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RB PUB 18 009 VDMA Plattformoekonomie
RB PUB 18 009 VDMA Plattformoekonomie
im Maschinenbau
Herausforderungen – Chancen – Handlungsoptionen
April 2018
ERFOLGSMODELL PLATTFORM – VORBILD FÜR DEN MASCHINEN- UND ANLAGENBAU?
Plattformunternehmen wie Amazon oder Google haben viele B2C-Märkte von Grund auf verändert. Ihr Vordrin-
gen ins B2B-Segment ruft auch den deutschen Maschinenbau auf den Plan. Zwar ist ein entsprechendes
Ökosystem hier erst im Entstehen, doch der Trend ist eindeutig: plattformbasierte Applikationen werden auch
im industriellen Umfeld zum entscheidenden Differenzierungsfaktor.
Das stellt die Unternehmen – insbesondere kleine und mittelständische – vor große Herausforderungen. Kom-
plexität und Vielzahl der aktuell verfügbaren Plattformen und die noch unklaren Business Cases, aber auch die
im Vergleich zum bisherigen Kerngeschäft völlig neuen Know-how-Anforderungen erweisen sich als zusätzliche
Einstiegshürden.
Für die vorliegende Studie haben der VDMA, die Deutsche Messe und Roland Berger die Plattformökonomie im
deutschen Maschinen- und Anlagenbau untersucht. Zum Kreis der 15 VDMA-Mitglieder, die an mehreren Work-
shops und Diskussionsrunden teilgenommen haben, zählten Firmen aller Größenklassen und Wertschöpfungs-
stufen vom Mittelständler bis zum Blue-Chip-Unternehmen, der klassische Maschinen- und Anlagenbauer
ebenso wie Anbieter aus den Bereichen Fabrikautomation und Softwarelösungen. Alle Unternehmen hatten
zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits relevante Erfahrungen mit Plattformen gesammelt – sei es beim Auf-
bau, in der Frühphase des Betriebs oder als Nutzer – und konnten dadurch jeweils unterschiedliche Perspektiven
einbringen. Das Vorgehen in den Workshops war überwiegend an den Plattform-Anwendungsfällen der Unter-
nehmen orientiert, um die entscheidenden Erfahrungen "aus der Praxis für die Praxis" zusammenzuführen, zu
analysieren und daraus neue Erkenntnisse und Empfehlungen im Umgang mit Plattformen ableiten zu können.
Analog der diskutierten Fragen und gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse behandelt die vorliegende Studie fol-
gende Aspekte:
> Was sind digitale bzw. IoT-Plattformen und wie sieht die für den Maschinenbau relevante Plattformlandschaft
aus?
> Welche neuen Geschäfts- und Erfolgsmodelle gibt es?
> Wie können sich Unternehmen erfolgreich in der Plattformökonomie positionieren?
> Mit welchen Hürden und Herausforderungen ist zu rechnen?
> Welche Kriterien eignen sich zur Plattformauswahl?
> Und nicht zuletzt: Wie wird sich die Plattformökonomie weiterentwickeln?
Diese Untersuchung bildet die erste umfassende Analyse der Strukturen plattformbasierter Geschäftsmodelle
im B2B-Segment und speziell im Maschinen- und Anlagenbau. Neben einer verständlichen Einordnung des The-
mas Plattformökonomie im Maschinen- und Anlagenbau soll sie als Leitfaden für unternehmerische Entschei-
dungen dienen.
Plattformökonomie im Maschinenbau 3
weiten Welt des Endkundengeschäfts mit Büchern, Über- INDUSTRIELLE "INTERNET DER DINGE"-PLATTFOR-
nachtungsmöglichkeiten oder Personenbeförderung ver- MEN (INTERNET OF THINGS (IoT)). IoT-Plattformen lie-
gleichbar ist, und Plattformen nicht den gleichen Stellen- fern die digitale Infrastruktur und Standards für die
wert haben. Voraussichtlich deshalb wird das Markt- Verbindung des Kunden mit der Cloud. Gleichzeitig
volumen, das Plattformen in der B2B-Welt adressieren, in eröffnen sie die Möglichkeit, dort sowohl eigene als
der Tat nie B2C-Dimensionen erreichen, und auch die auch fremde Services zu nutzen, diese auf einem On-
Skaleneffekte sind kaum vergleichbar. line-Marktplatz anzubieten und daraus neue Möglich-
Trotzdem ist das disruptive Potenzial der Plattformöko- keiten zur Kundenbindung oder ganz neue Geschäfts-
nomie auch im Maschinenbau längst erkennbar – auch modelle zu entwickeln. Die vorliegende Studie
wenn sie dort noch in den Kinderschuhen steckt. Dabei konzentriert sich auf die wachsende Zahl unterneh-
ist zu beobachten, dass die Branche zwar rege über Stich- mensrelevanter IoT-Plattformen.
worte wie Internet der Dinge, Industrie 4.0, Digitalisie-
rung oder Predictive Maintenance diskutiert, doch gera- ANWENDUNGSFÄLLE UND KUNDENNUTZEN
de viele kleinere Unternehmen beobachten die VON IoT-PLATTFORMEN IM MASCHINEN- UND
Entwicklung durchaus kritisch oder bewerten die Rele- ANLAGENBAU
vanz von Plattformen für ihr eigenes Geschäft (noch) als In Verbindung mit der IoT-Technologie bieten digitale
niedrig. Dabei ist es wichtig, die Chancen und Möglichkeiten Plattformen die Möglichkeit, Maschinen und Anlagen
von Plattformen auch aus Kundenperspektive zu betrachten, zu vernetzen und digitale Services mit Skaleneffekten zu
und sich rechtzeitig mit Art, Umfang und möglichen Zeitpunk- nutzen. Die so entstehende Plattformlandschaft und in
ten für einen Einstieg in plattformbasierte Geschäftsmodelle der Folge wachsende Zahl erfolgreicher Anwendungs-
auseinanderzusetzen. beispiele wird der Digitalisierung des Maschinen- und
Anlagenbaus einen deutlichen Schub verleihen, weil
Im Maschinen- und Anlagenbau sind generell zwei neue Services günstiger und leichter eingesetzt werden
Plattformkategorien relevant: und schneller ein höherer Kundennutzen erzielt werden
DIGITALE MARKTPLÄTZE FÜR INDUSTRIELLE GÜTER kann. Das Marktforschungsinstitut IDC geht davon aus,
UND SERVICES. Auf digitalen Marktplätzen werden dass das Plattformgeschäft bei den großen Anbietern
physische Güter aus dem industriellen Bereich zum schon in rund zwei Jahren das Geschäft dominieren und
Verkauf angeboten und Transaktionen abgewickelt. bis zu einem Drittel ihrer Einkünfte ausmachen wird.
