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2017 Book Dienstleistungen40
2017 Book Dienstleistungen40
Dienstleistungen 4.0
Geschäftsmodelle – Wertschöpfung –
Transformation
Band 2
Forum Dienstleistungsmanagement
Dienstleistungen 4.0
Manfred Bruhn · Karsten Hadwich
(Hrsg.)
Dienstleistungen 4.0
Geschäftsmodelle – Wertschöpfung –
Transformation
Band 2
Forum Dienstleistungsmanagement
Herausgeber
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Manfred Bruhn Prof. Dr. Karsten Hadwich
Universität Basel, Schweiz Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Universität Hohenheim Stuttgart
Lehrstuhl für Marketing und [email protected]
Unternehmensführung www.dlm.uni-hohenheim.de
Honorarprofessor an der Technischen
Universität München
[email protected]
www.wwz.unibas.ch/marketing
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Springer Gabler
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017
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Vorwort
Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden Märkte und Branchen grundlegend und
nachhaltig beeinflussen. Viele bestehende Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle
werden sich als Folge der Digitalisierung stark verändern oder gar wegfallen, zugleich
können neue entstehen. Die Digitalisierung betrifft dabei nicht nur die Produkthersteller,
bei denen es um Maschineninteraktionen und Daten geht, die auf neuen digitalen Platt-
formen gesammelt und verarbeitet werden. Die Digitalisierung löst auch in der Dienst-
leistungsbranche einen gravierenden Strukturwandel aus. Der Umgang mit der Digitali-
sierung ist damit für die weitere Wettbewerbsfähigkeit von Produktherstellern als auch
Dienstleistungsunternehmen entscheidend.
In Verbindung mit der Digitalisierung und den entstandenen Technologien entwickelte
sich LQ GHU ,QGXVWULH GHU %HJULII Ä,QGXVWULH ³ 'LH GHXWVFKH %XQGHVUHJLHUXQJ I|UGHUW
im Zeitalter der Digitalisierung nicht nur die Industrie 4.0, sondern ebenfalls die Dienst-
leistungen 4.0. Dabei wird unter ÄDienstleistungen 4.0³ verstanden, dass Dienstleistun-
gen in Verbindung mit Informations- und Kommunikationstechnologien vertrieben wer-
den und digitale Technologien aufgrund der neuen industriellen Revolution Einfluss auf
die Geschäftsmodelle, Marketingstrategien und/oder Dienstleistungsprozesse ausüben.
Mit GHP 7KHPD ÄDienstleistungen 4.0³ widmet sich das diesjährige Forum Dienstleis-
tungsmanagement einer in Wissenschaft und Praxis aktuell sehr intensiv diskutierten
Fragestellung. Trotz der hohen praktischen Relevanz fallen in der Literatur die wissen-
schaftlichen und empirischen Arbeiten bislang spärlich aus.
Die Relevanz und Aktualität des Themas hat sich auch in der starken Resonanz auf unser
Call for Papers bemerkbar gemacht. Die Zahl der interessanten und hochwertigen Einrei-
chungen überstieg die der vergangenen Jahre. Auch die Vielfalt an betriebswirtschaftli-
chen Disziplinen hat in den Einreichungen zugenommen. Aus diesen Gründen haben wir
uns entschieden, dem Thema Dienstleistungen 4.0 zwei Bände zu widmen. In diesen zwei
Bänden zeigen mehr als 40 profilierte Wissenschaftler und Vertreter der Praxis, was ge-
nau unter Dienstleistungen 4.0 zu verstehen ist und welche Fragestellungen und Konzep-
te in diesem Zusammenhang zukünftig von Bedeutung sein werden.
Im vorliegenden Forum Dienstleistungsmanagement werden die Diskussionen zur Digita-
lisierung unter dem Begriff Dienstleistungen 4.0 subsumiert. Bisherige wissenschaftliche
Arbeiten zum Themengebiet Dienstleistungen 4.0 können, je nach spezifischem Inhalt,
grundsätzlich sechs Forschungslinien zugeordnet werden, die sich in der Gesamtgliede-
rung des Forums Dienstleistungsmanagement wiederfinden:
VI Vorwort
(1) Die Diskussion um die Grundlagen und Konzepte von Dienstleistungen 4.0 befasst
sich mit dem Begriff, den Strömungen sowie Prinzipien von Dienstleistungen 4.0.
(2) Die Methoden von Dienstleistungen 4.0 betrachten die Besonderheiten und Verände-
rungen der Methoden zur Analyse und Fundierung von Entscheidungen im Kontext
von Dienstleistungen 4.0.
(3) Die Instrumente von Dienstleistungen 4.0 behandeln den Marketingmix für Dienst-
leistungen 4.0.
(4) Im Rahmen der dienstleistungsbasierten Geschäftsmodelle 4.0 wird insbesondere
die Veränderung von Erlösmodellen betrachtet.
(5) Ein weiteres Themenfeld behandelt die Wertschöpfung durch Dienstleistungen 4.0.
(6) Mit der Transformation zu Dienstleister 4.0 werden die für den Anbieter relevanten
unternehmensinternen Veränderungsprozesse von Dienstleistungen 4.0 untersucht.
(7) Schließlich werden branchenspezifische Besonderheiten von Dienstleistungen 4.0
aufbereitet und Managementimplikationen abgeleitet.
Im Band 1 werden die konzeptionellen Grundlagen sowie die spezifischen Methoden und
Instrumente von Dienstleistungen 4.0 diskutiert. Im Band 2 werden die dienstleistungs-
basierten Geschäftsmodelle 4.0, die Wertschöpfung durch Dienstleistungen 4.0 sowie die
Transformation zum Dienstleister 4.0 behandelt. In beiden Bänden werden jeweils unter-
schiedliche branchenspezifische Perspektiven von Dienstleistungen 4.0 aufgezeigt. Ins-
gesamt liegt damit eine sehr umfassende und facettenreiche Erörterung des Themas
Dienstleistungen 4.0 vor. Die Beiträge werden in beiden Bänden durch einen Literatur-
Service ergänzt, der eine thematisch geordnete Zusammenstellung wichtiger Veröffentli-
chungen zum Themengebiet beinhaltet.
Seit dem Jahr 2016 wird der vorliegende Sammelband durch die 9HUDQVWDOWXQJÄ)RUXP
'LHQVWOHLVWXQJVPDQDJHPHQW³ ergänzt. Hier greifen Wissenschaftler und Praktiker das
aktuelle Thema in Vorträgen und Podiumsdiskussionen auf. Die Website zur Veranstal-
tung findet sich unter www.forum-dlm.ch.
Unser herzlicher Dank für die Projektorganisation und Koordination dieser Ausgabe des
Forums geht an Frau Marion Popp, M.Sc., vom Lehrstuhl für Dienstleistungsmanage-
ment der Universität Hohenheim und an die wissenschaftlichen Hilfskräfte des dortigen
Lehrstuhls für die Unterstützung bei der Formatierung der Beiträge.
Wir hoffen, dass das ÄForum Dienstleistungsmanagement³ auch im Jahre 2017 wiederum
sein Ziel erreicht, nicht nur eine aktuelle Forschungsdiskussion im Bereich Dienstleis-
tungsmanagement zu fördern, sondern auch der Praxis dienlich zu sein und zugleich
Wissenschaft und Dienstleistungsmanagern einen zusätzlichen Service-Nutzen zu liefern.
Vorwort ....................................................................................................................... V
Johannes Winter
Europa und die Plattformökonomie ± Wie datengetriebene Geschäftsmodelle
Wertschöpfungsketten verändern ................................................................................ 71
Ellen Weber
Förderung einer positiven Kunden-Mitarbeiter-Interaktion mittels intelligenter
Sprachanalysetechnologien ......................................................................................... 211
Tim Senn
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems ........................... 241
Christian van Husen, Dieter Häberle, Saed Imran und Carsten Droll
Parameterbasierte Entwicklung von Dienstleistungen in Produkt-Service-
Systemen ..................................................................................................................... 315
André Schneider
Hochschule 4.0 ± Herausforderungen und Perspektiven der Digitalisierung von
Bildungsdienstleistungen ............................................................................................ 497
Gerrit Heinemann
Offline 4.0 ± Die Neuerfindung des stationären Handels ........................................... 523
Teil B: Serviceteil
$XVJHZlKOWH/LWHUDWXU]XP7KHPHQJHELHWÄDienstleistungen 4.0³ ............................ 549
Teil A:
Wissenschaftliche Beiträge
Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
5. Fazit
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbe-
sondere Marketing und Unternehmensführung an der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Basel und Honorarprofessor an der Technischen Universität
München. Prof. Dr. Karsten Hadwich ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungs-
management an der Universität Hohenheim.
1. Relevanz von Dienstleistungen 4.0 in
Wissenschaft und Praxis
Als eine der frühen Arbeiten zum Einsatz von Technologien in der Dienstleistungsbranche
gilt Levitt´s Aufsatz (Levitt 1976) über die Industrialisierung von Dienstleistungen. Darin
wird die These aufgestellt, dass sich durch den Einsatz von Technologien bei Dienstleis-
tungen und einer damit bewirkten Serviceautomatisierung der Unternehmenserfolg stei-
gern lässt. Konkret lassen sich nach Levitt durch die Serviceindustrialisierung unter der
Bedingung von industriellen Organisationsprinzipien (z. B. Arbeitsteilung) und einem ho-
hen Kapitalbedarf eine höhere Effizienz, geringere Kosten und eine höhere Kundenzufrie-
denheit erreichen.
Vier Dekaden später ist aus den theoretischen Überlegungen längst Realität geworden.
Technologiebasierte Services finden bereits breite Anwendung in unserem Alltag. Diese
Entwicklung erfährt in den letzten Jahren jedoch eine zusätzliche Beschleunigung durch
das Thema der Digitalisierung. So nimmt z. B. die Vernetzung von Geräten im Internet
der Dinge stark zu. Die Marktforschungsgesellschaft Gartner rechnet für das Jahr 2017
mit 8,4 Mrd. vernetzten Geräten weltweit. Den Umsatz mit solchen Geräten und darüber
angebotene Softwaredienstleistungen werden für das Jahr 2017 auf fast zwei Billionen
USD geschätzt. Im Jahr 2020 soll es sogar 20,4 Mrd. vernetzte Geräte geben (Jensen
2017).
Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden Märkte und Branchen grundlegend und
nachhaltig beeinflussen. Viele bestehende Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle
werden sich als Folge der Digitalisierung stark verändern oder gar wegfallen, zugleich
können neue entstehen. Als Konsequenz aus dieser Entwicklung beginnen Unternehmen
nun auch verstärkt, digitale Systeme für ihre Dienstleistungsangebote einzusetzen (Müns-
ter/Meiren 2011). So wird z. B. im Rahmen eines Forschungsprojektes des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine Servicerobotik entwickelt, die als As-
sistenzsystem für Pflegeeinrichtungen im Alltag eingesetzt wird und den Pflegeberuf
attraktiver machen soll (BMBF 2015, S. 374). Andere Projekte richten sich an die Urba-
nisierung, die durch neue und intelligente Dienstleistungsangebote, so genannte Smart Ur-
ban Services, die Räume vernetzen (BMBF 2015, S. 378).
Digitale Dienstleistungen bieten das Potenzial zur Realisierung wesentlicher Vorteile. Die
Markterweiterung fasst die Bestrebungen zusammen, mit digitalen Dienstleistungen neue
Märkte zu erschließen, neue Kunden zu gewinnen und neue Vertriebskanäle anzubieten.
Die Markteintrittsbarrieren sind bei digitalen Dienstleistungen relativ niedrig. Markttrans-
aktionen können aufgrund des digitalen Zugriffs beschleunigt, orts- und zeitlos abgewi-
ckelt werden. Dabei ist jedoch immer zu beachten, dass das Potenzial zu einer derartigen
6 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Expansion auf technologischer Basis stark vom Leistungstyp (z. B. Individualität, Not-
wendigkeit der physischen Präsenz des Kunden beim Anbieter) abhängt. Auch stellen sich
kulturelle Unterschiede immer wieder als Hindernisse für einen einheitlichen Marktauftritt
heraus. Neben dem geografischen Wachstum wird hier unter Markterweiterung auch die
technologiebasierte Ausdehnung des Leistungsangebotes sowie der Informations- und Ab-
satzkanäle zur Ansprache neuer Kundensegmente zusammengezogen. Eine Realisierung
von Kostensenkungspotenzialen ergibt sich durch die Externalisierung der anbieterseitigen
Aktivitäten bei der Serviceerstellung. Hierbei wird durch den Einsatz von digitalen Tech-
nologien die direkte Interaktion des Kunden mit einem Servicemitarbeiter substituiert.
Eine besondere Bedeutung haben die Kostensenkungspotenziale z. B. im Bereich des Kun-
dendienstes durch automatisierte Telefon- oder Internetservices als Ersatz für persönliche
Betreuung. Ein weiteres Potenzial des Einsatzes von digitalen Dienstleistungen besteht in
der Steigerung der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Zeit- und Kostenersparnisse
gelten für Kunden als zentrale Vorteile; z. B. sind geschäftliche Transaktionen nicht an
Öffnungszeiten und bei Technologien wie dem Internet oder der Mobiltelefonie auch nicht
an eine Geschäftsstätte gebunden. Vielfach sind digitale Dienstleistungen auch preisgüns-
tiger als die alternativen persönlichen Dienstleistungen. Darüber hinaus lässt sich auch
durch eine Individualisierung von digitalen Services ein Zusatznutzen schaffen und die
Kundenzufriedenheit steigern (Salomann et al. 2006).
Dem Einsatz von digitalen Dienstleistungen sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Bei Nut-
zung einer Selbstbedienungseinrichtung statt eines persönlichen Services entfällt beim
.XQGHQGDVÄSV\FKRORJLVFKZLFKWLJH*HIKOGHV%HGLHQWZHUGHQV³6LPRQ/Butscher 1997,
S. 47), was die digitale Dienstleistung als minderwertig erscheinen lässt und die Kunden-
bindung schwächen kann. Gose-Krüger stellt z. %IHVW6Ä3UHPLXPNXQGHQ
die gerade auf den Kontakt und die persönliche Beziehung zu ihrem Betreuer Wert legen,
sollten [...] nicht zum Self-6HUYLFHJH]ZXQJHQZHUGHQ³
Zusammenfassend ist der Digitalisierung von Dienstleistungen ein hohes wirtschaftliches
Potenzial zuzuschreiben, wenn es gelingt, die Serviceerstellung unter Einsatz von digita-
len Technologien auf einem relativ großen Absatzmarkt zu etablieren und dabei gleich-
zeitig die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Dies bedeutet, eine mög-
lichst automatisierte (und dadurch kostengünstige) Leistungserstellung und eine durch
einen hohen Grad an Kundenbeteiligung möglichst individuelle Erstellung von Services
entsprechend der individuellen Bedürfnisse zu realisieren. Ausschlaggebend für den
Markterfolg bleiben schließlich die Einstellungen und das Verhalten der Kunden gegen-
über den digitalen Dienstleistungen.
In Verbindung mit der Digitalisierung und den entstandenen Technologien entwickelte in
GHU,QGXVWULHGHU%HJULIIÄ,QGXVWULH³'LHGHXWVFKH%XQGHVUHJLHUXQJI|UGHUWLP=HLWDO
ter der Digitalisierung nicht nur die Industrie 4.0 (BMWi 2016a), sondern ebenfalls die
Dienstleistungen 4.0 (BMWi 2016b). Dabei wird unter Dienstleistungen 4.0 verstanden,
dass Dienstleistungen in Verbindung mit Informations- und Kommunikationstechnolo-
Dienstleistungen 4.0 7
gien vertrieben werden und digitale Technologien aufgrund der neuen industriellen Revo-
lution Einfluss auf die Geschäftsmodelle, Vertriebsstrategien oder Dienstleistungspro-
zesse haben (BMWi 2016b).
Vor diesem Hintergrund hat sich die Digitalisierung zu einem prominenten Forschungs-
thema entwickelt, dies spiegelt sich unter anderen in der kontinuierlich steigenden Anzahl
an wissenschaftlichen Beiträgen wider. Mit dem Thema werden zahlreiche Fragestellun-
gen aufgeworfen. Diese gehen von den Methoden und Instrumenten der Digitalisierung,
den Geschäftsmodellen, der Wertschöpfung bis hin zur Frage der Transformation der Or-
ganisation und Führung des Anbieters von digitalen Dienstleistungen.
Im vorliegenden Sammelband werden die Diskussionen zur Digitalisierung unter dem Be-
griff Dienstleistungen 4.0 subsumiert (in Anlehnung an den Begriff Industrie 4.0). Bishe-
rige wissenschaftliche Arbeiten zum Themengebiet Dienstleistungen 4.0 können, je nach
spezifischem Inhalt, grundsätzlich sechs Forschungslinien zugeordnet werden, die sich in
der Gesamtgliederung des Forums Dienstleistungsmanagement wiederfinden:
(1) Die Diskussion um die Grundlagen und Konzepte von Dienstleistungen 4.0 befasst
sich mit dem Begriff und den zentralen Strömungen sowie Prinzipien von Dienstleis-
tungen 4.0.
(2) Die Methoden von Dienstleistungen 4.0 betrachtet die Besonderheiten und Verände-
rungen der Methoden zur Analyse und Fundierung von Entscheidungen im Kontext
von Dienstleistungen 4.0.
(3) Die Instrumente von Dienstleistungen 4.0 behandeln den Marketingmix für Dienst-
leistungen 4.0.
(4) Im Rahmen der dienstleistungsbasierten Geschäftsmodelle 4.0 wird insbesondere die
Veränderung von Erlösmodellen betrachtet.
(5) Ein weiteres Themenfeld befasst sich mit der Wertschöpfung durch Dienstleistungen
4.0.
(6) Mit der Transformation zu Dienstleister 4.0 werden die für den Anbieter relevanten
unternehmensinternen Veränderungsprozesse von Dienstleistungen 4.0 untersucht.
(7) Zuletzt werden branchenspezifische Besonderheiten von Dienstleistungen 4.0 aufbe-
reitet und Managementimplikationen abgeleitet.
Nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Unternehmenspraxis ist die Relevanz der Digi-
talisierung unbestritten. Unternehmen investieren in die Entwicklung von digitalen Pro-
dukten sowie Dienstleistungen und den Ausbau des damit verbundenen Dienstleistungs-
geschäfts. Alle Branchen durchlaufen derzeit einen Prozess der digitalen Transformation
und in vielen Fällen sind die bisherigen Branchenteilnehmer überrascht, dass völlig neue
Serviceanbieter auf dem Markt erscheinen. Dabei zeigt sich, dass es im Rahmen der Digi-
talisierung nicht ausschließlich um das Angebot von digitalen Produkten und Dienstleis-
tungen geht, sondern vielmehr um die Entwicklung innovativer servicebasierter Ge-
schäftsmodelle. Beispiele der letzten Jahre sind Amazon im Buchhandel, Zalando im
8 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Schuhhandel, Spotify in der Musikindustrie, Uber im Taxigewerbe und Airbnb in der Ho-
tellerie, Car2Go in der Automobilindustrie. Dabei ist anzunehmen, dass sich diese digitale
Transformation auf weitere klassische Bereiche ausdehnen wird.
Insgesamt ist für die Unternehmenspraxis festzustellen, dass der Entwicklungsstand hin-
sichtlich von Dienstleistungen 4.0 noch nicht weit vorangeschritten ist.
und vertikale Vernetzung (Mensch, Maschine und IT-Systeme) zu erstellen und die Wert-
schöpfungskette des gesamten Lebenszyklus zu digitalisieren.
In Anlehnung an dieses Industrie 4.0-Verständnis und aufbauend auf die Dienstleistungs-
definition (vgl. Meffert et al. 2015) lässt sich folgende Definition von Dienstleistungen 4.0
ableiten:
Dienstleistungen 4.0 bezeichnen die Verzahnung von Dienstleistungen mit den Mög-
lichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik, d. h. durch den Einsatz von
Technologien im Dienstleistungspotenzial werden die Erwartungen im Dienstleistungs-
prozess individuell und interaktiv mit aktiver technologischer Unterstützung erfüllt, um
als Dienstleistungsergebnis nutzenstiftende Wirkungen bei den Kunden zu erzielen. In
diesem Sinne handelt es sich um eine selbstständige Koordination von Dienstleistungs-
prozessen, also um wissensbasierte, intelligente Dienstleistungen.
Aus dieser Definition lässt sich aufzeigen, dass das Thema Dienstleistungen 4.0 in der
konkreten Diskussion und Ausarbeitung verschiedene Perspektiven einnehmen kann:
(1) Dienstleistungen 4.0 kann als Konzept zur Integration von Technologien in Dienst-
leistungen verstanden werden.
(2) Dienstleistungen 4.0 ist darüber hinaus auch als Denkmodell zur Schaffung von
Customer Value durch die Industrialisierung von Dienstleistungen zu begreifen.
(3) Dienstleistungen 4.0 kann auch eine Vision der Entwicklung intelligenter Dienstleis-
tungen in Wertschöpfungsnetzwerken darstellen.
Trotz des engen Bezugs von Industrie 4.0 und Dienstleistungen 4.0 lässt sich eine Abgren-
zung dahingehend vornehmen, dass sich Industrie 4.0 auf den industriellen, gewerblichen
B2B-Bereich bezieht und Dienstleistungen 4.0 sowohl den B2B- als auch den B2C-Be-
reich umfasst.
Vor diesem Hintergrund setzen sich im ersten Teil von Band 1 der Sammelbände zwei
Beiträge näher mit dem Begriff und den Formen von Dienstleistungen 4.0 auseinander:
Rolf Weiber, Lukas Mohr und Thomas Weiber befassen sich mit Butler-Services als
Dienstleistungen 4.0 zur Entlastung von Konsumenten in ihren Alltagsprozessen. Ausge-
hend von den aktuellen technologischen Entwicklungen im Bereich der Industrie 4.0 ana-
lysiert der Beitrag, ob sich zukünftig auch für den Dienstleistungsbereich tiefgreifende
Veränderungen ergeben werden, die die Bezeichnung Dienstleistung 4.0 rechtfertigen
können. Aufbauend auf diesen Überlegungen werden Merkmale von Dienstleistungen 4.0
abgeleitet und Erscheinungsformen aufgezeigt. Eine vertiefende Betrachtung erhalten so
genannte Ä%XWOHU-6HUYLFHV³DOVHLQHEHVWLPPWH$UWYRQ'LHQVWOHLVWXQJGLHGHQ%HODV
tungssituationen in den Alltagsprozessen vom Konsumenten entgegenwirken können. Für
diese Kategorie von Dienstleistungen 4.0 werden Marketinglogik, Leistungsspektrum und
Marketingansatz aufgezeigt.
10 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Hans-Jörg Bullinger, Walter Ganz und Jens Neuhüttler setzen sich in ihrem Beitrag mit
Smart Services auseinander und diskutieren die Chancen und Herausforderungen digitali-
sierter Dienstleistungssysteme für Unternehmen. Smart Services sind datenbasierte, indi-
viduell konfigurierbare Angebote aus Dienstleistungen, digitalen Diensten und Produkten,
die über Plattformen organisiert werden. Der Beitrag setzt sich anhand der drei Themen-
EO|FNH Ä7HFKQRORJLH³ Ä:HUWVFK|SIXQJ³ XQG Ä$UEHLW³ PLW GHQ ]HQWUDOHQ &KDQFHQ XQG
Herausforderungen von Smart Services auseinander und zeigt erste methodische Gestal-
tungsansätze aus Projekten der angewandten Forschung auf.
Alexander Leischnig, Björn Ivens, Steffen Wölfl und Daniel Hein nehmen in ihrem Beitrag
eine Bestandsaufnahme der Literatur zur Digitalisierung von Dienstleistungen vor und
entwickeln darauf basierend eine Forschungsagenda. Ausgehend von der Feststellung,
dass die Digitalisierung von Dienstleistungen in der wissenschaftlichen Literatur bisher
zwar intensiv, aber auch sehr fragmentiert diskutiert wird, nehmen die Autoren einen um-
fassenden und gesamtheitlichen Meta-Review der bisherigen Forschung zur Digitalisie-
rung von Dienstleistungen vor.
Dienstleistungen 4.0
Assistenzsysteme,
Internet of Things,
Apps usw.
Dienstleistungen 3.0
E-Services,
E-Commerce,
Mobile Services
usw.
Dienstleistungen 2.0
Finanz-
dienstleistungen,
Logistik,
Telekommunikation
usw.
Dienstleistungen 1.0
Haushaltshilfe,
Friseur,
Schuster usw.
Darüber hinaus ergeben sich aus den Charakteristika der Digitalisierung eine Reihe von
weiteren Merkmalen von Dienstleistungen 4.0:
Digitalisierungsfähigkeit: Dienstleistungen 4.0 basieren auf digital vernetzten Syste-
men, die analoge Informationen erfassen, aufbereiten und speichern. Sämtliche Daten
(Text, Bild, Ton usw.) werden digitalisiert und stehen für den Dienstleistungsprozess
zur Verfügung.
12 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Auf dieser Basis kann die in Abbildung 2 wiedergegebene Erfolgskette von Dienstleistun-
gen 4.0 aufgestellt werden. Auf der ersten Stufe der Erfolgskette geht es um die aus Kun-
densicht relevanten Gestaltungsdimensionen für das Angebot und die Gestaltung von
Dienstleistungen 4.0. Diese führt im Idealfall auf einer nächsten Ebene zu einer Akzeptanz
von Dienstleistungen 4.0 seitens des Kunden, d. h., dieser erkennt den Nutzen des digitalen
Angebots und stellt die Basis dafür dar, dass es auf einer nächsten Stufe überhaupt zu einer
ersten Nutzung des Angebots seitens des Kunden kommt. Durch die Nutzung von Dienst-
leistungen 4.0 bildet sich der Kunde auf einer nächsten Stufe ein Zufriedenheitsurteil über
die Leistung (Kundenzufriedenheit). Dies stellt eine Voraussetzung für die Wiedernutzung
und ± auf der letzten Stufe ± den Erfolg des Unternehmens mit Dienstleistungen 4.0 dar.
Dienst-
leistungen Akzeptanz Erstnutzung Zufriedenheit Wiedernutzung Erfolg
4.0
Vor diesem Hintergrund behandeln im ersten Teil von Band 1 der Sammelbände zwei
Beiträge den die Frage der vorökonomischen Erfolgsgrößen von Dienstleistungen 4.0:
Anja Geigenmüller setzt sich in ihrem Beitrag mit der Interaktionsqualität in digitalen
B2B-Service Encountern auseinander. Digitale Dienstleistungen ermöglichen Industrie-
unternehmen neue Servicekonzepte. Allerdings verändert die Digitalisierung die Interak-
tion mit den Kunden und die kundenseitige Erfahrung des Dienstleistungsprozesses. Vor
diesem Hintergrund geht der Beitrag der Frage nach, wie sich die Qualität digitaler Service
Encounter bestimmen lässt und welche Faktoren im Sinne relevanter Fähigkeiten und Res-
sourcen Einfluss auf die Effektivität und Effizienz digitaler Service Encounter zwischen
industriellen Anbietern und Nachfragern haben.
Dominik Georgi und Dorothea Schaffner analysieren in ihrem Beitrag die Kaufentschei-
dungstreiber bei Dienstleistungen 4.0 und unterscheiden dabei zwischen digitalen B2C-
und C2C-Services. Eine Form von Dienstleistungen 4.0 sind (Peer-to-Peer) Sharing Ser-
vices, wie beispielsweise Airbnb. Für Anbieter solcher Services stellt sich die Frage, ob
Art und Relevanz der Kaufentscheidungstreiber im Vergleich zu herkömmlichen (Online)
Services unterschiedlich ausfallen. Eine Studie zeigt experimentell, dass bei Sharing-Ser-
vices hedonistische und soziale Motive überproportional relevant sind.
14 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
3.1 Überblick
Bei einer umfassenden Analyse von Dienstleistungen 4.0 lassen sich verschiedene Be-
trachtungsebenen unterscheiden, die in Abbildung 3 in Form eines Bezugsrahmens für
Transformationsprozesse von Dienstleistungen 4.0 dargestellt sind. Dabei stellen die Rah-
menbedingungen die relevanten Einflussgrößen für die Entstehung von Cyper-physischen
Systemen als digitalen Plattformen von Dienstleistungen 4.0 dar. Die Plattformen bedin-
gen Transformationsprozesse bei Anbietern und Kunden, deren Ausgestaltung die markt-
seitige Reaktion und damit den Outcome für Anbieter und Kunden bestimmt.
Die einzelnen Betrachtungsebenen des Bezugsrahmens werden in den folgenden Ab-
schnitten näher vorgestellt.
Trends im Kaufverhalten
Personalisierung
Peer-to-Peer-Sharing
Kunde als Co-Producer Hardware Kunde als Nachfrager Objekt des Kunden
Akzeptanz
Wirtschaftliche Trends beim Kunden
Disruptive Entwicklungen
Service-Eco-Systeme Customer
Neue Geschäftsmodelle Netzwerke Anwendungslösung Value
Gemeinsame
(Cyber-Physical
Wertschöpfung Service
Systems) Neue Märkte Neue Produkte
Globalisierung Value
Komplexität
Volatilität Skalierung
Commoditisierung für Anbieter
Software Anbieterressourcen Partnerressourcen
Gesellschaftlicher Wandel
Veränderte Arbeitswelt
Mobilität
Soziale Vernetzung
Die Rahmenbedingungen stellen die zentralen Treiber für die zukünftige Ausgestaltung
von Dienstleistungen 4.0 dar. Die technische Dimension der Ausgestaltung von Dienst-
leistungen 4.0 betrifft insbesondere den Einsatz von Plattformen, die die notwendige Leis-
tungsfähigkeit für das Angebot und die Erstellung von Dienstleistungen 4.0 schaffen.
Plattformen bilden die Basis für die Entwicklung von Innovationen, die für das Unterneh-
men und/oder den Markt neu sind.
hoch
gering
hoch hoch
IV.
II.
Wert-
Systemlösungs-
schöpfungs-
orientiertes
orientiertes
Modell 4.0
Modell 4.0
I. III.
Produkt- Dienstleistungs-
orientiertes orientiertes
Modell 4.0 Modell 4.0
gering gering
hoch
Die Realisierung dieser Anwendungslösungen von Dienstleistungen 4.0 setzt sowohl beim
Kunden als auch beim Anbieter Transformationsprozesse auf der Ebene der digitalen
Technologien, der innovativen Geschäftsmodelle sowie der Organisation voraus.
Auf der Kundenseite sind die Fähigkeiten, die Ressourcen und eine Akzeptanz für den
Einsatz und die Nutzung von neuen digitalen Technologien zu schaffen. Innovative Ge-
schäftsmodelle werden zahlreiche Änderungen des Kommunikations- und Nutzungsver-
halten mit sich bringen, sodass eine Aufgabe für den Anbieter darin bestehen kann, den
Kunden bzw. die Mitarbeiter des Kundenunternehmens im Hinblick auf Technologiekom-
petenzen zu qualifizieren. Die Ressourcen betreffen insbesondere die technologischen Vo-
raussetzungen für den Einsatz von Dienstleistungen 4.0, d. h. es sind z. B. smarte Objekte
beim Kunden notwendig. Letztlich sind Akzeptanzbarrieren zu berücksichtigen, die sich
zum einen aus der grundsätzlichen Technologieaversion bzw. -affinität des Kunden ergibt
Dienstleistungen 4.0 19
und zum anderen auch durch die Datenschutzbedenken von Kunden bestimmt werden.
Insgesamt ist festzuhalten, dass erhebliche Veränderungsprozesse beim Kunden bzw. in
der Kundenorganisation notwendig sind, deren Ausmaß die Offenheit des Kunden für die
Digitalisierung bestimmen werden.
Auf der Anbieterseite sind ebenfalls technologische Fähigkeiten und Ressourcen aufzu-
bauen und Voraussetzungen für die Entwicklung von innovativen Geschäftsmodellen zu
schaffen. Dazu gehören neben entsprechend qualifizierten Mitarbeitern die Etablierung
von Innovationsstrukturen und -prozessen in der Organisation. Dies erfordert auch beim
Anbieter einen Transformationsprozess, der nicht nur die eigene Organisation betrifft,
sondern auch den Aufbau von Partnernetzwerken.
Von Unternehmensseite impliziert dies in erster Linie die Befriedigung von Kundenbe-
dürfnissen, aber auch das Lösen von Kundenproblemen sowie die generelle Unterstützung
des Kunden.
Eine Analyse der zentralen Aufgaben der Transformationsprozesse von Dienstleistungen
4.0 stellt die Grundlage und den Bezugsrahmen für eine umfassende Betrachtung der re-
levanten Entscheidungstatbestände dar. Bei einer entscheidungsorientierten Perspektive
ist es in diesem Zusammenhang zweckmäßig, auf der Basis eines Management- und Pla-
nungsprozesses sich systematisch und professionell mit der Analyse und Gestaltung von
Dienstleistungen 4.0 zu beschäftigen.
Analysephase
Situationsanalyse
Beurteilung und Auswahl
Technologieanalyse Kundenanalyse Serviceanalyse von Technologie, Services
und Kunden
Kundensegmentierung
Strategische Steuerungsphase
Ableitung von Zielen und Strategien
Strategische Ausrichtung
von Dienstleistungen 4.0
Geschäftsfeldstrategie Markteilnehmerstrategie Programmstrategie
Operative Steuerungsphase
Ableitung von Marketingmaßnahmen
Operative Gestaltung
von Dienstleistungen 4.0
Produkt- Preis- Kommunika- Vertriebs- Personal-
politik politik tionspolitik politik politik
Transformationsphase
Veränderung der Strukturen und Kultur
Transformation zum
Dienstleister 4.0
Schaffung der strukturellen Schaffung der kulturellen
Voraussetzungen Voraussetzungen
Kontrollphase
Monitoring des Erfolgs
Controlling von Dienstleistungen 4.0 von Dienstleistungen 4.0
In der Analysephase erfolgt die Gewinnung, Analyse und Aufbereitung der für die weitere
Planung von Dienstleistungen 4.0 notwendigen Informationen und Daten. Hierzu gehören
Informationen über Kundenbedürfnisse, technologische Entwicklungen, Konkurrenzan-
gebote sowie bisherige (Miss-)Erfolge von bereits eingeführten Dienstleistungen 4.0. Ein
derartiges Vorgehen schafft das Risiko von Fehlentscheidungen zwar nicht ab, trägt aber
zu dessen Minimierung bzw. zur Maximierung der Planungssicherheit bei. Darüber hinaus
ist diese Phase aber nicht alleine ein analytischer, sondern auch vor allem ein kreativer
Prozess, der für den Markt neue Ideen für Innovationen generieren soll. Aus diesen Grün-
den steht die Analysephase am Anfang des Planungsprozesses des Managements von
Dienstleistungen 4.0 und dient im Weiteren als Basis für die strategische Planung Dienst-
leistungen 4.0.
Die strategische Steuerungsphase dient der Festlegung der strategischen Stoßrichtung des
Managements von Dienstleistungen 4.0. Die Bestandsaufnahme in der Analysephase dient
als Grundlage für die Ableitung von Zielen, die durch neue digitale Dienstleistungen zu
realisieren sind. Dabei ist auf eine geeignete Segmentierung von Nachfragern und eine
segmentspezifische Differenzierung der Ziele zu achten. Durch die Entwicklung von Stra-
tegien für Dienstleistungen 4.0 wird festgelegt, wie die Ziele zu erreichen sind. Aufgrund
der großen Risiken werden dabei oft mehrere Szenarien berücksichtigt und entsprechend
alternative Strategieoptionen gleichzeitig verfolgt.
22 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Service- Service-
erweiterung innovation
Erweiterung des Vollkommen neue
Neu
Service- Service-
unterstützung substitution
Vorhanden
Vorhanden Neu
Angebot von
Dienstleistungen 4.0
In der Regel werden aufgrund der Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung der
Rahmenbedingungen nicht einzelnen Strategieoptionen ausschließlich verfolgt, sondern
alternative Strategieoptionen gleichzeitig bearbeitet, um Risiken zu vermeiden. Insofern
verläuft der Strategieprozess teilweise als Trial-and-Error-Prozess, in dem Unternehmen
mit den verschiedenen Optionen experimentieren, um zu lernen und erfolgreiche Muster
zu identifizieren.
30 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Preisindividualisierung Preisbündelung
Preispolitik
Preisdifferenzierung Rabattsysteme
Persönliche
Kommunikations- Mediawerbung
Kommunikation
politik Online-Werbung
Dialogkommunikation
Breite Vertriebsorganisa-
Direkter Vertrieb
Vertriebspolitik tion
Vertriebsworkshops
Online-Vertrieb
Kundenansprache mit
Mitarbeiterflexibilisierung Nutzenargumentation
Personalpolitik
Empowerment Bildung von Mitarbeiter-
Kunden-Teams
Abbildung 7: Marketingmix für Dienstleistungen 4.0 im Überblick
Vor diesem Hintergrund behandeln im dritten Teil von Band 1 der Sammelbände sieben
Beiträge den Einsatz der operativen Instrumente von Dienstleistungen 4.0:
Hermann Simon befasst sich in seinem Beitrag mit dem Preismanagement in digitalen
Geschäftsmodellen. Digitale Geschäftsmodelle eröffnen zahlreiche neue Perspektiven für
Dienstleistungen 4.0 31
Michael Lachner, Armin R. Arnold und Florian von Wangenheim befassen sich in ihrem
Beitrag mit Mobile Push Notifications als einen neuen Interaktionskanal für Dienstleis-
tungsanbieter. Auf Basis der bestehenden Literatur zu Instrumenten des interaktiven Mar-
keting werden relevante Dimensionen zur Charakterisierung von Mobile Push Notifica-
tions abgeleitet. Des Weiteren werden Experten aus Wissenschaft und Praxis zu diesen
Dimensionen befragt. Aus den Ergebnissen werden Emfehlungen für den Einsatz von Mo-
bile Push Notifications abgeleitet.
Lisa-Charlotte Wolter, Sylvia Chan-Olmsted und Claudia Fantapié Altobelli analysieren
den Einsatz von Video in globalen Dienstleistungsnetzwerken am Beispiel von Twitter-
Nutzern auf mobilen Plattformen. Für globale Medienunternehmen ist das Verständnis des
Verhaltens und der Bedürfnisse der (lokalen) Nutzer unabdingbar für die Ausdehnung und
Weiterentwicklung von Medienprodukten. Die Autoren nehmen eine Bestandsaufnahme
des aktuellen Stands und der Entwicklungen im Hinblick auf die weltweite Nutzung von
mobilen und sozialen Medien vor und erarbeiten Lösungsvorschläge für die globale Posi-
tionierung von Marken sozialer Netzwerke (z. B. Twitter) mit einem Fokus auf das Ver-
halten deutscher Mediennutzer.
dieses Beitrages ist es, Anforderungen aus der Dienstleistungsperspektive für die Entwick-
lung von Cyber-Physischen Systemen darzustellen sowie daraus Ansätze für die Konzep-
tion von Cyber-Physischen Produkt-Service-Systemen abzuleiten.
Insgesamt zeigt der Planungsprozess des Managements von Dienstleistungen 4.0 die Sys-
tematik und das professionelle Vorgehen aus Unternehmenssicht aus. Dabei ist für die
Entwicklung von Dienstleistungen 4.0 sicherlich die Fähigkeit von besonderer Bedeutung,
durch eine systematische Analyse einerseits sowie eine kreative Vorstellung von Markt-
entwicklungen andererseits attraktive Marktangebote zu gestalten. Allerdings ist in diesem
Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass die internen Implementierungs- und Trans-
formationsprozess eine wesentliche Voraussetzung sowohl für die Entwicklung im Unter-
nehmen als auch für die Durchsetzung im Markt von Dienstleistungen 4.0 darstellen. Vor
dem Beginn von Planungsprozessen sind entsprechend die Voraussetzung der Implemen-
tierung und die Aufgaben der Transformation zu prüfen.
Eine umfassende Messung der Marktreaktionen auf Kunden- und Anbieterseite, nicht
nur unter monetären Aspekten, sondern auch unter Beachtung nicht-monetärer As-
pekte (z. B. Akzeptanz, Einstellungen, Commitment).
Schließlich sind auch nach einer gewissen Zeit Abschätzungen über den Umfang und
die Aufteilung der gemeinsamen Wertschöpfung vorzunehmen.
Dem Controlling kommt also bei der Beschäftigung mit dem Thema Dienstleistungen 4.0
eine wichtige Schnittstellenfunktion zu anderen betriebswirtschaftlichen Bereichen zu,
insbesondere zu der IT, dem Marketing, dem Vertrieb, dem Personal u. a.
Mit der Frage Controlling als interner Dienstleister 4.0 befassen sich Gernot Mödritscher
und Friederike Wall in ihrem Beitrag im dritten Teil von Band 1 der Sammelbände. So-
wohl in der Unternehmenspraxis als auch als wissenschaftliches Gebiet der Betriebswirt-
schaftslehre hat das Controlling eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Es hat sich noch
kein einheitliches Controllingverständnis durchgesetzt, gleichzeitig ist das Controlling
durch die Digitalisierung einem massiven Wandel unterzogen. In diesem Beitrag wird auf
der Basis eines aktuellen Controllingverständnisses (Business Partner) aufgezeigt, welche
Aufgaben und Kompetenzanforderungen durch Digitalisierung entstehen und wie sich
dadurch das Controllingverständnis verändert bzw. erweitert.
Das Management von Dienstleistungen 4.0 ist unterscheidet sich nicht nur im Hinblick
auf die vielfältigen Aufgabenstellungen, sondern auch in der branchenspezifischen Um-
setzung des Managements von Dienstleistungen 4.0. Vor dem Hintergrund befassen sich
im vierten Teil von Band 1 der Sammelbände vier Beiträge mit branchenspezifischen As-
pekten von Dienstleistungen 4.0:
Silvia Van Riper, Sabrina Helm und Tony Stovall vergleichen in ihrem Beitrag den von
Kunden wahrgenommenen Wert von physischen und digitalen Produkten. Auf Basis von
Fokusgruppengesprächen können physische und digitale Bücher als unterschiedliche Pro-
duktkategorien identifiziert werden, die voneinander unterschiedliche Nutzen stiften, so-
dass die Notwendigkeit eines spezifischen Ansatzes für das Dienstleistungsmarketing im
digitalen Kontext abgeleitet werden kann.
Marcus Schögel und Maleen Knaak analysieren den Einfluss der Digitalisierung auf Kun-
denprozesse in der Finanzdienstleistungsbranche sowie die Chancen und Risiken hinsicht-
lich des Aufbaus von Vertrauen. Dabei wird davon ausgegangen, dass etablierte Finanz-
dienstleister und FinTec-Unternehmen unterschiedliche Strategien verfolgen sollten. Auf
Basis von Expertengesprächen werden drei Gruppen von Treibern des Vertrauens identi-
fiziert und entsprechende Prioritäten für die verschiedenen Dienstleistungsanbieter be-
stimmt.
Hendrik Schröder und Ann-Kathrin Lich betrachten digitale Dienstleistungen im stationä-
ren Einzelhandel als Antwort auf die Herausforderungen durch Online-Shops. Mittler-
weile stehen stationären Einzelhändlern zahlreiche digitale Techniken zur Verfügung, um
den Einkauf ihrer Kunden zu unterstützen. Die technische Lücke zu den Online-Shops
36 Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
lässt sich weitgehend schließen. Die digitalen Techniken haben grundsätzlich das Poten-
zial, Kaufrisiken zu reduzieren, Convenience zu erhöhen sowie Einkaufserlebnisse zu ver-
mitteln. Ihr Erfolg hängt vom professionellen Einsatz der Händler und der Akzeptanz der
Endkunden ab.
Jens Hogreve und Andrea Beierlein befassen sich mit der Digitalisierung des Kundenser-
vices in der Healthcare-Industrie. Unternehmen im Business-to-Business (B2B)-Kontext
implementieren immer häufiger im Rahmen ihres Kundenservice so genannte Peer-to-
Peer Problem-Solving (P3) Online Communities, um Kunden eine Plattform zum Austau-
schen, Diskutieren und gemeinsames Erarbeiten von Problemlösungen zu bieten. Die Be-
teiligung der Kunden als auch Mitarbeiter gilt dabei als essentieller Erfolgsfaktor für eine
solche B2B-P3-Online-Community. Jedoch wurden in der Forschung bisher kaum B2B-
Kontext-spezifische Faktoren identifiziert, die die Kunden- und Mitarbeiterbeteiligung
motivieren als auch daraus resultieren. Der vorliegende Beitrag adressiert diese For-
schungslücke und zeigt anhand einer empirisch qualitativen Analyse Motivationsfaktoren
und Auswirkungen von Kunden- und Mitarbeiterbeteiligung in einer B2B-P3-Online-
Community in der Healthcare Industrie auf.
Das Management von Dienstleistungen 4.0 ist unterscheidet sich nicht nur im Hinblick
auf die vielfältigen Aufgabenstellungen, sondern auch in der branchenspezifischen Um-
setzung des Managements von Dienstleistungen 4.0. Vor dem Hintergrund befassen sich
im vierten Teil von Band 2 der Sammelbände befassen sich sieben Beiträge mit branchen-
spezifischen Aspekten von Dienstleistungen 4.0:
Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff setzen sich mit Zeitungsverlagen zwischen Digitali-
sierung und Servitization auseinander. Sie untersuchen, wie sich Digitalisierung und Ser-
vitization in der bisher in diesem Zusammenhang wenig betrachteten Medienbranche dar-
stellen. Insbesondere wird folgenden Fragen nachgegangen: Welche Leistungen bieten
Verlage an und wie lassen sich diese systematisieren? Welche Marktstrategien verfolgen
Verlage? Welche Entwicklungspfade lassen sich ableiten? Welche Voraussetzungen sind
mit den jeweiligen Strategien und Entwicklungspfaden verbunden?
André Schneider betrachtet die Herausforderungen und Perspektiven der Digitalisierung
von Bildungsdienstleistungen. In seinem Beitrag werden die wesentlichen Push- und Pull-
faktoren vorgestellt, welche die Digitalisierung ermöglichen und beschleunigen. Weiter-
hin erfolgt die Diskussion der damit verbundenen Herausforderungen und Potenziale für
die Hochschulen als Anbieter digitaler Bildungsdienstleistungen. Zur Steigerung des Er-
folgs, der Aktivierung von Potenzialen sowie dem Aufbau von Wettbewerbsvorteilen in-
nerhalb der interaktiven Wertschöpfung werden strategische Handlungsfelder diskutiert,
wobei der Fokus auf die Vorstellung von Interaktions- und Co-Kreations-Kompetenzen
liegt.
Gerrit Heinemann EHIDVVWVLFKXQWHUGHP%HJULIIÄ2IIOLQH³PLWGHU'LJLWDOLVLHUXQJGHV
stationären Handels. Während bislang im Einzelhandel grundsätzlich zwischen den ana-
logen Offline- und den digitalen Online-Kanälen unterschieden wurde, ist seit kurzem
auch eine umfassende Digitalisierung stationärer Geschäfte zu beobachten. Diese erfolgt
Dienstleistungen 4.0 37
5. Fazit
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass es sich bei dem Thema ÄDienstleistun-
gen 4.0³ um ein zentrales Zukunftsthema sowohl für Sachgüter- als auch für Dienstleis-
tungsunternehmen handelt. Im Zentrum steht für Unternehmen, sich mit digitalen Tech-
nologien und innovativen Geschäftsmodellen im Unternehmen zu beschäftigen. Dies zieht
erhebliche Veränderungsprozesse bei den Anbietern und Nachfragern mit sich. Die An-
bieter stehen vor der Frage und Herausforderung, wie Dienstleistungen 4.0 zu gestalten
sind.
Die Nachfrager stehen als Kunden vor der Frage und Herausforderung, wie sich Kaufver-
haltensprozesse zukünftig unter Einsatz von neuen Technologien verändern werden. Des-
KDOEZLUGHVXQDEGLQJEDUVHLQGLHPLW'LHQVWOHLVWXQJHQYHUEXQGHQHQÄ&XVWRPHU,Q
VLJKWV³ LQ :LVVHQVFKDIW XQG 3UD[LV VRUJIlOWLJ ]X DQDO\VLHUHQ XQG GLH HQWVSUHFKHQGHQ
Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Dienstleistungen 4.0 hat in
den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dennoch steht das Forschungsgebiet am Beginn
seiner Entwicklung und hat zukünftig eine große Vielfalt an noch offenen Forschungsfra-
gen zu bearbeiten.
,QVJHVDPW KDQGHOW HV VLFK EHL GHP 7KHPD Ä'LHQVWOHLVWXQJHQ ³ XP HLQ UHODWLY QHXHV
Thema mit einem erheblichen Entwicklungspotenzial. Deshalb kommt den Beiträgen in
den beiden Sammelbänden eine besondere Bedeutung zu, behandeln sie doch in einer frü-
hen Phase die Entwicklung und ersten Schritte.
Dabei wird das Thema Dienstleistungen 4.0 in verschiedenen Branchen in der Praxis eine
unterschiedliche Bedeutung aufweisen. Es ist abzusehen, dass zahlreiche Branchen nicht
nur im B2C-Bereich (z. B. Buchhandel, Textilien, Musik, Reisen, Mobilität u. a. m.), son-
dern auch und insbesondere im B2B-Bereich sowie im Nonprofit-Bereich betroffen sind.
9RQEHVRQGHUHU%HGHXWXQJLVWDXFKHLQH%HWUDFKWXQJVZHLVHGLHGDV7KHPDÄ'LHQVWOHLV
tungHQ³QLFKWHLQVHLWLJHLQHU$EWHLOXQJLP8QWHUQHKPHQ]XRUGQHWVRQGHUQGDVVHVVLFK
um eine umfassende Aufgabe des Dienstleistungsmanagements handelt. Hier sind sämtli-
che Abteilungen wie IT; Marketing, Personal, Organisation, Vertrieb, F&E, Kommunika-
tion u. a. m. mit einzubeziehen. Es ist also zu erwarten, dass sich durch die Entwicklungs-
tendenzen und Zukunftsperspektiven von Dienstleistungen 4.0 die Veränderungsprozesse
nicht nur in den Märkten, sondern auch in den Unternehmen vollziehen werden.
Dienstleistungen 4.0 39
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1. Dienstleistungsbasierte
Geschäftsmodelle 4.0
Pascal Bühler und Peter Maas
Literaturverzeichnis
2.1 0HJDWUHQGÄ'LJLWDOLVLHUXQJ³
2EZRKO GDV ,QWHUHVVH DP 7KHPD Ä'LJLWDOLVLHUXQJ³ LQVEHVRQGHUH LQ GHQ 7DJHV- und
Fachmedien hoch ist, wird auf die Bedeutung dieser Begrifflichkeiten nur geringfügig
eingegangen (Wade 2015). Mitunter ein Grund dafür ist, dass die Forschung zum Phä-
QRPHQ ÄGLJLWDOH 7UDQVIRUPDWLRQ³ QRFK DP $QIDQJ VWHKW )orschungsergebnisse sind
nach wie vor rar und auf einzelne Teilfragen spezialisiert, wie beispielsweise die Befähi-
gung des Kunden durch das Internet (Wathieu et al. 2002), die Veränderung der Interak-
tionswege (Lemon/Verhoef 2016) oder die Privacy im Rahmen des E-Commerce
(Belanger 2011). Im englischen Sprachgebrauch lässt sich Digitalisierung gemäß dem
2[IRUG'LFWLRQDU\LQÄGLJLWL]DWLRQ³EHUVHW]HQZHOFKHGHQWHFKQLVFKHQ8PZDQGOXQJV
prozess von analogen zu digitalen Daten im Rahmen der Datenverarbeitung beschreibt.
'HU HQJOLVFKH %HJULII ÄGLJLWDOL]DWLRQ³ KLQJHJHQ XPIDVVW GLH 9HUlQGHUXQJ XQVHUHU $OO
tagswelten durch digitale Interaktion, digitalisierte Servicedienstleistungen und physi-
schen Produkten, welche uns Zugang zu den virtuellen Welten ermöglichen. Im deut-
schen Sprachgebrauch gibt es diese Unterscheidung nicht. Digitalisierung wird
umgangssprachlich zuweilen für beide Bedeutungsinhalte gebraucht. Um eine Unter-
scheidung zwischen dem technischen Umwandlungsprozess und der Veränderung der
$OOWDJVZHOWHQ ]X ]LHKHQ YHUZHQGHW GHU %HLWUDJ GHQ %HJULII ÄGLJLWDOH 7UDQVIRUPDWLRQ³
Dabei bezieht sich der Beitrag zum einen auf Märkte, um auf die Veränderungskraft hin-
zuweisen, durch die technologische Entwicklungen das Verhalten von Konsumenten
verändern können und somit Märkte neu gestalten. Zum anderen bezieht sich dieser Bei-
trag auf Geschäftsmodelle, worunter der Prozess des Wandels der Organisationsstruktu-
ren, des Wertschöpfungsprozesses und der Value Proposition abgebildet wird.
Obwohl die technologische Entwicklung einen weitgehenden Einfluss auf unseren Alltag
ausübt, wäre es zu trivial, die gegenwärtigen Veränderungen lediglich auf einen Me-
gatrend zurückzuführen. Vielmehr existiert eine Reihe von Megatrends, welche unsere
derzeitige gesellschaftliche Entwicklung treiben (Maas et al. 2015). Megatrends be-
schreiben langfristige, substanzielle Veränderungen unserer realen und virtuellen Um-
welten, der Strukturen und Prozesse unserer Gesellschaft sowie unserer Werte und Ver-
haltensweisen. Dabei bedingen, verstärken oder verlangsamen sich die Megatrends
XQWHUHLQDQGHU,QVEHVRQGHUHGLH0HJDWUHQGVÄ9HUQHW]XQJ³XQGÄ,QGLYLGXDOLVLHUXQJ³VLQG
eng mit der digitalen Transformation verknüpft. Die Vernetzung beschreibt die wach-
senden technologischen Strukturen, aber auch die Neubildung von Gemeinschaften, aus-
gehend von sozialen Plattformen, auch bekannt unter dem Begriff Neo-Tribalism
(Maffesoli 1996). Communities haben Einfluss auf die Informationsbeschaffung von
Kunden, die schnellere Verbreitung von Kundenbedürfnissen und die Machtverhältnisse
zwischen Kunde und Unternehmen. Sie tragen somit zur Veränderung des Kundenver-
haltens im Zuge der digitalen Transformation bei.
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 47
'HU0HJDWUHQGÄIndividualisierung³ZLUGGXUFKGLH-DJGQDFK6HOEVWEHVWLPPXQJ,QGL
vidualität und Identität definiert. Täglich werden wir mit einer Vielzahl möglicher Opti-
onen und Entscheidungen konfrontiert. Diese Optionenvielfalt bildet die Grundlage der
Selbstverwirklichung eines jeden Individuums. Um in der Masse und Schnelllebigkeit
von Informationen wahrgenommen zu werden, zelebrieren wir unsere Identität mit Sel-
fies vom Urlaub, LinkedIn-Posts der neuen Stelle, die wir angetreten haben oder beim
Gespräch über die neuesten Superfoods. Technologie ermöglicht dabei eine immer wei-
tergehende Individualisierung auch über soziale Netzwerke hinaus. Der Trend zur Indi-
vidualisierung wird beispielsweise bei der Benutzung der Online-Kartendienste ersicht-
lich. Beim Navigieren innerhalb der Applikation Google Maps werden wir automatisch
ins Zentrum der Karte gerückt. Die geozentrische Weltansicht transformiert sich zu einer
egozentrischen Perspektive (Schneider 2015).
Dabei konkretisieren sich Megatrends in Spannungsfelder und führen jeweils auch eine
gegenteilige Entwicklung mit sich, einen Gegentrend (Maas et al. 2015). Trend und Ge-
gentrend bilden die Pole, in deren Spannungsfeld die Zukunft geformt wird. Um die
Entwicklung der Märkte zu verstehen, ist es deshalb notwendig, die digitale Transforma-
tion auch als Produkt dieses Spannungsfeldes zu betrachten. So ist die gegenwärtige di-
gitale Transformation Ursache verschiedener Gegentrends. Die Unverbindlichkeit und
Anonymität der Online-Beziehungen führt beispielsweise zu einem zunehmenden Be-
dürfnis nach persönlicher Offline-Interaktion. Auch führt die ständige Erreichbarkeit
durch die Vernetzung zur Suche nach Möglichkeiten für eine kurze Zeit der Always-On-
Kultur zu entfliehen, eine so genannte digitale Entgiftungskur (Digital Detox) durchzu-
führen.
den. Die so genannte virtuelle Welt wird zunehmend Teil des normalen Lebens werden.
Dies bedeutet, der Kunde bedient sich desjenigen Zugangswegs, welcher ihm unter Be-
rücksichtigung seiner Vorlieben in der jeweiligen örtlichen und zeitlichen Alltagssituati-
on am effizientesten und effektivsten zur Deckung des aktuellen Bedürfnisses oder zur
Lösung des aktuellen Problems erscheint ± unabhängig davon, ob dieser On- oder Off-
line ist. Jeder Kundentypus hat dabei unterschiedliche charakteristische Bedürfnisse hin-
sichtlich Produkten, Dienstleistungen und Beziehungen. Diesen Zugangsweg kann er
durchaus innerhalb eines aktuellen Dialogs ändern, wobei er stets erwartet, dass zu jeder
Zeit jegliche Information, welche er dem Unternehmen schon mitgeteilt hatte, verfügbar
ist. Kunden werden nicht mehr akzeptieren, dass sie wiederholt gleiche Informationen
weitergeben müssen.
Die Veränderung der Zugangswege in allen Phasen der Customer Journey lässt sich
mittlerweile auch in eher langsam transformierenden Branchen, wie der Assekuranz gut
erkennen. In einer Befragung von Führungskräften in der Versicherungswirtschaft im
deutschsprachigen Raum prognostizieren die Befragten, dass die Interaktion mit ihren
Kunden in fünf Jahren zu einem überwiegenden Teil digital stattfindet und zwar in allen
Stationen der Customer Journey (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Anteil der Versicherungskunden, die 2020 einen On- oder Offline-
Zugang bevorzugen aus der Perspektive von Führungskräften
(n = 384, DACH-Märkte)
(Quelle: Maas/Bühler 2015, S. 23)
Die Fähigkeit Informationen digital zu speichern, diese miteinander zu verbinden, zu in-
terpretieren und zu automatisieren, beschleunigt die Möglichkeiten zur Entwicklung in-
telligenter Dienstleistungen. An der EPFL in Lausanne beispielsweise werden in den
nächsten zehn Jahren 80 km Bücher und Dokumente aus dem venezianischen Staatsar-
chiv digitalisiert (EPFL 2016). Bislang mussten Historiker sich zu jeder Person Informa-
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 49
tionen von verschiedenen Registern und Quellen zusammensuchen, um ein Abbild sei-
nes Lebens zu bekommen. Zukünftig wird dies mit einem Klick möglich sein. Zudem
kann das System alle Verbindungen zu weiteren Personen herausfiltern, was zu einem
komplexen Bild der damaligen Marktwirtschaft zusammengefügt werden kann. Dadurch
erhoffen sich Historiker eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen gewinnen zu können. Zu-
künftig werden im Hintergrund und ohne unsere aktive Einwirkung intelligente, mitei-
nander verbundene Geräte unseren Alltag autonom regeln. Die Möglichkeiten, die sich
durch die intelligente Vernetzung des Internet of Everything ergeben, wie beispielsweise
der selbst einkaufende Kühlschrank, werden zwar schon seit langem beschrieben, doch
erst seit kurzem befinden wir uns an einem Punkt, an dem die Sensor- und Prozesstech-
nologie sowie die Netzwerkgeschwindigkeit und -bandbreite es ermöglichen, Leistungen
mit wahrnehmbarem Mehrwert für den durchschnittlichen Kunden zu erbringen.
Die Vernetzung von Objekten und Subjekten, sowie die Verbreitung von Sensoren er-
möglichen neue Geschäftsmodelle wie am Beispiel der Assekuranz illustriert werden
kann. Telematiklösungen beschreiben Geschäftsmodelle mit individueller Risikoberech-
nung basierend auf Echtzeitdaten. So werden mittels Sensoren Kundenverhalten analy-
siert, um daraus ein Risikoprofil herzustellen, anhand dessen Kunden eine individuali-
sierte Lösung mit entsprechender Prämie angeboten werden kann. Telematiklösungen
sind vor allem im Bereich der Fahrzeugversicherung etabliert. Weitere mögliche An-
wendungsfelder sind beispielsweise die Hausrats- und Krankenversicherung. Letztlich
sollte die Sensortechnik jedoch nicht nur angewendet werden, um neue Preismodelle zu
entwerfen, sondern vor allem um die Risiken im Leben eines Individuums zu minimie-
ren, ihn etwa zu warnen, wenn Schneeglätte herrscht oder ihn bei der richtigen Ernäh-
rung zu unterstützen.
Die Anpassung des Unternehmens an die veränderten Bedingungen hat jedoch eine klare
inhaltliche und zeitliche Zielsetzung, ist demzufolge planbar und ist zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Regulation abgeschlossen. Die digitale Transformation verhält sich
anders. Die Zielsetzung der digitalen Transformation ist unklar, da die Wettbewerbs-
bedingungen in fünf oder zehn Jahren kaum vorhersehbar sind. Zudem ist es auch kein
vorübergehendes Phänomen. Im Gegenteil, die digitale Transformation beschleunigt sich
mit dem Grad der Digitalisierung der Geschäftsmodelle (Joseph et al. 2015). Das bedeu-
tet, je höher der Grad der Digitalisierung von Geschäftsmodellen, desto grösser ist das
Risiko einer Disruption der vorherrschenden Geschäftsmodelle (Berghaus et al. 2016).
Um in diesem Marktumfeld langfristig bestehen zu können, bedarf es einer stetigen Wei-
terentwicklung des Geschäftsmodells.
Welche Märkte einer Disruption unterliegen, hängt wesentlich davon ab, ob (latente)
Bedürfnisse des Kunden durch neue Lösungen besser gedeckt werden können. Der Trei-
ber der Märkte im Rahmen der digitalen Transformation ist somit nicht die Technologie
an sich, sondern die durch technologische Lösungen induzierten Veränderungen der
Verhaltensweisen und Bedürfnisse der Kunden. So wurde die erste Internetbotschaft be-
reits 1969 an das Stanford Research Institute übermittelt. Das technologische Wissen,
Musikdateien in digitalen Formaten, wie beispielsweise MP3, zu speichern, existiert seit
1992. Im gleichen Jahr wurde IBM Simon, das erste Smartphone präsentiert. Es konnte
bereits E-Mails und Faxe versenden, besaß eine Kalenderfunktion und wurde über einen
Touchscreen gesteuert. Dennoch begann der Siegeszug dieser Technologien viele Jahre
später. Erst die Entwicklung des World Wide Web, die Einführung des IPods oder das
Design des App-Ökosystems führten zur disruptiven Veränderung der Märkte. Digitale
Technologien bilden das Fundament der digitalen Transformation, indem sie die Herstel-
lung einer Reihe innovativer, wertschöpfender Produkte und Dienstleistungen ermögli-
chen. Die Existenz digitaler Technologien ist allerdings keine hinreichende Bedingung
für den Wandel der Märkte. Entscheidend für die Veränderungskraft einer Technologie
ist der Mehrwert für den Nutzer. Erst mit der optimalen Leistungserbringung für den
Kunden in Form der praktischen Nutzung einer Technologie wird deren Veränderungs-
kraft freigesetzt.
Die gegenwärtige digitale Transformation führt zu einem Paradigmenwechsel in den
Märkten. Die Kategorien des klassischen Industriewettbewerbs vermögen die Entwick-
lung der Märkte nicht mehr abzubilden (Heuskel 1999). Wo Agilität und Flexibilität als
strategische Unternehmensziele vorherrschen, kann die Branchenlogik, in der Stabilität
und Planbarkeit als grundlegende Maxime gelten, den Wettbewerb nicht mehr korrekt
abbilden. Wenn es jedoch nicht mehr Branchen und Produkte sind, die das Unternehmen
beschreiben, worauf sollen strategische Entscheidungen und Planungen dann gründen?
Die wissenschaftliche Literatur im Bereich des Dienstleistungsmarketings ist seit etwas
mehr als zehn Jahren geprägt durch einen Perspektivenwechsel zur Service-Dominant
Logic (Vargo/Lusch 2004; 2008; 2016). Demzufolge werden sowohl Unternehmen, als
auch Kunden als individuelle Subjekte auf dem Markt betrachtet, die in Co-Kreation
Wert sowohl für das Unternehmen, als auch für den Kunden schaffen. Unternehmen
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 51
schaffen dabei keine Werte, sondern nur ein Wertangebot für den Kunden. Somit wan-
delt sich die Perspektive von der klassischen produktionsfixierten Logik und der damit
einhergehenden Verkaufsorientierung zu einer Problemlösungsorientierung für den
Kunden. Der Customer Value, die subjektiv wahrgenommene Wertschöpfung aus der
Perspektive des Kunden, rückt in den Fokus strategischer Überlegungen der Anbieter.
Der Zweck eines Unternehmens besteht somit in der Gestaltung von Problemlösungen
(Maas 2001). Folglich spielt der Wettbewerb nicht mehr zwischen Wettbewerbern in-
nerhalb einer Branche, sondern zunehmend innerhalb eines Dienstleistungs-Ökosystems.
Ein Dienstleistungs-Ökosystem ist dabei als ± loses und temporäres Netzwerk verschie-
dener Akteure, welche gemeinsam Wertangebote kreieren und austauschen, sowie beid-
seitig Wert schaffen (Lusch 2011) ± zu verstehen. Dienstleistungs-Ökosysteme entstehen
entlang von Bedürfniskategorien oder Alltagswelten der Kunden.
Wie die Erschaffung von Leistungen entlang eines Dienstleistungs-Ökosystems sich in
der Praxis widerspiegelt, lässt sich durch einen einfachen Vergleich der Visionen von
Technologiekonzernen erkennen. So existieren bereits heute Unternehmen, welche jen-
seits ihrer traditionellen Branchengrenzen denken und handeln. Amazon, 1994 gegründet
als Online-Buchhandel (Amazon 2015) entwickelt sich entlang der Alltagswelt Wohnen
zu einer digitalen Plattform für das smarte Zuhause der Zukunft (Wolf 2015). In diesem
Zusammenhang wurde beispielsweise Echo entwickelt, eine erweiterbare mit Sprachbe-
fehlen und zusätzlichen Applikationen steuerbare Smart-Home-Plattform. Seit diesem
Jahr ist Echo zudem in Ford-Fahrzeugen integriert, welche sich über die Plattform steu-
ern lassen (Amazon 2016). Mit Echo sollen alltägliche Aufgaben wie beispielsweise die
Erstellung von Einkaufslisten oder die Wiedergabe von Musik direkt über die verbale
Befehlsfunktion ausgeführt werden können. Tesla sieht sich nicht als Automobilherstel-
ler, sondern als Anbieter emissionsloser Mobilität (Tesla 2013). Nicht das Auto als Pro-
dukt wird gekauft, sondern die Leistung sich smart, schnell und emissionsarm oder gar
emissionslos überall hin bewegen zu können. Durch den Kauf von Solar-City und dem
Aufbau einer eigenen Batterienfabrik nähert sich Tesla diesem Ziel. Ubers Vision ist ein
Lösungsanbieter rund um Mobilitäts- und Transportdienstleistungen zu sein und dies oh-
ne ein Fahrzeug zu besitzen (Siliconangle 2015). Google will die Informationen der Welt
organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen (Google 2016).
Bei all diesen Beispielen steht die Gestaltung von besseren Wertangeboten im Vorder-
grund, die dem Kunden einen deutlichen Nutzen oder Mehrwert in seinen Alltagswelten
erbringen. Die Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle besteht in der Erschaffung von digita-
len Plattformen, die dem Kunden als Zugangspunkt zur Lösung verschiedener Probleme
seiner Alltagswelten dienen. Besteht beim Kunden ein Informationsbedürfnis, fragt er
Google, möchte er von A nach B kommen, öffnet er Uber und will er zuhause Musik la-
den, ruft er Alexa (Codewort von Amazon Echo) auf. Während der Wettbewerb in einer
Branchenlogik gemäß Porter (1998) durch die Verhandlungsmacht von Käufer und Lie-
ferant sowie der Gefahr von Substituten und neuen Unternehmen definiert wurde, wird
der Wettbewerb in einer Logik der Dienstleistungs-Ökosysteme beim Zugang zum Kun-
den und seinen Daten entschieden.
52 Pascal Bühler und Peter Maas
Versicherer den Fokus auf die Kostenseite der Bilanzen zu legen. Dieser Perspektiven-
wechsel kann als Initialisierung der Industrialisierung in der Assekuranz angesehen wer-
den. Die Heimmärkte waren zunehmend gesättigt, wodurch sich Wettbewerbs- und Ren-
ditedruck erhöhten. Infolgedessen wurden Standardisierung und Automatisierung
vorangetrieben, um die Prozesseffizienz zu erhöhen.
Mit der Etablierung der mobilen Kommunikation verändert sich heute allmählich das
Kundenverhalten. Kunden verlangen nach digitalen Zugangswegen und einer Anpassung
des Angebots an ihre veränderten Bedürfnisse. Versicherungsunternehmen reagieren mit
einer Fokussierung weg von den traditionellen Kernprozessen hin zu den Kundenprozes-
sen (Maas/Bühler 2015). InsurTechs etablieren sich zunehmend an der Nahtstelle zum
Kunden und erhöhen den Druck auf traditionelle Unternehmen, sich den veränderten
Wettbewerbsbedingungen anzupassen.
