Geschichte Der Mathematik

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Geschichte der Mathematik

Manfred Kronfellner

2017/18
Inhalt

0 Geschichte der Mathematik im Überblick


1 Vorgriechische Mathematik
1.1 Ägypter
1.2 Babylonier
2 Mathematik der griechischen Antike
3 Geschichte der Algebra
4 Geschichte der Infinitesimalrechnung
5 Geschichte des Funktionsbegriffs
6 Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung
7 Zeitgeschichte der Mathematik
8 Geschichte der Mathematik in Österreich

2
0 Geschichte der Mathematik im Überblick

Anfänge der Mathematik in der Steinzeit

Ägypter Babylonier Inder Chinesen Mayas, …


3000 – 2500 – 1000 v.Chr. 1000 v.Chr.
300 v.Chr. 100 v.Chr. 1000 n.Chr. 1300 n.Chr.

Griechen
600 v.Chr. –
400 n.Chr.

Araber
800 – 1400

Europäisches
Mittelalter
900 – 1400

Europäische Japaner
Renaissance 1400 – 1850
1400 – 1600

Barock
1600 – 1700

Aufklärung
1700 – 1800

Weltmathematik
ab 1800
3
Die Mathematik entwickelte sich zu Beginn in verschiedenen Kulturkreisen, welche
kaum miteinander in Verbindung standen und nach einer mehr oder weniger langen
Blütezeit wieder verfielen. Die Entstehung der Mathematik in diesen Kulturkreisen
ergab sich meist aus praktischen Erfordernissen, entfaltete aber dann manchmal
eine Eigendynamik und entwickelte sich unabhängig zu den Anwendungen weiter.
Dies wurde dann auch in irgendeiner Form aufgezeichnet und konnte so innerhalb
des Kulturkreises oder aber zwischen den verschiedenen Kulturkreisen
weitergegeben werden. Dadurch beeinflusste manchmal die Mathematik eines
Kulturkreises die Mathematik eines anderen Kulturkreises.

4
1 Vorgriechische Mathematik

1.1 Ägypter

Zusammenfassung

Quellen: Papyrus Rhind (um 1700)


Papyrus Moskau
Lederrolle
Inhalt: Aufgabensammlungen, Tafel zum Bruchrechnen

Mathematische Kenntnisse (Begründungen?):


„Dezimalsystem“
4 Grundrechnungsarten
Lösen von linearen und reinquadratischen (Text-)Gleichungen
(„Hau-Rechnungen“)
Methoden zur Berechnung von Flächeninhalten und Volumina
(Dreieck, Rechteck, Trapez, … quadratischer Pyramidenstumpf, und
andere - nicht alle richtig)
2
 16 
π≈  
9
3-4-5-Dreieck (Landvermessung nach Nilüberschwemmungen)

5
1.1.1 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

Anfang des 3. Jahrtausends v.Chr. begann in Ägypten die Zeit der Dynastien1 und
damit die politische Einigung des Landes. Am Beginn dieser Zeit stand die Erfindung
der Schrift. Ägypten war damit bis zur Antike Träger einer blühenden Kultur. Die
wesentlichen Vorbedingungen und Grundlagen für den Aufbau einer staatlichen
Organisation entwickelten sich jedoch in den Jahrhunderten vor der Einigung
Ägyptens zu einem einheitlichen Reich. So entwickelten sich in Ägypten im Laufe der
Jahrhunderte aus Dorfgemeinschaften Gaustaaten und schließlich zwei Reiche:
Oberägypten im südlichen Niltal und Unterägypten im Nildelta am Mittelmeer.

Die Historiker teilen die Geschichte Ägyptens in fünf große Bereiche, nämlich das
Alte Reich (ca. 3000–2155 v.Chr.), die Erste Zwischenzeit (ca. 2155–2050 v.Chr.),
das Mittlere Reich (ca. 2050–1700 v.Chr.), die Zweite Zwischenzeit (ca. 1700–1550
v.Chr.) und das Neue Reich (ca. 1550–1000 v.Chr.). Danach folgten die Spätzeit
(1000–25 v.Chr.) und die Ptolemäerherrschaft In diesen beiden Epochen war das
einst mächtige Reich nur mehr Spielball ausländischer Mächte (äthiopische,
assyrische, persische Fremdherrschaft; Eroberung durch Alexander den Großen).
Ab 3100 v.Chr. gelang es den Herrschern Oberägyptens die beiden Reiche,
Oberägypten und Unterägypten, zu vereinigen. Gemeinsames Machtzentrum des
vereinigten Reiches war die Stadt Memphis. Es folgte eine Zeit der Macht und des
Wohlstandes, das so genannte Alte Reich. Das besondere Merkmal dieser Periode
ist der Bau der großen Pyramiden als Grabstätten für die Könige. Diese Bauten
zeugen in ihrer Monumentalität einerseits von der enormen Machtfülle der
Pharaonen und andererseits von einer ungeheuren organisatorischen Leistung. Bis
heute weiß man aber noch nicht recht, wie die Ägypter derartige Massen von Steinen
mit einer derartigen Genauigkeit zusammenbauen konnten. Weiters fällt in diese Zeit
die Entwicklung des ägyptischen Schriftsystems, die Hieroglyphen, und die
Zahlendarstellung (bis zu 1 000 000). Es entwickelte sich, infolge der großen
Besitzungen des Staates, ein umfangreicher Verwaltungsapparat, der zur
Entwicklung der Mathematik in Ägypten wesentlich beitrug, da die Verwaltung durch
die Mathematik leichter bewältigt werden konnte. Die regelmäßigen
Nilüberschwemmungen veranlassten die Ägypter außerdem zu Landvermessungen,
da die Größe der Ackerfläche für die Berechnung der Steuer entscheidend war. Die
Griechen führten deshalb den Ursprung der Mathematik auf Ägypten zurück.

Nach dem Zusammenbruch des zentralen Verwaltungssystems, welches das Land in


das Chaos der Ersten Zwischenzeit (ca. 2155 – 2050 v.Chr.) stürzte, folgte die
Wiedervereinigung Ägyptens und es entstand das Mittlere Reich (2050 – 1700). In
dieser Zeit machte sich zum ersten Mal ein Expansionsdrang bemerkbar und der
Handel mit Vorderasien begann aufzublühen. Die größte Leistung der Herrscher
dieser Zeit war jedoch die landwirtschaftliche Erschließung durch ein System von
Damm- und Kanalanlagen.

1
Dynastie (v. griech.: dynástes = Herrscher) bezeichnet eine Geschlechterabfolge von Herrschern und ihrer
Familien, welche durch Erbfolge über mehrer Generationen den Landesherrn stellen. Bis zur Eingliederung des
Landes in das Römische Reich im Jahre 30 v. Chr. lösten einander 31 Herrscherfamilien (Dynastien) ab.
6
Während der Zweiten Zwischenzeit (1700 – 1550) kam es zu einem raschen
Wechsel der Könige, was politische Instabilität und militärische Unsicherheit an den
Grenzen bewirkte. Um 1700 gelang es den Hyksos2 zuerst das Nildelta unter
Kontrolle zu bringen und dann ein System von Vasallenstaaten im gesamten Land
aufzubauen. Diese erste Fremdherrschaft in Ägypten dauerte etwa 100 Jahre. Ihre
Überlegenheit verdankten die Hyksos den von Pferden gezogenen Streitwagen. Die
Herrschaft der Hyksos brachte aber nicht nur militärische Neuerungen, sondern
bereitete auch der geistigen Isolation Ägyptens ein Ende und öffnete das Land neuen
Einflüssen, welche dann zur Blütezeit des Neuen Reiches beitrugen.

Das Neue Reich entstand um 1550, als es den Fürsten von Theben gelang, das
Land zum dritten Mal unter ägyptischer Führung zu einigen und die Fremdherrscher
zu vertreiben. Es stellte den Höhepunkt des Alten Ägyptens dar, da das Königreich
am Nil zur führenden Großmacht des Vorderen Orients wurde. Kunst, Literatur und
Wissenschaft blühten auf und Theben wurde zur Weltstadt. Das Ende des Neuen
Reiches wurde durch den großartigen Abwehrerfolg Ramses III. gegen die Seevölker
aus der Ägäis eingeleitet. Die Abwehr erforderte die Aufbietung der gesamten Kraft
des Pharaonenstaates, mit der dieser letztlich überfordert war. Die Bevölkerung
verarmte und das Königtum konnte seine Macht nicht aufrechterhalten. Ägypten
hatte seine Rolle als Großmacht verspielt, blieb aber weiterhin lange Zeit als
Kulturzentrum unbestritten.

In der Spätzeit wurde Ägypten nach einer kurz andauernden äthiopischen


Fremdherrschaft (die auch das Thema von Guiseppe Verdis Oper „Aida“ ist)
zunächst assyrische und dann persische Provinz. 332. v. Chr. eroberte dann
Alexander der Große Ägypten. Nach seinem Tod gelang es den Ptolemäern3 ihre
Herrschaft am Nil zu errichten. Im Jahre 30 v.Chr. wurde Ägypten dann durch
Oktavian dem Römischen Reich als Provinz einverleibt.

1.1.2 Mathematik im Alten Ägypten


Aus Überlieferungen des Geschichts-schreibers Herodot (~490 – 425 v.Chr.) und des
Philosophen Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) wissen wir, dass die Griechen den
Ursprung der Mathematik den Ägyptern zuschrieben. Die wichtigsten erhaltenen
Quellen, die uns Auskunft über die mathematischen Fähigkeiten der Ägypter geben,
sind der Papyrus Rhind (ca. 1700 v.Chr.), der Papyrus Moskau und die so genannte
Lederrolle.

Der Papyrus Rhind hat eine Länge von 5,5 Meter und ist 32 cm breit. Er enthält 87
Textaufgaben in lehrbuchartiger Anordnung und eine (2:n)-Tabelle. (Vgl. später:
ägyptische Bruchrechnung!) In den Aufgaben geht es vor allem um praktische
Probleme, mit denen es die Beamten des großen Reiches zu tun hatten, wie die
Verteilung von Lohnsummen an mehrere Arbeiter, die Berechnung des
Getreidebedarfs für die Zubereitung einer bestimmten Menge Brot oder Bier, die
2
Die Hyksos (bedeutete ursprünglich „Fürsten der Fremdländer“) waren Könige asiatischer Herkunft. Der
Mittelpunkt ihrer Herrschaft war Auaris.
3
Die Ptolemäer (nach dem Herrschernamen Ptolemaios) waren die makedonische Dynastie, die seit dem Tod
Alexanders des Großen Ägypten beherrschte.
7
Berechnung von Flächen und Rauminhalten oder die Umrechnung von
Getreidemaßen. Man vermutet, dass die Aufgaben für die Schulung der Beamten
geschrieben wurden.

Der Papyrus Moskau ist 5,44 m lang und 8 cm breit und enthält 25 Aufgaben, welche
ebenfalls vor allem praktischer Natur sind.

Die Lederrolle enthält einfache Relationen zwischen Brüchen. Sie hat sich vor allem
zum Verständnis der ersten Stadien der Bruchrechnung als sehr wertvoll erwiesen.

Daneben sind noch einige weniger bedeutende Papyri erhalten.

Die Zahlbezeichnung der Ägypter war dezimal aufgebaut. Sie kannten die vier
Grundrechnungsarten durch Rückführung auf die Abb.3 : Londoner Lederrolle
Addition. In der Geometrie konnten die Ägypter den
Flächeninhalt von Dreiecken, Rechtecken und Trapezen nach den richtigen Formeln
berechnen. Für π verwendeten sie den guten Näherungswert ( 16 )2. Die
9
bedeutendste geometrische Leistung der Ägypter, die uns bekannt ist, ist die
Volumsberechnung eines quadratischen Pyramidenstumpfes nach der Formel V =
(a2+ab+b2) · h , welche aber natürlich nicht als Formel geschrieben, sondern nur als
3
Rechenvorschrift richtig angewendet wurde.
Die Ägypter (genauer gesagt die Seilspanner, von den Griechen Harpendonapten
genannt) verwendeten schon einen Spezialfall des Satzes von Pythagoras: Nach den
Nilüberschwemmungen mussten die Felder neu vermessen werden. Die Seilspanner
hatten die Aufgabe, rechte Winkel zu erzeugen. Dazu machten sie sich
wahrscheinlich die Gleichung 3² + 4² = 5² zunutze.

Seilspanner (Kinderuni 2006)

8
1.1.4 Ägyptische Zahlen

Bereits in der Frühzeit der ägyptischen Hochkultur um 3000v.Chr. wurden folgende


Zahlzeichen verwendet:

Die einzelnen natürlichen Zahlen wurden durch Aneinanderreihen dieser Zahlen


dargestellt:

3 40 256

Man begann links mit den Vielfachen von 1, schrieb dann rechts davon die
Vielfachen von 10 u.s.w. In einigen Büchern wird auch - unserer Gewohnheit
entsprechend - nach absteigenden Größenordnungen angeordnet.

Aufgabe: Welche Zahlen werden durch

a) b)
dargestellt?

Aufgabe: Schreib folgende Zahlen mit ägyptischen Zahlzeichen:

273; 8002; 192478; 200000

Nenne Vor- und Nachteile der ägyptischen bzw. unserer Schreibweise!

Addieren und Subtrahieren mit ägyptischen Zahlen

Bei Addition und Subtraktion von Zahlen in ägyptischer Darstellung kann


insbesondere der Übertrag bewusst gemacht werden.

Aufgabe: Addiere: a) +

9
b) +

c) +

Aufgabe: Subtrahiere: a) -

b) -

1.1.5 Bruchrechnung auf ägyptisch

Zur Darstellung von Brüchen verwendeten die Ägypter nur Kehrwerte natürlicher
Zahlen („Stammbrüche“). Diese Bruchzahlen wurden durch Angabe des Nenners,
versehen mit einem „Bruchzeichen“ ( ), geschrieben.

1 1
Z.B.: = =
3 12

1 1 1 1
Nur für und gab es ein eigenes Symbol: = =
2 4 2 4

2
Eine Ausnahmestellung hatte , der einzige Nicht-Stammbruch, für den die Ägypter
3

2 1
ein eigenes Zeichen verwendeten: = (also: )
3 1 12

Traten im Zuge einer Addition von Brüchen zwei gleiche Summanden auf, so
ersetzten die Ägypter diese durch eine Summe aus einem möglichst4 großen Bruch
und einem „Korrekturbruch“, z.B.:

1 1 1 1 1 1 1 1
+ = + oder + = +
5 5 3 15 7 7 4 28

Manchmal haben die Ägypter nur Darstellungen mit mehr als zwei Brüchen
gefunden:

1 1 1 1 1
+ = + +
13 13 8 52 104

4
Es gibt manchmal auch „bessere“ Darstellungen, aber diese haben die Ägypter offenbar nicht gesehen.
10
Für solche Umrechnungen verwendete man Tabellen. Eine solche Tabelle findet sich
(neben einer Sammlung von Aufgaben) im Papyrus Rhind (auch „Rechenbuch des
Ahmes“ genannt), das vom Engländer A.H.Rhind 1850 in einer Ruine in Theben
gefunden wurde und heute im Britischen Museum in London aufbewahrt wird. Ein
Teil dieser Tabelle ist im Folgenden wiedergegeben.

5 2 2 1 2 1 1 1
Beispiel: = + + Aus der Tabelle entnimmt man: = + +
13 13 13 13 13 8 52 104

Somit ist:

5 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1
= + + + + + + = + + + = + + +
13 8 52 104 8 52 104 13 8 52 104 13 4 26 52 13

Aufgabe: Stelle mit Hilfe der obigen Tabelle folgende Brüche als Summe von
3 3 4 5
Stammbrüchen dar: a) b) c) d)
11 35 5 21

9
Aufgabe: Stelle , ohne vorher zu kürzen, als Summe von Stammbrüchen dar und
21
3
vergleiche mit der Darstellung, die sich für ergibt!
7

11
1.1.6 Ägyptisches Multiplizieren
Wie berechneten die Ägypter etwa 13 ⋅ 17 ? Sie stelllten einen 1 17
der Faktoren als Summe von Potenzen von 2 dar:
(2) (34)
13=8+4+1
4 68
Weiters verdoppelten sie den anderen Faktor mehrmals und
addierten jene Vielfachen von 17, die den in der Zerlegung 8 136
von 13 auftretenden Zweierpotenzen entsprechen. 13 221

Aufgabe: Versuche, diese Methode allgemein zu begründen! Berechne auf diese


Weise: a) 86 ⋅ 23 b) 138 ⋅ 51

1.1.7 Ägyptische Division

Beim Dividieren gingen 153 : 17 = ? 19 : 8 = ?


die Ägypter analog zur
1 17 (1) (8)
Multiplikation vor:
(2) (34) 2 16
(4) (68) (1/2) (4)
8 136 1/4 2
9 153 1/8 1
2+1/4+1/8 19

Aufgabe: Versuche, diese Methode durch Zurückführen auf die Multiplikation zu


erklären! Berechne auf diese Weise: a) 224 : 14 b) 61 : 16

Versuche eine Aufgabe anzugeben, wo diese Methode nicht funktioniert!

