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Zuschnitt Zeitschrift über Holz als Werkstoff und Werke in Holz Dezember 2019 Nr. 76 | 19.

Jahrgang | Euro 8 | isbn 978-3-902926-34-0 proHolz Austria

zuschnitt 76
Steildach
Wie von Kinderhand gezeichnet,
krönt das steile Dach immer öfter
auch moderne Bauten – ein guter
Grund, seine gestalterischen,
konstruktiven und
bauphysikalischen
Möglichkeiten näher
zu beleuchten.
Inhalt Seite 3 Themenschwerpunkt
Editorial
Zuschnitt 76.2019 Text Anne Isopp Seite 6
Seite 4 – 5 Hofstelle in Cadolzburg
Essay Sparren mit Aufdach-
Singin’ in the Rain dämmung
Text Alberto Alessi Text Florian Aicher
Seite 7
Wohnhaus in London
Massivholz mit Aufdach-
dämmung
Text Oliver Lowenstein

Zuschnitt 77.2020 Brandschutz – erscheint im März 2020

Vor 16 Jahren haben wir uns das letzte Mal dem Thema Brandschutz gewidmet.
Das war im Zuschnitt 14 mit dem Titel „Holz brennt sicher“. Seitdem hat sich
viel getan, das Vertrauen in die Sicherheit von Holzbauten ist gestiegen. Nicht
nur in England, der Schweiz und Übersee wachsen die Holzhäuser gen Himmel,
auch in Österreich baut man inzwischen Hochhäuser aus Holz, wie hier das
HoHo in Wien. Im nächsten Zuschnitt werden wir uns den Stand der Technik
und der Gesetzgebung anschauen. Wir wollen wissen, warum man in einigen
Ländern höher bauen darf und wie dies brandschutztechnisch gelöst wird.
Wir widmen uns dem Thema Brandschutz im Detail und länderübergreifend.

Titelbild Impressum Offenlegung nach § 25 Redaktionsteam Fotografien


woodpassage Medieninhaber und Mediengesetz Anne Isopp (Leitung) Christian Hartlmaier s. 1
auf der Bau München Heraus geber Arbeitsgemeinschaft der Christina Simmel cetus Baudevelopment⁄ kito s. 2
proHolz Austria österreichischen Holzwirt- (Assistenz) dürschinger architekten s. 4 – 5
Zuschnitt Arbeitsgemeinschaft der schaft nach Wirtschafts- Kurt Zweifel Wolfram Reuter s. 6
issn 1608-9642 ös terreichischen Holzwirt- kammergesetz (wkg § 16) redaktion @ zuschnitt.at Timothy Soar s. 7
Zuschnitt 76 schaft zur Förderung der naaro s. 8
isbn 978-3-902926-34-0 Anwendung von Holz Ordentliche Mitglieder Lektorat Walter Ebenhofer s. 9 li.
Obmann Richard Stralz Fachverband der Holz - Esther Pirchner, Innsbruck Georg Aerni s. 9 re.
www.zuschnitt.at
Geschäftsführer indus trie Österreichs Ralph Feiner s. 10 o., 11
Zuschnitt erscheint viertel- Georg Binder Bundesgremium des Holz- Gestaltung Adolf Bereuter s. 10 u.
jährlich, Auflage 12.000 Stk. Projektleitung Zuschnitt und Baustoffhandels Atelier Andrea Gassner, Markus Bstieler s. 12
Einzelheft euro 8 Kurt Zweifel Feldkirch; Reinhard Gassner, Johanna Albrecht⁄ bda s. 13
Preis inkl. USt., exkl. Versand A-1030 Wien Fördernde Mitglieder Marcel Bachmann Bundesdenkmalamt (bda),
Am Heumarkt 12 Präsidentenkonferenz der Abteilung für Architektur und
T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74 Landwirtschaftskammern Druck Bautechnik s. 14 – 15
info @ proholz.at Österreichs Grasl FairPrint, Bad Vöslau Volker Wortmeyer s. 16, 17
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meister, der Tischler und auf GardaPat 13 Kiara Rasmus Norlander s. 19
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Austria und den AutorInnen der Holzwirtschaft Bestellung⁄ Aboverwaltung Blaz Budja s. 24
Die Zeitschrift und alle in proHolz Austria Alenka Stražišar Lamovšek⁄
ihr enthaltenen Beiträge Editorialboard info @ proholz.at The land of the hayracks,
und Abbildungen sind Reinhard Gassner, Schlins T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74 Šentrupert, Slowenien s. 25
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Jede Ver wendung außerhalb Schwarzach haltigkeit und Tourismus (bmnt)
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rechts ist ohne Zustimmung Arno Ritter, Innsbruck Timothy Schenck, Courtesy
des Herausgebers unzulässig of Public Art Fund, NY s. 28
und strafbar.
Seite 8 – 11 Seite 13 – 15 Seite 18 Seite 20 – 21 Seite 24 – 25
Die Freiheit unter dem First Holzdachwerke der Wiener Turnhalle in Haiming Insektenmuseum in Paris Seitenware
Fünf Variationen zum Thema Innenstadt 700 Jahre Fachwerkkonstruktion mit Holzrahmenelement mit Nur Dach. Der einfache
Steildach Zimmermannskunst Aufdachdämmung Gefachdämmung Ausdruck eines komplizierten
Text Gabriele Kaiser Text Hanna A. Liebich Text Roland Pawlitschko Text Hubertus Adam Gedankens
Seite 12 Seite 16 – 17 Seite 19 Seite 22 – 23 Text Uroš Rustja
Tischlerei in Lienz Dachausbau in historischer Zwischen Konstruktionslogik Das Steildach Konstruktion Seite 26 – 27
Fachwerkkonstruktion Substanz Sparren mit und Bildhaftigkeit Unter dem und Bauphysik Wald – Holz – Klima
mit Dämmung in der Gefachdämmung Dach ist manches möglich Text Julia Bachinger Multifunktionale Wald-

Editorial
Konstruktion Text Tobias Hagleitner Text Hubertus Adam wirtschaft

Inhalt
Text Anne Isopp Text Anne Isopp
Seite 28
Holz(an)stoß
Siah Armajani

2
3
Text Stefan Tasch

zuschnitt 76.2019
Editorial

Anne Isopp

Nicht nur die Turnhalle im bayerischen Haiming hat Das Dach ist Teil der Erscheinung eines Hauses.
ein Satteldach, auch das Stadthaus in London und Man begegnet einem Haus mit Satteldach anders –
das Insektenmuseum bei Paris. Ihre Silhouetten vielleicht so, wie man einem Herrn oder einer Dame
schauen auf den ersten Blick wie von Kinderhand mit Hut entgegentritt. Aber nicht nur die äußere
gezeichnet aus, und doch ist ihre Gestalt überzeu- figurative Wirkung, auch die inneren Qualitäten gilt
gend: nicht kindlich, sondern gekonnt. Nicht alther- es wiederzuentdecken: Dachböden sind heute meist
gebracht, sondern zeitgemäß. Das Satteldach ist nicht mehr ungedämmte Dachräume, sondern Innen-
zurück in der Formensprache der modernen Archi- räume, denen mit ihren Kanten, Schrägen und Licht-
tektur. Bei unserer Recherche ist uns eine enorme einfällen eine besondere Atmosphäre innewohnt.
Dächervielfalt begegnet. Dies hat uns dazu bewo- Zudem ist ein steil geneigtes Dach meistens ein
gen, ein Bauteilheft zu diesem Thema zu machen. Holzdach. Ab einer gewissen Neigung ist eine leichte
Nach den Decken, Fassaden, Türen, Fenstern und Konstruktion die logische. Damit ist der Holzbau
Flachdächern aus Holz widmen wir uns in diesem wieder in seiner Domäne angelangt. Vor ein paar
Heft dem Steildach. Wir sprechen dabei sowohl Jahrzehnten noch waren die Zimmerer hauptsäch-
statische und bauphysikalische als auch räumliche lich damit beschäftigt, Dachstühle zu errichten.
Komponenten an. So wie der Holzbau sich vom Dann entwickelte sich der Werkstoff Holz zu einem
Stab zur Fläche entwickelt hat, haben sich auch die hochmodernen Baustoff und der Holzbau fand
konstruktiven Möglichkeiten, ein Dach zu bauen, vermehrt Eingang in die Stadt und in viele unter-
vervielfacht. Eine aus Fachwerken oder Trägern schiedliche Bauaufgaben. Heute sind die Dächer
gefügte Dachkonstruktion hat einfach eine andere nur mehr die Krönung von ganzheitlich in Holz
Wirkung als eine aus plattenförmigen Elementen. gedachten und ausgeführten Holzbauten.

woodpassage – vom Baum zum Haus


Die woodpassage tourt weiterhin durch Österreich, Deutschland und die
Schweiz. Die vier hölzernen Tore gehen auf eine Initiative von proHolz Austria,
proHolz Bayern und Lignum Schweiz zurück. Die Skulptur im öffentlichen
Raum kann durchwandert werden und macht die Verwandlung vom Baum zum
Haus sinnlich erlebbar. Auch im kommenden Jahr wird sie vielerorts zu sehen
sein, u. a. Mitte Januar in Basel und im September in Wien.
Alle weiteren aktuellen Standorte finden Sie hier: www.woodpassage.eu
Essay Singin’ in the Rain 2. Die Bezeichnung Dach geht zurück auf das germanische Wort
aka – Dach –, das seinerseits eine Ableitung zu teg – decken,
bedecken – ist. Ursprünglich bedeutet Dach also „Decke“. Ähn-
lich ist der Ursprung des Wortes tetto, das vom lateinischen Wort
tēctum von tēgĕre – bedecken – stammt und Überdachung eines
Alberto Alessi Gebäudes bedeutet, bestehend aus geneigten, an tragende
Strukturen angelehnten Oberflächen, die so angeordnet sind,
1. „Der Nutzen von Überdachungen ist das Wesentlichste, das dass der Abfluss des Regenwassers garantiert wird. So wie das
Wichtigste. Das Dach garantiert nicht nur die Gesundheit der Quadrat eine spezielle Variante des Vierecks ist, so ist jede
Hausbewohner, indem es sie vor der Nacht, dem Regen und vor Überdachung eines Gebäudes eine Form von Schrägdach: Geo-
allem vor der großen Hitze der Sonne beschützt, nein, vielmehr metrisch existiert das Flachdach nicht, jede Überdachung hat
schützt es das ganze Gebäude: Entfernt man die Überdachung, eine minimale Neigung.
so löst sich die gesamte Materie auf, die Mauern blättern ab, die
Fassaden brechen auf und letztendlich geht das gesamte Mauer- 3. Dächer prägen als architektonisches Grundelement den Cha-
werk mit der Zeit kaputt. Es erscheint unglaublich, aber tatsäch- rakter bebauter Orte. Das Dach ist ein öffentliches dekoratives
lich ist die Haltbarkeit des Fundaments abhängig vom Schutz Element par excellence, ein von Weitem sichtbarer Korpus und
der Überdachung.“ So schrieb 1485 Leon Battista Alberti im Werk eine einprägsame Silhouette. Die Form des Dachs ist die Art und
De re aedificatoria. Es genügt nicht, nur stabil zu bauen, man Weise, wie sich das Gebäude einfügt, sich unterscheidet und sich
muss das, was man errichtet hat, auch beschützen, um sich selbst als bedeutungsvoll erweist.
zu schützen. Dessen ist sich auch Giancarlo De Carlo bewusst:
„Antonio Averlino, bekannt als Filarete, erzählt, dass Adam an 4. Bei einem Steildach wandert der Blick kontinuierlich von
einem stürmischen Tag vor Gott, der ihn aus dem Garten Eden unten nach oben und wieder nach unten und verlagert sich dann
vertreiben wollte, seine Hände über dem Kopf so zusammenhielt, an die Seiten, wo das Dach wie eine Brücke zwei Ufer miteinan-
dass sie wie ein Dach ihn vor dem göttlichen Zorn und vor dem der verbindet. Ein Dach dominiert ein Gebäude, es verbindet das
Regen schützen sollten. Im selben Augenblick und aus dieser Bauwerk mit der Landschaft. Es kann bunt hervorstechen oder
Geste heraus erschien die erste Architektur auf Erden. Ich glaube, sich unauffällig in die Umgebung einfügen, es kann klar in seinen
dass dieses Bild die lebendigste Definition von Architektur ent- Formen oder aufgeteilt in Dachflächen und Pinakel sein.
hält, die jemals gegeben wurde.“
5. Ein Steildach ist Teil der Fassadengestaltung, es ist deren Die Tatsache, dass Holz einst ein Baum und damit Teil des Waldes
Fortführung und Krönung. So ein Dach folgt dennoch baulichen war, hat diesen Baustoff nicht nur zu einem leicht verarbeitbaren
Notwendigkeiten, die über den reinen Ausdruckswillen hinausge- und wandelbaren Material werden lassen, sondern vor allem zu
hen. Deshalb wurde diese Art von Dach bisweilen angezweifelt einem lebendigen Baumaterial. Laut Vitruv entstand die Urhütte
oder gar abgelehnt, weil es nicht jene abstrakt freie Komposition nicht zufällig, sondern durch Beobachtung und Nachahmung der
erlaubte, die für die Gestaltung einer neuen Welt notwendig Natur. Die Steildächer, vor allem das Pultdach und das Sattel-
erschien. Will man mit einem Flachdach den Sieg der Baukunst dach, sprechen die einfachste statische Struktur an, das Dreieck:
über die Kräfte der Natur feiern, so akzeptiert das Steildach die Form folgt Funktion. Die Form des Steildachs ist folglich sinnvoll
Natur als Mitkonstrukteurin. Das Steildach ist die erste analoge und sinnlich wahrnehmbar.
Architektur: Es schützt vor den Witterungseinflüssen, es be-
stimmt und schließt die Form des Gebäudes ab, es hat Charakter 7. Ein Dach erlebt man von außen und von innen. Im ersten Fall
und definiert eine Topografie. Es ist folglich ein großartiges Aus- schenkt es Atmosphäre und Form, im zweiten Fall beschützt und
drucksinstrument in den Händen der Konstrukteure: Es kann S, empfängt es Besucher und Bewohner auf verschiedenste Art.
M, L oder XL sein, während ein Flachdach zwangsläufig gleich Lässt man seine Dachneigungen und Trägerstrukturen sichtbar
groß ist wie das Gebäude, das es bedeckt und daher wenig auto- (Dachträger, Dachbalken), so fördert das im Inneren des Hauses
nome Ausdruckskraft besitzt. Ein Schrägdach ragt von Natur aus den Fluss der Bewegung. Ist das Dach verdeckt durch einen Dach-
über das Gebäude hinaus. Gibt es keinen Dachüberstand, dann boden, so lässt das auf geheimnisvolle Weise den Dachraum als
weil es den Wunsch nach etwas Außergewöhnlichem gab, der vertrauten Ort erscheinen. Das Dach ist der Ort, an dem das
aber oft durch technische Probleme bestraft wird. Ein Flachdach Innere nach außen gekehrt wird, wo Vertrautheiten zu gemein-
impliziert die Möglichkeit einer Aufstockung des Gebäudes, samen Ausdrucksweisen werden, wie auch im Lukasevangelium
während ein Steildach den Abschluss der Bauphase und im Nach- 12,3 steht: „Das, was ihr in der Dunkelheit gesagt haben werdet,
folgenden das Bewohnen des Gebäudes voraussetzt. wird im vollen Licht gehört werden; und das, was ihr euch in den
innersten Räumen ins Ohr geflüstert haben werdet, wird über
6. In der Vergangenheit wurde das Schrägdach normalerweise den Dächern verkündet werden.“
mit einem Holzbau in Verbindung gebracht. Das liegt an mehre-
ren Faktoren, insbesondere aber an der Qualität dieses Materials, 8. Der ultimative Zweck eines Daches bleibt jedoch jener, der es
mit dem alle Elemente eines Bauwerks verwirklicht werden können, uns ermöglicht, im Regen zu singen.
von den Decken bis zu den Wänden und der Überdachung.
Alberto Alessi
Architekt, freier Kurator und Kritiker, lebt in Zürich
Hofstelle in Cadolzburg
Sparren mit Aufdachdämmung

