Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 21

Zusammenfassung

D ie 18. Shell Jugendstudie trägt den


Untertitel »Eine Generation meldet
sich zu Wort«. Die gegenwärtige junge
sich aus der Herkunft der Jugendlichen
ergeben und die durch den auch weiter-
hin ungleichen Bildungserfolg bestehen
Generation formuliert wieder nach- bleiben, keine unüberbrückbaren Pola-
drücklicher eigene Ansprüche hinsicht- risierungen oder Spaltungen in den Ein-
lich der Gestaltung der Zukunft unserer stellungen zu beobachten sind. Auch die
Gesellschaft und fordert, dass bereits Unterschiede zwischen Ost und West,
heute die dafür erforderlichen Weichen- zwischen männlichen und weiblichen
stellungen vorgenommen werden. Als Jugendlichen sowie zwischen Jugend-
zukunftsrelevante Themen haben vor lichen mit und ohne Migrationshinter-
allem Umweltschutz und Klimawandel grund werden eher kleiner als größer.
erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie Quer durch alle Gruppierungen findet
stehen im Mittelpunkt der Forderung sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten,
nach mehr Mitsprache und der Hand- darunter eine zunehmende Sorge um
lungsaufforderung an Politik und Ge- die ökologische Zukunft, ein Trend zu
sellschaft. gegenseitigem Respekt und einer Acht-
Dabei ist für die Jugendlichen in samkeit in der eigenen Lebensführung,
Deutschland nach wie vor ihre pragma- ein starker Sinn für Gerechtigkeit sowie
tische Grundorientierung kennzeich- ein wachsender Drang, sich für diese
nend. Die Jugendlichen sind, wie auch Belange aktiv einzubringen.
schon in den letzten Shell Jugendstudien Nicht zu übersehen ist allerdings die
beschrieben, weiterhin bereit, sich in Affinität einiger Jugendlicher zu popu­
hohem Maße an Leistungsnormen zu listischen Positionen. Die Kritik, die viele
orientieren, und hegen gleichzeitig den dieser Heranwachsenden dabei zugleich
Wunsch nach stabilen sozialen Bezie- am sogenannten Estalishment in Politik
hungen im persönlichen Nahbereich. und Gesellschaft üben, ist auch davon
Sie passen sich auf der individuellen beeinflusst, dass sich junge Menschen
Suche nach einem gesicherten und generell nicht hinreichend gefragt und
eigenstän­digen Platz in der ­Gesellschaft einbezogen fühlen. Wir unterscheiden
den Gegebenheiten so an, dass sie in der aktuellen Shell Jugendstudie zwi-
Chancen, die sich auftun, möglichst schen Jugendlichen als »Kosmopoliten«,
gut ergreifen können. Mehr als bislang »Weltoffenen«, »Nicht-eindeutig-Positio­
legen viele Jugendliche inzwischen nierten«, »Popu­lismus-Geneigten« und
Wert auf eine deutlich bewusstere Le- »Nationalpopulisten«. Zwischen den
bensführung, ihre Ansprüche an eine Kosmopoliten und den Nationalpopu-
nachhaltige Gestaltung von Umwelt und listen lässt sich eine klar erkennbare
Gesellschaft artikulieren sie deutlich Polarisierung feststellen, beide Gruppen
und vernehmbar. machen zusammengenommen aber
Die Ergebnisse der aktuellen Shell lediglich etwa ein Fünftel der Jugend­
Jugendstudie zeigen, dass trotz der klar lichen aus.
erkennbaren sozialen Unterschiede, die

Zusammenfassung 13
Politik und Gesellschaft Das Internet als wichtigste politische
Informationsquelle
Das politische Interesse von Jugendli-
chen hat sich im Jahr 2019 weiter stabi- Die Mehrheit der Jugendlichen infor­
lisiert. Als stark interessiert bezeichnen miert sich zu politischen Themen in-
sich 8 % der Jugendlichen, und weitere zwischen online. Am häufigsten werden
33 % sehen sich als interessiert. Damit ist hierbei Nachrichten-Web­sites oder
das Interesse im Vergleich zu 2015 zwar News-Portale genutzt (20 %), viele
leicht rückläufig (41 % im Vergleich zu verweisen zudem auf Social-­Media-
43 %), aber im längerfristigen zeitlichen Angebote, also auf entsprechende
Verlauf betrachtet liegt es deutlich über Informationsquellen in den sozialen
den Ergebnissen der Jahre 2002, 2006 Netz­werken, auf Messenger Apps (14 %)
und 2010. oder auf YouTube (9 %). Das Fernsehen
Bezüglich der Bildungsposition der als Infor­mationsquelle nennen zwar
Jugendlichen liegt ein deutliches Gefälle 23 % der Jugendlichen, 15 % nutzen das
vor: Jeder zweite Jugendliche1, der das Radio und ebenfalls 15 % klassische
Abitur anstrebt oder erreicht hat, be- Print­medien, aber Internet und Social
zeichnet sich als politisch interessiert. Media haben den klassischen Medien
Bei Jugendlichen mit angestrebtem oder im Bereich der gezielten politischen In-
erreichtem Hauptschulabschluss trifft formationssuche mittlerweile den Rang
dies hingegen nur auf jeden vierten zu. abgelaufen.
Studierende bezeichnen sich zu 66 % Das größte Vertrauen wird jedoch
als politisch interessiert, sie sind damit nach wie vor den klassischen Medien
die Gruppe mit dem größten politischen entgegengebracht. Die große Mehr-
Interesse. heit hält die Informationen in den
Trotz leichter Annäherungen bezeich­ ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten
nen sich männliche Jugendliche (44 %) für vertrauenswürdig. Vergleichbares
noch immer etwas häufiger als weibliche gilt auch für die großen überregiona-
Jugendliche (38 %) als politisch interes- len Tageszeitungen, wobei Jugendliche
siert. Aber beide Geschlechter messen in Ostdeutschland (68 %) auch diesen
dem eigenen politischen Engagement Zeitungen deutlich weniger trauen als
eine jeweils gleich hohe Bedeutung bei. ihre Altersgenossen im Westen (83 %).
Momentan hat es sogar den Anschein, ­YouTube bezeichnet hingegen etwa jeder
dass Mädchen sich als Vorreiterinnen im zweite Jugendliche als weniger bis nicht
politischen Engagement präsentieren. vertrauenswürdig. Bei Facebook sind
Dies gilt vor allem für die »Fridays for es sogar etwas mehr als zwei von drei
Future«-Initiative, die medial stark von Jugendlichen, die den dort angebotenen
jungen Frauen repräsentiert wird. Informationen misstrauen. Auch Twitter
vertraut nur eine Minderheit.
Das Vertrauen in einzelne Kanäle
beeinflusst deren Nutzung. Es zeigt sich,
dass die politisch interessierten Jugend-
lichen besonders häufig den klassischen
Informations- und Nachrichtenkanälen
(Print und öffentlicher Rundfunk) ver-
trauen und ihre Informationen weder
1  Aus Gründen der Lesbarkeit wird an einigen
Stellen auf die Formulierung der weiblichen
ausschließlich und auch nicht vorrangig
Schreibweise verzichtet. Grundsätzlich sind in den Social-Media-Kanälen suchen.
­jedoch stets alle Geschlechter gemeint.

14 Zusammenfassung
Umwelt- und Klimaschutz rücken in den Alles in allem wird Deutschland als
Fokus der persönlichen Betroffenheit sozial gerecht angesehen

Waren es bis 2010 noch die wirtschaft- Zu 59 % ist die Mehrheit der Jugendli-
liche Lage und steigende Armut sowie chen überzeugt, dass es in Deutschland
Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, alles in allem gerecht zugeht. Differen-
keinen Ausbildungsplatz zu finden, die ziert man die Abfrage noch ein wenig,
von Jugendlichen schwerpunktmäßig so sind es sogar 79 %, die zustimmen,
als Probleme genannt wurden, so hat dass in Deutschland jeder die Möglich-
sich das Bild seitdem deutlich verändert. keit hat, nach Fähigkeit und Begabung
Aktuell benennen fast drei von vier Ju- ausgebildet zu werden. Etwas mehr als
gendlichen die Umweltverschmutzung die Hälfte (57 %) sieht es so, dass man in
als das Hauptproblem, das ihnen Angst Deutschland leistungs­gerecht bezahlt
macht, gefolgt von der Angst vor Terror­ wird, und ebenfalls etwas mehr als die
anschlägen (66 %) sowie dem Klimawan- Hälfte (55 %) ist der Meinung, dass Be-
del (65 %). Die wirtschaftliche Lage mit nachteiligte in Deutschland ausreichend
steigender Armut wird hingegen nur unterstützt werden. Die Zustimmung zur
noch von etwas mehr als jedem zweiten Frage nach der sozialen Gerechtigkeit
Jugendlichen benannt, die Angst vor korreliert stark mit der Herkunftsschicht
einem Arbeitsplatzverlust oder davor, der Jugendlichen: Je niedriger die Her-
dass man keinen Ausbildungsplatz fin- kunftsschicht, umso niedriger ist der
det, sogar nur von etwas mehr als jedem Anteil derjenigen, die dieser Aussage
dritten. zustimmen. So verweist etwa jeder
Bemerkenswerterweise hat mehr als zweite Jugendliche aus der untersten
die Hälfte der Jugendlichen (56 %) Angst Herkunftsschicht auf fehlende soziale
vor einer wachsenden Feindlichkeit zwi- Gerechtigkeit, während aus der obersten
schen Menschen, die unterschiedlicher Schicht nur noch 25 % diese Einschät-
Meinung sind. Dieser auf eine mögliche zung teilen.
Polarisierung der Gesellschaft hindeu-
tende Aspekt macht mehr jungen Leu-
ten Sorge als etwa wirtschaftliche und EU bedeutet Chancen, Wohlstand,
soziale Nöte. Noch etwas häufiger als kulturelle Vielfalt und Frieden
im Westen (55 %) verweisen ostdeutsche
Jugendliche (59 %) darauf. Die EU wird von den Jugendlichen als
Auch 2019 bleibt es dabei, dass Ju- Chance und nicht als Risiko empfun-
gendliche die Angst vor einer wachsen- den und daher nicht infrage gestellt:
den Ausländerfeindlichkeit in Deutsch- Jeder zweite Jugendliche beurteilt die
land (52 %) häufiger nennen als die EU positiv (43 %) oder sehr positiv (7 %),
Angst vor weiterer Zuwanderung (33 %). wohingegen nicht einmal einer von
Anders als noch im Jahr 2015 spricht zehn Jugendlichen ein negatives (7 %)
sich inzwischen aber jeder zweite (Wes- oder sogar sehr negatives (1 %) EU-Bild
ten: 47 %; Osten: 55 %) dafür aus, weniger hat. Auch wenn EU-Euphorie sicherlich
Zuwanderer als bisher aufzunehmen. anders aussieht – in Anbetracht der
2015 war es erst etwas mehr als jeder europäischen Gesamtentwicklung sollte
dritte Jugendliche (Westen: 34 %, Osten: man dies eher als positiven Realismus
49 %). interpretieren.
So gut wie alle Jugendlichen betonen
an allererster Stelle, dass sie mit der EU
Freizügigkeit verbinden, also die Mög-