12
1.1.8 Textaufgaben im alten Ägypten

In den ägyptischen Quellen findet man überwiegend Textaufgaben, sogenannte


„Hau-Rechnungen“, wobei „Hau“ so viel heißt wie „Haufen“, „Menge“, „(unbekannte)
Anzahl“. Die Ägypter verwendeten häufig die Methode des falschen Ansatzes, z.B.:
Ein Haufen und sein vierter Teil ergeben zusammen 15.

1
Lösung: Nimm an, 4 ist die gesuchte Zahl; dann ist 4 + ⋅ 4 = 5. Da die gewünschte
4
Zahl 15 ist und 15 = 3 ⋅ 5 , ist auch die gesuchte Zahl das Dreifache der ursprünglich
angesetzten Zahl 4, also 3 ⋅ 4 = 12 .

Aufgabe: a) Gib ein ähnliches Beispiel an, wo diese Methode zum richtigen Ergebnis
führt, und eines, bei dem diese Methode nicht zielführend ist!
b) Für welche Art von Aufgaben ist diese Methode verwendbar?

13
1.2 Babylonier

Zusammenfassung
Quellen: Keilschrifttafeln

Mathematische Kenntnisse (Begründungen?):


Sexagesimalsystem (~Stellenwert), incl. (positive) rationale Zahlen
(über Hipparchos und Ptolemaios’ Astronomie in die Renaissance-
Mathematik; bis heute in der Zeit und Winkelmessung erhalten!)
4 Grundrechnungsarten
Gleichungen 1. und 2. (teilweise auch 3.) Grades
Pythagoreische Zahlentripel

Tabellen für x2, x3, x, 3


x,

für Potenzen einer bestimmten Basis („Logarithmentafeln“)


1
π≈ 3 (manchmal auch nur 3)
8
Satz von Thales

1.2.1 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

Babylonien bezeichnete das ehemalige Königreich in Mesopotamien in der Zeit von


1900 v. Chr. bis 539 v. Chr., welches am Unterlauf der Flüsse Euphrat und Tigris
(Zwischenstromland) eine blühende Kultur entwickelte. Das kulturelle Zentrum des
Gebietes war die Stadt Babylon.

Als schriftliche Quellen stehen in erster Linie Keilschrifttexte zur Verfügung. Diese
stammen aus den verschiedenen Perioden der babylonischen Geschichte und sind
aus diesem Grund in verschiedenen Sprachen abgefasst. Viele Keilschrifttäfelchen
sind auch mathematischen Inhalts.

Um 3000 v.Chr. bestand in dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris eine kulturelle
Hochblüte, die dann Basis für jede weitere Entwicklung der Kultur des
Zwischenstromlandes bildete. In dieser Zeit entstand das Zahlensystem der
Babylonier.

14
Im 18.Jahrhundert v.Chr. errichtete König Hammurabi ein Großreich
(„Altbabylonisches Reich“), dessen Mittelpunkt Babylon war. Hammurabi war nicht
nur Eroberer und Diplomat, sondern auch ein fähiger Organisator. Er errichtete
Bewässerungsanlagen und großartige Bauten, organisierte das Land durch eine
straffe Verwaltung und verfasste eine einheitliche Rechtsordnung, den Codex
Hammurabi. Unter seiner Herrschaft wurden auch neue Wissenschaften wie
Astronomie und Mathematik gefördert. Aus dieser Zeit stammen die wichtigsten
mathematischen Texte der Babylonier.

Nach seinem Tod erwies sich keiner seiner Nachfolger so geschickt wie er, und so
verlor das Reich nach und nach an Einfluss und Herrschaftsbereich. Durch
zahlreiche innere Unruhen und durch Angriffe von außen geschwächt, gelang es den
Hethitern5 1595 v.Chr. die Stadt einzunehmen. Die Ära des Altbabylonischen
Reiches war damit zu Ende.

Die nachfolgende Zeit wird als dunkle Periode der babylonischen Geschichte
bezeichnet. Die Kassiten6 regierten etwa 400 Jahre lang das Reich, erweiterten es
und machten das Land so nochmals zur Großmacht.

1155 wurde die Stadt von den Elamitern7 erobert. Sie plünderten und brandschatzten
die Reichtümer. Erst Nebukadnezar I. gelang es 1137, die Kassiten und Elamiter zu
vertreiben. Er versuchte das Reich wieder auszudehnen, was von den Assyrern8
immer wieder verhindert wurde. Durch ihre Politik wurde Babylonien immer mehr in
ihr Reich integriert und so zum Zentrum des assyrischen Reiches. Durch dieses
Bündnis von Babylon mit Assyrien sicherten die beiden ihre Südgrenze. Die
Babylonier versuchten aber auch immer wieder die Macht der Assyrer zu brechen,
was ihnen jedoch nicht gelang.

Im 7. Jahrhundert v.Chr. brach das Assyrische Reich durch die Folgen der vielen
Kriege auseinander. In Babylonien begann damit das Zeitalter des
Neubabylonischen Reiches. Der chaldäische General Nabopolassar vereinigte die
lokalen Volksstämme und verbündete sich mit den Medern. Sein Nachfolger
Nebukadnezar II entwickelte dann außerordentliche Fähigkeiten als Staatsmann,
Heerführer, Friedensstifter und Bauherr. Er ließ Tempel in allen Städten des Landes

5
Die Hethiter waren ein Volk mit indogermanischer Sprache, das im 2. Jahrtausend v.Chr. im östlichen
Kleinasien das Reich Hatti gründete (siehe Karten am Ende des Kapitels). Hauptstadt war Hattusa.
6
Die Kassiten waren ein altorientalisches Volk, das im 2. bis 1. Jahrtausend v.Chr. im Südwesten des
Zagrosgebirges (siehe Karte am Ende des Kapitels) lebte und in Babylonien eine Dynastie errichtete. Sie
bildeten eine kleine militäraristokratische Oberschicht. .
7
Elam war ein altorientalisches Reich östlich vom unteren Tigris (siehe Karten am Ende des Kapitels). Die
Hauptstadt war Susa. Die Bewohner hießen Elamiter. Elam wurde als eine Art Bundesstaat von einem
Oberkönig in Susa regiert. Die Geschichte von Elan ist eng mit der von Babylonien verknüpft.
8
Assyrien war im Altertum das Gebiet am mittleren Tigris um die Stadt Assur (siehe Karten am Ende des
Kapitels). Die Assyrer waren die Bewohner von Assyrien.
15
wieder aufbauen, errichtete Kanäle, förderte den Ackerbau, den Gartenbau und den
Handel. Zur Absicherung seines Reiches führte er mit Syrien und Israel Krieg. Die
unterworfenen Länder mussten hohe Abgaben an Babylon abliefern. Als er starb,
hinterließ er seinem Sohn ein geordnetes und konsolidiertes Reich. Aber dieses
Neubabylonische Reich hatte nur eine kurze Lebenszeit. Schon 539 v.Chr. wurde
Babylonien vom Perserkönig Kyros II. erobert und zu einer persischen Provinz
gemacht. Dieses Weltreich der Perser fiel schließlich am Ende des 4. Jh. v. Chr. den
Eroberungen Alexander des Großen zum Opfer.

1.2.2 Wissenschaften in Mesopotamien


Die Leistungen der Völker Mesopotamiens auf dem Gebiet der Wissenschaften
erwiesen sich weitaus beständiger als ihre Reichsgründungen. Vieles, was uns heute
selbstverständlich ist, brachten sie in die Geschichte ein. Ihre Priester beschrieben
den Lauf der Planeten, konnten Sonnen- und Mondfinsternisse vorherbestimmen und
unterteilten das Jahr in 12 Monate. Die Damm- und Kanalbauten, die ausgedehnten
Handelsbeziehungen und die Astronomie erforderten mathematische Kenntnisse.
Wie die ägyptische Mathematik war die babylonische Mathematik primär von den
gesellschaftlichen und technischen Anforderungen geprägt.

1.2.3 Das Sexagesimalsystem

Die Babylonier verwendeten zur Darstellung von Zahlen zwei Symbole: für 1 und
für 10. (Diese Zeichen wurden durch Eindrücken eines Stabes mit dreieckigem
Querschnitt in weiche Tontafeln erzeugt.)

Außerdem verwendeten sie ein Stellenwertsystem mit der Basis 60, das später vor
allem durch das astronomische Werk des Ptolemaios Verbreitung fand und auch uns
noch in der Winkelmessung und im Zeitmaß erhalten ist:

1⋅ 60 + 11 = 71

1
Diese Darstellung kann aber auch 1⋅ 60² + 11 ⋅ 60, oder auch 1 + 11⋅ , o.Ä.
60

bedeuten. Für 1⋅ 60² + 11 schrieb man , d.h. die freibleibende Stelle wurde

16
in früheren Zeiten durch einen größeren Abstand angedeutet, später durch ein
„Lückenzeichen“ markiert.

Aufgabe: Welche Zahlen werden durch folgende Zeichen dargestellt? (Jeweils

mehrere Antworten möglich!)

Wir wollen uns im Folgenden mehr mit dem mathematischen Kern des Sexage-
simalsystems beschäftigen, ohne uns mit den mühsamen Zeichen aufzuhalten, d.h.
wir verwenden statt der Keilschriftsymbole unsere vertraute Schreibweise, z.B.:

3, 17, 34 soll bedeuten: also 3 ⋅ 60² + 17 ⋅ 60 + 34 .

Aufgabe: a) Übertrage ins Dezimalsystem: 43, 8, 27 2, 0, 49


b) Übertrage ins Sexagesimalsystem: 3731 223258
c) Übertrage ins Dezimalsystem (ein Strichpunkt soll unserem Komma
entsprechen): 21;13 1,3;52 2;0,1
d) Übertrage ins Sexagesimalsystem: 31,76 4,007

1 5 1 5
e) Stelle a) , b) , c) , d) als Sexagesimalzahlen dar!
3 6 7 8

Für 1/2, 1/3 und 2/3 hatten sie eigene Symbole.

Über die griechischen Astronomen und Mathematiker Hipparchos und Ptolemaios


und über die Renaissancemathematik kam das Sexagesimalsystem nach Europa,
wo es heute noch in der Winkelmessung und Zeitmessung weiterlebt.

Ihre Rechentechnik war sehr gut entwickelt. Sie führten die Addition und Subtraktion
ähnlich wie wir im Dezimalsystem, im Sexagesimalsystem aus. Der Unterschied
bestand darin, dass sie bei der Addition erst dann um 1 weiterzählten mussten, wenn
sie über 60 und nicht wie bei uns über 10 kamen. Bei der Subtraktion mussten sie
manchmal 60 „ausborgen“, um die einzelnen Stellen von einander subtrahieren zu
17
können. Die Multiplikation funktionierte im Prinzip ähnlich wie bei uns heute.
Allerdings genügte den Babyloniern nicht das Einmaleins, das wir heute lernen. Sie
mussten alle Werte von 1 mal 1 bis 59 mal 59 kennen, um multiplizieren zu können.
Dafür verwendeten sie ausführliche Zahlentafeln als Rechenhilfe
(Multiplikationstabellen). Die Division führten sie durch Multiplikation mit dem
Kehrwert des Divisors durch. Den Kehrwert eruierten sie, wie bei der Multiplikation,
aus Tabellen.

Den Hauptbestandteil der bereits erwähnten Tontafeln machten Tabellen der


Quadrate, der Kuben, der Quadrat- und Kubikwurzel, der Reziproken und der
Potenzen einer bestimmten Basis aus.

Die Babylonier konnten algebraische Gleichungen in einer Unbekannten vom ersten


und zweiten Grad lösen, kubische Gleichungen der Form ax3 + bx2 = c lösten sie mit
Hilfe von Tafeln für n3 + n2. Ebenso konnten sie lineare Gleichungssysteme und
Systeme aus einer linearen und einer quadratischen Gleichung lösen. Sie
n n
summierten endliche arithmetische Reihen, die Reihe ∑ i²
1=1
und die Reihe ∑ 2 i.
i =1

Die Babylonier kannten einige Formeln für Flächen- und Rauminhalte, wobei manche
davon nur grobe Näherungen waren. Für π verwendeten sie den Wert 3 oder 3 1/8,
was eine schlechtere Näherung als die der Ägypter war. Sie konnten viele Winkel
konstruieren und kannten den Satz von Thales sowie den Pythagoreischen Lehrsatz.
Vermutlich wussten sie auch bereits, wie man alle pythagoreischen Tripel bestimmt,
denn auf Keilschrifttäfelchen sind umfangreiche Listen von pythagoreischen Tripeln
enthalten.

Darüber hinaus findet man in den erhaltenen Texten auch Aufgabensammlungen


und rezepthafte Rechenvorschriften. Die Babylonier geben keinerlei Begründungen
oder Beweise für die verwendeten Formeln und Sätze. Für gewisse Aufgaben (z.B.

18
Lösung quadratischer Gleichungen) hat man jedoch dutzende Beispiele gefunden,
ähnlich wie in heutigen Schulbüchern. Daher waren Standardverfahren zur Lösung
dieser Aufgaben offenbar schon bekannt.

Ein großer Teil der erhaltenen Texte handelt von Problemen, welche sich mit der
Landwirtschaft beschäftigten.

Die Babylonier verfügten auch schon über bemerkenswerte theoretische Kenntnisse.


Sie hatten jedoch noch keine begrifflich aufgebaute Mathematik in unserem Sinn,
eine solche wurde erst von den Griechen entwickelt.

Die Griechen übernahmen von den Babyloniern (ebenso wie von den Ägyptern)
verschiedene Kenntnisse. So gibt es sowohl in der Geometrie wie auch in der
Algebra (Lösen von Gleichungen), hier sogar noch stärker, Anhaltspunkte dafür,
dass ganz enge Beziehungen zwischen der babylonischen und griechischen
Mathematik bestanden und dass die griechische Mathematik sehr stark auf
babylonische Traditionen zurückgegriffen hat. Thales und Pythagoras sollen sich
eine Zeit lang bei den Babyloniern aufgehalten haben. Wie viel und was die Griechen
genau von ihnen übernommen haben, weiß man aber bis heute nicht genau.

19
2 Mathematik der griechischen Antike

2.1 Überblick

Mathematik Geschichte allgemein

1 Ionische Periode Aufschwung der ionischen Städte


(~600 – ~400 v. Chr):
Thales, Pythagoras, Demokritos,
Hippokrates, Theodoros

2 Athenische Periode Athen wird kulturelles Zentrum


(~400 -- ~300 v. Chr.):
Sophisten, Platon, Aristoteles,
Eudoxos, Menaichmos

3 Alexandrinische Periode Übergang von Stadtstaaten zum


(~300 -- ~200 v. Chr.): Großreich Alexanders; Alexandria wird
Euklid, Archimedes, Eratosthenes, Zentrum
Apollonios

4 Spätzeit Griechenland wird Teil des Römischen


(~200 v.Chr – ~300 n. Chr.): Heron, Reiches
Ptolemaios, Diophantos, Pappos
415 Heidenverfolgung; Erlöschen der
Alexandrinischen Mathematikerschule

529 Justinian schließt die Platonische


Akademie; Byzanz wird Bewahrer der
griechischen Tradition

Ab ca. 1400 Abwanderung der Gelehrten


nach Italien ( Renaissance!)

2.2 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund


Die Griechen sind um etwa 2000 v. Chr. aus dem Norden in den Mittelmeerraum
eingewandert, wo sie im Laufe der Zeit eine hochstehende Kultur entwickelten. Die
griechische Kultur ist Grundlage für die abendländische Politik und Kunst. Die
Griechen brachten den abendländischen Wissenschaftsbegriff hervor, welcher im
Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen besteht, ohne Rücksicht auf etwaige
20
praktische Anwendbarkeit der Erkenntnisse. Das Streben nach Erkenntnis ist dabei
hauptsächlich auf das Gedankliche und Abstrakte gerichtet und weniger auf die reale
Welt. Sie entwickelten daher vor allem die Philosophie und die Mathematik zur
Vollkommenheit. In den eigentlichen Naturwissenschaften erbrachten sie zwar
vereinzelt bemerkenswerte Leistungen, ihre physikalischen Kenntnisse gingen über
die Mechanik kaum hinaus. Das elementare Rechnen (die vier Grundrechnungsarten
und elementare praktische Aufgaben) wurde von den griechischen Gelehrten
weitgehend vernachlässigt und gehörte für sie überhaupt nicht zur Mathematik,
sondern war für sie ein eigenes Wissensgebiet, die so genannte „Logistik“. Sie hatten
auf diesem Gebiet zwar einige Fähigkeiten, die sie als Handelsvolk teilweise von den
Ägyptern und Babyloniern übernommen hatten, und manchmal wendeten die
griechischen Mathematiker diese auch an, doch im Großen und Ganzen war die
griechische Mathematik eine „reine“ Mathematik. Davon zeugt auch die folgende
Anekdote:

Als ein Schüler nach relativ kurzem Studium geometrischer Sätze fragte, was er mit
diesem Wissen verdienen kann, befahl Euklid einem Sklaven: „Gib ihm drei Obolen,
denn der arme Mensch muss Geld verdienen mit dem, was er lernt.“
(van der Waerden 1966, S. 322)

Quellen

Originale der griechischen Mathematiker sind, von einigen wenigen Ausnahmen aus
der Zeit um 200 n. Chr. abgesehen, nicht erhalten. Vollständige Abschriften von
Werken gibt es in der Philosophie erst ab Platon und in der Mathematik erst ab
Euklid. Die Elemente des Euklid sind im 4. Jahrhundert n. Chr. von Theon von
Alexandria bearbeitet worden, so dass manchmal nicht klar ist, was von Euklid selbst
und was von Theon stammt.