Dachziegel
Lattung 35 mm Dachaufbau und Vorplatz zum Hofladen
Konterlattung 35 mm
diffusionsoffene Unterdachbahn, winddicht Werkstatt
Heulager
Dämmung 160 mm
Dampfsperre bei mineralischer Dämmung, U-Wert 0,15 W⁄ m2K
bei pu-Dämmung nur Unterspannbahn Dachneigung ca. 25 Grad (Wohnhaus),
Lager
sichtbare Holzschalung Nut und Feder 25 mm 45 Grad (Hofladen)
Sichtsparren Dachdeckung Ziegel Rösterei, Hofladen

Wohnhaus Alte Schmiede

Florian Aicher

Was für Dächer! Skulpturen aus reinen Flächen und knappen des Hofladens und bestimmt in Maß und Dachform die Silhouette
Kanten, schlüssig über annähernd quadratischem Grundriss als der Ausstellungs- und Verarbeitungsräume, die sich als zwei par-
steile Sparrendächer konstruiert, wie es Fichte und Kiefer her- allele Steildachbauten in die Tiefe des Grundstücks entwickeln.
geben; ungezwungen, doch dicht beieinanderstehend zwischen Ebenfalls an der abfallenden Straße steht das neue Wohnhaus; im
Bäumen und untergeordneten Bauten – noch prägen sie frän- Souterrain befindet sich Wohnraum für Helfer, im ersten Stock
kische Dörfer. hälftig die Wohnung der Eltern sowie die der Jungbauern, die sich
Gonnersdorf, Ortsteil der Marktgemeinde Cadolzburg im Mittel- in den flacher geneigten Dachraum erweitert. Zwischen Wohnhaus
fränkischen, ist so eines – und nun um die Hofstelle Stiegler in und Hofladen führt eine Rampe auf den rückwärtigen Werkhof,
Ortslage bereichert, die mit dem Deutschen Landbaukultur- der nun ebenerdig die meist offenen Bergeräume erschließt.
Preis 2019 ausgezeichnet wurde. Der Neubau, der eine 2014 kom- Begrenzt wird dieser von den geschlossenen Wänden der Ferti-
plett abgebrannte Hofstelle ersetzt, bot die Möglichkeit, funk- gungsräume und einer Sandsteinwand, die ihn vom rückwärtigen
tionelle Bezüge zu optimieren. Eine Besonderheit ist, dass der Freisitz der Wohnung trennt.
letzte Bauer im Dorf nicht nur eine Pferdepension betreibt, son- Teilweise setzt der Neubau auf alten Sandsteinmauern auf. Ge-
dern vor allem von Haselnussbewirtschaftung lebt. mauerte Sockel, aufgehende Holzwände und harte Dachdeckung
Bis in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg reicht die Familien- prägen das Ensemble, fein differenziert. Die alte Schmiede mit
geschichte zurück. Ackerbau war vorherrschend. Als der Rüben- 50 Grad Dachneigung und Biberschwanzdeckung schlägt den Ton
anbau unrentabel wurde, stellte Fritz Stiegler auf Haselnüsse um, an; diesen übernimmt eine Dachseite der Bergeräume, während
im Zuge des Neubaus dann auf Bio. Statt Chemie rücken nun die andere, blechgedeckt, eine für Solarnutzung optimale Neigung
rund 800 Hühner dem Haselnussbohrer, einem Schädling, zu von 25 Grad aufweist. Das Dach des Wohnhauses hat, traufseitig
Leibe und legen nebenher Bio-Eier. Ihr Futter – wie das für die zur Straße, eine Neigung von 30 Grad und ist mit Betonflach-
Pferde – wird auf eigenen Äckern biologisch angebaut: Kreislauf- ziegeln gedeckt. Ihr Anthrazit korrespondiert mit der Graufärbung
wirtschaft auf 40 Hektar. Dank guter Vernetzung mit der frän- der stumpfgestoßenen Schalung der Wände; der monolithische
kischen Genussszene wirtschaftet der „kleine“ Familienbetrieb Eindruck wird durch einen abgeschrägten Einzug der Fenster-
auskömmlich. Kurze Bauzeit, Vorrang des Betriebs – das gebot laibung unterstrichen – Graubünden lässt grüßen. Die Wirtschafts-
gebräuchliche Konstruktionen und Bauformen sowie direkte bauten dagegen sind mit einer Boden-Deckel-Schalung im Farb-
Abstimmung mit den Ämtern; damit war es unproblematisch, ton unbehandelter Kiefer geschlossen.
wie beim Vorgänger bis an die Grenze zu bauen. „Die skulpturale Form der traditionellen, kargen Bauweise“, so
Ein Bau an der Straße hat als einziger den Brand überdauert: eine Architekt Peter Dürschinger, „ist gut geeignet, modernes Bauemp-
kleine Schmiede aus Sandstein. Diese ist als kleines „Museum“ Teil finden mit dem lebendigen Ortsbild dieser Dörfer zu verbinden.
Sie erlaubt eine einheitliche Erscheinung, frei von jeder Uniformi-
tät. So bestätigt sie ein Milieu, in dem Bedacht-Sein ein wichtiger
Aspekt von Geborgenheit ist.“
Standort Cadolzburg⁄ DE
Bauherr privat, Familie Fritz Stiegler Florian Aicher
Planung Dürschinger Architekten, Fürth⁄ DE, www.duerschinger-architekten.de geboren 1954, arbeitet als Architekt und Publizist und lebt im Allgäu
Statik Valentin Maier Bauingenieure, Erlangen⁄ DE, www.vmb-ag.de
Holzbau Holzbau Augustin GmbH, Zirndorf⁄ DE, www.holzbau-augustin.de
Fertigstellung 2019
Wohnhaus in London
Massivholz mit Aufdachdämmung

Steildach
6
7
zuschnitt 76.2019
Ziegel
Distanzschiene⁄ Befestigung
Abdichtung
Schalung 18 mm
Konterlattung 50 mm
diffusionsoffene Unterdachbahn
Schalung 18 mm U-Wert 0,12 W⁄ m2K
Dämmung 200 mm Dachneigung 48 Grad
Brettsperrholz 120 mm Dachdeckung Ziegel

Oliver Lowenstein

Der Londoner Stadtteil Hackney ist zum Synonym für großvolumige Weidengeflechten stellen einen Bezug zum nachwachsenden
Bauten aus Brettsperrholz geworden. Es gibt im Viertel viele Material der Konstruktion her. Im Inneren bietet sich dem Besu-
Beispiele von Holzbauten unterschiedlichster Typologien. Die cher ein vollkommen anderes Bild: Das Brettsperrholz, aus dem
Architekten Waugh Thistleton, die neben anderen Architekten Wände und Decken sind, ist im gesamten Gebäude bis hinauf zur
wesentlich zur Erfolgsgeschichte von Hackney beigetragen sechsten Etage sichtbar. Auch das Dach mit einer Neigung von
haben, zählen in ihrem Bericht Hackney Timber Builds von 2017 45 Grad und dem großzügigen Oberlicht wurde aus Brettsperr-
im ganzen Bezirk 26 Holzbauten, darunter Schulen, Gemeinschafts- holzplatten zusammengesetzt. Überhaupt wirken die Wohnungen
gebäude, Einzelhäuser und kleinere Wohnungen – ein Zeichen wie aus einem Stück Holz geschnitzt, auch die Fenstersitze, Holz-
für die steigende Nachfrage und das Interesse am Holzbau. schränke und Türen sind aus Holz.
Eines der jüngsten Beispiele dafür ist das schlanke sechsgeschos- Dass sich nicht nur das Ziegelmauerwerk, sondern auch die
sige Haus Barrett’s Grove von Groupwork. Es liegt an einer Seiten- Dacheindeckung in ihrer Materialität gut in die Umgebung einfügt,
straße der Stoke Newington Street, einer der wichtigsten Hackney- liegt an Vorgaben, die der Hackney Council gemacht hat. Er hatte
Achsen. Fassade und Dach des Hauses sind mit einer nicht gemeinsam mit den Anwohnern eine Materialpalette festgelegt,
tragenden Ziegelsteinfassade umhüllt. Dabei wurden immer zwei die zu den viktorianischen Reihenhäusern entlang der Straße und
Ziegelsteine aufeinander und mit einem Abstand zueinander zur unmittelbar östlich gelegenen Schule, einem viktorianischen
gesetzt. Da dieser perforierte Sichtschutz das gesamte Gebäude Ziegelgebäude, passt.
umgibt, ist von außen für den Laien nicht zu erkennen, dass Das 17 Meter hohe Gebäude mit sechs Wohneinheiten wurde mit
es sich um einen Holzbau handelt. Allein die Balkongeländer aus einem Budget von 1,27 Mio. Pfund im Frühjahr 2016 fertiggestellt.
Obwohl es sich um ein Gebäude mit Backsteinfassade handelt,
hat der Einsatz von Brettsperrholz den Fußabdruck von Barrett’s
Grove deutlich reduziert. Noch nicht erforscht ist, wie auch in
diesem Ziegelkontext die eigene Materialität des Holzes besser
zum Ausdruck gebracht werden kann. Es liegt nun an anderen,
sich dieser Herausforderung zu stellen.

