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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

Vorträge für die Arbeiter am Goetheanumbau

Band 1 Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und


Geist. Über frühe Erdzustände
Zehn Vorträge, 2. August bis 30. September 1922

Band 2 Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geistes-


wissenschaftlichen Sinneslehre
Achtzehn Vorträge, 19. Oktober 1922 bis 10. Februar 1923

Band 3 Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des
Christentums
Vierzehn Vorträge, 17. Februar bis 9. Mai 1923

Band 4 Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt


man zum Schauen der geistigen "Welt?
Sechzehn Vorträge, 30. Mai bis 22. September 1923

Band 5 Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur -
Über die Bienen
Fünfzehn Vorträge, 8. Oktober bis 22. Dezember 1923

Band 6 Natur und Mensch in geisteswissenschaftlicher Betrachtung


Zehn Vorträge, 7. Januar bis 27. Februar 1924

Band 7 Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen


der Kulturvölker
Siebzehn Vorträge, l.März bis 25. Juni 1924

Band 8 Die Schöpfung der Welt und des Menschen. Erdenleben und
Sternenwirken
Vierzehn Vorträge, 30. Juni bis 24. September 1924

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 2


RUDOLF STEINER

Die Schöpfung der Welt und des Menschen

Über Welt- und Menschenentstehung


und den Gang der Kulturentwickelung der Menschheit

Ernährungsfragen

Erdenleben und Sternenwirken

Vierzehn Vorträge, gehalten


für die Arbeiter am Goetheanumbau
in Dornach vom 30. Juni bis 24. September 1924

2000
RUDOLF STEINER VERLAG
DORN ACH/SCHWEIZ

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 3


Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriften
herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung
Die Herausgabe besorgte Paul Gerhard Bellmann >

1. Auflage in dieser Zusammenstellung


Gesamtausgabe Dornach 1969
2., durchgesehene Auflage
Gesamtausgabe Dornach 1977
3. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1999

Weitere Veröffentlichungen
siehe zu Beginn der Hinweise S. 243

Bibliographie-Nr. 354
Zeichnungen im Text nach den Wandtafelzeichnungen Rudolf Steiners,
ausgeführt von Leonore Uhlig (siehe auch S. 243)
Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz
© 1977 by Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz
Printed in Germany by Greiserdruck, Rastatt

ISBN 3-7274-3540-2

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 4


den Veröffentlichungen
aus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner

Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) glie-


dert sich in die drei großen Abteilungen: Schriften - Vorträge -
Künstlerisches Werk.
Von den in den Jahren 1900 bis 1924 sowohl öffentlich wie für
die Mitglieder der Theosophischen, später Anthroposophischen
Gesellschaft frei gehaltenen Vorträgen und Kursen hatte Rudolf
Steiner ursprünglich nicht gewollt, daß sie schriftlich festgehalten
würden, da sie von ihm als «mündliche, nicht zum Druck be-
stimmte Mitteilungen» gedacht waren. Nachdem aber zunehmend
unvollständige und fehlerhafte Hörernachschriften angefertigt und
verbreitet wurden, sah er sich veranlaßt, das Nachschreiben zu re-
geln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie Steiner-von Sivers. Ihr
oblag die Bestimmung der Stenographierenden, die Verwaltung
der Nachschriften und die für die Herausgabe notwendige Durch-
sicht der Texte. Da Rudolf Steiner nur in ganz wenigen Fällen die
Nachschriften selbst korrigiert hat, muß gegenüber allen Vortrags-
veröffentlichungen sein Vorbehalt berücksichtigt werden: «Es wird
eben nur hingenommen werden müssen, daß in den von mir nicht
nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.»
Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemäß
ihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Ge-
samtausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Be-
standteil dieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sich
nähere Angaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise.
Die besondere Stellung, welche die Vorträge für die Arbeiter
am Goetheanumbau innerhalb des Vortragswerkes einnehmen,
schildert Marie Steiner in ihrem Geleitwort, welches diesem Band
vorangestellt ist.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 5


INHALT

Ausführliche Inhaltsangaben siehe S. 248ff.

Geleitwort von Marie Steiner 9

DIE SCHÖPFUNG DER WELT UND DES MENSCHEN

ERSTER VORTRAG, Dornach, 30, Juni 1924 11


Weltenschöpfung und Menschenschöpfung - Saturn-, Sonnen- und
Mondenzustand der Erdentwickelung.
ZWEITER VORTRAG, 3. Juli 1924 29
Erdenschöpfung - Menschenentstehung.

DRITTER VORTRAG, 7. Juli 1924 44


Was sagt Anthroposophie und Naturwissenschaft über die Schichten
der Erde und ihre Versteinerungen.

ÜBER WELT- UND MENSCHENENTSTEHUNG UND DEN


GANG DER KULTURENTWICKELUNG DER MENSCHHEIT
ERNÄHRUNGSFRAGEN

VIERTER VORTRAG, 9. Juli 1924 60


Über Welt- und Menschenentstehung - Lemurien und Atlantis.

FÜNFTER VORTRAG, 12. Juli 1924 76


Ursprung und Eigenart der chinesischen und indischen Kultur.
SECHSTER VORTRAG, 31. Juli 1924 94
Über das Verhältnis der Nahrungsmittel zum Menschen - Rohkost
und Vegetarismus.
SIEBENTER VORTRAG, 2. August 1924 112
Fragen der Ernährung - Ernährung der Kinder - Abhärtung -
Düngung.
ACHTER VORTRAG, 6. August 1924 127
Über den Gang der Kulturentwickelung der Menschheit.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:6


ERDENLEBEN UND STERNENWIRKEN

NEUNTER VORTRAG, 9. August 1924 144


Über die Gerüche.

ZEHNTER VORTRAG, 9. September 1924 160


Von den Planeteneinflüssen auf Tiere, Pflanzen und Gesteine.

ELFTER VORTRAG, 13. September 1924 175


Über die Witterung und ihre Ursachen.

ZWÖLFTER VORTRAG, 18. September 1924 194


Gestalt und Entstehung der Erde und des Mondes - Ursachen des
Vulkanismus.

DREIZEHNTER VORTRAG, 20. September 1924 212


Was will Anthroposophie? — Vom Bielakometen.

VIERZEHNTER VORTRAG, 24. September 1924 227


Woher stammt der Mensch? - Erdenleben und Sternenweisheit.

Hinweise
Zu dieser Ausgabe 243
Hinweise zum Text 244
Personenregister 247
Ausführliche Inhaltsangaben 248

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 7


Die Wiedergaben der Original-Wandtafelzeichnungen
Rudolf Steiners zu den Vorträgen in diesem Band
(vgl. die Randvermerke und den Text am Beginn der Hinweise)
sind innerhalb der Gesamtausgabe erschienen in der Reihe:
«Rudolf Steiner - Wandtafelzeichnungen zum Vortrags werk»
Band XXVIII

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 8


GELEITWORT
zum Erscheinen von Veröffentlichungen
aus den Vorträgen Rudolf Steiners für die Arbeiter am Goetheanum
vom August 1922 bis September 1924

Marie Steiner

Man kann diese Vorträge auch Zwiegespräche nennen, denn ihr Inhalt
wurde immer, auf Rudolf Steiners Aufforderung hin, von den Arbei-
tern selbst bestimmt. Sie durften ihre Themen selber wählen; er regte
sie zu Fragen und Mitteilungen an, munterte sie auf, sich zu äußern,
ihre Einwendungen zu machen. Fern- und Naheliegendes wurde be-
rührt. Ein besonderes Interesse zeigte sich für die therapeutische und
hygienische Seite des Lebens; man sah daraus, wie stark diese Dinge zu
den täglichen Sorgen des Arbeiters gehören. Aber auch alle Erschei-
nungen der Natur, des mineralischen, pflanzlichen und tierischen Da-
seins wurden berührt, und dieses führte wieder in den Kosmos hinaus,
zum Ursprung der Dinge und Wesen. Zuletzt erbaten sich die Arbeiter
eine Einführung in die Geisteswissenschaft und Erkenntnisgrundlagen
für das Verständnis der Mysterien des Christentums.
Diese gemeinsame geistige Arbeit hatte sich herausgebildet aus eini-
gen Kursen, die zunächst Dr. Roman Boos für die an solchen Fragen
Interessierten, nach absolvierter Arbeit auf dem Bauplatz, gehalten
hat; sie wurden später auch von andern Mitgliedern der Anthroposo-
phischen Gesellschaft weitergeführt. Doch erging nun die Bitte von
Seiten der Arbeiter an Rudolf Steiner, ob er nicht selbst sich ihrer an-
nehmen und ihren Wissensdurst stillen würde — und ob es möglich wäre,
eine Stunde der üblichen Arbeitszeit dazu zu verwenden, in der sie
noch frischer und aufnahmefähiger wären. Das geschah dann in der
Morgenstunde nach der Vesperpause. Auch einige Angestellte des Bau-
büros hatten Zutritt und zwei bis drei aus dem engeren Mitarbeiter-
kreise Dr. Steiners. Es wurden auch praktische Dinge besprochen, so
zum Beispiel die Bienenzucht, für die sich Imker interessierten. Die
Nachschrift jener Vorträge über Bienen wurde später, als Dr. Steiner
Q
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 9
nicht mehr unter uns weilte, vom Landwirtschaftlichen Versuchsring
am Goetheanum als Broschüre für seine Mitglieder herausgebracht.
Nun regte sich bei manchen andern immer mehr der Wunsch, diese
Vorträge kennenzulernen. Sie waren aber für ein besonderes Publikum
gedacht gewesen und in einer besonderen Situation ganz aus dem Steg-
reif gesprochen, wie es die Umstände und die Stimmung der zuhören-
den Arbeiter eingaben - durchaus nicht im Hinblick auf Veröffent-
lichung und Druck. Aber gerade die Art, wie sie gesprochen wurden,
hat einen Ton der Frische und Unmittelbarkeit, den man nicht ver-
missen möchte. Man würde ihnen die besondere Atmosphäre nehmen,
die auf dem Zusammenwirken dessen beruht, was in den Seelen der
Fragenden und des Antwortenden lebte. Die Farbe, das Kolorit möchte
man nicht durch pedantische Umstellung der Satzbildung wegwischen.
Es wird deshalb der Versuch gewagt, sie möglichst wenig anzutasten.
Wenn auch nicht alles darin den Gepflogenheiten literarischer Stilbil-
dung entspricht, so hat es dafür das unmittelbare Leben.

Marie Steiner

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 10


E R S T E R VORTRAG

Dornach, 30. Juni 1924

Nun, hat jemand sich eine Frage ausgedacht?


Herr Dollinger: Ich möchte fragen, ob Herr Doktor nicht wieder sprechen könnte
von der Schöpfung der Welt und des Menschen, da verschiedene Neue da sind, die
das noch nicht gehört haben?
Dr. Steiner: Also gefragt ist, ob ich wiederum anfangen könnte, von
Weltenschöpfung und Menschenschöpfung zu sprechen, weil sehr viel
neue Kameraden da sind. Nun werde ich die Sache so gestalten, daß ich
Ihnen zunächst klarzumachen versuche, wie ursprünglich die Zustände
auf der Erde waren, welche auf der einen Seite zu all demjenigen ge-
führt haben, was wir draußen sehen, und auf der anderen Seite zum
Menschen.
Sehen Sie, der Mensch ist ja eigentlich ein sehr, sehr kompliziertes
Wesen. Und wenn man glaubt, den Menschen nur dadurch verstehen
zu können, daß man ihn seziert nach dem Tode, als Leichnam, so
kommt man natürlich nicht dazu, den Menschen wirklich zu verstehen.
Ebensowenig kann man die Dinge, die um uns herum sind, die Welt,
verstehen, wenn man sie nur so betrachtet, daß man Steine, Pflanzen
sammelt und die einzelnen Sachen anschaut. Man muß überall eben
darauf Rücksicht nehmen können, daß dasjenige, was man untersucht,
nicht im allerersten Anblick schon zeigt, was es eigentlich ist.
Wenn wir einen Leichnam anschauen — wir können ihn ja anschauen,
kurz nachdem der Mensch gestorben ist: er hat noch dieselbe Form,
dieselbe Gestalt, ist vielleicht nur blasser geworden; wir merken ihm
an, der Tod hat ihn ergriffen, aber er hat noch dieselbe Gestalt, die
der Mensch hatte, als er lebendig war. Nun denken Sie sich aber: Wie
schaut dieser Leichnam, auch wenn wir ihn nicht verbrennen, wenn
wir ihn verwesen lassen, nach einiger Zeit aus? Er wird zerstört, es
arbeitet nichts mehr in ihm, was ihn wieder aufbauen könnte - er
wird zerstört.
Nun, sehen Sie, der Anfang der Bibel wird sehr häufig von den
Leuten belächelt, und zwar mit Recht, wenn er so ausgelegt wird, daß

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 354 Seite: 11


einstmals irgendein Gott aus einem Erdenkloß einen Menschen geformt
hätte. Man sieht das als eine Unmöglichkeit an - mit Recht natürlich.
Es kann nicht irgendein Gott kommen und aus einem Erdenkloß einen
Menschen machen. Er wird ebensowenig ein Mensch, wie eine Bild-
hauerstatue ein wirklicher Mensch wird, wenn man sie auch noch so
sehr der Gestalt nach richtig macht, und ebensowenig, wie, wenn Kin-
der ein schönes Männchen aufbauen, dieses anfängt zu laufen. Also
man lächelt mit Recht darüber, wenn Leute sich vorstellen, daß ur-
sprünglich ein Gotteswesen aus einem Erdenkloß einen Menschen ge-
macht haben soll. Das, was wir als Leichnam vor uns haben, das ist ja
nach einiger Zeit nun wirklich solch ein Erdenkloß, wenn es auch im
Grab so ein bißchen auseinandergegangen ist, verschwemmt worden
ist und so weiter. Zu glauben, daß wir aus dem also, was wir so vor uns
haben, einen Menschen machen können, ist ja ein ebenso großer Unsinn.
Sehen Sie, auf der einen Seite gestattet man sich heute mit Recht,
zu sagen, daß die Vorstellung unrichtig ist, daß der Mensch aus einem
Erdenkloß geschaffen sein soll. Auf der anderen Seite gestattet man
sich aber dann das andere: zu denken, daß der Mensch aus demjenigen
bestehen soll, was Erde ist. Sie sehen schon, wenn man konsequent vor-
gehen will, geht das eine ebensowenig wie das andere. Man muß sich
eben klar sein: Während der Mensch gelebt hat, ist etwas in ihm, was
machte, daß er diese Form, diese Gestalt kriegte, und wenn das draußen
ist, kann er nicht mehr diese Gestalt haben. Die Naturkräfte geben ihm
nicht diese Gestalt; die Naturkräfte treiben diese Gestalt nur ausein-
ander, machen sie nicht wachsen. Also ist es beim Menschen so, daß
wir zurückgehen müssen zu dem Geistig-Seelischen, das ihn eigentlich
beherrscht hat, solange er gelebt hat.
Nun, wenn wir draußen den toten Stein anschauen, aus dem toten
Stein herauswachsen sehen die Pflanzen und so weiter: Ja, meine Her-
ren, wenn man sich vorstellt, daß das immer so gewesen ist, so wie es
heute draußen ist, so ist das geradeso, als wenn Sie etwa von einem
Leichnam sagen, der war immer so, solange der Mensch auch gelebt
hat. Dasjenige, was wir als Steine heute draußen in der Welt erblicken,
was also Felsen sind, Berge sind, das ist ja geradeso wie ein Leichnam.
Das ist auch ein Leichnam! Das war nicht immer so. Und geradeso wie
1T
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 12
der Leichnam von einem Menschen nicht immer so war, wie er nun
daliegt, nachdem das Geistig-Seelische draußen ist, so war auch das-
jenige, was wir draußen erblicken, nicht immer so. Daß die Pflanzen
wachsen auf dem toten Leichnam, nämlich dem Gestein, das braucht
uns nicht zu verwundern; denn wenn der Mensch verwest, wachsen
auch allerlei kleine Pflänzchen und allerlei Tierzeug aus seinem ver-
wesenden Leichnam heraus.
Nicht wahr, daß uns das eine, das wir da draußen in der Natur
haben, schön erscheint, und daß wir das, was wir am Leichnam sehen,
wenn da allerlei Schmarotzerpflanzen herauswachsen, nicht schön fin-
den, das kommt ja nur davon, weil das eine riesig groß und das andere
klein ist. Wenn wir statt Menschen ein kleines Käferchen wären und
auf einem verwesenden Leichnam herumgehen würden, und ebenso
denken könnten wie die Menschen, so würden wir die Knochen des
Leichnams als Felsen empfinden.Wir würden in dem, was dadrinnen ver-
west, Schutt und Gestein finden, würden da, weil wir ein kleines Kä-
ferchen wären, in dem, was da herauswächst, große Wälder sehen,
würden da eine ganze Welt bewundern, sie nicht so schrecklich finden
wie jetzt.
So wie wir zurückgehen müssen beim Leichnam auf dasjenige, was
der Mensch war, bevor er gestorben ist, so müssen wir zurückgehen bei
alledem, was Erde ist und unsere Umgebung, auf dasjenige, was ein-
mal in alldem heute Toten gelebt hat, bevor eben die Erde im Großen
gestorben ist. Und ehe die Erde nicht im Großen gestorben war, konnte
es keine Menschen geben. Die Menschen sind eigentlich gewissermaßen
Schmarotzer auf der Erde. Die ganze Erde hat einmal gelebt, hat ge-
dacht - alles mögliche war sie. Und erst, als sie Leichnam wurde, konnte
sie das Menschengeschlecht schaffen. Das ist etwas, was eigentlich jeder
einsehen kann, der nur wirklich denkt. Nur will man heute nicht den-
ken. Aber man muß eben denken, wenn man auf die Wahrheit kommen
will. So daß wir uns also vorzustellen haben: Dasjenige, was heute
festes Gestein ist, wo Pflanzen herauswachsen und so weiter, das war
ursprünglich durchaus nicht so, wie es heute ist, sondern wir haben
es ursprünglich zu tun mit einem lebendigen, denkenden Weltkörper -
mit einem lebendigen, denkenden Weltkörper!
11
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 13
Ich habe oft, auch schon zu Ihnen, gesagt: Da stellt man sich heute -
was vor? Man stellt sich vor, daß ursprünglich ein riesiger Urnebel da
war, daß dieser Urnebel in Drehung gekommen ist, daß sich dann ab-
gespalten haben die Planeten, daß in der Mitte die Sonne geworden ist.
Dies wird den Kindern schon ganz von früh auf beigebracht. Und man
macht ihnen auch einen kleinen Versuch vor, aus dem das hervorgehen
soll, daß wirklich auf diese Weise alles entstanden ist. Da wird ein
kleines öltröpfchen genommen auf ein Glas Wasser, ein Kartenblatt,
eine Nadel hineingesteckt, und weil das öl auf dem Wasser schwimmt,
läßt man das so drauf schwimmen. Mit der Nadel dreht man dann das
Kartenblatt, und da spalten sich kleine öltröpfchen ab, drehen sich
weiter, und es entsteht wirklich ein kleines Planetensystem, in der
Tafel i * Mitte drinnen mit der Sonne. - Nun ja, es ist ja ganz gut, wenn man
oberhalb a u c ^ s*ck selbst vergessen kann; aber der Schullehrer sollte in diesem
der Mute Falle nicht sich selbst vergessen, sondern wenn er das macht, sollte er
auch den Kindern sagen: Es ist da draußen ein riesiger Schulmeister
im Weltenraum, der das gedreht hat! - Das ist eben die Geschichte:
man wird gedankenlos - nicht deshalb, weil die Tatsachen einem be-
fehlen, gedankenlos zu sein, sondern weil man es will. Aber dadurch
kommt man nicht zur Wahrheit. Wir müssen uns also vorstellen, daß da
nicht ein riesiger Schulmeister war, der den Weltennebel gedreht hat,
sondern daß in diesem Weltennebel selber etwas drinnen war, was sich
bewegen konnte und so weiter. Da sind wir aber wiederum beim Leben-
digen. Wenn wir uns selber drehen wollen, da brauchen wir nicht eine
Nadel durch uns durchgesteckt, durch die der Schulmeister uns dreht;
das paßt uns gar nicht - wir können uns selber drehen. Ein solcher Ur-
nebel müßte vom Schulmeister gedreht werden. Ist er aber lebendig und
kann er empfinden, denken, dann braucht er nicht den Weltenschul-
meister, sondern dann kann er die Drehung selber bewirken.
Nun müßten wir uns also vorstellen: Dasjenige, was heute tot um
uns herum ist, das war einstmals lebendig, war empfindsam, war ein
Weltwesen, wenn wir dann weiter untersuchen, sogar eine große An-
zahl von Weltwesen, und diese Weltwesen, die belebten das Ganze.
Und die ursprünglichen Zustände der Welt rühren also davon her, daß
im Stoff ein Geistiges drinnen gewesen ist.
14 * Zu den Tafelzeichnungen siehe S. 243
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 14
Sehen Sie, was liegt nun allem zugrunde, was irgendwie stofflich
ist? Denken Sie, ich habe einen Bleiklumpen in der Hand, ein Stück
Blei. Das ist fester Stoff, richtiger fester Stoff. Ja, aber wenn ich auf
ein glühendes Eisen oder auf irgend etwas Glühendes, auf Feuer, dieses
Blei lege, so wird es flüssig. Und wenn ich es noch weiter mit Feuer
bearbeite, so verschwindet mir das ganze Blei, es verdunstet dann, ich
sehe nichts mehr davon. So ist es aber bei allen Stoffen. Wovon hängt
es denn ab, daß ich einen festen Stoff habe? Es hängt davon ab, welche
Wärme in ihm ist. Wie er ausschaut, hängt nur davon ab, welche
Wärme in einem Stoffe ist.
Sie wissen, heute kann man schon die Luft flüssig machen; dann
hat man flüssige Luft. Luft, wie wir sie in unserer Umgebung haben,
ist ja nur luftförmig, gasförmig, solange eine bestimmte Wärme da ist.
Und Wasser - Wasser ist flüssig, kann aber auch Eis sein, fest sein.
Wenn man eine ganz bestimmte Kältetemperatur auf unserer Erde
hätte, so gäbe es kein Wasser, sondern Eis. Nun, gehen wir aber in un-
sere Berge hinein: Wir finden da das feste Granitgestein zum Beispiel,
anderes festes Gestein. Ja, wenn es übermäßig warm wäre, dann wäre
festes Gestein, Granit, nicht da, sondern der wäre flüssig, flösse da-
hin, wie in unseren Bächen das Wasser.
Also, was ist denn das Ursprüngliche, was macht, daß irgend etwas
fest oder flüssig oder luftförmig ist? Das macht die Wärme! Und ohne
daß die Wärme zunächst da ist, kann überhaupt nichts fest oder flüssig
sein. Wärme muß irgendwie tätig sein. Daher können wir sagen: Das-
jenige, was ursprünglich allem zugrunde liegt, ist die Wärme oder das
Feuer.
Und das zeigt auch die Geisteswissenschaft, die anthroposophische
Forschung. Diese Geisteswissenschaft, diese anthroposophische For-
schung zeigt, daß nicht ein Urnebel ursprünglich da war, ein toter Ur-
nebel, sondern daß lebendige Wärme ursprünglich da war, einfach
Wärme, die da gelebt hat.
Also, ich will annehmen einen ursprünglichen Weltenkörper, Wärme,
die gelebt hat (siehe Zeichnung Seite 17, rot). Ich habe in meiner «Ge- Tafel 1
heimwissenschaft im Umriß» diesen ursprünglichen Zustand - nicht
wahr, auf Namen kommt es nicht an, man muß einen Namen haben -
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch:354 Seite: 15
so genannt, wie er vor alten Zeiten genannt worden ist: Saturnzustand.
Es hat schon etwas zu tun mit dem Weltenkörper Saturn, aber das
wollen wir jetzt nicht berühren.
In diesem ursprünglichen Zustand, da gab es noch keine festen
Körper, keine Luft gab es dadrinnen, sondern nur Wärme; aber die
Wärme lebte. Wenn Sie heute frieren - ja, Ihr Ich friert; wenn Sie
heute schwitzen, wenn es Ihnen recht warm ist, wird Ihr Ich schwitzen,
dem wird es recht warm. Und so sind Sie in der Wärme drinnen, bald
im Warmen, bald im Kalten, aber immer in irgendeiner Wärme sind Sie
drinnen. So daß wir auch heute noch sehen am Menschen: er lebt ja in
der Wärme. Der Mensch lebt durchaus in der Wärme.
Wenn also die heutige Wissenschaft sagt: Ursprünglich war eine
hohe Wärme da -, dann hat sie in einem gewissen Sinne recht; wenn sie
aber meint, daß diese hohe Wärme tot war, so hat sie unrecht, denn es
war ein lebendes Weltenwesen da, ein richtiges lebendes Welten-
wesen.
Nun, das erste, was eingetreten ist mit dem, was da ein warmes
Weltenwesen war, das war ja Abkühlung. Abkühlen tun sich ja die
Dinge fortwährend. Und was entsteht, wenn sich irgend etwas, in dem
man noch nichts unterscheiden kann als nur Wärme, abkühlt? Da ent-
steht Luft. Die Luft ist das erste, was entsteht - Gasiges. Denn wenn
wir einen festen Körper immer weiter erhitzen, bildet sich in der
Wärme das Gas; wenn aber etwas, was noch nicht Stoff ist, von oben
herunter sich abkühlt, so bildet sich zunächst die Luft. So daß wir
also sagen können: Das zweite, was sich da bildet, ist Luftiges (siehe
Tafel 1 Zeichnung Seite 17, grün), richtiges Luftiges. Und dadrinnen, also
in dem, was sich gewissermaßen als zweiter Weltenkörper gebildet hat,
da ist alles aus Luft. Da ist noch kein Wasser, und da ist noch kein
fester Körper drinnen. Da ist alles aus Luft.
Jetzt haben wir schon den zweiten Zustand, der sich im Laufe der
Zeit gebildet hat. Und in diesem zweiten Zustand, da entsteht - aber
neben dem, was ursprünglich da war - schon etwas anderes. Die heu-
tige Sonne ist nicht so, ich habe aber doch in meiner «Geheimwissen-
schaft» das Sonne genannt, eine Art Sonnenzustand, weil es ein warmer
Luftnebel war. Ich habe Ihnen auch schon gesagt: Die heutige Sonne
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch: 35 4 Seite: 1 €
ist das nicht; aber die ist auch nicht das, was ursprünglich dieser zweite
Weltenkörper war. So also bekommen wir einen zweiten Weltenkörper,
der sich aus dem ersten heraus bildet; der erste ist bloß warm, der
zweite ist schon luftförmig.
Nun aber, in der Wärme kann der Mensch als Seele leben. Warme
macht auf die Seele den Eindruck der Empfindung, aber sie zerstört
die Seele nicht. Sie zerstört aber das Körperliche. Wenn ich also ins
Feuer geworfen werde, so wird mein Körper zerstört. Meine Seele
wird dadurch, daß ich ins Feuer geworfen werde, nicht zerstört. Dar-
über werden wir noch genauer reden, denn die Frage erfordert natür-
lich Ausführliches. Nun, deshalb konnte auch der Mensch als Seele
schon leben, als nur dieser erste Zustand, der Saturnzustand da war.

Sat\jrr\ 5onne Mond £rOß

#*m #m
Memch Menxch
Tier Tier /ißt*
Pflanze pflanze

Da konnte der Mensch schon leben. Das Tier konnte da noch nicht
leben, aber der Mensch konnte da schon leben. Das Tier konnte da
noch nicht leben, weil beim Tiere, wenn das Körperliche zerstört wird,
das Seelische mit beeinträchtigt wird. Beim Tier hat das Feuer auf das
Seelische einen Einfluß. So daß wir bei diesem ersten Zustande anneh-
men: Der Mensch ist schon da, das Tier noch nicht. Als diese Umwand-
lung (Sonnenzustand) stattgefunden hat, war Mensch und Tier da.
Das ist eben das Merkwürdige, daß nicht eigentlich die Tiere ursprüng-
o
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 17
lieh da waren und der Mensch aus ihnen entstanden ist, sondern daß
der Mensch ursprünglich da war und nachher die Tiere, die sich ge-
bildet haben aus demjenigen, was nicht Mensch werden konnte. Der
Mensch war natürlich nicht so als ein Zweifüßler herumgehend da,
als nur Wärme da war, selbstverständlich nicht. Er lebte in der Wärme,
war ein schwebendes Wesen, lebte nur im Wärmezustand. Dann, als
sich das umwandelte und ein luftförmiger Wärmekörper entstand, da
bildeten sich neben dem Menschen die Tiere, da traten die Tiere auf.
Also die Tiere sind schon verwandt mit dem Menschen, aber sie ent-
stehen eigentlich erst später als der Mensch entstehen kann im Lauf
der Weltentstehung.
Was tritt jetzt weiter ein? Weiter tritt das ein, daß die Wärme noch
mehr abnimmt. Und wenn die Wärme noch mehr abnimmt, dann bil-
det sich nicht nur Luft, sondern auch Wasser. So daß wir also einen
Tafel 1 dritten Weltenkörper haben (Zeichnung, gelb). Ich habe ihn - aus dem
Grunde, weil er ähnlich sieht unserem Mond, aber doch nicht dasselbe
ist - Mond genannt. Er ist nicht dasselbe wie der heutige Mond, aber
etwas Ähnliches. Da haben wir also einen wässerigen Körper, einen
richtig wässerigen Körper. Natürlich bleiben Luft und Wärme dabei,
aber was da noch nicht vorhanden war beim zweiten Weltenkörper,
das Wasser, das tritt jetzt auf. Und jetzt, weil Wasser auftritt, kann
da sein: der Mensch, der schon früher da war, das Tier, und aus dem
Wasser heraus schießen die Pflanzen auf, die ursprünglich nicht in der
Erde wuchsen, sondern im Wasser wuchsen. Also da schießen heraus
Mensch, Tier und Pflanze.
Sehen Sie, die Pflanzen wachsen ja scheinbar aus der Erde heraus.
Wenn aber die Erde gar kein Wasser enthält, dann wachsen keine
Pflanzen heraus; die Pflanze braucht zu ihrem Wachstum eben das
Wasser. Es gibt ja auch Wasserpflanzen. So müssen Sie sich die ur-
sprünglichen Pflanzen vorstellen wie die heutigen Wasserpflanzen -
sie schwammen im Wasser drinnen —, wie Sie sich auch die Tiere vor-
stellen müssen mehr als schwimmende Tiere, und gar hier, im zweiten
Zustand, mehr als fliegende Tiere.
Von allem, was ursprünglich da war, ist eben etwas zurückgeblie-
ben. Weil ursprünglich, als der Sonnenzustand da war, als nur Mensch
18
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 18
und Tier da war, alles nur fliegen konnte - denn es war ja nichts zum
Schwimmen da, es konnte nur alles fliegen -, und weil die Luft zu-
rückgeblieben ist, auch jetzt noch, haben diese fliegenden Wesen Nach-
kommen gefunden. Unser heutiges Vogelgeschlecht, das sind die Nach-
kommen der ursprünglichen Tiere, die da entstanden sind im Sonnen-
zustand. Nur waren sie dazumal nicht so wie heute. Dazumal waren
sie nur aus Luft bestehend; luftartige Wolken waren diese Tiere. Hier
(Mondenzustand) haben sie sich dann das Wasser eingegliedert. Und
heute, meine Herren - ja, schauen wir uns nur einmal einen Vogel an! Tafel i
Der Vogel wird heute zum größten Teil recht gedankenlos angeschaut.
Wenn wir die Tiere, die da vorhanden waren während des Sonnenzu-
standes, uns vorstellen sollen, müssen wir sagen: Die waren nur aus
Luft; die waren schwebende Luftwolken. Wenn man sich heute einen
Vogel anschaut: Dieser Vogel hat hohle Knochen, und in den hohlen
Knochen ist überall Luft drinnen! Es ist sehr interessant, den heutigen
Vogel auf das hin anzuschauen: Überall drinnen in diesem Vogel, in die
Knochen hinein, überall hinein ist Luft. Denken Sie sich weg alles, was
nicht Luft ist, so kriegen Sie nur ein Luftiges: den Vogel. Und hätte er
nicht diese Luft, so könnte er überhaupt nicht fliegen. Der Vogel hat hohle
Knochen, und dadrinnen ist er ein Luftvogel. Das erinnert noch an den
Zustand, wie es früher war. Das andere hat sich erst ringsherum gebildet
in der späteren Zeit. Die Vögel sind wirklich die Nachkommen dieses
Zustandes.
Schauen Sie sich den heutigen Menschen an: Er kann in der Luft
leben; fliegen kann er nicht, dazu ist er zu schwer. Er hat nicht wie der
Vogel hohle Knochen gebildet, sonst könnte er auch fliegen. Und dann
würden sich nicht bloß Schulterblätter bei ihm finden, sondern die
Schulterblätter würden auslaufen in Flügel. Der Mensch hat nur noch
die Ansätze von Flügeln da oben in den Schulterblättern; wenn die
auswachsen würden, würde der Mensch fliegen können.
Also der Mensch lebt in der umgebenden Luft. Diese Luft muß aber
Wasserverdunstung enthalten. In der bloß trockenen Luft kann der
Mensch nicht leben. Also Flüssigkeit muß da sein und so weiter. Aber
es gibt ja einen Zustand, in dem der Mensch nicht in der Luft leben
kann: das ist der Zustand während der Keimeszeit, während der Em-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 19
bryonalzeit. Man muß sich also diese Dinge nur richtig anschauen.
Während der Embryonalzeit bekommt dasjenige, was Menschenkeim
ist - man nennt es Menschenembryo -, die Luft und alles, was es
braucht, aus dem Leib der Mutter. Da muß es sein in einem Lebendigen
drinnen.
Nun sehen Sie, die Sache ist aber so: Wenn der Mensch als Keim-
wesen noch im Leibe der Mutter ist und herausoperiert wird, da kann
er noch nicht In der Luft leben. Während des Keimzustandes ist also
der Mensch darauf angewiesen, in einer lebendigen Umgebung zu le-
ben. Und in diesem Zustand, wo es zwar Mensch, Tier und Pflanze gab,
wo es jedoch noch nicht so war wie in der heutigen Welt, weil es da
noch keine Steine gab, keine Mineralien, da war noch immer alles le-
bendig, da lebte der Mensch in diesem Lebendigen drinnen, geradeso
wie er heute im Mutterleibe lebt. Nur wuchs er natürlich größer aus.
Denken Sie sich, wenn wir nicht geboren werden müßten und in der
Luft leben müßten, selber atmen müßten, so würde ja unsere Lebens-
zeit mit der Geburt zu Ende sein. Wir könnten als Embryo, als Keim
nur zehn Mondmonate leben. Es gibt ja solche Wesen, die nur zehn
Mondmonate leben; die würden nicht an die äußere Luft herankom-
men, sondern aus dem Inneren, aus dem Lebendigen das bekommen.
So war es mit dem Menschen vor langer Zeit. Er wurde zwar älter,
aber er kam nie aus dem Lebendigen heraus. Wäre dieser Zustand ge-
blieben, er lebte noch immer darin. Der Mensch schritt nicht vor bis
zur Geburt, sondern er lebte als Keim. Und dann war noch kein Mine-
ral da, kein Stein da.
Wenn Sie heute den Menschen sezieren, so haben Sie seine Knochen;
dadrinnen finden Sie ebenso den kohlensauren Kalk, wie Sie ihn hier
finden im Jura. Da ist zwar das Mineral drinnen - das war damals
noch nicht drinnen ~, aber im Embryo, namentlich in den ersten Mona-
ten, ist auch noch kein Mineral eingelagert, sondern da ist alles noch
geformte Flüssigkeit, nur ein bißchen verdicklicht. Und so war es
wahrend dieses Zustandes, daß der Mensch noch nicht knochig war,
sondern höchstens nur knorpelig war. Und so haben wir hier einen
Menschen, an den uns nur noch dasjenige erinnert, was heute Men-
schenkeim ist. Warum kann der Menschenkeim nicht gleich außer dem
in
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 2 0
Leibe der Mutter entstehen? Weil heute die Welt eine andere gewor-
den ist. Während der alte Mond bestanden hat - ich will es jetzt den
alten Mond nennen, es ist nicht der heutige Mond, sondern das, was
die Erde früher war —, während der alte Mond bestanden hat, war die
ganze Erde ein Mutterleib, innerlich lebendig, ein richtiger Mutter-
leib. Und Steine und Mineralien gab es noch nicht. Alles war ein rie-
siger Mutterleib. So daß wir sagen können: Unsere heutige Erde ist
aus diesem riesigen Mutterleib hervorgegangen.
Noch früher, da war überhaupt auch dieser riesige Mutterleib nicht
da; sondern noch früher, was war denn da vorhanden? Ja, noch früher,
war eben, ich möchte sagen, das Frühere. Jetzt überlegen wir uns ein-
mal, was das Frühere ist! Sehen Sie, der Mensch, wenn er im Mutter-
leibe entstehen soll, wenn er ein Menschenkeim werden soll, muß ja
zuerst empfangen werden. Da findet die Konzeption, die Empfängnis
statt. Aber geht denn der Konzeption nicht etwas voraus? Der Kon-
zeption geht voraus dasjenige, was bei der Frau die monatliche Periode
ist. Da findet im weiblichen Organismus ein ganz besonderer Vorgang
statt, der mit Ausstoßung von Blut verknüpft ist. Aber das ist ja nicht
das einzige. Das ist ja nur das Physische davon, wenn das Blut ausge-
stoßen wird. Jedesmal, wenn das Blut ausgestoßen wird, wird etwas
Geistig-Seelisches, etwas, was geistig-seelisch bleibt, mitgeboren, das
es nur nicht, weil keine Empfängnis stattfindet, bis zum physischen
Körper bringt, sondern das geistig-seelisch bleibt, ohne daß es zum
physischen Menschenkörper wird. Dasjenige, was da vor der Emp-
fängnis schon da sein muß, das war während des Sonnenzustandes da!
Da war die ganze Sonne, diese ganzen Vorgänge der Erde, noch ein
Weltenwesen, das von Zeit zu Zeit ein Geistiges ausstieß. Und so leb-
ten Mensch und Tier im luftförmigen Zustande, ausgestoßen von die-
sem ganzen Körper. So daß also zwischen diesem Zustand (siehe Zeich- Tafel 1
nung, Sonne) und diesem Zustand (Mond) das eintritt, daß überhaupt
der Mensch ein physisches Wesen wurde im Wasser. Vorher war er
ein physisches Wesen nur in der Luft. Auch während dieses Zustandes
(Mond), da war es zum Beispiel so, daß etwas Ähnliches da war wie die
Empfängnis, aber noch nicht etwas Ähnliches wie die Geburt. Und wie
war diese Empfängnis, währenddem dieser alte Mondenzustand da war?
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 21
Ja, meine Herren, der Mond ist da ein ganz weibliches Wesen; diesem
ganz weiblichen Wesen, dem stand nicht gegenüber zunächst ein männ-
liches Wesen, aber es stand ihm gegenüber alles, was außerhalb seines
Weltenkörpers in der Zeit noch da war. Dieser Weltenkörper war ja
da; aber außer ihm waren auch viele andere Weltenkörper; die hatten
einen Einfluß. Und jetzt kommt die Zeichnung heraus, die ich schon
einmal da gemacht habe.
Also es war da dieser Weltenkörper, ringsherum die anderen Wel-
tenkörper, und diese hatten Einfluß in der verschiedensten Weise; von
außerhalb kamen die Keime herein und befruchteten die ganze Mond-
erde. Und wenn einer von Ihnen damals schon hätte leben können und
hingekommen wäre und er hätte diesen ursprünglichen Weltenkör-
per betreten, so würde er nicht gesagt haben, wenn er wahrgenommen
hätte: Da herein kommen allerlei Tropfen -, er würde nicht gesagt ha-
ben: Es regnet - heute sagen Sie: Es regnet -, damals würden Sie ge-
Tafel 1 sagt haben: Die Erde wird befruchtet! - Und so gab es Jahreszeiten,
"bS w0 v o n überallher die Befruchtungskeime kamen, und andere Jahres-
zeiten, wo die Sache ausreifte, wo die Befruchtungskeime nicht kamen.
So daß also dazumal eine Weltbefruchtung war. Aber der Mensch
wurde nicht geboren, sondern nur befruchtet; er wurde nur durch
Empfängnis hervorgerufen, und die Menschen kamen eben aus dem
Ganzen des Erdenkörpers, wie er dazumal als Mondkörper war, her-
aus. Und ebenso wirkte die Befruchtung für Tier und Pflanzen aus
der ganzen Weltumgebung herein.
Nun, sehen Sie, aus alledem, was da jetzt lebt als Mensch, Tier und
Pflanze, aus alldem entsteht durch weitere Abkühlung eine spätere
Verhärtung. Da (Mondenzustand) haben wir es noch mit Wasser zu
tun, und höchstens durch weitere Abkühlung eine spätere Verhärtung.
Da (Erde) kommt das Feste heraus, das Mineralische. So daß wir einen
Tafel 1 vierten Zustand haben (siehe Zeichnung Seite 17, blau): der ist unsere
Erde, so wie wir sie heute haben, und der enthält Mensch, Tier, Pflanze,
Mineral.
Meine Herren, betrachten wir jetzt einmal, wie es auf der Erde ge-
Tafel l worden ist, sagen wir mit einem Vogel. Der Vogel war hier noch,
oben während der Zeit (im Sonnenzustand), ein reiner Luftibus, da bestand
22
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 22
er nur aus Luft, als solche Luftmasse schwebte er dahin. Jetzt während
dieser Zeit (Mondenzustand) wird er wässerig, dicklich-wässerig, und Tafel 1
es schwebten eisartige Wolken dahin - nur nicht wie unsere Wolken °J£ts
sind, sondern so, daß die Gestalt schon drinnen war. Was bei uns nur
ungeformte Wasserbildungen sind, das waren dazumal geformte Was-
serbildungen; das hatte so Skelettform, aber es war nur Wasserbildung.
Und jetzt kommen die Mineralien; jetzt gliedert sich in dasjenige, was
nur Wasserbildung ist, das Mineralische herein, kohlensaurer Kalk,
phosphorsaurer Kalk und so weiter. Das geht dem Skelett entlang; da
bilden sich die festen Knochen hinein. So haben wir zuerst den Luft-
vogel, dann den wässerigen Vogel und zuletzt den festen Erdenvogel.
Beim Menschen konnte das nicht so gehen. Der Mensch konnte sich
nicht einfach eingliedern dasjenige, was nur als Mineral entstand wäh-
rend seiner Keimzeit. Der Vogel kann das. Warum kann er das? Sehen
Sie, der Vogel, der hat hier (Sonnenzustand) seine Luftgestalt bekom-
men ; er lebt dann den Wasserzustand durch. Jetzt hat er nötig, das Mine-
ralische, während er im Keim ist, nicht zu stark an sich herankommen
zu lassen. Denn wenn zu früh dieses Mineral an ihn herankommt, dann
wird er eben ein Mineral, dann verhärtet er. Der Vogel ist also jetzt,
während er entsteht, noch gewissermaßen wässerig und flüssig; das
Mineralische will aber schon heran. Was tut der Vogel? Ja, er weist
es zunächst ab, er macht es um sich herum: er macht um sich herum die
Eischale! Da ist das Mineralische. Die Eischale bleibt so lange, als der
Vogel innerlich das Mineralische von sich fernhalten muß, also flüssig
bleiben muß. Woher kommt das beim Vogel? Das kommt beim Vogel
daher, daß er erst entstanden ist beim zweiten Zustand der Erde. Wäre
er beim ersten dagewesen, so wäre er gegen die Wärme viel empfind-
licher, als er es schon ist. Er ist gegen die Wärme nicht so empfindlich,
weil er während des ersten Wärmezustandes noch nicht da war. Jetzt
kann er dadurch, daß er damals noch nicht da war, die feste Eischale
um sich herum bilden.
Der Mensch war während des ersten Wärmezustandes schon da und
kann daher das Mineral nicht abhalten, solange er im Keimzustande
ist; er kann keine Eischale bilden. Daher muß er anders organisiert
werden. Er muß etwas Mineralisches schon aus dem Mutterleibe auf-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 23
nehmen; deshalb haben wir die Mineralbildung schon am Ende des
Keimzustandes da. Er muß aus dem Mutterleib etwas Mineralisches
aufsaugen. Da muß aber doch erst der Mutterleib das Mineral haben,
das sich absondern kann. Es muß sich also beim Menschen das Minera-
lische ganz anders eingliedern als beim Vogel. Der Vogel hat luft-
durchsetzte Knochen, wir haben markdurchsetzte Knochen. Wir haben
Mark in den Knochen - ganz anders als der Vogel, nicht luftdurchsetzt
wie der Vogel. Dadurch, daß wir solches Mark haben, dadurch hat die
Mutter eines Menschen die Möglichkeit, innerlich schon Mineralisches
an den Menschen abzugeben. Aber in der Zeit, in der nun Mineralisches
abgegeben wird, kann der Mensch nicht mehr leben in der mütterlichen
Umgebung; da muß er nach und nach geboren werden. Da muß er erst
dann herankommen an das Mineralische. Beim Vogel haben wir das
Geborenwerden nicht, sondern ein Auskriechen aus der Eischale - beim
Menschen das Geborenwerden, ohne daß eine Eischale auftritt. Wa-
rum? Weil der Mensch eben früher entstanden ist, so kann bei ihm alles
durch Wärme und nicht durch Luft abgemacht werden.
Sie sehen daraus diesen Unterschied, der heute noch da ist, den man
heute noch beobachten kann, den Unterschied zwischen einem Ei-Tier
und einem solchen Wesen, das wie der Mensch ist oder auch wie die
höheren Säugetiere. Dieser Unterschied beruht darauf, daß der Mensch
viel älter ist als zum Beispiel das Vogelgeschlecht, vor allen Dingen
viel älter ist als die Mineralien. Daher muß er vor der Mineralnatur,
wenn er noch ganz jung ist, während seiner Keimzeit im Mutterleib
geschützt werden, und es darf ihm nur das zubereitete Mineralische ge-
geben werden, was durch den mütterlichen Leib kommt. Ja, es muß
ihm sogar noch dasjenige, was durch den mütterlichen Leib zubereitet
wird an Mineralischem, nach der Geburt eine Zeitlang verabreicht
werden in der Muttermilch! Während der Vogel gleich geatzt werden
kann mit äußeren Stoffen, muß der Mensch und das höhere Tier ge-
nährt werden mit demjenigen, was auch nur durch den mütterlichen
Leib kommt.
Und nun ist die Sache so: Dasjenige, was im heutigen Erdenzustand
der Mensch hat durch den mütterlichen Leib, das hatte er durch die
Luft, durch die Umgebung während des früheren Zustandes. Da war

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 2 4


einfach dasjenige, was der Mensch das ganze Leben hindurch um sich
hatte, milchartig. Heute ist unsere äußere Luft so, daß sie Sauerstoff Tafel 1
und Stickstoff enthält und verhältnismäßig nur wenig Kohlenstoff und
Wasserstoff, und vor allen Dingen sehr, sehr wenig Schwefel. Die sind
weggegangen. Wie noch dieser Zustand da war (Mondenzustand), da
war es anders; da war in der Umgebung nicht bloß eine Luft, die aus
Sauerstoff und Stickstoff bestand, sondern dawaren noch dabei Wasser-
stoff und Kohlenstoff und Schwefel. Das gab aber einen Milchbrei
um den Mond herum, um diesen alten Mond, einen ganz dünnen Milch-
brei, in dem gelebt wurde. Aber in einem dünnen Milchbrei lebt der
Mensch auch heute noch, wenn er ungeboren ist! Denn nachher erst
geht, wenn der Mensch geboren ist, die Milch in die Brust herein; vor-
her geht sie in dem weiblichen Körper in diejenigen Teile hinein, wo
der Menschenkeim liegt. Und das ist das Eigentümliche, daß diejenigen
Vorgänge, die im mütterlichen Organismus vor der Geburt nach der
Gebärmutter hingehen, nachher weiter herauf in die Brüste gehen. Und
so haben wir heute noch beim Menschen den Mondzustand erhalten,
bevor er geboren wird, und den eigentlichen Erdenzustand von dem
Moment an, wo der Mensch geboren wird, wo nur noch das Monden-
hafte in der Milchernährung etwas nachdämmert.
So muß man eigentlich die Dinge, die mit der Erdenentstehung und
der Menschenentstehung zusammenhängen, erklären. Und es kann der
Mensch heute, wenn er nicht an eine Geisteswissenschaft herandringt,
sich gar nicht enträtseln, warum der Vogel aus einem Ei ausschlüpft
und gleich mit äußeren Stoffen genährt werden kann, während der
Mensch nicht aus einem Ei ausschlüpfen kann, sondern aus dem mütter-
lichen Leibe selber kommen muß und noch mit Muttermilch genährt
werden muß. Warum? Ja, weil der Vogel später entstanden ist; er ist
also ein äußerliches Wesen. Der Mensch ist früher entstanden und war,
als dieser Zustand da war, eigentlich noch nicht so weit verhärtet, als
der Vogel es ist. Daher ist er auch heute noch nicht so weit verhärtet,
muß noch mehr geschützt werden, hat noch viel mehr von ursprüng-
lichen Zuständen in sich.
Sehen Sie, weil man über so etwas heute überhaupt nicht mehr
richtig nachdenken kann, mißversteht man dasjenige, was als Pflan-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 25
zen, Tiere und Menschen auf der Erde ist. Da ist der materialistische
Darwinismus entstanden, der glaubte, zuerst wären die Tiere dage-
wesen und dann der Mensch — der hätte sich einfach aus den Tieren
entwickelt. Wahr ist an der Sache, daß der Mensch mit den Tieren
verwandt ist seiner äußeren Gestalt nach. Aber der Mensch war
früher da und das Tier hat sich eigentlich später herausgebildet, als
schon ein Verwandlungszustand in der Welt da war. Und so können
wir sagen: Die Tiere stellen schon dar einen Zustand von Nachkom-
menschaft dessen, was früher da war, wo das Tier noch verwandter
war mit dem Menschen. Aber wir dürfen uns niemals vorstellen, daß
aus den heutigen Tieren heraus Menschen werden können. Das ist eben
eine durchaus falsche Vorstellung.
Nun, schauen wir uns jetzt nicht das Vogelgeschlecht an, sondern
schauen wir uns das Fischgeschlecht an. Das Vogelgeschlecht war für
die Luft entstanden, das Fischgeschlecht, das ist fürs Wasser entstan-
den. Erst als dieser Zustand da war, den ich da den Mondenzustand
nenne, erst da bildeten sich gewisse frühere luftartige Vogelwesen so
um, daß sie durch das Wasser fischähnlich wurden. So also kamen
Tafel i zu dem, was hier (auf die Zeichnung deutend) vogelartig war, die Fische
recht" dazu. Di e Fische sind, ich möchte sagen, verwässerte Vögel, vom Was-
ser aufgenommene Vögel. Wir können daraus ablesen, daß die Fische
später entstanden sind wie die Vögel; sie sind erst entstanden, als schon
das wässerige Element da war. Die Fische entstehen also während der
alten Mondenzeit.
Und jetzt werden Sie sich auch gar nicht mehr verwundern: Was
überhaupt da wässerig herumschwamm während der alten Monden-
zeit, das schaute alles fischähnlich aus. Die Vögel schauten ja früher
auch, trotzdem sie in der Luft flogen, fischähnlich aus, nur daß sie
eben leichter waren. Und alles schaute fischähnlich aus in der alten
Mondenzeit. Und nun ist es interessant, meine Herren, wenn wir heute
einen Menschenkeim anschauen, so am einundzwanzigsten, zweiund-
zwanzigsten Tage nach der Befruchtung - wie schaut er denn da aus?
Tafel i Da schwimmt er in diesem Wässerigen drinnen, das im Mutterleibe ist,
ltte
unten
und ausschauen tut er nämlich dann so (es wird gezeichnet): richtig wie
ein kleines Fischlein! Diese Gestalt, die der Mensch richtig hatte wäh-
26
C o p y r i g h t Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite:26
rend der Mondenzeit, die hat er da noch in der dritten Woche der
Schwangerschaft; die hat er sich bewahrt.
So daß Sie also sagen können: Der Mensch arbeitet sich erst heraus
aus dieser alten Mondgestalt, und wir können es heute noch an dieser
Fischgestalt sehen, die er im Mutterleibe hat, wie er sich da heraus-
arbeitet. Überall, wenn wir die heutige Welt beobachten, können wir
sehen, wie das frühere Leben war - so wie wir wissen, daß bei einem
Leichnam das frühere Leben da war. So schilderte ich Ihnen ja heute
dasjenige, was mineralisch auf der Erde entstanden ist, wie es früher
war. Geradeso wie wir beim Leichnam sehen: er kann die Beine nicht
mehr bewegen, die Hände nicht mehr bewegen, der Mund kann nicht
mehr aufgemacht werden, die Augen nicht mehr aufgeschlagen werden,
es ist alles unbeweglich geworden - das führt uns aber zurück in einen
Zustand, wo alles beweglich war, die Beine beweglich, die Arme be-
weglich, die Hände beweglich, die Augen konnten aufgetan werden -,
geradeso schauen wir hier auf einen Erdenleichnam, der übrig ist von
einem Lebendigen, in dem die Menschen noch herumwandeln und die
Tiere, und wir schauen zurück, wie die ganze Erde einmal lebendig
war.
Aber es geht noch weiter, meine Herren. Sehen Sie, ich sagte Ihnen:
Wenn die Empfängnis da ist, so ist die Anlage zum physischen Men-
schen da, so bildet sich allmählich der Embryo. Was dem vorangeht,
das habe ich Ihnen geschildert: Alles, was im weiblichen Organismus
vorgeht, was sich in der Periode abstoßt, was aber im Geiste auch zu
einem Ausstoßen wird. Ja, bei diesem Vorgang ist immer etwas - wenn
es auch bei gesunden Frauen nicht bemerkbar wird, wenn sie sich auch
aufrecht erhalten, wenn sie gesunde Frauen sind -, aber es ist immer
etwas von Fieber vorhanden, richtig etwas von Fieber vorhanden.
Warum denn? Ja, weil ja ein Wärmezustand da ist; da lebt die Frau
in der Wärme. Was ist das für ein Wärmezustand?
Das ist derjenige Wärmezustand, der sich erhalten hat von diesem
alten ersten Zustand, den ich hier Saturn genannt habe! Da lebt noch die-
ser Fieberzustand fort. So daß wir sagen können: Diese ganze Entwik-
kelung ging aus von einer Art Fieberzustand unserer Erde, und die Ab-
kühlung, die brachte erst dieses Fieber fort. Heute sind die meisten Men-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 7


sehen durchaus nicht mehr fiebrig, sondern recht trocken und nüchtern.
Aber wenn noch etwas, jetzt nicht durch äußere Wärme, aber innerlich
auftritt, so daß wir mehr ähnlich werden einem inneren Leben, wie es
in der Wärme ist, wenn da innerlich durch die Wärme etwas auftritt,
dann kommen wir auch noch ins Fiebrige hinein.
Und so ist es schon, meine Herren: Man sieht überall noch an den
Zuständen des heutigen Menschen, wie man zurückgehen kann in alte
Zustände. Und so habe ich Ihnen also heute geschildert, wie nach und
nach sich entwickelte Mensch, Tier, Pflanze, Mineral, indem der Wel-
tenkörper, auf dem sich das entwickelte, immer fester und fester wird.
Das wollen wir dann - heute ist Montag - am nächsten Mittwoch um
neun Uhr weiter besprechen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 8


ZWEITER VORTRAG

Dornach, 3. Juli 1924

Guten Morgen, meine Herren! Nun will ich heute weiterreden über
Erdenschöpfung, Menschenentstehung und so weiter. Es ist Ihnen ja
wohl klargeworden aus dem, was ich Ihnen'gesagt habe, daß unsere
ganze Erde ursprünglich nicht so war, wie sie sich heute darstellt, wie
sie heute ist, sondern sie war eine Art von Lebewesen. Und wir haben
ja den vorletzten Zustand vor dem eigentlich irdischen Zustand, den
wir besprochen haben, dadurch kennengelernt, daß wir sagen mußten:
Wärme war da, Luft war da, Wasser war auch da; aber es war noch
nicht eigentliche feste mineralische Erdenmasse da. Nur müssen Sie
sich nicht vorstellen, daß das Wasser, das dazumal da war, schon so
aussah wie das heutige Wasser. Das heutige Wasser ist ja erst so gewor-
den dadurch, daß diejenigen Stoffe, die vorher im Wasser aufgelöst
waren, sich aus dem Wasser heraus abgeschieden haben. Wenn Sie heute
nur ein ganz gewöhnliches Glas Wasser nehmen, etwas Salz hineinge-
ben, so löst sich das Salz im Wasser auf; Sie bekommen eine Flüssig-
keit, eine Salzlösung, wie man sagt, die viel dicker ist als das Wasser.
Wenn Sie hineingreifen, spüren Sie die Salzlösung viel dichter als das
Wasser. Nun ist aufgelöstes Salz verhältnismäßig noch dünn. Es kön-
nen auch andere Stoffe aufgelöst werden; dann kriegt man eine ganz
dickliche Flüssigkeit. So daß also dieser Flüssigkeits-, dieser Wasser-
zustand, der einmal auf unserer Erde in früheren Zeiten da war, nicht
heutiges Wasser darstellt. Das gab es überhaupt dazumal nicht, da in
allen Wassern Stoffe aufgelöst waren. Denken Sie doch: Alles dasjenige,
was Sie in heutigen Stoffen drinnen haben, das Jurakalkgebirge zum
Beispiel, das war aufgelöst dadrinnen; alles dasjenige, was Sie in här-
teren Gesteinen haben, die Sie nicht mit dem Messer ritzen können —
Kalk können Sie immer noch ritzen mit dem Stahlmesser -, das war
auch aufgelöst im Wasser. Man hat es also während dieser alten Mon-
denzeit mit einer dicklichen Flüssigkeit zu tun, in der alle Stoffe, die
heute fest sind, aufgelöst enthalten waren.
Das heutige dünne Wasser, das im wesentlichen aus Wasserstoff und

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 29


Sauerstoff besteht, das hat sich erst später abgeschieden. Das ist erst
entstanden während der Erdenzeit selber. So daß wir also einen ur-
sprünglichen Zustand der Erde haben, der ein verdicklicht Flüssiges
darstellt. Und ringsherum haben wir dann auch eine Art von Luft,
aber wir haben keine solche Luft gehabt wie heute. Gerade wie das
Wasser nicht so ausgeschaut hat wie unser heutiges Wasser, so war auch
die Luft nicht so wie unsere heutige. Unsere heutige Luft enthalt ja im
wesentlichen Sauerstoff und Stickstoff. Die anderen Stoffe, die die
Luft noch enthält, sind in sehr geringer Menge noch vorhanden. Es sind
sogar Metalle als Metalle eigentlich noch in der Luft vorhanden, aber
in furchtbar geringen Mengen. Sehen Sie, es ist zum Beispiel ein Metall,
das Natrium heißt, in geringen Mengen in der Luft enthalten; überall,
wo wir sind, ist das Natriummetall. Nun denken Sie aber doch, was
das heißt, daß Natrium überall ist, das heißt, daß der eine Stoff, der
in Ihrem Salz ist, wenn Sie auf dem Tisch Salz haben, in kleinen Men-
gen überall vorhanden ist.
Sehen Sie, es gibt zwei Stoffe - das eine ist dieser Stoff, den ich
Tafel 2 Ihnen jetzt angeführt habe, das Natrium, das in ganz kleiner Menge
überall in der Luft vorhanden ist; und dann gibt es einen Stoff, der gas-
förmig ist, und der spielt besonders eine große Rolle, wenn Sie Ihre
Wäsche bleichen: das ist das Chlor. Das bewirkt das Bleichen. Nun,
sehen Sie, das Salz, das Sie auf dem Tisch haben, das besteht aus die-
sem Natrium und aus dem Chlor, ist aus diesen zusammengesetzt. So
kommen die Dinge in der Natur zustande.
Sie können fragen: Ja, wie weiß man, daß Natrium überall ist? -
Ja, sehen Sie, es gibt heute schon die Möglichkeit, wenn man irgendwo
eine Flamme hat, nachzuweisen, was für ein Stoff in dieser Flamme
verbrennt. Wenn Sie zum Beispiel, sagen wir, dieses Natrium, das man
metallisch kriegen kann, pulverisieren und in eine Flamme hineinhal-
ten, so können Sie dann mit einem Instrument, das man das Spek-
troskop nennt, eine gelbe Linie darinnen finden. Es gibt zum Beispiel
ein anderes Metall, das heißt Lithium; wenn Sie das in die Flamme hin-
einhalten, so bekommen Sie eine rote Linie; da ist die gelbe nicht da,
da ist die rote Linie da. Man kann also schon nachweisen mit dem Spek-
troskop, was für ein Stoff irgendwo vorhanden ist. Die gelbe Natrium-
copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 3 0
linie bekommen Sie fast aus jeder Flamme; das heißt, wenn Sie irgend-
wo, ohne daß Sie Natrium hineintun, eine Flamme anzünden, so krie-
gen Sie da die Natriumlinie in jeder Flamme. Also dieses Natrium ist
heute noch in einer Flamme. Aber von allen diesen Metallen, nament-
lich aber vom Schwefel, waren früher riesige Mengen hier in der Luft
vorhanden- So daß die Luft in jenem alten Zustand sozusagen höchst
schwefelhaltig war, ganz ausgeschwefelt war. Wie wir also ein dick-
liches Wasser haben - wenn man nicht besonders schwer gewesen
wäre, hätte man spazieren gehen können auf diesem Wasser; es ist so
wie rinnender Teer zuweilen gewesen -, so ist die Luft auch dicker ge-
wesen, so dick, daß man mit den heutigen Lungen darin nicht hätte
atmen können. Die Lungen haben sich aber erst später gebildet. Die
Lebensweise derjenigen Wesen, die dazumal da waren, war eine we-
sentlich andere.

/////?///,. Tafel 2

ffitii

Nun, so müssen Sie sich vorstellen, daß die Erde einmal ausgesehen
hat. Hätten Sie sich mit heutigen Augen auf dieser Erde befunden, dann
würden Sie auch nicht auf eine solche Ansicht gekommen sein, daß
da draußen Sterne sind, Sonne und Mond sind; denn die Sterne hätten
Sie nicht gesehen, sondern Sie hätten eben in ein unbestimmtes Luft-
meer hineingeschaut, das aufgehört hätte nach einiger Zeit. Man wäre
sozusagen, wenn man dazumal mit den heutigen Sinnesorganen hätte
leben können, wie in einem Weltenei drinnen gewesen, über das man
nicht hinausgesehen hätte. Wie in einem Weltenei drinnen wäre man
gewesen! Und Sie können sich schon vorstellen, daß dann auch die
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch:354 Seite: 31
Erde dazumal anders ausgesehen hat: ganz ausgefüllt mit einem riesigen
Eidotter, einer dicklichen Flüssigkeit, und mit einer ganz dicklichen
Luftumgebung - das ist das, was heute das Eiweiß im Ei darstellt.
Wenn Sie sich das ganz real vorstellen, was ich Ihnen da schildere,
so werden Sie sich sagen müssen: Ja, dazumal konnten solche Wesen
nicht leben, wie es die heutigen Wesen sind. Denn, natürlich, solche
Wesen, wie die heutigen Elefanten und dergleichen, aber auch Men-
schen in der heutigen Gestalt, die wären da sozusagen versunken;
außerdem hätten sie nicht atmen können. Und weil sie da nicht hätten
atmen können, haben sie ja auch nicht Lungen in der heutigen Gestalt
gehabt. Diese Organe bilden sich ganz in dem Sinne, wie sie gebraucht
werden. Das ist das Interessante, daß ein Organ gar nicht da ist, wenn
es nicht gebraucht wird. Also Lungen haben sich erst in dem Maße
entwickelt, in dem die Luft nicht mehr so schwefelhaltig und metall-
reich war, wie sie in dieser alten Zeit war.
Nun, wenn wir uns eine Vorstellung bilden wollen, was für Wesen
dazumal gelebt haben, dann müssen wir zuerst diejenigen Wesen auf-
suchen, welche in dem dicklichen Wasser gelebt haben. In diesem
dicklichen Wasser haben Wesen gelebt, die heute nicht mehr existieren.
Nicht wahr, wenn wir heute von unserer gegenwärtigen Fischform
reden, so ist diese Fischform da, weil das Wasser dünn ist. Auch das
Meerwasser ist ja verhältnismäßig dünn; es enthält viel Salz aufgelöst,
aber es ist doch verhältnismäßig dünn. Nun, dazumal war alles mög-
liche in dieser dicklichen Flüssigkeit, in diesem dicklichen Meere, aus
dem eigentlich die ganze Erde, der Mondensack bestanden hat, aufge-
löst. Die Wesen, die darinnen waren, die konnten nicht schwimmen,
wie die heutigen Fische schwimmen, weil eben das Wasser zu dick war;
aber sie konnten auch nicht gehen, denn gehen muß man auf einem
festen Boden. Und so können Sie sich vorstellen, daß diese Wesen eine
Organisation hatten, einen Körperbau hatten, der zwischen dem, was
man braucht zum Schwimmen: Flossen, und dem, was man braucht
zum Gehen: Füße, mitten drinnen liegt. Sehen Sie, wenn Sie Flossen
haben - Sie wissen ja, wie Flossen ausschauen -, die haben solche stache-
Tafd2 lige, ganz dünne Knochen (es wird gezeichnet), und dasjenige, was da-
zwischen ist an Fleischmasse, das ist vertrocknet. So daß wir eine

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 32


Flosse haben mit fast gar keiner Fleischmasse daran, mit stacheligen,
zu Stacheln umgebildete Knochen - das ist eine Flosse. Gliedmaßen, die
dazu dienen, auf Festem sich fortzubewegen, also zu gehen oder zu
kriechen, die lassen die Knochen ins Innere zurücktreten und die
Fleischmasse bedeckt sie äußerlich. So daß wir solche Gliedmaßen eben
so auffassen können, daß sie Fleischmasse außen haben, die Knochen
nur im Inneren; da ist die Fleischmasse das Hauptsächlichste. Das (es
wird auf die Zeichnung verwiesen) gehört zum Gehen, das gehört zum Tafel 2
Schwimmen. Aber weder Gehen noch Schwimmen gab es dazumal,
sondern etwas, was dazwischen liegt. Daher hatten diese Tiere auch
Gliedmaßen, in denen schon so etwas wie Stacheliges war, aber nicht
der reine Stachel, sondern so, daß schon vorhanden war so etwas wie
Gelenke. Es waren Gelenke, sogar ganz künstliche Gelenke; dazwischen
war aber ausgespannt Fleischmasse wie ein Schirm. Wenn Sie heute
noch manche Schwimmtiere anschauen, mit der Schwimmhaut zwi-
schen den Knochen, dann ist das der letzte Rest dessen, was einstmals
in höchstem Maße vorhanden war. Da waren Tiere vorhanden, welche
ihre Gliedmaßen eben so ausstreckten, daß sie mit der Fleischmasse,
die da ausgespannt war, getragen wurden von der dicklichen Flüssig-
keit. Und sie hatten schon Gelenke an den Gliedern - nicht so wie die
Fische heute, wo man keine Gelenke sieht —, sie hatten Gelenke. Da-
durch konnten sie ihr halbes Schwimmen und ihr halbes Gehen diri-
gieren.
So, sehen Sie, werden wir aufmerksam gemacht auf Tiere, welche
in der Hauptsache solche Gliedmaßen brauchen. Uns würden sie heute
riesig plump vorkommen, diese Gliedmaßen: sie sind nicht Flossen,
nicht Füße, nicht Hände, sondern plumpe Ansätze an dem Leib, aber
ganz geeignet, in dieser dicklichen Flüssigkeit zu leben. Das war die
eine Art von Tieren. Wenn wir sie weiter beschreiben wollen, so müs-
sen wir sagen: Diese Tiere waren ganz darauf veranlagt, den Körper
so auszubilden, daß diese Riesengliedmaßen entstehen konnten. Alles
übrige war schwach ausgebildet bei diesen Tieren. Sehen Sie, dasjenige,
was heute noch vorhanden ist an Kröten oder an solchen Tieren, die
im Sumpfigen, also Dicklich-Flüssigen schwimmen, wenn Sie das neh-
men, so haben Sie eben schwache, verkümmerte zaghafte Nachbildun-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 33
gen von Riesentieren, die einmal gelebt haben, die plump waren, aber
verkleinerte Köpfe hatten wie die Schildkröte.
Und in der verdicklichten Luft lebten andere Tiere. Unsere heutigen
Vögel haben ja dasjenige annehmen müssen, was sie brauchen, weil sie
eben in der dünnen Luft leben; daher mußten sie schon etwas von Lun-
gen ausbilden. Aber die Tiere, die dazumal lebten in der Luft, die
hatten keine Lungen, denn in dieser verdicklichten, schwefeligen Luft
ging es nicht, mit Lungen zu atmen. Aber sie nahmen doch diese Luft
auf, und sie nahmen sie so auf, daß es eine Art von Essen war. Diese
Tiere konnten nicht in der heutigen Weise essen, denn es wäre ihnen
alles im Magen liegengeblieben. Es war ja auch nichts Festes da zum
Essen. Sie nahmen alles das, was sie aufnahmen an Nahrung, aus der
verdicklichten Luft auf. Aber wo hinein nahmen sie es auf? Sehen Sie,
sie nahmen es auf in dasjenige, was sich in ihnen wieder besonders aus-
gebildet hat.
Nun, diese Fleischmasse, die da vorhanden war an diesen Schwimm-
tieren dazumal, an diesen, ich möchte sagen, Gleittieren — denn es war
ja nicht ein Gehen, war ja nicht ein Schwimmen -, diese Fleischmasse,
die konnten wieder die damaligen Lufttiere nicht brauchen, weil sie
ja nicht in der verdicklichten Flüssigkeit schwimmen, sondern in der
Luft sich selber tragen sollten. Dieser Umstand, daß sie sich in der
Luft selber tragen sollten, der bewirkte da bei diesen Tieren, daß diese
Fleischmasse, die sich bei den gleitenden, halb schwimmenden Tieren
entwickelte, sich anpaßte den Schwefelverhältnissen der Luft. Der
Schwefel vertrocknete diese Fleischmasse und machte sie zu dem, was
Sie heute an den Federn sehen. An den Federn ist diese vertrocknete
Fleischmasse; es ist ja auch vertrocknetes Gewebe. Aber mit diesem
vertrockneten Gewebe konnten diese Tiere wiederum diejenigen Glied-
maßen bilden, die sie brauchten. Es waren nun auch nicht im heutigen
Sinne Flügel, aber die trugen sie in dieser Luft; sie waren schon flügel-
ähnlich, aber nicht ganz so wie heutige Flügel. Vor allen Dingen waren
sie in einem sehr, sehr voneinander verschieden. Sehen Sie, heute ist
ja nur etwas noch zurückgeblieben von dem, was dazumal diese merk-
würdigen, flügelähnlichen Gebilde hatten: heute ist nur zurückgeblie-
ben das Mausern, wo die Vögel ihre Federn verlieren. Diese Gebilde
1A
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 34
also, die noch nicht Federn waren, aber die mehr die vertrockneten
Gewebe ausbildeten, mit denen dann diese Tiere sich in der verdick-
lichten Luft erhielten - diese Gebilde waren eigentlich halb Atmungs-
organe, halb Organe zur Aufnahme der Nahrungsmittel. Es wurde
dasjenige, was in der Luftumgebung war, aufgenommen. Und so war
ein jedes solches Organ, namentlich diejenigen Organe, die nicht zum
Fliegen benutzt wurden, die aber auch da waren in ihren Ansätzen,
wie der Vogel am ganzen Leib Federn hat. Diese Flügel waren zur
Aufnahme der Luft und zum Abscheiden der Luft da. Heute ist davon
nur das Mausern zurückgeblieben. Dazumal wurde aber damit ge-
nährt, das heißt der Vogel plusterte sein Gewebe auf mit dem, was
er hereinsog von der Luft, und dann wiederum gab er das von sich,
was er nicht mehr brauchte, so daß ein solcher Vogel schon ein sehr
merkwürdiges Gebilde war.
Sehen Sie, in der damaligen Zeit lebten da unten diese furchtbar
plumpen Wassertiere - die heutigen Schildkröten sind schon die rein-
sten Prinzen dagegen; diese Tiere da unten, die waren im flüssigen
Element. Da oben waren diese merkwürdigen Tiere. Und während
sich die heutigen Vögel da oben in der Luft manchmal unanständig
benehmen — was wir ihnen schon übelnehmen, nicht wahr -, haben
diese vogelartigen Tiere fortwährend abgeschieden. Und dasjenige, was
von ihnen kam, regnete herunter. Besonders in gewissen Zeiten regnete
es herunter. Aber die Tiere, die unten waren, die hatten ja noch nicht
diese Gewohnheiten, die wir haben; wir sind gleich schrecklich unge-
halten, wenn einmal ein Vogel sich etwas unanständig benimmt. So
waren diese Tiere, die da unten in dem flüssigen Element waren, nicht;
sondern die sogen wiederum auf — in ihren eigenen Körper sogen sie
auf dasjenige, was da herunterfiel. Und das war aber zugleich die Be-
fruchtung dazumal. Dadurch konnten diese Tiere, die da entstanden
waren, überhaupt nur weiterleben, daß sie das aufnahmen; nur da-
durch konnten sie weiterleben. Und wir haben dazumal nicht so aus-
gesprochen ein Hervorgehen des einen Tieres aus dem anderen gehabt
wie jetzt, sondern man mochte sagen, dazumal war es noch so, daß
eigentlich diese Tiere lange lebten; sie bildeten sich immer wiederum
neu. Es war so ein Weltenmausern, möchte ich sagen; sie verjüngten

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 3 5


sich immer wiederum, diese Tiere da unten. Dagegen die Tiere, die oben
waren, die wiederum waren darauf angewiesen, daß zu ihnen dasjenige
kam, was die Tiere unten entwickelten, und dadurch wurden diese wie-
derum befruchtet. So daß die Fortpflanzung dazumal etwas war, was
im ganzen Erdenkörper vor sich ging. Die obere Welt befruchtete die
untere, die untere Welt befruchtete die obere. Es war überhaupt ein
ganzer belebter Körper. Und ich möchte sagen: Dasjenige, was da an
solchen Tieren da unten und an Tieren da oben war, war wie die Maden
in einem Körper drinnen, wo auch der ganze Körper lebendig ist und
die Maden darinnen auch lebendig sind. Es war also ein Leben und die
einzelnen Wesen, die drinnen lebten, lebten in einem ganzen lebendigen
Körper drinnen.
Später aber ist einmal ein Zustand, ein Ereignis gekommen, das
von ganz besonderer Wichtigkeit war. Diese Geschichte hätte nämlich
lange fortgehen können; da wäre aber alles nicht so geworden, wie es
jetzt auf der Erde ist. Da wäre alles so geblieben, daß plumpe Tiere
mit luftfähigen Tieren zusammen einen lebendigen Erdenkörper be-
wohnt hätten. Aber es ist eines Tages eben etwas Besonderes einge-
treten. Sehen Sie, wenn wir diese lebendige Bildung der Erde da neh-
men (siehe Zeichnung), so trat das ein, daß sich eines Tages von die-
ser Erde wirklich, man kann schon sagen, ein Junges bildete, das in
den Weltenraum herausging. Diese Sache geschah so, daß da ein
kleiner Auswuchs entstand; das verkümmerte da und spaltete sich

Tafel 3

zum Schluß ab. Und es entstand statt dem da hier ein Körper draußen
im Weltenraum, der das Luftförmige, das da in der Umgebung ist,
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 36
innerlich hatte, und außen die dickliche Flüssigkeit hatte. Also ein
umgekehrter Körper spaltete sich ab. Während die Mondenerde dabei
blieb, ihren innerlichen Kern dickflüssig zu haben, außen dickliche
Luft zu haben, spaltete sich ein Körper ab, der außen das Dickliche
hat und innen das Dünne. Und in diesem Körper kann man, wenn
man nicht mit Vorurteil, sondern mit richtiger Untersuchung an die
Sache herangeht, den heutigen Mond erkennen. Heute kann man schon
ganz genau wissen, so wie man zum Beispiel das Natrium in der Luft
finden kann, aus was die Luft besteht. So kann man ganz genau wis-
sen: Der Mond war einmal in der Erde drinnen! Was da draußen als
Mond herumkreist, war in der Erde drinnen und hat sich von ihr ab-
getrennt, ist hinausgegangen in den Weltenraum.
Und damit ist dann aber eine ganze Veränderung eingetreten sowohl
mit der Erde wie mit demjenigen, was hinausgegangen ist. Vor allen
Dingen: Die Erde hat da gewisse Substanzen verloren, und jetzt erst
konnte sich das Mineralische in der Erde bilden. Wenn die Monden-
substanzen in der Erde drinnen geblieben wären, so hätte sich nie-
mals das Mineralische bilden können, sondern es wäre immer ein
Flüssiges und Bewegtes gewesen. Erst der Mondenaustritt hat der Erde
den Tod gebracht und damit das Mineralreich, das tot ist. Aber damit
sind auch erst die heutigen Pflanzen, die heutigen Tiere und der Mensch
in seiner heutigen Gestalt möglich geworden.
Nun können wir also sagen: Es ist aus dem alten Mondenzustand
der Erde der heutige Erdenzustand entstanden. Damit ist das Mineral-
reich entstanden. Und jetzt haben sich alle Formen ändern müssen.
Denn jetzt ist eben gerade dadurch, daß der Mond herausgetreten ist,
die Luft weniger schwefelhaltig geworden, hat sich immer mehr und
mehr genähert dem heutigen Zustand in der Erde selber. So hat sich
auch abgesetzt dasjenige, was in der Flüssigkeit aufgelöst war, und
gebirgsartige Einschlüsse gebildet, und das Wasser wurde immer mehr
ähnlich unserem heutigen Wasser. Dagegen der Mond, der dasjenige
in der Umgebung hat, was wir in der Erde im Inneren haben, der bil-
dete nach außen eine ganz hornartig dickliche Masse; auf die schauen
wir hinauf. Die ist nicht so wie unser Mineralreich, sondern die ist so,
wie wenn unser Mineralreich hornartig geworden wäre und verglast

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 37


wäre, außerordentlich hart, harter als alles Hornartige, was wir auf
der Erde haben, aber doch nicht ganz mineralisch, sondern hornartig.
Daher diese eigentümliche Gestalt der Mondberge. Diese Mondberge
sehen eigentlich ja alle so aus wie Hörner, die angesetzt sind. Sie sind
so gebildet, daß man das Organische darinnen, dasjenige, was einmal
mit dem Leben zusammenhing, eigentlich an ihnen wahrnehmen kann.
Nun, sehen Sie, es setzte sich also von diesem Zeitpunkt an, wo der
Mond hinausging, aus der damaligen dicklichen Flüssigkeit immer mehr
und mehr das heutige Mineralreich ab. Da wirkte insbesondere ein
Stoff, der in diesen alten Zeiten riesig stark vorhanden war, ein Stoff,
der aus Kiesel und Sauerstoff besteht und den man Kieselsäure nennt.
Sehen Sie, Sie haben die Vorstellung, eine Säure muß - weil das bei
einer heutigen Säure, die man verwendet, eben so ist -, eine Säure muß
etwas Flüssiges sein. Aber die Säure, die eine richtige Säure ist und die
ich hier meine, die ist etwas ganz Festes! Das ist nämlich der Quarz,
den Sie im Hochgebirge finden; denn der Quarz ist Kieselsäure. Und
wenn er weißlich und glasartig ist, so ist er sogar reine Kieselsäure;
wenn er irgendwelche andere Stoffe enthält, dann bekommen Sie diese
Quarze, die violettlich und so weiter sind. Das ist von den Stoffen, die
drinnen eingeschlossen sind.
Aber dieser Quarz, der heute so dick ist, daß Sie ihn nicht mit dem
Stahlmesser ritzen können, daß Sie sich schon ordentliche Löcher schla-
gen, wenn Sie sich ihn an den Kopf schlagen, dieser Quarz war dazu-
mal in jenen alten Zeiten ganz aufgelöst - entweder aufgelöst dadrin-
nen in der dicklichen Flüssigkeit oder in den halbfeinen Partien in der
Umgebung, in der verdicklichten Luft aufgelöst. Und man kann schon
sagen: Neben dem Schwefel waren riesige Mengen von solchem aufge-
löstem Quarz in der verdicklichten Luft, welche die damalige Erde
hatte. Sie können eine Vorstellung davon bekommen, wie stark dazu-
mal der Einfluß dieser aufgelösten Kieselsäure gewesen ist, wenn Sie
heute betrachten, wie eigentlich die Erde noch immer zusammengesetzt
ist bloß da, wo wir leben. Sie können ja natürlich sagen: Da muß viel
Sauerstoff da sein, denn den brauchen wir zum Atmen; viel Sauer-
stoff muß auf der Erde sein. - Es ist auch viel Sauerstoff auf der Erde,
achtundzwanzig bis neunundzwanzig Prozent der gesamten Erden-

