage sicher differenziert werden. Die pla-
nimetrische Bestimmung der KÖF ist mithilfe der TTE fast nie,
aufgrund des höheren Auflösungsvermögens und der besseren
Bildqualität mit der TEE jedoch in den meisten Fällen möglich.
Dies kann insbesondere bei Patienten mit verminderter links-
ventrikulärer Funktion und grenzwertigem Druckgradienten
von entscheidender klinischer Bedeutung sein.
Die CW-Doppleranalyse gestattet, mithilfe der Bernoulli-
Gleichung aus dem Flussgeschwindigkeitsprofil den mittleren
und den maximalen momentanen Klappengradienten in den
meisten Fällen zuverlässig zu errechnen. Der mittlere Druckgra-
dient korreliert besser als der Spitzengradient mit den invasiv
. Abb. 19.7. Auskultationsbefund bei Aortenklappenstenose gemessenen Werten (. Abb. 19.8).
19.4 · Aortenstenose
411 19

. Abb. 19.8. Echokardiographiebefund bei


Aortenklappenstenose mit Darstellung der ver-
kalkten Aortenklappe im Vierkammerblick und
typischem CW-Dopplerprofil. (Dr. F. Dodos,
Herzzentrum Köln)

> Der dopplerechokardiographisch bestimmte Spitzengradient rikulären Volumina und Austreibungsfraktion, des Verkalkungs-
und der mithilfe der invasiven Messung registrierte »Peak-to- grades, die Ermittlung der KÖF sowie die Erkennung von beglei-
peak«-Gradient sind nicht identisch. tenden Klappenvitien. Die Angiographie ermöglicht ferner die
Lokalisation der Stenose, die Beurteilung der Klappenmorpholo-
Voraussetzung für eine korrekte dopplerechokardiographische gie (bi-/trikuspide) und -mobilität. Der Zugang zum linken Vent-
Gradientenbestimmung ist, dass der Dopplerstrahl koaxial mit rikel gelingt in mehr als 95% der Fälle durch retrograde Sondie-
der Richtung des maximalen Blutflusses ist. Andernfalls droht rung über die Aortenklappe.
eine Unterschätzung des wahren Druckgradienten. Deshalb soll- Zur Beurteilung der hämodynamischen Relevanz einer Klap-
te bei mittleren Gradienten im Grenzbereich von 30–50 mmHg penstenose sind 3 Parameter der Druckgradientenbestimmung
und klinischem Verdacht auf eine höhergradige Stenose eine gebräuchlich:
Herzkatheteruntersuchung durchgeführt werden. 4 Spitzengradient: maximaler systolischer momentaner
Die Höhe des Druckgradienten ist von der linksventrikulären Druckunterschied zwischen linkem Ventrikel und Aorta as-
Funktion, einer evtl. gleichzeitig bestehenden Aorteninsuffizienz cendens.
und dem Herzminutenvolumen abhängig. Trotz schwerer Aor- 4 Peak-to-Peak-Gradient: Differenz zwischen maximalem
tenstenose kann ein niedriger Gradient gemessen werden, wenn systolischen Druck im linken Ventrikel und in der Aorta.
das HZV infolge myokardialer Insuffizienz niedrig ist. 4 Mittlerer Druckgradient: Flächenintegral zwischen links-
Die Kombination der echokardiographischen Untersuchung ventrikulärem Druck und Aortendruck (wichtigstes hämo-
mit einem Belastungstest kann zur Differenzierung zwischen ei- dynamischer Parameter).
ner organisch fixierten und einer funktionellen Aortenstenose
bei niedrigem Schlagvolumen nützlich sein. Bei normaler Ventrikelfunktion ist bei einem mittleren Druck-
gradienten ≥50 mmHg von einer hämodynamisch relevanten
! Cave
Aortenstenose auszugehen. Eine deutliche Einschränkung der
Bei Patienten mit symptomatischer Aortenstenose sind Belas-
linksventrikulären Funktion reduziert den Gradienten über der
tungstests kontraindiziert.
Klappe.
Indiziert ist die Echokardiographie zur ersten Diagnosestellung Zusätzlich zum Druckgradienten sollten das Schlagvolumen
beim Verdacht auf Vorliegen einer Aortenklappenstenose, z. B. und die Herzfrequenz angegeben werden. Die mithilfe der Gor-
bei Patienten mit einem systolischen Strömungsgeräusch bei der lin-Formel berechnete KÖF ergibt einen von der linksventriku-
Auskultation, zur Beurteilung der Ventrikelmorphologie und lären Funktion weitgehend unabhängigen Parameter für die
-funktion, bei Patienten mit bekannter Aortenstenose und Ver- Schwere der Klappenobstruktion. In der Gorlin-Formel finden
änderung der Symptome, bei Patienten mit Aortenstenose und der mittlere Druckgradient, die systolische Ejektionsdauer und
Schwangerschaft zur Verlaufskontrolle sowie bei asymptoma- das Herzminutenvolumen Berücksichtigung.
tischen Patienten mit Aortenstenose zur Verlaufskontrolle, die
! Cave
bei schwerer Aortenstenose jährlich, bei mittelgradiger Aorten-
Bei mithilfe der Thermodilution bestimmtem Schlagvolumen
stenose alle 1–2 Jahre und bei milder Aortenstenose alle 3–5 Jahre
wird bei gleichzeitig vorliegender Aorteninsuffizienz das tat-
durchgeführt werden sollte.
sächlich die Aortenklappe passierende Blutvolumen um den Be-
trag des Regurgitationsvolumens unterschätzt.
Herzkatheteruntersuchung
Patienten mit signifikanter Aortenstenose sollten einer invasiven Eine Herzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie ist bei
Herzkatheterdiagnostik zugeführt werden, sobald sich klinische Patienten mit Aortenklappenstenose und Verdacht auf Vorliegen
Symptome einstellen und eine operative Therapie geplant ist. Die einer KHK vor geplanter Klappenoperation indiziert. Eine Herz-
invasive Diagnostik bei Aortenstenose dient heutzutage primär katheteruntersuchung mit hämodynamischer Messung sollte zur
der Erkennung bzw. dem Ausschluss einer begleitenden KHK. Bestimmung des Schweregrads einer Aortenklappenstenose
Sie ermöglicht darüber hinaus die Registrierung des Klap- durchgeführt werden, wenn nichtinvasive Tests kein eindeutiges
pengradienten, die angiographische Bestimmung der linksvent- Ergebnis liefern oder eine Diskrepanz zwischen diesen Ergebnis-
412 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

sen und der klinischen Symptomatik besteht. Eine seltenere Indi- durch die Klappenoperation. Ist die Beeinträchtigung der links-
kation für eine Koronarangiographie ist ein geplanter Aorten- ventrikulären Pumpfunktion jedoch nicht durch die Nachlaster-
klappenersatz mit einem pulmonalen Autograft (Ross-Prozedur), höhung bedingt, führt die Klappenoperation meist nicht zu ei-
wenn der Ursprung der Koronararterien durch nichtinvasive ner Verbesserung der Pumpfunktion. Dennoch hat die Operati-
Techniken nicht eindeutig bestimmt werden kann. on eine günstige Auswirkung auf die Prognose. Ist die linksvent-
rikuläre Funktionsminderung primär myokardialer Genese
(nach Myokardinfarkt oder nach Myokarditis etc.) bei nichtkri-
19.4.6 Therapie tischer Einschränkung der KÖF, kommt ein operativer Eingriff
nicht infrage.
Medikamentöse Therapie
Asymptomatische Patienten mit Aortenstenose haben trotz der Patienten ohne Symptome. Beim Patienten ohne Symptome mit
linksventrikulären Ausflussbahnobstruktion eine gute Prognose. schwerer Stenosierung der Aortenklappe ist die Indikation zur
Bei diesen Patienten ist medikamentös nur eine Endokarditispro- Operation trotz hämodynamisch signifikanter Stenosierung in
phylaxe erforderlich. Diuretika sind bei eingeschränkter systo- der Regel nicht gegeben. Nach den bisherigen Daten ist bei Pati-
lischer Funktion mit den Zeichen des Linksherzversagens indi- enten ohne Symptome das natürliche Letalitätsrisiko niedriger
ziert; hierbei kann eine zu starke Senkung der Vorlast zu einer als das peri- und postoperative Risiko, sodass engmaschige kli-
Reduktion der Herzleistung führen. Vasodilatoren können bei nische und dopplerechokardiographische Kontrollen mit konse-
Patienten mit Aortenstenose und Lungenödem hilfreich sein. quenter Endokarditisprophylaxe gerechtfertigt erscheinen. Eine
Wegen der ausgeprägten Neigung zu Hypotonien dürfen Nitrate Operationsindikation besteht hier bei Patienten mit hochgradi-
oder ACE-Hemmer bei Patienten mit Aortenstenose jedoch nur ger Stenose, die sich aus anderen Gründen einer Bypassoperati-
mit größter Vorsicht und am besten unter intensivmedizinischer on, einer Operation der Aorta oder einer Operation weiterer
Überwachung gegeben werden. Beim Auftreten von Vorhofflim- Klappen unterziehen müssen, sowie bei Patienten mit schwerer
mern ist die Gabe von Digitalis indiziert. Präferenziell ist zur Aortenstenose und eingeschränkter Ventrikelfunktion mit einer
Wiederherstellung des hämodynamisch günstigeren Sinusrhyth- EF unter 50%.
mus stets eine medikamentöse oder eine elektrische Kardioversi-
on anzustreben. Wegen des erhöhten Synkopenrisikos sollten Aortenvalvuloplastie
sich asymptomatische Patienten mit hochgradiger Aortenstenose Nach anfänglicher Euphorie über die in den 1980er Jahren
keinen anstrengenden körperlichen oder sportlichen Belastun- eingeführte Valvuloplastie steht man heute dieser Therapie als
gen unterziehen. Eine Statintherapie zur Verringerung der Pro- elektiver Maßnahme wegen der hohen Restenoserate skep-
gression einer bereits bestehenden leichten Stenosierung hat sich tisch gegenüber. Der Gradient über der Klappe lässt sich akut
nicht bewährt. durch die Dilatation um 30–50% senken. Diese hämodyna-
mische Verbesserung geht auch mit einer deutlichen Verbes-
! Cave
serung des subjektiven Befindens einher. Die Dreißigtage-
Bei wenigen Patienten kann innerhalb kurzer Zeit die asympto-
mortalitätsrate liegt aber in einer Größenordnung von 14%
matische Krankheitsphase in eine symptomatische übergehen
und die Einjahresmortalitätsrate bei annähernd 25%. Die Re-
und zum plötzlichen Herztod führen.
stenoserate innerhalb eines Zeitraums von 6–12 Monaten be-
Die Identifikation dieser Patienten ist sehr schwierig. Umso wich- trägt ca. 50%. Eine Verbesserung der langfristigen Prognose
tiger ist es, Patienten ohne Symptome anzuhalten, sich sofort in gegenüber dem natürlichen Verlauf konnte nicht festgestellt
ärztliche Betreuung zu begeben, sobald Belastungsangina, Dys- werden.
pnoe oder Synkopen auftreten. Die Ballonvalvuloplastie wird daher nur noch als überbrü-
ckende Maßnahme vor geplanter Klappenersatzoperation bei
Operative Therapie hämodynamisch instabilen Patienten oder bei Jugendlichen oder
Klappenersatz jungen Erwachsenen durchgeführt.
Patienten mit Symptomen. Für junge Patienten mit kongenital oder rheumatisch be-
Bei Patienten mit schwerer, symptomatischer, kalzifizierter Aor- dingter Aortenstenose und nur geringer Klappenverkalkung ha-
tenklappenstenose ist der Aortenklappenersatz die einzige effek- ben sich bessere Langzeitergebnisse gezeigt.
tive Therapie. Die Indikation ist gegeben, sofern ein mittlerer
19 Gradient von >50 mmHg oder eine KÖF von <1,0 cm2 vorliegt. Interventioneller Aortenklappenersatz
Jüngere Patienten mit einer kongenitalen oder einer rheuma- Eine neue Ära wird möglicherweise durch den mittlerweile in
tischen Aortenklappenstenose ohne Verkalkung können mit der einigen Zentren bei einer Reihe von Patienten angewandten in-
Valvulotomie behandelt werden. terventionellen Aortenklappenersatz eröffnet. Mit der Entwick-
lung von entweder von transfemoral (Core-Valve-Aortenklap-
> Angesichts der ungünstigen Prognose ist beim Vorliegen von
penprothese) oder von apikal implantierbaren Aortenklappen-
Herzinsuffizienz, Angina-pectoris-Beschwerden oder Synkope
bioprothesen (Cribier-Edwards-Aortenklappenprothese) wird
bei hämodynamisch signifikanter Aortenstenose ein rascher
ein Verfahren angeboten, dessen Risiko theoretisch nicht viel
operativer Klappenersatz angezeigt.
höher ist als bei der Aortenklappensprengung, das aber wegen
Problematisch ist die Entscheidung zur Operation bei Patienten der Implantation einer Aortenklappenprothese ein günstigeres
mit einem mittleren transvalvulären Druckgradienten von 20– Langzeitergebnis erwarten lässt. Derzeit liegt die Dreißigta-
30 mmHg und deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funk- gessterblichkeitsrate bei Hochrisikopatienten bei etwa 10%. Er-
tion. Die Verminderung der linksventrikulären Pumpfunktion ist gebnisse von Langzeitbeobachtungen liegen in der Literatur
häufig durch die Nachlasterhöhung bedingt und verbessert sich noch nicht vor.
19.5 · Aorteninsuffizienz
413 19
19.5 Aorteninsuffizienz Chronische Aorteninsuffizienz
Definition
19.5.1 Ätiologie und Pathologie Die chronische Aorteninsuffizienz ist durch eine Volumen-
überlastung des linken Ventrikels gekennzeichnet. Bei der
> Eine Aorteninsuffizienz kann entweder durch eine primäre Er- chronischen mittelschweren bis schweren Form ist die Aor-
krankung der Klappensegel (ca. zwei Drittel der Fälle) oder tendruckamplitude typischerweise erhöht. Der diastolische
deren Fixation an der Aortenwand bzw. eine Dilatation der Aortendruck ist erniedrigt und kann sich bei schwerer Aor-
Aortenwurzel (ca. ein Drittel der Fälle) hervorgerufen werden. teninsuffizienz dem enddiastolischen Druck im linken Ventri-
Degenerative Veränderungen haben heutzutage das rheuma- kel angleichen.
tische Fieber als Hauptursache einer klappenbedingten Aorten-
insuffizienz abgelöst.
Bei der chronischen Aorteninsuffizienz kommt es zu einer
Für die Ausbildung einer Aortenklappeninsuffizienz gibt es eine schrittweisen Adaptatation des linken Ventrikels an die gestei-
ganze Reihe von Gründen. Sie beinhalten eine idiopathische Er- gerte Volumenbelastung. Der Ventrikel reagiert auf diese Volu-
weiterung der Aorta, kongenitale Abnormalitäten der Aorten- menbelastung mit einer Zunahme des enddiastolischen Volu-
klappe (insbesondere bikuspid angelegte Klappen), kalzifizie- mens, einer Zunahme der Ventrikel-Compliance, um das gestei-
rende Degenerationen, rheumatische und endokarditische Klap- gerte Volumen ohne Anstieg des Füllungsdrucks aufnehmen zu
penveränderungen, arterielle Hypertonie, myxomatöse Degene- können, und einer Kombination aus ekzentrischer sowie kon-
rationen und Aortendissektion. Weniger häufige Ursachen sind zentrischer Myokardhypertrophie. Die Myokardhypertrophie
traumatische Verletzungen der Aortenklappe, Spondylitis anky- ist nicht zuletzt Folge einer Druckbelastung des Myokards, die
losans, syphilitische Aortitis, rheumatoide Arthritis, Osteogene- zu der chronischen Volumenbelastung hinzukommt. Dies ist der
sis imperfecta, Ehlers-Danlos-Syndrom, Reiter-Krankheit, Fall, wenn bei vergrößertem linken Ventrikel die Wandspan-
diskrete subvalvuläre Aortenstenosen und Ventrikelseptumde- nung zunimmt. Das größere linksventrikuläre Volumen ermög-
fekt mit Aortensegelprolaps. Selten führen auch anorektische licht die Zunahme des Schlagvolumens, um das nach vorne aus-
Pharmaka zu einer Aortenklappeninsuffizienz. In den meisten geworfene Blutvolumen konstant zu halten. In der Tat ist bei der
Fällen entwickelt sich die Aortenklappeninsuffizienz langsam chronischen Aorteninsuffizienz die Funktion des linken Ventri-
progredient und wird von einer zunehmenden Dilatation kels lange normal. Dementsprechend sind viele Patienten mit
des linken Ventrikels begleitet. Symptome entwickeln sich dem- einer Aorteninsuffizienz über viele Jahre beschwerdefrei. Erst in
entsprechend langsam und spät. Im Gegensatz hierzu ist der der Spätphase kommt es zur Ausbildung einer linksventriku-
Verlauf bei einer Aortenklappeninsuffizienz infolge einer lären Funktionsstörung.
Endokarditis, eines Traumas oder einer Aortendissektion mit
! Cave
plötzlicher schwerer Aorteninsuffizienz und plötzlicher Erhö-
Der Übergang zwischen kompensiertem Stadium und links-
hung des linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdrucks
ventrikulärer Dysfunktion ist kontinuierlich schleichend, und es
dramatisch.
gibt keinen messbaren Parameter, der diesen Übergang eindeu-
tig kennzeichnet.
19.5.2 Pathophysiologie Problematisch ist hierbei für den Patienten, dass eine initiale
linksventrikuläre Funktionsstörung bei chronischer Aortenin-
Akute Aorteninsuffizienz suffizienz in der Regel reversibel ist, da sie meist durch eine
Bei der akuten Aorteninsuffizienz wirkt das Regurgitationsvolu- exzessive Nachlasterhöhung bedingt ist. Im späteren Stadium
men auf einen normal großen linken Ventrikel ein, der nicht beruht die linksventrikuläre Funktionsstörung dagegen auf
an das größere Volumen adaptiert ist. Mit dem abrupten An- einer Abnahme der myokardialen Kontraktilität, die häufig auch
stieg des enddiastolischen Volumens arbeitet der Ventrikel am nach operativer Korrektur der Aorteninsuffizienz nicht mehr
steil aufsteigenden Schenkel der normalen diastolischen reversibel ist.
Druck-Volumen-Kurve, und der linksventrikuläre enddiasto-
lische Druck sowie der atriale Druck steigen massiv an. Als
Kompensation dient der Frank-Starling-Mechanismus. Aller- 19.5.3 Prognose
dings ist dieser Kompensationsmechanismus durch die redu-
zierte Dehnbarkeit des Ventrikels eingeschränkt. Ein zweiter Die Prognose von Patienten mit chronischer Aorteninsuffizienz
Kompensationsmechanismus ist eine Tachykardie, die aber ohne Klappenersatz ist von der Symptomatik und dem Grad der
meist auch nicht ausreicht, um die Regurgitation zu kompensie- linksventrikulären Dysfunktion abhängig.
ren. Die klinischen Folgen sind Lungenödem und kardiogener Patienten ohne Symptome mit chronischer Aorteninsuffizi-
Schock. Noch dramatischer ist die Situation bei Patienten mit enz und normaler linksventrikulärer Funktion haben eine sehr
vorbestehender Myokardhypertrophie, bei denen das Ventrikel- gute Prognose. Die Mortalität beträgt lediglich 0,2% pro Jahr.
lumen bedingt durch die Hypertrophie kleiner ist und die dias- Auch die Wahrscheinlichkeit, Symptome und/oder eine links-
tolische Druck-Volumen-Beziehung eine noch steilere Kurve ventrikuläre Funktionsstörung zu entwickeln, ist mit 4,3% pro
darstellt. Jahr sehr gering. Zur Prognose bei Patienten ohne Symptome mit
linksventrikulärer Dysfunktion liegen nur wenige Daten vor. Je-
doch entwickeln mehr als 25% der Betroffenen pro Jahr Symp-
tome, sodass bei den meisten binnen 2–3 Jahren ein operativer
Klappenersatz erforderlich wird.
414 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

Beim Vorliegen pektanginöser Beschwerden beträgt die


Mortalität >10% pro Jahr, bei Symptomen einer Herzinsuffizienz
>20% pro Jahr. Da eine medikamentöse Therapie analog zur Aor-
tenstenose meist keinen dauerhaften Erfolg zeigt, ist bei sympto-
matischer Aorteninsuffizienz daher in aller Regel ein Klappener-
satz indiziert.

19.5.4 Klinische Symptome

Typisch bei Patienten mit chronischer Aorteninsuffizienz ist die


lange Zeit kardialer Beschwerdefreiheit. Symptome der einge-
schränkten Pumpreserve treten meist erst bei bereits vorhande-
ner myokardialer Dysfunktion auf. Das wichtigste Symptom ist
die Belastungsdyspnoe, später können paroxysmale nächtliche
Dyspnoe oder Orthopnoe auftreten. Angina pectoris ist seltener
als bei der Aortenstenose. . Abb. 19.9. Auskultationsbefund bei Aortenklappeninsuffizienz
Bei akuter Aorteninsuffizienz stehen plötzlich eintretende
Symptome wie starke Dyspnoe und Hypotension bis hin zum
Kollaps im Vordergrund. Angina pectoris ist dagegen selten. mum über der Herzspitze, hervorgerufen durch die Endokardbe-
rührung des Aorteninsuffizienzjets.

19.5.5 Diagnostik ! Cave


Das Geräusch tritt nur bei schwerer Aorteninsuffizienz auf und
ist von dem einer Mitralstenose schwer zu unterscheiden.
Körperliche Untersuchung
Bei chronischer mittelschwerer bis schwerer Aorteninsuffizienz ist
die Blutdruckamplitude typischerweise hoch. Entscheidender für Elektrokardiogramm
die klinische Einschätzung des Schweregrads einer Aorteninsuffi- Aufgrund der Volumenbelastung und der Hypertrophie bei der
zienz ist jedoch der diastolische Blutdruck. Der Herzspitzenstoß ist chronischen Aorteninsuffizienz findet sich eine Verlagerung der
oft hebend sowie häufig nach lateral und inferior verlagert. Ein elektrischen Herzachse nach links. Als Ausdruck einer relativen
systolisches Schwirren kann über der Herzbasis palpabel sein. Koronarinsuffizienz können linkspräkordial gesenkte ST-Stre-
Typisch für die schwere Aorteninsuffizienz ist ein Pulsus ce- cken mit präterminalen T-Negativierungen vorliegen. Im fortge-
ler et altus. Von den selteneren klinischen Zeichen einer Aorten- schrittenen Stadium treten Störungen des Reizleitungssystems
insuffizienz sollen das Quincke-Zeichen (sichtbare Kapillarpul- (z. B. Linksschenkelblock) auf. Dennoch ist das EKG kein guter
sationen) und, sehr selten bei schwerer chronischer Aorteninsuf- Prädiktor für die Schwere des Vitiums oder das Ausmaß der
fizienz, das pulssynchrone Kopfnicken (Musset-Zeichen) er- linksventrikulären Hypertrophie. Bei der akuten Aorteninsuffi-
wähnt werden. zienz fehlen Hypertrophiezeichen zumeist, unspezifische ST-
Bei der akuten Aorteninsuffizienz kann die Blutdruckamp- Strecken-Veränderungen sind jedoch häufig.
litude normal sein; die oben genannten klinischen Zeichen feh-
len häufig. Thoraxröntgenaufnahme
Auskultatorisch findet sich bei der Aorteninsuffizienz ein Als Ausdruck der chronischen Volumenbelastung kommt es zur
normaler bis leiser erster Herzton, der zweite Herzton ist abge- Dilatation des linken Ventrikels, die bei akutem Auftreten fehlt.
schwächt oder kann bei schwerer Aorteninsuffizienz nahezu feh- Eine Kalzifizierung der Aortenklappe ist bei isolierter Aortenin-
len. Ein dritter Herzton ist als Zeichen einer linksventrikulären suffizienz selten, findet sich jedoch häufig bei kombinierten Viti-
Volumenbelastung anzusehen. en. Die Dilatation der Aorta ascendens ist meist ausgeprägter als
bei der Aortenstenose.
> Das charakteristische Herzgeräusch der Aorteninsuffizienz ist
ein hochfrequentes Diastolikum, das direkt nach dem Aorten-
19 klappenschlusston beginnt, häufig einen Dekrescendocharakter
Echokardiographie
Die Kombination von 2D- und Dopplerechokardiographie ist
aufweist und am besten am sitzenden, vornüber gebeugten Pa-
heute das nichtinvasive Verfahren der Wahl zur Diagnostik und
tienten in maximaler Exspiration auskultierbar ist. Die Schwere
Verlaufsbeobachtung der Aorteninsuffizienz. Bei der akuten
der Aorteninsuffizienz korreliert besser mit der Dauer des Ge-
Aorteninsuffizienz kommt dem Nachweis eines vorzeitigen Mi-
räusches als mit seiner Intensität.
tralklappenschlusses mithilfe der M-Mode-Echokardiographie
Bei mittelschwerer Aorteninsuffizienz ist das Geräusch zumeist eine diagnostisch und prognostisch wichtige Bedeutung zu.
holo-, bei leichter nur frühdiastolisch auskultierbar. Bei schwerer Die 2D-Echokardiographie erlaubt die detaillierte morpho-
Aorteninsuffizienz kann durch frühe Angleichung des Aorten- logische Beurteilung der Aortenklappe sowie des Klappenrings
und Ventrikeldrucks die spätdiastolische Komponente des Ge- und der Größe bzw. pathologischen Veränderungen der Aorten-
räusches wieder fehlen. Punctum maximum für die Auskultation wurzel (z. B. Sinus-Valsalvae-Aneurysma). Außerdem können
ist der linke Sternalrand im dritten und vierten ICR (. Abb. 19.9). endsystolischer und enddiastolischer Durchmesser sowie Funk-
Unter einem Austin-Flint-Geräusch versteht man ein spät- tion (Verkürzungsfraktion und EF) des linken Ventrikels als
diastolisches, niederfrequentes Geräusch mit Punctum maxi- wichtige Parameter in der Prognosebeurteilung erfasst werden.
19.5 · Aorteninsuffizienz
415 19

Insbesondere zur Diagnose einer Aortendissektion und Be-


. Tab. 19.2. Semiquantitative Beurteilung der Aortensuffizienz in
urteilung einer begleitenden Aorteninsuffizienz sowie endokar- der Angiographie. (Nach Grossman 1991)
ditischer Läsionen verbessert die TEE die diagnostische Aussa-
gekraft. Grad Merkmale
Dopplerechokardiographisch kann die Aorteninsuffizienz 1+ Bei jeder Diastole zeigt sich ein Rückstrom in den LV, der bei
direkt in der spektralen oder in der Farbdopplertechnik mit ho- der nächsten Systole ausgewaschen wird
her Sensitivität und Spezifität nachgewiesen werden. 2+ Der Rückstrom kontrastiert den gesamten LV, jedoch schwä-
Besonders mit der farbkodierten Dopplerechokardiogra- cher als in der Aorta
phie können Ursprung und Größe des Regurgitationsjets be- 3+ Das Kontrastmittel füllt den LV über mehrere Schläge
stimmt und so der Schweregrad der Insuffizienz semiquantitativ
4+ Wie bei 3+, jedoch wird der LV über 1–2 Schläge stärker kon-
ermittelt werden, während die CW-Dopplertechnik die Bestim-
trastiert als die Aorta
mung der maximalen Flussgeschwindigkeit des Regurgitations-
jets erlaubt. LV linker Ventrikel.
Zur dopplerechokardiographischen Bestimmung des
Schweregrads einer Aorteninsuffizienz haben sich 2 Verfahren
durchgesetzt: Radionuklidventrikulographie
4 Bestimmung der Querschnittsfläche des Regurgitationsjets, Die Radionuklidventrikulographie ist für die Bestimmung von
bezogen auf die Fläche des linksventrikulären Ausflusstrakts, Volumen und Funktion des linken Ventrikels in Ruhe, initial und
und im Verlauf indiziert, wenn keine ausreichende Bildqualität in der
4 Messung der Jetfläche im Längsachsenschnitt. Echokardiographie erzielt werden kann bzw. bei Diskrepanzen
zwischen klinischen und echokardiographischen Befunden. Als
Wegen der hohen Sensitivität in der Erfassung auch sehr ge- Alternative kommt hier jedoch zunehmend die MRT in Be-
ringer Insuffizienzjets lassen sich minimale Aorteninsuffizi- tracht.
enzen ohne morphologische Klappenveränderungen (»physio-
logische« Klappeninsuffizienz) mithilfe der Dopplerechokardi- Herzkatheteruntersuchung
ographie mit zunehmendem Alter z. T. auch bei Normalper- Mithilfe der Angiographie ist eine semiquantitative Abschätzung
sonen nachweisen. des Schweregrads der Insuffizienz möglich (. Tab. 19.2). Zudem
Die Echokardiographie ist zur Bestätigung der Diagnose können die Morphologie der Aortenklappe (Mobilität, Kalzifika-
Aorteninsuffizienz und Feststellung des Schweregrads, zur Beur- tion, bikuspide Klappe) und der aszendierenden Aorta (Ausmaß
teilung der Ätiologie (einschließlich Klappenmorphologie und der Dilatation) sowie assoziierte Abnormalitäten (Sinus-Valsal-
Beurteilung der Aortenwurzel), Beurteilung der linksventriku- vae-Aneurysma, Dissektionen und begleitende andere Vitien)
lären Funktion und Wanddicke sowie für Kontrolluntersu- beurteilt werden.
chungen bei neu auftretender Symptomatik bzw. bei asymptoma-
> Eine Herzkatheteruntersuchung mit Aortenwurzelangiographie
tischen Patienten mit bekannter Erweiterung der Aortenwurzel
und Bestimmung des linksventrikulären Drucks ist zur Bestim-
indiziert. Die Häufigkeit der Verlaufskontrollen hängt vom
mung des Ausmaßes der Aorteninsuffizienz, der linksventriku-
Schweregrad der Symptomatik und der Ventrikelfunktion ab. Bei
lären Funktion und der Größe der Aortenwurzel bestimmt, wenn
asymptomatischen Patienten mit milder Aorteninsuffizienz und
die Ergebnisse der nichtinvasiven Untersuchungen mit den kli-
keiner oder nur geringer linksventrikulärer Dilatation reichen in
nischen Befunden beim Patienten nicht in Einklang zu bringen
der Regel zwei- bis dreijährige Kontrolluntersuchungen. Bei
sind. Darüberhinaus besteht eine Indikation zur Koronarangio-
asymptomatischen Patienten mit schwerer Aorteninsuffizienz
graphie bei Patienten vor geplantem Aortenklappenersatz.
und bedeutender linksventrikulärer Dilatation (d. h. linksventri-
kulärer Durchmesser ≥60 mm) sind häufigere Kontrolluntersu-
chungen alle 6–12 Monate erforderlich. Bei einer Ventrikeldila-
tation >70 mm im enddiastolischen Durchmesser werden sogar 19.5.6 Therapie
vierteljährliche Verlaufskontrollen empfohlen. Halbjährliche
echokardiographische Kontrollen werden auch bei den Patienten Medikamentöse Therapie
empfohlen, bei denen eine progrediente Ventrikeldilatation auf- Akute Aorteninsuffizienz
gefallen ist. Die akute schwere Aorteninsuffizienz hat eine hohe Letalitätsrate
von ca. 75% ohne und 25% mit operativer Therapie. Daher be-
Belastungstest steht in diesen Fällen eine klare Indikation zum dringlichen Klap-
Belastungstests wie Dobutamin-Stress-Echokardiographie oder penersatz. Bis zur definitiven operativen Versorgung der akuten
eine Echokardiographie unter ergometrischer Belastung sind bei Aorteninsuffizienz ist eine medikamentöse Therapie mit Vasodi-
Patienten mit Aortenklappeninsuffizienz nur bedingt indiziert. latatoren (Nitroprussidnatrium), positiv-inotropen Substanzen
Sie können durchgeführt werden, um die funktionelle Kapazität (Dopamin, Dobutamin) und Diuretika als Überbrückung indi-
und die Symptomatik der Patienten bei Belastungen zu evaluie- ziert. Eine IABP ist kontraindiziert. β-Rezeptorenblocker dürfen
ren. Auch können Belastungstests dazu dienen, die vertretbare nur sehr vorsichtig eingesetzt werden, da sie die kompensato-
Schwelle der Patienten bei sportlichen Aktivitäten einzuschätzen. rische Tachykardie aufheben können.
Ein prädiktiver Wert dieser Untersuchungen bei asymptoma- Bei endokarditischer Ursache sollten Patienten, solange sie
tischen Patienten mit normaler linksventrikulärer Funktion in hämodynamisch stabil sind, präoperativ antibiotisch behandelt
Ruhe und ohne schwere linksventrikuläre Dilatation ist jedoch werden, um das Risiko einer späteren Prothesenendokarditis zu
nicht belegt. reduzieren.
416 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

Chronische Aorteninsuffizienz latation, eine abnehmende Belastbarkeit oder eine pathologische


hämodynamische Reaktion bei Belastungen vorliegen.
> Das entscheidende therapeutische Prinzip bei der medika-
In der Regel ist ein Klappenersatz erforderlich, wenngleich in
mentösen Therapie der chronischen Aorteninsuffizienz ist die
einzelnen Fällen (z. B. traumatischer Abriss eines einzelnen Klap-
Nachlastsenkung.
pensegels, aneurysmatische Erweiterung des Aortenklappenanu-
Bei asymptomatischen Patienten mit schwerer Aorteninsuffizi- lus) rekonstruktive Verfahren ausreichen.
enz kommen v. a. ACE-Hemmer oder Kalziumantagonisten ohne Bei aneurysmatischer Erweiterung der Aorta ascendens muss
bradykardisierende Wirkung zum Einsatz. Eine Therapieindika- häufig ein Graft eingesetzt werden, z. T. mit Reimplantation der
tion besteht dabei bei Patienten mit schwerer Aorteninsuffizienz Koronarien. Das operative Risiko eines solchen Eingriffs ist hö-
mit Symptomen und/oder linksventrikulärer Dysfunktion ohne her als das eines alleinigen Klappenersatzes.
Operationsmöglichkeit, bei Patienten mit Herzinsuffizienzsymp- Das Risiko der Operation ist von Begleiterkrankungen des
tomen und schwerer linksventrikulärer Dysfunktion zur Über- Patienten und der linksventrikulären Funktion abhängig. Die
brückung bis zur Operation und bei asymptomatischen Patienten operative Mortalität bei alleinigem Aortenklappenersatz liegt bei
mit noch normaler Ventrikelfunktion zur Verlängerung der kom- ca. 3,6%. Die Zehnjahresüberlebensrate nach Aortenklappener-
pensierten Phase. Ob Letzteres wirklich durch eine medika- satz wegen Aorteninsuffizienz ist von der linksventrikulären
mentöse Therapie erreicht werden kann, ist dabei nicht eindeutig Funktion abhängig. Sie beträgt ca. 70% bei normaler, 56% bei
erwiesen. Auch beim Vorliegen einer Hypertonie sollten Vasodi- mittelgradig reduzierter (EF 35–50%) und 42% bei stark redu-
latatoren eingesetzt werden. Dabei sollte v. a. eine Senkung des zierter (EF <35%) Pumpfunktion.
diastolischen Drucks angestrebt werden, um eine Verschlechte-
rung der Aorteninsuffizienz über die Erhöhung der Nachlast zu
vermeiden. 19.6 Trikuspidalklappenstenose
! Cave 19.6.1 Ätiologie und Pathologie
Der Einsatz von β-Rezeptorenblockern sollte wegen der Verlän-
gerung der Diastolendauer und der damit verbundenen Zunah-
Definition
me der Regurgitation sowie der negativen Inotropie vermieden
Die Stenosierung der Trikuspidalklappe kommt durch rheu-
werden.
matische Entzündungensvorgänge am Klappenapparat zu-
Eine Einschränkung körperlicher Belastungen ist bei asympto- stande, aber auch durch andere Ursachen wie kongenitale
matischen Patienten mit normaler linksventrikulärer Funktion Veränderungen, Kazinoidsyndrom, Tumorinfiltration oder Lu-
nicht erforderlich. pus erythematodes.

Kontrolluntersuchungen
Zur Überwachung der Progredienz einer Aortenklappeninsuffi- Eine Trikuspidalklappenstenose tritt selten als isoliertes erwor-
zienz sind nichtinvasive Kontrolluntersuchungen (Anamnese, benes Vitium im Erwachsenenalter auf. In den meisten Fällen ist
körperlicher Untersuchungsbefund, Echokardiographie) ausrei- sie mit einem postrheumatischen Mitralvitium und hier insbe-
chend. Die Nachuntersuchungsfrequenz ist vom Schweregrad sondere mit der Mitralstenose vergesellschaftet.
der Insuffizienz, Grad der linksventrikulären Dysfunktion und Pathologisch-anatomisch finden sich bei der Trikuspidal-
der Symptomatik abhängig. klappenstenose Verkürzungen der Chordae tendineae mit
Bei Patienten ohne Symptome mit leichter Insuffizienz und Schrumpfung und Verklebung der Segelklappen sowie Kommis-
normaler linksventrikulärer Funktion sind jährliche klinische suren, die zu einer zentralen, oft sichel- oder schlitzförmigen, fi-
Kontrollen bzw. echokardiographische Kontrollen alle 2–3 Jahre xierten Klappenöffnung führen. Klappenkalzifikationen sind die
ausreichend. Bei schwerer Insuffizienz und relevanter Dilatation Ausnahme. Die Erkrankung manifestiert sich am häufigsten im
des linken Ventrikels (linksventrikulärer enddiastolischer Durch- Alter zwischen 20 und 60 Jahren; sie ist bei Frauen häufiger als
messer >60 mm) werden jedoch bereits sechsmonatliche klinische bei Männern.
Kontrollen (Echokardiographie alle 6–12 Monate) empfohlen.

Operative Therapie 19.6.2 Pathophysiologie


19 Ein Aortenklappenersatz ist unabhängig von der Ventrikelfunk-
tion indiziert, wenn der Patient bei schwerer Aorteninsuffizienz Die normale Trikuspidalklappenöffnungsfläche beträgt 6–8 cm2;
symptomatisch ist. Beim asymptomatischen Patienten ist der ab einer Öffnungsfläche <1,5 cm2 ist von einer hämodynamisch
Klappenersatz indiziert, wenn bei schwerer Aorteninsuffizienz relevanten Trikuspidalklappenstenose auszugehen. Die er-
die linksventrikuläre Pumpfunktion eingeschränkt ist (EF <50%) schwerte diastolische Entleerung des rechten Vorhofs führt zu
und wenn aus anderen Gründen eine Myokardrevaskularisati- einer rechtsatrialen Druckerhöhung (Mitteldruck normal
onsoperation oder ein sonstiger Klappenersatz durchgeführt <5 mmHg) und einem diastolischen atrioventrikulären Druck-
werden muss. Zu erwägen ist ein Klappenersatz bei schwerer gradienten, der unter Normalbedingungen <1 mmHg ist. Ab
Aorteninsuffizienz auch dann, wenn der Patient zwar asympto- einem mittleren Gradienten von ca. 5 mmHg liegt ein hämody-
matisch und die EF noch >50% ist, aber bereits eine deutliche namisch relevantes Vitium vor. Mit zentralen Venendrücken um
Ventrikeldilatation vorliegt (enddiastolischer Durchmesser 10 mmHg werden schon Ödembildung und Organkongestion
>75 mm, endsystolischer Durchmesser >55 mm). Bei noch ge- begünstigt. Dies folgt daraus, dass der rechte Vorhof und das Kör-
ringerem Ventrikeldurchmesser kann ein Aortenklappenersatz pervenensystem eine große Dehnbarkeit haben und häufig die
indiziert sein, wenn Hinweise auf eine progrediente Ventrikeldi- Organstauung viel ausgeprägter ist als die Lungenstauung.
19.6 · Trikuspidalklappenstenose
417 19

Gleichzeitig kommt es früh zu einer Abnahme des HZV, da der lisches niederfrequentes Geräusch mit Punctum maximum am
rechte Vorhof augrund seiner Compliance nicht geeignet ist, ei- linken unteren Sternalrand an. Die Geräusche werden – im Un-
nen geeigneten Druckgradienten zur Überwindung des valvu- terschied zu dem Auskultationsbefund der oft begleitenden Mi-
lären Hindernisses aufzubauen. tralstenose – in Rechtsseitenlage, beim Anheben der Beine oder
bei Inspiration lauter (diastolisches Rivero-Carvallo-Zeichen).

19.6.3 Prognose Elektrokardiogramm


Bei erhaltenem Sinusrhythmus spricht ein P-dextroatriale mit
Die sekundären Organinsuffizienzen (Leber- und Niereninsuffi- erhöhter, nichtverbreiterter P-Welle (>0,25 mV) in II, III und
zienz) stehen bei isolierter Trikuspidalklappenstenose klinisch aVF sowie einem betonten ersten Anteil der P-Welle in V1 und V2
im Vordergrund. Sie führen allerdings zu keiner relevanten Ein- bei gleichzeitig fehlenden Zeichen einer rechtsventrikulären Hy-
schränkung der Lebenserwartung. In der Praxis wird die Progno- pertrophie für eine isolierte Trikuspidalklappenstenose. Gele-
se durch die begleitenden und klinisch oft im Vordergrund ste- gentlich tritt ein AV-Block I. Grades auf. Vorhofflimmern ist bei
henden anderen Vitien bestimmt. isolierter Trikuspidalklappenstenose ungewöhnlich.

Thoraxröntgenaufnahme
19.6.4 Klinische Symptome Die radiologischen Veränderungen im Thoraxbild sind oft nicht
sehr eindrucksvoll und können selbst bei hämodynamisch be-
Da bei den meisten Patienten eine Mitralstenose einer Trikuspi- deutsamer Trikuspidalklappenstenose fehlen. Der rechte Vorhof
dalklappenstenose vorausgeht, haben viele Patienten initial Zei- erscheint im posterior-anterioren Strahlengang nach rechts ver-
chen der Lungenstauung. Bei isolierter Trikuspidalklappenste- breitert und führt bei schwerer Trikuspidalklappenstenose zu
nose zeigen die Patienten häufig eine Diskrepanz zwischen Stau- dem Bild einer Kardiomegalie. Der Mediastinalschatten kann
ungszeichen im venösen Kreislauf wie Hepatomegalie, Bein- durch die erweiterte und pulsierende V. cava superior und V. azy-
ödeme sowie Aszites und geringer Luftnot. Mattigkeit und gos nach rechts verbreitert sein. Sehr selten sieht man in der
geminderte körperliche Leistungsfähigkeit sind Ausdruck des Durchleuchtung Verkalkungen des Trikuspidalklappenappa-
reduzierten HZV. rates.
! Cave Echokardiographie
An eine Triskupidalstenose muss auch gedacht werden, wenn
Goldstandard zur Evaluation der Klappenfunktion ist die zweidi-
klinische Zeichen der Rechtsherzbelastung trotz adäquater The-
mensionale Echokardiographie, die in den meisten Fällen eine ge-
rapie einer Mitralklappenstenose persistieren.
naue Beurteilung der Klappenstrukturen erlaubt. Es lassen sich fast
immer verdickte und verplumpte Trikuspidalsegel mit teilweiser
Fusion und konsekutiv verminderter Beweglichkeit nachweisen.
19.6.5 Diagnostik
> Pathognomonisch für die Trikuspidalklappenstenose ist echo-
kardiographisch ein diastolisches »doming« der Trikuspidalsegel
Körperliche Untersuchung
mit verminderter Separationsbewegung.
> Aufgrund der oft nur blanden Symptomatik stellt die klinische
Auffallend ist bei der isolierten Trikuspidalklappenstenose die
Untersuchung die initiale und die wichtigste Grundlage bei der
dysproportionale Vergrößerung des rechten Vorhofs bei normal
Diagnosestellung einer Trikuspidalklappenstenose dar.
großem rechten Ventrikel. Im Gegensatz zur rheumatischen Tri-
Bei leichter Trikuspidalklappenstenose ist ein positiver hepatoju- kuspidalklappenstenose bestehen die morphologischen Verände-
gulärer Reflux häufigstes Untersuchungsmerkmal. Bei fortge- rungen beim Karzinoidsyndrom meist aus einer fibrotisch be-
schrittener Trikuspidalklappenstenose und erhaltenem Sinus- dingten Verdickung der Klappe mit eingeschränkter Beweglich-
rhythmus sind diastolische Jugularvenenpulsationen sichtbar, keit, jedoch keiner Fusion der Segelränder.
die beim Auftreten von Vorhofflimmern allerdings verschwin- Die CW-Dopplerechokardiographie ermöglicht den Nach-
den. Ein bereits im Sitzen deutlich sichtbarer Halsvenenstau, eine weis einer erhöhten Flussgeschwindigkeit über der Trikuspidal-
druckschmerzhafte, vergrößerte Leber, rezidivierende periphere klappe und die Gradientenbestimmung nach der modifizierten
Ödeme (bei einem rechtsatrialen Mitteldruck >10 mmHg) sowie Bernoulli-Gleichung.
Ikterus, Aszites, Anasarka und Pleuraergüsse werden häufig im
fortgeschrittenen Stadium beobachtet. Herzkatheteruntersuchung
Die Auskultationsphänomene sind am besten im vierten bis Die Diagnostik und die präoperative Schweregradbestimmung
fünften ICR sternal und links parasternal zu hören. Im Sinus- der Trikuspidalklappenstenose erfolgen heute üblicherweise
rhythmus ist bei leicht- und mittelgradigen Trikuspidalklappen- durch die Echokardiographie. Im Rahmen einer invasiven Di-
stenosen, hervorgerufen durch die Vorhofkontraktion, ein prä- agnostik erlaubt eine simultane diastolische Druckregistrierung
systolisches Krescendo-Dekrescendo-Geräusch, das vor dem in rechtem Vorhof und Ventrikel die Gradientenbestimmung
ersten Herzton endet, auskultierbar. Bei höhergradigen Vitien über der Trikuspidalklappe. Provokationsmanöver in Form von
findet sich am linken unteren Sternalrand ein betonter erster Flüssigkeitszufuhr in Verbindung mit einer Frequenzanhebung,
Herzton mit weiter Spaltung. Eventuell ist ein Trikuspidalklap- z. B. durch Atropininjektion, können in Zweifelsfällen die diag-
penöffnungston, bei gleichzeitiger Mitralstenose nach dem Mi- nostische Sicherheit erhöhen. Eine angiographische Darstellung
tralöffnungston und v. a. parasternal links, zu auskultieren. Dem der Trikuspidalklappe erfolgt durch Kontrastmittelinjektion in
schließt sich als auskultatorischer Hauptbefund ein mesodiasto- den rechten Vorhof.
418 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

19.6.6 Therapie 19.7.2 Pathophysiologie

Medikamentöse Therapie Die seltene isolierte Trikuspidalklappeninsuffizienz zeichnet sich


Die Symptome der Rechtsherzinsuffizienz werden durch Gabe durch einen systolischen Blutrückfluss aus dem rechten Ventrikel
von Diuretika unter gleichzeitiger Kochsalzrestriktion behan- in den rechten Vorhof aus. Sie führt aufgrund des niedrigen sys-
delt. Die häufig geklagten gastrointestinalen Beschwerden kön- tolischen Druckgradienten zwischen rechtem Ventrikel und Vor-
nen ggf. noch zusätzlich symptomatisch (z. B. Antacida bei Stau- hof zunächst nur zu geringen hämodynamischen Rückwirkun-
ungsgastritis) behandelt werden. Für den Erfolg der Therapie, gen, zumal das Blut in ein Gefäßsystem mit großer Volumenka-
insbesondere bei begleitenden anderen Vitien, ist zu berücksich- pazität zurückströmt. Pathophysiologisch besteht durch das
tigen, dass es aufgrund der Stauung im Mesenterialbereich zu Pendelblut eine Volumenbelastung sowohl des rechten Ventrikels
erheblichen Resorptionsstörungen von Medikamenten kommen als auch des rechten Vorhofs. Das in der Kammersystole aus dem
kann. Bei Dekompensationserscheinungen ist daher eine i.v.- rechten Ventrikel in den Vorhof zurückgeströmte Blut muss in
Therapie bis zur Rekompensation empfehlenswert. der Diastole unter entsprechender Druckerhöhung auf Vorhof-
ebene vorwärtsgepumpt werden. Adaptiv kommt es zur rechts-
Operative Therapie ventrikulären und -atrialen Hypertrophie.
Eine chirurgische Therapie sollte bei Mehrklappenvitien, insbeson- Hämodynamisch, und damit klinisch, werden diese Verän-
dere in der Kombination mit einer Mitralstenose, gleichzeitig mit derungen erst relevant, wenn gleichzeitig auf dem Boden anderer
deren chirurgischer Sanierung durchgeführt werden, wenn der mitt- Erkrankungen eine Druckerhöhung im Lungenkreislauf mit kon-
lere Gradient 5 mmHg übersteigt oder die KÖF unter 2,0 cm2 liegt. sekutiver rechtsventrikulärer Druckbelastung besteht. Dann
kann das Regurgitationsvolumen das »Nettoschlagvolumen« des
> Die definitive Entscheidung zur chirurgischen Klappensanie-
rechten Ventrikels übersteigen.
rung wird oft erst intraoperativ gefällt.
Besonders ungünstig ist eine plötzliche Druckbelastung (z. B.
Bei der operativen Therapie durch Klappenersatz wird vielfach bei fulminanter Lungenembolie), die auf einen nicht durch kom-
einer Bioprothese der Vorzug gegeben, da mechanische Prothe- pensatorische Hypertrophie adaptierten rechten Ventrikel trifft.
sen trotz effektiver Antikoagulation mit einem höheren Risiko Dann summieren sich akute Druckbelastung und konsekutive
der Thrombosierung als z. B. Prothesen in Mitralposition einher- Volumenbelastung durch eine Trikuspidalklappeninsuffizienz,
gehen. Außerdem ist die Neigung zur Degeneration der biolo- sodass sehr rasch eine Rechtsherzdekompensation resultiert.
gischen Prothesen in Trikuspidalposition, am ehesten als Folge
der niedrigeren Druckbelastung, geringer.
Bei isolierter Trikuspidalklappenstenose oder Bioprothe- 19.7.3 Prognose
senstenose besteht neben der chirurgischen Therapie die Mög-
lichkeit einer perkutanen Ballonvalvuloplastie. Eine häufige Aufgrund der überwiegend sekundären Trikuspidalklappenin-
Komplikation hierbei ist jedoch eine Trikuspidalklappeninsuffi- suffizienz wird die Prognose in den meisten Fällen überwiegend
zienz. Wenn eine schwere Trikuspidalklappeninsuffizienz ent- durch die zugrunde liegende Erkrankung bestimmt. Eine Leber-
steht, ist das klinische Ergebnis der Valvuloplastie schlecht. stauung mit konsekutiver Funktionseinbuße, portaler Hyperten-
sion sowie Aszitesbildung als Folge der Trikuspidalklappeninsuf-
fizienz hat eine ungünstige Prognose.
19.7 Trikuspidalklappeninsuffizienz

19.7.1 Ätiologie und Pathologie 19.7.4 Klinische Symptome

Eine Trikuspidalklappennsuffizienz entwickelt sich in den meis- Ähnlich wie bei der Trikuspidalklappenstenose steht die Grund-
ten Fällen sekundär als funktionelle valvuläre Störung. Sie ist eine erkrankung, insbesondere bei zusätzlichem Mitralvitium, im
typische Komplikation rechtsventrikulärer Hypertonie und Dila- Vordergrund. Ohne gleichzeitig bestehende pulmonale Hyperto-
tation unterschiedlicher Genese. Ursachen sind somit Myokard- nie bleibt die Trikuspidalklappeninsuffizienz oft lange asympto-
infarkt mit Beteiligung des rechten Ventrikels, spätes Stadium matisch. Meistens treten unspezifische subjektive Symptome
einer chronischen Herzinsuffizienz, Cor pulmonale, häufig als (Leistungsabfall, Gewichtsverlust, Rhythmusstörungen, Ikterus)
19 Folge einer Trikuspidalklappenringdilatation. In diesen Fällen erst dann auf, wenn es zu einer Reduktion des Herzminutenvolu-
kann die Trikuspidalklappeninsuffizienz verschwinden, wenn mens, sei es unter Belastung oder in Ruhe, kommt. Die Stauungs-
die Rechtsherzbelastung behoben ist. Auch ein rechtsventriku- symptome der Rechtsherzinsuffizienz entsprechen denen der
lärer Papillarmuskel- oder Sehnenfadenabriss kann zu einer Tri- Trikuspidalklappenstenose.
kuspidalklappeninsuffizienz führen. Ein rheumatisches Fieber
kann eine organische Trikuspidalklappeninsuffizienz bedingen.
Weitere Ursachen für primäre Veränderungen an der Trikuspi- 19.7.5 Diagnostik
dalklappe sind das Kazinoidsyndrom, die Endomyokardfibrose,
traumatische Herzschädigungen und die bakterielle Endokardi- Körperliche Untersuchung
tis, die als Trikuspidalklappenendokarditis insbesondere bei Dro- Wie bei der Trikuspidalklappenstenose imponieren die Zeichen
gensüchtigen nach unsterilen Injektionen beobachtet wird. Selten der Rechtsherzinsuffizienz mit Halsvenenstauung, peripheren
tritt eine Trikuspidalklappeninsuffizienz als Folge einer kongeni- Ödemen, Leber- und Milzstauung mit Aszites sowie in fortge-
talen Klappendeformation auf, oder sie ist Folge eines Defekts des schrittenen Stadien Ikterus, Anasarka und eine periphere Zyano-
AV-Kanals oder tritt im Rahmen einer Ebstein-Anomalie auf. se bei erniedrigtem Herzminutenvolumen.
19.7 · Trikuspidalklappeninsuffizienz
419 19

Sichtbar sind oft systolische Pulsationen der Halsvenen als lendem inspiratorischen Kollaps, eine rechtsventrikuläre Volu-
Ausdruck der erheblichen Regurgitation in den rechten Vorhof menbelastung mit konsekutiver Verkleinerung des linksventri-
und die V. cava. Gelegentlich finden sich rechtspräkordiale Pul- kulären Kavums sowie eine systolische inverse (paradoxe) Sep-
sationen sowie systolische Pulsationen der vergrößerten Leber, tumbewegung.
die allerdings in fortgeschrittenen Stadien mit dann einsetzendem Zur Schweregradbestimmung der Insuffizienz wird die farb-
Leberumbau (Cirrhose cardiaque) wieder verschwinden können. dopplerechokardiographisch bestimmte Fläche des systolischen
Meist besteht ein hepatojugulärer Reflux. Regurgitationsjets im rechten Vorhof herangezogen. Weiterhin
Während bei der leichten Trikuspidalklappeninsuffizienz korreliert der Durchmesser der V. contracta gut mit dem Regur-
eine tiefe Inspiration zu einem Abfall des Venendrucks bei gleich- gitationsvolumen. Eine semiquantitative Abschätzung kann auch
zeitiger Zunahme der Trikuspidalklappeninsuffizienz führt, aus der Flussumkehr in der V. cava inferior oder den Lebervenen
kommt es in fortgeschrittenen Stadien paradoxerweise zu einem vorgenommen werden.
Anstieg des Venendrucks, sog. Kussmaul-Phänomen.
> Bei vielen Personen ohne signifikante Triksupidalklappeninsuffi-
Auskultatorisch imponieren ein hochfrequentes, holosysto-
zienz wird ein Regurgitationsjet beobachtet.
lisches und bandförmiges Geräusch mit Punctum maximum
über dem vierten ICR rechts parasternal und ggf. Fortleitung bis Verlaufskontrollen sind hier bei fehlenden klinischen Symp-
zur Herzspitze oder nach subxyphoidal. tomen nicht indiziert. Zur besseren Unterscheidung zwischen
einer Trikuspidalklappenregurgitation als Folge einer pulmona-
> Typischerweise wird das Systolikum bei Inspiration lauter oder
len Hypertonie und als primäre Folge von Veränderungen im
tritt erst bei Inspiration auf, sog. systolisches Rivero-Carvallo-
Bereich der Trikuspidalklappe gilt, dass ein systolischer pulmo-
Zeichen (pathognomonisch für die Trikuspidalklappeninsuffizi-
naler Druck >55 mmHg eine Trikupidalklappeninsuffizienz
enz, aber nicht obligat).
ohne Veränderungen an den Klappen erklärt. Umgekehrt reflek-
Andere Provokationsmanöver, die zu einer vermehrten Füllung tiert ein Regurgitationsjet bei einem systemischen Pulmonalis-
der rechtsseitigen Herzhöhlen und somit einem höheren systo- druck <40 mmHg häufig eine strukturelle Veränderung des Klap-
lischen Rückfluss über die Trikuspidalklappe führen (z. B. Anhe- penapparates.
ben der Beine), können ebenfalls diagnostisch genutzt werden.
Ein dritter, vom rechten Ventrikel ausgehender Herzton kann Herzkatheteruntersuchung
vorliegen. Die invasive Diagnostik spielt heute ähnlich wie bei der Trikuspi-
dalklappenstenose eine der Echokardiographie untergeordnete
Elektrokardiogramm Rolle. Unabhängig von der Genese kommt es mit zunehmender
Im EKG entwickeln sich Zeichen der Rechtsherzbelastung und Trikuspidalklappeninsuffizienz zum Anstieg des diastolischen
-hypertrophie (Sokolow-Lyon-Index RV1+SV5>1,05 mV, End- Drucks im rechten Ventrikel sowie des Mitteldrucks im rechten
streckenveränderungen in V1–V3). Meist besteht ein Rechtstyp Vorhof mit Betonung der v-Welle. Diese hämodynamischen Ver-
und im Verlauf tritt ein P-dextroatriale sowie ein inkompletter änderungen werden durch Inspiration verstärkt (positives Kuss-
oder kompletter Rechtsschenkelblock auf. Vorhofflimmern ist maul-Zeichen). Mit zunehmender Trikuspidalklappeninsuffizi-
nicht ungewöhnlich. enz ähnelt die Druckkurve des Vorhofs immer mehr der des
rechten Ventrikels. Ein pulmonalarterieller systolischer Druck
Thoraxröntgenaufnahme <40 mmHg spricht eher für eine primäre Trikuspidalklappenin-
Radiologisch imponieren die gleichzeitige Vergrößerung von suffizienz, >55 mmHg eher für eine sekundäre Schädigung. Die
rechtem Ventrikel und rechtem Vorhof. Der rechte Herzrand ist Beurteilung der Regurgitation und der rechtsventrikulären Funk-
verstärkt vorgewölbt; es zeigt sich eine dreieckige Konfiguration tion erfolgen durch ein rechsventrikuläres Angiogramm.
des Herzens im posterior-anterioren Strahlengang. Im Seitbild
wölbt sich die Ausflussbahn des rechten Ventrikels in den Retros-
ternalraum vor. Bei der primären Trikuspidalklappeninsuffizienz 19.7.6 Therapie
findet sich eine relative Minderdurchblutung der Lunge, während
sich bei der sekundären Trikuspidalklappeninsuffizienz häufig Medikamentöse Therapie
auch Zeichen der pulmonalen Hyperämie und Hypertension Die klinischen Auswirkungen des Rechtsherzversagens und des
nachweisen lassen. Eine Mediastinalverbreiterung wird durch die konsekutiven Rückstaus können nur symptomatisch, wie bei der
verbreiterte V. cava superior und V. azygos hervorgerufen. Aszites Trikuspidalklappenstenose (7 Abschn. 19.6.6) ausgeführt, thera-
kann zu einer kranialen Verlagerung der Zwerchfelle führen. piert werden. Im Vordergrund steht die Therapie der zugrunde
liegenden Erkrankung.
Echokardiographie
Mit der zweidimensionalen Echokardiographie können ein Pa- Operative Therapie
pillarmuskelabriss oder endokarditische Veränderungen der Eine Trikuspidalklappenrekonstrukton oder Trikuspidalklap-
Klappen als Ursache einer primären Trikuspidalklappeninsuffi- penanuloplastie ist bei Patienten mit schwerer Trikuspidalklap-
zienz nachgewiesen werden. Postrheumatisch zeigen sich oft ver- peninsuffizienz, die sich primär einer Mitralklappenoperation
dickte Segel mit eingeschränkter Beweglichkeit. Differenzialdi- unterziehen, von Nutzen. Weniger eindeutig ist die Evidenz für
agnostisch sollte immer an eine Ebstein-Anomalie gedacht wer- die primäre Trikuspidalklappenoperation, sei es eine Rekons-
den. Bei sekundärer Insuffizienz erscheinen die Segel morpholo- truktion oder ein Klappenersatz bei isolierter schwerer Trikuspi-
gisch unauffällig. dalklappeninsuffizienz. Eine weitere schwächere Operationsin-
Je nach Schweregrad imponieren eine Dilatation der rechtsei- dikation ist zudem eine nichthochgradige Trikuspidalklappenin-
tigen Herzhöhlen, eine Erweiterung der V. cava inferior mit feh- suffizienz bei Patienten, die sich einer Mitralklappenoperation
420 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

unterziehen und bei denen eine pulmonale Hypertonie oder eine 19.9.3 Prognose
Trikuspidalklappenringdilatation vorliegt. Teilweilse hilft hier
zur Therapieentscheidung die intraoperative TEE. Mit ihrer Hil- Die Lebenserwartung ist nur bei gleichzeitig vorliegender pulmo-
fe kann die Entscheidung, ob ein Zweiklappeneingriff vorgenom- naler Hypertonie eingeschränkt und wird dann durch die zu-
men werden muss, davon abhängig gemacht werden, ob nach grunde liegende Erkrankung bestimmt.
Mitralklappeneingriff die Trikuspidalklappeninsuffizienz kleiner
geworden ist oder persistert.
Chirurgisch bestehen sowohl die Möglichkeiten der Triku- 19.9.4 Klinische Symptome
spidalklappenrekonstruktion und -raffung mit und ohne prothe-
tischen Ring (Carpentier-Ring/DeVega-Anuloplastie) als auch Klinisch überwiegen Symptome, die nicht durch die Pulmonal-
des kompletten prothetischen Ersatzes. Ein Klappenersatz sollte klappeninsuffizienz, sondern durch die Grunderkrankung (an-
nur bei ausgeprägter Klappendegeneration oder vollständiger dere Klappenfehler mit sekundärer Pulmonalklappeninsuffizi-
Zerstörung durchgeführt werden. enz, Endokarditis mit anderen Organkomplikationen, Karzinoid
etc.) hervorgerufen werden. Ohne gleichzeitige pulmonale Hy-
> Eine biologische Klappe ist einer mechanischen vorzuziehen, da
pertonie und Trikuspidalklappeninsuffizienz machen sich Pul-
Kunstklappen in Trikuspidalposition häufig Ursache thrombem-
monalklappenfehler daher oft gar nicht bemerkbar.
bolischer Komplikationen sind.

19.9.5 Diagnostik
19.8 Pulmonalstenose
Bei der körperlichen Untersuchung treten klinische Auffällig-
Die Pulmonalklappe ist selten beim rheumatischen Fieber und keiten nur bei gleichzeitiger pulmonaler Hypertonie oder Rechts-
auch nur selten bei einer Endokarditis betroffen. Der häufigste herzversagen mit Trikuspidalklappeninsuffizienz auf.
erworbene Pulmonalklappenfehler ist die Pulmonalklappenin- Das diastolische Rückstromgeräusch der primären Pul-
suffizienz aufgrund einer Ringdilatation bei länger bestehender monalklappeninsuffizienz ohne pulmonale Hypertonie ist leise,
pulmonaler Hypertonie. Ansonsten überwiegen bei der Pul- niederfrequent und nimmt bei Inspiration zu. Es ist vom Pul-
monalklappe kongenitale Veränderungen. Allenfalls kommt eine monalklappenschlusston abgesetzt und am besten im dritten und
erworbene Pulmonalstenose als Folge eines Karzinoidsyndroms vierten ICR parasternal links auszukultieren.
vor, wenn es durch fibröse Plaques im rechtsventrikulären Aus- Bei einer relativen Pulmonalklappeninsuffizienz infolge
flusstrakt zu einer Konstriktion des Pulmonalklappenrings und einer pulmonalen Hypertonie mit systolischen Drücken
einer Verkürzung sowie Fusion der Segel kommt. Eine Pulmonal- >60 mmHg ist der Charakter des Diastolikums laut und hochfre-
stenose kann weiterhin Folge einer externen Obstruktion des quent. Es beginnt unmittelbar nach dem Pulmonalklappen-
Klappenrings durch kardiale Tumoren oder eines Sinus-Valsal- schlusston (Graham-Steell-Geräusch).
vae-Aneurysmas sein.
Elektrokardiogramm
Elektrokardiographisch finden sich die Zeichen der Rechtsherz-
19.9 Pulmonalklappeninsuffizienz belastung wie bei der Trikuspidalklappeninsuffizienz (z. B. So-
kolow-Lyon-Index RV1+SV5>1,05 mV, Endstreckenverände-
19.9.1 Ätiologie und Pathologie rungen in V1–V3).

Insuffizienzen der Pulmonalklappe sind im Erwachsenenalter Thoraxröntgenaufnahme


wesentlich häufiger als Pulmonalstenosen. Sie entstehen haupt- Der rechte Ventrikel und die Pulmonalarterie sind bei der Pul-
sächlich sekundär als Folge einer pulmonalen Hypertonie mit monalinsuffizienz erweitert. Der volumenbelastete rechte Ventri-
konsekutiver Dilatation des Pulmonalklappenrings. Die zweit- kel nimmt bei der Pulmonalklappeninsuffizienz die gesamte
häufigste Ursache ist die bakterielle Endokarditis mit Befall der Herzvorderfläche ein; hierdurch wird der linke Ventrikel nach
Pulmonalklappe (zunehmend bei Drogenabhängigen). Eine Pul- lateral und dorsal verlagert. Das Pulmonalissegment ist in der
monalinklappensuffizienz nach Valvulotomie/Valvuloplastie Herztaille prominent. In der Durchleuchtung erkennt man ver-
19 oder nach operativen Eingriffen bei kongenitalen Vitien stellt stärkte Pulsationen des dilatierten Pulmonalarterienhauptstamms,
weitere Möglichkeiten dar. Andere Grunderkrankungen wie das während die Lappen- und die Segmentarterien normal weit sind.
Karzinoid, Lues, Trauma oder eine postrheumatische Genese
sind selten. Echokardiographie
Im zweidimensionalen Echokardiogramm imponieren Zeichen
der rechtsventrikulären Volumenbelastung.
19.9.2 Pathophysiologie Mithilfe der verschiedenen Dopplerverfahren lässt sich eine
Pulmonalklappeninsuffizienz mit hoher Sensitivität diagnosti-
Die isolierte Pulmonalklappeninsuffizienz führt, analog der Aorten- zieren, die in trivialer Form jedoch auch bei Normalpersonen
klappeninsuffizienz, zu einer kombinierten Druck- und Volumen- häufig nachweisbar ist. Ein konstantes Rückflusssignal mit hohen
belastung sowie konsekutiver exzentrischer Hypertrophie des rech- Flussgeschwindigkeiten im rechtsventrikulären Ausflusstrakt
ten Ventrikels. Die Regurgitation bedingt eine Dilatation des rechts- während der gesamten Diastole weist auf eine sekundäre Pul-
ventrikulären Aus- und Einflusstrakts. Das Pendelblut hat auch eine monalklappeninsuffizienz bei pulmonaler Hypertonie hin. Die
Erweiterung des Pulmonalarterienhauptstamms zur Folge. diastolisch abnehmende Geschwindigkeit des Regurgitationssig-
19.10 · Prothetischer Herzklappenersatz
421 19

nals spricht für eine schwere valvuläre organische Pulmonalklap- kontrastgebend, sodass sie am besten seitlich (Strahlengang pa-
peninsuffizienz. rallel zur Klappenebene) bei Durchleuchtung erkennbar sind. Die
Beurteilung der Beweglichkeit der beiden Flügel (in geöffnetem
Herzkatheteruntersuchung Zustand: 11±1°, in geschlossenem Zustand: 120±2°) kann zur Di-
Die Pulmonalklappeninsuffizienz kann durch Kontrastmittelin- agnose einer Fehlfunktion, etwa bei Thrombosierung, beitragen.
jektion in die Pulmonalarterie mit entsprechender Regurgitation
> Bei allen Kunstklappenprothesen findet sich ein gewisses Re-
in den rechten Ventrikel angiographisch dargestellt werden; hier-
gurgitationsvolumen.
bei kann der in der Klappe liegende Katheter eine minimale In-
suffizienz vortäuschen. Bei der Druckmessung in der Pulmonal- Man unterscheidet dabei die statische von der dynamischen Re-
arterie und im rechten Ventrikel zeigt sich bei schweren Insuffi- gurgitation. Die dynamische Regurgitation entsteht während des
zienzen ein spätsystolischer Druckangleich als Ausdruck der re- Klappenschlusses und ist am niedrigsten bei den Kippscheiben-
trograden Ventrikelfüllung. prothesen, gefolgt von den Zweiflügelprothesen. Die statische
Regurgitation tritt im geschlossenen Zustand auf und ist bei den
meisten Klappen als konstruktionsbedingter Auswaschvorgang
19.9.6 Therapie im Farbdopplerechokardiogramm gut nachweisbar.

Medikamentöse Therapie Biologische Herzklappenprothesen


Bei Zeichen des Rechtsherzversagens sind Diuretika indiziert. Obwohl sie den natürlichen Herzklappen ähneln, sind die hämo-
dynamischen Eigenschaften der Bioprothesen wegen des relativ
Operative Therapie geringeren Durchmessers, bedingt durch Nahtring und Haltege-
Falls eine Pulmonalklappeninsuffizienz einer operativen Thera- rüst, durchweg ungünstiger.
pie (z. B. bei Endokarditis) bedarf, wird dies i. Allg. ein biopro-
thetischer Klappenersatz sein. Heterograft. Die Bioklappen werden entweder aus bovinem Pe-
rikard (Aortenposition, z. B. Carpentier-Edwards) oder aus de-
naturierten Schweineaortenklappen hergestellt. Sie sind mit
19.10 Prothetischer Herzklappenersatz einem Nahtring und jeweils an den Kommissuren mit einem Hal-
tegerüst aus rostfreiem Stahl versehen. Die gerüstlosen Biopro-
19.10.1 Klappenprothesentypen thesen (z. B. Medtronic Freestyle) werden bevorzugt bei Pati-
enten mit einem sehr kleinen Klappenanulus in Aortenposition
Prothetische Herzklappen werden in 2 Kategorien eingeteilt: me- implantiert.
chanische und biologische Klappenprothesen. Die verschiedenen
Modelle unterscheiden sich in ihrer Haltbarkeit, Thrombogenität Kryokonserviertes Homograft. In Aortenposition werden immer
und hämodynamischen Eigenschaften. häufiger kryokonservierte Homografts, v. a. bei jüngeren Pati-
enten und bei Klappenersatz nach Endokarditis eingesetzt. Die
Mechanische Klappenprothesen Implantation erfolgt üblicherweise ohne Haltegerüst; hierbei
Kugel-Käfig-Prothese. Der älteste, 1960 eingeführte Typ ist die bleibt ein Teil der Aortenwurzel des Spenders erhalten und die
Starr-Edwards-Kugel-Käfig-Prothese. Die Starr-Edwards-Pro- Koronararterien werden reimplantiert. Das hämodynamische
these besteht aus einem Kautschukball, der sich in einem metal- Profil ist mit dem nativer Klappen vergleichbar. Die Homograft-
lenen Käfig 1–2 cm frei hin und her bewegen kann. Diese Prothe- klappen zeigen darüber hinaus Vorteile bei Patienten mit Endo-
sen sind außerordentlich langlebig und zuverlässig. Aufgrund der karditis bzw. sind weniger anfällig für eine frühe Endokarditis
ungünstigen hämodynamischen Eigenschaften und der hohen nach Klappenersatz.
Thromboembolierate werden sie heute nicht mehr implantiert.
Ross-Prozedur. Eine Variante dieses Verfahrens stellt die Ross-Pro-
Kippscheibenprothese. Der zweite, 1969 eingeführte mecha- zedur dar, bei der die erkrankte Aortenklappe durch die eigene
nische Prothesentyp ist die Kippscheibenprothese. Diese Klap- Pulmonalklappe ersetzt wird sowie anstelle der Pulmonalklappe ein
pen (z. B. Björk-Shiley, Medtronic Hall, Lillehei-Kaster, Omni- aortaler oder pulmonaler Homograft oder eine Bioprothese tritt.
carbon und Omniscience) besitzen neben dem metallischen Dieses Verfahren hat insbesondere bei Kindern und Jugendlichen
Nahtring eine frei drehbare Scheibe, die je nach Modell von einer sehr gute Ergebnisse gezeigt, da die in Aortenposition implantierte
Bügel- oder Stiftkonstruktion gelagert wird und zwischen Öff- Pulmonalklappe kindlicher Patienten mitwachsen kann.
nung sowie Klappenschluss einen Winkel von 60–85° einschließt.
Diese Prothesen weisen einen deutlich geringeren Gradienten auf Operative Klappenrekonstruktion
als die Kugel-Käfig-Prothesen. Kippscheibenexkursion, Bügel Vor Einfahrung der Kunstklappen war die operative Klappenre-
und Klappenring sind unter Durchleuchtung gut zu beurteilen. konstruktion Methode der Wahl. Diese Methode wurde dann
jedoch wegen der hohen Restenoserate verlassen. Bei der Aorten-
Zweiflügelprothese. Dieser heutzutage bevorzugte Klappentyp klappe stellt v. a. die bikuspide Klappe eine Indikation für die
(z. B. St. Jude, Sorin, Carbomedics, Medtronic, Edwards, Duro- operative Klappenrekonstruktion dar. Der Vorteil ist der fehlende
medics) besteht aus 2 halbkreisförmigen Klappen und hat ein Bedarf an dauerhafter Antikoagulation bei niedrigem Thrombo-
sehr günstiges Strömungsverhalten, da sich die beiden Flügel fast embolierisiko und eine geringe Endokarditisanfälligkeit. Ähn-
völlig parallel (bis etwa 85°) zur Ringebene öffnen können. Sie liches gilt für die Mitralklappenrekonstruktion. In beiden Fällen
haben die niedrigsten Gradienten aller mechanischen Prothesen. stehen Langzeitstudien insbesondere in Abhängigkeit von der
Die Flügel und der Ring dieser Prothesen sind wenig röntgen- spezifischen Klappenpathologie bislang aus.
422 Kapitel 19 · Erworbene Herzklappenfehler

19.10.2 Auswahl des Prothesentyps toren (Vorhofflimmern, schwer reduzierte linksventrikuläre


Funktion, stattgehabte Thromboembolie, vermehrte Gerin-
Die Entscheidung für eine mechanische oder eine biologische nungsneigung) erforderlich. Ohne größeres thrombembolisches
Prothese hängt im Wesentlichen vom Alter und von Kontraindi- Risiko sollten 75–100 mg ASS gegeben werden.
kationen für eine lebenslange Antikoagulation ab. Für Patienten
mit Aortenklappenersatz gilt, dass im Alter unter 65 Jahren und Mechanische Prothesen erfordern durchweg eine lebenslange
bei fehlenden Kontraindikationen bezüglich einer Antikoagula- effektive Antikoagulation der Patienten. Infolge der unterschied-
tion eine mechanische Prothese implantiert werden sollte. Eine lichen Blutflussgeschwindigkeiten sind die Thromboseraten in
mechanische Prothese ist auch bei Patienten indiziert, die wegen Aortenposition am niedrigsten, in Trikuspidalposition am höchs-
zusätzlicher anderer mechanischer Klappenprothesen oder aus ten. Unter den mechanischen Prothesen scheinen die Zweiflügel-
sonstigen Gründen ohnehin antikoaguliert werden müssen. Eine klappen das niedrigste Risiko zu bergen. Dementsprechend gilt,
Bioprothese ist demnach bei Patienten über 65 Jahren, die keine dass bei Zweiflügelklappen in Aortenposition eine Antikoagula-
sonstige Indikation für eine Antikoagulation haben, oder bei Pa- tion mit einem INR zwischen 2 und 3 ausreicht, bei zusätzlichen
tienten, die aufgrund ihres Lebensstils, ihrer Lebensplanung oder thrombembolischen Risikofaktoren sollte der INR zwischen 2,5
aus medizinischen Gründen nicht dauerhaft antikoaguliert wer- und 3,5 liegen. Bei den übrigen Klappen in Aortenposition und
den können, indiziert. Hierzu gehören Frauen im gebährfähigen bei allen Klappen in Mitralposition ist ein INR zwischen 2,5 und
Alter mit Kinderwunsch ebenso wie Menschen mit Berufen oder 3,5 notwendig.
Sportarten, die ein höheres Verletzungsrisiko mit sich bringen. Bei Patienten mit Risikofaktoren, wozu Vorhofflimmern,
Ähnliche Überlegungen gelten auch für den Mitralklappenersatz. vorangegangene Thromboembolien, linksventrikuläre Dysfunk-
Hier kommt der Rekonstruktion oder auch Anuloplastie eine tion und Neigung zur Hyperkoagulabilität gezählt werden, wird
größere Bedeutung zu, als dies bei der Aortenklappe der Fall ist. zusätzlich zur Antikoagulation mit Cumarinen die Gabe von
Eine große Bedeutung wird bei allen Verfahren der Einhaltung 75–100 mg ASS empfohlen.
zumindest eines Teils des Mitralklappenhalteapparates beige- Bei Patienten, die unter Antikoagulation ein nachgewiesenes
messen, da dies langfristig zu besseren hämodynamischen Ergeb- thrombembolisches Ereignis erleiden, wird eine Ausweitung der
nissen führt. Antikoagulation empfohlen, nämlich eine Anhebung des INR-
Werts von 2–3 auf 2,5–3,5 bzw. von 2,5–2,5 auf 4,5. Wenn bis dato
kein ASS eingenommen wurde, sollte eine Thrombozytenaggre-
19.10.3 Antikoagulation gationshemmung mit 75–100 mg eingeleitet werden. Bei Vorbe-
handlung mit ASS kann die tägliche Dosis auf 325 mg gesteigert
Patienten mit biologischen Prothesen sollten während der ers- werden.
ten 3 postoperativen Monate antikoaguliert werden (INR 2–3). Zur besseren Übersicht sind die Empfehlungen in . Tab. 19.3
Danach ist eine Antikoagulation nur bei Patienten mit Risikofak- noch einmal zusammengefasst.

. Tab. 19.3. Empfehlungen der American Heart Association (2006) zur Antikoagulation bei Patienten mit Klappenprothesen

Wirkstoff Indikation Antikoagulation


Cumarin Erste 3 Monate nach Klappenersatz Cumarin, INR 2,5–3,5

Ab 3 Monate nach Klappenersatz

Mechanische Klappenprothesen

Aortenklappenersatz ohne Risikofaktorena

Zweiflügelprothesen oder Medtronic-Hall-Klappe Cumarin, INR 2–3

Andere Klappen oder Starr-Edwards-Klappe Cumarin, INR 2,5–3,5

Aortenklappenersatz mit Risikofaktorena Cumarin, INR 2,5–3,5

Mitralklappenersatz Cumarin, INR 2,5–3,5


19 Biologische Klappenprothesen

Aortenklappenersatz ohne Risikofaktorena Keine Antikoagulation empfohlen

Aortenklappenersatz mit Risikofaktorena Keine Antikoagulation empfohlen

Mitralklappenersatz ohne Risikofaktorena Cumarin, INR 2–3

Mitralklappenersatz mit Risikofaktorena Cumarin, INR 2,5–3,5

ASS Mechanische Klappenprothesen ASS, 75–100 mg/Tag

Biologische Klappenprothesen mit Risikofaktoren ASS, 75–100 mg/Tag

Hochrisikopatienten mit Kontraindikationen für ASS INR 3,5–4,5

ASS Acetylsalicylsäure, INR International Normalized Ratio.


a Risikofaktoren: Vorhofflimmern, reduzierte linksventrikuläre Funktion, stattgehabte Embolie, vermehrte Gerinnungsneigung.
Literatur
423 19
19.10.4 Komplikationen Schwangerschaft
Bei Frauen mit Kinderwunsch im schwangerschaftsfähigen Alter
Klappenthrombose ist das Risiko einer frühzeitigen Klappendegeneration mit den
Eine Verstopfung der Klappenprothese kann durch einen Throm- daraus folgenden Konsequenzen bei Verwendung einer Biopro-
bus, eine Bindegewebswucherung oder eine Kombination von these gegen das Risiko einer Embryopathie unter Marcumar nach
beidem verursacht sein. Die Ursache ist häufig schwer zu unter- Implantation abzuwägen. Wegen ihrer Teratogenität, Spontanab-
scheiden. Eine TEE ist meist indiziert. Wenn eine Bindegewebs- orten und fetaler Blutungen, insbesondere zerebraler Blutungen
wucherung die Klappenprothese verstopft, ist eine Fibrinolyse während des Geburtsvorgangs, sind Cumarine während einer
ineffektiv, und ein Klappenersatz ist erforderlich. Eine Fibrinoly- Schwangerschaft streng kontraindiziert. Dabei ist die Einnahme
setherapie für einen Thrombus auf einer linkskardialen Klappe ist von Cumarinen in den ersten 6 Schwangerschaftswochen wahr-
meist mit einem hohen Thromboembolierisiko verbunden (zere- scheinlich noch umproblematisch und das Risiko einer Embryo-
brale Embolien in 12–15% der Fälle) und häufig ineffektiv. Die pathie zwischen der sechsten und zwölften Schwangerschaftswo-
Fibrinolysetherapie bleibt daher Patienten mit einem hohen Re- che am höchsten. Frauen, die aufgrund eines Klappenersatzes
operationsrisiko oder Kontraindikationen für eine Operation vor- Cumarine einnehmen und eine Schwangerschaft aktiv anstreben,
behalten. Das Risiko einer Fibrinolysetherapie steigt dabei mit der sollten daher häufige Schwangerschaftstests durchführen oder
Thrombusgröße. Eine Grenze, bis zu der eine sichere Fibrinolyse während dieser Phase auf niedermolekulares oder nichtfraktio-
durchgeführt werden kann, ist nicht bekannt. Es gilt jedoch, dass niertes Heparin umgestellt werden. Unfraktioniertes Heparin
mit einer Zunahme der Thrombusgröße um 1 cm2 das Thrombo- und niedermoleklares Heparin sind während einer Schwanger-
embolierisko um das 2,5-Fache zunimmt. Nach erfolgreicher schaft für den Fetus unproblematisch, aber es kann auch unter
Thrombolyse sollte eine systemische Antikoagulation mit unfrak- dieser Antikoagulation zu einer retroplazentaren Blutung kom-
tioniertem Heparin durchgeführt werden, bis nach Aufsättigung men. Auch sind das mütterliche Thromboembolierisiko und das
mit Cumarinen der INR-Wert bei 3,0–4,0 bei Klappen in Aorten- mütterliche Sterblichkeitsrisiko erhöht. Für die Antikoagulation
position und bei 3,5–4,5 bei Klappen in Mitralposition liegt. mit niedermolekularem Heparin gilt, dass es keine Daten bezüg-
lich des Einsatzes beim Herzklappenpatienten und insbesondere
Degeneration nicht für schwangere Patientinnen gibt. In den US-amerika-
Bioprothesen sind weniger thrombogen als mechanische Prothe- nischen Leitlinien wird eine 2-mal tägliche Gabe von niedermo-
sen. Alle verfügbaren Bioprothesen unterliegen jedoch einer re- lekularem Heparin empfohlen. Als obligater Steuerungsparame-
lativ raschen Degeneration durch Kalzifizierung; dadurch wer- ter hierbei gilt der Faktor-10a-Level, der 4 h nach Applikation
den die Segel spröde und unbeweglich. Folgen sind progrediente zwischen 0,7 und 1,2 U /ml liegen sollte.
Stenose und Insuffizienz der Klappe, die sich durch zusätzliche
Ein- und Abrisse von Segelteilen plötzlich verschlimmern kön-
nen. Diese Vorgänge begünstigen ebenfalls die Ansiedlung von Literatur
Keimen auf den Klappen. Das Ausmaß der Degeneration korre-
liert mit der Implantationsdauer und ist ausgeprägter in Mitral- American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on
position und bei jungen Patienten. Nach 5 Jahren ist bei etwa Practice Guidelines; Society of Cardiovascular Anesthesiologists; Soci-
ety for Cardiovascular Angiography and Interventions; Society of Tho-
10%, nach 10 Jahren bei 20–30% und nach 15 Jahren bei über
racic Surgeons, Bonow RO, Carabello BA, Kanu C et al. (2006) ACC/AHA
60% der Patienten eine Reoperation erforderlich. Die Reoperati-
2006 guidelines for the management of patients with valvular heart
on hat eine erhöhte Mortalität, v. a. bei notfallmäßiger Durchfüh- disease: a report of the American College of Cardiology/American
rung. Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Commit-
tee to revise the 1998 Guidelines for the Management of Patients With
Endokarditis Valvular Heart Disease): developed in collaboration with the Society
Herzklappenprothesen sind besonders anfällig für infektiöse En- of Cardiovascular Anesthesiologists: endorsed by the Society for Car-
dokarditiden. Das Spektrum der Erreger hat sich dabei in den letz- diovascular Angiography and Interventions and the Society of Thora-
ten Jahrzehnten zugunsten von Staphylokokken verschoben. Die cic Surgeons. Circulation 114: 84–231. http://www.acc.org/quality-
Häufigkeit zeigt einen frühen postoperativen Gipfel und dann eine andscience/clinical/guidelines/valvular/index.pdf
Vahanian A, Baumgartner H, Bax J et al.; Task Force on the Management of
konstante Rate später Infektionen. Das kumulative Risiko beträgt
Valvular Hearth Disease of the European Society of Cardiology; ESC
etwa 1–3% im ersten postoperativen Jahr, und 3–6% nach 5 Jahren.
Committee for Practice Guidelines (2007) Guidelines on the manage-
Bei mechanischen Prothesen spielen sich die Entzündungsvorgän- ment of valvular heart disease: the Task Force on the Management of
ge v. a. im Bereich des Nahtrings ab, während bei Bioprothesen Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology. Eur
auch die Klappensegel befallen sein können. Abszessbildungen Heart J 28: 230–268. http://www.escardio.org/NR/rdonlyres/FB-
sind häufig, Komplikations- und Mortalitätsraten hoch, und die 3DB7A7-8665-4143-AAEB-C575EA8CA722/0/guidelines_VHD_FT_
Infektion ist konservativ nur schwer beherrschbar; sehr häufig ist 2007.pdf
ein erneuter Klappenersatz notwendig (Therapie 7 Kap. 15).
425 20

Erkrankungen der thorakalen Aorta


C.A. Schneider, D. Beuckelmann

20.1 Akutes dissezierendes Aortenaneurysma – 425 20.2.3 Diagnostik – 429


20.1.1 Klassifikation – 425 20.2.4 Therapie – 429
20.1.2 Ätiologie und Pathogenese – 425 20.2.5 Prognose – 430
20.1.3 Klinische Symptome – 426
20.1.4 Diagnostik – 426 20.3 Entzündliche Erkrankungen der Aorta – 430
20.1.5 Therapie – 428 20.3.1 Takayasu-Syndrom – 430
20.1.6 Prognose – 428 20.3.2 Aortale Plaques – 431

20.2 Chronisches thorakales Aortenaneurysma – 429 Literatur – 431


20.2.1 Ätiologie und Pathogenese – 429
20.2.2 Klinische Symptome – 429

)) 20.1.1 Klassifikation

Neben den akuten Koronarsyndromen und der Lungenembolie De-Bakey-Klassifikation


ist das akut dissezierende Aortenaneurysma die dritte wichtige Die De-Bakey-Klassifikation teilt die dissezierenden Aorten-
Differenzialdiagnose des akuten Throraxschmerzes. Rasche aneurysmen in 3 Lokalisationen ein. Bei den Typen I und II ist
Diagnose und Therapie können die ernste Prognose des akut der primäre Einriss meist im anterioren Wandanteil der aszen-
dissezierenden Aortenaneurysmas deutlich verbessern. Auch dierenden Aorta lokalisiert:
das chronische thorakale Aortenaneurysma ist durch seine Typ I: Die Dissektionen umfassen die Aorta ascendens und
Rupturgefahr eine ernste Erkrankung, die überwiegend ältere den Aortenbogen sowie in unterschiedlichem Ausmaß die
Patienten mit einer generalisierten Atherosklerose betrifft. deszendierende Aorta.
Moderne Therapiestrategien umfassen für beide Erkran- Typ II: Die Dissektionen umfassen lediglich die Aorta ascen-
kungen nicht nur medikamentöse, sondern operative und in- dens und enden vor dem Abgang des Truncus brachiocepha-
terventionelle Therapieoptionen. Aortenplaques stellen eine licus.
weitere Erkrankung der Aorta dar, die einen Risikofaktor für Typ III: Der Ausgangspunkt der Dissektion liegt in der des-
Herzinfarkt und Schlaganfall bedeutet. Eine Therapie kardio- zendierenden Aorta, entweder nur in ihrem thorakalen An-
vaskulärer Risikofaktoren reduziert das kardiovaskuläre Risiko teil (Typ IIIA) oder bis in den abdominellen Teil des Gefäßes
dieser Patienten. Eine seltenere und deswegen häufig spät reichend (Typ IIIB).
diagnostizierte Erkrankung ist das Takayasu-Syndrom, eine
entzündliche Erkrankung der Arterien, die durch eine kombi- Stanford-Klassifikation
nierte immunsupprimierende Therapie günstig beeinflusst Die ebenfalls gebräuchliche Stanford-Klassifikation, die sich am
werden kann. Therapieansatz orientiert, unterscheidet lediglich 2 Typen:
Typ A: Die Aorta ascendens und fakultativ die Aorta descen-
dens sind betroffen.
20.1 Akutes dissezierendes Aortenaneurysma Typ B: Nur die Aorta descendens ist betroffen.

Definition Intramurale Hämatome der thorakalen Aorta


Das akute dissezierende Aortenaneurysma, Synonym: akute Intramurale Hämatome der thorakalen Aorta sind dadurch cha-
Aortendissektion, ist ein plötzliches Ereignis, bei dem das rakterisiert, dass ein in der Media lokalisiertes Hämatom in der
Blut, meist durch einen Einriss der Intima, das normale Lumen Regel lokal begrenz bleibt und definitionsgemäß ein intimaler
der Aorta verlässt und sich zwischen der inneren und der äu- Einriss fehlt. Die klinische Symptomatik entspricht der einer aku-
ßeren Schicht der Lamina media der Aortenwand unter Dis- ten Aortendissektion; Prognose und Therapie ähneln denjenigen
sektion dieser Schichten einen Weg nach distal bahnt. des akuten dissezierenden Aortenaneurysmas.

Das Primärereignis ist häufig eine Ruptur der Intima mit sekun- 20.1.2 Ätiologie und Pathogenese
därer Dissektion in die Media. Gelegentlich liegt die Ursache je-
doch in einer Hämorrhagie innerhalb der Media mit nachfol- Prädilektionsstellen
gender Ruptur dieses intraaortalen Hämatoms in das Lumen Die Prädilektionsstellen für den initialen Einriss der Intima be-
(Erbel et al. 2001). finden sich an 2 Lokalisationen: einerseits ca. 2–3 cm distal der
Aortenklappe im Bereich der Aorta ascendens (große Flexions-
kräfte während der Systole), andererseits am Übergang des frei
426 Kapitel 20 · Erkrankungen der thorakalen Aorta

beweglichen Aortenbogens in die fixierte Aorta descendens. Es Die Ruptur in den Perikardbeutel manifestiert sich in den Symp-
wird postuliert, dass die hohe Inzidenz des Typs A möglicherwei- tomen der akuten Perikardtamponade. Das typische Bild wird
se auf den rascheren degenerativen Alterungsprozess der aszen- hierbei jedoch häufig durch eine begleitende Aorteninsuffizienz
dierenden Aorta zurückzuführen ist. oder Hypovolämie maskiert.
Ein kleinerer Anteil der Patienten kommt primär unter dem
Allgemeine Risikofaktoren Bild eines Gefäßverschlusses zur stationären Aufnahme (Pulslo-
Das dissezierende Aortenaneurysma ist grundsätzlich eine Er- sigkeit einer Extremität, Paraplegie durch Verschluss von Inter-
krankung des höheren Lebensalters. Etwa 80% aller Patienten lei- kostalarterien, Schlaganfall).
den an einer arteriellen Hypertonie. Patienten mit Typ-A-Dissek-
tionen sind jedoch durchschnittlich 10 Jahre jünger als solche mit
alleinigem Befall der Aorta descendens. Die Altersverteilung bei 20.1.4 Diagnostik
Männern und Frauen ist ungefähr vergleichbar; das Geschlechts-
verhältnis beträgt etwa 2:1. Nikotinkonsum oder Diabetes mellitus Beim Verdacht auf ein dissezierendes thorakales Aortenaneurys-
sind ebenfalls überdurchschnittlich häufig nachweisbar. ma stehen verschiedene diagnostische Untersuchungsmethoden
zur Verfügung, die jeweils einen unterschiedlichen Stellenwert
Spezifische Risikofaktoren, Marfan-Syndrom und im diagnostischen Ablauf haben (7 Übersicht 20.1).
Ehlers-Danlos-Syndrom
Ein spezifischer Risikofaktor für die akute Aortendissektion ist
die zystische Medianekrose. Hierbei handelt es sich um eine fo- Übersicht 20.1. Diagnostik bei thorakalem Aorten-
kale Degeneration glatter Muskelzellen und um eine degenerative aneurysma
Desintegration der elastischen Fasern mit daraus resultierender
Unterbrechung der glatten Muskelzellschichten. Die entstehen- 4 Anamnese und körperliche Untersuchung
den Hohlräume werden mit Mukopolysacchariden aufgefüllt 4 Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax
und führen zum Nachgeben der Gefäßwand gegenüber dem in- 4 Echokardiographie (transthorakal und transösophageal)
traluminalen Druck. 4 Spiral-CT mit Kontrastmittel
Obwohl die Mediadegeneration Teil des natürlichen Alte- 4 Magnetresonanztomographie
rungsprozesses der Aorta ist, findet sie sich quantitativ wesentlich 4 Aortographie, Cineangiographie
ausgeprägter bei Patienten mit Aortendissektionen. Die zystische
Medianekrose (Erdheim-Gsell-Krankheit) ist typisch für angebo-
rene Bindegewebserkrankungen, insbesondere das Marfan-Syn- Anamnese und körperliche Untersuchung
drom. Die akute Aortendissektion stellt eine typische Komplika- Anamnese und körperliche Untersuchung mit typischer Schmerz-
tion des Marfan-Syndroms dar. Bis zu 5% aller Patienten mit symptomatik und assoziierten klinischen Untersuchungsbefun-
Aortendissektion haben diese angeborene Bindegewebserkran- den, wie Aorteninsuffizienz, peripherem Gefäßverschluss und
kung. Weitere seltene Erkrankungen sind mit einem erhöhten Ähnlichem erlauben eine korrekte Verdachtsdiagnose nur in
Risiko für die Ausbildung eines akuten dissezierenden Aorten- etwa 40–50% der Fälle.
aneurysmas assoziiert. Hierzu gehören die Aortenisthmussteno-
se und die bikuspide Aortenklappe. Auch eine Schwangerschaft Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax
zählt zu den Risikofaktoren: Etwa die Hälfte aller Aortendissek- Sie ist einfach sowie schnell angefertigt und wegen ihrer hohen
tionen bei Frauen unter 40 Jahren ohne Marfan-Syndrom ereig- Sensitivität bei jedoch schlechter Spezifität als diagnostisches
net sich während der Schwangerschaft. Screeningverfahren geeignet (. Abb. 20.1). Zirka 60% der Pati-
enten mit Typ-A-Dissektion haben ein verbreitertes Mediasti-
num. Wesentlicher Sinn einer Röntgenübersichtsaufnahme des
20.1.3 Klinische Symptome Thorax ist eine Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen,
die eine ähnliche Symptomatik verursachen können, z. B. Pneu-
Das typische Symptom ist der reißende Thoraxschmerz entweder mothorax oder ausgedehnte Lungenembolie.
in der Brust (Aorta ascendens) oder zwischen den Schulterblät-
tern (Aorta descendens; Suzuki et al. 2003). Differenzialdiagnos- Transthorakale und transösophageale
tisch muss daher in erster Linie an einen schweren Angina-pec- Echokardiographie
toris-Anfall, an einen akuten Myokardinfarkt oder an eine akute Die Aorta ascendens ist vom parasternalen Zugang aus im Längs-
Lungenembolie gedacht werden. und Querschnitt bis ca. 1 cm oberhalb des Sinus valsalvae nach-
20 weisbar. Die mittleren und die distalen Aorta-ascendens-Ab-
> Eine typisch anamnestische Angabe ist der wandernde Schmerz
schnitte sind sowohl vom transthorakalen Zugang her als auch
als Ausdruck der fortschreitenden Dissektion entlang des Ver-
durch transösophageale Registrierung wegen der Interposition
laufs der Aorta.
der Trachea zwischen Ösophagus und Aortenrohr in diesem Be-
Häufig geraten derartige Patienten rasch in einen Schockzustand. reich nicht darzustellen. Der Aortenbogen und insbesondere die
Ursächlich hierfür kommen infrage: Aorta descendens sind vom transösophagealen Zugang her gut
4 Blutverlust aus dem falschen Lumen in das paraaortale Ge- einsehbar. Wesentliches diagnostisches Kriterium ist eine be-
webe bzw. freie Ruptur in die Pleurahöhle, wegte Dissektionsmembran im Lumen der Aorta. Mithilfe der
4 akute Aorteninsuffizienz mit Überlastung des linken Ventri- farbkodierten Dopplerechokardiographie ist es möglich, den
kels und Fluss im »falschen« und im »wahren« Lumen darzustellen, die
4 akute Perikardtamponade. Einrissstelle der Intima zu lokalisieren sowie eine begleitende
20.1 · Akutes dissezierendes Aortenaneurysma
427 20

> Die TEE wird heute als bestes primäres Screeningverfahren für
eine sichere und rasche Diagnostik eingesetzt.

Eine Dissektion im Bereich des Aortenbogens und eine Dissekti-


on der Aorta ascendens mit Nachweis zweier Lumina sowie die
Einrissstelle mit Flussnachweis im Rupturbereich sind in
. Abb. 20.2a,b gezeigt.

Computertomographie, Spiral-CT und Mehrzeilen-CT


Die Diagnose der akuten Aortendissektion mithilfe des CT erfor-
dert den Nachweis zweier Lumina und einer Dissektionsmemb-
ran. Im Gegensatz zur Thoraxröntgenaufnahme erlaubt die CT
eine sichere Abgrenzung und die Zuordnung aller mediastinalen
und thorakalen anatomischen Strukturen. Die Differenzierung
zwischen wahrem und falschem Lumen erfordert die Gabe von
Kontrastmitteln. In den vergangenen Jahren wurde in mehreren
großen Studien nachgewiesen, dass die CT für die Diagnostik
einer Aortendissektion eine Sensitivität von 83–100% und eine
Spezifität von 87–100% aufweist.
Eine Dissektion der Aorta ascendens bei deutlicher Dilatati-
on dieser Gefäßabschnitte ist in . Abb. 20.3a gezeigt. Die Aorta
descendens weist lediglich einen schmalen thrombotischen
Randsaum auf. In . Abb. 20.3b zeigt die CT eine Typ-A-Dissekti-
on mit je 2 Lumina im Bereich der Aorta ascendens und der Aor-
ta descendens; der Verlauf der Dissektionsmembran im unteren
Bogenbereich ist deutlich sichtbar.

Magnetresonanztomographie
. Abb. 20.1. Röntgenthoraxübersichtsbild bei Aortendissektion Stan- Kriterien zur Diagnose einer Aortendissektion sind, ebenso wie
ford-Typ A mit deutlicher Dilatation der Aorta ascendens und Verbreite- bei der CT, der Nachweis eines doppelten Lumens sowie einer
rung des Mediastinums zu beiden Seiten Dissektionsmembran.
Ein deutlicher Vorteil der MRT besteht in der Möglichkeit,
hochauflösende Bilder in jeder gewünschten Ebene darzustellen,
Aorteninsuffizienz oder einen Perikarderguss nachzuweisen. in dem eine Bildrekonstruktion entsprechend dem Gefäßverlauf
Diese beiden Komplikationen eines dissezierenden Aortenaneu- durchgeführt wird. Hierdurch kann die Aorta einschließlich des
rysmas stellen wichtige Befunde zur Indikationsstellung der ope- Aortenbogens und der abgehenden Halsgefäße in einem Bild dar-
rativen Therapie dar. gestellt werden. Moderne Rekonstruktionsverfahren erlauben
Die TEE hat eine bessere Sensitivität und Spezifität für die dies heutzutage jedoch auch mit den neueren CT-Geräten. Da-
Diagnose eines dissezierenden Aortenaneurysmas. In der Litera- rüber hinaus erfordert die MRT keine Kontrastmittelgabe.
tur wird eine Sensitivität für die Diagnostik der akuten Aorten- Die MRT erlaubt den Nachweis einer begleitenden Aorten-
dissektion von 97–100% angegeben (Nienaber et al. 1993). klappeninsuffizienz und die Lokalisation eines Intimaeinrisses.

a b
. Abb. 20.2a,b. a Transösophageale Echokardiographie. Nachweis ei- schem Lumen bei Dissektion der Aorta ascendens. Beide Lumina sind
nes Dissektionsbeginns im distalen Aortenbogen. b Farbdopplerecho- durchströmt. Die Einrissstelle mit Flussnachweis im Rupturbereich liegt
kardiographische Darstellung der Flussverhältnisse in wahrem und fal- ca. 3 cm distal der Aortenklappe
428 Kapitel 20 · Erkrankungen der thorakalen Aorta

20.1.5 Therapie

Jeder Patient mit akuter Aortendissektion bedarf der Über-


wachung auf einer Intensivstation. Grundsätzlich kommen für
die Therapie medikamentöse und chirurgische Maßnahmen
infrage.

Medikamentöse Therapie (Evidenzgrad B)


Schmerztherapie mit Opioiden und Blutdruckkontrolle sind die
initialen Therapieschritte. Die Blutdrucksenkung sollte primär
mit β-Rezeptorenblockern (z. B. i.v.-Gabe von Esmolol oder
Metoptolol) erfolgen, da diese die maximale Druckanstiegsge-
schwindigkeit vermindern. Andere blutdrucksenkende Medika-
a mente müssen häufig zusätzlich gegeben werden.

Chirurgische Therapie (Evidenzgrad B)


> Nach Blutdruckstabilisierung stellt die chirurgische Behandlung
die Therapie der Wahl bei allen Patienten mit Typ-A-Dissektion
dar.

Darüber hinaus ist eine primäre Operationsindikation bei Typ-


B-Aneurysmen dann gegeben, wenn Komplikationen auftreten.
Hierzu gehören die Progression der Dissektion trotz adäquater
medikamentöser Blutdrucksenkung, Ruptur oder drohende Rup-
tur, Auftreten eines Hämatothorax, progrediente retrograde Ex-
tension in die aszendierende Aorta, Organkomplikationen (Nie-
ren, Darm etc.), Beeinträchtigung vitaler Organfunktionen sowie
b nichtbeherrschbare Schmerzen.
. Abb. 20.3a,b. Intraoperativer Situs bei großem Aneurysma der Aorta Ziel der chirurgischen Therapie ist es, den Tod des Patienten
ascendens ohne Dissektion, Patient mit Marfan-Syndrom. a Demonstriert durch Verbluten und andere Komplikationen (Aorteninsuffizi-
den Zustand vor, b nach Eröffnung des Aneurysmasacks mit Blick auf die enz und Perikardtamponade) zu verhindern und die Perfusion
Aortenklappe lebenswichtiger Gefäße (Koronararterien, A. carotis) zu erhalten.
Die Resektion einer Manschette der Aorta ascendens mit oder
ohne Ersatz der Aortenklappe entweder getrennt oder heute be-
Angaben über die Sensitivität der Methode schwanken zwischen vorzugt durch eine Kombinationsprothese aus Aortenklappe und
83 und 100%. Aorta ascendens mit Neuimplantation der Koronararterien stellt
zurzeit die Therapie der Wahl bei Typ-A-Dissektionen dar.
Aortographie Die Implantation einer Kombinationsprothese sollte bei Pa-
Eine Aortographie erbringt bei 87% aller Patienten den Nach- tienten mit Marfan-Syndrom unbedingt angestrebt werden, da es
weis des falschen Lumens, bei 70% den Nachweis der Dissekti- durch die angeborene Bindegewebserkrankung sonst zumeist
onsmembran, jedoch lediglich bei 56% die Lokalisation des Ein- zum Rezidiv im Bereich des verbliebenen Originalgewebes im
risses. Sinus valsalvae kommt.
Die genannten Zahlen zeigen, dass die diagnostische Aussa- Die Bedeutung einer endovaskulären Stent-Therapie in der
gefähigkeit der Angiographie für eine suffiziente Beurteilung Behandlung von dissezierenden Aneurysmen ist Gegenstand in-
und Beantwortung der eingangs aufgeführten Fragestellungen tensiver Forschung. Erste Daten zur Behandlung der Typ-B-Dis-
häufig nicht ausreichend ist. Probleme falsch-negativer Angio- sektion der thorakalen Aorta (INSTEAD-Studie) zeigen keinen
gramme ergeben sich aus thrombosierten »falschen« Lumina Vorteil im Vergleich zu einer medikamentösen Therapie.
sowie gleicher Kontrastmittelanflutung im »wahren« und im
»falschen« Lumen. Darüber hinaus kann eine Dissektion dann
übersehen werden, wenn die Angiographie lediglich in der Ebe- 20.1.6 Prognose
20 ne durchgeführt wird, in der die Dissektionsmembran nicht or-
thograd getroffen wird. Die Krankenhaussterblichkeit von Patienten mit einer Stanford-
Die Aortographie wird dann vorgenommen, wenn eine B-Dissektion und medikamentöser Behandlung beträgt ca. 10%,
Herzkatheteruntersuchung zum Nachweis bzw. zum Ausschluss mit operativer Behandlung ca. 28%. Die Krankenhaussterblich-
von Koronarstenosen präoperativ notwendig erscheint. Dies ist keit von Patienten mit einer Stanford-A-Dissektion und medika-
jedoch nur in Ausnahmefällen nötig. Eine Verbesserung der mentöser Behandlung beträgt 55%, mit operativer Behandlung
postoperativen Prognose ist nicht gesichert. ca. 20% (Hagan et al. 2000). Die Fünfjahresüberlebensrate von
Patienten mit medikamentöser Behandlung und Stanford-B-Dis-
sektion beträgt ca. 70%. Die Fünfjahresüberlebensrate von Pati-
enten mit operativer Behandlung und Stanford-A-Dissektion
beträgt ca. 60%.
20.2 · Chronisches thorakales Aortenaneurysma
429 20
20.2 Chronisches thorakales Aortenaneurysma deszendierenden und der aszendierenden Aorta; methodenbe-
dingt ist die Aussagefähigkeit im Bereich des Aortenbogens ge-
20.2.1 Ätiologie und Pathogenese ringer.

Wahre spindel- bzw. sackförmige Aortenaneurysmen sind um- Echokardiographie


schriebene Erweiterungen der Hauptschlagader. Sie umfassen Die TEE stellt, ebenso wie bei der Aortendissektion, eine ausge-
alle Schichten der Aortenwand und grenzen sich hierdurch vom zeichnete Methode zur Darstellung insbesondere der proximalen
Aneurysma spurium und Aneurysma dissecans ab. Sie umfassen aszendierenden Aorta, des Aortenbogens und der deszendieren-
entweder die gesamte Zirkumferenz des Gefäßes (spindelförmig) den Aorta dar. Methodenbedingt sind die kranialen Anteile des
oder betreffen nur einen Teil des Aortenquerschnitts (sackför- Aortenbogens mit seinen abgehenden Halsgefäßen sowie die dis-
mig) und sind auf jeden Fall durch die umschriebene Lokalisati- tale Aorta ascendens schlecht oder nicht darstellbar.
on von der reinen Aortenektasie und -dilatation abgrenzbar (Is-
selbacher 2005). Ursächlich ist eine zystische Mediadegeneration Magnetresonanztomographie
mit Degeneration der elastischen Fasern. Diese führt zum Verlust Auch die MRT ist ein ausgezeichnetes nichtinvasives Verfahren
der elastischen Rückstelleigenschaften der Aortenwand und letz- zur Diagnostik der chronischen Aortendissektion oder des chro-
lich zu einer kontinuierlichen Erweiterung der Aorta. Eine Reihe nischen Aortenaneurysmas. Vorteilhaft hier ist insbesondere die
von Erkrankungen kann mit einem thorakalen Aortenaneurys- Möglichkeit, die gesamte thorakale Aorta in einem Bild durch die
ma einhergehen (7 Übersicht 20.2). frei wählbare Schichtführung darzustellen.