Die Werke von Archimedes, Apollonios, Heron, Nikomachos, Diophant und Pappos
sind in Abschriften nur unvollständig erhalten. Arabische Übersetzungen bieten
wesentliche Ergänzungen.

Über die Mathematik vor Euklid erfahren wir beispielsweise von Platon und
Aristoteles, die oft mathematische Definitionen und Sätze zitieren und manchmal
auch Beweismethoden andeuten. Spätere Kommentatoren erklärten solche
Andeutungen dann oft näher. Daraus können wir Schlüsse über den Stand der
Mathematik zu ihrer Zeit ziehen. Kommentare zu mathematischen Schriften
enthielten auch historische Angaben.

Insgesamt gesehen ist es ähnlich wie bei den Babyloniern und Ägyptern. Was wir
gut kennen, ist die fertige griechische Mathematik, die Entwicklung dorthin muss aus
späteren Mitteilungen und kurzen Zitaten erschlossen werden. Dies gelingt aber bei
den Griechen viel besser als bei den früheren Völkern.

21
Zahlzeichen

Die frühesten Nachweise von Zahlensymbolen im griechischen Kulturkreis finden


sich aus dem 11. Jahrhundert vor Christus in Kreta. Es waren in der folgenden Zeit
dann zwei Zahlensysteme in Gebrauch. Einerseits die attische Zahlenschrift mit den
so genannten „Herodianischen“ Zeichen und andererseits die ionische Zahlenschrift.
Die Zahlen des Herodianischen Systems wurden, abgesehen von der Zahl 1, durch
den Anfangsbuchstaben der entsprechenden griechischen Zahlwörter repräsentiert.

|=1

Γ = ältere Schreibweise von 5 = Π (ΠΕΝΤΕ - pente)

∆ = 10 (∆ΕΚΑ - deka)

Η = 100 (ΕΚΑΤΟΝ - hekaton)

Χ = 1000 (ΧΙΛΙΟΙ - chilioi)

Μ = 10 000 (ΜΥΡΙΟΙ - myrioi)

Alle anderen Zahlen wurden als Kombination (wie beim bekannten römischen
Zahlsystem) von diesen Symbolen ausgedrückt. Zahlen wie 50, 500 und 5000
wurden durch eine Kombination von Γ für 5 und den Symbolen für 10, 100 und 1000
dargestellt.

Die ionische Zahlschrift bestand aus den Buchstaben des griechischen Alphabets
und wurde ergänzt durch drei Buchstaben eines älteren (semitischen) Alphabets

(digamma oder vau für 6, koppa für 90 und sampi für 900).

Zur Unterscheidung von gewöhnlichen Buchstaben wurden die Symbole oben mit
kleinen Strichen versehen. Der früheste Gebrauch der ionischen Zahlschrift wurde
auf einer Inschrift von Halikarnassos gefunden, die auf ca. 450 v. Chr. datiert wird.
Es dauerte aber sehr lange bis sich die Zahlschrift durchsetzte. Der erste offizielle
22
Gebrauch scheint, wie ein Inschriftfund in einem Tempel bezeugt, im Jahre 200
v.Chr. gewesen zu sein. Vor dieser Zeit verwendete Athen noch das alte
Herodianische System. Dieses wurde den Funden nach 95 v.Chr. das letzte Mal
verwendet.

Brüche wurden bei den Griechen auf verschieden Weise geschrieben. Meistens
schrieben sie den Nenner, indem sie der Zahl an sich einen oder zwei Striche
1
hinzufügten (z.B. δ´´ für ). Bei Archimedes, Diophant und Eutocius findet man für
4
1
das Zeichen L´´, bei Heron C oder ein Zeichen ähnlich dem S. War der Zähler
2
3
verschieden von Eins, so schrieb man dies folgendermaßen: γ´δ´´ = oder η´ξα´´ =
4
8
. Eine weitere Methode, Brüche mit Zählern größer als Eins darzustellen, war die
61
Zerlegung in Partialbrüche mit Zähler Eins. Diese wurden dann nebeneinander
3 1 1
geschrieben (z.B. β´´δ´´ für = + ).
4 2 4

Die vier Grundrechnungsarten

Die Addition und Subtraktion führten die Griechen im Prinzip durch wie wir heute.
Dazu schrieben sie die zu addierenden bzw. zu subtrahierenden Zahlen übersichtlich
untereinander und addierten bzw. subtrahierten dann die einzelnen Stellen. Die
Multiplikation und Division war ebenfalls unserer Rechenweise ähnlich.

Der Abakus

Die Griechen hatten also ein Dezimalsystem bei dem die Zifferschreibweise jedoch
sehr kompliziert und umständlich war. Aus diesem Grund übernahmen die antiken
Astronomen teilweise das babylonische Sexagesimalsystem. Als Hilfe beim
Multiplizieren besaßen die Griechen eine Multiplikationstafel, die das kleine
Einmaleins umfasste und somit das Rechnen vereinfachte. Dennoch war das
griechische Zahlensystem zu schwerfällig, um einfaches schriftliches Rechnen
zuzulassen (wie aus obigen Beispiel ersichtlich ist). Deshalb rechneten sie in der
Praxis meistens mit dem Rechenbrett, dem „Abakus“. Das Wort „Abakus“ leitet sich
vom griechischen Wort „Abakion“ ab, was soviel wie „runde Platte“ bedeutet. So ein
Rechenbrett ist uns aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Form einer Marmortafel
erhalten geblieben (Abb.13).

Auf dieser Marmortafel sieht man zueinander parallel gezogene Kolonnen, auf die
Rechensteinchen gelegt wurden. Je nach ihrer Stellung auf dem Rechenbrett wurde

23
den Steinchen ein anderer Wert zugeschrieben. Auf den waagrechten Kolonnen
wurden die Rechensteinchen hin- und hergeschoben.

Der Abakus war im Altertum sehr weit verbreitet. Archimedes soll seine Rechnungen
auf einem sandbestreuten Brett durchgeführt haben. Die Römer entwickelten ihn zu
einem tragbaren Handabakus weiter.

Der Abakus wurde um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in Westeuropa fast
vollkommen verdrängt, als die modernen Algorithmen für die vier
Grundrechnungsarten erfunden und verbreitet wurden. Denn diese ermöglichten die
systematische Berechnung komplizierter numerischer Probleme und bildeten damit
die Grundlage für die heutige Wissenschaft und Technik. Diese chinesische Form
des Abakus, der so genannte Suan Pan bzw. der japanische Soroban wurde bis vor
kurzem in Asien verwendet (bzw. angeblich sogar heute noch).

24
2.2.1. Die Ionische Periode (von etwa 600 v.Chr. bis 400 v.Chr.)
Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

Während des 7. und 6. Jahrhunderts v.Chr. wurden die griechischen Stadtstaaten an


der ionischen Küste Kleinasiens und auf den vorgelagerten Inseln zu bedeutenden
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentren. Zu Mesopotamien, zu Ägypten
und zum eigentlichen Griechenland (insbesondere zu Athen und Korinth) bestanden
enge kulturelle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen. Die Stadt Milet
war eine der bedeutendsten Handelsstädte und entwickelte sich zum Zentrum der
ionischen Naturphilosophie.

Die gesellschaftliche Stellung jener, die sich mit Philosophie, Naturwissenschaften


und Mathematik befassten, hatte sich verändert. So standen diese nicht mehr im
Dienste eines Herrschers oder Tempel, sondern gehörten nun in der Regel dem
Stand der reichen Kaufleute oder Besitzer größerer Werkstätten an.

Mathematik und wichtige Vertreter in der Ionischen Periode

Thales von Milet lebte um 600 v.Chr. und war der erste ionische Naturphilosoph. Mit
ihm beginnt die griechische Mathematik, sich von der ägyptischen und babylonischen
Mathematik abzusetzen und ihren eigenen Weg zu gehen. Neben der Mathematik
beschäftigte er sich auch mit Philosophie und Astronomie. Er strebte nach einer
rationalen Erklärung der Welt und ihrer Entwicklung und hielt nicht die Götter oder
übernatürliche Mächte, sondern das Wasser für den Ursprung aller Dinge. Wie er
das genau meinte, wissen wir nicht. Vielleicht meinte er, dass alles Leben im Wasser
entsteht und dass alles Leben wieder zu Wasser wird, wenn es in Auflösung
übergeht. Als er in Ägypten war, hatte er sicher gesehen, wie fruchtbar die Felder
waren, wenn der Nil sich nach Überschwemmungen im Nildelta zurückzog. Im Jahre
585 v.Chr. soll er eine Sonnenfinsternis vorausgesagt haben.

Platon erzählt, dass Thales, während er zu den Sternen hinaufschaute, in einen


Brunnen fiel und ihn daraufhin eine Sklavin auslachte:

„Er wollte wissen, was im Himmel geschah, aber er sah nicht, was vor seinen
eigenen Füßen war.“

Er war aber sicher kein zerstreuter Gelehrter, wie diese Anekdote vielleicht vermuten
lässt, sondern im Gegenteil sehr geschickt. Nach Aristoteles soll er nämlich
demonstriert haben, dass man durch Wissenschaft auch reich werden könne. Er
habe auf Grund seiner astronomischen Kenntnisse nach mehreren schlechten
Oliven-Erntejahren eine gute Ölernte vorausgesehen und soll schon im Winter alle
Ölpressen rund um Milet und Chios angemietet haben, um daraus einen großen
Profit zu erzielen.
25
Seine größten Leistungen erzielte er auf dem Gebiet der Mathematik. Er gilt als
Begründer der wissenschaftlichen Mathematik, da er sich nicht mit dem Akzeptieren
funktionierender Verfahren begnügte, sondern nach allgemeingültigen
Begründungen suchte. Er war der erste Mathematiker, der Beweise für seine Sätze
gab. Seine mathematischen Kenntnisse hatte er angeblich zum Teil von den
Babyloniern. Es heißt auch, dass er einmal die Höhe einer Pyramide in Ägypten
dadurch gemessen habe, dass er den Schatten der Pyramide in dem Moment maß,
als sein eigener Schatten genauso lang war wie er selber. Eudemos von Rhodos (um
300 v.Chr.) schrieb in seiner Geschichte der Mathematik über Thales:

„1. Er war der Erste, der bewies, dass der Kreis von seinem Durchmesser halbiert
wird.

2. Er hat als Erster erkannt und ausgesprochen, dass in einem gleichschenkeligen


Dreieck die Basiswinkel gleich sind.

3. Er entdeckte zuerst, dass, wenn zwei Geraden einander schneiden, ihre


Scheitelwinkel gleich sind.

4. Er bewies den Satz von der Kongruenz zweier Dreiecke, die in einer Seite und
zwei Winkeln übereinstimmen.“

5. Der Satz von Thales: Alle Winkel im Halbkreis sind rechte Winkel.

Diese vier Erkenntnisse und der „Satz von Thales“


können in einer einzigen Zeichnung, der so genannten
„Thaletischen Grundfigur“ visualisiert werden.

Pythagoras von Samos9 war ein vielseitiger Gelehrter. Er wurde ungefähr 580
v.Chr. auf der Insel Samos geboren. Er verließ Samos aus Furcht vor der drohenden
Eroberung durch die Perser (andere Quellen berichten auch von Querelen mit dem
dortigen Tyrannen) und reiste als erstes nach Milet, wo er Thales kennen gelernt
haben soll. Dieser erkannte seine mathematische Begabung und wies ihn auf die
Wissensschätze der Phönizier und Ägypter hin, woraufhin sich Pythagoras dorthin
begab. Dort lernte er vermutlich die Mysterien verschiedenster religiöser Kulturen
und die überlieferte hochentwickelte babylonische und ägyptische Mathematik und
Astronomie kennen. Danach hielt er sich für ungefähr zwölf Jahre in Babylon auf und

9
Näheres über Pythagoras und die Pythagoreer siehe vor allem das Buch von Van der Waerden: „Die
Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft“

26
erreichte schließlich nach verschiedenen Zwischenstationen die von Griechen
bewohnte Stadt Kroton in Süditalien, wo er eine religiöse Sekte gründete. Diese hat
in der Politik der Griechenstädte in Süditalien eine große Rolle gespielt. In der ersten
Hälfte des 5.Jahrhunderts v.Chr. hatten die Pythagoreer10 eine Zeitlang die Führung
in Kroton und in anderen Städten, aber es gab auch Rebellionen gegen ihre
Hegemonie. Eine dieser Rebellionen fand zu Lebzeiten Pythagoras statt und führte
zur vorübergehenden Vertreibung der Pythagoreer aus Kroton. Zu dieser Zeit ging
Pythagoras nach Metapontion, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Er ist
etwa 500 v.Chr. gestorben.

Einige andere Pythagoreer hielten sich noch einige Zeit in Region auf, wurden aber
in der Folge ganz aus Italien vertrieben. Nur in Tarent haben sich die Pythagoreer
unter der Führung von Archytas, ein späterer Pythagoreer, längere Zeit gehalten. Im
4. Jahrhundert gab es verschiedene Gruppen von Pythagoreern, eine Gruppe in
Phlius, eine sehr aktive Gruppe in Tarent und eine dritte Gruppe in Athen, die
„Pythagoristen“ genannt und als solche verspottet wurden. Van der Waerden meint,
dass es in Tarent von der Zeit des Archytas (um 380) bis etwa 180 v.Chr. eine
fortdauernde Tradition der Pythagoreischen Lehre und Lebensführung gegeben hat.
Von 180 bis etwa 70 v.Chr. wissen wir fast nichts, was vermuten lässt, dass die
pythagoreische Lehre in dieser Zeit erloschen ist. Vielleicht wurde sie aber auch im
Verborgenen weiter tradiert. Nach dieser Zeit kam es zu einer Wiederbelebung durch
Nigidius, einem Freund Ciceros. Er gründete in Rom eine pythagoreische
Bruderschaft. Dies war der Anfang des Neupythagorismus.

Platon lernte die idealistische Auffassung der Pythagoreer vom Wesen der
Mathematik bei Archytas kennen, wodurch die Mathematik großen Einfluss auf die
Entwicklung der Philosophie und der Wissenschaft im Allgemeinen nahm.
Idealistische Auffassungen vom Wesen der Wissenschaft wurden somit für die
nächsten Jahrhunderte bestimmend.

Pythagoras begründete eine Art von Naturreligion. Die Schule der Pythagoreer
verbreitete seine Lehren und entwickelte sie weiter. Sie lebten nach bestimmten
Vorschriften, glaubten an die Unsterblichkeit der Seele und die Seelenwanderung
und, dass die Götter die Welt nach Zahlen und Zahlenverhältnissen geordnet hatten.
Ihrer Lehre nach besteht die Welt aus Gegensätzen. Die Harmonie bringt Einheit in
diese Gegensätze und vereinigt sie zu einem Kosmos. Sie beruht dabei auf
Verhältnissen ganzer Zahlen, wie sie auch in der Musik oder in der Geometrie
auftreten.

10
Wenn man sich verschiedene Literatur zum Thema Pythagoras ansieht, so findet man zwei verschiedene
Bezeichnungen für die Sekte, die er gründete: Pythagoräer (von Pythagoras) oder Pythagoreer.
Dementsprechend findet man sowohl die die Bezeichnung „Pythagoräischer Lehrsatz“ als auch „Pythagoreischer
Lehrsatz“.
27
Der von Pythagoras gegründete Bund besaß zeitweise eine beträchtliche politische
Macht, zeigte aber ansonsten alle Züge eines religiösen Geheimbundes. Der
„Meister“, dies war zu Beginn Pythagoras selbst, blieb unsichtbar und so durfte seine
Stimme nur hinter einem Vorhang erklingen. Er gab strenge Vorgaben über Kleidung
und Nahrung. So war beispielsweise das Tragen von Wollkleidung und Schuhwerk
und der Genuss von Fleisch, Fischen, Bohnen und Wein verboten.

Die zugrundeliegende religiöse Auffassung von einer Seelenwanderung hat


Pythagoras wahrscheinlich während seiner Wanderjahre kennen gelernt. Dies alles
hatte der Bund der Pythagoreer mit einer Vielzahl damals vorhandener
Vereinigungen gemein. Das Besondere bestand jedoch in ihrem Glauben, dass der
Zugang zu den Mysterien, zum Transzendenten nur oder zumindest am besten
durch die Versenkung in die Welt der Zahlen zu erreichen sei. Somit rückte die
Erforschung der Zahlen in den Vordergrund der Pythagoreer. Sie dachten sich die
positiven ganzen Zahlen größer als 1 mit geheimnisvollen Kräften ausgestattet und
schrieben ihnen Eigenschaften und Absichten zu. Außerdem glaubten sie, dass das
Geschehen der Welt von personifizierten Zahlen regiert werde. Diese Auffassung
über die Zahlen wurde durch die Entdeckung, dass bei Saiteninstrumenten
harmonische Tonintervalle erzeugt werden, wenn die Saitenlängen in einem
einfachen Verhältnis ganzer Zahlen stehen, unterstützt.

