Als docx, pdf oder txt herunterladen
Als docx, pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 3

Was Werbung treibt - Einbahnstraßen im

Supermarkt
70 Prozent aller Neuartikel fliegen nach ein paar Monaten wieder aus den Regalen. Am
Kunden liegt das nicht.

Text: Ralf Grauel


Von Natur aus sind Menschen träge Gewohnheitstiere, die es im Alltag heute genauso behaglich,
kristallklar, backirisch, cremig und knusprig mögen wie gestern. Nur drei Gründe gibt es, mal was
Neues auszuprobieren. Erstens müsste es kristallklarer, backfrischer, cremiger, knuspriger sein,
zweitens billiger und drittens mit Gratiszugabe. Also: "Jetzt neu! Noch leckercremiger. 20 Prozent
mehr in der Superprobierpackung: mit Knusperkugeln!!!" So kommt es, dass Geschirrspülertabletten
mittlerweile drei Aktivzonen oder einen Powerball haben, dass Kartoffelchips von Sounddesignern
entwickelt werden und dass es Joghurts gibt, die man nicht nur essen kann, sondern die ihre eigene
Verdauung gleich mit erledigen und währenddessen auch noch vor ansteckenden Krankheiten
schützen sollen. Fast scheint es, als regiere im Supermarkt das Spaßprinzip. Doch das Gegenteil ist
der Fall: Es herrscht pure Verzweiflung.

Erst kommen Qualität, Leistung und Preis, danach überlegen wir, wie wichtig uns das Neue am
Neuen ist. Das ist die Reihenfolge, die über Erfolg und Misserfolg bei schnell drehenden Konsum-
gutem entscheidet. Das ergab gerade die nach eigenen Angaben umfassendste Studie über
Innovationsflops bei schnell drehenden Konsumgütern, für die sich der Markenverband, die
Werbeagentur Serviceplan und die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zusammengetan haben.
Die tragische Meldung; Mehr als zwei Drittel aller neuen Cremes, Biere, Pürees und Reiniger, die zu
uns nach Hause wollen, bleiben in den Regalen liegen. Die Floprate bei diesen Konsumgüter liegt
damit bei satten 70 Prozent, das addiert sich auf ein Fehlinvestment von zehn Milliarden Euro. Die
wenigsten Produkte scheitern, weil sie falsch vermarktet werden. 60 Prozent der Innovationflops
passieren, weil die Markenartikler sich schon im Konzept verkalkulieren bei: Qualität, Leistung, Preis,
Zielgruppen und Innovationsgrad.

466 verschiedene Artikel kauft jeder Haushalt im Jahr durchschnittlich, Obst, Brot und Gemüse nicht
mitgerechnet. 58 Prozent davon befanden sich auch schon im Vorjahr im Einkaufswagen, das heißt:
196 Newcomer legt sich Otto Normalverbraucher ins Körbchen. Eigentlich nicht schlecht, doch bei
rund 30000 neuen Artikeln, die pro Jahr auf den Markt kommen, also knapp 600 pro Woche, und nur
durchschnittlich 7500 verschiedenen Artikeln pro Markt, ist das Gedränge groß.

Wahrscheinlich merken Sie gerade auch, dass es keinen Supermarkt mit so viel Personal, Regalen und
Kunden gibt, um einen derartigen Durchsatz zu bewältigen. Das muss auch gar nicht sein. Denn in
Wirklichkeit sind die meisten sogenannten Innovationen nur kleine Umverpackungen und saisonale
Aktionen. Mit jedem neuen Deckel, jeder taktischen Änderung an Design und Größe bekommt das
komplette Produkt einen neuen Strichcode, in der Statistik taucht es als Innovation auf. Was die
Studie also zum Fehlinvestment aufbläst, ist zunächst nur ein Beleg für die ganz normale Vitalität
eines schnellen Marktes.
Aber selbst wenn nur ein Zehntel echte Innovationen sind, wäre immer noch eine Milliarde Euro in
den Sand gesetzt. Genug, um ein Jahr lang alle deutschen Großplakate, Plakatwände und
Bushaltestellen zu buchen. Der Rest würde reichen, um für fünf Jahre die Namensrechte der Fußball-
Bundesliga zu kaufen.