Angiographie
Übersicht 20.2. Erkrankungen, die mit einem thora- Wie beim akuten dissezierenden Aortenaneurysma sollte eine
kalen Aortenaneurysma einhergehen können Angiographie nur dann durchgeführt werden, wenn eine chirur-
gische Intervention erwogen wird und operative Eingriffe an den
4 Bikuspide Aortenklappe in der Regel alten und multimorbiden Patienten die vorherige
4 Marfan-Syndrom Durchführung einer Koronarangiographie erfordern.
4 Familiäres Aortenaneurysmasyndrom (bis zu 20% der Fälle) Die Angiographie vermag jedoch häufig nicht den tatsäch-
4 Ehlers-Danlos-Syndrom lichen Durchmesser des Aneurysmas adäquat wiederzugeben, da
4 Syphilis der Querdurchmesser des Gefäßes durch parietale Schichtthrom-
4 Turner-Syndrom ben meist unterschätzt wird.
4 Atherosklerose
4 Arteritis der Aorta
4 Trauma 20.2.4 Therapie
4 Chronische Aortendissektion
Die Operation ist die Therapie der Wahl für Patienten mit Aor-
tenaneurysmen, die >55 mm (Aorta ascendens) oder >65 mm
(thorakale Aorta descendens) im Durchmesser sind, die sympto-
20.2.2 Klinische Symptome matisch sind oder die eine rasche Progression (>10 mm/ Jahr)
zeigen. Für Hochrisikopatienten (Marfan-Syndrom, Familien-
Die meisten Patienten mit chronischen thorakalen Aneurysmen anamnese, bikuspide Aortenklappe) können niedrigere Schwel-
sind beschwerdefrei. Symptome werden häufig durch Kompres- lenwerte der Dilatation der Aorta sinnvoll sein.
sion benachbarter Organe oder Strukturen verursacht. So kön- Patienten ohne diese Operationsindikation werden medi-
nen die Zeichen einer oberen Einflussstauung durch Hohlvenen- kamentös, d. h. in der Regel blutdrucksenkend (β-Rezeptoren-
kompression verursacht werden. Heiserkeit wird durch eine blocker) unter Kontrolle des Aortendiameters behandelt. Dies
druckbedingte Läsion des N. laryngeus recurrens verursacht, führt insbesondere bei Patienten mit Marfan-Syndrom zu
Schluckstörungen durch eine Kompression des Ösophagus. Eine einer Abnahme der Dilatationsgeschwindigkeit der Aorta.
plötzliche Vergrößerung des Aneurysmas kann zu dumpfen Randomisierte Daten für Nicht-Marfan-Patienten liegen nicht
Schmerzen führen, die oft in Rücken oder Hals ausstrahlen und vor. Der systolische Blutdruck sollte niedrig normal einge-
teilweise über Monate bestehen. stellt werden (systolischer RR-Wert <120 mmHg). Schwere
körperliche Anstrengungen sollten vermieden werden (z. B.
Heben schwerer Lasten); ein moderates Ausdauertraining ist
20.2.3 Diagnostik möglich.
Die Krankenhausletalitätsrate bei operativem Eingriff be-
Wegen der häufig fehlenden klinischen Symptomatik ergeben trägt ca. 5–10%; die Inzidenz einer Paraplegie bei Operation
sich Hinweise auf die Existenz eines Aortenaneurysmas oft erst eines thorakalen Aneurysma der Aorta descendens beträgt ca.
als Zufallsbefund einer aus anderen Gründen angefertigten Tho- 5–6%. In Krankenhäusern mit häufigen Eingriffen an der Aorta
raxröntgenübersichtsaufnahme. ist die Prognose besser als in solchen, in denen der Eingriff sel-
tener durchgeführt wird. Chirurgische Möglichkeiten umfassen
Computertomographie die Bentall-Operation (mit Ersatz der Aortenklappe) oder einen
Die Computertomographie mit Kontrastmittel hat wegen ihrer klappensparenden Eingriff, in dem nur die Aorta ascendens er-
geringen Invasivität einen hohen Stellenwert in der Primärdiag- setzt wird. Im Regelfall müssen die Koronararterien in die Pro-
nostik. Sie erreicht ihre größte Aussagefähigkeit im Bereich der these implantiert werden.
430 Kapitel 20 · Erkrankungen der thorakalen Aorta

! Cave Frauen auftritt. Die Inzidenz in Europa beträgt ca. 3/1 Mio. Ein-
Die Behandlung von Aneurysmata, die die Aorta ascendens und wohner. Zeichen einer chronischen, entzündlichen Erkrankung
den Bogen einbeziehen, ist anspruchsvoll und setzt die Reim- werden bei fast allen Patienten gefunden (Fieber, Gewichtsver-
plantation der Halsgefäße in die Prothese voraus. lust, Nachtschweiß, Gelenkschmerzen und Müdigkeit). Darüber
hinaus finden sich Stenosierungen abgehender Aortenäste unter-
Die Langzeitprognose der Patienten bleibt jedoch auch nach er- schiedlicher Lokalisation, die zu peripheren Durchblutungstö-
folgreicher Operation ungünstig. Den überwiegenden Anteil an rungen führen.
dieser Spätletalität tragen jedoch arteriosklerotische Komplikati- Die Einteilung erfolgt in 3 Typen:
onen in anderen Gefäßprovinzen, insbesondere die KHK. 4 Typ I: Der Aortenbogen ist befallen.
Ein alternatives Behandlungsverfahren besteht in der Implan- 4 Typ II: Stenosierungen der abgehenden Gefäße der Aorta
tation eines Stents in die Aorta. Der Einsatz von Endostents zur descendens treten auf.
Behandlung von Aneurysmen der thorakalen Aorta descendens 4 Typ III: Dies ist eine Kombination der Typen I und II.
wird zurzeit intensiv untersucht. Erste Ergebnisse weisen auf eine
der offenen operativen Revision vergleichbaren Morbidität und Pathologisch-anatomisch findet sich bei derartigen Patienten
Mortalität hin (Makaroun et al. 2008). Problematisch ist, dass Lang- eine massive Intimaverdickung mit fibröser Narbe und Degene-
zeitergebnisse oder Ergebnisse großer prospektiver randomisierter ration der elastischen Fasern der Media in Verbindung mit Rund-
Studien nicht vorliegen. Eine aktuelle Konsensusveröffentlichung zellinfiltrationen unterschiedlicher Stärke. Die Infiltration der
(Svensson et al. 2008) verzichtet daher auf eine Empfehlung. Media mit T-Lymphozyten und der Nachweis von Antiendothel-
Für die Behandlung des abdominellen Aneurysmas gibt es antikörpern unterstützen eine Autoimmungenese dieser Erkran-
Daten aus randomisierten Studien. Die EVAR-Studie behandelte kung. Die Fibrose steht jedoch ganz im Vordergrund. Hierdurch
randomsierte Patienten mit abdominellen Aneurysmen mit und kommt es zum Verschluss der Vasa vasorum. Im Endstadium
ohne Stent (Beobachtungsgruppe); sie konnte keinen signifi- findet sich eine Obliteration des Aortenlumens und seiner abge-
kanten Unterschied in beiden Gruppen erbringen (EVAR trial henden Gefäße.
participants 2005). Auch der direkte randomisierte Vergleich Die A. pulmonalis kann, wenn auch seltener, ebenso wie die
zwischen Stent- und Standardoperationen konnte keinen Über- Aorta betroffen sein. Die am häufigsten betroffenen abgehenden
lebensvorteil für das eine oder das andere Verfahren erbringen. Gefäße sind: A. subclavia (90%), A. carotis (45%), A. vertebralis
(25%) und die Nierenarterien (20%).

20.2.5 Prognose Diagnostik


Die Diagnose orientiert sich an den Kriterien des American Col-
Aortenaneurysmen nehmen ca. 1 mm/Jahr an Durchmesser zu; lege of Rheumatology (Arend et al. 1990; 7 Übersicht 20.3),
die Größenzunahme ist bei Patienten mit Marfan-Syndrom und
im Bereich der Aorta descendens ausgeprägter. Da die Variabilität
beträchtlich ist, lässt sich die wirkliche Größenzunahme nur Übersicht 20.3. Diagnosekriterien für das Takayasu-
schlecht vorhersagen. Patienten mit einer Erweiterung der Aorta Syndrom. (American College of Rheumatology)
ascendens >40 mm müssen daher regelmäßig auf Größenprogre-
dienz untersucht werden. 4 Alter <40 Jahre
4 Klaudikationsbeschwerden
> Das Risiko für Tod, Dissektion oder Ruptur von Aneurysmen mit 4 Pulslosigkeit/schwacher Puls von einer oder beiden
einem Diameter <60 mm beträgt ca. 6%/Jahr, für Aneurysmen, Brachialarterien
die 60 mm im Durchmesser oder größer sind, beträgt diese Risi- 4 Blutdruckdifferenz zwischen den Armen von
ko ca. 15%/Jahr. >10 mmHg
Einige Autoren empfehlen die Korrektur des Aortendurchmes- 4 Strömungsgeräusch über der A. subclavia oder der Bauch-
sers für die Körperoberfläche. aorta
Die Fünfjahresüberlebensrate beträgt für Patienten mit 4 Angiographisch gesicherte arterielle Verschlüsse oder
einem Aortenaneurysma mit einem Diameter von 50–59 mm ca. Stenosen
85%, bei einem Diameter von ≥60 mm jedoch nur 60% (Svens-
son et al. 2008).
Sind 3 dieser Kriterien vorhanden, bestehen eine Sensitivität von
91% und eine Spezifität von 98% für das Vorliegen einer Takaya-
20 20.3 Entzündliche Erkrankungen der Aorta su-Arteriitis.
Differenzialdiagnostisch kommen fibromuskuläre Dysplasie,
Entzündungen der Aortenwand sind seltene Erkrankungen un- Ergotamingebrauch, Ehlers-Danlos-Syndrom und Riesenzellar-
terschiedlicher Ätiologie. Das Takayasu-Syndrom gehört zu den teriitis infrage.
häufigsten dieser Erkrankungen.
Therapie
Die systemischen Symptome werden durch Gabe von Kortiko-
20.3.1 Takayasu-Syndrom steroiden häufig sehr rasch gebessert.

Die Takayasu-Arteriitis ist eine chronisch entzündliche Erkran- > Die erhöhte BSG gilt für die Dosisanpassung als wichtigster Pa-
kung unbekannter Ursache, die v. a. bei jüngeren, asiatischen rameter der Krankheitsaktivität.
Literatur
431 20

Allerdings reicht bei ca. 50% der Patienten eine alleinige Korti-
sontherapie nicht aus. Die zusätzliche Gabe von Azathioprin,
Methotrexat oder Anti-TNF-Substanzen (z. B. Infliximab) wird
bei diesen Patienten empfohlen.
Komplikationen erfordern darüber hinaus chirurgische
Maßnahmen durch Endarteriektomie, Bypassoperationen und
Exzisionen von verschlossen oder aneurysmatisch erweiterten
Aortenabschnitten. Über die Langzeitprognose dilatierender
Maßnahmen ist bisher wenig bekannt.

Prognose
Die Prognose der Patienten ist vom Fortschreiten oder von der
Stabilität der Symptomatik abhängig. Die Zwanzigjahresüberle-
bensrate beträgt ca. 74%. Die kombinierte Therapie mit Kortiko- . Abb. 20.4. Transösophageale Echokardiographie. Darstellung des
steroiden, Zytostatika und chirurgischen Maßnahmen, falls not- Aortenbogens mit über 1 cm großen thrombotischen Auflagerungen un-
wendig, hat die Prognose in den letzten Jahren jedoch deutlich terschiedlicher Echogenität. Patient mit abgelaufenem linkshirnigen
verbessert. Apoplex

20.3.2 Aortale Plaques rten Marcumartherapie niedriger war als unter Aspirin- und nied-
rig dosierter Marcumargabe. Eine aktuelle Studie therapiert diese
Aortale Plaques sind eine Form der generalisierten Atherosklerose; Patienten randomsiert mit Aspirin und Clopidogrel oder Marcu-
sie sind mit den klassischen Risikofaktoren der Atherosklerose as- mar (ARCH-Studie). Die Ergebnisse stehen noch aus.
soziiert und finden sich besonders häufig bei Patienten mit KHK. Operative Verfahren (Bogenersatz, Atherektomie) kommen
Aortale Plaques sind eine wesentliche Quelle peripherer Embolien nur ganz ausnahmsweise zum Einsatz.
und können zu Schlaganfall, TIA oder peripheren Verschlüssen
führen. Pathophysiologisch entscheidend für diese peripheren
Embolien sind ulzerierte Plaques mit einer Dicke von >4 mm und Literatur
thrombotischen, mobilen Auflagerungen. Diese »komplizierten
Plaques« sind mit dem 5- bis 10-fach erhöhten Risiko einer peri- Bloch DA, Michel BA, Hunder GG et al. (1990) The American College of
pheren Embolie verbunden (Zabalgoitia et al. 1998). Rheumatology 1990 criteria for the classification of vasculitis. Patients
and methods. Arthritis Rheum 33: 1068–1073
! Cave Erbel R, Alfonso F, Boileau C et al. (2001) Diagnosis and management of
Insbesondere komplizierte Plaques des Aortenbogens sind aortic dissection. Eur Heart J 22: 1642–1681
ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines EVAR trial participants (2005) Endovascular aneurysm repair versus open
Schlaganfalls. repair in patients with abdominal aortic aneurysm (EVAR trial 1): ran-
domised controlled trial. Lancet 365: 2179–2186
Der Nachweis von ausgedehnten aortalen Plaques ist mit einer Hagan PG, Nienaber CA, Isselbacher EM et al. (2000) The International
erhöhten Sterblichkeit assoziiert und kann bis zu 20% in 3 Jahren Registry of Acute Aortic Dissection (IRAD): new insights into an old
betragen. disease. JAMA 283: 897–903
Isselbacher EM (2005) Thoracic and abdominal aortic aneurysms. Circula-
Diagnostik tion 111: 816–828
Die diagnostische Methode mit der höchsten Sensitivität zum Makaroun MS, Dillavou ED, Wheatley GH et al. (2008) Five-year results of
endovascular treatment with the Gore TAG device compared with
Nachweis aortaler Plaques, insbesondere im Bereich des Aorten-
open repair of thoracic aortic aneurysms. J Vasc Surg (in press)
bogens, ist die TEE. Den Aortenbogen einer Patientin mit Zu-
Nienaber CA, Kodolitsch Y von, Nicolas V et al. (1993) The diagnosis of
stand nach linkshirnigem ischämischem Insult und ausgedehn- thoracic aortic dissection by noninvasive imaging procedures. N Engl
ten atherosklerotischen Auflagerungen im Bereich des Aortenbo- J Med 328: 1–9
gens zeigt . Abb. 20.4. Sensitivität und Spezifität der TEE für den Suzuki T, Mehta RH, Ince H et al. (2003) Clinical profiles and outcomes of
Nachweis aortaler Plaques betragen 91 resp. 90%. acute type B aortic dissection in the current era: lessons from the In-
ternational Registry of Aortic Dissection (IRAD). Circulation 108 [Suppl
Therapie 1]: II312–317
Im Vordergrund steht die individualisierte Therapie der kardio- Svensson LG, Kouchoukos NT, Miller DC et al. (2008) Expert consensus do-
vaskulären Rsikofaktoren. Retrospektive Daten legen die Vermu- cument on the treatment of descending thoracic aortic disease using
endovascular stent-grafts. Ann Thorac Surg 85 [Suppl 1]: 1–41
tung nahe, dass insbesondere eine Statintherapie das Embolieri-
Tunick PA, Nayar AC, Goodkin GM et al. (2002) Effect of treatment on the
siko reduziert (Tunick et al. 2002).
incidence of stroke and other emboli in 519 patients with severe tho-
Welche spezifische Therapie (Marcumar, Aspirin, Clopido- racic aortic plaque. Am J Cardiol 90: 1320–1325
grel) bei Patienten mit komplizierten Plaques empfehlenswert ist, Zabalgoitia M, Halperin JL, Pearce LA et al. (1998) Transesophageal echo-
ist zurzeit unklar. In einer Substudie der SPAF-III-Studie wurde cardiographic correlates of clinical risk of thromboembolism in non-
gezeigt, dass bei Patienten mit Vorhofflimmern und komplizierten valvular atrial fibrillation. Stroke Prevention in Atrial Fibrillation III In-
Plaques das Risiko peripherer Embolien unter einer INR gesteu- vestigators. J Am Coll Cardiol 31: 1622–1626
433 21

Kardiale und perikardiale Tumoren


U.C. Hoppe, E. Erdmann

21.1 Primäre benigne Tumoren – 433 21.5 Diagnostik – 437


21.1.1 Myxom – 433 21.5.1 Kardiale Auskultation – 437
21.1.2 Nichtmyxomatöse Tumoren – 434 21.5.2 Laborbefunde – 437
21.5.3 Elektrokardiogramm – 437
21.2 Primäre maligne Tumoren – 434 21.5.4 Thoraxröntgenaufnahmen – 437
21.5.5 Echokardiographie – 437
21.3 Sekundäre maligne Tumoren – 435 21.5.6 Computer- und Magnetresonanztomographie – 437
21.3.1 Ätiologie – 435 21.5.7 Herzkatheteruntersuchung – 437
21.3.2 Klinische Symptome – 435 21.5.8 Histologische Tumorklassifikation – 437
21.3.3 Lokalisationen – 435
21.6 Therapie und Prognose – 438
21.4 Klinische Symptome – 436 21.6.1 Benigne Herztumoren – 438
21.4.1 Extrakardiale Allgemeinsymptome – 436 21.6.2 Maligne Herztumoren – 438
21.4.2 Embolien – 436
21.4.3 Kardiale Symptome – 436 Literatur – 438

)) 21.1 Primäre benigne Tumoren

Die erste Beschreibung einer kardialen Neoplasie erfolgte durch Die Inzidenz primärer Herztumoren ist niedrig und wird in Ob-
Realdo Colombo und reicht in das Jahr 1559 zurück. Erfolgreiche duktionsberichten mit 0,0017–0,28% angegeben. Der Anteil be-
chirurgische Tumorresektionen mit dem Ziel einer kurativen The- nigner Neoplasien liegt bei etwa 75%.
rapie waren erst etwa 400 Jahre später möglich, zunächst ohne
kardiopulmonalen Bypass und im Jahr 1954 durch Crafoord erst-
mals unter extrakorporaler Zirkulation. 21.1.1 Myxom

Kardiale und perikardiale Tumoren werden pathologisch-anato- > Mit 40% aller primären kardialen Tumoren und 50% der benig-
misch in primäre benigne, primäre maligne und sekundäre ma- nen Neoplasien stellt das Myxom den häufigsten Herztumor
ligne Neoplasien eingeteilt (7 Übersicht 21.1). beim Erwachsenen dar.

Obwohl Myxome in jedem Lebensalter auftreten können, werden sie


Übersicht 21.1. Pathologie kardialer und perikardialer meistens zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr beobachtet. Frauen
Tumoren sind 1,7- bis 3-mal häufiger als Männer betroffen (Reynen 1995).
Myxome werden in 75% der Fälle im linken Vorhof gefunden
1. Primär benigne Tumoren und sitzen meist gestielt, selten breitbasig der Fossa ovalis auf.
4 Myxom
4 Lipom ! Cave
4 Papilläres Fibroelastom Bei einigen Patienten können Myxome der linken Vorhofhinter-
4 Rhabdomyom wand entspringen; dies sollte jedoch stets den Verdacht auf Ma-
4 Fibrom lignität erwecken.
4 Angiom
Mit einer Häufigkeit von 18–20% finden sich Myxome rechtsatri-
4 Mesotheliom des AV-Knotens
al; 5% verteilen sich auf die beiden Ventrikel. Selten werden My-
4 Andere
2. Primär maligne Tumoren
xome auch auf den Herzklappen beobachtet. Von den Tumoren
4 Angiosarkom sind 90% solitär, in 10% der Fälle muss mit multiplen Manifesta-
4 Rhabdomyosarkom tionen (besonders beim familiären Myxom) gerechnet werden.
4 Malignes Mesotheliom
4 Fibrosarkom
Makroskopischer und histologischer Befund
4 Malignes Lymphom Makroskopisch werden polyploid-zottenförmige und ovoid-
4 Andere rundliche Myxome unterschieden. Histologisch zeigt sich ein
3. Sekundär maligne Tumoren zellarmes myxoides Stroma mit Hämorrhagien, Nekrosen, Fibro-
4 Metastasen sen, Kalzifikationen und Gefäßproliferationen. Es wird speku-
4 Kardiale/perikardiale Per-continuitatem-Infiltration liert, dass Myxome von subendokardialen primitiven Mesenchy-
extrakardialer Tumoren malzellen abstammen, der genaue zelluläre Ursprung ist aber
noch nicht abschließend geklärt.
434 Kapitel 21 · Kardiale und perikardiale Tumoren

Obwohl Myxome in der Regel benigne sind, wurden verein- Rhabdomyom


zelt maligne Charakteristika mit lokaler Infiltration und inva- > Das Rhabdomyom ist der häufigste Herztumor im Kindesalter
sivem Wachstum von Tumorembolien beschrieben. Inwieweit es und zeigt eine enge Assoziation zur tuberösen Sklerose, die
sich hierbei um eine sekundäre maligne Entartung benigner My- durch Mutationen des TSC-1- und TSC-2-Gens bedingt ist.
xome oder um primäre Myxosarkome handelt, ist meistens
schwierig zu differenzieren. Histologisch handelt es sich wahrscheinlich um ein Hamartom
und keine echte Neoplasie. Rhabdomyome treten oft multiloku-
Familiäres Myxom lär auf. Bei Erwachsenen wird der Tumor nur selten gefunden.
Etwa 93% aller Myxome treten sporadisch auf. In den übrigen
Fällen zeigt sich eine autosomal-dominante, genetisch hetero- Fibrom
gene Vererbung mit gleichmäßiger Geschlechtsverteilung. Fami- Fibrome finden sich bevorzugt im Ventrikelmyokard der freien
liäre Herzmyxome sind oft als »Myxomsyndrom« oder »Carney- linksventrikulären Wand oder des Interventrikularseptums. Sie
Syndrom« mit kutanen Myxomen, mukokutanen Pigmentati- sind die zweithäufigsten Tumoren des Kindesalters. Die Neopla-
onen, myxoiden Mammafibroadenomen, adrenalen, testikulären sien treten meist solitär auf. Bei Erwachsenen wurden Fibrome
oder Epiphysentumoren assoziiert. Beim Carney-Syndrom konn- zudem an den Herzklappen, besonders der Aortenklappe, gefun-
ten Mutationen im Gen der Proteinkinase-A-Regulatorunterein- den. Bei kardialen Fibromen im Rahmen des Gorlin-Syndroms
heit-1-α (PRKAR1A), einem Tumorsuppressorgen, nachgewiesen wurden Mutationen des PTC-Gens, eines Regulatorgens des Zell-
werden (Kirschner et al. 2000). wachstums, nachgewiesen.
Im Vergleich zu sporadischen Myxomen rezidivieren famili-
äre Tumoren häufiger, treten oft multipel und nicht im linken Kardiales Mesotheliom
Vorhof auf. Zudem sind die Patienten in der Regel jünger. Das kardiale Mesotheliom ist eine meist kleine Neoplasie, die
vorzugsweise den AV-Knoten betrifft und bereits bei jungen Pa-
> Bei einem rechtsseitigen Myxom und/oder jungen Patienten
tienten zum kompletten AV-Block und plötzlichen Herztod füh-
wird wegen des Verdachts auf ein familiäres Myxom die echo-
ren kann. Ätiologisch wird ein Ursprung aus endodermalem
kardiographische Untersuchung der Verwandten ersten Grades
Gewebe diskutiert.
empfohlen.
Angiom
Angiome sind im Erwachsenenalter selten. Sie finden sich meist
21.1.2 Nichtmyxomatöse Tumoren intramural, besonders im Interventrikularseptum oder dem AV-
Knoten und können eine Perikardtamponade oder AV-Blockie-
Im Gegensatz zu Myxomen treten nichtmyxomatöse Tumoren rung verursachen. Diese Tumoren werden am besten koronaran-
häufiger ventrikulär, intramyokardial und multipel auf. Prinzipi- giographisch diagnostiziert.
ell kann jedes mesenchymale Gewebe den Hauptanteil einer kar-
dialen Neoplasie ausmachen. Paragangliom
Selten treten Paragangliome meist intraperikardial auf. Die Neo-
Lipom plasien können endokrin aktiv sein und u. a. dem klinischen Bild
Lipome sind vorzugsweise subendo- bzw. subepikardial im Be- eines Phäochromozytoms zugrunde liegen. Intraperikardiale Tu-
reich des linken Ventrikels, des rechten Vorhofs oder des interat- moren müssen stets von Perikardzysten abgegrenzt werden, die
rialen Septums lokalisiert. Differenzialdiagnostisch muss eine nicht zu den Neoplasien gezählt werden.
lipomatöse Hypertrophie des atrialen Septums abgegrenzt wer-
den, die nicht zu den Neoplasien gezählt wird. Bei intraperikar-
dialer Lage können Lipome Perikardergüsse verursachen. 21.2 Primäre maligne Tumoren

Papilläres Fibroelastom > Etwa 25% aller primären Herztumoren sind maligne. Etwa 75%
Dieses findet sich meist an den Herzklappen, besonders der Aor- von diesen haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits
ten- und Mitralklappe. In etwa 15% treten papilläre Fibroelasto- metastasiert, vorwiegend pulmonal, pleural, mediastinal oder
me zudem im Bereich des linksventrikulären Endokards auf, hepatisch (Hoppe et al. 1997).
vorzugsweise bei Patienten mit engem Ventrikelkavum oder mit
HOCM. Die Semilunarklappen sind in der Regel von der ventri- Angiosarkom
kulären, die AV-Klappen von der atrialen Seite am Klappenrand Histologisch handelt es sich bei den primären Malignomen fast
betroffen. Papilläre Fibroelastome scheinen durch den gegensei- immer um Sarkome. Obwohl Anteile aller verschiedenen mesen-
tigen Kontakt der Klappenränder oder ventrikulärer Endokard- chymalen Gewebe gefunden werden, treten Angiosarkome bei
21 flächen zu entstehen. Weitem am häufigsten auf. Angiosarkome finden sich bevorzugt
Klinisch sind papilläre Fibroelastome meist asymptomatisch bei Männern mittleren Lebensalters. Makroskopisch wachsen die
und stellen bei der Mehrzahl der Patienten einen echokardio- Tumoren polypoid oder infiltrierend, haben z. T. intrakavitäre
graphischen oder autoptischen Zufallsbefund dar. Bei einigen Tumoranteile und sind frühzeitig organübergreifend.
Patienten wurden jedoch auch zentrale Embolien oder Koro- Histologisch dominieren mit atypischen Endothelzellen aus-
narostienobstruktionen mit konsekutiven neurologischen gekleidete Gefäßkanäle. Angiosarkome sind vorzugsweise rechts-
Defekten bzw. Myokardinfarkten und plötzlichen Todesfällen seitig, besonders rechtsatrial lokalisiert.
beschrieben.
21.3 · Sekundäre maligne Tumoren
435 21
Rhabdomyosarkom 21.3.1 Ätiologie
Sarkome anderer mesenchymaler Ursprungsgewebe manifestie-
ren sich ebenfalls meist zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr, Extrakardiale Malignome können das Herz per continuitatem
weisen jedoch keine Geschlechterpräferenz auf. In den meisten infiltrieren oder hämatogen bzw. lymphogen metastasieren. Zu-
Autopsiestudien ist das Rhabdomyosarkom der zweithäufigste dem besteht die Möglichkeit einer typischerweise beim Hyperne-
primäre maligne Herztumor. Rhabdomyosarkome entspringen phrom, selten beim Endometriumsarkom oder Leberkarzinom
meist vom Myokard und kommen in allen Herzhöhlen mit etwa beobachteten endoluminalen Tumorausbreitung in den rechten
gleicher Häufigkeit vor. Nicht selten werden multiple Tumoren Vorhof über die V. cava inferior.
gefunden. Prinzipiell kann jeder maligne Tumor sekundär das Herz be-
fallen. Eine kardiale Beteiligung tritt aber am häufigsten bei ma-
Malignes fibröses Histiosarkom, Osteo- und lignen Melanomen, gefolgt von Keimzelltumoren, Leukämien,
Chondrosarkom Lymphomen und Bronchialkarzinomen, auf. Bei Patienten mit
Maligne fibröse Histiosarkome, Osteo- und Chondrosarkome Immundefektsyndrom werden in zunehmendem Maß kardiale
finden sich wie Myxome vorzugsweise linksatrial, gehen jedoch Manifestationen von Kaposi-Sarkomen und hochmalignen Non-
im Gegensatz zu Myxomen oft breitbasig von der posterioren Hodgkin-Lymphomen beobachtet.
Vorhofwand aus. Die Tumoren können zu Mitralklappen- oder
Lungenvenenobstruktionen mit pulmonaler Stauung und Links-
herzinsuffizienz führen. Osteosarkome sind z. T. bereits in Tho- 21.3.2 Klinische Symptome
raxübersichtsaufnahmen röntgenkontrastgebend.
Eine kardiale Beteiligung extrakardialer Neoplasien ist bei vielen
Fibrosarkom Patienten asymptomatisch oder wird durch die Symptome der
Fibrosarkome haben ihre Primärlokalisation meist im rechten Grunderkrankung überlagert. Die Herzmanifestation stellt oft
oder im linken Ventrikelmyokard und werden oft multipel ge- einen Zufallsbefund im Rahmen von Staging-Untersuchungen
funden. oder Autopsien dar.

Lymphom ! Cave
Alle neu auftretenden kardialen Symptome bei Tumorpatienten
Eine kardiale Beteiligung maligner Lymphome ist nicht selten
sollten den Verdacht auf eine kardiale Beteiligung lenken.
und wird in Autopsien bei etwa 20% der Patienten beschrieben.
Eine isolierte kardiale Lymphommanifestation stellt hingegen bei
Immunkompetenten eine Rarität dar, wird jedoch in steigendem
Maß bei Patienten mit Immundefektsyndrom beobachtet. 21.3.3 Lokalisationen

Malignes Mesotheliom und Teratom Perikard


> Die häufigste primär maligne Perikardneoplasie ist das maligne Das Perikard wird am häufigsten bei extrakardialen Neoplasien
Mesotheliom. mitbefallen. Je nach Ausmaß der Perikardinfiltration resultiert
ein meist hämorrhagischer Erguss (7 Übersicht 21.2) bis hin zur
Maligne Perikardmesotheliome können vom parietalen oder vis- Tamponade oder eine konstriktive Perikarditis.
zeralen Perikard ihren Ursprung nehmen und lokal oder diffus
infiltrativ wachsen. Sekundär können meist hämorrhagische Pe-
rikardergüsse oder konstriktive Perikarditiden resultieren. Die Übersicht 21.2. Befunde, die für Malignität eines
Tumoren metastasieren in der Regel lokal thorakal bzw. medias- Herztumors sprechen
tinal. Kasuistisch wurden Koronargefäßinfiltrationen mit konse-
kutivem Myokardinfarkt beschrieben. 4 Tumorlokalisation rechtsseitig oder im Bereich der freien
Wesentlich seltener sind intraperikardiale maligne Teratome. Vorhofwand
Maligne Teratome kommen in der Regel im Säuglings- und 4 Intrakavitäre und intramurale Tumoranteile
Kleinkindalter vor. 4 Rasche Tumorprogredienz
4 Extrakardiale Infiltration
4 Hämorrhagischer Perikarderguss
21.3 Sekundäre maligne Tumoren 4 Metastasen
4 Thoraxschmerz
Extrakardiale Neoplasien können kardiale Symptome durch se-
kundäre Herztumoren bzw. externe Tumorkompression hervor-
rufen oder systemisch vermittelt kardiale Dysfunktionen (z. B. Neoplastische Perikarditiden sind die häufigste Ursache akuter
Embolien, Thrombosen bei Hyperkoagulopathie, Amyloidabla- Perikardergüsse in westlichen Ländern. Hämorrhagische Peri-
gerung, Endokardfibrose) verursachen. kardtamponaden wurden u. a. bei immundefekten Patienten mit
Sekundäre kardiale Tumoren sind 20- bis 40-mal häufiger Kaposi-Sarkom beschrieben.
als primäre kardiale Neoplasien und werden in Autopsien bei
1,5–20,6% von Patienten mit malignen Grunderkrankungen Myokard
gefunden. Eine Myokardinfiltration oder -metastasierung stellt die zweit-
häufigste kardiale Manifestation extrakardialer Neoplasien dar.
Funktionell wurden systolische Kontraktionsstörungen und res-
436 Kapitel 21 · Kardiale und perikardiale Tumoren

triktive Kardiomyopathien beschrieben. Je nach Lage eines Tu- 21.4.2 Embolien


mors können Ein- oder Ausflusstraktobstruktionen auftreten.
Zudem können verschiedene Herzrhythmusstörungen von Vor- Bei Tumoren mit intrakavitären Tumoranteilen können peri-
hofflattern/-flimmern, AV-Blockierungen bis hin zu ventriku- phere oder zentrale Embolien durch Tumorfragmente oder dem
lären Arrhythmien resultieren. Tumor aufgelagerte Thromben entstehen. Bei Myxomen werden
Embolien mit einer Häufigkeit von 20–40% beobachtet; bei an-
Tumorassoziierter Myokardinfarkt deren Neoplasien sind Embolisationen seltener. Differenzialdi-
Myokardinfarkte werden am häufigsten bei Patienten mit Bron- agnostisch muss besonders bei multiplen Embolisationen eine
chialkarzinom, malignem Melanom und Leukämien beobachtet. Endokarditis oder eine Vaskulitis abgegrenzt werden. Rechtssei-
Zumeist handelt es sich um die Manifestation einer koinzidenten tige kardiale Tumoren können zudem Ursache von Lungenembo-
Koronarsklerose. Tumorrassoziierte Myokardinfarkte treten in lien und embolisch bedingten akuten Pleurititiden sein.
etwa 60% durch externe Koronararterienkompression, in etwa Als embolische Spätkomplikationen wurde über die Ausbil-
35% durch Embolien und selten durch Koronarthrombosen im dung von Gefäßaneurysmen mit der Gefahr einer sekundären
Rahmen tumorbedingter Gerinnungsstörungen auf. Myokardin- Ruptur berichtet. Bei Myxomen fand sich zudem ein peripheres
farkte bei Patienten mit bereits fortgeschrittenem Tumorleiden oder ein zentrales Wachstum tumoröser Fragmente ohne histo-
sind Ausdruck einer besonders ungünstigen Prognose. logischen Malignitätsnachweis der Metastasen.
Klinisch relevant können diese Raumforderungen besonders
Tumorassoziierte Endokard- und bei intrakranieller Lage werden. Für die Zelladhäsion an der Ge-
Herzklappenbeteiligung fäßwand und transendotheliale Migration soll von Tumorzellen
Wesentlich seltener als eine Perikard- und Myokardmetastasie- produziertes IL-6 verantwortlich sein. Der genaue Pathomecha-
rung ist eine Endokard- bzw. Herzklappenbeteiligung extrakar- nismus ist jedoch noch unklar.
dialer Neoplasien. Es können intrakavitäre Tumormassen auftre-
ten und daraus Klappendysfunktionen durch Tumorinvasion/-
destruktion oder externe Klappenkompression resultieren. 21.4.3 Kardiale Symptome
Die häufigste Herzklappenveränderung bei extrakardialen
Neoplasien ist jedoch die nichtbakterielle thrombotische Endo- Durch einen Tumor verursachte kardiale Symptome hängen in
karditis, die vorzugsweise die Aorten- und die Mitralklappe be- der Regel von der Lokalisation und nicht von den histologischen
fällt und besonders bei Adenokarzinomen und hämatologischen Merkmalen der Neoplasie ab. Tumoren können fast alle kardio-
Malignomen beobachtet wird. Die nichtbakterielle thrombo- vaskulären Störungen, insbesondere Rhythmusstörungen, imi-
tische Endokarditis ist nicht klappendestruierend und stellt keine tieren (7 Übersicht 21.3).
neoplastische Veränderung dar, kann aber zu vorwiegend zentra-
len, seltener koronaren Embolien führen.
Übersicht 21.3. Lokalisationsabhängige kardiale Symp-
tome bei Herztumoren
21.4 Klinische Symptome
4 Mitral-/Trikuspidalstenose (oft lageabhängig)/-insuffi-
21.4.1 Extrakardiale Allgemeinsymptome zienz durch Klappenverlegung bzw. -infiltration
4 Herzinsuffizienz durch Myokardinfiltration oder Klappen-
Nicht selten manifestieren sich kardiale Tumoren zuerst durch obstruktion
verschiedenste extrakardiale Allgemeinsymptome wie Fieber, 4 Supraventrikuläre und ventrikuläre Rhythmusstörungen,
Nachtschweiß, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust oder allgemeine Leitungsstörungen, plötzlicher Herztod
Schwäche. Hämoptysen können Folge pulmonaler Embolien 4 Perikarditis/Perikarderguss (oft hämorrhagisch)/ Peri-
oder Metastasen sein. kardtamponade
Extrakardiale Allgemeinbeschwerden treten jedoch nicht nur 4 Synkopen durch Ausflusstraktobstruktion
als Folge maligner Herztumoren auf. Besonders häufig werden
unspezifische Symptome beim Myxom beobachtet (65–90% der
Patienten). Neben Fieber, Gewichtsverlust und allgemeiner Sowohl eine Linksherzinsuffizienz mit pulmonaler Stauung und
Schwäche wurden Arthralgien, Myalgien und das Auftreten eines Rasselgeräuschen über der Lunge als auch eine Rechtsherzinsuf-
Raynaud-Syndroms beschrieben. fizienz mit peripheren Ödemen, Aszites, oberer Einflussstauung
und Hepatomegalie können Folge kardialer Tumoren sein. Bei
! Cave
einer Perikardtamponade können sich eine Jugularvenenstau-
Bei einigen Patienten können die Begleiterscheinungen das kli-
ung, das Kussmaul-Zeichen und ein Pulsus paradoxus zeigen.
nische Bild dominieren; dies kann zur Diagnose einer Infektions-
21 erkrankung oder Kollagenose führen.
Durch embolische Komplikationen werden neurologische
Defekte, periphere Gefäßverschlüsse und Petechien verursacht.
Es wird angenommen, dass die Produktion von IL-6 durch My- Bei Malignomen kann sich eine unspezifische Tumorkachexie
xomzellen diesen Begleitstörungen zugrunde liegt. Die Begleit- finden.
beschwerden und die Veränderung der IL-6-Spiegel sind nach
Tumorresektion in der Regel reversibel (Endo et al. 2002).
21.5 · Diagnostik
437 21
21.5 Diagnostik 21.5.5 Echokardiographie

21.5.1 Kardiale Auskultation > Als nichtinvasives, gut verfügbares Verfahren stellt die Echokar-
diographie die Methode der Wahl bei der Diagnostik kardialer
Auskultatorisch sind Herzgeräusche aller Klappenvitien oder ein Tumoren dar.
Perikardreiben möglich. Gestielte, mobile Neoplasien können zu
einer charakteristischen Änderung des Auskultationsbefundes Sie ermöglicht die Erfassung von Tumorgröße, -insertion, -kalzi-
mit wechselnder Position führen. Bei linksatrialen Myxomen fikation und -mobilität, myokardialen Wandbewegungsstörun-
zeigt sich bei einigen Patienten zudem ein niederfrequentes gen sowie einem begleitenden Perikarderguss. Häufig ist die trans-
frühes Intervalldiastolikum, das auch als »tumor plop« bezeich- ösophageale der transthorakalen Echokardiographie überlegen.
net wird und wahrscheinlich durch einen plötzlichen Tumorkon- Dies gilt besonders für kleine Neoplasien, Tumoren im Bereich
takt mit der endokardialen Wand entsteht. Selten tritt ein korres- der Herzohren oder des interatrialen Septums und die Charakte-
pondierendes Geräusch bei rechtsatrialen Myxomen auf. risierung interner Tumoranteile. Bei Malignomen ist echokardi-
ographisch bereits oft eine Infiltration parakardialer Strukturen
nachweisbar. Eine differenzialdiagnostische Abgrenzung von
21.5.2 Laborbefunde Thromben ist echokardiographisch meist anhand von Lokalisa-
tion und Morphologie möglich.
Verschiedene Laborparameter können bei kardialen Tumoren pa-
thologisch sein. Nicht nur bei Malignomen, sondern besonders
auch bei Myxomen wurden Veränderungen des Blutbilds (Anämie, 21.5.6 Computer- und Magnetresonanztomographie
Polyglobulie, Thrombozytose/Thrombozytopenie, Leukozytose)
und Beschleunigungen der BSG nachgewiesen. Zudem fanden sich Computer- und Magnetresonanztomographie ermöglichen eine
antimyokardiale Antikörper und Hyper-γ-Globulinämien. genaue topographische Tumordiagnostik und durch Signalinten-
sitäts-/Dichtemessung häufig eine Charakterisierung interner
> Bei Myxompatienten korrelieren immunologische Begleit-
Tumorkomponenten (Fieno et al. 2006). Eine definitive Artdiag-
symptome oft mit erhöhten IL-6-Spiegeln.
nose kardialer Tumoren ist wie mit der Echokardiographie je-
In-vitro-Studien deuten daraufhin, dass die Mediatoren direkt doch nicht möglich. Aufgrund des größeren Bildausschnitts sind
von den Tumorzellen sezerniert werden. Die Laborverände- beide Methoden bei der Beurteilung einer Tumorinfiltration und
rungen sind nach einer erfolgreichen Tumorresektion meist re- ggf. der Infiltrationstiefe extrakardialer Strukturen der Echokar-
versibel. Für die Diagnosesicherung sind die pathologischen La- diographie häufig überlegen.
borparameter allerdings meist wenig hilfreich.

21.5.7 Herzkatheteruntersuchung
21.5.3 Elektrokardiogramm
Vor einer geplanten Operation sollte in der Regel eine Herzkathe-
Im EKG können sich uncharakteristische ST-Strecken-Verände- teruntersuchung zum Ausschluss begleitender Koronarverände-
rungen, Zeichen einer myokardialen Hypertrophie oder Volu- rungen, Vitien oder einer pulmonalen Hypertonie erfolgen. Ko-
menbelastung zeigen. Darüber hinaus können alle Arten ventri- ronarangiographisch ist häufig die Tumorgefäßversorgung beur-
kulärer und supraventrikulärer Arrhythmien sowie Leitungsstö- teilbar; dies kann für die Operationsplanung von Bedeutung sein.
rungen auftreten. Bei Perikardergüssen oder perikardialer Tu- Hieraus ergibt sich jedoch keine sichere Differenzierung hinsicht-
morverdickung kann eine Niedervoltage resultieren. Die lich Tumormalignität oder -benignität. Zudem kann sich eine
EKG-Veränderungen sind jedoch wie die Laborbefunde unspe- Verlagerung der Koronargefäße durch Tumormassen zeigen.
zifisch und können z. T. bei Tumorpatienten durch Anämien,
! Cave
Hypoxie oder Elektrolytstörungen hervorgerufen werden.
Bei Patienten mit kardialen Tumoren sollte jede Herzkatheterun-
tersuchung mit größter Vorsicht durchgeführt werden, da die
21.5.4 Thoraxröntgenaufnahmen Gefahr der Auslösung von Extrasystolen mit konsekutiver Em-
bolisation besteht.

Auf Röntgenbildern kann durch kardiale Tumoren die Herzsil-


houette entsprechend der Tumorlage vitiumtypisch konfiguriert
sein, oder es können sich extrakardiale Primärmalignome bzw. 21.5.8 Histologische Tumorklassifikation
Zeichen einer Metastasierung zeigen. Eine vermeintliche Kardi-
omegalie kann zudem Ausdruck eines Perikardergusses sein. Es Ein besonderer Stellenwert kommt der histopathologischen Tu-
finden sich Pleuraergüsse, Zwerchfellhochstand und Tumorver- morklassifikation zu, die bei jedem Patienten wegen therapeu-
kalkungen, die differenzialdiagnostisch von Kalzifikationen an- tischer Konsequenzen angestrebt werden sollte. Es besteht die
derer Strukturen wie z. B. Klappen- und Thrombusverkalkungen Möglichkeit der präoperativen Gewebegewinnung aus peri-
abgegrenzt werden müssen. pherem Tumormaterial, peripheren Embolien, einem Perikard-
Als weiterer unspezifischer Befund sind Zeichen einer pul- punktat oder einer Perikard- bzw. Metastasenbiopsie zur histolo-
monalen Stauung möglich. Die Thoraxröntgenaufnahme kann gischen/zytologischen Untersuchung. Eng sollte jedoch die Indi-
somit auf einen pathologischen kardialen Befund hindeuten, die kation zu einer direkten transvenösen Herztumorbiopsie wegen
Diagnose eines Herztumors in der Regel aber nicht sichern. der Emboliegefahr und der meist ohnehin bestehenden Operati-
438 Kapitel 21 · Kardiale und perikardiale Tumoren

onsnotwendigkeit gefasst werden. Ein benigner Biopsiebefund ren erzielt werden. Zudem wurde eine hyperfraktionierte Radia-
kann maligne Tumoranteile ohnehin nie mit Sicherheit ausschlie- tio unter Radiosensitizergabe als neuer Therapieansatz gewählt.
ßen. Meist ist eine intra- oder postoperative Tumoraufbereitung Kontrollierte Studien liegen jedoch nicht vor.
sinnvoller. Die Indikation zu einer Herztransplantation bei malignen
Herztumoren wird noch sehr kontrovers bewertet. Derzeit liegen
nur geringe Fallzahlen vor. Meist wird eine adjuvante Chemothe-
21.6 Therapie und Prognose rapie empfohlen. Berichtete Überlebenszeiten reichen bis 5,5 Jah-
re. Insgesamt ist die Prognose primärer maligner Herztumoren
21.6.1 Benigne Herztumoren derzeit noch als sehr schlecht einzuschätzen. Die mediane Über-
lebensdauer nach Diagnosestellung beträgt etwa 6 Monate (<1–
> Benigne Herztumoren sind aufgrund lokaler Komplikationen 51 Monate). Therapie und Prognose metastatischer Herztumo-
und peripherer/zentraler Embolien potenziell lebensbedrohlich. ren werden meist durch den Primärtumor bestimmt.
Daher sollte immer eine Diagnose angestrebt werden und in Die Behandlung maligner Perikardergüsse ist vom tumorhis-
der Regel eine unmittelbare operative Resektion erfolgen. tologischen Befund und der bisher durchgeführten Therapie ab-
hängig. Lymphomassoziierte Perikardergüsse können auf eine
Bei verzögerter Operation ist die Letalität durch akute Klappen- Chemotherapie und/oder eine Radiatio ansprechen. Symptoma-
obstruktion oder massive Embolien signifikant erhöht. Das Ope- tisch kann ein maligner Perikarderguss vorübergehend durch
rationsrisiko liegt unter 3%. Perikardiozentese ggf. mit Drainage entlastet werden. Zur lang-
Wichtig ist eine komplette Tumorentfernung, da anderenfalls fristigen Perikarddrainge können chirurgisch Perikardfenster
gehäuft Rezidive beobachtet werden. Bei ausgedehnten Neopla- (thorakaler, subxiphoidaler oder thorakoskopischer Zugang) an-
sien wurde in Einzelfällen eine Herztransplantation durchgeführt gelegt werden.
(Gowdamarajan u. Michler 2000). Bei papillären Fibroelastomen Aufgrund der geringeren Invasivität werden darüber hinaus
ist eine Resektion bei neurologischen Komplikationen oder Ko- in steigendem Maß Ballonperikardiotomien mit geringer Komp-
ronarostienobstruktionen indiziert. Bei asymptomatischen Pati- likationsrate und guter Effektivität durchgeführt. Zudem können
enten wird eine Operationsindikation kontrovers beurteilt, von zur Verhinderung häufiger Rezidivergüsse Tetracyclin, Doxycyc-
den meisten Autoren jedoch nicht befürwortet. lin, Bleomycin oder andere sklerosierende Substanzen intraperi-
Nach radikaler Resektion liegt bei sporadischen Myxomen kardial mit einer Erfolgsrate von 80% instilliert werden. Über die
und den meisten nichtmyxomatösen Tumoren die Rezidivrate Instillation von Chemotherapeutika liegen keine kontrollierten
bei etwa 1%, bei komplexen bzw. familiären Myxomen bei 10– Studienergebnisse vor.
21% (Keeling et al. 2002). Zur frühzeitigen Erfassung eventueller
Rezidive sind regelmäßige echokardiographische Verlaufs-
kontrollen erforderlich. Die Resektion benigner Herztumoren
Literatur
stellt somit für die Mehrzahl der Patienten eine kurative Therapie
Endo A, Ohtahara A, Kinugawa T et al. (2002) Characteristics of cardiac
dar; die postoperative Prognose ist gut.
myxoma with constitutional signs: a multicenter study in Japan. Clin
Cardiol 25: 367–370
Fieno DS, Saouaf R, Thomson LE et al. (2006) Cardiovascular magnetic re-
21.6.2 Maligne Herztumoren
sonance of primary tumors of the heart: a review. J Cardiovasc Magn
Reson 8: 839–853
Bei primären und sekundären malignen Herztumoren sind die Gowdamarajan A, Michler RE (2000) Therapy for primary cardiac tumors:
Operationsmöglichkeiten durch ein fortgeschrittenes Tumorlei- is there a role for heart transplantation? Curr Opin Cardiol 15: 121–
den mit ausgedehnter Metastasierung (75% primärer Herztumo- 125
ren haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits metasta- Hoppe UC, Rosee K la, Beuckelmann DJ, Erdmann E (1997) Herztumoren
siert), diffuser Infiltration kardialer Strukturen und Einbruch in – Manifestation durch uncharakteristische Symptome. Dtsch Med
Wochenschr 122: 551–557
benachbarte vitale Organe oft limitiert. Häufig kann nur eine Pal-
Keeling IM, Oberwalder P, Anelli-Monti M et al. (2002) Cardiac myxomas:
liation zur Vermeidung einer akuten Dekompensation erfolgen.
24 years of experience in 49 patients. Eur J Cardiothorac Surg 22:
Bei malignen Lymphomen wird die Prognose nach vorlie- 971–977
genden Ergebnissen durch eine Multichemotherapie mit oder Kirschner LS, Carney JA, Pack SD et al. (2000) Mutations of the gene enco-
ohne Radiatio verbessert. Bei primären Sarkomen konnte kasu- ding the protein kinase A type I-alpha regulatory subunit in patients
istisch durch eine ausgedehnte Tumorresektion mit adjuvanter with the Carney complex. Nat Genet 26: 89–92
Zytostatika- und Strahlentherapie ein Überleben von bis zu 7 Jah- Reynen K (1995) Cardiac myxomas. N Engl J Med 333: 1610–1617

21
439 22

Schwangerschaft und Herzerkrankungen


U. Laufs, M. Böhm

22.1 Hämodynamische Veränderungen in der 22.7.3 Präeklampsie – 447


Schwangerschaft – 439 22.7.4 Schwere Verlaufsform der Präeklampsie und
Eklampsie – 447
22.2 Risikobeurteilung und Kontraindikationen 22.7.5 Therapie der Hypertonie während der
für eine Schwangerschaft – 440 Schwangerschaft – 447
22.2.1 Höhergradige pulmonale Hypertonie jedweder
Ursache – 440 22.8 Koronare Herzkrankheit – 448
22.2.2 Ventrikuläre Dysfunktion – 440
22.2.3 Schwere linksseitige, obstruktive unkorrigierte 22.9 Herzrhythmusstörungen – 448
Vitien – 441 22.9.1 Sinustachykardie – 448
22.2.4 Marfan-Syndrom und weitere Aortenwurzel – 441 22.9.2 Atriale Tachykardien – 448
22.2.5 Zyanotische Herzerkrankungen ohne pulmonale 22.9.3 Supraventrikuläre Tachykardien – 448
Hypertonie – 441 22.9.4 Vorhofflimmern/Vorhofflattern – 449
22.9.5 Ventrikuläre Tachykardien – 449
22.3 Diagnostische Maßnahmen – 443 22.9.6 Long-QT-Syndrom – 449
22.9.7 Bradykarde Herzrhythmusstörungen – 449
22.4 Erworbene Klappenfehler – 443
22.4.1 Mitralstenose – 444 22.10 Thromboembolieprophylaxe und Antikoagulation
22.4.2 Aortenklappenerkrankungen – 445 in der Schwangerschaft – 449
22.10.1 Orale Antikoagulanzien – 450
22.5 Kardiomyopathien – 445 22.10.2 Heparin – 450
22.5.1 Peripartale Kardiomyopathie – 445 22.10.3 Antikoagulation bei mechanischen
22.5.2 Dilatative Kardiomyopathie – 445 Klappenprothesen – 450
22.5.3 Hypertrophe Kardiomyopathie – 446 22.10.4 Antikoagulation bei Vorhofflimmern, tiefen
Beinvenenthrombosen und Lungenembolien – 450
22.6 Medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz in 22.10.5 Stillperiode – 450
der Schwangerschaft – 446
Literatur – 451
22.7 Arterielle Hypertonie in der Schwangerschaft – 446
22.7.1 Chronische Hypertonie – 446
22.7.2 Gestationshypertonie – 446

)) 22.1 Hämodynamische Veränderungen in der


Schwangerschaft
Herzerkrankungen in der Schwangerschaft stellen aus folgen-
den Gründen eine besondere Herausforderung dar: Symptome > Aufgrund der physiologischen Veränderungen des mütterlichen
im Rahmen einer Schwangerschaft, z. B. periphere Ödeme oder Kreislaufs können sich während der Schwangerschaft vorher
Luftnot bei Belastung, können Ausdruck der physiologischen unbekannte Herz-Kreislauf-Erkrankungen manifestieren.
Veränderungen, aber auch Hinweis auf schwerwiegende kardiale
Erkankungen darstellen. Die Auswirkungen einer kardialen Er- Eine Schwangerschaft führt durch zunehmenden Sauerstoffbe-
krankung betreffen immer 2 Personen, Mutter und Kind, jedoch in darf und Steigerung der uteroplazentaren Durchblutung unter
unterschiedlicher Art und Weise. Aufgrund der physiologischen dem Einfluss unterschiedlicher hormoneller Regelkreise zu fol-
Veränderungen von Kreislauf, Volumenhaushalt und Gerinnungs- genden erheblichen physiologischen kardiovaskulären Adaptati-
system in der Schwangerschaft und unter der Geburt ist bei kar- onen des mütterlichen Kreislaufs:
dialen Erkrankungen eine besondere Dynamik zu berücksich- 4 Zunahme des Blutvolumens um 30–50% durch proportional
tigen. Die Pharmakotherapie während der Schwangerschaft stärkere Zunahme des Plasmavolumens im Vergleich zu den
und der Stillzeit erfordert besondere Vorsicht. Und schließlich korpuskulären Bestandteilen. Dies führt zu einer »physiolo-
soll das nachfolgende Kapitel bei der im Einzelfall oft schwie- gischen Anämie«. Ein Hb-Wert von 11–12 g/dl ist in der
rigen Risikoabschätzung und der individuellen Beratung helfen. Schwangerschaft physiologisch.
Die Darstellung basiert in wesentlichen Bereichen auf der aktu- 4 Das Herzminutenvolumen nimmt im ersten Treminum um
ellen Leitlinie »Herzerkrankungen in der Schwangerschaft« der 25–50% und im zweiten Treminum um weitere 10% zu. Hier-
Deutschen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahr 2008 (http:// bei kommt es zu einer Zunahme des HZV und der Herzfre-
www.dgk.org). quenz (um ca. 10–20 Schläge/min).
440 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

4 Der mittlere arterielle Blutdruck fällt physiologischerweise ren waren Rauchen, mütterliches Alter <25 und >35 Jahre, Hepa-
während des zweiten Treminums im Mittel um 15 mmHg ab rin- oder Marcumartherapie und Mehrlingsschwangerschaften.
und steigt im Verlauf der Schwangerschaft bis zum Entbin- Aus der Risikostratifizierung ergeben sich nach Experten-
dungstermin wieder auf den Ausgangswert an. meinung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) die
4 Knöchelödeme treten bei 80% der Schwangeren besonders in 7 Übersicht 22.1 zusammengestellten Kontraindikationen für
im dritten Treminum auf. Sie sind Folge des erhöhten kapil- eine Schwangerschaft aus mütterlicher und fetaler Sicht.
lären Filtrationsdrucks. Geringgradige Knöchelödeme sind
nicht therapiebedürftig. Generalisierte Ödeme dagegen,
Übersicht 22.1. Kontraindikationen für die Schwanger-
insbesondere in der oberen Körperhälfte, mit überschie-
schaft. (Mod. nach Weiss u. Hess 2000; Siu et al. 2001;
ßender schneller Gewichtszunahme müssen jedoch an eine
Deanfield et al. 2003)
beginnende Präeklamsie denken lassen. Das V.-cava-Kom-
pressionssyndrom kann ab dem dritten Treminum auftreten,
4 Höhergradige pulmonale Hypertonie jedweder Ursache
wenn die Patientin auf dem Rücken liegt. Hierbei kommt es
(Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C)
zu einer Kompression der V. cava inferior durch den vergrö-
4 Ausgeprägte ventrikuläre Dysfunktion, EF <40% (Emp-
ßerten Uterus. Dies kann zu einer Reduktion des venösen fehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
Rückflusses zum Herzen und zu einer reduzierten Herzfül- 4 Patientinnen im NYHA-Stadium III und IV (Empfehlungs-
lung führen. Kann dieser Umstand nicht durch eine reaktive grad I, Evidenzgrad C)
Tachykardie kompensiert werden, sinken Herzminuten- 4 Schwere Linksherzobstruktion (Aortenstenose mit einem
volumen und Blutdruck; daraufhin können Übelkeit und mittleren, dopplersonographisch geschätzten Druckgra-
Schwarzwerden vor den Augen auftreten. Im CTG zeigt sich dienten >50 mmHg, Öffnungsfläche <0,6 cm2/m2; höher-
eine tiefe wannenförmige Dezeleration. Sofortige Besserung gradige (Re-)Aortenisthmusstenose; Empfehlungsgrad I,
tritt durch Seitenlage ein. Ia, Evidenzgrad C)
4 Im Rahmen der Wehentätigkeit und der vaginalen Entbin- 4 Schwere Mitralstenose (mittlerer Druckgradient
dung können Herzfrequenz und Herzminutenvolumen ab- >10 mmHg, Öffnungsfläche <1,0 cm2/m2; Empfehlungs-
rupt bis zu einer Verdreifachung des maternalen Sauerstoff- grad I, Evidenzgrad C)
verbrauchs ansteigen. Der Blutdruck steigt unter den Wehen 4 Marfan-Syndrom mit ektatischer Aorta ascendens
um bis zu 20%; in der Austreibungsphase sind Blutdruckspit- (≥45 mm; Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C)
zen bis 200 mmHg möglich (Valsalva-Mechanismus). 4 Zyanotische Herzerkrankung (insbesondere bei Sauerstoff-
sättigung <80%; Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
! Cave
Die Symptomatik einer Herz-Kreislauf-Erkrankung kann durch
hämodynamische Veränderungen während der Schwanger- > Die Prognose einer Risikoschwangerschaft ist nicht allein von
schaft überdeckt werden. der Art der zugrunde liegenden Schädigung, sondern von ande-
ren Begleitumständen wie dem Vorliegen einer Herzinsuffizienz,
einer schweren Zyanose oder einer Polyglobulie abhängig.
22.2 Risikobeurteilung und Kontraindikationen Bei Patientinnen mit angeborener Herzinsuffizienz ist eine
für eine Schwangerschaft Schnittentbindung nicht grundsätzlich zu erwägen, sondern die
Indikation sollte primär nach gynäkologischen Gesichtspunkten
In den nichtindustrialisierten Ländern stellen rheumatische For- gestellt werden.
men 90% aller mütterlichen Herzerkrankungen dar; dabei ist die
Mitralstenose der häufigste Klappenfehler in der Schwanger-
schaft weltweit. In den Industrieländern steht die Lungenembolie 22.2.1 Höhergradige pulmonale Hypertonie
als mütterliche Todesursache während der Schwangerschaft im jedweder Ursache
Vordergrund.
Multivariate Prädiktoren für kardiale, mütterliche Komplika- Patientinnen mit Eisenmenger-Syndrom sowie höhergradiger
tionen während der Schwangerschaft bei Frauen mit Herzerkran- primärer und sekundärer pulmonaler Hypertonie haben wäh-
kungen (Siu et al. 2001, 2002) sind: rend der Schwangerschaft und postpartal eine Sterblichkeitsrate
4 frühere vorausgehende kardiale Ereignisse, wie Herzinsuffi- zwischen 30 und 70%. Beim Überleben der Mutter ist die kind-
zienz, TIA, Schlaganfall und symptomatische Arrhythmien, liche Letalitätsrate ebenfalls erhöht. Aus diesem Grund sollte von
4 funktionelle NYHA-Klasse >II oder Zyanose während der einer Schwangerschaft abgeraten und eine Sterilisation empfoh-
Untersuchung vor der Schwangerschaft, len werden. Sollte dennoch eine Schwangerschaft eintreten und
4 Linksherzobstruktion (dopplersonographisch abgeschätzter fortgeführt werden, ist zwingend darauf zu achten, dass keine
maximaler systolischer LV-Ausflusstrakt-Gradient >30 mmHg, Hypovolämien während und nach der Entbindung auftreten. Die
Aortenklappenöffnungsfläche <1,5 cm2, Mitralklappensteno- Abnahme des venösen Rückflusses in den rechten Ventrikel kann
se mit einer Klappenöffnungsfläche von <2 cm2) und zum Rechtsherzversagen führen.
22 4 eingeschränkte linksventrikuläre Funktion (EF <40%).

Bei Schwangerschaften mit keinem, einem und mehr als einem 22.2.2 Ventrikuläre Dysfunktion
dieser 4 Prädiktoren lag die kardiale mütterliche Ereignisrate bei
4, 27 resp. 62%. Am häufigsten trat das Lungenödem auf; die Unabhängig von der Ätiologie ist eine eingeschränkte linksvent-
mütterliche Mortalität lag bei 1%. Weitere ungünstige Prädikto- rikuläre Funktion (EF <40%) mit einer erhöhten Morbidität und
22.2 · Risikobeurteilung und Kontraindikationen für eine Schwangerschaft
441 22

Mortalität verbunden. Bei Patientinnen mit DCM im NYHA- 22.2.4 Marfan-Syndrom und weitere Aortenwurzel
Stadium III und IV liegt das Sterblichkeitsrisiko bei 7%. Weiterhin
besteht das Risiko einer irreversiblen Verschlechterung der links- Bei Patientinnnen mit Marfan-Syndrom nimmt die Dehnbar-
ventrikulären Funktion während der Schwangerschaft. Bei Pati- keit der Aorta während der Schwangerschaft zu. Hierdurch er-
entinnen mit einer peripartalen Kardiomyopathie liegt das Risiko, höht sich die Gefahr einer Aortendissektion und der Zunahme
während einer nachfolgenden Schwangerschaft zu sterben, bei einer Aortenklappeninsuffizienz. Das Risiko einer Aorten-
20%, wenn die linksventrikuläre Funktion 6 Monate nach der vor- dissektion steigt bei einer Weite der Aorta ascendens >45 mm
hergehenden Schwangerschaft noch eingeschränkt ist. Ist die deutlich an. Diesen Patientinnen sollte dringend von einer
linksventrikuläre Funktion normal, ist das Mortalitätsrisiko mit Schwangerschaft abgeraten werden bzw. es besteht die Indika-
einer nachfolgenden Schwangerschaft geringer, es kommt jedoch tion zu einer elektiven operativen Korrektur, die möglichst vor
nicht selten zu einer erneuten Herzinsuffizienz und permanenten der Schwangerschaft vorgenommen werden sollte. Das Marfan-
Ventrikelschädigung. Dagegen tolerieren Patientinnen mit einer Syndrom wird in ca. 50% der Fälle vererbt; die Abortrate ist
HOCM die Schwangerschaft in der Regel gut. erhöht. Während einer Schwangerschaft sollten echokardio-
graphische Bestimmungen des Aortendiameters in 6- bis 8-wö-
! Cave
chigen Abständen durchgeführt werden. In jedem Fall sollte
Bei einer vorbestehenden höhergradigen Kardiomyopathie soll-
die β-Rezeptorenblocker-Therapie in der Schwangerschaft fort-
te eine Schwangerschaft möglichst vermieden werden.
gesetzt werden. Bei Aortendiameter >45 mm besteht die Indika-
tion zur Kaiserschnittentbindung. Echokardiographische Kon-
trollen müssen bis 6 Monate nach der Entbindung fortgeführt
22.2.3 Schwere linksseitige, obstruktive werden.
unkorrigierte Vitien

Bei Patientinnen mit obstruktiven Vitien (Aortenstenose mittle- 22.2.5 Zyanotische Herzerkrankungen
rer Druckgradient >50 mmHg, Öffnungsfläche <0,6 cm2/m2, ohne pulmonale Hypertonie
höhergradige Aortenisthmusstenose, schwere Mitralstenose), die
im Alltag symptomatisch sind oder eine pathologische Belas- Die mütterliche Mortalität liegt über 2%, die allgemeine Kompli-
tungshämodynamik aufweisen, sollte vor einer geplanten kationsrate durch Endokarditis, Arrhythmien und Herzinsuffi-
Schwangerschaft eine interventionelle oder eine operative Thera- zienz bei 30%. Die vitale Prognose des Kindes ist durch eine ca.
pie durchgeführt werden. 50%ige Abortrate, 30- bis 50%ige Frühgeburtsrate und Unterge-

. Tab. 22.1. Risikoprofil und Schwangerschaftsverlauf bei einigen angeborenen Herzfehlern

Herzfehler Typische Gefahren Risikoeinschätzung Empfehlung/Evidenzlevel


Vor Therapie Nach Therapie
(Ballonvalvulo-
plastie/Operation)
Aortenisth- Aortendissektion Vor allem bei persis- Größte Gefährdung: Eine CoA sollte vor einer geplanten SS
musstenose Aortenruptur tierender arterieller Nach der 12. SSW mütterliche Todes- korrigiert sein (Empfehlungsgrad IIa,
(CoA) Ruptur zerebraler An- Hypertonie: fälle häufig schon vor der Entbindung Evidenzgrad C)
eurysmen Aortendissektion Im 3. Trimenon Die Behandlung einer arteriellen Hy-
Endokarditis und -ruptur pertonie kann Probleme bereiten. Eine
Linksherzinsuffizienz Ruptur eines zere- zu starke Senkung des poststenoti-
Kindliche Letalität bralen Aneurysmas schen Blutdruckes kann Abort oder fe-
bei herabgesetztem Bei Normotonie: talen Tod verursachen
uterinen Blutfluss geringes Risiko Aortendissektionen oder Aneurysma-
rupturen können auftreten. Das Risiko
während der SS ist gering; die potenzi-
elle Letalitätsrate ist jedoch hoch
Pulmonal- Rhythmusstörungen Endokarditis Bis zu halbsystemischem Druck im Bei signifikanter PS kann es während
klappenste- Synkopen Thromboembolien rechten Ventrikel gut toleriert der SS zum Rechtsherzversagen, zur Tri-
nose (PS) Rechtsherzinsuffizienz nach Klappenersatz Größte Gefährdung: Spät-SS, Ent- kuspidalklappeninsuffizienz oder zu
bindung, Puerperium Vorhofrhythmusstörungen kommen.
Bei Patientinnen mit mittel- bis höher-
gradiger rechtsventrikulärer Aus-
flussbahnobstruktion sollte diese vor
einer SS beseitigt werden
Eine Ballonvalvuloplastie ist bei Pulmo-
nalklappenstenose auch während einer
SS möglich, sollte aber, soweit vertret-
bar, erst nach Ende der Organogenese
erfolgen
(Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
442 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

. Tab. 22.1 (Fortsetzung)


Herzfehler Typische Gefahren Risikoeinschätzung Empfehlung/Evidenzlevel
Vor Therapie Nach Therapie
(Ballonvalvulopla-
stie/Operation)

Vorhofsep- Volumenüberlastung Rhythmusstörungen Native, unkomplizierte Formen meist Im Fall einer Eisenmenger-Reaktion ist
tumdefekt des rechten Herzens zunehmend unproblematisch eine Schwangerschaft wegen der ho-
vom Sekun- durch Zunahme des Größte Gefährdung: nach 12 SSW hen mütterlichen und kindlichen Le-
dumtyp LRS bei Absinken des Rs talitätsraten kontraindiziert
Rechtsherzversagen (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
Rhythmusstörungen
Gekreuzte, paradoxe
Embolien

Ventrikelsep- Größere Defekte: Normalerweise keine SS-Verlauf abhängig von Defektgröße Im Fall einer Eisenmenger-Reaktion ist
tumdefekt Herzinsuffizienz Schwierigkeiten, sowie den pulmonalen Druck- und eine Schwangerschaft wegen der ho-
Paradoxe Embolien wenn keine p.H. Widerstandsverhältnissen hen mütterlichen und kindlichen Le-
Rhythmusstörungen postoperativ und Größte Gefährdung: nach 12 SSW talitätsraten kontraindiziert.
Endokarditis VSD verschlossen Bei fixierter p.H. bzw. Eisenmenger-
Bei Blutdruckabfällen Rhythmusstörungen Reaktion: Schwangerschaftsabbruch
und bei p.H.: Shunt- Endokarditis wegen des hohen mütterlichen Risikos
umkehr mit RLS erwägen
Kleiner Defekt ohne (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
p.H.: keine Probleme
außer Endokarditis

Persistieren- Herzinsuffizienz Kein Risiko nach Bei geringem LRS, leicht erhöhtem Im Fall einer Eisenmenger-Reaktion ist
der Ductus Shuntumkehr komplettem Ver- Pulmonalisdruck (<50 mmHg) und eine Schwangerschaft wegen der ho-
arteriosus Bei kleinem PDA und schluss normaler Ventrikelfunktion kaum hen mütterlichen und kindlichen Letali-
(PDA) Rs-Abfall keine Gefähr- Probleme tätsraten kontraindiziert
dung Größte Gefährdung: nach 12 SSW (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)

Zyanotische Zunahme des RLS Geringes Risiko, Größte Gefährdung: Spät-SS, Entbind- Während der gesamten Schwanger-
Herzfehler bzw. der Zyanose wenn systolischer ung, Puerperium u. a. durch zunehm- schaft, insbesondere aber während und
ohne p.H., Blutungen pRV <50% des pLV ende HRST postoperativ nach der Geburt sind engmaschige
z. B. Fallot- Rhythmusstörungen Bei bedeutsamen Plötzlicher Abfall des Rs kann zum Tod Kontrollen der hämodynamischen Pa-
Tetralogie Endokarditis postoperativen Resi- der Mutter führen rameter, des Blutbilds und der Blutgas-
(TOF) Frühgeburten, Man- duen: Re-VSD, RVO- Bei 32% der Frauen kommt es zu kar- analysen erforderlich (Empfehlungs-
gelgeburten und TO, (systolischer pRV diovaskulären Komplikationen und grad IIa, Evidenzgrad C)
Spontanaborte >60 mmHg), PI: Ge- bei 37% zu einer Frühgeburt.
Abortrate bei HKT fahr der Rechtsherz- Schwangere Patientinnen mit Sauer-
>65% und arterieller insuffizienz stoffsättigungen 85% haben einen
O2-Sättigung <80% bis Zunehmende HRST günstigeren SS-Verlauf als Patientin-
zu 80% nen mit Sauerstoffsättigungen <85%

Eisenmen- Häufige mütterliche Keine operative The- Kontraindikation für eine Schwanger- Im Fall einer Eisenmenger-Reaktion ist
ger-Reaktion Todesursachen: rapie möglich schaft wegen hoher mütterlicher und eine Schwangerschaft wegen der ho-
Hypovolämie kindlicher Letalitätsraten hen mütterlichen und kindlichen Le-
Therapierefraktärer Die meisten Todesfälle ereignen sich talitätsraten kontraindiziert. Mütterli-
Schock bei Blutungen während oder in der ersten Woche che Letalitätsraten bis über 50%
während oder nach nach der Entbindung werden beschrieben
der Entbindung Gefahr postpartal durch hormonell Im Fall einer Schwangerschaft sollte
Rupturen der Pulmo- vermittelten Anstieg des Rp bzw. Ab- frühzeitig eine Abruptio empfohlen
nalarterien fall des Rs mit Anstieg des RLS: Abnah- werden (Empfehlungsgrad IIa, Evidenz-
Hirnabszesse me des arteriellen pO2 grad C)

Zustand – Herzrhythmusstö- Erhöhtes Risiko durch HRST und durch Bei etwa 10% der Schwangerschaften
nach Vorho- rungen und meist meist eingeschränkte Funktion des kann es insbesondere peri- und post-
fumleitung eingeschränkte morphologisch rechten Systemven- partal zur Verschlechterung der Sys-
22 nach Mu- Funktion des mor- trikels, evtl. zusätzlich Einflussobstruk- temventrikelfunktion kommen
stard oder phologisch rechten tion im Vorhofpatchbereich (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
Senning Systemventrikels,
evtl. zusätzlich Ein-
flussobstruktion im
Vorhofpatchbereich
22.4 · Erworbene Klappenfehler
443 22

. Tab. 22.1 (Fortsetzung)


Herzfehler Typische Gefahren Risikoeinschätzung Empfehlung/Evidenzlevel
Vor Therapie Nach Therapie
(Ballonvalvulopla-
stie/Operation)
Zustand – Wenig Möglich- Weitgehend abhängig vom hämody- Schwangerschaft ist in ausgewählten
nach modifi- keiten, das HZV zu namischen Ausgangsbefund und von Fällen unter engmaschiger kardiolo-
zierter Fon- steigern, Flüssig- der klinischen Symptomatik. Prob- gisch-geburtshilflichen Kontrolle
tan-Operati- keitsretention, hoher leme: Wenig Möglichkeiten, das HZV möglich. Potenzielle Gefahren beste-
on Venendruck, Herz- zu steigern, Flüssigkeitsretention, ho- hen durch Verschlechterung der Ven-
rhythmusstörungen, her Venendruck, Herzrhythmusstörun- trikelfunktion, Zunahme der AV-Klap-
Thromboembolien gen, Thromboembolien peninsuffizienz, atriale Arrhythmien,
venöse Stauung und (paradoxe) Throm-
boembolien
(Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C)
KÖF Klappenöffnungsfläche, SS Schwangerschaft, SSW Schwangerschaftswoche, HZV Herzzeitvolumen, HRST Herzrythmusstörungen, p Drücke
[mmHg], p.H. pulmonale Hypertonie, Rs Systemwiderstand, Rp Lungengefäßwiderstand, LRS/RLS Links-rechts-/Rechts-links-Shunt, VSD Ventrikel-
septumdefekt, PI Pulmonalklappeninsuffizienz, RVOT rechtsventrikulärer Ausflusstrakt.

. Tab. 22.2. Vererbungsrsiko [%] für spezifische angeborene Herz- 22.3 Diagnostische Maßnahmen
fehler. (Mod. nach Holder 1997)
Herzfehler Vererbungsrsiko [%] bei Bei adoleszenten Frauen mit bekannter Herzerkrankung sollte
einem Herzfehler von routinemäßig eine Beratung im Hinblick auf eine Schwanger-
Mutter Vater schaft erfolgen. Frauen im gebärfähigen Alter mit Symptomen
oder klinischen Befunden einer Herzerkrankung sollten regel-
Aortenstenose 18 5
mäßig kardiologisch untersucht werden.
Atrioventrikulärer Septumdefekt 14 1
Ventrikelseptumdefekt 9,5 2,5 Echokardiographie. Es bestehen keine Kontraindikationen zur
Durchführung einer Echokardiographie während einer Schwan-
Pulmonalstenose 6,5 2
gerschaft.
Vorhofseptumdefekt 6 1,5
Persistierender Ductus arteriosus 4 2 Magnetresonanztomographie. Für die MRT liegen erst wenige
Aortenisthmusstenose 4 2,5 Erfahrungen vor, nach diesen lassen sich keine Hinweise auf
Schädigung des Feten erkennen.
Fallot-Tetralogie 2,5 1,5

Herzkatheteruntersuchungen. Herzkatheteruntersuchungen
sind während der Schwangerschaft nur aus vitaler Indikation ge-
wichtigkeit beeinträchtigt. Das Risiko bei zyanotischen Herzfeh- rechtfertigt; denkbare Situationen sind eine Ballonvalvuloplastie,
lern ohne pulmonale Hypertension steigt mit dem mütterlichen andere Katheterinterventionen oder eine Herzklappenoperation.
Hb-Wert. Thromboembolien stellen eine wichtige Komplikation Dabei muss zwingend auf eine ausreichende Abschirmung des
dar. Daher ist eine konsequente peripartale Thromboseprophy- Feten geachtet werden.
laxe notwendig.
Zu den wichtigsten mütterlichen angeborenen Herzfehlern
werden in . Tab. 22.1 Risikoprofil, typische Gefahren während 22.4 Erworbene Klappenfehler
des Schwangerschaftsverlaufs und Therapieempfehlungen, in
. Tab. 22.2 das Vererbungsrisiko und in . Tab. 22.3 die Risiko- Der Einfluss einer erworbenen Herzklappenerkrankung auf das
stratifizierung der Schwangeren zusammengefasst. mütterliche Risiko für ein bestimmtes Outcome ist in . Tab. 22.4

. Tab. 22.3. Risikostratifizierung bei Schwangeren mit angeborenen Herzfehlern


Hoch Mittel Niedrig
NYHA-Klasse III und IV Unkorrigierte zyanotische Vitien Korrigierte Vitien ohne ventrikuläre Funktionsstörung
Signifikante pulmonale Hypertonie Großer Links-Rechts-Shunt Kleiner Links-rechts-Shunt
Marfan-Syndrom mit weiter Aortenwurzel Native Aortenisthmusstenose Mitralklappenprolaps
(>45 mm) Aortenklappenstenose Bikuspide Aortenklappe ohne höhergradige Ektasie der aszen-
Hochgradige (Re-)Stenosierungen im Be- Kunstklappen dierenden Aorta
reich der Aorten- oder Pulmonalklappe Schwere Pulmonalstenose Gering bis mittelgradige Pulmonalstenose
oder im Aortenisthmus Aorten- oder Mitralklappeninsuffizienz mit guter Ventrikel-
funktion
444 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

. Tab. 22.4. Einfluss einer erworbenen Herzklappenerkrankung (EHKE)


dargestellt. Das kindliche Risiko für ein bestimmtes Outcome
auf das mütterliche Risiko der Schwangerschaft im Vergleich zu einer wird in . Tab. 22.5 aufgeführt.
gesunden Kontrollgruppe (Kontrolle). (Mod. nach Hameed et al. 2001) Eine Übersicht über mütterliche und neonatale Komplikati-
Mütterliches Outcome EHKE [%] Kontrolle [%] p onen bei erworbenen Klappenfehlern in Abhängigkeit von Typ
und Schweregrad sowie den daraus abgeleiteten Therapieemp-
Herzinsuffizienz 38 0 <0,00001
fehlungen findet sich in . Tab. 22.6
Arrhythmien 15 0 0,002
Hospitalisierung 35 2 <0,0001
Mortalität 2 0 n.s. 22.4.1 Mitralstenose
n.s. nicht signifikant.
Die Mitralstenose ist weltweit das häufigste rheumatische
Vitium bei Frauen im schwangerschaftsfähigen Alter. Bei
. Tab. 22.5. Einfluss einer erworbenen Herzklappenerkrankung einer Klappenöffnungsfläche >1,5 cm2 ohne Symptome wird
(EHKE) auf das fetale Risiko im Vergleich zu der einer gesunden Kon- die Schwangerschaft in der Regel gut toleriert. Sofern Symp-
trollgruppe (Kontrolle). (Mod. nach Hameed et al. 2001) tome aufgrund eines Anstiegs der Herzfrequenz oder des
Fetales Outcome EHKE [%] Kontrolle p venösen Rückstroms auftreten, können β-Rezeptorenblo-
[%] cker oder Verapamil und mit Vorsicht Diuretika gegeben
Vorzeitige Entbindung 23 6 0,03 werden.
Intrauterine Wachstums- 21 0 <0,0001
verzögerung ! Cave
Geringes Geburtsgewicht 2897+838 g 3366+515 g 0,0003 Bei einer Klappenöffnungsfläche <1,5 cm2 kann sich insbeson-
dere in Verbindung mit einer Tachyarrhythmie auch bei Patien-
Totgeburt 3 0 n.s.
tinnen, die vor der Schwangerschaft asymptomatisch waren,
n.s. nicht signifikant. rasch ein Lungenödem entwickeln.

. Tab. 22.6. Potenzielle mütterliche und neonatale Komplikationen bei erworbenen Klappenfehlern in Abhängigkeit vom Typ und Schweregrad
(Bonow et al. 1998a,b; Elkayam u. Bitar 2005a,b; Lesniak-Sobelga et al. 2004; Hameed et al. 2001; Elkayam et al. 2005) und daraus resultierende Emp-
fehlungen
Vitium Schwere- NYHA- Mütterliche Neonatale Empfehlungen Empfehlungsgrad,
grad Klasse Komplikationen Komplikationena Evidenzlevel
Mitralinsuf- Leicht I–II Selten, RS Keine Kontrolle, Medikation bei RS Empfehlungsgrad I
fizienz Evidenzgrad C
Mittel I–II RS, selten HI Erhöht 1,2 Medikation bei RS und HI Empfehlungsgrad IIa
Evidenzgrad C
Schwer III–IV Deutlich erhöht, Erhöht 1,2,3, Keine SS vor Operation Empfehlungsgrad I
HI, LÖ, RS, Endok Evidenzgrad C
Mitralste- Leicht I Selten, RS, TE Keine Kontrolle,Medikation Empfehlungsgrad I
nose Evidenzgrad C
Mittel II Erhöht, RS, LÖ, TE, Erhöht 1,2,3 Kontrolle, β-Rezeptorenblocker, Digi- Empfehlungsgrad IIa
Endokarditis talis, Verapamil Evidenzgrad C
Bettruhe im 3. Trimemon, TE-Prophy-
laxe, Valvuloplastie vor/während SS
Schwer II–IV Stark erhöht RS, Erhöht 1,2,3 Keine SS vor Valvuloplastie, wenn SS Empfehlungsgrad I
LÖ, Endokarditis Valvuloplastie, Bettruhe im 3. Trimenon Evidenzgrad C
Aortenin- Leicht I–II Keine Keine Kontrolle Empfehlungsgrad I
suffizienz Evidenzgrad C
Mittel I–II Selten RS, HI 1,2 Kontrolle, Medikation Empfehlungsgrad IIa
Evidenzgrad C
Schwer III–IV Erhöht, HI, RS, En- Erhöht Keine SS vor Operation Empfehlungsgrad I
dokarditis Evidenzgrad C
Aorten- Leicht I RS Keine Kontrolle Empfehlungsgrad I
stenose Evidenzgrad C
Mittel II Erhöht HI, RS Erhöht 1,2,3 Kontrolle, Medikation Empfehlungsgrad IIa
22 Evidenzgrad C
Schwer III–IV Stark erhöht HI, RS, Erhöht 1,2,3 Keine SS vor interventioneller Thera- Empfehlungsgrad I
PHT pie (Valvuloplastie/Operation), wenn Evidenzgrad C
SS Bettruhe im 3. Trimenon
SS Schwangerschaft, RS Rhythmusstörungen, HI Herzinsuffizienz, LÖ Lungenödem, TE Thromboembolien, PHT plötzlicher Herztod.
a Neonatale Komplikationen: 1 intrauterine Wachstumsverzögerung, 2 reduziertes Geburtsgewicht, 3 Totgeburt.
22.5 · Kardiomyopathien
445 22

Hier sollte möglichst vor einer Schwangerschaft z. B. in Form 22.5.1 Peripartale Kardiomyopathie
einer Ballonvalvuloplastie interveniert werden. Die Ballonvalvu-
loplastie kann auch während der Schwangerschaft mit niedriger Die peripartale Kardiomyopathie ist die häufigste Kardiomyo-
Komplikationsrate durchgeführt werden. Bei starken Verkal- pathie in der Schwangerschaft. Sie tritt bei vor der Schwangerschaft
kungen oder bedeutsamer Mitralinsuffizienz kommt auch eine kardial unauffälligen Patientinnen auf und manifestiert sich nicht
geschlossene Kommissurotomie infrage. Im Gegensatz zu diesen zur Zeit der größten hämodynamischen Belastung, sondern im
beiden Verfahren sind die Ergebnisse der offenen Kommissuro- letzten Schwangerschaftsmonat oder 1–5 Monate postpartal. Bei
tomie oder des Klappenersatzes weniger günstig, da die fetale etwa der Hälfte der Patientinnen wird eine Remission innerhalb
Mortalitätsrate bei 10–30% liegt. eines halben Jahres nach der Geburt beobachtet. Die Ätiologie ist
Die konservativen therapeutischen Bemühungen zielen auf weitgehend unbekannt. Es liegen Hinweise vor, dass eine abnorme
eine Reduktion der Herzfrequenz und den Erhalt des Sinusrhyth- Immunantwort eine Rolle spielt. Häufig sind Autoantikörper ge-
mus ab. Gegebenenfalls ist die Gabe von β-Rezeptorenblockern gen kardiale Proteine, entzündliche Mediatoren oder histologische
sinnvoll. Digoxin kann bei Schwangeren angewendet werden, um Zeichen einer Myokarditis nachweisbar. Eine aktuelle Studie weist
zu einem normofrequenten Vorhofflimmern zu kommen. auf eine pathophysiologisch wichtige Rolle von Prolaktinspalt-
produkten hin (Hilfiker-Kleiner et al. 2007). In einigen Fällen ver-
besserte Bromocriptin die Prognose entscheidend.
22.4.2 Aortenklappenerkrankungen Risikofaktoren sind Mehrlingsschwangerschaften, mütter-
liches Alter >30 Jahre, vorangegangene Gestationshypertonie,
Aortenklappenerkrankungen, rheumatische Aortenklappenste- Mehrfachgeburten, protrahierte Tokolyse mit β-adrenergen Ago-
nose und verkalkende Aortenklappenstenose sind Erkrankungen nisten, familiäre Belastung und, regional unterschiedlich, eth-
des höheren Lebensalters und kommen nur selten während einer nische Zugehörigkeit. Eine familiäre Belastung für Kardiomyo-
Schwangerschaft vor. Eine transkutane Valvuloplastie kommt in- pathien oder eine vorbestehende Herzerkrankung spricht gegen
frage. Häufiger als die Aortenstenose ist eine Aorteninsuffizienz. die Diagnose. Der Nachweis der diastolischen Funktionsstörung
Sie wird in der Regel gut toleriert, solange die LV-Funktion noch erfolgt echokardiographisch. Zum Ausschluss sekundärer Kardi-
normal ist. Die Patientinnen sprechen gut auf Salzrestriktion, Di- omyopathien bzw. zum Nachweis entzündlicher Veränderungen
uretika- und Digitalisgabe an. kann in Abhängigkeit vom Schweregrad der Funktionsstörung
und bei Nichtansprechen auf eine konventionelle Therapie nach
! Cave
1–2 Wochen die Indikation zur Endomyokardbiopsie gestellt
Die Verwendung von Diuretika in der Schwangerschaft ist im-
werden.
mer sorgfältig zu kontrollieren, da höhere Dosierungen den ute-
roplazentalen Blutfluss vermindern können. ACE-Hemmer sol-
len nicht eingesetzt werden. Möglich ist ein vorsichtiger Einsatz 22.5.2 Dilatative Kardiomyopathie
von Nifedipin oder Hydralazin.

Eine Auswurffraktion <40% ist ein Prädiktor eines erhöhten Ri-


22.5 Kardiomyopathien sikos. Thromboembolien und Lungenembolien sind gefürchtete
Komplikationen. Kommt es bei DCM zu einer Schwangerschaft,
Kardiomyopathien sind selten; sie stellen jedoch die häufigsten gehören die Patientinnen zu einer Hochrisikogruppe und sollten
kardialen mütterlichen Todesursachen in der Schwangerschaft engmaschig, ggf. stationär betreut werden. Indikationen zur In-
dar (. Tab. 22.7). terruptio werden kontrovers diskutiert.

. Tab. 22.7. Kardiomyopathien in der Schwangerschaft


Einteilung Form Charakteristika
Primäre CM Peripartale CM Manifestationszeitpunkt peripartal, eingeschränkte systolische Funktion, Ventrikel-
dilatation
DCM Eingeschränkte systolische Funktion, Ventrikeldilatation; familiäre Disposition bei 20%
HOCM Ventrikelhypertrophie, familiäre Belastung bei ca. 75% der Betroffenen nachweisbar
Restriktive CM Sehr selten, restriktive Hämodynamik
Sekundäre CM Myokarditis Virusnanamnese, Histologie
Hypertensive CM Hochdruckanamnese
Ischämische CM Grunderkrankung KHK
CM bei Speicherkrankheiten Grunderkrankung, Histologie
CM bei Bindegewebserkran- Grunderkrankung, Histologie
kungen
HIV-assoziierte CM Grunderkrankung
CM Kardiomyopathie, DCM dilatative Kardiomyopathie, HIV »human immunodeficiency virus, HOCM hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie,
KHK koronare Herzkrankheit.
446 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

22.5.3 Hypertrophe Kardiomyopathie tiert, ist in der Regel eine vaginale Geburt mit sorgfältigem hämo-
dynamischen Monitoring möglich.
Insgesamt ist das HOCM-bedingte Mortalitätsrisiko in der
Schwangerschaft zwar niedrig, aber höher als in der Allgemein- Stillen. Es besteht keine generelle Kontraindikation. Bei ACE-
bevölkerung. Gefährdung besteht durch das Auftreten von Lun- Hemmern sollten jedoch nur jene mit ausreichender Erprobung
genstauung oder Ödem, v. a. bei emotionalen und körperlichen in der Stillzeit (z. B. Benazepril, Captopril, Enalapril) angewen-
Belastungen, am stärksten peripartal. det werden. Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten und Aldo-
steronantagonisten sind aufgrund unzureichender Erfahrung zu
meiden.
22.6 Medikamentöse Therapie der
Herzinsuffizienz in der Schwangerschaft
22.7 Arterielle Hypertonie in der
Bei postpartaler Manifestation gelten die Leitlinien der Herzin- Schwangerschaft
suffizienztherapie. Für die Therapie während der Schwanger-
schaft müssen diese Leitlinien dagegen modifiziert werden, da Definition
einige zentrale Medikamente kontraindiziert sind. Hypertension während der Schwangerschaft: absoluter Wert
≥140/90 mmHg.
> Eine engmaschige interdisziplinäre kardiologisch-gynäkolo-
gische Kontrolle und Anbindung sollten vorhanden sein. Bettru-
he wird nicht grundsätzlich empfohlen.
Hypertensive Erkrankungen komplizieren ca. 15% aller Schwan-
ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorblocker und Aldosteronantagonis- gerschaften und sind die häufigste Ursache von mütterlicher und
ten. ACE-Hemmer sind wegen möglicher Fetotoxizität kontra- fetaler Morbidität. Ungefähr ein Viertel der stationären Behand-
indiziert. Fetale Nebenwirkungen während der zweiten lungen von Schwangeren ist durch Hochdruckkomplikationen
Schwangerschaftshälfte sind Schädigungen der Nierentubuli bedingt.
mit Folge eines Oligo- bzw. Anhydramnions, Wachstumsretardie- Klassifikation der Schwangerschaftshypertonie:
rung, Verknöcherungsstörungen des Schädels, Lungenhypo- 4 chronische Hypertonie,
plasie und Kontrakturen der großen Gelenke sowie dialyse- 4 Gestationshypertonie
pflichtige neonatale Niereninsuffizienz, Anämie und Tod. Für 4 Präeklampsie (genuine Gestose)/Eklampsie und
AT1-Rezeptorblocker liegen vergleichbare fetale Schädigungen 4 Pfropfgestose (Präeklampsie bei vorbestehender Hypertonie
vor. Für Aldosteronantagonisten liegen bisher keine Hinweise oder Nierenerkrankung).
auf teratogene Effekte bei Menschen vor, die Datenlage ist aber
unzureichend. Daher sollte diese Substanzgruppe nicht einge-
setzt werden. 22.7.1 Chronische Hypertonie

Diuretika. Diuretika können zur Therapie der Herzinsuffizienz Definition


bei Stauungszeichen eingesetzt werden, auch wenn die Auslösung Bekannte Hypertonie, Blutdruck ≥140/90 mmHg, Auftreten
einer plazentaren Minderperfusion möglich ist. vor der 20. Schwangerschaftswoche, Persistenz postpartum
(bis 6 Wochen nach der Geburt).
Hydralazin und Nitrate. Beide können zur Nachlastsenkung ein-
gesetzt werden.
Etwa 95% der Schwangerschaften bei chronischer Hypertonie
β-Rezeptorenblocker. Es sollen nur β1-selektive Substanzen ein- verlaufen unkompliziert. Bei 3–5% treten Komplikationen auf.
gesetzt werden, um β2-bedingte Nebenwirkungen wie Uterusre- Die Tendenz ist aufgrund des höheren Alters der Schwangeren
laxation, periphere Vasodilatation oder verminderte Effizienz zunehmend.
der Tokolyse zu vermeiden. Für Metoprolol liegen die größten
Erfahrungen vor.
22.7.2 Gestationshypertonie
Positiv-inotrope Substanzen. Bei Bedarf können Dopamin und
Dobutamin eingesetzt werden. Definition
Neu aufgetretene Hypertonie nach der 20. Schwanger-
Digitialis. Bei Bedarf soll Digitalis zur Frequenzkontrolle bei Vor- schaftswoche, Fehlen von Proteinurie und Ödemen, postpar-
hofflimmern der Mutter eingesetzt werden. Die Blutspiegel soll- tale Normalisierung des Blutdrucks.
ten unter 0,8 μg/l liegen.

Antikoagulation. Bei Vorhofflimmern sollte eine Antikoagulati- Die Gestationshypertonie bedeutet nur ein geringes Risiko, daher
22 on mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin in besteht keine primäre Indikation für eine antihypertensive The-
Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Auftretens und der individu- rapie. Es sollte nach möglichen Ursachen wie einer Plazentations-
ellen Risikobeurteilung eingeleitet werden. störung gefahndet werden. Engmaschige Kontrollen sind erfor-
derlich, da etwa die Hälfte dieser Schwangeren eine Präeklampsie
Leitung der Geburt. In den Fällen, in denen sich eine peripartale entwickelt.
Kardiomyopathie vor dem regulären Geburtstermin manifes-
22.7 · Arterielle Hypertonie in der Schwangerschaft
447 22
22.7.3 Präeklampsie fig erhöht. Folgen eines unbehandelten HELLP-Syndroms sind
DIC, zerebrale Blutung, Leberruptur und MOV.
Definition Die Blutdruckerhöhung fällt meist im Rahmen der Vorsorge-
Arterielle Hypertonie mit Proteinurie >0,3 g/24 h, Auftreten untersuchung auf und wird häufig von der Mutter zunächst nicht
nach der 20. Schwangerschaftswoche, bevorzugt in der Erst- bemerkt. Manchmal klagt die Patientin lediglich über vermehrte
schwangerschaft, evtl. Ödeme, evtl. Thrombozytopenie und Wassereinlagerung, die jedoch auch physiologisch sein kann.
erhöhte Leberwerte.
! Cave
Bei zunehmender generalisierter Ödemneigung, v. a. in der obe-
ren Körperhälfte, ist immer Vorsicht geboten. Eine Gewichtszu-
Die Präeklampsie ist reversibel und verschwindet meist innerhalb
nahme von >2 kg/Woche ist pathologisch.
von 24–48 h postpartum. Selten kommt es zu einer postpartalen
Präeklampsie bis zum 10. Tag nach der Entbindung. Risikofak- Gefahren für das Kind. Intrauterine Wachstumsretardierung,
toren zur Entwicklung einer Präeklampsie sind in 7 Übersicht 22.2 vorzeitige Plazentalösung, Frühgeburtlichkeit, im schlimmsten
zusammengefasst. Fall intrauteriner Fruchttod.

Gefahren für die Mutter. Übergang in eine Eklampsie.


Übersicht 22.2. Risikofaktoren zur Entwicklung einer
Präeklampsie. (Rath 2005; James u. Nelson-Piercy 2004) > Eine unbehandelte Hypertonie in der Schwangerschaft kann zu
zerebrovaskulären Insulten, Linksherzversagen, Niereninsuffizi-
4 Jugendliches oder fortgeschrittenes Alter der Mutter enz und Retinopathie führen.
(<16/>35 Jahre)
4 Erstgebärende
4 Familiäre Prädisposition 22.7.5 Therapie der Hypertonie während der
4 Hypertension in einer vorangehenden Gravidität Schwangerschaft
Präeklampsie/Eklampsie in der vorausgegangenen
Schwangerschaft Die Empfehlungen zur Behandlung einer Schwangerschaftshy-
4 Mehrlingsschwangerschaft pertonie basieren aufgrund fehlender Studiendaten ausschließ-
4 Chronische Hypertonie lich auf Expertenempfehlungen (7 Übersicht 22.3).
4 Zustand nach Sterilitätstherapie
4 Diabetes
4 Erhöhte Insulinresistenz Übersicht 22.3. Indikation zur medikamentösen Therapie
4 Erhöhter Body-Mass-Index
4 Hyperkoagulabilität 4 Schwere Hypertonie: ≥170/110 mmHg
4 Nierenerkrankungen 4 Sekundäre Hypertonie
4 Alle Autoimmunerkrankungen, z. B. 4 Milde sowie moderate Hypertonie in Verbindung mit
– Antiphospholipidsyndrom – Nachgewiesenen Endorganschäden
– Systemischer Lupus erythematodes – Alter der Mutter >40 Jahre
4 Niedriger Sozialstatus – TIA/Schlaganfall in der Anamnese
– Bekannten mikrovaskulären Erkankungen
– Vorausgegangenen Fehl- oder Totgeburt
Die Präeklampsie manifestiert sich oft nur durch wenige Symp-
tome bei der Mutter; bei 25% der Kinder mit sehr niedrigem
Geburtsgewicht (<1500 g) ist die Ursache eine Präeklampsie. Bei Hypertensiver Notfall
Verdacht auf Präeklampsie sollten neben Blutbild, Thrombo- Systolische Blutdruckwerte >170 mmHg oder diastolische Werte
zyten, Serumkreatininspiegel, quantitativer Proteinausscheidung >110 mmHg stellen bei Schwangeren eine Indikation zur statio-
auch Leberenzyme, LDH und Harnsäure bestimmt werden. Die nären Behandlung dar. Zur notfallmäßigen Blutdrucksenkung in
Dopplersonographie der Aa. uterinae eignet sich zur Diagnostik der Schwangerschaft ist die i.v.-Gabe von 6,25 mg Dihydralazin
einer uteroplazentalen Perfusionsstörung. Die Relevanz der Un- oder 25 mg Urapidil geeignet (Cave: Monitoring). Initial kann
tersuchung besteht auch als Prädiktor einer drohenden Prä- auch 1 Kaps. Nifedipin gegeben werden.
eklampsie bzw. intrauterinen Wachstumsstörung.
Längerfristige Anwendung
> Klinisches Leitsymptom der Präeklampsie ist die Hypertonie.
α-Methyldopa. α-Methyldopa ist das einzige in der Schwanger-
schaft ausreichend untersuchte Antihypertensivum. Es sind keine
fetalen oder neonatalen Nebenwirkungen bekannt. Potenzielle
22.7.4 Schwere Verlaufsform der Präeklampsie und mütterliche Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Sedierung,
Eklampsie Depresssion und Anstieg der Transaminasen sowie in seltenen
Fällen hämolytische Anämie.
Bei der Eklampsie treten zusätzlich tonisch-klonische Krampfan-
fälle auf. Das sog. HELLP-Syndrom ist gekennzeichnet durch H: ! Cave
»hemolysis«, EL: »elevated liver enzymes« und LP: »low plate- Bei plötzlichem Absetzen von α-Methyldopa kann es zu einem
lets«. Beim HELLP-Syndrom ist der Blutdruck nicht zwangsläu- krisenhaften Blutdruckanstieg kommen.
448 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

β1-selektive Rezeptorenblocker. Sie sind Mittel der zweiten Wahl. Fazit


Es sollen nur β1-selektive Antagonisten (Metoprolol, Atenolol) Bei schwangeren Frauen ist eine regelmäßige Überwachung des
eingesetzt werden, da die Blockade von β2-Rezeptoren uterustoni- Blutdrucks sowohl wegen mütterlicher als auch fetaler Komplika-
sierend wirken kann. Potenzielle Nebenwirkungen sind die Ver- tionen indiziert. Eine Blutdrucksenkung ist bei schwerer oder
stärkung einer intrauterinen Wachstumsretardierung und eine sekundärer Hypertonie sowie bei Hypertonie in Verbindung mit
Hypotonie des Neugeborenen. Die Gabe von Kalziumantagonis- Risikofaktoren (. Tab. 22.3) indiziert. Mittel der ersten Wahl ist
ten ist zur Behandlung der akuten therapierefraktären Hypertonie α-Methyldopa. Bei neu aufgetretener Hypertonie in der Schwan-
möglich. Verapamil wird bei tachykarden supraventrikulären gerschaft oder Verdacht auf eine intrauterine Wachstumsstörung
Herzrhythmusstörungen eingesetzt, größere Studien liegen aller- ist eine Dopplersonographie der Aa. uterinae indiziert.
dings nicht vor. Für hohe Dosen von Nifedipin und Diltiazem
wurden im Tierexperiment teratogene Schäden beschrieben.
22.8 Koronare Herzkrankheit
Hydralazin. Hydralazin kann während der gesamten Schwanger-
schaft eingesetzt werden, da keine negativen Effekte auf das Kind Eine KHK ist bei Schwangeren sehr selten. Dennoch liegen ein-
beobachtet wurden. Es wird jedoch v. a. zur i.v.-Behandlung der zelne Fallberichte über Myokardinfarkte während Schwanger-
akuten schweren Hypertonie eingesetzt. Häufige Nebenwir- schaft und Geburt vor. Bei akutem peripartalen Myokardinfarkt
kungen für die Mutter sind Kopfschmerzen, »flush«, Schwindel wird häufig ein normaler Koronarstatus nachgewiesen. In Einzel-
und Palpitationen. fallberichten sind Koronarverengungen, Thromboembolien, Ko-
ronardefäkationen und Spasmen (u. a. durch Bromocriptin, Oxi-
In der Schwangerschaft nichtgeeignete tocin und Prostaglandine gefördert) beschrieben.
Medikamente
Diuretika. Ihre Gabe in der Schwangerschaft wird kontrovers dis-
kutiert. In einer Metaanalyse wurden keine Unterschiede bezüg- 22.9 Herzrhythmusstörungen
lich fetaler oder maternaler Nebenwirkungen bei Schwangeren
unter diuretischer Therapie festgestellt (Collins et al. 1985). Sie 22.9.1 Sinustachykardie
sollten aber möglichst vermieden werden, da eine Verminderung
des Plasmavolumens zu einer uteroplazentalen Durchblutungs- In der Schwangerschaft treten häufig Palpitationen auf, die zu-
störung führen kann. meist auf eine Sinustachykardie zurückzuführen sind. Die Ruhe-
herzfrequenz ist bei den meisten Schwangeren um ca. 20% er-
! Cave
höht. Finden sich symptomatische supraventrikuläre oder ver-
Diuretika sind kontraindiziert, wenn bereits eine uteroplazen-
einzelte ventrikuläre Extrasystolen, kommt bei entsprechendem
tale Hypoperfusion oder eine fetale Wachstumsretardierung
Leidensdruck die Gabe von Magnesium und/oder β1-selektiven
festgestellt wurde.
Rezeptorenblockern infrage.
ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorblocker. Diese Medikamentenfamilien
sind aufgrund teratogener Effekte nicht indiziert (7 Abschn. 22.6).
22.9.2 Atriale Tachykardien
Antihypertensive Therapie in der Stillzeit
α-Methyldopa. α-Methyldopa ist auch in der Stillzeit das Antihy- Atriale Tachykardien sind während der Schwangerschaft ohne
pertensivum der ersten Wahl. Zu berücksichtigen ist jedoch ein Vorliegen einer organischen Grunderkrankung sehr selten. Die
erhöhtes Risiko für das Auftreten einer postnatalen Depression. Bedeutung einer Frequenzkontrolle liegt in der Vermeidung einer
Falls β-Rezeptorenblocker während der Stillzeit erforderlich sind, tachykardieinduzierten Kardiomyopathie. Eine elektrische Kardio-
sollte Metoprolol wegen der geringeren Konzentration in der version wird von Mutter und Kind ohne Probleme vertragen, ist
Muttermilch vorgezogen werden. In Einzelfällen sind Bradykar- jedoch aufgrund der hohen Rezidivquote oft nicht von anhalten-
dien bzw. Hypotension beim Säugling beschrieben. dem Erfolg. Zur Wirkung von Antiarrhythmika . Tab. 22.8.

Nifedipin. Es gehen höchstens 5% der Dosis in die Muttermilch


über, von Nimodipin und Nitrendipin weniger als 1%, daher sind 22.9.3 Supraventrikuläre Tachykardien
kindliche Nebenwirkungen kaum zu erwarten.
AV-nodale Reentrytachykardien und Tachykardien bei akzesso-
ACE-Hemmer. Von den untersuchten Stoffen Benazeptril, Cap- rischen Leitungsbahnen sind die häufigsten Rhythmusstörungen
topril und Enalapril finden sich nur geringe Konzentrationen in bei Frauen im gebärfähigen Alter. Die Tachykardieneigung
der Muttermilch. Erfahrungen in der Stillzeit haben bisher kein scheint in der Schwangerschaft erhöht. Neben konservativen
Risiko für den Säugling gezeigt, es liegen jedoch nur kleine Fall- Maßnahmen wie Karotissinusmassage oder Valsalva-Manöver
zahlen vor. In den ersten 4 Wochen nach der Geburt sollte v. a. kann versucht werden, die Tachykardie durch Adenosingabe zu
bei Frühgeborenen auf Nierenfunktionsstörungen geachtet wer- terminieren. Für eine Langzeittherapie kommen β1-selektive Re-
22 den. Für AT1-Rezeptorblocker ist die Datenlage unzureichend. zeptorenblocker und Klasse-1C-Antiarrhythmika (z. B. Flecai-
nid, Propafenon) infrage. Katheterablationen sollten vor einer
Diuretika. Sie gehen nur in geringer Dosis in die Muttermilch Schwangerschaft durchgeführt und nur in Ausnahmefällen wäh-
über und sind nicht im Blut der Neugeborenen nachweisbar. Do- rend der Schwangerschaft erwogen werden, dann unter Benut-
sis- und wirkstoffabhängig ist jedoch eine Verminderung der zung von elektroanatomischen Mapping-Systemen zur Redukti-
Milchproduktion theoretisch denkbar. on der Durchleuchtungszeit.
22.10 · Thromboembolieprophylaxe und Antikoagulation in der Schwangerschaft
449 22

. Tab. 22.8. Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiko von Antiarrhythmika oder Medikamenten mit antiarrhythmischer Wirkung. (Mod. nach Page
1995)
Medikament VW FDA PL- Terato- Übertritt Fetales NW SS-
gängig toxisch in MM Risiko Empf.
Chinidin IA C Ja Nein Jaa Gering Thrombopenie, Torsade-de-pointes, Frühgeburt ++
Disopyramid IA C Ja Nein Jaa Geringb Uteruskontraktion +
Lidocain IB C Ja Nein Jaa Gering Fetale Bradykardie, ZNS ++
Mexiletine IB C Ja Nein Jaa Geringb Fetale Bradykardie +
Flecainid IC C Ja Nein Jaa Geringb Nicht bekannt +
Propafenon IC C Ja Nein Unbekannt Geringb Nicht bekannt ++
Propanolol II C Ja Nein Jaa Gering Wachstumsverzögerung, Bradykardie, Hypoglykämie, ++
Apnoe
Metoprolol II C Ja Nein Jaa Gering β-Blocker-Effekt ++
Atenolol II Ja Nein Ja Gering β-Blocker-Effekt ++
Sotalol III B Ja Nein Jaa Geringb β-Blocker-Effekt, Torsade-de-pointes +
Amiodaron III D Ja Ja Ja Bedeutsam Hypothyreose, Wachstumsverzögerung, Frühgeburt, -
Bradykardie
Verapamil IV C Ja Nein Jaa Mäßig Bradykardie, AV-Block, Hypotension +
Diltiazem IV C Nein Unbe- Jaa Mäßigb Nicht bekannt +
kannt
Digoxin - C Ja Nein Jaa Gering Niedriges Geburtsgewicht, Blutspiegelkontrolle ++
Adenosin - C Nein Nein Unbekannt Geringb Nicht bekannt ++
+ akzeptabel, ++ empfohlen, - nicht empfohlen.
FDA Food-and-Drug-Administration-Klassifikation: B kein Risiko erkennbar; C Studien fehlen, Risiko kann nicht ausgeschlossen werden; D ein Risiko
besteht.
VW Vaughan-Williams-Klassifikation, PL Plazenta, MM Muttermilch, NW Nebenwirkungen, SS Schwangerschaft.
a Die American Academy of Pediatrics hält bei der Behandlung der Mutter mit diesem Medikament Stillen für möglich.
b Es liegen nur sehr begrenzte Erfahrungen vor.

22.9.4 Vorhofflimmern/Vorhofflattern Verfügung. In Abhängigkeit von der Präsentation ist die Implan-
tation eines ICD indiziert.
Vorhofflimmern/Vorhofflattern ist während der Schwanger-
schaft ohne Vorliegen einer kardialen Grunderkrankung sehr
selten. Bei hämodynamischer Instabilität sollte unmittelbar 22.9.7 Bradykarde Herzrhythmusstörungen
eine elektrische Kardioversion erfolgen. Zur Frequenzkontrolle
kommen Digoxin, β-Rezeptorenblocker und ggf. Verapamil Eine Schrittmacherimplantation wird von Mutter und Kind ohne
infrage. Probleme vertragen. Während der Implantation ist streng auf
eine Minimierung der Strahlenbelastung zu achten.

22.9.5 Ventrikuläre Tachykardien


22.10 Thromboembolieprophylaxe und
Ventrikuläre Tachykardien während der Schwangerschaft sind Antikoagulation in der Schwangerschaft
ohne Vorliegen einer organischen Grunderkrankung sehr selten.
Bei herzgesunden Patientinnen sind rechtsventrikuläre Ausfluss- Eine Schwangerschaft induziert eine Reihe hämostaseologischer
trakttachykardien die häufigste Tachykardieform, die gut mit β- Veränderungen: vermehrte Bildung von Gerinnungsfaktoren
Rezeptorenblockern behandelbar ist. und Fibrinogen, verstärkte Thrombozytenaggregabilität, vermin-
derte Fibrinolyse. Die mechanische Obstruktion durch den Ute-
rus vermindert den venösen Rückstrom und erhöht das Risiko
22.9.6 Long-QT-Syndrom für venöse Thrombosen und Lungenembolien. Die Hyperkoagu-
labilität ist mit einem generell erhöhten Thromboembolierisiko
Bei Patientinnen mit angeborenem Long-QT-Syndrom nehmen verbunden. Hiervon sind insbesondere diejenigen Patientinnen
die Tachykardieereignisse in der postpartalen Phase zu, während betroffen, die bereits außerhalb der Schwangerschaft ein erhöhtes
der Schwangerschaft scheint dagegen die erhöhte Herzfrequenz Thromboserisiko aufweisen.
protektiv zu wirken. Die elektrische Kardioversion steht zur Die in 7 Übersicht 22.4 aufgeführten Indikationen zur Anti-
Akuttherapie, β-Rezeptorenblocker für eine Langzeittherapie zur koagulation stellen Klasse-IC-Indikationen dar.
450 Kapitel 22 · Schwangerschaft und Herzerkrankungen

22.10.3 Antikoagulation bei mechanischen


Übersicht 22.4. Indikation zur Antikoagulation wäh- Klappenprothesen
rend der Schwangerschaft
Hier handelt es sich um ein schwieriges therapeutisches Problem;
4 Mechanische Herzklappenprothesen es ist jedoch nicht mehr gerechtfertigt, Patientinnen mit Klap-
4 Herzklappenerkrankungen und frühere Embolien penprothesen generell von einer Schwangerschaft abzuraten. Die
4 Valvuläres Vorhofflimmern Gabe von unfraktioniertem Heparin während der gesamten
4 Nichtvalvuläres Vorhofflimmern und bedeutsame Risiko- Schwangerschaft ist mit einer hohen Thromboserate der mecha-
faktoren nischen Klappen verbunden und sollte deshalb nicht mehr ange-
4 Venöse Thrombosen und Lungenembolien wandt werden. Die Therapie mit unfraktioniertem Heparin in
4 Stark eingeschränkte linksventrikuläre Funktion voller Dosierung während der gesamten Schwangerschaft ist mit
einer hohen mütterlichen Komplikationsrate verbunden, ohne
dass die fetale Prognose günstig beeinflusst wird. Die DGK emp-
fiehlt daher eine orale Antikoagulation während der Schwanger-
22.10.1 Orale Antikoagulanzien schaft für Patientinnen mit mechanischen Herzklappenprothe-
sen. Dies kommt nur für solche Patientinnen infrage, deren Do-
Orale Antikoagulanzien vom Cumarintyp sind plazentagängig sisbedarf niedrig (<3 mg/Tag) ist, um den therapeutischen INR-
und mit dem Risiko einer Embryopathie verbunden. Die Cuma- Wert zu erreichen (bei mechanischem prothetischen
rinembryopathie wird vermutlich durch eine Vitamin-K-Mangel Aortenklappenersatz Ziel-INR 2,5, bei mechanischem Mitral-
induzierte Störung der Knorpelentwicklung und eine Inferenz klappenersatz Ziel-INR 3,0). Es kann erwogen werden, während
mit dem Kalziummetabolismus verursacht. Der Effekt ist dosis- der ersten 12 Schwangerschaftswochen und nach der 36. Schwan-
abhängig. Es gibt Hinweise, dass das Risiko möglicherweise erst gerschaftswoche auf Heparin umzustellen.
ab der 8. Schwangerschaftswoche besteht.
! Cave
Eine vaginale Entbindung sollte unter therapeutischer oraler
Antikoagulation vermieden werden, um eine intrakranielle feta-
22.10.2 Heparin
le Blutung zu vermeiden.