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 38


masse, die wir haben. Sie müssen dann nur alles nehmen. In der Luft
ist der Sauerstoff, in vielen Substanzen, die fest sind auf der Erde, ist
der Sauerstoff enthalten; der Sauerstoff ist in den Pflanzen, in den
Tieren. Aber wenn man alles zusammennimmt, so sind es achtund-
zwanzig Prozent. Aber Kiesel, der im Quarz drinnen mit dem Sauer-
stoff verbunden Kieselsäure gibt, Kiesel sind achtundvierzig bis neun-
undvierzig Prozent vorhanden! Denken Sie sich, was das heißt: Die
Hälfte von alldem, was uns umgibt und was wir brauchen, fast die
Hälfte ist Kiesel! Natürlich, wie alles flüssig war, die Luft fast flüssig
war, ehe sie sich verdickte - ja, da spielte dieser Kiesel eine Riesenrolle;
der bedeutete sehr viel in diesem ursprünglichen Zustande.
Man respektiert diese Dinge nicht ordentlich, weil man da, wo der
Mensch feiner organisiert ist, heute nicht mehr die richtige Vorstel-
lung vom Menschen hat. Heute stellen sich die Menschen grobklotzig
vor: Nun ja, wir atmen als Menschen; da atmen wir den Sauerstoff
ein, der bildet sich in uns zur Kohlensäure um, wir atmen die Kohlen-
säure aus. Schön. Gewiß, wir atmen den Sauerstoff ein, wir atmen die
Kohlensäure aus. Wir könnten nicht leben, wenn wir nicht diese Atmung
hätten. Aber in der Luft, die wir doch einatmen, ist heute noch immer
Kiesel enthalten, richtiger Kiesel, und wir atmen immer ganz kleine
Mengen von Kiesel auch ein. Genug ist da vorhanden, denn achtund-
vierzig bis neunundvierzig Prozent Kiesel ist ja in unserer Umgebung.
Während wir atmen, geht allerdings nach unten, nach dem Stoff-
wechsel, der Sauerstoff und verbindet sich mit dem Kohlenstoff; aber
er geht zugleich nach aufwärts zu den Sinnen und zu dem Gehirn, zum
Nervensystem - überall geht er hin. Da verbindet er sich mit dem Kie-
sel und bildet in uns Kieselsäure. So daß wir sagen können: Wenn wir
da den Menschen haben (es wird gezeichnet), hier der Mensch seine Tafel 3
Lungen hat, und er atmet nun Luft ein, so hat er hier Sauerstoff. Der
geht in ihn hinein. Und nach unten verbindet sich der Sauerstoff mit
dem Kohlenstoff und bildet Kohlensäure, die man dann wieder aus-
atmet; nach oben aber wird der Kiesel mit dem Sauerstoff verbunden
in uns, und es geht da in unseren Kopf hinauf Kieselsäure, die da in
unserem Kopf drinnen nicht gleich so dick wird wie der Quarz. Das
wäre natürlich eine üble Geschichte, wenn da lauter Quarzkristalle
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 3 9
darinnen entstehen würden; da würden Ihnen statt der Haare gleich
Quarzkristalle herauswachsen - es könnte ja unter Umständen ganz
schön und drollig sein! Aber sehen Sie, so ganz ohne ist das doch nicht,
denn die Haare, die Ihnen herauswachsen, haben nämlich sehr viel
Kieselsäure in sich; da ist sie nur noch nicht kristallisiert, da ist sie
noch in einem flüssigen Zustand. Die Haare sind sehr kieselsäurehaltig.
Überhaupt alles, was in den Nerven ist, was in den Sinnen ist, ist kie-
selsäurehaltig.
Daß das so ist, meine Herren, darauf kommt man ja erst, wenn man
die wohltätige Heilwirkung der Kieselsäure kennenlernt. Die Kiesel-
säure ist ein ungeheuer wohltätiges Heilmittel. Sie müssen doch beden-
ken: Der Mensch muß die Nahrungsmittel, die er durch den Mund in
seinen Magen aufnimmt, durch alle möglichen Zwischendinge führen,
bis sie in den Kopf hinaufkommen, bis sie zum Beispiel ans Auge, ans
Ohr herankommen. Das ist ein weiter Weg, den da die Nahrungsmittel
nehmen müssen; da brauchen sie Hilfskräfte, daß sie da überhaupt
heraufkommen. Es könnte durchaus sein, daß die Menschen diese Hilfs-
kräfte zu wenig haben. Ja, viele Menschen haben zu wenig Hilfskräfte,
so daß die Nahrungsmittel nicht ordentlich in den Kopf herauf arbei-
ten. Dann, sehen Sie, muß man ihnen Kieselsäure eingeben; die
befördert dann die Nahrungsmittel hinauf zu den Sinnen und in den
Kopf. Sobald man bemerkt, daß der Mensch zwar die Magen- und
Darmverdauung ordentlich hat, daß aber diese Verdauung nicht bis
zu den Sinnen hingeht, nicht bis in den Kopf, nicht bis in die Haut
hineingeht, muß man Kieselsäurepräparate als Heilmittel nehmen. Da
sieht man eben, was diese Kieselsäure heute noch für eine ungeheure
Rolle im Menschen spielt.
Und diese Kieselsäure wurde ja dazumal, als die Erde in diesem
alten Zustande war, noch nicht geatmet, sondern sie wurde aufge-
nommen, aufgesogen. Namentlich diese vogelartigen Tiere nahmen
diese Kieselsäure auf. Neben dem Schwefel nahmen sie diese Kiesel-
säure auf. Und die Folge davon war, daß diese Tiere eigentlich fast ganz
Sinnesorgan wurden. So wie wir unsere Sinnesorgane der Kieselsäure
verdanken, so verdankte dazumal überhaupt die Erde ihr vogelartiges
Geschlecht dem Wirken der Kieselsäure, die überall war. Und weil die
A f\

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 4 0


Kieselsäure an diese anderen Tiere mit den plumpen Gliedmaßen, wäh-
rend sie so hinglitten in der dicklichen Flüssigkeit, weniger herankam,
wurden diese Tiere vorzugsweise Magen- und Verdauungstiere. Da
oben waren also dazumal furchtbar nervöse Tiere, die alles wahrneh-
men konnten, die eine feine, nervöse Empfindung hatten. Diese Ur-
vögel waren ja furchtbar nervös. Dagegen was unten in der dicklichen
Flüssigkeit war, das war von einer riesigen Klugheit, aber auch von
einem riesigen Phlegmatismus; die spürten gar nichts davon. Das waren
bloße Nahrungstiere, waren eigentlich nur ein Bauch mit plumpen
Gliedmaßen. Die Vögel oben waren fein organisiert, waren fast ganz
Sinnesorgan. Und wirklich Sinnesorgane, die es machten, daß die Erde
selber nicht nur wie belebt war, sondern alles empfand durch diese
Sinnesorgane, die herumflogen, die die damaligen Vorläufer der Vögel
waren.
Ich erzähle Ihnen das, damit Sie sehen, wie ganz anders alles einmal
auf der Erde ausgesehen hat. Also alles das, was da aufgelöst war, hat
sich dann in dem festen mineralischen Gebirge, in den Felsmassen ab-
geschieden, bildete eine Art von Knochengerüst. Damit war aber auch
für den Menschen und für die Tiere erst die Möglichkeit gegeben, feste
Knochen zu bilden. Denn wenn sich draußen das Knochengerüst der
Erde bildete, bildeten sich im Inneren der höheren Tiere und des Men-
schen die Knochen. Daher war alles dasjenige, was ich Ihnen hier ein-
gezeichnet habe, noch nicht da; es gab noch nicht solche feste Knochen,
wie wir sie heute haben, sondern das alles waren biegsame, hornartige,
knorpelige Dinge, wie es heute beim Fisch nur noch zurückgeblieben
ist. Alle diese Dinge sind schon in einer gewissen Weise zurückgeblie-
ben, sind aber dann verkümmert, weil dazumal in alldem, was ich
Ihnen beschrieben habe, die Lebensbedingungen dazu da waren. Heute
sind für diese Dinge nicht mehr die Lebensbedingungen da. So daß wir
sagen können: In unseren heutigen Vögeln haben wir die für die Luft
umgewandelten Nachfolger dieses vogelartigen Geschlechtes, das da
oben in der schwefelhaltigen und kieselsäurehaltigen dicklichen Luft
war. Und in all demjenigen, was wir heute haben in den Amphibien,
in den Kriechtieren, in alldem, was Frösche- und Krötengezücht ist,
aber auch in alldem, was Chamäleons, Schlangen und so weiter sind,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 41


haben wir die Nachkommen desjenigen, was dazumal in der dicklichen
Flüssigkeit schwamm. Und die höheren Säugetiere und der Mensch in
seiner heutigen Gestalt, die kamen ja erst später dazu.
Nun kommt ein scheinbarer Widerspruch heraus, meine Herren. Das
letzte Mal sagte ich Ihnen: Der Mensch war zuerst da; aber er war
seelisch-geistig nur in der Wärme da. Der Mensch war schon auch bei
alldem dabei, was ich Ihnen gezeigt habe, aber er war noch nicht als
physisches Wesen da, war in einem ganz feinen Körper da, in dem er
sich sowohl in der Luft wie in der dicklichen Flüssigkeit aufhalten
konnte. Sichtbariich war er noch nicht da. Sichtbariich waren auch
die höheren Säugetiere noch nicht da, sondern sichtbarlich waren eben
diese plumpen Tiere da und waren diese luftigen, vogelartigen Tiere
da. Und das muß man eben unterscheiden, wenn man sagt: Der Mensch
war schon da. Er war zuallererst da, wie nicht einmal die Luft da war,
aber er war in einem nicht sichtbaren Zustande da und war noch da-
mals, als die Erde so ausgeschaut hat, in einem nicht sichtbaren Zustande
da. Erst mußte sich der Mond von der Erde trennen, dann konnte der
Mensch auch in sich Mineralisches ablagern, ein mineralisches Knochen-
system bilden, konnte in den Muskeln solche Stoffe wie das Myosin
und so weiter absondern. Die waren dazumal noch nicht da. Und es
entstand der Mensch. Aber er hat eben doch heutzutage in seiner Kör-
perlichkeit durchaus die Erbschaft von diesem Früheren erhalten.
Denn ohne Mondeneinfluß, der nur jetzt von außen ist, nicht mehr
innere Erde, entsteht ja der Mensch nicht. Die Fortpflanzung hängt
schon mit dem Monde zusammen, nur nicht mehr direkt. Daher können
Sie auch sehen, daß das, was mit der Fortpflanzung beim Menschen
zusammenhängt, die vierwöchentliche Periode der Frau, in derselben
rhythmischen Periode verläuft wie die Mondenphasen, nur fallen sie
nicht mehr zusammen, haben sich voneinander emanzipiert. Aber das
ist geblieben, daß dieser Mondeneinfluß durchaus tätig ist in der
menschlichen Fortpflanzung.
So können wir sagen: Wir haben die Fortpflanzung gefunden zwi-
schen den Wesen der verdicklichten Luft und denen der verdicklichten
Flüssigkeit, zwischen dem alten vogelähnlichen Geschlecht und den
alten Riesenamphibien. Die befruchteten sich gegenseitig, weil der
AI
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 42
Mond noch drinnen war. Sofort, als der Mond draußen war, mußte die
Außenbefruchtung eintreten. Denn im Monde liegt eben das Befruch-
tungsprinzip.
Nun, von diesen Gesichtspunkten aus wollen wir dann am nächsten
Samstag, wo wir die Stunde hoffentlich um neun Uhr haben können,
weiter fortsetzen. Die Frage von Herrn Dollinger ist eben eine, die
ausführlich beantwortet werden muß; wir werden aber schon zurecht-
kommen, wenn Sie Geduld haben, bis Sie die Gegenwart heraussprin-
gen sehen aus demjenigen, was allmählich eigentlich geschieht. Es liegt
in der Frage, die eben schwer verständlich ist. Aber ich glaube, man
kann die Sache, wenn man sie so anschaut, wie wir es getan haben,
schon verstehen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 4 3


D R I T T E R VORTRAG
Dornach, 7. Juli 1924

Nun, meine Herren, Sie haben gesehen aus demjenigen, was wir be-
sprochen haben, daß eigentlich in unserer Erde ein Zustand vorliegt,
der nur der letzte Rest von vielem anderem ist, das wesentlich anders
ausgeschaut hat. Und wenn wir heute den früheren Zustand der Erde
mit etwas vergleichen wollen, so können wir ihn eigentlich nur, wie
Sie gesehen haben, vergleichen mit demjenigen, was wir in einem Eikeim
haben. Wir haben heute in der Erde einen festen Kern aus allerlei Mine-
ralien und Metallen; wir haben ringsherum die Luft und haben in der
Luft zwei Stoffe, die uns vor allen Dingen auffallen, weil wir ohne
sie nicht leben können: den Sauerstoff und den Stickstoff. So daß wir
also sagen können: Wir haben in unserer Erde einen festen Erdenkern
mit allen möglichen Stoffen, siebzig bis achtzig Stoffen, und ringsher-
um die Lufthülle, vorzugsweise drinnen Stickstoff und Sauerstoff (es
Tafel4 wird gezeichnet).
Aber das ist ja nur, daß vorzugsweise drinnen sind Stickstoff und
Sauerstoff! Immer sind in der Luft auch andere Stoffe enthalten, nur
eben in sehr geringer Menge, unter anderem Kohlenstoff, Wasser-
stoff, Schwefel. Aber das sind ja auch die Stoffe, die zum Beispiel in
dem Weißen im Ei, im Weißen eines Hühnereies enthalten sind: Sauer-
stoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff und Schwefel! Die sind auch
im Weißen eines Hühnereies enthalten. Der Unterschied ist bloß der,
daß in dem Weißen eines Hühnereies, ich möchte sagen, der Schwefel,
der Wasserstoff, der Kohlenstoff mehr sich anschmiegen an den Sauer-
stoff und Stickstoff, während sie in der äußeren Luft viel loser vor-
handen sind. Also eigentlich ist doch dasselbe in der Luft vorhanden,
was in dem Hühnerei drinnen enthalten ist. In ganz geringer Menge
sind auch dieselben Stoffe im Eidotter drinnen vorhanden. So daß wir
also sagen können, daß es, wenn es sich verhärtet, verdichtet, zu dem
wird, was die Erde ist. Sie sehen also, man muß auf solche Dinge hin-
schauen, wenn man wissen will, wie es in der Welt einmal ausgesehen
hat.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 4 4
Heute aber macht man die Sache auf eine ganz andere Art, und da-
mit Sie in der Beurteilung desjenigen, was ich Ihnen hier vorbringe,
nicht beirrt werden durch dasjenige, was eben allgemein anerkannt ist,
möchte ich Ihnen doch einiges von dem sagen, was allgemein aner-
kannt ist, und was dennoch durchaus übereinstimmt mit demjenigen,
was ich sage. Man muß es nur richtig betrachten. Sehen Sie, heute
denkt man ja nicht so, wie hier gedacht worden ist in den zwei letzten
Stunden, sondern heute denkt man so, daß man sagt: Da haben wir
die Erde. Die Erde ist einmal mineralisch. Diese mineralische Erde, die
ist bequem zu untersuchen. Zunächst einmal untersuchen wir das-
jenige, was obenauf ist, was wir mit unseren Füßen betreten. Dann
sehen wir da, wenn wir Steinbrüche machen, wenn wir die Erde auf-
schließen, um Einschnitte zu machen beim Eisenbahnbau, wie gewisse
Schichten vorhanden sind in der Erde. Da ist die oberste Schicht, auf
die wir treten. Kommen wir irgendwo in die Tiefe hinein, dann finden
wir tieferliegende Schichten. Aber diese Schichten liegen nicht so über-
einander, daß man sagen kann, sie haben sich so hübsch übereinander
aufgetürmt, immer ist die eine über der anderen —, sondern die Sache
ist ja so: Sehen Sie einmal, nehmen Sie an, da haben Sie eine solche
Schichte (siehe Zeichnung, rot); die ist nicht eben, diese Schichte, die
ist gebogen; eine andere Schichte ist darunter (grün), die ist auch ge-
bogen. Und jetzt kommt darüber diejenige Schichte, welche wir mit
den Füßen betreten (weiß). Solange wir, sagen wir, auf dieser Seite

Tafel 4

eines Berges Fußgänger bleiben, so lange sehen wir da oben diejenige


Schicht, die auch, wenn es gut geht, Ackererde werden kann, wenn wir
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch:354 Seite: 45
die entsprechende Düngungsmethode und so weiter finden. Wenn wir
aber eine Eisenbahn bauen, dann kann es sein, daß wir so heraufgehen
müssen, daß wir also gewisse Schichten abbauen müssen. Und dann
kommen wir dadurch, daß wir einen solchen Einschnitt machen, in die
Tiefen der Erde hinein. Und auf eine solche Weise hat man gefunden,
daß eben übereinander Schichten sind, nicht ebene, sondern in der ver-
schiedensten Weise durcheinandergeworfene Schichten der Erde.
Aber diese Schichten sind manchmal sehr merkwürdig. Man hat
sich gefragt: Wie kann man das Alter der Schichten bestimmen? Welche
Schichte ist älter? - Nun ja, das Nächstliegende ist ja das, daß einer
sagt: Wenn die Schichten übereinander sind, so ist die unterste die
älteste, die darauf folgende ist jünger, und die oben liegende ist die
aller jüngste. Aber sehen Sie, so ist die Geschichte nicht überall; manch-
mal ist es so, aber nicht überall ist es so. Und daß es nicht überall so
ist, das kann man auf folgende Weise konstatieren.
Wir sind ja in unseren kultivierten Gegenden gewöhnt, unsere Haus-
tiere, wenn sie sterben, zu verscharren, damit sie für die Menschen
nicht schädlich werden. Wäre aber das Menschengeschlecht noch nicht
entwickelt, was würde dann mit den Tieren, die da schon da wären,
geschehen? Die Tiere würden an irgendeiner Stelle verenden, würden da
liegenbleiben. Nun liegt das Tier zunächst da oben. Aber Sie wissen
ja, wenn es regnet, wird die Erde aufgespült, und nach einiger Zeit
konnte man sehen, wenn da ein Tier verendet wäre, daß dieses Tier,
indem es anfängt zu verwesen, in seinen Überresten, die übrig bleiben,
sich vermischt mit der vom Regen herangeschlagenen Erde. Und nach
einer Zeit ist das ganze Tier durchzogen mit der vom Regen herange-
schwemmten Erde oder von dem Regenwasser, das herunterfließt über
einen Abhang; dann geht über das Tier die andere Erde darüber. Nun
kann einer kommen hinterher und kann sagen: Donnerwetter, die Erde
schaut ja da so geringelt aus, da muß ich mal nachgraben! - Da braucht
er nicht viel nachzugraben; er gräbt etwas nach und findet darinnen -
sagen wir, wenn die Menschen noch nicht dagewesen wären und eben
hinterher der gekommen wäre, der nachgegraben hätte -, da findet er
dasjenige, was übrig ist vom Knochengerüste, sagen wir, von einem
wilden Pferd. Da kann er sich sagen: Ja, jetzt gehe ich über eine Erd-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 46


schichte, die erst später geworden ist; aber die drunter ist eine, die ist
gebildet worden zu einer Zeit, wo schon solche wilden Pferde da wa-
ren. - Und man kann erkennen, daß das die nächste Schichte ist, daß
also der Zeit, in der dieser Mensch lebt, eine vorangegangen ist, worin
diese Pferde gelebt haben.
Sehen Sie, so wie es der Mensch hier macht, haben es nun die Geolo-
gen mit allen Schichten der Erde gemacht; sie haben sie einfach, seit sie
zu erreichen sind in Steinbrüchen, in Eisenbahnaufschließungen und so
weiter, abgegraben. Man lernt ja in der Geologie, daß man mit einem
Hammer oder auch mit einem anderen Instrument überall Steinbrüche
aufsucht, um eben aufzuschließen dasjenige, was im Gebirge durch Ab-
rutschungen bloßgelegt ist oder dergleichen. Da hämmert man überall
ein, sägt unter Umständen auch das eine oder andere aus, und da findet
man in irgendeiner Schichte sogenannte Versteinerungen. Da kann man
sagen: Unter unserem Erdboden sind die Schichten erhalten, die ganz
andere Tiere als die heutigen enthalten haben. - Und man kommt dann
darauf, wie die Gestalt der Tiere ist, die in alten Zeiten vorhanden
waren, wenn man in dieser Weise die Schichten der Erde abgräbt.
Das ist gar nicht so etwas Besonderes, denn, sehen Sie, in welcher
Zeit so etwas geschieht, das unterschätzen die Leute eigentlich. Sie fin-
den heute in südlicheren Gegenden Kirchen oder andere Gebäude; die
stehen da. Sie kommen durch irgend etwas darauf - Donnerwetter,
da unter dieser Kirche, das ist ja etwas, was hart ist, was nicht Erde
ist. Sie graben hinein und finden, daß da drunter ein heidnischer Tem-
pel ist! Ja, was ist denn da geschehen? Vor verhältnismäßig kurzer Zeit,
da war diese Oberschicht überhaupt nicht da, auf der diese Kirche oder
dieses Gebäude steht, sondern das ist erst angetragen, angeschleppt
worden vielleicht von Menschen, aber vielleicht auch durch Mithel-
fen der Naturkräfte, und drunten ist der heidnische Tempel. Das war
oben, was jetzt drunten ist. So ist es. Aber in der Erde, da ist Schichte
auf Schichte aufgeschichtet worden. Und man muß herausfinden, nicht
aus der Art, wie die Schichten liegen, sondern aus der Art und Weise,
wie diese Versteinerungen, wie diese versteinerten Tiere liegen — und
dazu kommen auch die verschiedenen Pflanzen —, wie diese in die
Schichten hereingekommen sind.
AT7
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Da stellt sich aber folgendes heraus. Sehen Sie, da kann folgendes
passieren: Sie finden eine Erdschichte (siehe Zeichnung, gelb); Sie fin-
den eine andere Erdschichte (grün); Sie sind in der Lage durch irgend
etwas, hier hineinzugraben (Pfeil). Wenn Sie jetzt bloß auf die Schich-

TafeH

gelb

tungen schauen, dann kommt es Ihnen doch vor, wie wenn das, was ich
da grün gezeichnet habe, die untere Schichte wäre, und dasjenige, was
ich gelb gezeichnet habe, die obere Schichte. Hierher können Sie ein-
fach nicht; da können Sie nicht eingraben, da ist keine Eisenbahn, kein
Tunnel, noch irgend etwas anderes, wodurch man hinkommen kann.
Da merken Sie: Das Gelbe ist die Oberschichte, das Grüne ist die un-
tere Schichte. Aber Sie dürfen das nicht gleich sagen, sondern Sie müs-
sen erst die Versteinerungen suchen. Nun findet man sehr häufig in
dem, was da oben liegt, Versteinerungen, die älter sein müssen. Man
findet zum Beispiel da oben merkwürdige Fischskelette, und unten
findet man, sagen wir, merkwürdige Säugetierskelette, die jünger sind.
Jetzt widersprechen die Versteinerungen der Lage: Oben erscheint das
Ältere, unten erscheint das Jüngere. Jetzt muß man sich eine Vor-
stellung machen, woher das kommt. Ja, sehen Sie, das kommt davon
her, daß durch irgendein Erdbeben oder eine innere Erschütterung das-
jenige, was hier unten war, sich herumgeschmissen hat über das Obere,
so daß also dieses entstanden ist, daß, wenn ich hier Ihnen den Stuhl
über den Tisch legen würde, wenn das die ursprüngliche Lage wäre
der Stuhllehne und hier der Tischplatte -, so würde es geschehen, daß
durch einen Erdstoß, der hier erfolgt ist, die Tischplatte sich über die
Stuhllehne drüberstülpt.
A n

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch: 3 5 4 Seite: 4 8


Sehen Sie, das kann man an dem Verschiedensten wahrnehmen: es
hat sich das umgestülpt. Und man kann, wie Sie gleich daraus sehen,
auch folgendes noch wissen. Man kann fragen: Wann ist diese Umstül-
pung geschehen? Diese Umstülpung ist ja erst geschehen, nachdem diese
Versteinerungen sich gebildet haben; sonst müßten diese anders drinnen
liegen. Also man weiß, daß diese Umstülpung, diese Umschichtung spä-
ter entstanden ist als diese Tiere gelebt haben.
Auf diese Weise kommt man darauf, die Erdschichten nicht so zu
beurteilen, wie sie einfach übereinanderliegen, sondern so zu beurtei-
len, wie sie sich auch umgeschichtet haben. Und sehen Sie, die Alpen,
dieser mächtige Gebirgszug, der sich vom Mittelländischen Meere hin-
überzieht bis in die österreichischen Donaugegenden - diesen mächtigen
Alpenzug, der das Hauptgebirge der Schweiz ist, den kann man über-
haupt nicht verstehen, wenn man nicht auf solche Dinge eingehen kann.
Denn in diesen Alpen ist alles, was schichtweise sich aufgebaut hat,
später einmal durcheinandergeschmissen worden. Da liegt oft das Un-
terste zuoberst und das Oberste zuunterst und man muß erst suchen,
wie da die Dinge durcheinandergeschmissen worden sind.
Nun, erst wenn man das berücksichtigt, kommt man darauf, wel-
ches die ältesten Schichten sind und welches die jüngsten Schichten sind.
Und da sagt natürlich diese heutige, nur aufs Äußerliche dieser For-
schung bauende Wissenschaft: Diejenigen Schichten sind die ältesten,
in denen die allereinfachsten Überreste von Tieren und Pflanzen ge-
funden werden können. Später werden die Tiere und Pflanzen kom-
pliziert - also finden sich die komplizierteren der Tiere und Pflanzen
in den jüngeren Schichten. Wenn man an ältere Schichten herankommt,
so findet man Versteinerungen, die davon herrühren, daß sich das-
jenige, was die Tiere an Kalk- oder Kieseleinschlüssen gehabt haben,
erhalten hat; das andere hat sich ja aufgelöst. Wenn man an jüngere
Schichten kommt, hat sich das Skelett erhalten. - Nur bilden sich
nämlich, merkwürdigerweise, auch auf andere Art Versteinerungen.
Diese anderen Versteinerungen sind unter Umständen sehr interessant.
Sehen Sie, sie bilden sich auch so, diese Versteinerungen: Denken
Sie sich, irgendein einfaches älteres Tier sei einmal vorhanden gewesen,
ein Tier, das einen Leib hat, meinetwillen vorne Fangarme (weiß) - Tafel 4
4 AQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 49
ich zeichne es so groß, es wird in den Schichten, die aus dem Geolo-

Tafel4

gischen bekannt sind, in der Regel kleiner sein. Nun, dieses Tier ver-
endet, indem es auf diesem Erdreiche liegt. Nehmen wir an, das Erd-
reich ist so, daß es nicht recht hinein kann in das Tier; dieses Erdreich,
das meidet sozusagen irgendeine Säure, die in dem Tier enthalten ist.
Dann entsteht etwas sehr Merkwürdiges; dann geht die Erde, in der
dieses Tier dadrinnen liegt, überall an das Tier heran und umhüllt das
Tier (gelb), und es bildet sich ein Hohlraum von der Form des Tieres.

Das ist sehr häufig entstanden, daß sich solche Hohlräume bilden (grün).
Um das Tier herum lagert sich die Erde. Aber es ist nichts drinnen, es

>wm
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch:354 Seite: 5 0
durchsaugt nicht das Tier, sondern ringsherum, weil das Tier schalig
war, bildet sich solch ein Hohlraum. Nun, später wird aber die Schale
aufgelöst; und noch später windet sich irgendein Bach da durch; der
füllt dann mit seiner Gesteinsmasse das, was ein Hohlraum ist, aus
(grün), und da drinnen wird fein modelliert ein Abdruck des Tieres
mit einer ganz anderen Materie, mit einem ganz anderen Stoffe. Solche
Abdrücke sind ganz besonders interessant, denn da haben wir nicht
die Tiere selber, sondern Abgüsse der Tiere.
Nun, sehen Sie, Sie dürfen sich aber auch die Dinge nicht so ganz
leicht vorstellen. Von dem heutigen Menschen zum Beispiel mit seiner
verhältnismäßig weichen Stofforganisation bleibt außerordentlich we-
nig vorhanden, und von höheren Tieren ist auch verhältnismäßig wenig
vorhanden gewesen. So zum Beispiel gibt es Tiere, von denen nur
Abgüsse der Zähne vorhanden geblieben sind; eine Art Abgüsse ur-
weltlicher Haifischzähne, die sich auf diese Weise gebildet haben,
findet man. Jetzt muß man schon die Fähigkeit haben, sich zu sagen:
Jede Tierform hat ihre eigene Zahnform - der Mensch hat eine andere
Zahnform -, und die Zahnform richtet sich immer nach der ganzen Tafel 4
Gestalt, dem ganzen Wesen. Jetzt muß man das Talent haben, aus den
Zähnen, die man da findet, sich vorstellen zu können, wie das ganze
Tier gewesen sein kann. Also so ganz leicht ist die Sache doch nicht.
Aber sehen Sie, man kommt, indem man diese Schichten da stu-
diert, auch darauf, wie eigentlich sich die ganze Sache entwickelte.
Und daraus geht einfach hervor, daß es Zeiten gegeben hat, in denen
solche Tiere, wie sie heute da sind, nicht da waren, sondern in denen
Tiere dagewesen sind, die viel, viel einfacher waren, die so ausgeschaut
haben wie unsere ganz niederen Tiere, das Schnecken-, das Muschel-
getier und so weiter. Aber Sie müssen überall wissen, was von diesen
Tieren übriggeblieben ist. Denken Sie nur einmal, es könnte ja folgen-
des eintreten.
Nehmen Sie einmal an, ein kleiner Junge, der Krebse nicht mag,
stibitze sich einen Krebs von der Mahlzeit seiner Eltern und spiele mit
ihm. Er wird nicht erwischt und gräbt ihn ein in den Garten. Nun hat
der im Garten den Krebs eingegraben. Über die ganze Sache kommt
Erde drüber; es wird vergessen. Den Garten hat ein anderer später;
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 51
der gräbt um, wird aufmerksam an einer Stelle: Da findet er ko-
TafeH mischerweise zwei kleine Dinger, die so wie kleine Kalkschalen aus-
unten s c n a u e n « Sie wissen, daß es die sogenannten Krebsaugen gibt, die ja nicht
Augen sind, sondern kleine Kalkschalen, die im Leibe des Krebses sind.
Das sind die einzigen Zeichen, die von seinen Spuren geblieben sind.
Jetzt können Sie nicht sagen: Das sind Versteinerungen von irgendeinem
Tier -, sondern das sind Versteinerungen nur von einem Teil des Tie-
res. So kann man in älteren Schichten irgendwelche Gebilde finden,
meinetwillen so aussehend, wie eine Schale aussehend, namentlich in
den Alpen. Die sehen so ähnlich aus; die gibt es heute nicht mehr,
die findet man in älteren Schichten. Man darf nicht annehmen, daß
dies die ganzen Tiere gewesen sind, sondern man muß eben annehmen:
Da war eben etwas herum, das hat sich aufgelöst, und nur ein kleines
Stück von dem Tier ist geblieben.
Darauf geht schon die heutige Wissenschaft wenig ein. Warum?
Ja, weil sie eben nur so sagt: Dieses mächtige Alpenmassiv, das zeigt
ja, daß es durcheinandergeschmissen worden ist, das Unterste zuoberst,
das Oberste zuunterst; das zeigen die Schichten. - Aber, meine Herren,
können Sie sich vorstellen, daß mit den Kräften, die heute auf der Erde
vorhanden sind, solch ein Alpenmassiv in der Weise durcheinander-
geschmissen werden kann? Das bißchen, was heute geschieht auf der
Erde, geschieht ja so, daß vergleichsweise die Erde durchtanzt wird,
daß die Erde von einem Fleck ein bißchen auf einen anderen geworfen
wird; das ist heute alles, dieses Durchtanztwerden. Würde der Mensch
statt zweiundsiebzig Jahre siebenhundertzwanzig Jahre alt, dann
würde er erleben, wie er in seinem Greisenalter schon über einen ein
wenig höheren Boden geht als vorher. Aber wir leben ja zu kurz. Den-
ken Sie nur, wenn uns eine Eintagsfliege, die nur vom Morgen bis zum
Abend lebt, erzählen würde, was sie erlebt, die würde uns erzählen, da
sie nur im Sommer lebt: Es gibt überhaupt nur Blüten, die ganze Zeit
nur Blüten. - Die würde ja gar keine Ahnung davon haben, was im
Winter geschieht und so weiter; sie würde glauben, der nächste Som-
mer schließe sich an den vorigen an. Wir Menschen sind zwar ein biß-
chen länger dauernde Eintagsfliegen, aber etwas von Eintagsfliegen
haben wir doch schon an uns mit unseren siebzig bis zweiundsiebzig
52
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:52
Jahren! Nun, die Sache ist schon so, daß wir wenig sehen von dem,
was vorgeht. Und so muß man sagen: Mit den Kräften, die heute
wirksam sind, geschieht zwar mehr, als der Mensch gewöhnlich sieht,
aber es geschieht doch verhältnismäßig nur das, daß der Boden ein
bißchen aufgeschwemmt wird, daß Flüsse gegen das Meer hinfließen,
Flußsand zurücklassen, daß dann an den Ufern der Flußsand weiter-
geht, daß die Felder eine neue Schichte bekommen. Das ist verhält-
nismäßig wenig. Hält man sich vor Augen, wie so etwas wie dieses
Alpenmassiv durchgerüttelt und durchgeschüttelt worden ist, dann
muß man sich klar sein, daß die Kräfte, die heute wirksam sind, früher
in einer ganz anderen Weise wirksam waren.
Nun aber müssen wir uns Bilder machen, wie so etwas vor sich
gehen kann. Ja, nehmen Sie nur einmal irgendeinen Eikeim, einen Ei-
keim von irgendeinem Säugetier. Der schaut anfangs verhältnismäßig
sehr einfach aus: ringsherum Eiweißmasse, drinnen ein Kern (es wird
gezeichnet). Aber nehmen Sie an, dieser Eikeim wird befruchtet. Se- Tafel 4
hen Sie, wenn er befruchtet wird, da macht der Kern dann allerlei
Sperenzchen; er bildet sich, sehr merkwürdig, zu einer Summe von
solchen Spiralen aus, die wie ein Schwanz heraufgehen. So bildet sich
der Kern aus. In dem Moment, wo diese Knäuelchen entstehen, ent-
stehen aus der Masse heraus sternförmige Gebilde; da kommt die ganze
Masse dadurch, daß Leben in ihr ist, in Gestaltungen hinein. Da geht
es schon anders zu als heute auf unserer Erde! Dadrinnen entstehen
schon solche Umstülpungen und Überwerfungen, wie wir sie im Alpen-
massiv sehen!
Was ist natürlicher, als daß wir sagen: Also war die Erde einmal
lebendig, sonst hätten diese Umstülpungen und Überwerfungen gar
nicht entstehen können! Die heutige Gestalt der Erde zeigt uns eben,
daß sie in der Zeit, in der noch nicht Menschen, in der noch nicht hö-
here Tiere gelebt haben, selber lebendig war! So daß wir auch aus die-
ser Erscheinung heraus sagen müssen: Aus der lebendigen Erde ist die
heutige tote Erde erst hervorgegangen. - Aber nur in dieser heutigen
toten Erde können die Tiere leben! Denn denken Sie einmal, es hätte
in der Luft sich nicht abgesondert für sich der Sauerstoff und Stick-
stoff und hätte sozusagen den Wasserstoff, den Kohlenstoff, den
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 53
Schwefel zu einer verhältnismäßigen Tatenlosigkeit verdammt, so
müßten wir atmen in so etwas, was ähnlich wäre dem Eiweiß im
Hühnerei, denn so war es ringsherum um die Erde.
Nun könnte man sich zum Beispiel denken - denn in der Welt kann
ja alles entstehen -, daß sich statt unserer Lunge auch Organe gebildet
hätten, durch die man einsaugen könnte solch ein atmosphärisches Ei-
weiß. Wir können es ja heute durch den Mund verzehren. Warum sollte
nicht etwas mehr gegen den Mund hinüber eine Art Lungenorgane ent-
standen sein? Auf der Welt kann alles entstehen. Es entsteht auch das,
was da noch möglich ist. Also am Menschen liegt es eigentlich, zunächst
so, wie er heute ist, eigentlich körperlich nicht. Aber bedenken Sie doch
nur, meine Herren: Wir gucken, wenn wir heute in die Luft gucken,
in die tote Luft hinein. Die ist abgestorben. Früher war das Eiweiß
lebendig. Die Luft ist abgestorben; gerade dadurch, daß der Schwefel,
der Wasserstoff, der Kohlenstoff weg ist, ist der Stickstoff und Sauer-
stoff abgestorben. Wir gucken hinein in die lichterfüllte Luft, die abge-
storben ist. Dadurch können unsere Augen auch physikalisch sein, sind
auch physikalisch. Ware in unserer Umgebung alles lebendig, so müß-
ten auch unsere Augen lebendig sein. Wenn sie lebendig wären, könnten
wir nichts mit ihnen sehen, und wir waren fortwährend in einer Ohn-
macht, geradeso wie wir in Ohnmacht kommen, wenn es in unserem
Kopf zu stark zu leben anfängt, wenn wir in unserem Kopf, statt daß
wir die regelmäßig ausgebildeten Organe haben, allerlei Gewächse
haben, werden wir auch ohnmächtig, zuerst ab und zu und später wird
die Anzahl so stark, daß Sie wie tot daliegen. Also so, wie wir ursprüng-
lich waren, hätten wir doch nicht mit Bewußtsein leben können in die-
ser Erde. Das Menschenwesen konnte erst zum Bewußtsein erwachen,
als die Erde allmählich abgestorben war. So daß wir uns als Men-
schenwesen entwickeln eben auf der abgestorbenen Erde.
So ist es ja auch, meine Herren! So ist es ja nicht nur mit der Natur,
sondern auch mit der Kultur. Wenn Sie noch einmal auf das hin-
schauen, was ich gesagt habe, daß da unten heidnische Tempel sein
konnten, oben christliche Kirchen, so verhalten sich diese christlichen
Kirchen zu den heidnischen Tempeln geradeso wie die oberen zu den
unteren Schichten; nur in dem einen Fall haben wir es mit der Natur,
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 5 4
im anderen Fall mit der Kultur zu tun. Aber man kann auch nicht
verstehen, wie das Christliche sich entwickelt, wenn man es nicht be-
trachtet, wie es sich auf der Grundlage des Heidentums entwickelte.
So ist es schon mit der Kultur. Auch da muß man diese Schichten be-
obachten.
Nun sagte ich Ihnen aber: Der Mensch war eigentlich immer da,
nur nicht als solches physisches Wesen, sondern als mehr geistiges We-
sen. — Und das wiederum führt uns dazu, den eigentlichen Grund ein-
zusehen, warum der Mensch nicht schon früher sich als physisches
Wesen entwickelte. Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt: Da sind in der
Luft heute Stickstoff, Sauerstoff - Kohlenstoff, Wasserstoff und
Schwefel weniger. Heute bringen wir selber den Kohlenstoff, den wir
in uns haben, bei der Atmung mit dem Sauerstoff, den wir einatmen,
zusammen, verbinden den Kohlenstoff mit dem Sauerstoff, stoßen
den miteinander verbundenen Kohlenstoff und Sauerstoff, was man
Kohlensäure nennt, wieder aus. Wir Menschen leben also so, daß
wir Sauerstoff einsaugen durch die Atmung und Kohlensäure aussto-
ßen. Darin besteht unser Leben. Längst hätten wir als Menschen die
Erde, die Erdenluft ganz angefüllt mit Kohlensäure, wenn nicht etwas
anderes wäre. Das sind die Pflanzen; die haben einen ebensolchen
Hunger, wie wir nach dem Sauerstoff haben, nach dem Kohlenstoff.
Die Pflanzen wiederum nehmen gierig die Kohlensäure auf, behalten
den Kohlenstoff zurück und geben Sauerstoff wieder her.
Sie sehen, meine Herren, wie wunderbar sich eigentlich das er-
gänzt! Es ergänzt sich ganz famos. Wir Menschen brauchen aus der
Luft den Sauerstoff, den atmen wir ein; wir geben ihm den Kohlen-
stoff mit, den wir in uns haben, atmen Kohlenstoff und Sauerstoff zu-
sammen aus als Kohlensäure. Die Pflanzen atmen sie ein und atmen
den Sauerstoff wieder aus. Und so ist immer wiederum in der Luft
Sauerstoff da.
Ja, das ist heute so; aber in der Entwickelung der Menschheit auf
Erden war es nicht immer so. Gerade wenn wir die alten Wesen fin-
den, die da gelebt haben, die wir sogar noch in den Versteinerungs-
schichten drinnen finden können, dann sagen wir uns: Ja, die können
nicht so gewesen sein, wie unsere heutigen Tiere und Pflanzen sind,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 55


namentlich nicht so, wie die Pflanzen heute sind, sondern alle diese
Wesen, die ursprünglich da waren als Pflanzen, die müssen viel ähn-
licher gewesen sein unseren Schwämmen, den Pilzen und den Algen.
Nun besteht aber ein Unterschied zwischen unseren Pilzen und unseren
heutigen Pflanzen. Der Unterschied Hegt darinnen: Unsere heutigen
Pflanzen nehmen den Kohlenstoff auf, bilden sich daraus ihren Leib.
Wenn dann solche Pflanzen versinken in der Erde, dann bleibt der
Leib als Kohle darinnen. Was wir heute als Kohle ausgraben, sind
Pflanzenleiber.
Meine Herren, alles das, was wir untersuchen können in bezug
darauf, was für Pflanzen ursprünglich gelebt haben, zeigt uns: Die
heutigen Pflanzen, auch diejenigen Pflanzen, die uns einmal unsere
Kohlen geliefert haben, die wir heute aus der Erde ausgraben, die bauen
sich aus Kohlenstoff auf. Aber viel frühere Pflanzen haben sich nicht
aus Kohlenstoff aufgebaut, sondern aus Stickstoff. Geradeso wie sich
unsere heutigen Pflanzen aus Kohlenstoff aufbauen, so haben sich
diese Pflanzen aus Stickstoff aufgebaut. Wodurch ist denn das möglich
geworden? Sehen Sie, das ist dadurch möglich geworden, daß geradeso,
wie heute die Kohlensäure ausgeatmet wird von den Tieren und Men-
schen, in alten Zeiten ausgeatmet wurde eine Verbindung von Kohlen-
stoff und Stickstoff. Heute atmen wir eine Verbindung von Kohlen-
stoff und Sauerstoff aus, früher wurde ausgeatmet eine Verbindung
von Kohlenstoff und Stickstoff. Aber, meine Herren, das ist die Blau-
säure, die für alles, was heute lebt, so furchtbar giftige Blausäure, die
Zyansäure! Diese giftige Blausäure, die wurde einmal ausgeatmet, und
die verhinderte, daß so etwas, wie es heute lebt, entstehen konnte. Diese
Blausäure ist eben eine Verbindung von Stickstoff und Kohlenstoff.
Da wird der Kohlenstoff noch nicht angenommen von diesen pilzarti-
gen Pflanzen, sondern da wird der Stickstoff angenommen. Diese alten
Pflanzen, die bauten sich aus dem Stickstoff auf. Und die Wesenheiten,
von denen ich Ihnen gesprochen habe, diese vogelartigen Gebilde, und
diese plumpen Tiere, von denen ich Ihnen das letzte Mal gesprochen
habe, die atmeten diese giftige Säure aus, und die Pflanzen, die um sie
herum waren, nahmen den Stickstoff und bildeten sich daraus ihren
Leib, ihren Pflanzenleib. So daß wir auch da sehen können, daß die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 5 6


Stoffe, die heute noch da sind, eben in ganz anderer Weise verwendet
worden sind in alten Zeiten.
Und das ist es eben, wovon ich einmal aus der Anthroposophie
heraus gesprochen habe; ich habe es den Herren, die länger da sind,
schon erzählt: 1906 hatte ich Vorträge in Paris zu halten über Erd-
entwickelung, Menschenentstehung und so weiter, und da mußte ich
sagen aus dem ganzen Zusammenhang heraus: Kann man heute noch
irgendwo etwas finden, was uns darauf hinweist, daß einmal auch
auf der Erde nicht der Kohlenstoff und der Sauerstoff die Rolle gespielt
haben, die sie heute spielen, sondern daß da der Stickstoff eine sol-
che Rolle gespielt hat, daß gewissermaßen eine Atmosphäre von Blau-
säure da war, von Zyansäure?
Nun wissen Sie ja das Folgende: Es gibt alte Leute und kleine Kin-
der. Da kann einer stehen mit siebzig Jahren und neben ihm ein Kind
von zwei Jahren — das eine ist ein Mensch, und der andere ist ein
Mensch. Sie stehen eben nebeneinander, und derjenige, der heute sieb-
zig Jahre alt ist, war eben vor achtundsechzig Jahren wie das kleine
Kind. Die Dinge, die verschiedenalterig sind, stehen doch im Leben
nebeneinander. So wie es aber im Menschenleben ist, ist es eben auch
in der Welt. Auch da stehen gewissermaßen ältere Dinge und jüngere
nebeneinander. In unserer Erde mit dem, was ich Ihnen jetzt beschrie-
ben habe, was Sie heute noch sehen, ist ein richtiges Greisenhaftes, so-
gar schon fast Erstorbenes - wenn man nicht das Leben, das wieder neu
aufgesprossen ist, nimmt -, ein sogar fast Erstorbenes vorhanden. Aber
daneben sind im Weltenall wieder jüngere Gebilde, die erst so werden,
wie unser heutiges Leben ist. Und als solche muß man zum Beispiel die
Kometen anschauen. Daher kann man wissen, daß die Kometen, weil
sie eben jünger sind, auch noch diejenigen Zustände haben müssen, die
ihrem Jüngersein entsprechen. So wie das Kind dem Greis gegenüber,
so stehen die Kometen der Erde gegenüber: Hat die Erde einmal Blau-
säure gehabt, so müssen die Kometen jetzt noch Blausäure haben;
Zyan Verbindungen müßten sie haben! So daß man mit einem heutigen
Körper, wenn man lecken würde an dem Kometen, sogleich sterben
müßte. Das ist allerdings verdünnte Blausäure, die dadrinnen ist.
Nun, sehen Sie, das habe ich 1906 in Paris gesagt, daß dies aus der

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:57


Geisteswissenschaft folgt. Nun ja, zunächst haben diejenigen, die Gei-
steswissenschaft anerkennen, das angenommen; man kann sich sogar
über so etwas verwundern. Dann später, längere Zeit darauf, ist wie-
der ein Komet erschienen. Da hatte man schon die Instrumente, die
nötig sind, und da fand man auch durch die gewöhnliche Naturfor-
schung, daß die Kometen wirklich Zyan haben, Blausäure - was ich
damals in Paris gesagt hatte! So werden die Dinge eben bestätigt. Na-
türlich sagen dann die Leute, weil sie nur dieses hören: Der Steiner hat
in Paris gesagt, die Kometen haben Blausäure, nachher ist es gefunden
worden - das ist ein Zufall! - So sagen die Leute, weil sie nichts an-
deres als dieses wissen: Das ist ein Zufall. - Aber ich habe Ihnen jetzt
gesagt, warum man in den Kometen Blausäure annehmen muß. Da
sehen Sie, es ist kein Zufall, es ist eine wirkliche Wissenschaft, durch
die man darauf gekommen ist! Nur eben, mit der sinnlichen Forschung
wird das erst später bestätigt. Und so könnten die Leute schon ansehen
das, was in der Anthroposophie ist: Alles wird später bestätigt. Sogar
häufig wird es heute schon außerhalb der anthroposophischen Bewe-
gung, eben auf eine etwas andere Art, gefunden werden, was aber von
der Anthroposophie schon vor vielen Jahren gegeben worden ist.
Ja, es kommen sogar noch andere Sachen vor, meine Herren. Das
ist etwas, was heute ganz wissenschaftlich untersucht werden könnte.
Ich muß immer sagen: Wenn die Menschen zu einem Stern wirklich
hinausfahren könnten, da würden sie sehr erstaunt sein, daß der an-
ders ausschaut, als sie sich ihn aus den heutigen Erdenvorstellungen
vorstellen. Da stellt man sich vor, da ist so ein glühendes Gas drinnen.
Aber das findet man gar nicht draußen, sondern wo der Stern ist, da
ist eigentlich leerer Raum, aber ein leerer Raum, der einen gleich auf-
saugt. Saugekräfte sind da! Es saugt einen gleich auf und zersplittert
einen. Und wenn man nun mit derselben Forschung so konsequent vor-
geht und eine solche unbefangene Denkweise hat, wie wir es hier ha-
ben, so kann man auch darauf kommen, mit komplizierten Spektro-
skopen zu sehen: Da sind nicht Gase, sondern da ist der saugende
Raum. - Und ich habe schon vor längerer Zeit gewissen unserer Leute
die Aufgabe gegeben, mit dem Spektroskop einmal die Sonne und die
Sterne zu untersuchen, um einfach nachzuweisen mit äußeren Erfah-
r" r\
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 5 8
rungen, daß die Sterne Hohlräume sind, nicht glühende Gase. Und
das kann man nachweisen. Aber diejenigen Leute, denen ich diese Auf-
gabe gegeben habe, waren anfangs furchtbar begeistert: Oh, da wird
etwas gemacht! - Aber manchmal erlischt diese Begeisterung; sie ha-
ben zu lange gewartet - und schon vor anderthalb Jahren kam von
Amerika herüber die Nachricht, daß man auf dem Weg ist, die Sterne zu
untersuchen, und nach und nach findet, daß die Sterne gar nicht glü-
hende Gase sind, sondern ausgesparte Hohlräume! Es schadet ja auch
nichts, wenn das so geschieht. Natürlich, äußerlich wäre es uns nütz-
licher, wenn wir es machten. Aber es kommt ja nicht darauf an; wenn
nur die Wahrheit herauskommt.
Auf der anderen Seite aber könnte gerade durch solche Sachen ge-
sehen werden, wie Anthroposophie eigentlich mit der gewöhnlichen
Wissenschaft zusammenarbeiten will. Und so möchte sie auch durch-
aus zusammenarbeiten mit der gewöhnlichen Wissenschaft, zum Bei-
spiel in bezug auf die Erdschichten. Man nimmt ja durchaus an, was
die gewöhnliche Wissenschaft zu sagen hat über das Durcheinander-
schmeißen und Durcheinanderwürfeln in den Alpen. Nur kann man
nicht mitgehen, wenn man annimmt, das wird so herumgeschmissen
mit den Kräften, die heute noch da sind; sondern da waren eben Le-
benskräfte da, die nur dieses Lebendige durcheinanderschmeißen kön-
nen! - Also, Anthroposophie steckt wahrlich in der gewöhnlichen Wis-
senschaft schon drinnen. Die gewöhnliche Wissenschaft will nur da
überall aufhören, wo sie zu faul ist, an diese Dinge wirklich heranzu-
kommen.
Dann am Mittwoch um neun Uhr Fortsetzung.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 5 9


VIERTER VORTRAG
Dornach, 9. Juli 1924

Vielleicht können wir fortsetzen und beenden - wenn wir so weit


kommen -, was wir das letzte Mal angefangen haben, meine Herren.
Ich habe Ihnen also auseinandergesetzt, wie man sich vorzustellen
hat, daß nach und nach die Erde sich entwickelt hat und wie der
Mensch geistig eigentlich immer da war. Physisch, also dem Körper-
lichen nach, kommt aber der Mensch erst dann heraus, wie wir gese-
hen haben, wenn die Erde eigentlich tot geworden ist, wenn die Erde
selber ihr Leben verloren hat. Sehen Sie, man hat erst vor verhältnis-
mäßig kurzer Zeit die Erde so angesehen, daß man, wie ich Ihnen das
letzte Mal gesagt habe, darinnen die Versteinerungen suchte, um das
Alter der Schichten zu bestimmen. Man hat überhaupt solche Vorstel-
lungen, wie sie jetzt sind in der äußeren Wissenschaft, sich verhältnis-
mäßig spät gemacht, und wir haben ja gesehen, inwiefern diese Vor-
stellungen eigentlich falsch sind, nicht eigentlich bestehen können ge-
genüber den wirklichen Tatsachen.
Nun müssen Sie aber sich klarmachen: Man findet, wenn man in
die Erde so hineinbohrt und hineingräbt, wie ich es Ihnen auseinander-
gesetzt habe, wenn man so etwas durchsucht wie das Alpenmassiv, die
durcheinandergeworfenen Schichten, findet dann, wie Versteinerungen
in den Schichten sind; man findet dann durchaus bestimmte Pflanzen,
Tiere in jeder einzelnen Schicht. Und diejenigen Tiere, diejenigen
Pflanzen, die wir heute zumeist haben, die heute die Erde erfüllen,
die sind eigentlich erst spät aufgetreten. Die früheren Pflanzen- und
Tierformen waren verschieden von den heutigen Pflanzen- und Tier-
formen.
Nun sehen Sie, daß die Erde nicht einfach ganz langsam entstanden
ist, daß also nicht eine Schichte über der anderen sich aufgeschichtet
hat, bis sie langsam entstanden ist, das kann man nicht bloß daran
sehen, daß die Alpen so durcheinandergeworfen sind, sondern man
kann es zum Beispiel an folgendem sehen: Es gab Tiere, die ähnlich
waren unseren Elefanten, nur größer. Unser Elefant ist schon groß

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 6 0


genug, aber das waren noch mächtigere Tiere mit noch dickeren Häu-
ten, also noch stärkere Dickhäuter. Diese Tiere, die lebten einmal. Und
daß sie gelebt haben, das kann man daran sehen, daß sie gefunden
wurden im nördlichen Sibirien, das ist also im nördlichen Asien, da
wo Rußland nach Asien hinübergeht. Aber alle diese merkwürdigen
Tiere, diese Mammuttiere, die wurden gefunden als ganze Tiere mit
dem frischen Fleisch.
Ja, sehen Sie, Tiere mit noch frischem Fleisch erhält man bekannt-
lich, wenn man sie zum Beispiel ins Eis gibt. Nun, diese Tiere waren
in der Tat im Eis drinnen! Nämlich am Nördlichen Eismeer, wo Sibi-
rien gegen den Nordpol hingeht, da waren diese Tiere und sind heute
noch drinnen — frisch, wie wenn sie gestern von Riesenmenschen ge-
fangen worden, ins Eis gegeben, aufgehoben worden waren! Und da
muß man sich doch sagen: Diese Tiere leben heute nicht; das sind uralte
Tiere. Diese Tiere können auch ganz unmöglich langsam vereist sein;
sie sind heute noch da als ganze Tiere. Das kann nur dadurch geschehen
sein, daß plötzlich, als diese Tiere dort gelebt haben, eine mächtige Was-
serrevolution gekommen ist, die vereist ist gegen den Nordpol und diese
Tiere auf einmal aufgenommen hat.
Nun, daraus sehen wir schon, daß es auf der Erde in früheren Zei-
ten ganz außergewöhnlich zugegangen ist, so zugegangen ist, daß man
es mit dem heutigen Zustand nicht vergleichen kann. Und wenn man
so etwas wie die Alpen sich anschaut, dann muß man sich auch vor-
stellen, daß das nicht Millionen von Jahren gedauert haben kann, son-
dern daß das verhältnismäßig kurz sich abgespielt haben muß. Also
muß in der Erde alles gebrodelt haben und gelebt haben - geradeso
wie es zugeht in einem Magen, nachdem man eben gegessen hat und
dann anfängt zu verdauen. Aber das kann nur im Lebendigen gesche-
hen. Die Erde muß einmal lebendig gewesen sein. Und die Kräfte sind
zunächst noch zurückgeblieben, die in der Erde waren. Da gab es große,
plumpe Tiere. Unsere mehr schlanken, geschmeidigen Tiere haben sich
eben gebildet, nachdem die Erde selber abgestorben war, kein Tier
mehr war. Diese großen Elefanten, die Mammuttiere, waren noch so-
zusagen wie Läuse auf dem alten Körper der Erde, sind nur mit einer
einzigen Welle, die vereist ist, zugrunde gegangen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 61


Daraus können Sie entnehmen, wie sehr das stimmt, was ich gesagt
habe in bezug darauf, daß unsere jetzige Erde eigentlich eine Art von
Weltenleichnam ist. Und erst als die letzten Zustände eintraten auf
dieser Erde, erst da konnte der Mensch entstehen.
Nun, ich will Ihnen noch etwas anführen, woraus Sie sehen können,
wie die Erde sich verändert hat, verhältnismäßig noch spät verändert
hat. Sehen Sie, wir haben da, wenn wir das so oberflächlich zeichnen,
Tafel5 Amerika (es wird gezeichnet). Hier haben wir dann Europa: Norwe-
gen, Schottland, England, Irland, da kommen wir herüber nach Frank-
reich, Spanien; da geht es dann herüber nach Italien, Deutschland; da
ist der Bottnische Meerbusen.
Wenn man heute, sagen wir zum Beispiel von Liverpool nach Ame-
rika fährt, so macht man diese Strecke. Man fährt durch den Atlanti-
schen Ozean. Nun will ich Ihnen etwas sagen: Da herüben - da unten
ist dann Afrika -, da herüben sind gewisse Pflanzen und gewisse
Tiere, überall - man muß namentlich das kleine Viehzeug nehmen -
sind also Pflanzen und Tiere. Wenn man sich heute diese Pflanzen und
Tiere anschaut, die auf der einen Seite an den Westküsten von Europa
und da unten von Afrika vorkommen, und auf der anderen Seite an
der Ostküste von Amerika, dann stellt sich heraus, daß diese Pflanzen
und Tiere etwas miteinander verwandt sind. Sie sind etwas verschieden,
aber sie sind miteinander verwandt. Nun, warum sind denn diese mit-
einander verwandt? Sie sind verwandt aus dem Grunde - heute ist die
Sache so: da unten ist Meeresboden, da oben ist das atlantische Wasser;
hier käme dann Afrika. Sehen Sie, wie die Pflanzen und Tiere da (in
Amerika) sind, und wie sie da (in Europa und Afrika) sind, das kann
man sich nur erklären, wenn einmal hier überall Land war, der Boden
hoch war und die Tiere hier herübergehen konnten, hier überall, und
die Pflanzen auch ihren Samen nicht über den Ozean schickten, son-
dern stückweise ins Land schickten. Wo also heute zwischen Europa
und Amerika eine riesige See ist, ein riesiges Meer ist, da war einstmals
Land. Der Boden ist gesunken. Überall, wo der Boden sinkt, kommt
gleich Wasser. Wenn Sie irgendwo nur bis zu einer gewissen Tiefe gra-
ben, die Erde ausgraben, gleich kommt Wasser. Wir müssen also an-
nehmen: Da ist der Boden gesunken.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 62


Merkwürdig ist es zum Beispiel da - da ist Italien, da liegt die Stadt
Ravenna. Wenn man von Ravenna gegen das Meer hin geht, dann
hat man heute mehr als eine Stunde zu gehen; aber man trifft See-
muscheln und Seeschnecken auf dem Grund, wo man gegen das Meer
hin geht von Ravenna. Das bezeugt einem wiederum: Da war einst-
mals Meer. Und Ravenna, das heute eine Stunde vom Meer entfernt
ist, lag einstmals ganz an der See, die See grenzte an. Da wiederum
hat sich der Boden gehoben, in die Höhe gehoben, und das Wasser
ist dadurch abgelaufen. Wenn sich der Boden nun besonders stark
hebt, dann verödet der Boden, dann wird es kalt, wie es in den Ge-
birgen geschieht. Eine solche Gegend, wo es kalt geworden ist - wenn
ich hier weiter zeichnen würde, würde da Sibirien sein -, das ist die Tafel 6
Gegend von Sibirien. Sibirien zeigt durch alles das, was es an Pflan-
zenwachstum hat und so weiter, daß es einstmals den Boden tiefer
hatte, daß der mächtig in die Höhe gestiegen ist.
Aus alledem sehen Sie, daß Land fortwährend steigt und sinkt an
gewissen Punkten der Erde; es steigt auf, sinkt, und man sieht, daß
Land und Wasser auf der Erde zu verschiedenen Zeiten in der verschie-
densten Weise verteilt ist. Wenn man die Gesteine vom britischen Reich,
von England, Schottland und Irland ansieht, sich die Schichten selbst
anschaut, dann kommt man darauf, daß dieses England viermal auf
und ab gesunken ist im Laufe der Zeit! Wie es oben war, sind gewisse
Pflanzen gewachsen, bis es untergegangen ist. Wie es wieder hinauf-
gegangen ist, da war natürlich alles verödet. Es bedeckte sich mit einer
ganz anderen Pflanzen- und Tierwelt, und man kann heute noch sehen:
Viermal ist das auf und ab gegangen.
Also der Boden der Erde ist in einer fortwährenden Bewegung.
Und er war in einer viel größeren, riesenhaften Bewegung in alten Zei-
ten. Wenn heute alles so bewegt wäre, wie es in alten Zelten war, dann
wäre es den Menschen schon recht unheimlich, denn die letzten Nach-
richten von mächtigen Erdbewegungen, die allerletzten Nachrichten
sind ja eigentlich diejenigen, die nur sagenhaft auf die Menschen ge-
kommen sind als die Sintflut. Aber die Sintflut ist ja eine Kleinigkeit
gegen dasjenige, wie es einmal auf der Erde in riesenmäßigen Aus-
dehnungen zugegangen ist.
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch:354 Seite: 63
Sehen Sie, meine Herren, es entsteht dadurch die Frage: Wie ist über-
haupt der Mensch auf diese Erde gekommen? Wie ist der Mensch aufge-
treten? - Nun sind ja darüber die allerverschiedensten Ansichten ent-
standen. Die bequemste Ansicht, die sich die Leute heute gebildet haben,
ist diese, daß es einmal affenähnliche Tiere gegeben hat, die haben sich
immer mehr und mehr vervollkommnet und sind Menschen geworden.
Das ist ja eine Ansicht, welche die Wissenschaft im letzten Jahrhundert
vertreten hat. Die Wissenschaft vertritt sie heute nicht mehr; aber die
Leute, die eben immer Nachzügler sind von der Wissenschaft, die glau-
ben das natürlich heute noch. Nun, die Sache ist diese: Wie könnte
man sich aber nun vorstellen, daß der Mensch auf der Erde als phy-
sischer Mensch, wie er heute ist, sich gebildet hat? Ein großer Rummel
sozusagen, eine riesige Begeisterung war, als am Ende des ^ . J a h r -
hunderts ein reisender Gelehrter, Dubois, in Ostasien Teile von einem
Skelett entdeckt hat in solchen Erdschichten, von denen man bisher
geglaubt hat, der Mensch ist da nicht drinnen, kann da noch nicht ge-
wesen sein. Es waren nur Teile von einem Skelett, das man für ein
Menschenskelett angesehen hat, nämlich ein Oberschenkel, ein paar
Zähne, Stücke vom Schädel. Das hat nun der Dubois gefunden drüben
in Asien und hat - solch eine Sache muß natürlich einen anständigen
Namen haben - diese Überreste, respektive das Wesen, das menschen-
affenähnliche Wesen, das einmal gelebt haben sollte, genannt: Pithec-
anthropus erectus. Also dieses Wesen soll darstellen, so war man der
Ansicht, ein affenartiges Geschlecht, aus dem sich dann die Mensch-
heit allmählich heraus entwickelte. Und jetzt glauben die Menschen
in verschiedener Weise, wie sich eigentlich der Mensch entwickelt ha-
ben soll. Die einen sagen, da war einmal ein affenartiges Geschlecht;
das ist in bestimmte Lebensverhältnisse gekommen, wo es hat anfangen
müssen zu arbeiten; so sind umgebildet worden die Füße, die affen-
artigen Kletterfüße zu richtigen Füßen, die vorderen Kletterfüße zu
menschlichen Händen, und so habe sich das eben verwandelt. Aber
die anderen sagen wiederum: Nein, das kann nicht so sein; denn wenn
dieser Affenmensch in diese so ungünstigen Verhältnisse gekommen
wäre, dann wäre er einfach ausgestorben, dann hätte er sich nicht um-
wandeln können; er muß vielmehr gelebt haben, dieser Affenmensch,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 64


da schon in einer Art paradiesischem Zustand, wo er nicht hat arbei-
ten müssen, wo er sich hat frei entwickeln können, wo er geschützt
war. - Sehen Sie, so weit gehen die Ansichten auseinander! Aber all
das hält nicht stand, wenn man die wirkliche Untersuchung der Tat-
sachen aufgreift, von der wir ja schon gesprochen haben.
Gehen wir noch einmal zurück. Hier war einstmals (es wird ge-
zeichnet) eine große Landfläche, wo heute der Atlantische Ozean ist, Tafeis
durch den man fährt, wenn man von Europa nach Amerika fährt -
große Landstrecken. Aber sehen Sie, wenn man wiederum das unter-
sucht, was da hier etwas unter der Erde versteinert ist, was also die
Versteinerungen sind, und woraus man sehen kann, wie die früheren
Formen, die früheren Arten der Pflanzen und Tiere da waren, dann
findet man: Das kann alles nicht so gewesen sein! Da muß die Erde,
die da war zwischen dem heutigen Europa und Amerika, noch viel
weicher gewesen sein, nicht so festes Gestein wie heute; und die Luft
muß noch viel dicker gewesen sein, immer neblig, viel Wasser und
andere Stoffe noch enthalten haben. So daß man also da einen viel
weicheren Erdboden hatte und eine viel dickere Luft. In solch einer Ge-
gend, wenn es das heute noch auf der Erde geben würde, könnten wir,
wenn wir hinkämen, keine Woche leben; da würden wir gleich aus-
sterben. Aber nun müßten ja natürlich, weil das gar nicht so lange
her sein kann, zehntausend bis fünfzehntausend Jahre, dazumal schon
Menschen gelebt haben. Aber die können auch nicht so gewesen sein
wie die heutigen Menschen. Der heutige Mensch hat seinen festen Kno-
chenbau nur deshalb, weil draußen harte Erde ist, harte Mineralien
sind. Zu unseren kalkartigen Knochen gehören draußen die kalkarti-
gen Berge; mit denen tauschen wir ja fortwährend auch den Kalk aus:
wir trinken ihn mit ihrem Wasser und so weiter. Dahier gab es noch
keine so festen Knochengerüste. Da konnten wir Menschen, wenn wir
damals lebten, nur solche weichen Knorpeln haben wie heute die Hai-
fische. Und durch Lungen konnte man auch nicht so atmen wie heute.
Da mußte man eine Art von Schwimmblasen haben und eine Art von
Kiemen; so daß also der Mensch, der da lebte, seiner äußerlichen Ge-
stalt nach halb Mensch und halb Fisch war. Man kommt gar nicht
hinüber über die äußerliche Sache, daß der Mensch ganz anders ausge-
C j f-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 65


sehen hat, halb Mensch und halb Fisch war. Besonders wenn wir in
Zeiten zurückgehen, die noch früher zurückliegen, da haben wir den
Menschen viel, viel weicher. Und wenn wir noch weiter zurückgehen,
ist er wässerig, ist er ganz flüssig. Da bilden sich natürlich keine Ver-
steinerungen davon, sondern da geht er eben auf in der übrigen Flüssig-
keit der Erde. So daß man also sieht: So wie wir heute dastehen, sind
wir erst geworden. "Wir sind ja auch ein kleines Flüssigkeitsklümpchen,
wenn wir zuerst im Mutterleib noch sind. Nun, das ist verkümmert,
das ist klein; dazumal waren wir große, mächtige flüssige oder weiche
gallertartige Wesen. Und je weiter man zurückgeht in der Erdenent-
wickelung, desto flüssiger wird der Mensch, desto mehr ist er eigent-
lich bloß weiche, gallertartige Masse. Nicht aus dem heutigen Wasser -
aus heutigem Wasser kann man natürlich keinen Menschen machen —,
aber aus so etwas wie einer eiweißartigen Substanz läßt sich schon
dann der Mensch formen.
Da kommen wir in eine Zeit zurück, wo es weder die heutigen Men-
schengestalten gegeben hat, noch heutige Elefanten, noch Rhinoze-
rosse, noch Löwen, noch Kühe, noch Ochsen, noch Stiere, keine Kän-
guruhs; alles das hat es noch nicht gegeben. Dagegen hat es, könnte
man sagen, fischähnliche Tiere gegeben - nicht so wie die heutigen
Fische, schon menschenähnlich -, halb menschenähnliche, halb fisch-
ähnliche Tiere, die man ebensogut Menschen nennen könnte. Das hat
es also gegeben. All die heutigen Gestalten von Tieren hat es nicht ge-
geben.
Dann hat sich die Erde allmählich verwandelt in die Gestalt, wie
sie heute ist. Der Boden des Atlantischen Ozeans senkte sich hinunter;
immer mehr und mehr ging das sumpfige, schleimartige, eiweißhaltige
Wasser über in das heutige Wasser, bildete sich allmählich immer mehr
um dasjenige, was als solche Fischmenschen vorhanden war. Aber es
entstanden die verschiedensten Formen. Die mehr unvollkommenen
dieser Fischmenschen wurden Känguruhs, die ein bißchen vollkom-
meneren wurden Hirsche und Rinder, und diejenigen, die am vollkom-
mensten waren, wurden Affen oder Menschen. Aber Sie sehen daraus:
Es stammt der Mensch gar nicht in dem Sinne vom Affen ab, sondern
der Mensch war da, und alle Säugetiere entstanden eigentlich aus dem

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 66


Menschen heraus von denjenigen Menschenformen, in denen der Mensch
unvollkommen geblieben ist. So daß man vielmehr sagen kann, der
Affe stammt vom Menschen ab, als der Mensch stammt vom Affen
ab. Das ist nun schon so, und man muß sich über diese Dinge ganz klar
sein.
Sehen Sie, das konnten Sie sich durch das Folgende veranschaulichen.
Denken Sie einmal, es ist ein recht gescheiter Mensch; der hat einen
kleinen Sohn. Der kleine Sohn hat einen Wasserkopf und bleibt sehr
dumm. Man kann sagen: Der gescheite Mensch ist vielleicht fünfund-
vierzig Jahre alt, der kleine Sohn sieben, acht Jahre alt; der entwickelt
sich dumm. Ja, darf da irgendein Mensch sagen: Weil der Kleine ein
kleiner, unvollkommener Mensch ist, deshalb stammt der alte Mensch,
der vollkommene, gescheite Mensch, von dem kleinen, unvollkom-
menen ab? Das wäre ja Unsinn! Der kleine Unvollkommene stammt
von dem Gescheiten ab! Das wäre eine Verwechslung. Dieselbe Ver-
wechslung hatte man begangen, indem man geglaubt hat, Affen, die
zurückgebliebene Menschen sind, seien die Urväter der Menschen. Sie
sind eben nur zurückgebliebene Menschen, sind sozusagen die unvoll-
kommenen Vorläufer der Menschen. Man kann schon sehen: Die Wis-
senschaft war da auf einem Wege, der sie recht stark in den Irrtum hin-
einführte, und einfache Menschen konnten sich das ja auch nicht so recht
vorstellen. Man braucht nur an die Geschichte zu erinnern, wie ein
kleiner Rotzjunge nach Hause gekommen ist - der Schullehrer hatte
gerade, weil er angestochen war von der modernen Wissenschaft, er-
klärt in der Schule: Die Menschen stammen vom Affen ab - und sagte:
Heute habe ich etwas Großartiges gelernt: Die Menschen stammen vom
Affen ab! - Da sagte der Vater: Du dummer Junge, bei dir kann das
der Fall sein, bei mir aber nicht! - Sehen Sie, das war der naive Mensch
gegenüber dem Darwinismus. Die Wissenschaft ist eben manchmal
nicht eigentlich so gescheit, wie der naive Mensch es ist! Das muß man
sich sagen.
Und so kann man sagen: Alles dasjenige, was an Tieren da draußen
in der Welt lebt, das stammt von einem Urwesen ab, das weder Tier
noch Mensch war, sondern das dazwischen liegt. Die einen sind un-
vollkommen geblieben, die anderen sind vollkommener geworden, sind
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 67
Menschen geworden. - Da kommen natürlich jetzt die Leute und sagen:
Ja, aber die Menschen waren doch früher viel unvollkommener als sie
heute sind! Die Menschen waren doch früher so, daß sie einen Schädel
gehabt haben mit einer niederen Stirn, einer solchen Nase (es wird
Tafel 5 gezeichnet), die Neandertalmenschen, oder die Menschen, die man in
Jugoslawien gefunden hat. Man findet sie ja nur selten; man darf nicht
glauben, daß da überall die Skelette so herumliegen; es wurden nur
immer wenige gefunden. Der heutige Mensch hat in der Regel seine
schöne Stirn und so weiter, sieht also anders aus. Nun sagen die Men-
schen: Ja, da finden wir also diese Urmenschen mit ihrer niederen
Stirn; die waren natürlich dumm, denn in der Stirne, da sitzt der Ver-
stand, und erst die Menschen, welche die hohen Stirnen kriegten, hat-
ten den richtigen Verstand. Daher waren die Urmenschen dumm,
verständnislos, und die späteren Menschen mit den hohen Stirnen,
den vorgesetzten Stirnen, die hatten eben den rechten Verstand.
Ja, sehen Sie, meine Herren, wenn man sich diese atlantischen Men-
schen angeschaut hätte, diese Menschen, die da gelebt haben, bevor der
Boden des Atlantischen Ozeans gesunken ist und ein Meer entstand, da
hätte man gefunden: Ja, diese Menschen, die hatten schon eigentlich ein
ganz dünnes Häutchen, wenige weiche Knorpel, wie ein Netz, wie als
Hülle des Kopfes, im übrigen überall Wasser! Wenn Sie sich heute einen
richtigen Wasserkopf anschauen: der hat gar nicht eine zurückliegende
Stirn, der hat gerade eine hohe, vorgerückte Stirn, und der ist viel ähn-
licher diesem Wasserkopf; den könnten die Atlantier gehabt haben! -
Nun denken Sie sich, die Atlantier haben also diesen Kopf gehabt, aber
wässerig, so wie wir es heute beim Embryo sehen. Sehen Sie, das wäre
die Erde (es wird gezeichnet); jetzt ist das über die Erde gekommen,
daß der Boden des Atlantischen Ozeans sich gesenkt hat, daß der At-
lantische Ozean entstanden ist, Europa und Asien immer mehr aufge-
taucht sind. Denn da hebt sich alles, in Amerika hebt sich es auch,
dahier senkt es sich. Die Erde verändert sich. Die Menschen bekamen
mehr harte Knochen. So daß da, wenn wir in frühere Zeiten gehen,
in die Zeit, wo da (auf dem Gebiete des heutigen Atlantischen Ozeans)
noch festes Land war, ganz weiche Knochen dadrinnen waren, Knor-
peln. Da schaute das noch so aus (es wird auf die Zeichnung verwie-
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 68
sen); da war Wasser. Und diese Menschen, die konnten auch mit dem
Wasser denken. - Da werden Sie sagen: Donnerwetter, jetzt setzt er
uns auch noch das vor, daß die Leute dazumal nicht mit einem festen
Hirn, sondern mit einem wässerigen Hirn gedacht hätten! - Ja, meine
Herren, Sie denken alle nicht mit dem festen Gehirn! Sie denken näm-
lich alle mit dem Gehirnwasser, in dem das Gehirn drinnen schwimmt;
es ist ein Aberglaube, daß man mit dem festen Gehirn denke. Nicht
einmal die Dickschädel, die ganz eigensinnig sind, die gar nichts anderes
auffassen können als ihre eigenen Ideen, die sie in ihrer frühen Jugend
aufgenommen haben, nicht einmal die denken mit dem festen Gehirn;
die denken auch mit dem Gehirnwasser, wenn auch mit den mehr ver-
dichteten Stellen im Gehirnwasser.
Da kam aber die Zeit, wo diese Art von Wasser, diese schleimige,
eiweißartige Form von Wasser verschwand. Die Menschen konnten
nicht mehr damit denken; die Knochen blieben zurück, und es entstan-
den diese niedrigen Schädel. Und erst später wuchsen sie wieder aus -
in Europa und in Amerika drüben - zu einer hohen Stirn. So daß Sie
sagen müssen: Die Atlantier, die alten Atlantier, die hatten in ihrem
wäßrigen Kopf gerade eine sehr hohe Stirne, und dann kam, als dies
zurückging, zuerst die niedrige Stirn, und die wuchs sich nach und
nach wiederum aus zu den höheren Stirnen. Das ist eben eine Zwi-
schenzeit, wo die Menschen so waren wie der Neandertalmensch, oder
die, die man in Südfrankreich oder in Südslawien ausgegraben hat. Das
ist ein Übergangsmensch, ein Mensch, der gelebt hat, als gerade in den
Küstengebieten sich der Boden nach und nach gesenkt hat. Und diese
Menschen, wie man sie heute ausgräbt in Südfrankreich, die sind also
nicht die früheren Menschen, sondern das ist der spätere Mensch! Es
sind Vorfahren, aber schon spätere Menschen.
Und das Interessante ist: In derselben Zeit, in der diese Menschen
mit der flachen, niedrigen Stirn gelebt haben müssen, in derselben Zeit
findet man Höhlen, in denen Dinge drinnen sind, aus denen man an-
nehmen kann, die Menschen haben dazumal nicht in gebauten Häusern
drinnen gelebt, sondern in Erdhöhlen, in die sie sich hineingegraben
haben. Aber da mußte erst die Erde hart geworden sein. Also in der
Zeit, in der die Erde noch nicht ganz so hart war wie heute, sondern

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 6 9


wenigstens noch etwas weniger hart war, da bohrten sich die Leute
noch in die Erde hinein ihre Wohnungen, und die findet man auch
heute noch. Aber, was man da findet, das sind merkwürdige Zeichen,
merkwürdige Malereien, die verhältnismäßig einfach sind, die aber
doch ganz geschickt wiedergeben Tiere, die dazumal gelebt haben.
Und man ist eigentlich erstaunt, daß diese Menschen mit der flachen
Stirne, mit dem unentwickelten Kopf diese Zeichnungen gemacht ha-
ben. Diese Zeichnungen sind zugleich gescheit, und in einer anderen
Beziehung wiederum ungeschickt. Wie kann man sich das erklären?
Nur dadurch, daß eben einmal die Menschen gelebt haben mit der
hohen, noch flüssigen Stirn, und daß diese eine besondere Kunst schon
gehabt haben, vielleicht sogar viel mehr gekonnt haben als wir heute.
Und das ist dann verkümmert. Und das, was man da findet in den
Höhlen, das sind eben die letzten Reste von dem, was die Menschen
noch gekonnt haben, was sich noch fortgebildet hat. So daß man dar-
auf kommt: Es haben die Menschen einmal nicht bloß als Tiere gelebt
und sich bis zum heutigen Zustand vervollkommnet, sondern bevor
das heutige Menschengeschlecht mit seinen festen Knochen auf der
Erde da war, war ein anderes Menschengeschlecht mit mehr Knorpeln
da, das schon einmal eine höhere Kultur und Zivilisation gehabt hatte.
Da wo heute Meer ist, da war einmal schon eine höhere Zivilisation.
Und sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, daß auch die Vögel in alten
Zeiten anders waren, als sie heute sind. Die Vögel waren so, daß sie
eigentlich einmal ganz aus Luft bestanden haben; das andere haben
sie sich erst herumgebildet. Daher sind die Knochen der Vögel alle
innerlich mit Luft ausgefüllt. Diese Vögel waren einstmals Tiere, die
nur aus Luft bestanden haben, aber aus einer dicken Luft. Und die
heutigen Vögel, die haben eben ihre Federn und so weiter gebildet,
als unsere heutige Luft entstanden ist. Denken Sie einmal, die heutigen
Vögel — sie haben sie ja in Wirklichkeit nicht, aber wir können uns das
ja vorstellen —, die hätten Schulen, die hätten eine Kultur; das müßte
aber anders ausschauen, als es bei uns jetzt ausschaut! Nehmen wir
zum Beispiel an, wir bauen uns Häuser. Darin besteht ein großer Teil
unserer Kultur. Die können sich keine Häuser bauen, denn die wür-
den ja herunterfallen; auch können die Vögel keine Bildhauer werden,