Derartige Marktplätze gibt es bereits seit den Anfän- In der Diskussion über den Nutzen bzw. die Vorteile der
gen der Internetökonomie. Zu den bekanntesten zäh- Plattformökonomie im Maschinen- und Anlagenbau
len Mercateo, SAP Ariba, Wucato (Tochtergesellschaft sind grundsätzlich zwei Perspektiven zu unterscheiden:
der Würth Gruppe) und der Online-Shop für Werkzeu- die Anbieterperspektive der Hersteller (OEMs) von Ma-
ge und technische Komponenten Zamro. Neu sind im schinen und Komponenten einerseits sowie die Nach-
Bereich digitaler Marktplätze vor allem die massive frager- oder Nutzerperspektive der Fabrikbetreiber an-
Ausweitung der Transaktionsvolumina im B2B-Be- dererseits.
reich, die steigende Anzahl von Marktplätzen sowie Herstellern des Maschinen- und Anlagenbaus eröffnen digi-
die Verdrängung klassischer Formen des Einkaufs tale Plattformen die Möglichkeit, ihre Kunden deutlich
insbesondere von C-Teilen und indirekten Gütern. besser kennen- und verstehen zu lernen. So macht die
6 Plattformökonomie im Maschinenbau
einsatzoptimierung erweitert werden: Über die Aggrega- In der Produktion lassen sich zahlreiche Anwendungs-
tion und Auswertung der generierten Daten mithilfe fälle von IoT-Plattformen im gesamten Produktions-
spezifischer Analytiken lassen sich zahlreiche Parame- zyklus beschreiben – von der Produktionsplanung
ter einer Produktion bzw. eines Fabrikbetriebs steuern. über den Hochlauf bis zur Produktionssteuerung. Als
Dabei können die Algorithmen im Idealfall auch auf eine wesentliche Anwendung kann hier der soge-
Daten völlig anderer Quellen zurückgreifen und für die nannte digitale Produktionszwilling (engl. Digital Twin)
Optimierung nutzen, etwa auf Daten zu Schwankun- angeführt werden, mit dem sich ein Produktionssys-
gen im Bereich von Rohstoff- oder Energiepreisen, zur tem virtuell simulieren, validieren und optimieren
Verkehrssituation (insbesondere im Bereich Logistik lässt. Damit kann u.a. getestet werden, mit welchen
und Supply Chain Management) oder zum Wetter (z.B. Produktionsprozessen, Maschinentypen und wel-
bei Windkraftanlagen). Werden über die Plattform chem Automations- und Verkettungsgrad der Ma-
auch Wertschöpfungspartner wie Lieferanten und schinen ein Produkt bzw. dessen Module und Kom-
Kunden angebunden, können sich daraus sogar mehr- ponenten produziert und montiert werden. Dadurch
stufige Win-win-Situationen ergeben. lassen sich in der Produktionsanlauf- und Produkti-
Diese Verbesserung von Produktionsprozessen und Ein- onshochlaufplanung neuer Produkte die Vorlaufzei-
satzfaktoren in der Produktion lassen sich in zahlreichen ten verkürzen. Außerdem steigt die Flexibilität, etwa
Anwendungsfällen für spezifische Ziele und Konstellatio- für kurzfristige Änderungen am Produkt.
nen im Fabrikbetrieb nutzen. Für eine erste Kategorisie- Weitere wesentliche Anwendungsfälle umfassen ver-
rung der Anwendungsfälle können horizontale von vertika- schiedenste Arten der Leistungssteigerung im laufenden-
len Anwendungsfällen unterschieden werden. Bei den Produktionsbetrieb. Über das Condition Monitoring
horizontalen Anwendungsfällen steht die funktionsüber- bestimmter Bewegungs- und Zustandsdaten der ange-
greifende Prozessoptimierung im Vordergrund, sodass schlossenen Maschinen und Aggregate können Pro-
typischerweise an Schnittstellen zwischen Funktions- zessoptimierungen angestoßen werden, etwa in Bezug
oder Verantwortungsbereichen sowie zwischen dem Un- auf Maschinenkonfiguration und -verkettung, Takt-
ternehmen und seinen Lieferanten oder Kunden Verbes- zeitangleichung zwischen verschiedenen Bearbei-
serungen im Ressourceneinsatz, in der Anlagenauslastung tungsstationen sowie Rüstzeitoptimierungen. Darü-
oder in der Informationstransparenz realisiert werden ber hinaus kann die Prozessstabilität ebenso
können. Beispielhaft sind hier etwa Aspekte der Bestand- überwacht werden wie bestimmte Parameter der Pro-
soptimierung oder generell des Supply Chain Manage- duktqualität des gerade im Produktionsprozess be-
ments. Von vertikalen Anwendungsfällen spricht man im findlichen diskreten Produkts bzw. der zu produzie-
Fall einer funktionsbezogenen Optimierung einer Wert- renden Charge in der Prozessindustrie. So kann im
schöpfungsstufe, etwa der Produktion oder des Vertriebs, Schadensfall schnell in die laufende Produktion einge-
sowie von nicht direkt wertschöpfenden Bereichen wie griffen werden. Je nach Zielstellung lassen sich in der
Instandhaltungsmanagement oder Qualitätswesen. Ex- Produktion u.a. Maschinenverfügbarkeit und Maschi-
emplarisch sollen mögliche Anwendungsfälle in der Pro- nenauslastung und mithin die Kennzahl OEE ebenso
duktion als wesentliche Wertschöpfungsstufe sowie für optimieren wie der quantitative und qualitative Out-
die Instandhaltung als wichtige Sekundärfunktion im put des Produktionsprozesses oder die Energieeffizi-
Folgenden näher ausgeführt werden. 02 enz der Produktion.