GfK und Serviceplan haben 265 echte Neueinführungen untersucht. Fazit der Studie: Die Ideen
scheitern, weil die Idee zwar neu ist, aber nicht neu genug. Sie scheitern, weil der Preis nicht zur
Leistung passt, weil Produkt und Marke nicht passen, keine Käuferzielgruppe definiert ist oder der
Produktmanager nicht in der Lage ist, Mediapläne zu lesen. Die Innovationen scheitern, weil
Markenartikler das Einmaleins des Marketings nicht beherrschen.

Eine typische Innovationskette beginnt zum Beispiel so: Ein Hersteller wie Reckitt Benckiser
entwickelt einen Power-Reiniger, nennt ihn "Cillit Bang", testet, wirbt, führt ein und landet einen
Volltreffer. Kurze Zeit später kommt Henkel, stellt seine Kopie namens "Bref" daneben und erweitert
damit das Segment. Spätestens für die dritte Marke wird es eng: Die Nische ist dicht, die eingesetzten
Werbegelder verpuffen. " Als ,Viss' sich mit seinem Power-Reiniger dazugesellte, funktionierte das
nicht mehr", erklärt Wolfgang Twardawa, Division Manager Marketing bei der GfK. " Außerdem passt
das Power-Segment nicht zur sanften Scheuermilch." Spätestens wenn dann der Handel seine
Eigenmarke dazustellt, beginnt das Spiel von vom.

Der Grundcharakter einer solchen Karawane ist der, dass nur einer sich wirklich Gedanken über
Richtung und Ziele macht, und zwar der Erste. Alle andere laufen hinterher. Das Kopieren wird zum
Prinzip. Peter Haller, Geschäftsführer der Serviceplan Gruppe, erklärt: " Wenn man sich heute die
neuen Produkte anschaut, und das gilt weltweit, dann richten sich die Marken mehr am Wettbewerb
aus als am Verbraucher." Wenn sich aber Entwicklungsteams an Feindbildern statt am Kunden
orientieren, kann das teuer werden. "In manchen Unternehmen setzt so eine Art Gruppenpsychose
ein. Ein Teamleader sagt, das gefällt mir, und alle machen mit. Je weiter aber ein Projekt
fortgeschritten ist, umso geringer wird die Bereitschaft, es wieder einzustellen. Irgendwann bringt
man dann eben einen Phaeton auf den Markt", sagt Haller. Oder mit Lebensmittelfarbe grün
gefärbten Ketchup, der zwar in den USA ein Renner ist, aber in Deutschland eine Bauchlandung
hinlegt, weil die Kaufentscheider (Mütter) hierzulande andere Ernährungsprioritäten haben.

Haller empfiehlt frühes Testen, noch in der Konzeptphase. Die meisten Unternehmen gehen erst in
die Marktforschung, auch das ist ein Ergebnis der Studie, wenn es um Design oder die Kampagne
geht; "Aber damit decken sie nur 40 Prozent des Risikos ab. Gut gemachte Konzepttests helfen, die
Produkte zu optimieren. Nur sehr selten ist in dieser Phase etwas nicht zu korrigieren." Aber wie
testet man weiches Klopapier, rote Grütze oder Fruchtquark als Konzept? "Wenn Sie jemanden zu
einer Idee im Konjunktiv befragen, bekommen Sie irgendeine Antwort, aber keine, die für Sie
relevant ist. Also müssen Sie auch in der Forschungsmethode kreativ sein, die klassische
Frageforschung durch neue Formen der Verhaltensforschung ersetzen und den Verbraucher an der
Produktentwicklung spielerisch mitwirken lassen", empfiehlt Haller.