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 7 0


denn alles würde herunterfallen; nicht einmal nähen können sie - das
gehört auch zu der Kultur -, denn wenn sie die Nadel nur ein bißchen
fallen lassen, so würde das auch herunterfallen. Wenn diese Vögel eine
Zivilisation und Kultur hätten, wie könnte die denn sein? Die müßte
so sein, daß sie oben in der Luft sein könnte. Aber das kann ja nichts
Festes hervorbringen, sie könnten keinen Schreibtisch haben, gar nichts;
sie könnten sich höchstens Zeichen machen, die gleich wiederum vor-
bei sind, wenn sie gemacht sind. Wenn der andere dann die Zeichen
verstehen würde, nun ja, dann wäre eine Kultur da. Denken Sie sich
also, ein Adler wäre ein sehr gescheites Tier, ein Adler könnte eine
Statue der Eule machen - nun ja, er müßte sie aber bloß in der Luft
machen; es würde nichts mehr da sein, wenn man es sich anschaut. Nun,
jetzt käme die Eule; sie wäre besonders eitel, läßt sich eine Eulenstatue
vom Adler machen; der würde das sehr schön machen, alles sehr schön;
gerade wenn eine kleine Wolke da ist vielleicht, so daß er etwas dickere
Luft hat, würde er es machen; aber es würde gleich wiederum ver-
schwinden. Andere Vögel könnten zufliegen, andere Eulen auch, die
könnten das bewundern. - Ja, die VÖgel haben das heute nicht! Sie
können ganz sicher sein: Die Adler bildhauern keine Eule! Aber die-
jenigen Wesenheiten, die einstmals Mensch waren in ihren weichen
Gestalten, ihrem weichen Körper, die hatten eine solche Kultur und
Zivilisation! Als zum Beispiel Land da war, wo heute der Atlantische
Ozean ist, da konnten die Dinge schon mehr oder weniger fest blei-
ben, stehenbleiben und so weiter, wenn sie auch immer wieder versan-
ken; aber es war schon dichter. Aber dem ging ein noch dünnerer Zu-
stand voran; da gab es nur eine solche Kultur und Zivilisation, die
man in Zeichen machte, die gleich wieder vergingen. So daß man sich
vorstellen muß, daß eben diese Menschen alles einmal machten, und
daß die Sachen nicht da geblieben sind, sondern daß sie in ganz feiner
Materie drinnen waren. Und als sie später anfingen, die Sachen mehr
gröber zu machen, da wurde es ungeschickt. Es ist ja auch heute leichter,
in weichem Wachs irgend etwas auszubilden als in dem härteren Ton.
Und gar als die Menschen nur in einer Art dicken Luft ihre ganze
Kultur und Zivilisation hatten, da hatten sie ihre Freude daran, etwas
zu machen, wenn das auch gleich wiederum unterging.
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 71
Ja, aber jetzt, meine Herren, sind wir schon sehr weit zurückge-
kommen, haben also Menschen gefunden, die eigentlich ziemlich luft-
artig sind, nur aus dickerer Luft sind. Wenn Sie sich das so vorstellen,
daß da so ein Mensch aus dickerer Luft ist, so nimmt sich das eigent-
lich aus wie eine Wolke, nur nicht so unregelmäßig geformt wie eine
Wolke, sondern er hat stark eben Gesichtartiges, Kopfartiges, Glied-
maßenartiges - aber das ist ja schon etwas sehr Geistiges, das ist
ja schon fast ein Gespenst! Wenn Ihnen heute so etwas begegnete,
meine Herren, nun ja, da würden Sie es für ein Gespenst ansehen,
noch dazu für ein ganz kurioses Gespenst! Und es würde ganz fischähn-
lich und doch wieder menschenähnlich aussehen. So waren wir auch ein-
mal! Da sind wir schon bei dem Zustande angekommen, wo der Mensch
eigentlich ganz geistig war. Und Sie sehen: Je weiter wir zurückgehen,
desto mehr finden wir, daß der Mensch den Stoff als Geistiges be-
herrscht. Wir können ja nur mit den weichsten Dingen unseres Stoffes
noch irgend etwas anfangen, können, wenn wir ein Stück Brot in den
Mund nehmen, es beißen, flüssig machen, denn alle Nahrung muß
flüssig gemacht werden, wenn sie in den Menschenleib hineingehen soll.
Denken Sie sich nur einmal, Sie machen Brot flüssig, es geht in die
Speiseröhre, geht in den Magen, breitet sich im Blut aus. Was wird
denn eigentlich aus einem Stück Brot? Das ist eine ganz merkwürdige
Sache.
Nehmen Sie an, Sie haben da den Menschen vor sich, die mensch-
liche Gestalt: das ist der Magen, die Speiseröhre, da geht es zum Mund
Tafel 6 herauf (es wird gezeichnet). Jetzt ißt dieser Mensch ein Stück Brot. Da
ißt er es hinein, da wird es allmählich flüssig gemacht, der Magen macht
es noch flüssiger; jetzt breitet es sich im Blut aus, geht überall hin, wird
dünn, ganz dünn, breitet sich da aus.
Da habe ich also ein Stück Brot in der Hand. Ich esse es - wie schaut
es denn aus nach einiger Zeit? Nach drei Stunden, wenn es sich ausge-
breitet hat im Blut, im ganzen Körper, schaut es so aus: Dieses Stück
Brot ist selber ein Mensch geworden! Und so gestalten Sie alles, was
Sie mit den Speisen einessen, zum Menschen um; Sie merken es nur
nicht. Sie merken nicht, daß eigentlich alles, was Sie in sich aufnehmen,
fortwährend den Menschen macht. Sie könnten auch gar nicht ein
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 72
Mensch sein, wenn Sie nicht fortwährend den Menschen neu machen
würden. Denn wenn Sie heute, am 9. Juli, essen: Das wird noch ein
ganz dünner, winzig dünner Mensch; davon bleibt etwas zurück, das
andere geht weg. Am nächsten Tag ist es wiederum so; aber dabei wird
Ihr Körper ausgetauscht. Er wird ja alle sieben Jahre ausgetauscht.
Nun, meine Herren, wir brauchen aber diesen in sich schon festen
Körper, damit wir immer diesen neuen Menschen machen können. Aber
diesen festen Körper hatten die früheren Menschen nicht. Die konnten
aus ihrer Seele heraus das, was sie aufnahmen, so gestalten, daß es in
der damaligen Art menschenähnlich wurde. Sie müssen sich vorstellen,
daß sie das alles nicht brauchten, was Muskeln und Knochen sind,
sondern daß sie auf seelische Art die Speisen so gestalten konnten, daß
sie menschenähnlich waren. So war es aber sicher. Der Mensch be-
herrschte durch seinen Geist die Materie, den Stoff, bildete seine eigene
Gestalt, allerdings viel dünner, aus. Aber so war er da, so eine men-
schenähnliche, schwebende Wolke. Die ist ja heute noch da, nur brau-
chen wir heute ein Modell dazu: Es müssen schon Knochen und Mus-
keln da sein. Und in Wirklichkeit machen wir es, indem wir uns er-
nähren, heute noch so. So dünn, wie es heute ist, was sich in uns findet,
wenn wir essen, so dünn war der Mensch einmal.
Und dann atmet der Mensch die Luft: Jetzt ist sie draußen, gleich
nachher ist sie wiederum drinnen. Es breitet sich die Luft durch das
Blut überall aus: Es entsteht heute noch der luftige Mensch, sehen Sie,
durch den ganzen Menschen durch! Der luftige Mensch entsteht. Wenn
ich Ihnen also sage: Einmal war der Mensch luftartig, bevor er sich ver-
dichtet, kristallisiert hat durch seine Knochen -, so sage ich Ihnen da
gar nicht etwas, was es nicht heute noch gibt. Jedesmal, wenn Sie einen
Atemzug machen, machen Sie noch diesen Luftmenschen. Nur hatte
in früheren Zeiten bloß der Luftmensch bestanden, und die festen,
dichten, erdigen Bestandteile, die haben sich erst hineingebildet.
Wir kommen also zurück und sehen, daß dasjenige, was wir heute
in fester, dichter Materie sehen, einmal durch und durch geistig war.
Es ist also ein Unsinn, zu sagen, daß einmal die Erde nur Gas war und
daß sich das Gas durch seine eigenen Kräfte zu alledem gebildet hat,
was heute Menschen sind, was heute Tiere sind, sondern wir sehen, daß
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 7 3
die Menschen, die Tiere, alles das, was jetzt da ist, eben selber einstmals
gasförmig, luftförmig war, sich umgebildet hat. Und so treffen wir eine
Gestaltung unserer Erde, die einmal so gewesen sein muß: Sehen Sie, da
war dieses Eiland, wo heute Wasser ist, wo wir drüberfahren, da war
also Land; dazumal war der Boden von Europa noch tief unten; der hat
sich erst später heraufgehoben, an einzelnen Stellen war er oben. Jetzt
kommen wir nach Europa. Da haben wir einen Erdboden, der noch tief
unten ist, der oben noch mit Sumpfwasser bedeckt ist, kommen nach
Asien herüber, wo alles noch mit Sumpfwasser bedeckt ist. Es sind Län-
der gewesen, da drüben in Amerika, da war auch noch Sumpf. Diejeni-
gen Gegenden, die heute feste Erde sind, die waren noch Meer; was
heute Meer ist, war Land. Da darauf lebten Menschen, die ganz anders
ausschauten, also dünn waren. Erst als sich die heutigen Länder herauf-
hoben aus dem Wasser und die früheren Länder sich senkten, so daß
sie Meer wurden, erst da entstand das heutige Menschengeschlecht, ent-
standen die heutigen Tiere in der Form, wie sie sind. Das hängt zusam-
men mit dem inneren Leben der Erde.
Nur geht das heute alles subtiler vor sich. Heute heben und senken
sich nicht mehr so stark die Länder, aber ein bißchen noch immer. Und
wer heute Karten ansieht - sogar in der Schweiz ist es so -, die nur
Jahrhunderte alt sind, der sieht, daß es auf solchen Karten noch vor-
kommt: Da ist ein See, heute liegt irgendein Ort weit weg vom See -
aber man erkennt, dieser Ort, der muß, geradeso wie Ravenna einst-
mals am Meer gelegen hat, an diesem See gelegen haben. Ja, Seen trock-
nen aus, werden kleiner, auch heute noch. Nur geht es langsamer vor
sich, als es einmal vor sich gegangen ist. Aber damit, daß sich die
Flächen, die Landflächen und die Seeböden heben und senken, damit
verändert sich auch fortwährend die Menschheit und verändern sich
alle Tiere. Die sind in einer fortwährenden Umbildung. Nur geht es
eben langsamer vor sich, als es einmal vor sich gegangen ist.
Das ist es, was ich Ihnen heute noch sagen wollte. Und Sie sehen,
wie das heutige Menschengeschlecht entstanden ist. Wir werden das
nächste Mal einiges Geschichtliche hinzufügen, schauen, wie das Men-
schengeschlecht einmal da war. In der heutigen Form, da entstand ja
erst die Geschichte, da entstanden erst die Menschen, indem sie ge-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 7 4


drängt wurden dazu, daß sie Jäger, Ackerbauer, Hirten und so wei-
ter wurden. Das ist dasjenige, was wir dann noch als ein Stückchen
Geschichte anstückeln werden eben an das, was wir jetzt über Welt-
und Menschenentstehung sagen konnten. - Es war sehr fruchtbar, daß
uns Herr Dollinger die Frage gestellt hat. Wir haben sehr ausführlich
darüber sprechen können, und wir werden, wie gesagt, das nächste
Mal noch ein Stückchen Geschichte dazunehmen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 7 5


F Ü N F T E R VORTRAG

Dornach, 12. Juli 1924

Meine Herren! Ich habe Ihnen gesagt, daß wir noch etwas die Ge-
schichte betrachten wollen, die sich anschließt an die Weltbetrachtung,
die wir angestellt haben. Sie haben gesehen, wie sich so allmählich das
Menschengeschlecht aus der übrigen großen Natur herausgebildet hat.
Und erst als die Lebensverhältnisse für die Menschheit eben da waren
auf der Erde, als sozusagen die Erde abgestorben war, die Erde nicht
mehr ihr eigenes Leben hatte, konnte sich menschliches und auch tieri-
sches Leben so entwickeln auf der Erde, wie ich es Ihnen dargestellt habe.
Und wir haben ja auch gesehen, daß sich das erste menschliche
Leben noch ganz anders als das heutige eigentlich da abspielte, wo
heute der Atlantische Ozean ist. In der Zeit müssen wir uns vor-
stellen, daß also die Erde da, wo heute der Atlantische Ozean ist, als
fester Boden da war. Ich werde Ihnen also die Sache so ungefähr noch
Tafeln einmal aufzeichnen (es wird gezeichnet): Da kommt man jetzt nach
7+8
Asien herüber. Das ist das Schwarze Meer. Da unten ist dann Afrika.
Da ist dann Rußland, und da kommen wir nach Asien herüber. Da
würde dann England, Irland sein. Da drüben ist Amerika. Hier war
also überall früher Land, und nur ganz wenig Land hier überall; dahier,
in Europa, hatten wir eigentlich damals ein ganz riesiges Meer. Diese
Länder, die sind alle im Meer. Und wenn wir da hinüberkommen, so
ist Sibirien auch noch Meer; das ist alles noch Meer. Und da unten, wo
heute Indien ist - da ist dann Hinterindien -, dahier war es wiederum
so, daß es etwas aus dem Meer herausgestiegen ist. Also wir haben
eigentlich hier etwas Land; hier haben wir wieder Land. In dem Teil,
wo heute die Asiaten, die Vorderasiaten und die Europäer leben, da
war eigentlich Meer, und das Land ist erst später daraus emporgestie-
gen. Und dieses Land, das ging viel weiter, das ging noch bis in den
Stillen Ozean hinein, wo heute die vielen Inseln sind; also die Inseln
Java, Sumatra und so weiter, das sind Stücke von einem ehemaligen
Land, der ganze Inselarchipel. Da also, wo heute der-Große Ozean
ist, war wiederum viel Land; dazwischen war Meer.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 76
Nun sind also die ersten Bevölkerungen, die wir verfolgen können,
hier geblieben, wo etwas das Land sich erhalten hat. Wenn wir in
Europa uns umschauen, so können wir eigentlich sagen: In Europa ist
die Sache so, da ist vor heute etwa zehn-, zwölf-, fünfzehntausend
Jahren erst die Erde soweit fest geworden, der Boden, daß Menschen
da wohnen konnten. Vorher waren nur Seetiere da, die aus dem Meere
sich herausentwickelten und so weiter. Wollte man dazumal nach den
Menschen schauen, so müßte man da hinüber schauen, wo heute der
Atlantische Ozean ist. Aber da drüben in Asien, in Ostasien, da waren
eben auch schon Menschen in der Zeit vor zehntausend Jahren und
so weiter. Diese Menschen, die haben natürlich Nachkommen hinter-
lassen; und die sind sehr interessant, meine Herren, diese Nachkommen
gerade, denn das sind eigentlich diejenigen, die die älteste sogenannte
Kultur haben auf der Erde. Das sind Völker, die wir heute als Mon-
golenvölker bezeichnen, das sind Japaner und Chinesen. Die sind eigent-
lich deshalb sehr interessant, weil sie Überreste sind sozusagen der
ältesten Erdenbevölkerung, von der noch etwas geblieben ist.
Natürlich gibt es ja, wie Sie gesehen haben, eine viel ältere Erden-
bevolkerung; die ist aber ganz zugrunde gegangen. Das ist die Bevöl-
kerung, die hier in der alten Atlantis gelebt hat. Von der ist nichts
mehr vorhanden. Denn da müßte man, selbst wenn Reste davon vor-
handen wären, auf dem Boden des Atlantischen Ozeans graben. Man
müßte erst herunterkommen auf den Boden - das ist schwerer als man
denkt —, und dann müßte man da graben; dann würde man höchst-
wahrscheinlich nichts finden, weil die einen weichen Leib gehabt ha-
ben, wie ich Ihnen sagte. Und die Kultur, die sie mit den Gebärden
gemacht haben, kann man auch nicht aus der Erde ausgraben, weil es
nicht geblieben ist! Also das, was da viel älter ist als Japaner und Chi-
nesen, das kann man nicht mit der äußeren Wissenschaft erreichen.
Man muß Geisteswissenschaft treiben, wenn man solche Sachen er-
reichen will.
Aber interessant ist, was von Chinesen und Japanern geblieben ist.
Sehen Sie, diese Chinesen und die älteren Japaner — nicht die heuti-
gen; ich will gleich darüber einige Worte sagen -, die Chinesen und
Japaner haben eigentlich eine Kultur, die ganz verschieden ist von der
77
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 77
unsrigen. Man würde viel mehr richtig von der Sache denken, wenn
nicht die braven Europäer in den letzten Jahrhunderten eben ihre
Herrschaft ausgedehnt hätten über diese Gebiete und alles ganz anders
gemacht hätten. Das ist ja zum Beispiel bei Japan vollständig gelungen.
Wenn Japan auch dem Namen nach sich selber bewahrt - das sind ja
ganz Europäer geworden; die haben ja alles von den Europäern nach
und nach angenommen, und es ist ihnen nur als Äußerlichkeit geblie-
ben, was ihnen von ihrer alten Kultur vorhanden war. Die Chinesen
haben sich schon stärker bewahrt; aber jetzt können sie es ja auch nicht
mehr. Denn die europäische Herrschaft hat sich zwar dort nicht als
Herrschaft festgesetzt, aber dasjenige, was die Europäer denken,
das gewinnt in diesen Gegenden die Oberhand. Denn es ist so, daß da
alles verlorengeht, was einmal vorhanden war. Das ist ja nicht zu be-
dauern. Das ist einmal so in der Entwickelung der Menschheit. Aber
sagen muß man es.
Nun, wenn wir zunächst, weil es bei denen reiner erscheint, die
Chinesen betrachten, so ist das so, daß sie eine Kultur haben, die sich
schon deshalb von aller anderen Kultur unterscheidet, weil die Chine-
sen in ihrer alten Kultur eigentlich gar nicht dasjenige haben, was man
Religion nennt. Die chinesische Kultur war noch eine religionslose
Kultur.
Sie müssen sich darunter nur etwas vorstellen, meine Herren, unter
«religionsloser Kultur». Nicht wahr, wenn man die Kulturen in Be-
tracht zieht, die Religionen haben, so hat man überall, zum Beispiel
in diesen altindischen Kulturen, die Verehrung von Wesenheiten, die
unsichtbar sind, die aber doch so ähnlich ausschauen wie der Mensch
auf der Erde. Das ist die Eigentümlichkeit aller späteren Religionen,
daß sie sich die unsichtbaren Wesen so menschenähnlich vorstellen.
Nicht wahr, das tut die Anthroposophie nicht mehr. Die stellt sich
die übersinnliche Welt nicht mehr menschenähnlich vor, sondern so wie
sie eben ist, und geht auch dazu über, in den Sternen und so weiter den
Ausdruck des Übersinnlichen zu sehen. Das Merkwürdige ist, daß
etwas Ähnliches die Chinesen schon gehabt haben. Die Chinesen ver-
ehren nicht unsichtbare Götter, sondern die Chinesen sagen: Dasjenige,
was hier auf der Erde ist, das ist verschieden, je nach dem Klima, je
7Q
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 78
nach der Bodenbeschaffenheit, in der man ist. - Sehen Sie, China war
ja schon in den allerältesten Zeiten ein großes Land, ist ja heute noch
größer als Europa! Es ist ein Riesenland, ist immer ein Riesenland ge-
wesen, hat eine ungeheuer große, starke Bevölkerung gehabt. Nicht
wahr, daß die Bevölkerung auf der Erde zunimmt, das ist ja nur eine
abergläubische Vorstellung der heutigen Wissenschaft, die immer nur
rechnet mit dem, womit sie rechnen will. In Wahrheit waren in ältesten
Zeiten auch die Riesenbevölkerungen in China und auch drüben in
Südamerika und auch in Nordamerika. In ältesten Zeiten ging ja auch
dort das Land heraus gegen den Stillen Ozean. Nun, gegen das ist eigent-
lich unsere Erdenbevölkerung nicht gewachsen.
Also es ist da eine ganz alte Kultur, meine Herren. Diese Kultur
kann man heute noch beobachten so, wie sie vor zehntausend, acht-
tausend Jahren durchaus vorhanden war. Da hatten sich diese Chinesen
gesagt: Ja, da oben, da ist ein anderes Klima, ein anderer Boden als da
unten; da ist alles verschieden. Da ist das Pflanzenwachstum verschie-
den, da mußten die Menschen in verschiedener Weise leben. Aber die
Sonne kommt überall hin: Die Sonne scheint da oben, die Sonne scheint
da unten, die geht ihren Weg, die geht aus den wärmeren Gegenden zu
den kälteren Gegenden und so weiter. - So sagten sich diese Leute: Auf
der Erde herrscht Verschiedenheit; die Sonne macht alles gleich. - Und
sie sahen daher in der Sonne dasjenige, was alles befruchtet, was alles
gleich macht. Deshalb sagten sie: Wenn wir einen Herrscher haben, so
muß der auch so sein. Die einzelnen Menschen sind verschieden, aber
der muß wie die Sonne die Leute beherrschen. - Deshalb nannten sie
ihn den Sohn der Sonne. Der war also verpflichtet, so zu regieren auf
Erden, wie die Sonne in der Welt regiert. Die einzelnen Planeten: Ve-
nus, Jupiter und so weiter treiben Verschiedenes; die Sonne macht
alles gleich als Herrscher über diese Planeten. Und so stellten sich die
Chinesen vor, daß derjenige, der der Herrscher ist, der Sohn der Sonne
ist. Nicht wahr: Unter «Sohn» verstand man eigentlich im wesent-
lichen dasjenige, was zu irgend etwas gehört.
Und nun war das ganze übrige Leben so eingerichtet, daß die Leute
sich sagten: Nun ja, der Sohn der Sonne, das ist unser wichtigster
Mensch; die anderen sind seine Helfer, so wie die Planeten und so
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:79
weiter die Helfer der Sonne sind. - Und sie richteten auf Erden alles
so ein, wie es ihnen oben bei den Sternen erschien. Und das alles mach-
ten sie, ohne daß sie beteten. Die Chinesen kannten das nicht, was man
ein Gebet nennt. Das taten sie, ohne daß sie im Grunde so etwas hatten,
was später ein Kultus war. Sie richteten sich dasjenige, was man ihr
Reich nennen konnte, so ein, daß es ein Abbild des Himmels war. Man
kann das noch nicht Staat nennen; das ist ein Unfug, den die heutigen
Menschen treiben. Aber sie richteten sich dasjenige, was auf Erden
war, so wie ein Abbild desjenigen ein, was ihnen am Sternenhimmel
erschien.
Sehen Sie, dadurch kam etwas heraus, was natürlich ganz anders
war als das Spätere; dadurch wurde man Bürger eines Reiches. Man
gehörte nicht zu einem Religionsbekenntnis, man fühlte sich nur als zu
einem Reich gehörig. Götter hatten die Chinesen ursprünglich schon
gar nicht; wenn sie später Götter hatten, so waren die von den Indern
übernommen. Ursprünglich hatten sie keine Götter, sondern sie drück-
ten alles das, was sie als Beziehung zu den übersinnlichen Welten hatten,
in ihrem Reichswesen aus, in dem sie ihre Einrichtungen hatten. Daher
hatten diese Einrichtungen so etwas Familienhaftes. Der Sohn der
Sonne war zugleich der Vater der übrigen Chinesen, und die dienten
ihm. Wenn es auch ein Reich war, es hatte das Ganze etwas von Fami-
lienhaftem.
Das alles ist nur möglich, wenn die Menschen überhaupt noch gar
kein solches Denken haben wie die späteren Menschen. Und die Chi-
nesen hatten noch kein solches Denken wie die späteren Menschen.
Was wir heute denken, war den Chinesen noch ganz fremd. Wir den-
ken zum Beispiel Tier und denken Mensch; wir denken Vase, wir
denken Tisch. So dachten die alten Chinesen nicht, sondern die Chi-
nesen wußten: Es gibt einen Löwen, einen Tiger, einen Hund, einen
Bären - aber nicht, daß es ein Tier gibt. Sie wußten: Der Nachbar hat
einen eckigen Tisch; der andere hat einen etwas runderen Tisch. Die
einzelnen Dinge nannten sie; aber das, was Tisch ist, das kam ihnen
gar nicht in den Sinn. Den Tisch als solchen, den kannten sie nicht. Sie
wußten: Da ist der eine Mensch mit einem etwas größeren Kopf, mit
längeren Beinen, da ist der andere Mensch mit einem etwas kleineren
«n
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 8 0
Kopf, mit kürzeren Beinen und so weiter. Da ist ein kleiner Mensch,
da ist ein großer Mensch; aber Mensch im allgemeinen kannten sie
nicht. Sie dachten ganz anders. Der heutige Mensch kann sich nicht
hineinversetzen in die Art und Weise, wie die Chinesen dachten. Daher
brauchten sie auch andere Begriffe. Wenn man so denkt, sehen Sie:
Tisch, Mensch, Tier - was ist dann? Das kann man juristisch ausbilden,
denn die Juristerei besteht nur aus solchen Begriffen; aber die Chi-
nesen konnten sich noch keine Juristerei ausdenken. Da war alles so
eingerichtet wie in einer Familie. In der Familie sieht man nicht nach
im Obligationenrecht, wenn der Sohn oder die Tochter etwas tun wol-
len. Wenn man heute etwas tun will in der Schweiz, schlägt man das
Obligationenrecht, Eherecht und so weiter auf. Da ist dann alles drin-
nen. Das muß man dann auf das einzelne anwenden.
Insofern die Menschen noch ein bißchen etwas vom Chinesischen
in sich haben — es bleibt ja immer ein bißchen was! —, da kennen sie sich
noch nicht recht aus im Obligationenrecht; da müssen sie dann zum
Advokaten gehen. Sie kennen sich auch noch nicht in allgemeinen Be-
griffen aus, die Leute. Die Chinesen, die hatten auch keine Juristerei.
Sie hatten überhaupt eigentlich alles dasjenige noch nicht, was dann
später zum Staatswesen wurde. Sie hatten nur dasjenige, was der ein-
zelne Mensch wiederum im einzelnen sehen konnte.
Nun weiter. Davon ist zum Beispiel die ganze Sprache der Chine-
sen beeinflußt. Nicht wahr, wenn wir sagen: Tisch - so stellen wir uns
darunter unbedingt etwas vor, was eine Platte hat und entweder eins,
zwei oder drei Beine und so weiter, aber es muß etwas sein, was eben
so wie ein Tisch stehen kann. Und wenn einer kommt und vom Stuhl
sagt, das wäre ein Tisch, würden wir ihm sagen: Du bist ein Esel, das
ist doch kein Tisch, das ist doch ein Stuhl. - Und wenn gar einer kom-
men würde und würde zu dem da (Wandtafel) Tisch sagen, da würden
wir ihm sagen: Das ist ein doppelter Esel, denn das ist doch eine Tafel
und kein Tisch! - Wir müssen eben nach dem, wie wir gerade unsere
Sprache haben, jedes Ding mit einem Namen bezeichnen.
Das ist bei den Chinesen nicht der Fall, sondern sagen wir - ich will
es nur hypothetisch anführen, es ist nicht genau so, aber Sie bekommen
eine Vorstellung davon -, sagen wir, der Chinese hat einen Laut OA,
6 Q1
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 81
I O A , T A O meinetwillen, er hat den Laut für Tisch zum Beispiel.
Aber dieser selbe. Laut, der bedeutet dann noch vieles andere. Also,
Tafel8 sagen wir, so ein Laut, der kann bedeuten: Baum, Bach, auch, sagen
wir, Kieselstein und so weiter. Dann hat er einen anderen Laut, der
kann bedeuten, sagen wir Stern, auch Tafel und zum Beispiel Bank.
Ich meine nicht, daß das in der chinesischen Sprache so wirklich ist,
aber es ist so aufgebaut. Jetzt weiß der Chinese: er hat zwei Laute,
sagen wir zum Beispiel Lao und Bao, und beides bedeutet ganz Ver-
schiedenes, nur Bach bedeuten sie beide; dann setzt er beides zusammen:
Baolao. So baut er seine Sprache auf! Er baut seine Sprache nicht auf
Namen auf, die dem einzelnen gegeben sind, sondern er setzt sie so zu-
sammen, wie die verschiedenen Laute Verschiedenes bedeuten. Es kann
Baum, aber auch Bach bedeuten. Wenn er dann einen Laut hat, der
unter vielem anderem Baum, aber auch Bach bedeutet, so setzt er die-
sen mit einem anderen zusammen; dann weiß der andere, daß er den
Bach meint; aber wenn er nur einen Laut ausspricht, dann weiß keiner,
was gemeint ist. Und so kompliziert ist es auch mit dem Schreiben.
So daß also die Chinesen eine außerordentlich komplizierte Sprache
und eine außerordentlich komplizierte Schrift haben.
Ja, aber daraus folgt vieles, meine Herren. Daraus folgt, daß man
nicht so leicht wie bei uns lesen und schreiben lernen konnte, nicht
einmal sprechen. Bei uns kann man wirklich sagen: Lesen und Schrei-
ben ist kinderleicht, und wir sind sogar alle unglücklich, wenn unsere
Kinder nicht lesen und schreiben lernen; es muß eben «kinderleicht»
sein. Das ist bei den Chinesen nicht so; da wird man ein alter Bursche,
bis man schreiben lernen kann oder die Sprache beherrscht. Daher kann
man sich auch vorstellen, daß eigentlich das Volk das alles nicht kann,
und daß nur diejenigen, die bis ins höchste Alter lernen, das alles beherr-
schen. Daher ist in China von selbst den Gebildeten ein geistiger Adel
gegeben. Also in China ist dieser geistige Adel durch das, was in der
Sprache und Schrift ist, hervorgerufen. Und wiederum ist es nicht so,
wie es im Westen der Fall ist, wo der Adel einigermaßen ernannt ist
und dann sich forterbt, sondern in China ist es nur möglich, eine
solche Rangstellung sich zu erringen durch Bildung, durch Gelehr-
samkeit.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 8 2
Es ist sehr merkwürdig, meine Herren: Wir müssen natürlich, wenn
wir äußerlich heute beurteilen wollen, immer betonen: Wir wollen
nur ja keine Chinesen werden! - Also Sie müssen das nicht so auf-
fassen, als ob ich sagen wollte, wir wollen Chinesen werden oder
China besonders bewundern. Das ist etwas, was natürlich einige Leute
einem leicht nachsagen können, und als wir in Wien vor zwei Jahren
einen Kongreß hatten, da hat einer von uns davon geredet, daß die
Chinesen heute noch verschiedene Einrichtungen haben, die weiser
sind als die unsrigen. Flugs haben die Zeitungen geschrieben, wir woll-
ten für Europa die chinesische Kultur haben! - Nicht wahr, das ist also
nicht damit gemeint! Nur wird man, wenn man die chinesische Kultur
beschreibt, so sprechen, daß man in eine Art, nur in eine Art von Lob
hineinkommt, weil sie ja etwas Geistiges hat. Nur ist sie primitiv; sie
ist so, daß man sich jetzt nicht mehr darauf einlassen kann. Also Sie
müssen deshalb schon nicht glauben, daß ich wünsche, daß man China
in Europa einführt! Aber ich will Ihnen doch beschreiben diese älteste
Menschheitskultur, wie sie eben wirklich war.
Nun weiter: Das, was ich da sagte, hängt nun überhaupt zusammen
mit der ganzen Art und Weise, wie diese Chinesen dachten und fühl-
ten. Die Chinesen nämlich und auch die älteren Japaner beschäftigten
sich auch sehr viel, außerordentlich viel mit ihrer Kunst, ihrer Art von
Kunst; sie malten zum Beispiel. Ja, wenn wir malen, dann ist das etwas
ganz anderes, als wenn diese Chinesen malen! Sehen Sie, wenn wir
malen - ich will das Einfachste machen -, wenn wir zum Beispiel eine
Kugel malen (es wird gezeichnet), sagen wir, wenn so das Licht kommt, Tafel 8
dann ist diese Kugel hier hell, dahier ist sie dunkel, da ist sie im Schatten,
da trifft das Licht vorbei; da ist sie wiederum auf der Lichtseite ein biß-
chen hell, weil da das zurückgeworfene Licht kommt -, dann sagen
wir, das ist Selbstschatten, weil da das zurückgeworfene Licht kommt;
und dann müßten wir hier noch extra aufmalen den Schatten, den sie
auf den Boden wirft, den Überschatten. Das ist das eine, wie wir ma-
len. Wir müssen Licht und Schatten auf unseren Dingen haben. Wenn
wir ein Gesicht malen, dann malen wir hierher Helligkeit, wenn da das
Licht kommt; dahier machen wir es dunkel. Ebenso sehen wir vom Men-
schen, wenn wir richtig malen, einen Schatten, der auf den Boden fällt.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 83 "~
Aber außerdem müssen wir bei unserem Malen noch etwas berück-
sichtigen. Nehmen wir an, ich stehe da und ich will malen. Da sehe
ich da vorne den Herrn Aisenpreis sitzen, und da hinten sehe ich den
Herrn Meier und die beiden Herren, die da hinten sind; die muß ich
auch malen: Herrn Aisenpreis ganz groß, Herrn Meier und die beiden
Herren da hinten ganz klein. So werden sie auch auf der Photographie,
wenn ich photographiere, ganz klein. Wenn ich das male, mache ich das
so, daß ich die Herren, die auf der vordersten Reihe sitzen, ganz groß
male, die nächsten kleiner, die nächsten noch kleiner, und der da ganz
hinten sitzt, der hat einen winzig kleinen Kopf, ein winzig kleines
Gesicht. Da sehen Sie, man muß nach der Perspektive malen. Das muß
man auch bei uns. Wir müssen nach Licht und Schatten malen, wir
müssen nach der Perspektive malen. So ist es einmal in unserer Denk-
weise.
Ja, die Chinesen, meine Herren, die kannten weder Licht noch
Schatten beim Malen, noch kannten sie eine Perspektive, weil sie über-
haupt nicht so gesehen haben wie wir! Die haben gar nicht geachtet
auf Licht und Schatten, auf die Perspektive; denn die haben so gesagt:
Aisenpreis ist doch nicht ein Riese, und Meier ist doch nicht ein kleiner,
winziger Zwerg! Die können wir doch nicht so durcheinanderstellen
auf einem Bild, daß der eine ein Riese, der andere ein Zwerg wäre; das
ist doch eine Lüge! Das ist doch gar nicht wahr! - Die haben sich so
hineingedacht in alles und haben so gemalt, wie sie sich hineingedacht
haben. Und die Chinesen und Japaner, wenn sie in ihrer Art malen
lernen, lernen sie es nicht so, daß sie es von außen anschauen, sondern
sich hineindenken in die Dinge; sie malen alles von innen heraus, wie
sie sich es denken müssen. Das macht das Wesen der chinesischen und
japanischen Malerei aus.
Also Sie sehen: Das Sehenlernen, das tritt erst später in der Mensch-
heit auf. Die Menschen, die da im alten China waren, die haben nur in
ihrer Art bildlich gedacht; sie haben nicht allgemeine Begriffe gebildet,
wie Tisch und so weiter, aber das, was sie gesehen haben, haben sie inner-
lich erfaßt. Das ist auch gar nicht wunderbar, meine Herren, denn die
Chinesen kamen ja von einer solchen Kultur her, bei der man nicht so
gesehen hat. Wir sehen heute so, weil die Luft zwischen uns und dem

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 84


Gegenstand ist. Aber diese Luft war ja nicht da in den Gegenden, aus
denen die Chinesen herkamen. In den Zeiten, von denen die Chinesen
herkamen, da sah man noch nicht so. In älteren Zeiten wäre es ein Un-
sinn gewesen, von Licht und Schatten zu reden, weil es das noch nicht
gab in der Luftdichte. So hat sich das bei den Chinesen erhalten, daß
sie Licht und Schatten nicht haben für die Dinge, die sie malen, und
nicht haben irgendeine Perspektive. Das kommt erst später auf. Daraus
sehen Sie schon, wie die Chinesen ganz anders innerlich denken. Sie
denken nicht so wie die späteren Menschen.
Aber all das hinderte die Chinesen gar nicht, daß sie es in bezug auf
äußere Geschicklichkeiten sehr weit brachten. Sehen Sie, in der Zeit,
als ich noch jung war, jetzt ist es etwas anders geworden, da hat man
halt in der Schule gelernt: Das Schießpulver hat Berthold Schwarz er-
funden. Und es war so gemeint, als wenn es früher niemals ein Schieß-
pulver gegeben hätte und der Berthold Schwarz aus Schwefel, Kali-
salpeter und Kohle einmal, als er seine alchimistischen Versuche ge-
macht hat, das Schießpulver gefunden hätte. Nun, die Chinesen haben
aber schon das Schießpulver vor Jahrtausenden gemacht!
Dann lernte man in der Schule: Gutenberg hat die Buchdrucker-
kunst erfunden. - Man lernte da vieles auch richtig, aber es schaut so
aus, als ob es früher niemals einen Buchdrucker gegeben hätte. Die
Chinesen hatten ihn schon vor Jahrtausenden! Ebenso hatten die Chi-
nesen die Holzschneidekunst, konnten die wunderbarsten Sachen aus
Holz herausschneiden. Also die Chinesen haben in diesen Äußerlich-
keiten eine hohe Kultur gehabt. Und diese Kultur war wiederum nur
der letzte Überrest einer Kultur, die früher noch höher war; denn das
sieht man dieser chinesischen Kunst an, daß sie herstammt von etwas,
was noch höher war.
Nun, das Eigentümliche aber bei diesen Chinesen, das ist eben das,
daß sie gar nicht in Begriffen denken können, sondern nur in Bildern;
aber dann versetzen sie sich in das Innere der Gegenstände hinein. Und
so können sie auch alle die Gegenstände machen, die durch äußere Er-
findungen gemacht werden, wenn es nicht gerade Dampfmaschinen
sind oder so etwas. Und so, wie die Chinesen heute, man kann schon
sagen, verlottert und unkultiviert sind,* so sind sie eigentlich erst ge-
* Siehe Hinweis aufS. 244. 85

C o p y r i g h t Rudolf Steiner N a c h l a s s - V e r w a l t u n g Buch: 3 5 4 Seite:85


worden, nachdem sie eigentlich wirklich jahrhundertelang malträtiert
worden sind von den Europäern.
Da sehen Sie, meine Herren, daß es eine Kultur hier gab, die eigent-
lich in gewissem Sinne geistig ist, und die ganz alt ist, die auf zehn-
tausend Jahre vor unsere Zeit schon zurückgeht. Und verhältnismäßig
spät, erst in dem Jahrtausend, das vor dem Christentum liegt, da haben
solche Leute wie der Lao-tse, der Konfuzius, dasjenige, was diese Chine-
sen gehabt haben an Kenntnissen, aufgeschrieben. Aber diese Herren
haben nichts anderes aufgeschrieben als dasjenige, was sich so ergeben
hat im Familienumgang des großen Reichs. Die haben gar nicht das
Bewußtsein gehabt, daß sie etwas erfinden als Moral-, Sittlichkeits-
regeln und so weiter, sondern dasjenige, was sie vorgefunden haben,
wie sich die Chinesen benommen haben, das haben sie aufgeschrieben.
Früher hat man es nur ausgesprochen. Also alles war im Grunde ge-
nommen anders dazumal. Nun, sehen Sie, das ist dasjenige, was sich
gewissermaßen heute noch an den Chinesen beobachten läßt.
An den Japanern läßt sich das kaum mehr beobachten, weil sie sich
ganz europäisiert haben und sie alles der europäischen Kultur nach-
machen. Daß sie nicht aus ihnen selber gewachsen ist, diese Kultur, das
geht daraus hervor, daß sie das, was rein europäisch ist, nicht aus sich
selber heraus finden können. Da passierte ja zum Beispiel einmal fol-
gendes: Die Japaner sollten ein Dampfschiff verwenden; sie haben
sich eingebildet, das könnten sie schon ganz wunderbar verwenden.
Sie haben zum Beispiel abgeguckt, wie man umdreht mit einem Dampf-
schiff, was man da für eine Schraube aufmacht und so weiter. Nun, dann
haben die Lehrer, die Europäer, das eine Zeitlang mit den Japanern
durchgemacht; dann waren die Japaner schon stolz und haben gesagt:
Das können wir jetzt selber machen, wir können selber einen Kapitän
stellen. - Nun haben sich die europäischen Lehrer auf dem Lande auf-
gestellt, und die Japaner sind mit ihrem Dampfschiff aufs hohe Meer
hinausgefahren. Nun wollten sie auch das Umdrehen probieren, mach-
ten die Schrauben auf, und siehe da, das Schiff drehte um - aber dann
wußten sie nicht, wie man wieder zumacht; und nun drehte das Schiff
fortwährend, tanzte auf dem Meer herum, und die europäischen Leh-
rer, die an der Küste standen, mußten in einem Boot auf das Meer
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 8 6
fahren und das Schiff erst wiederum zum Stillstand bringen. - Sie
wissen, daß es ein Gedicht von Goethe gibt: «Der Zauberlehrling»,
wo ein Junge von einem alten Zaubermeister sich die Sprüche abge-
lauscht hat. Nun hat er gelernt, damit er nicht selber das Wasser holen
muß, durch Zauberspruch einen Besen zu verwandeln, daß der das
Wasser herbeihole. Nun fängt er an, als der alte Meister einmal weg-
ging, sich das Wasser vom Besen bringen zu lassen. Die Worte, die hatte
er, daß er den Besen veranlassen konnte, das Wasser zu bringen. Und
nun fängt der Besen an, immer Wasser und Wasser zu bringen - aber nun
hat der Junge vergessen, wie er ihn wiederum zum Stillstand bringen
kann! Nun denken Sie, wenn Sie Wasser hätten im Zimmer und der Be-
sen immer wieder Wasser bringt, bis der Lehrling sogar den Besen zer-
hackt: da werden sogar zwei Besen daraus, die bringen beide jetzt Was-
ser! Als alles schon überschwemmt ist und immer mehr Wasser kommt,
da ist der alte Meister gekommen, der das Wort sagte, so daß der Be-
sen wieder zum Besen geworden ist.
Nicht wahr, das Gedicht ist neulich hier eurythmisiert worden,
machte den Leuten riesigen Spaß. So erging es auch den Japanern: Die
hatten auch nicht gewußt, wie die Schraube wieder zurückgedreht wer-
den mußte, und das Schiff da draußen drehte und drehte sich. Da war
da draußen so ein richtiger Schiffstanz, bis die auf dem Lande stehen-
den Lehrer mit dem Boot hinausfahren konnten und dem wieder ab-
halfen.
Daraus geht hervor: Europäische Sachen eigentlich erfinden können
die Chinesen nicht - das können auch die Japaner nicht -, aber erfinden
die eigentlich älteren Sachen, wie Schießpulver, Buchdruck und so
weiter, darauf sind diese in viel, viel älteren Zeiten gekommen als die
Europäer.
Nun, sehen Sie, der Chinese hat eben großes Interesse für die Um-
welt, großes Interesse für die Sterne, wie überhaupt großes Interesse
für die Außenwelt.
Ein anderes Volk, das nun auch weit zurückweist auf alte Zeiten,
das ist dann das indische. Aber so weit wie das chinesische weist das
indische nicht zurück. Das indische Volk hat auch eine alte Kultur.
Aber diese alte Kultur, die ist, ich möchte sagen, erst später als die
Q7
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 87
chinesische aus dem Meer aufgestiegen. Die Leute, die da im spateren
Indien waren, die sind mehr vom Norden, als das dann hier vom
Wasser frei wurde, heruntergekommen, haben sich dann da nieder-
gelassen.
Nun, diese Inder haben, während die Chinesen sich mehr für das,
was außen in der Welt ist, interessierten, in jedes Ding sich hinein-
denken konnten, mehr in sich hineingebrütet. Die Chinesen haben mehr
über die Welt nachgedacht, in ihrer Art, aber eben über die Welt nach-
gedacht; die Inder dachten mehr über sich nach, über den Menschen
selber. Daher entstand eine sehr verinnerlichte Kultur in Indien. In
den ältesten Zeiten war nun die indische Kultur auch noch religions-
frei, denn auch in die indische Kultur ist die Religion erst später her-
eingekommen. Man hat hauptsächlich den Menschen betrachtet, aber
man hat den Menschen innerlich betrachtet.
Sehen Sie, das kann ich Ihnen auch wiederum aus dem, wie diese
Inder gezeichnet und gemalt haben, am besten erklären. Wenn die
Chinesen einen Menschen gesehen haben, haben sie ihn einfach gemalt,
indem sie sich in ihn hineingedacht haben, ohne Licht und Schatten,
ohne Perspektive. Also wenn ein Chinese schon hätte Herrn Burle
malen wollen, so hätte er sich hineingedacht in ihn; er hätte ihn da
nicht schwarz gemacht, wie wir es heute machen, und da hell - Licht
und Schatten hätte er nicht gemacht; er hätte auch nicht die Hände im
Verhältnis, weil wir die Hände immer vorne haben, etwas größer ge-
macht. Aber wenn der Chinese den Herrn Burle nun gemalt hätte, dann
wäre eben der Herr Burle da auf dem Bild.
Bei den Indern war das ganz anders. Denken Sie sich, die Inder
hätten gemalt. Da hätten sie angefangen, hätten versucht, den Kopf zu
malen - Perspektive hatten sie ja auch nicht. Aber dann wäre ihnen
gleich eingefallen: Der Kopf könnte auch anders sein - da hätten sie
gleich einen zweiten, einen dritten gemacht, noch anders, und dann
wäre ihnen ein vierter und fünfter eingefallen. So hatten sie nach und
nach zwanzig, dreißig Kopfe nebeneinander gehabt! So viel ist ihnen
eingefallen bei dem einen Kopf. Oder bei einer Pflanze, wenn sie die
gemalt hätten: gleich fiel ihnen ein, die könnte auch anders sein - und
dann entstanden gleich viele, viele junge Pflanzen, die aus der älteren

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 88


hervorwuchsen! So war es bei den ältesten Indern. Die haben diese rie-
sige Phantasie gehabt. Die Chinesen haben gar keine Phantasie gehabt,
die machten nur das einzelne, aber sie dachten sich in das einzelne hin-
ein. Die Inder hatten diese riesenhafte Phantasie.
Nun, sehen Sie, meine Herren, das ist ja nicht da; wahrhaftig, wenn
man Herrn Burle ansieht, da hat man nur einen Kopf, und wenn man
ihn da hinmalt (an die Tafel), kann man auch nur einen Kopf malen. Tafel 8
Also man malt nichts, was äußerlich wirklich ist, wenn man da zwan-
zig, dreißig Köpfe malt; da malt man etwas, was nur im Geiste gedacht
ist. Und so wurde die ganze indische Kultur. Die wurde eine ganz
innerlich geistige Kultur. Daher, wenn Sie indische geistige Wesen se-
hen, wie die Leute es sich gedacht haben, dann haben sie diese mit vie-
len Köpfen, mit vielen Armen gemalt oder so, daß anderes, Tierisches
aus dem herausgeht, was also da im Körper ist und so weiter.
Sehen Sie, diese Inder, das sind ganz andere Menschen als die Chi-
nesen. Die Chinesen sind phantasielos, die Inder sind ursprünglich voll
Phantasie. Daher waren die Inder auch geeignet, nach und nach ihre
Kultur ins Religiöse umzuwandeln. Die Chinesen haben nie ihre Kul-
tur, bis heute nicht, ins Religiöse umgewandelt; in China gibt es keine
Religion. Die Europäer, sehen Sie, die alles miteinander verwursteln,
die reden von einer chinesischen Religion. Kein Chinese wird das zu-
geben! Der sagt: Ihr in Europa habt eine Religion, die Inder haben
eine Religion; wir haben nicht das, was eurer Religion ähnlich ist -,
sagen die Chinesen. Nun, aber das, wie diese Inder veranlagt waren,
das war nur möglich dadurch, daß diese Inder eine ganz genaue Kennt-
nis hatten, was die Chinesen nicht so hatten, von dem menschlichen
Körper. Der Chinese konnte sich in alles, was außen ist, sehr gut hin-
einversetzen. Deshalb malte er auch so, wie ich es Ihnen sagte. Wenn
er aber auch andere Dinge wahrnahm, dann konnte er sich gut hinein-
versetzen. Sehen Sie, wenn wir auf unserem Tisch Essig stehen haben
und Salz und Pfeffer und wollen wissen, wie diese Dinge schmecken,
dann müssen wir Pfeffer und Salz und Essig erst auf die Zunge krie-
gen; dann wissen wir, wie es schmeckt. Das war beim alten Chinesen
nicht so: Der schmeckte die Dinge schon, wenn sie draußen waren. Er
konnte sich wirklich in sie hineinversetzen. Und mit dem Äußeren war

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 89


der Chinese gut vertraut. Daher hatte er auch Ausdrücke, die zeigten,
daß er teilnahm an der Außenwelt. Wir haben nicht mehr solche Aus-
drücke - höchstens bedeuten sie bei uns etwas Bildliches. Beim Chine-
sen bedeuteten sie etwas Wirkliches. Wenn ich einen Menschen kennen-
lerne, und ich sage: Das ist ein säuerlicher Mensch -, dann werden Sie
sich etwas Bildliches vorstellen. Daß er wirklich sauer ist wie Essig,
das stellen Sie sich dann nicht vor. Aber beim Chinesen bedeutete das,
daß dieser Mensch in ihm hervorgerufen hätte einen säuerlichen Ge-
schmack.
Nun, das war bei den Indern eben nicht so. Die Inder, die konnten
sich vielmehr in den eigenen Körper vertiefen. Wenn wir uns in den
Körper vertiefen, dann können wir nur unter gewissen Umständen
etwas fühlen in unserem Körper. Wenn jedesmal, wenn wir eine Mahl-
zeit hinter uns haben, diese Mahlzeit im Magen liegen bleibt, der Ma-
gen nicht ordentlich verdauen kann, dann fühlen wir Schmerzen in
unserem Magen; wenn unsere Leber nicht in Ordnung ist, nicht genü-
gend Galle absondern kann, dann fühlen wir Schmerzen auf der rech-
ten Seite des Körpers, dann werden wir leberkrank. Wenn unsere Lunge
zu viel Exsudate, also Absonderungen, von sich gibt, so daß sie mit
Schleim ausgefüllt wird, den sie nicht haben soll, so fühlen wir: Die
Lunge, die ist nicht richtig in Ordnung, die ist krank. Der heutige Mensch
fühlt den Körper nur in denjenigen Organen, wo er krank ist. In diesen
älteren Zeiten fühlte der Inder auch die gesunden Organe; er wußte,
wie der Magen, wie die Leber sich anfühlt. Wenn der Mensch das heute
wissen will, muß er sich einen Leichnam nehmen, muß ihn zerschnei-
den; er schaut die einzelnen Organe, wie sie im Inneren sind, an. Kein
Mensch wüßte heute, wie eine Leber ausschaut, wenn man sie nicht
sezieren würde - außerdem: die Geisteswissenschaft ist in der Lage, sie
zu beschreiben! Die Inder, die dachten den Menschen von innen her;
sie hatten alle Organe zeichnen können. Nur beim Zeichnen wiederum,
wenn Sie einem Inder die Aufgabe gegeben hätten, er soll seine Leber
fühlen, und er soll das, was er fühlt, zeichnen, so hätte er gesagt: Leber -
das ist eine Leber, das eine andere Leber, das ist wieder eine andere
Leber, und er hätte zwanzig bis dreißig Lebern nacheinander aufge-
zeichnet.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 9 0


Ja, meine Herren, da wird die Geschichte schon anders. Wenn ich
einen fertigen Menschen habe und ihm zwanzig Köpfe mache, dann
habe ich ein Phantasiegebilde. Wenn ich aber eine menschliche Leber
aufzeichne und dabei zwanzig-, dreißigmal eine Leber mache, dann ist
es wirklich so, daß ich eigentlich nicht etwas ganz Phantastisches auf-
zeichne, sondern diese zwanzig, dreißig Lebern hätten eigentlich ent-
stehen können! Es hat ja jeder Mensch seine bestimmte Form der Leber,
wie er sein Gesicht hat; aber das ist nicht so arg notwendig, sondern sie
könnte der Form nach auch anders sein. Und dieses, daß etwas anders
sein kann, dieses Geistige an der Sache, das haben die Inder viel besser
verstanden als die Späteren. Die haben gesagt: Wenn man ein einzelnes
Ding zeichnet, so ist das gar nicht wahr, sondern man muß sich die
Dinge geistig vorstellen. - Daher haben die Inder eine hohe geistige
Kultur gehabt, haben eigentlich allmählich nicht mehr viel gegeben auf
die äußere Welt, sondern haben sich alles geistig vorgestellt.
Aber diese Inder, die hielten darauf, daß man tatsächlich auch in
dieser Weise die Sache lernt. Und daher war es wiederum bei ihnen so,
daß man, um ein gebildeter Mensch zu werden, lange lernen mußte.
Denn nicht wahr, es war nicht so, daß sich auf einmal der Mensch hat
in sich vertiefen und alles daher hat wissen können; er mußte dazu
erst Anleitung haben. Wenn wir einen Jungen oder ein Mädchen un-
terrichten, so sind wir verpflichtet, es so zu tun, daß wir es lesen und
schreiben lehren und so weiter, also ihm äußerlich etwas beibringen.
Das war bei den alten Indern nicht der Fall. Die haben, wenn sie wirk-
lich jemanden etwas lehren wollten, ihn hingesetzt: Er mußte sich inner-
lich in sich vertiefen, er mußte sogar möglichst die Aufmerksamkeit
von der Welt ablenken und auf das Innere richten. Nun aber, wenn einer
sitzt und so hinschaut, so sieht er Sie alle da sitzen, und er wird auf die
Außenwelt gelenkt. Das hätten die Chinesen gemacht, die lenkten die
Aufmerksamkeit auf die Außenwelt. Die Inder taten anderes. Die sag-
ten: Du mußt lernen deine Nasenspitze anzuschauen. - Dann mußte er
die Augen so halten, daß er nichts anderes sah als seine Nasenspitze,
nichts anderes, stundenlang, und gar nicht mit den Augen wegschaute.
Ja, meine Herren, der Europäer sagt: Das ist etwas Schreckliches,
wenn man die Leute anleitet, sie sollen immer auf ihre Nasenspitze
Q1
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 91
schauen. - Gewiß, für den Europäer hat es etwas Schreckliches; er
kann das nicht nachmachen. Aber im alten Indien war es eben Sitte.
Derjenige, der etwas lernen sollte, sollte nicht mit den Fingern
schreiben, sondern auf seine Nasenspitze sehen. Dadurch aber, daß
er dasaß und stundenlang auf seine Nasenspitze sah, wurde er auf
das Innere gelenkt, lernte Lunge, Leber und so weiter kennen; da
wurde er wirklich auf das Innere gelenkt. Denn die Nasenspitze ist
in der ersten Stunde wie in der zweiten; er sieht nichts Besonderes
an der Nasenspitze. Aber von der Nasenspitze aus sieht er immer
mehr und mehr in sein Inneres; da wird es im Inneren immer heller
und heller.
Dazu mußten sie noch das Folgende ausüben. Nicht wahr, man ist
gewöhnt, wenn man herumgeht, auf seinen Füßen zu gehen. Ja, meine
Herren, dieses Auf-den-Füßen-Gehen, das übt einen Einfluß auf uns
aus. Wir fühlen uns dann als aufrechte Menschen, wenn wir auf den
Füßen gehen. Auch das wurde abgestellt bei denen, die etwas lernen
sollten in Indien. Die mußten, während sie lernten, das eine Bein so
haben und sich darauf setzen, das andere so; so daß sie also so saßen
und immer auf die Nasenspitze schauten - daß sie sich ganz abgewöhn-
ten zu stehen, sondern daß sie da das Gefühl hatten: sie sind nicht auf-
rechtstehende Menschen, sondern das ist verkrüppelt, das ist noch wie
bei einem Embryo, wie wenn sie im Mutterleib noch wären. - So kön-
nen Sie ja auch die Buddha-Figuren sehen. So mußten die Inder lernen.
Und so schauten sie allmählich in ihr Inneres hinein und lernten das
Innere des Menschen kennen, lernten den physischen Leib des Men-
schen ganz geistig kennen.
Wenn wir in uns hineinschauen, da fühlen wir das armselige Den-
ken und ein bißchen das Fühlen, fast gar nicht mehr das Wollen. Die
Inder fühlten eine ganze Welt in dem Menschen. Natürlich können
Sie sich vorstellen, daß das ganz andere Menschen waren als die spä-
teren. Und dann entwickelte sich diese ungeheure Phantasie; die haben
sie in ihren dichterischen Weisheitsbüchern niedergelegt, später in den
Veden oder in der Vedanta-Philosophie, die wir heute noch bewundern;
sie haben sie niedergelegt in all den Legenden, die sie über die über-
sinnlichen Dinge haben, die wir heute noch bewundern.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 92
Sehen Sie, das ist der Gegensatz: Die Inder waren hier, die Chine-
sen da drüben, und die Chinesen waren ein Volk, welches nüchtern,
äußerlich war, gar nicht von innen, vom Inneren lebte. Die Inder waren
ein Volk, das ganz nach dem Inneren schaute, aber eigentlich den phy-
sischen Körper, der geistig ist, im Inneren anschaute.
Nun, da habe ich Ihnen zunächst etwas von den ältesten Bevölke-
rungen der Erde gesagt. Meine Herren, ich werde doch noch das nächste
Mal fortsetzen, damit wir weiterkommen bis herauf, wo wir jetzt le-
ben, und wir werden also die Geschichte weiter betrachten.
Setzen Sie sich aber doch Fragen zurecht. Es wird Sie jetzt immer
mehr und mehr das Einzelne und Besondere interessieren, aber ich
werde das nächste Mal immer auch wiederum berücksichtigen, was
mir für Fragen gestellt werden, und so allmählich weiterschreiten. -
Nur kann ich Ihnen nicht sagen, wann die nächste Stunde sein wird.
Ich muß jetzt nach Holland fahren, und werde Ihnen sagen lassen,
wann die nächste Stunde dann sein wird, in zehn bis vierzehn Tagen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 9 3


SECHSTER VORTRAG

Dornach, 31. Juli 1924

Guten Morgen! Nun, meine Herren, hat sich jemand während der lan-
gen Zeit eine Frage zurechtgelegt?

Herr Burle: Ich möchte Herrn Doktor einmal fragen über die Nahrungsmittel - über
Bohnen, Gelbe Rüben und so weiter, was die für einen Einfluß auf den Körper haben?
Über Kartoffeln hat Herr Doktor ja schon gesprochen. Vielleicht können wir über
andere Nahrungsmittel noch etwas hören. Manche Vegetarier essen nicht hängende
Sachen, wie Bohnen, Erbsen. Wenn man zum Beispiel ein Kornfeld sieht, so gibt
das einem auch wieder verschiedene Gedanken über die Brotfrucht, die sehr wahr-
scheinlich alle Volker der Erde, mit Variationen, haben.

Dr. Steiner: Also es wird gewünscht, daß jetzt etwas gesprochen


werden soll über das Verhältnis der Nahrungsmittel zum Menschen.
Nun, da ist es notwendig, daß man sich zunächst klarmacht, worauf
eigentlich das Ernähren beruht. Man stellt sich zunächst vor, daß die
Ernährung darauf beruht, daß der Mensch seine Nahrungsmittel auf-
nimmt, durch den Mund in den Magen bringt, daß sie sich dann weiter
im Körper ablagern, daß er sie wiederum von sich gibt und sich wieder
neu ernähren muß und so weiter. So einfach ist aber die Sache nicht,
sondern die Dinge sind viel komplizierter. Und man muß, wenn man
verstehen will, in welcher Weise eigentlich der Mensch zu den Nah-
rungsmitteln steht, sich ja erst einmal klarmachen, welcher Art die
Nahrungsmittel sind, die der Mensch unbedingt braucht.
Sehen Sie, das erste, was der Mensch braucht, was er unbedingt in
sich aufnehmen muß, das ist Eiweiß. Eiweiß also braucht der Mensch
unbedingt. Wollen wir uns das einmal aufschreiben, damit wir die
Tafel 9 Sachen zusammen haben. Also Eiweiß, wie es im Hühnerei zum Bei-
spiel ist; aber nicht nur im Hühnerei, sondern in allen Nahrungsmitteln
ist Eiweiß. Eiweiß braucht der Mensch unbedingt. Das zweite, was der
Mensch braucht, das sind Fette. Wiederum sind die Fette in allen Nah-
rungsmitteln drinnen. Es sind auch Fette in den Pflanzen. Das dritte
hat einen Namen, der Ihnen weniger geläufig sein wird, den man aber
notwendigerweise wissen sollte: Kohlehydrate. Kohlehydrate sind sol-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 9 4
ehe Stoffe, wie sie am allermeisten in der Kartoffel zum Beispiel ent-
halten sind; aber auch in allen anderen Pflanzen sind viel Kohlehy-
drate. Kohlehydrate sind dadurch ausgezeichnet, daß sie sich, wenn
man sie ißt, durch den Speichel des Mundes und durch den Magensaft
so langsam in Stärke verwandeln. Die Stärke ist etwas, was der Mensch
durchaus braucht; aber er ißt nicht Starke, sondern er ißt solche Nah-
rungsmittel, welche Kohlehydrate enthalten; die verwandeln sich in
ihm selber in Stärke. Und dann verwandeln sie sich noch einmal bei der
weiteren Verdauung in Zucker. Und den Zucker braucht der Mensch.
Also in den Kohlehydraten hat er den Zuckergehalt bei sich.
Aber etwas ist noch notwendig für den Menschen: das sind die Salze,
die er aufnimmt. Er nimmt sie zum Teil als Zusatz zu den Speisen auf,
zum Teil aber sind Salze in allen Speisen schon enthalten.
Wenn wir das Eiweiß betrachten, dann müssen wir bei Tier und
Mensch den großen Unterschied ins Auge fassen gegenüber den Pflan-
zen. Die Pflanzen enthalten auch Eiweiß; sie essen aber kein Eiweiß.
Wenn die Pflanzen aber trotzdem Eiweiß in sich haben, woher haben
sie das? Sie haben es aus dem Boden, der Luft, aus dem Leblosen, aus
dem Mineralischen; sie können nämlich aus dem Leblosen, aus dem
Mineralischen ihr Eiweiß bereiten. Das kann weder das Tier noch der
Mensch. Der Mensch kann nicht aus dem Leblosen Eiweiß bereiten - da
würde er nur Pflanze sein können -, sondern er muß Eiweiß in sich auf-
nehmen, wie es wenigstens die Pflanzen oder die Tiere schon zube-
reitet haben.
Überhaupt braucht der Mensch zu seinem Leben auf der Erde die
Pflanzen. Und die Pflanzen - das ist nun das Interessante -, die könn-
ten nicht gedeihen, wenn nicht wiederum der Mensch da wäre! Und
da ist es interessant, meine Herren, das müssen Sie nur ins Auge fassen,
daß die zwei allerwichtigsten Dinge für das Leben sind: der grüne
Pflanzensaft in den grünen Blättern und das Blut auf der anderen Seite.
Dieses Grün im Pflanzensaft nennt man Chlorophyll, Blattgrün; also das
Chlorophyll ist im grünen Blatt enthalten. Und außerdem ist wichtig
das Blut. Nun, da ist etwas höchst Eigentümliches: Sehen Sie, wenn Sie
den Menschen betrachten, so atmet der Mensch zunächst - das Atmen
ist auch eine Ernährung -, der Mensch nimmt Sauerstoff aus der Luft

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 95


auf, er atmet Sauerstoff ein. In seinem ganzen Körper, überall, ist aber
Kohlenstoff abgelagert. Wenn Sie in die Erde hineingeraten, wo ein
Kohlenlager ist, so kommen Sie auf die schwarze Kohle; wenn Sie einen
Bleistift spitzen, so kommen Sie auf den Graphit. Kohle und Graphit,
das ist Kohlenstoff. Sie bestehen alle, außer anderen Stoffen, den gan-
zen Körper hindurch aus Kohlenstoff; der wird gebildet im mensch-
lichen Körper.
Nun können Sie sagen: Ja, da ist eigentlich der Mensch ein recht
schwarzer Rapuzzel gerade in bezug auf den Kohlenstoff! Aber Sie
können ja auch noch etwas anderes sagen: Sehen Sie, der teuerste Kör-
per der Welt, der Diamant, besteht auch aus Kohlenstoff, nur in einer
anderen Gestalt! Also wenn Sie das lieber haben wollen, können Sie
auch sagen: Sie bestehen in bezug auf den Kohlenstoff aus lauter Dia-
manten. Der dunkle Kohlenstoff, der Graphit des Bleistiftes und der
Diamant sind derselbe Stoff. Wenn die Kohle, die Sie aus der Erde
ausgraben, durch irgendeine Kunst durchsichtig gemacht werden kann,
dann ist sie Diamant. Also diese Diamanten haben wir überall abge-
lagert in uns. Wir sind ein richtiges Kohlenlager. Wenn aber der Sauer-
stoff durch das Blut mit dem Kohlenstoff zusammenkommt, dann bil-
det sich Kohlensäure. Kohlensäure kennen Sie auch sehr gut: Sie brau-
chen nur Selterswasser zu nehmen; da sind die Perlen drinnen - diese
sind die Kohlensäure, das ist ein Gas. So daß Sie also sich vorstellen
können: Der Mensch atmet Sauerstoff durch die Luft ein, der Sauer-
stoff breitet sich durch das ganze Blut aus, im Blute nimmt er den
Kohlenstoff auf, er atmet die Kohlensäure aus. Ein atmen Sie Sauer-
stoff, aus atmen Sie Kohlensäure.
Meine Herren, es wäre in den Vorgängen, die ich Ihnen geschildert
habe in der Entwickelung der Erde, längst alles durch Kohlensäure von
Menschen und Tieren vergiftet. Denn die Zeit ist ja lang, seit sich alles
auf der Erde entwickelt hat. Wie Sie sehen, könnten längst keine Tiere
und Menschen mehr auf der Erde leben, wenn nicht die Pflanzen eine
ganz andere Eigenschaft hätten: die Pflanzen, die saugen nicht Sauer-
stoff ein, sondern gerade Kohlensäure, die der Mensch und das Tier
ausatmen. So daß also die Pflanzen ebenso gierig sind auf die Kohlen-
säure wie der Mensch auf den Sauerstoff.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 9 6
^/.' ' " ' " , , Tafel9

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Kraut \

Und wenn Sie nun da die Pflanze haben (siehe Zeichnung): Wurzel,
Stengel, Blätter, Blüte, so saugt also die Pflanze überall Kohlensäure
ein; die geht hinein. Und jetzt setzt sich der Kohlenstoff, der da in der
Kohlensäure drinnen ist, in der Pflanze nieder, und der Sauerstoff
wird wiederum ausgeatmet von den Pflanzen. Da haben ihn die Men-
schen und die Tiere wieder. Der Mensch gibt Kohlensäure her und tö-
tet alles; die Pflanze behält den Kohlenstoff zurück, gibt den Sauer-
stoff frei und belebt damit alles. Und nichts könnte die Pflanze machen
mit der Kohlensäure, wenn nicht der grüne Pflanzensaft, das Chloro-
phyll, da wäre. Dieser grüne Pflanzensaft, meine Herren, der ist ein
Zauberer, der hält den Kohlenstoff in der Pflanze zurück und gibt den
Sauerstoff wieder frei. Das Blut verbindet den Sauerstoff mit dem
Kohlenstoff; der grüne Pflanzensaft nimmt den Kohlenstoff wiederum
aus der Kohlensaure heraus und gibt den Sauerstoff frei.
Denken Sie, was das für eine feine Sache ist in der Natur, daß die
Pflanzen, die Menschen und die Tiere sich auf diese Weise ergänzen!
Sie ergänzen sich vollständig.
Nun muß man das Folgende sagen. Sehen Sie, der Mensch braucht
aber nicht bloß von der Pflanze dasjenige, was sie ihm gibt durch den
7 OT
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 97
Sauerstoff, sondern er braucht die ganze Pflanze; mit Ausnahme der
Giftpflanzen und mit Ausnahme solcher Pflanzen, die wenig von die-
sen Stoffen enthalten, braucht der Mensch alle Pflanzen, indem er
sie nicht durch Atmung, sondern durch Ernährung bekommt. Und da
ist wiederum ein solcher merkwürdiger Zusammenhang. Sehen Sie, die
Pflanze besteht ja aus der Wurzel, wenn es eine einjährige Pflanze ist -
vom Baum wollen wir jetzt absehen -, aus der Wurzel, aus dem Kraut
und aus der Blüte mit Frucht. Nun, schauen wir uns einmal die
Wurzel an. Die Wurzel, die ist ja in der Erde drinnen; sie enthält na-
mentlich viele Salze, weil in der Erde die Salze drinnen sind. Und die
Wurzel hangt mit ihren feinen Würzelchen an dieser Erde; da zieht sie
fortwährend aus der Erde die Salze heraus. So daß die Wurzel eben
dasjenige ist, was mit dem Mineralreich der Erde, mit den Salzen in
besonderer Verbindung steht.
Nun, sehen Sie, meine Herren, verwandt mit der ganzen Erde ist
der menschliche Kopf - nicht die Füße, sondern gerade der Kopf ist
mit der Erde verwandt. Wenn der Mensch anfängt Erdenmensch zu
sein im Mutterleibe, hat er ja zunächst fast nur den Kopf. Beim Kopf
fängt er an. Der Kopf ist dem ganzen Weltenall, aber auch der Erde
nachgebildet. Und der Kopf braucht vorzugsweise Salze. Denn vom
Kopf gehen die Kräfte aus, die den menschlichen Körper zum Beispiel
auch mit Knochen durchsetzen. Alles dasjenige, was den Menschen
fest macht, geht von der Kopfbildung aus. Wenn der Kopf selber noch
weich ist, wie im Mutterleib, dann kann er nicht ordentlich Knochen
bilden. Indem der Kopf selber zuerst immer härter und härter wird,
gibt er die Kräfte an den Leib ab, damit der Mensch und die Tiere die
festen Dinge, vorzugsweise die Knochen bilden können. Daraus sehen
Sie schon, daß man die Wurzel, die mit der Erde verwandt ist und die
Salze enthält - und zum Knochenbilden braucht man Salze, die Kno-
chen bestehen aus kohlensaurem Kalk, phosphorsaurem Kalk; Salze
sind das -, daraus sehen Sie, daß man die Wurzel braucht, um den
menschlichen Kopf zu versorgen.
Also, meine Herren, wenn man zum Beispiel merkt, sagen wir, daß
ein Kind schwach wird im Kopf, woran können Sie das merken? Man
kann das manchmal an entsprechenden Zuständen merken: Wenn ein
oo
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 9 8
Kind im Kopf schwach wird, dann kriegt es leicht Würmer im Gedärm.
Würmer halten sich im Gedärm auf, wenn die Kopfkräfte zu schwach
sind, weil dann der Kopf nicht stark genug in den übrigen Körper her-
unterwirkt, während die Würmer keine Behausung im Menschen fin-
den, wenn die Kopfkräfte stark in die Gedärme herunter wirken.
Daraus können Sie am allerbesten sehen, wie großartig der mensch-
liche Körper eingerichtet ist: Alles hängt in ihm zusammen. Und wenn
man ein Kind hat, das Würmer hat, soll man sich sagen, das Kind ist
im Kopf schwach; man kann auch sagen - namentlich derjenige, der
Pädagoge sein will, muß solche Dinge wissen -, wenn man später im
Leben Menschen hat, die kopfschwach sind, so haben sie in der Jugend
ihre Würmer gehabt. - Was muß man denn da tun, wenn man das be-
obachtet? Nun, meine Herren, das einfachste ist, wenn man Gelbe
Rüben nimmt, Möhren, und füttert die Kinder eine Zeitlang damit -
unter anderem; natürlich darf man sie nicht nur mit Gelben Rüben
anfuttern, aber eine Zeitlang. Gelbe Rüben sind ja dasjenige, was vor-
zugsweise Pflanzenwurzel in der Erde ist. Die haben viel Salze; die
sind imstande, da sie die Kräfte der Erde haben, wenn sie aufgenommen
werden in den Magen, durch das Blut bis in den Kopf wieder zu wir-
ken. Nur salzreiche Stoffe sind fähig, in den Kopf zu dringen. Salz-
reiche Stoffe, wurzelhafte Stoffe machen den Menschen durch den
Kopf stark. Das ist dasjenige, sehen Sie, was außerordentlich wichtig
ist. Und gerade bei den Gelben Rüben, bei den Möhren, da ist es so, daß
die allerobersten Partien des Kopfes stark werden, also dasjenige, was
man gerade braucht für den Menschen, damit er innerlich kräftig, steif
wird, damit er nicht weichlich wird.
Sehen Sie, wenn Sie die Pflanze von einer Gelben Rübe anschauen,
so werden Sie sich sagen: Der Pflanze sehe ich etwas ganz Bestimmtes
an, die ist vorzugsweise zu der Wurzel hingewachsen. Es ist ja fast
alles Wurzel an der Gelben Rübe. Man interessiert sich nur für die
Wurzel, wenn man die Pflanze hat. Das andere, das Kraut, ist nur so
obenauf, hat nicht viel Bedeutung. Also diese Gelbe Rübe ist vorzugs-
weise geeignet, den menschlichen Kopf als ein Nahrungsmittel zu ver-
sorgen. Wenn Sie daher manchmal fühlen, Sie haben so eine Kopf-
schwäche, eine Leere im Gehirn, können nicht gut denken, dann ist
QQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 99
es auch gut, wenn Sie sich Gelbe Rüben einmal eine Zeitlang in die
Nahrung tun. Aber am meisten hilft das natürlich bei Kindern.
Nun, wenn Sie jetzt aber die Kartoffel vergleichen mit der Gelben
Rübe - ja sehen Sie, die schaut ganz anders aus als die Gelbe Rübe.
Sie wissen ja, die Kartoffel hat Kraut, aber sie hat dann gerade das,
was man ißt, diese Knollen; die stecken in der Erde drinnen. Nun kann
man, wenn man oberflächlich die Sache betrachtet, sagen: Bei der Kar-
toffel sind diese Knollen die Wurzeln. Das ist aber nicht wahr; diese
Knollen sind keine Wurzeln. Wenn Sie nämlich genauer zuschauen,
so werden Sie überall sehen: Da hängen eigentlich erst die Wurzeln
daran an den Knollen in der Erde. Die eigentlichen Wurzeln sind kleine
Würzelchen, die daranhängen an den Knollen; sie fallen nur leicht ab.
Wenn man die Kartoffeln ausnimmt, sind sie schon abgefallen; aber
wenn man sie ganz frisch ausnimmt, sind sie überall noch dran. Wenn
wir die Knollen nehmen und essen, haben wir schon so etwas wie Sten-
gel oder Kraut, das sich nur scheinbar wie Wurzeln ausbildet; in Wirk-
lichkeit ist das ein Stengel oder ein Kraut; die Blätter sind umgestaltet.
Das ist also etwas, was zwischen der Wurzel und dem Kraut drinnen
ist. Daher hat die Kartoffel nicht so viel Salze in sich wie zum Beispiel
die Rübe, ist nicht so erdenhaft; sie wächst zwar in der Erde, aber sie
ist nicht so verwandt mit dem Erdigen. Und die Kartoffel, die hat
vorzugsweise Kohlehydrate, nicht so viel Salze, aber Kohlehydrate.
Jetzt müssen Sie sich folgendes sagen: Wenn ich Gelbe Rüben esse,
dann kann mein Körper eigentlich ein richtiger Faulenzer sein, denn
er braucht nur den Mundsaft, den Speichel zu verwenden bei der Gel-
ben Rübe, um sie aufzuweichen im Speichel; er braucht nur den Ma-
gensaft zu verwenden, das Pepsin und so weiter, und die ganze wich-
tige Sache von der Gelben Rübe geht in den Kopf. Der Mensch braucht
die Salze. Diese Salze werden geliefert durch alles das, was Pflanzen-
wurzel ist, und im besonderen Maß von einer solchen Wurzel wie der
Gelben Rübe.
Nun, wenn der Mensch aber Kartoffeln ißt, gibt er sie auch zunächst
in den Mund, in den Magen; da wird aus der Kartoffel erst durch die
Anstrengung des Leibes Stärke gebildet. Dann geht es weiter durch den
Darm. Damit es bei weiterer Verdauung bis ins Blut geht und auch

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 10 0


in den Kopf kommen kann, muß wiederum eine Anstrengung gemacht
werden, daß aus der Stärke Zucker gewonnen wird. Dann erst kann
es in den Kopf gehen. Da muß man also eine größere Kraft anwenden.
Ja, sehen Sie, meine Herren, wenn ich auf etwas Äußerliches eine Kraft
anwenden soll, dann werde ich schwach. Das ist ja das Geheimnis des
Menschen: "Wenn ich Holz hacke, also wenn ich äußerlich eine Kraft an-
wende, dann werde ich schwach. Wenn ich aber innerlich eine Kraft
in mir ausbilde, daß ich Kohlehydrate in Stärke und Stärke in Zucker
verwandle, da werde ich stark. Gerade indem ich das ausführe, daß
ich mich selber mit Zucker durchsetze, dadurch daß ich Kartoffeln
esse, werde ich stark. Wenn ich äußerlich Kraft anwende, werde ich
schwach; wenn ich innerlich Kraft anwende, werde ich stark. Es
kommt also nicht darauf an, daß man sich mit Nahrungsmitteln nur aus-
füllt, sondern daß die Nahrungsmittel im Körper Kräfte entwickeln.
So daß man also sagen kann: Wurzelnahrung - denn alle Wurzeln
sind so, nur nicht in demselben Grade wie die Rübenwurzel, daß sie
vorzugsweise auf den Kopf wirken -, Wurzelnahrung, die gibt dem
Körper dasjenige, was er für sich braucht. Nahrung, die schon ein
bißchen nur nach dem Kraut neigt, Kohlehydrate hat, die gibt dem
Körper Kräfte, die er zum Arbeiten braucht, zur Bewegung braucht.
Nun, über die Kartoffel habe ich schon gesprochen; sie macht den
Menschen zugleich, indem sie wiederum furchtbar viel Kraftaufwand
braucht, wieder schwach, und macht ihn vor allen Dingen so, daß er
nicht auf die Dauer Kräfte bekommt. Aber das Prinzip, das ich Ihnen
jetzt auseinandergesetzt habe, gilt gerade eben für die Kartoffel.
Aber in demselben Maße wie die Kartoffel im schlechteren Sinne,
sind im guten Sinne alle die Saatfrüchte Nahrungsmittel: Weizen oder
Roggen und so weiter. Da drinnen sind nun auch die Kohlehydrate,
und zwar so, daß der Mensch in der günstigsten Weise Stärke bereitet,
Zucker bereitet, sich also eigentlich durch die Kohlehydrate der Feld-
früchte so stark machen kann, als es nur möglich ist. - Denken Sie nur
einmal, wie stark gerade die Leute auf dem Lande werden dadurch,
daß sie einfach viel von ihrem Brot essen, in dem die Feldfrüchte drin-
nen sind! Sie müssen nur an sich schon gesunde Körper haben; gerade
wenn man gröberes Brot verträgt, ist es eigentlich die allergesündeste
im
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 101
Nahrung. Sie müssen gesunde Körper haben; aber dann wird gerade
der Körper durch die Stärke- und Zuckerbereitung ganz besonders
stark.
Nun entsteht ja eine Frage. Sehen Sie, die Menschen sind ganz von
selber, möchte man sagen, darauf gekommen in ihrer Entwickelung, die
Feldfrüchte nicht so zu essen wie die Tiere. Das Roß frißt seinen Ha-
fer fast wie er wächst. Die Tiere fressen ihre Körnerfrüchte so, wie sie
wachsen. Denn die Vögel müßten schlecht Körnerfrüchte essen kön-
nen, wenn sie darauf angewiesen wären, daß sie ihnen jemand erst
kochte! Die Menschen sind von selber darauf gekommen, sich die
Feldfrüchte zu kochen. Meine Herren, was geschieht denn dadurch,
daß ich die Feldfrüchte koche? Sehen Sie, dadurch, daß ich die Feld-
früchte koche, genieße ich sie nicht kalt, sondern warm. Nun müssen
wir, wenn wir die Nahrung innerlich verarbeiten wollen, Wärme auf-
wenden. Das geht nicht ohne Wärme ab, meine Herren, daß man
Kohlehydrate in Stärke und Stärke in Zucker verwandelt; das bedarf
eines innerlichen Heizens. Wenn ich nun schon außen heize und die
Nahrungsmittel schon warm mache, dann komme ich dem Körper zu
Hilfe; dann braucht er die Wärme nicht von sich selber abzugeben.
Also erstens werden die Nahrungsmittel dadurch schon in den Feuer-,
in den Wärmeprozeß aufgenommen, daß man sie kocht. Das ist das
erste. Das zweite ist aber: die Nahrungsmittel werden da ganz ver-
ändert! Denken Sie nur, was aus dem Mehl gemacht wird, wenn ich
es zu Brot verbacke. Es wird ja ganz anders! Aber durch was wird es
anders? Nun, zunächst mahle ich die Früchte. Was heißt mahlen? Ganz
klein machen. - Ja, sehen Sie, das, was ich da tue mit den Körner-
früchten, daß ich sie mahle, ganz klein mache, das müßte ich ja später
in meinem eigenen Leib tun! Alles das, was ich da mache, müßte ich in
meinem eigenen Leib tun; durch das, was ich da mache, nehme ich es
dem Leib ab. Ebenso wenn ich sie röste. Alle diese Dinge, die ich beim
Kochen ausführe, die nehme ich dem Leib ab, so daß ich die Nah-
rungsmittel dann in einen Zustand bringe, in dem der Körper sie leich-
ter verdaut.
Sie brauchen ja nur zu vergleichen, was für ein Unterschied be-
stehen würde, wenn der Mensch rohe Kartoffeln essen würde, oder
-* Art