Unfraktionierte und niedermolekulare Heparine sind nicht pla- Bei einer Heparintherapie ist eine sorgfältige Kontrolle der aPTT-
zentagängig und verursachen keine Embryopathie. Mütterliche bzw. Anti-Faktor-Xa-Bestimmung erforderlich.
Osteoporose und Thrombozytopenien treten bei unfraktio-
niertem Heparin selten und bei niedermolekularem Heparin sehr
selten auf. Eine retroplazentare Blutung kann eine Ursache für 22.10.4 Antikoagulation bei Vorhofflimmern,
Früh- oder Totgeburt sein. Aufgrund der Bioverfügbarkeit sind tiefen Beinvenenthrombosen und
niedermolekulare Heparine überlegen. Lungenembolien
Insgesamt ist die Studienlage extrem dürftig. Bei vielen Pati-
entinnen werden niedermolekulare Heparine außerhalb der Zu- Während der Schwangerschaft besteht ein erhöhtes Risiko für
lassung eingesetzt (z. B. bei mechanischen Klappenprothesen); tiefe Beinvenenthrombosen aufgrund des erhöhten Venen-
hierüber müssen die Patientinnen informiert werden. drucks und der Hyperkoagulabilität. Damit ist auch das Lungen-
embolierisiko erhöht. Zur Verminderung des postpartal er-
! Cave
höhten Phlebothromboserisikos sind intensive physiothera-
Die längere Halbwertszeit der niedermolekularen Heparine ist
peutische Maßnahmen, obligates Tragen der Kompressions-
für die Langzeitbehandlung von Vorteil, stellt jedoch bei Eintritt
strümpfe und eine frühzeitige Mobilisierung erforderlich.
der Wehen ein Problem dar.
Nichtrandomisierte Studien zeigen, dass niedermolekulare
Deshalb sollen niedermolekulare Heparine 18–14 h vor einer Heparine bei diesen Indikationen als therapeutische Alternative
elektiven Entbindung abgesetzt und durch unfraktioniertes He- zur oralen Antikoagulation während der Schwangerschaft ge-
parin ersetzt werden. Einen weiteren Nachteil der niedermoleku- geben werden können. Selbstverständlich sind auch hier die
laren Heparine stellt die eingeschränkte Reversibilität durch Prot- Anti-Faktor-Xa-Kontrolle und die präpartale Umstellung auf
amin dar. unfraktionierte Heparine.
Ein weiteres Problem der niedermolekularen Heparine wäh-
rend der Schwangerschaft liegt in dem zunehmenden Dosisbe-
darf. 22.10.5 Stillperiode
> Zusätzlich zur gewichtsadjustierten 2-mal täglichen Gabe muss
Heparine gehen nicht in die Muttermilch über. Orale Antikoagu-
in 1- bis 2-wöchigen Abständen die Anti-Faktor-Xa-Aktivität be-
lanzien werden in geringen Mengen und als inaktive Metaboliten
stimmt werden.
in der Muttermilch ausgeschieden und stellen ebenfalls keine
22 Diese sollte 4 h nach Gabe bei ≥1,0 U/ml liegen; die Talspiegel Kontraindikation dar. Die Prothrombinzeit wird bei gesunden
sollten zwischen 0,6 und 0,7 U/ml betragen. Kindern nicht verlängert.
Literatur
451 22
Literatur Elkayam U, Akhter MW, Singh H et al. (2005) Pregnancy-associated cardio-
myopathy: clinical characteristics and a comparison between early
Wichtiger Hinweis and late presentation. Circulation 111: 2050–2055
Ausführliche Informationen und ein großes Literaturverzeichnis Hameed A, Karaalp IS, Tummala PP et al. (2001) The effect of valvular heart
bietet die Leitlinie »Herzerkrankungen in der Schwangerschaft« disease on maternal and fetal outcome of pregnancy. J Am Coll Cardi-
ol 37: 893–899
der DGK aus dem Jahr 2008, Regetz-Zagrosek et al., http://www.
Hilfiker-Kleiner D, Kaminski K, Podewski E et al. (2007) A cathepsin
dgk.org. D-cleaved 16 kDa form of prolactin mediates postpartum cardio-
myopathy. Cell 128: 589–600
Bonow RO, Carabello B, Leon AC de et al. (1998a) ACC/AHA guidelines for Holder SE (1997) Genetic counseling. In: Oakley C (ed) Heart disease in
the management of Patientins with valvular heart disease: executive pregnancy. BMJ, London, pp 401–411
summary. A report of the American College of Cardiology/American James PR, Nelson-Piercy C (2004) Management of hypertension before,
Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Committee on during, and after pregnancy. Heart 90: 1499–1504
Management of Patientins With Valvular Heart Disease). J Heart Valve Lesniak-Sobelga A, Tracz W, Kost Kiewicz M et al. (2004) Clinical and echo-
Dis 7: 672–707 cardiographic assessment of pregnant women with valvular heart
Bonow RO, Carabello B, Leon AC de Jr et al. (1998b) Guidelines for the diseases – maternal and fetal outcome. Int J Cardiol 94: 15–23
management of Patientins with valvular heart disease: executive sum- Page RL (1995) Treatment of arrhythmias during pregnancy. Am Heart J
mary. A report of the American College of Cardiology/American Heart 130: 871–876
Association Task Force on Practice Guidelines (Committee on Manage- Rath W (2005) Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. In: Friese RU
ment of Patientins with Valvular Heart Disease). Circulation 98: 1949– (Hrsg) Erkrankungen in der Schwangerschaft. Thieme, Stuttgart
1984 Siu SC, Sermer M, Colman JM et al. (2001) Prospective multicenter study of
Collins R, Yusuf S, Peto R (1985) Overview of randomised trials of diuretics pregnancy outcomes in women with heart disease. Circulation 104:
in pregnancy. BMJ 290: 17–23 515–521
Deanfield J, Thaulow E, Warnes C et al. (2003) Management of grown up Siu SC, Colman JM, Sorensen S et al. (2002) Adverse neonatal and cardiac
congenital heart disease. Eur Heart J 24: 1035–1084 outcomes are more common in pregnant women with cardiac disease.
Elkayam U, Bitar F (2005a) Valvular heart disease and pregnancy part I: Circulation 105: 2179–2184
native valves. J Am Coll Cardiol 46: 223–230 Weiss BM, Hess OM (2000) Pulmonary vascular disease and pregnancy:
Elkayam U, Bitar F (2005b) Valvular heart disease and pregnancy: part II: current controversies, management strategies, and perspectives. Eur
prosthetic valves. J Am Coll Cardiol 46: 403–410 Heart J 21: 104–115
453 23

Das Herz im Alter


M. Kindermann, M. Böhm

23.1 Alterungsprozess und körperliche 23.3.3 Arrhythmien – 458


Leistungsfähigkeit – 453 23.3.4 Herzklappenerkrankungen – 459
23.3.5 Arterielle Hypertonie – 459
23.2 Morphologische und funktionelle Veränderungen 23.3.6 Herzinsuffizienz – 460
von Herz, Gefäßen und Skelettmuskulatur – 454 23.3.7 Risikofaktorenkontrolle – 461

23.3 Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter – 458 23.4 Das Altersherz als Krankheitsbegriff – 461
23.3.1 Koronare Herzkrankheit – 458
23.3.2 Akutes Koronarsyndrom – 458 Literatur – 462

)) oder ob Begleiterkrankungen die Belastbarkeit beeinträchtigen.


Bei den Personen, die Rekorde leisten können, handelt es sich um
Der Alterungsprozess eines Organismus ist ein komplexer Vor- subjektiv gesunde Menschen. Bemerkenswert ist, dass die kör-
gang, der von genetischen, metabolischen, hormonalen, immu- perliche Leistungsfähigkeit bis in das hohe Lebensalter hinein
nologischen und strukturellen Gegebenheiten abhängt. Die Er- trainierbar ist. Obwohl aerobe Ausdauer (. Abb. 23.2) und Mus-
krankung eines älteren Menschen kann dementsprechend durch kelkraft (. Abb. 23.3) auch bei sportlich aktiven Menschen einer
den physiologischen Alterungsprozess, aber auch durch intermit- altersabhängigen Abnahme unterliegen, kann durch körperliches
tierende Noxen, d. h. Erkrankungen im jüngeren Lebensalter, Le- Training die Leistung nicht nur im Vergleich zum inaktiven Al-
bensgewohnheiten oder exogen toxische Ursachen bedingt oder tergenossen verbessert werden. Grundsätzlich ist im höheren
zumindest stark beeinflusst sein. Lebensalter eine trainingsinduzierte Verbesserung möglich, die
zu einem Leistungsniveau führt, das dem eines 30 Jahre jüngeren,
inaktiven Individuums entspricht. Diese Befunde sprechen dafür,
23.1 Alterungsprozess und körperliche dass es unabhängig von Erkrankungen altersspezifische Verände-
Leistungsfähigkeit rungen gibt, die zur Abnahme der Leistungsfähigkeit führen und
die zumindest partiell durch körperliches Training günstig zu
Da die exogenen Noxen, die auf einen alternden Organismus ein- beeinflussen sind.
wirken, im höheren Lebensalter additiv zunehmen, ist es ein
grundsätzliches Problem, den physiologischen Alterungsprozess
von krankheitsbedingten Veränderungen zu unterscheiden.
Eine Schwierigkeit ist, dass die Veränderungen am »physio-
logisch« gealterten Herzen beim Menschen nur zu untersuchen
sind, wenn man gesunde, also beschwerdefreie ältere Individuen
im Vergleich zu jungen Kontrollgruppen betrachtet. Oft ist nicht
auszuschließen, dass es sich bei den Veränderungen des alternden
Herzens um beginnende Zustände einer Erkrankung handelt, die
eben doch durch Umwelteinflüsse und Krankheitsnoxen bedingt
sind. Die experimentelle Kardiogerontologie hat aus diesem
Grund vielfach Tierexperimente herangezogen, um zelluläre Ver-
änderungen zu charakterisieren. Hierbei sollte berücksichtigt
werden, dass Speziesunterschiede einen wichtigen Einfluss auf
die Interpretation der Ergebnisse haben können.
Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt mit steigendem
Lebensalter deutlich ab. Die Laufgeschwindigkeit bei den Weltre-
korden im 100-m- und 10.000-m-Lauf bei Männern und Frauen
im Alter von weniger als 20 Jahren im Vergleich zu höheren Al-
tersgruppen bis hin zum Alter von 90 Jahren ist in . Abb. 23.1
dargestellt (Morley 2000). Es wird deutlich, dass sich die Laufge-
schwindigkeiten jeweils etwa halbieren. Hierbei ist der Rückgang
pro Lebensjahr bei dem von der Schnellkraft bestimmten 100-m-
. Abb. 23.1. Altersabhängigkeit der Laufgeschwindigkeit bei den Welt-
Lauf etwas ausgeprägter als beim 10.000-m-Lauf, der von der rekorden über 100 und 10.000 m der Frauen und Männer. Der dem Alter
Ausdauerleistungsfähigkeit bestimmt wird. zuzuschreibende Rückgang der Laufgeschwindigkeit bei Männern be-
Die grundsätzliche Frage ist nun, ob die Leistungsabnahme trägt etwa 0,06 m/s pro Lebensjahr über die 100-m-Strecke und 0,05 m/s
im Alter durch eine spezifische Alterung der Organe bedingt ist pro Lebensjahr über 10.000 m. (Mod. nach Morley 2000)
454 Kapitel 23 · Das Herz im Alter

. Abb. 23.2. Abhängigkeit der maximalen Sauerstoffaufnahme . Abb. 23.3. Abhängigkeit der maximalen dynamischen Kraft (gemes-
(V̇O2max Sauerstoffaufnahmerate) vom Alter und von der Intensität sen als Drehmoment) der Knieextensoren von Alter und Trainingszu-
körperlicher Aktivität. »Aktiver Lebensstil« und Ausdauertraining ver- stand. Deutlicher altersabhängiger Kraftverlust jenseits des 40. Lebens-
schieben den altersbedingten Abfall der aeroben Kapazität hin zu hö- jahres. Krafttraining erlaubt allerdings prinzipiell einem Großvater die
heren Sauerstoffaufnahmen. Im Vergleich mit passiven Menschen haben Entwicklung einer größeren Muskelkraft als seinem nichttrainierenden
Ausdauertrainierte im Alter von 65 Jahren eine um 68% höhere, Men- Enkel. (Mod. nach Spirduso et al. 2005)
schen mit »aktivem Lebensstil« noch eine um 28% höhere maximale
Sauerstoffaufnahme. (Mod. nach Wilson u. Tanaka 2000)

trophie: So nimmt vom 30. bis zum 80. Lebensjahr das Herzge-
23.2 Morphologische und funktionelle wicht des Mannes um etwa 50 g zu. Trotz einer Reduktion der
Veränderungen von Herz, Gefäßen Myozytenzahl im alternden Herzen gibt es also keine »Alters-
und Skelettmuskulatur atrophie« des menschlichen Herzens. Auch von einer generellen
Herzfibrose kann trotz einer Zunahme des Kollagengehalts kei-
Die alternsbedingten morphologischen, ultrastrukturellen, bio- ne Rede sein.
chemischen und funktionellen Veränderungen des Herzens, der Der Rückgang der maximalen Sauerstoffextraktion in der
Blutgefäße und der Skelettmuskulatur sind in . Tab. 23.1, Skelettmuskulatur des alternden Menschen wird mit einer Ab-
. Tab. 23.2 und . Tab. 23.3 zusammengefasst. Sie sind die Grund- nahme der Kapillardichte, des Myoglobingehalts und des Mito-
lage der Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit mit zu- chondrienvolumens sowie mit einer verringerten Aktivität oxida-
nehmendem Lebensalter. tiver Enzyme erklärt (. Tab. 23.3). Hierdurch verringern sich das
Die alternsbedingte Abnahme der aeroben Ausdauer, die am muskuläre Sauerstoffangebot und die O2-Utilisationsfähigkeit
besten über die spiroergometrische Bestimmung der maximalen der Skelettmuskelfasern.
Sauerstoffaufnahme quantifiziert wird, ist in erster Linie auf kar- Die in der klinischen Kardiologie verwendeten Parameter
diozirkulatorische und in zweiter Linie auf skelettmuskuläre Ver- der linksventrikulären Pumpfunktion wie die fraktionelle Ver-
änderungen zurückzuführen (. Abb. 23.4). Die maximale Sauer- kürzung oder die EF sind auch im Alter nicht erniedrigt. Diese
stoffaufnahme ergibt sich als Produkt aus dem maximalen HZV Parameter messen jedoch in erster Linie die radiäre systolische
und der maximalen Sauerstoffausschöpfung (arteriovenöse O2- Funktion. Neuere Untersuchungen weisen eine altersabhängige
Differenz) der peripheren Organe, die bei körperlicher Belastung Reduktion der Geschwindigkeit der Längsachsenverkürzung
durch die Sauerstoffextraktion der Skelettmuskulatur bestimmt nach (Nikitin et al. 2005). Regelhaft kommt es im Alter zu einer
wird. Beim älteren Menschen sind beide Faktoren erniedrigt. Das Beeinträchtigung der diastolischen Funktion, die sich in einer
maximale HZV nimmt ab, da die maximale Herzfrequenz (HFmax) verlangsamten und verminderten frühdiastolischen Ventrikelfül-
entsprechend der Formel HFmax=220–Lebensalter altersproporti- lung ausdrückt und durch eine verstärkte atriale Füllung kom-
onal zurückgeht, aber auch weil das maximale Herzschlagvolu- pensiert wird (. Abb. 23.5). Die Abnahme von Relaxationsge-
men geringer ist als beim jüngeren Menschen. Wahrscheinlich schwindigkeit und Compliance des älteren Herzens geht mit
sind die Reduktion von Schrittmacherzellen und L-Typ-Kalzium- einem Anstieg des linksventrikulären Füllungsdruckes einher
kanälen im Sinusknoten und die gestörte β-adrenerge Signal- (van de Veire et al. 2006), der allerdings in Abwesenheit sonstiger
transduktion (. Tab. 23.1) für die altersabhängige Reduktion der Erkrankungen und bei funktionierender Kompensation durch
maximalen Herzfrequenz verantwortlich. Die Desensitivierung eine effektive und zeitgerecht einsetzende Vorhofkontraktion
des Ventrikelmyokards gegenüber der stimulierenden Wirkung noch im oberen Normbereich liegt.
endogener Katecholamine erklärt zumindest teilweise die Abnah- Fällt dieser Kompensationsmechanismus allerdings aus (z. B.
me des maximalen Schlagvolumens im Alter. beim Vorhofflimmern) oder wird er überfordert (z. B. bei hyper-
23 Eine weitere Ursache ist die erhöhte arterielle Impedanz in- tensiver Krise), kann der linksventrikuläre Füllungsdruck deut-
folge der verminderten Gefäßelastizität (. Tab. 23.2). Diese lich ansteigen. Es manifestiert sich eine HFNEF, die sich zuerst als
Nachlasterhöhung bedingt eine kompensatorische Herzhyper- Belastungsdypsnoe bemerkbar macht.
23.2 · Morphologische und funktionelle Veränderungen von Herz, Gefäßen und Skelettmuskulatur
455 23

. Tab. 23.1. Alternsbedingte Veränderungen des Herzens. (Zusammengestellt aus Arbab-Zadeh et al. 2004; Iemitsu et al. 2006; Jones et al. 2007;
Lakatta u. Sollot 2002; Lakatta u. Levy 2003a,b; Lakatta 2003)
Morphologie Hypertrophie (Wanddicke ↑, Kardiomyozytenvolumen ↑)
Größe des linken Vorhofs ↑
Myozytenzahl ↓
Kapillardichte ↓, Verhältnis Kapillaren zu Myozyten ↓
Anzahl und Dicke von Typ-I-Kollagenfasern ↑, Kollagenquervernetzung ↑
Amyloid- und Lipofuszineinlagerungen
Anzahl der Schrittmacherzellen im SA-Knoten ↓
Elektromechanische Aktionspotenzialdauer ↑
Kopplung QT-Intervall ↑
Geschwindigkeit der diastolischen sarkoplasmatischen Ca2+-Sequestrierung ↓
Maximale diastolische sarkoplasmatische Ca2+-Sequestrierung ↓
Dauer des zytosolischen Ca2+-Transienten ↑
Gefahr der Ca2+-Überladung durch Neurotransmitter, postischämische Reperfusion oder oxidativen Stress
Kontraktions- Kontraktionsgeschwindigkeit ↓, Kontraktionskraft = Kontraktionsdauer ↑
Relaxations-Füllungs- Relaxationsgeschwindigkeit ↓
Eigenschaften Myozytensteifigkeit ↑
Ventrikuläre Compliance ↓
Frequenzinotropie (Bowditch-Effekt) ↓, Frequenzlusitropie ↓
Autonome Regulation Sympathikotonus ↑, Parasympathikotonus ↓
der kardiovaskulären Baroreflexsensitivität ↓, Herzfrequenzvariabilität ↓
Funktion Plasmanoradrenalinkonzentration ↑
Gesamte und kardiale Noradrenalinausschüttung ↑
Verminderte Wiederaufnahme von Noradrenalin in präsynaptische Speicher ↓
Noradrenalinstimulierbare Kontraktilität ↓
Atriale M2-Rezeptordichte und -funktion ↓
Desensitivierung der β1-adrenergen Signaltransduktion:
β1-AR-Dichte ↓
Aktivität der katalytischen Einheit der Adenylatzyklase ↓
GS ↓, Gi ↑
Biochemische Befunde /Ca2+-L-Inaktivierung verzögert, ITo-Dichte ↓, Na+Ca+X ↑
SERCA2a ↓
Anzahl der ICa2+-L-Kanäle im Sinusknoten ↓
MHC Isoform V1 (α-MHC) ↓, MHC Isoform V3 (β-MHC) ↑
AGE-Gehalt ↑, Hydroxiprolingehalt ↑
Mitochonchdriale ROS-Produktion ↑, mitochondriale Dysfunktion ↑
ω-3-Fettsäuren-Konzentration in der Myozytenmembran ↓, Membranlipidperoxidation ↑
VEGF ↓
Akt-Phosphorylierung ↓
eNOS ↓
ACE ↑, Angiotensin II ↑
Natriuretische Peptide ↑
↑ Zunahme; ↓ Abnahme; = keine Änderung. SA-Knoten sinuatrialer Knoten; M2-Rezeptoren Muskarin-Typ-II-Rezeptoren; β-AR β-Adrenozeptor; GS sti-
mulierendes G-Protein; Gi inhibierendes G-Protein; ICa2+-L L-Typ-Ca2+-Kanäle. /To Kanäle für den transienten K+-Auswärtsstrom; Na+Ca+X Na+/Ca2+-Aus-
tauscher; SERCA2a sarkoplasmatische Ca2+-ATPase; MHC Myosinschwerkette; AGE »advanced glycation endproducts«; ROS reaktive Sauerstoffspezies;
VEGF »vascular endothelial growth factor«; Akt Proteinkinase B; eNOS endotheliale NO-Synthase; ACE »angiotensin converting enzyme«.

. Tab. 23.2. Alternsbedingte vaskuläre Veränderungen. (Zusammengestellt aus Lakatta u. Sollot 2002; Lakatta u. Levy 2003a,b; Lakatta 2003)
Intima Media
Dicke ↑ (Glatte Muskelzellen ↑, Matrix ↑) Dicke ↑
TGF-β ↑, MMP II ↑, Adhäsionsmoleküle ↑ Glatte Muskelzellen: Dicke ↑, Anzahl ↓
ACE ↑, Angiotensin II ↑
Matrix
Kollagengehalt ↑ Kollagenvernetzung ↑, AGE-Gehalt ↑, Fibronektin ↑, Glykosaminoglykane ↑, Elastin ↓ (Kalzifikation, Fragmentierung)
Funktion
Endotheliale Dysfunktion Abnahme der arteriellen Dehnbarkeit
NO ↓, Superoxid ↑, Peroxynitrit ↑ → Pulswellengeschwindigkeit ↑
Adhäsionsmoleküle ↑ → Pulsamplitude ↑
Permeabilität ↑ → Arterielle Impedanz ↑
VEGF ↓, Angiogenese ↓ → LV-Wandspannung ↑
Atheroskleroseanfälligkeit bei lipidreicher Diät Gesteigerte Reaktion auf Gefäßverletzung
↑ Zunahme; ↓ Abnahme; TGF »transforming growth factor«; MMP II »matrix metalloproteinase II«; ACE »angiotensin converting enzyme«; AGE »ad-
vanced glycation endproducts«; VEGF »vascular endothelial growth factor«.
456 Kapitel 23 · Das Herz im Alter

> Ein charakteristisches Merkmal des alternden Herzens ist die ischämische Reperfusion. Eine Ca2+-Überladung wiederum
Verlangsammung der zellulären Ca2+-Transportprozesse kann zu diastolischen Nachdepolarisationen und Tachyarrhyth-
(. Tab. 23.1). mien führen. Ca2+-Überladung und die erhöhte ROS-Konzent-
ration sind die Hauptmechanismen des Reperfusionsschadens
Folge davon ist die verminderte Resistenz gegenüber Noxen, die nach einer protrahierten Myokardischämie. Kurze Ischämie-
zu einer zytoplasmatischen Ca2+-Überladung führen. Mögliche episoden vor einer anhaltenden Myokardischämie haben norma-
Trigger sind Neurotransmitter, oxidativer Stress oder die post- lerweise einen protektiven Effekt und verringern den Reperfu-
sionsschaden. Ein klinisches Beispiel ist die Verringerung der
Myokardinfarktgröße, wenn dem Infarkt eine Präinfarktangina
. Tab. 23.3. Alternsbedingte Veränderungen der Skelettmuskulatur. vorausging. Tierexperimentell ist belegt (Abete et al. 2000), dass
(Zusammengestellt aus Spirduso et al. 2005) dieser endogene Protektionsmechanismus beim älteren Herzen
Gesamtmuskelmasse ↓ (Sarkopenie) nicht mehr funktioniert. Bemerkenswerterweise kann im Tier-
Anzahl der schnellzuckenden Typ-II-Muskelfasern ↓ experiment der protektive Effekt der ischämischen Präkondi-
Dicke der schnellzuckenden Typ-II-Muskelfasern ↓ tionierung durch körperliches Training oder Kalorienrestrik-
Fettanteil ↑ tion teilweise wiederhergestellt werden. Eine Kombination bei-
Anzahl der motorischen Einheiten ↓ der Maßnahmen, Kalorienrestriktion und körperliches Training,
Anzahl der Muskelfasern pro Einheit ↑ führt bei alten Rattenherzen zu einer kompletten Restitution
Muskelkapillarisierung ↓ des protektiven Effektes der ischämischen Präkonditionierung
Oxidative Enzymkapazität ↓ (. Abb. 23.6a–c).
Myoglobingehalt ↓
Überwiegend tierexperimentelle Daten belegen eine ganze
Belastungsinduzierte Vasodilatation ↓
Reihe weiterer günstiger Effekte körperlicher Aktivität auf das
Maximale glykolytische Flussrate ↓
Glykogenresyntheserate ↓ strukturelle und das molekulare Remodeling des alternden Herz-
Maximalkraft ↓ Kreislauf-Systems. Eine Übersicht gibt die . Tab. 23.4.
Schnellkraft ↓ > Beim Herzen kommt es im Alter zu einer normotensiven Myo-
Kraftausdauer ↓
kardhypertrophie auf zellulärer Ebene. Die klinisch gebräuch-
Kraftentwicklung pro Muskelquerschnittsfläche ↓ (»Muskelqualität« ↓)
lichen Messwerte der systolischen Ventrikelfunktion liegen im
Verzögerte Erholung
Normbereich. Eine Verlangsamung der frühdiastolischen Rela-
↑ Zunahme; ↓ Abnahme. xation ist im Alter physiologisch.

. Abb. 23.4. Leistungsbegrenzende Größen bei stufenweiser, symp- des Ventrikelvolumens mit geringerer Steigerung der Auswurffraktion
tomlimitierter Ergometrie zweier gesunder, untrainierter Männer im von 63 auf 69%). Die maximalen HZV liegen bei 22,4 l/min (25-Jähriger,
Alter von 25 und 65 Jahren. Der Altersunterschied von 40 Jahren geht Steigerungsfaktor 3,7) und 16,3 l/min (65-Jähriger, Steigerungsfaktor
mit einer um 35% geringeren maximalen Sauerstoffaufnahmerate ein- 2,7). Zusätzlich zum verringerten maximalen Herzminutenvolumen senkt
her. Hauptursache ist eine niedrigere maximale Herzfrequenz beim die geringere maximale AVDO2 des älteren Menschen die maximal
älteren Individuum. Auch das Schlagvolumen steigt beim Älteren weni- mögliche Sauerstoffaufnahmerate. Ursache der verminderten Sauerstoff-
ger stark an. Der Schlagvolumenanstieg erfolgt beim Jüngeren durch extraktion ist die verminderte aerobe Kapazität der Skelettmuskulatur.
·
Rekrutierung der kontraktilen Reserve (Zunahme der Auswurffraktion Pmax Maximalleistung am Belastungende, V O2 Sauerstoffaufnahmerate,
23 von 63 auf 85% ohne Zunahme des Ventrikelvolumens), beim Älteren AVDO2 arteriovenöse Differenz des Blutsauerstoffgehaltes, HF Herzfre-
unter verstärkter Nutzung des Frank-Starling-Mechanismus (Zunahme quenz, ESV endsystolisches Volumen, SV Schlagvolumen
23.2 · Morphologische und funktionelle Veränderungen von Herz, Gefäßen und Skelettmuskulatur
457 23

. Abb. 23.5. Altersabhängigkeit der linksatrialen Entleerungsdynamik. durch die Vorhofkontraktion bewirkten Ventrikelfüllung. LA linksatriale
Im Alter nimmt der Anteil der frühdiastolischen Füllung ab. Außerdem ist Fläche gemessen mithilfe der echokardiographischen akustischen Quan-
die Geschwindigkeit der frühdiastolischen Vorhofentleerung verringert. tifizierung. (Mod. nach Spencer et al. 2001)
Kompensatorisch kommt es zu einer Zunahme der spätdiastolischen,

a b

. Abb. 23.6. Kontraktile Dysfunktion nach postischämischer Reperfu- lich schneller von der ischämischen Dysfunktion. Herzen alter, untrai-
sion im jungen und alten Rattenherz. a Kontrollexperiment ohne ischä- nierter Tiere weisen diesen protektiven Effekt der ischämischen Präkon-
mische Präkonditionierung. Die älteren Herzen zeigen eine signifikant ditionierung nicht auf. Herzen alter, trainierter Ratten zeigen jedoch eine
stärkere postischämische kontraktile Dysfunktion in der Reperfusions- signifikante Protektion durch ischämische Präkonditionierung. c Kalo-
phase. Herzen älterer Ratten, die vorher ein Trainingsprogramm absol- rienrestriktion führt im selben Ausmaß wie körperliches Training zu einer
viert haben, unterscheiden sich nicht signifikant von Herzen älterer, un- partiellen Rekonstitution der Protektion durch ischämische Konditionier-
trainierter Tiere. b Der anhaltenden Ischämie wird eine kurze Phase einer ung. Eine komplette Restitution wird durch die Kombination aus Kalo-
ischämischen Präkonditionierung (IP) vorgeschaltet. Im Vergleich zu a er- rienrestriktion und körperlichem Training errreicht. (a,b mod. nach Abete
holt sich die kontraktile Funktion der jungen Rattenherzen jetzt wesent- et al. 2000; c mod. nach Abete et al. 2005)
458 Kapitel 23 · Das Herz im Alter

4 eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion,


. Tab. 23.4. Effekte körperlichen Trainings auf kardiovaskuläre Alte-
rungsprozesse. (Zusammengestellt aus Arbab-Zadeh et al. 2004; 4 Diabetes mellitus oder
Abete et al. 2000; Baldi et al. 2003; Balietti et al. 2005; Iemitsu et al. 4 Durchführung eines Notfalleingriffs.
2006; Kwak et al. 2006; Leosco et al. 2007; Prasad et al. 2007; Tanaka et
al. 2000; Ueno u. Moritani 2003) Sollte aus morphologischen Gründen eine PTCA nicht durch-
Mitochondriengehalt im Kardiomyozyten ↑ führbar sein, so kann eine koronare Bypassoperation angestrebt
Mitochondriale Zytochromoxidaseaktivität ↑ werden. Sie ist beim älteren Menschen mit einer erhöhten peri-
VEGF ↑, Kapillardichte im Myokard ↑ operativen Letalität und Morbidität sowie mit einer längeren Ver-
SERCA2a-Expression ↑ weildauer im Krankenhaus behaftet. Die Langzeitprognose be-
β-AR-Dichte ↑, Adenylatzyklaseaktivität ↑, Gi ↓ züglich der Beschwerdefreiheit und der Letalitätsverbesserung
Apoptose ↓ (insbesondere bei eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunk-
Inotrope und lusitrope Stimulierbarkeit durch β-AR-Agonisten ↑ tion) ist allerdings gut.
Partielle Restitution der Myokardprotektion durch ischämische
Präkonditionierung
Baroreflexsensitivität ↑, Herzfrequenzvariabilität ↑ 23.3.2 Akutes Koronarsyndrom
Longitudinale systolische Funktion ↑
Vorhoffunktion ↑
Frühdiastolische Relaxation (↑) > Beim akuten Myokardinfarkt sind die Letalität, das Auftreten ei-
Linksventrikuläre Compliance ↑ ner Herzinsuffizienz mit Lungenödem sowie Rhythmusstörun-
Endotheliale Funktion ↑ gen und die Ventrikelruptur beim älteren Menschen häufiger als
Arterielle Distensibilität ↑ bei jüngeren.
↑ Zunahme; ↓ Abnahme; VEGF »vascular endothelial growth factor«;
SERCA2a sarkoplasmatische Ca2+-ATPase; β-AR β-Adrenozeptor; Gi in- Die Therapie der ersten Wahl des akuten ST-Hebungs-Infarktes
hibierendes G-Protein. ist die primäre PCI, sofern diese mit weniger als 90-min-Zeit-
verzögerung gegenüber der medikamentösen Thrombolyse
durchgeführt werden kann. Kann dieses Zeitfenster nicht ein-
gehalten werden, ist die Thrombolyse die Reperfusionsstrategie
23.3 Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter der zweiten Wahl. Obwohl die Rate intrazerebraler Hämorrha-
gien unter Thrombolyse mit steigendem Alter zunimmt, profi-
23.3.1 Koronare Herzkrankheit tieren auch ältere Patienten (>75 Jahre) von einer Thromboly-
setherapie des ST-Hebungs-Infarktes, sofern diese innerhalb
Prävalenz eines 12-h-Zeitfensters erfolgt und keine Kontraindikationen
Die Prävalenz der KHK steigt im Alter naturgemäß mit der Zu- vorliegen (White 2000). Bei Vorliegen von Kontraindikationen
nahme der Häufigkeit der Arteriosklerose an. Eine Autopsiestu- oder außerhalb des 12-h-Fensters ist grundsätzlich die PCI an-
die berichtet von einer Koronarsklerose bei mehr als 50% aller zustreben.
>50-Jährigen (Sugiura et al. 1976). Von den Todesfällen durch
! Cave
eine KHK sind in 75% der Fälle ältere Personen betroffen.
Höheres Lebensalter ist ein Risikofaktor für das Auftreten von
Blutungen unter Therapie mit GP-IIb/IIIa-Antagonisten im Rah-
Diagnostik
men eines akuten Koronarsyndroms (Kirtane 2006).
Die Diagnose kann bei älteren Patienten schwerer zu stellen sein,
zumal die Symptomatologie oft untypisch ist. Typische Angina- Bei Substanzen mit bedeutsamer renaler Elimination (Tirofiban,
pectoris-Zeichen können fehlen, stattdessen können uncharakte- Eptifibatide) sollte die Dosis an die im Alter häufige Einschrän-
ristische Thoraxschmerzen, Luftnot oder auch Herzinsuffizienz- kung der Nierenfunktion angepasst werden. Dies gilt auch für die
zeichen das Beschwerdebild prägen. Andererseits können diese Anwendung niedermolekularer Heparine.
Symptome auch durch eine Einschränkung der diastolischen
Funktion bedingt sein.
Infolge frühzeitig limitierender Begleiterkrankungen des Be- 23.3.3 Arrhythmien
wegungsapparates erreichen viele Patienten des höheren Alters
bei der Ergometrie nicht die von der Zielherzfrequenz vorgege- Im Alter kommt es zu einer Zunahme der Inzidenz von ventriku-
bene Ausbelastungsgrenze (verminderte Sensitivität). Falsch-po- lären und supraventrikulären Arrhythmien. Dies ist möglicher-
sitive Ergebnisse (verminderte Spezifität) können durch eine weise durch die zunehmende Prävalenz einer arteriellen Hyper-
Begleittherapie, z. B. mit Herzglykosiden, bedingt sein. In dieser tonie, einer KHK sowie von Herzklappenvitien bedingt. Es zeigte
Situation ist die Stressechokardiographie oder die Myokardszin- sich eine Häufigkeit von 26% von supraventrikulären Extrasysto-
tigraphie mit pharmakologischer Belastung (Dobutamin oder len bei gesunden Personen zwischen 60 und 85 Jahren, von 17%
Dipyridamol) sinnvoll. mit ventrikulären Extrasystolen, aber von nur 4% von nichtan-
haltenden VT. Diese Rhythmusstörungen sind im Alter häufig
Therapie asymptomatisch.
Bezüglich der Behandlung einer KHK beim alten Menschen gibt Bislang konnte nicht gezeigt werden, dass diese Arrhythmien
es keine großen Unterschiede zu jüngeren Patienten. Bei der The- im Alter mit einer Zunahme des plötzlichen Herztodes oder mit
23 rapie der KHK kann, wenn anatomisch möglich, eine Ballondila- Symptomen assoziiert waren. Das Auftreten von Rhythmusstö-
tation (PTCA) mit Stent-Implantation angestrebt werden. Risi- rungen beim älteren Patienten sollte allerdings nach anderen
kofaktoren für Komplikationen beim Älteren (>80 Jahre) sind: Ursachen fahnden lassen. Hierzu zählen:
23.3 · Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter
459 23

4 Elektrolytstörungen, Einlagerung von Makrophagen sowie T-Zell-Infiltrationen mit


4 Digitalisüberdosierungen, Fetteinlagerung und Unterbrechung der Basalmembran. Bis zum
4 Hyperthyreose, 60. Lebensjahr ist die bikuspide Klappe die häufigste Ursache der
4 Anämie, kalzifizierenden Aortenstenose des Älteren. Ab dem 70. Lebens-
4 Lungenembolie, jahr ist die normale Degeneration mit Verkalkungen die häufigs-
4 KHK, te Ursache für das Auftreten dieses Vitiums.
4 Herzinsuffizienz und Die Diagnose der Aortenstenose des Älteren kann schwierig
4 nicht ausreichend eingestellter Hypertonus. sein, da in den meisten Fällen eine signifikante Komorbidität be-
steht. Bei Symptomen wie Angina pectoris, Synkopen, Herzinsuf-
Die Behandlung richtet sich nach den auftretenden Symptomen. fizienz und einem objektiven Befund (z. B. Einschränkung der
Schrittmacherpflichtige bradykarde Rhythmusstörungen finden Aortenklappenöffnungsfläche auf weniger als 1,0 cm2 oder
sich sowohl in Abwesenheit als auch in Anwesenheit einer ande- 0,6 cm2/m2KOF) sollte die Indikation zum Aortenklappenersatz
ren objektivierbaren Herzerkrankung. Beim älteren Patienten gestellt werden. Das perioperative Risiko ist eher hoch und
gelten hier ebenfalls die üblichen Indikationen für eine Schritt- schwankt zwischen 7% für 70- bis 74-Jährige bis hin zu 20% ab
machertherapie. einem Alter von über 80 Jahren.
Die häufigste behandlungsbedürftige Rhythmusstörung des Die Aortenklappenvalvuloplastie war in einer Studie an Pati-
älteren Menschen stellt das Vorhofflimmern dar. Zu berücksich- enten mit einem mittleren Alter von 78 Jahren mit einer schlech-
tigen ist, dass mit zunehmendem Alter das Embolierisiko steigt ten Prognose behaftet. Die Ein- und Dreijahresüberlebensraten
und damit der embolieprotektive Effekt einer oralen Antikoagu- betrugen 55 resp. 23%. Dieses Verfahren eignet sich somit nur als
lation beim betagten Patienten mit Vorhofflimmern sogar größer »Bridging«-Verfahren für die dekompensierte Aortenstenose bis
ist als bei jüngeren Patienten. Da auch das Blutungsrisiko beim zu einem operativen Eingriff.
alten Menschen höher ist, kommt der exakten Therapiekontrolle Neuere Verfahren zur Korrektur der Aortenstenose wie der
mithilfe des INR-Werts (Ziel 2,0–3,0) eine besondere Bedeutung perkutane Klappenersatz mithilfe einer auf einem Katheter vor-
zu. Die ASS-Gabe ist keine gleichwertige Alternative zur oralen montierten und zusammengefalteten Bioprothese oder der mini-
Antikoagulation. Letztere senkt das Embolierisiko um 68%, ASS malchirurgische transapikale Ersatz (Sack et al. 2006) befinden
nur um 21%. Nur im begründeten Einzelfall und bei Vorliegen sich gegenwärtig in der klinischen Erprobungsphase und stellen
klarer Kontraindikationen (z. B. Demenz ohne zuverlässige Be- möglicherweise in Zukunft eine Alternative zum klassischen
treuung, rezidivierende Stürze) sollte auf eine orale Antikoagula- Klappenersatz für multimorbide ältere Patienten mit hohem
tion verzichtet werden. Operationsrisiko dar.

23.3.4 Herzklappenerkrankungen 23.3.5 Arterielle Hypertonie

Mitralklappenveränderungen Prävalenz
Aus Autopsiebefunden kennt man eine altersabhängige Zunah- Aus den Daten der Framingham-Studie ist bekannt, dass die ar-
me von Klappenverkalkungen, insbesondere von Verkalkungen terielle Hypertonie ein führender Risikofaktor in der Entwick-
des Mitralklappenrings und der Aortenklappe. Weiterhin finden lung einer KHK ist. Dies betrifft sowohl den systolischen als auch
sich häufig ein Mitralklappenprolaps sowie eine mukoide Dege- den diastolischen Blutdruck. Die Inzidenz der KHK steigt mit
neration des Klappenrings und der Sehnenfäden im Sektionsgut zunehmendem Alter. Darüber hinaus sind das Vorliegen einer
von älteren Patienten. Dementsprechend kann die Diagnose ei- Hypertonie und auch das einer KHK mit der Entwicklung einer
ner signifikanten Klappenerkrankung durch das häufige Auftre- Herzinsuffizienz in überadditiver Weise vergesellschaftet. Daraus
ten von nichtrelevanten Herzgeräuschen behindert sein (Präva- wird ersichtlich, dass eine effiziente Therapie der arteriellen Hy-
lenz bis zu 60%). pertonie notwendig ist, um kardiovaskuläre Komplikationen zu
Bei zweifelhaften klinischen Befunden ist eine echokardio- vermindern.
graphische bzw. dopplerechokardiographische Untersuchung In einer europäischen Studie (Amery et al. 1985) findet sich
notwendig. Bei pathologischen Befunden sollte die diagnostische eine Abnahme der absoluten Letalität um 26%, eine Abnahme
Katheteruntersuchung zur Abklärung von zusätzlich vorlie- der Letalität infolge kardiovaskulären Todes um 38%, infolge
genden Koronarstenosen durchgeführt werden. eines zerebrovaskulären Insultes um 43% und infolge eines Myo-
Die Indikation zum Klappenersatz richtet sich nach den üb- kardinfarkts um 60%, wenn bei älteren Menschen eine arterielle
lichen Kriterien und hat auch bei älteren Patienten eine ausge- Hypertonie behandelt ist (. Abb. 23.7).
prägte Verbesserung der Lebensqualität bei eher niedriger Leta-
> Der Wert einer genauen Blutdruckeinstellung beim älteren Men-
lität erbracht.
schen wird durch die dadurch verlängerte Lebenserwartung un-
terstrichen.
Kalzifizierende Aortenstenose
Weitere Studien untersuchten bei älteren Patienten den Effekt
> Einen besonderen Stellenwert nimmt die kalzifizierende Aorten-
einer Blutdruckeinstellung auf das Risiko, an Folgestörungen zu
stenose des alten Menschen ein.
erkranken oder zu versterben (STOP-Hypertension 1991; SHEP
Die altersbedingte degenerative Veränderung der Aortenklappe 1991; MRC 1992).
beginnt mit einer Sklerose und einer Verdickung der Aortensegel. Sowohl die Behandlung des vorwiegend diastolischen (STOP,
Zunächst treten keine Stenose und keine funktionelle Bewe- MRC), aber v. a. des isolierten systolischen Bluthochdrucks
gungsbehinderung ein. In späteren Stadien kommt es zu einer (SHEP; Staessen et al.1997; Liu et al. 1998) war von einer Reduk-
460 Kapitel 23 · Das Herz im Alter

4 Das absolute Risiko, eine kardiovaskuläre Komplikation


durch einen hohen Blutdruck zu erleiden, ist beim älteren
sogar größer als beim jüngeren oder mittelalten bis alten
Menschen.
4 Alle Studien, die an Älteren durchgeführt wurden, haben ge-
zeigt, dass die medikamentöse Blutdrucksenkung beim alten
Menschen die Inzidenz von Schlaganfällen, Todesfällen
durch Schlaganfall, Herzinfarkten, tödlichen Herzinfarkten
und Herzinsuffizienz senkt.
4 Bei adäquater Durchführung können die meisten älteren Pa-
tienten blutdrucksenkende Medikamente problemlos ein-
nehmen.
4 Bemerkenswert ist der Missstand, dass weniger als 25% der
älteren Patienten eine adäquate Blutdruckeinstellung erfah-
ren.

. Abb. 23.7. Effekt einer blutdrucksenkenden Therapie bei älteren Therapieempfehlungen


(>60 Jahre) hypertensiven Patienten. Dargestellt ist die Reduktion kardio- Einige praktische Hinweise zur Blutdrucksenkung jenseits des
vaskulärer, kardialer, zerebrovaskulärer, durch Myokardinfarkt bedingter
65. Lebensjahres sind in der 7 Übersicht 23.1 zusammengestellt.
und aller Todesfälle unter antihypertensiver Therapie. (Mod. nach Amery
et al. 1985)
Übersicht 23.1. Therapieempfehlungen zur Blutdruck-
senkung bei Älteren
tion der Schlaganfallhäufigkeit begleitet. Eine signifikante Ab-
nahme von tödlichen Koronarereignissen findet sich auch bei der 4 Therapiebeginn mit niedrigen Dosen, langsame Dosis-
Einstellung des Hochdrucks. steigerung, ggf. Therapie mit niedrig dosierten Kombina-
tionen
Nebenwirkungen 4 Langsame Blutdrucksenkung innerhalb von Wochen und
Alle Studien belegen eine relativ hohe Nebenwirkungsrate der Monaten
blutdrucksenkenden Therapie bei älteren Patienten. Besonders 4 Einfache Therapieschemata
wichtig erscheint das Auftreten einer orthostatischen Hypotonie, 4 Differenzialtherapie unter Berücksichtigung der Komor-
die nach relativer Überdosierung von Medikamenten (veränderte bidität (KHK, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus etc.)
Verteilungsvolumina, eingeschränkte renale Ausscheidung und 4 Blutdruckkontrollen im Stehen; Orthostasereaktionen
hepatische Metabolisierung), bei vorliegender Verminderung der sollten auf keinen Fall 30 mmHg überschreiten, ggf. The-
Herzauswurfleistung und bei der verminderten Wirksamkeit au- rapieumstellung
tonomer Reflexe bedeutsam sein kann. 4 Ist der Blutdruck im Stehen stets deutlich niedriger als
der Blutdruck im Sitzen, sollte der Stehend-Blutdruck als
Inadäquate Blutdruckeinstellung Zielgröße für die medikamentöse Blutdruckeinstellung
> Nur ca. 25% der Hypertoniepatienten über 65 Jahre erfahren verwendet werden
eine adäquate Blutdruckeinstellung. 4 Regelmäßige Erhebung von subjektiv bemerkten Neben-
wirkungen
Interessant ist hierbei, dass 60–70% aller Individuen, die älter als 4 Laborkontrollen von Kalium, Kreatinin, Blutzucker etc., je
65 Jahre sind, eine Erhöhung des diastolischen Blutdrucks auf nach Begleiterkrankungen
>90 mmHg und des systolischen Blutdrucks auf >140 mmHg 4 Therapiewechsel bei subjektiv bemerkten Nebenwir-
aufweisen. kungen
Eine systolische Blutdruckerhöhung wurde früher als »nor-
mal« angesehen. Mit zunehmendem Alter kommt es infolge einer
Abnahme der arteriellen Gefäßdistensibilität (»arterial stiffe-
ning«, . Tab. 23.2) zu einer Überhöhung des systolischen Blut- 23.3.6 Herzinsuffizienz
drucks mit Zunahme der Blutdruckamplitude. Heute ist bekannt,
dass insbesondere die Erhöhung des systolischen Blutdrucks mit Bei über 65-Jährigen ist das Syndrom Herzinsuffizienz die häu-
einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos assoziiert ist. Dies figste Ursache für Krankenhauseinweisungen. Ältere herzinsuffi-
gilt unabhängig vom Alter der Patienten. Die isolierte systolische ziente Patienten weisen im Vergleich zu jüngeren häufig eine
Hypertonie (systolischer Blutdruck ≥140 mmHg, diastolischer normale linksventrikuläre Auswurffraktion auf. Diese HFNEF ist
Blutdruck <90 mmHg) ist ab einem Lebensalter von 50 Jahren im Vergleich zur HFREF schwieriger zu diagnostizieren. Andere
aufwärts die häufigste unbehandelte Hochdruckform (Franklin Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik (pulmonale Erkran-
et al. 1997). kungen, Anämie, Niereninsuffizienz) müssen ausgeschlossen
werden. Zur Bestätigung der Diagnose »HFNEF« wird am häu-
23 Therapieziele figsten die Echokardiographie eingesetzt, mit der die meist zu-
Folgende Punkte können zur Blutdrucktherapie des Älteren zu- grunde liegende diastolische Funktionsstörung nachgewiesen
sammengefasst werden: werden kann. Auch die Bestimmung der Serumkonzentration
23.4 · Das Altersherz als Krankheitsbegriff
461 23

natriuretischer Peptide (BNP, NT-proBNP) kann zur Diagnose- Therapie bei Herzinsuffizienz mit erhaltener
findung eingesetzt werden (Paulus et al. 2007). Ejektionsfraktion
Ältere Patienten mit HFNEF sind ähnlich stark beeinträchti- Große kontrolliert-randomisierte Therapiestudien zur HFNEF
gt wie solche mit systolischer Herzinsuffizienz. Bei älteren, zuvor sind rar und infolge sehr heterogener Einschlusskriterien und De-
hospitalisierten Patienten oder sehr alten Menschen ist auch die finitionen einer »normalen« EF nur eingeschränkt vergleichbar.
Mortalität mit derjenigen von Patienten mit systolischer Herzin- Im Unterschied zur HFREF gibt es für die HFNEF bislang keine
suffizienz vergleichbar. evidenzbasierte mortalitätssenkende Therapie. Die HFNEF wird
gegenwärtig symptomatisch und auf der Basis pathophysiolo-
Therapie bei Herzinsuffizienz mit reduzierter gischer Prinzipien mit Diuretika (zur Vorlassenkung bei pul-
Ejektionsfraktion monalvenöser Stauung), ACE-Hemmern und Angiotensin-II-Re-
Die meisten älteren Herzinsuffizienzpatienten aus dem klinischen zeptorantagonisten (zur Blutdruckeinstellung und Regression der
Alltag würden die Einschlusskriterien, wie sie für die großen, Myokardhypertrophie) sowie mit β-Rezeptorenblockern oder al-
randomisiert-kontrollierten Herzinsuffizienzstudien formuliert ternativ Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp (zur Bradykar-
worden sind, nicht erfüllen. Die Therapieempfehlungen für Äl- disierung und Verlängerung der Diastolendauer) behandelt. Sta-
tere basieren demnach auf Daten, die an jüngeren Patienten ge- tine zeigten in nichtrandomisierten Beobachtungsstudien prog-
wonnen wurden, oder aus Subgruppenanalysen mit entsprechend nostische Vorteile. Der Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus
kleinen Patientenzahlen. und damit der Vorhoffunktion kommt eine besondere Bedeutung
Für alle prognostisch relevanten Substanzgruppen, also für zur Normalisierung des pulmonalvenösen Druckes zu.
ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, β-Rezep-
torenblocker und Aldosteronantagonisten konnten in post hoc
durchgeführten Subgruppenanalysen für ältere Patienten (≥65– 23.3.7 Risikofaktorenkontrolle
75 Jahre) quantitativ vergleichbar günstige Effekte auf Morbidität
und Mortalität nachgewiesen werden wie für das Gesamtstudien- Ein wichtiger Risikofaktor zur Entwicklung einer KHKist eine
kollektiv (Kilter u. Böhm 2005). Die speziell für Patienten ab Erhöhung der Cholesterin- und LDL-Cholesterin-Serumkon-
70 Jahren konzipierte SENIORS-Studie bestätigte den prognosti- zentrationen. Es ist akzeptiert, dass eine Cholesterinsenkung bei
schen Nutzen einer β-Rezeptorenblocker-Therapie auch beim Individuen unter 65 Jahren sinnvoll ist, um das Auftreten einer
alten Herzinsuffizienzpatienten: Der kombinierte Endpunkt aus KHK zu verhindern.
Gesamtsterblichkeit und kardiovaskulär bedingter Krankenhaus- In der Praxis besteht einer größere Unsicherheit bei Pati-
einweisung wurde durch die Gabe des β-Rezeptorenblockers enten, die viel älter als 65 Jahre alt sind. Die Behandlung der Hy-
Nebivolol signifikant um 14% reduziert. In einer nichtpräspezifi- percholesterinämie ist außerdem von begleitenden Risikofak-
zierten Subgruppenanalyse von Patienten mit hochgradig einge- toren wie Nikotinabusus, bekannte Koronarkrankheit, arterielle
schränkter Pumpfunktion (EF≤35%) zeigte sich sogar eine Re- Hypertonie und Diabetes mellitus abhängig.
duktion der Sterblichkeit um 38%. Nach gesicherten Erkenntnissen profitieren auch Patienten
Die 7 Übersicht 23.2 fasst die wesentlichen Besonderheiten zwischen 65 und 80 Jahren, die mit einem »hohen Risiko«, ge-
der medikamentösen Therapie des älteren Menschen mit systo- messen an den Begleiterkrankungen, behaftet sind, von einer
lischer Herzinsuffizienz zusammen. Cholesterinsenkung bezüglich des Auftretens von Herzinfarkten
oder anderen Komplikationen einer Koronarkrankheit. Bei Pati-
enten, die älter als 80 Jahre sind, und insbesondere bei denen, die
Übersicht 23.2. Therapieempfehlungen zur Herzinsuffi- keine Begleiterkrankungen haben, liegen wenige Erkenntnisse
zienztherapie bei Älteren vor. Dementsprechend können hier keine Empfehlungen für eine
medikamentöse Therapie gegeben werden.
4 Grunsätzlich gelten die Leitlinienempfehlungen auch für
> Grundsätzlich gilt: Diätetische Maßnahmen sind der erste
ältere Patienten
Schritt, das Cholesterin zu senken. Eine Senkung des Blutdrucks,
4 Besonderheiten ergeben sich v. a. aus der im Alter einge-
ein Einstellen des Nikotinabusus und eine Behandlung des Dia-
schränkten Nierenfunktion
betes mellitus sind selbstverständlich notwendig.
4 Thiaziddiuretika sind weniger effektiv zur Behandlung
der Überwässerung Sollten diese Bemühungen ohne Erfolg sein, ist eine medika-
4 Bei additiver Gabe von Spironolacton oder Eplerenone mentöse Therapie z. B. mit den relativ nebenwirkungsarmen
zusätzlich zu ACE-Hemmern ist mit einem erhöhten Cholesterinsynthesehemmstoffen sinnvoll.
Risiko für Hyperkaliämien zu rechnen. Engmaschige Elek-
trolytkontrollen sind in diesem Fall erforderlich
4 Bei Digoxintherapie sind niedrige Serumkonzentrationen 23.4 Das Altersherz als Krankheitsbegriff
von 0,5–0,9 μg/l anzustreben. Höhere Konzentrationen
verschlechtern die Prognose! Das kardiovaskuläre Altern geht mit charakteristischen morpho-
4 Die Therapie mit β-Rezeptorenblockern und ACE-Hem- logischen, strukturellen und biochemischen Veränderungen ein-
mern muss v. a. im Alter mit niedrigen Dosen begonnen her, die zu einer physiologischen Abnahme der maximalen Leis-
und langsam gesteigert werden. Es gelten dieselben Ziel- tungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems führen. Diese alterns-
dosen wie in den großen Therapiestudien, eine Dosisan- bedingten Veränderungen allein sind nicht die Ursache der Herz-
passung bei renal eliminierten Substanzen ist jedoch insuffizienz im Alter, da sie auch bei subjektiv gesunden alten
häufiger erforderlich Menschen vorliegen. Allerdings engen die kardiovaskulären Al-
terungsprozesse die Kompensationsfähigkeit des Myokards ein,
462 Kapitel 23 · Das Herz im Alter

. Abb. 23.8. Homöostenosemodell des alternden Herzens. Die physio- tem jedoch vulnerabler für klassische Risikofaktoren und Dekompensa-
logische kardiovaskuläre Alterung (. Tab. 23.1 und 23.2) bedingt per se tionstrigger. Ca Kalzium
noch keine Krankheitserscheinungen. Sie macht das Herz-Kreislauf-Sys-

wenn Risikofaktoren, hämodynamische, ischämische und meta- Franklin SS, Gustin W 4th, Wong ND et al. (1997) Hemodynamic patterns of
bolische Belastungen oder Dekompensationstrigger auf das al- age-related changes in blood pressure. The Framingham Heart Study.
ternde Herz einwirken. Diese Reduktion physiologischer Reser- Circulation 96: 308–315
ven mit zunehmendem Alter bezeichnet man als Homöostenose. Iemitsu M, Maeda S, Jesmin S et al. (2006) Exercise training improves aging-
Sie senkt die Schwelle, die ein pathogener Faktor überschreiten induced downregulation of VEGF angiogenic signaling cascade in
hearts. Am J Physiol Heart Circ Physiol 291: H1290–H1298
muss, um eine Dekompensation oder eine Erkrankung hervor-
Jones SA, Boyett MR, Lancaster MK (2007) Declining into failure: the age-
zurufen (. Abb. 23.8). Es ist bemerkenswert, das wenigstens ein
dependent loss of the L-type calcium channel within the sinoatrial
Teil der alternsbedingten Veränderungen durch Lebensstilmodi- node. Circulation 115: 1183–1190
fikationen (körperliche Aktivität, kalorienarme Ernährung; Kilter H, Böhm M (2005) Systolic heart failure in the elderly. Dtsch Med
. Tab. 23.4) günstig beeinflusst werden kann. Als eine eigenstän- Wochenschr 130: 698–703
dige Erkrankung kann das Altersherz aufgrund dieser Betrach- Kirtane AJ, Piazza G, Murphy SA et al.; TIMI Study Group (2006) Correlates
tungen nicht gewertet werden. of bleeding events among moderate- to high-risk patients under-
going percutaneous coronary intervention and treated with eptifiba-
tide: observations from the PROTECT-TIMI-30 trial. J Am Coll Cardiol
47: 2374–2379
Literatur Kwak HB, Song W, Lawler JM (2006) Exercise training attenuates age-indu-
ced elevation in Bax/Bcl-2 ratio, apoptosis, and remodeling in the rat
Abete P, Calabrese C, Ferrara N et al. (2000) Exercise training restores heart. FASEB J 20: 791–793
ischemic preconditioning in the aging heart. J Am Coll Cardiol 36: Lakatta EG (2003) Arterial and cardiac aging: major shareholders in cardi-
643–650 ovascular disease enterprises: Part III: cellular and molecular clues to
Abete P, Testa G, Galizia G et al. (2005) Tandem action of exercise training heart and arterial aging. Circulation 107: 490–497
and food restriction completely preserves ischemic preconditioning Lakatta EG, Sollot SJ (2002) Perspectives on mammalian cardiovascular
in the aging heart. Exp Gerontol 40: 43–50 aging: humans to molecules (review). Comp Biochem Physiol A Mol
Amery A, Birkenhäger W, Brixko P et al. (1985) Mortality and morbidity re- Integr Physiol 132: 699–721
sults from the European Working Party on High Blood Pressure in the Lakatta EG, Levy D (2003a) Arterial and cardiac aging: major shareholders
Elderly trial. Lancet 1: 1349–1354 in cardiovascular disease enterprises: Part I: aging arteries: a »set up«
Arbab-Zadeh A, Dijk E, Prasad A et al. (2004) Effect of aging and physical for vascular disease. Circulation 107: 139–146
activity on left ventricular compliance. Circulation 110: 1799–805 Lakatta EG, Levy D (2003b) Arterial and cardiac aging: major shareholders
Baldi JC, McFarlane K, Oxenham HC et al. (2003) Left ventricular diastolic in cardiovascular disease enterprises: Part II: the aging heart in health:
filling and systolic function of young and older trained and untrained links to heart disease. Circulation 107: 346–354
men. J Appl Physiol 95: 2570–2575 Leosco D, Rengo G, Iaccarino G et al. (2007) Exercise training and
Balietti M, Fattoretti P, Skalicky M et al. (2005) The effect of chronic physical beta-blocker treatment ameliorate age-dependent impairment of
exercise on succinic dehydrogenase activity in the heart muscle of old beta-adrenergic receptor signaling and enhance cardiac respon-
23 rats. Biogerontology 6: 95–100 siveness to adrenergic stimulation. Am J Physiol Heart Circ Physiol
Dahlöf B, Lindholm LH, Hansson L et al. (1991) Morbidity and mortality in 293: H1596–H603
the Swedish Trial in Older Patients with Hypertension (STOP-Hyper- Liu L, Wang JG, Gong L et al. (1998) Comparison of active treatment and
tension). Lancet 338: 1281–1285 placebo in older Chinese patients with isolated systolic hypertension.
Literatur
463 23

Systolic Hypertension in China (Syst-China) Collaborative Group. J Staessen JA, Fagard R, Thijs L et al. (1997) Randomised double-blind com-
Hypertens 16: 1823–1829 parison of placebo and active treatment for older patients with isola-
Morley JE (2000) The aging athlete. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 55: M627– ted systolic hypertension. The Systolic Hypertension in Europe (Syst-
M629 Eur) Trial Investigators. Lancet 350: 757–764
Nikitin NP, Witte KK, Ingle L et al. (2005) Longitudinal myocardial dysfunc- Sugiura M, Hiraoka K, Ohkawa S (1976) Severity of coronary sclerosis in the
tion in healthy older subjects as a manifestation of cardiac ageing. Age aged: a pathological study in 968 consecutive autopsy cases. Jpn
Ageing 34: 343–349 Heart J 17: 471–478
Paulus WJ, Tschöpe C, Sanderson JE et al. (2007) How to diagnose diastolic Tanaka H, Dinenno FA, Monahan KD et al. (2000) Aging, habitual exercise,
heart failure: a consensus statement on the diagnosis of heart failure and dynamic arterial compliance. Circulation 102: 1270–1275
with normal left ventricular ejection fraction by the Heart Failure and Ueno LM, Moritani T (2003) Effects of long-term exercise training on car-
Echocardiography Associations of the European Society of Cardiolo- diac autonomic nervous activities and baroreflex sensitivity. Eur J
gy. Eur Heart J 28: 2539–2550 Appl Physiol 89: 109–114
Prasad A, Popovic ZB, Arbab-Zadeh A et al. (2007) The effects of aging and Veire NR van de, Backer J de, Ascoop AK et al. (2006) Echocardiographical-
physical activity on Doppler measures of diastolic function. Am J Car- ly estimated left ventricular end-diastolic and right ventricular systolic
diol 99: 1629–1236 pressure in normotensive healthy individuals. Int J Cardiovasc Ima-
Sack S, Kahlert P, Khandanpour S et al. (2006) Aortic valve stenosis: from ging 22: 633–641
valvuloplasty to percutaneous heart valve. Herz 31: 688–693 White H (2000) Thrombolytic therapy in the elderly. Lancet 356: 2028–
Spencer KT, Mor-Avi V, Gorcsan J 3rd et al. (2001) Effects of aging on left 2030
atrial reservoir, conduit, and booster pump function: a multi-instituti- Wilson TM, Tanaka H (2000) Meta-analysis of the age-associated decline in
on acoustic quantification study. Heart 85: 272–277 maximal aerobic capacity in men: relation to training status. Am J
Spirduso WW, Francis KL, MacRae PG (2005) Chapter 5: Muscular strength Physiol Heart Circ Physiol 278: H829–H834
and power. In: Spirduso WW, Francis KL, MacRae PG (eds) Physical di-
mensions of aging. Human Kinetics Publishers, Champaign, ISBN13:
9780736033152
465 24

Kardiale perioperative Risikobeurteilung


C. Maack, B. Cremers, M. Böhm

24.1 Wirtschaftliche und prognostische Aspekte – 465 24.3.3 Echokardiographie – 469


24.3.4 Nichtinvasive Stresstestung – 469
24.2 Risikoevaluation – 465 24.3.5 Koronarangiographie – 470
24.2.1 Lebensalter – 465
24.2.2 Operationsspezifische Risiken – 466 24.4 Therapeutische Optionen – 470
24.2.3 Koronare Herzkrankheit und Myokardinfarkt – 466 24.4.1 Koronare Revaskularisationen – 470
24.2.4 Chronische Herzinsuffizienz – 467 24.4.2 Medikamentöse Therapie – 472
24.2.5 Systemarterielle Hypertonie – 467
24.2.6 Herzklappenerkrankungen – 467 24.5 Praktisches Vorgehen zur perioperativen
24.2.7 Herzrhythmusstörungen – 468 Risikoevaluierung und -reduktion – 475

24.3 Diagnostik – 468 Literatur – 475


24.3.1 Anamnese und körperliche Untersuchung – 468
24.3.2 12-Kanal-Elektrokardiogramm – 469

)) men; dies war mit einer Kostenreduktion um fast 85% assoziiert.


Gleichzeitig wurde die perioperative Ereignisrate von 11 auf 4%
Das Ziel der perioperativen Risikoevaluation ist es, eine Redu- gesenkt (Froehlich et al. 2002). Zur Vermeidung unnötiger Kos-
ktion der perioperativen Morbidität und Sterblichkeit herbeizu- ten sollte daher auf eine leitlinienorientierte, rational begründete
führen. Voraussetzung hierfür ist eine möglichst präzise Identifi- und mit kostengünstigen Untersuchungen beginnende Diagnos-
zierung vorliegender Risikofaktoren, die sich aus den Erkrankun- tik Wert gelegt werden. Grundsätzlich sollten keine Untersu-
gen des Patienten und dem vorzunehmenden operativen Eingriff chungen angeordnet werden, die keine therapeutischen Konse-
ergeben. Jegliche präoperativen Maßnahmen zur Senkung des quenzen nach sich ziehen.
perioperativen Risikos sind nur dann angebracht, wenn sie auch
unabhängig von einer Operation zur Verbesserung der Prognose
oder der Morbidität des Patienten indiziert sind. Die periopera- 24.2 Risikoevaluation
tive Risikoevaluation setzt ein optimales Zusammenspiel zwi-
schen Chirurgen, Anästhesisten und Internisten voraus. Durch Einer der ersten kardialen Risikoindizes ist der 1977 von Gold-
gemeinsames Erarbeiten des Risikoprofils und perioperativer Be- man et al. entwickelte Index, der eine KHK, eine chronische
handlungsstrategien soll ein optimales kurz- und langfristiges Herzinsuffizienz, eine Aortenklappenstenose und den Umstand
Behandlungsergebnis erzielt werden. einer Notoperation als Hauptrisikofaktoren berücksichtigt. Doch
auch ventrikuläre Extrasystolie, ein fortgeschrittenes Lebensalter
(>70 Jahre) und ein schlechter Allgemeinzustand werden als (ge-
24.1 Wirtschaftliche und prognostische Aspekte ringere) Risikofaktoren in Betracht genommen. Das eher um-
ständliche Punktesystem des Goldman-Index und damit seine
In den vergangenen Jahren konnte durch neue Erkenntnisse gro- unzureichende Praktikabilität im klinischen Alltag führten zu
ßer klinischer Studien die perioperative Risikoevaluation mehr- einer Reihe von Studien, die eine Vereinfachung anstrebten. Eine
fach modifiziert und letztlich auch vereinfacht werden. Dies schlug durch Lee et al. (1999) vereinfachte Revision des Goldman-Index
sich in den sukzessiven Neuauflagen der Leitlinien der American identfizierte die in . Abb. 24.1 aufgelisteten Risikofaktoren als
Heart Association (AHA) und des American College of Cardiolo- unabhängige Prädiktoren eines erhöhten perioperativen Risikos.
gy (ACC) nieder. Das vorliegende Kapitel bezieht sich auf die neu- Patienten mit 2 oder 3 Risikofaktoren haben demnach ein Risiko
este Auflage dieser Leitlinien von 2007 (Fleisher et al. 2007). von 6,6 resp. 11,0% für kardiovaskuläre Komplikationen, wäh-
rend Patienten mit weniger als 2 Risikofaktoren ein Risiko von
> Durch leitliniengerechtes Vorgehen bei der perioperativen Risi-
<1% aufweisen. Dieser »revidierte kardiale Risikoindex« fand als
koevaluation können Kosten gesenkt und die Prognose der Pati-
einfach zu erhebender Risikoindex Eingang in die neueste Versi-
enten deutlich verbessert werden.
on der Leitlinien der AHA/ACC (Fleisher et al. 2007).
Froehlich et al. (2002) verglichen bei Patienten, die sich einer
abdominellen Aortenoperation unterzogen, die präoperativ auf-
gebrachten Kosten und auch die perioperative Ereignisrate (Tod 24.2.1 Lebensalter
und Myokardinfarkt) vor sowie nach Umsetzung einer früheren
Version der Leitlinien der AHA/ACC. Sie beobachteten, dass die Bei zunehmender Lebenserwartung der Bevölkerung nimmt
Zahlen der Myokardszintigraphien, der Herzkatheteruntersu- auch die Häufigkeit operativer Eingriffe bei älteren Menschen zu.
chungen und der koronaren Revaskularisationen deutlich abnah- Generell erleiden ältere Patienten häufiger kardiale und nichtkar-
466 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

24 . Tab. 24.1. Operationsspezifisches Risiko für nichtkardiale operative


Eingriffe
Risiko Art der Operation
Hoch Notfalloperationen
(meist Operationen an Aorta oder anderen größeren Gefäßen
>5%) Operationen an peripheren Gefäßen
Längere Eingriffe mit großen Flüssigkeitsverschie-
bungen/Blutverlust
Mittel A.-carotis-Endarterektomien
(1–5%) Operationen an Kopf und/oder Hals
Intraperitoneale und intrathorakale Eingriffe
Orthopädische Operationen
Prostataoperationen
Niedrig Endoskopische Eingriffe
(<1%) Oberflächliche Prozeduren
Kataraktoperationen
Mammaoperationen
Ambulante Eingriffe

tion dem Risiko überlegen ist. Hierbei ist auch die Konsultation
des Patienten selbst und seiner Familienangehörigen von beson-
. Abb. 24.1. Revidierter kardialer Risikoindex. Risikofaktoren: 1 Hochri- derer Bedeutung.
sikooperation, 2 KHK, 3 chronische Herzinsuffizienz, 4 zerebrovaskuläre
Erkrankung, 5 insulinabhängiger Diabetes mellitus, 6 Serumkreatinin-
spiegel >177 μg/l. (Nach Lee et al.1999) 24.2.2 Operationsspezifische Risiken

Operationsspezifische Faktoren üben einen wichtigen Einfluss


diale perioperative Komplikationen als jüngere. Die Hauptursa- auf die Häufigkeit kardialer Komplikationen aus. In . Tab. 24.1 ist
che für fatale Komplikationen ist das Vorliegen kardiovaskulärer die Klassifizierung von Operationen in solche mit hohem, mitt-
Erkrankungen, deren Prävalenz mit zunehmendem Alter deut- lerem und niedrigem Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen
lich ansteigt. Im Alter von 40 Jahren entwickeln jeder zweite gemäß den Richtlinien der AHA/ACC gegeben.
Mann und jede dritte Frau eine KHK im Laufe des restlichen Bei Notfalloperationen steigt das Risiko kardialer Komplika-
Lebens. Die Sterblichkeit eines akuten Myokardinfarkts steigt tionen um das 2- bis 5-Fache. Dies ist in erster Linie darauf zu-
ebenfalls mit dem Alter an, und intra- oder perioperative Infarkte rückzuführen, dass in der Kürze der Zeit bis zur Operation keine
sind bei älteren Patienten mit einer höheren Sterblichkeit verbun- hinreichende perioperative Risikoevaluation und ggf. -reduktion
den als bei jüngeren (Fleisher et al. 2007). durchgeführt werden können. Operationen an Aorta und großen
Aber auch nichtkardiale Komplikationen spielen bei älteren Gefäßen bergen ebenfalls ein hohes Risiko. Dies erklärt sich durch
Menschen eine wichtige Rolle. In einer prospektiven Kohortenstu- die hohe Koinzidenz einer KHK bei Patienten mit vaskulären,
die an über 4000 Patienten wurde ein fortgeschrittenes Alter als meist atherosklerotisch bedingten Erkrankungen. Ähnliches gilt
unabhängiger Risikofaktor für kardiale und nichtkardiale Kompli- für das erhöhte kardiale Risiko bei Vorliegen einer Niereninsuffi-
kationen identifiziert. Patienten über 70 Jahre hatten ein etwa 2- zienz oder eines stattgehabten Schlaganfalls (. Abb. 24.1), da die-
fach erhöhtes Risiko gegenüber Patienten im Alter von 50–59 Jah- se beiden Krankheitsbilder auch häufig atherosklerotisch bedingt
ren. Dies war in jener Studie auf einen deutlichen Anstieg der sind. Schließlich hat das Ausmaß des operativen Eingriffs einen
nichtkardialen Komplikationen zurückzuführen. Hierbei handelte entscheidenden Einfluss auf das kardiale Risiko.
es sich in erster Linie um pulmonale Komplikationen (Lungen-
> Operationen von langer Dauer, mit ausgeprägten Flüssigkeits-
embolie, nichtkardiale Lungenödeme, Lobärpneumonie, postope-
verschiebungen oder Blutverlusten bergen ein hohes kardiovas-
rative Beatmung für mehr als 2 Tage oder Reintubation), aber auch
kuläres Risiko, weil diese durch Blutdruckschwankungen zu kri-
um dialysepflichtige Niereninsuffizienz und zerebrovaskuläre In-
tischen koronaren, zerebralen oder renalen Durchblutungssitu-
sulte mit neurologischem Defizit. Darüber hinaus war bei der äl-
ationen führen können.
testen Gruppe die postoperative Krankenhausverweildauer um
mehr als einen Tag länger als bei der jüngsten Gruppe. Diese Daten
verdeutlichen, dass bei der präoperativen Risikoevaluation des al-
ten Patienten neben kardiovaskulären insbesondere auch pulmo- 24.2.3 Koronare Herzkrankheit und
nale und renale Faktoren berücksichtigt werden sollten. Myokardinfarkt
> Ein fortgeschrittenes Lebensalter ist an sich kein Grund, eine be-
Die schwerwiegendste perioperative Komplikation ist ein Myo-
stimmte Operation nicht durchzuführen.
kardinfarkt, der die Letalitätsrate einer Operation auf etwa 50%
Es sollte für jeden Patienten individuell aufgrund seines gesam- anheben kann. Auch ein bereits durchgemachter Herzinfarkt er-
ten Risikoprofils entschieden werden, ob der Nutzen der Opera- höht das perioperative Risiko. Die perioperative Sterblichkeit ist
24.2 · Risikoevaluation
467 24

um das 6-Fache erhöht, wenn innerhalb der ersten 3 Monate ein derte Belastungstoleranz oder eine LVEF <35% sind Prädiktoren
operativer Eingriff durchgeführt wird. Die häufigste Ursache für kardiovaskulärer Komplikationen.
das Auftreten eines perioperativen Myokardinfarkts ist die koro-
> Da die Prävalenz der Herzinsuffizienz mit dem Alter exponenzi-
nare Plaqueruptur, die die Formation eines Thrombus und somit
ell zunimmt, sollten die präoperative Anamnese und die körper-
den Verschluss des Gefäßes verursacht.
liche Untersuchung insbesondere bei älteren Patienten darauf
Folgende Faktoren begünstigen eine perioperative Plaque-
ausgerichtet sein, eine bisher unbekannte Herzinsuffizienz zu
ruptur mit konsekutiver Thrombusformation:
identifizieren.
4 Zytokinfreisetzung,
4 Katecholaminstress mit hämodynamischer Konsequenz, Wenn möglich, sollte hierbei (und durch ggf. weiterführende
4 Vasospasmus, Diagnostik) auch die zugrunde liegende Ursache der Herzinsuf-
4 reduzierte fibrinolytische Aktivität und fizienz erkannt werden. Eine Herzinsuffizienz auf dem Boden
4 Plättchenaktivierung mit konsekutiver Hyperkoagulabilität. eines langjährigen Hypertonus birgt beispielsweise ein geringe-
res Risiko als eine Herzinsuffizienz auf dem Boden einer KHK
> Das entscheidende Kriterium nach einem Myokardinfarkt ist, ob
(Fleisher et al. 2007).
nach dem Infarkt noch weiterhin Ischämien vorliegen.

Wenn dies nicht der Fall ist (z. B. nach erfolgreicher Revaskulari-
sierung), kann eine elektive Operation bereits 4–6 Wochen nach 24.2.5 Systemarterielle Hypertonie
dem Infarkt durchgeführt werden (7 Abschn. 24.4). Hierdurch
wird der zeitliche Abstand zum Infarkt als traditionelles Kriteri- Das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie im Stadium 1 oder 2
um (Operationen erst 3 oder 6 Monate nach einem Infarkt) in (systolischer Blutdruck <180 mmHg und diastolischer Blutdruck
den neueren Leitlinien zugunsten hämodynamischer Kriterien <110 mmHg) ist kein unabhängiger Risikofaktor für periopera-
relativiert (Goldman et al. 1977; Fleisher et al. 2007). tive kardiovaskuläre Komplikationen (Fleisher et al. 2007). Aller-
Insbesondere in der frühen postoperativen Phase ist die Inzi- dings ist eine Hypertonie in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:
denz myokardialer Ischämien ein wichtiger Prädiktor für periope- Zum einen ist sie ursächlich eng mit dem Vorliegen einer KHK
rative Komplikationen. Elektrokardiographisch festgestellte ST- verknüpft. Zum anderen prädisponieren perioperative hyperten-
Strecken-Veränderungen werden bei etwa jedem dritten Patienten sive Phasen zu myokardialen Ischämien. Da perioperative Ischä-
beobachtet, der sich einem gefäßoperativen Eingriff unterzieht, mien ein Prädiktor für kardiovaskuläre Komplikationen sind, ist
und sind mit einem 9- bis 16-fach erhöhten Risiko behaftet, einen die effektive Behandlung einer Hypertonie zur perioperativen
Myokardinfarkt zu erleiden. Postoperativ erhöhte Plasmakonzent- Risikoreduktion essenziell. Das präoperative Absetzen antihy-
rationen von TnI als Zeichen einer Ischämie erhöhen das Risiko pertensiver Medikamente kann ungünstige Auswirkungen auf
eines Infarkts 27-fach und die Sechsmonatssterblichkeit 6-fach. das Herz-Kreislauf-System haben.
Bei Patienten, die postoperativ eine erhöhte TnI-Konzentration
! Cave
aufweisen, wurden an den ersten 3 postoperativen Tagen erhöhte
Insbesondere das Absetzen von β-Rezeptorenblockern sollte
Plasmakonzentrationen von Adrenalin und Noradrenalin sowie
wegen der Möglichkeit eines »Rebound-Phänomens« mit einer
erhöhte Herzfrequenzen festgestellt. Dies verdeutlicht, dass in der
gesteigerten β-adrenergen Stimulierbarkeit vermieden werden.
intra- und der postoperativen Phase schmerzbedingte sympa-
thische Aktivierungen einen Herzfrequenzanstieg verursachen, Dessen Auswirkungen auf die myokardiale Chronotropie und
der bei Vorliegen kritischer Koronarstenosen durch eine Erhö- Inotropie können das Auftreten von Ischämien begünstigen.
hung des myokardialen Sauerstoffbedarfs bei gleichzeitiger Ver-
kürzung der Diastolendauer (und somit Verminderung der koro-
naren Perfusion) eine Ischämie hervorrufen kann. Doch auch 24.2.6 Herzklappenerkrankungen
Hypotonien, die eine temporäre Verschlechterung der koronaren
Perfusion bedingen, sind von Bedeutung. Blutdruckschwankungen Die Aortenstenose ist die häufigste Herzklappenerkrankung und
treten insbesondere bei größeren abdominellen und thorakalen liegt bei 2–9% aller Erwachsenen über 65 Jahren vor. Die Prävalenz
Eingriffen oder solchen mit hohem Blutverlust auf und erklären steigt mit zunehmendem Alter und ist bei Männern höher als bei
somit das erhöhte Risiko dieser Operationen (. Tab. 24.1). Frauen. Das Vorliegen einer Aortenstenose allein birgt ein 5-fach
erhöhtes Risiko für perioperative Komplikationen, und der Schwere-
> Die präoperative Identifizierung kritischer Koronarstenosen ist
grad der Stenose korreliert mit dem perioperativen Risiko.
von enormer Wichtigkeit, und das oberste Ziel der periopera-
tiven therapeutischen Maßnahmen ist die Vermeidung myokar- > Es wird empfohlen, bei Vorliegen einer hochgradigen Aorten-
dialer Ischämie durch medikamentöse, interventionelle oder stenose eine operative Sanierung vor der elektiven nichtkardi-
operative Maßnahmen. alen Operation anzustreben (Fleisher et al. 2007).

Angesichts der alternden Gesamtbevölkerung ist hervorzuheben,


dass ein Aortenklappenersatz Prognose, Symptomatik und Le-
24.2.4 Chronische Herzinsuffizienz bensqualität auch bei Patienten >75 oder 80 Jahre deutlich ver-
bessert. Bei Patienten, bei denen Komorbiditäten ein zu hohes
Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz haben ein er- Risiko für einen operativen Aortenklappenersatz bedingen, kann
höhtes perioperatives Risiko. Goldman et al. (1977) beschrieben alternativ eine perkutane Ballonvalvuloplastie der Aortenklappe
bereits das Vorliegen eines dritten Herztons oder einer Jugular- in Erwägung gezogen werden.
venenstauung als wichtige Risikofaktoren für perioperative Kom- Eine Mitralstenose ist ein eher seltenes Vitium. Bei leicht-
plikationen. Aber auch pulmonalalveoläre Ödeme, eine vermin- oder mittelgradiger Mitralstenose muss nicht unbedingt eine
468 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

operative Sanierung vor einer elektiven nichtkardialen Operation 24.3 Diagnostik


24 angestrebt werden.
Die Kernfragen, die bei der präoperativen Diagnostik geklärt
! Cave
werden sollten, sind:
Perioperativ ist auf eine enge Herzfrequenzkontrolle zu achten,
4 Wie groß ist bei Vorliegen einer KHK die Myokardmasse, die
da Tachykardien durch eine Verkürzung der diastolischen Fül-
gefährdet ist?
lungszeit eine pulmonalvenöse Stauung provozieren.
4 Wie hoch ist bei Vorliegen einer KHK die ischämische
Eine hochgradige Mitralstenose sollte operiert werden, wenn dies Schwelle, d. h., das Ausmaß der Belastung, die eine Ischämie
unabhängig von der nichtkardialen Operation eine Verbesserung auslöst?
der Gesamtprognose darstellt. Insbesondere vor nichtkardialen 4 Wie ist die LV-Funktion des Patienten?
Hochrisikoeingriffen profitieren Patienten von einer operativen 4 Wird der Patient optimal medikamentös therapiert?
oder auch interventionellen Sanierung der Stenose.
Herzklappeninsuffizienzen (insbesondere Aorten- und Mi-
tralinsuffizienz) werden perioperativ generell besser toleriert als 24.3.1 Anamnese und körperliche Untersuchung
Stenosen und können daher präoperativ in der Regel medika-
mentös stabilisiert werden und ggf. nach der nichtkardialen Ope- Die Anamnese sollte darauf ausgerichtet sein, Patienten mit er-
ration saniert werden. höhtem kardialen Risiko zu identifizieren. Dabei sollten insbe-
sondere die in . Tab. 24.2 aufgelisteten akuten kardialen Krank-
! Cave
heitsprozesse, aber auch die in . Abb. 24.1 dargestellten Risiko-
Patienten mit Klappeninsuffizienzen sollten im Gegensatz zu Pa-
faktoren berücksichtigt werden. Bei Vorliegen eines der in
tienten mit Klappenstenosen keine maximal mögliche Herzfre-
. Tab. 24.2 aufgelisteten akuten kardialen Krankheitsbilder sollte
quenzreduktion erfahren, da dies das Regurgitationsvolumen
eine elektive Operation zunächst zurückgestellt werden (7 Ab-
erhöhen würde.
schn. 24.4 und . Abb. 24.6).
Eine Senkung von Vor- und Nachlast (durch Diuretika und ggf. Ist eine kardiale Erkrankung bereits bekannt, ist der aktuelle
Vasodilatatoren) wirkt sich hämodynamisch günstig aus. Bei Pa- Verlauf mit ggf. Verschlechterung der Symptome von besonderem
tienten mit Mitralinsuffizienz ist zu beachten, dass die ermittelte Interesse. Es sollte auch eruiert werden, ob der Patient Träger eines
LVEF die tatsächliche LV-Funktion überschätzen kann. Da Mi- Schrittmachersystems oder eines AICD ist. Zum einen hilft dies bei
tralvitien häufig mit Vorhofflimmern assoziiert sind, ist auf eine der Eruierung bereits bekannter kardialer Erkrankungen. Darüber
überlappende Therapie mit Heparin oder niedermolekularen hinaus hat es auch Konsequenzen für die geplante Operation.
Heparinen zu achten. Gleiches gilt für Patienten mit mecha-
nischen Klappenersätzen. Für alle Vitien und Klappenersätze gilt, ! Cave
dass durch intraoperative Bakteriämie das Risiko für eine Endo- Intraoperative Störeinflüsse (insbesondere die Verwendung
karditis erhöht ist und daher eine antibiotische Prophylaxe auch elektrischer Kauter) können inadäquate AICD-Auslösungen oder
schon bei kleineren Eingriffen erfolgen sollte (7 Kap. 15). Schrittmacherfehlfunktionen provozieren.

24.2.7 Herzrhythmusstörungen . Tab. 24.2. Akute kardiale Krankheitsprozesse, die einer weiteren
Evaluierung und Behandlung vor einer nichtkardialen Operation be-
dürfen
Sowohl supraventrikuläre als auch ventrikuläre Herzrhythmus-
störungen stellen unabhängige Risikofaktoren für perioperative Krankheitsprozess Beispiele
koronare Ereignisse dar. Sie sind häufig ein Indikator für andere Instabile koronare Instabile oder schwere Angina pectoris
zugrunde liegende kardiovaskuläre Erkrankungen, Elektrolytstö- Syndrome (CCS III–IV)
rungen oder Medikamentennebenwirkungen. Ätiologisch müs- Kürzlich durchgemachter Myokardinfarkt
sen daher insbesondere chronische Herzinsuffizienz, KHK, Klap- Chronische Herz- Dekompensiert, NYHA-Klasse IV
penvitien, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Alkoholanamnese, insuffizienz Sich verschlechternde oder erstmalig aufge-
Elektrolytstörungen und evtl. auslösende Medikamente (Herz- tretene Herzinsuffizienz
glykoside, Katecholamine, Inodilatatoren, trizyklische Antide- Bedeutsame AV-Blöcke (II. Grades, Typ Mobitz, III. Grades)
pressiva, Lithium, Antiarrhythmika, Neuroleptika etc.) abgeklärt Arrhythmien Symptomatische ventrikuläre Arrythmien
werden. Die Therapie sollte sich in erster Linie auf die Beseiti- Supraventrikuläre Arrhythmien (einschließlich
gung der zugrunde liegenden Ursache richten. VHF) mit unkontrollierter ventrikulärer HF
>100/min
> Bei Patienten mit supraventrikulären und auch ventrikulären Symptomatische Bradykardien
Tachyarrythmien empfiehlt sich der frühzeitige Einsatz eines Neu diagnostizierte ventrikuläre Tachykardien
β-Rezeptorenblockers.
Schwere Herzklap- Schwere Aortenstenose (mittlerer Gradient
Das perioperative Auftreten höhergradiger Leitungsblöcke (z. B. penerkrankungen >40 mmHg, AÖF <1 cm2 oder symptomatisch)
AV-Block III. Grades) erhöht das perioperative Risiko und erfordert Symptomatische Mitralstenose (progressive
Belastungsdyspnoe, Belastungspräsynkope,
das Einbringen eines temporären oder eines permanenten Schritt-
Herzinsuffizienz)
machersystems. Patienten mit asymptomatischen intraventrikulären
Leitungsverzögerungen (z. B. Rechts- und Linksschenkelblock) CCS Canadian Coronary Score, NYHA New York Heart Association, AV
ohne eine Anamnese eines höhergradigen Blockbildes zeigen peri- atrioventrikular, VHF Vorhofflimmern, HF Herzfrequenz, AÖF Aortenöff-
nungsfläche.
operativ selten einen Progress in ein komplettes Blockbild.
24.3 · Diagnostik
469 24

. Abb. 24.2. Geschätzter Energieaufwand für verschie-


dene Alltagsaktivitäten. MET metabolische Äquivalente

Ein AICD sollte daher intraoperativ abgeschaltet und ein Schritt- pnoe unklarer Ursache und bei Patienten mit bekannter Herzin-
machersystem in einen asynchronen Modus umprogrammiert suffizienz, die in der letzten Zeit eine Verschlechterung ihrer
werden (z. B. VOO oder DOO; Fleisher et al. 2007). Symptomatik erfahren haben, erfolgen (insbesondere, wenn keine
Eine wichtige Aufgabe der Anamnese ist, die funktionelle Evaluation innerhalb der letzten 12 Monate vorgenommen wur-
Kapazität des Patienten einzuschätzen; die Quantifizierung er- de). Eine erneute Erhebung der LV-Funktion bei klinisch stabilen
folgt durch MET. Die Fähigkeit des Patienten, das in . Abb. 24.2 Patienten mit Herzinsuffizienz ist jedoch nicht notwendig. Schon
aufgeführte Spektrum an alltäglichen Tätigkeiten auszuüben, gar nicht sollte die Echokardiographie als »Routineuntersuchung«
korreliert gut mit der maximalen Sauerstoffaufnahme während vor nichtkardialen Operationen durchgeführt werden. Alternativ
einer Spiroergometrie. In der präoperativen Entscheidungsfin- zur Echokardiographie kann eine Radionuklidventrikulographie
dung hängt das Vorgehen von der funktionellen Kapazität des oder eine Kontrastventrikulographie während der Herzkatheter-
Patienten ab. Ein wichtiger Scheidepunkt ist hierbei die Eintei- untersuchung zur Bestimmung der LV-Funktion durchgeführt
lung der Patienten in solche mit weniger oder mehr als 4 MET werden. Neben der Erhebung der LV-Funktion eignet sich die
(7 Abschn. 24.5 und . Abb. 24.6). Echokardiographie zur Diagnostik von Vitien, ggf. auch als TEE.
> Die körperliche Untersuchung sollte neben der Erhebung der Vi-
talzeichen (Blutdruck an beiden Armen) die Auskultation der
24.3.4 Nichtinvasive Stresstestung
Lunge und des Herzens, Palpation des Abdomens und der Un-
tersuchung der Extremitäten nach Ödemen und vaskulärer Inte-
> Die Hauptaufgabe der nichtinvasiven Stresstestung ist es, die
grität beinhalten.
funktionelle Kapazität eines Patienten zu erfassen, bedeutsame
Der geübte Untersucher wird allein durch die generelle Erschei- myokardiale Ischämien und kardiale Arrhythmien zu demaskie-
nung des Patienten (Zyanose, Blässe, Dyspnoe während der Un- ren und somit das perioperative Risiko, aber auch die Gesamt-
terhaltung, schlechter oder adipöser Ernährungszustand etc.) prognose des Patienten abzuschätzen.
wertvolle Hinweise auf dessen Verfassung und eine evtl. zugrun-
de liegende kardiale Erkrankung gewinnen können. Allein durch Hierzu können ein Belastungs-EKG und auch pharmakologische
Anamnese, körperliche Untersuchung und Erhebung einfacher Stresstestungen wie die DSE oder die Myokardperfusionsszinti-
laborchemischer Parameter gelingt in der Regel eine zuverlässige grahie mit Thallium-201 und Technetium-99m nach Applikation
Beurteilung des kardialen Risikos (. Abb. 24.1). von Dipyrimadol/Adenosin durchgeführt werden.
Die Sensitivität des Belastungs-EKG ist vom Ausmaß und
von der Anzahl der Koronarstenosen abhängig. Etwa 50% der
24.3.2 12-Kanal-Elektrokardiogramm Patienten mit koronarer Eingefäßerkrankung können ein norma-
les Belastungs-EKG haben, während die Sensitivität für eine ko-
Ein 12-Kanal-EKG sollte bei allen Patienten durchgeführt wer- ronare Mehr- und Dreigefäßerkrankung bei 81 resp. 86% liegt
den, die sich einem gefäßchirurgischen Eingriff (hohes Risiko; (Spezifität 66 resp. 53%). Bei Patienten, die aus orthopädischen
. Tab. 24.1) unterziehen. Vor Operationen mit intermediärem oder anderen Gründen keine Fahrrad- (oder Handkurbel-)Ergo-
Risiko sollte ein Ruhe-EKG erhoben werden, wenn der Patient metrie bewältigen können, aber auch bei Patienten mit Schenkel-
mindestens einen Risikofaktor aufweist (. Abb. 24.1). Bei asymp- blockbildern, eignet sich eher die pharmakologische Stresstes-
tomatischen Patienten, die sich einem Eingriff mit niedrigem tung. Der Vorteil des Belastungs-EKG gegenüber der pharmako-
Risiko unterziehen, ist kein EKG notwendig. logischen Stresstestung ist, dass Ersteres neben der Ischämiedi-
agnostik auch die Einschätzung der funktionellen Kapazität des
Patienten erlaubt.
24.3.3 Echokardiographie
> Sowohl die Myokardperfusionsszintigraphie als auch die DSE
Die Echokardiographie ist eine geeignete Methode zur Bestim- haben eine hohe Sensibilität und Spezifität zur Identifizierung
mung der LV-Funktion. Diese sollte bei allen Patienten mit Dys- myokardialer Ischämien.
470 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

Während die Perfusionsszintigraphie eine myokardiale Hypoper- scheiden. Klasse-I-Empfehlungen zur koronaren Revaskularisa-
24 fusion identifiziert, detektiert die Stressechokardiographie diese tion vor einer nichtkardialen Operation werden für die in der
erst bei Eintreten einer konsekutiven systolischen Dysfunktion. 7 Übersicht 24.2 beschriebenen Patienten ausgesprochen.
Dies erklärt die leicht höhere Sensitivität der Szintigraphie gegen-
über der Echokardiographie (84 vs. 80%). Auf der anderen Seite
besitzt die Stressechokardiographie eine leicht höhere Spezifität Übersicht 24.2. Klasse-I-Empfehlungen zur koronaren
gegenüber der Myokardszintigraphie (86 vs. 77%). Bei Patienten Revaskularisation vor einer nichtkardialen Operation
mit suboptimaler endokardialer Kontrastierung in der DSE kön-
nen i.v.-Kontrastmittel zur Verbesserung der Bildqualität ver- 4 Patienten mit akutem STEMI oder NSTEMI
wendet werden. 4 Patienten mit instabiler Angina pectoris
Situationen, in denen die nichtinvasive Stresstestung sinnvoll 4 Patienten mit stabiler Angina pectoris und
bzw. nicht sinnvoll ist, sind in 7 Übersicht 24.1 zusammenge- 4 Hauptstammstenose
fasst. 4 koronarer Dreigefäßerkrankung, insbesondere mit einer
LVEF <50%
4 koronarer Zweigefäßerkrankung mit proximaler LAD-Ste-
Übersicht 24.1. Nichtinvasive Stresstestung nose, wenn die LVEF <50% ist oder ein Ischämienachweis
durch eine nichtinvasive Testung erfolgt ist
Eine nichtinvasive Stresstestung ist bei folgenden
Patienten indiziert (. Abb. 24.6)
4 Patienten mit aktiven kardialen Krankheitsprozessen Bei Patienten, bei denen eine PCI die Linderung kardialer Symp-
(. Tab. 24.2) tome ermöglicht und die sich innerhalb der folgenden 12 Monate
4 Patienten mit mindestens einem klinischen Risikofaktor einer nichtkardialen Operation unterziehen müssen, ist eine
(. Abb. 24.1), die sich einer Gefäßoperation unterziehen PTCA oder eine BMS-Implantation wahrscheinlich sinnvoll
4 Patienten mit mindestens einem klinischen Risikofaktor (Klasse-IIa-Empfehlung). Der Vorteil einer präoperativen koro-
(. Abb. 24.1) und einer schlechten funktionellen Kapazi- naren Revaskularisation bei Hochrisikopatienten mit patholo-
tät (<4 MET; . Abb. 24.2), die sich einer nichtkardialen gischer DSE und Wandbewegungsstörungen in mindestens
Operation mit intermediärem Risiko unterziehen 5 Segmenten (Poldermans et al. 2007) sowie bei Niedrigrisikopa-
(. Tab. 24.1) tienten mit pathologischer DSE in 1–4 Segmenten ist nicht gesi-
Bei folgenden Patienten ist die nichtinvasive chert (Klasse-IIb-Empfehlung). Eine generelle prophylaktische
Stresstestung nicht indiziert Revaskularisation vor nichtkardialer Operation bei Patienten mit
4 Patienten ohne klinische Risikofaktoren (. Abb. 24.1), die stabiler KHK ist nicht sinnvoll (McFalls et al. 2004).
sich einer nichtkardialen Operation mit intermediärem
Risiko unterziehen (. Tab. 24.1) > Generell ist es das Ziel sämtlicher präoperativer Maßnahmen,
4 Alle Patienten, die sich einer Operation mit geringem Ri- den Patienten im Hinblick auf seine kardiale Langzeitprognose
siko unterziehen (. Tab. 24.1). zu behandeln, und ihn nicht einfach nur durch die nichtkardiale
Operation «hindurchzubringen”.

Ergibt sich aus der nichtinvasiven Stresstestung der Verdacht auf Die mittlerweile eher zurückhaltenden Empfehlungen zur prä-
eine höhergradige KHK, so empfiehlt sich je nach Schweregrad operativen Revaskularisierung basieren auf neueren Studien, in
der Ischämien eine definitive Abklärung mit Option auf thera- denen durch β-Blockade bereits eine deutliche Reduktion des
peutische Intervention mithilfe der Koronarangiographie. perioperativen Risikos herbeigeführt werden konnte. Diese Pati-
enten profitierten häufig nicht mehr zusätzlich von einer präope-
rativen Revaskularisation (7 Abschn. 24.4.2). Darüber hinaus ist
24.3.5 Koronarangiographie pathophysiologisch weniger das Ausmaß einer Koronarstenose,
sondern eher die Plaquestabilität für das Auftreten einer Koro-
Die Koronarangiographie stellt nach wie vor den Goldstandard narthrombose bzw. eines Myokardinfarkts ausschlaggebend, so-
zur Diagnose einer KHK dar. Darüber hinaus liefert sie wichtige dass die alleinige Beseitigung von Koronarstenosen nicht unbe-
Informationen hinsichtlich LVEF und Klappenfunktionen. dingt das Risiko für perioperative Ischämien reduziert.
Schließlich bietet sich bei Vorliegen einer oder mehrerer Koro-
narstenosen die Möglichkeit zur therapeutischen Intervention Aortokoronare Bypassoperation
durch Angioplastie und/oder Stent-Implantation. Für eine operative Revaskularisierung vor einem nichtkardialen
Eingriff gelten generell die gleichen Indikationen wie für eine
elektive ACB-Operation: Im Allgemeinen sind dies Patienten mit
24.4 Therapeutische Optionen Hauptstammstenose, Patienten mit koronarer Dreigefäßerkran-
kung, Patienten mit Zweigefäßerkrankung, bei denen der proxi-
24.4.1 Koronare Revaskularisationen male R. interventricularis anterior betroffen ist, und solche Pati-
enten, bei denen eine medikamentös oder interventionell nicht
Eine koronare Revaskularisation kann prinzipiell durch eine PCI hinreichend zu behandelnde koronare Ischämie vorliegt (Eagle et
mit oder ohne Stent-Implantation oder durch eine ACB erfolgen. al. 2004).
Bei Stent-Implantationen sind konventionelle Metal-Stents Die Empfehlungen der AHA/ACC basierten lange auf retros-
(BMS) von medikamentenbeschichteten Stents (DES) zu unter- pektiven Kohortenstudien an Patienten, die sich erst relativ lange
24.4 · Therapeutische Optionen
471 24

Zeit nach erfolgreicher ACB einer nichtkardialen Operation un-


terzogen. In der CASS-Studie hatten Patienten mit KHK, die sich
einer nichtkardialen Operation mit hohem Risiko unterzogen
(abdominale, vaskuläre, thorakale sowie Kopf- und Halsoperati-
onen), nach 10 Jahren ein besseres Überleben im Vergleich zu
rein medikamentös behandelten Patienten, wenn sie (im Schnitt
4 Jahre) vor der nichtkardialen Operation durch eine ACB revas-
kularisiert worden waren (Eagle et al. 1997). Die Prognoseverbes-
serung durch ACB war besonders bei Mehrgefäßerkrankungen
und fortgeschrittener Angina bedeutsam. Patienten mit gerin-
gem Operationsrisiko profitierten nicht von der ACB. Der Nach-
teil solcher retrospektiven Analysen ist jedoch, dass hierbei nicht
das Risiko der zeitlichen Verschiebung der eigentlich geplanten
nichtkardialen Operation durch die vorgenommenen Revaskula-
risationsmaßnahmen einkalkuliert wird.
Die erste größere, prospektiv randomisierte Studie zu diesem . Abb. 24.3. Kaplan-Meier-Überlebenskurve nach nichtkardialer Ope-
Thema war die CARP-Studie, in der Patienten mit erhöhtem kar- ration mit oder ohne vorherige Revaskularisation. (Nach den Daten der
diovaskulären Risiko (mindestens 2 Risikofaktoren im Sinne des CARP-Studie; McFalls et al. 2004)
revidierten kardialen Risikoindex; . Abb. 24.1) und mindestens
einer koronaren Eingefäßerkrankung vor einer größeren Gefäß-
operation entweder einer Revaskularisierung (operativ 41%, in- tienten wurden 386 einer DSE unterzogen, und 384 wurden so-
terventionell 59%) oder einer rein medikamentösen Therapie fort der geplanten Gefäßoperation ohne vorherige Testung zuge-
zugeführt wurden (McFalls et al. 2004). Die Revaskularisierung führt. Von den getesteten Patienten hatten 287 keine myokardialen
verzögerte die eigentlich geplante vaskuläre Operation um Ischämien, 65 Betroffene hatten Ischämien in 1–4 Segmenten,
36 Tage, führte allerdings zu keiner Reduktion der Dreijahres- und 34 Patienten zeigten Ischämien in mindestens 5 Segmenten.
sterblichkeit (. Abb. 24.3) oder der Häufigkeit perioperativer Von Letzteren wurden 12 revaskularisiert (10 PCI, 2 ACB). Die
Myokardinfarkte. Auch in Hochrisikogruppen [z. B. Patienten Testung verzögerte die eigentlich geplante Operation um ca.
mit (Ruhe-)Angina pectoris, positivem Stresstest oder koronarer 3 Wochen. Einer der 12 revaskularisierten Patienten verstarb
Dreigefäßerkrankung mit LV-Dysfunktion] wurde kein Überle- noch vor der geplanten Operation an einem rupturierten Aorten-
bensvorteil durch die Revaskularisierung beobachtet. Im Ver- aneurysma.
gleich zur CASS-Studie, deren Patientenrekrutierung etwa Die Daten dieser jüngsten Studien stellen somit sowohl die
25 Jahre früher stattfand, war in der CARP-Studie der überwie- präoperative Testung als auch die anschließende Revaskularisie-
gende Teil der Patienten beider Gruppen (ca. 70–80%) mit β- rung bei Patienten mit intermediärem Risiko infrage, wenn die
Rezeptorenblockern und Statinen behandelt worden. Diese Da- Patienten mit einem β-Rezeptorenblocker behandelt werden,
ten begründen, warum eine rein prophylaktische Revaskularisie- und erklären die zurückhaltenden Empfehlungen der AHA/ACC
rung bei Patienten mit stabilen kardialen Symptomen nicht emp- zur präoperativen Revaskularisierung (7 Abschn. 24.4.1; Empfeh-
fohlen wird. lungsgrad IIb; Fleisher et al. 2007).
In einer Subgruppenanalyse der CARP-Studie wiesen Pati-
enten, die interventionell revaskularisiert wurden, ein höheres Perkutane Koronarintervention
Risiko für einen perioperativen Myokardinfarkt auf als operativ
> Nach heutiger Datenlage führt die PCI vor einer nichtkardialen
revaskularisierte Patienten (17 vs. 7%). Ein Grund hierfür war das
Operation zu keiner Risikoreduktion.
unterschiedliche Ausmaß der Revaskularisierung, das durch PCI
geringer war als durch ACB. Das Ausmaß der Revaskularisierung Die AHA/ACC empfehlen daher in ihren Richtlinien, die Indika-
korrelierte invers mit dem Risiko eines perioperativen Myokard- tion zur präoperativen PCI genauso zu stellen wie bei Patienten
infarkts. Die Sterblichkeit war jedoch nicht durch das erhöhte ohne Operation. Patienten mit STEMI, NSTEMI und akutem Ko-
Risiko eines Infarkts in der PCI- gegenüber der ACB-Gruppe ronarsyndrom profitieren prinzipiell von einem akuten interven-
erhöht (Ward et al. 2006). tionellen Vorgehen. Bei Patienten mit Angina pectoris stellt ein
In zwei neueren Studien an Patienten mit 1–2 bzw. 3 oder Koronarbefund, der nicht die Kriterien zur Bypassoperation er-
mehr Risikofaktoren (»Eagle-Kriterien«: Alter >70 Jahre, Angina füllt, jedoch kritische Stenosen (>70%) von Gefäßen aufweist, die
pectoris, früherer Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Diabetes relevante Myokardareale versorgen, eine Indikation zur PCI dar.
mellitus, Niereninsuffizienz oder zerebrovaskulärer Insult), die Die Implantation eines Stents in eine Koronararterie verrin-
sich einer größeren Gefäßoperation unterzogen, erbrachte eine gert die Restenoserate gegenüber der alleinigen PTCA. Allerdings
präoperative koronare Revaskularisierung (durch ACB oder PCI) führt die Stent-Implantation zur Verletzung des Gefäßendothels
keine Reduktion perioperativer Ischämien, kardialer Ereignisse und der Media. Dies ruft eine lokale inflammatorische Reaktion
oder der Sterblichkeit (Poldermans et al. 2006, 2007). Allerdings mit Hyperkoagulabilität hervor und birgt das Risiko akuter Stent-
war die Gesamtzahl der revaskularisierten Patienten relativ gering Thrombosierungen. Um dies zu verhindern, werden bis zur En-
(n=12 bzw. 49), und alle Patienten wurden mit einem β-Rezepto- dothelialisierung der Stent-Streben Thienopyridine (Ticlopidin
renblocker auf eine Zielherzfrequenz von 60–65/min eingestellt. oder Clopidogrel) in Kombination mit ASS verabreicht. Bei kon-
Die Studie an Patienten mit intermediärem Risiko (Polder- ventionellen Metal-Stents (BMS) wird diese kombinierte Throm-
mans et al. 2006) testete, ob überhaupt eine präoperative nichtin- bozytenaggregationshemmung für 4 Wochen durchgeführt.
vasive Stresstestung dieser Patienten sinnvoll ist. Von den 770 Pa- Trotz Stent-Implantation verbleibt allerdings noch immer ein
472 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

Restenoserisiko von etwa 15–30% pro Jahr. Die neuen entwickel-


24 ten medikamentenbeschichteten DES reduzieren zwar das Risiko
einer Restenose, doch kommt es aufgrund der antiproliferativen
Wirkung des freigesetzten Medikaments zu einer verzögerten
Endothelialisierung der Stent-Streben.
! Cave
Für DES ist das Risiko einer Stent-Thrombose deutlich verlän-
gert, sodass die Gabe von ASS und Thienopyridin für mindes-
tens 12 Monate empfohlen wird (Empfehlungsgrad IB).