Die Pythagoreer betrieben als Erste „reine Mathematik“ im großen Stil und hatten
mathematische Kenntnisse in vielen Bereichen der Mathematik.

Pythagoras‘ bedeutendste Schüler waren Hippias von Kroton und Archytas von
Tarent. Beide entwickelten die Lehren des Pythagoras weiter. Archytas war, wie
bereits erwähnt, Lehrer von Platon. Ihm schreibt man unter anderem die Einteilung
des Unterrichts in das „Quadrivium“ (Mathematik, Geometrie, Musik und
Astronomie) zu. Zusammen mit dem „Trivium“ (Grammatik, Rhetorik und Dialektik)
bildeten sie die „sieben freien Künste“ („Septem Artes liberales“). Diese wurden
auch an den mittelalterlichen Universitäten in der Artistenfakultät als Vorstufe für die
Einführung in die höheren Fakultäten (Theologie, Recht, Medizin) gelehrt und stellen
somit eine Vorstufe des heutigen Gymnasiums dar..
In der Geometrie kannten die Pythagoreer drei der fünf regulären Körper, nämlich
Tetraeder, Würfel und Dodekaeder, und eine Methode zur Konstruktion des
regelmäßigen Fünfecks. Sie systematisierten, aufbauend auf Thales` Erkenntnissen,
weitgehend die Lehre von den Parallelen, den Winkeln, vom Dreieck
(Winkelsumme), von der Flächengleichheit und der Flächenverwandlung, von den
Winkeln am Kreis und von der Ähnlichkeit.

In der Arithmetik beschäftigten sie sich besonders mit der Zahlentheorie. Von ihnen
stammen die Begriffe „vollkommene Zahl“ und „befreundete Zahlen“.

28
Vollkommene Zahlen sind solche, die gleich der Summe ihrer echten Teiler sind.
(Z.B. 6=1+2+3) In Euklids Elementen findet man den folgenden Satz:

Satz: Zahlen der Form 2n (1+2+22+...+2n) sind vollkommen, wenn 1+2+22+...+2n eine
Primzahl ist.

Beweis: Sei p=1+2+22+...+2n eine Primzahl.

2n+1 − 1
Dann gilt (geometrische Reihe!): p = = 2n+1 − 1
2 −1
Echte Teiler der Zahl Z := 2n (1+2+22+...+2n) = 2n p:

1, 2, 22, …, 2n, p, 2p, 22p, …, 2n-1p

Summe der Teiler: 1 + 2 + 22 + …+ 2n + p + 2p + 22p + …+ 2n-1p =

2n+1 − 1 2n − 1
= +p⋅ = p + p∙(2n – 1) = p + p∙2n – p = p∙2n = Z, wzzw
2 −1 2 −1
Zwei Zahlen werden „befreundet“ genannt, wenn jede gleich der Summe der echten
Teiler der anderen ist. (z.B. 220=1+2+4+71+142 und
284=1+2+4+5+10+11+20+22+44+55+110)

Weiters hatten sie Kenntnisse über die Auflösung linearer Gleichungssysteme und
quadratischer Gleichungen. (Vgl. später!)

Die Weltanschauung der Pythagoreer war geprägt durch die Auffassung: „Alles ist
Zahl“. Das ganze Universum lässt sich durch einfache (d.h. natürliche) Zahlen und
Verhältnisse solcher Zahlen beschreiben. Ihre musiktheoretischen Untersuchungen
schienen dies eindrucksvoll zu bestätigen. („Zahlenharmonie“) Daraus resultiert auch
eine bis ins Mystische reichende Beziehung zu Zahlen und ihren Gesetzmäßigkeiten.
Sehr früh beschäftigten sich die Pythagoreer mit den so genannten figurierten Zahlen
(Dreieckszahlen, Viereckszahlen, …;), welche aus einer Mischung von Geometrie,
Spielerei, Zahlenmystik und Arithmetik entstammen und für den Pythagoreismus
kennzeichnend war. Diese wurden auch durch entsprechende Figuren verdeutlicht.
Solche Darstellungen können eine gute Hilfe beim Aufstellen entsprechender
Formeln sein, z.B.:

Dreieckszahlen: • n
1
• • ∑ i = 2 ⋅ (n +1) ⋅ n
i =1
• • •
• • • •

29
• • • • •
n
bzw. • • • • • 2 ⋅ ∑ i = (n +1) ⋅ n
• • • • • i =1
• • • • •

• • • • •
n
Anders angeordnet: • • • • •
• • • • •
∑2⋅i = (n +1) ⋅ n
i=1
• • • • •

Eine sehr ähnliche Figur führt zu einer anderen, bekannten Formel:

• • • •
n
• • • •
• • • •
∑(2⋅i −1) = n²
i=1
• • • •

Auch Fünfeckszahlen wurden von den Pythagoreern untersucht:



• • n
1
• • •
• • • •
∑(3 i − 2) = 2 ⋅ (3 n −1) ⋅ n
i =1
• • • •
• • • •
• • • •

Die Pythagoreer teilten die natürlichen Zahlen schon in gerade und ungerade Zahlen.

Die Arithmetik der Pythagoräer bestand im Studium der natürlichen Zahlen und ihrer
Verhältnisse (d.h. der positiven rationalen Zahlen). Das Wort „Bruch“ kommt bei den
Pythagoreern nicht vor. Sie verwendeten dafür den Begriff Verhältnis. Für das
Rechnen mit Verhältnissen entwickelten sie die Proportionenlehre. Sie versuchten
auch, alle kontinuierlichen Größen (Längen, Flächeninhalte, Volumina) mit einer Zahl
zu belegen. Genauso wie die Einheit (=1) das gemeinsame Maß aller natürlichen
Zahlen ist, nahmen sie an, dass auch kontinuierliche Größen ein gemeinsames Maß
haben müssten. Damit könnte man jede kontinuierliche Größe mit einer natürlichen
Zahl identifizieren, nämlich mit jener Zahl, die angibt, aus wie vielen Einheiten die
Größe besteht.

In heutiger Schreibweise: Zwei Strecken a, b heißen kommensurabel, wenn es eine


Strecke s (=das gemeinsame Maß) und natürliche Zahlen k und n gibt, sodass gilt:

a = k⋅s und b = n⋅s

30
Außerdem erkannten die Griechen bereits: Sind zwei Strecken a, b kommensurabel,
so ist auch a - b (bzw. b - a) mit a und b kommensurabel.

Beweis: a = k⋅s, b = n⋅s ⇒ a - b = (k-n)⋅s

Durch mehrfache Anwendung ergibt sich daraus das Verfahren der Wechselweg-
nahme − besser bekannt unter dem Namen Euklidischer Algorithmus − zur
Bestimmung des größten gemeinsamen Maßes zweier Größen bzw. des größten
gemeinsamen Teilers zweier Zahlen.

Zum Entsetzen der Pythagoräer entdeckten sie, noch dazu


an ihrem eigenen “Ordenszeichen”, dem Sternfünfeck (auch:
Pentagramm), dass es nicht kommensurable Größen gibt.
Denn aus dem Verfahren der Wechselwegnahme erkennt
man:

Wenn von zwei Größen immer abwechselnd die kleinere von der größeren
weggenommen wird und die übrigbleibende nie die vorhergehende misst, dann sind
diese Größen inkommensurabel.

Genau dies tritt beim Sternfünfeck ein:

Angenommen, AB und AC wären kom-


mensurabel. Dann wäre auch

AC − AB = CE´ = E´C´

mit AB und AC kommensurabel, und


diese sind mit E´D´ = AE´ − E´C´ kom-
mensurabel. Also hätten Seite und Diago-
nale im großen Fünfeck ABCDE dasselbe
gemeinsame Maß wie Seite und Diago-
nale im Fünfeck A´B´C´D´E´. Nun kann
man das gleiche Verfahren auf dieses
Fünfeck anwenden, usw. ad infinitum.

31
Es kann daher kein gemeinsames Maß
für die Seite und die Diagonale des
Fünfecks geben. Sie sind inkom-
mensurabel.

Diese Erkenntnis von der Existenz


inkommensurabler Strecken zerstörte
die wesentliche Säule des pythago-
räischen Weltbildes. Man spricht auch
von der “ersten Grundlagenkrise der
Mathematik”.

(Bemerkung: Die (In-)Kommensurabilität


ist in der Schule nicht nur aus
historischen Gründen von Bedeutung.
Denn die Formel für den Flächeninhalt
des Rechtecks, A = a⋅b, ist nur dann mit
elementaren Mitteln begründbar, wenn a
und b kommensurabel sind. Um ihre
Gültigkeit auch für inkommensurable a,
b zu gewährleisten, benötigt man - in
irgend einer Form - Grenzprozesse.)

Diese Erkenntnis von der Existenz inkommensurabler Strecken, in modernem Sinn:


die Existenz irrationaler Zahlen, zerstörte die wesentliche Säule des Pythagoreischen
Weltbildes. Dies war die erste Unmöglichkeitserkenntnis in der Mathematik und löste
die erste Grundlagenkrise in der Mathematik aus. Als Ausweg aus dieser
Grundlagenkrise wandten sie sich von der Arithmetik ab und der Geometrie zu. Denn
als geometrische Objekte sind irrationale Größen offensichtlich existent, und damit
stand die Problematik der Inkommensurabilität nicht mehr im Vordergrund. So zeigte
später Theodoros, wie man Irrationalzahlen der Reihe nach konstruktiv ermitteln
kann (Spirale des Theodoros – vgl. später).
Berühmt wurden die Pythagoreer vor allem durch die uns heute bekannten
Lehrsätze:

Höhensatz: Wenn das ebene Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist das Quadrat über der
Höhe flächengleich zum Rechteck aus den beiden Hypotenusenabschnitten.

Kathetensatz: Wenn das Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist das Quadrat über einer
Kathete flächengleich zum Rechteck aus Hypotenuse und dem anliegenden
Hypotenusenabschnitt.

32
Pythagoreischer Lehrsatz (Dieser ergibt sich aus der Addition der beiden
Kathetensätze): Wenn das Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist die Summe der
Flächeninhalte der Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des
Hypotenusenquadrats.

Der Satz von Pythagoras war zwar schon in vorgriechischer Zeit bekannt, wurde
aber von den frühen Pythagoreern erstmals bewiesen und trägt aus diesem Grund
ihren Namen auch zu recht. Ob der Beweis aber auch von Pythagoras selbst
stammt, ist mehr als zweifelhaft. (Analoges gilt auch für die übrigen Resultate der
Pythagoreer.) Dementsprechend wäre auch die Bezeichnung „Pythagoreischer
Lehrsatz“ treffender. Wie die Pythagoreer den Satz bewiesen, weiß man heute nicht
genau. Man vermutet, dass es ein Flächenteilungsbeweis war, etwa:

Der Satz von Pythagoras hat viele Menschen auch mathematische Laien, fasziniert.
So tauchen im Laufe der Zeit immer neue Beweise auf. E.S Loomis hat 370 Beweise
gesammelt, klassifiziert und in einem Buch publiziert. Manche dieser Beweise
stammen von großen Mathematikern, wie Euklid oder Fibonacci. Andere von
berühmten Persönlichkeiten aus der Kunst und der Politik, wie beispielsweise
Leonardo da Vinci oder James Garfield (späterer Präsident der USA). Viele Beweise
wurden aber auch von Schülern selbst entdeckt. Vor allem die Bedeutung des
Beweises von Euklid hebt Loomis besonders hervor:
„Das Weglassen von Euklids Beweis ist so, als ob man Shakespeares Hamlet ohne
den Hamlet spielen würde.“
Beweis aus einer Übersetzung der Elemente des
Euklid:
„Sei ABC ein rechtwinkeliges Dreieck mit dem rechten
Winkel ∠BAC. Wir zeichnen über BC das Quadrat
BDEC, über BA bzw. AC die Quadrate BAGF bzw.
ACKH. Nun zeichnen wir durch A eine Parallele AL zu
BD und verbinden die Punkte A und D sowie F und C.
Da die Winkel ∠BAC und ∠BAG beide rechte Winkel
sind, so bilden an der Geraden BA im Punkt A die zwei
33
nicht auf derselben Seite liegenden Linien AC, AG Nebenwinkel, die zusammen
gleich zwei rechte Winkel sind. Also wird AG durch CA gerade fortgesetzt. Aus
demselben Grund wird AH durch BA fortgesetzt. Ferner ist ∠DBC = ∠FBA, denn
beide sind rechte Winkel. Daher füge man ∠ABC beiderseits hinzu. Dann ist der
ganze Winkel ∠DBA dem ganzen Winkel ∠FBC gleich. Da ferner DB = BC und FB
= BA ,so sind die zwei Seiten DB , BA den zwei Seite FB , BC (überkreuz)
entsprechend gleich. Nun ist ∠DBA = ∠FBC, also ist AD = FC und ∆ ABD = ∆ FBC.
Ferner ist das Rechteck BL = 2 ∆ ABD, beide haben ja dieselbe Grundlinie BD und
liegen zwischen denselben Parallelen BD uns AL. Auch ist das Quadrat GB = 2 ∆
FBC, beide haben ja wiederum dieselbe Grundlinie, nämlich FB, und liegen zwischen
denselben Parallelen FB und GC. Also ist das Rechteck BL gleich dem Quadrat GB.
Ähnlich lässt sich, wenn man AE und BK zieht, zeigen, dass das Rechteck CL
gleich dem Quadrat HC ist. Also ist das ganze Quadrat BDEC gleich der Summe der
zwei Quadrate GB und HC. Dabei ist das Quadrat BDEC über BC gezeichnet und
GB bzw. HC über BA bzw. AC . Also ist das Quadrat über der Seite BC den
Quadraten übe den Seiten BA , AC zusammen gleich.“

Bzw. etwas kürzer und


übersichtlicher:

∆ABD≅∆FBC

∆BMD=∆BAD (flächengleich)
BMLD=2⋅∆BAD

analog: BAGF=2⋅∆FBC=2⋅∆BAD

⇒ BAGF= BMLD

analog: ACKH= LECM

⇒ BAGF + ACKH =

= BMLD + LECM = BCED

34
Der indische Mathematiker
Bhaskara (um 1150) gab
als Beweis nur folgende
Figur, versehen mit dem
Kommentar „Sieh da!“ an:

Schließlich sei noch eine Beweisidee erwähnt, die von James Garfield (1831-1881)
stammt, der als Präsident der USA in die Geschichte eingegangen ist:

Aus der Gleichheit des Trapezes mit den 3 Teildreiecken ergibt sich der PLS. Bitte
rechnen Sie nach!

Eine weitere beweisartige Visualisieruung:

Die Pythagoräer glaubten, dass die Welt aus Gegensätzen bestehen und dass
Zahlen und Zahlenverhältnisse in diese Gegensätze Einheit und Ordnung bringen. In
dieser Auffassung wurden sie vor allem durch ihre Untersuchungen zur Musiktheorie
bestärkt. Sie erkannten nämlich, dass zwei Saiten, die bei gleicher Länge den selben
35
Ton erzeugen, einen harmonisch klingenden Akkord ergeben, wenn deren
Saitenlängen in einem einfachen ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen:

1 : 2 ... Oktav,

2 : 3 ... Quint,

3 : 4 ... Quart,

3 : 5 ... große Sext,

4 : 5 ... große Terz,

5 : 6 ... kleine Terz, usw.

Dies motivierte die Pythagoräer zu weiteren Untersuchungen von Proportionen und


ähnlichen Beziehungen. Sie erkannten etwa, dass sich zwei Töne mit den
Saitenlängen a und b als Außenglieder der Proportion

a+b 2 ab
a : = : b
2 a+b

2 ab
auffassen lassen. Die Zahl tritt auch in der Beziehung
a+b

1 1 1 1
− = −
a c c b

auf, die wiederum für die Anzahlen der Flächen (a), Kanten (b) und Ecken (c) eines
Würfels gilt. Die Auffassung, dass dies Anzeichen einer tieferen Weltordnung sind, ist
m. E. nachvollziehbar.

Nicht nur die Pythagoräer beschäftigten sich mit solchen Beziehungen, auch später
betrachtete z. B. Eratosthenes (276 - 194 v. Chr.) sogenannte Medietäten, d.h.
Beziehungen zwischen drei Größen, wie etwa:

a+c
(a − b) : (b − c ) = a : a (⇒ b = )
2
a :b = b : c (⇒ b = ac )
2ac
(a − b) : (b − c ) = a:c (⇒ b = )
a+c
u.a.m.

36
Die Pythagoreer kannten außerdem die Regeln zur Berechnung pythagoreischer
Zahlentripel, d.h. positive ganze Zahlen a, b und c, die den Lehrsatz des Pythagoras
erfüllen.