8 Plattformökonomie im Maschinenbau
IoT-Plattform
Marketing &
Operations
Operations
Ausgangs-
Ausgangs-
Eingangs-
Eingangs-
Verbesserung
Vertrieb
Vertrieb
Service
Service
logistik
logistik
logistik
logistik
der unter-
nehmensüber-
greifenden
Zusammenarbeit,
z.B. "smart" Prozess- Predictive Anlagen- Vertriebs-
Supply Chain optimierung in Maintenance optimierung analytik
der Produktion
VERTIKALE
Anwendungsfälle
Prozessverbesserungen je
Wertschöpfungsstufe
PARAMETER UND AUSPRÄGUNGSMÖGLICH- Das Ökosystem der Plattform als erster wesentlicher Pa-
KEITEN VON PLATTFORMEN IM MASCHINEN- rameter lässt sich durch fünf klar abgrenzbare Ebenen
UND ANLAGENBAU bzw. Rollen im Internet der Dinge darstellen. Bildlich
Je nach Ausprägung von sechs wesentlichen Merkmalen nach oben eingebettet sind Plattformen in die auf Ebe-
lassen sich Plattformen u.a. nach ihrem Geschäftszweck ne 1 befindliche IoT-Infrastruktur. Hier werden Re-
und nach Art der Zusammenarbeit zwischen den Transak- chenleistung und Speicherkapazität bereitgestellt, wo-
tionspartnern differenzieren. Die Art der Einbindung der für Anbieter wie Amazon Web Services, SAP, Google/
Plattform in das Ökosystem und der Plattformtyp bilden Alphabet oder Microsoft Investitionen in Milliarden-
dabei die beiden zentralen Parameter, die den Rahmen für höhe getätigt haben. Gleichzeitig sind Anbieter wie Ali-
die Parameter Kundennutzen, Geschäftsmodell und zu baba oder HUAWEI mit großer Dynamik in diesem
vernetzende Gegenstände bilden und mit ihnen gemein- Markt aktiv. Diese Ebene ist bereits stark konsolidiert
sam in Rahmenbedingungen aus dem Umfeld als sechs- mit ein paar wenigen, sehr wettbewerbsfähigen Unter-
tem Parameter eingebettet sind. 03 nehmen. Zusätzlich finden sich auf dieser Ebene die
GESCHÄFTSMODELL ÖKOSYSTEM
Strategie, Ziel-USP IoT-Infrastruktur- u. Plattformanbieter
Leistungsspektrum, App- und Software-Entwickler
Wertschöpfungsbeitrag Anlagen-/Serviceanbieter
Erlösmodell und Endkunden
VERNETZTE GEGENSTÄNDE
("THINGS") KUNDENWERT
Vernetzbare Maschinen, Neue Services
Komponenten etc. IoT-
Reduzierte Kosten
Datenintegration Plattform
Vereinfachte Integration mit
Datenanalyse und Partnern (z.B. Lieferanten)
Weiterverarbeitung
unterschiedlichen technischen Möglichkeiten zur Ver- sierenden Transaktionen. Die unterhalb der Plattfor-
netzung von Dingen mit dem Internet, z.B. über Fest- men liegende Ebene 3 bilden Applikations- und Soft-
netz, WLAN, 3G/4G oder LPWAN-Standards wie Sigfox, ware-Entwickler, welche die auf der Plattform laufenden
NB-IoT, LORA oder andere. Services und Lösungen bereitstellen. Anlagenhersteller
Auf der hierarchisch zweiten Ebene befinden sich die sowie weitere Hardware- und Serviceanbieter befinden
IoT-Plattformen als Gegenstand der vorliegenden Stu- sich auf Ebene 4, Fabrikbetreiber bzw. Endkunden aus
die. Sie ermöglichen die digitale Anbindung physischer Maschinenperspektive bilden mit den von ihnen betrie-
Gegenstände im Internet der Dinge und die darauf ba- benen Maschinen und Anlagen Ebene 5. 04
Akteure (Auswahl)
IoT-INFRA- Anbieter von Amazon Web Services,
1 STRUKTUR- Rechenzentren, SAP Cloud Platform, LoRa,
1
ANBIETER Cloud-Services und Microsoft Azure
Telekommunikation
IoT-Plattform
2 (z.B. Bosch,
IOT- Axoom...) Anbieter von ADAMOS, MindSphere,
2 PLATTFORM- 3 Plattformlösungen, Bosch IoT-Suite
ANBIETER App 1 App 2 App 3 ... die Apps und Software
bereitstellen
5
FABRIK- Endkunden mit BASF, Daimler,
BETREIBER 5 Maschinenpark Henkel
und Nutzung von
IoT-Lösungen
Fertigungsanlage über Plattform
Quelle: Roland Berger
Plattformökonomie im Maschinenbau 13
Hinweis: Plattformen der Kategorien "Physisch, offen, spezifisch" und "Physisch, geschlossen, übergreifend" waren nicht in den Workshops vertreten.
Quelle: Roland Berger
Die verschiedenen Plattformtypen als zweiter wesentlicher Darüber hinaus kann eine Plattform frei zugänglich sein
Parameter ergeben sich aus den Arten der Transaktionen für potenzielle Transaktionspartner (offener Zugang),
auf der Plattform, dem Zugang zur Plattform sowie dem sie kann den Zugang auf Angebots- wie auf Nachfra-
Fokus einer Plattform. Transaktionen können sich wie bei geseite aber auch beschränken oder eine Freischaltung
den digitalen Marktplätzen rein auf physische Güter be- an gewisse Bedingungen knüpfen (geschlossene Platt-
ziehen. Sie können, wie im Fall von sogenannter Con- form). Plattformen können auf bestimmte Branchen-
tent-Distribution in Form von Bedienungsanleitungen segmente fokussiert sein, was etwa bei der von Homag
oder Bauplänen, rein digitaler Natur sein, oder wie im Re- begründeten Plattform "Tapio" für die Holzindustrie der
gelfall von IoT-Plattformen beide Transaktionsformen Fall ist, oder Branchensegment-übergreifend nutzbar
umfassen, also etwa durch den Impuls einer digitalen sein, wie etwa die Plattform ADAMOS als Kooperation
Transaktion eine physische Transaktion auslösen. Bei der von Dürr, Zeiss, Software AG und weiteren Konsortial-
Zustandsüberwachung einer Anlage durch eine IoT-Platt- partnern. Letztlich ergibt sich ein Optionenmodell in
form (Condition Monitoring) wird beispielsweise der Tur- Würfelform mit acht Plattformtypen. In Einzelfällen las-
nus bzw. optimale Zeitpunkt eines Ersatzteilaustauschs sen sich mit einer Plattform parallel mehrere Segmente
ermittelt, woran sich ein Ersatzteilgeschäft zwischen Anla- des Würfelmodells abdecken. 05
genhersteller und Anlagenbetreiber anschließt.
