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7.7.2016 | Von: Uwe Puschner

Uwe Puschner
Prof. Dr. Uwe Puschner lehrt Neuere Geschichte Friedrich-
Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Zu seinen
Arbeitsschwerpunkten gehört die Völkische Bewegung im 20.
Jahrhundert.

Die völkische Bewegung


Weder der Nationalsozialismus noch die heutige extreme Rechte wären ohne die völkische Bewegung denkbar, die um die
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand. Die Geschichte, Ziele und Protagonisten der "Völkischen" sind heute nahezu
unbekannt, obwohl sich viele Rechtsextreme auf die völkische Bewegung beziehen.

Das Adjektiv völkisch hat derzeit Konjunktur. In den Medien ist mit Bezug auf Pegida, deren Ableger und die AfD von
"völkische[m] Gedankengut", von "völkische[n] Kräften" und gar von einer "neue[n] völkische[n] Bewegung" zu lesen.[1] Wenn in
der jüngeren Vergangenheit von "völkisch" die Rede war, dann bezogen auf rechtsradikale Organisationen wie die NPD und
meist in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Dem Duden zufolge steht "völkisch" zum einen synonym für "(veraltet)
national", was auf den Vorschlag eines völkischen Sprachreinigers aus dem Deutschen Reich im Kampf gegen die deutsche
Kultur gefährdende Fremdwörter zurückgeht, zum anderen für "nationalsozialistisch". Es bezeichne in der "rassistischen
Ideologie des Nationalsozialismus" ein durch "vermeintliche Rasse" charakterisiertes "Volk"[2]. Die Fokussierung auf den
Nationalsozialismus ist nur insofern zutreffend, als "völkisch" unter der NS-Herrschaft zwar zum "meistgebrauchte[n] Begriff
zur Bezeichnung der nationalsozialistischen Weltanschauung" mit ihrem rassenideologischen Fundament avancierte.[3] Dabei
wird jedoch übersehen, dass das Adjektiv als Codewort einer genuinen Weltanschauungsbewegung über den Ersten Weltkrieg
bis in die Zeit um 1900 zurückreicht.

Kurz vor der Jahrhundertwende um 1900 wurde bereits in einem ihrer jahrzehntelangen Sprachrohre, in der "Zeitschrift für
reines Deutschtum und Alldeutschtum" Heimdall, von "völkische[r] Bewegung" gesprochen[4]. Sie ist das Produkt jener
"gärenden Übergangszeiten"[5], die von den Zeitgenossen als "totale Umschichtung aller Daseinsform" erfahren wurden,[6] in
denen sich im Deutschen Reich die Industrialisierung "sozioökonomisch" durchsetzte,[7] sich Industrie- und
Massengesellschaft etablierten und sich unter der Flagge "'Weltpolitik' als 'deutsche Sendung'" ein "expansionslustiger
Nationalismus" ausbreitete.[8]

Die Verbreitung der Völkischen Bewegung


Die völkischen Weltanschauungsagenten und ihre Anhänger repräsentieren einen nach innen wie nach außen gerichteten
aggressiven hybriden Nationalismus. Nachhaltige Impulse, die ab Mitte der 1890er Jahre zur Formierung der völkischen
Bewegung führten, gingen vom organisierten Antisemitismus aus; des Weiteren von der alldeutschen Bewegung des
habsburgischen Vielvölkerstaates, von wo das "schlag- und kampfwort" "völkisch" in das Deutsche Reich reexportiert wurde,[9]
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wechselseitige Ideen- und Ideologietransfer erfolgte. Das völkische Netzwerk reichte insofern deutlich über die Bewegung
hinaus, wodurch die Verbreitung der völkischen Weltanschauung bzw. einzelner ihrer Ideologeme oder ideologischen Ziele
begünstigt wurde.

Die völkische Bewegung war Zeit ihres Bestehens eine Sammelbewegung mit unzähligen, unterschiedlich organisierten, nicht
selten kurzlebigen Vereinigungen, deren Mitgliederzahlen meist überschaubar waren. Eine Dachorganisation kam nie zustande,
abgesehen von temporären lokalen, regionalen Bündnissen, die je nur Teile des strukturell und ideologisch vielgestaltigen
völkischen Netzwerkes integrieren konnten. Genannt werden kann zum Beispiel der von 1919 bis 1923 bestehende,
weitgehend antisemitisch agitierende Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund.