Zusammenfassung 15
lichkeit, in andere europäische Länder bar weit verbreitetes Gefühl ab, dass es
zu reisen, dort studieren, arbeiten oder ­Dinge gibt, die man nicht ansprechen
sich gänzlich niederlassen zu können. darf, ohne dafür nach subjektiver Wahr-
Ein Europa ohne Grenzen, in dem man nehmung moralisch sanktioniert zu
wie im eigenen Land gegebenenfalls werden. Und auch die Kritik am soge-
auch auf Dauer leben und arbeiten kann, nannten Establishment (»Die Regierung
ist aus Sicht der Heranwachsenden die verschweigt der Bevölkerung die Wahr-
wichtigste Errungenschaft der EU. Eben- heit« und »Der Staat kümmert sich mehr
falls vorrangig, wenn auch im Vergleich um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige
zu 2006 leicht rückläufig, ist der Aspekt Deutsche«), der mehr als die Hälfte der
der kulturellen Vielfalt, den vier von fünf Jugendlichen zustimmt, bedient offenbar
Jugendlichen positiv mit der EU ver- ein vorhandenes Empfinden, nicht ernst
binden. Ebenfalls vier von fünf Jugend­ genug genommen und übergangen zu
lichen betonen, dass die EU für Frieden werden. Zugleich gilt aber auch, dass
sowie für Demokratie steht. fast jeder Zweite das nicht so sieht und
Als kritischsten Punkt in Bezug auf dem daher nicht oder überhaupt nicht
Europa sehen knapp drei von vier Ju- zustimmt.
gendlichen die Bürokratie – Tendenz Den populistischen Statements ist
leicht rückläufig. Deutlich gestiegen ist gemein, dass sie gezielt an affektiven
hingegen der Aspekt des wirtschaftli- Komponenten, also an Gefühlsregungen
chen Wohlstandes, er wird von ebenfalls und weniger an kognitiv reflektierten
fast drei Viertel der Jugendlichen in Positionen ansetzen. Bedient werden
Deutschland mit der EU gleichgesetzt. Ressentiments und Ängste. Im Umkehr-
Fast schon spiegelbildlich verbindet nur schluss bedeutet dies aber auch, dass
noch knapp jeder dritte mit der EU das jede schnell geäußerte Zustimmung
Thema Arbeitslosigkeit. Als zunehmen- zu einem populistischen Grundmuster
de Akzeptanz der EU kann weiterhin nicht unbedingt in sich konsistente
bewertet werden, dass weniger junge Überzeugungen nach sich ziehen muss,
Menschen Kriminalität (39 %) oder den die dann nachhaltig wirksam oder hand-
Verlust der eigenen Heimatkultur (25 %) lungsleitend wären.
mit der EU verbinden. Um Zustimmung zu populistischen
Einstellungen zu beschreiben, haben wir
fünf »Populismuskategorien« gebildet.
Zwischen Weltoffenheit und Ihre Verteilung stellt sich folgender-
­Populismusaffinität maßen dar: Etwa 12 % der Jugendlichen
(Altersgruppe 15 bis 25 Jahre) lassen
Populistische Argumentationsmuster sich als Kosmopoliten beschreiben. Sie
erweisen sich grundsätzlich auch bei befürworten, dass Deutschland viele
Jugendlichen als anschlussfähig, doch Flüchtlinge aufgenommen hat, und leh-
es werden auch wichtige Unterschiede nen so gut wie alle populistisch gefärb-
sichtbar: Die Mehrheit der Jugendlichen ten Statements ab. 27 % der Jugendlichen
(57 %) betont, dass sie es gut finden, dass gehören zu den Weltoffenen. Auch sie
Deutschland viele Flüchtlinge aufge- begrüßen mehrheitlich, dass Deutsch-
nommen hat. Die Aussage »In Deutsch- land viele Flüchtlinge aufgenommen hat,
land darf man nichts Schlechtes über und distanzieren sich von explizit sozial-
Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist oder nationalpopulistischen Statements.
beschimpft zu werden« erhält allerdings 28 % der Jugendlichen bilden die im
noch mehr Zustimmung (68 %). Das Vergleich größte Gruppe der Nicht-ein-
Argumentationsmuster deckt ein offen- deutig-Positionierten. Auch von ihnen

16 Zusammenfassung
bejaht die Mehrheit die Aussage, dass es kleinerer Anteil der Jugendlichen zu
gut sei, dass Deutschland viele Flücht- den Weltoffenen oder den Kosmopoliten
linge aufgenommen hat. Zugänglich sind (zusammengenommen 33 %), hingegen
sie aber oftmals für Aussagen, die auf ein größerer Teil zu den Populismus-­
ein diffuses »Meinungsdiktat« abzielen Geneigten oder den Nationalpopulis-
und die an ein vorhandenes Misstrauen ten (zusammen 42 %). Im Westen sind
gegenüber Regierung und sogenann- die Anteile etwas stärker in Richtung
tem Establishment anknüpfen. Zu den Weltoffene oder Kosmopoliten verscho-
Populismus-Geneigten zählen 24 % der ben (40 %). Populismus-Geneigte und
Jugendlichen. Von ihnen findet es nur Nationalpopulisten (zusammen 31 %)
etwa jeder dritte gut, dass Deutschland sind hier entsprechend weniger häufig
viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Den anzutreffen.
populistisch gefärbten Aussagen »In Kosmopoliten und Weltoffene ­haben
Deutschland darf man nichts Schlechtes ein eher positives Bild von der ­sozialen
über Ausländer sagen, ohne gleich als Gerechtigkeit in Deutschland. Nur etwa
Rassist beschimpft zu werden« und »Der jeder Vierte beider Gruppierungen
Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge findet, dass es in Deutschland alles in
als um hilfsbedürftige Deutsche« stim- allem nicht hinreichend gerecht zuge-
men hier hingegen so gut wie alle zu. hen würde. Auch bei den Nicht-eindeu-
Vergleichbares gilt für die Aussage »Die tig-Positionierten trifft dies lediglich
Regierung verschweigt der Bevölkerung auf jeden dritten zu. Fehlende soziale
die Wahrheit«. Als Nationalpopulisten Gerechtigkeit beklagt hingegen bereits
können 9 % der Jugendlichen bezeichnet jeder Zweite aus der Gruppe der Popu­
werden. Sie stimmen allen populistisch lismus-Geneigten. Bei den National-
aufgeladenen Statements durchgängig populisten sind es sogar drei von vier
zu, distanzieren sich von der Aufnahme Jugendlichen, die in Deutschland keine
von Flüchtlingen und betonen darüber hinreichende Gerechtigkeit gewähr-
hinaus auch ihre generell ablehnende leistet sehen. Dies korrespondiert mit
Haltung gegenüber Vielfalt. der Zustimmung zu den Aussagen »Ich
finde, dass andere mir gegenüber häufig
bevorzugt werden« und »Ich finde, dass
Weniger Kontrolle über das eigene andere über mein Leben bestimmen«.
Leben, generelles Benachteiligungs- Populismus bedient also den Wunsch
empfinden sowie Distanz gegenüber nach Rückgewinnung von Kontrolle.
Vielfalt sind typisch für Affinität zum Nationalpopulisten lehnen eine
Populismus Pluralisierung der Lebensweisen und
Vielfalt besonders häufig ab. Fast jeder
Je höher die Bildungsposition, desto zweite nationalpopulistisch orientierte
geringer die Populismusaffinität. Von Jugendliche hat ein kritisch-distan-
den Jugendlichen mit höherer Bildungs- ziertes Verhältnis dazu, »die Vielfalt
position gehört jeder zweite zu den der Menschen anzuerkennen und zu
Welt­offenen oder zu den Kosmopoliten, respektieren«. Im Unterschied zu allen
während es bei Jugendlichen mit niedri- anderen Gruppen identifizieren sich
ger Bildungsposition entgegengesetzt ist: diese Jugendlichen nicht oder nur weit
Hier gehört weit mehr als jeder zweite unterdurchschnittlich mit dieser Wert-
zu den Populismus-Geneigten oder zu orientierung. Zum Gefühl der fehlenden
den Nationalpopulisten. Ebenfalls etwas Kontrolle gesellt sich die Ablehnung von
höher ausgeprägt ist die Populismus- allem, was als »fremde Kultur« angese-
affinität im Osten. Hier gehört ein etwas hen wird und nicht mit der persönlichen

