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Springer-Lehrbuch

Das Zweite – kompakt


Herausgeber
Klaus-Peter Schaps
Oliver Kessler
Ulrich Fetzner

Weitere Titel dieser Reihe:


Grundlagen
978-3-540-46344-3

Innere Medizin
978-3-540-46350-4

Gynäkologie – Pädiatrie
978-3-540-46347-4

Neurologie – Psychiatrie – Psychosomatik


978-3-540-46354-2

Allgemeinmedizin – Anästhesie – Arbeits- und Sozialmedizin – Rechtsmedizin


978-3-540-46333-7

Querschnittsbereiche
978-3-540-46357-3

Gesundheitsstörungen
978-3-540-46339-9

Das Zweite – kompakt (Set)


978-3-540-69558-5
U. Fetzner, K.-J. Paquet

Chirurgie
R. Kasch, O. Kessler

Orthopädie
K. Kraus, T. Blaum, D. Zaak

Urologie
Mit 122 größtenteils farbigen Abbildungen und 86 Tabellen

123
Reihenherausgeber
Dr. med. Klaus-Peter Schaps
Rostocker-Str. 21
26388 Wilhelmshaven

Dr. med. Oliver Kessler


Leisibüelstr. 128
CH-8708 Männedorf

Ulrich Fetzner
Von-Lobdeburg-Str. 4
97688 Bad Kissingen

ISBN-13 978-3-540-46335-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Springer Medizin Verlag


springer.de

© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand ande-
rer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere
Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzge-
bung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Planung: Peter Bergmann, Heidelberg
Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg
Lektorat: Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen, Ursula Illig, Stockdorf
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg

SPIN 11885412

Gedruckt auf säurefreiem Papier 15/2117 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Das Hammerexamen: die letzte große Hürde vor dem Traumberuf »Arzt«. So mag es all jenen vor-
kommen, die sich kurz vor dem Hammerexamen befinden. Der gesamte klinische Stoff – und noch
dazu im PJ – wie soll das gehen?
Daher hat sich der Springer Medizin Verlag entschlossen, eine neue Repetitorien-Reihe ins Leben
zu rufen. Ideal für das Lernen auf die 2. Ärztliche Prüfung hin – gerade während des PJ – und für das
kurze Repetieren vor dem Examen bieten die 9 Bände alle Krankheitsbilder und die Gesundheits-
störungen des aktuellen Gegenstandskataloges.
Das Besondere daran: Die Krankheitsbilder, die in den ersten 8 Bänden behandelt werden, werden
nach wie vor nach Fächern geordnet angeboten – ganz so, wie es jeder Student aus dem klinischen
Studienabschnitt kennt. In Lerntexten, die größtenteils von Studenten und jungen Assistenzärzten
verfasst und von Fachärzten der jeweiligen Disziplinen gegengelesen wurden, wird all das noch mal
kurz wiederholt, was in der 2. Ärztlichen Prüfung angewandt werden soll. Nach jedem GK-Krank-
heitsbild findet sich eine Zusammenfassung für das schnelle Repetieren an den Tagen unmittelbar vor
dem Examen. Für grafische Lerner stellen große Übersichtsschaubilder, die »Mindmaps«, komplexe
Sachverhalte übersichtlich dar.
Der 9. Band enthält die Gesundheitsstörungen: Jede Gesundheitsstörung wird durch einen Fall
lebendig gemacht und vom Leitsymptom ausgehend die Differentialdiagnose entwickelt. Zusätzlich
finden sich am Ende jeder Gesundheitsstörung noch eine Wiederholung der häufigsten Krankheits-
bilder, die diese Störung hervorrufen, eine grafische Darstellung der Differentialdiagnostik und einige
Fragen zur Selbstprüfung.
»GK2 Das Zweite – kompakt« ist die ideale Reihe, um sich das Grundwissen anzueignen, das man
zum Lösen der Probeexamina in schwarzer oder gelber Reihe und natürlich zum Bestehen der 2. ÄP
benötigt.
Allen Mitwirkenden, den Herausgebern, Herrn Dr. Schaps, Herrn Dr. Kessler und Herrn Fetzner,
allen Autoren und Fachärzten und auch allen studentischen Testlesern sei an dieser Stelle von Seiten
des Springer Medizin Verlags noch einmal sehr herzlich für Ihre Mitarbeit am Entstehen dieses Pro-
jektes gedankt. Wir hoffen alle sehr, den Studenten mit diesem Werk eine echte »erste Hilfe« zum
Bestehen des »Hammerexamens« an die Hand gegeben zu haben.
Auszüge aus Vorabrezensionen:
»Aufgrund der oben genannten Aspekte finde ich das neue Konzept hervorragend!! Der GK wird
erfüllt; ich kann systematisch vorgehen und gleichzeitig verknüpfen, wiederholen und die neue Frage-
stellung üben. Von dem Arbeitsbuch-Charakter des letzten Bandes »Gesundheitsstörungen« halte
ich sehr viel. Der Platz für eigene Notizen, ein einprägsames Bild und die 2-Farbigkeit setzen das sehr
gut um.«
»Das Konzept ist vernünftig und schlüssig. Auch die Aufteilung der Themen ist meiner Meinung
nach gelungen. … Die Sprache finde ich sehr gut getroffen, … das Lesen fällt leicht, was das Arbeiten
mit dem Text angenehm gestaltet. … Auch das Layout der einzelnen Seiten wirkt übersichtlich, nicht
voll gepackt und ist durch Absätze, Tabellen und die farbliche Gestaltung ansprechend und über-
sichtlich.«

Springer Medizin Verlag


Heidelberg im Frühjahr 2008
Das Zweite – kompakt: Chirurgie, Orthopädie, Urologie

Leitsystem:
Schnelle Orientierung
über alle Kapitel

Mindmap:
Grafische Übersicht
komplexer Sachver-
halte

Inhaltliche Struktur:
Klare Gliederung
durch alle Kapitel

Aufzählungen:
Lerninhalte über-
sichtlich präsentiert

Wichtig Cave:
Zentrale Informatio- Vorsicht! Bei falschem Vorgehen
nen auf einen Blick Gefahr für den Patienten
Navigation: Seitenzahl
und Kapitelnummer für die
schnelle Orientierung

Tabellen:
Klare Übersicht der
wichtigsten Fakten

Zahlreiche Abbildun-
gen veranschaulichen
komplizierte und
komplexe Sachver-
halte

In Kürze:
Wiederholung der
wichtigsten Fakten zu
jedem Krankheitsbild
zum schnellen
Repetieren kurz vor
dem Examen
VIII

Mitarbeiterverzeichnis
T. Blaum K. Kraus
Emmastr. 14 Dr. med.
51643 Gummersbach Peterplatz 8
97070 Würzburg
U. Fetzner
Von-Lobdeburg-Str. 4 K.-J. Paquet
97688 Bad Kissingen Prof. Dr. med.
Lessingstr. 8
R. Kasch 97688 Bad Kissingen/Garitz
Dr. med.
Universitätsklinik und Poliklinik für D. Zaak
Orthopädie und Orthopädische Chirurgie PD Dr. med.
Ferdinand-Sauerbruchstraße Wasserburgerstr. 1
17489 Greifswald 83278 Traunstein

O. Kessler
Dr. med.
Leisibüelstr. 128
CH-8708 Männedorf
IX

Gegenstandskatalog

Teil 1: Gesundheitsstörungen 7 Band Gesundheitsstörungen

Teil 2: Krankheitsbilder
1 A00-A09 Infektiöse Darmkrankheiten (z.B. Salmonellenenteritis, Lebensmittel- 7 Band Grundlagen
vergiftung durch Staphylokokken, Enteritis 7 Band Innere Medizin
durch Rotaviren)
2 A15-A19 Tuberkulose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
3 A20-A28 Bestimmte bakterielle Zoonosen
A20 Pest 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
A22 Anthrax [Milzbrand] 7 Band Grundlagen
A23 Brucellose 7 Band Grundlagen
A27 Leptospirose 7 Band Grundlagen
4 A30-A49 Sonstige bakterielle Krankheiten
A31 Infektion durch sonstige Mykobakterien 7 Band Grundlagen
A32 Listeriose 7 Band Grundlagen
A35 Sonstiger Tetanus (Wundstarrkrampf ) 7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
A36 Diphtherie 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
A37 Keuchhusten 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
A38 Scharlach 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
A39 Meningokokkeninfektion 7 Band Grundlagen
A40 Streptokokkensepsis 7 Band Grundlagen
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.17
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
A41 Sonstige Sepsis (z.B. Sepsis durch Staphylococcus aureus, 7 Band Querschnittsbereiche
Systemic inflammatory response syn-
drome [SIRS])
A42 Aktinomykose 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
A46 Erysipel [Wundrose] 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
A48 Sonstige bakterielle Krankheiten, anderenorts (z.B. Gasbrand, Legionellose, Toxisches 7 Band Grundlagen
nicht klassifiziert Schocksyndrom)
A49 Bakterielle Infektion nicht näher bezeichneter (z.B. Helicobacter-Infektion) 7 Band Grundlagen
Lokalisation
5 A50-A64 Infektionen, die vorwiegend durch Ge- (z.B. Syphilis, Gonokokkeninfektion, 7 Band Querschnittsbereiche
schlechtsverkehr übertragen werden Chlamydienkrankheiten, Ulcus molle
[venereum], Infektionen des Anogenital-
bereiches durch Herpesviren [Herpes
simplex], Condylomata acuminata,
Trichomoniasis)
6 A65-A69 Sonstige Spirochätenkrankheiten
A69 Sonstige Spirochäteninfektionen (z.B. Lyme-Krankheit) 7 Band Grundlagen
7 A70-A74 Sonstige Krankheiten durch Chlamydien (z.B. Infektion durch Chlamydia psittaci, 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Trachom) 7 Band Grundlagen
8 A75-A79 Rickettsiosen (z.B. Zeckenbissfieber, Q-Fieber) 7 Band Grundlagen
9 A80-A89 Virusinfektionen des Zentralnervensystems
A80 Akute Poliomyelitis [Spinale Kinderlähmung] 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
A81 Atypische Virus-Infektionen des Zentralner- (z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) 7 Band Grundlagen
vensystems 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
A82 Tollwut [Rabies] 7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
A84 Virusenzephalitis, durch Zecken übertragen (z.B. FSME) 7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
10 A90-A99 Durch Arthropoden übertragene Virus- 7 Band Grundlagen
krankheiten und virale hämorrhagische
Fieber
X Gegenstandskatalog

11 B00-B09 Virusinfektionen, die durch Haut- und (z.B. Herpesenzephalitis, Varizellen, Zoster, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind Masern, Röteln, Viruswarzen, Mollusca 7 Band Querschnittsbereiche
contagiosa, Dreitagefieber, Ringelröteln) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
12 B15-B19 Virushepatitis 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
13 B20-B24 HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-
Viruskrankheit]
B20 Infektiöse und parasitäre Krankheiten infolge 7 Band Querschnittsbereiche
HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz- 7 Band Grundlagen
Viruskrankheit]
B24 Nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit 7 Band Querschnittsbereiche
[Humane Immundefizienz-Viruskrankheit] 7 Band Grundlagen
14 B25-B34 Sonstige Viruskrankheiten
B25 Zytomegalie 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B26 Mumps 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B27 Infektiöse Mononukleose 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B30 Viruskonjunktivitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
15 B35-B49 Mykosen
B35 Dermatophytose [Tinea] 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
B36 Sonstige oberflächliche Mykosen (z.B. Pityriasis versicolor) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
B37 Kandidose 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
B44 Aspergillose 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
B45 Kryptokokkose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
16 B50-B64 Protozoenkrankheiten (z.B. Malaria, Leishmaniose, Toxoplasmose, 7 Band Querschnittsbereiche
Pneumozystose) 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
17 B65-B83 Helminthosen
B65 Schistosomiasis [Bilharziose] 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
B67 Echinokokkose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,7 Kap. 1.7.10
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
B68 Taeniasis 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
B69 Zystizerkose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
B77 Askaridose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
B80 Enterobiasis 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
18 B85-B89 Pedikulose [Läusebefall], Akarinose
[Milbenbefall] und sonstiger Parasitenbefall
der Haut
B85 Pedikulose [Läusebefall] und Phthiriasis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
[Filzläusebefall] 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B86 Skabies 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
19 C00-C14 Bösartige Neubildungen der Lippe, der (z.B. Bösartige Neubildung der Parotis) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Mundhöhle und des Pharynx
20 C15-C26 Bösartige Neubildungen der Verdauungs-
organe
C15 Bösartige Neubildung des Ösophagus 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2
C16 Bösartige Neubildung des Magens 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.3
7 Band Innere Medizin
C17 Bösartige Neubildung des Dünndarmes 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.4
7 Band Innere Medizin
XI
Gegenstandskatalog

C18 Bösartige Neubildung des Kolons 7 Band Querschnittsbereiche


7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.5
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
C19 Bösartige Neubildung am Rektosigmoid, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.6
Übergang 7 Band Innere Medizin
C20 Bösartige Neubildung des Rektums 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.6
7 Band Innere Medizin
C21 Bösartige Neubildung des Anus und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.7
Analkanals 7 Band Innere Medizin
C22 Bösartige Neubildung der Leber und der 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.10, 1.7.12
intrahepatischen Gallengänge 7 Band Innere Medizin
C23 Bösartige Neubildung der Gallenblase 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.12
7 Band Innere Medizin
C24 Bösartige Neubildung sonstiger und nicht (z.B. Gallenwegskarzinom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.12
näher bezeichneter Teile der Gallenwege 7 Band Innere Medizin
C25 Bösartige Neubildung des Pankreas 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.13
7 Band Innere Medizin
21 C30-C39 Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane
und sonstiger intrathorakaler Organe
C32 Bösartige Neubildung des Larynx 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
C33 Bösartige Neubildung der Trachea 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.4.4
Lunge 7 Band Innere Medizin
22 C40-C41 Bösartige Neubildungen des Knochens und
des Gelenkknorpels
C40 Bösartige Neubildung des Knochens und des (z.B. Osteosarkom des Femurs) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.7
Gelenkknorpels der Extremitäten
C41 Bösartige Neubildung des Knochens und des (z.B. Chondrosarkom, Ewing-Sarkom des 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Gelenkknorpels sonstiger und nicht näher Beckens) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.7
bezeichneter Lokalisationen
23 C43-C44 Melanom und sonstige bösartige Neubildun-
gen der Haut
C43 Bösartiges Melanom der Haut 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
C44 Sonstige bösartige Neubildungen der Haut (z.B. Basalzellenkarzinom, Plattenepithel- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
karzinom)
24 C45-C49 Bösartige Neubildungen des mesothelialen (z.B. Pleuramesotheliom, Kaposi-Sarkom, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Gewebes und des Weichteilgewebes Liposarkom) Rechtsmedizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.4.3 und 1.10.2.2
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin
25 C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse 7 Band Querschnittsbereiche
[Mamma] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.10.3
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
26 C51-C58 Bösartige Neubildungen der weiblichen
Genitalorgane
C51 Bösartige Neubildung der Vulva 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C52 Bösartige Neubildung der Vagina 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C54 Bösartige Neubildung des Corpus uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C56 Bösartige Neubildung des Ovars 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C57 Bösartige Neubildung sonstiger und nicht 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
näher bezeichneter weiblicher Genitalorgane
27 C60-C63 Bösartige Neubildungen der männlichen (z.B. Peniskarzinom, Prostatakarzinom, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.5
Genitalorgane Hodenmalignom) 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
28 C64-C68 Bösartige Neubildungen der Harnorgane (z.B. Nierenzellkarzinom, Wilms-Tumor, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.5
Urothelkarzinom) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Innere Medizin
Band Gynäkologie, Pädiatrie
29 C69-C72 Bösartige Neubildungen des Auges, des
Gehirns und sonstiger Teile des Zentral-
nervensystems
C69 Bösartige Neubildung des Auges und der (z.B. Retinoblastom, Aderhautmelanom) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Augenanhangsgebilde
C71 Bösartige Neubildung des Gehirns 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.7
C72 Bösartige Neubildung des Rückenmarkes, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2
der Hirnnerven und anderer Teile des Zentral-
nervensystems
XII Gegenstandskatalog

30 C73-C75 Bösartige Neubildungen der Schilddrüse


und sonstiger endokriner Drüsen
C73 Bösartige Neubildung der Schilddrüse 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.11
C74 Bösartige Neubildung der Nebenniere (z.B. Neuroblastom, Phäochromozytom) 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.19
31 C76-C80 Bösartige Neubildungen ungenau bezeich- (z.B. Metastasen, Paraneoplastisches 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
neter, sekundärer und nicht näher bezeich- Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.1.13.4
neter Lokalisationen 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
32 C81-C96 Bösartige Neubildungen des lymphatischen,
blutbildenden und verwandten Gewebes
C81 Hodgkin-Krankheit [Lymphogranulomatose] 7 Band Innere Medizin
C82 Follikuläres [noduläres] Non-Hodgkin- 7 Band Innere Medizin
Lymphom
C83 Diffuses Non-Hodgkin-Lymphom 7 Band Innere Medizin
C84 Periphere und kutane T-Zell-Lymphome (z.B. Mycosis fungoides) 7 Band Innere Medizin
C90 Plasmozytom und bösartige Plasmazellen- 7 Band Innere Medizin
Neubildungen
C91 Lymphatische Leukämie 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
C92 Myeloische Leukämie 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
C96 Sonstige und nicht näher bezeichnete bös- (z.B. Abt-Letterer-Siwe-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
artige Neubildungen des lymphatischen,
blutbildenden und verwandten Gewebes
33 D00-D09 In-situ-Neubildungen
D00 Carcinoma in situ der Mundhöhle, des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2 und 1.7.3
Ösophagus und des Magens 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D04 Carcinoma in situ der Haut (z.B. M. Bowen) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
34 D10-D36 Gutartige Neubildungen
D12 Gutartige Neubildung des Kolons, des (z.B. Polyposis coli) 7 Band Innere Medizin
Rektums, des Analkanals und des Anus 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chrirugie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.5
7 Band Grundlagen
D13 Gutartige Neubildung sonstiger und ungenau (z.B. Gutartige Tumoren der Leber) 7 Band Innere Medizin
bezeichneter Teile des Verdauungssystems 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.10
D14 Gutartige Neubildung des Mittelohres und des (z.B. Adenomatöse Polypen) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Atmungssystems
D16 gutartige Neubildung des Knochens und des (z.B. Osteochondrom, Osteoid-Osteom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.5 und 2.5.7
Gelenkknorpels
D17 Gutartige Neubildung des Fettgewebes 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D18 Hämangiom und Lymphangiom 7 Band Innere Medizin
7 Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D21 Sonstige gutartige Neubildungen des Binde- (z.B. Hautfibrome) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
gewebes und anderer Weichteilgewebe
D22 Melanozytennävus 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D25 Leiomyom des Uterus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
D32 Gutartige Neubildung der Meningen (z.B. Meningeom) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.7.2
D33 Gutartige Neubildung des Gehirns und (z.B. Akustikusneurinom) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
anderer Teile des Zentralnervensystems 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
D35 Gutartige Neubildung sonstiger und nicht 7 Band Innere Medizin
näher bezeichneter endokriner Drüsen
35 D37-D48 Neubildungen unsicheren oder unbekann-
ten Verhaltens
D44 Neubildung unsicheren oder unbekannten (z.B. »Inzidentalome« [Nebenniere, 7 Band Innere Medizin
Verhaltens der endokrinen Drüsen Hypophyse], Kraniopharyngeom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.7.2
D46 Myelodysplastische Syndrome 7 Band Innere Medizin
D47 Sonstige Neubildungen unsicheren oder (z.B. Myelofibrose) 7 Band Innere Medizin
unbekannten Verhaltens des lymphatischen,
blutbildenden und verwandten Gewebes
36 D50-D53 Alimentäre Anämien
D50 Eisenmangelanämie 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
D51 Vitamin-B12-Mangelanämie 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
D52 Folsäure-Mangelanämie 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
XIII
Gegenstandskatalog

37 D55-D59 Hämolytische Anämien (z.B. Hereditäre Sphärozytose, Autoim- 7 Band Innere Medizin
munhämolytische Anämien)
38 D60-D64 Aplastische und sonstige Anämien (z.B. Akute Blutungsanämie, Tumor- 7 Band Innere Medizin
anämie) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
39 D65-D69 Koagulopathien, Purpura und sonstige hä- (z.B. Disseminierte intravasale Gerinnung, 7 Band Grundlagen
morrhagische Diathesen Hämophilie A, Willebrand-Jürgens-Syn- 7 Band Innere Medizin
drom, Allergische Vaskulitis) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
40 D70-D77 Sonstige Krankheiten des Blutes und der (z.B. Agranulozytose, Methämoglobin- 7 Band Innere Medizin
blutbildenden Organe ämie, Hypersplenismus, sekundäre Poly-
globulie)
41 D80-D90 Bestimmte Störungen mit Beteiligung des
Immunsystems
D83 Variabler Immundefekt [common variable im- 7 Band Querschnittsbereiche
munodeficiency]
D84 Sonstige Immundefekte (z.B. Hereditäres Quincke-Ödem) 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D86 Sarkoidose 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
D90 Immunkompromittierung nach Bestrahlung, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Chemotherapie und sonstigen immunsup- Rechtsmedizin
pressiven Maßnahmen
42 E00-E07 Krankheiten der Schilddrüse (z.B. Endemische Struma, Hypothyreose, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.1.1
Hyperthyreose, Thyreoiditis) 7 Band Innere Medizin
43 E10-E14 Diabetes mellitus
E10 Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus 7 Band Grundlagen
[Typ-1-Diabetes] 7 Band Innere Medizin
E11 Nicht primär insulinabhängiger Diabetes mel- 7 Band Innere Medizin
litus [Typ-2-Diabetes]
E14 Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
44 E15-E16 Sonstige Störungen der Blutglukose-Regula- (z.B. Hypoglykämie) 7 Band Innere Medizin
tion und der inneren Sekretion des Pankreas 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
45 E20-E35 Krankheiten sonstiger endokriner Drüsen
E21 Hyperparathyreoidismus und sonstige Krank- 7 Band Innere Medizin
heiten der Nebenschilddrüse
E23 Unterfunktion und andere Störungen der Hy- (z.B. Hypopituitarismus, Diabetes 7 Band Innere Medizin
pophyse insipidus)
E24 Cushing-Syndrom 7 Band Innere Medizin
E25 Adrenogenitale Störungen 7 Band Innere Medizin
E26 Hyperaldosteronismus (z.B. Conn-Syndrom) 7 Band Innere Medizin
E27 Sonstige Krankheiten der Nebenniere (z.B. Nebennierenrinden-Insuffizienz) 7 Band Innere Medizin
E28 Ovarielle Dysfunktion 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
E29 Testikuläre Dysfunktion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.8.1
E30 Pubertätsstörungen, anderenorts nicht klassi- (z.B. Pubertas praecox, Pubertas tarda) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
fiziert
E31 Polyglanduläre Dysfunktion 7 Band Innere Medizin
E34 Sonstige endokrine Störungen (z.B. Karzinoid-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.19
7 Band Innere Medizin
46 E40-E46 Mangelernährung 7 Band Querschnittsbereiche
47 E50-E64 Sonstige alimentäre Mangelzustände (z.B. Vitamin-D-Mangel) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
48 E65-E68 Adipositas und sonstige Überernährung
E66 Adipositas 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.10
49 E70-E90 Stoffwechselstörungen
E70 Störungen des Stoffwechsels aromatischer (z.B. Phenylketonurie) 7 Band Innere Medizin
Aminosäuren 7 Band Grundlagen
E78 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und 7 Band Innere Medizin
sonstige Lipidämien 7 Band Grundlagen
E79 Störungen des Purin- und Pyrimidinstoff- 7 Band Innere Medizin
wechsels
E80 Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoff- 7 Band Innere Medizin
wechsels
E83 Störungen des Mineralstoffwechsels (z.B. Hämochromatose) 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
E84 Zystische Fibrose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XIV Gegenstandskatalog

50 F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer


psychischer Störungen
F00 Demenz bei Alzheimer-Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
F01 Vaskuläre Demenz 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
F02 Demenz bei anderenorts klassifizierten Krank- (z.B. bei Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
heiten HIV-Krankheit) 7 Band Querschnittsbereiche
F05 Delir, nicht durch Alkohol oder andere psycho- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
trope Substanzen bedingt
F06 Andere psychische Störungen aufgrund einer (z.B. Organische Halluzinose) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Schädigung oder Funktionsstörung des
Gehirns oder einer körperlichen Krankheit
F07 Persönlichkeits- und Verhaltensstörung (z.B. Organische Persönlichkeitsstörung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder
Funktionsstörung des Gehirns
51 F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch (z.B. Psychische und Verhaltensstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
psychotrope Substanzen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, 7 Band Querschnittsbereiche
Entzugssyndrom mit Delir)
52 F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte
Störungen
F20 Schizophrenie 7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F22 Anhaltende wahnhafte Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F25 Schizoaffektive Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
53 F30-F39 Affektive Störungen
F31 Bipolare affektive Störung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F32 Depressive Episode 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F33 Rezidivierende depressive Störung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F34 Anhaltende affektive Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
54 F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme
Störungen
F40 Phobische Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F41 Andere Angststörungen (z.B. Panikstörung, Generalisierte Angst- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
störung) 7 Band Querschnittsbereiche
F42 Zwangsstörung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und (z.B. Akute Belastungsreaktion, Posttrau- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Anpassungsstörungen matische Belastungsstörung, Anpassungs-
störungen)
F44 Dissoziative Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
[Konversionsstörungen]
F45 Somatoforme Störungen (z.B. Hypochrondrische Störung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
55 F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen und Faktoren
F50 Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F51 Nichtorganische Schlafstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
F52 Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht (z.B. Erektile Dysfunktion) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
durch eine organische Störung oder Krankheit 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.8.2
7 Band Querschnittsbereiche
F54 Psychologische Faktoren oder Verhaltens- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
faktoren bei anderenorts klassifizierten Krank-
heiten
56 F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F60 Spezifische Persönlichkeitsstörungen (z.B. Dissoziale Persönlichkeitsstörung, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Emotional instabile Persönlichkeits-
störung)
57 F70-F79 Intelligenzminderung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
58 F80-F89 Entwicklungsstörungen (z.B. des Sprechens und der Sprache, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
schulischer Fertigkeiten; Frühkindlicher
Autismus)
59 F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit
Beginn in der Kindheit und Jugend
F90 Hyperkinetische Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F91 Störungen des Sozialverhaltens 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F93 Emotionale Störungen des Kindesalters 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in (z.B. Elektiver Mutismus) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
der Kindheit und Jugend
F95 Ticstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F98 Andere Verhaltens- und emotionale Störungen (z.B. Nichtorganische Enuresis) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
mit Beginn in der Kindheit und Jugend
XV
Gegenstandskatalog

60 G00-G09 Entzündliche Krankheiten des Zentralnerven- (z.B. Meningitis, Enzephalitis, Myelitis, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.8
systems Enzephalomyelitis, Intrakranielle und 7 Band Grundlagen
intraspinale Abszesse und Granulome) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
61 G10-G13 Systematrophien, die vorwiegend das
Zentralnervensystem betreffen
G10 Chorea Huntington 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Grundlagen
G11 Hereditäre Ataxie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G12 Spinale Muskelatrophie und verwandte 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Syndrome
62 G20-G26 Extrapyramidale Krankheiten und
Bewegungsstörungen
G20 Primäres Parkinson-Syndrom (z.B. Demenz mit Lewy-Körperchen bei 7 Band Querschnittsbereiche
Parkinson-Syndrom) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G21 Sekundäres Parkinson-Syndrom 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G23 Sonstige degenerative Krankheiten der 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Basalganglien
G24 Dystonie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G25 Sonstige extrapyramidale Krankheiten und (z.B. Restless-Legs-Syndrom) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Bewegungsstörungen
63 G30-G32 Sonstige degenerative Krankheiten des
Nervensystems
G30 Alzheimer-Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
64 G35-G37 Demyelinisierende Krankheiten des
Zentralnervensystems
G35 Multiple Sklerose [Encephalomyelitis 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
disseminata]
65 G40-G47 Episodische und paroxysmale Krankheiten
des Nervensystems
G40 Epilepsie 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G41 Status epilepticus 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G43 Migräne 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G44 Sonstige Kopfschmerzsyndrome (z.B. Cluster-Kopfschmerz, Vasomotorischer 7 Band Querschnittsbereiche
Kopfschmerz, Spannungskopfschmerz, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Chronischer posttraumatischer Kopf-
schmerz, Arzneimittelinduzierter Kopf-
schmerz)
G45 Zerebrale transitorische Ischämie und ver- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
wandte Syndrome
G46 Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovaskulä- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
ren Krankheiten 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.4
G47 Schlafstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
66 G50-G59 Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln
und Nervenplexus
G50 Krankheiten des N. trigeminus [V. Hirnnerv] 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G51 Krankheiten des N. facialis [VII. Hirnnerv] 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G52 Krankheiten sonstiger Hirnnerven 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G54 Krankheiten von Nervenwurzeln und Nerven- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
plexus
G56 Mononeuropathien der oberen Extremität 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
G57 Mononeuropathien der unteren Extremität 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
67 G60-G64 Polyneuropathien und sonstige Krankheiten
des peripheren Nervensystems
G61 Polyneuritis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G62 Sonstige Polyneuropathien (z.B. Alkoholneuropathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G63 Polyneuropathie bei anderenorts klassifizier- (z.B. Diabetische Polyneuropathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
ten Krankheiten
68 G70-G73 Krankheiten im Bereich der neuro-
muskulären Synapse und des Muskels
G70 Myasthenia gravis und sonstige neuromusku- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
läre Krankheiten
G71 Primäre Myopathien (z.B. Muskeldystrophien, Myotone 7 Band Grundlagen
Syndrome) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G72 Sonstige Myopathien (z.B. Arzneimittelinduzierte Myopathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
XVI Gegenstandskatalog

69 G80-G83 Zerebrale Lähmung und sonstige Lähmungs-


syndrome
G80 Infantile Zerebralparese 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
G81 Hemiparese und Hemiplegie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G82 Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Tetraplegie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.10
G83 Sonstige Lähmungssyndrome (z.B. Cauda-equina-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.11 und 2.8.8
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
70 G90-G99 Sonstige Krankheiten des Nervensystems
G90 Krankheiten des autonomen Nervensystems (z.B. Multisystem-Atrophie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G91 Hydrozephalus (z.B. Normaldruckhydozephalus) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.6
G95 Sonstige Krankheiten des Rückenmarkes (z.B. Syringomyelie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
71 H00-H06 Affektionen des Augenlides, des Tränen-
apparates und der Orbita
H00 Hordeolum und Chalazion 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H02 Sonstige Affektionen des Augenlides (z.B. Ektropium, Entropium, Ptosis) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H04 Affektionen des Tränenapparates 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
72 H10-H13 Affektionen der Konjunktiva
H10 Konjunktivitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
73 H15-H22 Affektionen der Sklera, der Hornhaut, der Iris
und des Ziliarkörpers
H15 Affektionen der Sklera (z.B. Skleritis, Episkleritis) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H16 Keratitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H18 Sonstige Affektionen der Hornhaut (z.B. Keratokonus) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H20 Iridozyklitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H22 Affektionen der Iris und des Ziliarkörpers bei (z.B. Iridozyklitis bei Zoster, bei Spondylitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
anderenorts klassifizierten Krankheiten ankylopoetica)
74 H25-H28 Affektionen der Linse
H25 Cataracta senilis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H26 Sonstige Kataraktformen (z.B. Cataracta traumatica) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
75 H30-H36 Affektionen der Aderhaut und der Netzhaut
H30 Chorioretinitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H32 Chorioretinale Affektionen bei anderenorts (z.B. bei Toxoplasmose) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
klassifizierten Krankheiten
H33 Netzhautablösung und Netzhautriss 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H34 Netzhautgefäßverschluss 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H35 Sonstige Affektionen der Netzhaut (z.B. Hypertensive Retinopathie, Retino- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
pathia praematurorum, Altersbedingte
Makuladegeneration [AMD], Retinopathia
pigmentosa)
H36 Affektionen der Netzhaut bei anderenorts (z.B. Diabetische Retinopathie, Athero- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
klassifizierten Krankheiten sklerotische Retinopathie)
76 H40-H42 Glaukom 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche
77 H43-H45 Affektionen des Glaskörpers und des
Augapfels
H43 Affektionen des Glaskörpers (z.B. Glaskörperblutung) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H44 Affektionen des Augapfels (z.B. Endophthalmitis, Intraokularer 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Fremdkörper)
78 H46-H48 Affektionen des N. opticus und der Sehbahn
H46 Neuritis nervi optici 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H47 Sonstige Affektionen des N. opticus (z.B. Anteriore ischämische Optikusneuro- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
[II. Hirnnerv] und der Sehbahn pathie (AION), arteriosklerotisch)
H48 Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und (z.B. bei Multipler Sklerose) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
der Sehbahn bei anderenorts klassifizierten
Krankheiten
79 H49-H52 Affektionen der Augenmuskeln, Störungen
der Blickbewegungen sowie Akkommoda-
tionsstörungen und Refraktionsfehler
H49 Strabismus paralyticus 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H50 Sonstiger Strabismus (z.B. Strabismus concomitans) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H52 Akkommodationsstörungen und Refraktions- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
fehler
80 H53-H54 Sehstörungen und Blindheit 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
81 H60-H62 Krankheiten des äußeren Ohres
H60 Otitis externa 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
XVII
Gegenstandskatalog

82 H65-H75 Krankheiten des Mittelohres und des


Warzenfortsatzes
H65 Nichteitrige Otitis media 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H66 Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
media
H68 Entzündung und Verschluß der Tuba auditiva 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H70 Mastoiditis und verwandte Zustände 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H71 Cholesteatom des Mittelohres 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H72 Trommelfellperforation 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
83 H80-H83 Krankheiten des Innenohres
H80 Otosklerose 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H81 Störungen der Vestibularfunktion (z.B. Ménière-Krankheit) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H83 Sonstige Krankheiten des Innenohres (z.B. Lärmschwerhörigkeit) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeit- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
84 H90-H95 Sonstige Krankheiten des Ohres
H90 Hörverlust durch Schalleitungs- oder Schall- (z.B. Angeborene Taubheit) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
empfindungsstörung 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
H91 Sonstiger Hörverlust (z.B. Altersschwerhörigkeit) 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
85 I00-I02 Akutes rheumatisches Fieber 7 Band Innere Medizin
86 I05-I09 Chronische rheumatische Herzkrankheiten
I05 Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
I06 Rheumatische Aortenklappenkrankheiten 7 Band Innere Medizin
87 I10-I15 Hypertonie [Hochdruckkrankheit]
I10 Essentielle (primäre) Hypertonie 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
I11 Hypertensive Herzkrankheit 7 Band Innere Medizin
I12 Hypertensive Nierenkrankheit 7 Band Innere Medizin
I15 Sekundäre Hypertonie 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
88 I20-I25 Ischämische Herzkrankheiten
I20 Angina pectoris 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.5.4
I21 Akuter Myokardinfarkt 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
I22 Rezidivierender Myokardinfarkt 7 Band Innere Medizin
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit 7 Band Innere Medizin
89 I26-I28 Pulmonale Herzkrankheit und Krankheiten
des Lungenkreislaufes
I26 Lungenembolie 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 1.4.7
I27 Sonstige pulmonale Herzkrankheiten (z.B. Cor pulmonale) 7 Band Innere Medizin
90 I30-I52 Sonstige Formen der Herzkrankheit
I30 Akute Perikarditis 7 Band Innere Medizin
I31 Sonstige Krankheiten des Perikards (z.B. Chronische Perikarditis) 7 Band Innere Medizin
I34 Nichtrheumatische Mitralklappenkrankheiten 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.5.2
I35 Nichtrheumatische Aortenklappenkrank- 7 Band Innere Medizin
heiten 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.5.2
I38 Endokarditis, Herzklappe nicht näher 7 Band Innere Medizin
bezeichnet
I39 Endokarditis und Herzklappenkrankheiten bei 7 Band Innere Medizin
anderenorts klassifizierten Krankheiten
I40 Akute Myokarditis 7 Band Innere Medizin
I41 Myokarditis bei anderenorts klassifizierten 7 Band Innere Medizin
Krankheiten
I42 Kardiomyopathie 7 Band Innere Medizin
I44 Atrioventrikulärer Block und Linksschenkel- 7 Band Innere Medizin
block
I45 Sonstige kardiale Erregungsleitungsstörungen (z.B. Rechtsschenkelblock, Präexitations- 7 Band Innere Medizin
Syndrom)
I46 Herzstillstand (z.B. Plötzlicher Herztod) 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
XVIII Gegenstandskatalog

I47 Herzstillstand 7 Band Innere Medizin


7 Band Querschnittsbereiche
I48 Vorhofflattern und Vorhofflimmern 7 Band Innere Medizin
I49 Sonstige kardiale Arrhythmien (z.B. Kammerflimmern, Sick-Sinus- 7 Band Innere Medizin
Syndrom) 7 Band Querschnittsbereiche
I50 Herzinsuffizienz 7 Band Innere Medizin
91 I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten
I60 Subarachnoidalblutung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.4
I61 Intrazerebrale Blutung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.4
I62 Sonstige nichttraumatische intrakranielle (z.B. Spontane subarachnoidale Blutung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Blutung
I63 Hirninfarkt 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7Band Grundlagen
I65 Verschluss und Stenose präzerebraler Arterien (z.B. Basilaristhrombose) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
ohne resultierenden Hirninfarkt
I66 Verschluss und Stenose zerebraler Arterien 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.6.3
ohne resultierenden Hirninfarkt
I67 Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten (z.B. Hirnatherosklerose, Hirnvenen- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
thrombose)
I69 Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
92 I70-I79 Krankheiten der Arterien, Arteriolen und
Kapillaren
I70 Atherosklerose 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
I71 Aortenaneurysma und -dissektion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.6.3.4
7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
I72 Sonstiges Aneurysma (z.B. Aneurysma der A. carotis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.6.3.4
7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
I73 Sonstige periphere Gefäßkrankheiten (z.B. Raynaud-Syndrom, Thrombangiitis 7 Band Innere Medizin
obliterans, Claudicatio intermittens) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.6.3.3
I74 Arterielle Embolie und Thrombose 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
93 I80-I89 Krankheiten der Venen, der Lymphgefäße
und der Lymphknoten, anderenorts nicht
klassifiziert
I80 Phlebitis und Thrombophlebitis 7 Band Innere Medizin
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
I81 Pfortaderthrombose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.9 und 1.7.11
7 Band Innere Medizin
I82 Sonstige venöse Embolie und Thrombose (z.B. Thrombophilie wie Protein-S-Mangel, 7 Band Innere Medizin
Protein-C-Mangel, APC-Resistenz)
I83 Varizen der unteren Extremitäten (z.B. Ulcus cruris venosum) 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.6.4
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
I84 Hämorrhoiden 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.7
I85 Ösophagusvarizen 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2
I86 Varizen sonstiger Lokalisationen (z.B. Magenvarizen, Varikozele) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.11
7 Band Innere Medizin
I87 Sonstige Venenkrankheiten (z.B. Postthrombotisches Syndrom, Venöse 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Insuffizienz) 7 Band Innere Medizin
I88 Unspezifische Lymphadenitis 7 Band Innere Medizin
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
I89 Sonstige nichtinfektiöse Krankheiten der (z.B. Lymphödem) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Lymphgefäße und Lymphknoten 7 Band Innere Medizin
94 J00-J06 Akute Infektionen der oberen Atemwege
J00 Akute Rhinopharyngitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
[Erkältungsschnupfen]
J01 Akute Sinusitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J02 Akute Pharyngitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J03 Akute Tonsillitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J04 Akute Laryngitis und Tracheitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin
J05 Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Epiglottitis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
J06 Akute Infektionen an mehreren oder nicht (z.B. Grippaler Infekt) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
näher bezeichneten Lokalisationen der oberen 7 Band Grundlagen
Atemwege 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
XIX
Gegenstandskatalog

95 J10-J18 Grippe und Pneumonie 7 Band Innere Medizin


7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
96 J20-J22 Sonstige akute Infektionen der unteren
Atemwege
J20 Akute Bronchitis 7 Band Innere Medizin
J21 Akute Bronchiolitis (z.B. RSV-Infektion) 7 Band Innere Medizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
97 J30-J39 Sonstige Krankheiten der oberen Atemwege
J30 Vasomotorische und allergische Rhinopathie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J31 Chronische Rhinitis, Rhinopharyngitis und 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Pharyngitis
J32 Chronische Sinusitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J33 Nasenpolyp 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J34 Sonstige Krankheiten der Nase und der Nasen- (z.B. Nasenfurunkel) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
nebenhöhlen 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J35 Chronische Krankheiten der Gaumen- und 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Rachenmandeln 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
J38 Krankheiten der Stimmlippen und des Kehl- (z.B. Stimmlippenknötchen) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
kopfes, anderenorts nicht klassifiziert
98 J40-J47 Chronische Krankheiten der unteren Atem-
wege
J41 Einfache und schleimig-eitrige chronische 7 Band Innere Medizin
Bronchitis
J43 Emphysem 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
J44 Sonstige chronische obstruktive Lungenkrank- (z.B. COPD) 7 Band Innere Medizin
heit
J45 Asthma bronchiale 7 Band Innere Medizin
J46 Status asthmaticus 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Innere Medizin
J47 Bronchiektasen 7 Band Innere Medizin
99 J60-J70 Lungenkrankheiten durch exogene
Substanzen
J61 Pneumokoniose durch Asbest und sonstige (Asbestose) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
anorganische Fasern Rechtsmedizin
7 Band Innere Medizin
J62 Pneumokoniose durch Quarzstaub (z.B. Silikose) 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
J67 Allergische Alveolitis durch organischen Staub (z.B. Farmerlunge) 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
100 J80-J84 Sonstige Krankheiten der Atmungsorgane,
die hauptsächlich das Interstitium betreffen
J81 Lungenödem 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Grundlagen
J84 Sonstige interstitielle Lungenkrankheiten (z.B. Hamman-Rich-Syndrom) 7 Band Innere Medizin
101 J85-J86 Purulente und nekrotisierende
Krankheitszustände der unteren Atemwege
J86 Pyothorax 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.4.3
102 J90-J94 Sonstige Krankheiten der Pleura
J90 Pleuraerguss, anderenorts nicht klassifiziert (z.B. Exsudative Pleuritis) 7 Band Innere Medizin
J91 Pleuraerguß bei anderenorts klassifizierten 7 Band Innere Medizin
Krankheiten
J93 Pneumothorax 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.4.2.2
103 J95-J99 Sonstige Krankheiten des Atmungssystems
J98 Sonstige Krankheiten der Atemwege (z.B. Atelektase, Interstitielles Emphysem, 7 Band Innere Medizin
Mediastinitis)
104 K00-K14 Krankheiten der Mundhöhle, der Speichel-
drüsen und der Kiefer
K10 Sonstige Krankheiten der Kiefer (z.B. Kieferosteomyelitis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.3.2
K11 Krankheiten der Speicheldrüsen (z.B. Sialolithiasis) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
K12 Stomatitis und verwandte Krankheiten (z.B. Rezidivierende orale Aphthen) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
K13 Sonstige Krankheiten der Lippe und der (z.B. Cheilitis, Leukoplakie) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Mundschleimhaut 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XX Gegenstandskatalog

105 K20-K31 Krankheiten des Ösophagus, des Magens


und des Duodenums
K20 Ösophagitis 7 Band Innere Medizin
K21 Gastroösophageale Refluxkrankheit 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2
7 Band Innere Medizin
K22 Sonstige Krankheiten des Ösophagus (z.B. Erworbene Divertikel, Mallory-Weiss- 7 Band Innere Medizin
Syndrom, Perforation) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2
K25 Ulcus ventriculi 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.3
7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
K26 Ulcus duodeni 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbetis- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.4
7 Band Innere Medizin
K29 Gastritis und Duodenitis 7 Band Innere Medizin
K30 Dyspepsie 7 Band Querschnittsbereiche
106 K35-K38 Krankheiten der Appendix
K35 Akute Appendizitis 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.5
107 K40-K46 Hernien
K40 Hernia inguinalis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.14
K41 Hernia femoralis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.14
K42 Hernia umbilicalis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.14
K43 Hernia ventralis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.14
K44 Hernia diaphragmatica 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.12.2
108 K50-K52 Nichtinfektiöse Enteritis und Kolitis
K50 Crohn-Krankheit [Enteritis regionalis] [Morbus 7 Band Innere Medizin
Crohn] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.8
K51 Colitis ulcerosa 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.8
109 K55-K63 Sonstige Krankheiten des Darmes
K55 Gefäßkrankheiten des Darmes (z.B. Mesenterialinfarkt, Ischämische 7 Band Innere Medizin
Kolitis) 7 Band Chirurgie, 7 Kap. 1.7.3.4
K56 Paralytischer Ileus und mechanischer Ileus (z.B. Invagination, Bridenileus) 7 Band Innere Medizin
ohne Hernie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.17
K57 Divertikulose des Darmes 7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.5
K58 Reizdarmsyndrom 7 Band Innere Medizin
K60 Fissur und Fistel in der Anal- und Rektalregion 7 Band Innere Medizin
K61 Abszess in der Anal- und Rektalregion 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.7
K62 Sonstige Krankheiten des Anus und des Rek- (z.B. Analpolyp, Analprolaps) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.7
tums 7 Band Innere Medizin
K63 Sonstige Krankheiten des Darmes (z.B. Darmabszess, Darmfistel) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.5 und 1.1.13.5
110 K65-K67 Krankheiten des Peritoneums
K65 Peritonitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.17
111 K70-K77 Krankheiten der Leber
K70 Alkoholische Leberkrankheit 7 Band Innere Medizin
K71 Toxische Leberkrankheit 7 Band Innere Medizin
K72 Leberversagen, anderenorts nicht klassifiziert 7 Band Innere Medizin
K74 Fibrose und Zirrhose der Leber 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
K75 Sonstige entzündliche Leberkrankheiten (z.B. Leberabszess, Autoimmune Hepatitis) 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.10
K76 Sonstige Krankheiten der Leber (z.B. Fettleber) 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
112 K80-K87 Krankheiten der Gallenblase, der Gallen-
wege und des Pankreas
K80 Cholelithiasis 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.12
K81 Cholezystitis 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.12
K83 Sonstige Krankheiten der Gallenwege (z.B. Gallengangsverschluss) 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.12
K85 Akute Pankreatitis 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.13
XXI
Gegenstandskatalog

K86 Sonstige Krankheiten des Pankreas (z.B. Chronische Pankreatitis) 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.13
113 K90-K93 Sonstige Krankheiten des Verdauungs-
systems
K90 Intestinale Malabsorption (z.B. Zöliakie) 7 Band Innere Medizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
114 L00-L08 Infektionen der Haut und der Unterhaut
L00 Staphylococcal scalded skin syndrome 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
[SSS-Syndrom] 7 Band Grundlagen
L01 Impetigo 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L02 Hautabszess, Furunkel und Karbunkel 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L03 Phlegmone 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.9.4
L04 Akute Lymphadenitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L05 Pilonidalzyste 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L08 Sonstige lokale Infektionen der Haut und der (z.B. Pyodermie, Erythrasma) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Unterhaut
115 L10-L14 Bullöse Dermatosen
L10 Pemphiguskrankheiten 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L12 Pemphigoidkrankheiten 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L13 Sonstige bullöse Dermatosen (z.B. Dermatitis herpetiformis Duhring) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
116 L20-L30 Dermatitis und Ekzem
L20 Atopisches [endogenes] Ekzem 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L21 Seborrhoisches Ekzem 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L22 Windeldermatitis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
L23 Allergische Kontaktdermatitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L24 Toxische Kontaktdermatitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L27 Dermatitis durch oral, enteral oder parenteral (z.B. Arzneimittelexanthem) 7 Band Querschnittsbereiche
aufgenommene Substanzen 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L30 Sonstige Dermatitis (z.B. Nummuläres Ekzem) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
117 L40-L45 Papulosquamöse Hautkrankheiten
L40 Psoriasis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L41 Parapsoriasis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L42 Pityriasis rosea 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L43 Lichen ruber planus 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
118 L50-L54 Urtikaria und Erythem
L50 Urtikaria 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L51 Erythema exsudativum multiforme (z.B. Toxische epidermale Nekrolyse) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L52 Erythema nodosum 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
119 L55-L59 Krankheiten der Haut und der Unterhaut
durch Strahleneinwirkung
L55 Dermatitis solaris acuta 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche
L56 Sonstige akute Hautveränderungen durch (z.B. Polymorphe Lichtdermatose) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Ultraviolettstrahlen 7 Band Querschnittsbereiche
L57 Hautveränderungen durch chronische Exposi- (z.B. Aktinische Keratose) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
tion gegenüber nichtionisierender Strahlung 7 Band Querschnittsbereiche
120 L60-L75 Krankheiten der Hautanhangsgebilde
L60 Krankheiten der Nägel 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L63 Alopecia areata 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L64 Alopecia androgenetica 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L70 Akne 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
L71 Rosazea 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L72 Follikuläre Zysten der Haut und der Unterhaut (z.B. Atherom) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin
L73 Sonstige Krankheiten der Haarfollikel (z.B. Hidradenitis suppurativa) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche
121 L80-L99 Sonstige Krankheiten der Haut und der
Unterhaut
L80 Vitiligo 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L82 Seborrhoische Keratose 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
XXII Gegenstandskatalog

L83 Acanthosis nigricans 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde


L85 Sonstige Epidermisverdickung (z.B. Cornu cutaneum, Akrale Hyper- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
keratosen)
L88 Pyoderma gangraenosum 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L89 Dekubitalgeschwür 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.10.2.3
L90 Atrophische Hautkrankheiten (z.B. Lichen sclerosus et atrophicus, 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Narben, Striae cutis atrophicae) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.1.6 und 1.10.5
L92 Granulomatöse Krankheiten der Haut und der (z.B. Granuloma anulare, Nekrobiosis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Unterhaut lipoidica)
L93 Lupus erythematodes 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L94 Sonstige lokalisierte Krankheiten des Binde- (z.B. Sclerodermia circumscripta) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
gewebes
122 M00-M03 Infektiöse Arthropathien
M00 Eitrige Arthritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.1.6
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M01 Direkte Gelenkinfektionen bei anderenorts (z.B. Arthritis bei Lyme-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
klassifizierten infektiösen und parasitären
Krankheiten
M02 Reaktive Arthritiden (z.B. Reiter-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
M03 Postinfektiöse und Reaktive Arthritiden bei 7 Band Innere Medizin
anderenorts klassifizierten Krankheiten 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
123 M05-M14 Entzündliche Polyarthropathien (z.B. Chronische Polyarthritis, Arthritis 7 Band Innere Medizin
psoriatica, Juvenile Arthritis, Gicht, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Begleitarthropathien) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.4
124 M15-M19 Arthrose
M15 Polyarthrose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.4.6
M16 Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.13.6.1
M17 Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.14.3.1
M19 Sonstige Arthrose (z.B. Omarthrose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.11.5.1
125 M20-M25 Sonstige Gelenkkrankheiten
M20 Erworbene Deformitäten der Finger und (z.B. Hallux valgus) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.16.9.1
Zehen
M21 Sonstige erworbene Deformitäten der (z.B. Fallhand) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Extremitäten Rechtsmedizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.7 und 2.12
M22 Krankheiten der Patella 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2 und 2.14.9
M23 Binnenschädigung des Kniegelenkes (z.B. Meniskusschädigung) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.12 und 2.14.4
[internal derangement]
M24 Sonstige näher bezeichnete Gelenk- (z.B. Freier Gelenkkörper) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.1 und 2.4.4.3
schädigungen
M25 Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts (z.B. Hämarthros, Gelenkinstabilität, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.1 und 2.2, 2.4, 2.11
nicht klassifiziert Gelenksteife)
126 M30-M36 Systemkrankheiten des Bindegewebes
M30 Panarteriitis nodosa und verwandte Zustände (z.B. Kawasaki-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M31 Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien (z.B. Hypersensitivitätsangiitis, Riesen- 7 Band Innere Medizin
zellarteriitis)
M32 Systemischer Lupus erythematodes 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M33 Dermatomyositis-Polymyositis 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M34 Systemische Sklerose 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M35 Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung (z.B. Polymyalgia rheumatica) 7 Band Innere Medizin
des Bindegewebes
127 M40-M43 Deformitäten der Wirbelsäule und des
Rückens
M40 Kyphose und Lordose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.2 und 2.8.1
M41 Skoliose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.5
M42 Osteochondrose der Wirbelsäule 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8.1
M43 Sonstige Deformitäten der Wirbelsäule und (z.B. Spondylolisthesis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.6
des Rückens
128 M45-M49 Spondylopathien
M45 Spondylitis ankylosans 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8
M46 Sonstige entzündliche Spondylopathien (z.B. Spondylodiszitis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.7
M47 Spondylose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8
M48 Sonstige Spondylopathien (z.B. Lumbale Spinalstenose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8.6
XXIII
Gegenstandskatalog

129 M50-M54 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und


des Rückens
M50 Zervikale Bandscheibenschäden (z.B. zervikale Myelopathie) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.11 und 2.8.8.2
M51 Sonstige Bandscheibenschäden (z.B. Lumbaler Bandscheibenvorfall) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.11 und 2.8.8.4,
2.8.8.5
M53 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des (z.B. Zervikobrachial-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8.2
Rückens, anderenorts nicht klassifiziert
M54 Rückenschmerzen (z.B. Lumboischialgie) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8.5 und 2.8.8.6
130 M60-M63 Krankheiten der Muskeln
M60 Myositis 7 Band Innere Medizin
M61 Kalzifikation und Ossifikation von Muskeln 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.1.5 und 2.6.5.1
131 M65-M68 Krankheiten der Synovialis und der Sehnen
M65 Synovitis und Tenosynovitis (z.B. Schnellender Finger) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.9.5 und 2.7.2.3
132 M70-M79 Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes
M70 Krankheiten des Weichteilgewebes im (z.B. Bursitis praepatellaris) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.14.9.3
Zusammenhang mit Beanspruchung, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Überbeanspruchung und Druck Rechtsmedizin
M72 Fibromatosen (z.B. Nekrotisierende Fasziitis) 7 Band Grundlagen
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.11.8
M75 Schulterläsionen (z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.6 und 2.11
M76 Enthesopathien der unteren Extremität mit (z.B. Tractus-iliotibialis-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.13.5.4
Ausnahme des Fußes
M77 Sonstige Enthesopathien (z.B. Epicondylitis radialis humeri) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.7.1.2
M79 Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, (z.B. Fibromyalgie, Neuralgie) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
anderenorts nicht klassifiziert 7 Band Innere Medizin
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
133 M80-M85 Veränderungen der Knochendichte und
-struktur
M80 Osteoporose mit pathologischer Fraktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.2
7 Band Querschnittsbereiche
M81 Osteoporose ohne pathologische Fraktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.2
7 Band Querschnittsbereiche
M85 Sonstige Veränderungen der Knochendichte (z.B. Knochenzyste) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.7.8
und -struktur
134 M86-M90 Sonstige Osteopathien
M86 Osteomyelitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.3.2 und 2.5.8
M87 Knochennekrose (z.B. Idiopathische aseptische Knochen- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.4.7.1
nekrose)
M88 Osteodystrophia deformans [Paget-Krankheit] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.3.1
M89 Sonstige Knochenkrankheiten (z.B. Komplexes regionales Schmerz- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
syndrom)
135 M91-M94 Chondropathien (z.B. M. Perthes, Osteochondrosis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.4.7 und 2.13.5
dissecans) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
136 M95-M99 Sonstige Krankheiten des Muskel-Skelett-
Systems und des Bindegewebes
M99 Biomechanische Funktionsstörungen, (z.B. Knöcherne Stenose des Spinalkanals, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.8 und 2.5.5
anderenorts nicht klassifiziert Stenose des Spinalkanals durch Band-
scheiben)
137 N00-N08 Glomeruläre Krankheiten
N00 Akutes nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2.1
7 Band Innere Medizin
N01 Rapid-progressives nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2.1
7 Band Innere Medizin
N02 Rezidivierende und persistierende Hämaturie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.2.1
7 Band Innere Medizin
N03 Chronisches nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2.1
7 Band Innere Medizin
N04 Nephrotisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2.2
7 Band Innere Medizin
138 N10-N16 Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
N10 Akute tubulointerstitielle Nephritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2
7 Band Innere Medizin
N11 Chronische tubulointerstitielle Nephritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2
7 Band Innere Medizin
N13 Obstruktive Uropathie und Refluxuropathie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.2.2
7 Band Innere Medizin
N15 Sonstige tubulointerstitielle Nierenkrank- (z.B. Nierenkarbunkel, Paranephritis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.1.3
heiten 7 Band Innere Medizin
XXIV Gegenstandskatalog

139 N17-N19 Niereninsuffizienz


N17 Akutes Nierenversagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.2.2
7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
N18 Chronische Niereninsuffizienz 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.12
7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
140 N20-N23 Urolithiasis
N20 Nieren- und Ureterstein 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.7
7 Band Innere Medizin
N21 Stein in den unteren Harnwegen (z.B. Blasenstein) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.7
141 N25-N29 Sonstige Krankheiten der Niere und des
Ureters
N26 Schrumpfniere, nicht näher bezeichnet 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.1.2
7 Band Innere Medizin
N28 Sonstige Krankheiten der Niere und des (z.B. Niereninfarkt) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.11.4
Ureters, anderenorts nicht klassifiziert 7 Band Innere Medizin
142 N30-N39 Sonstige Krankheiten des Harnsystems
N30 Zystitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.1.2
N31 Neuromuskuläre Dysfunktion der Harnblase, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.9.2
anderenorts nicht klassifiziert
N32 Sonstige Krankheiten der Harnblase (z.B. Blasenhalsobstruktion) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.6
N34 Urethritis und urethrales Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.1.1
N35 Harnröhrenstriktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.9.2
N39 Sonstige Krankheiten des Harnsystems (z.B. Stressinkontinenz, Urgeinkontinenz, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.9.1 und 3.11.7
Harnwegsinfektion, Urosepsis) 7 Band Innere Medizin
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
143 N40-N51 Krankheiten der männlichen Genitalorgane
N40 Prostatahyperplasie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.6
N41 Entzündliche Krankheiten der Prostata 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.4
N43 Hydrozele und Spermatozele 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.8.3
N44 Hodentorsion und Hydatidentorsion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.11.2
N45 Orchitis und Epididymitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.4.5
N46 Sterilität beim Mann 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.8.1
N47 Vorhauthypertrophie, Phimose und Paraphi- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.5.2 und 3.11.1
mose
N48 Sonstige Krankheiten des Penis (z.B. Balanoposthitis, Priapismus, Impotenz 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.11.1 und 3.8.2
organischen Usprungs, Penisfraktur)
N49 Entzündliche Krankheiten der männlichen (z.B. Fournier-Gangrän) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.11.8
Genitalorgane, anderenorts nicht klassifiziert
144 N60-N64 Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N60 Gutartige Mammadysplasie (z.B. Fibrozystische Mastopathie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N61 Entzündliche Krankheiten der Mamma 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
[Brustdrüse]
145 N70-N77 Entzündliche Krankheiten der weiblichen
Beckenorgane
N70 Salpingitis und Oophoritis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N71 Entzündliche Krankheit des Uterus, ausge- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
nommen der Zervix
N72 Entzündliche Krankheit der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N73 Sonstige entzündliche Krankheiten im (z.B. Parametritis, Pelveoperitonitis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
weiblichen Becken 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.17
N75 Krankheiten der Bartholin-Drüsen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N76 Sonstige entzündliche Krankheit der Vagina (z.B. Akute Kolpitis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
und Vulva
146 N80-N98 Nichtentzündliche Krankheiten des
weiblichen Genitaltraktes
N80 Endometriose 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N81 Genitalprolaps bei der Frau 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N85 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten des (z.B. Glanduläre Hyperplasie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Uterus, ausgenommen der Zervix Adenomatöse Hyperplasie)
N86 Erosion und Ektropium der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N87 Dysplasie der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N89 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der (z.B. Hochgradige Dysplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Vagina
N90 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der (z.B. Atrophie der Vulva) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Vulva und des Perineums
XXV
Gegenstandskatalog

N91 Ausgebliebene, zu schwache oder zu seltene 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie


Menstruation
N92 Zu starke, zu häufige oder unregelmäßige 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Menstruation
N94 Schmerz und andere Zustände im Zusammen- (z.B. Dyspareunie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
hang mit den weiblichen Genitalorganen und
dem Menstruationszyklus
N95 Klimakterische Störungen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N97 Sterilität der Frau 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
147 O00-O08 Schwangerschaft mit abortivem Ausgang
O00 Extrauteringravidität 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O01 Blasenmole 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O03 Spontanabort 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
148 O10-O16 Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft, der Geburt
und des Wochenbettes
O14 Gestationshypertonie [schwangerschafts- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
induziert] mit bedeutsamer Proteinurie
O15 Eklampsie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
149 O20-O29 Sonstige Krankheiten der Mutter, die vor-
wiegend mit der Schwangerschaft verbun-
den sind
O20 Blutung in der Frühschwangerschaft (z.B. Drohender Abort) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O24 Diabetes mellitus in der Schwangerschaft 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O26 Betreuung der Mutter bei sonstigen Zustän- (z.B. Übermäßige Gewichtszunahme, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
den, die vorwiegend mit der Schwangerschaft Herpes gestationis)
verbunden sind
150 O30-O48 Betreuung der Mutter im Hinblick auf den (z.B. Mehrlingsschwangerschaft, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Feten und die Amnionhöhle sowie mögliche Übertragene Schwangerschaft,
Entbindungskomplikationen Polyhydramnion)
151 O60-O75 Komplikationen bei Wehentätigkeit und (z.B. Abnorme Wehentätigkeit, Geburts- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Entbindung hindernis)
152 O85-O92 Komplikationen, die vorwiegend im
Wochenbett auftreten
O91 Infektionen der Mamma [Brustdrüse] im 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Zusammenhang mit der Gestation
153 O95-O99 Sonstige Krankheitszustände während der (z.B. Infektionskrankheiten während der 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Gestationsperiode, die anderenorts nicht Schwangerschaft, Schwangerschafts-
klassifiziert sind dermatosen)
154 P00-P04 Schädigung des Feten und Neugeborenen (z.B. Schädigung des Kindes durch 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
durch mütterliche Faktoren und durch Placenta praevia)
Komplikationen bei Schwangerschaft,
Wehentätigkeit und Entbindung
155 P05-P08 Störungen im Zusammenhang mit der
Schwangerschaftsdauer und dem fetalen
Wachstum
P05 Intrauterine Mangelentwicklung und fetale 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Mangelernährung
P07 Störungen im Zusammenhang mit kurzer 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Schwangerschaftsdauer und niedrigem Ge-
burtsgewicht, anderenorts nicht klassifiziert
156 P10-P15 Geburtstrauma 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
157 P20-P29 Krankheiten des Atmungs- und Herz-Kreis- (z.B. Intrauterine Hypoxie, Atemnot-Syn- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
laufsystems, die für die Perinatalperiode spe- drom und Aspirationssyndrome beim 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.5
zifisch sind Neugeborenen, Angeborene Pneumonie,
Bronchopulmonale Dysplasie bei Frühge-
burtlichkeit, Herzrhythmusstörung beim
Neugeborenen, Persistierender Fetalkreis-
lauf )
158 P35-P39 Infektionen, die für die Perinatalperiode (z.B. Angeborene Sepsis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
spezifisch sind
159 P50-P61 Hämorrhagische und hämatologische
Krankheiten beim Feten und Neugeborenen
P53 Hämorrhagische Krankheit beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Neugeborenen
P55 Hämolytische Krankheit beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Neugeborenen
P57 Kernikterus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P59 Neugeborenenikterus durch sonstige und (z.B. Hyperbilirubinämie bei Frühgeburt- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
nicht näher bezeichnete Ursachen lichkeit)
160 P70-P74 Transitorische endokrine und Stoffwechsel-
störungen, die für den Feten und das Neuge-
borene spezifisch sind
P70 Transitorische Störungen des Kohlenhydrat- (z.B. Syndrom des Kindes einer diabeti- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
stoffwechsels, die für den Feten und das Neu- schen Mutter) 7 Band Grundlagen
geborene spezifisch sind
XXVI Gegenstandskatalog

P74 Sonstige transitorische Störungen des Elektro- (z.B. Dehydratation beim Neugeborenen) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
lythaushaltes und des Stoffwechsels beim
Neugeborenen
161 P75-P78 Krankheiten des Verdauungssystems beim
Feten und Neugeborenen
P75 Mekoniumileus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.12.2
P77 Enterocolitis necroticans beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Neugeborenen
162 P90-P96 Sonstige Störungen, die ihren Ursprung in
der Perinatalperiode haben
P90 Krämpfe beim Neugeborenen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
P91 Sonstige zerebrale Störungen beim Neugebo- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
renen
P92 Ernährungsprobleme beim Neugeborenen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
163 Q00-Q07 Angeborene Fehlbildungen des Nervensys-
tems
Q05 Spina bifida 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q07 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Arnold-Chiari-Syndrom) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Nervensystems 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
164 Q10-Q18 Angeborene Fehlbildungen des Auges, des (z.B. Angeborene Fehlbildungen des
Ohres, des Gesichtes und des Halses Tränenapparats)
165 Q20-Q28 Angeborene Fehlbildungen des Kreislauf- (z.B. Transposition der großen Gefäße, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.5.3
systems Septumdefekte, Klappenstenosen und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Klappeninsuffizienzen, Hypoplastisches
Linksherzsyndrom, Offener Ductus Botalli,
Aortenisthmusstenose, Lungenvenen-
Fehleinmündungen, Hirngefäßaneurysma)
166 Q30-Q34 Angeborene Fehlbildungen des Atmungs-
systems
Q30 Angeborene Fehlbildungen der Nase (z.B. Choanalatresie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
167 Q35-Q37 Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.3.4
168 Q38-Q45 Sonstige angeborene Fehlbildungen des
Verdauungssystems
Q39 Angeborene Fehlbildungen des Ösophagus (z.B. Ösophagusatresie, Ösophagusdiverti- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.2 und 1.12.2
keln) 7 Band Innere Medizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q40 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Angeborene hypertrophische 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.12.2
oberen Verdauungstraktes Pylorusstenose) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q43 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Meckel-Divertikel, Hirschsprung- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.4.2, 1.12.2 und
Darmes Krankheit) 1.12.3
169 Q50-Q56 Angeborene Fehlbildungen der Genitalor-
gane
Q51 Angeborene Fehlbildungen des Uterus und (z.B. Uterusaplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
der Cervix uteri
Q52 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Hymenalatresie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
weiblichen Genitalorgane
Q53 Nondescensus testis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.5.1
Q54 Hypospadie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.4.2
Q55 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Pendelhoden) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10.5.1
männlichen Genitalorgane
170 Q60-Q64 Angeborene Fehlbildungen des Harnsystems (z.B. Nierenzyste, Zystische Nierenkrank- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 3.10
heit, Nierenbecken-Abgangsstenose, 7 Band Innere Medizin
Megaureter, Ektope Niere, Epispadie,
Harnblasenekstrophie)
171 Q65-Q79 Angeborene Fehlbildungen und Defor-
mitäten des Muskel-Skelett-Systems
Q65 Angeborene Deformitäten der Hüfte (z.B. Hüftdysplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.13.2
Q66 Angeborene Deformitäten der Füße (z.B. Pes equinovarus congenitus) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.16.2.2
Q67 Angeborene Muskel-Skelett-Deformitäten des (z.B. Angeborene Skoliose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.5
Kopfes, des Gesichtes, der Wirbelsäule und des
Thorax
Q71 Reduktionsdefekte der oberen Extremität (z.B. Spalthand) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.12.7
Q72 Reduktionsdefekte der unteren Extremität (z.B. Spaltfuß) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.12.7
Q73 Reduktionsdefekte nicht näher bezeichneter (z.B. Dysmelie, Phokomelie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Extremität (en) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.12.7
Q75 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Kraniosynostose) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Schädel- und Gesichtsschädelknochen
Q76 Angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule (z.B. Spina bifida occulta, Angeborene 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
und des knöchernen Thorax Kyphose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.8.4.1
XXVII
Gegenstandskatalog

Q78 Sonstige Osteochondrodysplasien (z.B. Osteogenesis imperfecta) 7 Band Grundlagen


7 Band Chirurgie, Prthopädie, Urologie, 7 Kap. 2.5.5.2
Q79 Angeborene Fehlbildungen des Muskel- (z.B. Omphalozele, Gastroschisis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Skelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert 7 Band Chirurgie, Prthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.12.2
172 Q80-Q89 Sonstige angeborene Fehlbildungen
Q80 Ichthyosis congenita 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Q82 Sonstige angeborene Fehlbildungen der Haut (z.B. Mastozytosen, Angeborener nicht- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
neoplastischer Nävus)
Q85 Phakomatosen, anderenorts nicht klassifiziert (z.B. Neurofibromatose) 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Q86 Angeborene Fehlbildungssyndrome durch (z.B. Alkohol-Embryopathie [mit Dysmor- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
bekannte äußere Ursachen, anderenorts nicht phien])
klassifiziert
173 Q90-Q99 Chromosomenanomalien, anderenorts nicht (z.B. Down-Syndrom, Turner-Syndrom, 7 Band Grundlagen
klassifiziert Klinefelter-Syndrom, Syndrom des fragilen
X-Chromosoms)
174 R95-R99 Ungenau bezeichnete und unbekannte
Todesursachen
R95 Plötzlicher Kindstod 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
175 S00-S09 Verletzungen des Kopfes (z.B. Schädel-Hirn-Trauma) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.2.2
176 S10-S19 Verletzungen des Halses 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.3
177 S20-S29 Verletzungen des Thorax 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.4.2
178 S30-S39 Verletzungen des Abdomens, der Lumbo- 7 Band Querschnittsbereiche
sakralgegend, der Lendenwirbelsäule und 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.7.18 und 1.8.2.11
des Beckens
179 S40-S49 Verletzungen der Schulter und des Ober- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2
armes
180 S50-S59 Verletzungen des Ellenbogens und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2
Unterarmes
181 S60-S69 Verletzungen des Handgelenkes und der 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 9.3
Hand
182 S70-S79 Verletzungen der Hüfte und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2
Oberschenkels
183 S80-S89 Verletzungen des Knies und des Unter- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.12
schenkels
184 S90-S99 Verletzungen der Knöchelregion und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.12
Fußes
185 T00-T07 Verletzungen mit Beteiligung mehrerer
Körperregionen
186 T08-T14 Verletzungen nicht näher bezeichneter Teile (z.B. Wirbelsäulenfraktur, Rückenmarks- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
des Rumpfes, der Extremitäten oder anderer verletzung ohne Höhenbezeichnung) 7 Band Querschnittsbereiche
Körperregionen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2.3
187 T15-T19 Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers (z.B. Fremdkörper in den Atemwegen) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
durch eine natürliche Körperöffnung Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
188 T20-T32 Verbrennungen oder Verätzungen 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.11
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
189 T33-T35 Erfrierungen 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.11.4
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
190 T36-T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen 7 Band Querschnittsbereiche
und biologisch aktive Substanzen 7 Band Grundlagen
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
191 T51-T65 Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
medizinisch verwendeten Substanzen 7 Band Grundlagen

192 T66-T78 Sonstige und nicht näher bezeichnete


Schäden durch äußere Ursachen
T67 Schäden durch Hitze und Sonnenlicht 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
T68 Hypothermie 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
T69 Sonstige Schäden durch niedrige Temperatur (z.B. Frostbeulen) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.11.4
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Querschnittsbereiche
T71 Erstickung 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
XXVIII Gegenstandskatalog

T74 Missbrauch von Personen (z.B. Kindesmisshandlung) 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
T75 Schäden durch sonstige äußere Ursachen (z.B. Ertrinken, Schäden durch elektrischen 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
Strom) 7 Band Querschnittsbereiche
T78 Unerwünschte Nebenwirkungen, anderenorts (z.B. Anaphylaktischer Schock, Angio- 7 Band Querschnittsbereiche
nicht klassifiziert neurotisches Ödem, Kuhmilchprotein- 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
intoleranz) 7 Band Innere Medizin
7 Band Grundlagen
T79 Bestimmte Frühkomplikationen eines (z.B. Luftembolie, Schock, Kompartment- 7 Band Querschnittsbereiche
Traumas, anderenorts nicht klassifiziert syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.1.2 und 1.8.1.8
7 Band Grundlagen
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
193 T80-T88 Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen (z.B. Septikämie, Transfusionsreaktion) 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
und medizinischer Behandlung, anderenorts 7 Band Grundlagen
nicht klassifiziert
194 U00-U49 Vorläufige Zuordnungen für Krankheiten mit
unklarer Ätiologie
195 U04 Schweres akutes respiratorisches Syndrom 7 Band Grundlagen
[SARS]
196 U80-U85 Infektionserreger mit Resistenzen gegen
bestimmte Antibiotika oder Chemothera-
peutika
U80 Erreger mit bestimmten Antibiotikaresisten- 7 Band Grundlagen
zen, die besondere therapeutische oder 7 Band Querschnittsbereiche
hygienische Maßnahmen erfordern
U82 Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituber- 7 Band Querschnittsbereiche
kulotika (Erstrangmedikamente) 7 Band Grundlagen
197 V01-X59 Unfälle 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Kap. 1.8.2
198 X60-X84 Vorsätzliche Selbstbeschädigung 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
199 X85-Y09 Tätlicher Angriff 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
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XXXI

Inhaltsverzeichnis
1 Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.4 Thoraxchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1.1 Allgemeine chirurgische Prinzipien . . . 4 U. Fetzner, K.-J. Paquet
U. Fetzner, K.-J. Paquet 1.4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1.1.1 Chirurgische Anamnese und klinische 1.4.2 Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Krankenuntersuchung . . . . . . . . . . . . 4 1.4.3 Erkrankungen der Pleura . . . . . . . . . . 42
1.1.2 Indikationsfindung, Aufklärung . . . . . . 5 1.4.4 Erkrankungen des Mediastinums . . . . . 42
1.1.3 Chirurgische Notfälle . . . . . . . . . . . . . 6 1.4.5 Malignome und Metastasen . . . . . . . . 43
1.1.4 Präoperative Maßnahmen . . . . . . . . . . 7 1.4.6 Angeborene Erkrankungen der Lunge . . . 45
1.1.5 Einführung in Operationstechnik . . . . . 7 1.4.7 Weitere Indikationen zur Thoraxchirurgie 45
1.1.6 Wunde, Wundbehandlung . . . . . . . . . 11 1.5 Herzchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
1.1.7 »Kleine Chirurgie« . . . . . . . . . . . . . . . 12 K.-J. Paquet, U. Fetzner
1.1.8 Postoperative Behandlung . . . . . . . . . 12 1.5.1 Grundlagen der Herzchirurgie . . . . . . . 46
1.1.9 Allgemeine postoperative 1.5.2 Erkrankungen der Herzklappen . . . . . . 47
Nachbehandlung, chirurgische 1.5.3 Angeborene Fehlbildungen
Intensivpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
1.1.10 Chirurgische Intensivmedizin . . . . . . . . 13 1.5.4 Erkrankungen der Herzkranzgefäße . . . 51
1.1.11 Post- und perioperative Komplikationen 13 1.5.5 Pacemaker-Implantation, Eingriffe am
1.1.12 Chirurgische Infektiologie . . . . . . . . . . 14 Reizleitungssystem . . . . . . . . . . . . . . 52
1.1.13 Einführung in die Onkochirurgie . . . . . . 16 1.5.6 Herztransplantation . . . . . . . . . . . . . . 53
1.1.14 Grundprinzipien der 1.5.7 Sonstige Indikationen herzchirurgischer
Transplantationschirurgie . . . . . . . . . . 21 Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
1.2 Neurochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.6 Gefäßchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . 54
K.-J. Paquet, U. Fetzner K.-J. Paquet, U. Fetzner
1.2.1 Neurochirurgische Untersuchung . . . . . 23 1.6.1 Bedeutung der Gefäßchirurgie . . . . . . . 54
1.2.2 Neurotraumatologie – Schädel-Hirn- 1.6.2 Allgemeine Prinzipien der
Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Gefäßchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
1.2.3 Neurotraumatologie – Schädelfrakturen 26 1.6.3 Grundprinzipien der Operationen
1.2.4 Akute raumfordernde intrakranielle an Gefäßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.6.4 Chirurgie der Venen-, Lymphgefäße . . . . . 60
1.2.5 Gefäßerkrankungen des ZNS . . . . . . . . 27 1.7 Viszeralchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . 62
1.2.6 Hydrozephalus . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 K.-J. Paquet, U. Fetzner, G. Kraus
1.2.7 Malignome des Gehirns, seiner Hüllen 1.7.1 Hals, Schilddrüse . . . . . . . . . . . . . . . . 62
und des Rückenmarks . . . . . . . . . . . . 29 1.7.2 Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
1.2.8 Intrakraniale/intraspinale Abszesse . . . . 32 1.7.3 Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
1.2.9 Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.7.4 Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
1.2.10 Rückenmarksverletzung . . . . . . . . . . . 33 1.7.5 Kolon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
1.2.11 Periphere Neurochirurgie . . . . . . . . . . 34 1.7.6 Rektum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
1.3 Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie . . . . . . 35 1.7.7 Erkrankungen des Analkanals
K.-J. Paquet, U. Fetzner und des Anus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
1.3.1 Verletzungen des Gesichtsschädels . . . . 35 1.7.8 Chronisch-entzündliche Darm-
1.3.2 Infektionen, Entzündungen erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich . . . . . . 36 1.7.9 Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
1.3.3 Tumoren im Mund-Kiefer- 1.7.10 Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Gesichtsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.7.11 Pfortaderhochdruck
1.3.4 Fehlbildungen im Mund-Kiefer-Gesichts- (portale Hypertension) . . . . . . . . . . . . 103
Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.7.12 Gallenblase, extrahepatische
Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
1.7.13 Pankreas (Bauchspeicheldrüse) . . . . . . . 112
1.7.14 Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
XXXII Inhaltsverzeichnis

1.7.15 Hydrozele (»Wasserbruch«) . . . . . . . . . 122 2 Orthopädie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217


1.7.16 Zwerchfell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 R. Kasch, O. Kessler
1.7.17 Akutes Abdomen, Ileus, Peritonitis . . . . 124 2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
1.7.18 Abdomenverletzung . . . . . . . . . . . . . 128 2.1.1 Orthopädische Untersuchung . . . . . . . 220
1.7.19 Neuroendokrine Tumoren (NET) 2.2 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . 221
des Gastrointestinaltraktes, MEN . . . . . . 129 2.2.1 Spezifische Funktionstests . . . . . . . . . . 221
1.7.20 Nebenniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.3 Orthopädische Therapie . . . . . . . . . . 222
1.8 Unfallchirurgie/Traumatologie . . . . . . 133 2.3.1 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . 222
K.-J. Paquet, U. Fetzner, G. Kraus 2.3.2 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . 223
1.8.1 Allgemeine Traumatologie . . . . . . . . . 133 2.4 Erkrankungen der Gelenke . . . . . . . . . 224
1.8.2 Spezielle Unfallchirurgie/Traumatologie 153 2.4.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . 224
1.9 Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.4.2 Degenerative Gelenkerkrankungen . . . . 224
K.-J. Paquet, U. Fetzner 2.4.3 Entzündliche/rheumatische Gelenk-
1.9.1 Untersuchung der Hand . . . . . . . . . . . 181 erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
1.9.2 Operationsprinzipien in der 2.4.4 Abakterielle Gelenkentzündungen
Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 und Arthropathien . . . . . . . . . . . . . . 227
1.9.3 Verletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . 182 2.4.5 Metabolische Arthropathien . . . . . . . . 228
1.9.4 Infektionen der Hand . . . . . . . . . . . . . 186 2.4.6 Polyarthrosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
1.9.5 Sonstige Erkrankungen der Hand . . . . . 187 2.4.7 Zirkulationsbedingte Gelenk-
1.9.6 Amputationsverletzungen, erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Replantation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.5 Erkrankungen des Knochens . . . . . . . 233
1.9.7 Fehlbildungen der Hand . . . . . . . . . . . 188 2.5.1 Metabolische Knochenerkrankungen . . . 233
1.10 Plastische, wiederherstellende 2.5.2 Knochenerkrankungen mit verminderter
(rekonstruktive), ästhetische Chirurgie, Knochendichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . 189 2.5.3 Knochenerkrankungen mit erhöhter
U. Fetzner, K.-J. Paquet Knochendichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
1.10.1 Einführung, Grundprinzipien der 2.5.4 Osteonekrosen . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
plastischen Chirurgie . . . . . . . . . . . . . 189 2.5.5 Angeborene Skelettsystemerkrankungen 238
1.10.2 Auswahl plastisch-chirurgischer 2.5.6 Regionale und monostotische
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Knochenerkrankungen . . . . . . . . . . . . 241
1.10.3 Mammachirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2.5.7 Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . 242
1.10.4 Fehlbildungschirurgie . . . . . . . . . . . . 199 2.5.8 Entzündliche Knochenerkrankungen . . . 251
1.10.5 Ästhetische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . 200 2.5.9 Frakturen und Frakturheilung
1.10.6 Obesitas-/bariatrische (Adipositas-) des Knochens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2.6 Erkrankungen der Muskulatur . . . . . . 254
1.11 Thermisches Trauma (Verbrennung, 2.6.1 Muskelatrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Erfrierung), Verbrennungsmedizin, 2.6.2 Muskelanomalie . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Verätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2.6.3 Myogelosen (Muskelhartspann) . . . . . . 254
U. Fetzner, K.-J. Paquet 2.6.4 Muskelkontrakturen . . . . . . . . . . . . . 254
1.11.1 Verbrennung (»burning«) . . . . . . . . . . 203 2.6.5 Myositis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
1.11.2 Verbrennungskrankheit, Inhalations- 2.6.6 Muskeldystrophie . . . . . . . . . . . . . . . 256
trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2.7 Erkrankungen der Sehnen
1.11.3 Rehabilitation, Prognose schwerer und Sehnenscheiden . . . . . . . . . . . . 257
Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.7.1 Degenerative Veränderungen . . . . . . . 257
1.11.4 Erfrierungen, Unterkühlung . . . . . . . . . 206 2.7.2 Sehnenscheidenerkrankungen . . . . . . 259
1.11.5 Verätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2.8 Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
1.12 Kinderchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.8.1 Anatomie der Wirbelsäule . . . . . . . . . . 262
K.-J. Paquet, U. Fetzner 2.8.2 Untersuchung der Wirbelsäule . . . . . . . 262
1.12.1 Einführung in die Kinderchirurgie . . . . . 207 2.8.3 Fehlbildungen der Wirbelsäule . . . . . . . 263
1.12.2 Viszeralchirurgische Eingriffe 2.8.4 Kyphosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
beim Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2.8.5 Skoliose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
1.12.3 Tumoren des Kindesalters . . . . . . . . . . 214 2.8.6 Spondylolyse, Spondylolisthesis,
Spondyloptose . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
XXXIII
Inhaltsverzeichnis

2.8.7 Bakterielle entzündliche Erkrankungen 2.14.8 Neurogene Arthropathie . . . . . . . . . . 315


der Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2.14.9 Entzündungen des Kniegelenkes . . . . . 315
2.8.8 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen 271 2.15 Unterschenkel und oberes
2.8.9 Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
2.8.10 Traumata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.16 Fuß und Zehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
2.9 Brustkorb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.16.1 Anatomie zur Orthopädie des Fußes . . . 316
2.9.1 Pectus excavatum . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.16.2 Angeborene Fußdeformitäten . . . . . . . 317
2.9.2 Pectus carinatum . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.16.3 Erworbene Fußdeformitäten . . . . . . . . 320
2.10 Hals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2.16.4 Entzündliche und degenerative
2.10.1 Schiefhals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Veränderungen im Fußbereich . . . . . . . 321
2.10.2 Armplexusverletzungen . . . . . . . . . . . 279 2.16.5 Osteochondrosen des Fußes . . . . . . . . 322
2.10.3 Zervikobrachiale Region . . . . . . . . . . . 279 2.16.6 Knochenvorsprünge am Fuß . . . . . . . . 322
2.11 Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2.16.7 Neurogene Störungen . . . . . . . . . . . . 322
2.11.1 Anatomie des Schultergelenkes . . . . . . 279 2.16.8 Verletzungen und Verletzungsfolgen . . . 322
2.11.2 Untersuchung der Schulter . . . . . . . . . 280 2.16.9 Zehendeformitäten . . . . . . . . . . . . . . 322
2.11.3 Schultergelenksluxationen . . . . . . . . . 280
2.11.4 Entzündliche Erkrankungen . . . . . . . . . 282 3 Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
2.11.5 Degenerative Erkrankungen. . . . . . . . . 282 G. Kraus, T. Blaum, D. Zaak
2.11.6 Neurogene Erkrankungen . . . . . . . . . . 285 3.1 Anatomische und physiologische
2.11.7 Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
2.11.8 Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3.1.1 Niere und ableitende Harnwege . . . . . . 327
2.12 Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . 287 3.1.2 Nebenniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
2.12.1 Anatomie des Ellenbogengelenkes . . . . 287 3.1.3 Harnblase und Harnröhre . . . . . . . . . . 327
2.12.2 Entzündliche Erkrankungen . . . . . . . . . 288 3.1.4 Penis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
2.12.3 Verletzungen am Ellenbogengelenk . . . 288 3.1.5 Prostata und Samenblase . . . . . . . . . . 328
2.12.4 Neurogene Störungen . . . . . . . . . . . . 288 3.1.6 Hoden und Nebenhoden . . . . . . . . . . 328
2.12.5 Entzündliche Weichteilerkrankungen . . 288 3.2 Urologische Anamnese, Nomenklatur
2.12.6 Anatomie der Hand . . . . . . . . . . . . . . 288 und Normwerte . . . . . . . . . . . . . . . . 330
2.12.7 Entwicklungsstörungen und Anomalien 3.2.1 Störungen von Harnproduktion . . . . . .
von Arm und Hand . . . . . . . . . . . . . . 289 und Harnbeschaffenheit . . . . . . . . . . . 330
2.12.8 Degenerative Erkrankungen von 3.2.2 Miktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 330
Handgelenk und Hand . . . . . . . . . . . . 291 3.2.3 Ejakulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
2.12.9 Verletzungen an Handgelenk und Hand 3.2.4 Schmerzen und weitere Symptome . . . . 330
und deren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . 293 3.3 Spezielle urologische Untersuchungs-
2.13 Hüftgelenk und Oberschenkelregion . . 294 techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
2.13.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3.3.1 Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . 333
2.13.2 Hüftdysplasien, Hüftgelenksluxation . . . 294 3.3.2 Endoskopische Verfahren . . . . . . . . . . 334
2.13.3 Epiphysiolysis capitis femoris . . . . . . . . 296 3.3.3 Funktionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . 335
2.13.4 Schenkelhalsanomalien . . . . . . . . . . . 298 3.3.4 Katheterismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
2.13.5 Erworbene Störungen . . . . . . . . . . . . 300 3.3.5 Uringewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . 336
2.13.6 Degenerative Erkrankungen . . . . . . . . 304 3.4 Entzündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
2.13.7 Entzündliche Erkrankungen des 3.4.1 Unspezifische Harnwegsinfektionen . . . 338
Hüftgelenkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 3.4.2 Glomerulopathien . . . . . . . . . . . . . . . 340
2.13.8 Neurogene Störungen . . . . . . . . . . . . 306 3.4.3 Wichtige spezifische urogenitale
2.14 Kniegelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
2.14.1 Funktionelle Anatomie . . . . . . . . . . . . 306 3.4.4 Prostatitis-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . 344
2.14.2 Angeborene und funktionell bedingte 3.4.5 Epididymitis und Orchitis . . . . . . . . . . 345
Störungen des Kniegelenkes . . . . . . . . 307 3.5 Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
2.14.3 Degenerative Veränderungen . . . . . . . 310 3.5.1 Nierenzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . 347
2.14.4 Meniskopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3.5.2 Wilms-Tumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
2.14.5 Verletzungen und Verletzungsfolgen . . . 312 3.5.3 Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . 349
2.14.6 Bandverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . 314 3.5.4 Tumoren der Harnwege (Nierenbecken
2.14.7 Knöcherne Verletzungen . . . . . . . . . . 314 und Harnleiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
XXXIV Inhaltsverzeichnis

3.5.5 Peniskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3.10.5 Fehlbildungen der männlichen


3.5.6 Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . 353 Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . 375
3.5.7 Hodenmalignome . . . . . . . . . . . . . . . 356 3.11 Urologische Verletzungen und Notfälle 378
3.6 Benigne Prostatahyperplasie . . . . . . . 358 3.11.1 Penis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
3.7 Urolithiasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3.11.2 Hoden und Skrotum . . . . . . . . . . . . . 378
3.8 Andrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 3.11.3 Verletzungen der Niere . . . . . . . . . . . . 379
3.8.1 Sterilität beim Mann . . . . . . . . . . . . . 362 3.11.4 Niereninfarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
3.8.2 Erektile Dysfunktion . . . . . . . . . . . . . . 364 3.11.5 Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
3.8.3 Hydrozele und Spermatozele . . . . . . . . 366 3.11.6 Verletzungen der Harnröhre . . . . . . . . 381
3.9 Störungen der Blasenfunktion . . . . . . 368 3.11.7 Urosepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
3.9.1 Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3.11.8 Akute ulzeröse Genitalgangrän . . . . . . 381
3.9.2 Störung der Blasenentleerung . . . . . . . 368 3.12 Dialyse und Nierentransplantation . . . 384
3.9.3 Neurogene Blasenfunktionsstörungen . . 369 3.12.1 Dialyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
3.10 Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/ 3.12.2 Nierentransplantation . . . . . . . . . . . . 384
Kinderurologie . . . . . . . . . . . . . . . . 370
3.10.1 Fehlbildungen der Nieren . . . . . . . . . . 370 Farbabbildungen zu Kapitel 1:
3.10.2 Fehlbildungen der Harnleiter . . . . . . . . 373 Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
3.10.3 Fehlbildungen der Harnblase . . . . . . . . 373
3.10.4 Fehlbildungen der Harnröhre . . . . . . . . 374 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
1 Chirurgie

1.1 Allgemeine chirurgische Prinzipien –4


1.1.1 Chirurgische Anamnese und klinische Krankenuntersuchung –4
1.1.2 Indikationsfindung, Aufklärung –5
1.1.3 Chirurgische Notfälle –6
1.1.4 Präoperative Maßnahmen –7
1.1.5 Einführung in Operationstechnik –7
1.1.6 Wunde, Wundbehandlung –11
1.1.7 »Kleine Chirurgie« –12
1.1.8 Postoperative Behandlung –12
1.1.9 Allgemeine postoperative Nachbehandlung, chirurgische Intensivpflege –12
1.1.10 Chirurgische Intensivmedizin –13
1.1.11 Post- und perioperative Komplikationen –13
1.1.12 Chirurgische Infektiologie –14
1.1.13 Einführung in die Onkochirurgie –16
1.1.14 Grundprinzipien der Transplantationschirurgie –21

1.2 Neurochirurgie –23


1.2.1 Neurochirurgische Untersuchung –23
1.2.2 Neurotraumatologie – Schädel-Hirn-Trauma –24
1.2.3 Neurotraumatologie – Schädelfrakturen –26
1.2.4 Akute raumfordernde intrakranielle Prozesse –27
1.2.5 Gefäßerkrankungen des ZNS –27
1.2.6 Hydrozephalus –28
1.2.7 Malignome des Gehirns, seiner Hüllen und des Rückenmarks –29
1.2.8 Intrakraniale/intraspinale Abszesse –32
1.2.9 Fehlbildungen –33
1.2.10 Rückenmarksverletzung –33
1.2.11 Periphere Neurochirurgie –34

1.3 Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie –35


1.3.1 Verletzungen des Gesichtsschädels –35
1.3.2 Infektionen, Entzündungen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich –36
1.3.3 Tumoren im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich –37
1.3.4 Fehlbildungen im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich –38

1.4 Thoraxchirurgie –39


1.4.1 Allgemeines –39
1.4.2 Verletzungen –40
1.4.3 Erkrankungen der Pleura –42
1.4.4 Erkrankungen des Mediastinums –42
1.4.5 Malignome und Metastasen –43
1.4.6 Angeborene Erkrankungen der Lunge –45
1.4.7 Weitere Indikationen zur Thoraxchirurgie –45
1.5 Herzchirurgie –46
1.5.1 Grundlagen der Herzchirurgie –46
1.5.2 Erkrankungen der Herzklappen –47
1.5.3 Angeborene Fehlbildungen des Herzens –49
1.5.4 Erkrankungen der Herzkranzgefäße –51
1.5.5 Pacemaker-Implantation, Eingriffe am Reizleitungssystem –52
1.5.6 Herztransplantation –53
1.5.7 Sonstige Indikationen herzchirurgischer Eingriffe –54

1.6 Gefäßchirurgie –54


1.6.1 Bedeutung der Gefäßchirurgie –54
1.6.2 Allgemeine Prinzipien der Gefäßchirurgie –54
1.6.3 Grundprinzipien der Operationen an Gefäßen –54
1.6.4 Chirurgie der Venen-, Lymphgefäße –60

1.7 Viszeralchirurgie –62


1.7.1 Hals, Schilddrüse –62
1.7.2 Ösophagus –65
1.7.3 Magen –71
1.7.4 Dünndarm –76
1.7.5 Kolon –80
1.7.6 Rektum –88
1.7.7 Erkrankungen des Analkanals und des Anus –90
1.7.8 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen –93
1.7.9 Milz –95
1.7.10 Leber –97
1.7.11 Pfortaderhochdruck (portale Hypertension) –103
1.7.12 Gallenblase, extrahepatische Gallenwege –105
1.7.13 Pankreas (Bauchspeicheldrüse) –112
1.7.14 Hernien –119
1.7.15 Hydrozele (»Wasserbruch«) –122
1.7.16 Zwerchfell –122
1.7.17 Akutes Abdomen, Ileus, Peritonitis –124
1.7.18 Abdomenverletzung –128
1.7.19 Neuroendokrine Tumoren (NET) des Gastrointestinaltraktes, MEN –129
1.7.20 Nebenniere –132

1.8 Unfallchirurgie/Traumatologie –133


1.8.1 Allgemeine Traumatologie –133
1.8.2 Spezielle Unfallchirurgie/Traumatologie –153
1.9 Handchirurgie –181
1.9.1 Untersuchung der Hand –181
1.9.2 Operationsprinzipien in der Handchirurgie –181
1.9.3 Verletzungen der Hand –182
1.9.4 Infektionen der Hand –186
1.9.5 Sonstige Erkrankungen der Hand –187
1.9.6 Amputationsverletzungen, Replantation –188
1.9.7 Fehlbildungen der Hand –188

1.10 Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive),


ästhetische Chirurgie, Adipositaschirurgie –189
1.10.1 Einführung, Grundprinzipien der plastischen Chirurgie –189
1.10.2 Auswahl plastisch-chirurgischer Indikationen –193
1.10.3 Mammachirurgie –196
1.10.4 Fehlbildungschirurgie –199
1.10.5 Ästhetische Eingriffe –200
1.10.6 Obesitas-/bariatrische (Adipositas-) Chirurgie –202

1.11 Thermisches Trauma (Verbrennung, Erfrierung),


Verbrennungsmedizin, Verätzung –203
1.11.1 Verbrennung (»burning«) –203
1.11.2 Verbrennungskrankheit, Inhalationstrauma –204
1.11.3 Rehabilitation, Prognose schwerer Verbrennungen –205
1.11.4 Erfrierungen, Unterkühlung –206
1.11.5 Verätzungen –206

1.12 Kinderchirurgie –207


1.12.1 Einführung in die Kinderchirurgie –207
1.12.2 Viszeralchirurgische Eingriffe beim Kind –208
1.12.3 Tumoren des Kindesalters –214
4 Kapitel 1 · Chirurgie

1.1 Allgemeine chirurgische Nasenfremdkörper, Hirntod, Lähmungen, Liquorrhö, Opis-


1 Prinzipien thotonus, Sensibilitätsstörungen, akuter (plötzlicher)
Schmerz, Bauchschmerzen, Flankenschmerzen, Gelenk-
U. Fetzner, K.-J. Paquet schmerzen, Ischialgie, Knochenschmerzen, kolikartige
Schmerzen, Leistenschmerzen, Doppelbilder, Sonnenun-
Chirurgische Fachgebiete tergangsphänomen, Ausfluss bzw. Blutung aus dem Ge-
Das Gebiet der Chirurgie steht heute als Überbegriff für hörgang, Kieferklemme bzw. Kiefersperre, Anurie, Schwel-
eine Vielzahl hochspezialisierter Fachgebiete. Die derzeiti- lung im Skrotalbereich, Hämatemesis, Globusgefühl, Mise-
ge Weiterbildungsordnung in Deutschland sieht Fachärzte rere, peranale Blutung, Regurgitation von Speisebrei,
für Allgemeine Chirurgie, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Schluckstörungen (Dysphagie), Sodbrennen, Stuhlinkonti-
Thoraxchirurgie, Kinderchirurgie, Viszeralchirurgie und nenz, Teerstuhl, Veränderungen der Stuhlgewohnheiten
Plastische Chirurgie vor. Orthopädie und Unfallchirurgie bzw. der Stuhlbeschaffenheit, Vorfall von Mastdarm bzw.
wurden vereint. Neurochirurgie und Mund-Kiefer-Gesichts- After, Zungenbrennen, abdominelle Abwehrspannung,
chirurgie sind aus Tradition sehr autonome Disziplinen, Aszites, Leistenschwellung, Resistenz im Abdomen, Störun-
die in ihrer ganzen Breite in der Regel nur in Zentren der gen der Peristaltik, Abneigung gegen bestimmte Nah-
Maximalversorgung zur Verfügung stehen. Die Qualifikati- rungsmittel, abnorme Beweglichkeit, Frakturneigung,
on zur Handchirurgie kann als Zusatzweiterbildung erwor- Gelenkinstabilität, Gelenkschwellung, Schilddrüsenver-
ben werden. größerung, Angina pectoris, Claudicatio intermittens, puls-
lose Extremität, Hämoptoe, Hämoptyse, inverse Atmung,
paradoxe Atmung, Trichterbrust, blutiger Stuhl, Defäkati-
1.1.1 Chirurgische Anamnese und onsschmerzen, Hämatom, Schwellung bzw. Rötung der
klinische Krankenuntersuchung Hand, Pruritus, Ikterus, Leistungsminderung, Nachtschweiß,
Phantomschmerz, Schmerzen bei der Atmung, Schmerzen
1.1.1.1 Chirurgische Anamnese im Bereich der Extremitäten, Schmerzen im Bereich von
Chirurgie findet zum überwiegenden Teil auf elektiver Becken/Damm, Schmerzen im Zusammenhang mit der
Basis statt, daher können Anamnese und Untersuchung Nahrungsaufnahme, Gedächtnisstörung, Bewusstseinsstö-
durchaus gründlich erfolgen und so die Basis sein für rung (qualitativ, quantitativ), Verwirrtheit.
präzise und korrekte Indikationsstellung. Unter Not-
fallbedingungen muss die chirurgische Anamnese na- 1.1.1.3 Chirurgisch-klinische Untersuchung
türlich relativ organbezogen und knapp erfolgen. Zunächst erfolgt eine fokussierte Untersuchung der Be-
Zur Anamnese gehören folgende Punkte: schwerdeangabe/des Befundes des Patienten, anschlie-
4 Aktuelle Beschwerden ßend je nach Schwere des Krankheitsbildes und je nach
4 Fokussierung eines Leitsymptoms Relevanz eine Erhebung des gesamten körperlichen
4 Erheben von Begleitsymptomen Status von Kopf bis Fuß (7 Grundlagenband, Kap. 1).
4 Präzisierung der Beschwerdeangabe (wann, wo, Dazu gehören folgende Untersuchungen:
wie, zeitliche Zusammenhänge z. B. mit Belastung, 4 Inspektion, Geruchsphänomene
Nahrungsaufnahme etc.) 4 Auskultation
4 Voroperationen 4 Palpation
4 Medikamenteneinnahme (insbesondere gerin- 4 Perkussion
nungshemmende Substanzen) 4 Funktionssprüfung
4 Allergien (Penicillin, Jod)
4 Nikotin-/Alkoholabusus Blutdruck, Pulsmessung gehören zum Standard. Ggf.
4 Relevante Vorerkrankungen/Organfunktionsstö- muss die Begutachtung und Asservierung von Stuhl,
rungen Urin, Sekret, Erbrochenem erfolgen.

1.1.1.2 Chirurgische Leitsymptome > Rektale Untersuchung nicht vergessen!


Zur genaueren differenzialdiagnostischen Diskussion
7 Band Gesundheitsstörungen. 1.1.1.4 Technische Diagnostik in der Chirurgie
Zur bildgebenden/technischen Diagnostik gehören in
Chirurgische Leitsymptome der Chirurgie folgenden Verfahren:
Abnorme Gewichtsabnahme, Erbrechen, Nausea, Blu- 4 Sonographie, Dopplersonographie
tungsneigung bzw. Blutungen, abnorme Nasensekretion, 4 Intraoperative Sonographie, interventionelle Sono-
6 graphie
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
5 1

4 Endoskopie Indikationsarten, Kontraindikationen,


4 ÖGDS (Ösophago-Gastro-Duodenoskopie), Ko- Dringlichkeit
loskopie, diagnostische Laparoskopie, Arthrosko- Nach gründlicher Anamnese und Voruntersuchung
pie (ggf. mit Hilfe technischer Zusatzdiagnostik) kann die
4 Magnetresonanztomographie Indikationsstellung nur durch hervorragende Kenntnis
4 PET (nur an Zentren) der Erkrankung und die Abwägung des Krankheitsbil-
4 ERCP des, des natürlichen Verlaufes und aller auch alternati-
4 MRCP ver Behandlungsverfahren erfolgen. Indiziert sein kann
4 Videokapselendoskopie eine Operationen auch immer nur »operateurspezi-
4 Konventionelles Röntgen (auch Kontrastmittel) fisch« (Können und Erfahrung) und klinikspezifisch
4 Computertomographie (auch TNM-Staging) (Ausstattung).
4 Nuklearmedizinische Untersuchungen Man unterscheidet folgende Begriffe:
4 Szintigraphie 4 Absolute Indikation: keine Behandlungsalternati-
4 Angiographie ven, Eingriff muss meist dringlich oder sofort
4 EKG durchgeführt werden
4 Laboruntersuchung: 4 Relative Indikation: vermutlicher Benefit durch
5 Kleines Blutbild (Zellzahlen (Erythrozyten, die Operation, z. B. Prognoseverbesserung, Lebens-
Leukozyten, Thrombozyten, Hämoglobin) qualitätsverbesserung
5 Elektrolyte, Entzündungsparameter (CRP) 4 Notfallindikation: sofortige Operation notwendig,
5 Gerinnung z. B. starke Blutung
5 Kreatinin, Harnstoff 4 Dringliche Operation: Operation binnen Stunden
5 Blutglukose notwendig, z. B. Ileus
5 Bilirubin, AP (Cholestaseparameter) 4 Elektive Operation: planbarer Operationstermin,
5 Leberenzyme z. B. Cholezystektomie aufgrund Cholezystolithi-
5 Ggf. Tumormarker asis
5 Ggf. Hämoccult-Test 4 Kontraindikation: Grundsätzliche Kontraindika-
4 Lungenfunktion, BGA tionen zu einem Eingriff kann es per se nicht geben,
4 Belastungs-EKG (Ergometrie) alles ist eingriffsabhängig und im Gesamtzusam-
4 Zytologie, Biopsie, PE menhang zu bewerten.

In die Beurteilung gehen folgende Faktoren ein:


1.1.2 Indikationsfindung, Aufklärung 4 Blutgerinnung
(. Abb. 1.1) 4 Allgemeinzustand, Belastbarkeit des Patienten (Or-
ganfunktion, Karnoswsky-Index, klinisch)
> Die »Indikationsstellung ist die größte chirurgische 4 Grund-/Vorerkrankungen
Kunst« (Karl Langenbuch) oder »Ein Chirurg ist ein
Internist, der operieren kann« (Gerd Hegemann, gest. > Hohes Lebensalter ist keine generelle Kontraindi-
1999, zitiert nach Johannes Scheele). kation.

. Abb. 1.1. Indikationsstel-


lung und Patientenaufklä-
rung in der Chirurgie. (Aus
Siewert 2006)
6 Kapitel 1 · Chirurgie

Risikofaktoren 4 Operationsverfahren (allgemein und das avan-


1 Die präoperative Risikoabschätzung ist von großer Be- cierte)
deutung. Das Gesamtrisiko ergibt sich aus der Summa- 4 Ablauf
tion von Einzeleinflüssen: 4 Ggf. Operationseingriffserweiterung nach Befund
1. Operationsrisiko 4 Risiken
2. Patientenseitige Risiken 4 Erfolgsaussichten/Prognose
4 Allgemeinzustand 4 Zusammenschau
4 Vorerkrankungen
4 Organfunktionen (Leber, Herz, Lunge, Niere) Jede Operation birgt ein Infektions-, Embolie-, Gefäß-
4 Lebensalter und Nervenverletzungsrisiko.
3. Anästhesiologisches Risiko (ASA, 7 Kap. Anästhesie) Aufgeklärt werden muss insbesondere aber über
sog. »Eingriffsspezifische Risiken«: z. B. Rekurrenspare-
Gesamtrisiko =1 plus 2 plus 3 se bei Schilddrüsenoperation, Anus-praeter-Anlage bei
Gegebenenfalls muss zur Risikosenkung eine Vor- Ileus-Operationen, Samenstrangverletzung bei Ingui-
behandlung (z. B. PTCA, Bypass-Operation, Dialyse, nalhernienoperation, Gallengangsverletzung bei lapa-
Schrittmacher u. v. a.) erfolgen, ggf. eine Verfahrensmo- roskopischer Cholezystektomie usw.
difikation (z. B. zweizeitige Operation), ggf. eine spezi- Das Modell der Stufenaufklärung, das sich am
elle Nachbehandlung erfolgen. Wissensbedürfnis und am Niveau des Patienten orien-
Als Eingriffe von hohem Operationsrisiko gelten: tiert und stufenweise die Informationsabgabe steigert,
4 Notfalleingriffe hat sich bewährt.
4 Operationen bei gravierenden Organfunktionsstö- Bei nicht volljährigen Kindern müssen beide Erzie-
rungen hungsberechtigte zustimmen. Im Notfall gilt der mut-
4 Große Eingriffe insbesondere Mehrhöhleneingrif- maßliche Wille des Patienten. In allen anderen Fällen
fe, Eingriffe an großen Gefäßen, lange Operations- muss ggf. ein gesetzlicher Betreuer bestimmt werden.
dauer) Viele Patienten möchten erst eine »zweite Mei-
4 Hoher Blutverlust nung« (»second opinion«) einholen, dies ist unbedingt
4 Multiviszerale Eingriffe (Resektion mehrerer Orga- zu respektieren, wenn es dadurch zu keinen patienten-
ne z. B. Whipple-Operation) nachteiligen Verzögerungen kommt.
4 Eingriffe durch unerfahrenen Operateur

> Inoperabilität kann sich ergeben durch zu hohes Risi- 1.1.3 Chirurgische Notfälle
ko, technische Nichtdurchführbarkeit einer Operation
(Irresektabilität z. B. Tumor), zu geringe Belastbarkeit Jeder Chirurg – gleich wie spezialisiert – sollte folgende
des Patienten. Notfallsituationen beherrschen:
4 Vitalfunktionswiederherstellung, -sicherung
Verfahrenswahl 4 Blutstillung
Der Operateur muss dem Patienten das geeignete Ver- 4 Sepsis
fahren anbieten. Dies kann auch bedeuten, den Patien- 4 Akutes Abdomen (7 Kap. 1.7)
ten an eine andere Klinik zu empfehlen. 4 Akute Abdomenverletzung (7 Kap. 1.7)
4 SHT-Behandlung (7 Kap. 1.2)
Aufklärung 4 Aortenaneurysma und -dissektion (7 Kap. 1.6)
Gemäß »informed consent« gilt: Der Patient muss wis- 4 Ösophagusvarizen, Magenvarizen (7 Kap. 1.7)
send zustimmen, d. h. dem schriftlichen Einverständnis 4 Arterielle Embolie und Thrombose (7 Kap. 1.6)
muss eine dokumentierte Aufklärung vorangehen. 4 Ösophagusperforation (7 Kap. 1.7)
Ohne kunstgerechte Aufklärung und Einverständnis 4 Mesenterialinfarkt (7 Kap. 1.7)
stellt der Eingriff eine Körperverletzung dar. 4 Ileus (7 Kap. 1.7)
Bei elektiven Eingriffen sollte die sog. 24-h-Frist 4 Peritonitis (7 Kap. 1.7)
eingehalten werden, damit der Patient überlegen, nach- 4 Akute Appendizitis (7 Kap. 1.7)
fragen, ggf. die Operation ablehnen kann. 4 Rückenmarksverletzung ohne Höhenbezeichnung,
Inhalt eines Aufklärungsgesprächs ist: Tetraparese, Tetraplegie, Paraparese, Paraplegie
4 Notwendigkeit der Operation (7 Kap. 1.2)
4 Risiken ohne Operation (natürlicher Verlauf), ggf. 4 Pneumothorax (7 Kap. 1.4)
Behandlungsalternativen
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
7 1
1.1.4 Präoperative Maßnahmen bauch, wo eine volle Blase stört z. B. Leistenherni-
enoperation, gynäkologische Operation)
Präoperative Vorbereitung 4 Desinfektion, auch des Nabels bei Abdominalein-
Zur präoperativen Vorbereitung gehören folgende griffen
Maßnahmen: 4 Ablauf im Operationssaal: 7 Operationshandbücher
4 Voruntersuchung, Diagnostik
4 Aufklärung Anästhesiologische Vorbereitung
4 Parameterkorrektur (Elektrolyte, Hämoglobin, 7 Kap. Anästhesie und Intensivmedizin.
Lungen-, Nieren-, Leber-, Herzfunktion, Kreislauf)
4 Gegebenenfalls Magen-Darm-Trakt-Vorbereitung
etc. (bei Darmeingriffen) 1.1.5 Einführung in Operationstechnik
4 Rasur, Körperreinigung
4 Vordesinfektion (z. B. Bauchnabel vor laparoskopi- Terminologie und Grundbegriffe der operativen
schen Eingriffen) Verfahren
4 Blasenentleerung, ggf. Dauerkatheteranlage (für . Tab. 1.1. Details finden sich in Operationslehren/
langdauernde Eingriffe und Eingriffe im Unter- -Handbüchern.

. Tab. 1.1. Grundbegriffe der allgemeinen Chirurgie. (Aus Siewert 2007)

Begriff Definition

Additive Therapie Zusätzlich zu einer Tumorresektion durchgeführte onkologische Behandlung, bei der Tumor-
anteile zurückgelassen werden mussten

Adjuvante Therapie Zusätzlich zu einer Tumorresektion durchgeführte onkologische Behandlung, wobei der Tu-
mor mikroskopisch und makroskopisch komplett entfernt werden konnte

Amputation Spontanes, traumatisches oder operatives Abtrennen eines endständigen Körper- oder Or-
ganabschnitts

Anastomose Angeborene oder erworbene Verbindung zweier Hohlorganlumina

Anus praeter künstlicher Darmausgang (z. B. Kolostoma oder Ileostoma)

Bride Strangförmige intraabdominelle Verwachsung als Folge eines operativen Eingriffs

Bypass Künstlicher, vorübergehend oder auf Dauer angelegter Umgehungsweg

Dissektion Zerteilung von Gewebe zur Freilegung von Organstrukturen, meist entlang eines vorgegebe-
nen anatomischen Operationspfades

Ektomie Vollständiges Herausschneiden eines Organs

Endoskopische Eingriffe innerhalb von Hohlorganen mittels eines durch physiologische Körperöffnungen
Operation eingeführten Endoskops

Enterostomie Anlage einer Darmausleitung oder Fistel zur Bauchwand zur künstlichen Ernährung oder Ab-
leitung von Darminhalt

Enterotomie Temporäre operative Eröffnung des Gastrointestinaltrakts

Enukleation Ausschälen eines abgekapselten Fremdkörpers oder Tumors

Exhairese Herausziehen einer anatomischen Struktur (z. B. Nerv oder Vene)

Exploration Tastende oder visuelle »Erkundung« der Bauchhöhle bei einer Laparotomie

Exstirpation Entfernung eines umschriebenen Gebildes oder eines ganzen Organs


6
8 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.1 (Fortsetzung)

Begriff Definition

Exzision Entfernung eines Gewebe- oder Organanteils mit einem scharfen Instrument

Gefäßdesobliteration Entfernung von meist atheromatösen Plaques inkl. der Intima aus ganz oder teilweise ver-
schlossenen Blutgefäßen

Gewebeersatz Ersatz körpereigenen Gewebes durch artifizielle Ersatzstoffe

Implantation Einbringen eines Implantats in den Körper (z. B. Gelenkprothese)

Injektion Rasches Einbringen einer Flüssigkeit in den Körper

Inzision Chirurgisches Einschneiden in das Gewebe

Minimalinvasive Beim minimalinvasiven Zugang werden im Gegensatz zur offenen Chirurgie nur kleine
Operationsverfahren Stichinzisionen für den operativen Zugang verwendet

Neoadjuvante Vor einer Tumorresektion durchgeührte onkologische Behandlung (z. B. Chemotherapie,


Therapie Strahlentherapie) zur Verkleinerung des Tumors vor einer geplanten Resektion

Osteosynthese Vereinigung reponierter Knochenfragmente durch Verschraubung, Nagelung, Plattenanlage-


rung

Punktion Einführen einer Kanüle in einen präformierten (Gelenk, Pleura, Bauchhöhle, Liquor, Blutgefäß
etc.) oder pathologischen Hohlraum (z. B. Abszess) zur diagnostischen Analyse des Inhalts

Rekonstruktion Wiederherstellung

Reposition »Zurückführen« eines pathologisch verlagerten Organteils in seine ursprüngliche anatomi-


sche Lage (z. B. luxiertes Schultergelenk, konservative Knochenbruchheilung oder Darmstruk-
turen im Bruchsack einer Leistenhernie)

Resektion Operative partielle oder komplette Entfernung eines Organs

En-bloc-Resektion Entfernung eines Organs mit umgebendem Gewebe, insbesondere der Lymphabflusswege
in einem Stück

Sklerosierung Verhärtung, aber auch Erzeugung einer Sklerosierung durch Injektion sklerosierender
Substanzen

Transplantation Verpflanzung lebender Zellen von Gewebe oder von Organen als Autotransplantation (Ver-
pflanzung körpereigenen Gewebes), Allotransplantation (Verpflanzung von Gewebe zwi-
schen den Spezies der gleichen Art), Xenotransplantation (Verpflanzung von Gewebe einer
anderen Spezies)

Trepanation Operative Eröffnung einer Mark- oder Schädelhöhle oder des pneumatisierten Warzenfort-
satzes oder einer Nasennebenhöhle

Operationssaal und Operationsablauf 4 Rückenlage (Standard)


7 Operationslehren/-handbücher. 4 Sitzende Lagerung (Neurochirurgie, Schulterope-
ration)
Lagerung 4 Kopftieflage (z. B. Sigmaoperation)
Die Lagerung des Patienten ist eingriffsspezifisch. Häu- 4 Seit-/Flankenlagerung (z. B. Thoraxeingriffe,
fig sind folgende Lagerungen: Weichteiltumoren, Nephrektomie)
4 Bauchlage (Wirbelsäuleneingriffe, Sinus pilonida- 4 Steinschnittlagerung (rektale, abdominopelvine
lis: 7 Kap. Dermatologie,1.13.1.11) Eingriffe)
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
9 1

! Cave 4 Blutstillungsinstrumente
Der Operateur ist für die Lagerung des Patienten mit- 5 Diathermie (mono-/bipolar)
verantwortlich bzw. – je nach Klinikorganisation – 5 Ligatur, Umstechung, Clipping
hauptverantwortlich. Mögliche Lagerungsschäden: 5 Argonbeamer
Druckstellen (Dekubitus, Nervenschäden), Überstre- 5 Fibrin u. a. Hämoptytika
cken von Extremitäten. 4 Halte-/Expositionsinstrumente
5 Pinzetten (chirurgisch, anatomisch – atrauma-
Operationszugänge (. Abb. 1.2) tisch)
Wenn immer möglich, orientieren sich die Zugänge 5 Haken
entlang der Haut-Spannungslinien (7 Atlanten der Ana- 5 Retraktoren (für große viszeralchirurgische
tomie). Die Zugänge sollen so atraumatisch wie möglich Eingriffe)
erfolgen und auch so klein wie möglich gehalten wer- 5 Klemmen
den (Infektgefahr, Narbenhernien, Hospitalisations- 5 »Anschlingung«
dauer, Kosmetik). 5 Abdominalrahmen u. a.
4 Gewebevereinigende, rekonstruierende Instru-
> Laparoskopische Zugänge: paraumbilikale Inzision, klei- mente
ne Inzisionen für Arbeitstrokare, ggf. zusätzliche Schnit- 5 Nadel, Nahtmaterial, Klammernahtmaterial
te bei sog. »laparoskopisch assistierten« Operationen. 5 Gewebekleber
5 Klammernahtgeräte (linear, zirkulär)
Instrumentarium 4 Operationsmikroskop
4 Schneidende, gewebedurchtrennende Instru- 4 Nahtmaterial (. Tab. 1.2)
mente 5 Resorbierbar: für Darm, Faszie, Subkutangewe-
5 Skalpell be, Intrakutannaht, aus Polymeren bestehend
5 Schere (grob, fein)
5 Säge
5 Diathermiemesser . Tab.1.2. Gebräuchliche Fadenstärken nach USP
5 Laser u. a. (United States Pharmakopoc) und metrischem Maß
4 Präparierinstrumente
5 Schere (Metzenbaum) USP- Sterildurch- Anwendungsbeispiele
Stärke messer (in
5 Spreizen mit Klemmen
0,01 mm)
5 Dissektor, Ultraschalldissektor (Ultrazision)
5 Stilltupfer (stumpfe Präparation) u. a. 10/0 1,3–2,5 Mikrochirurgie (Verwen-
dung von Lupenbrillen bzw.
Operationsmikroskopen er-
forderlich)

9/0 2,5–3,8 Mikrochirurgie

8/0 3,8–5,1 Neurochirurgie

7/0 5,1–7,5 Ophthalmologie

6/0 7,5–10,2 Gefäßchirurgie

5/0 10,2–15,2 Gefäßchirurgie

4/0 15,2–20,3 Gallenwege

3/0 20,3–15,4 Darmnähte, Standardligatur

2/0 25,4–33,0 Magenwand, grobe Ligatur

0 33,0–40,6 Haltefäden

1 40,6–48,3 Faszie an Extremitäten

2 48,3–55,9 Bauchfaszie
. Abb. 1.2a–e. a Medianer Längsschnitt, b Kostoumbilikal-
schnitt, c mediane Längssternotomie, d Kragenschnitt nach 3 55,9–63,5 Extrem belastete Gewebe
Kocher, e Inguinalschnitt. (Aus Siewert 2006)
10 Kapitel 1 · Chirurgie

5 Nichtresorbierbar: Haut, Knochen, Fasziennaht Halte- und Unterstützungsfunktion inne. Bei laparos-
1 (z. B. Pektoralisfaszie) kopischen Operationen ist der erste Assistent quasi ein
5 Monofil: Haut, Gefäße, Vorteil: keine Keimas- »Kameramann«.
zension, schlecht handhabbar
5 Geflochten: gute Handhabung, besserer Halt, Chirurgische Naht, Nahmaterial, technisch
guter Sitz des Knotens unterstützte Naht, Wundkleber, Blutstillung
Nahttechnik (. Abb. 1.3). Der Wundverschluss erfolgt
> Nadeln stehen in verschiedenen Größen, Rundungen mittels Einzelknöpfen (gute Adaptation, Sekretabfluss)
sowie traumatisch (schneidend, rund) als auch atrau- oder fortlaufend (schnell, durchblutungsstörend). Bei
matisch und ohne Kalibersprung (Abreißfäden) zur der Hautnaht erfolgt dies einfach oder in Rückstich-
Verfügung. technik nach Donati oder Allgöwer zur exakteren und
stabileren Adaptation. Die Knotung erfolgt mittels Na-
Grundlagen der Endoskopie bzw. Laparoskopie delhalter (Instrumentenknoten) oder von Hand. Min-
Durch Einführung der Bauchspiegelung wurden ne- destens 3 gegenläufige Knoten sind erforderlich, bei
benwirkungsarme diagnostische Laparoskopien er- monofilem, dickem Nahtmaterial u. U. erheblich mehr.
möglicht. In fast allen Bereichen der Viszeralchirurgie Das Nahtmaterial verbleibt 3–20 Tage (Gesicht, Unter-
verdrängen laparoskopische Verfahren zunehmen die schenkel) in der Haut. Zur Hautnaht wird monifiles
»offenen« Operationen. Vorteile sind kürzere Klinik- Nahtmaterial verwendet.
verweildauer, weniger postoperativer Schmerz und Kriterien einer optimalen chirurgischen Naht
Komplikationen (»Die laparoskopische Entfernung ei- sind:
ner Gallenblase ist wie das Streichen eines Flures durch 4 Festigkeit
einen Briefkastenschlitz«). 4 Keine Spannung, keine Perfusionsstörung
Eingriffe mit Pneumoperitoneum müssen in Allge- 4 Exakte Adaptation
meinanästhesie erfolgen; für laparoskopische Verfahren 4 Atraumatisch
sind folgende Instrumente nötig:
4 Trokare (Schleusen), Ein-/Mehrweg-Spitze, gewe- Besondere Nahttechniken werden bei verschiedenen
beschonend Geweben angewandt, z. B. seromuskuläre Darmnaht,
4 Kamera mit Lichtsystem, Monitor Gefäßnaht, Nervennaht (7 entsprechende Kapitel und
4 Saugung/Spülung Operationslehren).
4 Pumpe zur CO2-Insufflation
Nahtmaterial. Man unterscheidet:
> Der Monitor steht stets in der Blickachse des Ope- 4 Resorbierbare Nahtmaterialien
rateurs, meist auf der Seite des pathologischen Be- 4 Nichtresorbierbare Nahtmaterialien
fundes. 4 Sonstiges: Klammernahtmaterial, Wundkleber
(Histoacryl), Klammerpflaster (Steri-Strip)
Operationstechnik, Assistenz
Der Operateur leitet die Operation und trägt die Ge- Drainagen
samtverantwortung. In Deutschland gilt der Facharzt- > Drainagen dienen v. a. als Indikatoren, d. h. man sieht,
standard, dies bedeutet, dass ein Facharzt für Chirurgie was für eine Sekretart am Zielort (Douglas, subphre-
bei jeder Operation (gleich ob als Assistent oder Ope- nisch, Abszesshöhle, Anastomosenregion etc.) abge-
rateur) anwesend sein muss. sondert wird.
1., 2., 3. Assistenz: Der 1. Assistent arbeitet aktiv
mit Schneiden, Knoten etc. mit. Er steht dem Operateur Drainagen dienen v. a. der postoperativen Überwa-
stets gegenüber. Die 2. und 3. Assistenz hat überwiegend chung (7 oben) des Operationsgebietes, leiten aber

. Abb.1.3a–c. Hautnähte.
a Einzelknopfnaht; b Dona-
ti-Naht; c Allgöwer-Naht.
(Aus Siewert 2006)
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
11 1

auch Blut, Sekret, Eiter, Galleflüssigkeit, Pankreassekret Wundarten


usw. aus natürlichen/pathologischen Hohlräumen ab. Nach der Ätiologie unterscheidet man:
4 Redon-Drainagen: mit Sog, starrer Kunststoff; 4 Mechanische Wunden (Schnitt-, Stich-, Biss-,
Lage meist subkutan zur Verhinderung eines post- Schuss-, Platz-, Riss-, Schürf-, Quetsch-, Ablede-
operativen Hämatoms rungs- oder Defektwunde und Kombinationen)
4 Robinson-Drainagen: Silikon, kein Sog. Lage im 4 Thermische Wunden: Verbrennung, Kälte
Douglas-Raum, subphrenisch. Möglichkeit der 4 Aktinische/radiogene Wunden: z. B. nach Bestrah-
Spül-Saugbehandlung lung, Kontaktstrahlung, elektromagnetische Wellen
4 Zieldrainagen im Operationsgebiet, z. B. in Nach- 4 Chemische Wunden: Verätzungen, Säure, Laugen
barschaft der angelegten Anastomose 4 Chronische Wunden: z. B. Ulcus cruris
4 Spezialdrainagen sind T-Drain (Gallenwege),
Neuhaus-Drainage u. a. Klassifikation der Tiefenausdehnung/Schwere von
4 Weitere Katheter/Sonden: transurethraler Dauer- Wunden in 4 Graden:
katheter, suprapubischer Katheter, PEG-Sonde, Ma- 4 I: oberflächliche Wunde
gensonde 4 II: Wunde reicht bis in die Subkutis
4 Thoraxdrainagen liegen im Pleuraraum und er- 4 III: Wunde reicht bis an die Faszie
halten/stellen wieder den Unterdruck im Pleura- 4 IV: Wunde schließt Muskulatur, Organe mit ein
raum her bzw. nehmen Sekret der Pleura auf (Blut,
Eiter, seröse Flüssigkeit). Wundheilung
Physiologie der Wundheilung
Begleitende invasive Maßnahmen 4 Primäre Wundheilung: direkte Adaptation der fri-
Den Eingriff begleitende invasive Maßnahmen sind: schen Wundränder, z. B. bei chirurgischer Naht
4 Punktionen oder guter Adaptation z. B. frischer Schnittwunden;
4 Sonden schmale Narbe
4 Darmrohre 4 Sekundäre Wundheilung: größerer Spalt, infizierte
Wunden, großer Defekt, Heilung über Zwischen-
Blutstillung stufe Granulationsgewebe, später breitere Narbe
> Christian Barnard: Man kann jede Blutung stillen, in-
dem man mit dem Finger dorthin drückt, wo es blutet. Wundheilungsphasen (7 Kap. Pathologie, 3.1.5.2):
4 Granulation (hellrotes Gewebe)
Möglichkeiten der Blutstillung sind (Auswahl): 4 Epithelialisierung durch Keratinozyten (vom
4 Kompression, »Packing« Wundrand her)
4 Naht, Umstechung, Ligatur 4 Wundkontraktion (v. a. bei Sekundärheilung)
4 Venenpatch
4 Prothesen Makroskopisch lassen sich folgenden Stadien unter-
4 Clipping (Titan, resorbierbar) scheiden: Exsudation (Blutthrombus binnen Stunden),
4 Zellulose Resorption (Wachstumsfaktorgesteuerte Zellmigration,
4 Kollagen, Fibrin Ab- und Umbau binnen Tagen), Proliferation (Gefäß-
4 Sklerosierung einsprossung, Kollagensynthese. Reparation (Wund-
4 Esmarch-Binde kontraktion, stabile Narbenbildung binnen Wochen,
4 Blutsperre Monaten).
4 Pringle-Manöver
4 Extrakorporale Perfusion Wundversorgung
4 Kontrollierte Hypotension Folgende Maßnahmen gehören zur Wundversorgung:
4 Check Durchblutung, Sensibilität, Motorik (DMS)
4 Anästhesie (z. B. Lokal nach Oberst, Plexusanäs-
1.1.6 Wunde, Wundbehandlung thesie)
4 Inspektion
Anatomie 4 Reinigung
Die Haut besteht aus Epidermis (Stratum corneum, spino- 4 Sondierung (Begleitverletzungen? Fremdkörper?)
sum, basale), Dermis (Gefäße, Nerven) und Subkutis (Fett- 4 Desinfektion
reich). Darunter liegt die Körper-Faszie, die das Gegenlager 4 Ggf. Débridement, Mobilisation
zur kontrahierenden Muskulatur darstellt. 4 Exzision
12 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Primärer Wundverschluss bei Wunden <6 h und wendig (ggf. vorherige Anfärbung der Gänge mit Me-
1 weitgehender Infektfreiheit thylenblau). Meist offene Wundbehandlung über Wo-
4 Offene Wundbehandlung bei stark verschmutzen/ chen (Heilung per secundam).
infizierten (auch Tier-/Menschenbisse) Wunden, Bei primärem Wundverschluss beträgt das Risiko
Wunden >6 h. 50%, dass es zu einer Wundheilungsstörung kommt!
4 Sekundärnaht: nach vorheriger Anfrischung der
Wundränder.
4 Vakuumverband (z. B. bei infizierten und/oder 1.1.8 Postoperative Behandlung
chronischen Wunden)
4 Ruhigstellung (z. B. bei Gefahr der Keimverschlep- Verbandlehre, Extensionen
pung, begleitenden Frakturen, Haut- oder Lappen- Zweck eines Verbands ist:
transplantation) 4 Keimfreie Abdeckung
4 Wundkontrolle und Verbandswechsel am Folgetag 4 Kompression
4 Fixation
Wundheilungsstörungen
Prädispositionen für Wundheilungsstörungen sind: Es gibt Wundauflage, Pflasterverband, Druckverband.
4 Diabetes mellitus Für einen Vakuumverband (V.A.C. = »vacuum as-
4 pAVK sisted closure«) wird die Wunde/das Hauttransplantat
4 Polyneuropathie mit Schaumstoff bedeckt, bzw. die Wundhöhle mit
4 Kachexie Schaumstoff ausgefüllt. Dies wird luftdicht abgeklebt mit
Spezialfolie und an ein Schlauchsystem mit Anlage von
Chronische Wunden/Ulzera können nur nach Besei- Unterdruck (75–150 mmHg) angeschlossen. Es wird so
tigung der zugrunde liegenden Ursache heilen: Druck- einerseits eine feuchte, gut perfundierte Kammer gebildet,
entlastung durch Venenoperation, Bypass/Rekanali- andererseits auch überschüssiges Wundsekret abgesaugt.
sierung bei arterieller Durchblutungsstörung, Infekt- Dies beschleunigt die Granulation und Wundheilung. An-
sanierung. Zusätzlich kommen Debridement, Vakuum- wendung: große, infizierte Wunden, chronische Wunden.
verbände, Hauttransplantation, feuchte Verbände
(NaCl), Gel und Hydrokolloidverbände zum Einsatz.
Nicht immer kann eine Amputation verhindert werden. 1.1.9 Allgemeine postoperative
Nachbehandlung, chirurgische
! Cave Intensivpflege
Bei offenen Wunden ist der Tetanusschutz zu kontrol-
lieren; ggf. aktive/passive Immunisierung. Bei Ver- Monitoring (7 Kap. Anästhesie und
dacht auf Tollwut: Impfung! Wer keinen Impfpass vor- Intensivmedizin)
legt, gilt als nicht geimpft! Kostaufbau
Der orale Kostaufbau sollte so schnell wie möglich er-
folgen, sonst kommt nicht nur die Darmmukosa zu
1.1.7 »Kleine Chirurgie« Schaden. Ist eine orale Aufnahme nicht möglich, kann
der Gastrointestinaltrakt dennoch über alternative
Sinus plionidalis Wege »beschickt« werden:
Definition. »Haarnestgrübchen«; chronischer Sinus 4 PEG
unterhalb der Lendenraute in Richtung Rima ani, der 4 MS
ursprünglich Haare, Talg enthält, sich bis in die Tiefe 4 Duodenalsonde
und verzweigend abszedieren kann. 4 Jejunostomie

Ätiopathogenese. Junges, männliches Geschlecht, star- Nach maximal 6–7 Tagen reiner Elektrolytinfusion
ke Behaarung, sitzende Tätigkeit prädisponieren. muss eine weitergehende, normale »Ernährung« erfol-
gen, um gleichzeitig auch Substrat für Heilung zur Ver-
Symptomatik. Entzündung, Schmerz, Abszess oberhalb fügung zu stellen (. Tab. 1.3). Hierzu sollten gehören
des Anus entlang der Rima ani. parenteral Fette, Aminosäuren, Glukose, Vitamine,
Elektrolyte, Spurenelemente. Bei hochkalorischen Lö-
Therapie. Lokale Inzisionen bedingen meist Rezidive. sungen, Fettlösungen ist ein zentralvenöser Katheter
Meist ausgedehnte Exzision bis auf die Sakralfaszie not- erforderlich.
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
13 1

! Cave
. Tab.1.3. Dosierungsrichtlinien für postoperative In- HIT I/II: heparininduzierte Thrombopenie <80.000/μl.
fusionstherapie und parenterale Ernährung (70 kg Nach ca. 3–10 Tagen nach u. U. einmaliger Verabrei-
schwerer Patient). (Aus Siewert 2007) chung von Heparin. Thrombose und Emboliegefahr!
Maßnahmen: sofortiges Absetzen, Verwendung von
Infusionsbestandteil Dosis
Hirudin, Danaparoid-Natrium.
Wasser 30–40 ml/kg KG/Tag
Folgende Punkte spielen in der postoperativen Nach-
Natrium 2–3 mval/kg KG/Tag
sorge eine wichtige Rolle:
Kalium 1–1,5 mval/kg KG/Tag 4 Frühmobilisation: ideal für kardiovaskuläre, pul-
monale Stabilisierung
Kalorien 25–30 kcal/kg KG/Tag
4 Laborkontrollen
Glukose 2 g/kg KG/Tag 4 Infektprophylaxe (Katheterwechsel, Atemtraining)
4 Physiotherapie, Atemtherapie, physikalische Thera-
Aminosäuren 1,5 g/kgKG/Tag
pie
Fette 1–2 g/kg KG/Tag 4 Rehabilitation, Kurwesen
4 Psychosomatische Therapie/Psychotherapie

Weiterhin wichtig sind Wundkontrolle, Abführen, 1.1.10 Chirurgische Intensivmedizin


Stuhlregulation, Schmerztherapie.
Pathophysiologie der Operation
Hämotherapie ! Cave
Thromboembolieprophylaxe Operation = Stress
Thrombose
Thrombose: Partielle, vollständige Verlegung des Gefäß- Es kommt operationsbedingt zu komplexen endokri-
lumens durch einen Thrombus, Verschleppung dessen (Em- nen, metabolischen und immunologischen Reaktionen.
bolie) mit gravierenden Folgen z. B. Lungenembolie. Patho- In der Gesamtheit bezeichnet man diese als Postaggres-
physiologie: Virchow-Trias der Thromboseentstehung: Ge- sionsstoffwechsel, SIRS. Zusammenfassend ist dieser
fäßwandverletzung,Stase/VerlangsamungderBlutströmung, als starke Katabolie (negative Stickstoffbilanz), Gluko-
Veränderung der Zusammensetzung des Blutes. seanstieg, Störung der Mikrozirkulation und Organde-
pression charakterisiert.
Begünstigende Faktoren einer Thromboembolie rund Wichtig sind hier folgende Maßnahmen:
um die Operation: 4 Infusionstherapie: Volumengabe, Elektrolytkorrek-
4 Eingriff per se tur
4 Eingriffswürdige Erkrankung (Infektion, Gefäßer- 4 Hämotherapie
krankung) 4 Ernährung
4 Immobilisation prä-, intra-, postoperativ
4 Grunderkrankungen (Malignom, Thrombophilie,
Adipositas, Organerkrankungen) 1.1.11 Post- und perioperative
Komplikationen
Die Prophylaxe der Thromboembolie erfordert fol-
gende Maßnahmen: Aufgrund nicht immer Vorhersehbarer Umstände muss
4 Minimierung der Operationsdauer mit gehäuftem Auftreten postoperativer Komplikatio-
4 Frühmobilisation nen gerechnet werden. Diese haben schon bei der Indi-
4 Medikamentöse Prohylaxe kationsstellung mit in die Risikoabwägung einzuflie-
4 Kompressionsstrümpfe ßen. Mögliche Komplikationen sind:
4 Postaggressionssyndrom (7 oben)
Medikamente. Niedermolekulare Heparine u. a. 1- 4 Pulmonale, Kardiale Komplikationen
mal/Tag nach Körpergewicht, individuellem Risiko- 4 Wundheilungsstörung, Wundinfekt
profil, Eingriff. Für die Dauer von bis zu 30 Tagen nach 4 Platzbauch
Operation (z. B. Hüftprothetik, Gefäßeingriffe, Malig- 4 Stressulkus
nome). 4 Dekubitus
14 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Fieber, Septikämie 4 Exogene Infektion (Erreger treten von außen he-


1 4 Nachblutung ran)
4 Intestinale Störung 4 Endogene Infektion (Erreger der Normalflora)
4 Thrombose, Embolie 4 Sepsis (7 Kap. Anästhesie und Intensivmedizin)
4 Transfusionsreaktion 4 SIRS (»systemic inflammatory response syn-
4 Intraabdomineller Abszess, Peritonitis drome«)
4 Blutgerinnungsstörungen 4 Bakteriämie (Bakteriennachweis im Blut, ist nicht
4 Durchgangssyndrom gleich Sepsis!)
4 Nosokomiale Infektion (Im Rahmen einer Hospi-
Maßnahmen zur Beherrschung postoperativer Kom- talisation erworbene Infektion)
plikationen sind: 4 Abszess (Hohlraum mit putridem Material, Abs-
4 Stete Kontrolle auf Auftreten von Komplikationen zessmembran)
zur frühen Erkennung (Klinisch, Verbände, Wun- 4 Empyem (Eiteransammlung in natürlichem Hohl-
den, Labor, Sonographie raum z. B. Pleura, Gallenblase)
4 Intensivüberwachung und -therapie, falls nötig
Phlegmone, Furunkel, Karbunkel: 7 Kap. Dermatologie,
> Frühes Erkennen von Komplikationen (v. a. eingriffs- 1.13.1
spezifische) sind oberstes Gebot.
> 4 Lokale Entzündungszeichen: Rubor, Calor, Tumor,
Mögliche Folgen postoperativer Komplikationen um- Dolor, Functio laesa
fassen: 4 Generelle Entzündungszeichen: Fieber, Tachykar-
4 Re-Operation die, Leukozytose, CRP-Anstieg
4 Interventionelle Maßnahmen
4 Konservativ (z. B. Antibiose, Parameterkorrektur, Der Weg von einem lokalen zum generellen Infekt führt
Intensivbehandlung) häufig über Lymphangitis, Lymphadenitis zur Streuung
in die Blutbahn. Daher sind z. B. bei Infekten der Extre-
mitäten oder im Gesicht Ruhigstellung, Sprech-/Kau-
1.1.12 Chirurgische Infektiologie verbot indiziert.

Infektionen können die Operationsindikation darstel- Grundprinzip der chirurgischen Versorgung/


len (z. B. Abszess, Appendizitis) oder Komplikationen Lokalsanierung von Infekten
darstellen (z. B. Katheter, postoperativer Abszess). Zur lokalen Therapie von Infekten kommen folgende
Maßnahmen in Frage:
> Die Infektionsprophylaxe ist oberstes Gebot! 4 Inzision
4 Drainage
Immunität des Patienten 4 Spülung
Die Immunität von Operierten ist herabgesetzt durch die 4 Nekrosektomie
Operation selbst, aber auch durch Grunderkrankung. Zu- 4 Ggf. Amputation bei Extremitäten, Organentfer-
dem werden hochvirulente Keime v. a. durch unsachgemä- nung (Appendektomie, Cholezystektomie usw.)
ßen Antibiotikagebrauch oder auch durch Selektion auf 4 Zunächst kalkulierte Antibiose, dann Abstrich bzw.
Spezialabteilungen von Bereichen der Maximalversorgung Blutkultur und schließlich Antibiose nach Erreger-
begünstigt. bestimmung (Keimidentifikation) und Resistenz-
bestimmung
Infektiologische Grundbegriffe/Erkrankungen
Grundbegriffe der Erkrankungen der Infektionslehre > »Ubi pus, ibi evacua!« (»Wo immer Eiter, eröffne ihm
sind (7 Kap. Hygiene, Mikrobiologie, Virologie): den Weg nach außen«).
4 Kolonisation (Besiedelung ohne Infektion)
4 Infektion (Wechselwirkung zwischen Erreger und Infektiologische Grundbegriffe/Maßnahmen
Mensch) Folgende weitere Begriffe sind in der Infektiologie von
4 Lokale Infektion (lokal begrenzt) Bedeutung (. Tab. 1.4):
4 Generalisierte Infektion (Allgemeinerkrankung) 4 Hygiene
4 Allgemeine/Systemische Infektion (kann auch zu 4 Asepsis
Organmanifestation führen) 4 Antisepsis
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
15 1

. Tab.1.4. Kontaminationsklassen operativer Eingriffe. (Aus Siewert 2007)

Sauberer Keine physiologische mikrobielle Besiedlung und keine Entzündung oder Infektion im Operations-
(aseptischer) gebiet, weder Respirations- noch Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt eröffnet
Eingriff
Primärer Wundverschluss und, falls erforderlich, geschlossene Drainagen

Keine Kontamination es Operationsgebiets durch ortsständige Flora oder Infektion (z. B. Schilddrü-
sen-, Herz-, Gelenkoperation)

Sauber-konta- Operationsgebiet mit physiologischer mikrobieller Besiedlung, z. B. Eröffnung des Respirations-,


minierter Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakts unter kontrollierten Bedingungen ohne ungewöhnliche
(bedingt Kontamination
aseptischer)
Eingriff Kontamination des Operationsgebiets mit wenig virulenter Flora in mäßiger Keimzahl (z. B. Oropha-
rynx-, Gallenwegs-, vaginale Operation)

Kontaminierter Größerer Bruch in der aseptischen Technik oder deutlicher Austritt von Darminhalt oder Vorliegen
Eingriff einer akuten, aber nichteitrigen Entzündung im Operationsgebiet oder frische Verletzungswunde

Erhebliche Kontamination des Operationsgebiets durch endogene Standortflora oder exogene Er-
reger (z. B. Dickdarmoperation, Operation bei frischer Unfallwunde), Eingriffe mit Eröffnung des
Urogenitaltrakts bei kolonisiertem Urin oder mit Eröffnung der Gallenwege bi kolonisierten Gallen-
flüssigkeiten

Schmutziger Eitrige Infektion im Operationsgebiet, Perforation im Gastrointestinaltrakt oder ältere Verletzungs-


oder infizierter wunde mit devitalisiertem Gewebe
(septischer)
Eingriff Massive Kontamination des Operationsgebiets durch endogene Standortflora oder exogene Erre-
ger (z. B. Operation nach Darmperforation, bei eitriger Cholezystitis, operative Versorgung einer äl-
teren Verletzungswunde)

4 Hospitalismus 4 Korrekte Reinigung, Desinfektion, Sterilisation von


4 Desinfektion Geräten, Flächen
4 Sterilisation 4 Keimsanierung von Keimträgern unter Personal
4 Isolation von MRSA-Patienten (Methycillin-/mul-
Erregerquellen tiresistenter Staphylococcus aureus)
Als Erregerquellen für eine Infektion kommen in Be- 4 Antisepsis, Wundkontrollen, Verbandswechsel
tracht: 4 Händewaschen und -desinfektion des Personals
4 Hautflora des Patienten 4 Rasur des Operationsgebietes auf der Station,
4 Darmflora des Patienten Bauchnabeldesinfektion (Laparoskopie)
4 Hämatogene/Lymphogene Streuung 4 Waschen, Nagelbürste, Handdesinfektion (Desin-
4 Nasen-Rachen-Raum des Patienten fektion, chirurgische Desinfektion) des Chirurgen
4 Personalhände 4 Verhaltensmaßregeln im Operationssaal (Mund-
4 Nasopharyngealflora des Personals schutz, Sprechreduktion, Personaldurchgang, Haube,
Klimatisierung, Kittel, Schuhe, sterile Handschuhe
Prophylaxe von Infektionen 4 Atraumatische Operation
Gerade in der Chirurgie ist die Infektionsprophylaxe 4 Hohe Operationsqualität
ganz entscheidend. Daher sind folgende Maßnahmen 4 Kurze Operationszeiten
zu beachten: 4 Kurzer stationärer Aufenthalt, v. a. kurzer Aufent-
4 Infektminimierung (7 Operationshandbücher, halt auf Intensivstation
7 Kap. Hygiene, Mikrobiologie, Virologie) 4 Kein sinnloser Einsatz von Antibiotika
4 Verzicht auf Tragen von Uhren, Schmuck, lange/ 4 Desinfektion, steriles Abdecken des Operationsge-
künstliche Nägel bietes
16 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Frühmobilisation, früher Kostaufbau


1 4 Strenge Indikationsstellung bei perioperativer An- 4 Maligne Tumoren
tibiotikaprophylaxe – Unscharf begrenzt, keine Kapsel
4 Anästhesie und Transfusionsmedizin: 7 Kap. Anäs- – Destruktives, invasives (infiltratives) Wachs-
thesie und Intensivmedizin tum in die Umgebung
– Klinisch nicht verschieblich
– Oft schnelles Wachstum
1.1.13 Einführung in die Onkochirurgie – Metastatisierung

1.1.13.1 Bedeutung der Chirurgie in der


Onkologie Semimaligne Tumoren
Während heute bei vielen Krankheitsbildern interven- Semimaligne Tumoren besitzen sowohl Kriterien der Mali-
tionelle oder konservative Verfahren der Chirurgie gnität (destruktives lokales Wachstum, u. a.), als auch der
konkurrieren, hat sich – von wenigen Ausnahmen ab- Benignität. Semimaligne Tumoren metastasieren praktisch
gesehen – an der Notwendigkeit der radikalen Entfer- nie. Beispiel: Basalzellkarzinom der Haut.
nung solider Tumoren als entscheidende Therapie-
maßnahme nichts geändert. Aus diesem Grund nimmt 1.1.13.3 Terminologie
die Onkochirurgie heute mehr denn je großen Raum Folgende Begriffe werden in der Onkologie üblicher-
insbesondere in der Viszeralchirurgie ein. Dennoch ist weise verwendet (7 Kap. Pathologie, 3.1.6):
die Therapie der Tumoren heute interdisziplinär aus- 4 Tumor: griech. »Schwellung«, auch entzündlich
gerichtet, ihr sind Chemo- und Radiotherapie häufig und aufgrund anderer Ursachen bedingt
vor- oder nachgeschaltet. 4 Neoplasie: korrekter Terminus für Gewebsneubil-
dung jeder Art
1.1.13.2 Einführung 4 Dysplasie/Metaplasie: strukturelle und morpholo-
»Krebs« ist überwiegend eine Krankheit des Alters. gische Veränderungen von Zellen und Geweben
Durch Anhäufung von Mutationen, auch von sog. Tu- (Atypien, die aber noch reversibel und noch nicht
morsuppressorgenen, steigt die Wahrscheinlichkeit maligne sind; 7 Kap. Pathologie)
der Transformation von gesunden Zellen zu malignen 4 Präkanzerose (exakt präkanzeröse Läsion): noch
Zellen. reversible histologische Neoplasievorstufe z. B. Me-
taplasie
> Merkmale der Tumorzellen: autonomes, assoziales 4 Carcinoma in situ: irreversible maligne Tumor-
Wachstum. Nicht vorhandene bis völlig fehlende transformation. Neoplasie hat jedoch noch nicht
Ähnlichkeit zur Ursprungszelle (Differenzierung). die Basalmembran durchbrochen. Heilung im
Sinne einer Restitutio ad integrum hier – und
Phasen der Tumorentwicklung (Malignome) sind: nach streng pathologischer Definition nur hier –
4 Karzinogenese bei vollständiger Exzision im Gesunden noch
4 Tumorprogression möglich.
4 Metastatisierung 4 Invasives Karzinom: maligner Tumor, der die Ba-
salmembran durchbrochen hat
Nach ihrem biologischen Verhalten (Dignität) unter- 4 Dignität: Biologie des Tumors: maligne oder be-
scheidet man benigne von malignen Tumoren (7 Kap. nigne
Pathologie, 3.1.6). 4 Grading: Grad der Differenzierung
4 Multizentrische Tumoren: gleichzeitiges Vorlie-
gen mehrerer solider Tumoren
Tumormerkmale (Auswahl)
4 Benigne Tumoren 1.1.13.4 Metastasen
– Scharf begrenzt, meist von Kapsel umgeben Nach Einbruch in Hohlräume und Gefäße können Tu-
– Verdrängendes Wachstum morzellen sich vom soliden Tumor lösen und ver-
– Klinisch gut verschieblich schleppt werden (»spread«). Finden sie an entfernter
– Meist langsames Wachstum Stelle im Körper geeignete Bedingungen (»Seed-and-
– Keine Metastatisierung soil«-Theorie) können sie zu soliden Tochtergeschwuls-
6 ten (Vorstufe Mikrometastasen, »okkulte« Metastasen)
heranwachsen.
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
17 1
Arten von Metastasen, Tumorbeispiele 4 Infektion z. B. Pneumonie durch obstruierendes
Lymphogene Metastasierung Bronchialkarzinom
Befall von Lymphbahnen, regionalen Lymphknoten, 4 Entzündung z. B. Peritonitis bei durchgebroche-
später entfernteren Lymphbahnen und entfernteren nem Magenkarzinom
Lymphknoten. Meist wird diese Reihenfolge eingehal- 4 Fistelung z. B. enterokutan bei Darmkarzinom, en-
ten und zunächst auch regional bei gleichen Entitäten terovesikal, enterovaginal, entero-enteral
die gleichen Lymphknoten befallen (Sentinel-Konzept). 4 Verdrängungssymptome z. B. Hirndrucksympto-
Selten werden erste Lymphknotenstationen übersprun- matik bei Hirntumoren
gen (»skipping«). Die lymphogene Metastatisierung ist 4 Verschlusssymptome z. B. Ikterus bei obstruieren-
der Metastatisierungsweg bei gastrointestinalen Tu- dem Gallengangskarzinom
moren. Nach Befall von Lymphknoten können Tumor- 4 Frakturen z. B. bei Knochenkarzinomen (sog. »pa-
zellen leicht in das venöse System einbrechen. Somit ist thologische Fraktur«)
der Weg zu hämatogenen Metastasierung nicht weit, 4 Organfunktionsstörung z. B. epileptischer Anfall
dieser Weg kann aber auch direkt (nahe der Primärtu- bei Hirntumor
morentwicklung) stattfinden. 4 Blässe, Schwäche (Tumoranämie)

Hämatogene Metastasierung > Das Auftreten von klinischen Symptomen geht meist
Darunter versteht man die Tumorzellverschleppung mit einem bereits fortgeschrittenen Tumorstadium
über den venösen Abfluss des tumorerkrankten Organs. einher. Daher bleibt die Früherkennung von Tumoren,
Tumoren die früh hämatogen metastasieren sind bei- insbesondere durch sinnvolle Screeningmaßnahmen
spielsweise das Prostatakarzinom, Knochenkrebs, in speziellen Risiko-, Geschlechter- und Altersprofilen,
Mammakarzinom, Bronchialkarzinom und Nierenkar- die wichtigste Maßnahme zur Prognoseverbesserung.
zinom. Bei entsprechender lokaler Größe des Tumors
metastasiert letztlich jeder auch hämatogen. Über die Systemische Tumorzeichen
Blutversorgung von Lymphknoten können zunächst Die sog. »B-Symptomatik« entwickelt sich bei fortge-
lymphogen metastasierende Tumoren sekundär häma- schrittenen Tumorleiden durch »zehrende« Wirkung
togen metastasieren (7 oben). des stoffwechselaktiven Tumors:
Innerhalb der hämatogenen Metastatisierung un- 4 Nachtschweiß
terscheidet man nochmals verschiedene Typen (7 Pa- 4 Ungewollter Gewichtsverlust
thologie, Kap. 3.1.6.3). 4 Allgemeine Schwäche

Metastasierung per continuitatem Eine Sonderstellung nehmen hier Tumoren der lym-
Dies bezeichnet die Metastatisierung entlang von Hohl- phatischen und blutbildenden Organe ein. 7 Innere Me-
räumen/Bahnen: dizin und Onkologie, 7 Pathologie
4 Intrakavitär, z. B. Ausbreitung in Pleura- oder Peri-
tonealraum nach Durchbruch der Pleura oder des »Paraneoplastisches Syndrom«
Peritoneums Aufgrund der Vitalität des Tumorgewebes und seinem
4 Intraluminale Ausbreitung entlang eines Hohlor- Ursprung von körpereigenen Zellen (mit differenzier-
gans ter Funktion), aber auch als Reaktion des Körpers auf
4 Iatrogen (z. B. entlang von Trokarkanälen, entlang fremdkörperähnliche Zellen können vielgestaltige Syn-
eines Biopsieeinstiches) drome entstehen, die in Ihrer Gesamtheit als »paraneo-
plastisches Syndrom« bezeichnet werden. Die häufigs-
1.1.13.5 Klinische Symptome der Tumor- ten 3 Gruppen von Syndromen lassen sich zuordnen:
erkrankung (solide Tumoren) 4 Hormonproduktion
Allgemeine Symptome 4 Hämatologische Veränderungen (Störung der Ge-
Klinisch zeigen sich solide Malignome/Tumoren an rinnungsfunktion)
folgenden Symptomen: 4 Hautveränderungen
4 Schmerzen
4 Äußerlich sichtbare, tastbare Veränderungen. Z. B. 1.1.13.6 Staging, Grading, Typing
bei Hauttumor (Ulzeration), Resistenz bei Darmtu- Beispielsweise präoperativ muss Klarheit bestehen, wie
mor fortgeschritten eine Tumorerkrankung ist. Diese »Grad-
4 Blutung (peranal, urethral, oral, nasal usw.) z. B. bei messung« wird als Staging bezeichnet.
Darmkarzinom
18 Kapitel 1 · Chirurgie

> Staging: Bestimmung der Tumorstadiums, der Aus- TNM-System


1 breitung. Sinn: Ermittlung der Resektabilität/Kurabili- Das TNM-System hat sich für die international einheit-
tität, Planung der Operation. liche Deskription von Tumorsituationen bewährt. Es
wurde um 1940 von dem französischen Chirurgen
Möglichkeiten des präoperativen Stagings sind: Pierre Denoix (1912–1990) entwickelt und wird seit
4 CT 1950 von der UICC (Union Internationale Contre
4 MRT Le Cancer) und auch der WHO verwendet. Zweck ist
4 PET die eindeutige Deskription von Tumorsituationen als
4 Laparoskopie/Laparatomie Grundlage von Behandlungsplan, Prognose, Wissen-
schaftlicher Tätigkeit und Statistik.
Unter postoperativem Staging versteht man die Ermitt- Die Klassifikation ist in Grundzügen bei allen Tu-
lung des Tumorstadiums (Ausbreitung) durch Untersu- moren gleich, unterliegt je nach Tumorart aber einigen
chung zur pathologischen Diagnostik eingesandten Modifikationen (7 Krankheitsbilder).
Gewebes und anhand der klinischen Angaben (z. B. ge-
sehene Metastasen ja/nein).

TNM-System
4 T-Status: beschreibt den räumlichen Ausdeh- bräuchlich bei Therapieempfehlungen und Pro-
nungsgrad des Primärtumors gnoseeinschätzungen
– T0 – L0: kein Anhalt für Lymphgefäßinvasion
– Tis: Carcinoma in situ (Karzinom hat die Basal- – L1: Lymphgefäßinvasion
membran noch nicht durchbrochen) 4 V-Status: Fehlen/Vorhandensein eines Einbruchs
– T1, T2, T3: zunehmender Grad der lokalen Tu- in das venöse System: Veneninvasion
morausdehnung – V0: kein Anhalt für Veneninvasion
– T4: i. d. R. organüberschreitendes Wachstum – V1: mikroskopische Veneninvasion
und Einbruch in Nachbarorgane – V2: makroskopische Veneninvasion
4 N-Status: beschreibt und quantifiziert das Vor- 4 P-Status: Invasion von Perineuralscheiden
handensein regionaler/entfernter Lymphknoten- – P0: kein Anhalt für Perineuralscheideninvasion
metastasen – P1: Perineuralscheideninvasion
– N0: kein Hinweis für Lymphknotenmetastasen 4 R-Status: Residualtumorstatus; wichtige Angabe
– N1: Befall regionaler Lymphknoten bzw. bis zu postoperativ; beurteilt werden die Resektionsrän-
3 Lymphknoten der des Präparates
– N2: Befall auch entfernterer Lymphknoten – R0: kein makroskopisches und mikroskopisches
(mehr als 3) Tumorresiduum
4 M-Status: beantwortet die Frage nach dem Vor- – R1: mikroskopisches Tumorresiduum
handensein von Fernmetastasen – R2: makroskopisches Tumorresiduum
– M0: kein Hinweis für Fernmetastasen. 4 G-Status (Grading): Grad der Differenzierung, d. h.
– M1: Fernmetastasen Ähnlichkeit des Tumorgewebes mit dem Ur-
4 M2: je nach Tumortyp Bezeichnung für weit ent- sprungsgewebe
fernte Metastasen – G1: gute Differenzierung
4 L-Status: beschreibt das Fehlen/das Vorhanden- – G2: mäßige Differenzierung
sein einer Lymphgefäßinvasion; weniger ge- – G3: schlechte Differenzierung
– G4: undifferenziert, anaplastisch

> Erzielen einer »R0-Situation« = »Kuration« = Ziel jeder Suffixe vor der TNM-Nomenklatur
chirurgischen Tumorbehandlung. 4 p (z. B. pT3) bedeutet T-Statusbestimmung aufgrund
pathologischer Untersuchung (im Gegensatz zu klini-
Je nach Tumorart sind auch die Begriffe »low« (gut), scher Bestimmung, bzw. Bestimmung mittels Bildge-
»high grade« (schlecht), »low risk«, »high risk« üblich. bung. Die pathologische Bestimmung ist allen anderen
Verfahren überlegen!
6
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
19 1

4 x (z. B. pNx) bedeutet N-Status nicht bestimmbar, z. B. 1.1.13.7 Therapieprinzipien solider Tumoren
aufgrund fehlenden ausreichenden Untersuchungs- Zur Therapie solider Tumoren kommen folgende Ver-
materials. fahren zum Einsatz:
4 r bedeutet Rezidivtumor (z. B. rT3: Lokalrezidiv). 4 Chirurgische Eingriffe
4 Y bedeutet: neoadjuvante Therapie ist der Untersu- 4 Bestrahlung
chung vorausgegangen. 4 Chemotherapie
4 C-Faktor hinter Merkmale wie T3, N1, M0 kann ein sog. 4 Kombinationstherapie
Sicherheitsfaktor (»certainty«) notiert werden. C1 (un-
sicher, nur klinischer Aspekt) bis C5 (höchst sicher, pa- Multimodale Therapie. Trotz operativem Therapie-
thologische Bestimmung und Autopsie). prinzip können und müssen u. U. andere Verfahren
(Chemotherapie, Strahlentherapie) die Behandlung be-
Typing gleiten, bei inkurablen Tumoren können sie einen alter-
Hierunter versteht man die Bestimmung des zytolo- nativen Weg darstellen.
gisch-histologischen Tumorzelltyps; es gibt tausende
histologisch verschiedener Tumortypen, von deren Un- Neoadjuvante Therapie. Präoperative Anwendung von
tertypen ganz abgesehen (. Tab. 1.5). Strahlen, Chemotherapeutika. Ziel ist die Tumorreduk-
Der Pathologe untersucht Tumorgewebe: tion und damit Operabilität.
4 Makroskopisch (Form, Größe etc.)
4 Histologisch (Zellverbände, Basalmembran etc.) Intraoperative Therapie. Bestrahlung intraoperativ
4 Zytologisch (Aktivität, Kern-Plasma-Verhältnis) oder Anwendung zytostatischer Lösungen.
4 Immunhistologisch (Stoffwechsel)
4 Molekularbiologisch (Genomuntersuchung) Adjuvante Therapie. Strahlenbehandlung und/oder
Chemotherapie postoperativ nach erfolgter R0 Resekti-
Stadieneinteilung on. Ziel ist die Erhöhung der Langzeitüberlebensrate.
Die UICC und WHO gruppieren Merkmale des TNM-
Status nochmals zu Gruppen gleicher Prognose und/ Additive Therapie. Strahlen- und oder Chemotherapie
oder gleicher Therapieempfehlung zu Stadien. postoperativ nach erfolgter R1- oder R2-Resektion.

. Tab.1.5. Histologische Tumortypen/Typing maligner Tumoren


Ausgangsgewebe Tumorgruppen Tumortypen (Beispiele)
Epithel Karzinome Adenokarzinom
Plattenepithelkarzinom
Übergangszellkarzinom
Duktales Karzinom
Lobuläres Karzinom
Mesenchymales Gewebe Sarkome Osteosarkom
Chondrosarkom
Leiomyosarkom
Rhabdomyosarkom
Fibrosarkom
Lymphatisches Gewebe Maligne Lymphome Hodgkin-Lymphom
Non-Hodgkin-Lymphom
Blutbildendes Gewebe Leukämien Akute lymphatische Leukämie
Chronische myeloische Leukämie
Keimdrüsen Germinale Tumoren Seminom/Dysgerminom
(Keimzelltumoren) Embryonales Karzinom
Chorionkarzinom
Teratom
Embryonales Gewebe Embryonale Tumoren Nephroblastom
Neuroblastom
20 Kapitel 1 · Chirurgie

Präoperative Zell-/Gewebegewinnung 4 Multiviszerale Resektion: Mehrorganresektion, z. B.


1 Zu den Methoden der präoperativen Zell-/Gewebege- Hemikolektomie, Nebenniere, Magenresektion,
winnung gehören: Pankreas
4 Brush (»Bürste«)
4 Feinnadelbiopsie > Solide Tumoren: Resektion im Gesunden mit ausrei-
4 Stanzbiopsie chendem Sicherheitsabstand. Mitnahme des lympha-
4 Inzisionsbiopsie, z. B. Zangenbiopsie tischen Abstromgebietes.
4 Exzisionsbiopsie (hinreichende Gewebemenge,
z. B. Exzidat, Lymphknoten) Palliative Therapie
Sinn einer »Palliation« ist die Lebensverlängerung und
Das Gewebe kann perkutan (meist Sono-/CT-gesteuert), Leidensmilderung, wenn aufgrund eines fortgeschritte-
laparoskopisch, endoskopisch entnommen werden. nen Tumorstadiums keine Kuration möglich erscheint.
Sie kann initial erfolgen oder erst bei Auftreten von
Biopsie – ja oder nein? Komplikationen bzw. Symptomen (7 oben), oder auch
Nicht immer vor Operation die Gewinnung einer Biopsie nach Auftreten von Rezidiven nach zunächst kurativen
notwendig! Dies kann sogar kontraindiziert sein z. B. bei Behandlungsversuchen.
Verdacht auf Pankreas-, Gallenblasen u. v. a. Malignomen. Palliative Prinzipien:
So genügt beispielsweise die durch Bildgebung gesicherte 4 Chirurgisch (Tumorverkleinerung, Umgehungs-
karzinomsuspekte Raumforderung des Pankreas für die operationen (biliodigestiv, entero-enteral, Stabili-
Indikationsstellung für eine Whipple-Resektion auch ohne sierungen)
Vorliegen eines Biopsieergebnisses. Denn selbst das Vorlie- 4 Medikamentös (Chemotherapie, Hormonsuppres-
gen eines negativen Biopsieergebnisses würde nicht die sion, Schmerztherapie)
Indikation für eine Pankreasresektion ausschließen. 4 Strahlentherapie (transdermal, Brachytherapie)
4 Andere Destruktionsversuche mit Kälte (Kryothe-
Tumorresektion rapie), Energie (Laser, Hitze), Noxen (Alkohol u. a.
Kurative Resektion: Erzielung einer R0-Situation ist 4 Galleableitung, Trachealkanüle, Stenting der Spei-
geplant und erscheint möglich. Dies setzt eine lokoregi- seröhre, Gallenwege, Ernährungssonden (Magen,
onäre Beschränkung des Tumors voraus. Bei soliden Jejunum)
Tumoren ist die kurative Resektion die erfolgverspre- 4 Interventionelle Schmerztherapie
chendste Methode! Folgende Punkte sind hier zu be-
achten: Nachsorge
4 Sorgfältiges präoperatives Staging Zweck einer individuellen und tumor- und stadienspe-
4 Gegebenenfalls Biopsie (7 oben) zifischen Nachsorge (absteigende Intervalle) ist die
4 Operationsplanung Früherkennung von lokalen Rezidiven oder Metasta-
4 Intraoperatives Staging sen. Die Nachsorge beinhaltet insgesamt:
4 Dreidimensionale En-bloc-Resektion mit adäqua- 4 Anamnese
ten Sicherheitsabständen (z. B. 3 cm bei Gallenbla- 4 Klinische Untersuchung
senkarzinom) 4 Sonographie
4 Mitnahme des regionären Lymphabstromgebietes, 4 Gegebenenfalls laborchemisch (Tumormarkerun-
ggf. Gefrierschnitte tersuchung)
4 No-touch-isolation-Technik (Turnbull) nur noch 4 Gegebenenfalls eingehende Bildgebung, weiterge-
bedingt gültig (Venen-, Arterienlumenokklusion, hende Diagnostik z. B. beim Rezidivverdacht
d. h. intraoperatives Abklemmen von zu resezieren- 4 Psychosoziale Betreuung
den Arterien und Venen, um eine iatrogene Tumor-
zellverschleppung zu verhindern) . Tab. 1.6 stellt die möglichen Prognosefaktoren bei
4 In jedem Falle aber Wahren der Tumorintegrität malignen Tumoren zusammen.
durch Instrumenten/Handschuhwechsel, Verzicht
auf unnötige Manipulationen des Tumors, ggf. tu- 1.1.13.8 Prophylaxe von Tumoren
morizide Spülungen Früherkennungsmaßnahmen sind:
4 Resektion muss sich an der Tumorbiologie und 4 Routinediagnostik bei häufigen Tumoren (kolorek-
Ausbreitungspathologie orientieren. Dies erfordert tal, Mamma, Zervix): zytologischer Abstrich, Endo-
unterschiedliche Sicherheitsabstände und Resekti- skopie, Mammographie, Stuhluntersuchung (ok-
onslinien (Aggressivität) kultes Blut), Laborbestimmung (PSA)
1.1 · Allgemeine chirurgische Prinzipien
21 1

Einen großer Teil des Erfolges der heutigen Trans-


. Tab. 1.6. Prognosefaktoren bei malignen Tumoren. plantationsmedizin wird den modernen immunsup-
(Aus Siewert 2007) pressiven Medikamenten geschuldet. Trotz Verfahren
der Leberteilung (Splittleber, Splittgraft) und Le-
R-Klassifikation/ 4 Stadium
bendspende (Leber, Niere) stellt das Missverhältnis
pTNM-Klassifi-
zwischen Organbedarf und Organverfügbarkeit eines
kation
der Hauptprobleme der heutigen Transplantationsme-
Tumorabhän- 4 Histologischer Typ dizin dar.
gige Prognose- 4 Differenzierungsgrad Nur 12% (Quelle: DSO) der Bürger der Bundesre-
faktoren 4 Lymphgefäß-, Venen-, publik Deutschland besitzen einen Organspendeaus-
Perineuralinvasion weis. 85% jedoch gehen davon aus ein Organ zu erhal-
4 Peritumoröse Entzündung ten, wenn sie eines benötigen. Derzeit warten ca. 12.000
4 Proliferationsverhalten Menschen europaweit auf ein Spenderorgan.
4 Ploidie
4 Hormonrezeptoren Grundlagen
4 Tumorassoziierte Antigene Klassischerweise werden Organe und Gewebe von Ver-
4 Differenzierungsantigene storbenen (Hirntod) auf Empfänger übertragen (Lei-
4 Molekularpathologische chenspende, postmortale Spende). Der Spenderorga-
Befunde
nismus darf u. a. keine gravierende Infektionskrankheit
Patientenab- 4 Alter (HIV, Hepatitis u. a.) und keine maligne Tumorerkran-
hängige Pro- 4 Geschlecht kung aufweisen. Einverständnisregelung (ggf. Ange-
gnosefaktoren 4 Dauer der Symptome hörige) und Allokation (Vermittlung und Verteilung
4 Leistungszustand (ECOG- der Organe) und das damit zusammenhängende kom-
Skala, Karnofsky-Index) plexe Prozedere sind gesetzlich streng geregelt (Trans-
4 Komorbidität plantationsgesetz).
4 Immunstatus Auswahl an Indikationen zur Spende (7 Kap. 1.7);
Organentnahme (Hirntoddiagnostik, 7 Kap. Neurolo-
Umgebungs- 4 Qualität der Therapie ein- gie,1.1.2.8).
abhängige schließlich »Prognosefaktor
Prognosepara- Chirurg« Terminologie
meter (therapie-
abhängig) In der Transplantationsmedizin gebräuchliche Begriffe
sind:
4 Autogen, autolog: Spender und Empfänger sind
identisch z. B. Transplantation von Nebenschild-
drüsen in den Unterarm, Spalthaut, Knochenge-
webe
4 Gezielte ggf. frühere/abweichende Diagnostik bei 4 Syngen, isolog: eineiige Zwillinge stellen Spender
Vorliegen von Risikofaktoren und Empfänger dar
4 Frühestmögliches vollständiges, ggf. radikalchirur- 4 Allogen: verschiedene Menschen sind Spender
gisches Entfernen eines soliden Tumors Beobach- und Empfänger
tung von Präkanzerosen 4 Xenogen: Übertragung von Tierorganen/-gewebe
4 Ggf. Beobachtung/Untersuchung von Familienan- auf Menschen (z. B. Herzklappen des Schweines)
gehörigen bei entsprechenden Tumoren 4 Orthotop: Implantation an der anatomischen Posi-
tion
4 Heterotop: Implantation an einer nicht anato-
1.1.14 Grundprinzipien der mischen aber operationstechnisch günstigeren
Transplantationschirurgie Position (z. B. Niere, . Abb. 1.4; Pankreas im klei-
nen Becken)
Bedeutung der Transplantationsmedizin 4 Auxillär: vorübergehende Unterstützung des Or-
1954 erfolgte die erste Nierentransplantation (Murray), gans, dann ggf. wieder Entfernung (z. B. »Kunst-
1963 der Leber (Starzl), 1963 der Lunge (Hardy), 1967 herz«)
des Herzens (Barnard), 1979 des Pankreas und 1988 die 4 Präemptiv: Transplantation schon vor terminaler
erste Dünndarmtransplantation (Deltz). Einstellung der Organfunktion des Empfängers
22 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Blutgruppenantigene (AB0-System)
1 4 Histokompatibilität: durchgesetzt hat sich das
HLA System (»human leukocyte antigen«), sog .
MHC-Antigene (»major histokompatibility com-
plex«)
4 Kreuzprobe zwischen Empfängerserum und
Spenderleukozyten vor Implantation (»cross-
match«)

> Positver »cross-match« = Kontraindikation einer Or-


gan/Gewebeübetragung!

Abstoßung
Verschiedene Abstoßungsreaktionen des Körpers auf
körperfremdes Gewebe werden unterschieden
(. Tab. 1.7). Nicht immer ist klinisch eine exakte Unter-
scheidung möglich:

Immunsuppressive Therapie
. Abb. 1.4. Operativer Situs der Nierentransplantation in die
Fossa iliaca. (Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil) Nach Organtransplantation muss eine lebenslange Im-
munsuppression erfolgen (7 Kap. Pharmakologie, Toxiko-
logie, 6.2.18).
Möglichkeiten der Immunsuppression nach Trans-
4 Lebendspende: Übertragung des Organs eines Le- plantation sind:
benden (Niere, Teilleber, Knochenmark) auf einen 4 Azathioprin
Empfänger. Strenge Regelung (Einwilligung, per- 4 Mycophenolatmofetil (MMF, Cellcept)
sönliche Verbundenheit, Risikoabwägung für Spen- 4 Glukokortikoide z. B. Methylprednisolon (Decor-
der, nicht Vorhandensein eines postmortalen Spen- tin, Urbason)
derorgans, Erfolgsaussichten beim Empfänger) 4 Tacrolismus (Prograf)
4 Sirolismus (Rapamune)
Indikationen zur Organtransplantation 4 Everolismus (Certican)
Indikation ist i. d. R. der irreversible Funktionsverlust 4 Ciclosporin A (Sandimmun)
des Organs/der Organe eines Patienten (siehe klinische 4 Antikörper gegen T-Lymphozyten (ATG, ALG,
Fachgebiete, insbesondere Viszeralchirurgie, Urologie) OKT3)
4 Antikörper gegen IL-2-Rezeptor
Transplantationsimmunologie 4 Rapamycin
Folgende Übereinstimmungskriterien müssen u. a. vor 4 Basiliximab (Simulect)
einer Transplantation abgeklärt werden: 4 Daclizumab (Zenapax)

. Tab.1.7. Hyperakute, akute und chronische Abstoßung nach Transplantation

Abstoßungstyp Zeitdauer bis zum Beginn Pathomechanismus Therapieoptionen


nach Transplantation

Hyperakute Binnen Stunden, Tagen Aufgrund präformierter Unterdrückung kaum möglich. Sofor-
Abstoßung humoraler Antikörper tige Entnahme und Retransplantation

Akute Binnen Tagen, Wochen Aufgrund zellulärer T- Supprimierbar durch Glukokortikoide,


Abstoßung Lymphozyten Antilymphozyten-antikörper (s. unten)

Chronische Binnen Wochen, Monaten, Aufgrund humoraler und Kaum unterdrückbar


Abstoßung Jahren noch nicht ganz verstan- Retransplantation erstreben
dener Mechanismen
1.2 · Neurochirurgie
23 1

Nebenwirkungen der Immunsuppressiva (Auswahl):


4 Infektionen (viral, bakteriell, mykotisch)
4 Erhöhtes Risiko einer Tumorentstehung (Hauttu-
moren, Lymphome u. a.)
4 Zahlreiche substanzspezifische Nebenwirkungen
(7 Kap. Pharmakologie, 6.2.18)

Basisabläufe der Transplantation, Technik


Im Rahmen einer geplanten Transplantation sind fol-
gende Maßnahmen durchzuführen:
4 Hirntoddiagnostik
4 Einwilligung
4 Allokation
4 Organentnahme (auch an peripheren Häusern)
4 Konservierung (Kühlung in UW/HTK-Lösung)
4 Vorbereitung des Organs
4 Organtransplantation stets an Transplantations-
zentrum: Anastomosen Gefäße, Strukturen (Bron-
chus)
4 Gewebetransplantationen: zunächst per Diffusion
ernährt, bis eine Vaskularisierung erfolgt
. Abb. 1.5. Direkte Anastomosierung des Dünndarmtrans-
Heute mögliche Transplantationen von Organen plantats. (Aus Siewert 2006)
und Geweben und mögliche Indikationen
Zu den Organen, die derzeit transplantiert werden kön-
nen, gehören (Indikationen): transplantierten Herzen funktionieren noch nach ei-
4 Herz (terminale Herzinsuffizienz) nem Jahr, nach 5 Jahren sind es noch ca. 65%.
4 Lunge (terminale Fibrosierung)
4 Herz/Lunge
4 Niere (terminale Niereninsuffizienz) 1.2 Neurochirurgie
4 Leber (Leberinsuffizienz bzw. Leberversagen, Le-
bertumoren) K.-J. Paquet, U. Fetzner
4 Teilleber
4 Dünndarm (Kurzdarmsyndrom z. B. nach Mesen- Die Neurochirurgie beinhaltet die Chirurgie des Ge-
terialinfarkt, M. Crohn; . Abb. 1.5) hirns, des Rückenmarkes, der zugehörigen Hüllen und
4 Leber/Dünndarm umgebenden Strukturen (auch Bandscheiben-, Wirbel-
4 Kornea (erblindende Verletzungen, Entzündungen) säulenchirurgie). Weiter umfasst die Neurochirurgie
4 Pankreas (instabiler Diabetes mellitus) die Chirurgie peripherer Nerven und die Schmerzthe-
4 Pankreas/Niere rapie (Neuroablation, Neurostimulation, Neurolyse).
4 Langerhansinselzellen aus dem Pankreas werden
als Suspension in die V. porta des Empfängers inji-
ziert und siedeln sich in der Leber ab (Indikation: 1.2.1 Neurochirurgische Untersuchung
instabiler, therapierefraktärer Diabetes)
4 Knochengewebe (Defekte, Pseudarthrose) Anamnese
4 Herzklappen Die neurochirurgische Anamnese unterscheidet sich
grundsätzlich nicht von der neurologischen Anamnese,
Auf die genauere Transplantationstechnik und die präzi- ggf. Fremdanamnese: 7 Neurologie, Kap. 1.1.
se Indikation der einzelnen Organe/Gewebe kann hier
nicht eingegangen werden (s. weiterführende Literatur). Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung umfasst je nach Beschwer-
Prognose debild des Patienten folgende Punkte:
1-Jahres-Überlebensraten von 70–98% (Niere) bis 5- 4 Vitalfunktionen (Atmung, Herz-Kreislauf-Funktion)
Jahres-Überlebensrate 50–75% (Niere). Ca. 90% der 4 Sensibilität
24 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Motorik (zentrale, periphere Lähmung): 7 Neurolo- Technische Diagnostik


1 gie, Kap. 1.1 An technischer Diagnostik können je nach Indikation
4 Reflexe folgende Verfahren zum Einsatz kommen:
4 Bewusstsein, quantitativ (Glasgow Coma Scale, 4 EEG (z. B. Epilepsiediagnostik), EMG, Nervenleit-
. Tab. 1.8), qualitativ (Orientierung zur Person, geschwindigkeitsmessung (z. B. Läsion peripherer
Zeit, Ort) Nerven)
4 Pupillenstatus (Weite, Motorik, Seitendifferenz, Au- 4 Evozierte Potenziale (visuell, akustisch, u. a. z. B. bei
genhintergrund): 7 Neurologie, Kap. 1.1.2.5 der Diagnostik der multiplem Sklerose)
4 Meningismuszeichen (Nackensteifigkeit etc.): 4 Sonographie,Dopplersonographie(z. B.Hirngefäß-
7 Neurologie, Kap. 1.1.2.7 diagnostik)
4 Hirndruckzeichen (Kopfschmerz, Übelkeit, Erbre- 4 Röntgen konventionell zur Frakturdiagnostik
chen, Unruhe, später Koma, Kreislaufversagen, (2 Ebenen, unzählige Spezialaufnahmen, z. B.
Atemdepression) »Henkeltopfaufnahme«)
4 Systematische Untersuchung der Hirnnerven 4 MRT (z. B. Hirnparenchymdiagnostik)
4 Untersuchung von Zeichen für eine Schädigung 4 CCT mit/ohne Kontrast, »Knochenfenster« (z. B.
peripherer Nerven (z. B. Diskusprolaps, Karpaltun- Blutungsdiagnostik)
nelsyndrom etc.) 4 MRT-Angiographie, CT-Angiographie (z. B. Ge-
fäßdiagnostik)
4 Nuklearmedizinische Untersuchungen (auch Zis-
. Tab. 1.8. Glasgow Coma Scale (GCS)
ternographie)
4 PET (Glukose, Aminosäuren) z. B. Tumordiagnos-
System Befund Glasgow tik
Coma 4 Invasiv: Liquorpunktion lumbal oder Ventrikel,
Score ICP-Druckmessung
Augen Spontan offen 4 Punkte 5 diagnostisch (Druckmessung, Probeentnahme,
Endoskopie, Myelographie)
Auf Anruf offen 3 Punkte 5 therapeutisch (Drucksenkung, Ableitung, loka-
le Applikationen)
Auf Schmerz offen 2 Punkte
! Cave
Geschlossen 1 Punkt
Bei Verdacht auf Hirndruck keine Liquorpunktion! Ge-
Bewusst- Orientiert 5 Punkte fahr der Hirnstammeinklemmung!
sein
Desorientiert 4 Punkte
1.2.2 Neurotraumatologie – Schädel-Hirn-
Wortsalat 3 Punkte Trauma
Unartikulierte Laute 2 Punkte
7 Neurologie, Kap. 1.3.
Nicht ansprechbar 1 Punkt Während Schädelverletzungen (v. a. Platzwunden)
zu den häufigsten Verletzungen überhaupt gehören,
Motorik Führt Befehle aus 6 Punkte sind Frakturen des stabilen Schädels nicht häufig und
noch seltener neurotraumatologisch und neurochirur-
Gezielte Schmerzabwehr 5 Punkte
gisch relevant. Schädelfrakturen betreffen insbesondere
Ungezielte 4 Punkte die Schädelkalotte und die Schädelbasis. Dennoch muss
Schmerzabwehr aufgrund der Bedrohlichkeit bei jeder Schädelverlet-
zung primär auch der Verdacht auf Schädel-Hirn-Trau-
Beugt auf Schmerz 3 Punkte ma (SHT) bestehen und entsprechende neurologische
Überwachung und Diagnostik erfolgen.
Streckt auf Schmerz 2 Punkte
Beim SHT können folgende Strukturen verletzt
sein:
Keine Reaktion 1 Punkt
4 Kopfschwarte
Definition Koma ≤8 Punkte 4 Schädelknochen
4 Gehirn
1.2 · Neurochirurgie
25 1

Definition. Schädelverletzung mit Beteiligung des Gehir- 4 Liquorrhö (Nase, Ohren, per os)
nes. Die einfachste Form, die Commotio cerebri (»Ge- 4 Austritt von Hirnparenchym
hirnerschütterung«) ist eine der häufigsten Verletzungen 4 Neurologische Untersuchung: Halbseitensympto-
überhaupt. Die Gefahr des SHT besteht in einer direkten matik, Hirnnervenausfälle, Pupillomotorik
Schädigung des Hirngewebes (Penetration, Kontusion,
Austritt) und/oder den Folgen einer intrakraniellen ! Cave
Drucksteigerung (Blutung, Hirnödem) und in – bei offe- Die Gefahr des steigenden Hirndrucks liegt in der Ein-
nen SHT – im Auftreten schwerster Infektionen. klemmung des Hirnstamms und ggf. Kleinhirnes im
Foramen magnum. Klinische Hirndruckzeichen: Übel-
Ätiopathogenese. Nach der Pathogenese unterteilt keit, Erbrechen, Koma, Atemstillstand, Kreislaufdys-
man das SHT in offen und geschlossen: regulation.
4 Geschlossenes SHT: intakte Dura mater cerebri
4 Offenes SHT: verletzte Integrität der Dura mater > CPP (zerebraler Perfusionsdruck) = MAP (mittlerer
cerebri: Liquoraustritt, potenzieller Keimeintritt arterieller Druck) minus ICP (intrakranieller Druck).
Bei ICP-Anstieg kann sich deshalb ggf. ein Perfusions-
International hat sich die Glasgow Coma Scale zur stopp entwickeln (Sistieren des arteriellen Einstroms).
schnellen klinischen Beschreibung des SHT durchge-
setzt (. Tab. 1.8). An technischer Diagnostik lassen sich folgende Ver-
fahren einsetzen:
Symptomatik. Klinisch teilt man die Schwere des SHT 4 Röntgen konventionell
in 3 Grade. 4 CCT, MRT
4 SHT Grad I, GCS 15–13: Commotio cerebri, evtl. 4 Hirndruckmessung
kurzdauernde Bewusstlosigkeit, oft Amnesie, leich-
te Begleitsymptome (Kopfschmerz, Übelkeit, Er- > Normwert Intrakranieller Druck (ICP) 10–15 mmHg in
brechen). Kein organischer Hirnschaden nachweis- Rückenlage bei Normoventilation.
bar. Reversibel.
4 SHT Grad II: GCS 12–8: Contusio cerebri. Längere Therapie. Die Therapie richtet sich nach der Schwere
Bewusstlosigkeit, Herdsymptome, organisch nach- des SHT:
weisbarer Hirnschaden (MRT). Längere Rückbil- 4 SHT I (Commotio cerebri): symptomatisch (Anal-
dungsphase. getika, Antiemetika), engmaschige neurologische
4 SHT Grad III: GCS 8–0: Compressio cerebri, sig- Überwachung des Patienten
nifikanter Substanzschaden des Hirns. Schwere 4 SHT II: Kopfhochlagerung
neurologische Ausfälle, auch der Hirnstammfunk- 4 SHT III: Intubation, Intensivbehandlung, Hirn-
tion, Koma viele Stunden, Woche, Monate. drucktherapie.

> Schwere SHT (Grad III) führen meist zu irreversiblen Besteht der akute Verdacht auf intrakranielle Druck-
Schäden und Funktionsbeeinträchtigungen. steigerung, müssen sofortige Maßnahmen zur Druck-
senkung eingeleitet werden:
Diagnostik. Anamnestisch und ggf. mittels Fremd- 4 Lagerung (Kopfhochlagerung)
anamnese sind folgende Fragen zu klären: 4 RR-Regulation (Einstellung auf normotone bis
4 Leitsymptom: Bewusstseinsstörung (qualitativ, leicht hypertone Werte)
quantitativ), Koma 4 Hyperventilation (Hypokapnie bewirkt Vasokonst-
4 Amnesie (retrograd, anterograd) riktion)
4 Krampfanfälle 4 Pharmakologische Maßnahmen: Dexamethason,
4 Kopfschmerz Mannit, Barbiturate
4 Schwindel 4 Operation (Entlastungsbohrung etc.)
4 Übelkeit
4 Erbrechen ! Cave
4 Seh- und Hörstörungen Symptomfreies Intervall: Nicht untypisch beim SHT
sind Phasen der Bewusstseinsklarheit, die aber
Die klinische Untersuchung beinhaltet: schnell wieder in das Gegenteil wechseln können.
4 Verletzungen, Weichteile und Schädel (Palpation, Überwachung!
Sondierung, Exploration)
26 Kapitel 1 · Chirurgie

Besteht ein Hirndruck, der konservativ nicht beherrsch- Symptomatik. Äußere Anzeichen sind meist adäquate
1 bar ist, muss eine vorliegende Blutung beseitigt ggf. Weichteilverletzungen (Platzwunden, Skalpierungen).
Fremdkörperentfernung, Blutstillung, Fistelverschluss Palpatorisch zeigt sich eine Stufenbildung (Impressi-
bei offenem SHT, ggf. Duraplastik erfolgen. onsfraktur), ein Frakturspalt oder Krepitation.
Bei Verdacht auf offenes SHT muss wegen
der Schwere der Folgen einer möglichen Meningoen- Diagnostik. Bei Verdacht auf Fraktur muss ein CT zur
zephalitis sofort eine antibiotische Prophylaxe erfol- genauen Frakturbeurteilung und zum Ausschluss einer
gen, auch wenn sich die meisten Liquorfisteln spontan intrakranialen Blutung durchgeführt werden.
verschließen und es auch selten zu einem Infekt
kommt. Therapie. Ohne Duraeröffnung (Ausschluss!) und Blu-
tung ist meist keine spezifische Therapie nötig: Über-
! Cave wachung. Impressionsfrakturen und vorliegende Insta-
Liquoraustritt aus Nase/Mund/Ohren: offenes SHT! bilitäten werden Osteosynthetisch versorgt. Bei rele-
Kalkulierte Antibiose! vanten Blutungen (ggf. Kontroll-CT) Entlastung, bzw.
Blutstillung/Hämatomausräumung.
Frakturen des Schädels gehen häufig auch mit einer
HWS-Verletzung einher – schon am Unfallort ist bei Schädelbasisfrakturen
Verdacht eine HWS-Manschette (z. B. »stiffneck«) indi- Ätiopathogenese. Schwere Gewalt. Oft ist die frontale
ziert. Frakturen der Okzipitalkondylen sind eher selten, Schädelbasis, das Felsenbein betroffen.
wenn meist in Kombination mit anderen HWK-Frak-
turen. Einen klinischen Hinweis kann ein prävertrebra- Symptomatik. Typische Brillen-, Monokelhämatome,
les Hämatom liefern. Prellmarken. Liquor-/Blutfluss aus Nase, Mund, Ohren
bei Duraeröffnung. Hirnnervenausfälle (Doppelbilder
Prognose. Nach schweren Schädelhirntraumen kommt etc.).
es vielfach zu irreversiblen Wesens- und Persönlich-
keitsveränderungen, Konzentrationsstörungen, sozia- Diagnostik. Konventionelles Röntgen 2 Ebenen, CCT,
len Anpassungsstörungen, Epilepsie. Blutzuckertest des Liquor-verdächtigen Sekretes: Diffe-
renzialdiagnose Schleim – Liquor. Tests auf Hirnner-
venläsionen.
1.2.3 Neurotraumatologie –
Schädelfrakturen Tests zur Überprüfung der Hirnnervenfunktionen
Eine N.-olfactorius-Läsion wird durch den »Riechtest« aus-
Am Schädel können folgende Frakturformen auftre- geschlossen. Sehtests und Augenmotilitätstests schließen
ten: eine Läsion des N. opticus, abducens, trochlearis, oculo-
4 Fissur motorius aus. Die N.-trigeminus-Funktion wird durch
4 Spaltbruch Sensibilitätstest im Gesicht, N. ophthalmicus mit Kor-
4 Berstungsbruch neasensibilität überprüft. N.-facialis-Ausfälle führen zu
4 Biegungsbruch einer typischen Fazies. Die N.-statoacusticus-Läsion führt
4 Trümmerbruch zu einer Hyperakusis. Läsionen der Hirnnerven Nn. acces-
4 Impressionsbruch sorius, hypolglossus, vagus, glossopharyngeus sind Ra-
ritäten.
> »Contre-coup-Verletzung«: Bruch der Gegenseite
(und u. U. auch kontralateralen Hirnparenchyms) der Weitere Luxationen/Frakturen im Bereich von Schädel
Gewalteinwirkung durch Massenträgheit. und Hals
Atlanto-okzipitale Luxationen werden nur ausnahmsweise
Insbesondere Impressionsfrakturen und offene SHT überlebt (Vitalfunktionen!), die neurologischen Ausfälle
(7 unten) müssen operativ versorgt werden. sind gravierend. Diagnose: CT, MRT. Therapie: Halo-Fixa-
teur, Operation: atlanto-okzipitale Fusion.
Kalottenfrakturen Frakturen des Gesichtsschädels (Nasen-, Jochbein,
Ätiopathogenese. Ursache ist meist die Einwirkung Ober- und Unterkiefer): 7 Kap. 1.3.
direkter Gewalt (z. B. Sturz, Schlag, Anprall).
1.2 · Neurochirurgie
27 1

. Tab. 1.9. Intrakraniale Blutungen

Blutungstyp Epiduralblutung Subduralblutung Subarachnoidalblu- Intrazerebrale


tung Blutung

Lokalisation Einblutung zwischen Einblutung zwischen Einblutung zwischen Einblutung in das


Schädelknochen und Dura mater und Arachno- Arachnoidea und Pia Hirnparenchym
Dura mater cranialis idea mater mater durch Kontusions-
Prädestinierter Ort: Blutungsquelle: Brücken- Gefahr eines post- schäden, meist
temporal A. meningea venen, auch spontanes traumatischen Hydro- frontal oder tem-
media, meist nach Vorkommen (auch Anti- zephalus poral
Schädelfrakturen koagulationstherapie

Symptome Hirndruckzeichen; ggf. Akuter, subakuter, chro- Generelle neurolo- Neurologische


freies Intervall nischer Verlauf, plötzli- gische Symptomatik, Ausfälle, Hirndruck-
cher oder retardierter Hirndruckzeichen. Bei zeichen u. U. Tage
Kopfschmerz, Hirndruck- Bewusstsein: stärkster nach Trauma!
zeichen Kopfschmerz.

Diagnostik CCT CCT CCT CCT, MRT

Therapie Kraniotomie, Blutstil- Entlastung (Bohrlochtre- Meist konservativ Entlastung bei


lung, Hämatomentfer- panation, Kraniotomie Druckentwicklung
nung. Selten konser- und Duraeröffnung), und großen Häma-
vatives Zuwarten ver- Hämatomausräumung tomen. Sonst Inten-
tretbar sivüberwachung

1.2.4 Akute raumfordernde intrakranielle Symptomatik. Es zeigen sich Kopfschmerz, neurolo-


Prozesse gische Ausfälle (z. B. unspezifische Sehstörungen),
Apoplexie, ggf. Hirndruckzeichen.
Akute Blutungen verdrängen lokal Hirnsubstanz und
können generell zu einem Anstieg des intrakranialen Diagnostik. CCT, Angio-CT, SAB-CT (Subarachnoi-
Drucks führen (. Tab. 1.9). 7 Neurologie, Kap. 1.2.3; dal-CT), MRT, MRT-Angiographie, DSA.
7 Pathologie; Kap. 3.2.1.2.
Therapie. Clipping, falls nicht möglich Trapping, Wrap-
ping oder neuroradiologisches Coiling, Stenting. Die
1.2.5 Gefäßerkrankungen des ZNS neurochirurgische Operation (Trepanation, offener
Zugang) bei Komplikationen.
1.2.5.1 Angeborene Gefäßmissbildung/
Aneurysmen Operationsverfahren bei Aneurysmen
Ätiopathogenese. Sack- oder spindelförmige Aus- 4 Clipping: Abklemmen durch nichtmagnetische
sackungen der Hirnbasisarterien (Aneurysmen) »Clipps«
(. Abb. 1.6). Meist besteht eine familiäre Disposition; 4 Trapping: Abklemmen distal und proximal
die Missbildungen werden dann symptomatisch bei 4 Wrapping: Umhüllung des Aneurysmas
zusätzlichen Risikofaktoren Hypertonus, Nikotin, In- 4 Coiling: Verödung und Thrombosierung durch Mikro-
fektion (z. B. Lues) (meist um das 50. bis 60. Lebens- katheter
jahr). Selten ist ein Aneurysma der extrakraniellen
A. carotis. Anschließen muss sich i. d. R. eine intensive Neurore-
Für intrakranielle Aneurysmen gilt: habilitation.
4 Meist Hirnstammarterien betroffen, sackförmige
Erweiterung auf bis zu und über 1 cm Prognose. Hochakutes Krankheitsbild. Rezidivblutung
4 Meist Ramus communicans anterior möglich, nach Einblutung Gefahr der Hydrozephalus-
4 Gefahr der Ruptur mit subarachnoidaler oder in- entstehung (Verklebung, Abflussstörung).
trazerebraler Blutung
28 Kapitel 1 · Chirurgie

a b

. Abb. 1.6a, b. 2-D- und 3-D-Angiographie. Ausgedehnte


SAB bei rupturiertem großen Basilarisspitzenaneurysma bei
einer 44-jährigen Patientin vor (a) und nach (b) komplikati-
onslosen 2-zeitigen Coiling. (Aus Siewert 2006) . Abb. 1.7. Kindlicher Hydrozephalus: Sonnenuntergangs-
phänomen. (Aus Siewert 2006)

1.2.5.2 Hirnvenenthrombose > Beim Hydrozephalus des Kindes kann der Kopfum-
Hirnvenen-/Sinusvenenthrombose: 7 Kap. Neurologie, fang zunehmen, da die Schädelnähte noch offen sind
1.2.4 (. Abb. 1.7).

1.2.5.3 Stenose zerebraler Arterien Symptomatik. Im Säuglingsalter kommt es noch zur


Zerebrale Ischämie: 7 Kap. Neurologie, 1.2.1.1 und Kopfumfangszunahme (Perzentilen!) sowie Dysba-
7 Kap. Pathologie, 3.2.1.3. lance in der Relation Hirn-/Gesichtsschädel, Ent-
wicklungsverzögerung, Sonnenuntergangsphänomen.
Generelle Symptome sind Hirndruckzeichen: Kopf-
1.2.6 Hydrozephalus schmerz, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen, intellek-
tuelle Beeinträchtigung (Demenz), Gangstörungen,
Ätiopathogenese. Es besteht eine Dysbalance zwischen Inkontinenz.
Bildung und Resorption von Liquor cerebrospinalis mit
oder ohne Erhöhung des Hirndruckes (Druckanstieg Diagnostik. CT, MRT, Zysternographie (Abklärung
mit Hirnparenchymverdrängung – Hirndrucksympto- Normaldruckhydrozephalus).
matik). Ursachen eines Hydrozephalus sind:
4 Liquorüberproduktion = Hydrocephalus e vacuo Therapie. Handlungsbedarf besteht bei Hirndruckstei-
4 Zirkulations-/Abflussstörung (Verklebung) = Ok- gerung, bei infantilem Hydrozephalus und bei mit neu-
klusionshydrozephalus rologischen Symptomen assoziiertem Hydrozephalus:
4 Resorptionsstörung = Hydrocephalus aresorptivus 4 Akut: Ventrikelpunktion, Katheterisierung
4 Ursachenbeseitigung z. B. okkludierende Tumor
Definition. Einteilung nach der Lokalisation: 4 Ventrikulostomie bei Verschlüssen
4 Hydrocephalus externus 4 Shunt (ventrikuloperitoneal, ventrikuloatrial
4 Hydrocephalus internus 4 Zystozisternostomie
4 Plexuskoagulation
Einteilung nach intrakraniellem Druck
4 Normaldruckhydrozephalus Prognose. Die Prognose ist individuell sehr verschie-
4 Überdruckhydrozephalus den. Problematisch ist die dauerhafte Infektgefahr und
Okklusionsgefahr bei Shunt-Anlage.
1.2 · Neurochirurgie
29 1

In Kürze

Wichtige neurochirurgische Krankheitsbilder im Bereich des zentralen Nervensystems

Schädel-Hirn-Trauma 4 Symptomatik: Hirndruckzeichen (Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Bewusst-


seinsstörungen). Krämpfe. Rhino-/Otoliquorrhö, Meningismus
4 Diagnostik: CT, MRT
4 Therapie: Gedecktes SHT: Überwachung, Therapie des Hirnödems. Offene SHT
immer operativ (Duradeckung, Osteosynthese, Blutungsausräumung). Spätkom-
plikationen: Infektionen, Sinus-cavernosus-Karotis-Fistel. Antibiotikagabe

Schädelfrakturen 4 Symptomatik: Monokel-/Brillenhämatome, Blut-/Liquorfluss aus Nase, Mund, Oh-


ren. Neurologische Auffälligkeiten
4 Diagnostik: Röntgen konventionell, CT, MRT
4 Therapie: meist konservativ. Operativ v. a. Impressionsfrakturen, Liquorhö, insta-
bilen Gesichtsschädelfrakturen, Schädelbasisfrakturen mit Gefäßverletzung. Tre-
panation, Duradeckung mit Faszie, Periost, Transplantat, Blutstillung, Häma-
tomausräumung, Osteosynthese. Offenes SHT: Antibiotikagabe!

Hirnblutungen 4 Symptomatik: Hirndruckzeichen bis Auftreten neurologischer Herdsymptomatik


4 Diagnostik: CT, MRT
4 Therapie: Überwachung, Blutdruckregulation, Hirnödembehandlung, Heparini-
sierung. Große und zugängliche Blutungen: Kraniotomie und Blutstillung und
Blutungsausräumung, stereotaktische Absaugung

Hirngefäßaneurysmen 4 Symptomatik: Kopfschmerz, Bewusstseinsstörungen, Lichtscheue, Meningismus


u. a. generelle Hirndruckzeichen
4 Diagnostik: CT, Kontrast-CT, Angiographie
4 Therapie: Intensivüberwachung, Clipping, Trapping, Wrapping, Coiling. Bei Versa-
gen: offene Operation

Hydrozephalus 4 Symptomatik: Im Säuglingsalter Kopfumfangszunahme, adult generelle Hirn-


druckzeichen, Demenz, Gangstörung, Inkontinenz
4 Diagnostik: ICP, CT, MRT, Isotopen-Zisternographie
4 Therapie: kausale Behandlung (Tumorentfernung, Ventrikulostomie etc.); symp-
tomatisch: medikamentöse Hirndrucksenkung, Punktion, Shunt-Ableitung

1.2.7 Malignome des Gehirns, seiner Symptomatik. Hirntumoren können folgende Be-
Hüllen und des Rückenmarks schwerden hervorrufen:
4 Epileptische Anfälle
1.2.7.1 Grundlagen 4 Allgemeine Hirndruckzeichen durch Tumorwachs-
Aufgrund des räumlich abgeschlossenen Schädels gel- tum und oder Verschluss des Liquorabflusses:
ten abweichend zur generellen Nomenklatur solider Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Nacken-
Malignome alle Tumoren des Schädelinneren als ma- schmerz
ligne (lebensbedrohende Verdrängung). Sie führen zur 4 Wesensveränderungen
Erhöhung des intrakraniellen Druckes, manche infilt- 4 Neurologische Ausfälle (v. a. Paresen, Sprach-, Seh-
rieren die Umgebung und führen zu Arrosionsblutun- störungen, Bewusstseinsstörungen, Gleichge-
gen. Ein Hydrocephalus internus entsteht durch Blo- wichtsstörungen, Schluckstörungen, Hirnnerven-
ckade der Kommunikationsräume der Ventrikel. ausfälle)
4 Stauungspappille
30 Kapitel 1 · Chirurgie

Diagnostik. An technischer Diagnostik kommen zum Tumoren werden zusätzlich nach ihrer Lokalisation
1 Einsatz: benannt: Kleinhirnbrückenwinkeltumor, Tumoren der
4 CCT, MRT hinteren Schädelgrube, Schädeldach, Orbita etc.
4 Angiographie
4 Zisternographie Meningeome
Ätiopathogenese. Menigeome gehen von den Hirn-
Therapie. Das Problem der Therapie bei Hirntumoren häuten aus, wachsen langsam und sind gut abgegrenzt.
besteht in der nur beschränkten Möglichkeit einer radi-
kalen Resektion. Wenn immer möglich, indiziert und Epidemiologie. Häufig, Altersgipfel im Bereich von
vertretbar erfolgen folgende Maßnahmen: 20–60, meist Frauen betroffen.
4 Kraniotomie
4 Stereotaktische Resektion Symptomatik. Siehe oben; Hirndruckzeichen.
4 Adjuvante Radiochemotherapie
Diagnostik. Röntgen, MRT, CCT
> Akutmaßnahme und Palliativmaßnahme: Hirndruck-
senkung: z. B. ventrikuloperitonealer Shunt, Kortikoide. Therapie. Radikale Entfernung, ggf. adjuvante Radio-
chemotherapie.
1.2.7.2 Spezielle Hirntumoren
7 Neurologie, Kap. 1.5.4; 7 Pathologie, Kap. 3.2.1.5. ! Cave
Unterteilung der Hirntumoren: Lokalrezidive bei nicht radikal ausreichender Resekti-
4 Tumoren der Hirnhäute z. B. Meningeome on (Knochen, Umgebung)!
4 Primäre Hirntumoren (Gliome, . Abb. 1.8)
5 Astrozytome Grad I–IV Prognose. Gut bei gelungener Entfernung, Rezidive
5 Oligodendrogliome von Dura mater ausgehend.
5 Ependymome
5 Andere Tumoren Sekundäre Hirntumoren: Hirnmetastasen
4 Hirnnervenmalignome Ätiopathogenese. Insbesondere das Bronchialkar-
4 Hypophysentumoren zinom, Mammakarzinom, malignes Melanom und
Prostatakarzinom neigen zu schneller zerebraler Ab-
siedelung.