Neben den Pythagoreern gab es in der ionischen Periode noch andere bedeutende
Mathematiker. Hier wäre als erstes Anaxagoras von Klazomenai (um 450 v.Chr.)
zu nennen, der vor allem als Naturphilosoph bekannt ist. Er interessierte sich aber
auch sehr für Astronomie. In der Mathematik war er einer der Ersten, der sich mit der
Quadratur des Kreises (vgl. später) beschäftigte.

Neben ihm ist noch Demokritos von Abdera (um 400 v.Chr.) zu erwähnen. Er war,
wie Anaxagoras, Naturphilosoph und vertrat die Lehre, dass die Materie aus Atomen
aufgebaut sei. Sie glaubten, dass die Sterne von der Wirbelbewegung des Äthers
ungeordnet herumgerissen werden und standen damit im Gegensatz zu den
Pythagoreern. Denn nach deren Lehre, bewegten sich die Gestirne auf Grund von
göttlichen Gesetzen in ewig gleicher Weise auf ihren Kreisbahnen. Gegen die
materialistischen Lehren von Anaxagoras und Demokritos waren dann verschiedene
Philosophen wie Sokrates und Platon aufgetreten, da sie ihre Lehren für Gottlosigkeit
und Sittenverfall verantwortlich machten. In der Geometrie entdeckte Demokritos laut
Archimedes die Volumsformel für Kegel und Pyramide (im Wesentlichen durch
Verwendung einer Art von Cavalieri´schem Prinzip). Damit war er einer der ersten
Vorläufer der Infinitesimalrechnung.

In der Mitte des fünften Jahrhunderts lebten Hippokrates von Chios (um 430 v.Chr.)
und Theodoros von Kyrene. Hippokrates hatte in der Elementargeometrie
bedeutende Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Peripheriewinkel und
Bogen, über die Konstruktion des regelmäßigen Sechsecks und über die
Verwandlung von Polygonen in flächengleiche Quadrate. Er zeichnete sich vor allem
durch eine hervorragende Beweistechnik aus. Außerdem stellte er hohe
Anforderungen an die Strenge der Beweise.

Als er nach Athen kam, befasste er sich mit den drei klassischen Problemen der
Antike (siehe Kapitel xxx.). Als er versuchte, das Delische Problem der
Würfelverdoppelung zu lösen, fand er heraus, dass dieses mit der Aufgabe
äquivalent ist, zwischen den Zahlen a (=Würfelkante) und 2a zwei mittlere
Proportionale x und y einzuschalten, d.h. a : x = x : y = y : 2a.

Berühmt wurde er
aber durch seinen
Versuch das Problem
der Quadratur des
Kreises zu lösen.
Dabei gelang es ihm,
durch Kreisbögen

37
begrenzte Flächenstücke („Möndchen des Hippokrates“) konstruktiv in ein
flächengleiches Quadrat bzw. Dreieck zu verwandeln. Dies war, so weit wir wissen,
die erste exakte Quadratur einer Fläche, die
nicht von Geraden begrenzt wird.

Theodoros zeigte auch auf einfache Weise,


wie man die Irrationalzahlen 2 bis 17 der
Reihe nach konstruktiv ermitteln kann.

38
2.2.2. Die Athenische Periode (von etwa 400 v.Chr. bis 300 v.Chr.)
Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

Im 5. und 4. Jahrhundert v.Chr. schloß sich Athen mit anderen Stadtstaaten im


griechisch besiedelten Raum zum Attischen Seebund zusammen und errang eine
führende Stellung. Dieser Seebund betrieb einen ausgebreiteten Seehandel und
einen groß angelegten Silberbergbau und schaffte sich damit eine politische und
militärische Vormachtstellung. Unter Perikles erlebte die von Solon und Kleisthenes
eingeführte Demokratie ihre deutlichste Ausprägung und eine Zeit der kulturellen
Hochblüte. So fallen in diese Zeit der Bau der Akropolis, die Entwicklung der
bildenden Künste und eine Hochblüte des griechischen Theaterlebens, welche noch
heute beeindruckende Zeugnisse antiker Kultur sind. Auch die Wissenschaften
konnten sich in dieser Periode des wirtschaftlichen und politischen Aufschwungs
günstig entwickeln. Durch die Demokratie errang die Rhetorik eine große Bedeutung,
was zum Auftreten von Rhetorik-Lehrern (insbesondere der „Sophisten“) führte.

Diese friedliche und fruchtbare Periode ging jedoch sehr bald zu Ende, denn der von
431 bis 404 v.Chr. dauernde Peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta zog
ganz Griechenland in Mitleidenschaft und endete schließlich mit dem Sieg Spartas.
Wenig später fiel dann das innerlich geschwächte Griechenland der Eroberung durch
den mazedonischen König Phillip zum Opfer. 338 v.Chr. wurde Griechenland
schließlich ganz Bestandteil des mazedonischen Reiches. Philipps Sohn Alexander
von Mazedonien eroberte in kurzer Zeit – trotz seines frühen Todes im Jahre 323
v.Chr. - auch Ägypten, den vorderen Orient und Teile von Zentralasien und Indien.
Mit diesem Weltreich begann das Zeitalter des Hellenismus und damit die
Alexandrinische Periode. (Siehe Kapitel 2.2.3.)

Die athenische Periode dauerte zwar nur kurz, hat aber dennoch das Wesen der
antiken Wissenschaft stark geprägt.

Mathematik und wichtige Vertreter in der Athenischen Periode

Zwischen 450 und 400 v.Chr. war in Athen die Blütezeit der Sophisten, eine Gruppe
von wandernden Lehrern und Philosophen. Das Wort „Sophist“ bezeichnet eine
gelehrte oder sachkundige Person, bekam aber durch das Wirken der Sophisten
einen negativen Beigeschmack. In Athen verdienten sie ihren Lebensunterhalt damit,
die Bürger der Stadt zu unterrichten und ihnen für Geld ihre Kenntnisse zur
Verfügung zu stellen. Unter den Sophisten gab es zwei bedeutende Mathematiker:
Zenon von Elea (um 450 v.Chr.) und Hippias von Elis (um 420 v.Chr.). Bei dem
Versuch, das Problem der Winkeldreiteilung zu lösen, stieß Hippias auf die
Quadratix. Sie war vermutlich die erste in der Mathematik eingeführte, über Gerade
und Kreis hinausgehende Kurve und lässt sich auch zur Quadratur des Kreises
ausnutzen.

39
Von Zenon stammen vierzig Paradoxa. Bekannt wurde er vor allem durch das
Paradoxon von Achill und der Schildkröte. Damit wollte Zenon zeigen, dass die
Annahme der Teilbarkeit des Raumes, der Zeit und der Bewegung zu absurden
Resultaten führt. Dadurch griff er das „diskrete“ Weltbild der Pythagoreer an und
vertrat damit das dazu im Gegensatz stehende Grundprinzip der Unteilbarkeit und
Beständigkeit allen Seins. (Der Gegensatz „diskret – kontinuierlich“ war also bereits
im Altertum vorhanden.) Er war damit auch der Begründer der Methode des
indirekten Beweises. Weiters war er mitverantwortlich dafür, dass die Griechen die
Geometrie der Arithmetik vorzogen (siehe das Kapitel Pythagoras von Samos) und
ihre Mathematik weitgehend auf die Geometrie aufbauten. Außerdem verspürten sie
den Wunsch nach einem Aufbau der Mathematik, der vor Kritikern wie den Sophisten
gefeit ist. Dieses Bemühen war schließlich mit Euklids Buch „Die Elemente“ und der
darin verwendeten axiomatischen Methode efolgreich.

Platon (427-347 v.Chr.) und Aristoteles von Stagira (384-322 v.Chr.) waren zwar
hauptsächlich Philosophen und erbrachten keine großen mathematischen
Einzelleistungen, aber sie waren beide sehr an der Mathematik interessiert. Beide
wirkten in Athen und beeinflussten die abendländische Wissenschaft bis ins
Mittelalter über die Kirchenlehre des Frühchristentums und über den Humanismus
entscheidend.

Platon war Schüler des berühmten Philosophen Sokrates. Nach dessen Tod begab
er sich auf eine elfjährige Reise nach Unteritalien, Sizilien und wahrscheinlich auch
Ägypten. Bei dieser Reise kam er mit den Pythagoreern in Berührung und lernte ihre
Art des Denkens kennen. Nach der Rückkehr von seiner Reise eröffnete er bei Athen
seine eigene philosophische Schule und zwar in einem Hain, der den Namen des
griechischen Sagenhelden Akademos trug. (Deshalb der Name Akademie) Es wurde
dort Philosophie, Mathematik und Gymnastik „unterrichtet“. Unterrichten ist dafür
allerdings nicht das richtige Wort. Denn das lebendige Gespräch war das Wichtigste.
Der Mathematik hat Platon große Wichtigkeit zugemessen und so stand über dem
Eingang der Akademie der Satz „Kein der Geometrie Unkundiger möge hier
eintreten.“

Platon hatte mit vielen Mathematikern seiner Zeit Kontakt und berief einige an seine
Akademie. Er wollte die Schlussweisen der Mathematik auch auf andere Gebiete
anwenden und überall eine streng logische Systematik nach dem Schema:
„Definition, Axiome, Beweise (in direkter oder indirekter Schlussweise)“ einführen.
Weiters soll er die „analytische Beweismethode“ (von der Behauptung auf richtige
Aussagen schließen und dann versuchen, die Schlusskette umzukehren) erfunden
und die zur geometrischen Konstruktion zugelassenen Hilfsmittel auf Zirkel und
Lineal beschränkt haben. Auch die „Elemente“ des Euklid beeinflusste Platon mit
seinen Forderungen.

40
Aristoteles war Schüler an der Akademie Platons und blieb dort bis Platons Tod.
Danach wurde er an den Hof von König Phillip von Makedonien berufen, wo er sich
um die Erziehung seines Sohnes Alexander des Großen kümmerte. Danach kehrte
er nach Athen zurück und gründete das Lykeion, das noch mehr den Charakter einer
Forschungsstätte hatte. Aristoteles war hauptsächlich Philosoph und Biologe und wie
bereits erwähnt auch sehr an der Mathematik interessiert. So ist seine formale Logik
ganz auf mathematische Schlüsse gestützt und sicher unter dem Einfluss der
damaligen Mathematik entstanden.
Platon hatte zwei bedeutende Schüler namens Theaitetos und Eudoxos von
Knidos (beide um 370 v.Chr.) Theaitetos zeigte, dass die Quadrat- bzw. Kubikwurzel
aus einer natürlichen Zahl, die keine Quadrat- bzw. Kubikzahl ist, eine irratonale Zahl
ist. Er löste wahrscheinlich das Klassifikationsproblem der regulären Polyeder, indem
er zeigte, dass es neben den drei schon den Pythagoreern bekannten Polyedern
noch das Oktaeder und das Ikosaeder, aber keine weiteren regulären Körper gibt.

Dies kann man bereits in einer 2.oder 3. Klasse AHS zeigen: etwa bei der
Behandlung von Quadern und Pyramiden werden in der Schule auch “regelmäßige”
Körper wie Würfel und Tetraeder besprochen. Dabei könnte man auch die
Aufmerksamkeit auf folgende Eigenschaften richten: Sie sind jeweils von einem
regelmäßigen Viereck (Quadrat) bzw. einem regelmäßigen (d.h. gleichseitigen)
Dreieck begrenzt, und in jeder Ecke kommen die gleiche Anzahl von Kanten bzw.
Flächen zusammen. (Keine Ecke ist also vor einer anderen ausgezeichnet.) In dieser
Unterrichtseinheit sollte auch erwähnt werden, dass es noch weitere solche
regelmäßigen Körper, auch Platonische Körper genannt, gibt. Man kann durchaus in
der zweiten oder dritten Klasse schon beweisen, dass es nicht mehr als fünf
Platonische Körper geben kann. Dazu formen wir einen Teil des Netzes solcher
Körper:

Drei gleichseitige Dreiecke können zu einem Tetraeder


vervollständigt werden:

Vier gleichseitige Dreiecke liefern vorerst


eine quadratische Pyramide, also keinen
regelmäßigen Körper; aber durch
Verdoppeln erhält man ein Oktaeder.

Dass man fünf gleichseitige Dreiecke


tatsächlich durch Hinzufügen von weiteren
solchen Dreiecken zu einem Platonischen
Körper, dem aus 20 Dreiecken

41
bestehenden Ikosaeder vervollständigen
kann, ist natürlich nicht so unmittelbar
einzusehen, kann aber durch Herstellen
eines Faltmodells plausibel gemacht
werden.

Sechs gleichseitige Dreiecke bilden ein


flaches Sechseck, d.h. es kann keinen
Körper geben, in dessen Ecken sechs
gleichseitige Dreiecke zusammenstoßen.
Fahren wir fort mit dem “nächsten”
regelmäßigen Polygon, dem Quadrat. Drei
Quadrate bilden eine Ecke eines Würfels;
vier Quadrate ergeben – ähnlich wie zuvor
die sechs Dreiecke – kein räumliches
Gebilde.
Aus drei regelmäßigen Fünfecken kann
man, wie man sich – wie beim Ikosaeder –
durch Vervollständigung des Netzes vor
Augen führen kann, ebenfalls einen
Platonischen Körper, das Dodekaeder,
aufbauen. Vier Fünfecke bzw. drei
Sechsecke bzw. Polygone mit größerer
Eckenzahl sind nicht möglich. Also gibt es
fünf Platonische Körper.

(Netze der Platonischen Körper: siehe eigenes File!)

Diesen Platonischen Körpern sowie auch anderen Regelmäßigkeiten von Zahlen und
Figuren (vgl. später!) wurde oft eine geradezu mystische Bedeutung beigemessen.
So versuchte etwa Johannes Kepler die Durchmesser der Planetenbahnen durch
ineinandergeschachtelte Platonische Körper zu erklären.

Eudoxos war nicht nur einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums,
sondern auch ein sehr guter Arzt, Astronom, Philosoph und Geograph. Er studierte

42
bei dem Pythagoreer Archytas von Tarent Geometrie (siehe das Kapitel über
Pythagoras von Samos). Unter seinem Einfluss wandte er sich wahrscheinlich auch
der Zahlen- und Musiktheorie zu. Dies war Vorraussetzung für seine bekannteste
Leistung, die Weiterentwicklung der Proportionenlehre (wie sie in Euklids Elementen
beschrieben ist), die erste exakte Theorie der Irrationalzahlen. Die Erneuerung
bestand darin, dass Eudoxos für seine Definition keine Vorraussetzungen mehr über
die Kommensurabilität der Größen benötigte.

Die Pythagoreer definierten:

A:B=C:D ∃m, n ∈ N mit mA = nC und mB = nD

Eudoxos hingegen definierte:

A:B=C:D ∀m, n ∈ N: mA < nC ⇒ mB < nD,


mA = nC ⇒ mB = nD,
mA > nC ⇒ mB > nD

Diese Definition der Irrationalzahlen ist mit dem Dedekind´schen Schnitt äquivalent.
Seine zweite große Leistung war der Beweis der Behauptung, dass der Inhalt eines
Kegels oder einer Pyramide ein Drittel des Inhalts eines Zylinders oder Prismas mit
gleicher Basis und Höhe beträgt. Dazu verwendete er eine Methode, die seit dem 17.
Jahrhundert Exhaustionsmethode11 genannt wird.
Mit Hilfe dieser Methode zeigte er auch, dass der Inhalt des Kreises proportional zum
Quadrat des Durchmessers und der Inhalt der Kugel proportional zum Kubus des
Durchmessers ist. Somit ist er einer der ersten Vorläufer der Integralrechnung.
Eudoxos fand auch eine Lösung für das Problem der Würfelverdoppelung (siehe
Kapitel 2.2.5.) durch gekrümmte Linien. Diese Lösung kennen wir aber nicht.

Menaichmos und Deinostratos (um 350 v.Chr.) waren Schüler von Eudoxos.
Menaichmos beschäftigte sich, wie viele andere, mit dem delische Problem der
Würfelverdoppelung. Er war vor allem als Astronom und Geometer berühmt.

Deinostratos, der Bruder des Menaichmos, löste das Problem der Quadratur des
Kreises mit Hilfe der von Hippias entdeckten Quadratix.

Autolykos (um 310 v.Chr.) war zwar kein sehr bedeutender Mathematiker und
Astronom aber er war der erste griechische Mathematiker, von dem Bücher
vollständig erhalten sind und zwar das Buch „Über die sich drehende Sphäre“ und
das Buch „Über den Aufgang und Untergang der Sterne“. Aus diesem Buch gewinnt
man einen Einblick in den mathematischen Stil der damaligen Zeit. Autolykos

11
exhaurire: lat. ausschöpfen
43
verwendete eine Reihe geometrischer Sätze ohne Beweise und Quellen anzugeben,
was daraus schließen lässt, dass diese schon damals sehr bekannt waren.