Digitale
Haupttreiber Deregulierung Börsencrash Marktsättigung Kundenbedürfnisse
Technologien
Entwicklungsphasen Wettbewerb um
Öffnung des Konzentration auf Fokussierung Ausbau der
der Märkte mit Wertdesign für / mit
Marktes Kerngeschäft auf Rendite Interaktionswege
Versicherung Kunden
Um den Kunden zukünftig umfassender zu entlasten, werden auf der Basis von Verhal-
tensdaten individualisierte Versicherungsprodukte aufkommen. Komparative Wettbe-
werbsvorteile werden durch bessere Kenntnisse über den Kunden und seine Bedürfnisse
generiert. Dem Kunden wird ein erweitertes Dienstleistungsspektrum rund um die All-
tagswelten Mobilität, Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Besitz angeboten. Es entstehen
verschiedene Ökosysteme, deren Zugang meist über digitale Plattformen erfolgt. Versi-
cherungskonzerne reagieren mit der Konstruktion von Wertschöpfungsnetzwerken
54 Pascal Bühler und Peter Maas
(Maas 2000). Solche Unternehmen, die den Zugang zum Kunden nicht etablieren ver-
mögen, konzentrieren sich auf niedrigmargige Kernprozesse.
1
Eine Untersuchung zu Transformationsansätzen in der Assekuranz ist Teil eines aktuel-
len Forschungsprojektes am Institut für Versicherungswirtschaft (I.VW ± HSG).
56 Pascal Bühler und Peter Maas
ternehmen, welches einfach möglichst viele Interaktionswege anbietet, verliert die Mög-
lichkeit sich von anderen Unternehmen über die Zugangswege zu differenzieren. Ein
Multi-Offering-Ansatz im Gegensatz erlaubt es Unternehmen, spezifisch auf den Zu-
gangsweg zugeschnittene Dienstleistungen oder Produkte anzubieten. Der Kunde be-
kommt nicht nur einen optimalen Zugang zum Unternehmen, sondern Dienstleistungen
werden auf Zugangswege zugeschnitten.
Eine noch radikalere Differenzierungswirkung kann durch den bewussten Verzicht auf
verschiedene Zugangswege erreicht werden. Dies ermöglicht dem Unternehmen seine
Identität über die Wahl der Zugangswege zu schärfen. Das Label blingberlin, ein Desig-
ner für Taschen, setzt beispielsweise konsequent auf den Verkauf in physischen Stores
und verzichtet bewusst auf Online-Handel. Damit erreicht das Label nicht nur eine hohe
Exklusivität, sondern stärkt auch noch den lokalen Handel, womit dem Bedürfnis nach
lokaler Wertschöpfung nachgekommen wird. Auch für Dienstleistungsunternehmen gilt,
die Aufmerksamkeit nicht nur den Online-Interaktionspunkten zu widmen, sondern mit
den heutigen Möglichkeiten ein möglichst gutes Wertangebot für Offline-
Interaktionspunkte zu kreieren.
In Zusammenhang mit der Auswahl der Kundenzugangswege stellt sich für Unterneh-
men die Frage nach dem Ausmaß an persönlicher, respektive unpersönlicher Kundenin-
teraktion. In verschiedenen Branchen wird intensiv in den Aufbau digitaler Kundenplatt-
formen investiert. Dadurch wird es dem Kunden ermöglicht, Verträge selbst
abzuschliessen, sich grundlegend selbst zu informieren und laufende Beziehungen selbst
zu mutieren. Dies entspricht dem Bedürfnis vieler Kunden, nicht mehr für jede Vertrags-
änderung zu telefonieren oder in die Agentur bzw. in den Shop gehen zu müssen.
Gleichzeitig ist auch ein Gegentrend ersichtlich. Explizit junge Menschen schätzen oft-
mals die persönliche Beratung, um sich so schnell in einem Markt zurechtzufinden. Für
Unternehmen gilt es zu erkennen, dass persönliche Interaktionsweisen weiterhin eine
Vielzahl an Differenzierungsmöglichkeiten aufweisen. Mit den eigenen Kunden persön-
lich zu kommunizieren, ihnen zuzuhören und dabei ihre Bedürfnisse akkurat zu identifi-
zieren sowie zu befriedigen, offenbart das Bestreben, den Kunden als Individuum wahr-
zunehmen und dessen subjektiven Wünschen bestmöglich nachzukommen. So kann eine
persönliche Interaktion mit dem Kunden zum einen dessen Zufriedenheit erhöhen und
zum anderen eine nachhaltige Bindung des Kunden an das Unternehmen fördern. Ein
weiterer in diesem Rahmen zu thematisierender Aspekt ist die Möglichkeit des Kunden,
sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. So fällt es tendenziell leichter, sich mit ei-
ner persönlichen Leistungserbringung eines Mitarbeiters als mit der einer Applikation zu
identifizieren.
Seit kurzer Zeit etabliert sich eine weitere Option, welche sich nicht leicht im Spektrum
zwischen persönlicher und unpersönlicher Interaktion einordnen lässt: Der ChatBot.
58 Pascal Bühler und Peter Maas
ChatBots sind bereits für verschiedene Zwecke und bei verschiedenen Unternehmen wie
beispielsweise KLM im Einsatz. Ein ChatBot bietet einen Mehrwert für den Kunden,
indem er den Aufwand minimiert bestimmte Probleme zu lösen oder den Kunden unter-
hält. Mica, The Hipster Cat Bot, bietet die Möglichkeit, sich über interessante Orte in-
nerhalb einer Stadt zu informieren und unterhält auf eine fesselnde Art und Weise den
Kunden mit lustigem Content. SPIXII, ein InsurTech, soll Versicherungen simpler, zu-
gänglicher und kundenorientierter gestalten. SPIXII funktioniert mittels eines ChatBots,
der auf diversen Plattformen wie beispielsweise Line, Facebook Messenger, WeChat
oder einer eigens programmierten mobilen Applikation verwendet werden kann. Beim
ChatBot von SPIXII handelt es sich um einen intelligenten Algorithmus, welcher laut
Unternehmen über die Fähigkeit verfügt, kundenspezifische Diskussionen und Prob-
lemlösungen anzubieten und sich dabei laufend zu belehren weiß. So ist der ChatBot mit
einer künstlichen Intelligenz ausgestattet, welche es dem Programm erlaubt, von den
Verhaltensmustern eines jeden Kunden zu lernen und dieses auch anzuwenden (Smith
2016). Wird beispielsweise ein ChatBot über den Facebook Messenger genutzt, erhält
dieser Zugriff auf die seit Eröffnung des Facebook-Kontos stattgefunden Konversatio-
nen. Ein derartiger Zugang zu Kundendaten resultiert in einem enormen Potenzial, die
Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Kunden über die Zeit hinweg immer besser zu
verstehen und maßgeschneiderte, kundenorientierte Lösungen zu offerieren (Smola
2016). Möchte der Kunde sich beispielsweise über eine Reiseversicherung im Rahmen
eines mehrmonatigen Aufenthaltes in Südostasien informieren, kann dies dem ChatBot
kommuniziert werden. Dieser reagiert augenblicklich und fragt nach zusätzlichen Infor-
mationen, wie z. B. der exakten Reisezeit oder -destinationen. Gleichzeitig gratuliert der
ChatBot zum Entscheid, reisen zu gehen und wünscht dem Kunden einen angenehmen
Aufenthalt, wobei dem Kunden die für die Reise notwendigen Versicherungen angebo-
ten werden.
Die von Gross (1994) beschriebene Multioptionsgesellschaft macht sich in vielen Berei-
chen unseres Alltags bemerkbar. So existiert heutzutage eine Vielzahl an Konsummög-
lichkeiten zwischen welchen sich Konsumenten entscheiden müssen. Dabei ist es um-
stritten, ob die Anzahl an Optionen tatsächlich einen Mehrwert generiert. Der Mehrwert
zusätzlicher Möglichkeiten kann durch die höhere Komplexität des Entscheidungspro-
zesses wieder relativiert werden oder gar zu einem Aufschub des Kaufs führen. Eine
kleinere Auswahl an Produkten und Dienstleistungen kann weitere Vorteile für den
Kunden schaffen. Entscheidet sich der Kunde für ein Produkt unter wenigen Auswahlal-
ternativen, wird er nach dem Kauf vermindert das Gefühl wahrnehmen, eine falsche Ent-
scheidung getroffen zu haben (Schwartz 2005).
In einer digitalisierten Welt können sowohl standardisierte als auch individualisierte
Leistungen einen Mehrwert bringen. Das Geschäftsmodell von Holzconnection besteht
darin, die Value Proposition eines Schreiners zu digitalisieren, indem sich Regale, Ti-
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 59
sche oder Schränke völlig individuell auf einer digitalen Plattform gestalten und fertigen
lassen. Der Online Shop Zappos ermöglicht individualisierte Dienstleistungen, wie bei-
spielsweise eine Styling-Beratung. Dazu wird ein selbsterstelltes Selfie auf Instagram
mit dem Hashtag #NextOOTD hochgeladen, wobei anschließend ein professioneller
Kundenberater auf Basis des Selfies dem Style des Kunden entsprechende Produktvor-
schläge offeriert. Auf der anderen Seite des Spektrums befindet sich Apple. So werden
im Rahmen der neuen iPhone-Reihe lediglich zwei Produkte, nämlich das iPhone 7 und
das iPhone 7 Plus, produziert. Zum einen äußert sich diese Entscheidung in einer Kom-
plexitätsreduktion auf der Produktions- und Logistikseite, zum anderen reduziert Apple
die Komplexität der Kaufentscheidung auf ein Minimum. Der Kunde wird zusätzlich an
das eigens geschaffene Apple-Ökosystem gebunden, was zukünftige Kaufentscheidun-
gen vereinfacht.
Eine auf Hierarchie basierende, klassische Organisationsform wird in einer heutigen von
Dynamik und Komplexität geprägten Umwelt hinterfragt. Um möglichst agil auf die
Veränderungen des Marktes reagieren zu können, ist gegenwärtig ein Trend hin zu fla-
chen, basisdemokratischen und flexiblen Strukturen zu erkennen, welche selbstorganisie-
rend und nicht überaus formal agieren (Klaffke 2014). Dieses Phänomen geht einher mit
den sich verändernden Bedürfnissen einer zukünftigen Generation von Spezialisten und
Führungskräften. So fordern diese innerhalb eines partizipativen Organisationskonzept
nach mehr persönlicher Verantwortung sowie Raum, um die eigenen persönlichen Stär-
ken in das Unternehmen einzubringen (Klaffke 2014). Eine Unternehmenskultur, die je-
dem einzelnen Mitarbeiter das entsprechende Vertrauen entgegenbringt, ist dabei von
essentieller Bedeutung. Diese soll die intrinsische Motivation des Mitarbeitenden im
Rahmen der zu erfüllenden Arbeit erhöhen und die Identifizierung mit dem Unterneh-
men ermöglichen.
Holacracy (Brinsa 2016) stellt eine Organisationsform dar, die strukturelle Organisati-
onshierarchien durch sich selbst organisierende Teamstrukturen ersetzt. Sie steht folglich
am anderen Ende der Bandbreite strategischer Optionen. Zuständigkeiten und Entschei-
dungskompetenzen werden breit auf alle Mitarbeitenden verteilt, welche nach einem in-
ternen Leitbild der Organisation ihren Verantwortlichkeiten im Unternehmen nachgehen.
Die entscheidende Veränderung ist die Trennung von Rollen und Verantwortlichkeiten
oder Tätigkeiten. Dies lässt sich am Beispiel des HR-Managers zeigen, welcher ver-
schiedene Aufgaben, wie Akquise, Training und Ressourcenplanung zu erfüllen hat.
Werden nun diese einzelnen Tätigkeiten von der Rolle des HR-Managers getrennt, spielt
es keine Rolle mehr, wer diese Tätigkeiten durchführt, was letztlich dazu führt, dass kei-
60 Pascal Bühler und Peter Maas
ne HR-Manager mehr akquiriert werden, sondern Personen, die die Fähigkeiten besitzen
zu akquirieren, ein Training durchzuführen oder Ressourcen zu planen. Der Vorteil des
Systems liegt in der Agilität. Über ein System von sich selbstorganisierenden Teams
werden die benötigten Tätigkeiten kollektiv in regelmäßigen Abständen neu festgelegt,
um sich dem gegenwärtig stattfindenden Wandel des Marktes anzupassen. Dabei ist je-
des Team einem klaren Zweck zugeordnet, hat aber die Befugnis, sich intern selbst zu
organisieren, sodass es seinen Zweck bestmöglich erfüllen kann.
Eines der größten Unternehmen, das den Organisationsansatz Holacracy implementierte,
ist Zappos, ein Onlineshop mit 1.500 Mitarbeitenden, der sich mehrheitlich auf den Ver-
trieb von Schuhen fokussiert. Die Transformation zur neuen Organisationsform wurde
2014 durchgeführt. Dabei wurde denjenigen Personen, die sich nicht mit der Idee identi-
fizieren konnten, eine Abgangsentschädigung offeriert (Zappos 2016). 18 Prozent oder
260 Mitarbeitende verließen das Unternehmen (Feloni 2016). Wie bei jedem Wandel
zeigten sich auch bei Zappos Schwierigkeiten und Widerstände. Insbesondere der Ver-
lust an Annehmlichkeiten und Macht höher gestellter Mitarbeiter hat sich als zentrale
Herausforderung herausgestellt.
Dies zeigt, dass die Bürokratie, zuweilen sehr negativ besetzt, durchaus Vorteile mit sich
bringt. Eine klare Rollen- und Aufgabenaufteilung, klare Verantwortlichkeiten und
Richtlinien haben sich über Jahrhunderte bewährt. Die Organisationsform der katholi-
schen Kirche beruht auf seit Jahrhunderten eingehaltenen Prozeduren und Zeitplänen.
Dabei sind die Hierarchien in der katholischen Kirche klar verteilt und Abläufe strikt bü-
rokratisch definiert. Eine rein hierarchisch konzipierte, über Jahre hinweg persistente
Struktur ist insbesondere bei Extremereignissen, wie Katastrophen oder Kriegen vorteil-
haft. Sie kann aber auch bei schnellen Umweltveränderungen, in Zusammenhang mit
Orientierungslosigkeit helfen, schnell und strukturiert zu arbeiten.
Die Wertschöpfungsstruktur wurde in den letzten 20 Jahren als ein entscheidender Fak-
tor der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens betrachtet (Melnyk 2009). Dabei be-
darf es einer ständigen Anpassung an die wechselnden Rahmenbedingungen des Wett-
bewerbs. Die Wertschöpfungsstruktur steht dabei unter dem Einfluss verschiedener
Spannungsfelder, wie beispielsweise Effizienz vs. Flexibilität, Kontrolle vs. Fokussie-
rung oder Individualisierung vs. Standardisierung. Die Veränderung der Wettbewerbslo-
gik durch die Etablierung von Dienstleistungs-Ökosystemen begünstigt die Entstehung
von Wertschöpfungsnetzwerken. Eine Vernetzung von Unternehmen entlang des Wert-
schöpfungsprozesses ist nicht neu. Bereits bei der Jahrtausendwende sind durch den
Trend zur Fokussierung auf einzelne Wertschöpfungsstufen eine Vielzahl von Koopera-
tions- und Netzwerkmodellen entstanden, denen ausgehend von den Erwartungen und
Bedürfnissen bestimmter Kundensegmente neue Wertschöpfungsstrukturen zugrunde
liegen (Maas 2001). Integrierte Wertschöpfungsmodelle zeichnen sich durch einen ho-
hen Strukturierungsgrad und starre Verbindungen zwischen den einzelnen Prozessen aus.
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 61
VDW] GHU JHOHQNWHQ (YROXWLRQ³ (Lechner/Bär 2008). Dabei lenkt das Management einer
Unternehmung lediglich eine Vielzahl von Initiativen, anstatt diese selbst zu initiieren
und umzusetzen. Der Prozessablauf des Ansatzes der gelenkten Evolution gliedert sich
trichterförmig in einer Art Filter in die folgenden drei Abschnitte: Variation, Selektion
und Retention von strategischen Initiativen. Dabei findet im Rahmen der Variation eine
Exploration der vorhandenen Ideen zur Strategie statt. Diese entstehen sowohl bottom-
up als auch top-down und können ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb der Unter-
nehmung haben. Die vielversprechendsten Ideen werden dann im Rahmen der Selektion
ausgewählt. In der Retention werden abschließend die restlichen Ideen in das Unterneh-
men überführt. Wichtig dabei ist eine stetige Bereitstellung förderlicher Rahmenbedin-
gungen (Katalysatoren) seitens des Unternehmens.
Zwischen den Polen eines top-down getriebenen oder emergenten Strategieprozesses ist
eine Mischung beider Ansätze möglich. Die Entstehung einer Strategie weist meist ver-
schiedene Ursprünge auf. Top-down und bottom-up sind folglich nicht unbedingt Alter-
nativen. Strategieprozesse können in beide Richtungen laufen und sich gegenseitig be-
fruchten. Eine Beteiligung möglichst vieler Personen im Unternehmen an der
Strategiearbeit erhöht in der Regel deren Akzeptanz. Insbesondere Ängsten und Unsi-
cherheiten von Mitarbeitenden, die durch den von der digitalen Transformation angetrie-
benen umfassenden und einschneidenden Organisationswandel entstehen können, kann
durch eine Integration der Mitarbeitenden in der Skizzierung einer neuen Vision entge-
gengewirkt werden.
Durch die digitale Transformation eröffnet sich gegenwärtig eine Vielzahl neuer Mög-
lichkeiten hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Innovationsprozesses. So kann bei-
spielsweise mittels eines outside-in-Ansatzes Wissen von außerhalb der Organisation für
die Entwicklung eigener Innovationen verwendet werden. Ein outside-in-Ansatz ermög-
licht frühzeitig Trends zu erkennen und umzusetzen, wobei Ressourcen von Kunden
verwendet werden können. Gegenwärtige Beispiele eines derartigen Ansatzes werden
unter Open-Innovation (Chesbrough 2003) zusammengefasst. So wird vielerorts der
Lead-User-Ansatz (von Hippel 1986) sowie der Ä&URZGVRXUFLQJ³-Ansatz eingesetzt
(Howe 2006). Der Trend hin zum Einsatz von Crowdsourcing-Lösungen verdeutlicht
sich durch die Entstehung diverser Plattformen wie beispielsweise Innocentive. Das
Outdoor-Bekleidungsunternehmen Mammut fand durch Crowdsourcing eine Substituti-
onslösung für den Reißverschluss. Ein Verschlusssystem ähnlich dem eines Gefrierbeu-
tels konnte die Ausschreibung für sich entscheiden (Gassmann 2010).
Im Gegensatz dazu werden bei einem inside-out-Ansatz Ideen für mögliche Innovation
von eigenen Mitarbeitern eingebracht. Bei Stage-Gate-Prozessen wird der Innovations-
prozess in Stages (ex ante definierte Phasen im Innovationsprozess) und Gates (ereignis-
basierte, an Leistungsziele gebundene Zäsuren mit Go/No-go-Kriterien) aufgeteilt. In
einer von Digitalisierung geprägten Marktlandschaft sind solche Modelle allerdings oft-
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 63
Ein in letzter Zeit oft zu hörendes strategisches Ziel von etablierten Dienstleistern ist die
Unternehmensagilität. Es soll sichergestellt werden, dass das Unternehmen bei Markt-
veränderungen rasch reagieren kann. Die Unternehmensagilität widerspricht allerdings
teilweise der Logik der auf Effizienz getrimmten Konzerne. Zudem geht Agilität letzt-
lich von jedem Mitarbeiter aus und kann nicht erzwungen werden. Vielmehr sind die or-
ganisationalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Mitarbeiter in ihren Denk- und
Handlungsprozessen agil bleiben. Unsere heutigen traditionellen Führungsansätze wur-
den für bürokratisch organisierte und mechanistisch funktionierende Organisationen des
Industriezeitalters designt. Organisationen stehen allerdings zukünftig vor völlig anderen
Herausforderungen, wie beispielsweise dem Erzielen eines komparativen Marktwissens,
der Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit und der bereits angesprochenen Unter-
nehmensagilität. Hatte bislang Führung vor allem den Zweck den Wertschöpfungspro-
zess noch effizienter zu gestalten, wobei Mitarbeiter eine vordefinierte Aufgabe zu erfül-
len hatten, muss sich Führung zukünftig mit der Bereitstellung eines möglichst
effektiven Unternehmensumfeldes für kreative Wissensarbeiter auseinandersetzen. Die
Rolle der Führungsperson definiert sich demzufolge neu über Unterstützung und Befähi-
gung, als durch Anweisung und Kontrolle.
Die digitale Transformation verändert nicht nur Kundenbedürfnisse auf der Angebotssei-
te, sondern erweitert auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und verändert die Be-
dürfnisse von Arbeitnehmern. So schwächt sich bei jüngeren Generationen der Bedarf
nach monetären Werten, Status und Macht ab. Die Attraktivität zukünftiger Organisati-
onsdesigns von Unternehmen in einer digitalen Welt hängt davon ab, ob sie den Mitar-
beitenden die Möglichkeit der Selbstverwirklichung bieten und zwar nicht nur im Sinne
des Status, sondern vor allem in Bezug auf die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Jedoch nicht
nur Bedürfnisse auch die Arbeitsweisen und Kompetenzen unterscheiden sich zwischen
den Generationen. Während sich die Generation X beispielsweise mit der Informations-
suche beschäftigt hat, haben Millenials gelernt mit Informationsüberfluss umzugehen.
Im Unterschied zur Generation X treffen jüngere Generationen seit ihrer Kindheit stän-
64 Pascal Bühler und Peter Maas
dig Entscheidungen, was sie sich näher ansehen und was sie ignorieren. Werden soziale
Netzwerke primär von älteren Generationen als unterhaltend und folglich als ablenkend
von der täglichen Arbeit wahrgenommen, gelten diese teils als wichtige und zielführende
Informationsquellen neuerer Generationen. Es darf also durchaus kritisch über eine Rest-
riktion von Webseiten am Arbeitsplatz nachgedacht werden.
Organisationale Werte und Normen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Innova-
tionsfähigkeit eines Unternehmens. Es lassen sich verschiedene Werte finden, welche die
Innovationsfähigkeit positiv beeinflussen. Darunter befindet sich die Offenheit für und
das Eingehen auf neue Ideen, die Offenheit der internen Kommunikation, die interne
Kooperation zwischen verschiedenen Abteilungen, das Verantwortungsgefühl der Mitar-
beitenden oder die Bereitschaft Risiken einzugehen (Hogan/Coote 2014). Insbesondere
bei etablierten Unternehmen, die über Jahrzehnte hinweg unternehmerische Strukturen
aufgebaut und Arbeitsprozesse gefestigt haben, fällt es oft schwer in anderen Geschäfts-
modellen zu denken. Neben einer ungenügend ausgeprägten Außenperspektive hat sich
meist auch eine kontrollorientierte Kultur etabliert. Diese determiniert das soziale Ver-
halten der Mitarbeitenden, sorgt für die Einhaltung verschiedener Richtlinien und opti-
miert folglich die Zusammenarbeit. Eine kontrollorientierte Kultur behindert allerdings
auch die Entfaltung von Kreativität, die als Basis für Innovation gilt und ein wichtiger
Faktor in sich rasch wandelnden Märkten ist.
In einer operationell-orientierten Unternehmenskultur werden potenzielle Risiken mög-
lichst eliminiert. Innovationen hingegen können nur durch Eingehen von Risiken er-
schaffen werden. Dazu muss eine Kultur etabliert werden, welche das Eingehen von Ri-
siken nicht nur toleriert, sondern auch fördert. Dies verdeutlich Jeff Bezos, Gründer von
$PD]RQ Ä(WZDV zu erfinden, benötigt die Bereitschaft, zu scheitern und lange Zeit
PLVVYHUVWDQGHQ]XZHUGHQ³Bilanz 2011).
Leistung
Zugang zum Kunden
von -5 (Offline)
bis 5 (Online)
Risikokultur Art der
von -5 Kundeninteraktion
(Kontrollorientiert) von -5 (Persönlich)
Kultur bis 5 (Risikoorientiert) bis 5 (Unpersönlich)
1,1
-0,3 0,6
-1,6
Arbeits- und Differenzierung der
Führungskultur -1,2
-2,6 Leistung
von -5 (Autoritär) 1,9 0,9 von -5 (Standardisiert)
bis 5 (Demokratisch) -0,6 bis 5 (Individualisiert)
-0,6
-1,3
-0,4 -2,3
2,0 -1,5 2,0
Innovationsprozess -0,5
Organisationsstruktur
von -5 (Inside-Out) von -5 (Bürokratie)
bis 5 (Outside-In) 1,9 bis 5 (Adhokratie)
Ziel-Werte Ist-Werte
Strategieprozess Wertschöpfungsstruktur
Prozesse von -5 (Integriert) Strukturen
von -5 (Top-Down)
bis 5 (Emergent) bis 5 (Vernetzt)
Die ständigen Informationen über neue technologische Entwicklungen und die potenziel-
len Auswirkungen auf die Märkte und Unternehmen führen oft zu Verunsicherung von
Führungskräften. Insbesondere in diesen hektischen Zeiten erwarten Mitarbeitende und
Aktionäre eine starke Führung. Dazu benötigen Führungskräfte Orientierungswissen und
ein tiefgehendes Verständnis über die derzeitigen Prozesse, die zu Verwerfungen auf den
Märkten führten und führen können sowie die strategischen Optionen, die im Rahmen
der Geschäftsmodellgestaltung gewählt werden können. Dieser Beitrag liefert eine erste
Transformation von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Welt 67
Danksagung
Wir bedanken uns bei Philippe Klöti, Student der Universität St. Gallen für seine wert-
volle Mitwirkung an unserem Beitrag.
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Johannes Winter
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B2C- oder B2B-Anbietern analog finden und deren Angebote anhand objektiver Kriterien
vergleichen? Auch tragen etwa Sharing-Plattformen zur Effizienz und Nachhaltigkeit bei,
indem Autos, Wohnungen oder Maschinen besser ausgelastet werden.
LinkedIn Salesforce
Apple
PayPal
USA
Intel
Snapchat Oracle Google
Amazon
Uber
Microsoft Facebook
Netflix Airbnb
CHINA
Baidu
Tencent
Alibaba
Xiami
EUROPA
SAP
Neu ist hingegen, dass dank Informations- und Kommunikationstechnologie mit dem In-
ternet verbundene Softwareplattformen entstehen, die bei sinkenden Kosten für Rechen-
leistung und Datenspeicherung riesige Datenmengen (Big Data) erfassen, auswerten, auf-
bereiten und teilen und dadurch für Anbieter von Produkten und Dienstleistungen wie
auch für Nutzer gleichermaßen wertvoll sind (Smart Data). Daraus resultieren Netzwerke-
ffekte: Je mehr User eine Plattform hat (sowohl Anbieter als auch Kunden), desto dynami-
scher und schneller wächst die Plattform, da für alle ein höherer Nutzen gegeben ist. Im
Gegenzug verlieren Wettbewerber häufig Marktanteile, was eine Marktdominanz einzel-
ner Anbieter hervorrufen kann. Aus klassischen angebotsgetriebenen Geschäftsmodellen
werden plattformbasierte Geschäftsmodelle (vgl. Abbildung 2). Amazon und eBay verfü-
gen heute zusammen über mehr als 50 Prozent Marktanteil in Deutschland. Kein europä-
isches Unternehmen ist annähernd so wettbewerbsfähig und verfügt über eine solch hohe
Marktkapitalisierung.
Plattformgetriebenes Geschäftsmodell
B
Æ Dynamische Wertschöpfung ± zweiseitiger Markt
Innovations-
Plattform
ökosystem
sowie der Peripherie aus externen Dienstleistern (vgl. Abbildung 3, oberer Teil). Ein Bei-
spiel für einen Plattformkern ist ein App-Store eines Smartphone-Anbieters, mit definier-
ten Funktionalitäten, Prozessen, Regeln und APIs (Application Programming Interface).
Externe App-Entwickler nutzen die Technologie des Smartphone-Anbieters, die ihnen
durch APIs oder SDKs (Software Developer Kit) zugänglich gemacht wird. Sie docken
über Programmierschnittstellen also aus der Peripherie am Plattformkern an. Dabei unter-
halten die beteiligten Akteure und Unternehmen nicht zwingend Geschäftsbeziehungen
zueinander (Baums 2015), sondern entwickeln nicht selten im Wettbewerb zueinander
(Co-Evolution). Gemeinsam bilden sie ein so genanntes digitales Innovationsökosystem
(vgl. Abbildung 3, unterer Teil), das jedem Teilnehmer einen Vorteil bringt: je mehr Apps
im App-Store angeboten werden, desto mehr Nutzer werden dieses Angebot zu schätzen
wissen und diese Plattform nutzen, desto mehr profitiert der einzelne Entwickler von der
Nachfrage. Der App-Store hätte diesen Markterfolg nicht gehabt, wenn Apple nicht ein
digitales Innovationsökosystem aus fast 400.000 externen App-Entwicklern aufgebaut
hätte, die dem Kunden ein Angebot von rund 1,5 Mio. Apps und Diensten ermöglichen.
Dies hat bis heute 100 Mrd. Downloads erzeugt und Apple allein im Jahre 2015 einen
Umsatz von 20 Mrd. USD eingebracht (Accenture 2016; Heise 2016). App-Entwickler
erhalten bislang 70 Prozent der Erlöse, Apple 30 Prozent. Jüngst hat das Internetunterneh-
men angekündigt, die Verteilung auf 85:15 zu verändern und damit den Anreiz für die
Ä3HULSKHULH³7HLOGHVgNRV\VWHPV]X ZHUGHQDnzuheben (vgl. Business Insider 2016).
Dadurch wird der Kreislauf von Wertschöpfung und Innovation stetig angekurbelt und
entwickelt ein sich selbstverstärkendes Wachstum.
Moore (1993; 1996) hatte bereits Anfang der 1990er Jahre den Begriff des Business bzw.
Innovation Ecosystems eingeführt. Die Europäische Kommission (2015) hat diesen über-
nommen und definiert diese offenen, kollaborativen Netzwerke über folgende Merkmale:
(1) Open Access; (2) Awareness Networks; (3) Collaborative Economy; (4) New Ways of
Making; (5) Open Democracy; and (6) Acceleration and Incubation + Co-Evolution.
Kommen neue APIs hinzu, kann im Übrigen der Plattformkern zugunsten der Peripherie
schrumpfen, da immer weitere externe Akteure in das digitale Innovationsökosystem ein-
treten und intelligente Dienste für den Plattformkern entwickeln. Die Grenzen zwischen
Plattformkern und Peripherie sind daher dynamisch (Gulati/Kletter 2005, S. 77ff; Silves-
tri/Gulati 2015, S. 81). Für IT- und Softwareunternehmen wie Google, Salesforce, SAP
oder Amazon sind Anwenderprogrammierschnittstellen ein zentraler Wettbewerbsfaktor,
da die Unternehmen digitale Ökosysteme aufgebaut haben, die wiederum Kunden, Partner
und Communities für eigene Innovations- und Geschäftstätigkeiten nutzen. Über APIs er-
halten diese Gruppen den einfachen Zugriff auf eigene Anwendungen, Daten und Systeme
und werden selbst Teil der Plattformökonomie.
78 Johannes Winter
Fokus Plattform
Plattformkern Peripherie/Ökosystem
(z. B. App-Store) (z. B. App-Entwickler)
Fokus Ökosystem
Händler
Content-
Anbieter Dienstleister
Innovations-
Ökosystem
Entwickler Kunden
Veränderung 2014
Rang Firma Land Patente 2015
(in Prozent)
1 IBM USA 7440 -0,5
2 Samsung KOR 5059 +2,5
3 Canon JP 4239 +1,6
4 Qualcomm USA 3209 +18,6
5 Google USA 3195 +10,9
6 Toshiba JP 2793 -2,0
7 General Electric USA 2629 +14,7
8 Intel USA 2625 +33,6
9 Microsoft USA 2471 -17,2
10 Sony JP 2448 -23,8
11 LG KOR 2241 +5,8
12 Apple USA 1937 -3,3
«
20 Siemens D 1488 -8,7
24 Ericsson SE 1406 -8,5
35 Bosch D 1016 +3,1
38 Philips NL 992 +7,2
41 NXP Semiconduct. NL 967 +147,9
59 Alcatel Lucent F 716 +2,3
63 SAP D 678 +2,4
Abbildung 4: Patente nach Organisation, Herkunft und Anzahl
(Quelle: in Anlehnung an Intellectual Property Owners Association
2016)
Was absurd klingen mag, beinhaltet vor allem ein geändertes Abrechnungsmodell. Anbie-
ter von Maschinen oder Anlagen verkaufen den Kunden nicht mehr eben diese Maschinen
oder Anlagen, sondern bieten Geräte einschließlich Wartung an bei gebrauchsabhängiger
Verrechnung. Aus dem Produktverkauf wird somit ein Betreibermodell.
Der stärkere Eintritt europäischer Unternehmen in die Plattformökonomie ist deshalb
wichtig, da Softwareplattformen Skalen- und Netzwerkeffekte erzeugen und aufgrund ih-
rer enormen Reichweite häufig disruptiv sind. Je mehr Nutzer auf einer Plattform aufset-
zen, desto größer wird sie, desto schwieriger wird es für Wettbewerber, eigene Nutzer auf
ihre Plattform zu ziehen. Indem sich Plattformen zwischen traditionelle Anbieter von Pro-
dukten und Dienstleistungen und deren Kunden schieben, droht der Verlust der Kunden-
schnittstelle und damit der Zugriff auf nutzerbezogene Daten, die in einer Welt der Los-
größe 1 zum Preis eines Massenprodukts (ÄMass Customization³) immer stärker an
ökonomischem Wert gewinnen. Im Ergebnis droht sich die Wertschöpfung zugunsten von
Plattformanbietern zu verschieben, traditionelle Anbieter von Produkten und Dienstleis-
tungen werden zu Zulieferern des Plattformanbieters degradiert.
Das Beispiel Nokia zeigt, wie ein lange Zeit sehr erfolgreiches europäisches Technologie-
unternehmen innerhalb weniger Jahre seine Position an junge amerikanische und asiati-
sche Unternehmen verloren hat und schließlich das Geschäftsfeld Smartphone komplett
aufgegeben hat. Nokia hatte alles, was für eine Leitanbieterschaft hätte reichen müssen:
ÄHLQHNODUH3URduktdifferenzierung, bewährte Marken, führende Betriebssysteme, exzel-
Europa und die Plattformökonomie 81
Das rasante Wachstum gerade junger, Venture Capital-getriebener Unternehmen ist dabei
außerhalb Europas besonders eindrucksvoll: rund 150 so genannte Einhörner (ÄUnicorns³)
± das heißt mit Wagniskapital finanzierte Technologie-Start-ups mit einer Bewertung von
einer Mrd. USD oder mehr ± kommen heute bereits auf eine Marktkapitalisierung von
über 500 Mrd. USD (CB Insights 2015).
Abbildung 6 zeigt, dass darunter jenseits der bekannten daten-getriebenen Geschäftsmo-
delle für Konsumenten wie Dropbox, Pinterest oder Snapchat auch B2B-Anbieter zu fin-
den sind. Gerade das Thema Zugang zu Wagnis- und Risikokapital bleibt für Europa eine
Wachstumshürde im globalen Wettbewerb.
Bewertung Markt-
Firma Land Geschäftsfeld Investoren
(in Mrd.) eintritt
Lowercase Capital, Benchmark Capital,
Uber $68 2013 USA On-Demand
Google Ventures
Digital Sky Technologies, QiMing Venture Partners,
Xiaomi $46 2011 China Hardware
Qualcomm Ventures
Matrix Partners, Tiger Global Management,
Didi Chuxing $34 2014 China On-Demand
Softbank
eCommerce/ General Catalyst Partners, Andreessen Horowitz,
Airbnb $30 2011 USA
Marketplace ENIAC Ventures
Palantir
$20 2011 USA Big Data RRE Ventures, Founders Fund, In-Q-Tel
Technologies
Lu.com $18,5 2014 China Fintech Ping An Insurance CDH Investments, Bank of China
China Internet eCommerce/
$18 2015 China DST Global, Trustbridge Partners, Capital Today
Plus Holding Marketplace
Benchmark Capital, General Catalyst Partners,
Snapchat $18 2013 USA Social
Lightspeed Venture Partners
T. Rowe Price, Benchmark Capital, Wellington
WeWork $16 2014 USA Facilities
Management
eCommerce/ Accel Partners, Digital Sky Technologies, Iconiq
Flipkart $16 2012 Indien
Marketplace Capital
Founders Fund, Draper Fisher Jurvetson,
SpaceX $12 2012 USA Transportation
Rothenberg Ventures
Andreessen Horowitz, Bessemer Venture Partners,
Pinterest $11 2012 USA Social
Firstmark Capital
Internet Software
Dropbox $10 2011 USA Accel Partners, Greylock Partners, Index Ventures
& Services
DJI Innovations $10 2015 China Hardware Accel Partners, Sequoia Capital
Zugleich bedürfen diese sensiblen Daten eines verlässlichen Schutzes, handelt es sich
doch um Informationen aus dem Innersten der Organisation, um wettbewerbsrelevantes
Wissen, Geschäftsgeheimnisse und Persönlichkeitsdaten. Die Fraunhofer-Gesellschaft
und in Deutschland ansässige Unternehmen haben zu diesem Zwecke einen Industrial
Data Space aufgebaut, einen sicheren Datenraum und eine intelligente Dateninfrastruktur
für die Wirtschaft.
Dessen ungeachtet, sind die Potenziale durch Big Data, sowohl innerhalb der Organisation
als auch über Grenzen und Wertschöpfungsketten hinweg, immens: Durch intelligente
Datenanalyse (von Big Data zu Smart Data) wird zum Beispiel vorausschauende Instand-
haltung (ÄPredictive Maintenance³) möglich. Mittels Sensorik werden Zustandsdaten von
Maschinen und Anlagen erfasst und mit Informationen von Softwareprogrammen zur Res-
sourcenplanung im Unternehmen (ÄEnterprise-Resource-Planning/ERP³) verknüpft.
Durch die Identifizierung des optimalen Wartungszeitpunkts einer Maschine können Stö-
rungen und Havarien verhindert oder zumindest abgemildert werden. Die Beispiele zei-
gen, wie Daten zum ökonomischen Gut werden, wenn an der Schnittstelle von Hardware
und Software neue datenbasierte Dienstleistungen, so genannte Smart Services entstehen.
Diese über Plattformen konfigurierten Pakete aus Produkten und Dienstleistungen lassen
0DVFKLQHQÄLQWHOOLJHQWHU³ZHUGHQXQGRULHQWLHUHQVLFKPHKUGHQQMHDP.XQGHQQXW]HQ
Aus einer produktorientierten Unternehmensstrategie wird in der Plattformökonomie eine
stärkere Nutzerfokussierung (acatech 2015).
In den industriestarken Volkswirtschaften Europas gibt es bereits Initiativen zur Automa-
tisierung und Vernetzung der Produktion und einen Fokus auf Geschäftsmodellinnovatio-
nen: Programme existieren etwa in Deutschland (Forschungs- und Technologiepro-
gramme Industrie 4.0 und Smart Service Welt), Frankreich (Industrie du Futur), Italien
(Fabbrica Intelligente), Großbritannien (Catapult), der Schweiz (Industrie 2025), Tsche-
chien (3UĤP\VO ) und weiteren Ländern. Ein besonderes Anliegen der Europäischen
Kommission ist die Koordinierung und Vernetzung dieser nationalen Initiativen, um Eu-
ropas Stellung mit den wichtigsten Wettbewerbsregionen Nordamerikas und Asiens zu
stärken. Europäische Regionen, die sich der De-Industrialisierung der letzten Jahrzehnte
nicht angeschlossen haben, sondern weiterhin Wettbewerbsvorteile bei Produktionstech-
nologien und -systemen, bei der Datenanalyse, in der Geschäftsprozesssoftware und der
Fachkräftequalität aufweisen, haben gute Voraussetzungen in der Plattformökonomie.
Diesen Vorsprung gilt es allerdings rasch zu nutzen, soll die Wettbewerbsfähigkeit Euro-
pas angesichts der disruptiven Kraft der Digitalisierung auch künftig erhalten bleiben.
Allerdings steht die digitale Transformation bei kleinen und mittleren Unternehmen noch
am Anfang ± insbesondere über die Geschäftsprozessoptimierung hinausgehend. Mittel-
ständische Unternehmen verfügen oft nicht über ausreichendes Wissen im Bereich der
Geschäftsmodellinnovation (so genanntes Geschäftsmodell-Engineering). Um Smart Ser-
vices basierend auf digitalen Plattformen zu kreieren und Netzwerkeffekte zu nutzen, müs-
sen Geschäftsmodelle an den Bedürfnissen des Nutzers orientiert und auf Grundlage von
datenbasierten Technologien aufgebaut werden. Anwendungsbeispiele können Unterneh-
men und Forschungseinrichtungen helfen, eigene Plattformstrategien zu identifizieren.
Europa und die Plattformökonomie 85
zubieten. Denn nicht jeder Mensch reagiert identisch auf eine spezifische Behand-
lungsmethode. Daher sind patientenbezogene Unterschiede und Daten zum bisheri-
gen Diagnostik- und Therapieverlauf essentiell, um nach der bestmöglichen Behand-
lungsstrategie bei möglichst geringen Neben- und Wechselwirkungen zu suchen.
E-Health-Verfahren nutzen Softwareplattformen und Datenanalyseverfahren, um Ant-
worten auf Herausforderungen in der Medizin zu finden. Auch wenn der Nutzen vieler
Anwendungen auf den ersten Blick klar erkennbar ist, existieren beträchtliche Herausfor-
derungen auf dem Weg zur Einführung dieser neuen Technologien und Verfahren. Droht
der gläserne Patient? Wem gehören die Daten? Wer verdient daran? Diese und viele wei-
tere Fragen werden derzeit intensiv in vielen Ländern Europas diskutiert. Während Schwe-
den bereits 2008 eine nationale Patientenakte eingeführt hat, die über eine digitale Patien-
tenmanagementplattform einen effizienten Datenzugriff für Ärzte, Krankenkassen,
Patienten, Zulassungsinstitutionen u. a. ermöglicht, hat Deutschland erst 2015 die elektro-
nische Gesundheitskarte eingeführt, mit geringerer Informationsbasis. Schwung bringen
soll ein neues E-Health-Gesetz, das zweifach verschlüsselte Daten, klare Zugriffsrechte,
Dokumentation bei der Datennutzung, Transparenz durch die Krankenkassen und straf-
rechtliche Folgen bei Missbrauch vorsieht. Das Ziel lautet: Digitalisierung des Gesund-
heitswesens und damit hoffentlich höhere Behandlungserfolge durch schnellere Kommu-
nikation der Beteiligten im Gesundheitswesen und höhere wirtschaftliche Effizienz. Bis
dahin wird in Deutschland und andernorts noch Zeit vergehen, zu komplex ist das Ge-
sundheitssystem, zu vielfältig die Interessen der beteiligten Stakeholder.
Viele weitere Smart Services wie Smart Farming (datenbasierte Optimierung des Saat-
guteinsatzes, der Düngemittelnutzung oder der Erntelogistik) oder Smart Logistics (z. B.
Risikomanagement globaler Lieferketten auf Basis echtzeitgestützter Frühwarnsysteme
für Staus, Streiks oder Naturkatastrophen) zeigen die großen Potenziale der Daten- und
Plattformökonomie. Unternehmen wählen verschiedene Ansätze wie Business Model
Canvas, Design Thinking-Workshops oder Blue-Ocean-Strategy-Workshops, um ihr be-
stehendes Geschäftsmodell zu analysieren und Inspirationen oder konkrete Ideen für neue
Geschäftsmodelle zu erhalten. Um Produkte und Services realitätsnah und vernetzt zu tes-
ten, werden Testbeds oder Testinfrastrukturen genutzt. Andere gehen mit unvollendeten
Lösungen in den Markt, um diese von der Peripherie (z. B. App-Entwicklern und Usern)
zu perfektionieren. Einen Königsweg gibt es nicht, aber das unmittelbare Erfordernis an-
zufangen. Gefragt sind dabei Ressourceneinsatz, Mut und Durchhaltevermögen, denn
nicht jede intelligente Kombination aus Produkten und Dienstleistungen bringt sofort ei-
nen Return on Investment oder schafft einen Markt, den es bislang nicht gab.
Europa und die Plattformökonomie 87
Literaturverzeichnis
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Internetbasierte Dienste für die Wirtschaft (2. Zukunftsprojekt der Forschungsunion).
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acatech ± Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (2016): Digitale Serviceplatt-
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3HUFKpOD*HUPDQLDFHO¶KDIDWWDLQ)RUPLFKH9RO1R;,6-47.
Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
1. Einleitung
2. Smart Services
5. Ausblick
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. Dr. Jens Pöppelbuß ist Juniorprofessor für Industrienahe Dienstleistungen an
der Universität Bremen. Dr. Carolin Durst ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für
Wirtschaftsinformatik, insbesondere im Dienstleistungsbereich, der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Dieser Beitrag präsentiert die Smart Service Canvas als ein Werkzeug zur Beschreibung,
Analyse und Entwicklung von Smart-Service-Geschäftsmodellen. Aufbauend auf der Va-
lue Proposition Canvas von Osterwalder et al. (2015) umfasst sie insgesamt vier Bereiche:
die Kundensicht, die Wertschöpfungssicht, die Ökosystemsicht sowie den Fit der zuvor
genannten Sichten. Ähnlich zur Value Proposition Canvas und der populären Business
Model Canvas (Osterwalder/Pigneur 2010) lässt sich das vorgeschlagene Modell flexibel
einsetzen, z. B. in interaktiven Workshops und unter Verwendung von Klebenotizen. Erste
Einsätze in Workshops haben bereits gezeigt, dass sie den Teilnehmenden hilft, dienstleis-
tungsbasierte Geschäftsmodelle zu analysieren und eigene Innovationsideen zu explizie-
ren.
Der folgende Abschnitt 2 geht zunächst auf begriffliche Grundlagen ein, bevor die Berei-
che und Felder der Smart Service Canvas im Detail vorgestellt werden (Abschnitt 3). In
Abschnitt 4 wird die Verwendung der Smart Service Canvas anhand eines realen Beispiels
illustriert. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung und Eva-
luation dieses Werkzeugs (Abschnitt 5).
2. Smart Services
Die Schlagwörter Industrie 4.0 und Smart Services sind eng miteinander verbunden und
lassen sich als zwei Seiten derselben Medaille verstehen (Quack 2015). Während vernetzte
Smart Products und cyberphysische Systeme (CPS) die Komponenten und Infrastruktur
der Industrie 4.0 darstellen, stehen Smart Services für die Dienstleistungen, die aufgrund
der Weiterverarbeitung der durch die Smart Products gesammelten Daten erbrachten wer-
den können. Quack (2015) EH]HLFKQHW 6PDUW 6HUYLFHV VRJDU DOV ÄGLH QXW]HURULHQWLHrte
6FKZHVWHUGHU,QGXVWULH³
6PDUW6HUYLFHVVLQGGLJLWDOH'LHQVWOHLVWXQJHQGLHÄDXIGHU%DVLVYHUQHW]WHULQWHOOLJHQWHU
technischer Systeme und Plattformen Daten aggregieren und analysieren sowie die dabei
entstehenden Mehrwert-Informationen über Service-Plattformen, App-Stores oder andere
Online-0DUNWSOlW]H>«@YHUZHUWEDUPDFKHQ³(BMWi 2014, S. 4). Innerhalb des Indust-
riesektors handelt es sich bei den zugrundeliegenden technischen Systemen in der Regel
um CPS, die eine Kopplung und Koordination von Rechenleistung und mechanischen Ele-
menten über das Internet oder eine andere Kommunikationsinfrastruktur erlauben. CPS
binden Sensoren und Aktuatoren in ein Gesamtsystem ein und ermöglichen hierdurch neu-
artige Funktionen in Echtzeit für die Datenintegration und Systemsteuerung (Janiesch
2016). Anke und Krenge (2016, S. 1277) GHILQLHUHQ6PDUW6HUYLFHVIROJOLFKDXFKDOVÄGL
gitale Dienstleistungen für technische Produkte, die als Product-Service-System auf Basis
von cyberphysischen 6\VWHPHQHUEUDFKWZHUGHQ³
Smart Service Canvas 95
Service 1 Service 2
Service 1 Service 2
Produkt Produkt
(Smart Product)
Service 4 Service 3
Service 4 Service 3
Allmendinger und Lombreglia (2005) heben hervor, dass Smart Services hinsichtlich
Kundenwert und interner Effizienz über produktbegleitende Dienstleistungen wie Instand-
haltung hinausgehen. Sie sehen drei wesentliche Anforderungen für die Erbringung von
Smart Services. Erstens ist es notwendig, dass eine Verbindung zum Produkt bzw. der
installierten Basis von Maschinen oder anderen technischen Produkten, die an die Kunden
ausgeliefert wurden, zur Übermittlung von Daten gewährleistet ist. Aschbacher et al.
(2009) sprechen in diesem Kontext nicht nur von einer Verbindung zum, sondern sogar
von einer Einbettung der Smart Services in das Produkt (vgl. Abbildung 1). Zweitens muss
der Dienstleistungsanbieter über die Fähigkeit zur Interpretation der gesammelten Daten
verfügen, d. h. er muss den Kunden und das Kundengeschäft verstehen. Nur so werden
aus gesammelten Daten wertvolle Informationen, die sich im Zuge der Erbringung des
Smart Service monetisieren lassen. Zuletzt ist es erforderlich, dass der Dienstleistungsan-
bieter auf die generierten Informationen in geeigneter Weise reagiert und bspw. proaktiv
die Wartung einer Maschine einleitet. Operative Prozesse müssen entsprechend gestaltet
und notwendige Ressourcen (z. B. qualifizierte Mitarbeitende) verfügbar sein.
96 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
3.1 Überblick
Das Ausgangsmodell für die Smart Service Canvas bildet die Value Proposition Canvas
von Osterwalder et al. (2015). Die Value Proposition Canvas vertieft zwei der neun Felder
der populären Business Model Canvas (Osterwalder/Pigneur 2011 2010), die inzwischen
als ein Werkzeug zur Beschreibung, Analyse und Entwicklung von Geschäftsmodellen in
der Praxis weit verbreitet und anerkannt ist (Wallin et al. 2013; Zolnowski et al. 2014).
Bei diesen beiden Feldern (vgl. Abbildung 2) handelt es sich um die Wertangebote (Value
Propositions) und die Kundensegmente (Customer Segments).
Fit
Schlüssel-
ressourcen Kanäle
Kostenstruktur Einnahmequellen
Die Smart Service Canvas umfasst insgesamt vier Bereiche. Die jeweils in drei Segmente
geteilten Felder der Value Map (Osterwalder et al. 2015) und des Kundenprofils (Custo-
mer Profile; Osterwalder et al. 2015) dienen als Ankerpunkt für die Wertschöpfungssicht
und die Kundensicht. Hinzukommen die Ökosystemsicht sowie der Fit zwischen den zu-
vor genannten Sichten. Diese vier Bereiche der Smart Service Canvas (vgl. Abbildung 3)
werden im Folgenden detailliert beschrieben.
Smart Service Canvas 97
Ökosystemsicht
Die Nutzung der Smart Service Canvas erfolgt analog zur Business Model Canvas und der
Value Proposition Canvas. Die Felder lassen sich beispielsweise mit Hilfe von Klebeno-
tizen füllen. Diese sorgen für eine hohe Flexibilität bei der Anwendung der Canvas, da sie
auch umsortiert oder wieder entfernt werden können. Die Canvas kann von einzelnen Per-
sonen genutzt werden genauso wie von Gruppen in interaktiven Workshops.
3.2 Kundensicht
Die Kundensicht (Customer Perspective) umfasst die drei Bereiche des Kundenprofils der
Value Proposition Canvas: Kundenaufgaben (Customer Jobs), Kundenprobleme (Custo-
mer Pains) und Kundenvorteile (Customer Gains). Für die Anwendung auf Smart-Service-
Geschäftsmodelle wird dieser Bereich ergänzt durch den Kontext der Kundenaufgaben
(Context of Customer Jobs) und Kontextdinge und -daten (Contextual Things und Data).
Diese beiden zusätzlichen Felder verdeutlichen, dass das besondere Wertangebot von
Smart Services in der Regel auf der Synthese von Daten aus verschiedenen Quellen sowie
auf einem umfassenden Verständnis des Kundenkontextes beruht (Osterwalder et al.
2015). Die Kundensicht beschreibt ein spezifisches Kundensegment (Osterwalder et al.
2015). Soll ein Smart-Service-Geschäftsmodell für verschiedene Kundensegmente entwi-
ckelt werden, empfiehlt es sich, jeweils eine eigene Smart Service Canvas zu erstellen.
Dies gilt insbesondere auch dann, wenn im Rahmen von Business-to-Business-Beziehun-
gen unterschiedliche Stakeholder auf Kundenseite zu beachten sind (Osterwalder et al.
2015). Die fünf Felder der Kundensicht lassen sich wie folgt beschreiben.
Die Kundenaufgaben (Customer Jobs) beschreiben Dinge, die die potenziellen Kunden
eines Segments in ihrem Berufs- oder Privatleben erfolgreich erledigen möchten. Sie
98 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
3.3 Wertschöpfungssicht
Die Wertschöpfungssicht (Value Perspective) umfasst die drei Bereiche der Value Map
auf der linken Seite der Value Proposition Canvas (Osterwalder et al. 2015) in leicht an-
gepasster Form: Smart Service (ursprünglich Products and Services), Problemlöser (Pain
Relievers) und Vorteilverschaffer (Gain Creators). Für die Anwendung auf Smart-Service-
Geschäftsmodelle wird auch dieser Bereich durch zwei spezifische Felder ergänzt. Hierbei
handelt es sich um die analytischen Fähigkeiten (Analytical Capability) und Daten (Data).
Diese zusätzlichen Felder verdeutlichen, dass die Verfügbarkeit relevanter Daten sowie
die für ihre sinnstiftende Auswertung notwendigen Fähigkeiten eine zentrale Grundlage
für das Angebot von Smart-Service-Geschäftsmodellen darstellen. Die fünf Felder der
Wertschöpfungssicht lassen sich wie folgt beschreiben.
100 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
Das Feld Smart Service beschreibt die eigentliche Dienstleistung anhand ihrer Bezeich-
nung und Grundidee, verschiedener Teilleistungen (Module) und deren Eigenschaften in
einer möglichst kompakten und griffigen Form. Dieses Feld nennt demnach den Kern des
Dienstleistungskonzepts (Service Concept; Hertog et al. 2010; Janssen et al. 2015) bzw.
des Dienstleistungsangebots (Service Offering; Frei 2008). Bei der Grundidee eines Smart
Service wird es sich häufig um ein Product-Service-System (PSS) handeln, bei dem ein
smartes Produkt mit Dienstleistungen kombiniert wird. Aus der Beschreibung in diesem
Feld sollte entsprechend hervorgehen, um welchen PSS-Typ es sich handelt, da diese un-
terschiedliche Wertangebote gegenüber dem Kunden versprechen. Baines et al. (2007)
unterscheiden hier zwischen produktorientiertem PSS, nutzenorientiertem PSS oder er-
gebnisorientiertem PSS. Ergänzend oder alternativ bietet sich auch eine Beschreibung des
Smart-Service-Konzepts anhand der Unterscheidung digitalisierter PSS von Lerch und
Gotsch (2015) an. Diese differenzieren zwischen der smarten Dienstleistungserbringung,
GHU3URGXNWRSWLPLHUXQJXQGGHPÄDigital BUDLQ³Der erste PSS-Typ adressiert die ver-
besserte digitale Unterstützung der Dienstleistungsprozesse, während der zweite Typ ins-
EHVRQGHUHGLH/HLVWXQJVYHUEHVVHUXQJGHV6DFKJXWV]XP=LHOKDW'HU7\SÄDigital BUDLQ³
steht für die gezielte Sammlung und Analyse von Nutzungsdaten durch den Anbieter, von
der der Kunde durch stetige PSS-Verbesserungen und innovative PSS-Angebote profitiert.
Das Feld Daten (Data) beschreibt, welche Arten von Daten als Grundlage für die Erbrin-
gung des Smart Service benötigt und aus welchen Quellen sie bezogen werden. Hierbei
kann es sich beispielsweise um aktuelle Statusinformationen oder historische Daten von
Objekten oder Personen handeln. Statusinformationen dienen vor allem zur Echtzeitdiag-
nose von Produkten oder Anlagen (Herterich et al. 2016). Beratende und optimierende
Dienstleistungen greifen häufig auf historische Daten zurück, um Entwicklungen und
Trends der Leistung oder des Nutzungsverhaltens sowie gegebenenfalls Sondersituationen
und Ausreißer identifizieren zu können. Als Quellen kommen in der Regel einzelne smarte
Produkte, die gesamte installierte Basis der Produkte, Maschinen oder Anlagen sowie ex-
terne Sensoren und Dienste in Frage (Herterich et al. 2016). Nicht zu vernachlässigende
Datenquellen sind außerdem interne Datenbanken und Anwendungssysteme.
Die analytischen Fähigkeiten (Analytical Capabilities) beschreiben, welche Kompetenzen
zur Datenanalyse auf Seiten des Dienstleistungsanbieters vorhanden sein müssen. Dies
reicht von einfachen Datenvisualisierungen und der Erstellung von Berichten bis hin zu
komplizierten analytischen Verfahren zur Mustererkennung. In diesem Kontext ist es au-
ßerdem relevant, wo die Datenverarbeitung und die notwendige Rechnerleistung vorge-
halten werden. Zum einen können diese im smarten Produkt selbst verortet sein. Zum an-
deren kann es eine zentrale Stelle für die Verarbeitung der Daten von allen
angeschlossenen Produkten und Sensoren geben (Herterich et al. 2016). Verschiedene As-
pekte beeinflussen, ob Funktionen zur Datenverarbeitung in das Produkt integriert oder an
eine zentrale Instanz, beispielsweise in die Cloud, ausgelagert werden (Porter/Heppel-
mann 2014). Hierzu zählen beispielsweise die erforderliche Reaktionszeit, der Grad der
Automatisierung des Produktes, die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit des
Netzwerks, der Einsatzort des Produktes, die Art der Benutzerschnittstelle sowie die Häu-
Smart Service Canvas 101
figkeit von Wartungen oder Upgrades (Porter/Heppelmann 2014). Während hohe Anfor-
derungen an die Reaktionszeit und eine geringe Zuverlässigkeit des Netzwerks für die
Integration der analytischen Fähigkeiten in das smarte Produkt sprechen, können häufige
Veränderungen der Software und der Benutzerschnittstelle eine Auslagerung in die Cloud
nahelegen.
Die Problemlöser (Pain Relievers) beschreiben, wie genau der Smart Service bestimmte
Kundenprobleme löst. Da sich in der Regel nicht alle Kundenprobleme zugleich lösen
lassen, bietet sich eine Priorisierung von wenigen aber besonders bedeutenden Problemen
an. In diesem Feld gilt es festzustellen, wie der Smart Service Herausforderungen und
Hürden der Kunden abbaut oder eliminiert, die der Erledigung ihrer Aufgaben oder Nut-
zung des Smart Service entgegenstehen (Osterwalder et al. 2015).
Die Vorteilverschaffer (Gain Creators) beschreiben, wie genau der Smart Service zu den
positiven Effekten und Ergebnissen führt, die die Kunden benötigen oder sich wünschen.
An dieser Stelle sind nicht das Dienstleistungskonzept sowie seine Eigenschaften und Be-
standteile aus dem Feld Smart Service erneut zu nennen, sondern stattdessen seine Wir-
kungsmechanismen zu explizieren, wie eine Reduktion von Unsicherheit oder Stress auf
Kundenseite. Auch hier ist eine Priorisierung auf die Aspekte sinnvoll, die einen tatsäch-
lichen Wettbewerbsvorteil darstellen können (Osterwalder et al. 2015).
3.4 Ökosystemsicht
Die Ökosystemsicht besteht aus einem Feld zur Beschreibung der technischen Infrastruk-
tur und der digitalen Plattform (Technical Infrastructure and Digital Platform). Die tech-
nische Infrastruktur bezieht sich unter anderem auf die notwendige Stromversorgung,
Netzanbindung und Mobilfunknetzabdeckung zur Erbringung des Smart Service und zur
gegebenenfalls notwendigen Anbindung eines smarten Produktes. Digitale Plattformen
erlauben die Verbreitung und Vermarktung des Smart Services in den jeweiligen Ökosys-
temen (beispielsweise als Apps im Apple App-Store oder über Google Play). Relevant
sind hier auch die Markt- und Governance-Mechanismen bzw. die Offenheit der gewähl-
ten digitalen Plattform(en). Eine weitere Differenzierung dieses Feldes ist anhand des
Smart-Service-Schichtenmodells möglich, das zwischen der technischen Infrastruktur,
vernetzten physischen Plattformen, Software-definierten Plattformen und Serviceplattfor-
men unterscheidet (Kagermann et al. 2014).
3.5 Fit
Eine Passung bzw. ein Fit zwischen den vorhergegangenen Sichten wird erreicht, wenn
die Kunden sich für den angebotenen Smart Service begeistern lassen und er sich in deren
Kontext gut einfügt. Dies geschieht, wenn der Smart Service wichtige Kundenaufgaben
102 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
adressiert und dabei Probleme vermindert und Vorteile schafft, die für die Kunden von
besonderer Relevanz sind (Osterwalder et al. 2015). Darüber hinaus ist es wichtig, dass
innerhalb des Ökosystems die notwendige Kompatibilität von technischem Equipment,
des notwendigen Datenaustauschs und ökonomischen Anreizen gewährleistet ist.
Osterwalder et al. (2015) empfehlen für ihre Value Proposition Canvas, ein Mapping zwi-
schen der linken und rechten Seite vorzunehmen. Hierbei sind alle Punkte, für die sich
eine Entsprechung auf der Gegenseite finden lassen, mit einem Häkchen und Punkte ohne
Gegenpunkt auf der anderen Seite mit einem Kreuz zu versehen. Die Smart Service Can-
vas ergänzt an dieser Stelle drei Felder, die die Passung bzw. den sogenannten Fit auf
verschiedenen Ebenen konkretisiert.
Auf der untersten Ebene ist das Smarte Produkt (Smart Device) dargestellt, das die
Schnittstelle zum Kunden bietet. Hierbei kann es sich um so genannte Maschine-zu-Ma-
schine- oder Maschine-zu-Mensch-Schnittstellen handeln, je nachdem, ob und inwieweit
das smarte Produkt im Rahmen der Dienstleistungserbringung eine Interaktion mit Men-
schen zulässt oder vorsieht. Handelt es sich bei dem Smart-Service-Geschäftsmodell um
ein Product-Service-System (Baines et al. 2007), dann ist in dieses Feld das zentrale phy-
sische Objekt der Dienstleistungserbringung einzutragen, beispielsweise die vernetzte
Maschine, für die eine proaktive Wartung angeboten wird bzw. die Gegenstand eines Be-
treibermodells oder ähnliches ist (Spath/Demuß 2006). Alternativ steht hier das smarte
Produkt, dass die Schnittstelle zwischen Anbieter und Kunden gewährleistet wie beispiels-
weise ein stationärer Rechner oder mobile Endgeräte wie Smartphone und Tablet. All-
mendinger und Lombreglia (2005) fassen die üblichen Funktionen, die ein smartes und
vernetztes Produkt bereitstellt, wie folgt zusammen:
Statusübermittlung,
Diagnose,
Upgrades,
Steuerung und Automation,
Überwachung und Profilbildung des Nutzungsverhaltens,
Abwicklung von Transaktionen (wie Nachbestellungen von Verbrauchsmaterial
oder Ersatzteilen),
Lokalisierung und weitere ortsabhängige Funktionen.
Für die Einbindung des smarten Produkts in das Ökosystem muss die notwendige Kom-
patibilität gewährleistet sein.
Das Interaktionsniveau (Interaction Level) hängt eng mit dem Automatisierungsgrad des
angebotenen Smart Service zusammen und ist auf der mittleren Ebene dargestellt. Smarte
Produkte, die über ein Condition-Monitoring-System verfügen, unterstützen eine proak-
tive Wartung in der Regel ohne eine unmittelbare Interaktion mit Personen. Da Statusda-
ten automatisiert an eine zentrale Stelle übermittelt werden, bieten diese Produkte selbst
möglicherweise keine Benutzerschnittstelle (wenn beispielsweise keine Eingabegeräte
und Anzeigen verbaut sind). Ein Tablet hingegen erfordert in der Regel die Interaktion mit
Smart Service Canvas 103
hoch
Self-Service Interactive
Service
z. B. Online- z. B. Interaktive
Beschaffung Fernwartung und
Fehlerbehebung
Aktivitätsniveau
des Kunden
Machine-to- Provider Active
Machine-Service Service
z. B. Automatische z. B. Ferndiagnose
Updates, Condition
Monitoring, Status-
überwachung
gering
Aktivitätsniveau
gering hoch
des Anbieters
Abbildung 4: Smart-Service-Interactivity-Matrix
(Quelle: Wünderlich et al. 2013, S. 5)
Das Erlösmodell (Revenue Model) gibt an, welche Einnahmequellen durch den angebote-
nen Smart Service generiert werden. Kollmann (2016) unterscheidet hier drei verschie-
dene Möglichkeiten:
104 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
Das Webportal neXXt fleet soll die Kunden von STILL dazu befähigen, ihre Flotte mit
einem zentralen Webportal zu managen und so Logistikprozesse einfacher, schneller und
kostensparender umzusetzen (vgl. Kundenaufgaben in Abbildung 6). Typische Kunden-
probleme in diesem Kontext sind:
Fahrzeuge fallen ungeplant oder zu häufig aus und stehen dann für die Ausführung
logistischer Aufgaben nicht mehr zur Verfügung.
Insgesamt sind zu viele Fahrzeuge vorhanden. Dadurch ergibt sich eine nicht wirt-
schaftliche Auslastung.
Plankosten oder mit STILL im Rahmen von Leasingverträgen vereinbarte Obergren-
zen von Betriebsstunden werden überschritten.
Das Flurförderzeug stellt das smarte Produkt dar, dass mit Sensorik ausgestattet ist und
seine Nutzungsdaten über das Mobilfunknetz an die Server von STILL übermittelt. Eine
Steuerung der Flurförderzeuge erfolgt über neXXt fleet jedoch nicht.
Das Webportal lässt sich über einen PC oder mobile Endgeräte wie Tablets und Smart-
phones erreichen. Die Datenübermittlung zwischen Fahrzeugen und den STILL-Servern
erfolgt automatisch. Für die Nutzung der Apps interagiert der Nutzer mit den zuvor ge-
nannten Objekten. Das Erlösmodell sieht ein Abonnement-Modell (im Sinne einer monat-
lichen Grundgebühr) vor. Der Kontext umfasst die Lager- bzw. Fabrikhalle sowie weitere
Informationssysteme des Kunden. Die Nutzung von Daten aus dem Kontext beschränkt
sich bislang auf weitere Fahrzeuge der gleichen Flotte.
Die Darstellung dieses realen Geschäftsmodells mit der Smart Service Canvas kann als
Ausgangslage zu seiner Weiterentwicklung genutzt werden. Es ist beispielsweise zu er-
kennen, dass bislang wenig Kontextdinge und -daten genutzt werden. Zusätzlich vorstell-
bar wären hier auch Temperatur- und Luftfeuchtigkeitssensoren in der Lager- bzw. Fab-
rikhalle, die über die Umweltbedingungen des Fahrzeugs Auskunft geben und gemeinsam
mit den Nutzungs- und möglicherweise Ausfalldaten zu einer verbesserten Interpretation
der Daten führen können.
108 Jens Pöppelbuß und Carolin Durst
5. Ausblick
Dieser Beitrag präsentiert mit der Smart Service Canvas ein leicht verständliches Werk-
zeug zur Beschreibung, Analyse und Entwicklung intelligenter datenbasierter Dienstleis-
tungen. Mithilfe der Smart Service Canvas wird Unternehmen ein Instrument an die Hand
gegeben, um die Chancen der Servicetransformation sowie der digitalen Transformation
für sich zu nutzen. Als Grundlage der Smart Service Canvas dient die Value Proposition
Canvas von Osterwalder et al. (2015) und wird auf den speziellen Anwendungsfall von
Smart Services erweitert.
Bei Smart Services stehen insbesondere kontextbezogene Daten und deren Analyse sowie
die Vernetzung zu bestehenden Produkten im Vordergrund. Daher wurde zunächst die
Kundensicht um die zwei wichtigen Felder Kontext der Kundenaufgaben und Kontext-
dinge und -daten erweitert. Gespiegelt ergänzen die Felder analytische Fähigkeiten und
Daten die Wertschöpfungssicht. Der Fit aus Kunden- und Wertschöpfungssicht wird auf
drei Ebenen expliziert: Erlösmodell, Interaktionsniveau und Smartes Produkt. Gänzlich
Smart Service Canvas 109
neu wurde die Ökosystemsicht hinzugefügt, welche die technische Infrastruktur zur Be-
reitstellung sowie die notwendigen digitalen Plattformen zur Verbreitung und Vermark-
tung des Smart Service beschreiben. Die genannten Erweiterungen ermöglichen eine be-
wusste Datensammlung und -analyse und in Verbindung mit maschineller Intelligenz eine
gezielte Entwicklung innovativer kundenorientierter Dienstleistungen. Durch den speziel-
len Kundenfokus verlassen insbesondere industrielle Unternehmen gewohnte Pfade, in-
dem sie die produktorientierte Denkweise mit einer bedarfsorientierten Sichtweise erwei-
tern.
In ersten Workshops kam die entwickelte Smart Service Canvas erfolgreich zur Anwen-
dung. Das Werkzeug eignete sich insbesondere zur Beschreibung und Analyse bestehen-
der Smart-Service-Geschäftsmodelle, auch für auf private Endkunden ausgerichtete
Dienstleistungsangebote abseits des Industriesektors. Darüber hinaus wurden auch erste
Erfolge bei der Entwicklung neuer Smart-Service-Geschäftsmodelle erzielt. Die Evalua-
tionsergebnisse werden für die gezielte Weiterentwicklung der Canvas herangezogen.
Schwierigkeiten traten vor allem bei der Unterscheidung der Felder Kontext der Kunden-
aufgaben, Kontextdinge und -daten und Smartes Produkt auf. Ausführliche Anwendungs-
beispiele und Hilfestellungen sollen in Zukunft diese Unterscheidung noch trennschärfer
darstellen. Es lässt sich aber bereits feststellen, dass die Smart Service Canvas mit den
verschiedenen Sichten bewusste Perspektivwechsel anregt und zu kundenorientierten Lö-
sungen führt. Dieser Beitrag soll Interessierte ermutigen, die Smart Service Canvas einzu-
setzen und ihre Erfahrungen zu teilen und somit auch zur Weiterentwicklung beizutragen.