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 10 2


wenn er sie gekocht ißt. Wenn der Mensch rohe Kartoffeln essen würde,
müßte der Magen ungeheuer viel Wärme hergeben, um diese rohe Kar-
toffel, die fast schon Stärke ist, umzuändern. Wie er sie jetzt umändert,
das ist aber nicht hinreichend. Die Kartoffel geht dann in den Darm.
Der Darm muß wiederum viel Kraft aufwenden. Dadurch aber bleibt
die Kartoffel überhaupt im Darm stecken; die späteren Kräfte sind
nicht mehr geeignet, die Kartoffel weiterzuleiten in den übrigen Kör-
per. Ißt man also rohe Kartoffeln, so füllt man sich entweder bloß
den Magen an - und der Darm kann schon nicht mehr weiter was da-
mit anfangen -, oder man füllt sich den Darm an; aber weiter geht
es nicht. Bereitet man aber die Kartoffel vor, indem man sie kocht oder
irgendwie anders zubereitet, hat der Magen nicht mehr so viel damit
zu tun, der Darm auch nicht; die Kartoffeln gehen über ins Blut und
gehen bis in den Kopf.
Also Sie sehen, man hat dadurch, daß man die Speisen kocht, ins-
besondere daß man diejenigen Speisen kocht, welche auf die Kohle-
hydrate berechnet sind, die Möglichkeit, die Ernährung zu unterstützen.
Sie wissen ja, in der neueren Zeit sind allerlei Narrheiten gekommen,
besonders in bezug auf die Ernährung. Die Narrheiten sind ja heute
eigentlich Mode. Da gibt es «Rohköstler», die wollen überhaupt nichts
mehr kochen, die wollen durchaus alles bloß roh essen. - Nun, natürlich,
aus was kommt so etwas? Weil die Leute aus der materialistischen Wis-
senschaft nicht mehr wissen, wie die Sachen sind, und eine geistige Wis-
senschaft wollen sie nicht kennenlernen. Daher denken sie sich etwas
aus. Die ganze Rohköstlerei ist nichts als eine Phantasterei. Eine Zeit-
lang kann man schon, weil der Körper starke Kräfte aufwenden muß,
ich möchte sagen, den Körper aufpeitschen, wenn man bloß Rohkost
benützt; aber um so mehr fällt er dann zusammen.
Nun, meine Herren, kommen wir jetzt zu den Fetten überhaupt. Die
Pflanzen, fast alle Pflanzen enthalten Fette, Pflanzenfette, die sich
die Pflanzen aus den Mineralien bereiten. Ja, sehen Sie, die Fette, die
kommen nicht so leicht in den menschlichen Körper hinein wie die
Kohlehydrate und die Salze. Die Salze werden eigentlich gar nicht ver-
ändert. Wenn Sie sich Ihre Suppe salzen: das Salz, das Sie da rein-
schmeißen, das geht fast unverändert in Ihren Kopf als Salz hinauf;

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 103


Sie kriegen das in den Kopf hinein. Wenn Sie aber Kartoffeln essen,
so kriegen Sie in Ihren Kopf schon nicht mehr Kartoffeln hinein, son-
dern Zucker; aber die Verwandlung geht so vor sich, wie ich es Ihnen
gesagt habe. Bei den Fetten aber, gleichgültig, ob Sie pflanzliche oder
tierische Fette essen, da geht die Sache nicht so einfach. Bei den Fetten
ist es so: Wenn Sie die Fette essen, dann werden sie durch den Mund-
saft, Magensaft, Darmsaft überhaupt fast ganz aufgegessen, und es
geht ganz was anderes ins Blut über, und das Tier und der Mensch muß
sich durch die Kraft, welche die Fette hervorrufen, im Darm und im
Blut erst selber die Fette bilden.
Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen dem Fett und zwischen
Zucker oder Salz. Salz und Zucker nimmt der Mensch eigentlich noch
aus der Natur auf, nur daß er sich den Zucker aus der Kartoffel oder
aus dem Roggen und so weiter verwandelt. Da hat er noch etwas von
der Natur drinnen. Bei dem Fett, das der Mensch oder das Tier in sich
hat, ist nichts mehr Natur; das hat er sich selber gebildet. Aber er hätte
keine Kraft, wenn er sich nicht ernähren würde, und Darm und Blut-
ansatz brauchen Fett. So daß man sagen kann: Salze könnte der Mensch
nicht selber bilden. Der menschliche Körper würde, wenn er nicht
Salze aufnehmen würde, niemals sich von selber Salze bilden. Wenn
der Mensch nicht Kohlehydrate aufnehmen würde, wenn er nicht Brot
oder so etwas essen würde, wodurch er Kohlehydrate aufnimmt, würde
er nicht Zucker bilden können. Wenn er aber nicht Zucker bilden
könnte, würde er ewig ein Schwachmatikus sein. Das verdanken Sie
nur dem Zucker, meine Herren: Weil Sie durch und durch voll Süßig-
keit sind, haben Sie Kraft. In dem Augenblicke, wo Sie nicht mehr
durch und durch voll Süßigkeit wären, würden Sie nicht mehr Kraft
haben, würden Sie zusammensinken.
Sehen Sie, das geht bis in die Völker hinein. Wir haben Völker,
welche wenig Zucker verzehren und auch wenig Stoffe, die Zucker
bereiten. Das sind schwache Völker in bezug auf physische Kräfte.
Wir haben Völker, die viel Zucker essen; das sind starke Völker.
Aber so leicht hat es der Mensch mit den Fetten nicht. Wenn der
Mensch Fette hat in sich, das Tier auch, so ist das sein eigenes Ver-
dienst, das Verdienst seines Körpers. Die Fette sind ganz sein eigenes

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 104


Produkt. So daß also der Mensch das, was er an Fetten in sich auf-
nimmt von außen durch Pflanzenfette, durch tierische Fette, vernich-
tet, und in der Überwindung der Fette entwickelt er jetzt die Kraft.
Bei der Kartoffel, beim Roggen, beim Weizen, da entwickelt der Mensch
seine Kräfte, indem er die Stoffe verwandelt; bei den Fetten, die er ißt,
entwickelt er die Kraft, indem er die Stoffe vernichtet. Wenn ich von
außen irgend etwas vernichte, werde ich wieder müde und matt. Wenn
ich aber im Inneren ein ganz fettes Beefsteak vernichte, werde ich da-
durch schwach, aber diese Vernichtung des ganz fetten Beefsteaks oder
die Vernichtung von Pflanzenfett, das gibt mir wiederum Kraft, daß
ich das eigene Fett entwickeln kann, wenn mein Körper dazu veran-
lagt ist. So sehen Sie also, daß die Fettnahrung auf ganz andere Art im
menschlichen Körper wirkt als die Kohlehydratnahrung.
Nun, meine Herren, der menschliche Körper ist ja recht kompli-
ziert, und man muß schon sagen, das, was ich Ihnen da erzähle, das
ist eine große Arbeit; es muß viel geschehen im menschlichen Leib, daß
er diese Pflanzenfette vernichten kann. Nehmen wir aber jetzt an, der
Mensch genießt Kraut, also von der Pflanze das Krautartige. Ja, das ist
schon so: Wo das Krautartige genossen wird, da ist dasjenige da, was
der Mensch namentlich an Fetten von der Pflanze bekommt. Wodurch
ist denn der Halm so ein hartes Zeug? Weil er die Blätter umbildet, so
daß sie zu Kohlehydraten werden. Wenn aber die Blätter grün blei-
ben - je grüner sie sind, desto mehr geben sie eben fettige Substanz. So
daß also der Mensch, wenn er Brot ißt, sagen wir, vom Brot nicht viel
Fett aufnimmt in sich. Er nimmt zum Beispiel von dem, was, sagen
wir, Brunnenkresse ist - die kleine Pflanze mit den ganz kleinen Blät-
tern -, mehr Fett auf, als wenn er Brot ißt. Es ist daher ein Bedürfnis
entstanden, daß man das Brot mit Butter, mit etwas Fett ißt, nicht für
sich, oder wie die Landleute mit Speck und so weiter, was ja wiederum
Fett ist, da ist dann für zweierlei gesorgt.
Wenn ich Brot esse, so geht das Brot dadurch, daß das Wurzelhafte
der Pflanze bis in den Halm hinaufgeht - denn der Halm, der hat die
Wurzelkräfte, trotzdem er Halm ist und oben in der Luft wächst,
in sich -, bis in den Kopf hinauf. Es kommt nicht darauf an, ob etwas
oben in der Luft ist, sondern ob es wurzelhaft ist. Aber das Blatt, das
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 10 5
grüne Blatt ist nicht wurzelhaft. Drunten in der Erde entsteht kein
grünes Blatt. Im Herbst, wenn die Sonnenkräfte nicht mehr stark wir-
ken, da kann der Halm ausreifen, gegen den Spätsommer und Herbst
zu. Aber die stärksten Triebkräfte der Sonne braucht das Blatt, wenn
es reifen soll; das wächst der Sonne zu. So daß wir sagen können: Das
Kraut wirkt vorzugsweise auf Lunge und Herz, während also die
Wurzel den Kopf stark macht und auch noch die Kartoffel so ist,
daß sie eigentlich bis zum Kopfe kommt. Wenn wir das Kraut essen,
das vorzugsweise Pflanzenfette uns geben kann, machen wir uns in
Herz und Lunge stark, im mittleren Menschen, im Brustmenschen. Das
ist, möchte ich sagen, das Geheimnis der menschlichen Ernährung: Will
ich auf meinen Kopf wirken, dann bereite ich mir Wurzelnahrung oder
Halmnahrung oder so etwas zu; will ich auf Lunge und Herz wirken,
mache ich mir Salat und so weiter. Weil aber diese Dinge schon im
Darm vernichtet werden und nur die Kräfte wirken, braucht man da
nicht so viel zu kochen. Daher werden die Blätter zu Salaten gemacht.
Aber alles das, was im Kopfe wirken soll, das kann nicht zu Salaten
gemacht werden, das muß verkocht werden. Gekochte Nahrung wirkt
vorzugsweise bis in den Kopf. Salatartige Nahrung wirkt vorzugsweise
auf Lunge, Herz und so weiter aufbauend, also ernährend hinein, und
zwar durch die Fette.
Nun ist es aber so, meine Herren, daß man nicht nur auf den Kopf
wirken muß und auf den mittleren, auf den Brustmenschen, sondern
der Mensch muß ja auch die Nahrungsorgane selber aufgebaut haben.
Er braucht einen Magen, ein Gedärm, er braucht Nieren, die Leber,
und er muß also die Nahrungsorgane selber aufgebaut haben. Nun ist
das Interessante: Zum Aufbauen der Nahrungsorgane braucht der
Mensch als Ernährung gerade das Eiweiß, das Eiweiß in den Pflanzen,
und zwar vorzugsweise wie es in den Pflanzen enthalten ist in der
Blüte, und namentlich in der Frucht selber. So daß wir sagen können:
Tafel 9 Die Wurzel ernährt vorzugsweise den Kopf (siehe Zeichnung, Seite 97);
das, was in der Mitte der Pflanze ist, das Kraut, ernährt vorzugsweise
die Brust, und das, was in den Früchten ist, den Unterleib.
Schauen wir also auf unsere Saatfelder, so können wir sagen: Gut,
daß die da sind, denn davon wird unser Kopf genährt. Schauen wir auf
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:106
den Salat, den wir anpflanzen, auf alles dasjenige, was wir in den
Blättern essen, was wir nicht zu kochen brauchen, weil es schon in den
Därmen verdaut werden kann, weil es nur auf die Kräfte ankommt,
dann bekommen wir alles das, was uns unsere Brustorgane erhält. Aber
gucken wir hinauf auf die Pflaumen, Äpfel, Früchte, die an den Bäu-
men wachsen — ja sehen Sie, da brauchen wir nicht viel zu kochen, denn
. die werden schon im ganzen Sommer von der Sonne selber ausgekocht!
Also da wird schon die innere Reifung bewirkt; da ist es anders als
bei Wurzeln und bei dem, was also nicht von der Sonne ausgereift
wird, sondern verdorrt wie Halme und so weiter. Bei den Früchten,
da brauchen wir nicht viel zu kochen, sondern nur dann, wenn wir
einen schwachen Organismus haben, der im Darm die Früchte nicht
vernichten kann, müssen wir kochen, Kompotte machen und der-
gleichen. Also gerade wenn jemand Darmkrankheiten hat, muß er da-
für sorgen, daß er die Früchte in Kompottform bekommt, als Brei,
Mus und so weiter. Aber wenn einer ein ganz gesundes Verdauungs-
system hat, ein ganz gesundes Darmsystem, dann sind die Früchte ge-
rade dazu da, den Unterleib aufzubauen, und zwar durch das, was sie
an Eiweiß in sich haben. Eiweiß in den Pflanzenfrüchten baut Ihnen
Ihren Magen auf, baut alles dasjenige auf, was der Mensch im Unter-
leib als Ernährungsorgane selber hat.
Sehen Sie, was eigentlich für ein Instinkt immer da war! Die Men-
schen haben natürlich das, was ich Ihnen jetzt auseinandersetze, nicht
so mit Begriffen gewußt, aber sie haben es aus dem Instinkt gewußt.
Daher haben sie eigentlich immer sich eine gemischte Nahrung zube-
reitet aus Wurzeln, Kraut und Früchten, haben alle diese Dinge ge-
gessen, und auch auf die Mengen, die man zum einen oder zum anderen
braucht, sind sie aus dem Instinkt gekommen.
Nun wissen Sie aber, daß die Menschen nicht bloß Pflanzen essen,
sondern auch Tiere, Fleisch von Tieren, Fett von Tieren genießen und
so weiter.
Sehen Sie, die Anthroposophie ist nirgends dazu da, fanatisch oder
sektenhaft aufzutreten, sondern nur, um zu sagen, wie die Dinge sind.
Und man kann nicht sagen, daß der Mensch nur Pflanzen essen soll, oder
auch Tierisches essen soll und so weiter, sondern man muß folgendes

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 10 7


sagen: Es gibt einfach Menschen, die können durch alle die Kräfte, die
sie in sich durch die Vererbung haben, nicht so viel Kräfte aufbrin-
gen, daß sie alle die Arbeit verrichten können, um Pflanzenfette so-
weit zu vernichten, daß die Kräfte wiederum entstehen im Leib, um
eigenes Fett zu erzeugen. Sehen Sie, wer nur Pflanzenfette ißt, ja,
meine Herren, das ist ein Mensch, der entweder darauf verzichten
muß, ein dicker Kerl zu werden, weil das Pflanzenfett vernichtet
wird - und aus der Vernichtung entstehen Kräfte -, oder aber er muß
eine furchtbar gute Gesundheit in der Verdauung haben, daß es ihm
leicht wird, die Pflanzenfette zu vernichten; dann kriegt er Kräfte,
um eigenes Fett anzusetzen. Die meisten Menschen aber sind so, daß
sie eigentlich das gar nicht durchführen können, eigenes Fett genügend
anzusetzen, wenn sie nur Pflanzenfett vernichten. Wenn die Menschen
aber tierisches Fett essen oder Fleisch, wird das nicht ganz vernichtet.
Pflanzenfett geht nicht über die Gedärme heraus, wird in den Ge-
därmen vernichtet; das Fett aber, das im Fleisch enthalten ist, geht
wieder in den Menschen über. Und er darf schwächer sein - schwächer,
als wenn er sich bloß mit dem Pflanzenfett ernährt. Daher werden wir
unterscheiden zwischen solchen Körpern, die nicht gern das Fett ha-
ben, Körpern, die nicht gern Speck essen, die insbesondere fette Nah-
rungsmittel nicht gern mögen; das sind solche Körper, die verhältnis-
mäßig leicht das Fett vernichten und dadurch Fett in sich selber bilden
wollen. Die Körper sagen: Was ich an mir trage an Speck, das will ich
mir selber machen; meinen eigenen Speck will ich haben. - Wenn aber
einer sich die Tafel ganz voll setzt mit fetten Speisen, dann sagt er
nicht: Meinen Speck will ich selber machen -, sondern dann sagt er:
Die Welt soll mir meinen Speck geben -, denn das tierische Fett geht in
den Leib über. Das ist also eine Erleichterung in der Ernährung.
Wenn das Kind Zucker schleckt, tut es das ja nicht wegen der Er-
nährung. Es ist schon etwas Nahrhaftes drinnen, wenn die Kinder
Zucker schlecken, aber das Kind tut das ja nicht wegen der Ernährung,
sondern wegen der Süße. Nun, da wird die Süßigkeit bewußt beim
Zuckerschlecken. Wenn der Mensch aber das Fett vom Ochsen, vom
Schwein, oder was es halt ist, in sich aufnimmt - ja, meine Herren, da
geht das über in seinen Körper. Das befriedigt seine Wollust geradeso,
ms
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 108
wie das Zuckerschlecken die Wollust des Kindes befriedigt, nur daß
es nicht so befriedigt, aber der Mensch fühlt schon, daß da Wollust
drinnen ist. Nun braucht der Mensch natürlich zu seinem inneren Da-
sein diese innere Wollust. Daher liebt er das Fleisch. Fleisch ißt man
also besonders, wenn der Körper das Fleisch liebt.
Aber man darf in dieser Beziehung nicht fanatisch sein. Es gibt
Menschen, die können gar nicht bestehen, wenn sie kein Fleisch essen.
Es muß daher immer sorgfältig ausprobiert werden, ob sie wirklich
ohne Fleisch leben können. Aber wenn einer ohne Fleisch auskommen
kann, fühlt er sich dann, wenn er von der Fleischnahrung übergeht
zu der vegetarischen Nahrung, stärker als vorher. Sehen Sie, das ist
eben die Schwierigkeit: Mancher verträgt gar nicht zu leben ohne
Fleisch. Wenn er aber das kann, so fühlt er sich dann stärker, wenn er
Vegetarier geworden ist, weil er nicht mehr darauf angewiesen ist,
fremdes Fett in sich abzulagern, sondern nur sein eigenes Fett kriegt;
in dem fühlt er sich dann stark.
Und ich kann schon sagen: Das weiß ich von mir selber, der ich die
Anstrengungen, die ich seit langer Zeit, die ich in den letzten vierund-
zwanzig Jahren habe durchmachen müssen, daß ich die anders nicht
hätte durchmachen können! Dann würde ich nicht ganze Nächte haben
fahren können und am nächsten Tag einen Vortrag halten und so wei-
ter. Denn, nicht wahr, es wird einem das, was man sich selber bereiten
muß, wenn man Vegetarier ist, abgenommen, wenn man sich durch
das Tier zuerst diese Arbeit verrichten läßt. Das ist die Geschichte. Sie
dürfen aber nicht glauben, daß ich in irgendeiner Weise für den Vege-
tarismus agitiere, weil es wirklich immer erst ausprobiert werden muß,
ob der betreffende Mensch überhaupt Vegetarier werden kann oder
nicht; das ist seine Anlage.
Sehen Sie, meine Herren, besonders wichtig ist das ja beim Eiweiß.
Eiweiß kann man auch umgestalten, wenn man in der Lage ist, es so,
wie man es aufnimmt als Pflanzeneiweiß, im Gedärm zu vernichten;
und dann bekommt man die Kräfte. Aber sobald das Gedärm schwach
wird, muß man es schon von außen bereiten, also richtig Eiweiß auf-
nehmen, was ja dann zum Beispiel tierisches Eiweiß ist, denn die Hüh-
ner, die die Eier liefern, sind ja auch Tiere. Nun, das Eiweiß, das ist
mg
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 109
etwas, was eigentlich wirklich ganz falsch beurteilt wird, wenn man die
Sache nicht geisteswissenschaftlich beurteilt.
Wenn ich Wurzeln esse, so kommen ihre Salze bis in meinen Kopf.
Wenn ich Salat esse, so kommen die Kräfte - nicht die Fette selber,
aber die Kräfte, die von den Fetten in den Pflanzen sind - in meine
Brust, Lunge und Herz. Wenn ich Früchte esse, so kommt das Eiweiß
aus den Früchten aber nicht bis in die Brust, sondern bleibt im Gedärm.
Und das Eiweiß nun, das man aus dem Tierischen hat, das geht weiter
als ins Gedärm, das versorgt den Körper, weil das Eiweiß von den
Tieren sich ausbreitet. So könnte man sagen: Wenn der Mensch beson-
ders viel Eiweiß ißt, so muß er ein gut genährter Mensch werden. Das
hat dazu geführt, daß im materialistischen Zeitalter die Leute, die Me-
dizin studiert hatten, den Leuten übertriebenen Eiweißgenuß angeraten
haben; man hat behauptet, daß hundertzwanzig bis hundertfünfzig
Gramm Eiweiß notwendig sind. Unsinn ist das! Heute weiß man, daß
nur ein Viertel davon für den Menschen notwendig ist. Und tatsäch-
lich, wenn der Mensch so furchtbar viel Eiweiß ißt, was unnötig ist -
ja, sehen Sie, dann kommt es eben so, wie es einmal einem Professor ge-
gangen ist mit seinem Assistenten: Die haben einen Menschen, der un-
terernährt war, mit Eiweiß auffüttern wollen. Nun setzt man voraus,
daß das Eiweiß, wenn es besonders viel ist, umgewandelt wird im
Menschen, und daß sich im Urin zeigt, daß er Eiweiß gegessen hat.
Nun kamen sie bei diesem Menschen darauf: Der Urin zeigt nicht, daß
das Eiweiß im Körper drinnen verarbeitet ist. Sie kamen nicht darauf,
daß durch den Darm Eiweiß abging. Der Professor war ganz wild
darüber. Und der Assistent sagte mit schlotternden Beinen ängstlich:
Ja, Herr Professor, vielleicht durch den Darm? - Ja, was war gesche-
hen? Die haben den Mann mit Eiweiß überfüttert, aber das hat ihm
nichts genützt, denn das Eiweiß ist vom Magen in den Darm gegan-
gen, und dann wiederum hinten heraus. Es ist also gar nicht in den Kör-
per gegangen. Wenn man zuviel Eiweiß füttert, so geht es gar nicht in
den Körper, sondern in die Fäkalien. - Aber etwas hat er doch davon,
denn bevor es herausgeht, bleibt es im Darm liegen und wird zu Gift und
intoxiert den ganzen Körper, vergiftet den Körper! Das hat man von
zuviel Eiweiß. Und von dieser Vergiftung entsteht sehr häufig die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:110


Arterienverkalkung, so daß viele Menschen die Arterienverkalkung zu
früh kriegen - sie einfach deshalb kriegen, weil sie mit Eiweiß über-
füttert werden.
Also es ist schon wichtig, so wie ich es gerade auseinandergesetzt
habe, die Ernährungsfrage kennenzulernen. Denn die meisten Men-
schen sind eigentlich sehr häufig der Ansicht: man wird um so besser
ernährt, je mehr man ißt. Das ist nicht richtig, sondern man wird manch-
mal viel besser ernährt, wenn man weniger ißt, weil man dann sich
nicht vergiftet.
Und das ist es: Man muß wissen, wie diese einzelnen Stoffe wirken.
Man muß wissen, daß also Salze vorzugsweise auf den Kopf wirken,
daß Kohlehydrate, wie sie also in unseren Hauptnahrungsmitteln, in
Brot und in den Kartoffeln sind, mehr auf das Lungensystem und auf
das Halssystem — Lunge, Hals, Gaumen und so weiter - wirken, daß
Fette vorzugsweise wirken auf Herz und Blutgefäße, Arterien und
Venen, und daß das Eiweiß vorzugsweise wirkt auf die Unterleibs-
organe. Der Kopf hat überhaupt nichts besonderes vom Eiweiß. Das
Eiweiß, das im Kopfe ist - natürlich muß der Kopf auch aus Eiweiß
aufgebaut werden, denn er besteht ja aus lebendiger Substanz -, das
Eiweiß muß sich der Mensch auch selber bilden. Wenn man ihn also
überfüttert, so darf man nicht glauben, daß er dadurch ein besonders
gesundes Hirn kriegt, sondern im Gegenteil, er kriegt ein vergiftetes
Hirn.
Ich werde vielleicht noch eine Stunde über die Ernährung reden
müssen. Es ist dies aber ganz schön, weil solche Fragen ganz fruchtbar
sind. Also dann nächsten Samstag um neun Uhr.

£\we\ß: Vnterleibsorqane
Feite t Herz vr\ö TjMgefciße
Kohlehydrate: Lunge, Ha/i,
5cilze: Kopf

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:111


S I E B E N T E R VORTRAG

Dornach, 2. August 1924

Ich möchte heute einiges noch beifügen zu dem, was vorigen Donners-
tag auf die Frage von Herrn Burle gesagt werden konnte. Ich habe
also auseinandergesetzt, wie vier Dinge zur Ernährung für jeden Men-
schen notwendig sind: Salze; dasjenige, was man Kohlehydrate nennt,
was also vorzugsweise in Kartoffeln enthalten ist, was aber auch ganz
besonders enthalten ist in den Körnerfrüchten unserer Felder, und auch
in den Hülsenfrüchten. Und dann, sagte ich, braucht der Mensch außer-
dem Fette; und er braucht Eiweiß. Aber ich habe Ihnen auseinander-
gesetzt, wie ganz verschieden die Ernährung ist beim Menschen in be-
zug auf Eiweiß zum Beispiel und, sagen wir, Salz. Das Salz nimmt der
Mensch in seinen Körper bis zum Kopfe hin so auf, daß es Salz bleibt,
daß es sich eigentlich nicht anders verändert, als daß es aufgelöst wird.
Aber es behält seine Kräfte als Salz bei bis in den menschlichen Kopf
hinein. Dagegen das Eiweiß, also dasjenige, was wir im gewöhnlichen
Hühnerei haben, was wir aber auch in den Pflanzen haben, dieses Eiweiß,
das wird sogleich im menschlichen Körper, noch im Magen und in den
Gedärmen, vernichtet, bleibt nicht Eiweiß. Aber jetzt hat der Mensch
die Kraft aufgewendet, dieses Eiweiß zu vernichten, und die Folge
davon ist, daß er auch wieder die Kraft bekommt, weil er Eiweiß ver-
nichtet hat, Eiweiß wieder herzustellen; und so macht er sich sein eige-
nes Eiweiß. Er würde es sich aber nicht machen, wenn er nicht erst
anderes Eiweiß zerstören würde.
Stellen Sie sich einmal vor, meine Herren, wie das beim Eiweiß ist.
Denken Sie sich einmal, Sie sind ein ganz verständiger Mensch gewor-
den und sind so gescheit, daß Sie sich die Geschicklichkeit zutrauen,
eine Uhr zu machen, Sie haben aber nichts gesehen als eine Uhr, wie sie
von außen ausschaut - nun, da werden Sie nicht gleich eine Uhr machen
können. Aber wenn Sie es riskieren, die Uhr ganz zu zerlegen, ganz
auseinanderzunehmen, in ihre einzelnen Stücke zu zerlegen und sich
dabei merken, wie die Geschichte zusammengesetzt war, dann lernen
Sie aus dem Zerlegen der Uhr, wie Sie sie wiederum zusammensetzen

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 112


müssen. So macht es der menschliche Körper mit dem Eiweiß. Er muß
das Eiweiß in sich hineinbekommen, er zerlegt es ganz. Das Eiweiß be-
steht nämlich aus Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Tafel 10
Schwefel; das sind die wichtigsten Bestandteile vom Eiweiß. Das Ei-
weiß wird nun ganz zerlegt; so daß der Mensch in sich nun nicht Ei-
weiß hat, wenn die Geschichte in die Gedärme kommt, sondern Koh-
lenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Schwefel. Sehen Sie,
jetzt hat der Mensch das Eiweiß zerlegt, wie man eine Uhr zerlegt. -
Sie werden sagen: Ja, aber wenn man einmal eine Uhr zerlegt, so kann
man sich das ja merken, um weitere Uhren zu machen; und man braucht
ja nur ein einziges Mal Eiweiß essen, und kann dann immer wieder
Eiweiß machen. - Das ist aber nicht wahr, weil der Mensch ein Ge-
dächtnis hat als ganzer Mensch; aber der Körper als solcher, hat nicht
ein solches Gedächtnis, daß er sich etwas merken kann, sondern der
Körper verwendet die Kräfte zum Aufbauen. Also wir müssen immer
wieder von neuem Eiweiß essen, damit wir das Eiweiß herstellen
können.
Nun ist es so, daß der Mensch etwas sehr, sehr Kompliziertes macht,
wenn er selber sich sein Eiweiß fabriziert. Nämlich er zerlegt zuerst
das Eiweiß, das er ißt; dadurch bekommt er den Kohlenstoff überall
in seinen Körper hinein. Nun wissen Sie: den Sauerstoff ziehen wir aber
auch aus der Luft heran. Der vereinigt sich mit dem Kohlenstoff, den
wir in uns haben. Diesen Kohlenstoff haben wir im Eiweiß und in den
anderen Nahrungsmitteln. Da atmen wir zunächst Kohlenstoff in der
Kohlensäure wieder aus. Aber einen Teil behalten wir zurück. Jetzt
haben wir in unserem Körper Kohlenstoff und Sauerstoff miteinander
drinnen; so daß wir nicht den Sauerstoff beibehalten, den wir gegessen
haben mit dem Eiweiß, sondern wir vereinigen mit dem Kohlenstoff
den Sauerstoff, den wir eingeatmet haben. Wir bauen also unser Ei-
weiß in unserem Inneren nicht so auf, wie es sich die Materialisten vor-
stellen: daß wir recht viel Hühnerei essen, das verteilt sich im ganzen
Körper, und nachher haben wir das Hühnerei, das wir gegessen haben,
im ganzen Körper ausgebreitet. Das ist nicht wahr. Wir sind schon
bewahrt durch die Organisation unseres Körpers, daß, wenn wir
Hühnerei essen, wir alle verrückte Hühner würden. Nicht wahr,
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch: 35 4 Seite: 113
wir werden nicht alle verrückte Hühner, weil wir schon in den Ge-
därmen das Eiweiß vernichten. Statt des Sauerstoffes, den es gehabt
hat, nehmen wir den Sauerstoff aus der Luft. Den hat man jetzt da.
Sehen Sie, mit dem Sauerstoff atmen wir, weil in der Luft immer auch
Stickstoff ist, den Stickstoff ein. Und auch den Stickstoff verwenden
wir nicht, den wir mit dem Hühnerei essen, sondern wiederum den
Stickstoff, den wir aus der Luft einatmen. Den Wasserstoff, den wir
mit dem Hühnerei essen, den verwenden wir schon gar nicht, sondern
jenen Wasserstoff, den wir durch die Nase bekommen, und durch die
Ohren, gerade durch die Sinne; das machen wir zu unserem eigenen
Eiweiß. Und Schwefel - den bekommen wir fortwährend aus der Luft.
Also Wasserstoff und Schwefel bekommen wir auch aus der Luft. Von
dem Eiweiß, das wir essen, behalten wir überhaupt nur den Kohlen-
stoff. Das andere verwenden wir so, daß wir das nehmen, was wir aus
der Luft bekommen.
Also sehen Sie, so ist es mit dem Eiweiß. Und in einer ganz ähnlichen
Weise ist es auch so mit dem Fett. Unser eigenes Eiweiß machen wir
uns selber, wir verwenden nur den Kohlenstoff vom fremden Eiweiß;
und unser eigenes Fett machen wir uns auch selber. Wir verwenden auch
dazu im Grunde genommen nur sehr wenig von dem Stickstoff, den
wir aufnehmen durch die Nahrung, für die Fette. Also die Sache ist
so, daß wir Eiweiß und Fett auf eigene Weise erzeugen. Nur dasjenige,
was wir in den Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Körnerfrüchten aufneh-
men, das geht in den Körper über, und zwar dasjenige, was wir mit
den Körnerfrüchten und mit den Kartoffeln aufnehmen, nicht voll-
ständig, man möchte sagen, nur bis zu den unteren Partien des Kopfes.
Was wir aufnehmen mit den Salzen, das geht in den ganzen Kopf
über, und daraus bilden wir uns dann das, was wir für unsere Knochen
brauchen.
Sehen Sie, meine Herren, deshalb, weil das so ist, müssen wir dafür
sorgen, daß wir namentlich gesundes Pflanzeneiweiß in unseren Kör-
per hineinbringen! Gesundes Pflanzeneiweiß, das ist dasjenige, wovon
unser Körper sehr viel hat. Wenn wir Hühnereiweiß in unseren Kör-
per hineinbringen, kann unser Körper schon ziemlich faul sein, ein
träger, fauler Körper sein: er wird es leicht zerstören können, weil das
1 1A
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 114
leicht zerstört ist. Das Pflanzeneiweiß, also dasjenige Eiweiß, das wir
mit den Früchten der Pflanzen kriegen - in den Pflanzen ist es haupt-
sächlich drinnen, wie ich Ihnen vorgestern sagte -, das ist für uns
ganz besonders wertvoll. Daher ist es für einen Menschen, der sich
gesund halten will, wirklich notwendig, daß er in gekochtem oder
rohem Zustande Früchte zu seiner Nahrung hinzu hat. Früchte muß
er haben. Wenn ein Mensch ganz vermeidet, Früchte zu essen, so ist
das so, daß er eigentlich nach und nach übergeht zu einer ganz trägen
inneren Verdauung seines Körpers.
Nun sehen Sie, da handelt es sich aber auch darum, daß wir die
Pflanzen selber in der richtigen Weise ernähren! Da müssen Sie be-
denken, wenn wir die Pflanzen in der richtigen Weise ernähren wol-
len, daß die Pflanzen etwas Lebendes sind. Die Pflanzen sind keine
Mineralien, die Pflanzen sind etwas Lebendes. Und wenn wir eine
Pflanze bekommen, so bekommen wir sie ja aus dem Samen, der in
den Boden hineingegeben wird. Die Pflanze kann nicht ordentlich ge-
deihen, wenn sie nicht den Boden selber ein bißchen lebendig kriegt.
Und wie macht man ihn lebendig? Man macht den Boden lebendig, in-
dem man ihn ordentlich düngt. Also das ordentliche Düngen, das ist
dasjenige, was uns wirklich richtiges Pflanzeneiweiß liefert.
Und da wiederum müssen Sie folgendes bedenken. Sehen Sie, durch
lange, lange Zeiten hindurch haben die Menschen gewußt: Richtiger
Dünger ist der, der aus den Ställen kommt, aus dem Kuhstall und so
weiter, richtiger Dünger ist der, der aus der Wirtschaft selber heraus
kommt. Aber in der neueren Zeit, wo alles materialistisch geworden
ist, haben die Leute gesagt: Ja, man kann ja die Sache so machen, daß
man nachschaut, welche Stoffe in dem Dünger drinnen sind, und dann
nehmen wir das aus dem Mineralreich — den mineralischen Dünger.
Ja, sehen Sie, meine Herren, wenn man mineralischen Dünger ver-
wendet, so ist das gerade so, wie wenn man bloß Salze in den Boden
bringt; da wird bloß die Wurzel kräftig. Da kriegen wir dann also
aus der Pflanze bloß dasjenige heraus, was in den menschlichen Kno-
chenbau geht. Wir kriegen aber aus der Pflanze nicht ein richtiges Ei-
weiß heraus. Daher leiden die Pflanzen, unsere Feldfrüchte, seit eini-
ger Zeit alle an einem Eiweißmangel. Und der wird immer größer und
115
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 115
größer werden, wenn die Leute nicht wiederum zu ordentlichem Dün-
gen kommen.
Sehen Sie, es haben schon Versammlungen von Landwirten statt-
gefunden, da haben die Landwirte gesagt - aber sie wußten natürlich
nicht, aus welchen Gründen -: Ja, die Früchte, die werden immer
schlechter und schlechter! - Und wahr ist es. Wer alt geworden ist,
der weiß, daß, als er noch ein junger Kerl war, eigentlich alles besser
war, was die Felder hervorgebracht haben. Man kann eben nicht so
denken, daß man einfach den Dünger zusammensetzt aus den Stoffen,
aus denen der Kuhmist besteht, sondern man muß sich klar sein: Da-
durch, daß der Kuhmist nicht aus dem Laboratorium vom Chemiker
kommt, sondern aus dem viel, viel wissenschaftlicheren Laboratorium,
das in der Kuh drinnen ist - das ist ein viel wissenschaftlicheres Labo-
ratorium -, dadurch kommt es, daß der Kuhdünger eben doch das-
jenige ist, was nicht bloß die Wurzeln der Pflanzen stark macht, son-
dern bis in die Früchte hinauf stark wirkt, dadurch ordentliches Ei-
weiß in den Pflanzen erzeugt und der Mensch davon ganz kräftig
wird.
Wenn man nur immer düngen würde mit mineralischem Dünger,
wie man es in der neueren Zeit liebt, oder gar mit Stickstoff, der aus
der Luft erzeugt wurde - ja, meine Herren, da werden schon Ihre
Kinder, und noch mehr Ihre Kindeskinder ganz bleiche Gesichter ha-
ben. Sie werden die Gesichter nicht mehr von den Händen, wenn sie
weiß sind, unterscheiden können. Daß der Mensch eine lebhafte Farbe
haben kann, eine gesunde Farbe haben kann, hängt eben davon ab,
daß die Äcker ordentlich gedüngt werden.
Also Sie sehen, man muß berücksichtigen, wenn man über die Er-
nährung spricht, wie man überhaupt die Nahrungsmittel gewinnt. Das
ist außerordentlich wichtig. Daß der menschliche Körper die Not-
wendigkeit hat, selber zu begehren dasjenige, was er braucht, das kön-
nen Sie aus verschiedenen Umständen sehen. Nehmen Sie zum Beispiel
nur den Umstand, daß Gefangene, die verurteilt werden zu jahrelanger
Strafe - die bekommen gewöhnlich Nahrung, die nicht fettreich genug
ist — eine ungeheure Gier nach Fett bekommen, und wenn da irgendwie
von einem Licht, das der Gefängniswärter in die Zelle hineinträgt,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 116


etwas heruntertropft und auf dem Boden ist, dann bücken sie sich gleich
und lecken dieses Fett auf aus dem Grunde, weil der Körper das so un-
geheuer stark spürt, wenn er irgendein Nahrungsmittel, das er braucht,
eigentlich stark vermißt. Das kommt nicht zum Ausdruck, wenn man
immerfort, Tag für Tag ordentlich essen kann. Da kommt es nie dazu,
weil der Körper das nicht entbehrt, was er braucht. Aber wenn etwas
dauernd durch Wochen hindurch fehlt in der Nahrung, dann wird
der Körper außerordentlich gierig danach. Das ist dasjenige, was im
besonderen noch hinzugefügt werden muß.
Nun habe ich Ihnen schon gesagt, daß mit solchem Düngen viel
anderes noch zusammenhängt. Sehen Sie, unsere Vorfahren in Europa
im 12., 13. Jahrhundert oder noch früher, ja, die haben sich durch man-
ches unterschieden von uns. Das berücksichtigt man gewöhnlich gar
nicht! Und unter alledem, wodurch sie sich von uns unterschieden ha-
ben, war das, daß sie keine Kartoffeln zu essen bekommen haben. Die
Kartoffeln sind erst später eingeführt worden. Die Kartoffelnahrung
hat aber einen starken Einfluß ausgeübt auf den Menschen. Sehen Sie,
ißt man Körnerfrüchte, so werden dadurch insbesondere Lunge und
Herz stark. Das verstärkt Lunge und Herz. Der Mensch wird so, daß
er einen gesunden Brustkorb hat, und es geht ihm gut. Er ist nicht so
erpicht aufs Denken, als wie aufs Atmen zum Beispiel; er kann auch
etwas vertragen beim Atmen. Und da möchte ich Ihnen gleich sagen:
Sie müssen sich nicht vorstellen, daß derjenige kräftig ist beim Atmen,
der immer die Fenster aufmachen muß, der immer schreit: Oh, frische
Luft! — und so weiter, sondern derjenige ist kräftig im Atmen, der
schließlich so stark organisiert ist, daß er jede Luft verträgt. Wie es
überhaupt darauf ankommt, daß abgehärtet nicht derjenige ist, der
nichts vertragen kann, sondern derjenige, der etwas vertragen kann.
In unserer Zeit redet man viel von Abhärtung. Denken Sie nur, wie
man die Kinder abhärtet. Jetzt schon werden die Kinder - namentlich
von reichen Leuten, aber die anderen kommen auch schon und machen
es nach —, jetzt werden die Kinder so angezogen: Während wir in un-
serer Jugend als Kinder ordentliche Strümpfe angehabt haben und ganz
bedeckt waren, höchstens daß man bloßfüßig gegangen ist, ist es jetzt so,
daß die Anzüge nur bis an die Knie höchstens gehen, oder noch weniger
1 17
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 117
weit. Wenn die Leute wüßten, daß das die größte Gefahr bildet für
spätere Blinddarmentzündungen, so würden sie sich besinnen! Aber
die Mode, die wirkt ja so tyrannisch, daß solch eine Gesinnung gar
nicht aufkommt. Jetzt werden die Kinder so angezogen, daß die Kleid-
chen nur bis an die Knie oder noch weniger weit gehen, und es wird
noch dazu kommen, daß sie später bloß bis an den Bauch gehen wer-
den; das wird auch noch Mode werden. Also da wirkt die Mode außer-
ordentlich stark ein.
Aber dasjenige, worauf es eigentlich ankommt, das merken eben die
Leute gar nicht. Es kommt eben durchaus darauf an, daß der Mensch
in seiner ganzen Organisation so sich einstellt, daß er nun eben wirk-
lich innerlich alles verarbeiten kann, was er als Nahrungsmittel in sich
aufnimmt. Und da meine ich, ist es ganz besonders wichtig, daß man
weiß: Der Mensch wird stark, wenn er die Dinge ordentlich verarbei-
tet, die er in sich aufnimmt. Und er wird nicht abgehärtet dadurch,
daß man das macht mit den Kindern, was ich Ihnen erzählt habe. Da
werden die Kinder so abgehärtet, daß wenn sie später - schauen Sie
sie einmal an - über einen erhitzten Platz gehen sollen, da triefen sie,
da können sie nicht weiter. Nicht der ist abgehärtet, der dazu kommt,
nichts vertragen zu können, sondern der ist abgehärtet, der alles mög-
liche vertragen kann. Also, so ist es auch, daß die Leute früher wenig
abgehärtet waren; sie hatten eben gesunde Lungen, gesundes Herz und
so weiter.
Nun kam die Kartoffelnahrung. Die Kartoffel versorgt weniger
Herz und Lunge, die Kartoffel geht in den Kopf hinauf - allerdings,
wie ich Ihnen gesagt habe, nur in den Unterkopf, nicht in den Ober-
kopf -, aber sie geht in den Unterkopf hinein, wo man besonders kri-
tisch wird, denkt. Daher, sehen Sie, hat es in früheren Zeiten weniger
Zeitungsschreiber gegeben. Die Buchdruckerkunst war ja noch nicht
da. Bedenken Sie nur, was heute täglich gedacht wird auf der Welt, nur
um die Zeitungen zustande zu bringen! Ja, dieses viele Denken, das ja
gar nicht notwendig ist - es ist viel zu viel —, dieses viele Denken, das
verdanken wir der Kartoffelnahrung! Denn der Mensch, der Kartof-
feln ißt, der fühlt sich fortwährend angeregt zu denken. Der kann gar
nicht anders, als denken. Dadurch wird seine Lunge und sein Herz

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 118


schwach, und die Tuberkulose, die Lungentuberkulose, die nahm erst
überhand, als die Kartoffelnahrung eingeführt wurde! Und die schwäch-
sten Leute sind diejenigen in Gegenden, wo fast nichts mehr gebaut
wird als Kartoffeln und die Leute von Kartoffeln leben.
Gerade die Geisteswissenschaft - ich habe Ihnen das öfter gesagt -
hat Gelegenheit, dieses Materielle kennenzulernen. Die materialistische
Wissenschaft weiß nichts von der Ernährung, weiß nicht, was dem
Menschen gesund ist. Das ist gerade das Eigentümliche vom Materialis-
mus, daß er nur immer denkt, denkt, denkt, und nichts weiß! Es kommt
darauf an: Wenn man eben im Leben richtig stehen will, muß man
durchaus etwas wissen. Sehen Sie, das sind so Dinge, die ich Ihnen we-
gen der Ernährung sagen wollte.
Jetzt können Sie vielleicht, wenn Sie noch irgendwelche Wünsche
haben, über einzelnes noch Fragen stellen.

Frage: Herr Doktor hat das vorige Mal etwas von Arterienverkalkung gespro-
chen. Diese Arterienverkalkung soll ja, wie man allgemein sagt, vom vielen Fleisch-
und Eiergenuß und dergleichen herrühren. Ich kenne eine Person, die hat mit fünfzig
Jahren Arterienverkalkung bekommen, ist bis zum siebzigsten Jahre steif geworden,
und nun ist die Person fünfundachtzig, sechsundachtzig Jahre alt, ist heute viel
rüstiger als in den Fünfziger-, Sechzigerjahren. Ist die Arterienverkalkung da zu-
rückgegangen? Ist dies möglich, oder was kann da schuld sein? Nebenbei bemerkt,
hat diese Person niemals Tabak geraucht, auch wenig Alkohol getrunken, ziemlich
solid gelebt. Nur hat er in seinen jüngeren Jahren ziemlich viel Fleisch genossen,
mit siebzig Jahren nur noch wenig arbeiten können; heute aber, mit fünfundachtzig,
sechsundachtzig Jahren ist er dauernd noch tätig, lebt noch.

Dr. Steiner: Nicht wahr, Sie sagen, das war eine Persönlichkeit, die
mit fünfzig Jahren etwa Arterienverkalkung bekommen hat, steif ge-
worden ist, wenig arbeitsfähig war - ich weiß nicht, ob auch das Ge-
dächtnis zurückgegangen ist; das werden Sie nicht bemerkt haben.
Dieser Zustand ist bis zu den Siebzigerjahren geblieben; dann wurde
diese Person wieder rüstig, lebt heute noch. - Nun aber, was hat sie
denn heute noch, was an Arterienverkalkung erinnern könnte? Oder
ist er so, daß er rüstig und beweglich ist?

Fragesteller sagt: Er ist heute vollständig rüstig und beweglicher als mit fünfund-
sechzig Jahren, siebzig Jahren; es ist mein Vater.
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 119
Dr. Steiner: Da handelt es sich darum, daß man erst genau fest-
stellen müßte, wie die Arterienverkalkung war. Denn sehen Sie, die
Sache ist diese: Meistens tritt die Arterienverkalkung so ein, daß der
Mensch im ganzen seine Arterien verkalkt bekommt. Nun, wenn der
Mensch im ganzen seine Arterien verkalkt bekommt, dann wird er na-
türlich unfähig, von der Seele und vom Geiste aus den Körper zu beherr-
schen; der Körper wird steif. Nun ist jetzt die Sache so: Nehmen wir
an, jemand bekommt aber Arterienverkalkung nicht im ganzen Kör-
per, die Arterienverkalkung verschont zum Beispiel das Gehirn; dann
ist folgendes der Fall. Sehen Sie, ich kenne ja auch etwas Ihren Ge-
sundheitszustand. Vielleicht darf man von Ihrem Gesundheitszustand
- Ihren Vater kenne ich nicht - etwas auf den Ihres Vaters schließen.
Sie leiden zum Beispiel, oder haben gelitten, es wird ja hoffentlich
absolut gut werden, etwas an Heuschnupfen. Das bezeugt, daß Sie in
sich tragen etwas, was der Körper nur dann ausbilden kann, wenn er
für die Sklerose, für die Arterienverkalkung nicht im Kopf, sondern
nur außer dem Kopf veranlagt ist. Keiner, der im ganzen Leib von
vornherein für die Arterienverkalkung veranlagt ist, kann gut Heu-
schnupfen bekommen. Denn der Heuschnupfen ist gerade das Gegen-
teil von Arterienverkalkung. Nun leiden Sie an Heuschnupfen. Das
bezeugt, daß Ihr Heuschnupfen - es ist ja nicht gut, wenn man Heu-
schnupfen hat; wird er kuriert, ist es besser; aber es kommt dabei auf
die Anlage an -, also Ihr Heuschnupfen, der ist so etwas wie ein Ven-
til gegen die Sklerose, gegen die Arterienverkalkung.
Nun, Arterienverkalkung in geringerem Zustande kriegt aber jeder
Mensch. Man kann nicht alt werden, ohne Arterienverkalkung zu be-
kommen. Bekommt man die Arterienverkalkung im ganzen Körper,
so kann man sich nicht mehr helfen; da wird man steif im ganzen
Körper. Bekommt man aber die Arterienverkalkung - ausgenommen
den übrigen Körper — im Kopf, dann tritt ja das ein, wenn man nur
recht alt wird: Da wird der Ätherleib, von dem ich Ihnen gesprochen
habe, immer stärker und stärker. Und dann braucht der Ätherleib
nicht mehr so stark das Gehirn. Das kann nun alt und steif werden.
Der Ätherleib kann aber nun doch anfangen, diese geringfügige Arte-
rienverkalkung, die einen früher alt und steif gemacht hat, so zu be-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 120


herrschen, daß man sie geschickt beherrschen kann; die Arterienver-
kalkung ist dann nicht so stark eingetreten.
Ihr Vater braucht zum Beispiel nicht selber den Heuschnupfen ge-
habt zu haben, das ist gar nicht notwendig; aber die Anlage dazu kann
er gehabt haben. Und die Anlage dazu, sehen Sie, die kann ihm gerade
zugute kommen. Man kann sogar dieses sagen, was einem natürlich
ein bißchen gegen den Strich gehen wird: Es kann ein Mensch da sein,
der kann eine Anlage zum Heuschnupfen haben; er kann in dem Zu-
stand sein, daß er sagt: Gott sei Dank, daß ich diese Anlage habe; der
Heuschnupfen kommt zwar bei mir nicht heraus, aber so habe ich
immer eine Anlage zur Erweichung meiner Gefäße. Wenn das nun
nicht herauskommt, schützt ihn das vor Arterienverkalkung. Wenn
nun der betreffende Mensch einen Sohn hat, so kann er gerade das
haben, was beim Vater nach innen schießt; das kann er nach außen
haben, das hängt beim Sohn mit irgendeiner Erkrankung nach außen
zusammen.
Das sind ja überhaupt die Geheimnisse der Vererbung, daß manches
bei den Nachkommen krank wird, was bei den Vorfahren gesund war.
Man teilt die Krankheiten ein, spricht von Arterienverkalkung, Lun-
gentuberkulose, Leberverhärtung, Magenverstimmung und so weiter.
Das kann man nun hübsch im Buch hintereinanderschreiben, kann be-
schreiben, wie diese Krankheiten sind; man hat aber nicht viel davon,
aus dem einfachen Grunde, weil Arterienverkalkung bei jedem Men-
schen etwas anderes ist. Es sind gar nicht zwei Menschen gleich, die
Arterienverkalkung haben; jeder Mensch kriegt die Arterienverkal-
kung auf andere Weise. Das ist schon so, meine Herren. Sehen Sie, das
ist gar kein Wunder.
Es gab einmal zwei Professoren, Dozenten, die wirkten beide an der
Berliner Universität. Der eine war siebzig Jahre alt, der andere zwei-
undneunzig; derjenige, der siebzig Jahre alt war, der war ein ganz be-
rühmter Mensch. Er hat viele Bücher geschrieben, aber er war ein
Mensch, der mit seiner Philosophie ganz im Materialismus drinnen ge-
lebt hat, der nur Gedanken gehabt hat, die im Materialismus drinnen-
stecken. Solche Gedanken wirken nun auch bei der Arterienverkal-
kung mit. Und er bekam Arterienverkalkung. Als er siebzig Jahre alt
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war, konnte er nicht anders, als sich pensionieren zu lassen. Derjenige,
der neunzig Jahre alt war, sein Kollege, war nicht Materialist, war ein
Kind geblieben fast sein ganzes Leben hindurch, hat mit ungeheurer
Lebhaftigkeit noch doziert. Der hat gesagt: Ja, ich begreife meinen
Kollegen nicht, den jungen Knaben! Ich will mich jetzt noch nicht
pensionieren lassen; ich fühle mich noch furchtbar jung. - Der andere
war abgetakelt, der «Knabe» konnte nicht mehr weiter dozieren. Na-
türlich war der, als er zweiundneunzig Jahre alt war, auch verkalkt;
er hatte ganz verkalkte Arterien, aber er konnte bei der Beweglichkeit
seiner Seele mit seinen Arterien noch etwas anfangen. Der andere hatte
keine Möglichkeit mehr dazu.
Nun noch etwas zu der Frage von Herrn Burle über die Gelbe
Rübe; Herr Burle sagte:
Der menschliche Körper verlangt durch seinen eigenen Instinkt das, was er
braucht. Kinder haben oft eine Gelbe Rübe in der Hand. Kinder und Große zwingt
man manchmal zu einer Speise, welche ihnen nicht gut tut. Ich glaube, daß man
das nicht machen sollte, wenn jemand einen Speiseabscheu hat. Ich habe einen Kna-
ben, der mag die Kartoffeln nicht essen.

Meine Herren, Sie brauchen ja nur das eine zu bedenken. Wenn


nämlich die Tiere keinen Instinkt hätten für dasjenige, was ihnen gut
tut und nicht gut tut, so würden sie alle längst krepiert sein; denn die
Tiere kommen ja alle auf der Weide auch an Giftpflanzen heran. Wenn
sie nicht genau wüßten, Giftpflanzen können sie nicht fressen, so wür-
den sie sie ja fressen. Sie gehen ja immer an den Giftpflanzen vorbei.
Aber es ist noch vieles andere. Die Tiere wählen sich ja mit Sorg-
falt dasjenige aus, was ihnen gut bekommt. Haben Sie schon jemals
Gänse genudelt oder gestopft? Glauben Sie, daß das die Gänse von
selber machen würden? Da zwingen ja nur die Menschen die Gänse
dazu, so viel zu fressen. Natürlich, bei den Schweinen ist es schon
etwas anderes; aber was glauben Sie, was wir für magere Schweine
hätten, wenn man sie nicht zwingen würde, so viel zu fressen! Aber
bei den Schweinen ist das noch etwas anderes. Sie haben etwas in der
Vererbung aufgenommen, weil man schon die Schweinevorfahren ge-
wöhnt hat an alle die Dinge, die fett machen; die wurden schon früher
in der Nahrung aufgenommen. Aber die Urschweine, die mußte man

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 122


dazu zwingen! Von selber nimmt kein Tier auf, was ihm nicht paßt. -
Nun aber, meine Herren, was hat der Materialismus gemacht? Der
glaubt doch nicht mehr an solche Instinkte.
Sehen Sie, ich hatte einen Freund, es war ein Jugendfreund; und
als wir zusammen waren, da waren wir ganz leidlich vernünftig mit
dem Essen - wir haben sehr häufig zusammen gegessen als junge Leute;
wir haben uns halt dasjenige geben lassen, was man so ißt und von dem
man glaubt, wie man sagt, daß es anschlägt. Nun, wie das Leben es
so fügt, wir sind auseinandergekommen, und ich kam später nach Jah-
ren wiederum in die Stadt, wo er war, wurde eingeladen bei ihm zu
Mittag. Und siehe da: Er hatte neben seinem Teller eine Waage. Da sagte
ich zu ihm: Was machst du denn mit der Waage da? — Ich wußte es
natürlich, wollte aber hören, was er sagen würde. Er erwiderte: Das
Fleisch, das mir gerade dient, das wäge ich mir zu, daß es richtig ist
für mich, und den Salat. - Da wog er sich auf der Waage alles zu, was
er auf dem Teller haben soll, weil das die Wissenschaft vorgeschrieben
hat. Was hat er aber damit getan? Er hat sich allen Instinkt abgewöhnt,
wußte zuletzt überhaupt nicht mehr, was er essen sollte! Sehen Sie,
was einst im Buch gestanden hat: an Eiweiß braucht der Mensch hun-
dertzwanzig oder hundertfünfzig Gramm - heute ist es so, daß es
heißt: nur fünfzig Gramm —, das hat er brav sich abgewogen. Das war
gerade falsch!
Natürlich, meine Herren, wenn der Mensch zuckerkrank ist, dann
ist es etwas anderes - das ist ganz selbstverständlich -, denn die Zucker-
krankheit, die Diabetes, die beweist immer, daß der Mensch den In-
stinkt für die Nahrung eigentlich verloren hat.
Also darum handelt es sich: daß, wenn ein Kind die Anlage hat,
nur die geringfügige Anlage hat, Würmer zu bekommen, dann tut es
nämlich alles mögliche. Sie können manchmal erstaunt sein darüber,
wie ein solches Kind sich gerade ein Feld aufsucht, wo Gelbe Rüben
sind, und dann werden Sie es finden, Gelbe Rüben essend. Und wenn
das Feld weit weg ist, läuft das Kind hin und sucht sich die Gelben Rü-
ben, weil das Kind, das Anlage hat zu Würmern, unbedingt Gelbe
Rüben essen will. Und so ist eigentlich das Allernützlichste, was man
tun kann, meine Herren: Achtgeben, wie ein Kind anfängt, das oder

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 123


jenes gern zu essen, oder nicht gern zu essen, wenn es entwöhnt ist,
wenn es nicht mehr die Milch hat. Sobald das Kind an die äußere
Nahrung herankommt, kann man an dem Kinde lernen, was man dem
Menschen geben soll. Wenn man erst das Kind zwingt, das zu essen,
was man glaubt, daß es essen soll, wird der Instinkt verdorben. Also
man soll sich nach dem richten, wonach das Kind Instinkt hat. Na-
türlich, man muß manches, was gleich zur Unsitte ausschlägt, ja ein-
dämmen, aber da, wo man es eindämmt, muß man beobachten.
Nehmen Sie zum Beispiel ein Kind, von dem Sie bemerken, daß es,
trotzdem Sie ihm alles schön geben nach Ihrer Meinung, gar nicht an-
ders kann, wenn es zum ersten Mal zu Tisch kommt, als auf einen
Stuhl hinaufzusteigen, sich ein bißchen hinüber über den Tisch zu
beugen und ein Stückchen Zucker zu stibitzen! Ja, sehen Sie, solch eine
Sache muß man in der richtigen Weise auffassen, denn ein solches
Kind, das auf einen Stuhl steigt und sich ein Stückchen Zucker stibitzt,
hat ganz gewiß etwas in seiner Leber nicht in Ordnung. Einfach das,
daß das Kind sich etwas Zucker stibitzt, das beweist, daß irgend etwas
in der Leber nicht in Ordnung ist. Nur Kinder, bei denen etwas in der
Leber nicht in Ordnung ist - was sogar dann durch den Zucker kuriert
wird -, die stibitzen Zucker; die anderen interessieren sich nicht für
den Zucker, die lassen ihn stehen. Natürlich darf das nicht zur Un-
sitte ausarten, aber man muß für so etwas Verständnis haben. Und man
kann da in zweifacher Weise Verständnis haben.
Sehen Sie, wenn ein Kind ganz fest fortwährend nur daran denkt:
Wann guckt der Vater oder die Mutter nicht hin, daß ich den Zucker
nehmen kann -, dann stibitzt das Kind später auch andere Sachen.
Wenn man aber das Kind befriedigt, weil man ihm gibt, was es braucht,
dann wird es kein Dieb. Also es hat auch in moralischer Beziehung eine
große Bedeutung, ob man solche Dinge beobachtet oder nicht. Das ist
sehr wichtig, meine Herren. Und so muß man die Frage, die Sie jetzt
gestellt haben, so beantworten: Man soll gerade achtgeben, was das
Kind will oder verabscheut, und es nicht zu dem zwingen, was es nicht
will. Denn wenn es zum Beispiel geschieht, was bei sehr vielen Kindern
der Fall ist, daß es kein Fleisch essen will, so ist es so, daß das Kind
durch das Fleisch Darmgifte bekommt, und die will es vermeiden. Die-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 124


ser Instinkt ist da. Ein Kind, das an einem Tisch sitzt, wo alle anderen
Fleisch essen, und es verweigert das Fleisch, das hat gerade die An-
lage, Darmgifte zu entwickeln durch das Fleisch. Das muß man alles
berücksichtigen.
Daraus sehen Sie, daß die Wissenschaft überhaupt noch viel feiner
werden muß. Die Wissenschaft muß noch viel feiner werden; die ist
heute viel zu grob! Mit der Waage und allem, was man im Laborato-
rium treibt, kann man eigentlich nicht bloß Wissenschaft treiben.
Die Ernährung, die Sie jetzt so vorzugsweise interessiert, die ist
schon so, daß man richtig verstehen muß, wie diese Ernährung mit dem
Geist zusammenhängt. Da führe ich ja oftmals, wenn die Leute um so
etwas fragen, oder so etwas wissen wollen, zwei Beispiele an. Denken
Sie sich, meine Herren, ein Journalist, der muß ja so viel denken -
allerdings unnötig meistens -, aber er muß so viel denken, daß ja der
Mensch so viele Gedanken, die logisch sind, gar nicht haben kann. Da-
her werden Sie finden, daß der Journalist oder überhaupt ein Mensch,
der berufsmäßig schreiben soll, den Kaffee liebt, ganz instinktmäßig.
Er setzt sich ins Kaffeehaus, trinkt eine Tasse Kaffee nach der anderen
und nagt an der Feder, damit etwas herauskommt, das er schreiben
kann. Das Federnagen hilft ihm nichts, aber der Kaffee hilft ihm dazu,
daß ein Gedanke aus dem anderen hervorgeht, denn es muß sich ja ein
Gedanke an den anderen anknüpfen.
Aber sehen Sie, wenn sich einer an den anderen anknüpft, wenn
einer aus dem anderen folgt, das ist sehr schädlich bei Diplomaten.
Wenn Diplomaten logisch sind, findet man sie langweilig; sie müs-
sen recht unterhaltsam sein. In Gesellschaften, da liebt man es nicht,
daß erstens, zweitens, drittens, «und wenn das erst' und zweit* nicht
war', das dritt* und viert* war nimmermehr» -, wenn einer so lo-
gisch ist! Man darf nicht andere Dinge zum Beispiel in einem Fi-
nanzartikel behandeln als Journalist. Aber als Diplomat kann man
reden von Tanzbars oder sonstigem zugleich, oder nachher von den
Staatsfinanzen des Landes X, und nachher von den Schnecken der Frau
Soundso, und nachher kann man gleich übergehen und reden von der
Fruchtbarkeit der Kolonien; und nachher: wo das beste Pferd steht
und so weiter. Da muß ein Gedanke in den anderen überspringen. Ja,

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 354 Seite: 125


da bekommt man, wenn man in dieser Weise gesellschaftsfähig werden
will, den Instinkt, viel Tee zu trinken! Der Tee, der zerstreut die Ge-
danken; da springt man in Gedanken. Und der Kaffee, der setzt einen
Gedanken an den anderen an. Wenn ein Gedanke zum anderen über-
springen soll, da muß man Tee trinken! Ja, sehen Sie, beim Diploma-
ten-Tee - man sagt schon «Diplomaten-Tee»! -, da wird eben Tee
getrunken! Der Journalist sitzt im Kaffeehaus, trinkt einen Kaffee
nach dem anderen aus. Da sehen Sie schon, welchen Einfluß ein Nah-
rungs- oder Genußmittel auf das ganze Denken hat! Und so ist es
natürlich nicht nur mit diesen Dingen; dies sind sozusagen radikale
Dinge - Kaffee und Tee. Aber gerade daran sieht man, daß man darauf
achten muß, wie diese Dinge stehen. Das ist sehr wichtig, meine Herren.
Wir werden dann den Vortrag am nächsten Mittwoch wiederum
um neun Uhr haben.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:126


ACHTER VORTRAG

Dornach, 6. August 1924

Nun, meine Herren, es sind mir eine Reihe von Fragen überreicht wor-
den, die ganz interessant zu der heutigen Besprechung gehören können.
Jemand aus Ihrem Kreise hat die Frage überreicht:

Woraus ist die Kulturentwicklung des Menschen entstanden?

Ich werde es gleich im Zusammenhang dann betrachten mit der zweiten


Frage:
Warum war bei den primitiven Menschen der Glaube an einen Geist so groß?

Nun, sehen Sie, es ist ja zweifellos interessant, sich zu fragen: Wie ha-
ben die Menschen in früheren Zeiten gelebt? - Und es gibt ja, wie Sie
wissen, auch wenn man die Sache nur oberflächlich betrachtet, zwei
Ansichten. Die eine Ansicht geht dahin, daß der Mensch ursprünglich
recht vollkommen war und aus seiner Vollkommenheit herunterge-
fallen ist zu der heutigen Unvollkommenheit. Man braucht sich nicht
besonders daran zu stoßen und damit zu beschäftigen, daß die ver-
schiedenen Völker diese ursprüngliche Vollkommenheit sich in ver-
schiedener Weise auslegen. Der eine spricht vom Paradies, der andere
von etwas anderem; aber die Ansicht war ja noch bis vor ganz kurzer
Zeit vorhanden, daß der Mensch ursprünglich vollkommen war und
er sich erst nach und nach zu seiner jetzigen Unvollkommenheit her-
anbildete. Die andere Ansicht ist diejenige, die Sie ja wahrscheinlich
kennengelernt haben als die, welche allein wahr sein soll: daß der
Mensch ursprünglich ganz unvollkommen war, so eine Art höheres
Tier war, und sich allmählich zu immer größerer Vollkommenheit ent-
wickelt habe. Sie wissen ja, daß man dann versucht, diejenigen Urzu-
stände, die heute noch unter den wilden Völkern sind - sogenannten
wilden Völkern -, daß man diese benützt, um sich ein Ansicht darüber
zu bilden, wie die Menschen ursprünglich, als sie noch tierähnlich wa-
ren, eigentlich haben sein können. Man sagt sich: Wir in Europa und
die Leute in Amerika sind hoch zivilisiert; aber in Afrika, in Austra-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 127


lien und so weiter, da leben noch unzivilisierte Völker, die sind auf der
ursprünglichen Stufe oder wenigstens auf einer Stufe, die der ursprüng-
lichen sehr nahe stand, stehengeblieben; an denen kann man studieren,
wie die ursprüngliche war.
Sehen Sie, meine Herren, die Leute machen sich aber die Vorstel-
lung, die man über die Entwickelung der Menschheit haben muß, da-
bei viel, viel zu einfach. Denn erstens ist es gar nicht wahr, daß zum
Beispiel alle zivilisierten Völker sich vorstellen, daß der Mensch ur-
sprünglich als physisches Wesen vollkommen gewesen wäre. Die Inder
haben ganz gewiß nicht die Ansicht, welche die heutigen Materialisten
haben, aber sie stellen sich doch vor, daß die Menschen, die in der Ur-
zeit physisch auf der Erde herumgegangen sind, dennoch tierähnlich
ausgesehen haben. Und wenn man bei den Indern, bei den indischen
Weisen von dem ursprünglichen Menschen auf der Erde redet, so redet
man auch von Hanuman, der affenähnlich ausgesehen hat. Nun, sehen
Sie, das ist schon einmal nicht wahr, daß auch die Menschen, die eine
geistige Weltanschauung haben, sich überall vorstellen, daß der Mensch
ursprünglich irgendwie so war, wie sich ungefähr die Leute heute vor-
stellen, daß der Mensch im Paradiese war - das ist eben doch schon
nicht so. Man muß sich vielmehr darüber klar sein, daß der Mensch
ja ein Wesen ist, welches in sich trägt Leib, Seele und Geist, und daß
Leib, Seele und Geist verschiedene Entwickelungen durchgemacht ha-
ben. Natürlich, wenn man gar nicht vom Geist spricht, so kann man
auch nicht von der Entwickelung des Geistes sprechen. Aber sobald
man darauf kommt, daß eben der Mensch aus Leib, Seele und Geist
besteht, kann man durchaus davon sprechen: Wie entwickelt sich der
Leib? Wie entwickelt sich die Seele? Wie entwickelt sich der Geist? -
Soll man sprechen vom Leib des Menschen, dann kommt man schon
dazu, sich zu sagen: Der Leib des Menschen, der hat sich allmählich
aus niederen Stufen vervollkommnet. Da muß man auch sagen: Dafür
sind schon die Zeugnisse, die man hat, ein lebendiger Beweis. - Man
findet, wie ich Ihnen ja schon angedeutet habe, in den Schichten der
Erde den ursprünglichen Menschen; er zeigt einen Leib, der eben noch
sehr tierähnlich ist - nicht so wie irgendein heutiges Tier, aber der eben
doch tierähnlich ist, und der sich vervollkommnet haben muß, damit er

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 12 8


die heutige Gestalt hat annehmen können. Es ist also gar keine Rede,
daß Geisteswissenschaft, so wie sie hier am Goetheanum getrieben
wird, in einen Widerspruch kommt mit der Naturwissenschaft, weil
sie einfach die Wahrheiten der Naturwissenschaft aufnimmt.
Dagegen, meine Herren, muß man auch wiederum das feststellen,
daß in diesen Zeiten, die eigentlich nur, man könnte sagen um drei-
tausend oder viertausend Jahre zurückliegen, daß in solchen Zeiten An-
sichten entstanden sind, aus denen wir heute nicht nur sehr viel lernen
können, sondern die wir bewundern müssen. Wenn wir heute mit einer
wirklichen Sachkenntnis die Schriften, die in Indien, in Asien, in
Ägypten, selbst in Griechenland entstanden sind, wirklich studieren
und verstehen, dann finden wir, daß die Leute damals uns weit voraus
waren. Nur haben sie dasjenige, was sie gewußt haben, eben auf eine
ganz andere Weise erworben, als es heute erworben wird.
Sehen Sie, heute weiß man von vielen Dingen sehr wenig. Zum Bei-
spiel haben Sie gesehen aus dem, was ich Ihnen über die Ernährung
dargestellt habe, wie die Geisteswissenschaft nachhelfen muß, damit
man auf die einfachsten Dinge der Ernährung wieder kommt. Das
kann nun eben die physische Wissenschaft nicht. Aber gerade wenn
man bei alten Medizinern nachliest und ihre Worte richtig versteht,
dann kommt man darauf, daß die Leute eigentlich zum Beispiel noch
bis Hippokrates in Griechenland im Grunde genommen viel mehr
wußten, als die heutigen materialistischen Mediziner wissen. Und man
bekommt Respekt, man bekommt Hochachtung vor demjenigen, was
einmal vorhanden war an Wissen. Nur, sehen Sie, meine Herren, war
die Sache so, daß man das Wissen nicht so ausgedrückt hat wie heute.
Man drückt heute das Wissen in Begriffen aus. Die alten Völker haben
das Wissen nicht in Begriffen ausgedrückt, sie haben es ausgedrückt in
dichterischen Vorstellungen, so daß dasjenige, was da übriggeblieben
ist, heute eben vielfach als Dichtung genommen wird. Aber es war für
die alten Menschen nicht Dichtung, es war dasjenige, wodurch sie ihr
Wissen, ihre Erkenntnis ausgedrückt haben. Und so kommen wir dar-
auf, daß schon, wenn wir dasjenige, was schriftlich vorhanden ist, prü-
fen und richtig studieren können, dann gar keine Rede davon sein
kann, daß ursprünglich die Menschen ganz unvollkommen gewesen
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 129
sind an Geist. Diese Menschen, die einmal in tierischen Körpern her-
umgegangen sind, die waren eben an Geist viel, viel weiser, als wir
sind.
Aber auch das muß man wiederum festhalten: Sehen Sie, wenn solch
ein ursprünglicher Mensch herumgegangen ist, so hatte er seinen Geist
sehr weise ausgebildet. Sein Gesicht war mehr oder weniger - wir wür-
den heute sagen: tierähnlich. Na ja, schön. Aber der heutige Mensch,
der drückt in seinem Gesicht schon den Geist aus. In die Materie des
Gesichtes ist der Geist schon hineingebaut. Das, meine Herren, ist not-
wendig, damit der Mensch frei sein kann, ein freies Wesen sein kann.
Diese sehr gescheiten Menschen von ehemals, diese sehr gescheiten Men-
schen der Urzeit, waren zwar weise, aber sie haben die Weisheit so ge-
habt, wie heute das Tier seine Instinkte hat. Sie haben dumpf, wie im
Nebel gelebt. Sie haben geschrieben, ohne daß sie selber irgendwie die
Hand geführt hätten; sie haben gesprochen so, daß sie geglaubt haben,
nicht sie selber sprechen, sondern eben der Geist spricht in ihnen. Also
von einem freien Menschen war in diesen Urzeiten nicht die Rede.
Und das ist dasjenige, was ein wirklicher Fortschritt des Menschen-
geschlechtes in der Kulturgeschichte ist: daß der Mensch ein Bewußt-
sein gekriegt hat, daß er ein freies Wesen ist. Dadurch fühlt er den
Geist nicht mehr als etwas, das ihn, wie der Instinkt das Tier, treibt,
sondern er fühlt den Geist in sich. Und das ist dasjenige, was die heuti-
gen Menschen unterscheidet von den früheren.
Sehen Sie, wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus die heutigen
Wilden anschauen, so müssen wir uns vorstellen, daß die Menschen in
der Urzeit — die hier in der Frage die primitiven Menschen genannt
werden - nicht so waren wie die heutigen Wilden. Und Sie werden
eine Vorstellung bekommen, wie die heutigen Wilden aus den Men-
schen der Urzeit geworden sind, wenn ich Ihnen etwa das Folgende
sage: Es gibt in gewissen Gegenden Menschen, die tragen sich mit der
Idee, daß sie, wenn sie ein Stücklein von irgend jemandem, von einem
Kranken, eingraben in die Erde, und dieses so machen, daß sie das
Stück Hemdleinen zum Beispiel eingraben im Friedhof, sie damit eine
Zauberwirkung bewirken, daß der Kranke gesund werden kann. Ich
habe solche Menschen noch kennengelernt. Ich habe sogar einen ken-
1
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 130
nengelernt, der hat ein Gesuch geschrieben, als der Kaiser Friedrich,
der dazumal noch Kronprinz war, krank war - Sie wissen ja die Ge-
schichte -, ein Gesuch an die spätere Kaiserin, daß man ihm einen
Hemdzipfel vom Kaiser Friedrich schicken solle; er werde das dann im
Friedhof eingraben und dann werde der Kaiser Friedrich gesund wer-
den. Nun, Sie können sich denken, daß dieses Gesuch nicht gerade sehr
gut beschieden worden ist! Aber der Mann hat das eben gemacht, weil
er geglaubt hat, daß er dadurch den Kaiser Friedrich gesund machen
könne. Er hat mir das selbst erzählt. Und er hat mir erzählt, daß es
viel gescheiter gewesen wäre, wenn man ihm das Hemdzipferl geschickt
hätte, als daß man solchen Unsinn gemacht hätte, den englischen Arzt
Mackenzie zu dem Kaiser zu rufen und so weiter. Das wäre alles Un-
sinn gewesen, man hätte ihm müssen diesen Hemdzipfel schicken.
Sehen Sie, diese Sache verfolgt nun derjenige, der materialistisch
denkt, und sagt: Das ist ein Aberglaube, der einmal irgendwo entstanden
ist. Irgendeinmal hat ein Mensch sich in den Kopf gesetzt, wenn man auf
dem Friedhof einen Hemdzipfel eingräbt und dabei ein gewisses Gebet
verrichtet, so wird derjenige, für den man das Gebet verrichtet, gesund.
Aber auf diese Weise ist nie ein Aberglaube entstanden, meine Her-
ren. Ein Aberglaube ist nie auf die Weise entstanden, daß das jemand
sich ausgedacht hat, sondern er entsteht auf eine ganz, ganz andere
Art. Es war einmal so, daß die Leute ihre Toten ganz stark verehrt
haben und sich gesagt haben: Solange der Mensch auf der Erde herum-
geht, ist er eben ein sündhafter Mensch, begeht neben dem Guten auch
Schlechtes. - Sie haben die Vorstellung gehabt: Der Tote lebt in der
Seele und im Geiste fort. Der Tod gleicht alles aus. — Und wenn sie an
den Toten denken, dann denken sie an etwas Gutes. Diese Vorstellung
haben die Leute gehabt: Wenn sie an einen Toten denken, dann denken
sie an etwas Gutes. Und sie haben sich selber besser machen wollen
dadurch, daß sie an ihre Toten gedacht haben.
Nun ist es aber bei den Menschen so, daß die Leute die Sache leicht
vergessen. Denken Sie nur, wie schnell werden Tote, Abgeschiedene
vergessen! Da fanden sich dann andere Leute, die wollten allerlei
Merkzeichen an die Leute heranbringen, damit sie an die Toten den-
ken und dadurch selber besser werden sollten.
•in
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 131
Sagen wir, es hat jemand die Absicht gehabt, daß in einem Dorf,
wenn einer krank ist, sich die Leute des Kranken annehmen. Ja, in den
Dörfern war es doch früher so, daß man nicht Krankengeld gekriegt
hat - Krankenkassen oder so etwas, das wissen Sie, ist eine neuere Ein-
richtung -; da mußte einer dem andern aushelfen im Dorfe aus gutem
Willen. Er mußte an den Kranken denken. Nun hat sich derjenige, der
das Dorf geleitet hat, gesagt: Die Leute werden, weil sie egoistisch sind,
nicht an die Kranken denken, wenn sie nicht überhaupt angespornt wer-
den, aus sich herauszugehen und zum Beispiel an die Toten zu denken.
Und da hat er ihnen gesagt, sie sollen von dem Kranken ein Hemd-
zipferl nehmen - dadurch werden sie erinnert, daß der Kranke da ist -
und das Hemdzipferl eingraben. Dadurch werden sie daran erinnert,
daß man sorgen soll für jemanden, indem sie an den Toten denken. Und
es ist dasjenige, was äußerliche Handlung ist, eigentlich nur für den
Menschen wie eine Gedächtnishilfe eingerichtet worden. Später hat
man vergessen, wozu das da war und hat der Sache Zauberwirkung,
Aberglaubenwirkung zugeschrieben. So ist es mit sehr vielem, was da
lebt als Aberglaube; es ist ausgegangen von etwas ganz Vernünftigem.
Niemals ist etwas Vollkommenes ausgegangen von etwas Unvollkom-
menem. Derjenige, der das durchschaut, dem kommt die Behauptung,
daß etwas Vollkommenes aus Unvollkommenem entstehen kann, so
vor, als wenn man sagt: Du mußt einen Tisch machen, aber den mußt
du zuerst möglichst plump und unvollkommen machen, damit er dann
vollkommener werden kann. - So ist es doch nicht! Man kriegt nie-
mals aus einem zerschlagenen Tisch einen richtigen. Erst ist der Tisch
richtig und dann wird er auch zerschlagen. Und so ist es auch draußen
in der Natur und in der Welt überhaupt. Zuerst müssen die vollkom-
menen Dinge da sein, dann können daraus die unvollkommenen ent-
stehen. Und so ist es beim Menschen: er hat seinen Geist zuerst in einer
gewissen Vollkommenheit gehabt, wenn auch noch unfrei — den Kör-
per allerdings unvollkommen. Aber das war ja gerade wiederum das
Vollkommene des Körpers, daß er weich war, daß er sich durch den
Geist hat formen lassen, daß die Kultur dadurch höhersteigen konnte.
Also sehen Sie, meine Herren, wir dürfen nicht die Ansicht haben,
daß ursprünglich die Menschen so waren wie die heutigen Wilden. Die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 132


heutigen Wilden sind so geworden, wie sie heute sind: abergläubisch,
zauberisch, aber auch im Äußern schmutzig, aus ursprünglich voll-
kommeneren Zuständen; und wir haben den Wilden nur das voraus,
daß wir von denselben Zuständen ausgegangen sind - nur, die sind
heruntergekommen und wir sind eben nicht heruntergekommen. Also
ich möchte sagen: Nach zwei Seiten hin hat sich eben die Menschheit
entwickelt. Es ist gar nicht wahr, daß die heutigen Wilden darstellen
einen Zustand, in dem die Menschheit ursprünglich war. Diese Men-
schen, die ursprünglich mehr tierisch ausgesehen haben, diese Menschen
sind sehr zivilisiert gewesen.
Wenn Sie nun die Frage auf werfen: Stammen denn aber diese ur-
sprünglichen tierischen Menschen ab von den Affen oder von anderen
Tieren? -, da kommen Sie natürlich dann auf folgendes: Sie schauen
die heutigen Affen an und sagen sich: Von den Affen stammen die
Menschen ab. - Ja, aber als der Mensch in dieser tierischen Form da
war, da gab es die heutigen Affen noch gar nicht! Also von den heuti-
gen Affen stammt der Mensch nicht ab. Im Gegenteil! So wie die heu-
tigen Wilden heruntergekommene Menschen der Urzeit sind, so sind
die heutigen Affen auch wiederum noch mehr heruntergekommene We-
sen. Und wenn wir weiter in der Entwickelung der Erde hinaufgehen,
so finden wir eben Menschenwesen, die sich so gebildet haben, wie ich
es vor einigen Stunden hier dargestellt habe: aus einem weichen Ele-
ment heraus, nicht aus dem heutigen Tiere. Aus dem heutigen Affen
werden niemals Menschen entstehen. Dagegen könnte es sehr leicht
sein, wenn diejenigen Zustände, die heute vielfach auf der Erde herr-
schen, wo alles auf Gewalt gegründet ist, wo alles auf Macht gegründet
ist, wo die Weisheit gar nichts gilt - ja, das könnte sehr leicht sein, daß
die Menschen, die heute alles auf Macht gründen wollen, daß die all-
mählich wiederum eine tierische Körperlichkeit annehmen, und daß
zwei große Rassen entstehen: eine, also diejenigen, die für den Frieden,
den Geist und die Weisheit sind, und eine andere, die tierische Gestalten
wieder annimmt. Und wir könnten schon sagen: Diejenigen Menschen,
die heute gar nichts geben auf den wirklichen Menschheitsfortschritt,
auf das Geistige, die könnten in der Gefahr stehen, einmal in die Affen-
haftigkeit zu verfallen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 133