14 Plattformökonomie im Maschinenbau
Den dritten Parameter stellt der zu generierende Mehr- Bewegungsdaten und damit der gesamten Optimierung
wert aus Kundensicht dar, der mit den eingangs ausge- des Fabrikbetriebs.
führten Vorzügen wie Transaktionskostenreduktion, Den sechsten und letzten Parameter digitaler Platt-
Netzwerkeffekt und insbesondere den kundenspezifi- formen stellen Rahmenbedingungen der Unternehmens-
schen Services in Form der zahlreichen möglichen An- umwelt dar, die auf die Plattformökonomie Einfluss neh-
wendungsfälle der wesentliche Treiber für ein platt- men. Darunter fallen insbesondere gesetzliche Vorga-
formbasiertes Geschäft überhaupt ist. Zusätzliche ben oder Einschränkungen, politische Interessen sowie
Handlungsmöglichkeiten in puncto Kundenwert erge- aktuelle Markt- und Wettbewerbsverhältnisse.
ben sich etwa aus Fragen der Bedienbarkeit bzw. Nut- Dabei können Plattformen auf unterschiedlichen Hierar-
zerfreundlichkeit einer Plattform sowie dem Umfang chiestufen im Rahmen des Fabrikbetriebs positioniert
von Integration und Kollaborationsmöglichkeiten zwi- sein. So existieren branchenübergreifende Plattformen
schen den auf der Plattform agierenden Partnerunter- wie MindSphere, die nicht nur für den Maschinen- und
nehmen. Anlagenbau infrage kommen, sondern generell die fer-
Das Geschäftsmodell als vierter Parameter orientiert sich tigende Industrie adressieren, etwa auch die Chemiein-
maßgeblich an der Unternehmensstrategie, die sich dustrie. Auf einer Hierarchieebene darunter sind Platt-
etwa in Form von Innovationsführer-, Kosten- oder Qua- formen angesiedelt, die Teilbereiche bzw. Kunden des
litätsführerstrategie sowie in strategischen Zielen wie Maschinen- und Anlagenbaus abdecken, etwa Betreiber
einer bestimmten Positionierung im Wettbewerb aus- einer diskreten Fertigung. Ein Beispiel hierfür ist
drückt. Diesen Rahmen der Unternehmensstrategie AXOOM. Wieder eine Hierarchieebene niedriger positi-
füllt das Geschäftsmodell eines Unternehmens durch oniert sich etwa die Plattform the@vanced, die sich auf
Festlegungen auf der hierarchisch nächsten Detaillie- das Maschinensegment der Schneid- und Wickeltechno-
rungsebene aus. Entscheidende Bestandteile des Ge- logie spezialisiert. Eine vierte Plattformkategorie richtet
schäftsmodells einer Plattform sind dabei das über die sich dagegen ausschließlich an spezifische Modul- oder
Plattform abzubildende konkrete Produkt-/Leistungs- Komponentenbereiche innerhalb einer Fertigung. Sig-
spektrum, die abzudeckenden Kundengruppen, die ent- ma Smart Air des Kompressorenherstellers Kaeser etwa
sprechenden Erlösformen zur Monetarisierung der bietet Leistungen rund um die Druckluftversorgung in
Plattform sowie erforderliche Kompetenzen und Wert- der Fabrik. 06
schöpfungsaktivitäten.
Den fünften Parameter bilden die im Internet der Dinge POSITIONIERUNG IM IoT-ÖKOSYSTEM UND
verbundenen Gegenstände. Hier sind Art und Umfang der PLATTFORMAUSWAHL EINES MASCHINEN-
Anbindung von Maschinen und Maschinenkomponen- UND ANLAGENBAUUNTERNEHMENS
ten, Werkzeugen und Werkzeugträgern, Werkstücken Anhand dieser Systematik aus relevanten Parametern
und Werkstückträgern, Schüttgutbehältern, fahrerlosen von Plattformen im Maschinen- und Anlagenbau und
Transportsystemen und vielen weiteren Objekten im Fa- deren Einordnung in das Ökosystem des Internets der
brikbetrieb festzulegen und mit entsprechender Senso- Dinge lassen sich Plattformen charakterisieren und be-
rik und Aktuatorik auszurüsten. Eine solche Anbindung schreiben, aber auch voneinander differenzieren und
ist die Voraussetzung von Datenintegration, -analyse abgrenzen. Dies erlaubt potenziellen Nutzern oder Teil-
und -weiterverarbeitung entsprechender Zustands- oder nehmern einer Plattform, unterschiedliche infrage
Plattformökonomie im Maschinenbau 15
schöpfungsschritte über die Plattform setzen. Für gegen andere Anbieter durchsetzen. Dafür können
Großanlagenbauer sind die leichte Integrierbarkeit von dann auch bereits existierende Plattformen genutzt
Subunternehmern und die Nutzbarkeit für unterschied- und müssen nicht erst selbst aufgebaut werden.
lichste Projekte von Bedeutung. Die große Dynamik, mit der viele Anbieter in Richtung
Darüber hinaus können einzelne Unternehmen inner- Apps und Software (Ebene 3) drängen, ist als dritter As-
halb des Ökosystems mehrere Rollen parallel einnehmen pekt der Komplexität der Plattformlandschaft einfach zu
und damit mehr als eine Ebene des IoT-Ökosystems ab- erklären: Es ist die Aussicht auf interessante neue Erlös-
decken. Insbesondere die Rollen auf den Ebenen quellen oder Möglichkeiten zur Differenzierung der Pro-
IoT-Plattform sowie Applikationen und Software kön- dukte und Services. Denn während die Infrastruktur-
nen von Unternehmen unterschiedlichster Herkunft be- Ebene bis auf Weiteres fest in der Hand weniger großer
setzt werden, sodass hier potenziell vom IoT-Infrastruk- Anbieter bleiben dürfte, wandern perspektivisch immer
turanbieter bis hin zum Maschinenbau-OEM und größere Umsatzanteile von Ebene 4 auf Ebene 3 und 2.