Die völkische Bewegung war vor und nach dem Ersten Weltkrieg ein genuin deutsches und deutschösterreichisches
Phänomen. Ihre Aktivisten suchten zwar Kontakte zum sogenannten Auslandsdeutschtum und – den rassenideologischen
Überzeugungen folgend – vor allem in Norwegen und Schweden, ohne jedoch auf große Resonanz zu stoßen.

Die völkische Bewegung fand ihre Anhängerschaft zunächst überwiegend in den protestantischen Gebieten. Nach dem Ersten
Weltkrieg vermehrt auch in katholischen Regionen des Deutschen Reichs und besonders in den urbanen und industriellen
Ballungszentren; namentlich in der "gebildeten, hyperideologischen Mittelschicht"[10]. Auffallend viele Journalisten,
Publizisten, Schriftsteller, Lehrer, Professoren, Beamte, O ziere, Pfarrer, Ärzte und Rechtsanwälte standen in vorderster
völkischer Reihe, als "Systembauer"[11], Ideologieproduzenten und insbesondere als Multiplikatoren der Weltanschauung. Die
Bewegung weist ein deutlich (bildungs-)bürgerliches, von altem und neuem Mittelstand und überwiegend männlich
bestimmtes Sozialpro l auf. Der Frauenanteil der Bewegung lag im mittleren einstelligen Prozentbereich. Dies war nicht zuletzt
eine Folge des in den verschiedenen völkischen Organisationen unterschiedlich ausgeprägten Antifeminismus, der die
Forderungen selbst des moderaten Teils der Frauenbewegung entschieden zurückwies.

Einem Insider zufolge sollen dem harten Kern der völkischen Bewegung vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges rund 10.000
Personen angehört haben. Von einer Massen- oder "Volksbewegung" kann auch in der Weimarer Republik nicht die Rede sein,
wie völkische Aktivisten glauben machen wollen.[12] Dagegen sprechen nicht zuletzt die Wahlergebnisse der völkischen
Splitterparteien und brüchige Wahlbündnisse auf Länder- und Reichsebene. Die Erfolge des Völkisch-Sozialen Blocks (auch:
Völkischer Block) blieben Episode. Er erreichte 1924 in Thüringen 9,3 Prozent, in Mecklenburg-Schwerin 19,3 Prozent, in Bayern
17,1 Prozent und bei den Reichstagswahlen 6,5 Prozent. Beim Völkischen Block handelte es sich um eine Allianz der
Deutschvölkischen Freiheitspartei (seit 1925 " Deutschvölkische Freiheitsbewegung") mit Teilen der seinerzeit verbotenen
NSDAP.[13] Bei den Wahlen von 1928 konnte die Deutschvölkische Freiheitsbewegung auf Reichs- und Länderebene keine
Mandate mehr erringen und fristete "für die nächsten knapp fünf Jahre vor ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten ein
Schattendasein als unbedeutende Interessenvertretung".[14]

Die Völkischen erreichten ein größeres Publikum mit ihren öffentlichen Auftritten in Gestalt von Vorträgen,
Kundgebungen,sogenannten Deutschen Tagen und Abenden oder mit ihren provokanten Redebeiträgen und
skandalheischenden Zwischenrufen in den Parlamenten sowie vor allem durch ihre Medienpräsenz. Vom Kaiserreich bis zur
nationalsozialistischen Machtübernahme brachten mehr als tausend Verlage unablässig neue Zeitungen, Zeitschriften,
Broschüren und Bücher auf den Markt. Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund verteilte "[a]llein 1920 […] 7,6 Millionen
Broschüren, 4,7 Millionen Flugblätter und 7,8 Millionen Aufkleber."[15] Darüber hinaus verbreiteten völkische Akteure ihr
Gedankengut jenseits der Bewegungsmedien mit Beiträgen in Periodika für unterschiedliche Zielgruppen, vom Vereins- und
Heimatblatt über Werkszeitungen, Organe der Berufsverbände und Jugendblätter bis hin zu au agenstarken Leitmedien wie
auch populär- und fachwissenschaftlichen Zeitschriften.