Symptomatik. Siehe oben.

Therapie. Indiziert sind je nach Situation:


4 Hirndruckbehandlung
4 Stereotaktische Resektion
4 Adjuvante Nachbehandlung (Bestrahlung)
4 Nicht oder schlecht und nur risikoreich zugängli-
che Tumoren können mit dem Gammaknife und
Chemotherapie behandelt werden

Maligne Tumoren der Hirnnerven:


Akustikusneurinom
Ätiopathogenese. Vom vestibulären Teil des VIII.
Hirnnerven ausgehendes Schwannom mit Ursprung
im inneren Gehörgang, seltener im Kleinhirnbrücken-
winkel. Dort lokale Druckausübung.

Symptomatik. Einseitige Hörstörung: Schwerhörigkeit,


Tinnitus, Schwindel; Gesichtslähmungen (Fazialis);
. Abb. 1.8. MRT. Glioblastom im linken parietalen Marklager Spätsymptom: Hirndruckzeichen.
mit Infiltration des Balkenknies (Klinik: neuropsychologische
Defizite). (Aus Siewert 2006) Diagnostik. CCT, MRT.
1.2 · Neurochirurgie
31 1

Therapie. Bei schnellem Wachstum (MRT-Kontrollen) Symptomatik. Endokrinologische Auffälligkeiten


und Alter <60 Jahre meist Resektion durch mikrochi- und Verdrängungssymptome (Minderwuchs, Puber-
rurgischen Zugang (otochirurgisch transtemporal oder tätsverzögerungen, Diabetes, Sehstörungen, Adiposi-
translabyrinthär, neurochirurgisch transokzipital). Al- tas etc.).
ternativen: Strahlentherapie: Gammaknife, einzeitig
oder fraktioniert. Diagnostik. CT, MRT.

Hypophysentumoren Therapie. Indiziert sind folgende Verfahren:


Ätiopathogenese. Bei Hypophysentumoren handelt es 4 Bei zystischen Tumoren: Punktion und Entlastung
sich meist um benigne Adenome. Karzinome sind sehr 4 Möglichst radikale Resektion; Zugänge siehe oben
selten. Wesentliches Merkmal sind hormonelle Auswir- 4 Radiochirurgie (Gammaknife) bei schlechter Zu-
kungen, die letztlich zur Konsultation und Entdeckung gänglichkeit, anderen Kontraindikationen
des Tumors führen. Adenome (Unterteilung in hormo- 4 Gegebenenfalls lebenslange Hormonsubstitution
nell aktiv/inaktiv) können zu einer Überproduktion bei Verdrängung/postoperativem Hormonmangel
führen von FSH, LH, MSH, LPH, TSH, Wachstumshor-
mon, Prolaktin, ACTH, Oxtocin, Vasopressin. Prognose. 50% Heilung bei Totalexstirpation. Häufig
Dies bedingt die klinischen Krankheitsbilder: sind jedoch Rezidive. Es besteht eine ungünstige Prog-
4 Hyperprolaktinämie (häufig!): Folge Amenorrhö, nose bei Einbruch in Richtung des 3. Ventrikels
Galaktorrhö
4 Morbus Cushing Spinale Tumoren
4 Akromegalie Definition. Primäre spinale Tumoren sind:
4 Neurinome
Eine weitere Unterteilung erfolgt nach Größe (Mikro-, 4 Neurofibrome
Makroadenome) und Wachstumstendenz (intrasellär, 4 Astrozytom
intrakraniell) sowie nach der Lage: intrasellär, suprasel- 4 Ependymom
lär, parasellär. 4 Meningeom

Symptomatik. Endokrinologische Symptome (7 oben), Sekundäre spinale Tumoren: Metastasen, Verschlep-


Hirndruckzeichen, Neurologische Ausfälle (Gesichts- pung meist per paravertebrale Plexus. Sekundäre spina-
feldausfälle). le Tumoren liegen meist extradural (Prostata-, Mam-
ma-, Rektumkarzinom u. a.)
Diagnostik. Röntgen konventionell, CCT, MRT, MR, Nach ihrer Lokalisation erfolgt die Einteilung in
neurologisch-ophthalmologische Untersuchung, Hor- extradural, intradural und intramedullär.
monbestimmung.
Epidemiologie. Spinale Tumoren sind selten. Entitäten
Therapie. Konservativ: Hormonbehandlung, Antagoni- und Therapieprinzipien entsprechen in etwa denen der
sierung. Radiotherapie. Radikale Resektion insbeson- intrakraniellen Tumoren.
dere beim Malignom: transnasaler Zugang, transkrani-
eller Zugang (transsphenoidal, transethmoidal, fronto- Symptomatik. Es zeigen sich Schmerzen, sensorische/
temporal). motorische Ausfälle mit radikulärer Ausstrahlung, spä-
ter spinale Automatismen (Spastik, pathologische Re-
Kraniopharyngeom flexe, u v. a.) bis zur Querschnittsymptomatik.
Ätiopathogenese. Entstehung unbekannt, Diskutiert
wird eine Entstehung aus den Hypophysenvorderlap- Diagnostik. MRT, ggf. Myelographie.
penzellen. Entwicklung nahe der Hypophyse. Langsa-
mes intra- und supraselläres Wachstum 50% der Tumo- Therapie. Indiziert sind radikale Resektion, ggf. Spon-
ren werden im Kindesalter symptomatisch. dylodese (bei Instabilität), Radiochemotherapie.
32 Kapitel 1 · Chirurgie

In Kürze
1
Tumoren in Hirn und Rückenmark

Hirntumoren 4 Symptomatik: Zeichen intrakranieller Drucksteigerung, Persönlichkeitsveränderungen, fo-


kale Symptomatik, Epilepsie, Paresen
4 Diagnostik: CT, MRT, zerebrale Angiographie
4 Therapie: Kraniotomie, stereotaktische Resektion, Gammaknife, adjuvante Radiochemo-
therapie

Rücken- 4 Symptomatik: neurologische Ausfälle, Schmerzen


markstumoren 4 Diagnostik: MRT, CT, Myelogramm
4 Therapie: operativ, ggf. Spondylodese

Meningeom 4 Symptomatik: Herdsymptomatik, generelle Hirndrucksymptomatik


4 Diagnostik: CT, MRT, zerebrale Angiographie
4 Therapie: radikale operative Entfernung. Adjuvante Radiotherapie

Tumoren der 4 Symptomatik: endokrinologische Symptome: Hyperprolaktinämie (Folge Amenorrhö, Ga-


Hypophyse laktorrhö), M. Cushing, Akromegalie. Hirndruckzeichen, neurologische Ausfälle (Gesichts-
feldausfälle)
4 Diagnostik: Röntgen konventionell, CCT, MRT, MR, neurologisch-ophthalmologische Un-
tersuchung, Hormonbestimmung
4 Therapie: konservativ: Hormonbehandlung, Antagonisierung. Radiotherapie. Radikale Re-
sektion insbesondere beim Malignom: transnasaler Zugang, transkranieller Zugang (trans-
sphenoidal, transethmoidal, frontotemporal)

1.2.8 Intrakraniale/intraspinale Abszesse Symptomatik. Hirndruckzeichen, generelle Infektzei-


chen, neurologische Ausfälle (zentral, Para-, Tetraple-
Intrakranielle/-spinale entzündliche Erkrankungen gie), Epilepsie
(epidural, subdural) können Folgen operativer Maß-
nahmen, Lumbalpunktion (z. B. bei Meningitis) sein, Diagnostik. CT, MRT, mikrobiologische Untersuchung.
oder sich posttraumatisch oder spontan-hämatogen
(otogen, dentogen, rhinogen) entwickeln. Insbesondere Therapie. Abszesseröffnung mit Punktion, ggf. stereo-
bei Immunsuppression besteht eine Disposition der taktisch und Materialgewinnung. Spülung, Drainage
Entstehung. Solche Abszesse können in folgenden For- (24–48 h), antibiotische Behandlung (resistenzge-
men auftreten: recht).
4 Abszesse
4 Granulome
4 Empyem (Ventrikel)

In Kürze

Weitere neurochirurgische Krankheitsbilder

Intrakranielle/ 4 Symptomatik: Hirndruckzeichen, generelle Infektzeichen, neurologische Ausfälle (zentral,


intraspinale Para-,Tetraplegie), Epilepsie
Abszesse 4 Diagnostik: CT, MRT, mikrobiologische Untersuchung
4 Therapie: Abszesseröffnung mit Punktion, ggf. stereotaktisch und Materialgewinnung.
Spülung, Drainage (24–48 h). Antibiotische Behandlung (resistenzgerecht)
1.2 · Neurochirurgie
33 1
1.2.9 Fehlbildungen schlaffen Lähmung einher. Je nach Niveau kommt es
zum Verlust der Funktion der Rumpf-, Interkostal- und
Dysraphie (7 Neurologie, Kap. 1.6.6). Bauchmuskulatur, Verlust von Blasen-, Mastdarm und
Eine Spaltfehlbildung von Steiß bis Kopf tritt in ver- Sexualfunktion, Störung der Kreislauf- und Atemfunk-
schiedenen Ausprägungen auf: tion (vegetative Innervation).
4 Meningozele: offenes Neuralrohr. zystische Fehlbil- Zur Präzisierung gibt man das unterste noch völlig
dung, die Liquor und Meningen enthält oder eine intakte (motorisch und sensibel) Rückenmarkssegment
Zyste ohne Hirn-/Rückenmarksgewebe an. Mit dem Zusazt »komplette« und inkomplett« be-
4 Enzephalozele: mit Hirngewebe, ungünstige Prog- schreibt man weiter, ob die motorische und sensible
nose Funktion unterhalb des untersten intakten Rücken-
4 Myelomeningozele: wie oben, zusätzlich Hirn- und markssegments vollständig (komplett) erloschen ist
oder Rückenmark-, Spinalnerven im Bruchsack, oder – gleich auf welcher Höhe, rechts oder links, kon-
ungünstige Prognose tinuierlich oder diskontinuierlich – noch motorische
4 Spina bifida occulta: äußerlich nicht sichtbarer De- oder sensible Restfunktionen erhalten sind. Der ICD
fekt, ggf. nur Hyperpigmentierung, Hypertrichis- unterscheidet weiter zwischen akuten, chronischen,
mus spastischen und schlaffen Lähmungen.

Therapie. Neurochirurgisch-orthopädische Deckung. > Beispiel: Komplette Tetraplegie C4, inkomplette Para-
plegie Th8.
Prognose. Nach Grad der Ausprägung reicht diese von
infaust bis sehr gut. Therapie. Prognostisch entscheidend sind folgende
therapeutische Maßnahmen:
Prophylaxe. Folsäuresubstitution während der Schwan- 4 Frühes Erkennen (Unfallort!)
gerschaft. 4 Vermeidung von Sekundärtraumen (Umlagern,
Arnold-Chiari-Syndrom, Syringomyelie: 7 Neuro- Transport)
logie, Kap. 1.6.6. 4 Frühestmögliche operative Dekompression von
ventral/dorsal (Laminektomie)
4 Ödembekämpfung (Kortikoide, Hyperosmolare
1.2.10 Rückenmarksverletzung Infusion), Frührehabilitation
4 Sekundäre Stabilisation bei Instabilitäten
Ätiopathogenese. Verletzungen des Rückenmarkes sind
meist durch Unfälle bedingt (Verkehr, Haushalt, Arbeit), ! Cave
seltener durch andere Erkrankungen (Spontanfrakturen 20% Sekundärtraumen werden durch Fehler bei La-
bei Osteoporose, Tumoren etc.; 7 Kap. 1.8). gerung, Transport verursacht.

Symptomatik. Durch Quetschung, Komprimierung, Prognose. Querschnittstraumen mit initialer sakraler


ggf. Durchtrennung des Rückenmarkes kommt es zu Aussparung (Sensibilität, Motorik) haben eine deutlich
folgender Symptomatik: bessere Prognose.
4 Sensibilitätsausfälle
4 Motorische Ausfälle Rehabilitation
4 Ausfälle des Vegetativums (Blasen, Mastdarm, Se- Die Rehabilitation muss in Zentren erfolgen, wo interdiszipli-
xualfunktion, Kreislaufregulation); oberhalb C4 när (Urologie, Pulmonologie, Plastische Chirurgie, Neurolo-
Atmung und Kreislauffunktion bedroht gie, Psychologie) die drohenden assoziierten Komplikationen
(Urosepsis, Pneumonie, Dekubitus etc.) behandelt werden
Unter einer Paraplegie versteht man die Lähmung bei- können. Die Lebenssituation eines Querschnittsverletzten
der Beine, unter Tetraplegie die Lähmung beider Beine ändert sich schlagartig. Daher ist die soziale Behandlung (Be-
und beider Arme. Die Begriffe Paraparese und Tetrapa- rufsfindung, Sozialberatung u. v. m.) von großer Bedeutung.
rese als Ausdruck einer unvollständigen Lähmung sind Seit Existenz solcher Zentren hat sich die Lebenserwartung,
im korrekten Sprachgebrauch nicht mehr üblich. welche bei Paraplegikern um bis zu 20% und Tetraplegikern
bis zu 40% vermindert war (Urologische und Pulmonologi-
Diagnostik. Bei Läsionen wird stets die Höhe des zuge- sche Infektionen, Dekubiti, Ileus, Lungenembolie u. v. a.),
hörigen Rückenmarksegmentes mit angegeben (»Ni- gravierend verbessert und die Lebensqualität und -zufrie-
veau«). Akute Läsionen gehen zunächst mit einer denheit (Beruf, Familie) erheblich verbessert.
34 Kapitel 1 · Chirurgie

In Kürze fibrosus bei Flexion/Rotationsbewegung. Kompression


1 der Spinalnerven. Meist betroffen ist der lumboverte-
4 Paraplegie: Lähmung beider Beine
brale Bereich L3–S1 (95% L5/S1), selten zervikal C 5–
4 Tetraplegie: Lähmung beider Beine und bei-
Th1(1% C6/C7).
der Arme
Epidemiologie. Altersgipfel von 25–40 Jahre.

Cauda-equina-Syndrom (Cauda-equina-Kompressions-
1.2.11 Periphere Neurochirurgie Syndrom)
Kombination mehrerer neurologischer Ausfallserscheinun-
Nervennaht gen durch massive »Quetschung« der Cauda equina: Rü-
Die mikrochirurgische Nervennaht (Lupe, Operations- ckenschmerz, Ausstrahlung in Richtung Knie, Unterschen-
mikroskop) ist entscheidend für eine Chance der Funk- kel, Reithosenanästhesie (sensible Störungen im Gesäß-
tionswiederherstellung peripherer Nerven. Verwendet und Oberschenkelbereich), fehlender Patellarsehnenreflex
wird monofiles Nahtmaterial der Stärke 10–0 oder (L4) und/oder fehlender Achillessehnenreflex (S1), motori-
11–0 USP. Entscheidend ist die exakte, spannungsfreie sche Ausfälle im Bein- und besonders im Fußbereich (z. B.
Adaptation der richtigen Strukturen: Fußheberschwäche), Impotenz, Stuhl-/Harninkontinenz
4 Faszikel und/oder Verhalt, reduzierter Sphinktertonus bei rektaler
4 Faszikelbündel Untersuchung.
4 Perineureum
Symptomatik. Es kann sich um einen Zufallsbefund
Nerventransplantation handeln; die Patienten können jedoch auch über
Hierfür werden die N. surealis/saphenus/cutanaeus an- Schmerzen bis hin zu neurologischen Ausfällen im Ver-
tebrachii entnommen. Es erfolgt eine Interposition sorgungsgebiet berichten.
durch exakte Adaptation (Faszikel). Mit einem Wachs-
tum des proximalen Axons von 1–2 mm/Tag dient das Diagnostik. Lasègue, Röntgen in 2 Ebenen, CT, MRT,
Interponat (Schwann-Zellen) als Leitschiene. Myelographie (selten).

> Bleibt die erwartete Regeneration (Dauer bis zu Therapie. Konservative und operative Therapieoptio-
24 Monate) aus, können plastisch-chirurgische Um- nen. Oft sind komplexe, individuelle Indikationsstel-
setzplastiken helfen Funktionelle (partielle) Wieder- lungen nötig. Konservative Optionen sind:
herstellung zu erreichen. 4 Bettruhe, Entlastungen (Stufenbett
4 Analgesie
Mononeuropathien der oberen und unteren Extremi- 4 Wärme oder auch Kälte
tät, 7 Neurologie, Kap. 1.10.5 und 1.10.6.
> Die unbedingte Indikation zur operativen Therapie
Neurolyse besteht bei Cauda-equina-Syndrom (Notfall!) sowie
> Neurolyse = atraumatisches Freipräparieren des Nerven. motorischen Ausfällen.

Durch bindegewebige Vernarbung (z. B. im ehemaligen Operative Prinzipien (Wurzeldekompression) bestehen


Operationsgebiet) können Nerven ummauert und in in:
Ihrer Funktion beeinträchtigt werden (Schmerzustän- 4 Nukleotomie (minimalinvasiv, offen)
de, motorische/sensorische Ausfälle). 4 Flavektomie
4 Facettektomie
Diskusprolaps lumbal-zervikal 4 Foraminotomie
7 Orthopädie, Kap. 2.8.8. 4 Hemi-/Laminektomie (Nachteil Instabilität), se-
kundäre Stabilisation
Definition. »Vorfall der Bandscheibe« durch chroni- 4 Nukleoplastie, Bandscheibenprothetik
sche/akute Fehl-/Überbelastung. Meist auf Boden einer 4 Spondylodese
Altersdegeneration (Reduzierter Wassergehalt).
> Diskusoperationen sind tägliches Brot des »Neurochi-
Ätiopathogenese. Austritt und Dorsalverlagerung von rurgen«.
Nucleus-pulposus-Gewebe durch Einriss des Anulus-
1.3 · Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
35 1

Prognose. Operativer Erfolg bei ca. 80% der Patienten Frakturen des Mittelgesichtes
bei korrekter Indikationsstellung und unverzüglichem Zentrale Mittelgesichtsfrakturen
Behandlungsbeginn. Definition. Die transversalen, zentralen Frakturen des
Gesichtsschädels verlaufen durch den Bau des Schädels
Nachsorge. Wichtig ist eine sorgfältige Rehabilitation in der Mehrzahl entlang typischer Frakturlinien (anato-
sowie geeignete Schmerztherapie mische Schwachstellen), welche der Chirurg Rene Le
Fort(1869–1951)klassifizierte:LeFortI–III(. Tab. 1.10).
Prävention. Rückenschonendes Arbeiten. Le-Fort-Typ-I-Frakturlinien sind quasi Absprengungen
Spinalkanalstenose: 7 Orthopädie, Kap. 2.8.8.6. der Maxilla vom Gesichtsschädel, die Le-Fort-II-Fraktu-
Krankheiten von Nervenwurzeln und Nervenple- linie verläuft weiter kranial und bezieht auch das Nasen-
xus (z. B. Trigeminusneuralgie, Fazialisparese): 7 Neu- bein und den Orbitaboden mit ein. Bei Le-Fort-III-Frak-
rologie, Kap. 1.10.4. turen verläuft die Frakturlinie horizontal durch die Or-
bitae und Jochbeinbögen als Ablösung des Hirn- vom
Gesichtsschädel. Meist liegen zusätzliche Frakturen
1.3 Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (Schädelbasis, Kalotte) bzw. Kombinationen vor.

K.-J. Paquet, U. Fetzner Ätiopathogenese. Verkehrsunfälle, Faustschlag, Sport-


unfälle.
Im Rahmen des Repetitoriums können nur einige As-
pekte der MKG-Chirurgie vermittelt werden. Völlig Symptomatik. Wichtige Symptome sind Weichteilver-
unberücksichtigt bleiben die dental- und oralchirurgi- letzung im Gesicht, Blutung (oder Liquorfluss) aus
schen Aspekte dieses großen Fachgebietes. Der Fach- Nase, Mund, Ohren. Ausgedehnte Hämatome (Brillen-,
arzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sieht als Vo- Monokel). Doppelbilder, Geruch- und Sensibilitätsstö-
raussetzung ein Doppelstudium der Zahn- und Hu- rungen. Asymmetrien, allgemeine Frakturzeichen.
manmedizin vor.
> Obligate enorale Untersuchung mit der Suche nach
Hämatomen, Fehlstellung der Zahnreihen, Okklusi-
1.3.1 Verletzungen des onsstörung.
Gesichtsschädels
Komplikationen. Respiratorische Insuffizienz durch
Schädelfrakturen treten häufig im Rahmen schwerer oronasopharyngeale Schleimhautschwellung, Hämato-
Polytraumen auf. Schon alleine daher hat sich die Ver- me. ZNS- und Augenverletzungen.
sorgung in Zentren bewährt, wo die Disziplinen Chi-
rurgie (insbesondere Unfallchirurgie/Traumatologie), ! Cave
Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, Liquoraustritt deutet auf ein offenes Schädel-Hirn-
HNO, Augenheilkunde, Anästhesiologie und Intensiv- Trauma hin. Infektionsgefahr!
medizin örtlich und personell eng kooperieren können.
Dies entspricht auch dem Konzept der »Kopf-Kliniken« Diagnostik. Indiziert sind konventionelles Röntgen-Schä-
der 1980er-Jahre. del in 2 Ebenen und zahlreiche Spezialaufnahmen (Na-
Schädel-Hirn-Trauma: 7 Kap. 1.2, 7 Kap. Neurologie, sennebenhöhlenaufnahme, »Henkeltopf« u. v. a.) CCT,
1.3.1. MRT, CT- und MRT-Zisternographie, Sonographie.

1.3.1.1 Allgemeine Versorgungsprinzipien Laterale Mittelgesichtsfrakturen


Hierzu gehören innerhalb der Mund-Kiefer-Gesichts- Ätiopathogenese. Direkte Gewalteinwirkung auf den
Chirurgie: seitlichen Gesichtsschädel (z. B. Faustschlag, Sturz).
4 Weichteildefekte: Débridement, Reinigung, Desin- Häufige Frakturtypen sind:
fektion, Wundversorgung (Berücksichtigung von 4 Jochbeinfraktur
Spannungslinien, ästhetischen Einheiten), ggf. Re- 4 Orbitarandfrakturen
konstruktion 4 Blow-out-Fraktur (Fraktur des Orbitagrundes)
4 Frakturversorgung
4 Infektbekämpfung Symptomatik. Schmerz, Schwellung, Hämatom (Mo-
nokel). Doppelbilder.
36 Kapitel 1 · Chirurgie

Diagnostik. Indiziert sind Röntgen, CCT. Frakturen des Unterkiefers


1 Ätiopathogenese. Durch direkte Gewalt (Faustschlag,
Therapie der Mittelgesichtsfrakturen. Anprall bei Verkehrsunfall, Sturz) bricht der Unterkie-
4 Konservativ: Reposition fer (Mandibula) insbesondere an Prädilektionsstellen:
4 Semikonservativ: Fixation durch Okklusion, Fixa- 4 Regio dens canini (Eckzahnregion)
tion durch Draht, HALO-Bügel 4 Angulus mandibulae (Kieferwinkel)
4 Operativ: Bei starker, nicht zu behebender Disloka-
tion, Weichteilschäden ist eine offene Reposition Symptomatik. Typisch sind Schmerz, Fehlstellung, Ok-
notwendig, anschließend Plattenosteosynthese. klusionsstörung, Stufenbildung in den Zahnreihen,
Wichtig ist zudem eine Drainage der Nasenneben- Schwellung, Hämatom.
höhlen, ggf. Infektbekämpfung.
Diagnostik. Röntgen-Schädel in 2 Ebenen, Kieferpano-
> Nicht selten müssen starke Blutungen im Gesichtsbe- ramaaufnahme.
reich zunächst temporär gestillt werden (Ligaturen,
Nasentamponade, Zwingenkompression, Drahtzer- Therapie. Plattenosteosynthese oder Verdrahtung der
klagen bei Kieferfrakturen). Zähne. Die Verdrahtung der Zähne ist ein schnelles,
wenig invasives Verfahren (Polytrauma), bringt aber
Frakturen der Schädelkalotte oder Schädelbasis erhebliche hygienische, nutritive (Strohhalm, Flüssig-
4 Frakturen der Schädelkalotte und der Schädelbasis kost) und kommunikative Probleme mit sich.
werden neurotraumatologisch versorgt, zumal sie häu-
fig mit einem generellen Schädel-Hirn-Trauma einher-
gehen. 1.3.2 Infektionen, Entzündungen im
4 Schädelbasisfrakturen: Selten operatives Vorgehen: Mund-Kiefer-Gesichtsbereich
Osteosynthese, Duraplastik (Vermeidung von Liquor-
fisteln). Meist vordringlich Hämatomentlastung Ätiopathogenese. Zähne stellen eine permanente In-
(7 Kap. 1.2) fektgefahr (auch bei Intensivpatienten) dar. Von den

. Tab. 1.10. Einteilung der Mittelegsichtsfrakturen. (Aus Siewert 2006)

Lokalisation Frakturformen

Zentrales 4 Infrazygomatikale Frakturen Mittelgesicht (Alveolarfortsatzfrakturen, dentoalveplärer


Mittelgesicht Komplex)
4 Le-Fort-I- oder Guérin-Fraktur mit und ohne Sagittalfraktur
4 Zentrale oder pyramidale Frakturen (Le-Fort-II-Fraktur mit und ohne Sagittalfraktur)
4 Nasenskelettfrakturen (nasomaxillärer und nasoethmoidaler Komplex)
4 Irreguläre Frakturen (zygomatikoorbitaler Komplex)

Laterales 4 Laterale Frakturen (zygomatikoorbitaler Komplex)


Mittelgesicht 4 isolierte Jochbeinfrakturen
4 Zygomatikomaxilläre Frakturen
4 Isolierte Jochbeinfrakturen
4 komplexe Jochbein-Jochbogen-Frakturen
4 Orbitarandfrakturen
4 Orbitawandfrakturen (»Blow-out-Fraktur«)
4 Zygomatikomandibuläre Frakturen

Kombiniertes zen- 4 Zentrolaterale Frakturen (Abrissfraktur des gesamten Mittelgesichts von der Schädelbasis,
trales und laterales Le-Fort-III-Fraktur)
Mittelgesicht

Vordere und latera- 4 Abriss von Mittelgesicht und vorderer Schädelbasis (frontobasale oder frontomaxilläre
le Schädelbasis Fraktur)
4 Fraktur des Schläfenbeins und der Felsenbeinpyramide (laterobasale Fraktur)
1.3 · Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
37 1

. Abb. 1.9. Das Venensystem des Gesichtsschädels als Aus- zum Sinus cavernosus. Cave: Da die Gesichtsvenen ohne
breitungsweg für entzündliche Prozesse (von Hochstetter). Klappen sind, besteht die Gefahr, dass durch direkte Aussaat
Fortleitung von Entzündungsprozessen im Bereich von Ober- von infektiösem Material oder durch eine Thrombophlebitis
lippe, Wange, Nase sowie Oberkiefer, Tuber maxillae, Fossa eine Sinusphlebitis bzw. Sinusthrombose entsteht. (Aus
pterygopalatina via Gesichtsvene und Plexus pterygoideus Siewert 2006)

Zähnen ausgehende Infektionen bezeichnet man als Therapie. Grundsätzlich gelten die generellen Abszess-
odontogen. behandlungsmaßnahmen.
Infektionen im Gesichtsbereich weisen insbeson- 4 Inzision, ggf. auch Osteotomien (Fensterungen, bei
dere 3 Besonderheiten auf: mangelnder Zugänglichkeit)
4 Über die Sinus cavernosus können Infektionen des 4 Drainage, Spülung
Gesichtsbereiches leicht nach zentral verschleppt 4 Antibiotikatherapie (knochenpermeabel z. B. Clin-
werden. Folge: Sinusphlebitis, Meningitis, Enzepha- damycin)
litis, auch Thrombosierung (Sinusthrombose).
4 Hohlräume des Schädels (Nasen-Nebenhöhlen) > Häufigste Osteomyelitis im Kopfbereich ist die odon-
und Logen im Halsbereich begünstigen die Absie- togene Unterkieferosteomyelitis.
delung und Ausbreitung (. Abb. 1.9).
4 Unter Umständen ist der Infektherd schwer zu lo-
kalisieren. 1.3.3 Tumoren im Mund-Kiefer-
Gesichtsbereich
Symptomatik. Es zeigen sich allgemeine lokale und ge-
nerelle Entzündungszeichen, genereller Kopfschmerz/ Im Bereich der MKG-Chirurgie sind große Tumor-
Kopfdruck, Sehstörungen und andere zentrale Auswir- operationen häufig. Ein radikaler Standardeingriff bei
kungen (Bewusstsein, Krämpfe etc.). Malignomen ist neben der lokalen Tumorexzision mit
Sicherheitsabstand die Neck-Dissektion (radikale
Diagnostik. Sonographie, Röntgen, auch Spezialauf- Halslymphknotenausräumunng von Klavikula bis sub-
nahmen (z. B. Zahnaufnahmen). Mikrobiologischer mandibulär). Dabei unterscheidet man:
Abstrich; Labor: Leukozyten, CRP. 4 Neck-Dissektion: Entfernung sämtlicher Hals-
lymphknoten einschließlich M. sternocleidomasto-
38 Kapitel 1 · Chirurgie

ideus, Vv. jugulares; häufig Kombination mit Radio- mente, Infektionen u. a. Zudem besteht eine genetische
1 chemotherapie Disposition.
4 Funktionelle Neck-Dissektion: Erhalt des M. sterno-
cleidomastoideus und der Jugularvenen Epidemiologie. Häufig (1:500 Geburten), Jungen sind
häufiger als Mädchen betroffen (m:w = 3:2).
Alle Arten von primären Knochentumoren können
sich am Schädel manifestieren. Symptomatik. Wegen der Spaltbildung zeigen sich ge-
Basaliom: 7 Kap. Dermatologie, 1.15.3. störte Atmung und Ernährung des Neugeborenen
Speicheldrüsentumoren (Parotis, submandibularis, (Saugakt), Sprechstörung des Kindes und des Erwach-
sublingualis u. a.): 7 Kap. HNO, 3.4.7. senen. Bei Beteiligung von Gaumen kommt es zu Na-
sen- Ohrenerkrankungen (Keimaszension).

1.3.4 Fehlbildungen im Mund-Kiefer- Diagnostik. Blickdiagnose. Sonographisch ab dem 5.


Gesichts-Bereich Schwangerschaftsmonat erkennbar.

Angeborene Fehlbildungen von Auge, Ohr, Hals: 7 Au- Therapie. Indiziert sind folgende chirurgische Maß-
genheilkunde, Kap. 2.2.3; 7 HNO, Kap. 3.7. nahmen (. Abb. 1.10, . Abb. 1.11):
Gesichtsspalten sind extrem selten. Alle Varianten 4 Gaumenspalte: akut: Gaumenplatte zum Ver-
einer Spaltung von Unterkiefer bis hin zur Stirn sind schluss von Mund- und Nasen-Rachraum; später
möglich. Myoplastik
4 Kiefer-Spalte: Spongiosatransplantation (Becken-
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kamm, Mandibula)
Synonym. Cheilognathopalatoschisis; 7 HNO, Kap. 3.3.4. 4 Lippenspalte: Lippenplastik

Definition. Hemmungsfehlbildung infolge gestörter > Logopädie und ggf. psychologische Begleitung sind
Verschmelzung der Gesichtsfortsätze. Stufenlose Bestandteil der Therapie.
Ausprägung mit ein-/beidseitiger Spaltbildung
Oberlippe, Kiefer, des Gaumens. Es kommen auch Die Eingriffe erfolgen meist mehrzeitig; wichtig sind
isolierte Gaumenspalten vor. Die Spaltbildung kann frühe funktionelle Therapien (Gaumenplatte), es schlie-
vollständig (offen) oder gedeckt vorliegen. Oft lie- ßen sich rekonstruktive Eingriffe im Adoleszentenalter
gen begleitende Fehlbildungen vor (Herz, Augen, (Zahnimplantate, Osteotomien u. a.) an.
ZNS).
Prognose. Heute lassen sich dank komplexer, mehrzei-
Ätiopathogenese. Ursachen können auf das Ungebore- tiger Rekonstruktionen hervorragende ästhetische und
ne einwirkende Noxen sein: Nicotin, Alkohol, Medika- funktionelle Ergebnisse erzielen.

. Abb. 1.10a–c. Lippenplastik nach Tennison/Randall. a Auf- erkennbarem Austauschprinzip, c schichtweiser Wundver-
gezeichnete Schnittführung mit dreieckigem Austauschlap- schluss. (Aus Siewert 2006)
pen im lateralen Lippenstumpf, b aufpräparierte Spalte mit
1.4 · Thoraxchirurgie
39 1

. Abb. 1.11a–c. Lippenplastik bei einer doppelseitigen Lip- von lateral gestielten Schleimhautläppchen, c nach schicht-
penspalte nach Veau. a Aufgezeichnete Schnittführung, b weisem Wundverschluss bei einphasigem Vorgehen. (Aus
nach Aufpräparation der beidseitigen Spaltränder Bildung Siewert 2006)

In Kürze

Wichtige Erkrankungen im Bereich Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

Lippen-Kiefer- 4 Symptomatik: gestörte Atmung und Ernährung des Neugeborenen (Saugakt), Sprechstö-
Gaumenspalte rung des Kindes und des Erwachsenen. Nasen- Ohrenerkrankungen (Keimaszension)
4 Diagnostik: Blickdiagnose. Sonographisch ab dem 5. Schwangerschaftsmonat erkennbar
4 Therapie:
– Gaumenspalte: akut: Gaumenplatte zum Verschluss von Mund- und Nasen-Rachraum;
später Myoplastik
– Kiefer-Spalte: Spongiosatransplantation (Beckenkamm, Mandibula)
– Lippenspalte: Lippenplastik
– Logopädie, psychologische Betreuung
– Rekonstruktive Eingriffe im Adoleszentenalter (Zahnimplantate, Osteotomien etc.)

1.4 Thoraxchirurgie 1.4.1 Allgemeines

Anatomie (. Abb. 1.12)


U. Fetzner, K.-J. Paquet
Der Thorax (Brusthöhle) wird nach kranial, ventral
Geschichte der Thoraxchirurgie und dorsal durch die Brustwand (Rippen, Muskulatur)
Die Thoraxchirurgie beinhaltet die Diagnostik und chirur- begrenzt, nach kaudal durch das Diaphragma (Zwerch-
gische Therapie der Thoraxwand, des Mediastinums, fell). Der Thorax beherbergt Trachea, Lungenflügel
der Pleura und der Lunge. Meilensteine der Thoraxchirur- (rechts 3, links 2 Lappen). Das Mediastinum beschreibt
gie waren: Lungenspitzenresektion aufgrund einer Tuber- den Raum zwischen den beiden Pulmones. Der Pleura-
kulose (1884), endotracheale Intubation und Überdruck- raum besteht physiologischerweise aus einem Kapillar-
beatmung (1901), Thorakotomie (1900), Lungenteilresek- spalt zwischen viszeraler (der Lunge anhaftender) und
tion durch Sauerbruch (1912), erste Pneumonektomie parietaler (der Thoraxwand anhaftender) Pleura (Lun-
durch Nissen (1930), Mediastinoskopie (1956), Lungen- gen- bzw. Rippenfell). Hier herrscht atemabhängig Un-
transplantation (1980). Auch in der Thoraxchirurgie halten terdruck.
zunehmend minimalinvasive endoskopische Eingriffe Die Lungensegmente sind die kleinsten resezierba-
Einzug. ren Einheiten der Lunge, mit Segmentarterie, Segment-
vene und Segmentbronchus.
40 Kapitel 1 · Chirurgie

5 Pleuroskopie
1 5 Transkutane Punktion (meist obsolet, da ris-
kant und bedeutungslos)
5 Endoskopische Probethorakotomie bzw. -sko-
pie: diagnostisch, therapeutisch (Video, starr)
5 Offene Probethoraktotomie
5 Mediastinale Phlebographie
5 Pulmonalisangiographie (Lungenembolie!)

! Cave
Die Mediastinoskopie birgt die Gefahr der Verletzung
großer Gefäße, der Speiseröhre und des N. vagus.
. Abb. 1.12.a, b. a Rechte Lunge in der Ansicht von lateral.
Oberlappen: 1 apikales Segment, 2 posteriores Segment, 3
1.4.1.1 Prinzipien der
anteriores Segment; Mittellappen: 4 laterales Segment, 5 me- Lungenresektionsverfahren
diales Segment; Unterlappen: 6 apikales Segment, 8 antero- Für Eingriffe an der Lunge ist die Überdruckbeatmung
basales Segment, 9 laterobasales Segment, 10 posterobasales notwendig. Zugangswege sind:
Segment. b linke Lunge in der Ansicht von lateral. Oberlap- 4 Sternale Thorakotomie
pen: 1 apikales Segment, 2 posteriores Segment, 3 anteriores 4 Laterale Thorakotomie
Segment; Mittellappen: 4 laterales Segment, 5 mediales Seg-
4 Anterolateral Thorakotomie
ment; Unterlappen: 6 apikales Segment, 8 anterobasales Seg-
4 Posterolaterale Thorakotomie
ment, 9 laterobasales Segment, 10 posterobasales Segment.
(Nach Heberer et al. 1991; aus Siewert 2006)
Von großer Bedeutung bei Lungengewebe-resezieren-
den Eingriffen ist die Einschätzung der Funktionsein-
buße (Lungenrestfunktion) und des Operationsrisikos.
Diagnostik Diese ist nach resezierenden Eingriffen geringer oder
Diagnostisch wegweisend sind: gleich (Resektion nicht mehr belüfteter/durchbluteter
4 Anamnese Areale) oder besser als vor der Operation.
4 Klinische Untersuchung Postoperativ muss eine Thoraxdrainage mit Sog
5 Lungenvolumina (Vitalkapazität, forcierte und angelegt werden.
relative Einsekundenkapazität, Residualvolu-
men, funktionelle Residualkapazität, Totalka-
pazität, Atemgrenzwert, Atemwegswiderstand) 1.4.2 Verletzungen
5 Körperlicher Habitus
5 Palpation Lymphknoten (supra- und infrakla- 1.4.2.1 Verletzungen des Thorax
vikulär, axillär, Hals) Ätiopathogenese. Verletzungen des Thorax werden in
4 Technische Untersuchung perforierende Verletzungen (z. B. Stichverletzung,
5 Sonographie (transkutan, transösophageal, Ab- Schuss) und stumpfe Thoraxtraumen (z. B. Anprall/
domen) Gurtläsion bei Verkehrsunfall) unterteilt. Alle Verlet-
5 Sputumzytologie zungen können letztlich in einer Störung der Atem-
5 Perfusionsszintigraphie funktion und damit Oxygenierung münden.
5 Bronchoskopie (Lavage, Punktion, PE auch
transbronchial unter Durchleuchtung) Symptomatik. Hautemphysem, Dyspnoe, Zyanose,
5 Bronchographie (selten) Schock.
5 Röntgen-Thorax
5 Durchleuchtung Diagnostik. An technischen Verfahren kommen arteri-
5 CT, Spiral-CT, 3D-CT elle Blutgasanalyse, Röntgen-Thorax zum Einsatz.
5 MRT
5 Skelettszintigraphie (Metastasen) Therapie. Meist Thoraxdrainage, bei respiratorischer
5 PET Insuffizienz: maschinelle Überdruckbeatmung.
5 Mediastinoskopie (meist obsolet, PE, u. U. ris-
kant)
5 Mediastinotomie: PE, therapeutisch
1.4 · Thoraxchirurgie
41 1
1.4.2.2 Verletzungen der Thoraxwand Diagnostik. Röntgen-Thorax (»Schwärzung«, fehlende
Frakturen Lungengefäßzeichnung).
Am Thorax können folgende Frakturen auftreten:
4 Rippenfrakturen Therapie. Sofortiges Legen einer Thoraxdrainage (z. B.
4 Rippenserienfrakturen 4. ICR; . Abb. 1.13), Soganlage, Analgesie.
4 Sternumfraktur
Hämatothorax
Diagnostik. Konventionelles Röntgen, Sonographie, CT Ätiopathogenese. Bluteintritt in die Pleurahöhle
bei Verdacht auf Begleitverletzungen und bei komple- (A. thoracica interna, Interkostalarterien, Lungenver-
xen Verletzungsmustern. letzung), z. B. infolge Messerstich, Rippenfraktur
u. v. a.
Therapie. Meist konservativ (Analgesie). Ggf. Drainage
bei Pneumothorax. Selten ist eine operative Osteosyn- Symptomatik. Gedämpfter Klopfschall.
these indiziert (z. B. bei instabilem Thorax, Sternum-
fraktur). Diagnostik. Röntgen-Thorax (»weiße« Thoraxhemis-
phäre), Sonographie, CT.
Pneumothorax
Definition/Ätiopathogenese. Lufteintritt in die Pleura- Therapie. Drainage, Bei hämodynamischer Instabilität
höhle, Verlust des Unterdruckes und der Lungenadhä- ggf. Thorakotomie.
sion. Mögliche Ursachen sind:
4 Spontan (z. B. Alveolenriss) 1.4.2.3 Verletzungen der Thoraxorgane
4 Iatrogen (z. B. Komplikation bei ZVK-Anlage) Lungenverletzungen
4 Traumatisch (Rippenfraktur, Stich) Mögliche Verletzungen der Lungen sind:
4 Sonderform Spannungspneumothorax: Durch 4 Lungenkontusion (Quetschung)
Ventilmechanismus kommt es zum Druckaufbau, 4 Lungenriss
Mediastinalverlagerung und Einflussstauung.
Ätiopathogenese. Stumpfes oder penetrierendes Tho-
Symptomatik. Aufgehobenes Atemgeräusch, hyperso- raxtrauma (Stich, Rippenfragmente, Barotrauma, iatro-
norer Klopfschall. Beim Spannungspneumothorax gen bei Heimlich-Manöver).
kann es zu Arrhythmien, Hypotonie, Schock (kardio-
gen durch Füllungs- und Auswurfhindernis des Her- Symptomatik. Dyspnoe, Zyanose, Thoraxschmerz,
zens) kommen. Schock.

. Abb. 1.13a, b. Thoraxdrai-


nage, 4. ICR vordere Axillalinie.
(Aus Siewert 2006) (7 Farb-
tafelteil)

a b
42 Kapitel 1 · Chirurgie

Diagnostik. Konventionelles Röntgen, Sonographie, CT. gen. Mögliche Komplikationen umfassen Infektionen,
1 Pneumothorax, Verletzung parenchymatöser Organe (Milz,
Therapie. Eine Operation ist nur bei schwerer Läsion Leber, Niere), Blutung.
indiziert: Thorakotomie, Übernähung des Risses.
Pleuraempyem (Pyothorax)
Bronchusriss Definition/Ätiopathogenese. Eiteransammlung (eitri-
Ätiopathogenese. Stumpfes Thoraxtrauma mit schwe- ger Erguss) im Pleuraraum durch Durchbruch von der
rem Trauma (Verkehrsunfall mit hoher Dezeleration, Lunge/Bronchialbaum, hämatogene Verschleppung,
Sturz aus großer Höhe) mit inkompletter, kompletter Keimeintritt von außen, Übergreifen einer Mediastini-
Ruptur. tis. Durchbruch nach außen (pleurokutan) oder innen
(pleurobronchial)
Symptomatik. Mediastinalemphysem, Spannungs- 4 Spezifisch: z. B. Tuberkulose
pneumothorax. 4 Unspezifisch: Komplikation von Lungenerkran-
kungen, Abdominalerkrankungen
Diagnostik. Konventionelles Röntgen, Sonographie, CT.
Symptomatik. Dyspnoe, Fieber, Thoraxschmerz, bis zu
Therapie. Je nach Ort der Läsion (Hauptbronchus) sind hoch septischem Krankheitsbild.
folgende Verfahren indiziert: Thoraxdrainage, Über-
druckbeatmung des unversehrten Hauptbronchus (Dop- Diagnostik. Röntgen-Thorax, Sonographie, Laborkon-
pellumenintubation), Operation (Anastomosierung). trolle, CT, MRT, Punktion.

Verletzungen von Herz, Ösophagus, thorakaler Therapie. Zieldrainage (gezielt bei gekammerten Abs-
Aorta zessen, ansonsten s. oben), Spülung (NaCl), systemische
7 Kap. 1.5 und 1.6. Antibiose, Atemtherapie, Behandlung der Grunder-
krankung, proteinreiche Kost, ggf. Thorakoskopie oder
-tomie (Dekortikation, Fistelverschluss) bei Therapie-
1.4.3 Erkrankungen der Pleura versagen.

Pleuraerguss Tumoren der Pleura


Definition/Ätiopathogenese. Seröse Flüssigkeitsan- Primäre Pleuratumoren sind selten. Als anerkannte Be-
sammlung im Pleuraspalt. Dafür gibt es viele Ursachen: rufskrankheit bei beruflichem Umgang mit Asbest gilt
kardiovaskuläre, pulmonale, septische Erkrankungen, das Pleuramesotheliom; infauste Prognose.
bei Peritonitis, bei Leberzirrhose, Niereninsuffizienz, Sekundäre Absiedelungen treten auf bei Mamma-,
Tumorleiden. Bronchial- und anderen Karzinomen. Die Prognose ist
abhängig vom Grundtumorleiden, i. d. R. infaust. The-
Symptomatik. Dyspnoe, Flankenschmerz. rapie: Pleurodese.

Diagnostik. Röntgen-Thorax, Sonographie, CT.


1.4.4 Erkrankungen des Mediastinums
Therapie. Punktion (ultraschallgesteuert), Drainage.
Rezidivierend Pleurodese mittels Talkum/Antibioti- Mediastinalemphysem
kum-Instillation. Definition. Pathologische Luftansammlung im Media-
stinum.
Pleurapunktion
Die Pleurapunktion dient diagnostischen (Zellgewinnung) Ätiopathogenese. Bronchusabriss, Ösophagusruptur
und/oder therapeutisch (Erguss, Pneumothorax) Zwecken. u. v. a. verursachen den Lufteintritt. Durch Druckauf-
Zuvor sind nötig: Sonographie, Laborkontrolle (Quick, bau kommt es zur Kompression des Herzens (Herztam-
Thrombozyten). ponade) und der Trachea (Dyspnoe).
Durchführung: Ggf. Lokalanästhesie, Zugang 4./5. ICR
in mittlerer Axillarebene rechts/links (Bülau), seltener 2./3. Symptomatik. Dyspnoe, Thoraxschmerz, Zyanose,
ICR medioklavikulär (Monaldi), dorsaler Zugang möglich. Schock.
Nach Punktion muss eine Röntgen-Thoraxkontrolle erfol-
6 Diagnostik. Thoraxröntgen, CT.
1.4 · Thoraxchirurgie
43 1

Therapie. Thoraxdrainage, Mediastinoskopie. Thora- Schilddrüse und Speiseröhre


kotomie. 7 Kap. 1.7.

Entzündungen (Mediastinitis)
Definition/Ätiopathogenese. Entzündung (meist bak- 1.4.5 Maligno me und Metastasen
teriell, purulent) des Mediastinums. Zur akuten Media-
stinitis kann es z. B. bei Ösophagusverletzung (meist Bronchialkarzinom (. Abb. 1.14)
iatrogen) kommen, begleitend bei Hohlorganperforati- Definition/Ätiopathogenese. Maligne Neoplasie vom
on (z. B. Trachea), Fortleitung (meist von kranial der Bronchialepithel ausgehend. Zigarettenraucher bis zu
Hals-Kiefer-Rachenregion), direkte Ausbreitung aus 100-fach erhöhtes Risiko, an Bronchialkarzinom zu
dem Thorax (Lunge, Pleura, Wirbelsäule, Perikard, Ster- erkranken. Prävention besteht v. a. im Verzicht auf
num, Lymphknoten, iatrogen nach Thoraxeingriffen). Nikotinabusus. Grob unterscheidet man histologisch
den kleinzelligen und den nicht kleinzelligen Tumor
! Cave (. Tab. 1.11).
Mediastinitis: Gefahr der Sepsis! 4 Kleinzelliges Karzinom
4 Plattenepithelkarzinom
Symptomatik. Starker Thoraxschmerz, retrosternaler 4 Großzelliges Karzinom
Schmerz, Dyspnoe, Mediastinalemphysem, Fieber, Sep- 4 Adenosquamöses Karzinom u. v. a.
sis, Schock.
Epidemiologie. Weltweit häufigster maligner Tumor
Diagnostik. Thoraxröntgen (Mediastinalverbreiterung, des Mannes (3:1), Inzidenz ca. 60/100.000 Einwohner/
Empysem), CT, ggf. Gastrografinschluck bei Verdacht Jahr.
auf Ösophagusperforation.

Therapie. Drainage (transjugulär, Thorakotomie), sys-


temische hochdosierte Antibiose, kausale Behandlung
(z. B. Ösophagusversorgung z. B. Naht u. v. a.), ggf.
Spülbehandlung. Hoch letales Krankheitsbild (bis zu
50%).

Tumoren des Mediastinums


Ätiopathogenese. Eine Vielzahl von morphologisch
und histogenetisch verschiedenen Tumoren kann das
Mediastinum befallen: Thymustumoren, Neurogene
Tumoren, Keimzelltumoren, Lymphome.

Symptomatik. Symptome treten erst bei fortgeschritte- a


nem Tumor durch Kompression/Infiltration von Gefä-
ßen/Nerven/Ösophagus/Trachea auf:
4 Obere Einflussstauung
4 Dysphagie
4 Dyspnoe
4 Dysphonie
4 Horner-Syndrom
4 Neurologische Ausfälle der oberen Extremität

Diagnostik. Röntgen, CT, MRT.

Therapie. Sternotomie, anterolateraler, dorsolateraler


Zugang: Radikale Resektion als primär anzustrebendes
b
Verfahren (insbesondere bei primären Tumoren und
Keimzelltumoren). Ggf. Chemotherapie/Radiatio (ins- . Abb. 1.14. CT-Thorax: Bronchialkarzinom, T4 mit Infiltrati-
besondere bei malignen Lymphome). on der Trachealbifurkation. (Aus Siewert 2006)
44 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.11. Nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom TNM-Status und Stadieneinteilung nach UICC

T-Status N-Status M-Status Stadiengruppierung

4 Tis: Carcinoma in situ 4 N0: keine Lymphknoten- 4 M0: kein 4 Stadium 0: Tis
4 T1: Tumor ≤3 cm, Pleura in- metastasen (mindestens Hinweis für 4 Stadium Ia: T1,N0,M0
takt 10 entnommene Lymph- Metastasie- 4 Stadium Ib: T2,N0,M0
4 T2: Tumor >3 cm, Infiltration knoten) rung 4 Stadium IIa: T1,N1,M0
viszeraler Pleura. Abstand 4 N1: Infiltration regionärer 4 M1: Metas- 4 Stadium IIb: T2,N1,M0
zur Trachealbifurkation min- Lymphknoten (intrapul- tasen in Ske- oder T3,N0,M0
destens 2 cm monal, segmental, hilär) lett, Leber, 4 Stadium IIIa: T3,N1,M0
4 T3: Tumor Infiltriert Thorax- 4 N2: ipsilaterale mediasti- Gehirn und oder T1–3,N2,M0
wand, mediastinale Pleura, nale Lymphknoteninfilt- anderen Or- 4 Stadium IIIb: T1–
Perikard, Diaphragma, Tumor ration gane 3,N3,M0 oder T4,
in enger Nachbarschaft zur 4 N3: kontralaterale N0–3,M0
Trachealbifurkation mediastinale Lymph- 4 Stadium IV: T1–3,
4 T4: Tumor infiltriert Nachbar- knoteninfiltration, N0–3,M1
organe, Mediastinum, Malig- supraklavikuläre Lymph-
ne Zellen in Pleurapunktat knoteninfiltration

Symptomatik. Dyspnoe, Bluthusten, B-Symptomatik, astinale Lymphadenektomie ggf. En-bloc-Mitnahme


Horner-Syndrom. von Nachbarstrukturen (Herzvorhof, Diaphragma,
Thoraxwand). Adjuvante Chemotherapie nach Proto-
Diagnostik. Diagnostisch wichtig sind: kollen (z. B. Platinpräparate in Kombination mit vielen
4 Klinisch (Habitus, Palpation der Lymphknoten, anderen Chemotherapeutika). Neoadjuvante Chemo-
Auskultation) therapie ist Gegenstand intensiver Forschung.
4 Sonographie (Lebermetastasen) Einzelne Studien heben den Vorteil einer postope-
4 Bronchoskopie rativen Bestrahlung hervor.
4 Röntgen-Thorax Palliative Therapiemethoden sind z. B. Beseitigung
4 CT einer Bronchusverlegung (Bronchoskopie), Blutung
4 PET (Bronchoskopie, Thorakoskopie u. a.), Chemotherapie.
4 Szintigraphie (Knochenmetastasen)
4 Mediastinoskopie Prognose. Die Operationsletalität liegt je nach Schwere
des Eingriffes bis zu 10%. Die 5-Jahres-Überlebensrate
! Cave beträgt:
Über die Hälfte aller Rundherde, die sich radiologisch 4 Stadium I: 80%
finden lassen, sind Bronchialkarzinome (Malignome 4 Stadium II: bis zu 50%
vom Bronchialbaum ausgehend). 4 Stadium IIIa: bis zu 20%
4 Stadium IV: infaust
Therapie. Für die Therapieentscheidung wichtig sind
Histologie (sofern vorhanden) einschließlich Differen- Nachsorge. Die Nachsorge erfolgt gemäß Richtlinien:
zierungsgrad, Lokalisation und Staging wichtig. Zudem klinisch, konventionelles Röntgen und CT im Intervall.
ist die postoperative Lungenfunktion einzuschätzen.
Lungenmetastasen (. Abb. 1.15)
! Nötig ist die Resektion aller Rundherde, da es sich Lungenmetastasenchirurgie ist sinnvoll, wenn:
meist um Malignome handelt, und benigne Tumoren 4 eine R0-Resektion technisch möglich und verträg-
zudem entarten können. lich ist,
4 sich der Primärtumor kontrollieren lässt (R0-Re-
Nur die radikale Resektion bietet Chance auf Kuration. sektion),
Kurative Resektionsrate ca. 20–25%. 4 ausschließlich Lungenmetastasen vorliegen.
Mögliche operative Verfahren sind radikale Re-
sektion, Lobektomie, Bilobektomie, Pneumonektomie, ! Benigne und maligne primäre Lungentumoren sind
ipsilaterale Lymphknotenstationen ggf. radikale medi- selten.
1.4 · Thoraxchirurgie
45 1

(mangelhafte Oxygenierung, Schwäche, gehäufte Lun-


geninfekte) auf.
Bei angeborenen Missbildungen ist ggf. eine Lun-
genresektion notwendig (z. B. Resektion von Blindsack
bei Lungenhypoplasie und rezidivierenden Infekten,
z. B. Zystenentfernung bei solitären, multiplen Zysten
durch Zystektomie, Segmentresektion, Lobektomie,
Emphysembehandlung durch Segmentektomie (Lob-
ektomie, Resektion von Lungengefäß/Bronchialfehlbil-
dungen durch Resektion des betreffenden Abschnittes,
ggf. Fistelexzision).

1.4.7 Weitere Indikationen zur


Thoraxchirurgie

Thoraxchirurgische Verfahren kommen zudem bei fol-


genden Indikationen zum Einsatz:
. Abb. 1.15. Diffuse beidseitige Metastasierung in die Lun-
4 Lungensequester; Lungenparenchyminsel mit An-
gen bei Hodenteratom (nach Enukleation und abdomineller
Lymphadenektomie). (Aus Siewert 2006) schluss an die systemische arterielle Versorgung
(Aorta); Therapie: Resektion)
4 Bronchiektasen, Nekrosen und Karnifizierungen,
1.4.6 Angeborene Erkrankungen der Lunge Abszesse, Kavernen, Tuberkuloseherde
4 Schwere Mukoviszidoseherde können eine Resek-
Angeborene Lungenerkrankungen fallen direkt nach tion der betroffenen Abschnitte erfordern.
Geburt (Atemnotsyndrom), im frühen Kindesalter 4 Lungenembolie (Fazit, 7 Kap. Innere Medizin, 3.5.2)

In Kürze

Thoraxchirurgie

Rippenfraktur 4 Diagnostik: Röntgen, Sonographie, CT bei Verdacht auf Begleitverletzungen


4 Therapie: meist konservativ: Analgesie, Atemgymnastik. Operativ nur bei Störungen
der Atemmechanik (instabiler Thorax); bei paradoxer Atmung (Inversion). Ggf. Intu-
bation, Thoraxdrainage, Osteosynthese, Thorakoskopie

Sternumfraktur 4 Diagnostik: Röntgen


4 Therapie: meist konservativ. Bei instabilem Thorax Osteosynthese

Pneumothorax 4 Diagnostik: klinisch (Fehlen Atemgeräusch, hypersonorer Klopfschall, Dyspnoe, Zya-


nose); Röntgen-Thorax
4 Therapie: kleinere Luftansammlungen resorbiert der Körper selbst (Mantelpneumo-
thorax). Sofortige Entlastung bei Spannungspneumothorax. Punktion (Bülau, Monal-
di), Drainage und/oder endotracheale Intubation und Überdruckbeatmung. Thorako-
skopie, Thorakotomie. Intensivtherapie bei respiratorischer Insuffizient, Störungen
der Hämodynamik. Analgesie, O2-Gabe

Pyothorax, 4 Diagnostik: laborchemisch, klinisch, röntgenologisch, Sonographie


Pleuraempyem 4 Therapie: systemische Antibiose. Punktion, Drainage, ggf. Spülbehandlung. Seltener
Thorakoskopie, noch seltener Thorakotomie
6
46 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Mediastinitis 4 Diagnostik: Anamnese, Röntgen, CT, Bakteriologie


4 Therapie: systemische Antibiose, chirurgische Sanierung des Entzündungsherdes,
kausale Therapie, Drainage

Bronchialkarzinom 4 Symptomatik: Dyspnoe, Hämoptoe, Husten, Schmerz. Epilepsie (Hirnmetastasen),


Knochenschmerz (Skelettmetastasen). B-Symptomatik
4 Diagnostik: CT, Bronchoskopie, PET
4 Therapie: Lobektomie, Pneumektomie, radikal unter Mitnahme regionärer, mediasti-
naler Lymphknoten. Ggf. neoadjuvante, adjuvante Radiochemotherapie

Lungenmetastasen 4 Symptomatik: Dyspnoe, Hämoptoe, B-Symptome, Symptome des Primärtumors. Ge-


häufte respiratorische Infekte
4 Diagnostik: Röntgen, CT, MRT
4 Therapie: Resektion. Präoperative Beurteilung der postoperativen Lungenfunktion

Pleuramesotheliom 4 Diagnostik: Röntgen, Thorakoskopie, MRT, Szintigraphie, PET


4 Therapie: Resektion im Frühstadium. Sonst Chemotherapie, Bestrahlung. Fortge-
schritten infauste Prognose. Pleurodese (Talkum, Tetrazykline)

Lungenembolie 4 Diagnostik: klinisch (z. B. Schwellung der unteren Extremität, Dyspnoe), laborche-
misch (D-Dimere), CT, Angiographie, Sonographie, MRT-Angiographie, Angio-CT
4 Therapie: Antikoagulation, Fibrinolyse, Embolektomie als Ultima Ratio, Cava-Schirm
bei rezidivierenden Lungenembolien. O2-Gabe, Intensivtherapie

1.5 Herzchirurgie Grundsätzlich unterscheidet man Eingriffe am eröffne-


ten »offenen« und am geschlossenen Herzen.
K.-J. Paquet, U. Fetzner Extrakorporale Zirkulation
Vollständiges oder partielles »Ausschalten« des Her-
1.5.1 Grundlagen der Herzchirurgie zens als zentrale »Pumpe« aus dem Kreislauf und tem-
poräre Übernahme dieser Funktion und der Funktion
Bedeutung der Herzchirurgie der Lunge durch die sog. Herz-Lungen-Maschine
Geburtsstunde der modernen Herzchirurgie (Klappen- (HLM) im sog. extrakorporalen Kreislauf bezeichnet
ersatz, Korrektur von Septumdefekten) war die Einfüh- man als extrakorporale Zirkulation (. Abb. 1.16). Tech-
rung der sog. »Herz-Lungen-Maschine« (extrakorpora- nisch wird dies realisiert durch Kanülierung z. B. des
le Zirkulation) durch J. Gibbon im Jahre 1953. Große rechten Vorhofes und der Aorta. Über ein Leitungssys-
weltweite Aufmerksamkeit erlangte im Jahre 1967 die tem mit Pumpen (Heparinisierung) wird schließlich
erste Herztransplantation durch Christiaan Barnard ein sog. Oxygenator eingeschaltet, hier findet der arti-
(1922–2001) aus Kapstadt (Südafrika). fizielle Austausch von CO2 gegen O2 statt, ebenso die
Bei den Operationsindikationen am Herzen steht Thermoregulation.
insbesondere die Bypass-Versorgung der Koronararte- Gleichzeitig werden – um die Stoffwechselaktivität
rien bei koronarer Herzkrankheit (KHK) im Vorder- des nicht perfundierten Herzens zu drosseln – die Ko-
grund. Der Klappenersatz (Mitral-, Aortenklappe) ist ronarien des ausgeschalteten Herzens mit kalter (4–
heute minimalinvasiv möglich. Breite Überlappungen 10°C) kardioplegischer (hyperkaliämisch) Lösung
zur Kinderchirurgie bestehen bei der Korrektur angebo- durchströmt, ggf. wird das Myokard durch weitere
rener Fehlbildungen (z. B. persistierender Ductus Bo- Maßnahmen auf ca. 10°C abgekühlt (Hypothermie). So
talli). Verletzungen des Herzens sind insgesamt selten. werden Operationen am Herzen und der herznahen
Die Herztransplantation ist das Verfahren der Wahl bei Gefäße für einige Stunden möglich.
zunehmender und therapieresistenter Herzinsuffizienz.
1.5 · Herzchirurgie
47 1

. Abb. 1.16. Extrakorporaler Kreis-


lauf: Das venöse Blut fließt aus den
Hohlvenen in ein Reservoir. Von hier
wird es mit einer Roller- oder Zentri-
fugalpumpe durch den Oxygenator,
den Wärmetauscher und einen
Filter zurück in die Aorta befördert.
(Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil)

1.5.2 Erkrankungen der Herzklappen Der operative Zugang erfolgt per medianer Sternoto-
mie. Herz-Lungen-Maschine (rechter Vorhof zu Aorta
7 Innere Medizin, Kap. 1.10. ascendens), kardiopulmonaler Bypass, milde Hypo-
thermie (30°C) mit kardioplegischer Lösung.
! Minimalinvasive Aorten- und Mitralklappenchirurgie Nach Herzklappenoperationen ist zu sorgen für:
ist auf dem Vormarsch. 4 Antikoagulanzien 3 Monate nach Operation bei
Bioprothesen, lebenslang bei künstlichen Prothe-
Bei Herzklappenfehlern handelt es sich um angeborene sen
oder erworbene Dysfunktion einer oder mehrerer 4 Endokarditisprophylaxe (antibiotisch, eingriffsab-
Herzklappen bzw. des Klappenhalteapparates. Man un- hängig)
terscheidet: 4 Verlaufsuntersuchungen (klinisch, EKG, Sonogra-
4 Stenose: Verengung phie)
4 Insuffizienz: Schlussunfähigkeit 4 Herzklappenausweis

Chirurgische Behandlungsnotwendigkeit ergibt sich 1.5.2.1 Erkrankungen der Aortenklappe


bei folgenden Symptomen: 7 Innere Medizin, Kap. 1.10.
4 Angina pectoris Erworbene Ursachen sind:
4 Dyspnoe 4 Degeneration
4 Arrhythmien 4 Entzündung
4 Synkopen
Eine Operationsindikation ergibt sich aus klinischer
Bei der Operation unterscheidet man (Klappenchirur- Symptomatik: Dyspnoe, Angina pectoris, Arrhythmien,
gie): Synkopen, Ergebnissen technisch-hämodynamischer
4 Rekonstruktion Diagnostik (Reflux, Abnahme der Ejektionsfraktion
4 Ersatz unter 55% der Norm) etc. Nach Ausschöpfung medika-
4 Valvuloplastie mentöser Maßnahmen kann die Indikation zur Opera-
tion gestellt werden.
Bezüglich der Prothesen unterscheidet man:
4 Alloprothesen aus Kunststoff (Doppelflügel, Kipp- Aorteninsuffizienz
deckel, Kippscheiben, Ballklappen) Definition. Schlussunfähigkeit der Aortenklappe meist
4 Xenogene Bioprothesen (Schwein, Rind) aufgrund Fibrosierung, Schrumpfung der Klappense-
4 Allogene Prothese (Leichenspende, kryokonserviert) gel, Erweiterung des Aortenklappenringes.
48 Kapitel 1 · Chirurgie

Symptomatik. Belastungsdyspnoe, Asthma cardiale. kels, bei akuter Dekompensation kann Lungenödem
1 entstehen.
Diagnostik. Echokardiographie, Angiographie, Herz-
katheterisierung. Symptomatik. Lange asymptomatisch, dann Dyspnoe,
Palpitationen, Asthma cardiale.
Therapie. Indikation zum Klappenersatz ergibt sich je
nach Symptomen und Einschränkung der linksventri- Diagnostik. Klinisch zeigt sich ein systolisches Decre-
kulären Funktion. Selten ist eine Rekonstruktion sinn- scendo über der Herzspitze, fortgeleitet in die linke
voll/möglich. Axilla. Die technische Diagnostik ergibt: p-Mitrale, oft
Vorhofflimmern. Röntgen-Thorax: mitralkonfigu-
Aortenstenose riertes Herz, Pulmonalstauung. Goldstandard ist die
Definition/Ätiopathogenese. Verengung aufgrund Dopplerechokardiographie.
Verkalkung, Fibrosierung.
Therapie. Die Indikation zur Operation ist gegeben ab
Symptomatik. Angina pectoris, Schwindel, Belastungs- NYHA Grad II, bei beschwerdefreien Patienten auch
dyspnoe. bei Vorliegen einer linksventrikulären Auswurffraktion
<55%. Es erfolgen Rekonstruktion (Anuloraphie, Plika-
Diagnostik. Auskultatorisch findet sich ein Systolikum; tur, Raffung, . Abb. 1.17) oder (meist) Ersatz, bei akuter
Echokardiographie, Angiographie. Dekompensation ggf. notfallmäßig.

Therapie. Eine Indikation zur Operation ergibt sich je


nach Symptomatik; bei schwerer Stenose auch ohne
Symptome. Liegt die Klappenöffnungsfläche <0,75
cm2/m2 KOF und auch bei Druckgradienten >50 mmHg
ist ebenfalls ein chirurgisches Vorgehen angezeigt. Sel-
ten sind Kommissurotomie, Klappenentkalkung mög-
lich/sinnvoll. Die Ballondilatation ist risikoreich und
selten von dauerhaftem Benefit. Indiziert ist daher
meist der Aortenklappenersatz.

1.5.2.2 Erkrankungen der Mitralklappe


Mitralstenose
Definition/Ätiopathogenese. Eine Mitralstenose, also
Verengung, findet sich isoliert nur selten. Meist ist sie
durch Fibrosierung der Klappensegel bedingt.

Symptomatik. Gedeihstörung, Dyspnoe, Herzinsuffizi-


enz.

Diagnostik. Diastolikum, Echokardiographie.

Therapie. Indikation zur Operation besteht bei einer


Klappenöffnungsfläche <1 cm2/m2 KOF und entspre-
. Abb. 1.17a–c. Mitralinsuffizienz aufgrund einer Segelelon-
chender Klinik, auch bei arteriellen Embolien. Ange-
gation, a mit konsekutivem Abriss der zentralen Sehnenflä-
zeigt ist der Versuch einer geschlossenen Kommissuro-
chen des posterioren Segels. b Der zentrale Anteil des posteri-
tomie (Ballonvalvuloplastie) oder offenen Kommissu- oren Segels wird reseziert und die Resektionsränder unter
rotomie, sonst der Herzklappenersatz. Verkürzung des Klappenrings wieder adaptiert. c Die Rekon-
struktion wird durch Implantation einer Ringprothese vervoll-
Mitralinsuffizienz ständigt (Anuloraphie). (Aus Siewert 2006)
Definition/Ätiopathogenese. Reflux (Regurgitation)
von Blut des linken Ventrikels in den linken Vorhof
während der Systole durch Klappenschwäche. Auf
Dauer entwickelt sich eine Dilatation des linken Ventri-
1.5 · Herzchirurgie
49 1

In Kürze

Chirurgische Therapie von Herzklappenerkrankungen

Erkrankung Therapie

Aorteninsuffizienz Selten Rekonstruktion sinnvoll/möglich. Aortenklappenersatz

Aortenstenose Selten Kommissurotomie, Klappenentkalkung möglich/sinnvoll. Ballondilatation


risikoreich und selten von dauerhaftem Benefit. Aortenklappenersatz

Mitralinsuffizienz Primär Versuch der Mitralrekonstruktion (Anuloraphie, Plikatur, Raffung). Bei Er-
folglosigkeit Mitralklappenersatz

Mitralstenose Primär Versuch der Mitralrekonstruktion. Geschlossene Kommissurotomie (Bal-


lonvalvuloplastie), offene Kommissurotomie. Bei Erfolglosigkeit Klappenersatz

1.5.3 Angeborene Fehlbildungen und großen Gefäßen: Ursprung der Aorta aus dem
des Herzens rechten Ventrikel, Ursprung der Pulmonalarterie
aus dem linken Ventrikel. Mit dem Leben ist dies nur
7 Pädiatrie, Kap. 2.16.3. vereinbar bei gleichzeitig bestehenden Septumdefek-
ten, die die hämodynamischen Auswirkungen abmil-
1.5.3.1 Persistierender Fetalkreislauf dern.
(Ductus arteriosus apertus, offener
Ductus Botalli) Symptomatik. Zyanose, Hypoxie bei Geburt.
Definition/Ätiopathogenese. Mangelnder Verschluss
der intrauterin physiologischen Verbindung zwischen Diagnostik. Auskultation, EKG, Röntgen, Echokardio-
Aorta und Pulmonalarterie. Bei offen bleibendem Duc- graphie, Herzkatheteruntersuchung, Angiographie.
tus Botalli besteht ein Links-Rechts-Shunt mit pulmo-
nalem Hochdruck. Therapie. Palliativmaßnahme: Foramen-ovale-Erwei-
terung (Ballonseptostomie nach Rashkind) unter Of-
Symptomatik. Atemnot, Herzinsuffizienzzeichen. fenhalten des Ductus arteriosus durch Prostaglandin,
um die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. An ope-
Diagnostik. Die Auskultation ergibt ein »Maschinenge- rativen Korrektureingriffen sind arterieller Switch mit
räusch«; Organversagen insbesondere der Niere (Anu- Umpflanzung der Koronarien in den ersten Lebenswo-
rie); es besteht grundsätzlich die Gefahr der Organmin- chen, Verschluss eines ggf. vorliegenden Ventrikelsep-
derperfusion. tumdefektes. Atrialer Switch: Operative Umkehr der
venösen Zuflüsse auf Vorhofebene (Methode nach
Diagnostik. Auskultation, Echokardiographie, MRT. Mustard, Senning) indiziert. Zur Präzisierung dieser
hochkomplexen Operationsverfahren sei auf Spezialli-
Therapie. Bei hämodynamisch wenig wirksamen Shunts teratur verwiesen.
kann man zuwarten; in manchen Fällen erfolgt ein spon-
taner Verschluss beim reifen Neugeborenen. Ibuprofen- 1.5.3.3 Septumdefekte
oder Indometacingabe (Prostaglandininhibitor) kann den 7 Pädiatrie, Kap. 2.16.3.
Verschluss fördern. Falls dies erfolglos ist, ist die Ligatur
und Durchtrennen des Ductus Botalli bei lateraler Thora- Vorhofseptumdefekt
kotomie indiziert. Interventionelles Coiling (Verschluss Definition/Ätiopathogenese. Angeborener atrialer
des Ductus durch eine Metallspirale) ist in Erprobung. Septumdefekt oder Sinus-venosus-Defekt. Klinisches
Auftreten oder erst im Erwachsenenalter. In Abhängig-
1.5.3.2 Transposition großer Gefäße keit von der Größe besteht ein chronischer Links-
Definition/Ätiopathogenese. Fehlmündung (»ventri- Rechts-Shunt. Auf Dauer kann sich eine Rechtsherzin-
kuloarterielle Diskordanz«; angeboren) von Ventrikeln suffizienz entwickeln.
50 Kapitel 1 · Chirurgie

Symptomatik. Säuglinge/Kleinkinder sind meist Epidemiologie. Ca. 10% aller angeborenen Herz- und
1 asymptomatisch oder etwas leistungsschwach. Die Di- Gefäßmissbildungen. Präferenz des männlichen Ge-
agnose wird oft erst wegen des Herzgeräuschs oder re- schlechts.
zidivierender Atemwegsinfekte bei Schulkindern ge-
stellt. Symptomatik. Es bestehen Minderperfusion der unte-
ren Körperhälfte; Bluthochdruck der oberen Extremi-
Diagnostik. Auskultation (Systolikum über der A. pul- täten, Unterversorgung der Nieren. Weiterhin zeigen
monalis), Echokardiographie (Shunt-Fluss). sich Herzinsuffizienzzeichen.

Therapie. Indiziert ist – je nach Ausmaß der hämody- Diagnostik. Kein Leistenpuls, Systolikum. Röntgenthorax:
namischen Folgen und der Klinik – der Verschluss per Rippenusuren (Kollateralkreisläufe), Linksherzverbreite-
Katheter (interventionell) oder operativ: Naht, »Peri- rung. Angiographie, MRT-Angiographie, MRT, CT.
kardflicken« oder Dacronpatch.
Therapie. Korrektur durch Resektion des stenotischen
Ventrikelseptumdefekt Abschnitts und End-zu-End-Anastomose, oder Gefäß-
Definition/Ätiopathogenese. Angeborener Defekt in prothese oder Isthmus-Plastik, A.-subclavia-Umkehr-
der Herzkammer-Scheidewand von mm bis cm Größe. plastik.
Dieser führt nach der Geburt zu einem Links-Rechts-
Shunt sowie pulmonaler Hypertonie ! Cave
Risikoreiche Operation! Letalität 1–3%, Gefahr der
Epidemiologie. Häufigste angeborene Fehlbildung des postoperativen Paraplegie (Abgänge der rücken-
Herzens, etwa 1/3 aller angeborenen Herzfehlbildun- markversorgenden Arterien).
gen.
Prognose. Gut bei rechtzeitiger Korrektur.
Diagnostik. Klinisch Dyspnoe, Infektanfälligkeit, Ge-
deihstörung, Voussure (»Herzbuckel«), Zyanose. Systo- 1.5.3.5 Lungenvenenfehleinmündungen
likum, Zeichen der pulmonalen Hypertension. Die Definition. Mündung der Pulmonalvenen in den rech-
Echokardiographie erlaubt Aussage zu Größe und Lage ten Vorhof (partiell oder vollständig). Mit dem Leben
des Defektes, Angiokardiographie. nur bei gleichzeitigem Vorliegen eines Septumdefektes
vereinbar.
Therapie. Indiziert ist der Verschluss mit Dacron unter
Schonung des Erregungsmyokards. Kleinere Defekte Symptomatik. Es zeigen sich:
ggf. auch interventionell. 4 Dyspnoe
4 Trinkschwäche
! Cave 4 Gedeihstörung
Die Operation muss vor Auftreten der Eisenmenger- 4 Neigung zu bronchopulmonalen Infekten
Reaktion (Hypoxie und zentrale Zyanose infolge einer 4 Zyanose
Shunt-Umkehr (nun von rechts nach links) durch den 4 Abgeschwächtes Herzgeräusch
erhöhten pulmonalen Druck) erfolgen.
Diagnostik. EKG, Röntgen (»schlankes Herz« durch
1.5.3.4 Aortenisthmusstenose Hypoplasie des linken Herzens), Echokardiographie.
Definition. Verengung des Aortenisthmus. Kombinati-
on nicht selten mit anderen Fehlbildungen des Her- Therapie. Operative Korrektur über mediane Sternoto-
zens. mie.

Ätiopathogenese. Entwicklungsstörung, vermutet wird ! Cave


eine Kontraktion und anschließende Fibrosierung des Hohe Letalität des Eingriffs: ca. 10%. Allerdings ver-
betroffenen Abschnittes. sterben 80% Patienten ohne Operation im ersten Le-
bensjahr.
1.5 · Herzchirurgie
51 1

In Kürze

Angeborene Herzfehlern

Offener Ductus 4 Symptomatik: Herzinsuffizienzsymptome: Dyspnoe


Botalli 4 Diagnostik: Auskultation (Maschinengeräusch), Dopplerechokardiographie
4 Therapie: Versuch des medikamentösen Verschlusses (Prostaglandinsynthesehem-
mer), interventionell (Coiling), operative Ligatur (offen, minimalinvasiv)

Transposition großer 4 Symptomatik: Zyanose nach Geburt


Gefäße 4 Diagnostik: Auskultation, EKG, Röntgen
4 Therapie: medikamentöse Vorbereitung mit Prostaglandin. Arterial- und (seltener) at-
riale Switch-Operation

Vorhofseptumdefekt 4 Symptomatik: Gedeihstörung, bronchopulmonale Infekte


4 Diagnostik: Auskultation, EKG, konventionelles Röntgen, Echokardiographie
4 Therapie: Perikard- oder Kunststoffflicken (Dacron)

Ventrikelseptum- 4 Symptomatik: Dyspnoe, Gedeihstörung, Herzinsuffizienzzeichen


defekt 4 Diagnostik: Auskultation, EKG, konventionelles Röntgen, Echokardiographie
4 Therapie: operativer Verschluss mit Perikard- oder Kunststoffflicken (Dacron)

Lungenvenenfehl- 4 Symptomatik: Gedeihstörung, Trinkschwäche, gehäufte respiratorische Infekte.


mündung 4 Diagnostik: konventionelles Röntgen, EKG, Echokardiographie
4 Therapie: Operative Korrektur

Aortenisthmusste- 4 Symptomatik: Herzinsuffizienzzeichen, Differenz im arteriellen Blutdruck zwischen


nose oberer und unterer Extremität
4 Diagnostik: konventionelles Röntgen (Usuren), Angiographie, MR-Angiographie, MRT
4 Therapie: operative Korrektur im Kleinkindesalter

1.5.4 Erkrankungen der Herzkranzgefäße 4 Akutes Koronarsyndrom


5 Instabile Angina pectoris
Koronare Herzkrankheit (Angina pectoris) 5 Myokardinfarkt
7 Innere Medizin, Kap. 1.3.
Definition. Stenosierende Koronarsklerose und/oder Therapie. Konservative Maßnahmen bestehen in Le-
Koronarspasmus mit ischämischer Herzerkrankung bensumstellung Nikotinverzicht, Ernährungsumstel-
(Minderperfusion des Myokards). lung, Bewegung, Cholesterinsenkung, ggf. Blutdruck-
senkung, Stoffwechselkorrekturen.
Ätiopathogenese. Arteriosklerose der proximalen Ko-
ronarien führen zu Missverhältnis zwischen Sauerstoff- > Indikationsstellung zur Operation nach Ausschöp-
bedarf und Angebot des Arbeitsmyokards. fung pharmakologischer und interventioneller Thera-
pieoptionen (PTCA, Rotationsangioplastie, Stent).
Symptomatik. Pektanginöse Beschwerden, Herzin-
farktsymptome. Operationsverfahren sind: Gefäßtransplantation un-
ter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine (selten ohne)
> Koronare Herzkrankheit: Missverhältnis zwischen O2 zur Überbrückung einer/mehrerer Stenosen oder Ver-
Angebot und O2 Bedarf des Myokards. schlüsse von Koronararterien. Als Transplantat dient
meist die V. saphena magna (einfach, mehrfach, Y-Graft,
Folgen sind: sequenziell) und/oder die Arteria thoracica interna
4 Herzinsuffizienz links und rechts (einfach, beidseits, sequenziell).
4 Arrythmien
52 Kapitel 1 · Chirurgie

Andere Operationsverfahren 1.5.5 Pacemaker-Implantation, Eingriffe


1 Auch Gewebe der A. radialis, epigastrica inferior, Vena ce- am Reizleitungssystem
phalica, Vena saphena parva kann zum Einsatz kommen.
Der Einsatz synthetischer Materialen und von Leichenspen- Definition. Implantation eines elektrischen Impulsge-
dermaterial ist kein Standardverfahren und nachteilig (Im- bers zur dauerhaften/intermittierenden Stimulation
munsystem). des Myokards mit intrakardialer Platzierung einer/
mehrerer Elektrode(n).
Die chirurgische Revaskularisierung lässt sich durch
folgende Verfahren erreichen: Indikationen. Brady-/Tachyarrhythmien (AV-Block,
4 Aortokoronarer Venenbypass (ACVB) trifaszikulärer Block, Bradykardie, Sick-Sinus, Karotis-
4 A.-mammaria (A.-thoracica-interna)-Myokardar- sinussyndrom, u. a.; 7 Kardiologie), Zustand nach über-
terialisierung lebtem Kammerflimmern/Reanimation (implantierba-
4 Bei Klappenischämieschaden ggf. zusätzliche Herz- rer Kardiodefibrillator).
klappenoperation Der Schrittmacher führt i. d. R. zu einer Verbesse-
rung der Lebensqualität (Leistungsfähigkeit), Verlänge-
Technisch erfolgt die Sternotomie, Überbrückung des rung der Lebenszeit.
Herzens durch extrakorporale Zirkulation in Hypo- Die Schrittmacher werden nach einem international
thermie, und »Stilllegung« des Herzens in hypothermer, üblichen Code beschrieben und klassifiziert (. Tab. 1.12).
kardioplegischer Lösung. Grob unterscheidet man Ein- und Zweikammer-
Eine Hauptkomplikation stellt der Bypass-Ver- schrittmacher (1, 2 Elektroden), heute meist mit physi-
schluss, meist aufgrund erneuter Arteriosklerose dar. ologischer Frequenzadaptation.

Prognose. Prognose nach Schwere der Myokardischä- Technik der Schrittmacherimplantation


mie, ggf. vorheriger Therapieversuche. 10-Jahres-Über- Die Implantation erfolgt in Lokalanästhesie z. B. in die
lebensrate bei 3-Gefäß-Erkrankung bis zu 90%. 50% der rechte Mohrenheimsche Grube, Kathetervorschub über
Patienten sind nach 10 Jahren noch beschwerdefrei. Die V.-cephalica-Präparation, V.-subclavia-Punktion (Sel-
Technik der A. thoracica interna ist überlegen. Die pe- dinger-Technik) unter Durchleuchtung. Selten kom-
rioperative Letalität liegt bei ca. 0,5–5%. men andere Techniken zum Einsatz.
Komplikationen sind:
In Kürze 4 Herzverletzungen (-perforation)
Die chirurgische Therapie der KHK besteht in: 4 Pneumo-, Hämatothorax
4 PTCA, ggf. mit Stentimplantation 4 Arrhythmien
4 Operative Revaskularisierung (Bypass-Operati- 4 Venenthrombose
on): V. saphena, A. mammaria, Endarterieektomie 4 Elektrodendislokation, Kabelbruch u. a.
4 Infektion

. Tab. 1.12. Internationaler Schrittmacher-Code. (Aus Siewert 2007)

1. Ort der Sti- 2. Ort der Wahrnehmung 3. Arbeitsweise 4. Belastungsan- 5. Antitachykardie-


mulation (Sensing) passung funktion
V = Kammer V = Kammer I = Inhibiert R = Frequenzanpassung B = Burst
(rate »vatz response«
A = Vorhof A = Vorhof T = Getriggert 0 = Keine Frequenzan- N = Kompetitive
passung Stimulation
D = Vorhof und D = Vorhof und Kammer D = Inhibiert und S = Scanning
Kammer getriggert
0 = keine Wahrnehmung 0 = Keine E = Externe Steue-
Steuerung rung

0 = Keine Antitachy-
kardiefunktion
1.5 · Herzchirurgie
53 1

> Moderne Schrittmacher sind klein, langlebig (Lithium- 4 Tragbare externe Pumpe (elektromechanisch, pneu-
batterie >10 Jahre), extern programmierbar. Sie werden matisch): Pumpfunktion zwischen Vorhof/Kammer
an vielen Kliniken auch von Kardiologen implantiert. und Aorta oder Aa. pulmonales (Links- bzw. Rechts-
herzbypass); temporäres Verfahren bei u. U. vollstän-
dig erloschener Herzfunktion
1.5.6 Herztransplantation 4 Intraaortale Gegenpulsation: Ballopumpe intraaortal,
eingebracht über A. iliaca/femoralis, temporäres Ver-
Ist das Endstadium einer Herzinsuffizienz (terminale fahren bei schwerster Herzinsuffizienz
Herzinsuffizienz), welcher Genese auch immer (korona- 4 Kunstherz: implantierte elektromechanische Pumpe;
re Herzkrankheit, dilatative Kardiomyopathie, Herzklap- experimentelles Verfahren
penfehler, angeborene Herzfehler, Myokarddysplasie,
hypoplastisches Linksherzsyndrom, hypertrophe obst- > 10–20% der Patienten auf der »Warteliste« versterben
ruktive Kardiomyopathie, Herztumoren, Endomyokard- in dieser Periode.
fibrose u. a.) erreicht und sind konservative und andere
Maßnahmen ausgeschöpft, kommt therapeutisch nur Technik der Herztransplantation. Zugang über media-
noch die Implantation eines Spenderherzens in Frage. ne Sternotomie. Kardiopulmonaler Bypass in kontrol-
Die Herztransplantation verlängert das Überleben und lierter Hypothermie. Meist erfolgt eine orthotope Im-
erhöht die Lebensqualität. Man unterscheidet: plantation: Entnahme des Empfängerherzens, Verbleib
4 Heterotope Herztransplantation (selten) z. B. der Vorhöfe und Teile der Hinterwand. Anastomo-
4 Orthotope Herztransplantation (meist) se der Aorta und der Pulmonalarterien, Anastomose
der Vorhöfe und Hinterwand, anschließend Entlüftung
Heterotope versus orthotope Transplantation und »Reanimation« des implantierten Herzens. Meist
4 Heterotop: Verbleib des Empfängerherzens, Implanta- folgt die Implantation eines Schrittmachers und epikar-
tion des Spenderherzens in »Parallelschaltung«. Dies dialer Sonden.
kommt zur Anwendung bei Hoffnung auf Erholung des
Empfängerherzens: Spätere Explantation des Spender- Komplikationen. An Komplikationen können auftre-
herzens. Auch bei bestehendem Pulmonalhochdruck ten:
und bei nicht optimalem Spenderorgan. Implantation 4 Frühes Rechtsherzversagen
des Spenderherzens parallel. 4 Koronare Arteriosklerose
4 Orthotop: Explantation des Empfängerherzens und 4 Hyperakute Abstoßung
biatriale oder bikavale Implantation. 4 Akute Abstoßung
4 Chronische Abstoßung
Zum Empfang eines Herzens müssen Allokationskrite- 4 Nebenwirkungen der immunsuppressiven Thera-
rien zutreffen (7 Kap. 1.1.14), die Vergabe wird über Eu- pie (7 Pharmakologie)
rotransplant geregelt. Kriterien zum Matching sind
AB0-/HLA-Kompatibilität und geeignete Herzgröße, Maßnahmen: Retransplantation.
zahlreiche Kontraindikationen sind definiert.
Nachbehandlung. Nach einer Herztransplantation sind
> Technische Transplantationskriterien sind: linksventri- folgende Maßnahmen wichtig:
kuläre Auswurffraktion <20%, Herzindex <2 l/min/m2 4 Lebenslange Immunsuppression (Ciclosporin, Aza-
KOF, erhöhter rechts- oder linkseitiger Füllungsdruck thioprin, Glukokortikoide)
<20 mmHg in der Herzkatheteruntersuchung. 4 Überwachung auf Abstoßung (Biopsie, epikardiale
Sonden)
Bis ein Organ zur Verfügung steht, muss eine Zeitperi- 4 Regelmäßige EKG, Echokardiographie u. a. Unter-
ode überbrückt werden, hierbei kommen u. U. herzun- suchungen
terstützende Maßnahmen in Frage.
Prognose. 1-Jahres-Überlebensrate 80%, 5-Jahres-
Herzunterstützende Maßnahmen Überlebensrate 70%, 10-Jahres-Überlebensrate 50%.
Herzunterstützende Maßnahmen kommen temporär nach
schwerem Infarkt, postoperativer Herzinsuffizienz oder
als Überbrückungsmaßnahme vor Herztransplantation
(»bridging to transplant«) in Frage.
6
54 Kapitel 1 · Chirurgie

1.5.7 Sonstige Indikationen störungen, Diabetes mellitus, fettreiche Ernährung,


1 herzchirurgischer Eingriffe Immobilisation.

Arrhythmiechirurgie (Korridoroperation nach Maze, Untersuchung der Gefäße


Endomyokardresektion) ist seit Einführung und konti- 7 Anamnese und Krankenuntersuchung.
nuierlicher Verbesserung der Schrittmacher seltener Die klinische Untersuchung umfasst bei Gefäßer-
geworden. Zusätzlich sind viele z. B. ablative Eingriffe krankungen folgende Punkte:
auch interventionell möglich, allem steht zunächst die 4 Inspektion: Durchblutungsstörungen, Blässe, ver-
Ausschöpfung pharmakologischer Behandlungsoptio- längerte Rekapillarisierungszeit, Gangrän, Nekro-
nen voran. sen, trophische Störungen
4 Palpation: Temperatur, peripherer Puls (Seitenver-
gleich!)
1.6 Gefäßchirurgie 4 Allen-Test
4 Ratschow-Lagerungsprobe
K.-J. Paquet, U. Fetzner 4 Auskultation: Strömungs-/Stenosegeräusche
4 Blutdruckmessung, auch peripher
4 Bestimmung der Gehstrecke
1.6.1 Bedeutung der Gefäßchirurgie 4 Kältetest (Kälteexposition der Hände z. B. 10 min
im Wasserbad von 12°C), AER-Test (Öffnen und
Gefäßersatz (z. B. durch körpereigene Vene, Arterie, Schließen der Faust für 3 min alle 2 s.
synthetische Materialien), Bypass-Operationen (Um-
gehungen) werden seit annähernd 100 Jahren mit zu- An technischen Untersuchungen kommen hinzu:
nehmendem Erfolg (Fortschritte der Antikoagulanzi- 4 Sonographie
en, Nahtmaterial und des Kunstoffersatzes) durchge- 4 Doppler-/Duplex-Sonographie
führt und reduzierten drastisch die Anzahl der 4 Angiographie (cave: Nierenfunktion!)
notwendigen Gliedmaßenamputationen. Kenntnisse 4 Angio-MRT, CO2-Angiographie
in der Gefäßchirurgie waren Ausgangspunkt für Re- 4 CT-Angiographie
plantationen (Gliedmaßen) genau wie für die Entwick- 4 CT
lung der modernen Transplantationschirurgie. Ge- 4 MRT
fäßeröffnende Eingriffe (TEA), sind bei frischen Ver- 4 DSA
schlüssen an großen Arterien das Verfahren der Wahl.
Operationen am Venensystem aufgrund chronisch
venöser Insuffizienz gehören zu den häufigsten Ein- 1.6.3 Grundprinzipien der Operationen
griffen, Operationen an den herznahen großen Gefä- an Gefäßen
ßen, z. B. der Aorta bei Aneurysmen und Verschlüssen
(z. B. künstlicher Aortenersatz) werden heute stan- Die Gefäßnaht ist eine Einzelknopfnaht mit hauch-
dardmäßig durchgeführt. Die Gefäßchirurgie konkur- dünnem, meist nicht resorbierbarem, monofilem Naht-
riert in vielen Bereichen mit interventionellen Verfah- material (Polypropylene 9–0, 10–0), oft unter starker
ren der Radiologie und der Inneren Medizin (PTA, Lupenvergrößerung/Mikroskop (Mikrochirurgie)
Stenting etc.) und mit konservativen Verfahren (z. B.
Lysetherapie). Technik der Gefäßnaht
Nach dem Abklemmen der Enden und Ausspülen werden
die Adventitia entfernt und die Enden approximiert. Die
1.6.2 Allgemeine Prinzipien Adaptation erfolgt mit 2 Einzelknöpfen, dann folgt eine
der Gefäßchirurgie allschichtige Naht der Vorder- und Rückseite. Nach Freiga-
be der Klemmen ist die Durchgängigkeit zu prüfen.
1.6.2.1 Anamnese, klinische Untersuchung,
technische Diagnostik 1.6.3.1 Operationsverfahren, Terminologie
Anamnese Folgende Begriffe bezeichnen Verfahren der Gefäß-
Abgefragt werden Schmerzen, Gehstrecke (Strecke chirurgie:
schmerzfreien zügigen Gehens) und Risikofaktoren für 4 Embolektomie/Thrombektomie: Entfernen eines
Gefäßerkrankungen, z. B. Bewegungsarmut, Nikotin- Embolus direkt (Arteriotomie, Venotomie) oder
missbrauch, arterielle Hypertension, Fettstoffwechsel- per Fogarty-Ballon-Katheter
1.6 · Gefäßchirurgie
55 1

4 Thrombendarteriektomie (TEA)
4 Gefäßersatz (Interponat, Bypass): Arterie, Vene . Tab. 1.13. Differenzialdiagnose arterielle Embolie
(in situ, »reversed«), Dacron, Polytetraflourethylen versus arterielle Thrombose. (Aus Siewert 2006)
(PTFE)
Art des Perfu- Merkmale
4 Gefäßrekonstruktion (Patch, Naht) sionsstörung
4 Sympathektomie: Kappen der vegetativen Innerva-
tion Arterielle Plötzlicher Schmerzbeginn
Embolie Kontralateral periphere Pulse tast-
Als Interponat bezeichnet man die Resektion eines Ar- bar
Häufig schwere Anämie
terienabschnittes und Einsetzen von körpereigenem
Nachweis einer möglichen Embo-
(Vene) oder körperfremdem Gewebe (PTFE, Dacron).
liequelle (kardial)
Bypass steht für die Überbrückung (Anastomosen Zustand nach peripherer Embolie
proximal und distal) z. B. eines Gefäßverschlusses mit
körpereigener Vene oder Prothesen (PTFE, Dacron). Arterielle Claudicatio intermittens bekannt
Thrombendarteriektomie (TEA): Längsarterioto- Thrombose (pAVK)
mie und Ausschälen der Wandauflagerungen (Plaque) Atherosklerose-Risikoprofil
Zustand nach arterieller Throm-
und Wiederverschluss, ggf. Implantation einer Gefäß-
bose
prothese (Dacron, PTFE, Vene).
Zustand nach Bypass-Operation
Replantationen sind Verfahren der Hand- und Plas- Zustand nach PTA/Stent
tischen Chirurgie (Mikrochirurgischer Gefäßanschluss). Aneurysma der A. politea, A. fe-
moralis bekannt
1.6.3.2 Akute arterielle Perfusionsstörung
(Embolie, Thrombose)
Definition. Intravasale Verschleppung eines Embolus
mit Verschluss einer Arterie und Ischämie eines Ver- > Therapie des Mesenterialinfarkt: Resektion des be-
sorgungsgebietes. troffenen Darmabschnitts (7 Kap. 1.7).

Ätiopathogenese. Kardial, Aneurysmen, Thrombose, 1.6.3.3 Chronische arterielle


iatrogen u. a. Perfusionsstörung
Definition. Je nach versorgender Arterie bzw. Gliedma-
Symptomatik. Die klinischen »6 P« (nach Pratt) bei ße/Organ werden unterschiedliche Begriffe verwendet
einer akuten Perfusionsstörung sind: (Einzelheiten 7 Kap. 1.7, 1.5.1, 1.2).
4 Pain (Schmerz) 4 Am Bein: Claudicatio intermittens
4 Paleness (Blässe) 4 Intestinum Claudicatio intestinalis
4 Pulselessness (Pulslosigkeit) 4 Hirnversorgende Arterien: A.-carotis-Stenose
4 Paraesthesia (Sensibilitätsstörung) (7 Kap. Neurologie, 1.2)
4 Paralysis (Lähmung) 4 Nieren: Nierenarterienstenose
4 Prostration (Schock) 4 Herz: KHK

Diagnostik. Dopplersonographie, Angiographie, An- Ätiopathogenese. Ursache ist meist eine Arterioskle-
gio-MRT, Labordiagnostik. rose.

> Die Diagnose wird klinisch gestellt; für technische Symptomatik. Die klinische Klassifikation erfolgt nach
Diagnostik ist wenig Zeit. Fontaine-Ratschow:
4 Stadium I: Asymptomatisch
Zur Differenzialdiagnostik . Tab. 1.13. 4 Stadium II: Claudicatio (a: >200 m, b: <200 m)
Therapie des Verschlusses großer und mittlerer 4 Stadium III: Ruheschmerz
Arterien, sowie organversorgender Arterien: 4 Stadium IV: Nekrosen (. Abb. 1.18)
4 Heparingabe (5000–10000 IE i.v.)
4 Fogarty-Ballonkatheter Diagnostik. Dopplersonographie, Perfusionsver-
4 Thrombektomie (direkt) schlussdruckbestimmung, Laufbandtest, Angiographie,
4 Ultima ratio: Notamputation (z. B. bei drohender Angio-MRT.
Sepsis)
56 Kapitel 1 · Chirurgie

4 A. dissecans: Einriss der Intima mit »Wühlblutung«


1 und Kanalisierung in der Gefäßwand

Ätiopathogenese. Arteriosklerose, Angiitis, Verletzung


(auch iatrogen), angeborene Störung.

Symptomatik. Aneurysmen bleiben oft lange symp-


tomlos, meist sind es Zufallsbefunde. Gravierende
Symptomatik ergibt sich bei Komplikationen: Ruptur,
Embolie, Thrombose, Fistelung.

Diagnostik. Sonographie, Angio-MRT, MRT, CT.

. Abb. 1.18. Periphere AVK mit Nekrosen aller Zehen (Stadi- Komplikationen. Ruptur mit Blutung, Embolie, Throm-
um IV nach Fontaine). (Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil) bose, Fistelung (z. B. aorto-kaval).

> Ein Aneurysma der A. abdominalis nimmt durch-


pAVK, Claudicatio intermittens schnittlich um 4 mm/Jahr zu. Schnellere Verläufe sind
Definition. 80% infrarenaler Verschluss der Iliakalgefä- nicht selten.
ße oder tieferer Etagen. Man unterscheidet:
4 Beckentyp Aortenaneurysma (zentrales Aneurysma)
4 Oberschenkeltyp Epidemiologie. Bei ca. 5% aller über 65-Jährigen liegt
4 Unterschenkeltyp zumindest ein asymptomatisches Aneurysma der Abdo-
minalaorta vor. Männer sind 4-mal häufiger betroffen.
Meist liegen Kombinationen vor. Vorkommen zu 85% abdominal, davon 95% infrarenal,
15% thorakal, periphere Aneurysmen (. Abb. 1.19).
Therapie. Die operative Therapie ist indiziert in Stadien Lokalisationen und Ätiopathogenese:
III, IV. Grundsätzlich können alle genannten Verfahren 4 Aorta ascendens: meist A. dissecans
zum Einsatz kommen (PTA, Fogarty, TEA, Bypass). 4 Aortenbogen: Lues
Nach Ausschöpfung konservativer Behandlungsoptio-
nen sind indiziert: Beseitigung von Risikofaktoren,
Gehtraining, Thrombozytenaggregationshemmung
(Azetylsalizylsäure 300 mg 1-mal/Tag p.o, Clopidrogel
75 mg 1-mal/Tag p.o.).
Operativ kommen folgende Bypass-Arten infrage:
4 Aorto-femoral
4 Femoro-popliteal
4 Femoro-krural
4 Femoro-pedal
4 Popliteo-krural
4 Cross-over-Bypass (Bypass z. B. von der A. iliaca
zur A. femoralis der Gegenseite)

1.6.3.4 Aneurysmen
Definition. Ausweitung eines arteriellen Gefäßes infol-
ge angeborener/erworbener Wandveränderungen (In-
fektion, Arteriosklerose, traumatisch). 7 Grundlagen-
band, Kap. Pathologie, 3.2.7.2. Hirngefäßaneurysmen:
7 Kap. 1.2.5.1. . Abb. 1.19. Spiral-CT und dreidimensionale Rekonstruktion
Aneurysmatypen sind: eines infrarenalen Aortenaneurysmas mit Beteiligung der
4 A. verum: gesamte Wandung A. iliaca communis rechts, ausgeprägte Elongation und Knick-
4 A. spurium/falsum: bindegewebige Kapsel nach bildung der Aorta und der Beckenarterien; 75-jähriger Mann,
Verletzung Therapie durch aortobiiliakales Interponat. (Aus Siewert 2006)
1.6 · Gefäßchirurgie
57 1

4 Aortenisthmus: traumatisch
4 Aorta descendens: Arteriosklerose
4 Aorta abdominalis: Arteriosklerose

Symptomatik. Meist Asymptomatisch. Im Verlauf ent-


wickeln sich Schmerzen: Bauchschmerzen, Rücken-
schmerzen, ischalgieforme Beschwerden sowie Ner-
venirritationen, Venenkompression, Thrombose und
periphere Ischämie. Bei Komplikationen, z. B. Ruptur,
kann es zu Schock, akuter Kreislaufdekompensation
kommen.

Diagnostik. Palpatorisch abdominelle Pulsationen,


Auskultation. . Abb. 1.20. Rupturiertes infrarenales Aortenaneurysma im
Zur technischen Diagnostik gehören: CT, tödlicher Ausgang (mögliche Rupturlokalisationen im klei-
4 Sonographie nen Bild). (Aus Siewert 2006)
4 CT
4 MRT
Operation des Aneurysmas
Therapie. Eine Operationsindikation besteht grund- Freilegung des Aneurysmas, nach Heparingabe erfolgt pro-
sätzlich bei einer Größe von >4 cm (bei Diagnose ximales und distales stumpfes Abklemmen. Nach der
>70. Lebensjahr abhängig von Verlauf – dreimonatliche Längsinzision des Aneurysmasackes wird ggf. ein Throm-
Kontrollen –, Operabilität etc.). Bei Vorliegen eines bus entfernt. Es folgen die Interposition der Prothese aorto-
symptomatischen Aneurysmas wird altersunabhängig aortal oder aorto-biiliakal, aorto-bifemoral, Kontrolle der
dringlich operiert. Viszeralarterien, ggf. Implantation der A. mesenterica infe-
rior in die Prothese, ggf. aller Viszeralarterien unter Beach-
> Bei Verdacht auf Aneurysmaruptur ist eine sofortige tung der Ischämiezeit. Schließlich wird der Aneurysmasack
Notoperation indiziert: Laparatomie und proximales über der Prothese (meist, »Inlaytechnik«) verschlossen.
Abklemmen der Aorta.
Eine Alternative ist der interventioneller Eingriff mit-
Therapieprinzip ist die Interposition einer Kunststoff- tels Stent-Prothesen, die durch die Femoralgefäße plat-
prothese (Aorta); Inlaytechnik (s. unten): ziert werden (. Tab. 1.14, . Abb. 1.21). Diese Verfahren
4 Aortoaortale Interposition sind der Interposition insbesondere bei thorakalen An-
4 Aortobiiliakale Interposition (Y-Prothese) eurysmen (da kranial der Abgänge von Viszeral- und
Nierenarterien!) überlegen.
! Cave Man schätzt, dass zukünftig ein Drittel aller Aor-
Aneurysmen >5 cm tragen ein 50%-iges Rupturrisiko tenaneurysmen interventionell versorgt werden kann.
innerhalb der folgenden 2 Jahre. Bei einer Ruptur be-
steht eine bis zu 90%-ige Letalität trotz Maximalthe- > Komplikationen der Aortenchirurgie: Infektion der
rapie (. Abb. 1.20). Prothese, Leckage.

. Abb. 1.21. Klassifikation in-


frarenaler Aortenaneurysmen
nach Allenberg: Die Typen I, IIa,
IIb sind für eine endovaskuläre
Therapie geeignet, Typ IIC und
Typ III sind nicht geeignet. (Aus
Siewert 2006)
58 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.14. Vor- und Nachteile der konventionellen versus der endovaskulären Therapie des Aortenaneurysma. (Aus
Siewert 2006)

Konventionelle Operation Endovaskuläres Verfahren (»Stent-Prothese«)

Vorteile Sehr gute Langzeitergebnisse Weniger invasiv

Spätkomplikationen selten (Prothesenin- Kurze Verweildauer


fekt, Anastomosenaneurysma etc.)

Standardisiertes Verfahren Geringere Morbidität und Letalität

Geringere Morbidität und Letalität beim rupturierten Aneu-


rysma

Geringe Paraplegie-Rate beim thorakalen Aortenaneurysma

Nachteile Invasives Verfahren Nur bei ca. 30% aller abdominellen Aortenaneurysmen
anwendbar

Größerer Blutverlust Teure Materialien

Längere Rekonvaleszenz Risiko der späten Ruptur (0,5–1%/Jahr)

Abdominelle Voroperation (Narbenhernie) Risiko der »Endoleckage« im Verlauf

Größere Morbidität und Letalität? Regelmäßige klinische und morphologische Kontrolle


notwendig

Therapiekosten insgesamt höher? Prothesenschenkelverschlüsse häufiger?

1.6.3.5 Aortendissektion
Definition. Einriss der Aortenwand (Intima) und nach-
folgende »Wühlblutung« und Bildung eines »Falschka-
nals« im Medianiveau. Man unterscheidet (. Abb. 1.22):
4 Typ A: Dissektion oberhalb der linken A. subclavia
4 Typ B: Dissektion unterhalb der A. subclavia

Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind Arterio-


sklerose, jahrzehntelange arterielle Hypertension, Me-
dianekrose, Spontan, Disposition bei Erberkrankungen
(Marfan, Ehlers-Danlos).

Symptomatik. Heftige thorakale Schmerzen (»ein-


schießender Schmerz zwischen den Schulterblättern«),
Rückenschmerz, KHK-Symptomatik, Bauchschmerz,
Schock, Paraplegie- und Schlaganfallsymptome, Hals-
venenstauung.
. Abb.1.22a, b. Aortendissektion. a DeBakey-Klassifikation
(Typ I–III); b Stanford-Klassifikation (Typ A und Typ B). (Aus
Diagnostik. Herzinfarktdiagnostik (Differenzialdiag-
Siewert 2006)
nose): CK, EKG, Troponin-T; Röntgen-Thorax, Echo-
kardiographie, Spiral-CT, MRT, DSA (. Abb. 1.23). Dif-
ferenzialdiagnostisch auszuschließen sind: Myokard-
infarkt, Lungenembolie.
1.6 · Gefäßchirurgie
59 1

a b

. Abb. 1.23a, b. CT bei einer akuten Aortendissektion: a Aortenbogen. Das kleinere, kontrastmitteldichtere Lumen ist
Pfeil 1 zeigt auf die Dissektionsmembran in der Aorta ascen- das »wahre« (Pfeil 4) und das größere das »falsche« Lumen
dens, mit Ausbildung eines »wahren« und eines »falschen« Lu- (Pfeil 5). (Mit freundlicher Genehmigung von Prof Dr. Kauff-
mens. b Dissektionsmembran im Truncus brachiocephalicus mann, Radiologische Universitätsklinik Heidelberg; aus
(Pfeil 2) und in der linken A. carotis (Pfeil 3). Doppellumen im Siewert 2006)

Therapie. Bei chronischem, mildem Verlauf sind regel- der extrakorporalen Zirkulation und unter Hypother-
mäßige Kontrollen indiziert. Obere Aortendissektionen mie versorgt werden.
werden vom Herzchirurgen, untere meist endovaskulär
versorgt. Operation: Zugang per Sternotomie oder en- ! Cave
dovaskulär. Typ-A-Dissektionen müssen unter Einsatz Akute Dissektion: Notfall! Notoperation! Letalität 90%!

In Kürze

Gefäßchirurgische Erkrankungen der Aorta und peripheren Arterien (Auswahl)

Claudicatio inter- 4 Symptomatik: Claudicatio intermittens (Schmerzen, Einteilung nach Fontaine I bis IV),
mittens (pAVK) Nekrosen
4 Diagnostik: klinisch, Dopplersonographie, Perfusionsverschlussdruckbestimmung,
MR-Angiographie, Angiographie
4 Therapie: Gehtraining, Risikofaktorsenkung, Thrombozytenaggregationshemmung.
PTA und Stent, TEA und Bypass-Operation. Wundversorgung, ggf. plastisch-chirurgi-
sche Eingriffe. Amputationen als Ultima ratio

Aortenaneurysma 4 Symptomatik: meist asymptomatisch. Gravierende Symptomatik bei Komplikationen:


Schock
4 Diagnostik: abdominelle Palpation, Sonographie, Spiral-CT
4 Therapie: Bei Aneurysen >5 cm meist Aortenersatz durch Prothese (Rohrprothese, Y-
Prothese), thorakal: endovaskuläres Stenting (EVAR) überlegen

Aortendissektion 4 Symptomatik: plötzlicher thorakaler Schmerz, Organischämiezeichen (Abdomen, re-


troperitoneal, Paraplegie) Schock
4 Diagnostik: CT, Spiral-CT
4 Therapie: Herz-Thorax-Eingriff, ggf. endovaskuläres Stenting
60 Kapitel 1 · Chirurgie

1.6.4 Chirurgie der Venen-, 4 MRT


1 Lymphgefäße 4 Hämatologische Diagnostik (Blutgerinnung)

1.6.4.1 Chronisch venöse Insuffizienz (CVI) ! Cave


und Varikosis Keine Operation vor Nachweis eines funktionsfähigen
Definition. Es handelt sich um die chronische Erkran- tiefen Venensystems!
kung des Venensystems (z. B. der Stammvenen
(V. saphena magna, parva, Perforansvenen, Klappende- Therapie. Physikalisch kommen Kälteanwendungen
fekt) (. Abb. 1.24). Diese geht meist in Folge einher mit infrage; wichtige weitere konservative Maßnahmen
ausgedehnten Veränderungen der oberflächlichen Ve- sind Gewichtsreduktion, Bewegung und Kompression
nen der Beine (Stadieneinteilung und weitere Details: mittels angepasster Stützstrümpfe.
7 Innere Medizin, Kap. 2.2.2). Operative Verfahren sind:
4 Krossektomie
Symptomatik. Klinisch zeigen sich Schweregefühl, 4 Stripping und Seitenastexhärese (Stammvenenresek-
Schwellung, Hautveränderungen (Verfärbung, Tro- tion) z. B. Saphena-magna/parva-Resektion bei in-
ckenheit, Ekzem, Indurationen etc.). taktem tiefem Beinvenensystem mit Perforansligatur
4 Endoskopisch: subfasziale endoskopische Perfo-
Komplikationen. Thrombophlebitis und Thrombose. ransdissektion

Diagnostik. Neben dem klinischen Bild ist die tech- Neuerliche Verfahren zur Therapie der Varikosis
nische Diagnostik wegweisend für die Diagnostik: 4 Kryomethode: Extraktionssonde, die durch Stickstoff
4 Doppler-Sonographie herabgekühlt wird
4 Sonographie, Duplexsonographie 4 Laserbehandlung bei »Besenreisern« als v. a. kosmeti-
4 Phlebographie sches Verfahren
4 Phlebodynamometrie 4 Verödung oberflächlicher Venen mit EM-Wellen (frü-
4 Lichtreflexionsrheographie her: Glukose und andere »verklebende Substanzen«;
4 Venenverschlussphlethysmographie Sklerotherapie)

. Abb. 1.24. Oberflächliches und tiefes Leitvenensystem der Beine und Flussverhalten bei Stammvarikose der V. saphena
magna und V. saphena parva. (Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil)
1.6 · Gefäßchirurgie
61 1
1.6.4.2 Ulcus cruris venosum Therapie. Grundsätzlich stehen Thrombolyse, Hepari-
Definition. Infolge chronisch venöser Insuffizienz nisierung und Mobilisation und die Thrombektomie
kommt es zur Ausbildung von Ulzera, chronischen zur Verfügung. Welches Verfahren zur Anwendung
Wunden (7 Innere Medizin, Kap. 2.2.6). kommt, hängt mit der Lokalisation des Thrombus, dem
Alter des Thrombus, den Grund- und Begleiterkran-
Ätiopathogenese. Vor einer Lokaltherapie muss die kungen des Patienten zusammen.
Ursachenabklärung und ggf. kausale Therapie erfolgen Standard sind folgende Therapieoptionen:
(Sanierung arterielles, venöses System, ggf. Stoffwech- 4 Sofortige Antikoagulation mit Heparin
selkorrektur (Diabetes mellitus). 4 Kompressionsverband
4 ggf. Thrombolyse (Kontraindikationen z. B. Myo-
Diagnostik. Diagnostisch wichtig sind neben der Beur- kardinfarkt, posttraumatisch u. a.) mit Kinasen
teilung des klinischen Bildes: 4 Operation
4 Angiographie
4 Sonographie, Farb-Duplex-Sonographie An Operationsverfahren stehen zur Verfügung:
4 Phlebographie (nur noch selten indiziert) Thrombektomie (z. B. transfemoral) bei Phlegmasia
coerulea dolens (Vollbild der venösen Abflussstörung
Therapie. Therapeutisch wichtig sind: mit Schwellung, Schmerz) und frischer Thrombose mit
4 Kompression Fogarty-Ballonkatheter, Ringstripper, Exprimation. Ge-
4 Wunddébridement, Desinfektion gebenenfalls kommt die offene Thrombektomie nach
4 Hydrokolloidverbände, autolytische enzymatische gefäßchirurgischen Prinzipien in Frage.
Verbände Die Nachbehandlung umfasst die Heparinisierung,
4 Gegebenenfalls Hauttransplantation später orale Antikoagulation per Phenprocoumon nach
4 Venenchirurgie (Stripping) INR-Wert (u. U. lebenslang).
4 Wachstumsfaktorenanwendung (experimentell)
Prophylaxe. Prophylaxe bei rezidivierenden Thrombo-
! Cave sen bietet ein infrarenaler Cava-Schirm (V.-cava-Blo-
Stripping der V. saphena magna/parva nach Ligatur ckade) als Schutz vor sich lösenden Thromben aus dem
der Perforansvenen bei durchgängigem tiefem Bein- Bein- und Beckenvenenbereich.
venensystem.
> Eine Thrombophlebitis ist die Entzündung der Venen-
Prognose. Das Ulcus cruris venosum ist ein chroni- wand mit Thrombosierung. Hier besteht meist keine
sches, oft langwierig zu behandelndes Leiden. Emboliegefahr, da das oberflächliche Venensystem
(Thrombophlebitis superficialis) betroffen ist (7 Inne-
1.6.4.3 Phlebothrombose re Medizin, Kap. 2.2.3).
Definition. Vollständiger oder partieller Verschluss von
Venen des tiefen Venensystems durch intravasale Blutge- 1.6.4.4 Postthrombotisches Syndrom
rinnung. Thrombosiert sind die großen Venen, z. B. (sekundäre Varikose)
V. subclavia, tiefe Beinvene (7 Innere Medizin, Kap. 2.2.4). Definition/Ätiopathogenese. Durch die permanente
Druckerhöhung in den Unterschenkeln bei chronisch
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind Blutgerin- venöser Insuffizienz kommt es in 40–60% der Fälle ab
nungsstörungen,langdauerndeOperationen,Immobilisa- ca. 10 Jahren zu charakteristischen klinischen Verände-
tion. Wichtig ist hier die Virchow-Trias, also: Immobilisa- rungen, die in ihrer Gesamtheit als »postthromboti-
tion, Blutgerinnungsstörungen, Gefäßveränderungen. sches Syndrom« bezeichnet werden (7 Innere Medizin,
Kap. 2.2.5).
Symptomatik. Klinisch zeigen sich Schwellung und
Schmerz der betroffenen Extremität. Symptomatik. Charakteristika sind:
4 Aszension oder Deszension des Thrombus
Diagnostik. Farbduplex-Sonographie, Phlebographie 4 Chronisches Kompartmentsyndrom
(selten). 4 Hautveränderungen (trophische Störungen,
7 oben)
! Cave 4 Ulcus cruris venosum
Komplikationen sind Lungenembolie und postthrom-
botisches Syndrom. Diagnostik. Zur technischen Diagnostik gehören:
62 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Plethysmographie Therapie. Konservativer Behandlungsversuch mit


1 4 Doppler- und Duplex-Sonographie Kompressionsbehandlung, Varizenoperation (z. B. Ex-
4 Phlebographie härese, 7 oben). Lokalbehandlung (z. B. u. a. Versor-
4 Lichtreflexionsrheographie gung eines Ulcus cruris venosum) bis zu Hauttrans-
4 Phlebodynamometrie plantation.

In Kürze

Gefäßchirurgische Erkrankungen der Venen (Auswahl)

Varikosis 4 Symptomatik: Schwellung, Schweregefühl, trophische Störungen, Auftreten chronischer


Wunden (s. unten)
4 Diagnostik: klinisch, Sonographie, Phlebographie (selten)
4 Therapie: Kompressionsbehandlung, Krossektomie, Stammvenenstripping,
Perforansdissektion und Seitenastexhärese
4 Versorgung oberflächlicher Erkrankungen: Radiowellenobliteration, Laserbehandlung,
Verödung

Ulcus cruris 4 Symptomatik: chronische, nicht heilende Wunde, meist im Malleolusbereich


venosum 4 Diagnostik: Blickdiagnose. Diagnostik des Venen- und Arteriensystems
4 Therapie: Kompressionstherapie, Wunddébridement, Hydrokolloidbehandlungsversuch,
plastisch-chirurgische Deckung. Zuvor Sanierung der Grunderkrankung (Varikosis)

1.7 Viszeralchirurgie leichtert. Die arterielle Versorgung jeden Lappens erfolgt im


Wesentlichen über die A. thyroidea superior aus der A. caro-
K.-J. Paquet, U. Fetzner, G. Kraus tis und der A. thyroidea inferior aus dem Truncus thyreocer-
vicalis. Der N. recurrens des N. vagus und der N. laryngeus
Die Viszeralchirurgie (Bauchchirurgie) umfasst die ope- superior sind beidseits bei Schilddrüsenoperationen ge-
rative, chirurgische Behandlung der abdominellen und fährdet. Darum steht ein Neuromonitoring (elektrische Son-
thorakalen Organe des Verdauungstrakts (Speiseröhre, de zur intraoperativen Nervprotektion) heute an jeder chi-
Magen, Duodenum, Dünn-, Dick- und Enddarm), der rurgischen Klinik zur Verfügung. Die 4 (meist) Nebenschild-
Leber, des Pankreas und der Milz. Weiterhin zählt die drüsen liegen der Schilddrüse dorsal an.
operative Behandlung der Schilddrüse, Nebenschild-
drüse, Nebenniere und der Leisten-, Schenkel-, Bauch- Anamnesefragen
wand- und Zwerchfellhernien zur Viszeralchirurgie. Bei Erkrankungen der Schilddrüse stehen folgende Fra-
Zunehmend verdrängen minimalinavsive Verfahren, gen im Vordergrund:
die klassischen »offene« Zugänge. Sie gelten in vielen Be- 4 Vegetative Anamnese: z. B. Schwitzen, Frieren,
reichen schon als Goldstandard und richtungsweisend Schlafstörungen
hinsichtlich postoperativen Schmerzen, Komplikationen, 4 Druck-, Enge-, Kloßgefühl
Klinikaufenthaltsdauer und vielen weiteren Kriterien. 4 Dysphagie
4 Dyspnoe
4 Unruhe, Nervosität, Antriebslosigkeit
1.7.1 Hals, Schilddrüse 4 Ungewollter Gewichtsverlust/Gewichtszunahme,
wenn ja wie viel und in welchem Zeitraum
1.7.1.1 Schilddrüse (Glandula thyroidea), 4 Appetit
Nebenschilddrüsen (Glandulae
parathyreoideae) Klinische Untersuchung
Anatomie (. Abb. 1.25) 4 Inspektion: Asymmetrie, Vergrößerung, palpaple
Die Schilddrüse besteht aus 2 Lappen, die häufig über ei- Lymphknoten in der Umgebung
nen ventralen Isthmus konnektiert sind. Sie ist von einer 4 Puls (Tachykardie, Arrhythmie, Bradykardie auf-
fibrösen Kapsel umgeben, die die blutarme Dissektion er- grund Stoffwechselverlangsamung/-beschleuni-
6 gung der Schilddrüsenhormone)
1.7 · Viszeralchirurgie
63 1

. Abb. 1.25. Schematische


Darstellung der Anatomie der
Schilddrüse. (Aus Siewert 2006)
(7 Farbtafelteil)

. Tab. 1.15. Operationsverfahren an der Schilddrüse

Operative Maßnahme Beschreibung Indikationen

Thyreoidektomie Vollständige Entfernung der Schilddrüse. Ggf. radikal Malignom, schwere Struma multi-
(Lymphadenektomie, Sicherheitsabstand) nodosa
Reinsertion der Nebenschilddrüsen in den Unter-
schenkel/Halsmuskulatur

Subtotale Entfernung der (mehr) erkrankten Seite komplett Struma, Malignom


Thyreodektomie (Hemithyreodektomie) und der Gegenseite mit etwa
5 ml Restgewebe (2 ml bei »near total«)
Postoperativ Hormonbestimmung (T3,T4, TSH), ggf.
dauerhafte Hormonsubstitution notwendig

Hemithyreodektomie Entfernung eines Schilddrüsenlappens Struma, frühes Malignom

Knotenexstirpation Lokale, sparsame Exzision Zum Beispiel kleiner nicht


malignomsuspekter Tumor

Inzision Lokale Inzision Zum Beispiel bei Abzess

4 Haut (teigig, feucht) Therapieverfahren der Schilddrüse


4 Palpation: Knoten, Verschieblichkeit, Schmerz Die Operationsverfahren an der Schilddrüse sind in
4 Auskultation: »Schwirren« . Tab. 1.15 zusammengefasst.

Technische Zusatzdiagnostik ! Cave


4 Laboruntersuchung: TSH, TG, TRH, FT4, FT3, Kal- Es darf keine Operation ohne Aufklärung über Stimm-
zitonin, Antikörper und andere Parameter verlust bei Verletzung des N. recurrens erfolgen. Kom-
4 Szintigraphie (funktionell) plikationen bei beidseitiger Verletzung sind ggf. beat-
4 Sonographie Schilddrüse, Hals mungspflichtige Dyspnoe, dauerhafte Notwendigkeit
4 Röntgen: Tracheazielaufnahme der Anlage einer Trachealkanüle. Bei versehentlicher
4 CT, MRT Mitentfernung der Nebenschilddrüsen kann es zur
4 Zytologiegewinnung, Biopsie kalziopriven Tetanie (Hypokalzämie) kommen.
64 Kapitel 1 · Chirurgie

Indikationen für Schilddrüsenresektionen sind: Symptomatik. Verdrängungssymptome (Dysphagie,


1 4 Benigne Struma Dyspnoe), Heiserkeit, ggf. Schmerz
4 Struma nodosa
4 Malignom Diagnostik. Klinisch zeigen sich Schwellung, derbe,
4 Abszedierende Entzündungen schlecht verschiebliche Knoten. Im Labor sind Tumor-
marker (Thyreoglobulin bei differenziertem papillärem
Generell gelten Malignitätsverdacht sowie Kompressi- oder follikulärem Schilddrüsenkarzinom, CEA und
onssymptome (Dysphagie, Dyspnoe, obere Einfluss- Kalzitonin bei C-Zell-Karzinom) nachzuweisen. Bild-
stauung) als absolute Operationsindikationen. gebend kommen CT, MRT, Szintigraphie, Sonographie
Konservative Behandlungsoptionen sind: zur Anwendung (Knoten, Verkalkungen). Die Klassifi-
4 Hormonsubstitution kation erfolgt nach dem TNM-System.
4 Thyreostatika (Thiamazol, Carbimazol, Propy-
lthiouracil) Therapie. Totale, ggf. radikale (Ösophagus, Trachea,
4 Antibiotika (Thyreoiditis) Gefäße) Thyreoidektomie, Lymphadenektomie (ggf.
4 Radiotherapie beidseitige Neck-Dissektion) ist bei Tumoren fortge-
4 Bestrahlung schrittener Stadien (mit Lymphknotenbeteiligung, T3-
4 Chemotherapie. /T4-Tumoren) indiziert. Hemithyreoidektomie ohne
Lymphknotendissektion erfolgt nur bei kleinen (<1 cm)
Zur Substitution werden verwendet: Tumoren. Weitere Optionen sind adjuvante medika-
4 Iod mentöse, nuklearmedizinische oder Strahlentherapie.
4 Thyroxin Die Radiatio ist insbesondere als Therapieversuch beim
4 Kalzium anaplastischen Karzinom indiziert, sonst ggf. im Rah-
4 Vitamin D3 men der Nachbehandlung zur Eliminierung verbliebe-
ner Mikrometastasen.
Bösartige Tumoren der Schilddrüse
Definition. Maligne Neoplasie des Schilddrüsengewe- Nachsorge. Radiojodbehandlung bei differenzierten
bes. Schilddrüsenkarzinomen, perkutane Bestrahlung beim
undifferenzierten Karzinom.
Ätiopathogenese. Ursprungsgewebe sind Thyreozyten
oder C-Zellen. Lokal destruktives Wachstum, Metasta- Prognose. Diese ist abhängig von Histologie, Tumor-
sierung erfolgt in regionale Lymphknoten und hämato- größe, Metastasierung, Radikalität des Eingriffes, Alter
gen in Lunge, Skelett, Gehirn. des Patienten (. Tab. 1.16).
Eine Reihe weiterer seltener Tumorentitäten (Me-
Epidemiologie. Etwa 1% aller Malignome. Weibliches tastasen, Lymphome, Adenome) findet hier keine Er-
Geschlecht bevorzugt. wähnung. Die Therapieprinzipien ähneln sich.

. Tab. 1.16. Histologie der Schilddrüsenmalignome

Tumortypen Prognose

Papilläres Karzinom Häufigster maligner Tumor der Schilddrüse, Prognose >90% 5-Jah-
res-Überlebensrate (Ausnahme Stadium IVb mit Fernmetastasen)

Follikuläres Karzinom Prognose 50–80% 5-Jahres-Überlebensrate

C-Zell-Karzinom = medulläres Schilddrüsen- Prognose 40–50% 5-Jahres-Überlebensrate, schnelles Wachstum


karzinom

Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom (undif- Selten, Prognose infaust, sehr schnelles Wachstum


ferenziert)
1.7 · Viszeralchirurgie
65 1

In Kürze

Schilddrüsenmalignom

4 Papilläres Karzinom (häufig, gute Prognose) 4 Symptomatik: Verdrängungssymptome (Dysphagie, Dys-


4 Follikuläres Karzinom (mittlere Prognose) pnoe, Einflussstauung), Heiserkeit, endokrine Symptome,
4 C-Zell-Karzinom = medulläres Schilddrüsen- ggf. Schmerz
karzinom (mäßige Prognose, schnelles 4 Diagnostik: Schwellung, derbe Knoten, schlechte Ver-
Wachstum) schieblichkeit, Sonographie, Labor: Tumormarker, CT,
4 Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom (un- MRT, Szintigraphie
differenziert; sehr schlechte Prognose) 4 Therapie: operativ, radikal-operativ, medikamentös (auch
adjuvant), nuklearmedizinisch oder per Strahlentherapie

1.7.2 Ösophagus

Anatomie
Die Speiseröhre beginnt ca. 15 cm von der unteren Zahn-
reihe entfernt mit dem oberen Ösophagussphinkter, pas-
siert bei etwa 25 cm die Trachealbifurkation und endet mit
dem unteren Ösophagussphinkter am Mageneingang
nach etwa 40–45 cm. Der zervikale Teil wird durch die paa-
rige A. thyroidea inferior, der thorakale Teil durch aortale
Äste versorgt (auch Bronchialarterien; . Abb. 1.26).

Symptomatik. Im Rahmen von Erkrankungen des


Ösophagus können Dysphagie, Regurgitationen, Glo-
busgefühl, Aspirationen, Pneumoniesymptome, retros-
ternaler Schmerz, Schwellung des Halses, Gewichtsver-
lust bis zur Kachexie auftreten.

> Leitsymptom bei Ösophaguserkrankungen ist die


Dysphagie.

Diagnostik. Diagnostische Methoden bei Verdacht auf


Ösophaguserkrankungen sind:
4 Ösophagoskopie
4 Ösophagomanometrie
4 Sonographie, Endosonographie
4 Röntgen: Kontrastmittel(brei)schluck (Gastrogra-
fin, Barium)

> Bei Perforationsverdacht ist immer wasserlösliches


Kontrastmittel zu verwenden, z. B. Gastrografin.

Ösophagusdivertikel
Definition: Sackartige Ausbuchtungen des Ösophagus
meist im Halsbereich (. Abb. 1.27).

. Abb. 1.26. Arterielle Versorgung der Speiseröhre.


(Aus Lanz-Wachsmuth 2004)
66 Kapitel 1 · Chirurgie

Ätiopathogenese. Ursächlich sind erhöhter intraöso-


1 phagealer Druck sowie eine Disposition durch Wand-
schwäche.

Symptomatik. Dysphagie, Regurgitationen, Globusge-


fühl, Aspirationen, Pneumoniesymptome, retrosterna-
ler Schmerz, seltener Gewichtsverlust bis zur Kachexie
(Zenker-Divertikel).

Diagnostik. Manometrie, Endoskopie, Röntenkontrast-


mittelbreischluck.

Therapie. Aufgrund der nächtlichen Aspirationsgefahr


(v. a. ältere Menschen) besteht eine dringliche Operati-
onsindikation beim »Zenker-Divertikel«. Wichtig ist
eine Antibiotikaprophylaxe vor operativen Eingriffen.
Als operative Verfahren kommen infrage:
4 Links-zervikale (Zenker-) Myotomie (Erweiterung
des oberen Ösophagussphinkters)
4 Linksseitige Thorakotomie (epiphrenisch)
4 Divertikelabtragung (und Verschluss des Ösopha-
gus mit Stapler)
4 Divertikulopexie

Prognose. Ohne Behandlung bestehen Beschwerden


weiter, zudem ergibt sich die Gefahr der Aspiration,
Entzündung, Blutung, Ruptur, malignen Entartung. Mit
chirurgischer Behandlung liegt die Rezidivrate je nach
. Abb. 1.27. Typische Lokalisation der Ösophagusdivertikel Typ und operativem Verfahren bei ca. 1–20%.
und ihre Häufigkeitsverteilung. (Aus Siewert 2006)
Ösophagusperforation/-ruptur
Definition. Kontinuitätsdurchbrechung der Ösopha-
> Traktionsdivertikel stellen angeborene Ausbuch- guswand.
tungen der gesamten Wandung dar. Sie sind meist
asymptomatisch und bedürfen meist keiner Therapie. Ätiopathogenese. Ursachen für eine Perforation sind:
Sie befinden sich meist auf Höhe der Bifurkation und 4 Verätzung durch Säuren/Laugen-Ingestion
sind sehr selten. 4 Boerhaave-Syndrom
4 Traumatische Ösophagusperforation (z. B. Ver-
Erworbene Ösophagusdivertikel, schlucken eines Tablettenblisters o. a. Fremdkör-
Pulsionsdivertikel per, externe Gewalt, z. B. Schuss, Stich, Thorax-
Definition. Als Pulsionsdivertikel gilt eine Ausbuch- trauma)
tung der Ösophagusmukosa durch muskuläre Lücken. 4 Iatrogen (Endoskopie, Bougierung, Sonden)
Man unterscheidet: 4 Sekundäre Ösophagusruptur (Tumor, Ulkus)
4 Zenker-Divertikel (Hypopharynxdivertikel): Bis zu
faustgroße Ausbuchtung auf Höhe des Pharynx im 80% aller Ösophagusperforationen sind iatrogen be-
Bereich der sog. »Kilian-Lücke«, kranial des oberen dingt.
Ösophagussphinkters zwischen dem Musculus Säure verursacht eine Koagulationsnekrose mit
constrictor pharyngis inferior und seiner Pars cri- Schorfbildung, Laugen die ungünstigere Kolliquations-
copharyngea (sog. Laimer-Dreieck) nekrose (Verflüssigung):
4 Epiphrenisches, parahiatales Divertikel: Ausbuch- 4 Grad I: Ödembildung
tung etwa 8–13 cm oralwärts der Kardia im unteren 4 Grad II: Ulzerationen, Blutungen
Ösophagusdrittel, oberhalb des unteren Ösopha- 4 Grad III: Wandnekrose, Perforation
gussphinkters
1.7 · Viszeralchirurgie
67 1

Beim fulminantem Bersten der Speiseröhrewand, dem vernarbenden Verätzungen II. und III. Grades können
Boerhaave-Syndrom, liegt ursächlich ein zu hoher sich Strikturen und selten Karzinome bilden. Evtl. sind
Druck von innen (heftiges Erbrechen, Barotrauma Bougierungen (Aufdehnungen) in Intervallen oder
durch schnelles Auftauchen ohne Druckausgleich) zu- regelmäßig notwendig.
grunde, zu 95% proximal des unteren Ösophagus-
sphinkters, dorsolateral links. Ösophagusmotilitätsstörungen (Achalasie)
Definition/Ätiopathogenese. Durch neuromuskuläre
Epidemiologie. Beim Boerhaave-Syndrom sind Män- Funktionsstörung (Untergang der Ganglienzellen
ner häufiger betroffen. des Plexus myentericus) der Ösophagusperistaltik
und auch der Sphinkterkoordination Schluckakt
Symptomatik. Heftigste Schmerzen retrosternal (»Ver- gestört, langfristig kommt es zu Dilatation der Speise-
nichtungsschmerz«). röhre.

Diagnostik. Klinisch: Mediastinal-, Hautemphysem, Epidemiologie. Nicht selten tritt die Krankheit erst im
Fieber, Dyspnoe, Zyanose, Schock. Röntgen-Thorax p.- Erwachsenenalter in Erscheinung.
a.: Mediastinalempysem. Röntgenkontrastuntersu-
chung mit wasserlöslichem Kontrastmittel zeigt Aus- Symptomatik. Dysphagie, Regurgitationen, Retroster-
tritt des KM in Mediastinum. Laborchemisch ergeben naler Schmerz, Gewichtsverlust, Pulmonale Komplika-
sich Leukozytose, CRP-Anstieg. tionen (Aspiration).

Therapie. Nur kleine Rupturen (z. B. iatrogen), Verät- Diagnostik. Röntgenkontrastuntersuchung (Sanduhr-
zungen geringeren Grades heilen spontan bzw. können phänomen), Manometrie, Endoskopie.
konservativ unter strenger Überwachung therapiert
werden. Konservative Therapieoptionen sind: ! Cave
4 Systemische Antibiose breit und hochdosiert Ein maligner Tumor muss obligat endoskopisch aus-
4 Nahrungskarenz, parenterale Ernährung geschlossen werden (sog. »Pseudoachalasie«).
4 Speichelabsaugung
Therapie. Optionen sind mit zunehmendem Be-
Bei operativem Vorgehen (langstreckige Rupturen) gilt: schwerdebild: Pharmakotherapie (Kalziumantago-
4 Dringlich/Notfalloperation! Gefahr einer Medias- nisten, Nitropräparate), Bougierungen (Ballondila-
tinitis! tation), Botulinustoxininjektion, Myotomie der
4 Intubation und Beatmung Sphinkter mit Fundoplikatio nach Nissen, auch lapa-
4 Antibiotikaprophylaxe bzw. Therapie der begin- roskopisch.
nenden Mediastinitis
4 Verschluss der Perforation Gastroösophageale Refluxerkrankung (GERD)
4 Ggf. Pleura-, Interkostalmuskel- oder Zwerchfell- Definition. Reflux von Magensäure in den Ösophagus
lappendeckung thorakal, distal kann eine Fundo- mit entsprechenden Auswirkungen (Ösophagitis, Risi-
plastik durchgeführt werden ko einer Karzinomentwicklung) (7 Innere Medizin,
4 Bei schwersten Verletzungen, langstreckigen Verät- Kap. 4.1.4). Als sekundäre Refluxerkrankung bezeichnet
zungen höheren Grades oder Latenz bis zur Opera- man Reflux aufgrund anderer Erkrankungen (z. B.
tion: Ösophagektomie, Rekonstruktion (Kolonin- Sklerodermie, Magenerkrankungen), postoperativ
terponat) (Magenresektion).
4 Ggf. Einlage einer nasogastralen/jejunalen Sonde
zur Entlastung des Ösophagus Ätiopathogenese. Zugrunde liegt meist eine Inkompe-
tenz (Druck unter intraabdominellem Druck) des un-
> Bei schweren Verätzungen sind zusätzlich Schockthe- teren Ösophagussphinkters in Kombination mit Risi-
rapie, Elektrolytausgleich, Laborparameterkorrektur, kofaktoren (Übergewicht, Rauchen, Alkohol etc.). Meist
Frühbougierung sowie eine Kortisonstoßtherapie wird der Reflux begleitet von einer axialen Hiatusher-
indiziert. nie, ohne kausalen Zusammenhang. Es kommt zu eine
stufenlosen Entwicklung der Erkrankung:
Prognose. Bei massiver Ösophagusruptur wie dem 4 Ösophagitis (Stadium I, II)
Boerhaave-Syndrom beträgt die Letalität 100% ohne 4 Schwere Ösophagitis mit Erosionen, Nekrosen, Ul-
Behandlung. Bei früher Operation unter 10%. Nach zera, Stenosen (Stadium III, IV)
68 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Endobrachyösophagus (= Barrett): Metaplasie von es wird meist endoluminal oder transthorakal/abdomi-


1 chronisch entzündetem Plattenepithel zu Zylinder- nell vorgegangen.
epithel, langstreckig oder kurzstreckig (»Short-seg-
ment«-Barrett) Ösophaguskarzinom
Definition. Maligne Neoplasie von dem Speiseröhren-
! Cave epithel ausgehend. Meist handelt es sich um ein Platten-
Barrett-Ösophagus: Das Entartungsrisiko zum malig- epithelkarzinom (gesamter Ösophagus) oder Adeno-
nen Ösophaguskarzinom liegt bei 10%. karzinom (meist distaler Ösophagus, aus Barrett her-
vorgehend). Therapeutisch und prognostisch (siehe
Epidemiologie. Sehr häufig, 5–10% der Bevölkerung. unten) unterscheidet man:
4 Zervikale Karzinome
Symptomatik. Sodbrennen insbesondere nächtlich, 4 Bifurkale Karzinome
nach Nahrungsaufnahme, bei flacher Rückenlage, beim 4 Infrabifurkale Karzinome
Schuhebinden. Regurgitation. Aspiration (Husten,
Asthmasymptomatik, Heiserkeit). Ätiopathogenese. Ösophaguskarzinome sind oft Folge
exogener Noxen, z. B. Alkohol, Nikotin, Nitrosaminhal-
Diagnostik. Zur Anwendung kommen. tige Lebensmittel, heiße Getränke. Karzinomvorstufen
4 Manometrie stellen Barrett-Ösophagus und Verätzungen dar. Die
4 pH-Metrie Karzinome breiten sich in das Tracheobronchialsystem
4 Endoskopie mit Biopsie: Karzinomausschluss aus, es erfolgt eine frühe lymphogene Metastasierung;
4 Röntgenkontrastmittelbreischluck (Hiatushernie?) die hämatogen-venöse Metastasierung betrifft Lunge
(obere Karzinome) und Leber (untere Karzinome).
Therapie. Konservative Optionen sind: Schlafen mit
erhöhtem Oberkörper, Gewichtsreduktion, Einnahme Epidemiologie. Insgesamt eher selten (3,4/100.000 Ein-
von Protonenpumpenhemmern, proteinreiche Kost, wohner/Jahr in Deutschland). Starke Bevorzugung des
Verzicht auf Alkohol, Rauchen. Operative Verfahren männlichen Geschlechtes.
sind beim Versagen der konservativen Maßnahmen
angezeigt: Fundoplikatio zur Erhöhung der Kompetenz Symptomatik. Die Patienten können folgende Be-
des unteren Ösophagussphinkters: Umschlingen und schwerden zeigen:
Vernähen des Magenfundes um den distalen Ösopha- 4 Retrosternaler Schmerz, Brennen (Keine Bagatelli-
gus, z. B. laparoskopische Fundoplikatio nach Nissen- sierung!)
Rossetti (vollständig) oder Hemifundoplikatio nach 4 Heiserkeit, Globusgefühl
Toupet. Bei Endobrachyösophagus erfolgt stadienab- 4 Dysphagie (Spätsymptom, ab 2/3 Lumeneinen-
hängig Beobachtung, Mukosektomie, Ösophagusresek- gung)
tion. 4 B-Symptomatik (Kachexie, Nachtschweiß, Lei-
stungsminderung)
Prognose. Die Fundoplikatio führt zu über 90% zur
dauerhaften Beschwerdelinderung und zur Rückbil- Diagnostik. Diagnostisch kommen zum Einsatz Labor-
dung der Ösophagusveränderungen. Bei zu straffer werte (Tumormarker: CEA, SCC und Hb), Endoskopie,
Fundoplikatio ist eine postoperative Bougierung erfor- Biopsie, Endosonographie (T-Status, N-Status, Bron-
derlich. choskopie (Ausschluss Einbruch in Nachbarstruk-
turen), Röntgen konventionell: Röntgen-Thorax, CT,
> 10er-Regel: 10% aller Patienten mit Reflux entwickeln MRT, falls zugänglich und vom Patienten selbst finan-
Beschwerden, 10% mit Beschwerden eine Ösophagi- ziert auch PET (Staging, Messung der Erfolges einer
tis, bei 10% aller schweren Ösophagitiden entwickelt Chemotherapie).
sich ein Ösophaguskarzinom.
Therapie. Ziel ist die R0-Resektion. Bei Tumoren ober-
Ösophagustumoren halb der Bifurkation ist dies meist nur bei T1-/T2-Tu-
Benigne Ösophagustumoren moren (. Tab. 1.17 und 18) möglich. Bei weiter fortge-
Benigne Tumoren des Ösophagus sind selten (meist schrittenen Tumoren kommt ggf. die neoadjuvante
Leiomyome). Der Entschluss zur chirurgischen Resek- Radiochemotherapie infrage. Unterhalb der Bifurkati-
tion kann aufgrund des lokalen Wachstums fallen und on sind auch Tumoren des T3-/T4-Status noch radikal
anhand der Histologie (Malignomentwicklungsrisiko); resezierbar. Auch hier erfolgt ggf. eine neoadjuvante
1.7 · Viszeralchirurgie
69 1

. Tab. 1.17. UICC-Klassifikation der Ösophaguskarzi- . Tab. 1.18. UICC-Stadieneinteilung der Ösophagus-
nome (UICC 2002). (Aus Siewert 2006) karzinome (UICC 2002). (Aus Siewert 2006)

T Primärtumor Stadieneinteilung

TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden Stadium 0 Tis N0 M0

T0 kein Anhalt für Primärtumor Stadium I T1 N0 M0

Tis Carcinoma in situ Stadium IIA T2 N0 M0

T1 Tumor infiltriert Lamina propria oder sub- T3 N0 M0


mucosa
Stadium IIB T1 N1 M0
T2 Tumor infiltriert Muscularis propria
T2 N1 M0
T3 Tumor infiltriert Adventitia
Stadium III T3 N1 M0
T4 Tumor infiltriert Nachbarstrukturen

N Regionäre Lymphknotena T4 jedes N M0

NX Regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar Stadium IV jedes N M1

N0 Keine regionären Lymphknotenmetastasen

N1 Regionäre Lymphknotenmetastasen
Vorbehandlung (z. B. nach sog. Siewert-Schema unter
M Fernmetastasenb PET-Kontrolle).
Stets sollte eine radikale, subtotale Ösophagekto-
MX Vorhandensein von Fernmetastasen nicht
beurteilbar mie, ggf. Kardia, Larynx, Pharynx, Schilddrüse mit
Lymphknotenpaketen (mediastinal, paratracheal, peri-
M0 Keine Fernmetastasen vorhanden broncheal, periösophageal, gastral, Halslymphknoten)
M1 Fernmetastasen vorhanden
angestrebt werden. Der Zugang erfolgt von zervikal,
transthorakal oder abdominell. Es schließt sich die Re-
Die pTNMA-Klassifikation entspricht den Kategorien T, konstruktion durch Magenhochzug, Kolon- oder
N und M. Dünndarminterponat (frei mit Anschluss an Halsarte-
a
Die Klassifizierung des pN-Status muss auf mindes- rien, gestielt) an.
tens 6 entfernten regionären Lymphknoten beruhen. Als adjuvante Therapie kommt die Strahlen-/Che-
Regionäre Lymphnoten des zervikalen Ösophagus motherapie zum Einsatz (diese ist allerdings umstrit-
sind die zervikalen Lymphknoten, einschließlich
ten). Auch palliativ hat die Radiochemotherapie (auch
supraklavikulärer Knoten, für den intrathorakalen
Ösophagus die mediastinalen und perigastrischen
intraluminal) therapeutisch einen Platz. Weitere pallia-
Knoten mit Ausnahme der zöliakalen Lymphknoten tive Optionen sind:
b
Für Ösophaguskarzinome oberhalb der Tracheal- 4 Laserabtragung
bifurkation gilt: 4 Stenting (Kunststoff, Metallgeflecht)
M1a: Metastasen in zervikalen Lymphknoten 4 Ernährung per Jejunum/Magen (z. B. PEG-Sonde)
M1b: andere Fernmetastasen 4 Umgehungsoperationen: selten indiziert
Für Ösophaguskarzinome unterhalb der Tracheal-
bifurkation gilt: Prognose. Oft erfolgt die Diagnosestellung wegen der
M1a: Metastasen in zöliakalen Lymphknoten unspezifischen Frühsymptome spät; Karzinome ober-
M1b: andere Fernmetastasen halb der Trachealbifurkation sind dann häufig nicht
mehr radikal resektabel. Bei R0-Resektion liegt die 5-
Jahres-Überlebensrate bei 40%.

Ösophagusvarizen
7 Kap.1.6.11; 7 Innere Medizin, Kap. 4.1.2.
70 Kapitel 1 · Chirurgie

In Kürze
1
Ösophaguserkrankungen

Erworbene 4 Symptomatik: Dysphagie, Regurgitationen, Globusgefühl, Aspirationen, Pneumoniesymp-


Ösophagus- tome, retrosternaler Schmerz
divertikel 4 Diagnostik: Manometrie, Endoskopie, Röntenkontrastmittelbreischluck
4 Therapie: dringliche Operationsindikation. Antibiotikaprophylaxe, Links-Zervikale (Zenker)
Myotomie (Erweiterung des oberen Ösophagussphinkters), linksseitige Thorakotomie
(epiphrenisch), Divertikelabtragung (und Verschluss des Ösophagus mit Stapler) oder
Divertikulopexie

Ösophagus- 4 Symptomatik: Vernichtungsschmerz


perforation 4 Diagnostik:
– Klinisch: Mediastinal-, Hautemphysem, Fieber, Dyspnoe, Zyanose, Schock
– Röntgen-Thorax p.-a.: Mediastinalempysem, Röntgenkontrastuntersuchung mit wasser-
löslichem Kontrastmittel
– Laborchemisch: Leukozytose, CRP-Anstieg (Mediastinitis)
4 Therapie:
– Konservativ: systemische Antibiose breit und hochdosiert, Nahrungskarenz, parenterale
Ernährung, Speichelabsaugung
– Operativ: Intubation und Beatmung, Antibiotikaprophylaxe bzw. Therapie der begin-
nenden Mediastinitis, Verschluss der Perforation. Ggf. Pleura-, Interkostalmuskel- oder
Zwerchfelllappendeckung thorakal, distal Fundoplastik. Bei schwersten Verletzungen,
langstreckigen Verätzungen höheren Grades oder Latenz bis zur Operation: Ösophag-
ektomie, Rekonstruktion (Magenhochzug, Koloninterponat u. a.)

Gastroösopha- 4 Symptomatik: nächtliches Sodbrennen und nach Nahrungsaufnahme, Rückenlage,


geale Reflux- Schuhebinden. Regurgitation. Aspiration (Husten, Heiserkeit)
krankheit 4 Diagnostik: Manometrie, pH-Metrie, Endoskopie mit Biopsie: Karzinomausschluss,
Röntgenkontrastmittelbreischluck (Hiatushernie?)
4 Therapie:
– Konservativ: Schlafen mit erhöhtem Oberkörper, Gewichtsreduktion, Einnahme von
Protonenpumpenhemmern, proteinreiche Kost, Verzicht auf Alkohol, Rauchen
– Operativ: Fundoplikatio z. B. laparoskopisch nach Nissen-Rossetti, Hemifundoplikatio
nach Toupet. Bei Endobrachyösophagus stadienabhängig Beobachtung, Mukosektomie,
Ösophagusresektion.

Ösophagus- 4 Symptomatik: retrosternaler Schmerz, Brennen, Heiserkeit, Globusgefühl, Dysphagie


malignom, (Spätsymptom), B-Symptomatik
Carcinoma 4 Diagnostik: Tumormarker CEA, SCC, Endoskopie, Biopsie, Endosonographie, Bronchosko-
in situ des pie, Röntgen konventionell, CT, MRT, PET
Ösophagus 4 Therapie: ggf. neoadjuvante Radiochemotherapie. Subtotale Ösophagektomie (ggf. Kardia,
Larynx, Pharynx, Schilddrüse) mit Lymphknotenpaket-Resektion (mediastinal, paratracheal,
peribroncheal, periösophageal, gastral, Halslymphknoten). Rekonstruktion durch Magen-
hochzug, Koloninterponat, Dünndarminterponat (frei mit Anschluss an Halsarterien,
gestielt nach Merendino). Adjuvante Chemo-/Strahlentherapie (umstritten); palliative
Therapieverfahren

Ösophagusva- 4 Symptomatik: Hämatemesis


rizen, Magen- 4 Diagnostik: klinisch, ÖGD, Hb
varizen (Fun- 4 Therapie: medikamentöse Blutungsprophylaxe (β-Blocker). Bei akuter Blutung Somato-
dusvarizen) statin- oder Glycylpressingabe, endoskopische Blutstillung (Schlinge, Sklerosierung,
Ballontamponade). Blutungsprophylaxe chirurgisch mittels Shunt-Operation (Child A + B),
TIPS (Child C), Lebertransplantation als einzig kausale Behandlung
1.7 · Viszeralchirurgie
71 1
1.7.3 Magen 4 Stress
4 Alkohol, Nikotin
Anatomie 4 Nüchternphasen, Aufenthalt auf der Intensivstati-
Der Magen gliedert sich in proximalen Fundus und Kardia, on
mittleren Korpus und distales Antrum und Pylorus. Die ar-
terielle Versorgung (. Abb. 1.28) erfolgt vollständig aus Epidemiologie. Das Ulcus ventriculi ist seltener als das
dem Truncus coeliacus über die A. gastrica sinistra, über die Duodenalulkus und macht etwa 15% aller gastroduo-
A. gastrica dextra, A. gastroepiploica sinistra et dextra, Aa. denalen Ulzera aus.
gastricae breves sowie aus der A. lienalis über die A. gastri-
ca posterior. Symptomatik. Epigastrischer Schmerz, periumbilikaler
Schmerz, Nüchternschmerz, Erbrechen, Übelkeit.
Ulcus ventriculi
Definition. Mukosadefekt, später auch Defekt tieferer Komplikationen. Lebensbedrohende Blutungen
Schichten mit Einbruch in Nachbarorgane, Bauchhöh- (. Tab. 1.19), Magenausgangsstenose, Perforation mit
le, Blutgefäßarrosion. Peritonitis.
Einteilung nach Johnson:
4 Typ I: kleine Kurvatur (meist an der Grenze zwi- Diagnostik. Röntgen Abdomen im Stehen/Linksseiten-
schen Antrum- und Korpus) lage bei Perforationsverdacht, Gastroskopie (Erosion,
4 Typ II: simultanes Ulcus ventriculi und Ulcus du- Ulkus, Blutung), Biopsieentnahme (>10), H.-pylori-
odeni Test (7 Innere Medizin, Kap. 4.2.2).
4 Typ III: präpylorisches Ulkus
! Cave
Ätiopathogenese. Eine Dysbalance zwischen magen- Magenulkus: Ausschluss Karzinom!
protektiven (Schleim, Mukosaepithel, Bikarbonat, Me-
diatoren, Magenperfusion) und magenaggressiven Fak- Therapie. Konservativ: Nikotin-, Alkoholabstinenz,
toren liegt dem Ulkus zugrunde. Dabei zählen zu den H.-pylori-Eradikation (Tripletherapie), Protonenpum-
Aggressoren: penhemmer (7 Innere Medizin, Kap. 4.2.2).
4 Helicobacter-pylori-Besiedelung
4 Säureüberschuss (z. B. Zollinger-Ellison-Syndrom) > Tripletherapie: z. B. Omeprazol plus Clarithromycin
4 ASS, NSAR plus Metronidazol für 7–10 Tage.

. Abb. 1.28. Arterielle Versorgung des Magens. (Aus Lanz-Wachsmuth 2004)


72 Kapitel 1 · Chirurgie

1
5 cm

2 cm

15-20 cm

40 cm

. Abb. 1.29. Mindmap Magenresektion nach Billroth I; Magenresektion nach Billroth II; distale Magenresektion nach Roux-Y-
Anastomose. (Aus Siewert 2006)
1.7 · Viszeralchirurgie
73 1

nochmalige Seit-zu-Seit-Anastomose des Jejunums


. Tab. 1.19. Klassifikation der Aktivität der gastroduo- (Braunsche-Fußpunkt-Anastomose)
denalen Ulkusblutung nach Forrest (aus Siewert 2007) 4 Roux-Y-Anlage: Distale Magenresektion. End-zu-Seit-
Anastomose von Magen und Jejunum. Der Duodenal-
Ia Aktive Blutung, arteriell
stumpf wird blind verschlossen und etwa 40 cm aboral
Ib Aktive Blutung, venös der Gastrojejunostomie in das Jejunum End-zu-Seit
eingepflanzt.
IIa Keine aktive Blutung, sichtbarer Gefäß-
4 Totale Gastrektomie: Ggf. Erweiterung in Richtung
stumpf
Mediastinum. Ösophagojejunstomie mit Pouch-Bil-
IIb Keine aktive Blutung, Blutkoagel oder dung., Duodenalblindverschluss und Insertion in den
Hämatinbildung aboralen Schenkel.
III Keine aktive Blutung, kein Zeichen stattge-
Tumoren des Magens
habter Blutung, aber potenzielle Blutungs-
Benigne Tumoren
quelle, z. B. Ulkus
Definition. Die Vielzahl von epithelialen oder mesen-
chymalen Tumoren lässt sich einteilen in:
4 Adenome (epithelial)
Operativ: Immer bei Komplikationen (Blutung, Perfora- 4 Gastrinome (epithelial)
tion), ggf. bei chronischen Ulzera. Gastroskopische Blut- 4 Gastrointestinale Stromatumoren (GIST, mesen-
stillung (Injektion, Laser-/Hitzekoagulation, Fibrin, Clip- chymal)
ping, laparoskopische Ulkusexzison und Übernähung,
bei größerem Befund Magenresektion (meist distal). Die Ätiopathogenese. Alle Schichten der Magenwand kön-
distale Magenresektion kann je nach Befund und Opera- nen Ausgangspunkt von benignen Neoplasien sein: Po-
teur wie folgt durchgeführt werden (. Abb. 1.298): lypen, Leiomyome, Lipome, Neurofibrome, Angiome.
4 Billroth-I-Resektion (meist): 1/3-Magenresektion
4 Billroth-II-Resektion (selten): 2/3-Magenresektion Symptomatik. Unspezifisch: Völlegefühl, Motilitätsstö-
4 Distale Magenresektion und Roux-Y-Rekonstruk- rungen, Oberbauchschmerz, Blutung.
tion
4 Subtotale Magenresektion (sehr selten) Diagnostik. Biopsie.

Komplikationen nach Magenresektionen umfassen: Therapie. Die benignen Tumoren können eine chirur-
4 Früh: Anastomoseninsuffizienz gische Therapie erfordern, wenn aufgrund ihrer
4 Spät: Gallereflux, Erbrechen, Gastritis, Refluxöso- Dignität eine maligne Entartung zu erwarten ist (z. B.
phagitis, Malnutriton, Malabsorption, Dumping- Adenome) und/oder lokal destruierendes/verdrängen-
syndrom: postprandiale vegetative Sensationen des Wachstum erhebliche Beschwerden bereitet und/
(Schwitzen, Tachykardie), Hypoglykämie, beschleu- oder Komplikationen (Blutung) hervorrufen kann.
nigte Magenentleerung (insbesondere hyperosmo- Kleinere Tumoren werden endoskopisch, laparosko-
lare Nahrung), Diarrhö, Nausea, Karzinoment- pisch reseziert; größere Tumoren ggf. per Laparatomie
stehung (Narbenkarzinom) entfernt.

Nachsorge. Aufgrund des Eingriffs in die normale Re- Magenkarzinom


sorptionsphysiologie wird ggf. die Substitution von Kal- Definition. Maligne Neoplasie von der Magenmukosa
zium, Vitamin D, Eisen, Vitamin B12, Folsäure nötig. ausgehend. Zu 95% handelt es sich um ein Adenokar-
zinom, meist im Bereich der kleinen Kurvatur und
Verfahren bei der Magenresektion des Antrums. Als Magenfrühkarzinom gilt ein Tu-
4 Billroth I: Resektion des distalen Magens und Gastro- mor, der nur Mukosa und Submukosa infiltriert, als
duodenostomie. Hierzu wird die resezierte Magenmit- Magen(makro)karzinom ein Tumor, der die Submu-
te per Naht verkleinert um dem Kaliber des Duode- kosa in die Muscularis propria und tiefer überschreitet.
nums zu entsprechen.
4 Billroth II: Distale Magenresektion. Blindverschluss Ätiopathogenese. Multifaktoriell (genetisch, Grunder-
des Duodenums. End-zu-Seit-Gastrojejunostomie von krankungen); Risikofaktor: Helicobacter-pylori-Besie-
Magen und Jejunalschlinge. Aboral dieser Anastomose delung. Histologisch findet sich meist ein Adenokarzi-
6 nom, seltener Siegelring-, adenosquamös-, Plattenepi-
74 Kapitel 1 · Chirurgie

thel-, kleinzelliges Karzinom. Die Klassifikation nach etwa Typ I und II des intestinalen Typs nach Lauren, Typ III
1 Lauren erfolgt in intestinalen Typ und diffusen Typ. und IV dem diffusen Typ.
Intestinaler Typ:
4 Lokalisiert, scharf abgrenzbar Epidemiologie. 10–20 Neuerkrankungen/100.000 Ein-
4 Mittlerer Sicherheitsabstand von 3–4 cm wohner. Dritt- bis vierthäufigste Todesursache in
4 Öfters kurabel resezierbar Deutschland, Altersgipfel liegt bei 70–75 Jahren.
4 Seltener Lymphknotenmetastasen
Symptomatik. Im Frühstadium zeigen sich keine Symp-
Diffuser Typ: tome; dann klagen die Patienten zunächst über un-
4 Diffus wachsend, wenig scharf begrenzt spezifische Beschwerden mit Inappetenz, Leistungs-
4 Großer, notwendiger Sicherheitsabstand (>5 cm) minderung, Oberbauchbeschwerden, Gewichtsverlust.
4 Seltener kurabel resezierbar
4 Häufiger Lymphknotenmetastasen Diagnostik. Ösophagogastroduodenoskopie mit Biop-
sieentnahme,Sonographie,Endosonographie(T-Status,
Borrmann-Klassifikation N-Status), CT, MRT (Staging; . Tab. 1.20), okkultes Blut
Wenig Verwendung findet noch die makroskopische Klas- im Stuhl; diagnostische Laparoskopie, Peritoneallavage
sifikation nach Borrmann in Typ I–IV. Hierbei entsprach (selten) zum Ausschluss Peritonealkarzinose.
6

. Tab. 1.20. TNM- und Stadieneinteilung des Magenkarzinoms nach UICC (2002 bzw. 1997)

T-Status N-Status M-Status Stadieneinteilung

T0 N0 MX Stadium 0
Kein Anhalt für Primärtumor Kein Anhalt für regionäre Fernmetastasen kön- 4 T0, N0, M0
Lymphknotenmetastasen (Un- nen nicht beurteilt
tersuchung von mindestens werden
15 Lymphknoten empfohlen)

Tis N1 M0 Stadium IA
Carcinoma in situ: intraepithelialer Metastasen in 1–6 regionären Kein Anhalt für Fern- 4 Tis, N0, M0
Tumor ohne Infiltration der Lamina Lymphknoten metastasen
propria

T1 N2 M1 Stadium IB
Tumor infiltriert die Lamina prop- Metastasen in 7–15 regionären Nachweis von Fern- 4 T1, N1,M0
ria oder Submukosa Lymphknoten metastasen 4 T2a,b, N0, M0

T2 N3 Stadium II
Tumor infiltriert Muscularis propria Metastasen in mehr als 15 regi- 4 T1, N2, M0
oder Subserosa onären Lymphknoten 4 T2a,b, N1, M0
4 T2a Tumor infiltriert Muscula- 4 T3, N0, M0
ris propria
4 T2b Tumor infiltriert Subserosa

T3 Stadium IIIA
Tumor penetriert Serosa (viszerales 4 T2a,b, N2, M0
Peritoneum), infiltriert aber nicht 4 T3, N1, M0
benachbarte Strukturen 4 T4, N0, M0

T4 Stadium IIIB
Tumor infiltriert benachbarte 4 T3, N2, M0
Strukturen

Stadium IV
4 T1,2,3, N3, M0
4 T4, N1,2,3, M0
4 Jedes T, jedes
N, M1
1.7 · Viszeralchirurgie
75 1

Verlauf und Komplikation des Magenkarzinoms An palliativen Therapieansätzen kommen zum


Nicht selten kommt es zur Perforation in die Bauchhöhle Einsatz:
mit Peritonealkarzinose zum Diagnosezeitpunkt: Ausbrei- 4 Chemotherapie (5-Fluorouracil, Cisplatin, Epirubi-
tung in Umgebung, nicht selten Infiltration von Nachbar- cin)
strukturen (T4-Karzinome) z. B. Kolon, Pankreas. Die lym- 4 Palliative R1-/R2-Resektionen ohne Überlebens-
phogene Metastatisierung erfolgt früh regional entlang vorteil, ggf. bei Komplikationen (Blutung Stenose,
der versorgenden Arterien und paraaortal; die hämatogen- Perforation) gerechtfertigt
venöse Metastasierung in die Leber. Häufig finden sich 4 Ösophagustubus
multizentrische Karzinome. 4 Bypass (selten)
Im Rahmen des natürlichen Verlaufs (ohne Therapie) 4 Ernährungsfistel (jejunal)
kommt es zur Obstruktion, Blutung, Sepsis mit Multiorgan-
versagen, Einbruch in freie Bauchhöhle/Nachbarorgane. Prognose. Magenfrühkarzinome haben die beste Prog-
nose, leider sind sie asymptomatisch. In den Stadien bis
Therapie. Die R0-Resektion mit radikaler Lymphaden- IIIa sind radikale Chirurge und ggf. adjuvante Chemo-
ektomie, Resektion des Omentum majus et minus bietet therapie von Benefit für die Patienten. Eine schlechte
einzige Chance auf Langzeitüberleben. Unterschieden Prognose ergibt sich für fortgeschrittene Stadien (>IIIa).
werden: Insgesamt liegt die Resektionsrate bei 80%, die 5-Jah-
4 Subtotale Gastrektomie (bei distalem Magenkarzi- res-Überlebensrate bei Frühkarzinom bei 85–90%, bei
nom) Magenmakrokarzinom bei 30–40%. Folgen nach Ma-
4 Totale Gastrektomie (bei mittlerem Magenkarzi- genresektionen werden oben im Abschnitt »Ulcus ven-
nom) triculi« beschrieben.
4 Erweiterte Gastrektomie: Mitresektion des distalen
Ösophagus (bei proximalem Magenkarzinom), Magenlympome
evtl. auch Milz Magenlymphome gehören zu den selteneren Entitäten.
Ausgangspunkt ist meist das Mukosa-assoziierte lympha-
Ggf. ist eine multiviszerale Resektion bei T4-Karzino- thische Gewebe (MALT; »mucosa-associated lymphatic tis-
men sinnvoll, wenn R0-Situation in Aussicht steht. Die sue«). Sie neigen zur lymphogenen Metastatisierung. Die
Rekonstruktion der Nahrungspassage erfolgt nach Bill- Therapie ist abhängig vom zytologischen und makroskopi-
roth II, Roux-Y-Ösophagojejunostomie. schen Befund/Stadium und erfolgt stufenförmig von blo-
Intraoperative Bestrahlungen, laparoskopische ßer Helicobacter-pylori-Eradikation, Beobachtung über
Gastrektomien/Teilgastrektomien, neoadjuvante Vor- Chemo-/Radiotherapie bis zur radikalen Gastrektomie
bereitung stellen neuere Verfahren dar und scheinen (Operation nur bei Notfall wie Blutung, Perforation).
teilweise erhebliche Vorteile aufzuweisen (weniger
Komplikationen, kürzere Klinikverweildauer).

In Kürze

Magenerkrankungen

Magenulkus 4 Symptomatik: epigastrischer, periumbilikaler Schmerz, Nüchternschmerz, Erbrechen,


Übelkeit
4 Diagnostik: Gastroskopie, Biopsieentnahme (>10), H.-pylori-Tests
4 Therapie:
– Konservativ: Nikotin-, Alkoholabstinenz, H.-pylori-Eradikation (Tripletherapie),
Protonenpumpenhemmer
– Operativ: bei Komplikationen (Blutung, Perforation) gastroskopische Blutstillung,
laparoskopische Ulkusexzison und Übernähung, bei größerem Befund Magen-
resektion (meist distal); meist Billroth-I-Resektion

6
76 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Magenkarzinom/ 4 Symptomatik: keine Frühsymptome, dann unspezifisch mit Inappetenz, Leistungsmin-


Carcinoma in situ derung, Oberbauchbeschwerden, Gewichtsverlust
des Magens 4 Diagnostik: Ösophagogastroduodenoskopie, Biopsie, Sonographie, Endosonographie,
CT, MRT, okkultes Blut im Stuhl, diagnostische Laparoskopie, Peritoneallavage
4 Therapie:
– R0-Resektion mit radikaler Lymphadenektomie, Resektion des Omentum majus et
minus
– Subtotale Gastrektomie (bei distalem Magenkarzinom)
– Totale Gastrektomie (bei mittlerem Magenkarzinom)
– Erweiterte Gastrektomie: Mitresektion des distalen Ösophagus (bei proximalem
Magenkarzinom)
– Ggf. multiviszerale Resektion bei T4-Karzinomen; Rekonstruktion der Nahrungspas-
sage nach Billroth II, Roux Y-Ösophagojejunostomie, ggf. Pouch-Bildung mit Jejunal-
schlingen. Hinzu kommen palliative Therapieverfahren

1.7.4 Dünndarm tierte Schlingen), CT (Abszess), MRT, Angiographie,


Diagnostische Laparoskopie.
Anatomie Die Operationsverfahren werden in . Tab. 1.21
Der Dünndarm gliedert sich in das Duodenum (Zwölffin- und . Abb. 1.30 zusammengefasst.
gerdarm), Jejunum (Krummdarm) und Ileum (Ende: Ileozö-
kalklappe). Die Gesamtlänge beträgt 3–5 m. Der Dünndarm Dünndarmtumoren
stellt den Hauptort der Nahrungsverdauung und -resorpti- Tumoren des Dünndarms sind Raritäten. Man vermutet,
on (Wasser, Elektrolyte, Vitamine, Spurenelemente, Kohlen- dass dies an kurzer Kontaktzeit der Nahrung, geringer
hydrate, Aminosäuren, Fette) dar. Die arterielle Versor- bakterieller Besiedlung, starker Schleimhautbarriere und
gung erfolgt über die A. mesenterica superior über Aa. je- hohem Zell-Turnover (permanente Zellabstoßung) der
junales; der venöse Abfluss über die V. mesenterica Mukosa liegt.
superior in die V. portae, die lymphatische Drainage über Treten dennoch Malignome (Adenokarzinom, Lym-
die Cysterna Chyli und den Ductus thoracicus. phom, Leiomyosarkom, Karzinoid) auf und haben sie eine
schlechte Prognose, da sie spät entdeckt werden (Symp-
Die Anamnese bei Verdacht auf Erkrankungen des tome sind z. B. Blutungen, Komplikationen, z. B. ein Ileus;
Dünndarms umfasst neben allgemeinen Fragen fol- diagnostisch führen meist CT und/oder Laparotomie/
gende spezielle Punkte: -skopie zum Ziel). Therapeutisch ist eine radikale Exzi-
4 Ileuszeichen (Erbrechen, Stuhlverhalt) sion mit Sicherheitsabstand und Lymphadenektomie
4 Kolikschmerzen indiziert; die Passage ist wieder herzustellen. In fortge-
4 Stuhlgangsveränderungen (Teerstuhl, Blut, Schleim, schrittenen Stadien sind Umgehungsanastomosen not-
Konsistenz) wendig.
4 Gewichtsverlust
1.7.4.1 Duodenum
Die klinische Untersuchung beinhaltet: Ulcus duodeni
4 Inspektion: Abdomen gebläht, Operationsnarben Definition. Mukosadefekt und Defekt tieferer Wand-
4 Auskultation: Peristaltik (lebhaft, spärlich, fehlend, schichten des Zwölffingerdarms bis zur Perforation.
klingend, hochgestellt)
4 Palpation: Druckschmerz, Peritonismuszeichen Ätiopathogenese. Ursächliche Faktoren sind Über-
(Abwehrspannung, »harter Bauch«, Loslass- produktion an HCl, Nikotinabusus, Stress, Polytrauma,
schmerz), palpable Resistenzen exogen (NSAR, ASS) u. v. a.

Zur technischen Zusatzdiagnostik gehören folgende Epidemiologie. Sehr häufig (95% aller Ulzera des Ma-
Verfahren: Röntgen (Abdomen-Leeraufnahme, Spie- gens und Duodenums). Männliches Geschlecht wird
gel, freie Luft, Gastrografinpassage), Sonographie (freie bevorzugt.
Flüssigkeit im Douglas-Raum, Morrison-Pouch, dila-
1.7 · Viszeralchirurgie
77 1

Tumor Resektionslinie

Resektionslinie
Striktur

Roux-Y-Schlinge
Omega-Schlinge

. Abb. 1.30. Mindmap Resektions- und Rekonstruktionsverfahren am Dünndarm. (Aus Siewert 2006)
78 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.21. Standardoperationsverfahren am Dünndarm

Operationsverfahren Beschreibung Indikation

Segmentresektion Darmnaht (End-zu-End, End-zu-Seit, Seit-zu- Tumoren, Stenosen


Seit) bei gutartigen Tumoren, radikal bei malig-
nen Tumoren (inkl. Lymphadenektomie, erhöh-
ter Sicherheitsabstand). Rekonstruktion End-
zu-End und End-zu-Seit, Seit-zu-Seit

Iliozökalresektion Resektion des terminalen Ileums und des dista- Übergreifen der Appendizitis vermiformis
len proximalen Zökums. Ileoaszendostomie auf das Zökum, Karzinoid, Morbus Crohn

Strikturoplastik Längsinzision und Quernaht (Lumen vergrö- Morbus Crohn


ßert sich) bei Stenosen, z. B. bei M. Crohn

Schlingenanlage Roux-Y-Schlinge, Omega-Schlinge u. v. a. Rekonstruktionen z. B. bei biliodigestiven


Anastomosen, Pankreasresektion, Magen-
resektion

Ileostoma Transitorisch, permanent. Endständig oder Zum Beispiel protektiv, vor Tumorsteno-
doppelläufig sen

Adhäsiolyse Lösen von Adhäsionen von Darm an der Abdominelle Abhäsionen, z. B. nach mul-
Bauchwand, Verwachsungssträngen (Briden) tiplen Abdominaleingriffen/Peritonitis

Symptomatik. Chronischer oder plötzlicher Schmerz 1.7.4.2 Jejunum, Ileum


im Epigastrium, Ausstrahlung in Schulter und Rücken. Meckel-Divertikel
Nüchternschmerz. Definition/Ätiopathogenese. Das Meckel-Divertikel
stellt ein Rudiment des Ductus omphaloentericus dar.
Diagnostik. Diagnostisch kommen bei Verdacht auf Es liegt ca. 30–100 cm oral der Ileozökalklappe. Es ist
Ulcus duodeni zum Einsatz: bei etwa 0,5–2% aller Menschen vorhanden.
4 Ösophagogastroduodenoskopie.
4 Seltener Magen-Darm-Passage Symptomatik. Meist symptomlos. Falls Beschwerden
4 Säuresekretionsanalyse auftreten, ähneln sie denen einer Appendizitis: Ileusbe-
4 Röntgen-Abdomen im Stehen: freie Luft als Hin- schwerden, selten Komplikationen (Blutung, Perforati-
weis auf eine Perforation on, Tumor).

Therapie. Konservative Optionen sind Protonenpum- Diagnostik. Laparoskopie (Goldstandard), Sonogra-


penhemmer, die Eradikation von Helicobacter pylori, phie, Szintigraphie, CT, MRT.
endoskopische Blutungsstillung bei Blutung, Anti-
biotikatherapie bei Peritonitis (Komplikation). Opera- Therapie. Indiziert ist die Meckelektomie entlang der
tive Verfahren kommen bei Komplikationen (Perfora- Längs-Darmachse und Versorgung mittels Schlinge,
tion) zum Einsatz: laparoskopische Übernähung/Exzi- Stapler, Handnaht, seltener Resektion des betroffenen
son und Verschluss. Vagotomien zur Suppression der Darmabschnittes mit End-zu-End-Anastomose.
Säureproduktion werden nur noch selten durchge-
führt. 1.7.4.3 Durchblutungsstörungen des
Dünndarms
Prognose. Beim chronischen Duodenalulkus kann sich Definition/Symptomatik. Ähnlich der Angina pectoris
eine narbige Magenausgangsstenose entwickeln, die können sich massive Durchblutungsstörungen (Ischä-
nach frustranen Dilatationsversuchen einer Magenre- mie) des Dünndarms in Form einer chronischen Angi-
sektion bedarf. na intestinalis auf dem Boden einer Arteriosklerose
(Stenose) der darmversorgenden Arterien mit folgen-
den Symptomen bemerkbar machen:
1.7 · Viszeralchirurgie
79 1

4 Unspezifische und rezidivierende Abdominal- schmerzen. Im Verlauf kommt es typischerweise zu ei-


symptomatik nem Sistieren der Peristaltik (»Totenstille« nach 12 h
4 Postprandialer Bauchschmerz Abschwächung der Symptomatik, sog. »fauler Friede«).
4 Gewichtsverlust Zudem treten später Peritonismuszeichen auf (früh
hingegen »weicher« Bauch). Nach wenigen Stunden
Diagnostik. Angiographie, Sonographie, CT. (2–4 h) kommt es zur Darmnekrose, Durchwande-
rungsperitonitis und Sepsis.
Therapie. Bypass-Operation an der Gefäßen, im fortge-
schrittenen Stadium Dünndarmresektion. Diagnostik. Es kommen zum Einsatz:
4 Laborchemisch: Laktat, Leukozytenanstieg, CRP
Mesenterialgefäßverschluss 4 Angiographie (A. mesenterica superior)
(akute intestinale Ischämie) 4 Duplexsonographie
Definition. Akute intestinale Perfusionsstörung durch 4 CT, Angio-CT
Stenose der arteriellen (Mesenterialinfarkt, z. B. A. me-
senterica superior et inferior oder Truncus coeliacus) Therapie. Zu den konservativen Maßnahmen gehören
oder venösen (Mesenterialthrombose) Versorgung des Volumengabe, Heparin, Cumarine, Vasodilatatoren,
Dünndarms. Lyse. Operativ sind Notfalllaparatomie und Embolek-
tomie, Thrombendarteriektomie, Bypass (ggf. Gefäß-
Ätiopathogenese. Ein Mesenterialinfarkt entsteht und/oder Darmbypass) mit Beobachtung der Erholung
meist aufgrund von Arrhythmien (Vorhofflimmern), des Darms sowie die Darmresektion des ischämischen
Aneurysmen u. a. Eine Mesenterialvenenthrombose bei Areals indiziert.
Gerinnungsstörungen, schweren Entzündungen, Tu-
moren (Gastrointestinal), Begleiterkrankung von Herz, Nachsorge. Zur Nachsorge gehören Sonographie, An-
Lunge, Nieren oder sehr selten angeboren bei Pfort- giographie im Intervall; ggf. Second-look-Operation
aderstenosen und/oder -agenesien zur Kontrolle der Darmvitalität.

Epidemiologie. Vorwiegend Erkrankung des älteren Prognose. Die akute intestinale Ischämie geht mit einer
Menschen (>70 Jahre), die Mesenterialvenenthrombose hohen Letalität einher (50–90%), insbesondere da meist
ist selten. gravierende Grunderkrankungen (Herzinfarkt, schwe-
re Arrhythmien etc.) vorliegen und weil die Diagnose
Symptomatik. Die Patienten leiden an akuten bis pera- oft zu spät (erst nach Auftreten der Durchwanderungs-
kuten abdominellen Schmerzen bzw. Vernichtungs- peritonitis) gestellt wird.

In Kürze

Dünndarmerkrankungen

Ulcus duodeni 4 Symptomatik: chronischer oder plötzlicher Schmerz im Epigastrium, Ausstrahlung in


Schulter und Rücken. Nüchternschmerz
4 Diagnostik: Ösophagogastroduodenoskopie, Röntgen-Abdomen im Stehen: freie Luft
als Hinweis auf eine Perforation
4 Therapie: konservative Protonenpumpenhemmer, Helicobacter-pylori-Eradikation, en-
doskopische Blutungsstillung. Operative Verfahren bei Komplikationen (Perforation):
laparoskopische Übernähung/Exzison und Verschluss

Meckel-Divertikel 4 Symptomatik: meist keine. sonst Schmerz, Ileusbeschwerden, selten Komplikationen


(Blutung, Perforation)
4 Diagnostik: Laparoskopie (Goldstandard), Sonographie, Szintigraphie, CT, MRT
4 Therapie: »Meckelektomie« entlang der Längs-Darmachse und Versorgung mittels
Schlinge, Stapler, Handnaht, seltener Resektion des betroffenen Darmabschnittes mit
End-zu-End-Anastomose bei schwerer Entzündung, Malignom
6
80 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Ischämischer 4 Symptomatik: akute bis perakute abdominelle Schmerzen. Im Verlauf kommt es typi-
Mesenterial- scherweise zu einem Sistieren der Peristaltik (»Totenstille« nach 12 h Abschwächung
gefäßverschluss – der Symptomatik, sog. »fauler Friede«). Zudem treten später Peritonismuszeichen auf
»akute intestinale (früh hingegen »weicher« Bauch). Nach wenigen Stunden (2–4 h) kommt es zur Darm-
Ischämie« nekrose, Durchwanderungsperitonitis und Sepsis
4 Diagnostik: Duplexsonographie, laborchemisch: Laktat, Leukozytenanstieg, CRP,
Angiographie (A. mesenterica superior), CT, Angio-CT

1.7.5 Kolon 4 Kolonkontrast (Barium, Gastrografin; . Abb. 1.31),


Doppelkontrast (plus Luftinsufflation)
Anatomie 4 Abdomen-/Becken-CT (mit/ohne Kontrast i.v.,
Das Kolon gliedert sich von oral nach aboral in Zökum, Co- rektal, oral, »virtuelle Koloskopie«), MRT, DSA,
lon ascendens, transversum, descendens, sigmoideum. Co- PET
lon transversum und Colon sigmoideum liegen vollständig 4 Stuhluntersuchungen: mikrobiologisch (Bakterien,
intraperitoneal, Colon ascendens, Colon descendens und Viren, Parasiten), Hämoccult-Test
Rektum (ab ca. 14 cm ab ano) liegen partiell retroperitoneal. 4 Laboruntersuchungen: Hb, Tumormarker (CEA,
Die arterielle Versorgung übernehmen A. mesenterica CA19-9)
superior: über A. iliocolica, A. colica dextra und media: Zö-
kum, Colon ascendens und rechtes Colon transversum so- ! Cave
wie A. mesenterica inferior: über A. colica sinistra, A. sigmo- Kein Barium-Kontrastmittel bei Verdacht auf Perfora-
ideae, A. rectalis superior: linkes Colon transversum, Colon tion.
descendens, Colon sigmoideum, oberes Rektum. Über die
Riolansche Arkade wird das Strombett der A. mesenterica Operationsverfahren bei Kolonerkrankungen werden
superior mit der A. mesenterica inferior verbunden. in . Tab. 1.22 beschrieben.
Bei Operation nach radikalchirurgischen Kriterien
Anamnesefragen bei Verdacht auf Erkrankungen des erfolgt die En-bloc-Resektion mit Stammarterie, Me-
Kolon beinhalten folgende Punkte: senterium, begleitenden Lymphknoten und dem ent-
4 Stuhlanamnese: Frequenz, Diarrhö, Obstipation, sprechenden Darmabschnitt. Bei erweiterten radikalen
Defäkationakt (Dauer, Schmerz), Farbe, Auflage-
rungen, Blut, Schleim
4 Meteorismus
4 Koloskopien in Vergangenheit?
4 Ungewollter Gewichtsverlust
4 Abdominelle Voroperationen

Die klinische Untersuchung umfasst:


4 Inspektion: Voroperationen (Narben), Hautzeichen
(Farbe, Turgor), Vorwölbungen
4 Palpation: Resistenzen, Druckschmerz, Loslass-
schmerz, Abwehrspannung, rektale Untersuchung
4 Perkussion: Klopfschall
4 Auskultation: Peristaltik (klingend, fehlend, ver-
stärkt etc.)

An technischer Diagnostik kommen zum Einsatz:


4 Koloskopie (mit PE, Interventionsmöglichkeit)
4 Abdomensonographie, Endosonographie (EUS)
4 Abdomenleeraufnahme (stehend, in Linksseitenla- . Abb. 1.31. Kolonkontrasteinlauf: hochgradiger Malignom-
ge): Ileus-Spiegel, freie Luft? verdacht im Bereich der linken Flexur. (Aus Siewert 2006)
1.7 · Viszeralchirurgie
81 1

. Tab. 1.22. Standardoperationsverfahren des Dickdarms

Operationsverfahren Beschreibung Indikation

Ileozökalresektion Resektion des aboralen Ileums und des oralen Zökums. Schwere Entzündungen (z. B. bei
Anschließend Ileoaszendostomie M. Crohn, Tumoren

Hemikolektomie Resektion des aboralen Ileums und der rechten Flexur. Tumor im Zökum, Colon ascen-
rechts (auch erweitert) Anschließend Ileotransversostomie. Bei radikaler Erwei- dens, Tumor der Appendix ver-
terung (Malignom) Resektion auch der linken Flexur miformis (selten, z. B. Karzinoid)

Colon-transversum- Resektion des Colon transversum. Anschließend Tumor im Colon transversum


Resektion Aszendo-Deszendostomie

Hemikolektomie links Resektion des Colon descendens und des Colon sig- Tumor im Colon descendens
(auch erweitert) moideum. Anschließend Deszendo-Rektostomie.
Bei Erweiterung Resektion auch der rechten Flexur

Sigmaresektion Resektion des Colon sigmoideum. Anschließend Sigmadivertikulitis, Sigmakarzi-


Descendorektostomie nom

Totale Kolektomie Resektion des gesamten Colons und Rektums. An- Familiäre adenomatöse Poly-
schließend ileoanale Anastomose. Ggf. Pouch-Anlage posis coli, Colitis ulcerosa

Diskontinuitäts- Absetzen oberhalb des Sigma, Blindverschluss des Rek- Perforierte Sigmadivertikulitis,
Resektion nach tums. Anschließend endständiges Deszendo-Stoma. Abdominelle Traumata (z. B.
Hartmann (Hartmann- Ggf. Rückverlagerung nach 6 Wochen bis 6 Monaten. Pfählungsverletzung, Stich,
Resektion) Schuss), fortgeschrittene Tumore

Fast alle o. g. Operationen können vollständig laparoskopisch oder laparoskopisch-assistiert durchgeführt werden. In der
Tabelle wurden nicht erwähnt: endoskopische Polypektomie, lokale Exzision, Segmentresektion, palliative Umgehungs-
anastomosen

Verfahren auch mit aortalen Lymphknoten (aortale bilisation tragen zu schnellerer Genesung und kürzeren
Lymphadenektomie), ggf. Nachbarstrukturresektion Klinikaufenthalten mit weniger Komplikationen bei.
(Harnblase, innere Geschlechtsorgane, Prostata, Ne-
benniere u. a.). Anus praeter naturalis
Eingriffstypische Komplikationen bei Kolonope- Definition. Ein Anus praeter naturalis ist ein künstlich
rationen sind: angelegter Darmausgang; der Darm endet offen an der
4 Anastomoseninsuffizienz Bauchhaut. Die Benennung erfolgt nach dem in der
4 Postoperative Darmatonie Haut fixierten Darmabschnitt: Ileo-, Zöko-, Aszendo-,
4 Verletzung von Nachbarstrukturen, z. B. Ureter Transverso-, Deszendo-, Sigmoido-Stomie.

> Gute Patientenvorbereitung (Darmreinigung), vitale Indikationen. Ein Anus praeter naturalis kommt bei
Resektionsränder und subtile, spannungsfreie Hand- folgenden Erkrankungen in Betracht:
und Maschinenanastomosen senken drastisch die Rate 4 Entzündungen (temporär, z. B. Divertikulitis, Peri-
an Anastomoseninsuffizienzen. Typische Klinik der tonitis)
Anastomoseninsuffizienz sind am 3. bis 6. postoperati- 4 Traumen (z. B. Pfählungsverletzung)
ven Tag stärkster Bauchschmerz und Sepsiszeichen. 4 Nahtinsuffizienz
4 Tumoren
Postoperativ wichtige Maßnahmen beinhalten den
Nahrungsaufbau, Frühmobilisation etc. Durchführung. Ileostoma und Kolostoma können end-
Der Begriff der Fast-track-Chirurgie wurde vor- ständig oder doppelläufig angelegt werden (aboral liegt
wiegend in Zusammenhang mit der Kolorektalen Chi- kranial). Temporäre Anus praeter werden nach 6 Wo-
rurgie geprägt: Schneller oraler Kostaufbau und Frühmo- chen bis 6 Monaten rückverlagert.
82 Kapitel 1 · Chirurgie

Entzündliche Erkrankungen Bei der Laboruntersuchung ergeben sich Leukozyto-


1 Appendicitis acuta (akute Appendizitis) se, verzögert ggf. CRP-Erhöhung. Sonographisch sind
Anatomie Kokardenzeichen (»Schießscheibenphänomen« der
Die Appendix vermiformis wird über die A. appendicularis Appendix vermiformis im Querschnitt: Auftreibung
aus der A. ileocolica arteriell versorgt. Sie ist zwischen 2 und auf >10 mm), freie Flüssigkeit im Douglas-Raum hin-
18 cm lang. Retrozökale, subhepatische und Lage in Rich- weisend.
tung Douglas-Raum oder Adhäsionen (Bauchwand, GIT) Differenzialdiagnostisch kommen folgende
können die sonst unkomplizierten anatomischen Verhält- Krankheiten infrage:
nisse etwas erschweren. 4 Nieren- und Harnwegsinfekt (Urinstatus!), eventu-
ell Steine im Urogenitalsystem
Definition. Akute Entzündung der Appendix vermifor- 4 Gynäkologische Ursachen (Schwangerschaftstest!)
mis. 4 Gastroenteritis (Diarrhö?)
4 Seltener Divertikulitis, M. Crohn
Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist nicht sicher geklärt,
mögliche Ursachen sind Lumenobstruktiondurch Fremd- Therapie. Die laparoskopische Appendektomie ist heu-
körper, Kotsteine, generelle Abwehrschwäche mit Auf- te das Verfahren der Wahl. Die offene Appendektomie
flammen einer chronisch rezidivierenden Appendizitis. mit Wechselschnitt, Tabaksbeutelnaht ist betriebs-
wirtschaftlich günstiger, hat aber den Nachteil des Un-
Epidemiologie. 5–10% der Bevölkerung erkranken un- terbauchschnittes. Die Konversion zur offenen Opera-
ter 30 Jahren an einer Appendizitis vermiformis, sie tion wird nötig bei Komplikationen bzw. sehr schwie-
stellt damit das häufigste viszeralchirurgische Krank- rigen anatomischen Verhältnissen. Der Kostaufbau
heitsbild dar. Eine Häufung tritt im Alter von 4–20 Jah- erfolgt am 1. postoperativen Tag. Klinikverweildauer
ren und beim männlichen Geschlecht auf. 1–2 Tage (laparoskopische Operation). Bei Perforation,
Abszess, Unterbauchperitonitis zunächst intravenöse,
Symptomatik. Akuter Beginn häufig mit Bauchschmerz dann perorale Antibiose (z. B. Cephalosporin, Metro-
im Mittelbauch, dann wandernd Richtung rechten Un- nidazol).
terbauch. Übelkeit und Erbrechen, Fieber begleiten
häufig den Bauchschmerz. Laparoskopische Appendektomie
Supraumbilikales Eingehen mit einem 5-mm-Trokar. Insuf-
Diagnostik. Entscheidend ist die klinische Untersu- flation von Luft (Pneumoperitoneum). Diagnostischer
chung: Rundblick. Eingehen mit einem 5-mm- und einem 10-mm-
4 Klopfschmerz und Druckschmerz, Loslassschmerz Trokar im Unterbauch (Cave Samenstrang beim Mann).
(Blumberg) über dem rechten Unterbauch (Mc- Aufsuchen und Fassen der Appendix vermiformis. Zeltför-
Burney/Lanz), Psoasschmerz u. a. miges Aufspannen des Mesenterioleums. Alternierendes
4 Schmerzhafte rektale Untersuchung (evtl. Douglas- Durchtrennen des Mesenterioleums mit dem elektrischen
Schmerz) Dissektor und der Schere bis zur Appendixbasis. Überstül-
4 Fieber, rektale-axilläre Temperaturdifferenz >1°C pen und Zuziehen der Röderschlinge an der Appendixba-
4 Peritonitiszeichen: lokale/generelle Abwehrspan- sis. Abschneiden der Appendix, Desinfektion der Abtra-
nung, kontralateraler Loslassschmerz gungsstelle, Bergen der Appendix über den 10-mm-Trokar.
Abschließender Blick insbesondere auf Bluttrockenheit,
> Die Arbeitsdiagnose »akute Appendizitis« ist eine ggf. Spülung des kleinen Beckens. Desufflation des Abdo-
klinische Diagnose. Die Zusatzdiagnostik dient nur mens. Fasziennaht an der 10-mm-Eintrittspforte, Hautnäh-
der Bestätigung oder als Entscheidungsgrundlage bei te, 3 Pflaster. Bei Komplikationen, Entzündung bis in das
sehr milder Klinik für eine eventuelle Operation. Zökum reichend und anderen Gründen kann eine Abtra-
gung der Appendix mit einem Linearstapler erforderlich
Klinische Untersuchung bei akuter Appendizitis werden.
4 McBurney-Punkt: Mittelpunkt der Verbindungslinie
zwischen Nabel und Spina iliaca anterior superior Prognose. Es besteht eine äußerst geringe Operations-
4 Lanz: rechtsseitiger Drittelpunkt der Verbindung der letalität, die allerdings bei Perforation, Peritonitis, sowie
beiden vorderen oberen Darmbeinstachel bei der »Altersappendizitis« sprunghaft ansteigt. Die
4 Psoas-Zeichen: Schmerz im rechten Unterbauch bei Rate an Spätkomplikationen ist sehr gering (Bauch-
Anheben des rechten Beines (Hüftbeugung) gegen wand-/Darmabszesse, Darmverschluss).
Widerstand durch Kontraktion des M. ileopsoas
1.7 · Viszeralchirurgie
83 1

> Die Indikation zur Appendektomie ist großzügig zu intraluminaler Druck (Obstipation, Tumor). Präventiv
stellen. Das Gesamtrisiko bei einer Perforation/Perito- wirken ballaststoffreiche Kost und körperliche Bewe-
nitis durch Zuwarten ist höher als das Operationsrisi- gung.
ko bei blandem Befund.
Epidemiologie. Gehäuft im Alter auftretend. Häufig
Nachsorge. Laborkontrolle im Intervall bei initial er- asymptomatisch (50%).
höhten Entzündungsparametern. Selten findet sich nach
pathologisch-histologischer Aufarbeitung ein Karzino- Symptomatik. Fieber, Bauchschmerz im linken Unter-
id in der Appendix vermiformis. Über die Hälfte aller bauch (»Linksappendizitis«, »Altersappendizitis«), Te-
Karzinoide sind dort lokalisiert. Kleine Karzinoide be- nesmen, Flatulenz, Blähbauch, Stuhlgangsveränderun-
dürfen bei R0-Resektion keiner weiteren Behandlung gen (Diarrhö, Obstipation), ggf. Übelkeit, Erbrechen,
(Nachkontrolle). Nachresektion bei Befall des Zökums. Druckschmerz, Klopfschmerz, lokale Abwehrspan-
nung, generelle Abwehrspannung, palpable Resistenz,
Ischämische Kolitis untere gastrointestinale Blutung (Divertikelblutung)
Definition. Minderperfusionsbedingte Funktions- spä-
ter Strukturschädigung des Dickdarms. Komplikationen. Entzündung der Umgebung, Perfora-
tion, Peritonitis, Blutung (Gefäßruptur am Divertikel-
Ätiopathogenese. Zugrunde liegt ein arterieller Ver- rand), Fistelung, Abszess, Stenosierung.
schluss durch Embolus; iatrogen bedingt kann die is-
chämische Colitis bei viszeralchirurgischen Eingriffen > Folgende Komplikationen können sich aus einer Di-
am Kolon auftreten. Der natürliche Verlauf geht von vertikulose entwickeln: Divertikulose o Divertikulitis
einer Stenose über Gangrän, Nekrose, Darmdilatation, o Peridivertikulitis o Perforation (gedeckt/frei) o
Perforation bis zur Sepsis. Perikolitis o lokale Peritonitis o generalisierte Peri-
tonitis
Symptomatik. Milde (Tenesmen, Bauchschmerz, Diar-
rhö) bis massive Beschwerden mit blutig tingiertem bis
blutigem Stuhl; Symptomatik einer Sepsis. Diagnostik. Röntgen-Abdomen im Stehen (Perforati-
on?), Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kon-
Diagnostik. Freie Luft in Röntgen-Abdomenübersicht trastmittel (z. B. Gastrografin), CT-Abdomen. Kolos-
(z. B. nach Perforation), Kolon-Kontrasteinlauf (Steno- kopie, Sigmoidoskopie (Stenosen, Divertikellumen).
sen), CT-Abdomen. Laborchemisch ergeben sich Leukozytose und CRP-Er-
höhung. Differenzialdiagnostisch sind Tumoren, Ade-
Therapie. Kausal durch Resektion des betroffenen nome, Colitis ulcerosa, M. Crohn abzugrenzen.
Darmabschnittes bei Komplikationen (s. oben).
! Cave
Prognose. Bei langdauernder Perfusionsstörung mit Kein bariumhaltiges Kontrastmittel bei Verdacht auf
Gangrän/Nekrose ist die Sterblichkeit sehr hoch. Perforation. Keine Endoskopie bei florider Divertikulitis.
Eine Reihe weiterer Erkrankungen können Opera-
tionen des Dickdarms nach sich ziehen. Immer wenn Therapie. Konservative Therapieoptionen umfassen:
gravierende Verlaufsformen mit Stenosen, Perforation, 4 Therapie der Divertikulose:
Blutung einhergehen, kann eine Resektion/Übernä- 5 Ballastoffreiche Ernährung, Bewegung
hung erforderlich werden. 4 Therapie der Divertikulitis
5 Nahrungskarenz, parenterale Ernährung, even-
Divertikulose des Darms tuell endoskopische Blutstillung
Definition. Ausstülpungen der Dickdarmwand, meist 5 Antibiose mit Cephalosporin und Metronida-
im Sigma (95%) gelegen. zol anfänglich i.v.

> 4 Echte Divertikel: vollständige Wandausstülpung Operative Maßnahmen sind:


4 Pseudodovertikel/falsche Divertikel (meist bei 4 Therapie der Divertikulose
Divertikulose): Ausstülpung z. B. nur der Mukosa 5 Elektive laparoskopische oder konventionelle
Sigmaresektion, End-zu-End-Deszendo-Rek-
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind Prädisposi- tostomie. Indikation bei wiederholten floriden
tion (Wandschwäche), ballaststoffarme Kost, erhöhter Schüben im symptomarmen/-freien Intervall.
84 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Therapie der Divertikulitis (dringlich/im Notfall) Therapie. Endoskopische Resektion (Schlinge, Diather-
1 ist nur bei nicht stillbarer Blutung, massiver, kon- mieschlinge), laparoskopisch/laparotomisch oder offe-
servativ nicht kontrollierbarer Entzündung, Perfo- ne Resektion des entsprechenden Darmabschnittes,
ration angezeigt. Transanale-endoskopischen Mikrochirurgie (TEM) für
5 Je nach intraoperativem Befund sollte der Ver- flache, frühe Tumoren des Rektums.
such einer kontinuitätserhaltenden Operation
erfolgen. Bei schwerer Unterbauchperitonitis, Nachsorge. Bei großen Polypen ggf. auch nach Abtra-
schwerer Colitis bestehen u. U. geringe Aus- gung Nachkontrollen.
sichten auf Heilung der Anastomose, sodass es
vorzuziehen ist, die Anastomose nach Abklin- Familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP, APC)
gen der schweren Entzündung anzulegen. Definition. Mehr als 100 (bis 1000) Polypen im Kolon/
5 Sigmaresektion mit End-zu-End-Anastomose Rektum.
5 Diskontinuitätsresektion nach Hartmann mit
Rektumblindverschluss und endständigem Ko- Ätiopathogenese. Diese autosomal-dominant erbliche
lostoma. Anus-praeter-Rückverlagerung, z. B. 6 (mutiertes APC-Gen) Erkrankung stellt eine obligate
Monate nach Primäroperation Präkanzerose dar (7 Humangenetik). 10–15 Jahre nach
5 Ggf. Abszess-/Fistelrevision Erkrankungsbeginn kommt es zur malignen Entartung,
spätestens um das 40. Lebensjahr finden sich ein/meh-
Gutartige Neubildungen rere solide Malignome.
Kolonadenom
Definition. Gutartige Gewebewucherungen auf Boden Epidemiologie. Der Altersgipfel liegt bei 30 Jahren.
der Darmschleimhaut in das Lumen vordringend. Er-
habenheiten der Darmmukosa werden grundsätzlich Symptomatik. Es besteht eine positive Familienanam-
als Polypen bezeichnet, man unterscheidet: nese; Beschwerden sind Diarrhö, Schleimabgang,
4 Neoplastische Polypen = Adenome Blutabgang, Kolikartige Bauchschmerzen.
5 Tubulär (breitbasig, gestielt)
5 Villös Diagnostik. Koloskopie, DNA-Analyse (z. B. auch von
5 Tubulovillös Verwandten).
4 Nichtneoplastische (Hyperplasien, Metaplasien)
4 Pseudopolypen (Entzündlich produktives Gewebe) Therapie. Indiziert ist die komplette Entfernung von
Kolon und Rektum (Proktokolektomie) mit ileoanaler
Je nach Untertyp liegen die Entartungsraten bei bis zu Pouch-Aanastomose ab dem 20. Lebensjahr als Präven-
100%. tion der Kolonmalignome.

> Zahlreiche Erkrankungen (Gardner-, Turcot-, Zanca-, Nachsorge. Wichtig ist eine engmaschige koloskopi-
Peutz-Jeghers-Syndrom) gehen mit Polypen des Dick- sche Kontrolle bei den verwandten Risikopersonen.
darms (7 Innere Medizin, Kap. 4.3.14).
Bösartige Neubildungen: Kolonkarzinom
Ätiopathogenese. Aus allen Polypen kann sich (insbe- > Das Kolonkarzinom ist das zweithäufigste Malignom
sondere nach Überschreiten einer gewissen Größe überhaupt.
(10% Risiko bei Größe >2 cm) ein invasives Malignom
entwickeln (Adenom-Karzinom-Sequenz). Definition. Maligne Neoplasie der Kolonschleimhaut.