Oliver Lowenstein
ist Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko-
logiemagazin. www.fourthdoor.co.uk

Standort Barrett‘s Grove, London⁄ UK


Bauherr Cobstar Developments Ltd, London⁄ UK
Planung Groupwork + Amin Taha, London⁄ UK, www.groupwork.uk.com
Statik Webb Yates Engineers, London⁄ UK, www.webbyates.com
Holzbau Ecore Construction Ltd, London⁄ UK, www.ecoreconstruction.co.uk
Fertigstellung 2016
Die Freiheit unter dem First Fünf Variationen
zum Thema Steildach

Das Wohnhaus mit sechs Giebeln steht in Atlanta. Architektin ist Jennifer Bonner.

Gabriele Kaiser

Ob flach, leicht geneigt oder steil: Hausdächer gibt es in den Dass sich das Steildach in all seinen technischen Ausprägungen
unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen und sie waren in als Thema mit räumlich besonders reizvollen Variationen erweist,
der Geschichte der Moderne oft heiß umkämpftes Terrain. Heute zeigen aktuelle Projekte auf der ganzen Welt. So auch das „Haus
löst die Tatsache, dass um das Gegensatzpaar Flachdach und Gables“ mit sechs Giebeln in Atlanta, Georgia, der amerika-
Steildach einst ideologische Grabenkämpfe entbrannt sind, eher nischen Architektin Jennifer Bonner. Das Attribut Vielfältigkeit
Verwunderung aus. Angesichts der zunehmenden Liberalität in ist bei diesem in Brettsperrholz errichteten Domizil wörtlich zu
der Dachfrage ist nur mehr schwer nachvollziehbar, worüber nehmen: Eine asymmetrische Dachlandschaft mit steilen Höhen
damals eigentlich gestritten wurde. Die Auffassung, dass steilen und Tiefen faltet sich über die Wohnräume und eröffnet dem tra-
Dächern etwas Handwerkliches, Althergebrachtes, ja Urhütten- ditionellen Steildach völlig neue Perspektiven. Die kühn gefaltete
haftes innewohnt, flachen Dächern hingegen etwas Neuartiges, Untersicht der Dachflächen aus Brettsperrholz bildet eine kraft-
künstlich Ausgedachtes anhaftet, ist zwar immer noch verbreitet, schlüssige Schalenkonstruktion über den luftigen Wohnräumen
birgt aber jenseits der Geschmacksfrage längst keine Sprengkraft ungewöhnlichen Zuschnitts. „Die Räume folgen dem First, das
mehr, um die Fachmeinung zu spalten. Steildächer brachten Dach bestimmt den Grundriss“, erläutert die Architektin, die
früher das „raumgreifende Lebensgefühl unter einen Hut“, schrieb zunächst fünfzig verschiedene örtliche Dachtypologien katalogi-
der Architekt Markus Grob in seiner poetischen Reflexion über siert und daraus in Modellstudien „Domestic Hats“ generiert hatte,
den einstigen Dächerstreit. Damals habe das abstrakte Prisma des ehe sie – in Eigenregie – dieses Haus entwarf, um die Komplexi-
flach gedeckten Baukörpers oder die „Kulisse des steilen Zelts“ tät des Themas Steildach experimentell auszuloten.
Wünsche befriedigt, die noch in greifbaren Lebens- und Formge- Ergänzend zu dieser eher konzeptionell-akademischen Auseinan-
fühlen wurzelten, ehe eine egalisierende Bauindustrie über kultu- dersetzung mit überlieferten Dachtypologien kann die Neukon-
relle Distinktionen hinwegging und diese zur Sozialromantik er- textualisierung des Giebelhauses natürlich auch schlicht über
klärte. Der stetige bautechnische Fortschritt jedoch – im Holzbau städtebauliche Einfühlung und eine intensive Auseinandersetzung
etwa durch die Einführung von Flächentragwerken – erlaubte mit der lokalen Bautradition gelingen. Ein besonders schönes
und erlaubt immer wieder neue Interpretationen des Steildachs, Beispiel für ein aus den örtlichen Bedingungen abgeleitetes
in denen Tradition erfrischt und nostalgiebefreit weiterlebt. Steildach ist in Hallstatt in Oberösterreich anzutreffen, jenem so
Steildach
9
8
Aus den örtlichen Bedingungen abgeleitetes Steildach in
Hallstatt von Luger & Maul

Innauer Matt sind bei dem Haus im vorarlbergischen Weiler den Umrissen des Vorgängerbaus
gefolgt, bis hin zum Dach seiner Kreuzgiebelformation.

reizvollen wie überlaufenen Weltnatur- und Weltkulturerbe-Ort, Ist es das Holz, ist es die Dachform, die den Schutz bietenden
in dem sich die Richtung See giebelständigen Häuser hoch und Raumeindruck prägen? Hält die Semantik des Steildachs immer
schmal aneinanderschmiegen. Die Architekten Luger & Maul noch den Archetypus eines schlichten vertrauenerweckenden
standen hier vor der Aufgabe, ein baufälliges Bestandsgebäude Gehöfts bereit? Wer sich dem „Haus mit drei Augen“ von Innauer
aus dem 16. Jahrhundert als Ferienhaus und als späteren dauer- Matt im Vorarlberger Ort Weiler nähert, ist geneigt, das zu beja-
haften Wohnsitz neu zu bauen. Obwohl ein Abbruch bis auf die hen. Erinnerungen an die vormals landwirtschaftliche Nutzung
massiven Wandteile des Sockelgeschosses unvermeidlich war, sind spürbar, sei es durch die Lärchenschindelfassade (glatte
blieb der Charakter des ursprünglichen Gebäudes in der neuen Schirmschalung im Erdgeschoss, Rundschalung im Obergeschoss),
Silhouette präsent. Um trotz des aus bauphysikalischen Gründen sei es durch die Kreuzgiebelformation des Dachs, das den
stärkeren Dachpakets ausreichend Raumhöhe zu generieren, Umrissen des Vorgängerbaus folgt. Drei übergroße Mondfenster
wurde der First des neuen Steildachs um 70 cm angehoben und in den Giebelfeldern – jedes weist in eine andere Himmelsrich-
der Baukörper des Haupthauses an der Nordseite um 5 Meter tung – fokussieren verschiedene Elemente der Umgebung im
verlängert. Im äußeren Erscheinungsbild stark in das geschlos- Raum: Berg, Tal und Baum. Drei Blicke, drei Dinge, Konzentration
sene Ensemble am felsigen Hang eingebunden, erweisen sich die auf das Wesentliche. Auch bei diesem Gebäude scheint die
im Obergeschoss vollflächig mit weiß geöltem Tannenholz aus- einfache Hausform der Komplexität des Lebens erfolgreich zu
gekleideten Innenräume als überraschend weitläufig und hell, trotzen.
sodass von der Enge der örtlichen Bebauungsstruktur (deren Ein ähnlich subtiles Spiel mit konstruktiven Asymmetrien lässt
verwinkelte Gassen früher oftmals sogar durch Dachböden sich in Graubünden im Restaurant des Campingplatzes Campadi
führten) nichts mehr zu spüren ist. Als während der Bauarbeiten Trun von Iso Huonder erleben. Der große, zum First hin offene
eine historische Steintreppe im Felshang zum Vorschein kam, Raum mit rautenförmiger Luke im Giebelfeld ist geprägt durch
entschloss man sich, das archäologische Artefakt durch Glas- die Omnipräsenz des Fichtenholzes und die dreiteiligen, sich nach
wand und Oberlicht wie einen Schatz sichtbar in den neuen oben hin öffnenden Binder, die auf Zug- und Druckkraft gleicher-
Hausorganismus zu integrieren – eine überzeugende Maßnahme, maßen reagieren und einen steifen Übergang von der Wand
alte Strukturen an die Gegenwart heranzuführen. zum hohen Satteldach bilden. Das über die Erlenbaumkronen der
Konstruktive Asymmetrien prägen das Raumerlebnis im neuen Restaurant am Campingplatz Campadi
Trun in Graubünden. Architekt ist Iso Huonder.

Umgebung hinausragende Gebäude wurde als Elementbau in der äußerlich fast unmerklich in die bestehende Struktur integriert,
nahen Zimmerei in Trun vorgefertigt, die ungleich hohen Dach- kommunizieren die beiden neuen Holzbauten in Zug ihre Zeit-
flächen und die dementsprechend differenzierte Durchfensterung genossenschaft deutlich nach außen. Die beiden großen rauten-
der beiden Seitenwände steigert den Reiz eines kontemplativen förmigen Fensteröffnungen in den Giebeln der Tischlerei sind
Raums in der Auenlandschaft. Ein Zufluchtsort mit der stillen Aura augenfälliger Blickfang des Gehöfts und gewähren nachts Ein-
einer Waldkapelle … blick in den stützenfreien Dachraum der Restaurierwerkstatt.
Bei den Ersatzneubauten für den Lüssihof in Zug von Grabner Die Dachkonstruktion als Zwei-Gelenk-Rahmen mit biegesteifer
Pulver Architekten war ähnliches Fingerspitzengefühl wie bei dem Firstausbildung ist ein signifikantes Gestaltungsmerkmal des
Haus in Hallstatt gefragt. Ausgangspunkt war ein Gehöft mit Neubaus, dessen Steildächer und Wandkonstruk tionen in Holz-
zwei denkmalgeschützten Wohnbauten aus dem 17. Jahrhundert rahmenbauweise konzipiert sind. Der signifikante asymmetrische
und zwei wesenlosen Zubauten aus den 1960er Jahren, die durch Dachüberstand ist als Aufschiebling auf die eigentliche Dach-
Neubauten ersetzt werden durften. Eine Tischlerei mit Restau- konstruktion gesetzt, die unverkleidete Schwelle stützt sich mit
rationsatelier und eine Heizzentrale mit Büroräumlichkeiten und Sprengwerken auf der Wandkonstruktion ab, was dem Gebäude
Parkremise ergänzen nun – nach intensivem Dialog mit der Stadt- zusätzlich ein unverwechselbares Erscheinungsbild gibt.
bildkommission und der Denkmalpflege – das Ensemble, das
mit neu justierten Binnenräumen verbesserte Betriebsabläufe
ermöglicht. Im Unterschied zum Wohnhaus in Hallstatt, das sich Gabriele Kaiser
freie Architekturpublizistin und Kuratorin; 2010 – 2016 Leiterin des architektur-
forum oberösterreich (afo); seit 2009 Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz;
lebt und arbeitet in Wien

Rautenförmige Fensteröffnungen
sind Blickfang des Gehöfts in Zug
von Grabner Pulver Architekten.
Tischlerei in Lienz
Fachwerkkonstruktion mit Dämmung
in der Konstruktion

Bitumen, beschiefert, 2-lagig


Rauspundschalung 25 mm
Fachwerk, Nagelbinder konstruktion mit Untergurt 200 mm,
dazwischen Einblasdämmung, Steinwolle 300 mm
Dampfbremse
Streuschalung 20 mm
Gipskarton 15 mm U-Wert 0,14 W⁄ m2K
Unterkonstruktion für Akustikdecke, 2-lagig 150 mm Dachneigung 14 und 19 Grad (Büro), 14 Grad (Werkhalle)
Akustikdecke Weißtanne 32 mm Dachdeckung Bitumen