Im Fall einer geplanten oder bei einer ungeplanten nichtkardialen


Operation erhöht die kombinierte Thrombozytenaggregations-
hemmung das Blutungsrisiko. Auf der anderen Seite kann es aber
durch Absetzen der aggregationshemmenden Medikation zu ka- . Abb. 24.4. Auftreten postoperativer myokardialer Ischämien in Ab-
tastrophalen Verläufen mit In-Stent-Thrombosen, Myokardin- hängigkeit von der β-Rezeptorenblocker-Dosis und der erzielten Herzfre-
farkt und Tod kommen. quenz. (Mod. nach Feringa et al. 2006)
> Eine elektive nichtkardiale Operation sollte, wenn möglich, für fol-
gende Mindestzeiträume nach einer PCI zurückgestellt werden:
wie das Ausmaß der Herzfrequenzreduktion invers mit dem Ri-
4 nach alleiniger PTCA: 2–4 Wochen,
siko für perioperative Ischämien korrelierte (. Abb. 24.4). Das
4 nach BMS-Implantation: 4–6 Wochen,
bedeutet, dass Patienten vor einer nichtkardialen Operation auf
4 nach DES-Implantation: 12 Monate.
eine Zielherzfrequenz von 60–65/min eingestellt werden sollte,
Je früher die nichtkardiale Operation nach diesem Interval um den maximalen Benefit der β-Blockade zu erfahren. Länger
durchgeführt wird, desto geringer ist das Risiko einer Restenose. wirksame β-Rezeptorenblocker (Atenolol, Bisoprolol) scheinen
Die nichtkardiale Operation sollte daher z. B. nach BMS-Implan- kürzer wirksamen β-Rezeptorenblockern (Metoprololtartrat,
tation nicht länger als um 12 Wochen verschoben werden. Wenn nicht -succinat) überlegen zu sein. Ein abruptes präoperatives
sich die nichtkardiale Operation jedoch nicht aufschieben lässt, Absetzen von β-Rezeptorenblockern führt hingegen durch Sen-
sollte bei Operationen mit geringem Blutungsrisiko die duale sibilisierung von β-Adrenozeptoren (»Rebound-Phänomen«) zu
aggregationshemmende Therapie fortgesetzt werden. In jedem einem dramatischen Anstieg perioperativer Myokardinfarkte
Fall sollte aber die Therapie mit ASS fortgesetzt werden, und und der Sterblichkeit.
die Thienopyridingabe so früh wie möglich wieder reinitiiert Die erwähnte Studie mit Atenolol (Mangano et al. 1996) wur-
werden. de an Patienten durchgeführt, die insgesamt ein mittelgradiges
perioperatives Risiko aufwiesen. Im Gegensatz dazu wurden in
der DECREASE-Studie (Poldermans et al. 1999) Patienten mit
24.4.2 Medikamentöse Therapie sehr hohem Risiko (gefäßchirurgischer Eingriff, mindestens ein
kardialer Risikofaktor und positiver DSE-Befund) untersucht. In
β-Rezeptorenblocker dieser Hockrisikogruppe reduzierte der β-Rezeptorenblocker
Eine Reihe von prospektiven Studien untersuchte den Effekt von Bisoprolol die perioperative Sterblichkeit um 90%. Im Gegensatz
β-Rezeptorenblockern auf das perioperative Risiko. In einer der zu der Atenololstudie (Mangano et al. 1996) wurde die Bisopro-
ersten Studien an 200 Patienten, die sich einer nichtkardialen loltherapie aber bereits einen Monat präoperativ begonnen und
Operation unterzogen, reduzierte der β-Rezeptorenblocker Ate- postoperativ nicht mehr abgesetzt. Während Atenolol in der pe-
nolol die Gesamt- bzw. kardiovaskuläre Sterblichkeit um 55 bzw. rioperativen Phase (also bis 28 Tage postoperativ) bei einer relativ
65% (Mangano et al. 1996). Obwohl die Atenololtherapie unmit- geringen Gesamtfallzahl von Komplikationen keine signifikante
telbar präoperativ initiiert und nur bis zum siebten postopera- Verbesserung der Morbidität oder Sterblichkeit erbrachte (Man-
tiven Tag weitergeführt wurde, entwickelte sich der Überlebens- gano et al. 1996), verbesserte Bisoprolol die Prognose bereits in
vorteil für Atenolol erst 6–8 Monate nach der Operation und diesem Zeitraum bei Hochrisikopatienten erheblich (Poldermans
blieb von da an über den restlichen Zeitverlauf (bis 2 Jahre post- et al. 1999). Dieser Überlebensvorteil durch β-Blockade setzte
operativ) konstant. sich über 2 Jahre postoperativ fort.
Insbesondere an den ersten beiden postoperativen Tagen In einer retrospektiven Analyse der DECREASE-Studie un-
kommt es bei Patienten, die eine erhöhte TnI-Konzentration als tersuchten Boersma et al. (2001), bei welchen Patienten eine DSE
Zeichen einer myokardialen Ischämie aufweisen, zu einem An- zur weiteren präoperativen Risikoevaluation sinnvoll ist. Hierbei
stieg der Plasmakatecholaminspiegel und der Herzfrequenz. Die wurde die Risikoreduktion durch β-Blockade bei der Entschei-
perioperative Atenololgabe reduzierte die Inzidenz myokardialer dungsfindung miteinbezogen (. Abb. 24.5). Patienten ohne Risi-
Ischämien um 49 und 37% in den ersten 2 bzw. 7 postoperativen kofaktoren hatten ein äußerst geringes perioperatives Risiko,
Tagen. auch ohne β-Rezeptorenblocker. Bei Patienten mit 1 oder 2 Risi-
kofaktoren senkten β-Rezeptorenblocker das Risiko von 3 auf
> β-Rezeptorenblocker gewährleisten durch Antagonisierung ka-
0,9%. Da 83% aller Patienten diesen ersten beiden Gruppen zu-
techolamininduzierter Tachykardien eine wirksame Protektion
zuordnen waren, erscheint in der Mehrzahl der Fälle eine peri-
gegen perioperative Ischämien.
operative β-Rezeptorenblocker-Therapie anstelle weiterer (zeit-
Dies wurde durch eine neuere Studie (Feringa et al. 2006) bestä- und kostenintensiver) kardialer Stresstestung ausreichend, um
tigt, in der die Dosis des verwendeten β-Rezeptorenblockers so- das Risiko unter 1% zu halten.
24.4 · Therapeutische Optionen
473 24

. Abb. 24.5. Perioperatives Risiko für Tod oder


Myokardinfarkt in den jeweiligen Subpopulatio-
nen der Studie von Boersma et al. (2001). Die
Prozentzahlen repräsentieren den Anteil der je-
weiligen Subgruppe an der Gesamtzahl der Stu-
dienpatienten (n=1351). Die Zahlen unter den
Säulen geben die Anzahl der Komplikationen/
Anzahl der Patienten wieder. RF Risikofaktoren,
DSE Dobutamin-Stress-Echokardiographie, NWBS
neu auftretende Wandbewegungsstörungen

Bei den 17% der Patienten, die 3 oder mehr Risikofaktoren Operation bei diesen Patienten überhaupt sinnvoll ist. Abdomi-
aufwiesen, stellte die DSE jedoch eine Entscheidungshilfe hin- nale Aortenaneurysmata haben bei einem Durchmesser von 5, 6
sichtlich des weiteren Procederes dar. Wenn sich im DSE keine und 7 cm ein jährliches Rupturrisiko von 4, 7 resp. 20%. Dies
Hinweise auf eine Ischämie ergaben, reichte ebenfalls die ein- sollte im Einzelfall gegen die perioperative Sterblichkeitsrate die-
fache β-Blockade aus, um das Risiko der Patienten auf 2% zu ser Patienten abgewogen werden, die sich trotz β-Rezeptorenblo-
senken. Patienten mit geringen bis mittelgradigen Ischämien cker mit oder ohne Revaskularisation auf 49 bzw. 44% nach einem
(neu auftretende Wandbewegungsstörungen in 1–4 Segmenten) Jahr beläuft (Poldermans et al. 2007). Eventuell könnte hier in
profitierten, ähnlich wie die Patienten der DECREASE-Studie, Zukunft die weniger invasive endovaskuläre Sanierung von An-
maximal von der β-Rezeptorenblocker-Therapie, die das Risiko eurysmata eine prognostische Verbesserung herbeiführen.
von 33 auf 3% senkte. Nur die 2% der Patienten, die extensive Wie bereits im 7 Abschn. 24.4.1 erwähnt, wirft die effektive
Ischämien in 5 oder mehr Segmenten aufwiesen, hatten trotz Risikoreduktion durch β-Rezeptorenblocker-Therapie die Frage
β-Blockade ein extrem hohes Risiko (etwa 35%). auf, ob Patienten mit intermediärem (aber auch hohem) kardio-
Die bereits in 7 Abschn. 24.4.1 diskutierte DECREASE-V- vaskulären Risiko überhaupt noch präoperativ nichtinvasiv ge-
Studie (Poldermans et al. 2007) widmete sich eben diesen Pa- testet werden müssen, insbesondere, da eine sich daraus erge-
tienten mit extrem hohem Risiko für kardiovaskuläre Komplika- bende koronare Revaskularisation angesichts der aktuellen Stu-
tionen (Patienten mit 3 oder mehr Risikofaktoren und neuen dienlage ohnehin keinen eindeutigen Überlebensvorteil ver-
Wandbewegungsstörungen in mindestens 5 Segmenten, die sich spricht (McFalls et al. 2004; Poldermans et al. 2006, 2007). Diese
einer großen Gefäßoperation unterzogen). Alle 101 Patienten neuen Aspekte werden in den neuen Richtlinien zum praktischen
wurden mit einem β-Rezeptorenblocker behandelt und ent- Vorgehen vor einer nichtkardialen Operation umgesetzt (7 Ab-
weder einer Revaskularisation oder direkt der geplanten nicht- schn. 24.5 und . Abb. 24.6). Die Empfehlungen zum Einsatz von
kardialen Operation ohne Revaskularisation zugeführt. Erstaun- β-Rezeptorenblockern sind in . Tab. 24.3 zusammengefasst.
licherweise wurde, ähnlich wie bei Patienten mit intermediärem
Risiko in der CARP-Studie (McFalls et al. 2004), durch die Revas- Statine
kularisation kein Überlebensvorteil herbeigeführt. Somit schei- Ein wichtiger Pathomechanismus des akuten Koronarsyndroms
nen diese Hochrisikopatienten weder von β-Rezeptorenblockern ist die Plaqueruptur, die zur raschen Thrombusentstehung und
(. Abb. 24.5) noch von einer Revaskularisation zu profitieren. folglich zur kritischen Koronarstenose oder zum kritischen Ko-
Dies wirft die Frage auf, ob die Durchführung der nichtkardialen ronarverschluss führen kann.
474 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

24 . Tab. 24.3. Empfehlungen der AHA/ACC zur perioperativen β-Rezeptorenblocker-Therapie


Operation Keine Risiko- Ein oder mehr Koronare Herzkrankheit oder hohes Patienten, die bereits einen β-
faktoren Risikofaktoren kardiales Risiko Rezeptorenblocker nehmen
Vaskulär Empfehlungs- Empfehlungs- Mit myokardialer Ischämie: Empfehlungsgrad I Empfehlungsgrad I
grad IIb grad IIa Ohne myokardiale Ischämie bzw.
ohne Testung: Empfehlungsgrad IIa
Intermediäres Risiko – Empfehlungs- Empfehlungsgrad IIa Empfehlungsgrad I
grad IIb
Niedriges Risiko – – – Empfehlungsgrad I

> Statine reduzieren die kardiovaskuläre Morbidität und Sterblichkeit retrospektiven Analyse war die Einnahme von Statinen mit einer
bei Patienten mit stabilen und instabilen koronaren Syndromen. besseren Langzeitprognose nach abdominaler Aortenoperation
assoziiert. Eine große Metaanalyse an mehr als 200.000 Patienten
Der Mechanismus hierfür ist neben der Senkung des Serumcho- fand eine insgesamt 44%ige perioperative Risikoreduktion durch
lesterolsspiegel die Verbesserung der Endothelfunktion sowie die Statine. Das postoperative Absetzen von Statinen für mindestens
Verminderung von Entzündungsmediatoren im Plasma, die eine 4 Tage ist ein Prädiktor für postoperative myokardiale Nekrosen. Es
wichtige Rolle bei der Plaquedestabilisierung spielen. Da die wird daher empfohlen, dass Patienten, die präoperativ Statine ein-
Mehrzahl der Myokardinfarkte durch eine Plaqueruptur ausge- nehmen, diese auch postoperativ weiter erhalten (Empfehlungs-
löst wird, sind Statine eine sinnvolle therapeutische Intervention grad I). Bei Patienten, die sich einer vaskulären Operation unter-
zur Senkung des perioperativen Risikos. ziehen, oder die mindestens einen Risikofaktor aufweisen und sich
Die Evidenz hierfür basiert jedoch in erster Linie auf retrospek- einer Operation mit intermediärem Risiko unterziehen, ist die Ein-
tiven Analysen. In einer Fall-Kontroll-Studie wurde beobachtet, nahme eines Statins sinnvoll (Empfehlungsgrad IIa und IIb).
dass bei Patienten, die sich einer Gefäßoperation unterzogen, eine
Statintherapie mit einem geringeren Risiko assoziiert war als eine Andere Medikamente
Therapie ohne Statin. Der Statineffekt war unabhängig von und Neben β-Rezeptorenblockern und Statinen wurden insbesondere
sogar größer als der eines β-Rezeptorenblockers. In einer weiteren zentrale α2-Adrenozeptoragonisten, Nitroglyzerin sowie Kalzi-

. Abb. 24.6. Empfehlungen der AHA/ACC zum Vorgehen bei periope- faktoren: ischämische Herzerkrankung, kompensierte oder vorherige
rativer Risikoevaluation vor einer nichtkardialen Operation. OP Operati- Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz und zerebrovasku-
on, RF Risikofaktor(en), MET metabolische Äquivalente, HF Herzfrequenz. läre Erkrankungen; ‡Herzfrequenzreduktion auf eine Zielfrequenz von
*Die Empfehlungen zur postinterventionellen kombinierten Thrombozy- 60–65/min. (Nach Fleisher et al. 2007)
tenaggregationshemmung sind zu beachten (7 Abschn. 24.4.1). †Risiko-
Literatur
475 24

Übersicht 24.3. Evaluation des perioperativen Risikos

Schritt 1: Wie dringlich ist die nichtkardiale Operation? Diese korreliert gut mit dem perioperativen Risiko. Bei asympto-
Notfalloperationen müssen ohne weitere ausführliche Risiko- matischen Patienten mit guter funktioneller Kapazität (>4 MET;
evaluation sofort durchgeführt werden. Der konsultierte Kardio- . Abb. 24.2) kann mit der geplanten Operation ohne weitere Tes-
loge sollte dennoch Empfehlungen für das perioperative tung fortgefahren werden. Dieser Schritt ist im klinischen Alltag
Management (Medikation, Überwachung etc.) sowie für weitere von besonderer Bedeutung, da letztlich alle klinisch stabilen Pa-
postoperative Maßnahmen aussprechen. tienten, die in der Lage sind, eine oder mehrere Etagen Treppen
Schritt 2: Leidet der Patient an einem der in . Tab. 24.2 aufge- zu steigen, der nichtkardialen Operation (unabhängig vom opera-
listeten aktiven kardialen Krankheitsprozesse? tionsspezifischen Risiko) ohne weitere Testung zugeführt wer-
Wenn nicht, wird mit Schritt 3 weiter verfahren. Wenn doch, den könnten. Patienten mit einer bekannten KHK oder minde-
sollte eine elektive nichtkardiale Operation zugunsten einer stens einem Risikofaktor sollten mit β-Rezeptorenblockern auf
eindeutigen Klärung und Behandlung des kardialen Problems eine Herzfrequenz von 60–65/min eingestellt werden.
verschoben werden. In Abhängigkeit der Ergebnisse einer Schritt 5: Weist der Patient eine schlechte funktionelle Kapazität
kardialen Testung bzw. koronarinvasiven Diagnostik und nach (<4 MET) oder Symptome einer KHK auf?
Abwägung des Risikos, das durch die Verschiebung der nicht- Dann sollte die Anzahl der klinischen Risikofaktoren (. Abb. 24.1)
kardialen Operation resultiert, könnte ggf. nach Maximierung das weitere Vorgehen bestimmen. Ohne Risikofaktoren kann der
der medikamentösen Therapie mit der nichtkardialen Operation Patient sofort der nichtkardialen Operation zugeführt werden. Bei
fortgefahren werden. Es sind hierbei die Empfehlungen zur 1 oder 2 Risikofaktoren reicht nach heutiger Datenlage unabhän-
postinterventionellen kombinierten Thrombozytenaggrega- gig vom operationsspezifischen Risiko die Herzfrequenzkontrolle
tionshemmung zu beachten (7 Abschn. 24.4.1 »Perkutane (60–65/min) durch β-Rezeptorenblocker aus. Falls es jedoch eine
Koronarinterventionen«). therapeutische Konsequenz hat, kann zu diesem Zeitpunkt auch
Schritt 3: Soll sich der Patient einem nichtkardialen Eingriff mit eine nichtinvasive Testung erfolgen. Bei 3 oder mehr Risikofakto-
geringem Risiko unterziehen? ren ist das Operationsrisiko von Bedeutung (. Tab. 24.1). Bei Ope-
Wenn ja, sollte ohne weitere Testung mit der geplanten Opera- rationen mit intermediärem Risiko ist ebenfalls die Herzfrequenz-
tion fortgefahren werden, da bei stabilen Patienten eine weitere kontrolle mit β-Rezeptorenblockern hinreichend. Bei vaskulären
Testung keine bedeutsame therapeutische Relevanz hätte. Operationen, aber ggf. auch nichtvaskulären Operationen mit in-
Schritt 4: Wie ist die funktionelle Kapazität des Patienten? termediärem Risiko, sollte eine kardiale Testung erwogen werden.

umantagonisten hinsichtlich perioperativ protektiver Wirkungen 24.5 Praktisches Vorgehen zur perioperativen
untersucht. Risikoevaluierung und -reduktion
Obwohl Clonidin, das durch zentrale α2-Adrenozeptor-
stimulation die periphere Katecholaminfreisetzung vermindert, In der neuesten Version der Richtlinien der AHA und ACC
in kleineren prospektiven Studien die Inzidenz perioperativer (Fleisher et al. 2007) werden insbesondere die in den letzten
Ischämien und sogar der perioperativen Sterblichkeit senkte, 5 Jahren publizierten Studien zur perioperativen Risikoreduktion
konnte in einer groß angelegten Studie an 1900 Patienten mit durch β-Rezeptorenblocker, präoperative Testung und Revasku-
bekannter KHK i.v. appliziertes Mivazerol weder die periope- larisation berücksichtigt. Es ergeben sich hierdurch deutlich ver-
rative Sterblichkeit noch die Inzidenz von Myokardinfarkten einfachte und somit vermutlich auch wirtschaftlichere Empfeh-
vermindern. Lediglich eine vorab definierte Subgruppe von Pa- lungen gegenüber der Version aus 2002, da in einer Vielzahl der
tienten, die sich einem gefäßchirurgischem Eingriff unterzogen Fälle auf umfangreiche Testung zugunsten einer rechtzeitigen
(n=904), profitierte von Mivazerol hinsichtlich der Kombination Initiierung von β-Rezeptorenblockern verzichtet werden kann.
dieser beiden Endpunkte. Aufgrund der uneinheitlichen Daten- Der Entscheidungsbaum ist in . Abb. 24.6 dargestellt.
lage wird daher eine perioperative Therapie mit α2-Agonisten
lediglich zur Kontrolle einer Hypertonie bei Patienten mit
KHK und mindestens einem Risikofaktor empfohlen (Empfeh- Literatur
lungsgrad IIb).
In insgesamt 3 randomisierten, placebokontrollierten Studi- Boersma E, Poldermans D, Bax J et al. (2001) Predictors of cardiac events
en mit prophylaktischer Gabe von Nitroglyzerin oder dem Kalzi- after major vascular surgery: role of clinical characteristics, dobuta-
umantagonisten Diltiazem konnten keine signifikanten Unter- mine echocardiography, and beta-blocker therapy. JAMA 285: 1865–
schiede hinsichtlich kardialer Komplikationen nachgewiesen 1873
werden. In einer neueren Metaanalyse wurde jedoch beobachtet, Eagle KA, Rihal CS, Mickel MC et al. (1997) Cardiac risk of noncardiac surge-
dass Kalziumantagonisten (insbesonder Diltiazem) perioperative ry: influence of coronary disease and type of surgery in 3368 opera-
tions. CASS Investigators and University of Michigan Heart Care Pro-
Ischämien, supraventrikulären Arrhythmien und (in Post-hoc-
gram. Coronary Artery Surgery Study. Circulation 96: 1882–1887
Analysen) auch das Auftreten von Myokardinfarkten und Tod
Eagle KA, Guyton RA, Davidoff R et al. (2004) ACC/AHA 2004 guide-
reduzierten. line update for coronary artery bypass graft surgery: a report of
the American College of Cardiology/American Heart Association
Task Force on Practice Guidelines (Committee to Update the 1999
Guidelines for Coronary Artery Bypass Graft Surgery). Circulation 110:
e340–437
476 Kapitel 24 · Kardiale perioperative Risikobeurteilung

Feringa HH, Bax JJ, Boersma E et al. (2006) High-dose beta-blockers and Mangano DT, Layug EL, Wallace A, Tateo I (1996) Effect of atenolol on mor-
24 tight heart rate control reduce myocardial ischemia and troponin T tality and cardiovascular morbidity after noncardiac surgery. Multi-
release in vascular surgery patients. Circulation 114: I344–349 center Study of Perioperative Ischemia Research Group. N Engl J Med
Fleisher LA, Beckman JA, Brown KA et al. (2007) ACC/AHA 2007 guidelines 335: 1713–1720
on perioperative cardiovascular evaluation and care for noncardiac McFalls EO, Ward HB, Moritz TE et al. (2004) Coronary-artery re-
surgery: a report of the American College of Cardiology/American vascularization before elective major vascular surgery. N Engl J Med
Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Commit- 351: 2795–2804
tee to Revise the 2002 Guidelines on Perioperative Cardiovascular Poldermans D, Boersma E, Bax JJ et al. (1999) The effect of bisoprolol on
Evaluation for Noncardiac Surgery) developed in collaboration with perioperative mortality and myocardial infarction in high-risk patients
the American Society of Echocardiography, American Society of Nuc- undergoing vascular surgery. Dutch Echocardiographic Cardiac Risk
lear Cardiology, Heart Rhythm Society, Society of Cardiovascular Evaluation Applying Stress Echocardiography Study Group. N Engl J
Anesthesiologists, Society for Cardiovascular Angiography and Inter- Med 341: 1789–1794
ventions, Society for Vascular Medicine and Biology, and Society for Poldermans D, Bax JJ, Schouten O et al. (2006) Should major vascular sur-
Vascular Surgery. J Am Coll Cardiol 50: e159–241 gery be delayed because of preoperative cardiac testing in intermedi-
Froehlich JB, Karavite D, Russman PL et al. (2002) American College of Car- ate-risk patients receiving beta-blocker therapy with tight heart rate
diology/American Heart Association preoperative assessment guide- control? J Am Coll Cardiol 48: 964–969
lines reduce resource utilization before aortic surgery. J Vasc Surg 36: Poldermans D, Schouten O, Vidakovic R et al. (2007) A clinical randomized
758–763 trial to evaluate the safety of a noninvasive approach in high-risk pa-
Goldman L, Caldera DL, Nussbaum SR et al. (1977) Multifactorial index of tients undergoing major vascular surgery: the DECREASE-V Pilot Stu-
cardiac risk in noncardiac surgical procedures. N Engl J Med 297: dy. J Am Coll Cardiol 49: 1763–1769
845–850 Ward HB, Kelly RF, Thottapurathu L et al. (2006) Coronary artery bypass
Lee TH, Marcantonio ER, Mangione CM et al. (1999) Derivation and pro- grafting is superior to percutaneous coronary intervention in preven-
spective validation of a simple index for prediction of cardiac risk of tion of perioperative myocardial infarctions during subsequent vas-
major noncardiac surgery. Circulation 100: 1043–1049 cular surgery. Ann Thorac Surg 82: 795–800; discussion 800–791
477 25

Kardiales Trauma
U.C. Hoppe, E. Erdmann

25.1 Ätiologie und Pathogenese – 477 25.4.4 Echokardiographie – 479


25.1.1 Penetrierende Verletzungen – 477 25.4.5 Herzkatheter – 479
25.1.2 Stumpfe Verletzungen – 477 25.4.6 Weitere Bildgebung – 480

25.2 Morphologie und Symptomatik – 477 25.5 Therapie – 480


25.2.1 Perikard – 478 25.5.1 Penetrierende Verletzungen – 480
25.2.2 Myokard – 478 25.5.2 Stumpfe Verletzungen – 480
25.2.3 Koronargefäße – 478
25.2.4 Herzklappenapparat – 479 25.6 Verlauf und Prognose – 480
25.6.1 Mortalität – 480
25.3 Klinische Symptome – 479 25.6.2 Folgestörungen – 480
25.3.1 Inspektion und Palpitation – 479 25.6.3 Gutachterliche Aspekte – 480
25.3.2 Auskultation – 479
25.7 Elektrotrauma – 480
25.4 Diagnostik – 479 25.7.1 Blitzschlag – 480
25.4.1 Elektrokardiogramm – 479 25.7.2 Elektrounfälle in Haushalt und Beruf – 481
25.4.2 Laborparameter – 479
25.4.3 Thoraxröntgenaufnahme – 479 Literatur – 481

)) 25.1.1 Penetrierende Verletzungen

Thoraxverletzungen sind für 25% aller traumatisch bedingten Bei penetrierenden Verletzungen handelt es sich zumeist um
Todesfälle verantwortlich. Hiervon sind je nach Art der Gewaltein- Stich- oder in steigendem Maß um Schussverletzungen. Neben
wirkung bis zu 95% auf kardiale Verletzungen zurückzuführen. Messern und Geschossen können jedoch auch Splitter, Nägel und
Eine Herzbeteiligung kann sowohl bei penetrierenden als auch Pfähle oder dislozierte Rippen- und Sternumfragmente zu penet-
bei stumpfen Traumen auftreten. rierenden kardialen Traumen führen. Als iatrogene Ursachen
wurden Perforationen durch Schrittmachersonden, Katheter
oder endomyokardiale Biopsien beschrieben.
25.1 Ätiologie und Pathogenese

Die Pathomechanismen kardialer Traumen sind in der ▶ Über- 25.1.2 Stumpfe Verletzungen
sicht 25.1 zusammengestellt.
Herzverletzungen bei stumpfen Thoraxtraumen treten am häu-
figsten durch Verkehrsunfälle auf. Seltenere Ursachen sind Tritt-
Übersicht 25.1. Pathomechanismen kardialer Traumen verletzungen, Stürze, Berufs- und Sportunfälle oder iatrogene
Verletzungen im Rahmen einer Reanimation (Hoppe u. Erd-
Penetrierende Verletzungen mann 1997). Bereits Krafteinwirkungen mit Geschwindigkeiten
4 Niedrige Geschwindigkeit (z. B. Messer, Pfähle) unter 50 km/h können morphologische Myokardschäden her-
4 Hohe Geschwindigkeit (z. B. Geschosse) vorrufen. Die Inzidenz einer Myokardcontusio bei stumpfem
Stumpfe Verletzungen Thoraxtrauma liegt zwischen 3 und 76% und stellt damit die häu-
4 Dezelerations- oder Akzelerationstraumen (z. B. Verkehrs- figste Herzverletzung dar. Die große Streuung spiegelt die Schwie-
unfall) rigkeit der Diagnose wider. Eine kardiale Schädigung bei stump-
4 Thoraxkompression, evtl. mit Coup- und Contrecoup- fem Trauma kann auf verschiedenen Pathomechanismen beru-
trauma (z. B. Steuerradverletzung, Sturz, Detonation, hen (7 Übersicht 25.1).
externe Herzmassage)
4 Plötzliche Kompression von Abdomen/unteren Extremi-
täten mit transdiaphragmaler Druckübertragung (»hy- 25.2 Morphologie und Symptomatik
draulic ram effect«)
Bei penetrierenden und stumpfen Traumen sind Verletzungen
aller kardialer Strukturen möglich (▶ Übersicht 25.2).
478 Kapitel 25 · Kardiales Trauma

25.2.2 Myokard
Übersicht 25.2. Folgen traumatischer Herzschädi-
gungen Myokardcontusio/-commotio
25 Die häufigste Myokardverletzung bei stumpfer Traumatisierung
Perikard stellt die Contusio dar. Im Gegensatz zur Myokardcommotio, bei
4 Perikarditis (evtl. rezidivierend) der Arrhythmien ohne nachweisbare strukturelle Myokardschä-
4 Lazeration/Ruptur (evtl. kardiale Luxation/Herniation) den auftreten, ist die Contusio durch morphologische Verände-
4 Tamponade rungen, vergleichbar mit einem Infarkt- oder Postinfarktbild,
4 Konstriktive Perikarditis/Verkalkung gekennzeichnet (Madias et al. 2007).
Myokard Die häufigsten Symptome einer Myokardcontusio sind tho-
4 Contusio/Commotio rakale Schmerzen, die typischerweise wie bei einem Myokardin-
4 Lazeration/Ruptur farkt nicht auf Nitropräparate ansprechen. Funktionelle Ein-
4 Septumdefekte schränkungen einer kardialen Contusio entsprechen dem Aus-
4 Aneurysma/Pseudoaneurysma maß der Gewebeschädigung und können bis zur Herzinsuffizienz
Herzklappenapparat führen.
4 Klappenausriss/-perforation
> Sowohl bei einer Myokardcontusio als auch -commotio wurden
4 Papillarmuskelausriss/-nekrose
verschiedenste Arrhythmien und sogar plötzliche Herztodesfäl-
4 Abriss der Chordae
le beschrieben (Vougiouklakis et al. 2005).
Koronargefäße
4 Lazeration/Ruptur/Fisteln
4 Okklusion (Thrombose, Embolie, Spasmus) Myokardlazeration/-ruptur
4 Kompression (Ödem, Hämatom) Myokardlazerationen bzw. -rupturen der freien Wand führen in
der Mehrzahl zum akuten Tod durch Verblutung oder eine akute
Herztamponade. Nur einzelne Verletzte überleben durch eine
sofortige Notoperation. Eine besonders schlechte Prognose ha-
25.2.1 Perikard ben Schussverletzungen des linken Ventrikels. Bei sehr kleinen
Defekten hingegen können Verletzungen dünnwandiger Struktu-
Perikarditis ren wie z. B. der Vorhofwand, die sich nicht selbst verschließen
Nach stumpfen Traumen wird häufig eine Perikaditis unter- können, einen ungünstigeren Verlauf nehmen als Verletzungen
schiedlichen Ausmaßes als alleinige Traumafolge oder als Be- vergleichbarer Größe im Ventrikelmyokard.
gleitperikarditis bei Myokardcontusio beobachtet. Bei einer klei-
nen Anzahl von Patienten zeigt sich Wochen oder Monate nach Septumdefekte
stumpfem Thoraxtrauma ein postkardiotomieähnliches Syn- Septumdefekte werden nach penetrierenden und nichtpenet-
drom. Im Verlauf von Monaten bis Jahren können, besonders rierenden Verletzungen beobachtet und können auch erst nach Ta-
nach perikardialer Blutung, Perikardverkalkungen und eine gen oder Jahren durch Nekrosen- bzw. Narbenruptur entstehen.
konstriktive Perikarditis mit typischen Zeichen einer restriktiven
Kardiomyopathie entstehen.
25.2.3 Koronargefäße
Perikardtamponade
Eine Herztamponade wird meist durch eine Perikard- und/oder Koronarien ohne Wandvorschädigung
Myokardlazeration bzw. -ruptur verursacht, kann jedoch auch Durch direkte Krafteinwirkung oder Scherkräfte können Verlet-
bei Verletzung der Koronarien oder der intraperikardialen An- zungen aller oder einzelner Wandstrukturen der Koronargefäße
teile der großen Gefäße auftreten. auftreten. Bei inkompletten Wandeinrissen, die sich auf einzelne
Schichten beschränken, resultieren Aneurysmen, Dissekationen,
Perikardlazeration/-ruptur Koronarfisteln oder Intimaläsionen mit evtl. nachfolgender
Eine Lazeration oder Ruptur des Perikards kann bei penet- Thrombose und Myokardinfarzierung. Myokardschäden ohne
rierenden oder stumpfen Verletzungen auftreten. Perikardlazera- koronare Wandverletzung können durch einen Gefäßspasmus
tionen nach penetrierenden Traumen sind selten isolierte Verlet- bzw. Thrombus als passageres endoluminales Hindernis oder
zungen. Besteht die Möglichkeit einer freien Flüssigkeitsdrainage durch ein Ödem bzw. Hämatom mit extraluminaler Kompression
aus dem Perikardbeutel, kann es im Rahmen einer Perikardlaze- bedingt sein. Differenzialdiagnostisch ist eine Myokardcontusio
ration/-ruptur zu einem Hämatothorax kommen. Bei einer Peri- schwer abgrenzbar.
kardverklebung bzw. -deckung durch andere Strukturen wie Lun-
gengewebe kann eine Herztamponade resultieren (s. oben). Vorgeschädigte Koronargefäße
Arteriosklerotisch veränderte Gefäße sind besonders durch Inti-
> Bei Perikardeinrissen wurden meist linkspleuroperikardiale maeinrisse und konsekutive thrombotische Auflagerungen ge-
Herzluxationen oder -herniationen beschrieben, die z. T. bei fährdet.
asymptomatischen Patienten erst nach Monaten auffallen. Die
Gefahr einer kardialen Inkarzeration ist bei mittelgroßen Peri- > Aortokoronare Bypässe, die im Gegensatz zu Koronararterien
kardeinrissen von etwa 8–12 cm besonders hoch. nicht von Myokard und epikardialem Fettgewebe umschlossen
werden, sind durch ihren ungeschützten freien Verlauf beson-
ders verletzungsgefährdet.
25.4 · Diagnostik
479 25
25.2.4 Herzklappenapparat tivem Befund einen Aussagewert und kann dann vorübergehend
entlastend sein, ist jedoch in bis zu 25% der Fälle falsch-negativ.
Die Häufigkeit einer Beteiligung des Klappenapparates bei Tho- Bei allen akut vital gefährdeten Patienten mit sicherem kar-
raxtraumen beträgt etwa 0,05%. Besonders gefährdet sind vorge- dialen Trauma sollte dann nach der operativen Primärversor-
schädigte Herzklappen. Hämodynamisch tritt meist eine akute gung, bei den übrigen Patienten mit Verdacht auf eine kardiale
Klappeninsuffizienz unterschiedlichen Schweregrades auf, die Verletzung direkt nach Erreichen des Krankenhauses eine genaue
aufgrund der fehlenden ventrikulären Adaptationsmöglichkeit Abklärung durchgeführt werden.
schnell zu einer kardialen Dekompensation führen kann.

Lokalisation 25.4.1 Elektrokardiogramm


Wegen der höheren Druckbelastung werden bei stumpfem Trau-
ma die linksventrikulären Klappen häufiger geschädigt, beson- Bei jedem Patienten mit Thorax- oder Abdomentrauma sollte
ders die Aortenklappe, die bevorzugt am Anulus einreißt. Verlet- umgehend ein EKG registriert werden. Obwohl das EKG nur eine
zungen der Atrioventrikularklappen sind an den Segeln oder öf- eingeschränkte Sensitivität und Spezifität besitzt, gilt es im posi-
ter an den Papillarmuskeln und den Chordae lokalisiert. tiven Fall trotzdem als der beste verfügbare Prädiktor für eine
Myokardcontusio bzw. -commotio, die in 40–83% der Fälle mit
EKG-Veränderungen einhergehen (verschiedene Arrhythmien,
25.3 Klinische Symptome Repolarisationsstörungen).

25.3.1 Inspektion und Palpitation


25.4.2 Laborparameter
Schwere kardiale Verletzungen führen zur akuten Herzinsuffizi-
enz bis hin zum kardiogenen Schock. Die Bestimmung der Gesamt-CK ist bei Traumapatienten unspe-
Differenzialdiagnostisch müssen für eine Schocksymptoma- zifisch. Eine signifikante Erhöhung der CK-MB-Fraktion macht
tik evtl. verantwortliche Begleitverletzungen wie z. B. eine Milz- eine Herzbeteiligung wahrscheinlich, ist jedoch als alleiniger Para-
ruptur oder Beckenfrakturen mit großem Blutverlust ausge- meter ebenfalls unzuverlässig, da das MB-Isoenzym auch in ande-
schlossen werden. Andererseits kann bei polytraumatisierten ren Geweben wie z. B. Dünndarm, Leber, Skelettmuskulatur, Blase
Patienten eine Herzbeteiligung durch extrakardiale Unfallfolgen und Diaphragma (bis zu 25% des Myokardgehaltes) vorkommt.
überlagert werden. Trotz hoher Kardiospezifität von TnT und TnI liegt der posi-
Bei penetrierenden Verletzungen kann die Lokalisation einer tiv-prädiktive Wert erhöhter Serumspiegel für das Vorliegen ei-
Eintritts- und ggf. Austrittspforte auf eine Herztraumatisierung ner Contusio bei <50%, bei jedoch hohem negativ-prädiktiven
hindeuten. Beim stumpfen Trauma sind häufig Frakturen und Wert von 93%. Da Tn-Titer und auch CK-Werte erst mit einer
thorakale bzw. abdominelle Prellungen wegweisend. Latenz ansteigen können, sollten bei jedem Patienten nach
stumpfem Abdomen- oder Thoraxtrauma mit initial normalen
> Bei 75% der Patienten mit gesicherter Myokardcontusio fanden
Serumwerten Verlaufskontrollen über 24–72 h erfolgen.
sich Prellmarken. Ein besonderer Wert kommt daher einer ge-
nauen körperlichen Untersuchung mit Befunddokumentation
zu. Das Fehlen von Frakturen oder externen Verletzungen 25.4.3 Thoraxröntgenaufnahme
schließt jedoch nie eine kardiale Schädigung aus.

Die Thoraxröntgenaufnahme hat meist nur bei schweren Herz-


verletzungen eine diagnostische Bedeutung (Mediastinalverbrei-
25.3.2 Auskultation terung, Pleuraerguss, Pneumoperikard). Eine pathologische Kon-
figuration bzw. Position der Herzsilhouette macht eine Herzluxa-
Bei der Auskultation weisen pathologische Strömungsgeräusche tion/-herniation oder eine Perikardtamponade wahrscheinlich.
auf Klappenvitien oder eine Septumperforation, Perikardreiben
auf eine Perikardläsion hin. Ein fixiert gespaltener zweiter Herz-
ton kann Ausdruck eines Vorhofseptumdefektes, ein dritter Herz- 25.4.4 Echokardiographie
ton das erste Zeichen einer kardialen Dekompensation sein.
Die Echokardiographie stellt eine sehr gute nichtinvasive Metho-
de zur Erfassung von Perikardergüssen, Klappenverletzungen,
25.4 Diagnostik intrakardialen Shunt-Verbindungen und myokardialen Wandbe-
wegungsstörungen dar. Die TEE hat sich als deutlich sensitiver im
Die Diagnose einer kardialen Beteiligung bei Traumapatienten Vergleich zur transthorakalen Echokardiographie erwiesen.
kann schwierig sein, da zum einen die kardiale Schädigung oft
durch extrakardiale Verletzungen überlagert wird und es ande-
rerseits keine diagnostische Methode gibt, die sich als Goldstan- 25.4.5 Herzkatheter
dard eignet.
Nach penetrierenden Verletzungen sollte in der Regel eine Bei Verdacht auf eine Koronarschädigung und bei patholo-
sofortige explorative Thorakotomie erfolgen. Nur in unklaren gischem oder selten unschlüssigem Echokardiographiebefund ist
Fällen hat sich eine präoperative Echokardiographie als hilfreich die invasive Diagnostik mit Möglichkeit der Akutkoronarinter-
erwiesen. Eine diagnostische Perikardpunktion hat nur bei posi- vention indiziert.
480 Kapitel 25 · Kardiales Trauma

25.4.6 Weitere Bildgebung 25.6.2 Folgestörungen

Myokardszintigraphien wurden zum Nachweis myokardialer Bei Überlebenden zeigen sich unmittelbar oder im Laufe von
25 Schädigungen nach stumpfem Thoraxtrauma eingesetzt. Com- Tagen bis Jahren nach kardialem Trauma nicht selten Residuen.
putertomographie und Magnetresonanztomographie sind kom- Nach einer Myokardcontusio werden mit einer Häufigkeit von
plexen Läsionen (z. B. bei Verdacht auf Begleittrauma der großen 50–65% Pumpfunktionsstörungen beobachtet, die mit der pro-
Gefäße) vorbehalten. zentualen Schädigung des Myokards korrelieren.
Die Langzeitprognose nach einer Contusio und/oder trau-
matischen Koronarläsion ist in der Regel jedoch bei den meist
25.5 Therapie ehemals Herzgesunden günstiger als nach Infarkten auf dem Bo-
den einer KHK.
25.5.1 Penetrierende Verletzungen Die Prognose von traumatisch bedingten Klappenvitien, ei-
ner Herzinsuffizienz, persistierender intrakardialer Shunt-Ver-
> Bei penetrierenden kardialen Verletzungen sind sofortige explo- bindungen oder einer Perikarditis ist mit der Prognose entspre-
rative Thorakotomie und chirurgische Versorgung ohne zeitauf- chender Störungen nichttraumatischer Genese vergleichbar.
wendige Diagnostik indiziert.

Eine zweizeitig beim stabilen Patienten durchgeführte postope- 25.6.3 Gutachterliche Aspekte
rative Abklärung ergibt in 5–6% der Fälle eine begleitende, pri-
mär nichterfasste intrakardiale Verletzung, die einen elektiven > Mäßiggradige kardiale Schädigungen können besonders von
Zweiteingriff erforderlich macht. ehemals herzgesunden jungen Patienten oft monate- oder so-
Bei fehlender Notoperationsmöglichkeit kann eine Perikardi- gar jahrelang kompensiert werden.
ozentese zur akuten Dekompression einer Herztamponade lebens-
rettend sein, ist jedoch in bis zu 25% der Fälle wegen großer Blut- Häufig ist es aufgrund eines beschwerdefreien Intervalls schwie-
koagel falsch-negativ. Zudem kommt es besonders bei rechtstatri- rig, einen Kausalzusammenhang mit dem Trauma herzustellen.
aler und rechtsventrikulärer Traumatisierung häufig durch die Besonders wichtig sind eventuelle Brückensymptome. Diese
Entlastung zur erneuten Blutung aus dem Niederdrucksystem, so- können jedoch auch fehlen. Aus Obduktionsbefunden ist be-
dass die Perikardpunktion kein kuratives Verfahren darstellt. kannt, dass sogar ohne jegliche klinische Symptomatik lange
nach einem Thoraxtrauma Residuen einer schweren Herzcontu-
sio vorhanden sein können.
25.5.2 Stumpfe Verletzungen Posttraumatisch muss daher eine möglichst exakte Diagnose
gestellt werden. Zudem ist eine genaue und kontinuierliche Do-
! Cave kumentation aller Untersuchungsbefunde einschließlich Ver-
Myokardkontusionen werden symptomatisch wie ein Myokard- laufskontrollen unverzichtbar. Soweit rekonstruierbar, sollte auch
infarkt behandelt. Eine Antikoagulation oder systemische Lyse der Traumahergang schriftlich festgehalten werden.
ist jedoch nach kardialem Trauma auch bei einer Koronarbeteili-
gung kontraindiziert.
25.7 Elektrotrauma
Durch stumpfe Gewalt verursachte perikardiale und myokardiale
Rupturen müssen wie entsprechende penetrierende Verletzungen Elektrounfälle können in Haushalt und Beruf auftreten oder
fast immer notfallmäßig operativ versorgt werden. durch Blitzschlag verursacht werden (Fineschi et al. 2006).
Die Therapie atrialer und ventrikulärer Septumdefekte richtet Das Ausmaß resultierender kardialer Verletzungen ist von der
sich nach der Größe und dem Shunt-Volumen. Bei kardiopulmo- Stromspannung, der Stromart (Gleich- oder Wechselstrom),
nal stabilem Patienten ist zunächst für 3–6 Monate eine abwarten- dem Gewebewiderstand, der Kontaktdauer sowie der Ein- und
de Haltung gerechtfertigt, da spontane Größenabnahmen und Austrittspforte (Reihenfolge Arm-Arm, Arm-Bein, Bein-Bein)
Verschlüsse septaler Defekte beschrieben wurden. Perikardergüs- abhängig.
se, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Koronarläsionen
und Klappenverletzungen werden nach den Richtlinien entspre-
chender Störungen nichttraumatischer Genese behandelt. 25.7.1 Blitzschlag

Bei einem Blitzschlag handelt es sich um einen sehr kurzen Kon-


25.6 Verlauf und Prognose takt mit Gleichstrom extrem hoher Spannung (bis zu 1 Mio. V).
Die Letalität getroffener Personen liegt bei 20–30%.
25.6.1 Mortalität
> Am Unfallort ist ein Reanimationsversuch nach Blitzschlag im
Patienten mit kardialen Traumen erreichen nur zu etwa 10–35% Gegensatz zu den üblichen Erste-Hilfe-Regeln zuerst bei Pati-
ein Krankenhaus lebend. Patienten, die ein Krankenhaus mit vi- enten ohne jegliche vitale Zeichen zu unternehmen, da Per-
talen Funktionen erreichen, haben bei penetrierenden Traumen sonen mit initial vitalen Zeichen in der Regel auch ohne Sofort-
je nach Verletzungsart eine Sterblichkeitsrate von etwa 10% bei hilfe überleben und die Reanimationserfolgsrate nach Blitz-
Stich- und >50% bei Schussverletzungen, bei stumpfen Traumen schlag überdurchschnittlich hoch ist (Soar et al. 2005).
eine Mortalitätsrate von etwa 5% (Soar et al. 2005).
Literatur
481 25

Akute Todesfälle nach Blitzschlag beruhen zumeist auf Asysto- Wechselstrom wird willkürlich bei 500 V in Hoch- und Niedrig-
lien oder Apnoe bei zentralnervöser Schädigung. spannungsstrom unterteilt. Der Kontakt mit Wechselstrom kann
Ein Blitz kann eine Person direkt treffen, von einem anderen zu Myokardnekrosen führen.
Gegenstand, z. B. Baum, überspringen oder über den Boden fort- Bei Kontakt mit Hochspannungsstrom, aber auch bereits bei
geleitet werden. Bei einem direkten Blitzschlag treten neben Kontakt mit niedriger Haushaltsspannung (120–220 V) besteht
oberflächlichen Verbrennungen häufig schwerwiegende tiefe ein hohes plötzliches Herztodesrisiko, da die übliche Wechsel-
Verbrennungen auf, die u. a. zu transmuralen Myokardnekrosen stromfrequenz von 50–60 Hz die Induktion von Kammerflim-
führen können. Außer direkten elektrischen Effekten auf erreg- mern begünstigt.
bares Gewebe und hitzebedingten Schädigungen spielen patho-
> Nach direktem Stromfluss durch den Thorax traten vereinzelt
physiologisch für verschiedene Organverletzungen Barotrau-
maligne VT erst verspätet auf. Daher ist nach transthorakalem
men eine wesentliche Rolle, die durch Druckwellen im Rahmen
Stromfluss eine Monitorüberwachung für mindestens 24 h zu
der starken lokalen Luftüberhitzung entstehen. Auf diesen Pa-
empfehlen.
thomechanismus werden auch contusioähnliche kardiale Verlet-
zungen zurückgeführt, die sofort oder verzögert schwerste globa- Gleichstromquellen in Haushalt und Beruf (z. B. Batterien, Tro-
le Kontraktionsstörungen und lebensbedrohliche Perikardergüs- ckenzellen) haben meist nur eine niedrige Spannung (3–24 V).
se verursachen können. Kontakt mit diesen Stromquellen verursacht in der Regel keine
Aufgrund der hohen Inzidenz einer kardialen Beteiligung klinisch relevanten und speziell keine kardiologischen Stö-
und des z. T. verzögerten Auftretens schwerer kardialer Dysfunk- rungen.
tionen, Arrhythmien und hämodynamisch relevanter Perikard-
ergüsse sollten Personen nach direktem Blitzschlag monitorüber-
wacht werden. Literatur
Springt ein Blitz von einem anderen Gegenstand auf eine Per-
son über, so resultieren typische oberflächliche Federzeich- Fineschi V, Donato S di, Mondillo S et al. (2006) Electric shock: cardiac ef-
nungen. Kardiale Langzeitresiduen wurden nicht beschrieben. fects relative to non fatal injuries and post-mortem findings in fatal
Trifft ein über den Boden fortgeleiteter Blitz eine Person, ist mit cases. Int J Cardiol 111: 6–11
kardialen Komplikationen oder Folgestörungen ebenfalls in der Hoppe UC, Erdmann E (1997) Contusio cordis – Zu selten diagnostiziert?
Regel nicht zu rechnen. Med Klin 92: 444–446
Madias C, Maron BJ, Weinstock J et al. (2007) Commotio cordis – sudden
cardiac death with chest wall impact. J Cardiovasc Electrophysiol 18:
25.7.2 Elektrounfälle in Haushalt und Beruf 115–122
Soar J, Deakin CD, Nolan JP et al. (2005) European Resuscitation Council
guidelines for resuscitation 2005. Section 7. Cardiac arrest in special
Die meisten Elektrounfälle in Haushalt und Beruf treten durch circumstances. Resuscitation 67 [Suppl 1]: S135–170
Wechselstrom auf. Der Kontakt mit Wechselstromquellen kann Vougiouklakis T, Peschos D, Doulis A et al. (2005) Sudden death from con-
durch Muskeltetanien und eine dadurch resultierende Unfähig- tusion of the right atrium after blunt chest trauma: case report and
keit, von der Stromquelle »loszulassen«, prolongiert werden. review of the literature. Injury 36: 213–217
483 26

Funktionelle Herzbeschwerden
D. Skowasch, G. Nickenig

26.1 Definition – 483 26.3 Extrakardiale Erkrankungen – 485

26.2 Funktionelle Herzbeschwerden bei somatischer 26.4 Funktionelle Herzbeschwerden ohne somatische
Grunderkrankung – 483 Grunderkrankung – 485
26.2.1 Mitralklappenprolaps – 483
26.2.2 Syndrom X – 484 Literatur – 487
26.2.3 Koronare Herzerkrankung – 485

)) mals ein enges Wechselspiel zwischen der Grunderkrankung und


den durch die Erkrankung nicht ausschließlich zu erklärenden,
Kardiale Symptome zählen zu den häufigsten Beschwerden in der also mehr oder weniger funktionellen Symptomen. Eine weitere
Bevölkerung. Thorakale Schmerzen, Palpitationen, Engegefühl, Patientengruppe zeigt Herzbeschwerden, ohne dass organische
Dyspnoe oder andere herzbezogene Beschwerden wie ein retros- Veränderungen nachgewiesen werden können; deshalb werden
ternales Druckgefühl treten mit einer Prävalenz zwischen 10 und diese als primär psychogen eingestuft (. Abb. 26.1).
25% auf. Sehr häufig ist in diesen Fällen eine somatische Ursache
nicht eruierbar, obwohl eine weiterführende und apparative Di-
agnostik eingeleitet wurde. 26.2 Funktionelle Herzbeschwerden bei
somatischer Grunderkrankung

26.1 Definition 26.2.1 Mitralklappenprolaps

Aus historischer Sicht existiert eine Vielzahl von Definitionen Definition


funktioneller Herzbeschwerden, die sich oft auf die vermutete Der Mitralklappenprolaps ist durch eine funktionelle Störung
Genese beziehen und Ausdruck der ätiologischen und der di- der Mitralklappe, die mit dem systolischen Prolabieren eines
agnostischen Unsicherheit sind. Funktionelle Herzbeschwerden oder beider Mitralsegel in den linken Vorhof (>2 mm) einher-
sind Symptome, die sich nach heutigem Kenntnisstand nicht geht, definiert.
durch eine somatische Grunderkrankung begründen lassen
(Herrmann u. Rüger 1999). Es muss jedoch betont werden, dass
diese Definition eine organische Ursache nicht vollständig aus- Epidemiologie und Pathogenese
schließt, sondern vielleicht nur zum jetzigen Zeitpunkt nicht er- 4 Prävalenz zwischen 1 und 2,5%,
kennbar ist, da entsprechende diagnostische Methoden fehlen. 4 häufig im Zuge vererbbarer Bindegewebserkrankungen, wie
Die funktionellen Herzbeschwerden können auch zusätzlich zu Marfan- oder Ehlers-Danlos-Syndrom, Osteogenesis imper-
einer vorliegenden somatischen Erkrankung oder bei organisch fecta, Pseudoxanthoma elasticum,
gesunden Patienten auftreten. Bei der ersten Gruppe besteht oft- 4 pathoanatomisch: myxomatöse Proliferation,

. Abb. 26.1. Nosologische Einteilung der


funktionellen Herzbeschwerden
484 Kapitel 26 · Funktionelle Herzbeschwerden

4 Assoziation mit erhöhten Katecholaminspiegeln, eine höhere Morbiditäts- und Mortalitätsrate sind ein großer lin-
4 genetisch heterogene Vererbung, autosomal dominant mit ker Vorhof >40 mm, ein gestauchtes und verkürztes Mitralklap-
geschlechts- und altersabhängiger Penetranz; zwei identifi- pensegel, Vorliegen von Vorhofflimmern oder Alter >50 Jahre. Bei
zierte Genloci. etwa 15% der Patienten kommt es nach 10–15 Jahren zu einer pro-
gredienten Mitralklappeninsuffizienz. Außerdem sind Patienten
Klinische Symptome und Diagnostik mit einem Mitralklappenprolaps durch eine infektiöse Endokardi-
26 Die meisten Patienten mit Mitralklappenprolaps sind asympto- tis gefährdet (1–10%; Bonow et al. 2006). Eine neuere Kohorten-
matisch. Bei einem geringeren Teil der Patienten bestehen Palpi- studie zeigte eine Häufung von neurologischen ischämischen Er-
tationen, belastungsunabhängige Herzbeschwerden oder Stiche, eignissen, v. a. bei Patienten >50 Jahre mit verdickten Mitralsegeln.
Abgeschlagenheit, Luftnot oder leichte Ermüdbarkeit. Da die Schließlich sind bei diesen Patienten supraventrikuläre Arrhyth-
Symptome wenig spezifisch sind, sind sie oft nur schwer von funk- mien und ventrikuläre Rhythmusstörungen bis hin zum Kammer-
tionellen Herzbeschwerden abzugrenzen. Außerdem sind die ge- flimmern beschrieben worden; der plötzliche Herztod ist mit <2%
klagten Beschwerden häufig nicht oder nicht vollständig durch im Langzeitverlauf bei einer jährlichen Mortalitätsrate <1% jedoch
die geringfügigen hämodynamischen Veränderungen zu erklären. eine seltene Komplikation (Bonow et al. 2006).
Daher wird als Ursache dieses Beschwerdekomplexes eine zusätz-
liche autonome Dysfunktion angenommen. In diesem Zusam-
menhang kann es insbesondere bei Patienten mit erhöhter Angst- 26.2.2 Syndrom X
bereitschaft zu Panikattacken kommen (Bonow et al. 2006).
Definition
> Der charakteristische Auskultationsbefund beim Mitralklappen-
Das Syndrom X ist durch eine typische Angina-pectoris-
prolaps ist der mesosystolische Klick mit Punctum maximum
Symptomatik mit pathologischer Ergometrie und Ausschluss
über der Herzspitze.
einer koronaren Makroangiopathie sowie einer vasospasti-
Dieser ist Ausdruck des Prolabierens des Mitralsegels in der Sys- schen Angina pectoris charakterisiert. Die Herzklappen und
tole. Bei begleitender Mitralinsuffizienz ist zusätzlich ein Systoli- das Myokard sind nicht krankhaft verändert, und es bestehen
kum auszukultieren. Die Echokardiographie ist der »Goldstan- keine arterielle Hypertonie und/oder Diabetes mellitus.
dard« der Diagnostik des Mitralklappenprolapses. Hierbei kann
das Prolabieren eines oder beider Mitralklappensegel in der ein-
dimensionalen und insbesondere in der zweidimensionalen Das Syndrom wurde erstmals 1910 durch William Osler, Oxford,
Echokardiographie nachvollzogen werden. Der klassische Mi- beschrieben, allerdings erst 1973 als Syndrom X definiert. Nicht
tralklappenprolaps ist durch eine Verdickung (>5 mm) eines oder zu verwechseln ist das koronare Syndrom X mit dem metabo-
beider Segel charakterisiert, während beim nichtklassischen Pro- lischen Syndrom X, das die Kombination von Adipositas, arteri-
laps die Verdickung ≤5 mm beträgt. Zudem ist der Schweregrad eller Hypertonie, erhöhter Glukose- und Triglyzeridspiegel sowie
einer eventuell begleitenden Mitralinsuffizienz durch diese Me- niedriger HDL-Cholesterin-Spiegel beschreibt.
thode zu diagnostizieren.
Epidemiologie und Pathophysiologie
Therapie 4 10–20% der Patienten mit typischer Angina-pectoris-Symp-
Asymptomatische Patienten werden nicht behandelt. Bei Pati- tomatik und positivem Ischämietest weisen ein normales
enten mit einem typischen systolischen Geräusch und/oder echo- Koronarangiogramm auf,
kardiographischem Nachweis einer Mitralinsuffizienz (Empfeh- 4 mikrovaskuläre Dysfunktion, endotheliale Dysfunktion, ver-
lungsgrad I, Evidenzgrad C) oder deutlich verdickten Mitralse- minderte koronare Flussreserve – mit reduzierter Bioverfüg-
geln (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C) ist eine Endokardi- barkeit von vasodilatorisch wirkendem NO und erhöhten
tisprophylaxe obligat. Gehäufte Extrasystolen, supraventrikuläre Plasmaspiegeln des vasokonstriktorisch wirkenden Endothe-
Tachykardien oder Palpitationen können bei ausgeprägtem kli- lin-1,
nischen Schweregrad mit einem β-Rezeptorenblocker therapiert 4 Assoziation mit den Risikofaktoren Rauchen, Adipositas,
werden. Eine bestehende Mitralklappeninsuffizienz wird unab- Hypercholesterinämie und Inflammation (erhöhte CRP-
hängig von dem gleichzeitig bestehenden Mitralklappenprolaps Spiegel),
entsprechend dem Schweregrad der Mitralklappeninsuffizienz 4 Östrogenmangel: erhöhte Prävalenz bei Frauen in der Meno-
behandelt (Bonow et al. 2006; Daniel et al. 2006). Bei vorlie- pause, weniger endothelzellabhängige Freisetzung von Stick-
gendem Mitralklappenprolaps kann es zu Panikstörungen und stoffmonoxid und vermehrte Freisetzung freier Sauerstoffra-
funktionellen Herzbeschwerden kommen, die häufig nicht durch dikale,
den Schweregrad des Mitralklappenvitiums zu erklären sind. Ins- 4 abnormale Schmerzperzeption: häufig erhöhte Schmerzwahr-
besondere bei Patienten ohne relevante Mitralklappeninsuffizi- nehmung, Natrium- und Adenosinfreisetzung sowie Modu-
enz kann eine Therapie versucht werden, die neben dem oft ver- lationen der Schmerzperzeption – durch erhöhte kortikale
ordneten β-Rezeptorenblocker eine psychosomatisch orientierte Aktivität und gestörte Thalamusfunktion; dadurch schmerz-
Therapie beinhaltet. haftes Empfinden bei Veränderungen der Kontraktilität und
Herzfrequenz oder Dehnung arterieller Gefäße,
Prognose 4 Inbalance zwischen sympathischem und vagalem Nervensys-
Der Großteil der Patienten hat eine normale Lebenserwartung. Die tem; dadurch Steigerung der Schmerzwahrnehmung und der
Prognose der Erkrankung ist vom Grad der Mitralklappeninsuffi- endothelialen Dysfunktion,
zienz und einer evtl. vorliegenden Einschränkung der linksventri- 4 hohe Koinzidenz behandlungspflichtiger psychiatrischer Er-
kulären Pumpfunktion abhängig. Sekundäre Risikofaktoren für krankungen (ein Drittel der Syndrom-X-Patienten).
26.4 · Funktionelle Herzbeschwerden ohne somatische Grunderkrankung
485 26
Klinische Symptome und Diagnostik einer depressiven Verstimmung, die mit verstärkten subjektiv
Die Patienten klagen über Angina-pectoris-Symptome, die be- empfundenen Symptomen einhergehen kann. Eine Untersu-
lastungsabhängig und auch belastungsunabhängig auftreten chung an Patienten mit KHK konnte zeigen, dass die Symptom-
können. Allerdings hat nur etwa die Hälfte der Patienten mit angaben möglicherweise mehr vom Ausmaß der Ängstlichkeit
Syndrom X typische Angina-pectoris-Symptome. Die Beschwer- als vom objektiven kardialen Befund abhängen. Zudem gibt
den können sehr schwerwiegend sein und führen nicht selten es Berichte, denen zufolge die Häufigkeit pektanginöser Be-
zur notfallmäßigen Aufnahme des Patienten. Die klinische Un- schwerden während einer Belastungsischämie durch psychische
tersuchung zeigt in der Regel keine richtungweisenden Befunde. Variablen wesentlich beeinflusst wird. Daneben ist nicht aus-
Das Ruhe-EKG ist in der Regel normal, allerdings kann es zu zuschließen, dass bei Koronarpatienten pektanginöse Beschwer-
unspezifischen Veränderungen der ST-Strecke oder der T-Welle den auftreten, ohne dass entsprechende Ischämienachweise
kommen. Etwa 20% der Patienten mit Angina-pectoris-Symp- geführt werden können. Nicht zuletzt aufgrund der Schwere
tomen und normaler Koronarangiographie haben ein patholo- der Erkrankung ist bei Patienten mit KHK eine enge Wechsel-
gisches Belastungs-EKG. Die linksventrikuläre Pumpfunktion beziehung zwischen Psyche und organischem Befund erklär-
ist nur selten eingeschränkt. Die Koronarangiographie zeigt den lich. Zudem ist es schwierig festzustellen, ob tatsächlich keine
Ausschluss einer koronaren Makroangiographie. Die einge- organisch bedingte Ischämie vorliegt und damit nur psychische
schränkte koronare Flussreserve kann schließlich in der intrako- Faktoren eine Rolle spielen. So konnte die WISE-Studie zeigen,
ronaren Doppleruntersuchung diagnostiziert werden. Nichtin- dass auch bei Patientinnen ohne relevante Koronarstenosen,
vasiv kann die koronare Flussreserve mithilfe der Dopplerecho- aber mit persistierendem Throraxschmerz (>1 Jahr) eine signi-
kardiographie im Koronarsinus oder in der proximalen LAD fikant erhöhte kardiovaskuläre Ereignisrate im Vergleich zu
bestimmt werden. Dazu werden die Flussgeschwindigkeiten zu- Patientinnen ohne persistierende thorakale Beschwerden be-
erst in Ruhe, dann nach pharmakologischer Belastung (Adeno- steht (Johnson et al. 2006). Ursächlich ist hier u. a. die endo-
sin, Dipyridamol, Papaverin) bestimmt. Eine reduzierte Flussre- theliale Dysfunktion, die sich in der Gefäßwand zur atheroskle-
serve liegt vor, wenn der Fluss nach maximaler Vasodilatation rotischen Plaque entwickeln kann. Daher kann geschlussfolgert
um weniger als das 2-Fache ansteigt. Eine MRT zur Messung der werden, dass Patienten mit KHK und/oder endothelialer Dys-
Myokardperfusion in Ruhe und nach Infusion von Adenosin funktion einer engen und einfühlsamen Arzt-Patient-Bezie-
kann bei Patienten mit Syndrom X eine Minderperfusion des hung, aber im Regelfall keiner psychosomatischen Diagnostik
Subendokards nachweisen. oder Therapie bedürfen. Nichtsdestotrotz sollten die Patienten,
für die eine funktionelle Symptomatik im Rahmen der kardiolo-
Therapie gischen Betreuung wahrscheinlich gemacht werden konnte,
Die Therapie richtet sich nach dem vermuteten vorherrschenden einer entsprechenden psychosomatischen Behandlung zuge-
Pathomechanismus. Bei allen Patienten mit Syndrom X sollte führt werden.
eine Reduktion der kardialen Risikofaktoren angestrebt werden.
Statine sind großzügig zu verabreichen. Physikalisches Training
verbessert die Schmerzwahrnehmung ebenso wie die endotheli- 26.3 Extrakardiale Erkrankungen
ale Dysfunktion. β-Rezeptorenblocker und Kalziumantagonis-
ten können v. a. bei dokumentierter Myokardschämie nützlich Neben kardial bedingten Erkrankungen können extrakardiale
sein. Nitrate sind immerhin in der Hälfte der Fälle erfolgreich. Erkrankungen zu thorakalen Beschwerden führen, die als Angi-
Bei mikrovaskulärer Dysfunktion sind Hormonersatztherapie na pectoris verkannt werden. Hier sind pulmonale, gastrointes-
und ACE-Hemmer zu bevorzugen (Kaski 2004). Metformin tinale sowie Erkrankungen des Nervensystems und des Skeletts
konnte in einer kleinen aktuellen Studie die vaskuläre Funktion zu nennen.
und konsekutive Myokardischämie bei Nichtdiabetikern mit ty-
pischer Angina, unauffälligen Koronarien und positivem Ischä-
mietest signifikant verbessern (Jadhav et al. 2006). Das multidis- 26.4 Funktionelle Herzbeschwerden ohne
ziplinäre Therapiekonzept sieht ggf. zusätzlich analgetische und somatische Grunderkrankung
begleitende psychotherapeutische Behandlungen vor; hier lie-
gen vereinzelte positive Bericht über Imipramin und Amino- Definition
phyllin, TENS und SCS vor. Funktionelle Syndrome sind Beschwerdebilder mit unter-
schiedlicher Organsymptomatik, ohne dass organpatholo-
Prognose gische Veränderungen nachgewiesen werden können. Der
Patienten mit Syndrom X haben eine normale, altersentspre- Begriff der funktionellen Herzbeschwerden oder funktio-
chende Prognose. Allerdings kann es durch die rezidivierende nellen Herz-Kreislauf-Beschwerden hat viele Synonyme
Beschwerdesymptomatik, daraus folgende Krankenhausaufent- (. Abb. 26.1), nach ICD-10 »somatoforme autonome Funk-
halte und diagnostische Eingriffe zu einer erheblichen Ein- tionsstörungen des kardiovaskulären Systems«.
schränkung der Lebensqualität und zu vermehrten Krankheits-
kosten kommen.
Epidemiologie und Pathophysiologie
4 Häufigkeitsangaben zwischen 2 und 40%,
26.2.3 Koronare Herzerkrankung 4 10–25% der Patienten einer allgemeinmedizinischen oder
internistischen Praxis,
Bei vorliegender KHK können zusätzliche funktionelle Symp- 4 pathologische Angstverarbeitung oder erhöhte Angstbereit-
tome bestehen. Nach einem Herzinfarkt kommt es häufig zu schaft,
486 Kapitel 26 · Funktionelle Herzbeschwerden

4 aus psychoanalytischer Sicht neurotische Störungen, die in oder Kardiologen erhoben werden und typische Begleitbeschwer-
eine offen symbiotische (Typ A) und pseudounabhängige den wie respiratorische, vegetative und psychische Beschwerden
Form (Typ B) unterteilt werden, einschließen. In den meisten Fällen wird zusätzlich eine genaue
4 grundlegende psychophysische Regulationsschwäche, gene- kardiologische Diagnostik erfolgen, die den Nachweis oder den
tisch determiniert, Ausprägung der psychovegetativen Stö- Ausschluss einer organischen Herzerkrankung zum Ziel hat.
rung in Abhängigkeit von der somatischen und der seeli- Sollten die Beschwerden auf extrakardiale organische Erkran-
26 schen Lebensgeschichte, daneben Stressanfälligkeit, leichtere kungen hinweisen, so sind die Untersuchungen entsprechend
Konditionierbarkeit, Introversion, erhöhte Sympathikotonie, auszuweiten (z. B. Gastrointestinaltrakt, Lunge). Wenn die
erhöhte Blutlaktatkonzentrationen. Anamnese einen für funktionelle Herzbeschwerden typischen
Befund ergibt und die exakte Diagnostik zum Ausschluss einer
Klinische Symptome erkennbaren, organisch bedingten Herzerkrankung führt, kann
Patienten mit funktionellen Herzbeschwerden geben eine Viel- eine weiterführende psychosomatische Diagnostik erfolgen.
zahl von Beschwerden an. Dies wiederum bedeutet, dass sich die
Beschwerden der Patienten oft nicht nur dem Herzen, sondern Therapie
vielen weiteren Organen des Körpers zuordnen lassen. Es handelt Eine über die medizinische Abklärung hinausgehende anamnes-
sich somit häufig um ein generalisiertes Krankheitsbild, bei dem tische Diagnostik empfiehlt sich, um so einer Fixierung oder
mehr oder weniger eine Fokussierung auf ein Organ erfolgt. Bei Chronifizierung der Symptomatik vorzubeugen und die Über-
den funktionellen Herzbeschwerden stehen Symptome, die mit weisung zu einer psychosomatischen Abklärung so zu gestalten,
der Anatomie und der Funktion des Herzens im Zusammenhang dass sich der Patient nicht abgeschoben oder gekränkt fühlt. Wenn
stehen, im Vordergrund. eine organisch bedingte Herzerkrankung ausgeschlossen werden
Patienten mit funktionellen Herzbeschwerden zeichnen sich konnte und die psychosomatische Exploration die Diagnose eines
zumeist durch eine allgemeine Ängstlichkeit aus. Häufig sind di- funktionellen kardiovaskulären Syndroms gestellt hat, sollte eine
ese Patienten nur schwerlich von der Validität der als unauffällig individuell abgestimmte Therapie eingeleitet werden.
erhobenen Untersuchungsbefunde zu überzeugen. Dies geht mit Tranquilizer sind nur bei stark ausgeprägter Symptomatik
der Angst einher, dass etwas übersehen worden sei. Die allgemei- mit psychischer Unruhe und hoher Angstintensität vorüberge-
ne Ängstlichkeit der Patienten kann dazu führen, dass Situati- hend indiziert. Hierdurch können die Symptomatik der funktio-
onen, in denen Beschwerden aufgetreten sind, vermieden wer- nellen Herzbeschwerden und auch die oft begleitenden Schlafstö-
den. Dies kann zu einer Einengung des Lebensraumes führen, rungen sehr oft positiv beeinflusst werden. Eine Dauertherapie
wie es auch bei der Agoraphobie vorkommt. Hieraus ergeben sich ist insbesondere aufgrund des Abhängigkeitspotenzials nicht
Ähnlichkeiten zu phobischen Verhaltensweisen, woraus sich empfehlenswert. Bei subjektiv empfundenen Herzrhythmusstö-
auch der Begriff der »Herzphobie« erklärt. Die Kombination aus rungen und Tachykardien können β-Rezeptorenblocker einge-
erhöhter Angstbereitschaft und Einengung des Lebensraumes setzt werden, um den vegetativen Circulus vitiosus zu durchbre-
führt bei einer Vielzahl dieser Patienten zur Schonungstendenz. chen. Hierdurch wird das angstauslösende Körpersignal in seiner
Zudem entwickelt sich nicht selten ein übermäßiges Kontrollbe- Häufigkeit und Intensität vermindert, sodass im zweiten Schritt
dürfnis. Der Patient zeichnet sich dann durch ein zwanghaftes auch die psychische Alteration des Patienten positiv beeinflusst
Beachten ärztlicher Vorschriften aus; Therapieempfehlungen werden kann. Bei funktionellen Herzbeschwerden sollte diese
werden genauestens eingehalten und dokumentiert. Charakteris- Therapie aber nicht ohne begleitende psychosomatische Behand-
tisch für diese Patienten ist, dass die starken Herzbeschwerden lung erfolgen, da es ohne entsprechende Aufklärung und Weiter-
bei Anwesenheit eines Arztes entweder regelmäßig sistieren oder behandlung durch die medikamentöse Therapie zu einer wei-
erst gar nicht auftreten. Aus Sicht der Patienten kommt es zu einer teren Fixierung des Krankheitsbildes kommen kann. Dies bedeu-
sehr engen Arzt-Patient-Beziehung, die möglicherweise mit tet, der Patient empfindet die medikamentöse Therapie als Bestä-
Trennungsängsten verbunden wird. Der Arzt gilt als wichtige und tigung seiner Annahme, dass er herzkrank sei. Insbesondere im
schützende Bezugsperson. Ein weiteres Merkmal besteht in der Zusammenhang mit phobischen Herzbeschwerden und Panik-
oft sehr ausgeprägten depressiven Grundstimmung, die sich in attacken wurden kursorische Therapieerfolge mit Imipramin
vermindertem Antrieb, in vermehrtem Grübeln über die körper- berichtet.
liche Befindlichkeit und durch verminderte Leistungsfähigkeit Die psychodynamischen Prozesse und Persönlichkeitsmerk-
äußert (Herrmann u. Rüger 1999). male bieten einen Ansatzpunkt zur psychosomatischen Thera-
pie (Hermann u. Rüger 1999). Eine Studie zeigte, dass eine kurze
Diagnostik Gesprächsintervention durch eine kardiologisch ausgebildete
Im Mittelpunkt der Diagnostik bei Patienten mit funktionellen Krankenschwester keine Symptombesserung erbrachte. Im Ge-
Herzbeschwerden steht die Anamnese. Anhand der Beschwer- gensatz dazu zeigte eine andere Studie, dass eine kognitiv-beha-
desymptomatik lässt sich sehr häufig eine Zuordnung zu funkti- viorale Gruppentherapie zu einer signifikanten Beschwerdebes-
onellen oder organisch bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen serung führte. Im Rahmen dieser Therapie wurden ausgedehnte
herstellen. Meistens sind jüngere Patienten betroffen, und das Informationen über Art und Prognose der Beschwerden an die
Auftreten der funktionellen Herzbeschwerden ist von den klas- Patienten weitergegeben. Die Gruppentherapie vermittelte alter-
sischen koronaren Risikofaktoren unabhängig. Außerdem native Verarbeitungskonzepte für die Patienten (im Gegensatz zu
kommt es zu den typischen funktionellen Herzbeschwerden in den katastrophisierenden Sichtweisen der Patienten); Entspan-
der Regel unabhängig von einer Belastung, nicht selten wird so- nungs- und Atemübungen sollten den Umgang mit der kardialen
gar von einer Beschwerdebesserung unter körperlicher Anstren- Symptomatik verändern. Die körperliche Aktivität wurde all-
gung gesprochen. Die psychosomatische Basisanamnese sollte, mählich gesteigert, um das Vorliegen des Vermeidungsverhaltens
wenn möglich, durch einen Allgemeinmediziner, Internisten zu überwinden. Schließlich wurden die vorliegenden psychoso-
Literatur
487 26

zialen Belastungen lösungsorientiert bearbeitet. Diese Therapie, der Symptomatik. Ein Patient mit funktionellen Herzbeschwer-
die aus maximal 12 Sitzungen bestand, führte zu einer Vermin- den entwickelt häufig zusätzliche Befindlichkeitsstörungen, die
derung der Symptomatik bei den teilnehmenden Patienten. anderen Organsystemen zuzuordnen sind (z. B. abdominelle Be-
schwerden).
Prognose
Die Prognose quo ad vitam ist bei Patienten mit funktionellen
Herzbeschwerden normal und altersentsprechend. Allerdings Literatur
bestehen bei über 50% der betroffenen Patienten unverändert
starke Beschwerden weiter (Hermann u. Rüger 1999). In 50% der Bonow RO, Carabello BA, Chatterjee K et al. (2006) ACC/AHA 2006 guide-
Fälle kommt es zur Einnahme verschiedener Medikamente, und lines for the management of patients with valvular heart disease. Cir-
nahezu 100% der Patienten sind in ihren täglichen Aktivitäten culation 114: e84–231
eingeschränkt und behindert. Subjektiv wird der eigene Krank- Daniel WG, Baumgartner H, Gohlke-Bärwolf et al. (2006) Klappenvitien im
heitsverlauf im Vergleich zu Koronarpatienten als signifikant Erwachsenenalter. Clin Res Cardiol 95: 620–641
schlechter eingeschätzt. Im Rahmen der geschilderten Herzbe- Herrmann C, Rüger U (1999) Funktionelle Herzbeschwerden. Dtsch Arztebl
schwerden kommt es zu häufigen Hospitalisierungen. Außerdem 3: 39–43
kann es bedingt durch die Persönlichkeitsstruktur, die psychoso- Jadhav S, Ferrell W, Greer IA et al. (2006) Effects of metformin on microvas-
cular function and exercise tolerance in women with angina and nor-
zialen Konflikte und die Beschwerdesymptomatik zu einer Aus-
mal coronary arteries. J Am Coll Cardiol 48: 956–963
weitung der psychischen Symptomatik kommen. Die wesentliche
Johnson BD, Shaw LJ, Pepine CJ et al. (2006) Persistent chest pain predicts
Verlaufsprognose ergibt sich in erster Linie durch bestimmte Per- cardiovascular events in women without obstructive coronary artery
sönlichkeitsmerkmale. Insbesondere die Neigung zur Somatisie- disease. Eur Heart J 27: 1408–1415
rung zum Zeitpunkt der initialen Diagnostik gilt als Indikator für Kaski JC (2004) Pathophysiology and management of patients with chest
eine ungünstige Prognose. Nicht selten kommt es bei diesen Pa- pain and normal coronary arteriograms (cardiac syndrome X). Circu-
tienten im Krankheitsverlauf zur Änderung oder zur Ausweitung lation 109: 568–572
489 27

Seltene Herzerkrankungen
K. Frank, J. Müller-Ehmsen

27.1 Seltene Kardiomyopathien und 27.3 Kardiale Manifestation bei neurologischen


Myokarditiden – 489 Erkrankungen – 494
27.1.1 Fehlernährung (Beriberi, Kwaschiorkor, 27.3.1 Guillain-Barré-Syndrom – 494
Anorexia nervosa) – 489 27.3.2 Friedreich-Ataxie – 494
27.1.2 Bestrahlung, Hitzeschock und Hypothermie – 490 27.3.3 Myasthenia gravis – 495
27.1.3 Kawasaki-Krankheit – 490 27.3.4 Duchenne-Muskeldystrophie – 495
27.1.4 Toxische und medikamentös induzierte 27.3.5 Myotone Muskeldystrophie – 495
Myokarditiden – 491 27.3.6 Kearns-Sayre-Syndrom – 496

27.2 Kardiale Mitbeteiligung bei 27.4 Seltene angeborene Syndrome mit kardialer
Infektionserkrankungen – 491 Beteiligung – 496
27.2.1 Leptospirose (Morbus Weil) – 491 27.4.1 Holt-Oram-Syndrom – 496
27.2.2 Lyme-Karditis – 492 27.4.2 Ellis-van-Creveld-Syndrom – 496
27.2.3 Lues (Syphilis) – 492 27.4.3 Kartagener-Syndrom – 497
27.2.4 Morbus Whipple – 492 27.4.4 LEOPARD-Syndrom – 497
27.2.5 Pilzinfektionen – 492 27.4.5 Rubinstein-Taybi-Syndrom – 497
27.2.6 Chagas-Krankheit – 493 27.4.6 DiGeorge-Syndrom – 497
27.2.7 Echinokokkosen – 493 27.4.7 Ehlers-Danlos-Syndrom – 497
27.2.8 Malaria – 494 27.4.8 PAGOD-Syndrom – 497

Literatur – 498

)) selprodukte im Herzen zu einer Funktionseinschränkung mit


zunächst gestörter Relaxation, dann aber auch systolischer Kon-
Zu den seltenen Herzerkrankungen gehören perikardiale, myo- traktilitätsminderung und Störung der Reizleitung. Speicher-
kardiale oder endokardiale Beteiligungen bei Systemerkran- krankheiten mit häufiger kardialer Beteiligung sind die Hämo-
kungen (Speicherkrankheiten, Beriberi-Krankheit, M. Kawasaki, chromatose, Hämosiderose, Amyloidose, Glykogenspeicher-
Karzinoidsyndrom etc.), bei verschiedenen Infektionen (z. B. krankheiten (insbesondere Typ II, M. Pompe), Mukopolysaccha-
Lyme-Karditis bei Borreliose, Echinokokkose mit Herzbefall, Pilz- ridose, M. Fabry und die Sphingolipidose (M. Gaucher).
endomyokarditis), bei neuromuskulären Erkrankungen, bei ver- Diagnostisch kann hier die Myokardbiopsie wegweisend sein
schiedenen endokrinologischen Erkrankungen (z. B. M. Cushing, (Evidenzgrad IB). Um Frühformen einer kardialen Beteiligung
Hyperthyreose, Phäochromozytom etc.) und bei verschiedenen einer Speicherkrankheit zu erfassen, kann die Erfassung von Re-
kongenitalen Syndromen. Zudem findet sich in seltenen Fällen laxationsstörungen mithilfe der Echokardiographie durchgeführt
eine primäre bzw. sekundäre Tumormanifestation im Bereich des werden (E/A-Quotient, Dezelerationszeit).
Herzens (7 Kap. 21).
Therapie. Die symptomatische Therapie einer Herzinsuffizenz
und die mögliche Behandlung der Grunderkrankung stehen im
27.1 Seltene Kardiomyopathien und Vordergrund. Dennoch bestehen einige spezifische Besonder-
Myokarditiden heiten, die bei der Therapie dieser Erkrankungen zu beachten
sind. So sind beispielsweise Digitalispräparate bei Amyloidose
Von den idiopathischen Formen mit unklarer Ätiologie werden nur sehr vorsichtig einzusetzen, da Patienten mit dieser Erkran-
spezifische Kardiomyopathien unter ätiologisch-pathogenetischen kung eine erhöhte Herzglykosidsensitivität haben. Auch endokri-
Gesichtspunkten abgegrenzt. Hierzu gehören familiäre bzw. gene- ne Erkrankungen und Funktionsstörungen (z. B. Akromegalie,
tisch determinierte, inflammatorische bzw. viral und immunolo- Thyreotoxikose, Hypothyreose und Phäochromozytom) können
gisch bedingte, alkoholische und toxische, ischämische, valvuläre, zu einer Beeinträchtigung der Herzfunktion führen.
hypertensive (Hypertonieherz) sowie metabolische Formen und
Kardiomyopathien, die im Zusammenhang mit einer Systemer-
krankung auftreten (SLE, PCP, Periarteriitis nodosa, Dermatomy- 27.1.1 Fehlernährung (Beriberi, Kwaschiorkor,
ositis, Sklerodermie, Sarkoidose, Muskeldystrophie, neuromusku- Anorexia nervosa)
läre Erkrankung oder Leukose). Die kardiale Beteiligung vaskuli-
tischer Krankheiten ist im 7 Abschn. 14.2.6 beschrieben. Beriberi. Beriberi wird durch einen Thiaminmangel (Vitamin B1)
Auch bei vielen Speicherkrankheiten ist der Herzmuskel be- hervorgerufen, der besonders häufig im Fernen Osten und bei
teiligt. Dabei führt die Ablagerung der überschüssigen Stoffwech- kohlenhydratreicher Kost vorkommt (z. B. geschälter Reis, Alko-
490 Kapitel 27 · Seltene Herzerkrankungen

hol). Klinisch stehen Ödeme sowie allgemeine Abgeschlagenheit und Muskeldegeneration auch zur Beeinträchtigung der kardi-
und Schwäche im Vordergrund. Das Herzminutenvolumen ist oft alen Funktion kommen. Hierbei kann die Hyperthermie eine
erhöht, am ehesten aufgrund eines verminderten peripheren Wi- direkte Rolle spielen, aber auch die verminderte Myokarddurch-
derstands. Bei der körperlichen Untersuchung fallen die anderen blutung bei instabilen Kreislaufverhältnissen mit Hypoxie und
typischen Zeichen der Minder- und Fehlernährung auf, wie z. B. dem verminderten Abtransport sowie Abbau von Stoffwechsel-
Polyneuropathie, Glossitis, Anämie und Hautveränderungenen. produkten trägt zur Pathophysiologie bei. Immer ist eine Sinus-
Ohne hämodynamische Fehlfunktion spricht man vom »trocke- tachykardie zu finden, aber auch Erregungsrückbildungsstörun-
nen« Beriberi, bei Zeichen der Herzinsuffizienz vom »feuchten« gen wurden beobachtet. Die CK- und CKMB-Werte im Serum
Beriberi. Hierbei stehen eine rechts- und linksventrikuläre können als Zeichen der Myokardschädigung erhöht sein.
27 Pumpschwäche, Sinustachykardie und eine Hypotonie bei ver- Andererseits führt auch eine Hypothermie zu einer Schä-
mindertem systemischen Gefäßwiderstand im Vordergrund. digung des Herzens. Eine Dilatation des Herzens, epikardiale
Die Herzinsuffizienz kann bis zum Lungenödem und zum kar- Petechien und subendokardiale Einblutungen können, mög-
diogenen Schock führen. Selten findet sich auch eine isolierte licherweise als Ausdruck von Mikrozirkulationsstörungen, beob-
Rechtsherzinsuffizienz. Die Therapie besteht neben der Kreis- achtet werden. Sinusbradykardie und Blockbilder gehören zu den
laufstabilisierung in der Behandlung des ursächlichen Thiamin- klassischen Beobachtungen im EKG.
mangels. Hierunter sind die klinischen Symptome meist rever-
sibel.
27.1.3 Kawasaki-Krankheit
Kwaschiorkor. Auch bei anderen Formen der Fehlernährung sind
Herz und Kreislaufsystem betroffen. So führt eine allgemeine Un- Definition
terernährung zu einer Hypotrophie des Herzmuskels mit vermin- Die Kawasaki-Krankheit wurde erstmals 1967 in Japan be-
derter Auswurfleistung und Hypotonie. Generalisierte Ödeme schrieben. Sie ist eine generalisierte Vaskulitis unklarer Ätiolo-
und Aszites entstehen durch die Herzinsuffizienz, aber auch auf- gie und ist die häufigste Ursache für eine ischämische Herzer-
grund des verminderten Gesamtproteingehalts im Plasma. Durch krankung im Kindesalter weltweit.
den verminderten Proteingehalt im Plasma wird zudem die
Ödem- und Aszitesbildung verstärkt. Anämie und Elektrolytent-
gleisungen tragen zusätzlich zur verminderten Belastbarkeit und Diagnosekriterium ist das Vorliegen von hohem Fieber von mehr
zu einer verminderten hämodynamischen Stabilität bei. als 5-tägiger Dauer zusammen mit 4 der folgenden 5 Hauptsymp-
tome der Erkrankung (Newburger et al. 2004):
Anorexia nervosa. Während die oben genannten Erkrankungen 4 Extremitätenveränderungen: Erytheme und Ödeme der
in den westlichen Industrieländern selten anzutreffen ist, tritt die Hände und Füße mit späterer Desquamation der Haut im
Anorexia nervosa vorwiegend in wohlhabenden Ländern auf. Bereich der Fingerbeeren und Handrücken,
Die Morbidität dieser meist bei jungen Frauen auftretenden Er- 4 polymorphes stammbetontes Exanthem,
krankung beruht v. a. auf einem Protein- und Kohlenhydratman- 4 beidseitige schmerzlose konjunktivale Injektion ohne Exsu-
gel mit Destruktion der Myofibrillen, die sowohl die Skelettmus- dat,
kulatur als auch den Herzmuskel selber betreffen können. Echo- 4 Veränderungen der Lippen und der Mundhöhle: Gingivitis,
kardiographisch fallen kleine Herzhöhlen, dünne Ventrikelwän- Himbeerzunge und Lacklippen,
de und im fortgeschrittenen Stadium eine eingeschränkte 4 zervikale Lymphadenopathie (>1,5 cm), häufig einseitig.
Pumpfunktion auf. Störungen im Elektrolythaushalt können zu
Arrhythmien (insbesondere QT-Zeit-Verlängerung) bis hin zum Weitere Symptome sind häufig eine Beteiligung des ZNS (Menin-
plötzlichen Herztod führen (Casiero u. Frishman 2006). gitis, Liquorpleozytose), der Nieren (Leukozyturie, Proteinurie),
Arthralgien, eine Enteritis sowie eine Hepatitis mit leichtem Ik-
terus. Häufig kommt es zu einer Beteiligung des Myokards als
27.1.2 Bestrahlung, Hitzeschock und Hypothermie Myokarditis, Perikarditis oder Koronariitis.
! Cave
Obwohl das Herz als eher strahlenresistent gilt, gibt es zahlreiche
Im Rahmen der Koronarbeteiligung kann es typischerweise zu
Komplikationen, die infolge Strahlenbehandlung beobachtet
Thrombosen- und Aneurysmatabildung der Koronarien kommen.
wurden. Vor allem sind dies Perikarditis mit Perikarderguss, Fib-
Ernste Komplikationen aufgrund eines Koronarbefalls treten in
rose von Koronararterien, Myokardfibrose und Rhythmusstö-
etwa 2–3% der Patienten auf. Die Letalität eines Myokardinfarkts
rungen. Ursache dafür ist v. a. die Schädigung von kapillären
ist ähnlich hoch wie bei erwachsenen Patienten (ca. 22%).
Endothelzellen und größeren Gefäßen. Selten tritt eine Bestrah-
lungsreaktion (z. B. als akute Perikarditis) unmittelbar nach In Laborwerten zeigen sich allgemeine Entzündungszeichen, ins-
Strahlenexposition auf, meist vergehen zunächst Monate oder besondere des CRP, das auch zum weiteren Follow-Up der Pati-
Jahre. In den meisten Fällen ist dann das Perikard mit restriktiven enten herangezogen wird (Newburger et al. 2004). Vor allem
Veränderungen betroffen, während das Myokard seltener geschä- wegen der koronaren Mitbeteiligung treten letale Verlaufsformen
digt wird. Nach Bestrahlung treten vermehrt papilläre Fibroelas- bei ca. 1–2% der Erkrankten auf, meist innerhalb der ersten 4 Er-
tome auf (7 Abschn. 21.1.2). krankungswochen. Bei den meisten Patienten heilt die Kawasaki-
Beim Hitzeschock stehen primär systemische pathophysio- Krankheit folgenlos aus.
logische Prozesse wie disseminierte intravaskuläre Gerinnung Zur Beurteilung der kardialen Beteiligung sind Echokardio-
(DIC), Niereninsuffizienz und ZNS-Dysfunktion im Vorder- graphie, MRT bzw. kardiales CT wesentliche diagnostische Hilfs-
grund. Dennoch kann es durch Einblutung, Nekrosen, Ödem mittel. Es können sowohl eine begleitende Perikarditis mit Peri-
27.2 · Kardiale Mitbeteiligung bei Infektionserkrankungen
491 27

karderguss als auch Veränderungen der Koronarmorphologie


(Aneurysmen) diagnostiziert werden. Dabei zeigen ca. 50% der
Kinder mit Koronaraneurysmata in invasiven Untersuchungen
1–2 Jahre später unaufällige Koronargefäße. Allerdings ist das
Vorliegen von Koronaraneurysmata >8 mm ein bedeutsamer Ri-
sikofaktor für thrombotische Verschlüsse mit Myokardinfarkt
und LV-Funktionsstörungen.
Aufgrund der unbekannten Ätiologie ist derzeit keine spezi-
fische Therapie möglich. Im Vordergrund stehen immunsupres-
sive Ansätze; v. a. die frühe i.v.-Gabe (innerhalb von 10 Tagen
nach Beginn der Erkrankung) von γ-Globulinen und ASS kann
das Risiko für das Auftreten von bedeutsamen Koronarverände-
rungen deutlich senken. Die weiteren Therapieempfehlungen,
die von der American Heart Association veröffentlicht wurden, a
richten sich nach der Schwere der Koronarbeteiligung (keine
Beteiligung bis Koronarobstruktion) und beziehen in schwereren
Fällen eine längerfristige Thrombozytenaggregationshemmung
bzw. Antikoagulation, Kortikosteroidtherapie, Pentoxifyllinga-
be, Antikörpertherapie (Abciximab) bis hin zur Plasmapherese
ein. Bei ausgeprägten Veränderungen der Koronarmorphologie
sind regelmäßige Koronarographien (1-mal/Jahr) notwendig.

27.1.4 Toxische und medikamentös induzierte


Myokarditiden

Neben viralen, bakteriellen oder parasitischen Infektionen kön-


b
nen auch kardiotoxische Substanzen oder Medikamente zu einer
Beeinträchtigung der myokardialen Funktion führen. Inflam- . Abb. 27.1a,b. Adriamycintoxizität. a Toxischer Effekt an einzelnen
matorische Veränderungen können mit Myozytennekrosen (z. B. Myozyten in Form von unterschiedlich großen, intrazytoplasmatischen
Arsen oder Lithium) oder Hypersensitivitätsreaktionen (z. B. bei Vakuolen. Masson-Trichrom-Färbung, Vergr. 100:1. b Das elektronenmi-
kroskopische Korrelat der lichtmikroskopischen Vakuolisierung ist eine
Sulfonamiden) einhergehen. Chronische Verlaufsformen kön-
schwere, teilweise sackartige sarkotubuläre Dilatation, hier in einem indi-
nen in eine Myokardfibrose und in eine dilatative Kardiomyopa-
viduellen Myozyten. Vergr. 2000:1. (Fotos von Priv.-Doz. Dr. Jochen W.U.
thie (DCM) münden. Kardiotoxische Wirkungen sind für Alko- Fries , Institut für Pathologie, Universität Köln)
hol, Kokain, zahlreiche Chemotherapeutika, z. B. Daunorubicin,
Doxorubicin, Adriamycin (. Abb. 27.1a,b) und Antracyclin be-
kannt.
Auch trizyklische Antidepressiva können zu einer kardialen 27.2 Kardiale Mitbeteiligung bei
Funktionsbeeinträchtigung führen; hier stehen Rhythmusstö- Infektionserkrankungen
rungen und AV-Blockierungen im Vordergrund. Nur selten tritt
eine signifikante Beeinträchtigung der LV-Funktion auf. Vor 27.2.1 Leptospirose (Morbus Weil)
allem bei Patienten mit Zustand nach Myokardinfarkt oder be-
reits vorliegenden Herzrhythmusstörungen ist die Therapie mit Definition
trizyklischen Antidepressiva kritisch zu überprüfen, da diese mit Die Leptospirose (M. Weil) ist eine weltweit vorkommende
ihrer Klasse-I-antiarrhythmischen Wirkung auch schwere vent- Zoonose, die bei den meisten Patienten subklinisch oder
rikuläre Arrhythmien auslösen können. Unter einer Langzeit- komplikationslos verläuft. In 10% der Fälle tritt aber ein
therapie mit Lithium kann es zu Beeinträchtigung der myokar- schwerer Verlauf mit Ikterus, Nierenfunktionsstörung, Be-
dialen Funktion kommen. Häufig finden sich im EKG T-Wellen- wusstseinseintrübung, Hämolyse und Thrombozytopenie auf.
Veränderungen (bei ca. 25% der behandelten Patienten). Bei
sehr hohen Lithiumspiegeln werden ventrikuläre Rhythmusstö-
rungen, AV-Blockierungen und Zeichen einer Herzinsuffizienz In 50–100% dieser Fälle findet sich auch eine Mitbeteiligung des
beobachtet. Herzens als Myokarditis (Dixon 1991). Dabei stehen eine Ein-
Eine besondere Form von Herzinsuffizienz ist infolge einer schränkung der linksventrikulären Kontraktilität bis hin zum
Kobaltexposition Mitte der 60er Jahre aufgetreten. Die Krankheit kardiogenen Schock und Herzrhythmusstörungen (SA- und
trat bei Menschen auf, die eine bestimmte Biersorte tranken. In AV-Blockierung) im Vordergrund. Im EKG treten transiente
dieser Biersorte war Kobaltsulfat als Schaumstabilisierer beige- ST-Segment- und T-Wellen-Veränderungen auf. Trotz Fieber
mischt (McCall 1987). Seit dem Verzicht auf Kobalt in der Bier- haben die Patienten häufig Bradykardien, außerdem ventriku-
produktion tritt diese Erkrankung nur noch sporadisch meist bei läre Extrasystolen und echokardiographisch Zeichen einer Herz-
beruflich exponierten Personen auf. insuffizienz.
Bei Patienten, die an einer Leptospirose verstorben sind, wur-
den in Autopsien petechiale oder flächenhaft hämorrhagische
492 Kapitel 27 · Seltene Herzerkrankungen

Einblutungen im Bereich des Epikards gefunden, sowie eine in-


. Tab. 27.1. Empfohlene antibiotische Therapie (Empfehlungs-
terstitielle myokardiale Infiltration (meist subendokardial). In grad IB) bei Lyme-Borreliose bei Karditis (i.v.-Therapie bevorzugt)
seltenen Fällen kann es auch zu einer Aortitis oder zu einer Ko-
ronariitis kommen (Dixon 1991). Antibiotika Tagesdosis Behandlungsdauer [Tage]
Ceftriaxon 2 g i.v. 14–21
Penicillin G 20 Mio. IE i.v. 14–21
27.2.2 Lyme-Karditis
Doxycyclin 200 mg oral 21

Definition Amoxicillin 1500 mg oral 21


27 Die Erreger der Lyme-Karditis sind die Spirochäten vom Typ
Borrelia burgdorferi und werden durch Zeckenbiss übertragen.
Treponema-pallidum-Infektion, die nicht therapiert werden, ent-
wickeln späte Komplikationen, mit kardiovaskulärer Beteiligung
Der Erkrankungsgipfel liegt im Bereich der Sommermonate. Eine bei etwa 10% der Patienten. Vorwiegende Manifestationen sind
bis 3 Wochen nach Zeckenbiss tritt das typische Erythema chro- Verengungen der Koronarostien, aneurysmatische Formationen
nicum migrans auf. Im weiteren Verlauf kommt es zur syste- im Bereich der thorakalen Aorta sowie Aortenklappeninsuffizi-
mischen Erkrankung mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Fieber, enz und -stenosen im Rahmen der Aortitis. Eine direkte myokar-
Gelenk- und Muskelschmerzen. Einige Wochen bis 3 Monate diale Beteiligung ist selten.
nach Infektion stellen sich neurologische und auch kardiale Be-
teiligungen ein (in etwa 10% der unbehandelten Fälle). Häufig
finden sich AV-Blockierungen verschiedener Schweregrade 27.2.4 Morbus Whipple
(Haddad u. Nadelman 2003).
Im Rahmen der Leitungsstörungen, aber auch aufgrund myo- Definition
kardialer Infiltrationen mit Störungen der ventrikulären Erregung, Die intestinale Lipodystrophie (M. Whipple) ist eine chro-
kann es bei diesen Patienten zu Synkopen kommen. Nur selten nische, systemische, bakterielle Infektion, die durch den Erre-
finden sich tachykarde Rhythmusstörungen. Im EKG imponieren ger Tropheryma whippelii hervorgerufen wird.
verschiedenste Formen der ST-Segment- und T-Wellen-Verände-
rungen. Obwohl sich histologisch das Bild einer Myokarditis zeigt,
kommt es nur selten zu einer linksventrikulären Vergrößerung Zu den typischen Symptomen zählen Diarrhö, Arthralgien und
oder Funktionsbeeinträchtigung. Zeichen der myokardialen Infilt- Gewichtsverlust. Häufig kommt es im Rahmen der Erkrankung
ration mit Borrelia burgdorferi sind auch in Thalliumszintigraphie- zu einer Herzbeteiligung, die sich in Form von EKG-Verände-
untersuchungen darstellbar. Aus bioptischen Untersuchungen rungen, in einem neu aufgetretenen Herzgeräusch bzw. Zeichen
kann der Erreger direkt nachgewiesen werden, es gibt aber auch der Herzinsuffizienz primär manifestieren kann. Oft ist eine En-
Hinweise dafür, dass die Immunreaktion selbst für das kardiale dokarditits mit negativen Blutkulturen zu diagnostizieren. Echo-
Krankheitsbild verantwortlich sein könnte. kardiographisch zeigen sich in 75% der Fälle Klappenvegetati-
Die Diagnose der Lyme-Karditis wird aufgrund der Klinik onen (Fenollar et al. 2001). Daneben können sich histologisch
(Zeckenbissanamnese, Erythema migrans) und der serologischen eine Myokarditis, eine Perikarditis oder selten eine Koronariitis
Befunde gestellt. Sechs bis 8 Wochen nach der Infektion sind bei zeigen.
etwa 30% der Patienten Antikörper nachweisbar. Bei initial effek- Die antibiotische Therapie kann mit Trimetoprim/Sulfame-
tiver Behandlung entwickeln zwar nur wenige Patienten überhaupt thoxazol oder einer Kombination aus Penicillin und Streptomy-
Antikörper. Dies ist aber bei kardialer oder neurologischer Betei- cin durchgeführt werden. Die früher angewendete Monotherapie
ligung anders; hier sind bei den meisten Patienten Antikörper mit Penicillin oder Tetracyclin zeigte eine hohe Relapsrate und ist
nachweisbar. Aus Biospien befallener Organe können die Erreger deshalb nicht zu empfehlen (bis 43%). Nach durchgemachter
angezüchtet bzw. ihre DNA durch PCR nachgewiesen werden. Whipple-Endokarditis muss in nahezu 50% der Fälle die betrof-
Selbst bei Patienten ohne spezifische antibiotische Therapie fene Herzklappe ersetzt werden (Fenollar et al. 2001).
hat die Erkrankung eine hohe Ausheilungstendenz, und die Prog-
nose ist als günstig zu bezeichnen. Wegen der AV-Blockierungen
ist nur selten eine temporäre Schrittmacherversorgung notwen- 27.2.5 Pilzinfektionen
dig. Obwohl keine gesicherten Untersuchungen zum Nutzen der
antibiotischen Therapie bei kardialer Manifestation vorliegen, Pilzinfektionen des Myokards (. Abb. 27.2) sind eine Rarität. Sie
wird eine i.v.-Antibiose mit Ceftriaxon (2 g/Tag) oder Penicil- treten v. a. bei Patienten unter lang andauernder Chemotherapie
lin G (20 Mio. IE/Tag) für 14 Tage empfohlen. Bei fehlender kar- oder bei chronisch immunsupprimierten Patienten auf. Eine
dialer Beteiligung kann auch oral mit Doxycyclin (100 mg 2-mal HIV-Infektion und/oder ein langjähriger Drogenabusus sind Ri-
täglich) oder Amoxicillin (500 mg 3-mal täglich für 14–21 Tage) sikofaktoren für diese seltene Form einer infektiösen Myo-
behandelt werden (Hengge et al. 2003; . Tab. 27.1). kardbteiligung. Zudem kann nach Herztransplantation unter
Immunsuppression oder nach herzchirurgischen Operationen
eine kardiale Aspergillose beobachtet werden. Bei weniger als 2%
27.2.3 Lues (Syphilis) der Patienten mit einer Actinomyces-Infektion wird eine kardiale
Mitbeteiligung gesehen. Eine Mitbeteiligung des Herzens bei sys-
Die kardiovaskuläre Beteiligung bei Syphilis ist in überwiegender temischer Kandidose ist ebenfalls möglich, jedoch meist eine
Mehrzahl der Fälle eine Aortitis. Rund 30% der Patienten mit Rarität. Durch Mikroabszesse im Bereich des Myokards können
27.2 · Kardiale Mitbeteiligung bei Infektionserkrankungen
493 27

. Abb. 27.2. Candida-Myokarditis im Rahmen einer Candida-Sepsis bei


akuter myeloischer Leukämie. Herdförmiger Befall mit Hyphen und Pseu-
dohyphen. PAS-Färbung, Vergr. 50:1. (Foto von Priv.-Doz. Dr. Jochen W.U.
Fries, Institut für Pathologie, Universität Köln)

Leitungsblockierungen (z. B. AV-Blockierungen) hervorgerufen a


werden. Hierbei hat sich eine lang andauernde Therapie mit Vo-
riconazol in Einzelfällen bewährt.

27.2.6 Chagas-Krankheit

Definition
Die kardiale Mitbeteiligung im Rahmen der Chagas-Krankheit ist
die häufigste nichtvirale Form der Myokarditis in Amerika. Der
Erreger der Erkrankung ist das Protozoon Trypanosoma cruzi.

Die kardiovaskuläre Manifestation zeigt sich als Myokarditis häu-


fig erst Jahre nach der initialen Infektion. Die Erkrankung findet
sich mit hoher Prävalenz in Zentral- und Südamerika, Brasilien,
b
Argentinien und Chile. Die Diagnose kann serologisch oder
durch Erregernachweis im Serum und anhand echokardiogra- . Abb. 27.3a,b. Echinokokkuszyste des Kammerseptums. a Computer-
tomographiebild des Herzens mit Echinokokkuszyste (Pfeile) im Kammer-
phischer Verlaufskontrollen gestellt werden. Bei der kardialen
septum. b Intraoperativer Befund mit Aufblick auf das geöffnete Septum
Beteiligung der Chagas-Erkrankung spielt eine Myokardfibrose
und membranöser Überziehung der Zyste. (Aus Zobel et al. 2006)
eine vorherrschende Rolle, die am ehesten durch den Erreger
selber bzw. beteiligte Autoimmunprozesse ausgelöst wird. Eine
Infektion mit Trypanosoma cruzi verläuft gewöhnlich in 2 Pha- tums oder im Bereich der linksventrikulären freien Wand beob-
sen: einer akuten und einer latent-chronischen Phase. Bei Er- achtet (Zobel et al. 2006). In den meisten Fällen findet sich hierbei
krankung treten ein allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Mus- nur eine singuläre Zyste.
kelschmerzen, Hepatosplenomegalie, Myokarditis mit progre- Diese Zysten degenerieren und kalzifizieren häufig. Kommt
dienter kongestiver Herzinsuffizienz und seltener eine Menin- es zu einer Ruptur der Zyste in das Perikard, so kann eine akute
goenzephalitis auf. Die Behandlung ist symptomatisch. Obwohl Perikarditis entstehen. Bricht eine Zyste in die Herzkammer ein,
eine antiparasitäre Behandlung die Parasitenzahl effektiv redu- so sind systemische oder pulmonale Embolien häufig. Neben der
zieren kann, ist deren Einfluss auf die kardiale Manifestation un- Druckerhöhung im pulmonalarteriellen Kreislauf mit den Folgen
klar (Punukollu et al. 2007). der Rechtsherzbelastung bei Lungenembolie kann es auch zu
anaphylaktischen Reaktionen kommen. Die Symptomatik ist von
der Lokalisation der Zyste sowie auch von deren Abgrenzung
27.2.7 Echinokokkosen gegen das umliegende Gewebe und deren Neigung zur Ruptur
abhängig. Häufig finden sich elektrokardiographisch ST-Stre-
Echinokokkosen (. Abb. 27.3a,b) kommen häufig in Ländern cken- bzw. T-Wellen-Veränderungen (T-Negativierungen) sowie
mit ausgeprägter Schafzucht vor, so z. B. in Griechenland und Blockbilder (Bouraoui et al. 2005). Sind Zysten im Bereich ande-
Nordafrika. Der natürliche Wirt von Echinococcus granulosus ist rer solitärer Organe (Leber, Lunge) zu finden, erhöht sich auch
der Hund; der Mensch kann allerdings als Zwischenwirt dienen. die Wahrscheinlichkeit einer kardialen Zyste, die echokardiogra-
Kommt es zu einer kardialen Beteiligung, werden die Zysten phisch oder radiologisch (CT, NMR) nachgewiesen werden kann.
meist intramyokardial im Bereich des interventrikulären Sep- Therapie der Wahl besteht in der operativen Entfernung der Zys-
494 Kapitel 27 · Seltene Herzerkrankungen

te nach vorheriger Abtötung des Erregers durch z. B. hochmolare 27.3.1 Guillain-Barré-Syndrom


Kochsalzlösung. Dies ist häufig mit gutem Erfolg möglich.
Definition
Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akut beginnende, ent-
27.2.8 Malaria zündliche und demyelinisierende Polyradikuloneuritis, die
in typischer Weise als aufsteigende Lähmung mit unter-
Zu einer kardialen Beteiligung bei Malaria kommt es sehr selten. schiedlicher Progredienz, Intensität und Begleitsymptomatik
Wenn, dann ist als Erreger meist Plasmodium falciparum zu fin- verläuft.
den. Meist finden sich unspezifische ST-/T-Segment-Verände-
27 rungen, die in der Regel reversibel sind. In seltenen Fällen wur-
den in autoptischen Untersuchungen Koronarverschlüsse mit Die Erkrankung tritt meist Tage bis Wochen nach einem viralen
parasitenbefallenen Erythrozyten nachgewiesen; hierbei spielen Infekt der oberen Luftwege, des Magen-Darm-Trakts oder auch
möglicherweise intravaskuläre Prozesse eine entscheidende Rol- gelegentlich nach chirurgischen Eingriffen oder Impfungen auf.
le. Im Rahmen der effektiven Malariatherapie ist auch die Aus- Initial finden sich Parästhesien, Lumbalgie und Muskel-
heilung evtl. vorliegender kardialer Manifestationen die Regel. schmerzen, oft symmetrisch und proximal betont. Etwa ein Drit-
Zusätzlich zum kardialen Befall durch die Plasmodien kann die tel der Patienten muss im Verlauf maschinell beatmet werden.
Malariatherapie die kardiale Funktion beeinträchtigen. So sind Der Höhepunkt der Erkrankung wird meist etwa 4 Wochen nach
insbesondere eine Beeinträchtigung des Reizleitungssystems, v. a. Auftreten der ersten Symptome erreicht. Die Remission ist oft
in Form von QT-Verlängerungen bis hin zu Torsaden durch die aber nicht immer vollständig.
Antimalariamedikamente Primaquin (Na-Kanäle), Mefloquin Die Diagnose stützt sich auf das klinische Bild und wird
(K-Kanäle), Halofantrin und Chinin, aber auch andere kardialen durch die Veränderungen in der Spinalflüssigkeit sowie die ge-
Nebenwirkungen (z. B. Chloroquinkardiomyopathie) bekannt. störte Nervenleitungsgeschwindigkeit vervollständigt. Die Ätio-
logie der Erkrankung ist nicht geklärt. Es werden virusinduzierte
neuroimmunologische Reaktionen diskutiert. Pathologisch fin-
27.3 Kardiale Manifestation bei neurologischen den sich eine Schädigung der Myelinschicht und entzündliche
Erkrankungen Rundzellinfiltrate vorwiegend in Nervenwurzeln, Spinalganglien
und distalen Nervenendigungen. Die kardiovaskuläre Beteili-
Verschiedene neurologische Erkrankungen können zu kardialen gung lässt sich durch einen Mitbefall der autonomen Nervensys-
Manifestationen führen; hierbei können die primär im ZNS lo- teme erklären. So können Hyper- und Hypotonie, ebenso wie
kalisierten Störungen (z. B. Apoplex, intrakranielle Blutung, Epi- Tachy- und Bradyarrhythmien auftreten. Dies ist besonders bei
lepsie oder Migräne) und die neuromuskulären Erkrankungen Patienten mit schwerer Verlaufsform, die auch beatmungspflich-
mit kardialen Manifestationen unterschieden werden (7 Über- tig werden, der Fall. Zudem kann es durch Störungen des auto-
sicht 27.1). Letztere beinhalten Störungen des peripheren Nerven- nomen Nervensystems zu koronaren Fluss- bis hin zu EKG-Ver-
systems (Guillain-Barré-Syndrom, Friedreich-Ataxie), Störungen änderungen kommen, die einem akuten Koronarsyndrom ähneln
der neuromuskulären Übertragung (z. B. Myasthenia gravis) so- (Dagres et al. 2001).
wie Erkrankungen der Muskulatur selbst. Die Ausprägung der
! Cave
kardialen Manifestation ist vielfältig und kann von der asympto-
Die Arrhythmien können schwere Bradykardien bis hin zum
matischen Rhythmusstörung bis hin zur progressiven LV-Dys-
Sinusarrest oder Tachykardien bis hin zum Kammerflattern
funktion reichen.
oder -flimmern beinhalten und damit ein lebensbedrohliches
Ausmaß annehmen.

Übersicht 27.1. Kardiale Manifestation von neuromus-


kulären Erkrankungen 27.3.2 Friedreich-Ataxie

Neuromuskuläre Fehlfunktionen, einhergehend mit elek- Definition


trokardiographischen Abnormalitäten Die Friedreich-Ataxie gehört zu den spinozerebellaren Heredo-
4 Guillain-Barré-Syndrom ataxien und ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung.
4 Muskeldystrophie Typ Duchenne
4 Muskeldystrophie Typ Becker
4 Kearns-Sayre-Syndrom Es bestehen ausgeprägte Hinterstrangsymptome mit progre-
4 Myotonische Dystrophie dienter Ataxie besonders in Form einer schweren Gangstörung,
4 Myasthenia gravis Areflexie und in späteren Stadien Hyperreflexie. Zudem finden
4 Periodische Paralyse sich Kleinhirnseitenstrang- und Kleinhirnsymptome (Nystag-
4 N.-peronaeus-Atrophie mus, zerebellare Sprachstörung etc.) sowie eine generalisierte
Neuromuskuläre Fehlfunktionen, einhergehend mit Kar- Muskelschwäche. Die Inzidenz einer kardialen Beteiligung be-
diomyopathie trägt mehr als 90%; ihr Auftreten ist unabhängig vom Ausmaß
4 Muskeldystrophie Typ Duchenne der neurologischen Erkrankung.
4 Muskeldystrophie Typ Becker Echokardiographisch kann häufig eine konzentrische sym-
4 Myasthenia gravis metrische LV-Hypertrophie festgestellt werden. Im Rahmen der
hypertrophen Kardiomyopathie der Friedreich-Ataxie-Erkran-
27.3 · Kardiale Manifestation bei neurologischen Erkrankungen
495 27

kung ist die LV-Funktion normal. Eine diastolische Funktionsstö- Die posterobasale und die posterolaterale linksventrikuläre
rung, wie sie für die genetische hypertrophe obstruktive Kardio- Wand sind die Prädilektionsstellen für die kardiale Beteiligung
myopathie (HOCM) charakteristisch wäre, fehlt meist. Maligne der Duchenne-Muskeldystrophie (Muntoni 2003). In späteren
Rhythmusstörungen sind selten, ebenso selten tritt eine DCM Stadien kann die echokardiographische Untersuchung Hypomo-
mit Herzinsuffizienz auf (Bhidayasiri et al. 2005). Eine spezifische tilität des posterobasalen Abschnitts des linken Ventrikels und,
Therapie der Erkrankung ist nicht möglich. meist jenseits des 20. Lebensjahres, eine DCM mit verminderter
Auswurffraktion dokumentieren.
Die Thalliumszintigraphie zeigt übereinstimmend hierzu re-
27.3.3 Myasthenia gravis gionale Perfusionsdefekte; regionale metabolische Störungen
können auch mit der PET-Untersuchung nachgewiesen werden.
Definition Es treten Rhythmusstörungen sowie Veränderungen der Reizlei-
Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei tung und verschiedene Formen der Ektopie auf. Häufig zeigen die
der polyklonale IgG-Antikörper gegen Acetylcholinrezep- Patienten persistierende Sinustachykardien mit Herzfrequenzen
toren gebildet werden. über 100/min.
Die Erkrankung verläuft progressiv und führt üblicherweise
zum Tod durch respiratorische oder kardiale Insuffizienz im Al-
Die exakte immunologische Grundlage dieses Prozesses und die ter von 20–30 Jahren. Eine spezifische Therapie ist nicht derzeit
Rolle des Thymus sind derzeit noch unklar. Es findet sich v. a. bei noch nicht möglich, obwohl vielversprechende gentherapeu-
jüngeren Patienten eine Assoziation mit HLA-B8 und HLA-DR3. tische Ansätze in Zukunft möglich sein könnten. Die Therapie
Zusätzliche Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthri- der Herzinsuffizienz erfolgt symptomatisch. Bei antiarrhyth-
tis, Lupus erythematodes, Polymyositis und Thyreotoxikose, wer- mischer Behandlung sind Procainamid und Phenytoin nicht ge-
den gehäuft angetroffen. eignet, da sie zu einer Verstärkung der Muskelschwäche führen.
Es liegt eine postsynaptische Störung der neuromuskulären Während einer Anästhesie mit Halothan, Isofluoran oder Succi-
Übertragung mit erhöhter Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur nylcholin traten bei einigen Kindern maligne Hyperthermie und
und tageszeitlich fluktuierenden, belastungsabhängigen Paresen Herzstillstand auf.
vor. Die kardialen Manifestationen sind unspezifische EKG-Ver-
änderungen, Rhythmusstörungen und Herzinsuffizienz. Die
EKG-Veränderungen sprechen gut auf die Behandlung der Er- 27.3.5 Myotone Muskeldystrophie
krankung mit Neostigmin an. Sehr selten ist auch eine perikardi-
ale Beteiligung bei Myasthenia gravis beschrieben worden (Vats Definition
et al. 2004). Wegen ihrer anticholinergen Wirkungen können An- Die myotone Muskeldystrophie ist eine autosomal-dominant
tiarrhythmika wie Chinidin, Procainamid und Lidocain die vererbte Systemerkrankung mit den Leitsymptomen einer
Symptome der Myasthenia gravis verstärken. degenerativen Myopathie und myotoner Reaktion.