Symptomatik. Schleimproduktion, Elektrolytverlust, Ätiopathogenese. Ätiologisch geht man von der Ade-
Blutung peranal. nom-Karzinom-Sequenz aus. Risikofaktoren sind: fett-
und fleischreiche, ballaststoffarme Ernährung, erbliche
Diagnostik. Jeder Polyp sollte abgetragen und histolo- Disposition. Familiäre adenomatöse Polyposis coli und
gisch untersucht werden: Koloskopie, Biopsie, besser Colitis ulcerosa sind Grunderkrankungen, die im Ver-
sogleich Polypektomie. lauf obligat zu Kolonkarzinomen führen. Das Karzinom
wächst lokal destruierend (Ileus, Einbruch in Nachbar-
Differenzialdiagnosen. Auszuschließen sind maligne organe, Blutung, Peritonitis, Abszesse, Fistelung. Es me-
Tumoren des Kolon, Rektumkarzinom, familiäre ade- tastasiert vorwiegend lymphogen in regionäre Lymph-
nomatöse Polypose. knoten und hämatogen in die Leber (via Pfortader).
1.7 · Viszeralchirurgie
85 1

Epidemiologie. Die Inzidenz liegt bei ca. 25/100.000 Bei der klinischen Untersuchung ist ggf. eine Re-
Einwohner/Jahr und ist zunehmend (häufigere sistenz palpabel, bei digital-rektaler Untersuchung ggf.
Endoskopien bedingen häufigere Diagnosestellungen). ein Tumor tastbar (30% der kolorektalen Karzinome).
Das Kolonkarzinom tritt gehäuft ab dem 45. Lebens-
jahr auf. Diagnostik. Zum Einsatz kommen Koloskopie (Nach-
weis 98% aller kolorektalen Karzinome), Sonographie
Symptomatik. Anamnestisch lassen sich je nach Stadi- (Leberfiliae), Röntgen-Doppel-, neuerdings Video-
um folgende Symptome eruieren: Kontrast (lokale Ausdehnung, Obturierung, Polypendi-
4 B-Symptomatik: Leistungsknick, ungewollter Ge- agnostik), CEA, CA19-9. Mittels CT lässt sich das Sta-
wichtsverlust ging vornehmen (. Tab. 1.23).
4 Blut am Toilettenpapier, Schleimabgang
4 Schmerzen Therapie. Die radikalchirurgische Resektion stellt die
4 Chronische Obstipation Therapie der Wahl dar. Wichtig ist die antibiotische
4 Leisten-/Nabelbruch, Arterielle Hypertonie (abdo- Prophylaxe (intraoperativ) sowie die gründliche
minelle Druckerhöhung) Darmvorbereitung am Vortag (orales Laxans, Klistie-
4 Stuhlgangsveränderungen (Bleistiftstuhl, imperati- re). Je nach Tumorsitz sind Sigmaresektion, Hemikol-
ver Stuhlsdrang, übelriechende Stühle) ektomie links, rechts (alles ggf. erweitert), Kolektomie
(multifokale Karzinome) indiziert. Das laparoskopi-
Zu fragen ist zudem nach erblichen Vorbelastungen/ sche Vorgehen ist beim Sigmakarzinom onkologisch
Grunderkrankungen sowie der Ernährung. unbedenklich.

. Tab.1.23. TNM-Status und Stadiengruppierung des Kolonkarzinoms

T-Status N-Status M-Status Stadium

Tx Nx Mx Stadium 0
Primärtumor kann nicht beurteilt werden Lymphknotenstatus kann Nicht beurteil- Tis, N0, M0
nicht beurteilt werden bar

T0 N0 M0 Stadium I
Kein Anhalt für Primärtumor Keine regionären Lymph- Keine Fernme- T1,2, N0, M0
knotenmetastasen tastasen

Tis N1 M1 Stadium II
Carcinoma in situ Metastasen in 1–3 regionä- Fernmetastasen T3,4, N0, M0
ren Lymphknoten

T1 N2 Stadium III
Tumor infiltriert die Submukosa Metastasen in 4 oder mehr Jedes T, N1,2,
regionären Lymphknoten M0

T2 Stadium IV
Tumor infiltriert die Muscularis propria Jedes T, jedes
N, M1

T3
Tumor penetriert die Muscularis propria und in-
filtriert die Subserosa oder nicht peritonealisier-
tes perikolisches oder perirektales Gewebe

T4
Tumor infiltriert Nachbarorgane oder Nachbar-
strukturen

N0 beurteilbar bei >12 untersuchten Lymphknoten


86 Kapitel 1 · Chirurgie

Prävention. Vorbeugend wirkt ein entsprechender Le- Kolonverletzungen


1 benswandel (fettarme, ballaststoffreiche Kost, Restrik- Kolonverletzungen können bei stumpfen Bauchtraumen
tion von Alkohol). Zudem sind die Vorsorgeuntersu- (auch 2-Punkt-Gurttraumen) entstehen. In Deutschland sel-
chungen (ab 50. Lebensjahr jährlich) in Anspruch zu tener Schuss- und Stichverletzungen. Klinik: akutes Abdo-
nehmen: men, Peritonitis. Diagnostik: Röntgen Abdomen: freie Luft,
4 Konsequentes Abklären von B-Symptomatik, pera- CT. Therapie: Übernähung, ggf. Darmresektion, ggf. (tempo-
nalem Blutabgang räre) Anus-praeter-Versorgung; systemische Antibiose.
4 Rektale Untersuchung
4 Hämoccult Weitere Operationsindikationen am Kolon
4 Koloskopie ggf. mit PE alle 5–10 Jahre, je nach Be- Bei Dickdarmileus (7 Innere Medizin, Kap. 4.3.5) und -sub-
fund kürzere Intervalle ileus muss auch bei funktionellen Ursachen operativ vor-
4 Sonographie gegangen werden: Entlastung, ggf. Detorquierung (z. B.
Sigmavolvulus), ggf. Resektion von Engstellen, Darmrohr.
Prognose. Das 5-Jahres-Überleben über alle Stadien bei Eine Reihe weiterer, insgesamt aber seltenerer Erkran-
R0-Resektion liegt bei über 75%. Lokalrezidive treten kungen kann resezierende Eingriffe (von lokaler Exzision
meist binnen der ersten 2 Jahre auf. über Segmentresektion bis zur Kolektomie) am Kolon erfor-
derlich machen: Angiodysplasien, Endometrioseherde,
Nachsorge. Bei positivem Lymphknotenstatus (N1, 2) Karzinoid, Entzündungen (auch nach Radiatio) mit Kompli-
und/oder bei Lebermetastasierung adjuvante systemi- kationen wie Blutung, Perforation, Stenose.
sche Chemotherapie (z. B. 5-FU, Leukovorin). Chronische Obstipation, kumulierende Obstkerne
Die Nachsorge zur frühzeitigen Rezidiverkennung (Kirschkernileus) und andere Fremdkörper können Ileus
sollte gemäß den Richtlinien (klinisch, Sonographie, und tumorähnliche Symptome bereiten. Auch diese Situa-
Endoskopie (Anastomose), CEA, Hämoccult, CT) in tionen können kolonresezierende Eingriffe erforderlich
immer lockerer werdenden Intervallen erfolgen. machen.

In Kürze

Kolonerkrankungen

Appendicitis acuta 4 Symptomatik: Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerz im Mittelbauch beginnend und


dann Richtung rechten Unterbauch wandernd
4 Diagnostik: rektal-axilläre Temperaturdifferenz >1°C, Druck-, Klopf-, Loslassschmerz
über McBurney/Lanz, Peritonitiszeichen, positives Psoas-Zeichen, Leukozytose, CRP-
Anstieg, sonographisch Kokardenzeichen, ggf. freie Flüssigkeit im Douglas-Raum
4 Therapie: laparoskopische Appendektomie mit Röder-Schlinge, seltener mit Stapler.
Selten offene Appendektomie mit Wechselschnitt, Tabaksbeutelnaht. Antibiose bei
Perforation/Peritonitis

Ischämische Colitis 4 Symptomatik: milde (Tenesmen, Bauchschmerz, Diarrhö) bis massive Beschwerden/
Schmerzen; blutig tingierter bis blutiger Stuhl, Sepsis
4 Diagnostik: freie Luft in Röntgen-Abdomenübersicht bei Perforation, Kolon-Kontra-
steinlauf (Stenosen), CT Abdomen
4 Therapie: kausal: Resektion des betroffenen Darmabschnittes bei Komplikationen

6
1.7 · Viszeralchirurgie
87 1

Divertikulose/ 4 Symptomatik: Fieber, Bauchschmerz im linken Unterbauch (»Linksappendizitis«,


Divertikulitis »Altersappendizitis«), Tenesmen, Flatulenz, Blähbauch, Stuhlgangsveränderungen
(Diarrhö, Obstipation), ggf. Übelkeit, Erbrechen, Druckschmerz, Klopfschmerz, lokale
Abwehrspannung, generelle Abwehrspannung
4 Diagnostik: palpable Resistenz, untere gastrointestinale Blutung (Divertikelblutung);
Röntgen Abdomen im Stehen, Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrast-
mittel, CT-Abdomen, Koloskopie, Sigmoidoskopie (Stenosen, Divertikellumen); labor-
chemisch: Leukozytose, CRP-Erhöhung
4 Therapie:
– Konservativ: ballastoffreiche Ernährung, Bewegung, Nahrungskarenz, parenterale
Ernährung, endoskopische Blutstillung, Antibiose mit Cephalosporin und Metroni-
dazol anfänglich i.v.
– Operativ: elektive laparoskopische oder konventionelle Sigmaresektion, End-zu-End-
Deszendo-Rektostomie bei wiederholten floriden Schüben im symptomarmen/
-freien Intervall
– Bei schwerem Befund: Diskontinuitätsresektion nach Hartmann mit Rektumblindver-
schluss und endständigem Kolostoma. Anus-praeter-Rückverlagerung z. B. 6 Monate
nach Primäroperation
– Ggf. Abszess/Fistelrevision

Kolonadenom 4 Symptomatik: Schleimproduktion, Elektrolytverlust, Blutung peranal


4 Diagnostik: Koloskopie, Biopsie
4 Therapie: endoskopische Abtragung (Diathermieschlinge). Laparoskopische oder
offene Resektion des entsprechenden Darmabschnittes, transanale-endoskopische
Mikrochirurgie (TEM) für Tumoren des Rektums

Familiäre 4 Symptomatik: positive Familienanamnese, Diarrhö, Schleimabgang, Blutabgang,


adenomatöse kolikartige Bauchschmerzen
Polyposis coli 4 Diagnostik: Koloskopie, DNA-Analyse (z. B. auch von Verwandten)
4 Therapie: präventiv Totalentfernung von Kolon und Rektum (Proktokolektomie) mit
ileoanaler Pouchanastomose ab dem 20. Lebensjahr. Engmaschige Endoskopie bei
verwandten Risikopersonen

Kolonkarzinom, 4 Symptomatik: B-Symptomatik: Leistungsknick, ungewollter Gewichtsverlust, Blut am


Rektosigmoidkar- Toilettenpapier, Schleimabgang, Schmerzen, chronische Obstipation, Leisten-/Nabel-
zinom bruch, arterielle Hypertonie, Stuhlgangsveränderungen (Bleistiftstuhl, imperativer
Stuhlsdrang, übelriechende Stühle
4 Diagnostik: klinisch: palpable Resistenz, bei digital-rektaler Untersuchung ggf. Tumor
tastbar. Zusatzdiagnostik: Sonographie (Leberfiliae), Röntgen-Doppelkontrast (lokale
Ausdehnung, Obturierung) CEA, CT (Staging)
4 Therapie: radikalchirurgische Resektion Therapie der Wahl. Je nach Tumorsitz Sigmare-
sektion, Hemikolektomie links, rechts (alles ggf. erweitert), Kolektomie (multifokale Kar-
zinome). Bei positivem Lymphknotenstatus (N1/2) und/oder bei Lebermetastasierung
adjuvante systemische Chemotherapie (z. B. 5-FU, Leukovorin) bzw. spezielle Verfahren
(z. B. Kryotherapie)
88 Kapitel 1 · Chirurgie

1.7.6 Rektum 4 Labor: Entzündungsparameter, Tumormarker


1 (CA19-8, CEA)
Anatomie 4 Prokto-/Rektoskopie (starr), auch mit Biopsiege-
Das Rektum (Mastdarm) misst etwa 15 cm ab der Linea ano- winnung
cutanea und gliedert sich in oberers, mittleres und unteres 4 Sonographie, Endosonographie
Drittel. Unterhalb der Linea dentata beginnt der Analkanal. 4 Röntgen (Abdomen im Stehen, Röntgen-Kontrast):
Nach der Eindickung des Stuhls im Kolon kommt dem Rek- Ileus, freie Luft, Tumoren
tum und Analkanal vorwiegend die Kontinenz- und Defäka- 4 Defäkographie (Video, MRT, Sonographie)
tionsfunktion zu. Die arterielle Versorgung erfolgt über die 4 Anale Manometrie
A. mesenterica inferior über die A. rectalis superior für das 4 Laborchemische/Mikrobiologische Stuhluntersu-
obere Rektum und über die A. iliaca interna (über A. rectalis chung
media und inferior) für das mittlere und untere Rektum.
Die Standardoperationsverfahren am Rektum stellt
Anamnestisch sind neben allgemeinen Fragen insbe- . Tab. 1.24 dar.
sondere zu klären:
4 Stuhlgewohnheiten (Frequenz, Beschaffenheit, Far- Gutartige Tumoren des Rektums
be, Defäkation) Meist handelt es sich um Schleimhautpolypen. Mehr als
4 Stuhlgangsveränderungen (Diarrhö, Obstipation, 100 Polypen bezeichnet man als Polyposis. Aufgrund
Schleim, Blut) unsicherer Entartungstendenz gilt jeder – auch makros-
4 Schmerzen (wo, wie auftretend?) kopisch benigne imponierender Tumor – als malignom-
verdächtig bis zum Beweis des Gegenteils. Hamartome
Die klinische Untersuchung umfasst speziell folgende sind angeboren, Adenome sind erworben, neoplastisch.
Schritte:
4 Inspektion der Perianalregion (Hämorrhoiden, Fis- ! Cave
suren, Rhagaden, Marisken, Tumor) Jeder Schleimhautpolyp muss komplett abgetragen
4 Digital rektale Untersuchung (bis etwa 10 cm mög- und histologisch untersucht werden.
lich) in Steinschnittlage oder Linksseitenlage (an-
gebeugteOberschenkel):Tumoren,Sphinktertonus, Rektumadenom
Blutung, Prostata, Portio, Ovarien, Douglas-Raum Definition. Benigner Tumor, meist im Bereich des Rek-
tosigmoids gelegen (liegt er im Analbereich, spricht
Technische Untersuchungen kommen wie folgt zum man von Analpolyp). Nach makroskopischem Wachs-
Einsatz: tum unterscheidet man gestielte und breitbasige Typen.

. Tab. 1.24. Standardoperationsverfahren am Rektum

Operationsverfahren Indikation

Anteriore Rektumresektion; kontinenzerhaltend Rektumtumoren des proximalen (oralen) Drittels


und des rektosigmoidalen Übergangs

Tiefe anteriore, ultratiefe anteriore Rektumresektion; kontinen- Tumoren des mittleren Rektumdrittels
zerhaltend

Abdominoperineale Rektumamputation (Miles); Anlage eines Tumoren des distalen (aboralen) Rektumdrittels.
Sigmastomas, Verschluss des Dammes Analkanaltumoren

Transanale endoskopische Mikrochirurgie (TEM); transanale Exzi- Benigne Tumoren oder Malignome im Frühstadi-
sion auch in voller Wanddicke im proximalen und mittleren Rek- um (T1, gut differenziert)
tum mittels Operationsendoskop im CO2-gefüllten Rektum

Bei malignen Tumoren gelten radikalchirurgische Kriterien: radikale Lymphknotendissektion im Mesorektum, genügend
Sicherheitsabstand.
Bei Rektumresektionen muss eine Aufklärung über Anastomoseninsuffizienz, Inkontinenz, Miktionsstörungen, mögliche
Impotenz, Abszessbildung, evtl. Stomaanlage erfolgen.
1.7 · Viszeralchirurgie
89 1

Letztere gehen mit erhöhtem Entartungsrisiko einher. fachkarzinome!) mit ggf. Biopsieentnahme, Sonogra-
Die histologische Unterteilung erfolgt in tubulär, villös phie (Lebermetastasen), Endosonographie (T-Status,
und Mischformen (tubulovillös) mit geringen, mittel- N-Status). Im Labor werden Hämoglobin (chronischer
gradigen oder schweren Zellatypien. Blutverlust), Tumormarker CEA, CA19-9 untersucht.
Hinzu kommen CT, MRT (lokale Ausdehnung, Fern-
Ätiopathogenese. Meist Hyperproliferation der Rek- metastasen, »Staging«). Die Einteilung/Klassifikation
tumschleimhaut. Verschiedengradige Zellatypien erfolgt nach TNM (7 oben, Abschnitt Kolonkarzinom),
(7 oben). Übergang in Carcinoma in situ (Adenom- UICC, Dukes (veraltet).
Karzinom-Sequenz).
Therapie. Ziel ist die kurative R0-Resektion; TEM-Ver-
> 4 Tubuläre Adenome: 10% Entartungstendenz bei fahren (lokale Vollwandexzision) sind nur bei Frühkar-
Größe >2 cm zinomen (bis T1) indiziert. Angewendet wird die radi-
4 Breitbasige, villöse Adenome: 30–50% Entar- kalchirurgische (Mesorektum) anteriore, tiefe und ul-
tungsrisiko tratiefe Rektumresektion (auch laparoskopisch) mit
Deszendo-Rektostomie mit einem Sicherheitsabstand
Symptomatik. Meist Zufallsbefund. Evtl. Blut im Stuhl, von minimal 2 cm (nach oral unproblematisch). Bei
Obstipation, Diarrhö. Karzinomen des unteren (aboralen) Drittels kommt die
abdominoperineale Rektumamputation (Miles) mit
Diagnostik. Endoskopie, histologische Untersuchung. Sigmastomaanlage infrage; alternativ die Radiochemo-
therapie. Lebermetastasen werden bei Resektabilität
Therapie. Endoskopische Abtragung, Resektion. Bei auch synchron mit entfernt.
Malignität radikale Resektion (7 unten). Sonderform: Eine adjuvante Chemotherapie ist bei lymphkno-
familiäre Adenomatosis coli (FAP; 7 oben). tenpositiven Tumoren (N1), bei Lebermetastasierung
indiziert (z. B. 5-FU und Leukovorin), wobei der Bene-
Rektumkarzinom fit für Patienten noch nicht abschließend geklärt ist. Der
Definition. Bösartige Neubildung von der Rektum- Nutzen einer neoadjuvante Chemoradiotherapie (für
schleimhaut ausgehend. fortgeschrittene Tumoren, ab T3) kann noch nicht ab-
schließend bewertet werden. Palliative Therapie be-
Ätiopathogenese. Meist handelt es sich zu 95% um ein steht in lokalen Exzisionen (Kryo-, Diathermie, Laser-
Adenokarzinom, aus einem Adenom hervorgehend chirurgie), Umgehungsanastomose bzw. Stoma.
(Adenom-Karzinom-Sequenz). Die Malignome infilt-
rieren lokal und breiten sich aus (insb. nach oral), mög- Prävention. Günstig ist eine fettarme Ernährung. Vor-
lich ist auch ein Einbruch in Blase/Prostata, Uterus, sorgeuntersuchungen ab dem 40. Lebensjahr sind ein-
Ureter, Ovarien möglich. Die Ausbreitung erfolgt lym- zuhalten; verstärkte Vorsorge sollte bei Risikofaktoren
phatisch entlang der das Rektum versorgenden Arterien (Colitis ulcerosa, M. Crohn, FAP u. v. a., s. oben, Ab-
(abdominell, iliakal). Bei Invasion des Tumors in die schnitt Kolonkarzinom) durchgeführt werden.
Submukosa liegt bis zu einem Viertel auch ein regionaler
Lymphknotenbefall vor. Hämatogen metastasieren Rek- Prognose. Bei Tumoren ohne Lymphknotenbefall liegt
tumkarzinome in die Leber (Pfortaderanschluss) und die 5-Jahres-Überlebensrate bei >80%; ohne Lymphno-
Lunge (sekundär, V.-cava-Anschluss, Iliakalabstrom). tenbefall, aber mit T3-/T4-Status bei 60–80% und bei
positivem Lymphknotenstatus bei 30–50%.
Epidemiologie. Häufig; 14–18/100.000 Einwohner/Jahr;
der Altersgipfel liegt in der 6. bis 7. Lebensdekade. Nachsorge. Gemäß der Richtlinien (klinisch, Sonogra-
phie, ggf. Tumormarker).
Symptomatik. Erst in fortgeschrittenen Stadien kommt
es zu Beschwerden: peranale Blutung, Stuhlgangsverän- Seltene Erkrankungen von Rektum
derungen (Diarrhö, Obstipation, imperativer Stuhl- Beim Rektumprolaps prolabiert das Rektum (alle Wand-
drang, Bleistiftstuhl, Gefühl der inkompletten Entlee- schichten) nach extraanal (meist bei Bauchpresse); bedingt
rung), B-Symptomatik. durch eine Schwäche der Aufhängebänder. Folgen sind:
Inkontinenz, eine erhebliche Einschränkung der Lebens-
Diagnostik. Klinisch erfolgt eine digital-rektale Unter- qualität. Die Therapie besteht in einer Rektopexie (Fixation
suchung (bis 10 cm ab Linea anocutanea möglich). Ent- des Rektums am Os sacrum/Sitzbein), ggf. Kürzung von Sig-
scheidend sind zudem Rektoskopie, Koloskopie (Mehr- ma/Rektum durch Resektion.
90 Kapitel 1 · Chirurgie

In Kürze
1
Rektumerkrankungen

Rektum- 4 Symptomatik: meist Zufallsbefund; evtl. Blut im Stuhl, Obstipation, Diarrhö


adenom 4 Diagnostik: Endoskopie, histologische Untersuchung
4 Therapie: endoskopische Abtragung, Resektion

Rektum- 4 Symptomatik: erst in fortgeschrittenen Stadien: peranale Blutung, Stuhlgangsveränderungen


karzinom (Diarrhö, Obstipation, imperativer Stuhldrang, Bleistiftstuhl, Gefühl der Inkompletten Entlee-
rung), B-Symptomatik
4 Diagnostik: digital-rektale Untersuchung (bis 10 cm ab Linea anocutanea möglich). Rektosko-
pie, Koloskopie (Mehrfachkarzinome!) mit ggf. Biopsieentnahme, Sonographie (Lebermetasta-
sen), Endosonographie (T-Status, N-Status). Labor: Hämoglobin (chronischer Blutverlust), Tu-
mormarker CEA, CA 19-9. Zusätzlich CT, MRT (lokale Ausdehnung, Fernmetastasen, »Staging«).
Die Einteilung/Klassifikation nach erfolgt nach TNM, UICC
4 Therapie: Ziel ist die kurative R0-Resektion; TEM-Verfahren (lokale Vollwandexzision) sind nur
bei Frühkarzinomen (bis T1) indiziert. Angewendet wird die radikalchirurgische (Mesorektum)
anteriore, tiefe und ultratiefe Rektumresektion (auch laparoskopisch) mit Deszendo-Rektosto-
mie mit einem Sicherheitsabstand von minimal 2 cm (nach oral unproblematisch). Bei Karzino-
men des unteren (aboralen) Drittels kommt die abdominoperineale Rektumamputation (Mi-
les) mit Sigmastoma-Anlage infrage; alternativ die Radiochemotherapie. Lebermetastasen
werden bei Resektabilität auch synchron mit entfernt

1.7.7 Erkrankungen des Analkanals Hämorrhoiden


und des Anus Definition. Gefäßreiche »Kissen«, knotenförmige Er-
weiterungen an der anokutanen Übergangszone im
Analprolaps Versorgungsbereich der A. rectalis superior (Corpora
Definition/Ätiopathogenese. Vorfall der Analschleim- cavernosa recti). Typischerweise in 3-, 7-, 11-Uhr-Stein-
haut durch Hämorrhoiden Grad III–IV oder Anal- schnittlage (SSL).
sphinkterschwäche. Gradeinteilung der Hämorrhoiden:
4 Grad I: oberhalb der Linea dentata
! Cave 4 Grad II: Prolabieren beim Pressen
Bei Kleinkindern kann ein Analprolaps durch langes 4 Grad III: Prolaps nach Defäkation, keine spontane
Sitzen auf dem »Töpfchen« entstehen. Reposition, digitale Reposition möglich
4 Grad IV: nicht reponibler Prolaps, Gangrän
Epidemiologie. Häufig.
> 4 Äußere Hämorrhoiden: Neigung zu Analvenen-
Symptomatik. Brennen, Nässen, Pruritus, Stuhlschmie- thrombose
ren, selten Schmerz. 4 Innere Hämorrhoiden: Diagnose nur proktosko-
pisch zu stellen
Diagnostik. Blickdiagnose, Proktoskopie. Differenzial-
diagnostisch kommen infrage: Ätiopathogenese. Zugrunde liegen Bindegewebs-
4 Hämorrhoidalleiden, Rektumprolaps schwäche, Gravidität, Bewegungsarmut, chronische
4 Analprolaps: radiäre Fältelung, Rektumprolaps: zir- Obstipation und viele andere Ursachen. Mögliche
kuläre Fältelung Komplikationen sind Blutung, Thrombose, Infektion.

Therapie. Reposition. Rektopexie (bei Rektumprolaps), Epidemiologie. Sehr häufiges Krankheitsbild.


Sklerosierung, Operation nach Longo.
Symptomatik. Nässen, Juckreiz, Schmerz, Blutung,
Stuhlschmieren.
1.7 · Viszeralchirurgie
91 1

Diagnostik. Klinisch, Proktoskopie. Differenzialdiag- Analfissur/Analabszess/Analfistel


nostisch ist an einen Rektum-/Analprolaps zu denken. Einen Überblick über Analfissur, -abszess und -fistel
gibt . Tab. 1.25.
Therapie. Grad I und II werden konservativ, Grad III,
IV operativ versorgt. Operative Therapie der Inkontinenz und chronischen
4 Grad I, II: Salben (Lokalanästhetika, Antiseptika, Obstipation
Kortison, Hämoptytika), Stuhlregulation, Diät, Sowohl die Inkontinenz als auch die chronische Obstipati-
Analhygiene, Sklerotherapie (verschiedene Injek- on können operativer Behandlung bedürfen. Es gibt eine
ta), Gummibandligatur, Infrarotkoagulation, Anal- Vielzahl an Spezialoperationen, z. B. Raffung des M. levator
dilatator ani bei Inkontinenz, Winkelverstellung von Rektum–Anal-
4 Grad III, IV: Operation nach Milligan-Morgan kanal bei chronischer Obstipation.
(Dreizipfelresektion), Ferguson, Parks (submuköse
Hämorrhoidektomie), Stapler-Hämorrhoidekto- Analkarzinom
mie nach Longo (. Abb. 1.32) Definition. Als Analkanalkarzinom gilt ein Tumor
oberhalb der Linea dentata, als Analrandkarzinom ein
Prävention. Stuhlregulation, Bewegung. Tumor unterhalb der Linea dentata.

Nachsorge. Stuhlregulation. Proktoskopie im Intervall. Ätiopathogenese. Beim Analkanalkarzinom treten


Adenokarzinome auf; beim Analrandkarzinom handelt
es sich um ein Plattenepithelkarzinom. Die Karzinome
wachsen lokal und destruieren die Umgebung; es
kommt zur lymphogenen sowie hämatogenen Metasta-
sierung in Leber und Lunge.

! Cave
Der Lymphabfluss erfolgt über inguinale und iliakale
Lymphstraßen.

Epidemiologie. Selten. Meist jenseits des 60. Lebens-


jahres.

Symptomatik. Peranaler Blutabgang, Schmerz, Pruritus.

. Abb.1.32. Stapler-Hämorrhoidektomie nach Longo. (Aus Diagnostik. Rektal digitale Untersuchung, Palpation
Siewert 2006) der Leistenlymphknoten, Proktoskopie, Koloskopie, Bi-

. Tab. 1.25. Analfissur, Analabszess, Analfistel

Analfissur Analabszess1 Analfistel

4 Symptomatik: Schmer- 4 Symptomatik: starke Schmer- 4 Symptomatik: chronische eitrige Abson-


zen, Blutung, Pruritus zen, Unmöglichkeit zu Sitzen, derung im Analbereich und Umgebung
4 Ätiopathogenese: chroni- Fieber, Allgemeinsymptome 4 Ätiopathogenese: meist Grunderkran-
sche Ulzeration 4 Ätiopathogenese: Ausgang kung wie M. Crohn, Diabetes, Divertikuli-
4 Diagnostik: Proktoskopie, von Drüsen, chronischer Fissur tis, Colitis ulcerosa
Inspektion 4 Diagnostik: Inspektion, Palpati- 4 Diagnostik: Inspektion, Proktoskopie
4 Therapie: Lokalanästhe- on, Proktoskopie, Endosono- 4 Therapie: Fistelexzision, ggf. Faden-/Ket-
sie, Sphinkterdehnung, graphie teneinlage. Bei Fistelung durch M. Crohn
Fissurektomie, Sphinkte- 4 Therapie: Abszessinzision/-Ent- ggf. temporäres Entlastungsstoma nötig.
rotomie deckelung Bei Tumorfistel radikale Exzision
1
Man unterscheidet von lumenwärts nach lumenfern: submukös, intersphinktär, transsphinktär und extrasphinktär.
92 Kapitel 1 · Chirurgie

opsie, Endosonographie, Staging. Differenzialdiagnos- 4 Chemotherapie


1 tisch sind Hämorrhoiden und Rektumkarzinom abzu- 4 Lymphknotenbestrahlung
grenzen.
Prävention. Vorsorgeuntersuchungen.
! Cave
Jeder peranale Blutabgang bedarf sorgfältiger Abklä- Prognose. Kurzfristig treten Nebenwirkungen der Ra-
rung. diochemotherapie auf (Inkontinenz, Zystitis, Proktitis,
Blutung, Trockenheit. Bei alleiniger Radiochemothera-
Therapie. Die Therapieoptionen beim Analkarzinom pie liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 50–90%. Es
umfassen: besteht eine schlechte Prognose für fortgeschrittene Tu-
4 Lokale Exzision von Analrandkarzinomen mit ca. moren, trotz radikaler Therapie.
1–2 cm Sicherheitsabstand
4 Radiochemotherapie Nachsorge. Nachkontrollen gemäß Richtlinien.
4 Radikale abdominoperineale Ano-/Rektumexstir-
pation mit Anus praeter

In Kürze

Erkrankungen des Analbereichs

Analprolaps 4 Symptomatik: Brennen, Nässen, Pruritus, Stuhlschmieren, selten Schmerz


4 Diagnostik: Blickdiagnose, Proktoskopie. Differenzialdiagnostisch kommen infrage:
4 Hämorrhoidalleiden, Rektumprolaps
4 Analprolaps: radiäre Fältelung, Rektumprolaps: zirkuläre Fältelung
4 Therapie: Reposition. Rektopexie (bei Rektumprolaps), Sklerosierung, Operation nach
Longo (Stapler-Anopexie)

Hämorrhoiden 4 Symptomatik: Nässen, Juckreiz, Schmerz, Blutung, Stuhlschmieren


4 Diagnostik: klinisch, Proktoskopie. Differenzialdiagnostisch ist an einen Rektum-/Anal-
prolaps zu denken
4 Therapie: Grad I und II werden konservativ, Grad III, IV operativ versorgt
– Grad I, II: Salben (Lokalanästhetika, Antiseptika, Kortison, Hämoptytika), Stuhlregula-
tion, Diät, Analhygiene, Sklerotherapie (verschiedene Injekta), Gummibandligatur,
Infrarotkoagulation, Analdilatator
– Grad III, IV: Operation nach Milligan-Morgan (Dreizipfelresektion), Ferguson, Parks
(submuköse Hämorrhoidektomie), Stapler-Hämorrhoidektomie nach Longo

Anus-/Anal- 4 Symptomatik: peranaler Blutabgang, Schmerz, Pruritus


kanalkarzinom 4 Diagnostik: rektal digitale Untersuchung, Palpation der Leistenlymphknoten, Prokto-
skopie, Koloskopie, Biopsie, Endosonographie, Staging. Differenzialdiagnostisch sind
Hämorrhoiden und Rektumkarzinom abzugrenzen
4 Therapie: lokale Exzision von Analrandkarzinomen mit ca. 1–2 cm Sicherheitsabstand;
Radiochemotherapie, radikale abdominoperineale Ano-/Rektumexstirpation mit Anus
praeter, Chemotherapie, Lymphknotenbestrahlung

Fissuren/Fistel, 4 . Tab. 1.25


Abszess in der
Anal- und Rektal-
region
1.7 · Viszeralchirurgie
93 1
1.7.8 Chronisch-entzündliche 4 Glukokortikoide (im akuten Schub), z. B. Predniso-
Darmerkrankungen lon p.o./i.v. hochdosiert, dann ausschleichend
4 5-ASA (Aminosalizylate), z. B. Mesalazin p.o.
Morbus Crohn (Enteritis regionalis Crohn) 4 Azathioprin, Metronidazol, Infliximab (besonders
Definition. Segmentale (diskontinuierlich) auftretende bei Fisteln) p.o. (zusätzlich zu Glukokortikoid)
chronisch entzündliche Darmerkrankung. Alle Ab- 4 Salazosulfapyridin, Mercaptopurin, Methotrexat
schnitte des Verdauungstrakts vom Mund bis zum After 4 Symptomatisch (Elektrolytausgleich, ggf. Antidiar-
können betroffen sein. Punctum maximum ist die Re- rhoikum, Spasmolyse, analgetisch)
gion des terminalen Ileums (Ileitis terminalis Crohn,
Ileocolitis granulomatosa Crohn) Bei Komplikationen ist eine Operation indiziert:
4 Strikturoplastik bei segmentalen Stenosen (Längs-
Ätiopathogenese. Die Ursache ist ungeklärt. Vermut- inzision, Quernaht) z. B. bei Ileus
lich besteht eine Interaktion zwischen exogenen Um- 4 Fistelexzision
weltfaktoren und genetisch ererbter Prädisposition, 4 Abszessspaltung
Nahrungsbestandteilen, psychischen Faktoren. Mehrere 4 Darmresektion von Segmentresektion bis zur Kol-
Kopplungsgene und ein »Krankheitsgen« für M. Crohn ektomie (langstreckige Stenose, Perforation, Blu-
auf Chromosom 16 wurden identifiziert. Epitheloidzel- tung)
lige Granulombildung bezieht die gesamte Wandschich- 4 Anus praeter (ggf. bei schwerer Peritonitis und Rek-
tung ein. Risikofaktor für Entwicklung eines kolorekta- tumexstirpation)
len Karzinoms (3- bis 4-fach erhöhtes Risiko).
! Cave
Epidemiologie. In jedem Lebensalter vorkommend; Sparsame Darmresektion! M. Crohn kann operativ
v. a. um das 25. Lebensjahr, steigende Inzidenz. nicht geheilt werden. Wenn möglich besser Strikturo-
plastik statt Resektion!
Symptomatik. Reduzierter Allgemeinzustand, Ge-
wichtsverlust, Diarrhö, hohe Stuhlfrequenz, Bauch- Prävention. Vorbeugend wirken diätetische Maßnah-
schmerz, Krämpfe, Ileus, Fistelung, peranaler Blutab- men; Vermeiden mancher Pharmaka, Lebenswandel.
gang. Extraintestinale Manifestationen sind: Arthritis,
Uveitis, Episkleritis, Iritis, Iridozyklitis, Lebererkran- Prognose. Es kommt häufig zu Rezidiven (Die 10-Jah-
kungen, Erythema nodosum. Typisch für M. Crohn res Rezidivrate beträgt fast 50%); die Krankheit verläuft
sind die entstehenden Fistelgänge: in Schüben, Spontanremissionen sind möglich.
4 Enteroenteral (interenterisch)
4 Enterokutan Nachsorge. Nachkontrolle, Führen eines Crohn-Tage-
4 Enterogenital/-vaginal buches. Psychologische/psychotherapeutische Beglei-
4 Enterovesikal tung.
4 Retroperitoneale Fistel
4 Anorektale Fistel Colitis ulcerosa
Definition. Chronisch entzündliche Dickdarmerkran-
Diagnostik. Die klinische Untersuchung ergibt eine kung. Typischerweise in Schüben verlaufend.
Resistenz im rechten Unterbauch. Die Patienten füh-
ren ein M.-Crohn-Tagebuch; hieraus errechnet sich Ätiopathogenese. Die Ursache ist ungeklärt, vermut-
der CDAI (Crohn Daily Activity Index). Technische lich autoimmun bedingt. Genetische Prädisposition
Untersuchungen umfassen Kontrastmitteldarstellung und Umwelteinflüsse (exogene Noxen) spielen eine
nach Sellink, Endoskopie, Biopsie. Makroskopisch Rolle. Häufig beginnt die Erkrankung am Rektum und
finden sich Ulzerationen der Schleimhaut, oft eine Ste- breitet sich oralwärts aus. Das Punctum maximum ist
nosebildung des gesamten Darmabschnittes durch im Rektosigmoid. Selten wird das terminale Ileum
Vernarbung. Differenzialdiagnostisch sind Colitis ul- überschritten (»Back-wash-Ileitis«). Im Gegensatz zu
cerosa, ischämische Kolitis, Yersinieninfektion auszu- M. Crohn sind meist nur Schleimhaut und Submukosa
schließen. betroffen.
Zu den Komplikationen der Colitis ulcerosa ge-
Therapie. Konservativ medikamentös kommen fol- hören:
gende Substanzen zum Einsatz (7 Innere Medizin, 4 Abszesse
Kap. 4.3.9): 4 Toxisches Megakolon
94 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Perforation/Blutung (Gefahr Sepsis!) 4 Salazosulfapyridin


1 4 Fisteln 4 Symptomatisch (Antidiarrhoika, Elektrolytaus-
4 Maligne Entartung (Präkanzerose) gleich, Ocreotid, Eisenpräparate)

Epidemiologie. Inzidenz: 6–8/100.000/Jahr. Mann und Neue Therapieoptionen


Frau sind in etwa gleich häufig betroffen. Der Altersgip- Azathioprin, Mercaptopurin, Antikörper, Interferon, Ciclo-
fel liegt im Bereich der 2. bis 4. Lebensdekade. sporin und andere Substanzen befinden sich im Rahmen
klinischer Studien in Erprobung.
Symptomatik. Blutig-schleimige Durchfälle, erhöhte
Defäkationsfrequenz, Bauchschmerz, schlechter Allge- Operativ wird bei Komplikationen oder zur Karzinom-
meinzustand, Gewichtsverlust, Tenesmen. Extraintesti- prophylaxe vorgegangen; verwendete Verfahren sind:
nale Manifestationen umfassen: Arthralgien, Arthritis, 4 Segmentresektionen, Fistelexzision
Uveitis, Episkleritis, Iritis, Iridozyklitis, Hauterschei- 4 Hemikolektomie, Kolektomie
nungen (Erythema nodosum, Pyoderma gangrae- 4 Kontinenzerhaltende Proktokolektomie mit ileoa-
nosum). Es besteht eine Komorbidität mit Osteoporose, naler Anastomose und Pouch-Bildung (J-Pouch)
M. Bechterew, Cholelithiasis, Nephrolithiasis. 4 Anus-praeter-Anlage (Ileostoma) bei Peritonitis,
tiefem anorektalem Befall oder protektiv (1-,2- und
Diagnostik. Diagnostisch entscheidend sind Prokto- 3 zeitige Proktokolektomie)
skopie, Koloskopie mit Biopsie (nicht im akuten
Schub!), Kolonkontrasteinlauf (Bild des »Fahrrad- > Im Gegensatz zum M. Crohn ist die Colitis ulcerosa
schlauches«), CT, MRT. Es zeigen sich tiefe Ulzerati- durch Entfernung des Dick- und Enddarms (Proktoko-
onen (Krypten), Pseudopolypen. Langfristig kommt es lektomie) heilbar.
zum Verlust der Haustrierung, Atrophie, Funktions-
verlust und Inkontinenz. Differenzialdiagnostisch Prävention. Diät, Lebenswandel, regelmäßige Vorsor-
sind M. Crohn, Divertikulose, ischämische Kolitis aus- geuntersuchungen (jährliche Koloskopie). Verzicht auf
zuschließen. ASS, NSAR.

Therapie. Konservativ bestehen folgende Optionen ! Cave


(7 Innere Medizin, Kap. 4.3.9): Colitis ulcerosa ist eine Präkanzerose: nach 25 Jahren
4 Glukokortikoide (im akuten Stadium) p.o., i.v., rek- Erkrankungsdauer kommt es in annähernd 50% der
tal (Foam), z. B. Budenosid, Prednisolon hochdo- Fälle zur malignen Entartung.
siert, dann ausschleichend
4 5-ASA (5-Aminosalizylsäure) i.v., p.o., topisch, z. B. Nachsorge. Psychologische/psychotherapeutische Be-
Mesalazin gleitung.

In Kürze

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Morbus Crohn 4 Symptomatik: reduzierter Allgemeinzustand, Gewichtsverlust, Diarrhö, hohe Stuhlfrequenz,


(Enteritis abdomineller Schmerz, Krämpfe, Ileus, Fistelung, peranaler Blutabgang. Extraintestinal:
regionalis) Arthritis, Uveitis, Episkleritis, Iritis, Iridozyklitis, Lebererkrankungen, Erythema nodosum
4 Diagnostik: Endoskopie, Biopsie, Sonographie, MRT, CT
4 Therapie:
– Konservativ: Glukokortikoide, 5-Aminosalicylate, Azathioprin, Metronidazol, Infliximab,
Salazosulfapyridin, Mercaptopurin, Methotrexat u. v. a.
– Operativ: Strikturoplastik, Fistelexzision, Abszessspaltung, Segmentresektion bis
Kolektomie/Anus praeter bei Komplikationen
– Keine operative Heilung möglich!
6
1.7 · Viszeralchirurgie
95 1

Colitis 4 Symptomatik: blutige, schleimige Durchfälle, erhöhte Defäkationsfrequenz, Bauchschmerz,


ulcerosa schlechter Allgemeinzustand, Gewichtsverlust, Tenesmen. Extraintestinal: Arthralgie,
Arthritis, Uveitis, Episkleritis, Iritis, Iridozyklitis, Hauterscheinungen (Erythema nodosum,
Pyoderma gangraenosum)
4 Diagnostik: Proktoskopie, Koloskopie mit Biopsie (nicht im akuten Schub!), Kolonkontrast-
einlauf, Sonographie, CT, MRT
4 Therapie:
– Konservativ: Glukokortikoide, 5-Aminosalizylsäure, Salazosulfapyridin u. v. a.
– Operativ: bei Komplikationen oder elektiv zur Karzinomprophylaxe: Segmentresekti-
onen, Fistelexzision, Hemikolektomie, Kolektomie. Kontinenzerhaltende Proktokol-
ektomie mit ileoanaler Anastomose und Pouch-Bildung (J-Pouch). Anus-praeter-Anlage
(Ileostoma) bei Peritonitis, tiefem anorektalem Befall oder protektiv (1-, 2- und 3-zeitige
Proktokolektomie)

1.7.9 Milz Als Folgen des Milzverlusts können sich folgende Er-
krankungen entwickeln:
Anatomie 4 Kurzfristig: Thrombozytose, erhöhtes Thrombo-
Die Milz (Splen, Lien) liegt vollständig intraperitoneal im lin- embolierisiko, Pfortaderthrombose
ken Oberbauch, fixiert durch die Ligamentae gastrospleni- 4 Langfristig: Herabsetzung der Immunabwehr (v. a.
cum, colosplenicum, splenorenale und phrenicosplenicum bei Kindern): von subklinischen Verlaufsformen
zum Magen, Kolon, Niere, Zwerchfell. Die Bänder inserieren bis zur Maximalvariante des septischen Krank-
an eine derbe Kapsel. Das Organ wiegt etwa 150 g, beim Er- heitsbildes »OPSI-Syndrom« (»overwhelming post
wachsenen ist sie etwa faustgroß. Die arterielle Versorgung splenectomy infection«); daher Pneumokokken-
erfolgt per A. lienalis aus dem Truncus coeliacus, der venöse impfung (2 Wochen vor elektiven Splenektomien,
Abfluss per V. lienalis, die sich dem Pfortadersystem an- sonst 2 Wochen postoperativ. Auffrischung alle 5–
schließt (Umgehungskreisläufe bei portaler Hypertension). 10 Jahre), Antibiotikaprophylaxe, z. B. bei Risiko-
eingriffen
Anamnestisch sind bei Verdacht auf Erkrankungen der
Milz Fragen im Sinne von hämatologischen, hepatolo- Verletzungen der Milz
gischen und kardialen Erkrankungen zu klären (z. B. Milzruptur
Blutungsneigung, Immunschwäche); auch ist nach por- Definition. Ruptur der Milzkapsel mit Blutung in die
taler Hypertension zu fahnden. freie Bauchhöhle.
Traumatologisch muss bei Verletzungen in der Re-
gion des linken Oberbauches, jedoch auch bei jedem Ätiopathogenese. stumpfes oder (selten) penetrieren-
Trauma größerer Schwere (Gurttrauma, Sturz, Dezele- des Bauchtrauma: Verkehrsunfall (Thorax-/Abdomen-
ration) an eine mögliche Milzruptur gedacht werden. kontusion), Sportunfall, häuslicher Unfall (Sturz von
Leiter auf Flanke); iatrogen: Pankreas-, Magen-, Kolon-
Diagnostik. Die klinische Untersuchung umfasst die eingriffe, Fehlpunktionen transdermal, Fehlzugänge bei
Palpation bimanuell oder in Rechtsseitenlage. Hinzu laparoskopischen Trokarplatzierung (selten, aber mög-
kommen Sonographie (Parenchym, Milzloge), CT, lich z. B. bei unerwarteter Splenomegalie).
MRT sowie eine Blutbilduntersuchung (Differenzialb-
lutbild); 7 Innere Medizin, Kap. 7.2, 7.3. ! Cave
Die Operationsverfahren an der Milz beschreibt Vor der Laparoskopie ist eine Sonographie obligat.
. Tab. 1.26.
Epidemiologie. Das Milztrauma ist die häufigste Ursa-
> Grundsätzlich ist der Milzerhalt das Ziel. Insbeson- che intraabdomineller Blutungen.
dere bei Kindern unter dem 6. Lebensjahr strengste
Indikationsstellung zur Splenektomie, aber auch bei Symptomatik. Abdominalschmerz bis zum Bild des
Kindern über 6 Jahren und Jugendlichen! akuten Abdomens, die Ausstrahlung in die linke Schul-
96 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.26. Operationsverfahren an der Milz

Verfahren Operationstechnik Indikation

Splenektomie Zugang per medianer Laparatomie oder Schwere Verletzungen (stumpfes Bauchtrauma) ia-
Rippenbogenrandschnitt links. Ggf. vorhe- trogen (Pankreas-Koloneingriffe oder urologische
rige Embolisation (A. lienalis). Laparoskopi- Eingriffe), elektiv bei große Zysten (z. B. Echinokok-
sche Splenektomie technisch möglich kus), Autoimmunkrankheiten, Anämien, Leukämi-
en (CLL, NHL, ALL etc.), Thrombozytosen, portaler
Hypertension, Splenomegalie, Hypersplenismus/
Hyperspleniesyndrom (auch bei Sarkoidose, Spei-
cherkrankheiten, Kollagenkrankheiten, chroni-
schen Infektionen), Milzabszess, Milzmetastasen,
totaler Milzinfarkt

Milzteilresektion, Einsatz von hämoptytischen Kollagen-/ Leichtere Bauchtrauma, iatrogen, spontane Ruptu-
Maßnahmen Fibrinklebern, Infrarotkoagulation, kon- ren bei o. g. Erkrankungen, kleine Zysten, partieller
zum Milzerhalt servatives Zuwarten (EK-Gabe, Infusion, Milzinfarkt
Kortikosteroide, Immunglobuline,
Milzbestrahlung, Chemotherapie u. a.),
Parenchymnaht, Teilresektion

ter ist nicht immer typisch. Es treten Zeichen des Volu- Notsplenektomie
menmangels auf (Maximalvariante hypovolämer Nach einer medianen Laparatomie wird die Milz von dorsal
Schock). mobilisiert, nach vorne luxiert und der Milzhilus ertastet.
Nach Anlage von 1–2 Klemmen folgt die Resektion am Hi-
Diagnostik. Klinisch (Schock, Schmerzen linker Ober- lus, Unterbinden der Gefäße mit Durchstichligaturen. An-
bauch, akutes Abdomen), Labor (Hämoglobin, Leuko- schließend werden die Aa. gastricae brevae ligiert.
zytose), Sonographie (wegweisend!), CT. Differenzial-
diagnostisch sind Myokardinfarkt, Lungen-/Pleura- Prognose. Akute Gefahr (z. B. Kreislaufschock) bei
erkrankungen, Divertikulose, Zwerchfellruptur Milzruptur rechtfertigt Splenektomie trotz möglicher-
auszuschließen. weise kurz-, mittel-, und langfristiger Folgen des Milz-
verlustes.
Therapie. Prinzipiell ist auch konservative Behandlung
möglich, die allerdings strenges Intensivmonitoring, Nachsorge. Pneumovax-Impfung.
laufende Sonographie ggf. CT-Kontrollen und großes
Maß an Erfahrung des Kinder-/Chirurgen voraussetzt: ! Cave
Volumengabe, Hämotherapie Intensivbehandlung. In Schwere Blutungen der Milz nach stummem Intervall
die Indikationsstellung zum operativen Eingriff fließen (bis zu 5 Wochen) sind möglich (Hämatomruptur,
ein: Blutverlust/Kreislaufsituation, Klinik, Begleitver- »zweizeitige Milzruptur«). Daher ist eine Überwa-
letzungen im Abdomen bzw. anderen Körperregionen, chung nach schweren Bauchtraumen indiziert (kli-
Grunderkrankungen (hämatologisch). Ggf. ist eine nisch, sonographisch).
Splenektomie als Soforteingriff bei Kreislaufinstabilität
notwendig.
1.7 · Viszeralchirurgie
97 1

In Kürze

Milzverletzungen

Milzruptur 4 Symptomatik: linksseitiger Abdominalschmerz bis zum Bild des akuten Abdomens, evtl. Aus-
strahlung in linke Schulter. Zeichen des Volumenmangels (hypovolämer Schock)
4 Diagnostik: klinisches Bild, Sonographie, CT
4 Therapie:
4 Konservative Behandlung unter strengem Intensivmonitoring, Sonographie ggf. CT-Kontrol-
len, Volumengabe, Hämotherapie Intensivbehandlung
4 Indikationsstellung zum operativen Eingriff: Blutverlust/Kreislaufsituation, Klinik, Begleitver-
letzungen im Abdomen bzw. anderen Körperregionen, Grunderkrankungen (Hämatologisch);
Splenektomie als Soforteingriff bei Kreislaufinstabilität

1.7.10 Leber Spezielle Fragen zur Anamnese bei Verdacht auf Leber-
erkrankungen umfassen:
Anatomie 4 Unspezifische Appetitlosigkeit, Leistungsverlust
Makroskopisch wird die Leber durch das Lig. falciforme und 4 Gewichtsverlust
Lig. teres hepatis scheinbar in einen großen rechten und 4 Kapselspannungsschmerz im rechten Oberbauch
einen kleinen linken Leberlappen geteilt. Nach Couinaud und Ausstrahlung in die rechte Schulter (Head-
wird die Leber aber in 8 Segmente eingeteilt (und im Uhr- Zone)
zeigersinn benannt), die jedes für sich gemeinsam drainie-
rende und versorgende Gefäße und Gallengänge besitzen Diagnostik. Bei Erkrankungen der Leber sind folgende
(. Abb. 1.332). Grenzlinie zwischen den Segmenten sind in klinische Zeichen typisch:
der Horizontal- die Pfortader und in der Sagittalebene die 4 Fieber
3 Lebervenen. Die Segmente 1–4 (a und b) gehören zur lin- 4 Ikterus (Kompression/Verschluss der Gallenwege)
ken, die Segmente 5–8 zur rechten Leberhälfte. Das Seg- 4 Aszites
ment 1, der Lobus caudatus, hat einen Sonderstatus, da er 4 Zeichen der portalen Hypertension (7 unten)
arterielle und portale Zuflüsse aus beiden Leberhälften be-
sitzt und sein venöser Abfluss direkt in die V. cava inf. mün- Als technische Zusatzdiagnostik kommen folgende
det. Die Leber erhält Zufluss durch die Pfortader und die Verfahren zur Anwendung (7 Innere Medizin, Kap. 5.2):
A. hepatica propria. Pro Minute durchströmen ca. 1,5 l Blut 4 Sonographie (auch intraoperativ)
die Leber. 4 Laborparameter: Transaminasen, Cholestasepara-
meter, Unterscheidung von prä-, intra- und posthe-
patischen Ikterus, Leberentzündung und Ein-
schränkung der Leberfunktion. Serologische Tests
bei Verdacht auf parasitäre Erkrankungen, z. B.
Echinokokkose, Amöbenabszess
4 Tumormarker: α-Fetoprotein (AFP; = HCC), karzi-
noembronales Antigen (CEA) zur Verlaufskontrol-
le kolorektaler Tumoren und Lebermetastasen
4 CT, MRT, Volumetrie und dreidimensionale Leber-
darstellung (auch arterielles, portales Gallengangs-
system)
4 PET-CT: Fusionsbildgebung von Mehrzeilen-Spi-
ral-CT und Positronenemissionstomographie
(PET) in einem Untersuchungsgang (nur an spezi-
ellen Zentren)
4 Feinnadelpunktion unter sonographischer Kon-
. Abb. 1.33. Einteilung der Lebersegmente nach Couinaud trolle (evtl. mit Therapie, z. B. Alkoholinjektion bei
(franz. Anatom und Chirurg). (Aus Lanz-Wachsmuth 2004) HCC verbunden)
98 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab.1.27. Ausgewählte Operationsverfahren an der Leber

Resektionstyp Bezeichnung Indikationen

Nicht anatomische Ignorieren der anatomischen Struktur. Solitäre Metastase, radikale Gallenblasen-
Leberresektionen Keilresektion (»Wedge«) bettresektion bei Karzinom, Zysten

Anatomische Leberparenchymentfernung nach Segment- Maligne primäre und sekundäre Tumoren


Leberresektionen grenzen; Bisegmentektomie, Hemihepat- der Leber. Ausgedehntes Gallenblasen-
ektomie rechts/links, Trisektorektomie links/ karzinom, evtl. mit Lebermetastasierung
rechts (= erweiterte Hemihepatektomie
links/rechts)

4 Leberangiographie (heute selten, evtl. in Kombina- 4 Peritonismuszeichen: z. B. Abwehrspannung, »har-


tion mit Chemoembolisation von Tumorgefäßen) ter Bauch«, akutes Abdomen
4 Diagnostische Laparoskopie/Laparotomie 4 Bei Eintritt von arteriellen Blut in die Gallenwege
(Hämobilie)
Über Operationsverfahren an der Leber informiert
. Tab. 1.27. ! Cave
Eine Leberverletzung birgt immer die Gefahr mas-
Regenerationsfähigkeit der Leber siver Blutungen.
Aufgrund der hohen Regenerationsfähigkeit (Prometheus
Effekt) gestattet die Leber eine Resektion von bis zu 80% Diagnostik. Sonographie, Laboruntersuchung (Hämo-
Organanteil unter der wichtigen Voraussetzung, dass das globin, Hämatokrit), CT, MRT, Abdominallavage.
Organ histologisch und metabolisch intakt ist und das Ver-
bleibende Restvolumen der Leber ausreichend (5 g/kg KG). Therapie. Eine konservative Therapie ist vertretbar bei
Bis zur vollständigen, nicht anatomiegerechten Regenera- kreislaufstabilem Patienten ohne wesentliche intratho-
tion benötigt die Leber 3–6 Monate. rakale oder -abdominelle Begleitverletzungen, beson-
ders bei Kindern: regelmäßige Kontrolle von Hb, sono-
Verletzungen der Leber graphische Verlaufskontrollen. Die Indikation zum
Definition. Man unterscheidet perforierende, stumpfe, operativen Eingriff besteht bei Kreislaufinstabilität,
offene und geschlossene Leberrupturen. Nach der Aus- bei subkapsulärem Hämatom (Gefahr der zweizeitigen
dehnung klassifiziert man: Leberruptur). Es erfolgt eine definitive Blutstillung mit-
4 Grad-I-Ruptur: Verletzung der Subsegmente und tels Durchstichligaturen, Verschluss verletzter Gallen-
Kapseleinrisse wege, Entfernung von Parenchymnekrosen, Fibrin-
4 Grad-II-Ruptur: Verletzung der Segmente und de- schaum, ggf. Leberresektion. Bei massiver Blutung
ren Gefäße und Gallenwege kommt das Pringle-Manöver zum Einsatz (Abklem-
4 Grad-III-Ruptur: Beteiligung der Hilusstrukturen, men des Lig. hepatoduodenale für maximal 30–45 min),
zentralen Lebervenen, retrohepatischer V. cava und besteht danach die massive Blutung fort, sind temporä-
Gallengangsstrukturen re Tamponade (»packing«), oder/und Lebervenen- bzw.
Cavadarstellung nötig.
Ätiopathogenese. Stumpfe (Lenkradaufprall, Sturz aus
großer Höhe, Pferdetritt) oder penetrierende (Messer- Komplikationen. Nachblutung, Gallefistel, Leber-, sub-
stich, Schuss) Verletzung der Leber, auch iatrogen (Tro- phrenischer Abszess, Hämobilie, Bilhämie (Fistel zwi-
kare). schen Lebervene und Gallenwege).

Epidemiologie. Bei bis zu 50% aller Abdominalverlet- Prognose. Der Erfolg der Therapie ist besser geworden,
zung ist die Leber beteiligt. dennoch besteht bei Grad-III-Ruptur eine bis zu 90%-
ige Letalität.
Symptomatik. Bei Verletzungen der Leber zeigen sich:
4 Schock (akuter Volumenmangelschock)
4 Schmerzen rechter Oberbauch/Schulterschmerz
1.7 · Viszeralchirurgie
99 1
Infektionen der Leber multiplen Abszessen nötig und bei fehlendem Erfolg,
Abszesse fehlender interventioneller Zugängigkeit von solitären
Definition. Man unterscheidet primäre und sekundäre Abszessen. Wichtig ist eine hochdosierte und lang an-
(fortgeleitete) Abszesse. Primäre Abszesse sind selten. dauernde Antibiotikagabe (zunächst kalkulatorisch,
Sekundäre können das gesamte mikrobiologische- und dann nach Typisierung und Antibiogramm). Amöben-
parasitäre Spektrum aufweisen. abszesse (Entamoeba histolytica) sind in unseren Brei-
ten selten. Sie lysieren Leberparenchym und bilden so
Ätiopathogenese. Ursächlich sind Bakterien in 90%, Kolliquationsnekrosen: Indiziert ist die Metronidazolga-
Parasiten in 10% (7 unten). Bakterielle Abszesse entste- be, eine Drainage nur bei bakterieller Superinfektion.
hen wie folgt:
4 Chologen: z. B. bei eitriger Cholangitis (ca. 40%) Prognose. Unerkannt und unbehandelt liegt die Letali-
4 Hämatogen: aus dem Pfortaderstromgebiet, z. B. tät bei 100%, sonst bei bis zu 10%.
bei Appendizitis, Divertikulitis
4 Per continuitatem: z. B. bei perforierten Gallenbla- Benigne Tumoren
senempyem bzw. Ulcus duodeni Die Vielzahl der benignen Tumoren der Leber kann
hier nicht in der Breite wiedergegeben werden; nachfol-
Symptomatik. Akut treten hohes Fieber, Schüttelfrost, gend beschrieben sind die häufigen Tumoren.
reduzierter Allgemeinzustand auf. Beim chronischen
Verlauf zeigt sich eine eher unspezifische Symptomatik Fokale noduläre Hyperplasie (FNH)
mit Übelkeit, Appetitlosigkeit und anhaltend subfebri- Definition: Gutartige Hyperplasie.
len Temperaturen, Gewichtsverlust. Hinweisend sind
eine lokale/generalisierte Peritonitis mit Dauerschmerz Ätiopathogenese. Die Ursache ist unbekannt, vermutet
(akutes Abdomen) sowie Schmerzen im rechten Ober- wird eine Größenzunahme unter östrogenhaltigen
bauch und Ausstrahlung in Schulter und Flanke. Kontrazeptiva.

Diagnostik. Neben der klinischen Untersuchung sind Symptomatik. Beschwerden/Symptome treten selten
folgende Verfahren nötig: auf, evtl. zeigt sich eine Hepatomegalie.
4 Sonographie
4 Serologie, positiver serologischer Test bei Amöben- Diagnostik. Im Duplex-Sonogramm und Angiogramm
abszess findet sich keine Kapsel, kein erhöhter Blutdurchfluss,
4 Röntgen-Abdomenübersicht im Stehen: intrahepa- das typische Bild ergibt sich im Leberszintigramm. Dif-
tische Luft und Flüssigkeit, Zwerchfellhochstand, ferenzialdiagnostisch abzugrenzen sind grobknotige
sympathischer Pleuraerguss rechts (Durchwande- Leberzirrhose, intrahepatisch disseminierter Tumor.
rung des Zwerchfells)
4 CT: Diagnosesicherung durch gezielte Punktion Therapie. In der Regel ist keine Behandlung nötig; Aus-
nach serologischem Echinokokkoseausschluss nahme: bei Symptomen und/oder ständiger Größenzu-
4 Labor: Leukozytose, BSG-Beschleunigung, erhöh- nahme (Malignitätsverdacht): Leberresektion.
tes CRP, selten erhöhte Cholestaseparameter (Bili-
rubin, AP) Leberzelladenom
Ätiopathogenese. Nach Einnahme östrogenhaltiger
! Cave Kontrazeptiva.
Echinokokkus-Ausschluss vor Punktion!
Epidemiologie. Gehäuft bei Frauen im gebärfähigen
Differenzialdiagnostisch ist an akute Cholezystitis Alter.
und Cholangitis, selten Hepatitis, perforiertes Ulkus,
Porphyrie, Neoplasien, Echinokokkose oder Amöbiasis Symptomatik. Die Symptomatik reicht vom Zufallsbe-
zu denken. fund ohne Anzeichen bis zum Riesenwachstum mit
spontaner Leberkapselruptur und/oder Blutung in die
Therapie. Beim pyogenen Abszess gilt es, den Sepsis- Bauchhöhle.
herd aufzuspüren und zu beseitigen; angezeigt sind wei-
terhin Drainage, US- oder CT-gesteuerte Drainage bei Diagnostik. Feinnadelbiopsie, Kontrastmittel-CT. Dif-
singulären Abszessen. Ein chirurgisches Vorgehen (Ab- ferenzialdiagnostisch kommen Leberzirrhose, multilo-
szessausräumung), Drainage, Leberresektion) ist nur bei kulärer maligner Tumor in Betracht.
100 Kapitel 1 · Chirurgie

Therapie. Indiziert ist eine atypische oder anatomiege- Echinokokkose (parasitäre Zysten)
1 rechte Leberresektion (kann entarten!) bei Blutungsge- Ätiopathogenese. Aufnahme von Eiern des Echino-
fahr, Malignitätsverdacht. coccus granulosus (Hundebandwurm, E. cysticus;
. Abb. 1.34) sowie Echinococcus alveolaris (Fuchs-
Kavernöse Hämangiome bandwurm, E. alveolaris). Der Mensch ist Zwischen-
Ätiopathogenese. Die Ursache ist unbekannt, oft sind wirt. Nach Aufnahme der Eier wird deren Hülse im
diese Hämangiome angeboren. Vermutet wird eine Magen aufgelöst; die Larven schlüpfen, penetrieren die
Größenzunahme bei Einnahme von östrogenhaltigen Darmwand und gelangen via V. portae in die Leber, sel-
Kontrazeptiva. ten weiter in die Lunge. Es bilden sich charakteristische
Hydatiden aus; die Grenze zur Leber bildet die faserige,
Epidemiologie. Häufig. chitinhaltige Perizyste. Sie umgibt die Endozyste, die als
Keimschicht die Skolizes und evtl. Tochterzysten ent-
Symptomatik. Symptome sind selten, manchmal be- hält.
steht eine Hepatomegalie. Als Komplikationen können
Blutungen auftreten (selten lebensbedrohlich), meist Epidemiologie. Häufig v. a. in Mitteleuropa, 1–200 Fäl-
erfolgt eine spontane Thrombosierung und narbige Or- le pro 100.000/Einwohner/Jahr.
ganisation.
Symptomatik. Unspezifisch Inappetenz, vegetative
Diagnostik. Sonographie, CT, Kontrast-CT, Im Duplex- Symptome, Ikteruszeichen, Cholangitiszeichen (Ikte-
sonogramm oder Angiogramm findet sich kein erhöh- rus, generelle Entzündungszeichen), Schmerzen,
ter Blutzufluss. Differenzialdiagnostisch sind Leberzir- Druckgefühl rechter Oberbauch.
rhose, grobknotiger Lebertumor abzugrenzen.
Diagnostik. Laborchemisch zeigt sich eine Eosinophi-
Therapie. In der Regel ist keine Behandlung nötig, nur lie, wegweisend sind indirekte Hämagglutinations-, in-
bei großen Tumoren und mechanischen Beschwerden: direkte Immunfluoreszenz-, Latexagglutinations- und
Leberresektion. Casoni-Intrakutantest, Komplementbindungsreaktion
(KBR). Im Röntgen-Abdomen zeigen sich Zystenwand-
Leberzysten verkalkungen, im CT/US eine Endozyste mit Skolizes.
Ätiopathogenese. Diese kongenitale Anlage findet sich
auch in Nieren und Pankreas, es finden sich dünnwan- ! Cave
dige Blasen mit serösem Inhalt und epithelialer Aus- Bei der diagnostischen Punktion kann es zu einer
kleidung; Zysten treten zudem im Rahmen einer »Ab- allergischen Reaktion und/oder tödlichen Skolizes-
räumreaktion« der Leber nach Trauma, Ischämie o. ä. aussaat kommen.
auf.

> Sonderform: Vereinzelt stehen Zysten mit den intra-


hepatischen Gallenwegen in Verbindung (Caroli-Syn-
drom: multiple Stenosen und zystische Gallengangs-
erweiterungen).

Epidemiologie. Häufig.

Symptomatik. Symptome sind selten, nur bei Größen-


zunahme und Verdrängungserscheinungen, Ruptur,
Einblutung oder Infekt kommt es zu Beschwerden. Dif-
ferenzialdiagnostisch ist an Zystadenome bzw. -karzi-
nome und Echinococcus cysticus zu denken.

Therapie. Große Zysten werden entfernt oder entdacht


(»unroofing« = Resektion der Zystenwand) (laparosko-
pisch), infizierte Zysten werden wie Abszesse behandelt, . Abb.1.34. Solitäre Leberzyste durch Echinococcus granu-
bei Verbindung zum Gallengangssystem erfolgt eine losus (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Disko,
Drainage über eine ausgeschaltete Dünndarmschlinge. München). (Aus Siewert 2006)
1.7 · Viszeralchirurgie
101 1

Therapie. Selten reicht die allein medikamentöse The- plantationindiziert.Palliativ kommenThermo-,Radio-


rapie mit Mebendazol. Bei E. cysticus sive granulosus ist frequenz-, Kryoablation, Chemoembolisation, C2H5-
eine Hydatidektomie durch Peri- oder Zystektomie Tumorinstillation, Stent, Umgehungsoperationen in
nach Devitalisierungsinstillation hypertoner Lösungen Betracht.
(20% NaCl, 40% Glukose, Silbernitrat) und Absaugung
indiziert. Bei E. multilocularis sive alveolaris wird eine Prognose. Unbehandelt sterben die Patienten nach 4–
Leberresektion nötig, wenn der Befall auf eine Leber- 12 Monaten, nach kurativer Resektion bzw. Transplan-
hälfte beschränkt ist, sonst wird palliativ und medika- tation beträgt die mittlere Überlebenszeit ca. 3–5 bzw.
mentös vorgegangen. 5–10 Jahre.

Prognose. Gut beim Echinococcus cysticus, unsicher Lebermetastasen (sekundäre Lebermalignome)


beim Echinococcus multilocularis. Ätiopathogenese. Am häufigsten metastasieren in die
Leber Karzinome des Kolorektums, seltener der Bron-
Maligne primäre und sekundäre Tumoren chien, der Mammae, des Pankreas und des Magens.
Hierher gehören hepatozelluläres Karzinom (HCC), Man unterscheidet synchrone – mit dem Ersttumor
cholangiozelluläres Karzinom (CCC), Hepatoblastom, gleichzeitig – und metachrone – Monate oder Jahre
Sarkom und Zystadenokarzinom. Die drei letzteren En- später auftretende – Metastasen.
titäten sind äußerst selten, während HCC und CCC sich
klinisch gleichen. Das HCC gehört weltweit zu den häu- Epidemiologie. Es sind die häufigsten malignen Leber-
figsten Malignomen. tumoren.

Hepatozelluläres Karzinom (HCC), Symptomatik. Meist blande. Metastasierung, meistens


cholangiozelluläres Karzinom (CCC) auffällig bei Routinenachsorgeuntersuchungen (Sono-
Ätiopathogenese. Das HCC hat seinen Ursprung in graphie).
den Hepatozyten, das CCC geht aus den intrahepati-
schen Gallenwegsepithelzellen hervor. Zur Karzino- Diagnostik. Entspricht der bei HCC.
mentstehung führen Hepatitis B und C, Leberzirrhose Therapie. Die chirurgische Therapie ist grundsätzlich
(posthepatitisch oder postalkoholisch), Hämochroma- möglich, wenn keine disseminierte Aussaat vorliegt.
tose und sehr seltene Lebererkrankungen: α1-Antitryp- Auch große und ungünstig gelegene Metastasen kön-
sinmangel, Thorotrastose und Aflatoxinexposition. nen – in Abhängigkeit der Histologie des Primärtu-
mors – von spezialisierten Hepatochirurgen reseziert
Epidemiologie. Diese Karzinome treten besonders werden. Wenn möglich, sollte eine R0-Resektion, auch
häufig in Mittelafrika und im Fernen Osten mit 4-fa- mehrfach bei Rezidiven erfolgen, wenn weitere Fern-
cher Häufigkeit im Vergleich zu den westlichen Staaten metastasen ausscheiden und auch der Primärtumor
auf. unter Kontrolle ist. Auch Etappenresektionen, Embo-
lisationen zum präoperativen Aufbau des verblei-
Symptomatik. Leistungsknick, Druckgefühl im rechten benden Leberparenchyms sind möglich und sinnvoll.
Oberbauch (Leberkapselschmerz), dort tastbare Vor- Ggf. sollte eine vorherige neoadjuvante Chemothera-
wölbungen und Ikterus als Zeichen eines fortgeschrit- pie erfolgen.
tenen Stadiums. Typisch ist der rasche Verlauf. Palliative Resektionen sind bei metastasierenden
endokrinen Tumoren wegen der günstigen Prognose
Diagnostik. Sonographie, MRT, Labor: erhöhte Werte indiziert. Weitere palliative Verfahren (7 HCC) sind lo-
von Bilirubin, alkalischer Phosphatase, γ-GT, α-Fetopro- kale Ablationsverfahren, Chemotherapie.
tein (AFP) als hochspezifischer Marker des HCC mit
80- bis 90%-iger Treffsicherheit. Ultraschall-/CT-gesteu- > Eine aggressive Resektion von Lebermetastasen ist
erte Feinnadelbiopsie erfolgt zur Diagnosesicherung, CT insbesondere beim kolorektalen Karzinom sinnvoll.
(mit Gefäßrekonstruktion zur Operationsplanung).
Prognose. Die mittlere Überlebenszeit beträgt 4–8 Mo-
Therapie. Kurativ kann manchmal eine R0-Resektion nate. Nach Resektion von singulären Metastasen bei
erfolgen, häufig ist diese jedoch nicht möglich, da in kolorektalem Karzinom kann die 5-Jahres-Überlebens-
über 70% eine Leberzirrhose besteht. Hier ist die Trans- zeit bis zu 50% ausmachen.
102 Kapitel 1 · Chirurgie

In Kürze
1
Lebererkrankungen

Leberabszess 4 Symptomatik: Fieber, Schüttelfrost, reduzierter Allgemeinzustand, Übelkeit, Appetit-


losigkeit, Gewichtsverlust, Peritonitis mit Dauerschmerz, Schmerzen im rechten
Oberbauch, Ausstrahlung in Schulter und Flanke
4 Diagnostik: Sonographie, Serologie, Röntgen-Abdomen, CT, Punktion nach serologi-
schem Echinokokkoseausschluss, Labor (Leukozyten, BSG, CRP, Cholestaseparameter)
4 Therapie:
– Pyogener Abszess: Aufspüren, Beseitigen des Herdes, Drainage, US- oder
CT-gesteuerte Drainage bei singulären, chirurgisches Vorgehen (Ausräumung,
Drainage, Leberresektion) nur bei multiplen Abszessen. Hochdosierte und lang
andauernde Antiobiotikagabe
– Amöbenabszess: Metronidazolgabe, Drainage nur bei bakterieller Superinfektion

Echinokokkose 4 Symptomatik: Inappetenz, vegetative Symptome, Ikteruszeichen, Cholangitiszeichen,


der Leber Schmerzen, Druckgefühl rechter Oberbauch
4 Diagnostik: Labor: Eosinophilie, indirekte Hämagglutinations-, indirekte Immun-
fluoreszenz-, Latexagglutinations- und Casoni-Intrakutantest, Komplementbindungs-
reaktion (KBR), Röntgen-Abdomen: Zystenwandverkalkungen, CT/US: Endozyste
mit Skolizes
4 Therapie: selten nur medikamentös: Mebendazol
– E. cysticus sive granulosus: Hydatidektomie durch Peri- oder Zystektomie nach
Devitalisierungsinstillation hypertoner Lösungen (20% NaCl, 40% Glukose,
Silbernitrat) und Absaugung
– E. multilocularis sive alveolaris: Leberresektion, wenn auf eine Leberhälfte
beschränkt, sonst palliativ und medikamentös

Benigne Leber- 4 Symptomatik: Beschwerden bei gewisser Größe: Leberkapselschmerz, Ikterus, Leber-
tumoren funktionsstörung
4 Diagnostik: Labor, Röntgen, CT, MRT, ggf. Punktion
4 Therapie: Operation bei großen Tumoren, Komplikationen (Verdrängung, Blutung),
Malignitätsverdacht. Resektion per anatomischer oder nichtanatomischer Leber-
resektion. Auch laparoskopisch

Leberhämangiom 4 Symptomatik: Hepatomegalie; Komplikation: Blutung, meist spontane Thrombosie-


rung und narbige Organisation
4 Diagnostik: Sonographie, CT, Kontrast-CT, Im Duplexsono- oder Angiogramm kein
erhöhter Blutzufluss
4 Therapie: in der Regel keine Therapie nötig, nur bei großen Tumoren und mechani-
schen Beschwerden: Leberresektion

Intrahepatisches 4 Symptomatik/Diagnostik/Therapie: wie hepatozelluläres Karzinom


Gallenwegs-
karzinom

6
1.7 · Viszeralchirurgie
103 1

Hepatozelluläres 4 Symptomatik: Leistungsknick, Druckgefühl im rechten Oberbauch (Leberkapsel-


Karzinom schmerz), dort tastbare Vorwölbungen, Ikterus
4 Diagnostik: Sonographie, MRT, Labor: erhöhte Werte von Bilirubin, alkalischer Phos-
phatase, γ-GT, α-Fetoprotein (AFP) als hochspezifischer Marker des HCC mit 80- bis
90%-iger Treffsicherheit, US-/CT-gesteuerte Feinnadelbiopsie als Diagnosesicherung,
CT (mit Gefäßrekonstruktion)
4 Therapie: kurativ: R0-Resektion, häufig nicht möglich, da in über 70% Leberzirrhose,
Transplantation; palliativ: Thermo-, Radiofrequenz-, Kryoablation, Chemoembolisati-
on, C2H5-Tumorinstillation, Stent, Umgehungsoperationen

Lebermetastasen 4 Symptomatik: meist blande


4 Diagnostik: Sonographie, Tumormarker, CT, MRT
4 Therapie: R0-Resektion, sofern keine disseminierte Aussaat vorliegt und es technisch
möglich ist. Ggf. mehrfache Resektion bei Rezidiv, ggf. Etappenresektion, ggf. neo-
adjuvante Chemotherapie. Palliativ lokale Ablationsverfahren, Chemotherapie;
ansonsten Chemotherapie adjuvant nach kurativer Resektion

1.7.11 Pfortaderhochdruck 5 Gastrophrenosuprarenaler Umgehungskreis-


(portale Hypertension) lauf
5 Mesenteriko-hämorrhoidaler Umgehungs-
Definition/Ätiopathogenese. Bei Pfortaderhochdruck kreislauf: Hämorrhoiden
besteht eine Druckerhöhung im Pfortaderbereich und 4 Spenomegalie mit Anämie, Leuko- und Thrombo-
ihren Ästen durch Abstrombehinderung. Das Ab- zytopenie
stromhindernis kann prä-, intra- und posthepatisch 4 Aszites
liegen. Daraus resultieren Umgehungskreisläufe, die zu 4 Enzephalopathie (zerebrale Beteiligung)/Leberver-
einer Minderperfusion und -funktion der Leber mit sagen
verminderter Entgiftung führen und einen eigenen
Krankheitswert haben. Sehr selten entwickelt sich ein Von 100 Patienten mit Leberzirrhose entwickeln 50
Volumenhochdruck als Folge von arterio- oder spleno- Ösophagus- und/oder Magenvarizen, von diesen kommt
portalen Fisteln. Ursachen und Formen des Pfortader- es bei 15 zu Blutungen und bei 10 zu Todesfällen.
hochdrucks sind:
4 Posthepatischer Block (selten, z. B. Budd-Chiari- Symptomatik. Aszites, Ösophagusvarizen, Splenome-
Syndrom): Verschluss der posthepatischen Venen galie, Enzephalopathie.
(große Lebervenen und/oder der unteren Hohlve-
ne, z. B. als Folge einer Thrombose (erworben) oder Diagnostik. Gebräuchliche Verfahren und deren An-
Agenesie/Stenose (kongenital) wendung sind in . Tab. 1.28 dargestellt.
4 Intrahepatischer Block (70–80%): Kompression
der intrahepatischen Pfortaderäste: chronische Le- Therapie. Von entscheidender Bedeutung ist die Not-
berschrumpfung, -zirrhose (posthepatitisch, fallbehandlung der Ösophagusvarizenblutung mit
postalkoholisch primär biliär) Schockprophylaxe und -therapie, Vermeidung des
4 Prähepatischer Block (20%): Pfortader-Milzven- Leberaus- und/oder -zerfallskoma. Es erfolgt eine Not-
enthrombose (meist kongenital) fallösophagogastroduodenoskopie und ggf. Notsklero-
sierung bzw. -ligatur. Bei Versagen wird eine Ballontam-
Folgen der portalen Hypertension sind: ponade mit Sengstaken-Blakemore- oder Linton-Nach-
4 Kollateralkreisläufe las-Sonde maximal 12 h ununterbrochen und bis zu
5 Gastroösophagealer Umgehungskreislauf: 24–48 h (mit Unterbrechung) nötig.
Ösophagus-, Magenvarizen Gelingt eine dauerhafte Blutstillung nicht, so konkur-
5 Umbilikaler Umgehungskreislauf: Caput me- rieren interventionelle (TIPS; transjugulärer intrahepati-
dusae scher portsystemischer Shunt = Verbindung zwischen
104 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.28. Verfahren zur Diagnostik der portalen Hypertension

Untersuchungsmethode Untersuchungsziel

Ösophagogastroduodenoskopie Nachweis von Varizen, hypertensiver Gastropathie, Ulcus ventriculi oder/und


duodeni, erosive Gastritis

Sonographie, Duplexsonographie Tumornachweis, Pfortadererweiterung bzw. -stau, Aszites, Portal- und Leber-
arteriendurchfluss

Röntgenkontrastuntersuchung Nachweis von Umgehungskreisläufen

Angiographie: direkte/indirekte Flussrichtung und Durchgängigkeit der Portalgefäße

Splenoportographie, digitale Sub- Tumornachweis, Pfortader- und Gallengangskaliber, 3D-Rekonstruktion


traktionsangiographie, (CT, MRT)

Leberbiopsie Stadium, Aktivität und Progredienz der Leberschädigung, Tumorzellklassifikation

Lebervenenverschluss-, Ösopha- Bestimmung von Druckhöhe, Flussrichtung und Kollateralen sowie Blutungs-
gusvarizendruck gefährdung

Direkte transhepatische Portogra- Durchblutungsverhältnis V. portae/A. hepatica


phie, Lebersequenzszintigraphie

intrahepatischen Pfortader und Lebervene mit einer En- V. portae bzw. V. mesenterica sup. und V. cava inf.
doprothese) und operative Verfahren (. Abb. 1.35): Diese und weitere meistens elektiv (im blutungs-
4 Venensperroperation freien Intervall) angelegte Shunt-Typen kommen
4 Portosystemischer Shunt (heute vorwiegend als zur Anwendung.
englumiger Interpositions[PTFE]-Shunt) zwischen

. Abb. 1.35. Schema der


operativen Behandlungsmög-
lichkeiten der portalen Hyper-
tension. (Aus Siewert 2006)
1.7 · Viszeralchirurgie
105 1

(Couinaud). Die anatomische Kenntnis des Calot-Dreiecks


. Tab. 1.29. Child-Pugh-Klassifikation zur Einschät- zwischen D. hepaticus communis, D. cysticus und vorde-
zung der Prognose des Leberleidens rem Leberrand ist v. a. bei der laparoskopischen Cholezyst-
ektomie wichtig. Eine Vielzahl von Variationen sind be-
Befund 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte
schrieben. Der D. choledochus mündet nach Unterkreu-
Aszites Kein Mittlerer Schwerer zung des Duodenums gemeinsam mit dem D. Wirsungianus
an der Papilla Vateri in dieses.
Enzephalopa- Keine Mäßige Schwere
Die goldgelbe Farbe der Galle ist Folge der Hämoglo-
thie
binabbauprodukte Bilirubin und Biliverdin. Gallensäuren
Ernährungszu- Gut Mäßig Schlecht bilden Mizellen mit ingestierten Fetten, die dadurch wasser-
stand löslich und resorbierbar werden. 95% der Gallensäuren wer-
den im enterohepatischen Kreislauf vorwiegend im termi-
Bilirubin (mg/dl) <2 2–3 >3
nalen Ileum, aber auch im Restdünndarm und Kolon nach
Albumin (g/l) >35 35–30 <30 Dekonjugierung und Dehydroxylierung durch die Darm-
flora als Desoxychol- und Lithocholsäure rückresorbiert.
Quick-Wert (%) >70 70–50 <50
Gallensteine bilden sich durchVeränderungen im Lösungs-
Child-Pugh A = 5–6, Child-Pugh B = 7–9, Child-Pugh gleichgewicht der Galle durch Konzentrationserhöhung
C = 10–15 Punkte oder -verminderung einzelner Komponenten sowie Mo-
tilitätsstörungen, z. B. durch Gallensäurenverluste bei Un-
terbrechung des enterohepatischen Kreislaufs bei Er-
Folgende portosystemische Shunt-Formen werden an- krankungen bzw. Resektionen des terminalen Ileums (In-
gewendet: zidenzerhöhung nach Ileozökalresektion um das bis zu
4 Portokaval, z. B. End-zu-Seit oder Seit-zu-Seit 20-fache).
4 Proximal splenorenal (Linton)
4 Distaler splenorenaler Shunt (Warren) Folgende Operationsverfahren der Gallenblase und
4 Mesenterikokavaler H-Shunt Gallenwege finden Anwendung:
4 Kausale Therapie: Lebertransplantation 4 Laparoskopische Cholezystektomie (einer der
häufigsten viszeralchirurgischen Eingriffe; Vor-
Prognose. 30% aller Patienten mit Zirrhose sterben in- teile: geringere Klinikverweildauer und Schmer-
nerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnosestellung, 60% zen)
innerhalb des ersten Jahres nach der ersten Blutung; bei 4 Konventionelle Cholezystektomie: Rippenbogen-
über 50% kommt es innerhalb eines Jahres – allerdings randschnitt, Intraoperativ ggf. Cholangiographieü-
nicht bei regelmäßiger Kontrolle und Fortsetzung ber Injektion in den Zystikusstumpf möglich. Kon-
endoskopischen Behandlung – zum Blutungsrezidiv. version zum offenen Verfahren bei vorherzuse-
Nach Einführung der Child-Pugh-Klassifikation henden Problemen (z. B. Verwachsungen) oder
A, B und C (. Tab. 1.29) kann die Prognose generell und intraoperativen Problemen bei der Laparoskopie
für jede interventionelle bzw. operative Maßnahme oder bei präoperativem Malignitätsverdacht
besser eingeschätzt werden. Die operative Letalität bei 4 Biliodigestive Anastomosen
Child-Pugh C macht über 50% aus, liegt dagegen bei A
und B bei 5–10% bzw. 10–15%. Konservative Behandlungsansätze
Letztendlich bestimmen in erster Linie Ausmaß und Diese umfassen (7 Innere Medizin, Kap. 5.3):
Progredienz der Zirrhose und erst in zweiter Linie der 4 Medikamentöse Gallensteinlyse (per os, Injektion in
dauerhafte Erfolg der Blutstillung die Prognose, wobei die Gallenblase)
der Wert der Blutungsprävention noch nicht evidenzba- 4 Stoßwellenbehandlung (Lithotrypsie)
siert untersucht ist bzw. kontrovers diskutiert wird. 4 ERCP mit Papillotomie, Steinextraktion bei Choledo-
cholithiasis
4 Perkutane transhepatische Steinextraktion
1.7.12 Gallenblase, extrahepatische
Gallenwege Anomalien sind an der Gallenblase selten und als Age-
nesie, Doppel- und Dreifachanlage ohne Krankheits-
Anatomie und (Patho-)Physiologie der Gallenwege wert bekannt. Bei den Gallengängen gibt es häufig Cho-
Die glattmuskuläre, juvenil kontraktionsfähige Gallen- ledochuszysten. Eine Gallengangsatresie ist ein schweres
blase sitzt an der Unterfläche des 4./5. Lebersegments kinderchirurgisches Krankheitsbild.
106 Kapitel 1 · Chirurgie

Choledochuszyste > »6F«: female – fair (hellhäutig) – forty – fat – fertile


1 Diese zystischen Aussackungen können unterschiedliche – flatulent dyspepsia
Größe, Form und Lokalisation aufweisen, z. B. auch in
Form einer Blindsackbildung im distalen D. choledochus Epidemiologie. Zunahme mit steigenden Alter (bis
auftreten. Es liegt eine Assoziation mit dem Caroli-Syn- 80% aller Personen über 75 Jahre sind Steinträger),
drom (angeborene, segmentale Erweitung der intrahepa- weiblich:männlich = 3:1
tischen Gallenwege) vor. Dieses ist häufig bereits in der
Kindheit symptomatisch mit Ikterus, Stase, Keimbesied- Symptomatik. Meist verläuft die Cholezystolithiasis
lung als Cholangitis mit Schmerzen und tastbarer Vor- asymptomatisch. Seltener ergeben sich kolikartige
wölbung im rechten Oberbauch. Die Therapie besteht in Schmerzen im rechten Oberbauch, Übelkeit, postpran-
der Zystenresektion und biliodigestiver Anastomose nach dialer Druck.
Y-Roux.
Komplikationen. Cholezystitis, Cholestase durch aku-
Gallengangsatresie ten Zystikusverschluss mit Hydrops oder Empyem, of-
Die extra- und intrahepatischen Gallenwege sind partiell fene oder gedeckte Perforation, Cholangitis, Pankreati-
oder vollständig verlegt mit resultierendem progredien- tis, Gallensteinileus.
tem Ikterus und Leberversagen. Pathologisch ergibt sich
eine irreversible Leberschädigung ab der 8. Lebenswo- Diagnostik. Häufig finden sich Gallenblasensteine zu-
che. Therapeutisch sollte so früh wie möglich eine Kasai- fällig bei Ultraschall- (Konkrementnachweis, dorsale
Operation (Hepatojejunostomie) bzw. Lebertransplantati- Schallauslöschung, Wandreaktion) oder Röntgenunter-
on durchgeführt werden. 10% Neugeborene haben eine suchung (40% kontrastgebend), Cholezystographie
partielle, korrigierbare Atresie, alle anderen haben trotz (selten), ERCP, Laboruntersuchung.
frühzeitiger Kasai-Operation ohne Lebertransplantation
keine gute Langzeitprognose. Therapie. Grundsätzlich besteht bei Symptomen die
Indikation zu Behandlung. Eine Entfernung der Gal-
Anamnestisch geht es bei Erkrankungen der Gallen- lenblase bei asymptomatischen Gallenblasenstein-
wege um folgende Fragen: Juckreiz, Fettunverträglich- trägern zur Prophylaxe eines Gallenblasenkarzinoms
keit, Schmerzen und Druckgefühl rechter Oberbauch, konnte sich nicht durchsetzen. Es gibt nicht operative/
Inappetenz, Gewichtsverlust konservative und chirurgische Verfahren.
Die klinische Untersuchung ergibt einen Druck- Nichtoperative Verfahren sind eine Ergänzung
schmerz im rechten Oberbauch, Courvouisier-Zeichen oder Alternative zu lange ausschließlich angewandten
(7 unten), Ikterus. chirurgischen Verfahren:
Technische Zusatzuntersuchungen umfassen: 4 Medikamentöse Steinauflösung durch Gallensäu-
4 Sonographie ren (Ursodesoxycholsäure) Langzeitbehandlung,
4 Labor: Cholestaseparameter (Gesamtbilirubin di- nur erfolgreich bei erhaltener Motilität der Gallen-
rekt/indirekt, AP, Transaminasen) blase, hohe Rezidivquote von 30–60%
4 ERCP, MRCP 4 Auflösung mit tertiärem Methylbutyläther nach
4 MRT, CT Punktion der Gallenblase (invasiv, wenig ver-
4 diagnostische Laparoskopie breitet)
4 Auflösung mittels perkutaner oder topischer Stoß-
Erkrankungen der Gallenblase wellenlithotrypsie (kurzfristig in Verbindung mit
(außer Neoplasien) medikamentöser Lyse erfolgreich)
Cholezystolithiasis
Definition. Gallenblasensteine. Die chirurgische Therapie besteht in der laparoskopi-
schen Cholezystektomie, hier stehen die französische
Ätiopathogenese. Es kommt zu einer akuten Entzün- oder die amerikanische Methode zur Wahl. Nach Ein-
dung der Gallenblase mit schmerzhafter Überdehnung, bringen eines Kamera-Trokars über eine supraumbili-
fast immer wegen der Steine. Einteilung der Gallen- kale Minilaparotomie und Insufflation von CO2 in die
steinsarten: 75% Cholesterinmisch- (weich), 15% Bauchhöhle (Pneumoperitoneum) erfolgen Inspektion
schwarze Cholesterin- (hart) und 5% braune Bilirubin- der gesamten Bauchhöhle und unter Sichtkontrolle
Pigmentsteine (sehr hart, klein, zackig). Einbringen von 2–3 weiteren Trokars. Darstellung des
Callotschen Dreieckes. Clipping von D. cysticus und
A. cystica, Durchtrennen beider Strukturen. Heraus-
1.7 · Viszeralchirurgie
107 1

schälen der Gallenblase aus dem Leberbett und Bergen ! Cave


der Gallenblase über eine Inzision im Epigastrium. Bei älteren, abwehrgeschwächten Menschen zeigen
Nach sehr subtiler Blutstillung Beendigung der Opera- sich nicht selten nur verschleierte Symptome.
tion. Stationärer Aufenthalt von 1–2 Tagen, Entlassung
nach Sonographie- und Laborkontrolle. Sehr selten Diagnostik. Klinisch zeigen sich Druckschmerz und
kommt die konventionelle Cholezystektomie zur An- Abwehrspannung im rechten Oberbauch, Murphy-Zei-
wendung (meistens durch Rippenbogenrandschnitt chen (= akuter inspiratorischer Arrest) bei tiefer Gal-
meistens bei Komplikationen des Grundleidens lenblasenpalpation). Im Ultraschall finden sich Wand-
(Schlechte anatomische Übersichtlichkeit, Verletzung verdickung, Steinnachweis und oft sog. »Dreischich-
des Gallengangs oder anderer wichtiger Strukturen tung« der Gallenblasenwand. Laborchemisch ergeben
etc.) oder der Operation. sich Leukozytose, später CRP-Anstieg, evtl. Cholestase-
parameter. Radiologisch ist eine Perforation auszu-
Gallenblasenhydrops schließen (Röntgen-Abdomen im Stehen). Ein CT ist
Definition/Ätiopathogenese. Schwellung/Überdeh- nur bei ungewöhnlichen Krankheitsbildern, bei Ver-
nung der Gallenblase durch Verlegung des Gallenab- dacht auf Malignom und andere Differenzialdiagnosen
flusses durch Steine oder andere Hindernisse, z. B. Ma- (7 unten) indiziert. Differenzialdiagnostisch sind re-
lignom im Gallenblasenfundus oder D. cysticus. trozökale Appendizitis, Karzinom oder selten Diverti-
kulitis der rechten Kolonflexur, Pankreatitis, Ulcus du-
Symptomatik. Es kommt zur Kolik im rechten Ober- odeni und Nephrolithiasis auszuschließen.
bauch, in die rechte Schulter ausstrahlend (Head-Zone),
Übelkeit, Erbrechen, tastbare Gallenblase im rechten Therapie. Indiziert ist eine Frühoperation (Cholezys-
Oberbauch. tektomie) nach 24–48 h, die häufig laparoskopisch
möglich ist. Selten wird die Operation nach 24- bis 48-
> Couvoisier-Zeichen: schmerzloser Hydrops stündiger konservativer Therapie mit Nulldiät, Infusi-
durch Gallengangsverschluss bei Pankreaskopf- on, Analgetika und Antibiotika (z. B. Cephalosporine).
karzinom. Evtl. kann auch eine Intervallcholezystektomie 4–6
Wochen nach Abklingen der Entzündung sinnvoll
Diagnostik. Sonographisch zeigt sich eine vergrößerte sein. Komplikationen wie Perforation, pericholezysti-
Gallenblase. Laborchemisch sind die Cholestasepara- scher Abszess, Ausbildung innerer und äußerer Gallen-
meter erhöht. fisteln lassen sich durch die Frühoperation verhin-
dern.
Therapie. Indiziert sind Spasmolyse (z. B. Buscopan),
Analgesie, laparoskopische Cholezystektomie Chronische Cholezystitis
Definition. Die chronische Cholezystitis kann als Folge-
Akute Cholezystitis zustand mehrfach stattgehabter, rezidivierender akuter
Definition/Ätiopathogenese. Plötzlich durch Gallen- Cholezystitiden bei Cholelithiasis gesehen werden.
steineinklemmung verursachte sero-fibrinös-eitrige
Entzündung mit Perforationsgefahr. Gallensteine ver- Ätiopathogenese. Abhängig von der Abwehrlage, der
letzten die durch Stau und/oder Ischämie vulnerable aktuellen Reizung, Nahrungsaufnahme (fettreiche
Blasenwand. Auch aufgrund der infizierten Galle Mahlzeiten u. a.) kommt es zu einem Steady State und
schreitet die Entzündung fort und breitet sich in die gelegentlichem Aufflammen der Entzündung. Die Gal-
Umgebung aus, ggf. kommt es zur Perforation und sel- lenblase vernarbt, schrumpft (Schrumpfgallenblase),
ten zu einem hochseptischen, lebensbedrohlichen ihre physiologische Funktion ist i. d. R. nicht mehr ge-
Krankheitsbild infolge Peritonitis. währleistet. Durch Kalzifizierung der Wand kann das
Bild einer »Porzellangallenblase« entstehen. Diese stellt
Epidemiologie. Betrifft zu 95% Gallensteinträger, ein einen Risikofaktor für die Entwicklung einer malignen
Viertel aller Gallensteinträger entwickelt auch eine aku- Gallenblasenneoplasie dar. An Komplikationen kön-
te Cholezystitis nen sich akute Cholezystitis, Perforation, Fistelung,
Abszessbildung entwickeln.
Symptomatik. Typisch sind Fieber, Schmerzen im rech-
ten Oberbauch (oft kolikartig) und Peritonitis mit Aus- Symptomatik. Die Beschwerden entsprechen in abge-
strahlung in die rechte Schulter (Head-Zone); danach milderter Form der der akuten Cholezystitis mit be-
entwickelt sich ein dumpfer Dauerschmerz. schwerdefreien Intervallen und zahlreichen unspezifi-
108 Kapitel 1 · Chirurgie

schen Symptomen wie Meteorismus, Nahrungsmittel- Therapie. Abhängig vom Stadium erfolgen eine Chole-
1 unverträglichkeit. zystektomie, Lymphknotendissektion (regional, Nodus
cysticus, Lymphknoten des Lig. hepatoduodenale, peri-
Diagnostik. Siehe oben bei akuter Cholezystitis. Dif- pankreatisch), Leberkeilresektion (Sicherheitsabstand
ferenzialdiagnostisch sind Ulcus duodeni, Pyelone- 3 cm), Bisegmentektomie (IVa, V), Hemihepatektomie
phritis, Nephrolithiasis, KHK, GERD sowie eine nicht bis hin zur erweiterten Hemihepatektomie (7 oben).
biliäre Lebererkrankung auszuschließen. Palliativ: Stenting des D. choledochus. Biliogestive Um-
gehungsoperationen. Radiatio und Chemotherapie
Therapie. Indiziert ist eine elektive, meist laparosko- bleiben bislang enttäuschend und ohne nennenswerte
pische Cholezystektomie. Überlebensverlängerung.

Benigne und maligne Neoplasien der Gallenblase Prognose. Frühe Entdeckung (Sonographie, histologi-
Definition/Ätiopathogenese. Benigne Gallenblasen- sche Untersuchung von elektiven Cholezystektomieprä-
tumoren sind selten. Sie müssen jedoch u. U. therapiert paraten) und radikale Resektion mit ggf. auch erweiter-
werden (z. B. ab bei einer gewissen Größe und/oder ter Hemihepatektomie sowie die Operation durch einen
dringendem Malignomverdacht), um ein Malignom erfahrenen hepatobiliären Chirurgen bleiben beide
auszuschließen. Tumoren der Gallenblase können Schlüssel zur Verbesserung der Prognose. Dadurch wird
sämtlichen Gewebetypen entstammen: Es gibt Myome, auch bei fortgeschrittenen Tumoren (T3/T4-Status) ein
Fibrome, Lipome, Adenome und Polypen, beide letzte- Langzeitüberleben möglich (5-Jahres-Überlebensrate
re können bei Größenzunahme entarten. >50%). N2-Befall, M1-Status und zu sparsame Resekti-
on gehen dagegen mit ungünstiger Prognose einher.
Therapie. Laparoskopische Cholezystektomie, patholo-
gisch-histologische Aufarbeitung des Präparats. Nachsorge. Klinisch. Nachuntersuchung gemäß Richt-
linien.
Gallenblasenkarzinom
Definition/Ätiopathogenese. Bösartige Neoplasie vom Erkrankungen der Gallengänge
Gallenblasenepithel ausgehend. Diese breitet sich rasch Choledocho- und Hepatikolithiasis
lokal und lymphogen, später hämatogen venös (v. a. Definition. Steine in den intra- und extrahepatischen
Leber) aus; der Nodus cysticus ist erste Lymphknoten- Gallenwegen (7 Innere Medizin, Kap. 5.3).
station.
Ätiopathogenese. Es handelt sich um Begleitsteine bei
Epidemiologie. Das Gallenblasenkarzinom macht etwa Gallenblasensteinen, Residualsteine nach Cholezystek-
2% aller Malignome aus, es ist das fünfthäufigste Mali- tomie (übersehen oder nicht entfernbar) und Rezidiv-
gnom des Gastrointestinaltrakts. Das weibliche Ge- steine (frühestens 2 Jahre nach Cholezystektomie).
schlecht wird bevorzugt (4:1), der Erkrankungsgipfel
liegt über 65 Jahre. > Sonderform Mirizzi-Syndrom: Kompression des
D. choledochus durch inkarzerierten Zystikusstein.
Symptomatik. Beschwerdefrei in frühen Stadien,
dann Symptomatik ähnlich einer chronischen Chole- Epidemiologie. 25% alle 60-Jährigen haben neben
zystitis (Verschleierung!). B-Symptomatik. Ikterus und Steinen in der Gallenblase auch Steine in den Gallen-
Schmerz im rechten Oberbauch, palpable Resistenz wegen.
sind Spätsymptome.
Symptomatik. Die Symptome gleichen denen bei Cho-
! Cave lezystolithiasis, zusätzlich finden sich Zeichen eines
Konsequentes Abklären biliärer Beschwerden! Verschlussikterus: Skleren- und Hautikterus, acholi-
scher Stuhl, bierbrauner Urin, Pruritus (Bilirubin
Prävention. Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere >5 mg/dl), dumpfe oder auch kolikartige Oberbauch-
Sonographie, insbesondere bei Vorliegen von Risiko- dauerschmerzen. Cholangitis, Begleitpankreatitis.
faktoren für Cholezystolithiasis (s. oben).
Komplikationen. Cholangitis, intrahepatische Abs-
Diagnostik. Sonographie (Tumor, Wandverdickung), zesse, Choledochusperforation, biliäre Pankreatitis,
Biopsie (umstritten, Gefahr der Zellverschleppung), CT Gallengangsstriktur, im Endstadium sekundäre biliäre
(Staging), MRT ggf. zur Operationsplanung. Zirrhose.
1.7 · Viszeralchirurgie
109 1

! Cave Cholangitis
Klinische Cholestasezeichen sind: Ikterus (zunächst Definition/Ätiopathogenese. Meist tritt eine Infektion
Skleren, dann Haut), Pruritus (spät), acholischer Stuhl der Gallenwege als Komplikation o. g. Erkrankungen,
(hell), bierbrauner Urin. meistens Steine auf, aber auch isoliert kann das Gallen-
wegssystem extra- und intrahepatisch bakteriell besie-
Diagnostik. Diagnostisch sind folgende Befunde zu delt werden (aszendierende Keime).
erheben:
4 Labor: erhöhtes konjugiertes Bilirubin, erhöhte Symptomatik. Hochakutes Krankheitsbild mit hohem
γ-GT und alkalische Phosphatase, Lipase- bzw. Fieber, Ikterus, rechtsseitigem Oberbauchschmerz.
Amylaseanstieg bei Begleitpankreatitis
4 Röntgen-Abdomen: Aerobilie, Konkremente Komplikationen. Leberabszesse, Pankreatitis.
4 Sonographie: Schallschatten, Stau der intra- und
extrahepatischen Gallenwege (Messung des Durch- > Charcot-Trias: Ikterus, rechtsseitiger Oberbauch-
messers) schmerz, hohes Fieber.
4 Endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatiko-
graphie (ERCP): endoskopische Sondierung der Diagnostik. Laborchemisch zeigen sich Leukozytose,
Papilla Vateri und retrograde Darstellung der Gal- CRP-Anstieg, Hyperbilirubinämie und Transaminasen-
len- und Pankreasgangsysteme mit Kontrastmittel, und alkalische Phosphatasenanstieg, sonographisch
häufig in Kombination mit der Steinextraktion (Pa- lassen sich Gallenstau und evtl. Steine nachweisen. Wei-
pillotomie, Fangkorb-/Fasszange) terhin kommen ERCP, selten PTC zur Anwendung.
4 Perkutane transhepatische Cholangiographie
(PTC), nicht selten in Kombination mit Drainage ! Cave
(PTCD): Punktion der intrahepatischen Gallenwe- Bei Cholangitis besteht die Gefahr einer Sepsis und
ge und Drainage nur bei erweiterten intrahepati- Leberabszedierung.
schen Gallenwegen, Misserfolg der ERCP, beson-
ders bei Stenosen der Gallenwege, z. B. durch Läsi- Therapie. Indiziert sind Antibiose, Intensivtherapie, fast
on bei meist laparoskopischer Cholezystektomie immer. kausale Therapie durch Steinextraktion (ERCP,
zur Anwendung PTCD), seltener offene Choledochotomie oder/und bi-
4 MRCP bei Misserfolg der ERCP oder bei Wunsch liodigestive Anastomose (Hepatikojejunostomie).
nach einem nicht-invasivem Verfahren sinnvoll
4 CT, MRT nur bei Tumorverdacht zur Darstellung Gallengangskarzinom
der Ausdehnung Definition. Häufig Adenokarzinom.

! Cave Epidemiologie. Selten, 1% aller malignen Tumoren.


ERCP: Aufklärung über Perforation, aszendierende In-
fektion ist nötig. Ätiopathogenese. Die Karzinome finden sich zu 60%
im oberen Hepatocholedochusdrittel und zu je 20% im
Differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen sind ste- mittleren und unteren Drittel. Sie metastasieren spät in
nosierende Tumoren von Gallengang, Duodenum und Lymphknoten und Leber.
Pankreas sowie Parasiten.
> Sonderform: Klatskin-Tumoren = Tumoren der Hepa-
Therapie. Indiziert ist ein chirurgisches Vorgehen bei tikusgabel, Klassifikation nach Bismuth-Corlette in
gleichzeitiger Cholezystektomie; dies ist auch laparos- Typ I bis III.
kopisch möglich, jedoch ist die Technik nicht verbreitet:
nach Kocherscher Mobilisation des Duodenums folgt Symptomatik. Es zeigen sich Courvoisier-Zeichen, Ver-
die Choledochotomie und Steinextraktion. Es sind zu- schlussikterus, allgemeine Tumorzeichen, Fieber mit
dem intraoperative Cholangiographie zur Kontrolle der Schüttelfrost. Schmerzlosigkeit ist im Gegensatz zum
Steinfreiheit, auch Cholangiokopie möglich und sinn- Steinleiden hochverdächtig auf Malignität. Bei Pfort-
voll. Danch erfolgt der direkte Choledochusverschluss aderthrombose entwickelt sich eine Aszites (7 Innere
oder die temporäre Ableitung der Galle über T-Draina- Medizin, Kap. 5.2.6.3).
ge (vor Entfernung Röntgenkontrolle). Residual- oder
Rezivisteinen sollten durch ERCP nach Papillotomie Diagnostik. Laborchemisch zeigen sich Erhöhung von
entfernt werden. γ-GT und AP, bei Sitz im distalen Drittel der Amylase,
110 Kapitel 1 · Chirurgie

der Tumormarker CEA und CA19-9 (letzteres bei tiko- oder Hepatojejunostomie, bei Magenausgangs-
1 Pankreastumoren). Sonographisch lassen sich Choles- bzw. Duodenalstenose Gastroenterostomie, Gallen-
tase und evtl. Lebermetastasen nachweisen. Weiterhin gangs-Stent mit Kunststoff oder Metall, PTCD.
angezeigt sind ERCP oder PTC; evtl. Gallengangsbiop-
sie, MRCP: MRT-Gallenwegsdarstellung ohne Histo- Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei Tumo-
logiegewinnung. CT und MRT dienen der Tumor- ren im unteren Drittel bei 20–30%, im mittleren bei
ausdehnung und Histologiegewinnung, selten erfol- 10–15% und im oberen bei 5–10%.
gen CT- oder MRT-Angiographie der A. mesenterica
sup. und des Truncus coeliacus: evtl. findet sich ein Seltene Gallenwegserkrankungen
Tumoreinbruch, Gefäßatypien sind bei Operation zu 4 Sklerosierende Cholangitis: Antibiotikatherapie, Stero-
beachten. ide, ggf. Gallengangsdilatation und Stent, besser bilio-
digestive Anastomose, Lebertransplantation
Therapie. Kurative Optionen sind: chirurgisches Vor- 4 Gallengangsstrikturen: Ballondilatation und Stenting;
gehen; die Resektabilität beträgt 20–55%. Bei Tumoren biliodigestive Anastomose
im distalen Drittel erfolgt eine Operation nach Kausch- 4 Gallensteinileus: Verlegung des Intestinums (meist ter-
Whipple, bei Tumoren im mittleren Drittel die Chole- minales Ileum) mit Gallensteinen; Therapie: Operation
zystektomie, Hepatocholedochus-Resektion und Hepa- 4 Gallefistel: abnorme Kontinuität der Gallenwege über
tiko-Jejunostomie; bei Tumoren im oberen Drittel die Haut, in den Darm (Duodenum, Colon transversum
(Klatskin) ist fast immer die Leberesektion notwendig u. a.), Therapie: Fistelresektion, biliodigestive Anasto-
(Resektabilität: 25%). Palliativ kommen infrage: Hepa- mose

In Kürze

Erkrankungen der Gallenblase und extrahepatischen Gallenwege

Cholezys- 4 Symptomatik: meist asymptomatisch. Schmerz rechter Oberbauch, Übelkeit, postprandialer


tolithiasis Druck
4 Diagnostik: Sonographie
4 Therapie: bei Symptomen grundsätzlich Indikation zur Behandlung
– Medikamentöse Steinauflösung durch Gallensäuren oder mit tertiärem Methylbutyläther,
hohe Rezidivquote
– Auflösung mittels perkutaner/topischer Stoßwellenlithotrypsie
– Laparoskopische Cholezystektomie, selten konventionelle Cholezystektomie
(nur bei Komplikationen des Grundleidens oder der Operation)

Cholezys- 4 Symptomatik: Fieber, rechter Oberbauchschmerz, Peritonitis, im Alter/bei Immunsuppression


titis oft symptomarm, Murphy-Zeichen
4 Diagnostik: Sonographie (Wandverdickung, Steinnachweis, »Dreischichtung«), Leukozytose,
CRP-Anstieg, Cholestase
4 Therapie: Frühoperation (Cholezystektomie) nach 24–48 h (häufig laparoskopisch möglich);
selten wird operiert nach 24- bis 48-stündiger konservativer Therapie mit Nulldiät, Infusion,
Analgetika und Antibiotika (z. B. Cephalosporine). Evtl. möglich ist auch Intervallcholezyst-
ektomie 4–6 Wochen nach Abklingen der Entzündung: elektive, meist laparoskopische Chole-
zystektomie

6
1.7 · Viszeralchirurgie
111 1

Gallen- 4 Symptomatik: wie bei Cholezystolithiasis, Skleren- und Hautikterus, acholischer Stuhl, bierbrau-
gangsver- ner Urin, Pruritus (Bilirubin >5 mg/dl), Oberbauchschmerzen, Cholangitis, Begleitpankreatitis.
schluss Mirizzi-Syndrom: Kompression des D. choledochus durch inkarzerierten Zystikusstein
4 Diagnostik: Labor: erhöhtes konjugiertes Bilirubin, erhöhte γ-GT und alkalische Phosphatase,
Lipase- bzw. Amylaseanstieg bei Begleitpankreatitis. Röntgen-Abdomen: Aerobilie, Konkremente
4 Sonographie: Schallschatten, Stau der intra- und extrahepatischen Gallenwege. PTC, PTCD,
ERCP, MRCP, CT, MRT
4 Therapie: endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP); Cholezystektomie
mit Steinextraktion (intraoperative Cholangiographie zur Kontrolle der Steinfreiheit, auch Chol-
angioskopie möglich, direkter Choledochusverschluss oder temporäre Ableitung der Galle über
T-Drainage, vor Entfernung Röntgenkontrolle) Bei Residual- oder Rezidivsteinen Entfernung
durch ERCP nach Papillotomie

Gallen- 4 Symptomatik: beschwerdefrei in frühen Stadien, dann Symptomatik einer chronischen Chole-
blasen- zystitis (Verschleierung!), B-Symptomatik, Ikterus, Schmerz und palpable Resistenz sind Spät-
karzinom symptome
4 Diagnostik: Sonographie, Biopsie (umstritten, Gefahr der Zellverschleppung), CT (Staging), MRT
4 Therapie: Je nach Stadium Cholezystektomie, Lymphknotendissektion (regional), Leberkeilresek-
tion (Sicherheitsabstand 3 cm), Bisegmentektomie (IVa, V), Hemihepatektomie bis hin zur erwei-
terten Hemihepatektomie, auch in fortgeschrittenen Stadien (N1, T3,T4). Palliativ: Stenting, Um-
gehungsoperationen

Cholangi- 4 Symptomatik: hochakutes Krankheitsbild mit hohem Fieber, Ikterus, rechtsseitigem Oberbauch-
tis schmerz
4 Diagnostik: Leukozytose, CRP-Anstieg, Hyperbilirubinämie und Transaminasen- und alkalische
Phosphatasenanstieg; sonographisch: Gallenstau und evtl. Steine; ERCP, selten PTC
4 Therapie: Antibiose, Intensivtherapie, fast immer kausale Therapie durch Steinextraktion (ERCP,
PTCD), seltener offene Choledochotomie oder/und biliodigestive Anastomose (Hepatikojejunos-
tomie)

Chole- 4 Symptomatik: ähnlich der Cholezystolithiasis, zusätzlich Zeichen eines Verschlussikterus: Skleren-
docho-/ und Hautikterus, acholischer Stuhl, bierbrauner Urin, Pruritus (Bilirubin >5 mg/dl), dumpfe oder
Hepatiko- auch kolikartige Oberbauchdauerschmerzen. Cholangitis, Begleitpankreatitis
lithiasis 4 Diagnostik:
– Labor: erhöhtes konjugiertes Bilirubin, erhöhte γ-GT und alkalische Phosphatase, Lipase- bzw.
Amylaseanstieg bei Begleitpankreatitis
– Röntgen-Abdomen: Aerobilie, Konkremente
– Ultraschall: Schallschatten, Stau der intra- und extrahepatischen Gallenwege (Messung des
Durchmessers)
– Endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP): Endoskopische Sondierung
der Papilla Vateri und retrograde Darstellung der Gallen- und Pankreasgangsysteme mit
Kontrastmittel, häufig in Kombination mit der Steinextraktion (Papillotomie, Fangkorb-/Fass-
zange)
– Perkutane transhepatische Cholangiographie (PTC), nicht selten in Kombination mit Drainage
(PTCD): Punktion der intrahepatischen Gallenwege und Drainage nur bei erweiterten intra-
hepatischen Gallenwegen, Misserfolg der ERCP, besonders bei Stenosen der Gallenwege,
z. B. durch Läsion bei Cholezystektomie
– MRCP bei Misserfolg der ERCP oder bei Wunsch nach einem nicht-invasivem Verfahren sinnvoll
– CT, MRT nur bei Tumorverdacht zur Darstellung der Ausdehnung
4 Therapie: chirurgisches Vorgehen indiziert bei gleichzeitiger Cholezystektomie (auch laparosko-
pisch möglich): nach Kocherscher Mobilisation des Duodenums folgt die Choledochotomie und
Steinextraktion. Es sind zudem intraoperative Cholangiographie zur Kontrolle der Steinfreiheit,
auch Cholangioskopie möglich. Ebenfalls infrage kommt der direkte Choledochusverschluss
oder die temporäre Ableitung der Galle über T-Drainage (vor Entfernung Röntgenkontrolle).
Residual- oder Rezidivsteinen sollten durch ERCP nach Papillotomie entfernt werden
6
112 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Gallen- 4 Symptomatik: Courvosier-Zeichen, Verschlussikterus, allgemeine Tumorzeichen, Fieber mit


wegskar- Schüttelfrost, Schmerzlosigkeit, Aszites
zinom 4 Diagnostik: Anstieg von γ-GT, AP, bei Sitz im distalen Drittel auch Amylase, CEA, CA19-9, Sono-
graphie, ERCP, PTC, Biopsie, MRCP, MRT, CT- und MRT-Angiographie
4 Therapie: kurativ: chirurgisch; Vorgehen richtet sich nach Lokalisation des Tumors. Palliativ:
Hepatiko- oder Hepatikojejunostomie, bei Magenausgangs- bzw. Duodenalstenose Gastro-
enterostomie, Gallengangsstent, PTCD

1.7.13 Pankreas (Bauchspeicheldrüse) bildungen, nämlich das Pankreas divisum: Der kräftige
Gang der ventralen Anlage mündet gemeinsam mit dem
Anatomie und (Patho-)Physiologie Gallengang an typischer Stelle, der lange, schmale Gang
(. Abb. 1.36 und 1.37) der dorsalen Anlage mündet isoliert ca. 2 cm kranial ins
Das Pankreas gliedert sich in Kopf, Hals, Körper und Duodenum (Papilla minor). Eine Papillenstenose kann zu
Schwanz. Es liegt retroperitoneal, ist atemverschieblich in einer chronischen Pankreatitis führen. Pankreas anulare
Höhe von L1 bis Th12 und ist ca. 15–30 cm lang. Es wird bezeichnet eine Stenose des Duodenums durch zwingen-
vom Lig. gastrocolicum und Magen bedeckt; blickt man förmig umgreifendes Pankreasgewebe. Ein ektopes Pan-
hinter diese beiden Strukturen, sieht man auf die Pankreas- kreas findet sich am häufigsten im Magen oder Duodenal-
vorderwand, die noch von dem dorsalen Blatt des Omen- wand, seltener im Mesenterium, Kolon, Gallenblase, Ap-
tum majus bedeckt ist. Der Pankreaskopf schmiegt sich in pendix oder Meckel-Divertikel und ist oft symptomatisch,
die Krümmung des Duodenums ein. z. B. Duodenalstenose.
Die Blutversorgung erfolgt aus dem Truncus coeliacus
und der A. mesenterica superior über Äste der Aä. Gastro- Entzündliche Erkrankungen des Pankreas
duodenalis, hepatica, lienalis. Der venöse Abfluss findet Akute Pankreatitis
über die V. mesenterica superior, V. lienalis und V. porta Definition. Akute, oft fulminate (fokal – global) Ent-
statt, alle Venen drainieren hauptsächlich in die Pfortader, zündung mit Selbstandauung des Organs. Einteilung:
wichtigste Lymphknotenstationen liegen im Bereich des Nach pathomorphologischen Kriterien (Klinik, Labor,
Truncus coeliacis, der Mesenterialwurzel und paraaortal. CT/US) unterscheidet man eine leichte ödematöse von
Vom Organ werden täglich 1,5–2 l eines elektroly- einer schweren hämorrhagischen nekrotisierenden
treichen, alkalischen Sekrets produziert, in dem 5–20 g Form (Mainzer Klassifikation).
Proteine (Enzyme) gelöst sind, die von den Azinuszellen
produziert werden: Ätiopathogenese. Ursächlich sind Gallensteinleiden
4 Trypsin: Das Schlüsselenzym der Proteolyse wird als (50%), Alkoholabusus (30%), selten andere Ursachen
Trypsinogen sezerniert und aktiviert viele Proenzyme wie Hyperparathyreoidismus, -lipidämie, immunolo-
(Chymotrypsin, Kallikreinogen, Proelastase, Phophos- gische Faktoren (Lupus erythemotodes), hormonelle
pholipase A2 usw.). Einflüsse (Graviditas), Virusinfektionen, stumpfes
4 Lipase: Hydrolisiert Triglyzeride in freie Fettsäuren und Bauchtrauma, iatrogene Faktoren (ERCP, Oberbauch-
Monoglyzeride. operationen) und parasitäre Erkrankungen (Spul-
4 Amylase: Spaltet Stärke und macht so die Maltasen würmer).
und Glukosidasen wirksam.
Epidemiologie. 10–25 Fälle/100.000 Einwohner/Jahr.
Die Langerhans-Inselzellen enthalten verschiedene hor-
monproduzierende Zellgruppen: A-Zellen produzieren Symptomatik. Typisch ist der plötzliche Beginn mit
Glukagon, B-Zellen Inuslin, D-Zellen Somatostatin und PP- gürtelförmigen, stärksten, dumpfen Oberbauch- be-
Zellen pankreatische Polypeptide. sonders Rückenschmerzen; häufig von Erbrechen und
Übelkeit begleitet. Der Bauch ist prall gespannt (»Gum-
Embryologie und Fehlbildungen. Frühembryonal ver- mibauch«). Im Verlauf können sich Subileus bis Ileus,
schmelzen ventrales und dorsales Pankreas zum reifen Or- Aszites, Fieber, Luftnot (symatischer Pleuraerguss
gan; erfolgt dies inkomplett, entstehen angeborene Fehl- links) bis zum septischen oder Volumenmangelschock
6 entwickeln.
1.7 · Viszeralchirurgie
113 1

. Abb. 1.36. Arterielle Versorgung des Pankreas. (Aus Lanz-Wachsmuth 2004)

. Abb. 1.37. Oberbauch CT: Höhe in etwa linkes Nierenhilum. Darstellung von Pankreaskopf, -körper und -schwanz. (Aus Lanz-
Wachsmuth 2004)

Diagnostik. Vorgeschichte: Diätfehler, starker Alkohol- anteile) darstellbar. ERCP (. Abb. 1.38): therapeutischer
genuss, Gallensteinleiden, Palpation eines Gummi- (Not-)Einsatz bei Gallestau durch impaktierten Papil-
bauchs, sehr schmerzhaft. Sonographisch gelingt die lenstein und/oder Mikrolithiasis mit gleichzeitiger
Pankreasdarstellung kaum, aber es können die intra- Sphinkterotomie (EST) und Steinentfernung.
und extrahepatischen Gallenwege beurteilt und freie
Flüssigkeit im Bauch festgestellt werden. Röntgen-Tho- Therapie. Die Behandlung muss stationär und intensiv-
rax/Abdomen: Ileus, Pleuraerguss links > rechts. Labor- medizinisch erfolgen; idealerweise in einem Team von
chemisch finden sich erhöhte Werte für Amylase und Viszeralchirurgen und Gastroenterologen (7 Innere Me-
Lipase (über das 3-fache der Norm) in Serum und Urin. dizin, Kap. 5.4.1). Konservativ: Standardvorgehen mit
Im CT sind Nekrosen (= minder perfundierte Organ- großzügiger Flüssigkeit- und Elektrolytsubstitution
114 Kapitel 1 · Chirurgie

Ein operatives Vorgehen ist selten, nur bei bahn-


1 brechender Befundverschlechterung, nötig (z. B. Peri-
tonismus, akute Blutung durch Gefäßarrosion, protra-
hierte Sepsis mit Multiorganversagen). Hier sind Ne-
krosektomie, ausgiebige Lavage und Drainage der
Bursa omentalis, danach oft Relaparotomien (Etappen-
lavage) oder das »open package« erforderlich. Ziel ist
die Beseitigung von toxischer Flüssigkeit und aller Ne-
krosen. Ggf. müssen Pankreaspseudozysten (Pigtail-
Drain) beseitigt werden.

> Nicht das Ausmaß der Pankreasnekrosen, sondern


lokale und systemische, insbesondere infektiöse
Komplikationen, wie z. B. ein progredientes Nieren-
und Multiorganversagen trotz Ausschöpfung aller
konservativen intensivmedizinischen Maßnahmen,
stellen eine Indikation zur Operation dar.

Prognose. Bewährt hat sich zur Beurteilung der Prog-


. Abb. 1.38. ERCP: Endoskopische retrograde Cholangio- nose der Ranson-Index (. Tab. 1.30). Nach ihm
pankreatikographie. (Aus Lanz-Wachsmuth 2004) schwankt die Letalität der akuten Pankreatitis zwischen
<1% (weniger als 2 Faktoren positiv) und 100% (mehr
(Vollelektrolyte: kolloide im Verhältnis 2:1), Schmerz- als 7 Faktoren positiv).
bekämpfung (Analgetika, Periduralkatheter, Magen-
schutz, Antikoagulation, Nulldiät, systemische breite Chronische Pankreatitis
Antibiose (z. B. Ciprofloxacin und Metronidazol), In- Definition. Persistierende, progrediente chronische
sulingabe. Ggf. ist die ERCP zur Beseitigung der Ursa- Entzündung mit irreversibler Panrenchymzerstörung
che mit EPT indiziert. (Fibrose, Verkalkung).

. Tab. 1.30. Ranson-Index (Beurteilung der Prognose der akuten Pankreatitis)

Parameter Biliäre Pankreatitis Alkoholinduzierte Pankreatitis

Bei stationärer Aufnahme

Alter >70 Jahre >55 Jahre

Leukozyten >18.000 >16.000

Blutzucker >220 mg/dl >200 mg/dl

Laktatdehydrogenase (LDH) >400 U/l >250 U/l

GOT >250 U/l >250 U/l

Nach 48 h

Abfall des Hämatokrits >10% >10%

Anstieg des Blutharnstoff-N >2 mg/dl >5 mg/dl

Serumkalziumabfall <8 mg/dl <8 mg/dl

Sauerstoffpartialdruck <60 mm Hg <60 mm Hg

Basendefizit >5 nmol/l >4 nmol/l

Flüssigkeitsdefizit >4 l >6 l


1.7 · Viszeralchirurgie
115 1

Ätiopathogenese. Zugrunde liegen chronischer Äthylis-


mus (90%), Autoimmun- oder hereditäre Erkrankungen
(z. B. Mukoviszidose), Eiweißmangelernährung in den
Tropen, Medikamente wie Kortison und Thiazide; es gibt
jedoch auch idiopathische chronische Pankreatitiden.
Pathologisch kommt es zu einem zirrhotischen Ge-
websumbau in Schüben rezidivierend über mehrere Jah-
re, daraus resultiert zuerst eine exokrine Insuffizienz
(Malapsorption, -digestion) und später eine endokrine
Insuffizienz (Diabetes mellitus). Die Erkrankung ist ein
Risikofaktor für die Entwicklung eines Pankreastumors.

Epidemiologie. Inzidenz 8–10/100.000 Einwohner/


Jahr, Prävalenz von 25–30/100.000 Einwohner/Jahr.
Steigende Diagnosestellung und damit Inzidenz durch
weite Verbreitung des Ultraschalles.

Symptomatik. Es entwickelt sich ein rezidivierender


starker, postprandialer Schmerz, dumpf bohrend im
Oberbauch, häufig gürtelförmig. Betroffene sind meist
unterernährt und schmerzmittelabhängig. Bei exokrine
Insuffizienz treten dyspetische Beschwerden auf wie
Aufstoßen, Völlegefühl, Meteorismus, Nahrungsunver-
träglichkeiten, voluminöse, übel riechende Fettstühle.
Bei endokriner Insuffizienz kommt es zum latenten
oder manifesten Diabetes mellitus.
. Abb.1.39a, b. Pyloruserhaltende partielle Pankreatikoduo-
denektomie. (Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil)
Diagnostik. Im Röntgen-Abdomen sind typische grob-
schollige Pankreasverkalkungen nachweisbar. Labor-
chemisch finden sich eine Erhöhung von γ-GT, AP, eröffnung des Pankreasgangs und Seit-zu-Seit-Anas-
Glukose im Serum bzw. pathologische Glukosetole- tomose mit einer Jejunumschlinge nach Roux-Y
ranztest, sowie erhöhtes Stuhlfett und Chymothrypsin, 4 Umgehungsoperation: Ausschaltung der Stenosen
patholog. Pankreozymin-Sekretin-Test (exokrine in Gallengang und Duodenum durch Gastro- und
Funktion). Mittels IERCP lassen sich Stenosen im ter- Cholangio-Jejunostomie
minalen D. choledochus (Röhrenstenose) und im Kopf- 4 Resektion: Pankreaslinksresektion bei Lokalisation
und Korpusbereich des D. pancreaticus mit prästenoti- im Pankreasschwanz, meist duodenumerhaltende
schen Dilationen (»Seenkette«) nachweisen. Pankreaskopfresektion, sehr selten Duodenopan-
kreatektomie nach Kausch-Whipple (Malignitäts-
Therapie. Konservative Maßnahmen sind Entzug endo- verdacht)
gener Noxen, z. B. C2H5OH, Korrektur eines Hyperpara-
thyreoidismus, Schmerzmitteldauergabe, Substitution Prognose hängt vom Krankheitsstadium, vor allem
der Pankreasfermente (Lipase, Kreon) und Gabe von ora- aber vom Patienten (Alkoholabstinenz) ab.
len Antidiabetika und/oder Insulin. Ein chirurgisches
Vorgehen ist indiziert bei Verschlussikterus, Duode- Pankreaszysten
nalstenose, nicht beherrschbaren Schmerzen und Karzi- Definition/Ätiopathogenese. Zysten im Pankreaspar-
nomverdacht (Präkanzerose?). Zur Anwendung kommen enchym, echte epithelausgekleidete Zysten sind selten.
duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion, pyloruser- Häufig sind sog. Pseudozysten ohne Epithelausklei-
haltendepartielleDuodenopankreatektomie(. Abb. 1.39) dung als Defektheilung (Granulationsgewebe) nach
und sehr selten Duodenopankreatektomie nach Kausch- nekrotisierender Pankreatitis (Trauma, Pankreatitis).
Whipple und nur bei berechtigtigem Malignitätsverdacht,
Pankreaslinksresektion, Drainageoperationen: Symptomatik. Es zeigt sich ein unspezifischer Oberbauch-
4 Drainageoperation: bei mehreren Stenosen des druck mit -vorwölbung, größere Zysten sind tastbar und
D. pancreaticusmitprästenotischerDilatation:Längs- symptomatisch (verursachen Magenausgangsstenose).
116 Kapitel 1 · Chirurgie

Komplikationen. Einblutungen bis zum Blutungs- Definition. Diese bösartigen Neubildung werden meist
1 schock, septische Fieberschübe bei bakterieller Konta- spät erkannt und unterliegen einer schlechten Progno-
mination, selten Entartung (Zystadenokarzinom). se. Histologisch unterscheidet man Adeno-, Platten-
epithel-, Zystadeno-, und Azinuszellkarzinome, Sar-
Diagnostik. Sonographie und CT. kome, maligne endokrine Tumoren und Metastasen.
Die Klassifikation erfolgt nach dem TNM-System
Therapie. Nur bei großen (>4 cm) symptomatischen (. Tab. 1.31). Das periampulläre Karzinom wird oft ge-
Zysten ist eine US- oder CT-gezielte Drainage (Pigtail) meinsam mit dem häufigen Pankreaskopfkarzinom
nötig; hinzukommen ggf. Antibiose, Spülung, bei Kom- eingruppiert.
plikationen Drainageoperation in Magen, Duodenum
oder Jejunum, z. B. Zystojejunostomie nach Roux-Y ! Cave
mit dauerhafter Ableitung des Zysteninhaltes. Ggf. sind Zu 85% liegt ein duktales Adenokarzinom vor; zu 2/3
auch selten Pankreasresektionen indiziert. liegt es im Pankreaskopf.

Verletzungen Ätiopathogenese. Alterserkrankung, Risikofaktoren:


! Cave Rauchen, fettreiche Ernährnung, chronische Pankreati-
Verletzungen des Pankreas sind fast immer lebens- tis, Umweltfaktoren.
bedrohlich. Ihr Ausgang hängt vom Schweregrad
ab. Epidemiologie. Das Pankreaskarzinom ist der dritthäu-
figste Tumor des Verdauungstraktes, der Häufigkeits-
Definition. Verletzungen des Pankreas werden in 4 gipfel liegt in der 5. bis 6. Lebensdekade. 10–20/100.000
Schweregrade eingeteilt: Einwohner/Jahr. Männer sind doppelt so häufig betrof-
4 Stadium I: Kontusion, intakte Pankreaskapsel fen wie Frauen.
4 Stadium II: oberflächlicher Kapsel- und Paren-
chymeinriss Symptomatik. Symptome zeigen sich meist spät und
4 Stadium III: tiefer Parenchymeinriss ohne Gang- sind uncharakteristisch wegen der retroperitonealen
verletzung Lage des Organs; es kommt zu Appetitlosigkeit, Leis-
4 Stadium IV: Panrenchym- und Gangruptur

Ätiopathogenese. Ursache ist meist ein stumpfes


. Tab.1.31. Stadieneinteilung der Pankreaskarzinome
Bauchtrauma, selten durch Messer oder Schuss (Sturz
(UICC)
auf Fahrradlenker ist typisch!).
Stadium T N M
Diagnostik. Laborchemisch finden sich erhöhte
Stadium IA T1 N0 M0
Amylasewerte im Serum, im ERCP sind Pankreas-
gangverletzung bzw.-abbruch, im CT Perfusionsaus- Stadium IB T2 N0 M0
fälle als Ausdruck von Parenchymrupturen nachweis-
Stadium IIA T3 N0 M0
bar.
Stadium IIB T 1,2,3 N1 M0
Therapie. Je nach Stadium ist fast immer ein chirurgi-
scher Eingriff notwendig. Stadium I, II und III werden Stadium III T4 Jedes N M0
durch Naht und Drainage versorgt, im Stadium IV er- Stadium IV Jedes T Jedes N M1
folgen eine Linksresektion bei Drüsenruptur (häufig
über der Wirbelsäule), Duodenopankreatektomie bei T1 = Tumor <2 cm auf das Pankreas begrenzt, T2 = Tu-
komplizierter Ruptur. mor >2 cm auf das Pankreas begrenzt, T3 = Infiltration
jenseits des Pankreas, T4= Infiltration von großen Gefä-
Pankreastumoren/Pankreaskarzinom ßen (Truncus coeliacus, A. mesenterica sup.)
N0 = keine Lymphknotenmetastasen, N1 = regionale
Gutartige Tumoren des Pankreas sind selten. Sie stellen Lymphknotenmetastasen (N1a = 1 LK, N1b = >1 LK be-
insofern eine Operationsindikation dar, da die Dignität fallen)
u. U. von Seiten der Bildgebung unklar ist und sich nach M0 = keine Fernmetastasen, M1 = Fernmetastasen (z. B.
vielfacher Expertenmeinung Gewebegewinnungen bei Leber, Peritonealkarzinose, Befall tumorferner Lymph-
Malignitätsverdacht verbieten (wird noch kontrovers knoten)
diskutiert!).
1.7 · Viszeralchirurgie
117 1

tungsknick, Gewichtsverlust, latentem Oberbauch- 4 Pankreaslinksresektion (inkl. Milz) und subtotale


schmerz, schmerzlosem Ikterus (Courvoisier-Zeichen, Resektion des Pankreas bei Tumoren im Schwanz
seltener bohrende Rückenschmerzen (retropankreati- und Korpusbereich
sche Infiltration). 4 Radikale En-bloc-Resektion des Pankreas rechts-
seitig, Duodenum, distalen Magens, distaler extra-
Diagnostik. Die Entdeckung eines Frühkarzinoms hepatischer Gallenwege und Gallenblase sowie re-
(T1N0M0) ist zufällig, sonographisch lässt sich evtl. bei gionaler Lymphknotendissektion. Anschließend
einem Ikterus dessen Ursache feststellen; Courvoisier- erfolgt die Rekonstruktion mit z. B. Pankreatiko-
Zeichen, Gallensteine, Metastasenleber. ERCP ist bei jejunostomie (z. B. Blumgart-Anastomose), Cho-
Verschlussikterus immer indiziert: dabei sind evtl. ein ledochojejunostomie, Gastroenterostomie mit
Papillenkarzinom oder eine Duodenalinfiltration nach- Braunscher Enteroanastomose
weisbar, zudem ist eine Biopsie möglich. Indirekte Zei-
chen sind »double duct sign«, Gangabbruch bzw. hoch- Bei der pyloruserhaltenden Pankreatoduodenektomie
gradige Stenose. werden distaler Magen und Pylorus erhalten. Vorteile
Im (Spiral-)CT zeigen sich tumoröse Raumforde- sind kürzere Operationsdauer, geringere Letalität, bes-
rung und Beziehung zu den Umgebungsstrukturen sere postoperative Intestinum-Physiologie. Onkolo-
(Gefäßinfiltration, vergrößerte Lymphknoten, Organ- gisch unbedenklich ist dieses Vorgehen bei Pankreas-
überschreitung, Lebermetastasen. Mittels EUS (endo- kopf- und periampullärem Karzinom.
skopischer Ultraschallaufnahme) lassen sich Größe, Komplikationen nach chirurgischen Eingriff sind
Lokalisation, Infiltration, Lymphknotenbefall und Ge- die hohe Letalität (heute jedoch ca. 5%), postoperative
fäßinfiltration bestimmen. Per MRT lassen sich der Anastomoseninsuffizienz, Galle-/Pankreasfisteln, Ab-
Weichteilbefund (Tumorlokalisation, -größe) und Me- szesse, postoperativer Diabetes, Maldigestion durch
tastasierung (Leber, Lymphknoten) darstellen. In der exokrine Pankreasinsuffizienz, Magenentleerungsstö-
MR-Angiographie gelingt die Gefäßdarstellung mit rungen.
eventueller Verlagerung, Kompression oder Ver- Die gute Wirksamkeit einer adjuvanten Chemo-
schluss. therapie konnte bisher keine der zahlreichen Studien
Unbedingt präoperativ durchzuführen ist eine eindeutig beweisen; infrage kommt die systemische
MRCP (7 ERCP). Eine Punktionszytologie ist nur bei oder regionale Applikation von Mitoxantron, 5-FU,
positiven Befund verwertbar und wird von den meisten Cisplatin, Folinsäure, über den Truncus coeliacus.
Chirurgen wegen möglicher Tumorzellverschleppung Palliative Verfahren bei Verschlussikterus sind
(nicht nachgewiesen) abgelehnt. Laborchemisch sind endoskopische transpapilläre Choledochusdrainage,
Lipase, Amylase, yGT, Bilirubin, CEA, CA19-9 erhöht bei Magenausgangsstenose Hepatiko- und Gastrojeju-
bzw. nachweisbar. nostomie sowie verschiedene Bypass-Verfahren. Wich-
tig ist die permanente Schmerztherapie, u. a. mit hoch-
Therapie. Die Indikation zum chirurgischen Eingriff prozentiger Alkoholinjektion in den Plexus coeliacus,
besteht bei Verdacht auf Tumor gleich welcher Dignität, außerdem Chemotherapie (Gemcitabine, 5-FU mit
bei Ikterus dringlich und vor Stenteinlage; zuvor Aus- Folinsäure).
schluss von Fernmetastasen (Leber, Bauchfell u. a.), In- In manchen Studien wird von einer Verlängerung
filtration großer Gefäße (z. B. V. portae, A. mesenterica der Überlebenszeit im Bereich von Wochen bis Mona-
superior), Einbruch in das Retroperitoneum. ten bei adjuvanter Bestrahlung berichtet, die intraope-
rative Bestrahlung wird untersucht. Schmerztherapeu-
> Die Operationsindikation besteht auch ohne Vorlie- tisch kann die Bestrahlung indiziert sein.
gen eines Punktionsergebnisses und bei Vorliegen
eines Punktionsergebnisses mit benignem Befund Prognose. Bei 2/3 aller Patienten liegt bereits ein
(Fehlermöglichkeit). N1-Befall vor. Natürlich verlaufend versterben Patien-
ten mit symptomatischen Pankreaskarzinom 1–2 Mo-
Mögliche Operationsverfahren sind: nate später. Ohne Operation, aber mit palliativer Be-
4 Watson-Traverso: pyloruserhaltende (partielle) handlung beträgt die mediane Überlebenszeit 3–6 Mo-
Duodenopankreatektomie (meistens möglich und nate. Etwa 30% sind resektabel, nach Resektion über
risikoarm) alle Stadien überleben die Patienten 8–14 Monate, nach
4 Bei Infiltration von Pylorus und oralem Duode- R0-Resektion 10–22 Monate, in Einzelfällen ist ein
num Kausch-Whipple-Duodenopankreatektomie Langzeitüberleben >5 Jahre möglich. Dies rechtfertigt
(mit Resektion des distalen Magens) die Inkaufnahme der Operationsletalität von etwa 5%.
118 Kapitel 1 · Chirurgie

Das Pankreaskarzinom hat von allen Malignomen Die Prognose des periampullären Karzinoms ist
1 die schlechte 5-Jahres-Überlebensrate (5% für alle Pati- günstiger als die des Pankreaskopfkarzinoms, es ist
enten und 30% bei R0-Resektion. Deswegen sollte auch auch zu 80% resektabel versus 30% beim Pankreaskopf-
– wenn möglich – auch die R1-Resektion angestrebt karzinom.
werden.

In Kürze

Pankreaserkrankungen

Pankreas- 4 Symptomatik: akutes Abdomen


verletzung 4 Diagnostik: erhöhte Amylasewerte im Serum, ERCP: Pankreasgangverletzung bzw. -abbruch,
CT
4 Therapie: je nach Stadium fast immer chirurgisch, Stadium I, II, III werden durch Naht und
Drainage versorgt, im Stadium IV Linksresektion bei Drüsenruptur (häufig über der Wirbel-
säule), Duodenopankreatektomie bei komplizierter Ruptur von Pankreaskopf und Duodenum

Akute 4 Symptomatik: plötzliche gürtelförmige, starke Oberbauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit.


Pankreatitis Prall gespannter Bauch, Subileus, Ileus, Aszites, Fieber, Luftnot, septischer oder Volumenman-
gelschock
4 Diagnostik: Sonographie, Röntgen-Thorax/Abdomen, Labor: Amylase und Lipase (über das
3-fache der Norm) in Serum und Urin erhöht, CT: Nekrosen, ERCP
4 Therapie: stationär, ggf. intensivmedizinisch
– Konservativ: Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution, Analgetika, ggf. PDK, Magenschutz,
Antikoagulation, Nulldiät (parenterale Ernährung), breite Antibiose, Insulingabe. Ggf. ERCP
zur Beseitigung der Ursache mit EPT und Sphinkterotomie (EST)
– Operativ: selten, nur bei Befundverschlechterung: Nekrosektomie, Lavage und Drainage
der Bursa omentalis, Relaparotomien (Etappenlavage) oder »open package« erforderlich.
Ggf. Beseitigung von Pankreaspseudozysten

Chronische 4 Symptomatik: rezidivierender starker, postprandialer Schmerz, dumpf bohrend im Ober-


Pankreatitis bauch, häufig gürtelförmig, Betroffene sind meist unterernährt und schmerzmittelabhängig.
Symptome infolge exokriner Insuffizienz (gastrointestinale Beschwerden) und endokriner In-
suffizienz (latenter oder manifester Diabetes mellitus)
4 Diagnostik: Röntgen-Abdomen: typische grobschollige Pankreasverkalkungen; Labor: Erhö-
hung von γ-GT, AP, erhöhte Glukose im Serum bzw. pathologischer Glukosetoleranztest, er-
höhtes Stuhlfett und Chymotrypsin, pathologischer Pankreozymin-Sekretin-Test (exokrine
Funktion). ERCP: Stenosen im terminalen D. choledochus (Röhrenstenose) und im Kopf- und
Korpusbereich des D. pancreaticus mit prästenotischen Dilationen (» Seenkette«)
4 Therapie:
– Konservativ: Entzug endogener Noxen, Korrektur eines Hyperparathyreoidismus, Schmerz-
mitteldauergabe, Substitution der Pankreasfermente (Lipase, Kreon) und Gabe von oralen
Antidiabetika und/oder Insulin.
– Chirurgisch: bei Verschlussikterus, Duodenalstenose, nicht beherrschbaren Schmerzen und
Karzinomverdacht (Präkanzerose?): duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion, pylorus-
erhaltende partielle Duodeno-Pankreatikoduodenektomie, Whipple (selten), Pankreaslinks-
resektion, Drainageoperationen. Weitere Option ist eine Umgehungsoperation

6
1.7 · Viszeralchirurgie
119 1

Pankreas- 4 Symptomatik: meist spät und uncharakteristisch wegen der retroperitonealen Lage: Appetit-
karzinom losigkeit, Leistungsknick, Gewichtsverlust, latenter Oberbauchschmerz, schmerzloser Ikterus
(Courvoisier-Zeichen, seltener bohrende Rückenschmerzen)
4 Diagnostik: Frühkarzinom ist meist sonographischer Zufallsbefund; ERCP, (Spiral-)CT, EUS,
MRT, MR-Angiographie, unbedingt präoperativ MRCP; Labor: Lipase, Amylase, y-GT, Bilirubin,
CEA, CA-19-9
4 Therapie: pyloruserhaltende (partielle) Duodenopankreatektomie, Kausch-Whipple-Duode-
nopankreatektomie, Pankreaslinksresektion (inkl. Milz), subtotale Resektion des Pankreas bei
Tumoren im Schwanz und Korpusbereich. Radikale regionale Lymphknotendissektion, Rekon-
struktion mit z. B. Pankreatikujejunostomie (z. B. Blumgart-Anastomose), Choledochojejunos-
tomie, Gastroenterostomie mit Braunscher Enteroanastomose. Adjuvante Chemotherapie.
Palliativ: endoskopische transpapilläre Choledochusdrainage, Hepatiko-/Gastrojejunostomie,
versch. Bypass-Verfahren. Schmerztherapie: Chemotherapie, Bestrahlung

1.7.14 Hernien Therapie. Man kann versuchen, eine inkarzerierte Her-


nie digital manuell zu reponieren (ggf. in Narkose). Dies
Definition/Ätiopathogenese. Die Hernie stellt einen gelingt nicht immer. Zudem besteht die Gefahr einer
temporären oder permanenten Durchbruch von pari- Pseudoreposition (auch Reposition en bloc), d. h. die
etalem Peritoneum, ggf. Fett und Darmanteilen, durch Vorwölbung ist an der Körperoberfläche zwar ver-
anatomisch (präformierte) oder andere Lücken der schwunden, der Darm jedoch ist in tieferen Schichten
Bauchwand dar. Hernien treten an physiologischen noch immer durchblutungsgestört. Daher ist die sofor-
Schwachstellen (Leistenkanal, Nabellücke, Schenkel- tige chirurgische Reposition meist indiziert, einzig er-
region) oder nach Distension des Narbengewebes folgsversprechend und die einzig kausale Behandlung.
nach Abdominaleingriffen (Narbenbruch) oder bei
hohem Übergewicht, schlaffer Bauchdecke (Hernia ! Cave
ventralis) und andere Ursachen auf (symptomatische Bei Hernien, insbesondere im Frühstadium, besteht
Hernie). Inkarzerationsgefahr; eine inkarzerierte Hernie ist ein
4 Bruchpforte: Durchtrittslücke der Hernie chirurgischer Notfall.
4 Bruch bzw. Bruchinhalt: parietales Peritoneum,
Flüssigkeit, Fettgewebe, Dünndarm In der Therapie erlangt heute die Implantation von
4 Bruchsack: Peritonealsack, der den Bruchinhalt Kunststoffnetzen aufgrund der drastisch geringeren
umgibt Rezidivrate immer mehr größere Bedeutung.
4 Inkarzerierte Hernie: Einklemmung von Darman-
teilen, Omentum majus mit Perfusionsstörung »Symptomatische Hernie«
4 Spontane Reposition: Zurückweichen des Bruches Unter diesem Begriff versteht man das begleitende Auftre-
in Rückenlage, auf Druck von außen ten einer Hernie, die ursächlich z. B. auf eine intraabdomi-
nelle Druckerhöhung zurückzuführen ist: Aszites, stenosie-
Epidemiologie. Herniationen (»Brüche«) der Bauch- render Dickdarmtumor, Daueropiattherapie, Prostatahy-
wand gehören zu den häufigsten Krankheitsbildern der perplasie u. v. a. Hier gilt es, chronisch obstipierende
Viszeralchirurgie. Ihr Anteil am gesamtchirurgischen Ursachen, z. B. ein Malignom, auszuschließen.
Patientengut beträgt bis zu 20%. In Deutschland wer-
den etwa 250.000 Hernienoperationen jährlich durch-
geführt. Männer sind 6- bis 8-mal häufiger betroffen als Hernia inguinalis (direkte und indirekte
Frauen. Leistenhernie, Skrotalhernie)
Anatomie
Symptomatik. Hauptgefahr der Hernien stellt die In- Durch den Leistenkanal, der von Muskelaponeurosen
karzeration mit Folge der Durchblutungsstörung von (M. obliquus externus abdominis, M. obliquus internus ab-
v. a. Darm dar. Dies äußert sich in heftigem Dauer- dominis, M. transversus abdominis) begrenzt wird, zieht
schmerz ohne Besserung in Rückenlage, Ileussympto- beim Mann der Samenstrang, bei der Frau das rudimentäre
matik, später Peritonitiszeichen. Lig. rotundum.
120 Kapitel 1 · Chirurgie

Definition/Ätiopathogenese. Man unterscheidet die Dopplung der Fascia transversalis. Anwendung


1 laterale von der medialen Leistenhernie: bei noch im Wachstum befindlichen Kindern
4 Laterale, indirekte Leistenhernie: lateral der epi- und bei Frauen im gebärfähigen Alter.
gastrischen Gefäße gelegen, Wanderung entlang 5 Lichtenstein: Einnaht eines Kunststoffnetzes
des Leistenkanals, parallel zum Samenstrang. Beim zwischen Lig. inguinale und M. obliquus inter-
Mann ist der Übergang in Skrotalhernie möglich nus abdominis. Durch eine Lücke tritt der Sa-
bei Durchtritt durch den äußeren Leistenring und menstrang beim Mann hindurch. Erheblich
Wanderung in Richtung Skrotum. geringere Rezidivrate (<2%).
4 Mediale, direkte Leistenhernie: medial der epigas- 4 Posteriore Verfahren
trischen Gefäße gelegen. Der Bruch gelangt von 5 TEP: Total extraperitoneale Leistenhernienre-
innen durch das sog. Hesselbach-Dreieck nach au- paration mit Netzimplantation. Eingehen mit
ßen direkt durch die Bauchwand in Richtung äuße- dem Endoskop im Nabelbereich und Präpara-
rer Leistenring. tion hinab in die Leistenregion. Einlage eines
Netzes und Desufflation.
Epidemiologie. Zu 90% sind Männer betroffen. 5 TAPP: Laparoskopie. Eröffnen des Peritone-
ums der Leistenregion, Fixationen eines Netzes,
Symptomatik. Anamnestisch berichten Patienten über anschließend Peritonealverschluss.
intermittierendes oder permanentes Brennen, Ziehen,
Druckgefühl, Stechen, Schmerz in der Leistenregion, Leistenhernienoperationen werden vielfach bereits am-
Stuhlgangsveränderungen (Wechsel Obstipation/Diar- bulant, anteriore Verfahren auch in Lokalanästhesie
rhö). Typischerweise verstärken sich die Beschwerden durchgeführt. Konservative Therapieformen (Bruch-
bei körperlicher Belastung und werden durch Rücken- band) können nur bei hochbetagten, multimorbiden
lage/Ruhe gelindert. Patienten verantwortet werden.

Diagnostik. Inspektion (Asymmetrie, Vorwölbung) und > Bei allen Verfahren muss über das Risiko der Verlet-
Palpation (äußerer Leistenring, Druckschmerz, Hus- zung von Samenstrang (Hodendurchblutung, Fertili-
ten/Pressanprall, Hernie) sind entscheidend. Zudem tät) und Nachbarstrukturen (V. femoralis, intraabdo-
kommt die Diaphanoskopie des Skrotums (Differenzial- minelle Organe) aufgeklärt werden.
diagnose Hydrozele) zur Anwendung; eine Sonographie
kann hilfreich sein. Differenzialdiagnostisch sind Hernia umbilicalis (Nabelhernie)
Koxarthrose gleichseitig, radikuläre Schmerzen (LWS), Definition/Ätiopathogenese. Vorwölbung von parieta-
Insertionstendopathie (Adduktoren), traumatische lem Peritoneum, Fettgewebe und Dünndarm durch die
Muskel-Sehnen-Verletzungen, gynäkologische Erkran- Nabellücke.
kungen, rechtsseitig eine Appendicitis acuta, linksseitig
eine Sigmadivertikulitis auszuschließen. Symptomatik. Die Erkrankung kann asymptomatisch
bis hin zum akuten Abdomen bei Einklemmung (In-
! Cave karzeration) verlaufen.
Die Diagnose Leistenhernie wird klinisch gestellt.
Diagnostik. Sonographie. Differenzialdiagnostisch ist
Therapie. Man unterscheidet anteriore von posterioren eine epigastrische Hernie abzugrenzen.
Verfahren. Die verwendeten Implantate bestehen aus
Kunststoff, teilweise resorbierbar. Nachteile der anteri- Therapie. Es werden unterschieden einfache adaptie-
oren Verfahren sind insbesondere die hohe Rezidivrate rende Verfahren (z. B. Majo-Plastik), mediane Zugänge
von bis zu 5–10%. Sie finden noch bei Kindern und in Sublay-Technik (Lage des Netzes zwischen parieta-
jungen Menschen, insbesondere bei Frauen im gebärfä- lem Peritoneum und dorsaler Rektusscheide), Onlay-
higen Alter (ohne Netzimplantation) Anwendung. Vor- Technik (Lage zwischen Faszie und ventralem Blatt
teil der posterioren Verfahren ist die geringe Rezidivra- der Rektusscheide) und laparoskopische Verfahren (Im-
te; Nachteile sind: Allgemeinanästhesie bei TEP und plantation des Netzes von intraabdominell auf das
TAPP, potenzielle Verletzung von intrabdominellen Or- parietale Peritoneum).
ganen beim TAPP-Verfahren, Infektionsgefahr. 4 Methode der Wahl bei kleinen und erstmaligen Na-
4 Anteriore Verfahren belbrüchen (Rezidivrate ca. 5%) ist die Hernio-
5 Shouldice: Schnitt über dem Leistenbruch, Ver- tomie und Hernioplastik (Fasziendopplung) nach
stärkung der Leistenkanalhinterwand durch Mayo: kleiner Schnitt unterhalb des Umbilikus.
1.7 · Viszeralchirurgie
121 1

Reposition und Verschluss der Bruchlücke. Dar- Nikotinabusus, Kachexie, Steroidtherapie, Diabetes
über Fasziendopplung. mellitus u. v. a.
4 Verfahren der Wahl bei großen und rezidivieren-
den Nabelbrüchen (Rezidivrate unter 1%) sind der Symptomatik/Diagnostik. Schwellung, lokaler Schmerz,
mediane Schnitt und die Implantion eines Netzes palpaple Lücke. Auskultation von Darmgeräuschen.
in Onlay- oder Sublay-Technik sowie die laparos-
kopische Hernioplastik mit Netzimplantation. Therapie. Implantation von Netzen mit offenem Zu-
gang in Sublay- oder Onlay-Technik (s. oben), laparos-
Rektusdiastase kopische Netzimplantation (s. oben). Rezidivrate bis zu
Als Rektusdiastase bezeichnet man ein Auseinanderwei- 10% (laparoskopisches Hernien-Repair <2%).
chen der geraden Bauchmuskulatur im Bereich der Linea
alba. Selten ist hier eine Operation notwendig/indiziert. Hernia femoralis (Schenkelhernie, Femoralhernie)
Trotz Operation besteht eine hohe Rezidivrate (75% ohne Definition. Bruch durch die Lacuna vasorum unterhalb
Netz, 10% mit Netz). des Leistenbandes.

Hernia epigastrica Epidemiologie. Frauen sind häufiger betroffen.


Definition/Ätiopathogenese. Herniation zwischen Na-
bel und Sternum im medianen Bereich der Linea alba. ! Cave
Bei einer Femoralhernie besteht eine erhöhte Inkar-
Symptomatik. 7 Nabelhernie. zerationsgefahr durch enge Kanäle.

Therapie. 7 Narbenhernie, bei Herniation nahe des Um- Therapie. Manuelle Repositionsversuche bleiben meist
bilikus 7 Nabelhernie. ohne Erfolg. Operative Verfahren sind inguinaler Zu-
gang nach McVay: Fixation der Fascia transversalis und
Narbenhernie des M. obliquus internus an das Lig. pubicum superius
Definition/Epidemiologie. Bruch nach abdominellen Cooperi. Seltener erfolgt der Zugang von krural: Freile-
Voroperationen. Häufig (2–5%); v. a. im ersten post- gen des Bruches unterhalb des Leistenbandes und An-
operativen Jahr. nähen des Ligaments an das Lig. pubicum.

Ätiopathogenese. Prädisponierende Faktoren für eine Komplikationen. Corona mortis = abnorm starke Aus-
Narbenhernie sind: Rezidiveingriffe mit gleichem Zu- bildung der Anastomose zwischen der A. obturatoria
gang, schlechte Adaptation, Adipositas, postoperative (R. pubis und der A. epigatrica inf.; früher wichtige
Wundheilungsstörungen (Infekt, Hämatom, Serom), Ursache für intraoperatives Verbluten).

In Kürze

Hernien

Hernia inguinalis 4 Symptomatik: Schmerzen, Druck, Ziehen, Brennen in der Leistengegend v. a. bei Belas-
tung, Verdauungsprobleme
4 Diagnostik: klinisch (Schmerz, Vorwölbung, Pressversuch), Sonographie, Diaphanoskopie
4 Therapie: anteriore Verfahren: Shouldice, Lichtenstein (mit Netz). Posteriore Verfahren
(TAPP, TEP)

Hernia 4 Symptomatik: Schmerz, Stuhlgangsveränderungen, Vorwölbung


umbilicalis 4 Diagnostik: klinisch: Inspektion, Palpation. Sonographie
4 Therapie: Fasziendopplung nach Majo. Bei großen Hernien und Rezidiven laparoskopi-
sche Netzimplantation

Hernia ventralis 4 Symptomatik: von asymptomatisch bis zur Inkarzeration mit akutem Abdomen
(Narbenhernien, 4 Diagnostik: klinisch, Sonographie
Epigastrische 4 Therapie: offener Zugang und Netzimplantation in Onlay- oder Sublay-Technik), laparos-
Hernien) kopische Netzimplantation
6
122 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Hernia femoralis 4 Symptomatik: Beschwerdeangabe unterhalb des Leistenbandes


4 Diagnostik: klinisch, Sonographie
4 Therapie: inguinaler Zugang nach McVay oder kruraler Zugang

Inkarzerierte 4 Symptomatik: akutes Abdomen


Hernie 4 Diagnostik: Klinisch, Sonographie, Laboruntersuchung.
4 Therapie: Versuch einer digitalen Reposition. Sofortige chirurgische Exploration und Re-
position. Definitive Versorgung

1.7.15 Hydrozele (»Wasserbruch«) 4 Axiale Hiatushernie (Gleithernie): axialer Durch-


tritt von proximalem Magen
Definition. Hydrocele testis sive funiculi. Zyste mit se- 4 Paraösophageale Hiatushernie: Magenanteile lie-
rösem Inhalt im Skrotum (Tunica vaginalis oder Sa- gen parallel zum Ösophagus im Mediastinum
menstrang). 4 Gemischte Hiatushernie: Mischform einer axialen
und paraösophagealen Hernie
Ätiopathogenese. Exsudat durch Abflusshindernis
oder angeboren. Ätiopathogenese. Prädisponierende Faktoren sind
Bindegewebsschwäche, abnorm weiter Hiatus oesopha-
Symptomatik. Meist schmerzlose Schwellung des Skro- geus. Als Komplikationen kann es zu Gastritis, Anämie,
tums. Inkarzeration, Obstruktion oder Ulzera kommen.

Diagnostik. Inspektion, Palpation (prall, elastisch); Di-


aphanoskopie positiv, Sonographie. Differenzialdiag-
nostisch sind Skrotalhernie, Hodenneoplasie, Variko-
zele auszuschließen.

Therapie. Ggf. Zuwarten auf spontane Rückbildung; bei


Erfolglosigkeit ist eine chirurgische Fenestrierung/Re-
sektion indiziert: Zugang von inguinal oder skrotal,
Operation nach von Bergmann oder Winkelmann.

! Cave
Keine Punktion einer Hydrozele: Es besteht Infektge-
fahr und Gefahr der Hodenläsion.

1.7.16 Zwerchfell

Anatomie
Als Bindegewebsmuskel-Platte trennt das Zwerchfell Brust-
und Bauchhöhle. Es gehört zur Atemmuskulatur. Öffnun-
gen erlauben den Durchtritt des Ösophagus (Hiatus oeso-
phageus), der Aorta (Hiatus aorticus) und der V. cava (Fora-
men V. cavae).

Hiatushernie
Definition. Es drängen sich Kardia oder größere Ma-
genanteile durch den Hiatus oesophageus. Man unter- . Abb. 1.40. Verschiedene Formen der Hiatushernie. (Aus
scheidet folgende Formen (. Abb. 1.40): Lanz-Wachsmuth 2004)
1.7 · Viszeralchirurgie
123 1

Epidemiologie. Häufig.

Symptomatik. Dysphagie, Schmerz im Epigastrium,


Sodbrennen.

Diagnostik. Röntgen: Kontrastmittelbreischluck, Endo-


skopie, CT.

Therapie. Die Behandlung erfolgt in Abhängigkeit vom


Beschwerdebild (oft Zufallsbefund!). Infrage kommen:
Fundoplikatio bei axialer Hernie (. Abb. 1.41), Reposi-
tion, Bruchsackresektion und Hiatusverschluss und
Fundopexie bei paraösophagealer und Mischhernie.
Ggf. Netzimplantation.

Andere Zwerchfellhernien
Eine Reihe weiterer Hernien (»extrahiatal«) sind am Zwerch- a
fell zu beobachten: Durchtritt von Dünndarm, Kolon an
Schwachstellen (Morgagni, Bochdalek u. a.). Hier ist eine
Operation nur bei Beschwerden indiziert: Bruchlückenver-
schluss/-raffung/Duplikatur.

Zwerchfellruptur
Ätiopathogenese. Zur Ruptur kann es im Rahmen ei-
nes stumpfen Bauchtraumas, meist (>90%) linksseitig,
kommen. Infolgedessen verlagern sich abdominelle Or-
gane nach thorakal.

Symptomatik. Akutes Abdomen, Dyspnoe.

Diagnostik. Sonographie, konventionelles Röntgen.


b

! Cave . Abb. 1.41a, b. Fundoplikatio. (Aus Siewert 2006) (7 Farb-


Bei nicht rechtzeitiger operativer Versorgung besteht tafelteil)
eine hohe Letalität.

Therapie: Naht, ggf. Unterstützung mit allogenem Ma-


terial (Netzimplantation).

In Kürze

Chirurgie des Zwerchfells

Hernia diaphrag- 4 Symptomatik: Dysphagie, Schmerz im Epigastrium, Sodbrennen


matica 4 Diagnostik: Kontrastmittelbreischluck, Endoskopie, CT
(Hiatushernie) 4 Therapie: Fundoplikatio bei axialer Hernie, Reposition, Bruchsackresektion und Hiatus-
verschluss und Fundopexie bei paraösophagealer und Mischhernie. Ggf. Netzimplan-
tation

Zwerchfellruptur 4 Symptomatik: akutes Abdomen, Dyspnoe


4 Diagnostik: Sonographie, konventionelles Röntgen
4 Therapie: Naht, ggf. Unterstützung mit allogenem Material (Netzimplantation)
124 Kapitel 1 · Chirurgie

1.7.17 Akutes Abdomen, Ileus, Peritonitis


1
Die Besprechung des akuten Abdomens erfolgt bewusst
gegen Ende diesen Abschnittes, da so bereits die ursäch-
lichen Erkrankungen der Organsysteme vorausgesetzt
werden können.

Akutes Abdomen
Definition. Der abstrakte Begriff akutes Abdomen ist
ein Synonym für eine akute Abdominalerkrankung, de-
ren Ursache nachgegangen wird, aber nicht selten erst
nach chirurgischer Exploration gefunden und behoben
werden kann.

Ätiopathogenese. Ursächlich können grundsätzlich


Entzündungen, Hohlorganperforationen, Blutungen,
Ileus und Durchblutungsstörungen in Frage kommen;
hier eine Auswahl (. Abb. 1.42):
4 Akute Cholezystitis, ggf. mit Perforation
4 Akute Appendizitis vermiformis ggf. mit Perfora-
tion
4 Divertikulitis ggf. mit Perforation
4 Ulcus duodeni
4 Bridenileus
4 Mesenterialinfarkt
4 Bauchtrauma (stumpf, penetrierend), ggf. mit
Hohlorganverletzung, Blutung
4 Gynäkologische Erkrankungen: Extrauteringravi- . Abb. 1.42. Häufige Ursachen eines akuten Abdomens.
dität, ggf. mit Ruptur, Adnextorsion (Aus Siewert 2006)
4 Aortenaneurysma ggf. mit Ruptur.
4 Inkarzerierte Hernie (Leisten-, Nabel-, Narbenher-
nie) Schockzeichen, Operationsnarben (Voroperationen),
4 Pankreatitis Meteorismus, Resistenzen und Brüche. Auskultatorische
4 Urolithiasis (häufig) Stille. Bei der rektalen Untersuchung finden sich ggf.
Douglas-Schmerz, Portioschiebeschmerz. Sonogra-
> Die häufigsten Ursachen des akuten Abdomens sind phisch zu beurteilen sind freie Flüssigkeit, Gallenblase,
Appendizitis, Cholezystitis, Ileus, Duodenalulkus, Pan- Appendix, evtl. vorliegende Tumoren, Aneurysmen. Ra-
kreatitis, Divertikulitis und Urolithiasis diologisch ist eine Leeraufnahme im Stehen sowie in
Linksseitenlage angezeigt zur Bewertung evtl. vorhan-
Symptomatik. Meist entwickelt sich eine akut/perakut dener Dickdarm-/Dünndarmspiegel (Ileus) oder freier
einsetzende Symptomatik (heftiger kolik- oder Dauer- Luft (Hohlorganperforation). Im Röntgen-Thorax zeigt
bauchschmerz) als lebensbedrohliches Krankheitsbild. sich ggf. freie Luft (cave: zu 1/3 falsch-negativ). Im Rah-
men einer Magendarmpassage (MDP) erfolgt ein
! Cave Durchgängigkeitstest z. B. mit Gastrografin; sinnvoll ist
Bei akutem Abdomen sind rasche differenzialdiag- auch ein Kolonkontrasteinlauf (Gastrografin). Zusätz-
nostische Abklärung und schnelles Handeln erforder- lich kommen CT, Kontrast-CT, Angiographie bei Ischä-
lich. mieverdacht sowie Endoskopie (Gastroskopie: Duode-
nalulkus; Koloskopie: Sigmadivertikulose?) in Frage.
Diagnostik. Anamnestisch zu erfragen sind Schmerzlo-
kalisation (diffus, lokalisiert, Ort), Charakter (Kolik, ! Cave
Dauerschmerz), Schmerzintensität, Verlauf und Be- An die Differenzialdiagnosen Myokardinfarkt und
gleitsymptome. Klinisch zeigen sich Druckschmerz, Pleuritis muss bei Oberbauchschmerzen gedacht
Peritonitiszeichen, Übelkeit, Erbrechen, Darmparalyse, werden.
1.7 · Viszeralchirurgie
125 1

Laborchemisch zu bestimmen sind Entzündungspara- neum). Es finden sich ein harter Bauch, Druck-, Klopf-,
meter, Cholestaseparameter, Gerinnungsstatus, Laktat, Vibrationsschmerz sowie Loslassschmerz.
Hämoglobin,Kreuzblut,Blutgruppe,Schwangerschafts-
test, Amylase, Lipase, Urinstatus (Hämaturie bei Uroli- Therapie. Betroffene sind unverzüglich intensivmedi-
thiasis). zinisch und meist operativ zur Ausschaltung des Sep-
sisherdes (Fokus) zu behandeln. Wichtig sind Antibio-
! Cave se (meist Cephalosporin und Metronidazol, ggf. Imipe-
Magen-Darm-Passage: kein Bariumhaltiges Kontrast- nem), Analgosedierung, Thromboembolieprophylaxe,
mittel bei Verdacht auf Perforation! Infusionstherapie, ggf. Hämotherapie, Parameter-
korrektur (ggf. Dialyse), ggf. Magensonde, ggf. Intuba-
Therapie. Indiziert sind Infusionstherapie, ggf. Schock- tion und Beatmung. Als interventionelle Verfahren
therapie, Magensonde, ggf. Blasenkatheter, ggf. zentral- kommen z. B. perkutane Ultraschall-/CT-gesteuerte
venöser Zugang, ggf. Antibiotikaprophylaxe. Ein kon- Abszessdrainage zur Anwendung. An Operationen
servativer Therapieversuch ist nur bei abnehmender sind ggf. indiziert: Laparoskopie, Laparatomie und Ur-
Symptomatik (subakutes Abdomen) sinnvoll. Zudem sachenbeseitigung (Débridement, Nekrosektomie,
sollten diagnostische Laparoskopie, Laparatomie und Herdsanierung, Resektion, Übernähung). Lavage (in-
Exploration und wenn möglich Beseitigung der Ursa- traoperativ, kontinuierlich) und Drainage (subphre-
che (Appendektomie, Cholezystektomie, Adhäsiolyse, nisch links/rechts, subhepatisch, parakolisch links/
Adnektektomie) erfolgen. rechts, Douglas), ggf. Anus-praeter-Anlage. Ggf. nötig
ist eine Etappenlavage (geschlossen – offen), Relapara-
! Cave tomie, selten noch Laparostomie (offenes Abdomen
Kein Aufschub einer dringlichen Operation aus diag- nur mit Tüchern, Reißverschluss oder Spezialfolien
nostischen Gründen! Jeder Zeitverzug verschlechtert bedeckt, später Hauttransplantation, plastischer Ver-
die Prognose. schluss),

Peritonitis > Intraoperativ sollte eine Abstrichentnahme zur präzi-


Definition. »Bauchfellentzündung«. Akute diffuse oder sen Erregerdiagnostik erfolgen.
lokalisierte Entzündung des Peritoneums durch Mikro-
organismen oder Noxen (z. B. Galle). Es handelt sich Prognose. Wird die Peritonitis unzureichend/falsch
um ein schweres Krankheitsbild aufgrund der großen behandelt und/oder die Ursachen nicht beseitigt, dro-
Resorptionsfläche des Bauchfells: Die Infektion kann hen Sepsis, Multiorganversagen. Nach Überstehen der
leicht ins Kreislaufsystem übertreten: Folgen sind Sep- Krankheit bestehen oft langfristige Konsequenzen: Ver-
sis, SIRS (»systemic inflammatory response syndrome«) wachsungsbauch, Fistelung, Narbenbrüche.
und Multiorganversagen.
Ileus
Ätiopathogenese. Die primäre Peritionitis ist selten; Definition. Gestörte peristaltische Darmpassage durch
sie wird ausschließlich durch hämatogene Streuung Darmlähmung oder Darmverschluss, potenziell lebens-
(Streptokokken, Pneumokokken, Staphylokokken, Go- bedrohend.
nokokken u. a.) verursacht. Hingegen ist die sekundäre
Peritonitis (fibrinös, eitrig, kotig) häufig. Hier erfolgt Ätiopathogenese. Je nach Ursache werden folgende
die Infektion durch Keime des Darms bei Perforation, Ileusformen unterschieden:
Durchwanderung (Durchwanderungsperitonitis), iat- 4 Mechanischer Ileus: mechanisches Hindernis der
rogen (Anastomoseninsuffizienz). Die toxische Perito- Darm- und Darminhaltsfortbewegung
nitis ist bedingt durch Galle, Urin, Bariumkontrastmit- 5 Bridenileus (Verwachsungsstrang), Adhäsio-
tel. Weitere mögliche Ursachen sind viele akute Abdo- nen, Strangulationen
minalerkrankungen, die auch ein akutes Abdomen 5 Tumorobstruktion, Gallensteinobstruktion,
bewirken (7 oben). Fremdkörperobstruktion (z. B. Kirschkerne)
5 Stenosen (M. Crohn, nach Bestrahlung)
Symptomatik. Dieser Reizzustand des Bauchfells geht 5 Inkarzeration (Hernien), Invagination (kindli-
mit heftigem Bauchschmerz einher. cher Darm, z. B. Ileuminvagination in das Zö-
kum), Volvolus (Verdrehung)
Diagnostik. Klinisch generalisiert, lokalisiert und kon- 4 Funktioneller/paralytischer Ileus: verminderte
tralateral (z. B. Loslassschmerz durch »Zug« am Perio- Darmbewegung durch Lähmung des Darms selbst
126 Kapitel 1 · Chirurgie

5 Metabolisch, z. B. Elektrolytentgleisungen, bei 4 Röntgen-Abdomen-Leeraufnahme im Stehen/


1 Urämie, Diabetes, Polytrauma, Schock Linksseitenlage: Spiegel? Dünndarm? Dickdarm?
5 Entzündlich, z. B. Peritonitis Freie Luft? Fremdkörper?
5 Perfusionsbedingt, z. B. Mesenterialvenen- 4 MDP: Gastrografinschluck, Kontrasteinlauf
thrombose, Mesenterialinfarkt rektal
5 Neurologisch (z. B. Ogilvie-Syndrom, Quer- 4 Sonographie: dilatierte Darmschlingen, freie Flüs-
schnittsverletung) bei neurologischer Darma- sigkeit? Peristaltik?
tonie 4 CT: bei Verdacht auf Tumor, Mesenterialischämie
5 Postoperativ (Steigerung der normalen post- 4 Angiographie: bei Verdacht auf Mesenterialischä-
operativen Darmatonie) mie
4 Gemischt mechanisch-paralytischer Ileus: sehr 4 Labor: Entzündungsparameter, Elektrolyte, Säure-
häufig, da jede Strangulation auch zu metaboli- Basen-Analyse, Laktat, ggf. schon Blutgruppenbe-
schen Veränderungen, dann zu Durchwanderung stimmung und Kreuzblutbestellung
und entzündlichen Veränderungen führt
Therapie. Meist ist ein operatives Vorgehen notwendig,
Die Ileuskrankheit entwickelt sich im Rahmen einer wenn nicht binnen kurzer Zeit nach Anwendung
Kaskade von lokalen, später systemischen Prozessen, konservativer Maßnahmen eine Besserung eintritt. In
die in der Folge zur Darmischämie, Durchwanderungs- der Regel flankieren die konservativen Maßnahmen
peritonitis, Sepsis und zum Multiorganversagen, Ent- die unverzügliche und schnelle technische Diag-
gleisen der physiologischen Funktionen, hypovolä- nostik.
misch-septischem Schock und letztlich zum Tode des
Organismus binnen wenigen Stunden/Tagen führt ! Cave
(. Abb. 1.43). Unverzügliches Handeln vor Einsetzen der Ileuskrank-
heit!
> Meist liegt dem Ileus eine mechanische Ursache zu-
grunde, meist ist der Dünndarm betroffen. Konservative Maßnahmen:
4 Nahrungskarenz, ggf. parenterale Ernährung
Epidemiologie. Ileus und ileusähnliche Zustände gehö- 4 Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution
ren zu den häufigsten Einweisungsursachen in Klini- 4 Magensonde
ken. 4 Darmrohr, ggf. Blasenkatheter
4 Feuchte Wärme (bei Ausschluss entzündlicher Ur-
Symptomatik. Es zeigen sich ein subakutes bis akutes sachen)
Abdomen, Subileus bis Ileuszustand mit starken Bauch- 4 Rektale Einläufe
schmerzen, Stuhl-, Windverhalt, meist kolikartigen 4 Ggf. Antibiose, ggf. ZVK-Anlage
Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Koterbrechen. 4 Thromboembolieprophylaxe
4 Perorale, rektale Anregung der Darmtätigkeit (auch
Diagnostik. Wichtig ist eine kurze zielgerichtete Anam- Gastrografin)
nese: Voroperationen, frühere ähnliche Beschwerden, 4 Systemische Anregung der Darmtätigkeit durch
Diätfehler, Grunderkrankungen, Allergien. Die klini- Sympathikolyse/Parasympathatomimetika: Dihy-
sche Untersuchung beinhaltet: droergotamin, Ceruletid, Neostigmin-Perfusor
4 Zunahme des Bauchumfanges, Perionismuszei-
chen, Hautturgor (Exsikkose), Operationsnarben, Operativ anzugehende Ursachen sind:
Bruchlücken 4 Mesenterialischämie/-infarkt: gefäßchirurgische
4 Rektale Untersuchung Operation (Embolektomie, Thrombektomie, By-
4 Enorale Untersuchung: Zunge (Exsikkosezeichen) pass), ggf. Darmresektion, Anastomose
4 Auskultatorisch: Hyperperistaltik, klingende Ge- 4 Briden-/Strangulationsileus: Adhäsiolyse (auch la-
räusche beim mechanischen Ileus, »Totenstille« paroskopisch), ggf. Darmresektion
beim paralytischen Darm 4 Inkarzeration, Invagination: Reposition, ggf. Bruch-
4 Beurteilung des Magensondensekretes bei Reflux lückenverschluss
(kotig, gallig etc.) 4 Entzündliche Stenose: Strikturoplastik, Darmre-
sektion
Als technische Verfahren sind diagnostisch folgende 4 Tumor: Darmresektion, Umgehungsoperationen,
wichtig: Hartmann-Situation-Anlage
1.7 · Viszeralchirurgie
127 1

. Abb. 1.43. Mechanismen der Ileuskrankheit. (Aus Siewert 2006)


128 Kapitel 1 · Chirurgie

4 Peritonitis: kausale Operation, Lavage, Drainage Der Darm kann intraoperativ abgesaugt, ausgestrichen
1 etc. und vorübergehend geschient (Levin-Sonde, u. a. Ver-
4 Chronischer Verwachsungsbauch: Operation nach fahren) werden.
Nobel, Childs-Phillips
4 Volvulus: Derotation, Pexie > Vor jedem Eingriff muss der Patient über zu Erwar-
tende erforderliche Maßnahmen aufgeklärt werden,
! Cave auch über die mögliche Anlage eines Anus praeter
Ein laparoskopischer Zugang bei Verdacht auf Ver- und die Komplikationen bei Darmresektion: Abszes-
wachsungsbauch sollte nur durch laparoskopisch er- se, Anastomoseninsuffizienz, Peritonitis u. v. a.
fahrene Chirurgen erfolgen, denn es besteht bereits
bei Trokarplatzierung eine Perforationsgefahr. Prognose. Abhängig von Patientenalter, Ursache des
Ileus und Schwere des erforderlichen Eingriffes.

In Kürze

Pertitonitis und Ileus

Peritonitis 4 Symptomatik: heftiger Bauchschmerz


4 Diagnostik: Untersuchung: generalisiert, lokalisiert, kontralateral; harter Bauch, Druck-, Klopf-,
Vibrationsschmerz und Loslassschmerz
4 Therapie: Antibiose, Analgosedierung, Thromboembolieprophylaxe, Infusionstherapie, Hämothe-
rapie, Parameterkorrektur, ggf. Dialyse, Magensonde, Intubation/Beatmung. Interventionell: per-
kutane Ultraschall-/CT-gesteuerte Abszessdrainage. Operation: Laparoskopie, Laparatomie und
Ursachenbeseitigung (Debridement, Nekrosektomie, Herdsanierung, Resektion, Übernähung).
Lavage (intraoperativ, kontinuierlich), Drainage, ggf. Anus-praeter-Anlage; ggf. Etappenlavage

Ileus 4 Symptomatik: starke Bauchschmerzen, Stuhl-, Windverhalt, meist kolikartig, Übelkeit, Erbre-
chen, Koterbrechen
4 Diagnostik: klinische Untersuchung: Bauchumfang, Peritonismus, Hautturgor, Operationsnar-
ben, Bruchlücken, rektale Untersuchung, Zunge. Auskultation: Hyperperistaltik, Klingend bei
mechanischem Ileus, »Totenstille« bei paralytischem. Magensondensekrete: kotig, gallig etc.
Technisch: Röntgen-Abdomen, MDP-Gastrografinschluck, Kontrasteinlauf rektal, Sonographie,
CT, Angiographie, Labor
4 Therapie:
– Konservativ: Nahrungskarenz, parenterale Ernährung, Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution,
Magensonde, Darmrohr, Blasenkatheter, feuchte Wärme (bei Ausschluss Entzündung), rekta-
le Einläufe, Antibiose, ZVK-Anlage, Thromboembolieprophylaxe, perorale und rektale Anre-
gung der Darmtätigkeit, systemische Anregung der Darmtätigkeit durch Sympathikolyse/
Parasympthatomimetika: Dihydroergotamin, Ceruletid, Neostigmin-Perfusor
– Operativ: gefäßchirurgische Embolektomie, Thrombektomie, Bypass, Darmresektion, Anasto-
mose, Adhäsiolyse, Darmreposition, Bruchlückenverschluss, Strikturoplastik, Umgehungs-
operationen, Hartmann-Situation-Anlage, Lavage, intraoperatives Absaugen des Darms, Aus-
streichen und Schienung

1.7.18 Abdomenverletzung > Milz, Leber, Nieren, Darm und Pankreas sind am häu-
figsten bei Abdominalverletzungen betroffen.
Definition/Ätiopathogenese. Verkehrsunfälle (z. B.
Gurttraumen), Schuss-, Schnittverletzungen sowie Symptomatik. Akutes Abdomen (7 oben).
stumpfe Bauchtraumen (Sturz auf Fahrradlenker) kön-
nen zu stumpfen und penetrierenden Abdominalvelet- Diagnostik. Anamnestisch zu klären sind: Traumasch-
zungen aller Organe und Strukturen führen. were, Schmerzen, Voroperationen. Die klinische Un-
1.7 · Viszeralchirurgie
129 1

tersuchung am Abdomen dient der Beurteilung von 4 CT


äußere Verletzungen, Kontusions-/Prellmarken, Be- 4 Angiographie (Ausschluss Gefäßverletzungen)
gleitverletzungen. Zu klären sind zudem, ob Hämaturie, 4 ERCP (v. a. bei Pankreasverletzung)
rektaler Blutabgang, Peritonismus-Zeichen, Becken- 4 Urethrographie/Zystographie bei Verdacht auf
und Thoraxstabilität vorliegen. Ureter-/Blasenverletzung (Beckenfrakturen!)
An technischer Diagnostik kommen folgende
Verfahren zur Anwendung: Therapie. Wichtig ist eine Inspektion des gesamten Ab-
4 Sonographie (freie Flüssigkeit, Blutungen domens (Laparoskopie, Laparatomie) mit nachfolgen-
4 Röntgen-Thorax und Abdomen im Stehen/Links- der Blutstillung, Darmübernähung, Darmresektion
seitenlage: freie Luft, Pneumothorax, Hämatotho- (selten Anus-praeter-Anlage), ggf. Splenektomie, ggf.
rax Leberpacking, ggf. Leberresektion.
4 Peritoneallavage

In Kürze

Abdomenverletzungen

Verletzungen 4 Symptomatik: akutes Abdomen


des Abdomens 4 Diagnostik: Anamnese: Traumaschwere, Schmerzen, Voroperationen. Klinische Untersu-
chung: Äußere Verletzungen, Kontusions-/Prellmarken, Begleitverletzungen. Hämaturie?
Rektaler Blutabgang? Peritonismus? Becken- und Thoraxstabilität. Sonographie, Röntgen-
Thorax und Abdomen im Stehen/Linksseitenlage, Peritoneallavage, CT, Angiographie,
ERCP, Urethrographie/Zystographie
4 Therapie: Laparoskopie, Laparatomie, Blutstillung, Darmübernähung, Darmresektion, ggf.
Anus-praeter-Anlage, ggf. Splenektomie, Leberpacking, Leberresektion

1.7.19 Neuroendokrine Tumoren (NET) Karzinoid


des Gastrointestinaltraktes, MEN Definition/Ätiopathogenese. Benigner bis hochmalig-
ner NET der enterochromaffinen Zellen des dissemi-
Ausgangspunkt dieser Tumoren ist das diffuse neuro- nierten endokrinen Systems (APUD), oft in der Region
endokrine Zellsystem/gastroenteropankreatisches Zell- u. a. der Appendix vermiformis, des Jejunums oder des
system, das biogene Amine (Histamin, Serotonin) und Rektums lokalisiert. Der Tumor produziert Serotonin;
Hormone produziert. Daher sind die Symptome bei Lymph- und Lebermetastasen kommen vor.
den hormonproduzierenden Tumoren auch durch en-
terale und systemische Sensationen geprägt: Epidemiologie. Inzidenz 0,5–1/100.000 Einwohner/
4 Diarrhö Jahr. Durchschnittliches Alter zu Erkrankungsbeginn:
4 Flush 55 Jahre.
4 Erbrechen
4 Bronchokonstriktion Symptomatik. Meist klinisch stumm (Zufallsbefund
4 Schwitzen nach Appendektomie); sonst Flush, Hitzewallungen,
4 Hypoglykämie-Symptome und viele andere vielge- Übelkeit, Diarrhö, Bauchschmerz, Asthmasymptome,
staltige Symptome Myokardveränderungen, Ileus u. v. a.

Prinzipiell können sehr viele Körpergewebe befallen Diagnostik. Serotoninbestimmung im Serum, 5-Hy-
sein, praktisch findet sich jedoch eine Häufung im gas- droxyindolessigsäure im Urin. Sonographie, CT, Szinti-
troenteropankreatischen System. graphie Abdomen

> Bei den multiplen endokrinen Tumoren handelt es Therapie. Konservative Optionen sind Suppression durch
sich meist um erblich bedingte multifokale/viszerale Somatostatinanaloga (z. B. Oktreotid), Chemotherapie.
Tumoren mit Hormonproduktion und vielgestaltigem Operativ erfolgt wenn immer möglich eine komplette Re-
Symptommuster. sektion mit Sicherheitsabstand (d. h. ggf. Hemikolekto-
130 Kapitel 1 · Chirurgie

mie, ggf. mit Nachbarorganresektion, Lebermetastasen- Gastrinom (Zollinger-Ellison-Syndrom)


1 resektion), ggf. Lymphadenektomie. Vereinzelt Leber- Definition/Ätiopathogenese. Gastrinproduzierender
transplantation. Ggf. psychotherapeutische Begleitung. Tumor meist im Pankreas/Duodenum lokalisiert. Neigt
zur Metastatisierung.
Prognose. Je nach Tumorart, Größe, Lokalisation liegt
die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 25% und 95%. Epidemiologie. 9% aller gastroenteropankreatischen
Gute Prognose: Appendixkarzinoid, schlechte Progno- neuroendokrinen Tumoren. Häufung zwischen dem
se: Kolonkarzinoid. 30. und 50. Lebensjahr.

Nachsorge. Serotoninspiegel im Urin. Symptomatik. Gastritis/therapieresistentes Magenul-


kus, Diarrhö, Reflux (Magensäureproduktion gestei-
Insulinom gert).
Definition/Ätiopathogenese. Endokriner Pankreastu-
mor (Beta-Zellen der Langerhans-Inseln), selten mali- Diagnostik. Labor: Gastrinerhöhung, Szintigraphie,
gne mit Leber- und Lymphknotenmetastasen. Endosonographie, CT, MRT.

Symptomatik. Unspezifische gastrointestinale Beschwer- Therapie. Radikale Resektion bei Misserfolg dieser
den, C-Peptiderhöhung, Hypoglykämie, Adipositas, neu- Maßnahme totale Gastrektomie (Entfernung des Er-
rologische Auffälligkeiten, z. B. plötzliche, relativ häufige folgsorgans).
Bewusstlosigkeit, die nach Zuckergabe verschwindet.
Prognose. Je nach Subtyp, Stadium, Behandlung liegt
Diagnostik. Fastenversuch, Sonographie, CT, Endoso- die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 50 und 90%.
nographie.
Verner-Morrison-Syndrom (VIPom)
Therapie. Operative Entfernung per Enukleation, je Definition/Ätiopathogenese. Oft maligner und meta-
nach Größe ohne oder mit Pankreatikojejunostomie, stasierender Pankreastumor mit VIP-Produktion (VIP
selten Pankreasresektion, Pankreatoduodenektomie = vasointestinales Peptid).
bei malignen Tumoren.
Symptomatik. Diarrhö, Hypokaliämie, Exsikkosezei-
Prognose. Bei gutartigen Tumoren ist nach vollständi- chen, Adynamie, Diabetes.
ger Entfernung Heilung möglich, sonst stadienabhän-
gig und abhängig von der Radikalität der Operation. Diagnostik. VIP im Serum, Sonographie, CT, MRT.

Glukagonom Therapie. Somatostatinanaloga, Chemotherapie, Resek-


Ätiopathogenese. Das Glukagonom stammt von den tion, ggf. radikal.
A-Zellen der Pankreasinseln ab und entsteht gemäß de-
ren Verteilung meist im Pankreaskörper und -schwanz. Multiple endokrine Neoplasien
Meist solitär und größer als 5 cm. 70% maligne. (MEN I, MEN II, 7 Innere Medizin, Kap. 8.6.1)
Definition/Ätiopathogenese. Multiples Auftreten ver-
Epidemiologie. Sehr selten. Ca. 1% aller gastroentero- schiedener endokrine Tumoren, multiviszeral. Fami-
pankreatischen neuroendokrinen Tumoren. Altersgip- liäre Disposition. Unterscheidung in MEN I, IIa, IIb
fel um 50 Jahre. (. Tab. 1.32).

Symptomatik. Pathognomonische, oft akral oder perio- Symptomatik. Symptomatik je nach Hormonproduk-
rifizial gelegene Hautveränderungen (Erythema necro- tion.
lyticum migrans) mit Bevorzugung der unteren Körper-
hälfte. Weitere Symptome: Diabetes mellitus, Gewichts- Diagnostik. Hormonuntersuchung, Tumorsuche mit-
verlust bis zur Kachexie, Anämie, Thromboseneigung. tels Bildgebung.

Diagnostik. Labor, Sonographie, CT. Therapie. Chirurgische Resektion bei lokalisiertem


Herd, z. B. Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Intestinum,
Therapie. Radikale Tumorresektion, ggf. – Reduktion Nebenniere. Auch Tumorverkleinerung bei großen Be-
(R1, R2). funden.
1.7 · Viszeralchirurgie
131 1

. Tab.1.32. Multiple endokrine Neoplasien. (Aus Siewert 2006)

MEN I (Wermer-Syndrom) MEN IIa (Sipple-Syndrom) MEN IIb


Erbgang/ AD/MEN-I-Gen AD/RET-Protoonkogen AD oder Neumutation/RET-Pro-
Gendefekt toonkogen
Tumoren pHPT (90–100) MTC (100%) MTC (100%), sehr aggressiv
(Häufigkeit)
NPT (50–70) Phäochromozytom (50%) Phäochromozytome (50%)

Vor allem Gastrinom, Insulinom, pHPT (30–40%) Mukosale Neurome (Lippen, Zun-
nichtfunktionelle PET ge, Wange; 90–100%)

Hypophysenadenom (50%)

Nebennierentumoren (30%)

NET: Thymus, Lunge, Darm (10%)

Multiple Lipome (10–30%)


Stigmata Relativer Kleinwuchs bei Frauen Kein spezifischer Phänotyp Marfanoider Habitus

AD: autosomal-dominant; pHPT: primärer Hyperparathyreoidismus; NPT: neuroendokriner Pankreastumor; NET: neuroen-
dokriner Tumor; MTC: medulläres Schilddrüsenkarzinom

In Kürze

Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltrakts

Karzinoid 4 Symptomatik: meist klinisch stumm (Zufallsbefund nach Appendektomie); sonst Flush,
Hitzewallungen, Übelkeit, Diarrhö, Bauchschmerz, Asthmasymptome, Myokardverän-
derungen, Ileus u. v. a.
4 Diagnostik: Serotoninbestimmung im Serum, 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin. Sono-
graphie, CT, Szintigraphie Abdomen
4 Therapie: konservativ Suppression durch Somatostatinanaloga, Chemotherapie. Ope-
rativ Resektion mit Sicherheitsabstand, ggf. Lymphadenektomie

Insulinom 4 Symptomatik: unspezifische gastrointestinale Beschwerden, C-Peptiderhöhung, Hypo-


glykämie, Adipositas, neurologische Auffälligkeiten
4 Diagnostik: Fastenversuch, Sonographie, CT, Endosonographie
4 Therapie: operative Entfernung per Enukleation, evtl. mit Pankreatikojejunostomie,
Pankreasresektion, Pankreatoduodenektomie bei malignen Tumoren

Glukagonom 4 Symptomatik: akral oder periorifizial gelegene Hautveränderungen (Erythema necroly-


ticum migrans) mit Bevorzugung der unteren Körperhälfte. Weitere Symptome: Diabe-
tes mellitus, Gewichtsverlust bis zur Kachexie, Anämie, Thromboseneigung
4 Diagnostik: Labor, Sonographie, CT
4 Therapie: radikale Tumorresektion, ggf. Reduktion (R1, R2)

Gastrinom 4 Symptomatik: Gastritis/therapierefraktäres Magenulkus, Diarrhö, Reflux (Magensäure-


(Zollinger-Ellison- produktion gesteigert)
Syndrom) 4 Diagnostik: Labor: Gastrinerhöhung, Szintigraphie, Endosonographie, CT, MRT
4 Therapie: radikale Resektion, bei Misserfolg totale Gastrektomie

VIPom 4 Symptomatik: Diarrhö, Hypokaliämie, Exsikkosezeichen, Adynamie, Diabetes


4 Diagnostik: VIP im Serum, Sonographie, CT, MRT
4 Therapie: Somatostatinanaloga, Chemotherapie, Resektion, ggf. radikal
6
132 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Multiple endokrine 4 Symptomatik: je nach Hormonproduktion


Neoplasien 4 Diagnostik: Hormonuntersuchung, Tumorsuche mittels Bildgebung
(MEN I, II) 4 Therapie: chirurgische Resektion bei lokalisiertem Herd, z. B. Schilddrüse, Nebenschild-
drüse, intestinal, Nebenniere

1.7.20 Nebenniere Primäre Nebennierenkarzinome weisen oft keine Hor-


monproduktion auf (7 oben). Sekundäre Tumoren der
Anatomie Nebenniere: Metastasen!
Die Nebennieren (bestehend aus Nebennierenmark und Spätsymptome raumfordernder Prozesse der Ne-
-rinde) liegen kranial der Nierenpole in perirenalem Binde- bennieren: retroperitonealer Schmerz, Hämaturie,
gewebe. Die Blutversorgung erfolgt über die Aa. supra- Fernmetastasen, B-Symptomatik.
renales superiores, mediae und inferiores. Die mittleren
Arterien entspringen direkt aus der Aorta abdominalis, die > Inzidentalome werden inzidentell anlässlich Routine-
oberen aus der A. phrenica inferior, die unteren aus der untersuchungen entdeckt und bleiben asymptoma-
A. renalis (Normvariante). tisch, da sie kein Hormon produzieren.

Epidemiologie. Nebennierentumoren sind häufig. Diagnostik. Hormonanalyse (Serum, Urin), Suppressi-


Rasch an Größe zunehmende Tumoren und Tumoren onstests, Sonographie, Szintigraphie, CT, MRT.
>4 cm gelten grundsätzlich als malignomverdächtig
(7 Innere Medizin, Kap. 8.3.1). ! Cave
Bei arterieller Hypertonie ist die Nebennierenfunktion
Symptomatik. Durch die Hormonwirkung (Aldoste- abzuklären.
ron, Dopamin, Kortisol, Adrenalin, Noradrenalin, Sexu-
alhormone) können je nach Tumortyp folgende Symp- Therapie. Medikamentöse Gegensteuerung/Suppressi-
tome auftreten: on kurzfristig. Endoskopische oder offene, ggf. radikale
4 Arterielle Hypertonie Exzision bei Gutartigkeit Implantation von Nebennie-
4 Arrythmie regewebe in die Armmuskulatur. Bei hochmalignen
4 Adynamie, Diarrhö Tumoren ist zusätzlich die Nephrektomie, ggf. Multivis-
4 Morbus-Cushing-Symptome (Diabetes, Stierna- zeralresektion indiziert.
cken, Stammfettsucht, neurologische Symptome,
arterielle Hypertonie) > Jeder endokrin aktive Tumor und jeder Tumor, der
4 Morbus-Conn-Syndrome (Hypokaliämie, Hyper- malignomverdächtig imponiert, sollte operativ ent-
tonie, Adynamie) fernt werden!
4 Phäochromozytom-Syndrome (arterielle Hypertonie,
Arrythmie, Hyperglykämie, vegetative Symptome)
4 Virilisierung, Femininisierung

In Kürze

Tumoren der Nebenniere

Zysten, benigne Tumoren, 4 Symptomatik: Hormonwirkung, arterielle Hypertonie etc.


Inzidentalom, Adenom 4 Diagnostik: Hormontests, CT, Sonographie, MRT, Szintigraphie
(Conn, Cushing, Ge- 4 Therapie: Operationsindikation: große und symptomatische Tumoren, maligne
schlechtshormonstörung), Tumoren. Operation: endoskopische, minimalinvasive partielle oder totale Ad-
Karzinom und viele andere renalektomie, Lymphadenektomie, bei Gutartigkeit Implantation von Neben-
Entitäten nierengewebe in die Armmuskulatur, bei Malignität evtl. zusätzlich Nephrekto-
mie und/oder multiviszerale Resektion
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
133 1
1.8 Unfallchirurgie/Traumatologie
. Tab. 1.33. Terminologie in der Traumatologie
K.-J. Paquet, U. Fetzner, G. Kraus Terminus Charakteristik

Fissur Riss
1.8.1 Allgemeine Traumatologie
Fraktur Kontinuitätsunterbrechung eines Kno-
chens
1.8.1.1 Einführung, Anamnese, Untersuchung,
Diagnostik Ruptur Riss, Ausriss Sehne/Bandstruktur/Kno-
Einführung chen/Muskulatur

Verletzungen – durch direkte/indirekte Gewalt (Schlag, Kontusion Prellung


Sturz, Schuss, Stich u. v. m.) – des Körpers (Trauma) ge-
Distorsion »Zerrung« von Band-/Kapselstrukturen
hören zu den häufigsten Krankheitsbildern der operati-
ven Fächer. Das Spektrum reicht dabei von harmlosen Luxation »Verrenkung«, »Auskugeln« eines Ge-
Bagatelltraumen bis hin zum Polytraumatisierten, lenkes, d. h. Keine anatomische Positi-
dessen Leben akut bedroht ist. Die Traumatologie (»Ver- on der Gelenkpartner
letzungslehre«) bzw. Unfallchirurgie konzentriert sich Luxations- Luxation mit intraartikulärer Fraktur
überwiegend auf akute Verletzungen des Bewegungsap- fraktur (Gelenkbeteiligung)
parates (Knochen, Gelenke, Bandstrukturen), Wundver-
sorgung und die Betreuung Polytraumatisierter. Die
begleitenden Verletzungen innerer Organe werden in
großen Kliniken interdisziplinär, an peripheren Häu- sen ist eine Anamnese (außer Fremdanamnese) über-
sern durch fundierte Allgemeinchirurgen versorgt. haupt nicht möglich. In jedem Falle erfolgt die
Konzentration auf die effiziente Gewinnung der essen-
Begriffsklärung ziellen Informationen:
Streng genommen ist die »Traumatologie« ein interdiszip- 4 Schmerzen? Lokalisation? Qualität? Intensität?
linäres Feld, an dem Fachärzte aus praktisch allen Bereichen 4 Art des Traumas (Zeitpunkt, Schwere, Unfallher-
beteiligt sein können, während die Unfallchirurgie als Sub- gang)
spezifität der Chirurgie für die Frakturversorgung verstan- 4 Allergien bekannt (Antibiotika, Metalle)?
den wird. Sinnvollerweise wurden kürzlich Unfallchirurgie 4 Grunderkrankungen?
und Orthopädie zu einer gemeinsamen Facharztweiterbil- 4 Infektionserkrankungen?
dung vereinigt. Schwerpunkte liegen bei den unfallchirur- 4 Voroperationen?
gisch orientierten Ärzten mehr in der Behandlung akuter 4 Einnahme gerinnungshemmender Substanzen, an-
Frakturen, bei den Orthopäden mehr der Behandlung de- derer Medikamente?
generativer Krankheitsbilder und systemischen Erkrankun-
gen des Bewegungsapparates. Wichtige Termini der Trau- ! Cave
matologie führt . Tab. 1.33 auf. Bei Verletzungen mit Zerstörung der körperlichen In-
tegrität (Wunde) ist stets an Tetanusinfektionsgefahr
Anamnese denken.
Die Anamnese (siehe auch allg. Prinzipien der Chirur-
gie) oder Fremdanamnese muss aufgrund des Zeitdru- Liegt ein Arbeits-, Schul- oder Wegeunfall vor, ist das
ckes häufig sehr kurz gehalten werden, bei Bewusstlo- sog. BG-Verfahren einzuleiten (. Tab. 1.34).

Durchgangsarztverfahren (D-Arztverfahren)
4 Grundlagen sog. genannten berufsgenossenschaftlichen
– Berufsgenossenschaften sind Träger der gesetz- Heilverfahren ärztlich versorgt. Zur Sicherstel-
lichen Unfallversicherung. lung der Heilbehandlung ist das Durchgangs-
– Gesetzlich unfallversicherte Personen (Arbei- arztverfahren (kurz: D-Arztverfahren) eingeführt
ter, Angestellte, Auszubildende, Beamte), die worden.
einen Arbeitsunfall erlitten haben, werden im
6
134 Kapitel 1 · Chirurgie

1 – Wenn ein Arbeitsunfall zu einer vermutlichen – Ist der erstbehandelnde Arzt kein D-Arzt, muss
Arbeitsunfähigkeit von mindestens einem Tag er unverzüglich (genau wie der Arbeitgeber)
führt, oder die Behandlung vermutlich eine für die Vorstellung des Patienten beim D-Arzt
Woche übersteigt, muss der Arbeitnehmer un- sorgen (Ausnahme: Notfallversorgung).
verzüglich bei einem D-Arzt vorstellig werden – Der D-Arzt entscheidet aufgrund von Art und
(Ausnahme: Notfall). Bei mehreren D-Ärzten am Schwere der Verletzung über die Art der weite-
Ort kann der Unfallversicherte wählen. ren Heilbehandlung (ambulant, stationär,
– Auch eine Wiedererkrankung aus Ursache BG-Verfahren oder hausärztliche/fachärztliche
eines vorausgegangenen Unfalls ist D-Arzt- Weiterbehandlung). Er bestimmt damit den
vorstellungspflichtig. weiterbehandelnden Arzt und das Verfahren
– Die Kosten für das Heilverfahren übernimmt (allgemeines oder besonderes Heilverfahren).
die zuständige Unfallversicherung. Er verfasst einen D-Arztbericht.
4 Durchgangsarzt (D-Arzt) 4 Verletztenartenverfahren
– Bestellung von den Berufsgenossenschaften. – Im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen
– D-Ärzte sind meist Fachärzte für Chirurgie, Heilverfahren gibt es zudem dieses besondere
Orthopädie mit besonderen Kenntnissen auf Verfahren bei Augen-/HNO Verletzungen. Der
dem Gebiet der Unfallmedizin und einer ent- Facharzt, den der Arbeitnehmer ohne Zeitverlust
sprechenden Erreichbarkeit/Bereitschaft aufsuchen muss, entscheidet über die weitere
und Praxisausstattung (Operation, Röntgen). Behandlung. Die Behandlung erfolgt meist in
Sie werden von den Unfallversicherungen zugelassenen Krankenhäusern.
bestellt.