Was heißt denn nun "völkisch"?


"Was ist völkisch?"
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Dies war mit Blick auf das unüberschaubare "Wirrwarr von Sekten, Verbänden und Kleinunternehmen" nicht möglich.[17] Vor
dem Hintergrund der für die heterogene Sammelbewegung kennzeichnenden offenen Strukturen gelang es zu keiner Zeit ihres
Bestehens, sich auf eine "genauere Inhaltsbestimmung" zu verständigen,[18] zumal die einzelnen Ideologieproduzenten mit
ihrer Anhängerschaft jeweils für sich in Anspruch nahmen, "den allein echten Ring des völkischen Gedankens zu besitzen."[19]
Hinzu kommt, dass "völkisch" nach dem Ersten Weltkrieg zum "neuen Lieblingswort der Zeit" und, beargwöhnt von den
völkischen Sachwaltern, zum unscharf verwendeten "programmatische[n] Schlagwort zahlloser politischer Kräfte,
kulturkritischer Theorien und literarischer Richtungen" wurde,[20] auf deren Agenda Volk und Volkstum ebenfalls
Schlüsselbegriffe waren. Zeitgenossen fragten daher, "ob man den Begriff des 'Völkischen' in der Verengung belassen soll, die
er […] durch die Verbindung mit einer in erster Linie rassentheoretisch gerichteten Politik und Weltanschauung erlangt hat". Mit
Max Hildebert Boehm kommt ein Vordenker des jungkonservativen Lagers zu dem Resultat, dass es "einerseits schwer [ist],
den Begriff zu gebrauchen, ohne sich naheliegenden Mißverständnissen auszusetzen, und andererseits […] dieser Blutbegriff
des Volkes eine an sich durchaus ernst zu nehmende Deutung des Volkes als Wesenheit [ist]".[21]

Ähnlich Boehm äußern sich auch andere Vertreter der konservativen Weimarer Rechten eher skeptisch-distanziert, wenn es um
die biologisch-rassische Grundierung von "völkisch" ging, wie sie die Völkischen postulierten. Das Schlagwort wird wohl nicht
zuletzt aufgrund seiner rassistischen Kontaminierung bezeichnenderweise meist vermieden – nicht nur in den
programmatischen Schriften von Arthur Moeller van den Bruck. Konservative Rechte unterschiedlicher Couleur und Völkische
einte insbesondere ihr antidemokratisches und autoritäres Ordnungsdenken. Sie trennte jedoch die Auffassung, wie sie ein
liberaler Kritiker pointiert formuliert, dass es die Rasse ist, mit der die Völkischen "die politische Welt aus den Angeln heben"
wollen.[22] Englische und französische Zeitgenossen übersetzten "völkisch" dementsprechend mit "racial" bzw. "raciste".[23]

"Mit Recht geht man heute, um das deutsche Volk in den Grundbedingungen seines Daseins zu erkennen, von der
Rassenkunde aus", konstatiert der völkische Exeget und Philosophieprofessor Max Wundt 1926, um fortfahrend zu erklären, "
[d]aß man nur von ihr ausgehen und nicht bei ihr stehen bleiben sollte [...]. Denn das Blut ist allerdings eine der
Grundbedingungen jedes Volkstums, aber nicht die einzige, und zumal die höheren Gestaltungen völkischen Lebens sind von
hier aus nur sehr zum Teil zu begreifen. Aber die letzte Voraussetzung und darum die innerste, schicksalsmäßige Bindung alles
völkischen Daseins ist das Blut allerdings. […] Auch die Rassen sind geistige Mächte, deren Geistesart sich ihre bestimmte
Körperlichkeit gestaltet. In ihrem Blute ist die besondere Geistesart jeder Rasse angelegt, die sie dann in ihrer schaffenden
Arbeit und unter dem Schicksal der Geschichte entfaltet."[24] Stefan Breuer spricht zurecht von einem "zwischen
biologistischen und spiritualistischen Auffassungen schwanken[den]" Rassekonzept der Völkischen[25], dessen biologistische
Variante, wie Wundt dokumentiert, beherrschend war und die Grundlage für das Weltanschauungsgebäude bildete.