27.3.4 Duchenne-Muskeldystrophie Die Erkrankung beruht auf einer Mutation auf dem langen Arm
des Chromosoms 19 (19q13.2/13.3). Es liegt eine vermehrte An-
Definition zahl von Zytosin-Guanin-Nukleotid-Wiederholungen im un-
Bei der Muskeldystrophie Typ Duchenne handelt es sich um translatierten Arm eines Proteinkinasegens vor.
eine X-chromosal-rezessiv vererbte Form der progressiven Die Krankheit hat eine hohe Penetranz; sie verläuft aber auch
Muskeldystrophie vom Beckengürteltyp. innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich. Häufig nimmt die
Schwere der Erkrankung im Verlauf der Generationen zu (Anti-
zipation). Bemerkenswerterweise wird die kongenitale und kind-
Erste Symptome der Muskelschwäche finden sich zwischen dem liche Form nahezu immer von der nur subklinisch oder sehr
dritten und vierten Lebensjahr. Eine kardiale Beteiligung der Er- leicht betroffenen Mutter übertragen.
krankung ist die Regel. Es kommt zu EKG-Veränderungen, Auf- Pathogenetisch gibt es Hinweise dafür, dass der Erkrankung
treten einer LV-Funktionsstörung im Sinne einer DCM und eine Membranstörung zugrunde liegt. So wurden ein Mangel an
Rhythmusstörungen. Insulinrezeptoren und ein auf Muskelfasern normalerweise
Bei den Laborwerten werden CK-Erhöhungen beobachtet. nichtvorhandener Apaminrezeptor (ein Bienengiftrezeptor)
nachgewiesen. Zusätzlich wurde eine veränderte Zusammenset-
! Cave
zung der Zellmembran beschrieben, und eine verminderte Akti-
Eine Erhöhung der CK-MB-Isoform kann nicht als Hinweis auf
vität der Na+/K+-ATPase-Aktivität wurde beobachtet. Die Inzi-
eine myokardiale Dystrophie gewertet werden, da dieses Enzym
denz liegt bei 3–5 Erkrankten/100.000 Geburten.
von dystrophieveränderten Muskeln gebildet wird.
Die Diagnose stützt sich auf neuromuskuläre Untersu-
Im EKG finden sich typischerweise ein Rechtstyp, hohe R-Zacken chungen, EMG, Muskelbiopsie und DNA-Analysen. Frühe Zei-
und negative T-Wellen über V1–V3 sowie tiefe Q-Zacken in V5, chen der Erkrankung sind Schwäche der Flexoren im Nackenbe-
fast V6. Eine Verminderung oder gar das Fehlen der elektrischen reich, Atrophie der sternokleidomastoidalen Muskeln sowie
Herzachse wird durch die myokardiale Dystrophie im Bereich Schwäche der mimischen Muskulatur mit geöffnetem, dreieck-
der posterobasalen, linksventrikulären Wand (der QRS-Achse) förmigem Mund und unvollständigem Lidschluss. Zunächst
und der angrenzenden lateralen Wand (tiefes Q in V1, aVL, V5, kommt es meist zu myotonen Reaktionen, die vom Patienten als
V6) hervorgerufen. Verlangsamung oder Steifigkeit bei Bewegungen empfunden
496 Kapitel 27 · Seltene Herzerkrankungen

werden. Bei der klinischen Prüfung der myotonen Reaktion ist kung im engeren Sinne als muskuläre Pumpfunktionsstörung
die Unfähigkeit zur raschen Muskelerschlaffung etwa nach kräf- zählt aber nicht zum Erscheinungsbild der Erkrankung. Ganz im
tigem Faustschluss (Aktionsmyotonie) oder auch nach Beklop- Vordergrund stehen Reizleitungsstörungen. In einigen Fällen
fen von Muskeln (Perkussionsmyotonie) mit Bildung eines idio- kam es zum plötzlichen Herztod; eine Schrittmacherimplantati-
muskulären Wulstes oder langsamer tonischer Kontraktion be- on wird daher empfohlen (Katsanos et al. 2002).
zeichnend.
Bei der myotonen Dystrophie handelt es sich um eine System-
erkrankung, bei der wesentliche nichtmyotone, nichtmuskuläre 27.4 Seltene angeborene Syndrome mit kardialer
Erscheinungsformen wie Katarakt, Hodenatrophie, geistige Re- Beteiligung
27 tardierung und eine Einbeziehung der glatten Muskulatur zu
finden sind. 27.4.1 Holt-Oram-Syndrom
Die kardiale Beteiligung ist wesentlich im myotonisch dys-
trophischen Erkrankungsbild und betrifft vornehmlich das in- Definition
franodale Reizleitungssystem und geringer ausgeprägt Sinuskno- Bei diesem Syndrom tritt eine Kombination aus Herzfehlern
ten sowie die Arbeitsmuskulatur selbst. So zeigen diese Patienten und Reduktionsfehlbildungen der oberen Extremität, bedingt
Herzrhythmusstörungen, beispielsweise ventrikuläre und supra- durch ein autosomal-dominantes Gen mit stark variabler Ex-
ventrikuläre Arrhythmien einschließlich Sinusbradykardien, pression, auf.
Vorhofextrasystolen sowie Vorhofflimmern, gelegentlich auch
ventrikuläre Extrasystolen oder Tachykardien.
Bei etwa 80% der Patienten zeigen sich Abnormitäten bei Als Genlocus ist der Transkriptionsfaktor TBX 5 identifiziert
Funktionsprüfungen des His-Purkinje-Systems mit einer Verlän- worden (Mori u. Bruneau 2004). Bei ca. 70% der Patienten mit
gerung des AV-Intervalls und der effektiven Refraktärperiode des der klinischen Manifestation ist eine Mutation in diesem Gen
rechten Leitungsastes. So kommt es dann auch zu der Entwick- nachweisbar. Dabei treten die Herzfehler mit größerer Häufigkeit
lung eines Rechtsschenkelblocks bei den diagnostischen Vorhof- auf als die Extremitätenfehlbildungen. In abnehmender Häufig-
stimulationsuntersuchungen. keit sind dies:
Die häufigsten EKG-Befunde sind eine Verlängerung des AV- 4 Vorhofseptumdefekt (Ostium secundum),
Intervalls und ein linksanteriorer Hemiblock. Diese Leitungsstö- 4 Ventrikelseptumdefekt (VSD),
rungen können zu Adams-Stokes-Anfällen führen; daraus leitet 4 Persistenz des Ductus Botalli,
sich dann die Indikation einer Schrittmachertherapie her. Zudem 4 Transposition der großen Arterien.
zeigen ca. 25% der Patienten einen Mitralklappenprolaps. Eine 4 Zudem finden sich EKG-Veränderungen (z. B. AV- Blockie-
Herzinsuffizienz haben 7% der Patienten, und auch plötzliche rungen).
Herztodesfälle sind berichtet worden (Pelargonio et al. 2002).
Die Herzfehler können einzeln oder kombiniert auftreten; es
kann auch zu multiplen VSD im Sinne eines »Swiss-cheese-Sep-
27.3.6 Kearns-Sayre-Syndrom tums« kommen. Die Reduktionsfehlbildung im Bereich Schulter-
gürtel/obere Extremität kann ein- oder beidseitig vorkommen.
Definition Ist nur eine Seite betroffen, ist dies mit etwa doppelter Häufigkeit
Diese Erkrankung stellt eine klinische Sonderform der myopa- die linke. Verschiedene Fehlbildungen sind möglich, so z. B. Dau-
thischen Ophthalmoplegia externa mit Pigmentdegeneration menhypoplasie oder -agenesie, triphalangeale Daumen, Dop-
der Netzhaut und Reizleitungsstörungen des Herzens dar. peldaumen, reduzierte Opposition der Daumen, Radiushypopla-
sie oder -aplasie, Phokomelie, selten Syndaktylien sowie Hypo-
plasie des Humerus, der Klavikula oder der Skapula.
Die Symptome treten vor Beginn des 20. Lebensjahres auf. Ätio- Die Erkrankung ist die häufigste Kombination aus Redukti-
logisch liegt eine Deletion in der mitochondrialen DNA vor, die onsfehlbildungen sowie Herzfehlern und hat eine Inzidenz von
oft sporadisch auftritt. Ursprung des Gendefekts ist immer die 0,95/100.000 Einwohner.
mütterliche mitochondriale DNA, da alle Mitochondrien der Zy-
gote von der Eizelle stammen.
Die Erkrankung besteht aus der Trias: 27.4.2 Ellis-van-Creveld-Syndrom
4 progressive externe Ophthalmoplegie (meist mit Ptosis be-
ginnend), Definition
4 progressive tapetoretinale Degeneration (ausgelöschtes Elek- Das Krankheitsbild wird durch den Defekt eines pleotropen
troretinogramm), Gens hervorgerufen und äußert sich u. a. in einer charakteris-
4 AV-Block mit progressiver kardialer Reizleitungsstörung bis tischen Skelettdysplasie mit Zwergenwuchs, Herzfehlern und
zum AV-Block III. Grades. Polydaktylie.

Begleitsymptome können Hyporeflexie, Sensibilitätsstörungen,


generalisierte Myopathie, Ataxie, Dysphasie, Liquoreiweißerhö- Es wurde zuerst 1940 zuerst in einer Amish-Gemeinde im Bun-
hung, Kleinwuchs und Hypogonadismus sowie Diabetes mellitus desstaat New York identifiziert. Als möglicher Genlocus für Mu-
sein. tationen ist das EVC- bzw. EVC2-Gen charakterisiert worden.
Zwar sind morphologische Veränderungen im Myokard Zur Manifestation des Krankheitsbildes kommt es nur bei Homo-
elektronenmikroskopisch nachweisbar, eine Myokarderkran- zygotie des defekten Gens.
27.4 · Seltene angeborene Syndrome mit kardialer Beteiligung
497 27

Die Erkrankten zeigen bei Geburt dysportionierten Minder- 27.4.5 Rubinstein-Taybi-Syndrom


wuchs, postaxiale oder axiale Hexadaktylie der Hände, gelegent-
lich auch der Füße, sowie Nagelhypoplasie. Zudem werden eine Es handelt sich um ein distinktes Dysmorphiesyndrom mit den
verkürzte Oberlippe und verschiedene Zahnanomalien beobach- Hauptbefunden: spitze Nase mit langem Septum und breite, ab-
tet. Die begleitenden Herzfehler sind ein Single-Atrium, ein VSD stehende distale Phalangen der ersten Strahlen. Die Patienten
oder ein »double outlet« rechter Vorhof mit Blutfluss in sowohl zeigen Kleinwuchs, Mikrozephalie, breite Daumen und Großze-
rechten als auch linken Ventrikel. hen sowie verschiedene Anomalien im Gesichtsschädel. Organ-
manifestationen sind fakultativ; hier finden sich insbesondere
Herzfehler (VSD, persistierender Ductus arteriosus) und Nieren-
27.4.3 Kartagener-Syndrom fehlbildungen. Als Genlocus wurden Mutationen in ein zyklisches
AMP-Transkriptionselement (CREB; Hallam u. Bourtchouladze
Das Kartagener-Syndrom oder die primäre ziliäre Dyskinesie 2006) gefunden.
umfasst eine Kombination aus hereditären Fehlbildungen mit der
Trias:
4 Bronchiektasen, 27.4.6 DiGeorge-Syndrom
4 Situs inversus (Dextrokardie),
4 Sinusitis. Das DiGeorge-Syndrom oder das Syndrom des vierten Kiemen-
bogens bezeichnet einen kongenitalen Defekt der Anlage der
Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt und hat eine dritten und vierten Schlundtasche und des vierten Kiemenbo-
Inzidenz von ca. 1:40.000 Einwohner. Pathogenetisch liegt der gens mit konsekutiver Unterentwicklung bzw. Agenesie von Thy-
Erkrankung eine Strukturanomalie der Zilien zugrunde, diese mus, Parathyreoidea, Aortenbogen und (fakultativ) anatomisch
verursachen Störungen der mukoziliären Transportsysteme und benachbarter Organe. Ätiologisch wurden Deletionen im Chro-
führen so zu rezidivierenden bronchopulmonalen Infekten und mosom 22 (22q11.2) gefunden; dies hat auch zu dem Akronym
Bronchiektasen. Auch die Spermienmotilität ist gestört. Durch »CATCH-22« für dieses Syndrom geführt. Im Vordergrund steht
embryogenetische Fehldrehung des Herzschlauches kommt es ein Immundefekt; an kardiovaskulären Beteiligungen bestehen
in 50% der Fälle zur Dextrokardie (Carlen u. Stenram 2005). Ein ein unterbrochener Aortenbogen bzw. eine hypoplastische Aorta,
genauer Genlocus ist bislang nicht identifiziert worden. ein Truncus arteriosus communis sowie andere Herzfehler. Prog-
nostisch am wichtigsten für Patienten, die unter diesem Syndrom
leiden, ist das Ausmaß der aortalen und der kardialen Beteili-
27.4.4 LEOPARD-Syndrom gung.

Definition
Bei dem LEOPARD-Syndrom (kardiokutanes Syndrom, Multip- 27.4.7 Ehlers-Danlos-Syndrom
les-Lentigines-Syndrom) liegt eine seltene vererbliche Stö-
rung mit ausgeprägter Lentiginose und diversen Entwick- Dieses Syndrom ist eine vererbbare Bindegewebsstörung, die
lungsdefekten vor. Haut, Band- und Gelenkapparat, Augen sowie Gefäße und inne-
re Organe befallen kann. Es werden 10 Typen unterschieden.
Ätiologisch bestehen bei diesen Krankheitsbildern autoso-
Das Akronym LEOPARD wurde von den Anfangsbuchstaben mal-dominante (Typ 1–4, 7, 8), autosomal-rezessive (Typ 6, evtl.
der Hauptsymptome abgeleitet: Typ 10) sowie X-chromosomale (Typ 5 und 9) Gendefekte.
4 ausgeprägte Lentiginose mit 2–8 mm großen bräunlichen Bezüglich des Organbefalls, des Schweregrads der Symp-
Flecken in sehr dichter Aussaat am Stamm und in geringerer tome, der Genetik und der biochemischen Defekte liegt eine he-
Verteilung am restlichen Körper, terogene Erkrankung vor. Vor allem beim Typ 4 kann es zu spon-
4 EKG-Veränderungen (Überleitungsstörungen, Schenkel- tanen Rupturen von großen Arterien, insbesondere der Aorta
blockbilder, Erregungsausbreitungsstörungen), ascendens mit oder ohne vorbestehende Aneurysmata kommen.
4 okulärer Hypertelorismus, seltener andere kraniofaziale Zudem wird häufig eine Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz
Fehlbildungen, beobachtet.
4 valvuläre Pulmonalstenose (manchmal kombiniert mit Aor-
tenstenose),
4 Anomalien im Genitalbereich wie bilateraler Kryptorchis- 27.4.8 PAGOD-Syndrom
mus, ferner bei Männern Hypoplasie des Genitals mit Hypos-
padie, bei Frauen hypoplastische Ovarien, Das PAGOD-Syndrom ist eine extrem seltene Malformation, die
4 Retardierung des Wachstums mit Kleinwuchs, mit einer Pulmonalarterien- und Lungendysplasie, Zwerchfellde-
4 sensoneurale Innenohrschwerhörigkeit oder Taubheit fekten, Genitalentwicklungsstörungen und weiteren komplexen
(»deafness«). Herzfehlern einhergeht. Diese beinhalten z. B. einen hypoplasti-
schen linken Ventrikel sowie Aorten- und Mitralatresie. Erfolg-
Als Genlocus sind Mutationen in der Protein-Tyrosin-Phospha- versprechender therapeutischer Ansatz kann eine modifizierte
tase (Typ 11) gefunden worden, die zu einer erhöhten intrazellu- Norwood-Operation sein. Ein spezifischer Genlocus für Muta-
lären Phosphataseaktivität führen (Ogata u. Yoshida 2005). tionen ist noch nicht bekannt.
498 Kapitel 27 · Seltene Herzerkrankungen

Literatur Hengge UR, Tannapfel A, Tyring SK et al. (2003) Lyme borreliosis. Lancet
Infect Dis 3: 489–500
Bhidayasiri R, Perlman SL, Pulst SM, Geschwind DH (2005) Late-onset Fried- Katsanos KH, Pappas CJ, Patsouras D et al. (2002) Alarming atrioventricular
reich ataxia: phenotypic analysis, magnetic resonance imaging fin- block and mitral valve prolapse in the Kearns-Sayre syndrome. Int J
dings, and review of the literature. Arch Neurol 62: 1865–1869 Cardiol 83: 179–181
Bouraoui H, Trimeche B, Mahdhaoui A et al. (2005) Echinococcosis of the McCall D (1987) Alcohol and the cardiovascular system. Curr Probl Cardiol
heart: clinical and echocardiographic features in 12 patients. Acta Car- 12: 1–414
diol 60: 39–41 Mori AD, Bruneau BG (2004) TBX5 mutations and congenital heart disease:
Carlen B, Stenram U (2005) Primary ciliary dyskinesia: a review. Ultrastruct Holt-Oram syndrome revealed. Curr Opin Cardiol 19: 211–215
27 Pathol 29: 217–220 Muntoni F (2003) Cardiomyopathy in muscular dystrophies. Curr Opin
Casiero D, Frishman WH (2006) Cardiovascular complications of eating dis- Neurol 16: 577–583
orders. Cardiol Rev 14: 227–231 Newburger JW, Takahashi M, Gerber MA et al. (2004) Diagnosis, treatment,
Dagres N, Haude M, Baumgart D et al. (2001) Assessment of coronary mor- and long-term management of Kawasaki disease: a statement for
phology and flow in a patient with Guillain-Barre syndrome and ST- health professionals from the Committee on Rheumatic Fever, Endo-
segment elevation. Clin Cardiol 24: 260–263 carditis and Kawasaki Disease, Council on Cardiovascular Disease in
Dixon AC (1991) The cardiovascular manifestations of leptospirosis. West J the Young, American Heart Association. Circulation 110: 2747–2771
Med 154: 331–334 Ogata T, Yoshida R (2005) PTPN11 mutations and genotype-phenotype
Fenollar F, Lepidi H, Raoult D (2001) Whipple’s endocarditis: review of the correlations in Noonan and LEOPARD syndromes. Pediatr Endocrinol
literature and comparisons with Q fever, Bartonella infection, and Rev 2: 669–674
blood culture-positive endocarditis. Clin Infect Dis 33: 1309–1316 Pelargonio G, Dello Russo A, Sanna T et al. (2002) Myotonic dystrophy and
Geremek M, Witt M (2004) Primary ciliary dyskinesia: genes, candidate the heart. Heart 88: 665–670
genes and chromosomal regions. J Appl Genet 45: 347–361 Punukollu G, Gowda RM, Khan I et al. (2007) Clinical aspects of the Chagas’
Haddad FA, Nadelman RB (2003) Lyme disease and the heart. Front Biosci heart disease. Int J Cardiol 115: 279–283
8: 769–782 Vats HS, Richardson SK, Pulukurthy S, Olshansky B (2004) Pericarditis in
Hallam TM, Bourtchouladze R (2006) Rubinstein-Taybi syndrome: molecu- myasthenia gravis. Cardiol Rev 12: 134–137
lar findings and therapeutic approaches to improve cognitive dys- Zobel C, Kuhn-Regnier F, Kruger K et al. (2006) Echinococcus cyst located
function. Cell Mol Life Sci 63: 1725–1735 in the interventricular septum. Clin Res Cardiol 95: 600–604
499 28

Herztransplantation
H. Diedrichs, J. Müller-Ehmsen

28.1 Evaluation vor Herztransplantationen – 499 28.4 Komplikationen – 506


28.1.1 Indikationen – 499 28.4.1 Abstoßungsreaktionen – 506
28.1.2 Kontraindikationen – 501 28.4.2 Infektionen – 508
28.4.3 Transplantatvaskulopathie – 510
28.2 Das transplantierte Herz – 502 28.4.4 Neoplasien – 511
28.2.1 Das denervierte Herz – 502 28.4.5 Osteoporose – 511
28.2.2 Chimärismus im transplantierten Herz – 503 28.4.6 Hyperlipoproteinämie – 511
28.4.7 Arterielle Hypertonie – 511
28.3 Immunsuppression – 503
28.5 Lebensqualität nach Herztransplantation – 513

Literatur – 513

)) HLT.org). So liegt die Einjahresüberlebensrate um 85%, die Fünf-


jahresüberlebensrate um 70% und die Zehnjahresüberlebensra-
Die erste orthotope Herztransplantation am Menschen wurde am te um 50% mit steigender Tendenz in den letzten Jahren
03.12.1967 von Professor Christian Barnard in Kapstadt, Südafri- (. Abb. 28.1). Wesentlich schwieriger hingegen ist die Abschät-
ka, durchgeführt. Der Patient, ein 54-jähriger Diabetiker, über- zung der Prognose des Patienten bei organerhaltender – in der
lebte 18 Tage und starb dann an einer Infektion. Zu einem etab- Regel medikamentöser – Therapie. So gibt es neben den interna-
lierten Therapieverfahren der terminalen Herzinsuffizienz ent- tional anerkannten klinischen Indikationen zur Herztransplan-
wickelte sich die Herztransplantation erst in den 80er Jahren tation (z. B. refraktäre Herzinsuffizienz, NYHA-Klasse IV) bis-
durch die Einführung von Ciclosporin A zur Immunsuppression lang keine einheitlich anerkannten prognostischen hämodyna-
und der routinemäßigen Abstoßungsdiagnostik mithilfe der En- mischen Marker. Hinzu kommt, dass gerade in der medika-
domyokardbiopsie. Weltweit wurden bereits rund 60.000 Herzen mentösen Therapie in den letzten Jahren deutliche Fortschritte
erfolgreich transplantiert. gemacht wurden (z. B. ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker).
Auch die CRT bei Patienten mit Linksschenkelblock ggf. in
In Deutschland lag die jährliche Zahl an Herztransplantationen Kombination mit einem ICD konnte die Prognose deutlich ver-
in den 90er Jahren um 500/Jahr; seither ist sie aufgrund fehlender bessern. Eine Herztransplantation mit dem Ziel der Lebensver-
Spenderorgane deutlich rückläufig. Wurden 1998 noch 528 Trans- längerung kommt daher erst in Betracht, wenn man alle moder-
plantationen in der Bundesrepublik durchgeführt, so waren es im nen Möglichkeiten der medikamentösen und medizintech-
Jahr 2006 nur noch 377 (http://www.eurotransplant.org). nischen Therapie ausgeschöpft hat und dennoch eine schlechtere
Die massive Diskrepanz zwischen Organbedarf und -verfüg- statistische Überlebenswahrscheinlichkeit im Vergleich zur
barkeit stellt eines der größten Probleme der Transplantations- Herztransplantation besteht. Neben verschiedenen prognostisch
medizin dar. Selbst bei strenger Indikationsstellung kann man ungünstigen Faktoren, die zur Abschätzung der Letalität heran-
davon ausgehen, dass heutzutage der Bedarf an Organen die Ver- gezogen werden können (. Tab. 28.1), wurde in einer aktuellen
fügbarkeit um mindestens das 3-Fache übersteigt. Derzeit ver- Arbeit erstmals aus einer Kohorte von 1125 herzinsuffizienten
sterben aufgrund der langen Wartezeit bis zu 50% der auf eine Patienten aus 6 großen klinischen Studien ein valider Score zur
Transplantation wartenden Patienten. Eine Lösung dieses Prob- Bestimmung der Überlebenswahrscheinlichkeit erstellt (Levy et
lems ist zurzeit nicht absehbar. al. 2006). Mithilfe von einfach zu bestimmenden Routinepara-
metern können so Ein-, Zwei- und Dreijahresletalitätsraten
herzinsuffizienter Patienten nach dem »Seattle Heart Failure
28.1 Evaluation vor Herztransplantationen Model« bestimmt werden. Der Score wurde bereits unter der
Webadresse http://www.seattleheartfailuremodel.org öffentlich
28.1.1 Indikationen zugänglich gemacht. Ein Fallbeispiel ist in . Abb. 28.2 darge-
stellt. Bei einer Einjahressterblichkeit über 15% (statistisch
Die Indikation zur Herztransplantation besteht prinzipiell, wenn schlechter als nach Herztransplantation; s. oben) trotz medika-
bei einem Patienten trotz maximaler Ausschöpfung der organer- mentöser Intervention oder CRT wäre im Hinblick auf das
haltenden Therapie eine deutlich eingeschränkte Lebenserwar- Überleben ein klare Indikation für eine Herztransplantation ge-
tung vorliegt. Hierbei muss der voraussichtliche komparative geben. Als weiterer Score zur Beurteilung der Prognose herzin-
Überlebensnutzen einer Herztransplantation vs. Organerhaltung suffizienter Patienten muss der sog. Aaronson-Score genannt
abgeschätzt werden. Aufgrund der guten Nachbeobachtung sind werden, der allerdings vor Etablierung der β-Rezeptorenblo-
die Überlebensraten nach orthotoper Herztransplantation be- cker-Therapie entwickelt wurde und daher mit aktuellen Über-
kannt (z. B. http://www.eurotransplant.org oder http://www.IS- lebenszahlen verwendet werden muss (Koelling et al. 2004).
500 Kapitel 28 · Herztransplantation

. Abb. 28.1. Überlebensrate nach or-


thotoper Herztransplantation von Januar
1982 bis Juni 2004. (International Society
for Heart and Lung Transplantation,
http://www.ISHLT.org)

28

. Abb. 28.2. Beispiel der Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten im Diagramm) verbesserter Medikation, errechnet nach »Seattle Heart
mit Herzinsuffizinez ohne und mit (»post-intervention«, durchgezogene Linie Failure Model«. (http://www.seattleheartfailuremodel.org)

Im Bereich der funktionellen Parameter hat die spiroergo- International Society of Heart and Lung Transplantation inzwi-
metrisch gemessene maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) die schen erste Leitlinien vorgelegt, in denen die Kriterien für eine
größte Bedeutung. Als prognostisch sehr ungünstig gilt ein Wert Listung zur Herztransplantation diskutiert werden (Mehra et al.
unter 10 ml/min/kgKG bzw. weniger als 50% des Alterssollwerts. 2006).
Dieses wurde aktuell auch nochmals bei Patienten unter einer Trotz genauer Evaluation und Berücksichtigung statistisch
modernen optimalen Therapie validiert (O’Neill et al. 2005). festgelegter negativer Prädiktoren ist das Risiko für einen Pati-
Die prognostische Bedeutung von neurohumoralen Parame- enten individuell nach wie vor nur mit begrenzter Sicherheit ab-
tern wie Hyponatriämie (<134 mmol/l), erhöhte Plasmaspiegel zuschätzen. Einschränkend z. B. zum Seattle Heart Failure Model
von Noradrenalin (>800–1000 ng/l), Endothelin-1 (v. a. Big-En- muss betont werden, dass hier quasi die bestmögliche Prognose
dothelin), ANP oder BNP und TNF-α ist in vielen Studien gezeigt von Patienten mit Herzinsuffizienz ermittelt wird, da die Daten
worden. Keiner dieser Parameter ist allerdings bislang generell in aus den großen klinischen Studien generiert werden, somit also
der Entscheidung zur Transplantationsindikation etabliert. das Überleben von Patienten unter Studienbedingungen wider-
Die von der Bundesärztekammer vorgeschlagenen Indikati- spiegelt, das oftmals besser ist als in der Patientenversorgung »im
onskonstellationen sind in . Tab. 28.2 aufgeführt (Richtlinien zur richtigen Leben«. Demgegenüber geben die Registerzahlen der
Organtransplantation 14.02.2003). Außerdem wurden von der ISHLT die tatsächlichen Überlebenszahlen aus der täglichen Pra-
28.1 · Evaluation vor Herztransplantationen
501 28

. Tab. 28.1. Auswahl an Prognoseprädiktoren bei hochgradiger . Tab. 28.2. Indikationen zur Herztransplantation gemäß Richtlinien
Herzinsuffizienz. (Mod. nach Deng et al. 1996) der Bundesärztekammer (2003)
Prädiktor Parameter Ungünstig unter Anamnese
optimierter Therapie Ruhedyspnoe mit Zunahme bei geringster Belastung
Symptomatik NYHA Refraktär, Klasse IV (NYHA-Klasse IV)
Rezidivierende Dekompen-
Untersuchung
sationen
Zeichen der Linksherzdekompensation
Hämodynamik EF <20–25%
Zeichen der Rechtsherzdekompensation
HI <2,0 l/min/m2
Labor
PCP >20 mm/Hg
Hyponatriämie <135 mmol/l
EDDI >40 mm/m2
Noradrenalinspiegel >800 ng/l
RVAF <35%
Atriales natriuretisches Peptid >125 ng/l
Mitrale Dezelerati- <120–140 ms
onszeit EKG

Funktion VO2max <10–14 ml/kgKG/min Refraktäre höhergradige ventrikuläre Arrhythmien


(<50% Soll) Echokardiogramm
Neurohumora- Na+ <134 mmol/l Linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser >75 mm
ler Status Noradrenalin, Endo- »Deutliche« Erhöhung
Linksventrikulärer endsystolischer Durchmesser >65 mm
thelin, BNP, TNF-α
Verkürzungsfraktion <15%
Arrhythmien Ventrikuläre Ektopie >10 VES/h, NSVT, VT/VF
Thoraxröntgen
NYHA Klassifizierung der New York Heart Association, EF Ejektionsfrak-
tion, HI Herzindex, PCP Pulmonalkapillardruck, EDDI enddiastolischer Herz-Thorax-Quotient >0,55
Durchmesser, RVAF rechtsventrikuläre Auswurffraktion, VO2 Sauerstof-
Hämodynamik
faufnahme, BNP Brain-natriuretisches Peptid, TNF-α Tumor-Nekrose-
Faktor-α, VES ventrikuläre Extrasystolen, NSVT »nonsustained ventricu- Linksventrikuläre Auswurffraktion <20%
lar tachycardia«, VT/VF »ventricular tachycardia/ventricular fibrillation«. Herzindex <2 l/min/m2
Linksventrikulärer enddiastolischer Druck >20 mmHg
Zentraler Venendruck >15 mmHg
xis wieder. Dringend zu berücksichtigen ist auch, dass wegen der
bestehenden Wartezeiten auf eine Transplantation die Indikation Funktionsdiagnostik
zur Transplantation vorausschauend getroffen werden muss; es Maximale O2-Aufnahme <10–14 ml/min/kgKG
muss also die Frage beantwortet werden, ob in ca. 2 Jahren eine EKG Elektrokardiogramm, NYHA New York Heart Association.
Indikation zur Transplantation besteht. Und schließlich muss
neben den reinen Überlebenszahlen auch berücksichtigt werden,
dass die überlebenden Patienten nach Herztransplantation meist aufgeführt. Aufgrund des medizinischen Fortschritts sind ehe-
eine deutlich bessere Leistungsfähigkeit und damit Lebensquali- mals als Kontraindikation beschriebene Erkrankungen wie der
tät als Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz haben. insulinpflichtige Diabetes mittlerweile kein Grund gegen eine
Die Indikation zur Transplantation bleibt eine individuelle, Transplantation mehr. Ebenso gibt es inzwischen keine strikte
repetitiv zu überprüfende Entscheidung mit begrenzter Sicher- Altersbegrenzung mehr. In den Eurotransplant-Staaten wurde
heit, die in enger Kooperation zwischen transplantationserfah- das Programm »old for old« entwickelt, bei dem ältere Patienten
renen Kardiologen und Herzchirurgen getroffen werden muss. (>65 Jahre) Spenderorgane von älteren Spendern erhalten. Ledig-
lich beim Vorliegen schwerer Organkomplikationen kann weiter-
> Ideal ist es, wenn Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz ab
hin von einer absoluten Kontraindikation ausgegangen werden.
NYHA-Stadium III in regelmäßigen Abständen (z. B. einmal jähr-
Allgemein akzeptierte Kontraindikationen sind schwere prog-
lich) in einem Zentrum evaluiert werden, das eine große Exper-
nostisch ungünstige System- oder Tumorerkrankungen oder ak-
tise in der Behandlung der Herzinsuffizienz und in der Herz-
tive Suchterkrankungen.
transplantation vorweisen kann.
Eine besondere Bedeutung kommt der Messung des PVR zu.
Den hierfür im Herzzentrum Köln zugrunde liegenden Entschei- Ein erhöhter PVR geht mit der Gefahr eines intraoperativen
dungsalgorithmus zeigt . Abb. 28.3. Rechtsherzversagens des an die hohen Lungengefäßwiderstände
nicht gewöhnten Spenderorgans einher. Da bei den meisten Pati-
enten, die für eine Herztransplantation anstehen, eine langjährige
28.1.2 Kontraindikationen Linksherzinsuffizienz mit chronischer pulmonaler Stauung be-
steht, ist bei vielen eine pulmonale Hypertonie mit Erhöhung der
Die genaue Evaluation vor einer Aufnahme auf die Herztrans- Widerstände nachweisbar. Da eine fixierte Erhöhung des PVR
plantationswarteliste sollte auch die Erkrankungen und die psy- >3–5 WE (>240–400 dyn×s×cm-5) als Kontraindikation für eine
chosozialen Aspekte des Patienten erfassen, die das postoperative Herztransplantation anzusehen ist, muss bei diesen Patienten ein
Risiko erhöhen und so eine Kontraindikation für die Transplan- Rechtsherzkatheter mit pharmakologischer Testung auf eine Re-
tation bedeuten können. Wesentliche Umstände sind in . Tab. 28.3 versibilität des erhöhten PVR durchgeführt werden. Aufgrund
502 Kapitel 28 · Herztransplantation

. Abb. 28.3. Entscheidungsalgorithmus zur Herz-


transplantation (Herztransplantation) am Herzzent-
rum Köln. CRT »cardiac resynchronization therapy«,
NYHA New York Heart Association

28

. Tab. 28.3. Absolute und relative Kontraindikationen der orthoto-


<3 WE gesenkt werden kann, besteht keine Kontraindikation ge-
pen Herztransplantation. (Nach Kao et al. 1995; Miller et al. 1993) gen eine Herztransplantation. Liegt der Widerstand weiter zwi-
schen 3–5 WE, sollte eine strenge Risikoabwägung erfolgen.
Absolute Kontraindikationen
> Bei einem fixierten pulmonal-arteriellen Widerstand >5 WE kann
PVR >4–6 WE in Ruhe ohne Abnahme auf <3–4 WE durch Vasodilatan-
zien (z. B. i.v. PGE1 oder PGI2, inhalativ NO) von einer Kontraindikation für eine Herztransplantation ausge-
Akute und chronische Infektionen gangen werden.
Akutes Magen- oder Duodenalulkus
In diesen Fällen müssen je nach klinischem Befinden der Pati-
Maligne Erkrankung oder Systemerkrankung mit schlechter Prognose
Ausgeprägte Lungenparenchymerkrankung
enten weitere Optionen (Implantation eines LVAD oder BiVAD
Leberinsuffizienz (Bilirubin >42,75 μmol/l) zur vorübergehenden oder permanenten mechanischen Unter-
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit hochgradigen sekundären Or- stützung oder sogar die Implantation eines TAH) erwogen wer-
gankomplikationen den. Unter diesen Maßnahmen kann sich der pulmonale Kreis-
Divertikulitis lauf häufig wieder so weit verbessern, dass dann eine orthotope
Fehlende Patienten-Compliance Herztransplantation möglich ist (»bridge to heart transplantati-
Bestehende Drogen- oder Alkoholabhängigkeit on«).
Relative Kontraindikationen In einer deutschen Multizenterstudie (PROPHET-Studie)
Akute Lungenembolie (≤1 Monat)
mit i.v.-Gabe von Alprostadil konnte allerdings gezeigt werden,
Schwer einstellbarer insulinpflichtiger Diabetes mellitus dass bei ca. 95% der Patienten vor Herztransplantation mit einer
Niereninsuffizienz Erhöhung des PVR über 2,5 WE (>200 dyn×s×cm-5) keine fi-
Ausgeprägte Osteoporose xierte pulmonale Hypertonie vorlag und die Werte auf für eine
Ausgeprägtes Übergewicht Transplantation akzeptables Niveau absenkbar waren.
Biologisches Alter über 65 Jahre Alle zu einer genauen Evaluation und individuellen Risiko-
Psychosoziale Instabilität abschätzung vor einer Herztransplantation notwendigen Unter-
PGE1 Prostaglandin E1, PGI2 Prostazyklin, PVR »pulmonary vascular re- suchungen sind in . Tab. 28.4 aufgeführt.
sistance«, NO Stickstoffmonoxid, WE Wood-Einheiten.

28.2 Das transplantierte Herz


der höchsten Effektivität sollten hierbei Prostaglandinderivate
wie z. B. Iloprost (nach Verträglichkeit 0,5–2,0 ng/kgKG langsam 28.2.1 Das denervierte Herz
i.v.oder 50 μg per Inhalation über ca. 15 min) verwendet werden,
da hierunter mit der niedrigsten Non-responder-Rate zu rechnen Durch die kardiale Denervierung bestehen keine afferenten und
ist. Alternativ kann inhalatives NO mit ähnlicher Effektivität ver- keine efferenten Kontakte zwischen Transplantat und Empfänger.
wendet werden. Wenn bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie Folgen der fehlenden afferenten Innervation sind das Fehlen
der PVR unter pharmakologischer Testung wieder auf Werte eines Angina-pectoris-Schmerzes sowie eine Augmentation der
28.3 · Immunsuppression
503 28

tienten mit Nachweis einer sympathischen Reinnervation in der


. Tab. 28.4. Notwendige Untersuchungen vor Herztransplantation
PET eine signifikant erhöhte maximale Sauerstoffaufnahme ge-
Allgemeine Un- Anamnese genüber Patienten ohne Reinnervation gemessen.
tersuchungen Körperliche Untersuchung, Größe, Gewicht
Klinisch-chemische Untersuchungen (einschließ-
lich Nieren-, Leberfunktion, Elektrolyte, Differenzi-
28.2.2 Chimärismus im transplantierten Herz
alblutbild, Gerinnungsstatus, Glucose, Lipidstatus,
Schilddrüsenhormone, Eiweißelektrophorese,
Urinsediment, Hämoccult-Test etc.) Nach orthotoper Herztransplantation wurden 2002 erstmals
Lungenfunktion Hinweise für das Vorhandensein einer Immigration von Zellen
Dopplersonographie: extrakranielle Halsgefäße des Organempfängers in das transplantierte Spenderorgan gefun-
Abdominalsonographie den. So konnten beim männlichen Empfänger eines weiblichen
Gastroskopiea Spenderorgans im Transplantat zahlreiche Zellen mit einem Y-
Koloskopiea Chromosom (also Zellen des Empfängers), die sich molekularge-
CT: Abdomena, Schädela
netisch als Vorläuferzellen von z. B. Endothel oder Myokard
Röntgen: Nasennebenhöhlen, Zähne, Kiefer
identifizieren ließen, nachgewiesen werden. Die genaue Herkunft
Konsile Zahnarzt, HNO-Arzt einschließlich Audiogramm, und die Bedeutung dieser Zellen sind derzeit noch unklar. Denk-
Psychiater, Gastroenterologe, ggf. weitere bar wäre eine Rolle bei reparativen Vorgängen im transplantierten
Kardiale Untersu- EKG Herzen oder im Rahmen von Reinnervierungsprozessen.
chungen Thoraxröntgenaufnahme
Echokardiographie
Rechtsherzkatheter einschließlich pharmakolo- 28.3 Immunsuppression
gischer Reversibilitätstestung eines erhöhten PVR,
Linksherzkatheter einschließlich Koronarangio-
Die Immunantwort des Empfängers gegen die Alloantigene des
graphie
Maximale O2-Aufnahme unter Belastung
Spenderorgans beginnt direkt mit der Implantation. Aufgrund
des ersten Kontakts mit den Spenderantigenen geht die Frühpha-
Immunologische Blutgruppenbestimmung
se nach Transplantation mit dem höchsten Abstoßungsrisiko
Untersuchungen HLA-Typisierung
einher. Im Zeitverlauf kommt es zu einer gewissen Adaptation
Bestimmung präformierter reaktiver Antikörper
des Immunsystems und zur Abnahme des Abstoßungsrisikos.
Serologische Serologien für Hepatitis A, B, C, Herpesviren, HIV,
und mikrobiolo- CMV, EBV, Toxoplasmose, Lues, Candida, Myko- > Eine lebenslange immunsuppressive Therapie mit einem Maxi-
gische Untersu- plasmose, ggf. weitere Urin- und Stuhlkulturen mum in der vulnerablen direkten postoperativen Phase ist nach
chungen Rachen-, Nasen-, Achsel-, Leistenabstrich Herztransplantation unumgänglich.
CMV Zytomegalievirus, EBV Epstein-Barr-Virus, EKG Elektrokardio- Die gemeinsamen Nachteile aller zur Verfügung stehenden Im-
gramm, HLA »human leucocyte antigen«, HNO-Arzt Hals-Nasen-Oh- munsuppressiva sind die begrenzte Spezifität und Effektivität,
ren-Arzt, HIV »human immunodeficiency virus«, PVR »pulmonary vas-
eine jeweils substanzspezifische Toxizität sowie das deutlich er-
cular resistance«.
a Fakultativ, wünschenswert. höhte Infektionsrisiko durch die geschwächte Immunabwehr des
Patienten.
Ziel der immunsuppressiven Therapie ist die Verhinderung
einer akuten oder einer chronischen Abstoßung bei möglichst
ciclosporininduzierten arteriellen Hypertonie durch Verlust der geringer Toxizität und unter Vermeidung von Infektionen und
cholinergen Reflexvasodilatation. Wegen des fehlenden effe- anderen Komplikationen im Zusammenhang mit dem ge-
renten parasympatischen Einflusses besitzt das denervierte Herz schwächten Immunsystem des Patienten (z. B. Malignome). Ein
eine höhere Ruhefrequenz zwischen 90 und 110/min. Die Ent- völlig einheitliches, weltweit akzeptiertes Immunsuppressions-
kopplung vom sympathischen Nervensystem macht sich erst in schema nach Herztransplantation gibt es bislang nicht. Gegen-
körperlichen oder seelischen Stresssituationen bemerkbar. So ist wärtiger Standard ist eine Dreifachtherapie mit Ciclosporin A
die Belastungsanpassung beim herztransplantierten Patienten oder Tacrolimus, MMF und Kortikoiden. Bei Patienten mit einem
deutlich verzögert und tritt erst einige Minuten nach Freisetzung unkomplizierten Verlauf wird nach einigen Monaten zumeist
der Katecholamine aus dem Nebennierenmark ein. Durch die eine steroidfreie Zweifachtherapie angestrebt. Zur Verhinderung
sympathische Denervierung des transplantierten Herzens kommt einer Abstoßung in der Frühphase verwenden viele Zentren eine
es zu einer verstärkten Ausbildung von sympathischen Rezep- zusätzliche Induktionstherapie mit polyklonalem Antithymozy-
toren und somit zu einer Überempfindlichkeit des Organs bzw. tenglobulin (ATG vom Kaninchen), monoklonalem Anti-CD3-
des Empfängers gegenüber Katecholaminen wie Adrenalin und Antikörper (Muromonab-CD3 von der Maus) oder einem IL-2-
Noradrenalin. Ebenso lässt sich eine negativ-chronotrope und Rezeptor-Antikörper Daclizumab bzw. Basiliximab. Für die In-
inotrope Supersensitivität gegenüber parasympathikomime- duktionstherapie konnte, bezogen auf Abstoßungsreaktionen,
tischer Stimulation nachweisen. ein Benefit nachgewiesen werden. Da aber der Effekt auf das
Eine mögliche Reinnervierung des Transplantats konnte zu- Langzeitüberleben des Organempfängers unklar ist und eine er-
nächst nicht nachgewiesen werden. In neueren Arbeiten zeigt höhte Inzidenz von Infektionen sowie Malignomen diskutiert
sich jedoch, dass zumindest eine partielle sympathische Reinner- wird, besteht bislang kein internationaler Konsens bezüglich der
vierung ab 2–3 Jahre nach Transplantation wahrscheinlich ist. Durchführung einer Induktionstherapie.
Neueste Untersuchungen konnten zudem Hinweise für eine kli- Durch die Entwicklung neuer Immunsuppressiva sind in den
nische Relevanz dieser Reinnervierung finden. So wurde bei Pa- letzten Jahren die Ergebnisse nach Organtransplantation verbes-
504 Kapitel 28 · Herztransplantation

sert worden. So belegen aktuelle Daten den Vorteil des erst 1998 Monaten berichtet. Die Effekte der neuen Immunsuppressiva in
zur Herztransplantation zugelassenen MMF gegenüber Azathi- der Langzeittherapie und die Ergebnisse größerer Studien an
oprin, sodass die MMF-Therapie mittlerweile Standard gewor- Herztransplantierten bleiben abzuwarten.
den ist.
Das bislang nur zur Nieren- und Lebertransplantation zuge- Ciclosporin A
lassene Tacrolimus bietet eine potente Alternative zum bereits Die Einführung des Ciclosporins in die klinische Transplantation
seit den 80er Jahren verwendeten Ciclosporin A und konnte in im Jahr 1983 stellte den wesentlichsten medikamentösen Fort-
neueren Studien in Kombination mit MMF die Freiheit von Ab- schritt in der Transplantationsmedizin dar. Ciclosporin A besitzt
stoßungen nach dem ersten Jahr auf über 78% verbessern. In eine spezifische Wirkung auf immunkompetente T-Lympho-
vielen Zentren, so auch am Herzzentrum Köln, hat Tacrolimus zyten. Bildung und Freisetzung von IL-1 aus aktivierten Makro-
daher Ciclosporin A bereits als First-line-Therapie abgelöst. Ins- phagen und IL-2 aus aktivierten T-Helferzellen werden inhibiert
28 gesamt stellen Calcineurininhibitoren (Ciclosporin oder Tacroli- und damit die Bildung zytotoxischer T-Lymphozyten und T-Hel-
mus) bei fast allen Zentren weltweit die Basis der Immunsuppres- ferzellen verhindert. T-Suppressorzellen bleiben unbeeinflusst.
sion dar. Durch eine verbesserte lipophile Galenik kann eine optimierte
und konstantere Resorption erzielt werden (z. B. Sandimmun
> Bei zunehmend verbessertem Langzeitüberleben erlangen
optoral). Die Dosierung wird unter Blutspiegelkontrollen durch-
auch die Langzeitnebenwirkungen der Calcineurininhibitoren
geführt. Standardmäßig erfolgt die Bestimmung mithilfe eines
Ciclosporin und Tacrolimus (Niereninsuffizienz, Transplantatvas-
monoklonalen Radioimmunoassays vor Medikamenteneinnah-
kulopathie, Neoplasien) zunehmend klinische Relevanz und tra-
me, d. h. 12 h nach der letzten Einnahme (Talspiegelbestim-
gen vermehrt zu Morbidität und Mortalität bei.
mung). Hierbei werden Vollblutspiegel von 100–300 μg/l an-
Im Fokus des Interesses stand daher in den letzten Jahren die gestrebt; in der frühpostoperativen Phase im oberen Bereich, in
Suche nach einer Immunsupression, die v. a. die Nierenfunktion der späten postoperativen Phase im niedrigen Bereich. Leider
weniger beeinträchtigt und die Entwicklung einer Transplantat- besitzt der Talspiegelwert (C0) von Ciclosporin A nur eine
vaskulopathie besser hemmt. Anfang 2000 war erstmals Rapamy- schlechte Korrelation zum Goldstandard der Medikamentenspie-
cin verfügbar, das einen komplett neuen Wirkmechanismus und gelbestimmung, der AUC. Eine deutlich bessere Korrelation zur
somit auch ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil aufwies. AUC bietet die Bestimmung des C2-Wertes 2 h±15 min nach
Rapamycin bindet an das spezifische zytosolische Protein FKBP- Einnahme des Medikaments. Bei Leber- und Nierentransplan-
12, das die Aktivierung des mTOR hemmt, einer essenziellen tierten konnte das C2-Monitoring im Vergleich zur C0-Bestim-
Kinase für die Progression des Zellzyklus. Die Hemmung von mung die Inzidenz von Abstoßungsreaktionen signifikant redu-
mTOR führt zu einer Blockade von mehreren spezifischen Sig- zieren (relative Risikoreduktion um 25%).
naltransduktionspfaden. Als Folge wird die Lymphozytenaktivie-
! Cave
rung gehemmt und dadurch die Immunantwort unterdrückt.
Wichtigste Nebenwirkung des Ciclosporin A ist in der frühpost-
Zudem wird die Proliferation von B- und T-Zellen sowie von
operativen Phase ein Nierenversagen durch arterioläre Media-
Fibroblasten, glatten Muskelzellen, hämatopoetischen Zellen
nekrosen und Tubulusschädigung.
u. a. gehemmt. Tierexperimentell wies Rapamycin eine gute im-
munsuppressive Wirkung ohne Nephrotoxizität auf. Auch im langfristigen Verlauf wirkt Ciclosporin A nephroto-
Nach Herztransplantation wurde Rapamycin erstmals 2000 xisch. Durch geringere initiale Ciclosporindosierungen ist jedoch
eingesetzt (Derivate: Sirolimus, Everolimus; Snell et al. 2002; Ke- die Rate bleibender ausgeprägter Nierenfunktionsbeeinträchti-
ogh et al. 2004). In Kombination mit einem Calcineurininhibitor gungen deutlich geringer geworden. Weitere Nebenwirkungen
zeigten sich gute immunsuppressive Wirksamkeit, reduzierte In- von Ciclosporin bestehen in der Induktion einer arteriellen Hy-
fektionsraten für CMV und erstmals eine reduzierte Inzidenz an pertonie, einer Einschränkung der Leberfunktion, Hypertricho-
Transplantatvaskulopathie (Keogh et al. 2004; Eisen et al. 2003; se, Tremor, Krampfanfällen, brennenden Parästhesien, Gingi-
Mancini et al. 2003). Jedoch wiesen die behandelten Patienten vahyperplasie, Anämie, Hyperkaliämie, Hypomagnesiämie und
trotz fehlender Nephrotoxizität von Rapamycin und trotz redu- Hyperlipidämie. Ciclosporin kann lymphoproliferative Erkran-
zierter Calcineurininhibitorspiegel eine signifikant schlechtere kungen, insbesondere das PT-LPD, induzieren.
Nierenfunktion als bei der herkömmlichen Standardimmunsup- Ciclosporin besitzt pharmakologische Interaktionen mit ei-
pression (Kalzineurininhibitor, Azathioprin, Steroide) auf. Erste ner Reihe von Medikamenten. Ciclosporinspiegelsteigerungen
Berichte von einer erfolgreichen Konversionstherapie bei chro- werden unter der Gabe von Macrolidantibiotika (Erythromycin
nischer Niereninsuffizienz wiesen darauf hin, dass die Nieren- etc.), Doxicyclin, Ketokonazol, oralen Kontrazeptiva, Kalzi-
funktion sich bei Patienten v. a. dann verbessert, wenn der Calci- umantagonisten und Propafenon beobachtet. Ciclosporinspie-
neurininhibitor komplett abgesetzt wurde. In einer prospektiven gelsenkungen werden durch Carbamazepin, Phenytoin, Barbitu-
Studie konnte 2004 erstmals gezeigt werden, dass bei chronischer rate, Metamizol und Rifampicin aufgrund der Induktion des
Niereninsuffizienz die Konversion zu einer komplett kalzineuri- Zytochrom-P450-Systems induziert.
ninhibitorfreien Immunsuppression, bestehend aus Rapamycin
! Cave
und MMF, zu einer signifikant verbesserten Nierenfunktion ohne
Kombinationen mit weiteren potenziellen nephrotoxischen
vermehrte Abstoßungsraten führte. Ob die Reduktion des Calci-
Substanzen sollten vermieden werden.
neurininhibitors oder dessen komplettes Ersetzen durch Rapa-
mycin zu einem besseren klinischen Ergebnis führt, ist zurzeit
noch offen. Erste Erfahrungen über die Machbarkeit und die Si- Tacrolimus
cherheit einer komplett calcineurininhibitorfreien De-novo-Im- Tacrolimus wurde erstmals 1989 in der klinischen Herztrans-
munsuppression mit Sirolimus und MMF wurden in den letzten plantation eingesetzt. Der Wirkmechanismus ähnelt dem von
28.3 · Immunsuppression
505 28

Ciclosporin A, die Effektivität ist jedoch 10- bis 100-mal größer. hängig. Bei Leukozytenwerten unter 4000 wird Azathioprin re-
Tacrolimus führt im Vergleich zu Ciclosporin zu einer geringeren duziert bzw. pausiert. Nebenwirkungen umfassen u. a. Myelosup-
Häufigkeit behandlungsbedürftiger Abstoßungen. Aufgrund feh- pression, Schwindel, Cholestase, Pankreatitis, Alveolitis und
lender großer Studien bei Herztransplantierten ist Tacrolimus Fieber.
bislang jedoch nicht offiziell zur Immunsuppression nach Herz-
! Cave
transplantation zugelassen. Der empfohlene Talspiegel vor Ein-
Bei Kombination mit Allopurinol ist unter Blutbildkontrolle eine
nahme liegt bei 7–18 μg/l und sollte wie beim Ciclosporin A in
Reduktion des Azathioprins auf 25% der Dosis nötig. Besser soll-
der frühen Phase im oberen Bereich und langfristig bei kompli-
te die Kombination überhaupt vermieden werden.
kationslosem Verlauf im unteren Bereich gehalten werden. Das
Nebenwirkungsspektrum ähnelt dem des Ciclosporins. Ein nega-
tiver Einfluss auf den Fettstoffwechsel oder eine Erhöhung des Kortikoide
Blutdrucks sind für Tacrolimus im Gegensatz zum Ciclosporin Kortikoide sind neben Ciclosporin A und MMF das dritte ver-
nicht beschrieben. wendete Standardimmunsuppressivum. Nach intra- und peri-
operativer i.v.-Gabe wird im postoperativen Verlauf über mehrere
! Cave
Wochen eine kontinuierliche Reduktion auf zuletzt 0,1–0,15 mg/
Es bestehen eine erhöhte Neurotoxizität und eine vermehrte
kgKG/Tag nach 3 Monaten vorgenommen.
Neigung zur Entwicklung eines Diabetes mellitus.
Im längerfristigen Verlauf sollte beim Fehlen rezidivierender
Insgesamt bietet Tacrolimus auch bei herztransplantierten Pati- Abstoßungsreaktionen ein Versuch unternommen werden, Kor-
enten eine gute Alternative zum Ciclosporin A und kann bei Ab- tikoide vollständig abzusetzen. Gründe hierfür sind die ernsthaf-
stoßungen unter Ciclosporin oder ausgeprägten Fettstoffwechsel- ten Kortisonnebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes mellitus
störungen und/oder Bluthochdruck eingesetzt werden. In vielen und das Infektionsrisiko.
Zentren wird Tacrolimus bereits als Basismedikament eingesetzt.
! Cave
Eine hohe kumulative Kortisongesamtdosis ist mit einem erhöh-
Mycophenolat-Mofetil
ten Risiko einer Transplantatvaskulopathie assoziiert.
Mycophenolat-Mofetil (Cellcept) hemmt die De-novo-Synthese
von Purinen, die für T- und B-Lymphozyten essenziell sind. Hier-
durch werden die zelluläre und die humorale Abstoßung inhi- Sirolimus
biert. Mycophenolat-Mofetil ersetzt in der Kombinationstherapie Sirolimus (Rapamycin, Rapamune) hemmt die T-Zell-Aktivie-
Azathioprin. Die Kombination Ciclosporin und MMF wies in ei- rung, indem es sowohl die kalziumabhängige als auch die kalzi-
ner großen randomisierten multizentrischen Studie mit 650 Pati- umunabhängige intrazelluläre Signaltransduktion hemmt. Seine
enten im Vergleich zu Ciclosporin und Azathioprin eine geringe- Wirkungen werden durch einen Mechanismus ausgelöst, der an-
re Häufigkeit behandlungsbedürftiger Abstoßungsepisoden auf. ders ist als der von Ciclosporin, Tacrolimus und anderen immun-
Die derzeit empfohlene Dosierung bei Herztransplantierten be- suppressiven Substanzen. Experimentelle Befunde lassen vermu-
trägt 2-mal 1,5 g/Tag. Bei C0-Konzentrationen unter 0,9 mg/l ten, dass Sirolimus an das spezifische zytosolische Protein FKPB-
konnte ein erhöhter Score an bioptisch gesicherten Abstoßungs- 12 bindet und dass der FKPB-12-Sirolimus-Komplex die Aktivie-
reaktionen nachgewiesen werden als bei Patienten mit höheren rung des mTOR hemmt. Die Hemmung von mTOR führt zu
C0. Weitere Studien an Patienten nach Herztransplantation spre- einer Blockade von mehreren spezifischen Signaltransduktions-
chen dafür, dass ein C0 von über 2,5 mg/l angestrebt werden soll- pfaden. Als Folge wird die Lymphozytenaktivierung gehemmt
te. Hierfür waren allerdings z. T. höhere Tagesdosen erforderlich. und dadurch die Immunantwort unterdrückt. In ersten Studien
bei Herztransplantierten konnte durch Kombination mit Siroli-
! Cave
mus die Ciclosporindosis ohne Gefahr vermehrter Abstoßungen
Bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz ist eine sorgfältige
deutlich reduziert werden (Snell et al. 2002). Aktuellste Daten
Überwachung geboten, da es zur Akkumulation der Mycophe-
zeigen, dass bei Langzeittransplantierten mit Nephropathie Cic-
nolsäure kommen kann. Tagesdosen von über 2-mal 1 g sollten
losporin bzw. Tacrolimus eventuell auch ganz zugunsten des Si-
bei diesen Patienten nicht überschritten werden.
rolimus abgesetzt werden können. In einer kleineren Studie wur-
Wie bei den anderen Immunsuppressiva kann auch unter MMF de hierdurch die Nierenfunktion im Vergleich zu einer Kombina-
eine Reihe von Nebenwirkungen auftreten. Neben hämatolo- tion aus Sirolimus und Ciclosporin A weiter verbessert, ohne dass
gischen und lymphoproliferativen Erkrankungen führen hierbei vermehrt Abstoßungen auftraten. In vielen Transplantations-
v. a. die gastrointestinalen Nebenwirkungen (z. B. Übelkeit, Er- zentren kommt Sirolimus daher zumindest zur Dosisreduktion
brechen, Diarrhö) zu Dosisreduktionen oder Therapieabbrüchen des Ciclosporin A bei Herztransplantierten mit Nephropathie
und somit zur Gefährdung des Transplantats. Bei diesen Pati- zum Einsatz. Eine Zulassung zum Einsatz nach Herztransplanta-
enten kann versucht werden, auf die neuere magensaftresistente tion besteht wie beim Tacrolimus bislang jedoch nicht. Der Wirk-
Formulierung von Mycophenolsäure (Myfortic) zu wechseln. bereich von Sirolimus liegt bei ca. 8–14 μg/l (C0) und wird in der
Regel mit 1-mal 2 mg/Tag erreicht. Größere klinische Studien
Azathioprin zum Einsatz von Sirolimus in Kombination mit reduziertem oder
Azathioprin ist ein Imidazolderivat des 6-Mercaptopurins. Zur ohne Ciclosporin bleiben abzuwarten.
Minimierung und zur Stratifizierung der Nebenwirkungen war
es fester Bestandteil der üblichen Dreifachimmunsuppression. Everolimus
Mittlerweile ist es vom potenteren MMF mehr und mehr ver- Wie bei Sirolimus beruht die Wirkung des Everolimus (Certican)
drängt worden und kommt zumeist nur bei MMF-Unverträglich- auf der Hemmung des Enzyms mTOR (s. oben). Eine große Stu-
keit zum Einsatz. Die Dosierung ist von der Leukozytenzahl ab- die an 634 herztransplantierten Patienten konnte zeigen, dass die
506 Kapitel 28 · Herztransplantation

frühpostoperative Gabe von Everolimus das Auftreten einer viduelle, patientenangepasste Therapie zu verabreichen. Je nach
Transplantatvaskulopathie in einer einjährigen Follow-up-Studie Risikoprofil kann ggf. auf immunsuppressive Alternativen zu-
im Vergleich zu Azathioprin (jeweils in Kombination mit Cic- rückgegriffen werden.
losporin A, Steroid und Statin) signifikant reduzierte. Ferner kam In . Tab. 28.5 sind die üblichen Dosierungen und Talspiegel
es zu weniger CMV-Infekten (Eisen et al. 2003). Everolimus ist der gängigen Immunsuppressiva aufgeführt. Die Angaben dienen
das jüngste Medikament, das zur Immunsuppression bei Herz- der Orientierung und sind dem individuellen Patienten anzupas-
transplantierten zugelassen wurde. Neben der Zulassung zur Pri- sen. So variieren die empfohlenen Talspiegel z. B. auch in Abhän-
märtherapie in Kombination mit Ciclosporin A und Prednisolon gigkeit von der gewählten immunsuppressiven Kombination.
kann es auch bei rezidivierenden Abstoßungen unter der bishe-
rigen Therapie, MMF-Unverträglichkeit (z. B. gastrointestinale
Nebenwirkungen, s. oben) oder zur Primär- und Sekundärpro- 28.4 Komplikationen
28 phylaxe der Transplantatvaskulopathie eingesetzt werden. Die
Tagesdosis von Everolimus liegt bei 1,5–3 mg, verteilt auf 2 Ein- Aufgrund der anfänglich besonders ausgeprägten Abwehrreakti-
zelgaben. Der Serumtalspiegel sollte zwischen 3 und 8 μg/l liegen. on des Empfängers gegen das Spenderorgan und der damit ver-
Bei den meisten Patienten wird dieser Wert durch p.o.-Gabe von bundenen hochdosierten immunsuppressiven Therapie stellen
2-mal 0,75 mg erreicht. Aufgrund von Wechselwirkungen zu Cic- im ersten Jahr nach Herztransplantation akute myokardiale Ab-
losporin muss bei gleichzeitiger Gabe von Everolimus die Cic- stoßungen und Infektionen die Hauptkomplikationen dar.
losporin-A-Dosis in der Regel um etwa 20% reduziert werden, da Mit Entwicklung einer partiellen Toleranz gegenüber dem
es sonst zu einem Anstieg des Ciclosporin-A-Spiegels kommt. Spenderorgan und somit möglicher Reduzierung der Immun-
Ob ähnlich wie beim Sirolimus der Ciclosporin-A-Spiegel im suppression treten jenseits des ersten Jahres andere Probleme in
Blut gesenkt werden kann, ist bislang nicht in größeren Studien den Vordergrund.
untersucht. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen erscheint je-
> Eine der führenden Todesursachen im Langzeitverlauf stellt die
doch eine Senkung des Ciclosporin-A-Talblutspiegels auf Werte
Transplantatvaskulopathie dar.
zwischen 80 und 100 μg/l bei stabiler Transplantatfunktion und
vorliegender Nephropathie ohne erhöhte Abstoßungsgefahr Hierbei handelt es sich um eine spezifische immunologisch ver-
möglich zu sein. Engmaschige Kontrollen solcher Patienten sind mittelte Form einer akzelerierten Koronararteriosklerose, die
jedoch obligat. häufig zu langstreckigen Koronarstenosen führt. Weitere Prob-
Im Herzzentrum Köln besteht die immunsuppressive Stan- leme im Langzeitverlauf stellen u. a. die Entwicklung von Neo-
dardtherapie zu Beginn aus einer Dreifachtherapie aus Tacrolimus, plasien, Niereninsuffizienz, Hypertonie, Hyperlipoproteinämien
MMF und Steroiden. Nach 6–12 Monaten werden die Steroide oder Osteoporose dar (7 Übersicht 28.1).
dann sukzessive ausgeschlichen, sodass nach spätestens 12 Mona-
ten eine Erhaltungstherapie mit Tacrolimus und MMF besteht.
Beim Auftreten von immunsuppressivaassoziierten Neben- Übersicht 28.1. Mögliche Probleme nach Herztrans-
wirkungen besteht die Möglichkeit der Konversion auf alternati- plantation
ve Regime. Dabei muss auf eine lückenlose Immunsuppression
geachtet werden; ein wesentliches Überlappen der Immunsup- 4 Abstoßung (zellulär, humoral, hyperakut)
pressiva oder eine Pause ist zu vermeiden. Bei progredienter, 4 Infektionen
chronischer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance <50 ml/ 4 Transplantatvaskulopathie
min) unter Therapie mit Calcineurininhibitoren, sollte z. B. eine 4 Neoplasien
Konversion auf Sirolimus oder Everolimus und MMF angestrebt 4 Transplantationsassoziierte Hypertonie
werden. Hierzu sollte aus Sicherheitsgründen die Wirksamkeit 4 Niereninsuffizienz
des neuen Regimes nachgewiesen werden (Myokardbiopsie nach 4 Osteoporose
1 und 3 Monaten). 4 Hyperlipoproteinämie
Insgesamt bietet die wachsende Anzahl von neu verfügbaren 4 Andere immunsuppressivaassoziierte Nebenwirkungen
Immunsuppressiva mit teilweise unterschiedlichen und somit
sich ergänzenden Wirkmechanismen die Möglichkeit, eine indi-

28.4.1 Abstoßungsreaktionen
. Tab. 28.5. Empfohlene Medikamentendosis und Talspiegel in der
Langzeittherapie nach Herztransplantation Trotz der immunsuppressiven Therapie können lebenslang Ab-
Medikament Dosis Talspiegel stoßungsreaktionen auftreten. Eindeutige klinische Hinweise
Ciclosporin A 3–6 mg/kgKG/Tag 100–300 μg/l
können fehlen oder lediglich in uncharakteristischen Symptomen
wie allgemeines Krankheitsgefühl, innere Unruhe, Gewichtszu-
Mycophenolat-Mofetil 2–3 g/Tag 1–3 mg/l
nahme, Spannungsgefühl im Bauch oder Dyspnoe bestehen.
Tacrolimus 2–10 mg/Tag 7–18 μg/l
> Eine regelmäßige Abstoßungsdiagnostik ist dringend indiziert.
Everolimus 1,5–3 mg/Tag 3–8 μg/l
Die überwiegende Zahl der Abstoßungsreaktionen wird als zel-
Sirolimus 2–6 mg/Tag 8–14 μg/l
lulär vermittelt angesehen (ca. 70%), der Rest als antikörperver-
Die genauen Dosierungen richten sich nach dem individuellen Krank- mittelt oder gemischt. Selten ist die hyperakute peri- bzw. direkt
heitsverlauf und nach der Kombination der verschiedenen Immun- postoperative Abstoßung bei Vorliegen präformierter HLA-An-
suppressiva.
tikörper. Aufgrund des immensen »antigenic challenge« besteht
28.4 · Komplikationen
507 28

. Tab. 28.6. Histologische Klassifikation der zellulären Abstoßung


gemäß der International Society for Heart and Lung Transplantation,
bisherige und revidierte Nomenklatur. (Stewart et al. 2005)
Grad Bisherige Nomenklatur Revidierte
Nomenklatur
0 Keine Abstoßung 0R
1 A Herdförmiges (perivaskuläres oder in- 1R
terstitielles) Infiltrat ohne Nekrose

B Diffuses, aber spärliches Infiltrat ohne 1R


Nekrose

2 Nur ein Herd mit aggressiver Infiltrati- 1R


on und/oder fokaler Myozytenzerstö-
. Abb. 28.4. Häufigkeitsverteilung der ersten Abstoßung im Zeitverlauf rung
nach Herztransplantation. (Nach Kirklin u. Barrat-Boyes 1993) 3 A Multifokales, aggresives Infiltrat und/ 2R
oder Myozytenzerstörung
B Diffuser, entzündlicher Prozess mit 3R
Nekrose
das höchste Abstoßungsrisiko innerhalb der ersten 4 Wochen
postoperativ mit einem Maximum in der zweiten Woche 4 Diffuses, aggresives, polymorphes 3R
± Infiltat ± Ödem ± Hämorrhagie
(. Abb. 28.4). In den ersten 24 Monaten nach Transplantation
sind Abstoßungen für knapp 25% der Todesfälle verantwortlich.
Zirka 40% der Patienten erleiden im ersten Jahr eine Abstoßung,
bei 20% sind es mehr als eine. Als Risikofaktoren für das Auftre- myokardbiopsien zeigen keine Abstoßungsreaktion. Auch aus
ten der ersten Abstoßung bzw. für eine höhere Abstoßungsinzi- diesem Grund werden zunehmend nichtinvasive Methoden zur
denz im ersten Jahr gelten die Anzahl der »HLA mismatches«, Abstoßungsdiagnostik eingesetzt. In der frühen postoperativen
weibliches Empfänger- oder Spendergeschlecht sowie junges Phase existiert bereits seit Mitte der 80er Jahre das zytoimmuno-
Empfänger- oder Spenderalter. logische Monitoring. Hierbei werden T-Lymphozyten- und Mo-
nozytensubpopulationen mithilfe des FACS genauer differen-
Diagnostik von Abstoßungsreaktionen ziert, um so Zellen zur Infektabwehr von für das Transplantat
Die Endomyokardbiopsie über die rechte V. jugularis interna gilt schädigenden Zellpopulationen zu unterscheiden. Auf diese Wei-
als Goldstandard der Abstoßungsdiagnostik. Histologisch ist die se erhält man ein genaueres Bild zum Immunstatus des Patienten
Abstoßung durch ein fokales oder diffuses mononukleäres Zellin- (Unter- vs. Überimmunsuppression) und kann so die immun-
filtrat, überwiegend durch aktivierte T-Lymphozyten, gekenn- suppressive Therapie individueller anpassen.
zeichnet. Bei aggressiver Lymphozyteninfiltration sind Myozy- In den letzten Jahren zur Abstoßungsdiagnostik Verbreitung
tenschädigungen bis hin zur Nekrose, bei sehr starker Ausprä- findende Verfahren stellen die Echokardiographie und Doppler-
gung ein polymorphes Zellinfiltrat mit Ödem, Hämorrhagie, echokardiographie dar. Hierbei werden mehrere Parameter aus
Zellnekrosen und Vaskulitis sichtbar. Die Einteilung der zellu- 2D-Bild-, M-Mode- und Pulsed-Waved- (PW-)Dopplerechokar-
lären Abstoßungsreaktionen wurde im ISHLT Consensus Report diogramm zur intraindividuellen Verlaufskontrolle verwendet. Am
2005 überarbeitet und eine Revision der bisherigen Nomenklatur sensitivsten ist die Beurteilung diastolischer Funktionsstörungen.
vorgelegt. Dabei wird vereinfacht zwischen keiner Abstoßungs-
! Cave
reaktion (0R), einer leichten Abstoßung (1R – entsprechend den
Diastolische Funktionsstörungen sind nicht spezifisch für eine
Graden 1A, 1B und 2 der alten Nomenklatur), einer mäßigen bis
Abstoßung, sondern kommen ebenso bei Überimmunsuppres-
mittelgradigen Abstoßung (2R – entsprechend dem Grad 3A der
sion oder bei myokardialer Hypertrophie vor.
alten Nomenklatur) und einer schweren Abstoßungsreaktion (3R
– entsprechend 3B und 4 der alten Nomenklatur) unterschieden Mittlerweile liegen von mehreren Zentren Untersuchungen zur
(Stewart et al. 2005). Der Buchstabe R steht hierbei für die revi- echokardiographischen Abstoßungsdiagnostik vor, die keine ne-
dierte Nomenklatur (. Tab. 28.6). gativen Auswirkungen des biopsiefreien Vorgehens im Vergleich
Die antikörpervermittelten, vaskulären Abstoßungen, die zu regelmäßigen Endomyokardbiopsien finden konnten. We-
eine deutlich schlechtere Prognose haben und daher ein aggres- sentlich für den Erfolg des echokardiographischen Monitorings
siveres Behandlungsprotokoll erfordern, können durch eine zu- sind jedoch ein erfahrener Untersucher und eine ausreichende
sätzliche immunhistochemische Aufarbeitung des Gewebes di- Schallbarkeit der Patienten.
agnostiziert werden. Weitere Möglichkeiten zur Abstoßungsdiagnostik werden
Da die meisten Abstoßungsreaktionen klinisch asymptoma- von Zentrum zu Zentrum unterschiedlich eingesetzt und beur-
tisch verlaufen, müssen die diagnostischen Maßnahmen in regel- teilt. Hierzu gehören das intramyokardiale Elektrokardiogramm,
mäßigen, mit zunehmendem Zeitabstand von der Transplantati- Anti-Myosin-Antikörper-Szintigraphie, die MRT sowie diverse
on größer werdenden Abständen routinemäßig durchgeführt weitere bildgebende Methoden oder serologische Bestimmungen
werden. Dies verursacht einen hohen logistischen und perso- (TNF-α, Troponin).
nellen Aufwand für die Erkennung eines statistisch seltenen Prob- Eine aktuelle Untersuchung zu BNP-Spiegeln, die bei der
lems. Weit über 90% aller routinemäßig durchgeführten Endo- Herzinsuffizienz bekanntermaßen mit der Prognose der Pati-
508 Kapitel 28 · Herztransplantation

enten korrelieren, zeigte deutlich erhöhte BNP-Spiegel bei Herz- Bei der hyperakuten Abstoßung innerhalb 48 h nach Trans-
transplantierten mit einem Maximum im ersten Monat nach der plantation besteht eine sehr schlechte Prognose. Auch bei Durch-
Transplantation (Median 282 ng/l). Nach einem halben Jahr sta- führung einer akuten Retransplantation liegt die Einjahresletali-
bilisierten sich die Werte auf erhöhtem Niveau zwischen 60 und tätsrate über 50%. In aller Regel wird man sich daher gegen eine
100 ng/l. Wie bei der Herzinsuffizienz korrelierten auch bei Retransplantation entscheiden, um das Organ einem anderen
Transplantierten die Werte gut mit hämodynamischen Parame- Empfänger auf der Warteliste mit statistisch deutlich besserer
tern (rechtsventrikulärer und pulmonal-arterieller Druck). Prognose nicht vorenthalten zu müssen.
> Ein signifikanter Zusammenhang zwischen BNP-Spiegeln und
dem Auftreten von Abstoßungsreaktionen konnte nicht gezeigt 28.4.2 Infektionen
werden, sodass eine routinemäßige Kontrolle der BNP-Spiegel bei
Herztransplantierten nicht indiziert ist (Arnau-Vives et al. 2004).
28 > Neben Abstoßungsreaktionen stellen Infektionen die wichtigste
Komplikation nach Herztransplantation dar. Im ersten Jahr nach
Therapie der Abstoßungsreaktion Tranplantation erleiden 37% aller Patienten eine Infektion.
Die Therapie einer Abstoßungsreaktion richtet sich nach dem
histologischen Grad der Myokardbiopsie, dem Grad der hämo- Die Infektionshäufigkeit beträgt im Schnitt 0,6 Infektionen/Pati-
dynamischen Einschränkung (HZV in der Rechtsherzkatheter- ent im ersten Jahr. Das Risiko, innerhalb des ersten Jahres nach
untersuchung), der Häufigkeit und der Bedeutsamkeit vorausge- Transplantation an einer Infektion zu versterben, beträgt 4%. Bei
hender Abstoßungsreaktionen sowie den vorliegenden Risiko- einer Infektion besteht eine Letalitätsrate von insgesamt 13%.
faktoren einer Abstoßungsreaktion, einschließlich des Zeitpunkts Bakterielle Infektionen stellen mit bis zu 30% die häufigste
nach Herztransplantation. Form dar. Zytomegalieviruserkrankungen sind die häufigste vi-
Der histologische Abstoßungsgrad 1A (1R) erfordert meist rale Erkrankung und machen bis zu 25% der infektiösen Kompli-
keine spezifische Therapie. Die Serumspiegel der immunsup- kationen aus.
pressiven Therapie sollten regelmäßig kontrolliert werden. Bei zu Systemische Pilzinfektionen kommen bei bis zu 15% der
niedrigen Spiegeln ist eine Anpassung der Medikamentendosis herztransplantierten Patienten vor. Die infektionsbedingte Leta-
vorzunehmen. Abstoßungen des Grades 1B und 2 (1R) sollten in litätsrate beträgt bei Pilzinfektionen 36%, bei pulmonalem Pilz-
Abhängigkeit der oben genannten Punkte beurteilt werden. Da befall 62% und bei CMV-Infektion 7%. Das zeitliche Auftreten
auch eine hochdosierte immunsuppressive Abstoßungstherapie der unterschiedlichen Infektionen ist in . Abb. 28.5 dargestellt.
nicht frei von Komplikationen ist (Infektionen), sollte bei klinisch Das höchste Infektionsrisiko besteht, bedingt durch bakteri-
und echokardiographisch unauffälligen Patienten hier primär elle und fungale Infektionen, innerhalb der ersten 8 Wochen nach
eine Optimierung der Basistherapie erfolgen. Dieses kann eine der Transplantation. Die häufigste Ursache für Infektionen in
Anhebung der Medikamentendosis, ein Therapiewechsel z. B. dieser frühen postoperativen Phase sind chirurgische Komplika-
von Ciclosporin A auf Tacrolimus oder eine kurzzeitige Erhö- tionen, d. h. Wundinfektionen, nosokomiale Pneumonien oder
hung der oralen Kortisondosis beinhalten. Wird bei geringen katheterassoziierte Infektionen.
Abstoßungsreaktionen der Grade Ib und II (1R) keine Therapie
! Cave
durchgeführt, sind engmaschige Kontrollen angezeigt, um eine
Die Phase mit den lebensbedrohlichsten Infektionen liegt zwi-
Progression zu einem höheren Schweregrad, der in ca. einem
schen dem zweiten und sechsten postoperativen Monat.
Drittel der Fälle stattfindet, zu erfassen.
In dieser Zeit stehen opportunistische, nichtbakterielle Infekti-
> Histologische Abstoßungsgrade 3A, 3B und 4 (2R bzw. 3R) erfor-
onen (Viren, Protozoen) im Vordergrund. Die häufigste Infekti-
dern eine stationäre i.v.-Therapie mit Methylprednisolon 500–
on in dieser Phase ist eine CMV-Infektion, das am häufigsten
1000 mg/Tag über 3 Tage. Eine Kontrollmyokardbiopsie eine
infizierte Organ ist die Lunge.
Woche nach Therapie ist obligat.
Pulmonale Infektionen sind zu 48% bakteriell, 29% viral, 14%
Unter diesem Behandlungskonzept kommt es in 85% der Fälle zu durch Protozoen und 10% durch Pilze bedingt. Infektionsursa-
einer Rückbildung der Abstoßung. Bei schweren Abstoßungen
mit Myozytolysen (Grad 3–4 nach ISHLT, 3R) oder steroidrefrak-
tärer Abstoßungsreaktion wird zusätzlich mit Antithymozyten-
globulin (5 mg/kgKG/Tag) oder monoklonalem Antikörper Mu-
romonab (5 mg/Tag) behandelt.
> Bei mehreren Abstoßungen trotz ausreichender Basistherapie
mit Ciclosporin A, MMF und Steroiden kann eine Umstellung
von Ciclosporin A auf Tacrolimus durchgeführt werden. Auch
die neuen Immunsuppressiva Sirolimus und Everolimus können
in diesem Zusammenhang eingesetzt werden.

Beim Nachweis einer humoralen Abstoßung, die durch immun-


histochemische Aufarbeitung der Biopsien gesichert werden
kann, werden Immunsuppressiva mit höherer B-Lymphozyten-
Spezifität wie Cyclophosphamid eingesetzt. Es kommen auch
Verfahren wie Plasmapherese oder IgG-Immunadsorption in Be- . Abb. 28.5. Häufigkeitsverteilung der ersten Infektion nach Herztrans-
tracht. plantation. (Nach Miller et al. 1994)
28.4 · Komplikationen
509 28

CMV-Infektion wird durch die immunsuppressive Therapie be-


. Tab. 28.7. Infektionen nach Herztransplantation. (Aus Miller et al.
1994) günstigt. Das Risiko einer CMV-Infektion hängt vom CMV-Sta-
tus (IgG-Antikörper-Nachweis gegen CMV) des Transplantat-
Bakterien 47%
empfängers, Transplantatspenders und der unmittelbar nach
Grampositiv: Herztransplantation verwendeten immunsuppressiven Indukti-
Staphylococcus aureus > Staphylococcus epidermidis > Strepto- onstherapie ab. Die Häufigkeit einer CMV-Infektion beträgt bei
kokken > Clostridien CMV-positivem Spender und -negativem Empfänger 50–75%
Gramnegativ:
und bei CMV-negativem/-positivem Spender und positivem
E. coli, Pseudomonas, Enterobacter
Empfänger ohne Antilymphozytenantiköpertherapie 10–15%
Viren 41% sowie mit Antilymphozytenantikörpertherapie etwa 25%.
CMV> Herpes simplex, Herpes zoster Zum Nachweis einer CMV-Infektion stehen verschiedene
Pilze 7%, Protozoen 5%
Laborverfahren zur Verfügung: IgM-Nachweis im Serum, Nach-
weis des pp65-Antigens (Matrixprotein des CMV) in Leuko-
Candida > Aspergillus zyten, qualitative oder quantitative PCR zum Nachweis der
Pneumocystis > Toxoplasma
CMV-RNA, Nachweis von pp67-mRNA in Leukozyten oder die
CMV Zytomegalievirus. Virusisolierung.
> Eine klinisch relevante aktive Infektion ist bei Nachweis von pp65-
Matrixprotein oder pp67-mRNA in Leukozyten oder einer hohen
. Tab. 28.8. Infektionslokalisation und -letalitätsrate. (Nach Miller et cDNA-Kopie-Zahl in der quantitativen PCR wahrscheinlich.
al. 1994)
Das routinemäßige Screening auf CMV am Herzzentrum Köln
Lokalisation Häufigkeit [%] Letalitätsrate [%]
erfolgt gegenwärtig durch PCR (Messung der CMV-cDNA-
Lungen/Pleura 28 23 Kopien).
Blut 26 19 Bei asymptomatischen Patienten besteht eine Indikation zur
Gastrointestinaltrakt 17 14
antiviralen Therapie (präemptive Therapie), wenn zweimalig
eine relevante Anzahl von CMV-cDNA-Kopien (>400/ml) nach-
Urogenitaltrakt 12 16
gewiesen wird. [Therapie mit Valganciclovir 2-mal 450 mg p.o.
Haut 8 3 (nierenfunktionsadaptiert), bis die PCR negativ ist; minimale
Wunde 7 22 Dauer: 14 Tage].
Beim Nachweis einer klinisch aktiven CMV-Infektion be-
Endokarditis 2 43
steht in jedem Fall die Indikation zur antiviralen Therapie. Diese
wird in der Regel mit Ganciclovir (5 mg/kgKG, 2-mal täglich i.v.)
über 2–3 Wochen durchgeführt. Bei Niereninsuffizienz ist eine
chen sind in . Tab. 28.7, Infektionslokalisationen und -letalitäts- Anpassung der Ganciclovirdosis notwendig. Bei terminaler Nie-
raten in . Tab. 28.8 angegeben. reninsuffizienz beträgt die i.v.-Dosis einmal täglich 1,5 mg/kgKG
In der späten Posttransplantationsphase weisen die Patienten Ganciclovir. Bei schweren Infektionen sollte zusätzlich mit Hy-
kaum ein höheres Infektionsrisiko auf als die Normalbevölke- perimmunglobulin (nur bei CMV-IgG-negativen Patienten) be-
rung. Dennoch kommen auch Jahre nach Transplantation noch handelt werden. Bei Ganciclovirresistenz wird mit Foscarnet
opportunistische Infektionen vor. behandelt.
! Cave Infektionsprophylaxe
Bei einer Steigerung der Immunsuppression aufgrund einer Ab-
Aufgrund des z. T. lebensbedrohlichen Verlaufs von Infektionen
stoßung ist besonders auf klinische Zeichen einer Infektion zu
bei den immunsupprimierten Patienten sind prophylaktische
achten.
Maßnahmen enorm wichtig. Allgemeine Infektionsprophylaxe-
Das CMV gilt aufgrund seines Einflusses auf die Morbidität und maßnahmen wie Händedesinfektion sowie Mundschutz des Pati-
die Letalität von Patienten nach Herztransplantation als einer der enten und der betreuenden Personen gelten in der perioperativen
wichtigsten Krankheitserreger. Zwei Gruppen von CMV vermit- Phase als ausreichend; eine Umkehrisolation ist entbehrlich. Eine
telten Effekten können unterschieden werden: direkte Effekte perioperative i.v.-Antibiotikaprophylaxe erfolgt typischerweise
durch virale Organschäden (Pneumonie, Myokarditis, Hepatitis, mit einem Cephalosporin der ersten oder zweiten Generation
Kolitis, Gastroösophagitis, Retinitis, Dermatitis, Thrombozyto- (z. B. Cefazolin, Cefuroxim). Eine orale lokale Pilzprophylaxe
penie und hämolytische Anämie) und indirekte Effekte wie die wird in der Regel mit Amphotericin-B-Mundspülung durchge-
Begünstigung einer akuten Abstoßungsreaktion, der Transplan- führt. Die antivirale Infektionsprophylaxe wird derzeit unter-
tatvaskulopathie, des Auftretens von lymphoproliferativen Er- schiedlich gehandhabt. Es werden verschiedene Therapieverfah-
krankungen und eine Schwächung des Immunsystems mit Auf- ren (z. B. Hyperimmunglobulin als passive Immunisierung oder
treten anderer opportunistischer Infektionen. antivirale Chemotherapeutika) über einen variablen Zeitraum
verwendet. In vielen Zentren wird eine CMV-Hyperimmunglo-
> Eine aktive CMV-Infektion stellt deshalb immer eine Behand-
bulinprophylaxe im Sinne einer passiven Immunisierung durch-
lungsindikation dar.
geführt. Bei CMV-positivem Transplantatspender und -negativem
Da bei über 50% der Bevölkerung Antikörper gegen CMV be- Empfänger besteht unmittelbar nach Herztransplantation die In-
stimmbar sind, weisen die meisten Patienten zum Zeitpunkt der dikation zu einer CMV-Prophylaxe mit Ganciclovir. Man thera-
Transplantation eine latente Infektion auf. Eine Aktivierung der piert anfangs i.v. (beim beatmeten Patienten, 5 mg/kgKG, einmal
510 Kapitel 28 · Herztransplantation

täglich), gefolgt von 3 Monaten oraler Therapie mit Valganciclo- glyzeridämie und die arterielle Hypertonie von großer Bedeu-
vir (2-mal 450 mg/Tag). Bei allen Patienten sollte auch bei jeder tung, da sie einer medikamentösen Therapie zugänglich sind.
Abstoßungstherapie mit Kortikoiden oder Antikörpern eine ora- Hohe LDL- bzw. niedrige HDL-Cholesterin-Werte gehen mit
le Prophylaxe mit Valganciclovir (2-mal 450 mg/Tag) durchge- größerer Intimaproliferation in Herzkatheteruntersuchungen
führt werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist die Dosis mit IVUS einher. Ein additiver Effekt einer länger persistierenden
entsprechend anzupassen. CMV-Infektion auf die Entwicklung der Transplantatvaskulopa-
Die Prophylaxe einer Pneumocystis-carinii- und einer Toxo- thie gilt als hoch wahrscheinlich.
plasma-gondii-Infektion erfolgt in den meisten Zentren für Die nichtinvasive Diagnostik der Transplantatvaskulopathie
mehrere Monate nach Transplantation mit Trimethoprim/Sulfa- hat eine niedrige Sensitivität. Lediglich mithilfe der DSE scheint
metoxazol. Die verwendeten Dosierungen sind allerdings unter- der Ausschluss einer Transplantatvaskulopathie mit ausreichend
schiedlich und reichen von 80/400 mg/Tag bis zu 160/800 mg hoher Spezifität möglich zu sein. Die höchste Sensitivität zur Di-
28 3-mal/Woche. Ein internationaler Standard besteht derzeit agnostik besitzt die Koronarangiographie. Aufgrund der Häufig-
nicht. keit der Transplantatvaskulopathie gilt die jährliche Durchfüh-
Eine weitere wesentliche prophylaktische Maßnahme besteht rung einer Koronarangiographie in den meisten Zentren als
in rechtzeitig präoperativ durchgeführten Impfungen. Standard. Durch Kombination mit IVUS lässt sich bei über 80%
der Transplantierten in einem 1- bis 9-jährigen Verlauf eine pa-
> Alle auf einer Warteliste befindlichen Patienten sollten mit den
thologische Intimaproliferation als Zeichen der Vaskulopathie
bekannten Totimpfstoffen gegen Tetanus, Diphterie, Polio,
nachweisen.
Pneumokokken und Influenzavirus immunisiert worden sein.
Für die seit Jahren im klinischen Einsatz befindlichen Stan-
Auch nach Transplantation ist eine aktive Impfung mit Totimpf-
dardimmunsuppressiva konnte bislang kein Benefit bezüglich
stoffen möglich.
der Prävention der Transplantatvaskulopathie nachgewiesen
Lebendimpfungen sind grundsätzlich kontraindiziert. Im Einzel- werden. Sowohl für Ciclosporin A, Tacrolimus als auch MMF
fall kann jedoch auch hier zwischen dem möglichen Impfschaden existieren widersprüchliche Studien. Eine hohe kumulative Pred-
einer Lebendimpfung und dem Risiko einer akuten Infektion nisondosis hat sogar einen ungünstigen Einfluss.
beim nichtimmunen Patienten abgewogen werden. Eine passive
> Die ersten Immunsuppressiva, die das Auftreten einer Trans-
Immunisierung ist selbstverständlich nach denselben Richtlinien
plantatvaskulopathie in größeren Studien verhindern bzw. ver-
wie in der Normalbevölkerung möglich.
langsamen konnten, sind Sirolimus und Everolimus (Mancini et
al. 2003; Eisen et al. 2003).
28.4.3 Transplantatvaskulopathie Beide hemmen im Gegensatz zu Ciclosporin A und Tacrolimus
nicht nur die Produktion von IL nach der T-Zell-Aktivierung,
> Jenseits des ersten Jahres nach Transplantation wird im Lang- sondern auch die zelluläre Proliferation durch Inhibierung von
zeitverlauf die Transplantatvaskulopathie zum wesentlichsten Signalen auf Wachstumsfaktoren. Der Nachweis einer begin-
Problem nach Herztransplantation. nenden Transplantatvaskulopathie ist daher aufgrund der mo-
mentanen Studienlage eine mögliche Indikation zum Einsatz von
Ihr Ursprung ist nicht exakt geklärt. Es wird jedoch zumindest Sirolimus bzw. Everolimus. Da die Inzidenz der Transplantatvas-
initial eine immunologisch vermittelte zelluläre und humorale kulopathie im Langzeitverlauf zunimmt, bleiben Langzeitbeob-
Endothelschädigung in einem Milieu zusätzlicher nichtimmuno- achtungen jedoch noch abzuwarten.
logischer Risikofaktoren angenommen. Die Inzidenz beträgt 5– Positive Effekte auf die Transplantatvaskulopathie konnten
10% pro Jahr. Fünf Jahre nach Transplantation weisen ca. 50% am Menschen auch für konventionelle nichtimmunologische
aller Transplantierten angiographische Veränderungen auf; hier- Therapieansätze gezeigt werden. So konnte für den Kalzium-
bei lassen sich in diesem Zeitraum kritische Koronarstenosen mit antagonisten Diltiazem in einem 2-jährigen Verlauf an 116
einer Häufigkeit von unter 10–20% nachweisen. Klinische Folgen herztransplantierten Patienten angiographisch eine geringere
sind stumme Infarkte, plötzlicher Herztod sowie selten die Aus- koronare Lumendurchmesserabnahme nachgewiesen werden.
bildung einer ischämischen Kardiomyopathie. Patienten mit pa- Zusätzlich zeigte sich eine signifikant verbesserte Überlebens-
thologischem angiographischen Befund haben ein 2,4-fach er- rate. Durch den HMG-CoA-Reduktase-Inhibitor Pravastatin
höhtes Risiko eines plötzlichen Todes und ein 4,6-fach erhöhtes konnte in einem einjährigen Verlauf nach Transplantation
Risiko eines kardial bedingten Todes. eine signifikant geringere Intimaproliferation im Vergleich zum
Die histologischen Veränderungen der Transplantatvaskulo- Placebokollektiv mithilfe des IVUS nachgewiesen werden.
pathie sind heterogen und umfassen sowohl konzentrische, fi- Durch Pravastatin waren eine Abnahme der Häufigkeit schwerer
bröse und homogene Intimaverdickungen sowie auch fokale, Abstoßungsepisoden sowie ein signifikant verbessertes Überle-
exzentrische Stenosen wie bei nativer Atherosklerose. Nach ben im Einjahresverlauf zu erzielen. In einem Vierjahresverlauf
Transplantation findet sich ein zeitabhängig variables Spektrum konnte eine signifikante Reduktion der Letalitätsrate, der an-
histopathologischer Veränderungen. Früh nach Transplantation giographischen Prävalenz der Transplantatvaskulopathie und
wird histopathologisch überwiegend eine diffuse konzentrische der Häufigkeit von Abstoßungen ≥IIIb durch Simvastatin ge-
Intimaverdickung oder eine Vaskulitis gefunden. Im Langzeitver- zeigt werden. Neben der Cholesterinsenkung werden für die
lauf nach Transplantation dominieren entweder fokale athero- HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren auch immunmodulatorische
sklerotische Plaques oder eine diffuse Intimaverdickung bzw. Effekte diskutiert, die möglicherweise gerade bei der Transplan-
eine variable Mischung beider Veränderungen. tatvaskulopathie Bedeutung erlangen könnten.
Als nichtimmunologische Risikofaktoren der Transplantat-
vaskulopathie sind die Hypercholesterinämie, die Hypertri-
28.4 · Komplikationen
511 28

! Cave de) durchgeführt werden – auch wenn diese Kombination nur die
Katheterinterventionelle Therapieformen (z. B. PTCA, Stenting) Abnahme der Knochendichte verhindert, während keine Ver-
sind primär effektive, jedoch lediglich palliative Therapieopti- minderung der Frakturhäufigkeit nachgewiesen wurde. Bei be-
onen von zeitlich begrenztem Nutzen, da eine hohe Restenose- deutsamer Niereninsuffizienz kann eine Therapie mit Calcitriol
rate besteht. anstelle von Vitamin D3 indiziert sein. Ferner ist zu regelmäßiger
körperlicher Betätigung zu raten. Bei transplantierten Patienten
Ebenso wird der Therapieerfolg durch die Progression der Er- mit ausgeprägter Osteoporose (T-Wert <-1,5 in der Knochen-
krankung in nichtbehandelten Gefäßabschnitten limitiert. By- dichtemessung) oder wenn es schon zu osteoporotischen Wirbel-
passoperationen sind nur in Ausnahmefällen sinnvoll und im körperfrakturen gekommen ist, besteht die Indikation für eine
Einzelfall kritisch zu diskutieren. Eine Retransplantation geht, Therapie mit Bisphosphonaten (Alendronat, Risedronat oder
wie oben bereits erwähnt, mit einer deutlich schlechteren Prog- Etidronat). In neueren kleineren Studien wurden diese bereits zur
nose als die Erstimplantation einher. Prävention erfolgreich eingesetzt. Diesbezüglich bleiben weitere
Daten abzuwarten.
Eine Knochendichtemessung ist als Ausgangsbefund bereits
28.4.4 Neoplasien vor einer Herztransplantation bei allen Patienten sinnvoll (Rönt-
genabsorptiometrie, DXA). Bei bereits bekannter Osteoporose
> Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Neoplasie nach oder klinischem Verdacht ist eine Osteodensitometrie in jedem
Herztransplantation wird mit 1–2% pro Jahr geschätzt. Fall vor Aufnahme auf die Herztransplantationswarteliste indi-
ziert. Nach Transplantation erfolgt die Knochendichtemessung
Karzinomerkrankungen scheinen hierbei mit Ausnahme des in 1- bis 3-jährigem Abstand.
Adenokarzinoms der Lunge nicht gehäuft aufzutreten, jedoch be-
steht eine erhöhte Inzidenz von Haut- und Schleimhautneopla-
sien. Eine der häufigsten Neoplasien ist eine spezielle Lymphom- 28.4.6 Hyperlipoproteinämie
form, die sog. lymphoproliferative Erkrankung nach Organtrans-
plantation. Innerhalb des ersten Jahres nach Herztransplantation Durch Therapie mit Kortikosteroiden und Ciclosporin A entwi-
tritt sie bei 1,2% der Patienten auf. Nach dem ersten Jahr fällt die ckelt sich bei ungefähr der Hälfte aller Transplantierten eine Hy-
Inzidenz auf 0,3% ab. Insgesamt kommt die lymphatische Neopla- perlipoproteinämie. Eine effektive Einstellung der Cholesterin-
sie bei Transplantierten 20- bis 120-mal häufiger als in der Nor- werte ist bei den meisten transplantierten Patienten durch CSE-
malbevölkerung vor. Bei den Transplantierten hängt die Inzidenz Hemmer möglich und auch indiziert, da deren Verwendung nach
von der Art der Immunsuppression ab und ist bei den herztrans- Herztransplantation zu einer geringeren Inzidenz einer angiogra-
plantierten Patienten wohl aufgrund des aggressivsten Therapie- phischen Transplantatvaskulopathie sowie einer verbesserten
konzeptes am höchsten. In über 90% der Fälle besteht eine Asso- Prognose führt. Cholesterinsynthesehemmer in niedriger bis
ziation mit einer EBV-Infektion. Es wird vermutet, dass die PT- mittlerer Dosierung (z. B. Simvastatin 10–15 mg täglich) sind
LPD als polyklonale Proliferation EBV-infizierter B-Lymphozyten trotz der Ciclosporintherapie und der möglichen Interaktionen
beginnt und dann als monoklonales B-Zell-Lymphom entartet. aufgrund der gemeinsamen Verstoffwechslung über das Zyto-
Häufig kann durch eine Reduktion der Immunsuppression eine chrom-P450-System ohne erhöhtes Risiko einer Myositis bzw.
Lymphomregression erreicht werden. Bei fehlender Regression Rhabdomyolyse sicher einsetzbar. Bei Wechselwirkung kann ver-
sind übliche onkologische Therapiestrategien angezeigt. sucht werden, auf z. B. Pravastatin, das nicht über das Zytochrom-
P450-System verstoffwechselt wird, umzustellen.

28.4.5 Osteoporose
28.4.7 Arterielle Hypertonie
Eine Osteoporose tritt bei Herztransplantierten häufig auf. Sie
kann die Lebensqualität der Patienten deutlich beeinträchtigen Eine arterielle Hypertonie tritt bei bis zu 70% der herztransplan-
und zu Spontanfrakturen führen. Prädisponierende Faktoren tierten Patienten auf. Neben der Induktion eines erhöhten Blut-
hierfür sind Malnutrition und Bewegungsmangel bereits vor der drucks durch Ciclosporin A (Vasokonstriktion, Natriumretenti-
Transplantation. Postoperativ begünstigen Glukokortikoide und on) wird der Verlust eines zügelnden, afferenten ventrikulären
die Kalzineurininhibitoren Ciclosporin A und Tacrolimus zu- Barorezeptorsignals aufgrund kardialer Denervation als Ursache
sätzlich die Entwicklung einer Osteoporose. Der Knochensubs- angesehen. Ob zudem eine RAAS-Aktivierung beteiligt ist, wird
tanzverlust ist innerhalb des ersten halben Jahres nach Transplan- unterschiedlich beurteilt. Die arterielle Hypertonie des Herz-
tation am stärksten ausgeprägt. transplantierten ist im Regelfall gut medikamentös beherrschbar.
Bewährt haben sich z. B. Ca2+-Antagonisten (Diltiazem), ACE-
! Cave
Inhibitoren, Vasodilatanzien und Diuretika. β-Rezeptorenblo-
Eine schwere Osteoporose stellt eine Kontraindikation für eine
cker sind aufgrund der verstärkten Wirksamkeit am denervierten
Herztransplantation dar.
Herzen mit Vorsicht einzusetzen, jedoch nicht kontraindiziert.
Um dem Knochenabbau entgegenzuwirken, sollte bei jedem Um die genannten Probleme nach Herztransplantation
Herztransplantationspatienten eine medikamentöse Osteopo- rechtzeitig erkennen zu können, müssen regelmäßige Kontroll-
roseprophylaxe mit Vitamin D3 (1000 IE/Tag) und Kalzium untersuchungen bei den Transplantierten durchgeführt werden.
(1000 mg/Tag) entsprechend den nationalen und internationalen Beispielhaft ist in . Tab. 28.9 der Nachsorgeplan des Kölner Herz-
Leitlinien zur Osteoporoseprophylaxe bei Glukokortikoidthera- zentrums dargestellt. Diese Übersicht soll lediglich als Anhalts-
pie (z. B. Dachverband Osteologie e.V., http://www.dv-osteologie. punkt dienen und ersetzt in keinem Fall die individuelle Beurtei-
28
512

. Tab. 28.9. Nachsorgeplan nach Herztransplantation (HTX) am Kölner Herzzentrum

Zeit post Herztrans- Intervall Körperlische Labor CMV- Thorax- Elektrokar- Echokar- Ergo- Myokard- Rechts-/Links- Sonographie Dermatologi-
plantation [Monat] Untersuchung Diagnostik röntgenb diogramm diographie metrie biopsie Katheter des Abdomens sches Konsil
Kapitel 28 · Herztransplantation

1a Wöchentlich X X X

14-tägig X X X X

2–3 Wöchentlich X X X

Monatlich X X X X

4–6 14-tägig X X X

Monatlich X X X X

7–11 Monatlich X X X

Alle 6 Wochen X X X

Alle 3 Monate X X

Ab 12 Monatlich X X X

Alle 3 Monate X X

Alle 6 Monate X

Jährlich X X X X X

CMV Zytomegalievirus.
a Ab Entlassung des Patienten.
b Thoraxröntgen zusätzlich nach jeder transjugulären Biopsie zum Ausschluss eines Pneumothorax.
Literatur
513 28

lung des Patienten. Oft ist ein Abweichen vom Routineschema Deng MC, Arbeitsgruppe Thorakale Organtransplantation der Deutschen
notwendig. Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (1996)
Indikationen, Kontraindikationen und differentialtherapeutische Al-
ternativen der Herztransplantation. Z Kardiol 85: 519–527
28.5 Lebensqualität nach Herztransplantation Groetzner J, Meiser B, Landwehr P et al. (2004) Mycophenolat mofetil and
sirolimus as calcineurin inhibitor-free immunosuppression for late
cardiac transplant recipients with chronic heart failure. Transplanta
In allen bislang vorliegenden Studien geben herztransplantierte tion 77: 568–574
Patienten eine deutlich verbesserte Lebensqualität an. In Selbst- Kao W, McGee, Liao Y (1995) Does heart transplantation confer additional
einschätzungsscores erreichen Transplantierte ähnliche Werte benefit over medical therapy to patients who have waited > 6 months
wie die Normalbevölkerung. So wurde in einer amerikanischen for heart transplantation? J Am Coll Cardiol 24(6): 1547–1551
Studie, die 85% aller Transplantationsprogramme erfasste, die Kirklin JW, Barrat-Boyes BG (1993) Cardiac surgery. Churchill Livingstone,
subjektive Einschätzung der Lebensqualität erfragt. Auf einer New York, pp 195–274
Skala der allgemeinen Lebenszufriedenheit schätzten sich bei ei- Keogh A, Richardson M, Ruygrok P et al. (2004) Sirolimus in de novo heart
ner maximalen Punktzahl von 7 herztransplantierte Patienten im transplant recipients reduces acute rejection and prevents coronary
Mittel bei 5,11 Punkten im Vergleich zu 5,55 Punkten bei der artery disease at 2 years: a randomized clinical trial. Circulation 110:
2694–2700
Normalbevölkerung ein. Auf einer Skala von 1–15 bezüglich des
Koelling TM, Joseph S, Aaronson KD (2004) Heart failure survival score con-
subjektiven Wohlbefindens lagen Herztransplantierte bei 11,1, tinues to predict clinical outcomes in patients with heart failure recei-
die Normalbevölkerung bei 11,7. Auch kleinere neuere Studien ving β-blockers. J Heart Lung Transplant 23: 1414–1422
bestätigen noch 10 Jahre nach Transplantation eine gute Lebens- Levy WC, Mozaffarian D, Linker DT et al. (2006) The Seattle Heart Failure
qualität der Patienten. Model, prediction of survival in heart failure. Circulation 113
Trotz der guten Lebenszufriedenheit begleitet doch die meis- 1424–1433
ten Patienten lebenslang die Sorge um die Abstoßung des neuen Mancini DM, Pinney S, Burkhoff D et al. (2003) Use of rapamycin slows
Herzens. Daher ist eine psychologische Betreuung auch lange progression of cardiac transplantation vasculopathy. Circulation 108:
nach der Transplantation wichtig. In diesem Rahmen bietet sich 48–53
v. a. der Austausch mit anderen Herztransplantierten an. An vie- Mehra MR, Kobashigawa J, Starling R et al. (2006) Listing criteria for heart
transplantation. International Society for Heart and Lung Transplan-
len Zentren gibt es solche Gruppen teilweise sogar mit Betreuung
tation guidelines for the care of cardiac transplant candidates – 2006.
durch einen Psychologen. Wenn nicht, gibt es die Möglichkeit, J Heart Lung Transpl 25: 1024–1042
Ansprechpartner über den Bund der Organtransplantierten Miller LW, Schlant RC, Kobashigawa J et al. (1993) 24th Bethesda con-
(BDO) zu finden. Insgesamt besteht trotz leichter körperlicher ference: Cardiac transplantation. Task Force 5: Complications. J Am
Einschränkungen und häufig fortbestehender psychologischer Coll Cardiol 22: 41–54
Belastungen im Vergleich zum Status vor Herztransplantation Miller LW, Naftel DC, Bourge RC et al. (1994) Infection after heart transplan-
eine deutlich verbesserte Lebensqualität, die sogar der der Nor- tation: a multiinstitutional study. Cardiac Transplant Research Databa-
malbevölkerung ähnelt. se Group. J Heart Lung Transplant 13: 381–392; discussion 393
O’Neill JO, Young JB, Pothier CE, Lauer MS (2005) Peak oxygen consump-
tion as a predictor of death in patients with heart failure receiving
Literatur β-blockers. Circulation 111: 2313–2318
Snell GI, Levvey BJ, Chin W et al. (2002) Sirolimus allows renal recovery
Arnau-Vives MA, Almenar L, Hervas I et al. (2004) Predictive value of brain in lung and heart transplant recipients with chronic renal impairment.
natriuretic peptide in the diagnosis of heart transplant rejection. J J Heart Lung Transplant 21(5): 540–546
Heart Lung Transplant 23(7): 850–856 Stewart S, Winters GL, Fishbein MC et al. (2005) Revision of the 1990
Eisen HJ, Tuzcu EM, Dorent R et al. (2003) Everolimus for the prevention of Working Formulation for the Standardization of Nomenclature in
allograft rejection and vasculopathy in cardiac-transplant recipients. the Diagnosis of Heart Rejection. J Heart Lung Transplant 24: 1710–
N Engl J Med 349(9): 847–858 1720
515 29

Begutachtung in der Kardiologie


C.A. Schneider, F.M. Baer

29.1 Rechtsgrundlagen der gutachtlichen Tätigkeit – 515 29.6 Schwerbehinderung – 519

29.2 Aufgaben und Pflichten des Gutachters – 516 29.7 Kausalitätsbegriff in Unfallversicherung und
sozialem Entschädigungsrecht – 520
29.3 Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten – 516
29.8 Form und Inhalt des kardiologischen
29.4 Sozialversicherungsspezifische Grundbegriffe der Gutachtens – 520
gutachterlichen Tätigkeit – 516
29.4.1 Arbeitsunfähigkeit – 516 29.9 Gutachterliche kardiologische Untersuchung – 521
29.4.2 Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit – 517 29.9.1 Anamnese – 521
29.4.3 Minderung der Erwerbsfähigkeit – 517 29.9.2 Klinische Befunderhebung – 521
29.4.4 Grad der Behinderung – 518 29.9.3 Apparative Befunderhebung – 522

29.5 Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit/Grad der 29.10 Beurteilung – 523


Behinderung – 519
Literatur – 524

)) das ursprünglich für Kriegsopfer geschaffen wurde. Analog zum


BVG wird die Versorgung von Soldaten, Zivildienstleistenden,
Die gutachterliche Beurteilung in der Medizin verlangt neben Häftlingen, Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung, Op-
medizinischer Fachkompetenz, Berufserfahrung und sozialmedi- fern von Impfschäden und Opfern von Gewalttaten durch ent-
zinischen Kenntnissen die Fähigkeit und den Willen, einen Sach- sprechende Gesetze geregelt.
verhalt unparteiisch und unvoreingenommen zu beurteilen. Der Es ist offensichtlich, dass bei der Vielzahl der Sicherungssys-
Gutachter ist dabei in seiner Beurteilung unabhängig und in sei- teme ein großer Bedarf an gutachtlichen Stellungnahmen besteht,
ner Entscheidung nur seinem Gewissen verpflichtet. Aus dieser die im Einzelfall bei der Entscheidung helfen sollen, ob und in
verantwortungsvollen Position erwächst die Verpflichtung des welchem Umfang Rechtsansprüche auf Versicherungsleistungen
Gutachters zur selbstständigen, gründlichen Erhebung von (z. B. Renten) bestehen. Die Entscheidungsträger (Sozialleis-
Anamnese und körperlichem Untersuchungsbefund, zur syste- tungsträger oder Gerichte) sind nämlich von Amts wegen ver-
matischen Analyse von Vorbefunden sowie zur kritischen Würdi- pflichtet, einen Sachverhalt zu ermitteln (§ 20 SGB X), und bedie-
gung der Gesamtbefunde im Licht des aktuellen medizinischen nen sich dazu häufig gutachtlicher Stellungnahmen, die als Be-
Wissenstands. weismittel gelten (§ 21 SGB X).
Gutachten stellen bei diesen Ermittlungen eine neutrale In-
formationsquelle dar, um dem Entscheidungsträger (z. B. dem
29.1 Rechtsgrundlagen der gutachtlichen Richter) eine gerechte Entscheidung zu ermöglichen. Der Gut-
Tätigkeit achter ist also im besten Sinne Sachverständiger, mit dessen Fach-
kompetenz erst komplexe medizinische Sachverhalte transparent
Eine Vielzahl von Sicherungssystemen bietet dem Individuum und entscheidungsreif werden. Die letzte Entscheidung obliegt
Schutz bei Krankheit und Behinderung und soll die gesellschaft- ihm jedoch nicht (Rothschild et al. 2007).
liche Integration der Betroffenen gewährleisten. Um diesen Die Vielzahl der Versicherungssysteme bringt mit sich, dass
Zweck zu erfüllen, existieren in Deutschland neben der Privat- derselbe Versicherungsnehmer Ansprüche an unterschiedliche
versicherung die Sozialversicherungen, deren gesetzliche Grund- Träger der Sozialleistungen geltend machen kann (z. B. Antrag
lage im SGB Niederschlag findet. auf Erwerbsunfähigkeit beim Rentenversicherungsträger, Fest-
Die Sozialversicherung umfasst die folgenden Bereiche: stellung der Schwerbehinderung beim Versorgungsamt). Um zu
4 Krankenversicherung: SGB V, verhindern, dass im Rahmen von Begutachtungen die gleichen
4 Rentenversicherung: SGB VI, Untersuchungen mehrfach in kurzen zeitlichen Abstand durch-
4 Unfallversicherung: SGB VII, über die neben den Arbeitneh- geführt werden, müssen »die Leistungsträger sicherstellen, dass
mern auch Kinder in Kindergärten, Schüler und Studenten Untersuchungen unterbleiben, soweit bereits verwertbare Unter-
versichert sind, und suchungsergebnisse vorliegen« (§ 96 SGB X).
4 Pflegeversicherung: SGB XI. Für die Begutachtung bedeutet dies, dass im Einzelfall auf
Befunde aus Vorgängen anderer Sozialleistungsträger zurückge-
Daneben regelt das Versorgungsrecht die Entschädigung von griffen werden kann und muss, was im Einzelfall von Vorteil sein
Körperschäden, für die der Staat im weitesten Sinne verantwort- kann (Vergleich von Ruhe-EKG oder Laborwerten aus früheren
lich zu machen ist: Gemeinsame Rechtsgrundlage ist das BVG, Untersuchungen).
516 Kapitel 29 · Begutachtung in der Kardiologie

Die Bildung einer Zentraldatei mehrerer Leistungsträger für bunden sind. Dennoch wird man sich erst nach Abschluss aller
Daten der ärztlich untersuchten Leistungsempfänger wäre, vom weniger invasiven Untersuchungen zu diesen Eingriffen ent-
ärztlichen Standpunkt betrachtet, von Vorteil (Entwicklung von scheiden, um letzte Klarheit zu schaffen.
Befunden etc.) und würde häufig auch die Begutachtungsdauer So ist denkbar, dass z. B. bei einer Patientin, die über starke
verkürzen, ist aber vom Gesetzgeber ausdrücklich untersagt (§ 96 pektangiforme Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung
Abs. 3 SGB X). klagt, bei der aber Belastungs-EKG, Langzeit-EKG und Stress-
echokardiographie unauffällig sind, erst die Linksherzkatheter-
untersuchung letzte Klarheit schaffen kann. Sollte sich bei der
29.2 Aufgaben und Pflichten des Gutachters Herzkatheteruntersuchung ein Normalbefund der Koronarien
und der Pumpfunktion des Herzens herausstellen und ist auch
Der beauftragte Arzt ist generell verpflichtet, als Sachverständiger die Koronarreserve normal und eine vasospastische Angina mit-
ein Gutachten zu erstellen (§ 407 ZPO); ausnahmsweise kann er hilfe der Acetylcholintestung ausgeschlossen, so ist die kardiale
wegen verwandtschaftlicher Beziehungen von dieser Verpflich- Ursache der Beschwerden unwahrscheinlich, und andere Ursa-
tung entbunden werden (§ 383 ZPO). Nach Beauftragung als chen müssen abgeklärt werden.
29 Sachverständiger hat der Gutachter sofort zu überprüfen, ob er Eine solch aufwendige Diagnostik ist nur im Einzelfall ge-
die nötige Sachkunde zur Erstellung des Gutachtens besitzt und rechtfertigt, kann aber gelegentlich die einzige Möglichkeit sein,
andernfalls das Gericht umgehend zu informieren. Der beauf- Klarheit zu schaffen und eine jahrelange Begutachtungsspirale zu
tragte Gutachter ist grundsätzlich verpflichtet, das Gutachten beenden.
selbstständig auszuführen. Bedient er sich der Dienste anderer Stellt die TEE einen Eingriff dar, der im indizierten Fall zu-
Personen, so muss er diese namentlich nennen und dokumentie- mutbar ist, so wird das für angiographische Eingriffe (Herzkathe-
ren, in welchem Umfang diese tätig waren. Wird als Gutachter ein ter, EPU mit Punktion eines Gefäßes) kontrovers diskutiert. In
leitender Arzt einer Klinik beauftragt, so kann dieser zwar Kolle- jedem Fall empfiehlt es sich, den Einzelfall mit dem zuständigen
gen um Mithilfe bitten, er muss jedoch das Gutachten mit dem Auftraggeber (in der Regel ein Richter) zu besprechen, um insbe-
Vermerk »Einverstanden aufgrund persönlicher Untersuchung sondere zu klären, ob die Mitwirkungspflicht des Leistungsbe-
und eigener Urteilsbildung« unterschreiben. Unterlässt er dies, ist rechtigten auch die geplante Untersuchung (z. B. eine Herzkathe-
das Gutachten ungültig, wie das BSG (1500 § 128, Nr. 24) ent- teruntersuchung) umfasst. Die Pflicht des untersuchenden Arztes
schieden hat. zur umfassenden Aufklärung des Patienten über den Eingriff
bleibt von der Tatsache der Begutachtung selbstverständlich un-
> Die Hinzuziehung von Hilfssachverständigen (z. B. Begutach-
beeinflusst.
tung einer Thoraxröntgenaufnahme durch einen Radiologen im
Rahmen eines kardiologischen Gutachtens) bedarf der aus-
drücklichen Zustimmung durch den Auftraggeber (z. B. das Ge- 29.4 Sozialversicherungsspezifische Grund-
richt).
begriffe der gutachterlichen Tätigkeit
Dass die Begutachtung so rasch wie möglich durchgeführt wird,
sollte eine Selbstverständlichkeit sein. In der täglichen Routine 29.4.1 Arbeitsunfähigkeit
kommen aber erhebliche Verzögerungen vor. Hilfreich ist es z. B.
bei unverschuldetem Verzögern der Begutachtung (Schwierig- Definition
keiten der Terminabsprache durch Urlaub des Leistungsberech- Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAGE
tigten/Beschwerdeführers), dem Auftraggeber des Gutachtens Bd. 7, S. 144) gilt ein Arbeitgeber als arbeitsunfähig, »wenn er
dies und den geplanten Abgabetermin kurz mitzuteilen. Ein For- infolge einer Krankheit daran gehindert ist, die ihm nach dem
mulargutachten sollte innerhalb von 3 Wochen vorliegen, ein Arbeitsvertrag obliegende Tätigkeit zu verrichten, oder wenn
umfangreiches, wissenschaftlich begründetes Gutachten nicht er die Tätigkeit nur unter Gefahr, seinen Zustand in abseh-
mehr als 2 Monate in Anspruch nehmen. barer Zeit zu verschlimmern, fortsetzen kann und deshalb die
Arbeit vorzeitig niederlegt.«

29.3 Mitwirkungspflicht des


Leistungsberechtigten Die bei Arbeitsunfähigkeit entstehenden Sozialleistungen wer-
den vom Arbeitgeber und der Krankenkasse getragen: Der Ar-
Nach § 62 SGB I soll sich der Leistungsberechtigte auf Verlangen beitgeber zahlt bis zu 6 Wochen das Arbeitsentgelt, darüber hi-
des Leistungsträgers ärztlichen Untersuchungsmaßnahmen un- naus zahlen die Krankenkassen Krankengeld als Lohnersatzleis-
terziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung tung (§ 44 SGB V). Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei
erforderlich sind. Grenzen der Mitwirkung bestehen dann, wenn Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge-
im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an oder von
hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, bei Un- dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Ar-
tersuchungen, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind beitsfähigkeit folgt (§ 46 SGB V).
oder einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit Die Höhe des Krankengeldes beträgt 70% des regelmäßig er-
darstellen (§ 65 SGB I). zielten Arbeitsentgeltes und Arbeitseinkommens, jedoch maxi-
Im kardiologischen Bereich stellen die TEE, die Herzkathe- mal 90% des Nettoarbeitsentgeltes (§ 47 SGB V). Das Kranken-
teruntersuchung und die EPU solche Eingriffe dar, wenngleich geld wird zeitlich unbegrenzt gezahlt, für den Fall der Arbeitsun-
das Risiko dieser Eingriffe für das Leben sehr gering ist und diese fähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wo-
Untersuchungen in der Regel nicht mit großen Schmerzen ver- chen innerhalb von je 3 Jahren (§ 48 SGB V).
29.4 · Sozialversicherungsspezifische Grundbegriffe der gutachterlichen Tätigkeit
517 29

Arbeitsunfähigkeit besteht in diesem Zusammenhang für die Arbeitszeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Feststellung,
Tätigkeit, die unmittelbar vor der Erkrankung durchgeführt wur- der Versicherte könne eine Teilzeitarbeit (z. B. halbschichtig)
de, und unterscheidet sich erheblich von der Berufsunfähigkeit noch verrichten, bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation
der gesetzlichen Rentenversicherung (s. unten). häufig einer Erwerbsunfähigkeit gleichkommt. In diesem Fall ist
Die Krankenkassen sind bei Arbeitsunfähigkeit verpflichtet, es möglich, solange eine zeitlich befristete Rente zu gewähren,
eine gutachtliche Stellungnahme beim medizinischen Dienst der wie die Arbeitsmarktsituation dies erfordert.
Krankenkassen zur Sicherung des Behandlungserfolgs oder bei Von der Berufsunfähigkeit zu unterscheiden, ist die Erwerbs-
Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit einzuholen. Zweifel an der unfähigkeit.
Arbeitsunfähigkeit bestehen, wenn Versicherte auffällig häufig,
auffällig kurz oder häufig zu Beginn oder am Ende einer Woche Definition
arbeitsunfähig sind; außerdem, wenn die Arbeitsunfähigkeit von Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Erkrankung oder
einem Arzt bescheinigt wurde, der durch die Häufigkeit dieser Behinderung auf nichtabsehbare Zeit außerstande sind, eine
Bescheinigungen aufgefallen ist (§ 275 SGB V). Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder
Obwohl keine teilweise Arbeitsunfähigkeit existiert, besteht Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein
nach § 74 SGB V die Möglichkeit, den Versicherungsnehmer stu- Siebtel der monatlichen Bezugsgröße [zurzeit EUR 345 bzw.
fenweise in einer Art Bewährung in das Erwerbsleben wieder EUR 290 (neue Bundesländer), § 18 SGB IV] übersteigt; er-
einzugliedern, das Krankengeld wird während dieser Zeit weiter- werbsunfähig sind auch Versicherte, die wegen Art und
gezahlt. Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Ar-
beitsmarkt tätig sein können (§ 44 SGB VI).