! Cave 4 Neurostatus (Pupillen, Hirndruckzeichen)


Ein Verdacht auf Berufskrankheiten hat nichts mit D- 4 Periphere Pulse/Durchblutung
Arztverfahren zu tun. 4 Stabilität des Bewegungsapparates (Instabilitäten,
Krepitationen)
Untersuchung 4 Grobe neurologische periphere Untersuchung:
Die klinische Untersuchung schwerst Verletzter erfolgt Sensibilität, Motorik (Kraftgrade)
in einem sog. Schockraum, der strategisch günstig im 4 Deformitäten des Bewegungsapparates?
Bereich Notfallanlieferung, Operationssäle, Intensivsta- 4 Schwellungen (Erguss, Hämatom, Ödem, Muskel-
tion liegt. An modernen Kliniken ist er mit allen für abrisse), Schmerzangaben
akute Diagnostik (z. B. CT) und Intervention (Instru- 4 Funktionsprüfung aller Gelenke nach der Neutral-
mentarium, Defibrillator, Medikamente) nötigen Appa- Null-Methode (Ausmaß)
raten versehen. Jeder schwer verunfallte Patient sollte 4 Operationsnarben?
grundsätzlich komplett entkleidet und von allen Seiten 4 Ggf. Längen-/Umfangsmessung (Standardisierte
inspiziert werden. Inspektion, Auskultation, Perkussion, Messpunkte)
Palpation, Funktionsuntersuchung. Leichter Verletzte 4 Falls möglich: Stand-/Ganguntersuchung (Becken-
werden üblicherweise in geringer ausgestatteten Am- schiefstand, Hinken)
bulanzräumen versorgt.
> Zur Beurteilung des Bewusstseinsgrades dient die
! Cave Glasgow-Coma-Scale (7 Anästhesie und Intensiv-
Eine gründliche Untersuchung ist nötig; gerade bei medizin, Kap. 2.2.1). Geprüft werden: Augen öffnen,
»eindeutigen Verletzungen« können schwere Begleit- Motorik, verbale Reaktion.
traumata übersehen werden.
Diagnostik
Zur Untersuchung traumatisierter Patienten gehören Untersuchung mittels technischer Verfahren
folgende Schritte: ! Cave
4 Vitalfunktionsuntersuchung (Atmung, Bewusst- Von jedem bewusstlosen Traumatisierten (ab einem
sein, Zirkulation) gewissen Schweregrad) muss ein Röntgenbild/CT
4 Wunden?, Blutungen (äußere, innere) z. B. klinisch, von Schädel, Thorax, Wirbelsäule, Becken vorliegen.
Sonographie
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
135 1

Folgende bildgebende bzw. weiterführende Diagnostika durch direktes/indirektes Trauma. Zu einer Fraktur
kommen zum Einsatz: kommt es, wenn die Elastizitätsgrenze des Knochens
4 Konventionelles Röntgen in 2 Ebenen und mit an- überschritten wird. Bei der traumatischen Fraktur
grenzenden Gelenken bereits bei Verdacht auf liegt ein adäquates direktes (z. B. Schlag) oder indirek-
Fraktur! (Spezielle Aufnahmetechniken (gehaltene tes (z. B. Biegung, Stauchung, Torsion, . Tab. 1.34) Trau-
Aufnahmen, Schrägstellungen) ma vor, das zum Bruch des zuvor gesunden Knochens
4 CT (Überlegenes Verfahren für Knochendiagnos- führt. Die pathologische oder Spontanfraktur findet
tik) dreidimensionale Rekonstruktion zur besseren am zuvor pathologisch veränderten Knochen (Tumor,
Darstellung von komplexen Frakturen (z. B. Trüm- Entzündung, generalisierte/lokale Knochenerkran-
merfrakturen) und Therapieplanung kung) ohne adäquates Trauma statt. Durch chronische
4 Magnetresonanztomographie (überlegenes Ver- Überlastung kann es durch Mikrotraumen auch zur
fahren für Weichteildiagnostik) sog. Ermüdungsfraktur kommen. Beispiel: Marsch-
4 Sonographie (z. B. bei Verdacht auf abdominelle fraktur der (vorwiegend 2. und 3.) Metatarsalia nach
Blutung/Perforation, Organläsion etc.), Farbdup- langen Märschen (Soldaten) oder bei Joggern.
lex (v. a. bei Thrombosen, Gefäßbeteiligung) Eine nicht vollständige Kontinuitätsunterbrechung
4 Angiographie (z. B. bei Verdacht auf Gefäßbeteili- des Knochens liegt bei einer Knochenfissur (»Riss«)
gung), zunehmend verdrängt durch MRT, Farb- oder Infraktion (Spaltbildung) vor.
duplex und für Notfalldiagnostik zu langsam Vergleichbar mit dem Brechen eines grünen Zweigs
4 Arthroskopie (Knorpelschäden, Bandverletzung), bleibt beim kindlichen Röhrenknochen häufig der elas-
Gewinnung von Gelenkerguss durch sterile diag- tische »Periostschlauch« erhalten; man spricht dann
nostische/therapeutische Punktion (Blut, serös, eit- von Grünholzfraktur (subperiostale Fraktur): keine
rig, »Fettaugen«). Strenge Indikation! Infektgefahr! Dislokation, schwierige radiologische Diagnostik.
Ein Problem stellen Frakturen mit Einbeziehung
! Cave der juvenilen Epiphysen dar. Von einfacher Epiphy-
In weniger als 1 min kann ein CT von Kopf bis Fuß senlösung (konservative Behandlung) über Einbezie-
durchgeführt werden (Spiral-CT). Im Kindesalter und hung der Epiphyse in die Fraktur (operative Versor-
bei Gravidität aber strengste Indikationsstellung für gung) bis hin zum so genannten »Crush-Trauma«
strahlenbelastende Diagnostik. (Epiphyse durch Stauchung zerstört: Längenwachs-
tumsstopp). In jedem Fall besteht die Gefahr von
1.8.1.2 Allgemeine Frakturenlehre Wachstumsstörungen des betroffenen Knochens.
Definition, Frakturformen, Diagnostik, Ist die Haut über der Fraktur intakt, spricht man
Frakturheilung von einer geschlossenen Fraktur. Ist sie von Knochen
Frakturfomen »durchspießt« oder liegt das Knochenfragment durch
Definition. Unter einer Fraktur versteht man die voll- äußere Gewalt frei, von einer offenen Fraktur (Infekt-
ständige Kontinuitätsunterbrechung des Knochens gefahr!).

Geschlossene Fraktur (nach Siewert 2007)


4 Definition: intakte Haut über dem Knochen- kutanes Décollement (sog. Déglovement), Kom-
bruch partmentsyndrom in Kombination mit allen
4 Einteilung: nach Tscherne und Oestern in Bruchformen
– G0: geringer Weichteilschaden – einfache
Bruchform Offene Frakturen (nach Siewert 2007)
– G1: oberflächliche Schürfung – einfache bis 4 Definition: Haut über der Fraktur eröffnet
mittelschwere Bruchform 4 Einteilung: nach Gustilo und Anderson in
– G2: tiefe kontaminierte Schürfung, lokalisierte – Grad I: Hautwunde <1 cm, Durchspießung von
Haut- oder Muskelkontusion – alle Bruchfor- innen zum Unfallzeitpunkt, geringe Muskelkon-
men tusion, einfache Frakturform
– G3: ausgedehnte Hautkontusion, Hautquet- – Grad II: Wunde >1 cm; ausgedehnter Weichteil-
schung oder Zerstörung der Muskulatur, sub- schaden mit Lappenausbildung und Décolle-
ment, schwere Muskelkontusion
6
136 Kapitel 1 · Chirurgie

1 – Grad III: ausgedehnter Weichteilschaden mit – IIIb: schwerer Weichteilschaden mit freiliegen-
Zerstörung von Haut, Muskulatur und neuro- dem Knochengewebe Deperiostierung
vaskulären Strukturen, schwere Gewebequet- – IIIc: alle oben genannten Frakturformen mit ei-
schung ner rekonstruktionspflichtigen Gefäß- und Ner-
– IIIa: ausgedehnte Weichteilwunden mit noch venverletzung
adäquater Bedeckung des Knochens

> Offene Frakturen werden nach den zunehmenden ! Cave


Schweregraden I–III, geschlossene nach den Schwe- Geschlossene Frakturen sind keinesfalls »harmlos«.
regraden G0–G3 klassifiziert. Zur Beurteilung zählt Sie bergen im Gegenteil die Gefahr, dass massive in-
der Schaden an den Weichteilen (Haut, Muskulatur, nere Weichteilschäden übersehen werden.
Sehnen, Gefäße, Nerven).

. Tab. 1.34. Klassifizierung der Frakturen nach der Art der Gewalteinwirkung

Frakturtyp Charakteristika Beispiel

Torsionsfraktur Durch Drehung des an einer Stelle fixierten Komplette Unterschenkelfraktur des Ski-
Knochens kommt es zur Fraktur. Ausbildung fahrers
einer spiralförmigen Frakturlinie

Biegungsfraktur Fraktur durch Zug auf der einen und Druck auf Schlag auf die Tibia
der gegenüberliegenden Seite: Ausbildung ei-
nes Biegungskeils

Trümmerfraktur 5 (Mehrfragmentfraktur) und mehr Fragmente Impression des Armaturenbrettes auf die
(Trümmerfraktur) Tibia bei Frontalunfall

Kompressionsfraktur Stauchung in Längsachse des Knochens Wirbelkörperkompressionsfraktur bei Sturz


(Stauchungsfraktur) aus großer Höhe

Abscherfraktur Glatte, quere Frakturlinie bei direktem Trauma Sturz mit Fraktur des Oberschenkelhalses
(Klassifikation nach Pauwels)

Etagenfraktur Mehrfachfraktur an einem Knochen mit da- Etagenfraktur der Tibia bei Stoßstangen-
zwischen liegenden intakten größeren Frag- anprall. Mehretagenfraktur, z. B. Fuß-Unter-
menten schenkel-Patella-Femur-Azetabulum

Serienfraktur Folge von Frakturen an einer Extremität oder


auch die sog. Rippenserienfraktur

Defektfraktur Zerstörung des Knochens über eine Trümmer- Schussverletzung


fraktur hinaus

Luxationsfraktur Fraktur und Luxation an einem Gelenk, meist Knie- und Sprunggelenksluxation
mit Kapsel-, Band-, oft auch mit Gefäß- und (OSG-Luxation)
Nervenbeteiligung

Frakturen mit Epiphy- Zum Beispiel Aitken-Fraktur (Klassifikation


senbeteiligung nach metaphysärem Fragment (Typ I), epi-
physärem Fragment (Typ II) oder Kombinatio-
nen von beidem (Typ III)

Abrissfraktur Abriss eines Knochenfragments durch Seh- Fraktur der Patella durch Muskelzug,
nen-/Muskelzug Knöcherner Kreuzbandausriss
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
137 1

Unter einer Dislokation versteht man eine Verschiebung Komplikationen der Fraktur
(traumatisch: Muskelzug der Knochenfragmente entge- Von der Fraktur abgesehen kann es durch die Fraktur
gen der normalen Anatomie), was häufig vorkommt. oder durch das ursächliche Trauma zu erheblichen Be-
gleitverletzungen (Organ-, Arterien-, Nerven-, Mus-
Formen der Dislokation kel-, Haut-, Sehnen-, Band- und Knorpelläsionen), aber
Man unterscheidet die Dislocatio »ad axim« (Achsenknick), auch zu typischen Frakturfolgen (Kompartmentsyn-
»ad latus« (Verschiebung zur Seite), »ad peripheriam« (Tor- drom, Hämatom und Blutverlust, Fettembolie) kom-
sion), »ad longitudinem cum distractione« (Verlängerung men. Das Fettembolierisiko ist insbesondere bei Frak-
in Achsenrichtung) oder »ad longitudinem cum contractio- tur großer Röhrenknochen und des Beckens gegeben,
ne« (Stauchung in Achsenrichtung). eine Luftembolie kann z. B. bei einer Klavikulafraktur
auftreten (. Tab. 1.35). Die Emboli können zu einem
Nach der AO-Klassifikation unterscheidet man fol- Gefäßverschluss in Lunge oder Gehirn führen. Infekti-
gende Frakturformen: onsrisiko besteht bei offenen Frakturen und iatrogen
4 A-Frakturen: einfache Fraktur und/oder extraarti- bei der konservativen (Zugdrahtextension) oder opera-
kulär tiven Frakturversorgung.
4 B-Frakturen: Frakturen mit Biegungskeil und/oder
partiell artikulär > Der Blutverlust durch eine Fraktur des gut perfun-
4 C-Frakturen: Trümmerfrakturen und/oder intra- dierten Knochens beträgt zwischen 50 ml (einfache
artikulär Radiusfraktur) und 5 l (komplizierte Beckenfraktur,
starke Blutung aus venösen Plexus). Unter Umstän-
Klinik, Diagnostik der Fraktur den besteht die Gefahr eines massiven Schocks.
Symptomatik. Klinisch unterscheidet man sichere
Frakturzeichen (Deformität/Fehlstellung, Knochenk- Kompartmentsyndrom
repitation, abnorme Mobilität, offene Fraktur) von Posttraumatisches Kompartmentsyndrom. Ischämi-
unsicheren Frakturzeichen (Schmerz, Functio laesa, sche Muskelnekrose (und Nervenkompression) durch
Schwellung, Hämatom). Druckanstieg (Blutungen, Ödembildung, Thrombose,
komprimierende Verbände) in den derben Muskellogen
! Cave >25–40 mmHg und konsekutive Perfusionsstörung. Die
Klinisch muss bei Frakturverdacht stets die arterielle Gefahr besteht insbesondere bei Frakturen der unteren
Perfusion (Durchblutung), Motorik und Sensibilität Extremität im Unterschenkel (wegen des dünnen Weich-
geprüft werden (»DMS«). teilmantels), seltener am Unterarm: »Volkmann-Kon-
traktur«. Als Folge können sich irreversible sensible und
Diagnostik. Bereits bei Verdacht auf Fraktur ist eine tech- motorische Ausfälle, Muskelkontrakturen oder gar ein
nisch-diagnostische Abklärung indiziert: Röntgen in Nieren- (Crush-Niere) und Multiorganversagen durch
2 Ebenen, Zielaufnahmen, evtl. CT. Benachbarte Ge- Rhabdomyolyse entwickeln. Je länger die Druckerhö-
lenke müssen in die Bildgebung mit einbezogen werden. hung besteht, desto größer Wahrscheinlichkeit irrever-
sibler Muskelnekrosen und neurologischer Ausfälle.
> Im Kindesalter ist die radiologische Frakturdiagnostik Besonders problematisch ist das Auftreten des
sehr anspruchsvoll (Ossifikation noch nicht abge- Kompartmentsyndroms unter Bewusstlosigkeit, ohne
schlossen, Gefahr des Übersehens von Epiphysenbe- dass die Betroffenen also ihre Schmerzen angeben. Der
teiligungen). Im Kleinkindalter kann die Sonographie Schmerz gilt als therapieresistent. Bei Verdacht
indirekte Frakturhinweise geben (Hämatom). (Schwellung, »harte Loge«, Sensibilitätsausfälle, Druck-

. Tab.1.35. Luftembolie – z. B. bei Fraktur der Klavikula

Definition Ätiopathogenese Symptomatik Therapie

Eindringen von Luft in Verletzung des Venensystems oberhalb Zyanose, Stop der Luftzufuhr (Naht,
großen/kleinen Kreislauf Herzniveau. Über 50 ml Luft gelten bei Dyspnoe, Klemme, Verschluss), O2-
mit folgender Embolie ei- schnellem Eintritt als potentiell gefähr- Thoraxschmerz, Gabe, Linksseitenlage,
nes kapillären Stromge- lich. Iatrogen (Zugänge), Trauma (Frak- Bewusstseins- Kopftieflage, symptomati-
bietes, Perfusionsausfall tur z. B. Klavikula in Nähe V. subclavia) störung sches Vorgehen
138 Kapitel 1 · Chirurgie

dolenz, analgetikaresistenter Ruheschmerz) ist eine > 4 Hyperthroph: vermehrte Kallusbildung bei
1 kontinuierliche invasive Druckmessung (Piezotechnik) schlechter Ruhigstellung
angezeigt. Wichtig ist es weiterhin Verbände zu lockern, 4 Athroph/Hypothroph: verminderte Kallusbil-
die Extremität hochzulagern, zu kühlen und die Indika- dung bei schlechter Durchblutung
tion zur Faszienspaltung zu überdenken.
Im Alter und bei Vorliegen zahlreicher Grunderkran-
! Cave kungen (Osteoporose, Immunsuppression, Diabetes
Bei einem Kompartmentsyndroms ist die sofortige etc.) heilen Frakturen langsamer; auch Glukokortiko-
Fasziotomie aller betroffenen Muskellogen (meist Ti- ideinnahme kann die Frakturheilung verzögern. Auch
bialis-anterior-Loge) notwendig. bei Para- und Tetraplegikern ist mit verzögerter knö-
cherner Konsolidierung zu rechnen (fehlende Stimulie-
Ein Kompartmentsyndrom kann nicht nur bei Frakturen rung, Inaktivitätsosteoporose).
auftreten, sondern auch durch lange Märsche, zu feste Nicht selten muss eine Pseudarthrose erneut (oder
Verbände, (Gipsverband), Fasciitis necroticans oder sehr erstmals), ggf. nach vorheriger »Anfrischung« der Frag-
selten nach venenchirurgischen Eingriffen am Bein. mente, osteosynthetisch adaptiert werden.

Physiologie und Pathophysiologie der Morbus Sudeck, »Reflexdystrophie«


Frakturheilung Posttraumatische Dystrophie (v. a. an der Hand auftretend)
Frakturheilung unklarer (vermutlich neurovegetative und vaskuläre Dysre-
Damit eine Fraktur heilen (endostale, periostale oder gulation) Genese. Die Erkrankung verläuft über viele Wo-
Haverssche Knochenneubildung) kann, müssen gewis- chen in 3 Stadien (Entzündung, Dystrophie, Atrophie).
se Bedingungen erfüllt sein: Zu Beginn zeigen sich Schmerz, Entzündungszeichen,
4 Kontakt der Fragmente Schwellung und Schweißproduktion, dann zunehmende
4 Ruhigstellung der Fragmente Schmerzfreiheit, jedoch atrophische Veränderungen (»blas-
4 Gute Perfusion des umgebenden Weichteilmantels se bis livide, dünne, kühle Hand«). Das Endstadium sind
4 Weitestgehende Infektfreiheit der Knochenfrag- versteifte Gelenke, manifeste Osteoporose, atrophische
mente und des Weichteilmantels Haut und Muskulatur.
Man hofft, durch Vermeidung unnötiger Traumatisie-
Die verschiedenen Formen der Frakturheilung sind in rungen bei Reposition und Osteosynthese sowie durch
. Tab. 1.36 aufgeführt. Zu der primären Frakturhei- Frühbehandlung der Stadien I/II (Ruhigstellung, physikali-
lungsform kann es streng genommen nur bei osteosyn- sche Therapie, Analgetika, nichtsteroidale Antiphlogistika,
thetischer Versorgung der Fraktur kommen. Kortisongabe, Kalzitonin) und Frühmobilisation die Rate
der Dystrophie M. Sudeck senken zu können.
Frakturheilungsstörungen
Ist die Frakturheilung gestört, weil obige Bedingungen Frakturversorgung
nicht zutreffen, kommt es zu verzögerter Frakturheilung Prinzipien
(über 4–6 Monate) oder zur Ausbildung einer (hyper- Es stehen konservative und operative Therapieformen
trophen oder atrophen/hypothrophen) Pseudarthrose zur Verfügung. Wann welches Prinzip zur Anwendung
(Fractura non sanata) mit abnormer Beweglichkeit. kommt, wird individuell erwogen (Fraktursituation,

. Tab.1.36. Frakturheilungsformen

Frakturheilungsform Charakteristik

Primäre Frakturheilung Bei stetem und direktem Kontakt der Frakturflächen oder gar Kompression: Heilung durch
direkt die Läsion primär überbrückende Osteoblasten, später Osteone

Sekundäre Frakturhei- Bei geringem Spalt zwischen den Fragmenten bildet sich dort zunächst ein minderwerti-
lung ger Geflechtknochen, der erst sekundär in Lamellenknochen umgewandelt wird. Ist der
Spalt noch breiter (einige Millimeter) entsteht aus dem sich dort sammelnden Hämatom
zunächst ein bindegewebiger »Kallus« (fibroblastenreiches Granulationsgewebe), aus die-
sem entsteht weiter Geflechtknochen und schließlich sekundär Lamellenknochen
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
139 1

Alter, Patientenwunsch, Begleit- und Grunderkrankun- die Ruhigstellung zeitlich kürzer ist und kaum negative
gen, Dringlichkeit, vitale Gefährdung u. v. m.). Effekte auf die Weichteile hat. Insbesondere beim Er-
In jedem Falle muss die Fraktur zunächst wieder wachsenen kommt der funktionellen Nachbehandlung
anatomisch eingestellt (Reposition) und ruhiggestellt (Rehabilitation) erhebliche Bedeutung zu.
(Fixation, auch gelenkübergreifend) werden. Nach
Abschluss der Knochenheilung muss die Funktionali- ! Cave
tät der Nachbargelenke wieder hergestellt werden (Phy- Keine Ruhigstellung der unteren Extremität oder
siotherapie, Ergotherapie). Bettruhe ohne Antikoagulation (Heparin, Kompressi-
Die manuelle Reposition muss schnell, schonend onsstrümpfe).
(Unfallort, unter Durchleuchtung in Klinik) erfolgen,
um Weichteile, Gefäße und Nerven zu schonen und Se- Ruhigstellende Verbände. Nicht nur zur Frakturhei-
kundärschäden zu vermeiden. Auf ausreichende Anal- lung (z. B. auch Entzündungen, Weichteilschäden, Ge-
gesie oder Narkose (Allgemein-, Regional, Frakturspalt- lenkschonungen) müssen Extremitäten, HWS, Rumpf
anästhesie) ist zu achten. Unter Zug mit Gegenzug und ruhiggestellt/fixiert werden. Mit Gips lassen sich nicht
seitlichem lokalen Druck wird versucht, die Fragmente nur die Extremitäten ummodellieren, sondern auch in-
rotations-, achsengerecht und unter Kontakterhalt der dividuelle Schienen formen. Weitere genutzte Materia-
Fragmente einzustellen. Zur Reposition können auch lien sind: Kunststoffe, Metall, elastische Binden, Pflaster,
Muskelrelaxanzien verabreicht werden. Luftkammern. Ruhigstellende Verbände, selbst Gips-
Die Reposition kann auch offen, d. h. operativ erfol- verbände bieten immer noch Bewegungsspielraum und
gen, insbesondere, wenn durch die geschlossene, manu- sind daher einer »inneren« Fixation (z. B. Osteosynthe-
elle Reposition keine befriedigende Einstellung erreicht se) meist unterlegen.
werden kann.
Gelegentlich kann bei stabilen Frakturen auf eine > In der Regel erfolgt bei Frakturen die Ruhigstellung
Reposition verzichtet werden: stabile, eingestauchte der angrenzenden Gelenke.
Frakturen (z. B. mediale Schenkelhalsfraktur).
Gips-/Cast-Fixation. Gips ist ein harte, unelastische
> 3 Säulen der Frakturbehandlung: Reposition, Fixation, Substanz. Mittels Gipsbandagen (Longuetten, Binden)
Wiederherstellung der Funktionalität oder modernerem »Cast«-Material (Kunststoff) werden
die Frakturregion und angrenzende Gelenke ruhigge-
Konservative Frakturversorgung stellt. Die betreffende Extremität sollte in »Funktions-
Die Vorteile der konservativen Behandlung (Ruhigstel- stellung« (z. B. leichte Beugung der Langfinger) ban-
lung 3–15 Wochen) liegen im fehlenden Operations- dagiert werden. Sorgfältige Polsterung (Stoffstrumpf
und Narkoserisiko, und es besteht keine Infektgefahr – Watte – Krepppapier – Gips/Kunststoff) zumindest
(Ausnahme Extensionsdrähte). Allerdings kommt das knöcherner »Druckpunkte« ist wichtig. Man unter-
Verfahren auch nur für einfache, wenig dislozierte, scheidet den geschlossenen Gipsverband und den of-
nach Reposition gut stehende und geschlossene Frak- fenen, bandagierten. Die Übergänge sind fließend zur
turen in Frage, da die Weichteile sich hier der Inspekti- Gipsschiene (Unterarm, untere Extremität etc.).
on und Therapie entziehen. Die Immobilisierung birgt Es ist ein Behandlungsfehler, bei frischer Fraktur
folgende Gefahren: einen geschlossenen, zirkulären Gipsverband anzule-
4 Dekubitus/Druckschäden (Haut, Muskulatur, Ner- gen. Es besteht dann die Gefahr von Druckanstieg durch
ven – engmaschige Verbandskontrolle!) Schwellung: Durchblutungsstörungen, Nervenschäden,
4 Reversibler/irreversibler Funktionsverlust (Mus- Drucknekrosen (Kompartmentsyndrom). Indiziert ist
kel-, Knochen-, Knorpel-, Kapselatrophie) die Längsspaltung des Gipses und (lockeres) Umwickeln
4 Thromboembolie (cave u. U. Antikoagulation, He- mit einer elastischen Bandage. Erst nach Abschwellen
parinisierung nötig) sollte ein geschlossener Gips angewandt werden.
4 Bei Extensionsbehandlung auch Pneumonie
(Atemtherapie!) > Ruhigstellung, Kühlung, Hochlagern lindert Schmerz,
fördert Schwellungsrückgang – erst dann darf ein
Zudem können die Fragmente nicht derart anatomisch zirkulärer Gipsverband angelegt werden.
korrekt und gar unter Druck wie bei der Osteosynthese
adaptiert werden. Im Kindesalter werden Frakturen sehr Selten müssen Gipskonstruktionen Kräfte an Extremi-
häufig konservativ behandelt, da eine nicht optimale tätenabschnitten überbrücken (Gehgipse mit Belastung
Reposition später »ausheilt« (sich selbst korrigiert) und des Unterschenkels etc.).
140 Kapitel 1 · Chirurgie

Als Standard gilt: Einen Tag nach Anlage erfolgt Von der gefährlichen Seite zur ungefährlichen Seite,
1 erneute Kontrolle der Perfusion, Sensibilität, Motorik (z. B. von Fibula nach Tibia) oder auch einer Bohrloch-
und Schmerzfreiheit. osteitis kommen. Beispiele sind: Femurfraktur (Stein-
mann-Nagel durch Tuberositas tibiae oder supra-
! Cave kondylär) und Unterschenkelfraktur (Kirschner-Draht
Beschwerden des Patienten mit Gips sind immer durch Kalkaneus), HWS-Fraktur (»Crutchfield-Exten-
ernst zu nehmen: Gipsabnahme, Kontrolle auf Druck- sion« an Schädelkalotte).
stellen, Wunden etc. (Gefahr des Kompartmentsyn-
droms). Weitere häufig verwendete ruhigstellende Verbände,
Schienen. Es gibt eine Vielzahl an standardisierten und
Die Entwicklung der noch teureren Kunststoffmate- bereits fertig im Handel erhältlicher Verbandtechniken,
rialen (thermoplastisch, Glasfaser, Polyester mit Poly- wovon nur eine Auswahl Erwähnung finden kann
propylen) verläuft rasch und verdrängt immer mehr (. Tab. 1.37). Seit Osteosynthesetechniken weite Ver-
den Gipsverband. Eindeutige Vorteile sind bessere breitung gefunden haben, verlieren sie mehr und mehr
Röntgenstrahlungsdurchlässigkeit, Wasserresistenz an Bedeutung. Einfache Dreiecktücher, Bindetechniken
und geringeres Gewicht. werden hier nicht dargestellt.

Extensions(streck)verband. Heute wird ein solcher Operative Frakturversorgung


Verband nur noch selten und dann häufig nur präope- Schlecht reponible Frakturen, multiple Frakturen,
rativ oder kurzfristig bei Frakturen mit Dislokations- (komplizierte) offene Frakturen, Frakturen mit Epi-
neigung (Instabilität, Muskelzug) angewandt. Mittels physenbeteiligung im Kindesalter, komplizierte ge-
permanentem Extensionszug erfolgt in einem Schritt schlossene Frakturen, Gelenkbeteiligung, Frakturhei-
die Reposition und Fixation. Mit invasiv aseptisch ossär lungsstörungen, sowie bei Verdacht auf Nerv- und Ge-
in Lokalanästhesie eingebrachtem Material wird das fäßbeteiligung müssen operativ versorgt werden. Die
distale Fragment sicher gefasst (Steinmann-Nagel, Adaptation und Fixation der Fragmente mittels Im-
Kirschner-Draht, Crutchfield-Klammer), bei Kleinkin- plantaten (Nägeln, Platten, Schrauben, Drähten etc.)
dern können Klebe-/Pflasterverbände (Femurfraktur) bezeichnet man als Osteosynthese.
ausreichen. Der Zug erfolgt mittels Schienen, Bügeln,
Gestängen und Extensionsgewichten. ! Cave
Der Extensionsverband wird nach einigen Wochen Die primäre operative Versorgung sollte binnen 6–
durch einen Gipsverband ersetzt. Engmaschige klini- 10 h nach Fraktur erfolgen. Die allgemeine Operabili-
sche und Röntgenkontrolle sind während Extension tät muss gegeben sein. Gelingt dies in der Zeitspanne
wichtig. Als Komplikation kann es zur Verletzung von nicht, wird es u. U. nötig, mehrere Tage zu warten
Gefäßen und/oder Nerven bei falscher Bohrung (Regel: (Abschwellen!)

. Tab.1.37. Häufig Anwendung findende ruhigstellende Verbände

Verband/Verfahren Material

Schanz-Krawatte, HWS-Stütze (z. B. »stiffneck«), Stoff, Gewebe, Kunststoff


»harter Kragen« bei HWS-Trauma

Schienen z. B. bei OSG-Distorsion Kunststoff, Metall, luftgekammert (z. B. Aircast), Gips

Dachziegelverband z. B. einer Fußzehe Pflasterstreifen, Tape

»Taping« z. B. des oberen Sprunggelenkes Festes Klebeband

Desault-Verband z. B. bei Schulterluxation Elastische Binden, Watte

Gilchrist-Verband z. B. bei Schultertrauma Textilstrumpf

Rucksackverband z. B. bei Schlüsselbeinfraktur Stofftouren

Bettschienen z. B. Volkmann, Braun Stoff, Binden, Metall, Kunststoff


1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
141 1

Die Vorteile liegen in der optimalen anatomischen Re- (z. B. Glassplitter) sehr wichtig (Infektgefahr). Gewebs-
position, Kompression der Fragmente (und damit be- schonung und subtile Blutstillung lauten die beiden wei-
schleunigter primärer Frakturheilung), der sofortigen teren Leitlinien in der Osteochirurgie. Bei komplizierten
Stabilität (Lagerungs-, Übungs- oder gar teil- oder voll- Frakturen geht der Osteosynthese die Versorgung von
belastungsstabil) und damit schnellen Mobilisierung, Gefäß-, Nervenläsionen voraus. Einen Überblick über die
später geringere Arthrosegefahr durch optimale Re- verschiedenen Osteosyntheseverfahren gibt . Tab. 1.38.
konstruktion! Eine Entfernung des Osteosynthesematerials kann
Nachteile sind die potenzielle Infektgefahr von nach 3 Monaten bis 2 Jahren (sehr seltene Gefahr einer
Knochen und Weichteilen (lokaler Infekt im Operati- »Metallose«) erfolgen, abhängig von operationsspezifi-
onsgebiet u. U. Kontraindikation, hier Fixteur externe), schen und individuellen Faktoren. Bei sehr alten Men-
Fettemboliegefahr und allgemeine Operationsrisiken. schen oder riskanten Eingriffen (Densschraube) ver-
bleiben sie grundsätzlich im Körper. Spickdrähte kön-
! Cave nen evtl. bereits nach 3–6 Wochen entfernt werden;
Streng aseptische Operationsbedingungen in der Os- generell ist nach Explantation zur Vermeidung von Re-
teochirurgie, eventuell spezielle Operationsräume. frakturen eine Belastungsreduktion für ca. 4 Wochen
erforderlich.
Durchführung der Osteosynthese. Nach einem Haut-
schnitt wird die Muskulatur über der Fraktur verdrängt. Sonderformen der Osteosynthese. Drahtzuggur-
Danach ist die sorgfältige Entfernung nekrotischer und tungsosteosynthese in »Achtertouren« mittels Zer-
verschmutzter (bei offenen Frakturen) Areale, des Frak- klage (z. B. Olekranon- oder Patellafraktur) und vorher
turhämatoms und evtl. eingedrungener Fremdkörper eingebrachte Spickdrähte. Zahlreiche Spezialkonstruk-

. Tab. 1.38. Osteosyntheseverfahren

Verfahren Prinzip Material Besonderheiten

Marknägel Intramedulläre »Schienung«. Einschla- Verriegelungsnägel (zusätzliche Gedeckte (Schnitt


gen der Nägel in den Markraum, evtl. Schrauben distal/proximal der nur proximal/dis-
nach vorherigem Aufbohren (aufge- Fraktur). Unaufgebohrter, aufge- tal der Fraktur)
bohrter Marknagel) bohrter Marknagel (Kürschner-, oder offene
Gamma-, AO-Nagel). Bündelnägel (Schnitt auch
(mehrere dünne Marknägel in über Frakturge-
einer Markloge). Nur sog. »Nancy- biet) Marknage-
Nägel« bei Kindern! lung

Schrauben- Adaptation und Kompression von Frag- Kortikalisschraube mit durchge-


osteosynthese menten. Meist Kombination mit Platten- hendem Gewinde (muss vorge-
osteosynthese bohrt werden), Spongiosaschrau-
be ohne durchgehendes Gewinde

Plattenosteo- Biomechanisches Prinzip der Zuggurtung. Gerade Platten, Winkelplatten,


synthese Platte übernimmt über Frakturregion DC-Platte (dynamische Kompres-
hinweg Zug und Druck. Kompression sion, exzentrische Löcher)
der Fraktur. Viele spezielle Plattenformen Transitorischer Plattenspanner
(Neutralisations-, Abstütz-, Kompressions- zum Erzeugen von Fragmentkom-
und Rekonstruktionsplatten pression

Spickdraht- Perkutanes Einbringen von Bohrdrähten Einfache, gekreuzte Kirschner-


osteosynthese (Stifte) Drähte

Fixateur Ein risikoarmes, infektminimierendes Steinmann-Nägel oder Schanz- Zur Prophylaxe


externe und v. a. gewebeschonendes Verfahren Schrauben, Konnektionsrohre einer Pin-track-
(. Abb. 1.44) für komplizierte und v. a. komplizierte und Bügel/Ring aus Stahl, Karbon. Infektion (Bohr-
und offene Frakturen. Einbringen von Fixateur externe, interne (Material loch-Osteitis) täg-
Schrauben proximal und distal der Frak- komplett unter der Haut, z. B. liche Pin-Desin-
tur, Konnektion dieser durch Konstruktion BWS, LWS bei Spondylodesen) fektion wichtig!
142 Kapitel 1 · Chirurgie

1
. Abb. 1.44. Fixateur
externe. (Aus Siewert
2006) (7 Farbtafelteil)

tionen, dynamische Hüftschraube (pertrochantäre onen sind größere Defekte, schlecht perfundierte Frag-
Femurfraktur), dynamische Kondylenschraube etc. mente, aber auch Frakturheilungsstörungen (z. B. Pseu-
Resorbierbare Schrauben (Polidioxanon) bei Spezialin- doarthrose) und spezielle Indikationen (Fusionierun-
dikationen (z. B. Kreuzbandrekonstruktion). Verbund- gen etc.). Das Transplantat wird in Form von kleinen
osteosynthese: Osteosynthese in Kombination (»Ver- Fragmenten (Mörser) in die Defektregion eingebracht.
bund«) mit einer Defektfüllung mit Knochenzement,
z. B. bei Defektfrakturen oder pathologischen Frakturen. Funktionelle Wiederherstellung
Verlängerungsosteosynthesen (Knochendurchtrennung Postoperativ sind folgende Maßnahmen zur Wieder-
und tägliche Distraktion mittels Spezialfixateur (Ilizarov) herstellung der Funktion indiziert:
um 1 mm) zum Gewinnen von Substanz bei großen 4 Sofortige Physiotherapie, insbesondere bei Bettlä-
Defekten, zur Korrektur von Beinverkürzungen. gerigkeit (Atemübungen, Bewegung aller nicht ru-
higgestellten Gelenke)
Endoprothetik. Bei manchen Frakturformen (kompli- 4 Physiotherapie, Wiederherstellung der Funktion
zierte Frakturen mit Gelenkbeteiligung und in Abhän- der verletzten Extremität nach Entfernung des
gigkeit vom Lebensalter des Patienten (z. B. Schenkel- Gipsverbandes
halsfraktur) hat sich der sofortige Ersatz eines Gelenks 4 Physiotherapie und sofortige Mobilisation bei
durch ein Implantat bewährt. So kann entweder eine übungsstabilen Osteosynthesen, Teilbelastung bei
Gelenkfunktion wiederhergestellt werden oder aber die belastungsstabilen Osteosynthesen
Heilungsphase erheblich verkürzt werden (Thrombose,
Immobilisierungsschäden, Hospitalinfekte). ! Cave
Durch Ruhigstellung kommt es zu Gelenkkontraktur,
Knochentransplantation. Es besteht die Möglichkeit, Muskelatrophie und Knochendemineralisation (Inak-
Spongiosa oder Kortikalis (auch ganze Knochen z. B. tivitätsosteoporose).
gefäßgestielte Fibula) autolog (vom Patienten selbst,
Entnahme meist an der Crista iliaca) oder homolog – al- Auch durch verheilte Achsenfehlstellung nach Fraktu-
logen (menschlicher Spenderknochen, stets schlechtere ren kann es nach Jahren zu sekundären Arthrosen kom-
Eigenschaften als autolog) zu transplantieren. Indikati- men (unphysiologische Gelenkknorpelbelastung)
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
143 1

In Kürze

Frakturen

Frakturformen Symptome, Komplikationen Frakturheilung, Frakturversorgung


Diagnostik Heilungsstörungen

Fissur Deformität Begleitverletzun- Primäre/sekundäre Konservativ:


Infraktur Krepitation gen Weichteile Heilung 4 Reposition
Traumatische, Immobilität (Gefäße, Nerven, Voraussetzungen der 4 Ruhigstellung (Gips,
direkte, indirekte, Schmerz Organe) Frakturheilung: Extension u. a.)
pathologische Functio laesa Kompartment- 4 Kontakt der 4 Funktionstraining
Fraktur Schwellung syndrom Fragmente Operativ:
Ermüdungsfraktur Hämatom Blutverlust 4 Ruhigstellung 4 Offene Reposition
Torsions-, Bie- Röntgen in Fettembolie 4 Gut perfundierter 4 Nekrosektomie, Hä-
gungs-, Trümmer-, 2 Ebenen Infektion Weichteilmantel matomausräumung
Kompressions-, Eventuell CT 4 Infektfreiheit 4 Anatomische Adap-
Abscher-, Etagen-, tation durch Osteo-
Serien-, Defekt-, Heilungsstörungen, synthese (Schrau-
Luxations-, Abriss-, wenn obiges nicht erfüllt ben, Nägel, Platten,
Grünholzfraktur ist sowie bei hohem Al- Drähte, Fixateur,
Offene, geschlos- ter, Grunderkrankungen, Gelenkersatz, Kno-
sene Fraktur Kortisoneinnahme etc. chentransplantati-
Gefahr von Pseudarthro- on (autolog, homo-
senbildung log, Zement)
Morbus Sudeck 4 Funktionstraining

Kompartmentsyndrom

Definition Symptome, Diagnostik Therapie Prognose

Druckanstieg in einer Muskello- Therapieresistenter Hochlagern, Kühlung, Je länger Druckerhö-


ge (Kompartiment), meist des Schmerz, palpatorisch Verbandslockerung. hung besteht, desto grö-
Unterschenkels (Tibialis-anteri- »harte Loge«. Pulsaus- Druckentlastung durch ßer Wahrscheinlichkeit ir-
or-Loge). Ursache: Einblutung fall (nicht zwingend). Notfallfasziotomie der reversibler Muskelnekro-
(z. B. Fraktur), Ödem, Schwel- Neurologische Ausfäl- betroffenen Muskel- sen und neurologischer
lung, zu feste Verbände mit Fol- le (Sensorik, Motorik). logen, danach evtl. zwei- Ausfälle
ge der Muskelischämie, später - Druckmessung mittels zeitige Deckung mit
nekrose. Nervenschädigung Sonde Hautersatz

1.8.1.3 Verletzung von Gelenken, > Bei einem Luxationstrauma finden sich häufig Be-
Gelenkknorpel gleitverletzungen: Knorpel, Nerven, Sehnen, Gefäßen
Häufige Gelenkverletzungen fasst . Tab. 1.39 zusam- und Knochen. Daher ist z. B. bei Schulterluxation die
men. Funktion des N. axillaris zu prüfen. Die Luxation des
Schultergelenks (OSG) ist ein Notfall. Wichtig ist eine
Ätiopathogenese. Der Gelenkknorpel kann durch di- sofortige Reposition, unabhängig vom späteren Vor-
rektes Trauma geschädigt werden (z. B. Frakturlinie gehen (operativ, konservativ). Vor und nach der Repo-
durch Gelenk, Knorpelschaden durch Luxation, Im- sition muss ein Röntgenbild den Befund bestätigen.
pressionsfraktur) oder später durch Fehlbelastung z. B.
durch Fehlstellung/Ernährungsstörungen Schaden Symptomatik. Hämarthros, Reizerguss, Schmerz, Blo-
nehmen. In jedem Falle ist der Prozess ein Teufelskreis, ckierungen sind Leitsymptome der Gelenk- und Knor-
der letztlich in Gelenkzerstörung mündet. pelverletzung.
144 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab.1.39. Häufige Gelenkerkrankungen – Hämarthros, freier Gelenkkörper

Erkrankung Definition/Ätiopathogenese Symptomatik, Therapie


Diagnostik

Hämarthros Meist traumatisch bedingter blutiger Erguss im Schwellung, Arthroskopische Interventi-


Gelenk, z. B. im Kniegelenk aufgrund Kreuz- Schmerz, Func- on, offene Sanierung nach
bandruptur, Basisnaher Meniskusschaden, Frak- tio laesa. CT, Befund (Teilmeniskektomie,
tur. Verbleibendes Hämatom per se kann zu MRT, Sonogra- Kreuzbandersatz, Refixation,
Knorpelschäden führen. Infektgefahr. Verdacht phie, Punktion. Frakturversorgung etc.)
auf Hämophilie bei nicht adäquatem Trauma Arthroskopie

Freier Abscherung Gelenkknorpel, osteochondrale Reizerguss, Arthroskopische Entfernung


Gelenkkörper Fraktur, Osteochondrosis dissecans Schmerz, Blo- (Fasszange, »shaving«), evtl.
ckaden, CT, MRT, Mikrofrakturierung, Knor-
Arthroskopie peltransplantation

> Hämarthros: Blutiger Erguss im Gelenkraum durch fernen Schichten, also jenen, die an der Gelenkober-
Einriss der Synovialis. Mögliche Ursachen sind intraar- fläche liegen) nur bei Heranwachsenden befriedigend
tikuläre Fraktur, basisnaher Meniskusriss, am Kniege- gegeben, im Erwachsenenalter nicht vorhanden. Da-
lenk meist Kreuzbandriss. her wird versucht, durch Mikrofrakturierung oder
Bohrlochtherapie das Knorpelwachstum knochen-
Diagnostik. Zum Frakturausschluss ist stets eine Rönt- nah (subchondral) durch Einwanderung von Stamm-
gendiagnostik in 2 Ebenen durchzuführen. Bei eini- zellen (aus Knochenmark) zu stimulieren. Die Ergeb-
gen Fragestellungen müssen Spezialaufnahmen (ge- nisse autologen Chondrozytentransplantation geben
haltene Aufnahme, Schrägaufnahmen) oder ein CT Grund zur Hoffnung. In jedem Falle wird nur Fa-
angefertigt werden. Im konventionellen Röntgen kann serknorpel (Ersatzknorpel) gebildet, der minderwer-
nur indirekt und unsicher und nur bei schwerem tig ist.
Knorpelschaden z. B. von Gelenkverschmälerung auf Gelenkbeteiligungen bei Knochenfrakturen kom-
Knorpelschaden hingedeutet werden. Daher sind CT plizieren die Versorgung erheblich und sind ungünstig
und MRT Goldstandard für die Beurteilung von Knor- im Hinblick der Erzielung einer Restitutio ad integrum.
pelläsionen. Die diagnostische Punktion und Arthro- Meist kommt es zur Arthrosebildung. In der Regel müs-
skopie sind die Verfahren der Wahl, um die Art des sen intraartikuläre Frakturen immer operativ versorgt
Ergusses (Blut, serös, »Fettaugen«) und Knorpelscha- werden.
den sowie intraartikuläre Bandverletzungen zu beur- Bei Frakturen müssen Gelenke grundsätzlich (Aus-
teilen. Die Arthroskopie bietet die Chance neben der nahme intraartikuläre Frakturen) so früh wie möglich
Diagnostik gleich therapeutisch einzugreifen. Im MRT mobilisiert werden, um irreversible Bewegungsein-
lassen sich Knorpelläsionen, subchondrale Läsionen, schränkungen zu verhindern (Motorschienen, Frank-
Meniskus- und Bandläsionen, ossäre Begleitverletzun- furter-Schiene, Physiotherapie etc.).
gen mit perifokalem Ödem beurteilen.
Prognose. Der natürliche Verlauf von Band- und Kap-
! Cave selstrukturverletzungen kann Instabilitäten (»Schlot-
Ein Gelenkerguss bildet sich nur bei intakter Kapsel! tergelenk«, rezidivierende Luxationen) und nachfol-
Selbst schwere Gelenktraumata können bei Polytrau- gend frühzeitige oder späte posttraumatische Arthrose
matisierten übersehen werden. bedingen. Ebenso ist die Folge von Knorpelschäden
ein immer größer werdender Defekt, bzw. Arthrose
Therapie. Hyaliner Gelenkknorpel ist bradytroph, die bis hin zur völligen Zerstörung eines Gelenks (Ausbil-
Regenerationsfähigkeit ist (insbesondere in knochen- dung einer Versteifung), i. d. R. nach 20–30 Jahren.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
145 1

In Kürze

Gelenkverletzungen

Gelenkkontusion 4 Ätiologie: »Prellung« durch Stoss, Anschlag etc.


4 Beispiel: Sturz auf das Kniegelenk
4 Symptomatik: Hämatom, Schmerz, Schwellung
4 Therapie: Analgesie, evtl. kühlen, Ruhigstellung. Frühfunktionelle Rehabilitation

Gelenkdistorsion 4 Ätiologie: »Zerrung«, Überdehnung des Kapsel-/Bandstruktur


4 Beispiel: Sprunggelenk bei Supinationstrauma
4 Symptomatik: starker lokaler Schmerz, Schwellung, Hämatom, Druckschmerz, Deh-
nungsschmerz
4 Therapie: Analgesie, kühlen, Ruhigstellung 2–3 Wochen (Gips, Aircast, Tapeverband),
frühfunktionelle Rehabilitation

Kapsel-/ 4 Ätiologie: Riss/Aussriss eines Bandes (auch am Knochenansatz), der Gelenkkapsel


Bandruptur 4 Beispiel: Kniegelenk nach Rotationstrauma
4 Symptomatik: Hämatom, Schwellung, Schmerz, Druckschmerz, Dehnungsschmerz, insta-
biles »aufklappbares Gelenk«
4 Therapie: konservativ oder Kapselnaht (z. B. Schultergelenk), Bandnaht, Refixation des
Bandes am Knochenansatz. Künstlicher Gewebsersatz Orthese. Frühfunktionelle Rehabi-
litation

Traumatische1 4 Ätiologie: Kontaktverlust der Gelenkpartner nach Zerreißung der Kapsel und Bänder.
Luxation Subluxation: Unvollständige Luxation
4 Beispiel: Schultergelenksluxation nach Sturz
4 Symptomatik: Fehlstellung, »leere Pfanne«. »federnde« Fixation. Schmerz, Schonhaltung.
Schwellung
4 Therapie: Analgesie, geschlossene Reposition (evtl. in Narkose) durch Zug-Gegenzug. Bei
Versagen oder bei Vorliegen von Frakturen operative, offene Reposition. Ruhigstellung
Frühfunktionelle Rehabilitation

Gelenkknorpel- 4 Ätiologie: traumatische Fissur, Impression, Kontusion des Knorpels. Abscherung des
schaden Knorpels vom Knochen
4 Beispiel: Impression des Gelenkknorpels des Femur bei Tibiafraktur
4 Symptomatik: milde bis gravierend (Gelenkverschleiß), Erguss, Funktionseinschränkun-
gen
4 Therapie: kleinere Fissuren, Kontusionen konservativ (Ruhigstellung des Gelenkes für
etwa 6–8 Wochen, Physiotherapie). Knorpelrevision z. B. Glättung (mechanisch, ther-
misch), Entfernung reiner Knorpelfragmente. Refixation größerer Knochen-Knorpelfrag-
mente. (Fibrinkleber, Stifte, Schrauben – auch resorbierbar). Mikrofrakturierung
und Pridie-Bohrlöcher zur Stimulation von Ersatzknorpelbildung. Knorpel-Knochen/
Spongiosatransplantation (autolog, homolog), Knorpelzelltransplantation (autolog).
Umstellungs-/Entlastungsosteotomien

1
Habituelle Luxation: rezidivierende Luxationen ohne adäquates Trauma durch angeborene oder posttrauma-
tische Dysanatomie, Therapie: Operative Korrektur (Straffung, Plastik, Osteotomie). Angeborene Luxation:
z. B. Hüftdysplasie.
146 Kapitel 1 · Chirurgie

1.8.1.4 Verletzungen von Sehnen und 1.8.1.5 Verletzungen der Muskulatur


1 Schleimbeuteln Muskelzerrung, Muskelfaserriss und Muskelriss be-
Sehnenruptur/traumatische Durchtrennung zeichnen die gleiche Situation lediglich in steigen-
Definition/Ätiopathogenese. Bei Traumen können dem Ausmaß. Während Muskelzerrung, -faserriss und
Sehnen durch Schnitt, Ruptur, Abriss verletzt werden. -riss häufig indirekt durch Zug entstehen, kann Mus-
kulatur auch direkt durch ein Trauma zerschnitten/ge-
! Cave quetscht werden. Posttraumatisch kann es im Muskel-
Typische Verletzungsursache der Achillessehne: Kräf- gewebe zu lokalen Verhärtungen (Ossifikationen)
tiges Anschieben eines PKW. Typische Verletzungsur- kommen.
sache der Fingerbeugesehnen: z. B. tiefe palmare
Messerschnitte bei Abwehrgriff gegenüber einem mit Muskelzerrung
einem Messer bewaffneten Angreifer. Es zeigen sich Schmerz, Druckschmerz. Therapeutisch
Schnittverletzungen im Haushalt gehören zu den ist eine Kühlung angezeigt, nach 2–3 Tagen kann wieder
häufigsten Verletzungen überhaupt. Belastung erfolgen.

Symptomatik. Deformitäten; Funktionsverlust. Muskelfaserriss


Es zeigen sich Schmerz, Druckschmerz, Hämatom. In-
Diagnostik. Klinisch zeigen sich Funktionsminderung diziert ist die Kühlung, nach Beschwerderückgang lang-
bis Funktionsverlust (Strecken, Beugen). Technische sam steigendes Training (nach ca. 4–7 Tagen).
Diagnostik: Sonographie, MRT.
Muskelriss
Therapie. Durchtrennte/rupturierte Sehen (z. B. Finger- Symptome bestehen in Druck-, Bewegungsschmerz,
extensor-/Fingerbeugesehnen, Achillessehne) werden Hämatom, Deformität, Funktionsausfällen. Ätio-
genäht (Achillessehne häufig konservativ; Behandlung logisch kann ein Muskelriss indirekt durch Über-
7 unten) (sofort, spätestens binnen 1 Woche) und post- lastung entstehen oder direkt infolge eines Traumas
operativ für etwa 8 Wochen ruhiggestellt (Beugestel- (z. B. Tritt).
lung, Extensionsgips).
> Die Diagnose des Muskelrisses ist sehr gut sonogra-
Schleimbeutel phisch möglich.
Ätiopathogenese. Bursae können traumatisch bedingt
mitverletzt sein (Sturz auf das Knie). Eine Bursitis: Ent- Therapeutisch sind Kühlung, Hochlagern, Ruhigstel-
zündung der Bursae eines prominenten Gelenkes: lung, langsame Belastungssteigerung nach 2 Wochen
Schwellung, Schmerz. indiziert. Nur größere Muskelrupturen werden durch
Muskelnaht mit Hämatomausräumung chirurgisch
Symptomatik/Diagnostik. Allgemeine Entzündungs- versorgt. Durch die Anpassungsfähigkeit der Muskula-
zeichen (Tumor, Rubor, Calor, Functio laesa, Dolor), tur können auch größere Narbenareale kompensiert
Laboruntersuchung (Leukozyten, CRP). werden, so dass es zu völligen Wiedererlangung der
Funktionalität kommt.
Therapie. Bursektomie, evtl. Adaptation durch Naht,
Drainage, ggf. Antibiose. Häufiger sind allerdings Reiz- Muskelquetschung
bursitiden: konsequente Entlastung, Kühlung. Zu einer Muskelquetschung kommt es häufig in
Kombination mit Frakturen, Gefäß- und Nervenverlet-
»Bursitis« bei bestimmten Berufsgruppen zungen (z. B. Überrolltrauma). Die wichtigsten Kom-
Bei der Fliesenlegerbursitis präpatellar oder auch der Bursi- plikationen einer Muskelquetschung sind das Kom-
tis olecrani des Schriftstellers, u. v. m. liegt meist kein Trau- partmentsyndrom, die Infektion des nekrotischen
ma vor, sondern eine chronische Reizung (chronisch-seröse Muskelgewebes und bei größeren nekrotischen Mus-
Bursitis z. B. Bursitis praepatellaris bei Reinemachefrauen/ kelarealen die Entwicklung einer Crush-Niere.
Fliesenlegern). Besteht der Erguss längere Zeit, bilden sich
Kapselverhärtungen, Einlagerungen (»Reiskörner«) und es > Bei der Muskelquetschung ist eine Myoglobinbestim-
besteht die Gefahr einer Infektion. Im Rahmen der Anam- mung im Serum als Rhabdomyolyseparameter durch-
nese ist nach dem Beruf/Hobby/Gewohnheit zu fragen. Die zuführen.
Therapie besteht in der Vermeidung des Reizes; evtl. Punk-
tion, Bursektomie bei chronischem Verlauf.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
147 1

Die Therapie besteht in einem Débridement, ggf. Mus- Ossifizierende Myositis


kelnaht, ggf. Fasziotomie bei Verdacht auf Druckanstieg Durch Einblutungen in die Muskulatur (Stammzellen),
(Einblutung, Ödem), ggf. Antibiose bei Infektionsge- durch Organisation nekrotischer Areale kommt es zu
fährdung, Ruhigstellung. Im Verlauf vernarbt die Mus- bindegewebigen Umbau, Verhärtungen, Kalkeinlage-
kulatur. Je nach Ausmaß der Zerstörung ergeben sich rungen und auch zu lokalen Ossifikationen. Dies kann
Funktionsbeeinträchtigungen; hier ist daher eine Reha- jedoch nicht immer als gesicherte Ätiologie gelten. Prä-
bilitation wichtig. destiniert sind in jedem Falle die proximalen Extremi-
tätenabschnitte.
! Cave Die Therapie erfolgt medikamentös (zu Beginn mit
Bei Muskelquetschungen darf ein Kompartmentsyn- lokalen Kortikoiden, auch Indometazin), mittels opera-
drom nicht übersehen werden. tiver Exzision oder Strahlentherapie.

In Kürze

Kalzifikation und Ossifikation von Muskeln

Kalzifikation, 4 Ätiologie: teils erhebliche Knochengewebsneubildung (pathologische Kalkeinlagerung) in


Ossifikation Weichteilen. Posttraumatisch/postoperativ, selten spontan. z. B. im Bereich des Hüftgelenkes
von Muskeln, nach operativem Gelenkersatz (TEP). Entstehung vermutlich durch Weichteiltrauma, Häma-
Myositis ossi- tom und Irritation ausgelöste Metaplasie der Muskulatur. Auftreten auch bei Para- und Tetra-
ficans, »hete- plegikern, auch bei Schädel-Hirn-Trauma und Langzeitbeatmung beobachtet. Genetische
rotope Ossifi- Disposition
kationen« 4 Symptomatik: typischerweise 2–4 Wochen nach traumatischen Ereignis: Schmerzen, Schwel-
lung, Bewegungseinschränkung bis zur völligen Gelenksteife
4 Diagnostik: Röntgen (wolkenartiger Kallus) , MRT, CT
4 Therapie: lokale Kortikoidinjektion, Litholyse, operative Exzision, Arthrolyse
4 Prognose: gut, evtl. Rezidive. Bei schweren Gelenkverletzungen und/oder bekannter Dispo-
sition kann prophylaktisch die Gabe von Antiphlogistika (NSAR 3-mal/Tag für 6 Wochen)
und/oder Bestrahlung (7 Gray in 24 h) die Rate an Ossifikationen senken. Verschiedene wei-
tere Substanzen sind in Erprobung

1.8.1.6 Infektionen von Knochen Raum dem Immunsystem entzieht. Auch Antibiotika
und Gelenken können nur in perfundiertes Gewebe gelangen. Somit
Osteomyelitis, Osteitis steigt die Gefahr einer Osteitis mit der Bakterienanzahl/
Definition/Ätiopathogenese. Osteomyelitis und Ostei- Virulenz, der Immunschwäche des Patienten und mit
tis werden im klinischen Alltag häufig synonym ver- der Schwere des Traumas an Knochen und Weichteilen
wendet. Streng genommen handelt es sich jedoch bei (Stresshormone, Zytokine).
der Osteomyelitis um eine eitrige Entzündung des
Knochens, die Folge einer endogenen hämatogenen > Die Entstehung einer Osteitis kann durch präopera-
Streuung ist. Sie ist also bedingt durch Erreger, die über tiven und perioperativen Antibiotikaschutz, streng
die arterielle Blutversorgung in den Knochen eindrin- aseptische und gewebeschonende Operation, kon-
gen und einer Absiedelung eines Infektherdes im Kör- sequentes Débridement (Knochen, Weichteile) sowie
per (endogen) entstammen (z. B. Abszess mit S. aureus gute Weichteildeckung gesenkt werden.
an anderer Region). Die eitrige Osteitis dagegen ent-
steht exogen durch Eindringen von Erregern von au- Sowohl bei der Osteomyelitis als auch bei der Osteitis
ßen (z. B. offene Fraktur, iatrogen bei Osteochirurgie) unterscheidet man die akute von der chronischen Ver-
in den Knochen mit nachfolgender Infektion und Ent- laufsform. Die chronische Verlaufsform zeichnet sich
zündung. durch protrahierten Verlauf, mildere oder gar fehlende
Durch Fraktur/Operation sind Fragmente minder- Laborveränderungen und geringere Klinik (oft keine
perfundiert und daher infektanfälliger, da sich dieser Temperaturerhöhung) aus.
148 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.40. Akute Osteomyelitis/Osteitis

Akute Osteomyelitis/Osteitis

Erreger Staphylococcus aureus, Meningokokken, Streptokokken u. v. m.

Auftreten Endogen bei Säuglingen, Kindern, exogen posttraumatisch, postoperativ

Klinik Allgemeinsymptome, hohes Fieber, Entzündungszeichen im Infektgebiet (Schwellung, Rötung etc.),


Wundschmerz

Diagnostik Leukozytose mit Linksverschiebung, CRP und BSG erhöht, Röntgen (Aufhellungen, Destruktionen erst
nach Latenz). CT, MRT, Szintigraphie. Mikrobiologische Untersuchung des Punktionsmaterials

! Cave Prognose. Diese ist nur beim Frühstadium der akuten


Nicht selten findet sich ein Wechsel zwischen akuten Osteomyelitis günstig. Sonst besteht die Gefahr von
Schüben und chronischer Verlaufsform. chronischer Persistenz, Fistelung bis zum Gliedmaßen-
verlust.
Symptomatik/Diagnostik. . Tab. 1.40.
> Chronische Verlaufsformen heilen sehr selten spon-
Komplikationen. Komplikationen sind weiteres Streu- tan aus und nur selten unter konservativer Therapie.
en in Blutbahn mit Sepsis, Abszessierung, Fistelung, Auch zu große Infektherde können nicht abgebaut
Knochenarrosion, -destruktion und Chronifizierung. werden.

! Cave Seltenere infektiöse und entzündliche


Gefährlich ist insbesondere das Übergreifen auf Ge- Absiedlungen im Knochen
lenkregionen (Knorpeldestruktion, Wachstumsstö- Auch Tuberkulose und viele andere Erreger können
rungen im Kindesalter). sich im Knochengewebe/Skelettsystem manifestieren.
Hierbei werden die Wirbelkörper bevorzugt.
Therapie. Bei der akuten und beginnenden Verlaufs-
form kann eine reine antibiotische Behandlung (sowie Brodie-Abszess
Ruhigstellung) genügen; je ausgedehnter die Abszes- Definition/Ätiopathogenese. Chronischer Knochen-
sierung ist, je länger die Infektion besteht und je ausge- abszess: Oft handelt es sich um einen Zufallsbe-
dehnter die Defekte und Nekrosen sind, umso radikaler fund, meist zeigt sich eine kniegelenksnah, meta-
wird die notwendige chirurgische Sanierung. physär zentralherdförmige Osteomyelitis. Es entwi-
Breitbandantibiotika sollten primär verabreicht ckelt sich ein abgekapselter septischer Prozess bei guter
werden, dann folgt eine gezielte Therapie nach Resis- körperlicher Abwehrlage und/oder niedriger Keim-
tenzschema (Abstrich vor Beginn der antibiotischen virulenz. Es kann aber zur Aktivierung bei schlechter
Behandlung), auch lokal per Spülflüssigkeit. Eine chi- Abwehrlage und/oder Virulenzzunahme der Erreger
rurgische Sanierung ist mit steigender Invasivität in- kommen.
diziert: Saug-Spül-Drainage, Fremdkörperentfernung,
Nekrosektomie (»Sequestrektomie«), Weichteildébri- Symptomatik. Kaum Symptome.
dement, offene Wundbehandlung, Lokalantibiose (Kno-
chenzement-Gentamicin-Kontrastmittelkette, antibio- Diagnostik. Röntgen: Aufhellung mit Sklerosesaum.
tisches Vlies), evtl. Knochentransplantation. Bei Insta-
bilität erfolgt eine transitorische Fixateur-Versorgung. ! Cave
Weichteildefektdeckung oder sogar eine Amputation Differenzialdiagnosen Tumor, Metastase, Zyste, Mor-
können nötig werden. bus Paget dürfen nicht vergessen werden.

! Cave Therapie. Die Therapie erfolgt analog zur Versorgung


Bei endogener Osteomyelitis darf die Therapie des der Osteomyelitis/Osteitis: kausale Therapie der
kausalen Infektherdes nicht vergessen werden. Grunderkrankung. Falls konservativ keine Abheilung
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
149 1

möglich ist, ist die lokalchirurgische Sanierung, ggf. au- Symptomatik. Es zeigen sich lokale Entzündungszei-
tologe Transplantation, Stabilisierung (Osteosynthese, chen (Rötung, Schwellung, Überwärmung), Ruhe-,
Fixateur externe und ggf. Deckung (z. B. Lappen mit Nachtschmerz, Fieber im weiteren Verlauf.
Vollhaut, gestielt) indiziert.
Diagnostik. Initial entwickelt sich ein seröser, später
Gelenkinfektion (Arthritis) putrider Erguss. Ein Gelenkempyem führt zu Laborver-
Synonym. Septische Arthritis, Pyarthrose. änderungen (Leukozyten-, CRP- und BSG-Anstieg),
Röntgenveränderungen (unscharfe Gelenkskonturen,
Definition. Infektion des Gelenkraums mit Erregern verschmälerter Gelenkspalt, selten Osteolysen).
(z. B. S. aureus).
Therapie. Indiziert sind Ruhigstellung, systemische
Ätiopathogenese. Meist liegt eine primäre Infektion hochdosierte Antibiose (sobald wie möglich nach Anti-
durch Eröffnen der Gelenkraums (Trauma, iatrogen) biogramm), Arthroskopie, Spülung, evtl. Saugspülung,
zugrunde, seltener entwickelt sich die Infektion sekun- täglich arthroskopische Spülung, Synovialektomie. Bei
där durch Übergreifen einer Osteitis oder Weichteilin- chronischem Verlauf werden nicht selten Nekrosekto-
fektion oder durch endogene Absiedelung aus anderen mie und Arthrodese oder zweizeitige Prothetik (nur bei
Herden (Sepsis etc.). Stadien sind Synovialitis, Ge- vollständiger Infektsanierung!) notwendig.
lenkempyem, Panarthritis (Übergreifen auf Knochen
und periartikuläres Gewebe). Prognose. Je länger der Infekt besteht, desto größer ist die
Gefahr von irreversiblen Knorpel und Knochendefekten.

In Kürze

Entzündungen/Infektionen des Knochens und des Gelenkraums

Osteomy- 4 Symptomatik: lokale, evtl. allgemeine Entzündungszeichen. Schmerz. Funktionsbeeinträchti-


elitis/ gungen
Osteitis 4 Diagnostik: Röntgen (Aufhellungen, Destruktionen nach gewisser Latenz), MRT, CT. Entzün-
dungsparameter im Labor erhöht. Mikrobiologische Diagnostik von Punktions-/Biopsiegewe-
be. Szintigraphie
4 Therapie: sofortige, bereits bei Verdacht knochengängige systemische i.v. Antibiose (z. B. Clin-
damycin), zuerst kalkuliert, dann gezielt über mindestens 6 Wochen. Ruhigstellung. Ggf. Fokus-
suche. Nekrosektomie, Sequestrektomie, Kürettage, Saug-Spül-Drain, Fremdkörperentfernung,
lokale Antibiose, Resektion und Rekonstruktion, zweizeitige Transplantation, Amputation

Eitrige 4 Symptomatik: Lokale Entzündungszeichen, Ruhe-, Nachtschmerz, Fieber bei weiterem Verlauf.
Arthritis 4 Diagnostik: Seröser Erguss , Gelenkempyem. Laborveränderungen (Leukozyten, CRP, BSG),
Röntgenveränderungen (Unscharfe Gelenkskonturen, Verschmälerter Gelenkspalt, Osteolysen)
4 Therapie: Ruhigstellung, systemische hochdosierte Antibiose, Arthroskopie, Spülung, evtl.
Saugspülung, Synovialektomie. Bei chronischem Verlauf nicht selten Nekrosektomie und Arth-
rodese oder zweizeitige Prothetik notwendig

1.8.1.7 Amputation, Replantation Als traumatische Amputationsverletzung bezeichnet


Amputation man den vollständigen verletzungsbedingten Verlust
Ist das Trauma an einer Extremität so schwer, dass eine einer Gliedmaße. Meist erfolgt diese durch die Kombi-
Rekonstruktion nicht möglich ist, oder ist die Vitalbe- nation von Riss/Schnitt/Quetschung.
drohung (z. B. Infektion, Blutung), derart groß, dass Bei der therapeutischen Amputation ist auf eine
eine Extremität nicht erhalten werden kann, muss sie ausreichende Weichteildeckung (Muskel, Haut) sowie
amputiert werden. Operationsnarbe außerhalb der Stumpfbelastungszone
zu achten.
> »Life before limb«. Komplikationen nach Amputation sind: Stumpf-
ödem-, Stumpfhämatom, Kontrakturen, Infektion,
150 Kapitel 1 · Chirurgie

Stumpfschmerz, Phantomschmerz (v. a. nach traumati-


1 scher Amputation), Dekubitus. . Tab. 1.41. Untersuchung Polytraumatisierter

Organsystem Maßnahmen
Therapeutische und traumatische Amputation
Die therapeutische Amputation ist begrifflich von der trau- Vitalfunktion Inspektion, Auskultation, Perkus-
matischen Amputation (Amputationsverletzung) zu unter- Atmung sion, Pulsoxymetrie, Röntgen-
scheiden. Die Traumata rangieren allerdings als Amputati- Thorax, CT-Thorax
onsindikation nicht an erster Stelle. pAVK, Diabetes, selte-
Vitalfunktion RR, Puls, EKG, ZVD, Diurese (Bi-
ner maligne Tumoren sind zusammen mit Abstand die Zirkulation lanz)
häufigsten Ursachen einer therapeutischen Amputation.
Vitalfunktion Neurologischer Status, Glasgow-
Replantation ZNS Coma-Scale, Röntgen-Schädel,
Manche Körperteile können unter bestimmten Voraus- CT-Schädel und Achsenskelett
setzungen replantiert werden:
4 »Scharfe« Durchtrennung (sonst ggf. Nachresekti-
on nötig)
4 Weitgehende Infektions- und »Verschmutzungs- ! Cave
freiheit« Es darf nicht zum Zeitverlust durch die unter elekti-
4 Faktor Zeit ven Bedingungen indizierte Gründlichkeit kommen:
Entscheidend sind schnelle, zielführende Anamnese,
Kleine Fingerkuppen, Ohrläppchen können direkt Untersuchung und Operationsvorbereitung.
durch Naht adaptiert werden. Größere Gewebestücke
müssen nach den Regeln der Mikrochirurgie (Gefäß- ! Cave
und Nerven-, Sehnenanastomosen) replantiert werden. Die Behandlung des Polytraumas beginnt nicht erst
Je größer das abgetrennte Körperteil (z. B. komplette in der Klinik, sondern am Unfallort!
obere Extremität), umso geringer ist die Wahrschein-
lichkeit des Erfolges. Therapie. Das Behandlungsmanagement Polytraumati-
sierter zeigt . Tab. 1.42.
! Cave
Der Gesamtstatus eines Polytraumatisierten (CT, Vital- ! Cave
funktionen, Ausschluss innere Verletzungen) darf we- Intraabdominelle Blutungen haben allererste Be-
gen eines abgetrennten Fingers nicht vernachlässigt handlungspriorität.
werden.
Komplikationen. Durch Schock (Hypoxie, v. a. Lunge:
1.8.1.8 Polytrauma »adult respiratory distress syndrome«, ARDS; Niere:
Definition. Als Polytrauma gilt eine Verletzung mehrerer akutes Nierenversagen; Leber) und daraus folgend »Is-
Körperregionen/Organsysteme, welche für sich alleine chämie-Reperfusionssyndrom«, metabolische Entglei-
oder in Kombination vital bedrohlich sind. Ursache sind sung (Postagressionssyndrom, Gerinnungsstörungen,
meist Verkehrs- und Arbeitsunfälle (z. B. Stürze). »systemic inflammatory response syndrome, SIRS) und
evtl. Sepsis kann es bis zum Multiorganversagen kom-
> Ein striktes, interdisziplinäres (Chirurgie, Anästhesie, men. Dies wird gelegentlich auch als »Zweitkrankheit«
Radiologie, Neurochirurgie, Augenheilkunde, HNO, bezeichnet. Die Zusammenhänge sind komplex. Auf
Kieferchirurgie etc.) Behandlungsmanagement ist molekularer Ebene spielen Radikale, Mediatoren (TNF-
entscheidend in der Versorgung polytraumatisierter α u. a.), Zytokine, NO, die die Endothel- und Membran-
Patienten. funktion stören, eine erhebliche Rolle.

Diagnostik. Die Anamnese (Unfallmechanismus) und ! Cave


die klinische Untersuchung (Vitalfunktionen) in der Bei fast allen schweren Traumata besteht ein Volu-
Notfallaufnahme (»Schockraum«) sind stark fokussiert menmangel (Blutverlust durch Frakturen, Organver-
auf die Gewinnung elementarer Informationen letzung, Permeabilitätsänderung der Zellmembran
(. Tab. 1.41). Es gilt in dieser sog. »golden hour« (erste (»capillary leak«).
Stunden nach Trauma), klare Prioritäten festzulegen.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
151 1

. Tab.1.42. Phasen des Behandlungsmanagements polytraumatisierter Patienten

Phase Merkmale I Merkmale II

Schock- und Reanima- Diagnostik vital bedrohlicher Blutungen in Schockbekämpfung, Volumengabe: Kristal-
tionsphase (Minuten Abdomen, Becken, Thorax, Schädel, Wirbel- loide, Kolloide, Hämotherapie (Erythrozy-
bis Stunden nach Auf- säule. Klinik: Hypotonie, Tachykardie, ge- ten, Plasma – FFP). suffiziente Oxygenie-
nahme) spanntes Abdomen/Atemstörungen (Pal- rung, PEEP-Beatmung mit O2-Anreicherung,
pation, Röntgen, CT, Peritoneallavage, So- Parameterkorrektur, Analgosedierung oder
nographie – freie Flüssigkeit). Ausschluss Narkose. Medikamentöse Kreislaufstabilisa-
einer Darmperforation (»freie Luft«). Aus- tion
schluss eines Pneumothorax/Hämatotho-
rax. Notfalllabor (Hb, Hkt, Elektrolyte, arteri-
elle BGA, Blutgruppe, Kreuztest, Gerin-
nungsparameter, Glukose, Kreatinin,
Gesamtprotein)

Erste operative Phase Erste Priorität (binnen Minuten) und abso- Laparatomie, Blutstillung (Leber, Milz, Niere,
(Minuten bis Stunden lute und unverzügliche Operationsindikati- Darm, große Gefäße)
nach Aufnahme) on haben intraabdominelle Blutungen (z. B. Stabilisierung und Kompression der Be-
Leber, Milz), Darmperforationen, Becken- ckenfraktur
frakturen, intrakranielle Blutungen (sub-/ Thoraxdrainage, Thorakotomie (große Gefä-
epidural). Intrathorakale Blutungen und der ße, Herz)
Spannungspneumothorax gelten ebenso Trepanation bei intrakraniellen Blutungen
als sofortige Indikation zu einer Entlastung Amputationen
(Drainage) Reposition von Luxationen (z. B. Kniegelenk,
OSG, Schultergelenk)

Erste Stabilisierungs- Parameterkorrektur, Stabilisierung der Vital- Weitere Diagnostik, Intensivtherapie


phase (Stunden bis funktionen
Tage nach Aufnahme)

Zweite operative Phase Versorgung dringlicher, aber nicht vital be- Gastrointestinale Organverletzungen falls
(Stunden bis Tage nach drohender Verletzungen hier erst offenkundig, Schädelfrakturen,
Aufnahme) Frakturen (oft primär mit zeitökonomi-
schem Fixateur externe), Luxationen,
Gelenkoperationen, Rekonstruktionen

Zweite Stabilisierungs- Parameterkorrektur, Stabilisierung der Vital- Möglichst keine weiteren Operationstrau-
phase Tage bis Wochen funktionen, parenterale Ernährungsthera- men in der »entscheidenden Phase«!
nach Aufnahme) pie, medikamentöse Ulkusprophylaxe, In-
tensivtherapie, Komplikationsbehandlung
(Infektionen, Pneumonie, Ileus)

Dritte Operationsphase Spät- und definitive Osteosynthesen, Mate- Korrekturen, plastisch-rekontruktive Opera-
(Tage, Wochen bis Mo- rialentfernungen tionen
nate nach Aufnahme

Heilungs- und Rehabili- Entwöhnung vom Beatmungsgerät, Kost- Rehabilitation


tationsphase (Tage, aufbau, Mobilisation
Wochen bis Monate
nach Aufnahme)
152 Kapitel 1 · Chirurgie

> Die Vermeidung von Hypotonie und Hypoxie von Be- fallen Knochentumoren dem Unfallchirurgen bei pa-
1 ginn an ist die beste Prophylaxe einer systemischen thologischen Frakturen (z. B. metastasenbedingt) auf.
»Zweiterkrankung«: Volumensubstitution, Analgose-
dierung, Sicherung der Atmung (Intubation, PEEP-Be- Symptomatik. Klinisch können Knochentumoren durch
atmung) Schmerz, Schwellung, mechanische Beinträchtigung,
neurologische Ausfälle (Wirbeleinbrüche) auffallen.
1.8.1.9 Tumoren des Bewegungsapperates
Ätiopathogenese. Tumoren des Knochens, des Knor- Diagnostik. Bei Verdacht ist eine pathologische Unter-
pels sind die Domäne der Orthopädie und orthopädi- suchung (Resektat, Biopsie) anzustreben, zuvor Bildge-
schen Chirurgie (. Tab. 1.43; 7 Kap. 2.5.7). Gelegentlich bung mit Röntgen (Codman-Dreieck, Osteolysen,

. Tab.1.43. Übersicht über Tumoren des Bewegungsapparates

Tumoren des Charakteristik Diagnostik Therapieprinzipien Prognose


Bewegungs-
apparates

Knochenmetas- Maligner Sekundärer Kno- Röntgen, MRT, Chemotherapie, Bestrah- Abhängig vom
tasen chentumor per Blutweg Szintigraphie lung, Stabilisierungsope- Primärtumor; sehr
vom Knochenmark ausge- ration, lumbovertebrale schlecht
hend. (Primärtumor Mam- Dekompressionsopera-
ma, Prostata, Lunge, Niere). tion
Häufig in Wirbelkörpern,
Femur, Becken, Rippen

Osteosarkom Hochmaligne, Altersgipfel Röntgen, MRT, Resektion im Gesunden, Stadienabhängig,


bei 20– 30 Jahren, häufig Biopsie Rekonstruktion, Amputa- gut bis
im Bereich des Kniegelen- tion, neoadjuvante Che- sehr schlecht
kes motherapie

Chondrosarkom Patienten meist um Röntgen, MRT, Radikale Resektion im Ge- Typ- und stadien-
70 Jahre Biopsie sunden, Defektfüllung, abhängig; sehr
Rekonstruktion, Amputa- schlecht
tion. Chemotherapie

Ewing-Sarkom Altergipfel um die 2. Le- Röntgen, MRT, Radikale Resektion im Ge- Stadienabhängig;
bensdekade. Entwicklung Biopsie sunden, Rekonstruktion, sehr schlecht
häufig am Femur und Amputation, Bestrahlung.
Becken Neoadjuvante Chemothe-
rapie

Hamartome, Gutartige, teils nur tumor- Röntgen, MRT Kürettage, Defektfüllung, Von sehr gut bis
Riesenzelltumor, ähnliche Läsionen Kortisoninjektionen, Käl- schlecht (z. B.
Granulome, te, Alkoholinstallation, Be- Riesenzelltumor)
Knochenzysten, obachtung
Fibrom etc.

Myelom Tumor vom Knochenmark Röntgen, MRT, Chemotherapie, Bestrah- Schlecht


ausgehend Szintigraphie lung, Stabilisierungsope-
ration, lumbovertebrale
Dekompressionsoperation

Osteochondrom Benigne Röntgen, MRT Resektion lokal Gut; gewisses


(»Exostose«) Rezidiv- und Ent-
artungsrisiko

Enchondrom Benigne Röntgen, MRT Resektion, Defektdeckung Entartungsrisiko

Osteom Benigne, »Kortikalisinseln« Röntgen, CT Beobachtung Sehr gut


1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
153 1

Zwiebelschalen, Spiculae, »Mottenfraß«, Diskontinuität > Viele Schädelverletzungen gehen auch mit HWS-
der Kortikalis), (Kontrast-)MRT, -CT, nuklearmedizi- Verletzung einher! Auch dies muss bedacht werden
nische Szintigraphie, PET, Staging. und bei entsprechendem Verdacht (Nackenschmerz,
neurologische Ausfälle) eine umgehende Abklärung
Therapie. Benigne Tumoren sind oft Zufallsbefunde erfolgen.
und bedürfen häufig nur einer Beobachtung, solange
keine Instabilität, bzw. mechanische Beeinträchtigung 1.8.2.2 Verletzungen des Halses
bedingt wird. 7 Kap. 1.8.2.3
Maligne Knochentumoren müssen aggressiv chir-
urgisch, ggf. mit prä-/intra- oder postoperativ mittels 1.8.2.3 Verletzungen der Wirbelsäule
Radio-/Chemotherapie behandelt werden und führen Anatomie
aufgrund ihrer rücksichtslosen Destruktion und Metas- Die Wirbelsäule besteht aus einem funktionellen Verband
tatisierungstendenz (Lunge) dennoch häufig zum Tod von 7 Hals-, 12 Brust-, 5 Lenden-, 5 verschmolzenen Kreuz-
des Patienten. Adjuvante Chemotherapie konnte die und 4–5 Steißbeinwirbeln, einem komplexen Band- und
Prognose bei Kindern und Jugendlichen signifikant Muskelapparat. Belastungen werden durch die Elastizität
verbessern. (Kapsel-Bandapparat, Bandscheiben und die Doppel-S-
Mögliche chirurgische Verfahren sind Resektion, Form (HWS-Lordose, Brust-Kyphose, LWS-Lordose) aufge-
Defektfüllung mit Knochenzement, Autologe Kno- fangen. Bei Überbelastung kommt es zu Zerreißungen des
chen, Gelenkersatz, Gefäß-, Nerveninterponate, Arth- Muskel-Band-Apparates und/oder zu Frakturen der Wirbel.
rodesen, Amputationen, Verkürzungsresektionen bis Besonders gefährdet sind dabei das zentrale (Rückenmark)
hin zur Umkehrplastik (Unterschenkel rotiert an Hüf- und periphere Nervensystem (Spinalnerven).
te replantiert).
Allgemeines
Bei allen Unfällen größeren Ausmaßes (Sturz aus grö-
1.8.2 Spezielle Unfallchirurgie/ ßer Höhe, schwerer Verkehrsunfall – Dezeleration) und
Traumatologie klinisch peripheren neurologischen Ausfällen (Sensibi-
lität, Motorik) muss an eine Wirbelsäulenverletzung
1.8.2.1 Verletzungen des Kopfes gedacht werden.
Verletzungen des knöchernen Schädels sind meist mit
einem Schädelhirntrauma vergesellschaftet, werden da- ! Cave
her bei der Neurochirurgie besprochen (7 Kap. 1.2). Einer Wirbelsäulenverletzung liegt meist ein indirek-
Auch »geringfügige« Traumata des Schädels, wie tes Trauma zugrunde. Direkte Traumen (Schlag) und
beispielsweise eine ausgedehnte Kopfplatzwunde, die offene Frakturen (z. B. nach Schussverletzung) sind
vom Unfallchirurgen versorgt wird, muss Anlass sein, Raritäten.
eine Schädelfraktur/Schädel-Hirn-Trauma auszu-
schließen! Die Halswirbelsäule kann hingegen auch bei scheinba-
ren Bagatelltraumen (Purzelbaum auf Gymnastikmat-
! Cave te, »Parkplatzunfall«) schwerst und mit gravierenden
Jede »adäquate« Kopfverletzung macht den Aus- Folgen traumatisiert werden.
schluss einer Schädelfraktur und eines Schädel-Hirn- Bei Wirbelfrakturen ohne adäquates Trauma muss
Traumas sowie die Anlage einer Halsmanschette an eine pathologische Fraktur gedacht werden (Osteo-
(»stiffneck«) notwendig. porose, Knochenmetastasen, Knochentumor, Plasmo-
zytom, Spondylitis etc.).
Bei Verletzungen des Kopfes sind diagnostisch folgende Grundsätzlich besonders verletzungsgefährdet sind
Schritte wichtig: die Übergänge HWS/BWS und BWS/LWS und LWS/
4 Anamnese (neurologisch, Doppelbilder, Unfall- Kreuzbein (hohe Kraftwirkung an Übergangszonen).
schwere etc.) Nicht selten bleiben Wirbelsäulenverletzungen un-
4 Inspektion: Brillenhämatom, Liquor-/Blutaustritt entdeckt. Nur ca. 10% aller Wirbelsäulenverletzungen
aus Nase, Ohren etc. gehen auch mit neurologischen Defiziten einher. Um-
4 Palpation: Stufenbildung, Krepitationen gekehrt muss bei Wirbelsäulenverletzungen auch an
4 Sondierung: Wundgrundsondierung mittels Begleitverletzungen gedacht werden (Niere, Milzrup-
Sonde tur u. v. m.), zumal meist ein schwere Traumatisierung
4 Röntgenaufnahme des Schädels in 2 Ebenen vorliegt.
154 Kapitel 1 · Chirurgie

Diagnostik
1 Anamnese wand, Gelenkfortsätze, des Wirbelbogens
Zu klären sind der Unfallmechanismus, Schmerzen und hinteren Bandkomplexes
(z. B. im Bereich der Dornfortsätze, bei Bewegung), Be- – Stabile Wirbelsäulenverletzung: inf. Band-
schwerdebild. Gastrointestinale Beschwerden (bis zum scheibenverletzung, Wirbelkörperbruch,
Ileus [!] bei retroperitonealem Hämatom), Miktionsbe- einseitigem Wirbelbogen- oder Gelenkfort-
schwerden, Schluckstörungen (hohe HWS-Verletzung, satzbruch
retropharyngeales Hämatom).

Klinische Untersuchung ! Cave


Soweit es bei einem Traumatisierten möglich ist, sollten Auch schwere Kompressionsfrakturen können stabil
Geh-Steh-Bewegungsunfähigkeit, Bewegungseinschrän- sein, leichte diskoligamentäre Zerreißungen der HWS
kungen (Untersuchung nach Neutral-Null-Methode), instabil.
neurologische Ausfälle (Hirnnervenausfälle, Sensibilität,
Motorik), Muskelhartspann (Torticollis) geprüft werden. Von den knöchernen Frakturen der knöchernen Wir-
Evtl. zeigt sich ein dorsales Hämatom; tastbare Fraktur- belsäule (Körper, Bögen, Processus spinosus) sind dis-
zeichen sind Deformation, Krepitation, Klopf-/Stau- koligamentäre Verletzungen und resultierende Luxa-
chungsschmerz. Zu beurteilen sind zudem Rotation, tionen (Verschiebungen, »Verrenkungen«) zu unter-
Flexion, Extension, axiale Belastung, Seitneigung. scheiden.

Bildgebende Diagnostik ! Cave


Konventionelles Röntgen in 2 Ebenen (a.-p. und seit- Reine Luxationen können gefährlicher sein als Luxati-
lich, Schrägaufnahmen, Dens-Zielaufnahme (per geöff- onsfrakturen, da durch eine Bogenfraktur das Rü-
netem Mund), HWK-7-Zielaufnahme und Funk- ckenmark ggf. den »rettenden Raum« erhält, während
tionsaufnahmen zur Beurteilung der Frage nach dis- es bei reiner Luxation zu einem »Abscheren« kom-
koligamentärer Beteiligung. Beurteilung der men würde (Querschnittslähmung!).
Dornfortsatzdistanzen, Wirbelkörperhöhen, Wirbel-
form (Keilwirbel, Absprengungen), Luxationen u. v. m. Im BWS und LWS-Bereich findet das 3-Säulen-Modell
Das Computertomographie ist insbesondere für nach Denis häufigen Gebrauch. Es unterteilt die Wir-
konventionell radiologisch schlecht einsehbaren Area- belsäule im Querschnitt in 3 Säulen.
len, z. B. Übergang HWS-BWS) sinnvoll. Das MRT 4 Vordere Säule: vorderes Längsband und vordere 2/3
dient insbesondere der Beurteilung diskoligamentärer des Wirbelkörpers
und spinaler Beteiligung, raumforderndes Hämatom, 4 Mittlere Säule: hinteres Drittel der Wirbelköper
Diskusprolaps. Zu den weiteren eingesetzten diagnosti- und hinteres Längsband
schen Verfahren gehören Myelographie (selten) und 4 Hintere Säule: Wirbelbögen, Wirbelgelenke, Dorn-
Sonographie (Hämatome; 7 oben). fortsätze, Ligamentum flavum und Zwischenwir-
belbänder, Lig. supraspinale

Klassifikation Die isolierte hintere Säulenverletzung tritt auf z. B. bei


4 Klassifikation der Wirbelsäulenverletzungen einer Hyperflexion, die Verletzung der vorderen Säule
nach der Verletzungsgenese (Magerl) bei einer Hyperextension und aller 3 Säulen bei Dis-
– Kompressionstrauma, Typ A (Einbruch Deck- traktionstrauma oder Kompressions- bzw. Rotations-
platten, Keilwirbel, Berstung) trauma.
– Distraktionstrauma Typ B (Hyperflexion,
-extension, horizontale Zerreißungen) 2-Säulen-Modell
– Rotationstrauma Typ C (meist kombinierte Ein 2-Säulen-Modell (Whitesides) unterscheidet nur eine
Kompressionen und Zerreißungen) vordere (Wirbelkörper mit Bändern) und hintere Säule (Wir-
4 Klassifikation der Wirbelsäulenverletzung nach belbögen und Bänder). Aus didaktischen Gründen werden
der Stabilität hier einzelne, wenn auch häufige, Frakturarten isoliert be-
– Instabile Wirbelsäulenverletzung: bei Verlet- sprochen. Häufig handelt es sich um Kombinationen sol-
zung der Wirbelkörperhinterkante, Diskus- cher Verletzungen mit entsprechend anspruchsvoller The-
6 rapieplanung und höchst individueller Prognose.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
155 1
Allgemeine Therapieprinzipien Therapie. Ruhigstellung (so kurz wie möglich – wenige
Konservativ Tage!), Analgesie, Muskelrelaxation. Frührehabilitation.
Ggf. Extension (z. B. Crutchfield) unter Röntgenkont-
rolle, geschlossene Reposition. Anschließende Ruhig- ! Cave
stellung per weichem Kragen (Schanz) oder hartem HWS-Distorsion: keine »Kragen für 3 Wochen«. Es be-
Kragen (Philadelphia), Halo-Fixateur, 3-Punkte- oder steht die Gefahr der irreversiblen Störung des musku-
Gips-/Cast-Korsett. loskelettalen Systems.

Operativ Atlasfrakturen (C1)


> Ziel sind die Reposition (Wiederherstellung der Ach- Definition/Ätiopathogenese. Frakturen der oberen
se) und Stabilisierung der Wirbelsäule, die Dekom- HWK sind meist durch Autounfälle oder den »Sprung
pression des Rückenmarkes und der Spinalnerven in seichtes Wasser« bedingt. Meist ist der vordere oder
sowie die Rehabilitation. hintere Atlasbogen frakturiert. Als Jefferson-Fraktur
(»Atlasberstungsfraktur«) bezeichnet man die gleich-
Eine Osteosynthese erfolgt mittels Schraubenosteosyn- zeitige Fraktur des vorderen und hinteren Atlasbogens.
these, dorsaler, ventraler Verplattung oder Spondylode-
se (per Bogenverschraubung/von dorsal). Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen (7 oben),
Kortikospongiöser Knochenspan (z. B. Entnahme- ggf. neurologische Ausfälle.
stelle Becken) oder »Cage« (Wirbelkörperersatz) ist bei
Defekten der Wirbelkörper oder nach Entfernen der Diagnostik. Konventionelles Röntgen, CT, MRT.
Bandscheibe zur Defektfüllung indiziert.
Die operative Versorgung kann einsegmental oder Therapie. Ist nur einer der Bögen betroffen und ohne
mehrsegmental/segmentüberbrückend ausgeführt neurologische Symptomatik reicht eine konservative
werden. Operative Zugänge sind von dorsal, trans- Behandlung aus. Indiziert ist hier eine Extension und
thorakal, transabdominal, retroperitoneal. Einzelne anschließende Ruhigstellung durch Zervikalstütze oder
Verfahren können auch mininalinvasiv durchgeführt Halo-Fixateur für 4–12 Wochen. Selten ist eine operati-
werden. ve Sponylodese (Verschraubung C1 und C2 – atlantoa-
Als Dekompression bezeichnet man die Beseiti- xial) notwendig bei großer Zerberstung.
gung einer Raumeinengung des Spinalkanals.
Axisfrakturen (C2)
Verletzungen der Halswirbelsäule Definition. Man unterscheidet Axisbogen- und -kör-
HWS-Distorsion (»Schleudertrauma«) perfrakturen von Densfrakturen. Die Frakturen des
Ätiopathogenese. Typischer Unfallhergang ist die Fol- Dens axis werden nach Anderson und Alonso in 3 Gra-
ge von De- und Akzeleration mit Hyperflexion und de unterteilt (7 unten).
Hyperextension der HWS (Auffahrunfall). Der Verlauf
und die Patientenbeschwerden können auch ohne mor- Axisbogen und -körperfrakturen. Diese auch »hanged
phologisches Korrelat (diskoligamentär) gravierend mans fracture« genannte Fraktur geht einher mit einer
und langwierig sein. Nicht selten entwickeln Patienten Zerreißung des Bandapparates C1–C2 (Vollbild: Zer-
ein chronisches Schmerzsyndrom. reißung der Medulla oblongata). Symptomatik: allge-
meine Frakturzeichen, ggf. neurologische Ausfälle. Di-
Symptomatik. Unspezifische HWS-, Rücken-, Kopf- agnostik: konventionelles Röntgen, CT, MRT. Therapie:
schmerzen, Schwindel, Sehstörungen, schmerzhafte bei geringer Dislokation und erhaltener Stabilität Ver-
Beweglichkeitseinschränkungen. sorgung per Philadelphia-Kragen oder Halo-Fixateur
für 10–12 Wochen (ggf. nach Reposition). Stark dislo-
Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen, Funktionsaufnahme, zierte und/oder instabile Frakturen werden osteosyn-
Denszielaufnahme und C7-Zielaufnahme, weiterge- thetisch, meist per Spondylodese versorgt; Operations-
hende Diagnostik bei Verdacht auf Läsionen. zugang: ventral oder dorsal.

! Cave Luxationsfrakturen. Eine operative Versorgung ist un-


Eine HWS-Distorsion erfordert eine präzise Dokumen- umgänglich.
tation, denn die Rate gerichtlicher Auseinanderset-
zungen und späterer Akteneinsicht ist hoch. Densfraktur Typ I. Fraktur der Densspitze mit Riss der
Ligamenta alaria. Meist ist keine Therapie nötig,
156 Kapitel 1 · Chirurgie

ggf. Ruhigstellung für 2–3 Wochen mittels Philadel- Instabilität. Neurologische Ausfälle sind sehr wahr-
1 phia-Kragen. scheinlich, meist durch Luxation/Dislokation benach-
barter Wirbel.
Densfraktur Typ II. Frakturlinie im Niveau der Densba- Torsionstraumen sind selten und gravierend, füh-
sis. Diese Frakturform ist stets instabil und meist dislo- ren ebenso zu Zerreißung aller 3 Säulen mit hochgradi-
ziert. Nur bei absoluten Kontraindikationen kann auf ger Instabilität und Gefährdung des Rückenmarkes.
eine Osteosynthese verzichtet werden (kanülierte
Kompressions-Densschraube von ventral, seltener Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen, evtl. neuro-
Spondylodese C1–C2). logische Ausfälle.

Densfraktur Typ III. Ausriss des Dens im Axiskörper. Diagnostik. Konventionelles Röntgen, CT, MRT.
Die Fraktur ist meist stabil, die Frakturlinie liegt meist
in Spongiosabereich und hat eine gute Heilungsten- Therapie. Je nach Stabilität und neurologischem Defizit
denz, kann folglich per Halo-Fixateur ruhiggestellt wer- erfolgt eine konservative (Analgesie, Entlastung, Früh-
den. Für die Heilung sind allerdings bis zu 5 Monate zu mobilisation) oder operative Behandlung. Immobilisie-
veranschlagen. Bei Dislokation und Wunsch nach rung im Bett mit Hyperlordosierung wird aufgrund der
schnellerer Heilung kann eine Osteosynthese indiziert erheblichen Nachteile einer Immobilisation (Dekubi-
sein (7 oben, Typ II). Bei Densfrakturen Grad II und III tus, Pneumonie, Thromboembolie) kaum noch durch-
ist der Dens meist nach ventral oder dorsal luxiert. geführt. Meist erfolgt eine Osteosynthese von dorsal
(Fixateur interne) als Standardzugang oder dorsovent-
Atlantoaxiale Luxationen. Durch Bandruptur (meist rale Spondylodese bei Wirbelkörperzerstörung.
durch Hyperflexionextensionstrauma) bedingt; es
besteht eine hochgradige Instabilität und Gefährdung Prognose. Die Prognose ist abhängig von Entdeckungs-
des Rückenmarks. Therapeutisch ist eine operative und Interventionszeitpunkt, Grad der Schädigung und
Versorgung meist durch dorsale atlantoaxiale Fusion der Beteiligung neurologischer Strukturen. Auch noch
indiziert. posttraumatisch besteht die Gefahr einer Spinalka-
nalstenose sowie degenerativer Veränderung von Nach-
Verletzungen der unteren HWS barsegmenten.
Prädilektionsstellen sind die Bereiche C4–C6. Bei Insta-
bilität (Bandverletzung, Luxation) und neurologischer ! Cave
Beteiligung ist eine operative Versorgung meist per »Seat-belt injury«: Kombination von Wirbelsäulenver-
ventraler Spondylodese mit kortikospongiösem Kno- letzung mit intraabdominellen Verletzungen (Leber-
chenspan oder ventraler/dorsaler Osteosyntheseplatte riss, Milzriss, Darmzerreißung), insbesondere bei im-
(ggf. zuvor Dekompression) indiziert. Stabile Frakturen mer noch vorhandenen 2-Punkt-Beckengurten der
(Körper, Bögen, Dorn-, Gelenkfortsätze) werden kon- Fondpassagiere.
servativ behandelt.
Pathologische Frakturen und Entzündungen der Wir-
! Cave belsäule
Frakturen und diskoligamentäre Verletzungen der un- Pathologische Wirbelkörperfrakturen (7 Kap. Orthopädie,
teren HWS werden häufig übersehen. 2.5.2 und 2.5.7). Diagnostik: Osteolysen, Frakturen. Thera-
pie konservativ. Operative Therapie ist indiziert bei neuro-
logischen Ausfällen, Schmerzzuständen, Instabilitäten,
Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule malignen Tumoren. Ggf. werden radikale Resektion (Tu-
Ätiopathogenese. Prädilektionsstellen sind die Wir- mor), Wirbelkörperaufrichtung mittels Knochenzement
belkörper Th11–L2. Axiale Krafteinwirkung (z. B. (Vertebroplastie), Stabilisierung, Spondylodesen und auch
Fenstersturz) kann zu Kompressionsfrakturen (Typ A) multimodale Therapiekonzepte nötig.
z. B. von 1–3 Säulen führen. Es kann zu neurologischen Entzündungen der Wirbelsäule (Spondylitis, Spondylo-
Ausfällen kommen (Stauchung und Fragmentpro- diszitis): Antibiose, Ausräumung, Defektfüllung, lokale An-
trusion in Canalis vertebralis), die Verletzung kann tibiose, ggf. Stabilisierung, Spondylodese.
stabil sein.
Hyperflexions-, seltener Extensionstraumen führen Querschnittverletzung
oft zu Distraktionstraumen (Typ B). Meist sind alle 3 Bei Verletzungen des Rückenmarks und Spinalnerven
Säulen betroffen mit entsprechend häufig hochgradiger kann es zu stufenlosen neurologischen Ausfällen bis
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
157 1

zum Vollbild einer Para-/Tetraplegie und des »Locked- 4 Untersuchung des Schultergelenkes: Bei der In-
in-Syndroms« kommen. Dies geschieht z. B. durch Lu- spektion sind Atrophien der Muskulatur, Fehlstel-
xationsfrakturen und/oder Protrusion/Einengung des lungen, Kontusionsmarken, Asymmetrien zu beur-
Spinalkanals. teilen. Palpatorisch sind Krepitation, Überwär-
mung, Schwellungen, Myogelosen, tastbare ossäre
> 10% der Wirbelsäulenverletzungen gehen mit neuro- Strukturen, Lager der langen Bizepssehne sowie
logischen Ausfällen einher. Druckschmerzpunkte zu prüfen. Die Untersuchung
nach Neutral-Null-Methode verläuft nach folgen-
Eine »Rückenmarkserschütterung« kann reversibel den Normwerten am Schultergelenk:
sein. Ein initiales Ödem kann eine zunächst schwere 5 Abduktion – Adduktion (180° – 0° – 40°)
breitere neurologische Symptomatik vortäuschen, 5 Elevation (Anteversion) – Retroversion (Flexi-
rückläufig sein, ggf. aber auch Ursache von einer weiter- on) (150–170° – 0° – 40°)
gehenden Schädigung des Rückenmarks sein. 5Innenrotation – Außenrotation (95° – 0° – 60°)
Primäre Aufgabe des Traumatologen ist das Erken-
nen von Hinweisen auf Rückenmarks- und Spinalnerv- Wegweisend sind auch »Nackengriff« (Beobachtung
beteiligung (Klinisch, Beurteilung des Spinalraumes des Abstandes Daumen – C7), »Schürzengriff«
z. B. per MRT). Ist dies der Fall, muss ggf. Dekompres- (Daumen an LWS) und Beobachtung der gleichzeiti-
sion und Stabilisation und zügigste Verlegung in ein gen Skapulabewegung. Alle Beweglichkeitsunter-
Paraplegikerzentrum/Frührehabilitationszentrum er- suchungen erfolgen unter Schmerzangabe: z. B.
folgen. Schmerzhafter Bogen (40–130°): »painful arc« bei
Adduktion. Die Beweglichkeit des Schultergelenkes ist
> Über die Prognose von Querschnittverletzungen komplex und wird durch Schultergürtelbewegungen
entscheidet man per Früherkennung bereits am Un- überlagert.
fallort: Verhinderung von »Sekundärschäden« (z. B.
bei Lagerung, Transport), temporäre Fixation und > Eine Kompression der Bursa subabcromialis und der
frühzeitige Dekompression! Supraspinatussehne zwischen Humeruskopf und
Akromion (Impingement) führt auf Dauer zu einer Be-
1.8.2.4 Verletzungen des Thorax lastung der Sehne des M. supraspinatus: Ruptur, auch
Pneumothorax, Hämatothorax, Verletzungen des Ster- Bursitis als Folge degenerativer Veränderungen!
nums und Verletzungen der Rippen: 7 Kap. 1.4 und 1.5.
Technische Untersuchung
1.8.2.5 Verletzungen des Abdomens Radiologisch ist die Schulter a.-p. innenrotiert – außen-
7 Kap. 1.7. rotiert, axial und die Skapula a.-p. und tangential zu
beurteilen. Sonographisch lassen sich Rotatorenman-
1.8.2.6 Verletzungen des Schultergürtels schette und Bizepssehne untersuchen. MRT und CT
und des Schultergelenk sind bei speziellen, v. a. orthopädischen Fragestellungen
Durch das Verhältnis der kleinen Gelenkpfanne und indiziert.
des großen Gelenkkopfes (das eine hohe Beweglichkeit
ermöglicht) und ein hohes Maß an Band-, Sehnen- und Verletzungen von Schultergürtel und
Muskelbelastung sind Schultergelenk und Schultergür- Schultergelenk (. Abb. 1.45)
tel häufig luxiert/verletzt. Klavikulafraktur (Schlüsselbein)
Definition. Frakturen der Klavikula werden in laterale,
Untersuchung von Schultergürtel und mediale und mittlere (= Schaftfraktur, 70%) Frakturen
Schultergelenk unterteilt. Aufgrund Ihrer Komplexität und den thera-
Anamnese peutischen Konsequenzen werden die lateralen Fraktu-
Verletzungsmuster, Berufsanamnese. ren je nach Beziehung zu den Bandstrukturen noch-
mals in Typ I–IV (Breitner) – Typ III entspricht der
Klinische Untersuchung medialen Fraktur – unterteilt.
4 Untersuchung der Skapulae: Bei der Inspektion ist Unterteilung der lateralen Klavikulafraktur:
auf Asymmetrie zu achten (z. B. Skapula alata), 4 Typ I: Fraktur lateral der korakoklavikulären Bän-
wichtig ist auch die Palpation. der; konservative Behandlung
4 Untersuchung des Akromion: Hier geht es um 4 Typ II: partielle Ruptur der korakoklavikulären
Form und Symmetrie (Gegenseite beachten). Bänder; operative Behandlung notwendig
158 Kapitel 1 · Chirurgie

. Abb. 1.45a–f. Mindmap Akromioklavikuläre Luxation, Ein- Zerreißung aller Bandverbindungen zwischen Klavikula und
teilung nach Rockwood. a–c entspricht den Verletzungstypen Skapula auch zur Zerreißung von Muskelansätzen (M. deltoi-
Tossy I–III. d Alle Bandverbindungen zwischen Klavikula und deus, M. trapezius) mit massivem Klavikulahochstand. f Zerrei-
Skapula sind zerrissen. Zusätzlich Verrenkung des lateralen ßung aller Bandverbindungen zwischen Klavikula und Skapu-
Klavikulaendes nach dorsal oder Verhakung im M. trapezius. la mit Verrenkung des lateralen Klavikulaendes unter den Pro-
e Durch besondere Gewalteinwirkung kommt es neben der cessus coracoideus. (Aus Siewert 2006)
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
159 1

4 Typ III: Fraktur medial der korakoklavikukläen


Bänder: konservative Behandlung
4 Typ IV: wird nur bei Kindern beobachtet; Luxation
der lateralen Klavikula bei verbleibendem Periost-
schlauch; Therapie konservativ

Zwischen der Klassifikation und Therapie der lateralen


Klavikulaverletzung und der Akromioklavikularge-
lenkverletzung gibt es Überschneidungen. a

Ätiopathogenese. Schlüsselbeinfrakturen sind häufig,


sie entstehen meist indirekt durch Sturz auf den ausge-
streckten Arm.

Symptomatik. Schmerz, Druckschmerz, allgemeine


Frakturzeichen, Functio laesa des Schultergelenks, tast- b
bare »Stufenbildung« (Muskelzug, Schwerkraft).
. Abb. 1.46. Klavikulafraktur, Osteosynthese mittels in-
tramedullärem Titan-Elastic-Nagel (TEN). (Aus Siewert 2006)
! Cave
A. subclavia, Plexus brachialis und Pleura können
durch die Klavikulafraktur und iatrogen aufgrund der Diagnostik. Thoraxübersichtsaufnahme, Schulter p.-a.,
engen topographischen Beziehung leicht verletzt Y-Aufnahme nach Neer. Für komplexere Frakturen ist
werden; insgesamt sind Begleitverletzungen aber eine CT-Untersuchung (2D, 3D) unerlässlich.
eher selten.
Therapie. Bei Skapulakörperfrakturen ist eine konser-
Diagnostik. Klinisch 7 oben, konventionelles Röntgen a.- vative Therapie indiziert. Skapulahals, Skapulafortsatz
p. und Schrägaufnahme, CT bei komplexen Frakturen. und Glenoidfrakturen müssen (v. a. bei Dislokation) oft
osteosynthetisch versorgt werden.
Therapie. Konservativ wird ggf. mit Reposition, Ruhig-
stellung, Rucksackverband oder Gilchrist-Verband für > Durch Skapulafrakturen können Läsionen des Plexus
4–6 Wochen behandelt. Ansonsten sind Plattenosteo- brachialis, N. suprascapularis sowie N. und A. axillaris
synthese, Zuggurtungsosteosynthese bei stärker dislo- auftreten.
zierten, schlecht reponiblen, instabilen, offenen oder
Verletzungen mit Gefäß-/Nervenbeteiligung (meist bei Skapulaluxationen
lateralen, medialen Frakturen) indiziert (. Abb. 1.46). Luxationen der Skapula kommen bei schweren Traumen
der oberen Extremität vor. Ursächlich ist eine Herauslösung
Osteosynthese bei Klavikulafraktur der Skapula aus der Muskelhülse in Richtung Thorax oder
Trotz Lage dicht unter der Körperoberfläche können fraktu- nach dorsal. Meist liegen schwere Begleitverletzungen von
rierte Schlüsselbeine u. U. schwierig zu reponieren und Gefäß-Nervenbündeln, Knochen und Bandstrukturen (Sub-
schwierig osteosynthetisch zu versorgen sein. Grund sind amputation) vor. Therapie: Operation, Rekonstruktion.
häufig starker Bänderzug und stark variierende Anatomie.
An einigen Kliniken wird das Schlüsselbein mit guten Er- Sternoklavikulargelenksverletzung
folgsraten minimalinvasiv intramedullär geschient (Titan- (Articulatio sternoclavicularis)
Elastic-Nagel oder Vollkunststoffnagel). Ätiopathogenese. Die sternoklavikuläre Luxation
durch direkte Gewalt (Schlag auf Brustbein, Schlüssel-
Skapulafraktur (Schulterblatt) bein) ist kein seltener Fall. Dabei ist das mediale Klavi-
Definition. Unterschieden werden Frakturen des Ska- kulaende meist nach unten und vorne luxiert.
pulakörpers, der Skapulafortsätze (Akromion, Kora-
koid, Spina scapulae), des Skapulahalses und intraarti- Diagnostik. Palpation, Röntgen in 2 Ebenen, CT.
kuläre Frakturen im Glenoidbereich.
! Cave
Symptomatik. Rückenschmerz, Hämatom. Schmerz- Komplikationen sind Verletzungen großer Gefäße
hafte Beweglichkeitseinschränkung im Schultergelenk. und Mediastinalstrukturen (trachea!).
160 Kapitel 1 · Chirurgie

Therapie: Meist operative Reposition, Ruhigstellung Dabei kann es auch zu folgenden Verletzungen kom-
1 durch Bandnaht, Drahtzerklage. men:
4 Abriss des Labrum-Kapsel-Komplexes
AC-Gelenksverletzung 4 Knöcherne Bankart-Läsion: Abscheren des Lim-
(Akromioklavikulargelenk, »Schultereckgelenk«) bus mit samt der Gelenkkapselanteile
Ätiopathogenese. Typische Sportverletzung (z. B. Eis- 4 Hill-Sachs-Läsion: Impressionsfraktur des Hume-
hockey, andere »Kontaktsportarten«) durch direkte ruskopfes durch die Glenoidkante, v. a. bei der Lu-
Gewalteinwirkung. Die Klavikula weicht nach oben xation nach vorne
(bzw. die obere Extremität nach unten), dadurch kommt
es zu stufenlosem Zerreisen des Bandapparates, ggf. so- Diagnostik. Klinisch (Schmerz, tastbare »Delle« unter
gar der Muskelansätze (M. deltoideus, M. trapezius). Akromion, federnde Fixation in Luxationsstellung),
Röntgen in 2–3 Ebenen.
> Bei der AC-Gelenksverletzung handelt es sich um
eine Bandverletzung, keine Fraktur! > Bei der Schulterluxation kann es zur Verletzung des
N. axillaris kommen (M. deltoideus, sensible Versor-
Diagnostik. Klinisch, Inspektion, Palpation (»Klavier- gungsdermatome am lateralen proximalen Oberarm).
tastenphänomen« der lateralen Klavikula). Röntgen:
Schulterpanoramaaufnahme (10 kg Zug an Arm), auch Therapie. Geschlossene Reposition (ggf. in Narkose
im Seitenvergleich. und unter Bildkontrolle) nach Hippokrates (zuneh-
mend verlassen) oder Kocher, anschließender Ruck-
Therapie. Die Therapie erfolgt entsprechend der Klas- sack-, Gilchrist- oder Desault-Verband. Röntgenkont-
sifikation der AC-Gelenksverletzung nach Tossy I–III rollaufnahme. Bei dorsaler Luxation ist ein geschlosse-
oder Rockwood (I–VI) nach zunehmendem Schwergrad ner Repositionsversuch möglich.
der »Sprengung« d. h. des Bandausrisses mit konsekuti- 4 Reposition nach Hippokrates: Positionierung des
ver »Aufklappbarkeit« des Gelenks (. Abb. 1.45). Fuß des Behandelnden in der Axilla des Patienten,
Therapie (nach Tossy) Zug des Arms nach ventral
4 Typ I: keine vollständige Zerreißung, konservativ 4 Reposition nach Kocher: rechtwinkliger Arm wird
4 Typ II: noch Halt des Lig. coracoclaviculare; nur und unter Zug nach ventral außen rotiert
geringe Dislokation; konservativ (Rucksackver-
band, Klebeverband mit Fixation der lateralen Kla- Grundsätzlich muss bei Nichterfolg einer geschlosse-
vikula am Körper) nen Reposition operiert werden, auch, um eine Kopfne-
4 Typ III: Riss aller Bandstrukturen, Höhertreten des krose zu verhindern.
lateralen Klavikulaendes: operativ. Die Verfahren Bereits eine einmalige, traumatische Erstluxation
(Bandnaht, transossäre Kordeln u. v. a.) sind vielfäl- kann bei dabei stattgehabten strukturellen Veränderun-
tig und bleiben Spezialliteratur vorbehalten. gen (90%) zur posttraumatischen, rezidivierenden
Schulterluxation führen (10–90%).
Komplikationen. Auch nach Operation bei fortge- Von habitueller Schulterluxation spricht man bei
schrittenen AC-Gelenkssprengungen entwickeln sich gehäufter Luxation ohne adäquates Trauma. Beides
häufig anhaltende Beschwerden und Pseudoarthrosen- mündet letztlich in immer größere strukturelle Schädi-
bildung. gung: Endzustand: Omarthrose. Darum ist v. a. bei jun-
gen, sportlich aktiven/beruflich körperlich aktiven Men-
Skapulohumeralgelenksverletzung schen bereits bei Erstluxation eine arthroskopische
(Schultergelenk, Glenohumeralgelenk) Refixation des Labrum-Kapsel-Komplexes, ggf. auch
Die Cavitas glenoidalis mit Limbus und die Rotatoren- Refixation eines Bankart-Fragmentes und/oder einer
manschette (M. supra-/infraspinatus, M. subscapularis, Pfannenerweiterung mittels Knochenspan, indiziert.
M. teres minor) mit Kapsel-Bandapparat fixieren den
Humeruskopf in seiner kleinen Pfanne. Rotatorenmanschettenverletzung
Ätiopathogenese. Die Rotatorenmanschette wird von
Schulterluxation Muskelanteilen des M. supra- und infraspinatus,
Definition/Ätiopathogenese. Sie erfolgt meist (90%) subscapularis und des M. teres minor gebildet. Als Folge
nach unten und/oder vorn (seltener hintere und axillä- eines Traumas kommt es eher selten zur Verletzung der
re Luxation). Typischer Unfallmechanismus ist eine Rotatorenmanschette; es liegen meist degenerative Ver-
plötzliche Abduktion und Außenrotation des Arms. änderungen vor (7 Orthopädie, Kap. 2.11.7.1).
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
161 1

Diagnostik. »Painful arc«, Impingement-Syndrom Schultersteife


(7 oben), Abduktionschwäche bzw. schmerzhafte Ab- Verletzungen der Schulter – genau wie Fehlbehandlungen
duktion; Sonographie, MRT, ggf. Röntgen: Akromion, und/oder zu lange Ruhigstellung – führen nicht selten zu
Outlet-Aufnahme. späterer Schultersteife »frozen shoulder«, chronischem
Schmerzsyndrom, »Kalkschulter«. Korrelat sind Kapsel-
Therapie. Die Therapie erfolgt operativ mittels Naht der schrumpfungen, intraartikuläre Verklebungen. Daher ist
Rotatorenmanschette, Schaffung subakromialen die frühfunktionelle Rehabilitation grundsätzlich von gro-
Raums. Heute ist dies auch endoskopisch möglich ßer Bedeutung.
(Akromion-Shaving). Operation nach Neer (Spaltung
des Lig. coracoacromiale), Ruhigstellung des Arms in
Abduktionsstellung.

In Kürze

Therapie der Schulterverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Klavikulafraktur Alle offenen, stark dislozierten Frakturen und bei Unterteilung in mediale, mittlere
Verdacht auf Gefäß-Nerven-Beteiligung operativ und laterale Frakturen. Die latera-
(Plattenosteosynthese, Zuggurtung, Nagelung). len Frakturen werden nochmals in
Meist bei lateralen Typ-II- und medialen Frakturen Typ I–IV unterteilt
erforderlich Zu 70% Fraktur des mittleren Drit-
Sonst konservativ (Rucksackverband, Gilchrist-Ver- tels
band für 4–6 Wochen)

Skapulafraktur Meist konservativ. Osteosynthese nur bei Skapula- Selten. Meist liegen schwere Be-
hals- und Glenoidfrakturen gleitverletzungen vor (Subampu-
tation der oberen Extremität)

Sternoklaviku- Operative Reposition, Drahtzerklage Cave: unter Umständen Verlet-


largelenksverlet- zung von Mediastinalstrukturen!
zungen

AC-Gelenksver- Tossy I, II: konservativ, Rucksackverband Keine Fraktur!


letzung Tossy III: Bandnaht, Verplattung, viele Verfahren Bandverletzung, Klassifikation
nach Tossy I–IV, Rockwood I–VI

Schulterluxation Geschlossene Reposition nach Kocher Erst-, Re- und habituelle Luxation
Ggf. operative Refixation von Fragmenten, Osteo- Begleitverletzungen: Labrum,
synthese, Pfannenplastik Bankart (Limbusabscherung), Hill-
Sachs (Humeruskopfimpression)

Läsionen der Naht, subakromiale Dekompression (auch endosko- Meist auf Boden degenerativer
Rotatoren- pisch), Operation nach Neer Veränderungen
manschette Bei Abriss des Tuberculum majus: transossäre
Refixation
162 Kapitel 1 · Chirurgie

1.8.2.7 Verletzungen der oberen Extremität Komplikationen. Der Humeruskopf ist nur sparsam
1 Untersuchung der oberen Extremität gefäßversorgt. Posttraumatisch kann die Durchblutung
Diagnostik. Anamnestischer Verletzungsmechanis- in Gefahr sein (90% Humeruskopfnekrose bei Luxati-
mus, Inspektion, Palpation (allgemeine Frakturzeichen; onsfrakturen).
7 oben).
Bizepssehnenruptur
Verletzungen des Humerus Ätiopathogenese. Die Ruptur der Bizepssehne (proxi-
Proximale (subkapitale) Humerus-/ mal oder distal) kann Folge degenerativer oder akut
Humeruskopffraktur traumatischer Ereignisse sein.
Ätiopathogenese. Im Alter sind proximale Humerus-
(kopf)frakturen gehäuft auch schon bei leichten Stür- Diagnostik. Klinisch: Kraftverlust bei Flexion, »Mus-
zen (Sturz ausgestreckte Hand) zu beobachten. Bei kelwulst« proximal oder distal, Hämatom, proximaler/
jungen Menschen sprechen sie eher für ein schweres distaler Druckschmerzangabe.
Trauma.
Therapie. Es ist eher eine konservative Therapie indi-
Diagnostik. Klinik (Schmerz, Funktionseinschränkung, ziert. Die operative Refixation wird nur bei jüngeren
Hämatom, Schwellung, Fehlstellung); Röntgen: Schul- Patienten mit akutem Abriss des vornehmlich distalen
ter a.-p., Schulteraufnahme axial und tangential. Bei Ansatzes am Radius (Zugang per Ellbeuge) durchge-
komplexeren Frakturen ist ein CT zur Therapieplanung führt.
nötig. Neer unterteilt die Frakturen in Kalottenfraktu-
ren sowie Frakturen im Bereich des Tuberculum majus Humerusschaftfraktur
und minus (Frakturtypen I–III). Ätiopathogenese. Alle denkbaren Frakturarten (Stau-
chungs-, Torsions-, Trümmerbruch u. v. a.) sind am
! Cave Oberarmschaft zu beobachten. Sportverletzungen,
Bei der proximalen Humerusfraktur besteht die Ge- Unfälle sind die häufigsten Ursachen. Pathologische
fahr der Begleitverletzung von A. und N. axillaris. Die- Frakturen (z. B. Metastasen) nehmen eine Sonder-
se Strukturen können auch iatrogen bei offener Frak- stellung ein.
turversorgung verletzt werden.
> Bei einer Humerusschaftfraktur ist der N. radialis ge-
Therapie. Nur bei stabilen, nicht dislozierten proxima- fährdet. Bei einer starken Schädigung ergibt sich das
len Humerusfrakturen erfolgt eine konservative Vollbild: »Fallhand«. In bis zu 15% der Humerusschaft-
(Gilchrist, Desault frühe Bewegungsübungen) Be- frakturen findet sich eine Radialislähmung; dazu kann
handlung. es auch iatrogen bei offener Versorgung kommen.
Bei Dislokation, Instabilität, Luxationsfakturen, Ab- Bei Begleitverletzung des N. radialis ist ggf. operative
riss des Tuberculum majus wird eine operative Repo- Neurolyse erforderlich (Gefahr der Einklemmung in
sition, Rekonstruktion und Fixation nötig. Dies kann Frakturspalt!).
perkutan geschehen (Kirschner-Drähte, retrograde
Markraumschienung) oder mittels offener Verfahren Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen (s. oben).
(Platten-, Schrauben-, Zuggurtungsosteosynthese, Zug-
gurtungs-Drahtfixation des Tuberculum majus, proxi- Diagnostik. Konventionelles Röntgen in 2 Ebenen.
maler Humerusnagel).
Bei intraoperativem Verdacht einer Durchblu- Therapie. Durch den stabilen Weichteilmantel können
tungsstörung der Kalotte, schwersten Kopfdestruktio- viele Oberarmschaftfrakturen konservativ behandelt
nen und Refrakturen kann je nach Patientenalter auch werden: Reposition unter Bildwandler, Gilchrist-
primär ein Gelenkersatz (Humeruskopfprothese) er- Verband, dann Sarmiento-Manschette (Sarmiento-
wogen werden (sehr selten). Brace) und frühe Mobilisation von Schulter und Ellbo-
Es sollte frühestmöglich eine funktionelle Nachbe- gengelenk.
handlung beginnen. Bei instabilen und gelenknahen Frakturen erfolgt
eine Osteosynthese mittels intramedullärer Schienung
! Cave (ggf. mit Verriegelungsnagel), Plattenosteosynthese. Bei
Keine zu lange Ruhigstellung des Schultergelenks: Es begleitenden Weichteilschaden/offenen Frakturen und
besteht die Gefahr der »frozen shoulder«. Wundinfekt ist ein Fixateur externe zu bevorzugen.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
163 1

> Neben den Wirbelkörpern sind die Humerusschäfte Distale Humerusfrakturen werden aufgrund der häufi-
Prädilektionsorte für Metastasen und pathologische gen Gelenkbeteiligung unter Verletzungen des Ellbo-
Frakturen. gengelenkes besprochen.

In Kürze

Therapie der Oberarmverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Proximale Humerus- Stabile, nicht dislozierte Frakturen konservativ Unterteilung der Frakturen in
fraktur (subkapitale) mit Gilchrist/Desault-Verband und frühfunktio- Kalottenfrakturen, Frakturen des
und Humeruskopf- neller Behandlung Tuberculum majus und minus
fraktur Bei Dislokation, Instabilität, Luxationsfrakturen: Akute Gefährdung der A. und
Spickdrahtosteosynthese, Schrauben-Plattenos- des N. axillaris
teosynthese, Zuggurtung, proximaler Humerus- Langfristig Risiko der Humerus-
nagel. Selten Kopfprothese erforderlich kopfnekrose

Bizepssehnenruptur Konservativ Distaler und proximaler Abriss


Operative Refixation nur bei jungen Patienten möglich. Meist auf Boden dege-
und bei akuter, traumatischer Ruptur nerativer Veränderungen

Humerusschaft- Konservativ mit geschlossener Reposition und N. radialis durch Fraktur und in-
fraktur Gips-Hülse (Brace) traoperativ bedroht!
Operativ nur bei Instabilität, offenen Frakturen,
Radialisschädigung
Verfahren: Intramedulläre Schienung (unaufge-
bohrter Humerusnagel, Plattenosteosynthese,
ggf. Fixateur externe

1.8.2.8 Verletzungen des Ellbogengelenkes Technisch. Röntgen (gestreckt a.-p., in 90°-Flexion und
Anatomie seitlich), Durchleuchtung, CT, MRT (letztere beiden
Das Ellbogengelenk ist äußerst komplex aufgebaut. Es ver- insbesondere zur Therapieplanung bei komplexen
bindet den Humerus mit Ulna und Radius, lässt sich unter- Frakturen).
teilen in Humeroulnargelenk (Scharniergelenk), Radioul-
nargelenk (Radgelenk) und Humeroradialgelenk (Kugelge- Verletzungen
lenk). Diese Gelenke ermöglichen Flexion, Extension (150° Distale (suprakondyläre) Humerusfraktur
– 0°– 10°) sowie Pronation und Supination (80° – 0° – 80°) Ätiopathogenese. Sturz auf ausgestreckte Hand, Hy-
des Unterarms. perextension im Ellbogengelenk.

Ellbogenfrakturen bei Kindern sind äußerst häufig! Klassifikation. Distale Humerusfrakturen werden nach
Distale Humerusfraktur: Suprakondyläre Frakturen der AO-Klassifikation in Typ-A-, -B- und -C-Frakturen
können nach Reposition in Narkose unter dem Bild- eingeteilt
wandler meist konservativ behandelt werden. Nur bei 4 Typ A: extraartikuläre Fraktur mit einfachem bis
größeren Rotationsfehlern und Instabilität ist ggf. eine mehrfragmentärem Frakturmuster (A1–A3)
offene Reposition und Fixation mittels Kirschner- 4 Typ B: partielle Gelenkbeteiligung
Drähten nötig. Es schließt sich eine Ruhigstellung per 4 Typ C: intraartikuläre Frakturen
Schlinge oder Oberarmgips für 3–4 Wochen an.
Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen.
Untersuchung
Klinisch. Schmerzangabe, Schwellung und andere allge- Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen, ggf. CT bei kom-
meine Frakturzeichen, Untersuchung nach Neutral- plexen Gelenkfrakturen.
Null-Methode, neurovaskuläre Untersuchung.
164 Kapitel 1 · Chirurgie

Therapie. Beim Erwachsenen werden distale Humerus- ! Cave


1 frakturen immer operativ angegangen: Draht-Spickung, Bei einer Olekranonfraktur ist der N. ulnaris zu prüfen.
Schrauben- und Plattenosteosynthese, ggf. Bandrekon-
struktion. Bei Kindern evtl. Versuch der geschlossenen Therapie. Zuggurtungsosteosynthese (. Abb. 47), bei
Reposition. Frakturen des Condylus radialis humeri Trümmerfrakturen Plattenosteosynthese. Frühfunktio-
verlaufen im Gelenk (Typ B) und müssen wenn mög- nelle Rehabilitation.
lich exakt operativ reponiert und fixiert werden.
Bei Typ-C-Frakturen empfiehlt sich meist der dorsa- Radiusköpfchenfraktur
le Zugang unter Osteotomie des Olekranons, um eine Ätiopathogenese. Anamnese: Sturz auf ausgestreckte
gute Exploration des Gelenkes zu erzielen. Vor Verschrau- Hand.
bung und Verplattung können provisorische Spickdrähte
oder Repositionszangen hilfreich sein zur Fixation der Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen.
Fragmente vor Bohrung und Verschraubung.
Eine weitere Option ist auch die zusätzliche, auch Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen. Nicht selten ist die
gelenkübergreifende, Stabilisation über Fixateur exter- Fraktur des Radiusköpfchens kombiniert mit Luxation
ne oder auch ggf. mehrzeitiges Vorgehen (Weichteilver- (Radiusköpfchenluxationsfraktur), Impressionsfraktur
sorgung – Fixateur – definitive Rekonstruktion). Post- des artikulierenden Humerus, Radiushalsfraktur (»Ma-
operativ erfolgt eine Ruhigstellung für 3–6 Wochen. son«), Kollateralbandausrisse.
Als Baumann-Winkel bezeichnet man im a.-p.-
Bild den Winkel zwischen dem Lot der Humerus- Therapie. Geschlossene Reposition, Ruhigstellung, ggf.
schaftachse und der Geraden durch die Epiphysenfuge Punktion des Hämarthros. Bei irreponiblen Frakturen
des Capitulum humeri. Er sollte nach Reposition 12– und starker instabiler Dislokation ist eine Operation
20° betragen (5° mehr als der natürliche Armwinkel der per Kirschner-Drähte, resorbierbare Stifte und/oder
Gegenseite). Der Normwert für die Achsenabweichung Verschraubung, intramedulläre Schienung indiziert.
zwischen Ober- und Unterarm bei Streckung beträgt Selten wird eine Radiusköpfchenresektion/-prothese
beim Mann: ca. 6–7°, bei der Frau ca. 12–13°. bei schwerer Destruktion notwendig.

Prognose. Die Rekonstruktion von distalen, komplexen


Humerustrümmerfrakturen erfordert ein hohes Maß an
operativer Erfahrung und räumlichem Vorstellungsver-
mögen. Eine vorherige CT-Aufnahme und Planung der
Operation empfiehlt sich. All diese Bedingungen gelin-
gen aber nicht immer: es besteht das Risiko bleibender
Funktionseinschränkungen und frühzeitige Arthrose.

! Cave
Bei komplizierten Ellbogenfrakturen sind die Nn. ul-
naris, medianus und radialis sowie die Aa. brachialis
und cubitalis gefährdet! Ebenso gefürchtet ist die
Volkmann-Kontraktur: Kompartmentsynrom (z. B.
nach Reposition) mit arterieller Durchblutungsstö-
rung durch Druckanstieg: Muskelnekrosen (Therapie:
sofortige Faszienspaltung!)

Olekranonfraktur
Ätiopathogenese. Verletzungsmechanismus: direkte
Gewalt durch Sturz/Schlag auf Ellbogen.

Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen.

Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen. Durch den kräftigen . Abb. 1.47. Zuggurtung nach Olekranonosteotomie für
Muskelzug des M. trizeps brachii ist die Fraktur meist gute Übersicht bei intraartikulärer Fraktur. (Fetzner, eigenes
disloziert und instabil. Krankengut) (7 Farbtafelteil)
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
165 1
Ellbogenluxation tig. Bei ossärer Begleitverletzung ist eine operative
Ätiopathogenese. Die Luxation erfolgt meist nach dor- Refixation nötig.
sal. Sturz, Zug (indirektes Trauma) als auslösende Fak-
toren. > Leichte Reposition = hohes Reluxationsrisiko!

Symptomatik. Allgemeine Fraktur- und Luxations- Radiusköpfchenluxation


zeichen. Ätiopathogenese. Die Radiusköpfchenluxation/-sub-
luxation aus dem Ligamentum anulare (Ringband)
Diagnostik. Zu prüfen sind Durchblutung, Motorik, »nurse elbow« tritt gehäuft bei Kindern auf durch Zug
Sensibilität; Röntgen 2 Ebenen. Die Röntgendiagnostik an der oberen Extremität bei noch schwacher kindli-
in 2 Ebenen ist obligat vor Reposition, sowie zur Kon- cher Muskulatur.
trolle nach Reposition sowie zum Ausschluss ossärer
und ligamentärer Begleitverletzung. Symptomatik/Diagnostik. Schonhaltung des Unter-
arms in pronierter Haltung, Druckschmerz über Radi-
> Die Ellbogenluxation stellt einen Notfall dar: Gefahr usköpfchen.
irreversibler Schäden von Gefäßen/Nerven.
Therapie. Reposition erfolgt bei gebeugtem Ellbogen
Therapie. Die Reposition erfolgt in Narkose und unter durch Druck auf Radiusköpfchen unter Zug am Unter-
Bildwandlerkontrolle durch Zug und Gegenzug. An- arm und Rotation in Supinationsstellung. Luxations-
schließend ist eine Ruhigstellung für 2–3 Wochen nö- frakturen sind nicht selten.

In Kürze

Therapie der Ellbogenverletzungen

Verletzungen Therapie Bemerkung

Distale Humerus- Adult meist operativ: Kirschner-Drähte, Schraubenplatte Typ A–C nach AO-Klassifikation
fraktur (kondylär, Bei Kindern und nur geringer Dislokation ohne Gelenk- Operativ ggf. dorsaler Zugang
suprakondylär) beteiligung Versuch einer geschlossenen Reposition durch Olekranonosteotomie
und Blount-Schlingenverband

Olekranonfraktur Zuggurtungsosteosynthese, Plattenosteosynthese N. ulnaris in Gefahr

Radiusköpfchen- Konservativ, Kirschner-Drähte, selten Resektion not- Oft in Kombination mit Radius-
fraktur wendig köpfchenluxation

Ellbogenluxation Reposition unter Bildwandler. Ggf. operative Versor- Notfall, sofortige Reposition!
gung bei Begleitfraktur/Abriss

Radiusköpfchen- Reposition durch Druck auf Radiusköpfchen, Extension »Nurse elbow«


luxation und gleichzeitige Supinationsbewegung. Operation
nur bei Begleitschaden

Epicondylitis Entlastung bzw. Ruhigstellung, Lokale Infiltration mit »Insertionstendopathie«, »Ten-


radialis humeri Antiphlogistika, Operation: Deinsertion (Hohmann), nisellbogen«: Überbeanspru-
Neurotomie chung von Sehnenansätzen

1.8.2.9 Verletzungen des Unterarms 4 Galeazzi: distale Radiusschaftfraktur und Luxation


Unterarmluxationsfrakturen der Ulna im distalen Radioulnargelenk
Definition. Zwei häufige Varianten stellen die Monteg-
gia- und die Galeazzi-Fraktur dar: > 4 Monteggia: Luxationsfraktur ellbogennah
4 Monteggia: proximale Ulnafraktur und Luxation 4 Galeazzi: Luxationsfraktur Handgelenksnah
des Radiusköpfchens
166 Kapitel 1 · Chirurgie

Ätiopathogenese. Direktes Trauma. Klassifikation. Die klassische morphologische Eintei-


1 lung der Frakturen nach Colles (Hyperextension),
Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen. Smith (Flexion), Barton (Kantenabbrüche) ist in den
Hintergrund geraten. Heute international üblich ist die
Diagnostik. Röntgen 2 Ebenen. Einteilung nach AO in Typ A, B und C-Frakturen:
4 Typ A: extraartikuläre Fraktur
Therapie. Monteggia- und Galeazzi-Fraktur werden 4 Typ B: partiell intraartikuläre Fraktur, es besteht
wie Unterarmschaftfrakturen versorgt. noch Verbindung zur Diaphyse
4 Typ C: intraartikuläre Fraktur (einfach bis multi-
Unterarmschaftfraktur pel), komplette Kontinuitätsunterbrechung zur Di-
Ätiopathogenese. Frakturen von Ulna und Radius im aphyse
Schaftbereich ereignen sich meist durch direkte Gewalt
(z. B. durch Schlag). Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen, »Fourchet-
te«, »Bajonettstellung« des Handgelenkes.
! Cave
Bei allen Frakturen immer angrenzende Gelenke mit Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen.
beurteilen und das Röntgenbild entsprechend ver-
ordnen. ! Cave
Es besteht eine 50%-ige Rate an Fragmentverschie-
Diagnostik. Konventionelles Röntgen 2 Ebenen. bung. Daher sind Röntgenkontrollen wichtig.

Therapie. Kindliche Unterarmfrakturen können ge- Therapie. Ziel ist die anatomische Einstellung von Ge-
schlossen reponiert (Narkose) und mittels Oberarm- lenkfläche und Achse. Dies erfolgt konservativ durch
gips (Ellbogen–Handgelenk) in Funktionsstellung ru- Zug und Gegenzug-Reposition (Sedation, Regional-
higgestellt werden. Gelingt keine stabile Reposition, anästhesie, Narkose, lokale Bruchspaltanästhesie) und
erfolgt eine Spickdrahtversorgung. dorsale Gipsschiene. Gelingt dies nicht, sind perkutane
Bei Erwachsenen ist die offene Reposition und Kirschner-Drähte (Verbleib für 4–6 Wochen) Therapie
Plattenosteosynthese bzw. intramedulläre Schienung der ersten Wahl.
Therapie der Wahl. Begleitende Luxationen (auch bei Bei offenen Frakturen, erheblicher Fragmentdislo-
Monteggia- und Galeazzi) reponieren sich i. d. R. bei kation, Instabilität (Trümmerfrakturen) und intraarti-
anatomischer Frakturreposition spontan. Nur bei kulären Frakturen (Typ C) mit erheblicher Stufenbil-
Weichteileinklemmung operative Luxationsbehebung dung sollte primär eine offene Spickdrahtosteosynthe-
ggf. Bandnaht. se und Plattenosteosynthese vorgenommen werden.

! Cave ! Cave
Die Funktionsstellung des Unterarms ist die Supinati- Vorsicht bei Operationen am Handgelenk. Große Ge-
on. fäße und wichtige Nerven (A. radialis, N. radialis,
N. medianus) sind gefährdet.
Distale Radiusfraktur
> Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur Bei offenen Frakturen, schlechten Weichteilverhältnis-
überhaupt. sen, Infektgefahr ist ein Fixateur externe (z. B. Metakar-
pus zu Radiusschaft) sinnvoll. Ggf. muss eine Karpal-
Ätiopathogenese. Typischer Verletzungsmechanismus tunnelspaltung bei Druckentwicklung (N. medianus)
ist der Sturz auf die ausgestreckte Hand. Es kommt zur erfolgen.
Abkippung des distalen Radius, Ulnavorschub und
Subluxation im Radioulnargelenk. Prognose. Der frühen Rehabilitation kommt insbeson-
dere beim älteren Menschen größte Bedeutung zu. Die
Einteilung der distalen Radiusfrakturen Hand muss gebraucht werden, es besteht die Gefahr der
Sudek-Dystrophie (7 oben). Verletzungen des Handge-
lenks: 7 Kap. 1.9.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
167 1

In Kürze

Therapie der Unterarmverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Unterarmschaftfraktur, Kindliche Fraktur: Versuch geschlossener Monteggia-Fraktur: proximale Ulnafrak-


Untearmluxations- Reposition, Oberarmgips tur und Luxation des Radiusköpfchens
fraktur Operativ (immer bei Erwachsenen): Galeazzi-Fraktur: distale Radiusschaft-
Spickdrähte, Plattenosteosynthese, in- fraktur und Luxation der Ulna im dista-
tramedulläre Schienung len Radioulnargelenk

Distale Radiusfraktur Konservativ: geschlossene Reposition, Typ A–C nach AO


Gipsschiene Häufigste Fraktur überhaupt
Operativ: Spickdrähte, Plattenosteosyn- Großzügige Operationsindikationsstel-
these, ggf. Fixateur externe lung

1.8.2.10 Verletzungen der Hand 3 dimensional), Angiographie, MRT bei Verdacht auf
7 Kap. 1.9 und 1.10. Verletzung großer Arterien, urologisch-gynäkologische
Untersuchung. Endoskopische-, laparoskopische Di-
1.8.2.11 Verletzungen des Beckens und des agnostik (Ausschluss abdomineller Begleitverletzun-
Hüftgelenkes gen).
Anatomie
Das Becken wird vorne von der Symphyse, seitlich von den Frakturen des Beckenrings
Darmbeinen, dorsal von Kreuzbein und Sakroiliakalgelen- Symptomatik/Diagnostik
ken (ISG) begrenzt. Frakturen des Beckenringes folgen der Einteilung nach
AO in Grade der Stabilität von Typ A bis C.
Verletzungen des Beckens begleiten meist schwere 4 Typ A (A1, A2): stabil; Fraktur des Beckenrandes
Traumatisierungen (z. B. Verkehrsunfälle, Hochrasanz- oder nur vorderen/hinteren (Kreuzbein, Sitzbein)
traumen, Stürze aus großer Höhe). Daher muss immer Beckenringes
von einem Polytrauma ausgegangen werden. Urolo- 4 Typ B (B1–3): torsionsinstabil, vertikal Stabil; Frak-
gische Verletzungen (Harnleiter, Harnröhre,Harnblase), tur des vorderen und hinteren Beckenringes
Gefäßverletzungen, Darmverletzungen liegen oft zu- 4 Typ C (C1–3): komplett instabil: Torsionsinstabili-
sätzlich vor. tät und vertikale Instabilität
Die unfallchirurgische Versorgung v. a. komplizier-
ter Beckenfrakturen ist meist Zentren mit interdiszipli- > Open-book-Fraktur = Symphysensprengung Typ B1
närer Behandlungsoption (Urologie, Gefäßchirurgie)
vorbehalten; sie ist anspruchsvoll; es besteht die Gefahr Ist das Os sacrum beteiligt (Unterteilung nach Denis
der iatrogenen Läsion z. B. großer Gefäße, der Harnlei- lateral und medial der Foramina transforaminale),
ter u. v. m. kann es zu neurologischen Ausfällen kommen.
Die Blutverluste durch Beckenfrakturen sind immer
Untersuchung des Beckens und des Hüftgelenkes erheblich (v. a. auch retroperitoneal). Gastrointestinale
Klinische Untersuchung (Rektum), gynäkologische (Vagina) und urologische
Typisch sind Kompressionsschmerz (Darmbeinschau- (Harnleiter, Harnröhre Harnblase, sakrale Nerven-
feln, Symphyse) und Krepitationen. Es finden sich all- geflechte) Verletzungen können die Fraktur begleiten;
gemeine Frakturzeichen. Wichtig sind Untersuchung ebenso dürfen abdominelle Verletzungen (parenchy-
des Damms, rektale Untersuchung, die Frage nach Hä- matöse Organe, Zwerchfell) nicht übersehen werden.
maturie sowie die neurologische Untersuchung.
! Cave
Technische Diagnostik Der Blutverlust bei Beckenfrakturen ist meist diffus
Indiziert sind konventionelle Beckenübersichtsauf- aus Frakturflächen und präsakralem Venenplexus.
nahme, Schrägaufnahmen (Inlet, Outlet), CT (auch Seltener sind arterielle Verletzungen.
168 Kapitel 1 · Chirurgie

Therapie 4 Typ B und C: perkutane Verschraubungen und/


1 Akut indiziert ist eine geschlossene Stabilisierung (Be- oder offene Zugänge mit Verplattung. Der prä- und
ckenzwinge, Fixateur externe) aber auch eine operative intraoperativen Diagnostik (Bildwandler, CT)
Stabilisierung bei stabilen Kreislaufverhältnissen (ggf. kommt dabei besondere Bedeutung zu. Refixation
Infusions- und Hämotherapie). Zuvor müssen evtl. von Muskelansätzen, Rekonstruktion/Embolisati-
dringlichere Verletzungen versorgt worden sein (Darm- on von Arterien.
verletzung, Gefäßverletzung, Leber-, Milzverletzungen
u. v. a.). Die Therapie erfolgt grundsätzlich gemäß den ! Cave
Typen A–C: Bei Becken- und Hüftgelenksfrakturen ist eine intensi-
4 Typ A: konservative Ruhigstellung für wenige Tage, vierte Thromboembolieprophylaxe wichtig. Das Risi-
Frühmobilisation. Operative Therapie bei neurolo- ko einer Thromboembolie beträgt bis zu 25%.
gischen Ausfällen, Blutungen

In Kürze

Therapie der Beckenverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Beckenringfrakturen Akut Beckenzwinge bei Verdacht auf Einteilung in Typ A–C.


Blutverlust Häufig urologische, gefäßchirurgische,
Perkutane/offene Verschraubung/Ver- gynäkologische, viszeralchirurgische
plattung Begleitverletzungen. Daher Versor-
Versorgen von Begleitverletzungen vor/ gung meist in Zentrumsklinik
nach Beckenfrakturversorgung Unter Umständen großer Blutverlust;
hohes Thromboembolierisiko

Verletzungen des Hüftgelenkes len im Verlauf. Die Heilung kann bis zu 12 Wochen be-
Azetabulumfrakturen nötigen. Die operative Versorgung einer Azetabulum-
Anatomie fraktur gehört zu den anspruchvollsten Operationen
Das Azetabulum (Hüftpfanne) wird zu ähnlichen Anteilen der Unfallchirurgie. Ihre Durchführung bleibt meist
vom Os ilium, ischii und pubis gebildet. Häufig in klini- Zentren vorbehalten.
schem Gebrauch ist die Bezeichnung vorderer und hinterer
Pfeiler. Prognose. Bei Gelingen einer exakten Kongruenz der
Gelenkflächen ist die Prognose gut; sie ist abhängig
Ätiopathogenese. Typischer Unfallmechanismus ist vom Grad des Knorpelschadens beim Trauma so-
das Einstauchen von Femur – Hüftkopfachse (z. B. wohl des Azetabulums als auch des Hüftkopfes. Große
»Dashboard«-Trauma). Sturz auf den Trochanter ma- Bedeutung hat die Frührehabilitation mit zunehmen-
jor. Meist geht die Fraktur mit einer Hüftgelenksluxati- der Belastung. Die schnelle und kompetente opera-
on einher (Luxationsfraktur). tive Versorgung ist ein ebenso großer Prognose-
faktor. Langfristig besteht das Risiko einer Femurkopf-
Diagnostik. Klinisch sind zu beurteilen: allgemeine nekrose.
Frakturzeichen, Verkürzung der Beinlänge, Rotations-
fehlstellung. Die neurologische Diagnostik ist ebenfalls > Der N. ischiadicus kann bei Azetabulumfrakturen
wichtig. An Bildgebung sollten Röntgenaufnahmen beteiligt sein. Es kann zu einer motorischen Lähmung
(Beckenübersicht, Schrägaufnahmen z. B. Ala-Obtura- der unteren Extremität kommen.
tor-Aufnahme), CT, Spiral-CT vorliegen.
Hüftgelenksluxation
Therapie. Reposition, Fragmentbeseitigung und Schaf- Ätiopathogenese. Möglich ist die vordere und hin-
fen kongruenter Gelenkflächen in anatomisch korrek- tere Luxation. Meist tritt die Hüftgelenksluxation in
ter Position. Ggf. Extensionsbehandlung. Es erfolgt eine Begleitung mit Femurkopf- (»Pipkin-Fraktur«) -hals
Frühmobilisation mit Teilbelastung, Röntgenkontrol- und/oder Azetabulumfrakturen auf, da das Hüft-
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
169 1

gelenk durch starke knöcherne Führung, kräftige endoskopisch). Bei Frakturen ggf. auch operative Ver-
Bänder und Muskulatur sicher in der Pfanne fixiert sorgung. Ggf. primärer Hüftgelenksersatz.
ist.
! Cave
Symptomatik/Diagnostik. Klinisch zeigen sich fol- Die Beseitigung einer Hüftgelenksluxation hat Notfall-
gende Fehlstellungen: Priorität, noch vor der definitiven Versorgung von be-
4 Adduktion, Innenrotation, Flexion bei hinterer Lu- gleitenden Frakturen. Es entwickelt sich in 50% der
xation Fälle eine Femurkopfnekrose, wenn die Luxation >6 h
4 Abduktion, Außenrotation und Flexion bei der besteht.
vorderen Luxation!
Wichtig sind eine Röntgenkontrolle der zentralen Lage
Therapie. Indiziert ist die geschlossene Reposition sowie Verlaufskontrollen mittels MRT (Hüftkopfne-
(Notfall!), ggf. Fragmententfernung/Refixation (offen, krose).

In Kürze

Therapie der Hüftgelenksverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Azetabulumfraktur Operative Reposition, Wiederein- Hochspezielle Operation, Zentrumsversorgung


stellung der Gelenkkongruenz Problem der postoperativen Hüftkopfnekrose

Hüftgelenksluxation Geschlossene Reposition. Bei Be- Notfallreposition


gleitverletzungen Frakturversor- Problem der posttraumatischen Hüftkopfne-
gung/Refixation krose

1.8.2.12 Verletzungen der unteren Extremität 4 Pauwels II: Frakturlinie zwischen 30°- und 50°-
Proximale Femurfrakturen Neigungswinkel zur Horizontalen, »Abduktions-
Bedeutung der Versorgung hüftgelenksnaher bruch«, mäßig stabile Fraktur, Hüftkopfdurchblu-
Frakturen tung evtl. in Gefahr
Insbesondere alte Menschen erleiden hüftgelenksnahe 4 Pauwels III: Frakturlinie >70°-Neigungswinkel zur
Femurfrakturen. Dabei spielen unglückliche Stürze genau Horizontalen, »Adduktionsbruch«, instabile Frak-
wie die nachlassende Knochenelastizität eine große Rolle. tur, hohe Dislokationsgefahr und Hüftkopfdurch-
Lange Immobilisationen mit gravierenden negativen blutung in großer Gefahr (Hüftkopfnekrose)
Auswirkungen (Folgeerkrankungen, Verlust der Selbst-
ständigkeit) waren Grund für die Entwicklung heutiger > Frakturlinie = Neigungswinkel zur Horizontalen
erfolgreicher Verfahren der sofortigen operativen Versor-
gung mit sofortiger Belastungsfähigkeit und Frühmobili- Die Einteilung nach Garden I–IV nach dem Verlauf der
sation. Fraktur in den Trabekeln ist ähnlich, jedoch nicht so
eindeutig definiert wie Pauwels und wird daher lang-
Symptomatik/Diagnostik. Klinisch zeigen sich Verkür- sam aus dem klinischen Alltag verdrängt.
zung, Außenrotation, Stauchungsschmerz, Leisten-
schmerz. Diagnostisch erforderlich sind Röntgen in 2 ! Cave
Ebenen (Beckenübersicht, 2. Ebene), ggf. CT. Ein Problem aller Schenkelhalsfrakturen stellt die evtl.
abgerissene Blutversorgung des Femurkopfes dar
Schenkelhalsfrakturen (A. circumflexa femoris medialis et lateralis, A. capitis
Definition. Schenkelhalsfrakturen werden nach Pau- femoris).
wels eingeteilt (. Abb. 1.48):
4 Pauwels I: Frakturlinie <30°-Neigungswinkel zur Therapie. Die Therapie erfolgt konservativ bei stabilen,
Horizonalen, »Abduktionsbruch«, stabile Fraktur, eingestauchten Frakturen, hoher Therapietreue der Pa-
Hüftkopfdurchblutung kaum in Gefahr tienten und der Bereitschaft und dem Vermögen zu
170 Kapitel 1 · Chirurgie

. Abb. 1.48. Klassifikation der medialen Schenkelhalsfraktur nach Pauwels. (Aus Siewert 2006)

(Teil-)Entlastung. Die operative Therapie unterschei-


det man in kopferhaltende und nichtkopferhaltende,
endoprothetische Verfahren:
4 Verschraubung des Hüftkopfes mittels kanülierter
oder dynamischer Hüftschraube (DHS; . Abb. 1.49)
4 Femurkopfersatz (Duokopfprothese)
4 Totalendoprothese (Pfannen und Kopfersatz)

Die operativen Versorgungen sind meist sofort belas-


tungsstabil (Frühmobilisation!).
Bei Überlegungen bzgl. Verschraubung oder Hüft-
kopfersatz spielen Frakturart, Alter, Gesundheitszu-
stand, vorbestehende Koxarthrose eine entscheidende
Rolle.

> Die operative Therapie hat frühzeitig (<8 h) zu erfol-


gen, da das beseitigte Frakturhämatom und die ossä-
re Adaptation zur Senkung der Kopfnekroserate füh-
. Abb.1.49. Dynamische Hüftschraube. (Aus Siewert 2006)
ren. Dennoch beträgt – trotz optimaler Versorgung
– die Wahrscheinlichkeit einer posttraumatischen
Femurkopfnekrose bis zu 50%. zungen häufig bzw. die Oberschenkelschaftfraktur
selbst Begleitverletzung sein kann. Durch den kräftigen
Frakturen der Trochanter-major/minor-Region Muskelzug sind Femurschaftfrakturen häufig stark dis-
Therapie. Sub-/inter-/pertrochantäre Frakturen wer- loziert.
den stets belastungsstabil operativ versorgt. Reposition
und operative Versorgung erfolgen mittels winkelstabi- Symptomatik/Diagnostik. Klinisch zeigen sich allge-
len Platten oder speziellen Implantaten wie dem Gam- meine Frakturzeichen, im Allgemeinen ist der Patient
ma-Nagel (Proximaler Femurnagel), DHS (dynamische unfähig, das betroffene Bein zu heben. Die neurovas-
Hüftschraube), mininalinvasiv oder Kombinationen kuläre Untersuchung ist wichtig und zeigt im schlimms-
beider Osteosyntheseverfahren. ten Fall neurologische Ausfälle oder Druckanstieg
(Einblutung).
Oberschenkelschaftfrakturen Technisch erforderlich sind Röntgen in 2 Ebenen
Definition/Ätiopathogenese. Am Oberschenkelschaft (auch der angrenzenden Gelenke), evtl. Vergleichs-
werden alle Frakturtypen beobachtet, ausgelöst durch aufnahme der Gegenseite sowie Dopplersonographie/
direkte oder indirekte Gewalt. In der Regel liegen Angiographie/MRT bei Verdacht auf Gefäßbeteili-
schwerere Traumatisierungen vor, so dass Begleitverlet- gung.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
171 1

! Cave Bei Frakturheilungsstörungen kann es ggf. notwen-


Femurfrakturen können erhebliche Blutverluste ver- dig werden, den Verriegelungsnagel zu »dynamisieren«
ursachen (1–2 l), es besteht zudem die Gefahr einer = Entfernen der Verriegelungsschrauben/-bolzen.
Fettembolie.
Distale Oberschenkelfrakturen
Therapie. Ziel der Therapie ist die anatomische Einstel- Suprakondyläre Frakturen
lung (Achse – varus/valgus, Rotation, Länge) und Sta- ! Cave
bilisierung. Methode der Wahl ist ein unaufgebohrter Problematisch sind Gelenkflächen- (diakondylär) so-
Verriegelungsmarknagel von proximal oder distal, sel- wie Gefäß- und Nervenbeteiligungen. Oft sind Band-
tener eine Plattenosteosynthese. und Kniebinnenstrukturen mitbetroffen.
Der Fixateur externe findet Anwendung bei schwe-
ren Weichteildefekten (i. d. R. bei offenen Frakturen), Diagnostik. Röntgen, CT, MRT.
Infekten oder im Rahmen einer Polytraumamanage-
mentes (zweizeitige Versorgung). Therapie. Ziel ist die exakte Wiedereinstellung der ana-
tomischen Achse; ggf. nach vorheriger externer Fixati-
> Bei Kindern werden elastische Nägel zur Schonung on (auch kniegelenksübergreifend). Operative Mög-
der Epiphysenzonen verwendet. lichkeiten sind Marknagelosteosynthese, winkelstabile
Plattenosteosynthese (LISS; eher bei Schaftfrakturen),
Anschließend erfolgt die Frühmobilisation mit Bewe- dynamische Kondylenschraube.
gungsschiene, Belastungsaufbau (Teilbelastung) nach
Fraktur- und Versorgungstyp. Wichtig ist die radiologi-
sche Kontrolle des Heilungsverlaufs.

In Kürze

Therapie der Oberschenkelverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Schenkelhalsfraktur Pauwels I, II: konservativ Meist mediale Fraktur (90%)


Pauwels III: kanülierende oder dynamische Pauwels I–III mit steigendem Grad der
Hüftschraube (DHS) hüftkopferhaltend Instabilität und der Rate posttraumati-
oder hüftkopfersetzend: Duokopfprothese scher Hüftkopfnekrose
oder Totalendoprothese

Sub-/inter- und per- Reposition, PFN, Gamma-Nagel, DHS Viele verschiedene Verfahren beschrieben
trochantäre Fraktur

Distale Oberschen- Exakte (meist operative) Reposition: Markna- Cave: Gefäß-Nerven-Beteiligung in der
kelfraktur gel, LISS, dynamische Kondylenschraube Fossa poplitea

Verletzungen der Patella Therapie. Eine konservative Behandlung ist nur bei
Patellafraktur nichtdislozierten Frakturen indiziert, die in einen integ-
Ätiopathogenese. Meist ist direkte Gewalt (z. B. Sturz, ren Streckapparat eingebunden sind: darauf folgt eine
Armaturenbrettanprall) die Ursache von Frakturen Schienenversorgung zunehmende Beugefreigabe über
(Querfraktur, Trümmerfraktur). 3–10 Wochen. Dislozierte und offene Frakturen wer-
den per Zuggurtungsosteosynthese oder Schrauben-
Symptomatik/Diagnostik. Klinisch finden sich osteosynthese versorgt. Die Zuggurtungsosteosynthe-
Schmerz, Schwellung, Hämarthros, Streckdefizit, se wird z. B. mit 2 gebogenen Kirschner-Drähten und
allgemeine Frakturzeichen. Technisch erforderlich einem umgewickelten Draht angelegt (8er-Tour).
sind Röntgen a.-p. und seitlich, Patellazielaufnahme Nur in Ausnahmefällen (schwere Trümmerfraktu-
axial. ren, schwerste ggf. infizierte Weichteilschäden) wird
172 Kapitel 1 · Chirurgie

auch eine Patellektomie mit Neuinsertion des Streck- Zur technischen Diagnostik gehören konventionel-
1 apparats vorgenommen. les Röntgen (a.-p., seitlich u. v. a. Aufnahmetechniken),
CT (2D, 3D), MRT (auch Meniski, Bänder, Gelenkknor-
Nachbehandlung. Bei Beugung entstehen erhebliche pel), Sonographie (Erguss, Gefäße, Luxation), Angio-
Druck- und Zugbelastungen, so dass es leicht zu Dislo- graphie (Gefäßverletzungen/Gefäßveränderungen),
kation von Frakturfragmenten kommt. Daher muss in Punktion (blutig, serös, putride, Abstrichentnahme)
der Heilungsphase ggf. das Bewegungsausmaß begrenzt und Arthroskopie.
werden. Die Punktion erfolgt meist von lateral, kranial. Ste-
riles Vorgehen ist Pflicht. Makroskopisch lässt sich das
Patellaluxation Punktat beurteilen (blutig, serös, fettig) sowie bakterio-
Definition. Praktisch wird diese nur nach lateral beob- logisch-serologisch. Nach der Punktion wird ggf. ein
achtet. Kompressionsverband angelegt.
Orthopädische Untersuchungen beziehen auch
Ätiopathogenese. Zu einer Patellaluxation kann es Szintigraphie (Tumoren, Entzündungen) ein. Die Arth-
akut traumatisch kommen, meist sind aber Ursache rographie (Kontrastmittel) findet kaum noch Anwen-
eine angeborenen Fehlbelastung und Bandschlaffheit dung.
(bei inadäquatem Trauma) die Ursache. Es drohen re-
zidivierende Luxationen mit zunehmenden Knorpel- ! Cave
schäden im Femoropatellargelenk und Retinakulum- Auf strenge Indikation und Asepsis ist bei Kniegelenks-
schäden. punktionen zu achten.

Symptomatik. Sichtbare Luxation der Patella, Streck Vordere Kreuzbandruptur


und Beugehemmung im Kniegelenk, Schwellung. Anatomie
Das aus 2 Bündeln bestehende vordere Kreuzband verläuft
Diagnostik. Blickdiagnose, Röntgen zum Frakturaus- von hinten oben lateral (Femur) nach vorne unten medial
schluss. (Tibia), es misst etwa 3 cm und stabilisiert in Beugung und
Streckung und Rotation bei Flexion.
Therapie. Akut muss eine Reposition mit lateralem
nach medial gerichtetem Druck unter gestrecktem Ätiopathogenese. Zur Ruptur des vorderen Kreuzban-
Kniegelenk erfolgen, anschließend Ruhigstellung. Nach des kommt es meist akut bei Innenrotationstrauma
erstmaliger Patellaluxation und ohne sonstige Verände- (z. B. Skifahren) mit Riss oder knöchernem Ausriss.
rungen der Kniephysiologie ist eine konservative Ent- Oft liegt eine Kombination mit Kollateralband-/Me-
lastung für 3–4 Wochen angezeigt. Bei Rezidiven ist niskusverletzungen/Luxationen (selten) vor, z. B. »un-
eine arthroskopische oder offene mediale Raffung und happy triad« (kombinierte Verletzung von vorderem
laterales »Release« zur Verbesserung der Patellapositi- Kreuzband, medialem Seitenband und medialem Me-
on indiziert sowie eine Korrektur knöcherner Fehlstel- niskus), seltener Frakturen: Impressionsfrakturen an
lungen (Korrekturosteotomien) nötig. Tibia, Femur.

Verletzungen des Kniegelenkes Diagnostik. Anamnestisch lassen sich meist Sportver-


Das Kniegelenk ist eine komplizierte Einheit aus Kno- letzung, Rotationstrauma, »Reißen« oder »Krachen«
chen, Knorpel, Sehnen, Kapselbändern, Muskulatur, beim Unfall, Vorschäden.
Meniski. Kreuz- und Kollateralbänder sorgen für Stabi- Klinisch zeigen sich:
lität und Bewegungshemmung. 4 Schwellung (Hämarthros nach Trauma)
4 Erguss
Diagnostik. Anamnestisch wichtig sind präzise Trau- 4 »Vordere Schublade« bei 90°-Flexion in verschiede-
maanamnese, Schmerzanamnese Instabilitätsgefühl. nen Rotationsstellungen
Klinische Untersuchung: Im Seitenvergleich zeigen 4 Lachmann-Test (vordere Schublade, »Anschlag«
sich Schwellung, Krepitationen, Blockierungen bei bei 30°-Flexion)
Bewegungsprüfung. Zu prüfen sind die Beweglich- 4 Überstreckbarkeit
keit nach Neutral-Null, Meniskuszeichen, Palpation 4 Pivot-Shift-Test (Gestrecktes Knie wird in In-
(z. B. tanzende Patella bei Erguss), Aufklappbarkeit (ge- nenrotation unter Valgusstress gebeugt): patho-
streckt und gebeugt), Stabilität, »harter oder weicher« logisch ist ein »Schnappen« (Subluxation) bei
Anschlag, sowie Durchblutung, Sensibilität, Motorik. ca. 10–20°
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
173 1

> Ein Hämarthros weist zu hohem Prozentsatz auf > Die Rate an stabilen Kniegelenken nach operativer
vordere Kreuzbandverletzung hin. Zur besseren klini- Versorgung ist um ein vielfaches höher als bei kon-
schen Untersuchung ist ggf. eine Punktion notwen- servativer Behandlung. Der vorzeitige Verschleiß
dig, sonst kann die Diagnostik auch nach natürlichem des Kniegelenks wird durch operative Behandlung
Rückgang der Schwellung erfolgen. verzögert und ist der konservativen Behandlung
überlegen.
Technische Untersuchungen umfassen Röntgen (Aus-
schluss knöcherne Beteiligung), MRT (hohe Aussagekraft, Hintere Kreuzbandruptur
auch okkulte Frakturen – »bone-bruise)«, Arthroskopie Anatomie
(meist bei erwartungsgemäßer Intervention – vorderer Das aus 2 Bündeln bestehende hintere Kreuzband zieht
Kreuzbandersatz, Meniskusnaht, Resektion u. v. m.) von vorne oben nach hinten unten. Verletzungen treten
meist auf in Kombination mit einer Ruptur des vorderen
Kreuzbandchirurgie Kreuzbandes, Meniskusverletzungen, Frakturen (auch Fe-
Kreuzbandchirurgie war vor nicht zu langer Zeit Leistungs- murfrakturen).
sportlern vorbehalten. Die sportliche Aktivität der breiten
Bevölkerung bis ins hohe Alter hat stark zugenommen mit Diagnostik. Anamnestisch wird von Verkehrsunfällen
der Folge des Wunsches nach optimaler Wiederherstellung. (z. B. »dash-board injury«, Knieluxation), Sportunfällen
Dennoch richtet sich der Therapievorschlag nach dem indi- berichtet.
viduellen Lebensstil. Mangelnde Stabilität (z. B. bei Verzicht Klinisch finden sich hintere Schublade, »Durch-
auf Operation) im Knie bedeutet auch erhöhten Verschleiß hangszeichen« im Seitenvergleich, reverse Pivot-Shift.
(Meniskus, Knorpelbelastung) mit Folge vorzeitiger Gonar-
throse. > Reverse Pivot-Shift: Außenrotierter Unterschenkel
wird im Kniegelenk rechtwinklig, dann Streckung
Therapie. Konservativ erfolgen Muskelaufbautraining, unter Valgusstress. Spontane Reposition des sublu-
Koordinationstraining, Schienen/Bandagen bei sportli- xierten Tibiakopfes.
cher Aktivität. Operativ ist die Rekonstruktion des vor-
deren Kreuzbandes eine Option; es gibt offene, teiloffe- Technisch kommen konventionelles Röntgen (Aus-
ne (»mini-open«), arthroskopische Verfahren folgender schluss Fraktur – knöcherner Ausriss) und MRT zum
Formen: Einsatz.
4 Reinsertion
4 Naht Therapie. Eine konservative Therapie ist bei geringer
4 Naht mit Verstärkung (Augmentation) Instabilität und fehlenden Begleitverletzungen (Ruhig-
4 Ersatz stellung kurzfristig, dann Muskelaufbau) indiziert; ope-
4 Ersatz mit Verstärkung rativ sollte man bei höhergradiger Instabilität und Be-
gleitverletzungen vorgehen. Der hintere Kreuzband-
Standard beim vorderen Kreuzbandriss ist der arthros- ersatz erfolgt mittels Patellarsehne, Semitendinosus,
kopische Ersatz mit autologem Gewebe (Patellarsehne Achillessehne u. a. Üblich ist der dorsale Zugang nach
inkl. Knochenblöcke oder Semitendinosus/Grazilis) und »Trickey«. Ggf. ist die Rekonstruktion von zusätzlich
Transplantatverankerung an den physiologischen Inser- verletzten Strukturen nötig.
tionsstellen. Als Autotransplantate kommen Semitendi- Im Rahmen der Nachsorge erfolgt eine stufenweise
nosus, Grazilis, Patellarsehne zum Einsatz; Allotrans- Mobilisierung und Belastungszunahme bis zu 1 Jahr
plantate (Leiche) werden bei wiederholten Eingriffen zur vollständigen Wiederherstellung.
notwendig (Patellarsehne, Achillessehne). Synthetischer
Bandersatz (LAD, Goretex) wird – nach anfänglicher Mediale Seitenbandruptur
Euphorie – kritisch in Hinblick auf schwere Fremdkör- Das mediale Seitenband strahlt in die Kniegelenkskap-
perreaktionen und mangelnder Haltbarkeit betrachtet. sel und den Innenmeniskus ein.
Die Nachbehandlung besteht im intensiven Fort-
setzen der idealerweise schon vor Operation beginnen- Ätiopathogenese. Häufig ist eine Sportverletzung die
den Physiotherapie: je nach Transplantat 4–12 Wochen Ursache, meist Valgusstress/Rotationstrauma. Oft liegt
bis zur Vollbelastung/vollen Bewegungsumfang. Es eine Kombination mit Verletzung anderer Strukturen
existieren hervorragende Schemata zum stufenweisen (Knöcherne Bandausrisse femoraler Ansatz, »unhappy
Aufbau von Beweglichkeit, Kraft und Koordination, triad« 7 oben) vor.
schrittweisen Sportfreigabe.
174 Kapitel 1 · Chirurgie

Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch sind Unfall- Ätiopathogenese. Das Knie kann in alle Richtungen
1 mechanismus, Instabilitätsgefühl, Schmerz mediales luxieren. Nach der Stellung der Tibia zum Femur wird
Kompartiment zu erfragen bzw beurteilen. Klinisch unterschieden in vordere, hintere, mediale und laterale
zeigen sich Schwellung, Hämatom medial, Gelenk- Luxation.
schmerz, Druckschmerz, Aufklappbarkeit, Gelenkin- Neben der Schädigung vieler knöcherner und
stabilität. Der Schweregrad des Traumas wird mit zu- Band-/Sehnenläsionen und meist ausgedehntem
nehmender Bandzerstörung und Gelenkinstabilität in Weichteilschäden kommt es auch zu 20–30% zu arteri-
3 Grade. Die technische Diagnostik umfasst Röntgen eller Begleitverletzung (A. poplitea) und Nervbegleit-
in 2 Ebenen (Ausschluss Fraktur, Ausriss), MRT (Be- verletzung (N. peroneus). Weitere mögliche Komplika-
gleitverletzungen). tion des Krankheitsbildes ist ein hinzukommendes
Kompartmentsyndrom (7 Kap. 1.8.1.2).
Therapie. Geringergradige isolierte mediale Seiten-
bandverletzungen (Grad 1, 2) lassen sich konservativ ! Cave
mittels Orthese mit strikten Beugelimiten für (4–8 Wo- Die Knieluxation ist ein Notfall, da die Gefahr irrever-
chen), Antiphlogistika, Kryotherapie, Physiotherapie, sibler Schäden/Verlust des Unterschenkels besteht:
Frührehabilitation versorgen. sofortige Reposition.

! Cave Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch sind der Un-


Keine starre Ruhigstellung (z. B. Gips o. ä.), sondern fallhergang und Schmerzen zu klären. Klinisch ist die
sofortige frühfunktionelle Behandlung. Sonst droht Blickdiagnose wegweisend (Ausnahme: spontane Re-
der Funktionsverlust des Kniegelenks bzw. die früh- position); es zeigen sich Schwellung, Erguss, Instabilität
zeitige Gonarthrose. bis zur Reluxationsgefahr, Überstreckbarkeit, Fehlstel-
lung. Zu prüfen sind Pulsstatus und neurologische
Eine operative Therapie erfolgt bei hochgradigen Ver- Funktionen (Motorik, Sensibilität). An technischen
letzungen (Grad III), v. a. bei knöchernen Ausrissen Untersuchungen sind Röntgen 2 Ebenen, Farbdopp-
und/oder Verletzung weiterer Strukturen: Bandnaht-/ ler-Sonographie, ggf. Angiographie (Intimaläsionen),
Rekonstruktion. zur Therapieplanung CT, MRT angezeigt.

Laterale Seitenbandruptur Therapie. Nötig ist eine sofortige Reposition sowie so-
Das laterale Seitenband strahlt in Gelenkkapsel und fortige Kontrolle des Gefäßstatus, ggf. sind operative
den Tractus iliotibialis. Sanierung/Rekonstruktion, ggf. Kompartmentspaltung
indiziert. Zur Ruhigstellung/Retention wird oft ein
Ätiopathogenese. Zugrunde liegt ein Varusstress; meist überbrückender externer Fixateur externe (1–2 Wo-
tritt diese Ruptur in Kombination mit anderen Verlet- chen) notwendig. Bei Gefäßverletzung müssen die A./
zungen (Kapsel, Tractus iliotibialis, Meniskus, Kreuz- V. poplitea sofort gefäßchirurgisch versorgt werden.
band, N. peroneus) auf. Optionen sind die ein-/zwei-/mehrzeitige operati-
ve Rekonstruktion der verletzten Kniegelenksstruktu-
Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch stehen Un- ren (Fraktur, Menisken, Kreuzbänder, Kapsel, Kollate-
fallanamnese, Instabilitätsgefühl, Schmerz im Vorder- ralbänder u. v. a.). Es schließt sich die Frührehabilitati-
grund. Klinisch finden sich Schmerz bei Varusstress, on mit Sperrorthese (limitierte Bewegungsumfänge)
Aufklappbarkeit, neurologische Untersuchung (N. pe- unter zunehmender Belastung mit intensiver Physio-
roneus). therapie an.

Therapie. Konservative Behandlung ist bei isolierter Prognose. Diese hängt ab vom Ausmaß des initialen
Seitenbandruptur lateral (selten) indiziert. Die operati- Schadens und Zeitpunkt der Reposition und operativen
ve Sanierung ist bei Beteiligung der Nachbarstrukturen Rekonstruktion. Der Verlust des Unterschenkels geht
nötig (Meniskus, Kreuzband); es folgt eine frühfunkti- meist von einer Gefäßverletzung aus. Langfristig kön-
onelle Nachbehandlung. nen sich Arthrose, Instabilität entwickeln, die nicht sel-
ten zum Entschluss der Arthrodese führen. Positive
Knieluxation Prognosefaktoren sind:
> Für die Luxation des Kniegelenkes sind erhebliche 4 Geringer initialer Schaden, insbesondere keine Ge-
Kräfte notwendig. Sie treten praktisch nur bei schwe- fäßverletzung
ren Verkehrsunfällen auf. 4 Notfallreposition
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
175 1

4 Frühe operative Rekonstruktion Für die Bildgebung eignen sich konventionelles Rönt-
4 Intensive frühe Rehabilitation gen (a.-p., seitlich, Patella axial u. a.) zum Beurteilen
von Degeneration, freien Gelenkkörpern u. a., MRT
Verletzungen des Meniskus zum Beurteilen von Meniskusläsionen, Sonographie,
7 Kap. Orthopädie, 2.14.5. Arthroskopie.

Anatomie > MRT hat eine höhere Wertigkeit als die Arthroskopie.
Außen- und Innenmeniskus stabilisieren das Kniegelenk
und wirken als Kongruenzausgleich und »Stoßdämpfer Therapie. Konservative Therapie ist bei milder Sympto-
zwischen Femur und Tibia. Sie sind mit der äußeren Gelenk- matik, sehr kleinen Läsionen v. a. in vaskularisierten
kapsel verwachsen. Sie bestehen aus Faserknorpel. Zonen indiziert und erfolgt durch Kühlen, Belastungs-
reduktion und Physiotherapie, Antiphlogistika. Arthro-
Ätiopathogenese. Unfallchirurgisch relevant (trauma- skopisch können Teilmeniskektomie, Meniskusnaht –
tisch) sind Läsionen des Vorderhorns, des Hinterhorns Refixation (vaskularisierte Kapselnahe Anteile, frische
und der Pars intermedia. Sie entstehen meist durch Ro- Verletzungen, junge Patienten) per Nahtmaterial/An-
tationstraumen (Skifahren). Es kommt zu Scherwir- ker, Menikuskunstersatz erfolgen. Wichtig ist eine so-
kung durch Einklemmung zwischen Femur und Tibia- fortige Rehabilitation, Physiotherapie.
plateau.
4 Längsriss ! Cave
4 Querriss Ein eingeklemmter Meniskus macht eine sofortige
4 Korbhenkelriss Operation notwendig.
4 Horizontalriss
Verletzungen des Kniegelenkknorpels
Häufig aber liegt eine Degeneration durch Überlastung/ Ätiopathogenese. Begleitend bei akuten Traumatisie-
Fehlbelastung vor. Man vermutet dass vermeintlich »aku- rungen (Frakturen, Kniebinnenschaden). Meist dege-
ten« Verletzungen des Menikus bei leichten Traumen (Auf- nerative Ursache (7Kap. Orthopädie, 2.14.3).
stehen etc.) eine erhebliche Degeneration vorausging.
Symptomatik. Anamnestisch ergeben sich Trauma,
Symptomatik/Diagnostik. Klinisch finden sich Druck- Überbelastung, Schmerz; klinisch finden sich Schmerz,
schmerz über Gelenkspalt, Erguss, Einklemmungs- Erguss.
symptome (Geräusche, Blockaden), Bewegungsschmerz;
wegweisend sind Meniskustests. Streckdefizit. Diagnostik. Röntgen 2 Ebenen, CT, MRT, Arthroskopie.

Untersuchung der Meniski Therapie. Indiziert sind:


Es gibt eine Vielzahl an klinischen Untersuchungstechniken 4 Gelenktoilette
zur Beurteilung der Meniski (. Abb. 2.20): 4 Entfernung freier Gelenkkörper
4 Steinmann I: Rotationsschmerz des Unterschenkels 4 Refixation größerer Defekte (Stifte, Schrauben)
4 Steinmann II: Bei Kniegelenksbeugung Wandern des 4 Shaving
Druckschmerzes am Gelenkspalt von ventral nach 4 Mikrofrakturierung (bewusstes Setzen (kratzen,
dorsal Löcher klopfen, anbohren) von kleinen Läsionen
4 McMurray, Apley-Grinding zur Stimulierung von Knorpelbildung)

In Kürze

Therapie der Kniegelenksverletzungen

Verletzung Therapie Bemerkung

Patellafraktur Meist Zuggurtungsosteosynthese, selten Schrau- Beugelimits während Heilungsphase,


benosteosynthese da hohe Zugkräfte auf die Patella wir-
ken
6
176 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Patellaluxation Reposition, meist mediale Raffung und laterales Zu fast 100% Luxation nach lateral.
Release notwendig, Tuberositasverlagerung, ggf. Weibliches Geschlecht bevorzugt.
Korrekturosteotomie Oft habituell

Verletzung Meist operative Versorgung indiziert: Reinsertion, Vor- und Nachbehandlung wichtig!
des vorderen Naht, Autogener Ersatz (Patellarsehne, Grazilis, Operation überlegen gegenüber der
Kreuzbandes Semitendinosus), Verankerung an physiologi- konservativen Behandlung bezüglich
schen Stellen. Meist teilarthroskopischer Eingriff Stabilität und Verschleißprophylaxe

Verletzung Operation (Kreuzbandersatz durch Patellarsehne, Selten. Häufig schwere Begleitverlet-


des hinteren Semitendinosus, Achillessehne) bei Instabilität zungen. Langwierige Nachbehandlung
Kreuzbandes und Vorliegen von Begleitverletzungen

Verletzung Bei Aufklappbarkeit, knöchernem Ausriss: Naht, »Unhappy triad« = vordere Kreuz-
des medialen Refixation bandruptur plus mediale Seitenband-
Seitenbandes läsion plus mediale Meniskusläsion

Verletzung Operation bei Vorliegen weiterer Begleitverlet- Selten, N. peroneus in Gefahr!


des lateralen zungen
Seitenbandes

Kniegelenks- Sofortige Reposition. Anschließende Operation, Cave: A./V. poplitea


luxation ggf. Gefäßchirurgisch, Beseitigung der Begleit- Prognose je nach Luxationsdauer-/
läsionen-/-frakturen -schwere, Begleitschäden, Operation,
Rehabilitation

Meniskusläsi- Teilmeniskektomie, Naht, Refixation, Ersatz Meist degenerative Vorschädigung


onen (»inter- dem akuten Ereignis vorausgehend
nal dearange-
ment«)

Bursitis prae- Konservativ: Ruhigstellung, Kühlung Meist nach chronischer Überlastung


patellaris Operativ: nach wenigen Punktionsversuchen und (»Fliesenlegerbursitis«)
lokalen Injektionen Bursektomie

Verletzungen Gelenktoilette, Entfernung kleiner Gelenkkörper, Prognose schlecht aufgrund nur sehr
des Gelenk- Shaving (Glättung), Refixation größerer Knorpel- begrenzter Regenerationsfähigkeit
knorpels des fragmente, Mikrofrakturierung
Kniegelenkes Gelenkersatz

Verletzungen des Unterschenkels ! Cave


und der Knöchelregion Bei Unterschenkelfrakturen droht ein Kompart-
Tibiakopffraktur mentsyndrom.
Ätiopathogenese. Hier ist eine große Krafteinwirkung
notwendig: Sturz aus großer Höhe, Verkehrsunfall. Zu Diagnostik. Allgemeine Frakturzeichen, neurovasku-
unterscheiden sind: läre Untersuchung. An technischen Untersuchungen
4 Plateaufrakturen = Frakturen ohne Bandbeteili- sind nötig: Röntgen in 2 Ebenen, CT, MRT.
gung.
4 Luxationsfrakturen = Frakturen mit ligamentä- Therapie. Konservativ lassen sich nur kaum dislozierte
ren Verletzungen (z. B. Kreuzband, Kollateralbän- (<1 mm) und stabile Frakturen behandeln: Teilbelastung
der) für 8–12 Wochen. Alle dislozierten und instabilen Frak-
turen müssen osteosynthetisch versorgt werden. Platten-
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
177 1

osteosynthese, Schraubenosteosynthese, Spongiosaauf- Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen.


füllung, Knochenersatz. Bei Polytraumatisierten, schwe-
ren Weichteilschäden kommt auch zunächst ein Fixateur Diagnostik. Röntgen in 2 Ebenen, bei Gelenkbeteili-
externe zum Einsatz. Es schließt sich eine frühfunktio- gung auch CT, ggf. MRT.
nelle Physiotherapie mit progredienter Teilbelastung
z. B. auch Anwendung der Bewegungsschiene an. Therapie. Die chirurgische Therapie besteht in Schrau-
ben-Platttenosteosynthese, Fixateur externe; es schließt
Unterschenkelschaftfrakturen sich die frühfunktionelle Nachbehandlung mit Physio-
Definition. Komplette Unterschenkelfraktur ist die therapie an.
Fraktur von Tibia und Fibula.
! Cave
Ätiopathogenese. Durch die dichte Lage unter der Die Fibula muss nicht zwangsläufig mitstabilisiert
Haut kommt es häufig zu offenen Frakturen. Alle Frak- werden.
turtypen werden beobachtet. Sehr häufig sind Torsions-
frakturen (indirekt). Frakturen der Malleolargabel/des oberen
Sprunggelenks (OSG)
Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen. Anatomie
Das obere Sprunggelenk wird von Tibia, Fibula und Talus
Diagnostik. Indiziert sind Röntgen konventionell, CT, und zahlreichen derben Bandstrukturen gebildet. Schien-
MRT. und Wandbein sind ganzstreckig durch die Membrana in-
terossea und distal per vorderer und hinterer Syndesmose
Therapie. Eine konservative Therapie ist nur bei gerin- verbunden.
ger Dislokation, stabilen Situationen möglich sowie bei
Kindern: Ruhigstellung von 3–4 Wochen (Oberschen- Ätiopathogenese. Häufige Ursache sind Sportverlet-
kelliegegips, später Brace), dann frühfunktionelle Teil- zungen; es sind jedoch oft auch ältere Menschen betrof-
belastung mit Bewegungslimiten. fen. Am häufigsten handelt es sich um Supinationstrau-
men. Meist sind die Frakturen mit Bandläsionen verge-
> Nachteile einer konservativen Behandlung sind sellschaftet. Die Klassifikation nach Weber nach der
Gefahr von sekundärer Dislokation, Ulzera/Dekubiti Höhe der Fraktur in Bezug auf die Syndesmose ist weit
und Thromboembolie. verbreitet (. Abb. 1.50):
4 Typ A: Fraktur der Fibula distal der Syndesmose
Die operative Therapie hängt vom Alter, Frakturtyp, (und auch des Gelenkspaltes)
Lokalisation, Stabilität, Weichteilschaden ab. Das Spek- 4 Typ B: Fraktur von Fibula und/oder Tibia auf Höhe
trum der chirurgischen Optionen umfasst: der Syndesmose, mit/ohne Syndesmosenbeteili-
4 Platten-Schraubenosteosynthese gung
4 Winkelstabile Implantate (LISS) 4 Typ C: Fraktur der Fibula proximal der Syndesmo-
4 Verriegelungsmarknagel unaufgebohrt/aufgebohrt se mit Syndesmosenbeteiligung
4 Fixateur externe
> 4 Maisonneuve-Fraktur: hohe Fibulafraktur, lan-
Es schließt sich eine frühfunktionelle Physiotherapie ger Einriss der Membrana interossea
mit steigender Belastung, ggf. Dynamisierung an. Das 4 Volkmann-Fraktur: Ausriss der dorsalen, di-
Implantat kann nach 6 Monaten bis 2 Jahren entfernt stalen Tibiakante
werden.
Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch ist der Un-
> Dynamisierung: Entfernung von Verriegelungsnägeln, fallmechanismus zu klären. Klinisch sind Stabilität,
um die Kompression mit steigender Belastung zu Weichteile, allg. Frakturzeichen zu beurteilen. An tech-
erhöhen. nischen Untersuchungen sind Röntgen in 2 Ebenen
(angrenzende Gelenke), p.-a. und Schrägaufnahme, CT
Distale Unterschenkelfraktur (Gelenkbeteiligung) diagnostisch wichtig.
Definition. Die distale Unterschenkelfraktur ist eine
extraartikuläre Fraktur. Als Pilon-tibiale-Fraktur be- Therapie. Konservativ kann nur bei stabilen, nicht dis-
zeichnet man die intraartikuläre Fraktur der Tibia und/ lozierten Frakturen behandelt werden: Reposition, Ru-
oder der Fibula. higstellung (Retention) in gespaltenem Gips/Cast bis
178 Kapitel 1 · Chirurgie

prophylaxe!) bei begleitender Bandverletzung erforder-


1 lich. Es folgen ein stufenweiser Belastungsaufbau im
Verlauf von 6–12 Wochen sowie Röntgenkontrollen.
Wichtig ist die frühfunktionelle Nachbehandlung.
Die operative Versorgung ist der konservativen Be-
handlung bezüglich Arthroserisiko und späterer Funk-
tion weit überlegen! Das Material kann nach 6 Wochen
(Stellschrauben) bis 12 Monaten (Platte, Schrauben)
entfernt werden.

Bandverletzungen des Sprunggelenks


Ätiopathogenese. Bandverletzungen des Sprungge-
lenks sind die häufigsten Verletzungen überhaupt.
Meist liegt ein Supinationstrauma des OSG zugrunde.

Definition. Lateral sind folgende Bänder betroffen:


4 Ligamentum fibulotalare anterior (FTA) am häu-
figsten betroffen!
4 Ligamentum fibulotalare posterior (FTP)
4 Ligamentum fibulocalcaneare

Medial ist das Lig deltoideum betroffen.

Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch zu klären


sind Unfallhergang, Schmerz, zudem ist eine evtl. vor-
liegende chronische Instabilität zu erfragen. Klinisch
zeigen sich Schwellung (Dicker Knöchel), Schmerz, Hä-
. Abb. 1.50. Malleolarfrakturen: Weber-A-, -B-, -C-Fraktur.
(Aus Siewert 2006)
matom, Instabilität (zuvor Frakturausschluss!).
Technische Untersuchungen beinhalten Röntgen
in 2 Ebenen (Frakturausschluss), Funktionsaufnahmen
(Talusvorschub, Supinations-Pronations-Aufklappbar-
zum Schwellungsrückgang, dann zirkulärer Gips. Es keit durch Belastung. auch im Seitenvergleich, ggf. unter
folgt die zunehmende Belastung innerhalb von 6–12 Gelenkspaltlokalanästhesie oder N.-peroneus-Block,
Wochen unter regelmäßigen Röntgenkontrollen und Sonographie, MRT.
Thromboembolieprophylaxe. Bei Luxation muss eine
notfallmäßige Reposition erfolgen. ! Cave
Aufklappbarkeit >10°: Bandläsion; >30°: v. a. multiple
! Cave Bandläsion
Eine Röntgenaufnahme einer Luxationsfraktur ist ein
dokumentierter Behandlungsfehler. Zuerst muss die Therapie. In die Therapieentscheidung müssen Instabi-
Reposition erfolgen. lität, Verletzungszeitpunkt, Alter, Aktivität der Person
mit in die Indikationsstellung einbezogen werden. Die
Operativ werden komplexe, instabile Frakturen (meist Therapiekonzepte sind kontrovers. Eine Einbandverlet-
Weber C), schlecht reponible Frakturen, große Weich- zung wird konservativ mittels Ruhigstellung der Supi-
teilschäden versorgt. Nach einer Reposition (Geschlos- nationsbewegung (z. B. Aircast-Schiene) für 6 Wochen
sen, offen) erfolgt die Rekonstruktion (Achseneinstel- behandelt, dann erfolgt der Muskelaufbau. Frische
lung, Frakturstabilisation, Einstellung von Kongruenz Mehrbandverletzungen werden bei Aufklappbarkeit
bei Gelenkbeteiligung durch Knorpelrefixation etc., >25° (ab 2-Band-Verletzung) operativ durch Bandnaht,
Refixation/Naht/Rekonstruktion von Bändern) mittels Refixation bei knöchernen Ausrissen, Rekonstruktion,
Schrauben, Platten, Zerklage. Ein Fixateur externe ist ggf. Knorpelreparation (Entfernung, Refixation, Glät-
bei Polytrauma, schweren Weichteildefekten/-infekten tung) versorgt. Es folgt die postoperative Ruhigstellung
indiziert. Die Versorgungen sind meist übungsstabil. für 4–6 Wochen, Physiotherapie mit zunehmender Be-
Ggf. ist dennoch eine Ruhigstellung (Thrombembolie- lastung für 3–4 Monate.
1.8 · Unfallchirurgie/Traumatologie
179 1

Vorteile/Nachteile der Operation von Bandverlet- Symptomatik/Diagnostik. Anamnestisch ist der Un-
zungen fallmechanismus zu eruieren, die Patienten berichten
Den offenkundigen Vorteilen der Operation wie ideale manchmal über ein »peitschendes« Geräusch beim Un-
Adaptation/Rekonstruktion, Hämatombeseitigung, Knor- fall. Klinisch zeigen sich ein palpatorische Lücke, ein
pelbegutachtung (ggf. Intervention) stehen die (auch für positiver Thompson-Test (T-positiv: Wadenkompressi-
den Patienten) nicht so offensichtlichen Nachteile/Risiken on ergibt keine Plantarflexion), Unmöglichkeit des Ze-
der Infektionsrisikos, Nervverletzung und gesundheitspoli- henstandes. An technischen Untersuchungen sind
tisch die höheren Kosten gegenüber. Sonographie, MRT indiziert.

Prognose. Die Ergebnisse bei 1- bis 2-Band-Verletzun- Therapie. Die konservative Therapie erfolgt per Immo-
gen sind nicht besser bei konservativ versus operativer bilisierung in Spitzfußstellung; die operative mittels
Therapie. Bei hoher Instabilität (Aufklappbarkeit >25°) Sehnennaht und anschließender Ruhigstellung in
durch 3-Band-Verletzung ist jedoch das operative Ver- Spitzfußstellung
fahren eindeutig überlegen!
> Sehnen sind bradytroph und benötigen daher einen
Achillessehnenruptur langen Heilungsprozess. Es gilt ein Sportverbot für
Ätiopathogenese. Die Achillessehne kann direkt durch 4 Monate. Die operative Versorgung der Achillesseh-
Tritt (z. B. Fußball), indirekt (z. B. Anschieben eines nenruptur ist – auch beim älteren Menschen – prog-
Autos) oder spontan bei Alltagsbelastung (Degenerati- nostisch günstiger.
on) reißen.

In Kürze

Therapie der Unterschenkelverletzungen und der Verletzungen der Knöchelregion

Verletzung Therapie Bemerkung

Tibiakopffraktur Meist osteosynthetische Versorgung Häufig Begleitverletzungen

Unterschenkel- Nur bei Kindern konservative Behandlung Dynamisierung bei Verriegelungsnagel


schaftfrakturen Sonst Osteosynthese, Verriegelungsnagel im Intervall

Distale Unter- Schrauben-Plattenosteosynthese, Fixateur Pilon tibiale = distale, intraartikuläre


schenkelfraktur externe Tibiafraktur

Frakturen des Reposition, meist operative Verschraubung, Typ A–C nach Weber nach Höhe zur
OSG Verplattung. Fixateur externe Syndesmose/Gelenkspalt

Bandverletzung Über 25° Aufklappbarkeit Bandnaht/Refixation Meist Lig. fibulotalare anterius durch
des OSG Supinationstrauma betroffen

Achillessehnen- Konservativ: Immobilisation in Spitzfußstellung Bei gleichem Ergebnis rascherer Hei-


ruptur Operativ: Sehnennaht, kurze Immobilisation lungsverlauf bei operativer Versorgung

Verletzungen des Fußes Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen, Stand- und


Talusfraktur Gehunfähigkeit.
Definition. Einteilung in Taluskopf-,-hals-,-körper-
und periphere Frakturen und nach Hawkins I–IV. Diagnostik: Röntgen in verschiedenen Ebenen, CT.

Ätiopathogenese. Die Talusfraktur ist selten; bedingt Therapie: Konservativ wird bei nicht dislozierten, stabi-
wird sie nur durch ein schweres Trauma, sie tritt selten len Frakturen vorgegangen, operativ bei Instabilität,
isoliert auf. Weichteilbeteiligung per Osteosynthese/Fixateur exter-
ne. Es besteht die Gefahr der Talusnekrose (Szintigra-
phie, MRT) bis zur nötigen Arthrodeseoperation.
180 Kapitel 1 · Chirurgie

Kalkaneusfraktur (USG) Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen.


1 Ätiopathogenese. Zugrunde liegen schwere Verletzun-
gen (z. B. Verkehrsunfall, Sturz aus großer Höhe, Sprung Diagnostik. Diagnostisch indiziert sind Röntgen, CT,
aus großer Höhe), entsprechend oft kommt es in Kom- MRT (chronische Fraktur).
bination mit erheblichen anderen Verletzungen zu ei-
ner Kalkaneusfraktur. Therapie. Indiziert sind eine Osteosynthese mit Kirsch-
ner-Drähten, Fixateur externe, Platten-/Schraubenoste-
Diagnostik. Klinisch ergibt sich eine Standunfähigkeit, osynthese, ggf. Bandrekonstruktion.
es zeigen sich allgemeine Frakturzeichen Indiziert sind
Röntgen konventionell, CT. Prognose. Es entwickelt sich nicht selten Arthrose/An-
kylose.
Therapie. Konservative Therapie ist bei stabilen, kaum
dislozierten Frakturen ausreichend. Operativ muss bei Vorfußverletzung
Dislokation, Instabilität, Gelenkinkongruenz behandelt ! Cave
werden: Offene Reposition, Rekonstruktion und Stabi- Eine Vorfußverletzungen wird nicht selten bei Poly-
lisation durch Kirschner-Draht, Platten-/Schraubenos- traumen übersehen.
teosynthese. Wichtig ist die frühfunktionelle Physiothe-
rapie und stufenweiser Belastungsaufbau. Diagnostik. Es zeigen sich allgemeine Frakturzeichen,
indiziert sind Röntgen, CT bei komplexeren Verlet-
Prognose: Häufig entwickeln sich Arthrose und Pseud- zungsmustern.
arthrose.
Therapie. Meist ist eine konservative Therapie indiziert:
Mittelfußverletzung Gips bei Mittelfuß- und Frakturen des ersten Strahls,
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind Sturz, Ver- sonst Tapeverband. Selten ist eine geschlossene Reposi-
kehrsunfall, Marschfraktur (syn. Deutschländerfraktur) tion notwendig, noch seltener eine operative Stabilisie-
die zur Fraktur/Luxationsfraktur führen. rung mit Kirschner-Drähten oder Miniplatten.

In Kürze

Fußverletzungen

Talusfraktur 4 Diagnostik: Röntgen in verschiedenen Ebenen, CT


4 Therapie: Konservativ bei nicht dislozierten, stabilen Frakturen, operativ bei Instabilität,
Weichteilbeteiligung: Osteosynthese/Fixateur externe
4 Prognose: Gefahr der Talusnekrose (Szintigraphie, MRT) bis zur nötigen Arthrodeseoperation

Kalkaneus- 4 Ätiologie: schwere Verletzung (Verkehrsunfall, Sturz aus großer Höhe)


fraktur 4 Diagnostik: Standunfähigkeit, allgemeine Frakturzeichen, konventionelles Röntgen, CT
4 Therapie: konservativ bei stabilen, kaum dislozierten Frakturen, operativ bei Dislokation, In-
stabilität, Gelenkinkongruenz: offene Reposition, Rekonstruktion, Stabilisation (Kirschner-
Draht, Platten- Schraubenosteosynthese)
4 Prognose: häufig Arthrose, Pseudarthrose

Mittelfußver- 4 Ätiologie: Sturz, Verkehrsunfall, Marschfraktur


letzung 4 Diagnostik: Röntgen, CT, MRT (chronische Fraktur)
4 Therapie: Osteosynthese (Kirschner-Drähten, Fixateur externe, Platten-Schraubenosteosyn-
these), Bandrekonstruktion
4 Prognose: häufig Arthrose/Ankylose

Vorfußver- 4 Diagnostik: allgemeine Frakturzeichen, Röntgen, CT


letzung 4 Therapie: meist konservative Therapie: Gips bei Mittelfuß- und Frakturen des ersten Strahls,
sonst Tapeverband. Selten geschlossene Reposition notwendig, noch seltener eine operative
Stabilisierung mit Kirschner-Drähten oder Miniplatten
1.9 · Handchirurgie
181 1
1.9 Handchirurgie

K.-J. Paquet, U. Fetzner


Die Hand als Greif-, Sinnes- und Kommunikationsorgan
nimmt insofern chirurgisch eine herausragende Stellung
ein, als dass bei Versorgung von Verletzungen ein opti-
males funktionelles Ergebnis äußerst wichtig ist.

1.9.1 Untersuchung der Hand

Anamnese
Für chirurgische Erkrankungen/Verletzungen an der
Hand sind anamnestisch v. a. folgende Punkte zu
klären:
4 Beschwerden
4 Unfallmechanismus
4 Vor- und Grunderkrankungen (z. B. Stoffwech-
selerkrankungen)
4 Berufsanamnese (wichtig u. a. für Therapieent-
scheidungen)
. Abb. 1.51. Prüfung der Beweglichkeit der Fingergelenke.
Klinische Untersuchung Extension (oben): 20° Hyperextension im MP-Gelenk, 60°
Inspektion: Hautkolorit (Blässe?), Symmetrie im Seit- Streckausfall im PIP-Gelenk, 25° Hyperextension im DIP-Ge-
vergleich (Atrophien?). lenk. Flexion (unten): MP-Gelenk 20–0–70°, PIP-Gelenk 0–60–
75°, DIP-Gelenk 25–0–45°. (Aus Siewert 2006)
Funktionsuntersuchung (DMS)
4 Durchblutung (D): Temperatur, Pulsstatus, Nagel-
probe (Reperfusionszeit), Allen-Test, Turgor Technische Diagnostik
4 Motorik (M): grobneurologisch Griffprobe (Grob- Folgende technische Untersuchungsverfahren kommen
griff, Feingriff), Beugen/Strecken/Abduktion/Ad- zur Anwendung: Röntgen (konventionelle, auch gehal-
duktion einzelner Finger- und Fingergelenke; Über- tene Aufnahmen), Spezialaufnahmen (z. B. Handwur-
prüfung der Streck- und Beugesehnen: s. unten zelknochen), MRT, CT, Tomographie, Arthrographie,
4 Sensibilität (S): grobneurologisch durch Berühren; Arthroskopie, neurophysiologische Untersuchung
es gibt zudem zahlreiche präzisere Tests z. B. 2- (Nervenleitgeschwindigkeit u. a.).
Punkte-Diskrimination (Norm Fingerkuppe 2–3
mm, Hohlhand 8–10 mm), Stumpf-spitz-Empfin-
den, Schmerz, Temperatur 1.9.2 Operationsprinzipien in der
Handchirurgie
Allen-Test
Es erfolgt eine gleichzeitige Kompression der A. radialis Anästhesie
und A. ulnaris und Bewegung bis zum Erbleichen der Hand. Eine Vielzahl von Anästhesievarianten zur Operation
Normbefund: Bei Öffnen nur einer Durchblutungsstraße an der Hand steht zur Verfügung:
rötet sich sofort die gesamte Hand. 4 Leitungsblock nach Oberst für Fingerblockade
4 Mittelhandblockade im Metakarpalniveau
Die Funktionsuntersuchung nach Neutral-Null ist in 4 Handblock
. Abb. 1.51 dargestellt. 4 Selektive Leitungsanästhesie der Nn. medianus, ra-
dialis, ulnaris (ggf. auch in Kombination mit Ple-
! Cave xusblockade)
Stets sorgfältige Funktionsuntersuchung und -doku- 4 Plexus-brachialis-Blockade (7 Kap. Anästhesie und
mentation der Hand vor Durchführung einer Anäs- Intensivmedizin)
thesie (forensische Bedeutung). 4 Allgemeinanästhesie
182 Kapitel 1 · Chirurgie

! Cave versorgt. Nerv- und Gefäßverletzungen an der Hand


1 Kein Adrenalin bei peripherem Leitungsblock dem sind notfallmäßig zu operieren, Sehnenverletzungen
Lokalanästhetikum zusetzen; durch Vasokonstriktion dringlich – binnen Stunden.
ergibt sich die Gefahr eines Ischämieschadens.
1.9.3.2 Frakturen von Handgelenk, Hand
Operative Besonderheiten Symptomatik. Allgemeine Frakturzeichen: Schwellung,
Operationen an der Hand finden in Blutleere (Ober- Schmerz, Fehlstellung, Krepitation.
armmanschette, Fingerstauschlauch) statt, zuvor Aus-
wickeln mit Esmarch-Binde (Förderung des venösen Diagnostik. Technische Diagnostik: Röntgen in 2 Ebe-
Rückstroms vor Anlage der arteriellen Blutsperre). nen. Spezialaufnahmen. Bei komplexen Frakturen CT,
MRT.
! Cave
Maximal 120 min Blutsperre! Therapie. Therapieprinzip grundsätzlich konservativ
oder osteosynthetisch (Kirschner-Drähte, Platten,
Wichtig ist ein streng atraumatisches Vorgehen: Schrauben).
4 Atraumatische Nadeln
4 Dünner Faden (4-0/5-0 für Haut, bis 10-0 für Gefä- Fingerfrakturen
ße, Nerven): Lupenbrille, Operationsmikroskop Therapie. Endgliedfrakturen: Gegebenenfalls Entlas-
4 Pinzettentraumen insbesondere Sehnen tung eines Hämatoms (Nadel, Inzision), Ruhigstellung
4 Sparsames Débridement mittels Stack-Schiene. Fraktur der Mittel- und Grund-
4 Feuchthalten der Wunde als Schutz vor Austrock- glieddiaphyse: Selten ist eine konservative Ruhigstel-
nung lung mittels Unterarmgips möglich. Meist, in jedem
4 Achten auf Bluttrockenheit, Drainagen Falle bei Instabilität, starker Dislokation wird eine Os-
teosynthese (Miniplatten, Minischrauben) notwendig,
An der Hand ist eine besondere Schnittführung zu be- insbesondere beim ersten Strahl.
achten:
4 Entlang der Spaltlinien Fraktur der Mittelhand (Metakarpus)
4 Beugefalten nur in spitzem Winkel oder zick-zack- Ätiopathogenese. Bruch direkt durch Schlag, Sturz
förmig, jedoch nicht senkrecht (kontrakturgefahr) oder indirekt durch Biegung. Die Rolando-Fraktur be-
zeichnet einen Y-förmigen Trümmerbruch der ersten
Bei starken Verschmutzungen, älteren Wunden muss Mittelhandknochen. Dieser wird therapeutisch versorgt
eine antibiotische, systemische intravenöse Kurzzeit- mittels T-Plattenosteosynthese.
prophylaxe erfolgen, meist »single shot« eines knochen-
gängigen Breitspektrumantibiotikums. Symptomatik/Diagnostik. Allgemeine Frakturzeichen.
Die Ruhigstellung sollte so kurz wie möglich in In- Technisch: Röntgen in 2 Ebenen.
trinsic-Stellung (Beugung Fingergrundgelenk ca. 75°)
erfolgen. Postoperativ sind ständige Wund- und DMS- Therapie. Versorgung meist osteosynthetisch (Kirsch-
Kontrollen nötig. Wichtig ist eine frühfunktionelle Re- ner-Drähte, Miniplatten) erforderlich, anschließend
habilitation. Gipsschiene. In jedem Falle ist eine Operation bei der
so genannten Bennett-Fraktur (Luxationsfraktur des
Articulatio carpometacapale I – Daumensattelgelenks
1.9.3 Verletzungen der Hand – mit Gelenkbeteiligung, Muskelzug des M. abductor
pollicis longus, immer disloziert) nötig.
1.9.3.1 Schnittverletzungen,
»Bagatellverletzungen« Karpus-Fraktur
Schnitt- und Quetschverletzungen an der Hand sind Ätiopathogenese. Sturz auf die ausgestreckte, hyper-
die häufigsten Verletzungen überhaupt. Sie sollten im- flektierte Hand.
mer Anlass einer Vorstellung in einer chirurgischen
Sprechstunde/Ambulanz sein (allgemeine Prinzipien > Die Kahnbeinfraktur ist die häufigste Fraktur der
der Wundversorgung, 7 Kap. 1.1). Handwurzel.
Gegebenenfalls muss dann auch ein Verweis an ein
handchirurgisches Zentrum erfolgen. Größere Defekte Symptomatik/Diagnostik. Druckschmerz über der Ta-
werden auch nach plastisch-chirurgischen Prinzipien batiere, allgemeine Frakturzeichen. Watson-Test: Bei
1.9 · Handchirurgie
183 1

Radialabduktion und Ulnarabduktion des Handgelen- eine Osteosynthese der frakturierten Handwurzelkno-
kes Instabilität des Skaphoids zwischen Daumen und chen nötig.
Zeigefinger palpabel. Technisch: Röntgen 2 Ebenen,
ggf. gehaltene Aufnahme in Ulnarabduktion, Skaphoid- Daumenluxation
Spezialaufnahme (4 Ebenen – sog. »Kahnbeinquar- Ätiopathogenese. Rupturieren der Kollateralbänder
tett«), MRT, CT, ggf. der Gegenseite. des Daumengrundgelenkes, knöcherner Bandausriss.