(Groß-)Fabrikbetreiber unterschiedlichste Marktteil- Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen
nehmer konkurrieren und verschiedene Leistungen aus müssen sich daher entscheiden, ob sie ihr Angebot in
einer Hand anbieten können. Eigenregie ausweiten oder auf ein Partnernetzwerk zu-
Der Großteil der Unternehmen des deutschen Maschi- rückgreifen wollen. Erfolgreiche Plattformen zeichnen
nen- und Anlagenbaus positioniert sich derzeit (noch) sich in der Regel dadurch aus, dass sie sich den Verände-
als klassische OEMs oder Zulieferer auf Ebene 4. Dazu rungen des Umfelds anpassen und Optionen ergreifen,
zählen reine Hardwareanbieter ebenso wie Unterneh- die der Weiterentwicklung der Plattform oder des Anbie-
men mit einem integrierten Portfolio aus IoT-Ökosys- ters dienen.
tem sowie Hard- und Softwarelösungen. Diese Unter-
nehmen verfügen über mit dem Internet verbundene HERAUSFORDERUNGEN IM NEUEN ÖKOSYSTEM
Hardware, automatisierte Prozesse und volle Datenho- Die derzeitige Plattformlandschaft entwickelt sich äu-
heit. Mit einem Teil ihrer Services – Applikationen, die ßerst dynamisch. Allein im vergangenen Jahr waren
sie selbst oder mit einem Partner entwickelt haben – mehrere Hundert Plattformen weltweit aktiv – Tendenz
sind sie aber auch auf Ebene 3 aktiv. So zeigt sich be- ansteigend. Gleichzeitig ist das industrielle Internet der
reits heute, dass auf Ebene der Plattformen sehr unter- Dinge selbst ein weites Feld, das eine Vielzahl unterneh-
schiedliche Spieler als Begründer bzw. Orchestrator merischer Optionen eröffnet. Unternehmen des deut-
einer Plattform auftreten – vom Blue Chip bis zum Mit- schen Maschinen- und Anlagenbaus, die aktiv werden,
telständler, vom Maschinenhersteller bis zum Fabrik- ihre begrenzten finanziellen und personellen Ressour-
automatisierer und vom Modulanbieter für Anlagen cen aber überlegt einsetzen wollen, stellt das vor enor-
über den Softwarelieferanten bis hin zum Multi, der me Herausforderungen.
alle genannten Angebote unter einem Dach vereint.
Für den klassisch mittelständischen Maschinen- und
Anlagenbauer dürfte jedoch eher das Vordringen auf
die Ebene der Applikationen interessant sein. Hier
kann er sein Domänenwissen und sein Verständnis der
Kundenbedürfnisse einbringen und sich erfolgreich
Plattformökonomie im Maschinenbau 17
Plattformkonstellationen: Eigeninitiative oder Die Konsolidierung der Daten eröffnet neue Anwendungs-
Kooperation, Konzern vs. Mittelstand felder: So lassen sich etwa "digitale Lebensläufe" der End-
produkte erstellen, produzierte Chargen rückverfolgen und
Plattformen können von Unternehmen in Eigenregie oder von die Qualität der Erzeugnisse absichern und nachhalten. Da-
Konsortien kooperativ begründet werden. Auch Mittelständ- rüber hinaus können über die Plattform auch Informationen
ler können eigene Plattformen entwerfen und betreiben. Im zu Wartung und Bedienung verschiedener Maschinen abge-
Folgenden werden drei mögliche Konstellationen exempla- rufen werden.
risch ausgeführt:
3. Kooperation: ADAMOS
1. Global Player: MindSphere von Siemens Bei ADAMOS (ADAptive Manufacturing Open Solutions) ar-
MindSphere ist ein offenes, cloudbasiertes IoT-Betriebssys- beiten Unternehmen wie der Werkzeugmaschinenhersteller
tem, mit dem sich der Konzern als Plattformanbieter für di- DMG Mori, der Automobilzulieferer Dürr oder die Software
verse industrielle Branchen positioniert. MindSphere bietet AG als Anbieter von Unternehmenssoftware sowie der Mes-
eine breite Palette von Protokolloptionen für Geräte- und Un- stechnik-Experte Zeiss sowie der Halbleiter- und Elektronik-
ternehmensanwendungen, Branchenanwendungen, um- konzern ASM PT zusammen. Die strategische Allianz für die
fangreiche Analysen und eine innovative Entwicklungsumge- Zukunftsthemen Industrie 4.0 und Industrial Internet of
bung. Für die sichere Verbindung von Maschinen integriert Things (IIoT) will ADAMOS als globalen Branchenstandard
Siemens eine Schnittstelle in seine neuesten Automatisie- etablieren und zusätzlich weitere Maschinenbauer als Partner
rungsgenerationen. Für die Nachrüstung steht eine "Nano- gewinnen. ADAMOS ist speziell auf die Bedürfnisse des Ma-
box" bereit, die Maschinen und MindSphere verbindet. In den schinen- und Anlagenbaus und seiner Kunden zugeschnitten:
von Siemens adressierten Industrien wird über das "Mind- Die offene IIoT-Plattform ist herstellerneutral und verbindet
Sphere Application Center (MAC)" intensiv an neuen Applika- modernste IT-Technologie und Branchenwissen. Sie versetzt
tionen, digitalen Services und Geschäftsmodellen gearbeitet. Maschinenbauer in die Lage, ihren Kunden mit geringem Auf-
Der Konzern ist damit auf Ebene 2 bis 4 aktiv. Die Cloud- wand erprobte Lösungen für die digital vernetzte Produktion
Infrastruktur (Ebene 1) bezieht Siemens von Partnern "as a anzubieten. Davon profitieren Maschinenbauunternehmen
Service", z.B. von SAP, AWS oder Microsoft. sowie ihre Lieferanten und Kunden, denen ADAMOS als
Plattformdienstleister Zugang zu führenden Softwarelösun-
2. Mittelstand: the @dvanced von KAMPF gen bei voller Datenautonomie bietet.
KAMPF zeigt mit seiner Plattform the @dvanced, dass auch
Mittelständler eine Plattform für ihren spezifischen Anwen-
dungsbereich aufbauen können. Auf seiner integrativen Platt-
form the @vanced vernetzt der Hersteller von Schneid-, Wi-
ckel- und Spezialmaschinen seine eigenen Maschinen mit
Komponenten von Partnern und zu bearbeitenden Bauteilen.