Sehen Sie, man erlebt ja heute allerlei sonderbare Sachen. Natürlich
ist dasjenige, was in den Zeitungen berichtet wird, meistens nicht wahr,
aber manchmal weist es in ganz besonderer Art auf die Denkungsart
der Menschen hin. Neulich, auf der holländischen Reise, kauften wir
eine illustrierte Zeitung. In dieser illustrierten Zeitung war auf der
letzten Seite ein ganz sonderbares Bild: Da war ein Kind, ein kleines
Kind, ein Baby, und als Pfleger, als Aufzieher, als Erzieher ein Affe,
ein Orang-Utan; der hält das Kind ganz wacker im Arm und sollte
also angestellt werden - man berichtete, er wäre angestellt, natürlich
irgendwo in Amerika - als Kinderauf zieher!
Nun, die Sache mag ja heute noch nicht wahr sein, aber es zeigt
doch, wohin die Sehnsucht mancher Menschen geht: Die möchten die
heutigen Affen aufziehen als Kinderwärter. Ja, meine Herren, da kön-
nen wir ja weit kommen in der Menschheit, wenn die Affen Kinder-
wärter werden! Aber Sie wissen ja, die Sehnsucht mancher Menschen
geht ja überhaupt noch weiter. Sollte es nur einmal entdeckt werden,
daß Affen als Kinderwärter benützt werden können - einen Affen
kann man zu manchem abrichten; das Kind wird es zwar zu büßen
haben, aber einen Affen kann man zu manchem abrichten; rein äußer-
lich kann ja unter Umständen ein Affe schon einmal als Kinderwärter
abgerichtet werden -, dann werden die Leute eine merkwürdige Sehn-
sucht bekommen. Dann wird zum Beispiel die soziale Frage auf eine
ganz neue Stufe gestellt werden, denn dann werden Sie gleich sehen,
wie die Vorschläge kommen, man solle große Affenzüchtereien ein-
richten und man solle sich die Fabrikarbeiten von Affen machen las-
sen! Denn die Menschen werden finden, daß die Affen billiger sind als
die Menschen, und daher wird das als eine Lösung der sozialen Frage
gebracht werden. Wenn es wirklich gelingen wird, die Affen zu Kin-
derwärtern zu machen - die Broschüren über die Lösung der sozialen
Frage durch Aufzucht der Affen, die dann erscheinen, die werden mas-
senhaft sein!
Ja, man kann sich denken, daß das sogar geschehen könnte. Denken
Sie doch nur einmal, andere Tiere als die Affen kann man zu so man-
chem aufziehen; sogar die Hunde kann man zu manchem anlernen.
Aber es fragt sich, ob damit die Zivilisation vorwärtskommt oder zu-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 134


rückkommt. Sie kommt ganz gewiß zurück! Herunter kommt sie. Die
Kinder, die eben von Affenwärtern oder -Wärterinnen aufgezogen
werden, die werden ganz sicher affenartig werden! Dann wird sich das
Vollkommene eben in das Unvollkommene verwandeln. So müßten
wir eben uns klar sein darüber, daß zwar die Zukunft gewisser Men-
schen die Affenähnlichkeit sein könnte, aber daß die Vergangenheit
des Menschengeschlechtes niemals eine solche war, daß wirklich aus
der Affenhaftigkeit sich die Menschheit herausgebildet hat. Denn als
die Menschen noch ihre tierische Gestalt, die ganz anders ausgeschaut
hat als die heutige Affengestalt, hatten, da gab es eben noch nicht die
heutigen Affen. Die sind selber heruntergekommene Wesen, von einer
höheren Stufe heruntergekommen.
Wenn wir nun zu diesen primitiven Völkern gehen, die, wenn man
so sagen darf, groß an Geist und tierisch an Körper waren, so findet
man, daß bei denen der Verstand, die Intelligenz, auf die wir so stolz
sind, eben noch nicht ausgebildet war. Denken haben diese alten Men-
schen nicht gekonnt. Wenn daher heute einer, der sich durch Denken
besonders gescheit fühlt, herankommt an die alten Schriften, so sucht
er Gedankengründe. Die findet er nicht. Also sagt er: Es ist zwar sehr
schön, aber Dichtung. - Ja, meine Herren, wir können aber nicht alles
nur nach uns beurteilen! Es ist ganz falsch, wenn wir alles bloß nach
uns beurteilen. Diese Menschen in einer früheren Zeit, die haben vor
allen Dingen eine ganz starke Phantasie gehabt, eine Phantasie, die
wie ein Instinkt gewirkt hat. Wenn wir heute unsere Phantasie brau-
chen, dann werfen wir uns das oftmals sogar vor, weil wir sagen: Die
Phantasie bezieht sich nicht auf etwas Wirkliches. - Für uns heute
haben wir damit ganz recht; aber die Menschen der Urzeit, die primi-
tiven Menschen hätten überhaupt nichts anfangen können, wenn sie
nicht die Phantasie gehabt hätten.
Nun wird Ihnen das merkwürdig erscheinen, daß die Menschen
der Urzeit eine so lebhafte Phantasie gehabt haben, die auf irgend
etwas Wirkliches gegangen ist. Aber sehen Sie, auch da hat man wieder-
um ganz falsche Vorstellungen. Sie werden in Ihren Schulbüchern der
Geschichte gelesen haben, was es für eine große Bedeutung in der Ent-
wickelung der Menschheit hatte, als das sogenannte Leinenlumpen-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 13 5


papier erfunden worden ist. Ja, meine Herren, das Papier, auf dem
wir heute alle unsere Sachen drauf schreiben, das aus Lumpen gemacht
wird, das besteht ja erst ein paar Jahrhunderte! Früher hat man auf
Pergament schreiben müssen, das auf ganz andere Weise entstanden
ist. Daß man die Pflanzenfasern, aus denen ursprünglich unsere Klei-
der gemacht wurden, nachdem die Kleider abgetragen sind, verarbei-
ten kann zu Papier, das ist eben erst, als das Mittelalter zu Ende war,
von den Menschen entdeckt worden. Der Verstand ist über die Men-
schen spät gekommen. Und das haben die Menschen mit dem Ver-
stand entdeckt, dieses Leinenlumpenpapier. Aber ganz dasselbe, nur
nicht gerade so weiß, wie wir unser Papier für die schwarze Tinte
haben wollen, das ist ja längst entdeckt gewesen! Derselbe Stoff wie
unser heutiges Papier war ja längst entdeckt, und zwar nicht etwa ein
paar tausend Jahre vorher, sondern viele, viele tausend Jahre vorher.
Aber von wem? Überhaupt nicht von Menschen, sondern von den
Wespen! Schauen Sie sich einmal ein solches Wespennest an, das an
den Bäumen hängt. Nehmen Sie den Stoff, aus dem es besteht; aber
Sie müssen nicht weißes Papier nehmen, nicht das Papier, das man
zum Schreiben braucht, denn die Wespen haben sich eben das Schrei-
ben noch nicht angewöhnt, sonst würden sie auch weißes Papier ma-
chen, auf dem sie schreiben könnten, sondern solches Papier, wie man
es bloß zum Einwickeln braucht. Wir haben zum Einwickeln ja auch
graues Papier. Dieses graue Papier, meine Herren, das ist ganz das-
selbe wie das, woraus die Wespen ihr Wespennest machen! Die Wes-
pen haben viele, viele tausend Jahre vorher das Papier entdeckt, bevor
die Menschen durch den Verstand darauf gekommen sind. Es ist eben
der Unterschied: Bei den Tieren wirkte der Instinkt, bei den ursprüng-
lichen Menschen die Phantasie. Die hätten gar nichts machen können,
wenn sie nicht aus der Phantasie heraus etwas hätten machen können,
denn Verstand hatten sie nicht. So daß man also sagen muß: Diese ur-
sprünglichen Menschen schauten äußerlich mehr tierisch aus als die
heutigen Menschen, sie waren aber gewissermaßen besessen von dem
Geist; der wirkte in ihnen. Sie besaßen ihn noch nicht durch sich selber,
sie waren besessen vom Geist, und ihre Seele hatte große Phantasie.
Mit der Phantasie machten sie ihre Werkzeuge, mit der Phantasie
1 1/L
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 136
machten sie alles, was sie überhaupt machen konnten, was sie brauchten.
Wir sind auf alle unsere Erfindungen so furchtbar stolz, aber wir
sollten auch bedenken, daß wir ja nicht gar so stolz zu sein brauchen,
denn es ist vieles von dem, was heute die Größe der Kultur ausmacht,
eigentlich entsprungen aus einfachen Gedanken. Sehen Sie, meine Her-
ren, ich will Ihnen etwas sagen: Wenn wir über den Trojanischen Krieg
lesen - wissen Sie, wann der stattgefunden hat? Etwa 1200 Jahre vor
der Begründung des Christentums. Nun, wenn wir von solchen Kriegen
hören, die nicht in Griechenland stattgefunden haben, sondern weit
weg von Griechenland, in Asien drüben - ja, daß am nächsten Tag
durch ein Telegramm in Griechenland die Leute erfahren haben, wie
der Krieg ausgegangen ist, der drüben in Asien war, ja, so ist das nicht
gegangen wie heute! Heute schickt einem, wenn man ein Telegramm
kriegt, die Post das Telegramm herauf; so kriegt man es. Das ist natür-
lich in Griechenland nicht so gewesen, denn die Griechen haben keine
elektrischen Telegraphen gehabt. Wie haben Sie es denn gemacht? Ja,
sehen Sie, dahier war Krieg (es wird gezeichnet), dahier war Meer, da Tafel n
eine Insel, da ein Berg, da wieder Meer; da eine Insel, ein Berg und so
weiter bis zu Griechenland herunter - hier Asien, dazwischen Meer, da
Griechenland. Es war verabredet, daß wenn der Krieg ausgeht, auf
dem Berg drei Feuer angezündet werden. Derjenige, der am nächsten
Berg war, der hat zunächst dadurch, daß er hergelaufen ist und drei
Feuer angezündet hat, das erste Signal gegeben. Derjenige, der am
nächsten Berg war, hat wieder drei Feuer angezündet, wenn er die drei
Feuer gesehen hat, der nächste wieder drei, und so ist das herüberge-
kommen bis Griechenland in ganz kurzer Zeit. So hat man telegra-
phiert. Das hat man eben gemacht, das ist eine einfache Art zu tele-
graphieren. Schnell ist es gegangen; als man noch keinen elektrischen
Telegraphen gehabt hat, hat man sich eben mit dieser Art begnügen
müssen.
Nun, meine Herren, wie machen wir es denn heute? Sehen Sie,;
wenn wir telephonieren - gar nicht telegraphieren, sondern tele-
phonieren: in der allereinfachsten Art, die nicht kompliziert ist, will
ich es Ihnen zeigen. Wir haben eine Art von Magneten, der aller- Tafeln
dings durch Elektrizität erzeugt wird; haben dahier (es wird gezeich-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 13 7
net) etwas, was man Anker nennt; wenn der Strom geschlossen ist,
dann wird das angezogen; wenn der Strom wieder offen ist, geht die
Platte weg, und so pendelt diese Platte hier hin und her. Das ist durch
einen Draht mit dem nächsten verbunden, das pendelt mit, und das-
jenige, was hier mit der Platte erzeugt wird - es ist nur verschlossen
dem Telephongehilfen -, das überträgt sich geradeso, wie dazumal die
drei Feuer durch Menschen übertragen wurden. Es ist etwas kompli-
zierter, aber der Gedanke ist derselbe geblieben, nur daß man auf die-
sen Gedanken die Elektrizität angewendet hat.
Sehen Sie, man bekommt eben vor demjenigen, was die alten Men-
schen ersonnen und eingerichtet haben aus der Phantasie heraus, einen
Respekt, wenn man es wirklich kennt. Und wenn man mit diesem Re-
spekt die alten Schriften liest, dann sagt man sich: Auch im rein Geisti-
gen haben diese Menschen Großartiges geleistet; aber alles aus der Phan-
tasie heraus. - Da brauchen Sie nur zu nehmen etwas, wovon, sagen wir,
die heutigen Menschen glauben, daß sie es ganz gut wissen. Die heuti-
gen Menschen glauben, daß sie von den alten germanischen Göttern
etwas wissen; Wotan zum Beispiel, Loki, die werden in Menschenge-
stalt abgebildet in Büchern - der Wotan mit wallendem Bart, der Loki
mit rotem Haar, teuflisch aussehend und so weiter. Und nun glaubt
man, daß die alten Menschen, die alten Germanen dieselben Vorstel-
lungen gehabt haben von Wotan und von Loki. Das ist aber nicht
wahr, sondern diese alten Menschen haben die Vorstellung gehabt:
Wenn der Wind weht, dann ist da auch Geistiges drinnen - das ist ja
auch wahr -, und da weht der Wotan drinnen. Sie haben sich nicht
vorgestellt, daß wenn sie in den Wald gehen, ein gewöhnlicher Mensch
einem begegne als Wotan, sondern wenn sie von der Begegnung mit
dem Wotan geredet haben, dann war es der wehende Wind im Walde.
Derjenige, der noch einen Sinn hat für das Wort Wotan, der fühlt das
heute noch aus dem Wort heraus. Loki - es war nicht die Vorstellung,
daß der irgendwo in der Ecke glotzt, sondern der lebt im Feuer.
Nun aber erzählten die Menschen allerhand von Wotan und Loki.
Sagen wir zum Beispiel, sie erzählten von Wotan: Ja, wenn man da hin-
überkommt über den Weg, über den Berg hinüber, dann kann man
dem Wotan begegnen, und dann wird der Wotan einen entweder stark
1 IQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 138
machen oder schwach, je nachdem man es verdient. - Sehen Sie, das
haben die Leute erzählt, haben es auch verstanden. Die heutigen Men-
schen sagen: Nun ja, das ist eben ein Aberglaube, eine abergläubische
Vorstellung. — Aber so haben es die Leute damals nicht verstanden;
sondern die Leute haben gewußt: Wenn sie dorthin gehen an jene Ecke,
die schwer zugänglich ist, da begegnen sie nicht einem Menschen, der
so ist wie ein anderer leiblicher Mensch, sondern da ist ihnen durch die
ganze Konfiguration des Gebirges Gelegenheit gegeben, daß da eine
Art Wirbelwind besonders weht, und eine besondere Luft aus irgend-
einem Abgrund auf einen zukommt - wenn man das aushält, und auch
schon den Weg dahin aushält, so kann man von so etwas gesund wer-
den, oder auch krank werden. Wie man gesund und krank wird, woll-
ten die Leute eben erzählen; sie waren mit der Natur in Einklang und
wollten das aus der Phantasie heraus erzählen, nicht durch den Ver-
stand. Der heutige Arzt sagt es durch den Verstand; er sagt: Wenn du
Anlagen hast zu Tuberkulose, dann gehe diesen Weg jeden Tag so hoch
hinauf, setze dich ein bißchen nieder und gehe wieder herunter; das
bekommt dir gut. - So sagt man es mit dem Verstand. Mit der Phan-
tasie sagt man: Der Wotan sitzt da in der Ecke, hält sich da auf; der
wird dir nützen, wenn du ihn durch vierzehn Tage zu einer gewissen
Zeit besuchst.
So haben die Leute aus der Phantasie heraus das Leben angegriffen.
Und sie haben ja auch aus der Phantasie gewirkt. Sehen Sie, meine
Herren, Sie alle werden doch schon irgendeinmal auf dem Lande gewe-
sen sein, wo man nicht mit Maschinen drischt, sondern wo man noch
mit der Hand drischt. Hören Sie da nur einmal zu, wie man drischt,
ganz nach dem Takt, nach dem Rhythmus. Die Leute wissen, wenn sie
dreschen müssen durch viele Tage und ganz unregelmäßig dreschen
würden, wie es ihnen einfällt hinschlagen würden: man würde zusam-
menfallen vor Müdigkeit! So kann man nicht dreschen. Wenn man aber
im Rhythmus, im Takt drischt, so wird man weniger müde, weil sich
das anpaßt dem Rhythmus, den man in sich selber hat in seiner Blut-
zirkulation, in seinem Atem. Es ist ja etwas anderes, ob Sie mit
dem Schlegel schlagen, wenn Sie ausatmen, oder wenn Sie einatmen,
oder wenn Sie mit dem Schlegel schlagen, wenn Sie gerade das Ein-
1 IQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 139
atmen ins Ausatmen umwandeln sollen. Aber woher kommt das? Daß
es vom Verstand nicht kommt, das sehen Sie, denn heute geschieht es
nicht mehr; man rottet alles dieses aus. Aber alle Arbeit, die die Leute
gemacht haben, war so, zum Beispiel, daß sie im Takt, im Rhythmus
getan wurde; aus der Phantasie heraus wurde alle Arbeit getan. Und so
hat sich eigentlich alles das, was sich ursprünglich an Kultur ent-
wickelt hat, aus dem Rhythmus heraus entwickelt.
Nun, sehen Sie, ich glaube, daß Sie doch wirklich niclit der Meinung
sein können, wenn ich irgendein Holz habe, einen Bogen und Saiten
und so weiter, daß da durch irgendwelche zufällige Maßnahmen, eine
Geige entsteht! Eine Geige entsteht, wenn man Geist anwendet, wenn
man das Holz in einer bestimmten Fläche bearbeitet, die Saiten bear-
beitet und so weiter. Also man muß schon sagen: Die Art und Weise, wie
man ursprünglich Maschinen gemacht hat, konnten die Leute, nament-
lich weil sie selber noch nicht dachten, niemandem anderem zuschrei-
ben als dem Geist, von dem sie besessen waren, der in ihnen wirkte. Des-
halb waren diese ursprünglichen Menschen, die nicht aus dem Verstand,
sondern aus der Phantasie arbeiteten, natürlich geneigt, überall von
Geist zu sprechen. Wenn einer natürlich heute nach dem Verstand eine
Maschine zusammensetzt, da sagt er nicht: Der Geist hat mir gehol-
fen. - Er sagt es mit Recht nicht. Wenn aber der ursprüngliche Mensch,
der es nicht gewußt hat, der überhaupt gar nicht daran denken konnte
zu denken - wenn der ursprüngliche Mensch etwas zusammensetzte,
fühlte er gleich: Der Geist hat mir geholfen.
Daher war es auch so, daß, als die Europäer, diese «besseren» Men-
schen, zuerst nach Amerika gekommen sind, ja auch noch später, als
sie im 19. Jahrhundert in jene Gegenden gekommen sind, wo noch In-
dianer der alten Zeit gelebt haben, da sprachen diese Indianer - man
kriegte das heraus, von was sie sprachen — von dem «Großen Geist»,
der alles beherrscht. Und so haben es diese primitiven Menschen über-
haupt gehalten; sie haben von dem Großen Geist gesprochen, der alles
beherrscht. Und diesen «Großen Geist», den haben namentlich die-
jenigen Menschen verehrt, die in dieser atlantischen Zeit gelebt haben,
da, als noch Land war zwischen Europa und Amerika, und die India-
ner haben das zurückbehalten. Die Indianer hatten noch keinen Ver-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 140
stand. Sehen Sie, die Indianer haben allmählich kennengelernt die «bes-
seren» Menschen, die über sie gekommen sind, bevor diese sie aus-
gerottet haben. Das Papier haben sie kennengelernt, auf dem so kleine
Zeichen standen. Die haben sie für kleine Teufelchen gehalten und
verabscheut, weil das aus dem Verstand entsteht. Der Mensch, der
aus der Phantasie heraus tätig ist, der verabscheut das, was aus dem
Verstand kommt.
Nicht wahr, der Europäer in seiner materialistischen Zivilisation,
der weiß, wie eine Lokomotive entsteht. So wie der Europäer eine
Lokomotive nach dem Verstand zusammensetzt, hätten die Griechen
noch nicht eine Maschine zusammengesetzt, weil bei den Griechen noch
nicht der Verstand da war. Der Verstand kam ja erst im 15., 16. Jahrhun-
dert zu den Menschen. Die Griechen hätten es noch aus der Phantasie
heraus zusammengesetzt. Da die Griechen nun alles das, was in der
Natur sich bildet, den guten Geistern zugeschrieben haben, und alles
dasjenige, was nicht Natur ist, was bloß Kunstprodukt ist, den bösen
Geistern zuschrieben, so hätten die Griechen gesagt: In der Lokomo-
tive lebt eben ein böser Geist. — Ja, sie hätten es aus der Phantasie her-
aus erbaut, wären nicht auf etwas anderes gekommen, als daß der
Geist eben geholfen hat beim Zusammenbringen.
Aber sehen Sie, meine Herren, so ist es, daß wir dazu kommen, dem
ursprünglichen, primitiven Menschen wirklich auch mehr Geist zuzu-
schreiben, denn die Phantasie ist eben etwas Geistigeres in der Seele
des Menschen als der bloße Verstand, den der heutige Mensch so schätzt.
Nun können aber niemals alte Zustände wiederum heraufkommen.
Daher muß das so sein, daß wir allerdings fortschreiten, aber daß wir
doch nicht denken, daß dasjenige, was bloß Instinkt in dem heutigen
Tiere ist, sich zum Geistigen hin hätte entwickeln können. Wir dürfen
uns also nicht die primitiven Menschen so vorstellen, daß sie bloßen In-
stinkt gehabt hätten. Sie wußten, der Geist ist es, der in ihnen wirkt.
Und deshalb hatten sie auch diesen Glauben an den Geist.
Das ist ein kleiner Beitrag, wie die Kulturentwickelung in der
Menschheit stattfand. So daß wir sagen müßten: Ja, diejenigen haben
recht, die sich heute vorstellen, der Mensch ist aus tierischen Gestalten
entstanden. - Er ist es ja auch, aber nicht aus solchen tierischen Ge-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 141


stalten, wie die heutigen es sind, denn die sind später entstanden, als
der Mensch schon dagewesen ist. Aber diese tierischen Gestalten, die
allmählich immer mehr und mehr zu den heutigen geworden sind in
der menschlichen Entwickelung, und diese Fähigkeiten, die dazumal
waren, die sind dadurch gekommen, daß allerdings das Geistige zwar
nicht verstandesmäßig, aber phantasiemäßig ursprünglich vollkom-
mener war, als es heute ist. Aber dabei müssen wir immer denken: Diese
ursprüngliche Vollkommenheit war eben durchaus verbunden damit,
daß der Mensch wie besessen war von dem Geiste, nicht frei war. Nur
durch den Verstand kann der Mensch frei werden; durch den Intellekt
kann er frei werden.
Denken Sie nur einmal über das eine nach: Derjenige, der mit seinem
Verstand wirkt, der kann sagen: Nun ja, zu einer bestimmten Zeit
werde ich das und das denken. - Das kann ein Dichter, der mit der
Phantasie heute noch wirkt, nicht. Sehen Sie, Goethe war ein großer
Dichter. Wenn er sich einmal hingesetzt hat, um ein Gedicht zu ma-
chen, weil irgend jemand es verlangt hat von ihm, oder weil er selbst ge-
rade Lust gehabt hat, zu dieser Zeit ein Gedicht zu machen, so ist es ein
spottschlechtes geworden. Daß das die Leute heute nicht wissen, das
kommt bloß davon her, weil die Leute heute nicht mehr gute Gedichte
von schlechten unterscheiden können. Aber in Goethes Gedichten ste-
hen ja viele spottschlechte Gedichte. Das heißt, in der Phantasie wirken
kann man eben nur, wenn es über einen kommt, und man soll, wenn
es über einen kommt, eben das Gedicht niederschreiben. Und sehen Sie,
so ist das bei den ursprünglichen Menschen gewesen: Die haben über-
haupt nicht können vom freien Willen aus das eine oder andere tun.
Dieser freie Wille, der ist das, was sich erst entwickelt hat - aber nicht
die Weisheit. Die Weisheit war ursprünglich größer als der freie Wille
und muß wiederum groß werden. Das heißt, wir müssen wiederum
auch durch den Verstand zum Geist kommen.
Und das, sehen Sie, ist die Aufgabe der Anthroposophie; die will
nicht, was heute viele Menschen wollen, primitive Zustände wieder
heraufbringen, alte indische Weisheit etwa wiederum unter die Men-
schen bringen. Das ist ja nur ein Unsinn, wenn man uns das nachsagt,
sondern die Anthroposophie legt Wert darauf, zum Geist zu kommen,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 142


aber mit dem vollen Verstand, gerade mit dem vollen Verstand! Und
das ist wichtig, das müssen Sie festhalten: Es fällt uns gar nicht ein,
irgendwie etwas gegen den Verstand zu wollen, sondern es handelt
sich darum, mit dem Verstand vorwärtszukommen. Erst waren die
Menschen ohne Verstand mit dem Geist da; dann ist der Geist all-
mählich heruntergekommen, der Verstand ist groß geworden. Jetzt
muß man aus dem Verstand heraus wiederum zum Geist kommen.
Den Gang muß die Kultur nehmen. Wenn die Kultur diesen Gang
nicht nehmen will - ja, meine Herren, man hat immer gesagt: Der
Weltkrieg, so etwas ist überhaupt noch niemals dagewesen. - Es ist
auch so: So haben sich die Menschen nie zerfleischt. Aber wenn die
Menschen nicht diesen Gang machen, gehen wollen, daß sie den Ver-
stand wiederum zum Geist kriegen, dann werden noch größere Kriege
kommen. Immer wildere und wildere Kriege werden dann kommen,
und die Menschen werden tatsächlich sich gegenseitig ausrotten, wie
die zwei Ratten, die man in ein Rattenhaus gesperrt hat, die sich so-
weit aufgefressen haben, daß zuletzt nichts mehr da war als die zwei
Schwänze. Das ist etwas stark ausgesprochen, aber eigentlich arbeitet
die Menschheit darauf hin, daß schließlich gar nichts mehr von der
Menschheit da ist. Das ist aber sehr wichtig zu wissen, wie eigentlich
der Gang der Menschheit ist!

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 143


N E U N T E R VORTRAG

Dornach, 9. August 1924

Vielleicht hat noch jemand eine Frage auf dem Herzen? Wir werden ja
jetzt einige Zeit nicht zusammenkommen können; aber vielleicht hat
noch jemand eine Frage?

Herr Erbsmehl: Ich habe eine ganz verworrene Frage. Ich weiß nicht, wie ich
sie formulieren soll. Wenn man Pflanzen sieht, so bemerkt man, daß sie verschiedene
Gerüche haben; auch die Menschenrassen haben verschiedene Gerüche. Herr Doktor
hat zu uns doch schon gesprochen von der Entwickelung der Menschen vom Urzustände
an. Da muß gewirkt haben, daß eine jede Art von Wesen sich dasjenige genommen
hat, was ihr gut getan hat. Es haben ja zum Beispiel auch die verschiedenen Rassen
verschiedene Gerüche. Da muß doch ein geistiger Zusammenhang sein: Wie die
Pflanzen die Gerüche aus der Erde genommen haben, so haben auch die Menschen
der verschiedenen Rassen die verschiedenen Gerüche angenommen. Wie hängt das
mit der Entwickelung von Urzuständen her zusammen?

Dr. Steiner: Sehen Sie, wir wollen einmal die Frage so stellen, daß
sie auf das kommt, worauf Sie vielleicht hinaus wollen. Sie haben zu-
nächst also ins Auge gefaßt die verschiedenen Naturprodukte: Pflan-
zen, Tiere und auch den Menschen, nicht wahr? Es ist das ja auch bei
den Mineralien der Fall, daß sie in verschiedener Weise riechen. Der
Geruch ist nur eine Sinneswahrnehmung. Es gibt die verschiedensten
Sinneswahrnehmungen. Und so kann man sagen: Sie möchten gerne
wissen, wie das mit der ganzen Entstehung der Naturwesen zusam-
menhängt, daß verschiedene Naturwesen in der verschiedensten Weise
riechen.
Nun, schauen wir uns zunächst einmal das an, was eigentlich über-
haupt den Geruch möglich macht. Was ist eigentlich der Geruch? Da
müssen Sie sich zunächst klar sein darüber, daß ja der Mensch, indem
er den Geruch wahrnimmt, sei es an einer Sache, sei es an anderen
Naturprodukten, eigentlich in einer verschiedenen Lage ist. Ich mache
Sie nur darauf aufmerksam, daß zum Beispiel derjenige, der Wein
trinkt, sich in einer Umgebung, wo Wein getrunken wird, an dem Ge-
ruch wenig stößt; dagegen derjenige, der nicht selber Wein trinkt,
IAA
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 144
empfindet es gleich unangenehm, wenn er in einer Lokalität ist, wo Wein
getrunken wird, oder wo sich überhaupt nur Wein befindet. Ebenso
ist es mit anderen Dingen. Da müssen wir zum Beispiel ins Auge fas-
sen, daß es Menschen gibt, insbesondere Frauen, die sind nicht im-
stande, sich auch nur, ohne Kopfschmerzen zu bekommen, kurze Zeit
in einem Zimmer aufzuhalten, in dem ein Hund ist. Also die verschie-
denen Wesen sind in verschiedener Weise für Gerüche empfindlich.
Das macht es überhaupt schwer, in solchen Dingen von vorneherein
gleich das Richtige zu treffen.
Das ist aber nicht nur beim Geruch der Fall. Das ist auch bei an-
deren Sinnesempfindungen der Fall. Denken Sie nur einmal daran:
Sie strecken Ihre Hand einfach, so wie Sie sind, sagen wir, in ein Was-
ser von siebenundzwanzig Grad. Dieses Wasser wird Ihnen so vor-
kommen, daß Sie nicht eine besondere Kälte empfinden. Dagegen,
wenn Sie vorher Ihre Hand längere Zeit gewöhnt haben, unterzu-
tauchen in ein Wasser von dreißig Grad, und Sie greifen dann hin-
ein in ein Wasser von siebenundzwanzig Grad, dann kommt Ihnen
das Wasser von siebenundzwanzig Grad kälter vor wie früher. - Das Tafel 12
läßt sich leicht weiter denken. Denken Sie sich eine rote Fläche. Da
kann Ihnen diese rote Fläche sehr rot vorkommen, wenn diese rote
Fläche auf einem weißen Untergrund ist. Wenn Sie aber den Unter-
grund jetzt blau anstreichen, wird Ihnen die rote Fläche nicht mehr
so rot vorkommen. So hängt alles in vieler Beziehung davon ab, wie
sich der Mensch selber zu diesen Dingen verhält. Das hat gerade dazu
geführt, daß man gemeint hat, der Mensch nehme die Dinge überhaupt
nicht wahr, sondern nur, wie sie auf ihn wirken. Wir haben ja schon
darüber gesprochen. Wir können also sagen: Wir müssen erst durch-
dringen zu dem, was eigentlich hinter einer solchen Sache ist. Dennoch
kann man ganz genau dem Gerüche nach unterscheiden das Veilchen
und den Teufelsdreck oder Stinkasant. Das eine, das Veilchen, hat
einen Geruch, der uns durchaus sympathisch ist; der andere hat einen
Geruch, der nicht sympathisch ist, den wir wegbringen wollen von
uns. Und es ist schon richtig, daß in dieser Weise verschiedene Rassen
für den einen und den anderen verschiedene Rassengerüche haben. So
kann derjenige, der, ich möchte sagen, eine feine Nase hat, einen Ja-
in * J 1-
Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 35 4 Seite: 14 5
paner sehr gut dem Gerüche nach von einem Europäer unterscheiden.
Das ist das eine.
Nun muß uns klar sein, worauf der Geruch beruht. Da kommt es
darauf an, daß von dem Körper, der riecht, immer etwas ausgeht, was
an unseren Körper in gasförmiger, in luftförmiger Gestalt herankom-
men kann. Wenn von einem Körper nichts ausgeht, was in gasförmiger,
in luftförmiger Gestalt herankommen kann an uns, dann können wir
den Körper nicht riechen. Es müssen also immer von dem Körper luft-
artige Stoffe, gasartige Stoffe ausgehen, damit wir den Körper riechen
können. Und diese gasförmigen Stoffe müssen mit unserem Riechorgan,
mit der Nase, innerlich in Berührung kommen. Eine Flüssigkeit als
solche können wir nicht riechen, können wir nur schmecken. Erst wenn
die Flüssigkeit Luft ausströmt, also Gasförmiges ausströmt, können wir
sie riechen. Wir riechen unsere Speisen nicht aus dem Grunde, weil sie
flüssig sind, sondern aus dem Grunde, weil sie Luft ausströmen, die
dann durch unsere Nase in unser Inneres kommt. Nun sehen Sie, es gibt
Menschen, die können überhaupt nicht riechen; für die ist also die
ganze Welt geruchlos. Erst neulich ist mir ein Mensch entgegengekom-
men, der außerordentlich leidet daran, daß er nicht riechen kann, denn
er hat einen Beruf, wo man riechen müßte und die Gegenstände ge-
radezu nach ihrem Gerüche unterscheiden müßte. Es stört ihn in sei-
nem Berufe, daß er nicht riechen kann. Das hängt natürlich davon ab,
daß die entsprechenden Riechnerven nicht ordentlich ausgebildet sind.
Nun müssen wir, um an die Frage heranzukommen, uns fragen:
Woher kommt es, daß Körper Gas ausströmen, das man in einer ge-
wissen Weise riechen kann? — Nun, sehen Sie, wenn wir an einen Kör-
per herangehen, so finden wir immer, daß wir die Körper einteilen
können in feste Körper, was man in früheren Zeiten erdige Körper ge-
nannt hat, und in flüssige Körper, was man in früheren Zeiten wässe-
rige Körper genannt hat. Als Wasser bezeichnete man auch das, was
man jetzt nicht mehr als Wasser benennt. In früheren Zeiten hat man
alles, was fließt, als Wasser bezeichnet, also auch Quecksilber. Dann
sind da noch die luftförmigen oder gasförmigen Körper. Wenn man
diese drei Arten von Körpern nimmt - die festen, die flüssigen, die
gasförmigen Körper -, so fällt vor allen Dingen eines auf. Wasser ist
14A
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 146
gewiß flüssig, aber es gefriert zu Eis; dann ist es ein fester Körper.
Irgendein Metall, zum Beispiel Blei, ist fest; wenn Sie es richtig er-
wärmen, wird es flüssig, wird es so wie Wasser. Es können also diese
verschiedenen Stoffe - die festen, flüssigen, gasförmigen -, ineinander
übergeführt werden. Man kann heute schon Luft zu einem festen Kör-
per machen, oder wenigstens zu einer Flüssigkeit machen. Und man
kann hoffen, daß man es immer weiter und weiter darin bringt. Jeder
Körper kann fest, flüssig, gasförmig sein.
Nehmen wir jetzt einen Körper, der riecht, dann ist das ein Kör-
per, der gewissermaßen in sich Gas eingesperrt enthält. Wenn wir
einen festen Körper haben für sich, den riechen wir nicht. Wenn
wir einen flüssigen Körper für sich haben, den riechen wir auch nicht.
Ein Gas können wir riechen, immer riechen. Aber das Veilchen ist ja
kein Gaskörper, und dennoch riechen wir es. Wie ist es mit einem Kör-
per bestellt, der scheinbar fest ist, wie das Veilchen, und den wir den-
noch riechen? Den müssen wir uns so vorstellen, meine Herren, daß
er nicht so ist wie dieses (es wird gezeichnet), sondern daß er solche Tafel 12
feste Bestandteile enthält, und daß dazwischen dasjenige ist, was als
Gas verdunstet. So daß wir also uns sagen: Das Veilchen enthält Gas,
das verdunsten kann. - Dazu ist notwendig, daß das Veilchen eine An-
ziehung zu gewissen Kräften hat. Wenn Sie also das Veilchen abpflük-
ken, dann ist es so, daß Sie eigentlich nur das Feste vom Veilchen ab-
pflücken. Also Sie pflücken das Feste vom Veilchen ab und schauen
dieses Feste an. Nun, in Wirklichkeit besteht das Veilchen nicht bloß
in dem, was Sie als Festes abpflücken. Das Wesen des Veilchens, das,
was es eigentlich ist, das steckt in diesem Festen drin, und man kann
auch sagen: Das wirkliche Veilchen, dasjenige, was duftet, das ist
eigentlich ein Gas. Das ist so, daß es drinsteckt im Blatt und so weiter,
geradeso wie Sie in Ihren Schuhen oder Stiefeln stecken. Und wie Sie
nicht Ihre Stiefel sind, so ist auch dasjenige, was in dem Veilchen duf-
tet, nicht im Festen drin, sondern im Gasförmigen.
Nun aber, meine Herren, wenn Sie in die Welt hinausschauen: Da
glauben die Leute, wenn man so in die Welt hinausschaut, da ist es ja
leer, und in dem leeren Räume leben die Sterne drinnen und so weiter. -
Früher haben die Bauern geglaubt, daß da, wo sie herumgehen, es auch
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 14 7
leer sei. Heute weiß jeder, daß da Luft ist, daß es da nicht leer ist.
Ebenso kann man wissen, daß es im Weltenraum draußen nirgends leer
ist; entweder ist Materie da, oder es ist Geist da. Sehen Sie, daß es im
Weltenraum nirgends leer ist, kann man geradezu beweisen. Das ist
interessant, das einmal zu überlegen, daß es nicht leer ist. Ich will das
an einem bestimmten Zeichen beweisen, daß es nirgends leer ist. Wir
wollen einmal absehen davon, daß sich die Erde um die Sonne dreht,
was Kopernikus den Menschen gelehrt hat. Wir wollen die Sache so
Tafel 12 nehmen, wie sie sich anschaut. Da haben wir hier die Erde, und da geht
die Sonne um die Erde herum, geht im Osten auf und im Westen unter.
Da ist immer irgendwo die Sonne (es wird gezeichnet). Nun ist da
etwas Eigentümliches. In gewissen Gegenden, eigentlich überall, wenn
man genau zuschaut, ist nämlich, wenn die Sonne aufgeht und unter-
geht, aber auch sonst, nicht bloß die Dämmerung da, sondern es ist
etwas da, was die Welt immer in Erstaunen versetzt. Es ist etwas da
um die Sonne herum, was eine Art von Strahlenlicht bildet. Immer
wenn die Sonne angeschaut wird, namentlich aber gegen Morgen und
Abend, ist außer der Dämmerung noch dieses erstrahlende Licht da.
Es erstrahlt um die Sonne herum ein Licht. Man nennt es das Zodiakal-
licht. Dieses Zodiakallicht, meine Herren, das macht den Menschen
viel Kopfzerbrechen, namentlich denjenigen, die materialistisch den-
ken. Sie denken sich: Die Sonne im leeren Räume kann also leuchten,
und wenn sie leuchtet, so sehen wir, daß sie die anderen Körper be-
leuchtet. Aber woher kommt dieses Licht, das da immer um die Sonne
herum ist, dieses Zodiakallicht? - Unglaublich viele Theorien haben
die Leute darüber aufgestellt, woher dieses Zodiakallicht kommt. Wenn
die Sonne im leeren Räume herumfliegen soll, oder auch nur steht nach
der kopernikanischen Lehre, kann doch dort nicht ein Licht sein! Wo-
her kommt dieses Licht? - Es ist furchtbar einfach, zu finden, woher
dieses Licht kommt. Sie werden ganz gewiß schon an einem sehr reinen
Abend durch die Stadt gegangen sein und da Laternen gesehen haben.
Diese Laternen haben feste Grenzen. An einem luftreinen Abend sieht
man die Lichter ganz fest begrenzt. Aber gehen Sie jetzt an einem neb-
Tafeii2 ligen Abend, dann sehen Sie nicht so feste Grenzen, dann sehen Sie
unten überall eine Art Lichtring herum. Woher kommt der? Weil Nebel da

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 14 8


ist. Im Nebel drin bildet sich dieser Schein von einem Lichtring. Die
Sonne geht mit einem Lichtring zu gewissen Zeiten über den Himmel
hin, weil der Himmelsraum nicht leer ist, sondern weil er mit einem
feinen Nebel überall ausgefüllt ist. Das Zodiakallicht, das ist, was in die-
sem feinen Nebel als ein Schein vorhanden ist. An alles mögliche haben
die Leute da gedacht. Zum Beispiel, daß da allerlei Kometen durch-
fliegen. Gewiß tun sie das auch. Aber dieses Zodiakallicht, das mit der
Sonne geht, das zu gewissen Zeiten stärker ist, manchmal schwach,
manchmal gar nicht da ist, das ist, weil die Nebel im Weltenraum sich
mehr oder weniger verdichten oder verdünnen. So daß wir sagen kön-
nen: Eigentlich ist der ganze Weltenraum mit etwas angefüllt. - Aber
ich habe Ihnen auch schon gesagt, es ist nicht so, daß man nun glauben
kann, daß überall Stoff, Materie ist. Ich habe Ihnen gesagt, die Physi-
ker, die materialistischen Physiker würden sehr erstaunt sein, wenn sie
da hinaufkämen und erwarteten, daß die Sonne so ausschaut, wie sie sie
heute in der Physik beschreiben. Das ist Unsinn. Wenn die Physiker
da hinauffahren könnten, mit irgendeinem günstigen Zug, in die Sonne,
die würden erstaunt sein, daß sie dort nichts finden würden, was so
wäre wie ein Gas. Einen Hohlraum fänden sie, einen richtigen Hohl-
raum. Der scheint Licht. Und dasjenige, was sie finden würden, wäre
gerade das Geistige. So daß wir nicht sagen können: Überall ist nur
Stoff —, sondern wir müssen sagen: Überall ist auch Geistiges, richtiges
Geistiges.
Nun, meine Herren, so wirkt nicht bloß der Stoff aus dem Welten-
raum auf alles, was auf Erden ist; auch das habe ich schon ausgeführt,
es wirkt das Geistige auf alles. Nun, schauen wir uns einmal an, wie
im Menschen das Geistige mit dem Physischen zusammenhängt.
Meine Herren, es gibt ja ein naheliegendes Wesen, das noch besser
riechen kann als Sie oder ich; das ist der Hund. Die Hunde haben ei-
nen viel feineren Geruch als der Mensch. Sie wissen, daß man diesen
Geruch heute ausnützt. Es gibt Polizeihunde, die durch ihren Geruch
die Menschen, die irgendwie Verbrecher sind, die davongelaufen sind,
ausfindig machen. Man läßt den Hund riechen an einer Stelle, wo ein
Verbrechen begangen wurde, er geht der Spur nach, er verfolgt die
Spur und führt an den Ort, wo der Verbrecher angekommen ist. Der

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 354 Seite: 149


Hund hat in der Nase sehr feine Geruchsnerven. Das ist sehr interes-
sant, diese feine Geruchsempfindung des Hundes zu studieren. Aber es ist
auch sehr interessant, zu studieren, wie die Geruchsnerven des Hundes
Tafeln mit dem übrigen zusammenhängen. Hinter der Nase, im Gehirn, hat
unten
der Hund ein sehr interessantes Riechorgan. Die Nase ist nur ein Teil
des Riechorganes. Hinter der Nase, im Gehirn, hat der Hund die
Hauptmasse seines Riechorganes. Nun können wir vergleichen die
Riechorgane des Hundes mit denen des Menschen.
Beim Hunde ist ein deutliches Riechorgan vorhanden, ein Gehirn,
das im Grunde zum Riechorgan werden kann. Beim Menschen ist der
Tafel 13 größte Teil dieses Riechgehirns umgewandelt zum Verstandesgehirn,
oben Was wir hinter der Nase haben, ist ein umgewandeltes Riechorgan. Wir
verstehen die Dinge; der Hund versteht sie nicht, er riecht sie. Wir
verstehen sie, weil an der Stelle, wo der Hund noch ein richtiges Riech-
organ hat, wir ein umgewandeltes Riechorgan haben. Unser Verstan-
desorgan ist ein umgewandeltes Riechorgan. Wir haben nur einen klei-
nen Rest als riechendes Gehirn; daher riechen wir schlechter als der
Hund. So können Sie voraussetzen: Wenn der Hund durch die Felder
geht - das ist furchtbar interessant für den Hund; der riecht so vie-
lerei, daß, wenn er das alles beschreiben könnte, würde er die Welt
als Geruch beschreiben. Wenn es einen Schopenhauer unter den Hun-
den gäbe - der Denkweise nach -, der könnte interessante Bücher
schreiben. Schopenhauer hat ja ein Buch geschrieben «Die Welt als
Wille und Vorstellung», weil er ein Mensch war und sein Riechorgan
zum Vorstellungsorgan geworden war. Der Hund würde ein inter-
essantes Buch schreiben: «Die Welt als Wille und Geruch.» Da würde
so vieles drinnenstehen, was der Mensch nicht wissen kann, weil der
Mensch das Ding sich vorstellt, und der Hund riecht es. Ich glaube so-
gar, daß das Buch, das der Hund schriebe, viel interessanter sein würde,
wenn der Hund ein Schopenhauer wäre, als das Buch, das Schopen-
hauer geschrieben hat, «Die Welt als Wille und Vorstellung»!
Sie sehen also, wie es sich ergibt, daß wir in einer riechbaren Welt
stehen, und wie andere Wesen, zum Beispiel der Hund, diese Welt in
einem viel höheren Sinne als riechbar wahrnehmen.
Da müssen wir nun sagen: Wenn es noch feinere Riechorgane gäbe,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 15 0


ließe sich, weil die Welt überall angefüllt ist mit Gasigem - was wir
am Zodiakallicht sehen -, die ganze Welt in verschiedenster Weise
riechen. Denken Sie sich, da würde ein Wesen da sein, das schnüffelte Tafel 13
zur Sonne hinauf. Das beschreibt nicht die Schönheit, wie man die oben
Sonne sieht, sondern sein Schnüffeln lehrt es, wie die Sonne riecht.
Ein anderes Wesen beschreibt die Mondnacht nicht wie die Dichter:
In der mondbeglänzten Zaubernacht ging das Liebespaar -, in phanta-
sievoller Handlung, sondern ein solches Wesen schriebe: In der mond-
riechenden Zaubernacht ging das Liebespaar und lebte in einer Welt
von Wohlgerüchen -, oder vielleicht, weil es der Mond ist, gar nicht
so starker Wohlgerüche. Dann könnte wiederum ein solches Wesen
zum Abendstern hinaufschnüffeln und würde da im Abendstern an-
deres riechen als in der Sonne. Dann würde es zum Merkur, zur Venus,
zum Saturn hinauf schnüffeln; es könnte nicht ein Lichtbild von diesen
Sternen bekommen, nicht eine Vorstellung, wie sie das Auge vermittelt,
aber es bekäme Sonnengeruch, Mondgeruch, Saturngeruch, Marsge-
ruch, Venusgeruch. Wenn es solche Wesen gäbe, die richteten sich nach
dem, was der Geist hineinschreibt in den Geruch des Weltengases; was
der Geist von Venus, Merkur, Sonne, Mond hineinschreibt in das Wel-
tendasein. Diese Wesen richteten sich danach.
Aber weiter, meine Herren: Betrachten wir, wie die Geschichte ist
bei den Fischen, sagen wir, die gar nicht riechen. Wir können ganz
genau wahrnehmen, wie Fische Farben sich hinneigen, je nachdem sie
von der Sonne beschienen werden. Sie geben mit ihrer eigenen Fär-
bung dasjenige Licht wieder, was ihnen von der Sonne zukommt. So
daß man sagen kann: Ein Wesen, das so fein riechen würde, würde
nicht bloß riechen, sondern es würde sich danach bilden, wie es die
Welt riecht.
Sehen Sie, es gibt solche Wesen. Es gibt Wesen, die einfach die Welt
riechen können: das sind die Pflanzen. Die Pflanzen riechen den Wel-
tenraum und richten sich danach ein. Was tut das Veilchen? Sehen Sie,
es ist eben ganz Nase und eine ungeheuer feine Nase. Und das Veilchen
nimmt sehr schön wahr gerade dasjenige, was zum Beispiel ausströmt
vom Merkur, und danach bildet es sich seinen Geruchskörper, wäh-
rend der Stinkasant, Teufelsdreck, sehr fein wahrnimmt dasjenige,

C o p y r i g h t Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 151


was vom Saturn ausströmt: er gestaltet sich danach seinen Gaskörper
und stinkt. Und so nimmt ein jedes Wesen in der Pflanzenwelt, wenn
es zum Riechen kommt, dasjenige wahr, was aus der Planetenwelt
herein zu riechen ist.
Nun diejenigen Pflanzen, die nicht riechen: Warum riechen sie
nicht? Sehen Sie, etwas riechen für feine Nasen alle Pflanzen. Min-
destens haben sie dasjenige, was man einen erfrischenden Geruch nen-
nen kann. Aber dasjenige, was sie als einen solchen erfrischenden Ge-
ruch haben, das wirkt sehr stark auf sie. Das ist gerade das, was von
der Sonne kommt. Währenddem eine große Anzahl von Pflanzen nur
zugänglich sind für den Sonnengeruch, sind einzelne Pflanzen, wie
Veilchen, Stinkasant, zugänglich für Planeteneinflüsse. Die sind die
eigentlich wohl- oder übelriechenden Pflanzen. Und man kann, wenn
man zum Beispiel ein Veilchen riecht, ganz gut sagen: Oh, dieses Veil-
chen hat eine feine Nase. Es ist ganz Nase; es nimmt den Weltenge-
ruch des Merkur auf. - Es hält ihn fest, so wie ich das angedeutet habe,
daß er zwischen den festen Bestandteilen festgehalten wird, und strömt
ihn aus. Dann ist er so dicht, daß wir ihn riechen können. Wenn uns
also der Merkur aus dem Veilchen entgegenkommt, riechen wir es.
Wenn wir mit unserer ungeheuer groben Nase zum Saturn hinauf-
schnüffeln, merken wir nichts. Wenn aber der Stinkasant, der eine
feine Nase für den Saturn hat, zum Saturn hinaufschnüffelt, riecht er
das, was vom Saturn kommt und richtet danach seinen Gasgehalt ein;
dann stinkt er. Wenn wir durch eine Allee gehen, wo Roßkastanien
sind - Sie kennen diesen Geruch von Roßkastanien oder von Linden-
blüten? Das ist ein Geruch, den die Roßkastanien und die Linden des-
halb haben, weil sie in ihren Blüten feine Nasen haben für alles, was
von der Venus strömt ins Weltendasein. Und so duftet uns aus den
Pflanzen in Wirklichkeit der Himmel entgegen.
Nun gehen wir von den Pflanzen zu dem, was Herr Erbsmehl zu-
nächst in seiner Frage angeschlagen hat: zu den Rassen. Die Rassen
lebten ursprünglich an verschiedenen Stellen der Erde. Auf der einen
Stelle der Erde bildete sich diese, auf der anderen Stelle der Erde eine
andere Rasse. Woher kommt das? Wir könnten ganz gut reden davon,
wie auf einzelne Teile der Erde besonders starken Einfluß hat der eine
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 152
Planet, auf einen anderen Teil der andere Planet. Gehen wir zum Bei-
spiel nach Asien hinüber, dann finden wir, daß auf asiatischen Boden
besonders stark wirkt alles, was von der Venus auf die Erde herunter-
strömt - Venus, der Abendstern. Gehen wir auf amerikanischen Boden,
so finden wir, daß alles dasjenige besonders stark wirkt auf den ame-
rikanischen Boden, was herunterströmt aus dem Saturn. Und so fin-
den wir eigentlich zum Beispiel auf Afrika alles dasjenige wirken,
was vom Mars herunterströmt. So finden wir, daß auf jedes Stück
der Erde eigentlich ein anderer Planet besonders stark wirkt. Das
hängt damit zusammen, daß die Planeten verschiedene Stellungen ha-
ben am Himmel, je nachdem das Licht auffällt. Es fällt zum Beispiel
das Licht von der Venus ganz anders auf als vom Merkur. Das hängt
mit den Gebirgsformationen, mit der Steinformation zusammen. So
hängen die verschiedenen Rassen auf verschiedenen Teilen der Erde
davon ab, daß der eine Teil der Erde besonders stark aufnimmt die
Venuseinflüsse, andere Teile die Saturneinflüsse. Danach richtet sich
die Pflanzenheit im Menschen.
Der Mensch hat die ganze Natur in sich. Er hat die Steine in sich,
er hat die Pflanzen in sich, er hat das Tierische in sich und hat extra
das Menschliche in sich. Aber das Pflanzliche im Menschen richtet
sich ebenso nach den Planetengerüchen wie das Pflanzliche selber. Bei
denjenigen Mineralien, welche noch viel Pflanzliches in sich haben,
gibt es auch einen Geruch. Also es hängt, ob etwas riecht oder nicht,
davon ab, daß es die Weltengerüche wahrnimmt.
Das ist sehr wichtig, daß Sie solche Sachen auch auffassen. Denn
man redet heute davon, daß die Pflanzen geradeso wahrnehmen kön-
nen, daß sie eine Seele haben wie der Mensch. Das ist natürlich ein
Unsinn. Ich habe schon einmal davon gesprochen. Es gibt Pflanzen,
von denen man glaubt, daß sie Empfindung haben, wie zum Beispiel
die Venusfliegenfalle. Wenn ein Insekt in den Bereich der Venusflie-
genfalle kommt, schließt sich die Falle, und das Insekt ist gefangen.
Ebenso könnte man von einer Mausefalle sagen, sie habe eine Seele,
denn wenn die Maus in den Bereich der Mausefalle kommt, schließt
sich die Mausefalle und die Maus ist eingeschlossen. Solche Äußerlich-
keiten darf man nicht zur Erkenntnis gebrauchen; man muß eindrin-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 15 3


gen in das Wesen der Sache. Dann kann man sagen - wenn man zu
gleicher Zeit weiß, wie die Pflanzengerüche dasjenige wiedergeben,
was in der Welt draußen ist: Die Pflanzen sind eigentlich feine Ge-
ruchsorgane der Erde. - Und die menschliche Nase, meine Herren, die
ist im Grunde genommen eine grobe Pflanze. Sie wächst auch so wie
eine Blüte aus dem Menschen heraus, aber sie ist gröber geworden -
eine grobe Blüte, die aus dem Menschen herauswächst. Sie nimmt nicht
mehr so fein wahr, wie wahrgenommen wird von der Pflanze im Wel-
tenraum. Das sind schon die Bilder; die sind sehr wirklich. So ist es
eben.
So können wir sagen: Wir finden eigentlich, wenn wir in der Pflan-
zenwelt dahingehen, die Erde überall bedeckt mit lauter Nasen; das
sind die Pflanzen. Unserer merkwürdigen Nase sehen wir gar nicht
mehr an, daß sie eigentlich von der Pflanze abstammt. Und manche
Pflanzenblüten schauen wirklich so aus wie eine Menschennase. Schauen
Sie so eine Pflanze an, die so ausschaut wie eine Menschennase. Es
gibt solche Pflanzen: Man sagt, sie seien Rachenblütler, Lippenblütler,
aber sie schauen so aus wie eine Nase. Sie finden sie überall am Wege
wachsen.
Auf diese Weise kommt man hinein in die wirkliche Erkenntnis der
Welt. Und dann, wenn man in dieser Weise die Sache verfolgt, dann
erst findet man, wie sich der Mensch eigentlich verhält zu der ganzen
übrigen Welt. Sehen Sie, man kann sagen: Dieser arme Mensch, nun
hat er seine Nase zum Riechen, aber er riecht nicht mehr ordentlich;
sie ist zu grob geworden. Sehen Sie, die Blüten der Pflanzen, die kön-
nen die ganze Welt riechen. Die Blätter der Pflanzen lassen sich ver-
gleichen mit der menschlichen Zunge. Sie können die Welt schmecken.
Die Wurzel der Pflanzen, die läßt sich vergleichen mit demjenigen,
was da guckt, schaut: Es ist ein Auge, aber ein schlechtes Auge. - Da
steht der arme Mensch. Er hat alles in sich, was draußen die Wesen
der Natur haben, aber es ist schwach und matt geworden.
Tafel 13 Aber, meine Herren, wir begegnen auch ganz merkwürdigen Men-
schen. Wenn wir so gut riechen würden, wie durch die Pflanzen ge-
rochen wird, wenn Sie so gut schmecken würden, wie durch die Pflan-
zenblätter geschmeckt wird - wir würden uns nicht auskennen; denn

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch:354 Seite: 154


von allen Seiten duftete und schmeckte es! Wir brauchten nicht irgend
etwas zu essen, um Geschmack zu empfinden; von allen Seiten her würde
uns der Geschmack zulaufen. Das ist beim Menschen nicht der Fall; er
hat alles dies nicht mehr. Dafür hat er aber seinen Verstand. Nehmen
Sie ein Tier, das ein besonders starkes Riechgehirn ausgebildet hat hin-
ter der Nase (es wird auf die Zeichnung gezeigt). Beim Menschen ist Tafel 13
dieses Riechgehirn verkümmert. Seine Nase ist grob geworden. Da ist
nur ein kleines Stückchen. Dafür hat er aber sein Verstandesgehirn.
Ebenso aber, meine Herren, ist es auch mit dem Geschmacksorgan des
Menschen. Es gibt Tiere - die meisten Tiere sogar haben ein mächtig ent-
wickeltes Geschmacksgehirn, können furchtbar gut ein Nahrungsmit-
tel von dem anderen unterscheiden. Wissen Sie, so wie die Tiere ge-
nießen, davon haben wir gar keinen Begriff. Wir würden turmhoch
springen, wenn uns all die Dinge, die wir essen, so geschmackvoll wä-
ren, wie den Tieren die Sachen geschmackvoll sind. Von der Art und
Weise, wie der Hund vom Zucker beglückt ist, hat unser bißchen Zuk-
kergeschmack gar keine Ahnung. Es kommt dies daher, daß bei den
meisten Tieren ein mächtiges Geschmacksgehirn vorhanden ist. Beim
Menschen ist auch davon nur ein kleiner Rest vorhanden. Dafür aber
hat er wieder die Fähigkeit, Ideen zu bilden, mit dem umgewandelten
Geschmacksgehirn Ideen zu bilden. Und auf diese Weise, sehen Sie,
wird der Mensch das edelste Wesen auf der Erde, daß bei ihm von den
Sinnesempfindungen im Gehirn immer nur ein Stückchen vorhanden
ist; das andere ist umgewandelt zum Denken, zum Fühlen. Dadurch
wird der Mensch das höchste Wesen. So können wir sagen: Da ist im
menschlichen Gehirn mächtig umgewandelt Schmecken und Riechen,
und nur Stückchen sind vorhanden vom Geschmacksgehirn und Ge-
ruchsgehirn. Beim Tier ist das nicht vorhanden, dagegen ist das mäch-
tig ausgebildet (es wird auf die Zeichnung verwiesen). Das kann man
schon an den äußeren Formen erkennen. Wenn der Mensch ein so
mächtig ausgebildetes Geruchsgehirn hätte wie der Hund, dann hätte
er keine Stirn. Die Stirn ginge zurück, weil das Geruchsgehirn nach hin-
ten sich ausbilden würde. Aber indem es sich umwandelt, stülpt sich
die Stirn auf. Weil der Hund die Nase nach vorne streckt, geht das
Gehirn nach hinten. Wer darauf sich einschult, kann schon sagen,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 155


welche Tierformen besonders gute Geruchsempfindungen haben. Er
braucht nur darauf zu sehen, daß das Gehirn nach hinten geht und
die Nase mächtig ausgebildet ist, dann weiß er, das Tier hat eine gute
Geruchsempfindung.
Dann nehmen Sie die Pflanze. Deren Nase setzt sich bis zur Wurzel
fort in die Erde hinunter. Da ist alles Nase. Nur kommt an die Nase,
entgegen dem, wie es beim Menschen ist, der Geschmack heran, die
Welt der Geschmäcke. Und dieses, sehen Sie, zeigt uns, daß der Mensch
gerade dadurch vollkommen ist, daß er diese Dinge, die die Tiere und
Pflanzen haben, unvollkommen hat, daß sie umgestaltet sind. So daß
man sagen kann: Wodurch ist der Mensch vollkommener als die übri-
gen Naturwesen? Weil er dasjenige, was bei den anderen Wesen voll-
kommen ist, in Unvollkommenheit hat. - Das können Sie leicht ein-
sehen. Schauen Sie sich einmal ein Hühnchen an. Es schlüpft aus dem
Ei heraus - flugs kann es, was es überhaupt braucht. Es kann schon sein
Futter suchen, kann schon scharren. Bedenken Sie, wie sich dagegen
der Mensch anschickt! Das Tier kann alles. Warum? Weil seine äußeren
Gehirnorgane noch nicht zu Denkorganen umgewandelt sind. Beim
Menschen müssen erst, wenn er geboren ist, vom Gehirn aus diese
stumpfen Reste von den Sinnesorganen erobert werden. Und deshalb
muß das Kind lernen, während das Tier nicht zu lernen braucht, son-
dern alles von vorneherein kann. So ist es beim Menschen. Wir können
alles ganz genau sehen: Menschen, die ganz einseitig nur ihr Gehirn
ausgebildet haben, die können furchtbar fein denken, sind aber furcht-
bar ungeschickte Kerle. Beim Menschen kommt es darauf an, daß er
nicht gar zu viel Gehirnmasse umgewandelt hat. Wenn er gar zu viel
umgewandelt hat, kann er ein guter Dichter werden, aber er wird
kein guter Mechaniker werden. Er wird in der äußeren Welt nicht ge-
schickt sein. Heute, meine Herren, ist es so - das hängt zusammen mit
dem, was ich neulich besprochen habe -, daß durch die reichliche Kar-
toffelnahrung bei vielen Menschen furchtbar viel umgewandelt wird
von ihrem ganzen Gehirn. Daher werden die Menschen gescheit, aber
ungeschickt. Heute sind die Menschen so ungeschickt: Das, was sie
nicht lange gelernt haben, das können sie nicht - solche Dinge, die
man doch eigentlich nur flüchtig lernt. Es gibt Menschen: wenn ihnen

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 156


ein Hosenknopf abreißt, können sie ihn nicht annähen. Sie können
furchtbar gute Bücher schreiben, aber Hosenknöpfe können sie nicht
annähen. Das rührt davon her, daß diejenigen Nerven, die Empfin-
dungsnerven sind in den feineren Organen, fast ganz in Gehirnnerven
umgewandelt sind.
Ich habe einmal einen kennengelernt, der hatte eine heillose Angst
vor der Zukunft, weil er sagte: In alten Zeiten war der Mensch mehr
feinsinnig, weil tatsächlich noch nicht so viel Gehirn umgewandelt
war. Worin besteht die Entwickelung der Menschheit? Sie besteht dar-
in, daß vieles, was früher den Sinnen angehört hat, was zur Feinsin-
nigkeit geführt hat, heute in das Gescheitheitsgehirn umgewandelt ist. -
Dieser Mann hatte eine heillose Angst, daß das so weitergehen würde, daß
immer mehr von dem Sinnengehirn in das Gedankengehirn umgewan-
delt werde, so daß die Leute zuletzt ganz ungeschickt werden, daß die
Augen verkrüppeln und so weiter. In früheren Zeiten sind die Leute
mit guten Augen durchs Leben gegangen; jetzt brauchen sie schon
Brillen! Die Leute riechen nicht mehr so gut. Die Hände werden unge-
schickt. Aber was ungeschickt wird, das verkümmert. Er hatte Angst,
daß alles sich in Gehirn umwandle, und daß der Mensch, der erst so ist
(es wird gezeichnet) - hier ist der Rumpf mit den Gliedern, oben trägt Tafel 13
er den Kopf -, nun hat er gemeint: Nach und nach kommt es dahin,
unten
daß alles verkümmert; der Kopf wird immer größer und größer, die
Beine werden immer kleiner. - Aber der Mensch hat das im völligen
Ernst gemeint, er hat das furchtbar tragisch gefunden. Die Menschen
werden sich zuletzt nur mehr wie Kopfkugeln durch die Welt rollen.
Was soll da werden? — Aber es ist ein ganz richtiger Gedanke. Denn
wenn der Mensch nicht wiederum zurückkommt zu dem, was einmal
durch die Phantasie ergriffen worden ist, wenn der Mensch nicht wie-
derum zum Geiste kommt, dann wird er eine solche Kugel. Daher ist
es so, daß tatsächlich die Beschäftigung mit der Geisteswissenschaft
den Menschen nicht nur gescheit werden läßt - er wird nicht mehr
gescheit als durch andere Theorien, wenn er sie nur als Theorie an-
nimmt; er wird nicht gescheiter, er wird eher dümmer —, aber wenn
er die Geisteswissenschaft richtig auffaßt, so wie sie aufgefaßt werden
soll, dann geht das bis in die Finger! Die steif gewordenen Finger wer-

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den wieder geschickter, weil wiederum die Außenwelt zu ihrer Gel-
tung kommt. Sie vergeistigen sie nur, aber Sie werden dadurch nicht
ungeschickter. Also auf solche Dinge muß man schon hinschauen. Man
sieht geradezu: Als die Menschen Mythen, Sagen, Mythologien aus-
gebildet haben - worum ich neulich gefragt worden bin -, war noch
nicht so viel von dem, was in den Sinnen ist, in Gehirn umgewandelt.
Nun sehen Sie, da waren, wenn die Menschen eben träumten - die
alten Leute haben mehr geträumt, weil noch nicht so viel in Gehirn
umgewandelt war -, wenn sie träumten, da waren Bilder vor ihnen.
Wir haben heute ganz leere Gedanken. Und wenn Sie die Erzählun-
gen hören von Wotan, Loki, von den alten griechischen Göttern, von
Zeus, Aphrodite und so weiter, so rühren diese Erzählungen auch da-
von her, daß der Mensch noch nicht so viel von der heute so geschätz-
ten Gescheitheit hatte. Die Menschen werden gescheiter, ja, aber man
lernt die Welt nicht dadurch kennen, daß man mit Gescheitheit lernt,
sondern dadurch, daß man sie anschauen lernt. Das können Sie an
einem Vergleich erkennen.
Denken Sie sich einen Erwachsenen, der hat ein Kind vor sich. Er
kann sich bloß etwas einbilden auf seine Gescheitheit; dann findet er
das Kind nur dumm. Wenn er aber einen Sinn hat für das, was im
Kinde naturhaft herauskommt, dann schätzt er das für mehr als seine
eigene Gescheitheit. So kann man dasjenige, was in der Natur da ist,
nicht durch Gescheitheit fassen, sondern dadurch, daß man eingehen
kann auf die Geheimnisse der Natur. Unsere Gescheitheit haben wir
für uns selber, nicht zur Erkenntnis. Ein gescheiter Mensch braucht
noch nicht besonders weise zu sein. Gescheite Menschen können nicht
dumm sein, natürlich, aber sie können unweise sein, nichts wissen
von der Welt. Gescheitheit kann man auf alles mögliche anwenden:
um Pflanzen einzuteilen, um Mineralien einzuteilen, um chemische
Verbindungen zusammenzusetzen und zu bestimmen, man kann Do-
mino und Schach spielen, kann an der Börse spielen. Dieselbe Ge-
scheitheit ist es, die die Leute betrügt an der Börse, wie die Gescheit-
heit, die die Menschen haben, wenn sie Chemie studieren. Es kommt
nur darauf an, daß man anderes wahrnimmt, wenn man Chemie treibt,
anderes, wenn man an der Börse spielt. Die Gescheitheit ist in beiden
1 CQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 158
da. Auf dasjenige, was man anschaut, kommt es an. Es darf nicht zu
viel in Gehirn umgewandelt werden. Wenn man zum Beispiel einen
großen Börsenspekulanten sezieren würde, würde man ein ausgezeich-
netes, ein ganz glänzendes Gehirn finden. In dieser Richtung ist man-
ches gelöst worden, da man gerade da durch die Anatomie vieles her-
ausgebracht hat. Niemals aber hat sich Erkenntnis im Gehirn nach-
weisen lassen, wohl aber die Gescheitheit.
So habe ich versucht, diese Frage auszugestalten. Vielleicht sind Sie
nicht ganz unzufrieden mit der Beantwortung. Nun, sobald ich zu-
rückkomme, wollen wir uns wieder zusammenfinden. Ich hoffe, daß
Sie damit ein bißchen ausreichen können. Es tut mir leid, daß ich nicht
hier Vorträge halten kann und in England. So weit sind wir noch
nicht. Wenn wir einmal so weit sein werden, dann brauchen wir keine
Pause mehr zu machen. Aber vorläufig müssen wir eine Pause machen.
Daher auf Wiedersehen, meine Herren.

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Z E H N T E R VORTRAG

Dornach, 9. September 1924

Guten Morgen, meine Herren! Vielleicht ist eine Möglichkeit, daß Sie
noch weitere Fragen haben?

Schriftliche Frage von Herrn Burle: Mars steht in Erdnähe. Welchen Einfluß hat das
auf die Erde? Was weiß man überhaupt vom Mars?