Therapie. Ohne Dislokation: 6–12 Wochen Ruhigstel- Symptomatik/Diagnostik. Blickdiagnose. Allgemeine


lung Gipsverband. Je nach beruflicher/sportlicher Be- Fraktur- und Luxationszeichen.
lastung anschließende Schonung. Physiotherapie, ggf.
Handgelenksorthese. Mit Dislokation: Osteosynthese Therapie. Operativ bei Luxation (Aufklappbarkeit
(z. B. Spezialschraube nach Herbert). >15°): Bandrefixation.

! Cave > Typische und häufige Sportverletzung: Handball, Ski-


Gefahr der Pseudarthrosenbildung (Navikularpseud- fahren (»Skidaumen«).
arthrose) und Kahnbeinnekrose.
Fingerluxation
Skaphoidpseudarthrose Ätiopathogenese. Ruptur der Kollateralbänder, ggf.
Von einer Skaphoidpseudarthrose spricht man, wenn eine knöcherne Ausrisse. Meist handelt es sich um eine
Skaphoidfraktur innerhalb von 6 Monaten noch nicht knö- Sportverletzung: Volleyball, Handball.
chern geheilt ist. Sie entwickelt sich dann, wenn eine fri-
sche Fraktur übersehen und/oder nicht korrekt therapiert Symptomatik/Diagnostik. Blickdiagnose. Allgemeine
wird, insbesondere bei instabilen, dislozierten Frakturen, Fraktur- und Luxationszeichen.
bei genereller Neigung zu gestörter Knochenheilung (Kor-
tikoideinnahme, Osteoporose). Therapie. Konservativ. Reposition, Ruhigstellung in
Funktionsstellung (Gips-/Drahtschiene/Taping). Bei
Ultima ratio nach konservativen (Ruhigstellung) und Instabilität, erheblicher Luxation oder Luxationsfrak-
operativen Behandlungsversuchen (Osteosynthesie) tur operative Stabilisierung (Minischrauben, Mini-
sind folgende Verfahren: platten)
4 Anfrischung der Pseudarthrose, Knochentrans-
plantation (Beckenkamm oder Radius) sowie Sta- 1.9.3.4 Streck- und Beugesehnenverletzungen
bilisierung mit Herbert-Schraube (Therapieverfah- Anatomie/Physiologie
ren der 1. Wahl) Zum Verständnis der Physiologie, Untersuchung und chi-
4 Knochenspanplastik nach Matti-Russe rurgischen Therapie sind fundierte anatomische Kennt-
4 Seltenere Verfahren: Exstirpation eines kleinen nisse des Bewegungsapparates der Hand notwendig
Fragmentes, Denervierung nach Wilhelm (. Abb. 1.52). Die Sehnen werden ernährt über die Ring-
4 Palliative Verfahren: Arthrodese, Arthroplastik, En- bänder/Zügel und Sehnenscheide. Sehnenverletzungen
doprothese müssen binnen Stunden versorgt werden (dringlich).

1.9.3.3 Luxationen der Hand Diagnostik der Sehnenverletzungen


Luxation im Handgelenksbereich 4 Fingerbeugesehnenverletzung: Test: Fixation der
Ätiopathogenese. Hyperflexion/Hyperextensionstrau- Fingermittelgelenke und Patienten zum Beugen der
ma mit Zerreißen der Bandstrukturen zwischen dista- Endgelenke auffordern:
ler und proximaler Handwurzelreihe. 5 Oberflächliche Beugesehnenverletzung: Beu-
gen in Fingermittelgelenken nicht möglich
Symptomatik/Diagnostik. Klinik: Allgemeine Fraktur- 5 Tiefe Beugesehnenverletzung: Beugen in Fin-
zeichen, insbesondere Fehlstellung, neurologische Aus- gerendgelenken nicht möglich
fälle (Nn. radialis, medianus, ulnaris). 5 Oberflächliche und tiefe Beugesehnenverlet-
zung: Beugung nur noch in Fingergrundgelen-
Therapie. Konservative Reposition. Operative Band- ken möglich
rekonstruktion, ggf. unter Zuhilfenahme von Kirsch- 4 Daumenbeugesehnenverletzung
nerdrähten. Ruhigstellung. Bei Luxationsfrakturen 5 Verletzung der kurzen Daumenbeugesehne:
(z. B. De-Quervain-Skaphoidfraktur) ist zusätzlich stark reduzierte Beugekraft im Grundgelenk
184 Kapitel 1 · Chirurgie

5 Verletzung der langen Daumenbeugesehne: > Ringbänder müssen grundsätzlich erhalten/rekonst-


1 Beugung im Endgelenk nicht möglich ruiert werden.
4 Fingerstrecksehnenverletzung: Verletzung über
Endglied: Ausfall Endgliedstreckung »drop fin- Grundsätzliches Problem ist die Störung der Ver-
ger«; häufigste Sehnenverletzung überhaupt schieblichkeit der Sehne durch Vernarbungen (Mobi-
5 Verletzung über Mittelglied: »Knopflochde- lisation ab 1. Operationstag) und die Empfindlichkeit
formität« der Sehnen auf traumatische Reize (auch iatrogen, Ge-
5 Verletzung über dem Grundgelenk: Ausfall fahr Sehnennekrose), insbesondere palmar (»Nie-
Grundgelenkstreckung mandsland«).
4 Daumenstrecksehnenverletzung: Verletzung des M.
extensor pollicis longus: Ausfall Endgelenkstreckung Sehnentransplantation (autolog)
5 Durchtrennung der Sehne des M. abductor pol- »Entbehrliche« Sehnen sind die Sehne des M. palmaris
licis longus: Abduktionsschwäche longus und die Zehenextensoren. Die Transplantation
5 Verletzung der Sehne des M. abductor pollicis erfolgt ein- oder zweizeitig (zuvor Einlage eines Platz-
brevis: Oppositionsausfall halters für 8–10 Wochen z. B. Silikonstab zum Schaffen
eines Gleitlagers), ab 6 Wochen Teilbelastung.
Therapie der Sehnenverletzungen
4 Konservative Behandlung: Ruhigstellung, Stack- Frühmobilisation nach Sehnenoperationen
Schiene für 6–8 Wochen nur bei Endgliedverlet- Die Frühmobilisation erfolgt z. B. mittels Beugesehnen-
zungen Entlastung durch Gummiband-Zügelung nach Kleinert
4 Sehnennahttechniken: Alle offenen Sehnenverlet- u. a., um Sehnenverklebung zu vermeiden.
zungen sollten operativ versorgt werden. Sehnen
werden nicht mit chirurgischen Pinzetten oder Generelle Operationskomplikationen nach
Klemmen traumatisiert, sondern mit feinen Nadeln Sehnenoperationen
»aufgepinnt«. Zu den Komplikationen gehören:
4 Transossäre Ausziehnaht erfolgt bei ossären Aus- 4 Infekt
rissen: Fassen der Sehne und Durchstich durch 4 Re-Ruptur
Knochen, Fixation in Hautniveau. Kirchmayr- 4 Kontraktur
Kessler-Naht (innere Nahtvorlage und dann zirku- 4 Postoperative Adhäsionen
läre Feinadaptation) bei einfachen Sehnendurch-
trennungen, Pulvertaft-Naht bei Sehnennaht un- Posttraumatische/postoperative Adhäsionen der Seh-
terschiedlicher Stärke (z. B. Graft-Technik) nen können durch Tendolysen gelöst werden.

a b

. Abb. 1.52a, b. Sehnenscheiden der Hand. a Streckseite, b Beugeseite. (Aus Schiebler 2005)
1.9 · Handchirurgie
185 1

Sehnenscheidenentzündung (Daumen [I], Index [II], Digitus [III]), Hoffmann-Ti-


Eine Sehnenscheidenentzündung ist meist durch Überlas- nel-Klopfzeichen (Klopfen auf Medialseite des distalen
tung bedingt. Die Therapie besteht in Entlastung, Ruhig- Unterarm löst Parästhesien der Hand/Finger aus). Im
stellung, Antiphlogistika. fortgeschrittenen Stadium Hypästhesien; evtl. Atrophie
der lateralen Thenarmuskulatur.
1.9.3.5 Nervenverletzungen bzw.
-schädigungen der Hand (7 Kap. 1.2, Diagnostik. Elektrophysiologische Untersuchung (Ner-
7 Neurologie, Kap. 1.10.5) venleitgeschwindigkeit – NLG, Elektromyographie).
> Bei einer Schädigung der Nerven an der Hand erge-
ben sich folgende klinische Bilder: Therapie. Versuch einer Ruhigstellung bei Überlastung,
4 N. medianus: Schwurhand Zuwarten bei Gravidität. Kontrolle von Stoffwechseler-
4 N. radialis: Fallhand krankungen. Operativ: Offene oder endoskopische
4 N. ulnaris: Krallenhand Spaltung des Retinaculum flexorum.

Karpaltunnelsyndrom (Nervus-medianus- > Wichtig ist die vollständige Spaltung des Lig. carpi
Kompressionssyndrom) transversum.
Ätiopathogenese. Kompression des N. medianus in
seinem Verlauf (dorsal und lateral von Handwurzel- Weitere Kompressionssyndrome von Nerven
knochen und volar vom Ligamentum carpi transver- Auch in Folge von anderen Erkrankungen (z. B. Frakturen
sum) durch Stoffwechselerkrankungen (Diabetes, mit Kallusbildung, Tennisellbogen u. v. a.) müssen gele-
Gicht, Hypothyreose, Amyloidose), Tumoren (selten), gentlich Nerven dekomprimiert, neurolysiert, verlagert
Anatomische Varianten, Posttraumatisch, Gravidität, werden. Hinweise auf Nervenkompression ergeben sich
Überlastung (7 Neurologie, Kap. 1.10.5.2). durch neurologische Untersuchungen: lokalisierte Sensibi-
litäts-/Motorikausfällle, Muskelhypotrophien.
Symptomatik. Zunächst nächtliche, dann dauerhafte
Parästhesien im Innervationsgebiet des N. medianus

In Kürze

Verletzungen der Hand

Schnitt-/ 4 Diagnostik: sorgfältige Prüfung von DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität)


Quetschver- 4 Therapie: primärer Wundverschluss bei Infektfreiheit bis 6 h möglich
letzungen – Streng atraumatisches, aseptisches Vorgehen. Berücksichtigung der besonderen Schnitt-
führung an der Hand
– Ggf. Gefäß-, Nerven-, Sehnennaht (notfallmäßig bis dringlich) bei adäquater Beteiligung
dieser Strukturen; ggf. Versorgung an handchirurgischem Zentrum
– Frühfunktionelle Übungsbehandlung

Frakturen 4 Diagnostik: allgemeine Frakturzeichen, Röntgen, Spezialaufnahmen, CT, MRT


4 Therapie: grundsätzlich konservativ oder operativ
– Fingerfrakturen: osteosynthetische Versorgung bei Dislokation, Instabilität, meist bei
Grund- und Mittelgliedfrakturen
– MetaKarpusfraktur: meist Osteosynthese. Bennett-Fraktur: Luxationsfraktur des Daumen-
sattelgelenkes
– Karpus: häufigste Fraktur Kahnbeinfraktur. Versuch einer Ruhigstellung bei nur geringer
Dislokation möglich. Mit Dislokation und Pseudoarthrosenbildung: Osteosynthese
(Herbertschraube)
– Ultima ratio: Knochentransplantation, Arthrodese

6
186 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Luxationen 4 Ätiologie: Luxationen des Handgelenkes entstehen durch Hyperflexions und -extensions-
traumen. Luxationen der Finger sind sehr häufige Sportverletzungen
4 Symptomatik/Diagnostik: allgemeine Fraktur- und Luxationszeichen, ggf. Nervenausfalls-
symptome
4 Therapie: grundsätzlich konservativ oder operativ (Bandrekonstruktion)
– Daumen: stets operatives Vorgehen
– Finger: nach Befund meist konservative Behandlung (Gips, Taping)

Sehnenver- 4 Symptomatik/Diagnostik: typische Funktionsausfälle


letzungen 4 Therapie: dringliche Versorgung! Ggf. an handchirurgischem Zentrum. Nur bei Endglied-
verletzung konservative Behandlung durch Ruhigstellung in Stack-Schiene für 6–8 Wochen.
Sonst stets operativ (atraumatische Naht, Pulvertaftnaht, ggf. transossäre Ausziehnaht bei
ossären Ausrissen, Rekonstruktion mit autologem Sehnentransplantat bei Defekt). Früh-
mobilisation

Nervenver- 4 Symptomatik: Parästhesien. Häufigstes neurochirurgisches Krankheitsbild der Hand: Karpal-


letzungen tunnelsyndrom (Kompression des N. medianus zwischen Knochen und Ligamentum trans-
versum carpi)
4 Diagnostik: neurophysiologische Untersuchungen
4 Therapie: Spaltung des Ligamentum transversum carpi, offen oder endoskopisch. Spezielle
mikrochirurgische Nervennaht (Faszikelnaht) bei Durchtrennung

1.9.4 Infektionen der Hand Diagnostik. Technisch: Sonographie, Laborchemisch


(Leukozytose, CRP-Erhöhung). Röntgen zum Aus-
Durch Sehnenscheiden können sich Entzündungen der schluss ossärer Beteiligung.
Hand schnell ausbreiten, z. B. vom Fingerendglied zur
Mittelhand (»V-Phlegmone«), gar zum Unterarm. Ab- Therapie. Operative Entlastung (auch nachts im Not-
gelaufene Entzündungsvorgänge bedingen durch Ad- dienst) und Drainage, Ruhigstellung in Funktionsstel-
häsionen später Verwachsungen, die die Funktion er- lung. Hochwirksame Breitspektrum-, später Resistenz-
heblich einschränken können. gerechte Antibiose per Infusionem, Frührehabilitation
Grundprinzipien der Behandlung sind: Entlastung, (Verklebungen).
Débridement, Drainage, systemische Antibiose.
Nekrotisierende Fasziitis der Hand
! Cave Ätiopathogenese. Auch an der Hand können sich Ent-
Infektionen der Hand sind niemals zu bagatellisieren! zündungen bis zur nekrotisierenden Fasziitis mit Sepsis
Schon bei Verdacht auf Phlegmone: sofortige operati- steigern: hier liegt die Letalität bei bis zu 50%. Aus-
ve Revision. gangspunkt können ein Panaritium (Endgliedentzün-
dung), Insektenstiche oder direkte Verletzungen der
Hohlhandphlegmone Hand sein.
Ätiopathogenese. Schwere Verletzungen der Hand,
generelle Abwehrschwäche, Bagatellinfekte. Symptomatik/Diagnostik. Hochseptische Entzündung
der Hand, des Unterarmes, Laborveränderungen, Sono-
Symptomatik. Schwellung (Hohlhand, Handrücken), graphie, Röntgen (ossäre Beteiligung?).
Druckschmerz, Bewegungsschmerz, Funktionsverlust,
»Pochen«, Rötung, Schwellung (Lymphadenitis) erster Therapie. Aggressiv chirurgisches Vorgehen mit Débri-
lymphatischer Filter (Achsel). dement, hochdosierter Antibiose (kalkuliert, dann nach
Antibiogramm. Nicht selten ist die Amputation als Ul-
tima ratio zur Infekteindämmung notwendig.
1.9 · Handchirurgie
187 1

In Kürze

Infektionen der Hand

Hohlhandphleg- 4 Ätiopathogenese: Folge einer tief reichenden Verletzung (auch Bagatellverletzung)


mone oder fortgeleitete Entzündung (Unteram, Finger) entlang der Nervenscheiden
4 Symptomatik/Diagnostik: Schwellung, Rötung, Schmerz, Fehlhaltung (Krallenhand),
Allgemeinsymptome
4 Therapie: rasche Entlastung, ggf. auch Spaltung des Lig. carpi transversum, der Unter-
armfaszie. Spülbehandlung, i.v. Antibiose. Frühfunktionelle Nachbehandlung

Nekrotisierende 4 Symptomatik/Diagnostik: hochseptische Entzündung der Hand, des Unterarmes,


Fasziitis der Hand Laborveränderungen, Sonographie, Röntgen (ossäre Beteiligung?)
4 Therapie: Débridement, Antibiose. Amputation als Ultima ratio

1.9.5 Sonstige Erkrankungen der Hand mender Gebrauchsunfähigkeit (Beugekontraktur) der


Hand führt. Familiäre Disposition, andere Risikoer-
Schnellender Finger (Digitus saltans) krankungen. Begleitsymptom bei diversen Stoffwech-
Definition. Verdickte Sehnenscheide oder Sehne mit selerkrankungen.
räumlicher Einengung des Gleitkanals (Führungs-/
Ringbänder). Meist sind Daumen, Mittel- und Ringfin- > Eine Dupuytren-Kontraktur nicht verwechseln mit
ger betroffen. Morbus Ledderhose = plantare Fibromatose.

Symptomatik/Diagnostik. Blockade bei Streckung, ent- Symptomatik. Zunehmende flächenhafte oder strang-
weder schnellende Bewegung oder Streckung nur pas- förmige Induration der Handfläche, Progressive Beuge-
siv unter zur Hilfenahme der gesunden Hand möglich. kontrakturen in den Fingergrund- und -mittelgelenken,
Adduktionskontraktur des Daumens. Später Durchblu-
Therapie. Konservativ: Versuch einer Lokalinjektion tungs- und Sensibilitätsstörungen im Bereich der Finger.
(Kortikosteroid). Bei Nichterfolg operative Spaltung
des Ringbandes A1 über dem jeweiligen Metakarpal- Therapie. Konservative Therapieversuche: Bestrahlung,
köpfchen. Kortikoidinjektion, Vitamin E, Kollagenaseinjektionen.
Operativ: Inzision von Verwachsungssträngen bis zur
Dupuytren-Kontraktur totalen Fasziektomie. Häufig Re-Eingriffe notwendig.
Synonym. Palmare Fibromatose.
! Cave
Definition/Ätiopathogenese. Progressive Degenerati- Es besteht die Gefahr von Nerven- und Gefäßverlet-
on mit Schrumpfung der Hohlhandfaszie, die zu zuneh- zung.

In Kürze

Sonstige Erkrankungen der Hand

Digitus saltans 4 Symptomatik/Diagnostik: Druckschmerz über dem Mittelhandköpfchen, Verdickung. Ein-


»Tendovagini- klemmung der Sehne am Ringband mit typischem »Schnellen«
tis stenosans« 4 Therapie: Versuch einer Kortikoidinjektion, Ruhigstellung. Bei Misserfolg quere Inzision im
Bereich der distalen Hohlhandfalte, Darstellung des Sehnengleitlagers, Spaltung des A1-
Ringbandes. Frühmobilisation

6
188 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Dupuytren- 4 Symptomatik/Diagnostik: zunehmende flächenhafte oder strangförmige Induration der


Kontraktur Handfläche, progressive Beugekontrakturen in den Fingergrund- und -mittelgelenken, Ad-
duktionskontraktur des Daumens. Später Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen im
Bereich der Finger
4 Therapie: konservative Therapieversuche: Bestrahlung, Kortikoidinjektion, Vitamin E, Kolla-
genaseinjektionen. Bei Fortschreiten und Beugekontrakturen > 20°: partielle Fasziotomie,
frühfunktionelle Nachbehandlung

1.9.6 Amputationsverletzungen, Der Eingriff erfolgt mikrochirurgisch (Anschluss von


Replantation Nerven, Gefäßen, Osteosynthese) nach sparsamem Dé-
bridement des Amputats und der Reinsertionsstelle.
Voraussetzungen einer Replantation sind: Amputat
i. d. R. nicht länger als 12 h anoxisch, größere Amputate > Reihenfolge bei Replantation: Osteosynthese – Seh-
(Makroamputate z. B. Hand) nicht länger als 6 h abge- nennaht – Gefäßnaht (AV) – Nervennaht
trennt, Optimale Konservierung (Kühlung bei 4°C in
physiologischer Lösung ohne direkten Eiswasserkon- Transplantation von Zehen nach nicht rekonstruierba-
takt – Doppel-Amputatbeutel). Bradytrophe Gewebe ren Fingeramputationen sind etabliert, insbesondere
z. B. Knorpel (z. B. Ohrmuschel) tolerieren längere Is- bei Verlust des Daumens (Digitus I). Hierbei wird die 1.
chämiezeiten. Trotz optimalen Bedingungen und Re- oder 2. Zehe gestielt (mit Arterien, Venen und Nerven-
plantation liegen die Erfolgsquoten unter 80%; eine anschluss) im Metatarsalniveau transplantiert.
volle Funktion und Form kann zudem nicht erwartet
werden.
Ohne Funktionsfähigkeit der Hand besteht vielfach 1.9.7 Fehlbildungen der Hand
Erwerbslosigkeit (insbesondere Daumen). Oberstes
Ziel ist daher die Wiederherstellung der Funktion durch Definition. Fehlbildungen der Hand sind relativ häufig,
Replantation, wann immer möglich (Zustand des Am- bis zu 1:500. Es zeigen sich (7 Kap. 2.12.7):
putats, Ischämiezeit, Zustand des Patienten). 4 Aplasie (z. B. Fehlen eines Daumens)
Bei vielen Körperteilen, auch der Hand, muss die 4 Duplikationen (mehrere Finger, meist nur partiell)
Indikation zur Replantation streng und individuell (Be- 4 Syndaktylie (Verschmelzungen zweier, mehrerer
ruf, Alter etc.) gestellt werden (Nutzen/Risiko) und ins- Finger komplett oder inkomplett)
besondere in Zusammenschau mit dem weiteren Ver- 4 Spaltbildung der Hand
letzungsmuster, des allgemeinen Körperzustandes (Po- 4 Kamptodaktylie (Beugekontraktur der Finger)
lytrauma?) gestellt werden.
Diagnostik. Klinisch, radiologisch.
> »Life before limb«!
Therapie. Je nach Krankheitsbild erfolgt eine sofortige
Es wird unterschieden zwischen den Begriffen: oder spätere Korrektur in fortgeschrittenem Lebensal-
4 Rekonstruktion z. B. Transplantation des Zehens ter. Nötig sind Rekonstruktion/Trennen je nach Betei-
auf den Daumen ligung von Knochen, Muskulatur, Sehnengewebe. Der
4 Replantatation: Wiederanschluss des Daumens Daumen kann durch Umsetzen anderer Finger rekon-
struiert werden. Plastische Techniken (Hautgewin-
Absolute Indikationen zur Replantation sind: nung) sind in der Handchirurgie nicht wegzudenken.
4 Amputation der Hand, Mittelhand Dies gilt nicht nur bei Fehlbildungen, sondern bei je-
4 Amputation des Daumens dem größeren Defekt.
4 Amputation mehrerer Langfinger Thermische Schäden, Verätzungen der Hand:
4 Amputationen bei Kindern 7 Kap. 1.11.
Rizarthrose, rheumatoide Arthritis, Handarthrose:
7 Orthopädie, Kap. 2.12.8 u. a.
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
189 1
1.10 Plastische, wiederherstellende Operationsplanung
(rekonstruktive), ästhetische Es gilt eine strenge Indikationsstellung. Plastisch-chirur-
Chirurgie, Adipositaschirurgie gische Eingriffe benötigen höchste Patientencompli-
ance, Mitarbeit über Monate/Jahre! Wo dies nicht gege-
U. Fetzner, K.-J. Paquet ben ist, ist der Erfolg der Behandlung in Gefahr und
dort sollte ggf. von einem operativen Vorgehen abgera-
Schwerpunkte der plastischen Chirurgie ten werden.
Obwohl man der plastischen Chirurgie häufig unterstellt,
ein »junges Fach« und eine »Modeerscheinung« zu sein, Schnittführung
gehören plastisch-chirurgische Eingriffe zu den ältesten Die meist elektiven Operationen werden sorgfältig ge-
der Medizingeschichte. Aus Tradition sind die Handchirur- plant, Schnittlinien grundsätzlich angezeichnet (Haut-
gie und die Verbrennungsmedizin immer eng assoziiert mit stift). Schnitte und spätere Narben werden an möglichst
plastisch-chirurgischen Abteilungen. Die Obesitaschirurgie unauffälligen Stellen platziert (Haaransatz, Lippenrot-
ist an dieser Stelle mit abgehandelt, da sie häufig plastische Haut-Grenze, Mamillen-Haut-Grenze, Hautfalten). Wo
Sekundäreingriffe nach sich zieht. Verletzungen, Erkran- immer möglich, sollte die Inzision entlang der Spaltli-
kungen und auch angeborene Anomalien der Hand sind nien, über Gelenken quer, erfolgen. Im Gesicht werden
Domäne der Handchirurgie. im Besonderen die sog. »ästhetische Einheiten« berück-
Der bei Tumoroperationen notwendigen Radikalität ist sichtigt. Endoskopische Techniken sind auch in der
die Ästhetik zunächst untergeordnet. Da brustaufbauen- plastischen Chirurgie im Vormarsch: Lipomentfer-
de/ersetzende Verfahren in das Ressort der plastischen nung, Mammaaugmentation, Lifting u. v. m.
Chirurgie fallen, wird hier aber auch die Mammachirurgie
abgehandelt. Hämatomvermeidung
Jedes Hämatom birgt die Gefahr einer Infektion und
> Ziel der plastischen Chirurgie sind in erster Linie die Wundheilungsstörung. Eingriffe erfolgen, wo immer
Wiederherstellung (Rekonstruktion) der Funktion und möglich, in Blutleere; Grundlage sollte streng atrauma-
erst sekundär der Form und Ästhetik. Sie ist weder tisches Operieren sein. Subtile Blutstillung erfolgt mit
regional noch organbezogen begrenzt. bipolarer Strompinzette. Bei geringsten Restblutungen
sind Drainagen (Sog, Lasche) zu legen.

1.10.1 Einführung, Grundprinzipien der Nahttechniken


plastischen Chirurgie Alle Arten von Nahttechniken zum Wundverschluss
kommen zum Einsatz. Streng zu achten ist auch hier auf
Plastische Chirurgie umfasst die Behandlung von Ver- steriles und atraumatisches Vorgehen (keine Quet-
letzungen (auch Verbrennungen), Krankheiten (Tumo- schung mit Pinzette) und exakte Adaptation (ggf. Re-
ren); sekundäre Korrekturen auch angeborener Ano- sektion von Überschüssen). An der Körperoberfläche
malien des Weichteilmantels. Die ästhetische Chirurgie kommt aufgrund der Infektgefahr nur monofiles Naht-
umfasst auch medizinisch-sozial indizierte Behandlun- material in Frage.
gen (Brustaufbau). Verwendung finden folgende Techniken:
Es gelten die allgemeinen Grundprinzipien der 4 Einfache Adaptation oder Rückstichnaht (Allgö-
Wundversorgung (7 Kap. 1.1). In verstärktem Maße er- wer, Donati)
halten folgende Aspekte besondere Berücksichtigung: 4 Intrakutannaht (Koriumnaht)
4 Operationsplanung 4 Einzelknopfnaht oder fortlaufend
4 Schnittführung 4 Subkutannaht
4 Subtiles und streng atraumatisches Arbeiten unter 4 Gefäßnaht, Nervennaht (Mikrochirurgie)
Hämatomvermeidung 4 Steri-Strips (Klammerpflaster), Hautkleber (Der-
4 Besondere Anästhesieverfahren für oft vielstündige mabond)
Eingriffe
4 Nahttechniken Häufig wird sehr zartes Nahtmaterial verwendet (USP
4 Plastische Techniken 5-0 und dünner), sehr häufig resorbierbares (Polyglykol-
4 Mikrochirurgie (Gefäße, Nerven) säure, subkutan, intrakutan) Nahtmaterial. Ggf. ist zusätz-
4 Transplantation lich eine Adaptation mit Steri-Strips nötig. Nahtmaterial
4 Rekonstruktion verbleibt im gut durchbluteten Gesicht 4–7 Tage, ansons-
4 Rehabilitation ten 10–17 Tage, je nach Spannung und Körperregion.
190 Kapitel 1 · Chirurgie

Plastisch-chirurgische Techniken Beispiele für die Verwendung von Lappen zur Defekt-
1 Diese sind nötig, um Defekte (Verletzungen, Defekte, deckung (. Abb. 1.53 bis . Abb. 1.58)
Exzisionen, chronische Wunden) zu verschließen, de- Die Gewinnung von Lappen auch mit Muskulatur ist not-
ren Wundränder aber so weit entfernt sind, dass ein wendig bei großen Defekten, freiliegendem Knochen oder
primärer/sekundärer Wundverschluss nicht möglich nicht ganz infektfreiem Gebiet. Die Operation ist sorgfältig
ist. Lappen werden auch für Rekonstruktionen benötigt zu planen. Bei Muskelentnahme ist an den Funktionsverlust
(z. B. Brustaufbau). Es muss dann Haut des Patienten zu denken.
von einer anderen Stelle transplantiert (s. unten) oder Beispiele: Gestielter M.-rectus-abdominis-Lappen (A./
es müssen Spenderlappentechniken zum Einsatz kom- V. epigastrica) oder M.-latissimus-dorsi-Lappen (A./V. thora-
men. Lappentechniken müssen auch angewandt wer- codorsalis) zum Brustaufbau. Eine Vielzahl an Lappentech-
den, wenn der Wundgrund nicht für eine Transplanta- niken ist beschrieben, sie können nicht annähernd voll-
tion in Frage kommt. ständig besprochen werden.
Typische gestielte oder freie Lappen: Leistenregion:
> Grundsätzlich können Defekte ein- oder mehrzeitig A./V. circumflexa ilium superficialis, A./V. radialis, M. latissi-
gedeckt werden. mus dorsi, A./V. supraclavicularis, A. /V. temporalis, A. gluta-
ea sup. et inf., A. surealis, A. dorsalis pedis u. v. a.
Terminologie der Lappen (»flap«)
4 Ein freier Lappen entspricht einem Transplantat > Vor Lappenplastiken sind präzise Operationsplanung
(Muskel, Muskel-Haut-Paket, Knochen, Zehen, (Schablonen), Gefäßdiagnostik (Doppler-Sonogra-
Darm). Es muss mikrochirurgisch mit Gefäßen phie, Angiographie), intraoperativ exakte Mobilisa-
(Arterie, Vene), ggf. Nerven »angeschlossen« wer- tion, nach Lappenoperation »Lappenmonitoring«
den. Durchblutung ab Operation gegeben, Re-In- (Durchblutung, Infektion, Hämatom, Fixation) not-
nervierung möglich. wendig.
4 Gestielter (»axialer«) Insel-, Nah-, Fernlappen: Be-
lassen der Gefäß-Nervenversorgung, Mobilisation
und Schwenken in ein anderes Gebiet zur Defekt- Anwendungsbeispiele
deckung. 4 Z-Plastik (Transposition): Gewinnen von Län-
4 Zufallsversorgter Lappen (»random pattern ge, Reduktion von Breite, z. B. Narbenkontrak-
flap«). Keine Beachtung der arteriellen und venö- turen, die funktionell beeinträchtigen
sen Blutversorgung. Daher darf das Verhältnis (. Abb. 1.56)
Lappenbasis zu Lappenlänge nicht größer 1:1,5 4 W-Plastik: sicherer Wundverschluss und Platz-
sein (Gesicht 1:4). gewinn durch Mobilisation: z. B. Tumorexzisi-
4 Nach der Art der Operation spricht man von Ver- on, Narbenkorrektur
schiebe-, Schwenk-, Rotations-, Cross-, Rund- 4 U-Plastik: Platzgewinn, z. B. Tumorexzision
stiel-, Lappen. 4 Limberg-Lappen. Deckung rautenförmiger
Defekte, z. B. Tumoren
Die Ursprungsstelle des Lappens muss einen Gewebe- 4 Cross-Plastik: Einnähen eines Fingers an
überschuss aufweisen, der dann direkt primär ver- durchbluteten Hautlappen eines anderen Fin-
schlossen werden kann. ger und viele andere Möglichkeiten, zweizeiti-
Je nach »Dicke« des Lappens enthält dieser Haut, ges Lösen; Deckung der Entnahmestelle
Unterhaut und ggf. noch tiefere Schichten (Muskulatur, 4 Muffplastik: vorübergehendes Einnähen z. B.
Knochen). Dicke Lappen sind bei beispielsweise bei der Hand auf/unter andere Körperregionen
freiliegenden Knochen, Sehnen etc. notwendig. (Abdomen, Oberarm zur Vaskularisierung,
Solche Lappen werden je nachdem, was sie beinhal- dann zweizeitiges Lösen
ten, wie folgt genannt: 4 Expander: Implantate aus Silikon, befüll-
4 Kutaner Lappen (Kochsalz) bzw. inflatierbar zum kontinuierli-
4 Fasziokutaner Lappen chen Dehnen von Haut nahe eines Defekts, um
4 Myokutaner Lappen Gewebe für die zweizeitige Defektdeckung
4 Myofasziokutaner Lappen (Verschiebe-/Schwenklappenplastik) in der
4 Osteokutaner Lappen Nähe zu gewinnen
4 Osteomyokutaner Lappen
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
191 1

. Abb. 1.53a, b. a Axial gut durchbluteter Lappen (»axial pat- . Abb. 1.54a, b. a Verschiebeplastik am Unterschenkel
tern flap«), b inguinaler (A. circumflexa ilium superficialis) und (Transpositionslappen), b Dekubitusplastik (Rotationslappen).
hypogastrischer (A. epigastrica) Hautlappen. (Aus Siewert 2006) (Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.55. Z-Plastik. (Aus


Siewert 2006)

. Abb. 1.56. Z-Plastik. (Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.57a, b. a Umschneiden des Latissimus dorsi, der


vom thorakodorsalen Gefäß- und Nervenstiel versorgt wird.
Die isoliert erhaltene Hautinsel wird von muskulokutanen Ge-
fäßen ernährt. b Verlagerung des muskulokutanen Latissimus-
Lappens v. a. in die vordere Thoraxgegend zum Wiederaufbau
der weiblichen Brust nach Amputation wegen Krebsbefalls.
(Aus Siewert 2006)
192 Kapitel 1 · Chirurgie

Freie Hauttransplantate sind nicht sensibel inner-


1 viert. Das Transplantat wird in den ersten Tagen per
Diffusion, dann über neu einsprossende Gefäße bei gut
granuliertem Wundgrund versorgt.

Vollhaut (Epidermis und gesamtes Korium-


Dermis)
Charakteristika. Farbe und Konsistenz optimal, geringe
Kontraktionsneigung bei Einheilung, mechanisch gut
belastbar.

Indikation. Mechanisch beanspruchte Gebiete (Hände),


sichtbare Areale (Gesicht). Problematisch kann die Ein-
heilung sein (optimales, gut granuliertes und infektfrei-
es Transplantatlager Vorraussetzung). Auch ist Vollhaut
»kostbar«, da nur beschränkt verfügbar (retroaurikulär,
Leiste, Oberarm, supraklavikulär).

Vorgehen. Die Entnahme erfolgt per Skalpell und Pri-


märverschluss der Entnahmestelle. Annaht des Trans-
plantates mit Einzelknöpfen, stets Perforation zum Se-
. Abb. 1.58. Insellappen. (Aus Siewert 2006) kretabfluss.

Spalthaut
Allen Verfahren gemeinsam ist die Entnahme von ca.
Mikrochirurgie 0,2–0,4 mm dicker Haut (Epidermis plus Koriuman-
Per Operationsmikroskop oder per Lupenbrille, ent- teil) mittels Dermatom (z. B. Oberschenkel), auch in
sprechendem Instrumentarium und Nahtmaterial wer- Lokalanästhesie. Durch »Schlitzung« der Haut(Scheren-
den Gefäße (Arterien und Venen, auch Lymphgefäße) gitter) oder Inselzelltransplantation ist eine größere
End-zu-End und End-zu-Seit, sowie Nerven wiederan- Deckung als die Entnahmefläche möglich.
geschlossen. Die Entnahmestelle wird mit einem Hämoptyti-
kum behandelt, verbunden, später offen mit Panthenol/
> Nervnaht: Zusätzlich zur Epineuralnaht werden ein- Fettgaze gepflegt. Da dort Hautanhangsgebilde zurück-
zelne Faszikelbündel und Faszikel mit 10-0-Faden bleiben, entstehen dort keine Sekundärdefekte wie bei
spannungslos aneinandergenäht. der Vollhautentnahme.
Generelle Vorteile: gutes Einheilen, mehrfache Ent-
Die Mikrochirurgie erfordert operative Erfahrung so- nahme in Intervallen an der gleichen Stelle möglich,
wie guten Allgemeinzustand und Gefäßstatus des Pati- auch bei sezernierendem Wundgrund noch transplan-
enten (lange Operationsdauer). Anwendung: freie Lap- tierbar.
pen, Replantation, periphere Gefäß- und Nervenverlet- Problematisch sind die Schrumpfung, die spätere
zung (auch iatrogene Verletzungen), lymphovenöse Textur und die geringe mechanische Belastbarkeit.
Anastomosen, Shunt-Anlage. Besondere Verfahren bei der Verwendung von
Spalthaut sind:
Hauttransplantation (freie Transplantate) 4 MESH-Verfahren (»meshgraft«): Vergrößerung
Transplantiert werden können Vollhaut, Spalthaut so- der Spalthaut mittels Gerät auf das 1,5- bis 9-fache
wie »Pakete« mit Haut und tieferen Schichten (»com- der Spalthautausmaßes
posite graft«). Dies ist immer nötig, wenn Knochen/ 4 MEEK-Verfahren »Inseltransplantation«: Ver-
Knorpel, Sehnen etc. frei liegen. größerung auf 1:4 bis 1:9 durch Verfertigung
Die Anforderungen bei Anwendung von Vollhaut loser Spalthautquadrate; Vorteil: große Distanzen
und Spalthaut an den Untergrund sind Subkutange- überbrückbar, natürlichere Textur als bei »mesh-
webe (Spalthaut) Muskulatur oder gutes Granulati- graft«
onsgewebe, jeweils gut perfundiert (»Transplantatla-
ger«).
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
193 1

Weitere Transplantate Es ist offenkundig, dass der plastische Chirurg interdis-


Andere Transplantate kommen je nach Defekt/Rekonstruk- ziplinär mit Fachärzten aller Gebiete arbeiten muss. Es
tionserfordernis zum Einsatz: Knorpel (Entnahmestelle Ohr, ergibt z. B. keinen Sinn, einen Lappen auf eine gefäß-
Nase, Rippen), Knochen (Entnahmestelle Fibula, Rippe, Be- chirurgisch zu sanierende Extremität zu verpflanzen.
ckenkamm), Faszie (Oberschenkel – Fascia lata), Sehne
(M. plantaris, M. palmaris longus, Nerven (N. surealis), Fett 1.10.2.2 Mesenchymale Tumoren
(Ansaugung mittels Kanülen und Zentrifugation = nach Definition. Mesenchymale Tumoren gehen von Haut,
Coleman). Bindegewebe, Muskulatur, Knochen u. a. aus
(. Tab. 1.44). Selten bei Erwachsenen (ca. 1%), bei Kin-
Rekonstruktion dern etwas häufiger (5%).
Bei der Rekonstruktion kommen alle plastisch-chirur-
gischen Techniken auch in Kombination zum Ein- Ätiopathogenese. Multifaktoriell (genetische Disposi-
satz: z. B. Wiederherstellung einer durch Tierbiss tion, Strahlung, chemische Noxen, chronische Reizung
fehlenden Nase: Aufbau des Nasenskeletts durch Knor- (Narbenkarzinom).
peltransplantation vom Ohr, anschließend Schwen-
klappen der Stirn zum Weichteilaufbau (ggf. nach vor- Diagnostik. Anamnestisch lassen sich Schmerz (erst in
heriger Expansion). Zusätzliche Verwendung von fortgeschrittenen Stadien), Organ-/Strukturkompressi-
Spalthaut. onssymptome Nerv, Gefäße, Organe, eruieren. Klinisch
zeigt sich eine Schwellung, zu unterscheiden sind
Rehabilitation schnelle/langsame Wachstumsmuster. Als technische
Postoperative Ruhigstellung (Gips, Schienen, Sprech- Verfahren sind sinnvoll: Sonographie, MRT, Röntgen
verbot), frühfunktionelle Übungsbehandlung. konventionell (Knochentumoren, Kalzifikationen), CT
(Staging), PET (Tumorstoffwechsel), Szintigraphie.

1.10.2 Auswahl plastisch-chirurgischer > Die Magnetresonanztomographie besitzt eine Domä-


Indikationen ne in der Weichteildiagnostik.

1.10.2.1 Überblick Schnell wachsende, Symptome bereitende Tumoren


Zu deckende Defekte können Folge verschiedener Er- deuten eher auf ein malignes Verhalten hin. Pseudotu-
krankungen/Unfälle sein, z. B.: moren müssen ausgeschlossen werden.
4 Verletzungen, Verbrennungen
4 Exzisionen (Tumor, Narbe) ! Cave
4 Infektiöse-chronische Wunde Bei jeder Weichteilschwellung ist der Ausschluss von
4 Dekubiti Malignom, Pseudotumor, Tumor parenchymatöser
4 Diabetische Ulzera Organe obligat.

Rekonstruktionen sind oft sekundär z. B. in folgenden Das Bild von Größe, Lage, makroskopischer Dignität,
Fällen notwendig: ggf. Verlauf wird durch Biopsie ergänzt. Diese bietet
4 Mammaersatz eine verlässliche histopathologische Einordnung des
4 Lippenrekonstruktion Tumors.
4 Ohrrekonstruktion (inkl. Rippenknorpeltransplan- Übliche Biopsieverfahren (Sonographie-, MRT-ge-
tation) steuert) sind:
4 Nasenrekonstruktion (inkl. Knorpeltransplantati- 4 Feinnadelbiopsie
on) 4 Stanzbiopsie
4 Rekonstruktion angeborener Defekte (Aplasien, 4 Inzisionsbiopsie
Plexustrauma) 4 Probeexzision
4 Rekonstruktion aufgrund neurologischer Störun- 4 Exzision des gesamten Tumors, histopathologische
gen (Fazialisparese, Plexus brachialis Läsionen) Untersuchung
zur Wiedererlangung motorischer Fähigkeiten
durch Muskelansatzveränderungen (Muskelum- Grundsätzlich sollte bei dringendem Malignomver-
setzplastiken), Nervennaht, Nerventransplanta- dacht (Bildgebung, klinische Erfahrung) auf eine Biop-
tion sie wegen der Gefahr der iatrogenen Tumorzellver-
4 Muskelrekonstruktion z. B. Muskeltransplantation schleppung verzichtet werden. Bei der Malignomdiag-
194 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.44. Mesenchymale Tumoren und ihr Ursprungsgewebe

Tumor Dignität Ursprungsgewebe

Lipom Benigne Fettgewebe

Liposarkom Maligne Fettgewebe

Rhabdomyom, Leiomyom Benigne Skelettmuskel, glatter Muskel

Leiosarkom/Rhabdomyosarkom Maligne Glatter Muskel, Skelettmuskel

Ewing-Sarkom Maligne Knochengewebe

Chondrosarkom Maligne Knorpelgewebe

Schwannom Benigne Periphere Nervenscheiden

Pseudotumoren Benigne Bindegewebe, Muskulatur, Knorpel, Synovia, Nervengewebe


Organe: Hämatom, Fibrose, Fasziitis, Myositis, Abszess, Ossifi-
kation/Kalzifikation, Fibrom, Granulom, Xanthom, Zystose,
Neurom, Chondrose, Synovitis, Bursitis, Amyloidose, Organ-
tumoren, Hernien u. v. m.

Hämangioperizytom Maligne Blutgefäße

Hämangiom Benigne Blutgefäße

Fibrom/Desmoid Benigne Bindegewebe

Fibrosarkom Maligne Bindegewebe

Osteosarkom Maligne Knochengewebe

. Tab. 1.45. Benigne und maligne Weichteiltumoren, Therapieprinzipien

Therapieprinzip Cave

Benigne Weich- Lokalexzision z. B. Lipomenukleation, bei aggressiveren benignen Tu- Lokalrezidive möglich
teiltumoren moren (z. B. Basaliom) ausgedehntere Exzision. Ggf. adjuvante Strah- bei unkompletter Exzi-
lentherapie sion

Maligne Weich- Radikale Lokalexzision mit ausreichendem Sicherheitsabstand (R0- Rezidiv lokal oder me-
teiltumoren Resektion, Kompartimentresektion), Ggf. Mitnahme Lymphabstrom- tastatisch. Prognose
gebiet. Ggf. adjuvante/intra-/präoperative Strahlentherapie (perku- höchst unterschiedlich
tan, Brachytherapie, adjuvante/neoadjuvante Chemotherapie je nach Tumortyp,
Ggf. plastisch-chirurgische Techniken, neurochirurgische, gefäß- Subtyp, Stadium und
chirurgische Techniken zur Defektdeckung notwendig Behandlung

nose nach Biopsie muss eine Biopsiekanalexzision Therapie. Die Therapieprinzipien der Weichteiltumo-
durchgeführt werden. ren fasst . Tab. 45 zusammen.

> Wie alle Tumoren sind auch Weichteiltumoren zu Prognose. Prognosefaktoren sind bedingt durch:
klassifizieren: Grading (G0–G3/4, Stadieneinteilung 4 Ausreichende operative Resektabilität/Radikalität
I–IV, TNM-Klassifikation, viele weitere Klassifikations- 4 Tumortyp und Untertyp
systeme).
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
195 1

. Tab. 1.46. Die vier Typen des malignen Melanoms (nach Häufigkeit)

Tumortyp Charakteristika

Superfiziell spreitendes Melanom (SSM; . Abb. 1.59) Horizontale Wachstumsrichtung, langsames Wachstum

Noduläres Melanom (NM) Ulzeration, Blutung, schnelles Wachstum, Entwicklung v. a.


Rumpf

Akrolentigöses Melanom (ALM) Entwicklung v. a. an Akren, auch unter (!) Nägeln

Lentigo-maligna-Melanom (LMM) Entwicklung an lichtexponierten Arealen

Gutartige Tumoren der Haut wechsel. Die Aussagekraft der 18F-FDG-PET/CT ist gegenü-
7 Dermatologie, Kap. 1.14. ber sonstigen diagnostischen Staging-Untersuchungen als
gleichwertig bzw. höher einzustufen und ermöglicht eine
Bösartige Tumoren der Haut exakte Planung des weiteren Therapiemanagements (Ope-
Malignes Melanom (7 Dermatologie, Kap. 1.15.6) ration, Chemotherapie oder Bestrahlung). Zudem kann
Definition. Hochmaligne Neoplasie von den Melanozy- über die Stoffwechselaktivität der Metastasen auch nach
ten ausgehend. Es gibt 4 Haupttypen des malignen Mela- Chemo- und/oder Radiotherapie die eventuell noch vor-
noms, die sich in Morphologie, Ätiopathogenese und Lo- handene Restaktivität der Metastasen früher und erheblich
kalisation unterscheiden (nach Häufigkeit; . Tab. 1.46). sicherer als mit der CT-Untersuchung beurteilt werden.

Ätiopathogenese. Zunehmende Inzidenz, frühe lym- Therapie. Indiziert ist eine spindelförmige Exzision im
phogene Metastasierung. Gesunden (1–2 cm Sicherheitsabstand). Ggf. Nachresek-
tion bei Diagnose durch Pathologen.
Diagnostik. Klinische Zeichen ergeben sich bei sorgfäl-
tige Untersuchung mit dem Dermatoskop (Auflichtmi- Sentinellymphknoten
kroskop, Öl zwischen Haut und Gerät): Ggf. prä- oder intraoperative Farbstoffinjektion oder Lym-
4 Unregelmäßige Begrenzung phoszintigraphie mit Technetiumkolloid, das in den Tumor
4 Farbe injiziert wird. Detektion des Sentinellymphknotens mittels
4 Größe >5 mm Gammakamera. Zeigt sich im Schnellschnitt ein positiver
4 Erhabenheit Lymphknotenbefall muss eine zusätzliche Dissektion des
4 Veränderungen (Blutung, Ulzerationen) »ersten Filters«, z. B. Axilla-, Hals- (Neck-Dissektion), Leisten-
lymphknotendissektion unter subtiler Schonung von Ner-
Alle neu aufgetretenen, suspekten Pigmente und sich ven und Gefäßen erfolgen.
verändernden Pigmente müssen Anlass zur Vorstellung Im Gesichtsbereich kann das Einhalten nötiger Sicher-
bei einem Dermatologen sein (dermatologisches Konsil heitsabstände verstümmeln (interdisziplinäre Behandlung,
bei chirurgischem Aufenthalt). Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie), an den Akren können
Technische Diagnostik: Beweisend ist die Histolo- Amputationen notwendig werden.
gie nach Biopsie Exzision (pTNM-Klassifikation, Sta-
dieneinteilung). Staging mittels Sonographie, MRT, Nachsorge. Ggf. adjuvante Chemo- (Ganglioside, Inter-
Röntgen (Thorax), CT (kontrastmittelverstärkt), PET. feronbehandlung) und Strahlentherapie.

PET Diagnostik beim malignen Melanom Spezielle Therapieverfahren


Mit der Positronenemissionstomographie (PET) wird ein Nichtkurativ wird von in Einzelfällen erfolgreicher (Langzeit-
mit dem Positronenstrahler 18F (t1/2 110 min) markierter überleben) hochdosierter Zytostatikaperfusion, Hyper-
Traubenzucker (18F-FDG) eingesetzt. Die Metastasen thermieverfahren (42°C) berichtet. Die R0-Resektion von
(Lymphknoten, Lunge, Knochen, Leber u. a.) des malignen Fernmetastasen (Lunge, Gehirn, Skelett) kann sinnvoll sein.
Melanoms zeigen im Vergleich zu dem umliegenden nor- Letztlich kommt das gesamte Spektrum an palliativer Chi-
malen Gewebe einen deutlich gesteigerten Glukosestoff- rurgie, Chemotherapie und Radiatio zum Tragen.
6
196 Kapitel 1 · Chirurgie

Das operative Vorgehen beinhaltet: Débridement,


1 Nekrektomie, Exzision, primären Wundverschluss, falls
(meist) nicht möglich: plastische Deckung.

1.10.3 Mammachirurgie

Anatomie
Die Brustdrüse als Schweißdrüsenart (Glandula mammaria)
liegt auf der Faszie des M. pectoralis major in Höhe 2. bis
6. Rippe mediklavikulär. Sie besteht aus 10–25 radiären
Lobi (à 15 Lobuli, mit je 10–100 Azini). Jedes Läppchen
besitzt einen interlobulären Ausführungsgang, die in die
terminalen Milchgänge (Ductus lactiferus) und dann über
Sinus in die Mamille münden. Dazwischen findet sich reich-
. Abb. 1.59. Superfiziell spreitendes Melanom. (Aus Siewert lich Fett und Bindegewebe, das insbesondere bei Nicht-
2006) (7 Farbtafelteil) schwangeren hauptsächlich für die Form und Größe der
Brust verantwortlich ist. Die arterielle Versorgung erfolgt
über die A. thoracia interna (A. mammaria), A. thoracica
Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom, lateralis (A. axillaris) und die Perforansarterien der Interkos-
Kaposi-Sarkom talarterien. Venöser Abfluss: in Richtung Klavikula, Axilla,
7 Dermatologie, Kap. 1.15. Vv. mammariae internae. Der therapeutisch hoch relevante
Lymphabfluss erfolgt über axilläre und auch parasternale
1.10.2.3 Dekubitalgeschwür Lymphknoten (. Abb. 1.60). Lymphabfluss: axillär, inter-
Definition/Ätiopathogenese. Lokaler Druck an expo- pektoral (Verbindung zur Gegenseite), parasternal. Fern-
nierten Stellen führt zu Ischämie der Weichteile und metastasenabsiedlung beim Mammakarzinom findet vor-
irgendwann zu Nekrose insbesondere bei schlechtem nehmlich in Skelett, Gehirn, Lunge, später in alle Organe/
Allgemeinzustand, lokalen Durchblutungsstörungen, Gewebe statt. Klassifikation nach TNM-System.
Bettlägerigkeit, fortgeschrittenem Alter. Als Bestandteil der Haut gehört die Chirurgie der Brust-
Prädisponierte Stellen sind: Os sacrum, Tuber is- drüse schwerpunktmäßig in das Gebiet der plastischen
chiadicum, Fersen. Chirurgie. Operationen aufgrund maligner Ursache sind
Klassifikation nach Campbell: eng mit wiederherstellenden Eingriffen (Brustaufbau) ver-
4 Grad 1: Haut bunden.
4 Grad 2: Subkutis
4 Grad 3: Faszie Diagnostik. Anamnestisch wichtig zu klären sind Fra-
4 Grad 4: tiefe Faszie gen nach: zyklusabhängige Beschwerden? Mastalgie
4 Grad 5: Muskulatur (Brustdrüsenschmerz). Familienanamnese. Medika-
4 Grad 6: Periost menteneinnahme. Menarche? Menopause? Zyklus-
4 Grad 7: Knochen anamnese? Schwangerschaften, Geburten, frühere
Brusterkrankungen?
> Es genügt eine Stunde zur Entstehung eines Dekubi- Die klinische Untersuchung der Brustdrüse bein-
tus. haltet: Inspektion (Areole, Mamille, Drüse, Asymmetri-
en, Einziehungen, Ulzeration), Sekretion (Galaktorrhö:
Symptomatik/Diagnostik. Ggf. schmerzhafte Ulzerati- serös? blutig?), Palpation (Tumor, Verschieblichkeit,
on o. g. stufenlosen Ausmaßes, oft superinfiziert und Konsistenz). Technisch unterstützen die Diagnostik
mit entzündlichem Saum. Sonographie, Galaktographie, MRT, Mammographie
(Mikrokalk? Grobschollige Verkalkungen?), Biopsie.
Therapie. Konservative Behandlung: Hydrokolloidver-
bände, VAC-Verband (»vacuum assisted closure«). Eine Therapie. An der Mamma kommen folgende Operati-
Operation ist indiziert bei Infektion größeren Ausma- onsverfahren der plastischen Chirurgie zum Einsatz:
ßes, Osteomyelitis, Gelenkbeteiligung sowie Versagen 4 Augmentation, Reduktion bei Hypoplasie, Amastie,
anderer Therapiemaßnahmen. Eine sofortige Operati- Hyperplasie/Hypertrophie, Asymmetrien, Gynäko-
on ist nötig bei Sepsis, Blutung. mastie
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
197 1
Entzündungen der Brust (Mastitis)
7 Gynäkologie, Kap. 2.8.14
Ätiopathogenese. Eitrige Entzündung der Brustdrüse
als Folge einer Thelitis (Mamillenentzündung). Meist in
Laktationsperiode (Saugläsionen). Ursache ist meist S.
aureus. Seltener sind nicht eitrige Entzündungen (Pilz-
infekt, posttraumatische Fettgewebsnekrose)

Symptomatik. Heiße, gerötete Brust, Fieber, Druck-


schmerz, Entzündungszeichen.

! Cave
Gefahr des Übergangs in Brustdrüsenabszess und
Sepsis!

Therapie. Ggf. Abstillen, Abpumpen (einseitig). Lokale


Kälte (Umschläge), Desinfektion, Antibiose. Operativ:
Inzision, (Abstrichentnahme!), Drainage/Spülung.

Gynäkomastie
Definition. Entwicklung/Vergrößerung der Brustdrüse
beim Adoleszenten/Mann (ein-/beidseitig).

Ätiopathogenese. Hormondysbalance im Jugendalter,


endokrine Tumoren (Hodendysfunktion, Nebennie-
renrinde, Hypophyse), Adipositas, Leberzirrhose, iatro-
gen (Pharmakotherapie), Malignom.

Symptomatik. Brustdrüsenentwicklung ein-/beidseits,


oft mit Spannung, Schmerz (Mastodynie), ggf. Sek-
retion.

. Abb. 1.60. Die axillären Lymphknotengruppen I, II und III ! Cave


lateral des M. pectoralis minor, bedeckt von diesem bzw. me-
Mammakarzinom des Mannes ausschließen (1% aller
dial davon. (Aus Siewert 2007; nach Monaghan 1995: Mamma-
Mammakarzinome)!
operationen. In: Hirsch et al. (Hrsg.) Atlas der gynäkologischen
Operationen, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart) (7 Farbtafelteil)
Diagnostik. Sonographie, Biopsie.

Therapie. Es besteht einerseits eine psychosoziale Indi-


4 Mamillenkorrekturen bei Hohlwarze, Duktektasie kation, zudem muss ein Malignom ausgeschlossen wer-
u. a. den. Periareoläre Inzision. Liposuktion oder konventi-
4 Biopsie, lokale Exzision in unterschiedlichem Aus- onelle Drüsenresektion (= Mastektomie perimamillär/
maß bei benignen Tumoren oder zur Probenge- transmamillär). Subtiler Hautverschluss.
winnung (Papillom, Adenom, Fibroadenom, Zys-
ten u. a.) Komplikationen. Verlust der Mamille.
4 Abszessinzision, Punktion bei entzündlichen Er-
krankungen (z. B. abszedierende Mastitis) Gutartige Mammaneoplasien, tumorartige
4 Brusterhaltende Quadrantenresektion mit Senti- Läsionen
nellymphknotendissektion ! Cave
4 Mastektomie (7 unten) Ein Karzinom muss immer ausgeschlossen werden.
4 Radikale Mastektomie (7 unten)
198 Kapitel 1 · Chirurgie

Tumorartige Läsionen Plateau-Phänomen), Asymmetrie, Sekretion der Ma-


1 Hierzu gehören: mille (blutig, serös). Zeichen einer Fernmetastasierung
4 Zysten (10% aller Frauen!) (z. B. Knochenschmerz). Palpabler, derber Knoten
4 Galaktozelen (Milchstauzysten) (nicht verschieblich durch Adhäsion an Haut, Faszie,
4 Skleroseherde Muskel), palpable Lymphknoten, z. B. axillär, periklavi-
4 Mastopathie (chonisch-fibrosierende, multiple zys- kulär. Spätsymptom: Ulzeration, mangelnde Verschieb-
tische Mastopathie) lichkeit auf Pektoralismuskulatur.

Therapie. Grundsätzlich lokale Exstirpation im Gesun- > Jeder Knoten gilt als maligne bis zum Beweis des Ge-
den. Aufgrund des Entartungsrisikos bei Mastopathie genteils.
(stadienabhängig) Mastektomie. Regelmäßige Nach-
sorgeuntersuchungen. Technische Diagnostik: Sonographie (Differenzialdi-
agnosen Zyste, solider Tumor), radiologisch Mammo-
Benigne Mammaneoplasien graphie in 2 Ebenen (Mikrokalk, sternförmige Tumo-
Zahlreiche benigne Mammatumoren, etwa ein Viertel ren). Galaktographie (Milchgangsdarstellung mittels
aller Mammatumoren (bis 25%): Kontrastmittel), Pneumozystographie (sonographiege-
4 Adenom steuerte Luftinsufflation in Zysten), Platzierung von
4 Lipom Lokalisationsdrähten, dann Röntgenaufnahme, Biopsie
4 Fibroadenom (häufig; solitär bis über 5 cm Durch- (auch stereotaktisch), CT/MRT zum Staging (Knochen,
messer oder multipel, Entartungsrisiko!) Lunge, Gehirn)/Nachsorge. Thermographie (Hyper-
4 Papillom thermie von Malignomen). Laboruntersuchung (Tu-
mormarker, aP, Kalzium). Feinnadelaspiration, Stanz-
Teilweise verursachen die Tumoren zyklusabhängige biopsie/CT, sonographiegesteuert. Chirurgische Probe-
Beschwerden, oft sind es Zufallsbefunde. exzision (vollständig), Szintigraphie u. v. m.

Therapie. Grundsätzlich werden sie lokal im Gesunden Therapie. Wann immer möglich sollte heute eine BET
exstirpiert mit Sicherheitsabstand. Grundsätzlich ist die (brusterhaltende Therapie) stattfinden: so radikal wie
periareoläre und submammäre Schnittführung die Me- nötig, so schonend wie möglich. Grundsätzlich gehen
thode der Wahl. Beim Papillom Lobusresektion. Bei Art, Lokalisation, Größe des Tumors und der Brust (Re-
Präkanzerosen bereits Quadrantenresektion, Mastekto- lation Tumor-Brust), aber auch Alter und Patienten-
mie (7 unten). Regelmäßige Nachsorge (Rezidive!). wünsche in die Therapieentscheidung mit ein.

Mammakarzinom (7 Gynäkologie, Kap. 1.12.5) > Überleben geht vor Kosmetik!


Definition. Bösartiger Tumor vom Drüsengewebe aus-
gehend. Häufigster Krebs der Frau (jede 10. Frau er- Intraoperative Schnellschnitte sind Standard, ggf. prä-
krankt). Viele Subtypen, stets entweder vom Epithel der operative Markierung des Tumors mittels Metallclips/
Ausführungsgänge (intraduktal) oder von den Lobuli -fäden.
ausgehender (intralobulärer) maligner Tumor. Ent- Operationstechniken sind:
wicklung gehäuft im oberen äußeren Quadranten 4 Brusterhaltende Quadrantenresektion (alt: Lump-
(60%), linke Seite bevorzugt. Lymphogene Metastatisie- ektomie)
rung meist entlang der Axilla, Fernmetastasen bevorzu- 4 Subkutane Mastektomie
gen Knochen, Lunge, ZNS. Verschiedene Stadieneintei- 4 Mastektomie (alt: Ablatio mammae)
lungen. 4 Radikale Mastektomie

Ätiopathogenese. Familiäre Disposition, Risikofakto- Bei der brusterhaltenden Quadrantektomie wird der
ren Spät-/Nullipara, Karzinom der Gegenseite, gutarti- Tumor mit Sicherheitsabstand sektorförmig exstir-
ge Karzinomvorstufen, Hormontherapie u. a. Risikofak- piert. Bei Malignität erfolgt zusätzlich die axilläre
toren. Zu über 90% liegt ein duktales Karzinom vor, Lymphknotenresektion (diagnostisch – Sentinelkon-
davon entfallen bis zu 80% auf ein invasives duktales zept, Staging – und therapeutisch).
Karzinom! Grundbedingungen für BET sind:
4 Maximale Tumorgröße ca. 3 cm Durchmesser
Diagnostik. Klinisch: Inspektion: Kontur- und Ober- 4 Kein T4-Tumor
flächenunregelmäßigkeit (Einziehungen, Orangenhaut, 4 Solitärer Tumor
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
199 1

4 Keine vorangegange Bestrahlung Nachsorge zur Entdeckung von Lokalrezidiven (erneu-


4 Günstige Relation Tumor-Brust te Resektion, Bestrahlung, Chemotherapie) oder Metasta-
sen (Metastasenresektion, Ggf. Wirbelsäulenstabilisierung,
Obligate adjuvante Nachbehandlung: In jedem Falle Bestrahlung, Chemotherapie).
Bestrahlung. Chemotherapie erfolgt bei positivem Rekonstruktion (Implantat unter M. pectoralis, Eigen-
Lymphknotenstatus und bei hoher Tumormalignität gewebe (myokutane Lappen z. B. M. rectus abdominis
(CMF: Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluoroura- (TRAM-Flap), M. latissimus dorsi) einzeitig oder zweitzeitig.
cil), postmenopausal werden bei entsprechender Kon- Die Techniken zum Brustaufbau (Rekonstruktion) überlap-
stellation (östrogenrezeptorpositive Tumoren) Tamoxi- pen sich mit Rekonstruktionen aus ästhetischen Gründen
fen und evtl. Aromatasehemmer verabreicht. und der Mammaaugmentation (s. unten).
Bei der subkutanen (»hautsparenden«) Mastekto-
mie erfolgt folgendes Vorgehen: Periareolärer Zugang und Nachsorge. Das postoperative Lymphödem der oberen
»Entnahme« der Brustdrüse zwischen Haut und Faszie. Extremität nach Axillalymphknotendissektion (insbe-
Implantation von Eigengewebe (Latissimus dorsi, Rectus sondere bei gleichzeitiger Nachbestrahlung) kann er-
abdominis) oder einer Prothese. Axilladissektion. heblich die Lebensqualität einschränken und auch zu
Die Mastektomie schließt die bloße Entfernung Infekten des Arms führen.
des gesamten Drüsenkörpers inklusive Haut und Ma-
mille ein. Zudem erfolgt eine Axillalymphknotendis- Therapie. Lymphdrainage (manuelle Kompression,
sektion. Der M. pectoralis wird belassen, lediglich die Hochlagern, Stützstrümpfe u. v. m.)
Faszie reseziert.
Bei der radikalen Mastektomie erfolgt zusätzlich Mammareduktionsplastiken
die Resektion der Mm. pectoralis major et minor sowie Indikation. Mammahyperplasie, Makromastie, sobald
eine ausgedehnte axilläre Ausräumung. Radikalität diese psychisch belastend ist und körperliche Schäden
muss hier gegenüber kosmetischen Einbußen und (HWS, BWS und Erkrankungen (Dermatose, Intertri-
Funktionsminderung der oberen Extremität sowie dem gines, Stillschwierigkeiten) nach sich zieht.
postoperativen Lymphödem der oberen Extremität ab-
gewogen werden. Nach radikaler Mastektomie sind ggf. Vorgehen. Grundprinzip ist stets der gestielte Areolen-
aufwändige plastische Rekonstruktionen notwendig. /Mamillentransfer nach kranial und Reduktion des
Drüsenkörpers inkl. darüber liegender Haut z. B. nach
! Cave Strömbeck oder nach Lejour. Viele weitere Techniken
Bei allen Eingriffen der Brustdrüse: Schonung der A., mit unterschiedlichen Inzisionslinien sind bekannt.
V. axillaris und des N. axillaris und N. thoracicus lon- Allen Operationen geht eine sorgfältige Planung
gus und thoracodorsalis. voraus.

Therapie des Mammakarzinoms Komplikationen. Mamillennekrose, Verlust der Stillfä-


Eine adjuvante Nachbestrahlung (Neutronen, Elektronen) higkeit.
ist obligat bei BET ab T2. Bei positivem Lymphknotenstatus
wird auch axillär bestrahlt. Strahlentherapie wird ebenso Nachsorge. BH, Korsettunterstützung für 3 Monate.
palliativ bei nicht operablen Tumoren eingesetzt. Durch
adjuvante Chemotherapie können okkulte Fernmetastasen > Die Mammastraffung durch Fixation des Drüsenkör-
supprimiert und die Wahrscheinlichkeit einer Rezidivs/Me- pers auf Höhe des 2. Interkostalraumes bei Ptosis der
tastasierung erheblich gesenkt werden. Palliative Chemo- Brüste ist eine weniger invasive Variante.
therapie ist bei M1-Status indiziert.
Nach der obligaten pathologischen Hormonrezeptor-
analyse (sowie Ploidie, S-Phase-Farktion, Genanalyse) des 1.10.4 Fehlbildungschirurgie
Tumors ggf. Verabreichung von Hormonen (Östrogene, An-
drogene, Gestagene), Antiöstrogenen (z. B. Tamoxifen) Angeborene Fehlbildungen können durch die plasti-
oder Ovarektomie, Adrenalektomie, Hypophysektomie sche Chirurgie oft derart korrigiert werden, dass eine
(letztere heute sehr selten). normale Entwicklung des Kindes und Jugendlichen er-
Prognose abhängig von Stadium (Lymphknotenbefall, möglicht wird (. Tab. 1.47). Es gibt zahlreiche Überlap-
Tumorgröße), Tumordignität (Rezeptorstatus) kompletten pungen der plastischen Chirurgie zur Kinder-, MGK-
Resektion, Nachbehandlung. Chirurgie, Neurochirurgie, Handchirurgie.
6
200 Kapitel 1 · Chirurgie

1 . Tab. 1.47. Auswahl von Fehlbildungen und deren operativer Behandlung

Organgruppe Behandlungsprinzip

Fehlen von Brustwarzen (Athelie) oder Überzahl an Brust- Tätowierung, Ersatz mit Teil der Gegenseite, Ersatz durch
warzen (Polythelie) oder Brustdrüsen (Polymastie) Schamlippen. Resektion von überzähligen Brustwarzen/
Brustdrüsen

Amastie: Fehlende Brustdrüse. Assymmetrien Prothetik, Aufbau mit körpereigenem Gewebe

Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, kraniofaziale Dysostosen 7 MKG-Chirurgie

Hand- und Fingerfehlbildungen 7 Kap. 1.9

Hämangiome, Lymphangiome, angeborenes Lymph- Resektion, Rekonstruktion


ödem

Urogenitale Fehlbildungen 7 Urologie, Gynäkologie

1.10.5 Ästhetische Eingriffe Therapie. Anzeichnen, Inzision an Unterlidkante, Re-


sektion von Haut- und Fettgewebe, auch dorsal des M.
1.10.5.1 Nicht rein ästhetische Eingriffe orbicularis oculi. Wundverschluss. Transkonjunktivale
Narbenkorrekturen und Lidplastiken können auch Schnittführung (keine spätere Narbe) und Operation
aufgrund funktioneller Probleme medizinisch behand- mittels Laser (CO2-Laser) sind in Verbreitung begrif-
lungsbedürftig sein. Aufgrund von erheblichem Haut- fen.
überschuss nach Gewichtsverlust (Diät, Operation)
können Dermolipektomien an Rumpf und Extremitä- ! Cave
ten notwendig werden. Mögliche Komplikationen bei Lidstraffung: Überkor-
rektur mit nachfolgend Lagophthalmus, Verletzung
Narbenkorrekur der Tränendrüse, Nervenverletzung.
Eine Narbe hat nach 6–12 Monaten ihre endgültige
Form, Struktur und Farbe angenommen. Durch die Abdominoplastik (Dermolipektomie)
Kontraktur jeder Narbe kann es zu teilweise erhebli- Indikation/Ätiopathogenese. Schlaffe Bauchhaut oft
chen Bewegungseinschränkungen kommen. Instabile als Folge extremen Gewichtsverlustes aus sozialmedi-
Narben, Narbenkarzinome u. v. a. sind ebenso behand- zinischen (Fettschürze) und hygienischen Gründen
lungsbedürftig. Korrekturen bei Kontrakturen erfolgen indiziert (Intertrigines). Seltener Folge zahlreicher Ge-
meist als Z- oder W Plastik. burten.

Blepharoplastik Therapie. Präoperative Planung. Bogenförmige Inzisi-


Indikation/Ätiopathogenese. Hängendes Oberlid in- on und Resektion von Haut und Subkutanfett (Inzisi-
folge Hautüberschuss, was oft funktionelle Probleme onslinie in der Beckenkamm-Pubis-Linie), z. B. nach
nach sich zieht: Gesichtsfeldeinschränkung, Reiben der Lockwood. Mobilisation. Kontrolle, ob Bauchwandher-
Wimpern an der Kornea, Austrocknen des Auges mög- niation vorliegt. Verschluss.
lich.
Komplikationen. Wundheilungsstörungen (große Re-
Therapie. Anzeichnen des Hautüberschusses, Spindel- sektionsfläche/Wunde!), Nabelnekrose.
förmige Exzision inkl. Fettkörper in Lokalanästhesie
auch dorsal des M. orbicularis oculi. Wundverschluss. 1.10.5.2 Rein ästhetische Eingriffe
Letztlich mit steigendem Wohlstand vermehrt sich
Unterlidplastik auch der Wunsch altersbedingten Veränderungen des
Indikation/Ätiopathogenese. Haut- und Fettgewebs- Körperäußeren entgegenzuwirken, sich »Idealen« aus
überschuss. Medien anzugleichen und andere naturbedingte Gege-
benheiten korrigieren zu wollen.
1.10 · Plastische, wiederherstellende (rekonstruktive), ästhetische Chirurgie
201 1

! Cave Verfahren. Die Implantation kann subpektoral (unter


Strenge Indikation! Ausführliche Beratung und Auf- dem M. pectoralis major) oder subglandulär (zwischen
klärung (Komplikationen, Erfolgsaussichten, v. a. Risi- Brustdrüse und Muskelfaszie) erfolgen. Schnittführung
ken)! Die Zusammenarbeit mit professionellen Psy- erfolgt periareolär, per Submammärfalte, von axillär,
chologen hat sich bewährt. von abdominell. Implantation: Schaffung eines Trans-
plantatlagers (stumpf), streng sterile Implantation.
Konturanpassung (Unregelmäßigkieten) im Hautverschluss.
Hautrelief, Tätowierungsbeseitigung,
Lipofuszinbeseitigung Komplikationen. Infektion, Kapselfibrose, Austritt von
Narben und Pigmentstörungen können mittels folgen- Füllsubstanz bei minderwertigen Transplantaten mit
der Verfahren behandelt werden: entsprechender Gewebereaktion.
4 Chemisches Peeling (Säuren)
4 Dermabrasio mittels Diamantschleifern (Entfer- Mammarekonstruktion. Ggf. muss zunächst Haut
nung der obersten Epidermisschicht, »Abschlei- durch Expanderimplantation (seltener durch Lappen-
fen«) plastik) gewonnen bzw. gedehnt werden. Dann erfolgt
4 Laserbehandlung (Rubin, Erbium, Farbstofflaser) die Implantation einer Silikonprothese (submuskulär),
4 Unschöne Narben können auch mittels Lappen- später Rekonstruktion des Areolen- und Mamillenbe-
plastik ggf. nach vorheriger Expansion unauffälli- reiches (7 unten).
ger gemacht werden. Alternative zur Prothese ist der Brustaufbau mit
körpereigenem Gewebe: M.-rectus-abdominis-Lappen,
> Dermabrasio und Laserbehandlung sollten bis auf die M.-latissimus-dorsi-Lappen, freie Lappen.
gefäßführenden Schichten erfolgen. Eine Anästhesie Areolenrekonstruktion erfolgt mittels:
ist notwendig. Danach steriler Verband und Sonnen- 4 Tätowierung
schutz für 6 Monate. 4 Lidhauttransplantation
4 Transplantation von Areolengewebe der Gegenseite
Mammaaugmentation (Brustvergrößerung),
Mammarekonstruktion Die Mamille lässt sich mittels folgender Verfahren re-
Indikation. Der Wunsch nach vergrößerter Brust wird konstruieren:
heute durch Medien gefördert. Er vermittelt bereits Ju- 4 Ohrläppchentransplantation
gendlichen ein Bild idealer Schönheit, zu der eine fülli- 4 Labia-minor-Transplantation
ge Brust gehört. Von dem reinen Wunsch nach größerer 4 Schwenklappen
Oberweite sind psychische Indikationen bei Mamma-
hypoplasie (Mikromastie, Involution) und Rekonstruk- In der Regel sind Mastektomie und Rekonstruktion
tion nach Ablatio abzugrenzen. zwei-/mehrzeitige Eingriffe. Dazwischen liegen meist
Indikationen zum Brustaufbau bestehen auch bei Chemotherapie, ggf. Bestrahlungsintervalle. Sie kann
der angeborenen Amastie. Geringe Mammaasymmet- prinzipiell auch einzeitig stattfinden.
rien müssen auch als ästhetische Eingriffe gewertet
werden. Korrektur durch Augmentation einer Seite ! Cave
oder Reduktion der anderen. Bestrahlungen nach Prothesenimplantation verbie-
ten sich.
! Cave
Eine intensive Aufklärung über Risiken (Sicherheit der Face-Lifting
Implantate) ist obligat. Indikation. Schlaffe Gesichtshaut altersbedingt, nach
Gewichtsabnahme, anlagebedingt.
Therapie. Implantate können aus folgenden Materia-
lien bestehen: Therapie. Zur Verfügung stehen verschiedene Techni-
4 Silikongel ken: Standard: prä- und retroaurikuläre Inzision, Mo-
4 Hydrogel bilisation, Zug nach dorsokranial, Resektion von Haut-
4 Silikonhülle, Kochsalzfüllung, Sojaöl-Füllung überschuss, Naht.

Moderne Implantate können nicht mehr »auslaufen«. Komplikationen. Verletzungen des N. facialis, Asym-
Die Schnittfläche ist homogen. metrie.
202 Kapitel 1 · Chirurgie

Stirn-Lifting Therapie. Verfahren der Hochvakuumaspiration von


1 Indikation. Schlaffe Haut der Stirn, übermäßige Falten- Fettgewebe (bis zu 1 l) mittels Kanülen, die fächerför-
bildung, unvorteilhafte Mimik. mig in Subkutanniveau eingebracht werden.

Therapie. Verschiede Techniken: offene Inzision ent- ! Cave


lang der Behaarungsgrenze in verschieden tiefen Bleibende Nervenverletzungen und schwere Infekte
Schichten (Haut, Muskulatur, subperiostal) und Zug sind möglich.
nach kranial, Resektion von Hautüberschuss.
Transsexualoperationen (Geschlechtsumwandlung)
> Neck-Lifting: Straffung der Haut des Halses. 4 Mann zu Frau: Orchektomie, Penektomie, Vagina-
bildung mit »Penishautschlauch«, Glans penis ver-
Rhinoplastik bleibt als Klitoris, aus Scrotum werden Labien ge-
Indikation. Höcker-, Sattel-, Lang-, Breit-, Schiefnase. formt.
Patienten können aber auch objektiv nicht nachvoll- 4 Frau zu Mann: Ablatio mammae, Hysterektomie,
ziehbar mit ihrer Nase unzufrieden sein und eine Vaginaverschluss, Neopenis aus Muskel-Hautlappen
andere Nase wünschen. Septumdeviation, 7 Kap. HNO, und Urethraverlegung. Zusammenarbeit von Urolo-
3.2.4.3. gen, Gynäkologen, plastischen Chirurgen. Indikati-
onsstellung bedarf größter Sorgfalt und Erfahrung.
Therapie. Ausführliche Beratung, Operationsplanung. Nach Konsens müssen die Patienten über 21 Jahre
Je nach Umfang einfache (auch geschlossene) bis kom- sein, eingehende Untersuchung, bis 3-jährige ärztli-
plexe Eingriffe und Rekonstruktionen (Knorpel, Kno- che Beobachtung, 1 Jahr leben unter Hormonbe-
chen, »Nasenaufbau«). handlung in der angestrebten Geschlechterrolle, in-
tensive Aufklärung, flankierende Psychotherapie.
Otoplastik
Indikation. Fehlbildungen, abstehende Ohren.
1.10.6 Obesitas-/bariatrische (Adipositas-)
Therapie. Je nach Fehlstellungen einfache Straffung Chirurgie
durch Inzision und Naht. Komplexe Rekonstruktionen
bei gravierenden Fehlbildungen/Verletzungen. Indikation
Chirurgische Maßnahmen zur Reduktion des Körperge-
Alopeziebehandlung wichtes können durchaus medizinisch indiziert sein. So
Therapie. Nach Versagen konservativer Maßnahmen drohen bei sehr hohem Körpergewicht (z. B. BMI >40) Fol-
kann die Implantation einzelner kleiner Transplantate geerkrankungen (Diabetes, Herzinsuffizienz, Gelenkver-
(Hautstanzen z. B. des Hinterkopfes) mit wenigen Haa- schleiß, Karzinomerkrankungen u. v. a.), die Lebenserwar-
ren, Transplantation ganzer haartragender Lappen er- tung kann um Jahrzehnte reduziert sein. Auch die Ökono-
folgen. Möglich ist auch die Dehnung behaarter be- mie kann durch frühzeitige chirurgische Intervention
nachbarter Areale mittels Expander. günstiger Ausfallen als die Behandlungskosten der Folge-
erkrankungen der schweren Adipositas.
Faltenbehandlung Dennoch sind chirurgische Maßnahmen eine Ultima
Therapie. Zur Verfügung stehen folgende Verfahren: Ratio nach konservativen Behandlungsversuchen (Fasten,
4 Eigenfetttransplantation (vorheriges Ansaugen, Psychotherapie usw.).
Aufbereitung, Injektion) Viele von einst mit Enthusiasmus durchgeführten Ver-
4 Kollageninjektion fahren wie etwa Zahnverdrahtung, Dünndarmresektion
4 Botox mit jejunokolischem oder jejunoilealem Bypass, verschie-
4 Injektion anderer Substanzen (Vielzahl von Subs- dene Magenplastiktechniken und die elektrische Magen-
tanzen in Erprobung!) stimulation sind heute völlig verlassen worden.

Liposuktion (Fettabsaugung) > Eine Adipositasbehandlung ist nie kausal, sondern


Indikation. Lipomatosen, schwer mobilisierbare Fettde- symptomorientiert.
pots »Problemzonen«: Abdomen, Hüfte, Oberschenkel,
Knie, Gesäß, Kinn (submental), Mammae. Es können hier von den heute ca. 50 verschiedenen chi-
rurgischen Therapieverfahren nur die Therapieprinzi-
pien vorgestellt werden, ohne sie genauer aufzuführen,
1.11 · Thermisches Trauma (Verbrennung, Erfrierung), Verbrennungsmedizin, Verätzung
203 1

ihre zum Teil erheblichen Komplikationen zu erläutern Brandverletzten stehen Verbrennungszentren zur Ver-
und ohne deren Wert zu diskutieren: fügung. Trotz intensiver medizinischer Bemühungen
4 Restriktive Verfahren (Einschränken der Nah- verstirbt bis zu ein Fünftel der Menschen mit Verbren-
rungszufuhr) nungen größer als 20% der Körperoberfläche.
5 Endoskopisches Plazieren eines Magenballons
5 Endoskopisches Plazieren eines Magenbandes Ätiopathogenese/Definition. Mögliche Ursachen für
(adjustable »gastric banding«) Verbrennungen sind Verbrühung mit heißem Wasser,
5 Gastroplastik (laparoskopisch, offen) Kontaktverbrennung (Flamme, heiße Gegenstände),
5 Magenbypass (laparoskopisch, offen) Lichtbogen, Strahlen, chemische Verbrennung, Elektro-
4 Malabsorptive Verfahren (Einschränken der Nah- verbrennung (Gewebeleitung). Ab 55°C kommt es zu
rungsverwertung) Zelldenaturierung (Strukturproteine, Enzyme), Media-
5 Biliopankreatische Diversion (Trennen der torfreisetzung und Entzündungsreaktion (lokal, syste-
Nahrungspassage von der Passage von Galle- misch).
und Pankreassekret, kurze gemeinsame End-
strecke – »common channel«) > Hitzeschaden = Temperatur mal Einwirkungsdauer
5 Intestinaler Bypass (inkl. »Nachbrennen«)

Die biliopankreatische Diversion ist bei normaler Er- Von reversibler Hyperämie bis zu irreversiblen Nekro-
nährung des Patienten hoch effektiv und weist auch sen (Haut und tieferer Schichten) werden folgende Sta-
gute Langzeitergebnisse auf, stellt aber einen gravieren- dien unterschieden:
den Eingriff in die Körperphysiologie mit Notwendig- 4 Grad I: morphologisch: Rötung (Hyperämie, Ery-
keit lebenslanger Substitution von Nährstoffen (Eisen, them), keine Blasenbildung, Schmerz; Ursache:
Kalzium, Vitamine B, E, D, K, A, Folsäure) dar. Epidermistrauma; Beispiel: Sonnenbrand
4 Grad IIa: Morphologisch: Rötung, Blasenbildung,
> Alle operativen Schritte (Vorbereitung, Anästhesie, Schmerz. Ursache: Dermisschaden.
Lagerung, Trokarplatzierung) sind bei schwerst adi- 4 Grad IIb: morphologisch Rötung, starke Blasenbil-
pösen Patienten zum Teil von erheblichen Schwierig- dung, weiß-rotfleckiges Korium; wenig Schmerz;
keiten begleitet. Das bedingt die zum Teil erhebliche Narbenbildung
Morbidität und Mortalität dieser Eingriffe. Die lebens- 4 Grad III: morphologisch: trockene weiße oder
lange Nachsorge nach bariatrischen Eingriffen durch schwarze Haut und tiefere Gewebeschichten; kein
den Operateur ist von spezieller Bedeutung! Schmerz! Ursache: Nekrosen der Dermis, Subkutis,
ggf. Muskulatur
Folgeoperationen nach großem Gewichtsverlust 4 Grad IV: Verkohlung
Ist die Gewichtskurve nach großer Gewichtsreduktion
stabil, ist die Resektion überschüssiger Haut (z. B. abdo- > Verbrennungen Grad I und IIa heilen spontan binnen
minelle Fettschürze, Oberschenkelinnenseiten, Triceps- weniger Tage und meist ohne Narbenbildung ab. Je
brachii-Region) indiziert. Gefahren ohne Operation schwerer die Verbrennung, desto geringer der Schmerz.
sind Intertrigines, mechanisches Reiben, Infektion).
Verfahren: Abdominoplastik nach Lockwood, West- Die sog. Neuner-Regel nach Wallace beschreibt die
house-Operation, Liposuktion, Straffung. Fläche der lokalen Verbrennungsausdehnung (VKOF =
verbrannte Körperoberfläche; . Abb. 1.61). Faustregel:
Die Handfläche des Verbrannten entspricht 1% der
1.11 Thermisches Trauma Körperoberfläche.
(Verbrennung, Erfrierung), Ver-
brennungsmedizin, Verätzung ! Cave
Bei Elektroverletzungen ist eine kardiologische Diag-
U. Fetzner, K.-J. Paquet nostik mit EKG-Monitoring nötig. Unter Umständen
sind tiefe Verbrennungen bei nur kleinen oberflächli-
chen Strommarken möglich.
1.11.1 Verbrennung (»burning«)
Lokale Therapie
Lokale Verbrennungen gehören zu den häufigsten Ver- Diese beginnt am Ort der Verletzung im Rahmen der
letzungen. Für die Intensivbetreuung von schwerst ersten Hilfe/ersten ärztlichen Hilfe:
204 Kapitel 1 · Chirurgie

Anschließend ist eine Wundbedeckung notwendig


1 (Schutz vor Flüssigkeitsverlust, Infektion, Epithelisie-
rungsförderung). Eine Reepithelisierung kann nur bei
Defekten bis IIa erwartet werden. Bei tieferen Defekten,
die auch eine Flächenausdehnung haben, muss nach
Nekrosektomie eine entsprechende Deckung erfolgen.
Für die Wunddeckung gibt es verschiedene Ver-
fahren:
4 Feuchte Wundbehandlung mittels bakteriostati-
scher Silbersulfadiazin-Salbe (Flammazine), antibi-
otisch/antiseptischen Salben/Gazen; Verbands-
wechsel bis zu mehrmals täglich
4 Spezialfolie (Silikon-Nylon)
4 Autogene Spalthaut (Mesh, Meek)
4 Vollhaut
4 Gegebenenfalls aufwändigere Deckung/Lappen-
plastiken (7 oben) bei frei liegenden tieferen Struk-
turen

Immer noch selten zur Anwendung kommen Keratino-


zytensuspensionen (autolog, gezüchtet) und der sog.
. Abb.1.61. Neunerregel für die Abschätzung der Ausdeh- Allodermverschluss (azelluläre Dermismatrix).
nung einer Verbrennung. (Aus Siewert 2006)
! Cave
Brandwunden sind Wunden und Eintrittspforten auch
4 Wegnahme des thermischen Reizes (Löschen, Ent- für Tetanus. Daher gilt: Auffrischen, ggf. Einleitung ei-
kleiden), Vitalfunktionssicherung ner aktiven Impfung mit/ohne passivem Schutz zur
4 Kaltwassertherapie (15°C) für bis zu 30 min ohne Überbrückung.
den Patienten zu unterkühlen bzw. Erfrierungen zu
erzeugen (kein Eiswasser!)
1.11.2 Verbrennungskrankheit,
Zum Transport in die Klinik empfiehlt sich das sterile Inhalationstrauma
Abdecken der Wunden, Analgesie (z. B. Opiate), Sedie-
rung bei Bedarf, großzügige Volumentherapie (z. B. 1.11.2.1 Verbrennungskrankheit
Ringerlaktat, Bilanzierung) und Schockbekämpfung Schwerverbrannte (>10% Grad III, >20% Grad II) müs-
bei größeren Verbrennungen. sen grundsätzlich einem Verbrennungszentrum zuge-
In der Klinik wird die Therapie wie folgt fortge- führt werden. Ein Schwerverbrannter verliert bis zu 3 l/
setzt: m2 Körperoberfläche pro 24 h aufgrund gestörter Epi-
4 Frühe Entfernung avitalen Gewebes durch Wund- thelfunktion der Haut. Durch große Verbrennungen
reinigung, Blasenabtragung, Débridement, Derma- kommt es nicht nur zu lokalen Schäden, sondern auch zu
brasion, bei schweren Verbrennungen Nekrosekto- systemischen Reaktionen »Verbrennungskrankheit«:
mie (tangential, epifaszial) unter streng sterilen
Bedingungen Ätiopathogenese.
4 Größere Verbrennungen: Escharotomie (7 unten), 4 Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen (Medi-
ggf. Fasziotomie (»Dekompressionsschnitte«), An- atorfreisetzung – »Verbrennungstoxine«, direkte/
tibiose systemisch indirekte Kapillarwandschäden, lokale Destrukti-
on) führen zu Exsudation (Elektrolyt-, Wasserver-
Eschar lust), Ödembildung, negativer Stickstoffbilanz,
Eschar bezeichnet den zirkulären, schrumpfenden Verbren- Rhythmusstörungen, Schock (hypovolämisch, sep-
nungsschorf z. B. an Hals, Thorax, Extremitäten. Es besteht tisch, kardiogen), Mikrozirkulationsstörungen
Kompressionsgefahr, daher ist eine sofortige Entlastung nö- 4 Stressulkus, Ileus
tig bei großflächiger Verbrennung mit Schrumpfung und 4 Drohendes Nierenversagen durch Hypovolämie
Gefahr der Atemexkursionsstörung, Durchblutungsstörung. und Muskelnekrosezerfallsprodukte (Crush-Niere)
1.11 · Thermisches Trauma (Verbrennung, Erfrierung), Verbrennungsmedizin, Verätzung
205 1

4 Pneumonie und andere schwere Allgemeininfekti- 1.11.2.2 Inhalationstrauma


onen durch lokale und generell gestörte Immunab- Ätiopathogenese. Inhalation heißer Luft, toxischer
wehr Gase/Dämpfe schädigt die tracheale/bronchiale Mem-
4 ARDS, Sepsis, Multiorganversagen (MOV) sind bran.
Endpunkte der Kaskaden
Diagnostik. Klinisch weisen folgende Punkte auf ein
Viele Autoren unterteilen die komplexen pathophysio- Inhalationstrauma hin:
logischen Vorgänge in Schockphase (bis 2. Tag), Ver- 4 Verbrennungen im Gesichtsbereich, Dyspnoe,
brennungskrankheit (2. Tag bis 4 Wochen) und Repa- schmutziges Sputum
rationsphase (ab 4. Woche nach Verbrennung). 4 Akut Bronchospasmus
4 Lungenödem
Diagnostik. Typisch sind Hämoglobin-/Myoglobin- 4 Bronchopneumonie
nachweis im Urin, Rhabdomyolyse und andere Para- 4 ARDS
meter (CK, GOT, LDH) im Serum. Hämatokrit (An-
stieg bei Volumenmangel). Vitalfunktionen sind regel- Technische Diagnostik: Abfallender arterieller-inhala-
mäßig zu prüfen (Schockgefahr!). Bilanzierung der tiver Oxygenierungsindex bei sich verschlechternder
Ausscheidung obligat (Katheterisierung). Ziel: Aus- Lungenfunktion.
scheidung größer 1 ml/kg KG/h), Körpergewichtskon-
trolle. Therapie. Verlegung in Verbrennungszentrum. Broncho-
skopie, Kortikoidtherapie, Intubation mit kontrollierter
Therapie. Zu den obligaten und o. g. Lokalmaßnah- Beatmung bei Ateminsuffizienz. Intensivtherapie.
men (welche in diesem Falle flankierend ablaufen)
müssen sich deshalb weitere intensivmedizinische Be- > Von einer Inhalation von Kohlenmonoxid kann zu-
handlungen gesellen: dem die Gefahr einer Hypoxie (neurologische Ausfäl-
4 Frühzeitiger Volumenersatz (Frühe Volumenthera- le, kirschrotes Integument, Bewusstlosigkeit, Apnoe)
pie mit Kristalloiden – Schema nach Baxter (4 ml ausgehen. Therapie: Inhalation von 100% O2 ggf.
z. B. Ringerlösung pro kg Körpergewicht mal Pro- sogar hyperbar.
zent der verbrannten Körperoberfläche in 24 h,
50% dieser Menge sollten binnen der ersten 8 h ver-
abreicht werden), kann drohenden Nierenversagen 1.11.3 Rehabilitation, Prognose
entgegenwirken, Analgesie bei allen größeren Ver- schwerer Verbrennungen
brennungen, Schockprophylaxe und Schockbe-
kämpfung, Elektrolytausgleich, ggf. auch FFP/Al- Nach Versorgung in einem Verbrennungszentrum
buminersatz muss sich eine Rehabilitation anschließen. Diese um-
4 Hochkalorische, hochproteinreiche enterale Er- fasst:
nährung (katabole Stoffwechsellage, negative 4 Gegebenenfalls mehrzeitige Eingriffe, Korrekturen,
Stickstoffbilanz mit N-Ausscheidung von bis zu ästhetisch-chirurgische Eingriffe (Narbenkontrak-
40 g/Tag) tur-Beseitigung/Linderung)
4 Antibiose nach klinischem (Fieber), Labor- (Leu- 4 Narbenbehandlung (Massage, Dermatika)
kozytose), mikrobiologischem/serologischem Be- 4 Kompressionsbehandlung
fund, Röntgenthoraxkontrolle täglich; ggf. Isolation 4 Physiotherapie, Ergotherapie
des Patienten (Schutz vor Infektionen). Resistenz- 4 Psychosoziale Betreuung bis hin zur beruflichen
bestimmung der Erreger und sozialen Reintegration
4 Gegebenenfalls Harnalkalisierung
Junge Menschen (<6 Jahre), ältere Menschen (>60 Jah-
Der Frühnekrosektomie kommt große Bedeutung zu re) und Patienten mit Grunderkrankungen haben eine
(Endotoxinabgabe, gestörte Permeabilität), ggf. Escha- sehr eingeschränkte Prognose bei schweren Verbren-
rotomie, bei Granulationsbeginn ggf. Deckung mit nungen, insbesondere bei Begleittraumata (Inhalation)!
Mesh-Graft. Amputationen. Tiefe Verbrennungen von größer 1/3 der Körperober-
fläche gelten in jedem Fall als mit ernster, lebensbe-
! Cave drohlicher Prognose behaftet. Bei tiefen Verbrennun-
Alle Manipulationen am Patienten sind unter streng gen von über der Hälfte der Körperoberfläche ist das
aseptischen Bedingungen durchzuführen. Überleben unwahrscheinlich.
206 Kapitel 1 · Chirurgie

1.11.4 Erfrierungen, Unterkühlung Symptomatik/Diagnostik. Klinisch zeigen sich nur zu


1 Beginn Schmerz, Blässe:
Unterkühlung (Hypothermie) 4 1. Grades: Rötung/Blässe, reversibel
Ätiopathogenese. Auskühlen des Körpers meist unter 4 2. Grades: Blasenbildung, reversibel (Sensibilität/
Einfluss von Grunderkrankungen oder Umständen Motorik) nach Latenz (bis zu 4–12 Wochen)
(Einklemmung in Fahrzeug) oder Einfluss von Alkohol, 4 3. Grades: Blasen, Nekrose oder permanente Sensi-
Drogen. Sturz in kaltes Wasser. bilitäts-/Motorikstörung

> Durch Feuchtigkeit und Windbewegung wird ein Aus- Therapie. Analgesie, Wiedererwärmung, z. B. mittels
kühlen des Körpers erheblich beschleunigt. Wasser von 38°C. Infusionstherapie. Tetanusschutz. Dé-
bridement, ggf. Fasziotomie zur Entlastung, Amputati-
Symptomatik. . Tab. 1.48. on nach Demarkation bei großen Nekrosezonen. In-
fektprophylaxe.
Diagnostik. Rektale Köpertemperatur, neurologische
Untersuchung (quantitativer und qualitativer Bewusst- ! Cave
seinszustand, . Tab. 1.48). Es besteht die Gefahr des Vorsicht bei Wiedererwärmung und Bewegung von
Scheintodes (Vita minima) bei Hypothermie (»nobody’s Patienten mit unterkühlten Extremitäten: Kaltes Scha-
dead until he’s warm and dead«!). lenblut gelangt in das Körperzentrum: »Bergungstod«
Die Hypothermie wird in 4 Stadien eingeteilt aufgrund von Arrhythmie.
(. Tab. 1.48).

Therapie. Wiederaufwärmen des Körpers durch Heiz- 1.11.5 Verätzungen


strahler, warme Decken, warme Infusionen, warmes
Bad, Peritoneallavage, Herz-Lungen-Maschine (maxi- Ätiopathogenese. Verätzungen (Kontakt, Inhalation)
mal invasive, aber hoch wirksame Maßnahmen, sofern durch Säuren (Flusssäure, Salzsäure), Basen (Zement,
verfügbar und indiziert). Lauge) sind häufig Berufsunfälle. Ingestionen kommen
in suizidaler Absicht vor.
Erfrierungen
Ätiopathogenese. Epithel-, Haut- und Schäden tiefer > Gelangen von Säuren/Basen in das Auge, ist dies ein
liegender Schichten können Folge lokaler Kälte sein, ophthalmologischer Notfall.
insbesondere Akren sind gefährdet (Zehen, Finger,
Nase, Ohren). Feuchtigkeit und Wind, Druck (Schuhe) Symptomatik/Diagnostik. Symptomatik, Diagnostik
erhöhen das Risiko. und Morphologie ähneln in Frühstadien thermischen
Schädigungen (7 oben).
Frostbeulen – Perniones
Juckende bis schmerzhafte Schwellung und Rötung/Blässe Therapie. Akut ist eine Verdünnung indiziert: Spü-
der Haut durch Einwirkung von Kälte (i. d. R. vergesellschaf- len, Auswaschen. Frühe Nekroseabtragung. Verhin-
tet mit Feuchtigkeit). Meist Akren (Zehen, Finger, Ohren, derung von Sekundärinfekten. Bei Flusssäureverlet-
Nase) betroffen. Bei geringgradiger Ausbildung vollständi- zung (hochaggressiv) Unterspritzung mit Kalzium-
ge Rückbildung (bis zu 4 Wochen) bei Wiedererwärmung, glukonat.
bei Erfrierung u. U. Defektheilung bis zur feuchten/trocke-
nen Gangrän.

. Tab. 1.48. Stadien der Hypothermie (KKT = Körperkerntemperatur)

I II III IV

>32°C KKT 32–30°C KKT 30–25°C KKT <25°C KKT

Erregtheit, kompensato- Bewusstseinsstörungen, Mus- Koma, Muskelrigidität, Atem- und Atem-/Herz-


risches Muskelzittern, kelrigidität, Atem- und Herz- Herzfunktionsstörungen, Pupillen stillstand. Klini-
Tachypnoe, Tachykardie rhythmusstörungen weit mit Lichtreaktion. Vita minima scher Tod
1.12 · Kinderchirurgie
207 1

! Cave Säureverätzungen verursachen zudem Hypokalzämie


Bei Ingestion: Verdünnung, Ösophagogastroduode- (Tetanie, Arrhythmie)! Ingestion, Inhalation von Säu-
noskopie. Kein induziertes Erbrechen bei Verdacht ren/Laugen stellen ein weiteres Problem dar, das den
auf Ingestion von Säuren/Laugen. Gesamtorganismus bedroht; sie sind entsprechend mit
hoher Letalität versehen (z. B. Mediastinitis nach Öso-
phagusverätzung mit Perforation).

In Kürze

Thermisches Trauma (Verbrennung, Erfrierung), Verätzungen

Entität Pathogenese, Diagnostik Therapie, Prognose

Verbrennung Externe (Verbrühung, Kontakt, Strah- 4 Erstmaßnahme: Kühlung


lung) und interne (Strom) Hitzeein- 4 Grad I: Spontanheilung, Schmerztherapie
wirkung. Neunerregel: Handfläche = 4 Ab Grad II: Reinigung, ggf. Débridement, Asepsis und
1% Antisepsis, antimikrobielle Dermatika, Analgesie, ggf.
4 Grad I: Rötung, Schmerz synthetische Hautdeckung, Hauttransplantation
4 Grad IIa: Schmerz, Blasen, Rötung 4 Ggf. Escharotomie, Fasziotomie
4 Grad IIb: Blasen, Rötung, Blässe, 4 Größere und tiefe Verbrennungen: Verbrennungs-
Narbenbildung zentren: Schockbehandlung, Antibiose, Intensiv-
4 Grad III: schmerzlos, trocken therapie, Tetanusschutz
4 Grad IV: Verkohlung 4 Cave: Inhalationstrauma, Lungenödem

Verätzung 4 Einwirkung von Säuren oder Lau- 4 Lokale Verätzung: Verdünnung, Wundbehandlung.
gen auf Haut, Schleimhaut (In- Bei Flusssäureverletzung (hochaggressiv) Unter-
gestion) spritzung mit Kalziumglukonat
4 Lokale Schäden 4 Bei Augenverätzung: Verdünnung, Neutralisierung.
4 Bei Ingestion Gefahr der Perfora- 4 Cave: kein induziertes Erbrechen bei Verdacht In-
tion (Mediastinitis, Peritonitis), gestion von Säuren/Laugen
Striktur, Resorption

Erfrierung Hypothermie: Unterkühlung 4 Basismaßnahmen


4 <36°C: Exzitation 4 Schonende Wärmezufuhr mit allen Mitteln, Inten-
4 <34°C: Erschöpfung sivtherapie
4 <30°: Paralyse, Bewusstlosigkeit, 4 Cave: Bergungstod bei Umverteilung von kaltem
Arrhythmien »Schalenblut« in Körperzentrum (Asystolie)
4 <27°C: Vita minima, Asystolie

1.12 Kinderchirurgie denjenigen des Erwachsenen. Anatomie, Physiologie


und Pathophysiologie unterscheiden sich erheblich
K.-J. Paquet, U. Fetzner vom adulten Organismus. Wenn immer möglich,
sollten daher speziellere Eingriffe und Krankheitsbilder
auch den spezialisierten Kinderchirurgen zugeführt
1.12.1 Einführung in die Kinderchirurgie werden. Im Rahmen dieses Kompendiums können
hier nur auszugsweise und gegenstandskatalogrele-
Die Kinderchirurgie definiert sich nicht über Krank- vante kinderchirurgische Erkrankungen abgehandelt
heitsbilder, sondern ausschließlich über das Alter der werden.
Patienten. So bestehen breite Überschneidungen zur 4 Angeborene Herzvitien, angeborene Fehlbildungen
Herz- und Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie, Plasti- großer Gefäße: 7 Kap. 1.5.
schen Chirurgie, Urologie (Kinderurologie), Gynäko- 4 Hirngefäßanomalien, Neuralrohrfehlbildungen
logie, Neurochirurgie und Orthopädie (Kinderortho- und Hydrozephalus: 7 Kap. 1.2.
pädie). Dennoch entsprechen diese Eingriffe nicht 4 Arnold-Chiari-Syndrom: 7 Neurologie, Kap. 1.7.6.4.
208 Kapitel 1 · Chirurgie

1.12.2 Viszeralchirurgische Eingriffe teralen Unterernährung indiziert. Als Pharmakothera-


1 beim Kind pie kommt eine präprandiale Applikation von Spasmo-
lytika (z. B. Atropin) in Betracht. Bei Erfolglosigkeit
Hypertrophe Pylorusstenose wird eine operative Pyloromyotomie längs (unter Scho-
Synonym. Magenausgangsstenose. nung der Mukosa) und Spreizung dieser Inzision (Ope-
ration nach Weber-Ramstedt) nötig.
Definition. Gastroenterale Passagestörung durch hy-
pertrophen Magenpförtner. Man unterscheidet: Prognose. Gut. Selten entwickeln sich narbige Resteno-
4 Kompensierte Pylorusstenose: erhaltene Passage sen, dann muss ggf. Pyloroplastik nach Heinecke-Mi-
bei reaktiver Hypertrophie und Hyperperistaltik kulicz erfolgen.
4 Dekompensierte Pylorusstenose: blockierte Passa-
ge, atonischer Magen Ösophagusatresie
Definition. Angeborener partieller/vollständiger Ver-
Ätiopathogenese. Erkrankung des Säuglingsalters. schluss der Speiseröhre. Erkrankung des Neugebore-
Einengung des Pyloruskanals (Canalis egestorius durch nen. Vogt klassifiziert die Missbildungsformen wie in
hypertrophierten und später fibrosierten Pylorus, öde- . Abb. 1.62 gezeigt. Beim Typ IIIb handelt es sich um
matöse Mukosa in diesem Areal. Als Ursache wird eine eine Atresie mit unterer ösophagotracheale Fistel und
Dysplasie intramuraler Ganglienzellen favorisiert. um den häufigsten Typus (ca. 80%).

Epidemiologie. Starke Bevorzugung des männlichen Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine Hemmungs-
Geschlechtes (4-fach häufiger). Insgesamt liegt die In- fehlbildung. Trachea und Ösophagus separieren sich
zidenz bei ca. 1:3000 Geburten. normalerweise vollständig aus dem embryonalen Vor-
derdarm, der sich vom Pharynx bis zum Magen er-
Symptomatik. Bei Dekompensation kommt es zu explo- streckt. Diese fehlende Trennung kann vollständig sein
sions-/schwallartigem Erbrechen unmittelbar nach der oder lediglich als ösophagotracheale Fistel vorliegen.
Nahrungsaufnahme. Es lässt sich eine epigastrische Re-
sistenz nach Nahrungsaufnahme palpieren. Im Verlauf Epidemiologie. Die Inzidenz beträgt ca. 0,5–2 auf
ergibt sich eine Allgemeinsymptomatik durch kräfte- 3000–4000 Geburten.
zehrendes Erbrechen (Elektrolyt- und Flüssigkeitsver-
lust), Dehydratation und konsekutive Mangelernäh- Symptomatik. In uteri zeigt sich bereits ein Hydramni-
rung (Malnutration, Gedeihstörung) bis zur Kachexie. on (Fötus kann kein Fruchtwasser trinken). Postpartal
kommt es dann zu Regurgitationen, Speichelfluss, Zya-
Diagnostik. Sonographie (hypertrophierter Musculus nose, Dyspnoe des Neugeborenen. Aspiration von Nah-
pylorus, elongierter Canalis egestorius), Ösophagogas- rungsbrei beim Fütterungsversuch.
troduodenoskopie (ÖGD), Labor (hypochlorämische,
hypokaliämische Alkalose). Diagnostik. Röntgen-Thorax, Sondentest (Stopp in
Sternalhöhe), Röntgen-Abdomen (»Babygramm«): pa-
Therapie. Eine akute Therapie ist nötig, wenn ein Elek- thologisches luftleeres Abdomen bei vollständiger Atre-
trolyt- und Volumenausgleich (Erbrechen) erforderlich sie oder luftgefüllter oberer Blindsack und Luft in Ma-
ist; eine parenterale Ernährung ist bei Gefahr einer en- gen und Intestinum bei Typ IIIb.

Ia Ib II IIIa IIIb IV
. Abb.1.62. Formen der Ösophagusatresie. Am häufigsten gusstümpfe verbunden. Beim Typ II und IV besteht das Risiko,
kommen die Typen IIIa und IIIb vor. Der seltenste Typ ist Ia. Typ dass die obere ösophagotracheale Fistel übersehen wird. (Aus
Ib ist meistens mit einer großen Distanz der Ösopha- Siewert 2007)
1.12 · Kinderchirurgie
209 1

Therapie. Akut ist eine »Schlürfsonde« zur Extraktion


von Speichel einzulegen. Operativ erfolgen Fistelver-
schluss (sofern vorhanden), End-zu-End-Anastomose
des Ösophagus, bei langstreckiger Atresie ggf. Ösophagus-
ersatzplastik im Alter von 1–3 Jahren: Magenhochzug,
Dünn-/Dickdarminterponat. Endoluminale Schiene.

Prognose. Die Häufigkeit einer Anastomoseninsuffizi-


enz liegt bei bis zu 10% (v. a., wenn die Anastomose
nicht spannungsfrei vernäht werden konnten. Wird
diese Komplikationsphase überstanden, ist die Progno-
se gut. Ggf. entwickelt sich eine Anastomosenstenose
(Maßnahme: Bougierung); mit einer lebenslang beste-
henden Dysphagie müssen ca. 2% der Betroffenen le-
ben. Die Prognose ist insgesamt abhängig von dem be-
gleitenden Vorliegen von mehreren Fehlbildungen
(insbesondere Herzvitien).

Duodenalatresie/Duodenalstenose
Definition/Ätiopathogenese. Fehlende/Verringerte
Durchgängigkeit des Duodenums durch eine Memb-
ran, Pankreas anulare oder Malrotation. Zu mehr als
30% liegen zusätzliche Fehlbildungen (Vitien u. a.) vor.
. Abb. 1.63. Duodenalatresie. Röntgenbild mit dem typi-
schen »Double-bubble«-Zeichen. (Aus Siewert 2006)
Symptomatik. Es zeigen sich präpartal ein Hydramni-
on, Erbrechen des Neugeborenen, Gedeihstörung des
Säuglings. Rektum-/Analatresie
> Bei fehlender/unvollständiger oder fehlerhafter em-
Diagnostik. Sonographie, Röntgen-Abdomen-Über- bryonaler Separierung von Urogenitalsystem und
sicht (»double-bubble«; . Abb. 1.63). Rektum/Anus können vielgestaltige Fehlbildungen in
diesem Bereich entstehen.
Therapie. Indiziert sind je nach Befund Membranexzi-
sion, Umgehungsduodeno-Duodenostomie, Derotati- Definition. Fehlende Afteröffnung, blind endendes
on bei Rotationsfehlbildung. Rektum. In manchen Fällen liegt zudem eine enterove-
sikale/enterovaginale Fistelung vor (. Abb. 1.64).
Dünndarmatresie
Definition. Unterentwickelter (atretischer) Dünn- Symptomatik. Es zeigen sich eine sichtbare Fistel/feh-
darmabschnitt/Darmabschnitte. lender After, Harnwegsinfekte, später kann sich durch
Schädigung des Sphinkterapparates (sofern ausgebil-
Ätiopathogenese. Meist durch intrauterine Schädi- det) eine Inkontinenz entwickeln (bei nicht vollständi-
gung bedingt (Gefäßverschlüsse, Invagination, Entzün- ger Atresie).
dungen). Es entwickelt sich eine Dilatation vor der At-
resie, Hypoplasie distal der Atresie, oft multiples Vor- Diagnostik. Sonographie, MRT, Röntgen (Kontrastmit-
kommen. teldarstellung des Blindsackes) Urogramm, Fisteldar-
stellung (Kontrast).
Symptomatik. Typisch sind galliges Erbrechen, gebläh-
tes Abdomen. Therapie. Operative Korrektur/Rekonstruktion (Fistel-
verschluss, Eröffnung einer Analmembran, Afteranla-
Diagnostik. Sonographie (dilatierte, flüssigkeitsgefüllte ge). Ggf. temporäres Kolostoma und spätere Anorekto-
Darmschlingen), Röntgen (Ileuszeichen). plastik.

Therapie. Laparatomie, sparsame Resektion (Gefahr des


Kurzdarmsyndroms) und End-zu-End-Anastomose.
210 Kapitel 1 · Chirurgie

. Abb. 1.64a–d. Grundformen der Anal- und Rektumatresi- c tiefe Rektumatresie mit rektoperinealer oder rektoskrota-
en. a Hohe Rektumatresiemit rektovesikaler oder rektoure- ler Fistel; d tiefe Rektumatresie mit rektovestibulärer Fistel.
thraler Fistel; b hohe Rektumatresie mit rektovaginaler Fistel; (Aus Siewert 2006)

Zwerchfellhernien Symptomatik. Es zeigen sich plötzlich einsetzender


Definition/Ätiopathogenese. Infolge eines fehlerhaften (idiopathischer) kolikartiger Bauchschmerz (Akutes
Verschlusses pleuroperitonealer Foramina kommt es Abdomen), Erbrechen, evtl. Ileussymptomatik, tastbare
zur Luxation von Viszera in den Thoraxraum (Ente- Resistenz. Spätzeichen ist ein »himbeergeleeartiger«
rothorax) mit Kompression der Lungen. Blut-Schleimabgang.

Symptomatik. Es zeigen sich Dyspnoe, Zyanose, Aus- Diagnostik. Sonographie (typische Kokarde, »Schieß-
kultation von Peristaltik im Thorax. scheibenphänomen«), Röntgen-Abdomen, Röntgen-
kontrast.
Diagnostik. Sonographie (Baucheingeweide im Tho-
rax), Röntgen (Babygramm: Verdrängung des Medias- Therapie. Konservative Optionen sind warme Kristal-
tinums, Enterothorax, parenchymatöse Organe im loide Einläufe (oder Kontrastmittel, Luft) mit Druck
Thorax). (maximal 100 cm H2O) als Desinvaginationsversuch
(sog. hydrostatische Reposition«) unter sonographi-
Therapie. Indiziert ist eine Überdruckbeatmung bei scher/röntgenologischer Kontrolle.
atemrelevanten Hernien. Es schließt sich die operative
Reposition und Verschluss, ggf. Fundopexie an. ! Cave
Kein konservativer Repositionsversuch bei Verdacht
! Cave auf Perforation und bei peranalem Blutabgang!
Kindliche Zwerchfellhernien: Gefahr der Lungenhypo-
plasie, ARDS, Pneumothorax! Operative Verfahren sind Desinvagination, (»Hutchin-
son-Handgriff«), selten ist eine Darmresektion nötig.
Lungenfehlbildungen und Inguinalhernie Weitere Maßnahmen sind End-zu-End-Anastomose,
4 Lungenfehlbildungen: 7 Kap. 1.4 ggf. Pexie bei hypermobilem Darm und zur Rezidivpro-
4 Kindliche Inguinalhernie: 7 Kap. 1.7. Es kommen phylaxe.
Verfahren ohne Netzimplantation zur Anwendung:
z. B. laparoskopische Raffung des inneren Leisten- Prognose. Gut. Nach nur konservativem Vorgehen
rings. können in bis zu 10% Rezidive auftreten.

Invagination Morbus Hirschsprung


Definition. Einstülpung des Darms nach aboral entlang Synonym. Megacolon congenitum, Aganglionose.
der eigenen Achse.
Definition. Diese angeborene Erweiterung des Dick-
Ätiopathogenese. Idiopathisch. Meist ileozökal, Auf- darms führt zu Passagestörung und Kotstau, es besteht
treten nicht selten bei begleitendem Darminfekt (Hy- eine familiäre Häufung. Erkrankung im Neugebore-
perperistaltik). nenalter und frühen Kindesalter.

Epidemiologie. Die Inzidenz liegt bei 2–5:1000 Gebur- Ätiopathogenese. Zugrunde liegt ein aganglionärer/
ten. Erkrankung des Säuglings- und Kleinkindesalters. dysganglionärer und daher enger Rektumabschnitt
1.12 · Kinderchirurgie
211 1

(meist Rektosgmoid); Ursache ist das fehlende Einwan- Epidemiologie. Die Inzidenz beträgt 1:2500–20.000.
dern von Ganglienzellen in den Plexus myentericus
und submucosus. Es folgt eine Dilatation des gesunden Symptomatik. Es zeigen sich aufgetriebener Leib, Er-
Darmes proximal, vor Stenose (Hyperplasie der prä- brechen, Bauchschmerz.
ganglionären parasymphatischen Nervenfasern vor der
Stenose). Es können sich verschiedene Ausprägungen je ! Cave
nach Lokalisation und Länge der aganglionären Strecke Komplikationen eines Mekoniumileus: Perforation,
entwickeln. Peritonitis.

Epidemiologie. Die Inzidenz beträgt 0,5–1: 5000 Ge- Diagnostik. Röntgen-Abdomen (Stuhlmasse, keine
burten bei deutlicher Präferenz des männlichen Ge- Spiegel), Kontrastmitteleinlauf von rektal: Hungerdarm
schlechtes (4- bis 6-fach). poststenotisch. Mukoviszidosetest (Schweißtest, PCR:
7 Kap. Humangenetik, 2.8.3.4).
Symptomatik. Typisch sind Defäkationsstörung, Obs-
tipation, ausladendes Abdomen, Ileussymptomatik so- Therapie. Möglich ist ein konservativer Versuch mittels
wie blutige Stuhlabgänge bei Darmschädigung (Durch- Gastrografineinlauf und anderen hochosmolaren Subs-
wanderung). Die rektale Untersuchung ergibt einen tanzen, Sondierung. Bei Misserfolg ist die operative
engen, leeren After. Damit einher geht eine Gedeihstö- Dekompression indiziert, ggf. Adhäsiolyse, Darmre-
rung des Kindes (Dystrophie). sektion bei Perforation. Zu beachten ist auch die Grund-
behandlung der zystischen Fibrose (7 Kap. Pädiatrie,
! Cave 2.17.1).
Gefahr der Ausbildung eines toxischem, enterokoliti-
schen Megakolons oder akuten Ileus! (Schockthera- Omphalozele
pie, Beatmung). Definition. Nabelschnurbruch (Abdominalorgane) auf-
grund Hemmungsfehlbildung.
Diagnostik. Röntgenabdomenleeraufahme. Röntgen-
kontrasteinlauf. Rektumbiopsie und -histochemie Ätiopathogenese. Zugrunde liegt eine Hemmungs-
(erhöhte Azetylcholinesterasegehalt, aganglionär). fehlbildung: Verlagerung von Darm und parenchyma-
Anorektale Manometrie. Differenzialdiagnostisch tösen Organen in einen Bruchsack der Nabelschnur. Bei
kommen in Betracht: Enterocolitis necroticans, Dünn- Ruptur des zarten, durchsichtigen Bruchsackes besteht
darmatresie, Mekoniumileus (Mukoviszidose). die Gefahr der Austrocknung und Infektion der vulne-
rablen Organe.
Therapie. Konservative Maßnahmen sind: Laxanzien,
Stuhlregulation, Elektrolytkontrollen, ggf. Korrektur der- Epidemiologie. Die Inzidenz beträgt 0,5–2 pro 5000
selben. Operativ kommt bei Komplikationen (7 oben) Geburten; meist ist die Omphalozele vergesellschaftet
die Resektion des aganglionären Darmabschnittes in- mit weiteren Fehlbildungen (Herzfehler, urogenitale
frage. Es erfolgt ein Kolondurchzug nach Rehbein, Fehlentwicklungen).
Swanson, Soave oder Duhamel. Bei Komplikationen
(Ileus, Perforation, Peritonitis) ist die Anlage eines pro- Symptomatik. Darm, bis hin zu Leber und Milz befin-
tektiven Stomas indiziert (zweizeitiges Vorgehen). den sich im Bruchsack der Nabelschnur.

Mekoniumileus Diagnostik. Blickdiagnose, Sonographie. Nachweis be-


Definition. Bei dieser Erkrankung des Neugeborenen reits vor Geburt möglich, Fahnden nach begleitenden
sammeln sich Mekoniummassen mit Obstruktion des Organmissbildungen.
Darmlumens (Ileus) an; es folgt eine Transportstö-
rung. Therapie. Feuchthalten, Frühoperation: Reposition,
Operativer Verschluss der Bauchwandlücke.
Ätiopathogenese. Der Verschluss des Darmes besteht
meist im Bereich des terminalen Ileums durch einge- ! Cave
dicktes Mekonium. Meist ist dies Folge einer Mukovis- Bei großen Hernien besteht die Gefahr des intraabdo-
zidose (7 Kap. Humangenetik, 2.8.3.4; 7 Kap. Pädiatrie, minellen Druckanstieges bei Reposition (Nachbeat-
2.17.1). Ohne Vorliegen einer Mukoviszidose spricht mung, mehrzeitige Reposition).
man von »Pseudomekoniumileus«.
212 Kapitel 1 · Chirurgie

Prognose. Diese ist abhängig von den häufig begleitend


1 vorliegenden weiteren Organfehlbildungen.

Nachsorge. Evtl. werden weitere Korrekturen im Kin-


desalter nötig.

Laparoschisis, Gastroschisis
Definition. Vorfall von frei liegendem Darm (Magen:
Gastroschisis) vor die Bauchwand, parallel des Nabels,
meist rechts-paraumbilikal (. Abb. 1.65).

Ätiopathogenese. Ursache ist ein embryonaler Bauch-


wanddefekt vermutlich aufgrund Gefäßanomalie.
. Abb.1.65. Laparoschisis. Die intestinalen Organe sind mit
Epidemiologie. Die Inzidenz beträgt ca. 1:5000. Mekonium- und Fibrinmembranen belegt, untereinander
verklebt und verknotet. Das Darmkonvolut tritt in einer Lücke
lateral vom Nabelschnuransatz aus der Bauchdecke. Cave:
Symptomatik. Es zeigt sich ein livider, ödematöser,
Der Darm ist durchblutungsgestört, aber nicht nekrotisch!
Fibrin-belegter Darm extraabdominal. Bei Persistenz (Aus Siewert 2006) (7 Farbtafelteil)
kann sich eine Peritonitis entwickeln.

Diagnostik. Wichtig ist die Suche nach begleitenden Weitere kinderchirurgische Erkrankungen
Organfehlbildungen (Herz, Niere). Differenzialdiagno- 4 Persistenz des Ductus omphaloentericus »Dotter-
se: Omphalozele. sacks«: Stufenloses Ausbleiben der physiologischen Ob-
literation. Bleibt diese völlig offen kommt es zum Stuhl-/
Therapie. Siehe Omphalozele. Schleimabgang über Nabel; der darmnahe Restgang
wird als Meckel-Divertikel bezeichnet: 7 Kap. 1.7. Opera-
Prognose. Diese ist abhängig vom Vorliegen weiterer tion nur bei Komplikationen (Fistelung, Briden-Ileus).
Organfehlbildungen und Grad der Darmschädigung. 4 Mal- und Nonrotationen des Darms: Therapie: Lösen
Postoperative Letalität >2%. von Volvulus druch Detorquierung und Adhäsiolyse,
selten ist eine Darmresektion mit Anastomose nötig.
4 Nekrotisierende Enterokolitis: 7 Pädiatrie, Kap. 2.8.3.4.
4 Appendicitis vermiformis: 7 Kap. 1.7

In Kürze

Wichtige kinderchirurgische Erkrankungen

Magenaus- 4 Definition: hypertrophe Pylorusstenose (kompensierte, dekompensierte Passagestörung)


gangsstenose durch Dysplasie intramuraler Ganglienzellen. Überwiegend Knaben betroffen
4 Symptomatik: explosions-/schwallartiges Erbrechen, epigastrische Resistenz, Allgemein-
symptomatik (Elektrolytverlust), Dehydratation, Malnutration, Gedeihstörung, Hyperperis-
taltik, Magenatonie
4 Diagnostik: Sonographie, ÖGD, Labor (hypochlorämische, hypokaliämische Alkalose)
4 Therapie. Elektrolyt- und Volumenausgleich, parenterale Ernährung, Pharmakotherapie: Prä-
prandiale Applikation von Spasmolytika; operative Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt

Ösophagus- 4 Definition. Angeborener partieller/vollständiger Verschluss der Speiseröhre. Klassifikation


atresie nach Vogt. Meist IIIb
4 Symptomatik: Hydramnion, postpartal Regurgitationen, Speichelfluss, Zyanose, Dyspnoe,
Aspiration des Neugeborenen
4 Diagnostik: Röntgen-Thorax, Sondentest, Röntgen-Abdomen (»Babygramm«)
4 Therapie: Schlürfsonde«, operativ Fistelverschluss, End-zu-End-Anastomose des Ösophagus,
bei langstreckiger Atresie ggf. Ösophagusersatzplastik im Alter von 1–3 Jahren
6
1.12 · Kinderchirurgie
213 1

Duodenalat- 4 Definition: verringerte Durchgängigkeit des Duodenums durch eine Membran, Pankreas
resie/-stenose anulare oder Malrotation
4 Symptomatik: Hydramnion präpartal, Erbrechen des Neugeborenen, Gedeihstörung des
Säuglings
4 Diagnostik: Sonographie, Röntgen-Abdomen-Übersicht (»double-bubble«)
4 Therapie: Membranexzision, Umgehungsduodeno-Duodenostomie, Derotation bei
Rotationsfehlbildung

Dünndarm- 4 Definition: Minderentwicklung des Dünndarmes durch intrauterine Schädigung. Dilatation


atresie vor der Atresie, Hypoplasie distal der Atresie
4 Symptomatik: galliges Erbrechen, geblähtes Abdomen
4 Diagnostik: Sonographie, Röntgen (Ileuszeichen)
4 Therapie: Laparatomie, sparsame Resektion (Gefahr des Kurzdarmsyndroms) und End-zu-
End-Anastomose

Rektum-/ 4 Definition: fehlende/unvollständige embryonale Separierung von Urogenitalsystem und


Analatreise Rektum/Anus: fehlende Afteröffnung, blind endendes Rektum, enterovesikale/entero-
vaginale Fistelung
4 Symptomatik: Fistel/fehlender After, Harnwegsinfekt, Inkontinenz
4 Diagnostik: Röntgen, Urogramm, Fisteldarstellung
4 Therapie: operative Korrektur/Rekonstruktion (Fistelverschluss, Eröffnung einer Anal-
membran, Afteranlage). Ggf. temporäres Kolostoma und spätere Anorektoplastik

Zwerchfell- 4 Definition: fehlerhafter Verschluss pleuroperitonealer Foramina mit Luxation von Bauch-
hernien organen in den Thoraxraum (Enterothorax), Kompression der Lungen
4 Symptomatik: Dyspnoe, Zyanose
4 Diagnostik: Sonographie, Röntgen (Babygramm)
4 Therapie: Überdruckbeatmung bei atemrelevanten Hernien, operative Reposition und
Verschluss, ggf. Fundopexie

Invagination 4 Definition: Einstülpung des Darms nach aboral. Meist ileozökal


4 Symptomatik: plötzlich einsetzender, kolikartiger Bauchschmerz (Akutes Abdomen),
Erbrechen, evtl. Ileussymptomatik, tastbare Resistenz, »himbeergeleeartiger« Blut-Schleim-
abgang.
4 Diagnostik: Sonographie (typische Kokarde, »Schießscheibenphänomen«), Röntgen-Abdo-
men, Röntgenkontrast
4 Therapie: Konservativ warme Einläufe (oder Kontrastmittel, Luft) mit Druck (maximal 100 cm
H2O) als Desinvaginationsversuch (sog. hydrostatische Reposition«) unter sonographischer/
röntgenologischer Kontrolle
4 Operative Verfahren: Desinvagination, (»Hutchinson-Handgriff«), selten Darmresektion mit
End-zu-End-Anastomose, ggf. Pexie

Morbus 4 Definition: angeborene Erweiterung des Dickdarms mit Passagestörung/Kotstau, familiäre


Hirschsprung Häufung aufgrund aganglionärem Rektum/Sigmaabschnitt. Dilatation proximal der Stenose
4 Symptomatik: Defäkationsstörung, Obstipation, ausladendes Abdomen, Ileussymptomatik,
blutige Stuhlabgänge, Durchwanderung. Rektal: enger, leeren After. Dystrophie des Kindes.
Toxisches, enterokolitisches Megakolon/akuter Ileus als Komplikation
4 Diagnostik: Röntgenabdomenleeraufahme. Röntgenkontrasteinlauf. Rektumbiopsie und
-histochemie (erhöhte Azetylcholinesterasegehalt, aganglionär). Anorektale Manometrie
4 Therapie: konservativ Laxanzien, Stuhlregulation, Elektrolytkontrollen, ggf. Korrektur.
Operativ Resektion des aganglionären Darmabschnittes, ggf. zweizeitig mit protektiver
Kolostomie
6
214 Kapitel 1 · Chirurgie

1 Mekonium- 4 Definition: Ansammelung von Mekoniummassen mit Obstruktion des Darmlumens (Ileus),
ileus Transportstörung. Ursächlich meist Mukoviszidose mit Verschluss des terminalen Ileums
(sonst »Pseudomekoniumileus«)
4 Symptomatik: aufgetriebener Leib, Erbrechen, Bauchschmerz. Komplikation: Perforation,
Peritonitis
4 Diagnostik: Röntgen-Abdomen, Kontrastmitteleinlauf von rektal, Mukoviszidosetest
4 Therapie: konservativer Versuch mit Gastrografineinlauf, Sondierung. Bei Misserfolg Dekom-
pression, ggf. Adhäsiolyse, Darmresektion bei Perforation

Omphalozele 4 Definition: »Nabelschnurbruch« aufgrund Hemmungsfehlbildung. Bei Ruptur Gefahr der


Austrocknung und Infektion der vulnerablen Abdominalorgane (Intestinum, parenchyma-
töse Organe)
4 Symptomatik: Darm, evtl. Leber und Milz befinden sich im Bruchsack der Nabelschnur
4 Diagnostik: Blickdiagnose. Sonographie, Fahnden nach begleitenden Organmissbildungen
4 Therapie: Feuchthalten, Frühoperation: Reposition, Operativer Verschluss der Bauchwand-
lücke, ggf. mehrzeitige Reposition.

Laparoschisis/ 4 Definition: Vorfall von frei liegendem Darm (Magen: Gastroschisis) vor die Bauchwand,
Gastroschisis parallel des Nabels, meist rechts-paraumbilikal durch embryonalen Bauchwanddefekt
4 Symptomatik: livider, ödematöser, fibrin-belegter Darm extraabdominal. Bei Persistenz
Peritonitis
4 Diagnostik: Suche nach begleitenden Organfehlbildungen
4 Therapie: siehe Omphalozele

1.12.3 Tumoren des Kindesalters Horner-Syndrom), Schmerz, B-Symptomatik, Hyper-


tonie u. v. a.
Auch im Kindesalter können bereits große, solide und
auch hochmaligne Tumoren auftreten. Sie müssen radi- Diagnostik. Sonographie, CT, MRT, Labor, und Urinbe-
alchirurgisch reseziert werden. Dermoidzysten, Terato- stimmungen (Vanillinmandelsäure, Dopamin, Neuron-
me, Blastome, Sarkome u. v. a. Therapie der Wahl ist spezifische Enolase u. a. Abbbauprodukte der patholo-
stets die Resektion, die ggf. durch Chemotherapie und gisch gesteigerten Hormonproduktion, Staging (per
oder Radiatio ergänzt wird. Szintigraphie und per PET nachweisbare Stoffwechsel-
steigerung), Knochenmarkspunktion (Metastasenaus-
Neuroblastom schluss).
Definition. Dieser maligne embryonale Tumor wächst
entlang der Neuralleiste (von zervikal bis abdominal) Therapie. Indiziert ist die Resektion. Stadienabhängig
oder in der Nebenniere. Meist entwickelt sich der Tu- adjuvante Chemotherapie, Strahlentherapie.
mor retroperitoneal; er produziert Hormone und Me-
diatoren. Die Metastasen bilden sich in Lymphknoten, Prognose. Je nach Tumortyp (hochdifferenziert bis
Knochen, Leber, Haut. Die lymphogene und hämatoge- hochmaligne) und Stadium (I–IV), Alter, Resektion
ne Metastasierung erfolgt in Leber, Lunge und Skelett. liegt die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 80 und
20%.
Ätiopathogenese. Ausgangspunkt sind Ganglien-
zellen. Nephroblastom (Wilms-Tumor)
Definition/Ätiopathogenese. Embryonaler maligner
Epidemiologie. Auftreten meist vor dem 5. Lebensjahr, Tumor (Blastom) der Niere im Kindesalter. Der Tumor
1/3 binnen des ersten Lebensjahres. tritt ein- oder doppelseitig auf, wächst schnell und des-
truierend und metastasiert lymphogen und hämatogen
Symptomatik. Man findet eine tastbare Resistenz, (. Tab. 1.49). Es gibt Subtypen mit niedrigem bis hohem
neurologische Verdrängungssymptome (Spinalnerven, Malignitätsgrad.
1.12 · Kinderchirurgie
215 1

. Tab. 1.49. Stadieneinteilung des Wilms-Tumors (Stadieneinteilung nach der National Wilms-Tumor Study, NWTS). (Aus
Siewert 2006)

Stadium Definition

I Tumor ist auf eine Niere beschränkt, die Nierenkapsel ist tumorfrei und komplett reseziert

II Tumor überschreitet die Nierengrenze, ist aber vollständig resezierbar

III Tumor überschreitet die Nierenkapsel oder das Nierenparenchym, Tumor rupturiert bei der Resektion,
peritoneale Absiedelungen oder paraaortale Lymphknotenmetastasen. Der Tumor kann nicht vollständig
entfernt werden, weil er in lebenswichtige Strukturen infiltriert ist, die nicht reseziert werden können

IV Hämatogene Metastasen in der Lunge, der Leber, im Knochen, Hirn und/oder anderen Organen

V Bilaterale Wilmstumoren

Epidemiologie. 100 Neuerkrankungen pro Jahr in ! Cave


Deutschland. Meist 2. bis 4. Lebensjahr. 10% Anteil an Eine Biopsie ist kontraindiziert (Gefahr der Tumorzell-
kindlichen Tumoren. dissemination!).

Symptomatik. Allgemeinsymptomatik. Es zeigen sich Therapie. Indiziert ist möglichst die radikale Entfer-
ein tastbarer Tumor, Bauchumfangsvermehrung, Bauch- nung (radikale Nephrektomie), weiterhin die neoaju-
schmerzen, Fieber, Mikrohämaturie. vante (obligat!) und adjuvante (ggf.) Chemotherapie,
Bestrahlung.
Diagnostik. Sonographie, CT, MRT, Szintigraphie (Dif-
ferenzialdiagnose Neuroblastom 7 oben). Urinunter- Prognose. Nach Stadium und Grad der Behandlung
suchung (Mikrohämaturie). Differenzialdiagnostisch gut; auch bei Fernmetastasen.
kommt das Neuroblastom (7 oben) in Betracht.

In Kürze

Kindliche Tumoren

Neuroblas- 4 Definition: maligner embryonaler Tumor. Wachstum entlang der Neuralleiste/Nebenniere,


tom meist retroperitoneal; Hormonproduktion, Lymphknoten- u. a. Metastasen
4 Symptomatik: tastbare Resistenz, neurologische Verdrängungssymptome (Spinalnerven,
Horner-Syndrom), Schmerz, B-Symptomatik, Hypertonie u. v. a.
4 Diagnostik: Sonographie, CT, MRT, Labor, Urinbestimmungen (Vanillinmandelsäure, Dopa-
min, neuronspezifische Enolase), Szintigraphie, PET, Knochenmarkspunktion (Metastasen-
ausschluss)
4 Therapie: Resektion, ggf. adjuvante Chemotherapie, Strahlentherapie

Nephroblas- 4 Definition: embryonaler maligner Tumor (Blastom) der Niere. Ein-/doppelseitiges Auftreten,
tom »Wilms- schnelles, destruierendes Wachstum, lymphogene und hämatogene Metastatisierung.
Tumor« Hoher bis niedriger Malignitätsgrad. Einteilung in 5 Stadien nach Ausbreitungsgrad
4 Symptomatik: Allgemeinsymptomatik, tastbarer Tumor, Bauchumfangsvermehrung,
Bauchschmerzen, Fieber, Mikrohämaturie
4 Diagnostik: Sonographie, CT, MRT, Szintigraphie (Differenzialdiagnose Neuroblastom).
Urinuntersuchung (Mikrohämaturie)
4 Therapie: radikale Entfernung (radikale Nephrektomie, ggf. Umgebung), neoajuvante
(obligat!) und adjuvante (ggf.) Chemotherapie, Bestrahlung
2 Orthopädie
R. Kasch, O. Kessler

2.1 Grundlagen –220


2.1.1 Orthopädische Untersuchung –220

2.2 Klinische Untersuchung –221


2.2.1 Spezifische Funktionstests –221

2.3 Orthopädische Therapie –222


2.3.1 Konservative Therapie –222
2.3.2 Operative Therapie –223

2.4 Erkrankungen der Gelenke –224


2.4.1 Anatomische Grundlagen –224
2.4.2 Degenerative Gelenkerkrankungen –224
2.4.3 Entzündliche/rheumatische Gelenkerkrankungen –225
2.4.4 Abakterielle Gelenkentzündungen und Arthropathien –227
2.4.5 Metabolische Arthropathien –228
2.4.6 Polyarthrosen –230
2.4.7 Zirkulationsbedingte Gelenkerkrankungen –230

2.5 Erkrankungen des Knochens –233


2.5.1 Metabolische Knochenerkrankungen –233
2.5.2 Knochenerkrankungen mit verminderter Knochendichte –235
2.5.3 Knochenerkrankungen mit erhöhter Knochendichte –237
2.5.4 Osteonekrosen –238
2.5.5 Angeborene Skelettsystemerkrankungen –238
2.5.6 Regionale und monostotische Knochenerkrankungen –241
2.5.7 Knochentumoren –242
2.5.8 Entzündliche Knochenerkrankungen –251
2.5.9 Frakturen und Frakturheilung des Knochens –254

2.6 Erkrankungen der Muskulatur –254


2.6.1 Muskelatrophie –254
2.6.2 Muskelanomalie –254
2.6.3 Myogelosen (Muskelhartspann) –254
2.6.4 Muskelkontrakturen –254
2.6.5 Myositis –255
2.6.6 Muskeldystrophie –256

2.7 Erkrankungen der Sehnen und Sehnenscheiden –257


2.7.1 Degenerative Veränderungen –257
2.7.2 Sehnenscheidenerkrankungen –259
2.8 Wirbelsäule –262
2.8.1 Anatomie der Wirbelsäule –262
2.8.2 Untersuchung der Wirbelsäule –262
2.8.3 Fehlbildungen der Wirbelsäule –263
2.8.4 Kyphosen –264
2.8.5 Skoliose –267
2.8.6 Spondylolyse, Spondylolisthesis, Spondyloptose –268
2.8.7 Bakterielle entzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule –270
2.8.8 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen –271
2.8.9 Tumoren –277
2.8.10 Traumata –277

2.9 Brustkorb –277


2.9.1 Pectus excavatum –277
2.9.2 Pectus carinatum –277

2.10 Hals –278


2.10.1 Schiefhals –278
2.10.2 Armplexusverletzungen –279
2.10.3 Zervikobrachiale Region –279

2.11 Schulter –279


2.11.1 Anatomie des Schultergelenkes –279
2.11.2 Untersuchung der Schulter –280
2.11.3 Schultergelenksluxationen –280
2.11.4 Entzündliche Erkrankungen –282
2.11.5 Degenerative Erkrankungen –282
2.11.6 Neurogene Erkrankungen –285
2.11.7 Verletzungen –285
2.11.8 Fehlbildungen –287

2.12 Unterarm und Hand –287


2.12.1 Anatomie des Ellenbogengelenkes –287
2.12.2 Entzündliche Erkrankungen –288
2.12.3 Verletzungen am Ellenbogengelenk –288
2.12.4 Neurogene Störungen –288
2.12.5 Entzündliche Weichteilerkrankungen –288
2.12.6 Anatomie der Hand –288
2.12.7 Entwicklungsstörungen und Anomalien von Arm und Hand –289
2.12.8 Degenerative Erkrankungen von Handgelenk und Hand –291
2.12.9 Verletzungen an Handgelenk und Hand und deren Folgen –293
2.13 Hüftgelenk und Oberschenkelregion –294
2.13.1 Anatomie –294
2.13.2 Hüftdysplasien, Hüftgelenksluxation –294
2.13.3 Epiphysiolysis capitis femoris –296
2.13.4 Schenkelhalsanomalien –298
2.13.5 Erworbene Störungen –300
2.13.6 Degenerative Erkrankungen –304
2.13.7 Entzündliche Erkrankungendes Hüftgelenkes –305
2.13.8 Neurogene Störungen –306

2.14 Kniegelenk –306


2.14.1 Funktionelle Anatomie –306
2.14.2 Angeborene und funktionell bedingte Störungen des Kniegelenkes –307
2.14.3 Degenerative Veränderungen –310
2.14.4 Meniskopathie –312
2.14.5 Verletzungen und Verletzungsfolgen –312
2.14.6 Bandverletzungen –314
2.14.7 Knöcherne Verletzungen –314
2.14.8 Neurogene Arthropathie –315
2.14.9 Entzündungen des Kniegelenkes –315

2.15 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk –316

2.16 Fuß und Zehen –316


2.16.1 Anatomie zur Orthopädie des Fußes –316
2.16.2 Angeborene Fußdeformitäten –317
2.16.3 Erworbene Fußdeformitäten –320
2.16.4 Entzündliche und degenerative Veränderungen im Fußbereich –321
2.16.5 Osteochondrosen des Fußes –322
2.16.6 Knochenvorsprünge am Fuß –322
2.16.7 Neurogene Störungen –322
2.16.8 Verletzungen und Verletzungsfolgen –322
2.16.9 Zehendeformitäten –322
220 Kapitel 2 · Orthopädie

2.1 Grundlagen lingshüfte routinemäßig angewendet. Die Sonographie


der Säuglingshüfte wird zum Ausschluss von Hüft-
2.1.1 Orthopädische Untersuchung entwicklungsstörungen (Dysplasien) im Rahmen der
2 2.1.1.1 Anamnese
Säuglingsvorsorgeuntersuchung durchgeführt.

Ein Großteil der orthopädischen Krankheitsbilder lässt Röntgenaufnahmen


sich allein durch die Erhebung einer genauen Anamne- Konventionelle Röntgenaufnahmen gehören zur Stan-
se am Anfang jeder Untersuchung diagnostizieren. Ne- darddiagnostik in der Orthopädie. Sie ermöglichen die
ben aktuellen Beschwerden werden Berufs-, Freizeit- Beurteilung der Knochenstatik und Struktur. Die Rönt-
und gelegentlich Familienanamnese erhoben. Der zeit- genbilder müssen mit standardisierten Einstelltechni-
liche Verlauf von Beschwerden muss dokumentiert ken in 2 Ebenen erstellt werden.
werden, da daraus wichtige prognostische Erkenntnisse
gewonnen werden können. Die anschließende ortho- Kontrastmitteluntersuchung
pädische Untersuchung folgt stets am entkleideten Pa- Arthrographien werden immer weniger durchgeführt.
tienten nach einem standardisierten Schema. Dabei Im Wesentlichen hat die Magnetresonanztomographie
werden folgende Punkte beurteilt: dieses Untersuchungsverfahren abgelöst. Bei einigen
4 Die verschiedenen Körperachsen speziellen Fragestellungen können diese Verfahren
4 Becken-, Schulterstand noch zur Anwendung kommen, falls Hohlräume, die
4 Kopfhaltung sich im normalen Röntgenbild nicht darstellen, sichtbar
4 Statik der Wirbelsäule gemacht werden müssen (z. B. Arthrographie, Fistulo-
graphie oder Myelographien).
Der funktionellen Untersuchung mit Inspektion des
Gangbildes folgt die manuelle Untersuchung mit Funk- Computertomographie (CT)
tionsprüfung der Gelenke. Zur Befunddokumentation Bei diesem Verfahren werden Bilder, die durch eine den
hat sich dazu die Neutral-0-Methode etabliert. Patienten umfahrende Röhre erzeugt werden, durch
Computer-Software in ein transversales Schichtbild
2.1.1.2 Neutral-0-Methode verarbeitet. Bei modernen Multislice-Computertomo-
Nach dieser Methode werden die Gelenkstellungen graphen lassen sich Weichteile und knöcherne Struktu-
eines aufrecht stehenden Menschen mit herabhän- ren sehr gut darstellen. Aus diesem Grund wird das
genden Armen als Ausgangsstellung bzw. Neutral-0- Verfahren vermehrt bei Wirbelsäulenerkrankungen
Stellung bezeichnet. Die Bewegungen werden in Win- (Bandscheibenvorfall) eingesetzt. Daneben eignet sich
kelgraden gemessen. Die erste Gradzahl in der Neutral- das CT zur Darstellung komplexer Frakturen.
0-Dokumentation beschreibt die Bewegung, die vom
Körper weg führt, die letzte Zahl beschreibt die auf den Kernspintomographie (MRT)
Körper hin gerichtete Bewegung. Kann bei der Gelenk- Das MRT gehört heute schon fast zum Routineverfah-
bewegung die Neutral-0-Stellung durchlaufen werden, ren in der Orthopädie. Die klaren Vorteile dieses Verfah-
so wird dies auch in der Mitte dokumentiert. rens liegen in einer hohen Kontrastauflösung bei fehlen-
Beispiele für die Dokumentation sind: der Strahlenbelastung. Mit aufwendigen Computerpro-
4 Kontrakturen: Der in der Rückbewegung erreichte grammen lassen sich Schnittbilder in allen Ebenen
Wert wird in die Mitte gesetzt. Extension/Flexion: erstellen. In der Orthopädie liegen die Hauptindikati-
40°/10°/0°. onen für ein MRT bei u. a. folgenden Fragestellungen:
4 Ankylosen: Für die nicht durchführbare Bewe- 4 Ausschluss/Nachweis von ZNS-Erkrankungen
gungsrichtung wird 0 gesetzt. Der fixierte Gelenk- 4 Weichteilschäden (Rotatorenmanschettenruptu-
winkel wird doppelt angegeben: Extension/Flexion: ren, Meniskusrisse, Bandrupturen)
0°/20°/20° (Ankylose bei 20°). 4 Knochentumoren
4 Aseptische Knochennekrosen
2.1.1.3 Bildgebung
Sonographie Skelettszintigraphie
Die Sonographie wird zur Diagnostik von pathologi- Bei diesem Verfahren werden radioaktive Impulse nach
schen Vorgängen im Bereich der Weichteile eingesetzt Markierung von Körpergewebe (i.v. Applikation von
(Erguss, Schwellungen) oder beim Verdacht auf Ruptu- Radiopharmaka) dargestellt. Je nach Stoffwechselakti-
ren von Sehnen oder Bändern. Hauptsächlich wird die vität kann ein Gewebe dabei mehr oder weniger des
Sonographie im Bereich der Schulter und der Säug- applizierten Radionukleids aufnehmen. In der Regel
2.2 · Klinische Untersuchung
221 2

werden in der Orthopädie Knochen- und Skelettszinti- tral-, Innen- und Außenrotation des Unterschen-
graphien zum Nachweis von Metastasen, primären kels die dorsoventrale Verschieblichkeit geprüft.
Knochentumoren, Stressfrakturen oder zur Prothesen- Auch hier kann man Hinweise auf eine mögliche
lockerung angewandt. Insuffizienz des hinteren oder vorderen Kreuzban-
des finden.
Anamnese und Untersuchung in der Orthopädie 4 Steinmann I (Meniskustest): In 30°-Flexion wird der
Über 50% aller orthopädischen Krankheitsbilder sind allein Unterschenkel ruckartig in Außenrotation gebracht.
durch eine umfassende Anamnese zu diagnostizieren. Für Kommt es medialseits zu Schmerzen, kann dies auf
die Befunddokumentation wurde die Neutral-0-Methode eine mediale Meniskusverletzung hindeuten.
eingeführt. Bildgebende Verfahren für die Analyse mor- 4 Meniskustest nach Apley: Der Patient liegt mit 90°
phologischer Veränderungen (Sonographie, Röntgenun- gebeugtem Knie auf dem Bauch. Der Unterschen-
tersuchung, Kontrastmitteluntersuchung, Computertomo- kel wird unter axialem Druck gegen den Ober-
graphie, Kernspintomographie) sind von Methoden mit schenkel passiv nach innen oder außen rotiert.
Einblick in biologische Abläufe und Stoffwechselvorgänge Nach einer Meniskusverletzung kann es zu Schmer-
(PET, Szintigraphie) abzugrenzen. Die bildhafte Darstellung zen im Gelenkspalt kommen.
des Stütz- und Bewegungsapparates ist auch v. a. für die 4 Weitere Meniskustests: Untersuchungen nach
Ausschlussdiagnose gravierender Erkrankungen, z. B. Me- Böhler, Steinmann II, Payr.
tastasen, von entscheidender Bedeutung. 4 Ortolani-Zeichen (Subluxierbarkeit bei Hüftdys-
plasie): In Adduktionsstellung bei 90°-Flexion von
Hüft- und Kniegelenk übt der Untersucher einen
2.2 Klinische Untersuchung Dorsalschub auf das Bein aus. Anschließend wird
das Hüftgelenk abgespreizt und über den Trochan-
2.2.1 Spezifische Funktionstests ter major nach ventral gehebelt. Positiv ist das Zei-
chen, wenn bei subluxierter Hüfte ein Schnappen
Im Rahmen der orthopädischen Diagnostik kommt palpierbar ist.
eine Reihe von spezifischen Bewegungstests zur An- 4 Thomas-Handgriff (Hüftbeugekontraktur): Ein
wendung. Patient mit Hüftbeugekontraktur kann sein Bein
auf der Untersuchungsliege nur der Länge nach
> Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Tests nur im auflegen, wenn er in der LWS kompensatorisch hy-
strengen Seitenvergleich eine Aussagekraft besitzen. perlordosiert. Beim Thomas-Handgriff wird eine
Die Untersuchung sollte stets am unbekleideten Pa- Hand unter der LWS platziert, um die Hyperlordo-
tienten erfolgen. se auszugleichen. Der Patient wird gebeten, das ge-
sunde, im Knie gebeugte Bein so weit wie möglich
4 Apprehension-Test: Prüft vordere Instabilität der an den Oberkörper zu ziehen. Dies führt dazu, dass
Schulter. Der Untersucher findet eine schmerzhafte die Hüftbeugekontraktur nicht mehr kompensiert
Subluxation des Humeruskopfes bei Außenrotation ist, der Oberschenkel hebt sich von der Untersu-
und 90°-Abduktion der Schulter bei gleichzeitigem chungsliege ab.
Druck auf den vorderen Glenoidrand. 4 Drehmann-Zeichen: Prüft, ob eine Epiphysiolysis
4 Inferiorer Dislokationstest, unterer Schubladen- capitis femoris vorliegt. In diesem Fall kommt es bei
test Schulter (»sulcus sign«): Der schlaff herunter zunehmender Beugung zu einer Aufhebung der
hängende Arm wird nach unten gezogen, wobei Innenrotationsfähigkeit. Das hat zur Folge, dass bei
sich evtl. ein Sulkus im Bereich des M. deltoideus der Prüfung der Außenrotation das Bein in Innen-
unterhalb des Akromions ausbildet (positives »sul- rotation gehalten wird.
cus sign«). 4 Mennell-Zeichen: Prüft, ob Erkrankungen des Ili-
4 Lachmann Test (Knie): Prüft vorderes Kreuzband. osakralgelenkes vorliegen. Der Patient liegt seitlich
Der Patient liegt auf dem Rücken. Man prüft die auf der Untersuchungsliege und fixiert mit seinem
dorsoventrale Verschieblichkeit der Tibia in 10–20° kontralateral maximal gebeugtem Hüft- und Knie-
Flexionsstellung. Eine große Ventralverschieblich- gelenk sein Becken. Zur Überstreckung des oben
keit kann auf eine Insuffizienz des vorderen Kreuz- liegenden Hüftgelenkes überstreckt der Untersu-
bandes hinweisen. Negativ ist der Test bei hartem cher das obere Bein nach hinten. Bei Erkrankungen
Anschlag und einer Verschieblichkeit unter 5 mm. des Iliosakralgelenkes führt das Manöver zu einer
4 Schubladen Test (Knie): Prüft vorderes, hinteres Provokation des Iliosakralgelenkes mit Schmerz-
Kreuzband). Am Knie werden in 90°-Flexion, Neu- auslösung.
222 Kapitel 2 · Orthopädie

4 Trendelenburg Zeichen: Dieses Zeichen ist positiv, isotonische (Bewegung gegen einen geringen Wider-
wenn bei einer Insuffizienz der pelvitrochantären stand) Übungen. Auch das isokinetische Training (Be-
Muskulatur beim Einbeinstand der erkrankten Sei- wegung läuft unter konstanter Winkelgeschwindigkeit
2 te das Becken zur gesunden Seite verlagert wird. Die ab) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Einen weiteren
Insuffizienz kann z. B. postoperativ auftreten. Bereich decken die Bewegungstherapieformen ab, die
4 Duchenne-Hinken: Beim Duchenne-Hinken wird auf einem neurophysiologischer Muster beruhen. Dabei
im Moment der Belastung des betroffenen Beins werden durch komplexe Bewegungen pathologische Be-
der Oberkörper auf die Seite dieses Beins verlagert. wegungsmuster unterdrückt und über zerebrale Bahnung
Diese führt zur Entlastung der Hüftabduktoren neue Bewegungsabläufe gebahnt. Nennenswert sind die
und des Hüftgelenkes. Sind beide Seiten betroffen, Methoden nach Bobath, Kabat (propriozeptive neuro-
erhält man ein watschelndes Gangbild. muskuläre Fazilitation, PNF), Vojta und Brügger.
4 Lasègue-Zeichen: Prüft auf Nervendehnungs-
schmerz bei Bandscheibenvorfällen. Der Patient 2.3.1.2 Physikalische Therapie
liegt flach auf dem Rücken. Anheben des gestreck- Die physikalische Therapie beinhaltet den gezielten Ein-
ten Beins führt zu Schmerzen im Bereich der Ober- satz von Kälte oder Wärme, Wasser oder elektrischem
und Unterschenkeloberseite (Verlauf des N. ischia- Strom zur Therapie verschiedener Erkrankungen.
dicus) sowie in der LWS. Die Ausprägung des Die Wärme und Kältetherapie hat neurophysiolo-
Schmerzes wird in Winkeln angegeben, die sich gische, vasomotorische und metabolische Wirkmecha-
daraus ergeben, wie weit sich das Bein von der Un- nismen. Kälte wird bei akut entzündlichen Erkrankun-
terlage passiv anheben lässt (z. B. Lasègue positiv gen und Verletzungen zur Schmerz- und Entzündungs-
bei 50°). hemmung eingesetzt. Die den Stoffwechsel anregende
4 Ott-Zeichen: Prüft die Beweglichkeit der BWS. Am Wärme kommt vorwiegend bei chronisch-degenerati-
stehenden Patienten wird die Haut über C7 sowie ven Erkrankungen zur Anwendung.
30 cm weiter kaudal markiert. Während der Patient Die Wassertherapie reduziert die Schwerkraft, was
sich vornüber beugt, wird der Abstand zwischen zu einer Erleichterung verschiedener krankengymnas-
den Markierungen gemessen. Er sollte sich um 3– tischer Übungen führt. Durch Badezusätze lassen sich
4 cm verlängern. chemische Wirkungen erzielen.
4 Schober-Zeichen: Prüft die Beweglichkeit der LWS. Elektrobehandlungen werden u. a. als hydroelekt-
Am stehenden Patienten wird die Haut über S1 und rische Bäder, Iontophoresen oder mit diadynamischen
10 cm weiter kaudal markiert. Während der Patient Strömen durchgeführt.
sich maximal vornüber beugt bzw. bei maximaler Massagen entfalten ihre Wirkung auf neurophy-
Retroflexion sollte sich der Abstand um 5 cm ver- siologischer Basis und verbessern die Stoffwechsellage
längert bzw. um 1 cm verkürzt haben. durch die resultierende Hyperämisierung. Die klassi-
sche Massage kann mittels Streichen, Kneten, Zirke-
lung, Klopfung und Vibration durchgeführt werden.
2.3 Orthopädische Therapie
2.3.1.3 Medikamentöse Therapie
2.3.1 Konservative Therapie Da die Möglichkeiten der kausalen medikamentösen
Behandlung in der Orthopädie eher begrenzt sind,
2.3.1.1 Physiotherapie kommt die symptomatische medikamentöse Therapie
Durch die Krankengymnastik werden primär planmä- umso häufiger zum Einsatz. Häufig werden peripher
ßige körperliche Bewegungsübungen mit dem Ziel wirkende Analgetika eingesetzt. Zentral wirksame
durchgeführt, Schäden oder Komplikationen am mus- Opioide werden meist nur postoperativ oder bei Tu-
kuloskelettalen Apparat zu therapieren. Insbesondere morschmerzen angewendet. Antiphlogistika werden
Beweglichkeit und Stabilität von Wirbelsäule und Ge- eingesetzt um Schmerzzustände entzündlichen Charak-
lenken stehen im Vordergrund. Hierzu kann man ters zu therapieren. Steroide werden häufig lokal inji-
grundlegend folgende Formen unterscheiden: ziert, um chronische Entzündungen zu therapieren (z. B.
4 Passive Therapie (der Patient wird bewegt) subakroimiales Impingement). Ihre Anwendung kann
4 Aktive Therapie (der Patient wird zur Bewegung zu Femurkopfnekrosen führen. Antiarthrotika (Chon-
angewiesen) droprotektiva) haben eine umstrittene Wirksamkeit.
Antibiotika werden zur Therapie von akuten oder
Beide Formen enthalten isometrische (Muskelanspan- chronischen Entzündungen eingesetzt; in der Regel
nung gegen Widerstand ohne Bewegungsarbeit) und sollte eine Austestung des Erregerspektrums erfolgen.
2.3 · Orthopädische Therapie
223 2
2.3.1.4 Rehabilitation 2.3.2.3 Operation am Gelenk
Neben der medizinischen Rehabilitation ist auch die Absolut gesehen sind Operationen am eröffneten Ge-
soziale Wiedereingliederung erforderlich. Die Haupt- lenk durch die minimal invasiven Techniken und durch
versicherungsträger sind Krankenversicherung, Ren- die arthroskopischen Verfahren weniger häufig. Fol-
tenversicherung und teilweise die gesetzliche Unfallver- gende offene Operationen werden durchgeführt:
sicherung des Patienten. Die Rehabilitation zielt auf die
möglichst optimale (Wieder)-eingliederung des Patien- Künstlicher Gelenkersatz
ten in die sozialen Strukturen ab. Bei den Arthroplastiken (Endoprothesen) handelt sich
in der Regel um Implantate, die defekte Gelenkteile er-
setzten. Meistens bestehen sie aus Metalllegierungen
2.3.2 Operative Therapie wie Chrom, Kobalt, Molybdän, Titan und zu einem sehr
geringen Anteil auch Nickel. Alle diese Stoffe müssen
2.3.2.1 Allgemeine Operationsverfahren biokompatibel sein. Die eingesetzten Prothesenmodelle
Gemäß dem Aufbau der Stütz- und Bewegungsorgane bestehen neben Metall aus Polyäthylen oder Keramik.
können viele unterschiedliche operative Verfahren An- Die Verankerung erfolgt entweder mit Knochenzement
wendung finden. Die Terminologie dieser Verfahren (Polymethylmetakrylat) für ältere Patienten oder ze-
orientiert sich an den behandelten Geweben und der mentfrei. Am häufigsten arthroplastisch versorgt wer-
Methode der Operation. den Hüft- und Kniegelenk.

2.3.2.2 Operation am Knochen Arthrodesen


Osteotomie Unter einer Arthrodese versteht man die Versteifung
Die Osteotomie steht für eine Durchtrennung des Kno- eines Gelenkes, z. B. nach nicht therapierbarem chroni-
chens mit einem Instrument (Säge, Meißel). Je nach Indi- schem Infekt. In der Regel bringt sie dem Patienten
kationsstellung werden zur Korrektur von pathologischen Schmerzfreiheit oder Reduktion und ermöglicht bei
Knochenformen verschiedene Verfahren angewandt: richtiger Arthrodesenfunktionsstellung eine bestmög-
4 Umstellungsosteotomien (valgisierende, varisie- liche Restfunktion des versteiften Gelenkes.
rende Osteotomien) Von einer Arthrodese abzugrenzen ist die Immobi-
4 Verlängerungsosteotomien (z. B. bei Beinlängen- lisationsstellung, die der zu erwartenden reflektori-
differenzen von mehr als 5 cm – Methode nach schen Schonstellung des jeweiligen Gelenkes dadurch
Iliasarov) entgegenwirkt, dass sie die schrumpfungsgefährdeten
4 Verkürzungsosteotomien Bänder, Gelenkkapseln und Membranen maximal an-
4 Rotationsosteotomien (z. B. bei Rotationsfehlstel- spannt.
lungen)
4 Derotierende Osteotomien (z. B. Femurosteotomie Synovektomie
bei kindlicher Hüftluxation) Bei der Synovektomie wird die Gelenkinnenhaut ent-
4 Beckenosteotomien (z. B. nach Salter, Chiari) fernt; sie kommt bei entzündlichen oder rheumatischen
Gelenkerkrankungen zum Einsatz. Diese Operationen
Osteosynthese werden vorwiegend an Knie-, Ellenbogen-, Hand- und
Als Osteosynthese wird die operative Verbindung und Fingergelenken angewandt.
Verklammerung von Knochenenden nach Frakturen
oder Osteotomien mittels Platten, Schrauben (Kortika- 2.3.2.4 Operationen an Sehnen, Bändern,
lis-, Spongiosaschrauben), Nägeln (Marknagelung) Muskeln und Nerven
oder Drähten (Kirschner-Drahtspickung oder Draht- Gerissene Bänder und Sehnen werden teilweise mit-
umschlingung bei Patellafrakturen) bezeichnet. tels operativ durchgeführter Adaptation reinseriert.
Tendoplastiken werden zur Defektüberbrückung
Osteoplastik nach Rupturen und zur Wiederherstellung der Funk-
Bei diesem Verfahren wird Knochenmaterial zur Auf- tionstüchtigkeit (ebenso wie Sehnentranspositionen)
füllung von Defekten verwendet. Meist wird körperei- angewandt (z. B. am Knie mittels autologer Kreuz-
gene, autologe (vom selben Individuum stammend) bandplastik). Bei spastischen Lähmungen werden
Spongiosa (Spongiosaplastik) verwandt, die in der Re- Sehnen und Muskeln zur Detonisierung durchtrennt.
gel dem Beckenkamm entnommen wird. Aber auch Der muskuläre Schiefhals kann mittels Myotomie be-
Fremdknochenspenden (allogene, aufbereitete Hüft- handelt werden.
köpfe) werden eingesetzt.
224 Kapitel 2 · Orthopädie

2.3.2.5 Postoperative Komplikationen 2.4.2 Degenerative Gelenkerkrankungen


Nach jeder Operation können immer die allgemeinen
Operationsrisiken auftreten: 2.4.2.1 Arthrosen
2 4 Sepsis Definition. Die Arthrose ist ein degeneratives Gelenk-
4 Wundheilungsstörungen leiden, welches aufgrund des Missverhältnisses zwi-
4 Schock schen Belastung und Belastbarkeit des Gelenkknorpels
4 Durchgangssyndrom entsteht.
4 Embolie
4 Nerven- oder Gefäßverletzungen Ätiopathogenese. Man kann unterscheiden zwischen
4 Lockerungen des Gelenkersatzes der primären Arthrose, die idiopathisch auftritt, und der
sekundären Arthrose, die aufgrund von präarthrotischen
Die Infektion stellt dabei eine der gefürchtetsten Kom- Dispositionen entsteht. Bei der letzteren kann eine In-
plikationen in der Orthopädie dar. Implantate können kongruenz der artikulierenden Gelenkflächen prädispo-
lockern, luxieren oder brechen. Durch Lagerungsfehler nierend wirken. Häufige Ursachen, die zur Entstehung
kann es zu Nerven- und Gefäßschäden kommen. Selten einer sekundären Arthrose führen können, sind:
manifestieren sich Allergien aufgrund von Implantaten. 4 Traumen (Luxation, Frakturen, die die Gelenkflä-
che betreffen)
Orthopädische Therapie 4 Fehlbelastung (Achsenfehler, Morbus Perthes, Epi-
Die häufig chronischen Verläufe der orthopädischen Erkran- physiolysis capitis femoris)
kungen machen das Vorgehen an einem Therapieplan sehr 4 Entzündungen (chronische Polyarthritis, bakteriel-
bedeutsam. Der zeitlicheVerlauf der Erkrankungen bestimmt le Arthritis)
den Therapieplan ganz wesentlich. Anfänglich kommen kon- 4 Übergewicht
servative Maßnahmen zur Anwendung. Ziele sind hier die 4 Immobilisation
Schmerzbeseitigung oder -linderung und somit die Funk- 4 Metabolische Arthropathien (Gicht, Alkaptonurie)
tionsverbesserung. Die operative Therapie ist immer erst als 4 Neurologische Erkrankungen (Tabes dorsalis)
letzter Schritt nach Ausschöpfung aller konservativ sinnvol-
len Möglichkeiten zu erwägen. Auch hier wird versucht, so Häufig sind Hüft- und Kniegelenke durch die stati-
atraumatisch und gewebeschonend wie möglich vorzuge- schen Belastungen der unteren Extremität betroffen.
hen. Gelegentlich, insbesondere im Kindesalter, wird es not- Auch das Schultergelenk ist vielfach von arthrotischen
wendig auch prophylaktische Operationen durchzuführen. Veränderungen betroffen. Die primären Arthrosen tre-
ten gehäuft symmetrisch auf (z. B. Heberden-Arthrose,
Bouchard-Arthrose).
2.4 Erkrankungen der Gelenke Pathogenetisch kommt es infolge von Alterung und
daraus folgender Degeneration zu Veränderungen des
2.4.1 Anatomische Grundlagen Gelenkknorpels. Als unmittelbare Folgen kommt es zu:
4 Elastizitätsverlust
Der anatomische Gelenk- und Knorpelaufbau sind 4 Rissen in der Knorpeloberfläche
für das Verständnis der Gelenkerkrankungen grund- 4 Höhenminderung des Knorpelgewebes
legend. 4 Bildung von Knorpelzellnestern
Ein Gelenk besteht aus folgenden Bestandteilen: 4 Subchondralen Sklerosierungen der Gelenk-
4 Gelenkkörper (artikulierende Knochen) fläche
4 Gelenkflächen, die zumeist von hyalinem Knorpel- 4 Knorpelsubstanzverlust mit reaktiver Bildung von
gewebe überzogen sind Knochenvorsprüngen wie Osteophyten
4 Gelenkkapsel mit der Membrana synovialis als in- 4 Evtl. Zystenbildung
nerer Auskleidung
> Anfallende Knorpelabriebprodukte können zu
Der hyaline Knorpel setzt sich aus Knorpelzellen einer Synovitis führen mit resultierender Ergussbil-
(Chondrozyten) und extrazellulärem Matrixgewebe dung. Diese entspricht dem Zustand der aktivierten
zusammen. Die Chondrozyten sind nur während des Arthrose.
Wachstumsalters teilungsfähig, sodass Knorpeldefekte
später auch nur noch durch Ersatzgewebe gedeckt wer- Symptomatik. Die Patienten klagen über Belastungs-
den können. Die Matrix des Knorpelgewebes besteht und Bewegungsschmerzen, Gelenkentzündungen,
aus Kollagenen, Proteoglykanen und Wasser. Muskelverspannungen und Schwellungen sowie über
2.4 · Erkrankungen der Gelenke
225 2

Tendopathien. Charakteristisch ist der meist morgend- 4 Geröllzysten (subchondrale Zysten)


liche Anlaufschmerz nach längerem Liegen oder Sitzen. 4 Teilweise freie Gelenkkörper
Er bessert sich meist beim Gehen.
Im weiter fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kom- Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Die
men folgende Symptome hinzu: Behandlung ist präventiv (z. B. Beseitigung der präarth-
4 Ruheschmerz rotischen Deformitäten) und vornehmlich symptoma-
4 Weitere Bewegungseinschränkung tisch. Hierzu zählen:
4 Zunehmende Deformierung des Gelenkes mit Ach- 4 Konservativ: Wärmeapplikation, Salben und intra-
senfehlstellung und Instabilität artikuläre Injektionen (Steroide, Hyaluronsäure),
4 Kontrakturen durch Weichteilverkürzungen orale Schmerztherapie
4 Letztlich die Gelenkversteifung 4 Operativ:
5 Verbesserung der Gelenkmechanik durch Um-
Diagnostik. Der radiologische Befund weist meist die stellungsosteotomie
folgenden Pathologien auf: 5 Arthroskopische Gelenkslavage
4 Gelenkspaltverschmälerung 5 Synovialektomie
4 Subchondrale Sklerose 5 Releases zur Beseitigung von Kontrakturen
4 Osteophytenbildung an den Gelenkenden (zur 5 Gelenkersatz mittels Endoprothetik
Verbreiterung der Artikulationsfläche) 5 Selten Arthrodese
4 Lokale Knochendestruktionen 5 Spondylodese (Versteifung) an der Wirbelsäule

In Kürze
Degenerative Gelenkserkrankungen

Arthrose 4 Definition: primäre Arthrose idiopathisch; sekundäre Arthrose präarthrotische Disposition


4 Symptomatik: Belastungs- und Bewegungsschmerzen, Gelenkentzündungen, Muskelver-
spannungen, Schwellungen, Tendopathien, morgendlicher Anlaufschmerz, später auch Ru-
heschmerz, Bewegungseinschränkung bis zur Gelenkversteifung
4 Diagnostik: Röntgenbild mit Gelenkspaltverschmälerung, subchondraler Sklerose, Osteophy-
tenbildung, lokale Knochendestruktionen, Geröllzysten (subchondrale Zysten) u. a.
4 Therapie: präventiv, konservativ mit Wärme, Schmerztherapie; operativ

2.4.3 Entzündliche/rheumatische Am häufigsten sind das Knie- und Hüftgelenk be-


Gelenkerkrankungen troffen. Anfänglich manifestiert sich die Entzündung
in einer Synovitis, in deren Folge sich ein eitriger Ge-
2.4.3.1 Bakterielle Arthritis lenkserguss (Gelenkempyem, Pyarthros) ausbilden
Definition. Bakterielle Infektion eines Gelenkes. kann. Bei erfolgreicher Therapie ist in diesem Stadi-
um eine Restitutio ad integrum möglich. Bei weiterer
Ätiopathogenese. Man kann zwischen den exogenen Ausbreitung der Entzündung auf benachbarte Gewe-
Ursachen und den selteneren endogenen Ursachen dif- bestrukturen kann sich eine Panarthritis mit Kap-
ferenzieren: selphlegmone entwickeln. Dabei kommt es zu einer
4 Exogene Ursachen: gravierenden Schädigung des Gelenkknorpels mit
5 Traumatisch bedingte offene Gelenkverletzun- begleitender Schrumpfung des Kapsel-Band-Appa-
gen rats. Die Schädigung ist irreversibel. Im Weiteren
5 Intraartikuläre Injektionen kommt es zu einer fibrösen, letztlich knöchernen An-
5 Intraartikuläre Punktionen kylose. Ein Übergreifen auf den subchondralen Kno-
5 Operative Eröffnung des Gelenkes chen ist möglich.
4 Endogene Ursachen:
5 Hämatogen fortgeleitete Infektion bei der Os- > Die bakterielle Arthritis manifestiert sich zuerst in
teomyelitis Form einer Synovitis und kann sich dann auf den
5 Übergreifen einer Phlegmone; häufigste Erreger: Knorpel und Knochen ausbreiten.
Staphylokokken (bei Kindern Streptokokken)
226 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.1a,b. Chronische Polyarthritis.


a Knopflochdeformität; b Schwanen-
halsdeformität. (Aus Grifka/Krämer 2005)

2
a

Symptomatik. Das betroffene Gelenk zeigt die typi- Postoperativ wird die systemische Antibiose fortge-
schen Entzündungszeichen wie: Schwellung, Überwär- führt sowie eine krankengymnastische funktionelle
mung, Rötung und eingeschränkte Beweglichkeit. Es ist Nachbehandlung begonnen. Sind die destruktiven Ge-
überaus schmerzhaft. Daneben leiden die Betroffenen lenkveränderungen sehr weit fortgeschritten, bleibt
unter Fieber, und einer Erhöhung der Entzündungszei- häufig als einzige Möglichkeit der spätere Gelenkser-
chen (CRP, Leukozytose, BSG-Beschleunigung). satz oder eine Arthrodese.

Diagnostik. Die Diagnose wird durch eine Gelenk- > Jede eitrige Gelenksinfektion muss sofort operativ
punktion mit anschließender Erregerbestimmung gesi- behandelt werden. Parallel muss eine hochdosierte
chert. Die Weichteile im Gelenkgebiet sind entzündlich i.v. Antibiose eingeleitet werden. Es handelt sich um
geschwollen und können sich im Röntgenbild verbrei- eine der wenigen echten orthopädischen Notfälle.
tert zeigen.
2.4.3.2 Chronische Polyarthritis
Therapie. Erst nach der Punktion zur Diagnosesiche- (rheumatoide Arthritis)
rung und zum Erregernachweis bzw. Resistenzbestim- 7 Kap. Rheumatologie, Innere Medizin; . Abb. 2.1.
mung (Antibiogramm) erfolgt eine hochdosierte, syste-
mische Gabe von Antibiotika. Oft muss eine sofortige 2.4.3.3 Juvenile chronische Polyarthritis
Operation mit ausgiebigen Debridement, konsequen- 7 Kap. Rheumatologie, Innere Medizin.
tem Spülen und Synovektomie durchgeführt werden. Je In dieser Gruppe werden vier verschiedene Verlaufs-
nach Schweregrad und postoperativem Verlauf (konse- formen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
quente CRP-Kontrolle) können weitere Spülungen nö- subsumiert, die vor dem 16. Lebensjahr auftreten. Die
tig werden. Die früher häufig angewendeten Spül-Saug- Rheumaserologie ist nur bei wenigen der Kinder positiv.
Drainagen werden weniger eingesetzt. Durch die dau- Es handelt sich nicht um die juvenile Verlaufsform der
erhaft im Gelenk liegenden Schläuche besteht die chronischen Polyarthritis. Die Behandlung erfolgt anti-
Gefahr, dass zusätzliche Erreger in das Gelenk gelangen phlogistisch v. a. mit Azetylsalizylsäure, ansonsten wie
und die Infektion zusätzlich verkomplizieren. bei der chronischen Polyarthritis des Erwachsenen.

In Kürze
Entzündliche/rheumatische Gelenkerkrankungen

Bakterielle 4 Symptomatik: 5 typische Entzündungszeichen


Arthritis 4 Diagnostik: Gelenkpunktion mit Erregernachweis
4 Therapie: Spül-Saug-Drainage, hochdosierte Antibiotika, evtl. Gelenkersatz bei starker
Zerstörung des Gelenkes
6
2.4 · Erkrankungen der Gelenke
227 2

Juvenile 4 Symptomatik: verschiedene Verlaufsformen, Schmerzen, dabei selten Rötung, Schwel-


chronische lung, Erguss und Bewegungseinschränkung
Polyarthritis 4 Diagnostik: >6 Wochen anhaltende Symptome ohne erkennbare andere Ursache gel-
ten als Hinweis (Ausschlussdiagnostik)
4 Therapie: antiphlogistisch bzw. wie bei chronischer Polyarthritis des Erwachsenen

2.4.4 Abakterielle Gelenkentzündungen 2.4.4.3 Chondromatose


und Arthropathien Definition. Eine zumeist monoartikuläre Ansammlung
von multiplen freien Gelenkkörpern.
2.4.4.1 Synovialitis
Definition. Entzündung der Gelenkinnenhaut. Ätiopathogenese. Die eigentliche Ursache ist unbe-
kannt. Die Bildung der freien Gelenkkörper ge-
Ätiopathogenese. Ursache ist ein Abbau von Knor- schieht durch eine metaplastisch umgewandelte Sy-
pelfragmenten aus degeneriertem Gelenkknorpel im novia in Knorpelgewebe. Es werden aber auch endo-
Rahmen einer Arthrose. Diese Fragmente gelangen in gene Faktoren wie eine embryonale Fehlanlage oder
die Membrana synovialis und führen dort im Rah- ein Neoplasma diktiert, wobei die Veränderungen
men des Abbaus zu einer entzündlichen Reaktion selbst nicht maligne sind. Möglicherweise führen re-
(Detritussynovialitis). Daneben gibt es chronische un- zidivierende Traumata im Bereich des Ellenbogen-
spezifische Entzündungen der Synovialis, die zu Reiz- gelenkes zur Manifestation des Judo-Ellenbogens.
ergussbildung oder rezidivierenden Gelenkblutungen Meist sind Knie-, Schulter- oder Ellenbogengelenk
führen. befallen.

Symptomatik. Gelenkerguss, v. a. als eitrige Synovialitis. Symptomatik. Einklemmungserscheinungen stehen


Komplikationen sind Kapselphlegmone, paraartikuläre im Vordergrund.
Abszedierung, Sepsis, Knorpel- und Knochenzerstö-
rung, Panarthritis. Diagnostik. Wenn die Chondrome aus reinem Knor-
pelgewebe bestehen, können sie nur mittels Arthrogra-
Diagnostik. MRT, arthroskopische Biopsie. phie, Arthroskopie oder Kernspintomographie darge-
stellt werden.
Therapie. Indiziert ist eine konservativ-kausale Thera-
pie oder auch eine Synovektomie. Therapie. Arthroskopische Entfernung der freien
Gelenkkörper und Synovektomie (Rezidivprophy-
2.4.4.2 Pigmentierte villonoduläre Synovialitis laxe).
Synonym. Benignes Synovialom.
2.4.4.4 Hämophilie (Blutergelenk)
Ätiopathogenese. Aus unbekannter Ursache kann es Definition. Einblutungen in Gelenke bei zugrunde lie-
durch eine gutartige Wucherung der Synovialis, die gender Hämophilie.
mit lokalen Erosionen der Gelenkkörper einhergeht,
langfristig zu destruierenden Veränderungen der Ge- Ätiopathogenese. Destruierende Veränderungen
lenke kommen. Häufig sind Knie- und Hüftgelenke durch rezidivierende Einblutungen in die Gelenke. X-
befallen. chromosomal-rezessiv vererbbare Erkrankung, die in
zwei Formen auftritt:
Diagnostik. Das MRT dient der Diagnosefindung. End- 4 Hämophilie A: Faktor-VIII-Mangel
gültige Sicherheit bringt erst die arthroskopische Gewe- 4 Hämophilie B: Faktor-IX-Mangel (Christmas-
beentnahme mit Histologie. Typischerweise sieht man Faktor)
makroskopisch braun verfärbtes Gewebe.
Daneben existieren noch 4 weitere Hämophilien:
Therapie. Nur durch komplette Synovektomien lassen 4 Stuart-Prower-Faktor-Mangel (Faktor X der Gerin-
sich die häufig auftretenden Rezidive vermeiden. nungskaskade)
4 Parahämophilie mit Mangel des Faktors V
228 Kapitel 2 · Orthopädie

4 Angiohämophilie (Willebrand-Jürgens-Syndrom: Symptomatik. Hochgradige Bewegungseinschränkun-


Strukturdefekt von Faktor VIII) gen bis hin zur fibrösen Ankylose. Schiefwuchs und
4 Hämophilie C (Rosenthal-Syndrom, Fehlen vom Wachstumshemmungen bei Kindern.
2 Faktor XI)
Diagnostik. Rezidivierende Hämarthritiden weisen kli-
Die erste Blutung in einem Gelenk (auch als Initialblu- nisch auf die Diagnose hin. Radiologisch findet man
tung bezeichnet) wird häufig durch ein Trauma verur- eine stärker verschattende Gelenkkapsel (durch Hämo-
sacht. Die rezidivierenden Einblutungen in das Gelenk siderineinlagerung). Beim weiteren Fortschreiten
(Hämarthros) führen zu einer bindegewebigen Über- kommt es zum Vollbild einer Arthrose.
wachsung des Knorpels. Im weiteren Verlauf entwickeln
sich Fehlstellungen und Kontrakturen (durch Arthrofi- Therapie. Substitution von Faktoren VIII bzw. IX; Ru-
brose). Letztendlich kommt es zur Zerstörung der sub- higstellung bei frischen Einblutungen.
chondralen Gelenksoberfläche mit Zystenbildung. Am
häufigsten sind Knie-, Sprung-, Ellenbogen-, Hand-
und Hüftgelenk betroffen.

In Kürze
Abakterielle Gelenkentzündungen und Arthropathien

Synovialitis 4 Symptomatik: Gelenkerguss


4 Diagnostik: MRT, arthroskopische Biopsie
4 Therapie: nach Möglichkeit kausal antiinflammatorisch, sonst Synovektomie

Pigmentierte 4 Symptomatik: gutartige Wucherung der Synovialis führt zu Ergüssen, Schmerzen


villonoduläre 4 Diagnostik: MRT, Histologie
Synovialitis 4 Therapie: vollständige Synovektomie; hohe Rezidivneigung

Chondromatose 4 Symptomatik: Einklemmungserscheinungen


4 Diagnostik: MRT, Arthroskopie
4 Therapie: Entfernung der freien Gelenkkörper, evtl. Synovektomie

Hämophilie 4 Symptomatik: rezidivierende Ergüsse (Einblutungen), Bewegungseinschränkung


4 Diagnostik: Abklärung der Gerinnung
4 Therapie: Substitution der fehlenden Plasmafaktoren, Prävention, Ruhigstellung bei
frischen Einblutungen

2.4.5 Metabolische Arthropathien urica) und in der Niere (Uratsteine, Uratniere). In der
Gelenkkapsel werden Uratsteine von einwandernden
2.4.5.1 Arthritis urica (Uratgicht) Granulozyten phagozytiert. Die dabei frei gesetzten
Definition. Durch die Ausfällung von Harnsäurekris- Entzündungsmediatoren führen zu einer akuten Syno-
tallen in der Synovialflüssigkeit und dem Gewebe vitis. Als Auslöser kommen folgende Faktoren infrage:
kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion der 4 Purinreiche Nahrungsexzesse (Spargel)
Synovia und des periartikulären Gewebes. 4 Alkoholexzess (hemmt die renale Harnsäureaus-
scheidung)
Ätiopathogenese. Die Arthritis urica ist eine Purin- 4 Medikamente (z. B. Thiaziddiuretika)
stoffwechselstörung, aus der eine primäre oder sekun- 4 Fasten
däre Hyperurikämie resultiert. Pathogenetisch wird 4 Exsikkose
das Löslichkeitsprodukt für Harnsäure im Blut ab ei-
nem Spiegel von über 6,5 mg/dl überschritten. Deshalb Symptomatik. Die Monoarthritis des Großzehen-
kommt es zu Harnsäurekristall-Bildung im Gewebe grundgelenkes (Podagra) oder des Kniegelenkes ist
(Tophusbildung), in der Synovialflüssigkeit (Arthritis typisch. Das Auftreten des akuten Gichtanfalls oft
2.4 · Erkrankungen der Gelenke
229 2

nach dem »Festessen« oder Alkoholabusus, ist ge- ben und im hyalinen Knorpel der großen Gelenke.
kennzeichnet durch akute, meist nächtliche starke Bei chronischem Verlauf kommt es zu degenerativen
Schmerzen im betroffenen Gelenk. Das Gelenk weist Gelenkveränderung. Meistens sind die Kniegelenke
klassische Entzündungszeichen (Rötung, Schwel- betroffen.
lung, Schmerz, Überwärmung) auf. Die chronische
Gicht ist gekennzeichnet durch rezidivierende Arth- Symptomatik. Häufig beschwerdefrei. Daneben werden
ralgien, subkutane Gichttophi (Uratablagerungen) bei der Chondrokalzinose vier weitere Erkrankungsfor-
und eine Nephrolithiasis. men unterschieden, die einer Pseudogicht, chronischen
Polyarthritis, Polyarthrose oder neuropathischen Arth-
Diagnostik. Der typische Röntgenbefund beinhaltet ropathie (Charcot-Arthropathie) ähnlich sind.
Usuren, Weichteilschatten durch Tophi und Erosionen
der Kortikalis (Lochdefekte). Das Labor zeigt: Hyperu- Diagnostik. Radiologisch sichtbare punktförmige Kalk-
rikämie, erhöhte Entzündungszeichen (CRP-, BSG ablagerungen in Knorpel und Sehnen stellen einen
Anstieg, Leukozytose). Bei unklarer Differenzialdiag- nachweisbaren Unterschied zur Arthritis urica dar. Die
nose sichert eine Gelenkpunktion mit Nachweis von Diagnose lässt sich zweifelsfrei durch den mikroskopi-
Uratkristallen die Diagnose. schen Nachweis von Kalziumpyrophosphatdihydrat-
kristallen im Gelenkpunktat stellen. Spezifische patho-
Therapie. Diät (senkt den Harnsäurespiegel) ist Mit- logische Laborparameter fehlen.
tel der Wahl. Im akuten Anfall wird das betroffene
Gelenk ruhig gestellt und gekühlt. Gabe von NSAR Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt; al-
(Entzündungshemmung). Der Harnsäurespiegel lässt lenfalls Gabe von NSAR sowie physikalische Therapie.
sich durch Urikosurika (z. B. Probenezid, Sulfinpyra-
zon) oder Urikostatika (z. B. Allopurinol: hemmt ! Cave
Xanthinoxidase, die Harnsäure aus Purinbasen bil- Bei Nachweis einer Chondrokalzinose muss immer an
det) senken. einen Hyperparathyreoidismus gedacht werden.

! Cave Start 2.4.5.3 Ochondrose


Der Harnsäurespiegel steigt bei starkem Fasten an. Definition. Dunkle Pigmentierung im schlecht ver-
Der akute Gichtanfall wird nicht mit Allopurinol be- sorgten Gewebe.
handelt, da dieses Medikament die Ausfällung weite-
rer Harnsäure im Gewebe fördert und sogar einen Ätiopathogenese. Die Pigmente sind Folge eines Oxi-
akuten Anfall auslösen kann. dationsprodukts der Homogentisinsäure bei Störungen
des Phenylalanins- und Tyrosinmetabolismus.
Prognose. Unter adäquater Diät orientierter Prophyla-
xe und Dauertherapie tritt die chronische Gelenkgicht Symptomatik. Die entstehenden trophischen Störun-
kaum auf. gen des Knorpelgewebes führen zu Osteoarthropathien
und Spondylopathien mit langfristig entsprechenden
2.4.5.2 Chondrokalzinose Symptomen (Schmerzen). Dabei sind in erster Linie
(Pyrophosphatgicht, Pseudogicht) Kniegelenk, Hüft- und Schultergelenk betroffen.
Definition. Durch Kalziumpyrophosphatdihydratkris-
talle ausgelöste akute Gelenkentzündung, die in ihrem Diagnostik. Nachgewiesen wird die Krankheit über
Verlauf der Harnsäuregicht ähnelt. eine erhöhte Homogentisinsäureausscheidung im
Harn.
Ätiopathogenese. Ablagerung von Kalziumpyrophos-
phatdihydratkristallen in den Menisken, Bandschei- Therapie. Die Therapie erfolgt symptomatisch.
230 Kapitel 2 · Orthopädie

In Kürze
Metabolische Arthropathien

2 Arthritis urica 4 Symptomatik: plötzlich starke Schmerzen in einem Gelenk, heftige Schmerzen bei Be-
rührung
4 Diagnostik: Labor: Anstieg der Harnsäure, Leukozytose, erhöhte BSG
4 Therapie: betroffenes Gelenk wird ruhig gestellt, Urikosurika oder Urikostatika, NSAR

Chondrokalzinose 4 Symptomatik: akute Gelenkentzündung (Kristallarthropathie), gichtähnlich


(Pseudogicht)
4 Diagnostik: Röntgenbild, Punktion
4 Therapie: keine Kausaltherapie, NSAR

Ochondrose 4 Symptomatik: dunkle Pigmentierung des Knorpels


4 Diagnostik: erhöhte Homogentisinsäureausscheidung im Urin
4 Therapie: symptomatisch, keine Kausaltherapie

2.4.6 Polyarthrosen Epidemiologie. Die aseptischen Knochennekrosen tre-


ten sowohl im Erwachsenenalter (. Tab. 2.1) als auch im
Zu den Polyarthrosen gehören die Heberden-Arthrose Kindes- und Jugendalter auf, hier weitaus häufiger.
(7 Spezielle Orthopädie, Hand), Bouchard-Arthrose
(7 Spezielle Orthopädie, Hand), die chronische Polyarth- Symptomatik. Prädilektionsorte sind die Epi-, Meta-
ritis (7 Innere Medizin, Rheumatologie) und die Rhizar- und Apophysen der Röhrenknochen sowie die enchon-
throse (7 Spezielle Orthopädie, Hand) dral verknöchernden Hand- und Fußwurzelknochen.
Die Nekrosen verlaufen im Wachstumsalter meist
in mehreren Stadien:
2.4.7 Zirkulationsbedingte 4 Fragmentationsstadium (Abbau von abgestorbe-
Gelenkerkrankungen nen Knochenbälkchen)
4 Kondensationsstadium (Mikrofrakturen im nekro-
2.4.7.1 Osteochondrose tischen Bereich)
Definition. Aufbau- und Durchblutungsstörungen so- 4 Reparationsstadium
wie konstitutionelle und chronisch traumatische Ein-
flüsse, die zu Spongiosainfarkten führen (Osteochon- Am häufigsten betroffen sind (. Tab. 2.1, . Tab. 2.2):
drose = spontane Osteonekrose = aseptische Kno- 4 Femurkopfepiphyse (Morbus Perthes,
chennekrose). 7 Kap. 2.13.5.2)

. Tab. 2.1. Häufige aseptische Osteonekrosen des Kindes- und Jugendalters

Bezeichnung Lokalisation Alter :

Morbus Scheuermann Wirbelkörperdeckplatten meist BWS >10 m>w

Morbus Perthes Hüftkopfepiphyse 3–12 (Gipfel 7. Lebensjahr) 5:1

Morbus Sinding-Larsen Unterer Patellapol 10–15

Morbus Osgood-Schlatter Tibiaapophyse 12–16 m>w

Morbus Sever = Apophysitis calcanei Kalkaneusapophyse 8–13

Morbus Köhler I Os naviculare pedis 3–12 4:1

Morbus Köhler II Metatarsalköpfchen 2–4 8–18 1:4


2.4 · Erkrankungen der Gelenke
231 2

Therapie. Die Behandlung richtet sich nach Alter


. Tab. 2.2. Aseptische Osteonekrosen des Erwachse- und Lokalisation und dem Stadium der Erkrankung.
nenalters Eine 3-monatige Entlastung kann zum Ausheilen
führen, wenn sich das Dissekat noch im Mausbett
Bezeichnung Lokalisation Alter
befindet. Bei Erwachsenen wird eine Spongiosaum-
Morbus Kienböck = Os lunatum 16–35 kehrplastik empfohlen. Wenn bereits eine Gelenk-
Lunatummalazie maus vorhanden ist, kann diese angefrischt und re-
plantiert werden. Die letzte Möglichkeit ist die De-
Idiopathische Hüft- Hüftkopf 30–60
kopfnekrose
fektfüllung durch autologes Material (autologe
Chondrozytentransplanation).
Morbus Ahlbäck Medialer 40–60
(7 Kap. 2.14.2.7) Femurkondylus Morbus Köhler I und II
Morbus Blount Tibiakopf 30–60
Definition. Der Morbus Köhler I ist definiert als asep-
tische Osteochondrose des Os naviculare, die gewöhn-
lich zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr auftritt. Die
aseptische Osteochondrose der Mittelfußköpfchen, Os
metatarsale II, selten III oder IV, wird als Morbus Köh-
4 Wirbelsäule (Morbus Scheuermann) ler II bezeichnet. Hierbei sind im Gegensatz zum M.
4 Femurkondyle (Osteochondrosis dissecans des Köhler I insbesondere Mädchen während der Pubertät
Kniegelenkes) betroffen.
4 Tuberositas tibiae (Morbus Osgood-Schlatter,
7 Kap. 2.14.2.6) Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine Vaskularisa-
4 Os naviculare pedis (Morbus Köhler I) tionsstörung unbekannter Ätiologie. Der Verlauf kann
4 Mittelfußköpfchen (Morbus Köhler II) auch in 4 Stadien wie beim Morbus Perthes unterglie-
dert werden. Selten entwickelt sich eine Verformung des
Osteochondrosis dissecans Os naviculare mit sekundärer Arthrose der Nachbarge-
Definition. Aseptische Osteochondrose, die mit Absto- lenke.
ßung eines freien Gelenkkörpers enden kann.
Symptomatik. Der Morbus Köhler I zeigt typische
Ätiopathogenese. Die Genese ist unklar. Möglicher- Schmerzen am Fußinnenrand, bei akuten Fällen kann
weise kommt es in Folge einer Vaskularisationsstörung es auch zu Schwellung kommen. Häufig Schonhinken.
zu einer sklerosierenden Osteolyse im Knorpel-Kno- Beim M. Köhler II besteht meist nur eine geringe klini-
chen-Bereich. Im weiteren Verlauf kann es zur Ablö- sche Symptomatik. Meist wird er im Zusammenhang
sung des Dissekats (Gelenkmaus) aus der Gelenkfläche mit dem Spreizfuß beobachtet.
kommen mit zurückbleibendem Defekt in der Gelenk-
fläche (Mausbett). Die Osteochondrose dissecans kann Diagnostik. Radiologisch fallen eine Gelenksspaltver-
an fast allen Gelenken vorkommen, z. B. auch am Ellen- breiterung und eine Verdichtung des Os naviculare
bogengelenk (Morbus Panner), findet sich aber bevor- bzw. der Mittelfußköpfchen auf. Oft ist der Knochen
zugt am Kniegelenk in der Wachstumsphase. deutlich schmaler als normal und abgeflacht. Manch-
mal kommt es zu Fragmentationen der betroffenen
Symptomatik. Uncharakteristische Gelenkschmerzen Knochen. Oft kann durch die Szintigraphie bei un-
und Ergussbildung meist bei Belastung und Bewegung. klarem Röntgenbefund die Diagnose des Morbus
Diese Schmerz- und Ergusssymptomatik sind Folge ei- Köhler I gestellt werden, bevor es zu Veränderungen
ner reaktiven Synovialitis und ein frühes Zeichen der am Knochen kommt.
Erkrankung. Nach der Ablösung des Dissekats finden
sich Gelenkblockierungen und Einklemmungserschei- Therapie. Konservative Therapie mit Entlastung, phy-
nungen (federnde Gelenksperre) mit plötzlichen sikalische Therapie oder Einlagenversorgung zur Ab-
Schmerzen. stützung des Fußgewölbes.