29.4.2 Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit


Erwerbsunfähig ist nicht, wer
Von der Arbeitsunfähigkeit klar zu trennen, sind die Berufsunfä- 1. eine selbstständige Arbeit ausübt oder
higkeit und die Erwerbsunfähigkeit, wie sie im SGB VI (Renten- 2. eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann.
versicherung) definiert werden.
Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Berufsunfähigkeit Im Unterschied zur Berufsunfähigkeit bezieht sich die Defini-
Definition tion der Erwerbsunfähigkeit nicht auf die individuell ausgeübte
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit we-
Tätigkeit, sondern allgemein auf die noch verbliebene Leistungs-
gen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte
fähigkeit, entgeltliche Arbeit welcher Art auch immer auszuüben.
derjenigen von körperlich, seelisch und geistig gesunden Ver-
sicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
29.4.3 Minderung der Erwerbsfähigkeit
Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (§ 43 SGB VI).

Definition
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Die MdE beschreibt das Ausmaß eines Körperschadens in
Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Prozent, der zu einem Entschädigungsanspruch in der Unfall-
Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berück- versicherung, nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder
sichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie nach dem Schwerbehindertengesetz führt.
ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer
bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar
ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen Die MdE ist grundsätzlich unabhängig von dem ausgeübten Be-
zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umge- ruf zu bewerten und setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber
schult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Typische al-
Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Ar- tersbedingte Veränderungen bleiben daher bei der MdE-Bewer-
beitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. tung unberücksichtigt. Als alterstypische Veränderungen sind
z. B. die allgemeine Verminderung der Kraft und des Leistungs-
Erwerbsunfähigkeit vermögens, eine leichte Verminderung der Beweglichkeit der
In der Begutachtung der Erwerbsfähigkeit muss der Gutachter Wirbelsäule oder die alterstypische Verschlechterung von Seh-
zunächst feststellen, welche Funktionsstörungen oder Behinde- und Hörvermögen anzusehen.
rungen beim Versicherten vorliegen. Aus dieser Darstellung muss Demgegenüber gelten z. B. Folgen arteriosklerotisch be-
klar ersichtlich sein, welche Fähigkeiten der Versicherte verloren dingter Organerkrankungen (Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzin-
hat und welche Fähigkeiten ihm noch zur Verfügung stehen. Da- suffizienz) nicht als alterstypische Veränderungen, die regelmä-
rüber hinaus ist zu klären, welche Wegstrecke der Versicherte ßig beobachtet werden können.
zum Arbeitsplatz zurücklegen kann (Benutzung öffentlicher Ver- Um den Grad der MdE einschätzen zu können, wurden für
kehrsmittel, Gehen von maximal 4-mal 500 m) und für wie viele das soziale Entschädigungsrecht und das Schwerbehindertenge-
Stunden er noch arbeiten kann. setz Tabellen aus langjähriger Erfahrung zusammengefasst (Bun-
In diesem Zusammenhang wird unter »vollschichtig« die desminister für Arbeit und Sozialordnung 2008), die einen An-
volle Arbeitszeit verstanden, unter »halbschichtig bis untervoll- halt für die individuelle Einschätzung des Ausmaßes einer Schä-
schichtig« mindestens die Hälfte der üblichen Arbeitszeit und digung geben. Deren Kenntnis erleichtert die individuelle Ein-
unter »unterhalbschichtig« weniger als die Hälfte der regulären schätzung erheblich, und es sind deshalb hier die MdE-Grade für
518 Kapitel 29 · Begutachtung in der Kardiologie

. Tab. 29.1. Anhaltspunkte für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)/den Grad der Behinderung (GdB) für Erwachsene
Ausmaß der Schädigung MdE/GdB-Grad
Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler etc.
1. Ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung: keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse 0–10
Schmerzen, selbst bei gewohnter stärkerer Belastung, z. B. sehr schnelles Gehen (7–8 km/h), oder schwerer
körperlicher Arbeit, keine Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung
2. Mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, z. B. forsches Gehen (5–6 km/h), oder mittel- 20–40
schwerer körperlicher Arbeit, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelas-
tung mit 75 W (mindestens 2 min)
3. Mit Leistungsbeeinträchtigung bei alltäglicher Belastung, z. B. Spazierengehen (3–4 km/h), Treppensteigen 50–70
bis zu einem Stockwerk, oder leichter körperlicher Arbeit, Beschwerden und Auftreten pathologischer
Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 W (mindestens 2 min)
29 Mit gelegentlich auftretenden, vorübergehenden schweren Dekompensationszeichen 80
4. Mit Leistungsbeeinträchtigung bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz, z. B. auch bei fixierter pulmonaler Hyperto- 90–100
nie)
Nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen (z. B. Ballondilatation) ist der GdB/MdE-
Grad von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Bei Herzklappenprothesen ist der GdB/MdE-
Grad nicht niedriger als 30 zu bewerten; dieser Wert schließt eine Dauerbehandlung mit Antikoagulanzien
ein
Nach einem Herzinfarkt ist die GdB/MdE-Bewertung von der bleibenden Leistungsbeschränkung abhängig
Nach Herztransplantation ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (i. Allg. 2 Jahre); während dieser Zeit ist
ein GdB/MdE-Grad von 100 anzusetzen. Danach ist der GdB/MdE-Grad selbst bei günstigem Heilungsverlauf
unter Mitberücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression nicht niedriger als 70 zu bewerten
Fremdkörper im Herzmuskel oder Herzbeutel, reaktionslos eingeheilt 0
Mit Beeinträchtigung der Herzleistung Siehe oben
Rhythmusstörungena
Anfallsweise auftretende, hämodynamisch relevante Rhythmusstörungen (z. B. paroxysmale Tachykardien) je
nach Häufigkeit, Dauer und subjektiver Beeinträchtigung:
4 Bei fehlender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens 10–30
4 Bei bestehender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens sind sie entsprechend zusätzlich
zu bewerten
4 Nach Implantation eines Herzschrittmachers 10
4 Nach Implantation eines ICD wenigstens 50
Hypertonie
Leichte Form Keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) 0–10
Mittelschwere Mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen wie Fundus hyperto- 20–40
Form nicus I–II und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach
über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung
Schwere Form Mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der 50–100
Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbe-
einträchtigung
Maligne Form Diastolischer Blutdruck konstant über 130 mmHg; Fundus hypertonicus III–IV (Papillenödem, Venenstauung, 100
Exsudate, Blutungen, schwerste arterielle Gefäßveränderungen); unter Einschluss der Organbeteiligung
(Herz, Nieren, Gehirn)
a Die Beurteilung des GdB/MdE-Grades richtet sich nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens.

die in der Kardiologie relevanten Erkrankungen wiedergegeben 29.4.4 Grad der Behinderung
(. Tab. 29.1). Für die Unfallversicherung wurden ebenfalls um-
fassende Tabellen erarbeitet, deren Benutzung die individuelle Nach dem Schwerbehindertengesetz wird die Gesundheitsstö-
Einschätzung einer Schädigung erleichtert und standardisiert rung nicht als Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern als Grad
(Mollowitz 1993; Rompe u. Erlenkämper 1992). der Behinderung (GdB) bezeichnet. Sie unterscheidet sich von
Die MdE stellt die Grundlage für die Berechnung der Rente dar. der MdE insofern, als der GdB final, d. h. auf alle Gesundheits-
Sie wird gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit durch einen Versiche- störungen unabhängig von ihrer Ursache abgestellt ist, während
rungsfall über die 26. Woche um mindestens 20% gemindert ist. die MdE sich nur auf Schädigungsfolgen (also kausal) bezieht.
29.6 · Schwerbehinderung
519 29

Dennoch gilt für GdB und MdE ein einheitlicher Maßstab So wird z. B. bei einem Patienten mit einer schweren Herzinsuf-
(. Tab. 29.1). fizienz eine geringfügige Schädigung eines Fußes die Gesamt-
Die in diesen Tabellen niedergelegten Sätze berücksichtigen MdE nicht erhöhen, da der Patient aufgrund der kardialen Er-
bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen und auch krankung in seiner Mobilität bereits so weit eingeschränkt ist,
Schmerzen, weswegen nur besondere Umstände eine Höherstu- dass die geringfügige Fußschädigung keine höhere MdE/GdB
fung rechtfertigen. Zu berücksichtigen ist, dass erst nach Vollen- rechtfertigt. Bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
dung des zweiten Lebensjahres die Erziehungsberechtigten für MdE/GdB-Grad von 10 oder 20 ist es in der Regel nicht gerecht-
das behinderte Kind (z. B. Kind mit komplexem Vitium) einen fertigt, auf eine wesentliche Verschlechterung des Gesamtmaßes
Antrag auf Anerkennung eines Nachteilsausgleichs stellen kön- der Behinderung zu schließen.
nen (BSG vom 12.02.1997).

29.6 Schwerbehinderung
29.5 Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit/
Grad der Behinderung Definition
Schwerbehinderte im Sinne des SchwbG sind Personen mit
Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zwar einem GdB von mindestens 50%, wenn sie Wohnsitz, ihren
Einzel-GdB/MdE-Grade anzugeben, bei der Ermittlung der Ge- gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung im Gel-
samt-MdE/GdB ist eine einfache Addition der Grade jedoch tungsbereich des SchwbG haben.
nicht zulässig. Vielmehr müssen die Auswirkungen der verschie-
denen Gesundheitsstörungen aufeinander und in ihrer Gesamt-
heit beurteilt werden. Es sind Vergleiche mit Gesundheitsschä- Personen mit einem GdB von mindestens 30%, aber weniger als
den anzustellen, für die Tabellenwerte (MdE/GdB) existieren. 50%, sind dann Schwerbehinderten gleichzustellen, wenn sie in-
Dabei kann z. B. eine Gesamt-MdE von 50% nur dann angenom- folge ihrer Behinderung ohne Gleichstellung keinen geeigneten
men werden, wenn die Gesamtheit der Gesundheitsstörungen Arbeitsplatz erhalten können.
insgesamt so schwer ist wie z. B. das Auftreten von Beschwerden Das SchwbG sieht für alle Behinderten einen Nachteilsaus-
bei niedriger Belastungsstufe (50 W). gleich unabhängig von der Ursache der Behinderung vor. Auf-
grund der großzügigen gesetzlichen Regeln gibt es eine Vielzahl
> Für eine gerechte Einschätzung der Gesamt-MdE/GdB ist die von Schwerbehinderten (nach Mitteilungen des statistischen Bun-
höchste Einzel-MdE/GdB zugrunde zu legen und zu überlegen, desamtes ca. 5 Mio. Personen in den alten Bundesländern) und
inwieweit diese Beeinträchtigung durch weitere Gesundheits- eine Vielzahl von notwendigen gutachtlichen Stellungnahmen.
störungen weiter verschlimmert wird und deswegen zusätzliche Beträgt der GdB mindestens 50%, stellt das zuständige Versor-
10 oder 20 Punkte hinzugefügt werden müssen, um der Behin- gungsamt auf Antrag einen Schwerbehindertenausweis aus, der
derung gerecht zu werden. z. B. den GdB, die Geltungsdauer und weitere Merkzeichen enthält

. Tab. 29.2. Kürzel des Schwerbehindertenausweises und ihre Bedeutung


VB MdE mindestens 50% nach Bundesversorgungsgesetz, Notwendigkeit ständiger Begleitung
EB MdE mindestens 50% nach Bundesentschädigungsgesetz, Notwendigkeit ständiger Begleitung
G Erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
Das Merkzeichen erhält, wer infolge einer altersunabhängigen Einschränkung des Gehvermögens Wegstrecken bis zu 2 km bei einer Geh-
dauer von etwa 30 min nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren gehen kann. Die Gehbehinderung kann auch durch innere
Leiden, durch Anfälle oder Orientierungsstörungen verursacht sein
aG Außergewöhnlich gehbehindert
Das Merkzeichen erhält, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung
außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunter-
schenkelamputierte usw.
H Hilflos
Als hilflos ist derjenige anzusehen, der infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend (also mehr als 6 Monate) für häufig und regel-
mäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (z. B.
beim An- und Auskleiden, beim Essen und bei der Körperpflege)
BI Blind
Blind ist der Behinderte, der nicht sehen kann. Als blind gelten auch Personen, deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht bei beid-
äugiger Prüfung mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder wenn andere Sehstörungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad
vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleich zu achten sind
RF Gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht liegen vor
Dieses Merkzeichen erhalten wesentlich Sehbehinderte, schwer Hörgeschädigte und Behinderte, die einen GdB von wenigstens 80 haben
und wegen ihres Leidens allgemein von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sind
1. KL Gesundheitliche Voraussetzungen für die Benutzung der Ersten Klasse mit einer Fahrkarte der Zweiten Klasse in der Bundesbahn liegen vor
Das Merkzeichen erhalten Schwerkriegsbeschädigte unter bestimmten Voraussetzungen
520 Kapitel 29 · Begutachtung in der Kardiologie

(. Tab. 29.2). Die Nachteilsausgleiche umfassen einen besonderen In der Regel wird in den Gutachtenaufträgen eine Reihe von
Kündigungsschutz, steuerliche Erleichterungen, Parkerleichte- konkreten Fragen gestellt, deren Beantwortung zur Klärung eines
rungen, Befreiung von Rundfunkgebühren, Benutzung der Ersten- Sachverhalts nach Meinung des Auftraggebers notwendig ist. Die
Wagen-Klasse der Bundesbahn u. a. Zum Teil sind die einzelnen eindeutige Beantwortung dieser Fragen ist der Arbeitsauftrag,
Vergünstigungen über die Anerkennung als Schwerbehinderter dem sich der Gutachter stellen muss. Während der Sichtung der
hinaus noch an andere Voraussetzungen gebunden (z. B. Befreiung Akten, der Untersuchung des Patienten und dem Abfassen des
von Rundfunkgebühren bei Blinden oder bei Schwerbehinderten Gutachtens müssen diese Fragen dem Gutachter gegenwärtig
mit einem Behinderungsgrad von mindestens 80%, die nicht an sein. Insbesondere die Durchsicht der z. T. umfangreichen Akten
öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können). sollte unter diesem Blickwinkel geschehen. Ein Aktenauszug ist
daher häufig entbehrlich, wenn er überwiegend die prozessuale
Vorgeschichte dokumentiert.
29.7 Kausalitätsbegriff in Unfallversicherung und
> Dringend notwendig ist es, die vorhandenen Akten gründlich
sozialem Entschädigungsrecht
nach Befunden zu sichten, die zur Beantwortung der Fragen im
29 > Die für die Begutachtung wichtige Frage der Kausalität von Er-
Gutachtenauftrag notwendig sind. Diese Befunde sind detail-
liert mit Seitenzahl der betreffenden Akte und chronologisch zu
eignis und Schädigung wird in der Unfallversicherung und im
dokumentieren.
sozialen Entschädigungsrecht nach dem Begriff der wesent-
lichen Bedingung (Relevanztheorie) beantwortet. Besonderes Augenmerk muss dabei auf bereits früher geäußerte
Beschwerden und Symptome gerichtet werden und mit den ak-
Darunter versteht man die Bedingung, die zum Eintritt z. B. eines tuellen Klagen verglichen werden. Auch früher erhobene körper-
Unfalls wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu liche und technische Befunde (Blutdruckwerte, Laborwerte, EKG
einem Ereignis beigetragen, so sind sie nur dann als nebeneinan- etc.) sowie Therapien müssen berücksichtigt werden.
der stehende Mitursachen (und damit wie Ursachen) zu beurtei- Hintergrund dieses Vorgehens ist es, dem Auftraggeber des
len, wenn sie in ihrer Bedeutung für das Ereignis annähernd Gutachtens die medizinischen Fakten so transparent wie möglich
gleichwertig sind. Wenn eine Ursache in ihrer Bedeutung für das zu präsentieren, damit er sich ein eigenes Bild von den medizi-
Ereignis die anderen Ursachen wesentlich überragt, so ist diese nischen Fakten machen kann, auf denen ggf. dann die Entschei-
Ursache versorgungsrechtlich als die alleinige Ursache anzusehen. dungen basieren werden.
Dabei muss die Ursache, außer in der Unfallversicherung, nicht Außer bei einem einfachen Formulargutachten oder einem
zeitlich begrenzt sein; auch wiederkehrende äußere Einwirkungen Aktengutachten wird für die zuverlässige gutachterliche Stellung-
können in ihrer Gesamtheit die Gesundheit beeinträchtigen. nahme eine umfassende Untersuchung des Antragstellers erfor-
Gelegenheitsursachen sind keine wesentlichen Bedingungen derlich sein. Sie umfasst die sorgfältige Anamnese, die ausführ-
und lösen damit keine Entschädigungspflicht aus. Eine Gelegen- liche körperliche Untersuchung und aufwendigere, technische
heitsursache kann dann angenommen werden, wenn der Ge- Untersuchungen (7 Übersicht 29.1).
sundheitsschaden mit Wahrscheinlichkeit auch ohne das ange-
schuldigte Ereignis durch ein alltägliches Ereignis zu annähernd
gleicher Zeit in annähernd gleichem Ausmaß eingetreten wäre. Übersicht 29.1. Methoden in der kardiologischen
Zur Sicherung eines ursächlichen Zusammenhangs bedarf es Diagnostik
des Vollbeweises des schädigenden Vorgangs, der gesundheit-
lichen Schädigung und der zu beurteilenden Gesundheitsstörung. 1. Basisdiagnostik
Dabei ist die gesundheitliche Schädigung die primäre Beeinträch- 4 Ruhe-EKG
tigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang. 4 Belastungs-EKG
Die verbleibende Gesundheitsstörung ist die Schädigungsfolge. 4 TTE
Zwischen dem schädigenden Ereignis und der Gesundheitsstörung 4 Thoraxröntgenaufnahme
muss eine ununterbrochene Kausalkette bestehen. Dabei spielen sog. 4 Ausgewählte Laborwerte
Brückensymptome, d. h. Symptome, die ursächlich auf die Schädi- 2. Spezielle nichtinvasive Diagnostik
gung zurückzuführen sind, aber im gewissen zeitlichen Abstand zum 4 TEE
Ereignis auftreten, für die Beweisführung eine wichtige Rolle. 4 MRT
4 CT
! Cave 4 Myokardszintigraphie
Beim Fehlen von Brückensymptomen ist die Zusammenhangs- 4 Langzeit-EKG
frage besonders gründlich zu prüfen, insbesondere wenn das 3. Spezielle invasive Diagnostik
schädigende Ereignis und das Auftreten einer Gesundheitsstö- 4 Linksherzkatheter
rung zeitlich weit auseinander liegen. 4 Rechtsherzkatheter
4 EPU

29.8 Form und Inhalt des kardiologischen


Gutachtens

Je nach Einzelfall werden Zusammenhangsgutachten, Zustands-


gutachten, Gutachten zur Beurteilung der Hilflosigkeit, der Be-
rufsunfähigkeit, des Grades der Behinderung etc. unterschieden.
29.9 · Gutachterliche kardiologische Untersuchung
521 29
29.9 Gutachterliche kardiologische
Untersuchung

29.9.1 Anamnese

Die gründliche Anamnese ist die Grundlage jedes Gutachtens.


Die aktuelle Anamnese wird sich zunächst auf die Beschwerden
des Antragstellers, deren Häufigkeit, Schwere und eventuelle
Auslöser richten. Um späteren Missverständnissen vorzubeugen,
hat es sich als hilfreich erwiesen, den Patienten zunächst frei be-
richten zu lassen und dann gezielt nach Symptomen zu fragen
(7 Übersicht 29.2).

Übersicht 29.2. Kardiologisch orientierte Anamnese

1. Beschwerden
4 Schmerzen
– Lokalisation (thorakal, abdominell, Unterkiefer, linker/
rechter Arm, Rücken)
– Ausstrahlung der Schmerzen
– Auslöser (Kälte, Essen, Aufregung, Belastung)
– Häufigkeit
– Besserung der Beschwerden durch Ruhe, Nitropräpa-
rate, Antacida, CCS-Stadium
4 Luftnot
– Ruhedyspnoe, Belastungsdyspnoe, anfallsweise Dys-
pnoe, NYHA-Klassifikation
4 Herzrhythmusstörungen (Herzstolpern, Schwindel, doku-
mentierte Bewusstlosigkeit)
4 Entwicklung der aktuellen Beschwerden
– Beginn . Abb. 29.1. Alltagsbelastungen und ihre korrespondierenden Belas-
– Mögliche Auslöser tungsstufen in Watt (W) zur raschen Abschätzung der körperlichen Be-
2. Eigenanamnese lastbarkeit eines Individuums
4 Krankheiten in der Kindheit (rheumatisches Fieber, Diph-
therie, Kinderkrankheiten)
4 Ergebnisse von Schuluntersuchungen, Tauglichkeitsprü- Belastbarkeit in Watt abschätzen (. Abb. 29.1) und mit der ergo-
fungen etc. (bekanntes Herzgeräusch, Blutdruck) metrisch objektivierten Belastbarkeit vergleichen.
4 Früher durchgemachte Erkrankungen (stationäre Be- In der erweiterten Anamnese werden frühere Erkrankungen,
handlung) regelmäßig eingenommene Medikamente und kardiovasku-
4 Frühere kardiologische Untersuchung (EKG, Echokardio- läre Erkrankungen in der Familie erfragt, soweit diese Angaben
graphie, Herzkatheter) für die Beantwortung der gutachtlichen Fragen relevant sind.
4 Risikoprofil (arterielle Hypertonie, Rauchen, Diabetes Am Ende der anamnestischen Erhebung werden schließlich
mellitus, Gesamtcholesterin, familiäre Belastung) die Klagen und die Symptome mündlich zusammengefasst
3. Familienanamnese und der Antragsteller gefragt, ob alle ihm wichtigen Punkte er-
4 Kardiale Erkrankungen in der Familie fasst sind.
4 Infarkte in frühem Alter
4 Plötzlicher Herztod > Eine genaue Dokumentation der Anamnese (Beschwerden auch
4. Sozialanamnese im Wortlaut) ist unerlässlich.
4 Beruf Im Einzelfall wird man prüfen, ob der Antragsteller die schrift-
4 Beschwerden bei Ausübung des Berufes liche Dokumentation der Anamnese gegenzeichnen soll, um spä-
5. Vegetative Anamnese teren Missverständnissen vorzubeugen. Bei Minderjährigen sind
4 Nykturie die Angaben der Eltern zu dokumentieren.

Besonders sorgfältig wird man versuchen, die körperliche Belast- 29.9.2 Klinische Befunderhebung
barkeit des Patienten abzuschätzen. Zur anamnestischen Ein-
schätzung der Belastbarkeit hat es sich bewährt, den Antragsteller Im Regelfall schließt sich an die Anamnese die körperliche Un-
zu fragen, welche Art der körperlichen Belastungen er gerade tersuchung an. Grundsätzlich ist es ratsam, bei Gutachten mit
noch ohne Beschwerden bewältigen kann (z. B. eine Etage Trep- kardiologischem Schwerpunkt einen Ganzkörperstatus am ent-
pensteigen). Anhand dieser Angaben lässt sich die körperliche kleideten Patienten zu erheben. Der Umfang der Untersuchung
522 Kapitel 29 · Begutachtung in der Kardiologie

sollte sich jedoch an der konkreten gutachtlichen Fragestellung


orientieren.
Soll z. B. zum Zusammenhang zwischen einem Thoraxtrau-
ma und der linksventrikulären Pumpfunktion Stellung genom-
men werden, sind detaillierte Untersuchungen des Sensoriums
oder des Skelettsystems entbehrlich. Bei der Beurteilung des Aus-
maßes der Schädigung z. B. durch eine arterielle Hypertonie
muss jedoch die Beurteilung des Augenhintergrundes zur ge-
nauen Einstufung (arterielle Hypertonie mit oder ohne Organ-
schäden) zwingend durchgeführt werden.
Soll hingegen ein Gesamtgrad der Behinderung festgestellt
werden, so wird eine wesentlich ausführlichere Untersuchung
notwendig sein (orthopädische, neurologische Untersuchungen
etc.), wenn im Gutachtenauftrag nicht anderes gefordert wurde
29 (z. B. Beschränkung auf rein internistische Probleme, Zusatzgut-
achten durch Orthopäden).
> Um sich einen raschen und in der Regel zuverlässigen ersten
Eindruck über die körperliche Belastbarkeit des Antragstellers
zu verschaffen, kann es hilfreich sein, den Antragsteller beim
Treppensteigen zu begleiten oder einen Sechsminutengehtest
zu absolvieren. Auch indirekte Informationen während der Un-
tersuchung (z. B. Entkleidungsdyspnoe) sollten beachtet und
dokumentiert werden.

Die Dokumentation sollte möglichst detailliert erfolgen, um zu- . Abb. 29.2. Mittlere systolische Blutdruckwerte bei unterschiedlichen
Belastungsstufen in Abhängigkeit vom Alter bei männlichen Probanden.
künftigen Gutachtern den Vergleich mit den Befunden zu erleich-
Die Blutdruckwerte bei Frauen liegen ca. 5 mmHg unter diesen Werten.
tern. »Herz und Lunge o. B.« ist als Untersuchungsergebnis selbst- Der diastolische Blutdruckwert ändert sich während Belastungen nicht
verständlich unzureichend, da diesem kryptischen Befund nicht wesentlich. (Nach Nordenfelt et al. 1985)
zu entnehmen ist, auf welche Phänomene im Einzelnen geachtet
wurde, die dann die Einschätzung »ohne Befund« rechtfertigen.
Unter diesen Techniken hat die Stressechokardiographie mit
Dobutamin oder Fahrradbelastung in den letzten Jahren auf-
29.9.3 Apparative Befunderhebung grund ihrer einfachen Anwendbarkeit sowie hoher Sensitivität
und Spezifität in erfahrenen Händen einen festen Platz in der
Ruhe-EKG Diagnostik der KHK gewonnen.
Die Anfertigung eines EKG ist in der kardiologisch orientierten Belastungsuntersuchungen werden in der Begutachtung aber
Begutachtung eine Selbstverständlichkeit. Die EKG-Analyse um- nicht nur eingesetzt, um eine KHK wahrscheinlich zu machen,
fasst neben Lagetyp, exakter Erfassung der einzelnen Zeitwerte, sondern auch, um die individuelle maximale Belastbarkeit des
deskriptiven Beschreibungen von Abnormalitäten auch die Be- Patienten zu untersuchen. Der Anstieg der Herzfrequenz wäh-
rechnung der korrigierten QT-Zeit, insbesondere wenn Rhyth- rend der Belastung und das Verhalten des Blutdrucks spielen
musstörungen oder Synkopen bekannt sind. Frühere EKG soll- dabei eine wesentliche Rolle. Um im Einzelnen zu beurteilen, ob
ten, wenn möglich, zum Vergleich herangezogen werden, um die individuelle Belastbarkeit oder das Blutdruckverhalten sich
Befundveränderungen im Verlauf nachweisen zu können. Dies normal verhält, ist der Vergleich mit Normwerten nötig (Norden-
kann insbesondere bei Zusammenhangsgutachten wichtig sein. felt et al. 1985; . Abb. 29.2).
Generell kann man sagen, dass eine Belastbarkeit von 3 W/
Belastungs-EKG/Ergospirometrie kgKG für junge Männer (20–30 Jahre) und von 2,5 W/kgKG für
Belastungs-EKG. Häufig muss innerhalb einer Begutachtung die junge Frauen erwartet werden kann. Für jedes Lebensjahrzehnt
Belastbarkeit des Antragstellers untersucht werden. Das Belas- zusätzlich werden 10% von der errechneten Wattzahl abgezogen.
tungs-EKG ist für diese Frage gut geeignet, zumal es zusätzliche
Informationen über myokardiale Minderdurchblutungen geben Ergospirometrie. Für die Beurteilung der Belastbarkeit in spezi-
kann. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Sensitivität und fischen Berufen muss jedoch neben der Spitzenbelastbarkeit auch
die Spezifität des Belastungs-EKG zum Nachweis einer KHK in die Dauerbelastbarkeit des Individuums untersucht werden. Hier-
Abhängigkeit von Geschlecht und Ausprägung der KHK zwi- bei ist die anaerobe Schwelle, wie sie mithilfe der Ergospirometrie
schen 60 und 100% schwanken können. ermittelt werden kann, hilfreich. Die anaerobe Schwelle beschreibt
die Dauerleistungsgrenze des Individuums, also die Belastbarkeit,
! Cave bis zu der sich O2-Aufnahme und CO2-Abgabe die Waage halten.
Im Einzelfall schließt also ein unauffälliges Belastungs-EKG eine
signifikante KHK nicht aus, und es müssen daher alternative > Die ergospirometrisch dokumentierte Schwelle kann zur Beur-
Techniken zum Nachweis einer myokardialen Minderdurchblu- teilung der individuellen Dauerbelastbarkeit herangezogen
tung (Myokardszintigraphie, Echokardiographie) herangezogen werden. Die Dauerbelastbarkeit während eines 8-stündigen Ar-
werden. beitstages sollte deutlich unterhalb dieser Grenze liegen.
29.10 · Beurteilung
523 29

Zusätzlich kann mithilfe der Ergospirometrie auch die individu- kardiologischen Begutachtung notwendig sein, Differenzialblut-
elle Leistungsbereitschaft des Antragstellers überprüft werden. bilder, differenzierte Leberparameter, Blutgerinnungswerte oder
Bis auf wenige Ausnahmen (schwere pulmonale Erkran- gar aufwendige Antikörperdiagnostik durchführen zu lassen.
kungen, schwere periphere arterielle Verschlusskrankheit) wird Auch hier sollte zunächst kritisch geprüft werden, welche Labor-
vor der körperlichen Erschöpfung die anaerobe Schwelle erreicht. parameter zwingend erforderlich sind, um die Fragen des Gut-
Bei Abbruch der Belastung aus »Erschöpfungsgründen« muss bei achtenauftrags zu beantworten. Häufig wird der Antragsteller
Nichterreichen der anaeroben Schwelle an eine mangelnde Mit- Laborwerte von seinem Hausarzt mitbringen, die mitberücksich-
arbeitsbereitschaft gedacht werden. tigt werden sollten.
Zusätzlich kann die Bestimmung des Blutlaktatwertes oder
des Basenüberschusses hilfreich sein, um zu entscheiden, ob der 24-h-Blutdruckmessung. Ein relativ einfaches Verfahren ist die
Untersuchte ausbelastet war: Als Zeichen der Ausbelastung gel- 24-h-Blutdruckmessung, die Aufschluss über Vorhandensein und
ten der Anstieg des Laktatwertes auf mindestens 4–5 mmol/l Ausprägung einer arteriellen Hypertonie gibt. Insbesondere bei
bzw. des Basenüberschusses auf -4 mmol/l (-4 mEq/l; Lehmann Antragstellern mit Myokardhypertrophie bietet sich diese Unter-
et al. 1981). suchung an. Eine 24-h-Blutdruckmessung am Arbeitsplatz bietet
sich bei Patienten mit arterieller Hypertonie an, um das Ausmaß
Langzeit-EKG dieser Erkrankung richtig einschätzen zu können und den Auf-
Als Indikation für das Langzeit-EKG gilt klassischerweise die traggeber des Gutachtens z. B. bezüglich einer Arbeitsunfähigkeit
Frage nach Vorhandensein und Art von Herzrhythmusstörungen wegen arterieller Hypertonie richtig beraten zu können.
z. B. bei Patienten nach Synkopen. In den letzten Jahren hat
sich jedoch auch der Einsatz des Langzeit-EKG zur Analyse von Magnetresonanztomographie. Wesentlich aufwendigere Unter-
Ischämien bewährt. Insbesondere der Nachweis stiller Ischämien suchungen in der kardiologischen Begutachtung umfassen die
im Rahmen einer KHK während täglicher Belastungen oder der MRT des Herzens, die Myokardszintigraphie und invasive Unter-
Arbeit ist häufig nur mit einem solchen Rekorder möglich und suchungsverfahren. Die MRT findet insbesondere bei Antragstel-
rechtfertigt den Einsatz dieser aufwendigeren Technik. lern mit Vitien oder Anomalien der großen Gefäße Anwendung.
Die Analyse der Herzfrequenzvariabilität gestattet zusätzlich Die Vorteile dieser Methode sind offensichtlich: Ohne größere
eine Abschätzung der Prognose bei Patienten mit kardialen Er- Vorbereitung und ohne Strahlenbelastung lassen sich dreidimen-
krankungen. sionale Datensätze des Herzens erstellen, die die detaillierte Ana-
lyse der einzelnen Abschnitte des Herzens ermöglichen. In Verbin-
Echokardiographie dung mit pharmakologischen Belastungsuntersuchungen lassen
Neben dem EKG gilt die echokardiographische Untersuchung als sich außerdem analog zur Stressechokardiographie Fragen nach
zweite grundlegende Methode in der Begutachtung. Pumpfunk- myokardialer Ischämie und Vitalität beantworten (Baer 1998).
tion, Größe und Dicke des Myokards, Klappenmorphologie und Nachteile dieser Methode umfassen den hohen maschinellen
Klappenfunktion sowie die nichtinvasive Bestimmung von und personellen Aufwand sowie die dadurch verursachten
Druckwerten ermöglichen eine umfassende Einschätzung der Kosten.
Morphologie des Herzens. In Verbindung mit Belastungstech-
niken gestattet sie zusätzlich auch Antworten auf die Fragen nach Myokardszintigraphie. Auch die Myokardszintigraphie des Her-
Myokardischämie und Myokardvitalität nach Myokardinfarkten. zens unter der Fragestellung myokardiale Ischämie/Vitalität bie-
Die TEE, insbesondere mit multiplanen Sonden, ist bei Pati- tet sich als nichtinvasive Untersuchung an. Ähnlich wie bei der
enten indiziert, die transthorakal nicht ausreichend beschallbar MRT wird auch die Myokardszintigraphie nur in Einzelfällen
sind, oder wenn z. B. die Frage nach Shunt-Vitien beantwortet zum Einsatz kommen, z. B. bei Patienten, die echokardiogra-
werden muss. In Kombination mit Belastungsverfahren (z. B. phisch nicht ausreichend untersuchbar sind, die eine TEE ableh-
Dobutamin) erreicht sie eine hohe Sensitivität und Spezifität im nen, bei denen aber eine Ischämiediagnostik unabdingbar ist.
Nachweis myokardialer Ischämien oder residualer Vitalität nach
Myokardinfarkt (Baer 1998). Invasive Untersuchungen. Nur im begründeten Einzelfall wer-
den invasive Untersuchungen (Herzkatheter, EPU) im Rahmen
! Cave
der Begutachtung notwendig sein.
Die TEE bedarf jedoch der Aufklärung und Zustimmung des An-
tragstellers. > Eine Duldungspflicht für diese Untersuchung besteht seitens
des Antragstellers im Regelfall jedoch nicht.
Andere Verfahren
Laboruntersuchungen. Eine Reihe anderer Verfahren kann zur
kardiologischen Begutachtung eingesetzt werden. Häufig wird im 29.10 Beurteilung
Rahmen der Begutachtung eine Vielzahl von Laborwerten be-
stimmt. Es sollte jedoch bedacht werden, dass diese in der Regel Nach den anamnestischen Angaben, den Befunden der körper-
teuren Untersuchungen nur selten wesentlich zur Begutachtung lichen und apparativen Untersuchungen folgt als zentraler Ab-
beitragen, insbesondere, wenn kritiklos eine Fülle von Parame- schnitt des Gutachtens die gutachterliche Stellungnahme zu den
tern (Aufnahmestandard, große Laborroutine) bestimmt wird. vom Auftraggeber gestellten Fragen. Unter dem Blickwinkel die-
Die Bestimmung von Lipidparametern, Blutzuckerwerten, ser Fragen werden die relevanten Befunde kurz dargestellt und
Eiweiß im Urin, Kreatinin-Clearance und NTpro-BNP ist gele- kritisch gewürdigt. Dabei folgen die Befunde einer inneren Hie-
gentlich nötig, um das Risikoprofil des Antragstellers richtig ein- rarchie: Die objektiven Befunde (linksventrikuläre Ejektionsfrak-
schätzen zu können. Nur ausnahmsweise wird es jedoch in der tion) sind gutachterlich die wichtigsten, da sie unabhängig von
524 Kapitel 29 · Begutachtung in der Kardiologie

der Mitarbeit des Antragstellers erhoben werden; gefolgt werden durchaus auch kontroverse Einschätzungen der Literatur darge-
sie von semiobjektiven (körperliche Belastbarkeit) und subjektiven stellt werden.
Befunden (Dyspnoe, Angina pectoris). Diese Befunde müssen In der abschließenden Stellungnahme des Gutachters muss
dann zu aussagekräftigen Diagnosen zusammengefasst werden. jedoch ersichtlich sein, welchen Standpunkt der Gutachter ein-
Die Diagnosen sollen hohen Ansprüchen genügen: Sie müs- nimmt und warum.
sen klar definiert sein, auf eindeutigen Befunden beruhen und Das Gutachten endet in der Regel mit der Beantwortung der
damit auch von dritter Seite nachprüfbar sein. Verdachtsdiagno- Fragen des Gutachtenauftrags. Das Gutachten wird vom Gutach-
sen sollten nach Möglichkeit vermieden werden (z. B. Verdacht ter persönlich unterschrieben. Sind mehrere Personen am Gut-
auf KHK), da sie in der Bestimmung z. B. der MdE nicht berück- achten beteiligt, müssen ihre Funktionen dargelegt werden; der
sichtigt werden können. eigentliche Gutachter muss das Gutachten mit dem Zusatz »nach
eigener Urteilsbildung und Untersuchung« unterschreiben.
> Die Diagnosen sollten nach Möglichkeit eine Quantifizierung
der individuellen Einschränkung beinhalten, mithilfe derer auch
der Laie die Schwere der Einschränkung einschätzen kann. Literatur
29 Auch ein Laie muss verstehen können, dass eine LVEF von 26%
Baer FM (1998) Vitalitätsdiagnostik bei koronarer Herzkrankheit. Med Welt
hochgradig eingeschränkt ist. Deshalb bietet es sich an, die Diag-
49: 354–358
nose als »hochgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pump-
Lehmann M, Keul J, Wybitul K (1981) Einfluss einer stufenweisen Laufband-
funktion (Ejektionsfraktion 26%)« zu formulieren und nicht und Fahrradergometrie auf die Plasmakatecholamine, energiereichen
»eingeschränkte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (26%)« oder Substrate, aerobe und anaerobe Kapazität. Klin Wochenschr 59: 553–
gar »linksventrikuläre Ejektionsfraktion 26%«. 559
Erst nachdem exakte Diagnosen gestellt wurden, können die Mollowitz GG (1993) Der Unfallmann, 11. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg
weiterführenden Fragen nach ursächlichen Zusammenhängen New York Tokio
oder dem Ausmaß der MdE diskutiert werden. Gelegentlich wird Nordenfelt I, Adolfson L, Nilsson JE, Olsson S (1985) Reference values for
es nötig sein, spezielle Literatur hinzuzuziehen, um schwierige exercise tests with continuous increase in load. Clin Physiol 5: 161–
Sachverhalte zu erörtern. Die Literatur sollte aber dann so zitiert 172
Rompe G, Erlenkämper A (1992) Begutachtung der Haltungs- und Bewe-
werden, dass der medizinische Laie nachvollziehen kann, warum
gungsorgane, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart
diese Literaturstelle wichtig ist und was der spezielle Beitrag die-
Rothschild MA, Erdmann E, Parzeller M (2007) Der Patient vor Gericht: Ver-
ser Stelle für die konkrete Begutachtungssituation ist. handlungs- und Vernehmungsfähigkeit. Dtsch Arztebl 104 (44):
Da ein Gutachten jedoch keine wissenschaftliche Abhand- A3029–3033
lung ist, sollte mit Literaturzitaten sparsam umgegangen werden. Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1997) Ausgaben für die Gesundheit nach
Um dem Auftraggeber des Gutachtens die Möglichkeit zu geben, Leistungsarten und Kostenträgern. Gesundheitswesen Fachserie 12,
sich selbst ein Bild von einem Sachverhalt zu machen, sollten Reihe S2. Metzler-Poeschel, Stuttgart
525 30

Diabetes und Herz


R. Pfister, C.A. Schneider

30.1 Stabile koronare Herzerkrankung – 525 30.3 Chronische Herzinsuffizienz – 526


30.1.1 Epidemiologie – 525
30.1.2 Medikamentöse Therapie – 525 30.4 Diabetische Kardiomyopathie – 527
30.1.3 Revaskularisation – 526 30.4.1 Ätiologie – 527
30.4.2 Therapie – 527
30.2 Akutes Koronarsyndrom – 526
30.2.1 Epidemiologie – 526 Literatur – 528
30.2.2 Therapie – 526

)) 30.1.2 Medikamentöse Therapie

Diabetes mellitus ist eine komplexe Stoffwechselerkrankung, die Die Therapie der KHK unterscheidet sich beim Diabetiker nicht
sowohl direkt als auch indirekt über arteriosklerotische Gefäßver- vom Nichtdiabetiker, außer dass der Diabetiker auch ohne Nach-
änderungen zu einer Schädigung des Myokards führen kann. In weis einer KHK intensiv unter sekundärprophylaktischen Zielen
den westlichen Industrieländern findet man vornehmlich den therapiert werden sollte (. Tab. 30.1). So wird bei länger bestehen-
Typ-2-Diabetes, der v. a. im Rahmen des metabolischen Syn- dem Diabetes, bei älteren Diabetikern oder bei zusätzlichen kardi-
droms auftritt, sodass neben dem Diabetes auch Begleiterkran- ovaskulären Risikofaktoren eine Thrombozytenaggregationshem-
kungen wie arterielle Hypertonie oder Dyslipidämie zur Schädi- mung mit ASS empfohlen (Evidenzgrad A; American Diabetes
gung des Herzens beitragen. Koronare Herzerkrankung (KHK) Association 2007). Eine lipidsenkende Therapie mit Statinen wird
und Herzinsuffizienz sind die häufigsten Todesursachen bei Dia- bei älteren Diabetikern oder beim Vorliegen zusätzlicher Risiko-
betikern in Europa. faktoren empfohlen. Zielwert ist dabei ein LDL-Cholesterin von
≤100 mg/dl oder eine Reduktion um 30–40%, da unabhängig
vom Cholesterinausgangswert das Risiko für ein erstes kardiovas-
30.1 Stabile koronare Herzerkrankung kuläres Ereignis durch Statingabe um fast 25% reduziert werden
kann. Bei Hochrisikopatienten mit bekannter KHK oder akutem
30.1.1 Epidemiologie Koronarsyndrom werden aufgrund neuerer Ergebnisse auch LDL-
Zielwerte von ≤70 mg/dl empfohlen. Eine intensive Kontrolle
Die Prävalenz der KHK bei Diabetikern steigt mit dem Alter von des Blutzuckers scheint das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse
6% bei jungen auf bis zu 55% bei älteren Erwachsenen. Verglichen senken zu können, und es wird bei allen Patienten ein HbA1c von
mit Menschen ohne Diabetes haben diabetische Männer ein 2,1- <7% angestrebt. Bislang ist unklar, ob zwischen den verschie-
fach erhöhtes und diabetische Frauen ein 4,9-fach erhöhtes Risi- denen antidiabetischen Medikamentenklassen Unterschiede in
ko an einer KHK zu versterben (Hu et al. 2005). der Effektivität unabhängig von der antiglykämischen Wirkung
bestehen. Ein signifikanter Effekt auf makrovaskuläre Endpunkte
> Das Risiko eines Diabetikers für ein koronares Ereignis ist genau-
konnte bei Typ-2-Diabetikern bislang nur für Metformin bei
so hoch wie für einen Nichtdiabetiker mit bereits durchgemach-
übergewichtigen Patienten und für Pioglitazon in der Sekundär-
tem Myokardinfarkt; deshalb wird Diabetes als KHK-Risikoäqui-
prophylaxe nachgewiesen werden (. Abb. 30.1; Dormandy et al.
valent bezeichnet.
2005). Dieser Effekt wird in aktuellen Metaanalysen bestätigt:
Diabetiker sollten dementsprechend auch ohne kardiovaskuläre Pioglitazon reduziert (Lincoff et al. 2007), Rosiglitazon jedoch
Erkrankung unter sekundärprophylaktischen Kriterien thera- erhöht das Risiko für Myokardinfarkte bei Diabetikern (Singh
piert werden. et al. 2007).
Ein wichtiger Risikofaktor scheint die Hyperglykämie selbst
zu sein. Ergebnisse aus der UKPDS-Studie zeigen eine signifi-
. Tab. 30.1. Richtwerte in der Prophylaxe kardiovaskulärer Erkran-
kante Korrelation zwischen dem Grad der Hyperglykämie und
kungen bei Typ-2-Diabetikern
dem Risiko eines Myokardinfarkts. Umgekehrt kann durch opti-
mierte Kontrolle des Blutzuckers das Risiko für kardiovaskuläre Parameter Zielwert Wirkstoff erster
Ereignisse reduziert werden. Bereits prädiabetische Stoffwechsel- Wahl
veränderungen wie eine Insulinresistenz, grenzwertige Nüch- Cholesterin, LDL ≤100 mg/dl (≤70 mg/dl)a Statin
ternglukosewerte oder eine pathologische Glukosetoleranz sind bzw. Reduktion um 30–40%
mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Blutdruck <130/80 mmHg (<120/80)a ACE-Hemmer
Blutzucker, HbA1c <7,0%/6,5%b Metformin
a Gilt für Hochrisikokollektive wie z.
B. nach Myokardinfarkt.
b Abhängig von der Fachgesellschaft.
526 Kapitel 30 · Diabetes und Herz

ner Bypassoperation profitieren, verglichen mit einer primären


katheterinterventionellen Therapie (BARI Investigators 2000).
Die zunehmende Verbesserung der Katheterinterventionstech-
nik mit Stents, DES und Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren
scheint den Vorteil der Bypassoperation zu verkleinern, sodass
bei erhaltener Pumpfunktion die Katheterintervention häufig
eine gleichwertige Alternative auch für den Diabetiker darstellt.

30.2 Akutes Koronarsyndrom

30.2.1 Epidemiologie

. Abb. 30.1. Kaplan-Meier-Kurve für den kombinierten Endpunkt aus Man schätzt die Prävalenz von Diabetes bei Patienten mit akutem
Tod, nichtfatalem Myokardinfarkt und Schlaganfall bei Typ-2-Diabetikern Koronarsyndrom auf bis zu 45%, wobei ca. die Hälfte der Fälle bis
unter Pioglitazon und Placebo. (Mod. nach Dormandy et al. 2005) dahin unentdeckt ist (Bartnik et al. 2004). Die Prognose bei Dia-
30 betikern nach Myokardinfarkt oder akutem Koronarsyndrom ist
deutlich schlechter als bei Nichtdiabetikern sowohl bezüglich der
Mindestens genauso effektiv wie die Blutzuckereinstellung ist Gesamtmortalität als auch der Morbidität. Die Mortalität bei Di-
die Blutdruckkontrolle in der kardiovaskulären Prophylaxe des abetikern nach einem Jahr liegt zwischen 15 und 34% und nach
Diabetikers. Der Zielwert liegt bei 130/80 mmHg bzw. 5 Jahren bei bis zu 43%; hierbei besteht kein Unterschied zwi-
120/80 mmHg bei Diabetikern mit Myokardinfarkt; hierbei gibt schen Patienten mit bekanntem oder neu diagnostiziertem Dia-
es keinen absoluten Grenzwert für die Risikoreduktion. Auf- betes. Dies ist auf eine höhere Rate an Reinfarkten und Herzin-
grund der besten Studienlage werden hierfür als erste Wahl ACE- suffizienz zurückzuführen.
Hemmer empfohlen (Evidenzgrad B–C). Bei Einhaltung dieser
> Unabhängig von einem bekannten Diabetes ist eine Hyper-
Empfehlungen in Form eines intensiven, multimodalen Thera-
glykämie bei Aufnahme bei Infarktpatienten ein unabhängiger
pieansatzes mit zusätzlich Diät und regelmäßiger körperlicher
Risikofaktor.
Aktivität konnte eine mehr als 50%ige Reduktion makrovasku-
lärer Ereignisse erreicht werden.
30.2.2 Therapie

30.1.3 Revaskularisation Für Diabetiker gelten bei der Therapie des ST-Hebungs-Infarkts
sowie des Nicht-ST-Hebungs-Infarkts bzw. der instabilen Angina
> Für Diabetiker bestehen grundsätzlich die gleichen Indikationen pectoris grundsätzlich die gleichen Richtlinien wie für Nichtdia-
zur Revaskularisationstherapie wie bei Nichtdiabetikern, näm- betiker. Erstaunlicherweise werden gerade Diabetiker häufig we-
lich Angina pectoris unter medikamentöser Therapie, ausge- niger leitliniengerecht behandelt als Nichtdiabetiker. Dies ist
prägte Myokardischämie und eine Mehrgefäßerkrankung. möglicherweise auf die hohe Rate an stummen Ischämieereignis-
sen bei diabetischer Autonomie zurückzuführen.
Auch der akute Interventionserfolg unterscheidet sich, verglichen Eine große Metaanalyse (FTT 1994) an Infarktpatienten
mit Nichtdiabetikern, nicht. Nach Intervention haben Diabetiker, zeigte, dass Diabetiker aufgrund ihres höheren Risikos auch deut-
verglichen mit Nichtdiabetikern, aber eine deutlich schlechtere licher von einer thrombolytischen Therapie profitierten. Auch
Prognose bezüglich der Mortalität, einer Restenose und einer von einer interventionellen Revaskularisation profitieren Diabe-
erneuten Angina. Verantwortlich dafür sind das häufig höhere tiker mit ST-Hebungs- und Nicht-ST-Hebungs-Infarkt deutlicher
Alter der Diabetiker, die Komorbiditäten wie Niereninsuffizienz, als Nichtdiabetiker. Wie auch unter chronischen Bedingungen
komplexere Stenosen und auch die Hyperglykämie selbst. Ein profitieren Diabetiker in der Akutsituation eines Koronarsyn-
neuerer Therapieansatz ist hier der Einsatz von medikamenten- droms von einer strengen Blutzuckerkontrolle. Durch optimierte
beschichteten Stents (DES). Diese reduzieren durch eine Be- Blutzuckereinstellung mit Insulin-Glukose-Kalium-Infusion in
schichtung mit Immunsuppressiva wie Tacrolimus oder Siroli- der Akutphase und subkutaner Insulingabe im Verlauf konnten
mus die Restenoserate auf weniger als ein Drittel. Erwartungsge- die Mortalität sowie die Rate an Reinfarkten und neuer Herzin-
mäß profitieren Diabetiker wegen ihrer hohen Wahrscheinlich- suffizienzfälle signifikant gesenkt werden.
keit für eine Restenose besonders. Problematisch bei DES sind
aber Spätthrombosen nach Absetzen der kombinierten Throm-
bozytenaggregation, sodass weitere Studien klare und prognos- 30.3 Chronische Herzinsuffizienz
tisch relevante Indikationen bei Diabetikern zeigen müssen. Eine
zweite Maßnahme zur Reduktion von Restenosen ist der peripro- Diabetiker haben ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Herzinsuf-
zedurale Einsatz von Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren. fizienz. Dies ist in erster Linie Konsequenz einer hohen Komor-
Auch nach einer Bypassoperation zeigen Diabetiker einen bidität mit KHK und Hypertonie. In der Framingham-Studie
signifikant schlechteren Verlauf mit höherer Mortalität als Nicht- konnte aber auch nach Adjustierung für KHK bei Männern ein
diabetiker. Es scheint aber, dass besonders Diabetiker mit Drei- um 2,4- und bei Frauen ein um 5,1-fach erhöhtes Risiko für Herz-
gefäßerkrankung aufgrund einer Reduktion der kardialen Mor- insuffizienz nachgewiesen werden (Kannel et al. 1974). Wichtige
talität und wiederholter Revaskularisationsmaßnahmen von ei- Risikofaktoren sind dabei das Alter des Patienten, die Diabetes-
30.4 · Diabetische Kardiomyopathie
527 30

. Abb. 30.2. Überlebenskurven von diabetischen,


älteren Patienten mit und ohne Entwicklung einer
Herzinsuffizienz (Bertoni et al. 2004)

dauer, Nierenfunktion, Insulintherapie und KHK. Ein klarer Zu- > Auf zellulärer und subzellulärer Ebene konnte experimentell ge-
sammenhang konnte außerdem zwischen der Blutzuckerkontrol- zeigt werden, dass freie Fettsäuren, Hyperinsulinämie und Hy-
le und dem Risiko einer Herzinsuffizienz gezeigt werden. Ein perglykämie zu Zelltod, gestörter Kalziumhomöostase, Insulin-
Anstieg des HbA1c um 1% erhöht des relative Risiko einer Herz- resistenz, Zellhypertrophie sowie Störungen kontraktiler Protei-
insuffizienz um 8%. Die Prävalenz der Herzinsuffizienz ist bei ne und Matrixproteine führen können.
Diabetikern mehr als doppelt so hoch wie bei Nichtdiabetikern
mit vergleichbarer Komorbidität. Insgesamt deuten diese epide- Daneben werden beim Diabetiker am Myokard mikrovaskuläre
miologischen Ergebnisse an, dass Diabetes per se zu einer Schä- Veränderungen ähnlich der glomerulären Nierenschädigung dis-
digung des Myokards, einer sog. diabetischen Kardiomyopathie, kutiert, die sekundär zu einer verminderten Blutflussreserve und
beitragen kann (s. unten; 7 Abschn. 12.5.5). zu hypoxischen Schäden beitragen können. Die diabetesbedingte
Diabetiker mit Herzinsuffizienz haben außerdem eine deut- autonome Neuropathie mit sekundärer Störung von kardialer
lich schlechtere Prognose als Nichtdiabetiker bezüglich der Hos- Durchblutung und Funktion ist bereits länger bekannt.
pitalisierungshäufigkeit und der Mortalität (. Abb. 30.2). Die
Fünfjahresüberlebensrate von Diabetikern ist mit 12,5% ver-
gleichbar mit schweren Malignomen (Bertoni et al. 2004). 30.4.2 Therapie

Antidiabetische Medikation
30.4 Diabetische Kardiomyopathie
> Gerade im Hinblick auf die diabetische Kardiomyopathie,
die vermutlich mitentscheidend für die schlechte Prognose
30.4.1 Ätiologie
bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz ist, ist eine Optimierung
des diabetischen Metabolismus als wichtiges Therapieziel an-
Klinisch und epidemiologisch ist die Existenz einer diabetischen
zustreben.
Kardiomyopathie schwer zu beweisen, da diabetesbedingte
Funktionsstörungen kaum von Hypertonie oder KHK bedingten Bislang gibt es keine prospektiven Untersuchungen über die an-
Veränderungen abgegrenzt werden können. Verschiedene Ko- tidiabetische Behandlung von Herzinsuffizienzpatienten, sodass
hortenuntersuchungen deuten aber auf diabetesspezifische, keine Empfehlungen über den Einsatz einzelner Medikamenten-
kardiale Schädigungen hin. So fand sich bei diabetischen Hyper- gruppen gegeben werden können. Retrospektive Analysen lassen
tonikern signifikant häufiger eine konzentrische Myokard- Unterschiede in der Effektivität der verfügbaren Wirkstoffklas-
hypertrophie als bei nichtdiabetischen Hypertonikern. In multi- sen vermuten. Auswertungen von zwei Versicherungsdaten-
variaten Analysen war Diabetes neben dem Blutdruck ein un- banken zeigen für herzinsuffiziente Diabetiker eine reduzierte
abhängiger Prädiktor für die Hypertrophie. Des Weiteren zeigen Mortalität in der Gruppe mit Metformin, verglichen mit Insulin
normotensive Diabetiker ohne myokardialen Ischämienachweis oder Sulfonylharnstoff behandelten Diabetikern. Problematisch
in 33–75% der Fälle diastolische Funktionsstörungen, die über- ist für Metformin allerdings, dass die Anwendung bei symptoma-
durchschnittlich häufig mit einer erhöhten linksventrikulären tischer Herzinsuffizienz wegen der Gefahr einer Laktatacidose
Muskelmasse assoziiert sind. Neben der erhöhten Muskelmasse nicht empfohlen wird. Für die neue Wirkstoffklasse der Glitazone
scheint auch eine Veränderung der extrazellulären Matrix für die sind die Daten widersprüchlich. Einerseits wird ähnlich wie für
diastolische Dysfunktion bei Diabetikern verantwortlich zu sein, Metformin eine reduzierte Mortalität bei herzinsuffizienten Dia-
da sich in diabetischen Herzen bioptisch bzw. nekroptisch eine betikern unter Glitazonmedikation beschrieben. Andererseits
gesteigerte Fibrose findet. wird unter Glitazontherapie häufig eine Flüssigkeitsretention be-
Ein wichtiger ätiologischer Aspekt bei der diabetischen Kar- schrieben, die möglicherweise eine vorbestehende Herzinsuffizi-
diomyopathie ist die metabolische Störung mit direkt schädi- enz ungünstig beeinflussen oder zu einer neuen Herzinsuffizienz
gendem Einfluss auf das Myokard. führen kann.
528 Kapitel 30 · Diabetes und Herz

! Cave Literatur
Glitazone sind momentan bei symptomatischer Herzinsuffizienz
kontraindiziert. American Diabetes Association (2007) Standards of medical care in diabe-
tes-2006. Diabetes Care 30 Suppl 1, S4–42
Diabetesunspezifische Medikation BARI Investigators (2000) Seven-year outcome in the Bypass Angioplasty
Revascularization Investigation (BARI) by treatment and diabetic sta-
Therapiegrundlage bei Patienten mit symptomatischer Herzin-
tus. J Am Coll Cardiol 35, 1122–1129
suffizienz sind unabhängig vom Diabetes mellitus Diuretika. Ob-
Bartnik M, Ryden L, Ferrari R et al. (2004) The prevalence of abnormal glu-
wohl es keine entsprechenden randomisierten Endpunktstudien cose regulation in patients with coronary artery disease across Euro-
gibt, werden Diuretika bei Herzinsuffizienzsymptomatik wie pe. The Euro Heart Survey on diabetes and the heart. Eur Heart J 25,
Dyspnoe oder Ödemen empfohlen (Empfehlungsgrad I, Evi- 1880–1890
denzgrad C) und sind auch in allen Interventionsstudien mit Bertoni AG, Kirk JK, Goff DC Jr, Wagenknecht LE (2004) Excess mortality
ACE-Hemmern oder β-Rezeptorenblockern Teil der Basisthera- related to diabetes mellitus in elderly medicare beneficiaries. Ann Epi-
pie. Sowohl bei Diabetikern als auch bei herzinsuffizienten Pati- demiol 14 362–367
enten ist eine Aktivierung des RAS und des sympathischen Sys- Deedwania PC, Giles TD, Klibaner M et al. (2005) Efficacy, safety and tolera-
tems beschrieben, die viele kardiale und vaskuläre Veränderungen bility of metoprolol CR/XL in patients with diabetes and chronic heart
failure: experiences from MERIT-HF. Am Heart J 149: 159–167
vermitteln. Eine Intervention mit ACE-Hemmern scheint bei
Dormandy JA, Charbonnel B, Eckland DJ et al. (2005) Secondary preven-
30 Diabetikern auch ohne bekannte Herzinsuffizienz zur Reduktion
tion of macrovascular events in patients with type 2 diabetes in the
kardiovaskulärer Ereignisse beizutragen. Wengleich keine diabe- PROactive Study (PROspective pioglitAzone Clinical Trial In macroVas-
tikerspezifischen Herzinsuffizienzstudien existieren, machen cular Events): a randomised controlled trial. Lancet 366: 1279–1289
Diabetiker in den großen Interventionsstudien mit ca. 25–30% Haas SJ, Vos T, Gilbert RE, et al. (2003) Are beta-blockers as efficacious in
einen relevanten Anteil der Patienten aus und erlauben eine aus- patients with diabetes mellitus as in patients without diabetes melli-
sagekräftige Subgruppenanalyse. Durch eine Therapie mit ACE- tus who have chronic heart failure? A meta-analysis of large-scale
Hemmern konnte bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz die Mor- clinical trials. Am Heart J 146: 848–853
talität um 16% gesenkt werden; sie ist damit genauso effektiv wie Hu G, Jousilahti P, Qiao Q et al. (2005) Sex differences in cardiovascular and
bei Nichtdiabetikern. Bei Patienten mit manifester Herzinsuffizi- total mortality among diabetic and non-diabetic individuals with or
without history of myocardial infarction. Diabetologia 48: 856–861
enz ergaben Subgruppenanalysen aus den β-Rezeptorenblocker-
Kannel WB, Hjortland M, Castelli WP (1974) Role of diabetes in congestive
studien MERIT-HF, COPERNICUS und der CIBIS-II-Studie für
heart failure: the Framingham study. Am J Cardiol 34: 29–34
Diabetiker eine Mortalitätssenkung um 25% (Haas et al. 2003); Lincoff AM, Wolski K, Nicholls SJ, Nissen SE (2007) Pioglitazone and risk of
dies ist ebenfalls mit der nichtdiabetischen Population vergleich- cardiovascular events in patients with type 2 diabetes mellitus: a
bar (Deedwania et al. 2005). Auch die neueste Medikamentenop- meta-analysis of randomized trials. JAMA 298: 1180–1188
tion bei Herzinsuffizienz, der Aldosteronantagonist, erwies sich Singh S, Loke YK, Furberg CD (2007) Long-term risk of cardiovascular
bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz nach Myokardinfarkt mit events with rosiglitazone: a meta-analysis. JAMA 298: 1189–1195
einer Mortalitätssenkung um 15% genauso effektiv wie bei den
Nichtdiabetikern.
529 31

Niere und Herz


V. Burst, J. Müller-Ehmsen

31.1 Nierenerkrankungen und kardiovaskuläres 31.3 Nierenfunktion bei Herzerkrankungen – 532


Risiko – 529 31.3.1 Einfluss der Herzinsuffizienz auf die
31.1.1 Einfluss der Nierenfunktion – 529 Nierenfunktion – 532
31.1.2 Einfluss der Mikroalbuminurie – 530 31.3.2 Niereninsuffizienz nach Herztransplantation – 532
31.1.3 Entwicklung einer Herzinsuffizienz – 530 31.3.3 Cholesterinemboliesyndrom – 532
31.1.4 Pathophysiologische Zusammenhänge – 530
31.1.5 Leitlinien für die Praxis – 530 Literatur – 532

31.2 Weitere renal bedingte Herzerkrankungen – 531


31.2.1 Klappenvitien – 531
31.2.2 Urämische Perikarditis – 531

)) 31.1 Nierenerkrankungen und kardiovaskuläres


Risiko
Es besteht eine enge wechselseitige Beziehung zwischen Nie-
renerkrankungen und Krankheiten des kardiovaskulären Sys- Definition
tems. Die kardiovaskuläre Mortalität nimmt bereits bei leicht Chronische Nierenerkrankung:
eingeschränkter Nierenfunktion stetig zu und ist bei Dialysepati- Stukturelle oder funktionelle Nierenschädigung länger als
enten 10- bis 30-fach gegenüber der Allgemeinbevölkerung er- 3 Monate, manifestiert durch:
höht. 1. Renale Schädigung mit oder ohne Abfall der GFR
Histologische Abnormalität
Arterieller Hypertonus und Diabetes mellitus sind in der west- Vorhandensein von Markern für renale Schädigung (Pro-
lichen Welt die häufigsten Ursachen für die Entstehung so- teinurie etc.)
wohl kardiovaskulärer als auch renaler Erkrankungen, jedoch 2. GFR <60 ml/min/1,73 m2KOF
erklärt dies die häufige Koinzidenz dieser Entitäten nur zum
Teil. Aufgrund der engen neurohumoralen Koppelung dieser
Organsysteme führen Schädigungen eines Organs regelhaft zu
funktionellen oder strukturellen Alterationen des anderen und 31.1.1 Einfluss der Nierenfunktion
bedingen ein positives Feedback. Diese Konstellation wird ge-
meinhin als kardiorenales Syndrom bezeichnet. Die hämody- In der Heart-Outcoumes-Prevention-Evaluation- (HOPE-)Studie
namischen, metabolischen und hämatologischen Folgen einer (Mann et al. 2001) war ein erhöhter Serumkreatininwert zwischen
eingeschränkten Nierenfunktion führen darüber hinaus zu ei- 124 und 203 μmol/l mit einem um 40% erhöhten Risiko für das
ner bedeutsamen kardiovaskulären Mobidität und Mortalität Eintreten eines kardiovaskulären Ereignisses oder Tod assoziiert. Bei
(7 Übersicht 31.1). koexistenter Mikroalbuminurie stieg das Risiko sogar um 108%, das
Vorliegen eines Diabetes mellitus führte dagegen nur zu einer Zu-
nahme des Risikos um 42%. In der National Health and Nutrition
Übersicht 31.1. Wechselwirkung zwischen einge- Survey (NHANES II; Muntner et al. 2002) war bereits eine geschätzte
schränkter Nierenfunktion und Herzerkrankungen GFR ab einem Wert <70 ml/min/1,73 m2KOF, also bei noch norm-
wertigen Serumkreatininwerten, mit der Zunahme der Gesamt-
Kardiale Folgen bei chronischen Nierenerkrankungen und der kardiovaskulären Mortalität um 68% bzw. 51% assoziiert. In
4 Akzelerierte Atherosklerose (KHK, arterielle Verschluss- der größten bislang durchgeführten Studie an 1.120.295 Personen
krankheit) (Go et al. 2004) war das Risiko zu versterben bei mittelgradiger Nie-
4 Linksventrikuläre Hypertrophie und Herzinsuffizienz reninsuffizienz (GFR 45–59 ml/min/1,73 m2KOF) um 17% erhöht
4 Erhöhte Inzidenz von Klappenvitien und stieg proportional zum weiteren GFR-Verlust auf über 600% bei
4 Urämische Perikarditis Patienten mit einer GFR <15 ml/min/1,73m2KOF an. Diese Daten
Renale Folgen bei Herzerkrankungen zeigen, dass die Evaluierung der Nierenfunktion einen wichtigen
4 Akutes Nierenversagen Stellenwert in der Risikoabschätzung einnimmt. Vor allem bei aus-
4 Chronische Niereninsuffizienz geprägter Funktionseinschränkung ist davon auszugehen, dass die
4 Hyponatriämie, therapierefraktäre Ödeme Niereninsuffizienz bedeutsamer ist als andere Risikofaktoren wie
4 Kalzineurininhibitorassoziierte Schädigung nach Herz- z. B. der Diabetes mellitus. Bemerkenswerterweise ist für einen nie-
transplantation reninsuffizienten Patienten das Risiko, an den Folgen eines kardio-
4 Cholesterinemboliesyndrom vaskulären Ereignisses zu versterben, größer, als eine Dialysepflich-
tigkeit zu entwickeln. Eine deutlich erhöhte kardiovaskuläre Morta-
530 Kapitel 31 · Niere und Herz

lität und Morbidität bestehen jedoch nach heutigem Wissen auch 31.1.4 Pathophysiologische Zusammenhänge
schon bei nur minimal eingeschränkter GFR, die häufig noch zu
keiner Kreatininerhöhung geführt hat. Sowohl die Mikroalbuminurie als auch eine eingeschränkte Fil-
trationsleistung der Niere sind mit dem Vorliegen einer (pro-)
> Bei der Abschätzung der Prognose und des Risikoprofils ist es
inflammatorischen Situation assoziiert, die mit einer endothelia-
wichtig, die GFR möglichst genau zu bestimmen.
len Dysfunktion einhergeht und so einer generalisierten Athe-
rogenese Vorschub leistet. Als gemeinsame Endstrecke steht ein
gesteigerter oxidativer Stress. Für viele der in diesen Komplex
31.1.2 Einfluss der Mikroalbuminurie eingebundenen Faktoren, wie Hyperglykämie, Insulinresistenz,
Aktivierung des RAAS, Generierung von NO, asymmetrisches
Definition Dimethylarginin etc., konnten klare Assoziationen zur Mikroal-
Als Mikroalbuminurie bezeichnet man eine Albuminausschei- buminurie und/oder einer eingeschränkten GFR nachgewiesen
dung von 30–300 mg/Tag (alternativ 30–300 mg/g Kreatinin werden. Daneben trägt die im Gefolge einer Nierenerkrankung
in einer Spontanurinprobe). regelhaft und häufig schon früh auftauchende Störung des Kalzi-
um-Phosphat-Haushalts zu einer ausgeprägten Gefäßkalzifizie-
rung mit Zunahme der arteriellen Steifheit und schließlich akze-
Die Prävalenz der Mikroalbuminurie in der Gesamtbevölkerung lerierter Arteriosklerose bei. An weiteren assoziierten Faktoren
liegt zwischen 5 und 15%. Das Auftreten einer Mikroalbuminurie sind eine Hyperhomocysteinämie und eine Dyslipoproteinämie
markiert bei Diabetikern den Beginn einer diabetischen Nephro- zu nennen.
31 pathie und findet sich bei etwa 30% dieser Population. Daneben
ist eine Mikroalbuminurie oft Folge einer arteriellen Hypertonie.
Auch unabhängig von Diabetes mellitus und Hypertonus ist 31.1.5 Leitlinien für die Praxis
eine Mikroalbuminurie mit einer deutlich erhöhten kardiovasku-
lären Morbidität assoziiert. Im Rahmen der Prevention-of-Re- In einem Scientific Statement der American Heart Association
nal-and-Vascular-End-Stage-Disease- (PREVEND-)Studie wur- wurde unlängst die herausragende Bedeutung chronischer Nie-
den mehr als 40.000 Einwohner zwischen 18 und 75 Jahren der renerkrankungen hervorgehoben (Sarnak et al. 2003). Die Er-
niederländischen Stadt Groningen auf ihre Albuminausschei- kenntnisse wurden in verschiedene Leitlinien implementiert
dung in einer Urinprobe hin untersucht (Hillege et al. 2001). Eine (http://www.kidney.org/professionals/kdoqi/guidelines.cfm).
Mikroalbuminurie fand sich bei 7,2% aller Personen und war mit Angesichts der dramatisch zunehmenden Inzidenz und Prä-
einer deutlichen Zunahme der kardiovaskulären Morbidität as- valenz chronischer Nierenerkrankungen sollte die Untersuchung
soziiert. Diese Beobachtung wurde auch gemacht, wenn alle Pa- der Nierenfunktion einen festen Platz bei der Evaluierung des
tienten mit Diabetes mellitus oder Hypertonus von der Analyse kardiovaskulären Systems einnehmen (7 Übersicht 31.2). Neben
ausgeschlossen wurden. Das kardiovaskuläre Risiko war dabei der reinen Risikoabschätzung eröffnet die Feststellung einer Nie-
bereits bei einer Albuminausscheidung unterhalb der Mikroalbu- renerkrankung die Möglichkeit einer therapeutischen Interven-
minurieschwelle erhöht (»Low-grade«-Albuminurie) und stieg tion, die die kardiovaskuläre Prognose positiv beeinflussen kann
kontinuierlich mit der Albuminausscheidung an. Die Albumi- (7 Übersicht 31.3).
nausscheidung korreliert darüber hinaus mit der linksventriku-
lären Hypertrophie, unabhängig von Blutdruck, Blutzuckerein-
stellung oder Alter, und stellt damit nicht nur einen kardiovasku- Übersicht 31.2. Untersuchung der Nierenfunktion
lären Risikofaktor, sondern auch einen Marker für subklinische
kardiale Schädigungen dar. Konsequenterweise führt eine Re- Wer sollte auf eine Nierenerkrankung hin untersucht werden?
duktion der Albuminausscheidung durch ACE-Hemmer zu einer 4 Patienten mit
signifikanten Abnahme des kardiovaskulären Risikos. – bekannter (oder wahrscheinlicher) KHK
– Diabetes mellitus
– Arterieller Hypertonie
31.1.3 Entwicklung einer Herzinsuffizienz – Nierenerkrankungen in der Familie
Wie sollte auf eine Nierenerkrankung hin untersucht
Eine chronische Herzinsuffizienz findet sich gehäuft bei Pati- werden?
enten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz. Etwa 36% der 1. Schätzung der GFR nach der MDRD-Formel:
Patienten, die ein Nierenersatzverfahren beginnen, leiden zu die- GFR=186×Serumkreatininwert-1,154×Alter-0,203 (bei Frau-
sem Zeitpunkt auch bereits an einer chronischen Herzinsuffizi- en:×0,742, bei Schwarzen: ×1,212; http://www.nephron.
enz. Von den Verbliebenen entwickeln pro Jahr ca. 7% eine Herz- com/mdrd)
insuffizienz. Bei Untersuchungen an Patienten mit Urämie fand 2. Bestimmung der Eiweißausscheidung mithilfe Urintest-
sich nur in 15% ein normaler echokardiographischer Befund streifen
ohne linksventrikuläre Hypertrophie und/oder Dilatation (Foley Bei Diabetikern und im Fall eines positiven Teststreifener-
et al. 1995). Das Vorhandensein einer Herzinsuffizienz bei Initi- gebnisses: Bestimmung des Albumin/Kreatinin-Quoti-
ierung der Dialyse bedingt wiederum eine Steigerung der Morta- enten im Spontanurin (kein Sammelurin)
lität um 90%. Neben der ischämischen Kardiomyopathie wurden (Mikroalbuminurie: 30–300 mg Albumin/g Kreatinin,
v. a. die renale Hypertonie, die renale Anämie sowie der renale allgemein entspricht der Albumin/Kreatinin-Quotient
Hyperparathyreoidismus und urämische Toxine als Risikofak- nominell etwa der Albuminausscheidung über 24 h)
toren für eine chronische Herzinsuffizienz identifiziert.
31.2 · Weitere renal bedingte Herzerkrankungen
531 31
31.2 Weitere renal bedingte Herzerkrankungen
Übersicht 31.3. Therapeutische Strategie
31.2.1 Klappenvitien
Die Empfehlungen sehen eine Therapie vor bei:
4 Allen Patienten mit einer GFR <60 ml/min
Inzidenz und Prävalenz erworbener Klappenvitien sind beim
4 Nichtdiabetikern
Vorliegen einer chronischen Niereninsuffizienz deutlich gegen-
– Mit Albuminurie >300 mg/g Kreatinin oder
über der Normalbevölkerung erhöht. Bei 55% der dialysepflich-
– Einfach positivem Proteinnachweis im Urinteststreifen
tigen Patienten findet sich eine ausgeprägte Aortensklerose; die
4 Diabetikern: mit Albuminurie >30 mg/g Kreatinin
Prävalenz einer relevanten Aortenstenose beträgt ca. 10%. In
Ziele
manchen Fällen kann es zu einer raschen Verschlechterung der
4 Blutdruck
Stenose in weniger als 6 Monaten kommen, die zu einer opera-
– Bei Mikroalbuminurie/Proteinurie <1 g/Tag:
tiven Sanierung zwingt. Kalzifizierungen der Mitralklappe fin-
<130/80 mmHg
den sich in der Allgemeinbevölkerung bei ca. 10%, bei chronisch
– Bei Proteinurie >1 g/Tag: <125/75 mmHg
Niereninsuffizienten bei 16% und bei Dialysepatienten bei 39%.
4 Eiweißausscheidung
Die Prävalenz einer Mitralinsuffizienz wird mit 11%, die der Mi-
– Senkung der Proteinurie soweit wie möglich, mindes-
tralstenose mit 5% angegeben.
tens <1 g/Tag
4 Nikotinkarenz > Pathogenetisch wichtige Punkte in diesem Zusammenhang
4 Anämie scheinen Alter, Dauer der Dialyse, erhöhte Phosphatwerte, er-
– Behandlung einer normochromen Anämie mit EPO: höhte Parathormonwerte und ein hohes Kalzium-Phosphat-Pro-
Zielhämoglobinwert 6,8–7,5 mmol/l dukt zu sein.
4 Kalzium-Phosphat-Haushalt
– Suffiziente Behandlung eines renalen Hyperparathyre-
oidismus, Vermeidung eines hohen Kalzium-Phosphat-
31.2.2 Urämische Perikarditis
Produkts
Zentrale Medikamente sind ACE-Hemmer und AT1-Blocker, da
Eine häufige und ernste Komplikation bei Patienten mit fortge-
diese durch Dilatation der Vasa efferentia zu einem vermin-
schrittener Niereninsuffizienz ist die urämische Perikarditis. Vor
derten Filtrationsdruck und damit zu einer Reduktion der Pro-
Einführung der Hämodialysebehandlung trat eine urämische
teinurie führen. Der Erfolg der Therapie kann anhand des Ver-
Perikarditis bei 10–50% der Patienten mit terminaler Nierenin-
laufs der Proteinurie innerhalb von 8–12 Wochen abgeschätzt
suffizienz auf; inzwischen ist sie deutlich seltener geworden (2–
werden.
21%). Die Patienten klagen häufig über Thoraxschmerzen, in der
Auskultation lässt sich in den frühen Stadien ein Perikardreiben
hören. Zudem bestehen uncharakteristische Entzündungszei-
Die heute gebräuchliche Klassifikation der Niereninsuffizienz chen wie Fieber und Leukozytose. Meist besteht ein hämorrha-
(. Tab. 31.1) spiegelt neben den nephrologischen Belangen auch gischer fibrinreicher Erguss.
die Bedeutung der mit einer Niereninsuffizienz assoziierten kar-
diovaskulären Erkrankungen wider. ! Cave
Eine frühzeitige Evaluierung und eine konsequente thera- Die Therapie besteht in der konsequenten Dialysebehandlung;
peutische Beeinflussung der nichttraditionellen Risikofaktoren hierbei muss die Gefahr einer Herzbeuteltamponade bedacht
»reduzierte GFR« und »Albuminurie« sind sowohl aus nephrolo- werden. Eine Antikoagulation mit Heparin muss daher strikt un-
gischer Sicht als auch im Hinblick auf die kardiovaskulären Ri- terbleiben.
siken essenziell.

. Tab. 31.1. Einteilung der chronischen Niereninsuffizienz. (National Kidney Foundation 2002)
Stadium GFR [ml/min/1,73 m2KOF] Symptome Evaluation Management
Nephrologische Diagnostik, Abklärung: Spezielle nephrologische Therapie, Be-
1 >90 –
kardiovaskuläre Erkrankungen und CRF einflussung des kardialen Risikoprofils
2 90–60 – Abschätzung des Verlaufs Hemmung des Krankheitsprogresses
Prävention und Behandlung von Kom-
3 59–30 - bis + Komplikationen
plikationen
Vorbereitung auf ein Nierenersatzver-
4 29–15 ++ Komplikationen
fahren
5 <15 +++ Komplikationen Nierenersatzverfahren
CRF kardiale Risikofaktoren.
532 Kapitel 31 · Niere und Herz

31.3 Nierenfunktion bei Herzerkrankungen triktion des Vas afferens und Vas efferens. Eine chronische, durch
Kalzineurininhibitoren verursachte Nierenschädigung wird nach
31.3.1 Einfluss der Herzinsuffizienz auf die Herztransplantation häufig beobachtet; 3–10% der transplan-
Nierenfunktion tierten Patienten entwickeln eine dialysepflichtige Niereninsuffi-
zienz (Goldstein et al. 1997). Eine Alternative zu den Kalzineuri-
Aus renaler Sicht führt die Aktivierung neurohumoraler Fak- ninhibitoren stellen heute die mTOR-Inhibitoren dar. Eine sel-
toren (Sympathikus, Katecholamine, RAS, Endothelin) im Rah- tenere Nebenwirkung der Kalzineurininhibitoren ist die throm-
men einer Herzinsuffizienz zu einer Kompromittierung der botische Mikroangiopathie, die ebenfalls zu einer Niereninsuffi-
Autoregulation mit Abfall des renalen Blutflusses und der GFR. zienz führen kann.
Auf tubulärer Ebene kommt es zu einer Zunahme der Natrium-
rückresorption; die eine weitere Stimulierung des RAS im Sinne
eines Circulus vitiosus bedingt. Eine stärkere Konstriktion der 31.3.3 Cholesterinemboliesyndrom
Vasa efferentia führt zu einer, relativ zum renalen Fluss, weniger
ausgeprägten Reduktion der GFR. Dies resultiert in einer Steige- Hierbei handelt es sich um eine Freisetzung von Cholesterinkris-
rung der Filtrationsfraktion und in einer Erhöhung des onko- tallen aus atheromatösen Plaques v. a. im Bereich der thorakalen
tischen Drucks in den peritubulären Kapillaren. Über diesen und der abdominellen Aorta. Begünstigt wird die Freisetzung
Mechanismus wird die Rückresorption von Natrium und Wasser durch mechanischen Stress im Rahmen von angiographischen
weiter verstärkt. Zusätzlich kommt es bei deutlich einge- oder gefäßchirurgischen Eingriffen. Mit einer Latenz von 3–
schränktem effektiven arteriellen Blutvolumen zu einer barore- 6 Wochen kommt es zu einer Embolisation der Mikrozirkulation
31 zeptorvermittelten ADH-Freisetzung, die die Retention freien in den nachgeschalteten Gefäßbereichen. Typischerweise finden
Wassers und damit eine Hyponatriämie bedingt. Eine Ein- sich eine Livedo reticularis an den unteren Extremitäten (»blue
schränkung der Nierenfunktion ist daher sowohl regelhaft Folge toe«) und eine rasch progrediente Niereninsuffizienz. Eine wir-
einer chronischen Herzinsuffizienz als auch ein Teil der patho- kungsvolle Therapie ist nicht bekannt.
physiologischen Kausalkette.
> Die konsequente Behandlung mit ACE-Hemmern und/oder An-
Literatur
giotensinrezeptorblockern sowie Diuretika ist obligatorisch und
sollte nicht wegen der möglichen akuten Effekte auf die Nieren-
Foley RN, Parfrey PS, Harnett JD et al. (1995) The prognostic importance of
funktion unterlassen werden.
left ventricular geometry in uremic cardiomyopathy. J Am Soc Neph-
Das Auftreten eines solchen kardiorenalen Syndroms mit ein- rol 5: 2024–2031
geschränkter Nierenfunktion, Hyponatriämie und therapiere- Go AS, Chertow GM, Fan D et al. (2004) Chronic kidney disease and the risks
fraktären Ödemen ist mit einer äußerst schlechten Prognose of death, cardiovascular events, and hospitalization. N Engl J Med 351:
1296–1305
verbunden.
Goldstein DJ, Zuech N, Sehgal V et al. (1997) Cyclosporine-associated end-
stage nephropathy after cardiac transplantation: incidence and pro-
gression. Transplantation 63: 664–668
31.3.2 Niereninsuffizienz nach Herztransplantation
Hillege HL, Janssen WM, Bak AA et al. (2001) Microalbuminuria is common,
also in a nondiabetic, nonhypertensive population, and an indepen-
Eine direkt postoperativ einsetzende akute Verschlechterung der dent indicator of cardiovascular risk factors and cardiovascular mor-
Nierenfunktion wird nach Herztransplantation häufig beobach- bidity. J Intern Med 249: 519–526
tet und ist bedingt durch Ischämie (linksventrikuläre Dysfunkti- Mann JF, Gerstein HC, Pogue J et al. (2001) Renal insufficiency as a predictor
on, Hypovolämie, Blutdruckabfall oder aggressive Diuretikathe- of cardiovascular outcomes and the impact of ramipril: the HOPE ran-
rapie), akute Tubulusnekrose durch Sepsis, Kontrastmittelexpo- domized trial. Ann Intern Med 134: 629–636
Muntner P, He J, Hamm L et al. (2002) Renal insufficiency and subsequent
sition oder nephrotoxische Medikamente, akute interstitielle
death resulting from cardiovascular disease in the United States. J Am
Nephritis oder atheroembolische Ereignisse. Spezifisch für die
Soc Nephrol 13: 745–753
Situation nach Transplantation ist die Schädigung der Niere Sarnak MJ, Levey AS, Schoolwerth AC et al. (2003) Kidney disease as a risk
durch die Kalzineurininhibitoren Ciclosporin A und Tacrolimus factor for development of cardiovascular disease: a statement from
im Rahmen der immunsuppressiven Therapie. Direkt postopera- the American Heart Association Councils on Kidney in Cardiovascular
tiv führen die Kalzineurininhibitoren meist zu einer reversiblen Disease, High Blood Pressure Research, Clinical Cardiology, and Epide-
Abnahme des Blutflusses und der GFR, bedingt durch eine Kons- miology and Prevention. Circulation 108: 2154–2169
533 32

Herz und Sport


H. ten Freyhaus, S. Rosenkranz

32.1 Plötzlicher Herztod bei Sportlern – 533 32.3 Screening von Sportlern vor Teilnahme am
32.1.1 Junge Sportler (unter 35 Jahre) – 533 Leistungssport – 537
32.1.2 Ältere Sportler (über 35 Jahre) – 535 32.3.1 Nutzen – 537
32.3.2 Empfehlungen – 537
32.2 Myokardiale Veränderungen bei Sportlern
(»Sportherz«) – 535 32.4 Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen – 538
32.2.1 EKG-Veränderungen – 535 32.4.1 Gesundheitssport vs. Wettkampfsport – 538
32.2.2 Morphologische Veränderungen – 535 32.4.2 Spezielle Empfehlungen entsprechend der
32.2.3 Klinische Unterscheidung zwischen adaptiver und Grunderkrankung – 538
maladaptiver Hypertrophie – 536
32.2.4 Langzeitfolgen des Sportherzens – 537 Literatur – 544

)) viduen darzustellen, da mehr als 80% der plötzlichen Herztode


während oder unmittelbar nach Belastung auftreten (Firoozi et
Die Studienlage spricht eindeutig für positive Effekte körperlicher al. 2003). Das Risiko ist durch extreme körperliche Belastung um
Aktivität in der Primär- und Sekundärprävention vieler Erkran- etwa das 2,8-Fache erhöht (Maron u. Pelliccia 2006). Die Häufig-
kungen. Regelmäßiges Training kann die Inzidenz koronarer Er- keit des plötzlichen Herztods bei Menschen unter 35 Jahre ist
eignisse senken, potenziell das Auftreten einer KHK verhindern, relativ gering; die Inzidenz beträgt in der Altersgruppe zwischen
und auch bei Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung wur- 12 und 35 Jahren 0,5–2/100.000 pro Jahr (Bille et al. 2006). Im
den benefizielle Effekte beschrieben. Auf der anderen Seite stellt Alter über 35 Jahre steigt das Risiko aufgrund der höheren Prä-
extreme körperliche Belastung einen Triggerfaktor des plötz- valenz der KHK auf bis zu ca. 1:50.000 pro Jahr an.
lichen Herztods bei entsprechend prädisponierten Individuen
dar. Aus diesem Grund ist vor Aufnahme sportlicher Aktivitäten
eine kardiologische Screeninguntersuchung zu empfehlen. Hier 32.1.1 Junge Sportler (unter 35 Jahre)
stellen insbesondere junge Sportler eine große diagnostische
Herausforderung dar, da durch körperliches Training Verände- Bei ca. 90% der Todesfälle lässt sich eine zugrunde liegende kar-
rungen der kardialen Physiologie, Struktur und des Herzrhyth- diale Erkrankung feststellen (Bille et al. 2006). Ursächlich domi-
mus mit konsekutiven Veränderungen in EKG und Echokardiogra- nieren bei Untersuchungen in den USA die HCM, andere For-
phie (das sog. Sportherz) auftreten können. Derartige Verände- men der LVH und Koronaranomalien (. Abb. 32.1; Maron 2003).
rungen können sportbedingt sein, sollten jedoch nie ohne Wei- Die HCM stellt mit einer Inzidenz von 1:500 Personen in der
teres als »Sportherz« interpretiert werden, sondern immer Allgemeinbevölkerung eine relativ häufige Erkrankung dar. Der
differenzialdiagnostische Überlegungen nach sich ziehen. Bei linke Ventrikel ist bei asymmetrischer Hypertrophie nicht dila-
unauffälliger Screeninguntersuchung und geringem Risiko für tiert und birgt v. a. bei körperlicher Belastung die Gefahr des Auf-
das Auftreten belastungsinduzierter Komplikationen kann in der tretens ventrikulärer Tachyarrhythmien mit potenziell letalem
Regel auch bei Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung die Ausgang. Histomorphologisch liegt eine desorganisierte myokar-
sportliche Betätigung empfohlen werden. Allerdings muss diese diale Architektur mit reaktiver Narbenbildung aufgrund mikro-
Entscheidung individualisiert erfolgen. vaskulärer Anomalien vor. Interessanterweise wird in Autopsie-
studien in fast 10% der Todesfälle eine ausgeprägte LVH gefun-
den, die zwar nicht die formalen Kriterien zur Diagnosestellung
32.1 Plötzlicher Herztod bei Sportlern einer HCM erlaubt, jedoch eine milde Form der HCM darstellen
könnte (Maron 2003). Bei Patienten mit HCM ist das Oberflä-
Die Studienlage spricht eindeutig für benefizielle Effekte von kör- chen-EKG in 75–95% der Fälle pathologisch. Allerdings sind die
perlicher Aktivität in der Primär- und Sekundärprävention kar- Veränderungen nicht spezifisch, sodass bei entsprechender
diovaskulärer Erkrankungen. Bewegungsmangel, der bei >80% Anamnese die Indikation zur Echokardiographie großzügig ge-
aller Menschen über 30 Jahre vorliegt, stellt einen anerkannten stellt werden sollte. Hier zeigt sich in der Regel eine asymmet-
unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten einer arteriellen rische Septumhypertrophie.
Hypertonie, Dyslipoproteinämie und Insulinresistenz dar. Regel-
> Eine Septumdicke über 30 mm ist bereits mit einem erhöhten
mäßige körperliche Aktivität kann die Inzidenz koronarer Ereig-
Risiko des plötzlichen Herztods assoziiert.
nisse senken und potenziell das Auftreten der KHK verhindern
oder zumindest verlangsamen. Das koronare Risiko regelmäßig In der Ergometrie weisen ca. 25% der Patienten einen fehlenden
körperlich Aktiver ist um bis zu 50% vermindert. Auf der anderen Blutdruckanstieg unter Belastung auf. Zur Prophylaxe des plötz-
Seite scheint extreme körperliche Belastung einen Triggerfaktor lichen Herztods ist bei Hochrisikopatienten die Implantation
des plötzlichen Herztods bei entsprechend prädisponierten Indi- eines AICD zu erwägen.
534 Kapitel 32 · Herz und Sport

. Abb. 32.1. Nichttraumatische Todesursa-


chen junger Leistungssportler (unter 35 Jahre)
in den USA. ARVCM arrhythmogene rechts-
ventrikuläre Kardiomyopathie, DCM dilatative
Kardiomyopathie, HCM hypertrophe Kardio-
myopathie, LQTS Long-QT-Syndrom. (Mod. nach
Maron u. Pelliccia 2006)

32

Zweithäufigste Ursache des plötzlichen Herztods stellen die die ARVCM in Autopsiestudien unterdiagnostiziert ist. Darüber
Koronaranomalien dar. Hier liegt entweder ein abnormer Ur- hinaus sollte die vorzeitige Atherosklerose beim Vorliegen kardi-
sprung meist der linken Koronarie oder eine Anomalie des Ver- ovaskulärer Risikofaktoren auch bei jungen Sportlern als poten-
laufs der Koronararterie vor. Anamnestisch angegebene, episo- ziell bedrohliche Erkrankung berücksichtigt werden.
disch und meist belastungsabhängig auftretende Angina pectoris Eine normale kardiale Morphologie lässt sich in der Autopsie
oder das Auftreten einer Synkope sollten auch an eine Koronara- lediglich bei ca. 2% der an plötzlichem Herztod verstorbenen
nomalie denken lassen. Mögliche symptomauslösende Mecha- Sportler unter 35 Jahre finden. Mögliche Ursachen dieser Todes-
nismen stellen ein akutes »kinking« der Koronarie am Ursprungs- fälle können Ionenkanalkrankheiten wie Brugada- und Long-
ort oder die Kompression zwischen Aorta und Pulmonalarteri- QT-Syndrom, das WPW-Syndrom, koronare Vasospasmen,
enhauptstamm unter Belastung dar. Diagnostische Schwierig- strukturelle Anomalien des Reizleitungssystems oder eine ka-
keiten entstehen dadurch, dass sowohl Ruhe-EKG als auch techolaminsensitive ventrikuläre Tachykardie aus dem rechts-
Belastungs-EKG meist keine Veränderungen zeigen. Bei der Er- ventrikulären Ausflusstrakt sein (Maron 2003). In einigen Fällen
gometrie kann die Rate falsch-negativer Ergebnisse jedoch durch wird als einzige Anomalie ein intramuraler, getunnelter Verlauf
Wählen der maximalen Belastungsstufe nach metabolischer bzw. einer Koronarie, in der Regel kurzer Abschnitte des RIVA, gefun-
kardiopulmonaler Ausbelastung (und nicht nach Normvorga- den. Diese Veränderung kann unter körperlicher Belastung große
ben) verringert werden. Zur Diagnosestellung können TTE und Bedeutung erlangen und zum Auftreten von Ischämien bzw. Ar-
TEE, MRT und die konventionelle Koronarangiographie zum rhythmien führen. Doping, Nahrungsergänzungsmittel oder
Einsatz kommen. Drogen werden in den Medien oft als Hauptursache des plötz-
lichen Herztods bei Leistungssportlern diskutiert, machen in
> Die Diagnose muss korrekt gestellt werden, da in der Regel eine
Studien jedoch nur etwa 1% der nichttraumatischen Ursachen
chirurgische Intervention zur Korrektur der Anomalie möglich ist.
aus (Maron 2003).
Zu den selteneren Ursachen des plötzlichen Herztods bei jungen
> Traumatische Ursachen des plötzlichen Herztods ohne Vorlie-
Sportlern zählen die Myokarditis, das Marfan-Syndrom, valvu-
gen einer kardiovaskulären Grunderkrankung, meist im Sinne
läre Störungen, die ARVCM und die vorzeitige Atherosklerose.
einer Commotio cordis, stellen eine wichtige Ursache des plötz-
Die letzteren beiden Auslöser sind möglicherweise unterdiagnos-
lichen Herztods dar.
tiziert. In einer prospektiven Studie in der Veneto-Region in Ita-
lien stellten sie die beiden häufigsten Ursachen des plötzlichen Der Auslöser ist ein stumpfes Thoraxtrauma, das in der Regel als
Herztods dar (Corrado et al. 2006). Die Patienten in dieser Studie unbedeutend und nicht unüblich im Rahmen der betriebenen
waren allerdings älter als in den US-amerikanischen Studien (im Sportart empfunden wird. Beispiele sind eine Kollision zwischen
Mittel 23 vs. 16 Jahre), zudem wird ein genetischer Faktor für die Spielern, ein Trauma durch Basketbälle, Baseballs oder Eisho-
ARVCM in der Population der Veneto-Region diskutiert. Bei der ckeypucks. Das Trauma führt zum Auftreten von Kammerflim-
ARVCM sind die morphologischen Veränderungen in der Regel mern mit in der Regel letalem Ausgang. Die Überlebenswahr-
auf den rechten Ventrikel beschränkt; es liegt meist keine Kardi- scheinlichkeit beträgt in solchen Fällen lediglich 15%, wenn rasch
omegalie vor. Dies, gemeinsam mit der erst 1988 erfolgten Be- Wiederbelebungsmaßnahmen mit Defibrillation ergriffen wur-
schreibung des Krankheitsbilds, mag dazu geführt haben, dass den. Nach Erkenntnissen aus einem Schweinemodell muss der
32.2 · Myokardiale Veränderungen bei Sportlern (»Sportherz«)
535 32

Schlag zur Auslösung von Kammerflimmern genau über dem ! Cave


Herzen und exakt in der vulnerablen Phase, im aufsteigenden Es ist möglich, dass auch ohne Vorhandensein von Symptomen un-
Anteil der T-Welle, erfolgen. Betroffen sind meist Kinder (im erwarteterweise eine kardiologische Grunderkrankung vorliegt.
Mittel 13 Jahre), wahrscheinlich aufgrund der höheren Compli-
ance ihrer Brustwand im Vergleich zu Erwachsenen, die die Fort-
leitung der Stoßenergie auf das Myokard vereinfacht. Zur Pro- 32.2.1 EKG-Veränderungen
phylaxe werden Veränderungen der Sportgeräte und Schutzklei-
dung vorgeschlagen; ein weiteres wesentliches Instrument kann Langjähriges Ausdauertraining führt über eine Aktivierung des
die Ausrüstung von Sportstätten mit automatischen externen De- Parasympathikus zunächst zu einer Absenkung der Ruheherzfre-
fibrillatoren (AED) darstellen. quenz teilweise bis unter 40/min. Es kann eine ausgeprägte respi-
ratorische Arrhythmie auftreten, exspiratorisch evtl. mit AV-
Knoten-Ersatzrhythmus. Verschiedenartige AV-Blockierungen
32.1.2 Ältere Sportler (über 35 Jahre) können ebenfalls auftreten, bei Marathonläufern wurde in einer
Studie in 10% der Fälle ein AV-Block Grad IIA (Typ Wencke-
Die KHK stellt die Hauptursache des plötzlichen Herztods in die- bach) gefunden, erstgradige Blockierungen waren sogar noch
ser Altersgruppe dar, weitere Faktoren sind Kardiomyopathien häufiger. Höhergradige AV-Blockierungen (ab Grad IIB, Typ Mo-
und Klappendysfunktionen. Bei der Autopsie wird in der Regel bitz) sind sportbedingt sehr selten und primär als pathologisch
eine schwere, diffuse koronare Zwei- oder Dreigefäßerkrankung anzusehen. Auch bei asymptomatischen Patienten sollte dann die
mit kritischen Stenosen (≥75% des Gefäßdurchmessers), häufig Schrittmacherimplantation erwogen werden. Weitere EKG-Ver-
assoziiert mit einer akuten Koronarthrombose, gefunden. Das änderungen bei Ausdauersportlern sind T-Negativierungen in
Myokard zeigt Zeichen der Ischämie, des akuten Infarkts oder V1–V3, ein inkompletter Rechtsschenkelblock, aszendierende
eine Myokardnarbe als Zeichen eines abgelaufenen Infarkts. Aus- ST-Hebungen mit normaler T-Welle, hohe R-Zacken mit posi-
löser des plötzlichen Herztods unter Belastung ist in der Regel tivem Sokolow-Lyon-Index und Q-Zacken. Zudem können bei
Kammerflimmern, bedingt durch eine myokardiale Narbe und/ Sportlern ohne kardiovaskuläre Erkrankung komplexe ventri-
oder einen akuten Myokardinfarkt. Die meisten Todesfälle treten kuläre Tachyarrhythmien auftreten. Die Abgrenzung dieser Ver-
bei Ausdauersportarten wie Jogging und Langstreckenlauf, aber änderungen von pathologischen Zuständen (z. B. Myo- oder
auch bei Fußball, Tennis und Squash auf. In 2 Studien war das Perikarditis) kann im Einzelfall schwierig sein (Maron 2003).
Risiko des plötzlichen Herztods während des Sports (Jogging
> Insgesamt ist das EKG bei etwa 40% der trainierten Athleten ver-
bzw. starke körperliche Aktivität) 7- bzw. 14-fach erhöht. Vor
ändert, ohne dass eine kardiovaskuläre Erkrankung vorliegt
allem Personen, die nicht regelmäßig Sport treiben, sind gefähr-
(. Tab. 32.1).
det. Im Gegensatz dazu vermindert regelmäßige körperliche Ak-
tivität das kardiovaskuläre Risiko. So sank die Inzidenz des plötz-
lichen Herztods (in Ruhe und bei körperlicher Belastung) mit
steigender körperlicher Aktivität von 18:1.000.000 Probanden- 32.2.2 Morphologische Veränderungen
stunden auf 5:1.000.000 in der zuletzt angeführten Studie. Das
Risiko eines Myokardinfarkts korreliert ebenfalls invers mit dem Abgesehen von Veränderungen des Herzrhythmus kann regel-
Ausmaß körperlicher Aktivität, am ehesten aufgrund einer mäßiges Training zu morphologischen Veränderungen im Sinne
plaque- und elektromechanischen Stabilisierung des Myokards. einer kompensatorischen Steigerung von kardialer Muskelmasse
Somit sollte bei älteren Sportlern eine genaue Anamnese hin-
sichtlich der KHK erhoben werden, bei begründetem Verdacht . Tab. 32.1. EKG-Veränderungen bei mit dem plötzlichen Herztod
ist eine Ergometrie sinnvoll. assoziierten Erkrankungen. (Nach Firoozi et al. 2003)
> Sportliche Aktivitäten sollten mit geringer Intensität begonnen Diagnose EKG-Veränderungen
und nur langsam intensiviert werden. Zudem sollten Sportler in HCM Pathologische Q-Zacken
dieser Altersgruppe auf Warnsymtome der KHK (Angina pecto- ST-Strecken-Senkungen
ris, Palpitationen, Synkope etc.) hingewiesen werden. Negative T-Wellen >0,2mV
Linkstyp
ARVCM Negative T-Wellen präkordial
32.2 Myokardiale Veränderungen bei Sportlern Ventrikuläre Extrasystolen mit Linksschenkelblockbild
QS in V1–3
(»Sportherz«)
QRS-Verbreiterung in V1–3
ε-Wellen
Um Personen mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten des
WPW- Kurzes PQ-Intervall
plötzlichen Herztods zu identifizieren, ist eine differenzielle Syndrom δ-Welle
Diagnostik erforderlich. Junge Sportler stellen eine große diag-
Long-QT- Verlängerte frequenzkorrigierte QT-Zeit
nostische Herausforderung dar, da durch körperliches Training
Syndrom U-Wellen
Veränderungen der kardialen Physiologie, Struktur und des Repolarisationsstörungen
Herzrhythmus mit konsekutiven Veränderungen in EKG und
Brugada- (Inkompletter) Rechtsschenkelblock und
Echokardiographie auftreten können, die pathologischen Verän-
Syndrom ST-Strecken-Hebungen in V1–3
derungen ähneln.
HCM hypertrophe Kardiomyopathie, ARVCM arrhythmogene rechts-
ventrikuläre Kardiomyopathie, WPW Wolff-Parkinson-White.
536 Kapitel 32 · Herz und Sport

und Volumen sowie homogener links- und rechtsventrikulärer


Hypertrophie führen. Diese »physiologische« Hypertrophie wird
als benigne Anpassung an systematisches Training ohne negative
kardiovaskuläre Auswirkungen interpretiert. In jedem Fall ist die
(systolische und diastolische) Funktion erhalten (Maron 2003).
Die Inzidenz dieses »Sportherzens« ist geringer als populärwis-
senschaftlich angenommen; sein Auftreten stellt auch bei Hoch-
leistungssportlern keine zwingende Anpassung an langjähriges
Training dar. Es werden verschiedene Faktoren diskutiert, die eine
sportbedingte kardiale Hypertrophie auslösen können. Zu diesen
gehören u. a. genetische Komponenten. So korreliert der ACE-
Genotyp DD positiv mit der Myokarddicke bei Sportlern. Zudem
wurde gezeigt, dass körperliches Training die Expression ver-
schiedener Gene (z. B. des NO-Signalwegs) verändert. Die Signal-
wege, über die eine physiologische, durch körperliche Belastung
induzierte, »adaptive« Hypertrophie ausgelöst wird, scheinen sich
deutlich von der pathologischen »maladaptiven« Hypertrophie . Abb. 32.2. Grauzone zwischen Sportherz und Kardiomyopathien. Ge-
(mit der Konsequenz einer diastolischen/systolischen Herzinsuf- zeigt sind die diagnostischen Kriterien, die sowohl mit sportbedingten
fizienz) zu unterscheiden. So konnte in einem transgenen Maus- Anpassungserscheinungen im Rahmen eines Sportherzens als auch mit
modell die Bedeutung der p110α-Isoform der Phosphoinositol-3- einem pathologischen Zustand vereinbar sind. LVEDD linksventrikulärer
Kinase ausschließlich für die physiologische Hypertrophie, nicht enddiastolischer Diameter, VES ventrikuläre Extrasystolen, HCM hypertro-
phe Kardiomyopathie, ARVCM arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardio-
32 jedoch für Veränderungen bei Druckbelastung des linken Ventri-
kels demonstriert werden. Der transkriptionelle Repressor Nab1 myopathie. (Nach Maron 2003)

scheint im Gegensatz dazu ein spezifischer negativer Regulator der


pathologischen Hypertrophie zu sein, da seine Überexpression im
. Tab. 32.2. Echokardiographische Grenzwerte des Sportherzens.
Mausmodell durch Druckbelastung oder Katecholamine indu-
(Nach Kindermann 2000)
zierte morphologische Veränderungen verminderte, nicht jedoch
eine physiologische Hypertrophie durch körperliche Belastung. Männer Frauen
Hämodynamische Faktoren wie eine vermehrte diastolische LVEDD [mm] 63 (–67) 60 (–63)
Füllung des linken Ventrikels und Veränderungen durch die Ruhe- LA [mm] 45 (–48) 45
bradykardie sind ebenfalls für die Genese der physiologischen
Herzvolumen [ml/ 20 19
Hypertrophie von Bedeutung. Das Auftreten eines »Sportherzens«
kgKg]
ist nicht spezifisch für bestimmte Sportarten oder Belastungen.
Herzgewicht [g/kgKg] 7,5 7
! Cave
LV-Wanddicken [mm] 13 12
Auswirkungen von Doping (v. a. anabole Steroide und Wachs-
tumshormon) sind in Einzelfällen zu berücksichtigen. LV-Muskelmasse [g/ 170 130
m2KOF]
Mitralis-Sep- 7–8 7–8
tumabstand [mm]
32.2.3 Klinische Unterscheidung zwischen
adaptiver und maladaptiver Hypertrophie »Fractional shorte- >(22–)27 >(22–)27
ning« [%]
Entscheidend ist die klinische Unterscheidung zwischen physiolo- Hypertrophieindex [%] <48–50 <45–48
gischen Veränderungen und einer pathologischen Hypertrophie LVEDD linksventrikulärer enddiastolischer Diameter, LA linkes Atrium,
bzw. Dilatation. Eine Herzvergrößerung bei einem Sportler sollte LV linker Ventrikel.
nie ohne Weiteres als »Sportherz« interpretiert werden, sondern
immer differenzialdiagnostische Überlegungen nach sich ziehen.
Hier kommen als mögliche kardiale Erkrankungen insbesondere Differenzierung einer physiologischen linksventrikulären Hyper-
die HCM, die DCM oder die ARVCM in Betracht. Das diagnosti- trophie von einer hypertrophen Kardiomyopathie. EKG-Verän-
sche Dilemma entsteht, wenn die echokardiographisch bestimm- derungen wie Q-Zacken, Linkstyp, ST-Strecken-Senkungen und
ten Parameter außerhalb der gängigen Grenzwerte (LVEDD T-Negativierungen sollten an eine HCM denken lassen. Insbeson-
>60 mm, LV-Wanddicke >12 mm) liegen. Derartige Verände- dere echokardiographische Charakteristika sind bei der wichtigen
rungen können bei Hochleistungssportlern eine Grauzone darstel- Differenzialdiagnose hilfreich. So liegt bei HCM in der Regel eine
len, in der sich extreme Ausprägungen eines Sportherzens und lokalisierte Hypertrophie mit verringerter Ventrikelgröße und ein-
milde Formen einer HCM bzw. DCM überlappen (. Abb. 32.2; geschränkter diastolischer Funktion vor. Sportbedingte Verände-
Maron 2003). In verschiedenen Studien wurde die Häufigkeit der- rungen sind demgegenüber nicht segmental, die Ventrikel normal
artiger Veränderungen bei Hochleistungssportlern mit 14% für die groß oder vergrößert und zeigen eine normale diastolische Funk-
linksventrikuläre Dilatation (>60 mm), 2% für eine milde LV-Hy- tion. »Strain rate imaging« scheint ein gutes Instrument zur
pertrophie über 12 mm hinaus (13–15 mm) und 20% für eine link- Identifizierung einer pathologischen Hypertrophie zu sein, bei der
satriale Dilatation (über 40 mm) beziffert (für echokardiogra- eine signifikante Strain-Verminderung vorliegt. Auch leistungs-
phische Grenzwerte des Sportherzens . Tab. 32.2). physiologische Parameter wie die maximale Sauerstoffaufnahme
32.3 · Screening von Sportlern vor Teilnahme am Leistungssport
537 32

(VO2max) können differenzialdiagnostisch herangezogen werden. lich doch negative kardiovaskuläre Auswirkungen haben können
Bei Sportlern sollten derartige Parameter im Vergleich zu untrai- (Maron u. Pelliccia 2006).
nierten Individuen supraphysiologisch sein, während die VO2max
beim Vorliegen einer HCM in der Regel unabhängig vom Grad der
LVH vermindert ist (Sharma et al. 2000). 32.3 Screening von Sportlern vor Teilnahme am
Leistungssport
> In Zweifelsfällen kann zur Unterscheidung zwischen adaptiver
und maladaptiver Hypertrophie der repetitive Einsatz bildge-
> Die rechtzeitige Identifikation von Sportlern mit kardiovasku-
bender Verfahren (Echokardiographie, MRT) nach kurzfristigem
lären Grunderkrankungen, die – getriggert durch körperliche
Pausieren des Leistungssports für etwa 3 Monate hilfreich sein,
Belastung – einen plötzlichen Herztod erleiden können, ist zur
in der beim »Sportherz« eine Reduktion der Herzmuskelmasse
Vermeidung sportassoziierter plötzlicher Todesfälle von enor-
nachweisbar sein sollte (Maron u. Pelliccia 2006).
mer Bedeutung.
Kostenintensive Gentests zum Nachweis von HCM-assoziierten
Genen sind möglich, die Interpretation ist in Fällen ohne phäno- Daher ist vor Aufnahme von Leistungssport eine kardiologische
typische morphologische Veränderungen jedoch schwierig. In Screeninguntersuchung zu empfehlen. Über die Beratung und
Grenzfällen, bei denen beispielsweise EKG-Veränderungen vor- ggf. den Ausschluss vom Sport hinaus hat die Bedeutung, asymp-
liegen, die typisch für eine HCM sind, die umfassende Diagnostik tomatische Patienten mit z. B. einer HCM oder einem Brugada-
und Familienanamnese jedoch unauffällig ist, sollten engma- Syndrom zu identifizieren, durch die Möglichkeit, als primärprä-
schige kardiologische Kontrolluntersuchungen erfolgen (Pellic- ventive Maßnahme einen AICD zu implantieren, noch deutlich
cia et al. 2005). zugenommen (Maron 2003).