2.2.3. Die Alexandrinische Periode (von etwa 300 v.Chr. bis 200 v.Chr.)

Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

332 v.Chr. gründete Alexander in Ägypten im Nildelta die nach ihm benannte
Hauptstadt Alexandria. Sie entwickelte sich sehr rasant zu einer Großstadt und hatte
nach nur 75 Jahren bereits 800 000 Einwohner (doppelt soviel wie Athen). Dies zeigt
die Verschiebung des ökonomischen und politischen Schwerpunktes in der antiken
Welt.

Kurz nach Alexanders Tod (323 v.Chr.) zerfiel sein Großreich in viele Teile, welche
von den Diadochen12 regiert wurden. Nach langen Kämpfen der Diadochen
untereinander bildeten sich etwa seit 280 v.Chr. unter der folgenden Generation die
drei großen hellenistischen Reiche: Ägypten unter den Ptolemäern, Syrien,
Mesopotamien, Iran unter den Seleukiden13, und Makedonien (und später das Reich
Pergamon).
Ägypten blieb dabei die nächsten Jahrhunderte bis zur Eroberung durch die Römer
unter Julius Cäsar das ökonomisch und politisch stärkste Teilreich. Unter der
Herrschaft der Ptolemäer wurde Alexandria zum wissenschaftlich-kulturellen Zentrum
der ganzen hellenistischen Welt und konnte diese Stellung mehrere Jahrhunderte
behalten.

Noch vor 300 v.Chr. wurde dort das „Museion“, eine Akademie der Wissenschaft,
vom Diadochen Ptolemaios Soter gegründet. Es war das erste staatlich gegründete
und unterhaltene Forschungszentrum und besaß Bibliotheken, Hörsäle,
Arbeitszimmer, eine Mensa, eine Sternwarte und einen zoologischen und
botanischen Garten. Während der ersten zwei bis drei Jahrhunderte des Bestehens
des Museions haben alle bedeutenden Naturforscher und Mathematiker in
Alexandria gewirkt oder dort ihre Ausbildung erhalten. Diese sind dann auch
weiterhin mit der Akademie in Verbindung gestanden, wie beispielsweise Euklid,

12
Die Diadochen (griech.: Nachfolger) waren die Feldherren Alexanders, die sich nach dessen Tod sein Reich
teilten.
13
Die Seleukiden waren die von Seleukos I. Nikator begründete hellenistische Herrscherdynastie in Syrien, die
von 312 bis 64 v.Chr. regierte. Ihr Reich umfasste beim Tod Seleukos´ I. fast ganz Vorderasien bis zum Indus.
Im 3. Jhdt. v.Chr. gingen jedoch große Gebiete im Osten verloren. Unter den Seleukiden breitete sich die
hellenistische Kultur weit nach Osten aus, ihr Einfluss reichte (über die Seidenstraße) bis Zentralasien sowie
nach Nordindien.

44
Archimedes, Apollonios, Diophantos, Eratosthenes von Kyrene, Heron von
Alexandria, Pappos von Alexandria und viele andere mehr. Die Bibliotheken hatten
nicht nur die Aufgabe, die wissenschaftlichen Werke zu sammeln und textkritisch zu
überarbeiten, die angefertigten Kopien stellten auch für den Staat eine wertvolle
Einnahmequelle als Exportgegenstand dar. Die Mathematikerschule hat in
Alexandria noch bis 415 n.Chr. bestanden.

Mathematik und wichtige Vertreter in der Alexandrinischen Periode

Euklid (etwa 365 bis 300 v.Chr.) steht am Ende der Athenischen Periode und am
Anfang der Alexandrinischen Periode. Seine philosophische, wissenschaftliche und
mathematische Ausbildung erhielt er wahrscheinlich an der Platonischen Akademie.
Diese beeinflusste seinen Stil und seine Art Mathematik zu betreiben sehr stark. Er
wirkte am Museion von Alexandria und erhielt dort ein reichliches Gehalt aus der
königlichen Kasse.
Euklid fasste die gesamten mathematischen Kenntnisse seiner Zeit zusammen und
bildete damit den Schlusspunkt für die Athenische Periode, aber auch einen
Ausgangspunkt für die weiteren Entwicklungen der Mathematik. Sein Hauptwerk sind
„Die Elemente“ (griech. ta stoicheia - τα στοιχεια). Diese bestehen aus dreizehn
Büchern, wobei die ersten sechs die Planimetrie, die folgenden drei die elementare
Zahlenlehre, das zehnte die Theorie der Irrationalzahlen und die letzten drei die
Stereometrie behandeln. Dabei wird alles nur theoretisch und in streng logischem
Aufbau behandelt. Am Anfang stehen Definitionen, Axiome und Postulate, dann
folgen Sätze und Konstruktionen. Auf praktische Berechnungs- und
Anwendungsmöglichkeiten wird nicht eingegangen.
In Folge schrieb er noch neun Bücher, von denen allerdings nicht mehr alle erhalten
sind. Schöpferische Eigenleistungen kennt man aber von Euklid keine. Mit den
„Elementen“ beeinflusste er die Mathematik bis in unsere Zeit, und so gibt es
mehrere mathematische Begriffe, die nach ihm benannt sind. „Die Elemente“ wurden
immer wieder kopiert und in späterer Zeit gedruckt. Die erste gedruckte Ausgabe
erschien in Venedig 1482, als eines der ersten im Druck erschienen mathematischen
Bücher. Bis in unsere Zeit haben die „Elemente“ auch den Schulunterricht
(insbesondere in den USA), und dabei speziell den Geometrieunterricht, stark
beeinflusst. Besondere Berühmtheit erlangte der folgende Satz:
Satz von Euklid

Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Bzw. mit Euklids Worten (Buch IX, Proposition 20):

„Es gibt mehr Primzahlen als jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen.“

45
Beweis:

Angenommen, es gäbe nur endlich viele Primzahlen p1, p2, …, pn.

Es sei m = p1∙p2∙ … ∙pn + 1.

Entweder m ist selbst eine Primzahl, dann ist sie größer als p1, p2, …, pn und somit
eine weitere Primzahl im Widerspruch zur Annahme.

Andernfalls muss sie mindestens einen Primteiler q besitzen. Wäre q eine der
Primzahlen p1, p2, …, pn., so würde q sowohl p1∙p2∙ … ∙pn als auch p1∙p2∙ … ∙pn + 1
teilen. Dann muss q aber auch die Differenz, also 1, teilen, was absurd ist. Also ist q
eine weitere Primzahl, die noch nicht in der Liste p1, p2, …, pn erfasst ist, was
wiederum der Annahme widerspricht.

Die Annahme, es gäbe nur endlich viele Primzahlen, ist also falsch.

In der folgenden Zeit bis zum Untergang der Antike, fand die mathematische
Entwicklung hauptsächlich am Museion in Alexandria statt oder stand zumindest in
engem Kontakt zu diesem. Anders als in Athen, wo sich die Bürger sehr für Kunst
und Wissenschaft interessierten, wurde die Mathematik nun zu einer Sache weniger
Gelehrter.

Als einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums gilt Archimedes (etwa 287
bis 212 v.Chr.). Er hatte eine Verbindung mit den Mathematikern in Alexandria –
Eratosthenes (siehe nächste Seite) stand mit ihm im Briefwechsel – und wirkte
vermutlich dort auch einige Zeit. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er aber in
Syrakus, wo er enge Beziehungen zum Königshaus hatte. Als Wissenschaftler
genoss er im Altertum hohes Ansehen, und so sind über ihn auch zahlreiche
Anekdoten überliefert, in denen er als zerstreuter Gelehrter dargestellt wird. So soll
er, als er im Bad das Archimedische Prinzip der Hydrostatik14 entdeckte, „Heureka,
Heureka (Ich hab´s, ich hab´s!)“ rufend, splitternackt durch die Straßen nach Hause
gelaufen sein.
Im Zweiten Punischen Krieg wurde die Stadt Syrakus dank der von Archimedes
erfundenen Waffen zwei Jahre lang erfolgreich gegen die Römer verteidigt und fiel
erst durch eine Kriegslist. So wurde Archimedes dann auch von einem plündernden
römischen Soldaten erschlagen. Unser Wissen über Einzelheiten aus dem Leben
des Archimedes ist, im Vergleich zu anderen bedeutenden Mathematikern der

14
Das hydrostatische Prinzip besagt: „Ein in eine Flüssigkeit getauchter Körper verliert scheinbar so viel an
Gewicht wie die von ihm verdrängte Flüssigkeit wiegt.“

46
Antike, sehr groß. Überliefert sind uns von ihm nur Einzelabhandlungen, aber kein
zusammenfassendes Werk.
Als Astronom konstruierte er ein Planetarium, in dem die Bewegungen der Sonne,
des Mondes und der damals bekannten fünf Planeten simuliert wurde. In der
Mechanik leitete er streng logisch das Hebelgesetz15 her und verwendete es dann
zur Berechnung der Schwerpunkte von Dreiecken, Parallelogrammen, Trapezen und
Parabelteilen. Weiters formulierte er das nach ihm benannte Gesetz für den Auftrieb
in seiner Arbeit „Über schwimmende Körper“. Seine Abhandlungen über Mechanik
sind axiomatisch aufgebaut und leiten auf deduktivem Weg unter Verwendung
mathematischer Methoden erstaunliche Resultate her. All diese Arbeiten zeigen ihn
als Begründer der mathematischen Physik. In seinen Abhandlungen „Die Quadratur
der Parabel“ und „Über Kugel und Zylinder“ gab er strenge Beweise für
Flächeninhalts-, Oberflächen- und Volumsformeln der betreffenden Flächen bzw.
Körper. In weiteren Arbeiten berechnete er die Volumina von Drehellipsoiden und
Drehparaboloiden, die Fläche einer Ellipse und die Fläche innerhalb der Spiralen. In
seiner Arbeit „Kreismessung“ gab er eine ziemlich gute Näherung für π an. In allen
diesen Arbeiten verwendete er die Exhaustionsmethode und kann damit als
Begründer der Integralrechnung angesehen werden.
Leider sind auch einige seiner Werke verloren gegangen, in denen er beispielsweise
die „Heron`sche Flächenformel“ für das Dreieck angegeben haben soll. In seiner
Arbeit „Psammites“ (Sandrechnung) zeigte Archimedes, wie man in der damals
üblichen „Ionischen Ziffernschreibweise“ (Buchstaben des Alphabets für Zahlen)
auch sehr große Zahlen anschreiben und verarbeiten konnte. Dazu berechnete er,
wie viele Sandkörner notwendig sind, um das Universum in der damals
angenommenen bzw. von Aristarchos berechneten Größe mit Sandkörnern
auszufüllen. Er erhielt 1063 als Ergebnis. Dies ist einer der wenigen Fälle der Antike,
in dem sich ein Mathematiker mit einem Problem der „Logistik“ beschäftigte.
Archimedes stellte den Höhepunkt der antiken Mathematik dar. Er blieb ohne
Nachfolger und seine Gedankengänge blieben ohne Fortsetzung, da sie den
Rahmen der griechischen Mathematik sprengten. Erst im 17. Jahrhundert wurde in
Europa die von ihm erreichte Höhe des mathematischen Denkens überschritten.

Eratosthenes von Kyrene (um 230 v.Chr.) war in gewisser Weise ein Konkurrent
von Archimedes, erreichte ihn aber nie. Deswegen nannte man ihn „Beta“ (d.h.
Nummer zwei) oder „Pentathlos“ (d.h. Fünfkampfathlet, ein Sportler, der in mehreren
Disziplinen gut, aber nirgends herausragend ist). Er war nämlich Mathematiker,
Geograph, Historiker, Philologe und Dichter. Außerdem war er Direktor der
weltberühmten Bibliothek von Alexandria. Zu seinen mathematischen Leistungen

15
Hebelgesetz: „Zwei Größen halten sich das Gleichgewicht, wenn ihre Abstände umgekehrt proportional sind
zu ihren Gewichten.“
47
zählen eine mechanische Vorrichtung zur Lösung des Delischen Problems
(verschiebbare Platten) und das nach ihm benannte Primzahlsieb. Eratosthenes´
bedeutendste Leistungen liegen auf dem Gebiet der Geographie. Mit ihm beginnt die
wissenschaftliche Geographie. Insbesondere führte er zum erstenmal eine Messung
des Erdumfangs durch und kam dabei auf die für die Antike überraschend genaue
Berechnung des Erdumfanges.

Im Jahre 194 v.Chr. starb er, nachdem er erblindet war, durch Selbstmord.
Kurz nach Eratosthenes lebte Nikomedes (um 180 v.Chr.). Auch er war in
Alexandria tätig. Er entdeckte die Konchoide, mit deren Hilfe er dann eine Lösung
des Problems der Winkeldreiteilung und des Problems der Würfelverdoppelung fand.
Bedeutender als Nikomedes und der wohl beste Geometer des Altertums war
Apollonios von Perge (etwa 262 bis etwa 190 v.Chr.). Er war Professor an der
Akademie von Alexandria und ein Zeitgenosse von Archimedes und befasste sich
wie er mit der Geometrie, jedoch in ganz unterschiedlicher Weise. Archimedes
beschäftigte sich ja mehr mit Flächeninhaltsbestimmungen geometrischer Figuren.
Apollonios hingegen richtete sein Hauptaugenmerk auf die Form geometrischer
Figuren und insbesondere auf Relationen zwischen Kegelschnitten. In der
Astronomie war er wahrscheinlich der Erfinder der Theorie der Epizyklen und der
Exzenter (d.h. der Planet bewegt sich auf einer kleinen bzw. großen Kreisbahn,
deren Mittelpunkt selbst einen größeren bzw. kleineren Kreis um den Beobachter
beschreibt). Diese Theorie war bis ins ausgehende Mittelalter die Grundlage der
theoretischen Astronomie.

48
Von seinen mathematischen Werken sind viele verloren gegangen und wir wissen
nur von diesen durch Andeutungen späterer Mathematiker. So soll er eine Arbeit
„Schnellrechner“, in der er an die Sandrechnung des Archimedes anknüpft, ein Werk
„Über Berührungen“, ein weiteres „Über ebene geometrische Orte“ und eine Arbeit
„Über regelmäßige Körper“ geschrieben haben. In dem Buch „Über Berührungen“
behandelte er das nach ihm benannte berühmte Berührungsproblem: Gegeben sind
drei Dinge, von denen jedes ein Punkt, eine Gerade oder ein Kreis sein kann.
Bestimme in jedem der möglichen Fälle einen Kreis, der durch jeden der gegebenen
Punkte geht und die gegebenen Geraden und Kreise berührt. Alle zehn möglichen
Fälle wurden von Apollonios gelöst.
Sein Hauptwerk, die „Konika“ (Kegelschnitte) umfasste 8 Bücher, ist größtenteils
erhalten und ist neben den „Elementen“ von Euklid das bedeutendste überlieferte
mathematische Werk des Altertums. Dieses Werk enthält eine Zusammenfassung
der damaligen Kenntnisse über Kegelschnitte und wird durch seine eigenen
Resultate ergänzt. Vor Apollonios stellte man sich jeden drei Kegelschnitte aus
einem rechtwinkeligen Schnitt mit je einem speziellen Kegel entstanden vor. Die
Parabel war also ein rechtwinkeliger Schnitt an einem rechtwinkeligen Kegel, die
Ellipse ein rechtwinkeliger Schnitt an einem spitzwinkeligen Kegel und die Hyperbel
ein rechtwinkeliger Schnitt an einem stumpfwinkeligen Kegel. Apollonios definierte
nun alle Kegelschnitte als Schnitte am selben Kreiskegel (durch unterschiedliche
Lage der Ebene). Weiters treten die Bezeichnungen „Ellipse“, und „Hyperbel“
erstmals auf (der Begriff „Parabel“ kommt schon bei Archimedes vor) und konjugierte
Durchmesser, Tangenten, Hyperbelasymptoten, Pol und Polare werden behandelt.
Es werden die Brennpunkteigenschaften der Kegelschnitte und die projektive
Erzeugung der Kegelschnitte aus zwei Strahlbüscheln untersucht und kongruente
und ähnliche Kegelschnitte betrachtet. Die Methoden von Apollonius erinnern
vielfach an die Verwendung von Koordinaten, so dass Apollonios als Vorläufer der
analytischen Geometrie angesehen werden kann.

49
Die Kenntnisse der Griechen über Kegelschnitte blieben weitgehend theoretischer
Art. In den Naturwissenschaften und vor allem in der Astronomie beschränkten sich
die Griechen auf die Verwendung von Geraden und Kreisen. Erst 1800 Jahre nach
Apollonios entdeckte Johannes Kepler die Bedeutung der Kegelschnitte für die
Astronomie.

2.2.4. Die Spätzeit (von etwa 200 v.Chr. bis 300 n.Chr.)

Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

In dieser letzten Periode handelt es sich um eine Periode des Verfalls der Kultur, der
Wissenschaft und auch der Mathematik. Grund dafür war die um sich greifende
Stagnation der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft, die Herrschaft der
Römer, welche sich immer mehr ausbreiteten und die in der zweiten Hälfte dieser
Periode beginnende Zersetzung und Auflösung des römischen Weltreiches. Die
griechische Mathematik ging aber nicht verloren, sondern lebte in der Mathematik
der islamischen Länder weiter. So wurden ab dem 8. Jahrhundert wesentliche antike
mathematische Autoren ins Arabische übersetzt.