Diagnostik. Radiologisch ist die Osteochondrose erst 2.4.7.2 Morbus Sudeck


nach der Freisetzung des Dissekats zu erkennen (de- Definition. Beim Sudeck liegt sowohl eine Algodystro-
markierter Knochendefekt mit Sklerosezone). Eine phie (schmerzhafte Organstörung), als auch eine sym-
Frühdiagnose kann mit Hilfe des MRT erfolgen. pathische Reflexdystrophie vor.
232 Kapitel 2 · Orthopädie

Ätiopathogenese. Multifaktorielle Ursachen. Am be- 5 Gelenkkontrakturen


deutsamsten sind Störungen der vegetativen Innervati- 5 Keine Haare
on am betroffenen Skelettabschnitt. Endokrine Fehl-
2 steuerungen und psychosomatische Einflüsse bzw. eine Diagnostik. Der röntgenologische Befund lässt sich in
sympathische Fehlregulation führen zu einer Reflex- 3 Stadien einteilen:
dystrophie. Häufig sind gelenknahe Frakturen, Infek- 4 Stadium I: unauffälliges Bild
tionen, Nervenschädigungen, Operationen oder Trau- 4 Stadium II: fleckige Knochenatrophie
men dem Prozess vorausgehend. Ein Zusammenhang 4 Stadium III: diffuse Knochenatrophie mit bleistift-
zwischen Schwere der Verletzung und dem Ausprä- artiger Umrandung
gungsgrad der Dystrophie lässt sich nicht finden. 3–5
Tage nach der Verletzung beginnt die Erkrankung be- Therapie. Das Stadium I wird mit Ruhigstellung, Anal-
vorzugt an Hand und Fuß. getika, Antiphlogistika und durchblutungsfördernden
Medikamenten therapiert. Sind die oberen Extremitä-
> Betroffen sind nur Erwachsene, vorwiegend Frauen ten betroffen, kann eine Stellatumblockade durchge-
zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. führt werden. Stadium II wird mit physikalischen und
krankengymnastischen Maßnahmen (Ergotherapie)
Symptomatik. Die Erkrankung hat einen chronischen behandelt. Im Stadium III ist lediglich noch eine passive
Verlauf und ist sehr langwierig. Sie lässt sich in drei Sta- Mobilisation möglich. Gegebenenfalls kann eine plasti-
dien einteilen und ist von einer Trias aus symptomati- sche Korrektur versteifter Gelenke erfolgen. Deshalb
schen, motorischen und sensiblen Störungen be- sollte jeder operative Eingriff möglichst atraumatisch
stimmt. erfolgen.
4 Stadium I (Stadium der Entzündung; die ersten
Wochen): 2.4.7.3 Friedreich-Ataxie
5 Rötlich livide verfärbte Glanzhaut Definition. Atrophische Systemerkrankung des Rü-
5 Teigige Schwellung der Gelenke ckenmarks.
5 Überwärmung des Gelenkbereichs
5 Hyperhidrose Ätiopathogenese. Die Erkrankung wird autosomal-re-
5 Schmerzhaft eingeschränkte Gelenkfunktion zessiv vererbt. Meist sind die Hinter- und Kleinhirnsei-
5 Kein Gelenkerguss tenstrangbahnen betroffen. Meist sind Kinder- oder
4 Stadium II (Stadium der Dystrophie; einige Wo- Jugendliche betroffen.
chen, bis Monate andauernd):
5 Rückbildung der Schwellung Symptomatik. Die Patienten zeigen eine langsam pro-
5 Atrophie des Muskels und der Gewebe grediente Gang- und Standataxie. Lähmungsbedingte
5 Entkalkung des Knochens Veränderungen am Bewegungsapparat finden sich wie
5 Fibröse Verklebung der Gelenke mit zuneh- folgt:
mender Versteifung 4 Friedreich-Fuß, der anfangs als Hohlfuß mit Mya-
5 Trophische Hautstörungen trophien und Krallenzehen imponiert und im
5 Zyanotisch, straffe Glanzhaut Spätstadium zum Klumpfuß wird
5 Wenig Haare 4 Thoraxdeformitäten
4 Stadium III (Stadium der Atrophie; einigen Mona- 4 Kyphoskoliosen
ten bis 1 Jahr andauernd):
5 Ausgeprägte Atrophie sämtlicher Gewebe, Diagnostik. Die oben genannte Befundkonstellation
Weichteile und Knochen des betroffenen Ab- wird oft mit anderen neurologischen Störungen ver-
schnitts oder Normalisierung der trophischen wechselt. Deshalb bietet nur eine molekulargenetische
Veränderungen Untersuchung letzte Sicherheit.
5 Starke Gelenksteife
5 Wenig Schmerz Therapie. Kausale Therapieansätze sind nicht bekannt.
2.5 · Erkrankungen des Knochens
233 2

In Kürze
Zirkulationsbedingte Gelenkerkrankungen

Osteochondrosis 4 Symptomatik: Schmerzen, Erguss, evtl. Einklemmungszeichen


dissecans 4 Diagnostik: Klinik, Röntgenbild, evtl. MRT
4 Therapie: Schonung (kein Sport!), Gipstutor oder Orthese für 6–12 Wochen, Versuch
der Refixation oder Entfernung des Dissekats

M. Köhler I und II 4 Symptomatik:


4 M. Köhler I: Schmerzen, manchmal Schwellung am Fußinnenrand
4 M. Köhler II: Schmerzen, Schwellung am Vorfuß
4 Diagnostik: Klinik, Röntgenbild, evtl. Szintigraphie
4 Therapie: Einlagenversorgung

Morbus Sudeck 4 Symptomatik: Trias aus symptomatischen, motorischen und sensiblen Störungen
4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: Ruhigstellung, Analgetika, Antiphlogistika; ist die obere Extremität betroffen:
Stellatumblockade, am wichtigsten ist die Prophylaxe

Friedreich-Ataxie 4 Symptomatik: langsam progrediente Stand- und Gangataxie, Veränderungen am


Bewegungsapparat infolge der Lähmungen
4 Diagnostik: Klinik unsicher, Molekulardiagnostik
4 Therapie: keine kausale Therapie bekannt

2.5 Erkrankungen des Knochens entwickelnde Kiel- und Hühnerbrust, Skoliosen, Va-
rusfehlstellung der Beine, säbelförmige Extremitä-
2.5.1 Metabolische Knochenerkrankungen tenverbiegungen, Knick-Senkfüße, Kartenherzbecken
(abgeflachtes Becken) und ein vorgewölbtes Abdomen
2.5.1.1 Vitaminmangel (Muskelhypotonie).
Rachitis (D-Avitaminose, Englische Krankheit)
Definition. Es handelt sich um eine Mineralisationsstö- Diagnostik. Laborchemisch finden sich folgende Ver-
rung des Knochengewebes im wachsenden Skelett. änderungen: alkalische Serumphosphatase stark erhöht
bei gleichzeitiger Hyphophosphatämie; Serumkalzium
Ätiopathogenese. Infolge eines Vitamin-D-Mangels erhöht oder normal. Radiologisch scheinen in der
kommt es zu einer Störung der enchondralen Ossifika- Frühphase die Epiphysenfugen und der Markraum ver-
tion: durch den Mangel an Vitamin D ist die Kalzium- breitert, insbesondere am distalen Radiusende.
resorption aus dem Darm deutlich gemindert. Dadurch
verringert sich die Kalkintegration in die Knochen- Therapie. Substituierung von Vitamin D (500–1000
grundsubstanz. Der Knochen bleibt weich und bieg- I.E./Tag). Operativ muss praktisch nie eingegriffen
sam, sodass sich Deformierungen entwickeln. Durch werden.
die heutige Vitamin-D-Prophylaxe im Säuglingsalter ist
diese Erkrankung selten geworden. 2.5.1.2 Bei endokrinen Störungen
Skelettveränderungen bei
Symptomatik. Die im Wachstum befindlichen und Mukopolysaccharidosen
betroffenen Kinder fallen durch Blässe und Appetit- Ätiopathogenese. Durch angeborene Enzymdefekte
losigkeit auf. Die reduzierte knöcherne Belastbar- kommt es zu einem gestörten Abbau von Kohlenhydra-
keit zeigt sich an einer glockenförmig aufgetriebenen ten. Diese reichern sich als Mukopolysaccharide im
Knorpel-Knochen-Grenze am Thorax (rachitischer Skelett, Leber, Milz, Haut und Gefäßwänden an. Die
Rosenkranz) und eingezogener Zwerchfell-Linie Anreicherung stört sowohl die enchondrale wie auch
(Harrison-Furche). Der Hinterhauptknochen ist die periostale Ossifikation. Es gibt viele verschiedene
verformbar (Kraniotabes). Die Zahnentwicklung ist Unterformen; insgesamt 12. (z. B. Hurler-Pfaundler-
gestört. Besonders auffällig sind weiterhin die sich Krankheit, Hunter-Krankheit).
234 Kapitel 2 · Orthopädie

Symptomatik. Allen Formen gemeinsam sind unter- 5 Mangelhafte Vitamin-D-Zufuhr


schiedlich stark auftretende Skelettveränderungen - da- 5 Mangelhafte Vitamin-D-Bildung in der Haut
neben treten zahlreiche nichtorthopädische Symptome durch fehlende UV-Strahlungs Exposition
2 auf (Hornhauttrübung, Herzfehler, Hepatomegalie, gei- 4 Vitamin-D-Stoffwechselstörungen
stige Retardierung u. a.). 5 Mangelhafte 25-Hydroxylierung von Vitamin
D3 in der Leber (z. B. bei Leberzirrhose)
Diagnostik. Die Diagnose wird durch den Nachweis 5 Mangelhafte 1,25-Hydroxylierung von 25-
von Mukopolysacchariden im Urin gestellt sowie durch (OH)-Vitamin-D3 in der Niere (z. B. bei Nie-
die Bestimmung der Enzymaktivität in Leukozyten reninsuffizienz)
oder Fibroblasten. 4 Pseudo-Vitamin-D-Mangel
5 1,25-(OH)2-Vitamin-D3-Resistenz
Therapie. Therapeutisch werden von orthopädischer 5 Angeborener 1α-Hydroxylasemangel (Typ I)
Seite insbesondere die Wirbelsäule und Beinachsen- 4 Renal tubuläre Funktionsstörungen
fehlbildungen behandelt. 5 Familiärer Phosphatdiabetes (bei normalem
Parathormonspiegel, Vitamin-D-Stoffwechsel)
2.5.1.3 Bei Nierenerkrankungen/ 5 Renale tubuläre Azidose
Hyperparathyreoidismus
Der Kalzium- und Phosphatstoffwechsel wird durch Symptomatik. Beim Kind manifestieren sich Wachs-
die renale Ausscheidung reguliert. Die verminderte tumsverzögerung und Skelettverformungen (z. B. Sä-
Vitamin-D-Synthese führt über die Hypokalzämie zu belscheidentibia, Kartenherzbecken). Beim Erwachse-
einem sekundären Hyperparathyreoidismus. Das nen kommt es zu zunehmender Knochenerweichung
führt zu ausgeprägten Mineralisationsstörungen. Be- und so genannten Pseudofrakturen und Looser-Um-
stehen diese schon im Kindesalter, entwickelt sich ein bauzonen. Unspezifische Beschwerden wie Muskel-
renaler Zwergwuchs mit Verbiegungen der Extremitä- schwäche, diffuse Gelenk- und Knochenschmerzen
tenabschnitte. Im Erwachsenenalter entsteht eine Os- können auftreten. An der Wirbelsäule kann es zur Ent-
teomalazie. wicklung von Fisch- und Keilwirbeln, sowie einer ver-
mehrten Brustkyphosierung kommen.
Osteomalazie (Rachitis des Alters)
Definition. Es liegt eine gestörte Mineralisation von Diagnostik. Radiologisch findet man eine vermehrte
Spongiosa und Kompakta des Knochens zugrunde, Strahlentransparenz (Kalksalzminderung), Looser-
die durch einen Mangel an metabolischer Vitamin-D- Umbauzonen (bandförmige Aufhellungen quer zur
Aktivität beim Erwachsenen (bei Kindern: Rachitis) Knochenachse) und Knochendeformitäten insbeson-
entsteht. dere an der Wirbelsäule. Die Knochenhistologie bestä-
tigt die Diagnose.
Ätiopathogenese. Durch mangelnde Versorgung (feh-
lendes Sonnenlicht, Mangelernährung, Resorptions- Therapie. Die Osteomalazie wird mit hochdosierter Vi-
störungen) mit Vitamin-D3 wird die enterale Kal- tamin-D3-Gabe behandelt. Hierunter kommt es zur
ziumresorption gestört; dadurch ist weniger Kalzium raschen Besserung der klinischen Situation. Nach eini-
für die Knochenmineralisation vorhanden. Ein ver- gen Wochen kann auf eine tägliche Erhaltungsdosis von
minderter Mineralanteil, bei normaler Knochen- 1000 IE umgestellt werden. Korrigierende Osteotomien
grundsubstanz, und ungenügende Einlagerung von können bei starker Verformung von Wirbelsäule und
Kalziumapatit in das Osteoid führen zu einer verrin- Extremitäten notwendig werden.
gerten Knochendichte und machen den Knochen
weich und biegsam. > Cave
Ursachen der Osteomalazie sind: Wegen der Gefahr der therapeutisch induzierten
4 Vitamin-D-Mangel Hyperkalzämie ist die regelmäßige Überwachung
5 Malabsorptionssyndrom (Morbus Crohn, Fett- des Kalziumspiegels während der Therapie unum-
verdauungsstörungen, Cholestase u. a.) gänglich.
2.5 · Erkrankungen des Knochens
235 2

In Kürze
Metabolische Knochenerkrankungen

Rachitis 4 Symptomatik: kindliche Form der Osteomalazie, Kraniotabes, Rosenkranz, Glocken-


thorax, Kiel-, Trichterbrust; Folge: enchondrale Ossifikationsstörungen, vermindertes
Längenwachstum
4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: Vitamin D wird substituiert, operativ nur sehr selten

Mukopolysacchari- 4 Symptomatik: Skelettverformungen, Hepatomegalie, Taubheit, Hornhauttrübung


dosen 4 Diagnostik: Labor (Glykosaminoglykane im Urin; Bestimmung der Enzymaktivität
im Blut)
4 Therapie: Wirbelsäulen und Beinachsenfehlbildungen werden behandelt

Osteomalazie 4 Symptomatik: Knochenschmerzen


4 Diagnostik: Röntgenbild: normale Knochengrundsubstanz, Looser- Umbauzonen
4 Therapie: hochdosierte Vitamin-D3-Gabe

2.5.2 Knochenerkrankungen mit Bei beiden Osteoporoseformen sind organischer


verminderter Knochendichte Anteil und Mineralanteil des Knochens gleicherma-
ßen betroffen, was zu einer quantitativen Verminde-
Zu den Erkrankungen mit verminderter Knochen- rung des Knochengewebes bei erhaltener Knochen-
dichte, die auch als Osteopenien bezeichnet werden, struktur führt. Insbesondere werden die Trabekel-
zählen die Rachitis, Osteomalazie (7 Kap. 2.5.1) und strukturen der Spongiosa abgebaut, wodurch die
die Osteoporose. Alle sind durch den Verlust an Kno- Tragfestigkeit des Knochens abnimmt und es zu Spon-
chensubstanz gekennzeichnet, die Knochendichte tanfrakturen kommen kann.
nimmt ab. Die häufigere primäre Osteoporose ist eine Aus-
schlussdiagnose, bei der keine die Osteoporose för-
Osteoporose dernde Grunderkrankung vorliegt. Mögliche Ursa-
Definition. Dieser Erkrankung liegt eine pathologische chen sind:
Verminderung der Knochenmasse (mineralischer und 4 Gesteigerte Altersatrophie (senile Osteoporose)
organischer Anteil) zugrunde. Dabei sind Mikroarchi- 4 Idiopathische Osteoporose
tektur und Funktion des Knochens gestört. Die Osteo- 4 Hereditäre Erkrankungen
porose kann sich durch eine Fraktur erstmals bemerk- 5 Osteogenesis imperfecta
bar machen. 5 Ehlers-Danlos-Syndrom
5 Marfan-Syndrom
Ätiopathogenese. Der physiologische Knochenaufbau
findet bis zum ca. 30. Lebensjahr statt, ab dem 40. Lebens- Die sekundäre Osteoporose beginnt meist nach dem
jahr gehen jährlich ca. 1% der Knochenmasse verloren. 4. Lebensjahrzehnt und ist ein Folgezustand anderer
Der postmenopausale Östrogenmangel wirkt hemmend Erkrankungen, z. B.:
auf die Kalzitoninproduktion, was den verminderten 4 Hyperkortisolismus (endogen oder iatrogen)
Einbau von Kalzium in den Knochen zur Folge hat (»low 4 Hypogonadismus (z. B. auch physiologischer post-
turnover«, Altersosteoporose). Durch den erhöhten Se- menopausaler Östrogenmangel)
rumkalziumspiegel wird die Vitamin-D-Hormon-Pro- 4 Neoplasien (z. B. Plasmozytom)
duktion und Parathormon-Freisetzung supprimiert, es 4 Malabsorptionssyndrom (Kalziummangel nach
kommt zur verminderten intestinalen Aufnahme und zu Dünndarmresektion)
einer gesteigerten renalen Ausscheidung von Kalzium. 4 Immobilisation, körperliche Inaktivität
Daraus resultiert ein gesteigerter Knochenmetabolismus 4 Heparintherapie
mit negativer Knochenmassenbilanz (»high turnover«, 4 Rheumatoide Arthritis
postmenopausal). Der Abbau wird durch die oben aufge-
führten Faktoren beschleunigt.
236 Kapitel 2 · Orthopädie

> Die primäre Osteoporose manifestiert sich 10-mal Therapie. Körperliche Aktivität und kalziumreiche
häufiger beim weiblichen Geschlecht insbesondere Ernährung stehen im Vordergrund. Zusätzlich wird
im höheren Alter (so genannte postmenopausale medikamentös behandelt:
2 Osteoporose). Der Ausfall weiblicher Sexualhormone 4 Kalziumsubstitution (1000 mg/Tag)
stellt den wesentlichen ätiologischen Faktor dar. 4 Vitamin-D-Substitution (1000 IE/Tag)
4 Kalzitonin (i.m.)
Symptomatik. Alle Symptome der Frakturkrankheit 4 Bisphosphonate
stehen im Vordergrund. Daraus resultiert das häufigste 4 Fluoride
Symptom, chronische Rückenschmerzen, aber auch 4 Bei akuten Schmerzen analgetische Therapie mit
Druckschmerzen an den Dornfortsätzen. Diese sind NSAR
v. a. auf Einbrüche der Wirbelkörperdeckplatten zu-
rückzuführen. Es kommt zur Reduktion der Körper- ! Cave
größe, Gibbusbildung und Zunahme der Kyphose im Vitamin D darf nicht überdosiert werden, da es
mittleren Thorakalbereich. In der LWS bildet sich da- schwierig aus dem Kreislauf zu entfernen ist und eine
raufhin eine kompensatorische Lordose. Überdosierung zur Kalzifizierung von Organen und
Gefäßen führen kann.
Diagnostik. Radiologisch ist erst eine Knochenminde-
rung ab >30% erkennbar: Prävention. Die beste Prophylaxe ist die körperliche
4 Prominente Grund- und Deckplatten und Trabekel Aktivität. Bei der postmenopausalen Osteoporose wer-
der Wirbelkörper (v. a. in der Seitaufnahme) den Östrogene eingesetzt, die zur Vermeidung eines
4 Deckplatteneinbrüche Endometriumkarzinomrisikos mit Gestagenen kombi-
4 Thorakale Keilwirbelbildung niert werden sollten.
4 Lumbale Fischwirbelbildung
! Cave
Die diagnostische Sicherung erfolgt durch die Kno- Die Östrogensubstitution ist höchst umstritten, da
chendichtemessung (qCT: quantitative Computerto- sich die kardiale Mortalität in Studien signifikant er-
mographie), evtl. durch Knochenbiopsie. Differenzial- höhte. Zudem zeigte sich eine Zunahme des Mam-
diagnostisch sind maligne Veränderungen, eine Osteo- makarzinomrisikos.
malazie und ein primärer Hyperparathyreoidismus
(pHPT) auszuschließen (. Tab. 2.3).

. Tab. 2.3. Differenzialdiagnose verschiedener Knochenerkrankungen anhand typischer Laborveränderungen im Serum

Erkrankung Kalzium Phosphat alkalische Phosphatase Sonstiges

Osteoporose n N n–n –

Osteomalazie n–p n–p n Vitamin D p

pHPT n p n PTH intakt n

Morbus Paget n n nn Urin-Hydroxyprolin n

Malignome (Plasmozytom, Morbus n N n BSG n, Serum-


Waldenström, Metastasen) Elektrophorese,
Tumorsuche

n = normal, n= erhöht
2.5 · Erkrankungen des Knochens
237 2

In Kürze
Osteoporose

Osteoporose 4 Symptomatik: chronische Rückenschmerzen, Zunahme der Brustkyphose, Frakturen


(Radius, Schenkelhals, Wirbel), Reduktion der Körpergröße, Gibbusbildung
4 Diagnostik: Klinik, radiologisch: u. a. Wirbelkörperdeformierungen (BWS o Keilwirbel,
LWS o Fisch/Flachwirbel), Labor
4 Therapie: Kalziumsubstitution, Vitamin-D-Substitution, Kalzitonin bei hohem Kno-
chenumsatz, Bisphosphonate, Natriumfluorid als Dauertherapie, NSAR

2.5.3 Knochenerkrankungen mit erhöhter > Der Morbus Paget prädisponiert zum osteogenen
Knochendichte Sarkom und hat die Tendenz zu entarten, jedoch in
weniger als 2% der Fälle.
2.5.3.1 Morbus Paget
Synonym. Osteodystrophia deformans Paget. Diagnostik. Wichtige Laborbefunde sind:
4 Alkalische Phosphatase (Knochenisoenzym) ist ex-
Definition. Der Morbus Paget gehört zu den Osteopa- zessiv erhöht (immer osteoblastische Prostatakar-
tien mit erhöhter Knochendichte. zinommetastasen als DD ausschließen)
4 Kalzium und Phosphat im Serum normal
Ätiopathogenese. Die Ätiologie des M. Paget, der oft- 4 Vermehrte Ausscheidung von Hydroxyprolin und
mals Männer ab 40 Jahren betrifft, ist unbekannt, Kalzium im Urin
möglicherweise handelt es sich um eine Viruserkran-
kung. Es kommt zu lokalisiert gesteigertem Knochen- Typische radiologische Befunde sind:
umbau unter Bildung von mechanisch minderwerti- 4 Im Frühstadium lokalisierte Osteolysen
gem Knochen. 4 Osteolytisch-osteosklerotisches Mischbild
4 Szintigraphisch starke regionale Anreicherung
Morbus Paget
Pathogenetisch beginnt die Erkrankung mit einer lokal Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Es
begrenzten Steigerung des osteoklastären Knochenab- wird symptomatisch behandelt: Die medikamentöse
baus, auf den eine reaktive unkontrollierte überschie- Behandlung erfolgt analgetisch mit NSAR, Kalzitonin
ßende Osteoblastenaktivität mit Steigerung des Kno- zur Herabsetzung der Osteoklastenaktivität. Die chi-
chenanbaus folgt. Der so entstehende mechanisch rurgische Therapie von Frakturen oder ggf. neurochi-
minderwertige Faserknochen ist ohne ausreichende rurgische Therapie neurologischer Komplikationen,
Mineralisation, mechanisch weniger stabil, die laminäre aber auch Umstellungsosteotomien und Gelenkersatz-
Struktur geht verloren. Typische Folgen sind Verformun- operationen sind den schweren Fällen vorbehalten.
gen und Frakturen. Am häufigsten sind Lendenwirbel-
säule (>70%), gefolgt von Schädel (>60%), Becken (Kar- 2.5.3.2 Osteopetrose (Mamorknochenkrankheit,
tenherzbecken; >40%), seltener Femur (>30%) und Tibia Morbus Albers-Schönberg)
(30%) betroffen. Selten sind Klavikula und Sternum be- Synonym. Marmorknochenkrankheit.
troffen.
Ätiopathogenese. Bei dieser autosomal-rezessiv (ma-
Symptomatik. Schmerzen, besonders des Rückens ligner Typ im Säuglingsalter) oder -dominant vererbten
(LWS), und Knochenverbiegungen der betroffenen Erkrankung kommt es zu einer generalisierten Sklero-
Abschnitte stehen im Vordergrund. Der Morbus Paget sierung des Knochens. Die Osteoklastentätigkeit ist
kann sich durch eine Vergrößerung des Kopfumfangs vermindert und somit überwiegt die Osteoblastenakti-
(Hut wird zu klein), Verbiegung am Unterschenkel vität.
(»Säbelscheidentibia«), Varusfehlstellung des Femurs
zeigen. Komplikationen sind Frakturen, knöcherne Symptomatik. Die Beschwerden sind unterschiedlich
Einengung des Spinalkanals mit Wurzelkompres- stark ausgeprägt, leichte Verlaufsformen verursachen
sionssyndrom des Rückenmarkes bei LWS-Befall so- keine Symptome, schwerere gehen mit Knochenschmer-
wie Nierensteine. zen, Spontanfrakturen oder auch gehäuften Osteomyeli-
238 Kapitel 2 · Orthopädie

tiden einher. Eine Folge der Knochenmarksverdrängung Therapie/Prognose. Bei der kindlichen Manifestation
ist die ausgeprägte Anämie. Tritt die Osteopetrose erst ist die Prognose schlecht. Mit guten Langzeitergebnis-
später auf, können alle Krankheitszeichen fehlen. sen kann therapeutisch Knochenmark transplantiert
2 werden.
Diagnostik. Röntgen: meistens deutlich vermehrte Skle-
rosierung, Markraum schlecht oder nicht abgrenzbar.

In Kürze
Knochenerkrankungen mit erhöhter Knochendichte

M. Paget 4 Symptomatik: Befall: Lumbosakrale WS, Becken, Schädel (zu kleiner Hut), Femur (varum),
Säbelscheidentibia
4 Diagnostik: Osteoklastenaktivität nn, alkalische Phosphatase nn; Röntgen: Osteolysen,
mosaikartiges/strängiges Mischbild
4 Therapie: symptomatisch, Kalzitoningabe, NSAR, Substitution von Kalzium und Vitamin D

Osteopetrose 4 Symptomatik: keine Beschwerden bis zu Knochenschmerzen, Spontanfrakturen,


Osteomyelitiden
4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: Knochenmarktransplantation bei Kindern

2.5.4 Osteonekrosen Symptomatik. Die Patienten fallen hauptsächlich


durch ihre kurzen Extremitäten bei normaler
7 Kap. 2.4.7.1. Rumpflänge und einen groß wirkenden Schädel mit
einfallender Nasenwurzel auf. Die Hände und Füße
wirken plump und weisen eine eingeschränkte Ge-
2.5.5 Angeborene lenksbeweglichkeit auf. Ein watschelndes Gangbild
Skelettsystemerkrankungen und Varusdeformitäten sind kennzeichnend für die
Beine. Die Verstärkung der LWS-Lordose und BWS-
Bei den angeborenen Skelettsystemerkrankungen liegt Kyphose geht einher mit einer Neigung zu lumbalen
eine fehlerhafte Anlage der Knorpelknochenzellen zu- Nervenwurzelkompressionen. Hierbei spielt auch
grunde. eine anlagebedingte Wirbelkanalstenose eine erhebli-
che Rolle, die frühzeitig zu Lähmungserscheinungen
2.5.5.1 Achondroplasie führen kann.
Synonym. Chondrodysplasie, Chondrodystrophia feta-
lis. Diagnostik. Die Röhrenknochen zeigen im Röntgen-
bild eine Verbreiterung, die Phalangen sind verkürzt.
Ätiopathogenese. Die Chondrodystrophie wird auto- Die Epiphyse ist deformiert. An der Hüfte fallen die
somal-dominant vererbt. Es handelt sich um eine Er- frontal ausgerichteten Darmbeine bei horizontal ge-
krankung, bei der das enchondrale epiphysäre Längen- stelltem Pfannendach auf.
wachstum der langen Röhrenknochen gestört ist. Dar-
aus resultiert ein disproportionierter Zwergwuchs mit Therapie. Diese ist symptomatisch und orientiert
einer durchschnittlichen Größe von 1,20 m. Die Knor- sich an den Behinderungen. Es wird eine Korrektur
pelproliferation ist gehemmt, was zu einer Störung der der Extremitätenachsen sowie der Extremitätenlän-
enchondralen Ossifikation führt. Die perichondrale gen vorgenommen. Die operative Beinverlängerung
Ossifikation verläuft allerdings normal. Insbesondere bringt Längengewinne bis zu 20 cm. Bei Lähmungen
in den Bereichen, in denen es normalerweise zum star- sind stabilisierende Eingriffe an der Wirbelsäule er-
ken Wachstum kommt, also hauptsächlich an den knie- forderlich.
gelenksnahen Metaphysen von Femur und Tibia und
am proximalem Humerus, finden sich kurze plumpe 2.5.5.2 Osteogenesis imperfecta
Knochen. Synonym. Glasknochenkrankheit.
2.5 · Erkrankungen des Knochens
239 2

Ätiopathogenese. Verschiedene angeborene Störungen die stärker gefährdeten Röhrenknochen der unteren
der Kollagenbiosynthese und der periostalen Knochen- Extremität.
bildung führen zu einer Osteoblastenschwäche mit man-
gelnder Osteoidbildung. Durch die Unterfunktion der 2.5.5.3 Enchondrale Dysostosen
Osteoblasten finden sich eine dünne Kompakta, eine ge- Definition. Dysostosen sind disharmonische Entwick-
ring ausgebildete Spongiosa und eine fehlende Knochen- lungsstörungen einzelner Knochen. Es handelt sich um
matrix. Dadurch kann es sehr leicht zu Verbiegungen und organische, und nicht um systemhafte Defekte.
Frakturen der Knochen kommen. Die Krankheit tritt mit
einer Häufigkeit von 4–7/100.000 Neugeborenen auf. Ätiopathogenese. Die enchondralen Dysostosen wer-
den autosomal-dominant vererbt. Sie führen zu Störun-
Symptomatik. Es können 4 verschiedene Typen unter- gen der enchondralen Ossifikation. Insbesondere sind
schieden werden (. Tab. 2.4). Die typischen Abwei- die Röhrenknochen, die Knorpelentwicklung und die
chungen sind Coxa vara, Femur varum, Crus valgum periostale Knochenbildung betroffen. Hieraus leiten
(hirtenstabförmige Deformierung) und eine skolioti- sich die Gelenkfehlstellungen und das verkürzte Län-
sche Fehlhaltung. genwachstum ab. Ist die Störung epiphysär gelegen, so
entwickelt sich ein disproportioniertes Wachstum, das
> Charakteristisch für die Osteogenesis imperfecta ist die v. a. das Achsenskelett betrifft (z. B. Wirbelsäulenzwerg
Trias aus erhöhter Knochenbrüchigkeit, blauen Skleren bei Mukopolysaccharose Typ IV).
und otosklerotischer Innenohrschwerhörigkeit.
Symptomatik. Die Dysostosen werden in 3 Lokalisati-
Die Patienten haben darüber hinaus eine Bindegewebs- onsgruppen eingeteilt:
laxizität die eine Überstreckbarkeit der Gelenke zulässt, 4 Kraniale und Gesichtsbeteiligung (Apert-Syn-
sowie eine erhöhte Blutungsneigung. drom)
4 Axiale Beteiligung (Klippel-Feil-Syndrom = Kom-
Diagnostik. Der radiologische Befund zeigt eine glasar- bination von Halb-, Block- und Keilwirbeln)
tige Knochenstruktur und eine ausgeprägte Osteoporo- 4 Extremitäten (Gliedmaßenfehlbildungen)
se mit dünner Kortikalis. Es fällt auf, dass der Spongio-
saanteil reduziert ist, der Markraum wirkt weit. Die Diagnostik. Bei den Kindern fallen die verspätet auftre-
langen Röhrenknochen haben die oben beschriebenen tenden Epiphysenkerne und eine abgeflachte, verbrei-
Verbiegungen; frische und alte Frakturen sind meist terte Epiphyse auf.
nachweisbar. Die Wirbelkörper neigen zur Fischwirbel-
bildungen. Therapie. Symptomatisch.

Therapie. Um den Verformungen entgegenzuwirken, 2.5.5.4 Multiple kartilaginäre Exostosen


werden Korrekturosteotomien angewendet. Die Stabi- Synonym. Osteochondrom.
lisierung der langen Röhrenknochen mit Teleskopnä-
geln schützt darüber hinaus vor Frakturen. Orthopädi- Ätiopathogenese. Die Erkrankung ist autosomal-do-
sche Gehapparate, die schienen und entlasten, schützen minant vererbt. Es handelt sich um eine Überschuss-

. Tab. 2.4. Typen der Osteogenesis imperfecta (nach Sillence)

Typen Kennzeichen

Typ I (früher auch: Spätform, da sich erst mit der Vertikalisierung starke Verbiegungen des Skeletts und
Tardaform, Typ Lobstein) Frakturen finden; charakteristisch sind blaue Skleren und eine Schwerhörigkeit im
Erwachsenenalter, autosomale Vererbung.

Typ II (kongenitale Form, Frühform mit bereits intrauterin auftretenden multiplen Frakturen; Lebenserwartung
Typ Vrolik) nur selten länger als ein Jahr, neue dominante Mutationen

Typ III Fortschreitende Deformierungen der langen Röhrenknochen, des Schädels und der
Wirbelsäule, genetisch nicht einheitlich

Typ IV Wie Typ I, aber keine blauen Skleren


240 Kapitel 2 · Orthopädie

bildung der Spongiosa im metaphysären Bereich. Die Definition. Autosomal-dominant vererbte Störung der
Exostosen sitzen in Gelenknähe und können als pilz- Kollagenbildung.
förmige Knochenauswüchse mit Knorpelkappe be-
2 schrieben werden. Symptomatik/Diagnostik. Wichtige klinische Zeichen
sind:
Symptomatik. Insbesondere bei Jugendlichen im Wachs- 4 Arachnodaktylie
tumsalter sind das Kniegelenk und Gelenke der oberen 4 Osteoporose
Extremitäten befallen. Mit dem Schluss der Epiphysen- 4 Primordialer Hochwuchs, auffallend lange grazile
fugen endet auch das Wachstum der Exostosen. Die Be- Knochen
schwerden entstehen durch den Druck auf benachbarte 4 Abnorme Überstreckbarkeit der Gelenke
Strukturen wie Muskeln, Gefäße oder Nerven. 4 Kyphoskoliose
4 Trichterbrust
Diagnostik. Das multiple Auftreten von Exostosen im 4 Linsenschlottern (abnorme Beweglichkeit der
Bereich der Metaphyse macht die Diagnose bereits kli- Linse)
nisch sichtbar. Der Röntgenbefund ist beweisend. 4 Mitralklappenprolaps, Aortenaneurysma

Therapie. Bei funktioneller Beeinträchtigung ist die > Der Mitralklappenprolaps ist prognostisch günstig,
operative Resektion indiziert. bedarf jedoch wegen der Gefahr einer bakteriellen
Endokarditis der Prophylaxe.
! Cave
Die kartilaginäre Exostose kann in einen Chondrosar- Therapie: Da keine Therapie bekannt ist, die zur
kom übergehen. Bei Größenzunahmen muss unbe- Heilung führt, erfolgt eine symptomatische Behand-
dingt eine Röntgenkontrolle erfolgen. lung.

2.5.5.5 Marfan-Syndrom Prognose. Die Lebenserwartung ist vermindert. Todes-


Synonym. Arachnodaktylie. ursache ist häufig eine Aortendissektion.

In Kürze
Generalisierte Knochenerkrankungen

Chondrodys- 4 Symptomatik: Störung des enchondralen Längenwachstums, reduzierte Proliferation in den


trophie Epiphysenfugen, dysproportionierter Minderwuchs (Extremitätenzwerg), verkürzte, plumpe
Extremitäten, Varusbiegung, verstärkte Lendenlordose, knöcherne Spinalkanalstenose, Sat-
telnase, vorspringendes Stirnbein, perichondrale Ossifikation verläuft normal
4 Diagnostik: Klinik und Röntgen
4 Therapie: symptomatisch, Korrektur der Extremitätenachsen und Extremitätenlängen, stabi-
lisierende Eingriffe der Wirbelsäule

Osteogenesis 4 Symptomatik: Verbiegungen und Frakturen der Knochen, blaue Skleren, überstreckbare Ge-
imperfecta lenke, Innenohrschwerhörigkeit
4 Osteogenesis imperfecta congenita: rezessiv, multiple Frakturen bei Geburt, nicht lebens-
fähig
4 Osteogenesis imperfecta tarda/gravis: Manifestation im 1. Lebensjahr, Glasknochen, Minder-
wuchs, Kyphoskoliose
4 Osteogenesis imperfecta tarda/levis: Manifestation im Kindesalter, wenig Frakturen, Besse-
rung ab Pubertät
4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: Korrekturosteotomien, Stabilisierung der langen Röhrenknochen mit Teleskopnä-
geln, orthopädische Gehapparate
6
2.5 · Erkrankungen des Knochens
241 2

Enchondrale 4 Symptomatik: Gelenkfehlstellungen, verkürztes Längenwachstum, disproportioniertes


Dysostosen Wachstum
4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: symptomatisch

Multiple 4 Symptomatik: Exostosen in Gelenknähe


kartilaginäre 4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
Exostosen 4 Therapie: bei funktioneller Beeinträchtigung erfolgt operative Abtragung; cave: Übergang in
Chondrosarkom möglich.

Marfan- 4 Symptomatik: graziler Hochwuchs, abnorme Beweglichkeit, Linsenschlottern


Syndrom 4 Diagnostik: fachübergreifende Diagnostik, da Herz, Augen, Skelettsystem betroffen sind
4 Therapie: symptomatisch, keine Heilung möglich

2.5.6 Regionale und monostotische Therapie. Wichtig sind die Ausräumung der Herde und
Knochenerkrankungen eine Spongiosplastik zur Prophylaxe von Spontanfrak-
turen. Auch nach der Pubertät ist die regelmäßige Ver-
2.5.6.1 Fibröse Dysplasie laufsbeobachtung indiziert.
Synonym. Morbus Jaffé-Lichtenstein.
2.5.6.2 Neurofibromatose
Definition. Störung der Osteoblastendifferenzierung Synonym. Morbus Recklinghausen.
mit Störung im Aufbau von neuer Knochenmasse.
Ätiopathogenese. Die Neurofibromatose ist eine der
Ätiopathogenese. Bei der Erkrankung liegt eine unor- häufigsten autosomal-dominant erblichen Erkrankun-
ganisierte Entwicklung von Knorpel und fibrösen Ele- gen. Neurofibrome können alle Organe befallen.
menten der Röhrenknochen vor. Es entsteht ein min- Zwei Formen werden unterschieden:
derwertiger Knochen, der im Markraum wenig blutbil- 4 Typ NFI, bei dem eher ein peripherer Befall vor-
dendes Knochen-Fettmark aufweist. Man unterscheidet liegt; Gendefekt Chromosom 17
die monostotische Form (85%) von der polystotischen 4 Typ NFII, der durch den Befall des ZNS gekenn-
Form (15%). Letztere geht einher mit endokrinen Stö- zeichnet ist; Gendefekt Chromosom 22
rungen (z. B. Pigmentflecken, Pubertas praecox, Hyper-
thyreose, Akromegalie, M. Cushing, Diabetes mellitus). Symptomatik. NFI: Neurofibrome, Café-au-lait-Fle-
Meistens erkranken Kinder, nach der Pubertät kommt cken, Skoliose, Optikusgliome, Lern-, Leistungs- und
die Erkrankung oft spontan zum Stillstand. Verhaltensstörungen; NFII: Akustikusneurinome, Café-
au-lait-Flecken, Tumoren des Hirns und der Wirbelsäu-
Symptomatik. Die Kinder klagen über Schmerzen in le, Linsentrübung des Auges. Orthopädisch relevant ist
den Extremitäten. Die Deformierungen setzen ca. mit die Skoliose. Durch den Zusammenbruch der neurofib-
dem 5. Lebensjahr ein. Gehäuft Spontanfrakturen. romatorisch veränderten Wirbel können sich neurolo-
gische Symptome und eine Skoliose entwickeln.
> Tumoren (Chondrome, Knochenfibrome, pHPT) müs-
sen als Differenzialdiagnose ausgeschlossen werden. Diagnostik. Die Diagnose wird über die Neurofibrome
der Haut, sowie die gleichzeitig multiple auftretenden
Diagnostik. Deformierung (Coxa vara, Hirtenstab- Cafè-au-lait-Flecken (mehr als 6) gestellt. Heute erfolgt
deformität) und Spontanfrakturen sind richtungs- mittels MRT der Nachweis der Neurinome. Zusätzlich
weisend zur Diagnosefindung. Besonders häufig ma- gibt es je nach Typ mehrere Kriterien, von denen 2 er-
nifestiert sich die Krankheit am oberem Femurschaft, füllt sein müssen (7 Kap. Neurologie, 7 Kap. Pädiatrie).
der Tibia, dem Schädel und an den Rippen. Aufhel-
lung und Verdichtung sind dicht beieinander sicht- Therapie. Die Wirbelsäulenproblematik kann progre-
bar. Der Knochen wirkt aufgelockert mit zentralen dient verlaufen und bedarf dann einer operativen Sta-
Osteolysen. bilisierung (Spondylodese).
242 Kapitel 2 · Orthopädie

In Kürze
Regionale und monostotische Knochenerkrankungen

2 Fibröse Dysplasie 4 Symptomatik: Manifestation im Kindesalter, Spontanfrakturen, monostotische Form:


85%; polyostotische Form: 15%, häufig mit endokrinen Störungen (Pigmentflecken,
Pubertas praecox), oberes Femurdrittel, Tibia, aufgetriebene Zysten, Schaftverbiegung
(Hirtenstab-Femur)
4 Diagnostik: Röntgen: Spontanfrakturen, Skelettdeformitäten
4 Therapie: Ausräumung der Herde und Spongiosplastik

Neurofibromatose 4 Symptomatik: Typ I: peripher Befall, Typ II: Befall des ZNS; Café-au-lait-Flecken und
Neurinome
4 Diagnostik: klinisches Bild mit multiplen Café-au-lait-Flecken, MRT
4 Therapie: Wirbelsäulenproblematik, evtl. Spondylodese

2.5.7 Knochentumoren trastmittelgabe) zu beurteilen: Expansive Weichteilaus-


dehnung, Kortikalisunterbrechung, Spongiosastruktur,
2.5.7.1 Klassifikation Kontrastmittelkinetik. Das MRT (evtl. mit Kontrast-
Ätiopathogenese. Sie machen ca. 1% aller Tumoren aus mittel und/oder Fettunterdrückung) lässt Schlüsse zu
und manifestieren sich überwiegend in der präpubertä- über: Intramedulläre Tumorausdehnung, Weichteilaus-
ren Wachstumsphase während der Gewebsdifferenzie- dehnung und Weichteilreaktion im Sinne von perifoka-
rung. Man unterscheidet benigne von malignen Tumo- len Reaktionen, Beziehungen zu Gefäßen und Nerven.
ren. Daneben werden primäre Tumoren (. Tab. 2.5, Mit Ultraschall lassen sich Abgrenzungen zum Weich-
. Tab. 2.6), die aus ortständigem Gewebe entstehen, von teilgewebe bzw. zu den Gefäßen darstellen. Mithilfe der
den sekundären (Metastasen) differenziert. Bei jedem Szintigraphie gelingt die Beurteilung der osteoblasti-
Tumor ist die Ausbreitung mit dem Staging sowie die schen Aktivität.
Dignität mit dem Grading diagnostisch abzuklären. Radiologisch wichtig sind die Grenzzonen des Tu-
morgewebes. Ein von einer deutlichen Sklerosierungs-
Symptomatik. Diese ist nicht sehr spezifisch und des- zone umgebener Tumor ist eher benigne und wächst
halb meist wenig zielführend. In der Symptombetrach- auch eher langsam. Knochenveränderungen, die mit
tung sind Alter, Lokalisation und Verlauf der Krank- ausgedehnten Osteolysen, manchmal mit eingelagerten
heitszeichen wichtige differenzialdiagnostische An- Knocheninseln (Mottenfraß) imponieren, sind ebenso
haltspunkte. wie ein unscharf begrenztes Tumorgewebe, ein abgeho-
benes Periost (sei es in Zwiebelschalenform oder als
! Cave Periostsporn (Codman-Sporn)) Zeichen für ein
Bei unklaren Beschwerden oder anhaltenden Schmer- schnelles und malignes Tumorwachstum. Letztendlich
zen oder Schwellungen z. B. nach Bagatelltraumen bestimmt erst eine Biopsie die eindeutige Diagnose.
sollte immer ein Tumorleiden ausgeschlossen wer-
den. Nur so ist es vermeidbar, dass maligne Tumoren
lange Zeit unerkannt bleiben. . Tab. 2.5. Typische Lokalisation von primären Kno-
chentumoren
Diagnostik. Mittels eines Standardröntgenbildes in 2
Lokalisation Art des Knochentumors
Ebenen lassen sich erste Informationen über die Digni-
tät eines Tumors gewinnen. Weiter wird nach folgenden Epiphyse Chondroblastom, Osteoklastom,
Kriterien beurteilt: Lokalisation (epiphysär, epimeta- (aneurysmatische Knochenzyste)
physär, metaphysär, diaphysär, zentral, exzentrisch),
Metaphyse Osteosarkome, Chondrosarkom,
Osteolyse, Osteosklerose, Kombination aus Osteolyse
solitäre Knochenzyste
und Osteosklerose, scharfe Begrenzung, gelegentlich
unscharfe Begrenzung, Verkalkung (amorph, dystro- Diaphyse Fibrosarkom, Ewing-Sarkom,
phisch). Analog sind mittels CT (Weichteil- und Kno- Retikulosarkom, Enchondrom
chenfenster, evtl. kombiniert mit intravenöser Kon-
2.5 · Erkrankungen des Knochens
243 2

. Tab. 2.6. Klassifikation der primären Knochen- und Weichteiltumoren (Auswahl)

Ursprungsgewebe Benigne Tumoren Maligne Tumoren

Knochen 4 Osteom 4 Verschiedene Osteosarkome (bei M. Paget nach


4 Osteoidosteom Bestrahlung)
4 Osteoblastom

Knorpel 4 Chondroblastom 4 Verschiedene Chondrosarkom (mesenchymal,


4 Osteochondrom periostal, entdifferenziert etc.)
4 Enchondrom
4 Chondromyxoidfibrom

Knochenmark 4 Medulläres Plasmozytom


4 Ewing-Sarkom
4 Knochenlymphom

Gefäße 4 Knochenhämangiom 4 Hämangiosarkom


4 Lymphangiom 4 Ossäres Lymphangiosarkom
4 Adamantinom

Bindegewebe 4 Knochenfibrom, Fibromyxom 4 Ossäres Fibrosarkom


4 Fibröse Knochendysplasie 4 Osteoklastom Grad II
4 Osteoklastom Grad I 4 Malignes fibröses Histiozytom
4 Benignes fibröses Histiozytom

Fettgewebe 4 Ossäres Lipom 4 Liposarkom, Osteoliposarkom

Nervengewebe 4 Neurinom
4 Neurofibrom

Muskelgewebe 4 Leiomyom 4 Leiomyosarkom

2.5.7.2 Benigne primäre Knochentumoren (Nidus). Das Osteoidosteom ist meistens in der Korti-
Osteom kalis von Femur und Tibia lokalisiert (. Abb. 2.2). Das
Definition. Seltener Tumor; langsam wachsend mit lo- Osteoblastom tritt vorwiegend im spongiösen Bereich
kalisierter Neubildung von Knochensubstanz. der Wirbelbögen auf.

Ätiopathogenese. Das Osteom kann in jedem Le- Ätiopathogenese. Beide Tumoren werden gehäuft im
bensalter auftreten. Meistens wird es nur zufällig ent- Jugendalter gefunden. Das Osteoidosteom wird bis ca.
deckt, da es keine Symptome hervorruft. Hauptsäch- 2 cm groß, das Osteoblastom kann beachtliche 10 cm
lich befallen ist der Schädel; seltener Wirbel, Becken, Größe erreichen.
Hand und Fuß.
Symptomatik. Insbesondere beim Osteoidosteom wer-
Diagnostik. Radiologisch sind umschriebene, skleroti- den starke, meist nachts auftretende Schmerzen be-
sche Verknöcherungsherde beschreibbar, die sich scharf schrieben, die sich typischerweise unter Azetylsalizyl-
zur Umgebung abgrenzen. säure zurückbilden.

Therapie. In der Regel ist eine Therapie nicht nötig; Diagnostik. Der radiologische Befund zeigt beim Oste-
bei sehr großen Tumoren können Osteotomien nötig oidosteom eine kleine, rundliche Sklerose mit zentra-
werden. lem Nidus. Als Nidus wird eine Aufhellungszone in ei-
ner umgebenden Sklerosezone bezeichnet. Meist liegt
Osteoidosteom und Osteoblastom dieser intrakortikal, intramedullär oder subperiostal.
Definition. Gutartiger osteoblastischer Tumor mit einer Das Osteoblastom hat keine Perifokalsklerose. Szinti-
radiologisch sichtbaren zentralen Aufhellungszone graphisch reichern beide Tumoren vermehrt an. Diffe-
244 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.2. Ostoidosteom. (Aus


Buchta/Höper/Sönnichsen 2004)

renzialdiagnostisch müssen eine Osteomyelitis und ein ligne entartet. Dann aber wird eine radikale Resek-
Brodie-Abszess ausgeschlossen werden. tion nötig.

Therapie. Schmerztherapie mit ASS. Die operative Ent- Enchondrom


fernung des Nidus beim Osteoidosteom führt zu Be- Definition. Meist im mittleren bis höheren Lebensalter
schwerdefreiheit. Das Osteoblastom wird kürettiert (2. bis 4. Lebensjahrzehnt) im Markraum der langen
und mit Spongiosa aufgefüllt. Röhrenknochen wachsender Tumor aus hyalinem
Knorpelgewebe.
2.5.7.3 Benigne primäre Knorpeltumoren
Osteochondrom Ätiopathogenese. Das Enchondrom entwickelt sich oft
Synonym. Osteokartilaginäre Exostose. in den Röhrenknochen der Hände (Fingerphalangen)
oder Füßen. Eine maligne Entartung zum Chondrosar-
Definition. Osteochondrome sind nahe der Metaphy- kom ist möglich – v. a. im Zusammenhang mit Syndro-
sen wachsende, pilzförmige Knochentumoren mit einer men (Enchondromatosen, wie Maffucci- oder Ollier-
aufliegenden Knorpelkappe. Sie stellen die häufigsten Syndrom).
benignen Knochentumoren dar.
Symptomatik. Keine Schmerzen; klinisch sichtbare
Ätiopathogenese. Tumoren wachsen gestielt vom me- Auftreibung der Finger oder Spontanfrakturen.
taphysären Knochen aus.
Diagnostik. Meist handelt es sich um einen Zufalls-
Symptomatik. Symptome sind selten und treten nur befund. Selten manifestiert sich ein Enchodrom
auf, wenn der Tumor andere Strukturen wie Nerven durch pathologische Frakturen oder Schmerzen.
oder Gefäße komprimiert oder die Gelenkbewegung Dann ist der Ausschluss eines Malignoms obligat.
behindert ist. Das Röntgenbild dokumentiert osteolytische, zentral
gelegene scharf begrenzte Zysten ohne Randsklerose,
Diagnostik. Die Erstdiagnose erfolgt meist im Kindes- die die Kortikalis auftreiben. Manchmal sind diese
alter; radiologisch zeigt sich ein gestielter Ursprung am mehrfach blasig gekammert, zentrale Kalkspritzer
gelenknahen Knochen. Prädilektionsstellen sind die sind möglich.
distale Femurmetaphyse und die proximale Metaphyse
von Tibia und Humerus. Therapie. Indiziert ist eine sorgfältige Kürettage und
Auffüllung des Enchondroms mit autologer Spongiosa
Therapie. Die Resektion ist nur bei Beschwerden (Spongiosaplastik).
indiziert, da das Osteochondrom äußerst selten ma-
2.5 · Erkrankungen des Knochens
245 2
Chondroblastom bar; ihr rasches Wachstum und die frühe Metastasie-
Synonym. Codman-Tumor. rung in die Lunge sind kennzeichnend. Im Labor fällt
ein Anstieg der alkalischen Phosphatase auf.
Definition. Das Chondroblastom ist ein seltener Knor- Im Röntgenbild stellen sich der Tumor und die
peltumor, der sich aus undifferenzierten Chondroblas- deutlichen reaktiven Veränderungen dar als:
ten in den wachsenden Epiphysenfugen langer Röhren- 4 Periostabhebung
knochen (besonders Tibia, Femur und Humerus) ent- 4 Bildung des Periostsporn (Codman-Sporn)
wickelt, und sehr groß werden kann. Rezidive sind 4 Codman-Dreieck
möglich, selten auch eine maligne Entartung (malignes 4 Spiculae und Zwiebelschalenbildung
Chondroblastom). 4 Senkrecht zum Knochenschaft verlaufende Lamel-
len
Epidemiologie. Meistens treten sie bei Kindern und 4 Evtl. Osteolysen oder osteosklerotische Herde
jungen Erwachsenen auf. 4 Durchbrechung der Kortikalis und Infiltration ins
umgebende Gewebe
! Der Riesenzelltumor und das Chondroblastom sind
die einzigen in der Epiphyse zu findenden Tumoren. Therapie. Je nach Stadium wird präoperativ mittels
einer neoadjuvanten Chemotherapie (Reduktion der
Symptomatik. Anhaltende Schmerzen stehen im Vor- Tumormassen, Therapie von bereits vorhandenen
dergrund. Durch seine epiphysäre Gelenknähe kann Metastasen) vorbehandelt. Anschließend wird der Tu-
der Tumor in die Gelenkfläche einbrechen. mor durch radikale Resektion chirurgisch entfernt.
Die kombinierte Chemo- und operative Therapie
Diagnostik. Das Röntgenbild zeigt eine epiphysen- führt zu einem Anstieg der 5-Jahres-Überlebensrate
nahe »Knochenzyste«. Die zentrale Osteolysezone von 50–80%.
wird von einer Randsklerose umgeben. Das Chondro-
blastom neigt zu Verkalkungen, histologisch finden Chondrosarkom
sich Riesenzellen. Definition. Einen malignen, aus Knorpelgewebe beste-
henden Knochentumor, der sich aus ortständigem
Therapie. Sorgfältige Kürettage des Tumors und Spon- Knorpelgewebe entwickelt und langsam wächst, be-
giosa-Auffüllung. zeichnet man als Chondrosarkom. Entsteht dieser aus
einer anfänglich gutartigen Geschwulst, spricht man
2.5.7.4 Maligne primäre Knochen- vom sekundären Chondrosarkom.
und Knorpeltumoren
Osteosarkom Epidemiologie. Zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr-
Definition. Häufigster primärer maligner, osteoblasti- zehnt haben diese Tumoren ihren Erkrankungsgipfel.
scher Knochentumor mit frühzeitiger Metastasierung
(v. a. Lunge) und aggressivem Wachstum. Histologisch Symptomatik. Aufgrund des langsamen Wachstums
besteht der Tumor aus polymorphen osteoblastischen bleibt der Tumor lange Zeit asymptomatisch. Es gibt
Zellen. keine auffälligen Knochendestruktionen, selten Spon-
tanfrakturen und meist ist nur eine leichte Schwellung
Epidemiologie. Betroffen sind überwiegend männliche diagnostizierbar.
Jugendliche.
Diagnostik. Die Hauptlokalisationen sind das Stamm-
Symptomatik. Die anfänglichen Beschwerden sind un- skelett und die stammnahen Knochen (Becken, proxi-
spezifisch: es werden meist lokale Schmerzen, Druck- maler Femur, Schulter, proximaler Humerus). Radiolo-
empfindlichkeit und Schwellungen v. a. im Kniebereich gische Zeichen eines malignen Tumorwachstums sind:
angegeben. Bevorzugte Lokalisation sind die Metaphy- 4 Mottenfraßähnliche Osteolysedefekte
sen der langen Röhrenknochen und der Beckenbereich. 4 Zentrale Tumornekrosen mit unregelmäßigen Ver-
Häufig haben die Betroffenen einen längeren »Arzttou- kalkungen (Kalkspritzer)
rismus« hinter sich, bevor die Diagnose gesichert wird. 4 Durchbruch der Kortikalis
4 Ausdehnung in angrenzendes Weichteilgewebe
Diagnostik. Destruktionen im Metaphysenbereich. Os-
teosarkome sind aufgrund der vermehrten Knochen- Therapie. Die Behandlung erfolgt durch eine radikale
stoffwechsel-Steigerung in der Szintigraphie darstell- chirurgische Entfernung des Tumors. Durch sein lang-
246 Kapitel 2 · Orthopädie

sames Wachstum ist er gegenüber einer Chemo- und werden frakturgefährdete Stellen präventiv mit Orthe-
Strahlentherapie resistent. sen versorgt oder osteosynthetisch stabilisiert.

2.5.7.5 Maligne Knochenmarkstumoren


2 Medulläres Plasmozytom
Prognose. Die Patienten haben nach Diagnosestellung
eine mittlere Überlebenszeit von 2–3 Jahren. Praktisch
Synonym. Plasmazellmyelom. ist keine Heilung möglich.

Definition. Dieser Tumor zählt zu den niedrig malignen Ewing-Sarkom


Non-Hodgkin-Lymphomen. Es handelt sich um eine Definition. Hochmaligner Knochentumor, der von un-
maligne Entartung der Plasmazellen des Knochen- differenzierten Mesenchymzellen des Knochenmarks
marks, die sich typischerweise im blutbildenden roten ausgeht.
Knochenmark v. a. von Wirbelkörper, Rippen, Schädel,
Becken, Oberarm- und Oberschenkelknochen anrei- Epidemiologie. Bevorzugt manifestiert sich das Ewing-
chern. Dies führt zu Knochendestruktion und einer Sarkom in der 2. Lebensdekade zwischen dem 5. und 15.
Verdrängung der normalen Blutzellbildung (Anämie, Lebensjahr, etwas häufiger ist das männliche Geschlecht
Thrombozytopenie). (56%) betroffen.

Epidemiologie. Insbesondere Erwachsene nach dem 5. Ätiopathogenese. Die Ätiologie des Ewing-Sarkoms ist
Lebensjahrzehnt sind betroffen. nicht vollständig geklärt. Bei 95% der Patienten findet
sich eine Mutation des Chromosoms 22, überwiegend
Symptomatik. Im Vordergrund stehen ein Krankheits- eine 11/22-Translokation.
gefühl mit Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust und
leicht erhöhter Temperatur sowie evtl. erhöhter Infekt- Ewing-Sarkom: Wachstum und Metastasierung
anfälligkeit durch sekundären Antikörpermangel. Kno- Ewing-Tumoren manifestieren sich vorwiegend im Bereich
chenschmerzen treten bei den meisten Patienten auf der Diaphysen langer Röhrenknochen (Femur, Humerus)
und sind meist das erste klinische Zeichen. Langfristig sowie an platten Knochen (Becken). Der Aufbau aus undif-
können sich Frakturen der Wirbelkörper mit neurolo- ferenzierten Mesenchymzellen des Knochenmarks mit
gischen Symptomen entwickeln. chromatindichten Kernen ist kennzeichnend. Es kommt zu
einer völligen Zerstörung der Knochenstrukturen. Der Tu-
> Für die Diagnosesicherung sind die klinische und ra- mor metastasiert frühzeitig hämatogen. Bei Diagnosestel-
diologische Untersuchung sowie die Immunelektro- lung weisen bereits ca. 20% der Patienten Lungenmetasta-
phorese von Serum und Urin wichtig. Daneben spielt sen auf. Erst in zweiter Linie erfolgt die Skelettmetastasie-
die Knochenmarkspunktion eine Rolle (7 Kap. Innere rung. Das Ewing-Sarkom durchbricht die Kortikalis und
Medizin, Onkologie) wächst infiltrativ in die umgebenden Weichteile ein.

Diagnostik. Charakteristisch für diesen Tumor ist der Symptomatik. Entzündungszeichen beherrschen die
Nachweis von monoklonalen Antikörpern (Immunglo- Symptome. Lokale Schmerzen, Fieber, Schwellung sowie
buline). Diese werden im Blutplasma und/oder Urin ein BSG- und Leukozytenanstieg lassen an eine Osteo-
nachweisbar. Es sind funktionslose Antikörper, die alle myelitis denken. Diese muss differenzialdiagnostisch in
die gleiche Struktur besitzen und keinerlei Abwehr- schweren Fällen mittels Biopsie ausgeschlossen werden.
funktion haben.
Die langen Röhrenknochen zeigen scharf begrenzte Diagnostik. Radiologisch findet man mottenfraßähn-
Osteolysen ohne Randsklerose. Der Schädel stellt den- liche Knochendestruktion, die teils osteolytisch, teils
selben Befund mit den typischen Stanzdefekten da osteosklerotisch zustande kommt. Die Kortikalis
(Schrotschussschädel, Lochschussschädel). Die Wir- wird vom Tumorgewebe durchbrochen. Es zeigen
belkörper sind destruiert. Als Differenzialdiagnose muss sich Periostsporne, Spiculae und zwiebelschalenarti-
eine Osteoporose abgegrenzt werden. Eine Hyperkalzä- ge Auswüchse.
mie tritt regelmäßig auf; im Urin lassen sich pathologi-
sche Eiweiße (Bence-Jones-Protein) nachweisen. Therapie. Je nach Stadium ist eine präoperative Poly-
Chemotherapie indiziert. Anschließend folgt die radi-
Therapie. Je nach Stadium erfolgen Strahlen-, (Poly-) kale chirurgische Tumorresektion. Postoperativ kann
Chemotherapie, α-Interferon, hochdosierte Chemo- eine hochdosiert Strahlentherapie (45–65 Gy) bzw. er-
therapie mit Stammzelltransplantation. Orthopädisch neute Chemotherapie eingesetzt werden.
2.5 · Erkrankungen des Knochens
247 2

! Cave können, sind ebenso wie Kortikaliseinbuchtungen,


Im Gegensatz zum Osteosarkom besitzt das Ewing- Kompaktaverdünnungen radiologisch nachweisbar.
Sarkom eine sehr gute Strahlensensibilität. Das Die zentrale Spongiosa ist nicht betroffen.
Ewing-Sarkom kann auch als rein muskuläre Varian-
te auftreten. Therapie. Kleinere Herde bedürfen keiner Therapie.
Um der Frakturgefahr vorzubeugen, werden große
Prognose. Je nach Lokalisation liegt die 5-Jahres-Über- Herde kürettiert und mit autologer Spongiosa aufge-
lebensrate (5-Jahre-Rezidivfreiheit) mit dieser Kombi- füllt.
nationstherapie bei 50–70%.
2.5.7.7 Semimaligne Tumoren, Osteoklastom
2.5.7.6 Benigne Bindegewebstumoren (Riesenzelltumor des Knochens)
Ossifizierendes Knochenfibrom Definition. Der Knochentumor wechselnder Dignität
Definition. Aus fibrösem Gewebe bestehender Kno- (primär benignes, semimalignes, malignes Osteoklas-
chentumor, der zur Ausdifferenzierung von Knochen- tom) ist mit zahlreichen Riesenzellen durchsetzt.
bälkchen führt. Hohe Rezidivneigung und Tendenz zur malignen
Entartung.
Epidemiologie. Dieser Tumor kommt fast ausschließ-
lich bei Kindern und Jugendlichen vor. Bei Kindern Epidemiologie. Der Tumor entwickelt sich erst ab dem
unter 10 Jahren tritt der Tumor vorwiegend an der Tibia 3. Lebensjahrzehnt und zeichnet sich durch langsames
auf (= osteofibröse Dysplasie [Campanacci]), Tibiame- Wachstum aus.
taphysen.
> Das Osteoklastom (Riesenzelltumor) und das Chond-
Symptomatik. Der Verlauf ist meist asymptomatisch, roblastom sind die einzigen in der Epiphyse vorkom-
deshalb werden die meisten Tumoren eher zufällig ent- menden Tumoren.
deckt. Größere Tumoren manifestieren sich meist durch
Spontanfrakturen. Dann besteht die Gefahr einer Symptomatik. Es kann zu Spontanfrakturen mit
schwer therapierbaren Pseudarthrose. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen des be-
nachbarten Gelenkes kommen.
Diagnostik. Radiologisch imponieren Osteolysen mit
Durchzug von trabekulären Verdichtungen. Diagnostik. Radiologischer Nachweis einer zentralen,
in der Epiphyse gelegenen Osteolyse ohne auffallende
Therapie. Indiziert ist die radikale Therapie mit Tumor- Randsklerose. Die Kortikalis ist aufgetrieben. Beson-
resektion unter Miteinbeziehung des Periosts. Bei Pseu- ders häufig werden solche Tumoren in den kniege-
darthrosen werden Osteosynthese und Spongiosaplas- lenksnahen Epiphysen angetroffen. Blutaustritt färbt
tik nötig. das Gewebe durch Hämosiderinablagerungen oft braun
(brauner Tumor).
Nichtossifizierendes Knochenfibrom
Definition. Aus fibrösem Gewebe bestehender Kno- Therapie. Durch das langsame Wachstum reagieren die
chentumor, der Ausdruck einer lokalen Wachstumsstö- Tumoren kaum auf Chemo- oder Strahlentherapie. Es
rung ist. Der Verlauf ist gutartig. besteht eine sehr hohe Rezidivneigung. Die vollständi-
ge chirurgische, aber gelenkerhaltende Entfernung
Epidemiologie. Dieser Tumor kommt fast ausschließ- wird angestrebt.
lich bei Jugendlichen vor. Häufigste Manifestationsorte
sind die distalen Femur- und Tibiametaphysen. 2.5.7.8 Tumorähnliche Knochenläsionen
(»tumor like lesions«)
Symptomatik. Der Verlauf ist meist asymptomatisch, Klinisch und radiologisch sind bei tumorähnlichen
deshalb werden die meisten Tumoren eher zufällig ent- Knochenläsionen alle Zeichen eines Knochentumors
deckt. Größere Tumoren können zu Belastungsschmer- vorhanden, es finden jedoch kein destruktives oder in-
zen oder bei ungünstiger Lage zu Spontanfrakturen filtratives Wachstum oder Metastasierung statt.
führen.
Solitäre juvenile Knochenzyste
Diagnostik. Osteolysen mit schmaler Randsklerose, die Definition. Expansiv wachsende Zyste (einkammerig),
solitär oder als Traubenkonfiguration vorkommen die mit seröser Flüssigkeit gefüllt ist.
248 Kapitel 2 · Orthopädie

Epidemiologie. Die solitäre Knochenzyste tritt meist Diagnostik. Im Bereich der Wirbelsäule sind sie durch
zwischen dem 8. und 15. Lebensjahr auf. ihre gitterartige Struktur der Spongiosa gekennzeich-
net. Hauptlokalisation sind neben der Wirbelsäule
2 Symptomatik. Meist asymptomatische Entwicklung Schädel und Röhrenknochen.
der Zyste. Bricht die Zyste ein, kann es zu Beschwerden
oder Spontanfrakturen kommen. Therapie. Eine Therapie ist nur nach Zusammenbruch
eines Wirbelkörpers erforderlich.
Diagnostik. Radiologisch findet sich eine zylinderför-
mige Auftreibung der Metaphyse mit scharf begrenzter 2.5.7.10 Knochenmetastasen
Osteolyse und verdünnter Kortikalis. Eine Randsklero- Definition. Absiedlung von Tochtergeschwülsten eines
se kann geringfügig vorhanden sein. Insbesondere sind Primärtumors im Knochen, fast immer auf hämatoge-
der proximale Humerus und das proximale Femurende nen Weg (. Abb. 2.3).
betroffen.
Ätiopathogenese. Sie sind wesentlich häufiger als die
Therapie. Der hohen Frakturgefahr geschuldet muss primären Knochentumoren. Dabei sind häufige Loka-
die Zyste kürettiert und mit Spongiosa aufgefüllt wer- lisationen der primären Tumoren:
den. Es besteht eine hohe Rezidivrate bei insgesamt 4 Bronchien
guter Prognose. 4 Nieren
4 Prostata
Aneurysmatische Knochenzyste 4 Schilddrüse
Definition. Knochentumor, der zur blasigen aneurys- 4 Mammae
maartigen Auftreibung des Knochens führt. 4 Magen
4 Uterus
Epidemiologie. Meist sind Jugendliche im 2. Lebens- 4 Haut
jahrzehnt betroffen.
Die Hauptmetastasierung findet in die Wirbelsäule statt
Symptomatik. Schmerzsymptomatik, selten Spontan- (>60%).
frakturen.
> Man unterscheidet zwischen osteoblastischen, osteo-
Diagnostik. Radiologisch findet man eine blasige Auf- klastischen Metastasen und Mischformen aus beiden.
treibung der betroffenen Knochenstrukturen. Haupt- Bei den osteoblastischen Tumoren überwiegt, im Ge-
sächlich befallen ist neben der Wirbelsäule der meta- gensatz zu den osteoklastischen, die Neubildung von
physäre Bereich der langen Röhrenknochen, insbeson- Knochen. Osteoblastische Metastasen entstehen aus
dere des distalen Femurs. Tumoren der Prostata, Mamma und Blase. Die osteo-
klastischen kommen eher aus den Nieren, Bronchien
Therapie. Unbehandelt kann es zur vollständigen Des- und der Schilddrüse.
truktion des Knochens kommen. Deshalb wird eine
Kürettage und Spongiosaplastik als Methode der 1. Symptomatik. Diese ist uncharakteristisch und hängt
Wahl betrieben, die aber im Bereich der Wirbelsäule von Allgemeinerscheinungen der Tumorkrankheit und
schwierig ist; hohe Rezidivrate. der Metastasenlokalisation ab.

2.5.7.9 Knochentumoren in der Hämatologie Diagnostik. Verschiedene Tumormarker können bei


Knochenhämangiom einigen Tumoren weiterhelfen; darüber hinaus finden
Definition. Benigne Neubildung von Blutgefäßen im sich folgende Laborveränderungen:
Knochen. 4 Alkalische Phosphatase erhöht
4 Serumkalzium normal bis leicht erhöht
Epidemiologie. Knochenhämangiome können in je-
dem Lebensalter auftreten. Radiologisch zeigen sich bei osteoblastischen Metasta-
sen verwaschene Verdichtungszonen; selten findet man
Symptomatik. Anfänglich asymptomatisch. Nach Zu- Spontanfrakturen. Bei osteoklastischen Metastasen
sammenbrechen von Wirbelkörpern stellen sich Be- sieht man unscharf begrenzte Aufhellungen ohne jegli-
schwerden ein, die bis zu einer Querschnittssymptoma- che Randsklerose. Die Kortikalis ist teilweise durchbro-
tik reichen können. chen; es kommt dann häufig zu Spontanfrakturen und
2.5 · Erkrankungen des Knochens
249 2

. Abb. 2.3. Mindmap Knochentumoren


250 Kapitel 2 · Orthopädie

zusammengesinterten Wirbelkörpern. Die Mischfor- Therapie. Die Therapie ist abhängig vom Primärtu-
men haben dagegen ein sehr vielgestaltiges Befund- mor. Oftmals kann durch Bestrahlung eine Rückbil-
muster. Die Szintigraphie ist aufgrund ihrer hohen Sen- dung erreicht werden. Präventiv werden drohende
2 sitivität zur Lokalisation von Skelettmetastasen beson- Spontanfrakturen mit osteosynthetischen Methoden
ders geeignet. versorgt.

In Kürze
Altersverteilung und Lokalisation der häufigsten Knochentumoren

Tumor Alter Lokalisation

Primäre benigne Tumoren

Osteom Jedes Schädel, Hand, Fuß, Wirbelsäule, Becken

Osteoidosteom Jugend Femur- und Tibiakortikalis

Osteoblastom Jugend Spongiosa der Wirbelbögen

Osteochondrom Jugend Im Metaphysenbereich, Kniegelenk, Gelenke der oberen Extremität

Enchondrom Jedes Fingerphalangen, Diaphyse der lange Röhrenknochen, Becken

Chondroblastom Kind/Jugend Epiphyse von Kniegelenk und proximalem Humerus

Knochenfibrom Kind/Jugend Distale Femurmetaphyse, Tibiametaphysen

Knochenhämangiom Jedes Wirbelsäule, Schädel, Röhrenknochen

Knochenzyste Kind/Jugend Proximaler Humerus und Femur

Primäre semimaligne

Osteoklastom >30 Jahre Epi- und Metaphysen der langen Röhrenknochen in


(Riesenzelltumor) Kniegelenksnähe

Primäre maligne Tumoren

Osteosarkom Männliche Kniegelenksnahe Metaphysen, proximale Humerusmetaphyse,


Jugend Beckengürtel

Chondrosarkom Ca. 60 Jahre Becken, Schulterbereich, Metaphysen proximaler Femur und


proximaler Humerus

Ewing-Sarkom Kind/Jugend Diaphyse langer Röhrenknochen von Tibia, Femur, Becken,


Wirbelkörper

Plasmozytom Ca. 60 Jahre Rippen, Wirbelkörper, Becken, Schädel (Schrotschuss)

Sekundäre Knochentumoren

Metastasen Jedes Wirbelkörper, Becken, Femur, Rippen, Humerus, Schädel


2.5 · Erkrankungen des Knochens
251 2
2.5.8 Entzündliche Knochenerkrankungen Diagnostik. Keimnachweis in Punktaten und Blutkul-
turen. Anstieg von BSG, CRP und den Leukozyten. Die
Die Entzündung des Markraums wird als Osteomyeli- ersten radiologischen Veränderungen finden sich erst
tis bezeichnet. Osteitis benennt die Entzündung des nach 3 Wochen. Anfangs sind sie unauffällig; im Wei-
Knochens. Bei der spezifischen Osteomyelitis lassen teren zeigen sich Osteopenie, Entwicklung lytischer
sich aufgrund von spezifischen Reaktionen des Gewe- Herde mit reaktiver Sklerosierung und Gelenkdes-
bes Rückschlüsse auf den Erreger ziehen (Lues, Tbc, truktion. Spät folgen evtl. Luxation, Sequesterbildung
Typhus, Pilzinfektionen). Sind histologisch keine Rück- und Störung der Epiphysenfugen. Möglich ist eine Pe-
schlüsse möglich, so spricht man von einer unspezifi- riostabhebung mit Verkalkung (Periostitis ossificans).
schen Osteomyelitis. Differenzialdiagnostisch sind immer maligne Erkran-
Man kann die Osteomyelitis in eine endogene und kungen (Leukosen, Sarkome), aber auch Arthritiden
eine exogene Form unterteilen. Die endogene (hämato- auszuschließen.
gene Osteomyelitis) entsteht meist durch Streuung von
Staphylococcus aureus aus im Körper befindlichen Ei- Therapie. Indiziert sind die parenterale Gabe von Peni-
terherden in den Knochen. Die exogene Form entsteht cillinen sowie die Ruhigstellung. Bricht der Prozess in
hingegen durch Traumata und Operationen, wobei der ein Gelenk ein, muss dieses gespült werden.
Erreger von außen in den Knochen gelangt.
Akute hämatogene Osteomyelitis im Kindesalter
Verlauf der Osteomyelitis Definition. Es handelt sich um eine eitrige Knochen-
Der Verlauf der Osteomyelitis ist gekennzeichnet durch Un- marksentzündung der Metaphysen langer Röhren-
terschiede der Vaskularisation. Somit spielt u. a. das Alter knochen, die sich aufgrund der entwickelten Epiphy-
der Erkrankten eine große Rolle. So ist es möglich, dass sich senfugenschranke (die Epiphysenfuge wird gefäßlos)
bei Säuglingen und Erwachsenen der Infekt bis ins Gelenk nach dem 2. Lebensjahr meist im meta- und dia-
ausbreiten kann (Pyarthros). Bei Kleinkindern dagegen ist physären Bereich ausbreitet. Die Ausbreitung er-
die Ephiphysenfuge avaskulär, sodass der Infekt auf die Me- folgt subperiostal und in den Markraum; es erfolgt
taphyse beschränkt bleibt. Durch begleitende Knochenin- ein schneller Kortikalisdurchbruch mit Periostabhe-
farkte können sich im Verlauf Sequester mit Randsklerosen bung. Knochennekrose und Kortikalissequester sind
(Totenlade) entwickeln. die Folge. Gelenkbefall ist möglich bei intrakapsulä-
rer Metaphyse (proximales und distales Femur,
2.5.8.1 Akute Osteomyelitis Schulter).
Akute hämatogene Säuglingsosteomyelitis
Definition. Entzündlicher Befall meist der Femurmeta- Ätiopathogenese. Ein Erkrankungshöhepunkt findet
physen; die Entzündung breitet sich subperiostal in den um das 8. Lebensjahr statt. Häufigster Erreger ist Sta-
Markraum aus. Alternativ erfolgt der Einbruch über phylococcus aureus. Auch hier erfolgt eine permanente
eine Gefäßverbindung in die benachbarte Epiphyse und Erregerstreuung von Fokalinfekten bei Otitis, Nasopha-
das angrenzende Gelenk. ryngitis, Paronychie oder Pyodermie.

Ätiopathogenese. Ursache ist eine hämatogene Symptomatik. Ebenso wie bei der Säuglingsosteomye-
Keimabsiedlung meistens in Metaphysen (selten auch litis finden sich starke Allgemeinsymptome und Ent-
in Diaphysen). Durch permanente Erregerstreuung zündungszeichen. Vorwiegend sind Femur und Tibia
hauptsächlich von Streptokokken, Pneumokokken, betroffen.
Meningokokken, Staphylokokken aus Fokalinfekten bei
Nabelgefäßinfektion, Otitis, Nasopharyngitis, Sepsis Diagnostik. Diese erfolgt analog der akuten hämatoge-
kommt es zu der Osteomyelitis. Eine wichtige Kompli- nen Säuglingsosteomyelitis. Oftmals ist der gesamte
kation ist die Zerstörung der Wachstumsfuge. Röhrenknochen befallen. Differenzialdiagnostisch
muss ein Ewing-Sarkom abgegrenzt werden.
Symptomatik. Ganz charakteristisch ist der akute Ver-
lauf nach vorangegangener Allgemeininfektion, mit Therapie. Im Anfangsstadium ist eine gezielte Anti-
plötzlich auftretendem hohem Fieber und schweren biose und Ruhigstellung meist ausreichend. Finden
Allgemeinsymptomen mit stark beeinträchtigtem All- sich subperiostale Abszesse oder Markraumphleg-
gemeinzustand, Anämie, lokaler Schwellung, Rötung, mone, kann eine chirurgische Therapie indiziert
Überwärmung, Druckschmerzhaftigkeit, Schon- und sein.
Entlastungshaltung.
252 Kapitel 2 · Orthopädie

Akute hämatogene Osteomyelitis des


Erwachsenen
Definition. Diese akute eitrige Knochenmarksentzün-
2 dung entwickelt sich nach Allgemeininfektion mit Bak-
teriämie. Befallen sind die Diaphysen, auch Metaphysen
bis in den subchondralen Raum mit sekundärem Ge-
lenkbefall. Daneben können aber auch platte Knochen
oder Wirbelkörper betroffen sein. Bei Kortikalisdurch-
bruch können sich Weichteilabszesse, Fisteln oder sel-
ten Sequester entwickeln.

Ätiopathogenese/Epidemiologie. Wie juvenile Osteo-


myelitis. Männer sind häufiger betroffen.

Symptomatik. In der Regel zeigen sich nur wenige All-


gemeinsymptome. Gelegentlich kommt es zu septi-
schen Zuständen mit reduziertem Allgemeinbefinden.
Auftreten von lokal teigigen Schwellungen kombiniert
mit Schmerz und Bewegungseinschränkung. Bei Ge- . Abb. 2.4. Ausgeprägte Osteomyelitis des distalen Femu-
lenkbefall treten akute Entzündungszeichen auf. rendes mit pathologischer Fraktur (Pfeile). Dia- und Metaphyse
zeigen eine fleckige Sklerose mit osteolytischen Herden (links:
Diagnostik. Röntgen: Anfangs zeigen sich unauffällige, seitliche, rechts: a.-p.-Aufnahme). (Aus Krämer/Grifka 2005)
später lytische Herde mit Sklerosesaum und kaum vor-
handenen Periostreaktionen, selten Sequesterbildung
(. Abb. 2.4). Laborwerte fallen wie bei Säuglingsosteo- > Meist siedeln sich die Erreger in den gut durchblute-
myelitis aus. ten Anteilen der Metaphysen der langen Röhrenkno-
chen ab.
Therapie. Gezielte Antibiose und Ruhigstellung. Die
zeitnahe Herdausräumung und Spül-Saug-Drainage Symptomatik. Sehr wechselhafter Verlauf ist möglich.
verringert die hohe Rezidivrate und das Risiko einer Selbst Jahre nach der Erstinfektion kann ein Herd wie-
chronischen Osteomyelitis. der reaktiviert werden. Es kommen akute bis hin zu
septischen Verläufe vor. Anschließend bilden sich oft
! Cave rezidivierende, chronisch sezernierende Fisteln aus.
Die unterschiedlichen Durchblutungsverhältnisse in
den einzelnen Altersklassen sind entscheidend für Diagnostik. Im Röntgenbild sind typischerweise skle-
die Ausbreitung der Erreger. So ist bei Säugling und rosierende Veränderungen mit zentraler Osteolyse, un-
Erwachsenen eine hämatogene Gelenkinfektion ter Umständen mit Sequesterbildung erkennbar.
möglich.
Therapie. Die schnelle radikale Ausräumung des infi-
Akute exogene Osteomyelitis zierten, nekrotischen Gewebes ist die einzige Möglich-
Ätiopathogenese. Im Rahmen eines Traumas oder keit, größere Spätfolgen zu vermeiden. Aufgrund der
während bzw. nach einer OP gelangen Keime in den schlechten lokalen Durchblutung ist die Antibiotikathe-
Knochen. Anfänglich kommt es zu einer lokalen Ostei- rapie sehr schwierig. Entfernung von Osteosynthesema-
tis. Der weitere Verlauf der Keimbesiedelung ist maß- terial und Stabilisierung mittels Fixateur externe. In 5–
geblich von folgenden Faktoren abhängig: 7% der Fälle ist eine Amputation nicht vermeidbar.
4 Größe des Weichteilschadens
4 Mögliche Durchblutungsstörung des Knochens 2.5.8.2 Chronische Osteomyelitis
4 Eingebrachtes Fremdmaterial zur Osteosynthese Definition. Chronische Infektion des Knochens, die zur
4 Abwehrzustand des Patienten Therapieresistenz und Rezidivgefahr neigt.
4 Störung der Frakturheilung bzw. schlechter Ruhig-
stellung Ätiopathogenese. Es werden 2 Formen unterschieden:
4 Stoffwechselstörungen Bei der primär chronischen Verlaufsform einer endo-
4 Begleitende Immunsuppressionstherapie genen Infektion kann es zur Entwicklung eines Brodie-
2.5 · Erkrankungen des Knochens
253 2

Abszesses oder zu einer plasmazellulären und sklero- Diagnostik. Im Röntgenbild zeigt sich eine scharf be-
sierenden Osteomyelitis kommen. Die sekundäre Ver- grenzte Knochenhöhle mit sklerotischem Saum und
laufsform entsteht exogen nach einer Osteitis, einem eine Verbreiterung der Kortikalis mit unregelmäßiger
Trauma, oder postoperativ. Oberfläche. Der Schaft imponiert als spindelförmig
aufgetrieben.
! Cave
Eine chronische Osteomyelitis kann nach Jahren der Therapie. Bei anhaltenden Beschwerden ist das Ausräu-
Ruhe wieder aufflackern. men des Herdes mit evtl. Spongiosaauffüllung indi-
ziert.
Brodie-Abszess
Definition. Es handelt sich um eine primär chronische Plasmazelluläre und sklerosierende Osteomyelitis
Osteomyelitis mit gutartigem Verlauf durch eine gute Garré
Abwehrlage des Organismus und geringe Virulenz der Definition. Primär chronische Osteomyelitis im Schaft
Erreger. langer Röhrenknochen.

Ätiopathogenese. Meist handelt es sich um eine häma- Ätiopathogenese. Beide Osteomyelitiden gehen einher
togene Erregeraussaat. Die Keime siedeln sich im meta- mit sklerosierenden Knochenentzündungen, die eine
physären Bereich ab. Die gute Abwehrlage verhindert zentrale Osteolyse aufweisen. Keime können nicht
die chronische Fistelung und fördert die Entwicklung nachgewiesen werden.
einer ausgeprägten Sklerosierung um die Abszesshöhle.
Man spricht von einer sklerosierenden Knocheninfek- Symptomatik. Auch hier kommt es zur Verdickung des
tion. Meist befindet sich der Brodie-Abszess am dista- Knochenabschnittes und den anderen oben genannten
len Femur oder an der proximalen Tibiametaphyse. Symptomen.
Diagnostik und Therapie entsprechen der des Bro-
Symptomatik. Kennzeichnend sind die, abgesehen von die-Abszesses.
einer leichten Erwärmung, fehlenden Entzündungszei-
chen. Der Beginn ist langsam mit dumpfen ziehenden > Differenzialdiagnostisch sind Ewing-Sarkom und Os-
Schmerzen bei Belastung und auch nachts. teoid-Osteom abzugrenzen.

In Kürze
Entzündliche Knochenerkrankungen

Akute hämatogene 4 Säuglinge: meta/epiphysär, subperiostale Ausbreitung, bis 2. Lebensjahr kreuzen


Osteomyelitis Gefäße die Epiphysenfuge: Gelenkbefall, akute Schmerzen, Schonhaltung, Entzün-
dungszeichen, subperiostal
4 Juvenil: metaphysär/diaphysär, nicht epiphysär (gefäßlose Barriere), selten Gelenk-
befall, subperiostal
4 Erwachsene: selten, bevorzugt Spondylitis, nach Epiphysenschluss Ausbreitung von
Meta- in die Epiphyse, Gelenkbefall, selten subperiostal; Therapie: gezielte Antibiose
und Ruhigstellung, bei Komplikationen chirurgisches Debridement

akute exogene 4 Symptomatik: Wechselhafter Verlauf mit lokalen Nekrosebildungen, Knochenosteo-


Osteomyelitis lysen, Sepsis
4 Diagnostik: Labor, Röntgen
4 Therapie: radikale Ausräumung des infizierten und nekrotischen Gewebes, lokale
Antibiotikaapplikation

Brodie-Abszess 4 Symptomatik: oft geringe Symptomatik, umschriebene, druckschmerzhafte


Schwellung, meistens im Schaftbereich eines langen Röhrenknochens
4 Diagnostik: Röntgen, MRT
4 Therapie: Herdsanierung, evtl. Spongiosaplastik
6
254 Kapitel 2 · Orthopädie

Plasmazelluläre 4 Symptomatik: Verdickung des betroffenen Knochenabschnitts, sonst wie andere


und sklerosierende Osteomyelitiden
2 Osteomyelitis Garré 4 Diagnostik: Röntgen, MRT
4 Therapie: Ruhigstellung, operative Herdausräumung mit Spüldrainage, Antibiotika

2.5.9 Frakturen und Frakturheilung blatthochstand). Isolierte Muskelanomalien sind hinge-


des Knochens gen selten (Pektoralisaplasie). Die funktionellen Ausfäl-
le sind meist gering und brauchen sehr selten operativ
7 Kap. Unfallchirurgie (Frakturversorgung). therapiert zu werden.

2.6 Erkrankungen der Muskulatur 2.6.3 Myogelosen (Muskelhartspann)

2.6.1 Muskelatrophie Definition. Umschriebene, schmerzhafte Muskelver-


härtungen.
Definition. Als Atrophie wird ein Leistungs- und Volu-
menverlust des Muskels bezeichnet. Ätiopathogenese. Erhöhte aktive muskuläre Dauerbe-
anspruchung, Fehlhaltungen oder Gelenkerkrankun-
Ätiopathogenese. Eine Verringerung der Muskelmasse gen führen wahrscheinlich zu lokalen Ischämien. Re-
entsteht infolge einer myogenen (Inaktivitätsatrophie flektorisch kommt es zu einem erhöhten Muskeltonus.
durch Ruhigstellung, ischämische Muskelnekrose) oder Dies kann zu einem Muskelhartspann führen. Bei Dau-
neurogenen (periphere Nervenschädigung) Erkrankung. ertonus entwickeln sich histologische Veränderungen
in Form von wachsartig degenerierten Muskelfibrillen
Symptomatik/Diagnostik. Je nach Stadium zeigt sich mit Fetteinlagerungen. Palpatorisch sind Verhärtungen
eine mehr oder weniger auffällige Verringerung von und druckschmerzhafte Knoten in der Muskulatur fest-
Muskelvolumen und -kraft. zustellen. Vielfach sind speziell im Bereich der Rücken-
muskulatur Muskelursprungsregionen wie auch Seh-
Therapie. Therapiert wird kausal, sowie mittels leis- nenübergänge und Muskelränder befallen.
tungserhaltender und -fördernder Bewegung, Kran-
kengymnastik und gezieltem Muskeltraining. Symptomatik. Bewegungs- und Druckschmerzen im
Die Muskelkraft kann in 6 Kraftgrade unterteilt Bereich einer tastbaren Verhärtung der Muskulatur
werden: sind kennzeichnend.
4 5: normal, volle Bewegung gegen Schwerkraft und
mit voller Belastung Diagnostik. Klinisches Bild.
4 4: gut, Bewegung gegen Schwerkraft und gegen
leichten Widerstand Therapie. Kausale Therapie; lokale Wärmeanwendun-
4 3: schwach, Bewegung gegen Schwerkraft kein Wi- gen, leichte Massagen und Injektionen von Lokalanäs-
derstand thetika sind hilfreich.
4 2: schwach, Bewegung nur bei Aufhebung der
Schwerkraft, praktisch aufgehobene Bewegung ge-
gen Widerstand 2.6.4 Muskelkontrakturen
4 1: sehr schwach, Muskelspannung ohne Bewegung
im Gelenk Definition. Eine Kontraktur ist eine dauerhafte Verkür-
4 0: null, keine Kontraktilität zung der Muskulatur mit resultierender Bewegungsein-
schränkung des zugehörigen Gelenkes.

2.6.2 Muskelanomalie Ätiopathogenese. Muskuläre oder neurogene Erkran-


kungen resultieren in einer Verkürzung der Muskulatur.
Entwicklungsstörungen der Muskulatur sind eng ver- Meistens sind diese Kontrakturen an der am Hüfgelenk
gesellschaftet mit Fehlbildungen des Skeletts (Schulter- angreifenden Muskulatur in Form von
2.6 · Erkrankungen der Muskulatur
255 2

4 Beugekontrakturen, Volkmann-Kontraktur
4 Adduktionskontrakturen und Definition. Ischämisch bedingte Kontraktur der Arm-
4 Abduktionskontrakturen muskulatur, insbesondere auch iatrogen bedingt bei
ungeeigneter oder verspäteter Versorgung von supra-
zu finden. kondylären Humerusfrakturen.

Kontraktionsformen Ätiopathogenese. Auch hier handelt es sich um eine


4 Beugekontrakturen: Fixierung der Extremität in Beuge- Form der Kompartmentschädigung. Insbesondere bei
haltung, z. B. Morbus Dupuytren. Kindern kommt es nach suprakondylären Humerus-
4 Adduktionskontrakturen: Das adduzierte Bein scheint frakturen infolge von Fragmentdislokalisationen oder
länger als das gesunde (relative Beinverkürzung). posttraumatischer Schwellung zur Kompression der
4 Abduktionskontrakturen: Das abduzierte Bein scheint Blutgefäße und Nerven. Erfolgt die Therapie nicht
kürzer als das gesunde (relative Beinverlängerung). rechtzeitig, nekrotisiert das Muskelgewebe und wird in
Bindegewebe umgewandelt. Hand- und Fingerbeuger
Die letzten beiden Veränderungen führen zu einem Be- verlieren ihre Funktion, es resultiert eine ausgeprägte
ckenschiefstand und einer reaktiven Skoliose der Wirbel- Beugekontraktur der Hand.
säule.
Symptomatik. Im akuten Stadium stehen Schwellung,
2.6.4.1 Kompartment-Syndrom Verfärbung und Schmerzen im betroffenen Bereich im
7 Kap. Unfallchirurgie. Vordergrund. Sensibilität und Motorik des Unterarms
Nach stumpfen Traumata und geschlossenen und der Hand sind beeinträchtigt. Im fortgeschrittenen
Frakturen kann eine Schädigung der Weichteile und Stadium verbleibt eine Beugefehlstellung (ähnelt der
Einblutungen in die Muskellogen ein Kompartment- Fallhand) von Hand- und Fingergelenken.
Syndrom auslösen. Ätiologisch kommt ein zu enger
Gipsverband, ein Frakturhämatom oder ein Muskelö- Therapie. Die zeitnahe Reposition der Kontraktur und
dem in Frage. Die Folge dessen ist eine akute ischämi- die Vermeidung von zu engen Verbänden stehen mit
sche Nekrose der enthaltenden Muskulatur mit irre- der Hochlagerung des Armes primär im Vordergrund.
versibler Schädigung.

Tibialis-anterior-Syndrom 2.6.5 Myositis


Ätiopathogenese. Das bekannteste Kompartment-
Syndrom ist das Tibialis-anterior-Syndrom. Es ent- Ätiopathogenese. Muskelentzündungen können bak-
steht durch eine posttraumatische Schädigung teriell, entzündlich-rheumatisch, viral und parasitär
der Muskulatur und Nerven, durch Einblutungen in bedingt sein.
die von Faszien klar begrenzte Loge des M. tibialis
anterior. Symptomatik. Im Akutstadium werden hauptsächlich
schwere Allgemeinsymptome sowie Muskelschmer-
Symptomatik. Die Patienten klagen über Prätibialis- zen beschrieben. Im chronischen Stadium dominieren
schmerzen, Schwellung, Rötung, Überwärmung, Sensi- nur die Muskelschmerzen. Bei der Polymyalgia rheu-
bilitätsverlust an den ersten beiden Zehen und eine matica, die im höheren Lebensalter bevorzugt auftritt,
Fußheberschwäche. sind besonders die Muskeln des Schultergürtels und
des Beckenbereichs betroffen, bei ungefähr 50% des
Diagnostik. Klinisches Bild mit starken Schmerzen; Lo- Patientenguts tritt außerdem noch eine Arteriitis tem-
gendruckmessung. poralis auf.

Therapie. Wichtig ist eine sofortige Logeneröffnung Diagnostik. Das Labor zeigt einen BSG- und CRP-An-
durch Längsinzision der Muskelfaszie. Erfolgt die Ent- stieg sowie eine Vermehrung der Gamma-Globuline in
lastung zu spät, entwickeln sich bedingt durch Durch- der Elektrophorese.
blutungsstörungen, Druckschädigungen von Nerven
und Muskelminderversorgung, irreversible Schäden. Therapie. Diese erfolgt kausal. Bakterielle Myositiden
Unbehandelt kommt es zur ischämischen Nekrose mit werden antibiotisch behandelt, frühzeitig werden
Kontraktur der Muskulatur mit Spitzfuß und Krallen- Steroide bei der Polymyalgia rheumatica verab-
zehen. reicht.
256 Kapitel 2 · Orthopädie

2.6.5.1 Myositis ossificans Symptomatik. Der Typ Duchenne beginnt vor dem 5.
Definition. Langsam fortschreitende Verknöcherung Lebensjahr mit Muskelschwund an Mm. glutaei, iliop-
der Skelettmuskulatur, die eigenständig und meist ge- soas und quadriceps, Wadenhypertrophie. Die Patien-
2 neralisiert, aber auch lokalisiert auftreten kann. ten »klettern beim Aufrichten an sich selbst hoch«
progredienter Verlauf mit Tod vor dem 20. Lebensjahr.
Ätiopathogenese. Meist infolge von Traumata oder Typisch sind ein starkes Hohlkreuz, Gnomenwaden
neuropathischen Veränderungen an der Muskulatur (Pseudohypertrophie der Waden durch Zunahme des
(z. B. traumatische Einblutungen und Quetschungen, Binde- und Fettgewebes), zunehmende Schwierigkei-
chronische Überbeanspruchung, wiederholte Massa- ten beim Aufstehen und Gehen. Erkrankungsbeginn
gen eines verletzten Muskels oder Querschnittsläsionen meist im Beckengürtel und Ausbreitung symmetrisch
des Rückenmarks). Im Labor zeigt sich ein Anstieg der an den Extremitäten von proximal nach distal. Für alle
alkalischen Phosphatase. Das Knochenszintigramm ist Formen ist die zunehmende Schwäche der Muskula-
positiv. tur auffällig.

Symptomatik. Die Muskulatur ist druckschmerzhaft Diagnostik. Neurologische Untersuchung, Gendiagno-


verhärtet. Es finden sich funktionelle Störungen se, Labor (Erhöhung der Muskelenzyme), MRT, Ultra-
aufgrund von gelenküberbrückenden Ossifikatio- schall, Biopsie.
nen.
Therapie. Kausale Therapie ist nicht bekannt; Physio-
Diagnostik: Radiologischer Nachweis von Knochen- therapie, operative Lösung von Kontrakturen, orthopä-
neubildungen. dische Hilfsmittel (Orthesen, Rollstuhl).

Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Im 2.6.6.1 Dystrophie myotonica
aktiven Stadium mit Umbauvorgängen wird das Gelenk (Curschmann-Steinert)
ruhig gestellt oder eine Röntgenentzündungsbestrah- Ätiopathogenese. Autosomal-dominanter Erbgang.
lung empfohlen. Im Inaktivitätsstadium, welches ca. Es handelt sich um die zweithäufigste vererbte Mus-
nach 6 Monaten auftritt, ist die Ossifikation abgeschlos- kelerkrankung. Manifestation meist zwischen dem
sen und es kann die Verknöcherungen im Gelenkbe- 2. und 3. Lebensjahrzehnt. Männer sind häufiger
reich können operativ entfernt werden. betroffen als Frauen. Die Erkrankung führt vorzeitig
zum Tod.

2.6.6 Muskeldystrophie Symptomatik. Es finden sich distal betonte Muskelatro-


phien und -dystrophien an den Extremitäten. Faszio-
Definition. Bei der progressiven Muskeldystrophie bulbäre Lähmungen mit einer Atrophie der Hals- und
handelt es sich um eine genetisch bedingte Degenerati- Gesichtsmuskulatur (Facies myopathica).
on der Skelettmuskulatur mit unterschiedlichem Be-
fallsmuster und progredientem Verlauf. Diagnostik. Klinisches Bild, Labor (CK erhöht), Elek-
trophysiologie (myotone Entladung), EKG, Molekular-
Ätiopathogenese. Man unterscheidet mehrere klini- genetik.
sche Formen:
4 Schultergürtelform (juvenile Form) Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt.
4 Fazio-skapulo-humerale-Form (Typ: Erb), autoso- Hilfreich sind Membranstabilisatoren (Phenytoin),
mal-dominant Krankengymnastik, Hormonsubstitution und Antiar-
4 Rumpfgürtelform (infantile Form), autosomal-re- rhythmika.
zessiv
4 Benigne Verlaufsform (Typ: Becker)
4 Maligne Verlaufsform (Typ: Duchenne), X-chro-
mosomal-rezessiv, nur das männliche Geschlecht
ist betroffen
2.7 · Erkrankungen der Sehnen und Sehnenscheiden
257 2

In Kürze

Muskelerkrankungen

Muskelatrophie 4 Symptomatik: Verringerung von Muskelmasse und -kraft


4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: leistungserhaltende und -fördernde Bewegung, Krankengymnastik

Muskelanomalie 4 Symptomatik: Fehlen/Fehlausbildung bestimmter Muskeln


4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: nicht notwendig

Myogelosen 4 Symptomatik: umschriebene Muskelverhärtungen, Bewegungseinschränkungen


4 Diagnostik: konservativ mit Physiotherapie, lokalen Applikationen
4 Therapie: kausal, Injektionen von Lokalanästhetika, leichte Massagen, lokale Wärme-
anwendungen

Muskelkontrak- 4 Symptomatik: in kontrahierter Stellung befindlicher Muskel (Beuge-, Adduktions-,


turen Abduktionskontraktur)
4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: kausal, Verlängerung der Muskulatur

Kompartment- 4 Symptomatik: Schwellung, Schmerzen, neurologische Ausfälle


Syndrom 4 Diagnostik: klinisches Bild, erhöhter Logendruck (>40 mmHg)
4 Therapie: Eröffnung der Muskelfaszie bzw. zeitnahe Reposition der Fraktur

Myositis 4 Symptomatik: Allgemeinsymptome, Muskelschmerzen


4 Diagnostik: klinisches Bild, Labor (Entzündungsparameter)
4 Therapie: kausal, bakterielle Myositiden: antibiotisch, Polymyalgia rheumatica: Steroide

Myositis ossificans 4 Symptomatik: fortschreitende Verknöcherung des Binde- und Stützgewebes


4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: im aktiven Zustand: Gelenkruhigstellung, Röntgenentzündungsbestrahlung;
im Inaktivitätsstadium: operative Entfernung der Verknöcherungen

Muskeldystrophie 4 Symptomatik: je nach Erkrankungstyp unterschiedlich ausgeprägte Muskelschwäche


4 Diagnostik: neurologische Untersuchung
4 Therapie: kausale Therapie nicht bekannt, operative Lösung von Kontrakturen, ortho-
pädische Hilfsmittel, Physiotherapie

2.7 Erkrankungen der Sehnen und nosen (Sehnenansatz) und einer Tendinitis (primäre
Sehnenscheiden Entzündung).

2.7.1 Degenerative Veränderungen 2.7.1.1 Insertionstendopathie


Ätiopathogenese. Sehnenursprünge und -ansätze zeigen
Degenerative Veränderungen der Sehnen können bis lokalisierte schmerzhafte Veränderungen. Hervorgerufen
zur Sehnenruptur führen. Die häufigsten Rupturen durch mechanische Überlastung und lokale mechanische
finden sich an der Rotatorenmanschette, Bizeps-, Spitzenbelastungen am Muskel-Sehnen- oder Sehnen-
Achilles-, Quadrizeps-, Patellar-, Fingerstrecker- und Knochen-Übergang. Auch chronische Entzündungen
Extensor-pollicis-longus-Sehne. Unterschieden wer- führen in dem schlecht vaskularisierten Sehnengewebe
den Tendinosen (Sehne selbst) von Insertionstendi- zu Degenerationen insbesondere im Ansatzbereich.
258 Kapitel 2 · Orthopädie

Symptomatik. Die Patienten klagen über Spontan- und Therapie. Medikamentöse Therapie mit NSAR und lo-
Ruheschmerz. Die Beschwerden treten bewegungs- kaler Steroidinfiltration. Physikalische Therapie. Bei
und belastungsabhängig auf. Der Sehnenansatzbereich Nichtansprechen der konservativen Therapie opera-
2 ist druckschmerzhaft. tives Vorgehen. Durchgesetzt hat sich die ursprungs-
Häufige Prädilektionsstellen sind: nahe Einkerbung der Extensorensehnen nach Hoh-
4 Epicondylus lateralis humeri (Tennisellenbogen) mann oder eine ggf. endoskopisch durchgeführte De-
4 Tuberkulum majus humeri (Supraspinatussehnen- nervierung am Epicondylus radialis humeri nach
Syndrom) Wilhelm. In wenigen Fällen ist zusätzlich eine Dekom-
4 Ansatzbereich des M. gracilis pression des Supinatorschlitzes bei gegebener Irritation
4 Patellarspitze angezeigt.

Therapie. Die schmerzauslösende Bewegung sollte ver- Prognose. Die Prognose hinsichtlich des spontanen
mieden werden. Indiziert sind Krankengymnastik, phy- Verlaufs ist bei nicht chronifizierten Krankheitsbildern
sikalisch mit Ultraschall, Iontophorese und Elektrothe- günstig. Man muss jedoch mit einer oft mehrmona-
rapie sowie eine Lokalinfiltration mittels Lokalanästhe- tigen schmerzhaften Bewegungs- und vor allem Belas-
tika und Steroiden. tungsbeeinträchtigung rechnen.

2.7.1.2 Epicondylitis humeri radialis 2.7.1.3 Impingement-Syndrom (7 Kap. 2.11.5.2)


Synonym. Tennisellenbogen. Synonym. Supraspinatussehnen-Syndrom.

Definition. Häufigste Tendinose der oberen Extremität. Definition. Degenerative Tendopathie der Supraspina-
Betroffen ist der Epicondylus radialis humeri am Ur- tussehne.
sprung der Strecksehnen.
Ätiopathogenese. Verursacht werden diese Beschwer-
Ätiopathogenese. Durch eine chronische mechanische den durch eine relative Enge zwischen Oberarmkopf
Überbeanspruchung kommt es zu einer Auflockerung und Schulterdach. Die Einteilung erfolgt nach Neer.
der räumlich geordneten Kollagenfibrillenbündel am
Sehnenansatz. Im weiteren Verlauf spleißen die Kolla- Symptomatik/Diagnostik. Die aktive und passive Be-
genfibrillen auf. Langfristig führt das zu einer Verquel- weglichkeit ist nicht eingeschränkt, aber sehr schmerz-
lung der Kollagenfasern. haft, insbesondere gegen Widerstand.

Symptomatik. Bewegungsschmerz. Positiver Provoka- Therapie. Konservativ mittels Analgetika, Antiphlogi-


tionstest, d. h. Pronation und Handgelenkstreckung stika, subakromiale Steroidinfiltration, selten operativ,
gegen Widerstand ist schmerzhaft. dann arthroskopische Dekompression.

> Typisches, oft einziges klinisches Zeichen des Tennis- 2.7.1.4 Achillessehnenruptur
ellenbogens, ist der Druckschmerz über dem Epicon- 7 Kap. Unfallchirurgie.
dylus lateralis humeri.
2.7.1.5 Bizepssehnen-Syndrom
Diagnostik. Radiologisch finden sich keine sichtbaren 7 Kap. Unfallchirurgie.
Veränderungen, selten Knochensporne bei älterer Epi-
kondylosis.

In Kürze
Degenerative Sehnenveränderungen

Insertionstendopathie 4 Symptomatik: Spontan-, Ruhe- und belastungsabhängiger Schmerz


4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: physikalisch, Ultraschall, Iontophorese, Elektrotherapie, Injektion von
Lokalanästhetika und Steroiden
6
2.7 · Erkrankungen der Sehnen und Sehnenscheiden
259 2

Epicondylitis humeri 4 Symptomatik: häufigste Tendinose obere Extremität, Strecker/Supinator, dorsal-Ex-


radialis tensionsschmerz
4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: Physiotherapie, lokale Infiltration; evtl. längerfristige Entlastung, Steroi-
dinfiltration und Ultrasonophorese, selten operativ: Einkerbung der Extensorenseh-
nen nach Hohmann, Denervierung am Epicondylus radialis humeri nach Wilhelm

Supraspinatussehnen- 4 Symptomatik: bewegungsabhängige Schmerzen (v. a. bei Bewegungen über den


Syndrom Kopf, »schmerzhafter Bogen«), Beweglichkeit nicht eingeschränkt
4 Diagnostik: klinisches Bild, MRT
4 Therapie: konservativ, Analgetika, Antiphlogistika, subakromiale Steroidinfiltration,
selten operativ, dann arthroskopische Dekompression

2.7.2 Sehnenscheidenerkrankungen machen. Passive Ulnarabduktion erzeugt dann zu-


nehmend Schmerzen in der Tabatiere (1. Streckseh-
2.7.2.1 Tendovaginitis nenfach).
Definition. Meist eine durch mechanische Irritation
oder Überlastung entstandene Entzündung des Seh- Therapie. Indiziert sind Ruhigstellung des Gelenkes
nenscheidengewebes. Seltener findet sich eine bakte- mittels Gips, Infiltration mit Steroiden, physikalische
rielle oder entzündlich-rheumatische Ätiologie. Am Therapie, evtl. NSAR. Sind diese Maßnahmen nicht
häufigsten treten Sehnenscheidenentzündungen in ausreichend, wird die operative Spaltung des ersten
Handgelenksnähe bei repetitiver Fingerarbeit (z. B. Sehnenfachs erforderlich.
Sekretärin) auf.
2.7.2.3 Tendovaginitis stenosans
Ätiopathogenese. Fibrinausscheidungen führen zu Synonym. Schnellender Finger.
entzündlichen Reaktionen im Sehnenscheidenfach.
Ätiopathogenese. Degenerative palmarseitige Verdi-
Symptomatik/Diagnostik. Bei der akuten Entzündung ckung des Ringbandes an der Sehnenscheide der Fin-
ist häufig ein schmerzhaftes, tastbares »Knirschen« und gerbeuger des Fingergrundgelenkes. Ätiologisch sind
Reiben der Sehnen nachweisbar. Chronische Formen chronische Polyarthritis, Synovialitis und eine starke
führen zum Teil zu knotigen Verdickungen der betrof- Beanspruchung anzuführen.
fenen Sehne.
Symptomatik. Durch die Einschnürung des Ringban-
Therapie. Indiziert ist eine medikamentöse Therapie des kommt es zu einer schmerzhaften Streckbehinde-
(NSAR). Die betroffenen Sehnen werden bis zur Aus- rung und einer Schwellung der Sehnenscheide. Palpa-
heilung ruhig gestellt. torisch ist eine knotige Verdickung der Sehne auffällig
an der beim Strecken des Fingers das typische schnel-
2.7.2.2 Tendovaginitis stenosans de Quervain lende Fingerphänomen ausgelöst wird. Ist der Finger
Ätiopathogenese. In der gemeinsamen Sehnenscheide gebeugt kann er nur schwer gestreckt werden und
des M. abductor pollicis longus und des M. extensor schnellt nach Überwindung des Knotens unerwartet in
pollicis brevis kommt es bedingt durch chronische Mi- die Extensionsstellung. Es sind überwiegend Frauen
krotraumen zur fibrösen Verdickung und Einengung mittleren Alters betroffen.
der Sehnenscheide im ersten Sehnenfach.
Diagnostik. Die Sehne selbst verdickt sich an der
Symptomatik/Diagnostik. Im Vordergrund stehen betroffenen Stelle, sodass der Sehnengleitvorgang in
progrediente Schmerzen und ein tastbares Reiben einer bestimmten Stellung behindert ist. Bei der
in Höhe des Proc. styloideus radii bei Bewegungen Fingerbeugung entsteht plötzlich ein Widerstand, der
des Daumens. Pathognomisch ist der Finkelstein- nur durch starken Sehnenzug überwunden werden
Test. Der Patient wird aufgefordert, seinen Daumen kann. Nach der Überwindung kommt es zum Schnapp-
in die Hohlhand einzuschlagen und eine Faust zu Phänomen.
260 Kapitel 2 · Orthopädie

Therapie. Die konservative Therapie ist selten erfolg-


reich. Operativ erfolgt die Spaltung des Ringbandes
durch ovale Ausschneidung des stenotischen Ringes
2 aus der Sehnenscheide.

2.7.2.4 Dupuytren-Kontraktur
Synonym. Palmarfibromatose.

Definition. Chronische, meist beidseitige Fibrose (Hy-


pertrophie) der oberflächlichen Palmaraponeurose mit
Verkürzung und Entwicklung einer Beugekontraktur
der Finger (. Abb. 2.5).
Chronische, gutartige, primär schmerzlose, kno-
tige und strangförmige Palmarfibromatose der Pal-
maraponeurose (Hohlhandfaszie). Sie manifestiert
sich mit einer Streckhemmung und gelegentlicher
Adduktionkontraktur der Finger. Bevorzugte Lokali-
sation sind Hohlhand, Finger III–V; seltener Daumen
und Zeigefinger. Andere auftretende Lokalisationen
sind dorsale Fingerknöchelpolster, Plantarfibroma- . Abb. 2.5. Dupuytren-Kontraktur. (Nach Krämer/Grifka,
tose (Morbus Lederhose) und die Induratio penis 2005)
plastica.

Ätiopathogenese/Epidemiologie. Unbekannte Ätiolo- 2.7.2.5 Paratendonitis crepitans


gie. Eine familiäre Häufung lässt sich feststellen, wobei Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine einseitige
Männer zwischen 50–70 Jahren am häufigsten betrof- mechanische Überbeanspruchung, die mit einer öde-
fen sind. Eine vermehrte Häufung tritt bei Patienten mit matösen Schwellung des peritendinösen Gewebes so-
Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus), Epilep- wie einer chronischen Entzündung der Sehnenschei-
sie und alkoholbedingten chronischen Leberschäden den an Hand oder Unterarm einhergeht.
auf. Ebenso können traumatische Faktoren auch eine
Rolle spielen. Symptomatik/Diagnostik. Insbesondere bei funktio-
neller Belastung treten Schmerzen auf. Ein Druck- und
Symptomatik/Diagnostik. Es werden 4 Schweregrade Reibeschmerz wie auch ein Dehnungsschmerz der er-
(Einteilung nach Grad der Beugekontraktur; Stadium krankten Sehne sind charakteristisch. Krepitationen im
I: 0–45°; Stadium II: 45–90°; Stadium III: 90–135°; Sta- Gleitgewebe sind bei Bewegungen palpabel.
dium IV: >135°) unterschieden. Anfangs zeigt sich ein
schmerzloser Knoten in der Hohlhand, der meist als Therapie. Ruhigstellung mittels Gips oder Schiene.
Schwiele missgedeutet wird. Die Erkrankung ist schub-
weise progredient mit daraus folgenden Fingerbeuge- 2.7.2.6 Karpaltunnelsyndrom (CTS)
kontrakturen, v. a. in den Fingergrundgelenken. Die Synonym. Medianuskompressionssyndrom, Brachial-
Funktion der Hand ist zunehmend eingeschränkt. Am gia paraesthetica nocturna.
häufigsten ist der Ringfinger, gefolgt vom Kleinfinger,
betroffen. Ätiopathogenese. Bei der Einengung im Karpaltunnel
sind oft beide Seiten betroffen, sie kann entstehen bei
Therapie. Resektion der verkürzten Palmaraponeurose. folgenden Dispositionen:
Bei schweren Kontrakturen wird eine Hautschwenklap- 4 Weibliches Geschlecht
penplastik durchgeführt. Im schlimmsten Fall führt die 4 Hormonell: Postmenopause, Schwangerschaft,
Erkrankung bis hin zur Arthrodese oder Amputation. Hyperthyreose, Akromegalie, Myxödem
4 Metabolisch: Diabetes mellitus, Gicht, Hypothy-
Prognose. Hohe Rezidivrate (bis 50%), die Reoperatio- reose
nen werden durch Verwachsungen mit der Haut zuneh- 4 Entzündlich: Infektion oder chronische Sehnen-
mend schwieriger. Es besteht die Gefahr von Narben- scheidenentzündungen bei rheumatischen Erkran-
kontrakturen. kungen (chronische Polyarthritis)
2.7 · Erkrankungen der Sehnen und Sehnenscheiden
261 2

4 Systemische Schwellneigung unterschiedlicher Art des M. abductor pollicis brevis), der Daumenballen
4 In Fehlstellung verheilte Handwurzelfrakturen atrophiert. Durchblutungsstörungen treten nicht auf.
4 Neuropathie des N. medianus
4 Anlagebedingte Enge des Karpaltunnels Diagnostik. Klinische Zeichen s. u. Die Messung der
4 Nierenschädigungen Nervenleitgeschwindigkeit kann die Diagnose sichern.
4 Akromegalie Typischerweise ist beim CTS die sensible Nervenleitge-
4 Stoffwechselerkrankungen (Gicht, Amyloidose, schwindigkeit des N. medianus zwischen Zeigefinger-
Mukolipidose, Mukopolysaccharidose) oder Mittelfingermittelgelenk und Handgelenk um
mindestens 7 m/s geringer als die sensible Nervenleit-
Anatomie des Karpaltunnels geschwindigkeit, die zum Vergleich am N. ulnaris ge-
Der Karpaltunnel wird gebildet von den Handwurzelkno- messen wird (48 m/s beim Gesunden). Daneben wird
chen und dem Lig. carpi transversum (Retinaculum flexo- die Überleitungszeit (distale motorische Latenz) des N.
rum). Darin verläuft der N. medianus und die Fingerflexor- medianus zwischen Handgelenk und Daumenballen
sehnen. Distal des Tunnels innerviert der Medianus die Mm. bestimmt (Normalwert <4,2 ms).
lumbricales I et II, den M. opponens pollicis, den M. flexor
pollicis brevis und den M. abductor pollicis brevis. Eine > Das Tinnel-Hoffmann-Zeichen ist positiv. Durch das
Schwurhand entsteht durch Lähmung der langen Flexoren Beklopfen des Karpaltunnels wird ein elektrisierendes
die weit vor dem Karpaltunnel innerviert werden. Missgefühl in dem sensibel versorgten Bereich emp-
funden. Bei starker Palmarflexion oder Dorsalexten-
Symptomatik. Die Patienten beschreiben nächtliche sion des Handgelenkes kommt es zu den typischen
Schmerzen und ein Kribbelgefühl in den 3 mittleren Missempfindungen im sensiblen Versorgungsgebiet
Fingern, Sensibilitätsstörungen und Einschlafen der des N. medianus, was als Phalen-Zeichen bzw. Brain-
Hand, das sich durch Schütteln und Beugen der Hand Zeichen bezeichnet wird.
lindern lässt. Weitere Symptome sind: Parästhesien und
Schmerzen bei Haltearbeit der Hand, Hypästhesie im Therapie. Konservativ können spezielle Nachtschienen
Ausbreitungsgebiet des N. medianus, Ungeschicklich- versucht werden. In der Regel muss aber eine operative
keit und Schwäche der Hand, Schmerzausstrahlung in Spaltung des Lig. carpi transversum durchgeführt wer-
den Unterarm/Oberarm. Im fortgeschrittenen Stadium den. Die Spaltung kann offen oder arthroskopisch (mi-
sind auch motorische Störungen vorhanden (Schwäche nimal invasiv) erfolgen.

In Kürze
Sehnenscheidenerkrankungen

Tendovaginitis stenosans 4 Symptomatik: Schmerzen im 1. Strecksehnenfach (Tabatiere) im Bereich des


de Quervain Proc. styloideus radii bei Bewegung des Daumens
4 Diagnostik: positiver Finkelstein-Test
4 Therapie: Ruhigstellung, NSAR, Infiltration mit Steroiden; operative Spaltung
des ersten Sehnenfaches

Tendovaginitis stenosans 4 Symptomatik/Diagnostik: Einschnürung des Ringbandes führt zu schmerzhafter


(schnellender Finger) Streckbehinderung
4 Therapie: konservativ selten erfolgreich, operativ: Spaltung des Ringbandes

Dupuytren-Kontraktur 4 Symptomatik: Beugekontraktur der Fingergrund- und Mittelgelenke (meist


Finger IV, V)
4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: Resektion der verkürzten Palmaraponeurose; hohe Rezidivgefahr

Paratendonitis crepitans 4 Symptomatik: deutliches Krepitieren der bewegten Sehne


4 Diagnostik: Druck- und Reibeschmerz, Dehnungsschmerz der betroffenen
Sehne
6 4 Therapie: Ruhigstellung mittels Gips
262 Kapitel 2 · Orthopädie

Karpaltunnelsyndrom 4 Symptomatik: Kribbelparästhesien im Bereich des Versorgungsgebiets des


N. medianus, besonders nachts auftretend
2 4 Diagnostik: positiver Tinnel-Test, neurologische Abklärung
4 Therapie: konservativ: Nachtschienen, operativ: Spaltung des Lig. carpi transversum

2.8 Wirbelsäule 4 Halslordose


4 Brustkyphose
Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule gehören zu 4 Lendenlordose
den am häufigsten beklagten gesundheitlichen Pro-
blemen, nahezu 80% der Menschen werden mindes- Diese Krümmungen bilden zusammen mit den elasti-
tens einmal in ihrem Leben wegen Schmerzen am schen Bandscheiben einen Ausgleich für die Stoß- und
Rücken behandelt. Im Folgenden sollen charakteristi- Druckkräfte, welche auf den Körper einwirken. Die
sche Symptome einiger ausgewählter Erkrankungen Bandscheiben bestehen aus einem fasrigen Anulus fib-
erläutert werden. rosus und einem im Inneren gelegenen elastischen Nu-
cleus pulposus.

2.8.1 Anatomie der Wirbelsäule


2.8.2 Untersuchung der Wirbelsäule
Der Bewegungsumfang der Wirbelsäule liegt bei fol-
genden Werten: Flexion/Extension 250°; Rotation 280°; Die Untersuchung beginnt, wie allgemein üblich, mit
Seitneigung 150°. Als »Achsenorgan« hat die Wirbel- der Inspektion gefolgt von Palpation und Funktions-
säule im Wesentlichen 3 Aufgaben zu erfüllen: prüfung. Die Inspektion wird anfänglich an dem dem
4 Haltefunktion (Gewährleistung der Stabilität des Untersucher zugewandten Rücken begonnen. Man be-
Rumpfs in allen Haltungs- und Bewegungslagen) urteilt die Stellung der Dornfortsätze, Kopfhaltung,
4 Dynamische Ausgleichfunktion gegenüber den Schulterstellung, Abstehen der Schulterblätter, Tho-
konträr wirkenden Einflüssen der Schwerkraft und raxdeformitäten; Form der Taillendreiecke und die
des Muskelzuges Höhe der Darmbeinkämme.
4 Leit- und Schutzorgan für das Rückenmark und die Betrachtet man den Patienten von der Seite, er-
Spinalnervenwurzeln kennt man die physiologischen Krümmungen. Diese
können normal, verstärkt oder abgeflacht sein. Palpa-
Beim Erwachsenen endet das Rückenmark etwa auf torisch werden ein paraspinaler Druckschmerz,
Höhe LWK 1–2, distal laufen die Fasern der Cauda Myogelosen sowie die Dornenfortsätze ertastet.
equina mit den dazugehörigen lumbalen und sakralen Lokale Druck- und Klopfschmerzen können auf
Nervenwurzeln. Frakturen, Tumoren, oder Entzündungen hinweisen.
Aufgrund der kraniokaudal zunehmenden Be- Je nach Fragestellungen werden verschiedene Funk-
lastungen (1:10) sind Wirbel und Bandscheiben von tionstests überprüft (Schober-, Ott-, Lasègue-Zei-
C1 bis L5 zunehmend stärker angelegt. Die große chen; 7 Kap. 2.2).
Beweglichkeit entsteht durch die Kette von 24 Wir- Abschließend wird bei jedem Patienten eine grob-
beln (7 Halswirbel C1–C7; 12 Brustwirbel BWK neurologische Untersuchung (Prüfen von Reflexen,
1–12; 5 Lendenwirbel LWK 1–5), die mittels Inter- sensible, motorische Fähigkeiten, verschiedene Gang-
vertebralgelenken und Bandscheiben gelenkig ver- bilder (Stepper-, Fersengang) durchgeführt. Daneben
bunden sind. werden je nach Fragestellung verschiedene radiologi-
sche Verfahren (Röntgen, CT, MRT) angewandt. Spezi-
> Ein Bewegungssegment besteht aus 2 aufeinander fische Tests werden bei den jeweiligen Krankheitsbil-
folgenden Wirbeln, der Bandscheibe, den Nerven- dern besprochen.
wurzeln in den Foramina intervertebrales und den
Intervertebralgelenken. > Bei Rückenbeschwerden ist immer auch an rein
psychosomatische Ursachen zu denken.
Die Wirbelsäule weist im Stehen 3 physiologische
Krümmungen auf:
2.8 · Wirbelsäule
263 2
2.8.2.1 Haltung 2.8.3.2 Klippel-Feil-Syndrom
Man unterscheidet vier Haltungsformen: Definition. Verschmelzung mehrerer Halswirbel mit-
4 Normalrücken einander (Blockwirbelbildung).
4 Hohlrunder Rücken (verstärkte Brustkyphose und
Lendenlordose) Symptomatik/Diagnostik. Daraus folgen eine Verstei-
4 Totaler Rundrücken (lang gezogene verstärkte fung der Nackenpartie und eine Verkürzung des Halses.
Brustkyphose) Röntgen: Häufig werden Fehlbildungen der Rippen, der
4 Flachrücken (kaum physiologische Krümmungen) Schulterblätter, des Kiefers oder der Finger beschrieben.
Oft leiden Klippel-Feil-Patienten an einer Skoliose und
Bei den Haltungsformen handelt es sich um Normva- klagen über starke Migräne.
riationen, die nicht zwangsläufig als pathologisch an-
zusehen sind. Bandscheibenschäden und Rückenmus- Therapie. Zu korrigieren sind allenfalls auftretende or-
kelinsuffizienz können aber grundsätzlich schneller thopädische Fehlbildungen (Skoliose); die Migräne ist
bei Abweichungen von der Norm entstehen. symptomatisch zu behandeln.
Eine Haltungsschwäche wird durch den Haltungs-
test nach Matthiass diagnostiziert. Er ist positiv, wenn 2.8.3.3 Übergangswirbel
von der Normalposition der Wirbelsäule abweichende Definition. Am Übergangsbereich von HWS zu BWS,
Haltungsfehler zwar aktiv korrigiert, aber muskulär von BWS zu LWS und von LWS zum Sakrum kann aty-
kompensiert nur für wenige Sekunden (<30 s) in dieser pisch ein zusätzlicher Wirbel ausgebildet sein. Häufiger
Stellung gehalten werden können. Durch frühzeitiges sind Lumbalisation von S1, Sakralisation von L5 oder
aktives physiotherapeutisches Üben lassen sich lang- die Ausbildung einer Halsrippe.
fristige fixierte Haltungsschäden vermeiden: Günstig
sind sportliche Betätigungen, hierbei vor allem das Rü- Symptomatik. Die Übergangswirbel sind für Funktion
ckenschwimmen. und Belastbarkeit der WS meist bedeutungslos.

Diagnostik. Röntgen.
2.8.3 Fehlbildungen der Wirbelsäule
Therapie: Eine Behandlung ist meist nicht nötig.
2.8.3.1 Basiläre Impression
Definition. Verschiebung der HWS nach kranial durch Kompressionsyndrom durch zusätzliche Halsrippe
die Zerstörung der Hinterhauptsgelenke mit Verschie- Eine zusätzliche Halsrippe am 7. HWK kann durch Druck auf
bung der Densspitze. die A. subclavia und auf Plexusanteile zur Pulsabschwä-
chung und gelegentlichen trophischen und neurogenen
Ätiopathogenese. Ursachen für eine basiläre Impres- Störungen führen. Beim echten Kompressionssyndrom ist
sion sind okzipitale Fehlbildung, Osteoporose, Osteo- die operative Entfernung der Rippe erforderlich.
malazie, entzündliche oder neoplastische Zerstörung
der Hinterhauptsgelenke. 2.8.3.4 Spina bifida
Definition. Angeborene Entwicklungsstörung als Spalt
Symptomatik. Die Patienten klagen über Nackenkopf- im Wirbel und Rückenmark mit partieller oder totaler
schmerzen kombiniert mit Schwindel sowie einge- Querschnittslähmung (. Tab. 2.7).
schränkte Beweglichkeit der HWS.
Ätiopathogenese. Folsäuremangel kann zur Schädi-
Diagnostik. Radiologisch ist die basiläre Impression gung des Neuralrohrs während der Neurulation
erkennbar als Invagination des kraniovertebralen Über- führen.
gangs in den Schädel hinein. Daraus resultieren eine
Verkürzung des Halses und eine abnorme Kopfhaltung. > Durch eine sehr frühzeitige Folsäuresubstitution
Die Spitze des Dens axis ist in Höhe des Foramen mag- schwangerer Frauen ist die Rate der Fälle einer Spina
num lokalisiert. bifida bei Neugeborenen deutlich zurückgegangen.

Therapie. Die Behandlung erfolgt beschwerdeabhängig Symptomatik. Es kommt zu sensiblen und schlaffen
mit einer Halsorthese, Spondylodese von Hinterhaupt motorischen Plegien der Beine, evtl. mit Blasen- und
(C0 bis C2) und Abtragung der Densspitze. Mastdarmlähmungen. Häufig besteht zudem ein Hy-
drozephalus.
264 Kapitel 2 · Orthopädie

. Tab. 2.7. Formen der Spina bifida

Formen Beschreibung
2
Spina bifida occulta Der knöcherne Bogenschluss bleibt aus, Rückenmarkkanal im Lumbosakralbereich nur knor-
pelig verschlossen

Spina bifida parta Neuralrohr unzureichend verschlossen, die Wirbelbögen liegen offen, Rückenmarkfehlbildung

Meningozele Gleichzeitige Ausstülpung des Durasackes

Myelomeningozele Ausstülpung von Durasack und Rückenmark

Syringomyelozele Ausstülpung von Durasack, Rückenmark und Nervenwurzeln

Therapie. Die schnelle neurochirurgische Versorgung ausgiebige urologische und orthopädische Rehabili-
ist indiziert, cave: Infektionsgefahr. Wichtig ist eine tation.

In Kürze
Fehlbildungen der Wirbelsäule

Basiliäre Impression 4 Symptomatik: Nackenkopfschmerzen kombiniert mit Schwindel


4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: Halsorthese, Spondylodese von Hinterhaupt und 2. HWK

Klippel-Feil-Syndrom 4 Symptomatik: Versteifung der Nackenpartie, Fehlbildungen, Migräne


4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: symptomatisch, Korrektur der Fehlbildungen

Übergangswirbel 4 Symptomatik: in der Regel keine


4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: keine

Spina bifida 4 Symptomatik: Spaltbildung im Rückenmark mit entsprechender neurologischer


Symptomatik
4 Diagnostik: Klinik
4 Therapie: neurochirurgische Versorgung

2.8.4 Kyphosen 4 Posturale Kyphose (haltungsbedingt)


4 Alterskyphose (osteoporotisch)
Mit Kyphose wird die nach dorsal gerichtete konvexe 4 Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans)
Auswölbung der Wirbelsäule bezeichnet. Diese ist 4 Kongenitale Kyphose (progredient)
im Bereich der Brustwirbelsäule bis 40° physiolo- 4 Morbus Scheuermann
gisch.
2.8.4.2 Anguläre Kyphose (kurzbogig, Gibbus)
2.8.4.1 Arkuäre Kyphose (langbogig) Es kommt zu starken Abwinklungen der Wirbelsäule,
Die Wirbelsäule ist in der Regel beim Säugling noch die durch starke Ventralneigungen eines oder mehrerer
gerade; beim Sitzen allerdings ist eine langbogige Sitz- Wirbel entsteht.
kyphose zu beobachten. Diese ist bei Rachitis verstärkt.
Die häufigsten weiteren Formen der langbogigen Ky- Ätiopathogenese. Insbesondere führen die folgenden
phose sind: Umstände zur kurzbogigen Kyphose:
2.8 · Wirbelsäule
265 2

4 Posttraumatische Kyphose (Kompressionsfraktur) Therapie. Kausal nur während des Wachstums möglich
4 Tumoren (pathologische Fraktur) mit ventraler Druckentlastung durch Rückenmuskel-
4 Spondylitis tuberculosa kräftigende Krankengymnastik. Bei Kyphosen >50°
4 Fehlbildungen (Keilwirbel) Korsettversorgung. Bei schweren Verkrümmungen
(>70°) wird eine aufrichtende Operation durchgeführt
Morbus Scheuermann (dorsal korrigierende Instrumentation).
Synonym. Adoleszentenkyphose, juvenile Kyphose,
posturale Kyphose Prognose. Die Prognose des Morbus Scheuermann ist
gut, die Erkrankung determiniert sich meist durch das
Definition. Wachstumsstörung an Grund-Deckplatten, Ende der Wachstumsperiode, schwere Verlaufsformen
die zur vermehrten Kyphose und verminderter Lordose sind selten.
in der mittleren und unteren BWS sowie der oberen
LWS führt (. Abb. 2.6). Es müssen mindestens drei Morbus Bechterew
benachbarte Wirbelkörper betroffen sein, die jeweils Synonym. Spondylarthritis ankylosans, Spondylitis an-
einen Keilwirbelwinkel von ≥5° aufweisen. kylosans.

Ätiopathogenese. Ursache unbekannt. Schlaffe Kör- Definition. Eine zur Versteifung führende Erkrankung
perhaltung, kollagene Stoffwechselstörungen, Anoma- der Wirbelsäule des rheumatischen Formenkreises, die
litäten der Wirbelkörperrandleisten und vermehrte sich darüber hinaus an den Iliosakralgelenken sowie
mechanische Beanspruchung der Wirbelsäule werden kleinen Wirbelgelenken manifestiert (. Abb. 2.7).
ätiologisch angenommen. Im Bereich der unteren BWS
und der oberen LWS wachsen die Wirbel vorn langsa- Ätiopathogenese. Der M. Bechterew ist eine entzündli-
mer als hinten. So entstehen Keilwirbel. Auch die Deck- che, seronegative rheumatische Erkrankung mit fakulta-
und Bodenplatten wachsen uneinheitlich. Es entwickelt tiver Mitbeteiligung innerer Organe. Es besteht eine ge-
sich eine vermehrte Kyphosierung in der BWS. Band- netische Disposition. Fast 90% sind HLA-B27-assoziiert
scheibengewebe, sog. Schmorl-Knorpelknötchen, und fast nur Männer sind betroffen. Es kommt zu einer
kann in den Wirbelkörper einbrechen. Die Bandschei- langfristigen Verknöcherung der Iliosakralfugen, Längs-
benzwischenräume sind verschmälert. 2-mal so häufig bänder (»Syndesmophyten«) und der gesamten WS incl.
wie Mädchen sind Jungen zwischen dem 8. und 13. Le- HWS, was als Bambusstabform der Wirbelsäule bezeich-
bensjahr betroffen. net wird. Die Wirbelkörper werden »entlastet«, sodass
sich eine Inaktivitätsosteoporose entwickeln kann.
Symptomatik. Nur 20% der Jugendlichen zeigen Symp-
tome (Rückenschmerzen). Schmerzen im Erwachse- Symptomatik. Im Frühstadium kann eine Diagnose-
nenalter entstehen meist durch eine kompensatorische stellung oft sehr schwierig sein, da das Röntgenbild
Hyperlordose der HWS und LWS. blande aussieht. Meist persistierende iliosakrale
Schmerzen sowie Beschwerden im Bereich der Kniege-
> Bei der Untersuchung findet sich eine fixierte, nicht lenke, Fersen sowie Ansatzbereich der Sehnen und
ausgleichbare arkuäre (langbogige) Kyphose der BWS Morgensteife. Es besteht ein schubweiser Verlauf mit
mit Hohlrundrücken oder eine Kyphose der LWS mit folgender Sakroiliitis und Ankylosieren der Iliosakral-
Flachrücken. gelenke. Danach nimmt die Versteifung der Wirbelsäu-
le (zunächst thorakolumbal) in Kyphosestellung zu. Im
Diagnostik. Inspektorisch wird die Wirbelsäulen- Spätstadium kann die Atmung durch die Thoraxver-
form, palpatorisch die Intensität und Lokalisation steifung und Einsteifung der Kostotransversalgelenke
von Klopf-, Druck und Bewegungsschmerz wie auch beeinträchtigt sein. Rezidivierende periphere Arthriti-
der Fixationsgrad begutachtet. Radiologisch finden den, Iridozyklitiden, Urethritiden, Prostatitiden und
sich Keilwirbel, unregelmäßig konturierte Deck- Enthesopathien als extravertebrale Manifestationen
und Bodenplatten der Wirbelkörper, Schmorl- treten oft begleitend auf.
Knorpelknötchen, tonnenförmige Wirbelkörper-
veränderungen und verminderte Bandscheiben- > Das Hauptsymptom des Morbus Bechterew ist die
räume. Wirbelsäulenversteifung.

> Scheuermann-Trias: Keilwirbel, Schmorl-Knötchen, Diagnostik. Röntgen des ISG (maßgeblich für die Dia-
fixierte arkuäre Kyphose. gnostik), CT, MRT, selten Szintigraphie. Im Röntgen-
266 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.6a,b. Morbus Scheuer-


mann (Adoleszentenkyphose).
a Heranwachsender Junge mit
verstärkter Brustkyphose, tief einge-
2 sattelter Lendenlordose (Hohlrund-
rücken). Punctum maximum der
Kyphose im unteren BWS-Abschnitt.
b Röntgenbild: Keilwirbel und
Deckplattenunregelmäßigkeiten.
(Aus Krämer/Grifka 2005)

a b

bild des ISG zeigen sich zunächst Pseudoerweiterungen


und später perlschnurartige Randusuren. Man findet
das typische bunte Bild mit einem gleichzeitigen Auf-
treten von Erosionen, Sklerosen und Ankylosezeichen.
Beim weiteren Fortschreiten zeigen sich an der Wirbel-
säule paravertebrale Verkalkungen (Syndesmophyten),
osteoporotische Wirbelkörper und am Schluss die
Bambusstab-Wirbelsäule.
Im Labor ist die BSG beschleunigt, die Rheumase-
rologie negativ. Bei ca. 90% der Patienten ist HLA-B27
positiv, was nur einen Hinweis, nicht den Nachweis
liefert.

Therapie. Im Schub werden die Schmerzen und Ent-


zündungszeichen mit Analgetika und Antiphlogistika
behandelt. Bei rasch progredientem Verlauf kommen
sog. Basistherapeutika, wie Methotrexat, Azathioprin,
Sulfasalazin und TNF-α zum Einsatz. Wegen reichhal-
tiger Nebenwirkungen ist eine sorgfältige Überwa-
chung notwendig. Kortikosteroide werden bei extraver-
tebraler Manifestation (z. B. Knie) eingesetzt.
Durch gezielte Krankengymnastik mit Atemübun-
gen, Kyphoseprophylaxe und Gelenkmobilisationen
. Abb. 2.7. Morbus Bechterew: LWS seitlich. Verknöcherung
wird versucht, die WS-Beweglichkeit möglichst lange des vorderen Längsbands (Pfeile). Die Bandscheibenräume
zu erhalten. In der Spätphase der Erkrankung sind bei sind ventral geradlinig überbrückt. Vermehrte Strahlendurch-
ausgeprägtesten Kyphosierungen aufrichtende Opera- lässigkeit des Knochens im Wirbelkörper durch Osteoporose.
tionen der Wirbelsäule indiziert. (Aus Krämer/Grifka 2005)
2.8 · Wirbelsäule
267 2

In Kürze
Erkrankungen, die mit Kyphosen einhergehen

Morbus Scheuermann 4 Symptomatik: thorakal/thorakolumbal: selten Schmerzen, lumbal rezidivierende


Schmerzen, teilfixierter Flachrücken
4 Diagnostik: teilfixierte Kyphose, leichte Skoliose, Bandscheiben-Erniedrigung,
Keilwirbel, Schmorl-Knötchen
4 Therapie: Korsett; Operation (dorsale Instrumentierung)

Morbus Bechterew 4 Symptomatik: tief sitzender Ruheschmerz, frühmorgendlicher Kreuzschmerz,


Gesäßschmerz, Fersenschmerzen, Iridozystitis, Spätfolgen: zunehmende Einstei-
fung, Thoraxstarre
4 Diagnostik: Mischbild, Bambusstab, HLA-B27 im Labor
4 Therapie: Analgetika und Antiphlogistika, Krankengymnastik, Atemübungen,
Wirbelsäulenbeweglichkeit soll möglichst lange erhalten bleiben

2.8.5 Skoliose > Nichtfixierte Seitverbiegungen werden als skolioti-


sche Fehlhaltungen bezeichnet.
Definition. Skoliosen sind fixierte Seitausbiegungen in
der Frontalebene der Wirbelsäule mit zusätzlicher Wir- Ätiopathogenese. Die Skoliose zählt zu den Wachs-
belkörpertorsion (. Abb. 2.8). Durch die Rotation ent- tumsdeformitäten unklarer Ursache (=idiopathisch).
steht auf der Konvexseite der Krümmung der sog. Rip- Pathognomonisch wird eine ungleiche Entwicklung
penbuckel. Unterschieden werden folgende Skoliose- der Wirbelkörper-Wachstumsplatten angenommen.
formen: In der Folge wachsen die Wirbel in der Konkavität
4 Thorakal langsamer als in der Konvexität. Daneben gibt
4 Thorakolumbal es andere Ursachen (. Tab. 2.8). 5-mal häufiger
4 Lumbal als Jungen sind Mädchen betroffen. Man unter-
4 Thorakal mit lumbaler Gegenschwingung scheidet:

. Tab. 2.8. Skolioseformen

Skoliosebezeichnung Ätiologie

Idiopathisch Ca. 90% aller Skoliosen (=angeborene Skoliose). Ursache unbekannt. Wirbel wachsen
asymmetrisch.

Osteopatisch Wirbelkörperfehlbildungen, Entzündung, Tumoren, Beckenschiefstand, M. Scheuermann,


Wirbelkörperkompressionsfrakturen

Neuropatisch Einseitige Lähmung der Rumpfmuskulatur, z. B. Poliomyelitis, Zerebralparese, Neurofibro-


matose und spinaler Muskelatrophie, Meningomyelozele, Friedreich-Ataxie

Myopathisch Primäre Muskelerkrankung z. B. Muskelathrophie, Muskeldystrophie

Bindegewebs- Mesenchymale Erkrankungen wie: Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom,


Erkrankungen Narbenbildung

Strukturell Beinlängendifferenz, Kontrakturen

Metabolisch Osteoporose, Rachitis, Osteogenesis imperfecta

Übrige Systemerkrankungen (Achondroplasie), kongenital (Missbildung), neoplastisch,


inflammatorisch, hysterisch
268 Kapitel 2 · Orthopädie

4 Infantile Skoliose (bis 3. Lebensjahr, ungünstige Das Röntgenverfahren ist jedoch nicht als Scree-
Prognose) ning für eine frühere Diagnose geeignet. Ferner dient
4 Juvenile Skoliose (4. Lebensjahr bis Pubertät, häu- die wiederholte Röntgenkontrolle der Feststellung einer
2 figste Form) Verschlimmerung.
4 Adoleszenzskoliose (Pubertätsskelettreifung, gute
Prognose) > Die Proc. spinosi drehen in Richtung der konkaven
Seite, die Wirbel in die Konvexrichtung.
> Ca. 90% aller Skoliosen sind idiopathisch. Sie sind
prognostisch am ungünstigsten. Symptomatik. Meist werden die Skoliosen im Wachs-
tum zufällig entdeckt, da sie am Anfang selten klinische
Diagnostik. Für die Diagnostik entscheidend ist die Beschwerden verursachen.
Untersuchung am entkleideten Patienten. So kann
man am Verlauf der Processi spinosi die Seitverbiegung Therapie. Sie richtet sich nach der Ätiologie, wesentlich
erkennen. 70–80% der idiopathischen Skoliosen verlau- nach dem Alter, der Form und nach dem Schweregrad
fen thorakal rechtskonvex. Beim Vorbeugetest zeigen der Skoliose. Das Primärziel der Behandlung ist es die
sich Rippenbuckel und ggf. Lendenwulst. Progredienz aufzuhalten. Ab einem Cobb-Winkel lum-
Die konkave Seite ist nach vorn gedreht. Die Rippen bal bis 15°, thorakal >20° wird krankengymnastisch
werden zusammengedrückt, der Thorax steht hier vor. (aktiv redressierende und mobilisierende Verfahren)
Die Lunge wird gequetscht und es können Atelektasen therapiert (. Abb. 2.8b). Bis zu einem Winkel von lum-
entstehen. Die Konvexseite steht nach hinten hervor, ist bal bis 15–35°, thorakal 20–50° wird zusätzlich eine
vergrößert, hier ist der Buckel zu finden. Die Lunge Korsettbehandlung integriert (23–24 h am Tag zu tra-
wird auseinander gezogen und es kommt zur emphyse- gen). Die Korsetttherapie kann auch bei einer zu schnel-
martigen Aufblähung. len Progredienz >5° pro Jahr nötig werden.
Bei noch größeren Winkeln lumbal >35°, thorakal
> 4 Strukturelle Skoliose: fixierte Abweichung (idio- >50° ist die Operation indiziert. Nur 10% aller Skolio-
pathisch, poliomyelitisch) sepatienten benötigen eine Operation. Ziel einer Ope-
4 Funktionelle Skoliose: statisch (Fehlhaltung, ration ist auch die Skoliosekorrektur, was mit einer
Schmerz/Ischiasskoliose) Korsettbehandlung nicht möglich ist. Jede dieser Ope-
rationsverfahren beinhaltet eine langstreckige Verstei-
Ein Rippenbuckel kommt nur bei struktureller Skolio- fung (Spondylodese). Wichtig ist die regelmäßige ra-
se vor, nicht bei funktioneller. diologische Kontrolle.

Vorbeugetest bei Skolioseverdacht Prognose. Diese ist abhängig vom Alter (je jünger, des-
Als Screening-Methode zur Beurteilung einer Skoliose wird to schlechter), Höhe der Krümmung (je höher, desto
der so genannte Vorbeugetest angewandt: der Patient beugt schlechter) und der Stärke der Krümmung.
sich nach vorne unten. Bei diesem Test kommt es zur deutli-
cheren Darstellung der Torsionskomponenten in Form eines
Rippenbuckels bzw. beim Vorliegen einer Lumbalskoliose zur 2.8.6 Spondylolyse, Spondylolisthesis,
Entstehung eines Lendenwulstes. Die klinische Untersuchung Spondyloptose
ist das beste Mittel, um eine Skoliose frühzeitig zu entdecken,
da so die Rückendeformität verstärkt sichtbar wird. Ätiopathogenese. Eine angeborene Dysplasie oder me-
chanische Überbelastung (z. B. durch Sport) führt zu
Eine Röntgenwirbelsäulenganzaufnahme in zwei einer Umbauzone im Zwischengelenkstück. Meist tritt
Ebenen dient zur Vermessung der Skoliose mit Ermitt- diese im Bereich der unteren LWS auf.
lung des Skoliosewinkels nach Cobb (. Abb. 2.8b) und Die Spondylolyse entsteht durch eine Unterbre-
Bestimmung der Rotation nach Nash und Moe. Die chung im Bereich des Arcus pediculus (Interartikular-
Scheitelwirbel, die im Krümmungszentrum liegen und portion des Wirbelbogens) während der Wachstums-
die Neutralwirbel, an denen sich die Krümmungs- phase. Dadurch erhöht sich die Mobilität des Wirbel-
richtung ändert, und deren Deck- und Bodenplatten segments, sodass das darüber liegende Segment nach
parallel zueinander stehen, werden bestimmt. So ergibt ventral abgleiten kann (Spondylolisthesis). Je jünger
der Schnittpunkt der Senkrechten zu den Deck- und das Kind bei Eintreten des Wirbelgleitens ist, desto grö-
Grundplatten der Neutralwirbel den Winkel der Krüm- ßer ist die Gefahr, ein hochgradiges Wirbelgleiten zu
mung. Hiernach wird der Schweregrad eingeteilt. entwickeln. Bei Kindern, die Sportarten mit extremer
2.8 · Wirbelsäule
269 2

. Abb. 2.8a,b. Skoliose. a Idiopathische Skoliose mit linkskonvexer Seitverschie-


bung der LWS mit dem Scheitel am Brustwirbel-Lendenwirbel-Übergang. Leichte
rechtskonvexe Gegenschwingung oberhalb, Beckenschiefstand. Asymmetrische
Konfiguration der beiden oberen Lendenwirbel. b Messung des Skoliosewinkels
nach Cobb. (Aus Krämer/Grifka 2005)

a b

Rückenbeugung, wie z. B. Speerwerfen, Delphin- schmerzen; neurologische Ausfälle treten selten auf, da
schwimmen, Turnen oder Trampolinspringen ausüben, die Dislokation sehr langsam voranschreitet. Selten bei
ist die Rate besonders hoch. Die Spondyloptose be- hochgradigen Spondylolisthesen ist eine Verschiebung
zeichnet das totale Abgleiten eines Wirbelkörpers über des Rumpfes sichtbar (Sprungschanzenphänomen).
die Vorderkante des kaudalen hinaus (. Abb. 2.9). Bei Auftreten einer Wurzelirritation L5 beidseits heben
die Patienten beim Prüfen des Lasègue-Zeichens
Symptomatik. Meist sind die Patienten asymptoma- schmerzreflektorisch den gesamten Rumpf (Hüftlen-
tisch oder klagen über uncharakteristische Kreuz- denstrecksteife).

a b c d
. Abb. 2.9a–d. a Spondylolyse: Unterbrechung im Gelenk- terkante des Gleitwirbels auf der Gleitfläche des darunter lie-
fortsatz des Bogens L5 ohne Verschiebung, b Spondylolyse: genden Wirbels findet, d Spondyloptose: mit vollständigem
wie in a, mit Ventralverschiebung des Wirbelkörpers L5 (Spon- Abrutschen des Gleitwirbels über die Vorderkante des darun-
dylolisthesis), c Graduierung des Gleitvorgangs von 1–4: je ter liegenden Wirbels. (Aus Krämer/Grifka 2005)
nachdem, in welchem Viertel sich die Verlängerung der Hin-
270 Kapitel 2 · Orthopädie

Diagnostik. In der a.p.-Aufnahme ist ein umgekehrter Klassifizierung der Spondylolyse


Napoleonshut, Projektion des 5. LWK auf das Os sac- Die Klassifizierung wird nach Meyerding vorgenommen.
rum, erkennbar. Die Ventralisierung des proximalen Der distale Wirbelkörper (S1) wird in Viertel unterteilt. Die
2 Wirbelkörpers ist in der seitlichen Aufnahme beson- Position der Wirbelkörperhinterkante von L5 zum Wirbel-
ders gut zu erkennen. körper des Os sacrum lässt die Einteilung 1–4 entsprechend
einordnen.
> Im 45°-Schrägbild imponiert die Spondylolyse mit
dem Hundehalsband-Zeichen, das sich durch die Therapie. Beschwerden werden mit Krankengymnastik
Projektion der Gelenkfortsätze, der Pedikel und des und Muskelaufbautraining behandelt. Wenn keine neu-
Dornfortsatzes ergibt. rologischen Ausfälle oder Beschwerden vorliegen, wird
konservativ therapiert. Ansonsten werden Spondylolis-
thesen operativ repositioniert und stabilisiert.

In Kürze
Skoliose, Spondylolyse, Spondylolisthesis, Spondyloptose

Skoliose 4 Symptomatik: meist zufälliger Befund im Wachstum, wenn sie keine speziellen Symp-
tome verursachen
4 Diagnostik: Wirbelkörper rotiert zur Konvexität, Dornfortsatz zur Konkavität, Cobb-
Winkel an Deckplatten der Krümmungsänderung, konvexseitig: Rippenbuckel, Schul-
terblatt/Schulterhochstand, Lendenwulst auf anderer Seite
4 Therapie: Ziel: Progredienz aufhalten, Physiotherapie, Atemgymnastik

Spondylolyse, 4 Definition: Spalt in der Interartikulärportion


Spondylolisthesis, 4 Spondylolisthesis (= Wirbelgleiten): wenn beidseitig, L5/S1, Sprungschanze
Spondyloptose 4 Spondyloptose: völliges Abrutschen des Wirbelkörpers Körpers nach dorsal (auch ohne
Spondylolyse)
4 Spondyloptose: totales Abgleiten des Wirbelkörpers über die Vorderkante des darunter
liegenden
4 Symptomatik: meist asymptomatisch
4 Diagnostik: Röntgenbild
4 Therapie: konservativ, ggf. operativ

2.8.7 Bakterielle entzündliche Ätiopathogenese. Hämatogene Ausbreitung. Die Ent-


Erkrankungen der Wirbelsäule zündung breitet sich von den Bandscheiben auf die
Wirbelkörperabschlussplatte aus (bevorzugt untere
2.8.7.1 Unspezifische Entzündungen BWS, obere LWS).
Bei der Spondylitis und Spondylodiszitis (Bandscheibe
plus Deck- und Bodenplatten) handelt es sich um spe- Symptomatik. Meist besteht ein schweres Krankheits-
zifische und unspezifische Entzündungen der Wirbel- gefühl mit septischen Temperaturen. Die Patienten kla-
körper und der Bandscheiben. Das Entzündungsge- gen über WS-Druck- und Klopfschmerz über dem be-
schehen hat eine kurze Latenzzeit und ist meist mit fallenen Bereich. Weiterhin treten Schonhaltung und
akuten, starken Schmerzen richtungsweisend. Die un- dumpfer Nachtschmerz auf.
spezifische Spondylodiszitis kann endogen oder exo-
gen (bakterielle Kontamination) durch verschiedene Diagnostik. BSG und CRP sind meist erhöht. Das Ske-
Erreger (Streptococcus viridans, Salmonellen, Entero- lettszintigramm erlaubt die Früherkennung, das MRT
kokken, Pseudomonas) verursacht werden, meistens die Beurteilung der Abszessausdehnung und der Wir-
jedoch durch hämatogene Streuung von Staphylococ- belkörperdestruktion. Die Bandscheibenverschmäle-
cus aureus (30–40%). rung, Osteolysen und die Zerstörung des Wirbelkör-
2.8 · Wirbelsäule
271 2

pers sind zusammen mit einem paravertebralen Abs- Klopfschmerz über dem befallenen Bereich. Einge-
zess im normalen Röntgenbild erkennbar. schränkte Beweglichkeit. Durch Wirbelkörperzerstö-
rungen und Keilwirbelbildung kann sich die so genann-
Therapie. Diese erfolgt konservativ mit konsequenter te Pott-Trias: Gibbus, Senkungsabszess, Parese entwi-
Ruhiggestellung und resistenzgerechter Antibiotikathe- ckeln. Gefürchtet ist auch eine Frühlähmung durch
rapie. Operative Intervention ist nur bei längeren septi- Spinalkanaleinengung oder Nervenwurzelkompression
schen Verläufen indiziert: Herdsanierung und Spondy- in Folge eines Abszesses.
lodese des betroffenen Segments.
Diagnostik. BSG und CRP sind meist leicht erhöht.
> Die Wirbelsäule stellt den häufigsten Manifestations- Immer sollten begleitend ein Tuberkulintest durch-
ort der Skeletttuberkulose dar. geführt sowie Urin-, Blutkultur und Magensaft zum
Nachweis des Primärerregers (säurefeste Stäbchen)
2.8.7.2 Spondylitis tuberculosa untersucht werden. Selten zeigt sich eine Leukozytose,
Definition. Tuberkulose der Wirbelsäule. Die spezi- aber häufig eine Lymphozytose. Das Skelettszinti-
fische Spondylitis tuberculosa wird durch das Myco- gramm erlaubt die Früherkennung, das MRT die Be-
bacterium tuberculosis hervorgerufen. urteilung der Abszessausdehnung und der Wirbelkör-
perdestruktion. Die Bandscheibenverschmälerung,
Ätiopathogenese. Hämatogene Ausbreitung der Tu- Osteolysen und die Zerstörung des Wirbelkörpers fal-
berkelbakterien in die Wirbelsäule. Häufig lange Latenz len zusammen mit einem paravertebralen Abszess im
von der Ansteckung bis zur Manifestation (Latenzzeit normalen Röntgenbild auf.
von Monaten bis Jahre). Die Entzündung breitet sich
von den Wirbelkörperabschlussplatten auf die Band- Therapie. Konservativ wird mit Gipsliegeschale ruhig
scheiben aus. gestellt und mit Tuberkulostatika therapiert. Operativ
erfolgt die Herdausräumung mit lokaler Tuberkulosta-
Symptomatik. Die Patienten klagen über Nachtschweiß, tika-Applikation und anschließender Versteifung des
Fieber, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, WS-Druck- und Bewegungssegments.

In Kürze
Entzündungen der Wirbelsäule

Unspezifische 4 Symptomatik: akut, kurze Latenzzeit (Wochen), starke Schmerzen


Entzündung 4 Diagnostik: BSG n, Leukozyten n, Blockwirbel, monosegmental, zwei benachbarte
Wirbelkörper
4 Therapie: antibiotisch, Ruhigstellung, evtl. Operation bei septischen Verläufen

Spondylitis 4 Symptomatik: schleichend, lange Latenzzeit (Monate bis Jahre), diskrete Klinik
tuberculosa 4 Diagnostik: geringe Blockwirbelbildung, mehrere Wirbelkörper, Abszess/Sequester,
Spätfolgen: Pott-Trias: Gibbus, Senkungsabszess, Parese
4 Therapie: Ruhigstellung, Tuberkulostatika oder operative Herdausräumung mit
Spondylodese

2.8.8 Degenerative tät des Nucleus pulposus, Risse im Anulus fibrosus


Wirbelsäulenerkrankungen (Chondrose) entstehen. Die Chondrose ist radiologisch
an einer Reduktion des intervertebralen Abstandes ge-
2.8.8.1 Allgemeines kennzeichnet. Die Folge ist eine zunehmende Instabili-
Degenerative Prozesse sind eine altersübliche Entwick- tät im Bewegungssegment mit zusätzlicher Gefahr der
lung und müssen nicht immer einen Krankheitswert Entwicklung eines Diskusprolapses. Im Weiteren ent-
besitzen. wickelt sich eine zunehmende Sklerosierung (Osteo-
chondrose) der Wirbelkörper. Dadurch kommt es zu
Ätiopathogenese. Mit zunehmendem Alter können, einer zunehmenden Inkongruenz der Gelenkflächen
aufgrund einer verminderten Wasserbindungskapazi- mit Fortschreiten der Degeneration (Spondylarthrose).
272 Kapitel 2 · Orthopädie

Die reaktive Spondylophytenbildung und die Osteo-


phyten engen den Spinalkanal und die Foramina inter- . Tab. 2.9. Zervikalsyndrome
vertebrale ein. Die Wirbelsäule wird in ihrer Beweglich-
Name Symptome
2 keit zunehmend eingeschränkt.
Lokalsyndrom Kopf- und Nacken-
Symptomatik. Die erhöhte Segmentbeweglichkeit führt schmerzen
zu Blockierungen, Irritationen und Kompression der
Torticollis Muskuläre Bewegungs-
austretenden Nervenwurzeln. Die Patienten klagen
störung der HWS
über Schmerzen, Muskelverspannungen, chronische
Beschwerden, die sich bei Belastung verstärken. Radikulärsyndrom Schulter-Arm-Schmerzen,
Neuralgien
Diagnostik. Klinisch, radiologische (Nachweis einer
Vegetative Syndrome Zervikale Migräne,
Osteochondrose, Spondylose: Kantenausziehungen am Schwindel
Wirbel, Randzacken, Randwülste der Bandscheibe)
Untersuchung. Bei den degenerativen Wirbelsäulener- Medulläres Syndrom Myelopathie
krankungen sollte immer der Langzeitverlauf an Serien-
röntgenbildern begutachtet werden. Veränderungen
(Progression) können diagnostisch entscheidend sein.
4 Fehlbildung
> Oft haben sich die aktuell sichtbaren pathologischen 4 Skalenussyndrom
Veränderungen Jahre vorher entwickelt. Sie haben 4 AK-Blockierungssyndrom
dann häufig keinen aktuellen Krankheitswert. Diesem 4 Okzipitale Neuralgie
Umstand muss man v. a. bei den Versicherungsgut- 4 Frakturen meist bei: C4–C6
achten Rechnung tragen.
Symptomatik. Die zervikale Myelopathie kann durch
Therapie. Im Akutstadium Bettruhe, Analgetika und Osteophyten im mittleren dorsalen Teil der Wirbelkör-
Wärmeapplikation. Dann erfolgen aufbauend passive per hervorgerufen werden. Durch die Kompression der
und aktive physikalische und krankengymnastische A. spinalis anterior und des Myelons selbst kann es zur
Maßnahmen. Daneben besteht auch an der Wirbelsäu- spastischen Parese mit positiven Pyramidenbahnzei-
le die Möglichkeit von lokalen Steroidinfiltrationen. chen, Tetraplegien und Tiefensensibilitätsstörungen
Operative Interventionen sollten das Ende der thera- kommen. Unkovertebrale Spondylophyten können die
peutischen Möglichkeiten bilden. Halsnervenwurzeln sowie die A. vertebralis einengen
und zu Zervikobrachialgien und zu einer vertebrobasi-
2.8.8.2 Halswirbelsäule (HWS) liären Insuffizienz führen.
Definition. Das zervikozephale Syndrom ist ein Syn-
drom, das sich in Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Therapie. Halskrawatten wirken stützend und wär-
Hör-, Seh- und Schluckstörungen äußert. Die starken mend. Gezielte Wärmeapplikation und physikalische,
Kopfschmerzen gaben der Krankheit auch den Namen krankengymnastische Maßnahmen führen in der Regel
»zervikale Migräne«. zu einer Besserung. Medikamentös werden Analgetika,
Antiphlogistika und Muskelrelaxanzien verabreicht.
Ätiopathogenese. Das Zervikalsyndrom fasst klinische Bei therapieresistenten Beschwerden ist die Indikation
Erscheinungen zusammen, die ihre gemeinsame Ursa- zu einer von ventral durchgeführten Spondylodese.
che in degenerativen Erkrankungen der HWS haben
(. Tab. 2.9). Die Symptome sind oft durch Rotation der 2.8.8.3 Brustwirbelsäule (BWS)
HWS auslösbar. Den Auslöser stellt eine Einengung der Aufgrund der geringen Beweglichkeit dieses Wirbel-
A. vertebralis sowie des sympathischen Grenzstrangs säulenabschnitts sind Schmerzen und Diskushernien
im Bereich der HWS dar. Hierbei ist die Ursache oft eine sehr selten. Durch Blockierungen der kleinen Wirbel-
Fehlstellung der Gelenke am Kopf-Hals-Übergang. oder der Kostotransversalgelenke kann es zu Beschwer-
Ursachen können sein: den kommen. Differenzialdiagnostisch sind Neuralgien
4 Entzündliche Destruktion (Interkostalneuralgie) sowie bei akuten Schmerzen
4 Zervikaler Diskusprolaps Pneumothorax oder Herzinfarkt auszuschließen. The-
4 Zervikobrachiales Syndrom rapiert wird mit Analgetika und Antiphlogistika, auch
4 Neoplastische Destruktion lokale Injektionen von Lokalanästhetika bringen Lin-
2.8 · Wirbelsäule
273 2

derung. Im subakuten Stadium können Blockierungen (dermatomale Schmerzausstrahlung). Es können Sen-


manualtherapeutisch behandelt werden. sibilitätsstörungen und Paresen auftreten.
4 Pseudoradikuläre Schmerzen haben den Charakter ra-
2.8.8.4 Lendenwirbelsäule (LWS) dikulärer Schmerzen ohne Vorliegen einer Nervenein-
Ätiopathogenese. 70% der Wirbelsäulenbeschwerden klemmung. Sie sind nie dermatombezogen.
finden sich im lumbalen Bereich. Entsprechend der
phasenhaften Bandscheibendegeneration tritt das Lum- Bei lateralen bzw. mediolateralen Bandscheibenvorfäl-
balsyndrom am häufigsten in der 2. Lebenshälfte auf. len kommt es durch Kompression der abgehenden Ner-
venwurzel zu einer radikulären Symptomatik mit:
Symptomatik. Chronische Beschwerden und plötzlich 4 Sensibilitätsstörungen im betroffenen Dermatom
einschießende Schmerzen (Hexenschuss) durch Be- 4 Scharf stechender nach peripher ziehender Schmerz
lastung oder ruckartige Bewegungen werden beschrie- am Bein (Ischialgie)
ben. Schmerzausstrahlungen und vegetative Begleiter- 4 Motorische Lähmungen der betroffenen Muskula-
scheinungen treten gehäuft auf. Reflektorisch reagiert tur und Reflexausfall
die Muskulatur mit Verspannungen im betroffenen 4 Husten und Pressen verschlimmert den Schmerz
Bereich. 4 Es wird eine fixierte Schonhaltung eingenommen
4 Blasen- und Mastdarmkontinenzstörungen sind
Diagnostik. Es finden sich keine, leichte bis hin zu aus- möglich
geprägten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen.
Der mediale Bandscheibenvorfall im LWS-Bereich
Therapie. Im Akutstadium Stufenbettlagerung, Mus- komprimiert die Cauda equina, es kann zum Kauda-
kelrelaxanzien im betroffenen Bereich, Schmerzthera- equina-Syndrom kommen:
pie und Wärme. Blockierungen werden manualthera- 4 Unwillkürlicher Urin- und Stuhlabgang
peutisch gelöst. Prophylaktisch kommt die Rücken- 4 Reithosenanästhesie
schule zu Anwendung. 4 Häufig positives Lasègue- bzw. Bragard-Zeichen
4 Die für die betroffenen Nervenwurzeln typischen
2.8.8.5 Diskushernie Ausfälle (Reflexe, Sensomotorik)
Ätiopathogenese. Durch Protrusionen oder den Pro-
laps von Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal Bandscheibenvorfälle finden sich zu ca. 2% im Thorax-
kommt es insbesondere in Höhe L4/5 und L5/S1, aber bereich, zu 1/3 im Zervikalbereich, 2/3 der Vorfälle lie-
auch im Zervikalbereich zu lateralen, seltener zu medi- gen im Lumbalbereich (. Tab. 2.10, . Tab. 2.11).
alen Diskushernien (. Abb. 2.10). Während man früher
von einer rein mechanischen Kompression der Nerven- Diagnostik. Zur Diagnosestellung und -sicherung
wurzel als Ursache der Schmerzentwicklung (Lumbo- wird bevorzugt das MRT oder CT eingesetzt. Die My-
ischialgie) ausging, scheint der chemischen Irritation elographie wird nur noch selten angewendet. Zu be-
eine wesentliche und wahrscheinlich auch bedeutende- achten ist jedoch, dass nicht jede Lumboischialgie
re Rolle zuzukommen. mit einem MRT abgeklärt werden muss. Hier gelten
folgende Indikationen: Verdacht auf Tumor oder In-
Symptomatik. Rückenschmerzen nehmen eine unter- fektion, Kaudasymptomatik, schwergradige Parese,
geordnete Rolle ein oder können sogar fehlen. Oft be- leichtgradige Parese (Bewegung gegen leichten Wi-
steht ein typischer Press-, Husten-, oder Nies-Schmerz. derstand noch möglich) für mehr als 3 Wochen, oder
Klinisch findet sich ein positiver Lasègue-Test (derma- ein radikuläres Reizsyndrom, das länger als 6 Wo-
tombezogene Beinschmerzen bei Heben des ipsilatera- chen besteht.
len Beins). Ein gekreuzter Lasègue (dermatombezogene
Beinschmerzen bei Heben des kontralateralen Beins) Therapie. Die konservative und die operative Therapie
hat einen hohen prädiktiven Wert für das Vorliegen ei- des Bandscheibenvorfalls sind nach einem Zeitraum
ner Diskushernie. von 4–10 Jahren hinsichtlich der klinischen Ergebnisse
annähernd gleichwertig. Konservativ erfolgt der Ein-
Radikuläre und pseudoradikuläre Schmerzen satz von manualtherapeutischer Behandlung, NSAR,
4 Radikuläre Schmerzen entstehen aufgrund einer Ner- Muskelrelaxanzien, Physiotherapie sowie Nervenwur-
venwurzelirritation/Einklemmung. Häufig strahlen sie zelblock (CT-gesteuerte Infiltration von Lokalanästhe-
von der Lumbalregion in das Bein oft bis in den Fuß aus tika und Steroiden). Eine absolute Operationsindika-
6 tion ist bei Vorliegen einer Blasen-Mastdarmstörung
274 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.10. Mindmap Diskushernie


2.8 · Wirbelsäule
275 2

. Tab. 2.10. Nervenwurzelkompressionssyndrome im Zervikalbereich

Nervenwurzel Sensible Störung Motorische Störung

C5 Schulter, Oberarmaußenseite Parese des M. deltoideus, Bizepssehnenreflex (BSR) abgeschwächt

C6 Radialer Unterarm, Daumen Parese des M. biceps brachii und M. brachioradialis, BSR, Radius-
Periost-Reflex (RPR) abgeschwächt

C7 Dorsaler Unterarm, Parese des M. triceps brachii, M. pronator teres, M. pectoralis ma-
2./3. Finger jor, Trizepssehnenreflex (TSR) abgeschwächt

C8 Ulnarer Unterarm, 5. Finger Paresen der kleinen Handmuskulatur, Atrophie des Hypothenars,
TSR abgeschwächt

. Tab. 2.11. Nervenwurzelkompressionssyndrome im Lumbalbereich

Nervenwurzel Sensible Störung Motorische Störung

L3 ventraler Oberschenkel und M. quadriceps femoris, M. iliopsoas, Patellarsehnenreflex (PSR)


Knieinnenseite

L4 Tibiavorderkante, Innenknöchel Parese des M. quadriceps femoris, PSR abgeschwächt

L5 Lateraler Unterschenkel, Fußrü- Parese des M. extensor hallucis longus, Parese der Fußheber-
cken, Großzehe muskulatur, Hackengang erschwert, Tibialis-posterior-Reflex
(TPR) abgeschwächt

S1 Wade, Fußrand, Kleinzehe Parese der Fußbeugermuskulatur, Zehenstand erschwert,


Achillessehnenreflex (ASR) aufgehoben

(Kaudasyndrom) oder einer zunehmenden oder belgelenke) von der medialen Stenose (Hypertrophie
schwergradigen Parese gegeben. Üblich ist heute die des Lig. flavum, Spondylophyten).
Minidiskektomie (minimalinvasive Entfernung des lu-
xierten Bandscheibengewebes). Symptomatik. Die typischen Symptome sind Folge der
belastungs- und haltungsabhängigen mechanischen
> Cave Nervenwurzelirritation. Die Patienten klagen über
Bei Kaudakompression mit Blasen- und Mastdarm- Schmerzen mit Lokalisation im Kreuz und/oder Gesäß
störung sowie bei akut einsetzenden, schweren Läh- und Schmerzausstrahlung ins Bein. Der Verlauf ist be-
mungen der Fuß- und Zehenheber und des M. quad- lastungs- und positionsabhängig. Häufig Besserung bei
riceps besteht eine absolute Operationsindikation. Entlordosieren (Vornüberbeugen), Sitzen oder Liegen.
Typischerweise beschreiben die Patienten neben einer
2.8.8.6 Spinalkanalstenose, Lumbalgie einen plötzlich z. T. in beide untere Extremi-
Claudicatio intermittens spinalis täten einschießenden stechenden Schmerz.
Ätiopathogenese. Ein primär angeborener enger Spi- Häufig kommt es zu einer Reduzierung der Geh-
nalkanal durch kongenitale Fehlbildungen (Achondro- strecke auf wenige 100 m aufgrund einer so genannten
plasie/Chondrodystrophie) oder eine hyperlordotische Claudicatio spinalis. Dabei kommt es nach entspre-
Körperhaltung können beide stenosierend wirken. Wei- chender Überschreitung der Gehstrecke zu Schmerzen,
tere Ursachen können sein: Diskusprotrusionen, Kno- Sensibilitätsstörung und Lähmungen in den unteren
chenerkrankungen und Verletzungen, degenerative Extremitäten. In der Regel versuchen die Patienten
Wirbelsäulen-, Veränderungen der Ligg. flava sowie durch eine Flexion der Wirbelsäule den Spinalkanal
ausgeprägte Spondylophyten. Man unterscheidet die und die Foramina intervertebralia zu erweitern, was
laterale Wirbelkanalstenose (Veränderungen der Wir- sich in einer nach vorne geneigten Haltung im Gehen
276 Kapitel 2 · Orthopädie

und Sitzen bemerkbar macht. Je nach Ausprägung und rapie muss operativ eine Dekompression (Laminoto-
Symptomatik muss bei diesen Patienten eine Dekomp- mien unterschiedlicher Ausdehnung und Lokalisation)
ression des Spinalkanals durchgeführt werden. Teilwei- erfolgen. Ggf. muss bei drohender Instabilität zusätzlich
2 se ist bei instabilen Verhältnissen sogar eine dorsale instrumentell stabilisiert werden (Spondylodese = Ver-
Spondylodese (= Versteifung der Wirbel) nötig. steifung des Segmentes).

Diagnostik. Klinisch durch Beurteilung der Wirbelsäu- > Neurologisch lassen sich die folgenden Erkrankungen
le (lokaler Druckschmerz) und des Gangbildes. Dane- voneinander abgrenzen:
ben sind spezifische Funktions- und Schmerztests in 4 Lumbalgie: Kreuzschmerz (Symptom, keine Diag-
Form von Provokationstests (passive Reklination) oder nose)
Vorbeugetest (bei Inklination Beschwerdebesserung) 4 Lumbago: Hexenschuss, Irritierung der Eigenin-
bedeutsam. Daneben sind die neurologische Untersu- nervation der Bandscheibe
chung sowie der Pulsstatus der unteren Extremität 4 Lumboischalgie: ferngeleiteter Schmerz, Irrita-
zwingend notwendig. Weiterhin wichtig ist die radiolo- tion/Läsion der Spinalnerven im LWS-Bereich
gische Diagnostik mit Röntgenbild, MRT, evtl. CT oder 4 Ischialgie: Irritationen des N. ischiadicus
Myelographie.
2.8.8.7 Lumbales Facettensyndrom
Therapie. Indiziert ist eine medikamentöse Therapie und pseudoradikuläre Symptomatik
mit Einsatz von Antiphlogistika (NSAR) zur Schmerz- Durch Verschleißerscheinungen der Wirbelgelenke
reduktion. Daneben eignen sich abschwellende Medi- kommt es zur Reizung der Gelenkkapsel, die über Me-
kamente durch epi-/peridurale Injektionen. Weiterhin chanorezeptoren Kontraktionen der pelvifemoralen
wichtig sind die physikalische Therapie mit Kranken- und ischiokruralen Muskulatur auslöst. Es kommt zu
gymnastik zum Muskelaufbautraining der Bauch- und einer pseudoradikulären Schmerzentwicklung ohne
Rückenmuskulatur sowie der Einsatz von Stock, Unter- Sensibilitätsstörungen oder Reflexausfälle, aber mit
armgehstützen oder entlordosierenden Mieder bzw. nicht dermatombezogenen Parästhesien. Der Rücken-
Korsetts. Bei Nichtansprechen der konservativen The- schmerz überwiegt.

In Kürze
Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule

HWS, zervikozephales 4 Symptomatik: Bewegungseinschränkungen, Schmerz


Syndrom 4 Diagnostik: Röntgen-, CT- oder MRT-Untersuchungen
4 Therapie: nach Möglichkeit kausal, Analgetika

BWS 4 Symptomatik: Schmerzen


4 Diagnostik: Röntgen-, CT- oder MRT-Untersuchungen
4 Therapie: Analgetika und Antiphlogistika, lokale Injektionen von Lokalanästheti-
ka, manualtherapeutisch

LWS, Lumbalsyndrom 4 Symptomatik: Bewegungseinschränkungen, Schmerzen


4 Diagnostik: Röntgen-, CT- oder MRT-Untersuchungen
4 Therapie: Stufenbettlagerung, Wärme, Schmerztherapie, Muskelrelaxanzien,
Rückenschule

Diskushernie 4 Symptomatik: lageabhängig, oft positiver Lasègue-Test, oft Press-, Husten- oder
Nies-Schmerz
4 Diagnostik: MRT, CT
4 Therapie: meist konservative Therapie, bei Kaudakompression mit Blasen- und
Mastdarmstörung sofortige operative Entlastung
6
2.9 · Brustkorb
277 2

Spinalkanalstenose 4 Symptomatik: Belastungs- und positionsabhängige Schmerzen, Schmerzausstrah-


lung ins Bein
4 Diagnostik: spezifische Funktions-, Schmerz- und Provokationstests
4 Therapie: entlastende Lagerung mit Antiphlogistika, Krankengymnastik, operativ:
Teilentfernung der stenosierenden Wirbelbögen und -gelenke

2.8.9 Tumoren Sternumbereich, da die Rippen gegenüber dem Ster-


num ein beschleunigtes Wachstum zeigen.
Definition. Äußerst selten finden sich primäre Tumo-
ren (z. B. Meningeom) in der Wirbelsäule. Meistens Symptomatik. Meist treten in Folge der Veränderung
sind osteoklastische oder osteoblastische Metastasen keine Beschwerden auf. Die BWS ist häufig kombiniert
vorhanden, diese insbesondere von Mamma-, Pros- mit Deformitäten wie Skoliose oder Kyphose.
tata-, Lungen- oder Nierenkarzinom.
Diagnostik. Entscheidend für die Therapie ist der Ab-
Symptomatik. Die Zerstörung der Wirbelkörper mit stand zwischen dem tiefsten Punkt der ventralen Ein-
Zusammenbruch und Gibbusbildung steht im Vorder- ziehung und der Wirbelsäule.
grund. Daraus können neurologische Ausfälle und
Schmerzen resultieren. Therapie. Konservativ mit Atemgymnastik. Ab dem 12.
Lebensjahr Operation aus kosmetischen Gesichtspunk-
Diagnostik. Der röntgenologische Befund weist folgen- ten möglich. Selten kardiopulmonale Beschwerden
de Veränderungen auf: durch die Deformität.
4 Wirbelkörperdeformierungen
4 Osteolytische Destruktionen
4 Osteoblastische Umformungen 2.9.2 Pectus carinatum

Therapie. Die benignen Tumoren und einzelne Metas- Synonym. Hühnerbrust, Kielbrust.
tasen werden reseziert oder strahlentherapeutisch be-
handelt. Die Wirbelsäule muss stabilisiert werden. Definition. Prominenz des Sternums mit den angren-
zenden Rippen in seinem kaudalen Anteil.

2.8.10 Traumata Ätiopathogenese. Viel seltener als die Trichterbrust.


Ventrale Vorwölbung des Sternums. Ätiologisch kann
7 Kap. Unfallchirurgie (Verletzungen der Wirbelsäule). eine Rachitis möglich sein.

Symptomatik. Funktionelle Störungen der Thoraxor-


2.9 Brustkorb gane bestehen nicht. Die Schädigung ist rein kosmeti-
scher Natur.
2.9.1 Pectus excavatum
Diagnostik. Spitzwinklig prominentes Sternum.
Synonym. Trichterbrust, Pectus infundibiliforme.
Therapie. Haltungsturnen und Thoraxgymnastik kom-
Definition. Trichterförmige Einziehung der vorderen men konservativ zum Einsatz. Im Wachstumsalter An-
Brustwand mit dem tiefstem Punkt im Bereich des Pro- lage eines Leibchens mit Druckplatte im Bereich des
cessus xyphoideus. Brustbeins zur Wachstumslenkung. Bei starken Defor-
mierungen operative Korrektur.
Ätiopathogenese. Endogene Missbildung. Männer
sind 3-mal häufiger als Frauen betroffen. Insbesondere
zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr entwickelt sich die
trichterförmige Einsenkung hauptsächlich im unteren
278 Kapitel 2 · Orthopädie

In Kürze
. Tab. 2.12. Ätiologie des Schiefhalses
Fehlbildungen des Brustkorbs
4 Die Trichterbrust kommt insbesondere bei Bezeich- Ätiologie
2 Männern vor und hat einen progredienten Ver- nung
lauf. Der tiefste Punkt befindet sich am kauda-
Torticollis Durch Augenerkrankungen, z. B. Obli-
len Sternum. opticus quus-superior-Parese, Schielen
4 Die Kielbrust (Pectus carinatum), auch als Hüh-
nerbrust bezeichnet, ist durch eine Vorwöl- Torticollis
Durch einseitige Schwerhörigkeit
bung charakterisiert. acusticus

Torticollis
Plötzliche schmerzbedingte Schief-
rheumati-
haltung des Kopfes
cus
2.10 Hals Torticollis
Psychische Störung (Tic)
mentalis
2.10.1 Schiefhals
Torticollis Angeborene ossäre Fehlbildung,
osseus Frakturen, Klippel-Feil-Syndrom (Hals-
Synonym. Torticollis.
wirbelkörperfusion),

Definition. Der Begriff beschreibt nur das Symptom der Torticollis Entzündete Halsweichteile, Grisel-
Schiefstellung des Kopfs. infectiosus Syndrom (Lockerung des Lig. trans-
versumatlantis hinter dem Dens mit
Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist unterschiedlich Vergrößerung des Abstandes zwi-
(. Tab. 2.12). Der angeborene muskuläre Schiefhals ist schen Dens und Atlas)
eine Erkrankung von Neugeborenen oder jungen Säug- Torticollis
lingen. Der M. sternocleidomastoideus ist auf einer Sei- Spastische Halsmuskulatur
spasticus
te fehlgebildet und bindegewebig verkürzt, es kommt zu
einer fixierten Schiefhaltung des Kopfs. Torticollis Große Narben, Zustand nach Neck
cutaneus dissection, Verbrennungen

> Der Kopf neigt sich bei der angeborenen Form zur
Seite der Muskelverkürzung und rotiert zur gesunden
Seite.
stand auf der Kontrakturseite (Annäherung von Ansatz
Der Torticollis kann durch unterschiedliche Erkran- und Ursprung) einhergeht.
kungen entstehen (. Tab. 2.12).
Therapie. Mit Krankengymnastik ist die auslösende
Symptomatik. Beim muskulären Torticollis ist der ver- Ursache früh und konsequent zu behandeln, und damit
kürzte und verhärtete M. sternocleidomastoideus als Folgeerkrankungen zu vermeiden. Letztere ist als prä-
starker Strang palpierbar. Die eingeschränkte Beweg- arthrotische Deformität zu werten. Sollten die Be-
lichkeit in der HWS hat die Entwicklung einer Ge- schwerden zum Ende des ersten Lebensjahres noch
sichtsasymmetrie (Skoliose) zur Folge, das Wachstum bestehen, wird eine biterminale offene Tendotomie des
bleibt auf der erkrankten Gesichtshälfte zurück. Es ent- Muskels durchgeführt; anschließend erfolgt eine 6-wö-
steht eine HWS-Skoliose, die mit einem Schulterhoch- chige Gipsruhigstellung.

In Kürze
Schiefhals

Schiefhals 4 Ätiologie: muskulär, ossär, narbig, neurogen, okulär, arthrogen


4 Symptomatik: Schiefhalten des Kopfs
4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: je nach Ätiologie, z. B. beim muskulären Schiefhals: operative Durchtrennung der
Muskelinsertion gegen Ende des 1. Lebensjahres
2.11 · Schulter
279 2
2.10.2 Armplexusverletzungen Ätiopathogenese. Ätiologisch sind Rippenanoma-
lien, Klavikulafrakturen, Tumoren und exogene Fak-
7 Kap. Neurologie. toren (z. B. Tragen von Lasten, Arbeiten über der
Horizontalen) bestimmend. Betroffen sind in diesem
Fall auch der Plexus brachialis und die V. subclavia.
2.10.3 Zervikobrachiale Region
Hyperabduktionssyndrom
2.10.3.1 Thoracic-outlet-Syndrom Synonym. Pectoralis-minor-Syndrom.
Definition. Sammelbegriff für alle Kompressions-
syndrome im Verlauf des Gefäß-/Nervenbündels von Ätiopathogenese. Die Kompression entsteht zwischen
der oberen Thoraxapertur bis zum M. pectoralis minor. der Sehne des M. pectoralis minor und dem Thorax.
Die wichtigsten Thoracic-outlet-Syndrome sind das Der Plexus brachialis und die A. subclavia werden bei
Skalenus-, das Hyperabduktions- und das Kostoklavi- maximaler Abduktion und Retroversion des Armes
kularsyndrom. komprimiert.
Aus der anatomischen Lokalisation ergeben sich
folgende Unterteilungsmöglichkeiten. Symptomatik. Es treten bei allen 3 Formen des Thora-
cic-outlet-Syndroms folgende Beschwerden auf:
Skalenussyndrom 4 Brachialgien, insbesondere ulnarseitig an Unter-
Definition. In der dreieckigen hinteren Skalenuslücke, arm und Hand
die von den M. scaleni anterior et medius und der 4 Neurovaskuläre Störungen, z. B. Parästhesien,
1. Rippe gebildet wird, kommt es zur Einengung des Muskelschwäche
Plexus brachialis und der A. subclavia. Anatomische 4 Zyanose, Ödeme
Weichteilvariationen und Halsrippen können je nach
Spannungszustand oder Hypertrophie der Muskulatur Diagnostik. Adson-Test: Der Patient inspiriert tief, re-
auf den Plexus brachialis und die A. subclavia Kom- kliniert den Kopf und rotiert ihn zur betroffenen
pression ausüben. Seite. Bei positivem Test ist eine deutliche Abschwä-
chung vom Radialispuls palpierbar. Sie lässt sich durch
Kostoklavikulärsyndrom Zug am herabhängenden Arm noch verstärken.
Definition. Weiter dorsal kommt es zu Einengungs-
erscheinungen im Raum zwischen Klavikula und Therapie. In leichten Fällen reicht eine Ruhigstellung
1. Rippe. des Arms, ansonsten sind Resektion der Halsrippe und/
oder Skalenotomie indiziert.

In Kürze
Thoracic-outlet-Syndrome

Skalenussyndrom, 4 Symptomatik: Brachialgien, neurovaskuläre Störungen, Zyanose, Ödeme


Kostoklavikulärsyndrom, 4 Diagnostik: Adson-Test
Pectoralis-minor-Syndrom 4 Therapie: Ruhigstellung des Arms, ggf. Resektion der Halsrippe bzw. Skaleno-
tomie

2.11 Schulter Die Schulter ist die Verbindung zwischen Arm und
Thorax. Sie wird knöchern von Humerus, Skapula, Kla-
2.11.1 Anatomie des Schultergelenkes vikula und knöchernem Thorax gebildet.
Der viel größere Humeruskopf wird nur durch den
Für den Bewegungsumfang des Schultergelenkes gelten Kapselbandapparat und die Rotatorenmanschette in
folgende Normwerte: der sehr kleinen Gelenkpfanne (Akromion) fixiert. We-
4 Retro-/Anteversion: 40°/0°/150–170° gen der geringen knöchernen Führung des Schulterge-
4 Innen-/Außenrotation: 40–60°/0°/95° lenkes und des schwachen Bandapparates wird die Si-
4 Ab-/Adduktion: 180°/0°/10–40° cherung des Schultergelenkes v. a. von der Rotatoren-
280 Kapitel 2 · Orthopädie

2.11.3 Schultergelenksluxationen
. Tab. 2.13. Rotatorenmanschettenmuskulatur
Definition/Ätiopathogenese. Man unterscheidet zwi-
Muskel Ansatz am Humerus
2 schen der traumatischen und der rezidivierenden
M. supraspinatus Seitlicher Oberarmkopf Luxation. Letztere wird zusätzlich in 3 Gruppen un-
(Tuberculum majus) terteilt:
4 Habituelle Luxation: Erstluxation ohne adäquates
M. subscapularis Vorderseite des Oberarm- auslösendes Trauma meist im Kindesalter. Auf-
kopfes (Tuberculum minus) grund einer Dysplasie kommt es bei alltäglichen
M. infraspinatus Seitlicher Oberarmkopf
Bewegungen zu Luxationen.
(Tuberculum majus); etwas 4 Posttraumatisch rezidivierende Luxation: trauma-
hinter Supraspinatus tische Erstluxation mit zu kurzer Ruhigstellung,
ossären oder Weichteil-Begleitverletzungen Hill-
M. teres minor Tuberculum majus dorsal Sachs-Läsion, Bankart-Läsion, N.-axillaris-Schä-
am Humeruskopf den.
4 Willkürliche Schulterluxation: Der Patient (meist
Frauen) kann die Schulter selbstständig (sub-)lu-
xieren. Möglicher sekundärer Krankheitsgewinn.
manschette und dem Musculus deltoideus übernommen.
Zusammen bewirken sie, dass der Oberarmkopf in der Epidemiologie. Die Luxation des Schultergelenkes ist
Gelenkpfanne gehalten wird. die häufigste der großen Gelenke. Die Inzidenz beträgt
Funktionell besteht die Schulter aus 3 Gelenken: 15/100.000 Menschen/Jahr.
4 Glenohumeralgelenk
4 Akromioklavikulargelenk 2.11.3.1 Traumatische Schultergelenksluxation
4 Sternoklavikulargelenk Ätiopathogenese. Durch direkte oder indirekte Ge-
walteinwirkung kann die Schulter luxieren. Die Eintei-
> Anatomisch wichtig für gewisse Krankheitsbilder sind lung erfolgt in eine vordere (ca. 80%), untere (ca. 15%),
der intraartikuläre Verlauf der langen Bizepssehne hintere (ca. 5%) sowie seltene Formen nach oben oder
und die Rotatorenmanschette, die den Humeruskopf intrathorakale Schulterluxation.
umspannt (. Tab. 2.13).
Symptomatik. Klinisch findet sich stets eine leere Ge-
lenkspfanne mit tastbarem Oberarmkopf außerhalb
2.11.2 Untersuchung der Schulter der Pfanne. Meist entsteht ein Spontan- und Bewe-
gungsschmerz. Der Patient hält dabei seinen Arm ad-
Jedes der 3 Schultergelenke wird – jeweils im Seitenver- duziert. Eine Beteiligung des N. axillaris (10% der Fälle)
gleich – separat untersucht. Bei der Inspektion der ist auszuschließen.
Schulter sollte auf Atrophien der Muskulatur, Entzün-
dungen mit Rötungen, Schwellungen und Operations- Diagnostik. Das Röntgenbild zeigt den luxierten Hu-
narben geachtet werden. Die Schulterpalpation wird meruskopf mit leerer Gelenkspfanne. Häufig finden
am stehenden – oder bei gewissen Stabilitätstests (hin- sich zusätzlich Läsionen am unteren Pfannenrand
tere Schublade) – am liegenden Patienten durchge- (Bankart-Läsion) sowie eine Impressionsfraktur am
führt. Der Untersucher steht hinter dem Patienten Kopf (Hill-Sachs-Läsion) (. Abb. 2.11). Beide entste-
und palpiert alle Strukturen. Alle Bewegungsfreiheits- hen durch das Heraushebeln des Kopfes über den Akro-
grade werden aktiv und passiv evaluiert. Eine genaue mionrand.
Schmerzanamnese ist zu erheben.
Durch diagnostische Infiltrationen von Lokal- Therapie. Geschlossene Reposition (verschiedene
anästhetika können unterschiedliche »Schulter- Techniken, wie nach Art oder Hippokrates und weitere
schmerzätiologien« voneinander abgegrenzt werden. individuelle). Dorsale Luxationen sollten nach einmali-
Zu jeder Untersuchung gehört je nach Fragestellung gem erfolglosen Repositionsmänover offen (operativ)
eine mehr oder weniger ausführliche radiologische reponiert werden. Eine konservative Therapie ist mit-
Bildgebung. Zum Einsatz kommen, neben dem immer tels 3- bis 6-wöchiger Ruhigstellung im Desault-Ver-
durchzuführenden Röntgenbild, CT, MRT oder Sono- band möglich, dabei liegt die Rezidivrate jedoch bei
graphie. 10–25%. Je nach Größe der Begleitläsionen (z. B. zu
2.11 · Schulter
281 2

4 Dysplasie des Kopfs (verminderte Retrotorsion)


4 Angeborene Schwächen von Muskulatur (Fehlin-
nervation)
4 Kongenitale Bindegewebsschwäche (Ehlers-Dan-
los-Syndrom, Marfan-Syndrom)

Symptomatik. Die Patienten beklagen ein Instabilitäts-


gefühl (multidirektionale Instabilität), das Ihre Akti-
vitäten einschränkt, meist aber wenig Schmerzen. Lu-
xationsauslösende Bewegungen (Außenrotation/Ab-
duktion) werden vermieden.

Diagnostik. Bei der Inspektion und Palpation fallen im


Seitenvergleich eine Asymmetrie, Schonhaltung und
die Schwellung auf. Die apparative radiologische Diag-
nostik zeigt eine anterio-posterior und transthorakale
Luxationsstellung der Schulter, meist nach vorne unten;
erkennbar werden evtl. auch knöcherne Begleitverlet-
zungen sichtbar.

Therapie. Nach der Reposition erfolgt primär eine


. Abb. 2.11a–c. Verletzungsmechanismus bei der vorderen konservative Therapie. Leiden die Patienten an deut-
Schulterluxation. a Unauffälliger Zustand, b Vordere Luxation. lichen subjektiven Beschwerden, stellt dies die Indika-
Der Humeruskopf frakturiert den ventralen Pfannenrand toon zur Operation dar. Es gibt heute eine Vielzahl
und zerreißt die Kapsel (Bankart-Läsion); c Humeruskopfim- von möglichen Verfahren. Die wichtigsten sind Kap-
pression im dorsalen Anteil im luxierten Zustand (Hill-Sachs- seldopplung mit M. subscapularis, Wiederherstellung
Delle). (Aus Krämer/Grifka 2005) des defekten Glenoids mit Knochenspan oder Rota-
tionsosteotomie mit Innendrehung des Kopfes. Die
schlechteste Prognose haben die willkürlichen Luxa-
große Bankart-Läsion) kann bereits nach Erstluxation tionen.
eine operative Stabilisierung nach Bankart (Refixation
des abgerissenen Labrums glenoidale) nötig sein. An- 2.11.3.3 Posttraumatisch rezidivierende
dernfalls lässt sich keine genügend hohe Stabilität er- Schultergelenksluxationen
reichen. In der Regel wird das gleiche Verfahren nach Ätiopathogenese. Ursachen für mehrfach auftretende
Rezidiven angewandt. Schulterluxationen sind:
4 Instabilität durch verbliebene Schäden nach trau-
> Nach jeder frischen Luxation und Reposition muss matischer Erstluxation (ossär, Kapselbandapparat)
die Funktionen des N. axillaris geprüft werden. 4 Große Bankart-Läsion
Ebenso muss nach Reposition eine Röntgenkontrolle 4 Impressionsfraktur des Humeruskopfes (Hill-
erfolgen. Sachs-Läsion)
4 Verlust der Propriozeption
2.11.3.2 Habituelle Schultergelenksluxation 4 Nervenschädigung (z. B. N. axillaris)
Definition. Die Erstluxation entsteht am häufigsten
(85%) nach vorn unten, selten nach hinten und tritt Symptomatik/Diagnostik. Beschwerden und Diagnos-
vorwiegend bei jugendlichen Patienten ohne adäquates tik sind analog der traumatischen Erstluxation. Evtl.
Trauma auf. sollte noch ein CT zur besseren Darstellung der ossären
Begleitverletzungen erfolgen.
Ätiopathogenese. Ätiologie und Pathogenese sind bis
heute noch nicht vollständig geklärt. Bekannte prädis- Therapie. Nach der Reposition ist in der Regel ist eine
ponierende Faktoren sind: operative Stabilisierung indiziert, die offen oder arthro-
4 Anomalien des Kapselbandapparates skopisch erfolgen kann. Ziel dieser Verfahren ist, die
4 Dysplastische Pfannenverhältnisse (verstärkte An- Stabilität wieder zu gewinnen. (Siehe Therapie trauma-
teversion) tische Luxation).
282 Kapitel 2 · Orthopädie

Komplikationen. Zu den generell möglichen Kompli- 4 Nervenläsionen (Läsion des N. axillaris mit Deltoi-
kationen nach Schulterluxationen gehören: deusatrophie)
4 Frakturen (z. B. Abrissfraktur des Tuberculum 4 Bleibende Bewegungseinschränkungen (Adduk-
2 majus) tionskontraktur)
4 Plexusverletzungen 4 Humeruskopfnekrose
4 Gefäßverletzungen 4 Habituelle Schulterluxationen
4 Arthrose des Schultergelenkes

In Kürze
Schultergelenksluxationen

Traumatische 4 Symptomatik: Luxation infolge eines Traumas, meist nach ventral-unten (ca. 80%)
Schulterluxation 4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen (Bankart-Läsion, Hill-Sachs-Läsion)
4 Therapie: konservativ mit Desault, seltener operativ bei Instabilität, zu großen
ossären Defekten

Habituelle 4 Symptomatik: oft willkürliches Herausschnappen des Humeruskopfes aus des


Schulterluxation Pfanne, kein adäquates Trauma
4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: meist konservativ je nach Beeinträchtigung

Posttraumatische 4 Symptomatik: posttraumatisch. Luxation meist nach ventral, seltener nach dorsal;
rezidivierende Unsicherheitsgefühl im luxationsfreien Intervall
Schulterluxation 4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: meist operativ: frühzeitige Weichteil und Knocheneingriffe

2.11.4 Entzündliche Erkrankungen tibiotikatherapie. Die rheumatogene Omarthritis wird


mittels physikalischen (Bewegungstherapie, lokale Kryo-
Omarthritis therapie) und medikamentösen (NSAR, Glukokortiko-
Ätiopathogenese. Eine Omarthritis kann sich iatrogen ide, Basistherapeutika) Therapien behandelt.
(bakteriell, nach Injektionen, Punktionen) oder rheu-
matisch entwickeln.
2.11.5 Degenerative Erkrankungen
Symptomatik. Es zeigen sich eine lokale Entzündung
und ein Gelenksempyem bei eingeschränktem Allge- 2.11.5.1 Omarthrose
meinbefinden. > Die meisten Beschwerden im Schultergelenk gehen
nicht primär vom Schultergelenk selbst aus, sondern
Diagnostik. Cross-Body-Test und Lokalanästhesie-Test von Reizzuständen des Weichteilgewebes.
sind positiv. Bei ersterem wird der betroffene Arm ho-
rizontal auf die gegenüberliegende Schulter gedrückt Ätiopathogenese. Degenerative Veränderungen im
(»horizontaler Adduktionstest«), was Schmerzen im Schultergelenk als Folge von Entzündungen, Instabili-
Gelenk auslöst. Um die Lokalisation zu unterscheiden täten, Luxationen oder Frakturen.
(AC-Gelenk oder subakromial) wird ein Lokalanästhe-
tikum in die entsprechenden Stellen injiziert. Die Schul- Symptomatik. Schmerzhafte Bewegungsbehinderung,
ter ist überwärmt; Entzündungsparameter aber selten Krepitationen, evtl. kombiniert mit Ergüssen.
erhöht. Klinisches Bild, Röntgen, MRT helfen bei der
Abgrenzung der Differenzialdiagnosen. Diagnostik. Radiologisch lassen sich meist folgende
Veränderungen nachweisen:
Therapie. Indiziert sind arthroskopische Spülung und 4 Humeruskopfhochstand
Débridement des Gelenkes sowie eine systemische An- 4 Gelenkspaltverschmälerung
2.11 · Schulter
283 2

4 Knochenatrophie subakromiales Débridement verbunden mit einer Akro-


4 Subchondrale Geröllzysten mioplastik die Beschwerden gelindert oder vollständig
4 Osteophytenbildung abgebaut werden.

Therapie. Konservativ wird symptomatisch, physika- > Das Impingement-Syndrom wird als funktionell
lisch und medikamentös behandelt. Bei starken Be- klinische Diagnose gestellt.
schwerden kann eine Endoprothese indiziert sein.
2.11.5.3 Periarthropathia humeroscapularis
2.11.5.2 Impingement-Syndrom Periarthropathia humeroscapularis (PHS) ist ein Sam-
Synonym. Supraspinatussyndrom. melbegriff verschiedener degenerativer Veränderungen
im Bereich der Weichteile, der Gelenkkapsel, der Seh-
Definition. Enge des subakromialen Raumes mit nen und insbesondere des subakromialen Raums.
Schmerzsymptomatik bei Abduktion.
Ätiopathogenese. Unterschieden werden eine pri-
Ätiopathogenese. Das so genannte Supraspinatussyn- märe idiopathische Form und eine sekundäre Form,
drom wurde 1972 von Neer als subakromiales Impin- die nach Traumata (z. B. Rotatorenmanschettenrup-
gement-Syndrom neu definiert. Es entsteht durch die tur), Entzündungen oder nach langer Immobilisie-
mechanische Überbeanspruchung der Sehne beim rung auftritt.
Durchgang unter dem Lig. coracoacromiale (physiolo- Ursache ist ein degenerativer Verschleiß. Es werden
gische Enge) sowie durch den hypovaskulären distalen folgende Erkrankungen subklassifiziert:
Sehnenansatz am Tuberculum majus bei der Ab- und 4 Supraspinatussehnen-Syndrom (s. o.)
Adduktion des Armes. Die degenerativen Veränderun- 4 Rotatorenmanschettenruptur (pseudoparalytische
gen der Supraspinatussehne oder chronischen Bursitis Schulter; 7 Kap. 2.11.7.1)
subacromialis führen so zu einer relativen Enge des 4 Schmerzhafte Schultersteife (adhäsive Kapsulitis,
Subakromialraums. »frozen shoulder«)
Das Spektrum der Veränderungen reicht von ent-
zündlichen Sehnenschwellungen, die den Gleitvorgang Symptomatik. Einschränkung der aktiven und passi-
stören, bis zu Kalkeinlagerungen und degenerativen ven Beweglichkeit im Glenohumeralgelenk sowie eine
Rissbildungen. passive Bewegungseinschränkung (v. a. Innenrotation)
Die Einteilung erfolgt nach Neer: sind typisch. Zum Teil in den ganzen Arm ausstrahlen-
4 Stadium I: Ödem und Einblutung in die Sehne de bewegungsabhängige Schmerzen. Charakteristisch
4 Stadium II: Fibrose und Tendinitis sind nach längerem Bestehen Fibrosierungen und
4 Stadium III: partielle oder totale Rupturen Schrumpfungen im Bereich der Gelenkkapsel sowie
fibröse Verklebungen.
Symptomatik. Die aktive sowie passive Beweglichkeit ist
häufig lediglich schmerzbedingt eingeschränkt, insbe- > Bei der Periarthropathia humeroscapularis treten kei-
sondere gegen Widerstand. Die Schmerzen finden sich ne Parästhesien auf.
häufig beim Schlafen auf der erkrankten Seite und bei der
Elevation des Armes. Bei der aktiven Abduktion im Be- Therapie. Die Therapie ist schwierig und häufig sehr
reich von 60–120° kommt es zu Beschwerden in der ven- langwierig. In der Regel wird eine konservative Thera-
trolateralen Schulterregion (»painful arc«, schmerzhafter pie (Antiphlogistika, Analgetika, Krankengymnastik)
Bogen). Ab einer Abduktion über 120° erweitert sich der durchgeführt. Ist diese erfolglos, kann eine Mobilisie-
subakromiale Raum durch das Tiefertreten des Hume- rung in Narkose erfolgen. Hierbei wird das Schulterge-
ruskopfs wieder. Die Patienten beschreiben einen Druck- lenk in alle Richtungen durchbewegt und so die Fibrin-
schmerz zwischen dem Tuberculum majus und dem late- stränge zum Zerreißen gebracht. Postoperativ muss das
ralen Akromionrand, sowie häufig einen Nachtschmerz. Gelenk konsequent weiter mobilisiert werden, um ein
Rezidiv zu vermeiden. Unter Umständen muss dazu
Therapie. Während die Stadien I und II mittels konser- eine Skalenusblockade angelegt werden, um eine abso-
vativer Therapie wie Kryotherapie, manuelle Therapie, lute Schmerzfreiheit während der ersten postoperati-
Krankengymnastik oder Gabe von Antiphlogistika ven Zeit zu gewährleisten.
zur Schmerzlinderung angewandt werden, muss Sta-
dium III meistens operativ angegangen werden. In der Tendinitis calcarea
Regel können durch ein arthroskopisch durchgeführtes Synonym. Kalzifizierende Tendopathie.
284 Kapitel 2 · Orthopädie

Ätiopathogenese. Insbesondere im 3. bis 5. Lebens- Bizepssehnen-Syndrom


jahrzehnt auftretende Verkalkung im Bereich der hypo- 7 Kap. Unfallchirurgie, 7 Kap. Allgemeine Orthopädie, Er-
vaskularisierten Zone des Sehnenansatzes am Tubercu- krankungen der Sehnen und Sehnenscheiden.
2 lum majus. Frauen sind bevorzugt. Am häufigsten ist
die Sehne des M. supraspinatus betroffen. Es werden Ätiopathogenese. Schmerzhafte Degeneration der lan-
unterschiedliche Phasen beschrieben, wobei es in der gen Bizepssehne, bedingt durch deren Verlauf im Sul-
akuten und chronischen Phase zur entzündlichen Mit- cus intertubercularis. Durch mechanische Beanspru-
beteiligung der Bursa subacromialis kommen kann. chung und entzündliche und degenerative Veränderun-
gen kommt es zu Reizzuständen und teilweise zu
Symptomatik. Im akuten Stadium treten unerträgliche Spontanrupturen der Sehne.
Schmerzen in der Schulter auf. Charakteristisch ist der
Wechsel zwischen heftigen Schmerzen und relativer Symptomatik. Schmerzen im Bereich des Sulcus inter-
Beschwerdefreiheit. tubercularis bei Anspannung des M. biceps und bei
Druck. Nach evtl. eingetretener Ruptur wölbt sich der
Therapie. Indiziert ist zunächst eine konservative The- Muskelbauch am distalen Oberarm vor.
rapie. Bei anhaltenden Beschwerden wird eine opera-
tive Entfernung oder Lithotripsie der Kalkherde nötig. Therapie. Injektionstherapie und physikalische Maß-
Schonhaltung des Armes. nahmen. Selten ist ein operatives Vorgehen notwendig.

In Kürze
Degenerative Erkrankungen im Bereich der Schulter

Omarthritis 4 Symptomatik: lokale Entzündung, Gelenksempyem


4 Diagnostik: Cross-body- und Lokalanästhesie-Test, Klinik, Röntgen, MRT
4 Therapie: bei der bakteriellen Form: arthroskopische Spülung, Debridement, Drainage
des Empyems, Antibiotikaapplikation; rheumatischen Form: Bewegungstherapie, loka-
le Kryotherapie, NSAR, Glukokortikoide

Omarthrose 4 Symptomatik: schmerzhafte Bewegungseinschränkung, Krepitation, evtl. Gelenkserguss


4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: konservativ oder operativ (künstlicher Gelenkersatz)

Periarthropathia 4 Sammelbegriff für alle periartikulär gelegenen degenerativ verursachten Weichteil-


humeroscapularis schäden, Rotatorenmanschette, lange Bizepssehne
(PHS), Impinge- 4 Impingement-Syndrom:
ment-Syndrom 4 Symptomatik: schmerzhafter Bogen (60–120°)
4 Diagnostik: klinisch, Ultraschall, MRT
4 Therapie: symptomatisch (Steroidinjektionen); operativ: arthroskopische Dekompres-
sion des subakromialen Raums
4 »Frozen shoulder«
4 Symptomatik: Eingeschränkte Beweglichkeit (v. a. Innenrotation), teilweise massive
Schmerzen
4 Diagnostik: klinisches Bild
4 Therapie: langwierig, schlechte Therapiemöglichkeiten (konservativ, Mobilisation in
Narkose), konsequente Physiotherapie
4 Tendinitis calcarea
4 Symptomatik: phasenhafter Verlauf; sehr schmerzhaft
4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: konservativ; operative Mobilisation, evtl. Kalkentfernung, konsequente
Physiotherapie
6
2.11 · Schulter
285 2

Bizepssehnen- 4 Symptomatik: degenerative Tendopathie


Syndrom 4 Diagnostik: Klinik
4 Therapie: physikalische Maßnahmen, selten operativ

2.11.6 Neurogene Erkrankungen > Die Scapula alata ist nicht zu verwechseln mit
der kongenitalen Form (Sprengel-Deformität)
2.11.6.1 Scapula alata (7 Kap. 2.11.8.1).
Definition. Abstehen des Schulterblatts.
Symptomatik. Flügelförmiges Abstehen des Schulterblat-
Ätiopathogenese. Ursache ist eine Parese des N. thora- tes insbesondere bei nach vorn abgestützten Armen.
cicus longus (M. serratus anterior) infolge einer Druck-
schädigung durch einen inadäquaten Gipsverband oder Therapie. Meist nur physiotherapeutisch.
durch das lange Tragen eines Rucksackes (Rucksack-
lähmung). Prognose. Oft Spontanremission.

In Kürze
Neurogene Verletzungen der Schulter

Scapula alata 4 Symptomatik: flügelförmiges Abstehen des Schulterblatts.


4 Diagnostik: Blickdiagnose
4 Therapie: Physiotherapie

2.11.7 Verletzungen 4 Nachtschmerz


4 Subakromialer Spontanschmerz
2.11.7.1 Rotatorenmanschettenruptur 4 Subakromialer Druckschmerz
Synonym. Pseudoparalytische Schulter. 4 Unfähigkeit zur aktiven Abduktion, Innen- Außen-
rotation des Armes
Definition. Teilweise oder vollständige Kontinuitäts-
trennung einer oder mehrerer den Humeruskopf über- > Ist die Sehne des M. supraspinatus betroffen, findet
dachender Sehnen der Rotatorenmanschette, die aus sich oft eine sog. Pseudoparalyse des Armes mit
den Sehnen der Muskeln supra- und infraspinatus, sub- nahezu vollständiger Aufhebung der aktiven Abduk-
scapularis sowie teres minor gebildet wird. tionsfähigkeit.