Danksagung
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsvorhabens DETHIS (Design Thinking
for Industrial Services), das durch das BMBF unter dem Kennzeichen 02K14A141 geför-
dert wird.
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Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
1. Einleitung
Literaturverzeichnis
___________________________
Esther Bollhöfer und Cornelius Moll sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraunhofer-
Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe im Competence Center
Neue Technologien, bzw. Energietechnologien und Energiesysteme. Dr. Christian Lerch
LVW/HLWHUGHV*HVFKlIWVIHOGHVÄ,QGXVWULHOOH,QQRYDWLRQVVWUDWHJLHQ³DPVHOELJHQ,QVWLWXW
Dieser Wandel wird durch verschiedene Ursachen getrieben. So ist in den letzten Jahr-
zehnten eine zunehmende Homogenisierung des Produktgeschäfts zu erkennen, die
Margen werden dabei immer geringer und es bestehen kaum noch Differenzierungs-
merkmale. Das Angebot innovativer digitaler Dienstleistungskonzepte kann diese Her-
ausforderung lösen und den anbietenden Betrieb in eine verbesserte Wettbewerbspositi-
on im Markt bringen. So weisen Betriebe mit innovativen Dienstleistungen eine höhere
Umsatz- und Beschäftigungsentwicklung auf als Betriebe, die keine Dienstleistungsin-
novationen hervorbringen (vgl. Lay et al. 2007).
Durch den digitalen Wandel wird der Transformationsprozess vom Produzenten zum
Lösungsanbieter jedoch zusätzlich beeinflusst. Auf Basis bisheriger Erkenntnisse wird
vermutet, dass die beiden Trends, Digitalisierung und Dienstleistungsorientierung, sich
gegenseitig positiv beeinflussen (vgl. Lerch/Gotsch 2014).
Zum einen sind Betriebe, die neue Geschäftsmodelle anbieten möchten, häufig darauf
angewiesen, IT-Systeme oder das Internet in die Prozessabwicklung mit einzubinden.
Um neue Geschäftsmodelle anbieten zu können, sind digitale Komponenten somit oft-
mals eine Notwendigkeit, was folglich zu einer zusätzlichen Digitalisierung der anbie-
tenden Betriebe führt. Entsprechend würde der Ausbau des Dienstleistungsgeschäfts eine
zusätzliche Digitalisierung im Betrieb nach sich ziehen (vgl. Lerch/Gotsch 2015a).
Zum anderen ist auch davon auszugehen, dass der digitale Wandel zu einer höheren
Dienstleistungsorientierung führen kann. Hier werden in der Literatur zweierlei Effekte
angeführt, die auf dem Verständnis beruhen, dass die Digitalisierung zum einen als Zu-
gangstechnologie, zum anderen aber auch als Kerntechnologie von neuen Geschäftsmo-
dellen und Dienstleistungen dienen kann (vgl. Lerch et al. 2016). Digitalisierung als Zu-
gangstechnologie (1) beschreibt die Vermittlungen von Services und Geschäftsmodellen
mit Hilfe des Internets und umfasst insbesondere Plattformen, die dazu dienen, Transak-
tionskosten zu senken. Hierdurch können Services effizienter abgewickelt werden, was
deren Verbreitung unterstützt und somit langfristig zu einer höheren Serviceorientierung
führen kann. Die Digitalisierung dient hingegen dann als Kerntechnologie (2), wenn das
Geschäftsmodell mittels eigenständiger und automatisierter Prozesse selbst verbessert
wird (vgl. Lerch et al. 2016). Hierzu zählen beispielsweise Smart Services bzw. Data-
driven Services.
Setzen produzierende Unternehmen das Internet oder digitale Techniken zur Erbringung
ihrer Dienstleistungen ein, befinden sie sich auf einem Transformationspfad, der sowohl
durch die Digitalisierung als auch durch die Servicetransformation selbst beeinflusst
wird. Lerch und Gotsch (2014) unterscheiden hierbei vier verschiedene Entwicklungs-
stufen, die sich unter Berücksichtigung der beiden individuellen Entwicklungen ergeben.
Der ersten Stufe werden Unternehmen zugeordnet, die lediglich obligatorische Dienst-
leistungen anbieten und standardisierte IT-Lösungen einsetzen. Diese Betriebe bieten
Services wie Wartung und Reparatur oder Installation an, die beispielsweise auch durch
digitale Textdateien, Videokonferenzen oder E-Mail-Verkehr ergänzt und abgewickelt
118 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
werden. In dieser ersten Stufe hat der Einsatz von IT-Lösungen noch keine Auswirkun-
gen auf das Serviceangebot und es kann sich dadurch auch nicht im Wettbewerb abge-
grenzt werden.
Betriebe, die sich in der zweiten Stufe befinden, setzen IT-Systeme hingegen ein, um
ihre Dienstleistungen zu verbessern. Ein bereits weit verbreitetes Beispiel hierzu ist das
Angebot von Teleservices, womit ein Monitoring von Prozessen und Fernzugriffe mög-
lich werden. Hierdurch ist es dem anbietenden Unternehmen bereits möglich, Zeit- und
Ressourceneinsparungen zu realisieren, wodurch Effizienzsteigerungen bei der Dienst-
leistungserbringung möglich werden.
In der darauf folgenden dritten Stufe nutzen Betriebe den digitalen Wandel dazu, völlig
neue Serviceangebote zu entwickeln, um hierdurch ihr Angebotsportfolio zu erweitern.
Hierbei entstehen Serviceangebote oder Problemlösungen, die vor der Digitalisierung
nicht möglich waren. Hierzu zählen beispielsweise Cloud Services, Software basierte
Simulationen für den Kunden oder Virtual und Augmented Reality-Anwendungen im
Rahmen der Dienstleistungserbringung. Das Angebotsportfolio wird mittels dieser Stufe
signifikant erweitert und verbessert.
Am Ende der Entwicklung steht die vierte Stufe, die bereits eine nahe Anbindung an die
Industrie 4.0 aufweist. Hier werden IKT-Lösungen bereits so eingesetzt, dass ein eigen-
ständiges und autonomes, auf Datennutzung basierendes Verhalten des Produkt-Service-
Bündels möglich wird. Hierdurch lassen sich völlig neue Geschäftsfelder erschließen, da
diese digitalen Geschäftsmodelle deutliche Effizienz- und Performancesteigerungen be-
inhalten können. In diesen Fällen wird neben den materiellen und immateriellen Leis-
tungskomponenten des Produkt-Service-Bündels eine dritte, digitale Komponente er-
gänzt. Lerch und Gotsch (2014) gehen davon aus, dass verschiedene Typen dieser
digitalen Produkt-Service-Bündel existieren und deren smartes Verhalten genutzt wird,
um diverse Ziele zu erreichen. Hierzu gehören beispielsweise der Aufbau eines digitalen
Gedächtnisses, die automatisierte Optimierung von Produktionsprozessen und die intel-
ligente Erbringung von Dienstleistungen (vgl. Lerch/Gotsch 2015b).
Allerdings ist dieses Transformationsmodell nicht in der Lage zu erklären, welche I4.0-
Geschäftsmodelle für einen produzierenden Betrieb von Vorteil sind und welche Ge-
schäftsmodelle prioritär verfolgt werden sollten. Ebenso ist bislang unklar, welche digi-
talen Technologien und Anwendungen bereits in der industriellen Praxis umgesetzt wer-
den. Hierzu soll ein kurzer Blick auf die Verbreitung digitaler Lösungen im
verarbeitenden Gewerbe gegeben werden.
Bewertung von digitalen Dienstleistungskonzepten im verarbeitenden Gewerbe 119
MobileMobile
Endgeräte beimbeim
Endgeräte Kundeneinsatz
Kundeneinsatz
40% 4%
(z.B. Digitalkameras,
(z. B. Digitalkameras, Smartphones,
Smartphones, Tablets)
Tablets)
SensorenSensoren
oder Steuerungselemente an Maschinen
oder Steuerungselemente oder
an Maschinen Komponenten
oder Komponeten
18% 4%
(z. B. (z.B.
für Teleservices)
für Teleservices)
VirtualVirtual-Reality
Reality oderoder
Augmented Reality
Augmented-Reality
(z. B. für(z.B.
Serviceeinsätze, Produktauslegungen, Produktpräsentationen) 10% 5%
für Serviceeinsätze, Produktauslegungen, Produktpräsentationen)
tersparnis. Diese lässt sich durch die Nutzung von mobilen Endgeräten und Internet si-
cherlich einfach realisieren. Darüber hinaus ist aber auch eine Verbesserung der Qualität
des Dienstleistungsangebots oder eine Differenzierung gegenüber Wettbewerbern als
Ziel denkbar (Lerch/Gotsch 2014). So heben zahlreiche Beiträge in der Literatur
(Schallmo 2013; Schuh et al. 2016) die Differenzierungsmöglichkeiten durch Dienstleis-
tungen hervor. Weiterhin ist es möglich, dass Betriebe digitale Technologien verwenden,
um völlig neue Dienstleistungen anbieten zu können, um sich hierdurch weiter im Wett-
bewerb zu differenzieren.
Das umfassende Potenzial datengetriebener Dienstleistungskonzepte zeigt sich daran,
dass bereits 59 Prozent der Betriebe, die bei der Dienstleistungserbringung anfallenden
digitalen Informationen weiter verwerten (vgl. Abbildung 2). Hiervon verbessern 83
Prozent der Betriebe ihre bestehenden Produkte. Weitere 46 Prozent verbessern auf Ba-
sis dieser Informationen ihre Geschäftsprozesse. Immerhin 28 Prozent der Betriebe ent-
wickeln neue oder verbesserte Dienstleistungen basierend auf digitalen Informationen.
Durch Industrie 4.0-Lösungen wird es in Zukunft zusätzliche Potenziale geben. Be-
triebsdaten können in Echtzeit und auf detaillierter Ebene erfasst und ausgewertet wer-
den. In Summe zeigt sich jedoch, dass aktuell die Affinität gegenüber (innovativen) digi-
talen Dienstleistungskonzepten im verarbeitenden Gewerbe noch relativ gering ist, was
vermutlich auch damit zusammenhängt, dass deren Mehrwert gegenüber traditionellen
Dienstleistungen und Geschäftsmodellen nicht immer eindeutig bestimmt werden kann.
Damit digitale Dienstleistungskonzepte eine größere Verbreitung finden und die daraus
erwachsenden Potenziale genutzt werden können, muss den Betrieben im verarbeitenden
Gewerbe also zunächst der Nutzen demonstriert werden. Viele Betriebe nutzen keine in-
122 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
novativen IKT und bieten keine digitalen Dienstleistungskonzepte an, weil sie hohe In-
vestitionen befürchten, die ein schwer kalkulierbares Risiko darstellen könnten (Bollhö-
fer et al. 2016). Wenn man den Betrieben aber aufzeigt, welche Chancen bestehen und
ihnen ein Instrument an die Hand gibt, mit dem sie verschiedene Varianten digitaler
Dienstleistungskonzepte strukturiert miteinander vergleichen können und mit dem sie
die für ihre Unternehmensziele am besten geeignete Option auswählen können, ist man
in der Lage, die genannten Hürden zu überwinden.
Der zentrale Ansatzpunkt für jegliche Bewertungs- und Entscheidungsfragen ist jedoch
das digitale Dienstleistungskonzept selbst. Ein solches umfasst stets drei Dimensionen:
Die Wertschöpfungsarchitektur, das Nutzenversprechen und das Ertragsmodell (Stähler
2002). Lediglich die Erträge sind der rein quantitativen Prognose und Messung zugäng-
lich. Der realisierbare Nutzen dagegen ist vielschichtig und nur schwer zu quantifizieren.
Als Beispiele mögen hier die geringeren und planbaren Ausfallzeiten der Maschinen
beim Kunden im Falle des Condition Monitoring oder auch die besseren Möglichkeiten
der Personaleinsatzplanung für Servicemitarbeiter seitens des Anbieters dienen. Viel ge-
nannt ist auch der Datenrückfluss zum Anbieter zwecks Generierung von Betriebsdaten
für Zulassungszwecke z. B. im Bereich der Arbeitssicherheit (Fallzahlen als Indiz) oder
Kenntniserlangung über die Einsatzbedingungen von Komponenten zum Zweck der
Produkt(-weiter-)entwicklung und Individualisierung. Neben direkten Nutzen sind auch
indirekte Nutzen auf andere Unternehmensbereiche zu verzeichnen, die sich ebenfalls
nur schwer messen lassen.
Dies führt zu der Notwendigkeit, ein neues digitales Dienstleistungskonzept auch struk-
turiert und in verschiedenen Dimensionen zu bewerten, um dessen Vorteilhaftigkeit für
das Unternehmen feststellen zu können, bzw. um eine Entscheidung zwischen verschie-
denen Modellen fundiert treffen zu können. Bislang spielt der wirtschaftliche Nutzen ei-
ne ausschlaggebende Rolle bei der Realisierung von Innovationen (Geissbauer et al.
2014; Schütte 2014). Die Art der Messung und Bewertung des Nutzens muss daher für
digitale Dienstleistungskonzepte neu überdacht werden.
Entscheidungsalternativen werden durch Größen charakterisiert, die der Entscheider
selbst variieren kann ± so genannte Entscheidungsvariablen (Laux et al. 2014). Häufig ist
in einer Entscheidung eine Vielzahl an Entscheidungsvariablen relevant, sodass die Ent-
scheidung verkompliziert wird. Spielen zudem mehrere Ziele in dem Entscheidungs-
problem eine Rolle, handelt es sich um ein multikriterielles Entscheidungsproblem
(Yoon/Hwang 1995).
Doch worüber und auf welcher Ebene soll überhaupt entschieden werden? Eine Ent-
scheidung Geschäftsmodell A vs. Geschäftsmodell B beinhaltet schließlich keinerlei ent-
scheidungsrelevante Informationen. Für die Arbeit mit Geschäftsmodellen, hat sich in
der Praxis die Business-Model-Canvas-Methode von Osterwalder und Pigneur bewährt.
ÄSie gilt mittlerweile weltweit als Mittel der Wahl, um innovative Geschäftsmodelle zu
finden und veraltete auf den Kopf zu stellen³ (Osterwalder/Pigneur 2013).
Diese Methode liefert neun für Geschäftsmodelle gleichermaßen relevante Felder und
damit auch zugleich einen ersten Anhaltspunkt für Zielkriterien zur Bewertung von digi-
talen Dienstleistungskonzepten. So können Aussagen zu den Kundenbeziehungen und
Kundenwerten, den Finanzen und den Ressourcen des Unternehmens getroffen werden
(Osterwalder/Pigneur 2013).
Im Folgenden soll überprüft werden, ob die in der Literatur und innerhalb von Praxisbei-
spielen diskutierten Ziele tatsächlich alle Felder des BMC ausfüllen und damit die Wahl
124 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
des Modells bestätigen. Im Gegenstromverfahren wurden zunächst die Ziele der Top-
down-orientierten Planung ermittelt und anschließend mit denen der Bottom-up-Planung
verglichen (Waniczek 2008). Das Vorgehen zeigt Abbildung 3.
Oberziele sind die strategischen Ziele des Unternehmens. Diese sind für alle Unterneh-
mensaktivitäten identisch, somit auch für neue Geschäftsmodelle. Im BMC-Modell
zeichnen sie sich wie folgt ab: Das Ertragsmodell umfasst die Felder Kostenstruktur und
Einnahmequellen und damit das strategische Ziel der Wirtschaftlichkeit. Das zweite
Oberziel ist die Markterschließung, die durch die BMC-Felder Kundensegmente, Kun-
denbeziehungen und Kanäle dargestellt wird. Als drittes Oberziel wird abweichend vom
gängigen Begriff der Produktivität der Kompetenzgewinn benutzt, der durch die verblei-
benden BMC-Felder der Schlüsselressourcen, -aktivitäten und -partner dargestellt wird
(Osterwalder/Pigneur 2013). Ein Kompetenzgewinn gerade im Bereich der neuen digita-
len Dienstleistungskonzepte zielt nämlich direkt auf die Steigerung der unternehmeri-
schen Produktivität und damit auf die Leistungsfähigkeit ab (Amler 2016).
Bewertung von digitalen Dienstleistungskonzepten im verarbeitenden Gewerbe 125
O B E R Z I E L E I M B U S I N E S S M O D E L C A N VA S
Schlüsselpartner Schlüsselaktivitäten Nutzenversprechen Kundenbeziehungen Kundensegmente
Kompetenzgewinn Markterschließung
Schlüsselressourcen Kanäle
Kostenstruktur Einnahmequellen
Wirtschaftlichkeit
Im nächsten Schritt erfolgt eine umfassende Literaturanalyse. Eine Suche nach Be-
schreibungen von Unternehmenszielen innerhalb der Themenfelder ÄIndustrie 4.0³,
ÄCPS³ und ÄGeschäftsmodell³ (Suchanfrage: Industrie 4.0 UND Geschäftsmodell bzw.
CPS UND Geschäftsmodell) ergab 946 verschiedene Beschreibungen von Zielen in Pub-
likationen zwischen 1997 und 2016 (Eberle 2016). Durch anschließendes Clustern der
gefundenen Beschreibungen konnten 49 Ziele herausgearbeitet und diese dem BMC zu-
geordnet werden. Hierbei zeigte sich, dass keines der BMC-Felder leer blieb, was wiede-
rum die ganzheitliche Sicht des Modells bestätigt. Für die folgende Darstellung wurden
die Zielcluster farblich unterschieden: Die mengenmäßig stark besetzten Zielcluster wei-
sen einen dunklen Hintergrund und weiße Schrift, die mittelstark besetzten einen weißen
Hintergrund und schwarze Schrift und die schwächer besetzten einen grauen Hinter-
grund mit schwarzer Schrift auf. Diese Unterscheidung stellt keine inhaltliche Wertung
dar, sondern ist ein Ergebnis der mengenmäßigen Clusterung der 946 gefundenen Be-
schreibungen zu dem Zielcluster. 'HU*URWHLOGHU=LHOHNDQQGHP)HOGÄ1XW]HQYHUVSUH
FKHQ³XQGGDPLWdem Oberziel der Markterschließung zugeordnet werden, was auch dem
Ergebnis der Studie von Kiel und Voigt entspricht, wonach das Feld des Nutzenverspre-
chens in der Praxis am meisten Relevanz erfährt (Kiel/Voigt 2015). Auffällig ist jedoch,
dass die am dichtesten besetzten Zielcluster (weiße Schrift) nicht unter das Oberziel
Kompetenzgewinn fallen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuell vielfach diskutierten
126 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
Potenziale von Industrie 4.0 im Hinblick auf eine Nutzung der Betriebsdaten und eine
Verknüpfung der Prozesse bis hin zu selbstlernenden Systemen scheinen die Chancen
des Kompetenzgewinns und damit der Steigerung der Produktivität noch nicht ausrei-
chend untersucht worden zu sein. Hier besteht noch Potenzial für weitere Untersuchun-
gen.
OBERZIELE IM B U S I N E S S M O D E L C A N VA S
Kompetenzgewinn Markterschließung
Wandlungsfähigkeit
Service
Kostenstruktur Einnahmequellen
Wirtschaftlichkeit
konzepte PLWHLQDQGHU]XYHUJOHLFKHQ,QGHU3UD[LVOLHJHQRIWPDOVQXUVHKUZHQLJHÄEH
ODVWEDUH'DWHQ³Gazu vor: Umsatzerwartungen und/oder Zeiteinsparungen oder eine bes-
sere Planbarkeit der Reparaturarbeiten zu prognostizieren, gleicht einem Blick in die
Glaskugel. Hingegen sind Investitionen in die Technologie und/oder in Personal leichter
zu beziffern. Ein geeigneter Ansatz zur Bewertung von Werten unterschiedlicher Natur
ist die multikriterielle Bewertung. Die Messbarkeit ist z. B. über Skalen möglich. Im
simplen Fall genügt dabei die die Nominal-Skala, die eine Unterscheidung und Häufig-
keit der Ziele ermöglicht (Geschäftsmodell A oder B). Sollen die Ziele zusätzlich geord-
net werden, bieten sich Ordinal-Skalen an (A ist besser als B). Intervall-Skalen können
ergänzend auch Abstände zwischen den geordneten Zielen beschreiben (A ist zweifach
so gut wie B) (Zimmermann/Gutsche 1991).
Die identifizierten Ziele sind sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur und müs-
sen somit mit verschiedenen Skalen gemessen werden. Beispielsweise können Kosten,
Zeiten und Veränderungen mit Zahlen (kardinalskaliert) bemessen werden, während Ri-
siken, Fähigkeiten, Potenziale und Beurteilungen mit Worten beschrieben werden kön-
nen. Eine Kombination solch verschiedener Ziele erlauben Outranking-Verfahren wie
PROMETHEE (Brans/Mareschal 2005) oder ELECTRE (Roy/Bouyssou 1980). Das
PROMETHEE-Verfahren ermittelt in seiner Anwendung aus den Kriterienausprä-
gungen, dem gewichteten Mittel der zugehörigen Präferenzfunktionen und dem Gewicht,
das die Wichtigkeit des Zielkriteriums gegenüber den anderen Zielkriterien ausdrückt,
eine Outranking-Relation. Damit wird eine Aussage über die betrachtete Alternative ge-
troffen, die zeigt, inwieweit diese von anderen Alternativen dominiert wird.
Eine Anwendungsmöglichkeit in der Praxis sieht so aus, dass aus den Zielen Fragen
entwickelt werden, deren Beantwortung mit Hilfe der verschiedenen Skalen möglich und
erforderlich ist. Zusätzlich wählt der Entscheider einen individuellen Schwerpunkt seiner
Optimierung aus den Oberzielen Wirtschaftlichkeit, Kompetenzgewinn und Markter-
schließung. Anhand dieser Schwerpunktsetzung ist eine Vorgewichtung der zugehörigen
Ziele systemgestützt möglich. Diese Vorgewichtung kann jedoch durch die individuelle
Beurteilung des Entscheiders im Rahmen jeder einzelnen Frage noch beeinflusst werden.
Die Ausgabe des Ergebnisses erfolgt als ein Präferenzwert, der in der Folge weiter zu
interpretieren ist. Je näher der Wert an Null und je weiter er von Eins entfernt ist, desto
schwerer ist es, eine eindeutige Handlungsempfehlung auszusprechen. Daher bietet sich
eine inhaltliche Verfeinerung der Ergebnisdarstellung ebenso an wie eine grafische Aus-
gabe zur Visualisierung der Ergebnisse, wie in Abbildung 6 dargestellt. Im ersten Fall
(links) ergibt sich keine Präferenz. Die digitalen Dienstleistungskonzepte sind gleichwer-
tig hinsichtlich der gewählten Fokussierung. Im zweiten Fall (Mitte) ergibt sich eine
schwache Präferenz des Ähellgrauen³Modells im Bereich der eigenen Einnahmequellen
und im GULWWHQ)DOOHLQHGHXWOLFKH3UlIHUHQ]GHVÄschwarzen³Modells in allen Bereichen,
besonders deutlich jedoch im Bereich der eigenen Schlüsselpartner. Es bietet sich an,
diese Art der Interpretation auf der Ebene der drei Oberziele weiter zu vertiefen, um die
spezifischen Stärken und Schwächen der Geschäftsmodelle besser identifizieren und an-
128 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
schließend die Modelle verfeinern und weiterentwickeln zu können. Eine noch tieferge-
hende Betrachtung auf der Detailebene aller 47 Zielkriterien erscheint hingegen nicht
sinnvoll.
Eigene
Eigene Eigene Einnahmequellen
Einnahmequellen Einnahmequellen Eigene
Eigene Eigene Eigene Kostenstruktur
Eigene Kostenstruktur Eigene Kostenstruktur Schlüsselressourcen
Schlüsselressourcen Schlüsselressourcen
Eigene Eigene Kanäle und Eigene Eigene Kanäle und Eigene Eigene Kanäle und
Schlüsselpartner Kundenbeziehungen Schlüsselpartner Kundenbeziehungen Schlüsselpartner Kundenbeziehungen
Geschäftsmodellbeispiel
---- A Geschäftsmodellbeispiel
Geschäftsmodell B B Geschäftsmodellbeispiel A
Geschäftsmodell A Geschäftsmodellbeispiel
Geschäftsmodell B B Geschäftsmodell A
Geschäftsmodellalternative A Geschäftsmodellalternative B
Geschäftsmodellbeispiel
A
Als Beispiel für die Aussagekraft mag ein Ergebnis dienen, das von einem digitalen
Dienstleistungskonzept in den Bereichen Wirtschaftlichkeit und Markterschließung
dominiert wird. Das Konzept ist sehr fokussiert auf den Kunden, was jedoch mit einer
hohen Beanspruchung der eigenen Ressourcen und finanziellen Mittel einhergeht und
wenig Synergiepotenziale durch externe Partner bietet. Jedoch sind die Chancen auf ho-
he Einnahmen und Ausweitung der Kundenstruktur mit hervorragend bewertet worden,
sodass dieses digitale Dienstleistungskonzept für die angestrebte Marktet-Pull-Strategie
geeignet ist.
Das in dem vorliegenden Beitrag aufgezeigte Vorgehen hat gezeigt, dass a) digitale
Dienstleistungskonzepte der nächste Schritt auf dem Transformationspfad sind, aber b)
diese bislang in der Praxis noch nicht ausreichend präsent sind. Darauf aufbauend konnte
c) dargelegt werden, wie eine Integration dieser Dienstleistungskonzepte in die Unter-
nehmensstrategie zu erreichen ist und schlussendlich d) eine Methode vorgestellt wer-
den, die es erlaubt, neue Dienstleistungskonzepte auch einer unternehmerischen Bewer-
tung zugänglich zu machen.
Diese zuletzt erwähnte Methode eignet sich grundsätzlich auch zur Anwendung bei
branchenübergreifenden Entscheidungsproblemen. Das modellierte Zielsystem muss al-
lerdings angepasst werden. Die abgeleiteten Ziele sind in der Literatur überwiegend im
branchenspezifischen Kontext des Maschinen- und Anlagenbaus oder der Produktions-
technik beschrieben. Für eine Anwendung im Kontext anderer Branchen ist daher das
Zielsystem zu überprüfen, die Methodik bleibt jedoch identisch.
Für die Transformation auf generische Probleme ist das System ebenfalls neu aufzustel-
len. Jedoch ist zu vermuten, dass bei identischer Vorgehensweise eine unübersichtliche
Anzahl an Zielgrößen entsteht, so dass die Anwendung der Methode mit einem sehr ho-
hen Zeitaufwand verbunden sein wird. Weiterhin ist davon auszugehen, dass aus einem
generischen Untersuchungsraum eine Vielzahl an Handlungsalternativen hervorgeht. Die
Anzahl der zu betrachtenden Alternativen geht dabei als Potenz in die Anzahl der zu be-
wertenden Zielgrößen ein und wird den Aufwand beliebig verkomplizieren.
Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass eine sinnvolle Bewertung von digitalen
Dienstleistungskonzepten im Maschinen- und Anlagenbau über die identifizierten Ziele
und mit Hilfe der entwickelten Bewertungsmethode sinnvoll und möglich ist.
Literaturverzeichnis
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130 Esther Bollhöfer, Cornelius Moll und Christian Lerch
1. Einleitung
4. Fazit
Literaturverzeichnis
___________________________
Amelie Krebs, M. Sc., ist Absolventin der Universität Hohenheim. Michael Hepp,
M. Sc., ist externer Doktorand am Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement der
Universität Hohenheim und Manager im Business Innovation bei der Firma Festo
Didactic SE. Prof. Dr. Karsten Hadwich ist Inhaber des Lehrstuhls für
Dienstleistungsmanagement an der Universität Hohenheim.
sultat tragen Services einen Großteil zum Wachstum, Umsatz und Gewinn des Unter-
nehmens bei (Gebauer/Saul 2014, S. 230). Aufgrund der großen Diversität von Dienst-
leistungen in produktherstellenden Unternehmen ist es allerdings schwierig, Generali-
sierungen bezüglich des erfolgreichen Managements dieser Leistungen zu treffen. Den
Unterschieden soll in diesem Beitrag Rechnung getragen werden, indem eine Eingren-
zung auf das so genannte Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodell der Servicetrans-
formation nach Bruhn et al. (2015) vorgenommen wird. Nachfolgend wird der Ge-
schäftsmodellansatz von Bruhn et al. (2015) beschrieben und mit Hilfe von Beispielen
im Rahmen der Digitalisierung werden die Geschäftsmodelle verdeutlicht. Fokus der
Ausführung stellt hierbei das Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodell und dessen
wissensintensiven Dienstleistungen dar.
Der Geschäftsmodellansatz nach Bruhn et al. (2015) beschreibt vier strategischen Stoß-
richtungen, die Unternehmen im Zuge des Transformationsprozesses offen stehen. Die
Typologisierung der Geschäftsmodellansätze basiert auf vier Dimensionen: der Indivi-
dualität des Leistungsangebots, der Immaterialität der Leistung, der Interaktion der An-
bieter-Partnerschaft und dem Integrationsgrad des Leistungsangebots. Durch eine unter-
schiedlich starke Ausprägung der Charakteristika bilden sich vier Geschäftsmodelle
heraus: das Produktorientierte, das Systemlösungsorientierte, das Dienstleistungsorien-
tierte und das Wertschöpfungsorientierte Geschäftsmodell (vgl. Abbildung 1).
hoch hoch
SYSTEM- W ERT-
LÖSUNGS- SCHÖPFUNGS-
ORIENTIERTES ORIENTIERTES
MODELL MODELL
DIENST-
PRODUKT-
LEISTUNGS-
ORIENTIERTES
ORIENTIERTES
MODELL
MODELL
gering gering
hoch
gering
Individualität des Leistungsangebots
Darstellen lässt sich die Typologisierung in einer Vier-Felder-Matrix (vgl. Abbildung 1).
Horizontal abgetragen sind die Individualität des Leistungsangebots und die Immateriali-
138 Amelie Krebs, Michael Hepp und Karsten Hadwich
tät des Leistungsergebnisses. Bei hoher Individualität wird die Leistung stark an die
Kundenwünsche angepasst, bei einer geringen Ausprägung findet eine Standardisierung
der Leistung statt. Der Immaterialitätsgrad gibt Auskunft über die Ausrichtung des Leis-
tungsergebnisses. Ein Leistungsergebnis mit hoher Immaterialität unterstützt den Kun-
den beim Managen oder Betreiben seiner Geschäftsprozesse. Bei einer geringen Immate-
rialität handelt es sich hingegen beispielweise um produktnahe Dienstleistungen, wie
Wartungen, die in standardisierte Prozesse unterteilt werden. Zwischen der Individualität
und Immaterialität des Leistungsangebots wird daher auch von einem positiven Zusam-
menhang ausgegangen: Bei einem Eingriff in die Geschäftsprozesse des Kunden, ist eine
enge Beziehung zwischen Anbieter und Kunde notwendig und der Kunde muss stärker
in die Leistungserstellung integriert werden, um das Leistungsversprechen zu erfüllen.
Daraus resultiert wiederum auch eine stärkere Individualisierung der Leistung (Bruhn et
al. 2015, S. 140).
Das Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodell kennzeichnet sich auf Basis dieser Krite-
rien durch eine hohe Immaterialität und entsprechend auch eine stark ausgeprägte Indi-
vidualität des Leistungsangebots. Die sich durch die Anpassung an die Kundenprozesse
ergebende Individualität wird durch die vorausgesetzte Wissensintensität der Leistung
verstärkt. Letztere erfordert ein besonders hohes Maß an Interaktion und Kommunikati-
on zwischen Anbieter und Kunde, um gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Für eine
erfolgreiche Leistungserbringung spielt somit nicht nur das Wissen des Anbieters, son-
dern auch das des Kunden eine entscheidende Rolle (Miles et al. 1995, S. 25; Betten-
court et al. 2002, S. 100). Beispielsweise bietet ein Produkthersteller seinen Kunden
maßgeschneiderte Expertise an, um gemeinsam Arbeitsprozesse in der Produktion des
Kunden zu digitalisieren. Im Gegensatz dazu sind die Immaterialität der Leistung und
die Individualität des Leistungsangebots beim Produktorientierten Geschäftsmodell ge-
ring. Ermöglicht durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien können im
Rahmen des Geschäftsmodells z. B. Wartungsverträge für Produktionsmaschinen ange-
boten werden, die auf dem Einbau von Sensoren in den Anlagen beruhen. Durch Ferndi-
agnosen können Ausfallzeiten verringert und der Einsatz von Servicemitarbeitern opti-
miert werden.
Auf vertikaler Ebene werden die Interaktion der Anbieter-Partnerschaft und der Integra-
tionsgrad des Leistungsangebots angezeigt. Bei hohem Interaktionsgrad bietet der Pro-
GXNWKHUVWHOOHULQ.RRSHUDWLRQPLWDQGHUHQ8QWHUQHKPHQHLQÄkomplettes Leistungsbün-
del aus einer Hand³(Bruhn et al. 2015, S. 140) an. Der Integrationsgrad beschreibt die
Wahrnehmung der Unternehmensleistung durch den Kunden und bezieht sich damit auf
die Ergebnisebene der Leistung. Ist dieser stark ausgeprägt, wird die Leistung vom Kun-
den als Lösung empfunden. Dies ist dann der Fall, wenn auch die Interaktion der Anbie-
ter-Partnerschaft hoch ist. Bei einem geringen Integrationsgrad wird das Angebot hinge-
gen als Zusatzleistung empfunden, in dem Sinne, dass weitere Eigenleistungen des
Kunden nötig sind, um die Leistung in eine vollumfängliche Lösung zu transformieren.
Beide Kriterien sind sowohl beim Systemlösungsorientierten als auch beim Wertschöp-
fungsorientierten Geschäftsmodell stark ausgeprägt. Ein Beispiel für das Systemlö-
Integration wissensintensiver Dienstleistungen 139
sen über die Durchführung wird auch ein Signal über die Ernsthaftigkeit des Wan-
dels gesetzt. Außerdem profitiert das Unternehmen von einer neuen und unbe-
fangenen Sichtweise.
cherstellung einer hohen Qualität und die Werterhaltung bzw. Wertsteigerung der
Ressource Mitarbeitende.
(4) Etablierung einer Servicekultur: Eine starke Serviceorientierung ist nicht nur im di-
rekten Umgang mit dem Kunden von Bedeutung. Um eine schlechte Kundenreso-
nanz zu vermeiden, müssen Mitarbeitende aller Unternehmensbereiche, die mit der
Dienstleistung in Verbindung stehen, kundenorientiert handeln. Die Experten spre-
chen sich für die Notwendigkeit einer tiefgreifenden kulturellen Veränderung im
Sinne einer organisationalen Serviceorientierung aus. Serviceorientiertes Verhalten
soll durch die Organisation unterstützt und belohnt werden. Ziele sind ein höherer
Kundennutzen, Kundenzufriedenheit, die Erzielung eines Wettbewerbsvorteils und
die Steigerung der Profitabilität (Lytle et al. 1998, S. 459).
(5) Einrichtung von Incentive-Systemen: Der letzte Erfolgsfaktor in der Dimension Mit-
arbeitende ist die Implementierung neuer Incentive-Systeme. Transaktionsbezogene
Anreizstrukturen stehen einer relationalen Dienstleistungsorientierung entgegen
(Brax 2005, S. 151). Es müssen neue Belohnungssysteme mit Fokus auf die wahr-
genommene Leistungsqualität durch den Kunden geschaffen werden (Grönroos
1990, S. 9). Ein sinnvolles Anreizsystem stellt ein kundenorientiertes Verhalten si-
cher, motiviert die Mitarbeitenden und führt zu einem effektiveren und effizienteren
Ressourcenmanagement (Antioco et al. 2008, S. 342). Die Festlegung und Kontrolle
von Kennzahlen dient darüber hinaus auch der Identifizierung von Problemen.
wird sichergestellt, dass die Synergien zwischen Dienstleistung und Produkt genutzt
werden.
(2) Kommunikation des Konzepts: Nicht nur das grundsätzliche Vorhaben eines Wan-
dels, sondern auch die Planung der Umsetzung muss transparent gemacht werden.
Zusätzlich ist die Kommunikation nicht nur an Mitarbeitende, sondern auch an
Kunden und potenzielle Kooperationspartner von großer Bedeutung. Kunden müs-
sen frühzeitig über das Dienstleistungsangebot informiert werden. In Bezug auf
Partnerschaften müssen geeignete Modelle zur Zusammenarbeit herausgearbeitet
und kommuniziert werden, durch die beide Parteien gleichermaßen profitieren.
scheinlichkeit für Folgeprojekte und ermöglichen es dem Anbieter, schnell auf sich
wandelnde Kundenbedürfnisse zu reagieren (Fang et al. 2008, S. 6).
(4) Nutzen der Reputation des Produktgeschäfts für das Dienstleistungsgeschäft und
Steigerung der Bekanntheit durch Marketingaktivitäten: Gerade bei Dienstleistun-
gen, die stark auf dem Vertrauen der Kunden beruhen, kommt den bisherigen Erfah-
rungen und der Reputation des Unternehmens eine besondere Bedeutung zu (Ge-
bauer et al. 2008, S. 234). Aus diesem Grund ist es aus Expertensicht wichtig, dass
die Bekanntheit der Marke und die bestehenden Kundenbeziehungen im Produktbe-
reich für die Dienstleistungsintegration genutzt werden. Ist der inhaltliche Bezug
zwischen Produkt und Service gering, erschwert dies den Aufbau einer gedankli-
chen Verknüpfung zwischen dem Unternehmen und der neuen Dienstleistung durch
den Kunden. Aus diesem Grund sind auch weitere Marketingaktivitäten notwendig,
um die Bekanntheit des neuen Geschäftsmodells zu erhöhen und das Image aktiv zu
prägen.
nergien können damit besser genutzt werden und es kann eine tiefere Verwurzelung
beim Kunden erzielt werden.
Insgesamt betonen die Experten den Menschen als entscheidendsten Faktor für das be-
trachtete Geschäftsmodell, wofür es auch Anzeichen in der bestehenden Forschungslite-
ratur gibt (Matthyssens/Vandenbempt 1998, S. 344; Neu/Brown 2005, S. 15). Dies um-
fasst sowohl die Bereitschaft zur Transformation als auch die erfolgreiche Leistungs-
erstellung. Letzteres ist insbesondere aus dem Grund nicht verwunderlich, da wissensin-
tensive Dienstleistungen stark vom Wissen und den Erfahrungen der Mitarbeitenden,
aber auch von einer effektiven Zusammenarbeit mit dem Kunden abhängig sind. Aller-
dings spielt in diesem Zusammenhang auch die notwendige Bereitschaft des Kunden zur
Mitwirkung eine große Rolle, was im Zuge der Interviews nur peripher thematisiert
wurde. Als weiteren zentralen Aspekt zeigen die Ergebnisse die Notwendigkeit der Aus-
richtung aller Bereiche an den Kundenbedürfnissen. Dies betrifft das Vorleben einer
Serviceorientierung durch das Management, die Auswahl und Ausbildung kunden- und
lösungsorientierter Mitarbeitender, die Etablierung einer Servicekultur und auf die Kun-
denbedürfnisse fokussierte Anreizsysteme. Außerdem ist das individuelle Eingehen auf
Kundenwünsche in der Leistungserstellung von großer Bedeutung und die Kundenbe-
dürfnisse müssen Grundlage des Leistungsentwicklungsprozesses sein. Nicht zuletzt
muss die kontinuierliche Kommunikation mit dem Kunden sichergestellt werden.
4. Fazit
Durch die empirische Untersuchung wird ein Beitrag zum Forschungsgebiet der Imple-
mentierung dienstleistungsbasierter Geschäftsstrategien durch produzierende Unterneh-
men geleistet. Bislang besteht im Hinblick auf die Erfolgsfaktorenforschung kaum eine
Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Dienstleistungen. Durch die Fokus-
sierung auf wissensintensive Dienstleistungen im Rahmen des Dienstleistungsorientier-
ten Geschäftsmodells wird diesem Defizit Rechnung getragen.
Schwierigkeiten bei der Integration der Dienstleistung resultieren in erster Linie aus der
starken Abhängigkeit von implizitem Wissen, dem hohen Maß an Individualität der
Leistung und der Mitwirkung des Kunden im Zuge der gemeinsamen Wertschöpfung.
Werden diese Hürden überwunden, können Unternehmen eine höhere Kundenzufrieden-
heit und Kundenloyalität erzielen und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil aufbauen.
Auf Basis von zehn Experteninterviews wurden 30 erfolgskritische Faktoren für die Er-
reichung dieser Ziele bei der Implementierung des Geschäftsmodells in den sieben Be-
reichen Führung, Mitarbeitende, Ressourcen und Partnerschaften, Prozesse, Produkte,
Dienstleistung und Kunde sowie Organisation und Struktur ermittelt. In der Führung
geht es in erster Linie darum, dass der Transformation ausreichend Aufmerksamkeit ge-
widmet und die Integration des neuen Geschäftsbereichs effizient gesteuert wird. Außer-
dem müssen Widerstände der Mitarbeitenden abgebaut und der Rückhalt der Organisati-
on aufgebaut werden. Gleichzeitig ist ein neues Führungsverhalten wichtig. In Bezug auf
die Mitarbeitenden muss sichergestellt sein, dass diese die notwendigen fachlichen und
sozialen Kompetenzen aufweisen, um eine erfolgreiche Leistungserbringung zu ermögli-
chen und die Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Dafür sind zudem die Etablierung ei-
ner Servicekultur und neue Anreizsysteme notwendig. Darüber hinaus ist es wichtig,
dass die Transformation durch eine detaillierte Planung unterstützt wird. Dies erfolgt in
Form der Festlegung und Kommunikation eines strategischen Konzeptes. Im Bereich
Ressourcen und Partnerschaften ist der gezielte Aufbau strategischer Partnerschaften
notwendig, um Lücken in den Kompetenzen zu schließen und den Transformationspro-
zess zügig voranzutreiben. Gleichermaßen muss eine ausreichende Ressourcenverfüg-
barkeit sichergestellt werden, um nicht nur im Dienstleistungs- sondern auch im Pro-
duktbereich die Leistungs- und Handlungsfähigkeit zu bewahren. Standardisierte, aber
gleichzeitig auch kundenorientierte Prozesse, stellen vor allem die Wirtschaftlichkeit und
Effektivität in der Leistungsentwicklung und -erbringung sicher. Darüber hinaus kommt
dem systematischen Wissensmanagement für die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils
eine zentrale Bedeutung zu. Die Nutzung von Synergien zwischen Dienstleistung und
Produkt sowie der Beziehungssaufbau zum Kunden sind wichtig für die Steigerung der
Kundenakzeptanz und Kundenzufriedenheit sowie für den Ausbau eines einzigartigen
Wettbewerbsvorteils. Die organisationale Struktur muss den Austausch sowohl zwischen
Produkt- und Dienstleistungsbereich als auch zwischen Anbieter und Kunde unterstüt-
zen. Außerdem ist eine Anpassung des Vertriebs notwendig.
154 Amelie Krebs, Michael Hepp und Karsten Hadwich
Kontroversen in den Expertenansichten zeigten sich bei der Frage nach dem organisatio-
nalen Aufbau. Es konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob eine Integration oder eine
Separierung der Dienstleistung durch die Einrichtung einer eigenständigen Geschäfts-
einheit zielführend ist. Auch in der bestehenden Forschungsliteratur besteht in dieser
Frage keine Einigkeit. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass die Entscheidung unter-
nehmensabhängig getroffen werden muss. Einig waren sich die Experten allerdings da-
rin, dass der Mensch Kern des Erfolges und gleichzeitig größter Risikofaktor ist. Nur
wenn alle beteiligten Akteure von der Veränderung überzeugt sind, aktiv mitwirken und
bereit sind, Wissen aufzubauen und zu teilen, kann das Unternehmen mit der Dienstleis-
tung erfolgreich sein. Darüber hinaus zeigte sich als zweiter zentraler Punkt die Notwen-
digkeit einer Kundenorientierung. Diese muss sich gleichermaßen in der Dienstleistung,
den Prozessen, der Führung und in den Mitarbeitenden widerspiegeln.
Für das Management ergeben sich aus den Ergebnissen drei Implikationen: Erstens soll-
ten die ermittelten Erfolgsfaktoren umgesetzt und kontinuierlich überwacht werden.
Zweitens sollte bei deren Umsetzung in erster Linie der Mensch im Fokus stehen und
drittens dürfen gleichzeitig die Kundenbedürfnisse bei keiner Handlung außer Acht ge-
lassen werden. Konkret erfordert dies in erster Linie eine intensive Kommunikation mit
den Mitarbeitenden jeder Hierarchieebene, in der die Veränderung begründet und die
weitere Planung aufgezeigt wird. Neben der persönlichen Kommunikation müssen Aus-
und Weiterbildungsmöglichkeiten eingerichtet werden und das Human Resource Ma-
nagement muss sich auf die neuen Anforderungen an die Mitarbeitenden einstellen. Dar-
über hinaus sind Prozesse und organisationale Strukturen von Nöten, die eine Vernet-
zung der Mitarbeitenden unterstützen. Zusätzlich muss bei diesen Aktivitäten die
Kundenorientierung berücksichtigt werden. Dies erfordert vor allem, dass das Manage-
ment eine Serviceorientierung vorlebt und von den Mitarbeitenden einfordert. Zudem
müssen Kunden- und Lösungsorientierung Hauptkriterien für die Mitarbeiterauswahl
und die Einrichtung von Prozessen sein. Werden diese Aspekte vor, während und nach
der Geschäftsmodellimplementierung nicht außer Acht gelassen, setzen produktherstel-
lende Unternehmen ein wichtiges Fundament, um ihren Erfolg nachhaltig über Dienst-
leistungen zu sichern.
Im Rahmen dieses Beitrags werden wertvolle Einblicke in die strategische Neuausrich-
tung von produktherstellenden Unternehmen gewährt. Allerdings müssen auch einige
Einschränkungen genannt werden. Wie sich an der Diskussion über die Errichtung eines
eigenständigen Geschäftsbereichs zeigt, bestehen Kontroversen in den Expertenmeinun-
gen. Durch das einstufige Verfahren der Interviews konnten Differenzen in den Ansich-
ten allerdings nur eingeschränkt aufgedeckt werden. Eine weitere Limitation ergibt sich
aus der geringen Anzahl geführter Interviews. Obgleich im Rahmen der Stichproben-
auswahl verschiedene Branchen und Unternehmensgrößen abgedeckt wurden, sind die
Ergebnisse nicht generalisierbar. Zudem wurden unternehmensexterne Erfolgsfaktoren
nicht in die Untersuchung miteinbezogen. Aspekte, wie Charakteristika der Kundenor-
ganisation oder der Industrie, können sich allerdings ebenfalls auf den Erfolg der Strate-
gieänderung auswirken. Aufbauend auf den Ergebnissen ist daher die Durchführung ei-
ner quantitativen Studie unter Einbezug weiterer Unternehmen und Branchen, aber auch
Integration wissensintensiver Dienstleistungen 155
von Kunden- und Lieferantenorganisationen sinnvoll. Darüber hinaus erfolgte eine allei-
nige Betrachtung erfolgreicher Unternehmen. Durch eine Gegenüberstellung von Pro-
duktherstellern, die bei dem Versuch der Integration des betrachteten Geschäftsmodells
gescheitert sind, könnten die Ergebnisse stärker differenziert werden. Nicht zuletzt be-
zieht sich die Untersuchung nur auf einen Teilbereich des Dienstleistungsorientierten
Geschäftsmodells der Servicetransformation. Für die drei weiteren strategischen Stoß-
richtungen nach Bruhn et al. (2015) besteht daher der identische Forschungsbedarf.
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Integration wissensintensiver Dienstleistungen 157
2. Wertschöpfung durch
Dienstleistungen 4.0
Stefanie Paluch
1. Smart-Service-Revolution
1.1 Service Disruption
1.2 Xaas ± Everything as a Service
1.3 Smart-Service-Strategie
1.4 Smart-Service-Anwendungsbeispiele
2. Smart-Service-Ökosystem
2.1 Digitale Plattform
2.2 Vier Leistungsebenen
2.2.1 Monitoring
2.2.2 Steuerung und Kontrolle
2.2.3 Leistungsoptimierung
2.2.4 Automatisierung
2.3 Smarte Objekte
2.4 Big und Smart Data
3. Key Learnings
Literaturverzeichnis
___________________________
Professor Dr. Stefanie Paluch ist Professorin für Dienstleistungs- und Technologie-
marketing an der RWTH Aachen.
dadurch die Effizienz der Wartungsleistung steigern. Zusätzlich wurde das Geschäftsmo-
dell ÄPower-by-the-HRXU³) angepasst, bei dem die Energiedienstleistungen im Fokus ste-
hen (Porter/Heppelmann 2015) und GE plötzlich vielmehr Dienstleister als Hersteller von
Windturbinen ist. Auch Siemens Healthcare nutzt die Potenziale der Internettechnologie
für sich und bietet verschiede (smarte) Services an, um seine Produkte wie Computer- oder
Magnetresonanztomographen über Remote Services fernzuwarten, um unvorhergesehene
Maschinenausfälle während der Arbeitszeiten vorzubeugen und kleinere Reparaturarbei-
ten auch aus der Ferne wahrzunehmen (Paluch 2014). Die letzten beiden Beispiele zeigen,
dass die Entwicklung von Smart Services zu neuen Geschäftsmodellen führt, die die Pro-
fitabilität des Unternehmen weitaus mehr steigern können als die alleinige Herstellung
von Produkten (Reinartz/Ulaga 2008; Porter/Heppelmann 2015).
Doch nicht nur in der Praxis rücken Dienstleistungen immer mehr in den Fokus von Un-
ternehmen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur haben Dienstleistungen einen zent-
ralen Stellenwert eingenommen. Im folgenden Abschnitt wird die Rolle und der Wandel
von Dienstleistungen aus wissenschaftlicher Perspektive diskutiert.
Proactive Remote Services, die eine Interaktion ausschließen und präventiv Wartungsleis-
tungen erbringen (Paluch/Blut 2013). In Bezug auf die vorangegangene Diskussion stellt
der Dienstleistungstyp der Remote Services die Interdependenz zwischen Produkten und
Dienstleistungen deutlich heraus.
Im Hinblick auf Smart Services wird dieser Gedanke von Allmedinger und Lombreglia
(2005) aufgegriffen. Die Autoren definieren Smart Services als eine Dienstleistung, die
durch oder über ein intelligentes Objekt erbracht wird. Durch eingebaute Intelligenz kön-
nen Objekte ihren eigenen Status erfassen, Daten sammeln und mit anderen Objekten
kommunizieren (Allmendinger/Lombreglia 2005). Steigende Vernetzung und Konnekti-
vität lassen eine Vielzahl an Smart-Service-Angeboten im direkten Umfeld des Objektes
entstehen (z. B. System-Monitoring, automatisierte Upgrades oder Beratungsdienstleis-
tungen). Dienstleistungsanbieter haben die Möglichkeit durch Smart Services neue Ge-
schäftsmodelle zu entwickeln und die Kundenbeziehung auf eine völlig neue Ebene zu
überführen. Ein smarter Rasenmäher erkennt selber, wann er den Rasen schneiden soll
und zu welchem Zeitpunkt er wieder auf die Ladestation fahren muss. Durch die Samm-
lung von Nutzungsdaten, die an den Hersteller übertragen werden, kann dieser kundenin-
dividuelle Angebote erstellen und Verbesserungspotenziale an existierenden Produkten
aufdecken.
Die Entwicklung von neuen Dienstleistungstypen wie Smart Services und die damit ver-
EXQGHQH Ä,QIXVLRQ RI 7HFKQRORJ\³ KDW DXFK HLQHQ (LQIOXVV DXI die Konzeptualisierung
von Dienstleistungen. Die Veränderung zeigt sich beispielsweise in der Definition von
Rust und Huang (2014, S.7): ³Service is any direct provision or co-creation of value
between a provider and a customer´Die Erzeugung von Mehrwert für den Kunden steht
vielmehr im Mittelpunkt der Leistung an sich. Im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen
Produkt und Dienstleistungen argumentieren die Autoren, dass ein Produkt erst durch die
Dienstleistung seinen Mehrwert generiert und Dienstleistungen nicht mehr nur im tertiären
Sektoren anzuordnen sind, denn durch Konnektivität und Vernetzung entstehen Smart
Services überall dort, wo intelligente Produkte zum Einsatz kommen. Dadurch wird die
Produkt- vs. Service-Diskussion obsolet (Rust/Huang 2014).
Die vorangehende Diskussion zeigt nun, dass Services mehr als nur die reine Dienstleis-
tungen darstellen (Rust/Huang 2014, S. 207), denn die rasant zunehmende Digitalisierung
lässt die Grenzen zwischen Produkten und Dienstleistungen verschwimmen und dadurch
den eigentlichen Mehrwert für Kunden und Anbieter entstehen. Das Label ÄVPDUW³ de-
monstriert eben diese Vernetzung von Service und Objekten. Aus diesem Grund werden
im weiteren Verlauf dieses Beitrages neben Smart Services auch die damit einhergehen-
den intelligenten Produkte und Objekte betrachtet und folgende Definition aufgestellt:
Smart Services sind digitale Dienstleistungen, die über eine intelligent vernetzte IT-Infra-
struktur erbracht werden und in Verbindung mit physischen Objekten/Produkten durch
kontinuierliche Datensammlung und Analyse einen Mehrwert generieren. Smart-Service-
Leistungen umfassen die Überwachung und die Kontrolle von Funktionen, die Steuerung
von Aktivitäten, die Leistungsoptimierung und die Automatisierung von Prozessen.
166 Stefanie Paluch
Nachdem nun ein grundlegendes Verständnis für Smart Services und die damit einherge-
henden intelligenten Objekte geschaffen wurde, sollen im folgenden Abschnitt strategi-
sche Optionen beleuchtet werden.
1.3 Smart-Service-Strategie
Der Einsatz von Smart Services führt zu vielfältigen Veränderungen in der Unternehmens-
struktur. Insbesondere vier Bereiche werden durch Smart Services beeinflusst, die eine
Neupositionierung oder Anpassung der Unternehmensstrategie zur Folge haben.
Aufbau neuer
Geschäftsmodelle
Kunden- Erschließung
fokussierung Smart neuer
Services Geschäfts-
felder
Leistungsoptimierung
Aufbau neuer Geschäftsmodelle: Die Digitalisierung ist ein Treiber für die Entstehung
von Smart Services. Die verstärkte Serviceorientierung von Unternehmen führt dazu,
dass neue Geschäftsmodelle insbesondere im Dienstleistungsbereich entstehen. Wo
typischerweise die Beziehung zwischen Kunden und Anbieter mit dem Kauf des Pro-
duktes abgeschlossen war, fängt sie im Zeitalter der Vernetzung erst an. Kunden wol-
len nicht mehr in Produkte, Maschinen und Anlagen investieren, das Konzept des
Ä2ZQHUVKLSV³VFKHLQWLQGHP.RQWH[WEHUKROW1HXH*HVFKlftsmodelle, die Dienst-
leistungen in den Fokus setzten, werden vermehrt nachgefragt und so kommt es, dass
0DVFKLQHQLQ)RUPYRQÄ0DFKLQHDVD6HUYLFH³3URGXNWHDOVÄ3URGXFWDVD6HUYLFH³
RGHU /DXI]HLWHQ DOV Ä3RZHU-by-the-+RXU³ DQJHERWHQ ZHUGHQ Porter/Heppelmann
2014; Cisco 2015). GE Aviation analysiert beispielsweise Kerosinverbrauchsdaten
der Alitalia Airline. Durch das Angebot von Beratungs-dienstleistungen kann die Air-
line lernen den Kerosinverbrauch zu reduzieren (Porter/Heppelmann 2014).
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 167
Erschließung neuer Geschäftsfelder: Durch die Nutzung von Smart Services entste-
hen neue Handlungsmöglichkeiten und Unternehmen sind in der Lage gänzlich neue
Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die vorher nicht im Angebotsportfolio
existierten. Die neuen Geschäftsmodelle werden rund um die Dienstleistung aufge-
baut. Ein Beispiel ist der Amazon Kindle, der Nutzern den einfachen Zugriff auf Ama-
zon Services wie Musikstreaming, Bücher, Videos und Apps erlaubt. Dazu stellt Am-
azon Gründer Jeff Bezos IHVW ÄThe Kindle is QRW D GHYLFH LW¶V D 6HUYLFH´. In der
Luftfahrt hat der Triebwerkhersteller Rolls-Royce durch sein Ä3RZHU-by-the-+RXU³
Geschäftsmodell TotalCare, die Industrie verändert. Die Triebwerke werden dem
Kunden zur Verfügung gestellt, wofür der Kunde zahlt ist die Dienstleistung (z. B.
Flugmeilen), die Rolls-Royce erbringt. Durch Echtzeitdatenanalyse der gesammelten
Betriebsdaten kann die Effizienz der Wartung und der Einsatz des Flugzeuges opti-
miert werden (Smith 2013).
Leistungsoptimierung: Digitale Dienstleistungen wie Remote oder Predictive Main-
tenance ermöglichen effizientere Einsätze, basierend auf präventive Wartung von Ma-
schinen und Anlagen zum Teil auch aus der Ferne. Durch die Vernetzung können
Probleme antizipiert werden, bevor sie auftreten und zu größeren Schäden im Ge-
samtsystem führen. Dadurch werden Einsatzkosten von Servicetechnikern reduziert
und Zeitersparnisse realisiert, aber auch ungeplante Ausfälle von Anlagen, Produkten
oder Maschinen können so vermieden werden. Daher entsteht eine win-win-Situation
für den Anbieter und für Smart-Service-Kunden. Der Kunde nutzt seine Produkte op-
timal, im Gegenzug kann der Anbieter Serviceeinsätze kontrollierter und erfolgrei-
cher realisieren. Geschäftsbeziehungen können dadurch verbessert werden und An-
bieter haben die Möglichkeit der Diversifikation (Porter/Heppelmann 2015).
Kundenfokussierung: Smart Services lassen den Kunden immer weiter in den Mittel-
punkt der Transaktionen rücken und ihm dadurch eine neue aktive Rolle bei der Mit-
gestaltung von Produkten und Dienstleistungen zukommen. Unternehmen lernen Prä-
ferenzen und Anforderungen durch Analyse der Nutzerprofile besser kennen und
haben die Möglichkeit, Angebote zielgruppen- und kundenspezifischer auszugestal-
ten. Stärker individualisierte und personalisierte Services führen zu einer tieferen
Kundenbeziehung und lassen höhere Kundenbindung sowie Wechselbarrieren entste-
hen (Rust/Huang 2014).
Die vier Bereiche machen deutlich, dass Unternehmen durch neue Produkte und Dienst-
leistungen und durch stärkere Kundenorientierung beim Einsatz von Smart Services pro-
fitieren können. Sie zeigen aber zugleich auch auf, wo strategischer Handlungsbedarf be-
steht. Das Anpassen des Geschäftsmodells ist ein zentraler Aspekt für den Erfolg von
Smart Services. Nachfolgend werden nun Anwendungsbereiche von Smart Services skiz-
ziert.
168 Stefanie Paluch
1.4 Smart-Service-Anwendungsbeispiele
Smart Services können in einer Vielzahl von Industrien und Branchen Anwendung finden.
Die Ausgestaltungsmöglichkeiten variieren je nach Unternehmen und Art sehr stark, so-
dass die nachfolgenden Beispiele nicht sämtliche Smart Services berücksichtigen können,
sondern die Anwendungsmöglichkeiten lediglich grob umreißen.
Energie Industrie
Medien Logistik
Smart
Services
Handel Mobilität
Gesundheit
Industrie: In der Industrie und vor allem in der Produktion werden Smart Services zur
Überwachung von Maschinen und Anlagen eingesetzt. Präventive Services kontrol-
lieren den Status von vernetzten Objekten, um auf Grundlage von gesammelten Daten
Ausfälle und Stillstandzeiten zu minimieren und somit die Laufzeiten der Objekte zu
optimieren.
Logistik: Smart Services in der Logistik sollen Warenströme und Transportketten op-
timieren. Die Analyse von Echtzeitdaten hilft Routen zu planen, bei denen beispiels-
weise Staus vermieden oder umfahren werden. GPS-3RVLWLRQVGDWHQYRQ/.:µVZHU
den genutzt, um die Auslieferung zu prognostizieren oder den Verladeprozess der
Container zu optimieren.
Mobilität: Neue Mobilitätsdienstleistungen verändern ganze Branchen. Das ÄConnec-
ted Car³ also das intelligent vernetzte Automobil wird durch Echtzeitdaten über Staus
und Unfälle informiert und kann mit anderen Fahrzeugen kommunizieren. Uber nutzt
die GPS-Daten des Smartphones, überprüft Fahrerkapazitäten in der Nähe, um dann
einen Fahrgast über die App zu vermitteln.
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 169
2. Smart-Service-Ökosystem
Smart Services existieren und entstehen nicht isoliert, sondern sind in ein komplexes Um-
feld eingebettet, das als Ökosystem bezeichnet wird. Das Smart-Service-Ökosystem ist in
Abbildung 3 vereinfacht dargestellt. Doch zunächst werden grundlegende Aspekte vorge-
stellt, die Voraussetzung für die intelligente Vernetzung von Produkten und Dienstleistun-
gen darstellen.
Porter und Heppelmann (2014) sprechen in diesem Zusammenhang von drei Kernelemen-
ten, die das smarte Produkt-Service-Bündel charakterisieren. Dazu zählen die:
170 Stefanie Paluch
Digitale Serviceplattform
Automatisierung
Leistungsoptimierung
Steuerung und Kontrolle
Monitoring
Datensammlung
Smarte
Objekte
Abbildung 3: Smart-Service-Ökosystem
(Quelle: in Anlehnung an Porter/Heppelmann 2014, S. 70)
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 171
Abbildung 4: Smart-Farming-Plattform
(Quelle: acatech 2015, S. 67)
2.2.1 Monitoring
Der einfachste Smart-Service-Level umfasst das Monitoring und die Überwachung von
Produktfunktionen und Nutzungsdaten sowie einiger Umweltfaktoren. Dazu tracken diese
Services kontinuierlich Daten und werten diese teilweise aus. Produkte dieser Ausbaustufe
agieren passiv. Durch Sensoren und die Anbindung an externe Datenquellen sind diese
Produkte in der Lage, den Nutzer mit optimierten Informationen zu versorgen. Bei Ab-
weichung von bestimmten definierten Werten können Produkte dieser Ausbaustufe eben-
falls Alarmsignale auslösen. Ein Beispiel für einen sPDUWHQ6HUYLFHGHU$XVEDXVWXIHÄ0R
QLWRULQJ³ LVW HLQ 3XOVPHVVJHUlW 'LHVHV NDQQ EHU HLQHQ EHVWLPPWHQ =HLWUDXP GHQ 3XOV
messen und aufzeichnen sowie bei Überschreitung von definierten Werten einen Alarm
auslösen. Pulsmessgeräte ermöglichen dem Anwender Auswertungen über den eigenen
Pulsverlauf zu erstellen und darauf zu reagieren. Im industriellen Kontext ist das Monito-
ring keine Neuheit mehr, sondern wird bereits seit vielen Jahren zur Überwachung von
Anlagen und Maschinen in Form von Remote Monitoring eingesetzt (Biehl et al. 2004;
Wünderlich et al. 2016).
Das Monitoring ist Voraussetzung für die zweite Ausbaustufe Smarter Services. Diese
wird als Steuerungs- oder Kontrollstufe bezeichnet. Integrierte Software und Mechanis-
men ermöglichen es auf bestimmte interne oder externe Zustände mit einfachen Handlun-
gen zu reagieren. Häufig können diese Zustände durch den Anwender selbst definiert oder
verändert werden z. B. über das Smartphone oder das Tablet. Als Beispiel für das Kon-
trolllevel können automatisierte Heizungsanlagen genannt werden. Diese messen die
Temperatur im Raum, gegebenenfalls Verbräuche und weitere Leistungsdaten und werden
automatisch aktiv, wenn eine bestimmte vom Nutzer definierte Raumtemperatur über- o-
der unterschritten wird. Ein ähnliches Prinzip wird auch bei intelligenten Licht- oder Über-
wachungssystemen verfolgt. Services, die rund um das private Wohnhaus eingesetzt wer-
GHQVLQGXQWHUGHP%HJULIIÄ6PDUW+RPH³zusammengefasst. Im medizinischen Kontext
wird dieser smarte Kontrollmechanismus bei High-Tech-Geräten wie CTs oder MRTs ein-
gesetzt. Sollten diese Geräte eine gewisse Betriebstemperatur übersteigen, wird automa-
tisch die Kühlung verstärkt oder das Gerät abgeschaltet. Die smarte Steuerung von Objek-
ten führt häufig dazu, dass Servicetechniker für den Einsatz nicht vor Ort sein müssen,
sondern auf die vernetzten Systeme aus der Ferne zugreifen (Paluch 2014).
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 173
2.2.3 Leistungsoptimierung
Aufbauend auf dem Monitoring- und Kontroll-Level ist die dritte Ausbaustufe Smarter
Services die Optimierungsfähigkeit. Basierend auf Algorithmen ermöglichen Smart Ser-
vices eine Anpassung und Optimierung der eigenen Handlungsweise an die Umwelt. Er-
möglicht wird dies durch die Sammlung großer Datenmengen (Big Data in Echtzeit oder
historische Daten) und deren Analyse. Neuronale Netze sind mittlerweile in der Lage aus
Datenmengen Informationen zu generieren, bevor überhaupt bekannt ist, welche Informa-
tionen generiert werden sollen. Auf Basis solcher Informationen können Produkte das
Verhalten deutlich optimieren und so Output, Effizienz und Nutzerfreundlichkeit steigern.
Als Produktbeispiel können Fahrstühle angeführt werden, die ihr Fahrverhalten optimie-
ren können. Ein Bürofahrstuhl würde so morgens automatisch in das Erdgeschoss zurück-
kehren, wo morgens die meisten Personen einen Fahrstuhl benötigen würden. Abends
könnte dieser Fahrstuhl dann in den höchstfrequentierten Stockwerken die Personen zum
Ausgangspunkt befördern. Ein anderes Beispiel sind Windturbinen, die ihre Rotorblätter
an die Umgebung anpassen, um die Windenergie zu maximieren. Durch die Analyse von
Echtzeitdaten können Maschinen- oder Systemausfälle minimiert und vor Ort Einsätze
optimiert werden, da sich Servicetechniker besser auf die Einsätze vorbereiten und pas-
sende Ersatzteile vorab bestellen können. Der Einsatz von Smart Services führt dadurch
zu Kosten- und Zeitreduktion für den Anbieter.
2.2.4 Automatisierung
Die letzte Ausbaustufe ist die Automatisierung. Diese kombiniert alle Fähigkeiten der drei
anderen Level und erweitern diese um Autonomie. Bei vollständiger Automatisierung
können smarte Produkt-Service-Bündel völlig losgelöst von menschlichen Interventionen
agieren. Beispiele für diese Ausbaustufe sind autonome Fahrzeuge, die in der Lage sind
völlig eigenständig im Straßenverkehr zu fahren. Die Fahrzeuge berücksichtigen unter-
schiedlichste Informationsquellen, um sicher im Straßenverkehr zu navigieren. Dazu zäh-
len historische Informationen wie Unfallstellen, Verkehrsaufkommen zu bestimmten Zei-
ten oder Straßenverhältnisse. Weiterhin werden über Sensoren die freie Fahrbahn sowie
bestehende Hindernisse erfasst. Durch die Kommunikation mit anderen Fahrzeugen sowie
der Infrastruktur (beispielsweise Ampel- oder Schrankenanlagen) entsteht ein Ökosystem
aus vernetzten Objekten, wodurch die Leistungsfähigkeit der einzelnen Objekte extrem
gesteigert werden kann. Auf diese Weise verfließen die Grenzen zwischen einzelnen Bran-
chen, und Akteure, die zuvor beispielsweise der klassischen Automobilindustrie zuzuord-
nen waren, finden sich plötzlich im Wettbewerb mit Technologiekonzernen. Im industri-
ellen Kontext sind Maschinen in der Lage, basierend auf ihren Leistungsdaten vollständig
autonom zu arbeiten. Die Automatisierung unterstützt insbesondere bei schwer zugängli-
chen Bereichen, bei denen Menschen vor Gefahren (Chemikalien oder Radioaktivität) ge-
schützt werden.
174 Stefanie Paluch
Autonomie Kooperationsfähigkeit
Reaktivität Multifunktionalität
Autonomie
Autonomie zeichnet sich dadurch aus, dass es Objekte in die Lage versetzt eigenständig
und dabei zielgerichtet zu arbeiten, ohne dass menschliches Eingreifen notwendig ist
(Rijsdijk/Hultink 2009). Dabei beginnen autonome Produkte auf eigene Initiative hin aktiv
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 175
Anpassungsfähigkeit
Lernfähige Objekte sind in der Lage das eigene Verhalten an die Situation und die Umwelt
anzupassen. Intelligente Smart-Service-Objekte erlangen diese Fähigkeit durch das Spei-
chern von Informationen über einen Zeitraum und die anschließende Verarbeitung dieser
Daten durch Algorithmen. Aus diesen Informationen wird ein internes Modell der Umwelt
erstellt, welches in komplexen Situationen zur Entscheidungsfindung herangezogen wird
(Rijsdijk et al. 2007). Smarte Produkte erlernen neue Verhaltensweisen und Ansätze, in-
dem sie den Nutzer beobachten und seine Handlungsweisen imitieren, dabei ein bewer-
tendes Feedback erhalten, explizite Anweisungen vom Nutzer erhalten sowie das aktive
Erfragen von Handlungsweisen beim Nutzer bzw. anderen smarten Produkten
176 Stefanie Paluch
(Nwana/Ndumu 1997). Ein beeindruckendes Beispiel für lernfähige Produkte ist der
Google Computer AlphaGo. Dieser Computer hat im März dieses Jahres Lee Sedol, einen
GHUZHOWEHVWHQ6SLHOHULP6SLHOÄ*R³JHVFKODJHQÄ*R³ZLUGDOs eines der komplexesten
6SLHOH GHU :HOW JHVHKHQ ,P 9HUJOHLFK ]XP 6FKDFKVSLHO VLQG EHL Ä*R³ GHXWOLFK PHKU
Spielpositionen möglich (Schach: ~2x1040 (Steinerberger 2015); Go:
2,08168199382×10170 (Tromp 2016))VRGDVVÄ*R³DOVHLQHGHUOHW]WHQ,QVWDQ]HQJHVHKHQ
wurde, worin der Mensch dem Computer noch überlegen ist. Der Sieg für AlphaGo ba-
sierte letztendlich auf einem innovativen Ansatz, der Systemen eine gesteigerte Lernfä-
higkeit ermöglicht. Dazu zählte die Nutzung von neuronalen Netzen sowie der Suchbaum-
methodik. Das System wurde mit vorhanden Erfahrungen sowie Algorithmen ausgestattet.