18 Plattformökonomie im Maschinenbau
Viele Entwicklungen in der noch jungen Plattformöko- sen immerhin erste Abschätzungen über das Substituti-
nomie sind bislang schwer absehbar. Eines steht jedoch onsprodukt zu. Auch dazu das Beispiel Predictive
fest: Wesentliche Wertschöpfungs- und Umsatzanteile Maintenance: Für eine erste Kalkulation können den
werden sich in Richtung digitaler Services und Ge- Kosten, die bisher durch den Ausfall einer Maschine,
schäftsmodelle verschieben. Dies kann zu Einbußen im durch Service, Wartung und Ersatzteile entstehen, die
klassischen Geschäft führen – etwa durch die Einfüh- Einsparungen durch den Service (weniger Ersatzteile,
rung von Predictive Maintenance. Denn wenn Wartung seltenerer Maschinenausfall etc.) gegenübergestellt
nur noch gezielt stattfindet, verringert sich der Umsatz werden. Zusätzlich fallen Kosten für den Predictive-
mit Wartungsleistungen. Insgesamt wird über den mo- Maintenance-Service an sich an – sowohl für den Service
netären Gesamteffekt von Predictive Maintenance noch als auch für einmalige Investitionen in die entsprechen-
sehr kontrovers diskutiert. Dabei übertreffen die Wachs- de Infrastruktur. Entscheidende Bedeutung wird daher
tumserwartungen meist die Sorgen vor einer Kannibali- einem für Anbieter wie Nachfrager positiven Business
sierung des bestehenden (und meist lukrativen) Service- Case in der Kosten-Nutzen-Relation zukommen. Unklar
geschäfts. So erwarteten in einer Umfrage von VDMA, ist dabei auch, zu welchem Preis unabhängige Dritte
Deutscher Messe und Roland Berger vom April 2017 den Service anbieten werden. So kann ein reiner Soft-
80% der Befragten teils deutliche Wachstumsimpulse warelieferant (Ebene 3), der sich auf Predictive Main-
für ihr Servicegeschäft, 20% der Unternehmen sahen tenance spezialisiert hat, den Service unter Umständen
demgegenüber eher das Risiko von Einbußen, wenn deutlich günstiger erbringen.
auch nur in vergleichsweise geringem Umfang. Darüber hinaus stellen neue Know-how-Anforderungen
Weil es durch Predictive Maintenance auch seltener zu für viele Maschinenbauer eine Einstiegshürde in die
Maschinenausfällen kommt, sind zusätzlich Einbußen Plattformökonomie dar. Bisher liegt deren Kern-Know-
im Ersatzteilgeschäft möglich – andererseits erhöht der how in der Konstruktion und im Betrieb von Maschi-
Zusatznutzen für den Kunden die entsprechende Kun- nen. Zwar wurde in den vergangenen Jahren auch ver-
denbindung, sodass ein Ausweichen auf Ersatzteile von stärkt IT-Expertise aufgebaut, diese konzentriert sich
Fremdanbietern, sofern dies möglich ist, an Attraktivi- aber vor allem auf den Bereich Steuerung. Bei Experten
tät verliert. Auch die Zusammenarbeit mit Kunden ver- für digitale Services verzeichnet die Branche massive
ändert sich durch diese Verschiebung. Anbieter digitaler Personalengpässe. Gleichzeitig unterscheiden sich digi-
Services drängen an die Kundenschnittstelle und versu- tale Geschäftsmodelle fundamental von bisherigen Ge-
chen, diese zumindest teilweise zu besetzen. Unterneh- schäftsmodellen. Die Lösung dieses Know-how-Prob-
men aus dem Maschinen- und Anlagenbau droht mit lems ist alles andere als trivial, denn auch andere,
dem Verlust des direkten Kontakts so auch der Einfluss häufiger als attraktiver empfundene Branchen buhlen
auf ihre Kunden verloren zu gehen. um gute Entwickler. Gerade mittelständische Unterneh-
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor in der Plattformökono- men abseits der Ballungszentren sind deswegen nicht
mie sind die noch unklare Zahlungsbereitschaft der Kun- nur mit innovativen Recruiting-Ideen und gutem Em-
den und der Preisbildungsmechanismus. Derzeit lässt sich ployer Branding gefragt; vielmehr steht ihre gesamte
nur schwer abschätzen, welchen Gegenwert Kunden Organisation vor der Herausforderung, eine zukunfts-
neuen, häufig noch gar nicht existenten Services bei- weisende Mitarbeiter- und Unternehmenskultur zu ent-
messen bzw. zu zahlen bereit sind. Einige Services las- wickeln und einzuführen.
20 Plattformökonomie im Maschinenbau
Auch die Komplexität der derzeitigen B2B-Landschaft le Partner oder für die Entwickler-Community, aber
macht Unternehmen die Definition einer eigenen auch die Frage der Kompatibilität zwischen den Part-
IoT-Strategie nicht eben einfacher. Für jeden erdenkli- nern. Maschinenbauunternehmen stehen in der Platt-
chen Anwendungsbereich und fast jedes Subsegment formökonomie vor einem massiven Transformations-
der Industrie entstehen aktuell neue Plattformen. Die prozess: Plakativ gesprochen müssen sie sich vom
Frage ist: Welche Plattformen und welche Services ha- Hersteller ihrer Hardware zum Manager ihres spezifi-
ben das Potenzial, sich langfristig durchzusetzen? Und: schen Ökosystems weiterentwickeln.
Wie lässt sich sicherstellen, dass man auf die richtige Die Plattformökonomie und die mit ihr verbundenen
Plattform setzt? Wie können für das jeweilige Unter- Services bieten attraktive neue Differenzierungsmög-
nehmen passende Optionen entwickelt und die Risi- lichkeiten. Aber, keine Frage: Auch der Wettbewerbs-
ken einer Fehlentscheidung möglichst minimiert wer- druck – nicht nur innerhalb der Branche, sondern auch
den? Da der Markt noch vergleichsweise jung und stark durch neue Akteure – wird weiter zunehmen. Zwar geht
in Bewegung ist, sind belastbare Prognosen schwierig. es im Maschinenbau im Kern um physische, hochwerti-
Sicher ist, dass es zu einer Konsolidierung der Platt- ge und hochkomplexe Investitionsgüter, die sich schwer
formlandschaft kommen wird. Nur: wann und wie, durch branchenfremde Wettbewerber substituieren las-
weiß derzeit niemand. Die mit einem Einstieg in die sen. Außerdem ist der Maschinenbau durch sein tiefes
Plattformökonomie verbundene Investitionsentschei- Domänenwissen in einer guten Startposition. Aber zum
dung sollte deswegen vor allem im Hinblick darauf einen können sich auch externe Anbieter dieses Wissen
analysiert werden, welche Plattformen am besten zur aneignen, zum anderen ist das Branchenwissen, das für
eigenen Strategie und zum Geschäftsmodell passen eine Rolle als Plattformanbieter erforderlich ist, eher
und welche Anwendungen für den existierenden Kun- überschaubar, sodass externe Anbieter durchaus (erfolg-
denstamm von größtem Nutzen sind. Zudem ist es der- reich) eintreten können. Je weniger vertikales Know-
zeit oft sinnvoll, auf mehrere Plattformen parallel zu how und ein entsprechendes Netzwerk erforderlich
setzen, um eine möglichst große Ziel-Kundengruppe sind, desto stärker dürfte der Druck durch branchen-
zu erreichen. fremde Unternehmen werden. Gleichzeitig spielen Ska-
Veränderte Know-how-Anforderungen führen außer- leneffekte in der Plattformökonomie eine zentrale Rolle.