Ätiopathogenese. Am häufigsten sind Rupturen des M. Diagnostik. Heute lassen sich Ausmaß und die betrof-
supraspinatus (Sehnenansatz und Peritendineum). Die- fenen Sehnen sowie evtl. vorhandene fettige Muskelde-
se sind nahezu immer degenerativ oder durch rezidi- generationen vollständig mit dem MRT diagnostizie-
vierende Mikrotraumen vorgeschädigt. Die Wahr- ren. Eventuell zeigt sich ein Hochstand des Humerus-
scheinlichkeit eine Rotatorenmanschettenruptur zu kopfes in der Röntgenaufnahme bei chronischer Ruptur.
erleiden, steigt mit zunehmendem Alter. Die Ruptur Der sonographische Nachweis ist möglich, jedoch we-
entsteht meist durch indirekte, selten durch direkte Ge- niger spezifisch.
walteinwirkung.
Therapie. Je nach Ausmaß der Ruptur, Alter des Patien-
Symptomatik. Die Schmerzen sind unterschiedlich ten sowie klinischer Symptomatik ist eine operative
stark. Die folgenden Beschwerden sind charakteris- Rekonstruktion oder konservative Therapie indiziert
tisch: (Physiotherapie, NSAR, subakromiale Infiltration). Bei
4 »Painful arc« (schmerzhafter Bogen) der frischen Läsion des jungen Menschen sowie bei Pa-
4 Schmerzhafte Funktionseinschränkung (Beweg- tienten, die Arbeiten über den Kopf ausüben, ist die
lichkeit, Funktionsgriffe) operative Rekonstruktion (arthroskopisch, offen) meist
286 Kapitel 2 · Orthopädie

. Tab. 2.14. Einteilung nach Tossy

Einteilung Symptome Therapie


2
Tossy I Prellungen, Distorsionen Bandagezügelung

Tossy II Zerreißung der akromioklavikulären Bandverbindungen Relative Operationsindikation

Tossy III Wie Tossy II, zusätzlich komplette Zerstörung der korakoklavi- Zuggurtungsosteosynthese
kulären Bänder; das Gelenk ist vollständig luxiert

die Methode der ersten Wahl. Es schließt sich eine Symptomatik. Die Patienten beschreiben einen Funk-
6–12-wöchige Rehabilitation an (Abduktionsschiene, tions- und erheblichen Palpationsschmerz. Eindrucks-
Physiotherapie). voll ist das Klaviertastenphänomen bei der Tossy-III-
Verletzung. Hier steht das laterale Klavikulaende mit
2.11.7.2 Luxationen einer deutlichen Stufe nach oben, durch Druck von kra-
des Akromioklavikulargelenkes nial ist eine Reposition möglich.
Synonym. Schultereckgelenksprengung.
Diagnostik. Wichtig ist der Frakturausschluss. Patient
Definition. Zerreißung der akromioklavikulären Kap- hält in beiden Händen 10 kg Gewicht während der Pa-
selbandstrukturen. noramaaufahme. Diese zeigt im Seitenvergleich die Lu-
xation des traumatisierten Gelenkes.
Ätiopathogenese. Die korakoklavikulären Bandver-
bindungen zerreißen meist nach einem Sturz auf den Therapie. Die Mehrzahl der Verletzungen werde kon-
ausgestreckten Arm. Die Verletzungen am Schulterge- servativ-funktionell behandelt. Die operative Bandnaht
lenk werden nach Tossy (0–III) eingeteilt (. Tab. 2.14). und Fixierung des Akromioklavikulargelenkes durch
Alternativ kann auch die Rockwood-Klassifikation mit eine Zuggurtungsosteosynthese erfolgt bei kompletten
6 Gradeinteilungen verwendet werden. Zerreißungen. Eine Tossy-II-Verletzung stellt eine rela-
tive Operationsindikation dar.

In Kürze
Verletzungen im Bereich des Schultergelenkes

Rotatorenmanschettenruptur 4 Symptomatik: bewegungsabhängige und nächtliche Schmerzen


4 Diagnostik: MRT, Sonographie, Röntgen
4 Therapie: operative Rekonstruktion, konservative Therapie

Schultergelenkssprengung 4 Symptomatik: Funktions- und erheblicher Palpationsschmerz, evtl.


Klaviertastenphänomen
4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: die meisten Verletzungen werden konservativ behandelt.
Tossy III sollte operativ versorgt werden
2.12 · Unterarm und Hand
287 2
2.11.8 Fehlbildungen Symptomatik. Das deformierte Schulterblatt ist meist
im oberen Thoraxbereich (Hochstand des Schulterblat-
2.11.8.1 Sprengel-Deformität tes) verwachsen. Die daraus resultierende funktionelle
Definition. Angeborener, häufig nur einseitiger Hoch- Beeinträchtigung ist gering.
stand des Schulterblattes.
Diagnostik: Klinisches Bild, Röntgen.
Ätiopathogenese. Angeboren, begleitende Fehlbildun-
gen von Rippen und Wirbelsäule sind häufig. Therapie. Bei starker kosmetischer Einschränkung
kann das Schulterblatt von den Rippen gelöst und er-
neut weiter kaudal fixiert werden.

In Kürze
Fehlbildungen im Bereich der Schulter

Sprengel-Deformität 4 Symptomatik: deformiertes Schulterblatt, geringe funktionelle Einschränkung


4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: operative Schulterblattlösung und kaudale Refixierung

2.12 Unterarm und Hand Symptomatik. Es bestehen aktive und passive Bewe-
gungseinschränkung (Streckung, Beugung) sowie evtl.
2.12.1 Anatomie des eine Schwellung und Ergussbildung.
Ellenbogengelenkes
Diagnostik. Radiologischer Nachweis der typischen
Der Bewegungsumfang des Ellenbogengelenkes hat fol- Arthrosezeichen.
gende Normwerte:
4 Extension/Flexion: 10°/0°/150° Therapie. Die Therapie erfolgt konservativ physika-
4 Pronation/Supination: 80–90°/0°/80–90° lisch. Eventuell ist eine Steroidinfiltration hilfreich.
Funktionell ist insbesondere eine Beugebehinderung
Die Drehbewegungen des Unterarms (Pronation/Supi- ungünstig, da die Hand nicht mehr zum Mund geführt
nation) werden durch die gelenkige Verbindung zwi- werden kann. Operativ lässt sich mittels Arthrolyse (Sy-
schen Ulna und Radius ermöglicht. Die Radioulnarge- novektomie) oder Resektions-Interpositions-Arthro-
lenke werden durch kräftige Kapselbandstrukturen plastik vorgehen. Endoprothesen haben sich bisher
gesichert. wenig durchsetzten können (hohe Lockerungsraten).

2.12.1.1 Arthrose 2.12.1.2 Chondromatose


Definition. Degenerative Gelenkerkrankung. des Ellenbogengelenkes
7 Kap. 2.4.4.3.
Ätiopathogenese. Nach Entzündungen, Chondroma-
tosen, avaskulären Nekrosen oder in Fehlstellung ver- 2.12.1.3 Osteochondrosis dissecans
heilten Frakturen kann es zur Ausbildung einer sekun- (M. Panner)
dären Arthrose kommen. 7 Kap. 2.4.7.1.

In Kürze
Degenerative Erkrankungen von Ellenbogengelenk und Unterarm

Arthrose 4 Symptomatik: Bewegungseinschränkung, evtl. Schwellung, Erguss


4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: Übungsbehandlung, später operativ
288 Kapitel 2 · Orthopädie

2.12.2 Entzündliche Erkrankungen 2.12.4.2 Karpaltunnelsyndrom


7 Kap. 2.7.2.6.
2.12.2.1 Epicondylopathia humeri radialis
2 7 Kap. 2.7.1.2.
2.12.5 Entzündliche
2.12.2.2 Bursitis olecrani Weichteilerkrankungen
Definition/Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine
Entzündung des Schleimbeutels über dem Olekranon 2.12.5.1 Styloitis radii
nach mechanischer Überbelastung oder bei längerem Ätiopathogenese. Umschriebener Druckschmerz über
Aufstützen. Eine eitrige Bursitis kann sich infolge einer dem Processus styloideus radii aufgrund einer Inser-
traumatischen Bursaeröffnung entwickeln. tionstendinose. Betroffen sind die Ansätze des M. bra-
chioradialis.
Symptomatik. Schmerzhafte fluktuierende Schwellung
über dem Olekranon. Bei infizierter Bursa Rötung, Symptomatik/Diagnostik. Es kommt zu einem Druck-
Überwärmung, evtl. mit Lymphangitis. und Bewegungsschmerz im distalen Radiusbereich.

Diagnostik. Wegweisend sind das klinische Bild sowie Therapie. Lokale Infiltrationstherapie, bei Erfolglosig-
die Laborwerte (Erhöhung der Entzündungszeichen). keit muss eine Denervierung erfolgen.
Die weiteren entzündlichen Weichteilerkrankun-
Therapie. Ruhigstellung, bleibt diese ohne Wirkung gen am Unterarm und der Hand sind bereits beschrie-
folgt die Bursektomie, ebenso bei infektiöser Bursitis. ben (Dupuytren-Kontraktur, Tendovaginitis stenosans
Anschließend Ruhigstellung und frühfunktionelle de Quervain, Tendovaginitis stenosans, Paratendonitis
Nachbehandlung. crepitans, 7 Kap. 2.7.2).

2.12.3 Verletzungen am 2.12.6 Anatomie der Hand


Ellenbogengelenk
Für den Bewegungsumfang der Hand gelten folgende
2.12.3.1 Radiusköpfchenluxation beim Kind Normwerte:
(Morbus Chassaignac), 4 Dorsalextension/Palmarflexion: 35–60°/0°/50–60°
Pronatio dolorosa 4 Ulnarabduktion/Radialabduktion: 30–40°/0°/25–
7 Kap. Unfallchirurgie. 30°

2.12.3.2 Kongenitale Radiusköpfchenluxation Die Hand besteht aus 8 Handwurzelknochen (Ossa


Definition/Ätiopathogenese. Die kongenitale Radius- naviculare, lunatum, triquetum, pisiforme, trapezi-
köpfchenluxation ist eine seltene angeborene Verren- um, trapezoidum, hamatum, capitatum), 5 Mittel-
kung des Radiusköpfchens unbekannter Genese. handknochen und pro Finger (Strahl) 3 Knochen.
Ausnahme ist der Daumen mit nur 2 Knochen.
Symptomatik. Möglich ist sowohl ein ein- als auch dop- Die Finger werden mit Digitus I–V bezeichnet.
pelseitiges Auftreten, in Kombination mit anderen Weitere Bezeichnung sind PIP (proximales Interpha-
Fehlbildungen. Es treten nahezu keine Bewegungsein- langealgelenk) bzw. DIP (distales Interphalangealge-
schränkungen und im Gegensatz zur Pronatio dolorosa lenk).
keine Schmerzen auf. Zur Anamnese bei Erkrankungen der Hand gehö-
ren folgende Punkte: Unfall, Zeitpunkt, Begleiterkran-
Therapie. Eine Operation ist selten indiziert. Beim Kind kungen, Schmerzanamnese, frühere Operationen, Ar-
ist eine Lig.-anulare-Plastik, beim Erwachsenen eine beitsplatz.
Radiusköpfchenresektion möglich.

2.12.4 Neurogene Störungen

2.12.4.1 N. ulnaris, N. radialis, N. medianus


7 Kap. Neurologie.
2.12 · Unterarm und Hand
289 2
2.12.7 Entwicklungsstörungen und Therapie. Therapeutisch werden die Kinder mit Pro-
Anomalien von Arm und Hand thesen versorgt, die je nach Befund an die kleinen Pa-
tienten angepasst werden. Beim vollständigen Fehlen
2.12.7.1 Große Defektbildungen beider Arme (Amelie) ist eine Versorgung sehr schwie-
Dysmelie rig. Die Kinder werden dann zumeist auf die Benutzung
Definition/Ätiopathogenese. Eine Dysmelie ist eine ihrer Füße geschult.
angeborene Fehlbildung eines oder mehrerer Gliedma-
ßen. Man unterscheidet: Longitudinale Fehlbildungen
4 Völliges Fehlen: Amelie, Oligodaktylie Definition/Ätiopathogenese. Bei den longitudinalen
4 Fehlen von Bestandteilen, z. B. der Röhrenkno- Defekten handelt es sich um Minderanlagen oder ein
chen, bei Phokomelie völliges Fehlen einzelner Skelettabschnitte. Je nach
4 Verkürzungen von Gliedmaßen bei Brachydaktylie Schweregrad wird von einer Hypoplasie, partieller
4 Verwachsungen bei Syndaktylie, Polysyndaktylie, Aplasie oder auch kompletter Aplasie gesprochen.
Ektrodaktylie Auch Verdopplungen und Verschmelzungen
4 Zu viele Glieder bei Polymelie, Polydaktylie einzelner Skelettabschnitte können vorliegen. Die
Fehlbildungen können weiter unterteilt werden
Therapie. Je nach Schweregrad oder kosmetischem (. Tab. 2.15).
Missempfinden erfolgt eine Operation.
Therapie. Oberstes Ziel ist die funktionelle Besserung,
Spalthand und zwar mittels Hilfsmitteln aus der technischen Or-
Definition/Ätiopathogenese. Häufig dominant be- thopädie (Schienen, Orthesen, Prothesen etc.) oder auf-
dingte Erkrankung, die durch einen primären keilför- wendigen Rekonstruktionsversuchen.
migen Defekt des primitiven Weichteilblastems ent-
steht. Die Knochen werden jedoch infolge des Raum- 2.12.7.2 Sonstige Missbildungen
mangels, der durch die Weichteilschädigung zustande Radioulnare Synostose
kommt, zur Seite gedrängt, an benachbarte Knochen Definition/Ätiopathogenese. Angeborene knöcherne
angelagert und mit diesen vereinigt oder gänzlich un- Verbindung von Radius und Ulna. Gelegentlich tritt das
terdrückt. Es kommt zu einem krebsscherenartigen Krankheitsbild im Rahmen eines Williams-Beuren-
Aussehen der Hand. Syndroms auf.

Therapie. Indiziert ist eine operative Therapie. Symptomatik. Drehbewegungen des Unterarmes sind
nicht möglich. Dennoch gelingt meist eine gute Kom-
Spaltfuß pensierung mit wenig Beschwerden.
Synonym. Ektrodaktylie.
Definition/Ätiopathogenese. Je nach Gehfähigkeit Diagnostik. Radiologischer Nachweis von knöchernen
werden 3 verschiedene Formen unterschieden. Es Spangen zwischen Ulna und Radius.
handelt sich um ein vererbbares Leiden, eine Hem-
mungsmissbildung, meist kombiniert mit anderen Therapie. Nur wenn funktionell über eine Einschrän-
Missbildungen. Gestört ist die Entwicklung der Meta- kung geklagt wird, sollte operativ korrigiert werden
tarsalien; der Fuß nimmt ein krebsscherenartiges Aus- (Drehosteotomie).
sehen an.
Madelung-Deformität
Therapie. Indiziert ist eine operative Therapie, da adä- Definition. Enchondrale Dysostose (Knorpel-Kno-
quates Schuhwerk fehlt. chen-Wachstumsstörung).

Transversale Fehlbildungen Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine genetisch


Definition/Ätiopathogenese. Teile der Extremitäten bedingte, meist beidseitige Wachstumshemmung der
wurden embryonal nicht angelegt oder sind pränatal distalen Radiusmetaphyse (palmaren ulnaren Bereich)
abgeschnürt worden. Proximal dieser Fehlbildung sind mit Subluxation des Karpus. Das Ulnaköpfchen tritt
die Extremitäten meist normal ausgebildet. Man unter- hervor, der Radius verbiegt sich ulnarseits und das dis-
scheidet die Amelie (Fehlen ganzer Gliedmaßen, s o.) tale Radioulnargelenk verbreitert sich. Mädchen sind
von der Peromelie (Fehlen der distalen Abschnitte, die 4-mal häufiger betroffen.
Extremitäten sind als Stümpfe angelegt) unterschieden.
290 Kapitel 2 · Orthopädie

. Tab. 2.15. Longitudinale Fehlbildungen

Name Symptome
2
Hypoplasie Minderanlage einzelne Skelettabschnitte

Partielle Aplasie Skelettabschnitte fehlen teilweise

Komplette Aplasie Skelettabschnitte fehlen ganz

Phokomelie »Robbengliedmaße« die langen Extremitätenknochen fehlen, Hand oder Fuß entspringen
dem Rumpf und funktionieren häufig gut

Klumphand Bei der radialen, longitudinalen Defektbildung mit Hypoplasie des Radius kommt es zu einer
radialen Klumphand (Abweichung nach radial)

Polydaktylie Zusätzliche Finger oder Zehen sind ausgebildet oder rudimentär angelegt

Spaltmissbildungen Spaltung der Hand in einen medialen und ulnaren Anteil, krebsscherenartiges Aussehen

Angeborener Femur- Der Oberschenkel ist unterschiedlich stark verkürzt, dadurch ergeben sich Beinverkürzungen
defekt und möglicherweise Kniedysplasien

Fibula- und Tibiade- Durch das Fehlen oder die Hypoplasie eines Unterschenkelknochens fehlt die Stabilität im
fekte oberen Sprunggelenk, sodass es zu Varus- und Valgusdeformitäten sowie zur Klumpfußstel-
lung kommen kann

Symptomatik. Es kommt zur zunehmenden radial- ander verbunden. Sind alle Finger verwachsen, spricht
seitigen Verschiebung der Hand mit Ausbildung ei- man von der Löffelhand.
ner Klumphand. Insbesondere die Dorsalflexion und
die ulnare Abduktion sind eingeschränkt. Es handelt Therapie. Im frühen Kindesalter werden die Finger
sich um eine präarthrotische Deformierung, die mit operativ getrennt und funktionell trainiert.
geringen Schmerzen und Funktionsstörungen ein-
hergeht. Schnürfurchen
Ätiopathogenese. Durch Amnionbänder oder Nabel-
Diagnostik. Die im Röntgenbild von radial nach ulnar schnurverschlingungen kann es zu Abschnürungen im
abfallende distale Radiusgelenkfläche ist ebenso wie die Bereich des Rumpfes oder an den Extremitäten kom-
verlängerte und nach dorsal subluxierte Ulna kenn- men.
zeichnend.
Diagnostik. Differenzialdiagnostisch können die Ab-
Therapie. Konservativ werden Physio- und Ergothera- schnürungen von den erblichen Amputationen (Perome-
pie eingesetzt. Operativ kann eine Verkürzungsosteoto- lien) durch den Nachweis der Amnionfäden oder durch
mie der Ulna oder eine Umstellungsosteotomie am die abgetrennte Extremität unterschieden werden.
Radius erfolgen.
Therapie. Die Therapie richtet sich nach dem Befund:
Syndaktylie Lösen evtl. Amnionbänder, Schließen von Spaltbildun-
Definition/Ätiopathogenese. Bei diesem dominant gen, evtl. sind Einschnürungen an Armen oder Beinen
vererbten Leiden sind zwei oder mehrere Finger (Ze- (auch aus kosmetischen Gründen) operativ durch eine
hen) durch eine Schwimmhaut oder auch ossär mitein- Z-Plastik zu erweitern.
2.12 · Unterarm und Hand
291 2

In Kürze

Entwicklungsstörungen und Anomalien von Arm und Hand

Transversale 4 Definition: Teile der Extremitäten wurden embryonal nicht angelegt oder sind
Fehlbildungen pränatal abgeschnürt worden
4 Therapie: Prothesenversorgung

Longitudinale 4 Definition: Minderanlagen oder ein völliges Fehlen einzelner Sklelettabschnitte


Fehlbildungen 4 Therapie: orthopädietechnische Versorgung, selten operative Therapie

Radioulnare Synostose 4 Symptomatik/Diagnostik: Drehbewegungen des Unterarms sind nicht möglich,


meist gute Kompensation
4 Therapie: wenn funktionelle Einschränkung: operative Korrektur

Madelung-Deformität 4 Symptomatik/Diagnostik: zunehmende radialseitige Verschiebung der Hand mit


Ausbildung einer Klumphand, wenig Schmerzen oder Funktionseinschränkung
4 Therapie: funktionell; Verkürzungsosteotomie der Ulna, Umstellungsosteotomie
am Radius

Syndaktylie 4 Definition: Verbindung zweier oder mehrerer Finger bzw. Zehen durch Haut oder
Knochen
4 Therapie: operative Trennung

Schnürfurchen 4 Symptomatik/Diagnostik: Abschnürungen im Bereich des Rumpfs oder der Extre-


mitäten durch Amnionbänder oder Nabelschnurverschlingung
4 Therapie: ggf. operativ

2.12.8 Degenerative Erkrankungen von Therapie. Konservativ erfolgt die Ruhigstellung in


Handgelenk und Hand Daumenschiene, Steroidinfiltration, Antirheumatika,
Radiosynovektomie, Röntgentiefbestrahlung. Opera-
2.12.8.1 Rhizarthrose tive Optionen sind Resektionsinterpositionsarthro-
Definition. Arthrose im Daumensattelgelenk. plastik (Gelenkersatz mit autologem Gewebe), selten
Arthrodese oder Endoprothese.
Ätiopathogenese. Bei 30–50% der postmenopausale
Frauen entwickelt sich dieses Krankheitsbild mit einem 2.12.8.2 Heberden- und Bouchard-Arthrose
Verschleiß des Gelenkes zwischen dem Os trapezium Definition. Bei diesen Formen der Arthrose kommt es
und dem Os metacarpale I. zur Auftreibung der Fingergelenke.

Symptomatik. Die Rhizarthrose ist eine der häufigsten > Bei der Heberden-Arthrose handelt es sich um eine
Schmerzursachen an der Hand. Nahezu immer findet derb-knöcherne Auftreibung mit Verschleiß der
man einen doppelseitigen Befall mit starken Ruhe- und Fingerendgelenke (DIP = distales Interphalangeal-
Bewegungsschmerzen im Bereich des Daumensattelge- gelenk). Das Fingerendglied knickt nach volar und
lenkes mit Schwellungen. Es entwickelt sich eine zuneh- radial ab. Die seltenere Bouchard-Arthrose betrifft die
mende Behinderung der Abduktion und Opponation Fingermittelgelenke.
des Daumens. Die Thenarbasis ist druckschmerzhaft.
Krepitationen bei Bewegung des Daumens lassen sich Ätiopathogenese. Man diskutiert eine genetische Dis-
palpieren. position. Insbesondere sind postmenopausale Frauen
betroffen.
Diagnostik. Radiologischer Nachweis von Arthrose-
zeichen.
292 Kapitel 2 · Orthopädie

Symptomatik. Bei der Bouchard-Arthrose sind Rö- Symptomatik. Typisch ist der schleichende Krankheits-
tung, Schwellung, Überwärmung selten nachweisbar; beginn. Die Bewegung im Handgelenk ist, insbesonde-
ebenso geringe Schmerzen an den betroffenen Ge- re die Dorsalextension, bei verminderter Kraft schmerz-
2 lenken (sehr selten). Die Hand ist aber insbesondere haft eingeschränkt. Der Bereich des Os lunatums ist
beim Zufassen gebrauchsgemindert. Im weiteren druckschmerzhaft und diffus geschwollen.
Verlauf kommt es zur Verdickung und Deformierung
des Gelenkes. Die Heberden-Arthrose ist dagegen Diagnostik. Radiologisch werden verschiedene Stadien
durch eine schmerzhafte Beugekontraktur in den unterteilt:
Fingerendgelenken mit Abweichung nach ulnar cha- 4 Stadium 0: keine röntgenologischen Veränderun-
rakterisiert. gen, NMR und Szintigraphie pathologisch
4 Stadium I: Verdichtung des Os lunatum, Kontur
Diagnostik. Der röntgenologische Befund zeigt wulstar- erhalten
tige Verdickung und Deformierungen an den Gelen- 4 Stadium II: Mosaikstruktur durch Verdichtungen
krändern. und Aufhellungszonen, Sinterung des Os lunatum
mit sklerotisch-osteolytischem Mischbild
Therapie. Heberden-Arthrose: konservativ mit Rönt- 4 Stadium III: scholliger Zerfall und Zusammen-
genreizbestrahlung. Bouchard-Arthrose: Synovektomie bruch, umschriebene Arthrose
und Denervierung (evtl. Schmerzlinderung). Sind diese 4 Stadium IV: radiokarpale Arthrose mit Deformie-
Versuche erfolglos, ist die Endgelenksarthrodese indi- rung
ziert.

2.12.8.3 Handgelenksarthritis, -arthrose


Ätiopathogenese. Im Rahmen einer rheumatischen
Polyarthritis kann es zu einer Mitbeteiligung
des Handgelenkes kommen. Primär bakterielle
Entzündungen sind sehr selten. Die Handgelenksar-
throse entsteht meist sekundär als Folge von Frak-
turen.

Symptomatik. Kennzeichnend sind schmerzhafte Be-


wegungseinschränkung, Druckschmerz über dem Ra-
diokarpalgelenk, Schwellung des Handrückens.

Diagnostik. Radiologischer Nachweis von arthroti-


schen Veränderungen.

Therapie. Die Therapie erfolgt konservativ mit Ruhig-


stellung durch Handgelenksschienen, evtl. auch Steroid-
infiltrationen. Bei Beschwerdepersistenz, ist evtl. eine
Arthrodese des Handgelenkes in Funktionsstellung
(20° Dorsalextension) indiziert.

2.12.8.4 Lunatummalazie
Synonym. Morbus Kienböck.

Definition. Aseptische Osteonekrose des Os lunatum


. Abb. 2.12. Lunatummalazie (Pfeil). Handgelenk eines Er-
(. Abb. 2.12).
wachsenen. Das Os lunatum (Mondbein: mittlerer Knochen
im proximalen Handwurzelbereich) ist unregelmäßig kontu-
Ätiopathogenese. Männer sind 4-mal häufiger betrof- riert, Trabekelstruktur ist aufgehoben, zystische Aufhellungen
fen als Frauen. Gehäuftes Auftreten zeigt sich bei Ulna- und Verdichtungen sind nachweisbar. 1: Os trapezium, 2: Os
Minusvariante (Ulna ist kürzer als Radius), posttrau- trapezoideum, 3: Os capitatum, 4: Os hamatum, 5: Os scaphoi-
matisch oder bei dauerhaften Belastungen durch Vibra- deum, 6: Os lunatum, 7: Os triquetrum, 8: Os pisiforme. (Aus
tionen (Pressluftarbeiten). Krämer/Grifka 2005)
2.12 · Unterarm und Hand
293 2

Therapie. Nur im Stadium 0 kann eine konservative von Skaphoid, Trapezium und Trapezoideum) versorgt;
Therapie erfolgreich sein. Das Handgelenk wird dann evtl. erfolgt die zusätzliche Denervierung der das Hand-
6–12 Wochen ruhig gestellt. Ansonsten haben nur ope- gelenk versorgenden, sensiblen Hautäste (alternativ:
rative Interventionen Aussicht auf Erfolg, wobei nur Lunatumresektion und Sehneninterpositionsalloplas-
Stadium I und II zu einer Remission führen können. In tik). Stadium IV wird analog Stadium III oder mittels
diesem Fall wird bei Auftreten einer Ulna-Minusvari- Handgelenksarthrodese therapiert.
ante eine Radiusverkürzungsosteotomie durchgeführt.
Stadium III wird mittels STT-Arthrodese (Arthrodese Prognose. Die Prognose ist häufig schlecht.

In Kürze
Degenerative Erkrankungen von Handgelenk und Hand

Rhizarthrose 4 Symptomatik: Behinderung von Abduktion und Opponation; Verminderung


der Dorsalextension und der Kraft im Handgelenk; Schmerzen und diffuse
Schwellungen; meist bei postmenopausalen Frauen
4 Diagnostik: radiologisch
4 Therapie: Kortikoidinfiltration, Ruhigstellung des Gelenkes

Heberden-Arthrose und 4 Symptomatik:


Bouchard-Arthrose – Heberden-Arthrose: Auftreibung des DIP, volare/radiale Knickung des
Endgelenkes, beim Zufassen gebrauchsgemindert, schmerzhafte Beuge-
kontraktur in den Fingerendgelenken
– Bouchard-Arthrose: Fingermittelgelenke, selten, kaum Schmerzen
4 Diagnostik: radiologisch
4 Therapie: Röntgenreizbestrahlung, Synovektomie und Denervierung zur
Schmerzlinderung

Handgelenksarthritis, 4 Symptomatik: schmerzhafte Bewegungseinschränkung, Druckschmerz über


-arthrose dem Radiokarpalgelenk, Schwellung des Handrückens
4 Diagnostik: radiologisch
4 Therapie: konservativ mit Ruhigstellung, in sehr schweren Fällen Arthrodese

Lunatummalazie 4 Symptomatik: Schwellung, Schmerzen, ernster Verlauf in 4 Stadien


4 Diagnostik: radiologisch
4 Therapie: Ruhigstellung nur Stadium 0, ansonsten operative Eingriffe

2.12.9 Verletzungen an Handgelenk Therapie. Folgende operative Therapien sind indiziert:


und Hand und deren Folgen 4 Bei Abriss der tiefen Beugesehnen am Ansatz: trans-
ossäre Ausziehnaht
2.12.9.1 Frakturen 4 Kirschmayr-Kessler-Naht zur Adaptation gleich
7 Kap. Handchirurgie. dicker Sehnenenden
4 Bei Sehnendefekten erfolgt die Z-Verlängerung
2.12.9.2 Sehnenverletzungen
Beugesehnen Es schließt sich eine Ruhigstellung mit dynamischer
Definition. Man unterscheidet Verletzungen der ober- Schiene nach Kleinert an. Die Beugung der Finger er-
flächlichen und tiefen Beugesehnen. folgt hier passiv durch an den Fingernägeln befestigte
Gummibänder in mittlerer Beugestellung. Die Stre-
Symptomatik/Diagnostik. Bei Durchtrennung der ckung der Finger erfolgt so aktiv, ohne dass Zugbelas-
Beugesehnen können die Finger nicht mehr aktiv ge- tung auf die Sehnennaht geübt wird. Nötig ist ein Gips
beugt werden. für 3 Wochen.
294 Kapitel 2 · Orthopädie

Strecksehnen Therapie. Strecksehnenverletzungen sind operativ ein-


Definition. Von der Muskulatur am Unterarm ziehen facher zu versorgen als Beugesehnenverletzungen, da
zwei Strecksehnen über den Handrücken zu den Fin- hier keine Sehnengleitkanäle vorhanden sind. Die
2 gern. Sie sind eng miteinander gekoppelt, v. a. die primäre Sehnennaht erfolgt mittels der Kirschmayr-
Strecksehnen Digitus IV, V. Auf Höhe des Handgelenkes Kessler-Naht, anschließend Ruhigstellung für 3 Wo-
befinden sich bei den Strecksehnen Sehnenscheiden. chen mit einer Gipsschiene.

Symptomatik/Diagnostik. Die Beweglichkeit im Mit- > Handelt es sich nur um eine subkutane Strecksehnen-
tel- und Grundgelenk des Fingers ist frei. Das Finger- ruptur am Endgelenk, genügt die Ruhigstellung in
endgelenk ist in kontinuierlicher Beugestellung, Druck- der Stack-Schiene mit Überstreckung des Endgelen-
schmerz im Bereich des Nagelgliedes. Passiv ist das kes für 6 Wochen. Bei knöchernem Ausriss erfolgt die
Endgelenk streckfähig. Reposition und Fixation durch transossäre Drahtnaht.

In Kürze
Verletzungen an Handgelenk und Hand und deren Folgen

Beugesehnen 4 Symptomatik/Diagnostik: aktive Beugefähigkeit fehlt


4 Therapie: Sehnennaht und Ruhigstellung für 3 Wochen

Strecksehnen 4 Symptomatik/Diagnostik: Fingerendgelenk in Beugestellung, Druckschmerz am


Nagel, Endgelenk passiv streckbar
4 Therapie: Sehnennaht und Ruhigstellung für 3 Wochen

2.13 Hüftgelenk 2.13.2 Hüftdysplasien, Hüftgelenksluxation


und Oberschenkelregion
Definition. Von einer Hüftdysplasie spricht man bei
2.13.1 Anatomie einer Ossifikationsstörung der Hüftpfanne, wobei diese
zu steil, abgeflacht und nach kranial ausgezogen ist.
Für den Bewegungsumfang des Hüftgelenkes und Der Hüftkopf ist in diesem Fall nicht disloziert.
Oberschenkels gelten folgende Normwerte:
4 Außenrotation/Innenrotation (gestreckte Hüfte): Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine erbliche
30–40°/0°/40–50° Entwicklungsstörung der Hüftpfanne. In der Folge
4 Außenrotation/Innenrotation (90° gebeugte Hüf- kommt es zu Entwicklungsstörungen des Kopfs.
te): 30–40°/0°/40–50° Die Dysplasie stellt eine Voraussetzung für eine spä-
4 Extension/Flexion: 15°/0°/130–140° tere mögliche Hüftluxation dar. Diese entwickelt sich
4 Ab-/Adduktion: 30–45°/0°/20–30° jedoch meist postnatal. Es handelt sich um ein multifak-
torielles Erbleiden, wobei das Verhältnis weiblich zu
Das Hüftgelenk ist ein Kugelgelenk, das im Verhältnis männlich einem Faktor 6:1 entspricht. In knapp 40% der
zum Schultergelenk eine gute knöcherne Führung Fälle kann eine Hüftluxation beidseitig auftreten, wobei
aufweist. Die Gelenkkapsel wird aus starken Bändern wahrscheinlich exogene Faktoren wie eine Beckenendla-
gebildet, die vom Becken aus am Schenkelhals inse- ge von Bedeutung sind. Die Häufigkeit der Dysplasien
rieren. liegt in Deutschland bei ca. 4%.

> Der Hüftkopf muss immer eine perfekte Überda- Symptomatik. Durch die mangelnde Formgebung des
chung des Azetabulums aufweisen. Ansonsten kann Pfannendaches kann es bereits im Laufe der ersten Le-
es zu Ausbildung der weiter unten beschriebenen bensmonate zur Hüftluxation kommen. Diese ist meist
Störungen kommen. symptomfrei.

Diagnostik. Bei einer einseitigen Luxation findet man


klinisch eine Asymmetrie der Gesäßfalten. Aufgrund der
Luxation, die zu Ossifikationsstörungen führt, kann sich
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
295 2

eine Coxa valga antetorta entwickeln. Häufig entwickeln Da die Ossifikation unmittelbar nach der Geburt
sich auch so genannte Sekundärpfannen an anatomi- noch nicht weit genug fortgeschritten ist, lässt sich das
schen Fehlpositionen. Langfristig entwickeln die Patien- Krankheitsbild nicht mit einem Röntgenbild nachweisen.
ten unbehandelt eine Koxarthrose (7 Kap. 2.13.6.1). Jedoch lässt sich mittels routinemäßig durchgeführter
Säuglingssonographie eine evtl. Dyplasiehüfte einfach di-
> Die Subluxierbarkeit des Hüftgelenkes wird ge- agnostizieren und entsprechend therapieren. Als Stan-
prüft, indem man es beugt und abduziert und so dardmethode der Sonographie hat sich heute die An-
versucht es zu luxieren. Reponiert das Gelenk, wird wendung der eines 7.5 mHz Linear-Schallkopfes durchge-
ein »Schnappphänomen« im Gelenk gefühlt. Das setzt. Die Untersuchung wird standardisiert in seitlicher
Ortolani-Zeichen ist dann positiv. Reflektorisch sind Lagerung durchgeführt. Der sonographische Normalbe-
die Adduktoren angespannt und bewirken so eine fund ist gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
Abduktionshemmung. 4 Eckiger knöcherner Pfannenerker
4 Kurz übergreifendes knorpeliges Pfannendach
Beim Einbeinstand wird das Becken durch die Abduk- 4 Nicht sichtbarer Hüftkopfkern
toren des Hüftgelenkes (seitliche Glutealmuskulatur) 4 Pfanne überdacht den Hüftkopf komplett
stabilisiert. Die Insuffizienz dieser Muskulatur (insbe-
sondere des M. gluteus medius) durch den genäherten Die sonographische Winkelmessung ermöglicht es,
Ursprung und Ansatz lässt beim Einbeinstand das Be- verschiedene Hüfttypen voneinander abzugrenzen
cken der Gegenseite absinken. Das Trendelenburg- (. Tab. 2.16).
Zeichen ist positiv. Ein typischer Watschelgang fällt Differenzialdiagnostisch zu berücksichtigende
beim Laufen auf. Erkrankungen fasst . Tab. 2.17 zusammen.

. Tab. 2.16. Sonographische Hüfttypen nach Graft und deren therapeutisches Procedere

Typ Befund Therapie

Typ I Normal ausgereifte Hüfte Ohne Befund

Typ IIa Normale, noch unreife Hüfte (die Hüfte muss am Ende des 3. Monats ausgereift Kontrolle
sein, wenn nicht, dann Typ IIb)

Typ IIb Dysplasie ohne Luxationstendenz Spreizhose

Typ IIc Dysplasie mit Dezentrierungsgefahr

Typ IId Dysplasie mit beginnender Dezentrierung

Typ III Dezentrierte Hüfte Gipsfixierungen

Typ IV Hoch luxierte Hüfte

. Tab. 2.17. Hüftgelenksluxationen bei anderen Erkrankungen

Erkrankung Beschreibung

Kongenitale Hüftluxation Häufigste Form, angeborene Hüftdysplasie, Tage bis Monate nach der Geburt

Distorsionsluxation Septischen Säuglingskoxitis, eitrige Gelenkflüssigkeit drückt Hüftkopf aus der Pfanne

Teratologische Hüftluxation Begleitende Missbildungen sind häufig, Hüftgelenk intrauterin fehl angelegt

Neurogene Hüftluxation Muskuläre Imbalance der Hüftmuskulatur, meist Hüftflexoren und Adduktoren mit
Kraftübergewicht, durch Spastik, Ataxie, Polio, Meningomyelozele hervorgerufen

Habituelle Hüftluxation Beim Down-Syndrom, pathologische Kapsel- und Muskelschwäche

Traumatische Hüftluxation Selten, schlechte Prognose wenn Hüftkopfnekrose


296 Kapitel 2 · Orthopädie

Therapie. Konservativ wird mittels Spreizhosen, Ban- Symptomatik. Anamnestisch sind uncharakteristische
dagen und Gips behandelt. Das Prinzip beruht auf einer Hüftschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im
Zentrierung des Hüftkopfes in der Pfanne. Dazu müs- ganzen Bein (Knieschmerzen) oder im Rücken sowie
2 sen die Beine in Flexion, Abduktion und Innenrotation vorzeitige Ermüdung beim Gehen typisch. Meistens
fixiert werden. kommt es zu einer Verschlimmerung nach einem un-
bedeutenden Trauma. Klinisch fällt dann danach eine
! Cave schmerzbedingte Abduktion und Innenrotationsmin-
Engmaschige Kontrollen dienen der Vorbeugung ei- derung auf. Durch einseitige fortgeschrittene Dislokati-
nes evtl. falschen Sitzes des Kopfes sowie von Hüftlu- on kann es zu einer Beinverkürzung kommen.
xationen.
! Cave
Die operative Therapie wird je nach Schweregrad in Das klinische Bild einer Epiphysiolysis capitis femoris
verschiedenen Altersabschnitten durchgeführt. Ein- ist demjenigen einer Schenkelhalsfraktur sehr ähnlich.
gesetzt werden Pfannendachplastiken oder Becken-
osteotomien, um so eine den Hüftkopf gut überda- Fast immer findet man ein so genanntes Drehmann-
chende Gelenkpfanne zu bilden. Die intertrochantäre Zeichen. Bei diesem kommt es bei zunehmender Hüft-
Umstellungsosteotomie des Femurs bietet eine weite- beugung in neutraler Spreizstellung zu einer Zunahme
re Möglichkeit, die Position des Hüftkopfs zur Pfanne der Außenrotation des Oberschenkels mit Abduk-
zu verbessern. tionsbewegung. In der akuten Krankheitsphase kann
es zu einer begleitenden Synovitis kommen, die sich in
> Je früher die Erkrankung erkannt und die Behandlung Beugekontraktur, Schon- und Insuffizienzhinken be-
begonnen werden kann, umso besser sind die Hei- merkbar macht.
lungsaussichten. Besteht die Hüftdysplasie/Luxation
über längere Zeit, bildet sich Weichteilgewebe in der ! Cave
leeren Pfanne, Muskeln und Bänder verdicken bzw. Die Epiphysiolysis capitis femoris ist eine der seltenen
verkürzen sich und machen eine spätere Reposition orthopädischen Notfallsituationen. Bei der chroni-
sehr schwierig (operativer Eingriff ). schen Lentaform ist immer eine Mitbeteiligung der
Gegenseite auszuschließen.

2.13.3 Epiphysiolysis capitis femoris Diagnostik. Die Röntgenaufnahme wird in Lauenstein-


Technik durchgeführt: Der Patient liegt in Rückenlage,
Definition. Die Epiphysiolysis capitis femoris ist eine die Hüfte wird 70° flektiert und 50° abduziert. Bei frü-
der seltenen orthopädischen Notfallsituationen. Man hen Formen ist der Befund immer mit der Gegenseite
unterscheidet zwischen einem akuten schmerzhaften zu vergleichen. Sonst zeigt sich ein deutlich sichtbarer
(Epiphysiolysis acuta) und dem häufiger auftretenden abgerutschter Kopf.
chronischen, schmerzfreien Abrutschvorgang (Epiphy-
siolysis lenta) (. Abb. 2.13, . Abb. 2.14). Therapie. Sie richtet sich nach der Größe des Gleitwin-
kels. Bei kleinen Gleitwinkeln von wenigen Grad kann
Ätiopathogenese. Häufig tritt die Verschiebung der eine konservative Therapie mit absoluter Bettruhe ver-
proximalen Femurepiphyse beidseitig auf. Die Kopf- bunden mit einem Belastungsverbot versucht werden.
kappe verbleibt in der Hüftpfanne, der Schenkelhals Andernfalls sollte die schnellstmögliche operative Re-
gleitet langsam und nichttraumatisch über die Hüft- position und Fixation beider Fragmente erfolgen. Diese
kopfepiphyse nach kranio-ventral ab und dreht sich kann geschlossen (Winkel <40°) oder offen erfolgen,
dabei nach außen. Im Wesentlichen sind bei diesem wenn die Winkel größer als 40° sind.
Krankheitsbild adipöse (= Dystrophia adiposogenita- Die Lentaform mit partieller Lösung der Fuge wird
lis), männliche jugendliche Menschen von eunochoi- durch Kirschner-Drähte, geriffelte Steinmann-Nägel
dem Hochwuchs betroffen. Jungen im Alter zwischen oder Epiphysiodesenschrauben gesichert. Hierbei sollte
12 und 16 Jahren häufig mit verzögerter Geschlechts- auch die Gegenseite vorbeugend fixiert werden, weil
reifung sind ca. 2- bis 3-mal häufiger betroffen als auch dort bei jedem 2. Patienten eine Abrutschung
gleichaltrige Mädchen. Wahrscheinlich handelt es sich droht. Bei der akuten Verlaufsform mit kompletter Lö-
um eine hormonelle Dysregulation mit einem Über- sung der Epiphysenfuge und der dadurch gestörten
wiegen von STH im Verhältnis zu den Geschlechts- Gefäßversorgung des Hüftkopfes besteht die Gefahr der
hormonen. Entwicklung einer Hüftkopfnekrose. Bei Dislokations-
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
297 2

. Abb. 2.13. Angeborene und konstitutionell bedingte Störungen am Hüftgelenk


298 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.14a,b. Epiphyisolysis


capitis femoris. (Aus Buchta/
Höper/Sönnichsen 2004)

winkel >30° wird zusätzlich eine Imhäuser-Osteotomie Osteomalazie. Epiphysiolysis capitis, Morbus Perthes
durchgeführt, um den Femurkopf zu rezentrieren. oder posttraumatisch auftritt. Sie kann an der Meta-
Nur auf diese Weise kann eine Rezentrierung des physe, der trochantären oder subtrochantären Region
Femurkopfes in die Hüftpfanne erlangt werden. Opera- auftreten.
tiv wird durch ventrale Knochenkeilentnahme in Ver-
bindung mit einer Innenrotation des Beins unterhalb Symptomatik. Eine Coxa vara führt zu einer relativen
der Osteotomie das gewünschte Resultat erzielt. Beinverkürzung mit Insuffizienz der Muskulatur
(Watschelgang). Das Trendelenburg-Zeichen ist po-
sitiv und die Patienten können an einem Duchenne-
2.13.4 Schenkelhalsanomalien Hinken leiden.

Der normale anatomische Schenkelhalsdiaphysenwin- > 4 Trendelenburg-Zeichen: beim Einbeinstand Ab-


kel (Synonym wird der Begriff Caput-Collum-Diaphy- sinken des Beckens zur gesunden Seite.
senwinkel (CCD-Winkel) gebraucht) beträgt 125–130°. 4 Duchenne-Hinken: Verlagerung des Rumpfes zur
Die physiologische Antetorsion (Femurkondylenach- erkrankten Seite beim Gehen.
se/Schenkelhalsachse) beträgt ca. 12°.
Diagnostik. Radiologischer Nachweis des zu kleinen
2.13.4.1 Coxa vara CCD-Winkels mit Trochanterhochstand. Es entwickelt
Definition. Verkleinerung des CCD-Winkel beim Er- sich eine Hirtenstabform des Femurs, mit zu kurzem
wachsenen auf weniger als 120° (. Abb. 2.15). Schenkelhals bei normal ausgebildetem Trochanter
major.
Ätiopathogenese. Man unterscheidet die Coxa vara
congenita (primäre angeborene Form) von der se- Therapie. Bei Coxa vara im Kindesalter ist eine Opera-
kundären Form, die als Symptom z. B. bei Rachitis, tion indiziert, wenn der Krankheitsverlauf progredient
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
299 2

. Abb. 2.15. Schenkelhalsanomalien.


Oben: Frontalebene: Coxa vara, Norm, Coxa
valga; unten: Axialebene: Retrotorsion,
Norm, Antetorsion

ist, Schmerzen auftreten, oder die Krankheit einseitig Diagnostik. Radiologischer Nachweis des vergrößer-
oder mit einer Beinlängendifferenz kombiniert ist. ten CCD-Winkels. Die Coxa valga kann mit einer er-
Operative Korrekturen mit intertrochantärer Valgisie- höhten Antetorsion des Schenkelhalses kombiniert sein.
rungsosteotomie oder Distalisierung des Trochanters Koxarthrosezeichen lassen sich frühzeitig nachweisen
werden durchgeführt, um die muskuläre Insuffizienz (7 Kap. 2.13.6.1).
zu therapieren.
Therapie. Solange keine Beschwerden auftreten, ist keine
> Bei einer Coxa vara ist der CCD-Winkel zu klein, er ist Therapie notwendig. Bei schweren Fällen und nach stren-
einem »r« ähnlich. Bei einer Coxa valga ist der CCD- ger Indikationsstellung kann eine intertrochantäre vari-
Winkel zu groß, er ist einem »l« ähnlich. sierende Umstellungsosteotomie durchgeführt werden,
um das frühzeitige Koxarthroserisiko zu senken.
2.13.4.2 Coxa valga
Definition. Vergrößerung des Schenkelhalswinkels 2.13.4.3 Coxa antetorta, Coxa retrotorta
(CCD-Winkels) beim Erwachsenen auf mehr als 140°. Definition. Erhöhter bzw. reduzierter Antetorsionwin-
kel (AT-Winkel) des Schenkelhalses ohne Nachweis
> Der CCD-Winkel des Neugeborenen beträgt physiolo- einer Hüftdyplasie. Von einer pathologischen Antetor-
gisch >150°. sion spricht man, wenn beim Kind der AT-Winkel
>40–50° (normal 30–40°) oder beim Erwachsenen
Ätiopathogenese. Man unterscheidet die primäre von >15° (normal 12°) ist.
der sekundären Form einer Coxa valga. Ursachen für
letztere sind. Ätiopathogenese. Ursache ist unbekannt. Durch die
4 Zerebralparese verstärkte Antetorsion kommt es zu einer Verminde-
4 Trauma v. a. der lateralen Epiphysenfuge des Schen- rung des Hüftabduktoren-Hebelarmes. Durch Annähe-
kelhalses rung des Trochanter major an das Hüftgelenk resultiert
4 Kongenitale Hüftdysplasie/-luxation ein höherer Druck des Schenkelhalses auf den vorde-
4 Folge einer Poliomyelitis ren, ungenügend überdachten Pfannenbereich. Aus
4 Folge von Tumoren diesem Grund wird das Bein innenrotiert gehalten um
so die Mechanik zu »normalisieren«.
Symptomatik. Anfänglich treten wenige Beschwerden,
wie Leistenschmerzen, vorzeitige Ermüdung oder Hin- Symptomatik. Kompensatorisch laufen die Patienten
ken auf. Im Verlauf kann sich dann eine Koxarthrose innenrotiert, um den Gelenkschluss zu verbessern. Sie
entwickeln. sind in der Regel beschwerdefrei.
300 Kapitel 2 · Orthopädie

Diagnostik. Radiologischer Nachweis mit Abweichun- selten (bei AT-Winkeln >40° nach Wachstumsende)
gen vom normalen Antetorsionswinkel. muss operativ (intertrochantäre Derotationsosteoto-
mie) korrigiert werden. Wichtig ist, dass betroffene
2 Therapie. Während des Wachstums kommt es meist Eltern über den guten Spontanverlauf aufgeklärt
zu einer spontanen Besserung (90% der Fälle). Nur werden.

In Kürze
Angeborene und konstitutionelle Störungen des Hüftgelenkes

Hüftdysplasien, 4 Symptomatik: praktisch keine Symptome


Hüftluxation 4 Diagnostik: klinisches Bild, Sonographie Typ I–IV, Hüftpfanne: zu steil, zu flach,
Schenkelhals: valgisch, antetorquiert
4 Therapie: Abspreiztherapie: Neugeborene breit wickeln, Spreizhose

Angeborene 4 Symptomatik: praktisch keine Symptome


Hüftgelenksluxation 4 Diagnostik: klinisches Bild, Sonographie
4 Therapie: Reposition, auch operativ

Coxa vara 4 Symptomatik: relative Beinverkürzung, Duchenne-Hinken, Trendelenburg-Zeichen


positiv
4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: valgisierende Osteotomie

Coxa valga 4 Symptomatik: zunächst wenig Beschwerden, später Hinken


4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: Umstellungsosteotomie nur in schweren Fällen, sonst Kontrolle

Coxa antetorta, 4 Symptomatik: Innenrotation beim Laufen, meist beschwerdefrei


Coxa retrotorta 4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: meist spontane Besserung

Epiphysiolysis 4 Symptomatik: Epiphysenlösung (akut, lentaform) o Außenrotation, Beinverkürzung


capitis femoris 4 Diagnostik: Röntgen: Lauenstein
4 Therapie: konservativ oder operativ, Sicherung mit Kirschner-Drähten, bei der aku-
ten Form schnelle operative Reposition und osteosynthetische Stabilisierung

2.13.5 Erworbene Störungen Symptomatik. Eingeschränkte Hüftbeweglichkeit.

2.13.5.1 Protrusio acetabuli Diagnostik. Radiologisch lässt sich eine ausgehöhlte


Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine primäre Er- Gelenkpfanne mit Vorwölbung ins kleine Becken nach-
krankung mit Zunahme der Hüftgelenkspfannentiefe weisen. Der Pfannenboden überschreitet die Köhler-
durch endogene Faktoren (immer beidseitig) haupt- Linie. Der Azetabulumgrund ist verdünnt. Oft findet
sächlich im Jugendalter. Sekundär kann sich eine Pro- sich gleichzeitig eine Coxa vara.
trusion durch entzündliche, rheumatische Erkrankun-
gen, Osteoporose, Osteomalazie, posttraumatisch oder Therapie. Die konservative Therapie ist bei geringen
Hemiarthroplastie entwickeln. Durch Ausdünnung des Beschwerden indiziert (physikalische Therapie, evtl.
Pfannenbodens kommt es zur Protrusion des Hüftge- medikamentös). Bei Patienten <60 Jahren kommt eine
lenkes ins kleine Becken. Beim Marfan-Syndrom tritt valgisierende intertrochantäre Umstellungsosteotomie
eine Protrusio gehäuft auf. in Betracht.
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
301 2
2.13.5.2 Morbus Perthes Im Krankheitsverlauf wird der Hüftkopf zuneh-
Synonym. Morbus Legg-Calvé-Perthes. mend deformiert. Typisch sind Verformungen, die aus-
sehen wie ein Pilz. Während dieser Um- und Abbaupro-
Definition. Aseptische Nekrose der Femurkopfepi- zesse ist das Hüftgelenk nur vermindert belastbar. In
physe. dieser Phase besteht bei Belastung die Gefahr der Ver-
formung des Hüftkopfes und einer Ausheilung der Er-
Ätiopathogenese. Es handelt sich um eine Unterform krankung mit einem deformierten Hüftkopf. Entwick-
der Osteonekrosen am Hüftkopf, die Ursache ist unbe- lung einer Coxa plana und magna werden beschrieben.
kannt. Aufgrund der regelmäßig nachweisbaren Ske- Verläuft der Reparationsvorgang unterschiedlich, ver-
lettretardierung werden ätiologisch eine Minderanlage ändert sich der Radius des Hüftkopfes. Die resultieren-
der Blutgefäßversorgung bzw. systemische Faktoren de Inkongruenz von Kopf und Pfanne (Azetabulum)
vermutet; somit liegt wahrscheinlich eine ischämische stellt eine präarthrotische Deformierung dar.
Nekrose vor. Sie tritt 4-mal häufiger bei 5–7-jährigen Radiologische Risikozeichen für einen prognos-
Knaben als bei Mädchen auf. Die weiße Rasse ist be- tisch ungünstigen Verlauf sind:
vorzugt. 4 Lateralisation des Hüftkopfes
4 Laterale Verkalkung der Epiphyse
Symptomatik. Anfänglich fallen die Kinder durch ein 4 Beteiligung der Metaphyse
Hinken oder Knieschmerzen auf. Hinzu treten Bewe- 4 Horizontalstellung der Epiphyse
gungseinschränkungen, besonders der Rotation und
Abduktion. Therapie. Bei der Therapie ist es das Ziel, das ge-
schwächte Gelenk zu entlasten und das Auftreten von
> Das positive Viererzeichen ist das wichtigste klinische Deformierungen des Hüftkopfs während der Reparati-
Symptom beim M. Perthes. Es beschreibt die Unfähig- on zu verhindern. Entlastende Orthesen, wie die Tho-
keit des Patienten, das Bein bei einer Flexion von ca. mas-Schiene, werden heute selten eingesetzt, dennoch
45° im Hüft- und 90° im Kniegelenk so abzuspreizen, aber verwendet. Treten Gelenkinkongruenzen auf,
dass die Außenseite des Knies im Liegen die Untersu- muss operativ korrigiert werden (Beckenosteotomie
cherliege berührt. Bei gesunden Patienten wird da- nach Salter, intertrochantäre Umstellungsosteotomie).
gegen durch die obige Haltung von oben betrachtet Beides kann die gewünschte Hüftkopfüberdachung der
eine vier beschrieben. Dieser Test kann aber auch bei Pfanne gewährleisten.
einer Koxitis positiv ausfallen.
Prognose. Bei Kindern unter 5 Jahren ist die Prognose
Diagnostik. Es werden 4 radiologische Phasen durch- günstig.
laufen (. Tab. 2.18, . Abb. 2.16). Im Verdachtsfall wird
meist ein MRT eingesetzt, da die Erkrankung hier schon 2.13.5.3 Hüftkopfnekrose
im Initialstadium entdeckt werden kann. Ist die Epiphy- Ätiopathogenese. Eine Hüftkopfnekrose entwickelt
senfuge mitbetroffen, kann eine Wachstumsstörung sich idiopathisch oder als Folge von Steroidtherapien
auftreten. Der Gesamtverlauf dauert ca. 2–4 Jahre. (Injektion, systemisch), Traumen, Infektionen, Zytosta-

. Tab. 2.18. Stadien des Morbus Perthes

Stadium Symptome

I Initialstadium: Versagen der Blutversorgung des Femurkopfes meist durch Vaskularisationsstörung, Kno-
chenkernwachstum verlangsamt sich; Röntgenbild: Gelenkspalt wird vergrößert sichtbar

II Kondensationsstadium: reaktive Knochenverdichtung nach Mikrofrakturen des nekrotischen Femurkopf-


kerns mit anschließendem Knochenabtransport und Ersatz durch Bindegewebe; Röntgenbild: Verdich-
tung des Kopfes

III Fragmentationsstadium: Abbau der nekrotischen Knochenbälkchen und Auflösung des Hüftkopfkerns
mit Lückenbildung; Röntgenbild: lückenhafter Eindruck der Knochenstruktur des Femurkopfes

IV Reparationsstadium: Wiederaufbau des Hüftkopfes durch Bildung neuer Knochenbälkchen


302 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.16. Stadien des Morbus Perthes. (Aus Buchta/Höper/Sönnichsen 2004)

tikabehandlungen, Sichelzellanämie, Caisson-Krank- Quadranten des Hüftkopfes. Erst im Laufe der Erkran-
heit (Taucherkrankheit, Dekompressionskrankheit), kung demarkieren sich die Nekrosezonen vom gesun-
Morbus Gaucher, Lupus erythematodes. Als Risikofak- den Knochen, der daraufhin zusammensintert. Deshalb
toren gelten Hyperurikämie, Alkohol- und Nikotinabu- lassen sich im Röntgenbild die Veränderungen auch
sus, Hyperlipidämie. Alle Auslöser führen möglicher- erst vergleichsweise spät feststellen. In der Frühphase ist
weise zu einer Mikrozirkulationsstörung im Hüftkopf der Nachweis nur mittels MRT möglich. Spätere radio-
mit resultierender ischämischer aseptischer Nekrose. logische Befunde sind in . Tab. 2.19 aufgeführt.
Das männliche Geschlecht ist häufiger betroffen als das
weibliche (Verhältnis 4:1), Erkrankungsgipfel ist zwi- > Eine Coxitis fugax (flüchtige Koxitis im Kindesalter:
schen dem 30. und 60. Lebensjahr. Beidseitiges Auftre- reaktive Entzündung der Synovialmembran nach
ten ist häufig. Allgemeininfekten) sollte sonographisch oder szinti-
graphisch ausgeschlossen werden.
Symptomatik. Klinisch ergibt sich meist eine schlei-
chend einsetzende Symptomatik mit zunächst Leisten-, Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Ge-
Knieschmerzen und Bewegungseinschränkungen (Ex- lenkerhaltende Operationen, wie medulläre Dekom-
tension und Rotation und Abduktion), die zunehmend pression, evtl. mit Spongiosaplastik oder intertrochan-
belastungsabhängig sind. Die Beschwerden nehmen zu täre Osteotomie können versucht werden. Ansonsten
bei langsamem Zusammensintern des Femurkopfes in erfolgt der Gelenkersatz mittels Endoprothese.
der Hauptbelastungszone.
2.13.5.4 Coxa saltans
Diagnostik. In der Regel findet sich der nekrotische Be- Synonym. Schnappende Hüfte/Tractus-iliotibialis-Syn-
zirk im Bereich der Belastungszone im oberen äußeren drom.
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
303 2

. Tab. 2.19. Radiologische Befunde bei Hüftkopfnekrose nach Arlet und Ficat

Stadium Befund

Stadium 1 Röntgenbild unauffällig, MRT (perifokales Ödem), Belastungs- und Bewegungsschmerz


(Vorröntgenstadium) ins Knie ausstrahlend, geringe endgradige Bewegungseinschränkung

Stadium 2 Mischbild zw. Sklerose und lokaler Osteoporose, Kopfkontur erhalten, zunehmende
(Sklerose–Osteoporose) Schmerzen, Oberschenkelatrophie

Stadium 3 Zusammensintern des Kopfes, Gelenkspalt und Pfanne gut erhalten, Bewegungsein-
(Sequestration) schränkung

Stadium 4 Sekundäre Arthrosezeichen an Gelenkspalt und Pfanne, Anlauf-, Belastungs- und Bewe-
(Arthrose) gungsschmerz, zuletzt Ruheschmerz

Definition/Symptomatik. Insbesondere bei jungen lich schmerzhaft verändert sein. An psychische Fakto-
Frauen springt die Fascia lata (Tractus iliotibialis) über ren ist zu denken.
den Trochanter major und erzeugt dabei ein schnap-
pendes Geräusch. Diagnostik. Klinische Untersuchung, Röntgenbild.

Ätiopathogenese. Zu starke Vorwölbung des Tro- Therapie. Konservativ mittels Steroidinjektionen, Kran-
chanter major, allgemeine Bindegewebsschwäche oder kengymnastik, Dehnübungen. Operativ, bei unerträgli-
eine Beinlängendifferenz können das Phänomen aus- chen Schmerzen, Fixation der Faszie am Trochanter
lösen. Die Bursa trochanterica, die zwischen Trochan- major.
ter major und Tractus iliotibialis liegt, kann entzünd-

In Kürze
Erworbene Störungen des Hüftgelenkes

Protrusio acetabuli 4 Symptomatik: eingeschränkte Hüftbeweglichkeit


4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie: Valgisierungsosteotomie

Morbus Perthes 4 Symptomatik: Hinken, Knieschmerzen, Bewegungseinschränkung, positives Vierer-


zeichen
4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: Ziel ist es, mittels Thomas-Schiene, Beckenosteotomie, Varisierungsosteo-
tomie das Entstehen einer Hüftkopfdeformität zu verhindern

Hüftkopfnekrose 4 Symptomatik: schleichend einsetzende Schmerzen und Bewegungseinschränkung,


die im Verlauf zunehmen
4 Diagnostik: Röntgen, MRT
4 Therapie: Umstellungsosteotomien zur Entlastung, Totalendoprothese

Coxa saltans 4 Symptomatik: Springen des Tractus iliotibialis


4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: Steroide, Fixation des Tractus am Trochanter
304 Kapitel 2 · Orthopädie

2.13.6 Degenerative Erkrankungen > Die Schmerzen bei der Koxarthrose sind abhängig vom
Ausmaß der Gelenkkapselreizung und der Begleitsyno-
2.13.6.1 Koxarthrose vitis. Die Deformierungen, die im Röntgenbild sichtbar
2 Definition. Arthrosis deformans des Hüftgelenkes werden, lassen nicht direkt auf die schmerzhaften
(. Abb. 2.17). Missempfindungen des Patienten schließen.

Ätiopathogenese. Die Koxarthrose entsteht in Folge Diagnostik. Radiologische Arthrosezeichen sind:


eines Missverhältnisses von Tragfähigkeit und Be- 4 Gelenkspaltverschmälerung
lastung des Gelenkes. Die primäre idiopathische 4 Subchondrale Sklerosierung
Form entsteht ohne Einfluss von Vorerkrankungen 4 Geröllzysten
(natürlicher Alterungsprozess). Die Entwicklung 4 Osteophytenbildung
einer sekundären Koxarthrose kann folgende Ur-
sachen haben: Therapie. Die konservative Behandlung umfasst fol-
4 Hüftdysplasie (Inkongruenz der Gelenkflächen) gende Maßnahmen:
4 Morbus Perthes 4 Physikalische Maßnahmen (z. B. Wärme)
4 Hüftkopfnekrose 4 Krankengymnastik
4 Trauma 4 Gewichtsreduktion
4 Sonstiges (Entzündungen, neurologische, metabo- 4 Kontralateraler Gehstock senkt ipsilaterale Gelenk-
lische Erkrankungen, Fehlstatik, Schenkelhalsano- belastung
malien, Chondrokalzinose) 4 Pufferabsatz im Schuh lindert harten Belastungs-
aufprall
Veränderungen am Knorpel bei der Koxarthrose 4 Intraartikuläre Injektionen (Lokalanästhetika, Ste-
Im Krankheitsverlauf kommt es zu folgenden Gelenkknor- roide) wirken antiinflammatorisch
pelveränderungen:
4 Elastizitätsverlust Operativ behandelt wird mittels Hemi- (Femurschaft)
4 Knorpeloberflächeneinrisse oder Vollendoprothese (Pfanne und Schaft). Es steht
4 Höhenverlust des Knorpelgewebes heute eine Vielzahl verschiedener Modelle zur Aus-
4 Bildung von Knorpelzellnestern wahl. Die gängigen Prothesen, die aus Metall bestehen,
4 Subchondrale Sklerosierung der Gelenkfläche enthalten vornehmlich Eisen, Chrom, Nickel, aber
4 Zystenbildung auch eisenfreie Stähle aus Chrom, Molybdän, Kobalt
4 Knorpelabrieb mit reaktiver Bildung von Knochenvor- und Nickel und in einigen Fällen Titan. In der Regel
sprüngen (Exophyten oder Osteophyten) werden jüngere, aktive Patienten mit zementfreien
Implantaten versorgt. Ansonsten erfolgt eine Zemen-
Aus den zerstörten Knorpelzellen werden lysosomale tierung der Implantate. Für die Artikulationsflächen
Enzyme und andere Zellinhaltsstoffe freigesetzt. Diese (Kopf, Pfanne) steht neben Metallen, Keramiken auch
führen zu einer Synovialitis mit Ergussbildung, was als Polyethylen zur Verfügung. Insbesondere an das Poly-
aktive Arthrose bezeichnet wird. Schmerzen liegen ethylen werden heute bzgl. Abriebfestigkeit hohe An-
dann typischerweise im Leistenbereich (ventrale Ge- forderungen gestellt. Man weiß nämlich, dass v. a. im
lenkskapsel). Bereich der Hüftendoprothetik ein vermehrter Poly-
ethylenabrieb letztendlich zum Transplantatversagen
Symptomatik. Typisch ist der morgendliche Anlauf- durch eine resultierende Osteolyse führt.
schmerz. Zudem entwickeln sich Belastungs- und Bei Patienten <60 Jahren sollte so lange wie möglich
Bewegungsschmerzen, später auch Ruheschmerz. konservativ therapiert werden. Die Arthrodese ist nur
Die Beweglichkeit ist zunehmend eingeschränkt, noch wenigen Problemfällen vorbehalten, wie schweren
möglich sind Beuge- und Adduktionskontrakturen. Gelenksdestruktionen mit knöchernen Defekten und
Die sich daraus entwickelnde Beckenkippung wird kombinierter hochgradiger muskulärer Insuffizienz bzw.
mit einer Lordose in der LWS kompensiert. Aus die- schwersten Kontrakturen sowie unheilbaren Infekten.
sem Grund geben Koxarthrose-Patienten häufig Rü-
ckenschmerzen als Hauptbeschwerden an. Das Rota- > Die Überlebenszeiten der künstlichen Hüftgelenke
tionsvermögen im Hüftgelenk ist reduziert. Häufig liegt zwischen 15 und 25 Jahren. Deshalb wird eine
findet sich ein Klopfschmerz über dem Trochanter möglichst späte Implantation angestrebt (>60 Jah-
major. re), um so wenig wie möglich Wechseloperationen
durchführen zu müssen.
2.13 · Hüftgelenk und Oberschenkelregion
305 2

. Abb. 2.17. Koxarthrose beidseits

In Kürze
Degenerative Erkrankungen des Hüftgelenkes

Koxarthrose 4 Symptomatik: morgendlicher Anlauf-, Belastungs-, später auch Ruheschmerz, Bewegungs-


einschränkungen bis zur Kontraktur
4 Diagnostik: Röntgen
4 Therapie:
4 Konservativ: Handstock, physikalisch, krankengymnastisch, medikamentös, intraartikuläre
Injektionen
4 Operativ: Arthroplastik

2.13.7 Entzündliche Erkrankungen pensatorisch eingeschränkt, da der intrakapsuläre


des Hüftgelenkes Druck so am geringsten ist.

2.13.7.1 Koxitis > Differenzialdiagnostisch kommt bei 4- bis 8-jäh-


Die Unterscheidung zwischen einer bakteriell und ei- rigen Patienten ein Morbus Perthes in Betracht
ner rheumatisch Hüftgelenksinfektion ist wichtig. (7 Kap. 2.13.5.2). Bei diesem findet sich aber keine
CRP- oder BSG-Erhöhung.
2.13.7.2 Bakterielle Koxitis
Definition/Ätiopathogenese. Meist nach Sepsis oder Diagnostik. Aus dem Hüftgelenkspunktat ist der Erre-
infolge einer postoperativen Infektion tritt die bakteri- ger zu bestimmen, Anlegen von Blutkulturen bei Tem-
elle Koxitis als akut verlaufende Entzündung des Hüft- peraturen >38°C. Sonographisch lässt sich ein Erguss
gelenkes mit Empyem auf. Man unterscheidet eine spe- nachweisen. Es finden sich erhöhte Entzündungspara-
zifische von einer unspezifischen Entzündung, bei der meter (CRP, BSG, Leu). Radiologisch zeigt sich bei mas-
sich keine spezifischen Erreger nachweisen lassen. sivem Pyathros evtl. eine Gelenkspaltverbreiterung.
Chronische Verläufe sind im Zusammenhang mit My- Später kommt es im Falle einer Knorpelzerstörung zu
cobacterium tuberculosis zu finden. einer Verschmälerung des Gelenkspaltes.

Symptomatik. Nachweisen lassen sich die klassischen 5 Therapie. Die Therapie erfolgt operativ mit Gelenks-
Entzündungszeichen (Rubor, Calor, Dolor, Tumor und spülung (evtl. mehrfache Eingriffe). Systemische paren-
Funktionseinschränkung). Die Innenrotation ist kom- terale Antibiose schließt sich sofort der mikrobiolo-
306 Kapitel 2 · Orthopädie

gischen Probengewinnung an. Eine Entlastung bringt 2.13.7.4 Coxitis fugax


die Traktion des Gelenkes sowie passive Bewegungsthe- Definition. Flüchtige abakterielle Koxitis.
rapie, um Verklebungen zu verhindern. Spätfolgen sind
2 Knorpeldestruktionen. Ätiopathogenese. Diese Hüftgelenksentzündung tritt
als Reaktion auf Infektionskrankheiten, meist 2–3 Wo-
2.13.7.3 Abakterielle (rheumatische) Koxitis chen später auf. Häufig sind Kinder zwischen 4 und 8
Ätiopathogenese. Insbesondere bei entzündlichen Jahren betroffen.
rheumatischen Systemerkrankungen.
Symptomatik. Beschwerden im Hüft- und Kniege-
Symptomatik. Schmerzen, Bewegungseinschränkungen. lenksbereich entwickeln sich meist nach körperlicher
Belastung.
Diagnostik. Sonographisch lässt sich ein Gelenkerguss
nachweisen. Diagnostik. Sonographisch ergibt sich ein Gelenker-
guss. Es findet sich ein leichter Anstieg von CRP, BSG
Therapie. Die Therapie erfolgt symptomatisch. Das und die Leukozyten.
Gelenk wird punktiert, um eine Infektion auszuschlie-
ßen und es zu entlasten. Anschließend werden Steroide Therapie. Entlastung mittels Punktion ist möglich. Er-
injiziert. Bei Progression wird langfristig eine Totalen- neute Kontrolle sollte nach 6–12 Wochen erfolgen.
doprothese (TEP) nötig.

In Kürze
Hüftgelenksinfektionen

Bakterielle 4 Symptomatik: klinische Entzündungszeichen, eingeschränkte Innenrotation


Koxitis 4 Diagnostik: Erregerbestimmung, Entzündungswerte im Labor erhöht, sonographisch:
Ergussnachweis
4 Therapie: operative Spülung des Gelenkes, Antibiose

Abakterielle 4 Symptomatik: Schmerzen, Bewegungseinschränkungen


Koxitis 4 Diagnostik: sonographisch Erguss nachweisbar
4 Therapie: symptomatisch

Coxitis fugax 4 Symptomatik: Beschwerden im Hüft- und Kniegelenksbereich meist nach körperlicher Be-
lastung
4 Diagnostik: sonographischer Ergussnachweis, leichter Anstieg der Entzündungsparameter
4 Therapie: evtl. Punktion

2.13.8 Neurogene Störungen Das Kniegelenk ist das größte Gelenk des Menschen.
Das trikompartimentelle Gelenk zeichnet sich durch
Die neurogenen Störungen der unteren Extremität fasst eine geringe knöcherne, aber dafür starke muskuläre
. Tab. 2.20 zusammen. und ligamentäre Führung aus. Der komplizierte Kap-
selbandapparat ist verletzungsanfällig. Die Menisci ver-
größern die Gleitfläche und wirken als Schockabsorber
2.14 Kniegelenk für den Knorpel. Beide Menisci sind halbmondförmig
und sowohl in antero-posterior als auch medio-lateral
2.14.1 Funktionelle Anatomie beweglich. Der mediale Meniskus ist mit dem Lig. col-
laterale mediale verbunden. Aus diesem Grund ist er
Der Bewegungsumfang des Kniegelenkes zeigt fol- auch verletzungsanfälliger.
genden Normwert: Die in die Quadrizepssehne eingelagerte Patella
4 Extension/Flexion: 5–10°/0°/120–150° wirkt als Hypomochlion und verhindert ein Abgleiten
der Streckmuskulatur bei der Beugung des Kniegelen-
2.14 · Kniegelenk
307 2

. Tab. 2.20. Neurogene Störungen der unteren Extremität

Nerv Symptome

N. femoralis Verletzungen in Höhe des Leistenbandes: Ausfall der Oberschenkelstreckmuskulatur, PSR erlo-
schen, Sensibilitätsausfälle an der Oberschenkelvorderseite

N. cutaneus femoris Verletzungen in Höhe des Leistenbandes: Parästhesien, Sensibilitätsausfälle Oberschenkel-


lateralis außenseite (Meralgie)

N. ischiadicus Verletzung bei intramuskulären Injektionen: Muskelfunktion unterhalb des Knies betroffen,
Sensibilitätsausfälle laterale Unterschenkelaußenseite

N. peroneus Druckschädigung am Fibulaköpfchen: Steppergang, Unfähigkeit den Fuß anzuheben, da Ex-


tensoren ausgefallen, Sensibilitätsstörung auf Fußrücken

N. tibialis Druckschädigung im Tarsaltunnel: Zehenspitzengang, keine Fußinnenrotation möglich, Sensi-


bilitätsstörung Fußsohle

kes. Die ligamentäre Führung besteht aus zwei Seiten- > Kniegelenksbeschwerden können auch bei Erkran-
bändern, dem vorderen und hinteren Kreuzband und kungen der Hüfte (Morbus Perthes, Epiphysiolysis
der Gelenkkapsel. Die Bewegung entspricht einem Roll- capitis femoris) auftreten, darum sind diese Erkran-
Gleit-Vorgang, wobei es bei zunehmender Streckung kungen immer auszuschließen.
endgradig zu einer so genannten Schlussrotation von
10–20° kommt.
Die spezielle Kniegelenksanamnese umfasst im 2.14.2 Angeborene und funktionell
Wesentlichen folgende Kernfragen: bedingte Störungen
4 Zeitraum der Beschwerden (seit wann?, wie stark?, des Kniegelenkes
wie oft? wo?)
4 Auslösemechanismus (Unfall?, wenn ja wie genau?) 2.14.2.1 Patellaluxation
4 Frühere Knieoperationen? Bisherige Therapie? Definition. Herausspringen der Patella aus ihrer knö-
4 Überlastung bei Arthrotikern? chernen Führung.

Bei der Untersuchung stehen folgende Befunde im Ätiopathogenese. Häufigste Ursachen einer Patellalu-
Vordergrund: xation sind ein Genu valgum oder eine Trochleadyspla-
4 Gelenkerguss oder Gelenkschwellung: sie des Kniegelenkes. Eine Abflachung der Patella lateral
5 Zeitraum des Auftretens (sog. Jägerhutpatella) fördert die Gefahr einer Luxation
5 Aussehen des Ergusses nach Punktion (Hämar- zusätzlich. Andere Ursachen sind traumatische Ereig-
thros, Fettaugen, serös?) nisse, hauptsächlich bei äußeren Krafteinwirkungen
4 Instabilitätsgefühl oder Gelenkblockaden: (Unfall).
5 Irreversible, federnde Streckhemmung, z. B. bei
Meniskusriss Symptomatik. Es findet sich eine laterale Position der
5 Gelenksperre sowohl in Kniebeugung als auch Patella mit Ausbildung eines Hämarthros. Bei Erstluxa-
in Kniestreckung, möglich bei freien Gelenk- tion und traumatischen Luxationen bestehen meist
körpern starke Schmerzen. Gelegentlich wird auch eine mediale
5 Fixierte Gelenksperren Patellaluxation beobachtet.
5 Instabilitätszeichen:
– Giving-way Phänomen: plötzliches Einkni- Diagnostik. Klinisches Bild und radiologischer Nach-
cken des Knies beim Gehen, reflektorische weis.
Fehlsteuerung, z. B. bei Meniskusriss
– »Pivot shift«: reproduzierbares Subluxati- Therapie. Die Therapie erfolgt konservativ mit einer
onsphänomen bei Innenrotation, Valguss- Bandage, Physiotherapie, Kräftigung der Muskulatur
tress und gleichzeitiger Knieflexion, z. B. (Vastus medialis des M. quadriceps). Operativ besteht
Kreuzbandruptur v. a. bei instabiler Patella oder Rezidiven eine Indika-
308 Kapitel 2 · Orthopädie

tion. Es gibt hier viele Verfahren, z. B. mediale Kapsel- murkondylen, eine Valgusabweichung zu einem größe-
straffung, Rekonstruktion des medialen Lig. femoropa- ren Abstand zwischen den Innenknöcheln.
tellare, Operation nach Roux (Tuberositas tibiae wird
2 nach medial distal versetzt) oder Trochleaplastik bei Therapie. Je nach Fehlstellung und Beschwerdebild ist
Dysplasie. eine konservative Therapie (Schuhinnen- bzw. -außen-
randerhöhungen) indiziert. Bei größeren Abweichun-
2.14.2.2 Patella alta gen bzw. entsprechenden arthrotischen Beschwerden
Definition. Hochstand der Patella. sind Korrekturosteotomien nötig. Bei einer Varusgon-
arthrose, die wesentlich häufiger ist, wird ein hohe Ti-
Ätiopathogenese. Kann durch muskuläre Dysbalancen biavalgisations-, bei einer Valgusgonarthrose eine dista-
(z. B. infantile Zerebralparese), habituelle Patellaluxa- le Femurvarisationsosteotomie durchgeführt. Schlitten-
tionen oder traumatisch bedingt sein. endoprothesen können den verbrauchten Gelenkanteil
ersetzen und belassen das gesunde, nicht arthrotisch
Symptomatik. Bei traumatischer Form ist eine Lücke veränderte Kompartiment.
im Lig. patellae palpierbar. Evtl. bestehen Schmerzen
und Bewegungseinschränkungen. 2.14.2.4 Genu recurvatum
Definition. Meist erworbene Überstreckbarkeit des
Diagnostik. Der Nachweis lässt sich radiologisch oder Kniegelenkes; kongenital sehr selten, wenn dann häufig
klinisch führen. Im Seitenvergleich bei 30° flektiertem doppelseitig.
Knie ergibt sich ein sichtbarer Hochstand.
Ätiopathogenese. Währen des Wachstums kommt es
Therapie. Der wachstumsbedingte Patellahochstand ist zur Verkippung des Tibiaplateaus nach ventral, als Fol-
meist nicht therapiebedürftig. Die Rekonstruktion des ge einer Schädigung der Epiphysenfuge. Alternativ ent-
Lig. patellae wird bei einer Ruptur nötig. wickelt sich das Genu recurvatum kompensatorisch
durch einen nicht ausgeglichenen Spitzfuß oder auch
2.14.2.3 Genu valgum/Genu varum durch eine Poliomyelitis bedingte Lähmung der Ober-
Definition. Ein- oder doppelseitige Beinachsenfehlstel- schenkelstreckmuskulatur.
lung. Die Beinachse (=mechanische Achse) ist eine ge-
dachte Linie, die gebildet wird zwischen Hüftkopf-, Symptomatik. Es zeigt sich eine Überstreckung im
Kniegelenks- und Sprungelenksmitte. Zwischen dieser Kniegelenk und möglicherweise eine Geh- und Stehun-
Achse und der waagerechten Kniegelenkslinie (Trans- sicherheit.
versalachse) existiert ein physiologischer Winkel von
ca. 176°. Eine Vergrößerung des Winkels wird als Varus-, Diagnostik. Röntgen.
eine Verkleinerung als Valgusfehlstellung bezeichnet.
Therapie. Indiziert sind Korrekturosteotomien bei Epi-
> Genu varum = O-Bein, Genu valgum = X-Bein. Merk- physenstörungen. Lähmungen werden mit Oberschen-
spruch für das Genu varum: Warum hab ich O-Beine? kelorthesen in Strecksperre versorgt. Bei Poliomyelitis
wird die Rekurvation im Kniegelenk zur Stabilisierung
Ätiopathogenese. Die physiologische Achse des Neu- des Beins eingesetzt, deshalb erfolgt keine Therapie.
geborenen ist das Genu varum, ab dem 2. bis 5. Lebens-
jahr das Genu valgum, ab dem 6. Lebensjahr weisen die 2.14.2.5 Osteochondrosis dissecans
Beine eine gerade Achsenstellung auf. Abweichungen 7 Kap. 2.4.7.1.
können angeboren oder erworben sein.
2.14.2.6 Morbus Osgood-Schlatter
Symptomatik: Als Spätfolge können Arthrosen mit Ätiopathogenese. Durch eine Überlastung der Tibia-
Schmerzen und Bewegungseinschränkungen ent- Apophyse kann sich eine Osteochondrose der Tubero-
stehen. sitas tibiae entwickeln (aseptische Nekrose der Tibia-
Apophyse), die zu Ossifikationsverzögerungen und
Diagnostik. Radiologisch erfolgt die Diagnostik mit Ablösung von Dissekaten unter dem Lig. patellae füh-
Ganzbeinröntgenaufnahmen, an denen sich die Abwei- ren kann. Männliche Jugendliche und Sportler sind häu-
chung genau ausmessen lässt. Klinisch erfolgt dies am fig betroffen (Männer ca. 10-mal häufiger als Frauen).
stehenden Patienten. Eine Varusfehlstellung führt zu Das typische Alter der Patienten liegt zwischen 11–
einem größeren Abstand zwischen den medialen Fe- 12 Jahre bei Mädchen und 13–14 Jahre bei Jungen.
2.14 · Kniegelenk
309 2

Diagnostik. Im Röntgenbild finden sich Strukturauflo-


ckerungen, Fragmentationen und eine Abhebung der
Tuberositas tibiae (. Abb. 2.18). Die betroffene ist im-
mer mit der gesunden Seite zu vergleichen.

Therapie. In der Regel führt eine symptomorientiert


konservative Therapie (Schonung, Kühlung, Schmerz-
mittel, Krankengymnastik) zum Beschwerderückgang;
die Prognose ist gut.

2.14.2.7 Morbus Ahlbäck


Definition. Ausgedehnte aseptische Osteonekrose des
medialen Femurkondylus im höheren Alter.

Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist unbekannt, der Er-


krankungsgipfel liegt im höheren Alter. Gehäuft tritt
diese Osteonekrose nach Kortisontherapie, meist ein-
seitig am medialen Femurkondylus auf und führt zu
einer schnell fortschreitenden Gelenkdeformierung
(varus).

Symptomatik. Schmerzen, zunehmende Bewegungs-


einschränkung.
. Abb. 2.18. Osgood-Schlatter-Erkrankung. Ausheilung mit
kraterförmigem Defekt (Pfeil) der Tuberositas tibiae. (Aus Idel- Diagnostik. Radiologisch findet man im frühen Stadi-
berger 1984; Krämer/Grifka 2005) um eine Sklerosierung im osteochondrotischen Be-
reich. Später kommt es zur Gelenkdeformierung.

Symptomatik. Zugbelastungsabhängige Schmerzen Therapie. Im Frühstadium kann eine Entlastung


und lokaler Druckschmerz an der Tuberositas tibiae durch eine tibiale Valgisationsosteotomie versucht
sind charakteristisch. Auch ein prominentes Hervortre- werden. Fortgeschrittene Veränderungen stellen eine
ten der Tuberositas mit Schwellungen wird beschrie- Indikation für einen Gelenksersatz (Schlittenendo-
ben. In der Regel besteht kein Ruheschmerz. prothese) dar.

In Kürze
Angeborene und funktionelle Störungen des Kniegelenkes

Patellaluxation 4 Symptomatik: Schmerzen, Erguss, Bewegungseinschränkung


4 Diagnostik: klinisches Bild, Röntgen
4 Therapie: konservativ oder operativ (Operation nach Roux, Kapsel-, Bandrekonstruktion)

Patella alta 4 Symptomatik: meist symptomlos, sonst leichte Schmerzen


4 Diagnostik: radiologisch, klinisch
4 Therapie: bei traumatischer Ruptur des Lig. patellae Bandrekonstruktion

Genu valgum 4 Symptomatik: erst bei Arthrosebildung Schmerzen


4 Diagnostik: Röntgenaufnahme des ganzen Beins zur Bestimmung der Achse, klinische
Untersuchung am stehenden Patienten
4 Therapie: abhängig vom Lebensalter, Schuhinnenranderhöhungen, operativ: Osteotomie
6
310 Kapitel 2 · Orthopädie

Genu varum 4 Symptomatik: erst bei Arthrosebildung Schmerzen


4 Diagnostik: Röntgenaufnahme des ganzen Beins zur Bestimmung der Achse, klinische
2 Untersuchung am stehenden Patienten
4 Therapie: Schuhaußenranderhöhung, Operativ: Osteotomie, TEP

Genu recurva- 4 Symptomatik: Überstreckung im Kniegelenk, evtl. Geh- und Stehunsicherheit


tum 4 Diagnostik: radiologisch, klinisch
4 Therapie: Muskelkräftigung, Absatzerhöhung, Orthese, Operativ: Osteotomie

Morbus Os- 4 Symptomatik: Schmerzen bei Zug der Quadrizepssehne und beim Knien, Schwellung
good-Schlatter 4 Diagnostik: Klinik, Röntgen
4 Therapie: Schonung (Sport!), Wärmeanwendung, Gipstutor

Morbus Ahlbäck 4 Symptomatik: Schmerzen, zunehmende Bewegungseinschränkung


4 Diagnostik: Röntgen: Sklerosierung, Gelenkdeformierung
4 Therapie: Valgisationsosteotomie, Arthroplastik (Schlittenendoprothese)

2.14.3 Degenerative Veränderungen Therapie. Schmerzlinderung, Entzündungshemmung


und die Steigerung der Beweglichkeit sind die ange-
2.14.3.1 Gonarthrose strebten Ziele. So lange wie möglich sollte konservativ,
Definition. Kniegelenksverschleiß, der unikomparti- symptomatisch therapiert werden. Entlastung (Geh-
mentel als Varus-, Valgus-, Femuropatellararthrose, stock, Pufferabsatz), physikalische Therapie, Kranken-
oder auch trikompartimentell als generalisierte Gonar- gymnastik, antiinflammatorische Steroidinfiltrationen
throse auftreten kann (. Abb. 2.19). stellen einen Teil des möglichen Therapiespektrums
dar. Alle diese Maßnahmen können lediglich die Pro-
Ätiopathogenese. Die Gonarthrose entwickelt sich gredienz der Arthrose beeinflussen, eine Heilung ist
besonders bei Beinachsenfehlstellung bzw. kann diese nicht möglich. Operativ können arthroskopische Ge-
verstärken. Das führt zu einer einseitigen Überbelas- lenkspülung oder Umstellungsosteotomien versucht
tung des Gelenkes mit der Entwicklung einer Arthro- werden. Letzte Therapieoption ist häufig nur der Ge-
se. Mediale Gonarthrosen sind häufiger als laterale. lenksersatz mittels Endoprothese.
Daneben gibt es weitere Krankheiten (Hämophilie,
entzündliche und rheumatische Erkrankungen, Trau- Operative Versorgung
men, metabolische und endokrine Erkrankungen, Bei einem Teilgelenksverschleiß (Varus- oder Valgusgonar-
Dysplasien, Instabilitäten), die zu einer Arthrose füh- throse) ist es möglich, eben auch nur dieses arthrotisch
ren können. veränderte Kompartiment endoprothetisch zu ersetzen,
das gesunde zu belassen. Hier kommen Schlittenendopro-
Symptomatik. Zunehmende, belastungsabhängige thesen zu Einsatz.
Schmerzen (aktiv und passiv) mit Bewegungsein-
schränkungen. Eventuell Ergussbildung. 2.14.3.2 Femuropatellares Schmerzsyndrom
Ätiopathogenese. Bei mechanischer Überbelastung
Diagnostik. Radiologischer Nachweis von typischen der an der Kniescheibe ansetzenden Weichteilstruktu-
Arthrosezeichen: ren (Quadrizeps- und Patellarsehne) kommt es zu Reiz-
4 Gelenkspaltverschmälerung zuständen der die Patella umgebenden ligamentären
4 Geröllzysten-Bildung und synovialen Strukturen.
4 Subchondrale Sklerosierung
4 Osteophytenbildung Symptomatik/Diagnostik. Es bestehen belastungsab-
hängige Schmerzen im Bereich der Patella v. a. beim
Klinisch zeigt sich ein druckschmerzhafter Gelenkspalt, Bergabgehen und Treppensteigen, evtl. Nacht- und
Ergussnachweis. Ruheschmerz.
2.14 · Kniegelenk
311 2

Symptomatik/Diagnostik. Die Patienten klagen über


retropatelläre Schmerzen. Gelegentlich werden Gelenk-
ergüsse und Krepitationen beschrieben. Die frühe
Diagnose wird arthroskopisch gestellt, das Röntgenbild
ist oft unauffällig.
Einteilung nach Outerbridge (gilt für alle Knor-
peldefekte):
4 I: lokalisierte Erweichung und Knorpelschwellung
4 II: Defekt <1,3 cm2, Villi, Fasern
4 III: Defekt >1,3 cm2, Risse
4 IV: Erosionen bis auf subchondralen Knochen

Therapie. Die Therapie erfolgt konservativ mit Scho-


nung in der Frühphase; daran schließen sich Physiothe-
rapie und Antiphlogistikagabe an. Operativ kann arth-
roskopisch eine Knorpelglättung versucht bzw. entfernt
werden. Laterales Release eignet sich bei lateralem Hy-
perkompressionssyndrom. Insgesamt ist der Therapie-
erfolg sehr unbefriedigend.

2.14.3.4 Femoropatellararthrose
Definition. Isolierte Arthrose im Femuropatellargelenk.
Die anderen beiden Kompartimente sind nicht betrof-
. Abb. 2.19. Gonarthrose links fen.

Ätiopathogenese. Die Erkrankung entwickelt sich


nach ausgeprägter Chondromalazie, Patelladysplasie,
Therapie. Konservativ werden Entlastung und Mus- Luxationen oder Patellafrakturen.
kelaufbautraining (Vastus mediales) betrieben. Lokal
erfolgt die Applikation von Salben. Symptomatik. Es bestehen retropatelläre Schmerzen,
Patelladruck- und Verschiebeschmerz.
2.14.3.3 Chondromalazia patellae
Definition. Erweichung des retropatellaren Knorpels. Diagnostik. Radiologischer Nachweis der arthrotischen
Veränderungen.
Ätiopathogenese. Ätiologie unklar. Möglicherweise
besteht eine Überbeanspruchung des Knorpels. Manch- Therapie. Die Therapie richtet sich nach dem Schwere-
mal ist die Ursache ein laterales Hyperkompressions- grad: symptomatisch, konservativ wie bei der Gonarth-
syndrom; die Erkrankung stellt die Vorstufe der Femu- rose, operativ mit Patellaprothese.
ropatellararthrose dar. Meist sind Mädchen betroffen.

In Kürze
Degenerative Erkrankungen des Kniegelenkes

Varus-/Valgus-/ 4 Symptomatik: belastungsabhängige Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, evtl.


Gonarthrose Ergussbildung
4 Diagnostik: radiologisch und klinisch
4 Therapie:
– Konservativ: Handstock, physikalisch, physiotherapeutisch, medikamentös, intraarti-
kuläre Injektionen
– Operativ: Osteotomie, Arthroplastik
6
312 Kapitel 2 · Orthopädie

Femoropatellares 4 Symptomatik: belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Patella


Schmerzsyndrom 4 Diagnostik: klinisches Bild
2 4 Therapie: Entlastung und Muskelaufbautraining

Chondromalazia 4 Symptomatik: retropatelläre Schmerzen, Gelenkerguss, Krepitationen


patellae 4 Diagnostik: Frühstadium: Arthroskopie, später radiologisch
4 Therapie: konservativ: Entlastung; operativ: Knorpelglättung, laterales Release

Femoropatellarar- 4 Symptomatik: retropatelläre Schmerzen, Patelladruck- und Verschiebeschmerz


throse 4 Diagnostik: Radiologie
4 Therapie: wie bei Gonarthrose

2.14.4 Meniskopathie ren. Ursache ist der chronische Reizzustand mit Erguss-
bildung. Der Erguss wird aus dem Knie »herausge-
2.14.4.1 Scheibenmeniskus drückt« und führt zu einer Schleimhautausstülpung.
Meist im lateralen Kompartiment findet sich statt des Häufigste Lokalisation ist am Außenmeniskus.
halbmondförmigen Meniskus die verbleibende embryo-
nale Scheibenform des Meniskus. Diese kann sich ein- Symptomatik. Schmerzen wie bei Meniskusrissen; mit-
klemmen. Therapeutisch wird eine arthroskopische unter zeigt sich eine palpable Vorwölbung.
partielle Meniskusresektion durchgeführt.
Diagnostik. MRT, Arthroskopie,
2.14.4.2 Meniskusganglion
Definition/Ätiopathogenese. Chronische Meniskuslä- Therapie. Arthroskopisch erfolgt eine Teilmeniskekto-
sionen können zur Entwicklung eines Ganglions füh- mie; je nach Befund mit Ganglionresektion.

In Kürze
Meniskopathie

Scheibenmeniskus 4 Symptomatik: Streckhemmung, schnappendes Geräusch und Belastungsschmerz


4 Diagnostik: MRT, Arthroskopie
4 Therapie: Teilmeniskektomie

Meniskusganglion 4 Symptomatik: Schmerzen wie bei Meniskusrissen


4 Diagnostik: MRT, Arthroskopie
4 Therapie: arthroskopische Teilmeniskektomie, evtl. mit Ganglionresektion

2.14.5 Verletzungen und > Der typische Verletzungsmechanismus ist ein Rota-
Verletzungsfolgen tions-/Flexionstrauma des Kniegelenkes bei fixiertem
Unterschenkel.
2.14.5.1 Meniskusriss
Definition. Kontinuitätstrennung des Meniskus. Symptomatik/Diagnostik. Meist handelt es sich um ein
akutes Schmerzereignis. Danach folgt gelegentlich ein
Ätiopathogenese. Degenerativ oder traumatisch be- beschwerdefreies Intervall. Anschließend zeigen sich
dingt. Die meisten Risse findet man im Hinterhorn Belastungsschmerz, evtl. Gelenkblockade, Giving-way-
des medialen Meniskus. Unterschieden werden Symptomatik und Schonhaltung des Kniegelenkes. Bei
Längs-, Quer-, Horizontal-, Lappenriss sowie Korb- der klinischen Untersuchung findet man einen Druck-
henkelrisse. schmerz über dem jeweiligen Kniegelenkspalt, gele-
2.14 · Kniegelenk
313 2

. Abb. 2.20. Meniskuszeichen


314 Kapitel 2 · Orthopädie

. Tab. 2.21. Meniskustests

Name Symptomatik
2
Druckschmerz Am Gelenkspalt auslösbarer Druckschmerz

Steinmann I In 30° Flexion wird auf den Unterschenkel ein Rotationsstress ausgeübt
4 Bei Außenrotation und Innenmeniskusschaden Schmerzen am medialen Kniegelenksspalt
4 Bei Innenrotation und Außenmeniskusschaden Schmerzen am lateralen Kniegelenksspalt

Steinmann II Nach dorsal wandernder Druckschmerz im Gelenkspalt bei Beugung des vorher gestreckten
Kniegelenkes

Böhler-Zeichen Varus-/Valgusstress verursacht Schmerz im medialen/lateralen Gelenkspalt (Innenmeniskus,


Außenmeniskus)

Payr-Zeichen Medialer Schmerz bei Schneidersitz

Apley-Grinding- Bei auf dem Bauch liegendem Patient wird das Knie 90° gebeugt und unter Druck auf die Fuß-
Zeichen sohle rotiert. Bei Innenrotation ergibt sich ein Schmerz bei Außenmeniskusläsion (bzw. umge-
kehrt bei Außenrotation)

gentlich einen Gelenkerguss sowie positive Meniskus- mechanische Reizung der in die Kniekehle inserieren-
zeichen (s. u.). den Muskeln möglich.

Therapie. Da der Meniskus nur im äußeren Drittel Symptomatik/Diagnostik. Die Zyste verursacht Be-
durchblutet ist, muss in der Regel arthroskopisch eine schwerden durch den Druck auf benachbarte Struktu-
Teilmeniskektomie durchgeführt werden. Ziel ist es da- ren. Klinisch zeigt sich eine mehr oder weniger pralle-
bei, so viel Meniskus wie möglich zu erhalten. Andern- lastische Vorwölbung in der Kniekehle, die entweder
falls droht durch die höhere Knorpelbelastung die mittels Kontrastmittelinjektion ins Kniegelenk oder so-
Entwicklung einer Gonarthrose. Bei einem Korbhen- nographisch dargestellt werden kann.
kelriss oder einem Riss in der durchbluteten Zone wird
immer eine Refixation mit einer Naht oder Ankern an- Therapie. Häufig kommt es zu Spontanremission nach
gestrebt. Die Totalresektion sollte in jedem Fall vermie- Sanierung der Kniebinnenerkrankungen. Sonst wird
den werden, da sie nach 10–15 Jahren zu einer Arthro- eine Resektion der Zyste mit Stiel nötig, da andernfalls
se führt. eine hohe Rezidivgefahr besteht.

2.14.5.2 Meniskustests
Die Prüfung der Menisken erfolgt durch Ausübung ei- 2.14.6 Bandverletzungen
ner Kompression auf den Gelenkspalt. Verschiedene
Provokationstests (. Tab. 2.21). 7 Kap. Unfallchirurgie.

2.14.5.3 Baker-, Popliteal-, Synovialzyste


Definition/Ätiopathogenese. Durch Kniebinnener- 2.14.7 Knöcherne Verletzungen
krankungen mit chronischem Kniegelenkserguss kön-
nen sich Ausstülpungen der hinteren Gelenkkapsel 7 Kap. Unfallchirurgie.
bilden. Die Entwicklung von Ganglien ist auch durch
2.14 · Kniegelenk
315 2

In Kürze
Verletzungen am Kniegelenk

Meniskusverletzung 4 Symptomatik: seröser Erguss, Schmerzen, Streckhemmung, Blockade, Druck-


schmerz im Gelenkspalt
4 Diagnostik: klinisch (Meniskuszeichen), MRT
4 Therapie: operativ: falls möglich Meniskopexie, Meniskektomie

Bakerzyste, 4 Symptomatik: Beschwerden durch Druck auf benachbarte Strukturen


Poplitealzyste 4 Diagnostik: MRT, sonographisch
4 Therapie: Spontanremission bei Therapie zugrunde liegender Erkrankung, sonst
Resektion

2.14.8 Neurogene Arthropathie Therapie. Sofortige Punktion zum Erregernachweis.


Anschließend folgt eine arthroskopische Spülung mit
Es handelt sich um eine fortgeschrittene Deformierung, Synovektomie sowie parenterale Antibiose (resistenz-
Destruktion und Lockerung der Gelenke an der unte- gerecht). Postoperativ sind engmaschige Laborkont-
ren Extremität, vorwiegend aber am Kniegelenk, die rollen und evtl. erneute arthroskopische Spülungen
durch mangelnde Koordination und Fehlbelastung ent- wichtig, bis die Entzündungzeichen sicher rückläu-
steht. Der prothetische Gelenkersatz ist unter diesen fig sind. Postoperative Mobilisation erfolgt mittels
Bedingungen nicht anwendbar, da es auch hier durch Motorschiene. Unbehandelte Gonatiden führen zur
Fehlbelastung zur Lockerung kommen würde. Es wird Ankylose.
mit orthopädisch-technischen Apparaten geschient. So Bei den abakteriellen Arthritiden wird versucht, die
wird eine passive Stabilisierung herbeigeführt. Grundkrankheit zu therapieren, eine spezielle Therapie
wird neben der symptomatischen meistens nicht not-
wendig.
2.14.9 Entzündungen des Kniegelenkes
2.14.9.2 Entzündungen/Kniegelenkserguss/
2.14.9.1 Gonitis Kniegelenksschwellung
Definition/Ätiopathogenese. Die Gonitis kann bakte- Bei einem nach einem Trauma innerhalb von Minuten
riell, abakteriell, entzündlich-rheumatisch, systemisch bis Stunden auftretenden Gelenkerguss handelt es sich
oder reaktiv bedingt sein. Sterile abakterielle Entzün- meist um ein Hämarthros (. Tab. 2.22).
dungen sind entzündlich-rheumatischer oder bei einer Von einem serösen Reizerguss spricht man nach
aktivierten Arthrose reaktiver Natur. Meistens entsteht einer Überlastung oder Traumatisierung bradytropher
eine bakterielle Infektion nach Kniegelenkspunktionen, intraartikulärer Strukturen (Menisken, Knorpel), der
aber auch auf hämatogenem Weg kann ein Erreger ins ca. 1 Tag posttraumatisch auftritt.
Kniegelenk gelangen und zu einem Empyem führen. Allmählich über einen langen Zeitraum (Monate)
entstehende Knieschwellungen mit oder ohne Erguss
> Das Kniegelenk ist durch seine große innere Oberflä- sind kennzeichnend für ein infektiöses Geschehen,
che neben den Fingergelenken Hauptmanifestations- z. B. die Gonitis tuberculosa und Gonitis luetica.
ort der chronischen rheumatischen Arthritis.
2.14.9.3 Bursitis praepatellaris
Symptomatik/Diagnostik. Bei einer bakteriellen Arth- Definition. Entzündung der präpatellären Bursa.
ritis sind alle klassischen Entzündungszeichen nach-
weisbar. Die Patienten leiden unter einem Streck- und Ätiopathogenese. Die Bursa praepatellaris wird insbe-
Beugedefizit, es kommt zur Ergussbildung. Im Gelenk- sondere durch mechanische Überlastungen oder in
punktat finden sich erhöhte Zellzahlen, bei der Gewin- Folge von Verletzungen in Mitleidenschaft gezogen.
nung von Eiter ist die Diagnose gesichert. Im Labor sind Häufig betroffen sind Personen, die beruflich viel knie-
die Entzündungszeichen wie CRP und BSG erhöht. ende Tätigkeiten ausführen müssen.
Man findet eine Leukozytose mit Linksverschiebung.
316 Kapitel 2 · Orthopädie

. Tab. 2.22. Erscheinungsbild des Ergusses

Erguss Charakter Ätiologie


2
Gelblich-klare Ergüsse Reizergüsse bei mechanisch verursachten Kniebinnenschäden, aktivierten Arthrosen

Blutige Ergüsse Bei Kniebinnenverletzungen, Gerinnungsstörungen, Fettaugen im blutigen Erguss


sind hinweisend auf intraartikuläre Frakturen

Gelbgrün-trübe Entzündlich-rheumatische Erkrankungen

Milchig-klar bis milchig-trübe Kristallarthropathie

Grau-rahmig Hochfloride bakterielle Arthritiden

Symptomatik/Diagnostik. Präpatellar findet sich eine gen Bursitiden, muss die Bursa operativ entfernt
ausgeprägte Schwellung. Das Kniegelenk selbst ist sonst werden.
nicht betroffen.
Prognose. Im Einzelfall können die Rezidive einer
Therapie. Das Kniegelenk ist zu entlasten. Bei fort- chronischen Bursitis zur Berufsunfähigkeit führen.
bestehenden Beschwerden, insbesondere bei eitri-

In Kürze
Entzündungen des Kniegelenkes

Gonitis 4 Symptomatik: Entzündungszeichen, Streck- und Beugedefizit, Erguss


4 Diagnostik: Entzündungszeichen im Labor, Gelenkpunktion mit Erregerbestimmung
4 Therapie: bakterielle Arthritis: Gelenk spülen und Antibiotika; abakterielle Arthritis: kausa-
le Behandlung

Bursitis 4 Symptomatik/Diagnostik: präpatellare Schwellung, Entzündungszeichen erhöht


praepatellaris 4 Therapie: Knie entlasten, bei weiteren Beschwerden operative Entfernung (Bursektomie)

2.15 Unterschenkel und oberes Das obere Sprunggelenk bildet den Übergang zum Fuß.
Sprunggelenk Funktionell lässt sich ein Vor-, Mittel- und Rückfuß ab-
grenzen. Die Einteilung in diese Bereiche kann durch
7 Kap. Unfallchirurgie. die distale Lisfranc- und die weiter proximal gelegene
Chopart-Gelenklinie vorgenommen werden. Der Fuß
wird bei Belastung physiologisch auf 3 Hauptbelas-
2.16 Fuß und Zehen tungspunkten (Metatarsalköpfchen I, V, Kalkaneus)
abgestützt. Dazwischen spannen sich das Längs- und
2.16.1 Anatomie zur Orthopädie des Fußes das Quergewölbe auf. Die 3 wichtigsten Bänder für das
Fußlängsgewölbe sind:
Für den Bewegungsumfang des Fußes gelten folgende 4 Aponeurosis plantaris
Normwerte: 4 Lig. calcaneonaviculare (Pfannenband)
4 Plantarflexion/Dorsalextension: 40–50°/0°/20–30° 4 Lig. plantare longum
4 Pronation/Supination: 15°/0°/35°
2.16 · Fuß und Zehen
317 2
2.16.2 Angeborene Fußdeformitäten wie Lähmungen unterhalb von L3/L4, ist diese Fehlbil-
dung überproportional häufig zu finden. Die Fehlstel-
2.16.2.1 Differenzialdiagnose lung entsteht durch eine Störung des Muskelgleichge-
der Fußdeformitäten wichtes. Das Übergewicht der medialseitigen Fußmus-
und Fußfehlhaltungen kulatur, insbesondere des M. tibialis posterior (als
> Die echte Fußdeformität (. Tab. 2.23) lässt sich von stärkster Supinator sog. Klumpfußmuskel), zieht den
den meist harmlosen Fußfehlhaltungen dadurch Fuß in die Fehlstellung.
abgrenzen, dass sie weder aktiv noch passiv kompen-
siert werden kann. Symptomatik. Durch die Supinationsstellung wird der
Fuß mit dem Fußaußenrand aufgesetzt, was zu Druck-
2.16.2.2 Klumpfuß schäden der fehlbelasteten Haut führt. Darüber hinaus
Synonym. Pes equinovarus excavatus et adductus. ist der Unterschenkel nach innen rotiert.

> Die atrophische Wadenmuskulatur (Klumpfußwade)


4 Komponenten des Klumpfußes bringt den Fuß zusammen mit einer verkürzten Achil-
4 Spitzfuß – Pes equinus lessehne in die Spitzfußstellung.
4 Hohlfuß – Pes excavatus
4 Vorfußadduktion – Pes adductus Diagnostik. In der seitlichen Röntgenaufnahme stehen
4 Supinationsfuß mit Varusstellung der Ferse – die Achsen von Talus und Kalkaneus nahezu parallel.
Pes supinatovarus Normalerweise bilden Sie einen nach hinten offenen
Winkel von ca. 35°.

Ätiopathogenese. Zusammen mit der Hüftdysplasie Therapie. Direkt nach der Geburt erfolgt die manuel-
gehört der Klumpfuß zu den häufigsten angeborenen le Redression der einzelnen Fehlstellungskomponen-
Entwicklungsstörungen (. Abb. 2.21). ten. In dieser Stellung wird der Fuß eingegipst. Alle
Den Pes equinovarus supinatus excavatus adductus 3–4 Tage muss der Gips gewechselt werden, um
findet man, idiopathisch oder vererbt, doppelt so häu- Druckschädigungen der Haut zu vermeiden und die
fig beim männlichen Geschlecht. Er entwickelt sich Fehlstellungen langsam weiter auszugleichen. Die
bereits intrauterin. Im Zusammenhang mit einer Spina Gipstherapie wird bis zum Ende des 3. Lebensmonats
bifida oder anderen neuromuskulären Erkrankungen, durchgeführt.

. Tab. 2.23. Übersicht Fußdeformitäten

Name Fehlstellung

Pes equinus (Spitzfuß) Fuß fixiert in Plantarflexion

Pes calcaneus (Hackenfuß) Fuß fixiert in Dorsalextension

Pes varus (Kippfuß) Rückfuß fixiert in Inversionsstellung

Pes valgus (Knickfuß) Rückfuß fixiert in Eversionsstellung

Pes supinatus Mittel- und Vorfuß sind um Längsachse mit Fußinnenrandhebung verdreht

Pes pronatus Mittel- und Vorfuß sind um Längsachse mit Fußaußenrandhebung verdreht

Pes planus (Senkfuß) Längsgewölbe abgeflacht, Talokalkaneal-Winkel ca. 90°

Pes excavatus (Hohlfuß) Längsgewölbe überhöht

Pes metatarsus (Spreizfuß) Quergewölbe abgeflacht

Pes adductus (Sichelfuß) Vor- und Mittelfuß gegenüber dem Rückfuß sichelförmig angespreizt

Pes abductus Vor- und Mittelfuß gegenüber dem Rückfuß in Abspreizung


318 Kapitel 2 · Orthopädie

. Abb. 2.21. Klumpfuß (Pes


equinovarus, eigentlich Pes
equino-excav-adducto-varus).
(Aus Buchta/Höper/Sönnichsen
2 2004)

> Etappenredressement bis zur leichten Überkorrektur- Symptomatik/Diagnostik. Die Ferse ist steil gestellt,
stellung ist die Therapie der Wahl beim angeborenen valgisch verändert. Der Vorfuß wird kaum aufgesetzt,
Klumpfuß. Häufig ist es nicht möglich, die Fehlstel- wodurch die Ferse stark belastet wird, was zu Schmer-
lung völlig zu korrigieren. zen und Drucknekrosen führt.

Die verbleibenden Fehlstellungen werden operativ > Der Hackenfuß ist häufig kombiniert mit einer Val-
wahlweise durch eine z-förmige Achillessehnenverlän- gusstellung der Ferse (Knick-Hacken-Fuß).
gerung, eine Lateralisierung des M. tibialis anterior
oder eine dorsale Kapsulotomie am Sprunggelenk mit Therapie. Beim Neugeborenen ist die manuelle Re-
erneuter Gipsredression durchgeführt. Später kommen dression mit anschließender Schienen- oder Gipsre-
Oberschenkelnachtlagerungsschalen und nach Laufbe- dression in Überkorrekturstellung (Spitzfußstellung)
ginn Klumpfußeinlagen zum Einsatz. die Therapie der Wahl. Der endgültige knöcherne Ein-
griff erfolgt erst beim Erwachsenen als Rückfußosteo-
! Cave tomie mit Knochenkeilentnahme (T-Arthrodese).
Behandlungsfehler beim angeborenen Klumpfuß Auch ist eine Muskelersatzoperation (Transfer des
sind neben Druckstellen und Frakturen v. a. das fal- M. tibialis anterior an die Achillessehne als Muskel-
sche Redressieren. Insbesondere muss hier die Kor- ersatzplastik) möglich.
rektur des Rückfußes beachtet werden, sonst kann
ein Plattfuß entstehen. Knöcherne Korrekturen kom- Prognose. Die Prognose ist bei Neugeborenen günstig,
men erst nach Wachstumsabschluss in Frage. oft kommt es zur spontanen Rückbildung.

2.16.2.3 Hackenfuß 2.16.2.4 Plattfuß


Synonym. Pes calcaneus, Synonym. Pes planus.

Definition. Fuß in vermehrter Dorsalextension bei ver- Ätiopathogenese. Der angeborene Plattfuß kommt fa-
minderter Plantarflexion, die Ferse ist steil gestellt. miliär gehäuft vor und geht mit anderen Skelettfehlbil-
dungen einher. Das Längsgewölbe ist schon bei der
Ätiopathogenese. Man unterscheidet zwischen ange- Geburt nach unten durchgebogen. Die Ferse ist hoch-
borenen und erworbenen Fehlbildungen. Die präarth- gestellt, der Talus steht steil und der Rückfuß ist valgisch
rotische Deformität kann durch intrauterine Zwangs- ausgerichtet. Das Längsgewölbe des Fußes ist abge-
stellungen, ein Muskelungleichgewicht, eine operativ flacht, sodass dieser stark, oder sogar komplett, am Bo-
zu sehr verlängerte Achillessehne oder neuromuskuläre den aufliegt. Die Luxation im Talonavikulargelenk
Schäden (Spina bifida, Hirnschäden, Lähmungen des kommt vor. Auch posttraumatisch (Fersenbeinbruch)
M. tibialis) entstehen. kann ein Plattfuß entstehen.
2.16 · Fuß und Zehen
319 2

Symptomatik. Schmerzen, Bewegungseinschränkung lucis, M. tibialis anterior oder eine ständige Bauchlage-
und die schnelle Überlastung der Bänder und Gelenke rung im Säuglingsalter.
des Fußes sind typisch.
Symptomatik. Es zeigen sich eine vermehrte Adduk-
Diagnostik. Das Talonavikulargelenk ist luxiert. Der tion des Mittelfußes und eine Abweichung der Zehen
Winkel zwischen Talus und Kalkaneus ist vergrößert, nach medial, der Rückfuß steht in Valgusstellung.
normalerweise liegt dieser bei 35°.
Therapie. Die konservative Therapie erfolgt mittels ma-
> Die Steilstellung des Talus (ca. 70–90°), der oft in nueller Redression mit anschließender Fixierung im
Verlängerung zur Tibia steht, ist das wesentlichste Gips. Später folgen korrigierende, fersenumfassende
radiologische Zeichen. Einlagen. Selten muss operiert werden.

Therapie. Direkt nach der Geburt wird redressiert. Ope- 2.16.2.6 Os tibiale externum
rativ wird das luxierte Talonavikulargelenk repositioniert Definition. Das Os tibiale externum stellt den häufigs-
und die Achillessehne verlängert. Auch hier kommt die ten akzessorischer Knochenkern (80%) dar.
T-Arthrodese erst nach Wachstumsende in Betracht.
Symptomatik/Diagnostik. Er ist medial plantarseitig
Prognose. Ungünstig. am Ansatz des M. tibialis posterior am Os naviculare als
tastbarer Höcker zu finden.
2.16.2.5 Sichelfuß
Synonym. Pes adductus. Therapie. Therapeutisch wird eine Entlastung im Schuh
angestrebt; bei weiteren Beschwerden die operative
Definition. Vermehrte Adduktion des Vor- und Mittel- Entfernung.
fußes.
> Die Erkrankung kann Druckbeschwerden verursa-
Ätiopathogenese. Bei familiärer Häufung sind ursäch- chen und ist eine wichtige Differenzialdiagnose zur
liche Faktoren eine Überfunktion des M. adductor hal- knöchernen Absprengung nach Frakturen.

In Kürze
Angeborene Fußdeformitäten

Klumpfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Spitzfuß, Hohlfuß, Vorfußadduktion, Supinationsfuß mit Varus-


stellung der Ferse, Talokalkaneal-Winkel ca. 0°
4 Therapie: Etappenredressement, Achillessehnenverlängerung, operativ: Lateralisierung
des M. tibialis anterior

Hackenfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Fuß in vermehrter Dorsalextension bei verminderter Plantar-


flexion, die Ferse ist steil gestellt
4 Therapie: beim Neugeborenen Redression, operativ beim Erwachsenen als Rückfußosteo-
tomie mit Knochenkeilentnahme (T-Arthrodese) oder Muskelersatzoperationen

Plattfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Längsgewölbe durchgebogen, Ferse ist hochgestellt, Talokal-


kaneal-Winkel ca. 90°, Rückfuß valgisch, Luxation im Talonavikulargelenk
4 Therapie: nach der Geburt wird redressiert, operativ wird später das luxierte Talonavikular-
gelenk repositioniert und die Achillessehne verlängert

Sichelfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: vermehrte Adduktion des Vor- und Mittelfußes


4 Therapie: Redression und Fixierung im Gips, korrigierende Einlagen

Os tibiale 4 Symptomatik/Diagnostik: häufigster akzessorischer Knochen (80%), medial/plantar des


externum Os naviculare, tastbarer Höcker
4 Therapie: Entlastung im Schuh, oder operative Entfernung
320 Kapitel 2 · Orthopädie

2.16.3 Erworbene Fußdeformitäten 2.16.3.3 Spreizfuß


Synonym. Pes transversoplanus.
2.16.3.1 Spitzfuß
2 Synonym. Pes equinus. Definition. Häufigste schmerzhafte Fußdeformität in-
folge der Absenkung des Fußquergewölbes.
Ätiopathogenese. Ein Spitzfuß kommt insbesondere
bei einer Zerebralparese oder bei langer Bettlägerigkeit Ätiopathogenese. Der Spreizfuß entwickelt sich durch
ohne Abstützung vor. Nach Verkürzung der Achilles- statische Mehrbelastung in Verbindung mit prädispo-
sehne (posttraumatisch oder nach Verlängerungs- nierenden Faktoren (Übergewicht, Bindegewebsschwä-
osteotomien) können sich ein Fersenhochstand und che, hochhackige Schuhe). Das Quergewölbe des Vor-
eine Spitzfußstellung entwickeln. fußes gibt nach, der Vorfuß verbreitert sich.

Symptomatik/Diagnostik. Das Aufsetzen mit der Fuß- Symptomatik. Es kommt zu einem plantaren Druck-
sohle ist nicht möglich. Die Folgen des Spitzfußes be- schmerz zwischen den Metatarsalköpfchen besonders
treffen den ganzen Körper. Durch die relative Beinver- nach Belastung sowie Kompressionsschmerz am Mit-
längerung entsteht ein Genu recurvatum und ein Be- telfuß. Der Vorfuß verbreitet sich und flacht ab; durch
ckenschiefstand; kompensatorisch kommt es zu einer vermehrte Druckbelastung der Metatarsale II–IV
lumbalen Skoliose. kommt es zur Schwielenbildung (Hühneraugen). Das
Auseinanderweichen des Vorfußes führt zu weiteren
Therapie. Beim Kind ist eine Achillessehnenverlänge- Zehenfehlstellungen (Hallux valgus, Hammer- und
rung und dorsale Kapsulotomie im Sprunggelenk mit Krallenzehen, digitus quintus varus).
Gipsredressierung indiziert. Nach Wachstumsende
wird eine T-Arthrodese durchgeführt. Diagnostik. Präarthrotische Veränderungen, Zehen-
fehlstellungen und ein Auseinanderweichen der Meta-
! Cave tarsale sind kennzeichnend.
Bei langer Bettlägerigkeit sollte prophylaktisch ein
Fußbrett eingesetzt und Krankengymnastik verab- Therapie. Fußgymnastik und Schuheinlagen mit retro-
reicht werden, um eine Spitzfußstellung zu verhin- kapitaler Abstützung sind hilfreich. Gegen die Schmer-
dern. zen helfen Antiphlogistika. Selten ist eine operative
Korrektur der Zehenfehlstellungen nötig.
2.16.3.2 Knick-Senkfuß
Synonym. Pes valgus planus. 2.16.3.4 Hohlfuß
Synonym. Pes cavus.
Definition. Valgusstellung des Rückfußes (Pes valgus)
und Abflachung des Fußlängsgewölbes (Pes planus). Definition. Fußdeformität mit Verstärkung des Fuß-
längsgewölbes (. Abb. 2.22).
Ätiopathogenese. Häufig sind Patienten mit starkem
Übergewicht, einer konstitutionellen Bindegewebsla- Ätiopathogenese. Ursächlich sind neuromuskuläre
xität, X-Beinstellung oder nach Traumata betroffen. Störungen (z. B. Friedreich-Ataxie, Spina bifida, Läh-
Durch die Belastung im Stehen und Gehen ermüdet mungen, progressive Muskeldystrophie). Im Rahmen
der passive und aktive Halteapparat des Fußes schnell, einer Poliomyelitis kann sich auch ein Hackenhohlfuß
so dass sich diese Deformität entwickeln kann. Oft entwickeln.
flacht auch das Quergewölbe (Spreizfuß) ab.

Symptomatik. Das Längsgewölbe flacht ab. Das Abrol-


len des Fußes wird mehr und mehr unmöglich.

Therapie. Im Rahmen der konservativen Therapie sind


Schuheinlagen und Fußgymnastik indiziert. Selten
wird eine operative Versorgung im Erwachsenenalter
nötig (T-Arthrodese).

. Abb. 2.22. Pes excavatus. (Aus Krämer/Grifka 2005)


2.16 · Fuß und Zehen
321 2

Symptomatik. Kennzeichnend ist die Verstärkung des sale I und V können in der seitlichen Aufnahme
Fußlängsgewölbes. Es treten Druckstellen über den überkreuzen.
druckschmerzhaften Metatarsalia und Krallenzehen
auf. Durch die starke Vorfußbelastung kommt es zu- Therapie. Indiziert sind eine Versorgung mit Einlagen
dem zum Spreizfuß (Hohlspreizfuß). zur Entlastung der Druckstellen sowie orthopädische
Schuhe beim Erwachsenen. Nach dem Abschluss des
Diagnostik. Radiologisch zeigt sich ein hohes Fuß- Wachstums kann in schweren Fällen die Spaltung der
gewölbe und Steilstellung der Metatarsalia. Metatar- Plantaraponeurose durchgeführt werden.

In Kürze
Erworbene Fußdeformitäten

Spitzfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Spitzfußstellung


4 Therapie: beim Kind Achillessehnenverlängerung und dorsale Kapsulotomie im Sprunggelenk,
bei Erwachsenen T-Arthrodese

Knick- 4 Symptomatik/Diagnostik: Valgusstellung des Rückfußes und Abflachung des Fußlängsgewölbes


Senkfuß 4 Therapie: Schuheinlagen und Fußgymnastik, selten Operation

Spreizfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Absenkung des Fußquergewölbes


4 Therapie: Fußgymnastik und Schuheinlagen, bei Zehenfehlstellungen Operation

Hohlfuß 4 Symptomatik/Diagnostik: Verstärkung des medialen Fußlängsgewölbes


4 Therapie: Schuheinlagen zur Entlastung der Druckstellen, Spaltung der Plantaraponeurose bei
schweren Fällen

2.16.4 Entzündliche und degenerative Therapie. Die Therapie erfolgt gemäß der rheumati-
Veränderungen im Fußbereich schen Erkrankungen an anderen Gelenken (7 Innere
Medizin).
2.16.4.1 Rheumatischer Fuß
Definition/Ätiopathogenese. Das obere Sprunggelenk 2.16.4.2 Diabetischer Fuß
und die Zehengrundgelenke sind von der entzündli- Ätiopathogenese. Durch die diabetische Polyneuropa-
chen Veränderung besonders betroffen. Es sind aber thie und Mikroangiopathie kommt es zu den typischen
nicht nur die artikulären Strukturen befallen, sondern Verläufen des diabetischen Fußes mit chronischem
auch die Weichteile. So kann es auch zu Tendosynoviti- Malum perforans, neurogener Osteopathie. Häufig ent-
den mit Sehnenrupturen, Schleimbeutelentzündungen wickeln sich Osteomyelitiden.
und Entzündungsreaktionen im paraartikulärem Bin-
degewebe kommen. > Die Osteomyelitis ist eine gefürchtete Komplikation
des diabetischen Fußes. Häufig tritt sie kombiniert
Symptomatik. Der Fuß ist durch die Schmerzen bewe- mit Phlegmonen auf.
gungseingeschränkt.
Symptomatik/Diagnostik. Man kann den neuropa-
! Cave thischen von dem ischämisch-gangränösen diabeti-
Bei Lagerung des Fußes ist darauf zu achten, dass sich schen Fuß unterscheiden. Es treten folgende Symptome
keine sekundären Deformitäten, z. B. ein Spitzfuß, auf: schmerzlose Verletzungen, verminderte Sensibili-
ausbildet. tät, Geschwüre an den Fußsohlen, warme und rosige
Füße, tastbare Fußpulse, Schwielen, lokale Ödeme,
Diagnostik. Arthrotische Veränderungen des rheuma- Begleitinfektionen, blasse, bläulich verfärbte und kalte
toiden Formenkreises sind klinisch und radiologisch Füße, Zehennekrosen. Daneben können diabetische
erkennbar. Osteopathien auftreten.
322 Kapitel 2 · Orthopädie

Therapie. Korrekte Einstellung des Blutzuckers ist wich- sich Hühneraugen. Die Epidermis wird im belasteten Be-
tig. Die konservative Therapie besteht in strenger Fuß- reich hyperkeratotisch. Die Behandlung erfolgt kausal.
pflege, Fußentlastungen (Gips) und Anlage von orthopä-
2 dischen Schuhen. Verletzungen sind zu meiden. Grenz-
2.16.9 Zehendeformitäten
zonenamputation im Gesunden werden bei bestehenden
therapieresistenten Ulzera oder gar Gangrän nötig.
2.16.9.1 Hallux valgus
Definition. Abweichung der Großzehe im Grundge-
2.16.5 Osteochondrosen des Fußes lenk nach lateral.

7 Kap. 2.4.7.1. Ätiopathogenese. Frauen sind häufiger betroffen. Zu


enges Schuhwerk, Traumata, aber auch rheumatische
Erkrankungen können verantwortlich sein. Meist ent-
2.16.6 Knochenvorsprünge am Fuß wickelt sich aus einem Spreizfuß ein Hallux valgus
(. Abb. 2.23). Der Zug, der zu kurzen, exzentrisch an-
2.16.6.1 Kalkaneussporn greifenden Sehne des M. extensor hallucis longus ver-
Als Kalkaneussporn bezeichnet man eine häufig auf- stärkt die Varusstellung des Metatarsale I weiter.
tretende medialseitig gelegene dornartige knöcherne
Ausziehung am Kalkaneus. Am Ansatz der Plantarfas- Symptomatik. Digitus I steht in Valgusfehlstellung. Die
zie wird ein lokaler Druckschmerz bei Belastung an- Patienten klagen über Belastungs- und Bewegungs-
gegeben. Therapeutisch erfolgt die Druckentlastung schmerzen, entzündliche und arthrotische Verände-
durch eine Locheinlage im Schuh. rungen des Gelenks können kombiniert mit einer
Bursitis über dem Mittelfußköpfchen sein. Das Grund-
2.16.6.2 Haglund-Ferse (hohe Ferse) gelenk ist bewegungseingeschränkt und neigt zur Sub-
Es handelt sich um eine abnorme Ausziehung über der luxation, sodass es sich sogar über oder unter Digitus II
Hinteroberkante des Fersenbeins. Die Achillessehne wird schiebt.
gereizt, es bildet sich ein störender Schleimbeutel. Konser-
vativ wird versucht, den Bereich zu entlasten. Gelingt das Diagnostik. Durch die Abspreizung des 1. Mittelfuß-
nicht, muss der Vorsprung operativ abgemeißelt werden. knochens (mit Vorstehen des 1. Mittelfußköpfchens)
entsteht der Anschein eines Knochenanbaus (Pseudo-
exostose). Differenzialdiagnostisch ist der Hallux rigi-
2.16.7 Neurogene Störungen dus abzugrenzen.
Digitus I steht in Valgusfehlstellung, Metatarsale I
In Abhängigkeit der ausgefallen Muskeln entwickeln in Varuseinstellung. Das subluxierte Großzehengrund-
sich zunächst haltungsbedingte und später irreversible gelenk weicht nach lateral ab. Evtl. kommt es zu arthro-
Fußdeformitäten. So können z. B. entstehen tischen Veränderungen.
4 Paralytischer Spitzfuß durch Peroneusparese
4 Paralytischer Klumpfuß durch Fibularisparese Therapie. Konservativ erfolgt die Therapie mit Nacht-
4 Paralytischer Hackenfuß durch Tibialisparese lagerungsschienen, Spreizfußeinlagen und Antiphlo-
gistika. Operative Optionen sind Resektions-Interposi-
tions-Arthroplastik oder verschiedene Osteotomien
2.16.8 Verletzungen und (z. B. Operation nach Hohmann mit subkapitaler Osteo-
Verletzungsfolgen tomie des Os metatarsale I mit Verschiebung des Köpf-
chens).
2.16.8.1 Kalkaneusfraktur
7 Unfallchirurgie. 2.16.9.2 Hallux rigidus
Definition. Isolierte Arthrose im Großzehengrundge-
2.16.8.2 Ermüdungsfraktur lenk mit Beugekontraktur (ohne Hallux valgus).
7 Unfallchirurgie.
Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist unbekannt; Ent-
2.16.8.3 Hühneraugen (Clavi) zündungen, rezidivierende Traumen werden disku-
Wenn sich spitze Knochen unmittelbar unter der Haut tiert.
befinden und Druck auf diese ausgeübt wird, entwickeln
2.16 · Fuß und Zehen
323 2

. Abb. 2.23. Vorfüße von Mutter und


Kind. Die Großzehe ist im Grundgelenk
nach lateral abgewinkelt. Die Vorfüße
sind auffallend verbreitert: Spreizfüße
mit Hallux valgus, erbliche Komponen-
te. (Aus Krämer/Grifka 2005)

Symptomatik. Es zeigt sich eine schmerzhafte Bewe- Ätiopathogenese. Häufig treten Hammer- und Kral-
gungseinschränkung im Großzehengrundgelenk vor- lenzehen kombiniert mit Spreiz- und Hohlfuß. Auch
wiegend bei der Streckung, daher ist der Abrollvor- entzündliche Veränderungen, zu enges Schuhwerk
gang des Fußes behindert. Der Zehenstand ist nicht oder neuromuskuläre Störungen (Zerebralparese,
möglich. Nerven-Muskelverletzungen) können zu dieser De-
formität führen.
Diagnostik. Arthrosezeichen im Großzehengrund-
gelenk. Symptomatik. Es zeigt sich eine dorsale Extension der
Mittel- und Grundgliedköpfchen; die Zehen sind
Therapie. Konservativ können gelenküberbrückende scheinbar verkürzt. Durch den Druck der Schuhe bil-
Einlagen, Schuhabrollhilfen oder intraartikuläre Injekti- den sich Hühneraugen an den Streckseiten der Zehen-
onen versucht werden. Operativ wird eine Teilresektion gelenke. Beschrieben werden Belastungs- und Druck-
des Großzehengrundgelenkes mit Resektions-Interposi- beschwerden. Luxationen sind möglich.
tions-Arthroplastik nach Keller-Brandes durchgeführt.
Therapie. Die Schuhe werden mit Einlagen und Pol-
2.16.9.3 Hammer- und Krallenzehen stern ausgekleidet, Nachtlagerungsschienen verord-
> 4 Hammerzehen: gestrecktes Grundgelenk, fixierte net. Sollten die Maßnahmen nicht greifen, wird ope-
Beugung im Endgelenk rativ eine Teilresektion des Köpfchens mit Resektions-
4 Krallenzehen: Überstreckung im Grundgelenk, Interpositions-Arthroplastik nach Keller-Brandes
Beugung im Mittel- und Endgelenk durchgeführt.

In Kürze
Zehendeformitäten

Hallux valgus 4 Symptomatik/Diagnostik: Abweichung der Großzehe im Grundgelenk nach lateral


4 Therapie: Nachtlagerungsschienen, Spreizfußeinlagen; selten operativ: Resektionsar-
throplastik oder eine Osteotomie des Metatarsale

Hallux rigidus 4 Symptomatik/Diagnostik: Arthrose im Großzehengrundgelenk mit Beugekontraktur,


aber ohne Hallux valgus
4 Therapie: gelenküberbrückende Einlagen, Schuhabrollhilfen, operativ: Teilresektion
des Großzehengrundgelenkes mit Resektions-Interpositions-Arthroplastik

Hammer- und 4 Symptomatik/Diagnostik: Hammerzehe: Beugung im Endgelenk


Krallenzehen 4 Krallenzehe: Beugung im Mittel- und Endgelenk
4 Therapie: Schuhpolster und -einlagen, ggf. Operation mit Teilresektion des Köpfchens
mit Resektions-Interpositions-Arthroplastik
3 Urologie
G. Kraus, T. Blaum, D. Zaak

3.1 Anatomische und physiologische Grundlagen –327


3.1.1 Niere und ableitende Harnwege –327
3.1.2 Nebenniere –327
3.1.3 Harnblase und Harnröhre –327
3.1.4 Penis –328
3.1.5 Prostata und Samenblase –328
3.1.6 Hoden und Nebenhoden –328

3.2 Urologische Anamnese, Nomenklatur und Normwerte –330


3.2.1 Störungen von Harnproduktion und Harnbeschaffenheit –330
3.2.2 Miktionsstörungen –330
3.2.3 Ejakulat –330
3.2.4 Schmerzen und weitere Symptome –330

3.3 Spezielle urologische Untersuchungstechniken –333


3.3.1 Bildgebende Verfahren –333
3.3.2 Endoskopische Verfahren –334
3.3.3 Funktionsdiagnostik –335
3.3.4 Katheterismus –336
3.3.5 Uringewinnung –336

3.4 Entzündungen –338


3.4.1 Unspezifische Harnwegsinfektionen –338
3.4.2 Glomerulopathien –340
3.4.3 Wichtige spezifische urogenitale Infektionen –341
3.4.4 Prostatitis-Syndrom –344
3.4.5 Epididymitis und Orchitis –345

3.5 Tumoren –347


3.5.1 Nierenzellkarzinom –347
3.5.2 Wilms-Tumor –348
3.5.3 Harnblasenkarzinom –349
3.5.4 Tumoren der Harnwege (Nierenbecken und Harnleiter) –351
3.5.5 Peniskarzinom –352
3.5.6 Prostatakarzinom –353
3.5.7 Hodenmalignome –356

3.6 Benigne Prostatahyperplasie –358

3.7 Urolithiasis –359


3.8 Andrologie –362
3.8.1 Sterilität beim Mann –362
3.8.2 Erektile Dysfunktion –364
3.8.3 Hydrozele und Spermatozele –366

3.9 Störungen der Blasenfunktion –368


3.9.1 Harninkontinenz –368
3.9.2 Störung der Blasenentleerung –368
3.9.3 Neurogene Blasenfunktionsstörungen –369

3.10 Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/Kinderurologie –370


3.10.1 Fehlbildungen der Nieren –370
3.10.2 Fehlbildungen der Harnleiter –373
3.10.3 Fehlbildungen der Harnblase –373
3.10.4 Fehlbildungen der Harnröhre –374
3.10.5 Fehlbildungen der männlichen Geschlechtsorgane –375

3.11 Urologische Verletzungen und Notfälle –378


3.11.1 Penis –378
3.11.2 Hoden und Skrotum –378
3.11.3 Verletzungen der Niere –379
3.11.4 Niereninfarkt –379
3.11.5 Blase –380
3.11.6 Verletzungen der Harnröhre –381
3.11.7 Urosepsis –381
3.11.8 Akute ulzeröse Genitalgangrän –381

3.12 Dialyse und Nierentransplantation –384


3.12.1 Dialyse –384
3.12.2 Nierentransplantation –384
3.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen
327 3
3.1 Anatomische und physiologische 3.1.2 Nebenniere
Grundlagen
Die Nebennieren liegen den Nieren am oberen Pol auf.
3.1.1 Niere und ableitende Harnwege Sie sind mit ca. 15 cm3 relativ klein und lassen sich
ebenfalls in Rinde und Mark unterteilen, wobei sich die
Die Nieren liegen retroperitoneal beidseits der Wirbel- Rinde weiter in Zona glomerulosa, Zona fasciculata
säule in Höhe Th11 bis L3, wobei die rechte Niere ca. und Zona reticularis aufteilen lässt.
3 cm weiter kaudal liegt. Sie sind aufgeteilt in Kapsel, Die Funktion der Nebenniere besteht in der endo-
Rinde und Mark. Die Pyramiden des Marks münden in krinen Sekretion von über 40 Steroidhormonen. In der
die Nierenkelche, von dort fließt der Harn über das Nie- Rinde werden entsprechend der unterschiedlichen
renbecken und den Ureter ab. Die Funktionen der Nie- Schichten Mineralokortikoide (Aldosteron), Gluko-
ren bestehen in der Produktion des Harns und somit der kortikoide (Kortisol, Kortison) und Sexualhormone
Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen und körper- gebildet. Das Mark produziert die Katecholamine Adre-
fremder Stoffe, der Regulation des Wasser- und Elektro- nalin und Noradrenalin.
lythaushalts und des Säure-Basen-Gleichgewichts. Au-
ßerdem erfüllt die Niere endokrine Funktionen zur Produktion der Katecholamine
Steuerung von Erythropoese, Knochenstoffwechsel und Aus dem Nebennierenmark wird in der Regel ein Gemisch
Blutdruck durch Produktion von Hormonen wie Eryth- aus 80% Adrenalin und 20% Noradrenalin (je von unter-
ropoetin, Calcitriol, Renin und Angiotensin. Um eine schiedlichen Zellen) freigesetzt. Im peripheren Blut jedoch
ausreichende Hämofiltration zu gewährleisten, werden liegt die Konzentration von Noradrenalin meist 3- bis 5-mal
die Nieren konstant und gleichmäßig stark durchblutet, höher als die des Adrenalins. Während nur 2–8% des Nor-
der renale Blutfluss beträgt ca.1600 l/Tag. adrenalins im Blutkreislauf aus dem NNM stammt, wird der
Mikroskopisch besteht die Niere aus Nephronen, Rest von Endigungen der sympathischer postganglionärer
den kleinsten funktionellen Einheiten des Organs. Ein Neurone produziert.
Nephron besteht aus folgenden Bestandteilen:
4 Glomerulum in der Nierenrinde
4 Proximaler Tubulus 3.1.3 Harnblase und Harnröhre
4 Henle-Schleife
4 Distaler Tubulus Harnblase. Bei der Harnblase handelt es sich um ein
4 Sammelrohr extraperitoneal gelegenes Hohlorgan, in welches die
von der Niere kommenden Harnleiter münden und
Während das Glomerulum der Filtration von Zellen aus dem die Harnröhre abgeht. In der Harnblase
und Proteinen dient, werden im Tubulussystem nieder- sammelt sich der Harn; dieser wird bei der Miktion
molekulare Stoffe resorbiert und sezerniert. Auf diese über die Harnröhre abgegeben. Die Harnblase be-
Weise wird die Konzentration des Harns und somit die steht aus dem dreischichtigen glatten M. detrusor
Ausscheidung von Wasser, Elektrolyten und den ande- vesicae, der der Entleerung der Blase dient. Die Bla-
ren Bestandteilen des Harns reguliert. Durch das Ge- seninnenfläche wird von Urothel ausgekleidet. Der
genstromprinzip wird der Konzentrationsgrad des Abgang zur Harnröhre wird durch zwei Ringmuskeln
Harns effektiv gesteuert. verschlossen, dem glattmuskulären Sphincter urethrae
internus und dem quergestreiften Sphincter urethrae
> Eine besondere Bedeutung kommt der Kreatinin- externus.
Clearance zu. Sie ist das Maß des Serumvolumens,
das pro Zeiteinheit von Kreatinin befreit wird. Der > Die Harnblase liegt beim Erwachsenen direkt hinter
Normwert des Gesunden liegt bei etwa 120 ml/min. der Symphyse. Mit zunehmender Füllung übersteigt
Die Clearance-Messung erlaubt die frühzeitige Er- die Blase den Symphysenrand und wird so palpabel,
kennung einer Nierenfunktionseinschränkung und perkutier- und punktierbar. Bei Harnverhalt kann die
ist v. a. dann aussagekräftig, wenn der Kreatininwert gefüllte Blase als kugeliger Unterbauchtumor sicht-
selbst noch im Normbereich liegt. Heute bedient bar werden.
man sich meist der Näherungsformel der »endo-
genen Kreatinin-Clearance« nach Cockroff und Goult: Harnröhre. Die Harnröhre leitet den Harn ab und wird
Kreatinin-Clearance = ([150 – Lebensalter in Jahren] in ihrem Beginn von den beiden bereits erwähnten
× Körpergewicht in kg/Serumkreatinin in μmol/l) – a Sphinkteren verschlossen. Sie ist beim Mann ca. 25 cm
a = 10% für Männer, 15% für Frauen lang und gliedert sich in Pars prostatica, die durch die
328 Kapitel 3 · Urologie

Prostata führt, Pars membranacea und schließlich die


vom Schwellkörper umgebene Pars spongiosa. Die
Lymphdrainage der männlichen Harnröhre erfolgt in
die Nll. iliaci interni und communes.
Die weibliche Harnröhre ist nur etwa 3–4 cm lang
und verläuft vor der vorderen Scheidenwand. Die
3 Lymphe drainiert im inneren Anteil in die Nll. iliaci
interni, im äußeren Anteil in die inguinalen Lymph-
knoten.

3.1.4 Penis

Der Penis gliedert sich in Penisschaft und Eichel (Glans


penis). Er ist von einer verschieblichen Haut überzo-
gen, die sich als Vorhaut in einer Doppelung auch über
die Eichel legt. Um die Penetration beim Geschlechts-
verkehr gewährleisten zu können, besitzt der Penis
zwei Schwellkörpersysteme. Die paarigen Corpora
cavernosa entspringen an den Schambeinästen und
vereinigen sich zum Corpus penis. Dieser umgibt von
kranial halbmondförmig die Harnröhre sowie den
Harnröhrenschwellkörper (Corpus spongiosum). Das
Corpus spongiosum seinerseits beginnt proximal als
Bulbus an der Beckenbodenfaszie, umgibt im weiteren
Verlauf die Harnröhre und bildet am distalen Ende die
Glans penis. Als wichtiger Muskel ist der M. ischioca- . Abb. 3.1. Anatomie des männlichen innere Genitale. (Aus
vernosus zu nennen, der die Corpora cavernosa um- Hautmann u. Huland 2006)
gibt und so die Erektion unterstützt. Ferner ist der
M. bulbospongiosus von besonderer Bedeutung, er
bedeckt den Bulbus des Corpus spongiosus und wirkt scheidet: Anteriore, periphere, zentrale und Transitio-
bei der Ejakulation durch die stoßweise Kompression nalzone. Von besonderem Krankheitswert sind die
der Harnröhre mit. Transitionalzone für die benigne Prostatahyperplasie
Nähere Erläuterungen zum Vorgang der Erektion sowie die periphere Zone, die sich über ¾ des Drüsen-
finden sich im 7 Kap. 3.8.2. gewebes erstreckt und Entstehungsort von 70% aller
Prostatakarzinome ist.
Die lymphatische Drainage verläuft im Wesent-
3.1.5 Prostata und Samenblase lichen über sakrale, vesikale und iliakale Lymphsta-
tionen.
Prostata. Die Vorsteherdrüse ist ein 20 g schweres, etwa
kastaniengroßes, retrosymphysär gelegenes Organ, Samenblase. Die paarigen Glandulae seminales liegen
welches die männliche Harnröhre direkt nach dem Ab- dem Blasenboden oberhalb der Prostata beidseits an.
gang aus der Harnblase umgibt und vom Rektum aus Ihr Ausführungsgang vereinigt sich mit dem Samenlei-
tastbar ist. Mit der kaudalen Spitze liegt sie dem Dia- ter und mündet als Ductus ejakulatorius in die Harn-
phragma urogenitale an (. Abb. 3.1). Sie besteht aus fi- röhre. Ihre Funktion besteht in der Produktion eines
bromuskulären Anteilen, einer fibrösen Kapsel und fruktosereichen, alkalischen Sekrets das dem Ejakulat
30–50 epithelialen Einzeldrüsen. Diese münden mit ca. beigemengt wird.
25 Ausführungsgängen in die Pars prostatica der Harn-
röhre und geben bei der Ejakulation ihr Sekret ab, das
den Spermien beigemischt wird und ca. 70% des Ejaku- 3.1.6 Hoden und Nebenhoden
lats ausmacht.
Für die Urologie ist die Einteilung nach McNeal Hoden. Die beiden Hoden befinden sich im Skrotum,
von Bedeutung, welche vier Teile der Prostata unter- wo sie an den Samensträngen hängen und durch das
3.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen
329 3

Septum scroti voneinander getrennt werden. Das Er- > Das Orchidometer ist eine Kollektion von 12 eiför-
scheinungsbild der Hoden ist eiförmig, das Volumen migen Plastikperlen von ca. 1–25 ml Volumen. Mit
beträgt im Normalfall zwischen 12 und 25 ml bei einem ihm lässt sich das Hodenvolumen mittels Palpation
Gewicht von ca. 20 g. Das Parenchym wird von der Tu- sehr exakt bestimmen.
nica albuginea umschlossen und enthält die Samenka-
nälchen, in denen die Spermiogenese stattfindet. Neben Nebenhoden. Der Nebenhoden liegt dem Hoden von
der Spermiogenese dienen die Hoden auch zur Produk- dorsolateral auf, ist etwa 5 cm lang und 4 g schwer. Er
tion von Geschlechtshormonen (Testosteron). Als lässt sich in Kopf, Körper und Schwanz unterteilen und
Überbleibsel des Müller-Gangs findet sich am oberen ist durch das Skrotum hindurch vom eigentlichen Ho-
Hodenpol die Appendix testis, die bei der Hydatiden- den palpatorisch abgrenzbar. Seine Funktion besteht
torsion von pathologischer Bedeutung ist. v. a. in der Speicherung der Spermien.

In Kürze
Anatomische und physiologische Grundlagen

Anatomie Funktion

Niere und Retroperitoneale Lage Harnproduktion, Ausscheidung harnpflichtiger


Harnwege Substanzen, Regulation von Wasser- und
Elektrolythaushalt, endokrine Funktionen

Nebenniere Liegen den Nieren auf Produktion von Steroidhormonen und


Katecholaminen

Harnblase Extraperitoneale Lage Sammeln von Harn und Abgabe über


und Harnröhre
Harnröhre

Penis Zwei Schwellkörpersysteme: paarige


Corpora cavernosa sowie Corpus spon-
giosum (die Harnröhre umgebend)

Prostata Retrosymphysär gelegen, von Samen- Prostatasektret wird dem Ejakulat beigemischt
blase aus tastbar, umgibt die männliche
Harnröhre

Samenblase Liegen dem Blasenboden oberhalb Fruktosereiches Sekret für Ejakulat


der Prostata an

Hoden Im Skrotum durch das Septum scroti Spermiogenese und Produktion von Geschlechts-
voneinander getrennt hormonen

Nebenhoden Liegen Hoden dorsolateral auf Insbesondere Speicherung der Spermien


330 Kapitel 3 · Urologie

3.2 Urologische Anamnese,


Nomenklatur und Normwerte . Tab. 3.2. Normwerte und Nomenklatur der Urin-
befunde
Wie in allen anderen Fächern sollten auch bei der uro- pH-Wert 4,5–8
logischen Diagnostik Anamnese und körperliche Un-
tersuchung der apparativen Diagnostik vorausgehen, so Spezifisches Maß der Konzentration;
3 dass diese gezielt eingesetzt werden kann. Gewicht 1010–1030 g/l

Hyposthenurie Schwach konzentrierter Harn,


maximal 1020 g/l
3.2.1 Störungen von Harnproduktion
und Harnbeschaffenheit Isosthenurie Gleich bleibendes spezifisches
Gewicht von ca. 1010 g/l, Zeichen ver-
minderter Konzentrationsfähigkeit
Harnproduktion. Es gilt Veränderungen der Harnvolu-
mens und der Harnkonzentration zu unterscheiden. Mikrohämaturie >2 Erythrozyten pro Gesichtsfeld
Unter normalen Umständen beträgt die tägliche Harn- Makrohämaturie Makroskopisch Blut im Urin
produktion im Durchschnitt 1–1,5 l/Tag, Störungen
werden als Anurie, Oligurie und Polyurie bezeichnet Leukozyturie Leukozyten im Urin, Verdacht auf
Infekt
(. Tab. 3.1).
Bakteriurie Bakterien im Urin, nur mit Leuko-
Harnbeschaffenheit. Schon bei der Anamnese lassen zyturie verdächtig
sich Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Harns zie- Zylindurie Zylinder im Urinsediment, Verdacht
hen. So geben bereits die Färbung und der Geruch des auf Schaden des Nierenparenchyms
Harns wichtige Hinweise. Diese lassen sich in der wei-
teren Diagnostik objektivieren. Es kann sich eine Hä- Proteinurie Pathologisch im Bereich >120 mg/Tag
maturie, Leukozyturie, Bakteriurie, Kristallurie oder Kristallurie Mikroskopische Konkremente im Urin
Zylindurie finden (. Tab. 3.2).

3.2.2 Miktionsstörungen 3.2.3 Ejakulat

Neben Harnmenge und Restharnmenge muss auf die Durch die Analyse des Ejakulats lassen sich nicht nur
Miktionszeit und die Harnflussgeschwindigkeit geach- Gründe für eine Fertilitätsstörung finden, sondern
tet werden (. Tab. 3.1). Nachdem man die Art der Mik- auch Hinweise auf Entzündungen und Tumoren z. B.
tionsstörung ausgemacht hat, gilt es durch weitere ap- der Prostata gewinnen. Untersuchungsparameter sind
parative Untersuchungen die Ursachen der Störungen u. a. Fruktosegehalt, pH-Wert, Volumen, Geruch, Blut-
zu finden (. Abb. 3.2). oder Eiterbeimengungen (. Tab. 3.3).

3.2.4 Schmerzen und weitere


. Tab. 3.1. Nomenklatur der Miktionsstörungen
Symptome
Normale 1000–1500 ml/Tag
Urinmenge Während eine schmerzhafte Miktion oder Verände-
Anurie 0–100 ml/Tag rung am äußeren Genitale schnell an eine Erkrankung
aus dem urologischen Formenkreis denken lässt,
Oligurie <500 ml/Tag können auch diskretere Symptome auf urologische Pro-
Polyurie >2500 ml/Tag bleme hinweisen. Schmerzen bei einer Nephrourethro-
lithiasis können beispielsweise in unterschiedliche
Dysurie Erschwertes Wasserlassen
Bereiche vom Rücken bis in die Glans oder die Scham-
Algurie Schmerzhaftes Wasserlassen lippen projizieren. Unspezifische Symptome wie Mü-
digkeit, Abgeschlagenheit und Inappetenz können etwa
Nykturie Nächtliches Wasserlassen
auf chronische Nierenerkrankungen oder Tumoren
Pollakisurie Häufiges Wasserlassen hinweisen. Es gilt also auch bei der urologischen Anam-
nese, die Allgemeinsymptome nicht außer Acht zu las-
3.2 · Urologische Anamnese, Nomenklatur und Normwerte
331 3

. Abb. 3.2.  Mindmap Miktionsstörungen


332 Kapitel 3 · Urologie

. Tab. 3.3. Normwerte und Nomenklatur der Ejakulatbefunde

Ejakulatvolumen 2–6 ml

pH-Wert 7,2–8,0

3 Spermienkonzentration >20×106/ml

Motilität >30% normal + >20% mäßig beweglich + <50% unbeweglich

Vitalität >50% vitale Spermien

Morphologie <50% abnorme Spermien

Normozoospermie Normalbefund

Asthenozoospermie Zu wenige mobile Spermien

Oligozoospermie Zu wenige Spermien

Teratozoospermie >60% abnorme Spermien

Nekrozoospermie Nur tote Spermien

Azoospermie Keine Spermien

Aspermie Kein Ejakulat

sen und im umgekehrten Fall auch urologische Erkran- Nierenfunktion dient. Der Normwert für Kreatinin im
kungen in Betracht zu ziehen. Serum liegt zwischen 0,6 und 1,2 mg/dl, es entsteht
im Muskel durch Abbau von Kreatinphosphat.
> Unter den Blutwerten kommt in der Urologie dem
Kreatinin eine besondere Bedeutung zu, da es als ! Cave
Maß für glomeruläre Filtrationsrate und damit der Bei ungeklärten Anämien auch an renale Ursachen
6 denken!

In Kürze
Urologische Anamnese

Störungen der Anurie, Oligurie und Polyurie


Harnproduktion

Störungen der Hämaturie, Leukozyturie, Bakteriurie, Kristallurie, Proteinurie und Zylindurie


Harnbeschaffenheit

Miktionsstörungen Anurie, Oligurie, Polyurie, Dysurie, Algurie, Nykturie, Pollakisurie

Ejakulat Untersucht werden Volumen, Spermien, Fruktosegehalt, pH-Wert, Volumen,


Geruch, Blut- oder Eiterbeimengungen

Weitere Symptome Symptome oft nur unspezifisch


3.3 · Spezielle urologische Untersuchungstechniken
333 3
3.3 Spezielle urologische ! Cave
Untersuchungstechniken Wichtige Kontraindikationen für die Ausschei-
dungsurographie sind eine Kontrastmittelallergie,
3.3.1 Bildgebende Verfahren Koliken und ein Kreatininwert >2,0 mg/dl im
Serum.
3.3.1.1 Abdomenübersichtsaufnahme
Aussage/Indikation. Sie gibt Aufschluss über freie Luft 3.3.1.3 Miktionszysturethrographie
im Abdomen und stellt Ileuszeichen dar (Flüssigkeits- Aussage/Indikation. Mit ihr lassen sich Blasenhalsste-
spiegel, stehende Darmschlingen). Die abgebildeten nosen, Harnröhrenstrikturen, Harnröhrenklappen,
Weichteilschatten erlauben eine erste Einschätzung von Meatusstenosen, Blasendivertikel und weitere Verän-
Größe und Kontur der einzelnen Organe, so kann man derungen der Harnblase wie beispielsweise neurogene
beispielsweise eine Schrumpfniere oder größere Men- Störungen erfassen.
gen Restharn in der Blase bereits in der Übersichtsauf-
nahme erkennen. Ferner lassen sich kalkhaltige Kon- Technik. Bei der Miktionszysturethrographie handelt
kremente und Verkalkungen beurteilen, Veränderun- es sich um eine Kontrastmitteldarstellung der abfüh-
gen am Skelettsystem wie z. B. Knochenmetastasen renden Harnwege. Nach einer Übersichtsaufnahme
ausmachen. Außerdem ist die Abdomenübersicht als wird zunächst die Harnblase über einen Katheter mit
Leeraufnahme fester Bestandteil einer Ausscheidungs- Kontrastmittel gefüllt. Bei diesem Vorgang wird die
urographie. erste Röntgenaufnahme angefertigt, welche bereits
einen Reflux in den Harnleiter und Veränderungen der
Technik. Es handelt sich um eine normale Röntgen- Blasengestalt erfassen kann. Eine zweite Aufnahme
aufnahme ohne Kontrastmittel. Das benötigte Bild- wird während der Miktion durchgeführt. Dabei stellt
format beträgt beim durchschnittlichen Patienten sich auch die Harnröhre mit Kontrastmittel dar. Mit
30 auf 40 cm, wobei der Bildausschnitt vor der Auf- einer Aufnahme nach der Miktion lässt sich Restharn
nahme auf die benötigte Größe eingeblendet wird. erfassen.
Der abgebildete Bereich entspricht dem gesamten
Abdomen von den Zwerchfellkuppen bis zur Sym- > Als Harnröhrenstriktur bezeichnet man eine Ver-
physe. engung der Harnröhre. Sie betrifft hauptsächlich
Männer. Angeborene Strikturen sind selten. Häufige
> Der Psoasrandschatten läst sich in der Regel gut in Ursachen sind Harnröhrenverletzungen, Mikrotrau-
der Abdomenübersichtsaufnahme beurteilen. Er mata durch Katheterismus, Tumoren, Infektionen
sollte scharf abgrenzbar sein und gibt Aufschluss und autoerotische Manipulationen. Hauptsymptom
über retroperitoneale Prozesse wie Abszesse oder einer Striktur ist der abgeschwächte Harnstrahl.
Tumoren.
3.3.1.4 Retrograde Urethrographie
3.3.1.2 Ausscheidungsurographie Aussage/Indikation. Mit der retrograden Urethrogra-
Aussage/Indikation. Es lassen sich Aussagen über die phie können Veränderungen der männlichen Harnröh-
Form der Nieren, das Kelch- und Nierenbeckensystem, re dargestellt werden. Dazu gehören neben der Harn-
Ureter und Harnblase treffen. Insbesondere ein verzö- röhrenstriktur andere Abflusshindernisse wie Tumo-
gerter Harnabfluss, eine Dilatation oder eine Stenose ren, Harnröhrenklappen oder Konkremente, aber auch
sind gut erkennen. Abflusshindernisse wie Konkre- Harnröhrendivertikel, und Prostatakavernen im Rah-
mente stellen sich durch Kontrastmittelaussparungen men einer Tuberkulose.
indirekt dar.
Technik. Dem in Halbseitenlage liegenden Patienten
Technik. Es handelt sich um eine Kontrastmitteldarstel- werden vorzugsweise über einen Katheter, der nur ge-
lung der Harnwege. Dabei werden nach einer Abdo- ring geblockt in der Fossa navicularis liegt, ca. 20 ml
menübersichtsaufnahme (Leeraufnahme) und intrave- Kontrastmittel vorsichtig in die Harnröhre appliziert.
nöser Gabe eines renal auszuscheidenden Kontrastmit- Dabei wird leichter Zug auf den Penis ausgeübt, um
tels nach 7 und 15 min weitere Aufnahmen angefertigt diesen zur besseren Darstellung der Harnröhre zu
(. Abb. 3.3). Eventuell folgt auch noch eine Spätauf- strecken. Nun wird eine Röntgenaufnahme der gefüll-
nahme. ten Harnröhre angefertigt.
334 Kapitel 3 · Urologie

. Abb. 3.3a–c. a Abdomenübersichtsaufnahme vor Anfer-


tigen eines Urogramms. Gut zu erkennen sind die Nieren-
schatten sowie beidseits scharfe Psoasrandschatten. Das knö-
cherne Skelett zeigt keine Auffälligkeiten. b 7-min-Aufnahme:
beidseits Darstellung eines unauffälligen Nierenhohlsystems.
Die linke Niere weist einen Milzbuckel auf. c 15-min-Aufnah-
me: Darstellung des gesamten harnableitenden Systems mit
einer mittelständigen, unauffälligen Harnblase. (Aus Haut-
mann u. Huland 2006)

! Cave 3.3.2 Endoskopische Verfahren


Sowohl beim Blocken des Katheters als auch bei der
Kontrastmittelgabe sollte nur wenig Druck ausgeübt 3.3.2.1 Urethrozystoskopie
werden, da die Harnröhre sonst leicht verletzt werden Aussage/Indikation. Die Urethrozystoskopie dient der
kann. Inspektion von Harnröhre und Harnblase. Mögliche
Indikationen sind die Abklärung einer Hämaturie, Tu-
morverdacht und Verlaufskontrolle, vesikorenaler Re-
flux, Inspektion der Blase bei Miktionsstörungen, rezi-
divierende Harnwegsinfekte.
3.3 · Spezielle urologische Untersuchungstechniken
335 3

Technik. Es kommen sowohl starre auch als flexible Zys- therapeutischen Zugang zu Nierenkonkrementen als
toskope zum Einsatz, der Patient liegt in Steinschnitt- die anderen Verfahren.
lage. Nach gründlicher Desinfektion wird das Zysto-
skop mit Gleitmittel in die Harnröhre eingeführt. Mit
Hilfe unterschiedlicher Optiken lassen sich nun Harn- 3.3.3 Funktionsdiagnostik
röhre, Ureterostien und die Blase bis zum Blasenboden
beurteilen. 3.3.3.1 Uroflowmetrie
Aussage/Indikation. Die Uroflowmetrie dient zur Ab-
Steinschnittlage klärung einer möglichen Blasenentleerungsstörung, sie
Bei der Steinschnittlage liegt der Patient auf dem Rücken objektiviert vom Patienten geäußerte Miktionsbe-
mit auseinander gespreizten Beinen, die in Hüft- und Knie- schwerden.
gelenken gebeugt sind. Das Gesäß reicht dabei bis an den
Rand der Unterlage. Diese Lagerung eignet sich für ver- Technik. Bei dieser Untersuchung wird mit einem Uro-
schiedene Untersuchungen und Operationen im Urogeni- flowmeter in Abhängigkeit von der Zeit die Harnmenge
tal- (und auch Anorektal-)bereich. gemessen, die während der Miktion abgegeben wird.
Die Harnflussrate wird von dem Gerät aufgezeichnet
3.3.2.2 Ureterorenoskopie und in einem Diagramm ausgegeben, in dem das Volu-
Aussage/Indikation. Bei Tumorverdacht oder zur Ab- men gegen die Zeit aufgetragen wird. Für den Urologen
klärung einer Hämaturie kann auch eine Ureteroreno- ist die Form dieses sog. Miktionsbildes, der maximale
skopie durchgeführt werden. Aufgrund ihrer Invasivi- Harnfluss und das durchschnittliche Harnsekundenvo-
tät und Komplikationsrate wird sie jedoch erst ange- lumen von besonderer Bedeutung, da sich hiermit bei-
wendet, wenn man mit anderen diagnostischen spielsweise Obstruktionen und Blasenentleerungsstö-
Maßnahmen keine ausreichende Aussage erhalten hat rungen beurteilen lassen.
oder eine Biopsie entnehmen will. Sie kann auch zur
Entfernung von Konkrementen und zur Tumorbe- > Die Uroflowmetrie ist einfach, schnell und kosten-
handlung eingesetzt werden. günstig durchführbar sowie gut beurteilbar. Daher
wird sie in der Verlaufskontrolle von Miktionsstörun-
Technik. Wie bei der Zystoskopie liegt der Patient auch gen oder der Prostatahyperplasie sehr häufig einge-
hier in Steinschnittlage, das Ureterorenoskop wird über setzt.
die Harnröhre in die Blase und weiter über die Harnlei-
ter bis ins Nierenbecken vorgeschoben. Auch hier kom- 3.3.3.2 Zystometrie
men sowohl starre als auch flexible Instrumente zum Aussage/Indikation. Die Messung des Blasendrucks
Einsatz. Auf eine ausreichende Sedierung oder Narkose dient der Funktionsprüfung der Harnblase, um zum
des Patienten ist zu achten. Beispiel eine Harninkontinenz abzuklären.

! Cave Technik. Bei der Zystometrie wird der Druck in der


Die Indikation zur Ureterorenoskopie sollte genau ge- Harnblase gemessen, während diese langsam über
stellt werden, zu möglichen Komplikationen gehören einen Katheter gefüllt wird. Um Druckschwankungen
neben Infektionen v. a. iatrogene Verletzungen der zu erkennen, die als Folge von intraabdominellen
Ostien und Ureter. Druckänderungen (z. B. Husten, Niesen, Bauchpresse)
entstehen, wird gleichzeitig der Druck im Rektum ge-
3.3.2.3 Nephroskopie messen und mit dem Druck in der Harnblase verrech-
Aussage/Indikation. Bei nicht durchführbarer Uretero- net.
renoskopie ist eine Nephroskopie eine Alternative. Sie
wird jedoch hauptsächlich zur Entfernung von Nieren- 3.3.3.3 Urethrometrie
steinen eingesetzt. Aussage/Indikation. Die Bestimmung des Urethra-
druckprofils dient der Beurteilung des urethralen Ver-
Technik. Es handelt sich um ein invasives Verfahren. schlusses.
Bei dem Patienten wird das Nierenhohlsystem über ei-
nen perkutanen Zugang punktiert und das Nephroskop Technik. Man misst die Druckverhältnisse in den unter-
eingeführt. Dies geschieht unter radiologischer Kon- schiedlichen Bereichen der Harnröhre während der
trolle, der Patient befindet sich in Bauchlage. Damit Messkatheter langsam zurückgezogen wird. Über die
eröffnet die Nephroskopie gleichzeitig einen besseren gleichzeitige Messung des Drucks in der Harnblase lässt
336 Kapitel 3 · Urologie

sich der Verschlussdruck bestimmen. Die Messungen ! Cave


werden in Ruhe und bei Erhöhung des intraabdominel- Die Anlage eines Blasenkatheters ist ein sehr häufiger
len Drucks durchgeführt. Fällt der Verschlussdruck Weg der Keimverschleppung, es ist sorgfältigst auf
unter den Blasendruck, so ist der Verschluss nicht suf- sterile Bedingungen zu achten. Besonders bei der
fizient, es liegt dann eine Stressinkontinenz vor Frau ist nach der Fehlkatheterisierung der Katheter zu
(7 Kap. 3.9.1). verwerfen, um ein Verschleppen von Vaginalkeimen
3 in die Blase zu verhindern.
Um Verletzungen der Harnröhre zu vermeiden,
3.3.4 Katheterismus muss die Katheteranlage vorsichtig und ohne unnöti-
ge Kraftanwendung durchgeführt werden, ein Hin-
3.3.4.1 Transurethraler Blasenkatheter dernis darf nicht mit Gewalt überwunden werden.
Die Durchführung muss unter sterilen Bedingungen Häufig hilft vorsichtiges Bewegen des Penisschaftes,
erfolgen, aus diesem Grund sind sterile Handschuhe zu Biegungen und Engstellen zu überwinden.
tragen, der Unterbauch ist mit einem sterilen Lochtuch
abzudecken und die äußeren Genitalen müssen aus- 3.3.4.2 Suprapubischer Blasenkatheter
reichend desinfiziert werden. Die Durchführung ge- Ist es aufgrund eines Hindernisses in der Harnröhre
staltet sich beim Mann für Rechtshänder wie folgt nicht möglich, einen transurethralen Blasenkatheter zu
(. Abb. 3.4): legen, oder soll der Katheter über einen langen Zeit-
4 Der Penis wird in die linke Hand genommen und raum genutzt werden, so kommt ein suprapubischer
die Vorhaut zurückgeschoben. Katheter in Betracht.
4 Die Glans penis wird mehrmals mit Desinfektions-
mittel gereinigt. > Suprapubische Katheter führen seltener zu Harn-
4 Durch Zug am Penis wird die Harnröhre gestreckt wegsinfektionen als transurethrale Katheter.
und etwas lokalanästhetisches Gleitmittel in diese
gespritzt (Instillagel). Durchführung. Für die Anlage eines suprapubischen
4 Der steril angereichte Katheter wird in die Harn- Blasenkatheters ist eine ausreichende Blasenfüllung nö-
röhre eingeführt, die weiter durch leichten Zug am tig. Daher wird vor dem Eingriff die Blasenfüllung so-
Penis gestreckt bleibt. nographisch kontrolliert, die Füllmenge soll mindes-
4 Im Bereich des Schließmuskels erhöht sich der tens 300 ml betragen. Im Anschluss daran kann die
Widerstand kurz, dieser wird mit einer leichten Blase unter sterilen Bedingungen in Lokalanästhesie
Verstärkung des ausgeübten Drucks überwun- punktiert werden. Die Punktion ist erfolgreich, wenn
den. Urin über die verwendete Kanüle aspiriert werden
4 Am Harnfluss ist zu erkennen, dass der Katheter in kann. Nun wird der eigentliche Katheter über einen
der Blase liegt. Trokar in die Blase eingebracht.
4 Ein Dauerkatheter wird nun zur Sicherheit noch
wenige Zentimeter vorgeschoben, dann mit 10 ml ! Cave
Aqua destillata geblockt und bis auf den Blasen- Bei der Anlage eines suprapubischen Blasenkatheters
grund zurückgezogen. besteht die Gefahr der iatrogenen Verletzung des
Darms, daher besteht bei abdominellen Beschwerden
Bei der Frau gestaltet sich die Durchführung ähnlich: nach Katheteranlage der Verdacht auf eine begin-
4 Die Labien werden mit einer Hand gespreizt. nende Peritonitis. Ferner muss vor Anlage des Kathe-
4 Die Umgebung der Harnröhre wird mehrmals mit ters die Blutgerinnung überprüft werden, ein Blasen-
Desinfektionsmittel gereinigt. tumor stellt eine Kontraindikation dar.
4 Der Katheter wird in die Harnröhre eingeführt.
4 Am Harnfluss ist zu erkennen, dass der Katheter in
der Blase liegt. 3.3.5 Uringewinnung
4 Ein Dauerkatheter wird noch wenige Zentimeter
vorgeschoben und dann geblockt. Nichtinvasive Uringewinnung. Die häufigste Form der
Uringewinnung ist der Mittelstrahlurin. Dabei wird
Wegen der häufig unübersichtlichen anatomischen der Patient gebeten, bei der Miktion den ersten Teil des
Verhältnisse leistet beim Katheterismus der weiblichen Urins zu verwerfen und dann eine Portion Urin in ei-
Blase ein Pupillen- oder Taschenlämpchen oft wertvolle nem Behälter aufzufangen. Um Verunreinigungen mit
Hilfe. Hautkeimen zu vermeiden, sollte vorher die Umgebung
3.3 · Spezielle urologische Untersuchungstechniken
337 3

. Abb. 3.4. Sterile Ausführung des Harnröhrenkatheteris-


mus. (Aus Hautmann u. Huland 2006)

des Harnröhrenausgangs desinfiziert werden. Bei der Uringewinnung bei Kindern


2-Gläser-Probe wird auch die erste Portion des Urins Bei Kindern, die noch keine Kontrolle über die Miktion ha-
aufgefangen und untersucht. ben, kann auch Urin gewonnen werden, indem ein anato-
Weitere Untersuchungstechniken sind die 3-Glä- misch geformter, steriler Beutel über die äußeren Genitale
ser-Probe und die 4-Gläser-Probe. Bei der 3-Gläser- geklebt wird. Der so gewonnene Urin ist hinsichtlich der
Probe wird nach der zweiten Portion Urin die Prostata Keimbestimmung von eingeschränkter Aussagekraft.
massiert und danach eine dritte Portion Urin aufgefan-
gen, die nun auch Prostatasekret enthält. Bei der 4-Glä- Katheterurin. Die Uringewinnung über einen transure-
ser-Probe wird zusätzlich auch das während der Pro- thralen Blasenkatheter wird besonders häufig bei der
statamassage gewonnene Sekret selbst untersucht. Frau durchgeführt, da es hier schwieriger ist, einen
338 Kapitel 3 · Urologie

nicht mit Hautkeimen und Vaginalflora verunreinigten 3.4.1.1 Urethritis


Mittelstrahlurin zu gewinnen. Andere Indikationen für Definition. Entzündung der Harnröhre.
die Gewinnung von Katheterurin wären ein Harnver-
halt oder nicht plausible Werte bei der Untersuchung Ätiopathogenese. Ursache ist die Besiedlung mit pa-
des Spontanurins. thogenen Keimen, die aus anderen Körperregionen
stammen, aber auch iatrogen oder durch Geschlechts-
3 ! Cave verkehr übertragen werden. Als Erreger kommen wie
Bei Mikrohämaturie im Mittelstrahl- und Spontanurin bei allen Harnwegsinfekten vor allem Bakterien aus
fortpflanzungsfähiger Frauen an mögliche Verunreini- dem Enddarm, aber auch Viren und Pilze in Betracht.
gung mit Menstruationssekret denken! Eine Sonderform, die Gonorrhöe, wird gesondert abge-
handelt.
Suprapubische Blasenpunktion. Sie wird selten zur
Gewinnung von Urin durchgeführt, kann aber ange- Symptomatik. Die typischen Symptome sind Schmer-
zeigt sein, wenn eine transurethrale Uringewinnung zen beim Wasserlassen, auch durch eine Pollakisurie,
nicht möglich ist oder der Patient ohnehin über einen eine Hämaturie und durch Ausfluss aus der Harnröhre.
suprapubischen Blasenkatheter verfügt. Die suprapubi- Ausgeprägte Allgemeinsymptome finden sich in der
sche Punktion stellt jedoch die einzige Methode dar, Regel nicht.
eine sicher nicht verunreinigte Urinprobe zu bekom-
men. Diagnostik. Die Diagnose erfolgt durch die typische
Klinik. Im Urinsediment besteht eine Leukozyturie und
> Um bei der Urinuntersuchung aussagekräftige Ergeb- eine Bakteriurie, mit einer Kultur lässt sich der Keim
nisse zu erhalten, muss die Verarbeitung der Proben bestimmen und ein Antibiogramm erstellen.
möglichst innerhalb der ersten Stunde erfolgen. Ist
dies nicht möglich, muss der Urin im Kühlschrank ge- Therapie/Prognose. Therapeutisch muss auf eine aus-
lagert werden, um eine Verfälschung der Ergebnisse reichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Bei einer
zu vermeiden. bakteriellen Infektion wird zuerst mit einem Breitspek-
trumantibiotikum behandelt und die Therapie nach
Erhalt des Antibiogramms bei Bedarf umgestellt. Nor-
3.4 Entzündungen malerweise heilt eine Urethritis ohne Folgen aus, es
kann jedoch gelegentlich eine Harnröhrenstriktur ent-
3.4.1 Unspezifische Harnwegsinfektionen stehen.

Definition. Bei einer Harnwegsinfektion findet sich ! Cave


eine Bakteriurie von mehr als 105 Keimen/ml. Eine Aszension der Keime führt nicht selten zu einer
Infektion der oberen Harnwege oder eine Pyeloneph-
Ätiopathogenese. Bei den Erregern handelt es sich ritis.
häufig um Keime der Darmflora wie etwa Escherichia
coli, Enterokokken oder Proteus mirabilis. Urethrales Syndrom
Bei Frauen mit dem Symptomkomplex Pollakisurie, Dysurie
> Harnwegsinfektionen stellen in der Urologie ein und Schmerzen oberhalb des Schambeins ohne objekti-
besonderes Problem der Frau dar, da 95% des Patien- vierbaren urologischen Befund und ohne Bakteriurie wur-
tengutes weiblich ist. Frauen leiden besonders häufig de die Ausschlussdiagnose urethrales Syndrom geprägt.
an rezidivierenden Harnwergsinfektionen durch Bak- Häufig entgehen jedoch niedrige Konzentrationen (102–
terien des Enddarms. Ursache dieser Infektanfälligkeit 104 KBE/ml) uropathogener Keime (E. coli, Klebsiella, Prote-
sind wahrscheinlich Defekte der Keimabwehr im us) der Standarddiagnostik, sodass Patientinnen mit ureth-
Bereich von Vagina und Urethra. ralem Syndrom oft von einer antimikrobiellen Therapie
profitieren.
! Cave
Rezidivierende Harnwegsinfekte sollten nicht mit per- 3.4.1.2 Zystitis
sistierenden Infekten verwechselt werden. Während Definition. Entzündung der Blase.
es sich bei der Persistenz um ein Überdauern des
Keims handelt, kommt es bei rezidivierenden Infekten Ätiopathogenese. Die Zystitis hat ihre Ursache in ers-
immer wieder zu einer neuen Infektion. ter Linie in aszendierenden bakteriellen Infektionen,
3.4 · Entzündungen
339 3

aber auch iatrogene Ursachen wie Blasenkatheterismus Gegensatz zur akuten eitrigen Pyelonephritis kann bei
oder Zystoskopie sind nicht selten. Erreger der unkom- einer chronischen Pyelonephritis der Nachweis einer
plizierten Zystitis sind zu 80% E. coli, weiter sind Kleb- bakteriellen Infektion ausbleiben.
siellen, Enterokokken und Staphylokokken zu nennen.
Ein häufig in der Praxis anzutreffendes Problem ist die Symptomatik. Die Symptomatik besteht in ausgepräg-
postkoitale Zystitis der Frau, für die sich der Begriff der ten Allgemeinsymptomen wie Fieber, Schüttelfrost,
Honeymoon-Zystitis etabliert hat. Schwächegefühl, Übelkeit, Erbrechen und spezifische-
ren Symptomen wie Flankenschmerzen, Schwellung
Symptomatik. Auch bei der Zystitis bestehen die Symp- der Nieren, Dysurie und Urge-Symptomatik (zwang-
tome in schmerzhaftem Wasserlassen und Pollakisurie. hafter Harndrang, der nicht willkürlich unterdrückt
Hinzu kommen häufig Dysurie und Urge-Symptoma- werden kann).
tik. Eine Hämaturie ist möglich, Fieber ist nicht zu er-
warten. Diagnostik. Im Blut zeigt sich eine Leukozytose sowie
erhöhte Werte von CRP und Kreatinin sowie eine be-
Diagnostik. Wegweisend ist die Klinik. Die Nierenlager schleunigte Blutsenkung. Die Urinuntersuchung ergibt
zeigen keinen Klopfschmerz. Eine Urinkultur erlaubt eine Bakteriurie und Leukozyturie, die Urinkultur er-
die Bestimmung des Erregers und ein Antibiogramm. möglicht Erregerbestimmung und Antibiogramm. Die
Zur Diagnostik dienen ferner das Urinsediment, das Sonographie hilft bei der Abklärung von Harnstauun-
eine Leukozyturie, Bakteriurie und ggf. eine Hämaturie gen und der Suche nach einem Abszess. Ein i.v. Uro-
zeigt. gramm kann zur weiteren Diagnostik der Harnstauung
bei einer komplizierten Pyelonephritis ebenfalls durch-
Therapie. Zuerst ist darauf zu achten, dass der Patient geführt werden.
vermehrt trinkt, um auf diese Weise die Diurese zu for-
cieren, was zu einer vermehrten mechanischen Reini- ! Cave
gung der Harnwege führt. Eine Trinkmenge von 3–4 l/ Ausgeprägte Allgemeinsymptome finden sich im
Tag ist anzustreben. Spasmolytika und Analgetika lin- Normalfall nur, wenn es sich bei dem Harnwegsinfekt
dern die Beschwerden. Bei ca. 80% der Patienten wirkt um eine Pyelonephritis handelt.
eine Kurzzeittherapie mit einem Einzelantibiotikum
(»single shot«). Therapie/Prognose. Die Therapie beinhaltet allgemei-
ne Maßnahmen wie vermehrte Flüssigkeitszufuhr und
! Cave das Einhalten der Bettruhe. Zur spezifischen Therapie
Beim Mann sollte bei Auftreten einer Zystitis stets erfolgt eine Antibiose gemäß Antibiogramm. Der Ein-
eine subvesikale Obstruktion ausgeschlossen satz der Antibiotika wird jedoch durch eine mögliche
und ggf. behandelt werden. Bei chronischen oder Niereninsuffizienz kompliziert. Der Erfolg der Antibio-
rezidivierenden Zystitiden an Tumoren, Fremd- se sollte 3 Tage nach dem Absetzen nochmals kontrol-
körper und perivesikale Entzündungen als Ursache liert werden. Bei komplizierten Infekten muss auch die
denken! Grunderkrankung mitbehandelt werden, bei Abszess-
bildung ist ggf. eine Operation zur Drainage und der
3.4.1.3 Pyelonephritis Sanierung der Abszesshöhle oder gar eine Nephrekto-
Definition/Epidemiologie. Entzündung von Niere und mie angezeigt.
Nierenbecken; im Gegensatz zur Nephritis geht die die
Pyelonephritis vom Nierenbecken aus. > Die abzedierende Pyelonephritis ist ein besonders
schwerer Verlauf einer akuten Pyelonephritis. Auch
Ätiopathogenese. Ihr liegt häufig eine Aszension von sie kann in der Mehrzahl der Fälle durch die alleinige
Keimen über die Harnwege zugrunde, häufig stammen antibiotische Therapie behandelt werden, bedarf
die Keime aus dem Rektum. Die Ursache kann auch aber der engmaschigen Kontrolle, da es zur Bildung
eine hämatogene Streuung oder die iatrogene Keimver- eines Nierenkarbunkels kommen kann. Dabei han-
schleppung sein. Begünstigende Faktoren für eine In- delt es sich um konfluierende Eiteransammlungen in
fektion sind jede Art von Anomalien der Nieren und der Nierenrinde. Kommt es unter einer Hochdosisan-
Harnwege, Steinleiden, Harnstauungen. Man unter- tibiose nicht zur Heilung, muss eine perkutane Drai-
scheidet unkomplizierte Pyelonephritiden ohne nage angestrebt werden; das gilt auch in ausgeprägt
Grundleiden von komplizierten Formen, denen eine betroffenen Fällen.
urologische Erkrankung mit Harnstau vorausgeht. Im 6
340 Kapitel 3 · Urologie

Bildet sich hingegen eine Perinephritis oder schen der Nierenkapsel und der perirenalen Faszie,
ein perinephritischer Abszess, ist eine sofortige die Perinephritis bezeichnet die Entzündung des
Drainage angezeigt. In manchen Fällen ist auch eine die Niere umgebenden Fettpolsters und des Binde-
Nephrektomie nötig. Von einem perinephritischen gewebes. Davon abzugrenzen ist die Paranephritis,
Abszess spricht man bei einer Eiteransammlung zwi- die Entzündung der fibrösen Nierenkapsel.
6
3
In Kürze
Unspezifische Harnwegsinfekte

Urethritis 5 Symptomatik: Algurie, Pollakisurie, Hämaturie, Ausfluss aus der Harnröhre


5 Diagnostik: Klinik, Leukozyturie, Erregernachweis im Urin
5 Therapie: vermehrte Flüssigkeitszufuhr zur forcierten Diurese, Antibiose

Zystitis 5 Symptomatik: Algurie, Pollakisurie, Hämaturie, Dysurie, Urge-Inkontinenz,


kein Fieber!
5 Diagnostik: Klinik, Leukozyturie, Erregernachweis im Urin
5 Therapie: vermehrte Flüssigkeitszufuhr zur forcierten Diurese, Antibiose

Pyelonephritis 5 Symptomatik: schwere Allgemeinsymptome, Flankenschmerzen, Dysurie,


Urge-Inkontinenz
5 Diagnostik: Klinik, erhöhtes Kreatinin, Leukozyturie, Erregernachweis im Urin,
Sonographie, i.v. Urogramm
5 Therapie: vermehrte Flüssigkeitszufuhr zur forcierten Diurese, Bettruhe, Antibiose,
ggf. operativer Eingriff, Therapiekontrolle

3.4.2 Glomerulopathien Diagnostik. Diagnostisch finden sich Makrohämaturie


und Proteinurie, als Zeichen der Salz- und Wasserre-
3.4.2.1 Akutes nephritisches Syndrom tention durch Oligo- oder Anurie Ödeme (v. a. Lidöde-
Definition. Entzündung des Nierengewebes mit per- me) und arterieller Hypertonus (. Tab. 3.4).
akuten, oft dramatischen Beschwerdebildern. Ein chro-
nisches nephritisches Syndrom geht hingegen mit einer Therapie/Prognose. Da ein Lungenödem droht, kann
Niereninsuffizienz und Hypertonie einher. in schweren Verläufen die intensivmedizinische Über-
wachung angeraten sein. Der rapid progrediente Ver-
Ätiopathogenese. Die Ursache kann infektiös oder lauf des akuten nephritischen Syndroms stellt eine Son-
nichtinfektiös sein. Neben Bakterien und Viren kom- derform dar, bei der der rasche, über Wochen oder
men allergische Reaktionen auf Medikamente und wenige Monate erfolgende Funktionsverlust der Niere
Schmerzmittelabusus, Stoffwechselstörungen wie Hy- im Vordergrund steht.
pokaliämie, Hyperkalziämie und Hyperurikämie, eine
Belastung durch Schwermetalle wie Cadmium oder 3.4.2.2 Nephrotisches Syndrom
Blei sowie die Schädigung durch radioaktive Strahlung Definition. Ein nephrotisches Syndrom tritt bei Glome-
in Betracht. rulonephritiden sowie weiteren Systemerkrankungen
Das akute nephritische Syndrom kann auch Folge auf, welche die Glomeruli beeinträchtigen. Es ist defi-
eines Plasmozytoms, einer Amyloidose oder einer Si- niert durch seine Symptomatik.
chelzellanämie sein. Sekundäre, postinfektiöse Verläufe
nach Streptokokkeninfekten sind bekannt. Ätiopathogenese. Das nephrotische Syndrom entwi-
ckelt sich meist schleichend auf dem Boden einer Glo-
Symptomatik. Der Patient klagt über Fieber, Übelkeit, merulonephritis, infektiöse und nichtinfektiöse For-
Atemnot und Flankenschmerzen. men sind bekannt.
3.4 · Entzündungen
341 3

. Tab. 3.4. Glomerulopathien

Akutes nephritisches Syndrom Nephrotisches Syndrom

Symptome Flankenschmerzen, Übelkeit, Luftnot, Ödeme, Aszites, Pleuraergüsse,


Hypertonie, Lungenödem Thromboseneigung!

Urin Hämaturie, Zylindrurie, Proteinurie, Nur Proteinurie (>3 g/24h)


Oligurie oder Anurie

Ödeme Lidödeme durch primäre Salz- und Stark ausgeprägte, eindrückbare periphere
Wasserretention Ödeme

Onkotischer Druck Normal Vermindert durch Hypoproteinämie und


Hyperlipoproteinämie

! Cave werden Trinkmengenbeschränkung und Kochsalzres-


Durch den Verlust gerinnungshemmender Proteine in triktion angestrebt.
der Niere und allgemeine Hypovolämie besteht im Durch eiweißarme Diät (<1 g Protein/kg KG/Tag)
nephrotischen Syndrom ein erhöhtes Risiko für Nie- wird die Proteinurie vermindert. Die Gabe von Albu-
renvenethrombosen mit folgendem akuten Nieren- min und Immunglobulinen ist teuer und wegen des den
versagen (7 Innere Medizin). renalen Verlusts wirkungslos. ACE-Hemmer wirken
der Hypokaliämie entgegen und vermindern durch Va-
Symptomatik. Im Vordergrund stehen Proteinurie von sodilatation der efferenten glomerulären Arteriole den
>3 g/24 h und Ödeme, vor allem der Beine, bei Fort- glomerulären Perfusionsdruck, was zur Reduktion der
schreiten auch im Gesicht bzw. am gesamten Körper. Es Proteinurie um etwa ein Drittel führt.
kann zu Aszitesbildung und Pleuraergüssen kommen Wesentliche Beiträge zur Therapie sind gute Throm-
(. Tab. 3.4). boseprophylaxe, die Behandlung der reaktiven Hyper-
cholesterinämie sowie die Infekttherapie und -Prophy-
Diagnostik. 24-h-Sammelurin zur Quantifizierung der laxe.
Proteinurie mit anschließender Urinelektrophorese
zur Klassifikation der Proteine. Durch den erhöhten Chronischer Verlauf der Glomerulopathien
Proteinverlust über den Urin kommt es zur Infekt- Alle persistierenden Glomerulopathien münden in einen
anfälligkeit durch fehlende Immunglobuline und zur chronischen Verlauf, der durch einen progredienten Nie-
erhöhten Thromboseneigung durch den Verlust von renfunktionsverlust über Jahre bis Jahrzehnte hinweg ge-
Antithrombin III und anderen gerinnungshemmen- kennzeichnet ist. Histologische Zeichen der Ursprungser-
den Substanzen. krankung treten in den Hintergrund, man findet sklerosiert
Im Serum: Bestimmung von Gesamtprotein und vernarbte Glomeruli. Die Urämie mit Schrumpfnieren kenn-
Albumin zeigt das Ausmaß der Hypoproteinämie an. zeichnet das klinische Endstadium.
Die Schwere der Hypoproteinämie und AT-III-Ernied- Schrumpfnieren zeigen sonographisch einen echodich-
rigung zeigt die Erhöhung des Thromboserisikos an. ten, verschmälerten und schlecht abgrenzbaren Parenchym-
Die Serumelektrophorese zeigt durch Erniedrigung der saum. Sie stellen den klinischen Endzustand vieler Nieren-
Albuminzacke bei gleichzeitiger Erhöhung der α2- und parenchymerkrankungen dar und gehen meist mit einem
β-Globulinfraktionen durch gesteigerte hepatische Li- fast vollständigen Funktionsverlust im Sinne einer Nieren-
poproteinsynthese das charakteristische nephrotische insuffizienz einher. Bei erhöhten Retentionsparametern ist
Bild. ein i.v. Urogramm zur Diagnostik daher kontraindiziert.

Therapie/Prognose. Nephritisches und nephrotisches


Syndrom werden hauptsächlich symptomatisch behan- 3.4.3 Wichtige spezifische urogenitale
delt. Wegen der Hypovolämie muss bei der Ödemaus- Infektionen
schwemmung vorsichtig vorgegangen werden, um das
Thromboserisiko nicht noch weiter zu erhöhen. Neben 3.4.3.1 Gonorrhö
niedrig dosierten Schleifendiuretika unter regelmä- Definition/Epidemiologie. Die Gonorrhö oder Tripper
ßiger Körpergewichts- und Serumelektrolytkontrolle bezeichnet eine Infektion mit dem Erreger Neisseria
342 Kapitel 3 · Urologie

Therapie/Prognose. Zum Einsatz kommen Antibiotika,


bevorzugt Tetrazyklin, Amoxicillin oder Gyrasehem-
mer. Vor allem unbehandelt kann es zu einer Prostatitis
beim Mann oder einer Adnexitis bei der Frau kommen.
Ein disseminierter Befall mit Pusteln an den Extremi-
täten und einer Monarthritis ist ebenfalls möglich. Auch
3 eine Harnröhrenstrikur ist bei Mann nicht selten. Spe-
ziell für Frauen besteht ein Risiko von 5–10%, eine Ste-
rilität als Folge der Infektion zu erleiden; eine akute
Komplikation der Gonorrhö ist eine Pelveoperitonitis.

> Der Sexualpartner des Patienten muss stets mit-


behandelt werden, auch wenn dieser keine Symp-
tome zeigt. Die Gonorrhö bleibt in der Hälfte aller
Fälle symptomlos, v. a. bei der Frau fehlt häufig der
typische Ausfluss. Es besteht eine anonyme Melde-
pflicht für Gonorrhöerkrankungen. Therapieverwei-
gerer müssen namentlich gemeldet werden.

Pelveoperitonitis als Folge einer Gonorrhö


Als Folge einer Infektion der weiblischen Geschlechts-
organe im kleinen Becken kann es durch Aszension bak-
terieller Erreger wie Chlamydien oder Gonokokken zur
Pelveoperitonitis, der aufs kleine Becken beschränkten
Peritonitis, kommen. Neben unspezifischen Symptomen
. Abb. 3.5. Klinische Zeichen der Gonorrhö. Die gramnega- wie Blähungen, Obstipation, Übelkeit und Erbrechen
tiven Diplokokken liegen intrazellullär in den Granulozyten. kommt es zur Abwehrspannung und zum bewegungs-
(Aus Hautmann u. Huland 2006) abhängigen Unterbauchschmerz. Vaginaler Ausfluss und
Blutungen können ebenfalls auftreten. Eine massive Perito-
gonorrhoeae (Gonokokken). Der Name kommt von nitis mit Ileus und Schock droht bei hochakuten Verläufen.
dem zumindest bei Männern typischen Ausfluss aus Differenzialdiagnostisch sollte eine Extrauteringravidität
der Harnröhre. Es ist eine häufige, sexuell übertragbare ausgeschlossen werden. Nach Entnahme eines Abstrichs
Krankheit. sollte eine hochdosierte Antibiose eingeleitet werden, ggf.
kann eine laparoskopische Abklärung eingeleitet werden.
Ätiopathogenese. N. gonorrhoeae sind gramnegative
Diplokokken, die Übertragung erfolgt sexuell, wobei 3.4.3.2 Bilharziose
auf diesem Weg auch eine Infektion von Rektum oder Definition/Epidemiologie. Die Bilharziose oder Schis-
Pharynx möglich ist. tosomiasis ist eine parasitäre Erkrankung, die in tro-
pischen und subtropischen Gebieten vorkommt. In der
Symptomatik. Die Inkubationszeit beträgt 3–10 Tage. Urologie ist Schistosoma haematobium von Bedeutung.
Danach manifestiert sich eine Urethritis mit Schmer- Der Parasit befällt Blase, Harnleiter, Samenblase sowie
zen beim Wasserlassen und einem bei Männern typi- gelegentlich Harnröhre und Prostata.
schen, eitrigen Ausfluss (. Abb. 3.5).
Ätiopathogenese. Der Mensch infiziert sich beim Ba-
Diagnostik. Neben der Klinik dient ein Abstrich aus der den mit den Larven, die vorher in Süßwasserschnecken
Urethra der endgültigen Diagnosestellung. Der Nach- als Zwischenwirt herangereift sind, die Haut penetrie-
weis kann direkt im Sekret oder nach Anlage einer Kul- ren und schließlich als geschlechtsreife Pärchenegel in
tur erfolgen. die Beckenvenen gelangen. Die Weibchen legen ihre
Eier dann in das subepitheliale Gewebe des Urothels
! Cave von Blase und Ureter. Dort erzeugen die Eier granulo-
Die Gonokokken sind sehr empfindlich, daher sollte matöse Entzündungen, die sich zu Ulzera entwickeln.
eine möglichst schneller Transport und Übertragung Die Eier gelangen über den Urin wieder aus dem
des Abstrichs auf das Kulturmedium erfolgen. menschlichen Körper, um sich weiter zu verbreiten.
3.4 · Entzündungen
343 3

Symptomatik. Während sich die Larven im Körper aus- Primärinfektion der Lunge, die mit einer Verzögerung
breiten, kommt es zu einer Allgemeinsymptomatik mit von bis zu 30 Jahren auftritt. Sie manifestiert sich in der
leichtem Fieber und Mattigkeit. Der Befall der Blase Regel zuerst in den Nieren, aber auch in Ureter, Pros-
tritt erst Monate nach der Infektion auf und äußert sich tata, Nebenhoden, und Harnblase.
als Zystitis mit der entsprechenden Symptomatik sowie
Hämaturie und Leukozyturie. Durch Folgeerschei- ! Cave
nungen wie Blasenhalssklerose oder Ureterstenose Bei unklaren Ureterstrikturen muss auch eine Uroge-
kommt es auch zu Harnstau und Reflux mit den ent- nitaltuberkulose in Betracht gezogen werden.
sprechenden Symptomen.
Symptomatik. Es zeigen sich allgemeine Symptome wie
> Der Begriff obstruktive Uropathie beschreibt einen Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit mit Gewichtsver-
Abflussstau des Urins im Bereich der ableitenden Harn- lust, Nachtschweiß und subfebrile Temperaturen. Uro-
wege; daraus resultiert eine Schädigung des Nieren- logische Symptome können Pollakissurie, Dysurie,
parenchyms. Gleiches gilt für die Refluxuropathie. Hämaturie und Hämatospermie sein.

Diagnostik. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis Diagnostik. Häufig ist eine sterile Leukozyturie be-
der Eier im Urinsediment oder durch eine Biopsie der schrieben, darunter versteht man eine Leukozyturie
Blasenwand. In der Zystoskopie zeigen sich neben einer ohne Erregernachweis. Die Diagnosestellung erfolgt
Entzündung häufig tuberkelartige Veränderungen. durch den Erregernachweis in Urin, Ejakulat oder einer
Biopsie. Das Ausmaß des Befalls und seiner Folgeer-
Therapie/Prognose. Die Therapie erfolgt medikamen- scheinungen lässt sich mit bildgebenden Verfahren wie
tös; das am meisten verbreitete Mittel ist Praziquantel Sonographie, einem konventionellen Röntgen, einem
zur oralen Gabe. Folgeerscheinungen wie Harnleiter- i.v. Urogramm oder auch einem Isotopennephrogramm
stenosen oder Schrumpfblase werden operativ ange- abschätzen.
gangen. Durch die reaktive Umwandlung der Schleim-
haut wird auch das Risiko erhöht, an einem Platten- Therapie/Prognose. Die medikamentöse Therapie er-
epithelkarzinom der Blase zu erkranken. folgt mit einer Dreifach- oder Vierfachkombination
aus Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Streptomycin,
3.4.3.3 Urogenitaltuberkulose Ethambutol. Nach 2 Monaten wird für weitere 4 Monate
Definition/Epidemiologie. Die Urogenitaltuberkulose auf eine Kombination aus Isoniazid und Rifampicin um-
bezeichnet die Manifestation einer Tuberkuloseerkran- gestellt. Wenn es zu einer Zerstörung des Organs gekom-
kung im Urogenitaltrakt. Sie tritt mit einer Inzidenz von men ist oder die medikamentöse Therapie nicht zur Sa-
ca. 5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner/Jahr nierung geführt hat, wird eine operative Therapie nötig:
auf. z. B. Nierenpolresektion, Nephrektomie, Salpingektomie.

> Die Tuberkulose ist meldepflichtig bei Verdacht, Er- > Die Tuberkulose hat bei Einhaltung der medika-
krankung und Todesfall. mentösen Kombinationstherapie eine gute Progno-
se. Einem Therapieversagen liegt nicht selten eine
Ätiopathogenese. Der Erreger der Tuberkulose ist das mangelnde Compliance des Patienten zugrunde, für
Mycobacterium tuberculosis. Zur Urogenitaltuberku- diesen stellt die Einnahme der großen Zahl an Medi-
lose kommt es meist durch hämatogene Streuung einer kamenten oft eine große Belastung dar.

In Kürze
Spezifische urogenitale Infektionen

Gonorrhö 5 Symptomatik: 3–10 Tage nach Infektion Algurie und ggf. Ausfluss aus der Harnröhre
5 Diagnostik: Abstrich zum Erregernachweis
5 Therapie: Antibiose beider Partner mit Tetrazyklin, Amoxicillin, Gyrasehemmer

Bilharziose 5 Symptomatik: Zystitis Monate nach Befall, Hämaturie


5 Diagnostik: Nachweis der Eier in Urinsediment oder Biopsie
5 Therapie: Praziquantel p.o.
6
344 Kapitel 3 · Urologie

Urogenital- 5 Symptomatik: Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Nachtschweiß, subfebrile


tuberkulose Temperaturen, Algurie, Pollakisurie, Hämaturie, Hämatospermie
5 Diagnostik: sterile Leukozyturie; Erregernachweis in Urin, Ejakulat, Biopsie;
Röntgen; i.v. Urogramm; Isotopennephrogramm
5 Therapie: für 2 Monate, 3er- oder 4er-Kombination aus Isoniazid, Rifampicin,
3 Pyrazinamid, Streptomycin, Ethambutol; danach für 4 Monate Zweierkombination;
evtl. operative Sanierung

3.4.4 Prostatitis-Syndrom Ausfluss aus der Harnröhre auf. Häufig klagen die Pa-
tienten auch über Defäkationsschmerzen.
Definition/Epidemiologie. Unter dem Begriff Prostati-
tis-Syndrom fasst man die unterschiedlichen entzünd- Diagnostik. Bei der Untersuchung fallen eine vergrö-
lichen Krankheiten der Prostata zusammen. Häufigste ßerte, oft stark druckschmerzhafte Prostata und eine
Form ist die abakterielle Prostatitis (40%) und die Pros- massive Leukozyturie auf. Der Erreger ist im Urin
tatadynie (50%), akute bakterielle Formen kommen nachweisbar.
nur selten vor. Eine geläufige Einteilung der unter-
schiedlichen Formen stellt die Klassifikation des Natio- Therapie/Prognose. Die Therapie erfolgt in Form einer
nal Institute of Health (NIH) dar (. Tab. 3.5). hochdosierten Antibiose vorzugsweise mit Gyrasehem-
mern bzw. nach Antibiogramm, sobald dieses vorliegt.
3.4.4.1 Akute bakterielle Prostatitis Die Antibiose ist bis zur negativen 3-Gläser-Probe
Ätiopathogenese. Akute Prostatitiden treten häufig in (7 Kap. 3.3.5) durchzuführen, da sonst die Chronifizie-
Folge einer fortgeleiteten Harnwegsinfektion oder eines rung droht.
urologischen Eingriffs auf (z. B. Katheterismus), sie wer-
den beim älteren Patienten zur Mehrzahl durch gram- ! Cave
negative Enterobakterien ausgelöst. Bei jungen Patienten Bei Verdacht auf eine abszedierende Prostatitis sollte
spielen v. a. sexuell übertragbare Keime wie Chlamy- zur Abklärung eine Ultraschalluntersuchung durch-
dien, Ureaplasmen und Gonokokken eine Rolle. geführt werden. Ein Prostataabszess ist ein urolo-
gischer Notfall und muss zur Entlastung punktiert
Symptomatik. Neben hohem Fieber und unspezi- werden. Verdacht besteht bei einer extrem druck-
fischen Beschwerden treten häufig Dammschmerzen, schmerzhaften Prostata mit deutlicher Fluktuation.
Symptome einer Blasenentzündung (gehäufte, schmerz-
hafte Miktion; selten bis zum Harnverhalt) und etwas 3.4.4.2 Chronisch bakterielle Prostatitis
Ätiopathogenese. Entspricht der akuten bakterielle
Prostatitis.
. Tab. 3.5. NIH-Klassifikation des Prostatitis-Syndroms
Symptomatik. Die Symptome einer chronisch bakte-
Kategorie Beschreibung
riellen Prostatitis sind relativ blande und uncharakte-
I Akute bakterielle Prostatitis ristisch. Es können Miktions- und Sexualstörungen
genauso auftreten wie diverse Beschwerden im uroge-
II Chronisch-bakterielle Prostatitis
nitalen und anorektalen Bereich. Auch rezidivierende
III Chronisch-abakterielle Prostatitis Harnwegsinfekte sollten an eine chronisch bakterielle
IIIa Entzündliches chronisches abakterielles
Prostatitis denken lassen.
Schmerzsyndrom des Beckens
(abakterielle Prostatitis) Diagnostik. In der rektalen Untersuchung zeigen sich
eine druckschmerzhafte Prostata, eine positive Drei-
IIIb Nicht-entzündliches chronisches Gläser-Probe und der Nachweis von Erregern und Ent-
abakterielles Schmerzsyndrom des
zündungsparametern im Ejakulat.
Beckens (Prostatadynie)

IV Asymptomatische entzündliche Prostatitis Therapie. Zur Therapie werden orale Antibiotika über
3–6 Monate eingesetzt, die bei Versagen der normalen
3.4 · Entzündungen
345 3

Therapie im Einzelfall auch lokal infiltriert werden. tatadynie keine Entzündung nachgewiesen werden
Ferner sollte eine symptomatisch lindernde Therapie kann. Die auftretenden Beschwerden unterscheiden
erfolgen. sich kaum von denen der chronisch bakteriellen Prosta-
titis.
3.4.4.3 Abakterielle Prostatitis
und Prostatadynie Diagnostik. In der Untersuchung kann jedoch kein Er-
Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist unzureichend ge- reger und im Falle der Prostatadynie auch keine Ent-
klärt, z. B. aszendierende Infektion nach einer Ure- zündung nachgewiesen werden.
thritis.
Therapie. Die Therapie erfolgt in beiden Fällen symp-
Symptomatik. Beide Diagnosen haben die gleiche tomorientiert, auch ein psychosomatischer Ansatz ist
Symptomatik mit dem Unterschied, dass bei der Pros- möglich.