Zusammenfassung 17
Vorstellung, wie das Leben auszusehen ­ aben. Populismus-geneigte Jugendliche
h
hat, in Übereinstimmung gebracht wer- sind hier weniger auffällig. Hier ist die
den kann. Häufigkeit, mit der jüdische Mitbürger
abgelehnt werden, nur leicht höher als
bei den anderen Gruppen.
Toleranz bleibt Markenzeichen Jugendliche mit einem Hintergrund
aus den islamisch geprägten Ländern
Jugendliche in Deutschland sind weiter­ (Türkei, arabische Länder, sonstige isla-
hin in ihrer großen Mehrheit tolerant misch geprägte Herkunftsländer) äußern
gegenüber anderen Lebensformen, zusammengenommen weniger häufig
Minderheiten und sozialen Gruppen. Vorbehalte gegenüber anderen, als dies
Toleranz messen wir mit der Frage nach Deutsche ohne Migrationshintergrund
Vorbehalten gegenüber potenziellen tun. Im Einzelnen lehnen sie allerdings
Nachbarn wie etwa Flüchtlingsfamilien, häufiger homosexuelle Paare (18 %)
Türken oder Homosexuellen. Dabei wie auch jüdische Familien ab (14 %).
zeigte sich, dass zwar nur eine Minder- Jugendliche mit einem Migrationshin-
heit, immerhin aber doch 20 % es nicht tergrund aus den osteuropäischen Län-
gut fänden, wenn sie eine Flüchtlings­ dern, aus Ex-Jugoslawien oder aus der
familie als Nachbarn hätten. Ähnlich Ex-UdSSR lehnen ebenfalls etwas häufi-
hoch sind die Vorbehalte gegenüber ger Homosexuelle ab (12 %) und äußern
einer türkischen Familie (18 %). Eine ebenfalls häufig Vorbehalte gegenüber
deutsche Familie mit vielen Kindern Flüchtlingen (19 %).
lehnen 13 % und eine Wohngemeinschaft
mit Studenten 12 % ab. Gegen ein ho-
mosexuelles Paar sprechen sich 9 % aus. Demokratiezufriedenheit ist bei
Am wenigsten häufig wird eine jüdische ­J ugendlichen im Osten deutlich
Familie negativ bewertet. Hier sind es ­a ngestiegen
8 %, die diese nicht als Nachbarn haben
wollen. Die große Mehrheit der Jugend- Für die große Mehrheit der Jugendli-
lichen erweist sich jedoch als tolerant chen in Deutschland ist die Demokratie
und sagt, dass es ihnen egal wäre und es als Staatsform selbstverständlich. Ganz
sie demnach nicht stören würde, wenn konkret sind fast vier von fünf Jugend-
Menschen aus den genannten Gruppen lichen (77 %) mit der Demokratie, so wie
in die Wohnung nebenan einzögen. sie in Deutschland besteht, eher oder
Die für eine Affinität zum ­Populismus sehr zufrieden – diese Werte steigen
typische Distanz gegenüber Vielfalt sogar seit vielen Jahren an. Besonders
drückt sich auch ganz unmittelbar in bemerkenswert ist die Entwicklung bei
den Ressentiments aus, die gegenüber ostdeutschen Jugendlichen. War es im
»Fremden« oder sonstigen Gruppen mit Jahr 2015 nur etwa jeder zweite, der sich
Lebensweisen, die offenbar als nicht ak- im Osten eher oder sehr zufrieden mit
zeptabel gelten, geäußert werden. Zwei der Demokratie in Deutschland zeigte,
von drei Nationalpopulisten und auch so sind es heute bereits zwei von dreien.
jeder dritte Populismus-Geneigte lehnt Die Unterschiede zwischen ost- und
eine Flüchtlingsfamilie als Nachbarn ab. westdeutschen Jugendlichen bleiben
Überproportional hoch ist bei den na- damit zwar noch bestehen, gleichen sich
tionalpopulistisch orientierten Jugend- hinsichtlich der Bewertung der deut-
lichen auch die Ablehnung gegenüber schen Gesellschaft aber zunehmend an.
einer jüdischen Familie. Jeder dritte Nationalpopulistisch orientierte
von ihnen will sie nicht als Nachbarn Jugendliche sind hingegen mehrheit-

18 Zusammenfassung
lich unzufrieden mit der Demokratie Resümierend kann festgehalten
in Deutschland (65 %) und würden mit werden, dass die Jugendlichen in
großer Mehrheit (73 %) eine »starke Deutschland trotz der Debatte um die
Hand«, die für Ordnung sorgt, begrüßen. Flüchtlingskrise und des in diesem
Bei den Nicht-eindeutig-Positionierten Kontext verstärkt um sich greifenden
ist es jeder Dritte, und bei den anderen Rechts- und Nationalpopulismus ihre
beiden populismusfernen Gruppen nur grundsätzlichen Positionen beibehalten
eine kleine Minderheit, die dies bejaht. haben. Sie wissen um die Bedeutung ei-
Interessant für die Funktion und Wir- nes vereinigten Europas, sie befürworten
kungsweise von Populismus ist, dass die die Demokratie als beste Staatsform für
Nicht-eindeutig-Positionierten sowie Deutschland, sie sind ganz überwiegend
selbst die Populismus-Geneigten mit der tolerant. Eine Polarisierung der jungen
Demokratie in Deutschland mehrheit- Generation im Sinne einer Aufspaltung
lich zufrieden sind und diese auch als in größere und unversöhnliche Lager
Staatsform klar befürworten. Bedenkt lässt sich, trotz der tiefgreifenden und
man, dass eine Populismusaffinität stark tendenziell unversöhnlich wirkenden
mit Wut und Empörung über vermeint- Differenzen bei der Frage des Zuzugs
liche Elitenverschwörungen einhergeht, nach Deutschland, in Gänze nicht fest-
dann wäre hier eigentlich von den stellen.
Populismus-­Geneigten ein negatives
Antwortverhalten zu erwarten gewesen.
Es zeigt sich also auch an dieser Stelle, Persönliches Engagement von Jugend-
dass Populismus insbesondere dann lichen schwankt und erscheint leicht
wirkt, wenn er an unbewussten Vorbe- rückläufig
halten, Ängsten oder Verdrossenheiten
anknüpft. Offene Distanz gegenüber der Der Anteil der Jugendlichen, die sich
Demokratie findet sich hingegen erst nach eigenen Angaben sozial, politisch
bei den Jugendlichen, die nationalpopu- beziehungsweise ganz einfach für an-
listische Positionen durchgängig teilen dere Menschen engagieren, liegt seit
und bei denen ihre Kritik an den »herr- langer Zeit zwischen 33 und 40 %. Aller­
schenden Eliten« in offen demokratie- dings sagen inzwischen immer mehr
feindliche Positionen umschlägt. Jungen und Mädchen, dass sie sich in
Wie schon in den letzten Shell Ju- diesem Sinne überhaupt nicht einsetzen,
gendstudien zu beobachten, ist trotz und auch der Anteil derer, die zumindest
steigender Demokratieakzeptanz nach gelegentlich aktiv sind, geht zurück.
wie vor kein Rückgang bei der grund- Jungen und Mädchen sind übrigens
sätzlichen Politikverdrossenheit fest- gleichermaßen engagiert, Jugendliche
stellbar. So ist das Vertrauen, welches in Ost- und Westdeutschland ebenfalls.
Jugendliche den Parteien entgegenbrin- Unterschiede zeigen sich bei der sozia-
gen, weiterhin gering, und auch die Zu- len Herkunft: Je gehobener die Herkunft,
stimmung zu der populistisch geformten desto höher das eigene Engagement.
Aussage »Ich glaube nicht, dass sich Eine wichtige Rolle dürfte an dieser
Politiker darum kümmern, was Leute Stelle neben der Bildungsposition auch
wie ich denken« ist im Vergleich zu 2015 die Erfahrung spielen, dass in der Fami-
ebenfalls angestiegen (71 %). Auffällig lie privates oder gesellschaftliches En-
ist auch hier wieder der Zusammenhang gagement möglicherweise schon immer
zur Bildungsposition. Je niedriger die üblich war und das Aufwachsen mit-
Herkunftsschicht und die Bildungsposi- geprägt hat. Davon unabhängig bieten
tion, desto größer die Verdrossenheit. bessere materielle Lebensbedingungen

Zusammenfassung 19
natürlich auch mehr Freiräume für eige- 3) spezifische Haltungen, mit denen man
nes Engagement. sich gegenüber gesellschaftlichen oder
alltagspraktischen Fragestellungen posi­
tioniert. Die Wertorientierungen bilden
Optimistischer Blick in die Zukunft zusammengenommen den Wertekanon,
der als Kompass für die eigenen Ein-
58 % der Jugendlichen blicken aktuell stellungen, Bewertungen und das eigene
optimistisch in die eigene Zukunft, 37 % Handeln dient.
gemischt (»mal so, mal so«) und nur 5 %
eher düster. Der Anteil der optimisti­
schen Jugendlichen hat sich somit ge- Familie und Beziehungen bleiben für
genüber 2015 (61 %) leicht verringert, die eigene Lebensführung die zentralen
und der seit 2006 zu beobachtende Trend Orientierungspunkte
eines zunehmenden Optimismus setzt
sich nicht fort, doch das Niveau bleibt »Familie« und »soziale ­Beziehungen«
insgesamt ähnlich hoch. sind die mit Abstand wichtigsten
Bemerkenswert ist, dass Jugend­liche Wertorientierungen, die so gut wie
aus der sozial schwächsten Schicht alle Jugendlichen für sich gewährleis-
– entgegen dem Trend – optimistischer tet sehen wollen; sogar wichtiger als
geworden sind. War 2010 und 2015 nur »Eigenverantwortlichkeit« (89 %) und
fast ein Drittel (32 %) optimistisch hin- »Unabhängigkeit« (83 %), die doch ge-
sichtlich der eigenen Zukunft, sind es rade im Jugendalter als Übergang zum
2019 mit 45 % deutlich mehr. Dagegen ist Erwachsensein besondere Entwick-
der Optimismus in den oberen sozialen lungsaufgaben markieren. Auch an der
Schichten seit 2015 merklich ausge- Betonung von Tugenden, wie etwa der
bremst worden. Jugendliche aus der obe- Respektierung von Gesetz und Ordnung
ren Schicht (63 % im Vergleich zu vor- (87 %), fleißig und ehrgeizig zu sein
mals 76 %) und der oberen Mittelschicht (81 %) oder nach Sicherheit zu streben
(62 % im Vergleich zu vormals 71 %) (77 %), hat sich seit 2002 nichts geändert.
sehen aktuell noch immer mehrheitlich, Familie stellt einen »sicheren Heimat-
wenn auch etwas weniger häufig opti- hafen« dar, der jungen Menschen Halt
mistisch in die eigene Zukunft. und Unterstützung gibt, wohingegen
Die Zukunft der Gesellschaft sieht die Orientierung an der Leistungsnorm
etwas mehr als die Hälfte, genauso wie für das »Versprechen« steht, dadurch
auch schon 2015, positiv (52 %). Daran gesellschaftliche Anerkennung zu fin-
hat auch die wachsende Angst vor Um- den und am Leben teilhaben zu können.
weltzerstörung und Klimawandel nichts Letzteres wird auch von der gegenwär-
geändert. tigen jungen Generation akzeptiert und
nicht infrage gestellt. Dass Jugendliche
trotzdem offen für Neues sind und von
daher eine Rolle als Träger von Verände-
rungen übernehmen können, zeigt sich
Wertorientierungen daran, dass sie »die eigene Phantasie
und Kreativität entwickeln« als ähnlich
Unter Wertorientierungen werden in der wichtige Wertorientierung benennen.
Shell Jugendstudie drei konstitutive As- Vier von fünf Jugendlichen geben
pekte verstanden: 1) Lebensziele, nach an, dass sie »das Leben in vollen Zügen
denen man strebt, 2) Tugenden im Sinne genießen« wollen. Diese Haltung hat
von normativen Tüchtigkeitsidealen und seit 2002 kontinuierlich an Bedeutung