Anne Isopp

Das Spannende am Betriebs- und Bürogebäude der Tischlerei Büros entlang der Außenwände sind – ihrer Raumgröße und
Forcher in Lienz ist, dass es eine gewachsene Struktur ist, in der -funktion entsprechend – die Räume niedriger, der zentrale Raum
jede Zeit ihr eigene Dachform und -konstruktion mit sich brachte. sowie der Besprechungsraum vertragen hingegen ganz andere
Die Architektinnen Michaela Mair und Nina Mair haben diesen Raumhöhen.
Bestand nun um eine Werkhalle und ein Bürogeschoss erweitert. Ursprünglich planten die Architektinnen auch für dieses Dach
Dem Wunsch nach mehr Licht, Platz und kürzeren Wegen haben Dreigelenksrahmen aus Leimbindern. Die ausführende Holzbau-
sie dabei Gestalt verliehen. Im Inneren dient ein kleiner Innenhof firma schlug aber eine material- und kostensparendere Alterna-
als Trennmarke zwischen dem Altbestand im Westen und dem tive aus Fachwerksträgern, eine Nagelbinderkonstruktion, vor.
Neubau im Osten. Da die Werkhalle geringere bauphysikalische Anforderungen
Die älteste Dachkonstruktion auf dem Gelände ist die der alten erfüllen muss, ist hier das sichtbare hölzerne Tragwerk mit einer
Werkhalle, das sind Dreigelenksrahmen aus Stahl. Die neue Werk- Aufsparrendämmung versehen, im Bürobereich hingegen kam
halle hingegen überspannen Dreigelenksrahmen aus Leimbindern eine Dämmung in der Konstruktionsebene zum Einsatz mit einer
mit Zugbändern aus Stahl stützenfrei. Dabei orientiert sich das akustisch wirksamen Weißtannenverschalung.
Raster der neuen Tragkonstruktion an dem der vorhandenen Halle, Für das Raumerlebnis im Inneren sowie für das äußere Erschei-
die Traufen der beiden Werkhallendächer stoßen zusammen und nungsbild kommt der Dachlandschaft aus symmetrischen und
sind mit einem zweilagigen Bitumendach bedeckt. asymmetrischen Satteldächern eine besondere Rolle zu. Beson-
Auch den Bürotrakt krönt ein Satteldach – dieses ist jedoch nicht ders schön sind die Durchblicke vom Foyer und vom Bespre-
symmetrisch wie bei den Werkhallen, sondern asymmetrisch chungsraum in die neue Werkhalle. Hier sieht man, wie selbst-
angeordnet. Vom Foyer aus führt eine breite Treppe ins Dachge- verständlich Alt und Neu, Werkhalle und Bürotrakt ineinander
schoss, in einen zentralen, großzügigen und von oben hell belich- verwoben sind.
teten Aufenthaltsraum mit Küchenzeile. Die Trennwände zu den
Büros sind nach oben hin verglast und erlauben es, den Dach-
raum als Ganzes zu erleben. Damit jede Raumfunktion die für sie
optimale Raumhöhe bekommt, positionierten die Architektinnen
den First nicht in der Mitte, sondern asymmetrisch dazu. In den

Standort Lienz⁄ AT
Bauherr Gabriel Forcher Tischlerei GmbH, Lienz⁄ AT, www.forcher.at
Planung Michaela Mair Architektur, Innsbruck⁄ AT, www.michaelamairarchitektur.com;
Nina Mair Architecture + Design, Innsbruck⁄ AT, www.ninamair.at
Statik Peter Stippler, Innsbruck⁄ AT
Holzbau Plankensteiner Holzbau GmbH, Dölsach⁄ AT, www.plankensteiner.at
Fertigstellung 2019
Holzdachwerke der Wiener
Innenstadt 700 Jahre
Zimmermannskunst

Steildach
12
13
zuschnitt 76.2019
Das Dachwerk der Jesuitenkirche von 1701 mit Liegendem Stuhl.

Hanna A. Liebich

Historische Dachwerke sind faszinierende Holzkonstruktionen, hundert ist anschließend die Zeit der größten und steilsten Dächer,
deren besondere Ästhetik allein aus bautechnischen Erfordernis- mit einem enormen Holzverbrauch, der bis zu 10 Laufmeter pro
sen resultiert. Die Tragwerke bestehen aus Hunderten Einzelteilen, überdachtem Quadratmeter (lfm⁄ m2) betrug. Ab 1440 wurde auf
die in unzähligen individuell ausgearbeiteten Zimmermannsknoten dem Langhaus des Stephansdoms das größte Dach des Mittelal-
händisch gefügt sind. Sie können viele Jahrhunderte überdauern, ters überhaupt errichtet. Es hatte 65 Grad Neigung, 36 Meter
sind aber immer häufiger durch Dachausbauten bedroht. Daher Höhe und sechs Gerüstebenen. Die Konstruktion fiel 1945 einem
erstellte das Bundesdenkmalamt für die Wiener Innenstadt einen Brand zum Opfer. Auf der Franziskanerkirche kam dieser Typus
Dachkataster, der das Alter und den Zustand der einzelnen Dächer 1602 das letzte Mal zum Einsatz. Alternativ zu den Stuhlgerüsten
zeigt. Insgesamt wurden 1.400 Objekte mit Hilfe von Archivma- wurden in Wien Konstruktionen mit Untersparren weiterverfolgt.
terial bewertet und über 200 ausgewählte Dachwerke (s. S. 14 – 15) Ausgehend von den Dächern von Maria am Gestade aus dem
detailliert untersucht. 14. und 15. Jahrhundert ist dieses Phänomen bis zu den Dächern
Die Dachlandschaft liegt als jüngste Schicht auf den oft bis ins der Kapuzinerkirche aus dem Jahre 1621 zu beobachten.
Mittelalter zurückreichenden Bauten der Altstadt. Immer wieder Im 17. Jahrhundert wurden schließlich im Franziskanerkloster die
mussten die Dächer nach Brandkatastrophen oder Aufstockungen Liegenden Stühle erstmals eingesetzt, deren Stützen sich an die
erneuert werden. So stellte sich die Frage, ob sich noch mittelal- Neigung der Sparren anschmiegen und die Last direkt in Richtung
terliche Dachkonstruktionen in Wien erhalten hatten. Alle Erwar- der Auflager ableiten. Die Dachneigung betrug nun zwischen
tungen übertreffend, wurde das älteste Dach dendrochronologisch 45 und 55 Grad. Die Bauweise erwies sich bau- und brandschutz-
auf 1299 datiert. Damit können die Geschichte und die konstruk- technisch als derart günstig, dass sie 240 Jahre lang Verwendung
tive Entwicklung der Dächer Wiens über 700 Jahre zurückverfolgt fand und über die Jahrzehnte perfektioniert wurde. Mit durch-
werden. Die Typologie verläuft von einfachen Sparrendächern schnittlich 4,5 lfm⁄ m2 betrug der Holzverbrauch zwar deutlich
über Dächer mit stehenden und später liegenden Stuhlgerüsten weniger, geriet aber trotzdem zunehmend in Kritik. Spätestens mit
hin zu den Pfettendächern. Die dauernde Weiterentwicklung war der extremen Holzknappheit, die 1853 zum ersten Kaiserlichen
getrieben von dem Wunsch nach größeren Spannweiten, besserer Forstgesetz führte, war ein Umdenken unabdingbar. Nach einer
Stabilität und geringerem Holzverbrauch sowie nach architekto- Übergangsphase hielten 1840 erste Pfettenkonstruktionen Ein-
nischer Repräsentation. zug. Anfänglich lagen die Pfetten auf gemauerten Pfeilern,
Die beiden ältesten Dächer Wiens entstanden um 1300 und be- wodurch weiter Holz eingespart werden konnte und mit 1,7 lfm⁄ m2
finden sich auf der Haimonenkapelle im Alten Rathaus und auf das absolute Minimum an Holzverbrauch erreicht war. Die Dach-
der Malteserkirche. Sie bestehen aus einfachen Sparrenpaaren, neigung sank auf durchschnittlich 37 Grad und die Dächer
die direkt auf den Mauerbänken aufstehen und noch keinen Drei- verschwanden schließlich fast aus der architektonischen Erschei-
ecksverband mit dem Bundtram bilden. In die Gespärre wurde nung der Gebäude.
abschließend ein Bockgerüst aus leicht nach außen geneigten Abgesehen von der konstruktiven Entwicklungsgeschichte spei-
Stützen, horizontalen Spannriegeln und Längsträgern eingeklemmt. chern Dachwerke ein bedeutendes Wissen zu Holzarten, Holzvor-
Diese offensichtlich nur in Wien erhaltene Bauweise ist in der Fach- kommen, Flößungen, Werkzeugen, Baubetrieb, Abbundsystemen,
literatur sonst nicht zu finden. Im Laufe des 14. Jahrhunderts sind Aufrichtevorgängen, Bauphasen, Dachformen und Dachdeckun-
weiterhin einfache Sparrendächer mit Kreuzstreben anzutreffen. gen – ein Schatz, der durch die noch relativ junge Dächerforschung
Das erste, heute noch erhaltene, Dachwerk mit einem ausgereiften erst gehoben wird und für die nächsten Generationen geschützt
inneren Stuhlgerüst wurde 1400 errichtet und befindet sich auf werden soll.
der Minoritenkirche. Die sogenannten Stehenden Stühle konnten
mehrachsig und in vielen Geschossen übereinander abgezimmert Hanna A. Liebich studierte Architektur an der tu Berlin und ist seit 2007 Bau-
werden. Sie dienten der zusätzlichen Aussteifung und bildeten forscherin im Bundesdenkmalamt in Wien. Sie leitet das Projekt „Dachkataster
solide Arbeitsebenen beim Aufrichten der Dächer. Das 15. Jahr- Wien – Innere Stadt“ in der Abteilung für Architektur und Bautechnik.
Maria am Gestade
Haimonenkapelle Maria am Gestade – Chor
Langhaus
1299 1353
1410

Malteserkirche – 1312
Stephansdom – Chor Stephansdom – Apsis Maria am Gestade – Chor Minoritenkirche Hofburgkapelle
1350 – 1945 1350 – 1945 1353 1400 1421

Kapuzinerkirche – Kapelle Kapuzinerkirche – Chor Dominikanerkirche Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Postgasse 4


Kapuzinerkirche – Langhaus
1621 1621 1629 1631 1634 1635 1637
1621

Schottenkirche – Chor Schottenkirche – Langhaus Lobkowitzplatz 2 Lobkowitzplatz 2 Minoritenplatz 3 Herrengasse 7 Herrengasse 7 – Ost Bäckerstraße 14
1685 1685 1685 1687 1693 1695 1695 1697

Renngasse 4 Augustinerstraße 12 Grünangergasse 4 Grünangergasse 4 Renngasse 4 Dorotheergasse 9 Dorotheergasse 9 Schulhof 2


1698 1729 ⁄ 1699 1699 1699 1699 1700 1700 1700

Habsburgergasse 12 Judenplatz 11 Habsburgergasse 12 Wipplingerstraße 6 – 8 Schönlaterngasse 6 Kohlmarkt 11 Tuchlauben 23 Bäckerstraße 16


1706 ⁄ 1832 1707 1707 1708 ⁄ 1776 1708 1710 1711 1711

Bauernmarkt 1 Bauernmarkt 1 Bauernmarkt 1 Freyung 4 Dorotheergasse 2 – 4 Dorotheergasse 2 – 4 Herrengasse 5 Schönlaterngasse 3


1713 1714 1714 1714 1717 1717 1718 1718

Annagasse 18 Petersplatz 10 Blutgasse 3 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Franziskanerplatz 4 Franziskanerplatz 4 Tuchlauben 17 Tuchlauben 17


1727 1727 1730 1730 1730 1731 1733 1733

Sonnenfelsgasse 19 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2 Steindlgasse 6 Habsburgergasse 12 Himmelpfortgasse 10 Seilerstätte 14 Stoß im Himmel 3


1755 1755 1756 1759 1762 1762 1763

Josefsplatz 5 Josefsplatz 5 Josefsplatz 5 Josefsplatz 5 Evangelische Kirche HB Singerstraße 7 Köllnerhofgasse 1 Köllnerhofgasse 1


1781 1781 1782 1782 1783 1785 1791 1791

Singerstraße 22 Seitenstettengasse 4 Naglergasse 21 Seitenstettengasse 2 Seitenstettengasse 4 Seitenstettengasse 2 Seitenstettengasse 2 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2


1814 1821 1822 1823 1823 1824 1826 1827

Wipplingerstraße 6 – 8 Wipplingerstraße 6 – 8 Singerstraße 17– 19 Singerstraße 17 – 19 Bäckerstraße 6 Bäckerstraße 6 Michaelerplatz 6


1840 1841 1842 1843 1845 1845 1845

Freyung 2 Franz-Josefs-Kai 45 Franz-Josefs-Kai 45 Schubertring 8 Schubertring 8 Beethovenplatz 1 Beethovenplatz 1 Herrengasse 23


1856 1859 1859 1860 1861 1861 1862 1869

Schellinggasse 13 Vorlaufstraße Seilerstätte 14 Herrengasse 5 Naglergasse 12 Stephansplatz 5– 5a Stephansplatz 5– 5a Wollzeile 27


1883 1888 1895 1899 1899 1902 1902 1938
Fleischmarkt 11 Fleischmarkt 11 Salvatorkapelle Michaelerkirche – Langhaus Franziskanerkirche
1429 1479 1514 1525 1548 ⁄ 1602

Kirche am Hof
Langhaus
Stephansdom 1608
Langhaus Postgasse 4 Evangelische Kirche AB Kirche am Hof – Chor Franziskanerplatz 4 Franziskanerplatz 4
1440 – 1945 1554 ⁄ 1664 1583 1608 1613 1618