Dr. Steiner: Nun, sehen Sie, in der letzten Zeit war ja immer wie-
der und wieder die Rede, daß der Mars in Erdnähe stehe, und die
Zeitungen haben in der allerunnützesten Weise, in der törichtesten Weise
eigentlich von dieser Erdnähe des Mars gesprochen. Denn wir müssen
durchaus auf diese äußeren Verhältnisse in der Planetenkonstellation,
die mit entsprechenden Stellungen von der Erde und so weiter zusam-
menhängen, nicht den allergrößten Wert legen, weil diese Einflüsse,
die von daher kommen, eigentlich keine besonders großen sind. Es ist
überhaupt merkwürdig, daß in der letzten Zeit so viel von der An-
näherung des Mars an die Erde die Rede war, weil ja jeder Planet, zum
Beispiel auch der Mond, sich fortwährend der Erde nähert, und die
Planeten sind schon in einem Zustande, der damit endigen wird, daß
sie sich alle wiederum mit der Erde vereinigen werden, ein Körper mit
ihr werden.
Allerdings, wenn man sich das so vorstellt, wie sich zumeist heute die
Menschen die Planeten vorstellen, daß sie ebensolche feste Körper
wie die Erde seien, dann könnte man schon erwarten, wenn sie mit
der Erde zusammenkommen werden, daß sie alle lebenden Wesen auf
der Erde überall anschlagen! Aber das wird nicht der Fall sein, denn die
Planeten haben nicht dieselbe Festigkeit wie die Erde selber. Wenn der
Mars zum Beispiel wirklich herunterkommen würde und sich mit der
Erde vereinigen würde, dann würde er selber nicht das feste Land
verheeren können, sondern er würde nur die Erde überschwemmen
können. Denn der Mars besteht, soweit man dieses untersuchen kann -
man kann ja diese Dinge eigentlich niemals mit bloß physischen In-
strumenten untersuchen, sondern man muß da schon die Geisteswis-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 16 0


senschaft, das geistige Schauen zu Hilfe nehmen -, wenn man sich also
einläßt darauf, den Mars wirklich kennenzulernen, so besteht er vor
allem aus einer mehr oder weniger flüssigen Masse, nicht so flüssig
wie unser Wasser, aber, sagen wir, wie Gelee und solche Dinge. Also
in dieser Weise ist er flüssig. Er hat allerdings auch feste Bestandteile,
aber diese sind auch nicht so wie die auf unserer Erde, sondern sie
sind so, wie etwa die Geweihe oder Hörner bei Tieren sind. Sie bilden
sich heraus aus unserer Erdenmasse, und bilden sich auch wiederum
zurück. So daß wir natürlich beim Mars eine ganz andere Beschaf-
fenheit annehmen müssen, als diejenige unserer Erde ist.
Sehen Sie, man spricht fortwährend von Marskanälen, von Ka-
nälen, die auf dem Mars sein sollen. Aber warum spricht man von
Kanälen? Man sieht ja nichts anderes auf dem Mars als solche Linien
(es wird gezeichnet); die spricht man als Kanäle an. Das ist richtig - Tafeln
und auch nicht richtig. Denn weil der Mars nicht in dem Sinne fest ist
wie die Erde, kann man da natürlich nicht von solchen Kanälen spre-
chen, wie sie auf der Erde sind; aber man kann davon sprechen, daß so
etwas Ähnliches auf dem Mars ist, wie unsere Passatwinde sind. Sie
wissen ja, daß von der heißen Gegend der Erde, von Afrika, von der
mittleren Erde, fortwährend die warme Luft nach dem kalten Nordpol
geht, und vom kalten Nordpol die Luft wiederum zurückströmt nach
dem mittleren Gebiet der Erde, So daß man, wenn man von außen
die Sache ansehen würde, man auch solche Linien sehen würde; aber
das sind Linien der Passatwinde, der Luftströmungen der Passatwinde.
So ähnlich ist es auch beim Mars. Nur, beim Mars lebt alles viel mehr
als auf der Erde. Die Erde ist in viel stärkerem Sinne ein erstorbener
Planet als der Mars, auf dem mehr oder weniger noch die Dinge leben.
Und da will ich Sie auf einiges aufmerksam machen, was Sie dazu
bringen kann, einzusehen, wie es eigentlich mit dem Verhältnis von
Mars zur Erde ist.
Wenn wir ausgehen von dem, was unser allerwichtigster Himmels-
körper ist, von der Sonne, so wissen wir ja: die Sonne, die unterhält auf
der Erde sehr vieles. Nehmen Sie nur einmal die gewöhnliche Tages-
sonne an. Sie können in der Nacht die Pflanzen ansehen: die ziehen
ihre Blüten ein, weil sie nicht von der Sonne beschienen werden. Bei
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 161
Tag öffnen sie sich wiederum, weil sie von der Sonne beschienen werden.
Und so gibt es sehr, sehr vieles, was durchaus zusammenhängt mit der
Verbreitung von Sonnenlicht über einen bestimmten Teil der Erde oder
mit der Verbreitung von Finsternis über einen bestimmten Teil, also
vom NichtVorhandensein der Sonne. Aber während eines Jahres ist das
ja deutlich. Sie können sich nicht denken, daß auf unserer Erde irgend-
wie im Frühling überhaupt Pflanzen wachsen würden, wenn nicht die
Sonne in einer gewissen Weise ihre Macht bekäme. Und weil die Sonne
im Herbst wiederum an Macht verliert, welken die Pflanzen ab, alles
Leben erstirbt, der Schnee fällt auf die Erde. Also das Leben auf der
Erde hängt mit der Sonne zusammen. Überhaupt, wir könnten gar
nicht in der Luft, die da ist, atmen, wenn sie nicht da wäre, wenn nicht
die Sonnenstrahlen uns die Luft geeignet machen würden. Also die
Sonne ist schon unser wichtigster Himmelskörper. Aber denken Sie
einmal, wie anders die Geschichte wäre, wenn die Sonne nicht in vier-
undzwanzig Stunden sozusagen scheinbar um die Erde herumginge,
sondern in der doppelten Zeit! Dann würde alles Leben langsamer
sein. Es hängt also von der Umdrehung der Sonne um die Erde - eigent-
lich ist es umgekehrt, aber es scheint doch so - alles Leben auf der
Erde ab.
Und wiederum, weniger bedeutend schon ist dem Menschen der
Einfluß des Mondes, aber der ist ja trotzdem da. Und wenn Sie be-
denken, daß sich nach dem Monde richten Ebbe und Flut, daß die die-
selben Zeiten haben wie der Mondumlauf, so werden Sie sehen, mit
welcher Kraft der Mond auf die Erde wirkt. Und dann können Sie ja
auch sehen, wie die Umlaufszeit des Mondes um die Erde eine gewisse
Bedeutung hat, wenn man untersuchen würde, wie auf der Erde die
Pflanzen, wenn sie schon von der Sonne beschienen sind, sich entwik-
keln. So würde man schon den Einfluß des Mondes finden. Also der
Mond und die Sonne haben den allergrößten Einfluß auf die Erde.
Und wir können diesen Einfluß erkennen aus der Umlaufszeit, aus der
Zeit, in der der Mond wiederum voll wird, Neumond wird und so
weiter. Wir können es bei der Sonne erkennen, je nachdem sie auf-
und untergeht, oder im Frühling ihre Kraft bekommt, im Herbst ihre
Kraft verliert.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 16 2


Nun will ich Ihnen etwas sagen. Sie alle kennen die Erscheinung,
daß es in der Erde die sogenannten Engerlinge gibt. Das sind kleine
wurmartige Tiere, die uns namentlich schädlich sind, weil sie uns
die Kartoffeln zerfressen. Aber sehen Sie, diese Engerlinge, die dro-
hen unseren Kartoffeln nicht immer, sondern es gibt Jahre, wo
unsere Kartoffeln ungeschoren bleiben von diesem Ungeziefer, und
es gibt Jahre, in denen man sich gar nicht retten kann, wo furcht-
bar immer die Engerlinge da sind. Was sind denn eigentlich diese
Engerlinge?
Sehen Sie, man kann das ja nachrechnen. Wenn ein Jahr dagewe-
sen ist, wo diese Engerlinge uns die Kartoffeln zerfressen haben, und
man wartet jetzt, bis das vierte Jahr darauf kommt — im ersten Jahr
entstand nichts, im zweiten Jahr entstand nichts, im dritten Jahr ent-
stand nichts; sehen Sie, meine Herren, in diesem vierten Jahr ist wie-
derum die Maikäferplage da. Da gibt es dann entsprechend viele Mai-
käfer, weil erst nach vier Jahren die Maikäfer herauskommen aus den
Engerlingen, die vor vier Jahren da waren. So daß ungefähr die vier-
jährige Periode liegt zwischen dem Erscheinen der Engerlinge, die ein-
fach, wie jedes Insekt, zuerst die Madenform, dann die Puppenform
haben und so weiter, nach und nach entwickeln sie dann die Form des
vollkommenen Insektes, so daß also die Engerlinge vier Jahre brau-
chen zu ihrer Entwickelung bis zum Maikäfer. Natürlich sind immer
Maikäfer da; wenn im nächsten Jahr wenig Engerlinge da sind, sind
im vierten Jahr auch wenig Maikäfer da. Es hängt eben so zusammen,
daß die Masse der Maikäfer zusammenhängt mit den Engerlingen,
die vor vier Jahren da waren.
Nun, wenn man diese Zeit nimmt, so sieht man ganz genau, daß
das zusammenhängt mit der Umlaufzeit des Mars. Da sehen Sie also
innerhalb der Fortpflanzung von gewissen Insekten, wie der Mars
einen Einfluß auf das Leben der Erde hat. Das ist nur etwas versteckt.
Bei der Sonne ist der Einfluß offenbar, beim Mond schon nicht mehr
ganz offenbar, beim Mars versteckt. Alles dasjenige, was Zwischen-
zeiten braucht, zwischen den Jahren der Erde - also so wie die Enger-
linge und Maikäfer, das hängt ab vom Mars. So daß man also da schon
eine solche Wirkung sieht, die in der Tat bedeutsam ist.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 163


Es könnte ja jemand sagen: Ich glaube dir das nicht. - Nun, meine
Herren, wir können nicht alle Versuche allein machen, aber wer es
*
nicht glaubt, der soll nur einmal das Folgende machen. Der soll irgend-
wo solche Engerlinge nehmen, die er in einem Jahr, wo es viele Enger-
linge gibt, gewonnen hat, soll sie künstlich züchten irgendwo in einem
Behälter, und in einem Jahr wird er sehen: die meisten Engerlinge
kriechen nicht aus, werden keine Maikäfer. Natürlich macht man
solche Dinge nicht, weil man an die Dinge nicht glaubt.
Nun kommt man auf dasjenige, um was es sich eigentlich handelt.
Wenn man dabei auf die Sonne schaut, so hat sie den allerstärksten
Einfluß. Aber die Sonne hat ihren hauptsächlichsten Einfluß auf alles
dasjenige in der Erde, was tot ist und jedes Jahr ins Leben gerufen
werden muß, während der Mond nur auf das Leben seinen Einfluß
hat, nicht mehr auf das Tote. Der Mars hat zum Beispiel seinen Ein-
fluß nur auf dasjenige, was im feineren Leben, in der Empfindung
ist, und die anderen Planeten haben auf das Seelische und das Geistige
und so weiter ihren Einfluß. So daß eigentlich die Sonne derjenige
Himmelskörper ist, der am stärksten bis in die Mineralien hinein auf
die Erde wirkt, denn in den Mineralien kann der Mond nichts machen,
der Mars noch weniger. Kein Wesen würde auf der Erde kriechen und
leben können als Tier, wenn nicht der Mond da wäre. Es könnten auf
der Erde nur Pflanzen da sein, keine solchen Wesen. Viele solche Tiere
könnten nicht eine Zwischenzeit an Jahren haben von der Larve bis
zum Insekt, wenn nicht der Mars da wäre.
Und sehen Sie, eigentlich hängen alle Dinge so zusammen. Wir
können uns zum Beispiel fragen: Wann sind wir denn ganz voll aus-
gewachsen, wenn wir uns als Menschen entwickeln? Wann hören wir
denn auf, eine irgendwie zunehmende Entwickelung zu haben? Ja,
sichtbarlich schon sehr früh, vielleicht schon mit zwanzig, einund-
zwanzig Jahren; doch setzt sich noch immer etwas an. Manche
Menschen wachsen sogar nicht mehr, aber innerlich setzt sich im-
mer noch etwas an. Bis gegen das dreißigste Jahr hin nehmen wir
eigentlich zu, dann fangen wir erst an abzunehmen. Wenn wir wie-
derum mit dem Weltenall vergleichen, kriegen wir da die Umlaufs-
zeit des Saturn heraus.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 16 4
Also auf die feineren Verhältnisse des Wachstums und Lebens ha-
ben wiederum die Planeten ihren Einfluß. So daß wir sagen können:
Wenn sich, wie alle Planeten, der Mars der Erde nähert, so müssen
wir auf diese äußere Annäherung nicht den allergrößten Wert legen,
sondern es ist viel wichtiger, wie mit den feineren Verhältnissen des
Lebens die Dinge im Weltall zusammenhängen.
Nun müssen Sie ja bedenken, daß der Mars ganz anders beschaf-
fen ist als die Erde. Ich sagte Ihnen: In dem Sinne, wie die Erde heute
Festes hat, hat der Mars nichts Festes. Aber, meine Herren, ich habe
Ihnen ja beschrieben vor einiger Zeit, daß die Erde auch einmal in
einem solchen Zustand war, daß sich das Mineralische, das Feste erst
herausgebildet hat, daß da riesige Tiere gelebt haben, die aber noch
keine festen Knochen hatten. Wenn wir heute den Mars nehmen, so
ist der Mars in einem ähnlichen Zustand, wie die Erde früher war, hat
also auch diejenigen Lebewesen, diejenigen Tiere, die die Erde dazu-
mal hatte, und die Menschen sind auf dem Mars so, wie sie auf der
Erde dazumal waren: noch ohne Knochen, wie ich es Ihnen beschrieben
habe an einem früheren Erdenzustande. - Das kann man wissen.
Nur kann man es nicht wissen auf diejenige Weise, wie es die heutige
Naturwissenschaft gewöhnt ist; aber man kann diese Dinge wissen. So
daß man sagen kann: Willst du dir vorstellen, wie der Mars heute ist,
so stelle dir vor, wie die Erde in einem früheren Zeitalter war; dann
hast du das Aussehen des Mars.
Sehen Sie, heute haben wir Passatströmungen von Süden nach Nor-
den, von Norden nach Süden. Einstmals waren diese Luftströmungen
viel dicker; es waren flüssige, wäßrige Luftströmungen. So ist heute
der Mars. Das sind solche noch lebendigere, noch viel wäßrigere, nicht
luftförmige Strömungen auf dem Mars.
Der Jupiter zum Beispiel ist ja fast ganz luftförmig, nur wiederum
etwas dichter als die Luft der Erde. Der Jupiter stellt, wenn wir ihn
heute anschauen, einen Zustand dar, welchem die Erde erst zustrebt,
wie die Erde erst in der Zukunft sein wird.
Und so sehen wir überall im Planetensystem gewisse Zustände, die
die Erde auch durchmacht. Wenn wir die Planeten so verstehen, dann
verstehen wir sie richtig.

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 354 Seite: 165


Hat vielleicht jemand jetzt in bezug auf diese Frage noch etwas zu
fragen, oder möchte noch etwas wissen? Vielleicht Herr Burle selber?
Herr Burle: Ich bin ziemlich befriedigt darüber.

Weitere Frage des Herrn Burle: Herr Doktor führte in einem der letzten Vorträge an,
daß die Blumen in ihren Düften mit den Planeten zusammenhängen. Ist es mit den
Farben der Blumen und mit dem farbigen Gestein auch so?

Dr. Steiner: Nun, ich will nur ganz kurz wiederholen, was ich ge-
sagt habe. Es war auch auf eine Frage. Ich sagte: Die Blumen, und auch
andere Stoffe der Erde duften, haben also dasjenige, was auf das Ge-
ruchsorgan des Menschen einen entsprechenden Einfluß ausübt. Ich
habe Ihnen damals gezeigt, daß das zusammenhängt mit den Planeten,
daß gewissermaßen die Pflanzen, und so ähnlich auch gewisse andere
Stoffe, große Nasen sind, oder überhaupt Nasen sind, daß sie also
wahrnehmen dasjenige, was als Wirkungen aus den Planeten kommt.
Sehen Sie, auf das feinere Leben — da kommen wir wieder darauf, daß
wir auf das feinere Leben übergehen müssen - haben die Planeten einen
Einfluß; und wir können schon sagen: Die Pflanzen entstehen eigent-
lich aus dem Weltenduft heraus, der nur so dünn und fein ist, daß wir
ihn mit unseren groben Nasen nicht riechen. Aber ich habe Sie dazu-
mal aufmerksam gemacht darauf, wie man noch ganz anders riechen
kann - ich meine nicht von sich aus, sondern etwas beriechen kann an-
ders als der Mensch. Da brauchen Sie sich ja nur an die Polizeihunde
zu erinnern. Die Polizeihunde, die macht man in entsprechender Weise
darauf aufmerksam, daß da irgendwie ein Mensch war, der etwas ge-
stohlen hat; dann nimmt der Polizeihund den Duft auf, und er führt
einen auf die Spur, und man kommt schon manchmal, wenn er die
Spur verfolgt, wohin der Dieb gegangen ist, an den Dieb heran. In
dieser Weise werden ja die Polizeihunde verwendet. Zu allerlei ganz
interessanten Dingen kommt man, wenn man verfolgt, wie diejenigen
Düfte, die dem Menschen gar nicht wahrnehmbar sind, vom Hunde
wahrgenommen werden.
Ja, aber, meine Herren, die Menschen haben nicht immer geahnt,
daß die Hunde solche feine Nasen haben, sonst hätten sie schon längst
die Hunde in Polizeidienste genommen. Man ist erst verhältnismäßig

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 166


spät darauf gekommen. Und so ahnen die Menschen heute noch nicht,
was die Pflanzen für ungeheuer feine Nasen haben. Die ganze Pflanze
ist eine Nase, nimmt den Duft auf, und wenn sie gerade so gestaltet ist,
daß sie, wie ein Echo den Ton zurückgibt, so den Duft wiederum zu-
rückgibt, den sie aufnimmt, so wird sie eben eine riechende Pflanze.
So daß wir sagen können: Vom Planetensystem hängen die Düfte der
Blumen, der Pflanzen überhaupt, und auch andere Düfte auf der Erde
schon ab.
Nun ist die Frage gestellt worden, wie das bei den Farben ist. Bei
den Farben ist es so: Wenn die Pflanze sich gestaltet aus dem Welten-
duft heraus, so ist sie ja wiederum gerade, wie ich es beschrieben habe,
das Jahr hindurch der Sonne ausgesetzt. Und während die Gestalt
der Pflanze aus dem Weltenduft heraus von den Planeten gebildet
wird, wird die Farbe der Pflanze von der Sonne, auch etwas unter
dem Einfluß des Mondes, gebildet. Also nicht von derselben Quelle
her kommt der Duft und die Farbe. Der Duft kommt von den Plane-
ten, die Farbe kommt von Sonne und Mond. Nicht wahr, es muß ja
nicht alles von demselben kommen; geradeso wie der Mensch einen
Vater und eine Mutter hat, so hat die Pflanze ihre Düfte von den
Planeten, ihre Farben von Sonne und Mond.
Daß die Farben zusammenhängen mit Sonne und Mond, das kön-
nen Sie aus folgendem entnehmen. Nehmen Sie Pflanzen, die ganz
schöne grüne Blätter haben, setzen Sie sie in den Keller: sie werden
nicht nur blaß, sondern sie schauen ganz weiß aus, werden ganz farb-
los, weil sie die Sonne nicht mehr beschien. Ihre Gestalt, ihre Form
behalten sie, weil der Weltenduft überall hineingeht, aber die Farbe
behalten sie nicht, weil die Sonne nicht hereinscheint. So also sehen
Sie, daß die Farben durchaus kommen von der Sonne, und, wie ge-
sagt - das ist etwas schwerer durchschaubar -, auch vom Monde. Da
müßten erst wiederum Versuche gemacht werden, könnten auch Ver-
suche gemacht werden; indem man die Pflanze dem Mondenlicht so
und so aussetzt, würde man schon darauf kommen.
Vielleicht hat dazu jemand noch etwas zu sagen?
Herr Burle: Ich möchte die Frage erweitern: Wie ist es mit der Farbe der Ge-
steine?

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 167


Dr. Steiner: Bei den Gesteinen ist es nun so: Nicht wahr, wenn Sie
sich vorstellen, daß jeden Tag die Sonne einen bestimmten Einfluß
hat auf die Pflanzen, und auch während des Jahres einen Einfluß hat
auf die Pflanzen, dann bekommen Sie eine Ansicht darüber, daß die
jährlichen Sonnenwirkungen anders sind als die täglichen Sonnenwir-
kungen. Die täglichen Sonnenwirkungen können nicht viel ändern an
den Farben der Pflanzen, aber die jährlichen Sonnenwirkungen, die
machen den Eindruck auf die Farben der Pflanzen.
Aber es gibt ja nicht bloß tägliche oder jährliche Wirkungen der
Sonne, sondern es gibt noch ganz andere Wirkungen der Sonne. Von
denen habe ich vor längerer Zeit auch schon zu Ihnen gesprochen, will
es Ihnen aber jetzt noch einmal zeigen.
Tafel H Denken Sie sich einfach - scheinbar - die Erde hier (es wird ge-
zeichnet). Die Sonne geht an einem bestimmten Punkte auf am Him-
mel, und nehmen wir an, wir prüfen den Aufgang der Sonne am 21.
März, im Frühling, dann bekommen wir einen bestimmten Punkt am
Himmel, wo die Sonne aufgeht. Sehen Sie, wenn wir heute hinschauen,
wo die Sonne am 21. März aufgeht, da finden wir hinter dem Auf-
gang der Sonne das Sternbild der Fische. Das ist ein bestimmtes Stern-
bild. In diesem Sternbild der Fische geht die Sonne schon seit mehreren
hundert Jahren auf, aber nicht immer an derselben Stelle, sondern die-
ser Punkt im Frühling, wo die Sonne am 21. März aufgeht, der rückt
im Sternbild der Fische immer weiter und weiter. Sehen Sie, vor einem
Jahr ist die Sonne ein Stückchen weiter zurück aufgegangen, noch
weiter zurück wiederum vor einem Jahr. Also nicht immer geht die
Sonne am selben Punkt auf. Da ist das Sternbild der Fische;
so geht es durch die Jahrhunderte, ja noch länger: wir finden
den Frühlingspunkt immer im Sternbild der Fische. Aber so war
es nicht immer. Wenn wir zurückgehen würden ins Jahr 1200 -
jetzt haben wir 1924 -, wenn wir da zurückgehen würden, so würden
wir finden: die Sonne ist gar nicht aufgegangen im Sternbild der Fische,
sondern im Sternbild des Widders. Und wiederum lange Zeit hat man
den Frühlingspunkt im Sternbild des Widders gefunden. Vorher noch,
sagen wir zum Beispiel in der alten ägyptischen Zeit, da ist die Sonne
nicht aufgegangen im Sternbild des Widders, sondern im Sternbild des

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:168


Stieres, und noch früher im Sternbild der Zwillinge und so weiter. So
daß wir sagen können: Die Sonne rückt immer vor mit ihrem Früh-
lingspunkt.
Ja, meine Herren, das weist ja darauf hin, daß sich die Sonne selber
verschiebt im Weltenall! Die Sonne verschiebt sich - man müßte auch
sagen: scheinbar, denn es ist die Erde, die sich verschiebt, aber darauf
kommt es jetzt nicht an. Und wenn wir den Zeitraum nehmen von
25 915 Jahren, so geht der Frühlingspunkt der Sonne ganz rund herum.
So daß wir in diesem Jahr 1924 den Frühlingspunkt an einem bestimm-
ten Punkt des Himmels sehen - wir haben heute 1924; vor 25 915 Jah-
ren schrieb man 23 991 Jahre vor Christi Geburt: da ging die Sonne
im selben Punkte auf! Einen ganzen Umkreis hat sie gemacht in der
Zeit. Sie sehen, das ist sehr merkwürdig: Die Sonne geht scheinbar
herum in einem Tag, die Sonne geht herum in einem Jahr, und die
Sonne geht herum in 25 915 Jahren. Wir haben einen Sonnentag, ein
Sonnenjahr, und wir haben ein Weltenjahr, das große Weltenjahr, das
25 915 Jahre dauert.
Das ist überhaupt sehr interessant. Sehen Sie sich einmal diese Zahl
25 915 an - eine höchst interessante Zahl! Denn wenn Sie den mensch-
lichen Atemzug nehmen und bedenken, daß der Mensch etwa 18 Atem-
züge in der Minute hat - rechnen wir uns einmal aus, wie viele er im
Tag hat: wenn er in der Minute 18 Atemzüge hat, so hat er in einer
Stunde 60 mal 18 = 1080 Atemzüge. Wie viele hat er in 24 Stunden,
also im ganzen Tag? Vierundzwanzigmal mehr, also 25 920 Atemzüge -
was ungefähr dasselbe ist, wie diese Zahl 25 915! Der Mensch atmet
in einem Tage so oft, als die Sonne Jahre braucht, um im Weltenall
einmal herumzulaufen. Es ist sehr merkwürdig, daß in der Welt alles
übereinstimmt!
Warum sage ich Ihnen das alles, meine Herren? Ja, sehen Sie, um
einer Pflanze Farbe zu geben, braucht die Sonne ein Jahr; um einem
Stein Farbe zu geben, braucht die Sonne 25 915 Jahre! Das ist eben
ein viel härterer Kerl, der Stein. Um einer Pflanze eine Farbe zu ver-
leihen, geht die Sonne einmal im Jahr herum. Sie geht in ihrem Auf-
gangspunkt herum, steht im Frühlingspunkt tief, geht hinauf, wieder
hinunter: das ist ein richtiger Umlauf innerhalb eines Jahres. Aber in
1 CQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 169
25 915 Jahren ist wieder ein Umlauf da. Durch diese letzte Bewegung
kriegt es die Sonne erst fertig, dem Stein die Farbe zu geben. Aber es ist
immer die Sonne, die die Farbe gibt. Daraus sehen Sie auch zugleich,
wie weit das Mineralreich vom Pflanzenreich absteht. Wenn die Sonne
nicht jedes Jahr in der Weise herumginge, wie es eben der Fall ist, son-
dern wenn die Sonne nur Tagesumläufe hätte und nur den großen Um-
lauf von 25 915 Jahren, so gäbe es keine Pflanzen, und Sie müßten
statt Kohl Kieselsteine essen! Es müßte nur erst der menschliche Ma-
gen dazu eingerichtet sein.

Frage: Haben die Berg- und Alpenkräuter größeren Heilwert als die Talkräuter?
Wenn das bei den ersteren der Fall ist, woher kommt dann der größere Heilwert?

Dr. Steiner: Sehen Sie, es ist schon der Fall, daß die Berg- und Al-
penkräuter den größeren Heilwert haben als die Talkräuter, nament-
lich als die Krauter, die wir in unseren gewöhnlichen Gärten oder auf
dem Feld angepflanzt haben. Es ist ja auch gut, daß es so ist, denn
würden im Tal unten ebenso die Pflanzen wachsen wie auf den Ber-
gen, so würde ja jedes Nahrungsmittel zugleich ein Heilmittel sein.
Das geht ja doch nicht an. Nun aber ist es schon der Fall, daß der
hauptsächlichste Heilwert der Pflanzen darauf beruht, daß die Pflan-
zen, die Heilkräuter sind, auf den Bergen wachsen. Warum? Ja, da
müssen Sie einmal vergleichen den Boden, aus dem die Bergpflanzen
wachsen, mit dem Boden, aus dem die Talkräuter wachsen.
Sehen Sie, die Sache ist ja schon von großem Unterschied in bezug
auf Wald und künstliche Gartenzucht. Nehmen Sie nur die Erdbeere:
Wenn Sie Walderdbeeren haben, sind sie klein, aber sie sind sehr aro-
matisch; wenn Sie Gartenerdbeeren haben, sind sie nicht so geruchvoll,
so prickelnd, aber sie können riesig werden; es gibt ja gar eigroße
Gartenerdbeeren. Nun, worauf beruht denn das? Das beruht darauf,
daß, wenn wir im Tal unten den Boden nehmen, der Boden nicht mehr
so durchsetzt ist von dem, was so vom Gestein abbröckelt. Am Berg oben
finden Sie ja das eigentliche harte Gestein, das eigentliche Mineral.
Unten im Tal finden Sie eigentlich dasjenige, was schon vielfach durch-
schwemmt ist, was schon vielfach von den Flüssen abgetragen ist, was
also ganz zerklüftet und zerstäubt ist. Am Berg oben ist natürlich auch

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 170


dieses Zerklüftete und Zerstäubte als Boden, aber immer auch von
ganz kleinen Bröselchen, Körnchen durchsetzt, namentlich, sagen wir,
von Quarz, Feldspat und so weiter. Da ist überall gerade dasjenige
darunter, was wir ja auch wiederum zur Heilung benutzen. Wirklich
Großes, Bedeutendes erreichen wir, wenn wir zum Beispiel das, was
der Quarz, der Kiesel enthält, zerreiben und Heilmittel daraus ma-
chen. Da wenden wir direkt diese Mineralien als Heilmittel an.
Wenn der Erdboden unten im Tal ist, ist nichts mehr drinnen von
diesem Gestein; wenn er oben auf dem Berge ist, da bröckeln diese
Gesteine doch immer ab, verwittern, bröckeln ab. Da nimmt die Pflanze
in ihre Säfte die ganz kleinen Teile von diesen Steinen auf, und das
macht sie zu Heilpflanzen.
Sehen Sie, es ist ja interessant: Die Kunst der sogenannten Homöo-
pathen, die nicht in allem Recht haben, aber in vielem Recht haben,
beruht ja darauf, daß man Stoffe nimmt, sie ganz fein zerkleinert und
immer feiner und feiner zerreibt, so daß man dadurch das Heilmittel
bekommt. Wenn man die groben Stoffe nimmt, so kriegt man ja gar
nicht das Heilmittel. Aber die Pflanzen, meine Herren, sind ja die
kostbarsten Homöopathen, denn die nehmen ganz kleine, winzige
Teilchen auf von all diesen Gesteinen, die man sonst zerreibt, wenn
man die Heilmittel macht! Wir können also direkt, weil das ja von der
Natur viel besser gemacht wird, die Pflanzen nehmen und mit den
Pflanzen heilen. Aber es ist deshalb durchaus richtig, daß auf den Ber-
gen, auf den Alpen die Pflanzen, die Kräuter viel mehr Heilwert haben
als unten im Tal. Sie sehen ja auch, daß sogar das ganze Aussehen bei
Pflanzen sich ändert. Ich habe es Ihnen eben bei der Erdbeere gesagt:
Wenn die Erdbeere viel aufnimmt von einem gewissen Gestein, so
wird sie eine Walderdbeere. Die Walderdbeere, wo gedeiht sie denn
besonders? Die Walderdbeere gedeiht ganz besonders da, wo Gesteine
sind, die ein bißchen Eisen enthalten. Dieses Eisen geht in den Erd-
boden herein; das geht in die Erdbeere hinein und von dem hat die
Erdbeere ihren aromatischen Geruch. Daher bekommen gewisse Leute,
die in ihrem Blute sehr empfindlich sind, einen Ausschlag, wenn sie
Erdbeeren essen. Der Ausschlag rührt davon her, daß das Blut im
gewöhnlichen Zustand schon genug Eisen hat; es bekommt zu viel
171
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 171
Eisen, wenn sie Erdbeeren essen: sie bekommen einen Ausschlag. Da-
her kann man auch wiederum sagen: Während beim gewöhnlichen Blut
manche Leute Ausschlag bekommen, ist beim eisenarmen Blut das Erd-
beerenessen sehr gut. Auf diese Weise kommt man natürlich allmählich
auf den Heilwert hinaus. Nun, in den Gartenanlagen, wo die Riesen-
erdbeeren gedeihen, da ist in der Regel der Boden so, daß kein Eisen
drinnen enthalten ist; da pflanzen sich die Erdbeeren in der Regel nur
durch sich selber fort, nehmen nicht diesen Antrieb vom Eisen auf.
Die Menschen sind nur in dieser Beziehung etwas kurzsichtig; sie ver-
folgen die Dinge nicht lang genug. Man kann ja wirklich dadurch,
daß man in eisenarmem Boden Erdbeeren züchtet, Riesenerdbeeren
haben, gerade weil die Pflanzen sich nicht zusammenziehen, nicht fest
werden. Denken Sie, wenn die Erdbeere darauf angewiesen ist, das
bißchen Eisen, das da ist, anzuziehen, dann muß sie ja, wie man sagt,
einen Riesenradius entwickeln! Das ist aber eine Eigenschaft der Erd-
beere.
Tafel 14 Sehen Sie, da wäre der Erdboden (es wird gezeichnet), dann sind
da ganz winzige Spuren von Eisen in der Erde. Da wächst die Erd-
beere, die zieht von weither diese Eisenspuren heran; die Wurzel der
Erdbeerpflanze, die hat eine große Kraft, zieht von weither die Spuren
des Eisens heran. Nehmen Sie jetzt die Erdbeere vom Wald. Setzen Sie
diese Erdbeere in den Garten, so ist da ja kein Eisen, aber diese Rie-
senkraft, die hat sich die Erdbeere angewöhnt, die hat sie einmal. Da-
her zieht sie alles, was sie nur anziehen kann, von weither auch in der
Gartenkultur heran, nährt sich also außerordentlich gut. Eisen kriegt
sie nicht, aber sie zieht alles andere an, weil sie gut dazu veranlagt ist.
Daher wird sie riesengroß.
Aber ich sagte: Die Menschen sind kurzsichtig; sie beobachten die
Dinge nicht so, wie man sie eigentlich beobachten sollte, und deshalb
sehen die Menschen nicht, daß sie in der Gartenkultur zwar viele Jahre
hindurch Riesenerdbeeren pflanzen können, daß das aber nur eine Zeit-
lang geht. Dann erstirbt die Fruchtbarkeit, dann muß man neuerdings
wieder nachhelfen mit denjenigen Pflanzen, denjenigen Erdbeeren, die
man sich vom Walde holt. Es läßt sich eben einfach in bezug auf Frucht-
barkeit und so weiter nicht alles künstlich machen, sondern man muß
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 17 2
diejenigen Dinge kennen, die durchaus mit der Erde und mit der Na-
tur zusammenhängen.
Sie können das am besten sehen bei der Rose. Wenn Sie hinaus-
gehen und Sie sehen draußen in der freien Natur die Rose, so ist das
die Wilde Rose, die sogenannte Hundsrose, Rosa canina - Sie kennen
ja diese Wilde Rose -, die hat fünf Blätter, ziemlich blasse Blumenblät-
ter (es wird gezeichnet). Worauf beruht das, daß diese Hundsrose eine Tafeln
solche Form hat, daß sie fünf Blätter aufbringt und dann gleich die rot
Früchte entwickelt? Diese rötliche Frucht — Sie kennen sie -, die Hage-
butte, sie entwickelt sich aus der Hundsrose. Nun, das beruht darauf,
daß der Boden, wo die Hundsrose wild wächst, in sich ein gewisses
öl hat, wie überhaupt der Erdboden verschiedene ölsorten in seinem
Gestein und so weiter hat. Wir gewinnen ja auch die öle aus der Erde
oder aus den Pflanzen, die es schon von der Erde aufgenommen haben.
Nun, meine Herren, die Rose muß, wenn sie draußen wild wächst,
riesig weit herum mit ihrer Wurzel wirken, damit sie das bißchen öl
zusammenkriegt aus den Mineralien, um eben Rose werden zu können.
Woher rührt denn das, daß die Rose so weit ausgreifen muß, so weit-
hin die Kraft ihrer Wurzeln, die Anziehungskraft ihrer Wurzeln er-
strecken muß? Sehen Sie, das rührt davon her, daß der Boden draußen,
wo die Rose wild wächst, sehr wenig Humus hat. Aber der Humus ist
öliger als der wilde Boden draußen.
Nun hat die Rose eine Riesenkraft, das öl überall heranzuziehen.
Wenn es nahe ist wie beim Humusboden, dann hat sie es gut, die Rose,
dann zieht sie viel öl an, und sie entwickelt sich so, daß sie jetzt nicht
nur fünf Blatter entwickelt, sondern eine ganze Masse, eine gefüllte
Rose wird unseres Gartens. Nur entwickelt sie wiederum nicht eine
eigentliche Frucht, weil dazu das andere gehört, was draußen ist im
Boden, im Gestein. Wir können also die Rose, die Hundsrose, zur Zier-
pflanze machen, wenn wir sie in einen humusreicheren Boden, wo sie sich
leicht ihre öle verschaffen kann, aus denen sie ihre Blüte macht, ver-
setzen können. Dann, meine Herren, ist es das Umgekehrte: Die Erd-
beere, die findet dasjenige, was sie draußen in der Wildnis hat, in
der Gartenkultur schlecht. Die Rose findet das, was sie draußen
in der Wildnis wenig hat, gerade in der Gartenkultur sehr stark.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 17 3


Daher wird sie üppig in der Blüte, aber sie bleibt immer zurück in der
Fruchtbildung.
Sehen Sie, wenn man weiß, wie ein Erdboden beschaffen ist, kann
man ihm ansehen, was auf diesem Erdboden wächst. Das ist natürlich
wiederum von ungeheurer Wichtigkeit für die Zucht von Pflanzen,
namentlich zum Beispiel für die Zucht landwirtschaftlicher Pflanzen,
denn da muß man eben durch die Düngungen und durch die Zusätze,
die man zum Dünger macht und so weiter, eben den Boden so her-
stellen, daß dasjenige wächst, was wachsen soll. Und die Kenntnis des
Bodens, das ist das ungeheuer Wichtige zum Beispiel für den Land-
wirt. Das hat man ja vollständig vergessen, daß das so wichtig ist.
Aus dem Instinkt heraus treiben die einfachen Landwirte die richtige
Mistdüngung. Aber wo die Landwirtschaft heute im Großen getrie-
ben wird, da wird darauf nicht mehr so viel Rücksicht genommen. Die
Folge davon ist, daß fast alle unsere Nahrungsmittel im Laufe der
letzten Jahre, Jahrzehnte, viel schlechter geworden sind, wie sie waren,
als wir, die wir jetzt ältere Leute geworden sind, kleine Buben waren.
Es hat vor kurzer Zeit, in diesem Jahre, eine interessante landwirt-
schaftliche Versammlung gegeben, wo die Landwirte ganz besorgt
waren: Was soll aus den Pflanzen, aus den Nahrungsmitteln werden,
wenn das so weitergeht? - Ja, meine Herren, es wird auch so weiter-
gehen! Die Nahrungsmittel werden nach einem Jahrhundert ganz un-
brauchbar sein, wenn nicht wiederum eine gewisse Kenntnis des Bo-
dens Platz greift.
Damit haben wir ja schon durch die anthroposophische Geistes-
wissenschaft in der Landwirtschaft angefangen. Ich habe einen land-
wirtschaftlichen Kurs in der Nähe von Breslau gehalten. Danach hat
sich eine Vereinigung gebildet, die die Sache in die Hand nimmt. Auch
wir haben hier etwas gemacht, haben uns schon in manchem am Reali-
sieren beteiligt. Wir haben erst angefangen damit, aber die Dinge wer-
den in Angriff genommen. So wird schon Anthroposophie allmählich
auch ins praktische Leben eingreifen.
Wir müssen noch etwas nachholen; wir haben dann die nächste
Stunde am nächsten Freitag, meine Herren.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 174
E L F T E R VORTRAG

Dornach, 13. September 1924

Nun, meine Herren, vielleicht ist Ihnen noch etwas auf der Seele, was
Sie heute gern beantwortet haben wollen?

Frage: Ob die Erdnähe des Mars mit dem Wetter zusammenhängt, weil so ein
schlechter Sommer gewesen ist, wie man es sich kaum denken kann - oder über-
haupt die Planeteneinflüsse da hereinspielen?

Dr. Steiner: Nun, nicht wahr, die Witterungsverhältnisse, wie sie


sich im Laufe der Jahre, überhaupt in letzter Zeit als wenig regelmäßig
erwiesen haben, sie haben schon etwas zu tun mit den Himmelsver-
hältnissen, aber nicht eigentlich direkt mit dem Mars, sondern wenn
wir diese Unregelmäßigkeiten beobachten, so müssen wir vor allen
Dingen auf eine Erscheinung sehr stark Rücksicht nehmen, die ja auch
wenig berücksichtigt wird sonst, aber von der doch immerhin gespro-
chen wird: das ist die Erscheinung der Sonnenflecken. Die Sonnen-
flecken sind Erscheinungen, welche in Abständen von zehn, elf, zwölf
Jahren immer wiederum in einer bestimmten Veränderung auftreten.
Man sieht, wenn man die Fläche der Sonne beobachtet, dunkle Flecken
auftreten. Diese dunklen Flecken beeinträchtigen natürlich die Aus-
strahlungen der Sonne, denn, wo es dunkel ist, strahlt sie nicht aus.
So daß Sie sich denken können, daß wenn einmal in einem Jahre mehr
solche Sonnenflecken vorhanden sind, dann in einem solchen Jahre
eine geringere Ausstrahlung stattfindet. Und bei der sehr großen Be-
deutung - von der ich Ihnen gesprochen habe -, die die Sonne schon
einmal für die Erde hat, ist das schon wichtig.
Und diese Erscheinung der Sonnenflecken ist ja auch noch in einer
anderen Richtung sehr bemerkenswert. Es muß durchaus zugegeben
werden, daß im Laufe der Jahrhunderte die Zahl der Sonnenflecken
sich vermehrte. Sie erscheinen also durchaus nicht jedes Jahr in der
gleichen Menge. Das rührt davon her, daß die Stellung der Himmels-
körper eine andere ist. Wenn sich die Himmelskörper drehen, so wird
die Stellung eine andere; dadurch wird der Anblick, den ein Himmels-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 17 5


körper bietet, immer anders. Wenn also an einer bestimmten Stelle die
Sonnenflecken sind, so erscheinen sie nicht jedes Jahr an derselben
Stelle, sondern je nachdem sich die Sonne dreht; sie erscheinen dann
im Laufe der Jahre wiederum an derselben Stelle. Aber im Laufe der
Jahrhunderte haben sie sich wesentlich vermehrt, und es ist so, daß diese
Vermehrung der Sonnenflecken schon für die Auffassung desjenigen,
was eigentlich im Verhältnis der Erde zur Sonne vorgeht, etwas be-
deutet.
Wenn wir Jahrtausende zurückgehen, so sind sozusagen noch gar
keine Sonnenflecken da. Die Sonnenflecken sind entstanden, vermehrten
sich und werden sich immer weiter vermehren. Daher ist die Sache so,
daß die Sohne einmal überhaupt weniger strahlen wird und zuletzt,
wenn sie ganz schwarz geworden ist, verfallen sein wird, gar kein
Licht mehr ausstrahlen wird. So daß wir also tatsächlich damit zu
rechnen haben, daß da wirklich in verhältnismäßig langer Zeit die
Quelle von Licht und Leben, die von der Sonne ausgeht, physisch für
die Erde erlischt. Wir können also auch aus der Erscheinung der Son-
nenflecken - was ja auch sonst, nicht wahr, klar ist - von einem Er-
denende sprechen. Dann wird alles dasjenige, was geistig ist an der
Erde, andere Formen annehmen, wie ich Ihnen schon erzählt habe,
daß es andere Formen gegeben hat in älteren Zeiten. Aber geradeso
wie ein Mensch alt wird und auch sich verändert, so wird die Sonne
mit dem ganzen Planetensystem alt und verändert sich.
Mars selber hat eigentlich nicht mit diesen Erscheinungen - das
sagte ich schon das letzte Mal - einen starken Zusammenhang, sondern
mit solchen mehr lebendigen, dem Leben angehörenden Erscheinun-
gen wie dem Ablauf des Erscheinens der Engerlinge und Maikäfer alle
vier Jahre. Da müssen Sie auch die Sache natürlich nicht mißverste-
hen. Mit dem, was man in der Astronomie ausrechnet als Umlaufszeit
des Mars, dürfen Sie das nicht ohne weiteres vergleichen, weil die
Stellung in Betracht kommt. Dieselbe Stellung, die der Mars zur Erde
und zur Sonne hat, die kommt alle vier Jahre so zustande, daß die
Engerlinge, die also vier Jahre leben, bis sie Maikäfer werden, auch
damit zusammenhängen. Aber wenn Sie zwei Marsumläufe nehmen —
die also vier Jahre drei Monate sind —, dann bekommen Sie heraus

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 176


die Zeit, die da liegt zwischen den Maikäfern und den Engerlingen,
und umgekehrt zwischen den Engerlingen und Maikäfern. So daß Sie
also bei diesen kleineren Himmelskörpern auch an die feineren Er-
scheinungen auf der Erde denken müssen, währenddem bei der Sonne
und dem Mond durchaus an die gröberen, also an die Witterungser-
scheinungen und dergleichen zu denken ist.
Aber so etwas wie die Sonnenflecken hängt zum Beispiel dann auch
wiederum damit zusammen, ob ein gutes oder schlechtes Weinjahr ist,
was aber auch wiederum mit den Kometenerscheinungen und derglei-
chen zusammenhängt. Wirklich richtig studieren kann man dasjenige,
was auf der Erde vorgeht, eben nur dann, wenn man es im Zusammen-
hang mit den Himmelserscheinungen beobachtet.
Es kommen jetzt natürlich noch andere Fragen in Betracht, wenn
wir ins Auge fassen wollen, warum abnorme Witterungserscheinungen
eintreten. Denn dasjenige, was wir Witterungserscheinungen nennen
und was uns als Menschen so naheliegt, weil davon Gesundheit und
alles mögliche abhängt, das hängt natürlich von sehr vielen Verhält-
nissen ab. Da müssen Sie bedenken: Wenn wir zurückgehen in der
Entwickelung der Erde, so kommen wir zu einer Zeit zurück, die
etwa sechstausend Jahre oder so etwas zurückliegt, sechstausend bis
zehntausend Jahre zurückliegt. Ja, wenn Sie in der Zeit unsere Gegen-
den betrachten, sechs- bis zehntausend Jahre zurückliegend, da wür-
den Sie natürlich nicht so, wie es heute ist, da draußen die Berge ha-
ben. Sie würden überhaupt nicht die Schweizer Berge besteigen kön-
nen, weil sie so, wie Sie heute leben, überhaupt nicht vorhanden wären!
Sie könnten nicht hier leben, könnten auch nicht in den anderen Län-
dern Europas leben, denn dazumal waren diese Gegenden im wesent-
lichen von Eis bedeckt, vereist. Es war die sogenannte Eiszeit. Diese
Erscheinung der Eiszeit, die hat bewirkt, daß der größte Teil der
früher schon in Europa vorhandenen Bevölkerung entweder physisch
zugrunde gegangen ist, oder andere Gegenden aufsuchen mußte. Diese
Eiszeit, die wird sich wiederholen, in einer gewissen Weise anders
gestaltet, und zwar wiederum so in fünf-, sechs-, siebentausend Jahren;
sie wird nicht genau auf derselben Stelle der Erde sein, wie sie dazumal
war, aber es wird wiederum eine Eiszeit geben.
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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 177
Sehen Sie, man darf sich eben durchaus nicht vorstellen, daß sich
alles so glatt entwickelt, sondern solche Unterbrechungen wie durch
die Eiszeit, die finden schon statt! Und wenn man verstehen will, wie
die Erde sich eigentlich entwickelt, so muß man eben sich sagen: Es
finden fortdauernd solche Unterbrechungen der glatten Entwickelung
statt. Nun, woher kommt denn so etwas? So etwas kommt davon her,
daß die Erdoberfläche sich ja fortwährend hebt und senkt. Ja, wenn
Sie auf den Berg hinaufgehen, der ja gar nicht einmal so besonders
hoch zu liegen braucht, so finden Sie schon heute auch noch eine Eis-
zeit; es bleibt etwas Schnee und Eis oben. Nun ist es so, daß wenn der
Berg heute so hoch ist, so ist hier Schnee und Eis. Wenn aber im Laufe
der Zeit sich die Oberfläche der Erde so hebt, daß sie gerade so hoch
ist als der Berg, so ist da erst recht Schnee und Eis. Auf der Ober-
fläche der Erde liegt dann Eis und Schnee. Und das findet statt, meine
Herren. Es findet statt, daß sich die Oberfläche der Erde hebt und
senkt. Und die Erde vor sechstausend Jahren war hoch in der Fläche,
wo wir jetzt sind. Jetzt ist sie heruntergesunken, ist schon wieder im
Aufsteigen, denn der tiefste Punkt war etwa im Jahr 1250. Das war
der tiefste Punkt. Da war es hier in den Gegenden von einer Tempe-
ratur, die außerordentlich wohlig war, viel wärmer war, als die heu-
tige ist. Nun ist es schon wiederum auf dem Rückgang und bewegt
sich langsam hinauf, so daß nach fünf- bis sechstausend Jahren wieder-
um eine Art von Eiszeit da sein wird.
Daraus können Sie schon wissen, daß, wenn man von zehn zu zehn
Jahren die Witterung beobachtet, sie nicht gleich bleibt; sie verändert
sich fortwährend.
Nun aber wiederum, das ist eines, was die Witterung beeinflußt.
Aber, meine Herren, bedenken Sie einmal, wenn, sagen wir, in einem be-
stimmten Jahre bei dieser Höhe der Erdenoberfläche über der Erde eine
bestimmte Temperatur wäre, so daß das Wetter dadurch von der Wär-
meseite aus so gelegen wäre, so ist ja noch etwas anderes bei der Erde
der Fall. Sehen Sie, bei der Erde ist es so: Wenn ich hier die Erde auf-
Tafel 15 zeichne (es wird gezeichnet), so ist die Erde hier, wie man sagt, durch
den Äquator warm. Oben und unten auf den Polen ist die Erde kalt.
In der Mitte ist die Erde warm. Wenn die Leute nach Afrika oder
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 17 8
Indien reisen, so reisen sie in die Hitze hinein. Oben, auf dem Nord-
pol - und so ist es auch auf dem Südpol - reist man in die Kälte hinein.
Sie haben ja die Polarfahrtenbeschreibungen gelesen.
Sie brauchen bloß zu beachten, wie es mit der Warme- und Kälte-
verteilung in einem Zimmer ist, das wir anfangen einzuheizen: Wenn Sie
anfangen ein Zimmer einzuheizen, so werden Sie bemerken, daß es an-
fangs nicht gleich warm wird; es dauert eine gewisse Zeit, bis das
Zimmer warm wird. Wenn Sie aber eine Leiter nehmen würden und
heraufsteigen würden, so würden Sie finden, daß es unten noch ganz
kalt sein kann, und oben am Plafond ist es schon warm. Wovon rührt
das her? Das rührt davon her, daß die Wärme, die warme Luft, jeder
luftförmige, gasförmige erwärmte Körper hinaufsteigt, leichter wird.
Alles, was kalte Luft ist, das hält sich unten, weil das schwerer ist;
alle warme Luft steigt nach oben, weil sie leichter ist. Nun ist fort-
während die warme Luft hier in dieser Gegend und die kalte Luft
hier. Diese Wärme steigt fortwährend in die Höhe, so daß hier in
der Mitte der Erde fortwährend die warme Luft aufsteigen will.
Wenn sie aber oben ist, weht sie hinauf gegen den Nordpol, und es
entstehen solche Winde, die von der Mitte der Erde nach dem
Nordpol gehen, und die stellen dar hinaufgehende warme Luft. Die
kalte Luft aber wiederum, die will sich erwärmen, geht in die leere
Stelle, in die Mitte hinein: kalte Luft strömt herunter; so daß fort-
während vom Nordpol nach der Mitte der Erde kalte Luft strömt,
und vom Äquator, von der Mitte der Erde nach dem Nordpol, warme
Luft strömt. Man nennt das ja die Passatwinde, die sich in solchen
Gegenden, wie die unsrigen sind, verfangen, nicht so bemerkbar sind,
aber in anderen Gegenden eben durchaus bemerkbar sind.
Aber das ist nicht nur der Fall für die Luft, sondern auch das Meer-
wasser zeigt solche Strömungen von der Mitte der Erde nach dem
Nordpol und wieder herunter. Das verteilt sich natürlich in der man-
nigfaltigsten Weise, aber es ist eben da.
Nun denken Sie einmal, wenn nun gerade eine Strömung, eine
elektrische Strömung — elektrische Strömungen sind immer vorhanden
im Weltenall, denn nicht nur wir bringen drahtlose elektrische Wellen
auf der Erde zustande; da ahmen wir ja nur das nach, was im Welten-
17Q
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 179
all in irgendeiner Weise auch vorhanden ist -, wenn gerade eine solche
Strömung da ist, sagen wir, in der Schweiz ist: In der Schweiz hat
es eine bestimmte Kälte; geht aber eine solche Strömung so her, daß
die Wärme hergetragen wird, so wird es etwas wärmer. Und so wird
die Wärme durch Weltenströmungen wiederum verteilt. Das beeinflußt
die Witterung.
Nun, denken Sie sich aber, daß wiederum solche Strömungen, elek-
trisch-magnetische Strömungen im Weltenall abhängig sind von den
Sonnenflecken. Wenn die Sonne gerade hier ihre Flecken hat (es wird
Tafel 15 gezeichnet), so sind da die Strömungen - die Folge davon ist das Wet-
ter. Es sind das ja ganz bedeutsame Einflüsse. Und so ist es einfach so,
daß wir sagen können: In bezug auf die Verteilung der Jahreszeiten
Frühling, Sommer, Herbst und Winter, da ist eine gewisse Regelmäßig-
keit im Weltenall. Das können wir im Kalender einteilen. Der Früh-
ling beginnt zu einer bestimmten Zeit und so weiter. Das richtet sich
nach den groben Verhältnissen unter den Himmelskörpern. Aber da
sind auch wenige Einflüsse. Es sind ja nicht so viel Sterne da, die Ein-
fluß haben; die meisten sind ja weit und haben nur auf das Allergei-
stigste auf der Welt einen Einfluß. Aber nun mit Bezug auf die Witte-
rungsverhältnisse, meine Herren, da ist es so. Denken Sie sich einmal,
Sie haben eine Scheibe, darauf sind Farben, Sie drehen die Scheibe;
da können Sie, wenn Sie langsam drehen, noch alle Farben - sagen
wir, es sind vier Farben darauf: rot, gelb, grün, blau - gut unterschei-
den. Sie können schneller drehen: Es wird Ihnen schon schwerer, aber
Sie können doch noch unterscheiden. Drehen Sie aber ganz schnell,
dann schwimmt alles durcheinander; da können Sie nichts mehr unter-
scheiden. Aber es ist auch so, daß man sagen kann: Bei groben Erschei-
nungen wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter, da kann man noch
übersehen, von was es abhängt. Aber da sind so viele Dinge, von denen
die Witterung abhängt, daß man sie nicht mehr überdenken kann, so
daß man die Sache im Kalender in bezug auf die Witterung nicht mehr
einschreiben kann, wie: Frühling, Sommer und so weiter - da wird es
kompliziert, weil es sich eben verwirrt.
Aber auch da sind alte Volksanschauungen vorhanden. Man muß
alte Volksanschauungen nicht so ohne weiteres abweisen; die beruhen

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:180


darauf, daß sich die Leute, als die Verhältnisse noch einfacher waren,
wirklich viel mehr für die Sachen interessiert haben. Heute, wo wir
uns höchstens vierundzwanzig Stunden lang für eine Sache so recht
interessieren, weil nach vierundzwanzig Stunden wieder eine neue Zei-
tung kommt, und wir durch die neue Zeitung ein anderes Interesse
kriegen, heute vergessen wir ja alles, was geschieht. Es ist ja so! Und
außerdem, wie sind unsere Lebensverhältnisse kompliziert geworden;
es ist ja alles schauderbar kompliziert. So war es nicht einmal bei un-
seren Großvätern, geschweige denn bei unseren Ururgroßvätern. Die
saßen schon so in der Stube und hinterm Ofen, saßen zusammen und
erzählten sich, erzählten sich aber auch von alten Zeiten und wußten,
wie in alten Zeiten manchmal die Witterung war, weil sie sie zusam-
menhängend wußten mit den Gestirnen, und dadurch haben sie ge-
sehen, wahrgenommen, daß doch eine gewisse Regelmäßigkeit in der
Witterung liegt. Und sehen Sie, es gab ja unter diesen Urgroßvätern
auch sogenannte «verflixte Kerle», wissen Sie - ich meine mit einem
«verflixten Kerl» einen, der nicht ganz dumm ist, sondern der auch
ein bißchen gescheiter ist als die anderen, der so etwas Gescheites hat -,
es gab solche verflixten Kerle mit einer gewissen Gescheitheit. Ja, meine
Herren, wenn man diesen verflixten Kerlen zuhören würde, dann
würde man sie ganz interessant reden hören! Wollen wir einmal hören,
wie so ein recht alt gewordener, verflixter Kerl zu seinem Ururenkel
oder Urenkel gesagt hätte. Der hätte gesagt: Ja, sieh einmal, wenn du
den Mond beobachtest - du weißt ja, der Mond, der hat auf die Witte-
rung Einfluß. - Das haben die Leute also einfach gesehen. Sie wußten
ganz gut, das Regenwasser ist besser zum Wäschewaschen als das ge-
wöhnliche Wasser, das man aus dem Brunnen herholt. Deshalb haben sie
die Eimer aufgestellt. Das hat meine Mutter auch noch gemacht: Eimer
aufgestellt, Regenwasser gesammelt und zum Waschen das Regenwas-
ser verwendet! Es ist eben ein anderes Wasser, das Regen wasser, hat
eine gewisse Lebendigkeit in sich, nimmt auch die Waschbläue und
anderes, was man braucht als Zusatz beim Waschen, viel mehr auf als
das gewöhnliche Wasser. Und gar nicht so schlecht wäre, wenn wir das
auch täten, denn mit dem harten Wasser waschen, das hat schon etwas
Zerstörerisches für vieles, was Sie anziehen.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:181
Also, meine Herren, das hat man früher gewußt; darüber hat man
erst durch die Wissenschaft im 19. Jahrhundert andere Ansichten be-
kommen. Ich habe Ihnen einmal erzählt - ein Teil der Herren weiß
es schon - von den zwei Professoren an der Leipziger Universität; der
eine hieß Schieiden, der andere hieß Fechner. Fechner behauptete, weil
er das beobachtet hatte, statistische Aufzeichnungen gemacht hatte:
Der Mond hat auf die Erde Einfluß, auf das Wetter der Erde Einfluß.
Schieiden war der ganz Gescheite; der sagte: Das ist eine Dummheit,
ein Aberglaube; das gibt es nicht. - Nun, wenn Professoren streiten,
so kommt nicht viel dabei heraus; wenn andere Leute sich streiten,
kommt meistens auch nicht viel dabei heraus! Aber nun waren die zwei
Professoren verheiratet, und es gab auch eine Frau Professor Schieiden
und eine Frau Professor Fechner. Und es war noch in jener Zeit, in
der man in Leipzig das Regenwasser noch gesammelt hat zum Waschen
der Wäsche. Da hat der Fechner zu seiner Frau gesagt: Nun ja, gut,
wenn mein Kollege, der Schieiden, sagt, daß man bei Neumond ebenso-
viel Regenwasser kriegt wie bei Vollmond, da soll die Frau Professor
Schieiden bei Neumond ihre Eimer herausstellen und Wasser sammeln,
und du sammelst bei Vollmond, wo ich sage, daß du mehr Wasser
kriegst! - Nun das hat die Frau Professor Schieiden gehört, diesen Vor-
schlag, und hat gesagt: Nein, da wird nichts draus, ich will meine Eimer
bei Vollmond herausstellen, und die Frau Professor Fechner soll ihre
Eimer bei Neumond herausstellen! - Sehen Sie, die Frauen haben an-
ders entschieden, weil die das Wasser brauchten! Die Professoren kön-
nen ruhig über das Wasser herumstreiten, aber die Frauen brauchen
das Wasser.
Das wußte auch dieser Urgroßvater noch und wußte, daß der Ur-
enkel das auch weiß, und sagte: Sieh einmal das an, der Mond beein-
flußt das Wasser. Aber schau dir einmal an, wie das ist mit dem Mond:
Alle achtzehn, neunzehn Jahre wiederholt sich für den Mond alles,
was es nur gibt für ihn.Wir haben zum Beispiel in einem bestimmten
Jahr, an einem bestimmten Tag Sonnen- und an einem bestimmten Tag
Mondenfinsternisse. Das wiederholt sich im Lauf von achtzehn, neun-
zehn Jahren regelmäßig. So ist der Kreislauf. Und so wiederholen sich
alle Erscheinungen nach der Stellung der Sterne im Weltenall. Warum

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 182


könnte nicht auch - so sagte er - sich alles in der Witterung wieder-
holen, da es doch vom Mond abhängt? Es muß also nach achtzehn,
neunzehn Jahren eine Ähnlichkeit in der Witterung mit derjenigen vor
achtzehn, neunzehn Jahren sein.
Und wiederum, sehen Sie, wenn alles sich wiederholt, so schauten
diese Leute dann auf andere Wiederholungen, und verzeichneten im
Kalender gewisse Witterungen in früheren Jahren, vor achtzehn, neun-
zehn Jahren, und erwarteten, daß ähnliche Witterungen kommen wie-
derum.nach achtzehn, neunzehn Jahren. Man hat also nur den Kalen-
der den Hundertjährigen Kalender genannt, weil hundert so eine Zahl
ist, die man leicht behalten kann; aber es waren andere Zahlen ein-
geschrieben, nach denen man die Witterung vorausgesagt hat. - Nur
natürlich, so ganz zu stimmen braucht ja das nicht, weil wiederum die
Verhältnisse kompliziert sind; aber im praktischen Leben hat das doch
den Leuten Dienste getan, denn sie haben sich danach gerichtet und
haben dadurch in der Tat bessere Fruchtbarkeitsverhältnisse für die
Erde bekommen. So daß man sagen kann: Aus solchen Beobachtungen
heraus kann man schon für die Fruchtbarkeitsverhältnisse wiederum
etwas tun. - Aber diese Witterungsverhältnisse haben eben durchaus
wiederum eine Abhängigkeit von Sonne und Mond, denn diese Wie-
derholungen der Mondesstellungen, die beziehen sich eben auf Sonne
und Mond.
Für andere Sterne in ihren Verhältnissen sind andere Wiederholun-
gen da. Eine interessante Wiederholung ist ja diejenige, die sich auf die
Venus bezieht, auf den Morgen- und Abendstern. Nicht wahr, wenn
da die Sonne ist und da die Erde (es wird gezeichnet), so ist zwischen Tafel 15
Sonne und Erde die Venus, die sich bewegt. Wenn die Venus da steht,
unten
so sieht man so heraus; wenn die Venus da steht, sieht man so heraus;
wenn die Venus aber da steht, bedeckt die Venus die Sonne. Es ist
von der Venus, die natürlich nur viel kleiner ausschaut wie der Mond,
wenn sie auch größer ist, die Sonnenscheibe ein Stückchen bedeckt.
Man nennt das einen Venusdurchgang. Diese Venusdurchgänge sind
deshalb sehr interessant, weil sie eigentlich nur ungefähr alle hundert
Jahre einmal stattfinden, und weil, wenn so die Venus vor der Sonne
vorbeigeht, also vor der Sonne durchgeht, man da sehr wichtige Sa-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 183
chen beobachten kann. Man kann beobachten, wie sich ringsherum der
Lichtschein der Sonne ausnimmt, wenn die Venus davorsteht. Das ver-
ursacht große Veränderungen. Das ist sehr interessant. Diese Venus-
durchgänge, die werden beschrieben; und da sie nur ungefähr alle
hundert Jahre stattfinden, kann man sagen: sie gehören zu demjenigen,
wo die Wissenschaft sagen müßte, sie glaube auch andere Sachen als
die, die sie gesehen habe. Denn wenn die Wissenschafter sagen, sie
glauben nur diejenigen Dinge, die sie gesehen haben, so könnte nie-
mals ein Astronom, der im Jahre 1890 geboren ist und heute vorträgt,
über einen Venusdurchgang sprechen, denn den kann er in der Zeit
gar nicht wahrgenommen haben, und vermutlich wird er früher ster-
ben, bevor der nächste Venusdurchgang ist, der eben wahrscheinlich
im Jahre 2004 stattfinden wird. Da muß auch der Wissenschafter glau-
ben, was er nicht sieht! Das kann er nicht wahrnehmen.
Aber wiederum haben wir da, weil ja die Venus jetzt die Sonne
beeinflußt, weil sie das Licht abhält, einen Einfluß auf die Witte-
rungsverhältnisse - einen Einfluß, der ungefähr nur alle hundert Jahre
stattfindet. Diese Venusdurchgänge, die hat man gerade in alten Zeiten
außerordentlich interessant gefunden.
Und da ist etwas sehr Merkwürdiges. Sehen Sie, meine Herren, wenn
Sie den Mond anschauen: Sie finden den Mond auf dem Himmel stehen,
wenn Vollmond ist, als eine Scheibe, sonst als einen Kipfel, eine Halb-
scheibe und so weiter - da glänzt er in seinem Licht. Dann gibt es aber
Neumond. Wenn Sie aber ein bißchen geübte Augen haben - ich weiß
nicht, ob Sie das wissen -, können Sie auch den Neumond sehen;
namentlich können Sie das Stückchen Mond sehen, wenn dahier
zunehmender Mond ist. So kann man schon, wenn man genauer
hinschaut, auch das andere vom Mond sehen, so schwarz-bläulich.
Und wie gesagt, wenn man geübte Augen hat, kann man auch bei
Neumond eine so schwarz-bläuliche Scheibe noch sehen; man gibt
nur nicht acht darauf, man kann sie aber sehen. Ja, woher kommt
das, daß das überhaupt sichtbar wird beim Mond? Das kommt da-
von her, weil dieses Stück Mond, das sonst finster ist, noch von der
Erde etwas beleuchtet wird. Der Mond ist ja ungefähr fünfzigtau-
send Meilen von der Erde entfernt, wird nicht eben von der Erde
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 184
beleuchtet; aber dieses kleine Licht, das von der Erde auf den Mond
hinstrahlt, macht uns dieses Stück Mond sichtbar. Aber bis zur Venus
strahlt gar kein Licht von der Erde. Die Venus ist angewiesen auf das
Sonnenlicht; es strahlt kein Licht auf sie von der Erde. Nun ist die
Venus der Morgen- und Abendstern. Der ist ja auch so, daß er sich
so verändert wie der Mond, nur nicht in derselben Zeit. Es gibt Zeiten,
in denen die Venus so ausschaut (es wird gezeichnet), so, und wieder Tafel 15
so, dann wiederum so. Die Venus hat auch diese Veränderung, man
sieht das nur nicht; die Venus ist weit weg, und man sieht eben nur
einen glänzenden Stern. Man muß sie abblenden und muß sie dann
mit dem Fernrohr anschauen, dann sieht man, daß die Venus auch
sich in dieser Weise verändert wie der Mond. Da aber, bei der Venus,
ist es so, daß nun, trotzdem sie von der Erde nicht mehr beleuchtet
werden kann, dieses Stück außerdem in einem matten, bläulichen Licht
noch immer sichtbar ist. Das Sonnenlicht, das sieht man an der Venus-
phase, wie man sagt, an dem «Kipfel» oben — nicht der ganzen Venus,
aber da, wo die Venus nicht von der Sonne beschienen ist, da sieht
man ein bläuliches Licht.
Nun, meine Herren, es gibt zum Beispiel gewisse Steine, die Bolo-
gneser Leuchtsteine, die eine Bariumverbindung - Barium ist ein me-
tallischer Stoff - enthalten. Wenn Sie diese Steine eine Zeitlang be-
leuchten, also Licht auffallen lassen, dann das Zimmer verfinstern,
dann sehen Sie, wie der Stein noch ein bläuliches Licht zurückwirft.
Man sagt, der Stein, nachdem er beleuchtet ist, phosphoresziert. Er
hat das Licht gewissermaßen auch bekommen, etwas gefressen von
dem Licht, und jetzt speit er es wiederum von sich, wenn es finster
ist. Er tut das natürlich auch, wenn es hell ist; er nimmt immer etwas
auf, gibt immer etwas zurück. Weil er nicht viel aufnehmen kann, so
ist es natürlich auch wenig, was er zurückgibt; man sieht es daher nicht,
wenn es hell ist, geradeso wie man ein schwaches Kerzenlicht nicht
wahrnimmt, wenn Sonnenlicht da ist; aber wenn man das Zimmer ver-
finstert, dann phosphoresziert der Stein, dann sieht man das Licht, das
von ihm ausgeht.
Nun, sehen Sie, meine Herren, wenn Sie dieses Licht am Stein be-
obachten, so ist es Ihnen ja erklärlich, woher das Licht der Venus
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 18 5
kommt. Die^Venus wird auf der anderen Seite, wenn sie hier nicht be-
schienen wird, von der Sonne beschienen, sie frißt also gleichsam das
Sonnenlicht auf, und wenn Sie sie dann anschauen in der finsteren
Nacht, wo sie nicht beschienen ist, da speit sie es aus, phosphoresziert.
In der Zeit, als der Mensch alles besser gesehen hat als jetzt - die
Menschen haben ja alles besser gesehen, bessere Augen gehabt in frü-
heren Zeiten -, hat er das auch gesehen. Sie wissen, die Brillen sind ja
erst im 16. Jahrhundert aufgekommen; sie wären sicher früher aufge-
kommen, wenn der Mensch sie gebraucht hätte! Die Erfindungen und
Entdeckungen kommen immer dann, wenn die Menschen sie brauchen.
Die Menschen haben schon bessere Augen gehabt, und sie haben dieses
Phosphoreszieren der Venus gesehen. Aber außerdem haben sie die
Veränderung, die bewirkt wird, wenn die phosphoreszierende Venus
da in die Sonne hereinkommt, auch wahrgenommen. Und daraus ha-
ben sie in ganz alten Zeiten den Schluß gezogen, daß, weil da das Son-
nenlicht einen Einfluß von der Venus hat, dieser selbe Einfluß nach
ungefähr hundert Jahren wieder da ist; dann wird da auch eine ähn-
liche Witterung sein. So daß in einer solchen Gegend, wo man den
Venusdurchgang sehen wird - Sie wissen ja, Sonnenfinsternisse sieht
man auch nicht in allen Gegenden, sondern nur in gewissen Gegenden -,
wieder eine ähnliche Witterung sein wird in hundert Jahren. Sehen
Sie, daraus bildeten sie dann in gewissen Jahren einen Hundertjährigen
Kalender. Dann haben die Leute, die nichts mehr verstanden haben
von der Sache, in jedem Jahr einen Hundertjährigen Kalender gemacht.
Dann finden sie in jedem Jahr: der Hundertjährige Kalender sagt das.
Das stimmt nicht! Das geht dann nach der Lebensregel: Wenn der
Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich's Wetter oder's bleibt, wie's ist. -
Aber darauf beruht die Sache überhaupt, daß ursprünglich ganz rich-
tige Dinge da waren: Die Leute haben gesehen, wenn die Venus durch
die Sonne durchgeht, dann bewirkt das eine Witterung, die sich dann
irgendwo wiederholt nach ungefähr hundert Jahren.
Und weil das so ist bei der Witterung, daß das das ganze Jahr sich
gegenseitig beeinflußt, so ist das nicht nur während der Tage, während
derer die Venus durchgeht, sondern es ist ausgedehnt durch längere
Zeit. Und so sehen Sie: nach dem, was ich Ihnen schon gesagt habe,
1 O/L
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 186
müßte man eigentlich ja nachdenken darüber, wenn man die Gesetz-
mäßigkeit der Witterung wissen wollte für irgendeine Woche oder
einen Tag: Vor wieviel Jahren war ein Venusdurchgang? Wie steht
jetzt der Mond? Vor wieviel Jahren war eine Sonnenfinsternis, die-
selbe wie jetzt? - Das sind aber nur wenige Dinge, die ich Ihnen ge-
sagt habe. Man muß wissen: Wie werden durch den Magnetismus oder
die Elektrizität die Passatwinde vertragen? Alle diese Fragen müßte
man beantworten, wenn man die Regelmäßigkeit der Witterung be-
stimmen wollte. Ja, meine Herren, das ist etwas, wo man eben ins Un-
endliche hineinkommt! Daher wird man es aufgeben, darüber irgend-
wie etwas Bestimmtes zu sagen, welche Witterung unbedingt eintreten
müßte. So regelmäßig alle Erscheinungen sind, die die Astronomie be-
handelt - Astronomie ist die Lehre, welche den Himmelseinfluß der
Sterne behandelt -, so wenig eigentlich ist die Wissenschaft bestimmt,
die die gegenseitigen Verhältnisse der Einflüsse auf die Witterung be-
handelt, die sogenannte Meteorologie. In der Meteorologie, da werden
Sie finden, wenn Sie heute ein Buch in die Hand nehmen, das etwas
von Meteorologie enthält: Donnerwetter, da kann ich gar nichts dar-
aus lernen, denn eigentlich behauptet jeder etwas anderes. - Das ist bei
der Astronomie nicht der Fall.
Damit habe ich Ihnen wohl einen Überblick gegeben über das, wie
man über die Gesetzmäßigkeit von Wind und Wetter und so weiter
sprechen kann. Dazu kommt noch dieses, daß auf die Witterung un-
geheuer starken Einfluß haben die Kräfte, die in der Atmosphäre
selber entstehen. Sie brauchen nur an den Sommer zu denken, an den
heißen Sommer, wo die Blitze aus den Wolken kommen und die Don-
ner rollen: da haben Sie wiederum Einflüsse auf die Witterung ausge-
drückt, die aus der unmittelbaren Erdennähe herkommen. Über diese
Geschichte hat ja die heutige Wissenschaft eine merkwürdige Ansicht.
Sie sagt: Ja, das ist die Elektrizität, die da bewirkt, daß der Blitz aus
der Wolke schlägt. - Nun, Sie wissen ja vielleicht, daß man in der
Schule anfängt, die Elektrizität zu erklären, indem man eine Glas-
stange nimmt und mit einem Tuchlappen reibt, der etwas mit Amalgam
geschmiert ist. Man kann dann finden, daß die Glasstange kleine Pa-
pierschnitzel anzieht und so weiter; man kann soweit reiben, daß
1 87
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 187
dann auch Funken entstehen und so weiter. Man macht solche Ver-
suche in der Schule mit der Elektrizität. Aber, meine Herren, es ist
notwendig, wenn man solche Versuche mit der Elektrizität macht,
daß man alles sorgfältig abwischt, denn die Gegenstände, die elek-
trisch werden sollen, die dürfen gar nicht irgendwie feucht oder naß
sein, müssen ganz trocken sein, warm-trocken sein, sonst kriegt man
nichts heraus aus dem Glas oder Siegellack. Daraus würden Sie wissen
können: Die Elektrizität wird vertrieben durch Wasser und Flüssig-
keit. Das weiß jeder, wissen natürlich auch die Gelehrten, denn die
machen es ja. Trotzdem behaupten sie, daß der Blitz aus den Wolken
herauskommt, und die sind doch ganz gewiß naß!
Soll denn wirklich der Blitz aus den Wolken herauskommen, dann
müßte man ja zuerst die Wolken mit einem riesigen Handtuch ab-
reiben und alles trocken machen, wenn der Blitz aus den Wolken kom-
men soll! Aber man sagt es so einfach: Man reibe eine Siegellackstange,
dann kommt Elektrizität heraus: die Wolken reiben sich auch anein-
ander, es kommt Elektrizität heraus. Wenn aber die Siegellackstange
ein bißchen naß ist, kommt keine Elektrizität heraus. Nun soll aus
den Wolken, die ja nur naß sind, Elektrizität kommen! Daraus sehen
Sie aber, was für Dinge Sie eigentlich heute lernen, die ganz inner-
lich unsinnig sind. Die Sache ist eben diese, sehen Sie: Wenn Sie Luft
haben, können Sie die warm machen, sie wird dann immer heißer und
heißer. Nun denken Sie sich einmal, Sie haben Luft eingeschlossen in
einem Kessel. Man kann sagen: Diese Luft wird dichter, denn je heißer
und heißer Sie sie machen, desto mehr drückt sie auf die Kesselwände,
immer mehr und mehr drückt sie auf die Kesselwände. Je heißer Sie
sie machen, desto mehr kommt es an den Punkt, wo unter Umständen,
wenn die Kesselwände nicht dick genug sind, die heiße Luft die Kes-
selwände auseinandersprengt. Warum zerspringt denn solch ein Ball
meistens, den die Kinder zum Spielen haben? Weil die Luft heraus-
geht. Ja nun, meine Herren, daraus können Sie sehen, daß die Luft,
wenn sie warm wird, durch das Heißerwerden die Tendenz bekommt,
die Kraft bekommt, auseinanderzugehen. So bleibt die Geschichte in
der Nähe der Erde. In der Nähe der Erde bekommt die Luft so eine
Kraft, auseinanderzugehen. Geht man aber in recht hohe Schichten hin-
1 Oö
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 188
auf und wird in recht hohen Schichten die Luft durch irgend etwas sehr,
sehr warm - was zum Beispiel auch durch irgendwelche Einflüsse im
Winter geschehen kann, wenn sie zuerst irgendwo sehr stark zusammen-
gedrückt wird -, dann kriegt sie furchtbare Hitze in sich. Nicht wahr,
wenn Sie einen Kessel haben und dadrinnen Luft (es wird gezeichnet), Tafel 15
dann drückt es nach allen Seiten. Wenn Sie aber hier eine warme Luft-
Schicht haben, und hier weht, durch irgend etwas bewirkt, ein Wind vor-
bei, so daß er die Luft hier wegfängt - hier ist irgendwie eine dickere
Luft, weil es sich zusammenschoppt -, dann kann es nicht hier hinaus,
sondern geht hier herüber: die wärmende Hitze der Blitze strömt nach
der Seite, wo es am leichtesten ist. Die Blitze, das ist die Hitze, die die
Luft in sich selber erzeugt und die dahin geht, wo gewissermaßen da-
durch, daß die Luft dort am dünnsten ist, eine Art Loch ist in der
umgebenden Luft. Man muß sagen: Der Blitz entsteht nicht durch
Elektrizität, sondern der Blitz entsteht dadurch, daß die Luft ihre
eigene Hitze ausleert.
Aber nun dadurch, daß diese furchtbar starke Bewegung geschieht,
dadurch werden wiederum die immerfort in der Luft, namentlich in
der warmen Luft vorhandenen elektrischen Strömungen erregt. Der
Blitz erregt erst die Elektrizität. Er ist noch keine Elektrizität.
Und wiederum sehen Sie da, daß überall in der Luft eine andere
innere Wärmeverteilung ist. Das beeinflußt wiederum die Witterung.
Das sind Witterungseinflüsse, die von der Nähe der Erde kommen, die
in der Nähe der Erde selber sich abspielen.
Aus alledem sehen Sie, wie viele Dinge da sind, die die Witterung
beeinflussen, und wie heute — wie Sie sehen, hat man ja über den Blitz
ganz verdrehte Ansichten, wie ich Ihnen gesagt habe - über alle diese
Einflüsse eben noch durchaus keine richtigen Ansichten da sind. In
dieser Beziehung muß wirklich, weil die Geisteswissenschaft, die An-
throposophie, eine größere Übersicht erreicht, das Denken überhaupt
beweglicher macht, ein Umschwung eintreten.
Denn, sehen Sie - natürlich kann man das nicht im heutigen Se-
ziersaal nachweisen —, wenn man eben mit den Mitteln der Geistes-
wissenschaft forscht, so findet man, daß die Gehirne der Menschen
in den letzten Jahrhunderten furchtbar viel steifer geworden sind, als
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 18 9
sie vorher waren, furchtbar viel steifer. Denn man findet zum Bei-
spiel, sagen wir, die alten Ägypter haben ganz bestimmte Dinge ge-
dacht, die ihnen gerade so sicher waren wie uns unsere Dinge. Aber
der Mensch kann sie heute, wenn er richtig Obacht gibt, im Winter
weniger verstehen als im Sommer. Man gibt nur nicht acht auf solche
Dinge; man gibt wirklich nicht acht auf solche Dinge. Und würde man
in manchen Dingen sich recht richten können nach dem, was eigent-
lich gesetzmäßig in der Welt drinnen ist, dann würde man sich anders
einrichten. Man würde zum Beispiel selbst in der Schule - was in ge-
wissem Sinne schon in der Waldorfschule beobachtet wird - in den
Winter andere Gegenstände verlegen als in den Sommer. Nicht nur,
daß man da Botanik nimmt, weil ja die Pflanzen da sind, sondern
manches, was leichter zu verstehen ist, sollte man in den Winter ver-
legen, manches was schwerer zu verstehen ist, sollte man in den Früh-
ling und Herbst verlegen, weil das Verstehen schon auch von diesen
Dingen abhängig ist. Das kommt davon her, weil wir härtere Gehirne
gekriegt haben und die früheren Menschen weichere Gehirne gehabt
haben. Was wir nur im Sommer denken können, haben die Ägypter
im ganzen Jahre denken können. - Ja, alle diese Dinge gibt es. Auf
alle diese Dinge kommt man, wenn man eben Jahreszusammenhänge,
Witterungszusammenhänge und so weiter beobachtet.
Ist vielleicht jemandem noch etwas nicht klar? Sind Sie befriedigt
über die Sache? Ich habe es natürlich etwas ausführlicher beantwortet.
Nicht wahr, die Welt ist ein Ganzes, ein Wesen, und man kommt dann
natürlich, wenn man eines erklären will, in die andere Sache selbst-
verständlich hinein, weil alles voneinander abhängt.

Frage: Herr Burle sagt, er möchte etwas darüber fragen, ob daran etwas sei
- seine Kollegen werden wahrscheinlich lachen, er habe vor zwei, drei Jahren
schon einmal davon gesprochen -, daß man sagt, wenn man Kaffee hat, und tut
Zucker in den Kaffee, der sich dann auflöst so, daß es schön in der Mitte bleibt:
Es wird schönes Wetter - oder umgekehrt, wenn er sich schlecht auflöst, zerfließt:
Es wird schlechtes Wetter - und so ähnlich?

Dr. Steiner: Ja, nicht wahr, dieses Experiment habe ich in der
Weise noch nicht gemacht. Ich weiß es also nicht, ob da etwas dahin-
tersteckt oder nicht. Aber es könnte schon sein, daß es etwas zu be-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 19 0
deuten hat, wenn sich der Zucker gleichmäßig oder weniger gleich-
mäßig auflöst - wenn es überhaupt etwas zu bedeuten hat. Aber neh-
men wir an, es hätte etwas zu bedeuten; ich will unter dieser Voraus-
setzung: Es hat etwas zu bedeuten - hypothetisch reden.
Nehmen wir aber etwas anderes an, das etwas an sich hat, denn
das habe ich genügend beobachtet: Das ist die Ergründung des nächsten
kommenden Wetters durch die Laubfrösche, die grünen Laubfrösche.
Das habe ich genügend gemacht: Kleine Leitern gemacht und den
Laubfrosch beobachtet, ob er herauf oder herunter geht. Da finden
Sie, daß der Laubfrosch in der Tat eine sehr feine Empfindung dafür
hat, was da für Wetter kommt. Das braucht Sie nicht zu verwundern,
denn in gewissen Gegenden kommt manchmal folgendes vor: Die
Menschen müssen beobachten, wie plötzlich die Tiere in den Ställen
unruhig werden, fort wollen; und diejenigen, die fort können, die
freigebundenen Tiere, machen sich schnell davon. Die Menschen blei-
ben zurück: es kommt ein Erdbeben! Die Tiere haben das voraus ge-
wußt, daß sich schon früher etwas in der Natur vollzieht. Es verändert
sich alles in der Natur schon vorher. Die Menschen nehmen das durch
ihre Nasen und anderen groben Sinne nicht wahr; die Tiere nehmen
es wahr. Ich habe das schon einmal ausgeführt. So hat natürlich auch
der Laubfrosch eine bestimmte Witterung für dasjenige, was da kommt.
Man nennt das sogar «Witterung», was man da riecht, weil es sich
auf das Zukünftige bezieht.
Nun sehen Sie, im Menschen sind auch recht viele Dinge, von denen
er gar nichts weiß. Ja, meine Herren, das ist schon so: Im Menschen
sind recht viele Dinge, von denen man nichts weiß! Man beobachtet
es einfach nicht. Wenn es ein schöner Sommertag ist, dann sind wir
unter Umständen, wenn wir aufgestanden sind und zum Fenster hin-
ausschauen, ganz anders aufgelegt, als wenn es furchtbar wettert. Wir
beobachten nicht, daß das bis in unsere Fingerspitzen hineingeht. Und
das, was die Tiere können, können wir schon auch; wir bringen es uns
nur nicht zum Bewußtsein.
Also denken Sie einmal, Herr Burle, wenn die Sache so wäre, daß
Sie, nicht irgendwo anders, aber in dem Feingefühl Ihrer Fingerspitzen,
wovon Sie nichts wissen, wittern, so wie der Laubfrosch, die kommende
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 191
Witterung, dann tun Sie instinktiv an dem Tage, wo Sie durch eine gün-
stige Witterung besser aufgelegt sind, den Zucker mit einer größeren
Kraft in den Kaffee hinein - am anderen Tag weniger. Also es braucht
nicht abzuhängen vom Kaffee und Zucker, sondern von Ihrer Kraft, mit
der Sie ihn hineinwerf en. Aber diese Kraft, die ich jetzt meine, die ist ja
nicht diese, daß Sie stark oder schwach bewußt hineinwerfen, sondern
die ist in Ihren Fingerspitzen. In Ihren Fingerspitzen liegt das eben
so, daß Sie, wenn günstige Witterung kommt, anderes in Ihren Finger-
spitzen haben, als an einem anderen Tag, wo trübes Wetter kommt.
Das hängt nicht ab von der Kraft, wie stark oder schwach Sie hin-
einwerfen, sondern von dem, wie in Ihren Fingerspitzen miterlebt
wird die Witterung. Davon hängt es ab, nicht von dem, wie Sie mit
Ihrem Bewußtsein hineinwerfen, sondern wie Sie in Ihren Finger-
spitzen das haben! Das ist ja eine etwas andere Kraft, eine andere Be-
wegung.
Denn, sehen Sie, nehmen Sie einmal die Sache so: Da sitzt eine
Gesellschaft, sie setzt sich um einen Tisch herum; man macht zunächst
irgend etwas Sentimentales, singt ein heiliges Lied, bringt die Gesellschaft
in Stimmung. Dann fangen-es ist eine feine, nicht eine grobe Wendung-,
dann fangen dadrinnen Schwingungen an. Womöglich kommt dann
Musik. Weiter schwingt es; dann fangen die Leute an und geben um
den Tisch alle diese feinen Erzitterungen an den Tisch weiter. Das
summiert sich und der Tisch fängt an zu tanzen. Es ist die spiritisti-
sche Sitzung zustandegekommen durch diese kleinen, durch Musik
und Gesang erregten Bewegungen. So verursacht schon auch die Wit-
terung feinere Bewegungen. Von diesen feineren Bewegungen kann
das wieder beeinflußt sein, was da stattfindet - ich sage es nur hypo-
thetisch; ich kann nicht sagen, daß das absolut stimmt. Aber wahr-
scheinlicher ist es, daß da dasjenige, was der Mensch selber ahnt über
die Witterung, sich ausdrückt, als daß das auf den Zucker einen be-
sonderen Eindruck gemacht hat, was eben nicht gerade sehr wahr-
scheinlich ist; ich sage es ja selbst nur als eine Hypothese. Aber der-
jenige, der auf dem Standpunkt der Geisteswissenschaft steht, der muß
unbedingt eine solche Erscheinung solange abweisen, bis er den strik-
testen Beweis hat. Sehen Sie, wenn ich Ihnen leichten Herzens er-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 19 2
zählen würde über die Dinge, die ich Ihnen hier erzähle, so brauchten
Sie mir eigentlich gar nichts zu glauben. Nur dadurch können Sie mir
glauben, daß Sie wissen: Solange die Dinge nicht bewiesen sind, wer-
den sie nicht in der Geisteswissenschaft aufgenommen. So kann ich
die Geschichte mit dem Kaffee auch dann nur in die Geisteswissen-
schaft aufnehmen, wenn sie wirklich bewiesen ist. Vorher kann man
nur sagen, daß man zum Beispiel etwas weiß von den feinen Wellen-
schwingungen der Nerven, die ja auch die Ursache sind, daß die Tiere
die Wirkung vorauswissen - auch der Laubfrosch, denn der kommt in
Erzitterung; und wenn er in Erzitterung kommt, dann werden Sie auch
sehen, wie die Blätter, auf denen er sitzt, anfangen zu zittern. Und
so kann das auch - ich sage nicht, daß es so ist, aber es könnte - viel
wahrscheinlicher davon abhängen, daß der Kaffee anders zu erzittern
anfängt, wenn schlechte Witterung kommt, als wenn bessere Witterung
kommt, je nachdem.
Das nächste Mal dann am nächsten Mittwoch. Aber ich denke
schon, daß ich dann regelmäßig wieder die Stunden einhalten kann.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:193


Z W Ö L F T E R VORTRAG

Dornach, 18. September 1924

Nun, meine Herren, vielleicht hat heute einer von Ihnen eine Frage?