20 Zusammenfassung
gewonnen und ist seit 2015 stabil. Die dessen Bedeutung aus der Sicht der
Betonung des Lebensgenusses unter- Jugendlichen, wenn auch auf einem
streicht die Bedeutung, die Jugendliche niedrigeren Niveau, sogar noch etwas
der eigenen Teilhabe beimessen. Das stärker angestiegen ist. Umwelt-, Klima-
Hier und Jetzt in Verbindung mit dem und Gesundheitsbewusstsein sowie eine
Bedürfnis, an den diversen Angeboten, bewusste Lebensführung gehen Hand in
die die Gesellschaft zu bieten hat, per- Hand mit dem Wunsch, sich bei den ei-
sönlich zu partizipieren, ist für die große genen Entscheidungen auch von seinen
Mehrheit der Jugendlichen ebenfalls Gefühlen leiten zu lassen. Gut in dieses
maßgeblich. Familie und Gemeinschaft Bild passt auch, dass die Respektierung
sowie ein eher hedonistisches Streben von Vielfalt bei etwas mehr als vier von
nach Vergnügen und Genuss schließen fünf Jugendlichen mit an der Spitze der
sich dabei nicht aus, sondern bedingen Werte­liste steht. Die große Bedeutung,
sich sogar. Das Leben in vollen Zügen die damit einer bewussten und acht­
genießen zu wollen, bedeutet für viele samen Lebens­führung beigemessen
junge Menschen deshalb auch, dass man wird, dürfte eine wesentliche Triebkraft
grundsätzlich weder Beruf noch Freizeit dafür sein, dass Jugendliche das eigene
entgrenzt sehen möchte. politische Engagement wieder höher be-
werten: Aktuell sind dies 34 %.
Für junge Menschen haben dem-
Bewusste Lebensführung und nach die idealistischen, also die eher
­e igener  Gestaltungsanspruch sinnstiftenden Wertorientierungen an
Bedeutung gewonnen. Gegenläufig ist
Die deutlichste Veränderung im Werte­ die Entwicklung bei tendenziell mate-
kanon von Jugendlichen zeigt sich bei rialistischen Orientierungen, die darauf
den Wertorientierungen, die für eine abzielen, die persönliche Macht- und
bewusste Lebensführung stehen: Ge- Durchsetzungskraft zu steigern. Nur
sundheitsbewusstsein ist für vier von jeder dritte Jugendliche betont den Stel-
fünf Jugendlichen wichtig. Dies ist damit lenwert der eigenen Einflussnahme und
unter Jugendlichen ungefähr gleich Macht, also deutlich weniger als die-
wichtig wie der Wunsch nach Unabhän­ jenigen, denen es wichtig ist, sozial Be-
gigkeit, die Bedeutung von Fleiß und nachteiligten zu helfen (62 %). Sich und
Ehrgeiz sowie der Lebensgenuss. Der seine eigenen Bedürfnisse gegen andere
Schutz der Umwelt liegt 71 % am Herzen durchzusetzen, ist ebenfalls für weniger
und ist damit inzwischen sogar wichti- Jugendliche wichtig, als Toleranz gegen-
ger als ein eigener hoher Lebensstan- über anderen Meinungen zu üben (59 %).
dard (63 %). Der Trend und die damit Dies hat nichts mit fehlender eigener
verbundenen Veränderungen sind an Zielstrebigkeit zu tun. Fast alle Jugend-
dieser Stelle klar ersichtlich: Im Jahr liche (87 %) reklamieren für sich, ihre
2002 haben noch 60 % der Jugendlichen Ziele und Erfolgsvorstellungen in die Tat
Umweltbewusstsein als wichtigen Wert umzusetzen, und knapp zwei von drei
benannt, inzwischen trifft dies für fast Jugendlichen halten es für wichtig, mehr
drei von vier Jugendlichen zu. Das ist zu leisten als die anderen. Auch diese
ein ungewöhnlich hoher Bedeutungs­ Entwicklung bringt zum Ausdruck, dass
anstieg, es gibt, mit nur einer Ausnahme, sich der Wertehorizont der Jugendlichen
keinen anderen Bereich, der seitdem verschiebt: Sie tendieren zu stärkerer
ähnlich stark an Relevanz gewonnen Achtsamkeit und Verträglichkeit auch im
hat. Diese Ausnahme bildet interessan- persönlichen Bereich.
terweise das politische Engagement,

Zusammenfassung 21
Zwei Drittel aller Jugendlichen hal- mangeln. Sie schätzen sich als genauso
ten einen hohen Lebensstandard für zielstrebig ein wie junge Männer (88 %)
erstrebenswert, dieser Wert schwankt und finden es für ihre Lebensführung
seit Jahren etwas, liegt aber ungefähr auf ebenfalls genauso wichtig, sich und ihre
dem Niveau seit 2002. Wertemuster, die Bedürfnisse gegenüber anderen durch-
Tradition und Konformität kennzeich- zusetzen (49 %). Auch bei der Bewertung
nen, verlieren an Bedeutung. Es ist der eines hohen Lebensstandards sind sich
Non-Konformismus, der nach wie vor die männlichen und die weiblichen Ju-
die Lebensphase Jugend prägt. Noch gendlichen einig.
2015 hatte es den Anschein, dass die
traditionsbezogenen Wertemuster leicht
ansteigen würden, doch aktuell hat sich Jugendliche aus der untersten
dieser Trend wieder umgekehrt. ­H erkunftsschicht fühlen sich deutlich
stärker benachteiligt

Junge Frauen als Trendsetter einer Tugendhaftigkeit und Tüchtigkeit sind


bewussteren Lebensführung für nahezu alle Jugendlichen positiv be-
setzt – und zwar in allen Schichten. Res-
Junge Frauen repräsentieren die Ver- pekt vor Gesetz und Ordnung oder Fleiß
änderungen im Wertekanon besonders und Ehrgeiz gehören für alle jungen
deutlich. Ihnen liegen insbesondere die Menschen zu den wichtigen Leitbildern.
Wertorientierungen aus dem Werte­ Fleiß und Ehrgeiz als Leistungsideal
muster Bewusste Lebensführung häu- benennen Jugendliche aus der obersten
figer am Herzen: So halten es fast vier Herkunftsschicht im Vergleich am häu-
von fünf weiblichen Jugendlichen im figsten, allerdings dicht gefolgt von ihren
Vergleich zu etwas mehr als zwei von Altersgenossen aus der unteren Mittel-
drei männlichen Jugendlichen für wich- schicht. Alles in allem sind die Abstände
tig, sich unter allen Umständen umwelt- zwischen den Schichten aber eher ge-
bewusst zu verhalten. Auch die soziale ring. Ehrgeiz ist also kein primäres Mit-
Orientierung ist bei ihnen stärker ausge- telschichtsphänomen, sondern auch für
prägt. Hier sind es zwei von drei jungen die oberste und die unteren Schichten
Frauen – im Vergleich zu etwas mehr eine klare Leitorientierung.
als jedem zweiten jungen Mann –, die Die schichtübergreifend hohe Leis-
es wichtig finden, sozial Benachteiligten tungsethik ist vor dem Hintergrund, dass
zu helfen. Die Bedeutung eines eigenen sich Jugendliche aus der untersten Her-
politischen Engagements ist bei jungen kunftsschicht als stärker benachteiligt
Frauen ebenfalls angestiegen (34 %) und empfinden, bemerkenswert. Immerhin
wird von ihnen jetzt genauso hoch wie fast zwei von drei dieser weniger privile-
von ihren männlichen Altersgenossen gierten Jugendlichen geben an, häufiger
bewertet. die Erfahrung zu machen, dass andere
Junge Männer geben sich weniger ge- über sie bestimmen, während dies an-
fühlsbetont und stärker materialistisch sonsten nur von knapp jedem Zweiten
als junge Frauen. Deutlich ausgeprägter und bei Altersgenossen aus der obersten
ist vor allem ihr Wunsch, selbst Macht Herkunftsschicht sogar nur von jedem
und Einfluss zu haben. Immerhin mehr Dritten berichtet wird. Unterschiede gibt
als jeder dritte junge Mann, aber nur es ebenfalls bei der Wahrnehmung, dass
etwa jede vierte junge Frau halten dies andere bevorzugt werden. Dies meint je-
für wichtig. Junge Frauen lassen es dabei der zweite Jugendliche aus der untersten
keinesfalls an Durchsetzungsanspruch Herkunftsschicht im Vergleich zu nur

22 Zusammenfassung
jedem fünften aus der oberen Schicht. Schicht sind es nur gut zwei von dreien,
Die Wahrnehmungen von Jugendlichen und ein Viertel aus dieser Gruppe hält
aus den unterschiedlichen sozialen umweltbewusstes Verhalten sogar für
Schichten gehen an dieser Stelle offen- nicht wichtig.
sichtlich auseinander. Die beschriebene
Leistungsethik schützt also offenbar
nicht davor, sich als unberechtigterweise Jugendliche mit und ohne Migrations-
benachteiligt oder sogar als abgehängt hintergrund unterscheiden sich nicht in
zu empfinden. ihren zentralen Lebenszielen
Auffällig ist der persönliche Durch-
setzungswille von Jugendlichen aus den Familie, Freunde und soziale Beziehun-
unteren Herkunftsschichten: Für 59 % gen im Verbund mit Eigenverantwor-
der jungen Leute aus der untersten tung und Unabhängigkeit sind auch für
Herkunftsschicht und für 51 % derjeni- Jugendliche mit einem Migrationshin-
gen aus der unteren Mittelschicht ist es tergrund die wichtigsten Lebensziele.
wichtig, sich und die eigenen Bedürfnis- Darüber hinaus sind es die gleichen Tu-
se gegen andere durchzusetzen. Dieser genden wie bei deutschen Jugendlichen
Anteil sinkt auf 43 % in der oberen Mit- ohne Migrationshintergrund, etwa Fleiß
telschicht und der oberen Schicht. Das und Ehrgeiz, nach Sicherheit streben
geringere Kontroll- und das höhere Be- und ein gutes Familienleben führen, die
nachteiligungsempfinden in den unteren für ihre Einstellungen und Haltungen
Schichten führt mehrheitlich also nicht eine gemeinsame Richtschnur bilden.
dazu zu resignieren. Im Gegenteil: Für Der Hauptunterschied zwischen Ju-
die Mehrheit ist der Wille nach einer fast gendlichen mit und ohne Migrationshin-
schon unbedingten Selbstbehauptung tergrund besteht in der Bedeutung, den
prägend. Die jungen Menschen wollen sie dem Glauben an Gott beimessen. Für
sich nicht unterkriegen lassen. Jugend- fast zwei von drei Jugendlichen aus den
liche aus den oberen Schichten betonen islamisch geprägten Ländern spielt der
den Durchsetzungswillen etwas seltener, Gottesglaube eine wichtige Rolle, wäh-
sicherlich auch, weil sie es aufgrund rend dies für deutsche Jugendliche ohne
ihrer privilegierteren Position per se Migrationshintergrund sowie diejenigen
weniger nötig haben. Respekt gegenüber aus den sonstigen OECD-Ländern nur
Vielfalt ist für 70 % der Jugendlichen für jeden Vierten zutrifft. Der Respekt
aus der untersten Schicht wichtig, aber für Gesetz und Ordnung steht bei allen
für fast 90 % der Gleichaltrigen aus den Jugendlichen vergleichbar hoch im Kurs,
oberen Schichten. Der Anspruch auf egal ob mit oder ohne Migrationshinter­
eigene Gestaltungsmacht im Sinne einer grund. Jugendliche mit einem Migra-
Selbstbehauptung ist für Jugendliche tionshintergrund aus den islamischen
aus den unteren Schichten allerdings Herkunftsländern oder aus Osteuropa,
nicht unproblematisch und kann, je nach der Ex-UdSSR oder aus Ex-Jugoslawien
Situation und Ausprägung, auch dazu identifizieren sich darüber hinaus be-
führen, den gesellschaftlichen Anschluss sonders stark mit den Leistungs- und
sogar noch weiter zu verlieren. Tüchtigkeitsnormen, deutlich stärker
Auch umweltbewusstes Verhalten als Jugendliche ohne Migrationshinter­
hängt stark mit der Zugehörigkeit zu grund. Gleiches gilt für den hohen
den Schichten zusammen: Für rund drei Lebensstandard, den Jugendliche mit
Viertel der Jugendlichen aus den oberen Migrationshintergrund aus den beiden
und mittleren Schichten ist es zentral, genannten großen Herkunftsgebieten
in der unteren Mittel- sowie untersten im Vergleich ebenfalls als wichtiger be-