Fleischmarkt 11 Postgasse 4 Bäckerstraße 14 Schönlaterngasse 5 Postgasse 4 Fleischmarkt 11 Franziskanerplatz 4


1641 1645 1655 1662 1671 1684 1684

Aula der Wissenschaften


1642
Fleischmarkt 9 Fleischmarkt 9 Fleischmarkt 9 Annagasse 6 Annagasse 6 Bäckerstraße 14
1633 ⁄ 1697 1697 1697 1698 1698 1698

Singerstraße 7
1690 ⁄ 1784 ⁄ 1667
Schulhof 2 Ruprechtskirche Wipplingerstraße 6 – 8 Bäckerstraße 2 Bäckerstraße 2 Renngasse 4
1824 ⁄ 1700 1701 1704 1705 1705 1705

Jesuitenkirche
Langhaus
1701
Bäckerstraße 16 Judenplatz 11 Bäckerstraße 16 Seilerstätte 28 Tuchlauben 19 Tuchlauben 19 Freyung 4
1711 1711 1712 1712 1712 1713 1713

Sonnenfelsgasse 19 Stoß im Himmel 3 Himmelpfortgasse 13 Himmelpfortgasse 13 Herrengasse 7 Herrengasse 7 Herrengasse 23 Annagasse 18


1718 1719 1720 1720 1721 1722 1822 ⁄ 1722 1726

Himmelpfortgasse 10 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Petersplatz 10 Domgasse 4 Judenplatz 11 Domgasse 4 Domgasse 4 Minoritenplatz 3


1734 1742 1750 1751 1751 1752 1752 1752

Naglergasse 21 Schreyvogelgasse 8 Schönlaterngasse 5 Schreyvogelgasse 6 Schönlaterngasse 5 Freyung 7 Schönlaterngasse 5 Wipplingerstraße 6 – 8


1767 1767 1769 1769 1770 1774 1774 1778

Bäckerstraße 14 Wollzeile 5 Wollzeile 5 Singerstraße 22 Augustinerstraße 12 Herrengasse 7 Herrengasse 7 – West Judenplatz 11


1793 1794 1794 1795 1802 1809 1812 1813

Freyung 6 Freyung 6 Habsburgergasse 12 Kohlmarkt 11 Mölkerbastei 10 Mölkerbastei 10 Seilerstätte 14 Petersplatz 9


1828 1829 1830 1832 1838 1838 1838 1839

Postgasse 8 – 12 Herrengasse 23 Wipplingerstraße 6 – 8 Stoß im Himmel 3 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 Freyung 6 Freyung 2


1849 – ⁄ 1848 1849 1850 1851 1852 1856

Augustinerkirche
Freyung 6 Schottenring 23 Langhaus Schottenring 23 Concordiaplatz 3 Concordiaplatz 3 Lobkowitzplatz 1 Lobkowitzplatz 1
1871 1874 1848 1875 1878 1878 1881 1882

Holzdachwerke der Wiener Innenstadt


Michaelerplatz 6 Schönlaterngasse 5 Herrengasse 7 Herrengasse 23 Herrengasse 23 Bundesdenkmalamt, 2019, www.bda.at
1945 1945 1946 1953 1959
Dachausbau in historischer
Substanz Sparren mit Gefach-
dämmung

Eternit Doppeldeckung 400 x 300 mm


Lattung 40 mm
Konterlattung 80 mm
diffusionsoffene Schalungsbahn
Rauschalung 22 mm
Sparrenverstärkung 120 mm, dazwischen Wärmedämmung
Sparren (Bestand) 160 mm, dazwischen Wärmedämmung
Dampfbremse inkl. Verklebung U-Wert 0,14 W⁄ m2K
Sparschalung (Installationsebene) 24 mm Dachneigung 38 Grad
Holzschalung, Nut und Feder scharfkantig 19 mm Dachdeckung Eternit-Doppeldeckung

Tobias Hagleitner

Im Jahr 1917 malte Gustav Klimt Unterach am Attersee. Aus dem Zwischen den Stuhlpfosten wurden zusätzliche Streben für die
grünen Hintergrund des Bildes sticht ein gelbes Haus mit Sattel- Druckkräfte eingebracht. Die Sparren wurden mit seitlich ange-
dach hervor: der Kindergarten der Gemeinde, der 1898 als einer fügten Brettern ergänzt, was neben der statischen Wirkung
der ersten der k. u. k. Monarchie eröffnet und seither kontinuier- auch eine plane Montageebene für den Innenausbau brachte,
lich genutzt wurde. Der schlichte Solitär blieb über all die Jahr- der durchgängig in hellem Tannenholz ausgeführt wurde. Da die
zehnte ein prägendes Bauwerk für den Ort – im Erscheinungsbild historischen Fassaden keinen Wärmeschutz erhielten, wurde der
genauso wie in seiner sozialräumlichen Wirkung. Dachaufbau umso gründlicher mit Zellulose ausgeblasen, um die
Sonja Hohengasser, Erhard Steiner und Jürgen Wirnsberger, 2016 Hohlräume der Konstruktion möglichst lückenlos zu füllen.
als Architekturteam mit der Sanierung und Erweiterung des Kin- Die eigentliche Herausforderung im Umgang mit dem Steildach
dergartens beauftragt, legten Wert darauf, das Raumprogramm betraf hingegen weder statische noch bauphysikalische, sondern
innerhalb der vorhandenen Struktur unterzubringen sowie das baugestalterische Fragen. Wie konnte der Dachraum in funktio-
Haus zu aktualisieren, ohne Charakter, Proportion und Kubatur nale Bereiche unterteilt werden und dabei als Gesamtheit spür-
aufgeben zu müssen. bar bleiben? Das gelang mit gläsern aufgelösten Wandeinbauten.
Im bislang ungenutzten Dachgeschoss waren die nötigen Raum- Auch für das äußere Erscheinungsbild galt es, die geschlossene
reserven dafür vorhanden. Während Krabbelgruppe, Garderoben Flächigkeit des Satteldachs als Ruhepunkt in der heterogenen
und Büros im Erdgeschoss und die beiden Gruppenräume des Dachlandschaft des Ortes zu erhalten, deshalb verzichteten die
Kindergartens im ersten Stock unterkamen, entstand in dem Architekten auf die üblichen Öffnungen in den Dachflächen.
120 Jahre alten Satteldachwerk eine hochwertige Mehrzweck- und Stattdessen sorgt eine Schicht aus vertikalen Holzlamellen
Bewegungszone inklusive überdachtem Freibereich. an den Giebelseiten für ausreichend Tageslicht und Sicht. Das
Der gute Zustand des Fichtenholzes machte nur wenige Maß- stellt einerseits eine Referenz zu den hölzernen Giebelfeldern
nahmen zur konstruktiven Ertüchtigung des Dachstuhls nötig: des Bestands her, andererseits ergibt sich so ein ästhetisch
Die Mittelpfetten erhielten Stahlstützen zur Reduktion der stimmiges, zeitgenössisches Gesicht für das neu gewonnene
Spannweiten und dachseitig einige Stahllaschen zur Verstärkung. Geschoss.

Tobias Hagleitner, geboren 1981 in Bregenz, hat an der Kunstuniversität Linz im


Fach Architektur diplomiert und promoviert. Er lebt als Künstler, Baukulturver-
mittler und freier Architekturkritiker in Oberösterreich.

Standort Unterach am Attersee⁄ AT


Bauherr Gemeinde Unterach am Attersee⁄ AT
Planung Hohengasser Wirnsberger Architekten, Spittal an der Drau⁄ AT, www.hwarchitekten.at;
Erhard Steiner, Salzburg⁄ AT, www.erhardsteiner.at
Statik Brandstätter Ziviltechniker GmbH, Salzburg⁄ AT, www.brandstaetter-zt.at
Holzbau Jakob Ebner Bau GmbH, St. Lorenz⁄ AT, www.ebnerbau.com
Fertigstellung 2017
Turnhalle in Haiming
Fachwerkkonstruktion mit
Aufdachdämmung

Dachziegel
Lattung 40 x 60 mm
Konterlattung 40 x 100 mm
Unterdachbahn
Dämmung 120 mm
Dampfbremse U-Wert mind. 0,19 W⁄ m2K
Holz-Dreischichtplatte 30 mm Dachneigung 15 Grad
(Nagelplatten-)Dachbinder Dachdeckung Ziegel

Roland Pawlitschko

Es ist die faszinierende Ambivalenz zwischen unprätentiöser Ba- in dem die Oberlichter für ein spannungsreich flirrendes Licht-
nalität und architektonischer Poesie, mit der die neue Sporthalle und Schattenspiel sorgen. Diese Leichtigkeit beruht auch darauf,
des oberbayerischen Vereins sv Haiming sofort das Interesse dass die Halle nicht als Versammlungsstätte gilt und das Dach-
weckt. Einerseits weist die auf einer weiten Grünfläche mitten im tragwerk somit ohne störende Brandschutzmaßnahmen ausgeführt
Dorf stehende Halle eine gewisse Ähnlichkeit zu landwirtschaft- werden konnte.
lichen Bauten auf: Sie ist als dunkelgraues, schmuckloses Gebäude In Bezug auf die Dachform standen den Planern anfänglich prin-
mit Satteldach konzipiert und verfügt über einen hohen Anteil zipiell alle Möglichkeiten offen, weil für die Sporthalle ohnehin
an geschlossenen Holzfassaden. Zudem ist sie direkt an eine ehe- eine Befreiung vom Bebauungsplan erforderlich war. Die niedrige
malige Schulturnhalle der 1970er Jahre angebaut, wodurch ein Traufhöhe resultiert aus dem Wunsch, das Gebäude maßstäblich
zweckmäßig wirkendes Gebäudeensemble mit unterschiedlichen in die Nachbarschaft einzufügen, und das Satteldach galt allein
Dachneigungen, Firsthöhen und -richtungen entsteht. Anderer- wegen der kostengünstigen Ziegeldeckung als gesetzt. Die Dach-
seits machen die schlanken Nagelplattendachbinder im Innen- neigung von 15 Grad ergab sich anschließend schlicht aus dem
raum deutlich, dass es hier keineswegs nur um strenge Kosten- Zusammenspiel der für die Dachbinder und die Dachaussteifung
disziplin, sondern insbesondere um eine ebenso elegante wie nötigen statischen Höhe sowie der Einhaltung der von den Dach-
sensible Architektur geht. ziegelherstellern geforderten Mindestdachneigung. Ausgehend
Dass sich Almannai Fischer Architekten und das Ingenieurbüro von diesen Rahmenbedingungen entstand ein Bauwerk, das vor
Harald Fuchshuber im direkten Vergleich mit dem Angebot eines allem deshalb so eindrucksvoll ist, weil die Planer der Logik des
Generalübernehmers durchsetzen konnten, liegt nicht zuletzt an kostengünstigen Bauens folgten, anstatt sich ihr mit gestalte-
der völlig vorurteilsfreien Analyse der einfachsten Mittel zum rischen Ideen zu widersetzen.
Bau eines rund 25 Meter weit spannenden Holz-Dachtragsystems.
Nachdem sich etwa Leimholzbinder als zu teuer erwiesen, wähl-
Roland Pawlitschko
ten sie das denkbar billigste Verbindungsmittel: verzinkte Nagel-
ist freier Architekt, Autor und Redakteur sowie Architekturkritiker.
platten. Hinzu kamen durchgängig nur 7 cm starke Konstruk- Er lebt und arbeitet in München.
tionsvollholz-Elemente aus Fichte für das in der Mitte 3,77 Meter
hohe Dachtragwerk sowie eine Wandkonstruktion, bei der die
Pfosten, Riegel und Diagonalen wie überdimensionale Wand-
grafiken erscheinen. Die enge Reihung der filigranen, birkenweiß
gestrichenen Binder lässt einen offenen Dachraum entstehen,

Standort Haiming, Landkreis Altötting⁄ DE


Bauherr sv Haiming in enger Abstimmung mit und Förderung durch die Gemeinde Haiming
Planung arge Almannai Fischer Architekten, München⁄ DE, www.almannai-fischer.de;
Ingenieurbüro Harald Fuchshuber, Altötting⁄ DE
Statik hsb Ingenieure, Mehring⁄ DE, www.hsb-ingenieure.de
Holzbau Zimmerei Holzbau Hecker, Kastl⁄ DE, www.holzbau-hecker.de
Fertigstellung 2016
Zwischen Konstruktionslogik und Bildhaftigkeit
Unter dem Dach ist manches möglich