Der Erfolgsfaktor bestand allerdings in der Fähigkeit des eigenständigen Lernens (Silver
et al. 2016). Durch das permanente Ausspielen von Go-Partien gegen sich selbst, war Al-
phaGo in der Lage von sich selbst zu lernen sowie die Gründe für gewonnene und verlo-
rene Partien zu reflektieren. Ein weiteres Beispiel sind vernetzte Thermostate, sie spei-
chern kontinuierlich Daten, um, wenn eine Temperatur eingestellt wird, auf Basis dieser
Daten die Konfiguration vorzunehmen.
Reaktivität
Genau wie die Lernfähigkeit bezieht sich die Reaktivität auf die Anpassung des Produkt-
verhaltens an die Umwelt (Bradshaw 1997). Der Unterschied zur Lernfähigkeit besteht in
der Spontanität der Verhaltensanpassung. Zur Reaktivität wird kein internes Modell er-
stellt, das auf gesammelten Informationen beruht. Vielmehr reagiert das Produkt auf Sti-
mulus bzw. definierte Umweltzustände spontan (Rijsdijk et al. 2007). Als Beispiel für eine
solche Verhaltensanpassung kann ein Fahrzeug angeführt werden, das bei einem erkann-
ten Hindernis automatisch bremst, die Geschwindigkeit anpasst und gegebenenfalls ein
Ausweichmanöver einleitet. Weitere Beispiele sind smarte Heizungskörper, die sich bei
einer definierten Temperatur automatisch ein- oder ausschalten, oder Telefone, die bei
einer bestimmten Lichtgebung, automatisch die Displaybeleuchtung anpassen. Anhand
der Beispiele wird ersichtlich, dass sich das Produktverhalten nicht durch sich wiederho-
lende Muster ändert, sondern bereits im Voraus definiert bzw. programmiert ist. Dennoch
können Nutzer Einfluss auf die Reaktivität nehmen, beispielsweise indem die Temperatur
geändert wird, bei der Heizkörper automatisch ein- und ausgeschaltet werden. Die Reak-
tivität steht somit auch in einem engen Zusammenhang zur Lernfähigkeit. Grundsätzlich
gilt eine enge Verknüpfung zwischen allen sechs Eigenschaften, die nur im Verbund ein
smartes bzw. intelligentes Produkt-Service-Bündel ergeben.
Kooperationsfähigkeit
Die Kooperationsfähigkeit wird ermöglicht durch Kommunikationskomponenten zu de-
nen Antennen, Sensoren, Bluetooth- oder Infrarot-Schnittstellen oder auch Kommunika-
tionsprotokolle gehören. Produkte kooperieren miteinander, um ein gemeinsames Ziel zu
erreichen (Rijsdijk et al. 2007). Die Kooperationsfähigkeit ist jene Eigenschaft, wodurch
die Produktintelligenz in einem Ökosystem exponentiell gesteigert werden kann. Durch
Smart Services ± Analyse von strategischen und operativen Auswirkungen 177
die Kooperationsfähigkeit gelingt der Austausch von Daten und Informationen, sodass
Produkte im Zusammenhang mit der Anpassungsfähigkeit auf deutlich größere Informa-
tionsmengen zurückgreifen können und auf diese Weise ein deutlich genaueres Abbild der
Umwelt erstellen können. Großen Mehrwert bietet die Kooperationsfähigkeit beispiels-
weise im Straßenverkehr. Durch die Inter-Car-Communication tauschen Fahrzeuge ge-
genseitig Informationen über Geschwindigkeiten und Fahrmanöver sowie Gefahrenstellen
und Straßenverhältnisse aus. Hinzu kommt die Kommunikation mit der gegebenen Infra-
struktur (z. B. Ampelsystem). So können beispielsweise Rot- und Grün-Phasen dem Fahr-
zeug und Fahrer mitgeteilt werden. Auf diese Weise können Verkehrssicherheit und -ef-
fizienz deutlich gesteigert werden und Technologien wie das autonome Fahren werden
dadurch erst möglich. Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit in einem Öko-
system stellt einen entscheidenden Aspekt für den Mehrwert smarter Produkte und Ser-
vices dar.
Menschenähnliche Interaktion
Durch die zunehmende Adaption und Verbreitung von vernetzten Objekten spielt auch die
Mensch-Maschine-Interaktion eine immer größere Rolle (Breazeal/Aryananda 2002). Ein
entscheidender Faktor dabei ist die Zuteilung menschlicher Attribute zu technischen Pro-
dukten, der so genannten Anthropomorphismus. Dabei ist nicht nur die Zuteilung von
menschlichen Erscheinungsformen wie Gesicht oder Köper gemeint, sondern insbeson-
dere menschenähnliches Gedächtnis oder Denke und Fühlen. So wurde gezeigt, dass Ma-
schinen vertrauenswürdiger und positiver von Nutzern wahrgenommen werden, je höher
der Grad an Anthropomorphismus ist (Waytz et al. 2014; Lankton et al. 2015; Lee et al.
2015). Smarte Objekte sind in der Lage gesprochene Sprache zu verstehen und zu verar-
beiten sowie eigene Sprache zu produzieren, was diese Produkte in die Lage versetzt in
menschenähnlicher Weise mit den Nutzern zu kommunizieren (Bradshaw 1997). De Graaf
und Allouch (2013) zeigen, dass soziale Roboter insbesondere dann akzeptiert werden,
wenn die Variablen der Nützlichkeit, Anpassbarkeit, Freude, Geselligkeit, Gemeinschaft
und wahrgenommene Verhaltenskontrolle gegeben waren. Erstaunlich ist, dass insbeson-
dere hedonistische Faktoren wie beispielsweise Gemeinschaft, die Akzeptanz von sozialen
Robotern steigern (De Graaf/Allouch 2013).
Multifunktionalität
Multifunktionalität beschreibt das Phänomen, dass Produkte durch die Ausstattung mit
Informationstechnologie heute häufig verschiedene Aufgaben erfüllen können (Rijs-
dijk/Hultink 2009). Smarte Produkte bieten neben ihren primären Funktionen auch weitere
Smart Services an. Ein Smartphone wird heute zu großen Teilen nicht mehr nur zum Te-
lefonieren und versenden von Textnachrichten genutzt. Die Multifunktionalität des Smart-
phones ermöglicht Tätigkeiten wie das Schreiben von E-Mails, die Teilnahme an sozialen
Medien, die Navigation in unterschiedlichen Verkehrsmitteln oder das Aufnehmen von
Fotos oder Videos. Ähnliches gilt für das Automobil, wo neben der Fahrfunktion E-Mails
178 Stefanie Paluch
und Textnachrichten verfasst werden können. Auch smarte Haushaltsgeräte sind teilweise
mit Multifunktionalität ausgestattet. So übernehmen beispielsweise Kühlschränke neben
der reinen Kühlfunktion auch die Aufgabe automatisch Lebensmittel zu bestellen, ohne
dass der Nutzer aktiv werden muss. Die Küchenmaschine Thermomix® kann neben mixen
rühren und kochen auch digitale Rezepte, die auf einem Rezepte-Chip gespeichert sind,
auslesen und die Kochanweisungen ausführen. Smarte Objekte in Kombination mit Smart
Services eröffnen Anwendern neue Möglichkeiten Produkte zu nutzen oder mit Ihnen zu
interagieren. So können beispielsweise auch Nicht-Köche durch die Nutzung einer intel-
ligenten Küchenmaschine ganze Menüs kochen.
Smarte
Objekte Big/Smart Data Smart Services
3. Key Learnings
Die disruptive Veränderung durch die zunehmende intelligente Vernetzung von Objekten
und Dienstleistungen, sowie die Nutzung von digitalen Plattformen fördert die Entstehung
von Smart Services. Der vorliegende Beitrag diskutiert strategische und operative Aus-
wirkungen von Smart Services, nachfolgend sind die Key Learnings zusammengefasst:
Die Digitalisierung lässt Grenzen zwischen smarten Objekten und Dienstleistungen ver-
wischen. Bei Smart Services, die häufig an ein intelligentes Objekt gekoppelt sind, steht
die Schaffung eines Mehrwertes für Kunden und Anbieter im Fokus.
180 Stefanie Paluch
Der Kunde rückt weiter in den Mittelpunkt und bekommt eine aktive Rolle bei der Erstel-
lung von Mehrwertdienstleistungen. Smart Services basieren auf tatsächlichen Nutzungs-
daten und werden dadurch an die Bedürfnisse und Anforderungen entsprechend angepasst.
Das Angebot von Smart Services hat weitreichende Implikationen für das Unternehmen
und erfordert eine Anpassung der strategischen Ausrichtung. Service- und datengetriebene
Geschäftsmodelle, z. %Ä0DscKLQHDVD6HUYLFH³RGHUÄ3RZHU-by-the-+RXU³lösen zuneh-
mend produktgetriebene Geschäftsmodelle ab.
Smart Services sind in ein digitales Ökosystem eingebettet, in dem Objekte über eine IT-
Infrastruktur miteinander vernetzt sind. Durch kontinuierliche Datensammlung und Ana-
lyse, können Smart Services generiert werden, die helfen Entscheidungen und Prozesse zu
optimieren.
Das Smart-Service-Ökosystem kann Akteure branchenübergreifen vernetzten, sodass die
klassische Branchenstruktur aufgelöst wird und Wettbewerber neu definiert werden.
Basierend auf smarten Daten, können personalisierte Services entstehen, die auf die Be-
dürfnisse des Kunden passgenau zugeschnitten sind und Innovationen hervorbringen.
Echtzeitdatenanalyse ermöglicht eine Optimierung von Prozessen und prädiktive Smart
Services.
Smart Services können Unternehmen auch vor neue Herausforderungen stellen. Insbeson-
dere durch die digitale Vernetzung steigt die Risikowahrnehmung bei den Kunden und das
Thema Datensicherheit gewinnt an Bedeutung (Paluch/Wünderlich 2016).
Die Schaffung einer sicheren digitalen Plattform ist eine Grundvoraussetzung für das An-
gebot an Smart Services. Die Automatisierung von Prozessen, bringt jedoch einen Kon-
trollverlust auf Seiten des Kunden mit sich und kann die Akzeptanz beeinflussen (Wünder-
lich et al. 2016).
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Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
1. Problemstellung
2. Sharing Economy
2.1 Grundlagen der Sharing Economy
2.2 Treiber der Sharing Economy
2.3 Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen
3. Coworking-Spaces
3.1 Coworking-Spaces als neue Organisationsform
3.2 Konfigurationen von Coworking-Spaces
3.3 Coworking und Coworker
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
___________________________
Andreas J. Reuschl, M. Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für
Strategisches Management und Organisation an der Universität Bayreuth. Prof. Dr.
Ricarda B. Bouncken ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategisches Management und
Organisation an der Universität Bayreuth.
Ziel dieses Beitrages ist es, das noch sehr junge Feld der Coworking-Spaces als Dienst-
leistungsunternehmen mit verschiedenen Typen vorzustellen und vor dem Hintergrund der
Sharing Economy zu verorten. Dies führt zum Erarbeiten und Aufzeigen von Spannungs-
feldern und Entwicklungspotenzialen. Nachfolgend werden zunächst die Grundlagen der
Sharing Economy, deren Treiber und Risiken diskutiert. Anschließend werden Cowor-
king-Spaces, deren mögliche Ausprägungen und deren Bedeutung in der Sharing Eco-
nomy vorgestellt. Im dritten Teil dieses Beitrages wird schließlich dargestellt, in welchen
Spannungsfeldern sich die Teilnehmer der Sharing Economy bewegen und welches Ent-
wicklungspotenzial Coworking-Spaces haben.
2. Sharing Economy
tionsanlagen von etablierten Unternehmen und damit vorhandene und gegebenenfalls un-
genutzte Produktionskapazitäten könnten zu einem Teil der (professionellen) Sharing
Economy werden, da sie im Rahmen der Entwicklung hin zur Industrie 4.0 sukzessive in
das Internet eingebunden werden (Lee et al. 2015). Große Computerhersteller wie Apple
und Dell versuchen bereits, anstelle eigener Produktionskapazitäten die Produktionskapa-
zitäten von Foxconn zu nutzen (Chan et al. 2013).
Eng damit verbunden sind Crowdsourcing Vorhaben, bei der sich eine Gruppe von Men-
schen über das Internet vernetzt und ein gemeinsames Vorhaben durch die Verbindung
der individuellen Ressourcen realisiert (Estellés-Arolas/González-Ladrón-de-Guevara
2012). Hierzu zählen Crowdfunding Vorhaben, bei denen Privatpersonen ihre finanziellen
Ressourcen verbinden, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen oder ein Projekt zu verwirk-
lichen (Belleflamme et al. 2014). Crowdsourcing kann sich jedoch auch auf die Verbin-
dung von individuellen geistigen Kapazitäten erstrecken, beispielsweise durch Ideenwett-
bewerbe (Poetz/Schreier 2012).
Die Sharing Economy besetzt dabei längst keine Nische mehr. Es gibt bereits etablierte
Modelle zum Teilen von Unterhaltungsmedien, Mobilität, Wohnraum und Versuche, wei-
tere Produkte und Dienstleistung wie Computer, Internetverbindungen, Kinderbetreuung
und sogar Nahrung zu teilen (Bardhi/Eckhardt 2012; Cohen/Kietzmann 2014; Zervas et
al. 2015; Hartl et al. 2016). Lamberton und Rose (2012) gehen davon aus, dass die Sharing
Economy bereits 2010 einen Gesamtwert von über 100 Mrd. USD überschritten hat und
weiter wachsen wird. Für eine mögliche weitere Differenzierung von Aktivitäten hinsicht-
lich eines teilenden (ÄSharing³), über soziale Medien vermittelnden (ÄSocial Commerce³)
oder gemeinschaftlich verwertenden (ÄCollaborative Consumption³) Charakters
(Wang/Zhang 2012; Belk 2014; Hartl et al. 2016) wird an dieser Stelle auf die entspre-
chende Literatur verwiesen (Cheng 2016).
Technologie
Um Produkte oder Dienstleistungen in die Sharing Economy zu integrieren muss deren
Nutzung über das Internet steuerbar sein (Belk 2014). Die Entwicklung des Internet 2.0
und die zunehmende Digitalisierung hat wesentlich dazu beigetragen, dass Individuen auf
Internetplattformen eigene Inhalte zur Verfügung stellen und tauschen können und letzt-
lich Technologien zur Steuerung der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen mög-
lich wurden (Hamari et al. 2015). Die zunehmend rasante Ausbreitung des Internets
190 Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
Gesellschaftlich Ökonomisch
Technologisch
wird dadurch zum primären Treiber des Internets. Albors et al. (2008) stellen beispiels-
weise dar, wie sich die Entwicklung des Internets auf die mögliche Nutzungsvielfalt aus-
gewirkt hat, von den Anfängen bis hin zu den ersten Ansätzen der Entwicklung künstlicher
Intelligenz. Das Internet ist mittlerweile fast überall, zu fast jeder Zeit, auf fast allen Ge-
räten verfügbar. Unternehmen der Sharing Economy arbeiten daran die Verfügbarkeit des
Internet noch weiter zu steigern. So bietet das Unternehmen Fon (www.fon.com) bei-
spielsweise ein Netzwerk in dem die Mitglieder sich gegenseitig Zugang zu den eigenen
WLAN-Netzwerken gewähren. Die jüngste Entwicklung hin zur Industrie 4.0 wird die
Ausdehnung noch zusätzlich beschleunigen, da sogar Produktionsstätten und deren Kapa-
zitäten in die Sharing Economy eingegliedert werden können (Lee et al. 2015). Darüber
hinaus ist anzunehmen, dass das Internet auch etablierte Unternehmen nachhaltig verän-
dern wird. So können der vereinfachte Informationsaustausch, die verbesserte Ressour-
censteuerung, die Koordination von Prozessen oder reduzierte Transaktionskosten im All-
gemeinen zu einer Auflösung organisationaler Grenzen führen (Afuah 2003). Sharing-
Initiativen sind allerdings kein Ergebnis der Digitalisierung. Bereits im Jahre 1963 wurde
das Unternehmen Hapimag (www.hapimag.com) gegründet. Hier schließen sich Privat-
leute zusammen, um gemeinsam Ferienwohnungen oder Nutzungsrechte an diesen zu er-
stehen und diese bei Bedarf zu nutzen. Die gemeinsame Nutzung von Immobilien ist je-
doch relativ einfach, da sie langfristig planbar ist. Die gemeinsame Nutzung von
Fahrzeugen, deren Standort sich verändert und die auch kurzfristig ungeplant benötigt
werden, ist ungleich schwieriger und wird erst durch deren internetbasierte Steuerung
möglich. Erst die Verfügbarkeit von Applikationen auf Smartphones, die eine Echtzeit-
Kommunikation und den permanenten Datenaustausch ermöglichen, lassen selbst die In-
tegration von Mobilität, Kleidung, Dienstleistungen und sogar Nahrungsmitteln in die
Sharing Economy zu (Belk 2014).
Coworking-Spaces als neue Organisationsform in der Sharing Economy 191
Ökonomie
Die bloße Verfügbarkeit einer Technologie reicht jedoch nicht aus, um deren Durchset-
zung auf einem Markt zu erklären. Belk (2014) geht davon aus, dass Konsumenten durch
die Finanzkrise eine erhöhte Preissensibilität entwickelt haben und verstärkt darauf ach-
ten, wo der Erwerb von Eigentum notwendig ist. Insbesondere die aufkommenden Car-
Sharing-Konzepte verdeutlichen dies. Die Haltung von Fahrzeugen ist mit kontinuierli-
chen Kosten für unter anderem Versicherung, Wartung, Parkplätze und Reparaturen ver-
bunden. Fahrzeuge werden jedoch nicht durchgehend genutzt und könnten in den Stand-
zeiten gegen ein Entgelt an andere Personen verliehen werden. Diese Optimierung der
Kapazitätsauslastung und die damit verbundenen ökonomischen Vorteile ermöglichen
sich Car-Sharing-Anbieter (Cohen/Kietzmann 2014). Gleiches gilt für ungenutzten Wohn-
raum, der mit anderen geteilt werden kann (Oskam/Boswijk 2016) und sogar Nahrung
kann in Netzwerken zum Tausch angeboten werden, wenn sie selbst nicht mehr verzehrt
wird.
Gesellschaft
Die ökonomischen und technologischen Treiber tragen jedoch auch zu einer gesellschaft-
lichen Veränderung bei. So zeigen Studien, dass sich das Konsumverhalten insgesamt ver-
ändert hat und sich eine Form von bewusstem, nachhaltigem und umweltverträglichem
Konsum entwickelt (Albinsson/Yasanthi Perera 2012). Darüber hinaus ist das Teilen von
Produkten, Dienstleistungen oder Ressourcen im Allgemeinen nicht nur der Versuch, die
eigene ökonomische Situation (Hamari et al. 2015) oder die Umweltbedingungen
(Cohen/Kietzmann 2014) zu verbessern. Teilen wird viel mehr zu einem Ausdruck eines
neuen Lebensstils, bei dem sich Individuen nicht über ihr Eigentum, sondern über Mög-
lichkeiten zur Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen definieren (Bardhi/Eckhardt
2012; Belk 2014). Bray et al. (2011) beschäftigten sich in einer qualitativen Studie mit der
Frage, warum nachhaltiger und bewusster ± und damit ethischer Konsum zunehmend ge-
wünscht aber nicht umgesetzt wird. Die Ergebnisse der Autoren zeigen, dass eine Reihe
von Einflussfaktoren entscheiden, ob das Vorhaben zu ethischem Konsum auch tatsäch-
lich bei der Kaufentscheidung umgesetzt wird. Die Autoren gehen davon aus, dass unter
anderem der Preis, der notwendige Aufwand, die Verfügbarkeit von Informationen und
die mögliche positive Erfahrung darüber entscheiden, ob eine ethische Kaufentscheidung
getroffen wird oder nicht. Die Möglichkeiten der Sharing Economy haben einen positiven
Impuls auf die Fähigkeit zu ethischem Handeln, da die Informationsverfügbarkeit steigt,
die Preise durch das Teilen fallen, die Transaktion durch Applikationen stark vereinfacht
werden und das Teilen durch die Gemeinschaft eine positive Erfahrung wird. Insgesamt
könnte durch die Sharing Economy ein Umdenken eingeleitet werden, das ein Bedürfnis
nach Eigentum durch das Bedürfnis nach Nutzungsmöglichkeiten und -rechten ersetzt
(Belk 2014).
192 Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
Die Sharing Economy befindet sich noch im Wachstum und integriert sukzessive weitere
Dienstleistungsbereiche (Moehlmann 2015). Der Anbieter Taskrabbit (http://task-
rabbit.com) bietet beispielsweise bereits jetzt eine Plattform an, auf der jegliche Art von
Dienstleistung angeboten werden kann. Dabei entsteht eine gefährliche Situation. Anbie-
ter wie Uber, Airbnb oder Taskrabbit treten auf dem Markt als bloße Vermittler zwischen
Angebot und Nachfrage auf, sie entziehen sich damit einer direkten Verantwortung für die
rechtlich selbstständigen Anbieter, profitieren jedoch von deren Leistung, indem teilweise
strenge Regularien zu Ausführung und Bezahlung der Leistung bestehen (Prassl/Risak
2016). Es gibt im Gegenzug jedoch keine Schutzmechanismen wie feste Arbeitszeiten,
Urlaubsanspruch oder Qualitätssicherungsmechanismen ± abgesehen von den Bewertun-
gen anderer Mitglieder im jeweiligen Netzwerk. Bislang fehlen auch staatliche Mechanis-
men für den Fall, dass ein gesamtes System wie Uber oder Airbnb ausfällt
(Cohen/Kietzmann 2014) und damit unzählige (Zusatz-)Einkommen verschwinden.
Die Sharing Economy bedarf daher letztlich nicht nur der Entwicklung neuer oder besserer
Informations- und Kommunikationstechnologien (Cohen/Sundararajan 2015), der Unter-
suchung von Geschäftsmodellen (Cohen/Kietzmann 2014) oder der Regulierung von Ei-
gentum (Hartl et al. 2016). Eine nachhaltige Entwicklung darf die Individuen bzw. die
auch ökonomisch-sozial agierenden Selbstständigen oder Privatpersonen nicht vernach-
lässigen, deren Leistungen das Fundament der Sharing Economy bilden. Diese Individuen
profitieren nicht nur von neuen Einkommensquellen, sondern leiden auch unter ungere-
gelten Einnahmequellen bzw. Arbeitszeiten und einem Mangel an sozialer Sicherheit
(Schor/Fitzmaurice 2015). Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Sharing Economy in
erster Linie für die gehobene Mittelschicht vorteilhaft ist, die in einem attraktiven urbanen
Kontext lebt, über ausreichend Bildung zum Umgang mit Informations- und Kommuni-
kationstechnologien oder über das entsprechende Eigentum zur Integration in die Sharing
Economy verfügt (Cheng 2014; 2016).
Martin (2016) zeigt, dass die Sharing Economy das Potenzial hat, zu einer innovativen
und nachhaltigen Gesellschaft beizutragen, die Sharing Economy gegenwärtig jedoch in
erster Linie als neues Geschäftsmodell für mehr kommerziellen Erfolg von Unternehmen
genutzt wird. Bereits heute werden zahlreiche Aufgaben und Aufträge aus Unternehmen
ausgegliedert und an Freelancer, Solo-Selbstständige oder Mikrounternehmen vergeben.
Dieser Trend wird mit der wachsenden Sharing Economy zunehmen und dazu führen, dass
nicht nur neue Unternehmen wie Airbnb, Uber oder Taskrabbit nur noch als Vermittler
von Angebot und Nachfrage auftreten. Auch klassische etablierte Unternehmen können
die Vorteile dieser Entwicklung aufgreifen und eigene Organisationsstrukturen neugestal-
ten.
Das idealisierte Bild der Sharing Economy umfasst nachhaltigen Konsum, die Bildung
von kreativen Communities und ein System von dem alle Teilnehmer profitieren. Es be-
darf der Erforschung neuer Möglichkeiten, um dies in der Realität zu implementieren.
Zudem gilt es zu klären, welche Vorteile der Sharing Economy und der zunehmenden
Digitalisierung auch klassischen Unternehmen zugänglich gemacht werden können und
194 Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
wie dies umgesetzt werden kann. Evolutionär aus der Praxis heraus und bislang kaum von
der Wissenschaft betrachtet haben sich Coworking-Spaces als neue Organisationsform für
Teilnehmer der Sharing Economy gebildet, die als Selbstständige neben digitaler Vernet-
zung nach realer Gemeinschaft und Strukturen suchen. Nachfolgend werden die theoreti-
schen Grundlagen zu Coworking-Spaces sowie deren Bedeutung in der Sharing Economy
und für digitale Dienstleistungen dargestellt.
3. Coworking-Spaces
(Garrett et al. 2014). Dieser soziale Interaktionsraum wird oft durch Cafés, Bars oder
durch Lounges erzeugt. Coworking-Spaces bieten ihren Nutzern eine Reihe von Vorteilen
(Spinuzzi 2012; Gandini 2015; Bouncken 2016; Bouncken/Reuschl 2016a; 2016b):
Verwaltung: Die Nutzer von Coworking-Spaces müssen keine Verwaltungsaufgaben
übernehmen. Die Organisation der Reinigung, Wartung und auch des Caterings wird
durch den Betreiber des Coworking-Spaces übernommen.
Infrastruktur: Die gesamte notwendige Infrastruktur wie Räume, Internet, Drucker,
Telefon, Fax wird durch den Betreiber gestellt. In Abhängigkeit der Spezialisierung
des Coworking-Spaces ist auch vorstellbar, dass spezialisierte Infrastruktur wie 3D-
Drucker zur Erstellung von Produkt-Prototypen oder Unterstützung bei der Erstellung
von Webseiten angeboten wird.
Vernetzung: Der soziale Interaktionsraum in Coworking-Spaces dient der Vernetzung
zwischen den Mitgliedern eines Coworking-Spaces. Spezielle Veranstaltungen des
Betreibers (Events für soziale Vernetzung, Vorstellungsrunden, Partys, Freizeitver-
anstaltungen) können dabei helfen, schnell Zugang zu sozialen Kontakten zu erhalten.
Die Vernetzung kann soweit führen, dass eine Gemeinschaft mit gemeinsamen Nor-
men und Werten entsteht.
Wissen: Die Mitglieder von Coworking-Spaces können schnellen Zugriff auf das Ex-
pertenwissen von anderen Mitgliedern erhalten. Hierzu könnten klassische Geschäfts-
beziehungen aufgebaut, der Austausch von Fachwissen vereinbart oder einfach ge-
genseitige Unterstützung geleistet werden.
Struktur: Coworking-Spaces bieten den Nutzern Struktur durch feste Öffnungszeiten,
die daraus abgeleiteten Kernarbeitszeiten und gegebenenfalls durch den Austausch
mit anderen Nutzern.
Insbesondere im Kontext der Sharing Economy hat die strukturgebende Komponente von
Coworking-Spaces eine große Bedeutung. Coworking-Spaces stellen damit mehr dar als
nur Cafés mit offenem WLAN-Netzwerk oder Gemeinschaftsbüros. Sie bilden eine Meta-
Organisation, welche die Vorteile von autonomer, selbstständiger Arbeit mit den Vorteilen
einer traditionellen Organisation verbindet. In Coworking-Spaces können die Nutzer al-
leine oder gemeinschaftlich ihren Projekten nachgehen, von der organisationalen Infra-
struktur und von den Kontakten zu anderen Nutzern profitieren.
und eines Inkubators übernehmen oder die stabile Verbindung zu diesen Institutionen her-
stellen. Damit könnte der Coworking-Space ein vollständiges System zur Gründung und
zur Wachstumsbeschleunigung von Start-ups bieten.
Insbesondere in der vierten Ebene der Geschäftsmodell-Förderung können sich die
Grundsätze der Sharing Economy vollständig entfalten. Erreicht der Coworking-Space
und die zugehörige Community beispielsweise die entsprechende kritische Größe, kann
ein Innovation-Ecosystem aufgebaut werden, in dem eine (teilweise) geschlossene Sha-
ring Economy aufgebaut wird. Die Mitglieder dieses Ökosystems erwerben durch ihre
Mitgliedschaft kein Eigentum, sondern Nutzungsrechte. Für eine weiterführende Diskus-
sion von Geschäftsmodellen sei an dieser Stelle auf die einschlägige Literatur verwiesen
(Amit/Zott 2001; 2015; Zott et al. 2011).
können mit Rollen korrespondieren. Auf Basis der Rollentypologie von Bilandzic und
Foth (2013) teilen Bouncken und Reuschl (2016b) die Nutzer von Coworking-Spaces in
GLH.DWHJRULHQÄ8WLOL]HU³Ä/HDUQHU³XQGÄ6RFLDOL]HU³HLQ
Utilizer: Die erste Kategorie nutzt Coworking-Spacs in erster Linie wegen der vor-
handenen Infrastruktur. Gerade für Freelancer oder Solo-Selbstständige ist der Zu-
gang zu professioneller Infrastruktur mit großen Kosten verbunden. Coworking-
Spaces bieten die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz anzumieten, bei Bedarf auch reprä-
sentative Büroräume befristet zu nutzen und Zugang zu spezialisierter Hardware wie
z. B. 3D-Druckern zu erhalten.
Learner: Die zweite Kategorie nutzt Coworking-Spaces wegen der vorhandenen Wis-
sensbasis und der Möglichkeit, neues Wissen von anderen Nutzern oder in Work-
shops, Schulungen oder Trainings aufzunehmen. So können die Anbieter oder Nutzer
von Coworking-Spaces verschiedene Formate für Wissenstransfer zwischen einzel-
nen Nutzern oder im Plenum organisieren.
Socializer: Die dritte Kategorie setzt auf Coworking-Spaces, um die Möglichkeiten
zur Sozialisierung zu verbessern. So bietet insbesondere der soziale Interaktionsraum
in Coworking-Spaces die Möglichkeit, mit anderen zu interagieren, die in einer ähn-
lichen Situation sind, ein ähnliches Lebensmodell oder andere Gemeinsamkeiten ha-
ben. So können Ratschläge und Feedback ausgetauscht und eigene Vorstellungen be-
stätigt werden.
Aus den Interaktionen der Nutzer eines Coworking-Spaces, deren Zielen und deren Ver-
haltensweisen kann letztlich eine Gemeinschaft entstehen, die über bloße berufliche Ko-
operation hinausgeht und sogar eine eigene lokal-spezifische Coworking-Kultur entwi-
ckeln kann (Garrett et al. 2014). Inwieweit sich eine Kultur ausbildet, hängt jedoch auch
vom Betreiber des Coworking-Spaces und dessen Geschäftsmodell ab.
gewährleisten (Spinuzzi 2012). Weiterhin muss untersucht werden, wie die unterschiedli-
chen Nutzer von Coworking-Spaces zu einer Coworking-Community verbunden werden
können und welchen Einfluss dies auf die Arbeit hat (Garrett et al. 2014). Neben der Er-
forschung der alltäglichen Arbeits- und Gemeinschaftsroutinen müssen auch die Strate-
gien der Betreiber und Nutzer von Coworking-Spaces untersucht werden, um einen lang-
fristigen Erfolg zu ermöglichen (Bouncken/Reuschl 2016a).
Um Coworking-Spaces im Rahmen der Sharing Economy und der zunehmend digitali-
sierten Arbeitswelt effektiv nutzen zu können, gilt es diesen Forschungsbedarf aufzugrei-
fen und ein tiefergehendes Verständnis für Arbeit in Coworking-Spaces zu erzeugen. Hier-
für eignet sich die Systematisierung in Arbeit, Gemeinschaft und Strategie. Eine feinere
Untergliederung erfolgt anhand von ausgewählten Spannungsfeldern, in denen die Nutzer
von Coworking-Spaces eine eigene Position finden müssen. Für diese Systematisierung
stellen wir in diesem Beitrag jeweils drei Spannungsfelder zu den in Abbildung 2 darge-
stellten Untersuchungsbereichen auf.
Arbeit bezieht sich auf alle Bereiche der routinierten täglichen und professionellen Inter-
aktion. Coworking-Spaces eröffnen Selbstständigen aber auch abhängig Beschäftigten,
die im Home-Office oder in ähnlichen Verhältnissen arbeiten, das Aufbrechen von sozia-
ler Isolation. Die neuen Möglichkeiten der Arbeit in einem Coworking-Space gehen je-
doch auch mit einer Reihe von Herausforderungen einher.
Autonomie & Flexibilität vs. Struktur & Absicherung: Coworking-Spaces bieten eine
hohe Flexibilität und Autonomie in der Nutzung der Infrastruktur. Nutzer können be-
liebig arbeiten, interagieren und kommunizieren. Diese Autonomie und Freiheit kann
besonders dem eigenen Hedonismus und der Kreativität dienen und damit im Idealfall
ermöglichen, dass die Nutzer unter hoher Zufriedenheit ihr Geschäftsmodell koope-
rativ vorantreiben. Allerdings kann die Strukturlosigkeit auch dazu führen, dass die
Trennung zwischen Arbeit und Freizeit aufweicht, die Nutzer überlastet sind und hohe
Burn-out Risiken entstehen. Die Freiheit kann dazu führen, dass Arbeitsinhalte und -
prozesse unklar, unsicher und unstrukturiert sind.
Kommunikation vs. Operative Arbeit: Coworking-Spaces kombinieren einen Arbeits-
und Kommunikationsraum. Kommunikationsprozesse sind elementar für den Infor-
mationstransfer, das Vermitteln von Kontakten, aber auch zum Lernen und zur posi-
tiven sozialen Interaktion (Bouncken 2016). Sie können damit auf verschiedensten
Ebenen die allgemeine Zufriedenheit, Arbeitszufriedenheit sowie operative und inno-
vative Arbeitsleistung positiv beeinflussen. Allerdings können Kommunikationspro-
zesse von der Arbeit ablenken. Die Eingebundenheit und das Wohlfühlen können von
den ökonomischen Zwängen ablenken und erhöhen die Gefahr, dass die Nutzer in
eine ökonomische Abwärtsspirale geraten.
Kooperation & Vertrauen vs. Konkurrenz & Absicherung: Coworking-Spaces ermög-
lichen eine schnelle Kontaktanbahnung und Kooperation. Die Nutzer können sehr
lose kooperieren (Wissenstransfer und Vernetzung), temporäre Teams und Projekte
200 Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
Gemeinschaft Strategie
Spannungsfelder
in Coworking-
Spaces
Arbeit
Es ist davon auszugehen, dass sich in Coworking-Spaces eine Gemeinschaft bildet. Die
Form, Stärke und die Zusammensetzung dieser Gemeinschaft kann ebenfalls die Arbeit in
Coworking-Spaces beeinflussen. Wenn ein Coworking-Space beispielsweise homogene
Nutzer aus einer Branche beinhaltet, bietet dies Vorteile für eine einfache fachliche Ver-
ständigung, gleichzeitig beinhaltet es jedoch Nachteile für die Erschließung von neuem
Wissen und die Bildung branchenübergreifender Netzwerke.
Kopräsenz vs. Virtualität: Ein charakteristisches Element von Coworking-Spaces ist
die Möglichkeit der direkten Interaktion im Coworking-Space. Die direkte Interaktion
erlaubt einen reichhaltigen Fluss von Wissen inklusive implizitem Wissen sowie die
direkte Aktion und Reaktion auf Ideen. Die direkte persönliche Kommunikation
zeichnet sich durch Schnelligkeit aus. Die direkte Interaktion und Nähe kann aber
Coworking-Spaces als neue Organisationsform in der Sharing Economy 201
(Ä6ocializer³) oder auch nach Wissen (Ä/earner³) suchen. In Abhängigkeit der Ausprä-
gungen der individuellen Ziele ergeben sich drei weitere Spannungsfelder:
Operatives Überleben vs. Entrepreneurship: Eine grundsätzliche Unterscheidung der
Nutzer von Coworking-Spaces kann auf deren Entscheidung zum Schritt in die
Selbstständigkeit und der damit primären Nutzungsintention von Coworking-Spaces
beruhen (Gandini 2015). So ist denkbar, dass für einige mit dem Schritt in die Selbst-
ständigkeit ein Wunsch in Erfüllung geht, während andere diesen Schritt wegen des
ökonomischen Überlebens wagen. In der Forschung wird zwischen Necessity (aus der
Notwendigkeit heraus) und Opportunity (um Chancen wahrzunehmen) Entrepreneu-
rship unterschieden (Block/Sandner 2009; Bouncken et al. 2016c).
Kreativität & Innovation vs. Wachstum & Nachhaltigkeit: Coworking-Spaces werden
zurzeit meist von Kreativen und IT-Fachkräften genutzt. Sie haben ein hohes Kreati-
onspotenzial, das durch eine enge Vernetzung untereinander sowie durch Coaching,
Gründungsförderung, Training, Netzwerke und Kontakte zu externen Unternehmen
gestärkt wird (Bouncken 2016). Gerade durch letzteres können Coworking-Spaces
Gründungsabsichten befördern und erleichtern und die so genannte Ä(ntrepreneurial
Efficacy³ stärken ± die Selbstwirksamkeit des Gründungserfolges (McGee et al.
2009). Allerdings ist nicht klar, ob Kreativität und Innovation auch längerfristig über-
lebensfähig sind (Bouncken 2016). Coworking-Spaces können so zu einer Keimzelle
für Unternehmensgründungen werden oder sogar ein Filter für die Nutzer von Cowor-
king-Spaces, die nachhaltige Geschäftsmodelle mit Wachstum nicht schaffen oder
nicht wollen. Denkbar ist, dass Coaching, Gründungsförderung, Trainingsangebote
und Kontakte zu Externen einen wesentlichen Einfluss auf die Viabilität der Ge-
schäftsmodelle der Nutzer ausüben. Einen sehr wesentlichen Beitrag kann es auch
haben, ob ein Coworking-Space an eine Universität, ein Technologiezentrum, einen
Inkubator oder ein Kulturzentrum angeschlossen ist (Bouncken 2016).
Exploration vs. Exploitation: Neben dem Raum für die alltägliche Arbeit bieten
Coworking-Spaces einen Nährboden für Inspiration, Kommunikation und Wissens-
transfer, den Coworker zur Entwicklung von neuen Einsichten, kreativen Ideen und
auch Inventionen allein und im Team nutzen können (Bouncken 2016; Bouncken/
Reuschl 2016a). In der betriebswirtschaftlichen Forschung wird intensiv das Span-
nungsfeld von Exploration (Erkundung von Neuem) und Exploitation (Ausnutzung
von Bestehendem) untersucht (Stettner/Lavie 2014; Volery et al. 2015; Bouncken et
al. 2016b). Coworking-Spaces können die Strukturen bieten, um das Gleichgewicht
zwischen Exploration und Exploitation zu erreichen. Denkbar ist, dass Coworking-
Spaces sich auf die Exploration konzentrieren und dann zu Ideen- oder Technologie-
lieferanten werden und z. B. in bezahlten Open Innovation-Projekten etablierter Un-
ternehmen mitarbeiten.
Coworking-Spaces als neue Organisationsform in der Sharing Economy 203
Coworking-Space-
Ökosystem
Kunden Wettbewerber
Abbildung 3: Coworking-Space-Ökosystem
weiterentwickelt werden (Fuzi 2015). Dies korrespondiert eng mit der Nutzung von
Coworking-Spaces zur Entwicklung von Entrepreneurial Universities (Bouncken 2016).
Jüngst wurden immer mehr Coworking-Spaces in Forschungslandschaften an- und einge-
gliedert (Universitäten, F&E-Standorte von Unternehmen, Forschungsinstitute, Gründer-
zentren) und wollen deren Infrastruktur, Technologieentwicklungen, Vermarktungsmög-
lichkeiten, Qualifizierung und vielfältige Kontakte integrieren (Bouncken 2016).
Auch die Wettbewerber und Kunden von bestehenden Unternehmen sowie von Freelan-
cern, Solo-Selbstständigen, Mikrounternehmen und von den Coworking-Spaces können
Zugang zu diesen Coworking-Space-Ökosystemen erhalten. In diesem Zusammenhang
gewinnt insbesondere die Unterscheidung entlang des Betreibers (Privat, Öffentlich, Un-
ternehmen) und der Geschäftsmodellkonfigurationen an Bedeutung. So eignet sich eine
Universität beispielsweise besser als Betreiber eines Coworking-Space-Ökosystems als
ein Unternehmen, da keine konkurrierenden wirtschaftlichen Ziele potenzielle Nutzer ab-
schrecken oder die ablaufenden Kooperationsprozesse der Nutzer stören. Bereits heute
gibt es erste Praxisbeispiele für die Entstehung universitätsgeleiteter Coworking-Spaces
an der Technischen Universität München. Hier wird Coworking-Space mit zusätzlicher
Beratung für Unternehmensgründung, Kontakten zu Kapitalgebern und sogar der Mög-
lichkeit zur Herstellung von Produkt-Prototypen angeboten (Bouncken 2016). Dies ent-
spricht dem aktuellen Zeitgeist der Sharing Economy und eröffnet weitere Potenziale für
Beschäftigung, Innovation, Entrepreneurship und neue Geschäftsmodelle von Individuen,
Gründern, Mikrounternehmen und etablierten Unternehmen. Coworking-Spaces begrün-
den damit eine neue Plattform, ein Coworking-Space-(Innovation)-Ökosystem, das die
Verbindung von zwei Welten zulässt: Zum einen die Digitalisierung und Sharing Eco-
nomy und zum anderen die direkten sozialen Kontakte, die so wichtig für Innovationspro-
zesse sind.
Coworking-Spaces als neue Organisationsform in der Sharing Economy 205
5. Schlussbetrachtung
Coworking-Spaces stellen ein junges Phänomen der Wirtschaft dar, das bislang kaum Be-
achtung in der Forschung erhält. Getrieben durch die Digitalisierung, die aufkommende
Sharing Economy und den damit einhergehenden Wertewandel gewinnt das Konzept der
Coworking-Spaces jedoch rasant an wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Relevanz. In
diesem Beitrag wurde gezeigt, wie die Entwicklung von Coworking-Spaces als Dienst-
leistungsunternehmen nicht nur durch die Chancen, sondern vor allem auch durch die Ri-
siken der Sharing Economy gestärkt wird. So verlieren die Teilnehmer der Sharing Eco-
nomy nicht nur die offensichtlichen Sicherheiten, die eine abhängige Beschäftigung bietet,
sondern darüber hinaus verlieren sie Zugang zu den professionellen und sozialen Struktu-
ren einer Organisation. Coworking-Spaces leisten hier eine Hilfestellung. Mit verschiede-
nen Betreiber- und Geschäftsmodellkonfigurationen können sie als strukturgebendes Ele-
ment oder sogar als allgemein zugängliche Organisation in der Sharing Economy
Dienstleistungen bieten.
Es besteht jedoch dringender Forschungsbedarf zu den Nutzern und Betreibern von
Coworking-Spaces als Dienstleistungsunternehmen. In diesem Beitrag wurden neun
Spannungsfelder aus den Bereichen Arbeit, Strategie und Gemeinschaft dargestellt, um
den Forschungsbedarf weiter zu strukturieren. Ebenso wurden bereits erste Möglichkeiten
zur Analyse und Gestaltung der Betreibermodelle gegeben. Es gilt diese Forschungsfelder
empirisch und auch konzeptionell weiterzuentwickeln, um mit der Entwicklung der Sha-
ring Economy Schritt zu halten und den Weg in die Digitalisierung aktiv mit gestalten zu
können. Hierzu ist es vor allem notwendig, Gestaltungsmöglichkeiten für die Vernetzung
von Coworking-Spaces und deren Nutzern mit anderen Akteuren wie etablierten Unter-
nehmen, Inkubatoren und Investoren hin zu Coworking-Space-Ökosystemen zu untersu-
chen.
Coworking-Spaces haben nicht nur das Potenzial als Metaorganisationen professionelle
und soziale Infrastruktur für eine wachsende Zahl an Selbstständigen anzubieten oder die
Akteure der Sharing Economy zu vernetzen. Coworking-Spaces können darüber hinaus
die zunehmende Digitalisierung als komplementäre und reale Struktur begleiten, um letzt-
lich bei der Verwirklichung der Vorteile der Digitalisierung auch die menschlichen Be-
dürfnisse nach Gemeinschaft und Struktur nicht zu verlieren.
206 Andreas J. Reuschl und Ricarda B. Bouncken
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Ellen Weber
1. Einleitung
4. Methodisch-konzeptionelle Fundierung
4.1 Entwicklung eines methodisch-konzeptionellen Bezugsrahmens zur
Persönlichkeitsanalyse auf Basis des Similarity-Attraction-Effekts
4.2 Entwicklung eines methodisch-konzeptionellen Bezugsrahmens zur
Emotionsanalyse auf Basis des Emotional-Contagion-Konzepts
4.3 Zusammenfassende Beurteilung
Literaturverzeichnis
Kerngedanke des vorliegenden Beitrags ist, dass der Kunde durch Einsatz solcher Tech-
nologien einem Mitarbeitenden zugeordnet werden kann, dessen Persönlichkeit mit der
des Kunden weitestgehend übereinstimmt, um dadurch eine positive Kunden-Mitarbeiter-
Interaktion zu erreichen. Darüber hinaus wird der konzeptionelle Ansatz erarbeitet, den
aktuellen Gefühlszustand des Kunden mittels intelligenter Sprachanalysetechnologien zu
identifizieren und darauf aufbauend durch einen Mitarbeitenden positiv zu beeinflussen,
damit ein Kunde die Interaktionsbeziehung als positiv bewertet.
Eine Untersuchung gelungener sozialer Interaktionen auf Basis ähnlicher Persönlichkeits-
eigenschaften sowie Emotionen zwischen dem Kunden und dem Mitarbeitenden mittels
quantitativer, automatisierter Sprachanalysetechnologien wurde im Rahmen der Dienst-
leistungsforschung, insbesondere zur Analyse von Kunden-Mitarbeiter-Inter-aktionen in
Echtzeit, bislang nur in sehr begrenztem Umfang vorgenommen (Hasegawa et al. 2013).
Daher kann der Einsatz der Sprachanalyse zu neuartigen Erkenntnissen beitragen. Aus
diesen Erkenntnissen lassen sich für Dienstleistungsunternehmen wertvolle Handlungs-
empfehlungen ableiten. Die Thematik ist daher sowohl praktisch als auch wissenschaftlich
als bedeutsam anzusehen.
Das Ziel des Beitrags besteht darin, das Einsatzpotenzial der quantitativen, automatisierten
Sprachanalyse im Servicekontext als eine Dienstleistung 4.0 konzeptionell sowie theore-
tisch fundiert zu untersuchen und kritisch zu überprüfen. Dabei wird der Frage nachge-
gangen, inwiefern die Sprachanalyse als ein wirkungsvolles Instrument zur Förderung ei-
ner positiven Kunden-Mitarbeiter-Interaktion anzusehen ist.
Zu Beginn des Beitrags erfolgt eine Darstellung und Eingrenzung der zentralen Begriff-
lichkeiten des Untersuchungsgegenstandes. Darauf aufbauend werden theoretisch-kon-
zeptionelle Grundlagen zu den im vorliegenden Beitrag akzentuierten Faktoren der Simi-
larität von Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen in Kunden-Mitarbeiter-
Interaktionen vor dem Hintergrund des Einsatzes intelligenter Sprachanalysetechnologien
diskutiert. Es folgt die Darstellung intelligenter Sprachanalyseinstrumente, mit denen Per-
sönlichkeitseigenschaften und Emotionen identifiziert und analysiert werden können. Un-
ter Rückgriff auf den Similarity-Attraction-Effekt und das Emotional-Contagion-Konzept
sowie den aktuellen Forschungsstand, wird anschließend jeweils ein methodisch-konzep-
tioneller Bezugsrahmen entwickelt. Des Weiteren werden Implikationen für die Praxis aus
den gewonnenen Erkenntnissen abgeleitet und weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt.
Die Idee, eine Person sowohl anhand ihrer Wortwahl als auch an ihren Stimmeigenschaf-
ten zu analysieren und zu identifizieren, stellt kein Novum dar (Hirsh/Peterson 2009). Ei-
nigkeit besteht, dass die Sprache eines Menschen ein Medium darstellt, das Einblicke in
GDVÄ,QQHQOHEHQ³HLQHU3HUVRQJHZlKUWXQGYLHOEHUGHQ6SUHFKHUXQGVHLQH3HUV|QOLFK
keit offenbart (Pennebaker et al. 2003). Grundlage ist dabei die Beobachtung, dass sich
Personen in dem, wie sie sich ausdrücken und was sie sprechen oder schreiben, unterschei-
den, selbst wenn die Botschaft dieselbe ist (Pennebaker/King 1999). Die gesprochene und
geschriebene Sprache unterscheidet sich demnach von Mensch zu Mensch. Fast und Fun-
der (2008) betonen darüber hinaus, dass die Wortwahl über die Zeit hinweg wenig verän-
derbar und situationsunabhängig ist. Dabei lassen sowohl die Wortwahl (lexikalische In-
dikatoren) als auch die Stimme und die Sprechweise (prosodische Indikatoren)
Rückschlüsse auf Persönlichkeitseigenschaften zu, da der individuelle Sprachstil einer
Person nur schwer verstell- bzw. beeinflussbar ist (Sendlmeier 2012). Die lexikalischen
und prosodischen Indikatoren werden im Folgenden herausgearbeitet.
218 Ellen Weber
und Mehl (2014) reflektiert die höhere Verwendung von 1. Person Singular Pronomen
eine höfliche Zurückhaltung anstatt einer narzisstischen Selbstbezogenheit, die sich in
Formulierungen wie beispiHOVZHLVHÄLFKGHQNHGDVV³DXVGUFNW6RWHLOWGHUSprecher zwar
seine Meinung seinem Gegenüber mit, lässt aber gleichzeitig Raum für andere Meinun-
gen. Personen, die eine hohe Ausprägung in Offenheit für Erfahrungen aufweisen, präfe-
rieren nach Mairesse et al. (2007) lange bzw. komplexe Wörter und vermeiden darüber
hinaus 1. Person Singular Pronomen. Charakteristisch ist ebenfalls die Verwendung von
Wörtern, die Bezüge zu Gefühlszuständen sowie zu Freizeitaktivitäten herstellen (Ire-
land/Mehl 2014).
einer starken Zunahme betonter und zu einer Abnahme unbetonter Silben (Klasmeyer
1999).
Langeweile: Nach Bigné et al. (2008) kann Langeweile ebenfalls ein möglicher Ge-
fühlszustand eines Kunden sein. Die Sprechgeschwindigkeit ist bei gelangweilten
Personen geringer (Scherer 2003). Trotzdem zeigt sich bei diesem Gefühlszustand
eine Artikulationsungenauigkeit. Dies ist auf die geringe Muskelanspannung auf-
grund des geringen Erregungszustandes zurückzuführen (Sendlmeier 2012). Die ge-
ringe Muskelanspannung führt dazu, dass die Stimme oftmals warm und weich klingt
(Paeschke 2003). Die Lautstärke ist ähnlich der neutralen Sprechweise. Darüber hin-
aus sind keine auffallenden Tonhöhenvariationen feststellbar, sodass nur geringe Än-
derungen in der Grundfrequenz bestehen (Paeschke et al. 1999).
Angst: Angst kann vor allem bei negativen Dienstleistungen auftreten (Treger 2015).
So ist es beispielsweise vorstellbar, dass ein Patient vor einer Operation das Gefühl
der Angst aufgrund der Risiken und des unsicheren Ausgangs einer Operation entwi-
ckelt. Prosodisch äußert sich dieser Gefühlszustand durch eine konstant erhöhte
Stimmlage, sodass nur geringe Tonhöhenvariationen auftreten (Sendlmeier 2012).
Darüber hinaus sind häufige Versprecher und ein stockender Redefluss aufgrund der
hohen Sprechgeschwindigkeit charakteristisch (Paeschke 2003). Die Stimme klingt
bei ängstlichen Personen häufig resonanzarm und schwach sowie zittrig (Klasmeyer
1999). Des Weiteren zeigt Sendlmeier (2012), dass Auslassungen ganzer Silben bei
ängstlichen Personen möglich sind.
Ekel: Wie bereits angemerkt, ist Ekel eine Emotion, die beim Kunden während eines
Dienstleistungsprozesses auftreten kann. So zeigen Argo et al. (2006), dass Kunden
unter anderem Ekel empfinden, wenn das Produkt bereits von anderen genutzt wurde
und bezeichnen dies daher als Ä&RQVXPHU&RQWDPLQDWLRQ³. Eine sich ekelnde Person
spricht in normaler Lautstärke, die Sprechgeschwindigkeit ist allerdings sehr langsam
(Klasmeyer 1999). Darüber hinaus nutzt die Person deutlich mehr Silben, die stark
gedehnt werden. Daher wirkt die Betonung übertrieben und unnatürlich (Paeschke
2003). Dieser unnatürliche Eindruck wird durch langgezogene Tonhöhenbewegungen
unterstützt (Paeschke et al. 1999). Der Stimmklang wirkt aufgrund einer erhöhten
Muskelanspannung im hinteren Rachenbereich angestrengt (Paeschke 2003).
Positive und negative Emotionen lassen sich darüber hinaus ebenfalls durch die Wortver-
wendung einer Person identifizieren. Da Emotionen in Dienstleistungsinteraktionen nicht
immer über prosodische Indikatoren erfassbar sind, beispielsweise bei einer ausschließlich
schriftlichen Interaktion zwischen Kunde und Mitarbeitendem, ist der Rückgriff auf lexi-
kalische Indikatoren sehr bedeutsam. So erhalten beispielsweise Unternehmen täglich un-
zählige Mengen unstrukturierter Daten von Kunden über E-Mails oder Social Media-Netz-
werke, die potenzielle Quellen zur Erfassung von Kundenemotionen über lexikalische
Indikatoren darstellen. Bei der Textanalyse zur Identifikation positiver und negativer
Emotionen wird den verwendeten Wörtern eine positive oder negative Bedeutung zuge-
schrieben. Positive Konnotationen sind dabei beispielsweise Wörter wie Ä/LHEH³ RGHU
222 Ellen Weber
ÄGlück³&KXQJ3HQQHEDNHU). Ein Beispiel für ein negativ assoziiertes Wort ist hin-
gegen ÄILHV³ (Tausczik/Pennebaker 2010).
gewertet werden. Bei maschinellen Lernverfahren hingegen wird ein Algorithmus ver-
wendet, der anhand aufbereiteter Textbeispiele lernt, einzelnen Wörtern (Unigramme:
^Ä'DV³ Ä3URGXNW³ ÄLVW³ ÄJXW³` RGHU PHhreren aufeinanderfolgenden Wörtern (Bi-
gramme^Ä'DV3URGXNW³Ä3URGXNWLVW³ ÄLVWJXW³`RGHU7ULJUDPPH ^Ä'DV3URGXNWLVW³,
Ä3URGXNW LVW JXW³` positive oder negative Konnotationen zuzuordnen (Thelwall et al.
2012). Sobald der Lernprozess abgeschlossen ist, kann der Algorithmus das erworbene
Wissen auf Texte, die bisher noch nicht untersucht wurden, anwenden und die darin bein-
halteten Wörter automatisch anhand der Stimmungskategorien klassifizieren (Thel-
wall/Kappas 2014). Die Methoden der Sentimentanalyse, insbesondere maschinelle Lern-
verfahren, erzielen dabei Genauigkeitswerte von ungefähr 80 Prozent (Pang/Lee 2008).
Die Einschränkung bezüglich der Aussagegenauigkeit ist der Komplexität der menschli-
chen Sprache geschuldet (Villarroel et al. 2014). Problematisch bei der Identifikation des
Stimmungsbildes in Textsegmenten sind unter anderem die Verletzung von Grammatik-
regeln sowie der korrekten Rechtschreibung oder die Verwendung von Abkürzungen, die
häufig LQGHU&KDWVSUDFKHJHQXW]WZHUGHQZLHEHLVSLHOZHLVHÄORO³7KHOZDOOHWDO
Darüber hinaus sind Ironie sowie Sarkasmus für lexikonbasierte Verfahren und Algorith-
men maschinellen Lernens schwierig zu erkennen (Villarroel et al. 2014). Trotzdem stellt
die Sentimentanalyse nach Paltoglou et al. (2010) eine geeignete Möglichkeit dar, Emoti-
onen in kurzen, informalen, online verfügbaren Texten reliabel und valide zu erfassen.
Dies ermöglicht es Unternehmen, sowohl Kundenfeedback als auch Kundenemotionen,
die in Social-Media-Netzwerken, E-Mails oder Chats ausgedrückt werden, in Echtzeit zu
analysieren (Feldman 2013). Im Folgenden werden drei ausgewählte Technologien zur
Identifikation von Emotionen in elektronischen Texten vorgestellt.
Ein Beispiel für ein lexikonbasiertes Verfahren stellt LIWC dar. Das LIWC ist ein auto-
matisiertes, computergestütztes Textanalyseprogramm, das einzelne Wörter unter Rück-
griff auf ein hinterlegtes Wörterbuch in eine oder mehrere vordefinierte Kategorien ein-
ordnet (Pennebaker et al. 2007). Darüber hinaus zählt das LIWC deren Häufigkeit des
Auftretens und stellt diese prozentual in Relation zur Textlänge dar (Tausczik/Pennebaker
2010). Um Emotionen zu erfassen, misst diese Technologie den Anteil positiver und Wör-
ter Worte anhand einer vordefinierten Liste. Dabei werden den positiven Emotionen 406
Wörter zugeordnet, während 499 Wörter als negative Emotionen klassifiziert werden
(Pennebaker et al. 2007). Allerdings wird die Intensität der Emotionen nicht erfasst. Auch
bleiben spraFKOLFKH9HUVWlUNXQJHQZLHÄVHKU³XQG1HJDWLRQHQÄQLFKWJXW³ unberücksich-
tigt. Diese haben allerdings einen Einfluss auf die Polarität und Intensität der Emotion,
sodass die Nichtbeachtung die Qualität der Erfassung einschränkt (Thelwall et al. 2010).
SentiStrength hingegen ist eine Open-Source-Software, die neben der Polarität der geäu-
ßerten Emotionen in Textsegmenten zusätzlich Aufschluss über deren Intensitäten gibt.
Basierend auf einer 2.310 positiven und negativen Wörter umfassenden Liste wird jedem
dieser Wörter ein numerischer Intensitätswert (1 = niedrige Intensität; 5 = hohe Intensität)
zugeordnet (Thelwall/Kappas 2014). Die verwendeten Wörter eines Satzes werden zu-
nächst auf ihren positiven, negativen oder neutralen Inhalt untersucht. Anschließend er-
halten die verwendeten positiven und negativen Wörter Intensitätswerte auf Basis der de-
finierten Liste. Als Ergebnis wird für jeden Satz sowohl die höchste positive als auch die
Förderung einer positiven Kunden-Mitarbeiter-Interaktion 225
höchste negative Intensität ausgewiesen. Die bei LIWC kritisierten Punkte greift SentiSt-
rength auf, indem die Anwendung sowohl Negationen als auch sprachliche Verstärkungen
berücksichtigt. Ein weiterer Vorteil von SentiStrength ist die Einbeziehung von Emoticons
Ä-³6DW]]HLFKHQGLHPHKUIDFK aufeinanderfoOJHQÄ'HU6HUYLFH ZDUVRVFKOHFKW³
XQG:LHGHUKROXQJHQGHVVHOEHQ%XFKVWDEHQVLQQHUKDOEHLQHV:RUWHVÄ'HU6HUYLFH ZDU
VRRRRVFKOHFKW³LQGLH$QDO\VHGDGLHVHVWLOLVWLVFKHQ0LWWHOGLH,QWHQVLWlWRGHU%HGHXWXQJ
eines Wortes verändern können. Darüber hinaus ist ein Algorithmus implementiert, der
Rechtschreibfehler automatisch erkennt und verbessert (Thelwall et al. 2012).
Eine kommerzielle Anwendung stellt SAS Sentiment Analysis dar. Mit dieser Software ist
es ebenfalls möglich, Meinungen und Emotionen in elektronischen Texten zu erfassen.
Dies ist sowohl in Echtzeit als auch über eine bestimmte Zeitperiode möglich. Das Pro-
gramm verwendet dabei einen hybriden Ansatz, indem bestimmte statistische Verfahren
und so gHQDQQWHOLQJXLVWLVFKH5HJHOQÄ/LQJXLVWLFRXOHV³PLWHLQDQGHUNRPELQLHUWZHUGHQ
(SAS Institute Inc. 2013).
4. Methodisch-konzeptionelle Fundierung
Automatisierte Sprachanalyse
Kundenseitige Outcomevariablen
Kundenzufriedenheit
Kundenloyalität
Positive Kundenemotionen
Prosodische
Stimme und Indikatoren Vertrauen
Wortwahl Persönlichkeits-
des Kunden eigenschaften Kommunikationsqualität
Lexikalische
Indikatoren Kunden- Kaufabsicht
= Similarität Matching Mitarbeiter-
Interaktion Kaufumfang
Prosodische
Stimme und Indikatoren
Wortwahl Persönlichkeits-
des eigenschaften Mitarbeiterseitige Outcomevariablen
Mitarbeit- Lexikalische
enden Indikatoren Mitarbeiterzufriedenheit
Wahrgenommene Effektivität
des Mitarbeitenden
Einschränkend muss gesagt werden, dass die Zusammenführung von Mitarbeitenden und
Kunden auf Basis ähnlicher Persönlichkeitseigenschaften unter ökonomischen Gesichts-
punkten nur dann sinnvoll ist, wenn es sich um Dienstleistungen handelt, die beratungsin-
tensiv sind und/oder eine langfristige Beziehung zum Kunden aufgebaut werden soll
(Yu/Tseng 2016). Hierzu zählen z. B. wissensintensive Dienstleistungen wie Finanz- und
Versicherungsleistungen. Darüber hinaus ist das Persönlichkeitsmatching bei komplexen,
spezifisch an den Kunden angepassten (Crosby et al. 1990) und kostenintensiven
(Fine/Gardial 1990) Dienstleistungen sinnvoll. Die Ähnlichkeit der Persönlichkeit hat da-
her nicht für alle Dienstleistungen mit Kundenkontakten die gleiche Bedeutung (Hurley
1998).
und mitarbeiterseitige Variablen haben kann. Erkenntnisse der bereits dargestellten Theo-
rie der Emotionsübertragung sowie der aktuelle Forschungsstand werden dabei miteinbe-
zogen.
Zu betonen ist, dass auch dieser methodisch-konzeptionelle Bezugsrahmen durch einen
Prozesscharakter gekennzeichnet ist. Unter Einsatz intelligenter Sprachanalysetechnolo-
gien können Dienstleistungsunternehmen dabei zunächst den aktuellen Gefühlszustand
des Kunden erfassen. Der konzeptionelle Ansatz, den aktuellen Gefühlszustand des Kun-
den mit der Sprachanalyse zu identifizieren und darauf aufbauend durch einen Mitarbei-
tenden positiv zu beeinflussen, lässt sich durch das Emotional-Contagion-Konzept begrün-
den. Demnach können Emotionen in Interaktionen übertragen werden, sodass die
Gefühlszustände zwischen den Interaktionspartnern konvergieren (Hatfield et al. 1993).
Zahlreiche Studien untersuchen den Prozess der primitiven Emotionsübertragung im Ser-
vicekontext sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen. So zeigen empirische Stu-
dien, dass die Veränderung des Gefühlszustandes aufgrund emotionaler Ansteckung einen
positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit (Homburg/Stock 2004; Barger/Grandey
2006; Hennig-Thurau et al. 2006; Grandey et al. 2011), die Wahrscheinlichkeit, dass der
Kunde den Laden erneut aufsucht und eine positive Empfehlung ausspricht (Tsai 2001;
Tsai/Huang 2002) sowie das Verkaufsvolumen des Mitarbeitenden (Verbeke 1997) hat.
Weiterhin findet eine positivere Beurteilung der Servicequalität (Pugh 2001; Bar-
ger/Grandey 2006) sowie des Service Providers (Luong 2005; Barger/Grandey 2006) statt.
Empirische Studien bestätigen darüber hinaus, dass die Emotionsübertragung einen zwei-
stufigen Prozess darstellt. Daher hat die Emotion des Mitarbeitenden keinen direkten Ef-
fekt auf kundenseitige Verhaltensvariablen, sondern beeinflusst zunächst den Gefühlszu-
stand des Kunden. Die Veränderung des Gefühlszustandes hat wiederum einen Einfluss
auf bestimmte abhängige Variablen wie die Qualitätsbewertung (Pugh 2001) oder die
Kundenzufriedenheit (Hennig-Thurau er al. 2006). Daher ist erklärbar, warum Tsai (2001)
keinen direkten, signifikanten Effekt einer positiven Mitarbeiteremotion auf die Kaufent-
scheidung des Kunden feststellen konnte.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die emotionale Ansteckung im Dienstleistungs-
kontext empirisch sehr gut belegt ist (Nerdinger 2011). Ziel der Emotionsübertragung ist,
bei Kunden aufgrund des Demonstrierens positiver Emotionen durch den Mitarbeitenden
einen positiven Gefühlszustand zu erzeugen, da Kunden durch das Erleben positiver Ge-
fühle, wie aufgezeigt, unter anderem die Servicequalität besser beurteilen und zufriedener
mit der Dienstleistung sind (Pugh 2001; Luong 2005; Nerdinger 2011). Darüber hinaus
beeinflusst der Mitarbeitende durch eine positive Gefühlsdarstellung und der damit ver-
bundenen positiven Rückmeldung des Kunden ebenfalls das eigene Erleben positiv, da er
dadurch das Empfinden seiner positiven Emotionen verstärkt (Nerdinger 2011). Wird da-
gegen eine unerwünschte Emotion wie beispielsweise Wut, Frustration, Verlegenheit oder
Besorgnis (Tronvoll 2011) beim Kunden erfasst, sollte aufgrund der negativen Effekte
(Dallimore et al. 2007) eine Änderung der Kundenemotion durch den Mitarbeitenden ver-
folgt werden. Der methodisch-konzeptionelle Ansatz wird in Abbildung 2 grafisch auf
Basis der obigen Ausführungen dargestellt.
Förderung einer positiven Kunden-Mitarbeiter-Interaktion 229
Automatisierte Sprachanalyse
Prosodische
Stimme und Indikatoren Identifizieren des
Wortwahl aktuellen
des Kunden Gefühlszustandes
Lexikalische des Kunden
Indikatoren
Kundenseitige Outcomevariablen
Kundenzufriedenheit
Emotionsübertragung während der
Kunden-Mitarbeiter-Interaktion Positive Qualitätsbewertung
Kunden und Mitarbeitenden (Dellande et al. 2004) die Beziehung zwischen der Ähnlich-
keit der Persönlichkeit und verhaltensbezogenen Variablen wie die Kunden- und Mitar-
beiterzufriedenheit moderieren. Darüber hinaus könnte untersucht werden, ob Moderati-
onsvariablen wie die Häufigkeit des Kontakts (Homburg/Stock 2004), ausgewählte
personenbezogene Merkmale ± denkbar wären Variablen wie emotionale Intelligenz,
Kommunikationsstile oder gesundheitsbezogene Faktoren wie ein hohes Stresslevel ± so-
wie Sympathie zwischen Interaktionspartnern den Prozess der Emotionsübertragung von
Sender (Mitarbeitender) auf Empfänger (Kunde) beeinflussen.
Den Sympathiegedanken aufgreifend, sollte darüber hinaus der Similarity-Attraction-Ef-
fekt mit der Theorie der Emotionsübertragung verknüpft werden, um der Frage nachzuge-
hen, ob die Ähnlichkeit der Interaktionspartner Einfluss auf die Emotionsübertragung hat.
Dies würde wertvolle Hinweise darauf geben, ob zunächst immer Kunden und Mitarbei-
tende auf Basis ähnlicher Persönlichkeitsdispositionen zusammengebracht werden sollten,
sodass durch die resultierende interpersonale Anziehungskraft die Wahrscheinlichkeit ei-
ner bewusst durch den Mitarbeitenden gesteuerten Emotionsübertragung auf den Kunden
erhöht werden kann.
An den Ausführungen des vorliegenden Beitrags zeigt sich zusammenfassend, dass die
Similarität zwischen Kunde und Mitarbeitendem auf Basis ähnlicher Persönlichkeitsei-
genschaften sowie Emotionen in Dienstleistungsinteraktionen von zentraler Bedeutung
sind. Intelligente Sprachanalysetechnologien eröffnen nun neue Möglichkeiten in Bezug
auf die Analyse von Interaktionen zwischen Kundenkontaktmitarbeitenden und Kunden
und stellen ein wirkungsvolles Instrument zur Förderung einer positiven Kunden-Mitar-
beiter-Interaktion dar.
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Förderung einer positiven Kunden-Mitarbeiter-Interaktion 239
1. Introduction
References
______________________________________
Tim Senn, M. Sc., is Consultant at the Strategy and Marketing Consultancy Prof. Bruhn
& Partner AG and Research Assistant at the Department of Service Management and
Service Markets at the University of Hohenheim.
high
Digitized
Digital
Service
Services
Ecosystems
Digitization
Products Services
low
low Service-orientation high
Digitization of products
The miniaturization of hardware, increasing processing and storage capacities, and
decreasing prices made digital technology increasingly pervasive in products. Connected
products creating data are called smart products. Digital technology in products drives a
wealth of new service-oriented business models for both service providers and product
manufacturers and act as a catalyst for service orientation (Kowalkowski et al. 2013a).