Differenzierung einer »physiologischen« Dilatation von einer


dilatativen Kardiomyopathie. Im Fall sportbedingter kardialer 32.3.1 Nutzen
Veränderungen mit (moderater) ventrikulärer Dilatation ist die
systolische Funktion meist normal. Allerdings kann die EF (bzw. In Italien wurde bereits 1982 landesweit ein Screeningprogramm
das »fractional shortening«) unter Ruhebedingungen aufgrund von Sportlern vor Teilnahme am Leistungssport eingeführt.
der hohen enddiastolischen Füllung grenzwertig niedrig sein. In Dieses Programm schließt die Durchführung von Anamnese,
diesen Fällen muss jedoch unter Belastung immer eine Normali- körperlicher Untersuchung und 12-Kanal-EKG ein. In einer
sierung eintreten. Weitere Hinweise auf das Vorliegen einer DCM großen Studie in der Veneto-Region Italiens konnte gezeigt wer-
sind das Vorhandensein von Symptomen (z. B. Flüssigkeitsreten- den, dass die jährliche Inzidenz des plötzlichen Herztods am
tion, Synkope, Palpitationen, positive Familienanamnese) oder Ende des Studienzeitraums um 89% gegenüber der Zeit vor dem
ein pathologischer Belastungstest. landesweiten Screening gesenkt wurde. Hauptursache war die
Sollte mithilfe der genannten diagnostischen Maßnahmen geringere Rate an durch Kardiomyopathien bedingten Todesfäl-
kein eindeutiger Ausschluss pathologischer Veränderungen len. Das systematische Screening führte zum Ausschluss von 2%
möglich sein, sind weitere Schritte wie Langzeit-EKG, Ergomet- der untersuchten Sportler. Es konnte gezeigt werden, dass keiner
rie und ggf. MRT zu erwägen. der plötzlichen Herztode in der Kontrollgruppe ein durch das
Screening disqualifizierter Athlet war; dies zeigt die gute Lang-
! Cave
zeitprognose nach Ausschluss vom Leistungssport. In 7% der
Insbesondere bei der ARVCM ist eine echokardiographische
Fälle waren zusätzliche diagnostische Maßnahmen erforderlich
Diagnose in der Regel nicht sicher möglich; hier bleibt die MRT
(meist eine Echokardiographie; Corrado et al. 2006). Die Kosten
die Methode der Wahl.
des Standardscreenings werden mit etwa EUR 30 beziffert. Um
die Effektivität des Screenings aus Anamnese, Untersuchung und
EKG bezüglich der Detektion einer HCM zu analysieren, wurde
32.2.4 Langzeitfolgen des Sportherzens bei über 4400 Patienten zusätzlich im weiteren Verlauf eine Echo-
kardiographie durchgeführt. Durch diese zusätzliche Maßnahme
Die beschriebenen extremen morphologischen Veränderungen konnte jedoch kein weiterer Fall einer HCM detektiert werden,
bei einem Teil der Leistungssportler haben zu Überlegungen ge- sodass die routinemäßige Durchführung einer Echokardiogra-
führt, ob möglicherweise schädliche Langzeitfolgen des Sport- phie zur Identifikation junger Athleten mit HCM nicht erforder-
herzens bestehen. So ist eine Myokardhypertrophie bzw. Dilata- lich zu sein scheint. Diese Studien belegen, dass die Inzidenz des
tion nach Beendigung der sportlichen Karriere nicht in allen plötzlichen Herztods bei Leistungssportlern durch ein systema-
Fällen reversibel. In einer echokardiographischen Studie wurde tisches Screening eindrucksvoll gesenkt werden kann.
bei 20% ehemaliger Leistungssportler 5 Jahre nach Beendigung
der Laufbahn eine fortbestehende biventrikuläre Dilatation be-
schrieben. Allerdings kam es bei allen Athleten zu einer Norma- 32.3.2 Empfehlungen
lisierung der LV-Wanddicke. Besonders zu betonen ist, dass kein
ehemaliger Sportler in dieser Studie innerhalb des Beobachtungs- Die 36th Bethesda Conference des American College of Cardi-
zeitraums kardial symptomatisch wurde oder eine eingeschränkte ology (ACC; Maron u. Zipes 2005) und die European Society of
Leistungsfähigkeit aufwies. Derzeit liegen keine definitiven Hin- Cardiology (ESC; Pelliccia et al. 2005) haben Konsensuspapiere
weise auf ein langfristiges Gefährdungspotenzial des Sport- zur Durchführung eines kardiologischen Screenings herausge-
herzens vor. Allerdings kann nicht sicher ausgeschlossen werden, geben, die v. a. auf Amateurathleten fokussieren. Nach den Lau-
dass extreme dilatative oder hypertrophe Veränderungen schließ- sanne-Empfehlungen der ESC sollten im Rahmen des kardiolo-
538 Kapitel 32 · Herz und Sport

gischen Screenings bei Sportlern initial die Erhebung einer aus- sinnvoll sein, z. B. um orthopädischen Beschwerden und osteo-
führlichen Anamnese und des körperlichen Befunds sowie die porotischen Veränderungen vorzubeugen (zur Einteilung ein-
Durchführung eines 12-Kanal-EKG als effektives und kosten- zelner Sportarten gemäß der dynamischen bzw. der statischen
günstiges Verfahren erfolgen. Anamnestisch ist die Angabe von Belastungskomponente . Tab. 32.3). Insbesondere für Herz-
Symptomen wie Synkopen (belastungsabhängig, assoziiert mit patienten wird bei statischen Belastungen eine eher hohe Wie-
Palpitationen oder anderen Warnzeichen), Palpitationen, Belas- derholungszahl (15–25) mit höchstens 50% der Maximalkraft
tungsdyspnoe oder Thoraxschmerzen (belastungsabhängig, ty- empfohlen (Kindermann et al. 2003). Für die Empfehlung einer
pische Angina pectoris, kardiovaskuläre Risikofaktoren) oder bestimmten Sportart müssen verschiedene Faktoren berück-
eine positive Familienanamnese für kardiovaskuläre Erkran- sichtigt werden. Wichtig sind z. B. persönliche Vorlieben und
kungen oder plötzlichen Herztod von großer Bedeutung. Werden Erfahrungen (z. B. Mannschafts- oder Einzelsportart), Vor-
derartige Symptome geäußert, oder ergeben sich bei der körper- erkrankungen und Medikamente (z. B. Marcumarisierung mit
lichen Untersuchung oder im EKG verdächtige Befunde, sollte Unmöglichkeit von Kontaktsportarten). In den gängigen Emp-
der Sportler einer weiterführenden kardiologischen Diagnostik fehlungen wird ein etwa 30- bis 60-minütiges Training 3- bis
zugeführt werden. Hier sind v. a. die Echokardiographie, Belas- 5-mal/Woche empfohlen. Häufigeres Training geht mit einer
tungsuntersuchungen ggf. mit Bestimmung des VO2max, bei An- höheren Verletzungsrate einher und ist aus gesundheitlicher
gabe von Synkope/Palpitationen das Langzeit-EKG und die Sicht kaum effektiver. Die Intensitätsempfehlung richtet sich
Kipptischuntersuchung sowie ggf. die Verwendung von Event- nach der maximalen Herzfrequenz und wird mit 65–90% (bzw.
Rekordern von Bedeutung. Screeningprotokolle für Eliteathleten 55% bei absolut untrainierten Personen) angegeben. Ein im All-
(z. B. Radsportler der International Cycling Union oder Teilneh- tagsgebrauch praktikablerer Parameter bietet sich mit der Selbst-
mer der Fußballweltmeisterschaft) enthalten üblicherweise be- beobachtung durch den »talk test« an. Eine Unterhaltung in
reits routinemäßig eine Echokardiographie. kurzen Sätzen sollte auch unter Belastung ohne Hechelatmung
32 möglich sein.

32.4 Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen Wettkampfsport. Ob und in welchem Ausmaß Patienten mit kar-
diovaskulären Erkrankungen Sport treiben können, hängt von
32.4.1 Gesundheitssport vs. Wettkampfsport dem Stadium bzw. dem Schweregrad der Herzerkrankung sowie
von der im Rahmen bestimmter Sportarten zu erwartenden Be-
Hinsichtlich der Empfehlungen zur sportlichen Aktivität muss lastung ab. In den . Tab. 32.4–32.11 werden die weit verbreitete
bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen grundsätzlich Einteilung verschiedener Sportarten in 3 verschiedene Grade dy-
zwischen Gesundheitssport mit präventivem Ansatz und der namischer bzw. statischer Belastung und die ESC-Empfehlungen
Teilnahme an leistungsorientiertem Wettkampfsport mit ent- zur Teilnahme von Patienten mit kardiovaskulärer Grunderkran-
sprechend höherer körperlicher Belastung durch regelmäßiges, kung am Wettkampfsport dargestellt. Die Empfehlungen bezüg-
bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit reichendes Training und lich einzelner Sportarten beziehen sich auf die Einteilung ver-
zusätzlichem, durch die Wettkampfsituation bedingten emotio- schiedener Sportarten in jeweils 3 Grade dynamischer bzw. sta-
nalen Stress unterschieden werden. tischer Belastung (. Tab. 32.3). Jedoch soll darauf hingewiesen
werden, dass die Tabellen lediglich als Anhalt dienen können und
Gesundheitssport. Sportliche Aktivitäten sollten nur von Pati- dass in jedem Einzelfall eine verantwortungsbewusste Entschei-
enten mit stabilen kardiovaskulären Erkrankungen durchgeführt dung entsprechend der individuellen Risikokonstellation getrof-
werden. Diese Patienten sollten allerdings ebenso wie Individuen fen werden muss.
ohne manifeste kardiale Erkrankung, jedoch ausgeprägtem Risi-
koprofil, zu sportlicher Aktivität ermutigt werden, während Pati-
enten mit instabilen kardialen Erkrankungen von sportlicher 32.4.2 Spezielle Empfehlungen entsprechend der
Betätigung abzuraten ist. Im Rahmen des Gesundheitssports sind Grunderkrankung
Sportarten mit primär dynamischer Beanspruchung großer Mus-
kelgruppen zu bevorzugen, v. a. aerobe Ausdauersportarten wie Angeborene Vitien
Jogging, Radfahren, Skilanglauf, Rudern und Skaten, Walking Regelmäßige körperliche Betätigung hat auch bei Patienten
und Wandern. Regelmäßiges Krafttraining kann jedoch ebenfalls mit angeborenen Vitien positive Langzeiteffekte (Pelliccia et al.

. Tab. 32.3. Einteilung verschiedener Sportarten gemäß der dynamischen bzw. der statischen Belastungskomponente. (Mod. nach Pelliccia et al.
2005)
A. Niedrig dynamisch B. Moderat dynamisch C. Hochdynamisch
1. Niedrig Bowling, Cricket, Golf, Billard Tischtennis, Fechten, Tennis (Dop- Badminton, Marathon, Skilanglauf (klassisch),
statisch pel), Volleyball, Softball Squash
2. Moderat Autorennena,b, Tauchenb, Reiten a,b, Gym- Eislaufena, Laufen (Sprint), Lacros- Basketballa, Biathlon, Eis-/Feldhockeya, Fuß-
statisch nastika, Judoa, Segeln, Bogenschießen sea, Leichtathletik (Sprungdiszipli- balla, Skilanglauf (Skating), Schwimmenb,
nen) Tennis (Einzel), Handballa, Rugbya
3. Hoch Leichtathletik (Wurfdisziplinen), Kletterna,b, Bodybuildinga, Skiabfahrtslaufa,b, Boxena, Kanu-/Kajakfahren, Radsporta,b, Zehn-
statisch Wasserskia,b, Gewichthebena, Windsurfena,b Snowboardinga,b kampf, Eisschnelllauf, Triathlona,b, Rudern
a Verletzungsgefahr durch Kollision, b erhöhtes Risiko im Falle einer Synkope.
32.4 · Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen
539 32

2005). Hauptsächlich aus Angst vor dem plötzlichen Herztod > Insbesondere bei Kindern sind regelmäßige kardiologische Fol-
ist ein Großteil der betroffenen Patienten jedoch körperlich low-up-Untersuchungen (alle 6–12 Monate) sinnvoll, da wachs-
weitgehend inaktiv; dies ist häufig auch durch ein überpro- tumsbedingt gravierende hämodynamische Veränderungen
tektives Umfeld bedingt. Die Gefahr eines durch körperliche auftreten können. Alle 2–3 Jahre sollte eine vollständige Reeva-
Belastung ausgelösten plötzlichen Herztods ist in dieser Pa- luation erfolgen (Pelliccia et al. 2005).
tientengruppe jedoch sehr gering. Kontraindikationen für kör-
perliche Betätigung liegen nur bei wenigen Erkrankungen vor, Es ist zu betonen, dass aufgrund der großen interindividuellen
sodass den meisten Kindern mit angeborenen Vitien empfoh- Unterschiede innerhalb von Patientengruppen mit dem gleichen
len werden kann, in altersgerechtem Umfang »normal« aktiv Vitium die Entscheidung über die Sportfähigkeit hoch individu-
zu sein und am Freizeitsport teilzunehmen. Die endgültige Ent- alisiert erfolgen muss.
scheidung sollte jedoch stets erst nach einer vollständigen kar-
diologischen Evaluation erfolgen. Es sollten Anamnese und Vorhofseptumdefekt. Unoperierte Patienten zeigen einen ver-
Untersuchungsbefund erhoben sowie ein EKG, ggf. auch ein ringerten Anstieg des HZV und der Herzfrequenz unter Belas-
Thoraxröntgen und eine Echokardiographie durchgeführt wer- tung. In der Regel stellt Tauchen die einzige Einschränkung in
den. Zudem stellt die Belastungsuntersuchung ein zentrales dieser Patientengruppe bei unoperiertem kleinen Defekt ohne
diagnostisches Element dar. Hier sollte zumindest die anaerobe pulmonale Hypertonie dar. Bei symptomatischen Rhythmusstö-
Schwelle erreicht werden. Die Messung der maximalen Sauer- rungen oder weiteren kardiovaskulären Fehlbildungen muss die
stoffaufnahme ist häufig aufgrund von mangelnder Motiva- Risikoeinschätzung individuell erfolgen, am ehesten sind dann
tion der Kinder, sich bis zur Erschöpfung zu belasten, nicht gering dynamische Sportarten (. Tab. 32.3) aus dem Gesund-
möglich. Die Herzfrequenz eignet sich nicht als Messgröße der heitssport zu empfehlen. Die Belastbarkeit, ermittelt anhand der
Ausbelastung, da viele Patienten mit angeborenen Vitien einen anaeroben Schwelle, ist bei frühoperierten Kindern (unter 5 Jah-
verminderten Herzfrequenzanstieg unter Belastung zeigen. In ren) in der Regel normal, und auch die späte Korrektur im Er-
. Tab. 32.4 sind die ESC-Empfehlungen zur körperlichen Betä- wachsenenalter kann die Belastbarkeit noch deutlich verbessern.
tigung bzw. zur Teilnahme an Wettbewerbssportarten wieder- In der Regel besteht bei komplikationsfreiem Verlauf 6 Monate
gegeben. postoperativ keine Einschränkung der körperlichen Belastbar-

. Tab. 32.4. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei angeborenen Vitien. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
Erkrankung Kriterien Empfehlung
ASD (verschlossen oder <6 mm, >6 Mon. postop. alle Sportarten, Cave Tauchen bei of-
unoperiert klein) und PFO keine PAH, keine signifikanten Arrhythmien, keine ventrikuläre Dysfunktion fenem PFO, jährliches Follow-up
VSD (verschlossen oder restriktiver Shunt (Links-Rechts-Gradient >64 mmHg) oder >6 Mon. alle Sportarten,
unoperiert klein) postop., keine PAH jährliches Follow-up
Operierter persistierter 6 Mon. postop., keine PAH alle Sportarten
Ductus arteriosus
Pulmonalstenose
-leichtgradig nativ oder >6 Mon. postop. wenn: Spitzengradient 30 mmHg, normaler RV, alle Sportarten,
höchstens milde RV-Hypertrophie, normales EKG, keine signifikanten jährliche Kontrollen
Arrhythmien
-mittelgradig nativ oder >6 Mon. postop. wenn: Spitzengradient <30–50 mmHg, 1A und B, Follow-up alle 6 Monate
normaler RV, höchstens milde RV-Hypertrophie, normales EKG, keine sig-
nifikanten Arrhythmien
Aortenisthmusstenose keine systemische Hypertonie, Gradient obere/untere Extremität 1A, und B, 2A und B
<21 mmHg, Blutdruck <230 mm Hg unter Belastung, keine ischämietyp. Cave Kontaktsportarten bei inter-
EKG-Veränderungen, keine LV-Überlastung poniertem Graft, Follow-up jährlich
Aortenstenose
-leichtgradig mittl.Gradient <21 mmHg, anamnestisch keine Synkope, Arrhythmie, alle Sportarten mit Ausnahme von 3C,
Schwindel, oder Angina pectoris jährliches Follow-up
-mittelgradig mittl. Gradient 21–49 mmHg, anamnestisch keine Synkope, Arrhythmie, 1A, Follow-up alle 6 Monate
Schwindel, Angina pectoris
Fallot-Tetralogie allenfalls leichte RVOT-Obstruktion und Pulmonalinsuffizienz, normale bi- 1A und B, 2A und B, jährliches Follow-
ventrikuläre Funktion, kein Hinweis auf Arrhythmien up
moderates Residuum mit RV-Druck<50% des system. Drucks oder residu- 1A, Cave Patienten mit Conduit: keine
aler VSD oder mittelgradige Pulmonalinsuffizienz, jedoch normale biventri- Kontaktsportarten, jährliches Follow-
kuläre Funktion up
In schwereren als den beschriebenen Fällen kann die Ausübung von Gesundheitssport nach individueller ärztlicher Entscheidung erfolgen. Eintei-
lung der Sportarten gemäß . Tab. 32.3. PFO-persistiertes Foramen ovale, PAH-pulmonal arterielle Hypertonie, RVOT-rechtsventrikulärer Ausfluss-
trakt. Andere Abkürzungen im Text.
540 Kapitel 32 · Herz und Sport

keit. Vor der Aufnahme körperlicher Aktivität, insbesondere bei lungen für oder gegen bestimmte Sportarten besonders berück-
Wettkampfsport bzw. Ausdauersportarten, sollte eine eingehende sichtigt werden, dass ein Teil der Patienten therapeutisch
kardiologische Evaluation erfolgen (s. oben). antikoaguliert ist (. Tab. 32.5).

Ventrikelseptumdefekt. Patienten mit VSD und Links-rechts- Aortenklappenvitien. Eine Aortenklappenstenose, häufig be-
Shunt haben in Ruhe und unter Belastung eine im Vergleich zur dingt durch eine bikuspide Klappe, kann – auch wenn sie leicht-
systemischen Perfusion höhere pulmonale Durchblutung. Der gradig ist – die Ursache einer Synkope bei jungen Sportlern sein,
Shunt nimmt in der Regel mit steigender körperlicher Belastung obwohl das Auftreten eines plötzlichen Herztods in späten
ab. Bei unoperierten Patienten und kleinem Links-rechts-Shunt Krankheitsstadien häufiger ist. Synkopen sollten immer Anlass
(<30%) ohne RV-Vergrößerung besteht keine Einschränkung der zu einer gründlichen kardiologischen Abklärung zum Ausschluss
körperlichen Belastbarkeit. Bei unoperiertem oder postoperativ (belastungsinduzierter) Rhythmusstörungen geben. Bei Aorten-
peristierendem mittelgroßen Shunt (30–50%) ohne Vorliegen klappeninsuffizienz führt körperliche Belastung zu einer Abnah-
weiterer Pathologien sollte maximal Sport der Kategorie A1 aus- me der Regurgitation durch einen verringerten peripheren Wi-
geübt werden. Bei unoperiertem oder postoperativ persistie- derstand und eine Verkürzung der Diastole bei gesteigerter Herz-
rendem großen Defekt (Shunt >50%) sollte körperliche Belastung frequenz. Meist sind Sportler mit einer Aortenklappeninsuffizi-
über die Alltagsbelastung hinaus vermieden werden (Kinder- enz weitgehend asymptomatisch, bis sich die LV-Funktion
mann et al. 2003). Bei komplikationsfreiem Verlauf liegt ab 6 Mo- verschlechtert (. Tab. 32.5).
nate post operationem bei vollständig verschlossenem Defekt
ohne pulmonale Hypertonie keine Einschränkung der Belastbar- Mitralklappenprolapssyndrom. Ein plötzlicher Herztod auf-
keit vor. grund eines isolierten und unkomplizierten Mitralklappenpro-
lapssyndroms ist, insbesondere bei jungen Sportlern und in As-
32 Isolierte Pulmonalklappenstenose. Unter körperlicher Belas-
tung kann der transvalvuläre Gradient ansteigen; das Auswurfvo-
soziation mit körperlicher Belastung, selten und tritt wahrschein-
lich nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung auf. Eine
lumen steigt in der Regel geringer als in der gesunden Kontroll- Einschränkung der Sportfähigkeit liegt bei Komplikationen (z. B.
gruppe. Entscheidendes Kriterium für die körperliche Belastbar- Arrhythmien, Mitralinsuffizienz) oder Familienanamnese für
keit ist der Gradient an der (unbehandelten oder operierten) den plötzlichen Herztod vor (. Tab. 32.5).
Klappe. Bis zu einem Gradienten von 49 mmHg besteht keine
Beschränkung, zwischen 50 und 80 mmHg sollte maximal Sport Postoperative Patienten. Viele Patienten nach Klappenersatz
der Kategorie A1 durchgeführt werden, und bei Gradienten über weisen insbesondere unter körperlicher Belastung abnorme hä-
80 mmHg sollte keine Belastung über Alltagsbelastungen hinaus modynamische Verhältnisse auf (Pelliccia et al. 2005), die sich
erlaubt werden (Kindermann et al. 2003; . Tab. 32.4). hauptsächlich durch den jeder Klappenprothese immanenten
transvalvulären Gradienten erklären, der bei sportlicher Betäti-
Aortenisthmusstenose. Wesentliche Determinanten der körper- gung zunimmt. Hämolytische Effekte an der Klappe werden
lichen Belastbarkeit sind der Gradient an der Stenose und das durch körperliche Belastung allerdings nicht verstärkt. Besonders
prästenotische Verhalten des Blutdrucks sowohl in Ruhe als auch zu berücksichtigen ist bei der Sportausübung die bei Kunstklap-
unter Belastung. Patienten, die mithilfe eines interponierten pen dauerhaft notwendige Antikoagulation, die die Teilnahme
Grafts behandelt wurden, sollten keine Kontaktsportarten aus- z. B. an Kontaktsportarten unmöglich macht (. Tab. 32.5).
üben (Pelliccia et al. 2005; . Tab. 32.4).
Kardiomyopathien und (Peri-)Myokarditis
Fallot-Tetralogie. Aufgrund residualer hämodynamischer De- Hypertrophe Kardiomyopathie und arrhythmogene rechtsvent-
fekte und chronotroper Inkompetenz ist die körperliche Belast- rikuläre Kardiomyopathie. Sportliche Betätigung erhöht das Ri-
barkeit in dieser Patientengruppe meist eingeschränkt. Bei sehr siko eines plötzlichen Herztods bei HCM und ARVCM. Die
gutem postoperativen Ergebnis ist die sportliche Betätigung in HCM stellt in den USA und die ARVCM in Italien die häufigste
der Regel jedoch gut möglich (. Tab. 32.4). sportassoziierte Todesursache bei jungen Leistungssportlern dar
(Maron 2003; Corrado et al. 2006). Aufgrund dieses Gefähr-
Erworbene Vitien dungspotenzials sind die Empfehlungen der ESC für Patienten
Mitraklappenvitien. Unter Belastung kann beim Vorliegen einer mit diesen Kardiomyopathien (. Tab. 32.6) sehr restriktiv. Eng-
Mitralstenose durch den Anstieg von Herzfrequenz und kardialer maschige kardiologische Follow-up-Untersuchungen sind erfor-
Kontraktilität eine drastische Steigerung des pulmonalarteriellen derlich. Ob die Teilnahme an Gesundheitssport ratsam ist – dann
Drucks mit konsekutiver Entwicklung eines Lungenödems resul- mit niedriger Intensität und geringer muskulärer und kardiovas-
tieren. Ob durch sportliche Belastung bedingte regelmäßige kulärer Belastung – muss im Einzelfall evaluiert werden. Am
Drucksteigerungen in der pulmonalen Zirkulation zu negativen ehesten kommen Gehbelastungen, leichte Kraftausdauerübungen
Langzeitfolgen in dieser Patientengruppe führen, ist nicht be- und Geschicklichkeitsspiele infrage (. Tab. 32.6).
kannt (Pelliccia et al. 2005). Bei Mitralinsuffizienz führt körper-
liche Belastung in der Regel eher zu einer Abnahme der Regurgi- Dilatative Kardiomyopathie. Ein Hauptsymptom der DCM ist
tation durch verringerten peripheren Widerstand, allerdings die reduzierte körperliche Belastbarkeit, die sowohl durch die
kann sich dieser Effekt bei Patienten mit hoher Herzfrequenz systolische als auch die diastolische Dysfunktion bedingt ist. Das
oder arteriellem Hypertonus umkehren, dann mit potenziell ge- Risikoprofil (Symptome, Arrhythmien, EF <40%, Blutdruckver-
fährlichen Konsequenzen. Wichtig sind die Evaluation der LV- halten unter Belastung) ist für die Sportfähigkeit entscheidend. In
Größe und die Differenzierung zu sportbedingten Anpassungs- den meisten Fällen ist jedoch auch bei eingeschränkter sport-
erscheinungen (7 Abschn. 32.2). Weiterhin muss bei Empfeh- licher Belastbarkeit eine Teilnahme am Gesundheitssport mög-
32.4 · Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen
541 32

. Tab. 32.5. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei erworbenen Vitien. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
Erkrankung Kriterien Empfehlung
Mitralklappen- leichtgradig, stabiler Sinusrhythmus alle Sportarten außer 3C, jährliches Follow-up
stenose leichtgradig, Vorhofflimmern mit Antikoagulation 1 und 2A und B außer Kontaktsportarten, jähr-
liches Follow-up
mittel-/hochgradig, Gradient <80 mmHg, unabhängig vom Herzrhythmus 1A, keine Kontaktsportarten, jährliches Follow-up
Gradient >80 mmHg nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
scheidung, Follow-up jährlich
Mitralklappen- leicht-mittelgradig, normale LV-Funktion/-Größe, normale Belastungs- alle Sportarten, keine Kontaktsportarten bei Anti-
insuffizienz untersuchung koagulation, Follow-up jährlich
leicht-mittelgradig, milde LV-Dilatation (endsyst. Vol. <55 ml/m2), normale 1 und 2 A und B, jährliches Follow-up
LV-Funktion, Sinusrhythmus
alle anderen Fälle nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
scheidung, Follow-up jährlich
Aortenstenose leichtgradig, normale LV-Größe/-Funktion in Ruhe und unter Belastung, 1 und 2 A und B, Follow-up jährlich
keine Symptome, keine signifikanten Arrhythmien
mittelgradig, normale LV-Funktion in Ruhe und unter Belastung, Arrhythmien 1A, Follow-up jährlich
alle weiteren Fälle nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
scheidung, Follow-up jährlich
Aortenklappen- leicht-mittelgradig, normale LV-Größe/-Funktion, normale Belastungs- alle Sportarten, Follow-up jährlich
insuffizienz untersuchung, keine signifikanten Arrhythmien
leicht-mittelgradig mit progredienter LV-Dilatation 1A, Follow-up jährlich
alle anderen Fälle nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
scheidung, Follow-up jährlich
Trikuspidal- asymptomatische Stenose oder leicht-mittelgradige Insuffizienz 1 und 2A und B, jährliches Follow-up
klappendefekte
Mehrklappen- siehe bedeutendster Klappendefekt
erkrankungen
Kunst-/Bioklap- normale Klappen- und LV-Funktion, Sinusrhythmus 1 und 2A und B, keine Kontaktsportarten bei Anti-
penersatz koagulation, jährliches Follow-up
Mitralklappen- unklare Synkope oder Familienanamnese für plötzlichen Herztod, kom- nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
prolaps plexe Arrhythmien, langes QT-Intervall, schwere Mitralinsuffizienz scheidung, Follow-up jährlich
ohne die angeführten Komplikationen alle Sportarten, Follow-up jährlich
In schwereren als den beschriebenen Fällen kann die Ausübung von Gesundheitssport nach individueller ärztlicher Entscheidung erfolgen. Ein-
teilung der Sportarten gemäß . Tab. 32.3.

. Tab. 32.6. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei Kardiomyopathien sowie Peri- und Myokarditis. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005
Erkrankung Kriterien Empfehlung
HCM – Nur Gesundheitssport nach individueller Entscheidung,
Follow-up jährlich
HCM mit geringem Kein plötzlicher Herztod in der Familie, keine Symptome, 1A, Follow-up jährlich
Risikoprofil nur milde LV-Hypertrophie, normales Blutdruckverhalten
bei Belastung, keine ventrikulären Arrhythmien
Positiver Gentest für Keine LV-Hypertrophie, keine Symptome, keine ventrikulä- Nur Freizeit-, jedoch kein Wettkampfsport, Follow-up jährlich
HCM ohne Phäno- ren Arrhythmien Nur Gesundheitssport nach individueller Entscheidung,
typ DCM Follow-up jährlich
DCM mit niedrigem Kein plötzlicher Herztod in der Familie, keine Symptome, 1A und B, Follow-up jährlich
Risikoprofil EF40%, normales Blutdruckverhalten bei Belastung,
keine komplexen ventrikulären Arrhythmien
ARVCM – Nur Gesundheitssport nach individueller Entscheidung,
Follow-up jährlich
Peri- oder Aktive Erkrankung Sportverbot für 6 Monate, Kontrolle nach 6 Monaten, dann
Myokarditis Nach 6 Monaten keine Symptome, keine Arrhythmien, je nach Verlauf
normale LV-Funktion
HCM hypertrophe Kardiomyopathie, DCM dilatative Kardiomyopathie, ARVCM arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie. Einteilung der
Sportarten gemäß . Tab. 32.3.
542 Kapitel 32 · Herz und Sport

lich. Allerdings sollten eher ausdauerorientierte Sportarten mit . Tab. 32.7. Einschätzung des zusätzlichen Risikos bei arterieller Hy-
geringer Intensität (Walking, Fahrradergometer) oder allenfalls pertonie. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
leichte Kraftausdauerübungen unter kontrollierten Bedingungen
zusätzliche Schweregrad der arteriellen Hyper-
ausgeführt werden (Kindermann et al. 2003; . Tab. 32.6).
Risikofaktoren tonie gemäß WHO-Einteilung

Peri- und Myokarditis. Entzündliche Herzerkrankungen stellen Grad 1 Grad 2 Grad 3


bei einem bedeutenden Teil der sportassoziierten Fälle des plötz- 0 gering moderat hoch
lichem Herztods das einzige pathologische Korrelat dar (7 Ab- 1–2 moderat moderat sehr hoch
schn. 32.1.). Die Fachgesellschaften empfehlen ein Sportverbot bei
≥3 oder Endorganschadenb hoch hoch sehr hoch
Peri- oder Myokarditis für mindestens 6 Monate. Ist anschlie- oder Diabetes mellitus
ßend die linksventrikuläre Funktion normal und liegen weder
assoziierte Erkrankungenc sehr hoch sehr hoch sehr hoch
Symptome noch Arrhythmien vor, kann die sportliche Betäti-
gung wieder aufgenommen werden (. Tab. 32.6). Gering, moderat, hoch, sehr hoch korrespondiert mit einer ge-
schätzten Zehnjahresrate fataler kardiovaskulärer Ereignisse von <4,
Arterielle Hypertonie 4–5, 6–8, >8%.
a Risikofaktoren: männliches Geschlecht, Alter (>55 bei Männern,
Bewegungsmangel stellt einen unabhängigen Risikofaktor für die
>65 bei Frauen), Rauchen, Dyslipidämie (Gesamtcholesterin
Entstehung einer arteriellen Hypertonie dar, und regelmäßiges >250 mg/dl oder LDL >155 mg/dl oder HDL <40 mg/dl bei
körperliches Ausdauertraining senkt bei normo- und hypertensi- Männern und <48 mg/dl bei Frauen), abdominelle Fettverteilung
ven Menschen sowohl den systolischen als auch den diastolischen >102 cm bei Männern, >88 cm bei Frauen, erstgradig positive
Blutdruck. Bei milder arterieller Hypertonie kann regelmäßiges Familienanamnese für vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen
körperliches Training zusammen mit einer Gewichtsreduktion (Männer <55, Frauen <65).
b Endorganschaden: LV-Hypertrophie, Nachweis von Intimaverdi-
32 zur Normalisierung des Blutdrucks bereits ausreichend sein. Auf-
grund dieser Tatsache wird klar, wie wichtig die regelmäßige ckung oder atherosklerotischem Plaque, geringe Kreatininerhö-
sportliche Betätigung für diese Patientengruppe ist. Zur Einschät- hung (115–133 μmol/l bei Männern, 106–124 μmol/l bei Frauen),
Mikroalbuminurie.
zung der Belastbarkeit bietet sich neben der Suche nach hyperto- c assoziierte Erkrankungen: zerebrovaskuläre Insuffizienz, KHK, Herz-
niebedingten Endorganschäden die Errechnung des zusätzlichen
insuffizienz, pAVK, Niereninsuffizienz, fortgeschrittene Retinopathie
Risikos aufgrund anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren an
(. Tab. 32.7). So kann das geschätzte Zehnjahresrisiko fataler kar-
diovaskulärer Erkrankungen gemäß dem europäischen SCORE-
System errechnet werden (<4, 4–5, 6–8, >8%; Pelliccia et al. 2005). . Tab. 32.8. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei arteri-
Zur genauen Evaluation sollten Ruhe-EKG, Echokardiographie, eller Hypertonie unter Berücksichtigung des zusätzlichen Risikos.
Belastungsuntersuchung mit Registrierung von Herzfrequenz (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
und Blutdruck sowie ggf. eine Stressechokardiographie und ein zusätzliches Kriterien Empfehlung
Langzeit-EKG durchgeführt werden. Die Patienten sollten antihy- Risiko
pertensiv gut und stabil eingestellt sein, und Ursachen einer sekun- gering gut eingestellter Blutdruck alle Sportarten, jähr-
dären Hypertonie sollten ausgeschlossen oder beseitigt sein. liche Kontrolle
Wird eine sportliche Betätigung mit dem Ziel der Blutdruck-
moderat Blutdruck und Risikofak- alle Sportarten mit
senkung durchgeführt, ist zu dynamischer, ausdauerorientierter toren gut eingestellt Ausnahme von 3C,
Belastung (z. B. Walking, Jogging, Radfahren) zu raten. Statische, jährliches Follow-up
kraftbetonte Sportarten (z. B. Gewichtheben, Windsurfen) sind
hoch Blutdruck und Risikofak- alle Sportarten mit
demgegenüber weniger geeignet. Das Training sollte 2- bis 3-mal
toren gut eingestellt Ausnahme von 3A–C,
wöchentlich für 30–60 min und mit 50–60% der maximalen jährliches Follow-up
Herzfrequenz durchgeführt werden. Für die Teilnahme am Wett-
sehr hoch Blutdruck und Risikofak- 1A und B, 6-monatige
kampfsport muss der Blutdruck sehr gut eingestellt sein, und es
toren gut eingestellt, keine Kontrollen
sollten keine Endorganschäden vorliegen (. Tab. 32.7 und 32.8). assoziierten Erkrankungen
Bei der antihypertensiven Therapie von Leistungssportlern
Einteilung der Sportarten gemäß . Tab. 32.3.
sollten möglichst weder β-Rezeptorenblocker noch Diuretika

. Tab. 32.9. Wahrscheinlichkeit eines belastungsinduzierten kardiovaskulären Ereignisses bei Patienten mit KHK. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
Wahrscheinlichkeit eines belastungsinduzierten kardiovaskulären Ereignisses
gering hoch
EF >50% <50%
Ergometrie/ keine EKG-Veränderungen bei niedrigen Belastungsstufen, norma- EKG-Veränderungen bei geringer Belastung oder belas-
Belastbarkeit le Belastbarkeit tungsinduzierte Dyspnoe oder Synkope
ventrikuläre keine gehäuften/komplexen ventrikulären Arrhythmien in Ruhe gehäuft/komplex in Ruhe oder/und unter Belastung
oder bei Belastung
Koronarien keine signifikanten Stenosen signifikante Stenosen
EF-Ejektionsfraktion, signifikante Stenose: große Koronarien >70% oder Hauptstamm der linken Koronararterie >50%.
32.4 · Sport bei kardiovaskulären Erkrankungen
543 32

. Tab. 32.10. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei KHK unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit kardiovaskulärer Ereignisse.
(Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
Wahrscheinlichkeit kardialer Ereignisse Kriterien Empfehlung
hoch und definitive KHK nur Gesundheitssport nach individueller Ent-
scheidung, Follow-up individuell
niedrig und definitive KHK keine belastungsinduzierte Ischämie, keine 1A und B, Follow-up jährlich
Symptome oder signifikante Arrhythmien, keine
signifikanten (>50%) Koronarstenosen, EF >50%
hoch (Score >5%) ohne Nachweis einer KHK bei positiver Ergometrie weitere Diagnostik 1A und B, Follow-up jährlich
negative Ergometrie Individuelle Entscheidung, kein Sport aus 3,
jährliches Follow-up
niedrig ohne Nachweis einer KHK normales EKG alle Sportarten, Follow-up alle 1–3 Jahre
Einteilung der Sportarten gemäß . Tab. 32.3.

eingesetzt werden, da sie die Leistungsfähigkeit verringern und/ Koronare Herzkrankheit


oder Elektrolyt- und Flüssigkeitsverschiebungen verursachen Bei Sportlern über 35 Jahre stellt eine – in der Regel unerkannte
können. Zudem stehen diese Medikamentengruppen auf der – KHK die häufigste sportassoziierte Ursache des plötzlichen
Dopingliste einiger Sportarten. Medikamente der Wahl sind da- Herztods dar. Somit ist sportliche Aktivität bei KHK-Patienten
her Kalziumantagonisten und RAAS-Inhibitoren (Pelliccia et al. ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist das akute Risiko wäh-
2005). rend des Sports erhöht, andererseits sinkt das kardiovaskuläre

. Tab. 32.11. Empfehlungen der ESC für die Sportausübung bei Herzrhythmusstörungen. (Mod. nach Pelliccia et al. 2005)
Erkrankung Kriterien Empfehlung
Sinusbradykardie <40/min symptomatischa, genaue Evaluation, temporär kein Sport
oder Sinuspausen ≥3s >3 Monate Symptomfreiheit, keine Therapie erforderlich alle Sportarten, jährliches Follow-up
AV-Block
– Grad I und IIa (Wencke- keine Symptomea, keine strukturelle Herzerkrankung, Besserung der alle Sportarten
bach) Arrhythmie unter Belastung
– Grad IIb (Mobitz) und III keine Symptome, keine strukturelle Herzerkrankung, keine ventriku- 1 und 2A und B
lären Arrhythmien unter Belastung, Ruheherzfrequenz >40/min, in an-
deren Fällen Schrittmacherindikation prüfen!
paroxysmale supraventri- >3 Monate asymptomatisch nach Katheterablation, keine strukturelle alle Sportarten, jährliches Follow-up
kuläre Tachykardie Herzerkrankung
ohne Ablation bei sporadischem Auftreten, keine strukturelle Herzerkran- alle Sportarten außer mit erhöhtem Risiko
kung, keine belastungsabhängigen Symptome, normale Hämodynamik im Fall einer Synkope, jährliches Follow-up
Präexzitationssyndrome
WPW- und AV-Reentry >3 Monate nach Katheterablation, asymptomatisch, keine strukturelle alle Sportarten, jährliches Follow-up
Herzkrankheit
asymptomatische Ablation ist ratsam aber nicht unbedingt erforderlich alle Sportarten außer es besteht ein er-
Präexzitation höhtes Risiko im Falle einer Synkope, jähr-
liches Follow-up
Vorhofflimmern >3 Monate stabiler Sinusrhythmus nach einmaligem Ereignis, keine alle Sportarten, jährliches Follow-up
strukturelle Herzerkrankung, kein WPW andere Fälle, individuelle Risikoabschätzung
Long-QT-Syndrom und kein Wettkampfsport, individuelle Risiko-
Brugada-Syndrom abschätzung, jährliches Follow-up
Implantierter Herzschritt- normale Ruheherzfrequenz und regelrechter Frequenzanstieg unter 1A und B ohne Kontaktsportarten, jähr-
macher Belastung, keine signifikanten Arrhythmien, normale kardiale Funktion liches Follow-up
Implantierter AICD keine malignen ventrikulären Tachykardien, normale kardiale Funktion, 1A und B ohne Kontaktsportarten, jähr-
>6 Monate nach Implantation und letztem Ereignis liches Follow-up
andere Fälle, individuelle Entscheidung
WPW Wolff-Parkinson-White, AICD implantierter Kardioverterdefibrillator.
Einteilung der Sportarten gemäß . Tab. 32.3.
a Synkope, Präsynkope, Schwindel, verminderte Belastbarkeit.
544 Kapitel 32 · Herz und Sport

Risiko bei langfristigem Training. Somit muss der Nutzen sport- in der Regel keine Einschränkung der Belastbarkeit vor (Kinder-
licher Betätigung in jedem Einzelfall gegen das mögliche Risiko mann et al. 2003). Patienten mit AICD scheinen von regelmä-
abgewogen werden. ßigem, überwachtem Training in geringer Intensität zu profitie-
ren. Hier muss im Einzelfall unter Berücksichtigung der Grun-
> Es sollte eine Risikostratifizierung vorgenommen werden
derkrankung sowie der Häufigkeit antitachykarder Eingriffe und
(. Tab. 32.9).
Schocks entschieden werden.
Alle Patienten sollten vor regelmäßiger sportlicher Betätigung
kardiologisch mit Durchführung von EKG, Belastungs-EKG,
Literatur
Echokardiographie und Langzeit-EKG, das eine Trainingsperio-
de einschließt, untersucht werden. Im Zweifelsfall sollte vor der
Bille KD, Figueiras D, Schamasch P et al. (2006) Sudden cardiac death in
Teilnahme am Wettkampfsport eine Koronarangiographie durch-
athletes: the Lausanne Recommendations. Eur J Cardiovasc Prev Re-
geführt werden. Wettkampfsport sollte nur bei geringer Wahr- habil 13(6): 859–875
scheinlichkeit eines belastungsinduzierten Vorfalls und ohne Corrado D, Basso C, Pavei A et al. (2006) Trends in sudden cardiovascular
Vorhandensein signifikanter Stenosen (<50%; . Tab. 32.9 und death in young competitive athletes after implementation of a pre-
32.10) durchgeführt werden. Allen anderen Patienten sollte von participation screening program. JAMA 296(13): 1593–1601
der Teilnahme am Wettkampfsport dringend abgeraten werden. Firoozi S, Sharma S, McKenna WJ (2003) Risk of competitive sport in young
Für Patienten mit hohem Risiko sollte sportliche Betätigung im athletes with heart disease. Heart 89(7): 710–714
Rahmen der maximalen symptom- und befundfreien Belastung Kindermann W (2000) Das Sportherz. Dt Z Sportmed 51: 307–308
unterhalb der anaeroben Schwelle stattfinden, am besten wäh- Kindermann W, Dickhuth HH, Nieß A, Röcker K (2003) Sportkardiologie:
Körperliche Aktivität bei Herzerkrankungen. Steinkopff, Darmstadt
rend kontrollierter Sportausübung z. B. in Koronarsportgruppen.
Maron BJ (2003) Sudden death in young athletes. N Engl J Med 349(11):
In diesen Gruppen ist die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen
1064–1075
32 Herztods gering (1:60.000 bis 1:112.000 Sportstunden), auch auf-
grund der fachlichen Betreuung und regelmäßigen Nachkontrol-
Maron BJ, Pelliccia A (2006) The heart of trained athletes: cardiac remode-
ling and the risks of sports, including sudden death. Circulation
le der Teilnehmer. Freies Ausdauertraining ohne Überwachung 114(15): 1633–1644
ist für Patienten mit hohem Risiko nicht ratsam. Maron BJ, Zipes DP (2005) Introduction: eligibility recommendations for
competitive athletes with cardiovascular abnormalities-general con-
Herzrhythmusstörungen siderations. J Am Coll Cardiol 45(8): 1318–1321
Die sportliche Belastbarkeit von Patienten mit Herzrhythmusstö- Pelliccia A, Fagard R, Bjornstad HH et al. (2005) Recommendations for com-
rungen hängt in erster Linie von der zugrunde liegenden struk- petitive sports participation in athletes with cardiovascular disease: a
consensus document from the Study Group of Sports Cardiology of
turellen Herzerkrankung ab. Gesundheitssport unter fachlicher
the Working Group of Cardiac Rehabilitation and Exercise Physiology
Betreuung ist bei fast allen Arrhythmien ohne limitierende
and the Working Group of Myocardial and Pericardial Diseases of the
Grunderkrankung möglich. Die Empfehlungen der ESC sind in European Society of Cardiology. Eur Heart J 26(14): 1422–1445
. Tab. 32.11 dargestellt. Bei Patienten mit Herzschrittmacher gilt Sharma S, Elliott PM, Whyte G et al. (2000) Utility of metabolic exercise
ebenfalls die Limitierung körperlicher Belastung in Abhängigkeit testing in distinguishing hypertrophic cardiomyopathy from physio-
von der Grunderkrankung. Ist die physiologische Herzfrequenz- logic left ventricular hypertrophy in athletes. J Am Coll Cardiol 36(3):
variabilität durch ein Zweikammersystem wiederhergestellt, liegt 864–870
545 33

Komplementäre Therapie bei Herzerkrankungen


C.A. Schneider

33.1 Methodik und Datenlage – 545 33.4 Koronare Herzerkrankung – 546

33.2 Herzinsuffizienz – 545 Literatur – 546

33.3 Arterielle Hypertonie – 545

33.1 Methodik und Datenlage


. Tab. 33.1. Anzahl randomisierter kontrollierter Therapiestudien
Methode Herzin- Hyper- Koronare Sum-
Eine allgemein akzeptierte Definition von Alternativ- oder Kom-
suffizienz tonie Herzkrankheit me
plementärmedizin existiert nicht. Grundsätzlich handelt es sich
um Diagnose- oder Therapiemethoden, die in der Regel nicht in Akupunktur 2 12 1 15
der sog. Schulmedizin routinemäßig gelehrt oder angewandt Aromatherapie 0 0 0 0
werden. Epidemiologische Daten zeigen, dass jeder dritte Patient Autogenes 0 6 0 6
mit kardiovaskulären Erkrankungen zusätzlich zur schulmedizi- Training
nischen Behandlung Hilfe bei alternativen oder komplementären
Bachblüten 0 0 0 0
Therapierichtungen sucht. Dieser hohe Anteil macht es notwen-
dig, dass der betreuende Arzt sich über die Wirksamkeit der häu- Biofeedback 1 29 1 31
figsten Therapien informiert, um den Patienten kompetent bera- Chelation 0 0 2 2
ten zu können.
Chiropraktik 0 2 0 2
Die Wirksamkeit dieser Methoden gemäß westlich defi-
nierter Methodologie (kontrollierte randomisierte Studien) ist im Kraniosakrale 0 0 0 0
Therapie
Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen außerordentlich un-
terschiedlich belegt: Sie reicht von inexistent (Bach-Blüten/Aro- Homöopathie 0 2 0 2
matherapie) bis schlecht untersucht (z. B. Biofeedback, Aku- Hypnotherapie 0 8 0 8
punktur). Es nur wenige Studien, die die Wirksamkeit komple-
Meditation 2 13 0 15
mentärer Methoden prospektiv in kontrollierten Studien unter-
sucht haben. Eine aktuelle Literatursuche mithilfe der Osteopathie 0 0 0 0
Pubmed-Datenbank dokumentiert nur 75 randomisierte kont- Tai Chi 1 1 0 2
rollierte Studien (. Tab. 33.1). Diese Studien bilden die Grundla- Yoga 0 5 3 0
ge für die Darstellung der Wirksamkeit dieser Methoden in die-
Gesamt 6 58 7 75
sem Kapitel. Eine genaue Anleitung der einzelnen Methoden und
deren zugrunde liegenden Menschenbilder übersteigt den An-
spruch dieses Kapitels; der Leser wird dazu auf die Vielzahl der
Publikationen zu jeder einzelnen Methode verwiesen. Meditation liegen die meisten Daten randomisierter, kontrollier-
ter Studien vor.

33.2 Herzinsuffizienz Akupunktur


Die größte Studie verglich die Wirksamkeit klassischer Aku-
Nur sehr wenige, kleine Studien (Summe untersuchter Patienten: punktur mit Scheinakupunktur (≤12 Akupunkturbehandlungen
154; . Tab. 33.2) existieren, in denen Patienten mit Herzinsuffizi- für 6–8 Wochen) bei hypertensiven Patienten (n=192). Nach
enz zusätzlich mit komplementären Techniken behandelt wur- 10 Wochen war kein signifikanter Unterschied in beiden Grup-
den. Diese Studien zeigen durchweg positive Ergebnisse in den pen zu verzeichnen (Macklin et al. 2006). Die Reduktion von
jeweiligen Studienparametern. Keine Studie hat als Endpunkt die klinisch relevanten Endpunkten (Schlaganfall, Tod, Herzinfarkt)
Gesamtsterblichkeit untersucht. Schwere unerwünschte Ereig- wurde nicht untersucht.
nisse wurden in keiner Studie berichtet. Eine Empfehlung ist auf-
grund der sehr begrenzten Studienlage zurzeit nicht möglich. Biofeeedback
Die Reduktion der Blutdruckwerte variierte in den Studien stark.
Während einige Studien keinen Effekt nachweisen konnten, fan-
33.3 Arterielle Hypertonie den Kranitz et al (2000) Blutdrucksenkungen z. T. bis zu
22/11 mmHg. In keiner der Studien wurden bedeutsame uner-
Nur wenige Studien mit geringen Fallzahlen beschäftigen sich wünschte Ereignisse beschrieben. Die Reduktion von klinisch
mit den Effekten komplementärer Medizin in der Behandlung relevanten Endpunkten (Schlaganfall, Tod, Herzinfarkt) wurde
der arteriellen Hypertonie. Zu Akupunktur, Biofeedback und nicht untersucht.
546 Kapitel 33 · Komplementäre Therapie bei Herzerkrankungen

. Tab. 33.2. Randomisierte kontrollierte Studien zur komplementären Herzinsuffizienztherapie


Erstautor Hypothese Methodik Patienten Ergebnisse
Middlekauff et al. Sympathikoinhibitorischer Ef- Akupunktur Randomisiert (3 Gruppen je Signifikante Verminderung der Sym-
(2002) fekt von Akupunktur Mentaler Stress 10 Patienten), symptomati- pathikusaktivierung
sche Herzinsuffizienz
Zhou (1993) Artikel in Chinesisch; Verbesserung invasiv bestimmter, hämodynamischer Parameter, Akupunktur wirksamer als Kontrolle;
n=12, DCM
Yeh et al. (2004) Tai-Chi verbessert Lebens- Tai-Chi 12 Wochen 2- Systolische Herzinsuffizienz, Alle 3 Zielparameter werden signifi-
qualität und Belastbarkeit, mal 1 h/pro Woche LVEF=23%, n=30 kant verbessert
vermindert BNP
Jayadevapra et al. Transzendentale Meditation Transzendentale Me- Afroamerikaner, symptoma- Signifikante Verbesserung von Geh-
(2007) verbessert Belastbarkeit im ditation tische Herzinsuffizienz, n=23 strecke und Lebensqualität
Sechsminutengehtest
Curiati et al. Meditation vermindert Nor- Meditation 2-mal Symptomatische Herzinsuffi- Norardrenalinausschüttung signifi-
(2005) adrenalinausschüttung und 30 min/Tag für 12 Wo- zienz, n=19 kant vermindert, Lebensqualität
verbessert Lebensqualität chen und Belastbarkeit verbessert
Moser et al. Biofeedback (Hauttempera- Biofeedback, Vorstel- Fortgeschrittene Herzinsuffi- Hauttemperatur und Herzminuten-
(1997) tur) führt zur Vasodilatation, lung der Handerwär- zienz, n=40 volumen nehmen zu, peripherer Wi-
Reduktion von Katecholami- mung, Entspannung, derstand nimmt ab
nausschüttung invasives Monitoring
BNP »brain natriuretic peptide«, DCM dilatative Kardiomyopathie, LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion.

33
Meditation Literatur
Transzendentale Meditation vermindert den Blutdruck von afro-
amerikanischen Hypertoniepatienten signifikant. Daten von Alexander CN, Schneider RH, Staggers F et al. (1996) Trial of stress reduc-
Alexander et al. (1996) dokumentierten eine Reduktion des Blut- tion for hypertension in older African Americans. II. Sex and risk sub-
drucks im Vergleich zur Kontrollgruppe um 10/6 mmHg. Auch group analysis. Hypertension 28: 228–237
Curiati JA , Bocchi E, Freire JO et al. (2005) Meditation reduces sympathetic
andere Studien wiesen eine geringe, aber signifikante Blutdruck-
activation and improves the quality of life in elderly patients with op-
senkung nach. Die Reduktion von klinisch relevanten Endpunk-
timally treated heart failure: a prospective randomized study. J Altern
ten (Schlaganfall, Tod, Herzinfarkt) wurde nicht untersucht. Eine Complement Med 11(3): 465–472
Metaanalyse von Entspannungstechniken (Yoga, Atemtechniken, Dickinson M, Mason JM, Nicolson DJ et al. (2006) Lifestyle interventions to
progressive Muskelentspannung, autogenes Training, aktive Ima- reduce raised blood pressure: a systematic review of randomized con-
gination) zeigte ebenfalls eine geringe, aber signifikante Blut- trolled trials. J Hypertens 24: 215–233
drucksenkung von ca. 4/3 mmHg im Vergleich mit Nichtinter- Jayadevapra R, Johnson JC, Bloom BS et al. (2007) Effectiveness of trans-
ventionspatienten (Dickinson et al. 2006). Die Blutdrucksenkung cendental meditation on functional capacity and quality of life of
war jedoch nicht mehr signifikant, wenn sie mit einer Scheinthe- African Americans with congestive heart failure: a randomized control
rapie verglichen wurde. Die Reduktion von klinisch relevanten study. Ethn Dis 17: 72–77
Kranitz L, Lehrer P (2000) Biofeedback applications in the treatment of
Endpunkten (Schlaganfall, Tod, Herzinfarkt) wurde nicht unter-
cardiovascular diseases. J Psychosom Res 48: 161–169
sucht.
Macklin EA, Wayne PM, Kalish LA et al. (2006) Stop Hypertension with the
> Komplementäre Therapien zur Blutdrucksenkung leisten im Acupuncture Research Program (SHARP): results of a randomized,
besten Fall einen nur geringen Beitrag. Die Beeinflussung allge- controlled clinical trial. Hypertension 48: 838–845
mein üblicher Endpunkte (Tod, Schlaganfall, Myokardinfarkt) ist Manchanda SC, Narang R, Reddy KS et al. (2000) Retardation of coronary
atherosclerosis with yoga lifestyle intervention. J Assoc Physicians
nicht untersucht.
India 48: 687–694
Middlekauff, Hui K, Yu JL et al. (2002) Acupuncture inhibits sympathetic
activation during mental stress in advanced heart failure patients. J
33.4 Koronare Herzerkrankung Card Fail 8: 399–406
Moser DK, Dracup K, Woo MA et al. (1997) Voluntary control of vascular
tone by using skin-temperature biofeedback-relaxation in patients
Für die Behandlung der KHK durch komplementäre Techniken
with advanced heart failure. Altern Ther Health Med3(1): 51–59
liegen nur vereinzelt randomisierte Studien vor. Die Chelattera- Yeh GY, Wood MJ, Lorell BH et al. (2004) Effects of tai chi mind-body move-
pie ist ineffektiv. ment therapy on functional status and exercise capacity in patients
Eine kleine Studie mit 42 Männern mit invasiv dokumen- with chronic heart failure: a randomized controlled trial. Am J Med
tierter KHK zeigt einen günstigen Effekt von Yoga (Manchanda 117(8): 541–548
et al. 2000). In der Yogagruppe nahm die Anzahl der Anginaepi- Zhou JR (1993) Effect of auriculo-acupuncture plus needle embedding in
soden ab; bei mehr Patienten kam es zu einer Regression der heart point on left cardiac, humoral and endocrine function. Zhong-
KHK. Die Reduktion von klinisch relevanten Endpunkten guo Zhong Xi Yi Jie He Za Zhi 13(3): 153–154, 132
(Schlaganfall, Tod, Herzinfarkt) wurde nicht untersucht.
547 34

Regenerative Therapieoptionen bei Herzerkrankungen


J. Müller-Ehmsen

34.1 Zelltherapie – 547 34.2 »Tissue engineering« – 550


34.1.1 Klinische Studien – 547 34.2.1 Myokard – 550
34.1.2 Experimentelle Daten zur Zellersatztherapie mit 34.2.2 Herzklappen und Gefäße – 550
multipotenten Zellen – 549
Zusammenfassung – 550

Literatur – 551

)) (800×106) oder mit Placebo behandelt. Insgesamt wurden 97 Pa-


tienten aufgenommen, dann wurde die Studie vorzeitig abgebro-
Trotz deutlicher Fortschritte bei der medikamentösen und der chen, da Zwischenanalysen darauf hinwiesen, dass kein positiver
interventionellen Therapie verschiedener Herzerkrankungen wie Effekt der Zelltherapie zu erwarten war. Zusammen mit der Zell-
Myokardinfarkt oder Herzinsuffizienz ist es das vorrangige Ziel therapie erhielten die Patienten zum Schutz vor Arrhythmien ei-
der aktuellen Therapieoptionen die bestehende Herzfunktion zu nen AICD. Dreißig Tage und 6 Monate nach Therapie gab es kei-
erhalten bzw. eine Verschlechterung der Herzfunktion zu verhin- nen Unterschied im Auftreten von ventrikulären Arrhythmien,
dern. Lediglich bei der akuten Myokarditis, bei dem Ersatz einer keinen Unterschied in der Verbesserung der Wandbewegung und
defekten Herzklappe oder schließlich durch eine Herztransplan- keinen Unterschied in der Verbesserung der LVEF (zwischen 3
tation ist im Verlauf oder als unmittelbares Therapieergebnis eine und 5%). Jedoch nahm das linksventrikuläre enddiastolische Vo-
deutliche Verbesserung der Herzfunktion zu erwarten. Die Rege- lumen in der Patientengruppe, die mit einer hohen Zelldosis be-
neration von Herzmuskelgewebe durch eine Zelltherapie stellt handelt wurde, stärker ab als in der Placebogruppe. Das Gleiche
dagegen ein im Ansatz völlig neuartiges Verfahren dar. Die galt für das systolische Volumen. Damit scheint die Zelltherapie
Grundlage einer solchen Therapie besteht darin, untergegan- mit Skelettmyoblasten zwar ein gewisses Potenzial bei der Thera-
gene Herzmuskelzellen durch das Einbringen neuer Zellen zu pie des chronischen Myokardinfarkts zu haben. Jedoch stellt der
ersetzen und dadurch die Myokardfunktion zu verbessern. Zu Abbruch der MAGIC-Studie für diesen Zelltyp einen schweren
diesem Zweck wurden sowohl in experimentellen als auch in kli- Rückschlag dar, sodass zunächst eine Weiterentwicklung des Sys-
nischen Studien verschiedene Zelltypen auf verschiedene Arten tems im Tierexperiment erfolgen muss, bevor neue groß angelegte
in erkrankte Herzen injiziert. klinische Studien durchgeführt werden können.
Die ersten klinischen Studien, die überhaupt zur Zelltherapie
am Herzen durchgeführt worden sind, wurden mit Knochenmark-
34.1 Zelltherapie zellen und zunächst mithilfe der intramyokardialen Injektion
durch Hamano et al. (2001) begonnen. Schon sehr frühzeitig zeigte
34.1.1 Klinische Studien sich, dass dieser Zelltyp auch intrakoronar applizierbar ist (Strauer
et al. 2001; 7 »Studienverzeichnis«; . Abb. 34.1; . Tab. 34.1), sodass
Die ersten tierexperimentellen Untersuchungen zur Zelltherapie ein im Vergleich zur intramyokardialen Injektion sehr einfacher
am Herzen wurden mit Skelettmyoplasten durchgeführt. Skelett- Applikationsweg zur Verfügung stand. Die ersten größeren kli-
myoplasten haben den großen Vorteil, dass sie autolog (ohne eine nischen Studien brachten vielversprechende Ergebnisse beim Ein-
Abstoßungsreaktion befürchten zu müssen) eingesetzt werden satz von Knochenmarkzellen nach akutem Myokardinfarkt (Ass-
können und dass sie in vitro proliferieren. Nachdem erste vielver- mus et al. 2002; Wollert et al. 2004; 7 »Studienverzeichnis«), sodass
sprechende tierexperimentelle Untersuchungen vorlagen, war es inzwischen sogar einige große doppelblinde randomisierte Studi-
Phillippe Menasche, der im Jahr 2000 als Erster eine Therapie mit en durchgeführt wurden, die jedoch unterschiedliche Ergebnisse
Skelettmyoplasten bei einem Patienten nach Myokardinfarkt zeigten (Lunde et al. 2006; Janssens et al. 2006; Schächinger et al.
durchführte. In einer darauffolgenden größeren Studie fiel aller- 2006; 7 »Studienverzeichnis«). Die größte Studie ist die REPAIR-
dings auf, dass die Patienten nach Zelltherapie vermehrte kardiale AMI-Studie (7 »Studienverzeichnis«), in der über 200 Patienten
Arrhythmien hatten. Dieses Arrhythmiepotenzial der Skelett- doppelblind randomisiert nach akutem ST-Hebungs-Infarkt ent-
myoplasten beruht am ehesten darauf, dass keine vollständige weder eine Placeboinjektion oder eine intrakoronare Zellinjektion
Kopplung der Zellen mit dem Empfängermyokard eingegangen erhielten. Beim primären Endpunkt, der LVEF, zeigte sich nach
werden kann. Dennoch waren die funktionellen Ergebnisse 4 Monaten eine stärkere Verbesserung der therapierten Gruppe im
so vielversprechend, dass die multizentrische randomisierte Vergleich zur Kontrollgruppe (+6% gegenüber +3%). Eine ge-
MAGIC-Studie durchgeführt wurde. In diese Studie wurden Pa- nauere Analyse ergab, dass v. a. die Patienten mit einer LVEF<49%,
tienten nach Myokardinfarkt mit einer LVEF≥35% aufgenom- also mit größerem Myokardschaden, profitierten. Bei einer zusätz-
men, die sich einer aortokoronaren Bypassoperation unterziehen lichen Analyse der klinischen Endpunkte fand sich interessenter-
mussten. Sie wurden nach der Bypassoperation entweder mit weise, dass eine erneute Revaskularisation bei den Patienten, die
einer geringen (400×106), einer hohen Dosis Skelettmyoplasten mit Knochenmarkzellen behandelt worden waren, seltener auftrat
548 Kapitel 34 · Regenerative Therapieoptionen bei Herzerkrankungen

die Zahl der unbekannten Einflussgrößen bei der Therapie des


akuten Myokardinfarkts mit Knochenmarkzellen noch so hoch,
dass man sicherlich nicht von einem gesicherten und etablierten
Therapieverfahren sprechen kann. Die Weiterführung der kli-
nischen Studien scheint aber angesichts der großen Patientenzahl,
denen mit diesem neuen Therapieverfahren geholfen werden
könnte, und angesichts der bisher beobachteten ausgesprochen
geringen Komplikationsrate gerechtfertigt.
> Die Knochenmarkzelltherapie nach Myokardinfarkt ist weiterhin
ein experimentelles Verfahren, dessen Wirksamkeit bisher noch
nicht eindeutig nachgewiesen ist. Es ist jedoch so vielverspre-
chend, dass weitere klinische und prä- klinische Studien durch-
geführt werden sollten.

Bei der Diskussion einer Knochenmarkzelltherapie nach Myo-


kardinfarkt darf jedoch nicht vergessen werden, dass man ur-
sprünglich »auszog«, um abgestorbenes Herzmuskelgewebe zu
ersetzen. Dass dieses mit Knochenmarkzellen möglich wäre, lie-
ßen die Daten aus der Arbeitsgruppe von Piero Anversa vermu-
ten, die bei Mäusen eine Differenzierung von Knochenmarkzel-
len in Herzmuskelzellen beobachtet haben. Allerdings zeigte sich
. Abb. 34.1. Technik der intrakoronaren Zellinjektion nach Strauer et al. in daran anschließenden Untersuchungen anderer Arbeitsgrup-
(2001). Über einen »Over-the-wire«-Ballonkatheter wird die Zellsuspensi- pen, dass eine solche Differenzierung von Knochenmarkzellen,
on bei eröffnetem Ballon distal des Ballons in das Koronarsystem injiziert. wenn überhaupt, nur in sehr, sehr geringer Menge möglich ist. Zu
Die Gefäßokklusion wird für 3 min aufrechterhalten, danach wird der Bal- diesen Daten passen die Beobachtungen, dass der Verbleib von
lon abgelassen, und es kommt zur Reperfusion des Gefäßes. RCA »right Knochenmarkzellen nach Injektion in infarzierte Herzmus-
coronary artery«, RCX »right circumflex artery«, LAD »left anterior descen- kelareale nur sehr gering ist, sodass schon rein quantitativ ein
34 ding coronary artery« Zellersatz mit funktionellem Nutzen nicht möglich erscheint. In-
zwischen ist es weitläufige Meinung, dass die Verbesserung der
LV-Funktion nach einer Knochenmarkzelltherapie bei Myokard-
als bei den Kontrollpatienten. Entsprechend war die Gefahr des infarkt (sofern sie denn vorhanden ist) eher durch parakrine Ef-
Versterbens oder des erneuten Myokardinfarkts geringer bei den fekte der Zellen als durch einen Ersatz funktioneller Kardiomyo-
zelltherapierten Patienten (Schächinger et al. 2006; 7 »Studienver- zyten hervorgerufen wird.
zeichnis«). Im Gegensatz zu diesen vielversprechenden Ergebnissen Schließlich gibt es noch weitere Aspekte, die zu einer auf-
wurde die Myokardfunktion in den beiden anderen doppelblind merksam kritischen Betrachtung der bisherigen und zukünftigen
placebokontrollierten Studien nicht durch eine Zelltherapie ver- Studienergebnisse Anlass geben sollten. Wie bereits zuvor disku-
bessert. Einige Charakteristika der Studien sind in . Tab. 34.1 wie- tiert, ist es Strauer et al. mit der Entwicklung der Technik einer
dergegeben. Es gibt verschiedene Gründe, die diese diskrepanten intrakoronaren Knochenmarkzellinjektion gelungen, einen ein-
Ergebnisse erklären könnten. Beispielswiese könnten die Zahl der fachen und komplikationsarmen Applikationsweg zu definieren,
eingesetzten Zellen, die Art der Zellaufbereitung und der Zeit- der die breite Anwendung dieser Therapieform und die Durch-
punkt der Zellinjektion nach Infarkt eine Rolle spielen. Damit ist führung großer klinischer Studien überhaupt erst ermöglicht hat

. Tab. 34.1. Wichtige klinische Studien, die bisher zur Therapie des akuten Myokardinfarkts mit intrakoronarer Kncohenmarkzellinjektion durch-
geführt wurden, und Eckpunkte des Studiendesigns
Studien Zeit bis zur Reperfusion seit Zeit bis zur Zahl der injizierten Zellen Zahl der CD34-
Auftreten der Symptome Zellinjektion positiven Zellen
Stauer et al., Circulation 12±10 h (im Mittel) 5–9 Tage 6–7 Injektionen, 2–3 ml jeweils 0,6×106
2002 (n=10) 2,8±2,2×107 MNC
TOPCARE-AMI, Assmus et. 25±29 h (Median 15 h) 4,3±1,5 Tage 3 Injektionen, 3,3 ml jeweils 7,4×106
al Circulation 2002 (n=20) (104+48 h) 245±72×106 Zellen
BOOST, Wollert et al., Lan- 9,8 h (Median) 4,8±1,3 Tage 4–5 Injektionen, 2,4–4 min, 3 min Re- 9,5×106
cet 2004 (n=67) perf., jeweils 24,6±9,4×108 Zellen
Janssens et al., Lancet 3,7 h (Median) 1–2 Tage 3 Injektionen 3,3 ml, 172±72×106 MNC, 2,8×106
2006 (n=67) 3 min Infusion, 3 min Reperf.
ASTAMI, Lunde et al., 3,5 h (2–12 h) 6 Tage (Median) Intermittierende Balloninflation/ 0,7×106
NEJM 2006 (n=100) 68×106 Zellen (Median)
REPAIR-AMI, Schächinger 4,5 h (Median; im Mittel 4,3±1,3 Tage 3 Injektionen mit 3,3 ml jeweils, 3,6×106
et al., NEJM 2006 (n=204) 7,5±8,0) (Median 4,0) 236±176×106 Zellen (Median: 198×106)
34.1 · Zelltherapie
549 34

(Strauer et al. 2001; 7 »Studienverzeichnis«). Dieses geschah zu bar sind (z. B. finden sich nicht alle Knochenmarkzellen im peri-
einem Zeitpunkt, als nahezu alle tierexperimentellen Studien pheren Blut, ebenso könnte die Bolusgabe der Zellen mit kurz-
noch mit einer intramyokardialen Injektionstechnik gearbeitet zeitig sehr hoher Zellkonzentration oder der intermittierende
haben. Entsprechend wurden bis heute wahrscheinlich deutlich Ballonverschluss des Gefäßes bei der Zellapplikation eine beson-
mehr Patienten als Tiere mit einer intrakoronaren Knochen- dere Bedeutung für den Therapierfolg haben …).
markzellinjektion behandelt, sodass die Daten zum therapeu- Einerseits ist es möglich, dass es zur Standardtherapie nach
tischen Nutzen dieser Applikationsform ausschließlich aus Pati- Myokardinfarkt gehören wird, andererseits ist nicht auszuschlie-
entenstudien (mit einer ja zwangsläufig immer eher heterogenen ßen, dass in weiteren Studien die Wirkungslosigkeit dieser The-
Population) stammen. Darüberhinaus ist in Großtierstudien (am rapie belegt wird, und diese innovative Therapieoption ebenso
Schwein) recht eindeutig belegt worden, dass die intrakoronare verworfen werden muss wie vor einigen Jahren die intramyokar-
Applikation der Knochenmarkzellen im Hinblick auf den Zell- diale Laserrevaskularisation.
verbleib weniger effektiv ist als die intramyokardiale Injektion
> Eine Zelltherapie zur Myokardregeneration sollte nur im Rah-
(Tossias et al. 2008). Und schließlich stellt sich die Frage, ob eine
men klinischer Studien durchgeführt werden.
intrakoronare Injektion unreifer Knochenmarkzellen überhaupt
Sinn macht, wenn wir doch wissen, dass unreife Progenitorzellen
(wenn auch in deutlich geringerer Zahl) auch im peripheren Blut
des Menschen zirkulieren. Zum Beispiel lässt sich mit einigen 34.1.2 Experimentelle Daten zur Zellersatztherapie
Annahmen für die hämatopoetischen CD34-positiven Zellen er- mit multipotenten Zellen
rechnen, in welcher Zeit bei wiederhergestelltem Koronarfluss
genauso viele Vorläuferzellen zum Infarktareal transportiert wer- Die eigentliche Intention der kardialen Zelltherapie ist es, unter-
den, wie in den klinischen Studien injiziert werden. Bei einem gegangenes Herzmuskelgewebe durch das Einbringen neuer kont-
angenommenen koronaren Blutfluss von 100 ml/min für eines raktiler Zellen zu ersetzen. Diesem Auftrag können Zellen aus
der drei großen Hauptgefäße LAD, RCX und RCA und bei 0,05% dem Knochenmark wahrscheinlich nicht gerecht werden (7 Ab-
CD34-positiven Zellen im peripheren Blut (mit 10.000 Leuko- schn. 34.1.1). Grundsätzlich scheint ein solcher regenerativer
zyten/μl) ergibt sich ein »Angebot« CD34-positiver Zellen im Therapieansatz jedoch möglich. So konnten z. B. neonatale Herz-
Areal eines großen Herzkranzgefäßes von 0,5×106 Zellen/min muskelzellen, die zu einer Verbesserung der LV-Funktion beitra-
oder 30×106/h. Das heißt, innerhalb einer Stunde fließen zwi- gen, nach Injektion in infarzierte Rattenherzen auch noch nach
schen 3- und 60-mal so viele CD34-positiven Zellen durch das 6 Monaten als Gewebsinsel nachgewiesen werden (Müller-Ehm-
wiedereröffnete Koronargefäß, wie bei der intrakoronaren Appli- sen et al. 2002). Auch eine elektrische Kopplung unreifer Herz-
kation injiziert werden (. Tab. 34.1). Die Frage, warum es unter muskelzellen an das Empfängermyokard ist möglich (Rubart et
diesen Umständen noch erforderlich sein sollte, die Zellen aus al. 2003); dies gilt allerdings nur, wenn die Zellen in die Randge-
dem Knochenmark zu entnehmen und bei einer erneuten Inter- biete des Infarkts nahe den überlebenden Empfängerkardiomyo-
vention in das Koronargefäß zu injizieren, muss erlaubt sein, auch zyten injiziert werden (Halbach et al. 2007; . Abb. 34.2).
wenn bei dieser Berechnung natürlich einige vereinfachte An- Dieses therapeutische Potenzial fetaler oder neonataler Herz-
nahmen gemacht wurden, die so in der Summe wohl nicht halt- muskelzellen, die aus verständlichen Gründen nicht für eine The-

c d e

. Abb. 34.2a–e. Elektrische Kopplung transplantierter embryonaler den Empfängerzelle (Rec. 1) und in einer Spenderzelle (Rec. 2). c Nach-
Kardiomyozyten (markiert durch hell fluoreszierendes Protein). a Leben- weis der elektrischen Impulsübertragung bei 2 Hz auf die gesunde Emp-
der, kontrahierender Gewebeschnitt eines Mausherzen. b Lokalisation fängerzelle. d Nachweise der elektrischen Impulsübertragung bei 2 Hz
der Stimulationselektrode und einer Aufnahmeelektrode in einer gesun- auf eine Spenderzelle. e Wie Teilabb. 34.2d bei 10 Hz
550 Kapitel 34 · Regenerative Therapieoptionen bei Herzerkrankungen

rapie beim Menschen zur Verfügung stehen, lässt sich im Grund- > Grundsätzlich bestehen beim Tissue engineering von Myokard-
satz auf Kardiomyozyten übertragen, die aus embryonalen gewebe die gleichen Probleme wie bei dem Bestreben Herz-
Stammzellen gewonnen wurden (Kolossov et al. 2006). Abgese- muskelgewebe durch eine Zellersatztherapie zu regenerieren.
hen von allen ethischen Diskussionen hat jedoch auch dieser
Zelltyp einige Nachteile, wie z. B. den relativ großen Aufwand zur Bei beiden Verfahren wird ein Zelltyp benötigt, der ethisch ver-
Gewinnung dieser Zellen oder ihre stärkere Empfindlichkeit im tretbar gewonnen werden kann und der in der Lage ist zu Herz-
Vergleich zu fetalen oder neonatalen Kardiomyozyten, sodass muskelzellen zu differenzieren. Während embryonale Stammzel-
sie nach Zelltransfer in deutlich geringerer Zahl überleben. Da- len zwar den biologischen Anforderungen genügen, aber die
rüberhinaus können Kardiomyozyten aus embryonalen Stamm- Probleme der heterologen Herkunft (Abstoßung) und der
zellen zu einer Tumorentwicklung im Herzen führen, die vorwie- ethischen Umstrittenheit haben, kommen nach heutigem Wis-
gend auf eine Verunreinigung durch undifferenzierte embryonale sensstand dafür nur die neuen induzierten pluripotenten Stamm-
Stammzellen zurückzuführen ist (Kolossov et al. 2006). Schließ- zellen in Betracht.
lich besteht das Problem des heterologen Ursprungs, d. h., die
Zellen würden ohne Immunsuppression rasch vom Immunsys-
tem des Empfängers abgestoßen. 34.2.2 Herzklappen und Gefäße
Abhilfe in diesem letzten Punkt kann nur das ethisch noch
umstrittenere therapeutische Klonen, das 10 Jahre nach dem Weiter fortgeschritten als das Tissue engineering des ganzen Her-
Schaf Dolly nun auch bei menschlichen Zellen erfolgreich durch- zens oder des Myokards sind die Bestrebungen Herzklappen oder
geführt wurde (French et al. 2008) oder ein erst kürzlich entdeck- Gefäße zu rekonstruieren (Teebken et al. 2005). Häufig bildet
ter und entwickelter Zelltyp (induzierte pluripotente Stammzel- auch hier eine vom Menschen oder einem großen Tier stammen-
len, iPS) bringen. Diese Zellen können durch genetische Manipu- de dezellularisierte Matrix die Grundlage für die Gewebserzeu-
lation aus unterschiedlichen adulten somatischen Zellen z. B. gung. Diese müssen dann in Kultur oder in vivo mit autologen
Haut- oder Bindegewebszellen gewonnen werden (Takahashi u. Zellen (Fibroblasten, Endothelzellen, glatten Gefäßmuskelzellen)
Yamanaka 2006) und haben ein ähnliches pluripotentes Differen- des Gewebsempfängers wieder besiedelt werden, um 1. eine
zierungspotenzial wie embryonale Stammzellen. Im Gegensatz große Stabilität, 2. eine große Durabilität und 3. eine geringe
zu diesen sind sie jedoch auch beim Menschen ethisch unbe- Thrombogenität zu erreichen (Teebken et al. 2005). Immerhin
denklich zu gewinnen und können so zur Zelltherapie in einem gibt es bei den Herzklappen und hier besonders in der mecha-
34 autologen System, d. h. ohne Immunsuppression, verwendet nisch weniger beanspruchten Pulmonalklappenposition bereits
werden. Das entscheidende Problem bei diesem Zelltyp liegt bis- schon einige gute Erfahrungen mit Gewebe, das durch Tissue
her noch in der zwar definierten, aber gravierenden genetischen engineering erzeugt wurde (Dohmen et al. 2007), sodass in Zu-
Manipulation der Zellen, die fürchten lässt, dass diese in vivo kunft auch auf diesem Sektor weitere deutliche Fortschritte zu
auch ein Potenzial zur Tumorbildung in sich bergen könnte. erwarten sind.

34.2 »Tissue engineering« Zusammenfassung

34.2.1 Myokard Insgesamt gibt es also zahlreiche Ansätze, mit denen eine Myo-
kardregeneration durch Zelltransfer oder durch Tissue enginee-
Ein weiterer Ansatz zur Regeneration von Herzmuskelgewebe ist ring gelingen könnte. Bei der Therapie des Myokardinfarkts ist
das »tissue engineering«. Statt wie bei der Zelltherapie isolierte die intrakoronare Injektion von Knochenmarkzellen klinisch am
Zellen in Suspension in das betroffene Areal zu injizieren, wird besten untersucht. Jedoch ist das Potenzial dieser Zellen zur Kar-
beim Tissue engineering zunächst in vitro ein multizelluläres Ge- diomyozytendifferenzierung eingeschränkt. Hier gilt es nun in
webe hergestellt, das dann als »patch« oder Gewebsflicken zur großen multizentrischen randomisierten Endpunktstudien zu
Unterstützung des geschädigten Muskels eingesetzt werden kann. ermitteln, ob eine Injektion von Knochenmarkzellen tatsächlich
Erste tierexperimentelle Ergebnisse zeigten, dass solche Gewebs- einen therapeutischen Nutzen für Patienten nach Myokardin-
flicken zu einer Verbesserung der Myokardfunktion nach Infarkt farkt haben kann. Der Ersatz von Herzmuskelgewebe mit Zellen,
beitragen können (Zimmermann et al. 2006). Jedoch bereitet die die definitiv zur Herzmuskeln differenzieren können, ist dage-
Befestigung der gezüchteten Gewebsstücke Probleme, sodass sich gen noch weit von jeder klinischen Anwendung entfernt. Hier
hier im direkten Vergleich noch zeigen muss, ob die Injektion der muss in Grundlagenuntersuchungen ermittelt werden, wie eine
isolierten Zellen oder die vorherige Bildung eines Gewebever- große Zahl differenzierter Zellen gewonnen werden kann, wie
bandes vorteilhafter ist. Interessant ist auch der 2008 publizierte möglichst autologe Zellen gewonnen werden können und wie
Ansatz, aus isolierten Herzmuskelzellen ein ganzes Herz zu re- diese in das Myokard eingebracht werden müssen, um einen
konstruieren. Ansatzweise ist dies der Arbeitsgruppe von Doris tatsächlichen funktionellen Beitrag zur Kontraktilität leisten zu
Taylor gelungen: Nach Dezellularisierung eines Rattenherzens können. Ebenso muss insbesondere bei den undifferenzierten
wurden neue (neonatale) Herzmuskelzellen in der verbliebenen embryonalen Stammzellen eine unkontrollierte Proliferation
Extrazellulärmatrix angesiedelt, die sogar zu einer (wenn auch verhindert werden, die die Gefahr einer Tumorbildung bergen
geringen) Kontraktion des Herzens führten (Ott et al. 2008). Der würde. Wie in anderen Bereichen der regenerativen Medizin ist
Weg von hier aus zu einem vollständigen Organ aus der Retorte auch in der kardialen Zelltherapie und des Tissue engineering in
ist jedoch noch sehr weit, und es bleibt fraglich, ob er überhaupt den nächsten Jahren mit großen Fortschritten zu rechnen. Es
eines Tages Realität werden kann. muss sich jedoch noch zeigen, welcher Zelltyp für die Therapie
nach Myokardinfarkt am besten geeignet ist, und wie und wann
Literatur
551 34

diese Zellen in das Myokard appliziert werden müssen, um einen Müller-Ehmsen J, Peterson KL, Kedes L et al. (2002) Rebuilding a damaged
langfristigen therapeutischen Nutzen für die Patienten zu er- heart: long-term survival of transplanted neonatal rat cardiomyocytes
bringen. after myocardial infarction and effect on cardiac function. Circulation
105: 1720–1726
Ott HC, Matthiesen TS, Goh SK et al. (2008) Perfusion-decellularized matrix:
Literatur using nature’s platform to engineer a bioartificial heart. Nat Med 14:
213–221
Dohmen PM, Lembcke A, Holinski S et al. (2007) Mid-term clinical results Takahashi K, Yamanaka S (2006) Induction of pluripotent stem cells from
using a tissue-engineered pulmonary valve to reconstruct the right mouse embryonic and adult fibroblast cultures by defined factors.
ventricular outflow tract during the Ross procedure. Ann Thorac Surg Cell 126: 663–676
84: 729–736 Teebken OE, Wilhelmi M, Haverich A (2005) Tissue engineering for heart
Halbach M, Pfannkuche K, Pillekamp F et al. (2007) Electrophysiological valves and vascular grafts. Chirurg 76: 453–466
maturation and integration of murine fetal cardiomyocytes after Tossios P, Krausgrill B, Schmidt M et al. (2008) Role of balloon occlusion for
transplantation. Circ Res 101: 484–492 mononuclear bone marrow cell deposition after intracoronary injec-
Kolossov E, Bostani T, Roell W et al. (2006) Engraftment of engineered ES tion in pigs with reperfused myocardial infarction. Eur Heart J 29
cell-derived cardiomyocytes but not BM cells restores contractile Zimmermann WH, Melnychenko I, Wasmeier G et al. (2006) Engineered
function to the infarcted myocardium. J Exp Med 203: 2315–2327 heart tissue grafts improve systolic and diastolic function in infarcted
rat hearts. Nat Med 12: 452–458
553

Zeittafel zur Geschichte der Kardiologie


1543 A. Vesal: De corporis humani fabrica 1933 S. Dietrich und M. Schwiegk: Das EKG bei der Angina pectoris
1628 W. Harvey: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis 1934 H. Goldblatt: Experimenteller Drosselungshochdruck
in animalibus G. Domagk: Sulfonamidbehandlung bakterieller Infektionen
1752 A. v. Haller begründet die experimentelle physiologische 1935 P. S. Hensch und E. C. Kendall isolieren Kortison aus der Ne-
Forschung bennierenrinde
1761 G. B. Morgagni: De sedibus et causis morborum 1938 R. E. Gross und J. P. Hubbard: Erste erfolgreiche Durchtren-
1768 W. Heberden: Klassische Beschreibung der Angina pectoris nung eines Ductus arteriosus apertus Botalli
1785 W. Witzhering: Klinische Wirkung der Digitalis purpurea 1941 A. Fleming: Einführung von Penicillin in die Therapie
1791 L. Galvani: De viribus electricitatis in motu mosculari commen- A. Cournand: Klinische Anwendung der Rechtsherzkatheteri-
tarius sierung
1822 L. Oken gründet die Versammlung deutscher Naturforscher 1943 T. Avery: Das genetische Material von Zellen ist DNA
und Ärzte 1944 A. Weber: Herzschallregistrierung
1843 E. du Bois-Reymont: Messung des Verletzungsstroms am 1947 C. S. Beck: Elektrische Defibrillation des menschlichen Her-
Skelettmuskel mittels Galvanometer zens
1852 R. Virchow: Zellularpathologie R. J. Bing: Sondierung des Sinus coronarius zur Erforschung
1867 T. L. Brunton: Erste Anwendung von Nitrit (Amylnitrit) bei des myokardialen Substratstoffwechsels
Angina pectoris 1948 R. P. Ahlquist: Hypothese von α- und β-Rezeptoren des
1870 A. Fick: Berechnung des Herzminutenvolumens aus O2-Ver- adrenergen Systems
brauch und arteriovenöser O2-Differenz 1949 W. B. Schwartz: Einführung von Acetazolamid als Diuretikum
1871 H. P. Bowditch: Entdeckung der positiven Kraft-Frequenz- 1950 C. B. Deming und J. A. Luetscher: Sodium retaining factor
Beziehung der Herzmuskulatur (Aldosteron) bei generalisierten Ödemzuständen
1877 A. D. Waller: Erste Registrierung einer Herzstromkurve W. D. Keidel: Erste Anwendung von Ultraschall zur Unter-
am Menschen suchung des Herzens
1890 E. von Behring und S. Kitasato: Bindungsreaktion zwischen 1952 P. M. Zoll: Externe Elektrostimulation beim Herzstillstand
Diphtherietoxin und spezifischem Antikörper C. Hufnagel: Erste Kugelprothese (intraaortal) bei Aorten-
1895 W. C. Röntgen: »Über eine neue Art von Strahlen« insuffizienz
O. Frank: Druck-Volumen-Diagramm des Herzens 1953 J. H. Gibbon: Erster Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine bei
1897 G. N. Stewart: Bestimmung der Kreislaufzeiten der Operation eines Vorhofseptumdefekts
1898 R. Tigerstedt und P. C. Bergmann: Isolierung des Enzyms Re- O. H. Gaver und J. P. Henry: Volumenregulation des Kreislaufs
nin aus normalen Kaninchennieren. Bedeutung der Niere für J. D. Watson und F. H. C. Crick: Doppelhelixstruktur der DNA
die Blutdruckregulation 1957 C. M. Kagawa: Aldosteronantagonisten
1903 W. Einthoven: Saitengalvanometer R. Brock: Erste klinische Beschreibung der hypertrophischen
1906 F. Volhard postuliert die humorale Pathogenese des renalen und obstruktiven Kardiomyopathie
Hochdrucks F. C. Novello und J. M. Sprague führen Chlorothiazid als erstes
A. Fraenkel führt die intravenöse Strophanthintherapie ein Diuretikum der Benzothiadiazingruppe ein
1908 E. H. Starling: »The law of the heart« 1959 E. W. Sutherland: Zyklisches AMP als »second messenger«
1914 K. F. Wenckebach: »Die unregelmäßige Herztätigkeit«; therapeu- von Hormonwirkungen
tische Anwendung von Chinin bei der Arrhythmia perpetua M. Prinzmetal: Variante Form der Angina pectoris
1916 W. Howell entdeckt das Heparin A. L. Hodgkin und P. Horowicz: Einfluss von Natrium- und
1918 V. Schmieden: Extrapleurale Perikardektomie Kaliumionen auf das Membranpotenzial der Muskelzelle
1919 P. Saxi und R. Heilig: Einführung von Merbaphen (Novasurol) R. Elmquist und A. Senning: Implantation eines internen
als erstes synthetisches Quecksilberdiuretikum künstlichen Herzschrittmachers
1923 J. A. Sicard und G. Forestier: Kontrastmitteldarstellung des W. B. Kouwenhoven: Externe Herzmassage
rechten Herzens und der Lungengefäße am Menschen 1960 A. Starr: Erste kommerziell verfügbare Käfigkugelprothese
1925 H. Souttar: Erste digitale Mitralklappensprengung bei Mitralvitien
1926 D. D. van Slyke: Säure-Basen-Gleichgewicht S. Bergström: Prostaglandine
V. Schmieden und H. Fischer: Perikardektomie 1961 F. Jacob und J. Monod: Entdeckung der Messenger-RNA
1928 J. Barcroft: O2-Aufnahme durch die Lunge als Diffusions- 1962 F. M. Stones: Koronarangiographie
vorgang S. Sakakibara und S. Konno: Endokavitäre Myokardbiopsie
E. Wollheim: Bestimmung der zirkulierenden Blutmenge M. Nirenberg, J. Matthaei und S. Ochoa: Beschreibung des
(Trypanrot) genetischen Codes
Erste Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kreislauf- 1964 J. Black: Synthese des ersten β-Rezeptorenblockers (Propanolol)
forschung in Köln (Vorsitz: Geheimrat Prof. Dr. H. E. Hering) C. T. Dotter: Perkutane transluminale Angioplastie
1929 W. Forssmann: Erste Katheterisierung des Herzens im Selbst- 1965 J. C. Skou: Hemmung der Na+/K+-aktivierbaren Membran-AT-
versuch Pase durch Herzglykoside
1930 L. Wolff, J. Parkinson und P. D. White: WPW-Syndrom 1966 Framingham-5tudie zur Erfassung koronarer Risikofaktoren
Bestimmung des Herzminutenvolumens nach dem Fick-Prinzip R. Zak: Myokardiale Ribosomen sind an Proteinsynthese beteiligt
554 Zeittafel zur Geschichte der Kardiologie

1967 C. Barnard: Erste erfolgreiche Herztransplantation beim 1987 CONSENSUS-Studie: ACE-Hemmer bei chronischer Herz-
Menschen insuffizienz
1968 A. Fleckenstein: Kalziumantagonisten 1991 R. A. Schatz und J. C. Palmaz: Erfolgreiche Therapie von
R. G. Favalaro: Aortokoronarer Bypass Koronarstenosen durch intrakoronare Stents
1969 B. J. Scherlag: His-Bündel-Elektrographie 1992 The SOLVD-Investigators: Therapie der linksventrikulären
1970 T. W. Smith: Radioimmunoassay zur Bestimmung von therapeu- Dysfunktion mit ACE-Hemmern
tischen und toxischen Glykosidkonzentrationen im Serum 1993 The AIRE-Investigators: Therapie der Herzinsuffizienz im
1971 W. G. Mangel: Bestimmung der Sinusknotenerholungszeit Rahmen des akuten Myokardinfarkts durch ACE-Hemmer
1972 H. J. Wellens: Diagnostische programmierte Ventrikel- 1994 The Scandinavian Simvastatin Survival Study (4-S-Studie):
stimulation Verbesserte Prognose durch Cholesterinsenkung bei Patien-
1973 J. L. Goldstein und M. S. Brown: LDL-Rezeptordefekt von ten mit koronarer Herzerkrankung
LeberzeIlen bei familiärer Hypercholesterinämie 1995 WOS-Studie: Nachweis der Primärprävention der koronaren
1974 J. M. Griffith und W. S. Henry: Schnittbildechokardiographie Herzkrankheit mit Pravastatin
1975 C. Milstein und G. Köhler: Entdeckung des Prinzips der U. Gleichmann, U. Sigwart und H. Kuhn: Interventionelle
Produktion von monoklonalen Antikörpern Septumablation bei der hypertrophen obstruktiven
1977 A. Grüntzig: Koronare Angioplastie Kardiomyopathie
1978 H. A. Dewar: Intrakoronare Thrombolyse 1997 Digitalisstudie: Herzglykoside verbessern zwar nicht die
1980 R. Furchgott: Entdeckung von EDRF/NO Prognose, verhindern aber 20% der Krankenhauseinweisun-
1981 A. de Bold und W. Forssmann: Nachweis von ANF gen bei herzinsuffizienten Patienten
R. Reitz: Erste erfolgreiche Herz-Lungen-Transplantation 1999 CIBIS-II-Studie: β-Rezeptorenblocker vermindern die Letalität
beim Menschen herzinsuffizienter Patienten um >30%
M. Mirowski: Implantierter automatischer Kardioverter 2005 Kardiale Resynchronisationstherapie bei Herzinsuffizienz
1982 J. J. Gallagher: His-Bündel-Ablation (Kathetertechnik) reduziert die Letalität um absolute 10% (relative 36%)
1986 J. B. Simpson: Perkutane Atherektomie
A. Cribier: Perkutane transluminale Valvuloplastie
N. E. Bowles, P. J. Richardson, E. G. J. Olsen, L. C. Archard:
Nachweis von Coxsackie-B-spezifischen RNA-Sequenzen bei
Myokarditis und dilatativer Kardiomyopathie
555

Umrechnungstabelle zwischen SI-Einheiten


und konventionellen Einheiten der am häufigsten
verwendeten Laborparameter
Analyt SI-Einheit Umrechnungsfaktor konventionelle Einheit

→ konventionell SI ←

Klinisch-chemische Parameter

Albumin g/l 0,100 10 g/dl

Ammoniak μmol/l 1,704 0,587 μg/dl

Bilirubin μmol/l 0,058 17,1 mg/dl

Calcium mmol/l 4,000 0,25 mg/dl

Chlorid mmol/l 3,546 0,282 mg/dl

Cholesterin mmol/l 38,462 0,026 mg/dl

Eisen μmol/l 5,587 0,179 μg/dl

Eiweiß g/l 0,100 10 g/dl

Glucose mmol/l 17,857 0,056 mg/dl

Harnsäure μmol/l 0,017 59,5 mg/dl

Harnstoff mmol/l 5,988 0,167 mg/dl

Harnstoff-N (BUN) mmol/l 2,808 0,3561 mg/dl

Kalium mmol/l 3,906 0,256 mg/dl

Kreatinin μmol/l 0,011 88,4 mg/dl

Kupfer μmol/l 6,369 0,157 mg/dl

Lactat mmol/l 9,009 0,111 mg/dl

Magnesium mmol/l 2,433 0,411 mg/dl

Natrium mmol/l 2,299 0,435 mg/dl

Phosphat, anorg. mmol/l 3,096 0,323 mg/dl

Transferrin g/l 100 0,01 mg/dl

Triglyceride mmol/l 90,909 0,011 mg/dl

Zink mmol/l 6,536 0,153 μg/dl

Hormone

17-β-Östradiol (E2) pmol/l 0,272 3,67 pg/ml

ACTH pmol/l 4,545 0,220 pg/ml

Aldosteron pmol/l 0,036 27,74 ng/dl


556 Umrechnungstabelle zwischen SI-Einheiten und konventionellen Einheiten

Analyt SI-Einheit Umrechnungsfaktor konventionelle Einheit

→ konventionell SI ←

Cortisol nmol/l 0,036 27,6 μg/dl

Insulin pmol/l 0,139 7,175 μU/ml

Progesteron nmol/l 0,314 3,18 ng/ml

Prolaktin ng/ml 21,3 0,047 μU/ml

Serotonin μmol/l 176,0 0,00568 ng/ml

Testosteron nmol/l 0,288 3,47 ng/ml

Thyroxin (freies) pmol/l 0,078 12,87 ng/dl

Trijodthyronin (freies) pmol/l 0,651 1,536 pg/ml

Vitamine

Vitamin A μmol/l 28,6 0,035 μg/dl

Vitamin E μmol/l 0,431 2,321 mg/l

Vitamin B12 pmol/l 1,355 0,738 ng/l

Folat nmol/l 0,441 2,27 μg/l

1,25-(OH)2-Vitamin D3 pmol/l 0,417 2,40 pg/ml

25-OH-Vitamin D3 nmol/l 0,400 2,496 ng/ml

Alkohol, Pharmaka

Carbamacepin μmol/l 0,236 4,23 μg/ml

Chinidin μmol/l 0,325 3,08 μg/ml

Digitoxin nmol/l 0,763 1,31 ng/ml

Digoxin nmol/l 0,781 1,28 ng/ml

Ethanol mmol/l 46,083 0,0217 μg/ml

Ethosuximid μmol/l 0,141 7,08 μg/ml

Gentamicin μmol/l 0,478 2,09 μg/ml

Lithium mmol/l 1,000 1 mval/l

Netilmicin μmol/l 0,476 2,10 μg/ml

Phenobarbital μmol/l 0,232 4,31 μg/ml

Phenytoin μmol/l 0,253 3,96 μg/ml

Primidon μmol/l 0,218 4,58 μg/ml

Theophyllin μmol/l 0,180 5,55 μg/ml

Tobramycin μmol/l 0,467 2,14 μg/ml


557
Umrechnungstabelle zwischen SI-Einheiten und konventionellen Einheiten

Analyt SI-Einheit Umrechnungsfaktor konventionelle Einheit

→ konventionell SI ←

Valproinsäure μmol/l 0,144 6,93 μg/ml

Vancomycin μmol/l 1,449 0,690 μg/ml

Hämatologie

Erythrozyten × 1012/l(T/l) 1 1 ×106/mm3

Hämoglobin mmol/l 1,611 0,6207 g/dl

Leukozyten × 109/l(G/l) 1 1 ×103/mm3

Thrombozyten × 109/l(G/l) 1 1 ×103/mm3

Retikulozyten % 10,000 0,1 %

MCH fmol 1,611 0,6207 pg

MCV fl 1 1 μm3

Urinparameter (Stoffmenge pro Sammelzeit)

Adrenalin nmol 0,182 5,482 μg

Cortisol nmol 0,362 2,759 μg

δ-Aminolävulinsäure (ALA) μmol 0,131 7,626 mg

Glucose mmol 0,180 5,551 g

Harnstoff mmol 0,060 16,65 g

5-Hydroxyindolessigsäure μmol 0,191 5,23 mg

Kalium mmol 1000 1 mval

Kreatinin mmol 0,113 8,8 g

Natrium mmol 1 1 mval

Noradrenalin nmol 0,169 5,919 μg

Phosphat, anorg. mmol 30,960 0,0323 mg

Porphobilinogen (PBG) μmol 0,226 4,42 mg

T Tera, G Giga
559 A

Sachverzeichnis

A – Fahrtüchtigkeit 83
– HOCM 109
– Hypertonie 459
– koronare Herzkrankheit 458
– Indikationen 108 – Leistungsfähigkeit 453
AAI-Schrittmacher 81 – Komplikationen 83 – morphologische Veränderungen 454
Abstoßungsreaktion – Long-QT 110 – Risikofaktor 11
– Abstoßungsdiagnostik 506 – nach Myokardinfarkt 66,109 – Risikofaktorenkontrolle 461
– Abstoßungsrisiko 507 – Myokarditis 358 Alternativmedizin 545
– Abstoßungstherapie 508 – perioperativ 468 Alternans, elektrischer 364
– hyperakute 508 – Sport 533 Amaurosis fugax 339
Abszesse, endokarditische 348 – Therapiezonen 83 Ambulante 24-h-Messung 244
ACE, Angiotensin-Converting Enzym 130 – Vorhofflimmern 78 Aminoglykoside, Endokarditis 347
ACE-Hemmer Ajmalin-Test, Brugada 106 Amlodipin 33
– Aortenklappeninsuffizienz 416 Akromegalie Amplatzer-Okkluder 379, 382
– Aortenklappenstenose 412 – Hypertonie 243 Amyloidose 315
– Herzinsuffizienz – Kardiomyopathie 319, 489 – Ätiologie 315
– – chronische 148 – Symptome 319 – Definition 315
– – diastolische 166 – Therapie 319 – Diagnostik 315
– – systolische 165 Aktin 126 – Herzinsuffizienz 134, 140, 145
– Hypertonus 249 – Mutationen 308 – Orthostase 257
– koronare Herzkrankheit 34 Aktionspotenzial, Entstehung 73 – Therapie 315
– Mitralklappeninsuffizienz 404 Akupunktur 545 Anaphylaxie 7 Schock
– Myokarditis 359 Albumin, Schocktherapie 205 Aneurysmaresektion 171
– Myokardinfarkt 62 Aldosteron 155, 156 Angina pectoris 19
– Postinfarkttherapie 108 Aldosteronantagonisten – Aortenklappenstenose 409
– Schwangerschaft 446 – akutes Koronarsyndrom 62 – Canadian Cardiovascular Society (CCS) 19
– Syndrom X 485 – Dosierung 156 – Differenzialdiagnose 21
Acetylcholinrezeptor, Myasthenia gravis – Herzinsuffizienz, chronische 153 – instabile 19
495 – Indikationen 156 – – Nicht-ST-Hebungsinfarkt 48
Acorn-Verfahren 171 – Nebenwirkung 157 – – prästationäre Therapiemassnahme 48
ACS (7 Koronarsyndrom, akutes) 36, 43 – Postinfarkt 109 – – Therapie 48
ACVB 7 Bypass-Operation – Rhythmusstörungen 108 – – stationäre Therapiemassnahme 49
Adam-Stokes-Anfall 88 – Schwangerschaft 446 – stabile 19
Addison-Krise 183 – Wirkmechanismus 153 – Therapie 31
ADH 7 antidiuretisches Hormon Alkoholabstinenz 10 Angiodysplasie 410
Adhäsionsmoleküle, Plaques 16 Alkohol Angiom, kardiales 434
Adipositas 8, 30 – Alkoholismus 322 angioneurotisches Ödem 150,158
– Epidemiologie 7 – Arrhythmien 322 Angioplastie 7 perkutane transluminale
– Pharmakotherapie 8 – Bluthochdruck 322 Koronarangioplastie
– Therapie 7 – Epidemiologie 9 Angiosarkom, kardiales 434
Adrenalin – Gewicht 30 Angiotensin 131
– akute Herzinsuffizienz 118 – Herzinsuffizienz 147 – Angiotensin I 130
– chronische Herzinsuffizienz 129 – Hypertriglyceridämie 8 – Angiotensin II 130, 157
– Reanimation 202 – kardiovaskuläres Risiko 247 – Angiotensin III 130
Adrenorezeptoren, Grundlagen – koronare Herzkrankheit 29 – Angiotensin Converting Enzym 130
– α1-Adrenozeptoren 126 – Therapie 9 – Angiotensinase 130
– β1-Adrenozeptoren 126 Alltagsbelastungen 521 – Angiotensinogen 130
– β2-Adrenozeptoren 126 Alpharezeptorenblocker (α-Adrenozeptor- – AT1-Rezeptor 131
– β3-Adrenozeptoren 126 antagonisten) – AT2-Rezeptor 131
α-Adrenozeptorantagonisten 7 Alpha- – Herzinsuffizienz 163 Anorexia nervosa 490
rezeptorenblocker – Hypertonie 250 ANP (atriales natriuretisches Peptid)
Agatston-Kalk-Score 24 Alter 453 7 Peptide
α2-Agonist, Herzinsuffizienz 163 – akutes Koronarsyndrom 458 – Herzinsuffizienz 138
Agoraphobie 486 – Alterung 453 – Schock 196
AICD 109, 169 468 – Aortenstenose, senile 459 – Transplantation 501
– Arrhythmieterminierung 83 – Arrhythmien 458 Anthrazykline 321
– Brugada 110 – Herzinsuffizienz 460, 461 Anti-DNAse-B-Test 330
– Detektion 83 – Herzklappenerkrankung 459 Anti-Streptolysin-O-Test 330
560 Sachverzeichnis