Steildach
Hubertus Adam

„Wenn möglich einen Dachüberstand vorsehen (mindestens 30 cm

19
18
weiter auskragend als der vorderste Holzbauteil)“, so lauten die
üblichen Empfehlungen für Holzbauten – hier seitens der Platt-

zuschnitt 76.2019
form infoholz.at. Historisch gesehen war der Dachüberstand an
der Trauf- und der Giebelseite als ein Element des konstruktiven
Holzschutzes eine Selbstverständlichkeit bei Holzbauten, die vor
allem dort entstanden, wo Holz in großem Maße zur Verfügung
stand – also vor allem in ländlichen Regionen. Das zeigt sich
kulturübergreifend, ob man auf Berghütten in Norwegen oder
Bauernhäuser in Österreich und der Schweiz blickt – oder auf die
Holzbauten in Japan. Dazu kam häufig ein weiterer Vorteil: Die
vorgezogenen Dächer schützten nicht nur das Holz vor dem
Eindringen der Feuchtigkeit, sondern gaben bei weiterer Auskra-
gung die Möglichkeit, Zwischenzonen zwischen innen und außen
zu schaffen: wettergeschützte Balkone, Lauben oder überdeckte
Terrassen – in Japan den Engawa, die raumhaltige Zone zwischen
innen und außen. Bei stark vorstoßenden Dachstirnen mussten Wohnhaus in Alpnach von Seiler Linhart Architekten
die Vordächer mit Streben ausgesteift werden, damit sie dem
Winddruck standhalten konnten. In der Schweiz, besonders im
Gebiet um Bern, wurden die Dachuntersichten mit einer konkaven
Bretterverschalung versehen, der sogenannten Ründe.
Im 19. Jahrhundert kam es zum ersten Revival ruraler Architektur. Die Dogmatik der Moderne erwies sich auch nach dem Krieg als
Nachdem die Schweiz durch nordeuropäische Reisende als vor- relativ nachhaltig und konstant, Häuser mit Satteldach und Holz-
geblich einfaches, ursprüngliches und hinsichtlich ihrer Landes- bauten führten ein Schattendasein, als seien diese Bauformen
natur als erhaben verstandenes Land idealisiert worden war, ent- provinzlerisch kontaminiert. Seit den 1990er-Jahren ist aber ein
standen „Schweizerhäuser“ an unterschiedlichen Orten. Zunächst Revival der Giebelhäuser zu verzeichnen. Architekten wie mvrdv
als Staffagebauten in Parks, dann vor allem im Kontext der Touris- oder Herzog & de Meuron experimentierten damit, doch musste
musarchitektur für Gaststätten, Hotels oder Sanatorien, wo die die Bauform gleichsam gegen den Strich gebürstet werden.
unter den Vordächern installierten Lauben, Balkone und Veranden Dachüberstände verschwanden, um das Haus zum plastischen
zur Attraktivität der jeweiligen Lokalität beitrugen. Der Schweizer Körper, gewissermaßen zu einem archaischen Urhaus zu stilisieren.
Stil in der Tourismusarchitektur verbreitete sich an den Küsten Die Bildhaftigkeit siegte über die Konstruktionslogik. In Kauf
der Nord- und Ostsee, an den Fjorden Norwegens, in den Mittel- genommen werden muss, dass der chemische den konstruktiven
gebirgen, aber auch in seinem Ursprungsgebiet: in den Alpenlän- Holzschutz ersetzt und dass die hölzerne Außenhaut nach einiger
dern Schweiz und Österreich. Dabei handelte es sich nur um vage Zeit erneuert werden muss.
Bezugnahmen auf historische Vorbilder; mancherorts figurierten Doch seit einiger Zeit fällt auf, dass Architekten sich vermehrt
die Bauten auch als „Tiroler Häuser“. Eine wissenschaftliche mit der klassischen Form des Holzbaus mit seinen auskragenden
Erforschung der historischen ruralen Bauten des Alpenraums, Dächern auseinandersetzen. Hier ist zum Beispiel auf Bauten von
die auch die Differenzierung der unterschiedlichen regionalen Gion Caminada hinzuweisen, aber auch auf das Haus K. des jungen
Ausprägungen erlaubte, begann erst gegen Ende des 19. Jahrhun- Luzerner Architekturbüros Seiler Linhart, eine zeitgemäße Inter-
derts. Die produktionstechnischen Neuerungen der Zeit erlaubten pretation der traditionellen Innerschweizer Architektur mit ihren
es, Holzhäuser in Serie zu fertigen und sozusagen als Bausätze seitlichen Lauben und ihrer vorstehenden Giebelstirn in Massiv-
zu exportieren. Damit hatte beispielsweise der Schweizer Architekt holzbauweise. Auch Herzog & de Meuron errichteten auf dem
Jacques Gros großen Erfolg. Chäserrugg im Kanton St. Gallen ein Berggasthaus, unter dessen
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und der Wende zur archi- schützendem Dach ganz verschiedene Funktionen Platz finden,
tektonischen Moderne kam die Schweizermode zum Erliegen; die nicht zuletzt die Endstation der Seilbahn. Dass das Dach mehr
Reformer brandmarkten sie als eine weitere Spielart des Historis- übersteht als 30 cm ist dafür Voraussetzung.
mus. Architekten wie Le Corbusier orientierten sich zwar durch-
aus am vernakulären Bauen, begeisterten sich aber eher an den
Hubertus Adam
weißen kubischen Bauten der Mittelmeerregion. Holzhäuser
ist freier Architekturkritiker, Architekturhistoriker und Kurator. Nach Jahren als
spielten im Neuen Bauen eher eine marginale Rolle. Natürlich gibt Redakteur für Bauwelt in Berlin und archithese in Zürich leitete er von 2010 bis
es Ausnahmen, so das 1930 von Adolf Loos fertiggestellte Land- 2015 das s am Schweizerisches Architekturmuseum in Basel. Er veröffentlichte
haus im niederösterreichischen Payerbach, ein beeindruckendes zahlreiche Bücher und ist für diverse Medien im In- und Ausland tätig.
System aus alpiner Bautradition, moderner Formgesinnung und
japanischen Inspirationen.
Insektenmuseum in Paris
Holzrahmenelement mit Gefachdämmung

Schalung Lärche 70 x 20 mm
Lattung 20 mm
Konterlattung 30 mm
Befestigungswinkel
Trapezblech
Unterdachbahn
Holzschalung 20 mm
Brettschichtholzrahmen biegesteif 480 x 200 mm
bzw.
Pfette 60 x 200 mm, dazwischen Wärmedämmung
Dampfbremse
Holzwerkstoffplatte 15 mm
Unterkonstruktion
Akustikpaneel Brettsperrholz, geschlitzt 33 mm
Brettschichtholzrahmen biegesteif 480 x 200 mm

Dachneigung 16 Grad
Dachdeckung Schalung Lärche

Standort Carrières-sous-Poissy, Paris⁄ FR


Bauherr Communauté d’Agglomération Deux Rives de Seine
Planung hhf Architekten, Basel⁄ CH, www.hhf.ch;
awp, Paris⁄ FR, www.awp.fr
Hubertus Adam
Statik Sweco Nederland, De Built⁄ NL, sweco.nl;
evp ingénierie – paris, Paris⁄ FR, evp-ingenierie.com
Fertigstellung 2016 Die Boucle de Chanteloup, die dritte Seineschleife flussabwärts
von Paris, diente über Jahrhunderte als Gemüsegarten der Haupt-
stadt. Dabei verwendete man die Abwässer der Metropole als
Dünger – bis der Boden so stark mit Schwermetallen verseucht
war, dass der Gemüseanbau 1999 verboten werden musste.
Nach Plänen von Agence Ter ist jetzt in Carrières-sous-Poissy ein
113 Hektar großer Park entstanden, der einerseits der biologischen
Sanierung der ausgezehrten Landschaft dient und andererseits als
Naherholungsgebiet für die neu entstehenden Wohnsiedlungen.
Für die Parkbauten wurde ein separater Wettbewerb ausgeschrie-
ben, in dem sich das Gemeinschaftsprojekt der Architekten hhf
(Basel) und awp (Paris) durchsetzen konnte.
Von ihrem Gesamtkonzept wurde bislang ein gerüstartig aufra-
gender Aussichtsturm und das den Hauptzugang zum Park
markierende Museum realisiert. Es war ursprünglich als Besucher-
Steildach
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zentrum geplant, wurde im Laufe der Planung aber vergrößert verwendet, und zwar sowohl an den Wänden als auch an den
und zu einem Insektenmuseum umprogrammiert. Dieses besteht Flächen des offenen Dachstuhls. So wie außen wurde auch innen
gewissermaßen aus mehreren hölzernen Urhütten, die nebenein- bewusst auf die Differenzierung zwischen Wand und Dach ver-
ander angeordnet wurden: abstrakte Häuser mit Satteldach und zichtet, um die Homogenität und Abstraktheit der Architektur zu
ohne Dachüberstand. Fünf Körper unterschiedlicher Größe und unterstreichen. Die Rillen der Akustikplatten greifen im kleinsten
Proportion wurden über einem Betonsockel zu einem Volumen Maßstab die Idee der vertikalen Rhythmisierung auf, die verbin-
zusammengeschoben, das über unregelmäßigem Grundriss in die dendes Merkmal sämtlicher Parkbauten sein soll.
Landschaft ausgreift. Die Konstruktion besteht aus biegesteifen Durch das Zusammenspiel der kräftigen Holzrahmen, der Wand-
Holzrahmen aus Douglasien-Brettschichtholz, die zum Teil an den flächen und des Epoxidharzbodens zeigt sich das Innere licht und
Schnittstellen als Spider Legs im Raum auftreten. Große Fenster hell. Im Museum werden die Geschichte des Ortes und das Thema
öffnen gezielt Blickachsen in die Umgebung, transluzente Poly- der Insekten präsentiert, neben einem Auditorium gibt es ein
carbonatplatten lassen Licht ins Innere strömen. Vertikale Latten Labor mit Bruteinrichtungen für Insekten. Als Haus im Haus steht
aus sibirischer Lärche bilden die äußere Haut des Gebäudes ein Glashaus mit lebenden Schmetterlingen und Insekten, es
und sind auch als Lamellenstruktur über einige Bereiche der Ver- bildet sozusagen den Nukleus des Museums – in formaler wie in
glasung geführt. Als innere Verkleidung wurden Akustikplatten inhaltlicher Hinsicht.
Das Steildach Konstruktion

Konstruktion Holzrahmen Sparren


Dämmung in oder auf Konstruktion mit Gefachdämmung mit Aufdachdämmung
mit oder ohne Hinterlüftung mit Hinterlüftung mit Hinterlüftung

_ Dacheindeckung _ Dacheindeckung _ Dacheindeckung


_ Hinterlüftungsebene _ Hinterlüftungsebene _ Hinterlüftungsebene
_ äußere Beplankung/ _ Unterdachbahn, _ Unterdachbahn
Unterdeckplatte, diffusionsoffen _ Wärmedämmung druckfest
diffusionsoffen _ Zusatzdämmung _ Dampfbremse, Luftdicht-
_ Sparren, dazwischen _ Sparren, dazwischen heitsebene, Notabdichtung
Wärmedämmung Wärmedämmung _ innere Beplankung
_ innere Beplankung als _ Dampfbremse _ Sparren, sichtbar
Dampfbremse⁄ osb _ innere Beplankung,
luftdicht Gipskarton