Zusammenfassung 23
werten. Zum Ausdruck kommt an dieser ohne Migrationshintergrund und auch
Stelle der »Traum« vom Wohlstand und bei Jugendlichen aus den sonstigen
der Teilhabe im fremden Land, in dem OECD-Staaten sind es hier etwa vier von
man lebt und in dem die meisten auch fünf. Dabei dürften diese Jugendlichen
geboren wurden. Dafür bringen sie sich mit Migrationshintergrund natürlich be-
mit all ihrem Fleiß und Ehrgeiz ein und sonders an den Respekt vor der eigenen
respektieren Gesetze und die grundsätz- Kultur und Lebensweise denken, die sie
liche Ordnung. bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft
oftmals vermissen. Auf der anderen Sei-
te – wie bereits dargestellt – stellen wir
Jugendliche mit Migrationshintergrund bei einem Teil dieser Jugendlichen fest,
fühlen sich stärker benachteiligt dass sie diese eingeforderte Toleranz
gegenüber anderen Minderheiten – ins-
Die Bedeutung der Tugenden und die besondere Juden und Homosexuellen –
Leistungsorientierung stellen bei Ju- eher nicht aufbringen.
gendlichen mit Migrationshintergrund Insgesamt betrachtet finden sich
allerdings nur die eine Seite der Me- bei Jugendlichen mit und ohne Migra­
daille dar. Auf der anderen Seite stehen tionshintergrund in den zentralen
die gefühlten Ungerechtigkeiten. Mehr Wertorientierungen keine grundsätz­
als 40 % der Jugendlichen mit einem lichen Unterschiede. Vielmehr überwiegt
Migrationshintergrund aus den beiden das Gemeinsame. Die pragmatische
genannten großen Herkunftsregionen ­Grundhaltung der Jugendlichen, also
sehen es so, dass sie im Alltag ­häufiger die Bereitschaft, sich in hohem Maße an
als andere benachteiligt werden. Ins- Leistungsnormen zu orientieren und sich
besondere Letzteres unterscheidet sie an die jeweiligen Gegeben­heiten anzu-
von ihren Altersgenossen ohne Migra- passen, im Verbund mit dem Wunsch
tionshintergrund und auch von denen nach stabilen sozialen Beziehungen im
mit einem Hintergrund aus den sonsti­ persönlichen Nahbereich, bildet auch
gen OECD-Ländern. Jugendliche mit hier einen gemeinsamen Rahmen.
Migrationshintergrund betrachten es als
für ihre Lebensführung wichtig, sich und
ihre Bedürfnisse gegenüber anderen
durchzusetzen. Es findet sich an dieser
Stelle ein ähnliches Muster wie bei den Familie und Lebenswelten
Jugendlichen aus den unteren Her-
kunftsschichten. Mit dem Ablösungsprozess vom Eltern-
haus und einer gleichzeitig zunehmen-
den Orientierung an der Gleichaltrigen-
Respekt und Toleranz als gruppe verändert sich das Verhältnis
­w ichtige ­Güter der Jugendlichen zu ihren Eltern. Diese
Beziehung bleibt aber wichtig, nicht nur
Knapp neun von zehn Jugendlichen mit emotional, sondern auch als Orientie-
einem Migrationshintergrund aus den rung für die eigene Einstellung zu Kin-
islamisch geprägten Herkunftsländern dern und Familie.
und sogar noch etwas mehr derjenigen
mit einem Hintergrund aus Osteuropa,
der Ex-UdSSR oder Ex-Jugoslawien be-
tonen die Notwendigkeit des Respekts
vor Vielfalt. Bei ihren Altersgenossen

24 Zusammenfassung
Beziehung zu den eigenen Eltern auch junge Frauen häufiger als junge Männer
weiterhin überaus positiv von einer festen Partnerschaft. Fragt
man Jugendliche, wie sie sich die part-
Seit 2002 nimmt der Anteil Jugendlicher, nerschaftliche Aufteilung der Erwerbs-
die ein positives Verhältnis zu den Eltern tätigkeit wünschen würden, wenn sie
haben, stetig zu: Vier von zehn Jugend- 30 Jahre alt wären und ein zweijähriges
lichen (42 %) kommen bestens mit ihren Kind hätten, sind sich junge Männer und
Eltern aus, die Hälfte (50 %) kommt trotz Frauen recht einig bezüglich der idealen
gelegentlicher Meinungsverschiedenhei- Rollenverteilung: In einer Partnerschaft
ten mit ihnen klar. Entsprechend zufrie- mit kleinem Kind sollte die Frau und
den sind Jugendliche mit der Erziehung nicht der Mann beruflich kürzer treten.
durch ihre Eltern, diese bleiben maßgeb­ 65 % der Frauen würden gerne maximal
liche Erziehungsvorbilder: 16 % würden halbtags arbeiten – und 68 % der jungen
ihre Kinder genauso erziehen, wie sie Männer wünschen sich genau das von
selbst erzogen wurden, und 58 % un- ihrer Partnerin. Viele Männer wünschen
gefähr so. Weniger als ein Viertel der sich eine Rolle als »aktiver Vater«, der
Jugendlichen (23 %) würde ihre Kinder sich an der Kinderbetreuung beteiligt,
anders oder sogar ganz anders erziehen, und nur 41 % von ihnen möchten in der
als sie selbst von ihren Eltern erzogen beschriebenen Familiensituation in
wurden (2002 ­äußerten dies noch 29 %). Vollzeit arbeiten. Von den jungen Frau-
Allerdings ist in den höheren sozialen en wünschen sich etwas mehr (51 %),
Herkunftsschichten das Verhältnis von dass der Vater in Vollzeit arbeitet. Ins-
Jugendlichen zu ihren Eltern deutlich gesamt haben beide Geschlechter also
besser als in den weniger privilegierten recht ähnliche Vorstellungen, was die
Schichten. Erwerbstätigkeit eines Vaters und einer
Gut zwei Drittel (68 %) aller 12- bis Mutter angeht.
25-Jährigen, die selbst noch kein Kind Insgesamt ist es mehr als die Hälfte
haben, möchten später einmal Kinder (54 %) aller 12- bis 25-Jährigen, die ein
haben. Damit ist der Kinderwunsch im »männliches Versorgermodell« favorisie-
Zeitverlauf recht stabil. Junge Frauen ren: 10 % bevorzugen das Modell eines
sind sich etwas häufiger sicher, dass sie »männlichen Alleinversorgers« (der
Kinder möchten, als junge Männer (71 % Mann versorgt die Familie allein und ar-
zu 64 %). Zwar sind beim Thema Kin- beitet 30 oder 40 Stunden in der Woche),
derwunsch noch immer Unterschiede weitere 44 % präferieren das Modell ei-
zwischen Ost und West sichtbar (71 % nes »männlichen Hauptversorgers« (der
zu 67 %), doch ist seit 2002 der Kinder- Mann arbeitet mindestens 30 Stunden,
wunsch ostdeutscher Frauen rückläufig die Frau maximal halbtags). Auch an
und nähert sich zunehmend dem der dieser Stelle sind Unterschiede zwischen
Frauen im Westen an. alten und neuen Bundesländern zu
sehen. Junge Menschen im Westen den-
ken hier traditioneller: 58 % der Männer
Partnerschaft und Vorstellungen von und 56 % der Frauen würden sich eine
partnerschaftlicher Aufteilung der Familie mit männlichem Allein- oder
Erwerbstätigkeit Hauptversorger wünschen, während sich
im Osten dem nur 38 % der Männer und
5 % der 12- bis 14-Jährigen haben eine 31 % der Frauen anschließen. Der Vater
feste Partnerschaft, bei den 22- bis als Ernährer der Familie ist – zumindest
25-Jährigen ist es mehr als die Hälfte im Westen – offensichtlich keine rein
(52 %). In allen Altersgruppen sprechen männliche Vorstellung, dieses Modell