In Kürze
Prostatitis-Syndrom

Akute bakterielle 5 Symptomatik: hohes Fieber, Dammschmerzen, Symptome einer Blasenentzündung,


Prostatitis Ausfluss aus der Harnröhre
5 Diagnostik: vergrößerte und druckschmerzhafte Prostata, massive Leukozyturie,
Erregernachweis im Urin
5 Therapie: hochdosierten Antibiose mit Gyrasehemmern und nach Antibiogramm

Chronisch bakterielle 5 Symptomatik: Miktions- und Sexualstörungen, Beschwerden im urogenitalen


Prostatitis und anorektalen Bereich, rezidivierende Harnwegsinfekte
5 Diagnostik: druckschmerzhafte Prostata, positive Drei-Gläser-Probe, Erreger-
nachweis im Ejakulat, Pyospermie
5 Therapie: Antibiose p.o.

Abakterielle 5 Symptomatik: Miktions- und Sexualstörungen, Beschwerden im urogenitalen


Prostatitis und und anorektalen Bereich
Prostatadynie 5 Diagnostik: wie chronisch bakterielle Prostatitis, aber: kein Erregernachweis
bei abakterieller Form; kein Nachweis von Erreger oder Entzündung bei
Prostatadynie
5 Therapie: symptomatische Therapie, eventuell auch psychosomatische Therapie

3.4.5 Epididymitis und Orchitis reflux in den Colliculus seminalis als Zustand nach
transurethraler Prostataresektion häufig.
3.4.5.1 Epididymitis
Definition/Epidemiologie. Die Entzündung des Ne- Symptomatik. Die Krankheit zeichnet sich durch plötz-
benhodens lässt sich in chronische und akute Formen lich auftretende Schmerzen im Skrotum und hohes
unterteilen. An dieser Stelle wird nur die akute Epidi- Fieber aus. Während der Nebenhoden zu Beginn stark
dymitis als häufigste Erkrankung des Nebenhodens druckschmerzhaft und tastbar ist, zeigt sich später eine
abgehandelt. ausgeprägte Schwellung und Rötung des Skrotums.

Ätiopathogenese. Ursächlich können diverse uro- Diagnostik/Differenzialdiagnose. Eine Kultur dient


genitale Entzündungen wie Urethritis und Prostatitis der genauen Keimbestimmung und dem Antibio-
sein. Auch Verletzungen, Dauerkatheter sind für die gramm. Im Labor findet man eine erhöhte Senkung
Entstehung einer Epididymitis verantwortlich. Bei und Leukozytose. Differenzialdiagnostisch sollten Ho-
jungen Männern sind sexuell übertragene Erreger am den-/Hydatidentorsion, Orchitis und in seltenen Fällen
wahrscheinlichsten. Neben der infektiösen akuten eine Nebenhodentuberkulose ausgeschlossen werden.
Epididymitis ist eine nichtinfektiöse Form durch Urin- Auch mit einer Zystitis sollte man die Epididymitis
346 Kapitel 3 · Urologie

nicht verwechseln, da beide Krankheiten mit Pollakisu- 3.4.5.2 Orchitis


rie oder Dysurie einhergehen können. Mit Hilfe der Definition. Entzündung des Hodens, die meist als Epi-
Sonographie lässt sich schließlich noch ein Abszess aus- didymorchitis begleitend bei einer Epididymitis auf-
schließen. tritt.

Prehn-Zeichen Ätiopathogenese. Sie entsteht zumeist durch eine


3 Immer wieder gerne erwähnt, aber nur von historischem Streuung einer primären Erkrankung wie etwa einer
Wert ist das Prehn-Zeichen: Hebt man einen schmerzhaften Epididymitis, Gonorrhö, Mumps oder Parotitis epide-
Hoden an und der Schmerz lässt nach, so sei das als Zeichen mica. Sie kann viraler oder bakterieller Genese sein.
für eine Epididymitis zu werten. Steigt die Schmerzintensi-
tät, spräche dies für den Verdacht auf eine Hodentorsion. Symptomatik. Einige Zeit nach Beginn der Grunder-
Bei dieser Untersuchung handelt es sich jedoch um kein krankung kommt es zu sich schnell entwickelnden,
sicheres Diagnostikum, daher hat sie auch keine Konse- starken Hodenschmerzen und ebenso schnell zur be-
quenz. gleitenden Rötung, Schwellung und Überwärmung.

Therapie. Die Therapie sollte mit einer sofortigen An- Diagnostik/Differenzialdiagnose. Die Diagnose lässt
tibiose eingeleitet werden, die später nach dem Antibi- sich durch das klinische Bild und den Tastbefund er-
ogramm angepasst werden muss. Bettruhe ist ebenfalls stellen. Bei einer Virusinfektion ist ein entsprechender
unerlässlich. Symptomatisch helfen Hochlagerung des Antikörpertiter nachweisbar. Eine Hodentorsion und
Hodens, kalte Umschläge und ggf. ein Lokalanästheti- einen Hodentumor sollte ausgeschlossen werden.
kum (Novocain, Xylocain), das auch als Samenstran-
ginfiltration verabreicht werden kann. Auch vor einer Therapie/Prognose. Je nach Genese kommt ein Anti-
Freilegung darf nicht zurückgeschreckt werden, bei biotikum oder bei viralen Infektionen v. a. eine symp-
Abszedierung ist ggf. auch eine Semikastration indi- tomatische Therapie in Frage. Beim Vorliegen eines
ziert. Abszesses ist die operative Freilegung und Drainage
angezeigt. Vor allem bei einem beidseitigen Befall
! Cave (10–15% der Fälle) muss mit einer eingeschränkten
Eine Epididymitis vor der Pubertät ist verdächtig für Fruchtbarkeit als Folge der Erkrankung gerechnet
eine Fehlbildung des Urogenitaltraktes. werden.

In Kürze
Epididymitis und Orchitis

Epididymitis 5 Symptomatik: plötzlich auftretende Schmerzen im Skrotum, hohes Fieber, zu


Beginn stark druckschmerzhafter Nebenhoden, im Verlauf ausgeprägte Schwellung
und Rötung des Skrotums
5 Diagnostik: Klinik, Leukozytose, Sonographie
5 Therapie: Antibiose, Behandlung de Symptome, Drainage bei Abszess, evtl. Semi-
kastration

Orchitis 5 Symptomatik: rasch einsetzende, starke Hodenschmerzen, Rötung, Schwellung und


Überwärmung
5 Diagnostik: Klinik, Tastbefund
5 Therapie: Antibiose, bei viralen Infektionen symptomatisch, Drainage bei Abszess
3.5 · Tumoren
347 3
3.5 Tumoren

3.5.1 Nierenzellkarzinom

Definition/Epidemiologie. Das Nierenzellkarzinom


gilt als Adenokarzinom des proximalen Tubulus. Die
Inzidenz beträgt 6–7 Neuerkrankungen pro 100.000
Einwohner pro Jahr bei steigender Tendenz. Männer
sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Der Alters-
gipfel liegt in der 5. bis 7. Dekade. Da Symptome erst
spät auftreten, findet man zum Zeitpunkt der Diagnose
nur noch bei 40% der Patienten ein lokalisiertes Sta-
dium. Der Tumor ist typischerweise rund und von einer
Pseudokapsel umgeben.
. Abb. 3.6. CT mit Nierentumor auf der rechten Seite und
> Das Nierenzellkarzinom macht 85% aller Nierentu- Nierenzysten links. (Aus Hautmann u. Huland 2006)
moren des Erwachsenen aus, das entspricht 1–2%
aller malignen Erkrankungen in Deutschland. Es ist
die 9. häufigste Krebserkrankung beim Mann. Be-
kannt sind familiär gehäufte Vorkommen, prädispo- des inhomogenen Echobildes des Karzinoms sind zur
niert sind Patienten mit polyzystischer Nierendege- weiteren Diagnostik hochauflösendes CT (Hi-Res-CT)
neration sowie Träger des von-Hippel-Lindau-Gens und MRT mit Kontrastmittel vorzuziehen (. Abb. 3.6).
und des met-Onkogens. Bei Patienten unter 45 Jah- Damit lassen sich Nierentumoren ab 1 cm Durchmes-
ren oder bilateralem Auftreten kann eine zytogeneti- ser sicher nachweisen. Diese Verfahren ermöglichen
sche Diagnostik angestrebt werden, um betroffenen nicht nur die Beurteilung der räumlichen Ausdehnung,
Familienangehörige einer engmaschigen Kontrolle sondern auch die Beurteilung von Infiltration der
zuzuführen. Nachbarorgane, den Nachweis von Metastasen und
Andere Nierenkarzinome wie das Hamartom Lymphknoten, den Ausschluss von Tumorthromben in
und das Nierenrindenadenom spielen nur eine ge- V. renalis oder V. cava inferior und auch die Beurtei-
ringe Rolle. lung der kontralateralen Niere. Methoden wie i.v. Pye-
logramm oder Angiographie werden heute nur noch
Ätiopathogenese. Eine erhöhte Inzidenz für Nieren- selten eingesetzt.
zellkarzinome besteht außer bei den erwähnten gene-
tischen Determinanten bei Nikotin- oder Phenacetina- > Als klassische Symptomentrias des Nierenzellkarzi-
busus. noms werden Flankenschmerz, Hämaturie und tast-
bare Raumforderung bezeichnet. Da heute aber nur
Symptomatik. Nur wenige Patienten stellen sich mit 3–10% der Fälle diese Trias bieten, ist diese Trias als
spezifischen Symptomen vor. Häufig handelt es sich um historisch zu bezeichnen und höchstens als mögliche
einen Zufallsbefund, wenn im Rahmen hausärztlicher Prüfungsfrage von Relevanz.
Untersuchungen eine renale Raumforderung festge-
stellt wird. 70% aller Nierenzellkarzinome werden heu- Histopathologisch unterscheidet man klarzellige, chro-
te im symptomlosen Stadium sonographisch diagnos- mophilzellige, und chromophobzellige Nierenzellkar-
tiziert. Eine gesetzlich verankerte Vorsorgeleistung gibt zinome (. Tab. 3.6). Die Hälfte aller Nierenzellkarzi-
es dennoch nicht. Falls es zu Symptomen kommt, sind nome sind heterogene Mischtypen.
dies häufig Hämaturie, Schmerzen, Gewichtsverlust,
Hypertonie, Fieber. ! Cave
Nierenkarzinom-verdächtige Raumforderungen wer-
Diagnostik/Differenzialdiagnose. Einen gesicherten den nicht punktiert, da aufgrund der Heterogenität
Tumormarker gibt es bisher nicht, die bildgebenden eine ausreichend repräsentative präoperative Aussa-
Verfahren ermöglichen ausreichende Diagnosesicher- ge nicht erwartet werden kann. Ausnahmefälle sind
heit vor einem Eingriff. Die Sonographie ermöglicht in die Differenzierung zum renalen Lymphom und der
95% die Differenzierung zu den wichtigsten Differen- Metastasennachweis bei bekannter maligner Vorer-
zialdiagnosen Nierenzyste und Nierenabszess. Aufgrund krankung.
348 Kapitel 3 · Urologie

. Tab. 3.6. Klassifikation des Nierenzellkarzinoms nach TNM und Robson

Robson TNM

I T1a, N0, M0 Tumor <4 cm, unilateral.

T1b, N0, M0 Tumor <7 cm, unilateral


3
T2, N0, M0 Tumor >7cm, auf Niere beschränkt

II T3a, N0, M0 Tumor infiltriert Nebenniere oder perirenales Gewebe, nicht über die
Gerota-Faszie hinaus

IIIa T3b, N0, M0 Tumor mit Ausbreitung in Nierenvenen oder V. cava unterhalb des Zwerchfells

T3c, N0, M0 Ausbreitung in V. cava oberhalb des Zwerchfells

T4, N0, M0 Infiltration über die Gerota-Faszie hinaus

IIIb T1–3a, N1–2, M0 Metastasen in einem oder mehreren regionären Lymphknoten

IIIc T3b–4, N1, M0 Veneninvasion zusammen mit regionären Lymphknotenmetastasen

IVa T4, N1–2, M0 Organüberschreitendes Tumorwachstum, Infiltration von Nachbarorganen

IVb T1–4, N1–2, M1 Fernmetastasen

> Aktuell gilt die TNM-Klassifikation für das Nierenzell- 5-Jahres-Überlebensrate im Stadium I noch bis zu 88%,
karzinom – die Robson-Klassifikation wurde abgelöst. so sind in den Stadien II und III nur noch 65% und 40%
zu erwarten. Bei ungünstiger Ausgangslage (Robson
Therapie. Bei unilaterem Tumor und gesunder kontra- IV) mit ausgedehnter Metastasierung sinkt die 5-Jah-
lateraler Niere erfolgt eine radikale Tumornephrekro- res-Überlebensrate auf 4%.
mie. Bei monofokalen Tumoren bis 5 cm Größe kann
die organerhaltende Nierenteilresektion versucht wer- Sorafenib als neues Medikament
den. Die Tumorfreiheit des Restorgans wird durch Eine neue Therapieoption bei metastatasiertem Nierenzell-
Schnellschnittuntersuchungen des Resektatrandes in- karzinom ist der Multikinaseinhibitor Sorafenib. Neueste
traoperativ sichergestellt. Eine Lymphadenektomie von Studien zeigen einen messbaren Gewinn an Überlebens-
perihilären und gefäßbündelnahen Lymphknoten wird zeit bei diesem Tumor, der die schlechteste Prognose aller
ebenfalls durchgeführt. Dies ermöglicht ein genaueres urogenitalen Tumoren hat.
Lymphknotenstaging und ein besseres Screening von
Spätmetastasen.
Immuntherapie und Antiangiogenesetherapie spie- 3.5.2 Wilms-Tumor
len derzeit in der Therapie des Nierenzellkarzinoms
nur palliativ eine Rolle. Sie werden in palliativen Situa- Definition/Epidemiologie. Das Nephroblastom ist das
tionen, bei multipler Metastasierung oder bei Inopera- häufigste kinderurologische Malignom. Die Inzidenz
bilität eingesetzt. beträgt 0,8–1 auf 100.000 Kinder unter 16 Jahren pro
Jahr, in Deutschland ca. 100 Fälle pro Jahr. 75% der Be-
! Cave troffenen sind unter 5 Jahre alt.
Die Operation eines Nierenzellkarzinoms sollte in
No-touch-Technik erfolgen. Nach transabdominellem > Die diagnostizierten Stadien korrelieren mit dem
oder retroperitonealem Zugang werden hier vor Lebensalter. 80% der Kinder bis 3 Jahre fallen in die
Manipulation an der betroffenen Niere sämtliche prognostisch günstigen Stadien I und II (. Tab. 3.7).
zu- und abführenden Gefäße unterbunden, um eine 79% der Tumoren in Stadien III und IV betreffen Kin-
Verschleppung von Tumorzellen zu verhindern. der über 3 Jahren. Nur 2% aller Fälle sind Erwachsene.

Prognose. Die Prognose des Patienten ist stark abhän- Ätiopathogenese. Die Ursachen für die Entstehung
gig vom Stadium des Nierenzellkarzinoms. Beträgt die eines Wilms-Tumors sind unbekannt. Das gehäufte
3.5 · Tumoren
349 3

Histologisch handelt es sich beim Wilms-Tumor in


. Tab. 3.7. Stadieneinteilung Wilms-Tumor nach 80% der Fälle um mittelmaligne embryonale Nephro-
NTWS (National Wilms Tumor Study) blastome mit epithelialen, blastomatösen und stroma-
Stadium len Anteilen (»Standardhistologie«). Sonderformen
niedriger (mesoblastische Nephrome). In 5% der Fälle
I Tumor auf eine Niere beschränkt, liegt ein bilateraler Befall vor, der synchron oder meta-
komplett entfernbar
chron sein kann. Der Tumor ist scharf begrenzt und
II Tumorausdehnung über die Nierenkapsel von einer fibrösen Pseudokapsel umgeben.
hinaus, aber komplett entfernbar
5 a 5 ohne paraaortalen Lymphknotenbefall Therapie. Die Behandlung erfolgt meist im Rahmen
5 b 5 mit paraaortalem Lymphknotenbefall von Studienprotokollen an spezialisierten Zentren. Zu-
III Nicht-hämatogener abdominaler Resi- nächst wird eine neoadjuvante zytostatische Chemo-
dualtumor, z. B. peritoneale Implantate, therapie ohne Erhebung der Histopathologie einge-
inkomplette Resektion leitet, um die Rate der Tumorrupturen zu verringern
und eine Tumorreduktion ins Stadium I anzustreben.
IV Hämatogene Metastasen
Anschließend erfolgen die Tumornephrektomie und
V Bilaterale Tumoren eine postoperative, histopathologisch und stadienge-
recht abgestimmte Chemotherapie, meist mit Actino-
mycin D und Vincristin. Bei ungünstiger Histologie,
Auftreten im Rahmen eines WAGR-Syndroms (Wilms- postoperativ verbleibenden Tumorresten oder Lymph-
tumor, Aniridie, urogenitale Fehlbildung, mentale Re- knotenbeteiligung auch Radiatio. In Stadien III–V wird
tardierung), Denis-Drash-Syndrom (Wilms-Tumor, ein präoperatives Downsizing durch kombinierte Radio-
progressive Glomerulopathie, Pseudohermaphrodis- chemotherapie unter sonographischer Kontrolle an-
mus) führte zur Entdeckung zweier Wilms-Tumor- gestrebt.
Gene WT1 und WT2 auf dem Genort 11p (Chromo-
som 11). Prognose. Ohne Therapie infaust, bei Behandlung nach
Protokoll wird heute im Stadium I ein rezidivfreies
! Cave Überleben in 97% der Fälle ermöglicht. Selbst bei bila-
Beim Vorliegen von Aniridie und urogenitalen Miss- teralen Tumoren (Stadium V) wird eine dauerhafte
bildungen gezielt nach Wilms-Tumoren im Verdacht Heilung in 75% der Fälle erreicht.
des WAGR-Syndroms suchen!

Symptomatik. Ein palpabler Abdominaltumor stellt in 3.5.3 Harnblasenkarzinom


über 50% der Fälle das erste Symptom dar. Schmerzen,
Hämaturie, Fieber oder eine isolierte Zunahme des Definition/Epidemiologie. Harnblasenkarzinome sind
Bauchumfanges mit gleichzeitigem Gewichtsverlust in 95% der Fälle Urothelkarzinome, aber auch Platten-
treten ebenfalls auf. epithelkarzinome kommen vor. Seltener sind Adeno-
karzinome. Das Harnblasenkarzinom ist das fünfthäu-
Diagnostik/Differenzialdiagnose. Selten handelt es figste Malignom, betrachtet man nur die urologischen
sich um einen sonographischen Zufallsbefund. Bei der Tumoren, so steht das Harnblasenkarzinom nach dem
Palpation bei Verdacht auf Wilms-Tumor sollte äußerst Prostatakarzinom sogar an zweiter Stelle. Die Inzidenz
vorsichtig vorgegangen werden, um eine Ruptur der in Deutschland beträgt 30 pro 100.000 Einwohner/Jahr.
Tumorkapsel zu vermeiden. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen, der
Spezifische Tumormarker sind nicht bekannt, Ent- Altersgipfel liegt bei ca. 60 Jahren.
zündungszeichen im Labor sind erst in fortgeschritte-
nem Stadium zu erwarten. Die Diagnose erfolgt aus- Ätiopathogenese. Als wichtigster Faktor in der Entste-
schließlich sonographisch und im MRT. Mit Kontrast- hung gelten Giftstoffe, da diese über den Urin ausge-
mittel-MRT und Ausscheidungsurographie kann der schieden werden. Besondere Bedeutung kommt dabei
Tumor eindeutig der Niere zugeordnet werden, um die den aromatischen Aminen, Anilin und Benzol zu.
wichtigsten Differenzialdiagnosen Neuroblastom, Neben vielen weiteren Toxinen spielt das Rauchen die
Lymphom und Ewing-Sarkom abzuklären. Ein Spiral- wichtigste Rolle in der Entstehung des Harnblasenkar-
CT des Thorax sollte sich zum Ausschluss von Lungen- zinoms, Raucher haben ein bis zu sechsfach erhöhtes
metastasen anschließen. Risiko, ca. 2/3 aller Blasentumore sind darauf zurück-
350 Kapitel 3 · Urologie

zuführen. Chronische Harnwegsinfekte, wie z. B. bei ! Cave


Dauerkatheterträgern vorkommend, sind wie die Bil- Bei Verdacht auf Harnblasenkarzinom in der Anamne-
harziose v. a. im Zusammenhang mit Plattenepithelkar- se ist gezielt nach beruflicher Exposition durch Anilin-
zinomen von Bedeutung. farbstoffe, Benzole und Nitrosamine zu fragen: Raffi-
nerie, Kokerei, Straßenbau, Friseur?
Chronische endemische Balkannephropathie
3 Die wohl auf einen Pilz zurückzuführende chronische ende- Klassifikation. Grob zu unterscheiden sind meist gutar-
mische Balkannephropathie ist ebenfalls ein prädisponie- tige Papillome, intraepitheliale Carcinoma in situ und
render Faktor, der in der Praxis jedoch sehr selten vor- Karzinome mit infiltrativem Wachstum (. Tab. 3.8;
kommt. Der in gelagertem Getreide vorkommende Pilz . Abb. 3.7).
produziert Nephrotoxine und karzinogene Mykotoxine.
Therapie. Zur Therapie kommt in den meisten Fällen
Symptomatik. Harnblasenkarzinome machen häufig eine transurethrale Resektion in Frage, das genaue Vor-
erst in fortgeschrittenen Stadien Beschwerden, die den gehen richtet sich aber nach dem Tumorstadium:
Patienten zum Arzt führen. Bei ausgedehnten Tumoren 4 Carcinoma in situ: Transurethrale Resektion
kann es zu Miktionsstörungen und rezidivierenden (TUR-B) mit anschließender intravesikaler Che-
Harnwegsinfekten kommen. Schmerzen werden in der motherapie. Als Standard hat sich hier die Therapie
Regel nicht angegeben. Meist ist die schmerzlose Ma- mit BCG (Bacillus-Calmette-Guérin) durchgesetzt,
krohämaturie das erste für den Betroffenen erfassbare hierbei wird eine lokale Immunreaktion des Kör-
Symptom. pers ausgelöst.

! Cave
Die Hämaturie gilt als Kardinalsymptom, sie ist unab-
hängig vom Tumorstadium und kann daher auch bei . Tab. 3.8. Klassifikation des Harnblasenkarzinoms
frühen Formen vorkommen. Als allgemeiner Grund-
Tumorwachstum
satz gilt: Jede Hämaturie ist bis zum Beweis des Ge-
genteils als tumorverdächtig einzustufen. An Pseudo- Tis Carcinoma in situ
hämaturie durch rote Beete, Laxanziengebrauch oder
Ta Nichtinvasiver papillärer Tumor
Menstruation denken!
T1 Infiltration des subepithelialen Bindgewebes
Diagnostik. Zur Untersuchung gehört neben der
T2a Infiltration der oberflächlichen
Anamnese und dem Routinelabor beim Verdacht auf
Blasenmuskulatur
ein Harnblasenkarzinom auch eine Zystoskopie zur Be-
stimmung von Lage und Ausdehnung des Tumors. T2b Infiltration der tiefen Blasenmuskulatur
Auch ein Urogramm sollte durchgeführt werden, da
T3a Mikroskopische Infiltration des perivesikalen
sich hiermit eine Problematik in den oberen Harnwe-
Fettgewebes
gen ausschließen lässt. Eine Zytologie gewinnt man aus
im Urin enthaltenen Zellen oder aus einer Blasenspül- T3b Makroskopische Infiltration des perivesikalen
probe. Die Sensitivität der Spülzytologie ist leider nur Fettgewebes
bei G3-Tumoren hoch. Hat sich der Verdacht erhärtet,
T4a Infiltration von Prostata, Uterus, Vagina
ist eine erneute Zystoskopie mit transurethraler Resek-
tion des Tumors angezeigt, erst so kann eine endgültige T4b Infiltration von Becken und Bauchwand
Klärung erreicht werden. Zusätzlich werden diagnosti-
Lymphknotenmetastasierung
sche Biopsien auch in nicht betroffenen Teilen der Bla-
se entnommen, da sehr häufig auch blande Blasenteile N1 Befall eines Lymphknotens <2 cm
im Sinne eines Carcinoma in situ betroffen sind. Bei
N2 Ein Lymphknoten 2–5 cm oder mehrere
kleineren Befunden sind Diagnostik durch Zystoskopie
Lymphknoten <5 cm
und Therapie durch Resektion in einer Sitzung zu er-
reichen. N3 Lymphknotenmetastasen >5 cm
Wie bei jedem gesicherten Malignom muss die Su-
Fernmetastasen
che nach Metastasen beginnen. Harnblasenkarzinome
metastasieren lymphogen bevorzugt ins kleine Becken M1 Fernmetastasen
und hämatogen v. a. in Lunge, Leber und Skelett.
3.5 · Tumoren
351 3

. Abb. 3.7. Klassifikation des Tumorwachstums beim Harnblasenkarzinom. (Aus Hautmann u. Huland 2006)

4 Oberflächliche Tumoren: Transurethale Resek- Prognose. Die Prognose des Harnblasenkarzinoms ist
tion mit zusätzlicher Resektion des angrenzenden durch neue Therapieoptionen zumindest bei den
Gewebes und diagnostischen Biopsien aus Blasen- nichtinvasiven Tumoren gut. Beim Carcinoma in situ
wand und Harnröhre. Intravesikale Chemothera- ist mit BCG eine Remission in ca. 70% der Fälle erreich-
pie, bevorzugt mit Mitomycin oder BCG. bar. Selbst bei T3b-Tumoren beträgt die 5-Jahres-Über-
4 Invasive Tumoren (T2 bis T3b): Radikale Zystek- lebensrate noch über 50%, falls keine regionären
tomie. Dabei wird die Harnblase vollständig ent- Lymphknoten befallen sind. Bei metastasierten Tumo-
fernt. Auch Prostata und Samenblasen bzw. Uterus, ren ist die Prognose schlecht, hier kann in den meisten
Ovarien, teilweise auch die vordere Vaginalwand Fällen nur noch palliativ behandelt werden. In aktuel-
und die Urethra mit reseziert. len Mehrfach-Chemotherapiestudien werden unter
Gemcitabin, Cisplatin und Paclitaxel mediane Überle-
Operative »Ersatzblase« benszeiten von nur 22 Monaten erreicht.
Um nach einer radikalen Zystektomie oder Zystoprostatek-
tomie den Harnabfluss zu gewährleisten, kennt die moder- ! Cave
ne Urologie inkontinente und kontinente Ableitungen. Da benigne Papillome maligne entarten können, soll-
Beim Ileum-Conduit und beim Kolon-Conduit werden die ten Rezidive lebenslang kontrolliert werden.
Ureteren in ein ausgeschaltetes Darmsegment einge-
pflanzt. Das Darmsegment stellt ein kleines Reservoir dar.
Es wird über die Bauchwand ohne Kontinenzmechanismus 3.5.4 Tumoren der Harnwege
ausgeleitet, der Patient versorgt die Öffnung mit einem (Nierenbecken und Harnleiter)
aufzuklebenden »Stomabeutel«.
Kontinenz erreicht die Ileum- oder Kolon-Neoblase, bei Definition/Epidemiologie. Nierenbecken und Harnlei-
der aus einem ausgeschalteten Darmsegment ein Reser- tertumoren sind zu 90% Urothelkarzinome, der größte
voir am Ort der Harnblase geschaffen wird. Die Neoblase Rest betrifft das Plattenepithel. Mit einem Anteil von
wird an die Urethra angeschlossen, die Miktion findet nor- 1% der urogenitalen Tumoren handelt es sich um eine
mal statt. Dieses Verfahren ist nur bei tumorfreiem Blasen- seltene Erkrankung.
hals möglich. Eine Beispiel von etwa 30 verschiedenen
Pouches ist der Mainz-Pouch I, bei dem das Reservoir aus Ätiopathogenese. Es gelten die gleichen Risikofaktoren
einem Kolon-Ileum-Segment (mit Appendix vermiformis) wie auch für das Harnblasenkarzinom, also Noxen wie
gebildet wird. Durch die spezielle Operationsmethode ist aromatische Amine, Rauchen und Alkoholabusus.
ein refluxverhinderndes Einpflanzen der Ureteren möglich, Auch eine Stauung oder Dilatation der Harnwege be-
was das Risiko aszendierender Infekte deutlich reduziert. günstigt das Wachstum eines Karzinoms.
Die Ableitung des Mainz-Pouch I erfolgt über den Appen-
dix durch den Bauchnabel. Diese Ausleitung ist kontinent ! Cave
und ermöglicht physiologische Reservoirvolumina. Der Pa- Chronische Harnstauungen erhöhen das Risiko, an
tient entleert den Pouch durch intermittierenden Einmal- einem Malignom der Harnwege zu erkranken.
katheterismus durch den Nabel.
352 Kapitel 3 · Urologie

Symptomatik. Zu 60% fallen die Tumoren der Harnwe- nur noch über eine Niere verfügt. Bei weit fortgeschrit-
ge zuerst durch eine Makrohämaturie ohne weitere Be- tenen oder metastasierten Tumoren wird eine Chemo-
schwerden auf. Vor allem in späteren Stadien gesellen therapie durchgeführt, eine Strahlentherapie bringt
sich dazu Flankenschmerzen, ein tastbarer Tumor und dem Patienten keinen Vorteil.
Allgemeinsymptome.
Prognose. Tumoren der Harnwege metastasieren lym-
3 Diagnostik. Um ein Karzinom nachzuweisen, kann phogen je nach Lokalisation zuerst parakaval und
eine Zytologie aus dem Urin gewonnen werden, was paraaortal, iliakal oder paravesikal. Hämatogen erfolgt
aber nur für schlecht differenzierte Karzinome eine die Streuung bevorzugt in Leber, Lunge und Skelett. Die
gute Aussagekraft besitzt. Die Kontrastmitteldarstel- 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei T1-Tumoren bei ca.
lung per i.v. Urogramm und retrograder Ureteropyelo- 80%, in T4-Stadien bei bis zu 60%,
graphie ermöglicht die indirekte Darstellung der Raum-
forderung. Eine Spiegelung der Harnwege inklusive
Biopsie ist die Untersuchung mit der höchsten Aussa- 3.5.5 Peniskarzinom
gekraft (Ureterorenoskopie).
Definition/Epidemiologie. Peniskarzinome wachsen
Klassifikation. . Tab. 3.9. sowohl exophytisch als auch endophytisch und sind
v. a. an Glans penis und Präputium lokalisiert (. Abb.
Therapie. Die Behandlung erfolgt in den meisten Fällen 3.8). Zu mehr als 95% handelt es sich dabei um Platten-
operativ. Der Standard ist hier die Nephroureterekto- epithelkarzinome, vereinzelt können aber auch Sarko-
mie, d. h. die Entfernung von Niere und Harnleiter in- me, maligne Melanome, Basalzellkarzinome und Ade-
klusive der die Einmündung des Harnleiters umgeben- nokarzinome auftreten. Mit einer Inzidenz von <1%
den Blasenabschnitte. Im Falle gut differenzierter, nicht kommen solche Karzinome in Europa selten vor, die
infiltrierender Tumoren ist im Einzelfall zur Erhaltung Erkrankung tritt vornehmlich zwischen dem 50. und
der Nierenfunktion auch eine reine Tumorresektion 70. Lebensjahr auf.
oder lokale Lasertherapie angezeigt, falls der Patient
Ätiopathogenese. Als prädisponierend gelten man-
gelnde hygienische Verhältnisse, die Phimose, retinier-
tes Smegma und die somit begünstigte Balanoposthitis
. Tab. 3.9. TNM-Klassifikation des Nierenbecken- (7 Kap. 3.10). Als Präkanzerosen werden Leukoplakie,
und Harnleiterkarzinoms Erythroplasie, Morbus Bowen, Morbus Paget und
Tumorwachstum HPV-Viren angesehen.
Tis Carcinoma in situ
Symptomatik. Wenig bis nicht schmerzhafte Verände-
Ta Papilläres nichtinvasives Karzinom rungen an Glans und Präputium werden evtl. begleitet
von einer Blutung. In späteren Stadien finden sich tast-
T1 Infiltration des subepithelialen Bindgewebes

T2 Infiltration der Muskularis

T3 Infiltration des periurethrales/peripelvinen


Fettgewebes oder des Nierenparenchyms

T4 Infiltration der Nachbarorgane oder des


perirenalen Fettgewebes

Lymphknotenmetastasierung

N1 Befall eines Lymphknotens <2 cm

N2 Ein Lymphknoten 2–5 cm oder mehrere


Lymphknoten <5 cm

N3 Lymphknotenmetastasen >5 cm

Fernmetastasen

M1 Fernmetastasen vorhanden
. Abb. 3.8. Peniskarzinom. (Aus Hautmann u. Huland 2006)
3.5 · Tumoren
353 3

bare inguinale Lymphknoten sowie makroskopisch gen. Gleichzeitig müssen die inguinalen Lymphknoten
eindrucksvolle Wucherungen. zur Beurteilung und ggf. zur Dissektion präpariert wer-
den. Bei einer Metastasierung wird zum Teil auch eine
Diagnostik/Differenzialdiagnose. Die Diagnose beruht induktive Chemotherapie eingesetzt, die jedoch zu kei-
im Wesentlichen auf der klinischen Untersuchung und ner nachgewiesenen Verlängerung der Überlebensrate
der Biopsie. Auch eine eventuelle Lymphknotenmetas- führt. Eine lokale Strahlentherapie ist ebenfalls mög-
tasierung wird operativ abgeklärt. Differenzialdiagnos- lich. Kleine Tumoren <T1 können zum Teil per Laser
tisch ist das Peniskarzinom vom Ulcus molle, Ulcus abgetragen werden.
durum, Lymphogranuloma inguinale und den Condy-
lomata acuminata abzugrenzen. Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen
90% bei exzidierten, nicht metastasierten Karzinomen
Klassifikation. . Tab. 3.10. und bei 10‒50% bei Lymphknotenmetastasierung.

> Infiltrativ wachsende Peniskarzinome metastasieren > Condylomata acuminata sind Veränderungen des
in über 60% der Fälle. Die Metastasierung erfolgt Penis, die sich durch ein warzenartiges, rötliches
meist lymphogen aber auch hämatogen in Lunge Wachstum äußern. Die weichen Tumoren werden
oder Skelett. Nichtinvasive wachsende Peniskarzi- durch eine Infektion mit humanen Papillomaviren
nome streuen hingegen in weniger als 10%. hervorgerufen (z. B. HPV 6, 11, 16, 18).

Therapie. Therapie der Wahl ist die operative Entfer-


nung des Tumors. Bei größeren Tumoren muss eine 3.5.6 Prostatakarzinom
Amputation oder zumindest eine Teilamputation erfol-
Definition/Epidemiologie. Karzinome der Prostata
sind in 98% aller Fälle Adenokarzinome, die wiederum
. Tab. 3.10. Klassifikation des Peniskarzinoms zu ca. 90% in der peripheren Zone der Prostata entste-
hen; 10% entstehen jedoch wie die benigne Prostata-
Tumorwachstum hyperplasie in der Übergangszone, welche die Harn-
Tis Carcinoma in situ röhre umgibt. Das Prostatakarzinom steht bei den
durch Krebs verursachten Todesfällen des Mannes in
Ta Nichtinvasives verruköses Karzinom Deutschland an zweiter Stelle.
T1 Infiltration in subepitheliales Bindegewebe
> Über 60% aller deutschen Männer jenseits des
T2 Infiltration in Corpus spongiosum oder 80. Lebensjahres haben zumindest ein kleines und
cavernosum gut differenziertes Adenokarzinom, das aber in
T3 Infiltration in Urethra oder Prostata
dieser Frühform klinisch nicht von Bedeutung ist.

T4 Infiltration in andere Nachbarstrukturen Ätiopathogenese. Für die Genese eines Prostatakar-


zinoms werden mehrere Faktoren diskutiert. Be-
Lymphknotenmetastasierung
sonders wichtig scheint dabei die genetische Dis-
N0 Keine Lymphknotenmetastasen position zu sein, da Verwandte ersten und zweiten
Grades das zwei- bis dreifache Risiko haben, auch
N1 Metastase in solitären oberflächlichen
an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Eine an-
Leistenlymphknoten
drogene Stimulation scheint ein Prostatakarzinom
N2 Metastasen in multiplen oder bilateralen ebenfalls zu begünstigen: Hierfür spricht u. a., dass
oberflächlichen Leistenlymphknoten ein Entzug von Androgenen häufig zu einer Rück-
bildung des Karzinoms führt, ferner werden Steroid-
N3 Metastasen in tiefen Leisten- oder Becken-
lymphknoten
rezeptoren im Karzinomgewebe nachgewiesen. Be-
trachtet man die weltweit unterschiedliche Verteilung
Fernmetastasen von manifesten Prostatakarzinomen, scheinen auch
Umweltfaktoren und Essgewohnheiten eine Rolle zu
M0 Keine Fernmetastasen
spielen. Eventuell können auch Infektionskrankhei-
M1 Vorhandensein von Fernmetastasen ten an der Entstehung eines Prostatakarzinoms mit-
wirken.
354 Kapitel 3 · Urologie

> Eunuchen entwickeln fast nie ein Prostatakarzinom. Therapie/Prognose. Bei lokal begrenzten Prostatakar-
Verantwortlich dafür ist der Androgenentzug durch zinomen ohne Infiltration oder Metastasierung ist die
die Kastration vor der Pubertät. radikale Prostatektomie die Therapie der Wahl. Bei
dieser Operation wird die gesamte Prostata mit den Sa-
Symptomatik. Prostatakarzinome verursachen erst in menblasen und der Dennonvillier-Faszie entfernt. Die
späten Stadien Symptome. Neben einem abgeschwäch- wichtigsten Komplikationen sind erektile Dysfunktion,
3 ten Harnstrahl und Nykturie, beides ist wie bei der be- Harninkontinenz und Urethrastriktur. Mit der radi-
nignen Prostatahyperplasie durch eine Obstruktion kalen Prostatektomie lässt sich bei 90% aller T2-Tumo-
verursacht, kann eine Hämaturie bestehen. Knochen- ren eine Heilung erreichen. Von einer Heilung wird
metastasen können zudem durch Schmerzen auffallen gesprochen, wenn der PSA-Wert auch 5 Jahre nach der
(. Abb. 3.9). Operation noch unter der Nachweisgrenze liegt. Sollte
keine Operationsfähigkeit bestehen, stellt die Strahlen-
Diagnostik. Wegen der erst spät auftretenden Be- therapie eine Alternative dar.
schwerden hat die Vorsorgeuntersuchung einen hohen
Stellenwert, die bei Männern ab dem 45. Lebensjahr
empfohlen wird. Hierbei sollte jeder bei der rektalen
Tastuntersuchung auffällige Befund weiter abgeklärt . Tab. 3.11. Klassifikation des Prostatakarzinoms
werden. Dazu stehen der transrektale Ultraschall und Tumorwachstum
die Stanzbiopsie zur Verfügung. Sowohl die transrek-
tale als auch die transperineale Stanzbiopsie sollte im- T1 Klinisch nicht erkennbarer Tumor
mer von einer antibiotischen Prophylaxe begleitet wer- T1a Zufälliger histologischer Befund in <5%
den. des resezierten Gewebes
Außerordentlich wichtig und etabliert ist die Be-
T1b Zufälliger histologischer Befund in >5%
stimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA).
des resezierten Gewebes
Sie dient sowohl der Früherkennung als auch der The-
rapiekontrolle des Prostatakarzinoms. Neben der Höhe T1c Diagnose durch Nadelbiopsie (z. B. wegen
des PSA-Werts gehen weitere Faktoren, z. B. die An- PSA-Erhöhung)
stiegsgeschwindigkeit, in die Bewertung mit ein. Werte T2 Tumor auf Prostata begrenzt
ab 4 ng/ml sollten auf jeden Fall kontrolliert und bei
Bestätigung des Ergebnisses bioptisch abgeklärt wer- T2a Befall von max. einem halben Lappen
den. Auch der Quotient aus freiem PSA (fPSA) und T2b Befall mehr als der Hälfte eines Lappens,
Gesamt-PSA (tPSA) kann bestimmt werden. Ist dieser jedoch nicht beider Lappen
auf <0,15 erniedrigt, besteht ebenfalls der dringende
Verdacht auf ein Prostatakarzinom. T2c Befall beider Lappen

T3 Durchbruch der Prostatakapsel


PSA
Das prostataspezifische Antigen PSA ist in niedrigen Kon- T3a Einseitige oder beidseitige extrakapsuläre
Ausbreitung
zentrationen normal und dient der Verflüssigung des Sa-
mens. Dieses Glykoprotein wird in den Ductuli prostatae T3b Tumor infiltriert die Samenblase
gebildet. Es erhöht sich abgesehen vom Vorliegen eines
T4 Tumor ist fixiert und/oder infiltriert ande-
Malignoms auch bei benigner Prostatahyperplasie (BPH)
re Strukturen als die Samenblase
oder nach mechanischem Reiz (extremes Rad fahren, rek-
tale Untersuchung). Allerdings führt ein Karzinom zu einem Lymphknotenmetastasierung
deutlich höheren Anstieg als die BPH. Der PSA-Wert eignet
N1 Regionale Lymphknotenmetastasen
sich auch zur Verlaufskontrolle beim Prostatakarzinom, weil
er mit dem Tumorvolumen korreliert. Aber Vorsicht: 20% Fernmetastasen
der Karzinome führen nicht zu einem PSA-Anstieg!
M1 Fernmetastasen

Klassifikation. Die grobe Einteilung erfolgt in klinisch M1a Nicht regionäre Lymphknoten
nicht erkennbare Tumoren (T1), auf die Prostata be-
M1b Knochen
grenzte Tumoren (T2), Durchbruch der Prostatakapsel/
Infiltration der Samenblase (T3) und fixierte/infiltrie- M1c Andere Lokalisationen
rende Tumoren (T4) (. Tab. 3.11).
3.5 · Tumoren
355 3

. Abb. 3.9. Mindmap Prostatakarzinom


356 Kapitel 3 · Urologie

Bei fortgeschrittenen Prostatakarzinomen, Lymphkno- Symptomatik. Der Verdacht auf einen Hodentumor
ten und Fernmetastasen kommt die antiandrogene besteht bei einem vergrößerten, verhärteten Hoden
Therapie zu Einsatz. Auf diese Weise lassen sich Remis- und/oder einem tastbaren Knoten.
sionen über mehrere Jahre erreichen, bis ein hormon-
resistentes Wachstum einsetzt. Die antiandrogene The- Diagnostik/Differenzialdiagnose. Die weitere Beurtei-
rapie wird durch die Gabe von LH-RH-Agonisten, lung kann durch die Sonographie erfolgen. Jede ent-
3 Antiandrogenen wie Cyproteronacetat oder eine Or- deckte Raumforderung sollte einer operativen Diagno-
chiektomie umgesetzt. stik zugeführt werden. Als Tumormarker dienen v. a.
β-HCG, α-Fetoprotein (AFP), LDH und PLAP (plazen-
> Die hämatogene Metastasierung des Prostatakarzi- tare alkalische Phosphatase. Allerdings sind AFP und
noms erfolgt bevorzugt in das Skelett, daher ist die β-HCG in 80% aller Seminome und 40% aller Nicht-
Skelettszintigraphie die wichtigste Staginguntersu- Seminome negativ, LDH und PLAP wiederum sind
chung zur Entdeckung von Fernmetastasen. 85% aller vollkommen unspezifisch.
an einem Prostatakarzinom verstorbenen Patienten Differenzialdiagnostisch sollte man v. a. an eine
weisen Knochenmetastasen auf. Epididymitis denken, aber auch eine Hydrozele, Sper-
matozele oder Hodentorsion in Betracht ziehen.

3.5.7 Hodenmalignome Klassifikation. Die Klassifikation sieht wie folgt aus: Tis:
Carcinoma in situ/intratubulär; T1: Tumor auf Hoden
Definition/Epidemiologie. 1% aller Tumoren des Man- und Nebenhoden begrenzt; T2: Gefäß- oder Lymphge-
nes sind Hodentumoren; sie treten bevorzugt zwischen fäßinfiltration bzw. Infiltration der Tunica vaginals; T4:
dem 20. und 40. Lebensjahr auf. In über 90% der Fälle Infiltration des Skrotums
handelt es sich um Keimzelltumoren, während der Rest
als nichtgerminale Tumoren bezeichnet wird. Wich- Therapie/Prognose. Ein Malignom des Hodens wird
tigster Vertreter dieser Restgruppe ist der Leydigzell- prinzipiell operiert. Dabei erfolgt eine Semikastration.
tumor, der nur zu 5% maligne ist. Da Hodentumoren aber teilweise sehr früh metastasie-
ren und außerdem schnell wachsen, ist eine alleinige
> Der Hodentumor ist zwar insgesamt ein relativ selten Operation in der Mehrzahl der Fälle unzureichend.
vorkommender Tumor, weist aber eine Häufung um Nichtseminome werden im Anschluss an die Se-
das 30. Lebensjahr auf. Dadurch wird er zum häufigs- mikastration durch eine retroperitoneale Lymphkno-
ten malignen Tumor des jungen Mannes. (ca. 20. bis tenausräumung weiterbehandelt, der Grund dafür ist
35. Lebensjahr. die hohe Metastasierungsrate solcher Tumoren. Zusätz-
lich kann eine Chemotherapie erfolgen.
Ätiopathogenese. Bisher ist keine gesicherte Ursache Seminome entwickeln zwar deutlich langsamer
bekannt, es gibt jedoch einige prädisponierende Fak- Metastasen, da sie aber sehr strahlensensibel sind, er-
toren. So besteht bei einem Maldescensus testis ein um folgt eine adjuvante Strahlentherapie. Während in den
das 4- bis 8-fache erhöhte Risiko einer Erkrankung, klinischen Stadien I bis IIa eine Bestrahlung der infra-
eine Risikoerhöhung um denselben Faktor besteht diaphragmalen und paraaortalen Lymphknotenstatio-
auch, wenn bereits der Bruder eines Patienten an dem nen durchgeführt wird, ist in den späten Stadien ab IIb
selben Tumor erkrankt ist. Eine gar 30-fach höhere zudem eine adjuvante Chemotherapie (z. B. Cisplatin,
Wahrscheinlichkeit besteht bei einem bereits vorange- Etoposid, Bleomycin) nötig.
gangenen Tumor.
> Die Prognose der Hodenmalignome ist im Allgemei-
! Cave nen trotz schnellen Wachstums und Metastasierung
Beim Maldescensus testis eines Hodens besteht auch sehr gut. Selbst bei den fortgeschrittenen Stadien
für den anderen, korrekt liegenden Hoden eine er- lassen sich 5-Jahres-Heilungsraten von bis zu 95%
höhte Gefahr der malignen Entartung. Eine rechtzei- erzielen.
tige Orchipexie (also im Kleinkindalter) senkt Studien
zufolge das Risiko eines Malignoms.
3.5 · Tumoren
357 3
In Kürze
Karzinome des Urogenitaltrakts

Nierenzell- 5 Symptomatik: meist keine Symptome; sonographischer Zufallsbefund; klassische Trias


karzinom (heute selten): Hämaturie, Flankenschmerz, tastbare Raumforderung
5 Diagnostik: Sonographie, High-Resolution-CT, MRT mit Kontrastmittel. Keine Tumor-
marker. Nicht präoperativ punktieren/biopsieren
5 Therapie: radikale Tumornephrektomie in No-touch-Technik mit Lymphadenektomie.
Teilresektion bei Tumoren bis 5 cm. Palliativ: Immuntherapie, Antiangiogenesetherapie

Wilms-Tumor/ 5 Symptomatik: palpabler Abdominaltumor, Hämaturie, Bauchumfangsvermehrung


Nephrobalstom 5 Diagnostik: keine Tumormarker bekannt. Sonographie, Ausscheidungsurographie,
CT, MRT
5 Therapie: neoadjuvante zytoreduktive Chemotherapie zum Downstaging, bzw. in
Stadien III–IV Radiochemotherapie zum präoperativen Downsizing. Tumornephrektomie.
Postoperativ histopathologisch abgestimmte Chemotherapie, bei entsprechenden Risiko-
faktoren auch Radiatio

Harnblasen- 5 Symptomatik: Kardinalsymptom: Makrohämaturie; späte Symptome: Miktionsstörungen,


karzinome kaum Schmerzen
5 Diagnostik: Zystoskopie, i.v. Urogramm, Zytologie aus Urin enthaltenen Zellen oder
Blasenspülprobe, Zystoskopie mit transurethraler Biopsien
5 Therapie
5 Bei Carcinoma in situ transurethrale Resektion mit anschließender intravesikaler Chemo-
therapie
5 Bei oberflächlichen Tumoren transurethrale Resektion mit Resektion des angrenzenden
Gewebes, diagnostische Biopsien, intravesikale Chemotherapie
5 Bei invasiven Tumoren radikale Zystektomie

Tumoren der 5 Symptomatik: zuerst Makrohämaturie, in späteren Stadien Flankenschmerzen, tastbarer


Harnwege Tumor, Allgemeinsymptome
5 Diagnostik: Ureterorenoskopie, Zytologie aus dem Urin, i.v. Urogramm, retrograde Uretero-
pyelographie
5 Therapie: Nephroureterektomie, im Einzelfall reine Tumorresektion oder Lasertherapie,
Chemotherapie bei weit fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren

Peniskarzinom 5 Symptomatik: exophytisch und endophytisch wachsender Tumor an Glans penis und
Präputium
5 Diagnostik: Biopsie, operative Suche nach Lymphknotenmetastasen
5 Therapie: Exzision der Tumors 2 cm im Gesunden, bei größeren Tumoren Amputation
oder Teilamputation, Exploration der inguinalen Lymphknoten zur Beurteilung und Dis-
sektion. Bei Metastasierung evtl. eine induktive Chemotherapie, lokale Strahlentherapie

Prostata- 5 Symptomatik: erst spät Symptome, dann abgeschwächter Harnstrahl, Nykturie,


karzinom Obstruktion, Hämaturie, Schmerzen durch Knochenmetastasen
5 Diagnostik: rektale Tastuntersuchung, transrektaler Ultraschall, transrektale oder trans-
perineale Stanzbiopsie, Bestimmung des prostataspezifischen Antigens PSA
5 Therapie: ohne Infiltration oder Metastasierung radikale Prostatektomie oder Strahlen-
therapie. Bei fortgeschrittenen Prostatakarzinomen, Lymphknoten und Fernmetastasen:
Antiandrogene Therapie mit LH-RH-Agonisten, Antiandrogenen wie Cyproteronacetat
oder Orchiektomie
6
358 Kapitel 3 · Urologie

Hoden- 5 Symptomatik: vergrößerter, verhärteter Hoden und/oder ein tastbarer Knoten


malignome 5 Diagnostik: Sonographie, operative Exploration, relativ unspezifische Tumormarker:
β-HCG, α-Fetoprotein, LDH und PLAP
5 Therapie: Semikastration, bei Nichtseminomen im Anschluss retroperitoneale Lymph-
knotenausräumung zusätzlich evtl. Chemotherapie. Seminome: adjuvante Strahlen-
3 therapie, ab Stadium IIb zudem Chemotherapie

3.6 Benigne Prostatahyperplasie gen und Ultraschalluntersuchungen lassen sich das


Ausmaß von Obstruktion und Vergrößerung genau be-
Definition/Epidemiologe. Die BPH oder synonym das stimmen. Ein Urogramm kann weitere pathologische
Prostataadenom ist eine durch die Hyperplasie der pe- Veränderungen in Folge der Obstruktion aufdecken.
riurethralen Drüsen bedingte Vergrößerung der Über- Differenzialdiagnostisch müssen andere Ursachen
gangszone der Prostata. Es handelt sich um die häufigs- einer Obstruktion ausgeschlossen werden. Neben dem
te urologische Erkrankung des alten Mannes und die Prostatakarzinom und anderen Tumoren mit topogra-
häufigste Ursache für eine Blasenentleerungsstörung. phischen Bezug gehören dazu unter anderen Prostati-
Die BPH ist zu unterscheiden von dem LUTS (»lower tis, Blasenhalsobstruktion und Harnröhrenverände-
urinary tract symptoms«), das lediglich eine vorausge- rungen.
hende Diagnose ist, die durch die entsprechende Histo-
logie zu einer BPH wird. ! Cave
Die Ausprägung von Miktionsbeschwerden hängt
Ätiologie. Die genaue Ätiologie der benignen Prostata- nicht direkt mit der Adenomgröße zusammen, son-
hyperplasie ist ungeklärt. Als mögliche Ursachen gel- dern kann bei verschiedenen Patienten mit vergleich-
ten: barer Hyperplasie unterschiedlichen Krankheitswert
4 Erhöhter Dihydrotestosteronspiegel besitzen.
4 Vermehrtes Östrogenangebot im Alter
4 Stromawachstum durch verstärkte Proliferation Therapie. Die Therapieansätze unterscheiden sich ja
von Stammzellen nach Fortschritt der Krankheit. So ist in frühen Stadien
4 Ein durch Wechselwirkungen zwischen Stroma- durchaus ein kontrolliertes Zuwarten möglich. Zur me-
und Epithelzellen gestörtes Gleichgewicht der dikamentösen Therapie stehen heute neben Phytothe-
Wachstumsfaktoren rapeutika, die v. a. bei leichten Beschwerden eingesetzt
werden, α1-Rezeptorblocker (Terazosin, Prazosin, Al-
Symptomatik. Auffällig wird eine BPH durch Mikti- fuzosin) und 5-α-Reduktasehemmer (Finasterid, Duta-
onsbeschwerden, dabei können sowohl obstruktive als sterid) zur Auswahl.
auch irritative Symptome auftreten (. Tab. 3.12). In der Der Standard in der operativen Behandlung der
Anamnese haben sich heutzutage besondere Fragebö- BPH ist die transurethrale Resektion (TUR). Hierbei
gen durchgesetzt, mit denen sich durch Symptomen- wird die Prostata mit Hilfe einer elektrischen Schlinge
Scores das Ausmaß der Beschwerden und die Ein- in Form von kleinen Spänen abgetragen und über die
schränkung der Lebensqualität quantifizieren lassen. Urethra entfernt. Es gibt eine Vielzahl anderer Verfah-
Bei diesen Scores werden unterschiedliche Symptome
und deren Ausprägung abgefragt, daraus lässt sich eine
Punktzahl errechnen, die das Ausmaß der tatsächlichen . Tab. 3.12. Miktionsbeschwerden bei BPH
Beschwerden wiedergibt und in die spätere Therapie- Obstruktiv Irritativ
wahl mit einfließt.
Schwacher Harnstrahl Häufige Miktion kleiner
Verzögerter Miktions- Harnmengen (Pollakisurie)
Diagnostik/Differenzialdiagnose. Neben der Anamne-
beginn Nykturie
se ist die rektale digitale Untersuchung von besonderer Verlängerte Miktionszeit Harndrang und Drang-
Wichtigkeit, da sich so Größe und Beschaffenheit der Nachträufeln inkontinenz
Prostata auf einfache Weise beurteilen lassen. In der Restharngefühl
Labordiagnostik sind PSA und die Nierenwerte von Harnverhalt
besonderem Interesse. Mit urodynamischen Messun-
3.7 · Urolithiasis
359 3

ren, wie die offene Adenomektomie, die Laserabtra- ! Cave


gung oder die transurethrale Mikrowellen-Thermothe- Rezidivierende Harnverhalte oder Harnwegsinfekte,
rapie; viele davon konnten sich jedoch nicht durchset- Makrohämaturie, beginnende Niereninsuffizienz und
zen. Blasensteine stellen als Komplikationen der Obstruk-
tion eine absolute Indikation zur Operation dar.

In Kürze
Benigne 5 Symptomatik: vor allem Miktionsbeschwerden, dabei sowohl obstruktive als auch
Prostata- irritative Symptome
hyperplasie
5 Diagnostik: Anamnese mit Erhebung eines Symptomen-Scores, rektale digitale Untersuchung,
Bestimmung von PSA und Nierenwerten, urodynamischen Messungen und Sonographie, i.v.
Urogramm

5 Therapie: Standard ist die transurethrale Resektion, in frühen Stadien ist kontrolliertes Zuwar-
ten möglich, medikamentöse Therapie mit Phytotherapeutika, α1-Rezeptorblockern, anti-
androgenen und antiöstrogenen Medikamenten, bilaterale Orchiektomie ist ebenfalls ein an-
tiandrogener Therapieansatz

3.7 Urolithiasis im Harn, sondern auch der jeweilige pH-Wert des


Harns, der die Löslichkeit eines Stoffes neben einigen
Definition/Epidemiologie. Mit Urolithiasis bezeichnet weiteren Faktoren entscheidend mitbestimmt.
man die Harnsteinbildung in der Niere und den ablei- Wieso nun die Konzentration einer gewissen Sub-
tenden Harnwegen einschließlich Blase und Harnröh- stanz im Harn steigt, das Harnvolumen abnimmt, oder
re. Zu 97% sind dies Steine von Niere und Harnleiter der pH-Wert sich verändert, kann unterschiedlichste
(. Abb. 3.10). Es handelt sich um eine extrem häufige Ursachen haben. Diese reichen von Alter, Geschlecht,
Erkrankung, da 4% der Bundesbürger im Laufe ihres Beruf, Trink- und Ernährungsgewohnheiten über das
Lebens mindestens einmal an einer Urolithiasis erkran- Klima bis hin zu Stoffwechselkrankheiten. Einige wich-
ken. Die Inzidenz liegt bei 0,5–1%, wobei Männer etwa tige Steinarten können . Tab. 3.13 entnommen wer-
dreimal so häufig betroffen sind wie Frauen. den.

Ätiopathogenese. Man geht heute davon aus, dass ! Es hat sich gezeigt, dass der Genuss von tierischem
Harnsteine formal betrachtet durch eine Übersättigung Eiweiß ein entscheidender Faktor für die Entstehung
des Harns mit der den Stein bildenden Substanz zustan- von Harnsteinen ist. Dies ist der Grund dafür, dass
de kommt, diese fällt dann aus und lagert sich schließ- die Urolithiasis v. a. in Ländern mit hohem sozialen
lich zu Steinen zusammen. Ausschlaggebend ist bei Standard und Einkommen eine wesentlich größere
diesem Vorgang nicht nur die absolute Konzentration Inzidenz zeigt als in armen Ländern.

. Tab. 3.13. Harnsteine: Häufigkeit und Ursache

Steinart Hauptursachen Häufigkeit

Kalziumoxalatsteine Gesteigerter Verzehr von tierischem Eiweiß, verminderte Flüssigkeitszu- 70%


fuhr, Stoffwechselerkrankungen (v. a. primärer Hyperparathyreoidismus)

Harnsäuresteine Gesteigerter Verzehr von tierischem Eiweiß und damit gesteigerte 10–15%
Purinzufuhr, Stoffwechselstörungen (Harnsäure/Harnstoff )

Infektsteine (v. a. Struvit Harnwegsinfektionen (z. B. Proteus) 5–10%


und Karbonatapatit)

Zystinsteine Zystinurie 1–2%


360 Kapitel 3 · Urologie

. Abb. 3.10. Mindmap Urolithiasis


3.7 · Urolithiasis
361 3

a b
. Abb. 3.11a, b. Urolithiasis. Röntgenpositiver Stein. a Leeraufnahme. b Kontrastmittelstopp vor dem Stein. (Aus Reuter 2007)

Symptomatik. Ein Harnstein fällt meist durch die von Diagnostik. Nach dem Erfassen der bereits erwähnten
ihn verursachten Beschwerden auf. Das eindrucksvolls- klinischen Symptome einer Urolithiasis sollte eine
te Symptom ist dabei die Kolik. Die Hauptlokalisation Urinuntersuchung erfolgen, die Rückschlüsse auf die
des Schmerzes richtet sich jeweils nach der Lage des Ursache und die Art des Steines zulässt. An Röntgenun-
Steins. Beim Nierenstein ist der Schmerz eher in der tersuchungen sind eine Abdomenübersichtsaufnahme
Flanke, beim Tiefertreten des Konkrements durch den und ein Ausscheidungsurogramm sinnvoll, sie erlau-
Harnleiter eher vom Mittel- in den Unterbauch zu lo- ben die Lokalisation des Steines und die Diagnostik
kalisieren. Verletzt der Stein das Urothel, so kann eine eines Harnstaus (. Abb. 3.11). Die Röntgendichte gibt
Hämaturie als weiteres Zeichen einer Urolithiasis vor- zusätzlich Aufschluss über die Art des Harnsteins. Eine
kommen. Ultraschalluntersuchung bietet sich vor allem dann an,
wenn eine Kontraindikation gegen eine Röntgenunter-
! Cave suchung/Computertomographie oder das benötigte
Ein Harnstau durch Verlegung der Harnwege durch Kontrastmittel vorliegt und dient auch dem Erkennen
einen Stein muss nicht zwangsläufig zu einer Kolik einer Stauungsniere oder anderen Komplikationen.
führen. Eine schwerwiegende Komplikation ist die
obstruktive Pyelonephritis. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch sollte
man bei Schmerzen, die an eine Kolik denken lassen,
Kolikartige Schmerzen auch andere Ursachen für Schmerzzustände in Brust
Kolikartige Schmerzen haben einen krampfartigen Charak- und Bauch in Betracht ziehen. Ferner muss bedacht
ter. Diese plötzlich auftretenden, heftigsten Schmerzen al- werden, dass ein Kalkschatten im Röntgenbild nicht
ternieren in ihrer Intensität und wandern entsprechend der gleich ein Harnstein sein muss. Auch Gallensteine, Tu-
sich verändernden Lokalisation ihres Auslösers. Der Patient moren, verkalkte Lymphknoten, Aneurysmen, Zysten,
ist durch die quälenden Schmerzen unruhig und wälzt sich Phlebolithen, Tuberkulose u. a. können sich auf diese
sprichwörtlich vor Schmerzen umher oder steht auf und Weise im Röntgenbild darstellen.
läuft umher. Er ist kaltschweißig und kann auch erbrechen.
Zusätzlich ist in vielen Fällen der Bauch durch eine beglei- > Abgehende Steine sollten aufgefangen und für eine
tende Darmatonie aufgetrieben. spätere Analyse aufbewahrt werden. Zum hygie-
nischen Gewinnen der Steine werden meist Einmalfil-
ter aus Papier und Zellstoff bereitgestellt.
362 Kapitel 3 · Urologie

Therapie. Auch wenn der Großteil aller Harnsteine Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie


unter 5 mm Durchmesser spontan abgeht, so ist in Die ESWL wurde in Deutschland entwickelt und kam 1980
den meisten Fällen wegen den starken kolikartigen erstmals zum Einsatz. In den frühen Geräten musste der
Schmerzen eine Therapie unumgänglich. Allerdings Patient in eine wassergefüllte Wanne gelagert werden, um
sollte bei der Schmerztherapie zuerst auf Morphin- die Stoßwellen zu übertragen. Das Verfahren war sehr laut
derivate verzichtet werden, um die Peristaltik nicht und schmerzhaft. Moderne Geräte arbeiten geräuscharm
3 zu beeinträchtigen. Die konservative Therapie von und nahezu schmerzfrei. Die Impulse werden direkt über-
Harnsteinen im kolikfreien Intervall beinhaltet neben tragen, eine Wanne ist nicht mehr nötig. Der Stein wird
körperlicher Bewegung (Seilspringen), Diät und ver- sonographisch oder unter Durchleuchtung anvisiert und
mehrtem Trinken auch die Verwendung von Präpara- anschließend mit bis zu 4000 Ultraschallimpulsen zer-
ten, die Steine auflösen können. Bei der Wahl des ge- trümmert. Sie ist für Nierensteine bis zu 2 cm und Harn-
eigneten Medikaments hilft die Kenntnis der Steinart. leitersteine bis 1 cm Durchmesser geeignet.
Die medikamentöse Lyse ist häufig frustran und rezi-
divträchtig. Endoskopische Eingriffe über den transurethralen oder
Führt die konservative Therapie nicht zum Er- perkutanen Zugangsweg werden heutzutage seltener als
folg, stellt die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie die Stoßwellentherapie durchgeführt und kommen zum
(ESWL) eine weitere Option dar. Hierbei werden die Einsatz, wenn die ESWL kontraindiziert oder erfolglos
Harnsteine durch fokussierte Ultraschallwellen zer- ist. In noch selteneren Fällen kann auch eine offene, ope-
trümmert, so dass sie über die Harnwege abgehen kön- rative Entfernung eines Harnsteins indiziert sein.
nen. Der Patient braucht während der ESWL keine Als Folge einer Harnstauung, die durch einen abge-
Narkose, allenfalls eine milde Sedierung. Nebenwir- henden Stein bedingt sein kann, kann auch eine Pyelo-
kungen gehen sehr selten über ein Hämatom an der nephritis entstehen. Diese bedarf neben einer antibio-
Eintrittstelle der Impulse hinaus. tischen Therapie auch der Entfernung des Abflusshinder-
nisses, um einem Nierenversagen effektiv vorzubeugen.

In Kürze
Urolithiasis 5 Symptomatik: Koliken mit Lokalisation nach Lage des Steins, Hämaturie, Harnstau und Folge-
erscheinungen eines Harnstaus
5 Diagnostik: Urinuntersuchung, Abdomenübersichtsaufnahme und Ausscheidungsurogramm
zur Lokalisation des Steines und Diagnostik des Harnstaus, Sonographie
5 Therapie: Schmerztherapie, körperliche Bewegung, Diät, vermehrtes Trinken, steinlösende
Präparate. Bei Erfolglosigkeit der konservativen Therapie: extrakorporale Stoßwellenlithotrip-
sie (ESWL), selten endoskopische Eingriffe über transurethralen oder perkutanen Zugang

3.8 Andrologie 4 Chromosomale Aberrationen, besonders ist das


Klinefelter-Syndrom hervorzuheben (47 XXY)
3.8.1 Sterilität beim Mann 4 Primärer Hypogonadismus
4 Störungen der Hypophysenachse mit einem
Definition/Epidemiologie. Sterilität liegt definitionsge- GnRH/FSH/LH-Mangel und folgendem sekundä-
mäß vor, wenn innerhalb eines Jahres bei regelmäßigem ren oder tertiären Hypogonadismus oder auch ei-
Geschlechtsverkehr ohne Verhütungsmaßnahmen kei- ner Pubertas tarda
ne Schwangerschaft erreicht wurde. In 40% aller Fälle 4 Kallmann-Syndrom (hereditäre Anosmie und hy-
liegt das Problem ausschließlich beim Mann; es gibt ca. pogonadotroper Hypogonadismus)
1,5 Mio. Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch alleine 4 Folge einer Infektion, z. B. einer Tuberkolose, Sy-
in Deutschland. philis, Mumps
4 Maldescensus testis 7 Kap. 3.10.5.1
Ätiopathogenese. Wenn auch eine ganze Reihe unter- 4 Fehlbildungen des Penis
schiedlicher Ursachen für die Zeugungsunfähigkeit 4 Erektionsstörungen
auszumachen sind, so bleibt doch die Hälfte aller Fälle 4 Störungen im Bereich der Samenwege durch
ungeklärt, d. h. ohne erkennbare Grunderkrankung. Fehlbildungen, Verschluss nach Prostatis o. ä., Ver-
Der Rest setzt sich wie folgt zusammen: letzung der Samenwege durch Operationen
3.8 · Andrologie
363 3

4 Varikozelen (pathologisch erweiterter Plexus pam- dings nur nach strenger Indikationsstellung durchge-
piniformis) und deren Folgen führt werden sollte.
4 Arzneimittelbedingte Störungen 7 Tab. 3.14
4 Nikotinabusus, Alkoholabusus, Drogenabusus > Häufigste chromosomale Ursache für die Sterilität
und Giftstoffe beim Mann ist das Klinefelter-Syndrom 47 XXY. Diese
Patienten die häufig hochwüchsig, zeigen eine Gynä-
> Die primäre testikuläre Dysfunktion bezeichnet als komastie bei weiblichem Behaarungsmuster und nor-
Überbegriff den Funktionsverlust des Keimepithels mal ausgebildetem Genitale mit Hodenhypoplasie.
und der Leydig-Zwischenzellen des Hodens mit kom-
pensatorisch erhöhter Ausschüttung von Gonado- Einen besonderen Stellenwert in der Abklärung einer
tropinen. Die häufigsten Ursachen der primären Dys- Fertilitätsstörung hat natürlich das Spermiogramm. Es
funktion sind Maldescensus testis, Infektionen, und werden die folgenden Parameter untersucht (Norm-
das Klinefelter-Syndrom. Die sekundäre testikuläre werte in Klammern):
Dysfunktion beruht auf der verringerten Ausschüt- 4 Volumen des Ejakulats (>2 ml)
tung von Gonadotropinen durch Hypophysen- und 4 pH-Wert (7–7,8)
Hypothalamusschäden. 4 Beweglichkeit
4 Konzentration der Spermien (>20×106/ml)
Diagnostik. Nach Erhebung von Vorerkrankungen und 4 Vitalität (>50% lebend)
Sexualanamnese kann bereits die orientierende körper- 4 Anzahl normaler Spermien (>50%)
liche Untersuchung wichtige Hinweise auf die Ursachen 4 Beschaffenheit des Ejakulats: Spinnbarkeit, Häma-
der Fertilitätsstörung geben. So sind Fehlbildungen der tospermie, Pyospermie
äußeren Genitale leicht erkennbar. Eine Gynäkomastie
sowie ein eher weibliches Fettverteilungs- und Behaa- Damit das Spermiogramm aussagekräftig ist, muss
rungsmuster lassen an eine hormonelle Störung den- der Patient eine sexuelle Karenz von 4–6 Tagen ein-
ken. Hier gibt die Laboranalyse vor allem von Testoste- halten.
ron, FSH, LH und Prolaktin weiteren Aufschluss. An-
dere Untersuchungsmöglichkeiten reichen von der Therapie/Prognose. Die Therapie richtet sich nach der
Ultraschalldiagnostik bis zur Hodenbiopsie, die aller- zugrunde liegenden Ursache. Viele Störungen können

. Tab. 3.14. Pharmaka, die zu einer Beeinträchtigung der Spermatogenese führen können

Hormonell aktive Antiandrogene, Östrogene, Gestagene, Anabolika, Pharmaka mit geringer


Pharmaka antiandrogener Wirkung wie Spironolacton, Cimetidin

Antibiotika Nitrofurantoin, Co-trimoxazol, Tetrazykline, Gentamicin, Chloramphenicol

Antimykotika Ketoconazol, Imidazolderivate

Antihypertensiva Methyldopa, Clonidin, Reserpin

Anticholinergika Atropin, Benztropinmesylat

Rezeptorenblocker Phentolamin, Phenooxybenzamin

Rezeptorenblocker Propranolol

Ganglienblocker Hexamethonium, Mecamylamin

Immunsuppressiva Azathioprin, Glukokortikoide

Psychopharmaka Antidepressiva, Antiemetika, Antiepileptika, Hypnotika, Tranquilizer

Sulfonamide Azulfidine

Zytostatika Cyclophosphamid, Chlorambucil, Kolchizin, Methotrexat, Actinomycin D,


Mitomycin, Bleomycin

Aus Hautmann/Huland: Urologie, 2. Auflage. Springer 2001


364 Kapitel 3 · Urologie

leider nicht therapiert werden. Liegt eine hormonelle Venengeflecht gegen diese derbe Gewebsschicht pressen.
Problematik zugrunde, so kann ein Therapieversuch Der auf diese Weise stark erhöhte intrakavernöse Druck
mit einem Hormonpräparat durchgeführt werden. führt zur Erektion.
Operative Maßnahmen sind bei Varikozelen und bei
Verschlüssen der Samenwege angezeigt. In vielen Fällen Ätiopathogenese. Hat man früher in einem Großteil
bleiben jedoch nur reproduktionstechnische Maß- der Fälle noch eine psychogene Ursache für die Funk-
3 nahmen. tionsstörung verantwortlich gemacht, so geht man
heute davon aus, dass nur in 30% ein rein psychisches
Reproduktionstechniken Problem zugrunde liegt. In mehr als 70% der organisch
Die intrauteriner Insemination bezeichnet das intraute- bedingten Fälle liegt eine kavernöse Problematik zu-
rine Einbringen von Spermien. Eine weitere Möglichkeit grunde, die durch eine Degeneration der glatten Mus-
ist die In-vitro-Fertilisation, also die Befruchtung der Eizel- kulatur in den Schwellkörpern zustande komme. Da-
le im Reagenzglas mit nachfolgender Einbringung in den durch können die Corpora cavernosa nicht mehr in
Uterus. Bei besonders ausgeprägter Einschränkung der dem Umfang relaxieren, dass es zu einer ausreichenden
Spermienqualität kann eine intrazytoplasmatische Sper- Kompression des Venengeflechts kommt, daher wird
mieninjektion den gewünschten Erfolg bringen. Dazu wird dieser Zustand auch als kavernösvenöse Okklusions-
ein Spermium direkt in das Zytoplasma der Eizelle inji- störung bezeichnet.
ziert. Weitere 20% der organisch bedingten Erektionsstö-
rungen sind arteriellen Veränderungen zuzuschreiben,
hierfür kommen alle Grunderkrankungen in Frage, die
3.8.2 Erektile Dysfunktion zu arteriosklerotischen Veränderungen führen. Be-
sonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Dia-
Definition/Epidemiologie. Die Impotentia coeundi be- betes mellitus, der zusätzlich auch eine Polyneuropathie
zeichnet die chronische Unfähigkeit zu Beischlaf auf- verursacht, einem zusätzlichen Risikofaktor für die
grund einer unzureichenden Erektion (. Abb. 3.12). erektile Dysfunktion.
Schätzungen zufolge sind in Deutschland ca. 6 Mio. Da die Erektion einem komplexen Regelkreis aus
Männer von diesem Problem betroffen. Die Problema- sympathischen, parasympathischen, sensorischen und
tik gewinnt mit zunehmendem Alter an Bedeutung, motorischen Nerven unterworfen ist, kommen viele
15% aller Männer im Alter von 70 Jahren leiden an ei- neurologische Ursachen in Betracht. Dazu müssen ne-
ner erektilen Dysfunktion, im Alter von 40 Jahren sind ben offensichtlichen Dingen wie Nervenverletzungen,
dies hingegen nur etwa 4%. z. B. durch eine Prostataresektion, auch diverse andere
neurologische Erkrankungen wie die multiple Sklerose
Physiologischer Ablauf der Erektion gerechnet werden.
Um die zugrunde liegende Pathologie zu verstehen, muss Als hormonelle Störungen kommen eben dem im
man sich zuerst Anatomie des Penis und physiologischen Alter physiologisch abnehmenden Testosteron auch
Ablauf einer Erektion klar machen (. Abb. 3.12, . Abb. eine Schilddrüsenfunktionsstörung oder etwa eine Pro-
3.13). laktinämie in Frage.
Der Penis wird von Ästen der A. pudenda interna ver- Medikamentöse Ursache einer verminderten
sorgt, der Corpus spongiosum wird von der A. bulboureth- Erektionsfähigkeit sind hormonelle Präparate sowie
ralis versorgt, der Zufluss der der Corpora cavernosa ge- unterschiedlichste andere Mittel vom β-Blocker bis hin
schieht hingegen über die Aa. profundae penis, über die zu trizyklischen Antidepressiva.
das Blut schließlich durch die Aa. helicinae den Schwellkör-
perbinnenraum erreicht. Der venöse Abfluss von dort ge- Diagnostik. Diagnostisch ausführliche Anamnese auch
schieht wiederum u. a. über ein unter der Tunica albuginea der Begleiterkrankungen und Erfragen von Partner-
liegendem Venengeflecht. Die Erektion ist nun ein Ergebnis schaftsproblemen, sozialen und psychischen Stressoren.
aus vermehrtem Blutzustrom und einer Abflussbehinde- Die körperliche Untersuchung sollte neben Fehlbildun-
rung: gen und Erkrankungen des Genitale auf neurologische
Nach sexueller Reizung kommt es zu einer Dilatation Faktoren wie Sensibilität des Penis, Bulbocavernosus-
der arteriellen Gefäße bei gleichzeitiger Relaxation der und Cremasterreflex, zentrale und radikuläre Sympto-
Schwellkörpermuskulatur. In der Folge erweitern sich die me achten. Laborchemisch lassen sich hormonelle Stö-
Corpora cavernosa um das drei- bis vierfache und erhöhen rungen (Testosteron, Prolaktin, LH, Schilddrüsenwer-
so zusätzlich den Gefäßwiderstand des venösen Abflussge- te) und Risikofaktoren für vaskuläre Erkrankungen
bietes, indem sie das unter der Tunica albuginea liegende eruieren.
3.8 · Andrologie
365 3

. Abb. 3.12. Mindmap Erektile Dysfunktion


366 Kapitel 3 · Urologie

dazu besitzen Dopamin-2-Agonisten wie Yohimbim


eine zentrale Wirkung, werden aber heute nicht mehr
verwendet.
Eine weitere Therapie Applikation von Prostaglan-
din-E1 dar. Das Medikament wird vor dem Geschlechts-
verkehr als Kapsel in die Harnröhre eingebracht oder
3 in die Corpora cavernosa injiziert. Diese Schwellkör-
perautoinjektion (SKAT) zeigt eine sehr hohe Erfolgs-
rate von über 90%, hat jedoch häufig Komplikationen
wie Hämatome oder Verletzungen anatomischer Struk-
turen.
Eine mechanischer Ansatz sind Vakuumpumpen,
die durch Erzeugung eines Unterdrucks den Penis mit
Blut befüllen. Der Abfluss des Blutes wird im Anschluss
durch das Abbinden mit einem Gummiring verhindert.
. Abb. 3.13. Schnitt durch den Penisschaft. (Aus Reuter Liefert keine der konservativen Methoden harte Ergeb-
2007) nisse, bleiben noch operative Verfahren. Neben gefäß-
chirurgischen Maßnahmen wird v. a. die Implantation
von hydraulischen Schwellkörperprothesen mit Er-
Apparative Untersuchungen umfassen die Elek- folg durchgeführt. Mit dessen Hilfe kann man die
tromyographie der Schwellkörpermuskulatur und die Schwellkörperprothese über eine im Skrotum implan-
Überprüfung der unwillkürlichen Erektionen im Schlaf tierte Pumpe erigieren. Das Reservoir für die Hydrau-
per nächtlicher peniler Tumeszenzmessung (NPT). likflüssigkeit wird ins Becken implantiert.
Zum Ausschluss einer vaskulären Problematik dient
der Schwellkörperinjektionstest, der eine suffiziente ! Cave
Erektion durch die Infiltration mit Prostaglandin, Pa- Für PDE-5-Inhibitoren gibt es strenge Kontraindikatio-
paverin und Phentolamin auslösen soll. Zusätzlich nen. Dazu gehören Herz- und Gefäßerkrankungen,
kann die Durchblutung mittels Dopplersonographie, so wie die gleichzeitige Gabe von weiteren NO-Dona-
Angiographie und Phlebographie beurteilt werden. Er- toren oder anderen Medikamenten, die zur Relaxa-
gibt sich aus diesen Untersuchungen der Verdacht auf tion der glatten Muskelzellen dienen.
eine Schwellkörperinsuffizienz, so lässt sich dieser
durch die Punktion der Corpora cavernosa und Mes-
sung des maximal erreichbaren Drucks und Flows va- 3.8.3 Hydrozele und Spermatozele
lidieren.
3.8.3.1 Hydrozele
! Cave Definition. Unter einer Hydrozele versteht man eine
Eine Erektionsstörung sollte, auch wenn keine rele- Ansammlung von Flüssigkeit im Processus vaginalis
vanten Vorerkrankungen bekannt sind, nicht rein peritonei oder in der Tunica vaginals testis.
symptomatisch angegangen werden, da es sich stets
um die Primärmanifestation einer zugrunde liegen- Ätiopathogenese. Man unterscheidet kongenitale Hy-
den Systemerkrankung handeln kann. Aus diesem drozelen, die sich meist innerhalb des ersten Lebens-
Grund muss stets nach anderen Erkrankungen wie jahres zurückbilden und sekundären Hydrozelen. Se-
etwa Diabetes mellitus geforscht werden. kundäre Hydrozelen können Folge einer Entzündung,
einer Torsion oder auch eines Tumors sein.
Therapie. Therapieoptionen richten sich nach der zu-
grunde liegenden Problematik, der Schwere der Er- Symptomatik. Sie äußert sich in einer Skrotalschwel-
krankung und den speziellen Bedürfnissen des jeweili- lung, die jedoch abgesehen von einer gesteigerten
gen Patienten und reichen von der psychotherapeuti- Druckempfindlichkeit weitgehend schmerzlos ist.
schen Behandlung bis zur operativen Versorgung.
Bei Sildenafil (Viagra, Vardenafil und Tadalafil Diagnostik/Differenzialdiagnose. Hydrozelen lassen
handelt es sich um selektive Phosphodiesterase-5- sich relativ leicht anhand von Tastbefund und Sonogra-
Hemmer, die auf diese Weise die Relaxation der phie diagnostizieren und sind kaum mit Inguinalher-
Schwellkörpermuskulatur unterstützen. Im Gegensatz nien zu verwechseln.
3.8 · Andrologie
367 3

Therapie. Hydrozelen werden bei Symptomatik opera- 3.8.3.3 Varikozele


tiv verschlossen, sollten sie sich nicht von selbst zurück- Definition. Bei der Varikozele handelt es sich um eine
bilden. Krampfaderbildung im Bereich des Plexus pampinifor-
mis, des venösen Geflechts der Hoden und des Samen-
! Cave stranges. Durch die anatomischen Verhältnisse der
Bei Auftreten einer sekundären Hydrozele sollte im- Mündung der Hodenvene in die linke V. renalis tritt die
mer nach der Grunderkrankung gesucht werden. Varikozele meist linksseitig auf.
Durch die verursachte Skrotalschwellung können
Grunderkrankungen wie Entzündungen, Hodentor- Ätiopathogenese. Nierentumoren als Abflusshinder-
sionen oder Tumoren übersehen werden. Bei un- nisse sind seltene Ursachen, sollten aber bei rechtssei-
klaren Verhältnissen ist eine operative Freilegung tigen Varikozelen und bei älteren Männern diagnos-
des Hodens indiziert. tisch ausgeschlossen werden.

3.8.3.2 Spermatozele Symptomatik. Schwellung, Schweregefühl im Skrotum,


Definition. Mit spermienhaltiger Flüssigkeit gefüllte selten auch Schmerzen.
Retentionszyste in Nebenhoden oder Samenstrang.
Diagnostik. Die Diagnose wird duplexsonographisch,
Symptomatik/Diagnostik. Die Patienten berichten bei ausgeprägten Befunden palpatorisch während des
normalerweise von keinen Beschwerden, die Sperma- Valsalva-Pressversuchs gestellt.
tozele fällt im Ultraschall durch eine glatte Begren-
zung auf und sollte von einem Malignom unterschie- Therapie. Die Varikozele ist in den meisten Fällen nicht
den werden. therapiebedürftig, ausgeprägte Befunde können durch
beeinträchtigte Spermaqualität, Schmerzsymptomatik
Therapie. Eine operative Therapie ist nur bei Schmer- oder Schweregefühl im Hoden, oder aus kosmetischen
zen notwendig. Dann sollten entzündliche und neo- Gründen therapiepflichtig werden. Mehrere operative
plastische Differenzialdiagnosen ausgeschlossen wer- Methoden und Sklerosierungstechniken des Varizen-
den. geflechts stehen zur Verfügung.

In Kürze

Andrologische Krankheitsbilder

Sterilität 5 Definition: Sterilität liegt vor, wenn innerhalb eines Jahres bei regelmäßigem Geschlechts-
beim Mann verkehr ohne Verhütungsmaßnahmen keine Schwangerschaft erreicht wurde
5 Diagnostik: Spermiogramm, Vorerkrankungen, Sexualanamnese, Inspektion der äußeren
Genitale, Testosteron, FSH, LH und Prolaktin, Sonographie, evtl. auch Hodenbiopsie
5 Therapie: Behandlung der Grunderkrankung oder reproduktionstechnische Maßnahmen
wie intrauterine Insemination, In-vitro-Fertilisation, intrazytoplasmatische Spermien-
injektion

Erektile 5 Ätiopathogenese: psychosomatische Störung, kavernös-venöse Okklusionsstörung, arterio-


Dysfunktion sklerotischen Veränderungen, Polyneuropathie, Nervenverletzungen, multiple, im Alter
physiologisch abnehmenden Testosteron, Schilddrüsenfunktionsstörung, Prolaktinämie,
Medikamente wie hormonelle Präparate, β-Blocker, trizyklische Antidepressiva
5 Diagnostik: Sexualanamnese, Erfragen von Begleiterkrankungen, körperliche Untersu-
chung, neurologischer Status, hormonelle Störungen, Risikofaktoren für vaskuläre Erkran-
kungen. Elektromyographie der Schwellkörpermuskulatur, nächtliche penile Tumeszenz-
messung (NPT), Schwellkörperinjektionstest, Angiographie und Phlebographie
5 Therapie
– medikamentös: PDE-5-Inhibitoren, transurethrale Gabe von Prostaglandin-E1-Schwell-
körperinjektionstherapie
– operativ: gefäßchirurgische Maßnahmen oder Implantation von Schwellkörperprothesen

6
368 Kapitel 3 · Urologie

Hydrozele 5 Symptomatik: Skrotalschwellung, etwas druckschmerzhaft


5 Diagnostik: Tastbefund, Sonographie
5 Therapie: primäre Hydrozelen: Spontanheilung, ggf. operativer Verschluss. Sekundäre
Hydrozelen: Operation

3 Spermato- 5 Symptomatik: keine Beschwerden


zele 5 Diagnostik: sonographisches Bild und das Fehlen von Schmerzen
5 Therapie: Operation bei Schmerzen

Varikozele 5 Symptomatik: Schwellung, Schweregefühl, ggf. Schmerzen


5 Diagnostik: Duplexsonographie, Palpation während Valsalva
5 Therapie: operativ

3.9 Störungen der Blasenfunktion druck übersteigt. Ursachen können eine vermin-
derte Dehnbarkeit der Blase, ein Überdehnung der
3.9.1 Harninkontinenz Blase und die Ansammlung von Restharn aufgrund
einer Obstruktion sein.
Definition. Harninkontinenz ist der unwillkürliche 4 Extraurethrale Inkontinenz: meist kontinuier-
Urinverlust. Er ist objektivierbar und stellt ein soziales licher Urinverlust, meist ohne Beteiligung der
und hygienisches Problem dar. Die Inkontinenz lässt Harnröhre. Diese Form betrifft meist Frauen mit
sich in 3 Schweregrade einteilen: maligner Vorerkrankung oder postoperativen Hei-
4 Inkontinenz beim Husten, Niesen oder Pressen lungsstörungen. Beispiele sind vesikovaginale und
4 Inkontinenz bei Bewegung urethrovaginale Fisteln.
4 Inkontinenz schon im Liegen

Ätiopathogenese. Es kommen verschiedene Ursachen 3.9.2 Störung der Blasenentleerung


im Bereich der Sphinkter, der nervalen Versorgung und
auch des Detrusors in Frage. Man unterscheidet folgen- Ätiopathogenese. Ursachen für eine ungenügende
de Inkontinenzformen: Entleerung der Blasen können sowohl eine verminder-
4 Stressinkontinenz: Urinabgang der durch eine te Aktivität des Detrusors als auch eine Obstruktion der
Druckerhöhung im Abdomen bedingt ist (z. B. Harnröhre sein.
Husten, Pressen). Ursächlich dafür ist ein nicht aus-
reichender Verschlussdruck der Kontinenzmecha- ! Cave
nismen von Urethra und Blase. Blasenentleerungsstörungen stellen ein ernsthaftes
4 Urge-Inkontinenz, auch Dranginkontinenz: nicht Problem im Sinne einer Refluxuropathie dar. Sie kön-
unterdrückbarer Harndrang. Der Sphinkterapparat nen nicht nur zu einer Überlaufinkontinenz führen,
ist nicht gestört, der imperative Harndrang beruht sondern durch eine begleitende Harnstauung auch
auf einer Hyperaktivität des Detrusors (motorische die Retention harnpflichtiger Substanzen und eine
Form) beziehungsweise auf einer unwillkürlichen Nierenschädigung bis hin zur Schrumpfniere aus-
Relaxation der Urethra ohne Detrusor-Kontraktion lösen.
(sensorische Form).
4 Reflexinkontinenz: im Rahmen neurologischer Obstruktion. Man unterscheidet mechanische und
Erkrankungen (z. B. Querschnittslähmung ober- funktionelle Obstruktionen. Bei der mechanischen
halb S2). Im Gegensatz zur Urge-Inkontinenz ist Form ist ein tatsächliches Abflusshindernis zu finden.
die Sensibilität für die Füllung der Blase nicht mehr Es kann sich um Harnsteine in der Harnröhre genauso
vorhanden. Der Urin geht durch einen spinalen wie um krankhafte Veränderungen der Harnröhre
Miktionsreflex spontan ab. selbst handeln, etwa Harnröhrenklappen oder eine
4 Überlaufinkontinenz: durch eine Blasenentlee- Harnröhrenstriktur. Auch Raumforderungen, welche
rungsstörung erfolgt der Urinabgang, wenn der die Urethra von außen einengen, z. B. die Prostata-
Druck in der Blase den intakten Urethraverschluss- hyperplasie oder Prostatakarzinom, kommen in Frage.
3.9 · Störungen der Blasenfunktion
369 3

Eine funktionelle Obstruktion ist einer Dyssyner- lichen neurologischen Status erfolgen. Besonderes
gie zwischen Detrusor und Sphinkteren gleichzusetzen. Augenmerk gilt dabei der Sensibilität und Motorik im
Die Koordination zwischen Kontraktion des Detrusors Bereich des Urogenitaltraktes (z. B. Reiterhosenphäno-
und Relaxation der Verschlussmuskulatur ist dann ge- men, Reflexe wie Kremasterreflex L1/L2 und Bulboca-
stört. Ursache hierfür können unterschiedliche neuro- vernosusreflex S3/S4).
logische Krankheitsbilder wie multiple Sklerose oder Urologische Untersuchungen dienen der Klassifi-
eine Querschnittslähmung sein. zierung der Funktionsstörung, der Verlaufskontrolle
und der Aufdeckung von Komplikationen wie etwa
Verlust der Blasenkontraktilität. Kann der Detrusor Stauungsnieren. Zum Einsatz kommen Sonographie,
nicht mehr seine gewohnte Funktion erfüllen, führt Röntgenaufnahmen wie Urogramm und Urethrozysto-
dies zu einer ungenügenden Entleerung der Blase. Man graphie, Urodynamikmessungen und endoskopische
unterscheidet primäre und sekundäre Detrusorinsuffi- Beurteilung der Blase.
zienz. Bei der primären Form liegt eine neurogene Pro-
blematik zugrunde, so dass durch die gestörte Innerva- Therapie. Konservative Maßnahmen können Medika-
tion der Detrusor direkt betroffen ist. Die sekundäre mente wie Parasympathomimetika bei Hyperreflexie
Insuffizienz ist die Folge der Obstruktion des Harnab- oder α-Rezeptorenblocker bei einer erhöhten Sphink-
flusses. Die Muskulatur muss dann gegen einen erhöh- ter-Aktivität sein. Eine intermittierende Katheterisie-
ten Widerstand arbeiten, was durch die chronische rung stellt eine weitere Möglichkeit zur Blasenentlee-
Überforderung zu einer Störung des Detrusors führt. rung dar. Bei einer Reflexblase kann außerdem die
Triggerung des Reflexes an äußerliche Manipulationen
(z. B. Beklopfen des Unterbauchs) versucht werden.
3.9.3 Neurogene Blasenfunktions- Ist keine zufrieden stellende konservative Therapie
störungen möglich, bietet die operative Versorgung weitere Optio-
nen, die von der Denervierung der Blase über Stentein-
Definition. Unter neurogenen Blasenfunktionsstörun- lagen bis hin zu hydraulischen Verschlusssystemen
gen versteht man alle Entleerungsstörungen, die durch reichen. Bei Patienten mit Blasenentleerungsstörungen
eine neurologische Erkrankung bedingt sind. aufgrund von Spina bifida hat sich in urologischen
Zentren die Versorgung mit einem Mainz-Pouch I
Ätiopathogenese. Für eine normale Miktion muss das (7 Kap. 3.5.3) bewährt. Bei diesem Verfahren kann für
Zusammenspiel aus sensibler Innervation, Detrusor den Patienten das Risiko aszendierender Infektionen
vesicae und Sphincter externus gewährleistet sein. Stö- minimiert und gleichzeitig eine Kontinenz erreicht
rungen können jede dieser 3 Komponenten betreffen, werden.
daher betrachtet man zur Einteilung der unterschied-
lichen Entleerungsstörungen genau diese 3 Instanzen. Blasenentleerungsstörung wegen einer Querschnitts-
Die Ursache der neurologischen Störung kann in allen lähmung
Teilen des Nervensystems vom Hirn bis zu den peri- Bei durch einen Querschnitt verursachten Blasenentlee-
pheren Nerven lokalisiert sein. rungsstörungen lassen sich obere und untere neuromoto-
rische Läsionen unterscheiden. Eine obere Läsion führt zu
Symptomatik. Entleerungsstörung der Harnblase. einer Reflexblase, die willkürliche Kontrolle geht verloren
und die Entleerung erfolgt über den sakralen Reflexbogen.
Diagnostik. Bei Verdacht auf neurogene Blasenfunk- Eine untere Läsion, d. h. des sakralen Rückenmarks oder der
tionsstörungen muss die Suche nach neurologischen Cauda equina, setzt diesen Reflexbogen außer Kraft, es
Erkrankungen und Verletzungen über einen ausführ- kommt zu dem Bild einer schlaffen Blase.
370 Kapitel 3 · Urologie

In Kürze

Blasenfunktionsstörungen

Harninkontinenz Stressinkontinenz 5 Ätiologie: mangelnder Urethraverschluss


5 Symptomatik: Urinverlust bei abdomineller Druck-
3 erhöhung

Urge-Inkontinenz 5 Ätiologie: Hyperaktivität des Detrusors oder unwill-


kürliche Relaxation der Urethra
5 Symptomatik: imperativer Harndrang

Reflexinkontinenz 5 Ätiologie: Sensibilität für Füllung der Blase fehlt


5 Symptomatik: Urinabgang durch spinalen Reflex

Überlaufinkontinenz 5 Ätiologie: verminderte Dehnbarkeit, Überdehnung


der Blase, Ansammlung von Restharn
5 Symptomatik: Urinabgang wenn Druck in Blase
Urethraverschluss überwindet

Extraurethrale 5 Ätiologie: Fisteln


Inkontinenz 5 Symptomatik: kontinuierlicher Harnabgang

Störungen der Mechanische oder 5 Ätiologie: mechanisches Hindernis oder Dyssynergie


Blasenentleerung funktionelle Obstruktion zwischen Detrusor und Sphinkteren

Verlust der Blasen- 5 Ätiologie: gestörte Innervation oder sekundäre


kontraktilität Insuffizienz bei Obstruktion

Neurogene Blasen- 5 Symptomatik: Entleerungsstörung


funktionsstörung 5 Diagnostik: ausführliche neurologische Untersuchung,
Sonographie, Urogramm, Urethrozystographie,
Urodynamikmessungen, Zystoskopie
5 Therapie: Parasympathomimetika, α-Rezeptorenblocker,
intermittierende Katheterisierung, Triggerung des
Reflexes an äußerliche Manipulationen, Denervierung
der Blase, Stenteinlagen, hydraulischen Verschluss-
systeme

3.10 Fehlbildungen des Urogenital- vorkommen (Doppelniere, . Abb. 3.14). Während die
traktes/Kinderurologie bilaterale Nierenagenesie mit dem Leben nicht verein-
bar ist und bereits in der pränatalen Diagnostik durch
3.10.1 Fehlbildungen der Nieren ein Oligohydramnion auffällt, werden andere numeri-
sche Anomalien in der Regel als Zufallsbefund bei der
Fehlbildungen der Nieren werden unterteilt in Anoma- Sonographie oder im i.v. Urogramm entdeckt. Eine
lien der Lage, der Form und Größe, der Anzahl und Therapie ist zumeist nicht notwendig und erfolgt ggf.
zystische Anomalien. symptomatisch. Unter Zuhilfenahme der DMSA-Nie-
renszintigraphie (99mTechnetium-markierte Dimercap-
3.10.1.1 Numerische Anomalien tobernsteinsäure) lässt sich abklären, ob bei einer nu-
Neben einer unilateralen oder bilateralen Nierenagene- merischen Anomalie ektopes Nierengewebe bzw. eine
sie können in seltenen Fällen auch überzählige Nieren ektope Niere vorhanden ist.
3.10 · Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/Kinderurologie
371 3
3.10.1.3 Lageanomalien (Nierendystropie)
Lageanomalien sind zu unterteilen in Malrotationen
und Malpositionen. Eine isolierte Malrotation hat ihre
Ursache in einer unvollständigen Rotation während der
Embryogenese und besitzt in der Regel keinen Krank-
heitswert.
Auch eine Malposition ist zumeist ohne Krank-
heitswert für den Patienten, da sowohl die Gefäßversor-
gung als auch die Länge des Ureters den Erfordernissen
entspricht. Die Gefäßversorgung erfolgt dabei je nach
Lage aus der A. iliaca oder den kaudalen Teilen der
Aorta. Es zeigt sich jedoch eine geringfügige Häufung
von Harnabflussstörungen und Steinen bei diesen Fehl-
bildungen. Die Ursache für solche ektopen Nieren ist
ein verfrühtes Ende des Nierenaszensus, so dass am
häufigsten eine Lage lumbal oder im Becken resultiert.

Ektope Niere versus Senkniere


Eine ektope Niere kann leicht mit einer Nephroptose (Senk-
niere) verwechselt werden. In diesem Fall beruht die verän-
derte Lage jedoch nicht auf einer Störung in der Embryo-
genese, sondern auf einer abnormen Beweglichkeit der
Nieren. Da eine gewisse Beweglichkeit bei Lagewechsel
physiologisch ist, spricht man erst ab einer Veränderung
der Lagehöhe von mehr als zwei Wirbelkörpern von einer
Nephroptose. Weitere Unterscheidungskriterien sind die
. Abb. 3.14. Doppelniere links mit Ureter fissus (Infusionsu- nicht angemessene Länge des Ureters und der Gefäßver-
rogramm). Die Vereinigung beider Ureteren ist mit einer Pfeil- sorgung.
spitze markiert. (Aus Hautmann u. Huland 2006)
3.10.1.4 Verschmelzungsanomalien
Die Hufeisenniere ist die häufigste Verschmelzungs-
> Eine unilaterale Nierenagenesie ist in der Regel ein anomalie der Nieren, sie hat eine Inzidenz von 1:400.
Zufallsbefund und bleibt symptomlos. Erst ab dem Bei ihr sind beide Nieren durch eine Parenchymbrücke
Fehlen von etwa 75% des Nierengewebes kommt es verbunden, diese befindet sich in aller Regel am Unter-
zu einer progredienten Schädigung des Restgewe- pol der Nieren. Da der Ureter meist ventral über die
bes. Parenchymbrücke verläuft, entsteht eine Enge des Ure-
terabgangs, die für Harnwegsinfektionen und die Bil-
3.10.1.2 Anomalien von Form und Größe dung von Harnsteinen prädestiniert.
Auch eine hypoplastische Niere ist in der Regel symp- Hufeisennieren werden nur dann therapiert, wenn
tomlos und stellt einen Zufallsbefund dar, oft ist die sie Beschwerden verursachen. Man beschränkt sich
Niere der Gegenseite zur Kompensation hypertro- heutzutage meist auf die Therapie der Folgeerkran-
phiert. Von einer Nierenhypoplasie oder auch Zwerg- kungen, also der Harnwegsinfektionen und Steinleiden.
niere spricht man, wenn ihr Gewicht weniger als 50 g Eine operative Trennung der beiden Nieren ist möglich,
beträgt. Problematisch ist eine Nierenhypoplasie, wenn wird aber nicht mehr durchgeführt.
sie bilateral vorkommt. In diesem Fall zeigt sich bereits
im Kindesalter eine Niereninsuffizienz. Betroffene Kin- Kuchen-/Scheibennieren
der fallen durch Gedeihstörungen auf. Neben Hufeisennieren sind in seltenen Fällen auch Ver-
schmelzungen an den konvexen Seiten der Nieren bis hin
> Die Nierenhypoplasie ist von der Nierenatrophie zu zu kompletten Verschmelzungen zu beobachten. Diese
unterscheiden. Die sog. Schrumpfnieren haben ihre werden dann als Kuchen- oder Scheibennieren bezeich-
häufigsten Ursachen in Stenosen der Nierenarterien, net.
Pyelonephritiden oder Glomerulonephritiden und
müssen dementsprechend behandelt werden.
372 Kapitel 3 · Urologie

3.10.1.5 Zystische Anomalien der Nieren Szintigraphie, die keinerlei Anreicherung auf der be-
Nierenzysten troffenen Seite zeigt.
Definition. Zysten sind die bei weitem häufigste Fehl-
bildung der Nieren. Einfache Nierenzysten werden bei DMSA-Szintigraphie
ca. 50% aller Patienten über 50 Jahren gefunden und Die DMSA-Szintigraphie nutzt die Anreicherung der
99m
werden zumeist nicht größer als 2 cm. Technetium-markierten Dimercaptobernsteinsäure in
3 tubulären Zellen der Henle-Schleife zur Bildgebung durch
Ätiopathogenese. Die Zysten entstehen in der Regel im eine Kollimatorkamera. Es kann die Größe, die Anzahl und
Laufe des Lebens durch eine Abflussstörung eines Ne- die Funktion der Nierengewebe dargestellt werden, auch
phrons. akute und chronische Inflammationsprozesse lassen sich
differenzieren. Zusammen mit Ultraschallbefunden stellt
Diagnostik. Zysten sind normalerweise Zufallsbefunde die Methode eine hervorragende Diagnostik von Nieren-
in der Sonographie oder dem Urogramm. parenchymschäden dar.

Symptomatik. Zysten sind meist asymptomatisch, und Therapie. Die entsprechende Niere kann entfernt wer-
beeinträchtigen die Nierenfunktion nicht. Große Zys- den. Dies ist jedoch nur nötig, wenn sich eine durch die
ten können Nierenparenchym verdrängen oder den Größe der Niere bedingte Symptomatik zeigt. Teilweise
Ureterabgang komprimieren. Folgen sind eine Abfluss- wird eine Nierenresektion auch aufgrund einer kontro-
behinderung, Flankenschmerzen oder renaler Hyper- vers diskutierten Möglichkeit zur malignen Entartung
tonus. Auch die Ruptur einer Zyste ist in manchen Fäl- durchgeführt.
len nicht ausgeschlossen.
! Cave
Therapie. Eine Therapie ist nur im Falle von Komplika- Die multizystische Nierendysplasie ist vom multiloku-
tionen indiziert und kann durch sonographiegesteuerte lären zystischen Nephrom zu unterscheiden. Hier
Punktion und Verödung der Zyste erfolgen. Wegen der zeigt sich nur ein fokaler Befall der Niere mit erhal-
hohen Rezidivneigung dieser Methode sollte wenn tenem Nierengewebe, welches sich in der DMSA-
möglich eine perkutane Elektroresektion der Zysten- Szintigraphie nachweisen lässt. In diesem Fall besteht
wand beziehungsweise eine laparoskopische oder of- eine eindeutige Gefahr der malignen Entartung.
fene Resektion der Nierenzyste erfolgen.
Polyzystische Nierendysplasie
! Cave Diese auch als Zystenniere bezeichnete Erkrankung
Bei einer asymptomatischen Raumforderung in der tritt in zwei unterschiedlichen Formen auf, die sich im
Niere muss neben einer Nierenzyste auch ein Nieren- Erbgang unterscheiden und prognostisch unterschied-
zellkarzinom differenzialdiagnostisch in Betracht ge- lich zu beurteilen sind:
zogen werden. In der Sonographie lässt sich eine Zys- 4 Autosomal rezessive polyzystische Nierendege-
te von einem Karzinom v. a. durch einen echofreien neration: Diese Form wird bereits im Kindesalter
Binnenraum mit dorsaler Schallverstärkung gegenü- symptomatisch und wird daher auch als infantiler
ber dem inhomogenen Schallbild des Karzinoms ab- Typ bezeichnet. Mit einer Inzidenz von 1:40.000 ist
grenzen. sie sehr selten. Bereits vor der Geburt kann häufig
ein Oligohydramnion festgestellt werden, zum
Multizystische Nierendysplasie Zeitpunkt der Geburt zeigen sich massiv zystisch
Definition/Ätiopathogenese. Hier handelt es sich um vergrößerte Nieren, ein Potter-Syndrom und eine
die häufigste zystische Fehlbildung der Niere. Sie tritt Lungenhypoplasie. Häufig liegt gleichzeitig eine
einseitig auf, ist kongenital aber nicht erblich. Eine Missbildung der Periportalfelder der Leber vor. In
beidseitige Ausprägung ist mit dem Leben nicht verein- der Folge entwickelt sich eine rasch progrediente
bar. Niereninsuffizienz, die bereits nach wenigen Le-
bensmonaten zum Tode führt.
Diagnostik. Die Niere ist von Zysten unterschiedlicher 4 Autosomal dominante polyzystische Nierende-
Größe durchsetzt, besitzt keine funktionsfähigen Ne- generation: Sie wird auch als adulte Form bezeich-
phrone, ein dysplastisches Nierenbecken und einen net, da sie erst im Erwachsenenalter symptomatisch
Ureter, der zumeist ohne Lumen ausgebildet ist. Meist wird. Dann werden in beiden Nieren sowie in Le-
fallen multizystisch dysplastische Nieren bereits in der ber, Lunge, Milz und Pankreas Zysten beobachtet.
pränatalen Sonographie auf. Beweisend ist eine DMSA- Die Patienten fallen durch Flankenschmerzen, re-
3.10 · Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/Kinderurologie
373 3

nalen Hypertonus, Makrohämaturie und Nephro- dilatierten Beckens reseziert und anschließend eine
lithiasis auf. Im weiteren Verlauf werden ca. 50% Anastomose zwischen restlichem Ureter und Nieren-
aller Patienten über dem 70. Lebensjahr dialyse- becken hergestellt. In mehr als 3% der Fälle kommt es
pflichtig. Eine Therapie erfolgt symptomatisch zu einem Rezidiv.
durch die Bekämpfung von Harnsteinen und Harn-
wegsinfekten sowie die Dialyse bei progredienter > Ureterabgangsstenosen führen in 20% der Fälle zu
Niereninsuffizienz. Eine operative Therapie ist nur einer progredienten Verschlechterung der Nieren-
zur Bekämpfung der Symptome sinnvoll und be- funktion. Nur bei einer asymptomatischen Stenose
einflusst das Voranschreiten der Niereninsuffizienz kann daher unter ständiger Verlaufskontrolle zuge-
nicht wesentlich. Diese Form der polyzystischen wartet werden, eine symptomatische Abgangsste-
Nierendegeneration ist im Stadium der Insuffizienz nose muss operativ behandelt werden.
eine Indikation zur Transplantation.
3.10.2.2 Megaureter
> Die multizystische Nierendysplasie tritt meist nur Definition. Als Megaureter wird ein dilatierter Ureter
einseitig auf, die polyzystischen Nierendysplasien bezeichnet.
hingegen beidseits. Bei der autosomal dominanten
Form der polyzystischen Nierendysplasie treten Ätiopathogenese. Die häufigste Form ist der primär
häufig intrakranielle Aneurysmen auf, die in 9% der obstruktive Megaureter, die Obstruktion wird hier
Fälle aufgrund einer Subarachnoidalblutung tödlich durch ein aperistaltisches, stenosiertes Harnleiterseg-
enden. ment im distalen Teil verursacht. Im Gegensatz dazu
wird eine intra- oder infravesikale Obstruktion als se-
kundäre Obstruktion bezeichnet. Ein massiver Reflux
3.10.2 Fehlbildungen der Harnleiter führt über die Dilatation zum primär refluktiven Me-
gaureter. Ein idiopathischer Megaureter ist selten, hat
3.10.2.1 Nierenbeckenabgangsstenose seine Ursache in einer dysplastischen Ureterwand und
Definition. Es handelt sich um eine Abgangsenge des heilt teilweise im weiteren Wachstum ohne Interven-
Ureters, in deren Folge sich eine Dilatation des Nieren- tion aus.
beckens einschließlich der Nierenkelche entwickeln
kann. Symptomatik. Je nach Ausprägung und Alter des Pa-
tienten besteht die Symptomatik in rezidivierenden
Ätiopathogenese. Die Stenose ist in den meisten Fällen Harnwegsinfekten, Harnsteinen und Hämaturie. Bei
intrinsisch bedingt durch eine kongenitale Wandfehl- Säuglingen imponiert ein Megaureter häufig durch eine
bildung, kann aber auch extrinsisch sein. Mögliche Ur- Urosepsis.
sachen sind Tumoren, die den Ureter komprimieren,
entzündlich oder posttraumatisch entstandene Engstel- Diagnostik. Klinik. Sonographie, i.v. Urogramm und
len und als häufigste Ursache ein den Ureter überkreu- eine Miktionszysturethrogramm zum Ausschluss eines
zendes unteres Polgefäß. Reflux.

Symptomatik. Eine Ureterabgangsstenose kann bei Therapie. Die Therapie ist abhängig von der Art des
Kindern eine Gedeihstörung bedingen und verursacht Megaureters. Eine primäre distale Obstruktion wird
unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit und Er- exzidiert, bei einem primär refluxivem Megaureter
brechen. Flankenschmerzen, Hämaturie, rezidivieren- wird eine Refluxplastik durchgeführt. Sekundäre Me-
de Infektionen von Harnwegen und Nieren und Harn- gaureteren sollten durch die Beseitigung des Grundlei-
steine sind spezifischere Symptome. dens therapiert werden.

Diagnostik. In Sonographie und i.v. Urogramm zeigen


sich ein erweitertes Nierenbecken und verplumpte Nie- 3.10.3 Fehlbildungen der Harnblase
renkelche.
3.10.3.1 Harnblasenekstrophie
Therapie. Operative Beseitigung der Stenose. Dazu Definition/Ätiopathogenese. Durch eine Hemmungs-
werden sog. Nierenbeckenplastiken durchgeführt, wie missbildung eines Teils der vorderen Bauchwand und
etwa nach Anderson-Hynes. Hierbei wird der steno- der gesamten vorderen Blasenwand bildet die Blasen-
sierte Bereich des Ureters einschließlich eines Teils des hinterwand mit der Bauchhaut eine nach außen offene
374 Kapitel 3 · Urologie

Blasenplatte. Zudem tritt eine Spaltmissbildung des Dorsalseite des Penis. Bei Mädchen tritt sie als Klitoris-
Penis (Epispadie), der Klitoris und der Symphyse auf. und Symphysenspalte auf. Die Epispadie hat eine Häu-
Die Ursache besteht in einer gestörten embryonalen figkeit von weniger als 1:100.000, gehört jedoch zum
Entwicklung der Kloakenmembran, die mit einer Häu- Bild einer Blasenekstrophie.
figkeit von 1:30.000 auftritt und Jungen häufiger als
Mädchen betrifft. Therapie. In Frage kommen eine operative Harn-
3 röhrenplastik und der Verschluss der Spaltbildung in
Symptomatik. Folgen sind Inkontinenz, eine stark er- Frage.
höhte Anfälligkeit für aszendierende Infekte und fol-
gend die Gefahr einer progredienten Niereninsuffi- 3.10.4.2 Hypospadie
zienz. Auch das Risiko für Harnblasenkarzinome ist Definition/Ätiopathogenese. Unter der unteren Harn-
stark erhöht. röhrenspalte versteht man eine Mündung der Harn-
röhre proximal der normalen Mündung auf der Unter-
Therapie. Die Therapie erfolgt operativ. Der Verschluss seite des Penis. Es handelt sich um die häufigste Fehl-
der Blase sollte zur Infektionsprophylaxe erfolgen, die bildung der männlichen Genitale.
Herstellung der Kontinenz wird angestrebt. Eine supra-
vesikale Harnableitung, die Ureter-Darmimplantation, Symptomatik. Weiteres Kennzeichen ist die Chorda,
sowie zweizeitige Eingriffe mit primärem Blasenver- ein bindegewebiger Strang, der an die Stelle der distal
schluss und sekundärer Herstellung der Harnkontinenz der Mündung gelegenen Urethra tritt und zu einer
sind möglich. ventralen Krümmung des Penis führt, sodass bei star-
ker Ausprägung ein Geschlechtsverkehr unmöglich
! Cave wird.
Die operative Therapie der Blasenekstrophie sollte
so schnellstmöglich erfolgen, bei zweizeitigem Therapie. Operative Korrektur der Anomalie in den
Vorgehen erfolgt der erste Eingriff innerhalb weniger ersten Lebensjahren. Auf diese Weise soll ein normaler
Tage. Ferner sind lebenslange Kontrolluntersuchun- Geschlechtsverkehr und eine kosmetische Verbes-
gen zur frühzeitigen Diagnose von Karzinomen not- serung des äußeren Erscheinungsbildes erreicht wer-
wendig. den.

3.10.3.2 Urachuspersistenz 3.10.4.3 Harnröhrenklappen


Bleibt ein Verschluss des Urachus während der fetalen Definition/Ätiopathogenese. Harnröhrenklappen
Entwicklung aus, kommt es zur Urachuspersistenz. kommen nur bei Jungen und mit einer Häufigkeit von
Diese hat unterschiedliche Ausprägungen: ca. 1:6000 vor. Sie werden auch als hintere Harnröhren-
4 Ein persistierender Urachus führt zu einem Urin- klappen bezeichnet und sitzen in der Pars prostatica
abgang über den Nabel. urethrae.
4 Eine Urachuszyste entsteht, wenn sich nur der
mittlere Teil des Urachus nicht verschließt und sich Symptomatik. Harnröhrenklappen erhöhen den Wi-
im Verlauf durch eine Flüssigkeitsansammlung zu derstand bei der Miktion massiv und verursachen häu-
einer Zyste entwickelt. Problematisch ist dieser fig bereits vor der Geburt derartige Probleme, dass
Umstand, da sich Urachuszysten infizieren können schon bei Neugeborenen eine Niereninsuffizienz vor-
und außerdem zur malignen Entartung neigen. liegen kann.

Therapie. Die Therapie erfolgt in beiden Fällen durch Diagnostik. Die Diagnose erfolgt heute meist bei der
die Exzision des Urachus, im Fall der Urachuszyste un- intrauterinen Sonographie, bei der sich eine Dilatation
ter Mitnahme des anliegenden Peritoneums und des des oberen Harntrakts und Restharn in der Blase zeigt.
Nabels bei Vorliegen einer malignen Entartung. Nach der Geburt wird zur weiteren Abklärung ein Mik-
tionszystourethrogramm angefertigt

3.10.4 Fehlbildungen der Harnröhre Therapie. Die Therapie gestaltet sich zweiteilig. Im ers-
ten Schritt wird der Harn über einen Katheter abgelei-
3.10.4.1 Epispadie tet, bis sich die Nierenfunktion gebessert und die Dila-
Definition/Ätiopathogenese. Bei der oberen Harnröh- tation der Harnwege zurückgebildet hat. Im zweiten
renspalte bildet die Harnröhre eine offene Rinne an der Schritt werden die Harnklappen reseziert.
3.10 · Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/Kinderurologie
375 3

! Cave
Harnröhrenklappen sind in den meisten Fällen
schwere Erkrankungen, die einer sofortigen Therapie
bedürfen. Mehr als ein Drittel aller betroffenen Kinder
entwickelt eine Niereninsuffizienz.

Harnröhrendivertikel
Harnröhrendivertikel bezeichnet man als vordere Harnröh-
renklappen. Diese sacken sich bei der Miktion aus, ver-
schließen dadurch mit ihrem distalen Anteil den weiteren
Harnröhrenverlauf und behindern so den Urinabgang,
womit sie eine den Harnröhrenklappen entsprechende
Problematik verursachen.

3.10.5 Fehlbildungen der männlichen


Geschlechtsorgane

3.10.5.1 Maldescensus testis


Definition/Ätiopathogenese. Als Maldescensus oder
Hodendystopie bezeichnet man die abnorme Lage des
Hodens. Diese entsteht dadurch, dass die Anlage des
Hodens im 3. Schwangerschaftsmonat zunächst auf
Höhe der LWS erfolgt, und erst gegen Ende der Schwan-
gerschaft über den Leistenkanal in das Skrotum wan- . Abb. 3.15a–f. Hodendystopie. Hodenretentionen: a prä-
dert. Der Maldescensus kann sich in verschiedenen skrotal, b inguinal, c abdominell. Hodenektopien: d superfas-
Formen ausprägen (. Abb. 3.15): zial-inguinal, e und f femoral (nach Thüroff 1992). (Aus Haut-
4 Hodenretention, unvollständiger Descensus ent- mann u. Huland 2006)
lang des normalen Weges
4 Hodenektopie, Lage außerhalb des normalen
Weges Empfehlungen raten sogar zur noch früheren Opera-
4 Kryptorchismus, nicht palpapler und nicht voll tion. Zudem besteht ein stark erhöhtes Risiko der ma-
ausgebildeter Hoden lignen Entartung.
4 Gleithoden haben einen verkürzten Funiculus
spermaticus, lassen sich vom Untersucher ins Skro- 3.10.5.2 Phimose
tum ziehen, wandern aber spontan zurück Definition. Als Phimose wird eine ringartige Ein-
4 Pendelhoden gleiten frei zwischen Skrotum und engung der Vorhaut bezeichnet, so dass diese nicht
Leiste über die Glans penis zurückgeschoben werden kann.
Davon abzugrenzen ist die physiologische Verklebung
Therapie. Die Therapie kann in den ersten 1,5 Lebens- von Vorhaut und Glans, die sich in der Regel erst wäh-
jahren hormonell mit Hilfe von Gonadotropin-Relea- rend den ersten 3 Lebensjahren zurückbildet.
sing-Hormon-Analoga oder später mit hCG erfolgen.
Bei erfolgloser Hormontherapie folgt die operative Symptomatik. Eine Phimose kann zu diversen Proble-
Therapie durch Mobilisation des Samenstrangs (Funi- men wie etwa Harnwegsobstruktionen, die Retention
kololyse) mit anschließender Fixierung des Hodens im von Smegma oder Balanoposthitis führen.
Skrotum (Orchidopexie).
> Als Balanoposthitis bezeichnet man die Entzün-
! Cave dung der Glans penis und der Vorhaut. Ist nur
Die Therapie des Maldescenus sollte bis zum Ende die Glans betroffen, spricht man von Balanitis. Es
des zweiten Lebensjahres erfolgt sein, um einer mög- kommt zur fleckigen Rötung, zu Juckreiz, teils zu
lichen Infertilität und gestörten Testosteronproduk- Ausfluss. Verursacht werden beide meist durch
tion im Erwachsenenalter vorzubeugen. Aktuelle ungenügende Genitalhygiene, begünstigend sind
6 6
376 Kapitel 3 · Urologie

Phimose und Diabetes mellitus. Chronifizierung Therapie. Als operative Therapie kommt die Zirkum-
ist möglich und kann zur narbigen Verhärtung der zision in Frage, die in manchen Kulturkreisen auch
Vorhaut und zur Verstärkung einer vorbestehenden religiös motiviert durchgeführt wird. Aufgrund der Re-
Phimose führen. tention von Smegma und der Folge der Balanoposthitis
kann die Phimose auch als Faktor bei der Entstehung
Diagnostik. Blickdiagnose. eines Peniskarzinoms angesehen werden, falls sie nicht
3 entfernt wird.

In Kürze
Fehlbildungen des Urogenitaltraktes

Nieren- Nierenagenesie 5 Symptomatik: bilaterale Nierenagenesie mit dem Leben nicht


anomalien vereinbar
5 Therapie: symptomatisch, wenn nötig

Überzählige Nieren 5 Symptomatik: normalerweise symptomlos


5 Therapie: symptomatisch, wenn nötig

Hypoplastische 5 Symptomatik: Niereninsuffizienz und Gedeihstörung bei


Nieren bilateraler Nierenhypoplasie

Malrotation 5 Symptomatik: in der Regel kein Krankheitswert


5 Therapie: symptomatisch, wenn nötig

Malposition 5 Symptomatik: geringfügige Häufung von Harnabflussstörungen


und Steinen
5 Therapie: symptomatisch, wenn nötig

Hufeisenniere 5 Symptomatik: Enge des Ureterabgangs, dadurch Harnwegs-


infektionen, Bildung von Harnsteinen
5 Therapie: Behandlung der Folgeerkrankungen

Nierenzysten 5 Symptomatik: große Zysten: Abflussbehinderung, Flanken-


schmerzen, renaler Hypertonus
5 Therapie: wenn symptomatisch: Verödung der Zyste, perkutane
Elektroresektion der Zystenwand, laparoskopische oder offene
Resektion

Multizystische 5 Symptomatik: Funktionslosigkeit der betroffenen Niere


Nierendysplasie 5 Therapie: Resektion bei Beschwerden

Autosomal-rezessive 5 Symptomatik: rasch progrediente Niereninsuffizienz, Tod nach


polyzystische Nieren- wenigen Lebensmonaten
degeneration 5 Therapie: symptomatisch

Autosomal-dominante 5 Symptomatik: Beginn im Erwachsenenalter: Flankenschmerzen,


polyzystische Nieren- renaler Hypertonus, Makrohämaturie, Nephrolithiasis, Nieren-
degeneration insuffizienz
5 Therapie: symptomatisch, Dialyse

6
3.10 · Fehlbildungen des Urogenitaltraktes/Kinderurologie
377 3

Fehlbildun- Nierenbecken- 5 Symptomatik: Appetitlosigkeit, Erbrechen. Flankenschmerzen,


gen der abgangsstenose Hämaturie, rezidivierende Infekte, Harnsteine, Gedeihstörung
Harnleiter 5 Diagnostik: Sonographie, i.v. Urogramm
5 Therapie: Nierenbeckenplastik

Megaureter 5 Symptomatik: rezidivierende Harnwegsinfekte, Harnsteine,


Hämaturie, bei Säuglingen häufig Urosepsis
5 Diagnostik: Sonographie, i.v. Urogramm, Miktionszysturethro-
gramm
5 Therapie: Exzision der Obstruktion, Refluxplastik, Beseitigung
des Grundleidens

Fehlbildun- Harnblasenekstrophie 5 Symptomatik: Blasenplatte, Epispadie beziehungsweise


gen der Fehlbildung der Klitoris, Spaltbildung der Symphyse
Harnblase 5 Diagnostik: Blickdiagnose
5 Therapie: operativer Verschluss der Blase, Herstellung der
Kontinenz

Urachuspersistenz 5 Symptomatik: Urinabgang über Nabel oder Urachuszyste


5 Diagnostik: Sonographie, Urographie
5 Therapie: Exzision des Urachus

Fehlbildun- Epispadie 5 Symptomatik: Rinne an der Dorsalseite des Penis bzw. Klitoris-
gen der und Symphysenspalte
Harnröhre 5 Diagnostik: Blickdiagnose
5 Therapie: Harnröhrenplastik, Verschluss der Spaltbildung

Hypospadie 5 Symptomatik: Mündung der Harnröhre auf der Unterseite des


Penis, Chorda
5 Diagnostik: Blickdiagnose
5 Therapie: operative Korrektur

Harnröhrenklappen 5 Symptomatik: massive Obstruktion, oft schon bei Neugeborenen


Niereninsuffizienz
5 Diagnostik: intrauterine Sonographie, Miktionszystourethro-
gramm
5 Therapie: Harnableitung über Katheter, bis sich die Nierenfunk-
tion gebessert hat, Resektion der Harnklappen

Fehlbildun- Maldescensus testis 5 Symptomatik: Abnorme Lage des Hodens


gen der 5 Diagnostik: Inspektion, Sonographie
männlichen 5 Therapie: Gn-RH-Analoga in den ersten 1½ Lebensjahren später
Genital- mit HCG. Bei Therapieversagen Mobilisation des Samenstrangs
organe (Funikololyse) und Fixierung des Hodens im Skrotum (Orchido-
pexie)

Phimose 5 Symptomatik: Einengung der Vorhaut


5 Diagnostik: Blickdiagnose
5 Therapie: Zirkumzision
378 Kapitel 3 · Urologie

3.11 Urologische Verletzungen Therapie. Operativ durch Drainage des Hämatoms


und Notfälle und anschließender Rekonstruktion der Schwellkör-
per.
3.11.1 Penis
Weitere Verletzungen des Penis
3.11.1.1 Priapismus Neben der »Penisfraktur« gibt es natürlich eine Vielzahl wei-
3 Definition. Schmerzhafte Dauererektion bei fehlender tere Verletzungen des Penis, die als Folge unterschiedlichs-
Libido. ter Unfälle oder autoerotischer Praktiken entstehen kön-
nen. Sie reichen von Ablederungsverletzungen bis hin zu
Ätiopathogenese. Man unterscheidet High-flow-Typ kompletten Amputationen. Das Therapieprinzip besteht
(10%) und Low-flow-Typ (90%). Beim Low-flow-Typ immer in einer adäquaten Wundversorgung und einer
ist der Abfluss aus den Schwellkörpern reduziert, folg- bestmöglichen Rekonstruktion im Rahmen der medizi-
lich zeigen sich venöse Werte in der Blutgasanalyse. nischen Möglichkeiten.
Dies ist die schmerzhaftere Variante. Beim High-flow-
Typ besteht eine erhöhte arterielle Perfusion, was zu 3.11.1.3 Paraphimose
arteriellen Werten in der Blutgasanalyse führt. Die Ur- Definition. Kommt es zu einer Einklemmung der Vor-
sache des Priapismus ist in 60% der Fälle idiopathisch, haut in den Sulcus coronarius, spricht man von einer
er kann aber auch durch Tumoren, Medikamente, Paraphimose.
Stoffwechsel- und Blutkrankheiten wie Sichelzellanä-
mie, Thalassämie oder Leukämien verursacht werden. Ätiopathogenese. Sie entsteht durch eine zu enge, zu-
rückgestreifte Vorhaut. Eine Phimose ist der wichtigste,
Symptomatik. Dieser Zustand ist in der Regel schmerz- prädisponierende Faktor.
haft, eine willkürliche Miktion ist dennoch möglich, da
Glans penis und Corpus spongiosum urethrae nicht Symptomatik. Die nun folgende Kompression der in
von der Erektion betroffen sind. die Glans penis führenden Gefäße führt zu einem
schmerzhaften Ödem der Glans penis, welches zu einer
Therapie. Die konservative Therapie besteht in Punk- weiteren Verschlimmerung der Situation führt, die bis
tion der Corpora cavernosa, ggf. mit einer zusätzlichen hin zu einem arteriellen Verschluss mit folgender
Spülung mit Heparin oder einem Vasokonstriktivum. Gangrän führen kann.
Bleiben diese Versuche erfolglos, muss die operative
Anlage eines Shunts erfolgen. Dieser erfolgt zwischen Diagnostik. Blickdiagnose.
den Corpora cavernosa und entweder Glans penis,
den Harnröhrenschwellkörpern oder der V. saphena Therapie. Eine schnelle Therapie dieser Situation ist
magna. unbedingt nötig. In der Frühphase genügt oft ein Aus-
drücken des Ödems, um die Reposition der Vorhaut zu
! Cave ermöglichen. Ist diese sehr schmerzhafte Vorgehens-
Die Therapie des Priapismus sollte umgehend erfol- weise erfolglos, muss die Engstelle operativ beseitigt
gen, da bei längerem Bestehen Gefahr der erektilen werden. Dazu wird die Vorhaut auf der dorsalen Seite
Dysfunktion oder des Entstehens einer Thrombose in Längsrichtung des Penis gespalten und anschließend
besteht. quer vernäht. Um ein späteres Rezidiv zu vermeiden,
sollte dem Patienten auf alle Fälle zur Zirkumzision ge-
3.11.1.2 Penisfraktur raten werden.
Definition. Als Penisfraktur oder Penisruptur wird der
Riss der Tunica albuginea/Corpora cavernosa bezeich- ! Cave
net. Die Paraphimose zählt zu den urologischen Notfällen
und sollte zur Verhinderung einer Gangrän der Glans
Ätiopathogenese. Gewalteinwirkung auf den erigier- penis umgehend behandelt werden.
ten Penis, vorwiegend beim Geschlechtsverkehr.

Symptomatik. Es zeigt sich ein schmerzhafter, abge- 3.11.2 Hoden und Skrotum
knickter Penis mit deutlicher Hämatombildung und
Schwellung, evtl. kann auch die Harnröhre mitverletzt 3.11.2.1 Hodentorsion
sein. Definition. Stieldrehung des Hodens.
3.11 · Urologische Verletzungen und Notfälle
379 3

Symptomatik/Diagnostik. Die Hodentorsion ist durch


plötzlich einsetzende stärkste Schmerzen bei einem
Hochstand gekennzeichnet, auch eine Kombination
mit Übelkeit, Erbrechen und abdominellen Schmerzen
kann vorkommen. In der klinischen Untersuchung zu-
sätzlich Schwellung des Hodens selbst.

Therapie. Operative Freilegung und anschließende


Aufhebung der Torsion. Zusätzlich sollte eine Orchipe-
xie für beide Hoden durchgeführt werden, da für den a b c
zweiten Hoden ein stark erhöhtes Torsionsrisiko be-
steht. . Abb. 3.16. Formen der Hodentorsion. (Aus Reuter 2007)

! Cave
Wird die Torsion des Hodens und damit die fehlende
Versorgung nicht innerhalb weniger Stunden aufge- Ätiopathogenese. Nierenverletzungen entstehen durch
hoben, wird der Hoden unweigerlich nekrotisch und direkte oder indirekte Traumen. Beispiele für die di-
kann nicht mehr erhalten werden. Aus diesem Grund rekte Verletzung wären Schläge oder Tritte wie ein Huf-
ist auch beim Verdacht auf eine Hodentorsion eine schlag, ein indirektes Trauma wäre ein Sturz aus großer
rasche diagnostische Freilegung des Hodens indiziert. Höhe. Nierenverletzungen kommen häufig im Rahmen
des Polytraumas vor.

3.11.2.2 Hydatidentorsion Symptomatik/Diagnostik. Neben dem klinischen Bild


Definition. Torsion eines Anhängsels wie des Appendix (Traumafolgen) bieten eine Hämaturie und ein Abfall
testis (Morgagni-Hydatide). des Hämoglobinwertes einen Hinweis auf eine solche
Verletzung. Weiteren Aufschluss über die Verletzung
Symptomatik. Die Hydatidentorsion zeigt sich mit können Sonographie, CT und MRT geben. Ein i.v. Uro-
ähnlicher Symptomatik wie die Hodentorsion. Bei ca. gramm ist eine wichtige Untersuchung, um Extravasate
30% aller wegen des Verdachts auf Hodentorsion ope- nachweisen zu können, was von entscheidender Bedeu-
rativ freigelegten Hoden wird eine Hydatidentorsion tung für die Therapie ist.
entdeckt. Im Vergleich zur Hodentorsion sind die
Schmerzen häufig weniger stark ausgeprägt und für ei- Therapie. Bei leichten Kontusionen ohne Extravasate
nen kürzeren Zeitraum anhaltend. kann bei strenger Bettruhe und engmaschiger Verlaufs-
kontrolle auf eine Operation verzichtet werden. Ein
Diagnostik. Klinische Untersuchung, vorliegender Be- Stielabriss oder Extravasate im Ausscheidungsuro-
fund bei Operation. gramm sind eine Indikation zur Operation. Häufig ist
eine Nephrektomie nicht zu vermeiden.
Therapie. Abtragung der betroffenen Hydatide.
! Cave
Da Nierenverletzungen im Rahmen eines Polytraumas
3.11.3 Verletzungen der Niere übersehen werden können, muss immer ein Dauerka-
theter gelegt werden. Ein Nierenstielabriss ist zwar
Definition. Man unterscheidet die Verletzungen wie eine schwerste Nierenverletzung, die unbehandelt
folgt: zum Organverlust führt, macht sich jedoch nicht in
4 Nierenkontusion: leichte Verletzung des Paren- einer entsprechend dringlichen Symptomatik be-
chyms, evtl. mit einer Hämaturie und subkapsu- merkbar.
lärem Hämatom, keine Ruptur von Parenchym
oder Kapsel
4 Parenchymeinriss: Ruptur im Bereich des Paren- 3.11.4 Niereninfarkt
chyms mit oder ohne subkapsulärem Hämatom
4 Einriss von Nierenkelch oder Nierenbecken Definition. Der Niereninfarkt stellt meist eine ischä-
4 Nierenstielverletzung: Verletzung der Gefäßver- mische Nekrose als Folge eines arteriellen Gefäßver-
sorgung der Nieren, teilweise als kompletter Abriss schlusses dar.
380 Kapitel 3 · Urologie

Ätiopathogenese. Meist sind embolische Verschlüsse ! Cave


kleinerer Nierenarterien (A. interlobaris, A. corticalis Harnverhalt und Anurie dürfen nicht gleichgesetzt
radiata) ursächlich. Da diese funktionelle Endarterien werden. Zwar wird in beiden Fällen kein Urin ausge-
sind, sind keilförmige Gewebsuntergänge die Folge. schieden, bei Harnverhalt besteht jedoch lediglich
Seltene Ursachen sind die Aortendissektion und die ein mechanisches Abflusshindernis, bei der Anurie
akzidentelle Ligatur von Nierengefäßen. eine fehlende Harnproduktion zugrunde.
3
Symptomatik. Das Beschwerdebild reicht vom kleinen, 3.11.5.2 Blasenverletzungen
symptomfreien Infarkt über Flankenschmerzen, Mi- Ätiopathogenese. Harnblasenverletzungen sind in der
kro- und Makrohämaturie bis hin zum akuten Nieren- Regel Folge von stumpfen Bauchtraumen, die zur Rup-
versagen mit terminaler Urämie bei bilateralem Ver- tur der Blase führen, oder von Beckenfrakturen, bei
schluss großer Gefäße. denen die Blase durch ein Knochenfragment verletzt
wird. Natürlich kommen auch iatrogene Verletzungen
Diagnostik. Die Diagnose wird mittels Duplexsonogra- z. B. bei einer transurethralen Blasenresektion genauso
phie, CT oder MRT gesichert. wie sonstige Stichverletzungen vor.

Therapie. Indiziert sind Antikoagulation, systemische Symptomatik. Das wichtigste Symptom der Blasenver-
Lysetherapie, symptomatische Therapie, ggf. operative letzung ist die Makrohämaturie nach einem Trauma.
Revaskularisation. Zusätzlich werden v. a. Schmerzen bis hin zum Perito-
nismus bei einer intraperitonealen Entleerung von evtl.
infiziertem Harn berichtet.
3.11.5 Blase
Diagnostik. Zur Abklärung einer Blasenverletzung
3.11.5.1 Akuter Harnverhalt kann die röntgenologische Suche unter Kontrastmittel-
Definition. Der Harnverhalt bezeichnet das Unvermö- gabe dienen (Urethozystographie).
gen, die Blase entleeren zu können.
Therapie. Möglichst rascher operativer Verschluss der
Ätiopathogenese. Die häufigste Ursache für eine me- Ruptur durch Übernähung. Nur bei kleinen extraperito-
chanische Obstruktion ist ein Prostataadenom, aber nealen Verletzungen kann eine Selbstheilung abgewartet
auch Karzinome, (iatrogene) Verletzungen, Blasenstei- werden, während der Urin per Katheter abgeleitet wird.
ne u. a. können verantwortlich sein. Statt der mecha-
nischen Obstruktion kann auch eine neurogene Blasen- ! Cave
entleerungsstörung in der Folge z. B. eines spinalen Intraperitoneale Blasenverletzungen bedürfen einer
Schocks oder Medikamentengabe einen Harnverhalt sofortigen operativen Versorgung, da sonst die Ge-
verursachen. In diesen Fällen werden in der Regel oft fahr einer nicht beherrschbaren Peritonitis mit leta-
keine starken Schmerzen angegeben, da nicht nur Mo- lem Ausgang besteht.
torik, sondern auch Blasensensibilität beeinträchtigt
sein kann. 3.11.5.3 Blasentamponade
Definition/Ätiopathogenese. Als Blasentamponade
Symptomatik. Der akute Harnverhalt geht in der Regel wird eine nicht spontan ausscheidbare Füllung der Bla-
mit starken Schmerzen im Unterbauch und einem für se mit Blutkoageln und Harn bezeichnet. Diese Blutge-
den Patienten kaum zu ertragenden Harndrang ein- rinnsel sind als Grund für den gestörten Abfluss anzu-
her. sehen und entstehen durch eine starke Blutung als Fol-
ge von Tumoren oder Verletzungen, beispielsweise
Diagnostik. In der Untersuchung ist die pralle, schmerz- durch transurethrale Resektionen oder stumpfe Bauch-
hafte Blase tastbar. traumen.

Therapie. Als erste therapeutische Maßnahme ist die Symptomatik. Die Symptomatik entspricht der eines
Harnableitung per Katheter indiziert. Diese kann trans- akuten Harnverhalts mit den Schmerzen und als kuge-
urethral oder, falls dies nicht möglich ist, auch supra- ligem Tumor tastbarer Blase im Unterbauch.
pubisch erfolgen. Nach der Beseitigung der akuten
Notsituation sollten weitere Diagnostik und die ursäch- Therapie. Therapeutisch kommt eine Entleerung der
liche Therapie erfolgen. Blase mit einem Resektionsschaft oder einem Spülka-
3.11 · Urologische Verletzungen und Notfälle
381 3

theter in Frage. Eine Ableitung durch gewöhnliche Ka- 3.11.7 Urosepsis


theterisierung ist wegen der Blutgerinnsel nicht suffi-
zient. Definition. Unter einer Urosepsis versteht man eine von
einem Nierenherd ausgehende Sepsis/Septikämie, vor-
wiegend verursacht durch gramnegative Keime.
3.11.6 Verletzungen der Harnröhre
Ätiopathogenese. Mehr als die Hälfte aller Fälle wer-
Ätiopathogenese. Verletzungen kommen in allen Ab- den durch Escherichia coli verursacht, es kommen aber
schnitten der Harnröhre vor. Die häufigste Ursache ei- auch Klebsiellen, Proteus, Pseudomonas und andere
ner Verletzung ist die falsche transurethrale Katheteri- Enterobakterien in Betracht. Häufig entsteht eine Uro-
sierung, aber auch bei transurethralen Resektionen sepsis im Rahmen einer abszedierenden Pyelonephri-
können iatrogene Verletzungen entstehen. Bei den tis. Begünstigend wirken eine obstruktive Erkrankung
nicht-iatrogenen Verletzungen sind besonders die Be- der Harnwege oder operative Eingriffe im Urogenital-
ckenringfrakturen als Ursache zu erwähnen. Diese be- trakt. Eine Immunschwäche erhöht die Wahrschein-
dingen Traumen der hinteren Harnröhre, die meist lichkeit der Ausbildung des Vollbilds einer Urosepsis.
durch Abscherung des im Diaphragma urogenitalen
fixierten Teils verursacht sind und sowohl sub- als auch Symptomatik. Der Patient hat die typischen Zeichen
supradiaphragmal liegen können. Die Kontinuität der eines septischen Schocks mit hohem Fieber, Schüttel-
Harnröhre kann komplett unterbrochen sein. frost, Tachykardie, Blutdruckabfall, Oligurie bis Anurie
und metabolischer Azidose. Im weiteren Verlauf zeigen
Symptomatik. Das häufigste Symptom ist eine Blutung sich kalte Extremitäten, livide Hautverfärbung und eine
aus dem Harnröhrenausgang. Aber auch ein Harnver- Verbrauchskoagulopathie.
halt kommt nicht selten vor. Hintere Harnröhrenverlet-
zungen können ein Hämatom im Skrotum verursachen, Diagnostik. Der die Sepsis verursachende Keim muss
wenn sie subdiaphragmal liegen, supradiaphragmale durch Blut- und Urinkultur identifiziert werden. Ab-
Verletzungen erzeugen dagegen eher ein Hämatom im flussstörungen und Abszesse lassen sich mit Hilfe von
kleinen Becken. Sonographie, i.v. Urogramm und CT, MRT oder Abdo-
menübersichtsaufnahmen erkennen.
Diagnostik. Hämatome im kleinen Becken lassen sich
genauso wie Urinansammlungen sonographisch erfas- ! Cave
sen. Die wichtigste apparative Untersuchung ist ein Eine Blut- oder Urinkultur muss vor Antibiotikagabe
Urethrozystogramm, da sich mit dieser Kontrastmittel- angelegt werden, evtl. ist die Erstellung eines Keim-
untersuchung Verletzungen am besten erkennen und spektrums nicht möglich und damit eine spezifische
lokalisieren lassen. antibiotische Therapie erschwert.

Therapie. Zur Therapie kleiner Einrisse im vorderen Therapie/Prognose. Wichtig ist eine sofortige Thera-
Teil der Harnröhre genügt eine Katheterisierung für pieeinleitung, sonst ergibt sich eine Zunahme der Leta-
einige Wochen, bis der Defekt ausgeheilt ist. Schwere lität. Therapeutische Maßnahmen sind Antibiotikaga-
Verletzungen wie Harnröhrenabrisse im hinteren Teil be, Kreislaufstabilisierung, Ausgleich der Azidose, Be-
der Harnröhre müssen hingegen operativ versorgt wer- seitigung der zugrunde liegenden Obstruktion oder des
den, neben der primären Naht ist auch eine verzögerte Abszesses. Bei Bedarf ist eine Hämofiltration indiziert,
Operation mit vorheriger suprapubischer Katheterisie- im Falle einer Verbrauchskoagulopathie die Substitu-
rung möglich. Die erzielten Ergebnisse sind aber häufig tion der Gerinnungsfaktoren. Trotz allen intensivmedi-
unbefriedigend, da in bis zu 25% der Fälle mit einer zinischen Maßnahmen hat die Urosepsis eine hohe
postoperativen Harnröhrenstrikur zu rechnen ist. Fer- Letalität, die bei spätem Therapiebeginn über 50% lie-
ner treten auch Impotenz und Inkontinenz als Kompli- gen kann.
kation jeweils mit einer Häufigkeit bis zu 15% auf.

! Cave 3.11.8 Akute ulzeröse Genitalgangrän


Ein transurethraler Katheter ist vor Abklärung einer
möglichen Harnröhrenverletzung zur Vermeidung zu- Definition/Ätiopathogenese. Die akute ulzeröse Geni-
sätzlicher Komplikationen kontraindiziert. Im Zweifel talgangrän ist eine seltene, aber schwerwiegende Not-
suprapubisch ableiten! fallsituation, z. B. die nekrotisierende Fasziitis. Es han-
382 Kapitel 3 · Urologie

delt sich um eine fulminante und akut beginnende ne- dosis-Antibiose unumgänglich ist. Meist ist eine groß-
krotisierende Entzündung des subkutanen und zügige operative Nekrosenausschneidung erforderlich,
epifaszialen Weichteilgewebes im Genitalbereich, im wobei die Hoden bis zur plastischen Rekonstruktion
Perineum und der Perianalregion. Die Infektion scheint des zerstörten Skrotums in subkutane Oberschenkelta-
meist polymikrobieller Ursache (Streptokokken, Sta- schen verlagert werden. Sofortige Intervention ist drin-
phylokokken, fusiforme Bakterien, Spirochäten) zu gend erforderlich, es drohen schwere Allgemeinkom-
3 sein, meist werden aerob-anaerobe Mischfloren gefun- plikationen mit Muskelnekrosen bis zum septischen
den. Prädisponierend wirken Systemerkrankungen, Schock.
lokale Traumata und vorangegangene Operationen
(Zirkumzision!). ! Cave
Entscheidend für das Überleben des Patienten mit
Symptomatik. Die Infektion ist extrem schmerzhaft Fournier-Gangrän/nekrotisierender Fasziitis ist die
und beginnt mit hohem Fieber. frühzeitige Diagnose. Da keine beweisenden La-
borparameter existieren, wird die Diagnose primär
Diagnostik. Primär klinische Diagnostik, da bewei- klinisch gestellt. Leitsymptom ist der extrem starke
sende Laborparameter fehlen. lokale Schmerz durch die Faszienischämie (»pain
out of proportion«) ohne makroskopische Hautver-
Therapie. Die sich rasch ausdehnende Gangrän kann änderung. Da die Erreger über kleinste Läsionen
zur irreversiblen Zerstörung von Skrotal- und Penis- eindringen können, sind Traumen oft nicht erin-
haut sowie Schwellkörpern führen, weshalb eine Hoch- nerlich!

In Kürze
Urologische Verletzungen und Notfälle

Notfälle und Priapismus 5 Symptomatik: Dauererektion bei fehlender Libido


Verletzungen 5 Komplikationen: erektile Dysfunktion, Thrombose
des Penis 5 Therapie: Punktion der Corpora cavernosa oder Anlage eines
Shunts

Penisfraktur 5 Symptomatik: abgeknickter Penis mit deutlicher Hämatom-


bildung
5 Komplikationen: erektile Dysfunktion, Harnröhrenstriktur
bei Beteiligung
5 Therapie: Drainage des Hämatoms, Rekonstruktion der Schwell-
körper

Paraphimose 5 Symptomatik: Einklemmung der Vorhaut in den Sulcus


coronarius
5 Komplikationen: Ödem, Gangrän
5 Therapie: manuelle Reposition, Inzision der Engstelle, Zirkum-
zision zur Prophylaxe

Notfälle und Hodentorsion 5 Symptomatik: plötzlich stärkste Schmerzen, Hodenhochstand,


Verletzungen Übelkeit, Erbrechen, abdominellen Schmerzen, Schwellung des
des Hodens Hodens, evtl. Prehn-Zeichen
5 Komplikationen: Nekrose des Hodens
5 Therapie: Aufhebung der Torsion, Orchipexie

Hydatidentorsion 5 Symptomatik: ähnlich der Hodentorsion, aber weniger


Schmerzen
5 Komplikationen: Nekrose der Hydatide
5 Therapie: Abtragung der betroffenen Hydatide
6
3.11 · Urologische Verletzungen und Notfälle
383 3

Nieren- Nierenkontusion, 5 Diagnostik: Hämaturie, Abfall des Hämoglobinwertes, Sono-


verletzungen Parenchymeinriss, graphie, CT, MRT, i.v. Urogramm
Einriss von Kelch 5 Therapie: leichte Kontusionen konservativ, bei Extravasaten
oder Becken, Nieren- oder Stielverletzungen operativ
stielverletzung
Notfälle und Harnverhalt 5 Symptomatik: Unvermögen, die Blase entleeren, Schmerzen,
Verletzungen quälender Harndrang, tastbare Blase
der Blase 5 Komplikationen: Nierenversagen
5 Therapie: transurethrale oder suprapubische Katheterisierung,
später Bekämpfung der Ursache

Verletzungen 5 Symptomatik: Makrohämaturie, Schmerzen, Peritonismus


5 Komplikationen: Peritonitis
5 Therapie: Übernähung der Ruptur, bei kleinen extraperitonealen
Verletzungen konservative Behandlung, Ableiten des Urins

Blasentamponade 5 Symptomatik: nicht spontan ausscheidbare Füllung der Blase


mit Blutkoageln und Harn, Symptome wie Harnverhalt
5 Komplikationen: Nierenversagen
5 Therapie: Entleerung mit Resektionsschaft oder Spülkatheter

Verletzungen 5 Symptomatik: Blutung aus dem Harnröhrenausgang, Harn-


der Harnröhre verhalt, Hämatom im Skrotum, Hämatom und Urin im kleinen
Becken
5 Diagnostik: Sonographie, Urethrozystogramm
5 Komplikationen: Harnröhrenstriktur, Inkontinenz, Impotenz
5 Therapie: Katheterisierung, bei schwereren Verletzungen Naht

Urosepsis 5 Symptomatik: hohes Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie, Blut-


druckabfall, Oligurie bis Anurie, metabolischer Azidose, später
kalte Extremitäten, livide Hautverfärbung, Verbrauchskoagulo-
pathie
5 Diagnostik: Blut- und Urinkultur, Sonographie, i.v. Urogramm,
Abdomenübersicht
5 Therapie: sofortige intensivmedizinische Maßnahmen und Anti-
biose, Hämodilution, Substitution von Gerinnungsfaktoren, Be-
seitigung des Grundleidens

Akute ulzeröse 5 Symptomatik: extrem schmerzhaft, hohes Fieber


Genitalgangrän 5 Diagnostik: Klinik
5 Therapie: Hochdosis-Antibiose, operative Nekrosenausschnei-
dung
384 Kapitel 3 · Urologie

3.12 Dialyse und Nieren- 3.12.1.2 Peritonealdialyse


transplantation Bei der Peritonealdialyse dient das Peritoneum als
Dialysator. Über einen Katheter wird eine Spüllö-
Dialyse und Nierentransplantation stellen wichtige sung in das Abdomen geleitet. Dort diffundieren die
Therapieoptionen der fortgeschrittenen, chronischen harnpflichtigen Substanzen über das Peritoneum in
Niereninsuffizienz dar. die Spüllösung, welche anschließend wieder entfernt
3 wird.
Die technische Durchführung geschieht in unter-
3.12.1 Dialyse schiedlichen Varianten:
4 Kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse
3.12.1.1 Hämodialyse (»CAPD«): Dem Patienten werden etwa 4 mal täg-
Für die Hämodialyse macht man sich die Gesetze der lich 2 l Spüllösung über einen an den Katheter an-
Diffusion und Osmose zunutze. Das Blut des Patienten geschlossenen Beutel zugeführt und durch densel-
wird durch eine semipermeable Membran an einer Lö- ben Beutel wieder entzogen.
sung mit physiologischer Zusammensetzung vorbeige- 4 Kontinuierliche zyklische Peritonealdialyse: Hier
leitet. Da diese Membran für niedermolekulare Stoffe erfolgt der Austausch der Spüllösungen über eine
durchlässig ist, kommt es zu einer Diffusion der harn- Maschine automatisch in der Nacht.
pflichtigen Substanzen vom Blut in das Dialysat.
Dieser Vorgang läuft im sog. Dialysator ab. Zur > Die CAPD ist technisch einfacher umzusetzen,
technischen Durchführung der Blutreinigung muss ein eignet sich auch für den Gebrauch zuhause und
geeigneter Zugang vorhanden sein, um die benötigten bietet geringere Konzentrationsschwankungen
Blutmengen umsetzen zu können. Für die einmalige der harnpflichtigen Substanzen im Blut, hat aber
Dialyse kann dazu eine große Vene wie die V. jugularis gleichzeitig den Nachteil höherer Komplikati-
interna mit einem Sheldon-Katheter punktiert wer- onsraten wie ein höheres Infektionsrisiko mit der
den. Da die meisten Dialysepatienten jedoch dreimal Folge einer Peritonitis. Der sterile Umgang mit dem
wöchentlich dialysiert werden müssen, ist zumeist ein Dialysekatheter ist unbedingt zu beachten. Der Pa-
anderer Zugang nötig. Der Standard ist der sog. Bres- tient gewinnt jedoch die Möglichkeit, weitgehend
cia-Cimino-Shunt. Dabei handelt es sich um eine ope- normal am Berufs- und Alltagsleben teilzuhaben,
rativ angelegte Anastomose zwischen V. cephalica ante- weil lange Ruhezeiten an der Dialysemaschine ver-
brachii und A. radialis. Dieser Shunt führt zur Dilata- mieden werden.
tion der V. cephalica antebrachii, die nun zur Dialyse
punktiert werden kann.
3.12.2 Nierentransplantation
! Cave
Nur im äußersten Notfall am Shuntarm Blutdruck Die Nierentransplantation ist die mit Abstand am häu-
messen, Blut abnehmen oder Venenzugänge legen! figsten durchgeführte Organtransplantation. Sie ist
prinzipiell die bessere Therapieoption bei chronischer
Die Hämodialyse kann jahrelang durchgeführt werden. Niereninsuffizienz, da sie im Vergleich zur Dialyse ein
Durch den Zeitaufwand im Dialysezentrum, die strikte unabhängigeres Leben ermöglicht und gleichzeitig auf
Trinkmengenbegrenzung und die eingeschränkte Rei- längere Sicht kostengünstiger ist.
sefreiheit kommt es jedoch zu erheblichen Einbußen
der Lebensqualität. »Die richtige Niere«. Ein wesentliches Problem bei der
Nierentransplantation ist die drohende Abstoßung des
Hämofiltration Transplantats, die nur bei einer genetisch gleichen
Die Hämofiltration ist ein der Hämodialyse ähnliches Ver- Niere nicht gegeben ist. Aus diesem Grund wird eine
fahren. Sie benutzt die gleichen Zugänge, reinigt das Blut Niere benötigt, die dem Empfänger immunologisch
aber auf andere Weise. Das Blut wird filtriert, indem Be- möglichst ähnlich ist, was in der Praxis bedeutet, dass
standteile durch eine Membran abgepresst werden, das Blutgruppe und die HLA-Antigene möglichst genau
verloren gegangene Volumen wird durch eine Elektrolytlö- übereinstimmen müssen. Eine Abstoßungsreaktion
sung wieder ersetzt. Dieses Verfahren ist wesentlich auf- kann dann mit Hilfe von Immunsuppressiva verhin-
wendiger als die Hämodialyse und wird v. a. bei Patienten dert werden, die der Patient ein Transplantatleben
mit instabilem Kreislauf durchgeführt, da es zu geringeren lang einnehmen muss (Ciclosporin, Azathioprin, Kor-
Blutdruckschwankungen führt. tison).
3.12 · Dialyse und Nierentransplantation
385 3

Durchführung. Nachdem beim Spender der Hirntod und besonders innig verbundenen Personen erlaubt, ist
festgestellt wurde und eine Einwilligung vorliegt, kann heute auch das Überkreuz-Spenden zweier Paare möglich.
das Organ entnommen werden. Dazu werden die Nie- Dabei werden blutgruppenkompatible Spender-Empfän-
ren samt Ureter und den versorgenden Gefäßen mit ger-Paare gesucht, bei denen jeweils ein Partner erkrankt
V. cava und Aorta freipräpariert und anschließend en bzw. der andere Partner spendewillig ist. Durch besonders
bloc reseziert. Bis zur Implantation wird das Transplan- intensive Voruntersuchungen wird versucht, das Transplan-
tat bei 4°C in einer Präservationslösung aufbewahrt. tationsrisiko möglichst gering zu halten, um ethische Kom-
Diese Aufbewahrungszeit sollte möglichst kurz gehal- plikationen zu vermeiden.
ten werden und darf 24 h nicht überschreiten.
Die Implantation erfolgt schließlich in die Fossa Prognose. Die Transplantatfunktionsrate liegt bei opti-
iliaca, der Ureter wird direkt in die Blase implantiert, maler HLA-Kompatibilität bei Verwandten nach einem
die Gefäßversorgung geschieht über eine Anastomose Jahr bei bis zu 95%. Diese Verhältnisse sind leider in
von A. und V. renalis des Spenders zu A. und V. iliaca den meisten Fälle nicht zu erzielen, dennoch erreicht
des Empfängers. man eine Funktionsrate von bis zu 80% nach einem Jahr
und bis zu 65% nach 5 Jahren. Insgesamt ist die Progno-
Cross-over-Spende se besser als bei Dialysepatienten. Ein Problem ist je-
Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt etabliert sich in doch die notwendige Immunsuppression. Diese führt
Deutschland die sog. Cross-over-Spende. War bis 2003 die zu einer wesentlich höheren Infektanfälligkeit und
Lebendspende nur unter engen Angehörigen, Ehepaaren einem erhöhtem Malignitätsrisiko.
6
387

Farbabbildungen zu Kapitel 1: Chirurgie

. Abb. 1.4. Operativer Situs der Nierentransplantation in die


Fossa iliaca. (Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.13a, b. Thoraxdrai-


nage, 4. ICR vordere Axillalinie.
(Aus Siewert 2006)

a b
388

. Abb. 1.16. Extrakorporaler Kreis-


lauf: Das venöse Blut fließt aus den
Hohlvenen in ein Reservoir. Von hier
wird es mit einer Roller- oder Zentri-
fugalpumpe durch den Oxygenator,
den Wärmetauscher und einen
Filter zurück in die Aorta befördert.
(Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.18. Periphere AVK mit Nekrosen aller Zehen (Stadi-


um IV nach Fontaine). (Aus Siewert 2006)
389

. Abb. 1.24. Oberflächliches und tiefes Leitvenensystem der Beine und Flussverhalten bei Stammvarikose der V. saphena
magna und V. saphena parva. (Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.25. Schematische


Darstellung der Anatomie der
Schilddrüse. (Aus Siewert 2006)
390

. Abb.1.39a, b. Pyloruserhaltende partielle Pankreatikoduo-


denektomie. (Aus Siewert 2006)

b
. Abb. 1.41a, b. Fundoplikatio. (Aus Siewert 2006)
391

. Abb. 1.44. Fixateur


externe. (Aus Siewert
2006)

. Abb. 1.59. Superfiziell spreitendes Melanom. (Aus Siewert


2006)

. Abb. 1.47. Zuggurtung nach Olekranonosteotomie für


gute Übersicht bei intraartikulärer Fraktur. (Fetzner, eigenes
Krankengut)
392

. Abb.1.65. Laparoschisis. Die intestinalen Organe sind mit


Mekonium- und Fibrinmembranen belegt, untereinander
verklebt und verknotet. Das Darmkonvolut tritt in einer Lücke
lateral vom Nabelschnuransatz aus der Bauchdecke. Cave:
Der Darm ist durchblutungsgestört, aber nicht nekrotisch!
(Aus Siewert 2006)

. Abb. 1.60. Die axillären Lymphknotengruppen I, II und III


lateral des M. pectoralis minor, bedeckt von diesem bzw. me-
dial davon. (Aus Siewert 2007; nach Monaghan 1995: Mamma-
operationen. In: Hirsch et al. (Hrsg.) Atlas der gynäkologischen
Operationen, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart)
393 A–B

Sachverzeichnis

A – phlebologische 54
Aneurysma 27
Arthroplastik 223
Arthrose 144, 224
– dissecans 56 Aspermie 331
Abdomen, akutes 123, 124 – endovaskuläre Operation 57, 58 Astrozytom 30
Abdomenverletzung 128, 129 – intrakranielles 27 Atemnotsyndrom 45
Abdominoplastik 200 – Operation 57, 58 Atlasfraktur 155
Abduktionskontraktur 255 – spurium 56 Aufklärung, chirurgische Eingriffe 6
Abrissfraktur 136 – verum 56 Ausscheidungsurographie 333
Abscherfraktur 136 – zentrales 56 Ausziehnaht, transossäre 184
Abszess Angina AV-Blockierungssyndrom 272
– intrakranialer 32 – intestinalis 78 Axisbogenfraktur 155
– intraspinaler 32 – pectoris 50 Axisfraktur 155
AC-Gelenksverletzung 160 Angiohämophilie 228 Axiskörperfraktur 155
Achalasie 67 Antiarthrotika 222 Azetabulumfraktur 168
Achillessehnenruptur 145, 179 Antibiotika 222 Azinuszellkarzinom 116
Achondroplasie 238 Antikoagulation 61 Azoospermie 331
Adduktionskontraktur 255 Antiphlogistika 222
Adhäsiolyse 78, 125 Anuloraphie 48
Adnektomie 125
Adoleszenzkyphose 265
Anurie 330
Anus praeter
B
Adoleszenzskoliose 268 – Anlage 93, 94
Aganglionose 210 – naturalis 81 Bakerzyste 314
Akromioklavikulargelenkverletzung – Rückverlagerung 84 Balanoposthitis 375
160, 286 AO-Klassifikation 137 Balkennephropathie 350
Akustikusneurinom 30 Aortenaneurysma 56, 57 Bambusstabform 265
akutes Abdomen 123, 124 Aortendissektion 58, 59 Bandscheibenvorfall 7 Diskusprolaps
Algurie 330 Aorteninsuffizienz 47, 48 Bankart-Läsion 160, 280
Allen-Test 181 Aortenisthmusstenose 50 Bauchverletzung 128, 129
Allgöwer-Naht 189 Aortenstenose 48 Baumann-Winkel 164
Alopeziebehandlung 202 Appendektomie 82, 125 Beckenfraktur 167, 168
Altersappendizitis 83 Appendicitis Beckenringfraktur 167
Amelie 289 – acuta 82, 124 Bence-Jones-Protein 246
Amputation 149, 150 – vermiformis 212 Bennett-Fraktur 182
– Finger 188 Apprehension-Test 221 Beugekontraktur 255
– Hand 188 APUD-Tumor 129 BG-Verfahren 133
– Replantation 150 Arachnodaktylie 240 Biegungsfraktur 136
– therapeutische 150 Areolenrekonstruktion 201 Bilhämie 98
– traumatische 150 Arm, Anomalien 289 Bilharziose 342, 343
Analabszess 91 Arnold-Chiari-Syndrom 207 Bindegewebstumoren, benigne
Analatresie 209 Arteriosklerose 57 247
Analfissur 91 Arteriotomie 54 Biopsie 20,193
Analfistel 91 Arthritis 149 Bizepssehnenruptur 162
Analgetika 222 – bakterielle 225 Bizepssehnensyndrom 284
Analkarzinom 91, 92 – urica 228 Blasenentleerungsstörungen 368,
Analprolaps 90 Arthrodese 223 369
Anamnese Arthropathie Blasenentzündung 338, 339
– chirurgische 4 – abakterielle 227, 28 Blasenfunktionsstörungen 368,
– neurochirurgische 23 – metabolische 228, 229 369
– orthopädische 221 – neurogene 315 – neurogene 369
394 Sachverzeichnis

Blasenkatheter – plastische 189–202 Dasault-Verband 140


– suprapubischer 336 Cholangiographie, perkutane Daumenbeugesehnenverletzung
– transurethraler 336 transhepatische 109 183
Blasenpunktion, suprapubische 338 Cholangio-Jejunostomie 115 Daumenluxation 183
Blasentamponade 380 Cholangitis 109 Daumenstrecksehnenverletzung
Blasenverletzungen 380 – sklerosierende 110 184
Blepharoplastik 200 Choledocholithiasis 105, 108 Defektfraktur 136
Blinddarmentzündung, akute 82 Choledochotomie 109 Dekubitalgeschwür 196
Blockwirbel 263 Choledochuszyste 106 Densfraktur 155, 156
Blumgart-Anastomose 117 Cholestase 109 Dermabrasio 201
Blutergelenk 227 Cholezystektomie 106–108, 110 Dermolipektomie 200
Blutstillung 11 Cholezystitis Desmoid 194
Blutung – akute 107 Deszendo-Rektostomie 89
– intrakraniale 27 – chronische 107, 108 Diagnostik, urologische 333–340
– intrazerebrale 27 Cholezystolithiasis 106 Dialyse 384
Boerhaave-Syndrom 67 Chondroblastom 245 Dickdarmileus 86
Bouchard-Arthrose 291, 292 Chondrodysplasie 238 Digitus saltans 187
Brachialgia paraesthetica nocturna Chondrodystrophia fetalis 238 Diskushernie 273, 274
260 Chondrokalzinose 229 Diskusprolaps 34, 271–273
Brachydaktylie 289 Chondromalazia patellae 311 Dislokationstest, inferiorer 221
brauner Tumor 247 Chondromatose 227 Distorsion, Definition 133
Braun-Fußpunkt-Anastomose 77 Chondroprotektiva 222 Divertikel
Brescia-Cimino-Shunt 384 Chondrosarkom 152, 194 – echtes 83
Briden-Ileus 126 Christmas-Faktor-Mangel 227 – falsches 83
Brodie-Abszess 148, 253 chronisch-venöse Insuffizienz 60 Divertikulitis 83, 84
Bronchialkarzinom 43, 44 Claudicatio intermittens 56 Divertikulose 83
Bronchiektasien 45 – spinalis 275 DMSA-Szintigraphie 372
Brustkorb, Fehlbildungen 277 Clavus 322 Donati-Naht 189
Brustwirbelsäulenverletzungen 156 Codman-Sporn 242 Doppelniere 370
Bursitis 145 Codman-Tumor 245 Drahtzuggurtungsosteosynthese
– olecrani 288 Colitis ulcerosa 93, 94 141
– praepatellaris 315, 316 Colon-transversum-Resektion 81 Drainage 10, 11
Bypass 46, 55 Commotio cerebri 25 Drehmann-Zeichen 221, 296
Compressio cerebri 25 Duchenne-Hinken 222
Contre-coup-Verletzung 26 Ductus

C Contusio cerebri 25
Courvoisier-Zeichen 107
– Botalli, persistierender 46, 49
– omphaloentericus, persistierender
Coxa 212
Caisson-Krankheit 302 – antetorta 299, 300 Dünndarmatresie 209
Carcinoma in situ 16 – retrotorta 299, 300 Dünndarmresektion 77
Cast-Fixation 139 – saltans 302, 303 Dünndarmtumoren 76
Cauda-equina-Syndrom 34 – valga 295, 299 Duodenalatresie 209
Cava-Schirm 61 – vara 298 Duodenalstenose 209
Charcot-Trias 109 Coxitis fugax 306 Duodenopankreatektomie 115, 117
Cheilognathopalatoschisis 38 Cross-Plastik 190 Dupuytren-Kontraktur 187, 260
Child-Pugh-Klassfikation 105 Curschmann-Steinert-Dystrophie 256 Durchgangsarzt 134
Chirurgie Durchgangsarztverfahren 133
– 7 Operation Dysfunktion, erektile 364–366
– ästhestische 200, 201
– bariatrische 202, 203
D Dysmelie 289
Dysostose, enchondrale 239, 289
– Indikationen 5 Dysplasie 16
– kleine 12 Dachziegelverband 140 – fibröse 241
– Kontraindikationen 5 Darmdivertikel 83 Dysraphie 33
Sachverzeichnis
395 B–G

Dystrophie myotonica 256


Dysurie 330
F Frakturheilungsstörungen 138
Frakturversorgung 138–142
– konservative 139, 140
Face-Lifting 201 – operative 140–142

E Facettensyndrom, lumbales 276


Facies myopathica 256
Frakturzeichen 137
Friedreich-Ataxie 232
Faltenbehandlung 202 Frostbeule 206
Echinokokkose 100 familiäre adenomatöse Polyposis coli frozen shoulder 162
Ehlers-Danlos-Syndrom 235 84 Fundoplikatio nach Nissen 66
Einzelknopfnaht 189 Fast-track-Chirurgie 81 Funktionstests 221, 222
Ejakulat 330 Fasziitis, nekrotisierende 186 Fuß
Ektrodaktylie 289 Fehlbildungen, Herz 46, 49, 50 – Anatomie 316
Elektrotherapie 222 Fehlbildungschirurgie 199 – diabetischer 321, 322
Ellbogenfraktur 163 Femoralhernie 121 – Knochenvorsprünge 322
Ellbogengelenk Femoropatellararthrose 311 – Osteochondrose 322
– Anatomie 287 Femurfraktur, proximale 169 – rheumatischer 321
– Arthrose 287 Femurkopfnekrose 170 Fußdeformitäten
– Verletzung 288 femuropatellares Schmerzsyndrom – angeborene 317–319
Ellbogenluxation 164, 288 310 – erworbene 320, 321
Embolektomie 54, 79, 126 Ferse, hohe 322
Embolie 55 Fetalkreislauf, persistierender 49
Enchondrom 152
Endomyokardresektion 534
Fettabsaugung 202
Fettembolie 137
G
Endoprothektik 142 Fibrom 194
Endoskopie 10 Fibromatose, palmare 187 Galeazzi-Fraktur 165
End-zu-End-Jejunojejunostomie 77 Fibrosarkom 194 Gallefistel 110
Enteritis regionalis Crohn 93 Finger, schnellender 187 Gallenblasenhydrops 107
Enterokolitis, nekrotisierende 212 Fingerbeugesehnenverletzung Gallenblasenkarzinom 108
Enzephalozele 33 183 Gallenblasenneoplasie 108
Ependymom 30 Fingerfraktur 182 Gallengangsatresie 106
Epicondylitis humeri radialis 165, Fingerluxation 183 Gallengangskarzinom 109
258 Fingerstrecksehnenverletzung 184 Gallengangsstriktur 110
Epididymitis 345 Fissur 133 Gallenstein 105
Epiduralblutung 27 Fistel 93 Gallensteinileus 110
Epiphysiolysis capitis femoris 296 – rektoperitoneale 93 Gastrektomie 73
Epispadie 374 – anorektale 93 Gastrinom 130
erektile Dysfunktion 364–366 Fixateur externe 141 Gastroschisis 212
Erektion 364 Flachrücken 262 Gefäßchirurgie 54–61
Erektionsstörungen 362 Fogarty-Ballon-Katheter 54, 61 Gefäßersatz 55
Erfrierung 206 Fournier-Gangrän 382 Gefäßnaht 54
Ermüdungsfraktur 135 Fraktur Gefäßrekonstruktion 55
Ersatzblase 351 – Definition 135 Gelenk, Anatomie 224
Eschar 204 – funktionelle Wiederherstellung Gelenkdistorsion 144
Etagenfraktur 136 142 Gelenkempyem 225
Ewing-Sarkom 30, 152, 194 – geschlossene 135, 136 Gelenkerguss 144
Exostose – Komplikationen 137 Gelenkerkrankungen
– multiple kartilaginäre 239, 240 – offene 135, 136 – degenerative 224, 225
– osteokartilaginäre 244 – pathologische 135, 152, 156 – entzündliche 225, 226
Expander 190 – Reposition 139 – rheumatische 225, 226
Extensionsverband 140 – Ruhigstellung 139 – zirkulationsbedingte 230
– suprakondyläre 171 Gelenkkontusion 144
Frakturformen 135–137 Gelenkkörper, freier 144
Frakturheilung 138 Gelenkverletzungen 143, 144
396 Sachverzeichnis

Genitalgangrän, akute ulzeröse 381, – Anomalien 289 – inkarzerierte 119


382 – Fehlbildungen 188, 189 – symptomatische 119
Genu – Funktionsuntersuchung 181 Hernioplastik 120
– recurvatum 308 – Infektionen 186 – laparoskopische 121
– valgum 308 – Replantation 188 Herniotomie 120
– varum 308 – Sehnenverletzungen 183, 184 Herzchirurgie 46–53
Geröllzyste 225, 310 Handchirurgie 181–188 Herzfehler, angeborene 49, 50,
Geschlechtsumwandlung 202 Handgelenkarthrose 292 207
Gibbus 264, 271 Handgelenkfraktur 182 Herzinsuffizienz 50
Gicht 228, 229 Handgelenkluxation 183 Herzklappenfehler 47
Gilchrist-Verband 140 Handgelenksarthritis 292 Herzkrankheit, koronare 50, 51
Gips 139 Handgelenkverletzungen 293, 294 Herz-Lungen-Maschine 46
Glasgow Coma Scale 24 Handverletzungen 182–185, 293, Herzschrittmacher 52
Glasknochenkrankheit 238 294 Herztransplantation 46, 53
Gleithoden 375 Harnblase Hexenschuss 273
Glomerulopathie 340, 341 – Anatomie 327 Hiatushernie 122, 123
Glukagonom 130 – Fehlbildungen 373, 374 Hill-Sachs-Läsion 160, 280
Glukokortikoide 327 Harnblasenektrophie 373, 374 Hirnmetastasen 30
Gonarthrose 310 Harnblasenkarzinom 349–351 Hirnnervenfunktionsprüfung 26
Gonitis 315 Harnleiter, Fehlbildungen 373 Hirnnervenmalignome 30
Gonorrhö 341, 342 Harnleitertumoren 351, 352 Hirntumoren 29–31
Gynäkomastie 197 Harnproduktion, Störungen 330 Hirnvenenthrombose 28
Harnröhre Hoden, Anatomie 328, 329
– Anatomie 327 Hodenektopie 375

H – Fehlbildungen 374, 375


– Verletzungen 338, 381
Hodenretention 375
Hodentorsion 378, 379
Harnröhrendivertikel 375 Hodentumoren 356
Hackenfuß 318 Harnröhrenklappe 374 hohe Ferse 322
Haglund-Ferse 322 Harnstein 359–362 Hohlfuß 320, 321
Hallux Harnuntersuchung 330, 331 Hohlhandphlegmone 186
– rigidus 322, 323 Harnverhalt, akuter 380 Homogentisinsäure 229
– valgus 322 Harnwegsinfektion 338–340 Honeymoon-Zystitis 339
Halswirbelsäulendistorsion 155 Harrison-Furche 233 Hufeisenniere 371
Haltung 262 Hartmann-Resektion 81 Hüftdysplasie 294, 295
Haltungsschwäche 263 Haut, Tumoren 195 Hüftgelenk
Haltungstest nach Matthiass 263 Hautnaht 10 – Anatomie 167, 294
Hämangiom 194 Hauttransplantation 192 – Arthrose 304
– kavernöses 100 Heberden-Arthrose 291, 292 Hüftgelenksluxation 168, 169, 294,
Hämangioperizytom 194 Hemihepatektomie 108 295
Hämarthros 144, 172, 173, 315 Hemikolektomie 81, 94 Hüftkopfnekrose 169, 301, 302
Hamartom 152 Hemithyreodektomie 63, 64 Hüftschraube, dynamische 170
Hämatothorax 41 Hepatikojejunostomie 110 Hühnerauge 322
Hämaturie 330 Hepatikolithiasis 108 Hühnerbrust 277
Hammerzehe 323 Hepatocholedochus-Resektion 110 Humerusfraktur
Hämobilie 98 Hepatojejunostomie 110 – distale 163, 164
Hämofiltration 384 Hernia – proximale 162
Hämophilie 227, 228 – diaphragmatica 122, 123 Humeruskopffraktur 162
Hämorrhoidektomie 91 – epigastrica 121 Humeruskopfprothese 162
Hämorrhoiden 90, 91 – femoralis 121 Humerusschaftfraktur 162
Hämotherapie 13 – inguinalis 119, 120 Hydratidentorsion 379
Hand – umbilicalis 120, 121 Hydrozele 122, 366, 367
– Amputation 188 Hernie 119–122 Hydrozephalus 28, 207
– Anatomie 288 – Definition 119 Hyperabduktionssyndrom 279
Sachverzeichnis
397 G–K

Hyperparathyreoidismus, Skelett-
veränderungen 234
J Knochenarrosion 148
Knochendichte
Hyperplasie, fokale noduläre 99 – erhöhte 237, 238
Hypertension, portale 103–105 Jefferson-Fraktur 155 – verminderte 235, 236
Hyperurikämie 228, 229, 302 Knochenerkrankungen
Hypogonadismus, primärer 362 – entzündliche 251–253
Hypophysentumoren 30, 31
Hypospadie 374
K – erhöhte Knochendichte 237, 238
– metabolische 233, 234
Hyposthenurie 330 – verminderte Knochendichte 235,
Hypothermie 206 Kahnbeinfraktur 182 236
Kalkaneusfraktur 180 Knochenfibrom
Kalkaneussporn 322 – nichtossifizierendes 247

I Kalottenfraktur 26, 162


Kältetherapie 222
– ossifizierendes 247
Knochenfissur 135
Kamptodaktylie 188 Knocheninfektion, sklerosierende
Ileoaszendostomie 77 Kapselphlegmone 225 253
Ileoileostomie 77 Karpaltunnelsyndrom 185, 260 Knochenläsionen, tumorähnliche
Ileostoma 78 Karpus-Fraktur 182 247, 248
Ileozökalresektion 78, 81 Karzinoid 129 Knochenmarkstumoren, maligne
Ileus 125–128 Karzinom 246
– funktioneller 125 – cholangiozelluläres 101 Knochenmetastasen 152, 248, 250
– mechanischer 125 – hepatozelluläres 101 Knochentransplantation 142
– paralytischer 125 – invasives 16 Knochentumoren 152, 153, 242–250
Immobilisationsstellung 223 Katecholamine 327 – benigne primäre 243
Immunsuppression 22 Katheterismus 336 – maligne primäre 245
Impingement-Syndrom 258, 283 Kauda-equina-Syndrom 273 Knochenzyste 152
Impression, basiläre 263 Kausch-Whipple-Duodeonopankrea- – aneurysmatische 248
Inaktivitätsosteoporose 265 tektomie 117 – solitäre juvenile 247, 248
Infektion Keilwirbel 265 Knorpeltumoren
– chirurgische Sanierung 14, 15 Kielbrust 277 – benigne primäre 244
– Prophylaxe 15 Kilian-Lücke 66 – maligne primäre 245
– Mund-Kiefer-Gesichtsbereich 36, Kinderchirurgie 207–213 Kolektomie 81, 94
37 Kirchmayr-Kessler-Naht 184 Kolitis, ischämische 83
informed consent 6 Klappenchirurgie 47 Kolonadenom 84
Infraktion 135 Klatskin-Tumor 109 Kolonkarzinom 84–86
Inguinalhernie, kindliche 210 Klaviertastenphänomen 286 Kolonkontrasteinlauf 80
Inhalationstrauma 205 Klavikulafraktur 137, 157, 158 Kolonverletzungen 86
Inkarzeration 126 – laterale 157 Kompartmentsyndrom 137, 147, 255
Inkontinenz, extarurethrale 368 – mediale 157 Kompressionsfraktur 136
Insemination, intrauterine 364 – Osteosynthese 159 Kontusion, Definition 133
Insertionstendopathie 257, 258 Klippel-Feil-Syndrom 263 Kopfverletzungen 153
Insuffizienz, chronisch-venöse 60 Klumpfuß 317 koronare Herzkrankheit 50, 51
Insuffizienzhinken 296 Klumphand 290 Koronarsklerose 50
Insulinom 130 Knick-Senkfuß 320 Koronarsyndrom, akutes 50
Intensivmedizin, chirurgische 13 Kniegelenk Korridoroperation nach Maze 54
Interkostalneuralgie 272 – Anatomie 306, 307 Kostaufbau 12
Interponat 55 – Entzündung 315 Kostoklavikulärsyndrom 279
Invagination 126, 210 – Untersuchung 307 Koxarthrose 304
In-vitro-Fertilisation 364 Kniegelenkknorpelverletzung 175 Koxitis 305
Ischämie, akute intestinale 79 Kniegelenkserguss 315 – abakterielle 306
Ischialgie 273 Kniegelenksschwellung 315 – bakterielle 305
Kniegelenksverletzungen 172–176 – rheumatische 306
Knieluxation 174 Krallenzehe 323
398 Sachverzeichnis

Kraniopharyngeom 31 Linksappendizitis 83 Mammareduktionsplastik 199


Kraniotabes 233 Linton-Nachlas-Sondd 103 Mammarekonstruktion 201
Kreuzbandchirurgie 173 Lipofuszinbeseitigung 201 Marfan-Syndrom 235, 240
Kreuzbandruptur Lipom 194 Marknagel 141, 171
– hintere 173 Liposarkom 194 Marmorknochenkrankheit 237
– vordere 172 Liposuktion 202 Massage 222
Kristallurie 330 Lippen-Kiefer-Gaumenspalte 38 Mastektomie 197, 199
Kryptorchismus 375 Liquorrhö 25 – radikale 199
Kuchenniere 371 Lithotripsie 105, 362 – subkutane 199
Kunstherz 53 Lobektomie 44 Mastitis 197
Kyphose 264, 265 Lochschussschädel 246 McBurney-Punkt 82
– anguläre 264 Locked-in-Syndrom 157 Meckel-Divertikel 78
– arkuläre 264 Löffelhand 290 Medianuskompressionssyndrom
– juvenile 265 Lokalsyndrom 272 260
– posttraumatische 265 Luftembolie 137 Mediastinalemphysem 42, 43
– posturale 265 Lunatummalazie 292 Mediastinitis 43
Lungenembolie 45 MEEK-Verfahren 192
Lungenfehlbildungen 210 Megacolon congenitum 210

L Lungenkarzinom 43, 44
Lungenmetastasen 44
Megaureter 373
Mekoniumileus 211
Lungenresektion 40, 44 Melanom, malignes 195
Lachmann-Test 172, 221 Lungensequester 45 Meningeom 30
Laimer-Dreieck 66 Lungenvenenfehleinmündung 50 Meningozele 33, 264
Lanz-Punkt 82 Lungenverletzungen 41, 42 Meniskopathie 312
Laparoschisis 212 Luxation Meniskusganglion 312
Laparoskopie 10 – akromioklavikuläre 158 Meniskusriss 312
Lappen – atlantoaxiale 156 Meniskustest 221, 314
– freier 190 – Definition 133 Meniskusverletzungen 175, 312
– gestielter 190 – sternoklavikuläre 159 Meniskuszeichen 313
Lappentechniken 190 – traumatische 144 Mennell-Zeichen 221
Lasègue-Zeichen 222 Luxationsfraktur 155 Mesenterialgefäßverschluss 79
Lauenstein-Technik 296 – Definiton 133 Mesenterialischämie 79, 126
Lebensspende 21, 22 meshgraft 192
Leberabszess 99 MESH-Verfahren 192
Leberkarzinom 101
Lebermetastasen 101
M Metaplasie 16
Metastasen 16, 17
Leberresektion 98, 101 Metastasierung
Leberruptur 98 Madelung-Deformität 289 – hämatogene 17
Leberteilung 21 Magenkarzinom 73–75 – lymphogene 17
Lebertumoren Magenlymphom 75 Mikrohämaturie 330
– benigne 99, 100 Magenresektion 72, 73 Miktionsstörungen 330, 331
– maligne 101, 102 Magentumoren 73 Miktionszysturethrographie 333
Leberzelladenom 99, 100 Maisonneuve-Fraktur 177 Milzruptur 95
Leberzyste 100 Majo-Plastik 120 Mineralokortikoide 327
Leiomyom 194 Makrohämaturie 330 Mitralinsuffizienz 48
Leiosarkom 194 Maldescensus testis 362, 375 Mitralstenose 48
Leistenhernie 119, 120 Malleolarfraktur 177, 178 Mittelfußverletzung 180
Leistenhernienreparation, total extra- MALT 75 Mittelgesichtsfraktur 34, 35
peritoneale 120 Mamillenkorrektur 197 Mittelhandfraktur 182
Lendenwulst 268 Mammaaugmentation 201 Monteggia-Fraktur 165
Lichtenstein-Verfahren 120 Mammachirurgie 196–199 Morbus
Lidplastik 200 Mammakarzinom 198 – Ahlbäck 309
Limberg-Lappen 190 Mammaneoplasie 197, 198 – Alvers-Schönberg 237
Sachverzeichnis
399 K–O

– Bechterew 265, 266


– Chassaignac 288
Narbenhernie 121
Narbenkorrektur 200
O
– Crohn 93 Nebenhoden, Anatomie 329
– Gaucher 302 Nebenniere, Anatomie 327 Oberschenkelfraktur, distale 171
– Hirschsprung 210 Nebennierentumoren 132 Oberschenkelschaftfraktur 170
– Hunter 233 Neck-Lifting 202 Obesitaschirurgie 202, 203
– Hurler-Pfaundler 233 Nekrosektomie 205 Ochondrose 229
– Jaffé-Lichtenstein 241 Neoplasie 16 Olekranonfraktur 164
– Kienböck 292 – multiple endokrine 130 Olekranonosteotomie 164
– Köhler 231 nephritisches Syndrom 340 Oligodendrogliom 30
– Osgood-Schlatter 308, 309 Nephroblastom 214, 215, 348, 349 Oligozoospermie 332
– Paget 237 Nephroskopie 335 Oligurie 330
– Perthes 301 nephrotisches Syndrom 340, 341 Omarthritis 282
– Recklinghausen 241 Nervennaht 34 Omarthrose 160, 282
– Scheuermann 265 Nerventransplantation 34 Omphalozele 211
– Sudeck 138, 166, 231, 232 Nervenwurzelkompressions- Onkochirurgie 16–21
Morgensteife 265 syndrome 185, 275 Open-book-Fraktur 167
Muffplastik 190 Nervus-medianus-Kompressions- Operation
Mukopolysaccharidose, Skelett- syndrom 185 – Aufklärung 6
veränderungen 233 Neuner-Regel 203 – dringliche 5
Mukoviszidose 45 Neuralrohrfehlbildungen 207 – elektive 5
multiple endokrine Neoplasie 130 Neuroblastom 214 – Komplikationen 13, 14
Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie Neurochirurgie 23–34 – Kostaufbau 12
34–38 Neurofibromatose 241 – Lagerung 8
Muskelanomalie 254 Neurolyse 34 – postoperative Behandlung 12
Muskelatrophie 254 Neurotraumatologie 24, 25 – präoperative Vorbereitung 7
Muskeldystrophie 256 Neutral-0-Methode 220 – Risikofaktoren 6
Muskelfaserriss 146 Niere – Zugänge 9
Muskelhartspann 254 – Anatomie 327 Operationsassistenz 10
Muskelhypotonie 233 – ektope 371 Operationsdringlichkeit 5
Muskelkontraktur 254, 255 – Fehlbildungen 370–373 Operationsinstrumentarium 9
Muskelnaht 147 – Malposition 371 Operationstechnik 7, 8
Muskelnekrose 137 – Verletzungen 379 Orchitis 346
Muskelquetschung 146 Nierenagenesie 370 Organspende, postmortale 21
Muskelriss 146 Nierenbeckenabgangsstenose 373 Ortolani-Zeichen 221
Muskelzerrung 145 Nierenbeckentumoren 351, 352 Os tibiale externum 319
Myelom 152 Nierendegeneration, polyzystische Ösophagusatresie 208, 209
Myelomeningozele 33 372 Ösophagusdivertikel 65, 66
Myogelose 254 Nierendysplasie – erworbenes 66
Myokardinfarkt 50 – multizystische 372 Ösophagusmotilitätsstörungen 67
Myositis 255 – polyzystische 372, 373 Ösophagusperforation 66
– ossificans 147, 256 Nierendystopie 371 Ösophagusruptur 66, 67
Myotomie 223 Nierenerkrankungen, Skelett- Ösophagustumoren 66, 69
veränderungen 234 Ösophagusvarize 69
Nierenhypoplasie 371 Ösophagusvarizenblutung 103

N Niereninfarkt 379, 380


Nierenkarbunkel 339
Ossifikation, heterotope 147
Osteitis 147, 148
Nierenkontusion 379 Osteoblastom 243
Nabelhernie 120, 121 Nierentransplantation 384, 385 Osteochondrom 239, 244
Nabelschnurbruch 211 Nierenzellkarzinom 347, 348 Osteochondrose 230, 231
Nahtmaterial 9, 10 Nierenzyste 372 Osteochondrosis dissecans 231, 308
Nahttechnik 189 Notfälle, chirurgische 6 Osteodystrophia deformans Paget
Napoleonshut, umgekehrter 270 Nykturie 330 237
400 Sachverzeichnis

Osteogenesis imperfecta 235, 238, pAVK 56 Pneumothorax 41


239 Pectoralis-minor-Syndrom 279 Pollakisurie 330
Osteoidosteom 243 Pectus Polyarthritis, chronische 226
Osteoklastom 247 – carinatum 277 – juvenile 226
Osteom 152, 243 – excavatum 277 Polyarthrose 230
Osteomalazie 234 – infundibiliforme 277 Polydaktylie 289, 290
Osteomyelitis 147, 148, 251 Pelveoperitonitis 342 Polymyalgia rheumatica 255
– akute 251, 252 Pendelhoden 375 Polytrauma 150, 151
– chronische 252, 253 Penis Polyurie 330
– exogene 252 – Anatomie 328 Poplitealzyste 314
– spezifische 251 – Verletzungen 378 postthrombotisches Syndrom 61, 62
– unspezifische 251 Penisfraktur 378 Pott-Trias 271
Osteonekrose, aseptische 230, 231 Peniskarzinom 352, 353 Pouch-Anastomose 84, 94
Osteopenie 235 Periarthropathia humeroscapularis Präkanzerose 16
Osteopetrose 237 283 Prehn-Zeichen 346
Osteophyten 224, 225 Peritonealdialyse 384 Priapismus 378
Osteoplastik 223 Peritonitis 83, 125 Pringle-Manöver 98
Osteoporose 235, 236 – primäre 125 Proktokolektomie 94
– primäre 235 – sekundäre 125 Prostata, Anatomie 328
– sekundäre 235 – toxische 125 Prostatadynie 345
Osteosarkom 152, 194, 245 Pernio 206 Prostatahyperplasie, benigne 358
Osteosynthese 140–142, 223 Peromelie 289 Prostatakarzinom 353–356
Osteotomie 223 Pes prostataspezifisches Antigen 354
Ott-Zeichen 222 – adductus 319 Prostatektomie 354
Oxygenator 46 – calcaneus 318 Prostatitis 344, 345
– cavus 320 – abakterielle 345
– equinovarus excavatus et adductus – bakterielle

P 317
– equinus 320
– – akute 344
– – chronische 344, 345
– planus 318 Proteinurie 330
Pacemaker 52 – transversoplanus 320 Protrusio acetabuli 300
Palmarfibromatose 260 – valgus planus 320 PSA 354
Panarthritis 225 Pfortaderhochdruck 103–105 Pseudodivertikel 83
Pankreaskarzinom 116, 117 Phimose 375, 376 Pseudogicht 229
Pankreaskopfresektion 115, 117 Phlebothrombose 61 Pseudopolyp 84
Pankreasnekrose 114 Phlegmasia coerulea dolens 61 Pseudotumoren 194
Pankreasresektion, radikale 117 Phokomelie 289, 290 Psoas-Zeichen 82
Pankreastumoren 116 physikalische Therapie 222 Pulsionsdivertikel 66
Pankreasverletzungen 116 Physiotherapie 222 Pyarthrose 149, 225
Pankreaszysten 115, 116 Pivot-Shift-Test 172 Pyelonephritis 339
Pankreatikojejunostomie 117 Plasmazellmyelom 246 Pylorusstenose, hypertrophe 208
Pankreatitis Plasmozytom, medulläres 246 Pyothorax 42
– akute 112–114 Plastische Chirurgie 189–202 Pyrophosphatgicht 229
– chronische 114, 115 Plattenepithelkarzinom 43
Papillenkarzinom 117 Plattenosteosynthese 141, 166, 171
Papillotomie 105
paraneoplastisches Syndrom 17
Plattfuß 318, 319
Plethysmographie 63
Q
Paraphimose 378 Pleuraempyem 42
Paraplegie 33 Pleuraerguss 42 Quadrantektomie 198
Paratendonitis crepitans 260 Pleurapunktion 42 Querschnittslähmung 33, 369
Patella alta 308 Pleuratumoren 42 Querschnittverletzung 156, 157
Patellafraktur 171 Plexus-brachialis-Blockade 181
Patellaluxation 172, 307 Pneumonektomie 44
Sachverzeichnis
401 O–S

R S Sehnenscheidenentzündung 185
Sehnenscheidenerkrankungen 185,
259
Rachitis 234 Säbelscheidentibia 237 Sehnentransplantation, autologe 184
Radikulärsyndrom 272 Samenblase 328 Sehnenveränderungen, degenerative
Radiusfraktur, distale 166 Säuglingsosteomyelitis 251 257, 258
Radiusköpfchenluxation 165, 288 Scapula alata 285 Seitenbandruptur 173, 174
Ranson-Index 114 Schädelbasisfraktur 26, 36 Seminom 356
Redon-Drainage 11 Schädelfraktur 26 Sengstaken-Blakemore-Sonde 103
Reflexdystrophie 138 Schädel-Hirn-Trauma 24–26, 153 Senkniere 371
Reflexinkontinenz 44 – offenes 26 Sentinellymphknoten 195
Refluxerkrankung, gastroöso- Schädelkalottenfraktur 35 Septumdefekte 49, 50
phageale 67, 68 Schanz-Krawatte 140 Sexualhormone 327
Rehabilitation Scheibenmeniskus 312 Sheldon-Katheter 384
– orthopädische 223 Scheibenniere 371 Shouldice-Verfahren 120
– Verbrennungen 205 Schenkelhalsanomalien 298 Shunt
Rektopexie 89 Schenkelhalsfraktur 169, 170 – portosystemischer 104
Rektumadenom 88, 89 Schenkelhernie 121 – transjugulärer intrahepatischer
Rektumamputation 88, 89 Schiefhals 7 Torticollis portsystemischer 103, 104
Rektumatresie 209 Schiene 140 Sichelfuß 319
Rektumkarzinom 89 Schilddrüsenkarzinom 64 Sigmaresektion 81, 84
Rektumprolaps 89 Schleimbeutelentzündung 145 Sigmavolvulus 86
Rektumresektion 88, 89 Schleudertrauma 155 Sildenafil 366
Rektumtumoren 88, 89 Schlüsselbeinbruch 137, 157, 159 Sinus plionidalis 12
Replantation 150 Schmerz Sinusphlebitis 37
Reposition – pseudoradikulärer 273 Sinusthrombose 37
– Fraktur 139 – radikulärer 273 Skalenussyndrom 272, 279
– nach Hippokrates 160 Schmorl-Knorpelknötchen 265 Skaphoidpseudarthrose 183
– nach Kocher 160 schnappende Hüfte 302 Skapulafraktur 159
Reproduktionsmedizin 364 schnellender Finger 259 Skapulaluxation 159
Rhabdomyolyse 146 Schober-Zeichen 222 Skapulohumeralgelenksverletzung
Rhabdomyom 194 Schockraum 134 160
Rhabdomyosarkom 194 Schraubenosteosynthese 141, 171 Skelettszintigraphie 220
Rhinoplastik 202 Schrittmacher 52 Skoliose 267, 268
Rhizarthrose 291 Schrottschussschädel 246 – infantile 268
Riesenzelltumor 152 – Knie 172, 221 – juvenile 268
Rippenbuckel 268 – Schulter 221 Skrotalhernie 119, 120
Rippenfraktur 41 Schulter Sonnenuntergangsphänomen 28
Rippenserienfraktur 41 – Anatomie 279, 280 Spaltfuß 289
Rizarthrose 188 – Untersuchung 280 Spalthand 289
Robinson-Drainaage 11 Schultereckgelenksprengung 286 Spalthauttransplantat 192
Rolando-Fraktur 182 Schultereckgelenkverletzung Spermatogenese, Störungen 363
Rosenkranz, rachitischer 233 157–161, 280, 286 Spermatozele 367
Rosenthal-Syndrom 228 Schultergelenksluxation 160, 280 Spickdrahtosteosynthese 141, 166
Rotatorenmanschette 279, 280 – habituelle 160, 281 Spina bifida 33, 263, 264
Rotatorenmanschettenverletzung – posttraumatische 281 Spinalkanalstenose 275
160, 161, 285, 286 – traumatische 280 Spitzfuß 320
Roux-X-Ösophagojejunostomie 75 Schultersteife 161 Splenektomie 96
Roux-Y-Anastomose 73, 77 Schwannom 194 Splittleber 21
Rückenmarksverletzung 33 Schwellkörperautoinjektion 366 Spondylarthritis ankylosans 265
Rucksackverband 140 Schwellkörperprothese 366 Spondylitis 156, 270
Rückstichnaht 189 Sehnenoperation 184 – ankylosans 265
Rundrücken 262 Sehnenruptur 145 – tuberculosa 271
402 Sachverzeichnis

Spondylodiszitis 156, 270


Spondylolisthesis 268
T – Mund-Kiefer-Gesichtsbereich 37,
38
Spondylolyse 268 – neuroendokrine 129, 130
Spondyloptose 269 Talusfraktur 179 – Prophylaxe 20, 21
Spontanfraktur 135 Talusnekrose 179 – semimaligne 16
Sponylodese 156, 276 Tätowierungsbeseitigung 201 – solide 17
Spreizfuß 320, 322 Tendinitis calcarea 283, 284 – spinale 31
Sprengel-Deformität 287 Tendoplastik 223 – Stadieneinteilung 19
Sprunggelenk, Bandverletzung 178 Tendovaginitis 259 – Staging 17, 18
Sprunggelenkfraktur 177 – stenosans 259 – Therapieprinzipien 19
Sprungschanzenphänomen 269 Tennisellenbogen 165, 258 Tumorresektion 20
Stapler-Hömorrhoidektomie 91 Tetraplegie 33 – kurative 20
Steinmann-I-Test 221 Thomas-Handgriff 221 – palliative 20
Stent-Prothese 57 Thompson-Test 179 Tumorzeichen, systemische 17
Sterilität, beim Mann 362, 363 Thoracic-outlet-Syndrom 279
Sternoklavikulargelenksverletzung Thorakotomie 40
159, 160
Sternumfraktur 41
Thoraxchirurgie 39–45
Thoraxdrainage 11
U
Steroide 222 Thoraxverletzungen 40, 41
Stirn-Lifting 202 Thrombektomie 54, 61, 126 Übergangswirbel 263
Stoßwellenlithotripsie, extrakorporale Thrombendarteriektomie 55, 79 Überlaufinkontinenz 368
362 Thromboembolieprophylaxe 13 Ulcus
Strangulationsileus 126 Thrombophlebitis 61 – cruris venosum 61, 62
Stressinkontinenz 368 Thrombose 13, 55 – duodeni 76
Strikturoplastik 77, 78, 93 Thyreoidektomie 63, 64 – ventriculi 70
Stripping 61 Tibiakopffraktur 176 Unfallchirurgie 133–180
Struma Tinnel-Hoffmann-Zeichen 261 Unterarmluxationsfraktur 165,
– benigne 64 TNM-System 18, 19 166
– nodosa 64 Torsionsfraktur 136 Unterarmschaftfraktur 166
Stuart-Prower-Faktor-Mangel 227 Torticollis 272, 278 Unterkieferfraktur 36
Stufenaufklärung 6 Tractus-iliotibialis-Syndrom 302 Unterkühlung 206
Styloitis radii 288 Transplantatabstoßung 22 Unterlidplastik 200
Subarachnoidalblutung 27 Transplantationschirurgie 21, Unterschenkelfraktur 177
Subduralblutung 27 22 Unterschenkelschaftfraktur 177
Supraspinatus(sehnen)syndrom Transplantationsindikationen 22 Untersuchung
258, 283 Transposition, großer Gefäße 49 – chirurgisch-klinische 4
Sympathektomie 55 Transsexualoperation 202 – orthopädische 220–222
Symphysensprengung 167 Traumatologie 133–180 – phlebologische 54
Syndaktylie 188, 289, 290 Trendelenburg-Zeichen 222, 295 – urologische 333–340
Syndesmophyten 265 Trichterbrust 277 U-Plastik 190
Syndrom Tripletherapie 71 Urachuspersistenz 374
– nephritisches 340 Trochanter-major-Fraktur 170 Urachuszyste 374
– nephrotisches 340, 341 Trümmerfraktur 136 Uratgicht 228
– paraneoplastisches 17 Tuberculum majus, Fraktur 162 Ureterorenoskopie 335
– postthrombotisches 61, 62 Tumoren urethrales Syndrom 338
– urethrales 338 – benigne 16 Urethritis 338
Synostose, radioulnare 289 – braune 247 Urethrographie, retrograde 333
Synovektomie 7 – Definition 16 Urethrometrie 335
Synovialitis 227 – Früherkennung 20 Urethrozystoskopie 334, 335
– pigmentierte villonoduläre 227 – Kindesalter 214, 215 Urge-Inkontinenz 368
Synovialom, benignes 227 – Mediastinum 43 Uringewinnung 336, 337
Synovialzyste 314 – mesenchymale 192, 194 Uroflowmetrie 335
Syringomyelozele 264 – multizentrische 16 Urogenitaltuberkulose 343
Sachverzeichnis
403 S–Z

Urolithiasis 359–362
Urosepsis 381
W – Störungen 12
Wundkleber 10
Wundversorgung 11, 12
Wärmetherapie 222

V Wasserbruch 122
Wasserkopf 28
Wassertherapie 222
Z
Vakuumverband 12 Watschelgang 298
Varikosis 60 Watson-Traverso-Operation 117 Zehendeformitäten 322
Varikozele 363, 367 Weichteiltumoren 194 Zenker-Divertikel 66
Venotomie 54 Willebrand-Jürgens-Syndrom 228 Zervikalsyndrom 272
Ventrikelseptumdefekt 50 Wilms-Tumor 214, 215, 348, 349 zervikobrachiales Syndrom 272
Verätzung 206 Wirbelkörperfraktur, pathologische Zirkumzision 376
Verband, ruhigstellender 139, 140 156 Zollinger-Ellison-Syndrom 130
Verbrennung 203, 204 Wirbelsäule Z-Plastik 190
Verbrennungskrankheit 204, 205 – Anatomie 261 Zuggurtungsosteosynthese 164,
Verbundosteosynthese 142 – Bambusstabform 265 171
Verletztenartenverfahren 134 – Fehlbildungen 263 Zwerchfellhernie 122, 123
Verner-Morrison-Syndrom 130 – Untersuchung 261, 262 – kindliche 210
Verriegelungsmarknagel 171 Wirbelsäulenerkrankungen Zwerchfellruptur 123
Vertebroplastie 156 – bakterielle entzündliche 270, 271 Zwergwuchs, disproportionierter
VIPom 130 – degenerative 271–276 238
Viszeralchirurgie 64–132 Wirbelsäulentumoren 277 Zylindurie 330
– bei Kindern 208 Wirbelsäulenverletzungen 153–157 Zystektomie 351
Vitamin-D-Mangel 234 – Diagnostik 154 Zystitis 338, 339
Volkmann-Fraktur 177 – Klassifikation 154 Zystometrie 335
Volkmann-Kontraktur 255 – konservative Therapie 155 Zystoprostatektomie 351
Vollhauttransplantat 192 – operative Therapie 155
Vorbeugetest 268 W-Plastik 190
Vorfußverletzung 180 Wundarten 11
Vorhautverengung 375, 376 Wunde 11
Vorhofseptumdefekt 49, 50 Wundheilung 11

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