Smart products enable digital service provision or can even be the centre of a complete
service ecosystem (Vargo/Lusch 2004). Furthermore, smart products enable new
revenue models and make it possible to sell the service rendered by the product (e.g. the
flight hour LQ5ROOV5R\FH¶VSRZHU-by-the-hour solution) instead of the physical product
itself (HJ5ROOV5R\FH¶VDHURHQJLQH).
Network-orientation
Both the trend towards service-oriented business models and digitization models lead to
an increasingly networked economy, where value is created by connected products,
services and interacting organizations within complex ecosystems. These ecosystems
FRQVLVW RI IRFDO ILUPV FXVWRPHUV FXVWRPHUV¶ FXVWRPHUV VXSSOLHUV FRPSOHPHQWRUV
competitors, and other actors. It is necessary to analyse the complex and multidirectional
value creation processes and service streams within these systems.
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 245
As per the relational view of the firm ³Fompetitive advantage can be only gained through
the joint idiosyncratic contributions of specific alliance partners and the service
HFRV\VWHP´ (Dyer/Singh 1998). An effectively managed and organized network can
therefore be the primary source of competitive advantage (Wilkinson et al. 2006;
Eloranta/Turunen 2015).
However, research on service transition is biased towards a single firm dominant view
(Eloranta/Turunen 2015). Only recently, researchers have started to analyse networks of
actors in the context of service transition (e.g. Gebauer et al. 2013; Kowalkowski et al.
2013b; Spring/Araujo 2013). Also, recent theoretical contributions on service-dominant
logic have shifted towards an ecosystem perspective. Nevertheless, extensive literature is
still missing a framework that merges the two aspects of service-dominant logic and
digitization into an actionable network-oriented ecosystem approach.
Ecosystem Metaphor
The ecosystem term originates in ecology and describes the interaction of all
environmental factors within a defined sphere. A conventional ecosystem can be defined
as ÄDOOWKHDQLPDOVDQGSODQWVLQDSDUWLFXODUDUHDDQGWKHZD\LQZKLFKWKH\DUHUHODWHG
WR HDFK RWKHU DQG WR WKHLU HQYLURQPHQW´ /RQJPDQ All factors within such
systems are interdependent and influence the entire system through their individual
activities as well as their interaction. Therefore, there is a fundamental interdependence
of the actors within the ecosystem regarding the resilience and performance of the entire
system.
Business Ecosystems
TodD\¶V EXVLQHVVHV DQG PDUNHWV DUH more and more developing into complex
interconnected systems. These systems can be characterized as business ecosystems.
Within these ecosystems, value is not created by single actors, but by their interaction.
The term business ecosystems was coined by Moore in 1996. Moore defines a business
ecosystem as Äan economic community supported by a foundation of interacting
organizations and individuals ± the organism of the EXVLQHVV ZRUOG´ 0RRUH S
26). Along the lines of ecological ecosystems, business ecosystems consist of a complex
web of relationships and interactions between organizations and actors. Individual actors
ultimately share the fate of the ecosystem as a whole (Iansiti/Levinen 2004).
Service Ecosystems
Considering the increasing competitive pressure in most industries, a healthy business
ecosystem LVQRORQJHUDJXDUDQWHHIRUDFRPSDQ\¶VVWUDWHJLFGLIIHUHQWLDWLRQRUORQJ-term
survival. In the context of service-dominant logic, researchers and practitioners are more
and more focusing on service ecosystems. To date, there is no common definition of the
service ecosystem concept. Lusch and Nambisan (2015) define them as a Ärelatively
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 247
Complexity
Digitized service ecosystems are not simply an aggregation of relationships, but complex
dynamic systems (Vargo/Lusch 2010; Wieland et al. 2012). The structure of such a
system is evolving continuously by the actions and decisions of its actors
(Lusch/Nambisan 2015). The evolving structures of the ecosystem in turn influence the
decisions and actions of its actors, as well as their relationships and interactions.
Moreover, all activities within the system are influenced by its social, technological,
economic and political context (Basole/Rouse 2008).
Digitized service ecosystems therefore generate conditions of complexity (Sterman,
2000; Sawyer 2005) and complexity theory can help understand the dynamics of such
systems (Wieland et al. 2012). The relevance of systems theory and complexity theory
for service ecosystems has been highlighted by researchers, noting that this stream of
research is still in its infancy (e.g. Ng et al. 2012; Wieland et al. 2012). We consider
digitized service ecosystems as complex adaptive systems (Wollin/Perry 2004;
Plummer/Armitage 2007). Complex adaptive systems are systems Äcomposed of inter-
related parts, interacting with its environment, subject to resulting feedback effect,
evolving over time adaptively to fit the pressures imposed on it, perhaps attaining a
VXVWDLQDEOH DGYDQWDJH DQG LQ WKH SURFHVV JHQHUDWLQJ FHUWDLQ HPHUJHQW SKHQRPHQD´
(Holbrook 2003).
The interactions within the system are nonlinear and create emergent patterns. Macro-
patterns, such as ecosystem designs, emerge from micro-behaviour and interactions
(Beinhocker 2006). Due to complexity and dynamic, life-like, emergence, service
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 249
An actor can assume different roles simultaneously, whereas roles are dynamic and vary
over time (Ramirez 1999; Edvardsson et al. 2011). Thus, relationships and interactions
between actors within the ecosystem involve both cooperative and competitive elements.
7KLV VWDWH RI VLPXOWDQHRXV FRRSHUDWLRQ DQG FRPSHWLWLRQ LV FDOOHG ³co-opetition´
(Brandenburger/Nalebuff 1996). An example for co-opetition is when German car
manufacturers join forces to build a Europe-wide charging network for electric cars.
They are competing in terms of electric car sales but cooperating regarding the charging
network, which is an example for a complement to their cars.
Eventually, it is important to note that firms can also take a lead role in the ecosystem.
By leveraging assets such as an installed base, alliance-building skills, or an existing
customer base, they can secure customers¶ trust and confidence (Tax et al. 2013). Such
actors may actively manage or dominate resource integration and value co-creation in
the ecosystem (Iansiti/Levien 2004).
This leads us to three additional requirements:
Requirement 3: Reflect the role of collaboration, i.e. the openness of business models
and the notion of complementarity in the ecosystem.
Requirement 4: Reflect the role of co-opetition between actors, i.e. the relevance of
different roles and competitive assets.
Requirement 5: Reflect potential to take a lead role within an ecosystem, i.e. the notion
of centrality.
effects may result in winner-takes-it-all dynamics. When cross-side network effects are
strong, users tend to converge towards one platform (Eisenmann et al. 2006).
The layered-modular structure UHIHUVWRWKHV\VWHP¶VDUFKLWHFWXUHVLPLODUWRWKHFRQFHSW
of product architecture (Ulrich 1995). Studying the impact of digitalization of products
on innovations, Yoo et al. (2010) argue that pervasive digitalization has given rise to a
new type of product architecture: the layered-modular architecture. Historically, many
products are developed with an integral architecture. An example for an integral product
design is an iPhone. It is a closed system of components. On the other hand, modularity
of a system or a product ± as opposed to an integral design ± refers to the decomposition
of said system or product into modules. Most desktop PCs are examples for modular
SURGXFWV$3&¶V KDUGGLVN JUDSKLFFDUGRU&38 can easily be removed and replaced.
Layered-modular architectures share some properties of modular architectures,
especially the loose coupling of components. However, they are different regarding their
product boundaries. Modular structures are bounded by a single functional design
hierarchy. This means they are product specific (e.g. the different types of hard disks in a
PC). In contrast, layered architectures are unbounded.
In summary, value is created by integrating products and services and physical and
digital sources of value creation. They are integrated in a layered-modular platform
architecture. Based on this, we suggest the last three requirements:
Requirement 6: Reflect the layered-modular architecture of the system.
Requirement 7: Reflect an architecture that integrates products and services as well as
digital and physical sources of value creation.
Requirement 8: Reflect the central role of service platforms and network effects within
the system¶s architecture.
context. Our iterative service ecosystem transition model therefore also consists of three
phases:
(1) The ecosystem-envisioning-phase, which corresponds to the ideation phase. For
business model design in the context of connected products, it is important to shift
the focus of innovation from a firm-centric perspective to an ecosystem perspective
(Westerlund et al. 2014). Since value creation processes and service streams in
digitized service ecosystems are complex and multidirectional, a holistic view on all
relevant actors, their contribution to value creation as well as the overall setting
within the ecosystem is necessary. Therefore, initial ideas are gathered by
envisioning future ecosystems. Envisioning and describing holistic future scenarios
is the basis for further strategic development and business model design on a firm
level.
(2) The business-model-development-phase, which corresponds with the idea
specification and selection. Scenarios envisioned in the first phase are evaluated
regarding their plausibility and relevance for future business decisions. For selected
scenarios, one or more business models are designed, whereas these business
models are again evaluated and tested.
(3) The realization-phase, which corresponds with the idea realization. In this phase,
business model concepts are translated into concrete measures and tasks (e.g.
looking for collaborators, adapting a technology, building new capabilities). It
initiates changes in the ecosystem and the transition towards service.
Due to the complex nature of service ecosystems, strategies and business models cannot
be planned and implemented in a linear process. It is important to take an iterative
approach and to pursue several ± even contradictory ± strategies simultaneously. Instead
of pursuing a single dominant logic, firms must envision ecosystems consisting of
multiple, sometimes even competing logics. Also, a company does not move along the
above mentioned three phases, but is rather active in all three phases at the same time
and draws knowledge and experience from phases two and three to the upstream phases.
Through some of the scenarios derived from phase one, several business model concepts
may result. Among those, some are implemented or tested on the market. The insights
generated from developing the business models as well as from their realization flow
back into the envisioning phase. For example, a firm may realize after or during
realization, that its customers will not adapt the ILUP¶V platform due to (missing) network
effects. Or that a complementary strategy does not work because of the behavior of other
actors in the ecosystem. Accordingly, new scenarios are derived and new business
models developed.
The present paper focuses on the first phase and provides a framework for envisioning
digital service ecosystems. We apply a design science research approach for specifying
this initial step in the iterative service transition process. Design science research is
applied research that uses knowledge to solve practical problems by providing an
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 253
artifact. Drawing from different research streams, we develop an artifact in the form of a
framework for ecosystem envisioning (see Figure 2).
Ecosystem Envisioning
What might Who will
future eco- create value
systems look across physical
like? and digital
layers?
iteration
Scenario 1 Scenario 2 Scenario 3 Scenario n
Business Model(s)
iteration
Realization
Digitized Service
Ecosystems
Transactional Integrational
Design Design
Value
Proposition Access/availability-
Product-oriented Use-oriented Performance-oriented
towards end oriented
customer
Description Product-oriented
ecosystems focus on Solution ecosystems Performance
a connected physical Platform-oriented consist of a bundle of ecosystems focus on the
product or product ecosystems focus on connected products co-creation of value with
bundle and build the a platform that and services, a the customer trough
ecosystem around it connects different platform and data products, (digital)
by adding a platform, actors of a multi-sided capabilities targeted services, data and a
data storage and market and facilitating at a specific platform. The individual
analysis capabilities service exchange. application sold as value for the customer is
and value adding solution. measured and sold.
digital services.
Focus of
Potential Process Process Outcome
Innovation
Central Player
Performance
(Value Integrator/ Product provider(s) Platform provider(s) Solution Provider(s)
contractor(s)
Keystone)
Integration of
resources and Low Low High High
revenues
Customers
Suppliers
Role Description
Central player in the ecosystem. Dominant value integrator. Actively
Keystone
PDQDJHVWKHHFRV\VWHP¶VKHDOWK
Vertical supplier of the keystone. Integral part in the value creation process of
Supplier
the keystone business.
2IIHUVDSURGXFWRUVHUYLFHWKDWHQKDQFHVWKHYDOXHRIWKHNH\VWRQHEXVLQHVV¶
Complementor offering(s) and vice versa. &DQVLPXOWDQHRXVO\FRPSOHPHQWNH\VWRQH¶V
competitor(s).
Customer Co-creates value through participation (value-in-use)
Figure 6: Roles and description in the value net for digitized service ecosystems
Figure 6 provides a short description of the roles within the value net. The keystone is
the central role in the ecosystem (Iansiti/Levien 2004). An actor is a keystone if it is a
dominant value integrator, managing and facilitating asset-sharing relationships. It
actively PDQDJHVWKHHFRV\VWHP¶VKHDOWKHJLQDWZR-sided market. Apple for example
has to actively manage both sides of its marketplace, iPhone users and app developers
(and many other parties in the ecosystem as well). If one side shrinks, the other will, too,
DQGVRZLOO$SSOH¶VUHYHQXHV
An actor is a vertical supplier of the keystone. He is an integral part in the value creation
process of the keystone business. 7KH VXSSOLHU¶VSURGXFWRUVHUYLFHLVLQWHJUDWHGLQWKH
NH\VWRQH¶VSURduct or service by the keystone.
An actor is a complementor, when customers value the keystone¶s offering more once
they additionally use WKHDFWRU¶VSURGXFWRUVHUYLFHComplements are always reciprocal.
Just as car insurance complements new cars, new cars complement car insurance. The
more new cars people buy, the more insurance they buy, especially collision and theft
insurance. Thus, car insurance companies might want to use their expertise and clout to
help their customers get a better price on new cars.
An actor is a customer who co-creates value through participation (value-in-use). The
customer cKRRVHV EHWZHHQ WKH NH\VWRQH¶V RIIHULQJV LQFOXGLQJ KLV VXSSOLHUV DQG
FRPSOHPHQWRUVDQGWKHNH\VWRQH¶VFRPSHWLWRUV¶RIIHULQJV
An actor is a competitor if a product or service he offers reduces or substitutes the value
RI WKH NH\VWRQH EXVLQHVV¶ RIIHULQJV DQG YLFH YHUVD Compared to traditional value-
chain-thinking, it is important to note that in value networks characterized by
coopetition, actors take several roles simultaneously and can therefore be a competitor
and a customer, supplier or complementor to the keystone at the same time
(Brandenburger/Nalebuff 1996).
258 Tim Senn
Platform Layer
Service Value in Digitized
Line of Connectivity
Service Ecosystems
Product Layer
Physical
Service Value
Service Layer
Layer Description
This layer constitutes applications that create value through digital
Digital Service Layer services or digitally delivered services. This includes self-services, remote
services and smart services.
This Layer contains data generated by actors by using the physical
Data Layer
product or engaging in service interactions.
This Layer describes the digital service platform which allows for the
Platform Layer
integration of resources and asset-sharing.
This layer defines the properties of the physical product. Its components
Product Layer can be provided by suppliers. Its value can be complemented by
connecting external periphery products.
Product Layer
Products connected through digitization become platforms for service provision. The
connected product is the carrier of services and facilitates service delivery,
communication, interaction and data generation through connectivity. Meanwhile, the
relevance of the (branded) product itself within the ecosystem may vary. Depending on
the ecosystem setting, the product can be part of a service solution (e.g. carsharing), it
can be the center of an ecosystem where the value of the product is enhanced by the
ecosystem (e.g. through data analysis or remote maintenance), or it can simply be a
means to access a platform or services (e.g. smart watch). Even though the relevance of
stand-alone products is decreasing in the context of the service economy, products can
be an important asset when competing with other actors on other layers such as the
platform or digital services. A product manufacturer can leverage its installed base to
liberate network effects when becoming a platform or digital service provider or when
gathering data. When a car manufacturer introduces its own platform, the existing
customer basis will make the platform attractive to complementary service providers,
while these new services will increase the value of the vehicle. Without an existing car
fleet or access to a broad basis of products, a competing platform provider will have
difficulties to prevail. Besides an existing fleet or installed base, existing customer
relationships and brands from the product-centric business can be utilized as assets when
competing within and between ecosystems.
260 Tim Senn
Service Layer
The first step towards service transition is to introduce services that are directly linked to
the product, such as for example warranties. Complementary services that enhance the
value of a product can be offered by the focal firm or by its complementors or even
competitors.
In digitized service ecosystems, it is important to analyse what services will be replaced
or transformed by digitization. Today, many services are IT-enabled to a certain degree.
But in many cases, connectivity is not yet a key requirement for service exchange. In the
long run, however, all offline elements of service that can be replaced or enhanced
through digitization, will be replaced or enhanced (Andreessen 2011). Car
manufacturers, for example, have been offering financial services for years now. In the
light of recent development within the financial industry, especially the rise of fintech
companies, they should analyse how and if their successful service offering will be
challenged by digitization. Otherwise they risk losing their service business model,
returning them to their initial role as a manufacturer.
Platform Layer
A connected product needs a platform, i.e. a framework of software and standards that
allow for the provision of digital services. It defines and implements Äthe rules of
exchange or protocols for exchange of services through the service platform (i.e.,
SUHVFULEH KRZ DFWRUVUHVRXUFHV FDQ LQWHUIDFH ZLWK WKH SODWIRUP´ /XVFK1DPELVDQ
2015, S. 162). This can be an operating system, which runs software-based applications,
but also a business model connecting multi-sided markets. The platform connects the
physical and digital value creation and the different actors of the ecosystem.
Apple, for example, uses the platform on its iPhone (the product) to connect end-
customers with digital service providers, whereas both are customers of the platform.
Multi-sided markets are characterized by network effects on two or more sides. The
higher the number of app developers, the higher the value of the platform for end-
customers and vice versa. Network effects increase incentives for more firms ±
especially complementors ± and users to join the ecosystem. As mentioned before, they
also lead to winner-takes-it-all dynamics. The smartphone market for example
converged towards two competing platforms (iOS vs. Android) both with their
respective complementors. In the case of Apple it is the original product manufacturer
who has leveraged his product to become a platform leader. In the case of Android,
product manufacturers (e.g. Samsung) are complementors of the platform. Because of
these dynamics, firms must decide whether they engage in a platform competition or
become a complementor of another platform.
Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 261
Data Layer
Data is generated continuously through digital communication and interaction and
service exchange. Firms must evaluate what data to collect and store systematically.
Moreover, it is important to know how and through which actors to gain access to data
and who owns what data. Knowledge in the form of data is a key resource service
ecosystem. They allow to provide data-based services (e.g. remote analytics), to
optimize customer relationships and non-data-based service offerings (e.g. through
usage-based recommender systems for TV streaming services) or to provide
autonomous, data-based smart services (e.g. real-time route optimization in cars). In the
ecosystem, data can be traded and brokered by the firms that collect them. A platform
provider for example can sell usage data to digital service providers, thereby generating
revenues and increasing the value generated by its complementors at the same time.
Asset Description
predict the future, but it supports managers in deriving decisions on how to affect it.
Figure 10 summarizes the four dimensions.
When applying the framework, it is important to keep in mind that ecosystems have no
fixed boundaries. It is therefore essential to determine a reasonable extent of details,
keeping complexity of the vision manageable. Also, the present paper does not provide a
method for the application of the framework. Due to the nonlinear, life-like development
of digitized service ecosystems, research into new methods for ecosystem envisioning
and strategy development under conditions of complexity could offer valuable insights.
Gamification approaches, where managers play out and thereby predict future ecosystem
design might be a promising direction.
What? Who?
Ecosystem types: Ecosystem roles and
Product-centric players:
Ecosystem Keystone
Platform-centric Supplier
Ecosystem Complementor
Solution-centric Customer
Ecosystem Competitor
Outcome-centric
Ecosystem
How? Why?
Ecosystem value layers: Ecosystem assets:
Digital Service Layer Ecosystem knowledge
Data Layer Service competencies and
Platform Layer capabilities
Service Layer Technology
Product Layer Installed base
Brand
Customer relationships
Relationships with other
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Service Transition in the Context of Digitized Service Ecosystems 267
2. Konzeptionelle Grundlagen
2.1 Triade der Service-Strategie
2.2 Technologische Strukturmuster der Wertschöpfung
2.3 Digitalisierung und Digitale Dienstleistungen
Literaturverzeichnis
___________________________
Univ.-Prof. Dr. Norbert Bach ist Leiter des Fachgebietes Unternehmensführung und
Organisation an der TU Ilmenau. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Maximilian Rimbach und
Sebastian Wolf, M. Sc., sind Mitarbeiter des Fachgebietes Unternehmensführung und
Organisation an der TU Ilmenau.
2. Konzeptionelle Grundlagen
Target Market
Service
Encounter
Was passiert, wenn Dienst-
leister und Kunde sich
treffen und interagieren?
Service Delivery
Service Concept
System Design
Welches Leistungsbündel Choices
wird angeboten? Wie werden die
Dienstleistungen erbracht?
Der Begriff des Service Encounter (Solomon et al. 1985, S. 99) kennzeichnet in der
Dienstleistungsliteratur den Kontaktpunkt bzw. -moment zwischen Dienstleister und
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 273
dar und beschäftigt sich mit der Identifikation der Kundenbedürfnisse und der Erarbei-
tung eines dazu passenden Dienstleistungsangebots. Hierzu unterscheiden sie grundsätz-
lich primäre und sekundäre Kundenbedürfnisse, wobei die primären Bedürfnisse den ei-
gentlichen Auslöser für den Bedarf einer Dienstleistung darstellen und entsprechend mit
gewissen Kerndienstleistungen angesprochen werden. Die sekundären Kundenbedürfnis-
se ergeben sich wiederum aus der gewählten Dienstleistung und werden schließlich
selbst durch unterstützende Dienstleistungsangebote adressiert. Der Wunsch nach einer
Kontaktaufnahme mit einem Familienmitglied stellt beispielsweise ein primäres Bedürf-
nis dar und kann durch verschiedene Arten (z. B. Telefon oder E-Mail) erfüllt werden.
Ist die Wahl des Kunden auf das Telefon gefallen, so ergeben sich im Anschluss daran
häufig auch weitere Bedürfnisse, wie beispielsweise das Herausfinden der richtigen Te-
lefonnummer. Auch derartigen sekundären Bedürfnissen kann sich der Dienstleister im
Rahmen unterstützender Angebote annehmen.
Zu unterscheiden ist hierbei das intendierte Service-Konzept des Dienstleistungsanbie-
ters, also das auf den identifizierten Zielmärkten angebotene Leistungsbündel, von dem
wirklich realisierten Service-Konzept, also denjenigen Leistungsbestandteilen, die von
den Kunden auch wirklich wahrgenommen bzw. gekauft werden (Roth/Menor 2003, S.
150). Anders als bei materiellen Produkten, bei deren Erstellungsprozess der Kunde ty-
pischerweise isoliert ist, gilt es daher nach Sasser et al. (1978, S. 14), das Service De-
livery System, das dritte Element der Service-Strategie-Triade, so zu gestalten, dass der
Kunde entsprechend berücksichtigt und die Lücke zwischen der realisierten Leistung des
Anbieters und der wahrgenommen Leistung durch den Kunden minimiert wird. So be-
schäftigt sich dieses Element neben der Wahl des strategischen Service Designs, der
Ausführung, Erneuerung und Bewertung der Service Delivery auch mit dem durch den
Kunden wahrgenommenen Wert des gesamten Service-Konzepts.
Insgesamt adressiert die von Roth und Menor (2003) entwickelte Triade der Service-
Strategie die Frage, wie ein Dienstleistungsunternehmen für die richtigen Kunden das
richtige Angebot zur richtigen Zeit zur Verfügung stellen kann (Roth/Menor 2003,
S. 148). Zwar werden im Service Delivery Design explizit auch die zur Dienstleistungs-
erstellung benötigte Infrastruktur und Ressourcen angesprochen, es mangelt der Triade
der Service-Strategie jedoch an einer Prozesssicht. Es wird in erster Linie auf die vom
Kunden wahrgenommene Dienstleistung als Interaktion im Prozess und als Prozesser-
gebnis abgestellt, während technologische Fragen der Wertschöpfung zur Klärung der
Unternehmensgrenzen (vgl. z. B. das Efficient Boundaries Framework, Williamson
1985) oder die Ausgestaltung der Wertschöpfungsprozesse zur Erzielung von Wettbe-
werbsvorteilen (Porter 1985) eher im Hintergrund stehen oder ganz vernachlässigt wer-
den. Sowohl in der Literatur zum strategischen Management als auch in der Unterneh-
menspraxis hat zur Analyse und Gestaltung von Wertschöpfungsprozessen die von
Porter (1985) entwickelte Wertkette viel Beachtung gefunden. Während das Struktur-
muster der Kette die Wertschöpfung bei einer Transformation von Input zu Output zu-
treffend charakterisiert, sind bei der Wertschöpfung durch Dienstleistungen weitere
technologische Strukturmuster zu beachten (Stabell/Fjeldstad 1998).
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 275
Wertschöpfungslogik Transformation von Input in Lösen von Kundenproblemen Vernetzung von Kunden
Produkte
Neue
intangible
Analytik entstehender Big Data
Elemente
der DL
Digitale
Vernetzung in Echtzeit
Dienstleistungen
Neue
tangible
Physische Dinge und Akteure
Elemente
der DL
Nutzer aufhält, sondern auch, wer sich noch an diesem Ort aufhält oder ± als Ergebnis
der Analytik der Nutzerdaten ± vermutlich in kurzer Zeit dort sein wird. Aus diesem
Wissen heraus können dem Kunden maßgeschneiderte Leistungen angeboten werden,
die traditionelle Leistungsbündel ersetzen bzw. uninteressant machen, z. B. eine ver-
kehrsabhängige Routenführung in Echtzeit.
Im Vorstellungsmodell Digitaler Dienstleistungen (Fleisch et al. 2015) verändert sich
auch die Natur der für Dienstleistungen spezifischen Co-Kreation of Value (Prahalad
2004). Im Kern wird aus einer vormals dyadischen Beziehung zwischen Service Provi-
der und Nachfrager nun ein netzbasiertes Produktionssystem, in dem einzelne Akteure
gleichzeitig zu Anbietern von Daten und Nachfragern individualisierter Services werden
(Lusch/Nambisan 2015, S. 161ff.; Barret et al. 2015). In der Literatur zu Service-
Innovationen wird daher auch von Actor-to-Actor-Netzwerken als Produktionssysteme
und Service-Plattformen gesprochen. Der Zugang zum Internet und die Nutzung der im
Netzwerk verfügbaren Ressourcen sind unmittelbar aneinander gekoppelt. Es können nur
solche Ressourcen im Actor-to-Actor-Netzwerk angesprochen und genutzt werden, die
auch Zugang zum Internet haben. Das Prinzip des Crowdsourcing (Howe 2006), Aufga-
ben offen für eine große Zahl möglicher Akteure in arbeitsteiliger Ausführung auszu-
schreiben anstelle einen geschlossenen Auftrag an einen Lieferanten oder Subunterneh-
mer zu vergeben, war bereits vor der Entwicklung des Internets bekannt (vgl. die
Beispiele und Erläuterungen bei Afuah/Tucci 2012). Durch die Reichweite und Tiefe des
Internets (Evans/Wurster 1997) resultieren nun jedoch Quantensprünge sowohl bezüg-
lich des Zugangs zu Ressourcen (Reach) als auch in der Qualität der Beiträge (Richness)
einzelner Akteure in Actor-to-Actor-Netzwerken (Lusch/Nambisan 2015).
Die Vernetzung und Analytik der entstehenden Daten führen auch dazu, dass die Gren-
zen zwischen physischen Produkten und zugehörigen Dienstleistungselementen zuneh-
mend verschwimmen (Fleisch et al. 2015, S. 458f.) Während z. B. ein GPS-basiertes
Navigationsgerät die eigene Position auf im Gerät hinterlegten Karten bestimmen und
Routen zu Zielpositionen errechnen kann, ermöglicht erst die Auswertung der Position
im Kontext der Positionen und Routen anderer Verkehrsteilnehmer eine kundenindivi-
duelle und nutzenoptimale Routenführung. In der Wertstiftung für die Kunden werden
tangible und intangible Leistungsbestandteile gezielt aufeinander abgestimmt. Für Ser-
vice-Anbieter resultiert daher als zentrale Herausforderung, die Wert- und Kostentreiber
einzelner Technologien und Bestandteile von Service-Konzepten zu kennen. Daher wer-
den im Folgenden Potenziale der Digitalisierung für die einzelnen technologischen
Strukturmuster der Wertschöpfung diskutiert.
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 281
(Chesbrough 2003) für sich nutzt. Die Vernetzung mit Kunden bietet insbesondere für
bisher reine Produktanbieter Chancen zur so genannten Servicetransformation bzw. Ser-
vitization, d. h. dem Wandel von einem Produktanbieter zu einem Dienstleistungsanbie-
ter durch die Ergänzung des Produktangebots um produktnahe Dienstleistungen
(Oliva/Kallenberg 2003; Bruhn/Hadwich 2016). Dieses Phänomen lässt sich als eine
Kombination der Strukturmuster Value Chain, Value Shop und Value Network erfassen
und beschreiben.
Die Digitalisierung bringt nicht nur eine Vernetzung von Akteuren und physischen Din-
gen, die durch eine hohe Reichweite, einen Informationsreichtum und eine Informa-
tionsübermittlung in Echtzeit gekennzeichnet ist. Die Analytik der entstehenden Big Da-
ta ist ein weiterer technologischer Treiber der möglichst effizienten Koordination der
einzelnen Aktivitäten bzw. der einzelnen Akteure. Betreiber von Skipisten beispielswei-
se vermessen ihre Skipisten per Satellitennavigation, um mit intelligenten und vernetzten
Pistenraupen bei Analyse der Schneeverhältnisse auf der gesamten Piste den Schnee
exakt dorthin zu transportieren, wo die Schneeschicht zu dünn ist (Kamp 2016). Den
Kunden werden perfekte Skibedingungen zu ausgedehnten Saisonzeiten geboten. Analy-
WLN YRQ .XQGHQGDWHQ IKUW EHLP 6SLHO]HXJKlQGOHU 7R\V ³5³ 8V ]X LQGLYLGXHOOHQ .XQ
denangeboten (Struller 2016). Dabei fließen Kundendaten aus unterschiedlichen Quellen
in der Cloud zusammen, wo sie verknüpft und ausgewertet werden. Die Verknüpfung
von Online-Daten mit Offline-Daten wird hier immer wichtiger. So ist es beispielsweise
möglich über Cookie-Technologie und GPS- oder WLAN-Ortung individuelle Kunden-
angebote in der Filiale zu machen, beispielsweise über eine Mail an den Kunden, welche
über sein Smartphone abgerufen wird. Die Firma NewStore beispielsweise bietet eine
App-Lösung, mit der stationäre Händler Kunden beim Betreten ihres Ladens erkennen
und auf Grundlage von Daten über bisherige Käufe kundenindividuelle Angebote ma-
chen können (Karabasz 2016).
Kontrolle und Bewertung der umgesetzten Lösung meist ein erneuter Zyklus, bis das
Kundenproblem schließlich zufriedenstellend gelöst wurde.
Im Fokus des technologischen Strukturmusters Value Shop steht dabei ein möglichst
großer Fit zwischen dem eigentlichen Problem des Kunden und der angebotenen und
schließlich realisierten Lösung des Dienstleistungsanbieters. Da für die Kunden folglich
nicht besonders günstige Leistungen im Vordergrund stehen, sind für die Erzielung von
Wettbewerbsvorteilen in diesem Kontext nach Stabell und Fjeldstad (1998) insbesondere
Differenzierungstreiber relevant. Hierbei handelt es sich um Reputation, Lerneffekte und
Koordination, die alle auch durch Digitalisierung beeinflusst werden.
Während früher beispielsweise auf der Suche nach einem guten Arzt noch häufig im
Familien- und Bekanntenkreis nach Erfahrungen und Empfehlungen gefragt wurde, so
wird in der heutigen Zeit zunehmend auf spezialisierte Bewertungsportale im Internet
zurückgegriffen, um die Reputation eines Arztes in Erfahrung zu bringen. So ist es zum
einen auf der Internetseite jameda.de möglich, seine vergangenen Arztbesuche als Pati-
ent selbst zu bewerten, zum anderen kann der nach einer Lösung für seine Symptome
bzw. Krankheitsbilder suchende Patient dort Ausschau nach besonders guten oder spezi-
alisierten Ärzten halten, bei denen Patienten mit ähnlichen Problemen bereits in der Ver-
gangenheit gute Erfahrungen gesammelt haben. Durch das Bewertungsportal jameda.de
findet eine Vernetzung in Echtzeit statt, bei der sich Patienten mit Zugang zum Internet
(über die Webseite oder die App) zu jeder Zeit über einen Arzt informieren oder nach
einem Spezialisten für ihr spezifisches Problem suchen können. Je mehr Patienten ihre
Arztbesuche bewerten, desto umfangreicher wird die Datenbank und desto aussagekräf-
tiger werden die Bewertungen, da Einzelmeinungen nicht mehr so sehr ins Gewicht fal-
len. Durch verschiedene Filter- und Suchoptionen sowie die Möglichkeit, direkt einen
Termin beim gewünschten Arzt zu buchen, trägt jameda.de auch zur Analytik der entste-
henden Big Data bei. Der Kunde muss sich nicht durch die immer weiter steigende An-
zahl von Ärzten und deren Bewertungen klicken, sondern kann gezielt nach bestimmten
Ärzten in seiner Region suchen, die ihm eine möglichst passende Lösung zu seinem
Problem bieten können. Aus Sicht des Arztes bietet eine derartige Bewertungsplattform
wiederum die Möglichkeit, die Reichweite (Reach) in Bezug auf potenzielle neue Patien-
ten zu vergrößern. Ebenso wird durch die Tiefe der verfügbaren Informationen (Rich-
ness) ein Fit zwischen Arzt und Krankheitsbild des Patienten unterstützt.
Der zweite Differenzierungstreiber des Value Shop ergibt sich nach Stabell und Fjeld-
stad (1998) sowohl aus einer möglichst effizienten Koordination der einzelnen Aktivitä-
ten, als auch aus einer möglichst effizienten Koordination der einzelnen Akteure, die in
Arbeitsteilung eine bestimmte Dienstleistung erbringen. Durch Vernetzung in Echtzeit
unterstützt die Digitalisierung diese Koordinationserfordernisse. Kommt beispielsweise
ein Patient nach einem Sturz ins Krankenhaus und klagt dort über starke Schmerzen im
Arm, so wird der aufnehmende Arzt im Rahmen einer ersten Diagnose (Problemerfas-
sung) auch eine Röntgenuntersuchung anordnen. Hierzu wird der Patient im Anschluss
in die entsprechende Abteilung des Krankenhauses geschickt. Dort wird der Patient auf-
grund der Vernetzung in Echtzeit bereits von einer ausgebildeten Pflegekraft erwartet,
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 285
die auch schon über das Beschwerdebild und die vom Arzt angeordnete Untersuchung
informiert ist. Im Gegensatz zu der früher eher aufwendigen und zeitintensiven Entwick-
lung eines Röntgenbildes wird dieses heutzutage in digitaler Form dem behandelten Arzt
umgehend auf dessen Computer zurückgespielt, auf Basis dessen der Arzt eine geeignete
Behandlungsform erarbeiten und auswählen kann. Auch hierbei kann die Digitalisierung
effiziente Koordination unterstützen. Ist der Arzt in der Lage, das Röntgenbild des aktu-
ellen Patienten mit einer großen Datenmenge anderer Röntgenbilder abzugleichen und
auszuwerten (Analytik entstehender Big Data), ist eventuell eine deutlich bessere Diag-
nose der genauen Verletzung möglich. Diese Erkenntnisse können im Anschluss zu ei-
nem ideal abgestimmten Therapieplan führen, der beispielsweise von einem Physiothe-
rapeuten begleitet wird. Doch auch eine vollkommen automatisierte Auswertung wird
durch Digitalisierung ermöglicht. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert IBMs künstliche
Intelligenz Watson. Aufgrund der Analyse von genetischen Daten aus über 20 Mio. kli-
nischen Krebsstudien war Watson in der Lage, bei einer Frau in Japan, anders als die be-
handelnden Ärzte, einen seltenen Fall von Leukämie zu diagnostizieren und die notwen-
dige Therapie vorzuschlagen (Rohaidi 2016).
Schließlich beeinflusst Digitalisierung mit dem Lernen des Dienstleistungsanbieters auch
den dritten Werttreiber im Strukturmuster des Value Shop. Durch die Vernetzung in
Echtzeit besteht die Möglichkeit, die Kontrolle und Bewertung der ausgewählten Prob-
lemlösung automatisiert und engmaschiger zu gestalten, um daraus Rückschlüsse über
den Erfolg einer bestimmten Maßnahme ziehen zu können. Es findet hierbei also ein
Lernen zwischen den verschiedenen Aktivitäten-Zyklen des Strukturmusters Value Shop
statt. Zwar konnte auch schon die analoge Protokollierung einer ärztlich verordneten
Therapie in der Patientenakte zeigen, ob sich die Blutwerte eines Patienten durch Verab-
reichung eines bestimmten Medikamentes verbessert oder verschlechtert haben, wodurch
eine Anpassung des weiteren Therapieverlaufs (Auswahl und Dosierung des Medika-
ments) ermöglicht wurde. Haben jedoch durch die Vernetzung im Rahmen der Digitali-
sierung auch andere Ärzte des Patienten Zugriff auf diese Daten, so können sich diese
ebenfalls über die Vorgeschichte des Patienten informieren und diese bei ihrer eigenen
Therapiewahl berücksichtigen. So kann beispielsweise auf die Verschreibung eines be-
stimmten Medikaments verzichtet werden, wenn der Patient in der Vergangenheit aller-
gische Reaktionen gezeigt hat oder Nebenwirkungen mit bereits verschriebenen Medi-
kamenten zu befürchten sind. Dadurch ergibt sich eine effektivere und effizientere
Problemlösung des jeweils individuellen Kundenproblems. Ein Beispiel hierfür bietet
auch die permanente Blutzuckerüberwachung. Während Diabetiker in Normalfall mehr-
mals täglich ihren Blutzuckergehalt durch einen Stich in die Fingerkuppe und die an-
schließende Auswertung des Blutes überprüfen müssen, ermöglicht die permanente
Blutzuckerüberwachung einen einfachen Abruf des Blutzuckerwertes durch Auslesen
der Daten, die ein auf dem Oberarm des Patienten angebrachter Sensor generiert. Anstatt
weniger einzelner Messwerte pro Tag kann sich der behandelte Arzt zudem die komplet-
ten Blutzuckerkurven der letzten 14 Tage auswerten und grafisch anzeigen lassen,
wodurch eine individuell auf den Patienten abgestimmte Therapieentscheidung getroffen
286 Norbert Bach, Maximilian Rimbach und Sebastian Wolf
und der bisherige Therapieerfolg bewertet werden kann. Zusätzlich ist in Kombination
mit der Analyse großer Datenmengen auch ein fall- bzw. patientenübergreifendes Lernen
möglich. Werden beispielsweise die Symptome bzw. Krankheitsbilder von Patienten in
Verbindung mit der angeordneten Therapie und den Daten zum jeweiligen Therapiever-
lauf (anonymisiert) in einer Datenbank gespeichert und analytisch ausgewertet, so kann
sich ein Arzt in Abhängigkeit der von seinem (neuen) Patienten geschilderten Symptome
in dieser Datenbank über mögliche Therapiemethoden und deren Auswirkungen infor-
mieren. Hierdurch wird dem Arzt eine breitere Auswahl an potenziellen Lösungs- bzw.
Therapiemöglichkeiten aufgezeigt und eine bessere Entscheidungsgrundlage für die
Auswahl einer bestimmten Lösung geboten. Im weiteren Therapieverlauf ist der Arzt
zudem in der Lage, den jeweiligen Therapiefortschritt im Vergleich zu den bisher exis-
tierenden Daten zu bewerten, um zur Not auch hier wieder frühzeitige Anpassungen des
Therapieplans vorzunehmen.
zung und die vereinfachte Koordination bei der Leistungserbringung möglich werden.
Deutlich wird dies z. B. bei der Installation von Apps auf Smartphones, die vor dem Zu-
gang zum Netz vom Kunden im Rahmen des Vertragsmanagements die Einwilligung
zum Zugriff auf verschiedene im Gerät verfügbare (Nutzer-)Daten erfordern. Wer seine
Bankverbindung nicht zur Nutzung im Value Network freigibt, kann die Bezahlfunktion
nicht nutzen, wer die Dienstleistungen eines Value Network als Gast oder anonymer
Nutzer in Anspruch nimmt muss auf eine Individualisierung verzichten usw.
Die Kosten- und Differenzierungstreiber bezüglich der Primäraktivität Betrieb der Netz-
werkinfrastruktur haben sich durch die Einführung der TCP/IP-Standards deutlich ver-
ändert. Entscheidende Treiber sind dabei die Einigung auf und die Nutzung von weltweit
einheitlichen Standards für den Transport und die Vermittlung von Daten im Internet.
Dies ermöglicht sowohl die bereits beschriebenen Effekte beim Zugang zu einem Value
Network als auch bezüglich der dritten Primäraktivität der Vermittlungsleistung. Die
Standardisierung reduziert zum einen die Kosten des Netzbetriebs, zum anderen fördert
sie durch Lerneffekte dessen weitere technologische Entwicklung. Zwar ist der Zugang
zu einem schnellen Internet (Netzbetrieb) heute noch nicht ubiquitär, in dicht besiedelten
Regionen ist die Verfügbarkeit des Internets auch in großen Bandbreiten jedoch kein
Engpassfaktor mehr. Der Netzbetrieb ist häufig staatlich geregelt und gefördert, sodass
im Ergebnis sich zwar zum einen wenige Anbieter den Markt teilen, zum anderen jedoch
den Anbietern und Nachfragern von netzbasierten Dienstleistungen vergleichsweise kos-
tengünstig eine Netzinfrastruktur zur Verfügung steht. Aufgrund des verfügbaren und
leistungsfähigen Angebots von auf den Netzwerkbetrieb spezialisierten Anbietern kön-
nen Dienstleistungsunternehmen sich im Zeitalter der Digitalisierung daher weitgehend
auf die Primäraktivitäten des Netzwerkaufbaus und der Vermittlungsleistung fokussie-
ren, da der Betrieb des Netzes nur wenigen großen Anbietern die Möglichkeit einer Dif-
ferenzierung vom Wettbewerb oder die Möglichkeit eines Kostenvorteils bietet.
Die für ein Value Network typische Kerndienstleistung der Verknüpfung von Netzwerk-
teilnehmern findet auf der Anwendungsschicht des TCP/IP-Referenzmodells statt. Die
Digitalisierung führt diesbezüglich zu neuen Kostentreibern, da bei der Vermittlungsleis-
tung auf andere Akteure im Netzwerk und deren Ressourcen zurückgegriffen werden
kann. Neue Optionen sowohl in Bezug auf Kostenreduzierung als auch Differenzierung
bietet das Prinzip des Crowdsourcing (Afuah/Tucci 2012). Aufgrund der vereinfachten
Koordination der Akteure über standardisierte Schnittstellen können durch Nutzung von
Actor-to-Actor-Netzwerken Dienstleistungsinnovationen geschaffen werden, für die ein
Anbieter alleine nicht über genügend Ressourcen verfügt (Lusch/Nambisan 2015). So
basiert z. B. das Kundenangebot eines möglichst flächendeckenden Wi-Fi-Zugangs des
Kölner Unternehmens unitymedia GmbH auf den Ressourcen und Leistungen sowohl
des Service Providers unitymedia (Breitbandnetz, Zugangsmanagement, Haftung, Si-
cherheit usw.) als auch der Kunden (Freigabe und Betrieb der in der Wohnung installier-
ten Router). Die Kunden sind sowohl Provider von Ressourcen (die Router in ihren
Wohnungen) als auch Nutzer der durch Crowdsourcing geschaffenen Service-Plattform
eines Internetzugangs für ihre mobilen Endgeräte. Das Beispiel verdeutlicht darüber hin-
aus die Rolle der Architektur des Produktionssystems. Erst durch die modulare Architek-
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 289
tur mit definierten Komponenten (Router mit Internetzugang) und Schnittstellen (IP-
Technologie, AC-Standards, Zugangsprotokolle) wird die Bereitstellung des Leistungs-
bündels (Wi-Fi Hotspot) durch austauschbare Akteure möglich.
Auch in Bezug auf Differenzierungstreiber führt die Digitalisierung zu wesentlichen
Veränderungen im Strukturmuster des Value Network. Differenzierung ist insbesondere
durch Lerneffekte auf Basis der Analytik von Big Data und einer darauf aufbauenden
Individualisierung von Leistungsbündeln im Value Network möglich. Darüber hinaus
entsteht durch die Echtzeitverknüpfung von bisher nur zeitversetzt gekoppelten Informa-
tionen ein Zusatznutzen. Deutlich wird dies am Beispiel der GPS-basierten Routennavi-
gation. Ältere Navigationssysteme ohne Anbindung an das Internet können lediglich die
schnellste Route bei freien Straßen oder die beste Verbindung unter Berücksichtigung
der über UKW übermittelten TMC-Verkehrsinformationen berechnen. Aufgrund der
zeitlichen Verzögerung der TMC-Verkehrsfunkinformationen stehen Autofahrer jedoch
regelmäßig vor der Entscheidung, ob sie eher der Alternativroute oder der ursprüngli-
chen Berechnung folgen. Aufgrund der Digitalisierung verfügbare Systeme mit Anbin-
dung an Actor-to-Actor-Netzwerke, wie z. B. das Netzwerk der Nutzer von Google
Maps, können hingegen auf Basis der Auswertung der Daten anderer Verkehrsteilneh-
mer eine situations- und nutzerspezifische Routenführung in Echtzeit vornehmen.
genen Abschnitten erläutert verändert die Digitalisierung jedoch die Kosten- und Diffe-
renzierungstreiber in Wertschöpfungsprozessen, weshalb die Triade der Service-
Strategie sowie der Service Encounter für das Management Digitaler Dienstleistungen
neu zu durchdenken sind.
Für das Element des Zielmarkts bedeutet die Digitalisierung von Dienstleistungsprozes-
sen eine deutlich größere Reichweite, unabhängig von der Technologie. Der Zielmarkt
weitet sich regional aus, während eine Segmentierung enger ausfallen kann. Aufgrund
der größeren regionalen Reichweite, die prinzipiell sogar global gewählt werden könnte,
besteht die Möglichkeit, den Zielmarkt inhaltlich enger zu fassen und sich auf ein enges
Marktsegment zu spezialisieren. Die größere Reichweite ermöglicht die Ansprache einer
kritischen AnzDKODQ.XQGHQDXFKIUDXVWUDGLWLRQHOOHU6LFKWÄ]XNOHLQH³0DUNWQLVFKHQ
So ist es z. B. für einen Übersetzungsdienstleister wesentlich einfacher geworden, Kun-
den auch überregional auf seine Leistungen aufmerksam zu machen, wodurch er nicht
mehr nur auf Kunden aus seinem näheren räumlichen Umfeld angewiesen ist. Dies er-
möglicht darüber hinaus auch eine tiefere Segmentierung des Zielmarktes, z. B. durch
Spezialisierung auf Übersetzungen des nur in Teilen Chinas aber immerhin von 21 Mio.
Menschen gesprochenen Ganyu. Gleiches gilt aber auch für Dienstleistungsunterneh-
men, die dem technologischen Strukturmuster der Value Chain oder dem Value Network
zuzuordnen sind. Für das Strukturmuster des Value Network ist darüber hinaus zu über-
legen, ob durch die größere Reichweite des Internets die Dienstleistung oder wie im Bei-
spiel der unitymedia Wi-Fi-Hotspots einzelne Bestandteile des Leistungsbündels auch in
Actor-to-Actor-Netzwerken erbracht werden könnten. Im angesprochenen Zielmarkt
sind die Akteure dann beides, sowohl Kunden als auch Ressourcenlieferant und Teil der
Infrastruktur, die zur Erstellung der Dienstleistung benötigt wird.
Das Element des Service-Konzepts ändert sich in der Value Chain insbesondere für bis-
her als Produktanbieter tätige Unternehmen, die durch die Digitalisierung eine Service-
Transformation durchlaufen haben, beispielsweise durch Mass Customization. Das Pro-
duktangebot ändert sich von reinen tangiblen Bestandteilen zu einem Mix aus tangiblen
und intangiblen Bestandteilen. Gleichzeitig werden Dienstleistungsanbieter, die bisher
dem Kunden den gleichen Nutzen verschafft haben, ± z. B. lokale Änderungsschneide-
reien, deren Leistung durch Mass Customization von Kleidung nicht mehr benötigt wird
± angegriffen. Zusätzlich bietet die Digitalisierung auch die Möglichkeit, die sekundären
Bedürfnisse der Kunden durch unterstützende Dienstleistungsbestandteile zu adressieren,
von denen ohne die Möglichkeiten der Digitalisierung weder der Kunde noch der Dienst-
leistungsanbieter gewusst haben. Deutlich wird dies beispielsweise an Reiseführer-Apps
wie tripadvisor als Value Shop, die auf Basis der Empfehlungen anderer Nutzer (Value
Network) für den jeweiligen Aufenthaltsort und das individuelle Nutzerprofil spezifische
Empfehlungen tätigen. Für alle technologischen Strukturmuster ist aufgrund der erhöh-
ten Reichweite eine Nischenstrategie möglich, womit eine Reduzierung des Service-
Konzepts auf weniger Bestandteile bzw. eingegrenzte tangible und intangible Angebote
verbunden ist.
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 291
Die Gestaltung des Service Delivery Systems betrifft die zu schaffende Infrastruktur und
die Nutzung von Ressourcen in den gewählten Strukturmustern der Wertschöpfung. Die
Digitalisierung führt diesbezüglich zu den in Abschnitt 3 erläuterten Veränderungen der
Kosten- und Differenzierungstreiber. Darüber hinaus kann aber auch die Art und Weise
der Informations- und Wertübermittlung von Veränderungen betroffen sein. So führt ei-
ne stärkere Individualisierung in der Value Chain wie beispielsweise durch Mass
Customization zu anderen Kundenkontakten und anderen Kanälen, über die Kunden an-
gesprochen werden. Während der Hosenkäufer bei Stangenware anschließend vom Än-
derungsschneider die Länge seiner Hosenbeine abgesteckt bekommt, finden der Kun-
denkontakt und die Informationsübermittlung bei Digitalen Dienstleistungen häufig über
Mensch-Maschine-Schnittstellen und Self-Service-Technologien statt, z. B. durch Pro-
duktkonfiguratoren auf Webseiten bei der kundenindividuellen Produkt- bzw. Dienstleis-
tungszusammenstellung. Damit fehlt Dienstleistungsunternehmen ein bisher wesentli-
ches Merkmal der Kundengewinnung und Kundenbindung über den persönlichen
Kontakt mit dem Vertriebspersonal. Daran wird deutlich, dass die Digitalisierung häufig
andere Anforderungen an die Mitarbeitenden im Vertrieb und Service nach sich zieht. So
sind statt klassischen Verkaufsleitern und Verkaufsmitarbeitenden unter Umständen eher
Produktmanager, Social Media Manager und Content Manager sowie Mitarbeitende mit
hoher Internetaffinität notwendig.
Wie bereits die Service Delivery Design Entscheidungen deutlich gemacht haben, hat die
Digitalisierung von Dienstleistungen wesentliche Veränderungen des Service Encounter
zur Folge, also der eigentlichen Interaktion mit dem Kunden. Die Digitalisierung inner-
halb der Value Chain erfordert kundenindividuelle Daten zu sehr frühen Zeitpunkten,
was insbesondere im Fall einer Servicetransformation zu fundamentalen Veränderungen
der Prozesse und Strukturen in Unternehmen führt (Geigenmüller et al. 2016). Zum ei-
nen geht dem Dienstleistungsanbieter der persönliche Kontakt als Instrument der Kun-
denbindung verloren. Zum anderen ermöglicht die Digitalisierung z. B. in der klassi-
schen Folge der Primäraktivitäten des Value Shop vielfältige und durchaus tiefgreifende
Interaktion mit dem Kunden. Der Service Encounter ist nicht mehr alleine auf die Erfas-
sung des individuellen Kundenproblems und die Kontrolle der ausgewählten Lösung be-
schränkt, sondern der Kunde kann zum Teil der Problemlösung werden. So prognostizie-
ren z. B. Studien zu Electronic Health, dass eine permanente Übermittlung von
Gesundheitsdaten und darauf abgestimmte Therapien nicht nur den Therapieerfolg, son-
dern insbesondere das gesundheitsschädliche Verhalten der Patienten beeinflussen kann
(Webb et al. 2010). Auch in anderen Dienstleistungen ist im Zuge der Digitalisierung
sowohl eine deutlich stärkere Ausprägung des Kontaktmomentes möglich als auch eine
häufigere und intensivere Interaktion zwischen Kunde und Dienstleister, ohne dass dies
für beide Seiten zu einem deutlich größeren Aufwand führt.
Digitale Dienstleistungsinnovationen bieten den Unternehmen sowohl die bisher be-
schriebenen Chancen, sie bergen aber auch spezifische Risiken. So erfordert der durch
Digitalisierung mögliche Zusatznutzen in der Regel sowohl die permanente Anbindung
der Kunden und ihrer Ressourcen an das Internet als auch deren Bereitschaft, die für
292 Norbert Bach, Maximilian Rimbach und Sebastian Wolf
Crowd-sourcing und Big Data Analytik benötigten Ressourcen und Informationen zur
Verfügung zu stellen. Damit unweigerlich verbunden ist die Frage der Speicherung und
Nutzung personenbezogener Daten sowie die Gewährung der erforderlichen Datensi-
cherheit. Darüber hinaus sind Fragen des normativen Managements zu beachten und zu
entscheiden. Für manche Kunden mögen der gläserne Mensch und die Bereitstellung ei-
gener Ressourcen zur Nutzung durch andere Netzwerkmitglieder und Auswertung durch
Unternehmen wie z. B. Google ein erstrebenswerter Zustand sein, andere Kundengrup-
pen lehnen diese Vorstellung ab, boykottieren Unternehmen, die eine solche Strategie
einschlagen und verweigern die Mitwirkung in Actor-to-Actor-Netzwerken. Dienstleis-
tungsunternehmen müssen daher genau abwägen, welche Potenziale sie zum Betreiben
welcher Geschäftsmodelle nutzen möchten und welche Zielgruppen und Nutzenpoten-
ziale nicht mit den eigenen normativen Grundsätzen zu vereinbaren sind.
Die in diesem Beitrag vorgenommenen Analysen und Diskussionen lassen sich in fol-
genden Thesen für das Management Digitaler Dienstleistungen zusammenfassen:
(1) Die Digitalisierung entkoppelt Teile der Leistungserstellung von der physischen
Präsenz vor Ort und ermöglicht den Zugriff auf und die Koordination von Ressour-
cen, auf die in regionalen Angeboten bisher verzichtet werden musste. Die Digitali-
sierung trifft daher insbesondere auf regionale Zielmärkte abstellende Dienstleis-
tungsanbieter wie z. B. Änderungsschneidereien, Videotheken oder Facility-
Management-Dienstleister. Wenn die physische Präsenz vor Ort dem Kunden kei-
nen Zusatznutzen bietet, sind die nun möglichen digitalen Dienstleistungsinnovatio-
nen dem bisherigen Angebot in der Regel überlegen.
(2) Technologische Treiber der Digitalisierung sorgen zum einen für einen Verände-
rungsdruck innerhalb bisher genutzter Strukturmuster der Wertschöpfung. In der
Konsequenz müssen Unternehmen sich den veränderten Voraussetzungen bei den
für das eigene Strukturmuster typischen Werttreibern stellen und geeignete Maß-
nahmen zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ergreifen. Zum anderen sorgen
die technologischen Treiber der Digitalisierung für einen Veränderungsdruck, der
Unternehmen auch zu einem Umdenken hinsichtlich der Nutzung substitutiver bzw.
komplementärer technologischer Strukturmuster zwingt. Dies betrifft nicht nur die
Servitization, sondern insbesondere auch Strategien der regionalen Ausweitung mit
Zugriff auf über das Internet koordinierbare Ressourcen bei gleichzeitiger inhaltli-
cher Fokussierung.
(3) Bei einfachen und standardisierten Dienstleistungen übernehmen die unter dem Be-
griff der Economies of Digitization zusammenfassbaren Veränderungen der Wert-
treiber die bisherige Rolle von Economies of Scale und Scope. Wenn der Kunde
zum gleichen Preis eine individualisierte Dienstleistung erhalten kann, werden Stan-
dardangebote den Wettbewerb nicht überleben. Beispiele hierfür finden sich insbe-
sondere im Bereich von Beratungs- und Empfehlungsdienstleistungen, die durch ei-
ne Kombination der Leistungselemente des Value Shop und des Value Network
neuartigen und stärker auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitte-
nen Nutzen stiften.
Wertschöpfungspotenziale durch Digitalisierung 293
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Heiko Gebauer, Simon Joncourt und Caroline Saul
1. Einführung
2. Grundlagen
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
___________________________
PD Dr., Heiko Gebauer, leitet die Gruppe Business Innovation an der eawag (Wasser-
forschungsinstitut der ETH). Er ist Professor am Center for Service Research der
Universität Karlstad in Schweden. Simon Joncourt, M. A., ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Eawag und beschäftigt sich mit marktbasierten Ansätzen in
Entwicklungsländern. Caroline Saul, M. Sc., ist Doktorandin an der Eawag und der
Karlstad Universität.
dung dieser Aspekte und unterlegen sie mit ausgewählten Beispielen aus unserer For-
schungsarbeit. Der Beitrag endet mit einem Schlussfazit.
2. Grundlagen
Unternehmen stehen heute vor zwei wesentlichen Veränderungen. Diese beiden Verän-
derungen sind miteinander gekoppelt, bedingen und verstärken sich gegenseitig.
Die Produkte der Unternehmen werden zunehmend miteinander vernetzt und intel-
ligenter. Unternehmen bekommen Zugang zu wertvollen Informationen über die
Nutzung, die Verfügbarkeit und das eigentliche Ergebnis des Produktes im Kunden-
prozess.
Die Geschäftsmodelle von Unternehmen wandeln sich zunehmend von einer Pro-
dukt- zu einer Dienstleistungsorientierung. Unternehmen bieten vermehrt hybride
Leistungsbündel an, welche neue nutzen-, verfügbarkeits- und ergebnisorientierte
Geschäftsmodelle ermöglichen.
Diese Veränderungen eröffnen neue finanzielle und strategische Möglichkeiten. Der
Ausbau der Dienstleistungsorientierung eröffnet beispielsweise neue Umsatzpotenziale,
ermöglicht es, Kunden besser ans Unternehmen zu binden, und stärkt die Differenzie-
rung gegenüber dem Wettbewerb. Die Vernetzung der Produkte ermöglicht es, Kosten
zu reduzieren, Informationen über die Nutzung des Produktes zu sammeln und mit die-
sen Informationen die Produktentwicklung zu verbessern.
Diese Möglichkeiten sind nicht frei von Risiken. So besteht die Gefahr, dass die Investi-
tionen in den Dienstleistungsbereich nicht zu den erwarteten Resultaten führen (Gebauer
et al. 2005). Zusätzlich haben Unternehmen das Risiko, dass die Umsetzung der notwen-
digen Technologien aufgrund von Sicherheitsüberlegungen, Bedenken der Kunden oder
mangelnder Technologiestandards scheitert (Kaufmann 2015).
Konfrontiert mit diesen Risiken und Möglichkeiten müssen Unternehmen überlegen, wie
sie vorgehen sollen. Sollen Unternehmen zuerst die Dienstleistungsorientierung erhöhen
sowie in den Dienstleistungsbereich investieren und dann die notwendigen Technologien
implementieren? Sind die Technologien der erste Schritt und anschließend wird das
Dienstleistungsgeschäft ausgebaut oder müssen der Dienstleistungsbereich und die
Technologien zeitlich parallel ausgebaut werden?
Unsere Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen im Vorteil sind, wenn sie bereits eine
hohe Dienstleistungsorientierung haben und diese Dienstleistungsorientierung durch die
neuen Technologien ergänzen. Ein Unternehmen wie General Electric ist ein Pionier bei
der Ausnutzung dieser neuen Technologien (Evans/Annunziata 2012). General Electric
ist ebenfalls Vorreiter für dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle (Fischer et al.
2012).
Transformation von Unternehmen ± Technologien und Geschäftsmodelle 303
Logistikanbieter liefern die Werkzeuge direkt in die Produktion und holen Werk-
zeuge zur Überholung und zur Entsorgung ab
Recyclingunternehmen entsorgen die Werkzeuge fachgerecht
Die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen ist sehr komplex und trägt nicht unmittel-
bar zur Lösung der Kundenprobleme bei. Um diese Kundenprobleme umfassend zu
lösen, entwickelte Fraisa die ToolCare® Lösung. ToolCare® ist ein praktisches Werk-
zeugmanagementsystem mit einem individuell bestückten Kundenwarenlager und der
Verwendung von Werkzeugen auf Konsignationsbasis. Abbildung 1 illustriert die Lö-
sung der Kundenprobleme entlang der Kundenprozesse.
ToolCare® 1.0 war der Ausgangspunkt und wurde mit neuen Technologien weiterentwi-
ckelt. Das heutige ToolCare® 2.1 ist ein computergestütztes, vollautomatisches Werk-
zeugmanagementsystem, welches Kunden ein individuell ausgewähltes Werkzeugpro-
gramm zur Verfügung stellt. Die Version 2.1 ermöglicht eine Bewirtschaftung der
Werkzeuge über eine Computer Cloud-Lösung. Eine webgestützte Überwachung von
Mindestbeständen mit automatischer Nachbestellung von Werkzeugen stellt sicher, dass
die für die Produktion benötigten Tools immer vorhanden sind. Eine permanente Trans-
parenz hinsichtlich des Werkzeugverbrauchs und der damit verbundenen Kosten ist so
lückenlos gewährleistet. Der automatisierte Nachbestellprozess reduziert außerdem den
Aufwand für die Warenbeschaffung deutlich. Kunden bezahlen nur für die Nutzung der
Werkzeuge.
Das Fraisa Beispiel zeigt wie Unternehmen bestehende Lösungen mit Hilfe von neuen
Technologien weiterentwickeln. Ausgangspunkt ist das Verstehen der Kundenbedürfnis-
se entlang der Kundenprozesse. Die neuen Technologien machen die Lösungen noch
effizienter und effektiver.
306 Heiko Gebauer, Simon Joncourt und Caroline Saul
Die Information sind nicht nur für Sarvajal interessant, sondern ebenfalls für staatliche
Institutionen, soziale Investoren und Finanzinstitute, wie die Weltbank oder die asiati-
sche Entwicklungsbank, die Projekte im Wassersektor unterstützen. Gegenüber
Systemen von Wettbewerbern hat Sarvajal den Vorteil, dass es glaubwürdige Informati-
onen über den eigentlichen Wasserverbrauch der Bevölkerung zur Verfügung stellen
kann.
System
Wie ist die
Wasserqualität?
Zustand der 412 Systeme
Dorf
Service Center
Call Center
Kunden System
Wetter-
daten
Ma
Maschinen Landwirtschaft- Saatgut-
& Geräte licher Betrieb daten
Boden-
daten
10 Flugzeughersteller
0 Lieferanten
2003 2004 ... 2011 2012
Produktumsatz Serviceumsatz
Die Apps werden auch von anderen Partnern wie die Linde Gruppe, Schmalz, Sick Sen-
sor Intelligence oder Carl Zeiss entwickelt. Die Partner profitieren anschließend davon,
dass diese Apps über die Axoom Plattform vermarktet werden. Die Preise für die Apps
sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sie reichen von 1 EUR pro Monat für die Accura
Bulk Management App von Linde, welche den Bestand an Gasflaschen überwacht, bis
hin zu 320 EUR pro Monat für die 4tasks App von der Firma Skalero, welche die Quali-
tät vieler Arbeitsabläufe verbessert.
4. Zusammenfassung
Unternehmen stehen heute vor einer grundlegenden Transformation:
Unternehmen verändern aufgrund neuer Technologien wie Industrie 4.0, das Inter-
net der Dinge und der Digitalisierung wesentliche Elemente (z. B. Wertschöpfung,
Wertversprechen und die Ertragsmechanik) ihrer Geschäftsmodelle,
Unternehmen transformieren ihre Geschäftsmodelle von einer Produkt- zu einer
Dienstleistungsorientierung.
Damit diese Transformation erfolgreich ist, müssen Unternehmen nach den folgenden
Prinzipien handeln:
Unternehmen können diese Transformationen nur dann erfolgreich gestalten, wenn
sie vermehrt in Kundenprozessen, -aktivitäten und -bedürfnissen denken.
Damit sich die Investitionen in neue Technologien lohnen, müssen Unternehmen im
ersten Schritt diese Technologien zu Kostensenkungen nutzen.
Anstatt eine Vielzahl von Lösungen zu vermarkten, müssen sich Unternehmen auf
ausgewählte Lösungen konzentrieren.
Unternehmen müssen zunehmen in komplexen Wertschöpfungssystemen denken.
Anstatt die Lösungen und Technologien innerhalb des Unternehmens zu kommerzi-
alisieren, sollten sie ein neues Unternehmen gründen.
Unser Beitrag veranschaulicht diese Empfehlungen anhand von verschiedenen Beispie-
len. Diese Empfehlungen sind natürlich keine vollständige Liste. Sie zeigen jedoch
einige wesentlichen Punkte auf.
314 Heiko Gebauer, Simon Joncourt und Caroline Saul
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Christian van Husen, Dieter Häberle, Saed Imran und Carsten Droll
4. Diskussion
Literaturverzeichnis
und Prozesse können digitalisiert werden ± diese Spezifikation sollte aus einer kundenori-
entierten Perspektive auf die Gesamtleistung erfolgen und nicht der softwaretechnischen
Umsetzung überlassen bleiben. Die Entwicklung solcher PSS erfordert zum einen eine
Planung des Gesamtsystems und zum anderen die operative Entwicklung der einzelnen
Bestandteile. Während die systematische Sachgut- und Softwareentwicklung weit fortge-
schritten und in den Unternehmen etabliert sind, stellen die zunehmenden Anforderungen
an die Entwicklung von Servicekomponenten viele Unternehmen noch vor Herausforde-
rungen.
Für die immateriellen Bestandteile der Leistungen gelten die gleichen Besonderheiten wie
für Dienstleistungen an sich; hinzu kommen die Schnittstellen mit den weiteren Bestand-
teilen, die je nach Konstellation entweder als Prämisse oder Anforderung in die Entwick-
lung der Servicekomponenten eingehen oder als Ressourcenanforderungen aus der Ser-
viceentwicklung an die Sachgut- bzw. Softwareentwicklung übergehen.
Die Entwicklung der Dienstleistungskomponenten ist daher nach den Grundsätzen des
Service Engineering möglich. Demnach werden Dienstleistungen in drei Dimensionen
entwickelt (Produkt-, Prozess-, Ressourcenmodell) und müssen den Kunden als externen
Faktor berücksichtigen (Meiren/Barth 2002). Mit der möglichst systematischen und ge-
stützten Konzeption und Definition dieser Leistungen beschäftigt sich das vom BMBF
JHI|UGHUWH)RUVFKXQJVSURMHNWÄ3DUDPHWHUEDVLHUWHV6HUYLFH'HVLJQEHLGHU,QQRYDWLRQYRQ
Produkt-Service-6\VWHPHQ³)|UGHUNHQQ]HLFKHQ03FH047PX4), auf dessen Inhalten die-
ser Beitrag im Wesentlichen basiert.
Die traditionelle materialintensive Art der Nutzung von Produkten weicht zunehmend der
Möglichkeit, die Kundenbedürfnisse durch dematerialisierte Dienstleistungen zu erfüllen
(Mont 2002). Darüber hinaus richten sich industrielle PSS an Unternehmens-Kunden, d.
h. sie dienen dem Einsatz zu wirtschaftlichen Zwecken und haben somit eine funktionale
Komponente, die einen entscheidenden Kern darstellt und im Verhältnis mit dem Wert-
schöpfungsbeitrag und Preis die Kaufentscheidung prägt. Darüber hinaus ist bei solchen
B2B-Leistungen zu berücksichtigen, dass sie sich nicht an einen Kunden als Person rich-
ten, sondern Interessen diverser Stakeholder wie z. B. Anwender, Entscheider, Einkäufer,
Controller, Qualitätsmanager, IT-Verantwortlicher betrachtet werden müssen.
Tätigkeitsorientiert Ergebnisorientiert
(Input-basiert) Asset (Output-basiert)
Product Life-
Efficiency
Cycle Services
Services
Services mit Bezug zu (PLS)
Cross
(AES)
Sachgütern Sectional
Training
Consulting
Services mit Bezug zu Information
Kundenprozessen Process Takeover Process Assistance
Services Services
(PTS) (PAS)
Services, die Kunden bei der
Services der Übernahme von Optimierung ihrer
Kundenprozessen Geschäftsprozesse unterstützen
Ergebnisorientiert Tätigkeitsorientiert
(Output-basiert) (Input-basiert)
Aufgrund der großen Bandbreite der PSS sollen verschiedene Typen differenziert werden,
um zu gewährleisten, dass die Anwendbarkeit auch für unterschiedliche Fälle überprüft
werden kann. Zur Differenzierung soll eine Typologie zugrunde gelegt werden. Zwar exis-
tieren auch umfangreiche Kataloge industrieller Leistungen, allerdings kann bei einem
aufzählenden Katalog niemals die vollständige Abdeckung aller möglichen und zukünftig
denkbaren Fälle gewährleistet werden. Daher wurde die Typologie nach Ulaga und Rein-
artz (2011) als Basis gewählt, da sie explizit hybride Angebote fokussiert und auf einer
empirischen Basis mit Bezug zu europäischen Unternehmen entwickelt wurde. Zudem er-
scheint die Differenzierung nach den Kriterien Produkt- vs. Prozessorientierung und Tä-
tigkeits- vs. Ergebnisorientierung für die Strukturierung der verschiedenen Servicekom-
ponenten aus einer Entwicklungsperspektive sehr geeignet. Zur besseren Abgrenzung von
320 Christian van Husen, Dieter Häberle, Saed Imran und Carsten Droll
dem bestehenden Akronym PSS wurden die Kategorien teilweise umbenannt sowie als
Querschnittstypen Training, Consulting und Information ergänzt. Leistungen dieser Quer-
schnittstypen können sich abhängig von deren Inhalt in allen vier originären Kategorien
finden. Da eine Differenzierung im Hinblick auf die Entwicklung für diese Fälle nicht
notwendig erscheint, wurden diese als Querschnittstypen definiert (vgl. Abbildung 1). Die
Typologie wurde im Hinblick auf das fokussierte Leistungsspektrum um Unterkategorien
und konkrete Leistungen auf zwei Ebenen ergänzt (Häberle et al. 2016). Basis für diese
Ergänzungen bildeten Servicekataloge mehrerer großer Unternehmen sowie eines Ser-
viceverbands. Die Struktur dieser Klassifikation wurde anhand der Leistungsstruktur eines
weiteren großen Unternehmens mit Experten evaluiert. Abbildung 2 zeigt die Struktur bis
zur vierten Ebene sowie exemplarisch einen Ausschnitt aus der fünften Ebene.