Zusammenfassung 25
wird auch von vielen jungen Frauen sehr unzufrieden ist lediglich 1 %. Die
favorisiert. In den neuen Bundeslän- soziale Herkunftsschicht ist auch an die-
dern erfreuen sich dafür gleichwertiger ser Stelle bedeutsam: Während sich 56 %
aufgeteilte Modelle deutlich größerer der Jugendlichen aus der oberen Schicht
Beliebtheit als im Westen. sehr zufrieden mit ihrem Freundeskreis
äußern, sind es nur 36 % in der unteren
Schicht.
Freundschaften: Qualität zählt mehr
als Quantität
Bedeutung von Religion, Glaube
Freundschaften mit Gleichaltrigen sind und Kirche
für Jugendliche von zentraler Bedeu-
tung, wobei offenbar mehr die Qualität Sowohl für katholische als auch evan-
als die Quantität von sozialen Beziehun- gelische Jugendliche hat der Glaube in
gen zählt: Für 97 % aller 12- bis 25-Jäh- den letzten knapp 20 Jahren erheblich
rigen sind »gute Freunde, die einen an Bedeutung verloren: Nur für 39 % der
anerkennen und akzeptieren« wichtig, katholischen und 24 % der evangelischen
und nur 71 % finden es ebenso wichtig, Jugendlichen ist der Glaube wichtig. An-
viele Kontakte zu anderen Menschen zu ders ist dies bei muslimischen Jugendli-
haben. Auch wenn ein großer Teil der chen: Für 73 % von ihnen ist der Gottes-
Kommunikation unter Digital Natives glaube wichtig. Ähnliche konfessionelle
über digitale Medien stattfindet, finden Muster zeigen sich bei der konkreten
auch bei ihnen Freundschaften ganz Religionsausübung: Nur 18 % der katho­
überwiegend in der »Offline-Welt« statt: lischen, 13 % der evangelischen, aber
Nur 5 % aller Jugendlichen geben an, 60 % der muslimischen Jugendlichen be-
dass sie mit der Hälfte oder mehr ihrer ten mindestens einmal pro Woche.
Freunde nur virtuellen Kontakt haben. Die Institution Kirche wird von ins-
Zwei Drittel (67 %) haben ausschließlich gesamt mehr als einem Drittel aller Ju-
Freunde, mit denen sie (auch) persönlich gendlichen – unabhängig davon, ob kon-
in Kontakt sind. fessionell gebunden oder nicht – positiv
Spielt die Herkunft eine Rolle für gesehen: 69 % finden es gut, dass es die
Freundschaften? Der Freundeskreis von Kirche gibt (75 % der katholischen, 79 %
79 % der Jugendlichen ohne Migrations- der evangelischen und sogar 45 % der
hintergrund setzt sich mehrheitlich aus konfessionslosen Jugendlichen).
Deutschen zusammen, nur bei jedem
fünften (18 %) ist das eine Mischung
aus Deutschen und Migranten gleicher­
maßen. Von den Jugendlichen mit Migra-
tionshintergrund hat ein Fünftel (21 %) Bildung und Beruf
vor allem Migranten als Freunde, bei der
Hälfte (51 %) besteht der Freundeskreis Bildung und damit verbundener schu-
gleichermaßen aus Deutschen und Mi- lischer Erfolg schaffen wesentliche
granten und bei einem Viertel (25 %) sind Grundlagen für das weitere Leben der
es mehrheitlich Deutsche. Jugendlichen. Konnten wir in den letzten
Knapp die Hälfte aller 12- bis 25-Jäh- Jahren aufgrund gesellschaftlicher Wei-
rigen (48 %) ist sehr zufrieden mit dem chenstellungen, wie die Verkürzung von
eigenen Freundeskreis, vier von zehn Studienzeiten an deutschen Universitä-
(41 %) sind zufrieden, jeder Zehnte sagt ten und die Einführung des achtjährigen
teils, teils (10 %). Unzufrieden oder sogar Gymnasiums in den westdeutschen Bun-

26 Zusammenfassung
desländern, eine beschleunigte Lebens­ cher, dass sie ihre unverändert hohen
phase Jugend ausmachen, die zu einer Bildungsaspirationen in Form der an-
Erhöhung der Erwerbstätigen­quote un- gestrebten Schulabschlüsse realisieren
ter 12- bis 25-Jährigen führte, kehrt sich werden. Diese breite Mehrheit findet
dieser Trend langsam um. Hierzu tragen sich auch bei den Auszubildenden,
erhöhte Quoten von Jugendlichen bei, wenn es um die Übernahme nach der
die die Schulen mit Abitur oder Fach- Ausbildung geht, und noch stärker bei
hochschulreife verlassen und die ein den Studierenden, wenn es darum geht,
Studium aufnehmen. Dies führt zu einer innerhalb eines Jahres nach dem Stu-
Verlängerung der Bildungsetappen, so dium einen angemessenen Arbeitsplatz
dass der Anteil der Erwerbstätigen unter zu finden.
den 12- bis 25-Jährigen von 2010 (23 %) Groß fällt dann aber der Kontrast bei
bis heute (21 %) wieder leicht rückläufig den Jugendlichen aus, die bereits Brüche
ist, aber dennoch weit über dem Aus- in ihrer Bildungskarriere erlebt haben.
gangswert unserer Zeitreihe von 16 % im Exemplarisch haben wir dazu den Opti-
Jahr 2002 liegt. mismus der Jugendlichen betrachtet. Ju-
In der Schullandschaft setzt sich in gendliche, die bereits kritische Bildungs-
der Zwischenzeit der Trend zu einer Art ereignisse erlebt haben, blicken nur zu
zweigliedrigem Schulsystem weiter fort. 47 % und diejenigen, die Unsicherheiten
Besuchte 2002 noch fast die Hälfte aller in der Qualifikationsphase erwarten,
Schüler eine Haupt- oder Realschule, ist sogar nur zu 30 % zuversichtlich in die
es inzwischen nur ein Viertel. Im Gegen- Zukunft. Jugendliche, die von solchen
zug haben in diesem Zeitraum vor allem Schwierigkeiten nicht berichten, sind
das Gymnasiun (41 % auf 47 %) als auch hingegen zu 63 % zuversichtlich.
integrierte Schulformen (13 % auf 26 %)
an Zulauf gewonnen. Zwischen Stadt
und Land sind im Zugang zum Gymna- Erwartungen an den Beruf erweisen
sium inzwischen ebenfalls keine gravie- sich als sehr stabil – Sicherheit weiter-
renden Unterschiede mehr erkennbar. hin an erster Stelle

Bei den Erwartungen an die Berufstätig-


Soziale Herkunft und Bildung keit dominiert weiterhin das Bedürfnis
­korrelieren nach wie vor nach Sicherheit. Einen sicheren Arbeits­
platz halten 93 % der Jugendlichen für
Mädchen besuchen deutlich häufiger das (sehr) wichtig. Ein Arbeitsplatz, für
Gymnasium als Jungen (53 % zu 42 %). den die Jugendlichen nicht umziehen
Noch gravierender und über die Zeit müssen, ist für sie dagegen deutlich sel-
ebenfalls unverändert fallen die Unter­ tener (sehr) wichtig (52 %). Für fast alle
schiede nach sozialer Herkunft aus. Jugendlichen (93 %) dürfen Familie und
Während unter Jugendlichen aus der Kinder neben dem Beruf nicht zu kurz
unteren Schicht (13 %) es nur eine kleine kommen.
Minderheit an das Gymnasium schafft, Die Erwartungen an die Berufstätig-
ist es bei Jugendlichen aus der oberen keit und deren Gestaltung lassen sich
Schicht (71 %) die breite Mehrheit. anhand von fünf Dimensionen zusam-
Optimistisch sind die Jugendlichen menfassen: Beim Thema Nutzenorientie-
in ihrer Einschätzung, wenn es um rung stehen ein hohes Einkommen und
bevorstehende Unsicherheiten in der gute Aufstiegsmöglichkeiten im Vorder-
Bildungskarriere geht. So sind sich die grund, aber auch genügend Freizeit ne-
Schüler in einer großen Mehrheit si- ben der Berufstätigkeit spielt hier eine

Zusammenfassung 27
Rolle. Bei der Erfüllungsorientierung steht Deutschland häufiger als die anderen
die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns als gerecht. Zugleich haben sie öfter
im Erwerbsleben im Vordergrund. Zen- das Gefühl, dass andere über ihr Leben
trale Aspekte sind die Möglichkeiten, bestimmen. Vielfalt anzuerkennen und
sich um andere zu kümmern und etwas zu respektieren, ist ihnen dabei durch-
Nützliches für die Gesellschaft zu tun. aus wichtig. Hinsichtlich des eigenen
Die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben Bildungshintergrundes und der sozialen
umfasst den Wechsel auf Teilzeit, sobald Herkunft weichen die Durchstarter in
Kinder da sind, und die Möglichkeit ihrer Zusammensetzung nicht von der
einer kurzfristigen Anpassung der Ar- der anderen Jugendlichen ab. Auch
beitszeit an die eigenen Bedürfnisse. Die wenn es um die Sorge um den eigenen
Planbarkeit der Berufstätigkeit bezieht Arbeitsplatz geht, liegen sie im Durch-
sich auf die alltägliche Dimension des schnitt.
Erwerbslebens. Eine geregelte Arbeits­ Die Idealisten (21 %) stellen den As-
zeit mit klar festgelegtem Beginn und pekt der Erfüllung eindeutig in den
Ende steht hier im Vordergrund. Zu- Vordergrund. Zugleich ist ihnen wichtig,
gleich geht es darum, für einen Job dass der Beruf nicht ihr gesamtes Leben
nicht unbedingt umziehen zu wollen. dominiert. Die alltägliche Planbarkeit
Karriere­orientierung umfasst die Idee, und vor allem der Nutzen der Berufs-
dass Überstunden zur beruflichen Kar- tätigkeit sind dagegen weniger wichtig.
riere dazugehören, und die Bereitschaft, Ihre Bereitschaft zu flexiblen Arbeitszei-
am Wochenende zu arbeiten, wenn es zu ten und Überstunden ist eher moderat.
einem entsprechenden Ausgleich unter Idealisten verfügen deutlich häufiger
der Woche kommt. Dies sind übrigens über bessere Schulabschlüsse. Zudem
die beiden Aussagen mit den insgesamt entstammen sie öfter der oberen Mittel-
geringsten Zustimmungswerten. Junge schicht und oberen Schicht. Vor allem in
Männer betonen die Nutzenorientierung den westlichen Bundesländern und bei
und die Karriereorientierung stärker, Deutschen ohne Migrationshintergrund
während jungen Frauen Erfüllungs­ ist die idealistische Orientierung häufi-
orientierung, die Vereinbarkeit von ger anzutreffen. Vielfalt anzuerkennen
Arbeit und Leben sowie die Planbarkeit und zu respektieren, ist ihnen besonders
der Berufstätigkeit wichtiger sind. wichtig. Wenig Sorgen bereitet ihnen
Aus diesen fünf Aspekten des Berufs- das Thema Arbeitslosigkeit oder keinen
lebens lassen sich vier Typen jugend- geeigneten Ausbildungsplatz zu finden.
licher Berufsorientierung ableiten. Idealisten berichten besonders selten
Den Durchstartern (32 %) ist in einem von der Erfahrung, dass andere über ihr
gewissen Maße alles zugleich wichtig. Leben bestimmen. Zugleich sehen sie
Sowohl Nutzen als aber auch Erfüllung seltener, dass es in Deutschland gerecht
sind für sie im Erwerbsleben zentral. zugeht und Arbeit sich für sozialen Auf-
Auch sind für sie die Möglichkeiten zur stieg wirklich lohnt.
eigenen Karriere von wesentlicher Be- Bei Bodenständigen (24 %) dominieren
deutung. Vereinbarkeit der Arbeit mit beim Beruf Nutzen und alltägliche Plan-
weiteren Lebensinhalten und in einem barkeit. Dem Wunsch nach Erfüllung
etwas geringeren Maße die Planbar- stehen sie neutral gegenüber. Die Verein-
keit sind ebenfalls positiv besetzt. Sie barkeit der Arbeit mit weiteren Lebens-
glauben eher als die anderen Gruppen inhalten und vor allem eine Karriere
an das Aufstiegsversprechen, durch sind ihnen weniger wichtig. Vermehrt in
harte Arbeit zum Erfolg zu kommen, den westdeutschen Bundesländern an-
und bewerten die Chancenverteilung in zutreffen, sorgen sie sich eher um ihren