Das Steildach Bauphysik

Julia Bachinger

Bei der bauphysikalisch richtigen und damit scha- Feuchteschutz


densfreien Konstruktion von Steildächern muss Der Feuchteschutz im Bauteilaufbau wird bei Steildächern im Holzbau übli-
besonderes Augenmerk auf die Ausführung der cherweise mit dem einfachen Grundsatz der außenseitigen Diffusionsoffenheit
Hinterlüftung, den Feuchteschutz und die Winddich- erreicht: Außenseitig wird ein diffusionsoffenes Unterdach (sd-Wert ≤ 0,5 Meter)
tigkeit gelegt werden. Planungshinweise zu einer ausgeführt, innenseitig eine diffusionsbremsende Schicht. Die diffusions-
fachgerechten Ausführung eines Steildachs hat die bremsende Schicht gewährleistet zugleich meist die Luftdichtheit. So wird das
Holzforschung Austria hier zusammengefasst. Eindringen von Feuchte in den Bauteilaufbau reduziert und ein Abtrocknen
nach außen in die Hinterlüftungsebene ermöglicht.
Vorsicht ist bei Dachaufbauten mit außenseitig diffusionsbremsenden oder
dichteren Schichten geboten (sd ≥ 0,5 m):
Unterdach _ Bei Unterdächern mit s d-Werten ≥ 0,5 Meter ist ein Feuchteschutznachweis
Das Unterdach übernimmt im Steildachaufbau erforderlich
mehrere wichtige Aufgaben: _ Bei nicht ausreichender Hinterlüftungsebene kann es auch zu einem geringe-
_ Es dient der provisorischen Regenabdichtung ren Diffusionsstrom nach außen kommen (insbesondere bei Blecheindeckun-
während der Bauphase (maximal vier Wochen) gen). Dabei stellen die in der önorm b 4119:2018 vorgegebenen Öffnungsquer-
_ Es stellt eine zweite regensichere Schicht im schnitte in Verbindung mit den Mindesthöhen der Konterlatten üblicherweise
Bauteilaufbau dar: Regen, Flugschnee, rückstau- eine ausreichende Hinterlüftung sicher.
endes Wasser etc. _ Bei Dächern ohne Hinterlüftungsebene ist sicherzustellen, dass zwischen
_ Wenn es diffusionsoffen ist, erlaubt es ein Dampfbremse/-sperre und Dachabdichtung keine biogenen Baustoffe ange-
Abtrocknen von Feuchte aus dem Bauteil in ordnet sind.
die Hinterlüftungsebene (= feuchtetechnisch
robustes Bauteil).
_ Es übernimmt die Aufgabe der Winddichtheit.
_ Es stellt die Durchsturzsicherheit sicher, um s de -Wert außen s di-Wert innen
Arbeiten auf dem Dach zu ermöglichen.
≤ 0,3 m ≥ 2,0 m oder Erforderliche, raumseitige
Die Sicherstellung einer guten Qualität des Unter- s di -Werte in Abhängigkeit von
feuchtevariable Dampfbremse
dachs ist daher für die Funktionsfähigkeit und den außenseitigen s de -Werten
Langlebigkeit des Steildachs besonders wichtig. 0,3 m ≤ s de ≤ 4,0 m ≥ 4 x s de und ≥ 2,0 m (önorm b 8110-2:2018)
Steildach
Massivholz
mit Aufdachdämmung
mit und ohne Hinterlüftung

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_ Dacheindeckung _ Dacheindeckung Von einem Steildach wird üblicherweise ab einer Dachneigung von 10 Grad ge-

zuschnitt 76.2019
_ Hinterlüftungsebene _ Abdichtung sprochen. Da aber keine allgemeingültige Definition vorliegt, werden manch-
_ Unterdachbahn als Unter- _ Wärmedämmung mal auch schon Dächer mit Neigungen ab 5 Grad den Steildächern zugeordnet.
deckung _ Dampfsperre aus nicht
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Steildächern und Flachdächern liegt in
_ Zusatzdämmung druckfest biogenen Materialien,
_ Dämmung Luftdichtheitsebene, der Herstellung der äußeren, witterungsdichten Bauteilschichten: Während bei
_ Dampfbremse, Luftdicht- Notabdichtung Flachdächern Folienabdichtungen, bituminöse Abdichtungen und Blecheinde-
heitsebene, Notabdichtung _ Brettsperrholz ckungen verwendet werden, kommen bei Steildächern meist Eindeckungen aus
_ Brettsperrholz Dachziegeln mit einer Hinterlüftungsebene und Unterdach zum Einsatz.

Relevante Normen
_ önorm b 8110-2:2018 Wärmeschutz im Hochbau – Teil 2: Wasserdampfdiffusion, -konvektion
und Kondensationsschutz
_ önorm b 4119:2018 Planung und Ausführung von Unter dächern und Unterspannungen
_ önorm b 3419:2018 Planung und Ausführung von Dach eindeckungen und Wandverkleidungen
_ önorm b 3521-1:2012 – Planung und Ausführung von Dacheindeckungen und Wandverkleidun-
gen aus Metall

Quelle (Konstruktionszeichnungen): Atlas Mehrgeschossiger Holzbau, Detail Businesss Informa-


tion GmbH, München 2017, S. 105, 106. Die Begriffe der Konstruktionszeichnungen wurden ent-
sprechend der österreichischen Norm angepasst.

Hinterlüftung Winddichtheit
Die Hinterlüftungsebene eines Steildachs Die Winddichtheit des Dachs und der Anschlüsse stellt sicher, dass es zu kei-
dient der Feuchteabfuhr. Feuchte aus dem ner Durch- bzw. Unterströmung der Wärmedämmung durch kalte Außenluft
Gebäudeinneren kann durch Diffusion in die kommt. Dies würde eine Erhöhung der Wärmeverluste und somit eine Vermin-
Hinterlüftungsebene gelangen. Ein weitaus derung des Wärmeschutzes bedeuten. Die Winddichtheit des Steildachs wird in
höherer Feuchteeintrag wird durch Flug- der Fläche durch das Unterdach gewährleistet. An den Bauteilanschlüssen
schnee, Schlagregen oder Sekundärkondensat Traufe und Ortgang ist je nach Schutz der Fuge (geschützt oder nicht geschützt)
eingebracht. Durch eine ausreichende Durch- eine andere Planung notwendig.
lüftung kann die anfallende Feuchte abtrans-
portiert werden.
Die Mindesthöhe der Konterlatten (= Min-
desthöhe der Hinterlüftungsebene) wird in
önorm b 4119:2018 vorgegeben und ist ab-
hängig von der Dachneigung, der Sparren-
länge und der Schneelast. Eine Verringerung
des Öffnungsquerschnitts ist trauf seitig
auf maximal 50 Prozent des Belüftungsquer-
schnitts zulässig.
Geschützter Anschluss Nicht geschützter Anschluss
Verringerung des Öffnungsquerschnitts firstseitig in
Abhängigkeit von der Dacheindeckung
Für geschützte Bau- Für nicht geschützte Fugen sind zwei Varianten
teilfugen ist ein der Ausführung möglich:
Dacheindeckung Sparrenlänge einfaches Abkleben _ Abkleben und mechanische Sicherung der
≤ 10 m > 10 m des Anschlusses Klebefuge (z. B. Anpressleiste)
ausreichend, hier _ Abkleben und schwerer Dämmstoff im Gefach
Großer Fugenanteil
mit Dämmstoff vor (≥ 25 kg⁄ m3), mindestens 1 Meter von der Traufe
(z. B. Dachsteine, Dachziegel) 30 % 40 %
dem Stellbrett. bzw. vom Ortgang
Faserzementplatten 40 % 50 %

Alle anderen Eindeckungen 50 % 50 %


Julia Bachinger ist Mitarbeiterin der Holzforschung Austria, Leiterin der Fachgruppe Hygrothermik.
(z. B. Metalleindeckung)
Seitenware

Nur Dach. Der einfache Ausdruck eines


komplizierten Gedankens

Überdachung archäologischer Funde einer mittelalterlichen Siedlung in Slowenien

Uroš Rustja

Mitten im Feld scheint ein dünnes Dach in der Luft zu schweben. Jugovecs Dach ist primär ein Unterstand, eine einfache architek-
In der Nähe des Dorfes Otok pri Dobravi und unweit des Flusses tonische Form. Zugleich ist sein Design eine komplexe, moder-
Krka erhebt es sich mit Leichtigkeit über dem hohen Gras, lässt nistische Interpretation der traditionellen Form der Heuschober.
die Natur frei hindurchfließen und deutet nur an, dass darunter Der Architekt entwickelte seine künstlerische Sprache bereits in
etwas Schützenswertes liegen könnte. Es sind die archäologi- anderen Arbeiten, wie der Renovierung der Kirche in Reteče und
schen Überreste der mittelalterlichen Siedlung Gutenwerth, die der Gedenkstätte des Zweiten Weltkriegs in Kočevski Rog. Auch
nach der Türkenbelagerung Ende des 15. Jahrhunderts verlassen hier interpretierte er das Dachmotiv in seinem komplexen histo-
wurde. Das Dach schwebt über den tiefer liegenden alten Mauer- rischen und natürlichen Kontext neu. Dieser Ansatz, die Tradition
resten und berührt den Boden nur mit zwei Stützen, die eine mit als Ausgangspunkt für seine eigene Interpretation zu nehmen,
Stahldiagonalen vorgespannte Holzbinderkonstruktion tragen, kann als die wichtigste Qualität der slowenischen Moderne in den
auf die wiederum eine schlanke Konstruktion für das Reetdach 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden.
gelegt ist. Er vereint den Sinn für die Tradition des Architekten Jože Plečnik,
Diese einfache, subtile Architektur wurde 1973 vom slowenischen den Erfindungsgeist seines Studenten Edvard Ravnikar und die
Architekten Oton Jugovec entworfen. Auf den ersten Blick erin- Offenheit der slowenischen Architektur für die damalige interna-
nert uns das Schutzdach an einen traditionellen slowenischen tionale Architekturszene, insbesondere für die der skandinavischen
Heuschober. In solchen Holzkonstruktionen wurde die Heuernte Länder, miteinander. Alle drei Bedingungen werden jedoch in
getrocknet. In ganz Slowenien, aber auch im Zillertal, in Kärnten diesem speziellen Fall durch die Poetik des Raumes, die außerge-
und in Italien haben sich verschiedene Formen von Heuschobern wöhnliche natürliche Umgebung noch unterstützt. Das Dach von
entwickelt. Sie unterscheiden sich je nach ihrem topografischen Oton Jugovec ist wie ein japanisches Haiku, das in der Lage ist,
und landwirtschaftlichen Kontext und zeichnen sich doch alle sehr komplexe Gedanken auf einfache Weise auszudrücken.
durch eine klar gegliederte, modulare Konstruktion aus, bei der
ein oder zwei Säulenreihen über horizontale Lamellen und ein
Uroš Rustja
Dach miteinander verbunden sind. Diese Heuschober stehen für
Architekt und Lehrbeauftragter an der Fakultät für Architektur der Universität
eine Tektonik, die die Stärke des Materials ebenso wie die Poesie Ljubljana
der Konstruktion in sich verkörpert. Es ist eine entmaterialisierte
Architektur, die in ihrer Leichtigkeit äußerst modern wirkt und
zugleich einen offenen, flexiblen Raum zwischen Innen- und Au-
ßenbereich bildet.
24
In Slowenien gibt es ein eigenes Freilichtmuseum für Heuschober: www.dezelakozolcev.si zuschnitt 76.2019 25 Seitenware
Wald – Holz – Klima Multifunktionale Waldwirtschaft

In dieser Rubrik steht der Wald im Mittelpunkt, der Wald als Rohstofflieferant
und seine Wechselwirkungen mit dem Klima und der stofflichen Nutzung von
Holz. Dieses Mal wollen wir wissen, was eine multifunktionale Waldwirtschaft
ist. Welche Eigenschaften des Waldes sind eigentlich von öffentlichem Interesse
und was passiert, wenn sich diese Interessen verlagern zum Beispiel weg von
der Nutzung hin zum Naturschutz? Wir sprachen mit Karl Hogl, Professor für
Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik, sowie mit Peter Schwarzbauer, Analyst
holzbasierter Märkte und ebenfalls Professor an der boku Wien.

Anne Isopp

Was versteht man unter einer multifunk- Welche Konflikte gibt es durch die Koexis- das Pendel in gesellschaftlichen Ausein-
tionalen Waldwirtschaft? tenz der unterschiedlichen Funktionen auf andersetzungen ausschlägt, ist Ergebnis
Karl Hogl Wald kann unterschiedlichste ein und derselben Fläche? öffentlicher Debatten und politischer Ent-
Wirkungen entfalten und für verschie- Karl Hogl Der Integration verschiedener scheidungen, also auch eine Frage von
denste Zwecke genutzt werden. Auch ein „Funktionen“, wir sprechen de facto besser Machtverhältnissen.
sich selbst überlassener Wald produziert von der Berücksichtigung unterschiedlicher
Holz, trägt einen bestimmten Wildtier- gesellschaftlicher Interessen, sind naturge- Auch in diesem Jahr gab es wieder große
bestand, regelt den Wasserhaushalt, ist mäß Grenzen, teils enge Grenzen gesetzt. Mengen Schadholz. Haben diese und die
ästhetisch reizvoll und so weiter. Die viel- Oft können nicht alle Ansprüche erfüllt damit einhergehenden Verluste der Wald-
fältigen Waldwirkungen können durch werden, wenn die Stärkung einer Wirkung besitzer einen Einfluss auf die multifunk-
Maßnahmen in Qualität und Menge beein- oder Funktion nur mit relevanter Minde- tionale Waldwirtschaft?
flusst werden. In diesem Sinne versteht rung einer anderen möglich ist. Letztlich Karl Hogl Waldeigentümer haben nicht
man in Mitteleuropa unter „integrativer“ geht es um das Ringen zwischen konkur- nur mit geringeren Preisen für ihr Holz zu
beziehungsweise „multifunktionaler Wald- rierenden Interessen. Die Konflikte können kämpfen, sondern nach Forstgesetz auch
bewirtschaftung“ ein forstwirtschaftliches einseitig oder durch Kompromisse „gelöst“ Wiederbewaldungspflichten zu erfüllen.
Leitbild oder Konzept, nach dem mehrere, werden oder durch räumlich getrennte Großflächige Schadereignisse sind für
in gewissem Maße auch konkurrierende Erfüllung (Segregation). Typische Beispiele viele Waldeigentümer eine Katastrophe,
Wirkungen des Waldes auf einer Fläche von Segregation sind die heimischen besonders für Kleinwaldeigentümer, wenn
zugleich erbracht oder gesichert werden Naturwaldreservate oder die Kernzonen in große Teile ihres Besitzes betroffen sind.
sollen. National- und Biosphärenparks. Wohin Deswegen werden Betroffene im Falle
solcher Kalamitäten durch Beratung und
öffentliche Mittel unterstützt, etwa durch
Förderung der Wiederbewaldung.