Mit ihrem Rassendogma vermeinten die Völkischen Vergangenheit und Gegenwart erklären und die Zukunft vorausbestimmen
zu können. Sämtliche Ideologeme der Weltanschauung standen auf seinem Fundament. Die Blut- und Boden-Ideologie
behauptete die Einheit von Rasse und Raum und eine von der "Natur" vorgegebene körperliche, geistige, seelische und mentale
Prägung der Rasseindividuen und -kollektive. Die Germanenideologie, die auf überkommene nationale Denk guren des 19.
Jahrhunderts zurückgriff und eine vorgeblich historisch belegbare wie vor allem biologische Abstammungsgemeinschaft
zwischen "(Indo-)Germanen" und Deutschen postulierte, begründete das völkische Superioritäts- und
Prädestinationsparadigma. So wurden imperiale Herrschaftsansprüche und die Eroberung neuen Lebensraums legitimiert.
Rasse, Raum, Abstammung, ankiert von rassenhygienischen und sozialdarwinistischen Theoremen, waren die Richtschnur
und gaben die Strukturen, Normen und Werte für Staat, Gesellschaft, Geschlechterordnung, Wirtschaft, Recht, Erziehung, Kultur
etc. bis hin zum Körper und zur Religion vor – einer sogenannten arteigenen, in der Rasse angelegten Religion. Die Spannbreite
reichte von einem 'arisierten', von seinen jüdischen Grundlagen gelösten und entchristlichten Deutschchristentum bis zur
Erneuerung vorchristlichen, 'germanischen' Glaubens in Gestalt verschiedener neuheidnischer Religionskonzepte. Auf diesen
Grundlagen imaginierten die "Bauleute germanischer Neuordnung" ein berufsständisch verfasstes Gemeinwesen und
(Groß-)Reich mit einem Führer an der Spitze, der unterstützt bzw. kontrolliert wird von einem neuen (Rasse-)Adel.[26]

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apokalyptischen Sprachbildern sowie in einer denunziatorischen und aggressiven Hasssprache. In Industrialisierung,


Urbanismus, Massengesellschaft, Demokratie, Parlamentarismus, Liberalismus, Individualismus, Kapitalismus, Sozialismus,
Kommunismus, Pazi smus, Kosmopolitismus etc. und in allem Internationalen (von der Frauenbewegung bis zum Völkerbund)
sahen die Völkischen Zeichen für gefährliche Fehlentwicklungen der Gegenwart, die sie in bizarren Untergangsszenarien grell
ausmalten. Dafür sowie für die Kriegsniederlage und den Versailler Friedensvertrag wurden andere, in der Rassenhierarchie
niedriger stehende und deswegen umso gefährlichere vermeintliche Rassen als Schuldige verantwortlich gemacht: allen voran
Romanen, Slawen und die zur Gegenrasse konstruierten Juden. Antiromanismus (inkl. Antiklerikalismus), Antislawismus (inkl.
Antibolschewismus) und vor allem Antisemitismus sind konstitutive Elemente der völkischen Weltanschauung.