Mathematik und wichtige Vertreter der Spätzeit

Ab etwa 150 v.Chr. kam es in der griechischen Mathematik zu einem deutlichen


Niedergang. Es gibt zwar noch einige Mathematiker, die noch offene Probleme
lösten, aber im Allgemeinen gab es keine bedeutenden Neuentdeckungen mehr. Es
gerieten sogar die bisherigen Entdeckungen mit der Zeit in Vergessenheit. Nur bei
den Anwendungen der bisher bekannten Mathematik gab es noch Fortschritte. Die
mathematischen Kenntnisse wurden in Astronomie, Geographie, Mechanik und Optik
angewendet. Dadurch wurde die Trigonometrie weiterentwickelt. Die Griechen
rechneten dabei mit „Vorläufer“ der Winkelfunktionen, nämlich mit Sehnen von
Kreisbögen.

Im 5. Jahrhundert n.Chr. gingen die indischen Astronomen bereits von den Sehnen
zum Sinus über. Danach führten die Araber den Tangens und Kotangens ein, was
die Berechnung sehr vereinfachte (Der Tangens und Kotangens standen in
Tabellenform zur Verfügung).
Die Ursache für den Niedergang lag, wie bereits zuvor erwähnt, teilweise in der
Herrschaft der Römer, welche sich immer mehr ausbreiteten. Diese waren nicht
sonderlich interessiert an der Mathematik und ihrer Förderung. Der Niedergang hatte
aber auch einen anderen Grund, nämlich die schwerfällige und

50
bezeichnungstechnisch ungünstige Gestalt der griechischen Mathematik sowie die
Unhandlichkeit der geometrisch formulierten griechischen Algebra. Dadurch waren
die damaligen Bücher sehr schwer verständlich und für das Selbststudium
ungeeignet. Wenn an einem Ort die Kontinuität einer Schule unterbrochen wurde
(wie beispielsweise durch Kriege), so konnte diese kaum wieder aufleben, auch
wenn die Bücher vorhanden waren.
Um das „alte“ Wissen zu sichern, wurde es üblich, ausführliche Kommentare zu allen
bedeutenden mathematischen Werken zu verfassen. Ihre Aufgabe war es,
Definitionen zu erläutern, knappe Beweise ausführlicher darzustellen oder den
gegenseitigen Zusammenhang von Sätzen zu verdeutlichen.
In der Geometrie war Hipparchos von Nikaia (um 150 v.Chr.) bedeutend. Er
berechnete eine Sehnentafel, d.h. er gab zu einer Anzahl von Kreisbögen die
zugehörigen Sehnen an. Solche Tafeln wurden damals an Stelle von Sinustafeln
verwendet. Weiters verwendete er Sexagesimalbrüche und teilte den Vollkreis in
360°. Dies alles waren Ansatzpunkte der Mathematisierung oder besser gesagt
Trigonometrisierung der Astronomie, die dann bei Ptolemaios einen Höhepunkt
erreichte.
Menelaos von Alexandria (um 100 n.Chr.) beschäftigte sich intensiv mit der
sphärischen Trigonometrie. Er verfasste sechs Bücher über die Sehnen im Kreis und
über „paradoxe Kurven“, welche jedoch verlorengegangen sind. Durch die Araber
überliefert ist uns nur ein Werk mit dem Titel „Sphärik“ in drei Büchern. Darin bewies
er verschiedene Sätze über sphärische Dreiecke (unter anderem Kongruenzsätze).
Nach Menelaos lebte Klaudios Ptolemaios von Alexandria, welcher der
bedeutendste Astronom des Altertums war. Er erbrachte aber auch als Mathematiker
beachtliche Leistungen. So gibt er in seinem Hauptwerk „He megiste Syntaxis“ (d.h.
„Die größte Zusammenstellung“, in der arabischen Übersetzung dann „Almagest“)
eine Darstellung des geozentrischen Weltbildes, welche in den folgenden fünfzehn
Jahrhunderten maßgebend blieb. Grundlage dieser Darstellung war die
Epizyklentheorie des Apollonios, welche Ptolemaios noch erweiterte und
verbesserte. Erst zu Beginn der Neuzeit wurde das geozentrische Weltbild durch das
heliozentrische Weltbild abgelöst.
Ein weiterer namhafter Mathematiker der Spätantike war Heron von Alexandria (um
75 n.Chr.), der sich unter den antiken Mathematikern wohl am meisten mit der
angewandten Mathematik befasste. Von ihm stammt der erste erhaltene Beweis der
„Heron`sche Flächenformel“ des Dreiecks, bekannt war die Formel schon dem
Archimedes. Seine Werke bildeten eine Art Enzyklopädie der angewandten
Geometrie und Mechanik. Die bekanntesten Werke sind die „Metrika“ und die
„Geometrika“. Beide sind eine Art Formelsammlung mit teilweise Übungsaufgaben,
welche sehr elementar aber klar und leicht verständlich sind. Beweise befinden sich
darunter eher wenig. Heron beschäftigte sich auch mit verschiedenen Gebieten der
Physik. Er gab eine Ableitung des Reflexionsgesetzes, erfand eine Art Vorläufer des
51
Thermometers und beschäftigte sich in seiner „Dioptra“ mit Problemen der Geodäsie.
In seinen Werken verarbeitete er das Lehrgut der ägyptischen und babylonischen
Tradition und die Ergebnisse des Archimedes, welchen er häufig zitierte.
In der Spätphase der Antike kam es zu einem Wiederaufleben der klassischen
griechischen Bildungsideale. In der Zeit zwischen 100 n.Chr. und 200 n.Chr. traten
die „Neupythagoreer“ auf, die auf das religiös-weltanschauliche Gedankengut der
Pythagoreer zurückgriffen. Sie beschäftigten sich besonders mit zahlentheoretischen
Fragen, da die natürlichen Zahlen in der Weltanschauung der Pythagoreer eine
besondere Rolle spielten. Neue Erkenntnisse erzielten sie dabei keine.

Um 250 n.Chr. wirkte ein sehr bedeutender Zahlentheoretiker namens Diophantos


von Alexandria. Über sein Leben ist fast nichts bekannt. Allerdings ist sein
Hauptwerk, die „Arithmetika“ teilweise erhalten. Diese war zwar so bedeutend wie die
großen klassischen Werke der früheren Zeit aber in ihrer Art anders als die bisherige
griechische Mathematik. Sie hat den Höhepunkt der antiken Algebra dargestellt und
auch noch in späteren Jahrhunderten großen Einfluss auf die Entwicklung der
Mathematik ausgeübt. Sie beinhalteten ca 200 Aufgaben mit Lösungen. Heute nennt
man ihm zu Ehren unbestimmte Gleichungen, deren Lösungen ganzzahlig sein
sollen, „diophantische Gleichungen“. Von einer systematischen Theorie ist dabei
allerdings noch nichts zu finden.
Eine weitere große Leistung des Diophant war es, die bis dahin übliche umständliche
mathematische Schreibweise zu vereinfachen. Er verwendete als erster
systematisch Symbole für Potenzen und Rechenoperationen (auch wenn diese noch
sehr primitiv waren und eher Abkürzungen entsprachen). Somit kann er als ein
Vorläufer unserer Algebra (im Sinne von symbolischem Rechnen) angesehen
werden.

Der letzte bedeutende Mathematiker des Altertums war Pappos von Alexandria
(um 320 n.Chr.). Er zeichnete sich außerdem als Astronom und Geograph aus. Sein
Hauptwerk ist die „Mathematische Sammlung“, welche auch eine sehr wertvolle
Quelle für die Geschichte der Mathematik ist, da sie für einige Ergebnisse früherer
griechischer Mathematiker, bei denen die diesbezüglichen Originalabhandlungen
verloren gegangen sind, die einzige erhaltene Überlieferung ist. Pappos hat die
Ergebnisse seiner Vorgänger in vielerlei Hinsicht ergänzt und erweitert. So stammt
beispielsweise der heute als Guldin´sche Regel bezeichnete Satz über das Volumen
eines Drehkörpers von ihm. Einen analogen Satz fand Pappos auch für die
Mantelfläche eines Drehkörpers. Am berühmtesten ist aber der Satz von Pappos aus
der projektiven Geometrie, der von ihm vollständig bewiesen wurde.

52
Nach Pappos wirkten in Alexandria nur noch einige weniger bedeutende
Mathematiker, wie Theon von Alexandria (335 bis 405 n.Chr.), die sich darauf
beschränkten, die Werke ihrer Vorgänger zu kommentieren.
Mit der Heidenverfolgung 415 n. Chr. erlosch die Mathematikerschule in Alexandria.
In diesem Jahr wurde auch die bedeutende Mathematikerin Hypatia als Nichtchristin
von aufgehetzten fanatischen Anhängern des Christentums auf offener Straße
ermordet. Sie war die Tochter des Mathematikers Theon von Alexandria.
In Athen bestand die Platon´sche Akademie noch weiter und die neuplatonische
Schule des fünften Jahrhunderts brachte auch noch einige Mathematiker hervor.
Unter ihnen ist vor allem Proklos (um 450) von Bedeutung, weil er in einem
Kommentar zum ersten Buch der Elemente des Euklid in Anlehnung an Eudemos
(der 300 v.Chr. lebte) einen Überblick über die frühe Geschichte der griechischen
Mathematik gab. 529 wurde die Platon´sche Akademie auf Befehl des Kaisers
Justinian als letzter Stützpunkt des Heidentums geschlossen. Ab dieser Zeit hielt sich
die griechische Tradition der Mathematik nur noch in Byzanz, wo man weiterhin
griechisch sprach, und blieb dort bis etwa 1400 bestehen. Es gab dort noch einige
kleinere Neuentdeckungen, vor allem aber war die byzantinische Schule wichtig als
Bewahrerin und Überlieferin der Schriften der klassischen Autoren, die von Byzanz
sowohl zu den Arabern, als auch in das christliche Abendland gelangten. Um 1400
wurde Byzanz von den Türken immer mehr und mehr eingeschnürt, was eine
Auswanderung mehrerer Gelehrter nach Italien auslöste. Diese bildeten einen
wichtigen Faktor für die Entstehung der Renaissance, die ja auch der Mathematik
einen großen Auftrieb gab.
Das Hauptverdienst bei der Bewahrung der antiken mathematischen Kenntnisse
kommt den Arabern zu. So waren bereits am Ende des 9. Jahrhunderts die
bedeutendsten griechischen Mathematiker und Astronomen ins Arabische übersetzt.

53
2.2.5. Die drei klassischen Probleme der Antike

Bei den drei klassischen Problemen der Antike handelt es sich um die Dreiteilung
des Winkels, die Verdoppelung des Würfels und die Quadratur des Kreises. Die
intellektuelle Herausforderung bestand dabei in der Bedingung, diese Probleme nur
mit Zirkel und Lineal zu lösen. Die Beschränkung auf diese so genannten
„Euklidischen Werkzeuge“ ergibt sich zum einen aus der Forderung Platons (vgl.
früher), zum anderen ist alles, was mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, auch aus
den Postulaten des Euklid herleitbar.

„Gefordert soll sein:


1. Dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann,
2. dass man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend verlängern
kann,
3. dass man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen kann.
4. ...“
Man darf daher nur ein unmarkiertes Lineal und einen „euklidischen“ Zirkel
verwenden, d.h. einen Zirkel, der zusammenklappt, sobald man ihn vom Papier
abhebt. (D.h. insbesondere, dass man a priori keine Strecken übertragen darf.
Andererseits hat Euklid Methoden angegeben, wie man Streckenübertragungen
konstruktiv auch mit solchen Geräten durchführen kann.)

Die drei klassischen Probleme sind mit Zirkel und Lineal nicht lösbar. Dies wurde
allerdings erst mehr als 2000 Jahre nach dem Auftauchen dieser Probleme gezeigt.
E. Galois bewies die Unlösbarkeit des Problems für die Würfelverdoppelung und die
Winkeldreiteilung und F. Lindemann gab den endgültigen Beweis für die
Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises. Aber allein die Versuche, die Probleme zu
lösen, brachte eine Reihe von hervorragenden Leistungen. So fanden die Griechen
viele hervorragende Lösungen der drei klassischen Probleme mit zusätzlichen
Hilfsmitteln. Dabei entdeckten sie noch viele weitere bemerkenswerte Resultate der
höheren Geometrie.

Die Dreiteilung eines Winkels

Dieses Problem ist auch bei Amateurmathematikern beliebt, weil es einerseits


einfach zu formulieren ist und es andererseits auch nicht allzu schwer ist, mit Zirkel
und Lineal eine Strecke in drei gleiche Teile zu teilen. So kann man fast jedes Jahr in
Zeitungen „Lösungen“ von diesem Problem mit Zirkel und Lineal finden. Außerdem
54
kann ein mathematisch nicht vorgebildeter Mensch nur schwer verstehen, dass man
die Unmöglichkeit der Lösung einer Aufgabe unter gewissen Bedingungen beweisen
kann.

Zur Lösung des Problems konstruierten die Griechen ein Gerät, das mit einiger
Phantasie einem Tomahawk ähnelt. Dieses wird so in einen gegeben Winkel
eingepasst, dass der Scheitel O auf dem Griff CG liegt, ein Schenkel durch A geht
und der andere Schenkel den Halbkreis berührt. Dann gilt
wegen der Kongruenz der Dreiecke ACO, OCD und ODE:

<AOC = <COD = <DOE

<AOB = <AOC + <COD + <DOE Abb. 25: „Tomahawk“


1
<AOB = 3 <AOC bzw. <AOC = <AOB
3

Es wurden dann auch noch weitere Konstruktionsmethoden und mechanische


Instrumente zur Lösung des Winkeldreiteilungsproblems, so genannte
Dreiteilungsinstrumente, ersonnen. Insbesondere erfanden die Griechen spezielle
Kurven, mit deren Hilfe man diese Probleme „lösen“ konnte.

Winkeldreiteilung durch Einpassen eines Lineals

Gegeben ist der Winkel <ABC. Wir zeichnen das Lot von A auf die Gerade BC und
eine Parallele zu BC durch A. Auf dieser Parallelen ermitteln wir einen Punkt F so,
dass gilt: EF = 2 BA . Weiters sei G der
Halbierungspunkt der Strecke [E,F]. Dann gilt:

EG = GF = GA = BA

Daraus folgt:

<ABG = <AGB = <FAG + <GFA = 2 · <GFA


= 2 · <GBC

und somit:

<ABC = 3 · <GBC

Das Problem ist dabei „nur“: Wie erhält man den Punkt F bzw. die Gerade BF? Eine
Möglichkeit besteht im „Anpassen“ eines mit der Länge 2 ⋅BA markierten Lineals.
Man kann aber auch eine Konchoide verwenden. Wir zeichnen einen Kreis mit
Mittelpunkt A und Radius AB . Außerdem zeichnen wir eine Konchoide mit dem Pol

55
B, mit der Geraden c und dem Wert k = AB . Ein
Schnittpunkt der Konchoide mit dem Kreis ist der
Punkt G. Genauso wie zuvor zeigt man nun, dass
gilt:

<ABC = 3 · <GBC

Die Konchoide kann darüber hinaus auch zur Lö-


sung des Problems der Würfelverdoppelung ver-
wendet werden.

Konchoide

Zum Zeichnen der


Konchoide erfanden
die Griechen den
„Konchoidenzirkel“:

Auch die Quadratrix kann als Methode zur Lösung des Winkeldreiteilungsproblems
verwendet werden:

Einem Quadrat OABC ist ein Viertelkreis mit dem


Mittelpunkt O und Radius r = OA eingeschrieben.

Der Radiusvektor OX drehe sich gleichförmig von
OC nach OA, und die Gerade MN bewege sich in
demselben Zeitraum gleichförmig von CB nach OA.
Die Quadratrix ist dann die Menge aller Schnitt-
punkte von OX mit MN.

Quadratrix

56
Aus der Definition der Quadratrix folgt unmittelbar, dass man zur Drittelung des
Winkels XOA nur die Strecke NA in drei gleiche Teile teilen, durch die
Teilungspunkte horizontale Geraden legen und mit der Quadratrix schneiden muss.

Die interessantere, aber auch schwierigere Anwendung der Quadratrix ist beim
Problem der Quadratur des Kreises; daher auch der Name.

Die Würfelverdoppelung

Beim Problem der Würfelverdoppelung ist, ausgehend von einem gegeben Würfel
mit der Kantenlänge a, ein Würfel mit doppeltem Volumen gesucht. Dieses Problem
ist gleichbedeutend mit der Konstruktion von 3 2 . Es wurde auch das Delische
Problem genannt und war damals sehr populär, da es im Volksbewusstsein an einen
Orakelspruch über das Erlöschen einer Seuche geknüpft war. So hieß es, dass diese
erlöschen würde, wenn die von der Seuche betroffenen Delier einen ihrer
(würfelförmigen) Altäre dem Rauminhalt nach verdoppelten. Die Sage besagte
weiter, dass sich die Delier vergebens um Rat an die Mathematiker gewandt hätten.