Frage: Warum kommt der Blitz nicht gerade, sondern im Zickzack? Müßte er
nicht in einer geraden Linie kommen?

Dr. Steiner: Also der Herr redet folgendes: er findet, daß der Blitz,
wenn er sich aus der Luft herauslöst - wie ich es das letzte Mal be-
schrieben habe -, dann in Form einer geraden Linie kommen müßte.
Aber nun kommt der Blitz zickzackförmig. Und das muß man auch
erklären, das kann man auch erklären.
Fassen wir noch einmal auf, wie ich neulich erklärt habe, daß der
Blitz eigentlich entsteht. Ich sagte Ihnen: Der Blitz ist eigentlich das-
jenige, was herauskommt aus der übererwärmten Luft, aus dem über-
erwärmten Weltenall, also aus dem übererwärmten Weltengas. Es kann,
sagte ich, keine Rede davon sein, daß der Blitz etwa durch Reibung
der Wolken entsteht, weil die Wolken selbstverständlich naß sind, und
wenn man die kleinen Blitze mit den Apparaten in der Stube erzeugen
will, muß man alles erst trocken abwischen. Also man muß gerade
vermeiden alles Wäßrige. Es darf also nicht angenommen werden, daß
der Blitz eine wirkliche elektrische Erscheinung ist, die aus dem Rei-
ben eines Trockenen kommen würde. Man weiß, wenn man Glas oder
Siegellack reibt, so entsteht Elektrizität, und so denkt man, wenn
sich die Wolken reiben, nun ja, da entsteht halt auch Elektrizität. So
ist es nicht, sondern infolge des inneren Uberhitztseins des Welten-
gases kommt diese Wärme, die in dem Weltengase lebt, so heraus, wie
ich es Ihnen gesagt habe. Dadurch, daß nach irgendeiner Seite hin die
Luft weniger drückt, geht nach dieser Seite hin die Strahlung der über-
hitzten Kraft, und es kommt der Blitz zustande. Nun stellen wir uns
also vor, wir haben das irgendwo, und infolge der viel überhitzten,
Tafel 16 also nicht Wolken, sondern Weltengase (es wird gezeichnet), strahlt der
Blitz heraus. Und es ist ganz richtig: er müßte jetzt geradlinig strahlen.
Aber sehen Sie, die Sache ist diese. Sie müssen sich vorstellen: Wenn
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 19 4
irgendwo eine solche Ansammlung von Hitze ist, so ist sie gewöhnlich
nicht allein, sondern es sind in der Nähe ebensolche Hitzeansammlun-
gen. Und zwar stellt sich heraus, daß gerade, wenn, sagen wir, hier
die Erde ist und man guckt da hinauf, und da ist ein Anfang eines
Blitzes, wo solch eine Wärmeansammlung ist, so sind in der Nahe auch
solche Wärmeansammlungen; und wir haben es damit zu tun, daß wir
nicht an einer einzelnen Stelle diese Wärmeansammlungen haben. Sie
können sich ja denken, daß diese Wärmeansammlungen mit der Sonne,
die da einstrahlt, zusammenhängen. Nun sind auf dem ganzen Wege
solche Wärmeansammlungen, und während der Blitz da herausstrahlt,
fangt er in seinem Lauf diese anderen Wärmeausstrahlungen ab. Da-
durch strahlt das so herüber und so weiter (es wird gezeichnet). Er
nimmt alle anderen Ausstrahlungen mit, und dadurch bekommt der
Blitz scheinbar diese Zickzackform; in Wirklichkeit geht er ganz un-
regelmäßig. Und je weiter er herunterkommt, desto gradliniger geht
er ja. Da sind dann nicht mehr diese Wärmeansammlungen; die sind
mehr oben. So daß also der Zickzackblitz dadurch entsteht, daß er
nicht nur von einem Orte ausgeht, sondern von da, wo stärkste Wärme-
anhäufungen sind, ausgeht zwar und die anderen dann mitschleppt
auf seinem Wege. Das ist geradeso, wie wenn Sie jetzt da einen Be-
kannten treffen und nehmen ihn mit; die zwei nehmen wieder einen
mit und so weiter. Das ist die Geschichte.
Nun, meine Herren, vielleicht hat jemand noch eine andere Frage?

Frage: Kann man etwas darüber hören, wie die Vulkane, die feuerspeienden
Berge entstehen?

Dr. Steiner: Das ist eine Frage, die nicht in so ganz kurzer Zeit
zu beantworten ist. Ich will Sie dazu führen, daß Sie eine Antwort auf
die Frage kriegen. Denn, sehen Sie, Sie können zwar heute, wenn Sie in
den Büchern lesen, überall allerlei Ansichten finden, wie feuerspeiende
Berge entstehen; aber wenn Sie wieder in Büchern lesen, die etwas
weiter in der Zeit zurückliegen, älter sind, finden Sie andere Ansichten
darüber, in älterer Zeit wieder andere. Und so haben sich die Ansich-
ten, weil man niemals eingegangen ist auf die wirkliche Erdenentste-
hung, im Laufe der Zeit geändert. Und im Grunde genommen kann

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 195


sich kein Mensch eine rechte Vorstellung davon machen, wie diese
feuerspeienden Berge entstehen.
Sehen Sie, meine Herren, da muß man sehr weit zurückgehen, wenn
man das verstehen will, denn man kann nicht so ohne weiteres be-
greifen, wie es denn eigentlich kommt, daß an gewissen Stellen der
Erde feuerflüssige Massen herauskommen. Und man wird sich nur
eine Vorstellung davon machen können, wenn man wirklich nicht
glaubt, daß ursprünglich die Erde ein Gasball war, der immer fester
und fester geworden ist. Daß im Inneren Feuer sei und daß dieses
Feuer durch irgendwelche Ursachen da oder dort einmal herauskomme,
das ist eine bequeme Vorstellung. Auf die Weise bekommt man über
die Sache eigentlich nichts heraus.
Aber ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Das ist jetzt
lange her, mehr als vierzig Jahre; da machten wir im geologischen Kabi-
nett des längst verstorbenen Geologen Hocbstetter einen bestimmten
Versuch. Man erzeugte eine Substanz, die etwas Schwefel enthielt, noch
einige andere Substanzen, und die behandelte man nicht so, daß man
sie zusammenkittete, sondern man behandelte sie so, sehen Sie: Man
hatte hier ein Stückchen von dieser Substanz, hier ein Stückchen von
dieser, hier von dieser und so weiter, und man spritzte diese Substanz
immer nach einem bestimmten Punkte hin. Auf diese Weise entstand
hier eine kleine Kugel mit allerlei Bergen, die kurioserweise sehr ähn-
lich war demjenigen, was man durchs Fernrohr als Mond sieht. Also
es ist tatsächlich dazumal dieses Experiment gemacht worden im geo-
logischen Kabinett von Hochstetter in Wien, daß man einen kleinen
Mond erzeugen konnte. Dasjenige, was man gewöhnlich mit dem Fern-
rohr als Mondoberfläche sieht, das war ganz wunderschön herausge-
kommen, und die Geschichte schaute aus wie ein kleiner Mond. Man
konnte sich also zuerst die Vorstellung bilden, daß solch ein Welten-
körper gar nicht so entsteht, daß er anfangs als Gas da ist, sondern
daß er eigentlich aus dem Weltenraum zusammengespritzt wird. Und
anders können wir auch unsere Erde nicht erklären als dadurch, daß
sie aus dem Weltenraum zusammengespritzt ist.
Nun will ich Ihnen im Zusammenhang damit etwas erklären, was
heute wenig besprochen wird, was aber doch richtig ist. Nicht wahr,
1QA
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 196
Sie hören überall beschreiben, daß die Erde eine Kugel sei und sie
sich als Kugel gebildet hätte. Ja, aber eigentlich ist es nicht wahr, daß
die Erde eine Kugel ist. Ich will Ihnen jetzt einmal erklären, wie die
Erde eigentlich in Wirklichkeit ist. Das ist nur eine Phantasie, daß die
Erde eine Kugel ist. Stellen wir uns einmal die Gestalt, die eigentlich
die Erde hat, ganz regelmäßig vor, da kommen wir auf einen Körper,
den man in der Wissenschaft Tetraeder nennt. Ich will ihn aufzeich-
nen, kann es natürlich nur aus der Perspektive machen. Ein Tetraeder
schaut so aus:

Tafel 16

Sehen Sie, da sind ein, zwei, drei Dreiecke, und das, was vorne ist, ist
das vierte Dreieck. Das steht auf einem Dreieck. Können Sie sich das
vorstellen? Ein Dreieck ist unten, und da dran sind drei andere Drei-
ecke, und das bildet solch eine kleine Pyramide. Also wir stellen uns
solch ein Tetraeder vor, und wir müssen uns klar darüber sein, daß
vier Dreiecke zusammengestoßen sind. Auf einem Dreieck müssen wir
das Tetraeder aufstellen, und die drei anderen Dreiecke ragen pyrami-
denförmig in die Höhe. Das ist ein ganz regelmäßiger Körper.
Nun denken Sie sich aber: ich buchte die Flächen dieser Dreiecke
etwas aus, so wird die Geschichte ein bißchen anders. Da wird die
Geschichte so: Da steht sie jetzt darauf, und das ist rund, aber doch
noch frei. Aber die Seiten vom Dreieck, die früher gerade Linien wa-
ren, sind rund. Können Sie sich das vorstellen? Da entsteht ein solcher
Körper, der eigentlich ein rund gewordenes Tetraeder ist! Und sehen
Sie, ein solches rund gewordenes Tetraeder ist unsere Erde. Das ist
etwas, was man bis zu dem Grad feststellen kann, daß man sogar die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite: 197


Tafel 16

Kanten dieses Erdentetraeders finden kann. Sehen Sie, das ist so: Neh-
men Sie einmal die Erde so gezeichnet, wie man sie oftmals zeichnet, wie
wenn sie auf einer Fläche wäre; dann haben wir hier Nordamerika, hier
Südamerika, dazwischen Mittelamerika; hier herüben haben wir Afrika,
hier haben wir Europa. Und da ist zuerst Kleinasien, Meer, Griechen-
land, Italien, Spanien, Frankreich, also Europa. Dahier hinauf, so her-
über ist dann Skandinavien, da ist England, und dahier, da drüben,
ist dann Asien. Also wir haben hier Asien, hier Afrika, hier Europa,
und wir haben hier Amerika.
Nun, hier ist der Südpol. Namentlich um den Südpol herum sind viele
Vulkane, vulkanische Gebirge. Da ist der Nordpol. Und die Sache ist
jetzt so: Wir können richtig eine Linie verfolgen, die geht von der
Mitte Amerikas, von hier, wo der Vulkan Colima ist, herunter durch
die Berge, die die Anden heißen, bis zum Südpol hin. Sie ist abgerundet,
diese Kante der Erde. Dann geht es weiter: Vom Südpol geht es hier
herüber, hier an Afrika vorbei, und geht bis zu den vulkanischen Ber-
gen vom Kaukasus. Dann geht dieselbe Linie hier herüber, geht just
an der Schweiz vorbei, geht an den Rhein hier hinüber, und geht bis
hierher.
Sehen Sie, wenn Sie diese Linie verfolgen, die wie ein Dreieck aus-
sieht - die schaut ähnlich aus wie ein Dreieck -, das können Sie ver-
gleichen mit diesem Dreieck hier. Also, was ich dort jetzt gezeichnet
habe, das können Sie vergleichen mit diesem Dreieck hier. So daß, wenn
Sie dieses Stück Erde nehmen, das die Grundfläche von einem Tetra-
eder ist.
Denken Sie sich einmal die Grundfläche von einem Tetraeder!
Jetzt: Wie kommen wir zu dieser Spitze da? Nun ja, da muß man da
durchgehen nach der anderen Seite der Erde. Das kann ich aber da
1QQ
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:198
Nordpol Tafel 17

SOdpol

nicht aufzeichnen, ich müßte alles rund machen. Würde ich das rund
machen, so käme ich eben auf der Spitze gerade da hinaus auf Japan.
Also wenn ich das Tetraeder einzeichne, so haben wir hier Mittelame-
rika, hier haben wir den Südpol, hier haben wir den Kaukasus, und
da drüben, was man nicht sieht, da wäre Japan.
Und wenn wir so die Erde vorstellen, so haben wir sie so als eine
ausgebuchtete Pyramide im Weltenall dastehen, die ihre Spitze nach
Japan hinüberschickt und die hier ihre Grundfläche hat; dadrinnen
1QQ

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 199


liegt Afrika, Südamerika, der ganze südliche Ozean, das ganze süd-
liche Meer in der Grundfläche. So steht die Erde kurioserweise dar-
innen im Weltenraum als ein solches ausgebuchtetes Tetraeder, als
eine Art Pyramide. Das ist immerhin eigentlich die Formanlage der
Erde, meine Herren!
Und nun zeigt sich, daß, wenn man diese Linien nimmt, die ich
Ihnen da aufgezeichnet habe, diese Linien, die das Tetraeder bilden,
und wenn man sie verfolgt, so sind die meisten feuerspeienden Berge
längs dieser Linien liegend. Von denen haben Sie ja immer gehört, von
diesen furchtbaren feuerspeienden Bergen drüben in Südamerika, die da
in Chile und so weiter liegen, diese furchtbaren speienden Berge um den
Südpol herum. Sie haben die mächtigen feuerspeienden Berge im Kauka-
sus. Wenn Sie da herübergehen, können Sie sagen: Bei uns sind ja nicht
so viele, aber wir können überall nachweisen, daß diese feuerspeienden
Berge einmal da waren, aber erloschen sind. Zum Beispiel, sehen Sie,
wenn man auf der Strecke fährt, die vom Norden von Schlesien nach
Breslau geht, da sieht man einen merkwürdig alleinstehenden Berg;
vor dem fürchten sich die Leute heute. Wenn man ihn aber untersucht
nach seinem Gestein, so ist dieser merkwürdige Berg, der da steht, eben
ein erloschener feuerspeiender Berg. Ebenso haben wir in vielen Gegen-
den Deutschlands erloschene feuerspeiende Berge.
Und gehen wir jetzt weiter. Wir haben uns ja nur die Grundfläche
aufgezeichnet. Wir haben ja da überall Linien, die nach Japan hin-
übergehen. Ja, sehen Sie, längs aller dieser Linien könnten wir immer
auf-der Erdoberfläche feuerspeiende Berge finden! So daß man sagen
kann, wenn einer herginge und die allerwichtigsten feuerspeienden
Berge aufzeichnete, aber aufzeichnete nicht auf einer Fläche, sondern
aufzeichnete so, daß sie einen Körper bilden, der kriegte diese Gestalt
der Erde heraus. Die feuerspeienden Berge sind kurioserweise dasjenige,
was uns die Linien angibt, welche die Erde erscheinen lassen als ein
Tetraeder.
Wenn Sie nun daran denken, daß die Erde nicht so entstanden ist, als
ob da ein Gasball gewesen wäre, der sich verdichtet hat, wie man
sagt - das ist eine bequeme Vorstellung -, sondern wenn Sie sie durch
Anschmeißen von allen Seiten erklären, dann müßten Sie sie aber,
*\ rS **

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 20 0


Tafel 16

umet-ika

wenn die Erde ein Tetraeder ist, ein so regelmäßiger Körper ist, so er-
klären, als ob eigentlich ein großer Meistergeometer, der die Sache
kennt, die Erde zusammengeschoben hätte von außen nach den Linien,
die wir heute noch bemerken. Denken Sie sich, meine Herren, ich
mache dieses Tetraeder; ich mache es so, daß ich zunächst dieses Drei-
eck hier hereinschmeiße aus der Weltenperipherie, dann dieses Dreieck
hier, dann dieses, dann dasjenige, was da obenauf liegt. Ich mache also

Tafel 16

das Tetraeder, wie es die kleinen Buben machen: sie schneiden sich
vier Dreiecke aus und kitten sie von außen zusammen, und das pappen
sie zusammen zu dem Tetraeder. So ist aber auch die Erde entstanden;
sie ist von außen nach Dreiecken zusammengeschmissen worden. Nun,
schauen Sie sich die kleinen Buben an, wenn sie diese Dreiecke zu-
sammenpappen. Da müssen sie ja ganz besonders überall, wo sie sie
zusammenkitten, eben Kitt>anbringen, Kleister. Die Erde ist an den
Stellen, die ich Ihnen da gezeigt habe: Südamerika, dann hinüber nach
dem Kaukasus, da hier herüber durch die Alpen und so weiter - da ist
die Erde ursprünglich zusammengekittet worden! Aber wenn man die
Gebirge untersucht, so findet man, daß sie überall dort schlecht zusam-

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mengekittet worden ist, möchte man sagen; es paßt nicht ganz gut an-
einander. Wir können, namentlich wenn wir die Gebirge verfolgen, die
da herübergehen vom Kaukasus durch unsere Karpathen und Alpen, wir
können überall verfolgen, wie die Gebirge in ihrer Form, in ihrer Ge-
stalt zeigen: das ist noch nicht ganz zusammengewachsen. So daß die
Erde eigentlich aus vier zusammengefügten Stücken besteht, die aus
dem Weltenraum zusammengeschmissen worden sind - vier Stücke, die
dann ein Tetraeder bilden. Und da, wo die Kanten sind, da sind gewis-
sermaßen noch undichte Stellen. An diesen undichten Stellen kann das
eintreten, daß die Weltenhitze, die von der Sonne ausgeht, mehr hinein
kann in die Erde als an den anderen Stellen.
Wenn nun das Unterirdische der Erde dadurch, daß da die Sonne
mehr hinein kann mit ihrer Kraft, mehr erhitzt wird, so werden sie -
wie es immer ist, wenn man die Dinge verbrennt; Sie können ja sogar
Metalle verbrennen -, so werden sie weich. Sie schaffen sich dann
wiederum nach den Stellen hin, die da nicht ordentlich zusammenge-
kittet sind, einen Ausgang. Und da entstehen durch Sonnenwirkung
mit der im Weltenraum zusammengekitteten Erde diese regelmäßigen
Vulkane, die regelmäßigen feuerspeienden Berge.
Aber, meine Herren, es gibt ja auch an anderen Stellen Vulkane.
Gewiß, zum Beispiel der Ätna, der Vesuv, die liegen nicht an diesen
Kanten; die liegen zum Beispiel da, wo nicht eine solche Kante durch-
geht. Ja, gerade diese Vulkane, die nicht an diesen Hauptlinien liegen,
diese feuerspeienden Berge, die sind besonders lehrreich, denn aus denen
kann man entnehmen, wodurch die Ausbrüche entstehen.
Sehen Sie, man kann immer nachweisen, daß, wenn so etwas wie
Feuerspeien auf der Erde entsteht, das zusammenhängt mit Sternkon-
stellationen zur Sonne, Sternenverhältnissen zur Sonne. Niemals ent-
steht ein feuerspeiender Ausbruch anders, als daß die Sonne in irgend-
einer Weise stark scheinen kann auf die betreffende Stelle, weil sie
nicht zugedeckt ist durch andere Sterne. Ist sie nicht durch andere
Sterne zugedeckt, wie es meistens der Fall ist, dann kommt regelmäßig
der Sonnenschein. Es ist überall Sternenlicht; man sieht die Sterne
nur bei Tag nicht. Sie dürfen nicht glauben, daß jetzt da oben, auch
bei Tag, die Sterne nicht stünden. In Jena, wo man Zeit hatte, solche

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Sachen zu machen, in dieser alten Stadt Jena, wo so viele deutsche
Philosophen Lehrer waren, wo auch der Haeckel gelebt hat, da gibt es
einen tiefen Keller, und über diesem Keller ist ein Turm, der oben
offen ist. Wenn Sie hinuntergehen in diesen Keller und gucken durch
diesen Turm heraus bei Tag, so ist da alles darinnen finster, aber Sie
sehen oben den schönsten Sternenhimmel, bei Tag, wenn es draußen
hell, klar ist, den schönsten Sternenhimmel.
Also überall da sind Sterne. Wenn aber die Sterne gerade so stehen,
daß die Sonne mit aller Kraft ihre Wärme entwickeln kann, wenn sie
sich nicht vor die Sonne stellen, dann leuchten eben auf einen beson-
deren Punkt ganz die Sonnen-, die Wärmekräfte. Das sind eben solche
Stellen, wo später, nachdem die Erde dann schon zusammengekittet
war, nun die Vulkane entstehen, die feuerspeienden Berge. Die sind
später entstanden. Dagegen sind diejenigen, die an den Kanten des
Tetraeders liegen, die ursprünglich feuerspeienden Berge.
Nun, sehen Sie, in dieser Beziehung, da kann man sagen, findet
manchmal auch einer, der nicht gerade im gewöhnlichen Wissenschafts-
leben drinnensteht, ganz gute Wege. Sie haben ja vielleicht einmal ge-
hört, wenigstens die älteren Herren von Ihnen haben ja vielleicht ein-
mal davon gehört, daß es einen Falb gegeben hat, der weder Astronom
war noch Geologe noch Geograph, auch nicht Naturforscher, aber ein
davongelaufener Geistlicher; er hat sich davongemacht, ist davonge-
laufen! Er war ein davongelaufener Geistlicher, dieser Falb, und hat
sich besonders darauf verlegt, solche Dinge zu untersuchen, wie es da
steht mit den Sternenverhältnissen, ob die wirklich auf die Erde wir-
ken. Und da ist er zu der Ansicht gekommen, daß erstens solche Stern-
konstellationen mit den feuerspeienden Bergen zusammenhängen, daß
immer dann, wenn in einer gewissen Weise die Sache so steht, daß
Sterne die Sonnenwirkungen unterstützen, ein feuerspeiender Berg zu-
stande kommt. Aber er behauptete noch mehr: Er behauptete, daß da
auch Überschwemmungen zustande kommen, weil das das Wasser an-
zieht: unten die erhitzte Masse, oben das Wasser.
Aber er behauptete noch mehr: Er sagte, in Bergwerken leiden die
Bergleute am allermeisten unter den sogenannten schlagenden Wettern.
Da entzündet sich die Luft in den Bergwerken von selber. Woher

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 203


kann das kommen? - sagte er sich. Das kann nur davon herkommen,
sagte er, daß wiederum solche selben Wirkungen da sind, wo die Stern-
wirkung zu Hilfe kommt der Sonnenwirkung, und dadurch, daß die
Sternwirkung die Sonnenwirkung nicht auslöscht, die Sonnenwirkung
sehr stark wird, ins Bergwerk scheint, dadurch die Luft im Bergwerk
entzündet. Deshalb sagte Falb: Wenn man die Bergwerksverhältnisse
kennt, muß man angeben können, wann schlagende Wetter im Jahr zu
erwarten sind. Und dann machte er einen Kalender und gab an nach
den Sternenverhältnissen, wann irgendwo schlagende Wetter entstehen
müssen. Das waren seine sogenannten kritischen Tage, und er verzeich-
nete in seinem Kalender diese kritischen Tage.
Dieser Kalender ist ja immer wieder gedruckt worden; da stehen
die Falbschen kritischen Tage drinnen. Nun, was hatte man zu er-
warten, wenn das im Kalender stand? Entweder einen Ausbruch eines
feuerspeienden Berges oder irgendwo ein Erdbeben - Erdbeben ist eine
unterirdische Welle, unterirdische Überhitzung - oder eine Über-
schwemmung oder aber schlagende Wetter. Nun, meine Herren, da
erlebte ich sogar einmal eine nette Geschichte. Sehen Sie, der Falb war
ja ganz gescheit, solche Dinge hat er durchschaut; aber er war sehr
eitel, furchtbar eitel. Gelehrsamkeit schützt ja nicht vor Eitelkeit, wie
Sie wissen.Und da ist das Folgende geschehen. Ich war bei einem Vor-
trag, den der Falb gehalten hat - es ist jetzt auch schon vierzig Jahre
oder so etwas her -, Falb geht mit großer Grandezza, mit großem
Wohlbehagen auf das Rednerpult und fängt seinen Vortrag an und
sagt: Ja, gerade heute, da stehen die Sterne so, daß man erwarten
könnte, daß mächtige schlagende Wetter eintreten können. - Also das
sagte er im Vortrag. In dem Momente öffnet sich die Tür, und ein
Zeitungsbote von der «Neuen Freien Presse» kommt herein und bringt
ein Telegramm. Der Falb stand oben mit seinem ganzen langen Patri-
archenbart; der Diener kam herein von der «Neuen Freien Presse»,
brachte das Telegramm. Der Falb sagt: Es scheint etwas Wichtiges zu
sein, weil man es mir grade zum Vortrag herschickt -, nimmt sein
Messer heraus und schneidet das Telegramm auf. «Es haben sich heute
furchtbare schlagende Wetter ereignet», wurde darin gemeldet! Nun
können Sie sich das Publikum denken: Falb hatte eben gesagt: Schla-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 204


gende Wetter könnten heute kommen - und der Zeitungsbote bringt
das Telegramm! Na, sehen Sie - sagte er -, so werden einem die Be-
weise auf den Tisch gelegt! - Das waren seine Worte.
Die ganze Geschichte ist ja doch ein bißchen stark schauspielerisch
gewesen; denn der Falb wußte ganz gut: schlagende Wetter werden
schon kommen. Das war richtig. Aber er ist vorher zu der Redaktion
der «Neuen Freien Presse» gegangen und hat dort hinterlassen: Wenn
ein solches Telegramm eintrifft, so schickt es mir bitte gleich in den
Vortragssaal!
Aber das ist auch ein Stückchen von denen, die in gelinderem Maße
von schlechten Rednern und so weiter sehr gern benützt werden, und
ich erzähle dieses Stückchen auch deshalb ganz gern, damit daraus her-
vorgeht, wie das Publikum doch ein bißchen vorsichtig sein soll und
nicht alles einfach hinnehmen soll. Das Publikum, das der Falb dazumal
hatte, rauschte von seidenen Kleidern und Smokings, denn es war das
ein sehr vornehmes Publikum. Aber Sie hätten nur sehen sollen, wie
das Publikum durch diese Äußerung Falbs überzeugt war! Niemals,
und wenn der Falb noch so viel geredet hätte von seiner Ansicht, wäre
das Publikum so überzeugt worden, als dadurch, daß der Pressebote ge-
kommen ist mit dem Telegramm. Die Leute lassen sich immer viel lieber
durch Äußerlichkeiten überzeugen als durch dasjenige, was man inner-
lich zum Beweis eben sagen kann.
Denn man kann sagen: Die Erde ist an gewissen Stellen, nämlich
an der Stelle der Kanten dieses Tetraeders, eigentlich noch nicht ganz
zusammengekittet, ist der Weltenwärme ausgesetzt, der Sonnenwärme,
der Sternenwärme; und die Folge davon ist, daß auch Linien mit Vul-
kanen auftreten, mit feuerspeienden Bergen, daß aber auch an anderen
Stellen feuerspeiende Ausbrüche stattfinden können.
Ja, nun aber, weist das denn darauf hin, daß die Erde unbedingt
in ihrem Inneren feuerflüssig sein muß? Das ist etwas, was immer be-
hauptet wird. Aber es gibt eigentlich keinen anderen Beweis dafür,
- als daß, wenn man Schächte hineingräbt in die Erde und immer tiefer
und tiefer geht, es dann immer wärmer und wärmer wird. Aber man
kann ja nicht sehr tief hineinkommen. Mit diesem Wärmerwerden ist
es ja auch so, daß, je weiter man hinuntergeht im Erdinnern, auch der

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 205


Druck immer mehr und mehr wächst. Und dasjenige, was durch die
Wärme auseinandergezogen wird, so daß es flüssig werden könnte,
wird durch den Druck im Inneren wieder zusammengedrückt. Wenn
die Erde wirklich innen feuerflüssig wäre, dann könnte etwas anderes
nicht stimmen. Man kann nämlich ausrechnen, wie schwer die Erde
wäre. Es ist natürlich eine Hypothese, denn man kann die Erde nicht
wiegen, sie schwebt ja frei im Weltenraum. Aber wenn man sie wiegen
könnte - man müßte sie auf einer anderen, riesigen Erde wieder wiegen;
es muß ja etwas da sein, was anzieht, Schwere entwickelt, wenn Ge-
wicht sein soll -, aber wenn das wäre, daß man die Erde wiegen
könnte - man kann das nämlich ausrechnen, wieviel sie wiegen würde,
nach der Art und Weise, wie sie andere Körper anzieht; es gibt
eine solche Rechnung -, da findet man, daß die Erde viel, viel schwerer
ist, als sie sein würde, wenn sie innerlich flüssig wäre, feuerflüssig
wäre. Deshalb hat sich Goethe schon mit aller Energie dagegen ge-
wendet, daß das richtig sein soll, daß die Erde innerlich feuerflüssig
ist.
Wenn man nun wirklich kennt, wie die Erde beschaffen ist, daß
sie eigentlich ein nicht ganz zusammengekittetes Tetraeder ist, dann
braucht man gar nicht die Erde im Inneren immerfort feuerflüssig sein
zu lassen und es ihr zu gewissen Zeiten, ich weiß nicht woher, aus
welcher Laune, wie ein hysterischer Mensch, der Launen hat, einfallen
zu lassen, sie will Feuer speien! Wenn die Erde im Inneren flüssig
wäre, so müßte man sich ja vorstellen, die Erde wäre eigentlich ein
bißchen wahnsinnig - so wie ein Mensch, der wahnsinnig ist, und ab
und zu zu toben anfängt; man weiß nicht, wann die Augenblicke kom-
men. Aber das ist ja bei der Erde nicht der Fall! Sie können ja immer
nachweisen, woher die Wärme kommt: daß sie von außen herein-
kommt, und daß erst in diesem Momente, gar nicht so tief in der Erde,
so starke Erwärmung eintritt, daß sich die einen Ausgang schafft.
Also dasjenige, was da feurig wird, wenn der Vesuv ausbricht, oder
irgendein anderer Vulkan ausbricht, entsteht erst in dem Moment in
der Weltenwitterung, wo es feurig wird. Sehen Sie, es braucht immer
einige Zeit, bis diese Wirkung entsteht. Da muß schon dieses Sternenver-
hältnis einige Zeit auf die Erde wirken. Aber auch das folgt ja aus ge-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 206


wissen Tatsachen, die ich hier schon in einem ganz anderen Zusam-
menhange vor Ihnen erzählt habe. Nehmen Sie an: Hier ist ein Stück Tafel 16
Erde: da kommen die Sonnenstrahlen mächtig. Da drunter entsteht
dasjenige, was sich später durch Feuerspeien oder irgendein Erdbeben
einen Ausweg sucht (es wird gezeichnet).
Ja, dasjenige, was ich zuerst gezeichnet habe, was da heruntergeht
als mächtige Wärme, das spüren die Menschen nicht, weil sie nicht
achtgeben. Höchstens gehen einige herum an dem Ort, wo noch gar
nichts zu spüren ist von Vulkanausbrüchen, wo aber schon in der Luft
diese Sonnenwirkungen sind, und haben stark Bauchweh gekriegt; an-
dere haben Kopfschmerzen, Migräne, andere wiederum finden, daß
ihr Herz unruhig wird. Aber das alles nehmen die Menschen hin, däm-
merig, geben nicht acht darauf. Und die Tiere - wie ich Ihnen schon
in anderem Zusammenhange sagte -, die Tiere, die feinere Nasen ha-
ben, feinere Organe haben in dieser Beziehung, die nehmen das wahr
und reißen aus. Die Menschen wissen nicht, trotzdem sie Bauchweh
haben und Kopfschmerzen, warum die Tiere denn so unruhig werden
und ausreißen. Aber nach einigen Tagen kommt das Erdbeben oder der
Vulkanausbruch. Die Tiere sind davongelaufen, weil sie schon die Vor-
bereitungen dazu gespürt haben; die Menschen sind so grob organi-
siert in dieser Beziehung, daß sie die Geschichte erst sehen, wenn die
Bescherung da ist. Schon daraus können Sie sehen, daß lange Zeit vor-
her etwas vorgeht, bevor die Geschichte eintritt. Und das, was vor-
geht, ist eben das Hereinstrahlen eines Stückes Weltenwärme.
Sie können jetzt aber immer noch fragen: Ja, aber diese Welten-
wärme, die erhitzt ja nur den Erdboden. Und der kann dann an einer
solchen Stelle, wo er gerade Substanzen enthält, die leichter entzünd-
lich sind, in eine Entzündung kommen. Wie kommt es dann, daß das
alles gleich herausspritzt? - Da will ich Ihnen auch etwas sagen: Wenn
man nach Italien, namentlich zwischen Rom und Neapel geht, in die
Nähe von Neapel geht, namentlich auf die Inseln, die Halbinseln, die
sich da und dort ansetzen an Italien, dann zeigen die Führer immer
ganz gerne das Folgende den Besuchern: Sie nehmen ein Stück Papier,
zünden es an, halten es so - in dem Augenblick beginnt es von der
Erde heraus zu rauchen! Es raucht. Warum? Weil die Luft warm
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 20 7
wird durch das Anzünden, und dadurch wird das leichter, dehnt sich
aus. Was unten angesammelt ist an durch die Sonnenhitze bewirkter
Erwärmung aus der Erde, strömt schon als Rauch heraus. Man kann
dieses sehr Interessante sehen: Man zündet ein Stück Papier an - flugs
raucht die Erde an der Stelle. Nun denken Sie sich das ins Riesenhafte
vergrößert - die Sonne erwärmt ja nicht bloß unten den Erdboden,
sondern auch oben die Luft - und Sie haben den Vesuv. Und wenn er
sich einmal gebildet hat, nun, dann ist das halt der Anfang dazu, dann
geht es immer weiter an Stellen, die dazu besonders günstig sind.
Sehen Sie, es ist schon interessant, auch das einmal zu wissen, daß
gerade diese Dinge, die eigentlich unregelmäßig geschehen auf der
Erde, herrühren vom ganzen Weltenraum.
Nun sagte ich Ihnen, dazumal, als wir im geologischen Kabinett
diese Substanzen anschmissen, schweflige Substanzen, da kriegte man
etwas, was richtig aussieht wie ein kleiner Mond. Und wenn man also
den heutigen Mond, dem ja das ganz ähnlich sieht, anschaut, so kriegt
man beim Mond auch die Ansicht, daß er aus dem Weltenraum zu-
sammengeschmissen ist! Das ist das eine, was man kriegt. Das andere
aber stellt sich heraus gerade durch geisteswissenschaftliche Forschung,
daß der Mond eigentlich in der Hauptsache von der Erde in den Wel-
tenraum hinausgeschmissen worden ist. Was kriegt man denn da her-
aus? - Sehen Sie, das ist dazumal auch gemacht worden. Zunächst hat
man einmal aus Substanzen solch einen Weltenkörper zusammenge-
schmissen. Dann hat man auch in die Mitte herein eine Substanz ge-
nommen und angeschmissen von außen, und siehe da, da wurde es
erst recht mondähnlich. Und was hat man da? Nun, man hat den
ganzen Vorgang. Die Hauptmasse des Mondes ist von der Erde ausge-
schmissen worden; weil die da war, ist von allen Seiten aus der Welt
leichter Stoff angeschmissen worden, der ja immer im Weltenall ent-
halten ist - in den Meteorsteinen fällt er ja herunter, wird aber immer
angeschmissen. Und so hat man die Entstehung des Mondes. Diese
Dinge gehören alle zusammen.
Sehen Sie, die Entwickelung der Wissenschaft ist ja manchmal
merkwürdig. In Heilbronn steht heute ein Denkmal, das allerdings
ziemlich scheußlich ist als Kunstwerk, aber es steht halt eben da; das
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 2 0 8
stellt dar Julius Robert Mayer. Wenn Sie heute irgendwo in der Wis-
senschaft den Namen Julius Robert Mayer hören, dann erfahren Sie,
wie er dadurch, daß er die Natur der Wärmewirkungen aufgesucht
hat in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ein bahnbrechen-
des Genie war. Julius Robert Mayer ist in Heilbronn geboren, war in
Heilbronn Arzt, ging da herum in Heilbronn und wurde dazumal
nicht besonders beachtet. Die Wissenschafter der damaligen Zeit nah-
men keine Notiz von ihm. Und es ist ihm ja so gegangen, daß er, trotz-
dem er heute als genialer Bahnbrecher der Wissenschaft, als genialer
Bahnbrecher der Physik überall geschildert wird, dazumal, als er sein
Arztexamen machte in Tübingen, durchgefallen ist - wie Sie über-
haupt auf die merkwürdige Tatsache kommen würden, daß die mei-
sten, die nachher Genies geworden sind, bei ihren Examina durchge-
fallen sind. So ist es auch mit Julius Robert Mayer gewesen. Mit Ach
und Krach konnte er die Geschichte noch machen und wurde Arzt.
Aber beachtet hat ihn niemand während seines Lebens. Im Gegenteil:
er ist so begeistert geworden von seiner Entdeckung, daß er überall
davon geredet hat. Da hat man von ihm gesagt: er hat Ideenflucht -
und hat ihn ins Irrenhaus gesetzt. Also die Gegenwart hat ihn damals
ins Irrenhaus gesperrt, die Nachwelt hält ihn für ein großes Genie
und hat ihm ein Denkmal gesetzt in seiner Vaterstadt.
Nun aber, dieser Julius Robert Mayer war es auch, der aus seinem
Denken und Forschen heraus die Idee aufgestellt hat: Wodurch kommt
es, daß die Sonne, die uns ja so viel Wärme gibt, nicht kalt wird? Sie
wird nicht so kalt, wie sie werden müßte, nachdem sie immer Wärme
abgibt - so sagte sich Julius Robert Mayer. Und deshalb, meinte er,
müßten fortwährend Kometen, riesig viele Kometen fortwährend in
die Sonne hereinfliegen, vom Weltenraum angeschmissen werden. Es
sind sehr dünne Körper, aber sie fliegen da herein. - Es ist wahr, daß
sie hereinfliegen! Die Sonne sieht ja ganz anders aus, als sich die Phy-
siker heute vorstellen. Wenn sie hinaufkommen würden, würden sie
sehr erstaunt sein: sie würden nicht ein feuriges Gas da finden, son-
dern etwas finden, was jede Erdenmaterie gleich verschwinden läßt,
weil es sie aufsaugt. Die Sonne ist ein Raum, der aufsaugt. Aber das, Tafel 16
was da wie eine Saugkugel ist, ist nicht eine volle Gaskugel, sondern unten
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vei waltung Buch: 35 4 Seite: 20 9
wie eine Perle im Weltenall, wo alles nicht drinnen ist, was man drin-
nen sucht. Das saugt auch diese Kometenmasse fortwährend heran.
Die feinen ätherischen Bildungen des Weltenalls, die fast geistig sind,
die saugt sie heran und nährt sich mit diesen Äthermassen, mit diesen
Kometenmassen. Und wir sehen an der Sonne daher heute noch dieses
Anschmeißen. Wir müßten doch dadurch auf etwas aufmerksam wer-
den, was wichtig ist, meine Herren.
Sehen Sie, wenn man so darauf kommt, daß die Erde solch ein
Tetraeder eigentlich ist - und derjenige, der einmal diese Körper hat
studieren müssen, wieviel Kanten und Winkel und Ecken sie haben,
der weiß, daß man da etwas Geometrie studieren muß, um solche Kör-
per zu verstehen, um solche Körper vorzustellen -, dann sieht man:
Solche Körper kommen ja nicht so einfach zustande. Die Buben machen
es sehr gern, Tetraeder, Oktaeder, Ikosaeder, Hexaeder, Dodekaeder,
diese fünf regelmäßigen Körper: sie setzen sie aus Flächen zusammen
und kitten die Flächen dann - aber man braucht dazu Geometrie. Nun
wird geradeso aus dem Weltenall heraus die Erde gebildet mit Kennt-
nissen der Geometrie, wenn man sie so anschaut, nicht durch Zahlen
gebildet, sondern mit Kenntnissen, denn es ist regelmäßig! Sie können
also daraus entnehmen, daß eigentlich in der Welt Geometrie drinnen
ist, daß alles aus der Geometrie wirkt. Und das ist richtig. Man kommt
schon immer durch wirkliche Wissenschaft, wie ich immer sage, dar-
auf, daß Gedanken ausgebreitet sind in der Welt, Gedanken überall
wirken, und daß eigentlich die Menschen diese Gedanken nur dann
nicht finden, wenn sie, ja, selber keine Gedanken haben!
Nicht wahr, es ist schon ganz lobenswert, wenn man ein freiden-
kender Mensch ist; aber es ist doch etwas Verräterisches, daß in der
neueren Zeit, im 19. Jahrhundert, der Ausdruck «Freigeist» aufge-
kommen ist. Freies Denken, das ist sehr gut; aber dieser Ausdruck
«Freigeist», den haben viele doch in ihrer Eitelkeit sehr mißbraucht.
Und am freigeistigsten haben sich dann diejenigen gefühlt, die die we-
nigsten Gedanken hatten, die nur das nachgesagt haben, was die an-
deren sagten. Da gab es einen Engländer, der einen netten Ausspruch
getan hat; der sagte: Die Freigeisterei besteht ja nicht darinnen, daß
die Leute Geist haben, sondern daß sie frei sind vom Geist. - Ein
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 210
englischer Ausspruch, den die anderen viel nachzitiert haben: Was
ist ein Freigeist? Ein Freigeist ist derjenige, der frei ist vom Geist! -
Ja, man muß schon in der Wissenschaft danach streben, nicht solche
Freigeistigkeit zu entwickeln, denn dann wird nichts entstehen. Längst
hätte man die Sache durchschauen können, was die Erde eigentlich
für eine Form hat, daß sie nicht ein runder, ein ganz runder Kohlkopf
ist, sondern daß sie eigentlich etwas hat von einem Tetraeder!
Die Erdenerkenntnis hängt wiederum zusammen mit Menschener-
kenntnis. Der Mensch bildet das Weltenall in seiner eigenen Form
nach. In seinem Kopfe bildet der Mensch das Weltenall ab. Daher ist
der Kopf nach oben rund nach dem runden Weltenall. Da unten aber,
wo die Kiefer ansetzen, da sind ganz merkwürdige Bildungen: die
kommen von der dreieckigen Erde. Da finden Sie überall Dreiecke;
die kommen von unten herauf, von der dreieckigen Erde. Und die
Menschen bilden zusammen das runde Weltenall ab. Darum haben
sie einen mehr oder weniger runden Kopf nach oben, und da unten
erstrecken sich die Kräfte der Erde. Und suchen Sie nur einmal: Sie
werden bei Menschen und Tieren da überall das Dreieck nachgebildet
finden irgendwie in der Kieferbildung, denn die kommt von der Erde,
die wirkt von der Erde aufwärts und prägt ihm die Dreiecke ein, und
die Welt wirkt von oben herunter und bildet die runde Form. Das ist
sehr interessant.
Das ist dasjenige, was man wissen kann, wenn man die wirkliche
Wissenschaft durchschaut. Wenn man frei ist von Geist, da redet man
allerlei Zeug. Und in unserer Zeit wird ja allerlei Zeug geredet; das
kann nicht kommen zu einer Ansicht, wie die Dinge eigentlich in
Wirklichkeit sind.
Nun, meine Herren, wollen wir am nächsten Samstag davon weiter
reden.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:211


D R E I Z E H N T E R VORTRAG

Dornach, 20. September 1924

Guten Morgen, meine Herren! Ist jemandem eine interessante Frage


eingefallen?

Frage in bezug auf Anthroposophie: Was sie eigentlich ist und will, was für eine
Aufgabe sie in der Welt eigentlich habe und so weiter.

Dr. Steiner: Die Frage, die gestellt worden ist, ist diese: Der Herr
möchte gern wissen, was eigentlich Anthroposophie ist und was sie
für die Menschheit im allgemeinen, und ich könnte auch sagen, für die
Arbeiterschaft oder die Arbeiterklasse, bedeutet.
Natürlich ist es schwer, in ganz kurzen Worten diese Dinge zu
besprechen. Ich möchte bemerken, daß diejenigen Herren, die schon
länger da sind, doch wohl sich immer mehr und mehr überzeugt haben,
daß so etwas wie Anthroposophie in die Entwickelung der Menschheit
hineinkommen muß. Diejenigen, die nun noch weniger lange da sind,
werden natürlich Mühe haben und solch eine Sache erst nach und
nach verstehen.
Sehen Sie, da muß man ja vor allen Dingen zuerst darauf aufmerk-
sam machen, wie wenig eigentlich die Menschen geneigt sind, dann,
wenn etwas Neues in die Welt kommt, dieses Neue anzunehmen. Man
könnte ja da die allermerkwürdigsten Beispiele anführen, wie neue wis-
senschaftliche Entdeckungen in der Welt aufgenommen worden sind.
; Man braucht nur daran zu erinnern, daß ja heute alles im Grunde ge-
nommen beherrscht wird von der Entdeckung der Dampfgewalt, der
Dampfmaschinen. Denken Sie sich nur, was heute die Welt wäre,
wenn es keine Dampfmaschinen gäbe in ihren verschiedensten For-
men! Als die Dampfmaschine zuallererst aufgekommen ist, da fuhr
ein ganz ganz kleines Dampfboot den Fluß hinauf: Die Bauern haben
es kaputt gemacht, weil sie gesagt haben, so etwas ließen sie sich nicht
gefallen; das tauge nichts für die Menschen! Nun, nicht immer waren
es die Bauern, die so etwas kaputt gemacht haben. Als zuerst über die
Meteorsteine in der gelehrten Körperschaft von Paris berichtet wor-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:212


den ist, haben die Leute denjenigen, der berichtet hat, für einen Narren
erklärt.
Von Julius Robert Mayer, der heute eine große Berühmtheit ist und
als großer Gelehrter angesehen wird, habe ich Ihnen neulich erzählt;
ich habe Ihnen gesagt, daß er eine gewisse Zeit seines Lebens ins Irren-
haus gesperrt worden ist.
Und wie ist es mit den Eisenbahnen gegangen? Ja, wissen Sie, mit den
Eisenbahnen, da ist es ganz besonders merkwürdig gegangen. Sie wissen
ja, es ist noch nicht so lange her, daß die Menschen Eisenbahnen haben;
es ist erst im 19. Jahrhundert gewesen. Früher mußten die Leute mit
der Postkutsche fahren. Nun ja, sehen Sie, als die erste Eisenbahn von
Berlin nach Potsdam gebaut werden sollte, da sagte der Direktor der
Postkutschen, er lasse jede Woche zwei Postkutschen von Berlin nach
Potsdam fahren, und da sitze niemand drinnen - er sehe nicht ein,
wozu Eisenbahnen in der Welt gut seien! Der Mann dachte eben nicht
daran, daß, wenn Eisenbahnen da sind, dann mehr Leute fahren wer-
den als mit der Postkutsche.
Aber noch interessanter benahm sich ein Ärztekollegium, in den
vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als man die erste Eisenbahn
baute von Fürth nach Nürnberg. Da erklärten die gelehrten Herren,
daß man keine Eisenbahn bauen solle, weil die Leute drinnen sehr
leicht krank, nervös werden könnten von der schnellen Fahrerei; aber
nachdem sich das die Leute nun einmal nicht nehmen ließen, Eisen-
bahnen zu bauen - Sie können heute noch diese schönen Dokumente le-
sen -, sollten hohe Bretterwände links und rechts der Bahnlinie errich-
tet werden, damit die Bauern, wenn die Eisenbahnen vorbeifahren,
nicht Gehirnerschütterung kriegen! - Nun, sehen Sie, so ist die Sache
gegangen. Die Eisenbahnen sind doch gebaut worden, haben ihren gro-
ßen Aufschwung genommen, gegen all diejenigen, die sich dagegen ge-
wendet haben. So wird auch Anthroposophie ihren Weg durch die
Welt machen, weil sie eben einfach kommen muß, weil nichts in der
Welt wirklich verstanden werden kann, wenn nicht die Dinge vom
Geiste aus verstanden werden, wenn man nicht die geistigen Grund-
lagen von allem wirklich erkennt.
Sehen Sie, Anthroposophie ist entstanden nicht gegen die Natur-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 213


en
Wissenschaft, sondern weil die Naturwissenschaft da ist, ist Anthropo-
sophie entstanden und mußte entstehen aus den Gründen, weil die
Naturwissenschaft mit ihren vollkommenen Instrumenten, mit ihren
ganz ausgebildeten Experimenten eine große Menge von Tatsachen ge-
funden hat, die eigentlich, so wie sie die Naturwissenschaft findet,
nicht wirklich verstanden werden können. Sie können nicht verstan-
den werden. Sie können erst verstanden werden, wenn man überall
hinter den Dingen wahrnimmt, daß das Geistige da ist, daß ein Gei-
stiges in allem wirklich drinnen ist.
Nehmen Sie nur einmal eine ganz gewöhnliche praktische Frage. Ich
will ganz von einer praktischen Frage ausgehen. Nehmen Sie, sagen
wir, das Kartoffelessen. Ich will von etwas ganz Gewöhnlichem aus-
gehen : vom Kartoffelessen. Sehen Sie, es gab ja Zeiten, wo es in Europa
keine Kartoffeln gab; die Kartoffeln sind ja erst von auswärtigen Län-
dern in Europa eingeführt worden. Man schreibt solch einem Men-
schen, der Drake heißt, die Einführung der Kartoffel zu. Aber das
ist nicht wahr; sie sind auf andere Weise eingeführt worden. In Offen-
burg draußen hat der Drake deshalb doch ein Denkmal! Und ich war
einmal neugierig, warum der Drake in Offenburg das Denkmal habe -
es war während des Krieges, wir mußten dort Station machen -, ich
war neugierig und schaute im Konversationslexikon nach und richtig
steht im Konversationslexikon: Dem Drake ist in Offenburg ein Denk-
mal errichtet worden, weil er angeblich die Kartoffel in Europa ein-
geführt habe! - Sehen Sie, so kommen Bücher, so kommt Geschichte-
schreiben zustande.
Also nun die Kartoffel! Wenn heute irgend jemand sagen würde,
ein Naturwissenschafter oder ein Mediziner solle sagen, wie eigentlich
die Kartoffel wirkt, wenn sie gegessen wird - was tut er? Sie wissen
ja, die Kartoffel ist allmählich ein Nahrungsmittel geworden, und es
ist außerordentlich schwer, in manchen Gegenden die Leute davon ab-
zubringen, daß sie sich fast ausschließlich von Kartoffeln nähren. Nun,
was tut der heutige Naturforscher, wenn er die Kartoffel auf ihren
Nährwert prüft? Ja, er untersucht, was da in der Kartoffel an Stoffen
drinnen ist. Das kann man ja natürlich im Laboratorium untersuchen,
was in der Kartoffel an Stoffen drinnen ist. Man findet da Kohle-
O 1 A
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 214
hydrate, die also bestehen aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff,
die in einer bestimmten Weise angeordnet sind. Man kommt noch da-
zu, einzusehen, daß sich im menschlichen Körper diese Stoffe umwan-
deln, daß sie zuletzt zu einer Art von Zucker werden, aber man kommt
nicht weiter damit. Man kann auch nicht weiterkommen. Denn, sehen
Sie, wenn man irgendeinem Tier, das man mit Milch füttern will, Milch
gibt, so kann es unter Umständen ganz gut gedeihen. Wenn man aber
die Milch in ihre chemischen Bestandteile zerlegt und untersucht, aus
was sie besteht, und nun statt der Milch dem Tiere diese chemischen
Bestandteile gibt, krepiert das Tier dabei, kann sich nicht ernähren.
Worauf beruht das? Das beruht darauf, daß noch etwas anderes in
den chemischen Bestandteilen in der Milch wirkt. Und so wirkt auch
in der Kartoffel noch etwas anderes als die bloßen chemischen Bestand-
teile. Das ist das Geistige dabei. Und überall, in allem in der Natur
wirkt das Geistige.
Und wir sehen, wenn man jetzt mit der Geisteswissenschaft-Anthro-
posophie ist ja nur ein Name -, wenn man also wirklich mit der Gei-
steswissenschaft kommt und die Art und Weise untersucht, wie die
Kartoffel den Menschen ernährt, da kommt man darauf, daß die Kar-
toffel etwas ist, was in den Verdauungsorganen nicht ganz verdaut
wird. Die Kartoffel wird nicht ganz in den Verdauungsorganen ver-
daut, sondern geht durch die Lymphdrüsen, durch das Blut so in den
Kopf hinauf, daß der Kopf noch gerade bei der Kartoffel als ein Ver-
dauungsorgan dienen muß. Der Kopf wird gewissermaßen, wenn man
recht viel Kartoffeln ißt, zum Magen; er verdaut mit.
Ein solches Nahrungsmittel wie die Kartoffel unterscheidet sich da-
durch ganz beträchtlich von gesundem Brot zum Beispiel. Wenn man
gesundes Brot ißt, dann verdaut man alles dasjenige, was stofflich ist
vom Korn, vom Roggen, vom Weizen, auf gesunde Weise im Verdau-
ungskanal. Und die Folge davon ist, daß in den Kopf hinein nur das
Geistige vom Korn, Roggen, Weizen und so weiter kommt, was da
hineingehört.
Diese Dinge kann man durch keine bloße Naturwissenschaft wissen,
sondern diese Dinge kann man nur wissen, wenn man die Dinge wirk-
lich auf ihren geistigen Gehalt untersucht hat. So kommt man darauf,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 54 Seite: 215


wie in der neueren Zeit die Menschen ruiniert worden sind durch das
Kartoffelessen. Also man sieht ein, daß in den letzten Jahrhunderten
zu der allgemein geschwächten Gesundheit der Menschen ganz beson-
ders beigetragen hat der Kartoffelgenuß. Das ist ein ganz grobes Bei-
spiel, wie man geistig forschen kann in all dem, was die Naturwissen-
schaft in so ausgezeichneter Weise schafft, wenn man sie als Grund-
lage nimmt.
Nun aber will ich Ihnen etwas anderes noch sagen: Von demselben
Standpunkt aus kann man jede Substanz, die in der Welt vorkommt,
auf ihren geistigen Gehalt prüfen. Dadurch kriegt man erst Heilmittel
heraus für Krankheiten. Und so liefert die Geisteswissenschaft eine
ganz besondere Grundlage für das Medizinische.
Wir haben in der Geisteswissenschaft nur eine Fortsetzung der Na-
turwissenschaft, durchaus nicht irgend etwas, was der Naturwissen-
schaft widerspricht. Und außerdem haben wir in der Geisteswissen-
schaft etwas, das auf wissenschaftliche Weise den Geist erforscht, also
die Leute nicht darauf verweist, daß sie irgend etwas glauben sollen,
was die Menschen sagen. Die Glaubensbekenntnisse, die werden da-
durch ersetzt durch etwas wirklich Wissenschaftliches.
Nun will ich Ihnen noch etwas anderes sagen. Sehen Sie, die Wis-
senschaft kommt überall bis zu einem gewissen Grad dazu, die Sachen
zu erkennen. Und die Menschheit muß natürlich nicht teilnehmen an
allen kleinen wissenschaftlichen Dingen, aber die Hauptsachen über
die Welt müßte eigentlich jeder Mensch wissen.
Ich will Ihnen nun etwas erzählen, woraus Sie ersehen können,
wie großartig und wichtig es ist, in der Welt auch den Geist zu er-
Tafel 18 kennen, wie er wirklich wirkt. Sehen Sie, es war 1773, da wurde plötz-
lich in Paris das Gerücht verbreitet, ein Gelehrter würde einen Vor-
trag halten in einer gelehrten Gesellschaft; in dem Vortrag würde er
beweisen, daß ein Komet mit der Erde zusammenstoßen und daß der
Untergang der Erde kommen werde. Das war dazumal etwas, was
man glaubte, daß es ganz wissenschaftlich bewiesen werden konnte.
Und es ist also da im 18. Jahrhundert - der Aberglaube war noch
groß - eine riesige Angst durch ganz Paris gegangen. Wenn man heute
die Dinge verfolgt, die dazumal in Paris geschehen sind, so findet man,

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 216


daß eine ganz große Anzahl von Fehlgeburten geschehen ist. Die Frauen
haben vor lauter Schrecken früher geboren. Die Leute, die irgendwie
schwere Krankheiten gehabt haben, sind gestorben, als das bekannt-
geworden ist. Es war eine riesige Aufregung in ganz Paris, weil be-
kanntgeworden ist, daß da ein Gelehrter einen Vortrag halten solle
darüber, daß da ein Komet mit der Erde zusammenstoßen und die Erde
zugrunde gehen werde.
Ja, meine Herren, die Polizei, die ja, wie Sie wissen, immer auf
ihrem Posten ist, die hat natürlich den Vortrag außerdem noch verbo-
ten. Und so haben die Leute nicht einmal erfahren, was der Gelehrte
nun eigentlich sagen wollte. Aber die Bescherung war da! Sehen Sie ein-
mal, jetzt können Sie fragen: Hat der Gelehrte - der hat ja wirklich
den Vortrag halten wollen - nun recht oder hat er nicht recht ge-
habt?
Nun, die Geschichte ist doch nicht so ganz einfach. Denn seitdem
der Kopernikus das neue Weltsystem aufgestellt hat, rechnet man ja
alles, und die Rechnung hat dazumal ja wirklich folgendes ergeben. Man
stellt sich vor, die Sonne ist im Mittelpunkt des Weltsystems; da kom-
men Merkur, Venus, Mond, Erde, Mars her (es wird gezeichnet), die Tafel
Planetoiden; da kommt Jupiter, da der Saturn. Und jetzt die Kometen,
die machen solche Bahnen (es wird gezeichnet). Da kommt der Komet
heran. Nun bedenken Sie: Da geht die Erde herum; man kann ausrech-
nen, wann die Erde da steht und wann der Komet herankommt -
plumps, stoßen sie zusammen nach der Rechnung! — Ja, meine Herren,
zusammengestoßen sind die dazumal auch wirklich; aber der Komet
war eben so klein, daß er sich in der Luft aufgelöst hat - nicht gerade
in Paris, aber an einer anderen Stelle. Die Rechnung hat also durchaus
gestimmt, aber es war kein besonderer Grund zur Angst da.
Aber sehen Sie einmal dieses an: Im Jahre 1832, da ist die Geschichte
schon sengeriger geworden, denn da konnte man wieder ausrechnen,
daß ein Komet mit der Erdbahn sich kreuzt und ganz nahe an der
Erde vorübergeht. Und der ist nicht so ein kleiner Knirps gewesen,
wie der andere war, sondern der wirkte schon etwas verderblicher. Aber
es war nun die Rechnung dazumal noch ziemlich glücklich verlaufen,
denn man kriegte heraus, daß, wenn der Komet da vorbeikommt bei
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:217
der Erde, er dann noch immer dreizehn Millionen Meilen von ihr ent-
fernt bleibe; das ist ja immerhin ein Stückchen, nicht wahr! Also da
brauchte man sich nicht zu fürchten, daß er die Erde durchstößt, ka-
putt macht. Aber die Leute fürchteten dazumal doch auch schon recht
viel, denn die Weltenkörper ziehen sich gegenseitig an und man mußte
abwarten, ob nicht der JComet irgendwie große Meereskonvulsionen
hervorrufen werde durch seine Schwerkraft und so weiter. Es ist ja
dann nichts Besonderes geschehen - eine allgemeine Unruhe in der
Natur, aber nichts Besonderes. Er war eben noch dreizehn Millionen
Meilen entfernt; die Sonne, die ist dreizehn mal so weit entfernt, so daß
also die Erde dazumal keinen Schaden genommen hat.
Als ich ein kleiner Bub war, 1872 - ich war dazumal mit meinen
Eltern auf einem kleinen Bahnhof -, da kriegten wir überallhin Schrif-
ten: Die Welt geht unter -, denn da sollte der Komet wieder kommen.
Gewisse Kometen kommen ja immer wiederum; er sollte also wieder
kommen. Jetzt sollte er schon näher sein; also die Geschichte wurde
schon gefährlich in der Richtung. Der Komet war auch schon 1845/46
und 1852 wieder gekommen, aber dieser merkwürdige Himmelskör-
per, dieser Komet, der trat jetzt auf entzweigespalten! Wahrend er vor-
Tafel 18 her so war, immer so gekommen ist, kam er jetzt so (es wird gezeichnet).
Und jeder war um soviel dünner, weil er sich eben abgespalten hat.
Und was war 1872 zu sehen? Ja, 1872 war zu sehen, daß so etwas
wie ein Lichtregen von Sternschnuppen herunterfiel, besonders viele
Sternschnuppen herunterfielen! Der Komet war schon nähergekom-
men, aber er hat sich zerspalten und hat außerdem Materie abgegeben,
dünne Materie, die heruntergeregnet ist wie ein Lichtregen. Das war
damals zu sehen. Einige Leute haben etwas gesehen - das heißt, sehen
konnte es jeder, denn nicht wahr, wenn in der Nacht mächtige Stern-
schnuppenfälle geschehen, so sieht man etwas aus dem Himmel kom-
men. Aber einige, die es gesehen haben, haben geglaubt, der Jüngste
Tag wäre gekommen! Es ist doch wiederum ein großer Schreck ent-
standen. Aber die Sternschnuppen haben sich eben in der Atmosphäre,
in der Luft aufgelöst.
Und denken Sie sich dieses Merkwürdige: Wäre der Komet bei-
sammengeblieben, so wäre es uns 1872 doch recht schlecht gegangen
918
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 218
mit der Erde! Aber wie gesagt, auf unserem Bahnhof kriegten wir lau-
ter Schriften: Die Welt geht unter! -, die Astronomen hätten ausgerech-
net, nach der Naturwissenschaft ganz richtig: die Welt geht unter.
Und wie viele Leute dazumal reichliche Beichtgelder zahlten, damit
sie rasch von ihren Sünden freigesprochen wurden, das geht nicht
weiter aufzuschreiben, denn das tritt immer ein, meine Herren. Auch
in Paris dazumal, 1773, oh, da haben die Beichtväter viel Geld
eingenommen, denn die Leute wollten rasch von ihren Sünden befreit
werden.
Nun aber erschien dazumal eine etwas gescheitere Schrift von einem
Astronomen Littrow. Aber dieser Astronom hat doch etwas ganz Be-
sonderes berechnet, was sehr bemerkenswert ist. Er hat berechnet: Im
Jahre 1832 war der Komet, der dann später auseinandergegangen ist,
von der Erde noch dreizehn Millionen Meilen entfernt; aber er kommt
eben immer näher. Er war früher ganz weit weg; jedesmal, wenn er
kommt, rückt er näher, ist er der Erde näher. Und nun hat Littrow
ganz richtig ausgerechnet, woran die Geschichte liegt.
Sehen Sie, die Gefahr, die die Leute ausgerechnet haben, daß dieser
Komet mit der Erde zusammenstößt, die war damals 1872 im Septem-
ber. Hätte der Komet den Punkt dazumal schon erreicht gehabt, den
er für dieses Jahr [1872] erst am 27. November erreicht hat, dann
wäre die Geschichte noch immer nicht bei einem Kometenregen ge-
blieben, sondern wäre trotzdem sehr schlimm geworden. Also diese
Dinge gibt es schon. - Aber er hat ausgerechnet, warum die Geschichte
doch so steht, daß 1933 - also wir haben jetzt 1924 -, wenn der Ko- Tafel 18
met so geblieben wäre, wie er im 18. Jahrhundert war, unbedingt ein
Zusammenstoß erfolgen müsse, und die Erde müßte dabei kaputtge-
hen! — Die Rechnung stimmte auf das Haar. Nur konnten sich dazumal
die Leute schon sagen: Der Komet hat es gnädig gemacht. Denn wäh-
rend er fähig geworden wäre, 1933 die Erde so durchzuschlagen, daß
alle Meere vom Äquator heraufgeströmt wären nach dem Nordpol und
die ganze Erde zugrundegegangen wäre - das konnte man ausrech-
nen —, hat er sich entzweigeteilt, und hat außerdem seine Materie, die
ihm zu schwer geworden ist, als auseinandergestreute Meteorsteine ab-
gegeben, die dann nicht mehr schädlich werden konnten.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 35 4 Seite: 219
Also sehen Sie, wir leben schon in einer Zeit, von der wir sagen
können: Wäre der Komet nicht gnädig gewesen, so säßen wir heute
alle nicht mehr da! Es ist schon so. Und zuletzt ist es so gekommen, daß
er überhaupt nicht mehr als Komet erscheint, sondern immer an den
Tagen, wo er erscheinen soll, kommt noch immer der Meteorregen. Er
wirft seine gesamte Materie langsam im Laufe der Jahrhunderte aus
und wird sehr bald überhaupt nicht mehr sichtbar sein; er wird nicht
mehr kommen, weil er seine Materie langsam an den Weltenraum und
etwas auch an die Erde abgegeben hat.
Da will ich Ihnen aber die andere Seite der Sache zeigen. Sehen
Sie einmal, wenn man die menschliche Entwickelung verfolgt, dann ist
es so, daß ja die geistigen Fähigkeiten der Menschen immer andere wer-
den. Wer es nicht glaubt, versteht eben die ganze geistige Entwickelung
der Menschheit nicht. Denn, nicht wahr, alle unsere Entdeckungen hät-
ten ja viel früher gemacht werden müssen, wenn die Menschen dieselben
geistigen Fähigkeiten gehabt hätten! Sie haben nicht geringere geistige
Fähigkeiten gehabt, aber etwas andere in alten Zeiten. Das habe ich
Ihnen ja in der verschiedensten Weise schon auseinandergesetzt, auch
auf Fragen, die gestellt worden sind nach dieser Richtung.
Wenn man aber jetzt zurückgeht, so ist das ja nicht der einzige
Komet, der in dieser Weise so gnädig durch den Weltenraum geht, daß
er sich im rechten Moment spaltet und ganz auflöst, sondern es gibt
eine ganze Anzahl anderer Kometen, die das taten. An die Kometen
hat sich immer der Aberglaube angeschlossen. Anthroposophie betrach-
tet die ganze Sache absolut wissenschaftlich.
Aber wenn wir uns so weiterentwickeln würden, wie wir uns heute
entwickelt haben, das wäre ja nicht auszudenken. Ach, die Menschheit
ist ja so furchtbar gescheit! Vergleichen Sie nur einmal einen Menschen
mit seiner Gescheitheit, mit dem, was er in der Schule gelernt hat, mit
einem Menschen im 12., 13. Jahrhundert, der nicht schreiben konnte!
Sie müssen nur bedenken: Wir haben ein sehr schönes Gedicht von
Wolfram von Eschenbach, der war ein Adliger des 13. Jahrhunderts;
er hat das Gedicht verfaßt - aber er hat nicht schreiben können; er hat
sich müssen einen Pater kommen lassen, dem er es diktiert hat: das ist
der «Parzival», nach dem Wagner seinen «Parsifal» umgedichtet und

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 22 0


komponiert hat! Also Sie sehen, die Leute haben dazumal andere Fä-
higkeiten gehabt. Wir brauchen gar nicht weiter zurückzugehen als
bis ins 12. bis 13. Jahrhundert: Dazumal konnte ein Adliger nicht
schreiben; lesen konnte der Wolfram von Eschenbach, aber schreiben
konnte er nicht.
Nun, sehen Sie, diese Fähigkeiten, die kommen ja nicht von selber,
die entwickeln sich ja. Und wenn wir so fortfahren würden, wie wir
jetzt es tun, daß wir jeden vollpfropfen zwischen dem sechsten und
zwölften, vierzehnten Lebensjahr mit allen möglichen Wissenschaften -
was ja gut ist auf der einen Seite -, dann würden wir Menschen aber
alle nach und nach das werden, was früher gar nicht da war, und was
jetzt so häufig da ist, wie man sagt: nervös. Nervöse Menschen würden
wir werden. Und da kommt etwas, was Ihnen klarmachen wird, daß
die Herren Ärzte, die dazumal in den vierziger Jahren so dumm waren,
daß sie geglaubt haben, die Menschen würden gar nicht leben können,
wenn es Eisenbahnen gibt, daß diese Herren Ärzte vom Standpunkt
ihrer Wissenschaft aus doch nicht so ganz dumm waren! Denn, was sie
dazumal haben wissen können, das geht alles darauf hin, daß sie sagen
mußten: Wenn der Mensch in der Eisenbahn fährt, so wird er einfach
nach und nach ganz arbeitsunfähig; das Gedächtnis verliert er, die Ner-
ven werden aufgeregt, zappelig wird er. - Das konnten sie sich nach
ihrer damaligen Wissenschaft sagen. Es war ganz richtig, absolut
richtig, was sie sich sagten; aber sie bedachten eines nicht. Ein bißchen
nervöser sind ja auch die Menschen geworden. Wenn Sie nur verglei-
chen, wie Sie heute, wenn Sie von der Arbeit kommen, anders sind, als
die Leute aus den dreißiger, vierziger Jahren, die sich abends die Schlaf-
mützen aufgesetzt haben und so furchtbar gemütliche Leute waren,
ganz ohne alle Nerven! Die Welt ist schon anders geworden in dieser
Beziehung; aber doch nicht so stark, als es sich die Herren Ärzte von
Nürnberg dazumal vorstellten. Nun ist es aber so: Die Nürnberger
hängen keinen, wenn sie ihn nicht erst haben; und so ist es bei den
Nürnbergern dazumal auch gewesen: sie haben keine Wissenschaft be-
trieben, die sie nicht erst hatten. Nun aber, was konnten diese Herren
Ärzte dazumal nicht wissen? Sie konnte nicht wissen, daß, während
sie das alles lernen, dieser Komet sich allmählich auflöst. Was tut denn
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 21
der? Ja, meine Herren, diesen feinen Meteorregen, den haben wir ja
von diesem Kometen! Statt daß er einmal mit der Erde zusammenstößt
und der Menschheit den Schädel einschlägt, statt dessen gibt er lang-
sam seine Materie ab. Die ist in der Erde drinnen, diese Materie, Stück
für Stück. Alle paar Jahre lieferte der Komet etwas für die Erde. Und
diejenigen Leute, die von der Wissenschaft leben wollen und nicht zu-
geben wollen, daß da die Erde etwas aus dem Weltenraum einfach
frißt, die sind so dumm wie diejenigen, die behaupten, wenn einer ein
Stück Brot ißt, so ist es nicht in ihm drinnen. Es ist natürlich in der
Erde drinnen, was wir vom Kometen haben. Aber die Menschen über-
sehen das immer. Die Wissenschaft nimmt davon keine Notiz. Wo
haben wir denn das, was der Komet abgegeben hat? Das geht in die
Luft über; von der Luft geht es über ins Wasser, wenn das Wasser hin-
auf und wieder heruntergeht; vom Wasser geht es über in die Wurzeln
der Pflanzen, von den Wurzeln der Pflanzen in dasjenige, was wir auf
den Tisch tragen. Und von dem geht es in unseren eigenen Leib, und
wir essen mit dasjenige, was uns der Komet gegeben hat seit Jahrhun-
derten. Das hat sich aber längst vergeistigt. Und statt daß 1933 der
Komet der Erde den Garaus macht, hat er sich längst in die Erde als
eine Erdennahrung hineinbegeben und nimmt von den Menschen weg -
durch das, daß er ein Heilmittel ist, ein Weltheilmittel - die Nervosität.
Sehen Sie, da haben Sie ein Stück Geschichte: Die Kometen er-
scheinen draußen am Himmel, und nach einiger Zeit kommen sie zu uns
vergeistigt aus der Erde heraus. Solche Sachen greifen doch jetzt schon
ein ins Menschenleben. Jetzt kann man nicht mehr so die Geschichte
darstellen, wie man sie wörtlich darstellt, wenn man ein Philister sein
will, sondern jetzt muß man Rücksicht darauf nehmen, was in der
Welt vorgeht im Geistigen. Das kann man nur, wenn man die Welt
geistig durchdringt, mit Anthroposophie durchschaut. Da können Sie
ja sagen: Nun ja, schön, diese Dinge, die werden schon vor sich gehen.
Gerade der Komet lehrt uns, daß wir Menschen dumm bleiben können;
wir brauchen uns nicht darum zu bekümmern. Denn wenn auch die
Leute dann aufgeklärt sein wollen, praktisch sind sie dann furchtbar
schicksalsgläubig, denken sich: In der Welt wird schon alles ordentlich
zugehen. - Ja, aber es gibt die Möglichkeit, so etwas zu wissen, sich zu

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 22


beschäftigen mit einer solchen Wissenschaft, oder sich nicht damit zu
beschäftigen.
Nun, meine Herren, da ist eines gekommen: Sie wissen, ich habe
durch Jahre hindurch gerade unter Arbeitern Vorträge gehalten. In
diesen Vorträgen, die ich gehalten habe, habe ich oftmals aufmerksam
gemacht auf einen großartigen Vortrag von Lassalle, der geheißen hat
«Die Wissenschaft und die Arbeiter». Ich weiß nicht, ob heute die
Sache noch viel bekannt ist; aber ich bin ja mittlerweile sehr alt ge-
worden, und ich habe die Entstehung der Arbeiterbewegung gesehen.
Von meinem Elternhaus konnte ich zum Fenster hinausschauen: Da
sind die ersten Leute, die dazumal noch die großen Hüte getragen ha-
ben - demokratische Hüte -, da sind die'ersten Sozialdemokraten vor-
beigezogen im Anfang der siebziger Jahre, hinaus in den Wald, um da
ihre Versammlungen abzuhalten. Also ich habe die ganze Entstehung
der Dinge durchaus immer mitgemacht, Stück für Stück. Und dazu-
mal verehrten die Leute noch sehr Lassalle. Man fand überall, wo Ar-
beiterversammlungen waren, Lassalles Büste. Heute sind die Dinge mehr
oder weniger vergessen worden, denn es ist ja fünfzig Jahre her. Dazu-
mal war ich acht, zehn oder elf Jahre alt, aber ich bekümmerte mich
schon um die Sache. Nun hat Lassalle diesen Vortrag gehalten - da-
zumal war es acht, neun Jahre her, daß er diesen Vortrag gehalten
hatte: «Die Wissenschaft und die Arbeiter». Und in diesem Vortrag
hat er darauf aufmerksam gemacht, daß die ganze Arbeiterfrage ab-
hängt von der Wissenschaft, daß die Arbeiter zuerst eine soziale An-
schauung aus der Wissenschaft heraus gebildet haben, was all den an-
deren Menschen nicht eingefallen ist. Das war in einer gewissen Weise
außerordentlich wichtig.
Aber nun denken Sie einmal, was ist denn geworden seit jener Zeit?
Ich frage Sie: Sind Sie zufrieden? Können Sie zufrieden sein mit der
Art und Weise, wie sich die Arbeiterfrage entwickelt hat? Haben Sie
nicht furchtbar viel zu klagen überall über die Art und Weise, wie die
Arbeiter tyrannisiert werden von ihren Gewerkschaften und so wei-
ter? Das spürt man; das spürt der Arbeiter. Aber was er nicht spürt,
das ist das, woher das gekommen ist. Woher ist es gekommen? Es ist
davon gekommen, daß ganz richtig ist, daß die Lösung der Arbeiter-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 22 3


frage nicht gefunden werden kann ohne Wissenschaft. Früher hat man
die Frage durch Religion und so weiter gelöst. Jetzt müssen diese Fra-
gen mit Wissenschaft gelöst werden. Aber dazu muß man erst ein wirk-
lich wissenschaftliches Denken haben! Und das hatte niemand, weil
man nur immer auf die Materie ging, weil die ganze Wissenschaft Ma-
terialismus war. Niemals wird irgend etwas gelöst werden in der so-
zialen Frage, bevor die Wissenschaft nicht wiederum geistig wird.
Geistig kann sie nur werden, wenn sie sich herbeiläßt, in allem -
sei es in der Kartoffel, sei es in dem Kometen - das Geistige zu suchen.
Denn die Dinge suchen, wie sie zusammenhängen, lernt man nur durch
geistige Erkenntnisse. Und so lernt man auch nur durch geistige Er-
kenntnisse die sozialen Zusammenhänge kennen. Die muß man wirk-
lich erkennen; dann wird man finden, daß die Dinge ja sehr, sehr gut
gemeint waren, die zum Beispiel durch den Marxismus heraufgekom-
men sind, aber sie beruhten auf einer irrtümlichen Wissenschaft. Und
das will ich Ihnen jetzt auch noch zeigen, inwiefern diese Dinge auf
einer irrtümlichen Wissenschaft beruhen. Und das kann nicht gedei-
hen, was auf einer irrtümlichen Wissenschaft beruht.
Sehen Sie, es ist ungemein scharfsinnig, ungemein gescheit, wie der
Marx berechnet, und man kann gar nichts einwenden, weil er eben in
der rein materialistischen Wissenschaft drinnensteckt. Alles klappt ge-
rade so, wie es bei dem Astronomen 1773 geklappt hat, daß die Erde
sich mit dem Kometen begegnet. Aber der Komet, das war ein an-
derer, als der spätere, war eben längst so dünn geworden, daß er der
Erde nichts mehr getan hat! Und das, was Marx berechnet, beruht auf
einer ebenso ausgezeichneten, aber ebenso nicht vollkommenen Wissen-
schaft.
Nehmen Sie an eines, was er berechnet hat. Er hat gesagt: Wenn der
Mensch arbeitet, verbraucht er innerlich Kräfte. - Gewiß, wir geben
die Kräfte an die Arbeit ab, werden abends müde, und haben also
während des Tages eine bestimmte Anzahl von Kräften abgegeben.
Jetzt braucht der Arbeiter selbstverständlich dasjenige, was ihm diese
Kraft wieder ersetzt. Man kann also das ausrechnen; die Rechnung
klappt, stimmt vollkommen. Es ist absolut richtig; man kann es aus-
rechnen, wieviel Arbeitslohn da sein muß, damit der Arbeiter seine
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 224
Kräfte ersetzen kann. Ja, kriegt man aber auf diesem Wege, auf dem
Marx sucht, wirklich den richtigen Arbeitslohn und so weiter heraus?
Das ist die Frage, ob man ihn da herauskriegt! Daß er bis jetzt noch
nicht sehr starken Eindruck gemacht hat, das zeigt sich ja; aber man
kann ihn gar nicht auf diesem Wege herauskriegen, weil die Wissen-
schaft zwar ausgezeichnet, aber falsch ist.
Denken Sie nur einmal: Einer ist da, der arbeitet den ganzen Tag
nichts. Entweder geht er spazieren, oder er kann selbst von einem Stuhl
auf den anderen sich setzen, wenn er ein Rentier ist. Der verbraucht
ebenso seine Kräfte vom Morgen bis zum Abend, ganz genau so! Ich
habe einmal gesehen in Arbeiterkonzerten, daß die Leute, die Arbei-
ter waren, viel weniger müde waren als die Rentiers, die gar nichts ge-
tan haben. Die gähnten fortwährend; die anderen waren sehr fidel.
Ja, sehen Sie, da steckt ein Fehler in der Rechnung. Es sind gar nicht
dieselben Kräfte, die wir innerlich in unserem Organismus verbrauchen,
die wir äußerlich an die Arbeit abgeben! Das ist gar nicht wahr. Und
deshalb kann man auf diesen naturwissenschaftlichen Grundlagen die
ganze Rechnung nicht aufbauen. Man muß die Sache in ganz anderer
Weise machen; man muß die Sache auf Menschenwürde und Men-
schenrecht und so weiter begründen. Und so ist es in sehr vielen Din-
gen. Und die Folge davon ist, daß aus der Wissenschaft, wie sie bisher
war, auch in sozialer Beziehung eine furchtbare Verwirrung hergegan-
gen ist und ein Nichtwissen.
Mit Geisteswissenschaft können Sie jetzt sagen, wieviel wert die
Kartoffeln sind für die Nahrung, wieviel wert der Kohl für die Nah-
rung ist, wieviel wert das Salz ist und so weiter. Und dann kriegen Sie
heraus, was der Mensch haben muß, damit er gesund gedeihen kann.
Das kriegen Sie erst durch Geisteswissenschaft heraus. Da müssen Sie
zuerst aufbauen auf einem solchen Wissen, das aus Geisteswissenschaft
kommt. Dann können Sie übergehen zu der Betrachtung des sozialen
Lebens. Dann wird die Arbeiterfrage ganz andere Gestalt annehmen,
und die Sache wird endlich auf eine gesundere Basis kommen, gerade
dadurch, daß man alles geistig ansieht.
Und so, sehen Sie, verstehen die Menschen heute überhaupt gar
nicht, wie die Dinge in der Welt zusammenhängen, glauben immer,
15
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 25
alles geht so fort, wie es ist; aber es ist eben nicht so! Es muß fortwäh-
rend der Mensch verstehen, wie die Dinge in der Welt sich ändern.
Und das größte Unglück, könnte man sagen, das ist, daß die Mensch-
heit früher abergläubisch war und jetzt wissenschaftlich. Aber Stück
für Stück hat sich in die Wissenschaft überall der Aberglaube hinein-
geschlichen, und heute haben wir eben einfach eine Naturwissenschaft
mit Aberglauben. Die Leute glauben, wenn der Magen voll ist mit Kar-
toffeln, dann habe man etwas davon. Man verdirbt sich dadurch die
Gesundheit des Kopfes, weil der Kopf da Verdauungsorgan werden
muß!
Und so sind alle Fragen eben so zu behandeln, daß man dabei das
Geistige nicht vernachlässigt, wie es durch lange Zeiten geschehen ist,
sondern daß man das Geistige überall hineinbringt. Und so haben die
Leute geredet in den sechziger, siebziger Jahren: Wissenschaft muß
unter die Arbeiter kommen. - Aber richtige Wissenschaft, die dazu-
mal gar nicht vorhanden war, und die man jetzt sucht eben als Gei-
steswissenschaft, die nur äußerlich den Namen Anthroposophie hat.
Es will einfach diese Anthroposophie nicht - wie man es bisher ge-
macht hat - das Pferd beim Schwanz aufzäumen, bei der Materie,
sondern beim Kopf, wie es richtig ist: beim Geiste; dann wird man
die Dinge finden, wie es richtig ist, und wird auch wiederum zu den
richtigen Erziehungsmethoden kommen, wird eine Pädagogik haben,
in der man die Kinder richtig erzieht. Davon hängt auch ungeheuer
viel ab. Und man wird in einer rechtmäßigen Weise ins soziale Leben
hineinkommen.
In einer Stunde kann ich natürlich nur andeuten, wie es ist; aber
dazu waren alle die Vorträge veranstaltet, um aus den Fragen angedeutet
zu bekommen, was die Herren wissen wollten. Vielleicht werde ich
in der nächsten Stunde noch eine Ergänzung dazu sagen - heute konnte
ich nur die Grundlage geben -, damit das noch immer besser verstanden
werden kann. Aber einiges über das, was Sie gerade mit Ihrer Frage
wollten, haben Sie wohl schon daraus entnehmen können: Was eigent-
lich Geisteswissenschaft will.
Also am nächsten Mittwoch dann weiter.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:226
V I E R Z E H N T E R VORTRAG