Vor dem Hintergrund der "zentrifugale[n] und heterogenisierende[n]" Dynamiken in der völkischen Bewegung stellt der
Antisemitismus ein integrierendes Ideologem dar.[28] Das Bekenntnis zum Antisemitismus war P icht, verschieden war das
antisemitische Aggressionspotential in den einzelnen Segmenten der Bewegung und deren Organisationen, bei den führenden
Köpfen und ihren Parteigängern: Es fächerte sich auf in kulturalistische, lebensreformerische, rassenanthropologische und -
hygienische, religiöse und esoterische Formen des Judenhasses. Die Dominanz des Antisemitismus wie des antisemitischen
Flügels und dessen von Beginn der Weimarer Jahre an nochmals forcierten Agitation dokumentiert die zeitgenössische
Wahrnehmung. So de niert zum Beispiel Meyers‘ Lexikon 1930 das Adjektiv "völkisch" als "politisch […] ‚streng rechts‘ mit stark
antisemitischem Einschlag".[29] Einigkeit bestand bei den Völkischen in ihrer von Verschwörungstheorien eskalierten Paranoia
einer lebensbedrohenden jüdischen Gefahr und in ihren Forderungen nach Entrechtung, Segregation, Auswanderung und
Ausweisung (zunächst der aus Osteuropa Zugewanderten), die sich in umfangreichen Diskriminierungskatalogen
niedergelegten. "Es gibt keine Genesung der Völker vor der Ausscheidung des Judentums", proklamierte über drei Jahrzehnte
am Anfang oder am Ende einer jeden Ausgabe das publizistische Sprachrohr des vor allem nach dem Ersten Weltkrieg
dominanten antisemitischen Segments innerhalb der völkischen Bewegung.[30] Der Philosoph Julius Goldstein bringt es auf
den Punkt: "Dieser völkische Antisemitismus hat sich eine eigene Ideologie geschaffen, die den Ausschluß der Juden aus der
deutschen Volksgemeinschaft begründen soll."[31]

Der völkische Antisemitismus weist auf die NS-Herrschaft voraus wie auf den völkisch-nationalsozialistischen
Ideologietransfer hin. Das gilt auch für völkische Symbole wie Hakenkreuz und Runen oder den Heil-Gruß. Neben anderen
nationalsozialistischen Weltanschauungsproduzenten und Akteuren wie Richard Walther Darré, Hans F.K. Günther, Heinrich
Himmler, Johann von Leers, Alfred Rosenberg, die in der völkischen Bewegung ideologisch sozialisiert wurden, nahm Hitler
"Topoi" auf, "die schon lange vor ihm und ohne ihn im völkischen Milieu existierten und gleichsam Allgemeingut geworden
waren. […] Hitler sog geradezu alle ihm erreichbaren völkisch-rassistischen Denk guren auf, um sie seinem Gedankengebäude
dienstbar zu machen."[32] Die Völkischen sahen dementsprechend die NSDAP als Teil der Bewegung. Das wies Hitler
entschieden und unter Verweis auf nationalsozialistische Alleinvertretungsansprüche in Sachen "völkisch" zurück.
Entsprechend war das Verhältnis ab der Mitte der zwanziger Jahren überaus angespannt, was ein zeitgenössischer
Beobachter mit den sü santen Worten quittiert: "[D]a sich die deutschvölkischen Gruppen […] untereinander auf das
Erbittertste bekämpfen" wäre es in diesem Zusammenhang zutreffender, nicht von "Hitler und seine[n] Freunde[n]", sondern von
"Hitler und seine[n] Feinde[n]" zu sprechen.[33]

Die nationalsozialistische Bewegung setzte sich in den späten 1920er Jahren gegen die völkische Bewegung durch, was nicht
zuletzt auch eine Folge von deren offener, loser Struktur war; ferner spielten die Zerstrittenheit der vielen völkischen Solitäre
und ihre divergenten weltanschaulichen Ziele eine entscheidende Rolle. Von der Mitte der 1920er Jahre an wurde in der
deutschen und internationalen Öffentlichkeit "völkisch" zusehends mit nationalsozialistisch und insbesondere mit der Person
Hitlers identi ziert. Während die Mehrheit der jüngeren Völkischen in den letzten Jahren der Weimarer Republik zum
Nationalsozialismus überlief, hielten viele der sogenannten Altvölkischen, wie sich die Gründerväter der Bewegung aus der
Vorkriegszeit bezeichneten, als Gralshüter der Weltanschauung kritische Distanz. Besonders jene, die ihre Zukunftsagenda
nicht auf (partei-)politischem Weg verwirklichen zu können glaubten, sondern unter dem Motto "Volksbildung […] als Volk-
Bildung" durch "Erziehung zu völkischem Denken und Wollen".[34] Nur wenige "Altvölkische" traten in die NSDAP ein,
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zugezogen [zu] werden, damit es auch etwas wirklich Gutes wird!"[35] Dies war ein Trugschluss. Die "Altvölkischen" wurden
zwar als "völkische Vorkämpfer" gewürdigt und in Einzelfällen mit Ehrenbezeugungen bedacht und mit kleineren Zuwendungen
nanziell unterstützt,[36] nennenswerten Ein uss erlangten sie im nationalsozialistischen Staat jedoch nicht.