Der Waldentwicklungsplan für Österreich und seine Leitfunktionen


Im Waldentwicklungsplan (wep) wird österreichweit nach einheitlichen Richtli- Der Waldentwicklungsplan (wep) dient der Forstbehörde zur vorausschauenden
nien für jede Waldfläche eine sogenannte Leitfunktion festgestellt. Dazu wird Planung der Waldverhältnisse im Bundesgebiet. Er ist eines der Instrumente,
das öffentliche Interesse an den genannten Funktionen anhand einer viertei- die der Sicherung von Waldfunktionen dienen, insbesondere der Nutz-, Schutz-,
ligen Skala von 0 bis 3 bewertet. Für die Nutzfunktion findet keine solche Fest- Wohlfahrts- und Erholungsfunktion. Andere Funktionen und Wirkungen von
stellung statt. Es wird davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an Wäldern wie Naturschutz und das Jagdwesen sind in Gesetzgebung und Voll-
wirtschaftlicher Nutzung grundsätzlich besonders hoch ist. ziehung Angelegenheit der Bundesländer.

Anteil der jeweiligen Leitfunktion


am österreichischen Wald
in Prozent

1,2 % Erholungsfunktion 61,7 % Nutzfunktion


Wirkung des Waldes als Erholungsraum auf die Waldbesucher wirtschaftliche Nutzung, insbesondere Hervorbringung des Rohstoffes Holz
Im Sinne multifunktionaler Waldbewirtschaftung schließt eine bestimmte Leitfunktion nicht die Erfüllung
anderer Funktionen aus. So kann eine Waldfläche mit Schutz als Leitfunktion auch von hohem Interesse für
Erholung sein sowie der Holznutzung dienen.

Die einzelnen Leitfunktionen des Waldentwicklungsplans können hier im Maßstab 1:50.000 betrachtet werden:

Wald – Holz – Klima


www.waldentwicklungsplan.at
Der Waldentwicklungsplan kann für gis-Anwendungen heruntergeladen werden:
www.bmnt.gv.at/forst/oesterreich-wald/raumplanung/waldentwicklungsplan.html

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zuschnitt 76.2019
Peter Schwarzbauer Dazu muss man wis- duktionssystem begriffen. In Mitteleuropa zunehmen und sich gewünschte Nutzungs-
sen, dass es Produkte und Dienstleistungen dominiert das Leitbild der multifunktio- formen zunehmend nicht integrieren lassen,
des Waldes gibt, die vermarktbar sind, und nalen Forstwirtschaft. In Südeuropa wird wird sich multifunktional orientierte Forst-
solche, die nicht vermarktbar sind. Holz, Wald oft viel stärker als Naturraum betrach- wirtschaft vielleicht noch mehr als bisher
Schotter und Christbäume etwa sind ver- tet. Gesellschaftlich dominante Vorstel- die Frage stellen, welche Ansprüche in
marktbar, Schutz- und Erholungswirkung lungen von „richtiger“ Waldbehandlung welchem Maße noch kompatibel sind und
nur zum Teil. Natürlich haben Waldbesitzer können sich aber auch relativ schnell wo die Kapazitätsgrenzen der Wälder liegen.
Interesse an Dingen, die sie vermarkten ändern. In den Niederlanden und im bun- In einem Land wie Österreich, in dem rund
können. Die forstwirtschaftliche Gesamt- desstaatlichen Wald der usa haben wir zum 80 Prozent der Waldfläche in Privateigen-
rechnung der Statistik Austria zeigt, dass Beispiel einen Umschwung vom Wald als tum sind, bleibt zu fragen, wer letztendlich
85 Prozent des Produktionswertes der Forst- Holzproduktionsstätte hin zum Wald als die Verantwortung für die Flächen zu tra-
wirtschaft mit der Produktion von Holz zu schützendes Ökosystem erlebt. Nicht gen hat und wie die Motivation zur Wahr-
und dem Holzzuwachs zu tun haben. Nur der Naturschutz hat sich dann weiter in nehmung der Verantwortung aufrechter-
15 Prozent sind andere Produktionswerte. Waldwirtschaft zu integrieren, sondern halten werden soll.
Naturschutz (außerhalb von Vertragsnatur- Holznutzungsinteressen ringen um Inte- Peter Schwarzbauer Der Anteil jener Ei-
schutz), die Schutzfunktion, die meisten gration in das Naturschutzmanagement. gentümer, die das ökonomische Interesse
Wohlfahrts- und Erholungswirkungen sind am Wald verlieren, wird immer größer.
hier nicht enthalten, weil sie nicht vermarkt- Sie sagen, die Multifunktionalität des Wenn wir die Ziele des Pariser Klima-
bar sind. Trotzdem kann man, gemessen Waldes ist auch Gegenstand öffentlicher schutzabkommens erreichen wollen, wer-
am ausgewiesenen Produktionswert, erse- Diskussion. Welche Entwicklung ist hier zu den wir versuchen müssen, die Holzpro-
hen, welche Bedeutung die Nutzfunktion beobachten? duktion aufrechtzuerhalten. Denn die
im Kontext einer multifunktionalen Wald- Karl Hogl Wir erleben weltweit und auch Kohlenstoffbilanz eines nachhaltig bewirt-
wirtschaft hat. in Österreich schon lange eine Urbanisie- schafteten Waldes ist über die gesamte
rung der Gesellschaft. Kollegen der tu Wertschöpfungskette betrachtet besser
Ist die integrative bzw. multifunktionale München haben schon Ende des vorigen als die eines sich selbst überlassenen
Waldbewirtschaftung in allen Ländern Euro- Jahrhunderts für Deutschland gezeigt, Waldes; einerseits kann in den aus dem
pas Leitbild oder unterscheiden sich andere dass die Holznutzung im Wald in wesent- Rohholz erzeugten Holzprodukten Kohlen-
Länder vom österreichischen Konzept? lichen Teilen der Gesellschaft ausgeblen- stoff gespeichert werden, andererseits
Karl Hogl Die Ausgangslagen sind durch- det wurde, während zugleich der natürliche können durch den Einsatz von Holzpro-
aus unterschiedlich: In skandinavischen Rohstoff Holz, Holzprodukte und Wälder dukten und den Ersatz von fossil-basierten
Staaten wie Finnland werden Wälder über- sehr geschätzt werden. Sollten Ansprüche Produkten durch Holzprodukte Emissionen
wiegend als Wirtschaftsfaktor und Holzpro- an Wald jenseits der Holznutzung künftig vermieden werden.

30,1 % Schutzfunktion 7,0 % Wohlfahrtsfunktion


Schutz vor Elementargefahren und schädigenden Umwelteinflüssen sowie Einfluss auf die Umwelt, und zwar insbesondere auf den Ausgleich des
Erhaltung der Bodenkraft gegen Bodenabschwemmung und -verwehung, Klimas und des Wasserhaushalts, auf die Reinigung und Erneuerung von Luft
Geröllbildung und Hangrutschung und Wasser
Holz(an)stoß Siah Armajani

Stefan Tasch

Siah Armajani, geboren 1939 Der 1939 im Iran geborene Künstler Siah Armajani
in Teheran, lebt und arbeitet besuchte in Teheran eine presbyterianische Missions- Bridge Over Tree, New York, 2019
in Minneapolis und St. Paul, schule, in der er früh mit westlichen Philosophen
Minnesota.
wie Sokrates, Hegel, Nietzsche und Emerson sowie Münster eine Bibliothekssituation im Freien, er
amerikanischer Geschichte in Berührung kam. platzierte im Garten des Geologischen Museums
Einzelausstellungen
1960 emigrierte er auf Wunsch seiner Eltern nach mehrere Sitzgruppen aus Holz, die den Studieren-
(Auswahl) Amerika, studierte Philosophie und Mathematik in den und Dozenten das Lehren und Forschen unter
2019 The Metropolitan Museum of Minneapolis und begann parallel dazu künstlerisch freiem Himmel ermöglichten. Armajanis Vorstellung
Art (The Met Breuer), New York zu arbeiten. Neben Skulpturen, Malerei und Zeich- von einer alltäglichen Nutzbarkeit seiner Arbeiten
2018 Follow This Line, Walker Art nungen arbeitete Armajani zunächst an konzeptuel- entspricht auch die hier abgebildete Installation
Center, Minneapolis
len Projekten, die zugleich radikale Untersuchun- „Bridge Over Tree“, die heuer von Februar bis
2017 Rossi & Rossi, Hongkong
2016 Bridge Builder, Kemper Mu- gen von Kunst im öffentlichen Raum waren, wie der September in New York zu sehen war. Die erste
seum of Contemporary Art, „North Dakota Tower“ (1968), dessen Gesamthöhe amerikanische Retrospek tive des Künstlers im
Kansas City so berechnet war, dass der Turm einen Schatten Metropolitan Museum of Art wurde zum Anlass
Alexander Gray Associates, über den gesamten Staat North Dakota werfen genommen, die bereits 1970 im Walker Art Center
New York sollte, oder seine theoretische Studie für „A Fairly in Minneapolis gezeigte Brückenkonstruktion, die
2014 The Tomb Series, Alexander
Tall Tower“ (1969), einen 40.000 Meter hoher Turm. zur Gänze aus Holz gebaut ist, erneut im öffentli-
Gray Associates, New York
Neben diesen utopischen Entwürfen entwickelte chen Raum zu präsentieren – diesmal im Brooklyn
Armajani aber auch ein „Dictionary for Building“, Bridge Park zwischen der Manhattan und der
Gruppenausstellungen
(Auswahl)
eine Art architektonischen Zitatenschatz, beste- Brooklyn Bridge. Für Armajani ist es eine poetische
2017 I Am You, You Are Too, Walker hend aus über tausend Architekturmodellen bzw. Begegnung zwischen Realität und Poesie, die Aus-
Art Center, Minneapolis Skulpturen, die Armajani über die Jahre aus Karton druck findet in einem immergrünen Baum, der unter
2016 (infra) structure: complex, und Holz herstellte. dem steilen Treppenverlauf der Brücke eingepflanzt
below and further on, Lannan Diese Studien sind, ähnlich seinen später entwickel- wurde. Das daraus entstandene Steildach, das
Foundation Gallery, Santa Fe
ten Arbeiten im öffentlichen Raum, Hybride aus durchgehend mit Holzschindeln gedeckt ist, rea-
Passages in Modern Art:
1946 – 1996, Dallas Museum Kunst, Design und Architektur. 1972 wurde Armajani giert auf die abgestuften und spitzen Dachlinien
of Art, Dallas vom Schweizer Kurator und Ausstellungsmacher der Skyline von Manhattan und fungiert auch
2015 ⁄ 16 Cycle Des histoires sans fin, Harald Szeemann zur documenta 5 in Kassel ein- hier als metaphorischer Brückenschlag zwischen
séquence automne-hiver geladen. Zwei weitere Einladungen zur documenta 7 traditioneller, ländlicher Architektur und modernen
2015 – 2016, Musée d’art (1982) und documenta 8 (1987) folgten sowie zu Bauweisen.
moderne et contemporain
Skulptur Projekte in Münster, einer internationalen
(mamco), Genf
2014 Art at the Center: 75 Years of Kunstausstellung von Skulpturen und Plastiken im Stefan Tasch
Walker Collections, Walker öffentlichen Raum, die seit 1977 im Abstand von Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh,
Art Center, Minneapolis zehn Jahren stattfindet. Armajani entwickelte für Arbeit in verschiedenen Museen und Galerien

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