Level 1 IPSS
Parameter Ausprägungen
Automatisch Persönlich
Automatisierung
erzeugt erzeugt
Informations-
Übermittlung Persönlich Brief Telefon E-Mail SMS
portal
Aktive
Ja Nein
Benachrichtigung
Zeitkritisch Ja Nein
Das entwickelte Parametergerüst baut inhaltlich auf dem Anforderungskatalog für pro-
duktbegleitende Dienstleistungen (Husen 2007) auf und wurde durch Kriterien aus Nor-
men zur Spezifikation (IEEE 1233, 1998) sowie in mehreren Runden mit Praktikern ab-
geglichen und ergänzt. Je nach Parameter sind unterschiedliche Arten von Ausprägungen
möglich:
Ja/Nein (Ausprägung trifft zu oder nicht),
Geschlossene Liste (Auswahl aus einer definierten Zahl an Ausprägungen),
Offene Liste (Auswahl aus vorgegebenen Ausprägungen, die jedoch ergänzbar sind),
Offen (keine vorgegebenen Ausprägungen; Parameter muss z. B. als freier Text oder
sonstiger Inhalt definiert werden),
324 Christian van Husen, Dieter Häberle, Saed Imran und Carsten Droll
2.3 Parameterstruktur
Grundsätzlich ist jeder Parameter einer der drei Entwicklungsdimensionen Produkt, Pro-
zess und Ressourcen zugeordnet. Um eine übersichtliche Systematik zu erreichen, wurden
die Parameter in Gestaltungskategorien geordnet, die teilweise mit Subkategorien auf
mehreren Ebenen hierarchisch gegliedert wurden. Abbildung 4 zeigt einen Überblick über
die Struktur der Parameter.
Parameterbasierte Entwicklung von Dienstleistungen in Produkt-Service-Systemen 325
Gestaltungsdimensionen
Gestaltungskategorien
Gestaltungsparameter
Verwend.zweck Gelände/Gebäude
Org. einheit Einrichtung
Standorte/Netz Beschilderung
Zusätzlich zu den möglichen Ausprägungen verfügt jeder Parameter auch über Metadaten.
In diesen Metadaten sind für den Entwicklungsprozess beispielsweise der Bezug zu Ge-
staltungsdimension und -kategorie, möglichen Servicetypen, Prozess- oder Ressourcenre-
levanz oder die Verknüpfung zu Kundenanforderungen hinterlegt.
Produkt- Produkt-
anforderungen parameter
Gesammelte und
strukturierte
Prozess- Prozess-
Anforderungen
anforderungen parameter
der Stakeholder
«Q
Ressourcen- Ressourcen-
anforderungen parameter
Die Spezifikation der Prozessparameter erfolgt im nächsten Schritt auf Basis der Pro-
zessanforderungen sowie der Vorgaben, die sich aus den Produktparametern ableiten. Die
kompletten Prozessparameter bilden wiederum die Grundlage für die Modellierung des
Prozesses, die mit Methoden wie Service Blueprinting (Shostack 1984) oder klassischen
Techniken wie ereignisgesteuerten Prozessketten (Scheer et al. 2003) vorgenommen wer-
den kann.
Schließlich werden die Ressourcenparameter anhand der Ressourcenanforderungen sowie
der Abhängigkeiten von Produkt- und Prozessparametern spezifiziert. Über sämtliche Pa-
rameter und den modellierten Prozess ist somit die Dienstleistung konzipiert und kann
implementiert werden. Die Auswahl und Anwendung der Parameter wurde anhand eines
realen Beispiels evaluiert.
Parameterbasierte Entwicklung von Dienstleistungen in Produkt-Service-Systemen 327
Die Beispiele verdeutlichen, dass Experience auch für investive, technische Dienstleistun-
gen von Bedeutung ist. Ein Konzept, das sich auch auf diese Leistungen gut anwenden
lässt, wurde von Berry et al. (2002) vorgestellt. Demnach setzt sich der Customer Experi-
ence Value, je nach Ausprägung mit positivem oder negativem Vorzeichen, zusammen
aus
Funktionaler Experience,
Emotionaler Experience,
Nicht-finanziellem Aufwand,
Finanziellem Aufwand.
Eine gezielte Betrachtung und Berücksichtigung dieser Faktoren bereits während der Kon-
zeption ist somit sinnvoll, um alle Aspekte abzudecken, die später erfolgskritisch für die
angebotene Dienstleistung sein können.
4. Diskussion
Durch eine parameterbasierte Serviceentwicklung werden Möglichkeiten eröffnet,
Dienstleistungen stärker vorstrukturiert zu konzipieren. Dadurch kann die Gefahr verrin-
gert werden, bestimmte Aspekte der Konzeption zu vergessen, und für weniger erfahrene
Entwickler erspart das Gerüst den Aufwand, jeglichen Aspekt von Beginn an zu durch-
denken. Einfache Gestaltungsentscheidungen werden lediglich auf eine Auswahl redu-
ziert. Dadurch ist eine deutliche Effizienzsteigerung im Entwicklungsprozess zu erwarten.
330 Christian van Husen, Dieter Häberle, Saed Imran und Carsten Droll
Gleichzeitig wird damit ein Potenzial frei, das in tatsächlich kreative Findung von Lösun-
gen und zur Differenzierung eingesetzt werden kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass mit
Parametern entwickelte Dienstleistungen später unkompliziert, beispielsweise aufgrund
geänderter Anforderungen, angepasst werden können. Außerdem lassen sich vereinfacht
Varianten erstellen, z. B. aus einer Schulung für einen Servicetechniker eine Schulung für
einen Maschinenbediener.
Die im Vorhaben zusammengestellten Parameter und Ausprägungen sind nicht abschlie-
ßend fixiert, sondern bewusst offen, sodass sie für bestimmte Branchen, Unternehmen o-
der auch zukünftige Services ergänzt werden können.
In der praktischen Anwendung wird eine Abwägung zu treffen sein, wieviel Aufwand im
Vorfeld in ein spezifisches Parametergerüst investiert wird und welcher Nutzen daraus zu
erwarten ist. Möglicherweise können sich Industriestandards bilden, wenn die Parameter-
struktur im offenen Austausch von Anwendern kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Parametern und Experience-Faktoren
ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine absolute Beziehung handelt, die metho-
disch präzise bestimmt wird. Es handelt sich bei dem vorgeschlagenen Vorgehen um eine
Einschätzung des Entwicklers, deren Vorteil vor allem in der praktischen Machbarkeit und
dem begrenzten Aufwand liegt. Optimierungen sind zu erwarten, wenn ex post analytische
Zusammenhänge ermittelt und verifiziert werden und in Folgeprojekte einfließen können.
Die Entwicklung mit Parametern ermöglicht grundsätzlich eine deutliche Vereinfachung
bei Variantenvergleichen, Evaluation und Optimierungen, da einzelne Parameter gezielt
verändert werden können. Damit bildet dieser Ansatz auch eine gute Basis für eine Simu-
lation. Allerdings sind die konkreten Voraussetzungen für eine Simulation noch nicht ge-
geben und auch nicht Bestandteil des Vorhabens. Hier liegt ein vielversprechender An-
satzpunkt für weitere Forschungsarbeiten in der Zukunft, wenn Veränderungen in den
Parametern unmittelbar mit ihren Auswirkungen, z. B. auf Prozesszeiten, gemessen und
betrachtet werden können.
Ein weiterer Aspekt, der zukünftige Arbeit erfordert, ist die Schnittstelle zwischen den
Prozessparametern und der Prozessmodellierung in beiden Richtungen. Hier ist die Frage
wie möglicherweise ausgewählte Prozessmodule anhand der Parameter teilautomatisiert
modelliert werden können oder wie die Effizienz modellierter Prozesse gemessen und
durch Veränderung von Parametern optimiert werden kann.
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Uta Jüttner, Katharina Windler, Adrienne Schäfer und Anja Zimmermann
1. Smart Services
1.1 Smart Services als Innovationstreiber
1.2 Begriff und Merkmale von Smart Services
Literaturverzeichnis
Schwerpunkte, von der Produktion über den Bereich der Mobilität und des Wohnens bis
hin zu Beschäftigung und Querschnittsthemen. Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) hat im Wissenschaftsjahr 2014 seine Fachtagung dem Thema
Dienstleistung in der digitalen Gesellschaft gewidmet und sich dort speziell mit dem
Thema der Smart Services auseinandergesetzt (Boes 2014).
Smart Services sind dabei nicht zwingend rein digital, sondern integrieren auch
menschliche, physische Interaktionen. Sie werden nicht nur als individuelle Produkt-
Service-Bündel Kunden zur Verfügung gestellt (z. B. Mobilitäts-, Fitness-, Smart-Home-
Daten), sondern sie fließen ebenso in Unternehmens- oder Produktionsprozesse ein.
Wie Smart Services in Unternehmen entwickelt und realisiert werden, was ihre
Entwicklung antreibt, welche Effekte diese Entwicklungen auf die Servicestrategie des
Unternehmens, die Kundenbeziehungen und die Form der Kollaboration sowie die
Rollen in Serviceökosystemen haben, sind Fragen, die bisher empirisch wenig beleuchtet
oder nicht eindeutig beantwortet wurden. Im vorliegenden Beitrag wird diesen Fragen
auf der Basis von zwei Fallstudien aus dem Bereich Maschinenbau und industrielle
Prozesstechnik und Automatisierung explorativ nachgegangen. Dabei steht vor allem
eine Analyse dezentraler Design-Aufgaben im Vordergrund. Die Ergebnisse werden in
Form von zehn Erkenntnissen zusammengetragen und gewürdigt. Basis der generierten
Erkenntnisse bildet eine im folgenden Abschnitt 2 geführte Auseinandersetzung mit dem
Untersuchungsgegenstand selbst, der neben der DNA von Smart Services, vor allem
auch auf Veränderungen im Bereich von Funktionen und Interaktionen in der Anbieter-
Kunden-Beziehung und im Servicesystem eingeht.
Funktionen umfassen.
Die Überwachungsfunktion bezieht sich auf den Zustand eines Produkts, seiner externen
Umgebung sowie seines Betriebs und des Nutzungsprozesses. Gleichzeitig ermöglicht
die Überwachung das Auslösen von Warnsignalen und die Benachrichtigung über
Veränderungen. Die Überwachung von Produkten erlaubt ebenfalls das Tracking der
Betriebshistorie, um z. B. besser verstehen zu können, wie das Produkt genutzt wird.
Die Kontrollfunktion stellt die Kontrolle von Produktfunktionen durch Remote-
anweisungen oder -algorithmen sicher, die entweder im Produkt selbst oder in einer
Cloud angesiedelt sind. Dies führt zu einem hohen Maß an Personalisierungsmöglich-
keiten der Nutzung des Produkts.
Die Optimierungsfunktion entsteht durch eine Kopplung von Überwachung und
Kontrolle. Der Smart Service kann durch Algorithmen und Analytik von Echtzeit- oder
historischen Daten die Leistung, Auslastung und Effizienz von Produkten und Anlagen
erhöhen.
Die Autonomiefunktion umfasst den eigenständigen Betrieb von Produkten. Die Funktion
ermöglicht Produkten über ihre Umgebung zu lernen, Selbstdiagnosen zu erstellen und
auf Nutzerpräferenzen zu reagieren. Durch die Autonomiefunktion können sich Produkte
auch selbständig mit anderen Produkten oder Systemen koordinieren und vernetzen.
Die neuen Funktionen spiegeln stark das Serviceverständnis der Service-Dominant
Logic wider, die Service als die Basis allen Austauschs betrachtet (Vargo/Lusch 2004;
Lusch/Vargo 2014). Service (Singular) wird dabei als Prozess gesehen, in dem
Ressourcen integriert werden, die zu Wertentstehung führen und nicht als Services
(Plural) im Sinne von Ertragseinheiten. Die neuen Funktionen eines Smart Service
implizieren große Servicepotenziale. Diese müssen jedoch zunächst von den Anbietern
zu einzelnen Serviceangeboten entwickelt werden. Anbieter müssen sich über die
Wertversprechen und Preise dieser Angebote im Klaren sein und diese in einem
gesamten Servicesortiment mit bestehenden Dienstleistungen abstimmen. Dies könnte
zur Folge haben, dass einige der bestehenden Dienstleistungen wegfallen und somit eine
neue Servicestrategie benötigt wird. Porter und Heppelmann (2014) argumentieren, dass
Anbieter neue Serviceorganisationsstrukturen und -prozesse benötigen. Um dieses
Thema explorativ anhand von konkreten empirischen Fällen zu untersuchen, geht dieser
Beitrag der folgenden, weiteren Forschungsfrage nach:
Wie wirken sich Smart Services auf die bestehende Servicestrategie der Anbieter aus?
Tätigkeiten von Anbieter und Kunde innerhalb der Geschäftsbeziehung neu konfiguriert
werden. Dadurch kann die Schnittstelle zum Kunden verändert werden bis hin zu einer
neuartigen Form der Einbindung des Nutzers, sowohl bei der Konzeption des neuen
Serviceangebotes als auch bei der Leistungserbringung. Es besteht die Möglichkeit, dass
der Anbieter den Kunden durch Smart Services entlastet, indem er ihm Tätigkeiten
abnimmt, oder ihn derart befähigt, dass er Tätigkeiten selbst effizienter oder effektiver
ausführen kann (Normann/Ramírez 1993). Ebenso wie empirische Erkenntnisse zur
Frage des Einflusses der Entwicklung von Smart Services auf die Akteure des
Servicesystems fehlen, sind auch empirische Erkenntnisse zu den tatsächlichen
Auswirkungen der Entwicklung von Smart Services auf die Co-Kreation in der
Kundenbeziehung nicht vorhanden (Wünderlich et al. 2015). Es gibt keine empirischen
Erkenntnisse, wie Anbieter und Kunden auf die neuen Funktionen von Smart Services
reagieren, z. B. durch Anpassungen ihrer Prozesse, und wie sich diese Reaktionen auf
die Interaktionen bei der Leistungserstellung auswirken. Ziel dieses Beitrags ist es daher,
die Auswirkungen der Einführung von Smart Services auf die Kundenbeziehung anhand
konkreter empirischer Fälle zu betrachten. Folgende Forschungsfrage steht dabei im
Vordergrund:
Welche Auswirkungen hat die Entwicklung von Smart Services auf die Co-Kreation
Beziehung zwischen Anbieter und Kunde?
Bei der Frage, welche Entwicklungspfade bzw. Vorgehensweisen Anbieter beim Aufbau
der drei Smart-Service-Komponenten wählen, konnten zwei zentrale Erkenntnisse
gewonnen werden:
Erkenntnis 1: Die physischen Produkte werden in den Fallstudienfirmen ]XHUVWÄ6PDUW-
Services-IlKLJ³JHPDFKWGHU$XVEDXGHU9HUELQGXngsmöglichkeiten erfolgt sequenziell.
Design von Smart Services ± Eine explorative Studie im B2B-Sektor 347
Sowohl Endress+Hauser als auch Bucher Emhart Glass haben mit dem Aufbau und der
Entwicklung von Smart Services bereits vor Jahren begonnen, sodass sie als Smart-
Service-Pioniere in ihren jeweiligen Branchen gelten. Bei beiden Firmen wurden
zunächst die physischen Produktionsmaschinen und dazugehörigen Instrumente remote-
fähig gemacht bzw. mit Sensoren ausgestattet, um softwaregestützt über digitale
Benutzerschnittstellen die Kommunikation mit den Anlagen zu ermöglichen. Anstoß für
diesen Schritt in den traditionell produktorientierten Firmen war die Erkenntnis, dass
nachhaltig nur jene Geschäftsmodelle den Führungsanspruch sichern können, die nicht
ausschließlich auf die Produktoptimierung setzen. Der Anteil des physischen Produktes
am gesamten Kundenwertversprechen werde vielmehr an Bedeutung verlieren. Zudem
ging man früh davon aus, dass in der heutigen Informationskultur die Generierung von
Informationen über den gesamten Wertschöpfungsprozess des Kunden erfolgskritisch
wird. Trotz zunächst fehlenden eigenen Kompetenzen haben beide Unternehmen daher
die Relevanz der Software für zukünftige Funktionalitäten, Services und Kunden-
interaktionen frühzeitig erkannt.
Bei Endress+Hauser sichert die Seriennummer den Informationszugriff auf die gesamte
Historie der aus bis zu zwei- bis dreitausend einzelnen Produkten bestehenden
Produktionsanlagen. Somit werden die Phasen von der Entwicklung beim Anlagenbauer
über die Inbetriebnahme beim Kunden bis hin zum Betrieb selbst datenseitig abgedeckt.
Auch Bucher Emhart Glass generiert Informationen zu Tausenden von Parametern über
die Steuerung, Sensoren sowie weitere physische Elemente wie Spezialkameras, welche
die Temperatur in den sensiblen Betriebsabläufen der Glasformung messen. Obwohl
damit die Voraussetzungen für eine Vielzahl von datengestützten Smart Services
gegeben sind, werden die Potenziale noch nicht ausgeschöpft. Dies liegt erstens daran,
GDVV 6PDUW 6HUYLFHV DXV GHU 6LFKW GHU ,QWHUYLHZSDUWQHU ÄBig Data Know-how in
Kombination mit einem guten Business-Gespür bedingen³ und damit Fähigkeiten, deren
Entwicklung viel Zeit benötigt. Zum zweiten ist die KonnektiYLWlWQRFKDXIGHPÄ2QH-
to-2QH³-Basisniveau. Datenerfassung und -speicherung erfolgen derzeit noch isoliert für
jedes Produkt und können nicht als ÄRQH-to-PDQ\³- RGHUÄPDQ\-to-PDQ\³-Verbindungen
für Nutzerübergreifende Vergleichsservices wie dem Benchmarking genutzt werden.
Auch wenn die Kunden durchaus den Zusammenhang zwischen der zentralen
Datenspeicherung in Cloud-Lösungen und dem Nutzen für die beteiligten Firmen
erkennen, überwiegen noch Sicherheitsbedenken. Der Ausbau der Verbindungs-
möglichkeiten entweder über die Kundeninternen Produktionsstandorte oder in
verschlüsselter Form sogar zwischen den verschiedenen Kunden ist daher eine
Entwicklungsaufgabe in beiden Firmen. Mit dem Ausbau der Konnektivität wird sich
schrittweise auch das Potenzial innovativer Smart Services und das Nutzenpotenzial für
die Kunden erhöhen.
Erkenntnis 2: Möglichkeiten zur Skalierung von Smart-Service-Systemen werden von
den Fallstudienfirmen genutzt.
348 Uta Jüttner, Katharina Windler, Adrienne Schäfer und Anja Zimmermann
Anhand der aus den drei Komponenten bestehenden DNA von Smart Services lässt sich
der erhebliche Ressourcenbedarf für deren Entwicklung erklären. Dieser erstreckt sich in
beiden Firmen über alle zentralen Ressourcen wie Know-how, physische Ressourcen,
Partnerschaften, Zeit und Geld. Um die Entwicklung und Markteinführung über die
mehrjährigen Projektzeiträume voranzutreiben, werden in beiden Firmen Skalierungs-
möglichkeiten im Sinne von Meilensteinen genutzt. Diese liegen auch im Anwen-
dungsbereich der Smart-Service-Systeme.
Bei Bucher Emhart Glass bieten die Anlagen selbst eine Skalierungsmöglichkeit des
Smart-Service-Entwicklungsprojektes, welche durch das Unternehmen aktiv genutzt
ZLUG6RVLQGGDVÄHeißH(QGH³, die Glasformungsmaschinen, sowie GDVÄ.DOWH(QGH³
die Prüfmaschinen, zwei in sich geschlossene Systeme. Traditionell hat Bucher Emhart
*ODVVGLH.HUQNRPSHWHQ]LPÄ+HLßHQ(QGH³'DKHUZXUGHQ]XQlFKVWLQGLHVHP%HUHLFK
die ersten Schritte zur automatisierten Steuerung der Flaschenformung unternommen.
Durch den bislang noch geschlossenen Informationskreislauf können Informationen, die
im System Ä+HLßHV (QGH³ JHwonnen werden, direkt für Smart-Services-gesteuerte
Optimierungen der Glasformung genutzt werden. Dies schließt auch den Zugriff auf die
*ODVDQODJHQ GHU .XQGHQ PLWWHOV Ä5HPRWH 6HUYLFH³ HLQ ,P -DKUe 2016 wurde mit dem
Ä(QG-to-(QG³-Konzept eine Lösung zur informationsgesteuerten Verbindung zwischen
dem ÄHeißen Ende³ und dem ÄKalten Ende³ lanciert, die zugleich das Smart-Service-
System beträchtlich erweitert. Da es sich hierbei um eine der größten, strukturrelevanten
Innovationen in der traditionell geprägten Branche handelt, ist das Profilierungspotenzial
hoch. Durch die bislang bereits gesammelten Erfahrungen mit dem Smart Service im
ÄHeißen (QGH³ NRQQWHQ XQWHUQHKPHQVLQWHUQ ZLH NXQGHQVHLWLJ GLH 9RUDXVVHW]XQJHQ
geschaffen werden, sich in der ankündigenden Disruption der Branche zu behaupten.
$XFK (QGUHVV+DXVHU ]LHOW PLW VHLQHP $QVDW] GHV Ä(PEHGGHG (QJLQHHULQJ³ DXI GLH
Unterstützung des gesamten Kundenprozesses und betrachtet die intelligente,
informationsgesteuerte Überwindung von Schnittstellen als zentralen Fokus von Smart
Services. Die Interviews zeigen jedoch auch hier ein Vorgehen in Entwicklungsschritten,
das sich an den Lebenszyklusphasen der Anlage orientiert. So liegt der Schwerpunkt der
bisherigen Maßnahmen in der Phase der Anlagenentwicklung bis zur Inbetriebnahme.
Die Möglichkeiten zur Optimierung des Produktionsprozesses durch Smart Services in
der sich anschließenden Produktionsphase werden im Moment noch weniger intensiv
ausgeschöpft. Dies soll in einer weiteren Entwicklungsphase stärker vorangetrieben
werden.
3.2.2 Smart-Service-Funktionen
Analog zur Diskussion in der Literatur unterstreicht auch die Datenauswertung der
Fallstudienunternehmen Veränderungen der Co-Kreation-Beziehung zwischen Anbieter
und Kunde aufgrund der Smart Services. Anpassungen sind in allen drei Beziehungs-
sphären (Grönroos/Voima 2013) notwendig, d. h. also beim Anbieter, beim Kunden und
in der direkten Interaktion. Aus der Analyse der Daten zu beiden Fallstudien gehen zwei
zentrale Erkenntnisse hervor:
Design von Smart Services ± Eine explorative Studie im B2B-Sektor 351
Sales Service von Bucher Emhart Glass sehen in der notwendigen Spezialisierung auch
eine Herausforderung für den Vertrieb im Kontext von Smart-Service-Systemen. Wie
schon beim Vertrieb für strategische Schlüsselkunden oder dem Lösungsverkauf (Davies
et al. 2006) ist auch hier die Vertriebsfunktion durch Beratungsteams mit Mitgliedern
aus Service, IT und Entwicklung zu unterstützen.
Erkenntnis 6: In den untersuchten Firmen begünstigt die Einführung von Smart Services
den Wechsel von ereignisgesteuerten Kontakten zu kundenprozessbegleitenden
Kontakten
Im direkten Zusammenhang mit dem Wandel vom ÄUHDNWLYHQ 6HUYLFH ]X SURDNWLYHQ
6HUYLFH /HYHO $JUHHPHQWV³ YJO (UNHQQWQLV LVW LQ EHLGHQ )DOOVWXGLHQILUPHQ HLQH
Verlagerung der Kundenkontakte erkennbar. Da ereignisgesteuerte Kundenkontakte
während der Reparatur und Wartung durch Smart Services reduziert werden können,
verlagern sich die Kontakte auf die Begleitung der Kunden über alle Prozesse hinweg.
Dies wird sowohl von Endress+Hauser als auch von Bucher Emhart Glass bewusst als
Zielsetzung des Smart-Service-Systems verfolgt. Ereignisorientierte Kundenkontakte
können zwar durchaus die Kundenzufriedenheit fördern, da dringende Probleme gelöst
werden. Dennoch vermeiden sie lediglich (unnötige) Kosten der Kunden und
unterstützen deren primäre Wertschöpfungsprozesse nicht. Durch den digitalen
Informationszugriff des Smart Services ist die Voraussetzung für die effektive
Unterstützung der kundenseitigen Wertschöpfung durch Produktionsprozess-
optimierungen gegeben. Da die Optimierungsfunktion in beiden Firmen im Smart-
Service-System noch nicht vollautomatisiert erfolgt, werden vermehrt beratende
Kontakte mit Produktions- und Entwicklungsleitern in den Smart-Co-Kreation-
Beziehungen angestrebt.
3.2.4 Smart-Service-Systeme
Systemen bislang noch niedrig ist, stellt sich weder für Bucher Emhart Glass noch für
Endress+Hauser die Frage nach dem Anschluss an Fremdsysteme. Relevant ist hingegen
GLH (QWVFKHLGXQJ RE DXFK Ä)UHPGJHUlWH³ LQ GLH HLJHQHQ 6\VWHPH LQWHJULHUW ZHUGHQ
sollen.
Endress+Hauser bietet GHQ .XQGHQ PLW VHLQHP 6HUYLFH Ä,QVWDOOHG %DVH $XGLW³ eine
Datenbank über deren gesamte installierte Basis an, in die auch Geräte von
Fremdanbietern eingeschlossen sind. Für das Unternehmen selbst hat das den Vorteil,
dass sie anhand dieser Informationen z. B. jeweils frühzeitig erkennen, wann ein Produkt
eines Fremdanbieters ausgewechselt werden sollte. So können Kunden zum richtigen
Zeitpunkt auf entsprechende Ersatzprodukte aus dem eigenen Sortiment aufmerksam
gemacht werden. Die Vielzahl der in einer Anlage integrierten Produkte wird allerdings
eine gänzliche Substitution der Fremdgeräte verhindern. Gemäß dem Marketingleiter
reagieren sie proaktiv, da für Anlagenbauer und Kunden auch der Einkauf von
Drittgeräten übernommen wird. Auch kundenseitig gibt es den Wunsch, dass
Endress+Hauser Informationen zu Produkten von Mitbewerbern in die Datenbank
aufnimmt. Gründe sind neben hoher Zufriedenheit mit den Drittgeräten auch der
Wunsch, die Abhängigkeit vom Systemanbieter einzuschränken. Den größten Einfluss
auf die Anschlussfähigkeit der Systeme aber hat der Anlagenbauer. Als weiterer
Nutznießer der Schnittstellenoptimierung haben diese ein besonderes Interesse daran,
möglichst viele Lieferanten in einer zentralen Datenbank zu erfassen. Darüber hinaus
gibt es analog zu den Kunden auch beim Anlagenbau Loyalitäten in bestehenden
Beziehungen.
3.2.5 Treiber von Smart Services und Auswirkungen auf die Branche
Erst die genauere Analyse der Falldokumente hat eine spezifischere Betrachtung der
Technologie als Werttreiber ermöglicht. Konkret können drei Eigenschaften von Smart
Services unterschieden werden: zentrale Datenspeicherung, virtueller Datenzugriff und
Echtzeit-Datenversorgung. Diesen drei Eigenschaften können Nutzen in den vier
Dimensionen Zeit, Produktivität, Wissen und Sicherheit zugeordnet werden (vgl.
Abbildung 2).
Neben den, auch in der Literatur vielfach betonten Potenzialen zur Produktivitäts-
steigerung durch Smart Services, zeigt die Tabelle weitere, auch branchenspezifische
Wertpotenziale. So bewirkt z. B. bei Bucher Emhart *ODVV GHU 7UHLEHU Ä7HFKQRORJLH³
HLQH Äüberfällige Modernisierung der gesamten Branche³ Man geht davon aus, dass
zukünftig immer mehr Know-how in der Glasindustrie verloren geht. Aus diesem Grund
versucht man mit smarten Lösungen diesem Verlust entgegenzuwirken. Hier unterstützt
die zentrale Datenspeicherung des Smart Services das Wissensmanagement und der
virtuelle Datenzugriff fördert die Verlagerung der Arbeitsplätze von der Maschine in den
Kontrollraum. Weitere Wertpotenziale durch den virtuellen Datenzugriff entstehen
aufgrund der weltweit dezentralen Verteilung der Glasbehälterproduktion. Im Gegensatz
zu Bucher Emhart Glass verfügen viele Mitbewerber aus diesem Grund nur über einen
wenig ausgebauten Service, das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist aus Anbietersicht zu
ungünstig. Durch den Smart-Remote-Service können Zeit und Kosten gespart werden.
Interessant ist daher die Frage, ob der bisherige Wettbewerbsvorteil von Bucher Emhart
Glass mittelfristig verloren geht.
Erkenntnis 10: Smart Services können, müssen aber nicht, zu einer Verschiebung der
Branchengrenzen führen
Während in der Literatur die Verschiebung von Branchengrenzen durch Smart Services
vielfach diskutiert wird, legen die Fallstudienergebnisse eine vorsichtigere Einschätzung
nahe. In beiden Branchen ist eine grundlegende Erweiterung der Branchengrenzen noch
nicht erkennbar und deutet sich auch nicht an. Im Fall der Anlagen für die Glasindustrie
führt der Smart Service zu einer Zusammenführung von zwei vormals getrennten
Teilmärkten und in beiden Branchen löst die Entwicklung von Smart Services eine
Verdrängung bestehender Akteure aus (vgl. Abschnitt 3.2.4). Ob die zukünftige
Entwicklung weitergehende Veränderungen in den Branchen nach sich zieht, bleibt
abzuwarten.
356 Uta Jüttner, Katharina Windler, Adrienne Schäfer und Anja Zimmermann
Zentrale
Virtueller Datenzugriff Echtzeit-Datenversorgung
Datenspeicherung
über die vier Designaufgaben und die daraus abzuleitenden praktischen Implikationen
für Unternehmen.
Die erste Designaufgabe adressiert die neue DNA des Smart Services bestehend aus
physischen, smarten und Konnektivitäts-Bestandteilen, die den Informationsaustausch
zwischen dem Produkt und seinem Umfeld (Hersteller, Nutzer, andere Produkte) sowie
der Cloud ermöglichen. Als praktische Implikation lassen sich für Unternehmen
folgende Schritte ableiten: um das Potenzial für datenbasierte Smart Services zu legen,
siQG ]XQlFKVW GLH 3URGXNWH Ä6PDUW-Services-IlKLJ³ ]X PDFKHQ :eiterhin ist der
Ä.RQQHNWLYLWlWVJUDG³ ]X EHVWLPPHQ ÄRQH-to-RQH³ ÄRQH-to-PDQ\³ ÄPDQ\-to-PDQ\³
wobei die empirischen Ergebnisse ein sequenzielles Vorgehen nahe legen. In einem
dritten Schritt sollten Unternehmen die Möglichkeiten zur Skalierung von Smart-
Service-Systemen regelmäßig überprüfen, denn oftmals wird nicht von Anfang an das
volle Potenzial ausgeschöpft.
Die zweite Designaufgabe betrifft die neuen Funktionen des Smart Services (Über-
wachung, Kontrolle, Optimierung und Autonomie). Zunächst gilt es für Unternehmen
das Funktionsniveau der eigenen Smart Services zu bestimmen, sowohl für die
Einführung wie auch die weitere Entwicklung. Im nächsten Schritt sind proaktive Smart-
358 Uta Jüttner, Katharina Windler, Adrienne Schäfer und Anja Zimmermann
Danksagung
Die Autorinnen danken Herrn Alexander Röttcher von Endress+Hauser sowie Herrn
Andreas Helfenstein, Herrn Christian Schäfer und Herrn Christian Brändli von Bucher
Emhart Glass, die bei der Erstellung der Fallstudien mitgewirkt haben, für die
umfangreiche Unterstützung dieser Arbeit.
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Christian Gorldt, Stefan Wiesner, Ingo Westphal und K.-D. Thoben
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Cyber-Physische Systeme
2.2 Product-Service Systems
Literaturverzeichnis
2. Theoretischer Hintergrund
Mit diesem Beitrag soll gezeigt werden, vor welchen Herausforderungen Unternehmen
bei der Einführung von Cyber-Physischen Product-Service Systemen stehen, um erfolg-
reich die entwickelte Lösung am Markt anbieten zu können. Zunächst werden dazu die
Eigenschaften von CPSS charakterisiert und Herausforderungen, die sich im Anforde-
rungsmanagement ergeben, identifiziert. Es werden bekannte Ansätze zum Anforderungs-
management sowie deren Defizite im Hinblick auf die CPSS-Entwicklung beschrieben.
Nachfolgende Forschungsfragen werden untersucht.
Wie ist der Stand der Wissenschaft in der CPS- und PSS-Forschung und wie kann
dieser genutzt werden, um das CPSS-Konzept in der Praxis zu etablieren?
Wie ist ein Cyber-Physisches Product-Service System charakterisiert und welche be-
stehende Anforderungsmanagement-Ansätze können aus der Literatur übernommen
werden?
Welches sind ungelöste Herausforderungen zum CPSS-Anforderungsmanagement
und wie können diese überwunden werden?
Zunächst wurde eine Literaturrecherche in der SCOPUS Datenbank durchgeführt, um ei-
nen Überblick über aktuelle wissenschaftliche Publikationen in der Thematik Product-
Service Systems und Cyber-Physische Systeme zu erhalten. Die Recherche umfasste
deutsch- und englischsprachige Veröffentlichungen, um auch internationale Erkenntnisse
in dieser Forschungsdomäne zu erhalten. Es wurde nach den Begriffen: Cyber-Physical
System, CPS, Product-Service System, PSS und Requirements Engineering recherchiert.
Die gefundenen Veröffentlichungen wurden auf Basis der jeweiligen Zusammenfassun-
gen auf Relevanz geprüft und die sich daraus ergebende Auswahl im weiteren Verlauf
ausführlich analysiert.
Cyber-Physisches System
Prozessor
wird
wirken
erfasst
auf
durch
Umwelt
Cyber-Physische Systeme können wie oben dargestellt aus den Elementen Sensoren, Pro-
zessoren, Kommunikatoren und Aktoren bestehen, haben dynamische Systemgrenzen und
je nach Anwendungszweck bzw. Aufgabe stehen eine Vielzahl von CPS-Systemen zeit-
lich begrenzt untereinander im Austausch. Ein Cyber-Physisches System muss somit in
der Lage sein, aktiv Dienste mit anderen Systemen zu teilen. Die zu erfüllenden Aufgaben
eines Cyber-Physischen Systems sind im Vorfeld nicht immer bekannt, das Cyber-Physi-
sche System muss in der Lage sein, sich der jeweiligen Umweltsituation bzw. dem jewei-
ligen Anwendungsanforderung anzupassen (Colombo et al. 2013). Dies erfordert ständige
Überwachung und eine Abschätzung der Umgebungs- und Anwendungsdaten (Wan/Ala-
gar 2014). Des Weiteren gibt es in den meisten Fällen keine zentrale Kontrolle von Cyber-
Physischen Systemen. Entscheidungen werden dezentral, d. h. lokal vom Cyber-Physi-
schen System getroffen, basieren dabei auf der Einschätzung der jeweiligen aktuell vor-
liegenden Situation und werden stetig durch einen kooperativen Lernprozess verbessert
(Zhou et al. 2013). Um die Schnittstellenfunktion zwischen der realen und virtuellen Welt
zu erfüllen, müssen Cyber-Physische Systeme in der Lage sein, mit Menschen und Dingen
zu interagieren. Die Erkennung und Interpretation menschlichen Verhaltens sowie die in-
teraktive Abstimmung zwischen dem System und einzelnen Personen oder Gruppen er-
fordert das Vorhandensein solcher Schnittstellen (Schirner et al. 2013).
Product-Service Systems im Zeitalter von Industrie 4.0 in Produktion und Logistik 369
In der Vergangenheit stand für die meisten Unternehmen der Verkauf von Produkten bzw.
Dienstleistungen im Vordergrund ihres wirtschaftlichen Handelns. Der daraus abgeleitete
monetäre Erfolg spiegelte die Innovationskraft der Unternehmen wider. In der heutigen
Zeit wird die Innovationskraft von Unternehmen in der Kooperation des Kunden und Pro-
duzenten bestimmt. Die Kunden sind heute maßgeblich an der Entwicklung neuer Pro-
dukte und Dienstleistungen beteiligt, sie entwickeln sich zum Prosumenten, einer Kombi-
nation aus Produzent und Konsument, und gestalten partnerschaftlich die Innovation mit.
370 Christian Gorldt, Stefan Wiesner, Ingo Westphal und K.-D. Thoben
Im Mittelpunkt steht dabei die Nutzung der Innovation für ihre Bedürfnisse und weniger
der monetäre Vorteil.
PSS ermöglichen für die Kunden eine bessere Produktnutzung durch die zur Verfügung
stehenden Dienstleistungen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind PSS Systeme in der Lage,
neue Marktpotenziale und höhere Gewinnmargen für die Unternehmen zu generieren.
Auch können PSS ökoeffiziente Wertschöpfungsketten unterstützen, wenn diese in einem
geschlossen Supply-Chain-Kreislauf genutzt werden (Baines et al. 2007a; McAloone et
al. 2010).
Die Bedeutung des PSS-Anbieters im gesamten Lebenszyklus nimmt aufgrund der be-
schriebenen Veränderungen stetig zu (Aurich et al. 2010). Zukünftig sind das Produkt-
Lebenszyklus-Management und das Service-Lebenszyklus-Management bei der Gestal-
tung innovativer Produkte und Dienstleistungen gemeinsam zu berücksichtigen.
Das gewünschte Verhalten eines CPSS entsteht durch das Zusammenspiel einer Vielzahl
cyber-Physischer und Dienstleistungskomponenten gekennzeichnet. Auch steht es mit
weiteren Systemen über offene Schnittstellen im Austausch. Dabei gilt es, die Anforde-
rungen für ein Cyber-Physisches Product-Service System aus unterschiedlichen Diszipli-
nen aufzunehmen. Diese können von den Stakeholdern gegebenenfalls unzureichend be-
nannt sein oder aufgrund der Interdisziplinarität nicht von allen voll verstanden bzw.
reflektiert sein. Schätz (2014) nennt in diesem Zusammenhang drei Dimension der Kom-
plexität: Schnittstellen (Anwendungsdomänen, Engineering Disziplinen, Technologie,
Organisation), Umwelt (Rekonfiguration, Aktualisierung, Wiederverwendung), Inhärent
(Dokumentation, Überwachung, Anpassung). Diese Dimensionen und sind bereits beim
Anforderungsmanagement zu berücksichtigen.
CPSS sind vor allem durch eine Vielzahl von Stakeholdern geprägt, die räumlich und or-
ganisatorisch voneinander agieren. Die Partner übernehmen, gemäß der Nutzeranforde-
rungen, spezielle Aufgaben in der Systementwicklung. Ausgehend von der Literatur
(Cavalieri/Pezzotta 2012; Geisberger/Broy 2012) ist zu empfehlen, dass bei der CPSS-
Entwicklung von Anfang an Akteure aus unterschiedlichen Disziplinen in der Anforde-
rungsanalyse beteiligt sind. Besonders entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass
die unterschiedlichen Akteure ihre spezifischen Sichtweisen und ihr Wissen untereinander
austauschen und diese in die Gestaltung von CPSS einbringen. Somit besteht ein Bedarf
an der Entwicklung geeigneter Herangehensweisen, Theorien und Werkzeugen, um CPSS
zielgereichtet und kosteneffizient zu entwickeln. Es kommt dabei vor allem auf ein ge-
meinsames Verständnis von virtuellen, physischen und serviceorientierten Eigenschaften
der zu entwickelnden Systeme an. Eine isolierte Betrachtung der genannten Dimensionen
sollte bei der Modellierung und Entwicklung von CPSS vermieden werden.
Dies zeigt, dass CPSS spezielle Anforderungen an das Requirements Engineering stellen.
Die wichtigsten Punkte sind die Berücksichtigung höherer Komplexität, verteilte Akteure
und die Einbeziehung der verschiedenen Domänen mit speziellen Perspektiven und Mo-
dellen.
Neben der Ingenieurperspektive sind vor allem die Informatik- und Dienstleistungs-
perspektive für die Entwicklung CPSS in der Designphase zu integrieren. Diese An-
forderung umfasst die Herausforderung, alle Domänen gleichberechtigt an der CPSS-
Entwicklung zu beteiligen.
Der CPSS-Entwicklungsprozess kann in einen Problem- und Lösungsbereich unterteilt
werden. Der Problembereich schließt den Bedarf und die Unternehmensziele der Syste-
mentwicklung und ihrer Formulierung als Stakeholderanforderungen ein, ohne eine Vor-
auswahl spezifischer CPSS-Eigenschaften. Die Anforderungen an die Geschäftsprozesse
können von den strategischen Unternehmenszielen abgeleitet werden. Diese sind jedoch
meist nicht formal beschrieben. Geeignete Methoden zur Modellierung von Geschäftspro-
zessen sind die Business Process Model Notation (BPMN) oder das Datenflussdia-
gramme, die den Weg vom Ist- zum Soll-Zustand visualisieren. Die Stakeholderanforde-
rungen werden meist von den Bedarfsträgern formuliert und sind ebenfalls wenig
formalisiert. Diese werden häufig mit Hilfe einer Szenarioanalyse aufgenommen. Der Lö-
sungsbereich umfasst die Systemanforderungen, die die Zielfunktionalitäten der Lösung
und anschließend die architektonische Gestaltung des CPSS beschreiben.
Die Beschreibung des gewünschten CPSS-Verhalten in Bezug auf die Fähigkeiten der ge-
wünschten Lösung kann durch die Gestaltung von Systemmodellen erfolgen. Dabei sind
die gewünschte Funktionalität aus technischer und betriebswirtschaftlicher Perspektive
sowie die geschätzten Zeit- und Kostenaufwände der avisierten Lösung zu beschreiben.
Die zu konzipierende Architektur zeigt die Wechselbeziehungen der einzelnen CPSS-Sys-
temelemente untereinander, insbesondere zwischen physischen Produkten, Software und
Dienstleistung. Bekannte Modellierungssprachen wie SysML stoßen bei der CPSS-Mo-
dellierung schnell an ihre Grenzen, da eine Berücksichtigung der Perspektiven Pro-
dukt/Dienstleistung nicht erfolgt. Um die Überführung von nicht formaler (unstrukturier-
ter) zu formaler (strukturierter) Sprache sicherzustellen kann beispielsweise Natural
Language Processing (Wiesner et al. 2014b) genutzt werden. Die Nutzung von Ontologien
kann die Abbildung des spezifischen Modellwissen der jeweiligen Perspektiven und somit
eine einheitliche Semantik der Anforderungen schaffen.
Dieser Beitrag hat den Stand der Wissenschaft in diesen Bereichen vorgestellt sowie die
Herleitung zu CPSS präsentiert. Auch wurde gezeigt, dass diese im Vergleich zu her-
kömmlichen Lösungen besondere Eigenschaften aufweisen, die bei einem Anforderungs-
management zu berücksichtigen sind. Bisherige Methoden und Werkzeuge sind für das
Anforderungsmanagement von CPSS nur teilweise geeignet. Vor allem gilt es die gestie-
gene Komplexität, die verschiedenen Disziplinen sowie deren Modelle und die Perspekti-
ven Produkt, Dienstleistung und IT bei der Aufnahme der Anforderungen zu berücksich-
tigen.
Die gestiegene Komplexität kann durch eine geeignete Managementstruktur reduziert
werden. Zukünftig gilt es eine strukturierte Herangehensweise in der Ausgestaltung der
Anforderungen für CPSS zu entwickeln. Das Wiederverwenden von Anforderungen aus
vorherigen Projekten kann dabei unterstützen diese Komplexität zu beherrschen. Auch gilt
es, das interdisziplinäre Wissen der am Entwicklungsprozess beteiligten Akteure für die
einzelnen Partner verständlich zugänglich zu machen. So ist die Verbindung von domä-
nenspezifischen und allgemeinen Modellen nützlich, um den Austausch untereinander an-
zuregen mit dem Ziel eindeutige Anforderungen im Prozess formulieren zu können. Nicht
technische Akteure, wie der Nutzer oder Dienstleister von CPSS, sollten am Entwick-
lungsprozess teilhaben können. Die Benennung der Anforderungen erfolgt dabei meist in
unstrukturierter Sprache. Zukünftige Arbeiten sollten somit die Schnittstelle zwischen for-
maler und nicht formaler Sprache aufgreifen, um einen ganzheitlichen Anforderungsma-
nagementprozess im Kontext von Cyber-Physischen Product-Service Systemen zu ge-
währleisten.
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Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. Dr. Sabine Fließ ist Inhaberin des Douglas-Stiftungslehrstuhls für Dienstleistungs-
management an der FernUniversität in Hagen. Prof. Dr. Svenja Hagenhoff ist Professorin
für Buchwissenschaft, insb. E-Publishing und Digitale Märkte an der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
1. Herausforderungen in der Zeitungsbranche
Der Zeitungsbranche geht es schlecht (z. B. Kolo 2014 und die dort zitierte Literatur):
6FKODJ]HLOHQZLHÄ,QGHSHQGHQWVWHOOW'UXFNDXVJDEHHLQ³)$=YRP0Ä'UDV
WLVFKHU 6WHOOHQDEEDX EHLP 'DUPVWlGWHU (FKR³ 6GGHXWVFKH =HLWXng vom 04.09.2016)
RGHUÄ=HLWXQJHQYHUOLHUHQLPPHUPHKU$Q]HLJHQNXQGHQDQJURH,QWHUQHWXQWHUQHKPHQ³
(Spiegel Online Kultur vom 08.08.2016) verdeutlichen die Symptome eines Umbruchs.
Betrachtet man die zahlenmäßige Entwicklung der Tageszeitung, so zeigt sich, dass die
obigen Schlagzeilen keine Ausnahme darstellen, sondern Veränderungen auf dem Zei-
tungsmarkt verdeutlichen (vgl. zum Folgenden Statista-Dossier Zeitungen in Deutsch-
land 2016):
Die Printauflagen der deutschen Tages- und Sonntagszeitungen sind nach einem
Höhepunkt im Jahr 1995 kontinuierlich gesunken und sind 2015 sogar unter das Ni-
veau des Jahres 1975 gefallen (18,5 Mio. verkaufte Exemplare 2015 gegenüber 21,5
Mio. verkauften Exemplaren 1975). Ähnliche Entwicklungen zeigen sich bei den
Wochenzeitungen.
Die Anzahl der Zeitungen in Deutschland hat sich seit 1954 halbiert (von 624 auf
329 Zeitungen) und auch die Zahl der Zeitungsverlage hat sich im gleichen Zeit-
raum auf die Hälfte reduziert.
Die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands, die Bild-Zeitung bzw. B.Z. in Ber-
lin, hat drastische Auflageneinbußen hinnehmen müssen ± von mehr als 3 Mio. ver-
kauften Exemplaren im Jahre 2009 auf nur noch ca. 1,9 Mio. Exemplare im Jahre
2016.
Pro Ausgabe einer Tageszeitung finden sich immer weniger Leser, sodass die
Reichweite sinkt.
Der Umsatz der Zeitungsverlage soll Prognosen zufolge von 2008 bis 2020 um ca.
ein Drittel schrumpfen (von etwa 12,3 Mrd. EUR Umsatz auf etwa 7,6 Mrd. EUR
Umsatz).
Diese Entwicklungen lassen sich nicht nur in Deutschland beobachten, sondern auch in
anderen europäischen Ländern (Picard 2006; Graham/Smart 2010).
Die Ursachen hierfür sind vielfältig, aber die folgenden Entwicklungen werden als aus-
schlaggebend für die Einbrüche angesehen (Flavián/Gurrea 2006; George 2008; Gra-
ham/Smart 2010; Breyer-Mayländer 2015a, S. 9ff.; Eriksson et al. 2016):
Ein verändertes Mediennutzungsverhalten der bisherigen Leser führt zur Erosion der
Kundenbasis und zu einer zunehmenden Fragmentierung des Marktes. Insbesondere
jüngere Leser abonnieren keine Tageszeitung mehr, sondern informieren sich im In-
ternet.
384 Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff
Auf Rückgänge bei den Lesern reagieren auch die Anzeigenkunden der Tageszei-
tungen. So hat sich der Werbeumsatz bei den Printausgaben der Tageszeitungen von
mehr als 4,5 Mrd. EUR im Jahre 2008 auf unter 3 Mrd. EUR reduziert.
Die Verbreitung des Internets führt dazu, dass Informationen und Nachrichten je-
derzeit an vielen Stellen verfügbar sind. Alerts und Suchmaschinen machen diese in-
teressierten Lesern häufig kostenlos zugänglich.
Zeitungen haben ihre exklusive Mittlerfunktion in Bezug auf Nachrichten verloren.
Neue Akteure wie z. B. die Betreiber von Social Media-Plattformen, haben Funktio-
nen der Informationsvermittlung und der Nachrichtenverbreitung übernommen. An-
dere neue Akteure bieten ihre Dienste für den Leser unentgeltlich an und finanzieren
sich über die passgenaue Bereitstellung von Leserkontakten für Werbekunden, wie
z. B. die Huffington Post (Eckert 2015).
Diese Entwicklungen stellen das bisherige Geschäftsmodell der Zeitungen infrage. Dies
ist natürlich auch den Verlagen bewusst, die darauf zum einen mit Kostensenkungsstra-
tegien (z. B. Zusammenlegung von Redaktionen, Personalabbau) (Karalus 2008, S. 51;
Paesler 2015, S. 216), aber auch mit unterschiedlichen Marktstrategien reagieren. In der
bisherigen Literatur finden sich die folgenden beiden Ansätze zur Diskussion der Markt-
bearbeitungsstrategien von Zeitungsverlagen. Zum einen werden basierend auf Ansoff
(Ansoff 1965, S. 105) die folgenden Strategien identifiziert: Im Rahmen der Produkt-
entwicklungsstrategie (neue Produkte für einen bekannten Markt) werden den Lesern
neue Angebote gemacht, z. B. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Im Rahmen der
Marktentwicklungsstrategie werden mit dem gleichen Produkt neue Kundengruppen er-
schlossen, z. B. Regionalausgaben oder internationale Ausgaben überregionaler Tages-
zeitungen wie Ausgaben der Welt in Polen, Tschechien, Spanien u. a. (Rothmann 2013,
S. 97). Die Diversifikationsstrategie (neue Produkte auf neuen Märkten) umfasst eine
Vielfalt von Angeboten, die von speziellen Dienstleistungen für die Werbetreibenden bis
hin zu Buch- und Filmeditionen oder Leserreisen reichen (Habann et al. 2008, S. 21).
Zum anderen werden ausgehend von der Zeitung als Marke die folgenden vier Marken-
dehnungsstrategien unterschieden (Habann et al. 2008, S. 28 ff.):
(1) Line Extension: Hier wird innerhalb derselben Mediengattung (Print-Zeitung) eine
neue Zielgruppe erschlossen, z. B. durch die Welt am Sonntag.
(2) Cross-mediale Line Extensions: Eine solche Markenerweiterung oder -dehnung be-
zieht sich auf Produkte, die sich ebenso wie Zeitungen auf zweiseitige Märkte (De-
wenter/Rösch 2015) richten (so genannte Verbundprodukte), z. B. Fernsehbeiträge
oder -kanäle wie Süddeutsche TV.
(3) Cross-mediale Brand Extensions nutzen die Marke und das Medium, verabschieden
sich aber von zweiseitigen Märkten, wie z. B. Buchreihen (z. B. SZ Bibliothek).
(4) Nicht-mediale Brand Extensions basieren auf der Marke, verlassen aber den Bereich
der Medien, z. B. das Angebot von Konsumprodukten wie Wein oder Fahrradhelme
(Tagesspiegel) oder Leserreisen (z. B. Die Zeit).
Zeitungsverlage zwischen Digitalisierung und Servitization 385
Ein Problem dieser Systematiken ist, dass den Besonderheiten der zum Teil sehr unter-
schiedlichen Leistungsangebote zu wenig Rechnung getragen wird. Digitale Angebote
und Dienstleistungen finden sich sowohl in der Produktentwicklungsstrategie, der Diver-
sifikation, der cross-medialen Line Extension als auch der nicht-medialen Brand Exten-
sion. Aus Sicht des Resource-based View sowie vor dem Hintergrund des Change Ma-
nagement stellen aber digitalisierte Produkte ebenso wie Dienstleistungen ganz andere
Anforderungen an die Verlage als das herkömmliche Zeitungsgeschäft. Vor diesem Hin-
tergrund sollen im Rahmen dieses Beitrages die folgenden Fragen beantwortet werden:
(1) Welche Leistungen bieten Verlage an und wie lassen sich diese systematisieren? (2)
Welche Marktstrategien verfolgen Verlage? (3) Welche Entwicklungspfade lassen sich
ableiten? (4) Welche Voraussetzungen sind mit den jeweiligen Strategien und Entwick-
lungspfaden verbunden? Diese sollen im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Leitend war
dabei die Frage, wie und in welcher Form sowohl die Digitalisierung als auch der in vie-
len Branchen beobachtbare Trend zur Servitization eine Rolle in der betrachteten Bran-
che spielt.
Dem folgend werden im zweiten Abschnitt die Medienbranche vorgestellt und die
Grundlagen der Digitalisierung und der Servitization betrachtet. Daran anschließend
werden im dritten Abschnitt die aus einer explorativen Untersuchung gewonnenen Er-
kenntnisse bezüglich der angebotenen digitalen Produkte und Dienstleistungen vorge-
stellt und systematisiert. Idealtypische Strategien werden im vierten Abschnitt abgeleitet
und zu Entwicklungspfaden verdichtet. Im fünften Abschnitt werden Konsequenzen für
die strategische Ausrichtung von Zeitungsverlagen abgeleitet, bevor im abschließenden
sechsten Abschnitt die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst, die Limitationen
der explorativen Studie und der künftige Forschungsbedarf aufgezeigt werden.
und der Vorratsproduktion besteht ein Absatzrisiko und bei nicht-elektronischen Medien
zudem das Risiko der Einschätzung der richtigen Produktionsmenge.
Neuere Ansätze in der Medienökonomie argumentieren für ein anderes Verständnis von
Medienunternehmen bzw. eine andere Sicht auf die erzeugte Leistung: So argumentiert
Hess (2014), dass Medienunternehmen eher als Unternehmen zu verstehen seien, die
medial gestützt öffentliche Kommunikation organisieren. Mit dieser Sicht gelten auch
Unternehmen wie z. B. Facebook oder Twitter als Medienunternehmen, obwohl sie
selbst keine Inhalte erzeugen. Vielmehr stellen sie Infrastrukturen bereit, auf denen Nut-
zer ihre eigenen Inhalte in die Öffentlichkeit oder innerhalb geschlossener, aber dennoch
größerer, Gruppen kommunizieren können. Die Wertschöpfung in einer Medienwirt-
schaft kann dann abstrakt verstanden werden als Bündelung von komplementären Res-
sourcen und Kompetenzen (Inhalte, Infrastruktur), die soziale Akteure (Nutzer, Techno-
logieunternehmen usw.) in Netzwerke einbringen (Kiefer 2016). Kiefer (2016) zeigt
jüngst in ihrer differenzierten Argumentation auf, wie Medienunternehmen mit Hilfe der
Gedankengebäude der Service-Dominant Logic doch als Dienstleister verstanden werden
können und motiviert ihre Überlegungen u. a. mit der fortschreitenden Digitalisierung,
die insbesondere bei den bisherigen physischen Medien die Geringwertigkeit der materi-
ellen Bestandteile deutlich hervorstechen lässt und die Frage aufwirft, was wirklich den
Wert der jeweiligen Medien im Sinne einer Problemlösung für den Rezipienten aus-
macht. Zudem zeigt sie auf, dass von jeher der Rezipient einen hohen Mitwirkungsanteil
an der Schöpfung von Werten in Bezug auf Medien hatte, da die gewünschten gesell-
schaftlichen Effekte, wie Meinungsbildung, Informiertheit oder Wissenserwerb ein akti-
ves und vor allem voraussetzungsreiches Auseinandersetzen mit den angebotenen Inhal-
ten erfordert.
Unabhängig davon, dass Zeitungsverlage Medienunternehmen sind und daher auch de-
ren Funktion in der Gesellschaft erfüllen, verfügen Zeitungen auch über spezielle Auf-
gaben. Clemons et al. (2003) sehen beispielsweise die Hauptaufgabe einer Zeitung darin,
eine Nachricht zu zertifizieren, ihr Glaubwürdigkeit zu verleihen und sie damit von un-
glaubwürdigen Nachrichten zu unterscheiden. Domingo et al. (2008) beschreiben dem
entsprechend Journalisten als Gatekeeper, die darüber entscheiden, was die Öffentlich-
keit wissen muss sowie wann und wie solche Informationen zur Verfügung gestellt wer-
den.
Wie eingangs gezeigt, müssen Zeitungsverlage mit den gravierenden Veränderungen
umgehen, die auch durch die Digitalisierung und das damit verbundene veränderte Ver-
halten ihrer Leser und Anzeigenkunden hervorgerufen werden. Digitalisierung ist dabei
nicht nur Treiber der Veränderungen in der Medienbranche, sondern kann gleichzeitig
auch eine der Stoßrichtungen künftigen Wachstums sein (Breyer-Mayländer 2015a, S.
12).
Zeitungsverlage zwischen Digitalisierung und Servitization 387
3.1 Methodik
Als methodischer Ansatz wird eine Dokumentenanalyse gewählt (Prior 2011). Als Do-
kumente kommen dabei grundsätzlich alle Formen schriftlicher Unterlagen und Kom-
munikation in Frage. Wir nutzen die Websites der Zeitungen, aber auch Sekundärquellen
wie Wikipedia, Studien, Zeitungsartikel sowie wissenschaftliche Abhandlungen. Auf
den Websites geben die Verlage Auskunft über die Aspekte, die sie im Rahmen ihrer
Strategie selbst für wichtig halten, während die Sekundärquellen Informationen enthal-
ten, die von anderen Gruppen als bedeutsam erachtet werden. So finden sich beispiels-
weise auf den Websites kaum Angaben über den Zeitpunkt der Einführung neuer Ange-
bote, wohl aber bei Wikipedia, in Zeitungsartikeln und Dissertationen, die sich etwa auf
Interviews mit Entscheidern beziehen (vgl. z. B. Rothmann 2013).
Untersuchungsobjekt sind die nach Auflage größten Zeitungen (gemäß der Informati-
onsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern): die Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ), die Süddeutsche Zeitung (SZ), Die Welt, die Bild, Die Zeit,
der Tagesspiegel sowie das Handelsblatt. Jede Zeitung wird als einzelne Fallstudie be-
handelt. Erfasst werden dabei Informationen über die Art der angebotenen Leistung und
den Zeitpunkt der Produkteinführung. Zusätzlich werden Daten zum Erfolg der Produkte
erhoben, wie etwa verkaufte Auflagen oder die Reichweite, und, soweit vorhanden, zur
Strategie sowie zur Zielgruppe.
390 Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff
Legende:
Materielle Produkte Mass Customization Individualisierte,
Materialitätsgrad hoch
4.1 Strategietypen
Eine Strategie legt den notwendigen Handlungsrahmen fest, innerhalb dessen Maßnah-
men ergriffen werden, um die festgelegten Ziele zu erreichen (Becker 2013, S. 140).
Grundsätzlich lassen sich Strategien unterschiedlich systematisieren. Betrachtet man in
Anlehnung an die Servitization-Literatur als Strategie eines Unternehmens den Anteil
der verschiedenen Leistungstypen am Umsatz (Raddats/Kowalkowski 2014), so lassen
sich die folgenden idealtypischen Strategien ableiten.
nen (Esch 2012, S. 371ff.), wobei sie sich hier auf materielle Produkte, also Printmedien,
beschränkt.
Der Zeitungsverlag setzt hierbei auf eine Zielgruppensegmentierung: Junge Leser, Frau-
en, Gesundheitsbewusste, an Reisen oder Statussymbolen Interessierte werden gezielt
angesprochen und mit journalistischen Inhalten versorgt. Gleichzeitig entsteht eine neue
Plattform für Werbetreibende. So erschließt sich die Bildzeitung mit der Zeitschrift Bild
der Frau die Leserschaft der Frauen (mehr weibliche Leser lesen Bild der Frau als die
Bildzeitung (Bild.de 2016)) und spricht damit gleichzeitig andere Gruppen von Werbe-
treibenden an.
Die Zeitung als Brücke oder Vermittler zwischen Rezipienten/Adressaten und Werbe-
treibenden öffnet sich auch anderen Leistungen als journalistischen Inhalten. Buch- und
Filmeditionen orientieren sich ebenso wie Kaffeemaschinen, Fahrräder oder Kunstediti-
onen an den Interessen der Leserschaft und machen ihr die Güter direkt zugänglich und
nicht mehr nur indirekt über Anzeigen. Damit wird die Zeitung im Grunde zum Distribu-
tor jeglicher Güter, die für den Leser von Interesse sein können, ohne dass hierbei ein
Zusammenhang zum journalistischen Inhalt bestehen muss.
(2) Digitalisierungsstrategie
Die Digitalisierungsstrategie existiert in zwei Formen: (a) Bisherige gedruckte Ausgaben
sind nun auch als digitale Ausgaben erhältlich, z. B. die Süddeutsche Zeitung als E-
paper, das auf dem Laptop genauso gelesen werden kann wie auf dem Tablet oder dem
Smartphone. In der Regel ändert sich hier aber das bisherige Konzept des Mediums
nicht: es handelt sich nach wie vor um eine täglich oder wöchentlich abgeschlossene
Ausgabe eines etablierten Mediums, teilweise stellt die digitale Variante einen 1:1 Klon
des bisherigen materiellen Erzeugnisses dar. (b) Es werden neue Produkte oder Produkt-
formen angeboten, die nur digital möglich sind. Das Neuartige betrifft dabei zwei Para-
meter: erstens kann die temporale Abgeschlossenheit eines Mediums (die Ganzheit) auf-
gebrochen werden, indem Informationen zu Ereignissen zeitnah kommuniziert werden
(hierzu auch Hagenhoff 2016a). Dieses wird möglich, da im Digitalen die Bündelungs-
notwendigkeiten, resultierend aus Erfordernissen der Produktions- oder Distributionsef-
fizienz, entfallen. Online-Angebote arbeiten heute standardmäßig in dieser Form. Zwei-
tens kann das bisher rein statisch-visuelle Zeichensystem um Bewegtbild oder Töne
erweitert werden. Zeitungsbeiträge werden vertont und mit einer Vorlesefunktion ausge-
stattet (z. B. Zeit Audio oder das Magazin der Süddeutschen) oder Redakteure wenden
sich mit Videonachrichten an die Leser (z. B. die Videokolumne der Süddeutschen).
(3) Individualisierungsstrategie
Hierbei werden die materiellen Produkte auf die spezifischen Kundenbedürfnisse
und -interessen zugeschnitten, z. B. die individuelle Beratung bei der Anzeigengestal-
tung. Eine abgeschwächte Form, die sich an Kundengruppen richtet, ist die Mass
Customization (Piller 2012). Hier wird aus einzelnen standardisierten Modulen eine qua-
Zeitungsverlage zwischen Digitalisierung und Servitization 395
(4) Servitization-Strategie
Bei dieser Strategie werden Dienstleistungen in verschiedenen Formen angeboten:
(a) Digitale Services oder digitale Dienstleistungen, deren konkrete Ausprägung die
Kunden durch ihr Nutzungsverhalten bestimmt. So werden Beiträge, die auf der On-
line-Repräsentanz einer Zeitung häufig angeklickt werden oben positioniert und sel-
ten angeklickte unten. Es entsteht eine dynamisch konfigurierte Zeitung. Zur Steue-
rung dieser Prozesse nutzen Zeitungsverlage Controlling Tools, wie z. B. das in
deutschen Redaktionen weit verbreitete Tool ChartBeat (Schulz 2016, S. 84, ver-
wendet z. B. von der FAZ oder der Süddeutschen). Diese Strategie richtet sich vor-
dergründig an den Lesermarkt mit dem Ziel, den Rezipienten das Passende zu lie-
fern, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Zweifelsfrei ist diese Strategie aber auch
nutzenstiftend in Richtung Werbekunden, für die eine Nachrichtenplattform nur
dann attraktiv ist, wenn der Rezipient sie als hinreichend relevant erachtet und sich
deswegen auf ihr aufhält. Zuboff (2015) hat für Akteure, die ihre Geschäftsmodelle
auf Basis großer Datenbestände von Nutzern aufbauen, den Begriff Surveillance
Capitalists (Überwachungskapitalisten) geprägt.
(b) Standardisierte Dienstleistungen, bei denen der Grad der Kundenintegration, d. h.
der Kundenmitwirkung, gering ist, z. B. Konferenzen, bei denen der Besucher weit-
gehend passiv ist, oder Leserreisen, bei denen eine Gruppe von Konsumenten die
gleiche Dienstleistung erhält (kollektive Dienstleistungen, Corsten/Gössinger 2015,
S. 33). Auch bei dieser Strategie steht der Lesermarkt im Vordergrund.
(c) Individualisierte Dienstleistungen, bei denen der Grad der Kundenintegration hoch
ist und die Angebote speziell auf die Bedürfnisse eines einzelnen Kunden zuge-
schnitten sind. Der Tagesspiegel bietet unter der Marke Publica - Institutional Publi-
shing & Conferences Kommunikationsdienstleistungen an, die sich auf die Bera-
tung, Konzeption, Publikation, Produktion sowie die Durchführung von
Veranstaltungen beziehen. Diese Strategie richtet sich an den Business-to-Business-
Markt und stellt eine Weiterentwicklung der Individualisierungsstrategie dar.
Die Strategien sind in Abbildung 2 zusammengefasst.
396 Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff
Immaterialitätsgrad hoch
Digitalisierungsstrategie Servitization-Strategie
(a) Alles Gedruckte wird (a) Digitale Services
Immaterialitätsgrad
Materielle Produkte
Integrativitätsgrad
Integrativitätsgrad hoch
Autonomiegrad hoch
Mit diesen Strategien verlassen die Zeitungsverlage in Teilen das Geschäftsmodell der
Bündelung und Distribution von schriftbasierten Nachrichten sowie der Vermittlung von
Leserkontakten für Werbetreibende. Auch wird die etablierte Kopplung von Leser- und
Werbemärkten zumindest dort aufgebrochen, wo Erlösmodelle realisiert werden können,
die keine Werbeerlöse vorsehen.
Digitalisierungsstrategie Servitization-Strategie
Digitale Standardi- Individuali-
Immaterialitätsgrad
4 materielle Produkte
1 3
Integrativitätsgrad
Integrativitätsgrad hoch
Autonomiegrad hoch
Pfad 1 bezieht sich auf den Ausbau der Produkte zu Produktlinien, mit denen bekannte
Zielgruppen penetriert oder neue Zielgruppen erschlossen werden. Dieser Pfad wird von
allen Verlagen eingeschlagen. So hat die Bildzeitung kürzlich ein neues Print-Magazin
auf den Markt gebracht zum Thema Gesundheit und :HOOQHVV Ä%HVVHU OHEHQ³ Im
Grunde entspricht der Pfad einer besonders intensiven Verfolgung der Line-Extension-
Strategie.
Ausgehend von Pfad 1 können die Unternehmen entweder die direkt angrenzenden Fel-
GHUÄGLJLWDOH3URGXNWH³ (Pfad 2) XQGÄLQGLYLGXDOLVLHUWH3URGXNWH³(Pfad 3) anvisieren ±
oder sich auf Dienstleistungen konzentrieren (Pfad 4). Pfad 4 wird dabei meist in Ver-
bindung mit Kooperationspartnern in Angriff genommen (Karalus 2008, S. 174). So
werden etwa Leserreisen nicht von der Zeitung selbst konzipiert und organisiert, sondern
in der Regel in Zusammenarbeit mit einem Reiseveranstalter geplant und durchgeführt.
Pfad 5 stellt die Fortführung der Digitalisierungsstrategie dar, indem aus digitalen Pro-
dukten digitale Dienstleistungen entstehen, während die Pfade 6 und 7 aus der Individua-
lisierungsstrategie resultieren. Pfad 6 ist dabei kennzeichnend für den Business-to-
Consumer-Markt, während Pfad 7 derzeit im Business-to-Business-Bereich angewendet
wird.
398 Sabine Fließ und Svenja Hagenhoff
Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich die folgenden Schlussfolgerun-
gen ziehen.
vom digitalisierten Produkt bis hin zum Angebot digitaler Dienstleistungen. Das kompe-
titive Umfeld ist dann deutlich nicht mehr im publizistisch-kommunikativen Aufgaben-
feld zu suchen, sondern im Umfeld der Akteure, die als Intermediäre Markttransparenz
zwischen Produktion und Konsumtion erzeugen und in abstrakten Wertschöpfungsstruk-
turen auf der Stufe der akquisitorischen Distribution anzusiedeln sind. Versteht sich der
Zeitungsverlag als Partner der Werbetreibenden, so kann er sich in die Richtung indivi-
dualisierter Produkte (Individualisierungsstrategie) und Dienstleistungen (Servitizationt-
rategie) entwickeln. Er steht dann deutlich in Konkurrenz zu allen Akteuren, die auf der
Basis von großen Datenmengen über die (gegebenenfalls sogar unbekannten) Zielgrup-
pen der Werbetreibenden maßgeschneiderte Lösungen anbieten.