In dem Maße, in dem die Völkischen vom Nationalsozialismus aus der Öffentlichkeit verdrängt und seit 1933 marginalisiert
und in den privaten Raum verwiesen wurden, gerieten sie aus dem öffentlichen und später aus dem wissenschaftlichen Blick.
Es war lange Zeit vergessen, dass die völkische Bewegung nicht nur das "unmittelbare Vorspiel des Hitlertums" ist,[37] sondern
deren Denkmuster über den Nationalsozialismus hinausreichen, also in die Jahrzehnte vor 1918 und seit 1945.

Fußnoten
1. Leonie Feuerbach, „Der Neonazi auf dem Lande. Ein Mann züchtet seltene Obstsorten und völkisches Gedankengut“, in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 45 v. 8.11.2015, S. 7; Günther Lachmann, Olaf Sundermeyer, „Rechts überholt. Die AfD ist das Zentrum
der neuen deutschen Nationalisten, Völkische Kräfte erobern die Macht“. Und „Frauke Petry droht dasselbe Schicksal wie einst dem
Parteigründer“, in: Welt am Sonntag, Nr. 4 v. 24.1.2016, S. 6; Volker Zastrow, „Die neue völkische Bewegung“, in: Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung, Nr. 48 v. 29.11.2015, S. 12; Friederike Haupt, Die völkische Bewegung stellt sich vor, in: Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung, Nr. 49 v. 6.12.2015, S. 4.
2. Duden online (abgerufen am 2.2.2016).
3. Martin Broszat, "Die völkische Ideologie und der Nationalsozialismus", in: Deutsche Rundschau 84 (1958), S. 53-68, Zit. S. 57.
4. "Der preußische 'Kultus-Minister' und die völkische Bewegung", in Heimdall. Zeitschrift für reines Deutschtum und Alldeutschtum 4 (1899),
S. 103 f
5. Adolf Damaschke, "Aus meinem Leben", Leipzig, Zürich 1924, Zit. S. 244.
6. Werner Sombart, "Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert", Jena 1896, Zit. S. 11.
7. Detlev J.K. Peukert, "Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne" (= Neue Historische Bibliothek), Frankfurt a.M. 1987,
Zit. S. 11.
8. Hans-Ulrich Wehler, "Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen", München 2001, Zit. S. 79.
9. Völkisch, in: "Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch", bearb. v. Rudolf Meiszner, Bd. 12, Abt. 2, Leipzig 1951, S. 485.
10. Wotansdiener. "Ueberspannte Deutschtümelei“, in: Berliner Allgemeine Zeitung v. 8.2.1914.
11. Armin Mohler u. Karlheinz Weissmann, "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch", Graz 6., völlig überarb. und
erw. Au . 2005, Zit. S. 399.
12. Hermann Meyer, "Der deutsche Mensch. Völkische Weltanschauung und Deutsche Volksgemeinschaft", Bd. 1, München 1925, Zit. S. 9.
13. Stefan Breuer, Die radikale Rechte in Deutschland 1871-1945, Stuttgart 2010, S. 256-265.
14. Stefanie Schrader, "Vom Partner zum Widerpart. Die Deutschvölkische Freiheitspartei und ihre Wahlbündnisse mit der NSDAP", in: Daniel
Schmidt, Michael Sturm, Massimiliano Livi (Hrsg.), "Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der
extremen Rechten zwischen 1918 und 1933" (= Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte. Beiträge, Bd. 19), Essen 2015, S. 55-69,
Zit. S. 55.
15. Björn Hofmeister, „Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund“, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), „Handbuch des Antisemitismus.
Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart“, Bd. 5, Berlin, Boston 2012, S. 210-213, Zit. 211.