28 Zusammenfassung
Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Genauso den Prioritäten weit vorne. Auch diese
wie die Idealisten schenken sie dem Haltung erscheint sehr pragmatisch.
Aufstiegsversprechen durch harte Arbeit Im Vordergrund steht die unmittelbare
und der Vorstellung, dass es in Deutsch- Lebensplanung. Hierzu gehört neben
land gerecht zugeht, weniger Glauben dem zu realisierenden Einkommen die
als die Durchstarter. Bei Bildung, Schich- Sicherheit, den Übergang in den Beruf
tenzugehörigkeit und Herkunft bildet geschafft zu haben, sowie die Vereinbar-
diese Gruppe den Querschnitt der Bevöl- keit mit den weiteren Lebenszielen in
kerung ab. Im Gegensatz zu den anderen Familie und Freizeit.
Gruppen stellen die jungen Männer eine
deutlichere Mehrheit.
Die Distanzierten (23 %) fühlen sich
von wesentlichen Aspekten des Berufs­
lebens nicht richtig angesprochen. Freizeit
Dies gilt für Nutzen, Erfüllung und die
Vereinbarkeit der Arbeit mit weiteren Freizeit bietet Jugendlichen neben Er-
Lebensinhalten. Dagegen sind ihnen holung auch Raum zur Selbstentfaltung
eine Karriere und vor allem die alltägli- und sozialen Integration. Geselligkeit,
che Planbarkeit der Arbeit sehr wichtig. Sport und Kreativität als Freizeit­
Die Distanzierten entstammen häufiger beschäftigungen bleiben wichtig. Digi-
den niedrigeren Herkunftsschichten und tale Freizeitaktivitäten gewinnen aber
sind weniger gut gebildet. Vor diesem weiterhin an Bedeutung.
Hintergrund sorgen sie sich ebenso wie Im Vergleich ist es Jugendlichen heu-
die Bodenständigen um einen möglichen te (55 %), anders als noch 2002 (62 %),
Verlust des Arbeits- oder Ausbildungs- nicht mehr ganz so häufig wichtig, sich
platzes. Sie sind im Vergleich zu allen mit Leuten zu treffen. Unternehmungen
anderen Gruppen am wenigsten bereit, mit der Familie gehören für 23 % der
Vielfalt anzuerkennen und zu respek- Jugendlichen 2019 zu den häufigsten
tieren. Aktivitäten in der Freizeit (2002: 16 %).
Dies ist für Jugendliche also wichtiger
geworden und korrespondiert mit dem
Sicherer Arbeitsplatz, genügend zunehmend positiven Verhältnis zu den
­Freizeit und hohes Einkommen Eltern. 45 % der Jugendlichen streamen
sind Prioritäten in ihrer Freizeit häufig Videos (2015:
15 %). Komplementär dazu hat das klas-
Im Rahmen der aktuellen Shell Jugend- sische Fernsehen an Bedeutung verloren
studie haben wir ebenfalls erhoben, (49 % auf 33 %). Die Bedeutung des Spie-
welche Aspekte der Berufstätigkeit Ju- lens an Konsole oder Computer (23 %)
gendlichen, wenn sie sich entscheiden bleibt langfristig stabil. Vor allem für die
müssen, jeweils am wichtigsten sind. 12- bis 14-jährigen Jungen ist diese Art
Wenn sie also Prioritäten setzen sollen, des Gamens eine zentrale Freizeitbe-
dann bevorzugen die meisten Jugend- schäftigung (57 %). Die Bedeutung von
lichen eher materielle Aspekte und die aktivem Sport bzw. Training (27 %) bleibt
Sicherheit des Arbeitsplatzes und stellen konstant, Freizeitsport (24 %) hat etwas
die inhaltliche Wertigkeit ihrer Arbeit an Beliebtheit verloren. Das Lesen von
hintan. Der sichere Arbeitsplatz, die Büchern, vor allem aber von Zeitschrif-
Erwartung, genügend Freizeit neben der ten oder Magazinen, ist Jugendlichen
Berufstätigkeit zu haben, und ein hohes heute weniger wichtig als noch vor
Einkommen liegen bei der Abfrage nach knapp 20 Jahren. Kreative oder künstle-

Zusammenfassung 29
rische Aktivitäten erfreuen sich bei jun- Wege ins Internet und Dauer
gen Frauen zunehmender Beliebtheit. der ­Internetnutzung
Die soziale Herkunftsschicht spielt
eine bedeutende Rolle für das Freizeit- 70 % der Jugendlichen nutzen in erster
verhalten: Jugendliche aus den unteren Linie ihr Smartphone, wenn sie ins In-
sozialen Schichten surfen häufiger im ternet gehen. An einem gewöhnlichen
Netz, gamen oder sehen regelmäßiger Tag sind sie laut Selbsteinschätzung
fern als Gleichaltrige aus den höheren durchschnittlich 3,7 Stunden im Inter-
Schichten. Letztere liegen stattdessen net. Weder nach Geschlecht, Alter noch
bei »aktiven« Beschäftigungen wie Sport, sozialem Hintergrund sind hier auffäl-
Lesen oder Kreativität vorn. lige Unterschiede zu erkennen, für alle
In der Freizeit-Typologie bilden die Jugendlichen ist es Normalität, viel Zeit
Medienfokussierten mit 37 % die ­größte online zu verbringen.
Gruppe, vor allem beim Streaming Dabei ist das Internet für Jugendliche
und Gaming liegen diese Jugendlichen keineswegs ein reines Unterhaltungs-
weit vor den anderen. Soziale Kontakte medium. An erster Stelle steht für sie
­haben in der Freizeit der Medienfokus- Kommunikation: 96 % sind mindestens
sierten weniger Platz. In dieser Gruppe einmal täglich in den sozialen Medien
sind Jüngere und Männer (70 %) über- (Messengerdienste oder soziale Netz-
proportional vertreten. Die 31 % Fami- werke) unterwegs. Zwar gehen 76 % min-
lienorientierten, bei denen Frauen mit destens einmal am Tag aus Unterhal-
63 % die Mehrheit bilden, zeichnen sich tungszwecken online (sei es für Musik,
neben Unternehmungen mit der Familie Videostreaming, Gamen oder Ansehen
auch durch klassischen Medienkonsum von Beiträgen von Personen, denen sie
(Fernsehen, Zeitschriften, Bücher) aus. folgen), aber 71 % suchen auch mindes-
Von den Geselligen (17 %) sind vier von tens einmal täglich nach Informationen
fünf 18 Jahre oder älter – diese Gruppe (allgemeiner Art, für Schule, Ausbildung
hebt sich vor allem durch ihr abend- oder Beruf oder über Politik und Ge-
liches Ausgehen (Clubs oder Partys, sellschaft). Deutlich seltener nutzen sie
Bar oder Kneipe) von den anderen das Internet zur Selbstinszenierung, nur
Jugendlichen ab. Die Kreativ-engagiert 12 % stellen mindestens einmal täglich
Aktiven (15 %) sind deutlich häufiger als Fotos, Videos, Musik oder Blogbeiträge
die anderen Jugendlichen kreativ oder ins Netz.
künstlerisch unterwegs oder engagieren
sich in einem Projekt, einer Initiative
oder einem Verein. Sechs von zehn Bedenken und Verunsicherung
(62 %) dieser Jugendlichen sind Frauen,
die mittleren und höheren Schichten Geht es um ihre Meinung zum Internet
sind überdurchschnittlich vertreten. und zu sozialen Netzwerken, überwie-
Mit zwei Drittel (68 %), die Abitur bzw. gen Bedenken und Verunsicherung: 60 %
fachgebundene Hochschulreife haben finden es nicht gut, dass sie als Internet­
bzw. erreichen wollen, sind außerdem user Teil eines Geschäftsmodells sind
überdurchschnittlich viele gut Gebildete und Konzerne wie Facebook oder Google
in dieser Gruppe anzutreffen. mit den Daten der Nutzer viel Geld
verdienen. Ebenso viele (61 %) befürch-
ten, keine Kontrolle über die Daten zu
haben, die man im Netz hinterlässt. Die
Mehrheit der Jugendlichen sieht es auch
so, dass es im Netz Hate Speech (58 %)