Dabei bieten die vier verschiedenen Strategien weitere Ausgestaltungsmöglichkeiten, die
in den bisherigen Angeboten noch nicht wiederzufinden sind.
Mit der Individualisierung von Produkten wenden sich Zeitungsverlage derzeit noch vor
allem an den Business-to-Business-Markt und damit an die werbetreibenden Unterneh-
men. Aufgrund der Digitalisierung der Erstellungsprozesse sind hier auch konsumnahe
individualisierte Produkte denkbar. Neben der bereits angebotenen gedruckten Zeitungs-
ausgabe vom Tag der Geburt des zu Beschenkenden sind hier auch individualisierte Zei-
tungsausgaben, Fotoreportagen oder Videozusammenschnitte zu verschiedenen The-
menbereichen, die im Leben eines Jubilars, eines Hochzeitspaares, einer Person des
öffentlichen Lebens eine Rolle spielen oder gespielt haben, denkbar. Solche Angebote
können in unterschiedlichen Formen der Mass Customization angeboten werden: vom
individualisierten Cover über die persönliche Widmung bis hin zum individualisierten
Inhalt ist alles denkbar. Auch die Intensität der Kundenmitwirkung kann hier variiert
werden: von der Öffnung der digitalisierten Archive (was viele Zeitungen bereits anbie-
ten) und der Erstellung der Geburtstagszeitung durch den Kunden bis hin zur Übernahme
aller Gestaltungsaktivitäten durch den Verlag bieten sich viele Optionen. Diese Ansatz-
punkte leiten dann bereits zur Servitization-Strategie über.
Auch bei Dienstleistungen ist das Spektrum der Angebote noch lange nicht ausge-
schöpft. Insbesondere die digitalen Dienstleistungen bieten Potenzial für Weiterentwick-
lungen. Die Mitwirkung des Kunden ist ein konstitutives Merkmal von Dienstleistungen
und lässt sich online bzw. mobil besonders leicht einwerben. Der Leser als Reporter oder
als Fotograf wird so zum Mitgestalter insbesondere seiner regionalen Zeitung; allerdings
birgt diese Form der Kundenmitwirkung auch besondere Risiken, die zu beachten sind.
Ernst (2015) diskutiert diese z. B. aus einer juristischen Perspektive. Ebenso ist aber
auch zu thematisieren, welche Funktion die Berichterstattung in einer Gesellschaft hat
und welchen Bedingungen im Hinblick auf die identifizierten Ziele die erforderliche
Wertschöpfung dann genügen muss (hierzu z. B. Altmeppen 2014). Ein neues Angebot
im Rahmen der Servitization-Strategie stellen auch Events dar. Ein Beispiel hierfür ist
die Reiff Medien Dome, ein Veranstaltungszentrum mit Disko in Offenburg, das Ende
2010 vom Offenburger Tageblatt errichtet wurde. Damit wurden die folgenden Ziele
YHUEXQGHQ ÄReichweitensteigerung in jungen Zielgruppen, Imagetransfer (Printmarke
wird zum Erlebnisraum), Steigerung der Werbeerlöse durch cross-mediale Vermarktung
(Live Event/Print/Online) und die Schaffung einer Erlebniswelt für die junge Zielgrup-
SH³0HUNOH6). Hier finden sowohl Diskoveranstaltungen statt als auch Pro-
duktpräsentationen, sodass sowohl der B2C-Markt (von Lesermarkt kann hier weniger
gesprochen werden) als auch der B2B-Markt bedient werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass innerhalb der Strategie neue Zielgruppen,
aber auch neue Technologien weiteres Entwicklungspotenzial eröffnen. Welche der Stra-
tegien für einen Zeitungsverlag geeignet ist und auch zum Erfolg führt, hängt von be-
stimmten Voraussetzungen ab.
Zeitungsverlage zwischen Digitalisierung und Servitization 401
Die Öffnung des Unternehmens zum Kunden hat Konsequenzen für alle Unternehmens-
bereiche sowie die Unternehmenskultur.
Dienstleistungen sind durch die Integration des Kunden in den Leistungserstellungspro-
zess und die Immaterialität des Leistungsergebnisses gekennzeichnet. Wie die Servitiza-
tion-Forschung zeigt, wirken sich diese Merkmale auf das gesamte Unternehmen aus
(Fließ/Lexutt 2016). Eine Servitization-Strategie entspricht damit einem Veränderungs-
prozess, der durch Change Management zu begleiten ist. Dienstleistungen, insbesondere
individualisierte und komplexe Dienstleistungen, führen bei Kunden zu einer hohen Un-
sicherheit vor dem Kauf, der im Marketing entsprechend begegnet werden muss (Fließ
2009, S. 165ff.). Das Unternehmen gibt seine Autonomie auf und öffnet sich der Mitbe-
stimmung durch die Kunden. Diese Eingriffe des Kunden können weitreichende Verän-
derungen in allen Funktionsbereichen des Unternehmens nach sich ziehen. Insbesondere
Verlage haben bisher typischerweise eher wenig oder nur sehr standardisierten Kontakt
zu Kunden: Werbekunden haben bis dahin mehrheitlich sehr standardisierte Angebote
für Werbeplätze gebucht, die in den Mediadaten beschrieben werden. Die Leser sind in-
sofern weit entfernt, als das im Einzelverkauf der Groß- und Einzelhandel zwischen bei-
den Gruppen steht. Auch Abonnenten sind eher pseudo-bekannt, reduziert sich das Wis-
sen des Verlags auf grobe soziodemographische Merkmale (Geschlecht, Alter) sowie die
Adresse zur Rechnungszustellung. Unterstellt werden muss gegebenenfalls auch, dass in
vielen Redaktionen Leser eher als theoretisches Konstrukt oder Änörgelnde Briefeschrei-
ber³ denn als zahlende Kundschaft mit Wünschen klassifiziert werden. Glotz und Lan-
JHQEXFKHUVWHOOWHQDXI%DVLVHPSLULVFKHU$UEHLWIHVWGDVV=HLWXQJHQÄ]XU6HOEVW
EHIULHGLJXQJ DNDGHPLVFK JHELOGHWHU 5HGDNWHXUH JHPDFKW >ZUGHQ@ >«@ GHQHQ GLH
Verleger aus schwer verständlichen Gründen erlauben, an ihren Lesern vorbei-zu-
theoreWLVLHUHQ³6IDiskussionen in Theorie und Praxis darüber, ob und in welcher
Form Wünsche von Lesern Platz im journalistischen Arbeiten finden könnten und sollten
sind hochaktuell.
Auf der Basis einer explorativen Dokumentenanalyse konnte gezeigt werden, dass die
sieben größten Zeitungen und ihre Verlage unterschiedliche Angebote entwickelt haben.
Hierbei lassen sich ± basierend auf der Leistungstypologie von Engelhardt, Kleinalten-
kamp und Reckenfelderbäumer ± die folgenden Angebote unterscheiden: Materielle
Leistungsergebnisse in Form materieller Produkte, Mass Customization und individuali-
sierter Produkte sowie immaterielle Leistungsergebnisse in Form von digitalen Produk-
ten, digitalen Dienstleistungen, standardisierten und individualisierten Dienstleistungen.
Anhand des Anteils, den diese Angebote am Gesamtangebot einnehmen, lassen sich vier
Strategien identifizieren: die Strategie der Produktlinien-Erweiterung, die Digitalisie-
rungsstrategie, die Individualisierungsstrategie und die Servitization-Strategie. Jede Stra-
tegie ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, aufgrund derer Pfadabhängigkeiten
entstehen, die die Verfolgung bestimmter Entwicklungspfade erfolgversprechender ma-
chen als anderer.
Abschließend konnte aufgezeigt werden, dass das Selbstverständnis des Verlages im
Hinblick auf die von ihm zu erfüllende Funktion gegenüber seinen Kundengruppen we-
sentlich ist für die Wahl seines Marktes, seiner Konkurrenten und damit auch seiner
Strategie. Hinsichtlich der identifizierten Strategien besteht jedoch auch noch Bedarf der
differenzierten Bewertung sowohl in Bezug auf organisationsbezogene Machbarkeiten
wie auch gesellschaftsbezogene Funktionen, die verschiedenen Medien zugesprochen
werden.
Aufgrund des explorativen Charakters der empirischen Untersuchung ist deren Aussage-
kraft naturgemäß begrenzt und hat daher eher illustrativen als beweisenden Charakter.
Dementsprechend steht eine empirische Validierung des hier entwickelten Strategiemo-
dells noch aus. Auch ob und unter welchen Voraussetzungen welche Strategie bzw. wel-
cher Strategieentwicklungspfad erfolgreich ist, konnte in dieser Untersuchung noch nicht
geklärt werden. Beides könnte in persönlichen Interviews erfolgen.
Literaturverzeichnis
Abell, D.F. (1980): Defining the Business The Starting Point of Strategic Planning,
London.
Altmeppen, K.-D. (2014): Der Journalismus ist kein Geschäftsmodell ± Und wird nie
eines werden, in: Lobigs, F./von Nordheim, G. (Hrsg.): Journalismus ist kein Ge-
schäftsmodell ± aktuelle Studien zur Ökonomie und Nicht-Ökonomie des Journalis-
mus, Baden-Baden, S. 17-29.
Ansoff, H.I. (1965): Corporate strategy ± an analytic approach to business policy for
growth and expansion, New York u. a.
Barney, J. (2014): Gaining and sustaining Competitive Advantage, 4. Aufl., Harlow.
Zeitungsverlage zwischen Digitalisierung und Servitization 405
Literaturverzeichnis
wenig virtualisiert
voll virtualisiert
Je geringer der Virtualisierungsgrad ist, desto häufiger wird direkt Face to Face zwi-
schen den Akteuren des Beratungsprozesses agiert. Das bedeutet Workshops, Meetings
oder Dialoge finden direkt und persönlich statt. Nur vereinzelt werden Werkzeuge einge-
setzt, um unabhängig vom Ort miteinander zu kommunizieren. Standardisierung und Au-
tomatisierung finden insbesondere in Form von Vorgehensmodellen und Dokumentvor-
lagen Anwendung. Die Leistungserbringung erfolgt nicht automatisiert.
Mit steigendem Virtualisierungsgrad wird der direkte, persönliche Kontakt zwischen Be-
rater und Kunde, aber auch zwischen Berater und Berater minimiert. Bei einem sehr ho-
hen Virtualisierungsgrad der Leistung wird es demnach nur noch bei den kritischsten
Aktivitäten und Problemstellungen direkten Kontakt zwischen den Akteuren und insbe-
sondere zwischen Berater und Klient geben. Je stärker der Beratungsprozess virtualisiert
ist, desto häufiger werden Kollaborationswerkzeuge wie Instant Messenger, Videoan-
wendungen, Shared File Repositories oder Virtual Workspaces genutzt (Schuster 2005,
S. 157). Ein entscheidender Mehrwert kann erzielt werden, wenn mit steigendem Virtua-
lisierungsgrad auch Automatisierung angewendet wird. So wird die Leistungserbringung
vom einzelnen Berater losgelöst und durch softwarebasierte Beratungsprodukte weitge-
hend bis vollständig substituiert. Der Einsatz solcher Beratungsprodukte bringt neue
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 417
Die Interaktivität einer virtuellen Beratungsleistung beschreibt das Maß der Interaktion
von Berater und Kunde. Der Digitalisierungsgrad bildet ab, in welchem Umfang Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien bei der Erbringung der virtuellen Beratungs-
leistung genutzt werden. Mit dem Merkmal Standardisierungsgrad wird abgebildet, wie
sehr Bestandteile, Abläufe und Ergebnisse einer virtuellen Beratungsleistung vorbe-
stimmt sind. Die Integrativität beschreibt das Maß, mit dem Ressourcen von Klienten
und Beratern im Beratungsprozess eingebracht werden müssen. Die Modularität be-
schreibt, inwiefern eine Beratungsleistung sich in abgeschlossene, durch klare Schnitt-
stellen separierte Teilleistungen zerlegen lässt.
Ein Online-Management-Coaching, das als virtuelle Beratungsleistung einer Human-
Resources-Beratung angeboten wird, weist demnach andere Merkmalsausprägungen auf,
als ein Remote Process Mining, das von einer IT-Beratung eingesetzt wird. Am Beispiel
der Interaktivität lässt sich der Unterschied verdeutlichen. Beim Coaching wird sehr in-
418 Volker Nissen und Henry Seifert
teraktiv mit der betreuten Person zusammengearbeitet; Ideen, Meinungen und Erfahrun-
gen werden rege ausgetauscht. Beim Remote Process Mining hingegen wird kaum mit
Klienten interagiert. Hier liegt der Fokus auf der richtigen Anwendung des Mining-Tools
durch den Berater und der korrekten Analyse der generierten Prozessmodelle.
Weitere Beispiele für virtuelle Beratungsleistungen, die jeweils unterschiedliche Merk-
malsausprägungen aufweisen, sind:
Videokonferenzen zwischen Beratern, die sehr interaktiv aber wenig standardisiert
sind,
ein Chat für Kunden von Beratern, der ebenfalls interaktiv ist, Informationen des
Kunden integriert und Standardisierung in Form von Richtlinien enthält,
ein Podcast für Kunden zu einem aktuellen Thema, der nicht interaktiv ist, aber da-
für voll digitalisiert,
ein Data-Mining-Tool für Analysezwecke für Berater, dass durch eine hohe Modu-
larität und Integrativität gekennzeichnet ist,
ein webbasiertes Assessment, um den Reifegrad vom Projektmanagement des Kun-
den zu bestimmen, das wenig interaktiv, aber sehr standardisiert und modularisiert
ist,
ein Interview mit Kunden über Skype mit einer hohen Interaktivität,
eine Tablet-Beratungs-App zum Thema Projektmanagement mit einem hohen Digi-
talisierungsgrad,
ein interaktiver, virtueller Assistent für Kunden, der den Kunden digital und stan-
dardisiert berät.
Virtuelle Beratungsleistungen können demnach sehr unterschiedliche Formen annehmen.
Durch die Kombination von unterschiedlichen, virtuellen Leistungsmodulen, können
wiederum neue virtuelle Beratungsleistungen entstehen. Es wird auch deutlich, dass Vir-
tualisierung kein völlig neues Phänomen ist. Im gegenwärtigen Beratungsalltag werden
verschiedene Technologien vor allem im Rahmen niedrig virtualisierter Beratungsleis-
tungen bereits genutzt. So sind Skype, Videokonferenzen oder Projektplattformen heute
bereits Bestandteil vieler Projekte.
3.1 Grundlagen
Ob eine Beratungsleistung erfolgreich virtualisiert werden kann oder nicht, hängt in ers-
ter Linie von der Akzeptanz und von den Erwartungen der Klienten ab. Nur wenn die
Klienten die veränderten Beratungsformen und -abläufe akzeptieren, sind sie auch bereit,
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 419
vereinzelt 1x
Teilnehmer entsprachen grundsätzlich der Zielgruppe
häufig 6x und kennen sich auf dem Gebiet der Beratungsdienst-
leistungen gut bis sehr gut aus.
täglich 6x
Wie viele Mitarbeitende sind in ihrem Unternehmen tätig?
51 - 250 1x
251 ± 1.000 1x Teilnehmer eher aus mittleren bis großen Unterneh-
1.001 ± 2.000 4x men.
> 2.000 7x
In welcher Branche ist ihr Unternehmen tätig?
Automobilbranche 5x
Industrie (ohne Details) 1x
Überwiegend Teilnehmer aus Chemie und Automobil-
Chemie 5x
branche.
Energie 1x
Finanzdienstleistung 1x
In welcher Abteilung sind Sie tätig?
Fachabteilung 11x
Hauptsächlich Teilnehmer aus der Fachabteilung
IT-Abteilung 2x
Abbildung 3: Merkmale der befragten Klientenvertreter in der ersten Delphi-Studie
Daneben sollte auch die Frage geklärt werden, welche Chancen und Risiken Beratungs-
anbieter in der Virtualisierung ihrer Leistungen sehen. Hierzu wurde eine zweite Delphi-
Studie durchgeführt (Nissen/Seifert 2015). Dabei wurde ein Panel von Beratungsexper-
ten wiederum in zwei Runden befragt (vgl. Abbildung 4). Auch hier konnten die Exper-
ten ihre Einschätzungen in der ersten Befragungsrunde frei formulieren, während die
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 421
zweite Runde der Konsolidierung der Ergebnisse diente. Die zweite Befragungsrunde
beendeten 12 Unternehmensberater (nach 20 in der ersten Runde). In beiden Delphi-
Studien wurde somit die Mindestteilnehmerzahl nach Häder (2000) erreicht. Beide Be-
fragungen wurden im Herbst 2014 online mithilfe der Software Questback durchgeführt.
Zu weiteren Einzelheiten der Methodik siehe Nissen et al. (2015) sowie Nissen und Sei-
fert (2015).
Unternehmens-
Experte Beratungs-
Position/Bereich größe (Mitarbei-
Nr. erfahrung (Jahre)
tende)
1 14 Innovation Center, Sales 120
2 5 Managing Consultant/Advisory 100.000
VP Strategy Development/Strategy
3 5 50.000
Development
Management Consultant/Security
4 20 400.000
Service
Associated Partner/Management
5 30 1.000
Technology
6 9 Manager/Advisory/Sales 140.000
7 14 CEO/Consulting 30
Sales & Business Develop-
8 20 20.000
ment/Sales
Technical Architect/Customer Solu-
9 5 tion 130.000
Development/Sales
10 18 CEO/Sales 45
Senior Manager/Technology Archi-
11 8 280.000
tecture
12 19 Director / Marketing & Sales 110
13 14 CEO/Innovation 100
14 22 CEO/Sales 80
Senior Project Consult-
15 9,5 50.000
ant/Education/Certification
Principal Enterprise Archi-
16 20,5 127.000
tect/Business Technology
17 18 Senior Manager/IT-Consulting 180.000
18 15 Manager IT Consulting/Advisory 180.000
Senior Manager/Risk and IT-
19 16 180.000
Service
20 18 CEO/Sales 200
Abbildung 4: Übersicht der befragten Beratungsexperten in der zweiten Delphi-Studie
422 Volker Nissen und Henry Seifert
Für Berater spielt neben finanziellen Gründen durch sinkende Kosten (z. B. wegen ge-
ringerer Reisezeiten) vor allem steigende Flexibilität in der Erbringung der Beratungs-
leistung (zeitlich, räumlich und hinsichtlich der einbezogenen Wissensträger) eine wich-
tige Rolle. Virtuelle Beratungsleistungen werden dabei eher nicht als Premium-Dienst-
leistungen gesehen, sondern bieten Potenziale im Bereich vergleichsweise gut
standardisierbarer Leistungen. Daneben werden durch Virtualisierung Vorteile in der
Verfügbarkeit für die Klienten (durch vermehrten Einsatz von IKT) sowie ganz allge-
mein Beschleunigungseffekte im Beratungsprojekt erwartet. Auch geht man davon aus,
dass es durch die gestiegene raumzeitliche Flexibilität bei der Leistungserbringung sowie
geringere Reisezeiten den Mitarbeitenden leichter fallen wird, eine gute Work-Life-
Balance zu erreichen. Dies könnte, vor dem Hintergrund der generell hohen Arbeitsbe-
lastung in der Unternehmensberatung, das jeweilige Unternehmen im War for Talents als
besonders attraktiven Arbeitgeber erscheinen lassen (Termer/Nissen 2011; 2012).
Unter den Risiken ist aus strategischer Sicht die befürchtete Schwächung der Berater-
Klienten-Beziehung hervorzuheben, denn dies kann negative Auswirkungen auf das Ver-
trauen der Beteiligten haben und Vertrauen ist ein zentrales Asset im Consulting (Glück-
ler/Armbrüster 2003). Hier könnte sich auch eine aufgrund von Standardisierung zu ge-
ringe Individualisierung der Leistungserbringung negativ auswirken. In operativer
Hinsicht werden, neben Sicherheitsthemen, insbesondere eine unkontrollierbare Projekt-
komplexität und assoziierte Probleme in den Bereichen Kommunikation, Koordination
und Kooperation befürchtet. Abbildung 5 fasst diese Aspekte zusammen.
Chancen Risiken
Größere zeitliche Flexibilität Schwächung der Berater-Kunden-
Mehr räumliche Flexibilität Beziehung
Zeitzonenübergreifendes Arbeiten
IT-Sicherheits- und Datenschutzprobleme
Kürzere Reaktionszeiten
Zeitersparnis Steigende Koordinations- und
Kosteneinsparungen Abstimmungsaufwände
Bessere Nutzung des Wissens von Kollegen Probleme in den Bereichen Kommunikation,
Bessere Ressourcenverfügbarkeit Koordination und Kooperation
Optimierung der Work-Life-Balance
Zu geringe Individualisierung der Leistung
Höhere Verfügbarkeit für Klienten
Größere Arbeitsgeschwindigkeit
Unkontrollierbare Projektkomplexität
Besserer Preisspielraum bei Beratungsleistungen
Die Klienten haben überraschend ähnliche Erwartungen wie die befragten Berater. Gene-
rell erwarten Klienten von virtualisierten Beratungsangeboten eine Reihe von Vorteilen
gegenüber konventionellen Beratungsformen (vgl. Abbildung 6). So verknüpfen die
Kunden damit insbesondere die Chance auf größere Flexibilität und Verfügbarkeit der
Berater, höhere Arbeits- und Reaktionsgeschwindigkeit im Projekt sowie die Hoffnung,
Beratungsleistungen zu günstigeren Preisen zu erhalten. Weiterhin erhoffen sich die Kli-
enten durch die intensivere Nutzung der Digitalisierung, Ergebnisse einfacher verarbei-
ten und wiederverwenden zu können. Auch sieht man die Chance, besonders innovative
und teilweise automatisierte Beratungslösungen in Anspruch nehmen zu können.
Dem stehen jedoch eine Reihe von Befürchtungen und Risiken gegenüber. Diese bezie-
hen sich zum einen auf mögliche Kommunikations-, Koordinations- und Kooperations-
probleme sowie die stärkere Abhängigkeit von technischen Aspekten bei der Zusam-
menarbeit und den damit verbundenen Gefahren wie Datenmissbrauch und
Kontrollverlust. Zum anderen wird befürchtet, die Ergebnisqualität könnte leiden, da die
Beziehung zwischen Beratern und Klienten sich verschlechtert, Vertrauen und Loyalität
sinken und die Individualisierung der Leistungserbringung abnimmt.
Chancen Risiken
Kommunikations-, Koordinations- und
Höhere Arbeits- und Reaktionsgeschwindigkeit
Kooperationsprobleme
Geringere Beratungspreise Schlechtere Klienten-Berater-Beziehung
Höhere Flexibilität bei der Beraterauswahl Schlechtere Leistung und Qualität
Einfacheres internationales Arbeiten Erhöhte Gefahr eines Datenmissbrauchs
Nutzung innovativer Beratungslösungen und
Geringeres Vertrauen
-produkte
Besserer Wissenszugriff und -austausch Geringere Loyalität
Bessere Wiederverwendbarkeit von
Unzureichende Individualisierung
Ergebnissen und Projektdokumenten
Höhere Flexibilität bei der Aufgabenverteilung Hohe technologische Abhängigkeit
Bessere Verfügbarkeit der Beratungsleistungen Gefahr des Kontrollverlustes
Die von den Experten durchgeführte Evaluation, Ergänzung und Priorisierung ergab ei-
nen integrierten Katalog, der Kriterien traditioneller Beratungsleistungen und elektroni-
scher Dienstleistungen kombiniert und den Qualitätsanforderungen der Klienten entspre-
chend ordnet (vgl. Abbildung 7). Im Folgenden werden die Qualitätskriterien kurz
erläutert, bevor auf den Zusammenhang zwischen dem Virtualisierungsgrad und der Be-
deutung der einzelnen Kriterien eingegangen wird.
(3) Effizienz zielt auf Eigenschaften, die zu einer hohen Leistungsfähigkeit führen. Da-
bei gilt es, die Beratungsleistung durch den gezielten Einsatz von IKT möglichst ef-
fizient zu erbringen. Das könnte unter anderem eine benutzerfreundliche Bedien-
oberfläche und Navigation, eine gute Strukturierung des Angebotes, Suchfunktionen
oder auch die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Beratungsergebnisse zur Ver-
fügung gestellt werden betreffen. Die Effizienz ist maßgeblich für die Qualität einer
virtuellen Beratungsleistung verantwortlich und kann einen Mehrwert im Vergleich
zur herkömmlichen Beratung darstellen (Leimeister 2012, S. 300).
(4) Reaktionsfähigkeit beschreibt die Unterstützung bei (technischen) Problemen und
Fehlern. Der Klient bewertet die Geschwindigkeit, mit der eine Lösung des Prob-
lems eingeleitet werden kann. Die Möglichkeit, Hilfe anzufordern und eine schnelle
Reaktion zu erhalten, lässt sich dabei gut objektiv messen. Eine rein elektronisch
durchgeführte Hilfe kann jedoch zu Unklarheiten auf der Klientenseite führen, so-
dass Beratungen diese Möglichkeit kritisch evaluieren sollten. Um die Reaktionsfä-
higkeit und die Qualität der Problemlösung im virtuellen Beratungsprozess zu ver-
bessern, sollten verschiedene Kontaktkanäle angeboten werden. Dies bezieht sich
sowohl auf technische als auch fachliche Probleme, die während der Nutzung ent-
stehen können.
(5) Privatsphäre zielt auf eine den Klientenstandards entsprechende Datensicherheit
und einen entsprechenden Datenschutz ab. Der Schutz von persönlichen Daten so-
wie Unternehmensdaten und der sichere Umgang mit diesen sind zu gewährleisten
(Schuster 2005, S. 64ff.). Der Klient bewertet hier die empfundene Sicherheit seiner
Daten und die dafür angebotenen Sicherheitsmechanismen der virtuellen Beratungs-
leistung.
(6) Kontakt ist ein Kriterium, das die Möglichkeit bei Fragen und Problemen direkt an
Berater heranzutreten, beschreibt. Vorgefertigte Kontaktmöglichkeiten, wie die häu-
fig verwendete FAQ-Option oder Kontaktformulare, sind oft nicht zufriedenstellend,
sodass dem Klienten die Möglichkeit geboten werden sollte, direkten Kontakt zu ei-
nem Experten aufzunehmen (Wurdack 2001, S. 57). Diese Kontaktaufnahme kann
mit Hilfe des Telefons, Chatanwendungen oder ähnlichen Funktionen erfolgen. Die
Qualität dieses Kriteriums wird deshalb zum einen über die Möglichkeit dieser Kon-
taktaufnahme, aber auch über die Interaktionsqualität und Beachtung der Wünsche
oder Rückmeldungen der Klienten gemessen.
(7) Ästhetik: Unter dem Begriff Ästhetik werden das Erscheinungsbild und die Visuali-
sierung der Beratungslösung bzw. der Webseite, auf der die Beratungsleistung er-
bracht wird, verstanden. Um sich von traditionellen Beratungsangeboten abzuheben,
sollte eine virtuelle Beratungsleistung dieses Kriteriums gut erfüllen und so dem
Klienten die Inanspruchnahme dieser Lösung erleichtern.
(8) Kompensation beschreibt das Maß, mit dem einem Klienten eine Entschädigung bei
Problemen im virtuellen Beratungsprozess angeboten wird. Wird dieses Kriterium in
426 Volker Nissen und Henry Seifert
einem großen Maß erfüllt, so trägt dies zu einer hohen Qualität der virtuellen Bera-
tung bei. Es geht hier vor allem um vollvirtualisierte und automatisierte Beratungs-
leistungen, bei denen der Klient autonom eine Beratungsapplikation nutzt. Gibt es
Mängel bei der Verwendung des softwarebasierten Beratungsproduktes, so müssen
entsprechende Kompensationsangebote verfügbar sein. Der Kunde erwartet dann
zum Beispiel die Möglichkeit persönlich beraten zu werden.
Die Delphi-Studie bestätigte, dass die Bedeutung der zuvor beschriebenen Qualitätskrite-
rien für die Gesamtzufriedenheit der Kunden in Abhängigkeit des Virtualisierungsgrades
variiert (vgl. Abbildung 8). Die Qualität einer hoch-virtualisierten Beratungsdienstleis-
tung wird stärker anhand von Kriterien für die Qualität elektronischer Dienstleistungen
gemessen, wohingegen eine Dienstleistung mit einem geringeren Virtualisierungsgrad
stärker durch Qualitätskriterien von traditionellen Beratungsdienstleistungen bewertet
wird. Beispielsweise werden die fachlichen und sozialen Kompetenzen der Berater so-
428 Volker Nissen und Henry Seifert
Beziehungsqualität
Klientenintegration
Zielerreichung
Beratungsprozessqualität
Reaktionsfähigkeit
Effizienz
Systemverfügbarkeit
Erfüllung
Privatsphäre
Kompensation
Kontakt
Ästhetik
Die Studie verdeutlichte aber auch, dass alle Kriterien in die Beurteilung der Qualität
virtueller Beratungsleistungen einbezogen werden müssen und es keine Qualitätskrite-
rien gibt, die aus Klientenperspektive vollkommen vernachlässigt werden können.
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 429
4.1 Grundlagen
Während die raumzeitliche Flexibilität bei der Virtualisierung zunimmt, kann die redu-
zierte persönliche Interaktion von Beratern und Klienten deren Beziehung beeinträchti-
gen. Ob Virtualisierung der richtige Ansatz ist, einen Beratungsprozess zu verändern und
wie dies am besten geschehen kann, muss intensiv geprüft werden. Hier besteht heute
ein Mangel an belastbaren Kriterien und Virtualisierungskonzepten. Daher ergibt sich
die Frage, wie das Potenzial zur Virtualisierung eines Beratungsprozesses (oder Teil-
schrittes) anhand konkreter Kriterien ex ante beurteilt werden kann.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde im ersten Schritt auf die theoretische
Grundlage der Process Virtualization Theory von Overby (2008; 2012) zurückgegriffen
und diese in die Domäne Consulting übertragen. Ergänzend lieferte eine umfangreiche
empirische Studie im deutschen Beratungsmarkt zu den Einflussfaktoren des Virtualisie-
rungspotenzials weitere Hinweise für ein sinnvolles Vorgehen. Im dritten Schritt wird
eine strategische Perspektive eingenommen, die zusätzlich Chancen und Risiken der Vir-
tualisierung einbezieht. Im Ergebnis ergibt sich ein Analyseprozess in drei Schritten, der
nachfolgend hergeleitet und dargestellt wird.
Ein virtueller Prozess ist ein Prozess, in dem die physische Interaktion zwischen den
Menschen und/oder Maschinen verschwindet. Der Übergang eines physischen Prozesses
KLQ]XHLQHPYLUWXHOOHQ3UR]HVVZLUGDOVÄ3UR]HVV9LUWXDOLVLHUXQJ³EH]HLFKnet. Die Vir-
tualisierung von Prozessen kann von der Automatisierung begleitet werden. Overby
(2008; 2012) entwickelte die generisch angelegte Process Virtualization Theory (PVT)
und führte den %HJULII GHU Ä3UR]HVVvLUWXDOLVLHUEDUNHLW³ HLQ. Overby sieht die Nutzung/
Akzeptanz und die Qualität der Prozessergebnisse als Basis, um die Virtualisierbarkeit
eines Prozesses (als abhängige Größe) ex post messen zu können. Daneben benennt er
eine Reihe von Einflussgrößen, die sich auf die Virtualisierbarkeit eines Prozesses aus-
wirken und demnach für die hier angestrebte ex-ante-Beurteilung des Virtualisierungs-
potenzials von Beratungsleistungen grundsätzlich geeignet erscheinen.
430 Volker Nissen und Henry Seifert
Demnach wirken sich insbesondere die folgenden Prozesseigenschaften negativ auf die
Virtualisierbarkeit eines Prozesses aus: hohe sensorische Anforderungen (da physische
Interaktion entfällt), hohe Anforderungen an die persönliche Beziehungsebene der Betei-
ligten und daran anknüpfende Konstrukte wie Vertrauen, hohe Anforderungen an die
Synchronität von Aktivitäten in der Prozessausführung und hohe Identifikations- und
Steuerungsanforderungen im Prozess (da bei Virtualisierung die tatsächlich Interagie-
renden leichter verschleiert werden können).
Demgegenüber mildern die folgenden Eigenschaften des (IT-basierten) Virtualisierungs-
mechanismus die genannten Prozesscharakteristika und wirken sich somit auf die Virtua-
lisierbarkeit eines Prozesses aus: die Fähigkeit der IT prozessrelevante Informationen
GDU]XVWHOOHQ Ä5HSUHVHQWDWLRQ³ GLH )lKLJNHLW der IT eine zeit- und ortsunabhängige
Prozessteilnahme zu HUP|JOLFKHQÄRHDFK³VRZLH die Möglichkeiten durch IT eine Au-
thentifikation der Prozessbeteiligten und Überwachung des Prozessablaufes zu gewähr-
OHLVWHQÄ0onitoring CDSDELOLW\³
Balci und Rosenkranz (2014) merken an, dass die Messbarkeit der Prozess-
Virtualisierbarkeit bisher kaum empirisch untersucht ist. Sie finden in einer eigenen Un-
tersuchung empirische Bestätigung für die PVT, sehen jedoch gleichzeitig Hinweise auf
deren Unvollständigkeit. Demnach spielen auch Faktoren eine Rolle, die Merkmale der
Prozessteilnehmer (z. B. IT-Kenntnisse) betreffen. Auch spätere Beiträge in der Literatur
bestätigen tendenziell die PVT und wenden diese auf verschiedene Dömänen an, z. B.
den Check-in-Prozess am Flughafen (Balci 2014; 2015), das Privatkundengeschäft von
Banken (Graupner/Mädche 2015), sowie militärische Ausbildungs- und Trainingspro-
zesse (Marsilio 2015).
Der Aspekt einer möglichen Unvollständigkeit der PVT wird für den Anwendungs-
bereich Consulting durch eine ergänzende umfangreiche Befragung zu den Kriterien der
Virtualisierbarkeit von Beratungsleistungen aufgegriffen. Befragt wurden, in Koope-
ration mit dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e.V., Gesell-
schaften aller Größen aus der gesamten Consultingbranche (Nissen/Seifert 2016).
Im Rahmen der hier beschriebenen Studie wurden Daten online mit Hilfe der Umfra-
gesoftware Unipark QuestBack erhoben. Die Befragung der Teilnehmer wurde im Zeit-
raum vom 23. November bis 18. Dezember 2015 durchgeführt. In der anschließenden
Editierung und Kodierung der Daten fand eine Datenbereinigung statt. So wurden Fra-
gebögen ausgesondert, die von den Teilnehmern nicht beendet wurden. Ebenso fielen
sehr unvollständig bearbeitete Fragebögen heraus. In Summe konnten 552 Fragebögen
für die weitere statistische Analyse berücksichtigt werden. Insgesamt wird der deutsche
Beratungsmarkt nach Umsatz und Beratungsfeldern gut abgebildet, sodass von weitge-
hend repräsentativen Ergebnissen ausgegangen werden kann. Auch hinsichtlich Alter
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 431
und Berufserfahrung der Befragten zeigte sich, dass das Meinungsbild von Beratern mit
unterschiedlichen Erfahrungsniveaus erfasst werden konnte.
Die Befragung zielte insgesamt darauf ab, den Status Quo und die Perspektiven der digi-
talen Transformation in der Unternehmensberatung in Deutschland zu klären. Im vorlie-
genden Beitrag wird diese empirische Studie jedoch nur hinsichtlich möglicher Kriterien
zur Beurteilung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen einbezogen.
Hierzu wurde vorab eine strukturierte Literaturanalyse nach Webster und Watson (2002)
durchgeführt, um mögliche Kandidaten für solche Kriterien zu identifizieren. Neben der
(zahlenmäßig noch sehr überschaubaren) originären Literatur zur Beratungsvirtualisie-
rung wurde auch in den Themenbereichen Telearbeit, Telekooperation, Computer Sup-
ported Work, Task Analysis, E-Government und E-Services recherchiert, um auf das
Consulting potenziell übertragbare Resultate zu identifizieren. Weiterhin sind Beiträge,
die von Overby zitiert wurden oder die Overby zitieren, berücksichtigt worden.
Die Ergebnisse der Literaturanalyse bildeten die Grundlage einer entsprechenden Frage
in der Online-Studie, bei der die Teilnehmer zum einen die Relevanz dieser Kriterien
anhand einer 6-stufigen Likert-Skala beurteilen sollten, zum anderen aber auch die Frei-
text-Möglichkeit hatten, weitere Kriterien zu ergänzen und beurteilen.
Die Kriterien zur Bestimmung des Virtualisierungspotenzials lassen sich in die drei
Gruppen Klient, Beratung und Beratungsaufgabe differenzieren. Die Gruppe Klient be-
inhaltet alle Kriterien, die im Zusammenhang mit der Integration des Klienten stehen.
Dies umfasst sowohl das Vertrauen des Klienten in das Beratungsunternehmen als auch
die Akzeptanz des Klienten für die virtuelle Beratungsleistung. Ferner können die tech-
nischen Anforderungen des Klienten sowie die Erfahrung des Klienten mit virtuellen Be-
ratungsleistungen genannt werden.
Die zweite Gruppe Beratung beinhaltet alle Kriterien, die im Zusammenhang mit der
Beratungsorganisation, also dem Beratungsunternehmen selbst, stehen. Hierzu zählen
sowohl die Erfahrung der Beratung mit virtuellen Beratungsleistungen als auch die Reife
des Wissensmanagements. Weiterhin sind die Auslastung und die Seniorität der Berater
bestimmend für die konkrete Virtualisierbarkeit.
Die dritte Gruppe Beratungsaufgabe deckt die Kriterien ab, die eine Evaluation des Vir-
tualisierungspotenzials auf Ebene der Beratungsaufgabe ermöglichen. Dies umfasst so-
wohl die Kritikalität, d. h. das Risiko und Konfliktpotenzial der Aufgabe, als auch die
Komplexität und mithin die Veränderlichkeit, Vielzahl und Vielfalt der Aufgabe. Ferner
gilt es, die Dringlichkeit, also den Termindruck der Aufgabe sowie die Wichtigkeit, das
bedeutet die individuelle Bedeutung der Aufgabe zu bestimmen. Weitere Kriterien, die
in diese dritte Gruppe gehören, sind die Vertraulichkeit der Informationen und Aufgaben
und die Interaktivität, d. h. die Frequenz, Dauer, Art und Intensität der Berater-Klienten-
Interaktion. Ein wesentliches abschließendes Kriterium der Gruppe Beratungsaufgabe ist
die Individualität und mithin der Anspruch des Klienten an eine individuelle Lösung.
432 Volker Nissen und Henry Seifert
Generell stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang der zunächst literaturbasiert
identifizierten möglichen Kriterien der Virtualisierbarkeit von Leistungen der Unter-
nehmensberatung und den generischen Überlegungen zur Prozessvirtualisierbarkeit in
der Theorie von Overby. Daher haben wir geprüft, ob und in welchem Maße die Krite-
rien dazu geeignet sind, die Virtualisierbarkeit auf Prozessebene im Sinne der PVT zu
evaluieren. Hierzu wurde eine Zusammenhangsmatrix (Leimeister 2012, S. 199) entwi-
ckelt (vgl. Abbildung 9), die für jedes Kriterium die Bedeutung dokumentiert.
++ = starker Zusammenhang
Kontrollbezogene
Synchronizitäts-
+ = mittelmäßiger Zusammenhang
Identifikations-/
Sensorische
Beziehungs-
= geringer Zusammenhang
bezogene
bezogene
Vertrauen des Klienten in das
++ - ++ -
Beratungsunternehmen
Akzeptanz des Klienten für die virtuelle
++ ++ ++ +
Klient
Beratungsleistung
Kritikalität ++ ++ + ++
Komplexität ++ ++ ++ ++
Beratungsaufgabe
Dringlichkeit ++ ++ ++ ++
Wichtigkeit ++ ++ ++ ++
Vertraulichkeit ++ ++ + +
Interaktivität ++ ++ ++ ++
Individualität + ++ ++ +
Ein (-) in der jeweiligen Zeile bedeutet, dass dieses Kriterium nicht geeignet ist, um ei-
nen Rückschluss auf die Ausprägung der jeweiligen Prozesseigenschaft nach Overby zu
ziehen. Ein (+) deutet an, dass dieses Kriterium bedingt Informationen über die jeweilige
Prozesseigenschaft liefert. Ein (++) bedeutet, dass dieses Kriterium die Analyse der
Ausprägung der Prozesseigenschaft und damit einen Rückschluss auf die Virtualisier-
barkeit im Sinne Overbys, also aus der Prozesssicht, gut zulässt. In Abbildung 9 kann
(allerdings subjektiv beeinflusst) abgelesen werden, welche Kriterien im Kontext der
Übertragung der PVT von Overby auf das Consulting eine große Bedeutung besitzen.
Dies sind vor allem jene Kriterien, welche die Kunden und die Beratungsleistung selbst
beschreiben. Weniger Einfluss im Sinne der PVT haben hingegen die Kriterien, die Cha-
rakteristika der jeweiligen Beratungsorganisation angeben.
Nach der literaturgestützten Herleitung dieses initialen Kriterienkatalogs galt es, die Kri-
terien im Rahmen der großzahligen Befragung von Unternehmensberatern zu evaluieren.
Um das Virtualisierungspotenzial praxistauglich beurteilen zu können, ging es auch da-
rum, die Anzahl der bislang 15 Kriterien auf ein in den Unternehmen handhabbares Maß
zu reduzieren. Hierzu konnten die Antworten von 374 Teilnehmern ausgewertet werden.
Zur Charakterisierung von Kriterien der Virtualisierbarkeit bietet sich die Faktorenana-
lyse (EFA) als dimensionsreduzierendes Verfahren an. Hierdurch können latente Fakto-
ren identifiziert werden, die entsprechend fokussiert die Einflussfaktoren wiedergeben
(Cleff 2015). In diesem Zusammenhang wurde für die 15 initialen Kriterienkandidaten
DXFK&URQEDFK¶V$OSKDEHUHFKQHWGDVJUXQGVlW]Oich Werte zwischen 0 und 1 annehmen
kann-HK|KHUGHU:HUWYRQ&URQEDFK¶V$OSKDGHVWRK|KHULVWGLH.RUUHODWLRQ]ZLVFKHQ
den Indikatoren und damit die Interne-Konsistenz-Reliabilität (Churchill 1979). Dement-
VSUHFKHQG VROOWH HLQ &URQEDFK¶V $OSKD :HUW 7 vorliegen (Nunnally 1994). In der
vorliegenden Untersuchung beträgt dieser Wert 0,83.
Für die Durchführung der EFA wurde zunächst der Datensatz mittels einer Complete-
Case Analyse bereinigt und auf seine prinzipielle Eignung für die Analyse untersucht.
Zentrale Kriterien, die darüber Aufschluss geben, ob ein Datensatz für eine EFA grund-
sätzlich geeignet ist, sind das KMO Kriterium und der Bartlett-Test (Bartlett 1951).
Hierbei deutet ein KMO-Wert von über 0,5 darauf hin, dass die Daten grundsätzlich eine
gewisse Korrelation aufweisen und damit für eine EFA genutzt werden können (Kaiser/
Rice 1974). Im vorliegenden Fall beträgt der KMO-Wert 0,81. Der Bartlett-Test deutet
seinerseits, bei einer Ablehnung der Nullhypothese, auf eine grundsätzliche Eignung der
Daten für eine EFA hin. Für die vorhandenen Daten ist dieser signifikant (p < 0,001) von
Null verschieden. Die Nullhypothese, dass die Korrelationsmatrix nur zufällig von der
Einheitsmatrix verschieden ist, kann also abgelehnt werden, womit auch der Bartlett-
Test die Eignung der Daten für eine EFA bestätigt.
434 Volker Nissen und Henry Seifert
geeigneter Berater
Beratungsleistung
Dringlichkeit der
Akzeptanz des
zwischen den
Verfügbarkeit
Interaktivität
organisation
Komplexität
Rotierte
Beratungs-
Vertrauen
Reife der
Akteuren
Klienten
Komponentenmatrix
Kritikalität ,888
Komplexität ,856
Vertraulichkeit ,770
Individualität ,693
Dringlichkeit ,888
Der Abbildung 10 ist zu entnehmen, dass sich die Items recht trennscharf den einzelnen
Faktoren zuordnen lassen, da jedes Item, mit zwei Ausnahmen, bei einem cutoff-Wert
von 0,5 lediglich auf einen Faktor lädt. Gleichzeitig liegen bei den meisten Items Faktor-
ladungen über 0,7 vor. Im Ergebnis lassen sich die 15 Kriterienkandidaten auf sieben
Faktoren reduzieren, denen wir aussagekräftige Namen zu ihrem jeweiligen Fokus gege-
ben haben. Diese bilden nun die wichtigste Grundlage, um die Virtualisierbarkeit von
Leistungen der Unternehmensberatung ex ante zu beurteilen.
Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 435
4.3.1 Überblick
plexität wirkt sich negativ auf das Virtualisierungspotenzial aus. In komplexen Bera-
tungsszenarien sind die Anforderungen, die der Beratungsprozess an die Beziehung zwi-
schen Berater und Klient stellt, hoch. Notwendig ist eine starke Berater-Klienten-
Beziehung, die in der Lage ist, die Zusammenarbeit auch in kritischen Phasen innerhalb
des Projektes zu gewährleisten. Komplexität stellt zudem hohe synchronizitätsbezogene
Anforderungen an den Beratungsprozess. Die Lösung komplexer Problemstellungen mit
einer Vielzahl von heterogenen Informationen erfordert es häufig, zeitlich synchron mit-
einander zu arbeiten. Das bedeutet, Problemstellungen und Lösungen werden beispiels-
weise in Workshops kooperativ untersucht und generiert. Es ergeben sich zudem oft ho-
he sensorische Anforderungen, wenn Informationen unterschiedlichster Art (Ton, Bild,
9LGHR7H[W«YHUDUEHLWHWZHUGHQPVVHQ.RPSOH[H%HUDWXQJVOHLVWXQJHQVHW]HQDXFK
die Kenntnis darüber voraus, wer mit wem gerade interagiert.
glieder und ermöglicht einen schnellen Austausch von Informationen, die zur Lösung
kritischer Problemstellungen benötigt werden.
tualisierungspotenzials aus. Ist das nicht der Fall, wäre es sinnvoll, zunächst in den Auf-
bau solcher Ressourcen zu investieren.
Der strategische Fit in Bezug auf das bestehende Leistungsportfolio des Beratungs-
anbieters ist wichtig für die Virtualisierung von Beratungsleistungen. Demnach müssen
Anbieter das in den bisherigen zwei Schritten identifizierte Virtualisierungspotenzial in
der dritten Analysestufe auf die strategische Relevanz und Passfähigkeit prüfen. Hoher
strategischer Fit wirkt sich positiv auf das Virtualisierungspotenzial aus.
Für die Beratungsbranche verspricht die Virtualisierung innovative Möglichkeiten zur
Optimierung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit und Differenzierung im Wettbewerb. Zum
einen entstehen durch standardisierte und teilautomatisiert erbringbare Beratungsangebo-
te Skaleneffekte, die es ermöglichen, diese Leistungen deutlich günstiger anzubieten als
konventionelle Beratung. Das stärkt die Marktposition gegenüber Freelancern und Wett-
bewerbern aus Billiglohnländern. Es ermöglicht aber auch, ganz neue Kundenschichten
zu erschließen, die sich Unternehmensberater sonst nicht leisten könnten.
Die Virtualisierung bietet aber auch Potenziale zur Entwicklung von technisch ausgefeil-
ten Beratungslösungen (Beispiel Big Data-Analysen), die auf die Bedürfnisse der Kun-
den maßgeschneidert (konfiguriert) werden können. Durch die Virtualisierung und die
damit verbundene örtliche und gegebenenfalls auch zeitliche Entkopplung der Leis-
tungsbereitstellung wird Beratungsfirmen die internationale, flächendeckende Erbrin-
gung solcher Leistungen erleichtert. Darüber hinaus bildet die Virtualisierung in Verbin-
dung mit einer Automatisierung die Chance, eine Vorreiterstellung in Bezug auf
innovative Beratungsleistungen einzunehmen.
Für die Entscheidung im konkreten Einzelfall ist es notwendig, neben den Vor- und
Nachteilen der Virtualisierung sowie dem strategischen Fit insbesondere die Risiken aus
Klientensicht im Auge zu behalten und das Gesamturteil durch einen Business Case
weitmöglichst zu objektivieren.
Um die oben aufgezeigten Risiken der Virtualisierung aus Klientenperspektive so gering
wie möglich zu halten, ist es wichtig, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen
Beratern und Klienten über die Schranken der Virtualisierung hinweg zu etablieren. Von
vielen Teilnehmern der zuvor erwähnten Delphi-Studie wurde beispielsweise ange-
mahnt, bei Bedarf stets auf einen Berater im Wege des persönlichen Kontaktes zurück-
greifen zu können. Beginnend mit den Vertragsverhandlungen, über die Konzeption ei-
ner schnellen, individuellen Lösung, bis hin zu der Abnahme des Beratungsergebnisses
ist es nach Meinung der Klienten wichtig, die kontinuierliche Begleitung eines direkten
Ansprechpartners zu haben. Die Studienteilnehmer wünschten sich also mehrheitlich ei-
nen Mix von virtualisierten Beratungsleistungen und klassischer, persönlicher Beratung.
440 Volker Nissen und Henry Seifert
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Die digitale Transformation der Unternehmensberatung 441
6. Conclusion
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101.4
100.0
80.0
60.0
40.7
40.0
17.7
20.0
6.7 7.3
5.6 4.5
1.2 2.6 0.0 0.2 0.1 1.0 0.0 0.1 0.6 0.2 1.1
0.0
Wristwear Modular Clothing Eyewear Earwear Other
two years, while 31 percent said they are already using wearables to engage customers,
employees or partners (Accenture 2015).
So, why do insurance firm jump on the wearable bandwagon? According to industry
experts, wearable technology will impact all touch points of the consumer journey,
create new sales opportunities and change the insurance value chain, including new
product development, marketing, policy administration, underwriting, risk assessment,
and claims processing/management (Accenture 2015; Johnson 2015; Schaber 2015;
Becher 2016).
However, insurers also face a number of barriers and challenges (Johnson 2015; Schaber
2015; Simonds 2016; Srinivasan 2016):
Privacy: Key questions include what happens to the data, where it is stored and who
can access it. Consumers expect to have control of authorizing the use and access of
the data. While some industry reports indicate that consumers are more willing to
share their health data (BCG and Morgan Stanley 2014), other studies show that
consumers have concerns related to privacy (PwC 2014). Research shows that con-
sumers in the U.S. were more reluctant to share their data with an insurance firm
compared to their health care provider or friends (Tuzovic et al. 2015).
Accuracy: As fitness trackers are not considered medical devices, they are not
regulated by government organizations, e.g. the Food and Drug Administration
(FDA) in the U.S. That being the case, insurance firms may be reluctant to adopt
wearable data into their product offerings if the precision of the data is dependent
upon the manufacturer or the quality and functionality of the device.
Fraud: How do you stop customers strapping their fitness trackers to their pets to
achieve their daily step count? Some industry experts argue that cheating could be-
come tempting if costs savings for consumers were substantial.
Data security: As insurance firms will collect and store deeply personal details
about consumers, this can make insurance databases potentially more lucrative for
cyber-criminals.
Digital divide: Even though the prices for wearable devices have decreased over the
last two years, one potential problem is that only those consumers who can afford
wearable technology will have the chance to be rewarded with lower insurance pre-
miums. Thus, one concern relates to creating two types of insured consumer popula-
tions, one with wearables and one conventional collective (Becher 2016).
Overall, leveraging wearable technology will require that insurance firms develop their
capabilities, educate customers and develop strategic partnerships (Accenture 2015). In
order to increase the adoption and also the willingness to share the data, insurers have to
raise awareness among customers, communicate the added value and mitigate privacy
concerns. While partnerships with wellness firms such as Vitality (a global Health and
Wellness Community Program) are one option for strategic partnerships, another
How Smart Wearable Technology Transforms Loyalty Programs 451
promising avenue is new business alliances with loyalty programs. The following section
describes two examples in Australia.
This year, the Australian airline Qantas developed a partnership with the health
insurance firm NIB called Qantas Assure which will reward people for being active.
According to an analysis by the website Point Hacks (www.pointhacks.com.au), there
are three Qantas Assure products: Health Insurance, Travel Insurance, and a Wellness
Program (powered by an iOS app) that incentivizes policyholders with points for being
more active (Hemphill 2016).
First, points can be earned from Qantas Assure by joining up to the new health insurance
program which is underwritten by NIB. Each year frequent members can earn one
Qantas Point for every dollar spent on their health insurance premium with a maximum
of 15,000 Qantas Points depending on the level of cover (Qantas 2016). As a promotion,
Qantas offers either an Apple Watch or up to 50,000 bonus points for signing up to the
insurance policy. Second, Qantas Assure members can use fitness trackers to log their
number of steps and earn frequent flyer SRLQWV IRU ³leading a more active lifestyle´
(Qantas 2015). Currently the program advertises that it coverV³everyday activities like
ZDONLQJ UXQQLQJ GRLQJ WKH JURFHU\ VKRSSLQJ DQG PRZLQJ WKH ODZQ « >DQG@ « LV
exploring how members can be rewarded for other activities, such as swimming, cycling
DQG \RJD´ (Qantas 2016). According to Hacks Points WKH ³step count only´ of fitness
tracking is a limited way to assess activity, thus Qantas would need to follow through on
the other activity promises in the near future (Hemphill 2016).
According to media reports, Qantas and NIB plan to target a two to three percent share
of the 19 billion AUD private health insurance market on a revenue basis which would
equal to 570 million AUD of the private health insurance market (Feed 2015). The new
partnership comes after the Australian supermarket chain Woolworths decided to drop
Qantas frequent flyer points from its new loyalty program. Qantas Assure thus
contributes to the diversification of Qantas Loyalty beyond its frequent flyer program.
)RU 1,% ZKLFK LV $XVWUDOLD¶V IRXUWK-largest health insurer with a market share of 7.7
How Smart Wearable Technology Transforms Loyalty Programs 453
percent the partnership offers significant growth opportunities by tapping into the large
membership of 11 million frequent flyers.
The launch of Qantas Assure has been heavily advertised across a number of channels.
Christopher Walken, a famous movie actor, is the face of the launch campaign (see
Figure 2), demonstrating some of the activities customers will be rewarded for (Mortlock
2016; Qantas 2016). The campaign has been seen on TV, cinema, at airports, outdoor
and online, for example on YouTube.
Another example of how brands and insurers try to link with wearable technologies is
WKH SDUWQHUVKLS EHWZHHQ 0HGLEDQN DQG &ROHV ,Q $XVWUDOLD¶V ELJJHVW KHDOWK IXQG
Medibank signed a deal with the Australian supermarket chain Coles, owned by
Wesfarmers, which allows its policyholders to earn pointVZLWK&ROHV¶³)O\EX\V´OR\DOW\
program. Medibank members who link with the loyalty program can earn one point per
two AUD paid on their premiums and triple points for every dollar spent on grocery
shopping in Coles stores. Furthermore, Medibank & Flybuys members can link the data
454 Sven Tuzovic and Shane Mathews
from a range of wearable fitness trackers to their Medibank account, earning 10 Flybuys
points every day they reach a goal of 10,000 steps (Medibank 2014; Flybuys 2016).
The partnership offers benefits for both Medibank and &ROHV )O\EX\V LV $XVWUDOLD¶V
most popular loyalty program with a membership base of ten million people, or more
than 5.5 million households. For Coles this partnership could lead to a significant jump
in Flybuys members. Medibank has 3.8 million members, 1.9 million policyholders and
a 30 percent share of private health insurance (Gluyas 2013). While a million members
already have an account with Flybuys there is potential to significantly expand the
loyalty scheme by using bonus points as an incentive. For Medibank, giving members
access to FlybuyVSRLQWVLVFRQVLGHUHGWREHD³powerful retention tool in an increasingly
FRPSHWLWLYHHQYLURQPHQW´ (Gluyas 2013).
However, compared to the Qantas Assure campaign, the Medibank/Flybuys program is
not advertised, except for a short description and a list of eligible activity trackers online.
Instead of a celebrity campaign, Coles and Flybuys have selected sales promotions as a
tool to communicate the program. For example, just in September this year Coles
launched a special 3-months promotion called ³6WHSVWR6DYLQJV´ (see Figure 3) in which
consumers ³receive a ten percent discount on their fruit and vegetables (in-store or
online) up to five times in the 11 week period, each time they log 100,000 steps on their
activity tracker´ (Hopkinson 2016). A similar sales promotion campaign ran in March
2015 (OzBargain 2015).
their insurer or third-party loyalty programs. Following previous research we used a non-
participant netnographic technique to study the phenomenon without directly interacting
with the online users (Cova/Pace 2006; Rollins et al. 2014). We analyzed conversations
collected from English language content for Qantas Assure from publicly available
social media accounts with Social Studio (a Salesforce software solution that integrates
Radian 6 social media monitoring technology). We first limited our keyword search on
the Australian market and then extended the search globally after we noticed that
conversation was happening outside of Australia as well.
The final data consists of 1,474 posts from the Medibank program and 3,625 posts from
the Qantas program. Data was collected for the last 6 months for the Qantas program and
the last two years for the Medibank program (for as long as the programs have been
running). Multiple sources such as Twitter, Instagram, Facebook, Blogs and Video were
used as data source options within Social Studio to collect and aggregate the
conversation/comments. The total data collected contained around 125,000 words. Data
indicates that only when the program has a marketing element attached ± that means, a
video, celebrity, launch or public relations ± will there be any conversation related to the
service offering in the market (principle, insurance company and wearable technology),
see below in Figure 4 the spike in conversation in Twitter when Christopher Walken was
used to promote the program.
5.3 Results
The results for the Qantas program are predominantly linked to how the celebrity actor
was being used within the brand marketing ³&KULVWRSKHU :DONHQ´ campaign, which
drew much commentary, suggestions related to the humor or lack of humor within the
campaign. Some conversation related to the program and how consumers can use the
program to accumulate points, but the vast majority was related to the campaign and
actor used in the campaign. No comments were identified within the discussions in rela-
tion to privacy; see top words used in Figure 5 below. Opinion was polarized in relation
to the use of this actor within the campaign. Twitter opinions either loved, loathed or in
some cases mocked the use of the actor; see exemplary comments below:
I may have had a couple of drinks but I love the Qantas ad with Christopher Walk-
en/Dancin/Boxin/Climbin....
I am pleased to see that someone appreciates this ad. I think it is forced, over sim-
plistic, lame and juvenile. Very obvious, very poor, and for a company that laid off
workers to save money, I bet it cost a bomb. Walkin = Walking? If so, then Whistle
= Pistol.
&KULV FDQ GDQFH VR WKDW¶V certainly something to leverage, however, how might
Walken himself have put what seems like a glaring oversight (or economisation by
the client, perhaps?): To use . . . me . . . . in an ad . . . and . . .. not use my voice . . . .
not to mention . . . my dLVWLQFWLYH«SKUDVLQJ«VHHPVWRPHWRRYHUORRN«
P\PRVWGLVWLQFWLYH«DQGLQGHHGHQGHDULQJ«DQGPRVWPHPRUDEOHFKDUDFWHULVWLF
. . . I feel sorry for these guys . .. but gee . . they really showed me a good time . . . in
Sydney.
The analysis of tKH SXEOLF FRQYHUVDWLRQ IRU &ROHV¶ VDOHV SURPRWLRQ WXUQHG XS GLIIHUHQW
results. Contrary to the Qantas Assure program the Medibank/Coles program received
negative commentary in relation to the brand. Consumers used the social media envi-
ronment to vent their anger. Either that the program was not inclusive or the firm should
concentrate on getting the basics right first before embarking on an extension to current
offerings, see comments below.
458 Sven Tuzovic and Shane Mathews
change it to a random draw from entrants reaching 10,000 steps a day rather than the
person with the most steps. Thanks. (Facebook user comment, 15.09.16)
6. Conclusion
As the examples in this chapter illustrate, wearable technology will become a key driver
in a variety of business and organizations, connecting technology manufactures with
other industries to form new partnerships, alliances, and service ecosystems. For exam-
ple, smart wearables, insurance and loyalty programs might be just the start of a complex
integration between health insurance and other companies where synergies may not be
obvious just yet.
However, as commercial institutions increasingly leverage wearable technology in their
business models and value chains encouraging customers to share their biometric data
(i. e. moving from private to pushed and commercialized self-WUDFNLQJ WKH ³lack of
awarHQHVV´ of privacy issues among consumers raises important questions. Are Australi-
an consumers less concerned with privacy than consumers in other countries? Our find-
ings would support some previous industry findings. The results would possible be quite
different in Germany where consumers are much more concerned with their privacy
rights. Or is it a matter of awareness? Are consumers making the mental connection be-
WZHHQ GDWD FROOHFWHG E\ ZHDUDEOHV DQG LWV SRWHQWLDO PDUNHWLQJ XVH E\ D ILUP¶V OR\DOW\
program? This would require that companies educate customers regarding the trade-off
between added benefits versus the price of privacy. Or, finally, is it a matter of customer
segmentation. That is, only customers who are already tracking their biometric data will
be more likely to engage in the points for fitness schemes.
460 Sven Tuzovic and Shane Mathews
While these examples covered Australian loyalty programs, results in other countries
would be prudent. For example, German consumers are a significant exception when it
comes to enrolment of loyalty programs, with 31 percent of consumers suggesting they
do not join loyalty programs in any sector (AIMIA 2015). Thus, insurance firms in Ger-
many may have to consider more inclusive loyalty programs such as Payback instead of
stand-alone customer loyalty schemes that are restricted to one brand or company.
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Manuela Koch-Rogge and Georg Westermann
3. Implications
3.1 Structural Implications
3.2 Managerial Implications
4. Conclusion
References
___________________________
Manuela Koch-Rogge is Doctoral Candidate at the Anglia Ruskin University, Cambrigde
and Research Assistant at the Harz University of Applied Sciences. Together with
colleagues she is managing the Institute for Service and Process Management. Georg
Westermann is Professor of Business Administration with focus on Process Management
and Management Consulting at the Harz University of Applied Sciences. Additionaly he
is Research Director of the Institute for Service and Process Management (IfDP).
468 Manuela Koch-Rogge and Georg Westermann
to be necessary for co-creation of value. The provision of this service, however, requires
a complex array of information technology, which, in turn, influences the quality of the
HQWHUWDLQPHQW H[SHULHQFH +HQFH DOWKRXJK ³PRYLH RQ GHPDQG´ FHUWDLQO\ LV DQ
entertainment service, it takes on some characteristics that are typically related to products,
like separation of consumption and production, storability or standardization.
Furthermore, as in the case of banking services, many service processes can be
standardized. Automated services, such as cash withdrawal from ATMs or online money
transfer can be accomplished automatically without direct employee involvement and are
available 24/7. In other cases, such as the provision of foreign currencies, the service does
not require the presence of the customer and can easily be produced in advance.
Those examples illustrate very clearly that traditional service concepts like IHIP fail to
integrate the requirements of digital services. Since banking services are among the
services most affected by digitalization (Sabbagh et al. 2013) we are going to explore what
effects digitalization has on the banking industry and what challenges arise from this. As
IHIP characteristics are no more generalizable to all types of service we are going to
identify distinct types of banking services and classify them by adopting the service matrix
approach from Schmenner (1986) and Silvestro (1999). By this, we investigate how digital
technologies alter taken-for-granted implications that were derived from traditional
services concepts. Finally, we are going to point out implications for managing banking
services by discussing structural and managerial implications that arise from
digitalization.
Digitalization in the Service Economy ± The Case of Banking Services 469
Combing the approaches of Schmenner (1986), Silvestro et al. (1992) and Silvestro
(1999), the following service matrix results:
Degree of Labour Intensity
Low High
Contact Time/
Degree of Customization
Figure 1: Service Matrix
(Source: Schmenner 1986; Silvestro et al. 1992; Silvestro 1999)
Banking services are generally segmented according to customer groups into corporate
services and retail services (Oliveira/von Hippel 2011). Since the distinct services shall be
examined with particular focus on the effects of digitalization, we chose a rather function-
oriented segmentation. Thus, banking services are segmented into transactions, advisory
services and financial services. The latter are again differentiated into rather standardized
services and (highly) specialized services. Figure 2 depicts the segmentation and includes
explanatory examples.
Digitalization in the Service Economy ± The Case of Banking Services 471
Banking Services
Standardized (e. g.
(individual portfolio
standard financial
information about
Specialized (e. g.
corporate loans)
Online Banking
ATM Services
transactions
Specialized
products)
strategy)
Services
Counter
To examine the different service types more closely, they are classified by using the
already introduced service matrix:
2
Degree of Labour Intensity
3
Service Factory Service Shop
Low 1
Low High
Contact Time/
Degree of Customization
1 = ATM Services 5 = Specialized Financial Services
2 = Counter Transactions 6= Standardized Advisory Services
3 = Online Banking Services 7= Specialized Advisory Services
4 = Standardized Financial Services
Apparently, banking services comprise a variety of different service types (see Figure 3).
The transactional services are characterized by a rather low level of customization and
contact time. Whilst ATM services and online banking show a low labour intensity (most
labour costs relate to IT support and maintenance), counter transactions are still very
labour intensive. However, this kind of banking service does not require specialists. This
holds also for standardized financial services and advisory services. Nevertheless, in
traditional banking these processes are still quite labour intensive (since they are mostly
facilitated in the bank and require the client and the bank employee to be present). With
an increasing level of customization, requirements on employees considering knowledge
and skills as well as the time spent on each individual case increase. Thus, standardized
advisory and financial services are less labour intensive and less contact intensive than
specialized advisory and financial services. The latter therefore are classified as
professional services, which are often described as a unique selling point for banks, since
they offer the highest degree of interaction and customer integration and often rely on the
relationship between employees and their clients (Silvestro 1999).
474 Manuela Koch-Rogge and Georg Westermann
physicians)). During the last years, some evaluation platforms for financial advisors
emerged (for instance: whofinance). Although they still lack a critical mass to provide
reliable information (Welp 2012), it seems to be just a matter of time until evaluation
platforms unlock the black box of banking services and with this change the underlying
assumptions of being highly complex professional services.
In spite of the ³work in progress´ character of evaluation platforms for banking services,
digitalization already lead to a fundamental change in customer expectations and customer
behaviour. Traditionally, banks had their focus rather on the smooth processing of
transactions than on the perfect realization of customer demands. Although customers´
demands for save and smooth transactions remain unchanged in the age of digitalization,
clients got used to crossing the boundaries between online and offline communication with
their bank. Thus, customers prefer to choose the communication channel spontaneously
and expect them to interlock smoothly. Moreover, they prefer banks that address their
individual demands and provide custom-tailored solutions (Vater et al. 2012).
5
7
2
Degree of Labour Intensity
3 4
3 2
6 Service Factory Service Shop
Low 1
Low High
Contact Time/
Degree of Customization
476 Manuela Koch-Rogge and Georg Westermann
considering a building loan may include well presented (advanced) information when a
customer logs into her personal account, a subsequent chat with her personal client advisor
and an appointment via app. Afterwards the building loan will be discussed in a flagship
branch where the waiting area is equipped with a media-wall and online facilities like
customer tablets. During the discussion the client advisor can consult an expert via online
video conference. After agreeing on the conditions, the customer can send scans of
required documents via e-mail. Logged into her personal account she can also monitor the
progress of processing the loan and is able to chat with her client advisor on this matter if
necessary. Finally, the documents are signed via sign pad or fingerprint.
Although this scenario currently seems to be a ³far-in-the-future´ model for most
traditional banks in Germany, there are already some institutions that implemented multi-
channel approaches into their branch strategy (Vater et al. 2012; Keck/Mertes 2015). By
implementing such strategies and emphasizing the importance of professional banking
services in the age of digitalization, both labor intensity and the degree of customization/
contact time are going to increase.
3. Implications
Due to effects driving from digitalization, several banking services have changed their
position in the service matrix above (see Figure 1) significantly. This repositioning holds
several implications on structural, but also on managerial level, which are discussed
below.
Digitalization in the Service Economy ± The Case of Banking Services 477
Affairs concludes that the German financial sector will suffer a slight decrease in
employment of about 45,000 workplaces until the year 2030 (Vogler-Ludwig et al. 2016).
The effects of digitalization also question the importance of branches as the number one
distribution channel. Though there is broad agreement that traditional banks should
maintain a branch network as a physical presence and as an important distinguishing
feature to direct banks (Keck/Mertes 2015), there is no consensus about the future
structure of the branch network. 6RPHDXWKRUVDGYHUWLVHWKH³VDWHOOLWH-PRGHO´. Thus, some
branches offer a full-service concept, including fully automated self-service areas, lounge
areas equipped with hardware (customer tablets) and media walls (for presenting the
banking services), front-end workstations and fully equipped consultation rooms. Those
branches adopt WKHUROHRIVRFDOOHG³IODJVKLSbranches´6DWHOOLWHEUDQFKHVDre grouped
around those flagships. The satellite branches merely offer transactional services and are
fully automated (Vater et al. 2012; Keck/Mertes 2015). Other concepts suggest more
differentiated formats. Besides flagship branches EDQNV VKRXOG RIIHU ³FDVKOHVV NLRVNV´
that serve as 24/7 service centres and are staffed with front-office employees. In addition,
VRPHEUDQFKHVVKRXOGVHUYHDV³OLJKWEUDQFKHV´IRFXVLQJPHUHO\RQVDOHV DQG³IXOOVHUYLFH
KXEV´RIIHULQJKLJKO\VSHFLDOL]HGVHUYLFHV(Accenture 2016).
Although the future development of branches is discussed controversial at the moment,
the preceding analysis has shown that branch networks exclusively consisting of full-
service branches will no longer be sustainable. Thus, it is very likely that traditional banks
will thin out their branch network. At the same time, new and user-friendly technologies
offer new distribution channels beyond traditional branches.
technology needs to be maintained and updated, other job profiles also need to be
considered.
Finally, an integrated digital bank requires a complex IT-infrastructure, including software
and hardware components as well as IT services (see Figure 5).