Dornach, 24. September 1924

Guten Morgen, meine Herren! Nun will ich heute noch einige Worte
hinzufügen zu dem, was wir das letzte Mal besprochen haben. Und
dann findet sich vielleicht die Möglichkeit, daß der eine oder der an-
dere etwas zu fragen hat.
Sehen Sie, eigentlich kann man die Frage, die gestellt worden ist,
nur dann richtig verstehen und beantworten, wenn man ein bißchen
zurückblickt in der ganzen Entwickelung der Menschheit. Es ist ja
eigentlich ein wissenschaftliches Märchen, daß die Menschen ursprüng-
lich tierähnlich waren, tierähnlichen Verstand und so weiter gehabt
haben. Denn dem widerspricht die Tatsache, daß eben aus den älte-
sten Zeiten, die man geschichtlich verfolgen kann, Dinge da sind, wenn
auch in dichterischer Gestalt, die von einer großen Vollkommenheit der
Menschen sprechen, die damals, in Urzuständen der Erde, gelebt ha-
ben. Die Menschen waren dazumal auch durchaus nicht in dem Sinne
ungleich in der Welt, daß sie diese Ungleichheit so gefühlt hätten wie
heute, sondern es war die Zeit, in der das besonders Ungleiche der
Menschheit hervorgetreten ist, immer der Zeitraum, in dem die Men-
schen mehr oder weniger das richtige Wissen verloren hatten.
Nehmen Sie nur einmal die Tatsache, daß gewiß im alten Ägypten
zu einer gewissen Zeit das in reichlichem Maße vorhanden war, was
man Sklaverei nennt. Aber die Sklaverei war nicht immer da, sondern
sie hat sich herausgebildet aus den früheren Zuständen dann, als die
Menschen das richtige Wissen von der Welt, die richtige Wissenschaft
verloren hatten, nicht mehr wußten, was das eigentlich bedeutet. Und
so müssen Sie sich ja auch bei einem vernünftigen Denken sagen: Wo-
her ist es denn gekommen, daß eine so lebhafte Arbeiterbewegung zum
Beispiel entstehen mußte?
Natürlich mußte sie entstehen, weil allmählich die Verhältnisse das
notwendig machten, weil allmählich die Menschen fühlten: So kann es
nicht weitergehen -, und sagen wollten, in welcher Weise die Sache sich
verbessern sollte. Aber nicht wahr, die eine Seite der Sache, daß die Ar-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 227
beiterfrage so brennend geworden ist, das ist ja der Umstand, daß die
Industrie und alle Erfindungen und Entdeckungen die Gestalt ange-
nommen haben, die sie nun eben einmal heute haben. Als es noch nicht
diese ausgebreitete Industrie gab, war die drückende Lebensnot eben
nicht da. Nun aber, woher kommt denn das, daß mit der Industrie
die drückende Lebensnot entstehen muß?
Man kann natürlich nicht sagen - das wird im Grunde genommen
auch wieder jeder vernünftige Mensch zugeben -, daß diejenigen Men-
schen, die nicht in Not leben, die also wenigere sind, und die also, sa-
gen wir, die Kapitalisten, wie man sie gewöhnlich nennt, sind -, man
kann nicht sagen, daß die aus reiner Freude an der Not diese Not be-
wirken; denn natürlich wäre es ihnen lieber, wenn alle Menschen zu-
frieden wären. Das muß man ja natürlich auch bemerken.
Aber dann entsteht die andere Frage, diese: Woher kommt das,
daß die wenigen, die zu irgendwelchen führenden Stellungen kommen,
eigentlich nicht den Sinn dafür haben, irgendwie zu sorgen dafür, daß
die Sache in irgendeiner Weise so kommt, daß die Menschen im wei-
testen Umkreise zufrieden sein können?
Sehen Sie, meine Herren, Sie müssen ja auch das sehen: Es sind
natürlich, auch wenn man sagt, der Arbeiter verdient nicht solche
Massen, da auch eigentlich nur die wenigen, die führende Stellungen in
den Gewerkschaften haben, von denen dann die anderen abhängen. Es
kommt immer darauf hinaus, auf ganz selbstverständliche Art, daß
immer einige wenige es sind. So wie sich die Dinge entwickelt haben,
können Sie ja schon ganz klar sehen - das spüren die Arbeitermassen -,
daß diese wenigen auch nicht wissen, wie man es machen soll. Das hat
sich besonders in der letzten Zeit sehr klar herausgestellt, daß diese
wenigen auch nicht wissen, wie man es machen soll. So kann man nur
sagen: Da fehlt etwas. - Natürlich fehlt etwas. Dasjenige, was fehlt,
das ist eben nach der Ansicht der anthroposophischen Geisteswissen-
schaft das Wissen von der geistigen Welt. Und das konnte sich Ihnen
bestätigen, wenn Sie eben klar sind darüber, daß man nicht so sagen
kann: Jetzt sind die Menschen aufgeklärt, und anfangs gab es auf der
Erde nur ganz Dumme. - Das ist ja die heutige, so allgemeine Ansicht.
Aber das ist gar nicht wahr. Als die Menschheit im Anfang auf der Erde

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 228


war, entwickelten die Menschen ein starkes Wissen nicht nur von dem,
was auf der Erde ist, sondern auch von dem, was Sternenhimmel ist.
Wenn heute das in den Aberglauben hineingekommen ist - ich habe
Ihnen das ja schon öfter ausgeführt -, so ist das eben aus dem Grunde,
weil man in späterer Zeit nicht mehr geforscht hat; dann sind die Sa-
chen mißverstanden worden. Aber ursprünglich gab es ein ausgebrei-
tetes Wissen von den Sternen. Heute hat man von den Sternen nur ein
Wissen, das rechnet, aber das nicht eingehen kann auf das Geistige in
den Sternen. Geradeso, sehen Sie, wie wenn jemand auf dem Mars
lebte und von der Erde nur so viel wüßte, wie wir mit dem gewöhn-
lichen Bewußtsein, mit der gewöhnlichen Wissenschaft vom Mars wis-
sen — wie einer, der glaubte, da ist keine Seele auf der Erde, während
doch fünfzehn- bis zwanzighundert Millionen Seelen auf der Erde sind!
Geradeso verhalten sich die Menschen in bezug auf die Sternenwelt.
Ja, die Sternenwelt ist überall voller Seelen, ist überall beseelt - nur,
die Seelen sind verschieden.
Nun können Sie ja natürlich sagen: Man kann aber nicht hinauf-
schauen, und man kann daher nicht wissen, wie es ausschaut auf den
Sternen. - Das ist eben der große Irrtum. Sehen Sie, warum kann der
Mensch, wenn er da steht, dort das Klavier sehen? Weil sein Auge dazu
eingerichtet ist. Das Auge ist auch nicht dort beim Klavier. Und wenn
der Mensch blind ist, wenn sein Auge nicht sieht, so kann er eben das
Klavier nicht sehen. Geradeso kann der Mensch - und das zeigt eben
die Geisteswissenschaft, die Anthroposophie -, wenn er nicht bloß so
sich entwickelt, wie man sich von der Kindheit auf durch die heutige
Erziehung entwickelt, sondern wenn er sich weiterentwickelt, tatsäch-
lich wahrnehmen das Geistige in den Sternen. Und es ist ursprünglich
in der Menschheit wahrgenommen worden! Und dann rechnet man
nicht mehr bloß mit den Sternen, sondern man weiß, daß dieser Stern
auf den Menschen den einen Einfluß hat, jener Stern den anderen Ein-
fluß hat. Wenn man schon nachweisen kann, daß der Mars seinen Ein-
fluß, wie ich Ihnen gezeigt habe, auf Engerlinge und Maikäfer hat, so
kann man eben auch nachweisen, daß die Sterne alle einen Einfluß
auf das menschliche Geistesleben haben. Das haben sie. Aber dieses
Sternenwissen, das ist eben ganz und gar untergegangen. Und was ist

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 229


an die Stelle getreten? Nun, während früher die Menschen gewußt
haben, wenn sie zum Mond hinauf geschaut haben: Vom Mond kom-
men die Kräfte aller Fortpflanzung auf der Erde, es würde kein We-
sen Nachkommen haben, wenn nicht der Mond die Fortpflanzungs-
kräfte herschickte; es würde kein Wesen wachsen, wenn nicht von der
Sonne die Wachstumskräfte kämen; es würde kein Mensch denken
können, wenn nicht vom Saturn die Denkkräfte kämen - während
man das wußte, weiß man heute gar nichts, als wie schnell der Saturn
sich bewegt, wie schnell der Mond sich bewegt, ob der Mond ein paar
erloschene feuerspeiende Berge hat oder nicht, aber weiter gar nichts.
Man will nichts weiter wissen. Man rechnet bloß aus dasjenige, was
man von den Sternen wissen will.
Nun ist die Industrie heraufgekommen. Gehen wir jetzt von der
Sternenwelt zu der Menschenwelt. In der Zeit, in der man nur rech-
nen konnte an den Sternen, hat man angefangen, da die Industrie her-
aufgekommen ist, auch in der Industrie nur zu rechnen, hat nichts
getan als gerechnet. Und weil man bloß berechnete, weil man nichts
anderes getan hat als berechnen, hat man den Menschen ganz vergessen,
der sich nicht errechnen läßt, hat ihn selber wie ein Glied an der Ma-
schine behandelt. Und so ist der ganze Zustand gekommen, der heute
da ist. Und niemals werden die Menschen auf der Erde bloß errechnen
können, wie die Zustände sein sollen, sondern sie werden nur wissen,
wie die Zustände sein sollen auf der Erde, wenn man noch etwas an-
deres weiß. Das ist die Sache. Und da muß man sagen: Ja, mit dem
Wissen des Menschen ist es wirklich gerade in unserer aufgeklärten
Zeit furchtbar abwärtsgegangen. - Da ist es so, wie ich Ihnen hier
schon einmal erzählt habe, daß man bei einer Versammlung von Land-
wirten vor kurzem durchaus darauf gekommen ist, wie alle Produkte
seit Jahrzehnten schlechter geworden sind für die ganze Menschheit.
Ja, das beruht eben darauf, daß man, mit Ausnahme der Bauern, die
noch etwas instinktiv sich bewahrt haben von früherem Wissen, ei-
gentlich nichts mehr weiß über die Art und Weise, wie man einen
Acker behandeln muß. Aber wodurch erlangt man ein Wissen, wie
man einen Acker behandeln muß?
Ja, meine Herren, dadurch nicht, daß man bloß auf der Erde rech-
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 3 0
net, daß man bloß weiß vom Mond, er macht in achtundzwanzig Ta-
gen einen Rundgang, sondern dadurch, daß man die Kräfte kennt,
wie der Mond auch in der Fortpflanzung des Getreidewesens und so
weiter wirkt. Aber dieses Wissen ist ganz vergessen worden, und hat
man schon das Wissen nicht von den Sternen und ihrer Wirkung auf
alles dasjenige, was auf unseren Feldern vor sich geht, so hat man noch
weniger das Wissen von demjenigen, was in der Menschenwelt ist.
Und so sind lauter Rechnungsgeschichten aus der Sozialwissenschaft
geworden, lauter Rechnungsgeschichten! Kapital, Arbeitszeit, Lohn
sind lauter Zahlen, die man ausrechnet. Aber mit alldem, was man
ausrechnet, kommt man dem menschlichen Leben nicht bei, kommt
man überhaupt gar keinem Leben bei. Und das ist der Fluch der neueren
Zeit, daß alles bloß ausgerechnet werden soll. Und lernen, wie man
nicht bloß zu rechnen hat, sondern wie man die Dinge zu behandeln
hat, so wie sie sind, das kann man nur, wenn man es zuerst an der Ster-
nenwissenschaft lernt. Heute ist es so, daß der Mensch schon von vorn-
herein, wenn er von der Sternen Wissenschaft hört, sich sagt: Das ist
doch eine Trottelei; das wissen wir doch längst, daß die Sterne keinen
Einfluß haben. - Aber es ist eine Trottelei, zu sagen, daß die Sterne
keinen Einfluß haben! Denn, was ist denn gekommen, als die Leute
gesagt haben, sie glauben an keinen Sterneneinfluß auf alles, was auf
der Erde ist? Das ist gekommen, daß sie nichts mehr gewußt haben; das
ist das Konkrete! Und sagen wir also zum Beispiel Kapital-das läßt sich
ausdrücken in Zahlen, läßt sich berechnen. Aber, was wird damit fest-
gestellt, wenn man es berechnet? Wenn man dasjenige, was Kapital ist,
bloß berechnen will, dann ist das ganz einerlei, wer dieses Kapital be-
sitzt. Denn es ist eben doch so: Ob es ein einzelner besitzt, ob es alle
zusammen besitzen - wenn das Kapital bloß als Rechnungszahl arbei-
tet, kommen dieselben Verhältnisse heraus. Erst dann, wenn man wie-
der eine Art und Weise findet, in das Leben so einzugreifen, daß man
auf den Menschen losgehen kann, dann wird auch eine soziale Wissen-
schaft zustande kommen, die nicht nichts machen kann, wie es bei der
heutigen Wissenschaft der Fall ist, sondern die wirklich etwas machen
kann. Und deshalb möchte ich zu der Beantwortung der Frage, wie
ich sie neulich gab, eben noch das hinzufügen, daß ich Ihnen sage: Man

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 231


soll nur sehen, wie das wird, was durch die Anthroposophie heraus-
kommt. — Natürlich ist das heute noch im Anfange. Natürlich sieht
es in vieler Beziehung ganz ähnlich, ganz gleich aus wie die andere
Wissenschaft. Aber es wird sich allmählich entwickeln zu einem voll-
kommenen Wissen vom Menschen, wie sich zum Beispiel auf den Ge-
bieten der Erziehung und Pädagogik die Schule schon entwickelt hat.
Und dann wird gerade diese anthroposophische Wissenschaft erst fä-
hig sein, zu wissen, um was es sich in der sozialen Frage handelt, und
wird dann eingreifen. Heute können Sie nur dasjenige sehen, daß eben
das gegenwärtige Wissen, wenn es noch soweit kommt, tatsächlich
nicht eingreifen kann, sondern überall steckenbleibt.
Das ist dasjenige, was ich noch hinzufügen wollte. Sind Sie jetzt
etwas befriedigt soweit? (Ja, Ja!) Es könnte ja noch vieles hinzugefügt
werden; aber es wird sich ja bei anderen Gelegenheiten noch mancher
Gesichtspunkt ergeben.
Nun, hat sich vielleicht noch einer eine Frage ausgedacht?

Frage: Ob man etwas darüber wissen könne, woher der Mensch stammt, von wo
der Mensch herkommt?

Dr. Steiner: Nun, meine Herren, das ist eine Frage, über die ja sehr
viele von denen, die jetzt hier sind, schon vieles von mir gehört haben;
aber die Herren, die jetzt neu gekommen sind, haben natürlich ein
Interesse daran, daß solche Fragen behandelt werden. Und diejenigen,
die es schon gehört haben, werden ja auch ganz gern die Sache neuer-
dings hören.
Wenn man den Menschen betrachtet, wie er auf der Erde heute
herumgeht, so sieht man ja zunächst vom Menschen den Leib. Man
merkt allerdings, daß er denkt, empfindet, fühlt. Wenn man einen
Stuhl anschaut, so kann man noch so lange warten - er fängt nicht
an herumzugehen, weil er nicht wollen kann. Man merkt: Der Mensch,
der will. Aber im allgemeinen kann man sagen: Man sieht eigentlich
nur den Leib.
Nun aber, wenn man diesen Leib in Betracht zieht, dann kann
man sehr leicht zu der Ansicht kommen - und hier in der Anthroposo-
phie werden nicht Ansichten einfach leichtsinnig vertreten, sondern

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 232


es werden alle Meinungen, die aufkommen können, wirklich berück-
sichtigt -, man kann sehr leicht zu der Meinung kommen: Dieser Leib
ist alles am Menschen. Ja, wenn man das glaubt, so kann man viele Be-
weise dafür finden. Man kann zum Beispiel sagen: Ja, wenn man dem
Menschen das eine oder das andere Gift beibringt, das nicht gleich zum
Tode führt, so verliert mancher dadurch das Gedächtnis. - Das sieht so
aus, als wenn der Leib eine Maschine wäre und alles nur beruhen würde
auf dem Gang der Maschine. Wenn der Mensch, sagen wir, die Blutadern
zersprungen hat im Gehirn, das Blut herausgeht und auf die Nerven
drückt, kann er unter Umstanden nicht nur das Gedächtnis, sondern
den ganzen Verstand verlieren. Man kann also sagen: Vom Leib, vom
Körper hängt alles ab. - Aber sehen Sie, das ist schließlich eine Art zu
denken, die doch eigentlich nicht Stich hält, wenn man sie wirklich
gründlich ausdenkt; sie hält nicht Stich. Denn man könnte zum Bei-
spiel dann sagen: Ja, der Mensch denkt mit seinem Gehirn. - Aber
was geht da eigentlich im Gehirn vor, während der Mensch denkt?
Nun, sehen Sie, es ist gar nicht richtig, wenn man wirklich erfor-
schen kann den menschlichen Leib, daß der Mensch, wenn er denkt,
irgend etwas im Gehirn vorgehen hat, sondern im Gegenteil: im Ge-
hirn wird immer etwas zerstört, wenn der Mensch denkt. Die Stoffe
werden abgebaut im Gehirn. Es ist immer ein klein wenig Tod da. Und
der Tod, der dann eintritt auf einmal, das ist, daß der ganze Körper
abgebaut wird. Aber das, was dann auf einmal geschieht mit dem
menschlichen Körper, wenn der Mensch stirbt, das geht gleicherweise
immer im menschlichen Körper vor sich. Und nicht nur, daß der
Mensch durch seine Absonderungsorgane, im Urin und in den Fäka-
lien absondert und im Schweiß, sondern der Mensch sondert ja auch
sonst ab. Denken Sie nur einmal, was Sie alle für Köpfe hätten, wenn
Sie sich nie Ihr Haar schneiden ließen! Der Mensch sondert da etwas
ab. Denken Sie, was Sie für Krallen hätten, wenn Sie sich nie die Nä-
gel schneiden würden! Aber das ist nicht nur da der Fall, sondern fort-
während schuppt die Haut ab - das merkt man nur nicht —, schuppt
ab und fliegt weg. Dasjenige also, was der Mensch an Stoff an sich
hat, das stößt er fortwährend aus. Das ist beim Urin und bei den Fä-
kalien nicht so bedeutsam, weil da zum großen Teil das drinnen ist,

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Vei waltung Buch: 354 Seite: 233


was man einfach ißt, ohne daß es in den Körper geht. Aber bei dem,
was sich aus dem Nagel absondert, das geht durch den ganzen Körper
durch.
Nun aber will ich Ihnen folgendes sagen: Nehmen Sie an, Sie neh-
men eine Schere und schneiden sich einen Nagel. Was Sie da weg-
schneiden, haben Sie ungefähr vor sieben bis acht Jahren gegessen, da
haben Sie es zu sich genommen. Das ist hineingegangen in Blut und
Nerven und so weiter, ist durch den ganzen Körper gegangen. Danach
hat es sieben, acht Jahre gebraucht; jetzt schneiden Sie es ab. Und die-
ses Abgeschuppte, das heute weggeht, ist wiederum dasselbe, was Sie vor
sieben, acht Jahren gegessen haben. Ja, aber, meine Herren, denken Sie
doch einmal, wenn Sie den heutigen Körper anschauen, in dem Sie da
sitzen - wenn Sie vor sieben, acht Jahren da gesessen hätten, das wäre
doch ein ganz anderer Körper! Denn alles dasjenige, was Sie dazumal
hatten, ist abgeschuppt, ist mit den Nägeln abgeschnitten, mit den
Haaren abgeschnitten, mit dem Schweiß herausgegangen. Das ist weg
und der ganze Körper, mit Ausnahme von wenigem, dem Knochenbau
und so weiter, ist in sieben bis acht Jahren erneuert.
Nun fragt man sich: Kommt das Denken davon, daß der Körper
fortwährend aufbaut, oder davon, daß der Körper abbaut? Das ist
wichtig! Denken Sie einmal, wenn Sie irgend etwas im Körper haben,
wodurch zuviel aufgebaut wird - ich will also sagen, wenn Sie einmal
ein Gläschen zuviel trinken, oder nicht nur ein Gläschen, das können
ja die meisten vertragen, oder wenn Sie halt, je nach dem Maße, was
Sie trinken können, zuviel trinken. Meine Herren, was geschieht dann?
Dann kommt das Blut in sehr rasche Tätigkeit. Da wird furchtbar
rasch aufgebaut. Und jetzt ist es so: Wenn einer fortwährend aufbaut,
kriegt er Ohnmacht, wird er bewußtlos. Wer zuviel sein Blut in Wal-
lungen bringt, zuviel aufbaut, wird bewußtlos. Vom Aufbau kommt
das Denken nicht, sondern das Denken kommt von diesem kleinen,
teilweisen Abbau im Gehirn - es wird immer ganz wenig abgebaut
im Gehirn. So daß Sie sagen können, wenn Sie sich das irgendwie auf-
zeichnen: Da wird aufgebaut - es wird aber auch immer abgebaut, zer-
stört! Würde nicht zerstört im menschlichen Körper, würde der Mensch
gar nicht denken, gar nicht empfinden können. So daß also das Den-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:234


ken in Wirklichkeit nicht von unserem aufbauenden Körper herrührt,
sondern gerade dadurch, daß wir ihn fortwährend ein bißchen töten.
Deshalb müssen wir ja schlafen, weil im Schlaf das Denken nicht tätig
ist. Da wird rasch dasjenige wiederum gutgemacht, was fortwährend
durch das Denken abgebaut wird. So daß gerade Schlafen und Wachen
uns richtig darüber belehrt, daß während des Denkens fortwährend ein
wenig Tod da ist im Körper.
Ja aber, denken Sie sich einmal das Bild, nicht vom menschlichen
Körper, sondern vom menschlichen Anzug; wenn Sie den ganz aus-
ziehen, haben Sie sich ja selber, wie Sie sind; Sie sind zwar nicht mehr
salonfähig, aber Sie sind doch noch da und können einen anderen An-
zug anziehen. So macht es der Mensch sein ganzes Erdenleben durch!
Er zieht alle sieben bis acht Jahre einen neuen Leib an und legt den
anderen ab. Bei den Tieren ist das vorgebildet; da sieht man das ganz
deutlich, wie sie jedes Jahr die Haut ablegen. Würde man die Häute,
die die Schlange jedes Jahr ablegt, zusammennehmen und untersuchen,
so würde man finden: Nach einer bestimmten Anzahl von Jahren legt
sie den ganzen Körper ab, nicht nur die ganze Schlangenhaut. Wir
machen das nur nicht so bemerklich! Und die Vögel? Die mausern.
Was tun sie, wenn sie mausern? Sie legen einen Teil von ihrem Körper
ab, und nach einigen Jahren haben sie außer den Federn den ganzen
Körper abgelegt. Ja, was bleibt denn da? Es muß doch etwas bleiben.
Sie sitzen doch heute da, obwohl Sie von dem Körper, den Sie vor acht
bis neun Jahren gehabt haben, nichts mehr an sich haben; Sie sitzen
doch da! Sie haben sich einen neuen Körper angeschafft. Nun, meine
Herren, die Seele sitzt da - das Geistige und das Seelische sitzen da,
und das arbeitet fortwährend am Körper, baut sich den Körper auf.
Und wenn Sie da irgendwo hingehen und Sie finden, da ist ein großer
Haufen Steine, so werden Sie vermuten, da wird ein Haus gebaut.
Sie werden doch gar nicht voraussetzen, daß jetzt die Steine da drau-
ßen alle anfangen Füße zu bekommen und sich selber übereinander-
legen, und das Haus entsteht! Ebensowenig fügen sich die Stoffe sel-
ber zum Körper zusammen. Den Leib, den wir in den ersten sieben
bis acht Jahren haben — das kann man so erklären —, den haben wir
von Vater und Mutter; aber er wird ganz abgeworfen, und nach sie-

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 235


ben bis acht Jahren bekommen wir einen neuen Leib. Den bekommen
wir nicht von Vater und Mutter, den müssen wir uns selber aufbauen.
Woher kommt der? Nun, der Leib, den wir haben in den ersten Lebens-
jahren, der kommt von Mutter und Vater. Wären die nicht da, so hät-
ten wir ihn nicht. Dasjenige aber, was später aufbaut, das kommt
aus der geistigen Welt. Denn was später aufbaut, nicht der Stoff, aber
das Tätige, das, was aufbaut, das Wesen, das kommt aus der geistigen
Welt. So daß wir sagen können: Wenn der Mensch geboren wird, so
ist dasjenige, was er Körperliches hat für die ersten sieben bis acht Le-
bensjahre, von Mutter und Vater; aber das Seelische, das Geistige
kommt aus der geistigen Welt. Und jetzt macht der Mensch das durch,
daß er sich alle sieben oder acht Jahre seinen Körper austauscht, aber
das Geistige behält. Und dann wird eben nach einiger Zeit der Kör-
per verbraucht, und dasjenige, was zuerst hineingegangen ist als Gei-
stig-Seelisches, geht wiederum in die geistige Welt zurück. So daß der
Mensch vom Geistigen kommt und wiederum in die geistige Welt zu-
rückgeht.
Sehen Sie, das ist wiederum etwas, was ganz und gar vergessen
worden ist - aber auch nur aus dem Grunde, weil die Menschen heute
gedankenlos geworden sind und nicht eigentlich in Wirklichkeit die
Dinge durchschauen. Wenn man sieht, wie der Körper immer und im-
mer wieder erneuert wird, dann kommt man eben darauf, daß die
Kraft der Erneuerung durch das Seelische drinnen ist.
Nun, meine Herren, was essen Sie? Wollen wir einmal das, was
der Mensch in den verschiedenen Speisen ißt, wollen wir das einmal
auf die einfachsten Stoffe zurückführen, so ißt der Mensch erstens Ei-
weiß. Nicht nur in Eiern, sondern in den verschiedensten Stoffen, die
Tafel 19 er ißt, auch in Pflanzen, ist Eiweiß. Er ißt Fette und er ißt das, was
man Kohlehydrate nennt, zum Beispiel die Kartoffel, und er ißt Salze.
Alles übrige sind zusammengesetzte Stoffe; diese ißt er, nimmt sie in
sich herein. Das sind Stoffe, die man von der Erde hat, die ganz von
der Erde abhängig sind. Was wir also mit dem Mund aufnehmen, das
ist ganz von der Erde abhängig. Aber wir nehmen ja nicht bloß Sub-
stanzen durch den Mund auf, sondern wir atmen. Wir nehmen Stoffe
aus der Luft auf durch den Atmungsprozeß. Nun, das beschreibt man
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 35 4 Seite: 23 6
einfach so, daß man gewöhnlich sagt: Der Mensch atmet Sauerstoff
ein, atmet Kohlensäure aus - als wenn der Mensch nur eben einatme,
ausatme, einatme, ausatme! Das aber ist nicht wahr; sondern in dem,
was wir einatmen, sind ganz fein verteilte Nahrungsstoffe enthalten.
Und wir leben nicht nur von dem, was wir essen, sondern von den
fein verteilten Nahrungsstoffen, die in der Luft sind und die wir ein-
atmen. Und wenn wir bloß essen würden, dann würden wir unseren
Körper sehr oft auswechseln müssen; denn das, was wir essen, das
wandelt sich sehr schnell im Körper um. Bedenken Sie doch nur ein-
mal, was der Mensch für Beschwerden hat, wenn er dasjenige, was
er absondern soll, nicht loskriegt nach vierundzwanzig Stunden zum
Beispiel! Dasjenige, was mit dem Essen aufgenommen und abgeson-
dert wird, das macht schnellen Prozeß; da würden wir uns nicht
sieben bis acht Jahre Zeit zu lassen brauchen, wenn wir bloß von dem
lebten. Aber weil wir ganz fein verteilte Nahrung aus der Luft auf-
nehmen und das langsam geht, verteilt sich die Auswechslung auf sieben
bis acht Jahre.
Und sehen Sie, meine Herren, das ist sehr wichtig, daß man weiß:
Der Mensch nimmt mit der Luft Nahrungsmittel auf. Denn wenn man
jetzt richtig zu Werke geht mit der Wissenschaft, dann findet man:
Diejenige Nahrung, die der Mensch durchs Essen bekommt, die ver-
wendet er zum Beispiel dazu, daß sein Kopf immerfort erneuert wird.
Aber diejenige Nahrung, die der Mensch braucht, um, sagen wir zum
Beispiel Nägel zu bekommen, die bekommt er nämlich gar nicht aus
der Nahrung, die er ißt, sondern die bekommt er aus der Nahrung, die
er vom Luftraum aufnimmt. Und so kriegen wir Nahrung durchs Essen
und kriegen Nahrung, indem wir diese Nahrung vom Luftraum bei
der Atmung aufnehmen.
Ja nun, die Sache ist aber so, daß wir dann, wenn wir die Nahrung
aufnehmen durch die Atmung, aus dem Weltenraum zugleich das Seeli-
sche aufnehmen, nicht bloß den Stoff; sondern da ist der Stoff so fein ver-
teilt, daß überall das Seelische drinnen lebt. So daß wir sagen können:
Der Mensch nimmt das Körperliche auf durch die Nahrung; das See-
lische nimmt er fortwährend auf, lebt mit dem Seelischen durch die
Atmung. Aber es ist nicht so, daß wir mit jedem Atemzug ein Stück

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 37


Seele hereinkriegen und mit jedem Ausatmungszug wieder ein Stück
Seele ausatmen - da würden wir ja das Seelische immerfort auch aus-
rangieren -, sondern es ist so, daß wir mit dem ersten Atemzug das
Seelische hereinnehmen und das Seelische dann in uns das Atmen be-
wirkt, und mit dem letzten Atemzug geben wir das Seelische frei, und
dadurch kann dieses Seelische wiederum in die geistige Welt zurück-
gehen.
Sehen Sie, jetzt kann man rechnen, wenn man die Sache so be-
trachtet. Wollen wir uns einmal das Folgende vor Augen halten, was
Sie, vielleicht die meisten Herren, schon kennen, aber was Sie vielleicht
doch etwas überraschen wird. Wenn Sie untersuchen, wieviel Atem-
Tafel 19 züge der Mensch in der Minute hat, so sind es 18. Rechnen wir einmal
aus, wieviel der Mensch im Tage hat. In der Minute 18, so müssen wir
mit 60 multiplizieren, das gibt 1080 Atemzüge in der Stunde. Jetzt in
24 Stunden 24 mal so viel: 25 920 Atemzüge hat der Mensch im Tag.
Jetzt wollen wir einmal ausrechnen - ungefähr können wir das -,
wieviel Tage der Mensch auf der Erde lebt. Nehmen wir an, damit
die Rechnung einfach ist, das Jahr habe 360 Tage und nehmen wir
weiter an, der Mensch würde 72 Jahre alt werden — würden wir mit
365 rechnen, so müßte ich ein anderes Alter nehmen -, nehmen wir das
patriarchalische Alter an; also 72 Jahre mal 360 Tage, das sind 25 920
Tage. 25 920 Tage lebt der Mensch; das ist dieselbe Zahl, die wir er-
hielten von den Atemzügen des Menschen an einem Tage! So daß man
sagen kann: Der Mensch lebt soviel Tage in seinem Leben, als er atmet
in einem Tage.
Ja, wenn der Mensch nun bei jedem Atemzug sterben würde - da
es Eintagsfliegen gibt, so könnte es ja auch Einachtzehntelminutenwe-
sen geben, es kommt ja nicht auf die Zeit an -, wenn der Mensch bei
jedem Atemzug sterben würde, so könnte man sagen: Er atmet die
Seele ein mit jedem Atemzug und atmet sie wieder aus. Aber er bleibt
ja vorhanden. Und er bleibt vorhanden 25 920 Tage.
Nun, jetzt rechnen wir einmal diese 72 Jahre als einen einzigen
Atemzug! So wie ich vorhin gesagt habe: Der Mensch atmet seine
Seele ein beim ersten Atemzug, atmet sie beim letzten Atemzug aus -
nehmen wir an, er wird 72 Jahre alt im Durchschnitt, so können wir
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:238
sagen: Ein solches Einatmen der Seele, Ausatmen der Seele, das dauert
72 Jahre. Nun, meine Herren, nehmen wir an, das wäre ein Tag in
der Welt. Dann müßten wir wiederum mit 360 multiplizieren und be-
kommen ein Weltenjahr: wieder 25 920 - 72 mal 360! Wenn wir das
Menschenleben als einen Weltentag annehmen, so bekommen wir das
Weltenjahr: 25 920 Jahre.
Aber diese Zahl hat noch eine ganz andere Bedeutung. Diese Zahl
hat diese Bedeutung: Wenn Sie jetzt achtgeben, wo am 21. März die
Sonne, wenn der Frühling anfängt, aufgeht, da geht die Sonne just im
Sternbild der Fische auf. Aber sie geht nur einmal genau dort auf;
das verschiebt sich fortwährend. Und vor ungefähr fünfhundert Jah-
ren ist die Sonne im Frühling nicht im Sternbild der Fische aufgegan-
gen, sondern im Sternbild des Widders, noch früher im Sternbild des
Stiers, und noch früher im Sternbild der Zwillinge, so daß die Sonne
einen regelrechten Rundgang macht. Sehen Sie, wenn man die schein-
bare Sonnenbahn aufzeichnet, so geht sie jetzt in den Fischen auf, vor-
her ist sie aufgegangen im Widder, noch vorher im Stier und so wei-
ter; sie geht den ganzen Tierkreis herum, kommt wieder auf die Fische
zurück. Und es wird einmal ein Punkt eintreten, wo die Sonne genau
wieder in demselben Frühlingspunkt aufgeht. Es muß schon immer
wieder dagewesen sein eine Zeit, wo die Sonne da aufgegangen ist,
denn sie geht rundherum. Wie lange braucht sie dazu? Das kann man
auch ausrechnen. Damit die Sonne ganz herumgeht, der Frühlingspunkt
wieder an seinen alten Punkt zurückkommt, dauert das wiederum
25 920 Jahre.
Sehen Sie, wir atmen; atmen wir 25 920 mal, haben wir einen Tag
vollendet. Unsere Seele ist geblieben, die Atemzüge wechseln. Haben
wir 25 920 Tage vollendet, so haben wir ebenso oft gewacht wie ge-
schlafen. Was haben wir da getan? Im Schlaf liegen wir da, denken
nicht, bewegen uns nicht, sind untätig. Im Schlaf wird unser Geistig-
Seelisches in die geistige Welt für einige Stunden hinausbefördert. Im
Aufwachen kriegen wir es wieder herein. Geradeso wie man den Atem
heraus- und hereingehen läßt, achtzehnmal in der Minute, so lassen wir
im Tag einmal die Seele heraus, nehmen sie wieder herein. Sehen Sie,
das sind bloß größere Atemzüge, Schlafen und Wachen. So daß wir

Copyright Rudolf Steinet Nachlass-Veiwaltung Buch: 354 Seite: 239


sagen können: Das ganz kleine Atmen, das machen wir in einem Acht-
zehntel von einer Minute; das größere Atmen, das machen wir, wenn
wir schlafen und wachen. Aber das größte Atmen: Wir atmen unser gan-
zes Geistig-Seelisches ein, wenn wir geboren werden, atmen es aus, wenn
wir sterben. Aber was bleibt, das ist auch nur der große Atemzug.
Denn wir gehen dann mit den 25 920 Jahren, die die Sonne vollendet,
rundherum, wieder zu der Sternenwelt empor. In demselben Momente,
wo man also das Seelische betritt, meine Herren, muß man von der Erde
weggehen zu der Sternenwelt.
Und sehen Sie, das sind die ersten Grundlagen, durch die man die
Frage beantworten kann, die der Herr gestellt hat. Denken Sie sich
einmal, was da für eine Regelmäßigkeit ist im Weltenall, wenn man die
Zahl 25 920 immer wieder herauskriegt! Im menschlichen Atem lebt
der Sonnengang. Das ist ungeheuer wichtig.
Damit habe ich angefangen die Frage zu beantworten.
Am nächsten Samstag wollen wir fortsetzen um neun Uhr; da will
ich weiter die Frage beantworten.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 240


Hinweise des Herausgebers

Personenregister

Ausführliche Inhaltsangaben

Copyright Rudolf Steiner Nachiass-Verwaitung Buch: 3 5 4 Seite: 2 41


Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 242
HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

Textgrundlagen: Die Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene


Finckh (1883-1960) mitstenographiert und in Klartext übertragen.
Der 1. Auflage von 1969 liegt eine vollständige Neuübertragung des ur-
sprünglichen Stenogramms zugrunde. Textabweichungen gegenüber frühe-
ren Ausgaben sind hierauf zurückzuführen.
Die 2. Auflage von 1977 is(t im wesentlichen ein Nachdruck der Auflage von
1969.
Für die 3. Auflage von 2000 wurden einige wenige Textkorrekturen gemacht, die
Randvermerke zu den Wandtafeln des Bandes «Rudolf Steiner - Wandtafel-
zeichnungen zum Vortragswerk», Band XXVIII, eingefügt, einige Hinweise
ergänzt, das Personenregister und ausführliche Inhaltsangaben erstellt.

Der Titel des Bandes und die Zwischentitel gehen auf frühere Ausgaben von
Marie Steiner zurück (siehe unten).

Die Titel der Vorträge stammen von den Herausgebern.

Zu den Tafelzeichnungen: Die Original-Wandtafelzeichnungen und -anschriften


Rudolf Steiners bei diesen «Vorträgen sind erhalten geblieben, da die Tafeln
damals mit schwarzem Papier bespannt waren. Sie sind als Ergänzung zu den
Vorträgen im Band XXVIII der Reihe «Rudolf Steiner - Wandtafelzeichnungen
zum Vortragswerk» verkleinert wiedergegeben. Die in den früheren Auflagen in
den Text eingefügten zeichnerischen Übertragungen sind auch für diese Auflage
beibehalten worden. Auf die entsprechenden Originaltafeln wird jeweils an den
betreffenden Textstellen durch Randvermerke aufmerksam gemacht. Die Jahres-
zahl 1993 auf der Tafel 18 ist ein Verschrieb und mit 1933 zu berichtigen.

Einzelausgaben:
Dornach, 30. Juni, 3. und 7. Juli 1924: «Die Schöpfung der Welt und des
Menschen», Dornach 1952
Dornach, 9., 12. Juli, 6. August 1924: «Über Welt- und Menschen-Ent-
stehung und den Gang der Kultur-Entwickelung der Menschheit», Basel
1955
Dornach, 31. Juli, 2. August 1924: II. und III. Vortrag in «Ernährungsfragen.
Über das Verhältnis der Nahrungsmittel zum Menschen», Basel 1956
Dornach, 9. (irrtümlich 8.) August, 9., 13., 18., 20., 24. September 1924:
«Erden-Leben und Sternen-Wirken», Dornach 1957

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 243


Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen
mit der Bibliographie-Nummer angegeben.
zu Seite

14 man macht ihnen auch einen kleinen Versuch vor: Den sog. Plateauschen Ver-
such» entwickelt von dem Physiker Joseph Antoine Ferdinand Plateau (1801—
1883). Man vergleiche hierzu die Darstellung, die Vinzenz Knauer in seinen
Vorlesungen über «Die Hauptprobleme der Philosophie» (Wien und Leipzig
1892) gibt: «Eines der hübschesten physikalischen Experimente ist der Plateau-
sche Versuch. Es wird eine Mischung aus Wasser und Alkohol bereitet, die
genau das spezifische Gewicht des reinen Olivenöles hat, und in diese Mischung
dann ein ziemlich starker Tropfen Öl gegossen. Dieser schwimmt nicht auf der
Flüssigkeit, sondern sinkt bis in die Mitte derselben, und zwar in Gestalt einer
Kugel. Um diese nun in Bewegung zu setzen, wird ein Scheibchen aus Karten-
papier im Zentrum mit einer langen Nadel durchstochen und vorsichtig in die
Mitte der Ölkugel gesenkt, so daß der äußerste Rand des Scheibchens den Äqua-
tor der Kugel bildet. Dieses Scheibchen nun wird in Drehung versetzt, anfangs
langsam, dann immer schneller und schneller. Natürlich teilt die Bewegung sich
der Ölkugel mit, und infolge der Fliehkraft lösen von dieser sich Teile ab, wel-
che nach ihrer Absonderung noch geraume Zeit die Drehung mitmachen, zuerst
Kreise, dann Kügelchen. Auf diese Weise entsteht ein unserem Planetensystem
oft überraschend ähnliches Gebilde: in der Mitte nämlich die größte, unsere
Sonne vorstellende Kugel, und um sie herum sich bewegend kleinere Kugeln
und Ringe, welche uns die Planeten samt ihren Monden versinnlichen können.»
(Vorlesungen während des Sommersemesters, Neunte Vorlesung, S. 281 des
oben angeführten Werkes.)
28 am nächsten Mittwoch: Dieser für Mittwoch angesagte Vortrag fand erst am
Donnerstag, den 3. Juli, statt.
43 am nächsten Samstag: Wurde erst am Montag, den 7. Juli, gehalten.
57 1906 hatte ich Vorträge in Paris zu halten: Paris, 25. Mai - 16. Juni 1906, «Es-
quisse d'une cosmogonie psychologique» (Referate von Edouard Schure), Paris
1928; 2. Aufl. unter dem Titel «L'Esoterisme chretien / Esquisse d'une cosmo-
gonie psychologique», Paris 1957; heute in «Kosmogonie», GA 94.
64 Eugen Dubois, 1858-1940, holländischer Militärarzt. Vgl. seine Publikation:
«Pithecanthropus erectus, eine menschenähnliche Übergangsform auf Java»,
Batavia 1894.
83 als wir in Wien vor zwei Jahren einen Kongreß hatten: Der West-Ost-Kongreß
vom 1.-12. Juni 1922. Siehe den Vortragszyklus «Westliche und östliche Welt-
gegensätzlichkeit», GA 83, ;

85 Berthold Schwarz, lebte um 1300, Franziskanermönch aus Freiburg i. Br.


Johannes Gutenberg, um 1394-1468.
Und so, wie die Chinesen heute ... sind: Vgl. hierzu die Ausführungen Rudolf
Steiners über den Opiumkrieg im 1. Band der «Zeitgeschichtliche Betrachtun-
gen», GA 173, 12. Vortrag, S. 341-347, und 13. Vortrag, S. 349-353.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 244


86 Lao-tse, 6. Jh. v. Chr., chinesischer Weiser.
Konfuzius, 531-478 v. Chr., chinesischer Philosoph.
121 Es gab einmal zwei Professoren: Gemeint sind der Philosoph Karl Ludwig Mi-
chelet (1801-1893) und der Theologe und Philosoph Eduard Zeller (1814-1908).
Vgl. dazu auch die Vortragszyklen «Allgemeine Menschenkunde als Grundlage
der Pädagogik», GA 293, S. 103, und «Geistige Wirkenskräfte im Zusammenle-
ben von alter und junger Generation / Pädagogischer Jugendkurs», GA 217, S.
139.
127 Als Datum dieses Vortrages war in der Ausgabe von 1969 irrtümlich der 5.
August angegeben.
129 Hippokrates von Kos, um 460 - um 377, griechischer Arzt, Begründer der klas-
sischen Medizin.
131 Kaiser Friedrich III., 1831-1888, litt an einem Kehlkopf leiden. Wer das Gesuch
geschrieben hat, ist unbekannt.
148 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Astronom.
150 Arthur Schopenhauer, 1788-1860, Philosoph.
153 Venusfliegenfalle: Dionaea muscipula, eine zu den Sonnentaugewächsen (Dro-
seraceae) gehörende «insektenfressende» Pflanze, die an sumpfigen Stellen im
wärmeren Nordamerika wächst. Vgl. hierzu Charles Darwin, «Insektenfressen-
de Pflanzen», übersetzt von J. Victor Carus, in «Ch. Darwins gesammelte
Werke», 8. Band, Stuttgart 1876, S. 259ff.
157 Ich habe einmal einen kennengelernt: Hermann Rollett, 1819-1904, österr.
Schriftsteller. Vgl. hierzu auch «Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von
alter und junger Generation / Pädagogischer Jugendkurs», GA 217, S. 163.
174 Ich habe einen landwirtschaftlichen Kurs in der Nähe von Breslau gehalten: In
Koberwitz vom 7. bis 16. Juni 1924; siehe «Geisteswissenschaftliche Grundlagen
zum Gedeihen der Landwirtschaft», GA 327.
am nächsten Freitag: Wurde auf Samstag, den 13. September, verschoben.
176 zwei Marsumläufe: Die synodische Umlauf zeit, also die Zeit zwischen zwei
aufeinanderfolgenden Konjunktionen oder Oppositionen zur Sonne, kann beim
Mars um ca. 50 Tage schwanken; sie variiert zwischen 2 Jahren 34 Tagen und 2
Jahren 80 Tagen - der durchschnittliche Wert beträgt 2 Jahre 50 Tage, also fast
2 Jahre 2 Monate.
182 Matthias Jakob Schieiden, 1804-1881, Naturforscher.
Gustav Theodor Fechner, 1801-1887, Naturforscher, Begründer der Psycho-
physik. - Siehe seine Schrift «Professor Schieiden und der Mond», Leipzig 1856;
II. Teil, Kap. VI, S. 153.
184 Venusdurchgänge: Der den Venusdurchgängen zugrundeliegende gemeinsame
Rhythmus ist eine Periode von 243 Jahren und 2 Tagen, innerhalb welcher die
Intervalle zwischen den einzelnen Durchgängen 8, 121 V2, 8 und 105 V2 Jahre

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:245


betragen. Der letzte Venusdurchgang fand am 6. Dezember 1882 statt. Nach
astronomischen Berechnungen erfolgt der nächste Durchgang am 7. Juni 2004.
193 am nächsten Mittwoch: Wurde auf Donnerstag, den 18. September, verlegt.
196 Ferdinand Hochstetter, 1829-1884, Geograph und Geologe.
197 ein solches rund gewordenes Tetraeder ist unsere Erde: Siehe hierzu Hans-
Ulrich Schmutz, «Die Tetraeder-Struktur der Erde», Stuttgart 1986.
198 der Vulkan Colima: Einer der unruhigsten Vulkane Mexikos.
203 Ernst Haeckel, 1834-1919.
über diesem Keller ist ein Turm: Gemeint ist das sog. «Weigelsche Haus», das
1647 erbaut und 1898 beim Durchbruch der Weigelstraße abgebrochen wurde.
Es zählte zu den «Sieben Wundern» Jenas. Dieses Haus war sieben Stockwerke
hoch und enthielt u. a. eine um eine Spindel angelegte Treppe, durch die man am
Tage die Sterne am Himmel sehen konnte.
Rudolf Falb, 1838-1903. Schrieb u. a. «Grundzüge der Theorie der Erdbeben
und Vulkanausbrüche», Graz 1870; «Gedanken und Studien über den Vulkanis-
mus», Graz 1875; «Kritische Tage, Sintflut und Eiszeit», Wien 1895; «Kalender
der kritischen Tage», Wien 1892 ff.
206 hat sich Goethe ... dagegen gewendet, ... daß die Erde innerlich feuerflüssig ist:
Goethe hat sich wiederholt mit Unmut gegen den damals besonders durch Leo-
pold von Buch und dessen Schüler und Gleichgesinnte hochkommenden Vulka-
nismus gewendet, dem seiner Meinung nach eine leitende Idee fehlte, die durch
das Labyrinth der Einzeltatsachen hätte hindurchführen können. Vgl. z. B. den
Brief Goethes an Nees von Esenbeck vom 13. Juni 1823 (Sophien-Ausgabe, IV.
Abt., Bd. 37, Brief 64).
209 Julius Robert von Mayer, 1814-1878. Siehe «Beiträge zur Dynamik des Him-
mels», Heilbronn 1848.
213 sagte der Direktor der Postkutschen: Karl Ferdinand Friedrich von Nagler,
(1770-1846), preußischer Staatsmann, 1823-46 Generalpostmeister; begründete
das moderne Postwesen.
ein Ärztekollegium: Vgl. R. Hagen, «Die erste deutsche Eisenbahn», 1885, S. 45.
214 es gab ja Zeiten, wo es in Europa keine Kartoffeln gab: Die Kartoffel, aus Chile,
Peru, Mittelamerika und dem südlichen Nordamerika stammend, wurde in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über Irland und Spanien in Europa einge-
führt, fand aber erst im 18. Jahrhundert allgemeine Verbreitung.
Francis Drake, 1540-1596, berühmter englischer Seefahrer.
216 ein Gelehrter würde einen Vortrag halten: Joseph Jerome Lefrancais de Lalande,
(1732-1807), franz. Astronom. Siehe hierzu die Ausführungen in GA 346,
S. 233ff und 340f.
217 daß ein Komet mit der Erdbahn sich kreuzt: Der sog. Bielasche Komet.
219 Joseph Johann [von] Littrow, 1781-1840. «Über den gefürchteten Kometen des

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 2 4 6


Jahres 1832 und über Kometen überhaupt», Wien 1832. Vgl. hierzu GA 346, S.
236 und 341.
220 Wolfram von Eschenbach, um 1170-1220. «Parzival», vollendet um 1210.
Richard Wagner, 1813-1883. «Parsifal», ein Bühnenweihfestspiel; erschien als
Dichtung 1877, während die Komposition erst 1882 abgeschlossen wurde.
223 ich habe durch Jahre hindurch ... unter Arbeitern Vorträge gehalten: Von 1899—
1904 unterrichtete Rudolf Steiner an der Arbeiterbildungsschule in Berlin. Siehe
«Mein Lebensgang», Kap. XXVIII; GA 28.
223 Ferdinand Lassalle, 1825-1864, Begründer der Sozialdemokratie in Deutschland.
Der genaue Titel der angeführten Rede lautet: «Die Wissenschaft und die Arbei-
ter. Eine Verteidigungsrede vor dem Berliner Kriminalgericht gegen die Ankla-
ge, die besitzlosen Klassen zum Haß und zur Verachtung gegen die Besitzenden
öffentlich angereizt zu haben (16. Januar 1863), Zürich 1863.
240 Am nächsten Samstag wollen wir fortsetzen: Der hier angekündigte Vortrag
konnte nicht mehr gehalten werden. Der Vortrag vom 24. September 1924 ist
der letzte, den Rudolf Steiner vor den Arbeitern vor seiner Erkrankung gehalten
hat.

PERSONENREGISTER

* = ohne Namensnennung im Text

Drake, Francis 214 Michelet, Karl Ludwig 121f::"


Dubois, Eugen 64 Nagler, Karl Ferdinand Friedrich von
Falb, Rudolf 203ff 213*
Fechner, Gustav Theodor 182 Rollett, Hermann 157""
Fechner, Frau 182 Schieiden, Matthias Jakob 182
Friedrich III., Kaiser 131 Schieiden, Frau 182
Goethe johann Wolf gang von 142,206 Schopenhauer, Arthur 150
Gutenberg, Johannes 85 Schwarz, Berthold 85
Haeckel, Ernst 203 Wagner, Richard 220f
Hippokrates 129 Wolfram von Eschenbach 220
Hochstetter, Ferdinand 196 Zeller, Eduard 121f*
Konfuzius 86
Kopernikus, Nikolaus 148, 217
Lalande, Joseph Jerome Lefrancais de
216f* Fragensteller
Lao-tse 86 Aisenpreis, Ernst 84
Lassalle, Ferdinand 223 Burle 88f, 94, 112, 122, 160, 166f, 190f
Littrow, Joseph Johann von 219 Dollinger 11, 43, 75
Marx, Karl 224 Erbsmehl 144, 152
Mayer, Julius Robert von 209, 213 Meier 84

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite:247


AUSFÜHRLICHE INHALTSANGABEN

DIE SCHÖPFUNG DER WELT UND DES MENSCHEN

ERSTER VORTRAG, Dornach 30. Juni 1924


Weltenschöpfung und Menschenschopfung -
Saturn-, Sonnen- und Mondenzustand der Erdentwickelung
Die ganze Erde hat einmal gelebt, hat gedacht - alles mögliche war
sie -, und erst, als sie Leichnam wurde, konnte sie das Menschen-
geschlecht schaffen. Die gedankenlosen Vorstellungen von der
Entstehung der Erde aus einem sich drehenden toten Urnebel. Wie
ein Stoff ausschaut, hängt nur davon ab, welche Wärme in ihm ist;
was ursprünglich allem zugrunde liegt, ist die Wärme oder das
Feuer. Im Saturnzustand der Erde gab es noch keine festen Körper;
keine Luft gab es dadrinnen, sondern nur Wärme. Das erste, was
eintritt mit dem, was da ein warmes Weltenwesen war, das war
Abkühlung. Was entsteht, wenn sich irgend etwas, in dem man
noch nichts unterscheiden kann als nur Wärme, abkühlt? Da ent-
steht Luft. Im Sonnenzustand der Erde ist Luft das erste, was ent-
steht - ein warmer Luftnebel. Zuerst (im Saturnzustand der Erde)
war der Mensch da und nachher (im Sonnenzustand) die Tiere, die
sich gebildet haben aus dem, was nicht Mensch werden konnte; die
Tiere sind schon verwandt mit dem Menschen, aber sie entstehen
später als der Mensch. Wenn die Wärme noch mehr abnimmt, dann
bildet sich nicht nur Luft, sondern auch Wasser - das ist der
Mondenzustand der Erde -, und aus dem Wasser schießen die
Pflanzen auf, die ursprünglich nicht in der Erde, sondern im Was-
ser wuchsen. Unser heutiges Vogelgeschlecht ist die Nachkommen-
schaft der ursprünglichen Tiere, die im Sonnenzustand entstanden
sind. Das Leben des heutigen Menschen während der Embryonal-
zeit ist ähnlich dem Leben auf dem alten Monde; die weibliche
Periode ist eine Erinnerung an den alten Sonnenzustand. Die Be-
fruchtung auf dem alten Mond war eine Art Weltbefruchtung. Der
heutige Erdenzustand als vierter Zustand bringt durch weitere
Abkühlung die Entstehung des Festen, des Mineralischen. Wie sich
beim Vogel und wie sich beim Menschen das Mineralische ganz
anders eingliedert. Vom Irrtum des Darwinismus. Die Fische als
vom Wasser aufgenommene Vögel; sie sind erst während der alten
Mondenzeit entstanden. Das Fieber als Erinnerung an den Saturn-
zustand.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 248


ZWEITER VORTRAG, 3. Juli 1924 29
Erdenschöpfung - Menschenentstehung
Die Erde war in ihren früheren Zuständen eine Art von Lebewesen.
Das Wasser des damaligen Mondenzustandes war eine dickliche
Flüssigkeit, in der alle Stoffe, die heute fest sind, aufgelöst waren,
und die Luft war ein dicklicher Nebel, in dem vor allem Metalle
und Schwefel enthalten waren - man wäre wie in einem Welten-Ei
drinnen gewesen. Erst der während des Erdenzustandes erfolgende
Mondenaustritt hat der Erde den Tod gebracht und damit das
Mineralreich, das tot ist. Aber damit sind auch erst die heutigen
Pflanzen, die heutigen Tiere und der Mensch in seiner heutigen
Gestalt möglich geworden. Das Wirken der in der Luft enthaltenen
Kieselsäure, ihre Wirkung auf die Sinne, die Nerven und die Haare
des Menschen. Die Kieselsäure ist ein ungeheuer wohltätiges Heil-
mittel. Die Änderung aller Lebensbedingungen für Tier und
Mensch nach dem Mondenaustritt. Als der Mond draußen war, trat
die Außenbefruchtung ein.

DRITTER VORTRAG, 7. Juli 1924 44


Was sagen Anthroposophie und Naturwissenschaft über die
Schichten der Erde und ihre Versteinerungen
Die gegenwärtige Erde hat einen festen Erdkern mit siebzig bis
achtzig Stoffen, ringsherum die Lufthülle mit Sauerstoff und Stick-
stoff. Immer sind in der Luft auch andere Stoffe enthalten, nur in
sehr geringer Menge, u. a. Kohlenstoff, Wasserstoff, Schwefel. Die
Geologie schätzt das Alter der geologischen Schichten auf Grund
der darin gefundenen Versteinerungen, muß dabei aber auch Um-
stülpungen, Umschichtungen der Erdschichten beachten. In den
Alpen ist alles, was schichtweise sich aufgebaut hat, später durch-
einandergeschmissen worden. Die Entstehung der Versteinerungen
und Abgüsse von Tieren. Die heutige Gestalt der Erde zeigt uns,
daß sie in der Zeit, in der noch nicht Menschen, in der noch nicht
höhere Tiere gelebt haben, selber lebendig war. Das Menschenwe-
sen konnte erst zum Bewußtsein erwachen, als die Erde allmählich
abgestorben war; wir entwickeln uns auf der abgestorbenen Erde.
Die Sauerstoffeinatmung und Kohlensäureausatmung des heutigen
Menschen und die Kohlensäureeinatmung und Sauerstoffausat-
mung der heutigen Pflanzen. Geradeso wie sich die heutigen Pflan-
zen aus Kohlenstoff aufbauen, so haben sich frühere Pflanzen aus

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 354 Seite: 249


Stickstoff aufgebaut. Heute atmen wir eine Verbindung von
Kohlenstoff und Sauerstoff aus, früher wurde eine Verbindung von
Kohlenstoff und Stickstoff ausgeatmet - das ist die so furchtbar
giftige Blausäure. So wie die Erde einmal Blausäure hatte, so haben
die Kometen jetzt noch Blausäure. Wo die Sonne ist und wo die
Sterne sind, da ist leerer Raum, der einen gleich aufsaugt und zer-
splittert. Sterne sind ausgesparte Hohlräume.

ÜBER WELT- UND MENSCHENENTSTEHUNG UND DEN


GANG DER KULTURENTWICKELUNG DER MENSCHHEIT
ERNÄHRUNGSFRAGEN

VIERTER VORTRAG, 9. Juli 1924 60


Über Welt- und Menschenentstehung- Lemurien und Atlantis
Über die im nördlichen Sibirien gefundenen Mammuttiere. Unsere
jetzige Erde ist eigentlich eine Art von Weltenleichnam. Der Boden
der Erde ist in einer fortwährenden Bewegung, er steigt und sinkt
an gewissen Punkten, und er war in einer viel größeren, riesenhaf-
ten Bewegung in alten Zeiten. Die Sintflut ist eine Kleinigkeit ge-
gen dasjenige, wie es einmal auf der Erde in riesenmäßigen Ausdeh-
nungen zugegangen ist. Über den Pithecanthropus erectus des rei-
senden Gelehrten Dubois und die Entstehung des Menschenge-
schlechts. Alle Säugetiere entstanden aus denjenigen Menschenfor-
men, in denen der Mensch unvollkommen geblieben ist. Die Affen
sind zurückgebliebene Menschen, sind sozusagen die unvollkom-
menen Vorläufer der Menschen. Gestalt und Kopfbildung des at-
lantischen Menschen und sein wäßriges Hirn. Der Neandertal-
mensch und die Höhlenmenschen mit ihren merkwürdigen Zeich-
nungen. Der frühere luftartige Zustand des Menschen und seine
Entwicklung aus einem rein geistigen Zustand. Der Ernährungs-
prozeß des früheren Menschen. Die fortwährende Umbildung der
Erde, der Menschen und Tiere.

FÜNFTER VORTRAG, 12. Juli 1924 76


Ursprung und Eigenart der chinesischen und indischen Kultur
Das erste menschliche Leben, das noch ganz anders war als das
heutige, spielte sich da ab, wo heute der Atlantische Ozean ist; die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:354 Seite:25 0


Erde war da, wo heute der Atlantische Ozean ist, als fester Boden
da. Die Japaner und Chinesen sind Überreste der ältesten Erdenbe-
völkerung, von der noch etwas geblieben ist. Die religionslose chi-
nesische Kultur. Der Herrscher als Sohn der Sonne. Die Chinesen
richteten sich ihr Reich so ein, daß es ein Abbild des Himmels war.
Die besondere Art des Denkens der alten Chinesen und ihre außer-
ordentlich komplizierte Sprache und Schrift. Das Wesen der chine-
sischen und japanischen Malerei. Die Chinesen hatten das Schieß-
pulver schon vor Jahrtausenden, desgleichen den Buchdruck. Die
Europäisierung der chinesischen und japanischen Kultur. Die alte
indische Kultur mit ihrer stark innerlichen Betrachtung des Men-
schen. Der Gegensatz zwischen den alten Indern und Chinesen.

SECHSTER VORTRAG, 31. Juli 1924 94


Über das Verhältnis der Nahrungsmittel zum Menschen -
Rohkost und Vegetarismus
Die Nahrungsmittel, die der Mensch unbedingt braucht: Eiweiß,
Fette, Kohlenhydrate (die sich in Stärke und Zucker verwandeln)
und Salze. Pflanzenatmung und Atmung der Menschen und der
Tiere als ein Prozeß gegenseitiger Ergänzung: das Chlorophyll hält
den Kohlenstoff in der Pflanze zurück und gibt den Sauerstoff
wieder frei, das Blut verbindet den Sauerstoff mit dem Kohlenstoff;
der grüne Pflanzensaft nimmt den Kohlenstoff wiederum aus der
Kohlensäure und gibt den Sauerstoff frei. Die in den Wurzeln ent-
haltenen Salze wirken vor allem auf den Kopf. Stärkung der Kopf-
kräfte durch Essen von Gelben Rüben. Stärkung des Menschen
durch die Kräfte, die bei der Umwandlung der Kohlenhydrate in
Stärke und Zucker aufgewendet werden. Die Kartoffel als Nah-
rungsmittel. Getreidenahrung als die allergesündeste Nahrung. Be-
deutung des Kochens der Nahrung. Die ganze Rohköstlerei ist
nichts als eine Phantasterei. Wenn wir das Kraut essen, das vor-
zugsweise Pflanzenfette uns geben kann, machen wir uns in Herz
und Lunge stark. Gekochte Nahrung wirkt vorzugsweise bis in den
Kopf, salatartige Nahrung auf Lunge und Herz. Zum Aufbau der
Nahrungsorgane braucht der Mensch das Eiweiß in den Pflanzen,
und zwar wie es in der Blüte und namentlich in der Frucht enthal-
ten ist. Die Wurzel ernährt den Kopf, das Blattartige die Brust und
die Früchte den Unterleib. Die Bedeutung der vegetarischen Kost.
Übermäßiger Eiweißgenuß vergiftet den Körper, führt häufig zu
Arterienverkalkung.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 5 4 Seite: 251


SIEBENTER VORTRAG, 2. August 1924 112
Fragen der Ernährung - Ernährung der Kinder - Abhärtung
- Düngung
Die Vernichtung und Neubildung des Eiweißes und der Fette im
Menschen; unser eigenes Eiweiß machen wir uns selber und unser
eigenes Fett auch. Für einen Menschen, der sich gesund halten will,
ist es wirklich notwendig, daß er in gekochtem oder rohem Zu-
stand Früchte zu seiner Nahrung hinzu hat. Man macht den Boden
lebendig, indem man ihn ordentlich düngt, und das ordentliche
Düngen liefert uns wirklich richtiges Pflanzeneiweiß. Unsere Feld-
früchte leiden seit einiger Zeit alle an einem Eiweißmangel, der
immer größer und größer werden wird, wenn man mineralische
Dünger verwendet. Der Mensch, der Kartoffeln ißt, fühlt sich fort-
während angeregt zu denken. Die Tuberkulose, die Lungentuber-
kulose nahm erst überhand, als die Kartoffelnahrung eingeführt
wurde. Über Arterienverkalkung und Heuschnupfen. Die Ernäh-
rungsinstinkte bei Tier und Mensch. Kein Tier nimmt auf, was ihm
nicht paßt. Die Zuckerkrankheit beweist immer, daß der Mensch
den Instinkt für die Nahrung verloren hat. Die entgegengesetzte
Wirkung von Kaffee und Tee; Kaffee als Journalistengetränk, Tee
als Diplomatengetränk.

A C H T E R VORTRAG, 6. August 1924 127


Über den Gang der Kulturentwickelung der Menschheit
Die physische Entwicklung der Menschheit führt von einem tier-
ähnlichen Leib zur heutigen Menschengestalt und die geistige Ent-
wicklung geht von einem Zustand ursprünglicher Vollkommenheit
aus. Ein wirklicher Fortschritt in der Kulturgeschichte ist es, daß
der Mensch ein Bewußtsein bekommen hat, daß er ein freies Wesen
ist. Vom Ursprung gewisser abergläubischen Vorstellungen aus
früherem Totengedenken. Die Affen sind von einer höheren Stufe
heruntergekommene Wesen. Die Menschen der Urzeit haben vor
allen Dingen eine ganz starke Phantasie gehabt, die wie ein Instinkt
gewirkt hat. Die Erfindung des Leinenlumpenpapiers und des Te-
legraphen. Die Vorstellungen der alten Germanen von Wotan und
Loki. Alles, was sich ursprünglich an Kultur entwickelt hat, hat
sich aus dem Rhythmus heraus entwickelt. Die Indianer und ihre
Verehrung des «Großen Geistes», der alles beherrscht. Die Grie-
chen haben alles, was in der Natur sich bildet, den guten Geistern
zugeschrieben, und alles, was nicht Natur ist, den bösen Geistern.

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Die Phantasie ist etwas Geistigeres als der bloße Verstand. Das
Fortschreiten der Menschheit von der lebhaften Phantasie zum
heutigen Verstand, vom unfreien Besessensein vom Geiste zum
Freiwerden durch den Verstand, durch den Intellekt. Von Goethes
Gedichten. Wir müssen wiederum durch den Verstand zum Geist
kommen.

ERDENLEBEN UND STERNENWIRKEN

NEUNTER VORTRAG, 9. August 1924 144


Über die Gerüche
Wie das mit der ganzen Entstehung der Naturwesen zusammen-
hängt, daß verschiedene Naturwesen in der verschiedensten Weise
riechen. Wesen der Geruchswahrnehmung. Worauf der Geruch be-
ruht. Im Weltenraum ist es nirgends leer - entweder ist Materie da
oder es ist Geist da. Das Zodiakallicht. Wie im Menschen das Gei-
stige mit dem Physischen zusammenhängt. Die sehr feine Geruchs-
wahrnehmung des Hundes und das zum Verstandesorgan umge-
wandelte Riechorgan des Menschen. Die Pflanzen riechen den Wel-
tenraum und richten sich danach ein; aus den Pflanzen duftet uns
in Wirklichkeit der Himmel entgegen. Die verschiedenen Rassen
auf verschiedenen Teilen der Erde hängen davon ab, daß der eine
Teil der Erde besonders stark die Venuseinflüsse aufnimmt, andere
Teile die Saturneinflüsse. Der Mensch hat die ganze Natur in sich.
Die Blüten der Pflanzen können die ganze Welt riechen, die
menschliche Nase ist dagegen grob geworden. Die meisten Tiere
haben ein mächtiges Geschmacksgehirn, beim Menschen ist davon
nur ein kleiner Rest vorhanden. Aber er hat die Fähigkeit, mit dem
umgewandelten Geschmacksgehirn Ideen zu bilden. Wodurch der
Mensch vollkommener ist als die übrigen Naturwesen und warum
er heute so ungeschickt ist. Durch die Beschäftigung mit der Gei-
steswissenschaft wird der Mensch wieder geschickter.

Z E H N T E R VORTRAG, 9. September 1924 160


Von den Planeteneinflüssen auf Tiere, Pflanzen und Gesteine
Die Planeten werden sich einmal alle wiederum mit der Erde verei-
nigen, werden ein Körper mit ihr werden. Die Planeten haben nicht
dieselbe Festigkeit wie die Erde selber; Schilderung der physischen
Beschaffenheit beim Mars. Die Engerling- und Maikäferjahre und

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deren Zusammenhang mit dem vierjährigen Mars-Rhythmus. Die
Sonne hat ihren hauptsächlichsten Einfluß auf alles in der Erde, was
tot ist und jedes Jahr ins Leben gerufen werden muß, während der
Mond nur auf das Leben seinen Einfluß hat. Der Mars hat seinen
Einfluß nur auf dasjenige, was im feineren Leben, in der Empfin-
dung ist, und die anderen Planeten haben auf das Seelische und Gei-
stige ihren Einfluß. Der heutige Marszustand ist so, wie die Erde in
einem früheren Zeitalter war und der heutige Jupiter stellt einen
Zustand dar, in welchem die Erde erst in der Zukunft sein wird. Die
Pflanzen haben ihre Düfte von den Planeten und ihre Farben von
Sonne und Mond. Um einem Stein Farben zu geben, braucht die
Sonne ein ganzes Weltenjahr. Die Berg- und Alpenkräuter haben
einen größeren Heilwert als die Talkräuter. Die Walderdbeere ge-
deiht besonders da, wo Gesteine sind, die ein bißchen Eisen enthal-
ten. Die Rose ist ein Ölsammler; sie findet das, was sie in der Wildnis
wenig hat, gerade in der Gartenkultur sehr stark. Die Kenntnis des
Bodens ist das ungeheuer Wichtige für die Landwirtschaft.

ELFTER VORTRAG, 13. September 1924 175


Über die Witterung und ihre Ursachen
Die Erscheinung der Sonnenflecken und ihr Zusammenhang mit
den Wettererscheinungen. Die Sonnenflecken sind vor Jahrtausen-
den entstanden, vermehren sich und werden sich immer weiter
vermehren bis zum völligen Erlöschen der Sonne in ferner Zu-
kunft. Die Eiszeit wird sich wiederholen in fünf-, sechs-, sieben-
tausend Jahren; sie wird nicht genau auf derselben Stelle der Erde
sein, wie sie dazumal war. Solche Unterbrechungen der glatten
Entwicklung kommen davon her, daß die Erdoberfläche sich fort-
während hebt und senkt. Die Entstehung von Luft- und Meeres-
strömungen sowie von elektrisch-magnetischen Strömungen und
ihr Einfluß auf die Wetterverhältnisse der Erde. Der Fechner-
Schleidensche Streit über den Einfluß des Mondes auf das Wetter.
Die Wiederholung derselben Mondesstellung nach achtzehn, neun-
zehn Jahren. Der Durchgang der Venus durch die Sonne alle hun-
dert Jahre. Der hundertjährige Kalender. Auf die Witterung haben
die Kräfte ungeheuer starken Einfluß, die in der Atmosphäre selber
entstehen. Der Blitz entsteht nicht durch Elektrizität, sondern da-
durch, daß die Luft ihre eigene Hitze ausleert. Die Gehirne der
Menschen sind in den letzten Jahrhunderten viel steifer geworden,
als sie vorher waren. Tiere als Wetterpropheten.

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ZWÖLFTER VORTRAG, 18. September 1924 194
Gestalt und Entstehung der Erde und des Mondes -
Ursachen des Vulkanismus
Zur Frage: Wodurch entsteht der Zickzackblitz? Die Gestalt der
Erde ist eigentlich ein rund gewordenes Tetraeder und die meisten
feuerspeienden Berge liegen längs dessen Kanten. Die Vulkane, die
an den Kanten des Tetraeders liegen, sind die ursprünglich feuer-
speienden Berge; die anderen Vulkane entstanden spater. Der Falb-
sche Kalender mit der Voraussage der «kritischen Tage» in bezug
auf schlagende Wetter, Erdbeben, Vulkanausbrüche usw. im Zu-
sammenhang mit den Sternenverhältnissen. Das Hereinstrahlen der
Weltenwärme in die Erde. Über die Entstehung des Mondes. Julius
Robert von Mayers Beantwortung der Frage: Wodurch kommt es,
daß die Sonne, die uns ja soviel Wärme gibt, nicht kalt wird? Die
Sonne ist ein Raum, der aufsaugt, der fortwährend Kometenmasse
heransaugt. Die feinen ätherischen Bildungen des Weltenalls, die
fast geistig sind, die saugt sie heran und nährt sich mit diesen
Athermassen, mit diesen Kometenmassen.

DREIZEHNTER VORTRAG, 20. September 1924 212


Was will Anthroposophie? - Vom Biela-Kometen
Das Verhalten der Menschen gegenüber allem Neuen. Merkwür-
digste Beispiele, wie neue wissenschaftliche Entdeckungen und
Erfindungen aufgenommen worden sind. Die schädlichen Wirkun-
gen des Kartoffelessens. Der Kartoffelgenuß hat in den letzten
Jahrhunderten ganz besonders beigetragen zu der allgemein ge-
schwächten Gesundheit. Geisteswissenschaft erforscht auf wissen-
schaftliche Weise den Geist. Vom Kometen, der 1773 in Paris er-
wartet wurde und der den Weltuntergang herbeiführen sollte und
von seinen weiteren Erscheinungen in den Jahren 1832, 1845/46,
1852 und 1872. Littrows Schrift über den Kometen des Jahres 1832
(dem Biela-Kometen) und über Kometen überhaupt. Der erwartete
Komet erscheint zuletzt überhaupt nicht mehr als Komet, sondern
kommt als feiner Meteorregen; er hat sich in die Erde als eine
Erdennahrung hineinbegeben und nimmt von den Menschen weg -
dadurch, daß er ein Heilmittel ist, ein Weltheilmittel - die Nervo-
sität. Niemals wird irgend etwas gelöst werden in der sozialen
Frage, bevor die Wissenschaft nicht wiederum geistig wird. Nur
durch geistige Erkenntnisse lernt man die sozialen Zusammenhänge

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kennen. Der Marxismus beruht auf einer irrtümlichen Wissen-
schaft. Die Arbeiterfrage wird eine ganz andere Gestalt annehmen
gerade dadurch, daß man alles geistig ansieht.

VIERZEHNTER V O R T R A G , 24. September 1924 227


Woher stammt der Mensch f - Erdenleben und Sternenweisheit
Warum die Arbeiterfrage, die soziale Frage so brennend geworden
ist. In der Lösung der sozialen Frage fehlt das Wissen von der
geistigen Welt. Ursprünglich gab es ein ausgebreitetes Wissen von
den Sternen, aber heute hat man von den Sternen nur ein Wissen,
das rechnet, das nicht eingehen kann auf das Geistige in den Ster-
nen. Die Sterne haben alle einen Einfluß auf das menschliche Gei-
stesleben. Vom Monde kommen die Kräfte aller Fortpflanzung auf
der Erde, von der Sonne die Wachstumskräfte und vom Saturn die
Denkkräfte. Weil man nichts anderes getan hat als berechnen, hat
man den Menschen ganz vergessen, hat ihn selber wie ein Glied an
der Maschine behandelt. Wie alle landwirtschaftlichen Produkte
seit Jahrzehnten schlechter geworden sind für die ganze Mensch-
heit. Im Gehirn wird immer etwas zerstört, wenn der Mensch
denkt. Der ganze Körper, mit Ausnahme von wenigem, dem Kno-
chenbau usw., wird in sieben bis acht Jahren erneuert. Den Leib,
den wir in den ersten sieben bis acht Jahren haben, den haben wir
von Vater und Mutter; aber er wird ganz abgeworfen und nach
sieben bis acht Jahren bekommen wir einen neuen Leib, den wir
uns selber aufbauen müssen. Das Tätige, was den Leib später auf-
baut, kommt aus der geistigen Welt. Wir leben nicht nur von dem,
was wir essen, sondern von den fein verteilten Nahrungsstoffen,
die in der Luft sind und die wir einatmen. Diejenige Nahrung, die
der Mensch durchs Essen bekommt, verwendet er z. B. dazu, daß
sein Kopf immerfort erneuert wird, und die Nahrung, die er
braucht, um z. B. Nägel zu bekommen, bekommt er aus der Nah-
rung, die er vom Luftraum aufnimmt. Der Mensch nimmt das
Körperliche auf durch die Nahrung; das Seelische nimmt er fort-
während auf, lebt mit dem Seelischen durch die Atmung. Der
Mensch lebt soviel Tage in seinem Leben, als er Atemzüge macht
in einem Tage: 25 920 Tage, 25 920 Atemzüge. Wenn wir ein Men-
schenleben als einen Weltentag annehmen, so bekommen wir das
Weltenjahr: 72 x 360 = 25 920 Jahre.

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