Antiarrhythmika 77 Arrhythmien 7 Herzrhythmusstörungen – Symptomatik 88


– Herzinsuffizienz 164 Arsen 491 – Synkope 269
– Klassifizierung 77 arterielle Hypertonie 7 Hypertonie – Therapie 89
– ventrikuläre Tachykardie 108 Arthritis, rheumatische 329, 335, 337, 395 AV-Block I. Grades 88
antidiuretisches Hormon (ADH, Vasopressin) Arthralgie 328, 436, 490, 492 AV-Block II. Grades Typ I (Wenckebach) 88
– Herzinsuffizienz 132 ARVCM 7 Kardiomyopathie, arrhythmogene AV-Block II. Grades Typ II (Mobitz) 88
– kardiales Ödem 137 rechtsventrikuläre AV-Block III. Grades 88
– Reanimation 202 Aschoff-Knoten 329 AV-Grube 365
– Schock 210 Aspergillus, Endokarditis 304, 509 AV-junktionale Tachykardie 96
Antidepressiva, trizyklische 491 Aspergillose, kardiale 492 AV-Knoten 73
antidrome Leitung 96 ASD I (7 Vorhofseptumdefekt) 377 AV-(Knoten-)Reentrytachykardie (AVNRT)
Antikoagulation (7 auch INR) 163 ASD II (7 Vorhofseptumdefekt) 377 80, 94
– Herzinsuffizienz 163 Asthma cardiale 113, 137, 142 – antidrome 97
– intrakavitäre Thromben 163 Aszites 138, 490 – Diagnostik 95, 97
– Lungenembolie 284 AT1-Rezeptor 131 – Epidemiologie 94, 96
– PTCA 50 AT2-Rezeptor 131 – Fast-slow-Form 94
– Vorhofflimmern 163 AT1-Rezeptor-Antagonisten – orthodrome 97
Antiphospholipidsyndrom 336 – akutes Koronarsyndrom 62 – Pathophysiologie 94, 96
Aortenaneurysma, dissezierendes 425 – Herzinsuffizienz – Slow-fast-Form 94
– Ätiologie 425 – – diastolische 166 – Slow-slow-Form 94
– Klassifikation 425 – – systolische 157 – Symptomatik 94, 97
– Pathogenese 425 – Hypertonie 249 – Therapie 96,98
– Prognose 428 – koronare Herzkrankheit 34 – Vorhoftachykardie bei WPW-Syndrom 97
– Symptom 426 – Schwangerschaft 446 AV-sequenzielle DDD-Stimulation 81
– Therapie 428 Atemvariabilität AVNRT 7 AV-Knoten-Reentrytachykardie
Aortendissektion 425 – Perikarderguss 365, 368 AVSD (7 atrioventrikulärer Septumdefekt)
Aortenisthmusstenose 540 – pulmonale Hypertonie 296 385
Aortenklappeninsuffizienz 413 Atherogenese 15 AV-Überleitung 79
– akute 413 – Nierenerkrankungen 530 Azidose 103, 179, 204, 297
– Ätiologie und Pathologie 413 – Pathogenese 15
– chronische 413 – zelluläre Mechanismen 15
– Diagnostik 414
– klinisches Symptom 414
Atherosklerose 15
Atrioseptostomie 389
B
– Prognose 413 atrioventrikuläre Blockbilder 7 AV-Block
– Therapie 415 atrioventrikulärer Septumdefekt (AVSD) 385 Ballonatrioseptostomie 302
Aortenklappenstenose – Definition und Pathologie 385 Ballondilatation 7 perkutane transluminale
– Ätiologie und Pathologie 408 – Diagnose 385 Koronarangioplastie
– AV-Block 88 – Endokarditisrisiko 386 Ballonvalvuloplastie
– Diagnostik 410 – Epidemiologie 385 – Aortenklappenstenose 412, 459
– Druckgradient 411 – klinische Symptome 385 – Mitralklappenstenose 401
– Herzinsuffizienz 140, 142 – körperliche Aktivität 386 Ballongegenpulsation 7 intraaortale
– kardiogener Schock 223 – Nachsorge 386 Ballongegenpulsation
– klinisches Symptom 409 – Prognose 386 Bare Metal Stents (BMS) 40, 41, 52
– Pathophysiologie 408 – Spontanverlauf 386 – Antikoagulation 36, 40
– Peak-to-Peak-Gradient 411 – Therapie 386 Barlow-Syndrom 405
– perioperatives Risiko 467 Atropintest 85 Baroreflexversagen 257
– Prognose 409 Austin-Flint-Geräusch 414 Barorezeptor 128
– Spitzengradient 411 Austreibungsgeräusch, systolisches 309 – Karotissinussyndrom 86
– Synkope 264 Automatie, gestörte 74 – orthostatische Dysregulation 256
– Therapie 412 AV-Blockierung – Reflexe 128
– – interventionell 412 – Digitalis-Intoxikation 160 – ventrikulärer 264
Aortenklappenvalvuloplastie 412, 459 – Epidemiologie 87 Barotrauma 481
Aortenklappenersatz, interventioneller 412 – Klassifikation 88 Bartonellen, Endokarditis 347
Aortenklappenvitien 540 – körperliche Aktivität 386 Basilarismigräne 265
Aortenruptur 232, 383 – Lyme Disease/Borreliose 492 Bauchaortenaneurysma 232
Aortitis 338, 413, 492 – nach Myokardinfarkt 90 – Ruptur 232
APACHE-Score 213 – Pathophysiologie 87 Beatmung
Apaminrezeptor (myotone Muskel- – perioperativ 468 – Herzinsuffizienz 118
dystrophie) 495 – Prognose 89 – Lungenprotektiv 217
Apoplex, paradoxe Embolie 380 – Sarkoidose 316 – nicht invasiv 118
Arbeitsunfähigkeit 516 – Schrittmacherindikation 89 – im Schock 203
Sachverzeichnis
561 A–C

Bedarfstachykardie 92
Begutachtung 515
– Ductus arteriosus 382
– Herz im Alter 460
C
– Arbeitsunfähigkeit 516 Blutdruckregulation 242
– Aufgabe und Pflicht 516 Blutlaktatwert 7 Laktat C1-Esterase-Inhibitor 211
– Berufsunfähigkeit 517 Blutung 232, 458 Ca2+-Sensitizer 175
– Erwerbsunfähigkeit 517 Blutungskomplikation 53 Calcinosis cutis 337
– Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit Blutungsklassifikation 53 Calgary Syncope Score 266
519 Blutverlust 467 Canadian Cardiovascular Society (CCS) 19,
– Grad der Behinderung 518, 519 Blutzuckereinstellung 526 20
– gutachterliche kardiologische Unter- – Nüchternblutzucker 6 Candida, Endokarditis 347
suchung 521 – pathologische Glucosetoleranz 6 Carboanhydrasehemmer 153
– Minderung der Erwerbsfähigkeit 517 – im Schock 220 Carney-Syndrom 434
– Mitwirkungspflicht 516 BMI 30 Cardiac Power Index 198
– Rechtsgrundlage 515 BMS 7 Bare Metal Stent Cardiac Power Output 198
– Schwerbehinderung 519 BNP (Brain-natriuretisches Peptid) 7 Peptide Carpentier-Ring 420
Beinvenenthrombose 272 Bocksbeutelherz 365 CATCH-22, DiGeorge-Syndrom 497
Belastungs-EKG Borrelia burgdorferi 492 CD34-positive Zellen 549
– bei Bradykardien 85 Borreliose 7 Borrelia burgdoferi CHADS2 Score 101
– Durchführung 23 Botalli 7 Ductus arteriosus, persistierender Chagas-Krankheit 493
– Indikationen 22 Bowditch-Effekt 126, 128 Chimärismus 503
– perioperatives Risiko 469 – Kraft-Frequenz-Beziehung 126 Chlamydien, Myokarditis 356
Belastungsdyspnoe 113, 409, 414 Brachytherapie, Restenose 41 Chloroquinkardiomyopathie 494
Belastungselektrokardiographie 7 Belas- Bradbury-Egglestone-Syndrom 256 Cholesterinabsorptionshemmer 5
tungs-EKG Bradyarrhythmia absoluta 85, 91 Cholesterinemboliesyndrom 532
Bentall-Operation 429 – Diagnostik 91 Cholesterin
Beriberi 489 – Epidemiologie 91 – HDL 7 HDL-Cholesterin
Bernoulli-Gleichung 296 – Pathophysiologie 91 – LDL 7 LDL-Cholesterin
Berufsunfähigkeit 517 – Symptomatik 91 Chondrosarkom 435
Betablocker (β-Rezeptorenblocker) – Therapie 91 Chorea minor 329
– Herzinsuffizienz 150 Bradykardie 84, 152 Churg-Strauss-Syndrom 340
– – diastolische 165, 166 Bradykardie-Tachykardie-Syndrom 84 Chymase 130
– – Dosierung 152 Bradykinin 148, 157 Cirrhose cardiaque 419
– Hypertonie 249 Brain-natriuretisches Peptid (BNP) 7 Peptide CK-MB 196
– koronare Herzkrankheit 31 Brockenbrough-Zeichen 310 Claudicatio intermittens 32, 245, 339
– Myokardinfarkt, STEMI 57 Bronchospasmus 235 CMV-Infektion (7 Zytomegalie Virus) 508
– perioperativ 472 – bei Lungenembolie 276 Compliance 133
– Schwangerschaft 446 Brucellen, Endokarditis 347 Computertomographie 24, 145
β-Rezeptordichte 129 Brückensymptom – Agatston-Kalk-Score 24
Betarezeptorenblocker 7 Betablocker – Begutachtung 520 Conn-Syndrom 243
Bewegungsmangel 533 – kardiales Trauma 480 Contact to balloon 59
Biofeedback 545 Brugada-Syndrom 105 Contact to needle 59
Bisoprolol 31, 152 – Ajmalin-Test 106 Conus pulmonalis 14
Bivalirudin 50, 62 – Diagnostik 107 Contrecoup-Trauma 474
biventrikuläre Schrittmacherstimulation – EKG 106 Cori-Erkrankung (Glykogenose III) 316
7 CRT – Genetik 76 Coronary-steal-Phänomen 116
Blitzschlag 480 – Therapie 110 Cor pulmonale 280
Block Bund der Organtransplantierten 513 – akut 243, 271
– 7 AV-Block Bypass Operation 42 – chronisch 123
– bifaszikulär 90 – Indikation 42 – EKG 142
– Linksschenkelblock 23, 167, 90 – Komplikation 42 – pulmonale Hypertonie 291
– Rechtsschenkelblock 90 – Krankenhausletalität 43 – Rhythmusstörungen 93
– trifaszikulär 90 – minimal-invasive Bypasschirurgie 43 Coxiellen 347
blue toe, Cholesterinembolie 532 – Offenheitsrate 42 Coxsackie-Viren 351
Blutdruckmessung 243 – Off-pump-Verfahren 43 CPAP (continuous positive airway pressure)
– Langzeit-Blutdruck 244 – Operationserfolg 42 118
– im Schock 197 – Risiken 42 Cpi (Cardiac Power Index) 198
– Weisskitteleffekt 250 Cpo (Cardiac Power Output) 198
Blutdruckselbstmessung 244 CPVT (catecholaminerge polymorphe
Blutdruck 7 arterielle Hypertonie ventrikuläre Tachykardie) 76
Blutdruckamplitude C-reaktives Protein 10
– Aortenklappeninsuffizienz 414 – Epidemiologie 10
562 Sachverzeichnis

CREST-Syndrom 337 Diastole 134 Dyspnoe 7 einzelne Krankheitsbilder


CRT-D (kardiale Resynchronisationstherapie) diastolische Herzinsuffizienz (7 Herzin- – Herzinsuffizienz 138–141
109, 168, 499 suffizienz) 128, 134, 140, 139 – koronare Herzkrankheit, KHK 20
CRT-P (kardiale Resynchronisationstherapie) DIC (disseminierte intravasale Gerinnung) – Lungenembolie 277
168 390 Dyslipoproteinämie
CTEPH (chronisch thrombotische pulmonale – Schock 108 – Nierenerkrankungen 530
Hypertonie) 303 DiGeorge-Syndrom 387, 497 – Risikofaktor 7
Cushing-Syndrom 143, 243 Digitalis 209 Dystrophie 7 Muskeldystrophie
Digitalis-Antidot 160 Dyssynchronie 167
Digitalisintoxikation 93, 160 Dystrophin 352
D Digitoxin (7 Herzglykoside) 159
Digoxin (7 Herzglykoside) 159

Dallas-Kriterien 354
Digoxinantikörper (Digitalis-Antidot) 160
Dihydropyridintyp 33, 34
E
DASH-Diät 248 Dip- (and) Plateau-Zeichen 313, 369
Daumenfehlbildung 496, 497 Dipeptidylcarboxypeptidase 130 Eagle-Kriterien 471
DDD-Schrittmacher 81 Diphterie 356 EBCT (Elektronenstrahl-Computertomo-
– Kardiomyopathie 312 – Herztransplantation 510 graphie) 24
D-Dimere 279 Diuretika 153–156, 172 Ebstein-Anomalie 418
De-Bakey-Klassifikation 425 – im Alter 461 EBV-Infektion 511
Defibrillation 78, 201 – Aorteninsuffizienz 415 Echinokokkose 493
– AICD (7 AICD) 83 – Aortenstenose 412 Echokardiographie 23, 46, 143
– Kammerflimmern 107 – Herzinsuffizienz, akute 116 – Dezelerationszeit 143
– Kardioversion 78 – Herzinsuffizienz, chronische 153, 165, 166 – E-Welle 143
– Komplikationen 78 – Diabetes 528 – Gewebedopplerechokardiographie 144
– Reanimation 201 – Dosierungstabelle 153 – IVRT 143
– ventrikuläre Tachykardie 63 – Hypertonie 250 – Mitralflussprofil 144
Defibrillator, automatischer 7 AICD – Kaliumsparend 154 – Pressure Half Time 399
Dekompensation (7 Herzinsuffizienz, akute) – Lungenödem 116 – Pseudonormalisierung 144
111 – Orthostase 256 – Pulmonalvenendopplersonographie 143
Denervierung, kardiale 502 – Myokarditis 359 – Verkürzungsfraktion 143
Depression, kardiovaskuläres Risiko 11 – Pharmakodynamik 153 EDRF/NO 162
Dermatomyositis 337 – Pulmonalinsuffizienz 421 Ehlers-Danlos-Syndrom 402, 413, 426,
DES (drug eluting stents) 36, 41, 52, 472 – Schwangerschaft 446, 448 497
Desmin 124 – Trikuspidalstenose 418 Eisenmenger-Reaktion 375, 385
DeVega-Anuloplastie 420 – Trikuspidalinsuffizienz 419 – Aktivität 395
Dextran 203, 205 Diuretikaresistenz 154 – Definition und Pathophysiologie 394
– Nebenwirkung 206 Door to balloon 57, 59 – Diagnose 394
Diabetes mellitus Door to needle 59 – Endokarditisrisiko 395
– chronische Herzinsuffizienz 526 Dopaminantagonisten 260 – Epidemiologie 394
– diabetische Kardiomyopathie 527 Dressler-Syndrom 341 – Internetadresse 395
– Epidemiologie 525 Druckhalbwertszeit 399 – klinisches Symptom 394
– HbA1c 6 Druck-Volumen-Diagramm 139 – Nachsorge 395
– Hypertonie 251 Drug eluting stents (DES) 40 – Prognose 395
– Kardiomyopathie 321, 527 DSE (7 Stressechokardiographie) 469 – Spontanverlauf 395
– koronare Herzkrankheit, KHK 30,525 Duchenne-Muskeldystrophie 495 – Therapie 395
– Koronarsyndrom 526 Ductus arteriosus, persistierender (PDA) Elektrolytstörung 76
– medikamentöse Therapie 525 381 elektromechanische Kopplung 124
– Risikofaktor, kardiovaskulärer 5 – Aktivität 383 elektrophysiologische Untersuchung
Diagnostik – Definition und Pathologie 381 7 EPU
– invasive – Diagnose 382 Ellis-van-Creveld-Syndrom 496
– – Rechtsherzkatheteruntersuchung 298 – Endokarditisrisiko 383 Embolie
– – Vasoreaktivitätstest 298 – Epidemiologie 382 – Fett 183, 271, 289
– – 7 Koronarangiographie – klinisches Symptom 382 – Fruchtwasser 289
– nicht-invasive 295 – Nachsorge 383 – Luftembolie 289
– – Detektion 298 – Prognose 382 – 7 Lungenembolie 436
– – Elektrokardiographie 295 – Spontanverlauf 382 – paradoxe 378, 380
– – Laborparameter 298 – Therapie 382 embryonale Stammzellen 550
– – Lungenfunktionsuntersuchung 296 Ductus Botalli 7 Ductus arteriosus Emotionssynkopen 264
– – Sechsminutengehtest 297 Duldungspflicht 523 Endocarditis fibroplastica 145
– – Spiroergometrie 297 Duke Kriterien, Myokarditis 344 endokardiale Fibroelastose 341
Sachverzeichnis
563 C–G

Endokarditiden 88, 336, 343 Extrasystolie – Trikuspidalklappensinsuffizienz 418


– Anamnese 343 – atriale 93 Flail leaflet, Mitralklappenprolaps 407
– Antikoagulation 349 – – Diagnostik 93 Flugreise 274
– Diagnostik 343 – – Epidemiologie 93 – nach Infarkt 64
– Duke-Kriterien 344 – – Pathophysiologie 93 Flüssigkeitstherapie 7 Volumentherapie
– Echokardiographie 343 – – Therapie 93 Flussreserve
– Erregernachweis 344 – ventrikuläre 103 – koronare 27
– – ohne 347 – – digitalis 160 – verminderte koronare 484
– Labordiagnostik 343 – – früh einfallend 105 Flussmessung, intrakoronare 27
– Nachsorge 349 – – bei Gesunden 103 Fontan-Operation 393
– Prävention 349 – – bei Herzerkrankten 103 Fontan-Zirkulation 392
– Therapie 344 – – bei Infarkt 38, 105 – Aktivität 394
Endokarditis 7 Endokarditiden – – Therapie 108 – Definition und Pathologie 392
Endokarditisprophylaxe 374 E-Welle 7 Echokardiographie – Diagnose 392
Endomyokardbiopsie 507 – Endokarditisrisiko 394
Endomyokardfibrose 340 – Epidemiologie 392
– infiltrative Kardiomyopathie 340
Endothelfunktion 28
F – klinisches Symptom 392
– Nachsorge 394
– endotheliale Dysfunktion 484, 485 – Prognose 393
Endothelin 161, 189 Fabry-Erkrankung 7 Morbus Fabry – Spontanverlauf 392
– Herzinsuffizienz 133,143 Facies mitralis 398 – Therapie 392
– pulmonale Hypertonie 292 Facilitated PCI 7 perkutane transluminale Foramen ovale, persistierendes (PFO) 380
– Schock 189 Angioplastie – Lungenembolie 274
Endothelin-1 7 Endothelin Fahrtüchtigkeit 83 – Sport 539
Endothelintegrität 185 Fahrradergometer 7 Belastungs-EKG – Therapie 380
Endothelinrezeptorantagonisten 165 Faktor VII, INR 285 – Verschluss 380
– Eisenmenger 395 Faktor-Xa-Inhibitoren 49 Fossa ovalis 380
– progressive systemische Sklerose 337 Fallot-Tetralogie 386, 540 Framingham-Score 66, 67
– pulmonale Hypertonie 301 – Aktivität 389 Frank-Starling-Mechanismus 126, 139
Endotoxin, Schock 187 – Definition und Pathologie 386 – Kraft-Längen-Beziehung 126
eNOS 189 – Diagnose 387 Friedreich-Ataxie 494
Enterobacteriaceae, Endokarditis 346 – Endokarditisrisiko 389 Fruchtwasserembolie 289
Enterokokken, Endokarditis 345 – Epidemiologie 387 Frühdefibrillation 201
Enteroviren, Myokarditis 351 – klinisches Symptom 387 Füllungsdruck
Entspannungstechnik 546 – Nachsorge 389 – linksventrikulärer
Entzündungen, aortal 430 – Prognose 388 – – diastolische Dysfunktion 128, 133
– aortale Plaques 431 – Spontanverlauf 388 – – Diuretika 116
– Takayasu-Syndrom 430 – Therapie 388 – – kardiogener Schock 63
EPH-Gestose 243, 446 familiäre Disposition, kardiovaskuläre Risiko- – – Myokarditis 358
EPU , Durchführung (elektrophysiologische faktoren 12 – – Perikarderguss 363
Untersuchung) 78 Familienanamnese 12 – rechtsventrikulärer 224
– Indikation 78 Faustschlag, präkordial 107, 201 funktionelle Herzbeschwerden (7 Herzbe-
– Normalwerte 78 FDG-PET, Vitalitätsnachweis 24 schwerden) 483
Erdheim-Gsell-Krankheit 426 Federzeichnung 481 funktionelles Syndrom 485
Ereignisrekorder 85 Fehlernährung, Kwaschiokor 490
Ergometrie (7 Belastungs-EKG) 144 Fettembolie 183, 271, 289
Fibrinolyse 7 Thrombolyse
Ergospirometrie 522
Erregungsbildung 72 Fibroelastose, endokardial 145, 341
G
Erregungsausbreitung 73 Fibroelastom, papillär 434, 490
Erstickungs-T-Welle 45 Fibrom, kardiales 434 Galaktosidase Alpha 317
Erwerbsfähgikeit 519 Fiber Dissarray 308 Gallensäurenresorptionshemmer 8
Erwerbsunfähigkeit 517 Fibrosarkom 435 Gasaustausch 276
Erythem, anaphylaktischer Schock 182 Fieber , rheumatisches 327, 397 Gaucher-Erkrankung 7 Morbus Gaucher
Erythema migrans – Aorteninsuffizienz 413 Gefäßelastizität 454
– Borelliose 492 – Diagnostik 328 Gefäßwiderstand, pulmonal (PVR) 292, 501
– rheumatisches Fieber 328 – Epidemiologie 327 Gegenpulsation 7 intraaortale Gegen-
Erythropoetingabe 207 – Gutachten 521 pulsation
Erythrozytentransfusion 207, 231 – Pathogenese 327 Gehtest, Sechsminuten- 297
ESC-SCORE, Risikofaktoren 66 – Prävention 330 Gelatinelösung (7 Volumentherapie) 205
Euler-Liljestrand-Mechanismus 281, 291 – Pulmonalstenose 420 Gerinnungsstörung 206
Event-Rekorder 85 – Therapie 330 Geschlecht, Risikofaktor 11, 39, 66
564 Sachverzeichnis

Gestagene 11 Henle-Schleife 153 Herzindex 133, 142, 170


Gestationshypertonie 243, 446 HELLP-Syndrom 447 – Schock 179
Gesundheitssport 538 Heparin 7 Heparintherapie – Transplantation 501
Gewebedopplerechokardiographie 144 Heparintherapie 284 Herzinfarkt 7 Myokardinfarkt
Gewichtsreduktion – akutes Koronarsyndrom 48, 62 Herzinsuffizienz 111–119
– Adipositas 7 – Fibrinolyse 58 – akut 111
– Hypertonie 247, 542 – heparininduzierte Thrombozytopenie – – Ätiologie 111
– kardiovaskuläres Risiko 6 285 – – Beatmung 119
– koronare Herzkrankheit 31 – Herzinsuffizienz 115, 155 – – BNP 114
Globalinsuffizienz, respiratorisch 297 – kardiogener Schock 220, 230 – – Calciumsensitizer 118
Glomerulonephritis – Kontraindikationen 285 – – Diuretika 115
– Endokarditis 343 – Koronarangioplastie 38 – – Einteilung 112
– Hydralazin 162 – Lungenembolie 284 – – EKG 113
– Wegener-Granulomatose 340 – Myokardinfarkt 62 – – Hämodialyse 117
Glukosetoleranz, pathologische 6 – niedermolekulares Heparin 49, 284 – – Hämodynamik 113
– Epidemiologie 6 – unfraktioniertes Heparin 49, 62, 284 – – IABP 119
– Therapie 6 – Vorhofflimmern 102 – – Katecholamine 117
Glukosetoleranztest 7 Hepatitis – – Lungenödem 111
Glykogenose II 7 Morbus Pompe – A 503 – – Nitrate 115
Glykogenose III 7 Cori-Erkrankung – B 339, 356 – – Pathophysiologie 111
Glykogenspeichererkrankung 140, 316 – C 337 – – Opiate 115
Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten 51 – ischämisch 212 – – Phosphodiesterasehemmer 118
– akutes Koronarsyndrom 51 – Stauung 371 – – Prognose 111
– Blutungskomplikationen 53 hepatojugularer Reflux 142 – – Rechtsherzkatheter 115
– Diabetes 526 Hepatomegalie 20, 195, 295, 368, 417 – – spezielle Diagnostik 113
– facilitated PCI 219 hereditäre Thrombophilien 7 Thrombophilie – – Symptome 113
– Fibrinolyse 57 Herzarbeit 133, 136, 168,197 – – Therapie 115
– kardiogener Schock 219 Herzbeschwerden, funktionelle 483 – – Vasodilatoren 115
Goldman- Index, Risikofaktoren 465 – Definition 483 – im Alter 460
Glykoside 7 Herzglykoside – extrakardiale Erkrankung 485 – chronisch 20, 121–175
Grad der Behinderung (GdB) 518, 519 – koronare Herzkrankheit 485 – – ACE-Hemmer 148, 166
Graham-Steell-Geräusch 399 – Mitralklappenprolaps 483 – – Aldosteronantanonisten 155
GP-IIb/IIIa-Antagonisten 7 Glykoprotein-IIb/ – Syndrom X 484 – – Amyloidose 123
IIIa-Antagonisten Herzdruckmassage 201 – – Anamnese 141
Guillain-Barré-Syndrom 494 Herzfrequenzvariabilität 105, 191 – – antidiuretisches Hormon 137
GUSTO-Blutungsklassifikation 53 – Cushing 320 – – Antikoagulation 163
Gutachten 515 – Diabetes 257, 321 – – Ätiologie 123
Gynäkomastie 156 Herzgewicht 123 – – AT1-Rezeptorantagonisten 157, 166
Herzgröße 113 – – Auskultation 141
Herzglykoside – – Betablocker 150, 166
H – AV-Block 88
– Bradykardien 85
– – Betarezeptordichte 129
– – Biomarker 143
– diastolische Funktion 166 – – biventrikuläre Stimulation 167
HACEK-Erreger 346 – Digitoxin 159 – – Cor pulmonale 123
Halsvenen, gestaute 368 – Digoxin 159 – – Definition 121
Hämatom, intramural 425 – Dosierung 160 – – Diagnose 140
Hämochromatose 134, 145, 316 – Herzinsuffizienz 158 – – diastolische Dysfunktion 128
Hämodialyse 116 – Indikationen 159 – – diastolische Ventrikelfunktionsstörung
Hämofiltration 154 – Kaliummangel 155 133
Hämoptysen 277, 436 – Kalzium 128 – – Differenzialdiagnose 140
Handgrip Test 259 – Kardioversion 78 – – Diuretika 153, 166
Hauptstammstenose 42 – Karotisdruckversuch 87 – – Durchblutungsverminderung 135
HbA1c (7 auch Diabetes) 6 – Kontraindikationen 160 – – Echokardiographie 143
HDL-Cholesterin 5, 8 – LV-Funktion 165 – – Elektrokardiogramm 142
– Epidemiologie 8 – Mechanismus 158 – – Elektrostimulation 167
– erniedrigt 8 – Mitralstenose 400 – – Epidemiologie
– Therapie 8 – Nachdepolarisation 75 – – Flüssigkeitszufuhr 147
Helex-Device 379 – Nebenwirkungen 160 – – Glykogenspeicherkrankheit 123
Hemiblock – Pharmakokinetik 159 – – Herzfrequenz 123
– linksanterior 90 – Vorhofflimmern 91, 100 – – Herzglykoside 158, 166
– linksposterior 90 Herzherniation 479 – – Herzkatheteruntersuchung 145
Sachverzeichnis
565 G–H

– –High-output- 139 – Mitralstenose 401 – Synkope 7 Synkope


– –Inzidenz 122 – Pulmonalinsuffizienz 421 – tachykarde
– –Kalziumantagonisten 160, 167 – Ross-Prozedur 421 – – supraventrikuläre 92
– –koronare Herzkrankheit 123 – Schwangerschaft 423, 450 – – – atrial, fokal 93
– –körperliche Untersuchung 141 – Thrombose 423 – – – atriales Makro-Reentry 99
– –Linksschenkelblock 167 – Trikuspidalstenose 420 – – – AV-junktional 96
– –Leitlinien 175 – Trikuspidalinsuffizienz 419 – – – AV-Knoten-Reentry 94
– –Low-output- 134, 139 – Zweiflügelprothese 421 – – – Sinustachyarrhythmie 92
– –mechanische Kreislaufunterstützung Herzkrankheit – – – Vorhofflattern 99
170 – im Alter 453 – – – Vorhofflimmern 100
– – Myokardbiopsie 145 – Begutachtung 518 – – – WPW 96
– – NYHA-Klassifikation 139 – entzündlich, bakteriell 343 – – ventrikuläre 103–107
– – Ödem 137 – entzündlich, viral 351 – – – Diagnostik 105
– – operative Verfahren 171 – immunologisch 333 – – – Epidemiologie 103
– – Pathophysiologie 123 – – Ätiologie 333 – – – Klassifikation 103
– – Regulationsmechanismus 127 – – Pathophysiologie 333 – – – Pathophysiologie 103
– – Renin-Angiotensin-Aldosteron-System – – reaktive Herzerkrankung 341 – – – Symptome 105
(RAAS) 130 – – rheumatische Herzerkrankung 333 – – – Therapie 107
– – Salzzufuhr 147 – koronare 7 koronare Herzkrankheit Herzruptur 7 Ventrikelruptur
– – Schrittmachertherapie 167 – perioperativ 474 Herzschatten 362
– – Sterblichkeit 122 – reaktiv 341 Herzschmerzen 7 Thorax-Schmerz
– – Symptome 138 – rheumatisch 327 Herzschrittmacher 7 Schrittmachertherapie
– – systolische Dysfunktion 133 – Schwangerschaft 439 Herzstillstand 7 Herztod, plötzlicher
– – systolische Herzinsuffizienz 139 – Sport 543 Herztamponade 478
– – Therapie Herzluxation 479 Herztöne 142
– – – systolische 148–165 Herz-Lungen-Maschine 42 – dritter 141, 403, 414
– – – diastolische 165–167 – minimal invasiv 43 – Mitralöffnungston 398
– Lungembolie 273 – Offpump-Technik 43 – vierter 141, 142, 410
– Myokarditis 359 Herzmuskelenzyme 7 Troponin – zweiter, gespalten 377
– Niereninsuffizienz 532 – Myokardinfarkt 47 Herztod, plötzlicher (SCD) 103–109
– perioperatives Risiko 467 HLM 7 Herz-Lungen-Maschine – AICD 83
– peripartal 445 Herz-Lungen-Transplantation 376, 379, 395 – Amiodaron 108
– Transplantationsindikation 501 Herzminutenvolumen 135 – Anamenese 105
Herzkatheteruntersuchung 7 Koronar- Herzmuskelerkrankungen, Ätiologie 333 – ARVC 104
angiographie Herzphobie 486 – AV-Reentry-Tachykardie 98
Herzklappeninsuffizienz Herzrhythmusstörungen 7 einzelne – Brugada 105
– perioperativ 468 Störungen – Diagnostik 105
– 7 einzelne Klappen – Ablation 80 – Definition 103
Herzklappenentzündung 7 Endokarditiden – Alkohol 92, 93, 100, 105, 147 – EPU 106
Herzklappenersatz 7 Herzklappen- – im Alter 458 – genetisch 104
prothesentyp – Antiarrhythmika 77 – hypertrophe, obstruktive Kardiomyo-
Herzklappenfehler – atriale Extrasystolen 93 pathie, HOCM 109
– angeborene 374–395 – atriale Makro-Reentrytachykardie 99 – Kardiomyopathie 104
– erworbene 397–423 – bradykarde 84 – koronare Herzkrankheit 19
– Niere 531 – – atrioventrikulärer Block 97 – Koronarsyndrom 43
– perioperatives Risiko 467 – – Bradyarrhythmia absoluta 91 – Long-QT 104
Herzklappenoperation 7 Herzklappen- – – intraventrikulär 90 – Myokardinfarkt 43, 103
prothesentyp – – Karotissinusyndrom 86 – Postinfarkt 104
Herzklappenprothesentyp 421 – – Sinusknotendysfunktion 84 – Risikofaktoren 105
– Aorteninsuffizienz 416 – chirurgische Therapie 80 – Sekundärprophylaxe 108
– Aortenstenose 409, 412 – Elektrolytstörungen 76 – Short-QT 105
– Antikoagulation (7 INR) 422 – Elektrophysiologie 73 – Therapie 107
– biologisch 420, 421 – Extrasystolie 7 Extrasystolie – Ursachen 103
– Degeneration 423 – Grundlagen 73–76 Herztransplantation 43, 119, 171, 499
– Endokarditis 423 – Ionenkanaldefekte 75 – Abstoßungsreaktion 506
– Heterograft 421 – Long-QT-Syndrom 75 – Hyperlipoproteinämie 511
– Kippscheibenprothese 421 – Myokardinfarkt 63, 75 – Hypertonie 511
– kryokonserviertes Homograft 421 – perioperativ 468 – Immunsuppression 503
– Kugel-Käfig-Prothese 421 – plötzlicher Herztod 103 – Indikation 499
– mechanisch 421 – Prinzipien der Therapie 77 – Infektion 508
– Mitralinsuffizienz 405 – Sport 544 – Komplikation 506
566 Sachverzeichnis

Herztransplantation Hypercholesterinämie 4, 5, 30, 31 Hypertriglyzeridämie 9


– Kontraindikation 501 – medikamentöse Therapie 5 – Epidemiologie 9
– Lebensqualität 513 – 7 Risikofaktoren – Therapie 9
– Neoplasien 511 Hypereosinophilie 145, 314 Hypertrophie, linksventrikuläre 6, 127,
– Osteoporose 511 Hyperimmunglobulin, Abstoßung 508 408, 536
– Transplantatvaskulopathie 510 Hyperkaliämie 76, 155, 157, 158 – Epidemiologie 6
Herztrauma 7 Trauma, kardiales Hyperkalzämie 77 – 7 Myokardhypertrophie
Herztumoren 7 Tumoren Hyperkapnie, permissive 217 – Therapie 7
Herzverletzungen 7 Trauma, kardiales Hyperlipoproteinämie 511 Hypokaliämie 77, 103, 156
Herzvolumen, Sportler 536 Hypernatriämie 77 Hypokalzämie 77
Herzwandaneurysma Hyperparathyreoidismus 308 Hyponatriämie 77, 142, 155
– EKG 142 Hypersensitivitätsreaktion 491 Hypotension 7 Hypotonie
– kardiales Trauma 478 Hypersensitivitätssyndrom 341 Hypotonie 132
– Resektion, OP 171 hypertensive Krise (7 Hypertonie) 253 – Aortenstenose 412
– Thrombus 164 hypertensiver Notfall (7 Hypertonie) 253 – Herzinsuffizienz
– Vorhofseptum 380 Hyperthyreose 318 – – akute 118
Herzzeitvolumen, Schock 198 – Amiodaron-Wirkung 319 – – chronisch 141, 170
HES 7 Volumentherapie – BNP 143 – Lungenembolie 277
HFNEF (heart failure with normal EF) – Herzkatheteruntersuchung 29 – Myokardinfarkt 64
(7 Herzinsuffizienz, diastolisch) 460 – Kardiomyopathie 318 – Orthostase 255–261, 460
HFREF (hear failure with reduced EF) – Karditis 489 – – asympathikoton 256
(7 Herzinsuffizienz) 460 – Tachykardie 92 – – Diagnostik 257
High-output-Versagen, Herzinsuffizienz – Vorhofflimmern 100 – – Prognose 261
139 Hypertonie 241–254 – – Schellong 257
High-density-lipoprotein 7 HDL-Cholesterin – Alkohol 322 – – sympathikotone 255
Hilfssachverständiger 516 – im Alter 253, 459 – – Therapie 258
Hinterwandinfarkt 7 Myokardinfarkt – Aortenaneurysma 426 – Perikarderguss 364
His-Bündel 73 – Cyclosporin-induziert 504 – perioperativ 467
– -Ableitung 89 – Definition 241 – Phosphodisterasehemmer 118
Histiosarkom 435 – Diabetes 251 – postprandial 257
Hitzeschock 490 – Diagnostik 243 – restriktive Kardiomyopathie 315
HIT 7 Thrombozytopenie – Differenzialtherapie 250 – Schock 177
HIV – Epidemiologie 242 – Schrittmachersyndrom 82
– Kardiomyopathie 445 – ESC-Klassifikation 242 – Synkope 264
– Myokarditis 353 – Gestationshypertonie 446 Hypothermie 203, 211, 222, 490
– pulmonale Hypertonie 293 – Gestose 446 Hypothyreose 85, 142
– Vaskulitis 338 – Gutachten 518 – Hypotonie 255
HLA-B27-Antigen 335 – JNC-7-Klassifikation 242 – Kardiomyopathie 318
HLA mismatches, Transplantation 507 – Kochsalzrestrikion 247 Hypovolämie, Schock (7 Schock ) 178,
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer 36 – Krise 253 184, 232
Hochdruckenzephalopathie 253 – Langzeit-Messung 244 – Blutung 232
Hochleistungssport 123 – Mikroalbuminurie 530 – Diagnostik 232
Hochleistungssportler 536 – Notfall 253 – klinische Symptome 232
Hochrisikopatient 473 – Pathophysiologie 242 – Therapie 233
Hochspannungsstrom 481 – perioperativ 467 Hypoxie 186
HOCM (7 Kardiomyopathie, hypertrophe) – Pharmakoökonomie 254 Hypoxämie
402 – Phäochromozytom 320 – Fallot 387
Holt-Oram-Syndrom 496 – Präklampsie 447 – Herzinsuffizienz, akute 112
Holter-EKG 7 Langzeit-EKG – primär 242 – Herztod 103
Homocystein, kardiovaskuläres Risiko 10 – pulmonal 7 pulmonale Hypertonie – Krisen 387
– Therapie 10 – renoparenchymale 251 – Lungenembolie 275, 280
Homöostenose 462 – renale 243, 251 – pulmonale Hypertonie 291, 300
Hormonersatztherapie 274 – Schlaganfall 242 – Schock 203, 212
Hormonsubstitution, kardiovaskuläres – Schwangerschaft 446 Hypoxanthin 189, 191
Risiko 11 – sekundäre 243 Hysterese 82
Hoyer-Erkrankung 317 – Sport 542 HZV (Herzzeitvolumen) 115, 133
Human Immunodeficiency Virus 7 HIV – Therapie 245
Hydrokortisonstressdosis, Schock 232 – – komplementäre Therapie 542
Hydroxyäthylstärke 7 HES, Volumen- – – bei koronarer Herzkrankheit 30
therapie – – Risikofaktor 3
Hyperaldosteronismus 319 – Transplantation 511
Sachverzeichnis
567 H–K

I – Plaqueentstehung 16
– Restenosen, koronar 41
– Hypertonie 249
– Indikationen 161
– Takayasu-Arteriitis 339 – Intoxikation 202
IABP 7 intraaortale Ballongegenpulsation – Transplantatvaskulopathie 510 – Kardiomyopathie
ICD (7 AICD) 109, 169 Intimaeinriss 425, 478 – – dilatativ 307
If-Kanal-Blocker 35 intraaortale Ballongegenpulsation (IABP) – – obstruktiv 311
IL-6-Spiegel 437 170 – koronare Herzkrankheit 33, 34
Immunglobuline 359 – bei akuter Herzinsuffizienz 119 – Myokardhypertrophie 6
immunologische Herzerkrankung 333 – im kardiogenem Schock 64 – pulmonale Hypertonie 298, 300
– Ätiologie 333 – – Indikation 218 – Sport 543
– 7 Herzkrankheit – – Komplikation 218 – Syndrom X 485
– Pathophysiologie 333 – – Kontraindikation 218 – Transplantatvaskulopathie 510
– reaktive Herzerkrankung 341 – – Methodik 218 – Vorhofflimmern 159
– rheumatische Herzerkrankung 333 – – Wirkprinzip 218 Kalziumeinstrom 124
Immunsuppressiva 359, 503 – bei Ventrikelseptumruptur 223 Kalziumhomöostase 125, 128
Immunadsorption, Abstoßungstherapie 508 intraperikardialer Druck 361 Kalziumkanal 126
implantierbare Kardioverter 7 AICD intravaskulärer Ultraschall (7 IVUS) 28 Kammerflimmern 104
implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren intraventrikuläre Leitungsverzögerung Kammertachykardie 7 ventrikuläre
7 AICD (7 Herzrhythmusstörungen) 90 Tachykardie
In-Stent-Restenose 41 – Diagnostik 90 Kandidose 492
In-Stent-Thrombose 40, 472 – Epidemiologie 90 Kapillargefäßtonus 184
Indapamid 252 – Pathophysiologie 90 Kapillardruck, pulmonal 111, 195, 220
Infarktkomplikation 63 – Prognose 91 Kapnometrie 199
infiltrative Kardiomyopathie (7 Kardio- – Symptomatik 90 Kaposi-Sarkom 435
myopathie) 140 – Therapie 90 Karditis 7 Fieber, rheumatisches
Inlet-VSD 386 invasive Diagnostik (7 Diagnostik) 298 Kardiomyopathien 305–324
Inotropie, Phosphodiesterasehemmer 174, Ionenkanaldefekt 75 – arrhythmogene rechtsventrikuläre 317,
217 Ionenkanalmodulator 35 534, 537
Inodilatatoren 174 Ischämieschwelle 18 – – Herztod 104
iNOS 210 ISHLT Consensus Report 507 – dilatative 305, 104, 107
INR (international normalized ratio) 285 IVUS (intravaskulärer Ultraschall) 18, 28 – – Ätiologie 306
– im Alter 459 – – Diagnostik 307
– Antiphospholipidsyndrom 337 – – Epidemiologie 306
– aortale Plaques 431
– Beinvenenthrombose 285
J – – Molekulargenetik 306
– – Symptome 306
– Foramen ovale 380 – – Therapie 307
– Klappenprothesen 422 Jendrassik-Handgriff 269 – endokrine 318
– Klappenthrombose 423 Jervell-Lange-Nielson-Syndrom 75 – – Diabetes 321
– Lungenembolie 285 Jones-Kriterium 328 – – Karzinoid 320
– Mitralinsuffizienz 404, 408 Jugularvenenpulsationen, diastolische 417 – – Nebennierenhormon 319
– pulmonale Hypertonie 301, 303 – – Schilddrüse 318
– Schwangerschaft 423, 450 – – Wachstumshormon 318
– Vorhofflimmern 102
Ischämie 7 Myokardischämie
K – hypertrophe 104, 107
– – Diagnostik 309
– Begutachtung 522 – – familiär hypertrophe FHC 307
– perioperativ 467 Kachexie, kardiale 147 – – Molekulargenetik 308
– stumm 20 Kaliummangel (7 Hypokaliämie) 155 – – Pathophysiologie 308
Ischämiereaktion Kaliumkanalmodulatoren 302 – – Septumablation 312
– PCI 38 Kaliumkanalaktivator 35 – – Therapie 311
Insulinresistenz 525, 527, 530, 533 Kaliumkanalblocker 77 – Non-Compaction 323
Ischämieereigniss, stummes 526 Kaliumkanalmutation 105 – restriktive 312, 364
Interferon β 360 Kalzifizierung 363 – – endokardiale Fibroelastose 341
Intima, Thrombose 272 Kalzineurininhibitorspiegel 504 – – Hypersensitivitätssyndrom 341
Intimaproliferation Kalzium-Phosphat-Produkt 531 – – infiltrative 140
– PAN 339 Kalziumantagonisten 33, 167, 249 – – Speicherkrankheiten 316
– progressive Sklerose 337 – Antiarrhythmika 77 – Rhythmusstörungen 104
– Sharp Syndrom 337 – Bradykardie 91 – septische 190, 226
– Spondylitis ankylosans 335 – Herzinsuffizienz – sonstige 323
– Transplantatvaskulopathie 510 – – diastolische 167 – Sport 540
Intimahyperplasie – – systolische 139,160 – toxische 321
– Alter 455 – Herztransplantation 504 Kardiorenales Syndrom 529
568 Sachverzeichnis

Kardioversion/Defibrillation 78 Klasse-I-Antiarrhythmika 77, 164 – Amplatz-Technik 27


– Bradykardie 78 Klasse-II-Antiarrhythmika 77 – Aortenaneurysma 428
– 7 Defibrillation Klasse-III-Antiarrhythmika 77 – Aorteninsuffizienz 415
– Indikation 78 Klasse-IV-Antiarrhythmika 77 – Aortenstenose 411
– Komplikation 78 Knöchelödem 440 – ASD 378
– technische Durchführung 78 Knochenmarkzelltherapie 548 – AVSD 386
Kardioverter-Defibrillatoren 7 AICD Koarktation 383 – Ductus arteriosus 382
Karotisdruckversuch 268 – Aktivität 385 – Durchführung 26
Karotissinusmassage 87 – Definition und Pathophysiologie 383 – Eisenmenger 394
– hypersensitive Reaktion 87 – Diagnose 383 – Endomyokardfibrose 340
Karotissinussyndrom 86, 87 – Endokarditisrisiko 385 – Fallot 387
– Diagnostik 87 – Epidemiologie 383 – Foramen ovale 380
– Klassifikation 87 – klinisches Symptom 383 – Gutachten 516
– Symptomatik 87 – Nachsorge 384 – Herzinfarkt, STEMI 58
– Therapie 87 – Prognose 384 – Herzinfarkt ,NSTEMI 54
Karotissinussynkope (7 Synkopen) 264 – Spontanverlauf 383 – Herzinsuffizienz 145
Kartagenes-Syndrom 497 – Therapie 384 – Indikation 26
Karzinoiderkrankung 320 Kobaltexposition 491 – Judkins-Technik 27
Karzinoidsyndrom 416 Kochsalzrestriktion 247 – kardiogener Schock 116
– Kardiomyopathie 320 Kohlenmonoxid-Intoxikation 122 – Kardiomyopathie
– Orthostase 256 Kokain, Myokarditis 491 – – obstruktive 310
– Pulmonalinsuffizienz 420 Kollagenose 145 – – restriktive 315
– Pulmonalstenose 420 Kollateralen, koronar 17 – Koarktation 383
– Trikuspidalstenose 417 Kollaps, Definition 177 – Komplikation 28
Katecholamine kolloidale Lösung 7 Volumentherapie – Koronarsyndrom 55
– Adrenalin Kommissurotomie 401 – Leistungssport 543
– – Herzinsuffizienz Komplementärtherapie 545 – Mitralinsuffizienz 404
– – – akute 118 – Datenlage 545 – Mitralklappenprolaps 407
– – – chronische 129 – Herzinsuffizienz 545 – Mitralstenose 399
– – Reanimation 202 – Hypertonie 545 – Myokarditis 358
– Herzinsuffizienz – koronare Herzkrankheit 546 – Myokardinfarkt 54
– – akute 117 – Methodik 545 – Pericarditis constrictiva 369
– – chronische 129, 172, 175 Komplementärmedizin 545 – perioperativ 470
– Noradrenalin 118, 129 Komplementaktivierung, Schock 182, 185, – Pulmonalinsuffizienz 421
– Schock 207 187, 211 – Pulmonalstenose 381
Katheterablation 80, 108 Kompressionsstrumpfhosen – Rhythmusstörungen 106
– atriale Makro-Reentrytachykardie 99 – Orthostase 259 – Schwangerschaft 443
– AVNRT 80, 96 – Synkope, neurogen 269 – Sones-Technik 27
– AV-Reentry 98 – Thrombose 289 – Transplantation 501
– Komplikationen 80 Kontraktion, myokardiale 124 – Transposition der Arterien 390
– Vorhofflattern 99 – α1-Adrenozeptor 126 – Trikuspidalstenose 417
– Vorhofflimmern 80 – β1-Adrenozeptor 126 – Tumoren 437
– WPW 98 – β2-Adrenozeptor 126 – Trauma 479
Kausalitätsbegriff 520 – Aktin 126 – Vaskulopathie 510
Kawasaki-Krankheit 490 – Aktivierung der kontraktilen Proteine – VSD 375
Kearns-Sayre-Syndrom 145, 496 125 Koronaranomalie 14, 534
Kent-Bündel 96 – Kontraktionskraft 126 Koronarfistel 14, 478
Ketoazidose (7 Azidose) 363 – Myosin 126 Koronarangioplastie 7 perkutane trans-
Kerley-A-Linien 113 – Tropomyosin 126 luminale Koronarangioplastie
Kerley-B-Linien 113 – Troponin 126 koronare Bypassoperation 7 Bypass-
Kerley-C-Linien 113 Kontraktionskraft 124 Operation
KHK-Risikoäquivalent 525 Kontraktionsstörung 122 koronare Herzkrankheit 13, 543
KHK 7 koronare Herzkrankheit Kontrastmittel 25 – Allgemeinmaßnahme 29
Killip- Klassifikation 44, 45, 112 Kontrazeptiva 274 – Anatomie 13
Kininase II 130 Kontusion, myokardial 480 – Arbeitsfähigkeit 518
Kipptischuntersuchung 267 Kopplung, elektromechanisch 124 – Begutachtung 518
Kippscheibenprothese 421 Koronaraneurysmata 491 – Belastungs-EKG 22
Klappenthrombose 7 Herzklappenprothese Koronararterienfistel 7 Koronarfistel – Diagnostik 19
Klappenvitien 7 Herzklappenfehler Koronarangiographie 26 – EBCT 24
Klappenendokarditis 7 Endokarditiden – Abstoßungsreaktion 508 – EKG 21
Kunstklappenendokarditis 7 Endokarditiden – akutes Koronarsyndrom 55 – Epidemiologie 14
Sachverzeichnis
569 K–L

– Herzinsuffizienz 135 – Takayasu 430 Low output failure 7 Herzinsuffizienz


– invasive diagnostische (7 Diagnostik) 25 – Transplantation 505 Low Molecular Weight Heparin
– Koronarsport 69 Kortikosteroide 7 Kortikoide 7 Heparintherapie
– nichtinvasive Diagnostik (7 Diagnostik) 21 Krankengeld 516 Lues 492
– operativ (7 Bypass-Operation) 42 Krankenversicherung 515 Luftembolie 289
– Pathogenese (7 Atherosklerose) 15 Kreatinkinase Lungenarterienembolie 7 Lungenembolie
– perioperativ 466 – Angina 21 Lungenembolie
– Primärprävention 68 – Karditis, immunologisch 338 – Beinvenenthrombose 272
– Rehabilitation 68 – Koronarsyndrom 46 – Cor pulmonale 280
– Risikostratifikation 66, 68 – Myokarditis 357 – diagnostische Methode 278
– 7 Risikofaktoren – Perikarditis 362 – diagnostisches Vorgehen 282
– Schwangerschaft 448 Kreislaufdysregulation 255, 261 – Differenzialdiagnose 277
– Sekundärprävention 68 Kreislaufstillstand 7 Schock – Differenzialtherapie 288
– Symptom (7 Angina) 19 Kreislaufunterstützung, mechanisch 119 – Epidemiologie 271
– Therapie kristalloide Lösungen 7 Volumentherapie – Fettembolie 289
– – interventionelle 36 Kunstherz 170 – Fruchtwasserembolie 289
– – medikamentös 29, 31 – total artificial heart 170 – Gasaustausch 276
Koronarfluss 17 Kussmaul-Zeichen 313 – Luftembolie 289
– TIMI-Klassifikation 17 Kwaschiorkor 490 – pathophysiologisch 275
Koronargefäßsystem 14 – rechtsventrikuläre Dysfunktion 275
Koronariitis 490 – Risikofaktor 272
Koronarinsuffizienz 18
Koronarintervention 7 perkutane trans-
L – – chirurgisch 274
– – internistisch 273
luminale Koronarangioplastie – Stufendiagnostik 278
Koronarperfusion 17 LAD (Left Anterior Descending Artery, – Symptomatik 277
Koronarreserve 18, 127 7 RIVA) 13 – Therapie 283, 299
Koronarsport 69 Laktat 196, 523 – – Antikoagulation 284
Koronarsklerose 7 Atherosklerose Laktatazidose (7 Azidose) 204, 527 – – Basistherapie 299
Koronarstenose 16 Langzeit-Blutdruck 244 – – Behandlung 302
– Stenosegrad 16 Langzeit-EKG 85 – – chirurgische 287
Koronarsyndom, akutes 14, 43 – -Registrierung 142 – – katheterinterventionelle 288
– Blutungskomplikation 53 Langzeitelektrokardiographie (7 Langzeit- – – medikamentöse 300
– Definition 43 EKG) 23 – – Therapieprinzip 283
– Diagnostik 44 Laplace-Gesetz 127 – – Thrombolyse 286
– Differenzialdiagnose 44 Larynxödem 235 – – weitere Therapiemöglichkeiten 302
– Elektrokardiogramm 44 Late Enhancement, MRT 358 Lungeninfarkt 288
– Epidemiologie 43, 44 Lateralwandinfarkt 13 Lungenödem 111, 137
– klinisches Beschwerdebild 44 LCA (Left Coronary Artery) 13 Lungenperfusions-Szintigraphie 282
– klinisches Symptome 44 LDL-Cholesterin 4 Lungenprotektion, Beatmung 217
– Pathophysiologie 43, 44 Leberstauung 368, 418, 113 Lungentransplantation 302, 395
– Risikostratifizierung 47 Leistungssport 537 Lungenvene 378
– Therapie 48 Leitungsblockierung 75 Lupus erythematodes 416
Koronarverschluss Leitungsverzögerung, intraventrikuläre – Antiphospholipidsyndrom 336
– kardiogener Schock 219 7 intraventrikuläre Leitungsverzögerung – disseminatus 335
– Malaria 494 Lentiginose 497 – Herzinsuffizienz 139
– PCI-Komplikation 217 LEOPARD-Syndrom 497 – Kardiomyopathie 306
– Schock 186 Leptospirose (Morbus Weil) 491 – Mitralinsuffizienz 402
Körpergewicht 30 Lewis-Index 142 – Perikarditis 336
körperliche Aktivität 29 LIMA (Left Internal Mammarian Artery) 42 – pulmonale Hypertonie 295
körperliche Inaktivität 8 Linksherzhypertrophie 7 Myokard- – Rheumaknoten 329
– Epidemiologie 8 hypertrophie – Trikuspidalstenose 416
– Therapie 8 Linksschenkelblock 23, 90, 167 LV-Hypertrophie 7 Myokardhypertrophie
Kortikoide Linksschenkelblock, komplett 90 Lyme-Karditis 492
– Abstoßungsreaktion 506 Lipidkern 18 Lymphom 435
– Fettembolie 289 Lipodystrophie 492 lymphoproliferative Erkrankung 511
– Hyperlipoproteinämie 511 Lipom 434 Lymphadenopathie, zervikale 490
– Hypersensitivitätssyndrom 341 Löffler-Endokarditis 340, 402
– Hypertriglyceridämie 8 – restriktive Kardiomyopathie 340
– Karditis, immunologisch 334 Löffler-Endomyokardfibrose 314
– Myokarditis 359 Long-QT-Syndrom 75, 103, 104, 107, 110
– im Schock 229 Low output 7 Herzinsuffizienz
570 Sachverzeichnis

M – – Therapie 404
Mitralklappenersatz 401
– Definition 212
– Schweregrad 213
Mitralklappenkommissurotomie 401 – Scores 214
Magnetresonanztomographie, kardiale 25, Mitralklappenöffnungsfläche 398 Muskeldystrophie
145, 358 Mitralklappenprolaps 402, 483 – Duchenne 495
Magensaftaspiration 183 Mitralklappenprolapssyndrom 405, 540 – myoton 495
Mahaim-Bahn 97 – Ätiologie und Pathologie 405 Muskelmasse, CT und MRT 145
Malaria 494 – Diagnostik 406 Musset-Zeichen 414
Mesotheliom, malignes 435 – klinisches Symptom 406 Mustard-Operation 389–390
Makro-Reentry-Tachykardie 7 Herzrhyth- – Pathophysiologie 405 Mutterkornalkaloide 260
musstörungen – Prognose 406 Myasthenia gravis 495
Makrozirkulationsstörung, Schock 183 – Therapie 408 Mykophenolat-Mofetil 505
MAP (Mean Arterial Pressure) 7 Mitteldruck, – Sport 540 Myoglobin 47
arteriell Mitralklappenrekonstruktion 171, 405 Myokardbiopsie
Marfan-Syndrom 402, 405, 426 Mitralöffnungston 398 – Amyloidose 315
Maschinengeräusch 382 Mitralklappenstenose – Fabry 317
Matrixmetalloproteinase 16 – Ätiologie und Pathologie 397 – Herzinsuffizienz 145
Maze-Operation 80, 102 – Diagnostik 398 – Löffler-Endokarditis 341
MCTD (Mixed Connective Tissue Disease, – klinisches Symptom 398 – Myokarditis 354
7 Sharp-Syndrom) 337 – Pathophysiologie 398 – Transplantation 508
MdE 7 Minderung der Erwerbsfähigkeit – perioperativ 468 Myokardcommotio 478
MDRD-Formel 530 – Prognose 398 Myokardcontusio 477–478
Mediatorkaskade 188 – Schwangerschaft 440 Myokardhypertrophie
Medianekrose – Therapie 400 – Alkohol 322
– Aortenaneurysma 426 Mitralstenose 7 Mitralklappenstenose – Aorteninsuffizienz 413
– Erdheim-Gsell-Krankheit 426 Mitwirkungspflicht 516 – Bestimmung ??
– PAN 339 Mitteldruck – Cushing 320
Meditation 546 – atrialer Angleich 369 – Friedreich-Ataxie 494
Memory Loop Recorder, Synkope 268 – arterieller (MAP) 216 – Hämosiderose 316
Menière-Synkope 183 – MODS-SOFA Score 213 – Herzinsuffizienz 123, 140
Mehrgefäßerkrankung 42 – pulmonal 271, 282, 299 – Hyperaldosteronismus 319
Mesenterialkreislauf 135 – rechtsatrial 225 – Hypertonie 252
Mesaortitis 7 Aortitis – Schock 192, 194, 199 – Kardiomyopathie 309
Mesodiastolikum 398 MODS (Multiorgandysfunktionssyndrom) – kardiovaskulärer Risikofaktor 7
Mesotheliom, kardiales (7 Tumoren) 434 (7 Schock) 222 – rechtsventrikulär 387
Metabolische Azidose 7 Azidose Monitoring, invasives hämodynamisches – Stoffwechselerkrankungen 317
Metabolisches Äquivalent (MET), peri- 196 Myokardfibrose 340
operativ 469 monomorphe VT (7 Herzrhythmus- – Bestrahlung 490
Metabolisches Syndrom 7 Syndrom störungen) 104 – Chagas 493
MET 7 metabolisches Äquivalent Morbus – Chemotherapie 322
MIDCAB (minimal invasive direct coronary – Bechterew 335 – Karzinoid 321
artery bypass) 43 – Behçet 340 – Löffler 314
Mikroalbuminurie 530 – Boeck 316 – Pathomechanismus 127
Mikrozirkulationsstörung, Schock 184 – Cushing 245, 320 – toxisch 491
Miktionssynkope 183, 264 – Down 385 Myokardinfarkt
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 517 – Fabry 140, 145, 317 – AICD 109
Mismatch-Befund 281 – Gaucher 489 – AV-Block 88, 90
Mitralinsuffizienz 7 Mitralklappeninsuffizienz – Pompe 489 – Differenzialdiagnose 21, 44
Mitralanuloplastie, perkutane 171 – Reiter 335 – EKG 45
Mitralklappeninsuffizienz 401, 484 – Still 335 – Enzyme 46
– Ätiologie und Pathologie 401 – Takayasu 339 – Herzinsuffizienz
– akut – Weil 491 – – akut 112
– – erworbener Herzfehler 402 – Wegener 340 – – chronisch 123
– – kardiogener Schock 222 – Whippel 492 – Infarktlokalisation 46
– – beim Myokardinfarkt 65 MOV-Score, Schock 214 – Kammerflimmern 104
– chronisch 402 MRT 7 Magnetresonanztomographie – Komplikationen 64
– – Diagnostik 403 MSCT (Multislice-Computertomographie) – Koronarangiographie 26
– – Pathophysiologie 402 24 – Koronarsyndrom (7 Koronarsyndrom) 47
– – Prognose 403 Mukopolysaccharidose 489 – Leitlinien 57
– – Sport 540 Multiorgandysfunktionssyndrom, Schock – Linksschenkelblock 45
– – Symptome 403 (MODS) 212 – NSTEMI 45
Sachverzeichnis
571 M–P

– – Therapie 48 Natriumkanalmutationen 75, 84 Noonan-Syndrom 381


– Pathogenese 15 Nebennierenkrise (Addison) 183 Noradrenalin 118, 129
– peroperativ 467 Neointimabildung 41 Notfalloperation 466
– Postinfarktkomplikation 65 Nephritis, interstitiell 532 Nüchternblutzucker 6
– rechtsventrikulär 63, 224, 364 Nephronblockade 156 NSTEMI (non ST elevation myocardial
– Risikofaktoren 1–11 Nephroprotektion 251 infarction) 7 Myokardinfarkt
– Schock, kardiogener (7 Schock) 63 neurohumorale Aktivierung 128 NTproBNP 7 Peptide
– Sekundärprävention 68 – Katecholamine 129 NYHA-Klassifikation 139, 140
– Stammzellen 60 – sympathisches Nervensystem 129
– STEMI 45, 55 New York Heart Association (NYHA) 20
– – biochemische Marker 56
– – Elektrokardiographie 56
New Zealand Score 68
nichtinvasive Beatmung (NIPPV) 118
O
– – Fibrinolyse 57 nichtinvasive Diagnostik 7 Diagnostik
– – Infarktkomplikation 63 nichtinvasive Stresstestung 470 O2-Sättigung 199
– – klinischer Befund 56 nichtisthmusabhängige Makro-Reentry- Ödem 137
– – Lyse 57 tachykardie 99 – Kapillarfiltration 137
– – Operation 60 niedermolekulares Heparin (7 Heparin) 49, – Pathogenese 137
– – perkutane Koronarintervention 58 284 Ödembildung 368
– – Therapie 56 Niedervoltage 364 okulärer Hypertelorismus 497
Myokardischämien, stumm 20 Niere 529 Omega-3-Fettsäuren 108
Myokarditis 351–358 – Cholesterinemboliesyndrom 532 OPCAB (offpump coronary artery bypass)
– Herzinsuffizienz, akut 111 – Herzinsuffizienz 530 43
– Herzrhythmusstörungen 88 – kardiovaskuläres Risiko 529 Ophtalmoplegie, Kearns-Sayre-Syndrom
– immunologisch 338 – Klappenvitien 531 496
– Infektionserkrankungen 490 – Mikroalbuminurie 530 Opiate 115
– peripartal 445 – Nierenerkrankung 529 Organperfusion 185
– Sport 540, 542 – Nierenfunktion 529 orthodrome Tachykardie (7 Tachykardie) 96
– viral 351–358 – – bei Herzerkrankung 532 Orthopnoe 137, 409
– – Ätiologie 351 – urämische Perikarditis 531 Orthostase (7 Hypotonie) 255–261, 264,
– – Diagnostik 354 Nierenarterienstenose 150 460
– – klinisches Symptom 353 Nierenerkrankung, chronische 529 – Asympathikoton 256
– – Pathogenese 352 Nierenfunktion – autonom-neurogen (ANS) 256
– – Therapie 358 – ACE-Hemmer 150 – Diagnostik 257
Myokardkontusion (7 Myokardcontusio) – Aldosteronantagonisten 156 – Einteilung 256
480 – Diuretika 154 – nichtautonom-neurogen 256
Myokardlazeration 478 – Herzinsuffizienz 532 – Osteogenesis imperfecta 413
Myokardnekrose 481 – Herztransplantation 510, 532 – Prognose 261
Myokardregeneration 549 – Hypertonie 251 – Schellong 257
Myokardszintigraphie 19, 23 – kardiorenales Syndrom 532 – sympathikotone 255
Myosin 126 – MDRD-Formel 530 – Therapie 258
Myxom (7 Tumoren) 399 – Schock 205 Osteoporose 511
– familiäres 434 Nierendurchblutung 135, 137 Osteoporoseprophylaxe 511
– linksatriales 398 Nierenversagen im Schock 217 Osteosarkom 435
– Synkope 256 Nikotinkonsum 3 Östrogen 11
– Epidemiologie 3 Östrogenmangel 484
– Nikotinersatztherapie 3 Östrogentherapie 11

N – Therapie 3
NIPPV 7 nichtinvasive Beatmung
Oversensing 81

Nikotinrezeptor 2
N. laryngeus recurrens 429
Nachdepolarisation 74
Nitrate
– Aortenstenose 412
P
Nachlast 133 – Herzinsuffizienz
Nachlastsenker 162 – – diastolisch 166 PAGOD-Syndrom 497
Narkoserisiko 7 Perioperatives Management – – systolisch 162 PAH (7 auch pulmonal arterielle Hypertonie)
Natrium-Kalium-ATPase 158 – kurz wirksame Nitrate 32 292
Natrium-Kalzium-Austauschersystem 124 – lang wirksame Nitrate 32 – andere Erkrankung (APAH) 292
Natriumbikarbonat 202 – Schwangerschaft 446 – familiäre Form (FPAH) 292
Natriumhomöostase 124 – Vorlastsenkung 172 – idiopathische Form (IPAH) 292
Natriumkanalagonisten 165 – Wirkmechanismus 32 PAI-1 (Plasminogen Aktivator-Inhibitor) 19
Natriumkanalantagonisten 77 Nitrattoleranzentwicklung 162 PAK 7 Pulmonalarterienkatheter
Natriumkanalblocker 77 Non-Compaction-Kardiomyopathie 323 Panarteriitis nodosa 339
572 Sachverzeichnis

Panikattacke 484 – – purulente 361 Plasminogenaktivator (7 Thrombolyse) 19,


Papillarmuskelabriss 65, 402 – – Symptome 361 286
Papillarmuskeldysfunktion 65 – – Therapie 363 Plasmodium falciparum 494
Papillarmuskelruptur 403 – – Thoraxröntgenaufnahme 362 Pleuraerguss 138
PAPm (pulmonal arterieller Mitteldruck, – constrictiva 141, 313, 367 Pleuritis
7 Mitteldruck) 291 – – Ätiologie und Pathogenese 367 – immunologisch 334
PAPs (pulmonal arterieller Druck, systolisch) – – klinisches Symptom 368 – Lungenembolie 277
291 – – Therapie 371 – Lungeninfarkt 288
Paragangliom 434 – – transvalvuläres Flussprofil 368 – Postinfarkt 341
Parasystolie 81 – idiopathische 361 – Thoraxschmerz 44
Parathormon 531 – immunologisch 334, 336 Pneumocystis carinii 510
Pardée-Q 21 – Sport 542 Pneumokokken-Impfung, Herztrans-
paroxysmales Vorhofflimmern (7 Vorhof- – traumatisch 478 plantation 510
flimmern) 101 – urämisch 363, 531 Pneumokokken-Sepsis 226
PARP - Eynzm 191 Perikardlazeration 478 Polymerase-Kettenreaktion 356
PCI (Percutane Coronary Intervention, Perikardmetastase 352 Pompe-Erkrankung 316
7 perkutane transluminale Koronar- Perikardpunktion 362, 366 Postinfarktperikarditis 66
angioplastie) 36 Perikardreiben 361 Postinfarktphase 65
PCP (pulmonalkapillärer Druck) 291 Perikardruptur 478 Postmenopause 11
PDE-III-Hemmung 7 Phosphodisterase- Perikardtamponade 363, 426, 478 Postmyokardinfarktsyndrom 341
hemmstoffe Perioperatives Management Postoperationsmanagement 540
PDA (7 Ductus arteriosus, persistierender) – Lebensalter 465 Postperikardiotomiesyndrom 342
381 – perioperative Ischämie 467 Posttransplantationsphase 509
PEEP (positiver endexpiratorischer Druck) – perioperative Komplikation 466 PPAR 36
118 – perioperative Risikoevaluation 465 P-pulmonale 278
Peptide (BNP) 143 – perioperative Sterblichkeit 466 Präeklampsie 447
– atriales natriuretisches (ANP) 189, 501 perkutanes kardiopulmonales Bypasssystem Präexzitationssyndrom 96
– natriuretische 143 219 präkordialer Faustschlag 201
– – Alter 455 – Indikationen 219 Präschockphase 191
– – Herzinsuffizienz 114, 138 perkutane transluminale Koronarangio- Präsynkopen 277
– – Hyperthyreose 143 plastie (PTCA) 37, 220 Praxishochdruck 250
– – Lungenembolie 279 – Durchführung 38 Prellmarken 479
– – im Schock 189, 196 – Erfolgsrate 38 Pressure Half Time (PHT) 399
– – Transplantation 507 – faciliated 57, 58, 219 Primäre ziliäre Dyskinesie 497
– rekombinantes BNP 175 – Komplikation 38 Primärprävention 68
Perforation 477 persistierender Ductus arteriosus 7 Ductus Prinzmetal-Angina 33
Perfusions-Ventilations-Szintigraphie 280 arteriosus Proarrhythmie 77
Perikardbiopsie 362 PET, Positronen-Emissions-Tomographie PROCAM-Score 66
Perikardektomie 371 24 Progressive systemische Sklerose 337
Perikarderguss 66, 342 PHT 7 Pressure Half Time Prokalzitonin 196
– Ätiologie 363 Pflegeversicherung 515 Prostaglandin-Gabe 393, 502
– Computertomographie 365 PFO 7 Foramen ovale Prostaglandinsynthese 260
– Diagnostik 364 Phäochromozytom 308, 320 Prostaglandinsynthesehemmer 260
– Differenzialdiagnose 364 Phenylalkylamine 160 Prostanoide 224, 295, 299, 301
– Echokardiographie 364 Phlebothrombose, Schwangerschaft 450 Prostazyklinanaloga 301, 337, 401
– Elektrokardiographie 364 Phosphodiesterase-5-Inhibitoren 301 Protein C, aktiviertes, bei Schock 232
– klinisches Symptom 364 Phosphodiesterasehemmstoffe 118, 174, Protein-S-Mangel 273
– Magnetresonanztomographie 365 209 Proteinurie 447
– Pathogenese 363 PiCCO 115 Prothrombin, Mutationen 272
– Therapie 366 – -System 199 Prothesenendokarditiden 346
– Thoraxröntgenaufnahme 365 Pigtail-Katheter 25 Pseudomonas 346
Perikardinfiltration 435 Pilzendokarditis 347 – -Exotoxin A 188
Perikarditis PISA (proximale Konvergenzzone) 404 Psychosomatik 485
– akute 361 Plaques 16 PTCA 7 perkutane transluminale Koronar-
– – Ätiologie 361 – aortal 431 angioplastie
– – Diagnostik 362 – instabile, vulnerable 18 Pulmonalarterienkatheter (PAK) 198
– – Echokardiographie 362 – stabile 18 Pulmonale Hypertonie (PAH)
– – Elektrokardiographie 362 Plaqueruptur 14, 18 – akut 275
– – Laborparameter 362 – 7 Myokardinfarkt – – genetische Veränderung 293
– – Pathogenese 361 – perioperativ 467, 473 – – vaskuläres Remodeling 294
– – Perikardpunktion 362 Plaquestabilität 16, 470 – – Vasokonstriktion 293
Sachverzeichnis
573 P–R

– andere (APAH) 292 Quincke-Zeichen 414 Reperfusionsschaden 191


– ASD 378 Quick-Wert 7 INR Reperfusionstherapie 59
– Ätiologie und Pathogenese 293 Q-Zacke 45 Repolarisationsstörung 142, 309, 342, 407,
– chronisch 291 479
– – Ätiologie und Pathogenese 293 Rescue-PCI 58


– Definition und Klassifikation 292
– Hämodynamik 291
R Restenose 40
Resynchronisationstherapie, kardial
– – invasive Diagnostik 298 (7 CRT) 169
– – klinisches Erscheinungsbild 295 RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron- Rezeptorenblocker
– – nichtinvasive Diagnostik 295 System) 130 – 7 Alpharezeptorenblocker
– – pulmonaler Gefäßwiderstand 292 Radionuklidventrikulographie 145 – 7 Betarezeptorenblocker, Betablocker
– – pulmonale Zirkulation 291 RAP (right atrial pressure, ZVD) 296 Rhabdomyom (7 Tumoren) 434
– – Therapie 299 Rapamycin 504 Rhabdomyosarkom (7 Tumoren) 435
– – Vasokonstriktion 292 RAS (Renin-Angiotensin-System) 132 Rheumafaktor 334
– chronisch-thrombembolisch (CTEPH) Rashkind-Manöver 389 Rheumaknoten 329
282, 303 RASS-Score 217 rheumatisches Fieber 7 Fieber, rheumatisch
– Erkrankungsform 293 Rastelli-Operation 390 Rheuma
– familiäre (FPAH) 292 Rauchen (7 Nikotin) 29 – Arthritis 333, 413
– Gefäßwiderstand 292 Raynaud-Phänomen 152 – Faktor 334
– idiopathische (IPAH) 292 RCA (Right Coronary Artery) 14 – Karditis 7 Fieber
– pulmonale Zirkulation 291 RCX (Ramus circumflexus) 13 – Knoten 329
Pulmonalatresie 386 Reanimation, kardiopulmonale 199 Rhythmusstörung 7 Herzrhythmus-
Pulmonalisangiographie 282 Reanimationsmaßnahme 200 störungen
Pulmonalisdruckmessung 282 – Basismaßnahme 201 Riesenzellarteriitis 338
Pulmonalklappe 420 – Defibrillation 201 RIM (Ramus intermedius) 14
Pulmonalklappendysplasie 380 – erweitert 201 RIMA (Right Internal Mammarian Artery)
Pulmonalklappeninsuffizienz 420 Rebound-Phänomen 467 42
– Ätiologie und Pathologie 420 Rechtsherzinfarkt 63, 224, 364 Risiko, perioperativ 465
– Diagnostik 420 Rechtsherzinsuffizienz 137 – Diagnostik 468
– klinisches Symptom 420 Rechtsherzkatheter (7 Koronarangio- – Herzinsuffizienz, chronische 467
– Pathophysiologie 420 graphie) – Herzklappenerkrankung 467
– primär 420 – Herzinsuffizienz, akut 115 – Herzrhythmusstörung 468
– Prognose 420 – pulmonale Hypertonie 298 – Hypertonie 467
– relative 420 – Schock 197 – koronare Herzkrankheit 466
– Therapie 421 Rechtsschenkelblock 90 – Myokardinfarkt 466
Pulmonalstenose 7 Pulmonalklappen- rechtsventrikuläre Dilatation 275 – Risikoevaluation 465
stenose rechtsventrikuläre Dysfunktion 227, 275 – therapeutische Optionen 470
Pulmonalklappenstenose, valvulär 380, rechtsventrikulärer Infarkt 7 Rechtsherz- Risikoevaluation 465
420 infarkt Risikofaktor
– Aktivität 381 Reentrymechanismus 75 – kardiovaskulär
– Definition und Pathologie 380 Reflexsynkope 264 – – Adipositas 8
– Diagnose 381 Reflux, hepatojugularer 142 – – Alkoholabstinenz 10
– Endokarditisrisiko 381 Regeneration, myokardial – – Alter und Geschlecht 11
– isolierte 540 – Therapieoptionen 547 – – C-reaktives Protein 10
– Nachsorge 381 – tissue engineering 550 – – Depression 11
– Prognose 381 – Zelltherapie 547 – – Diabetes mellitus 6
– Spontanverlauf 381 Rehabilitation, kardiale 68 – – erniedrigtes »High-density-lipo-
– Therapie 381 Reinnervierung 503 protein«-Cholesterin 7
Pulsus paradoxus 313, 364 Reisen 147 – – familiäre Disposition 12
Pulsus parvus et tardus 410 Reiter-Krankheit, Syndrom 335, 413 – – Homocystein 10
Pumpversagen 7 Schock Reizhusten 150 – – Hormonsubstitution 11
Purkinje-Fasern 73 Relaxationsstörung 134 – – Hypercholesterinämie 4
PVR 7 Gefäßwiderstand pulmonal Remodeling 28 – – Hypertonie, arterielle 3
– vaskuläres 294 – – Hypertriglyzeridämie 9
Renin 130 – – Inaktivität 8

Q – Grundlagen 130
– Renin-Angiotensin-System (RAS) 132
– – Klasse-I-Risikofaktor 3
– – Klasse-II-Risikofaktor 5
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System – – Klasse-III-Risikofaktor 9
QT-Intervall-Dispersion 106 (RAAS) 130 – – Klasse-IV-Risikofaktor 11
QT-Zeit, frequenzkorrigierte 106 Renininhibitoren, direkte 163 – – Klassifikation 3
Quadratwurzelzeichen 369 Rentenversicherung 515 – – linksventrikuläre Hypertrophie 6
574 Sachverzeichnis

Risikofaktor – hypovolämischer 178, 184, 232 – mode switch 82


– – Nikotinkonsum 3 – – Blutung 232 – Refraktärzeit 82
– – pathologische Glukosetoleranz 7 – – Diagnostik 232 – Sensitivität 81
– – Scoresystem 2 – – klinische Symptome 232 – Stimulationsfrequenz 82
– Thrombose 272 – – Therapie 233 – unipolare Elektrodenfunktion 82
– – chirurgisch 274 – kardiogener Schwangerschaft 274, 426, 439
– – internistisch 274 – – Ätiologie, Defintion 180 – ACE-Hemmer 446
RIVA (Ramus interventricularis anterior) 13 – – Aortenstenose 223 – Antikoagulation 449, 450
Rivero-Carvallo-Zeichen 417, 419 – – Differenzialdiagnose 220 – Aortenklappenerkrankung 445
RIVP (Ramus interventricularis posterior) 14 – – IABP 218 – Gestationshypertonie 446
Romano-Ward-Syndrom 75 – – Komplikationen 222 – Hämodynamik 439
Röntgenthorax 21 – – Mitralinsuffizienz 222 – Herzrhythmusstörung 448
Röteln – – Myokardinfarkt 63 – Hypertonie 446
– Ductus arteriosus 351 – – Pathophysiologie 184 – Kardiomyopathie
– Myokarditis 381 – – PCI 217 – – dilatative 445
Ross-Prozedur 412 – – Rechtsherz 224 – – hypertrophe 446
Rubinstein-Taybi-Syndrom 497 – – Therapie 215, 217 – Kontraindikation 440
Rückwärtsversagen 138 – – Trauma, kardiales 479 – koronare Herzkrankheit 448
Ruheelektrokardiographie 21 – – Ventrikelruptur 223 – Linksherzobstruktion 440
RVEDD (rechtsventrikulärer endiastolischer – Multiorgandysfunktionssyndrom, Schock – Marfan-Syndrom 440
Diameter) 296 (MODS) 212 – Mitralstenose 440, 444
RVSP (rechtsventrikulärer systolischer – – Definition 212 – peripartale Kardiomyopathie 445
Druck) 296 – – Schweregrad 213 – Präeklampsie 447
– – Scores 214 – pulmonale Hypertonie 440
– – Therapie 222 – Risikobeurteilung 440

S – Nebennierenkrise 183
– neurogener 182
– Therapie 446
– Thromboembolieprophylaxe 449
– Pathophysiologie 183 – ventrikuläre Dysfunktion 440
SA-Block I-III 84 – septischer 181–185, 190, 224 – Vorhofflimmern 450
Sachverständiger 516 – – Ätiologie 225 – zyanotische Herzerkrankung 440
Salzzufuhr 147 – – Hämodynamik 225 Schwangerschaftshypertonie 447
SAM-Phänomen (Systolic Anterior Motion) – – Kardiomyopathie 190, 226 Schwerbehinderung 519
310, 402 – – klinisches Symptom 225 SCORE, Schock 245, 542
SAPS-II Score, Schock 214 – STEMI 63 Seattle Heart Failure Model 499
Sarkoidose 88, 145, 316 – Therapie 199 Sekundäre Hypertonie (7 Hypertonie) 243
Sauerstoffaufnahme 145 – traumatischer 233 Sekundärprävention 68
Sauerstoffbedarf 467 – – Diagnostik 233 Senning, Vorhofumkehroperation 389
Sauerstoffextraktion 454 – – Inzidenz 233 Septumablation, transkutane myokardiale
Sauerstoffmangel 186 – – klinisches Symptom 233 312
Sauerstoffradikale 189 – – Pathogenese 233 Sepsis (7 Schock) 185
Sauerstoffverbindung, reaktive 189 – – Therapie 233 Septumdefekt 478
Sauerstofftherapie 300 Schockerstversorgung 194 – atrialer 7 Vorhofseptumdefekt, ASD
SCD (sudden cardiac death) 7 Herztod, Schrittmacher – atrioventrikulärer (7 AVSD) 385
plötzlicher – biventrikuläre Stimulation (7 CRT) 167 – ventrikulärer 7 Ventrikelseptumdefekt
Schellong 257 – externe 82 Septumdicke 533
– -Test 267 – Resynchronisation 7 CRT Septumhypertrophie 310
Schilddrüse 7 Hyper-/Hypothyreose Schrittmacherfehlfunktion 468 Serotonin 320
Schlaganfall 252 Schrittmacherkomplikation 82 Sharp-Syndrom 337
Schlagvolumen 133 Schrittmacherkontrolle 82 Short-QT-Syndrom (SQTS) 76, 104, 105,
Schlagvolumenindex 25 Schrittmachernomenklatur 81 107, 110
Schleifendiuretika 153, 165 Schrittmacherstimulation Shy-Drager-Syndrom 256
Schluckauf 364 – externe temporäre 82 Sick sinus syndrome 84
Schmerzperzeption 484 – temporär 82 Sinuatrialer Block 84
Schock 177 – transvenös 82 Sinus-Valsalvae-Aneurysma 414
– anaphylaktischer 182, 234 Schrittmachersyndrom 82 Sinusarrest 84
– – allgemeine Therapiemaßnahmen 234 Schrittmachertherapie 80, 167 Sinusbradykardie 84
– – klinische Symptome 234 – AV-Intervall 82 Sinusknoten 73
– – Therapie 234 – bipolare Elektrodenfunktion 82 Sinusknotenarterie 14
– Definition 177 – Hysterese 82 Sinusknotendysfunktion 84
– Diagnostik 194 – Impulsamplitude 81 – Diagnostik 85
– extrakardial-obstruktiver 181 – Impulsdauer 81 – Epidemiologie 86
Sachverzeichnis
575 R–T

– Pathophysiologie 86 – Drug Eluting Stent (DES) 7 Drug Eluting – Diagnostik 265


– Prognose 86 Stent (DES) – Eisenmenger 394
– Symptomatik 85 – Pulmonalstenose 388 – Fahrtüchtigkeit 83
– Therapie 85 – perioperatives Risiko 470 – Herzrhythmusstörungen 85, 87
Sinusknoten-Erholungszeit 79 Stent-Thrombose 40 – kardiogene 265
Sinusknotenfunktion 79 Stenting 7 Stent – Lyme-Karditis 492
Sinusknoten-Reentry-Tachykardie 92 ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) (7 Myokard- – Prognose 270
Sinuspause 84 infarkt) 55 – Pulmonalstenose 7 Pulmonalstenose
Sinustachyarrhythmien 92 – biochemische Marker 56 – reflektiv 264
Sinustachykardie 92 – Elektrokardiographie 56 – Schrittmachersyndrom 82
SIRS (Systemic Inflammatory Response – Fibrinolyse 57 – situative 264
Syndrome) (7 Schock) 179, 222 – Infarktkomplikation 63 – Therapie 269
Sjögren-Syndrom 337 – klinischer Befund 56 – vasovagale 263
SKEZ (Sinusknoten-Erholungszeit) 79, 85 – operative Myokardrevaskularisation 60 – zerebrovaskuläre 265
Sklerodermie 402 – perkutane Koronarintervention 58 Syphilis 492
Slow-Flow-Phänomen, Koronarangiographie – Postinfarktphase 65 – Aortitis 413
358 – Stammzelltherapie 60 Szintigraphie, Myokard 7 Myokard-
SOFA (Sepsis related Organ Failure – Therapie 56 szintigraphie
Assessment) (7 MODS) 213 – Thrombolyse 57
Sokolow-Lyon-Index 142, 410 Still, Morbus 335
Somatostatinanaloga 260
Sozialversicherung 515
Stillzeit 448
Stimulation
T
Spaltung, paradoxe 410 – atriale 79
Spannungspneumoperikard 364 – frequenzadaptierte 81 T-Wellen-Alternans 106
Spätpotenzial 106 – ventrikuläre 80 Tachykardie (7 Herzrhythmusstörungen)
Spiroergometrie 297 Strahlenbehandlung 490 368
Spondylitis ankylosans 335, 413 Streptokinase 57 – Antidrome 97
Sport 533 Streptokokken 345 – atriale Makro-Reentrytachykardie 99
– myokardiale Veränderung 535 – Endokarditis 345 – AV-junktionale 96
– Screening vor Leistungssport 537 – Pharyngitis 327 – AV-(Knoten-)Reentrytachykardie (AVNRT)
– kardiovaskuläre Erkrankungen 538 – rheumatisches Fieber 327 7 AV-(Knoten-)Reentrytachykardie
Sportherz 533, 535 Streptokokkenimpfung 331 (AVNRT)
Square-root 313 Stressechokardiographie 23, 144, 470 – fokal atriale 93
SSS 7 Sick sinus syndrome Strömungswiderstand 135 – Orthodrome 97
Stammzellen, embryonale 550 ST-Strecken-Hebung 47, 56 – Sinustachykardie 92
Stammzelltherapie 60, 171 – konvexe 362 – Sinusknoten-Reentry 92
Stanford-Klassifikation 425 ST-Strecken-Hebungsinfarkt 7 STEMI – supraventrikuläre 63, 92
Staphylococcus aureus 226 ST-Strecken-Senkung 23 – Torsade-de-pointes 103, 107
– Endokarditis 345 Subclavian-Steal-Syndrom 265 – ventrikuläre 103
Starflex, Device ASD 379 Subklaviaplastik, Waldhausen 384 – – akut 107
Starr-Edwards-Prothese 421 Sulfonylharnstoff 6 – – catecholaminerge polymorphe
Statine 8 Superantigen 187, 188 ventrikuläre Tachykardie (CPVT) 76
– Herzrhythmusstörung 108 supraventrikuläre Tachykardie (7 Tachy- – – Diagnostik 105
– koronare Herzkrankheit, KHK 36 kardie) 63, 92 – – Epidemiologie 103
– perioperativ 473 Surviving Sepsis Campaigne 228 – – idiopathische 107, 110
– Schock 211 Swan-Ganz-Katheter 115 – – Klassifikation 103
Statintherapie 7 Statine Swinging Heart 365 – – Langzeittherapie 107
Stauungsleber 138 Swiss-Cheese-Septum 496 – – monomorphe 104
STEMI (ST-Elevation Myocardial Infarction) Switch-Operation, arterielle 389–390 – – nichtanhaltende 63
7 Myokardinfarkt Sydenham-Chorea, minor 329 – – Pathophysiologie 103
Stenosegrad 17 Sympathikusaktivierung 129 – – Symptome 105
Stenosemorphologie 17 – sympathisches Nervensystem 129 Tachypnoe 277
– Typ-A-Stenose 17 Syndrom Tacrolimus 504
– Typ-B-Stenose 17 – funkionelles 485 Taillenumfang 30
– Typ-C-Stenose 17 – hypereosinophiles 145, 314 Takayasu-Arteriitis 265, 339
Stent 40, 216, 219 – kardiorenales 529 Tako-Tsubo-Kardiomyopathie 63, 323
– Aortenaneurysma 431 – metabolisches (MS) 15, 246 Tako-Tsubo-Syndrom 7 Tako-Tsubo-Kardio-
– Bare Metal Stent (BMS) 7 Bare Metal – X 27, 484 myopathie
Stents (BMS) Synkope Talk test 538
– Coarctation 384 – Aortenstenose (7 Aortenstenose) 409 Tamponade, Perikard 435
– bei Diabetikern 526 – Ausflusstraktobstruktion 436 TANDEM- Heart 219
576 Sachverzeichnis

TAPSE (tricuspidal annular plane systolic Toleranzentwicklung 162 trizyklische Antidepressiva 491
excursion) 296 Torsade-de-pointes-Tachykardie 103, 107 Tropheryma whippelii 492
TDI (Tissue Doppler Imaging) 7 Gewebe- total artificial heart (7 Kunstherz) 170 Tropomyosin 126
dopplerechokardiographie Toxine 187 Troponin 46, 126, 196
Tawara-Schenkel 73 Toxinschocksyndrome 226 – C (TnC) 126
TEE (transösophagealen Echokardiographie) Toxoplasmose 145 – I (TnI) 126
344 Training 8, 69, 147, 533 – T (TnT) 126
Tei-Index, Echokardiograpie 296 Tranquilizer 486 Trypanosoma cruzi 493
Telemonitoring 147 Transplantatvaskulopathie 506, 510 Tuberkulose 362, 367
Temporalarterie 339 Transposition der großen Arterien 389 Tumoren, kardiale 433
Teratom (7 Tumoren) 435 – Aktivität 392 – Diagnostik 437
Thiaminmangel 489 – Definition und Pathologie 389 – klinisches Symptom 436
Thiaziddiuretika 153 – Diagnose 390 – maligner Tumor 434
Thiazide 165 – Endokarditisrisiko 392 – Myxom (7 Myxom) 433
Thiazolidindione 36 – Epidemiologie 389 – nichtmyxomatöser Tumor 434
Thienopyridine 51 – klinisches Symptom 389 – Prognose 438
Thoraxröntgen 21 – Nachsorge 392 – Rhabdomyom 434
thorakale Beschwerden, Differenzial- – Prognose 390 – Rhabdomyosarkom 435
diagnose 21, 45 – Spontanverlauf 390 – Therapie 438
Thoraxschmerz 45, 277 – Therapie 390 – Teratom 435
– Differenzialdiagnose 21, 45 Trauma, kardiales 477 Tumor-Nekrose-Faktor-α 190
Thromben, linksventrikulär 66 – Ätiologie 477 Turner-Syndrom 429
Thrombininhibitoren, direkte 50 – Auskultation 479
Thromboembolieprophylaxe 102 – Diagnostik 479
Thromboembolierisiko 163
Thrombolyse
– Elektrotrauma 480
– Folgestörung 480
U
– im Alter 458 – Gutachten 480
– faciliated PCI 58 – Herzklappenapparat 479 Überdruckbeatmung 203
– kardiogener Schock 20, 216, 219 – Inspektion und Palpitation 479 Überleitung, atrioventrikuläre 79
– Klappenthrombose 423 – klinisches Symptom 479 UFH (unfraktioniertes Heparin) 7 Heparin
– Kontraindikationen 286 – Koronargefäß 478 Uhl-Erkrankung 318
– Lungenembolie 286 – Morphologie und Symptomatik 477 Ultrafiltration 116
– Myokardinfarkt, STEMI 57 – Mortalität 480 Undersensing 81
– – Indikationen 57 – Myokard 478 Unfallversicherung 515
– prästationär, prähospital 57 – Pathogenese 477 Urämie 361
– Substanzen 58 – penetrierend 477 – Perikarditis 363, 531
– Zeitpunkt 57 – Perikard 478 Urapidil 163
thrombolytische Therapie 203 – stumpf 477 Ultraschall, intravaskulärer 7 IVUS
Thrombopenie 7 Thrombozytopenie – Therapie 480
Thrombophilie 272 – Verlauf und Prognose 480
– Antithrombin-Mangel 272
– APC-Resistenz 272
Trendelenburg-Operation 287
Treponema pallidum 492
V
– Faktor-V-Leiden-Mutation 272 Triglyzeride 9
– Protein-C-Mangel 272 Trikuspidalklappenanuloplastie 419 Vagotonus 88, 89
– Protein-S-Mangel 272 Trikuspidalklappenatresie 392 Valvuloplastie 380
– Prothrombinmutation 272 Trikuspidalklappeninsuffizienz 418 Valsalva-Manöver
Thrombophilie-Screening 272 – Ätiologie und Pathologie 418 – autonome Funktion 259
Thrombozytenaggregationshemmer 35, – Diagnostik 418 – AV-Reentry-Tachykardie 93
164 – klinisches Symptom 418 – Kardiomyopathie 309
– Acetylsalicylsäure 35 – Pathophysiologie 418 – Mitralflussprofil 144
– Clopidogrel 35 – Prognose 418 – supraventrikuläre Tachykardie 96
Thrombozytopenie, Heparin-induzierte 285 – Therapie 419 – Synkopen 264
Thrombusausschluss 78 Trikuspidalklappenöffnungston 417 Valsalva-Quotient 259
Thrombusgenese 272 Trikuspidalklappenrekonstrukton 419 Vaskulitiden 338
TIA (transitorisch ischämische Attacke) 380 Trikuspidalklappenstenose 416 – Churg-Strauss-Syndrom 340
TIMI-Blutungsklassifikation 53 – Ätiologie und Pathologie 416 – Morbus Behçet 340
TIMI-Klassifikation, Fluss 17 – Diagnostik 417 – Panarteriitis nodosa 339
Tissue engineering 550 – klinisches Symptom 417 – Riesenzellarteriitis 338
TnI (7 Troponin) 46 – Pathophysiologie 416 – Takayasu-Arteriitis 339
TnT (7 Troponin) 46 – Prognose 417 – Wegener-Granulomatose 340
Thoraxtrauma, stumpf 477 – Therapie 418 Vasodilatanzien 7 Vasodilatatoren
Sachverzeichnis
577 T–Z

Vasodilatatoren 115, 161 Virchow-Trias 272 – Epidemiologie 377


– Aorteninsuffizienz 415 Virusentzündung 367 – Foramen ovale 380
– Herzinsuffizienz 136 Virusmyokarditis 7 Myokarditis – klinisches Symptom 377
– koronare Herzkrankheit, KHK 33 Virusperikarditis 7 Perikarditis – Nachsorge 379
– Schock 215 Vitalitätsnachweis 24 – Prognose 379
– Vasopressin 7 antidiuretisches Hormon Vitamin-K-Antagonisten 50 – Therapie 378
Vasopressinantagonisten 117, 172 Vitamin B1 489 Vorhofumkehroperation 389
Vasoreaktivitätstest 298 Vitamin B6 10 Vorlast 133
Vaughan-Williams-Klassifikation 77 Volumentherapie Vorlastsenkung 172
Vena-cava-Filter 288 – Gelatine 205 Vorwärtsversagen 138
Vena-cava-inferior-Sperrung 288 – HES 205 VSD (7 Ventrikelseptumdefekt) 65
Venendruck, zentraler (ZVD) 189 – hypovolämischer Schock 232 VVI-Schrittmacher (ventrikulär inhibierte
Venendruckmessung, zentrale 282 – kolloidal 205 Stimulation) 81
Ventilation – kristalloid 204
– im Schock 203 – im Schock 204
– invasiv 119
– nicht-invasive 118
– Sepsis 231
– Verteilungsschock 181
W
Ventilationsszintigraphie 278 Volumenverlust 179
Ventricular assist devices 119 Von-Willebrand-Faktor 19 Wachstumshormon 319
Ventrikelruptur 223, 459 Vorderwandinfarkt 7 Myokardinfarkt Wandeinriss 478
Ventrikelseptumdefekt 375, 540 Vorhofflattern Wasserretention 137
– Aktivität 377 – EKG 99 Waterhouse-Friderichsen-Syndrom 226
– Definition 375 – Fontan-Operation 394 Wegener-Granulomatose 340
– Diagnose 375 – isthmusabhängiges 99 Wells-Score 283
– Endokarditisrisiko 377 – Kardioversion 78 Weisskitteleffekt 250
– Epidemiologie 375 – Katheterablation (7 Katheterablation) Wenckebach-Punkt 80, 89
– klinisches Symptom 375 100 Westermark-Zeichen 279
– Nachsorge 377 – Mechanismus 75 Wettkampfsport 538
– Pathologie 375 – nichtisthmusabhängiges 99 Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)
– Prognose 376 – Schwangerschaft 449 96, 160, 535
– Spontanverlauf 376 – Sympomatik 99 – Ätiologie 99
– Therapie 376 – Therapie 100 – Defibrillation 78
Ventrikelseptumruptur 223 – WPW 97 – Formen 100
Ventrikelstimulation 80 Vorhofflimmern – Pathophysiologie 100
ventrikuläre Arrhythmien (7 Herzrhythmus- – Akuttherapie 101 – Symptome 100
störung) 66 – Diagnostik 101 – Therapie 99
ventrikuläre Tachykardie 103 – Epidemiologie 100 Whippel Krankheit 492
– akutes Management 107 – Herzfrequenzkontrolle 102
– catecholaminerge polymorphe ventri- – Herzinsuffizienz 159
kuläre Tachykardie (CPVT) 76
– Diagnostik 105
– Laboruntersuchung 101
– Langzeittherapie 101
X
– Epidemiologie 103 – Pathophysiologie 100
– Klassifikation 103 – Rhythmuskontrolle 102 Xanthelasmen 21
– Langzeittherapie 107 – Symptomatik 101 Xanthome 21
– Pathophysiologie 103 – Therapie 101
– monomorphe 104 – Thromboembolierisiko 101, 163
– nichtanhaltende 63
– Symptome 105
– – im Alter 459
– – Mitralstenose 399
Z
Ventrikulographie (Lävokardiographie) 25 – – paroxysmales 101
– Pigtail-Katheter 25 – – persistierendes 101 Zelltherapie 547
Venturi-Effekt 310 Vorhofmyxom (7 Myxom, Tumoren) 144 Zirkulation, pulmonale 291
Ventrikelfunktionsstörung, diastolisch 133 Vorhofpfropfung 82 ZVD 198
Verkürzungsfraktion 143 Vorhofseptumdefekt (ASD) 377, 539 Zytokine 188
Verrucae, Lupus erythematodes 336 – Aktivität 380 – Gerinnung 189
Verletzung, kardiale 7 Trauma – atrioventrikulärer (AVSD) 385 – Zytokingenpolymorphismus 189
Verschlussdruck, pulmonaler 115 – Definition und Pathophysiologie 377 Zytokingenpolymorphismus 189
Versorgungsrecht 515 – Diagnose 377 Zytostatika 321
Verteilungsschock 181 – Endokarditisrisiko 380 Zytomegalie Viren (CMV) 353, 509
579 A–D

Medikamentenverzeichnis

A – Klappenprothesen 422
– Myokardinfarkt 61
Ciclosporin A, Transplantation 505
Clonidin
– Primärprävention 35 – hypertensive Krise 253
Abciximab – Risikofaktoren 5 – Orthostase 260
– instabile Angina 51 – Sekundärprävention 35 Clopidogrel
– Schock 220 Atenolol 77 – Herzinsuffizienz 164
Acarbose 5, 6, 31 – Hypertonie 249 – instabile Angina 51
Acebutolol 32 – KHK 31 – KHK 35, 36
Adenosin 93, 448 – perioperativ 472 – Myokardinfarkt, NSTEMI 51
Adrenalin – Schwangerschaft 448 – Myokardinfarkt, STEMI 61
– Herzinsuffizienz 117 Atropin – Stents 40
– Schock 202, 207, 235 – Bradykardie 86–89 Cordarex 160
Agatroban 50 – im Schock 202 Cyclophosphamid 508
Ajmalin Azathioprin 505 – Nebenwirkung 322
– supraventrikuläre Tachykardien 93 Azetazolamid, Herzinsuffizienz 117 Cysplatin, Nebenwirkung 322
– Vorhofflimmern/-flattern 100
Aliskiren 163
α-Methyldopa 447
– Schwangerschaft 447
B D
Alteplase
– Lungenembolie 287 Benazipril 149 Dancor 35
– Myokardinfarkt 58 – Schwangerschaft 446 Danaparoid, Thrombembolie 286
Amilorid, Herzinsuffizienz 153 Benzylpenicillin, rheumatisches Fieber 330 Desferrioxamin 316
Amiodaron β-Methyldigoxin 159 Dexrazoxan 321
– ARVCM 109 Betaxolol 32 Digitoxin
– Digitalisintoxikation 160 Bisoprolol – Herzinsuffizienz 160
– Herzinsuffizienz 164 – Herzinsuffizienz 151 – supraventrikuläre Tachykardien 93
– HOCM 109, 311 – KHK 31 – Vorhofflimmern/-flattern 100
– Myokardinfarkt 63 – perioperativ 472 Digoxin
– Myokarditis 356 – supraventrikuläre Tachykardien 96 – Herzinsuffizienz 160
– Postinfarkt 109 Bosentan 301, 337 – Schwangerschaft 449
– Reanimation 201, 202 Bumetamid, Herzinsuffizienz 117 – supraventrikuläre Tachykardien 93
– Schilddrüsenfunktion 319 Bupropion 2, 29 – Vorhofflimmern/-flattern 100
– Schwangerschaft 449 Busulfan, Nebenwirkung 322 Dihydroxyphenylserin 260
– supraventrikuläre Tachykardie 93 Dihydralazin 162
– ventrikuläre Tachykardie 109 – hypertensive Krise 253
– Vorhofflimmern 100
Amlodipin
C – Schwangerschaft 447
Dihydroergotamin 260
– Herzinsuffizienz 161 Diltiazem 34, 160
– Hypertonie 249 Candesartan, Herzinsuffizienz 157, 166 – Hyperonie 250
– KHK 34 Captopril 149 – Schwangerschaft 449
– pulmonale Hypertonie 301 – Herzinsuffizienz 149, 157 Dipyridamol, Stressechokardiographie 23
Amoxicillin – Hypertonie 249 Disopryamid, Schwangerschaft 449
– Borreliose 492 – Schwangerschaft 446 Dobutamin
– Endokarditisprophylaxe 350 Cardioxane 321 – Herzinsuffizienz 117, 173
– rheumatisches Fieber 330 Carvedilol 31 – Schock 208
Ampicilliln – Herzinsuffizienz 151 – Schwangerschaft 446
– Endokarditis 346 – Vorhofflimmern 159 – Stressechokardiographie 23
– Endokarditisprophylaxe 350 Ceftriaxon Dopamin
Amrinon – Borreliose 492 – Herzinsuffizienz 117, 173
– Herzinsuffizienz 175 – Endokarditis 346 – Schock 208
– Schock 207 – Endokarditisprophylaxe 350 – Schwangerschaft 446
Amsacrin, Nebenwirkung 322 Chinidin, Schwangerschaft 449 Dopexamin 172
Aspisol 7 ASS Chlortalidon Doxazosin 163
ASS (Acetylsalicylsäure) – Herzinsuffizienz 153 Doxicyclin, Borreliose 492
– Angina 51 – Hypertonie 249 Doxorubicin, Nebenwirkung 322
– Herzinsuffizienz 164 Chlorothiazid, Herzinsuffizienz 153 Drotrecogin alfa aktiviert 232
580 Medikamentenverzeichnis

E Hydrochlorothiazid, Herzinsuffizienz 117,


153
– Herzinsuffizienz 151
– KHK 31
– Schwangerschaft 448
Enalapril – Synkope 269
– Herzinsuffizienz 149
– Hypertonie 249
I – Vorhofflimmern 159
Metoprololsuccinat 152
– Schwangerschaft 446 Metoprololtartrat 472
Enoxaparin 50 Iloprost 299 Mibefradil 160
– Myokardinfarkt, STEMI 61 Immunglobuline, Myokarditis 359 Midodrin
Enoximon Ipratropiumbromid 86 – Orthostase 260
– Herzinsuffizienz 117, 173 Irbesartan 157 – Synkope 269
– Schock 208 Isosorbiddinitrat (ISDN) Milrinon 173
Eplerenon – Herzinsuffizienz 116 – Herzinsuffizienz 117, 173
– Herzinsuffizienz 156 – KHK 33 – Schock 207
– Herzrhythmusstörungen 108 – Toleranz 33, 116 Mitroxiprogesteron 11
Epoprostenol 299 Isosorbidmononitrat (ISMN) MMF (Mykophenolat-Mofetil) 505
Eptifibatid, Koronarsyndrom 51, 458 – KHK 33 – Transplantation 505
Erythromycin, rheumatisches Fieber 330 – Toleranz 33, 116 Molsidomin 162
Esmolol 428 Isradipin 34 Morphin 115, 204
– KHK 32 Ivabradin 35
Etacrynsäure, Herzinsuffizienz 153
Ethoprusid, Nebenwirkung 322
N
Everolimus, Transplantation 505
Ezetimib 4
K
Nadolol, KHK 32
Kalziumchlorid 202 Natriumbikarbonat 202

F Natriumnitroprussid (7 Nitroprussidnatrium)
116

Felodipin 34
L Nebivolol
– Herzinsuffizienz 151
Flecainid – Vorhofflimmern 159
– supraventrikuläre Tachykardien 96 Labetalol, KHK 32 Neostigmin 495
– Vorhofflimmern/-flattern 100 Lanicor 159 Nesiritide 116, 175, 209
Fludrocortison 259, 269 Levosimendan 209 Nicardipin 34
Fluoxetin 269 – Herzinsuffizienz 117, 173, 175 Nicorandil 35
Fondaparinux 49 – Schock 202 Nifedipin 161
– Myokardinfarkt, STEMI 62 Lidocain – KHK 34
Fosinopril, Herzinsuffizienz 149 – Digitalisintoxikation 160 – Schwangerschaft 448
Furosemid – Herzrhythmus 77 Nikotinsäure 8
– Herzinsuffizienz 117, 153 – Schock 202 Nisoldipin 34
– hypertensive Krise 253 – Schwangerschaft 449 Nitroglyzerin 209
– Tachykardie 107 – KHK 33
Lisinopril, Herzinsuffizienz 149 Nitroprussid(natrium), Herzinsuffizienz

G Lithium 491
Lixivaptan 117
116, 172, 209
Noradrenalin
Losartan – Herzinsuffizienz 117
Gemfibrozil 8 – Herzinsuffizienz 157, 158 – Orthostase 260
Gentamycin, Endokarditis 346 – Hypertonie 249 – Schock 202, 216, 225
Glinide 5 Novacor 219
Glitazone, Herzinsuffizienz 139, 528 Novodigal 159
Glyceroltrinitrat
– Herzinsuffizienz 116
M
– Toleranz 33, 116
Metformin
O
– Herzinsuffizienz 526

H – KHK 31
– Risikofaktoren 5, 6
Olmesartan, Herzinsuffizienz 157
Orciprenalin 86
– Syndrom X 485 Orlistat 6, 8
Hirudin 50 Methotrexat, Nebenwirkung 322 Östrogen 11
Hydralazin 162 Methylprednisolon, Abstoßung 508
– Schwangerschaft 446, 448 Metoprolol 448
Medikamentenverzeichnis
581 E–Z

P Refludan 286
Reteplase, Myokardinfarkt 58
U
Reviparin 62
Paclitaxel 40 Rifampicin, Endokarditis 347 Urapidil 163
Penicillin Rimonabant 8 – hypertensive Krise 253
– Borreliose 492 Rosiglitazon 5, 36
– Endokarditis 346 – Herzinsuffizienz 528
– rheumatisches Fieber 330
Pentaerithrityltetranitrat 33
V
Perindopril 253
– Herzinsuffizienz 149
S Valsartan, Herzinsuffizienz 158
Pexelizumab 211 Vancomycin, Endokarditis 346
Phenprocoumon Schleifendiuretika 153 Vareniclin 2
– aortale Plaques 431 Sibutramin 8 Vasopressin
– Herzinsuffizienz 153 Sildenafil 33, 299, 301 – Herzinsuffizienz 139
– Klappenprothesen 422 Simvastatin 4 – Schock 202
– Klappenthrombose 423 Sirolimus 40 Verapamil 160
– Lungenembolie 285 – Transplantation 505 – KHK 33, 34
– Mitralprolaps 407 Sotalol – Schwangerschaft 449
– Schwangerschaft 423, 440, 450 – Schwangerschaft 449 – supraventrikuläre Tachykardien 94, 96
– Sport 538 – supraventrikuläre Tachykardien 96 – Vorhofflimmern/-flattern 100
– Vorhofflimmern/-flattern 102 Spironolacton, Herzinsuffizienz 153, 156 Vincristin, Nebenwirkung 322
Pimobendan 165 Stickstoffmonoxid 136, 189
Pindolol, KHK 32 Streptokinase, Myokardinfarkt 58
Pioglitazon 5, 36, 525
– Herzinsuffizienz 528
Sulmazol 165
W
Piperacillin, Endokarditis 347
Piretanid 153
Pravastatin 4
T Warfarin 164, 285

Prazosin 163
Propafenon 93
– Schwangerschaft 449
Tacrolimus, Transplantation 505
Telmisartan 157
Z
– supraventrikuläre Tachykardien 94, 96 Tenecteplase 203
– Vorhofflimmern/-flattern 100 – Myokardinfarkt 58 Zytosinarabinosid, Nebenwirkung 322
Propranolol 32, 319 Terazosin 163
– Schwangerschaft 449 Terlipressin 210
Theophyllin 93
Thiaziddiuretika 153

Q Thienopyridine 51
Ticlopidin 51
Timolol 32
Quinapril, Herzinsuffizienz 149 Tirofiban 51, 52, 458
Tolvaptan 117
Torasemid 153

R – Herzinsuffizienz 117
Trandolapril
– Herzinsuffizienz 149
Ramipril – KHK 34
– Herzinsuffizienz 149 Triamteren, Herzinsuffizienz 153
– Hypertonie 249 Troglitazon 31

Das könnte Ihnen auch gefallen