Online Services
Integration Services
Software Development
Digital Infrastructure Software/ Media
Digital Content
End-User Equipment
Hardware IT-Equipment
Hardware Components
4. Conclusion
The current literature on the effects of digitalization is highly controversial. Whilst some
authors praise the possibilities that are offered by digital technologies, others fear the end
of human labour. Although the effects of digitalization on the economy cannot finally be
assessed yet, the preceding analysis of banking services provided valuable insights.
First, services in the digital service economy challenge our traditional understanding of
service. Thus, it became apparent that traditional service concepts like IHIP fail to
integrate the requirements of digital services. Since digitalization is the result of an
intertwining of digital technologies and banking services comprise a variety of distinct
Digitalization in the Service Economy ± The Case of Banking Services 479
service types, the effects of digitalization on banking services are manifold. While
digitalization offers a high potential for reducing operational cost, it also lowers market
entry barriers for competitors. Additionally, the effects of digitalization change the
underlying assumptions of professional services and with this will potentially change a
whole business model.
Second, the effects of digitalization lead to a repositioning of banking services in the
service matrix. Several structural implications result from this change including
significant impacts on the workforce and challenges for the future alignment of branch
networks. Furthermore, the repositioning of services holds major challenges for managing
banking services including structural changes in HRM activities and the development and
maintenance of a complex digital infrastructure.
Considering these impacts, traditional banking faces a profound cultural change. Several
banking services will be facilitated fully automated, some may even disappear.
Furthermore, individual customer demands become more important and customers will be
offered more channels for interaction and transaction. The ability to adopt new business
models and the speed of innovation are important features considering the development of
a digital bank. If banks address these challenges and seize the opportunities of
digitalization, they may benefit not only by increasing their lead over competitors, but also
from an enhanced customer loyalty.
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480 Manuela Koch-Rogge and Georg Westermann
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Michael Fellmann
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. Dr. Oliver Thomas ist Inhaber des Lehrstuhls für Informationsmanagement und
Wirtschaftsinformatik der Universität Osnabrück. Friedemann Kammler ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl. Dr. Deniz Özcan ist Projekt-
managerin im Facility Management bei der Piepenbrock Service GmbH+Co. KG. Prof.
Dr. Michael Fellmann ist Juniorprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Universität
Rostock.
Begriff Co-Kreation die Geschäftsstrategie bezeichnet, bei der Hersteller und Kunde ge-
meinschaftlich an der Wertschöpfung (ÄValue Creation³) beteiligt sind. Hiermit soll es
dem Kunden ermöglicht werden, sich in die Produkt- und Dienstleistungsgestaltung aktiv
einzubringen und diese so besser an die eigenen Bedürfnisse anzupassen (Prahalad/Ra-
maswamy 2004). Mit dieser Sichtweise auf die Wertschöpfung ändern sich die Geschäfts-
verbindungen von einer eher passiven Produzent-Konsument-Beziehung hin zu einer ak-
tiven Interaktion zwischen beiden Partnern. Diese erfordert jedoch einen intensiven
Dialog, erhöhte Transparenz und Zugriffsmöglichkeiten auf Information. Hieraus können
Risikovorteile und Geschäftspotenziale für beide Seiten entstehen (Prahalad/Ramaswamy
2004).
men primär in Produktarchitekturen Anwendung und sind dort mittlerweile als weit ver-
breitet anzusehen. Analog zu den Entwicklungen des Produktsektors lassen sich Plattfor-
men aber auch auf die Dienstleistungsarchitektur übertragen (Voss/Hsuan 2009). Pekka-
rinen und Ulkuniemi (2008) beschreiben die Service-Plattform anhand einer Unterteilung
LQGLHYLHU'LPHQVLRQHQÄ'LHQVWOHLVWXQJ³Ä3UR]HVV³Ä2UJDQLVDWLRQ³XQGÄ.XQGHQVFKQLWW
VWHOOH³0LWKLOIHGHV3ODWWIRUPDQVDW]HVVROOaus diesen Perspektiven eine Flexibilisierung
durch die Modularisierung der Dienstleistungen begonnen und so ein effektiver Mehrwert
erlangt werden. Meyer und de Tore (2001) zeigen beispielhaft den Nutzen von Service-
Plattformen bei der systematischen Entwicklung von Dienstleistungen auf. Dabei dient die
Plattform der nahtlosen Integration der durch den Kunden ausgewählten Servicemodule,
sodass die Wahrnehmung durch den Kunden einer individuell zugeschnittenen Dienstleis-
tung entspricht. Der offensichtliche Nutzen für das anbietende Unternehmen liegt in der
gesteigerten Flexibilität und Reaktionsfähigkeit gegenüber sich ändernder Kundenanfor-
derungen. Die Dekomposition der Dienstleistungen trägt auch zur besseren Beherrschbar-
keit der Komplexität bei, da Servicemodule einzeln überwacht und verbessert werden kön-
nen. Verschiedene Autoren argumentieren auf dieser Grundlage, dass bereits bestehende
Dienstleistungsmodule der Plattform zur Steigerung von Kosteneffizienz und Flexibilität
bei der Entwicklung weiterer Module beitragen (Pekkarinen/Ulkuniemi 2008; Lin et al.
2010) und insgesamt die Servicequalität gesteigert werden kann (Rahikka et al. 2011). Mit
der Bereitstellung einer Service-Plattform und Servicemodulen geht jedoch ebenso die
Notwendigkeit nach Standardisierung im Sinne einer zweckmäßigen Vereinheitlichung
von Dienstleistungen einher (Stauss 2006), die es im Zuge einer Plattformentwicklung zu
berücksichtigen gilt.
Mit der Zielsetzung, zum anderen interne Flexibilität in der Dienstleistungsgestaltung zu
erreichen und zum anderen individualisierten Kundenwünschen gerecht zu werden stellen
Service-Plattformen schlussfolgernd eine Schlüsselrolle für die Kundenintegration und
wertschöpfungsübergreifende Kooperation im Maschinen- und Anlagenbau dar.
(Barile und Polese 2010). Erste Ansätze diskutieren darauf aufbauend die kontextindivi-
duelle Anpassung von Dienstleistungen vom Geschäftsmodell bis hin zur Abfolge einzel-
ner Prozessschritte, um eine effizientere Leistungserbringung zu erzielen. Hierfür ist eine
enge Verzahnung von Produkt, Dienstleistung und IT erforderlich, um Kontextsensitivität
über den Zustand von Produkt und Dienstleistung herzustellen. Gleichzeitig muss aber
auch die Flexibilität in beiden Komponenten hergestellt werden, um auf den Kontext rea-
gieren und die Konfiguration der konkreten Leistungserbringung automatisiert durchfüh-
ren zu können. Im Fokus steht also nicht länger nur die Entwicklung und Erbringung von
produktbegleitenden Dienstleistungen. Viel mehr rückt die Integration beider Komponen-
ten (Produkt und Dienstleistung) in ein technologiegestütztes Gesamtsystem in den Mit-
telpunkt der Betrachtungen. Informationstechnologie dient dabei gewissermaßen als In-
tegrator beider Komponenten, der im ersten Schritt die grundsätzliche Vernetzung,
darüber hinaus aber auch als Grundlage für kontextspezifische Anpassungen an dem Pro-
dukt und der Dienstleistung ermöglicht (Thomas et al. 2016b).
Zur Umsetzung der Smart Services auf einer Plattform gilt es, über die Erzeugung von
generisch-wiederverwendbaren Modulkatalogen hinaus Freiheitsgrade für den Kunden zu
erschließen. Dabei müssen Dienstleistungen flexibel gegenüber den Anforderungen des
Kunden sein, ihn ins Zentrum der individuellen Erbringung der Dienstleistungen rücken
und als Resultat neue Wertschöpfungspotenziale erschließen. Ziel ist es daher, eine ÄLQWH
JULHUWHXQGLQWHOOLJHQWH³Smart Service-Plattform zu schaffen. Die Plattform muss dafür
zwei Kernziele erfüllen, die nachfolgend erläutert werden:
Dynamische Prozessdatenbasis
Die Orientierung der Smart Service-Module an den zugrundliegenden Dienstleistungspro-
zessen ist für die skizzierten Funktionen der Plattform unerlässlich, denn die Kontextsen-
sitivität der Dienstleistung ergibt sich nur zum Teil aus der Beobachtung der gegenwärti-
gen Situation. Darüber hinaus ist daher auch eine Verortung im Gesamtzusammenhang
notwendig, um dem Hauptakteur im Dienstleistungsprozess, sei es ein Servicetechniker
oder der Kunde selbst, die richtigen Funktionen für die anstehende Aufgabe zur Verfügung
zu stellen. Aufgrund der unterschiedlichen Handlungsfelder, der persönlichen Präferenzen
der wechselnden Akteure und der rasanten technischen Entwicklung ist nicht zu vernach-
lässigen, dass eine solche Prozessführung konsistent über verschiedene Geräteklassen und
Betriebssysteme hinweg realisiert werden muss. Instandhaltungsprozesse sollen daher im
Kern auf eine dynamische Prozessführung zurückgreifen, die auf modernen Informations-
technologien wie Smartphones, Tablets, Datenbrillen und Datenuhren abgebildet wird.
Ein dynamischer Einstieg in Teilprozesse erfolgt mittels der Zuordnung von individuellen
Sensorikmustern zu konkreten Dienstleistungsschritten. Eine Lernfunktion soll darüber
hinaus die kontinuierliche Aktualisierung des Prozesswissens und die Herausbildung von
ÄBest Practices³ unterstützen, die auf der Plattform verbreitet werden.
Die Umsetzung dieser beiden Kernziele erfordert die weitgehende Integration neuer Tech-
nologien mit bestehenden betrieblichen Informationssystemen. Die daraus ableitbare Ar-
chitektur der Smart Service-Plattform ist dreigeteilt und stellt im unteren Segment Schnitt-
stellen zu betrieblicher Standardsoftware wie ERP- oder CRM-Systemen sowie zu
Serviceobjekten (im Fall eines PSS-Anbieters, dem Produkt) dar. Diese werden benötigt,
um servicerelevante Basisinformationen, wie beispielsweise die Produkttypen am Einsatz-
ort oder bisherige Maschinenhistorien, abzurufen und dem Hauptakteur zur Dienstleis-
tungserbringung bereitzustellen. Kernprinzip dieses Lösungsansatzes LVWGLHÄLQWHOOLJHQWH³
Service-Plattform, die kontextspezifische Informationen dynamisch verknüpft und als
Schnittstelle zwischen allen Akteuren der Dienstleistung fungiert. Von zentraler Bedeu-
tung ist die intelligente Schnittstelle zwischen Produkt, Dienstleistung und IT, die auf
Grundlage der kundeninduzierten Servicemodulkonfiguration, der dynamischen Prozess-
führung und der Datenanalysefunktion den Nexus der Smart Service-Plattform bildet.
Diese Kernkomponenten greifen mittels Sensorik und Aktuatorik auf die Serviceobjekte
sowie mittels Import- und Exportmodulen auf die Datenbasis der betrieblichen Standard-
software zurück. Insbesondere die dynamische Prozessführung wird in technischer Hin-
sicht durch den Rückgriff auf Ansätzen aus dem Bereich des Adaptive Case Managements
(Motahari-Nezhad/Swenson 2013) realisiert. Abbildung 1 zeigt die Gesamtarchitektur.
490 Oliver Thomas, Friedemann Kammler, Deniz Özcan und Michael Fellmann
Smart Service-
Plattform
Browser Mobile Devices Wearable Devices
Geräteunabhängiger Zugriff
Smart Service-Kern
Dynamische
Kundeninduzierte Servicemodul-Konfiguration
Prozess- Smart
Kundenintegration
führung Data
Niedrig Hoch
(Adaptive Case Analytics
Hersteller-Services Self-Services C2C Collaboration Management)
Serviceobjekte Anwendungssysteme
Die Nutzerschnittstelle stellt eine Portalsoftware dar, die auf allen Endgerätetypen gleich-
ermaßen umgesetzt wird. Zum Zugriff auf diese dienen etablierte Softwareinstrumente
wie etwa der Webbrowser oder mobile $QZHQGXQJHQÄ$SSV³. Zusätzlich müssen die
Inhalte auch für neuarWLJH7HFKQRORJLHQZLHÄ:HDUDEOHV³YHUIJEDUJHPDFKW werden, um
beispielsweise die bereits angesprochenen bimanuellen Tätigkeiten bestmöglich zu unter-
stützen. Eine verbesserte Integration des Kunden und dessen technischer Anlagen wird
zudem durch die Anbindung neuer Sensorik- und Aktuatorik-Komponenten aus dem In-
dustrie 4.0-Umfeld erreicht. Perspektivisch muss auch die Möglichkeit untersucht werden,
ferngesteuerte Flugdrohnen zur Verbesserung der Logistik (z. B. zur schnellen Lieferung
kritischer Ersatzteile) und zur Wartung von schwer zugänglichen Serviceobjekten an das
Portal anzubinden, da diese Möglichkeit bereits gegenwärtig diskutiert wird (Stich 2013).
die wesentlichen Arbeitsschritte zur Erarbeitung. Dabei wird insbesondere darauf einge-
gangen, wie eine verstärkte Integration der Akteure in den Serviceprozess stattfinden und
Kooperation zwischen diesen etabliert werden kann und über welche technischen Kanäle
Kundendienstleistungen bereitgestellt werden müssen.
Dienstleistungsperspektive
Für die Entwicklung der Smart Service-Plattform spielt die Flexibilisierung der Dienst-
leistungsmodelle und das dafür erforderliche, aktive Abbauen von Unsicherheiten bei den
flexibilisierenden Unternehmen eine zentrale Rolle. Hier müssen vor allem die Chancen
verdeutlicht werden, die sich durch die integrierte Bereitstellung der herstellerübergrei-
fenden Servicemodule ergeben, insbesondere im Hinblick auf innovative Geschäfts- und
Kooperationsmöglichkeiten. Der Bereich der Kooperationsmodelle stellt dabei weitrei-
chende Potenziale in Aussicht. Denn die Entwicklung einer Dienstleistung, die auf Ser-
viceobjekte verschiedener Hersteller anwendbar ist, wie auch die Entwicklung mehrerer
Dienstleistungen durch unterschiedliche Anbieter, die aber ein gemeinsames Serviceob-
jekt betreffen, verkörpern langfristig wertschöpfende Synergiemöglichkeiten, deren Er-
schließung eine Produktivitätssteigerung bei gleichzeitig schwerer Imitierbarkeit der inte-
grierten Dienstleistung verspricht. Für derartige Konzepte wird jedoch eine weitreichende
herstellerübergreifende Bereitstellung servicerelevanter Information erforderlich. Zu die-
sem Zweck muss ein Kooperationsmodell entwickelt werden, in das die Daten und Anfor-
derungen aller Akteure integriert sind. Neben Kooperations- und Geschäftsmodellen die
die Hersteller-Kunde-Beziehung fokussieren muss auch das Modell eines Portalbetreiben-
den untersucht werden, das insbesondere Abrechnungs- und Finanzierungsmodelle zwi-
schen Herstellern, Dienstleistern, Kunden und dem Portalbetreibenden selbst ermöglicht.
Um branchenübergreifend die standardisierte Entwicklung von Service-Plattformen und
damit die möglichst nahtlose Kombination unterschiedlicher Servicemodule sicherzustel-
len, muss darüber hinaus ein Referenzmodell zur Konzeption und Implementierung aller
Konstrukte entwickelt werden. So sollte neben der ersten Umsetzung und Erprobung der
Smart Service-Plattform die fundierte Entwicklung einer Beschreibungs- und Repräsenta-
tionsmethodik vorangetrieben werden. Kern dieser Methodik ist ein Konzept zur Ausfüh-
rung der Kundendienstleistungen durch wechselnde Akteure sowie deren endgeräteunab-
hängigen Steuerung und Unterstützung.
Technologieperspektive
Zur ersten Umsetzung ist auf Basis der entwickelten Beschreibungs- und Repräsentations-
methodik ein IT-Konzept für die Smart Service-Plattform zu entwickeln. Kern des Kon-
zepts ist die technologiebezogene Definition der Umsetzung. Dabei ist insbesondere den
unterschiedlichen Arbeitswelten der Akteure Rechnung zu tragen. So unterscheiden sich
beispielsweise die technischen Grundvoraussetzungen eines Sachbearbeiters, der auf eine
eher detailreiche Darstellung an einem Desktop-Computer zurückgreift, von der eines Ser-
492 Oliver Thomas, Friedemann Kammler, Deniz Özcan und Michael Fellmann
vicetechnikers, der bimanuelle Tätigkeiten ausführt und deshalb auf eine schlanke Integra-
tion der notwendigen Information (beispielsweise per Tablet oder Wearable) in seinen Ar-
beitsablauf angewiesen ist. Das IT-Konzept definiert neben der Frage der Endgeräte-Platt-
form die Organisation und Umsetzung von Datenobjekten innerhalb der Smart Service-
Plattform.
Mit der Erarbeitung des IT-Konzepts steigt die Notwendigkeit der Definition der Schnitt-
stellen zwischen der Plattform und externen Echtzeit-Datenquellen die durch Integration
der Sensorik und Aktuatorik mittels eines Import-/Export-Moduls angebunden werden
müssen. Darüber hinaus sind die Anforderungen zur Anbindung an betriebliche Standard-
software wie ERP- und CRM-Systemen zu definieren, um die Integration von bestehenden
Informationsobjekten in die Smart Service-Plattform zu gewährleisten.
Schlussfolgernd stellt die Smart Service-Plattform vor dem Hintergrund aktueller For-
schungsarbeiten im Dienstleistungs- und Technologiefeld einen nächsten Entwicklungs-
schritt in Richtung hochgradig integrierter technologiebasierter Dienstleistungssysteme
dar.
Diesem Beitrag liegen Arbeiten des Forschungsprojekts smartTCS zugrunde. Das Vorha-
ben wird aktuell mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der
Förderlinie Dienstleistungsinnovation durch Digitalisierung unter dem Förderkennzei-
chen 01FJ15093 gefördert.
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494 Oliver Thomas, Friedemann Kammler, Deniz Özcan und Michael Fellmann
1. Einleitung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. André Schneider ist Professor für Corporate Sustainability Management und Sport-
management an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule Mittweida.
die nach 1980 geboren wurden, von Kindesbeinen an Zugang zu digitalen Netzwerktech-
nologien besitzen und dementsprechend eine hohe Kompetenz im Umgang mit digitalen
Medien aufweisen (Prensky 2001, S. 23). Diese Bildungsteilnehmer sind durch die nied-
rigschwellige Kommunikation in sozialen Netzwerken und die leichte Teilbarkeit von In-
halten gewohnt, Informationen selbst zu erstellen und mit anderen Nutzern zu teilen (Bi-
schof/Stuckard 2013, S. 26; Kahnwald et al. 2016, S. 25f.). Dies ermöglicht eine neue Art
des informellen problemorientierten Lernens (Bischof/Stuckard 2013, S. 26; Arnold et al.
2015, S. 30). Als weitere Treiber gelten die zunehmende Diversität der Studierenden, was
hervorgerufen wird durch eine zunehmende Bildungsbeteiligung nicht-traditioneller Stu-
dierendengruppen und damit Öffnung der Hochschulen (Arnold/Kumar 2014), Migrati-
onsbewegungen sowie Inklusion von Menschen in besonderen Lebenslagen (Schnei-
der/Günther 2015).
Aus der resultierenden Heterogenität der Studierenden bei gleichzeitiger gesellschaftlicher
Erwartung, dass möglichst viele der Teilnehmer auch einen erfolgreichen Abschluss er-
zielen (Bischof/Stuckard 2013, S. 26), entstehen neue Herausforderungen an die Anbieter.
Dementsprechend müssen sich die Hochschulen auf verschiedene Biographien, Alter, Le-
bensumstände, Schul- und Berufserfahrungen, Wissensstände und Lebensentwürfe der
Nachfrager der Bildungsdienstleistungen einstellen (Bischof/Stuckard 2013, S. 26; Arnold
et al. 2015, S. 51). Eine Anpassung der Lehre an den jeweiligen situativen Kontext des
Bildungsteilnehmers kann auf zeitlicher und sozialer Ebene erfolgen (Schneider/Günther
2015). Auf Seiten der Hochschule kann dies vor allem in Form einer zeitlichen Flexibili-
sierung der Lehre sowie einer sozialen Unterstützung der Studierenden durch Hochschul-
lehrer und Tutoren erfolgen. Die zeitliche Flexibilisierung und Individualisierung des Bil-
dungsangebots kann unter anderem durch den Einsatz von E-Learning ermöglicht werden
und damit auch die Inklusion von nicht-traditionellen Studierendengruppen im Bildungs-
bereich unterstützen (Deutsche UNESCO-Kommission 2014; Arnold et al. 2015, S. 30f.;
Schneider et al. 2016, S. 59). Zu den Digitalisierungstreibern zählt auch die zunehmende
Bedeutung des lebenslangen Lernens in der Gesellschaft und die damit verbundene Siche-
rung der Beschäftigungsfähigkeit (Bischof/Stuckard 2013, S. 28; Arnold et al. 2015, S.
29; Kahnwald 2016, S. 23; Schmid et al. 2016, S. 13ff.). Indem sich unsere Gesellschaft
verändert, wandelt sich auch die Rolle und Funktion unserer Hochschulen, d. h. das Ver-
hältnis zwischen akademischer Bildungseinrichtung und Gesellschaft, Region oder Wirt-
schaft wird neu definiert (Berthold et al. 2010, S. 8). Mit der Öffnung der Bildung und der
Ermöglichung des kostenlosen Zugangs zu hochwertigen Bildungsangeboten für Bil-
dungsinteressierte, für die aufgrund ihrer Lebenssituation eine Teilhabe nicht möglich ge-
wesen wäre, erfüllen Hochschulen diese gestiegene Erwartung an die gesellschaftliche
Verantwortung bzw. den Dienst an der Gesellschaft (Berthold et al. 2010; Schneider et al.
2016). Diese so genannte ÄThird Mission³ kann durch den Einsatz von digitalen Bildungs-
angeboten, wie beispielsweise MOOCs, erfüllt werden, ohne dass die Hochschulen ihr
angestammtes Tätigkeitsfeld verlassen müssen (Bischof/Stuckard 2013, S. 28).
502 André Schneider
Die Definition des Wertbegriffs bezieht sich zudem auf das Erlebnis während des Kon-
sums durch den Kunden. 'DEHLJLOWGDVVGHU:HUWHLQHU/HLVWXQJÄUHVLGHV not in the
product purchased, not in the brand chosen, not in the object possessed, but rather in the
consumption experience(s) derived therefroP³ (Holbrook 1999, S. 9, Hervorheb. i.O.)
Demzufolge ist der Wert nicht objektiv, d. h. als Bestandteil eines Objektes, sondern wird
vom Konsumenten erlebt (Holbrook/Hirschman 1982, S. 132; Firat/Venkatesh 1993, S.
235f.; Holbrook 1999, S. 9; Jahn 2013, S. 29). Die angebotenen Leistungen liefern somit
einen Service aufgrund ihrer Fähigkeit, für den Kunden entsprechende bedürfnis- bzw.
wunschbefriedigende Erlebnisse zu erschaffen (Holbrook 1994, S. 28; Holbrook 1999, S.
9; Jahn 2013, S. 29). Die Entstehung des Werts einer Leistung resultiert aus deren Bedeu-
tung für den Konsumenten (Richins 1994, S. 504; Penaloza/Mish 2011, S. 11) und stellt
dementsprechend die Bewertung des Konsumerlebnisses dar (Wagner 1999, S. 132; Jahn
2013, S. 29).
Langfristigen Erfolg am Markt haben Anbieter von digitalen Bildungsdienstleistungen nur
dann, wenn diese entsprechende Wertangebote anbieten und die Wertschöpfung ihrer
Kunden in einem besseren Maße unterstützen, als dies der Wettbewerb vermag (Drengner
2012, S. 10f.). Letztendlich entsteht nur dann Wert, wenn der Service des Anbieters das
Wohlbefinden des Kunden verbessert (Vargo et al. 2008, S. 149; Drengner 2012, S. 11).
Dieses Wohlbefinden kann sich in Abhängigkeit von den individuellen Bedürfnissen und
Wünschen der Konsumenten auf verschiedenen Ebenen entwickeln, die in der Marktfor-
schung anhand verschiedener Werttypen, wie beispielsweise den funktionalen, hedonisti-
schen, symbolischen, ökonomischen oder relationalen Wert, beschrieben werden
(Smith/Colgate 2007; Drengner 2012, S. 11, 13; Drengner et al. 2013, S. 153; Jahn 2013,
S. 51ff.).
Die Hochschulen können diesen Wert auf verschiedenen Ebenen anbieten, wobei sich pri-
märe, sekundäre und tertiäre Wertangebote unterscheiden lassen (Drengner 2013, S. 25ff.;
Drengner 2015, S. 33f.). Auf der ersten Ebene unterbreiten die Hochschulen den Lernen-
den primäre Wertangebote, die sowohl die unmarkierte Kernleistung der digitalen Lern-
angebote als auch die damit unmittelbar verknüpften Zusatzleistungen (z. B. Tutorien,
Lehrmaterialien) umfassen (Jahn/Drengner 2014, S. 42). Dieser so genannte primäre Ser-
vice kann jegliche Kombination der verschiedenen Werttypen umfassen (Drengner 2012,
S. 11).
Die Anbieter von digitalen Bildungsdienstleistungen können den Lernenden durch den
Einsatz verschiedener Instrumente und Werkzeuge (z. B. Lernplattform, E-Tutoren, Vi-
deo-Tutorial, Studienberatung) einen tertiären Service bieten und somit bei ihrer Wert-
schöpfung unterstützen (Drengner 2011, S. 58; Drengner 2012, S. 11; Drengner et al.
2013a, S. 221). Zu den Instrumenten der Hochschulen, die ein tertiäres Wertangebot für
den Lernenden darstellen, zählt auch die Betreuung durch E-Tutoren. Das Wertangebot
kann bei der Interaktion mit dem E-Tutor beispielsweise darin bestehen, den Lernenden
ausführliche Informationen zu den primären (z. B. Funktionen der Lernplattform, Tools)
und/oder sekundären Serviceangeboten (z. B. Image des Kurses gegenüber der Wirtschaft)
508 André Schneider
anzubieten. Indem der Lernende durch das Tutorium schnell und effizient über die ange-
botene digitale Bildungsdienstleistung informiert wird, entsteht für ihn auch ein funktio-
naler Wert (Drengner 2012, S. 11 und 14). Jedoch kann die Interaktion mit dem E-Tutor
neben wichtigen Informationen und Wissen zu den Leistungen auch dem Lernenden einen
gewissen Spaß und Freude bereiten und somit ein positives Erlebnis vermitteln. Dies ent-
spricht einem hedonistischen Wert.
Die primären, sekundären und tertiären Wertangebote der Anbieter von digitalen Bil-
dungsdienstleistungen sind demnach so zu entwickeln und bereitzustellen, dass die anvi-
sierten Zielgruppen den damit verbundenen Service als attraktiven Input zur Befriedigung
ihrer Bedürfnisse und Wünsche auffassen und bereit sind, das Wertangebot zu honorieren
(Drengner 2012, S. 11). Diese Honorierung für den Anbieter kann durch die Nachfrage
bzw. Kauf der primären und sekundären Wertangebote erfolgen (direkter ökonomischer
Wert) oder auch in Form der Weiterempfehlung (indirekter ökonomischer Wert für den
Anbieter) (Doorn et al. 2010; Drengner et al. 2013b; Jahn/Drengner 2014). Die Attrakti-
vität einer angebotenen Leistung steigt, wenn die Kunden daraus gleichzeitig mehrere Ar-
ten von Wert auf verschiedenen Ebenen generieren können (Drengner 2012, S. 11). Dabei
besteht ein Erfolgsfaktor für die Schaffung attraktiver Wertangebote darin, dass der An-
bieter ein tiefes Verständnis für die Wertschöpfungsprozesse seiner Zielgruppen besitzt
(Drengner 2012, S. 12; Benkenstein/Waldschmidt 2014, S. 212ff.).
Aus den digitalen Bildungsangeboten der Hochschulen versuchen die Lernenden im Rah-
men des Wert-Co-Kreations-Prozesses für sich Wert zu schöpfen, wobei sie dafür ope-
rante und operande Ressourcen benötigen (Jahn/Drengner 2014, S. 44). Operante Ressour-
cen werden hierbei von Vargo und Lusch als das Wissen sowie die Fähigkeiten zur
Erstellung des Service beschrieben (Vargo/Lusch 2004, S. 2). Beispielsweise liegen diese
auf Seiten der Bildungsanbieter in den didaktischen Fähigkeiten der E-Tutoren, im beson-
deren Wissen zu den Lehrgebieten, den Erfahrungen in der Erstellung und Durchführung
von Blended Learning-Angeboten oder auch im speziellem Wissen zur Produktion von
Lehrfilmen (Madhavaram/Hunt 2008; Drengner 2012, S. 9). Bei den Nachfragern der Bil-
dungsdienstleistungen handelt es sich insbesondere um ihre psychischen, physischen, kul-
turellen und sozialen Kenntnisse und Begabungen (Arnould et al. 2006, S. 91ff.). Statt-
dessen sind operande Ressourcen jene, die Marktteilnehmer mit Hilfe ihres Wissens und
ihrer Kompetenzen (operante Ressourcen) nutzen und verändern, um ihren Service aus
diesen zu erstellen (Drengner 2012, S. 9). Am Beispiel von Hochschulen wären dies Lern-
plattformen, Lehrfilme oder auch Skripte. Aus Sicht des Nachfragers bedarf es an operan-
den Ressourcen beispielsweise sowohl an Geld und Zeit für die Nutzung des Wertange-
bots. Die operanten Ressourcen, d. h. das Wissen und die Fähigkeiten, gelten in der SDL
aufgrund ihrer bedeutenden Funktion bei der Erstellung des Service als die fundamentale
Quelle von Wettbewerbsvorteilen (Vargo/Lusch 2004, S. 9ff.).
Zusammenfassend müssen die Hochschulen umfangreiche Informationen über die ope-
ranten Ressourcen ihrer Nachfrager von digitalen Bildungsdienstleistungen erlangen, da
die Entstehung des Werts immer auf dem Wissen und den Fähigkeiten des Lernenden
beruht (Drengner 2015, S. 41). Zudem benötigen die Anbieter genaue Auskünfte über die
Hochschule 4.0 509
Lebensumstände ihrer Zielgruppen, da diese operanten Ressourcen einerseits zwar auf an-
geborenen Persönlichkeitsmerkmale beruhen, andererseits aber auch auf ihre psychischen
und physischen Fähigkeiten, die sie im Laufe ihres Lebens durch Kontakte mit ihrer ma-
teriellen, sozialen und kulturellen Umwelt erworben haben, zurückgehen (Arnould et al.
2006, S. 92f.; Drengner 2012, S. 12). Weiterhin sind Erkenntnisse darüber notwendig,
welchen Konsumentenwert sich die Nachfrager aus der Inanspruchnahme der primären,
sekundären und tertiären Services der Hochschule versprechen (Drengner 2015, S. 41).
Erst auf Grundlage dieser Informationen und des tiefen Einblicks in die Wertschöpfungs-
prozesse der Zielgruppen digitaler Bildungsangebote, wird den Hochschulen ermöglicht,
attraktive, wertgenerierende und damit erfolgreiche Angebote am Bildungsmarkt zu plat-
zieren (Edvardson et al. 2011; Drengner 2012, S. 12).
reichen. Die Servicedichte stellt jene Kombination von Ressourcen dar, die in einer be-
stimmten Situation mobilisiert wird (Normann 2001, S. 27; Averdung 2014, S. 272f.).
Beispielsweise stellt die Lernenden-Lehrenden-Interaktion in einem E-Learning-Kurs
eine derartige bestimmte Situation dar. Um eine maximale Servicedichte zu erreichen,
muss ein Anbieter in einem solchen speziellen Kontext alle relevanten Ressourcen und
Kompetenzen derart bereitstellen und integrieren, dass eine bestmögliche Co-Kreation
von Wert im Rahmen der Nachfrager-Anbieter-Interaktion ermöglicht werden kann
(Vargo et al. 2010, S. 23). Zwar ist dieses Optimum nur theoretischer Natur, es kann je-
doch nach Vargo, Lusch und Tanniru durch eine kontinuierliche Verbesserung der Ser-
vicedichte auch eine höhere Kapazität erzielt werden, um den Nachfrager komplexere und
wettbewerbsfähigere Wertangebote unterbreiten zu können (Vargo et al. 2010). Daraus
wird die zentrale Bedeutung einer servicedominanten strategischen Orientierung des Bil-
dungsanbieters als Ausgangspunkt für die Verbesserung von Kompetenzen deutlich. Fer-
ner impliziert eine zunehmende Servicedichte für die Hochschule auch Wettbewerbsvor-
teile, da sie eine Funktion der zielgerichteten Anwendung operanter Ressourcen und
Kompetenzen darstellt, um die Bedürfnisse der Zielgruppen in Relation zur Konkurrenz
bestmöglich zu befriedigen (Lusch et al. 2007, S. 6).
Eine servicedominante Orientierung eines Bildungsanbieters umfasst dementsprechend
auch den Aufbau und Erhalt von Fähigkeiten, die es ermöglichen, durch die Co-Kreation
von operanden und operanten Ressourcen der Transaktionspartner komplexere und wett-
bewerbsfähigere Wertangebote am Markt anzubieten und den Nachfrager im Wertgene-
rierungsprozess zu unterstützen. In der Literatur wird diese spezifische Fähigkeit als Co-
Kreations-Kompetenz bzw. Interaktionskompetenz bezeichnet (Madhavaram/Hunt 2008;
Karpen et al. 2012; Averdung 2014). Lusch und Webster führen in diesem Zusammenhang
dazu aus: ÄTo be truly customer-centric, the firm has to think not only about optimizing
the firm and its activities but how to support customers in their resource integration and
YDOXHFRFUHDWLRQDFWLYLWLHV>«@7KHNH\FRQFHSWVLQWKHYDOXHFRFUHDWLRQFRQFHSWRIVWUDW
HJ\DQGRUJDQL]DWLRQVDUHFRUHFRPSHWHQFLHVXVHGWRFRFUHDWHYDOXH´ (Lusch/Webster
2011, S. 132).
Diese Interaktionskompetenz, d. h. die Fähigkeit des digitalen Bildungsanbieters seine
Nachfrager in Co-Kreations-Aktivitäten zu involvieren, kann als eine wesentliche Quelle
von Wettbewerbsvorteilen angeführt und zudem auch als so genannte ÄMasterful Operant
RHVRXUFH³DXIJHfasst werden (Averdung 2014; Madhavaram/Hunt 2008). Wird durch den
Einsatz von dieser spezifischen Kompetenz ein hoher Wertbeitrag für den Lernenden rea-
lisiert, ist anzunehmen, dass dieser die kollaborative Zusammenarbeit in Zukunft auch
weiter forcieren wird. Zudem kann ein Anbieter, der über superiore Co-Kreations-Kom-
petenzen verfügt, sukzessiv zum präferierten und dominanten Wertschöpfungspartner der
Nachfrager auf dem jeweiligen relevanten Markt avancieren (Averdung 2014, S. 275).
Karpen, Bove und Lukas (2012) sowie Averdung (2014) folgend, lassen sich sechs Co-
Kreations-Kompetenzen auf Basis der fundamentalen Prämissen der SDL ableiten (Kar-
pen et al. 2012, S. 5ff.; Averdung 2014, S. 280ff.), die auch im Kontext der digitalen Bil-
dungsdienstleistungen eine hohe Bedeutung für die Generierung von Wettbewerbsvortei-
len besitzen. Hierzu zählen die individuelle, ethische, einflussbestärkende,
Hochschule 4.0 511
5. Fazit
Heute existiert kaum ein gesellschaftlicher Bereich, der sich nicht mit den Herausforde-
rungen und Potenzialen auseinandersetzen muss, die durch die Digitalisierung hervorge-
rufen werden. Im vorliegenden Beitrag wurden zunächst die wesentlichen Push- und Pull-
Faktoren vorgestellt, die die Digitalisierung der Hochschulen ermöglichen und beschleu-
nigen. Weiterhin wurden die damit verbundenen Herausforderungen und Potenziale der
Anbieter von digitalen Bildungsdienstleistungen diskutiert. Digitale Bildungsangebote er-
möglichen eine orts- und zeitunabhängige Integration von verschiedenen Zielgruppen der
Hochschule. Die Generierung von Wert erfolgt dabei durch die Co-Kreation zwischen den
Wertschöpfungspartnern, wobei der Lernende verschiedene Rollen wie Co-Designer,
Content-Produzent oder auch Berater einnehmen kann. Zur Steigerung des Erfolgs, der
Aktivierung von Potenzialen sowie dem Aufbau von Wettbewerbsvorteilen innerhalb der
514 André Schneider
interaktiven Wertschöpfung werden aus Sicht der servicedominanten Logik im letzten Ab-
schnitt des Beitrags verschiedene strategische Handlungsfelder diskutiert. Dabei wird auf
die notwendige Herausbildung von strategischen Kompetenzen hingewiesen, die es der
Hochschule ermöglicht, besonders passfähige Wertangebote nicht nur für, sondern auch
mit den Lernenden zu generieren, um damit durch kollaborative Lehr-Lern-Prozesse ge-
genseitige und nachhaltige Wertsteigerungen aufseiten beider Wertschöpfungspartner zu
erreichen. Diese organisationalen Interaktions- und Co-Kreations-Kompetenzen stellen ei-
nen wesentlichen Erfolgsfaktor zur Schaffung von Wettbewerbsfaktoren für digitale Bil-
dungsdienstleister aus Sicht des Dienstleistungsmanagements dar.
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Gerrit Heinemann
Literaturverzeichnis
___________________________
Prof. Dr. Gerrit Heinemann ist Leiter des eWeb Research Centers, Hochschule
Niederrhein.
Anbieter Verbraucher
Domizilprinzip: Haustürverkauf
Treffprinzip: Marktplatz
Treffprinzip bezeichnet den Verkauf an einem dritten Ort, unabhängig von Domizil
und Residenz. Dieser Kontakt stellt den halbstationären Einzelhandel dar (z. B. Wo-
chenmärkte).
Distanzprinzip ist die Handelsform, bei der die Einzelhändler und Käufer physisch
nicht in Kontakt treten. Die dabei vorliegende räumliche Trennung wird durch Me-
dien wie z. B. einen Katalog oder das Internet überbrückt (z. B. Versandhandel).
=XU 8QWHUVFKHLGXQJ YRQ Ä2QOLQH³- XQG Ä2IIOLQH³-Handel können die beiden Kontakt-
prinzipien Residenz und Distanz herangezogen werden. Dementsprechend kann zwi-
schen den Absatzkanälen des stationären Handels sowie den Kanälen des Distanzhandels
unterschieden werden. Wesentliches Kriterium des Offline-Handels, also des stationären
Handels nach dem Residenzprinzip, ist ein real existierender Standort. ,QGLHVHU ÄResi-
denz des Anbieters³ILQGHWHin physisches Angebot der Produkte und Services statt, wo-
für die Kunden die Filiale oder Niederlassung aufsuchen und die Ware selbst abholen.
Dabei gilt der Standort als entscheidender Faktor für die Wahl des Geschäftes aus Kon-
sumentensicht (Heinemann 2011). Erfolgskritisch für die Einkaufsstättenwahl ist inso-
fern die reale Präsenz der Waren, die es dem Kunden ermöglicht, diese physisch zu be-
gutachten und zu WHVWHQÄ7RXFKDQG)HHO³Zusätzlich ist es vom Betriebstyp abhängig,
inwieweit Bedienung und Service angeboten wird, oder ob der Kunde sich selbst bedient
bzw. zumindest eine Vorauswahl trifft. Zudem findet im Offline-Handel eine sofortige,
unmittelbare Übergabe der gekauften Artikel statt. Aus Kundensicht suboptimal sind
diesbezüglich sicherlich die festen Ladenöffnungszeiten sowie der erhebliche Zeitver-
lust, der durch Anfahrt, Parkplatzsuche usw. entsteht (Zaharia 2006).
Im Offline-Handel ist in der Praxis eine Vielzahl unterschiedlichster Betriebstypen oder
Formate anzutreffen. Welche dieser Betriebstypen ein Multi-Channel-Händler umsetzt,
hängt sicherlich von seinem spezifischen Verkaufs- und Marketingkonzept sowie seinen
Unternehmenszielen ab. Typische Betriebstypen des stationären Einzelhandels sind z. B.
das Fachgeschäft, der Fachmarkt, das Spezialgeschäft, die Boutique, das Warenhaus, das
Kaufhaus, das SB-Warenhaus, der Super- und Verbrauchermarkt, der Discounter, der
Convenience-Store, der Off-Price-Store sowie zunehmend der Mono-Label-Store verti-
kaler Anbieter (Schobesberger 2007, S. 21). Eine zunehmende Rolle bei der Entschei-
dung für einen Betriebstyp spielt sicherlich auch die Internet-Eignung der angebotenen
Waren. Denn die hybriden Handelsumsätze, die zugleich online als auch offline zustan-
de kommen, wachsen rasant. Sie resultieren aus der Möglichkeit, dass Kunden ihren sta-
tionären Einkauf im Internet vorbereiten oder die Waren nach ihrem Geschäftsbesuch
dort kaufen. Aktuelle Studien belegen, dass Kunden dadurch mit dem jeweiligen Unter-
nehmen deutlich zufriedener sind, wenn es Channel Hopping oder zumindest den Ein-
stieg in den Einkaufsprozess in digitaler Form ermöglicht (Heinemann/Gaiser 2015).
Weiterhin wurde nachgewiesen, dass die Kaufbereitschaft bei Multi-Channel-Kunden
größer ist (InternetRetailer 2012; Haug 2013). Diese hängt mit einer durch das Internet
induzierten Veränderung des Kaufverhaltens im Offline-Handel zusammen.
Offline 4.0 ± Die Neuerfindung des stationären Handels 527
Kunden möchten auf Basis der neuen Technologien und Tools die Möglichkeiten der
modernen Kommunikation auch im Geschäft nutzen können (kaufDA 2015).
2012* 21,30
Mio.
Handy-Nutzer:
60,97 Mio.* +94,5%
2010* 10,95
Mio.
kaufen 17 Prozent Produkte sehr oft im Laden ein, nachdem sie dazu vorher im Internet
kaufrelevante Informationen gesucht haben. In 2014 waren es noch 14 Prozent. Der An-
teil der reinen Offliner, die ohne Internetbeteiligung nur stationär einkaufen, hat sich
halbiert: Der Wert liegt per Ende 2015 bei nur noch 16 Prozent (kaufDA 2015). Dazu
passt auch, dass immer mehr Kunden ihr mobiles Gerät auch im stationären Handel nut-
zen möchten, nämlich 24 Prozent von ihnen. Rund 14 Prozent wollen auf einem Termi-
nal oder Gerät im Geschäft kaufen (kaufDA 2015). Die Gerätenutzung im Geschäft wird
allerdings gehemmt, denn für 34 Prozent hindert mangelnder Empfang sie an der Smart-
phone-Nutzung im Geschäft (plus 140 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Dies drückt ei-
ne ganz konkrete Erwartungshaltung der Kunden an den stationären Handel aus und be-
deutet, dass die Online-Informationsrecherche am POS deutlich höher wäre, wenn es
dort ausreichende Zugriffsmöglichkeit auf das Internet geben würde (kaufDA 2015).
Zugleich nimmt die Intensität der Smartphone-Nutzung generell zu. Demnach steigt der
Kauf via Smartphone oder Tablet-PC von 55 Prozent auf 59 Prozent an gegenüber noch
48 Prozent in 2013. Die Auswirkungen auf den Handel sind offensichtlich, denn nach-
weisbar steigen die Erwartungen der Kunden in Hinblick auf Nutzungsmöglichkeiten des
mobilen Internets im Laden enorm an (kaufDA 2015). Barriere für eine intensivere Pro-
duktinformationssuche auf Smartphones sind allerdings zu 31 Prozent Äzu geringe Über-
WUDJXQJVUDWHQ³ zu 25 Prozent ÄgHULQJH 9HUEUHLWXQJ YRQ +RWVSRWV³ und zu 24 Prozent
Äschlechte mobile Netzabdeckung bei Smartphones bzw. Tablet-3&V³ $XFK Sicher-
heitsbedenken stellen immer noch ein Hindernis dar (kaufDA 2015).
Informationen zur 82
Verfügbarkeit im Laden 84
«/LHIHU- Informationen zu 80
möglichkeiten
und
Produkteigenschaften 83
unaufgeforderte
lokale Bewertung anderer 67
$QJHERWH« Kunden 69
Informationen über 56
Liefermöglichkeiten 0
Unaufgeforderte Informationen zu 31
besonderen Angeboten in der Nähe 19
2015
Basis: n=457 in 2014; n=415 in 2015 2014
Werte in Prozent *Mehrfachnennungen möglich
deln. Bisherige Intermediäre ± wie der stationäre Handel ± haben dadurch bereits ihr Al-
leinstellungsmerkmal an der Kundenschnittstelle verloren und spielen vielfach keine
dominierende Rolle mehr für die Produktauswahl der Kunden. Sie verlieren für den In-
ternetnutzer immer mehr an Relevanz, wodurch auch die Bindung und demzufolge Zah-
lungsbereitschaft der Konsumenten weiter zurückgeht. Für eine nicht mehr wahrgenom-
mene bzw. in Anspruch genommene Wertschöpfung sind diese nicht mehr bereit, ein
Premium zu zahlen. Das Vorhalten von Beratung und Bedienung wird damit zunehmend
weniger erfolgskritisch. Bereits heute beginnen Käufer ihre Einkaufsprozesse mehrheit-
lich im Internet. Alle Studien zu dem Thema weisen Suchmaschinen, E-Marktplätze,
Preisvergleichsseiten sowie auch Branchenportale als erste Anlaufstelle für Kunden aus.
Im gesamten Kaufentscheidungsprozess gewinnt das Netz DOV ÄPoint of Decision³ JH
JHQEHU GHP Ä3RLQW RI 6DOH³ LPPHU VWlUNHU DQ %HGHXWXQJ Die Kaufentscheidung fällt
dabei zunehmend produktbezogen, die Anbieterauswahl immer mehr faktenbasiert. Je
nach Erreichbarkeit, Preis, Verfügbarkeit und Service wird der Verkaufspunkt erst aus-
gesucht, wenn das Produkt im Web bereits gefunden wurde. Das Auffinden der richtigen
Information bietet dem Kunden mittlerweile den größten Nutzen und wird zum wert-
vollsten Teil der Wertschöpfungskette. Hierfür ist keine direkte Kundenbeziehung not-
wendig und durch die zunehmende Verbreitung von Smartphones ± gepaart mit der stei-
genden Nutzung schneller, mobiler Internetverbindungen ± wird die richtige Information
überall sofort auffindbar. Im Zuge dieser Entwicklung können die Potenziale des Internet
allerdings durchaus mit Hilfe eines intelligenten Multi-Channel-Konzeptes mit in die sta-
tionären Läden transportiert werden (DPDHL 2014). Dementsprechend bieten etliche
Händler in Filialen durch neue Technologien und Formate Zusatzservices und Interakti-
onsmöglichkeiten an. Dies kann zum Beispiel über mobile Apps oder In-Store-Terminals
erfolgen (Heinemann/Gaiser 2015). Damit tut sich ein neues Thema auf, nämlich Offline
4.0. Es geht um die Neuerfindung des stationären Handels durch digitale Maßnahmen.
Rein online 6% 7%
13% «GDYRQ
Multi-Channel/ 8% Online-
No-Line 10% Umsatz
28%
«GDYRQ
Offline-
Umsatz
Rein stationär
86%
84%
59% >40 Mrd. EUR
Multi-Channel
stationär
2008 2011 2015e
Fair Share: Online-Zielumsatz 2015 = 20 Prozent von Total
+ 21 Prozent Web-to-Store = 41 Prozent von Total
Abbildung 5: Multi-Channel-Umsätze
(Quelle: Heinemann 2016a, S. 7)
3.3 Inside-out-Digitalisierung
Zweifelsohne hat der stationäre Handel große Vorteile für die Kunden, der Online-
Handel allerdings auch. Deswegen kann es sinnvoll sein, mit Hilfe eines Multi-Channel-
Konzeptes die Potenziale des E-Commerce mit in das Stationärgeschäft zu transportie-
ren. Dementsprechend bieten neue Technologien und Formate in Filialen Zusatzservices
und Interaktionsmöglichkeiten an. Dieses ist z. B. über mobile Apps oder In-Store-
Terminals möglich (Haug 2013). Vor allem kanalübergreifende Services wie unter ande-
rem Online-Informationen über Filialbestände, das Zusammenstellen individueller Sor-
timente, die Abholung sowie Rückgabemöglichkeit im Store, bieten den Kunden echte
Mehrwerte, verglichen mit dem Pure-Online-Wettbewerb. Alle bisher anzutreffenden
Ansätze für eine Neuausrichtung zu einem Multi-Channel-Händler folgen bisher eher
HLQHUÄInside-out-Perspektive³LQ+LQEOLFNDXIGDV2IIOLQH-Geschäft und sind deswegen
überwiegend angebotsorientiert ausgerichtet (Heinemann 1989). Dementsprechend wer-
den zwar die Investitionen in das Ladennetz runtergefahren und Filialen geschlossen
bzw. umgelagert sowie Mittel in Richtung Online-Geschäft reallokiert (InternetRetailing
2012b; Haug 2013; Heinemann 2016a). Unterlassen wird bisher allerdings eine Neuer-
findung des Stationärgeschäftes, weil dort immer noch der Großteil des Umsatzes ge-
macht wird. Selbst bei John Lewis mit über 30 Prozent Online-Anteil sind eben 70 Pro-
zent und damit der größte Umsatzbrocken offline. Auf Basis dieser Ä,QVLJKW-out-
3HUVSHNWLYH³ N|QQHQ zwei Ansätze für den Offline-Handel zusammengefasst werden
(Haug 2013). Zum einen Web-to-Store-Services mit smarten Kanalsynergien, zum ande-
ren Digital-in-Store-Services mit neuer Erlebnisorientierung.
Marktes hat die Kundenerwartungen in allen Kanälen ansteigen und hohe Service- und
Convenience-Anforderungen zum Standard werden lassen. Sie verdeutlicht die Notwen-
digkeit für alle Anbieter, neue differenzierte Leistungsversprechen zu entwickeln (Haug
2013).
greifende Kundensteuerung kann dem Händler dabei eine Steigerung der Kundenaus-
schöpfung ermöglichen. Dazu kann er z. B. Couponing, Cross-Promotions oder Online-
Kundenkarten einsetzen (Haug 2013). In Abbildung 6 werden mobile Maßnahmen im
stationären Handel dargestellt.
Neue Technologien ermöglichen eine Verbesserung von Service und Erlebnis bei gleich-
zeitiger Senkung des Mittelaufwands. Dadurch kann auch die Kundenloyalität und die
Bildung von Stammkundschaft erhöht werden. Studien belegen, dass Multi-Channel-
Kunden mit dem jeweiligen Unternehmen deutlich zufriedener sind, wenn es Channel
Hopping ermöglicht (Heinemann 2011). Zudem ist die Kaufbereitschaft bei Multi-
Channel-Kunden offensichtlich größer (InternetRetailing 2012a; Haug 2013). Bei den
Best Practices im Multi-Channel-Handel dominieren Anbieter aus den USA und UK. Für
die notwendige Transformation der Organisation und die Neuausrichtung der Prozesse
investieren US-amerikanische Händler große Summen (Brohan 2012; Haug 2013). Da-
bei zahlen sich diese hohen Investitionen in den Ausbau der Online-Aktivitäten bisher
offensichtlich aus. Beim britischen Multi-Channel-Händler John Lewis sind bereits rund
ein Drittel der Gesamterlöse Multi-Channel-Umsätze (Heinemann 2016a). Dabei kom-
PHQLPPHUPHKU9HUNlXIHGLUHNWDXVGHPÄ&OLFN &ROOHFW³-Angebot, bei dem die Kun-
den Artikel Online kaufen und in der Filiale abholen können (InternetRetailing 2012b;
Heinemann 2016a, b; vgl. Haug 2013). Wie auch immer Digital-in-Store-Anwendungen
eingesetzt werden, ist es sicher, dass die stationären Formate im Handel zukünftig anders
aussehen werden. Entweder als Showroom oder mit Showroom-Flächen, Pop-up-
Flächen, zum Teil automatisiert oder auch verkleinert.
Offline 4.0 ± Die Neuerfindung des stationären Handels 539
3.4 Outside-in-Digitalisierung
ModernHXQGWHFKQLNDIILQH.XQGHQVLQGPLWLKUHP6PDUWSKRQHÄDOZD\VRQ³6LHN|QQHQ
sich zu jeder Zeit ins Internet begeben, sämtliche Informationen abrufen und mit Freun-
den interagieren. In der Folge werden soziale Vernetzung und Empfehlungsprozesse
wichtige Einflussfaktoren für die Kundenentscheidungen (Heinemann 2016a). Darüber
hinaus kaufen bisherige Offline-Kunden auch zunehmend online ein und erfahren so die
Vorzüge des Online-Kaufs. Folge ist, dass die Kunden immer stärker erwarten, dass die
Bedienbarkeit einfach und unkompliziert ist. Diese Erwartung übertragen sie zunehmend
auch auf den stationären Einkauf, wo allerdings in den meisten Fällen die Digitalisierung
an der Ladentür aufhört (brandeins 2014, 2015). Spätestens seit Eröffnung des neuen
Amazon Buchladens im November 2015 in Seattle wird klar, dass sich wesentliche Prin-
zipien des Online-Einkaufs auch auf das stationäre Geschäft übertragen lassen. Im Grun-
de haben die Kunden jetzt mit dem Bookstore den bisher fehlenden Baustein bei Ama-
zon zu ihrer Customer JRXUQH\QlPOLFK ÄWRXFK IHHO³YRUOLHJHQ =ZDU YRUHUVW nur bei
Büchern, aber demnächst wahrscheinlich auch irgendwann für andere Sortimente. Ama-
zon hat es als erster Online-Händler unter dem Stichwort Kundenzentralität geschafft,
GHQ (LQNDXI ÄHLQIDFK ]X PDFKHQ³ XQG GHQ %HJULII GHU Usability ± d. h. den schnellen
und bequemen Einkauf ± zu positionieren. Diese Usability wendet Amazon nun auch auf
der stationären Fläche an und erfindet damit den stationären Handel aus einer Outside-
in-Perspektive, also mit konsequenter Kundenzentralität, neu. Es handelt sich um eine
$UW Ä8OWLPDWLYH 8VDELOLW\ LP 6WRUH³ mi 2016), mit der ein Kunde entsprechend seiner
individuellen Suchstrategie, sei es nach Bewertung, Bestseller und Themen, sein Produkt
finden kann. Und nicht wie es in der unflexiblen Warenstruktur vorgegeben ist nach dem
1950er Jahre-Prinzip: ÄDraußen gibt es nur Kännchen³ (mi 2016). Wie im Online-Store
kann jetzt auch im stationären Geschäft das Kunden-Tracking Basis für den Aufbau und
die Präsentation der Ware sein und damit eine smarte Navigation ermöglichen. Dieses
könnte die wesentlichen Hinweise dafür geben, auch offline eine ultimative Usability-in-
Store und eine Kundenzentriertheit umzusetzen. Dazu werden im Folgenden bereits real
existierende Beispiele gezeigt.
helfen sie, Kunden besser zu verstehen und damit den Shop kundenzentrierter auszurich-
ten. Sie werden genutzt, um einen Online-Shop zielgerichtet und budgetkonform zu be-
treiben. Das Web-Analytics liefert damit wichtige Informationen zur Optimierung der
Usability und damit zur qualitativen Verbesserung des Online-Shops (Düweke/Rabsch
2012).
Nach dem Prinzip von Web-Analytics ermöglicht die Firma Crosscan aus Witten
(www.crosscan.com) auch stationären Händler eine Besucherzählung, Laufwegeerken-
nung sowie eine Verweildauermessung. Mithilfe der Personenzählung wird es ihnen
möglich, im Abgleich mit der Kassenregistrierung die Store-Conversion zu messen. Die-
se erfolgt technisch ± ähnlich wie die Laufwegeerkennung ± auf Basis von WiFi-
Tracking-Systemen oder Customer Flow-Sensoren, die alle Bewegungen in der Filiale
festhalten. Damit kann auch die Verweildauer gemessen und einzelnen Abteilungen oder
Produkten zugewiesen werden. Technische Voraussetzung dafür ist die iBeacon-
Technik, über die der Händler auch mit den Kunden kommuniziert und ihn auf Angebote
hinweisen kann. Wie in Abbildung 7 dargestellt ist, kann mit den Erkenntnissen der neu-
en Messtechnik HLQ XPIDVVHQGHV Ä'LJLWDO-in-6WRUH³-Konzept umgesetzt werden, das in
Ergänzung mit elHNWURQLVFKHQ 3UHLVVFKLOGHUQ HLQHU ÄLQWHOOLJHQWHQ )LOLDOH³ JOHLFKNRPPW.
Sie bildet die Basis für den nächsten Schritt, nämlich die Umsetzung einer ultimativen
Usability und Offline-Kundenzentriertheit.
1. iBeacon
Kommunizieren Sie direkt mit Ihrem Kunden und
weisen Sie auf Angebote in der Nähe oder
Gutscheine etc. hin
2. Elektronische Preisschilder (ESL)
Preise können schnell und bequem für jedes Produkt,
in jeder Filiale oder in jeder Region angepasst
werden. Vermieten Sie Werbeplätze für zusätzlichen
Umsatz
3. Laufwegeerkennung
CustomerFlow Sensoren oder WiFi-Tracking Systeme
erkennen Bewegungen innerhalb der Filiale.
4. Personenzählung
Zählen Sie, wie viele Besucher Sie haben.
5. Verweildauermessung
Messen Sie die exakte Verweildauer mit
CustomerFlow und unseren WiFi-Tracking Systemen
6. Filial-TV / Digital Signage
Kundeninteraktion mit modernster Technologie, um
Aktionen, Anweisungen, Werbung, sowie Marken
präsentieren zu können
Kunden schätzen beim Online-Kauf die Reduzierung von zeitlichen und finanziellen
Aufwendungen (Kollmann 2013). Convenience ergibt sich dabei unter anderem aus der
Schnelligkeit und Effizienz der Bedienungselemente. Dieses betrifft neben der Navigati-
on, Handhabung des Bestellprozesses sowie den Service-Funktionalitäten vor allem die
Usability des Shops (Mahrdt 2010). Für sie ist die treffsichere Suchfunktionalität absolut
erfolgskritisch, denn aus Kundensicht ist es wünschenswert, dass die Kategoriensuche
schnell zum gewünschten Objekt führt. Es wird angestrebt, dass die Suchergebnisse dazu
durch relevante Filterkriterien wie Preise, Farben, Material, Marken sowie Größen usw.
eingeschränkt werden können. Voraussetzung dafür ist eine saubere Schlüsselung der
Kategorien bzw. Subkategorien, die den unterschiedlichen Suchstrategien der Kunden
Rechnung tragen (Fischer 2009). Insofern beeinflusst die Usability maßgeblich die Con-
version, die natürlich auch noch von weiteren Faktoren wie unter anderem der Waren-
verfügbarkeit und den Gebühren abhängt. Sie beeinflusst unmittelbar den Umsatz, der
wiederum wesentlich vom Cross und Up Selling abhängt.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Online-Handel liegt es eigentlich nahe, das
Prinzip der Usability auch im Offline-Handel anzuwenden. Genau das hat Amazon in
seinem neuen Store getan. Insofern erfindet gerade ein Online-Händler den stationären
Handel neu. Brick&Mortar-Händlern wird deswegen angeraten, sich schnell mit dem
Thema der ÄuOWLPDWLYHQ8VDELOLW\³auf der Fläche auseinanderzusetzen. Es geht darum,
die stationären Formate aus der Online-Perspektive heraus neu zu erfinden. Innovative
Ladenformate werden vor allem Gewicht auf digitale Anwendungen legen. Die Schlüs-
selrolle spielt dabei sicherlich das Smartphone, sowohl bei Web-to-Store- als auch bei
Web-in-Store-Services. Dieses erfolgt idealerweise in Kombination mit einer Master-
App, die alle Shop-Funktionalitäten bis hin zur Bezahlung App-basiert zusammenführt
und den Offline-Einkauf so völlig unabhängig von Zeit, Ort und Bedienung macht.
Als erster Multi-Channel-Händler in Europa hat dies offensichtlich der Schweizer Buch-
anbieter Ex-Libris verstanden, der im Zuge einer disrupiven Transformation nicht nur
sein Kerngeschäft saniert, sondern seine Filialen quasi neu erfunden hat (Röthlin 2015).
Für jede einzelne Filiale kann der Kunde im Vorfeld die Verfügbarkeiten des Sortiments
abfragen. Im Store hat er kostenlosen Internetzugang über WLAN und kann über sein
Smartphone alle Location-based Services von Ex-Libris nutzen. Dazu gehören Produkt-
zusatzinfos und ein Live-Ticker. Beim Bezahlen erhält der Käufer auf sein Gerät einen
digitalen Kassenbon sowie auch Coupons gespielt. Zugleich wird er über die Kumulus-
Kundenkarte identifiziert und erhält individuelle Produktempfehlungen am Kassen-
&KHFNRXWGLHPLWVHLQHQOHW]WHQ:DUHQNRUELQKDOWHQDEJHJOLFKHQZHUGHQhEHUGDVÄ'L
JLWDO6LJQDJH³ZLUGHUGDUEHr hinaus auf neueste Bestseller aufmerksam gemacht, kann
Banner- und Trailer-Promotions einsehen und erhält Zugang zum In-Store-Radio. Dar-
über hinaus misst ein Besucherzähler die Frequenz.
Das Konzept von Ex-Libris wird jetzt sogar noch von dem Systemanbieter G2G (Ä*RRG-
to-*R³) aus Sausalito/USA getoppt. G2G hat eine Master-App entwickelt, die neben den
542 Gerrit Heinemann
Funktionalitäten von Ex-Libris auch eine mobile Bezahlfunktion sowie eine virtuelle
Kundenkarte integriert. Darüber ermöglicht sie es stationären Händlern, auch offline die
Funktionalitäten umsetzen zu können, die Basis für den Amazon-Erfolg waren, nämlich
Selection, Recommendations, Reviews, Easy Payment, 1-Time Info Entry sowie Next-
Day-/Same-Day-Delivery (Good-to-Go 2016). G2G bietet seine Lösung quasi als Ä:KLWH
/DEHO³ IU VWDWLRQlUH +lQGOHU DOOHU %UDQFKHQ DQ 9RUDXVVHW]XQJ LVW DOOHUGLQJV GDVV GLH
stationären Händler bereits einen Online-Shop betreiben, der das gesamte Offline-
Sortiment abbildet. Insofern ist ein tragfähiges Multi-Channel-Konzept erst der Einstieg
in den Handel der Zukunft, für den es bedarf, das stationäre Geschäft neu zu erfinden.
1 2 3 4 5
Discover Shop Checkout Fulfill by Discover
Everything Everywhere Anywhere Anyone Everything
Browse all online Discover store 1-Click checkout Self check-out, Browse all online
and locations that and payment click and collect, and
offline inventory have what they delivery by Uber offline inventory
want or Parcel Service
of choice
Damit hat der Kunde, auch wenn er im Laden steht, nicht mehr das Gefühl, in einem
Verkaufsraum zu sein. Der Kanal spielt keine Rolle mehr.
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ÄDienstleistungen 4.0³
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A C
Additiv-generative Fertigung 85 Canvas 97ff.
After Sales Service 345 Co-Evolution 77
Airline 166, 447ff. Co-Kreation 50ff., 337ff., 392, 485f.,
505ff.
Applikation(en)/App(s) 10f., 47ff.,
77ff., 101ff., 167f., 188ff., 283ff., Co-Kreations-Kompetenz 36, 510ff.
312f., 351, 387ff., 416ff., 447f.,
Consulting 37, 255, 319f., 413ff.
472ff., 490, 528ff.
Controlling 34f., 395
As a Service 73ff., 122, 163ff.
Coworking-Space 27, 187ff.
Augmented Reality 81, 118ff.
Customer Journey 48ff., 539
B
Customer Value 9ff., 51
Banking Services 468ff.
D
Beratungsleistungen 37, 283, 414ff.
Data Scientist 401
Beteiligung 36, 62, 488, 504
Datenanalyse(n) 17, 84, 100ff., 344ff.
Big Data 12ff., 73ff., 139, 173ff., 213,
278ff., 337ff., 439 - funktion 489
Business - verfahren 86
- Analytics 24 Dienstleistungen 4.0 6ff., 213
- Model(s) 243ff., 449ff., 467ff. Dienstleistung(s)-
- Model Canvas 86, 94ff., 123ff. - entwicklung 135, 317ff., 372
- Process Model Notation 374 - flexibilisierung 37, 481
Business-to-Business 33ff., 73ff., 97, - innovationen 27, 93, 117, 271,
135, 335, 390ff. 287ff.
Gestaltungsparameter 322ff. K
Grenzkosten 30, 287 Kontext 7ff., 93ff., 119, 129, 133,
139f., 166ff., 188ff.
H
Kontextsensivität 488f.
Healthcare 35f., 164, 261, 448
Kunden-
Hochschulmarketing 499ff.
- integration 281, 395, 403, 484ff.
Hybride Leistungsbündel 302, 338, 485
- Mitarbeiter-Interaktion 24, 211ff.
Hybride Produkte 23, 485
- service 31ff., 53
I - zufriedenheit 6, 139ff., 216ff.,
322ff., 352ff.
IHIP characteristics 467ff.
Industrie 4.0 6ff., 45, 73, 83ff., 93f., L
115ff., 163, 189f., 278, 293, 301ff.,
Location-based Services 399, 528ff.
317, 344, 363ff., 483ff.
Logistik 59, 81ff., 104ff., 115, 140ff.,
Industrielle Dienstleistungen 483
168, 275f., 301ff., 363ff., 490
Initiative 25, 55ff., 84, 175, 190, 337,
Lösungsanbieter 51, 116f., 303, 366,
365
485
Innovations-
Loyalty program 445ff.
- ökosystem 71ff.
M
- plattform 78f.
Marktstrategien 384ff.
Insurance 82, 255, 257, 445ff.
Mass Customization 80, 282ff., 392ff.,
Interaktions-
469
- kompetenz 509ff.
Mobile
- qualität 13, 425
- Plattforms 538
Interaktivität 417ff., 537
- Payment 468, 538
Integrationsplattformen 79
Multikriterielle Bewertung 127
Internet of Things 10ff., 163, 243, 317,
485 N
Internet der Dinge 5, 14, 83, 87, 115, Net Promoter Score 473
278, 301, 313, 344, 365, 367
Netzwerkeffekte 76ff., 171
No-Line-Orientierung 523ff.
560 Stichwortverzeichnis
O S
Offline 4.0 523ff. Service
Ökosystem 49ff., 74ff., 94ff., 169ff., - concept(s)/konzept(e) 272, 315ff.,
179ff., 317, 342, 365 465ff., 485
Online Communities 282 - Design 273f., 318ff.
Organisation 185ff., 312 - Dominant Logic 50f., 243ff.,
341ff., 386, 505f.
Organisationsdesign 55ff.
- Ecosystem/Ökosystem 161ff.,
P 241ff., 339ff.
Peripherie 77ff. - Encounter 271ff., 505
Personalisierung 286, 341 - Engineering 315ff., 338, 486
Persönlichkeit 211ff. - entwicklung 317ff.
Platform/Plattform 51ff., 101ff., 161ff., - Experience 315ff.
187ff., 243ff., 312f., 338ff., 384ff.,
- Innovation 280, 315ff.
447, 472ff., 481ff., 500ff.
- Matrix 468 ff.
- ökonomie 71ff.
- modularisierung 488ff.
- kern 76ff.
- Provider 228, 469ff.
Point-of-Decision 531f.
- platform/Plattform 94, 250ff.,
Potenziale 84ff., 116ff., 185ff., 269ff.,
280ff., 481ff.
330, 347ff., 411ff., 497ff.
- Transition 241ff., 381ff.
Predictive Analytics 53, 261
Self-Service 103, 247ff., 291, 415,
Produkthersteller 133ff.
477ff., 484ff.
Produktion 76, 115ff., 138ff., 168, 282,
Self-tracking 445ff.
305, 337ff., 363ff.
Servitization 136, 243, 283, 369, 381ff.,
Produkt-Service-Systeme 315ff., 366
485
Professional Services 411ff., 469ff.
Sharing Economy 54, 185ff.
Q Similarity-Attraction-Effekt 211ff.
Qualitative Forschung/Studie 140 Smartphone 47, 77ff., 120, 168ff.,
527ff.
Quantified Self 445ff.
Smart Service/s 94f., 165ff., 337ff.,
487f.
- als Innovationstreiber 337f.
Stichwortverzeichnis 561
- Canvas 91ff. U
- Design/Entwicklung von 164, Unternehmensberatung 411ff.
339ff.
Usability-in-Store 539ff.
- DNA 339f.
V
- Funktionen 340f.
Value
- im Business-to-Business Sektor
335ff. - Co-Creation 249
- System 352ff. - Proposition 46ff., 255
- Treibereffekte 343f. - Proposition Canvas 96ff.
Smarte Produkte 176ff. Verarbeitendes Gewerbe 113ff.
Softwareplattformen 71ff. Vorgehensmodell 321
Soziale Netzwerke 287, 529ff.
W
Spannungsfelder 47, 185ff.
Wearable technology 445ff.
Sprachanalyse 211ff.
Web-to-Store Services 533ff.
Sprachanalysetechnologien 211ff.
Wertangebote 51, 96ff., 506ff.
Start-up 87, 187ff., 534
Wertkette 275
stationärer Handel 523ff.
Wertschöpfung(s)- 52ff, 76ff., 99ff.,
Strategien in der Medienbranche 385f. 269ff., 335ff., 485ff., 504ff.
Strategisches Marketing 43ff. - aktivitäten 275
Strukturmuster 269ff. - systeme 116, 196, 309ff.
Werttreiber 269ff., 356
T
Technischer Kundendienst 485ff.
Technologie/Technology 269ff., 299ff.,
354ff., 363ff., 448, 472ff., 484ff.
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