Selbst wenn die Produktidee sitzt, kann danach noch alles schief gehen. Die meisten Innovationen
erweitern die Marke, verbessern die Wirkung oder lösen im Idealfall ein bestimmtes Problem. Die
meisten Innovationen sind aber noch immer auf die breite Masse hin konzipiert - nur lassen sie sich
dort nicht einrühren, weil das zu teuer ist.
Die schönste Zielgruppe nutzt nichts, wenn sie für die mit dem Launch zur Verfügung stehenden
Mitteln nicht erreicht werden kann. Also erfindet die Marketingleitung eine Pseudo-Zielgruppe, die
irgendwie zum Produkt passt. Wolfgang Twardawa konstruiert einen Klassiker: "Der Produktmanager
bekommt eine Neuentwicklung auf den Tisch, sagen wir, ein gehobenes Körperpflegeprodukt, das er
einführen soll. Er brieft seine Agenturen und sagt, er möchte alle berufstätigen Frauen in
Großstädten zwischen 20 und 39 Jahren mit überdurchschnittlichem Einkommen erreichen. Klingt
gut, oder? Was dem aber gar nicht klar ist: dass er damit nur ein Prozent aller Personen über 14 Jahre
erreicht. Oder, auch gut, immer wieder gern genommen: ,Hausfrauen in der Mittel- und Oberschicht,
die gerne kochen.' Damit erreichen Sie gerade mal 0,7 Prozent aller Haushalte." Auch Peter Haller
weiß: "70 Prozent aller Zielgruppendefinitionen stimmen nicht. Man muss die Zielgruppen näher am
Kauf, etwa nach Shopper-Typen qualifizieren. Ihre Zielgruppe muss eine echte Käuferzielgruppe
sein." Der Werber und der Konsumforscher führen als Erfolgsideen Kandoo an, das feuchte
Toilettenpapier für Kinder, Beck's Gold oder Dr. Best Duo Protect, die Bürste für Zähne und Zunge.
Alle erreichten über ausdifferenzierte Marketingpläne ihre Käufer. Haller und Twardawa wissen: Bei
dem Überangebot an Medien kann kein Produkt heute noch konzipiert werden wie vor 30 Jahren,
also auf den "Haushaltsführer und Verwender der Warengruppe". Doch so läuft es noch immer.

Spätestens der Mediaplaner verteilt die schlaue Einführungskampagne auf die Ursuppe und rechnet
sich anschließend die Zahlen schön. "Ich war selbst dabei, als der Chef von Lindt, Dr. Lechner, seinen
Medialeuten den Plan zusammengestrichen hat", erzählt Twardawa. "Die hatten vor allem
Privatsender gebucht, nachmittags um 16 Uhr! Der Mann hat richtig getobt. Nachmittags machen Sie
herrlich Quote. Aber Sie erreichen doch keinen, der Premium-Schokolade kauft." Aber auch wenn die
Werbung stimmt, der Plan schlau ist, das Produkt im Regal steht, kann hier der letzte, alles
entscheidende Fehler unterlaufen: Produkt, Marke und Preis kommen nicht zusammen. Viele
Marken sind sich im Moment der Wahrheit zu fein, von ihrem hohen Preis herabzusteigen. So
geschehen mit Pfanni. Da half es nicht, Kartoffeln zu schälen, in eine Dose zu packen und Pfanni
draufzuschreiben. Pfanni mag zwar Püreekompetenz besitzen, so Konsumforscher Twardawa, doch
im Bereich Schälkartoffel oder Konserve hätten sie kein relevantes Standing.

Der Verbraucher empfindet so eloquent natürlich nicht. Er steht vorm Regal und wundert sich, was
Pfanni sich dabei denkt, Kartoffeln in der Dose für das Dreifache des normalen Preises zu verkaufen.
Und vielleicht denkt er, neugierig geworden durch die Schälkartoffeln im Markenkleid, "gar keine
schlechte Idee!", greift zum No-Name-Glas und probiert zu Hause mal was Neues.

Das könnte Ihnen auch gefallen