dem dazu, dass gewisse Leistungen künftig nur noch Hier sind horizontal aufgestellte Spieler deutlich besser
im Rahmen von Partnerschaften erbracht werden kön- positioniert.
nen. Dafür kommen grundsätzlich alle Akteure im Viele Maschinenbauer werden die sich bietenden
Ökosystem infrage: vom Infrastruktur-Anbieter, der die Chancen nutzen und entsprechende Initiativen star-
Rechenleistung stellt, über den Hardwarehersteller, ten. Das wird den Wandel beschleunigen, wenn in die-
der die benötigte Netzwerktechnologie liefert, bis hin sem Zuge bisherige Angebote überholt oder teilweise
zum Software-Entwickler, der neue digitale Services er- abgelöst werden, wodurch sich nicht zuletzt die Macht-
arbeitet. Die Herausforderung besteht in Zukunft aller- verhältnisse in der Branche verschieben können. Dabei
dings viel stärker als bisher darin, das gesamte Ökosys- spielen nicht nur traditionelle Mitbewerber aus der ei-
tem erst einmal aufzubauen und später auch zu genen Branche, sondern möglicherweise auch neue
koordinieren. Dabei stellen sich Fragen wie die nach Akteure – nicht zuletzt Digitalkonzerne aus dem Sili-
der Attraktivität des eigenen Ökosystems für potenziel- con Valley oder China – potenziell eine Rolle. Die wohl
Plattformökonomie im Maschinenbau 21
größte Herausforderung für die Unternehmen besteht und konzernspezifische Plattformen auf. Kraft ihrer
also darin, sich in dieser noch unübersichtlichen Situ- Marktmacht können sie durchsetzen, dass Anwendungen
ation strategisch so klug und zukunftsoffen wie mög- von OEMs und Serviceanbietern jeweils in ihre konzern-
lich zu positionieren. spezifischen Plattformen integriert werden.
IoT-INFRA- SZENARIO 1
STRUKTUR- Dominanz der Infrastruktur-Anbieter
ANBIETER Skaleneffekte und technische Reife entscheiden
über Erfolg
IOT-
PLATTFORM-
ANBIETER
ANLAGEN- SZENARIO 3
UND SERVICES- Dominanz industrieller Plattformen
ANBIETER Industrieplattformen können sich durchsetzen, weil sie die Prozess-
spezifika der jeweiligen Industriesegmente besser abdecken
FABRIK- SZENARIO 2
BETREIBER Dominanz endkundenspezifischer Plattformen
Endkunden geben Plattformen für ihre Lieferanten
und Partner vor
WELCHES SZENARIO IST AM scheinlicher ist es, dass auch eine Vielzahl verschiede-
WAHRSCHEINLICHSTEN? ner Maschinen genutzt wird. Je nach Anwendungsfall
Die Eintrittswahrscheinlichkeit der vier skizzierten Sze- und Größe des Anbieters wird der Endkunde eine eigene
narien wird von verschiedenen, unterschiedlich stark Plattform aufbauen, über die er seine Produktion steu-
ausgeprägten Einflussfaktoren bestimmt. ert. So wäre denkbar, dass große Endkunden wie BASF
Sowohl die allgemeine Veränderungsdynamik als auch oder Daimler eigene Plattformen entwickeln, die intern
die Tendenz zur Lagerbildung machen eine Konsolidie- genutzt werden, um Produktion und Asset Management
rung der Plattformlandschaft in Richtung Szenario 1 oder zu steuern und zu optimieren.
3 wahrscheinlich. Eine wichtige Variable bei Szenario 1 und 3 ist der Wert-
Auch der Wunsch nach Komplexitätsreduktion und Koor- schöpfungsanteil in einem Industriesegment. So haben An-
dination im übergeordneten Ökosystem spricht dafür, dass bieter von Maschinen, die sekundär an der Wertschöp-
sich mittelfristig wenige oder in bestimmten industriel- fung beteiligt sind (z.B. Messgeräte in der Qualitäts-
len Bereichen sogar auch nur eine einzige Plattform sicherung), nur einen geringen Wertschöpfungsanteil im
durchsetzt, die als Koordinator und Schnittstelle zum jeweiligen industriellen Segment. Deswegen ist es für sie
Kunden fungiert. Plattformen und Anwendungen ande- langfristig wenig sinnvoll, eigene Plattformen aufzubau-
rer Anbieter würden sich auf dieser Plattform integrie- en, sondern eher ratsam, auf möglichst vielen Plattfor-
ren, sodass am Ende nur wenige Plattformen für den men anderer Firmen vertreten zu sein.
gesamten vertikalen Anwendungsbereich existieren. Ein Grundsätzlich ist aus unserer Sicht damit zu rechnen,
denkbares Beispiel für ein solches Szenario ist die dass sich die Plattformlandschaft in nächster Zeit deut-
IoT-basierte Automatisierung und Steuerung von Ge- lich konsolidieren wird; erste Anzeichen dafür sind be-
bäuden. Hier existieren verschiedene Anwendungsbe- reits wahrzunehmen. Am Ende der Entwicklung wird
reiche wie Energiemanagement, Predictive Maintenan- vermutlich eine Kombination bzw. Misch-Konstellation
ce, Lightning-Control etc. für verschiedenste Kompo- verschiedener Szenarien stehen: Einzelne Endkunden
nenten wie Aufzüge, Heizungen, Lüftungen und Klima- werden Sonderlösungen haben und bestimmte Segmen-
anlagen (HVAC), Licht oder das Stromnetz. Um Gebäu- te benötigen eigene vertikale Plattformen, während an-
debetreibern die Nutzung zu erleichtern, könnte sich dere Branchensegmente von einem Infrastruktur-Anbie-
schließlich eine Plattform für die gesamte Steuerung ter gemeinsam bedient werden.