16. Max Robert Gerstenhauer, "Der völkische Gedanke in Vergangenheit und Zukunft", Leipzig 1933, Zit. S. 1.
17. Dieter Breuer, Grundpositionen der deutschen Rechten 1871-1945 (= Historische Einführungen, Bd. 2), Tübingen 1999, Zit. S. 89.
18. Stefan Breuer, Ina Schmidt, „Die Kommenden. Eine Zeitschrift der Bündischen Jugend (1926-1933)“ (Edition Archiv der deutschen
Jugendbewegung, Bd. 15), Schwalbach/Ts. 2010, Zit. S. 296.
19. Gerstenhauer, "Der völkische Gedanke", Zit. S. 1.
20. Julius Goldstein, "Deutsche Volks-Idee und Deutsch-Völkische Idee. Eine soziologische Erörterung der Völkischen Denkart", Berlin 2. Au .
1928, Zit. S. 7; Broszat, Ideologie, Zit. S. 56.
21. Max Hildebert Boehm, "Das eigenständige Volk. Volkstheoretische Grundlagen der Ethnopolitik und Geisteswissenschaften", Göttingen
1932, S. 320 f.
22. Hermann Martin, „Demokratie oder Diktatur?“, Berlin 1926, Zit. S. 215.
23. Jean Pierre Faye, "Totalitäre Sprachen. Kritik der narrativen Vernunft, Kritik der narrativen Ökonomie", Bd. 1, Frankfurt a.M. u.a. 1977, S.
203-205.
24. Max Wundt, "Deutsche Weltanschauung. Grundzüge völkischen Denkens", München 1926, Zit. S. 160.
25. Stefan Breuer, "Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik", Darmstadt 2008, Zit. S. 46.
26. Paul Lehmann, "Neue Menschen", in: Hammer. „Blätter für deutschen Sinn 1914“, Nr. 283, 169-172, Zit. S. 171.
27. Kurt Sontheimer, "Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen
1918 und 1933", München 1978, Zit. S. 132.
28. Breuer, "Grundpositionen", Zit. S. 89.
29. Meyers‘ Lexikon, Bd. 12, Leipzig 7. Au . 1930, Sp. 820 f., Zit. Sp. 820.
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30. Hammer. "Blätter für deutschen Sinn 1927", H. 590, Zit. S. 56.
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Andreas Wirsching, "Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte", in: "Aus Politik und Zeitgeschichte 43-
45/2015", S. 9-16, Zit. S. 13.
33. Martin, "Demokratie", Zit. S. 213 f.
34. Justus H. Ulbricht, "Völkische Erwachsenenbildung. Intentionen, Programme und Institutionen zwischen Jahrhundertwende und Weimarer
Republik", in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918, München u.a.
1996, S. 252-276, Zit. S. 252; Heinrich Wolf, Angewandte Geschichte, Bd. 2: Angewandte Kirchengeschichte. Eine Erziehung zu völkischem
Denken und Wollen, Leipzig 3., verb. u. ergänz. Au . 1934 (1. Au . 1914).
35. Kurt Herwarth Ball, "Die Revolution beginnt", in: Hammer 1933, Nr. 737/738, S. 55-60, Zit. S. 60; Max Robert Gerstenhauer an Adolf Bartels
(1.8.1933), zit. nach. Alexandra Esche, "[D]amit es auch wirklich etwas Gutes wird!". Max Robert Gerstenhausers Weg in die NSDAP, in:
Schmidt u.a., Wegbereiter des Nationalsozialismus, S. 37-53, hier S. 53.
36. Uwe Puschner, "Strukturmerkmale der völkischen Bewegung (1900-1945)", in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Le milieu
intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890-1960)/Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine
Presse und seine Netzwerke (1890-1960) (= Convergences, Bd. 27), Bern u.a. 2003, S. 445-468, S. 466.
37. Friedrich Meinecke, "Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen", Wiesbaden 2. Au . 1946, Zit. S. 42.

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