Eine der ersten Lösungen für dieses, zur Würfelverdoppelung äquivalenten, Problem
wurde von Archytas mit geometrischen Methoden gefunden. Weiterer Lösungen
wurden von Eudoxos (seine Lösung ist leider verschollen) und Menaichmos
angegeben. Sein Versuch zur Lösung des Problems führte ihn zu der Entdeckung
der Kegelschnitte. Er baute dabei auf der Erkenntnis des Hippokrates von Chios auf,
dass die Lösung des Problems äquivalent ist mit der Konstruktion zweier mittlerer
Proportionalen ist, d.h. mit der Ermittlung zweier Zahlen x und y, für die gilt:

a:x=x:y=y:b
Wählt man a = 1 und b = 2, so ergibt sich aus
1:x=x:y=y:2

insbesondere x = 3 2 . Denn:
3
1 : x = x : y = y : 2 ⇔ y = x² ∧ y² = 2x ⇔ (x²)² = 2x ⇔ x³ = 2 ⇔ x = 2
Es gilt aber auch:
1 : x = x : y = y : 2 ⇔ y = x² ∧ xy = 2
D. h., die Zahlen x und y sind die Koordinaten des Schnitt-
punktes der Parabel y = x² mit der Hyperbel xy = 2.
Die Griechen kannten natürlich noch keine Koordinaten in
unserem Sinn. Sie gaben Kurven durch so genannte „Symp-
tome“ an. Darunter versteht man eine Bedingung, durch die
ein auf der Kurve liegender Punkt charakterisiert ist. Diese
Symptome entsprechen inhaltlich in etwa unseren Kurven-
gleichungen.
57
Eine weitere Methode zur instrumentellen Ermittlung von 3 2 war der Winkelhaken,
den Eutokios beschrieb. Er meinte, dass dieser von Platon stamme, was aber eher
unwahrscheinlich ist, da dieser mechanische Hilfsmittel ablehnte. Dennoch findet
man manchmal die Bezeichnung „ Platons Maschine“.

Es gilt:

AO : OK = OK : OG = OG : OB

Sind also a = AO und b = OB gegeben,


so sind x = OK und y = OG die
gesuchten mittleren Proportionalen.

Winkelhaken

Die Griechen gaben noch eine Reihe weiterer Lösungen des Problems der
Würfelverdoppelung. Eine dieser Lösungen stammt von Erathostenes. Er ließ sie auf
einem Stein eingravieren, auf den er das Modell eines mechanischen Modell eines
mechanischen Instruments setzen ließ, mit dessen Hilfe man die Verdoppelung des
Würfels bewerkstelligen konnte. Dieses Modell bestand aus drei rechteckigen, gleich
großen Platten, die man in einem Rahmen, an dem ein schwenkbarer Stab befestigt
war, hin und her schieben konnte, wobei die zueinander parallelen Diagonalen der
Platten eingezeichnet waren.

Instrument zur Verdoppelung des Würfels


(„Eratosthenes` Platten“)

Die Platten mussten so positioniert werden, dass die Endpunkten der teilweise
verdeckten Diagonalen auf der durch den Stab gegebenen Geraden liegen. Dann
gilt:

AA′ :BB′ = OA:OB = AB′ :BC´ = OB′ :OC′ = BB′ :CC′ = OB:OC = BC′ :CD′ = OC:OD = CC′ :DD′
Sind also AA′ = a, DD′ = b gegeben, so sind BB′ und CC′ die gesuchten mittleren
Proportionalen.
58
Diokles, ein Zeitgenosse des Apollonios, entdeckte eine Kurve, die Cissoide, die
ebenfalls zur Lösung des Delischen Problems verwendet werden kann. Allgemein
kann eine Cissoide auf folgende Weise definiert werden:

Es sei O ein fester Punkt und C, D seien zwei Kurven. (In


unserem Falle der „Cissoide des Diokles“ ist C ein Kreis mit
dem Radius r und D eine Gerade.) Legt man durch O eine
beliebige Gerade g, so erhält man einen Cissoidenpunkt P
durch die Bedingung:

OP = P1P2

wobei P1 ∈ C und P2 ∈ D Schnittpunkte der Geraden g mit


den Kurven C und D sind. (Siehe Abb. 13.2!)
Cissoide

Die Gestalt dieser Kurve erinnert – mit einiger Phantasie –


an ein Efeublatt; daher auch der Name: Cissoide kommt von kissos (κισσος), Efeu.

Zur Bestimmung der mittleren Proportionalen gehen wir folgendermaßen vor:

Wir errichten im Mittelpunkt Z des Kreises C das Lot auf den Durchmesser OA und
1
tragen auf diesem Lot die Strecke ⋅ r = ZM auf. Dann
2
gilt für jenen Cissoidenpunkt P, der auf der Verlängerung
der Geraden durch A und M liegt:

a r a
= = 2 , also LP =
LP 1 2
⋅r
2

Wir wollen nun zeigen, dass x = OL und y = LS die ge-


suchten mittleren Proportionalen sind. Auf Grund der
Konstruktionsvorschrift der Cissoide gilt OP = P1P2 und
damit AT = OL bzw. AL = OT . Damit gilt:
Cissoide und
Würfelverdoppelung
∆OLP ~ ∆OTP1 ù ∆ALS ~ ∆SLO

a
Daraus folgt: LP : OL = OL : LS = LS : AL oder: :x=x:y=y:a
2

59
Die Quadratur des Kreises

Bei der Quadratur des Kreises handelt es sich um die Frage, wie man aus dem
Radius bzw. Durchmesser eines Kreises konstruktiv („mit Zirkel und Lineal“) ein
flächengleiches Quadrat ermitteln kann.
Anaxagoras war, wie bereits erwähnt, einer der ersten, der sich mit der
Kreisquadratur auseinander setzte. Er erkannte die Tiefe des Problems und hielt es
nicht, wie andere Mathematiker seiner Zeit, durch die Konstruktion eingeschriebener
Polygone (mit sehr hoher Eckenzahl) für erledigt.
Hippokrates schaffte es, durch Kreisbögen begrenzte Flächenstücke konstruktiv in
ein flächengleiches Quadrat bzw. Dreieck zu verwandeln. (Siehe früher!) Trotz
dieses ermutigenden Ergebnisses gelang es nicht, das Problem der Quadratur des
Kreises, also die Konstruktion von π, zu lösen. Wie man heute weiß, ist dieses
Problem mit Zirkel und Lineal auch nicht zu lösen.
Es gab aber Lösungen mit Hilfe spezieller Kurven, wie beispielsweise der Quadratix,
welche von Hippias von Elis entdeckt wurde, oder der Archimedischen Spirale.
Eine Quadratrix kann man sich folgendermaßen
entstanden denken (vgl. früher!):

Einem Quadrat OABC ist ein Viertelkreis mit dem


Mittelpunkt O und Radius r = OA eingeschrieben. Der

Radiusvektor OX drehe sich gleichförmig von OC nach
OA, und die Gerade MN bewege sich in demselben
Zeitraum gleichförmig von CB nach OA. Die Quadratrix
ist dann die Menge aller Schnittpunkte von OX mit MN.

Man kann zeigen, dass für die Länge des Vier-


telkreisbogens b durch C, X und A gilt:
b CO b r
= d. h.: =
CO OQ r OQ

(Der Beweis ist etwas langwierig; vgl. Kaiser/ Nöbauer


1984, S. 143.)

Diese Beziehung gestattet nun, aus der Länge der


Strecke [O,Q] eine Strecke mit der Länge b zu
konstruieren woraus wieder mit Hilfe des Höhensatzes
(Abb. unten verkleinert) die gesuchte Seite jenes
Quadrats ermittelt werden kann, dessen Flächeninhalt
gleich dem des Kreises mit dem gegebenen Radius r
ist. Quadratrix und Kreisquadratur

60
Auch die archimedische Spirale kann zur Lösung des Problems der Quadratur des
Kreises verwendet werden. Eine archimedische Spirale
entsteht, wenn eine Halbgerade mit Anfangspunkt O
gleichförmig um O gedreht wird und sich gleichzeitig ein
Punkt P auf der Geraden gleichförmig von O aus
wegbewegt.
In Polarkoordinaten kann eine archimedische Spirale mit
Hilfe der Gleichung r = a ⋅ Θ, a ∈ R + , konstant, beschrie- Archimedische Spirale
ben werden.
Um die archimedische Spirale zur Lösung des Quadratur-
problems verwenden zu können, überlegt man folgender-
maßen: Man wählt jenen Punkt Q auf der Spirale, der
π π
dem Polarwinkel Θ = entspricht. Dann gilt: OQ = a ⋅
2 2
Wählt man nun auf der waagrechten Geraden durch O
einen Punkt R derart, dass OR = 2 ⋅ a , so besitzt das
Rechteck ORSQ den Flächeninhalt:
Archimedische Spirale und
π Quadratur des Kreises
A = 2a ⋅ a ⋅ = a2π
2
Das Problem der Kreisquadratur war überhaupt gegen Ende des 5. Jht.v.Chr. sehr
populär. Der Komödiendichter Aristophanes schrieb beispielsweise sogar einen Witz
darüber und machte es zum Thema einer seiner Komödien.

Den griechischen Mathematikern ist es also trotz großer Anstrengungen nicht


gelungen, die drei klassischen Probleme unter Beschränkung auf die euklidischen
Hilfsmittel zu lösen. Wie bereits erwähnt wurde die Unlösbarkeit ja erst etwa 2000
Jahre später gezeigt.

61
2.3. Mathematik bei den Römern

Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund

Im frühen römischen Staat beruhte die Wirtschaft auf dem kleinen Grundbesitz und
auf der Naturalwirtschaft und zeichnete sich durch patriarchalische Verhältnisse aus.
Ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. hatte eine Konzentration des Grundbesitzes begonnen
und damit ein Kampf zwischen der alten Aristokratie und den Plebejern. Der
Herrschaftsbereich der römischen Republik erweiterte sich in dieser Zeit durch
zahlreiche Eroberungskriege, und so kamen auch viele Völker in Europa und
Kleinasien unter römische Herrschaft. In diesem römischen Reich war der Typ des
Sklavenhalterstaates am stärksten ausgeprägt.
Im 2. und 1. Jahrhundert v.Chr. kam es immer wieder zu organisierten
Sklavenaufständen, die, vor allem unter Spartacus, den römischen Staat zeitweise
bis an den Rand des Abgrundes brachten. Bald war die republikanische Staatsform
den Schwierigkeiten nicht mehr gewachsen und so ging die römische
Sklavenhalterrepublik im 1. Jahrhundert v.Chr. zugrunde. An ihre Stelle trat nach
einer von Bürgerkriegen geprägte Zeit eine Militärmonarchie. Sie schaffte es, das
römische Reich für einige Jahrhunderte zu sichern und innerlich zu konsolidieren.
Dies ließ auch einen gewissen Spielraum für die Neubelebung der hellenistischen
Kultur zu. Der Untergang des römischen Reiches war jedoch nicht aufzuhalten. Die
Aufstände der Sklaven und der unterdrückten Völker führten zum Verfall und im 5.
Jahrhundert n.Chr. schließlich zum Untergang des römischen Imperiums.

Mathematik bei den Römern

Die Römer waren auf den meisten Gebieten (Rechtswesen, Baukunst, Bautechnik,
Straßenbau, Heereswesen) ein überaus begabtes Volk. In der Mathematik jedoch
leisteten sie nichts. Gericke beschreibt dies mit folgenden Worten:

„Der einzige Beitrag, den die Römer zur Mathematikgeschichte geleistet haben, war
der, dass ein römischer Soldat den Archimedes erschlagen hat.“
Alles was uns aus der Römerzeit überliefert ist, stammt von den Griechen. Den
Historikern, welche die Entstehung der Mathematik auf gesellschaftliche Triebkräfte
zurückführen, gelingt es nicht zu erklären, warum die Römer im Gegensatz zu den
Griechen keine Mathematik entwickelten.

Auf dem Gebiet der ebenen und räumlichen Geometrie kommt aber nicht nur eine
glanzvolle Entwicklung zum Stillstand, sie wird in den letzten Jahrhunderten der
Kaiserzeit sogar noch rückläufig. Das bis dahin gesammelte Wissen existiert zwar
noch, wird aber immer mehr zum toten Wissen, da es selbst von den größten
62
Gelehrten nur mehr sehr schwer verstanden oder gar unerreichbar wird. Um die
Schwierigkeiten beim direkten Studium zu verringern, wurde es nun allgemein üblich,
sehr umfangreiche Kommentare zu schreiben.

Die Römer waren also hinsichtlich der Mathematik keine Theoretiker, sondern reine
Praktiker. Sie brauchten die Mathematik bei architektonischen, mechanischen und
geographischen Angelegenheiten. Das dazu benötigte Wissen bezogen sie aus
griechischen Quellen oder sie ließen Griechen kommen, um ein Problem zu lösen.

Die Zahlenschrift der Römer

Die bekannten Zahlzeichen der Römer weisen eine Fünferstruktur auf.

Im Gegensatz zu den Babyloniern verwendeten die Römer nicht durchgehend das


additive Prinzip für die Darstellung der Zahlen, sondern benutzten teilweise ein
Subtraktionsprinzip (z.B. IV = 4 oder IX = 9), welches sich dann im Mittelalter immer
mehr durchsetzte.

Das Rechnen erfolgte bei den Römern im Kopf, mit den Fingern und bei schwierigen
Aufgaben auf dem Abakus. Den Abakus entwickelten sie noch weiter, nämlich zu
einem tragbaren Handabakus.

63
Abschließender Überblick über die Entwicklung der
Mathematik bei den antiken Griechen

Thales: fragte als Erster nach dem „Warum“

Pythagoras: Alles ist Zahl (=⊆ und Verhältnisse, d.h. ∠+), Personifizierung von
Zahlen (befreundete Zahlen, …)

Entdeckung der Inkommensurabilität -> 1. Grundlagenkrise

Versuch der Bewältigung der Krise: Unendliche Anwendung von Verfahren des
Rechnens mit natürlichen Zahlen (-> Aufstand der Philosophen, insb. Zenon) ->
Griechen machten einen Bogen um das Unendliche! (Ausnahme Eudoxos,
Archimedes: sie bekamen das Unendliche in den Griff!)

Ausweg: a) Axiomatik (Euklid)

b) „geometrische Algebra“: Größen (insb. inkommensurable) nicht als


Zahlen, sondern (nur) als geometrische Objekte betrachtet (letztlich zu
kompliziert, alles geometrisch zu deuten; insb. auch ein
Dimensionsproblem: ist 9=32 eine Länge oder eine Fläche?)

Archytas: Trivium und Quadrivium -> Septem Artes Liberales“

Trivium = Grammatik, Rhetorik, Dialektik

Quadrivium = Arithmetik (d.h. ⊆), Musik (d.h. ∠+), Geometrie (kontinuierliches


Analogon zur Arithmetik), Astronomie (kontinuierliches Analogon zur
Musik)

Platon, Aristoteles: Stufen der Weisheit: oberste Stufe = Philosophie, zweithöchste


Stufe = Mathematik = einziger Weg, den Geist in Richtung Philosophie
zu trainieren.

Wissensvermittlung: Schulenbildung (Pythagoreer, Platons Akademie, Museion)

Rechnen (= „Logistik“, nur für Handel) wenig geachtet, nicht als Teil der Mathematik
betrachtet

Angewandte Mathematik: kaum vorhanden; Anwendungen entweder trivial oder zu


schwer. Wenige Ausnahmen: Archimedes, Heron (mechanische Geräte),
Diokles (Brennspiegel).

64
Wie kam die Mathematik der Griechen zu uns?

Römer: Kein Beitrag!

Islam, Araber: Ausbreitung über Nordafrika bis Spanien

Klöster als Übersetzerschulen (Toledo, …) von arabischen Übersetzungen antiker


griechischer Werke ins Lateinische

Kalifen: etablierten Bagdad als wissenschaftliches Zentrum (neben Konstantinopel)


(Alkhwarizmi, Omar Khayyam, u.a.)

Sizilien (oströmische Enklave)

Lehrbücher: Boetius (Auszug aus Euklid), Isidor von Sevilla, Fibonacci („Liber Abaci“)

Erste Universitätsgründungen (Bologna, Paris, Oxford, Cambridge, Prag, Krakau,


Wien, ….): „Lehrplan“ = Septem Artes Liberales“, Quadrivium als
Vorstufe zu eigentlichen Studien (Jus, Medizin, Theologie, Philosophie:
Bis ins 20 Jahrhundert DIE 4 Fakultäten einer Universität). Quadrivium
somit Vorläufer unseres Gymnasiums; oft mathematisch orientiert (insb.
Paris, Wien!)

um 1400: Flucht vieler Gelehrter von Konstantinopel Richtung Westen (insb. Italien)
aus Furcht vor der drohenden Eroberung durch die Osmanen;
-> Renaissance!

Im 19. Jht: Antike Klassik wieder modern: -> Schliemann, Neuklassizismus, in


Lehrplänen oft explizite Berufung auf Euklid (in England, USA:
Unterrichtsfach Geometrie heißt „Euclid“)

65

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