etablieren. Diese Plattform kann sich in der Folge auch
als übergeordnete Plattform durchsetzen und eine Viel- IN ACHT SCHRITTEN ZUR IoT-PLATTFORM-
zahl funktionsspezifischer Plattformen (z.B. Aufzüge, STRATEGIE
Licht etc.) integrieren und vernetzen. Je nach Ausgangssituation und Zielsetzung eines Un-
Die Struktur der Kundenbranche stellt einen weiteren ternehmens ergeben sich auf Basis der vielfältigen Er-
wichtigen Einflussfaktor dar. Je geringer die Zahl der kenntnisse aus der unternehmerischen Praxis in Be-
Endkunden, desto größer die Tendenz, dass sich dauer- zug auf Aufbau und Betrieb sowie Nutzung von
haft nur allgemeinere, übergreifende Plattformen etab- IoT-Plattformen acht wesentliche Handlungsempfeh-
lieren können. Für das Eintreten von Szenario 2 ist da- lungen für einen erfolgreichen Einstieg in die Plattfor-
gegen die Wertschöpfungstiefe des Endkunden die mökonomie bzw. für eine Ausweitung und Systemati-
entscheidende Variable. Je höher sie ist, desto wahr- sierung der unternehmerischen Aktivitäten rund um
24 Plattformökonomie im Maschinenbau
strategie. Die Voraussetzung dafür besteht einerseits in chenden Angeboten an Applikationen und Services
einer Neujustierung der zukünftig abzudeckenden zum Nutzen des Kunden füllen; andernfalls wird sich
Kernkompetenzen, andererseits aber auch in einem früher oder später ein brancheninterner oder sogar -ex-
Verständnis für bestehende oder zukünftig mögliche terner Anbieter finden, der versuchen wird, die spezifi-
Wertschöpfungsnetzwerke mit externen Partnern. schen ihm fehlenden Kompetenzen an der Kunden-
Wichtig ist, dass die jeweils gewählte Positionierung schnittstelle aufzubauen bzw. zuzukaufen.
im Umgang mit Plattformen zum eigenen Unterneh-
men passt, also mit dem traditionellen Leistungsspek- 8. Partnersuche und -auswahl im IoT-Ökosystem
trum, den Kompetenzen, aber auch den Vertriebskanä- Es ist bereits mehrfach angeklungen: Ein Unterneh-
len komplementär oder zumindest kompatibel ist. men des Maschinen- und Anlagenbaus, zumal ein mit-
Letztlich kommt es aber auch auf ein Denken in Szena- telständisches, muss und sollte nicht sämtliche erfor-
rien an, da die Weiterentwicklung von Technologien, derlichen Aktivitäten und Kompetenzen für seine
Kundenbedürfnissen und Wettbewerbsaktivitäten angestrebte Positionierung im IoT-Ökosystem in Ei-
nicht exakt prognostizierbar sein dürfte. genregie aufbauen und durchführen; dies dürfte aus
Zeit-, Kompetenz- und Ressourcengründen meist oh-
7. Kontrolle über die Kundenschnittstelle nehin nicht darstellbar sein. Umso wichtiger ist daher
Einen der wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit neben der Festlegung der eigenen Rolle und Wert-
den beschriebenen Optionen und Szenarien stellen die schöpfungstiefe auf Basis einer realistischen Einschät-
Themen Kundenzugang und Kundenschnittstelle dar. zung der individuellen Ausgangssituation die Suche
An diesem Punkt kulminieren erfahrungsgemäß viele und Auswahl infrage kommender Partner, mit denen
Bedenken gegenüber Plattformen, da häufig ein Ein- das IoT-Ökosystem gemeinsam gestaltet werden kann.
dringen branchenfremder Akteure an die Schnittstelle Neben fachlichen Fragen und Aspekten wie der Rolle
zwischen Anbietern des Maschinen- und Anlagenbaus als Orchestrator oder als Zulieferer bzw. Teilnehmer im
und den Fabrikbetreibern als ihren Kunden als Droh- Ökosystem kommt es hier auf ein Mindestmaß an kul-
szenario beschrieben wird. Fakt ist: Unabhängig von turellem und persönlichem "Fit" zwischen den poten-
der individuell gewählten Strategie sollte die Kunden- ziellen Partnern an. Dazu zählen u.a. Aspekte wie glei-
schnittstelle nicht aus der Hand gegeben werden. Da- che oder ähnliche Ziele und Visionen bzgl. eines
durch, dass kundenspezifische Applikationen in Eigen- Engagements in der Plattformökonomie, die Kompati-
regie oder zumindest kontrolliert durch Partner bzw. bilität von Grundprinzipien und Abläufen der Unter-
vertraglich eng angebundene Dienstleister erstellt wer- nehmen sowie nicht zuletzt die Erarbeitung einer
den, wird sichergestellt, dass der Kundenzugang mit Win-win-Strategie für alle Beteiligten.
direktem Feedback und einer Kommunikation von
Wünschen oder Problemen aus erster Hand gewähr-
leistet bleibt. Prinzipiell zeigt sich der Maschinen- und
Anlagenbau durch sein umfassendes Domänenwissen,
aber auch durch sein tiefes Kundenverständnis gut ge-
rüstet für die weitere Kontrolle der Kundenschnittstel-
le – er muss den Raum allerdings auch mit entspre-
28 Plattformökonomie im Maschinenbau
GLOSSAR
ERP | Enterprise Resource Planning. Planung und Steuerung von Kapital, Personal, Betriebsmitteln, Material
und IT-Systemen im Sinne des Unternehmenszwecks
HaaS | Hardware as a Service. Der Kunde bezahlt den Service, nicht die Hardware.
HVAC | Heating, Ventilation and Air Conditioning. Deutsch: Heizung, Lüftung, Klimatechnik
IaaS | Infrastructure as a Service. Kunden bzw. Nutzer mieten Platz in einem virtuellen Rechen-
zentrum (Cloud), statt selbst teure Rechenzentrumsinfrastruktur zu kaufen.
IoT | Internet of Things. Internet der Dinge, vernetzte Geräte und Maschinen
IIoT | Industrial Internet of Things. Internet der Dinge im produzierenden und industriellen Umfeld
LORA bzw. SigFox | Long Range Wide Area Network. Drahtloses Netzwerk für IoT-Anwendungen
SaaS | Software as a Service. Software und IT-Infrastruktur werden nicht gekauft, sondern bei einem externen
IT-Dienstleister betrieben und als Dienstleistung genutzt.
30 Plattformökonomie im Maschinenbau
Autoren
KAI PETERS
Referent Forschung und Innovation VDMA
European Office
+322 7068219
[email protected]
MARKUS H. SCHORAK
Project Director Industrial Automation/Industrie 4.0
Deutsche Messe AG
+49 511 89-31312
[email protected]
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