30 Zusammenfassung
oder Fake News (51 %) gibt. Etwas weni- schichten überdurchschnittlich hoch.
ger stark ausgeprägt ist die Angst, etwas Die Funktionsnutzer sind überpropor-
zu verpassen, wenn man nicht ständig tional kritisch und vorsichtig, was das
online ist. 40 % sind der Meinung, dass Internet angeht. Sie zeigen auch weniger
man bei sozialen Netzwerken dabei sein Anzeichen von Abhängigkeit als andere.
muss, um mitzubekommen, was ­andere Die Intensiv-Allrounder (19 %) sind
machen, und 38 % geben an, ihnen überdurchschnittlich oft (4,3 Stunden
würde plötzlich ihr halbes Leben fehlen, täglich) und breit gefächert im Inter-
­sollten sie ihr Smartphone verlieren. net aktiv (vor allem was Informationen
Auch wenn die Mehrzahl der Jugend­ über Politik und Gesellschaft, Schule,
lichen eine durchaus reflektierte Hal- Ausbildung oder Beruf angeht) – aller-
tung zum Internet hat, führt dies nur bei dings sehr zurückhaltend mit eigenen
vergleichs­weise wenigen zu konkretem Beiträgen im Netz. In dieser Gruppe
Tun: Lediglich ein Drittel (31 %) über- sind Ältere, Männer und Jugendliche
prüft die Datenschutzeinstellungen vor mit höherem Bildungslevel sowie aus
der Nutzung sozialer Netzwerke. den oberen sozialen Herkunftsschich-
ten überdurchschnittlich vertreten. Wie
die Funktionsnutzer steht auch diese
Typologie der Internetnutzer Gruppe dem Internet vergleichsweise
kritisch gegenüber. Deutlich seltener als
Jugendliche nutzen das Internet auf viel- der Durchschnitt stimmen sie zu, dass
fältige Weise. Die Typologie der Internet­ man in sozialen Netzwerken dabei sein
nutzer veranschaulicht individuelle »muss«. Überdurchschnittlich häufig
Nutzungsmuster und unterschiedliche wünschen sie sich, dass man in Zukunft
Einstellungen: Ein Drittel (33 %) gehört weniger online ist.
zu den Unterhaltungs-Konsumenten. Die Zurückhaltenden (12 %) sind mit
Sie sind überdurchschnittlich aktiv in 2,7 Stunden täglich von allen Gruppen
sozialen Medien und bei Unterhaltungs- am wenigsten online. Entsprechend
angeboten, aber zurückhaltend sowohl nutzen sie die verschiedenen Aktivitäten
bei Informationsangeboten als auch mit seltener als der Durchschnitt. Bemer-
eigenen Beiträgen. Mit täglich 4,0 Stun- kenswert niedrig ist die Nutzung von
den sind sie etwas länger als der Durch- sozialen Netzwerken und Messenger-
schnitt im Netz. Die jüngste Alters­ diensten. Zwei Drittel (65 %) der Zurück-
gruppe ist in dieser Gruppe besonders haltenden sind junge Männer, 35 % sind
stark vertreten. Die Unterhaltungs- 12 bis 14 Jahre alt.
Konsu­men­ten sind etwas unkritischer Die Uploader (12 %) nutzen das In-
und weniger achtsam beim Datenschutz ternet intensiv (täglich 4,3 Stunden)
als die durchschnittlichen Nutzer. und vielseitig. Anders als bei allen an-
Die Funktionsnutzer (24 %) sind fokus- deren Gruppen steht bei ihnen aber die
siert auf Messengerdienste, Informati- Selbst­inszenierung im Vordergrund: Sie
onssuche und die Nutzung des Internets posten deutlich häufiger eigene Fotos,
für Schule, Ausbildung oder Beruf – hier Videos oder Musik oder schreiben an
sind sie überdurchschnittlich aktiv, an- einem Blog. Unter den Uploadern sind
dere Aktivitäten sind für sie weniger Jugendliche aus den unteren sozialen
wichtig. Entsprechend verbringen sie Herkunftsschichten sowie ­Jugendliche
mit 2,9 Stunden täglich weniger Zeit im mit Migrationshintergrund (44 % im
Internet als der Durchschnitt. Innerhalb Vergleich zu durchschnittlich 30 %)
dieser Gruppe ist der Anteil an Frauen überdurchschnittlich häufig vertreten.
sowie der oberen sozialen Herkunfts- Für Jugendliche mit Migrationshinter-

Zusammenfassung 31
grund bietet das Internet offenbar eine statt. Die älteren Jugendlichen haben das
Möglichkeit, auch Beziehungen zu Fami- Aufkommen des Smartphones noch im
lienmitgliedern und Freunden außerhalb frühen Jugendalter selbst erlebt, während
Deutschlands zu pflegen. Mehr als die es für die jüngeren Jugendlichen quasi
anderen Gruppen zeigen die Uploader schon immer da war.
Anzeichen eines Abhängigkeitsverhält- Die aktuelle Generation wuchs intui-
nisses von Internet und Smartphone. Sie tiv und gleichsam kollektiv ins Digitale
fallen auch durch ihre recht unkritische hinein – es »lag in der Luft«. Auch wenn
Haltung auf: Nur 48 % finden es nicht sich die Eltern mittlerweile weitgehend
gut, dass man als Internetnutzer Teil ei- selbstverständlich im Digitalen bewegen,
nes Geschäftsmodells ist (durchschnitt- so fühlen sich die Jugendlichen in dieser
lich 60 %). Auch wenn es um die Bewer- Hinsicht ihren Eltern überlegen. Die
tung verschiedener Nachrichtenquellen Schulen konnten mit diesem gestiege-
geht, heben sich die Uploader von allen nen Interesse am Internet und an digi-
anderen Gruppen ab: Sie sind zum einen talen Inhalten zunächst nicht mithalten,
misstrauischer gegenüber Informationen erst jetzt beginnen sie, die Digitalisie-
in den klassischen Nachrichtenkanälen, rung voranzutreiben.
vertrauen auf der anderen Seite aber WhatsApp hat sich in den letzten Jah-
weit mehr als alle anderen Jugendlichen ren zu dem Kommunikationsnetzwerk
Informationen auf YouTube, Facebook schlechthin entwickelt: Es ist unabding­
oder Twitter. bar, wenn man im sozialen Nah­bereich
auf dem Laufenden bleiben will. Alle
befragten Jugendlichen nutzen es,
selbst die Datenschutz-Besorgten, und
niemand kennt jemanden, der es oder
Der qualitative Teil etwas Vergleichbares nicht anwendet.
Man verabredet sich über WhatsApp,
Die Befunde im qualitativen Teil der Shell bei Terminen gilt es, zügig zu antworten.
Jugendstudie zeigen, in welchem Ausmaß In der Regel verfügen die Jugendlichen
digitale Inhalte den Alltag der Jugend- über 30 bis 50 Kontakte, regelmäßig
lichen durchdringen. Bei sehr vielen gechattet wird mit fünf bis 20 ­Personen.
Jugendlichen fängt es beim Wachwerden Für Partnerschaften, insbesondere Fern­
durch das Smartphone als Wecker direkt beziehungen, spielt WhatsApp eine
am Bett an, das bei der Gelegenheit, beziehungserhaltende Rolle. Die meisten
einmal in die Hand genommen, für wei- Jugendlichen sind über einen Familien-
tere Inhalte genutzt wird. Und es endet chat mit ihren Eltern in Kontakt. Durch
oftmals an gleicher Stelle abends im Bett, einen oder zumeist mehrere Gruppen-
wenn kurz vor dem Einschlafen noch ein- chats wird die Zahl der Nachrichten
mal letzte Neuigkeiten aus dem sozialen drastisch erhöht. Die zweitwichtigste
Nahbereich ausgetauscht werden. Das Plattform ist YouTube. Man sieht oder
Smartphone ist dabei das universale Ge- tauscht Videos, hört Musik, konsumiert
rät im Alltag, mit dem sich eine Vielzahl Serien, Dokumentationen und Nachrich­
an Anwendungen erschließen lässt. Die ten. Alle Jugendlichen googeln, und
Gespräche mit den Jugendlichen ver- zwar im Durchschnitt vier- bis fünfmal
deutlichen, dass bereits innerhalb der Al- täglich, um einer spontan auftauchenden
tersgruppe der 12- bis 25-Jährigen große Frage nachzugehen.
Unterschiede auftreten: Die ersten Erfah-
rungen mit der umfangreichen Nutzung
digitaler Inhalte finden immer früher

32 Zusammenfassung
Blick auf Gesellschaft findet bevorzugt unschlagbare Argumente für diese Art
online statt der Warenbeschaffung. Dennoch gibt es
ebenso Jugendliche, die das Einkaufs­
Auch um sich über Nachrichten und erleben bevorzugen. Dabei ist nicht
Gesell­schaft zu informieren, nutzen ausgeschlossen, dass die Jugendlichen
Heran­wachsende vor allem digitale Ka- dieses Erleben durch Nutzung digitaler
näle. Klassische Kanäle haben es in die- Inhalte gut vorbereitet haben.
sem Umfeld weitestgehend kostenloser Beim Thema Datenschutz dominiert
und jederzeit zur Verfügung stehender unter Jugendlichen eher ein Schulter­
Informationen schwer, sich bei den Ju- zucken. Es ist nicht so sehr ein fehlen-
gendlichen zu behaupten. des Bewusstsein für das Thema, das die
Influencer können für Jugendliche jungen Menschen kennzeichnet. Sie sind
­aller Altersgruppen Vorbilder sein. Ge- sich über die vielfältigen Spuren, die sie
mäß ihren eigenen Interessen ­folgen digital hinterlassen, durchaus im Klaren.
Jugendliche dabei dem Content aus­ Vielmehr dominiert eine gewisse Be-
gewählter Menschen. Dies wird als quemlichkeit, die verhindert, das eige­
authen­tisch erlebt. Zugleich blicken ne Verhalten zu ändern, zumal sie bei
nicht nur ­ältere Jugendliche kritisch auf dem Versuch ganz schnell an Grenzen
das Thema ­Influencer-Marketing. Sie stoßen, wenn im Freundeskreis nicht
haben eine klare Vorstellung davon, wie mitgezogen wird.
das Ganze läuft, und bewerten es vor
allem als problematisch, sobald junge
Teenager als leichter beeinflussbare
Zielgruppe definiert werden. Dabei gibt
es sehr kontroverse Ansichten dazu, ob Methodik
das Geld, das sich als Influencer verdie-
nen lässt, gerechtfertigt ist. Die Meinun- Die 18. Shell Jugendstudie 2019 stützt
gen reichen von der Auffassung, dass es sich auf eine repräsentativ zusammen-
der Traum eines jeden sei, so etwas zu gesetzte Stichprobe von 2.572 Jugendli-
erreichen, über die Anerkennung der chen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die
Leistung, sich mit dem eigenen Inhalt von geschulten Kantar-Interviewern zu
eine so große Reich­weite aufzubauen, ihrer Lebenssituation und zu ihren Ein-
bis hin zur Ablehnung solcher Erschei- stellungen und Orientierungen persön-
nungsformen, da sie in keinem Verhält- lich befragt wurden. Die Erhebung fand
nis zu den Verdienstmöglichkeiten in auf Grundlage eines standardisierten
sozialen Berufen stehen. Fragebogens im Zeitraum von Anfang
Der Online-Einkauf ist für Heran­ Januar bis Ende März 2019 statt. Im
wachsende jeden Alters durchaus Rahmen der qualitativen Studie wurden
naheliegend. Ortsunabhängige Verfüg- rund zweistündige vertiefende Inter-
barkeit und die Möglichkeit, in Ruhe views mit 20 Jugendlichen dieser Alters-
Preise vergleichen zu können, sind hier gruppe durchgeführt.

Zusammenfassung 33

Das könnte Ihnen auch gefallen